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Archiv
Mikroskopische Anatomie
herausgegeben
von
v. la Valette St. George in Bonn
und
W. Waldeyer in Strassburg.
Fortsetzung von Max Schultze’s Archiv für mikroskopische Anatomie.
Fünfundzwanzigster Band. l
Mit 27 Tafeln und 3 Holzschnitten.
Bonn
Verlag von Max Cohen & Sohn (Fr. Cohen)
1855.
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Inhalt.
Untersuchungen über den Bau der Iris des Menschen und der Wirbel-
thiere. Von Dr. J. Koganei, Assistenten am anatomischen In-
stitute zu Berlin. Hierzu Tafel I
Ueber die Mitteldarmdrüse (Leber) der Mollusken. Im Auszuge mit-
getheilt von Dr. Johannes Frenzel in Berlin. Hierzu Tafel II
Ueber die Beziehungen der cavernösen Räume im Bindegewebe der
Anodonta zu dem Blutgefässsystem. Von Dr. med. P. Schüler
aus Colberg. (Aus dem histologischen Institut in Halle.)
Ueber Wundernetze und divertikelbildende Capillaren bei nackten Am-
phibien und in pathologischen Neoplasmen. Von Prof. J. Schöbl
in Prag. Hierzu Tafel III
Ein Mikro-Refractometer. Von Prof. Sigm. Exner, Assistenten am
physiologischen Institute zu Wien. Hierzu Tafel IV und 2 Holz-
schnitte
Beiträge zur Entwickelungsgeschichte der Samenkörper. Von Dr.
Gustav von Wiedersperg. Hierzu Tafel V, VI, VII.
Ueber den Darmkanal der Crustaceen nebst Bemerkungen zur Epithel-
regeneration. Von Johannes Frenzel. (Aus dem Zoologischen
Institut in Berlin.) Hierzu Tafel VIII und IX
Die pseudomenstruirende mucosa uteri nach akuter Phosphorvergiftung.
Von Martin Overlach, cand. med. (Aus dem histiologischen
Laboratorium in München.) Hierzu Tafel X und XI
Die Fussdrüsen der Insekten. Von Friedr. Dahl aus Neustadt in
Holst. Hierzu Tafel XII und XII
Studien an Epithelien. 1. Ueber Wanderzellen im Epithel. Von Dr.
Joseph Heinrich List in Graz. Hierzu Tafel XIV
Vergleichend-histochemische Untersuchungen über das Glycogen. Von
Dr. phil. et med. Dietrich Barfurth, Privatdocent und Assistent
am anatomischen Institut in Bonn. (Aus dem anatomischen La-
boratorium in Bonn.) Hierzu Tafel XV—XVII..
Seite
48
34
89
137
191
236
IV N Inhalt.
ü Seite
Beiträge zur Kenntniss der Entwickelungsgeschichte der Gl. Thyreoidea
und Gl. Thymus. Von Philipp Fischelis aus Odessa. (Aus dem
anatomischen Institute zu Berlin.) Hierzu Tafel XIX. 405
Die Stützsubstanz des Centralnervensystems. Von Dr. Hans Gierke.
I. Theil. Hierzu Tafel XX und XXI . 441
Ueber die Eigenschaften und den Ursprung der Schleimfäden des See-
stichlingnestes. Von Prof. K. Möbius in Kiel. Hierzu Tafel XXIT 554
Ueber die Spermatogenese bei den Pulmonaten. Von Gustav Platner.
Hierzu Tafel XXIII 564
Spermatologische Beiträge. Von v. la Valette St. George. Erste
Mittheilung. Hierzu Tafel XXIV und XXV . 581
Die Entwicklung der Spermatozoiden. Von Dr. D. Biondi. (Aus dem
anatomischen Institute zu Berlin.) Hierzu Tafel XXVI, XXVH
“und 1 Holzschnitt . R
594
Untersuchungen über den Bau der Iris des
Menschen und der Wirbelthiere.
Von
Dr. S. Koganei,
Assistenten am anatomischen Institute zu Berlin.
Hierzu Tafel I.
Es liegt nieht in meiner Absicht mit der historischen Ent-
wiekelung der Anschauungen und Probleme über die Iris mich
zu beschäftigen, da wir schon von C. Faber: „Der Bau der Iris
des Menschen und der Wirbelthiere. Leipzig 1876“ eine ausführ-
liche diesbezügliche Darstellung besitzen. Ich verweise daher auf
die genannte Monographie und beschränke mich nur auf die haupt-
sächlichste und neueste Literatur.
Ausser der menschlichen Iris, um welche meine Untersuchung
sich hauptsächlich dreht, wurden folgende Thiere berücksichtigt:
Gorilla, Orang-Utang, Hund, Katze, Kaninchen (dunkles und albi-
notisches), Meerschweinchen, Ratte und Maus (dunkle und albino-
tische), Sehwein, Rind, Pferd, Fischotter, Iltis, — Huhn, Taube,
Schwalbe, Ente, Strauss, — Eidechse, Tropidonotus natrix, Coluber
spee., — Alligator spee., Frosch, Triton eristatus, — Hecht, Kar-
pfen, Stör, Heptanchus (Notidanus) einereus, Carcharias glaucus,
Seyllium eatulus.
Von vorneherein möchte ich ausdrücklich bemerken, dass die
Struktur der Iris je nach den Speeies ausserordentliche Mannig-
faltigkeit zeigt, so dass man fehlgehen würde, wenn man die
Befunde an der Iris eines Säugethieres auf den Menschen oder
ein anderes Thier übertragen wollte oder, ehe eine genügende An-
Archiv f. mikrosk. Anatomie. Bd. 25, ı
2 J. Koganei:
zahl von Thieren untersucht ist, allgemeine für die ganze Wirbel-
thierreihe oder auch nur einzelne Gruppen der Wirbelthiere giltige
Regel aufstellen wollte.
Als Erhärtungsflüssigkeit dienten: concentrirte Sublimatlösung,
10°/, Salpetersäure, verdünnte Chromsäure (Yyo— Yan’) und
Müller’sche Flüssigkeit; in vielen Beziehungen ist die letztere vor-
zuziehen. Einfache Alkoholhärtung ist wegen der stark schrum-
pfenden Wirkung abzurathen. Die Ueberosmiumsäure erwies sich
weniger geeignet, da die braune Färbung mit der eigenen braunen
Farbe der Iris zusammen keine klaren Bilder geben kann. Es ist
nicht möglich durch alle diese Mittel der Iris eine gut schnitt-
fähige Consistenz zu geben in Folge der lockeren schwammigen
Beschaffenheit der Membran. Deshalb wurde die Iris auf ge-
wöhnliche Weise mit Celloidin oder Paraffıin durchtränkt, in die
betreffende Masse eingebettet und dann auf feuchtem resp. trock-
nem Wege geschnitten. — Die Färbung der einzelnen Schnitte
geschah in Haematoxylin, Beale’schem Carmin, Pierocarmin u. a.;
ferner wurde die Doppelfärbung mit Haematoxylin und Eosin mit
gutem Erfolg angewendet. Auch die Massenfärbung ist in unserm
Falle ganz gut anwendbar, was für das Trockenschnitt-Verfahren
angenehmer ist. Ausserdem wurden die Zerzupfung und das Ab-
blättern der Iris vielfach ausgeführt. Die Iris in mehr als zwei
vollständige Lamellen zu spalten ist mir nicht gelungen; durch die
Entfernung der Blutgefässe und Gewebsfäden, die an der einen
oder der andern Lamelle haften geblieben sind, mit einer feinen
Pincette kann diesen Lamellen jedoch eine genügende Dünnheit
gegeben werden. — Die speciellen Herstellungsweisen von Präpa-
raten zu bestimmten Zwecken sollen an den betreffenden Orten
angegeben werden.
Das grösste Hinderniss für die Erforschung der lris ist das
auf und in derselben in wechselnder Menge vorhandene Pigment.
Der Versuch, dasselbe vorab zu beseitigen, liegt also auf der Hand.
Die bei gewissen Thieren (Kaninchen, Ratten, Mäusen) vorkom-
mende Anomalie des Pigmentmangels liefert natürlich sehr werth-
volle Objeete; bei anderen Thieren und Menschen kommt aber be-
kanntlich ein solcher Zustand gar nicht oder nur selten vor. Es
musste daher hier zu künstlicher Entfärbung geschritten werden.
Chlorwasser bleicht die Iris in 24 Stunden fast vollkommen; allein
das Gewebe erleidet zugleich so starke Zerstörung, dass es ein-
Untersuchungen über den Bau der Iris des Menschen und der Wirbelthiere. 3
fach nicht weiter brauchbar ist. Vollkommen kann also damit
unser Zweck nicht erreicht werden.
Wenn man aber das Chlorwasser nur so lange einwirken
lässt, bis das Pigment einen hellbraunen Ton annimmt, was schon
nach einer bis einigen Stunden geschieht (es hängt sehr von der
Frische des Chlorwassers ab), dann ist die Veränderung des Ge-
webes nicht so erheblich. Dieser Gewinn wird jedoch wieder ver-
mindert dadurch, dass die so behandelte Iris sehr schlecht Farb-
stoffe aufnimmt. Der Vortheil ist also im Ganzen ein beschränkter.
Mit dem neuerdings in die Technik eingeführten Wasserstoffsuper-
oxyd!) ist auch nicht mehr zu erreichen; vielleicht ist die Wirkung
desselben etwas schwächer als die des Chlorwassers. — Ein sehr
brauchbares Verfahren, welches stets ausgeführt werden muss,
wenn es sich nieht um die Untersuchung des Pigmentepithels selbst
handelt, ist die Entfernung desselben mittelst eines feinen Pinsels.
Dies geschieht meistens ohne Schwierigkeit, besonders bei der in
Müller’scher Flüssigkeit längere Zeit gelegenen Iris. Die Stö-
rung durch die in der Irissubstanz selbst gelegenen Pigmentmassen,
die besonders bei Menschen grossen individuellen Schwankungen
unterworfen sind, ist nicht beträchtlich, wenn man nach möglichst
wenig pigmentirten Iriden sucht. Durch eine erhebliche Menge
dieses Pigments kann die Iris mancher Thiere fast unbrauchbar
für die Untersuchung werden, wie z. B. die Iris der Ringelnatter.
Ich beginne meine Schilderung mit dem bindegewebigen,
richtiger mesoblastischen Theil (nach der Schwalbe’schen
Eintheilung) der Iris.
I. Pars mesoblastiea iridis.
In diesem Theile der Iris kommen vor: Muskeln, als Sphin-
eterundDilatator pupillae undBindegewebe mit Blutgefässen
und Nerven. Innerhalb der bindegewebigen Abtheilung lassen
sich wieder unterscheiden: das Endothel der vorderen Irisfläche
und das Stroma der Autoren. Das Irisstroma kann man wieder-
um eintheilen in die vordere Grenzschicht und das Iris-
stroma im engeren Sinne oder die gefässhaltige Schicht,
wenn man nur festhält, dass die Grenze dieser beiden Schichten
1) Unna, Monatshefte für pract. Dermatol. 1883. p. 31—32. Solger,
Centralbl. f. med. W. 1883, p. 177.
4 J. Koganei:
keineswegs scharf ist und die Struktur der einen nur eine etwas
modifieirte Form der anderen darstellt. Darauf folgt die nicht
constante Schieht desM. dilatator. Endlich kommt die hintere
Begrenzungshaut, die, wie die Glaslamelle der Choroidea, nicht
dem epithelialen Theil, sondern wohl der Pars mesoblastiea zuzu-
rechnen ist. Somit lässt sich die Pars mesoblastica iridis am
zweckmässigsten in folgende Schichten eintheilen:
1) Endothel der vorderen Fläche.
2) Irisstroma.
a. Vordere Begrenzungsschicht.
b. Gefässschicht.
3) Schicht des M. dilatator pup.
4) Hintere Begrenzungshaut.
1) Das Endothel der vorderen Fläche.
Die vordere Fläche der Iris (des Menschen) ist von einem
Endothel überzogen, welches mit dem Endothel der hinteren Fläche
der Cornea im Iriswinkel zusammentrifft und die Balken des Lig.
peetinatum umscheidet. Es gelingt leicht durch Behandlung mit
Arg. nitrie. das bekannte Bild der Endothelien darzustellen. Da-
bei kommt es nur darauf an, dass jede Zerrung vermieden wird,
was man am besten auf folgende Weise erreichen kann: Ein ge-
nügend frischer Bulbus wird auf den hinteren Pol gelegt und auf
irgend eine Weise fixirt; dann wird die Hornhaut vorsichtig aus-
geschnitten, so dass die Iris in ihrer ganzen Ausdehnung freiliegt.
Die Iris bleibt wie in einem Rahmen ausgespannt in ihrer Lage;
jetzt wird mit einer Pipette eine 1/,%, Silberlösung auf dieselbe
geträufelt, so lange bis sie genug versilbert ist. Dann wird die
Iris vorsichtig ausgeschnitten und in toto angesehen. Der Versuch,
etwa noch bessere Bilder durch Abblätterung der Iris zu erhalten,
ist mir nicht gelungen; die Zerrung ist so gross, dass das Endothel-
bild dadurch vollständig verdorben wird. Wenn man eine recht
wenig pigmentirte Iris nimmt, so kann man bei dem oben be-
schriebenen Verfahren die Zellgrenzen als schwarze Linien in un-
regelmässig polygonaler Form deutlich erkennen.
Viel bessere Bilder des versilberten Endothels liefert die Iris
des albinotischen Kaninchens oder der albinotischen Ratte oder
Maus, welche letztere wegen der Dünnheit besonders zu empfehlen
Untersuchungen über den Bau der Iris des Menschen und der Wirbelthiere. 5
ist. Das Bild erinnert sehr an das, welches man von der hinteren
Fläche der Cornea erhält. Die nachträgliche Färbung solcher Prä-
parate ist nur bei der dünnen Iris von Ratte und Maus möglich.
Auf diese Weise kann man constatiren, dass das Endothel
einen eontinuirlichen Ueberzug der vorderen Fläche der Iris
darstellt. Die Angabe Schwalbe’s!) finde ich damit vollkommen
bestätigt, jedoch unter der Voraussetzung, dass es sich um jüngere
menschliche Individuen, oder um Thiere handelt, während das
Endothel bei älteren Menschen in eigenthümlicher Weise Unter-
brechungen erleidet. In der Pupillarzone?) der Iris nämlich bilden
sich im höheren Alter unregelmässig netzförmige Falten und Ver-
tiefungen, die bei der kindlichen Iris nicht vorhanden sind, wie man
macroscopisch sofort erkennen kann. In diesen Vertiefungen fehlt
das Endothel; hier liegt also das Irisstroma bloss. Auf der Höhe
der Falten findet man allerdings noch Endothelreste, jedoch erheb-
lich verändert, was aus der Unregelmässigkeit der Silberlinien zu
erkennen ist. Diese Veränderung der Iris im höheren Alter wird
wahrscheinlich bedingt durch die fortwährende Contraetion und
Erschlaffung des Sphineter pup., wobei die Pupillarzone, die fast
genau der Breite des Sphineter entspricht, am meisten den Zer-
rungen ausgesetzt ist. Die Silberbehandlung wurde schon von
J. Arnold?) geübt, hat aber nicht zum richtigen Resultate geführt;
Michel®*) konnte damit beim albinotischen Kaninchen das Endothel
auf das deutlichste nachweisen.
Auch ohne Silberbehandlung — und es ist dies sehr wünschens-
werth, um die einzelnen Endothelzellen genauer kennen zu lernen —
kann man das Endothel einigermassen sichtbar machen.
Sehr günstig dazu ist die Vogeliris, die ein sehr lockeres
Gefüge hat und deshalb bei einiger Mühe das Endothel von seiner
Unterlage ablösen lässt.
Bei der menschlichen Iris gelingt es gleichfalls, wenn auch
1) Lehrb. d. Anat. d. Sinnesorgane. 1883. p. 202.
2) Die Grenze der Pupillar- und Ciliarzone ist bei der Iris des
Menschen und des Gorilla durch ein zackiges kreisförmiges Leistehen mar-
kirt, während in der Iris anderer von mir untersuchten Thiere dieses Leist-
chen vollständig fehlt; es wird also diese Eintheilung auf Thiere nicht ohne
Weiteres übertragbar sein.
3) Arch. f. pathol. Anat. u. Physiol. XXVII. p. 366. 1863.
4) Arch. f. Ophthalmol. XXVIL 2. Abth. p. 194. 1881.
6 J. Koganei:
noch mühsamer, die vordere Grenzschicht mit dem Endothel ab-
zuziehen. Auch an Durchschnitten kann man von der Existenz
des Endothels sich überzeugen. Aus solchen Präparaten geht
hervor, dass das Endothel aus unregelmässig polygonalen platten
Zellen besteht mit rundlichen oder ovalen Kernen. Die Zell-
substanz ist nicht ganz homogen, sondern gewöhnlich fein granu-
lirt, enthält aber niemals Pigmentkörnchen. Das Irisendothel zeigt
also keine Eigenthümlichkeiten, gleicht vielmehr in allen Bezie-
hungen den Endothelzellen auf der hintern Fläche der Cornea.
Dass das Endothel der vordern Irisfläche schwerer darzulegen
ist als das der hintern Fläche der Cornea, lässt sich wohl erklären,
ausser der allgemeinen Behinderung der Untersuchung der Iris
durch das Pigment, aus -der weichen zerreisslichen Beschaffenheit
der Unterlage, wodurch bei der Manipulation dasselbe allzuleicht
Beschädigungen ausgesetzt ist.
Die verschiedensten Meinungen der Autoren über diesen Punkt
müssen wohl auf diesen Grund zurückgeführt werden. Oft findet
man überhaupt kein Endothel, indem es vorher in der etwa ange-
wendeten Müller’schen Flüssigkeit fortmacerirt oder in irgend
einer Weise abgegangen war; gewöhnlich sind doch hie und da
mehr oder weniger stark veränderte Endothelreste nachweisbar.
Dieselben wurden von den Einen in etwas anderem Zustande
beobachtet als von Andern, wie aus den verschiedenen Beschrei-
bungen, deren hauptsächlichste hier folgen mögen, einzusehen ist.
Henle!), mit dessen Darstellung unsere Erfahrungen am besten
stimmen, schreibt nur den Augen von Kindern und Säugethieren
eine einfache aus platten eckigen Zellen, die denen des Endothels
der hinteren Corneafläche gleichen, zusammengesetzte Endothel-
lage zu, während er sich beim erwachsenen Menschen von der
Existenz eines regelmässigen Endothelbelags nicht überzeugen
konnte. Merkel?) konnte gleichfalls das vordere Endothel nur
bei einzelnen Säugethieren, wie Hund, Kaninchen finden; die von
ihm untersuchten menschlichen Irides besassen kein vorderes Endo-
the. Nach J. Arnold?) besteht der Endothelüberzug beim Ka-
ninchen wie auch beim Menschen aus unregelmässig geformten
1) Handb. d. Anat. II. Bd. p. 660. 1875.
2) Zeitschr. f. rat. Med. 3. R. 31. Bd. p. 163. 1867.
3) 1.c. p. 366.
Untersuchungen über den Bau der Iris des Menschen und der Wirbelthiere. 7
eckigen dachziegelförmig geschichteten Plättehen mit deut-
lichen Kernen und breitet sich über die ganze vordere Irisfläche
in ununterbrochenem Zusammenhang aus. Damit stimmt im All-
gemeinen die Darstellung Faber’s!) überein; nach ihm verliert
sich aber die dachziegelförmige Anordnung gegen den Pupillarrand
hin, wo die Zellen einfach aneinander gelagert sind. v. Luschka?)
hat eekige und rundliche häufig kernlose Plättehen in mehreren
Lagen gesehen; Kölliker?) mehr rundliche, bedeutend abge-
plattete Zellen in einfacher Lage; Iwanofft) bezeichnet die
Zellen kleiner als die der Descemet’schen Haut, körnig, nicht so
ausgeprägt sechswinklig und sich nicht so scharf von einander
abgrenzend wie das Endothel der Descemet’schen Haut. MicheJ?)
spricht: von einem „Endothelhäutchen“ und dies sei an verschie-
denen Stellen mehr oder minder stark granulirt und mit Kernen
besetzt, die in ziemlich unregelmässiger Weise sich vertheilt zeigen,
und deren Form eine wechselnde sei, bald mehr rundliche, bald
leicht elliptische.
2) Das Irisstroma.
Dasselbe besteht aus Bindegewebsfasern und Zellen. Die
Bindegewebsfasern sind von äusserster Feinheit, wie die gewöhn-
lichen Bindegewebsfibrillen, haben mehr oder weniger ausgeprägte
bündelweise Anordnung in sehr verschieden starker Ausbildung
bei verschiedenen Geschöpfen.
Die Zellen kommen in den mannigfaltigsten Formen vor;
Fab er‘) fasst alleZellen zusammen und unterscheidet keine besondere
Arten, wie aus folgenden Worten zu ersehen ist: „Die Gestalt der
Zellen des Irisstroma ist sehr mannigfaltig und zeigt alle mög-
lichen Uebergänge von der rundlichen, Lymphkörperchen-ähnlichen
zu der sternförmigen oder mit verästelten Ausläufern versehenen
Zelle (apolare, bipolare, multipolare Formen)“. Michel”) unter-
1) Le:
2) Die Struktur der serösen Häute. Tübingen. 1851. p. 40.
3) Gewebelehre. 1867. p. 663.
4) Handb. d. ges. Augenheilkunde. Bd. I. p. 281.
5) Die histolog. Struktur d. Irisstroma. 1875. p. 10.
6) 1. c. p. 30.
7) Arch. f. Ophthalm. 27. Bd. 2. Abth. 1881.
8 J. Koganei:
scheidet deren drei Hauptformen: 1. Faser-, Spinn- oder Stern-
zellen. Als Faserzellen bezeichnet er spindelförmige Zellen von
wechselnder Länge, deren Fortsätze auch gespalten sein können.
Ist nun eine Verbreiterung der Zellen vorhanden und sind zahl-
reiche Ausläufer von verschiedener Länge sichtbar, so sind dies
die Vebergänge zu Spinnzellen bis zu ausgesprochenen Sternzellen.
Sie haben nur einen Kern oder mehrere (2—5). Sowohl Zellen-
leib als die Ausläufer können Pigmentkörnchen aufweisen. 2. Zell-
platten, platte rundliche oder mehr ovale Zellen mit unregelmässigen
Contouren und auch spärlichen kurzen Ausläufern. Uebergänge
zu den Spinn- und Sternzellen sind in reichlicher Weise vorhanden.
3. Lymphoidzellen.
Nach meiner Untersuchung möchte ich den scheinbar wirr
aussehenden Zelleneomplex in vier jede durch gewisse Charaktere
gekennzeichnete Abtheilungen bringen, die nicht miteinander durch
Uebergangsformen verbunden sind. Zunächst kommen, wie im
andern Bindegewebe, die fixen platten Bindegewebszellen
ganz gewöhnlicher Art vor; diese sind ganz platt, exquisitsternförmig
mit ausserordentlich mannichfach verästelten Fortsätzen und einem
rundlichen oder leicht ovalen, sich nur schwach färbenden Kern, wo-
rin als etwaige Kernkörperchen auffassbare Gebilde nicht erkenn-
bar sind. Das Protoplasma ist sehr durchsichtig, schon wegen
seiner Dünnheit, und dann auch der hellen glasartigen Beschaffen-
heit wegen; nur in der Umgebung des Kerns ist eine leichte feine
Körnung nachweisbar; stets ist dasselbe frei von Pigmentkörnchen.
Um solche Zellen darzustellen, wurde einfach ein Stück Iris,
nachdem es vorher erst in Haematoxylin und dann in Eosin ge-
färbt war, zerzupft, wofür ein längere Zeit in Müller’scher Flüssig-
keit gelegenes Object sich besonders empfiehlt. Bei diesem immer-
hin rohen Verfahren werden die Fortsätze sehr oft mehr oder
weniger vollständig abgerissen, und so sieht man neben den stern-
förmigen platten Bindegewebszellen sehr viele rundliche unregel-
mässig gestaltete platte Zellen, die höchst wahrscheinlich mit den
Zellplatten Michel’s identisch sind. Solche ihrer Fortsätze be-
raubten Zellen können sehr leieht mit den Endothelzellen der
vorderen Fläche verwechselt werden; dies ist ganz einfach aus-
zuschliessen, indem man zuerst die Iris in zwei Lamellen spaltet
und bloss die hintere nimmt; ferner an Durchschnitten sieht man
die platten Zellen an Ort und Stelle liegen, und sind sie dann un-
Untersuchungen über den Bau der Iris des Menschen und der Wirbelthiere. 9
möglich mit den Endothelzellen der vorderen Fläche oder der
Blutgefässe zu verwechseln.
In jedem Zerzupfungspräparate sowie an Durchschnitten sind
zweitens die von Michel unter 1) beschriebenen polymorphen
Zellen, und zwar in überwiegender Zahl zu sehen, welche durch
allerlei Uebergangsformen von einer zur anderen continuirlich sich
verfolgen lassen. Dieselben, die ich unter dem Namen Stroma-
zellen zusammenfasse, sind gewöhnlich spindelförmig, seltener
spinnenförmig !) mit einem ellipsoidischen, manchmal rundlichen,
ausnahmsweise auch spindelförmigen Kern, welcher kleiner ist als
der Kern der platten Bindegewebszellen und sich viel dunkler
färbt, wodurch beide Formen ohne Schwierigkeit auseinander zu
halten sind. Je nach den Species ist die Form der Stromazellen
auch verschieden; Merkel?) hat schon auf die charakteristische
Form der Stromazellen für verschiedene Thiere aufmerksam ge-
macht, wie wir weiter unten sehen werden. Die Fortsätze sind
schlank, etwas hin- und hergebogen, von fast gleichmässiger Dicke,
laufen meistens nicht in feine Spitzen aus, sondern haben mehr
stumpfe Enden und treten nur verhältnissmässig selten mit anderen
Fortsätzen in Verbindung; sie können, wenn auch nicht häufig,
getheilt sein. Alle möglichen Uebergänge zwischen den beiden
Formen, den spindel- und spinnenförmigen Zellen, sind denkbar,
z. B. kann die Theilung eines oder mehrerer Fortsätze einer spin-
delförmigen Zelle bis zur Basis gehen u. s. w. — Die Stroma-
zellen sind nun theils pigmentlos, theils pigmenthaltig.
Der Zellkörper sowohl, als die Fortsätze der pigmentfreien
Zellen sind ziemlich stark granulirt. Man wird somit an eine
Ehrlich’sche Mastzelle erinnert, wie denn auch Westphal?) bei-
läufig bemerkt, dass die Stromazellen den spindelförmigen Mast-
zellen bis in die kleinsten Einzelheiten gleichen; allein sie zeigen
nicht die diesen specifische Reaction gegen Dahlia und deshalb
schliesst er dieselben aus der Gruppe der Mastzellen aus, worin
ich ihm beipflichte.
1) Es ist hier zweckmässiger, den Ausdruck „spinnenförmig“ zu ge-
brauchen, als sternförmig, weil hierunter gewöhnlich eine Form wie die
eben beschriebenen platten Bindegewebszellen mit vielfach verästelten Fort-
sätzen verstanden wird, was hier nicht der Fall ist.
2) l. c. p. 142.
3) Ueber Mastzellen. Dissert. Berl. 1880. p. 25.
10 J. Koganei:
Bei der Tinetion mit Eosin bemerkt man auch keine Eigen-
thümlichkeiten gegenüber den anderen Zellen. Wohl wird man
jedoch die pigmentfreien Stromazellen der Iris unter die Plasma-
zellen Waldeyer’s einreihen können. Andererseits können sie
auch eine gewisse Aehnlichkeit mit glatten Muskelfasern darbieten,
wenn sie an ungenügend gefärbten Präparaten im Einschlussmedium
aufgehellt worden sind und dadurch die Granulationen undeutlich
seworden sind. Offenbar ist, wie es mir scheint, eine solche Ver-
wechselung vorgekommen, wovon noch später die Rede sein soll.
In den pigmenthaltigen Stromazellen sind jene farb-
losen Körnehen durch braune Pigmentkörnchen von verschiedener
Grösse und unregelmässiger Gestalt vertreten; diese lassen sich
bei höheren Thieren nicht gut isoliren, sind vielmehr fester
im Zellleibe resp. in den Fortsätzen zusammengehalten, und
niemals so dunkel gefärbt wie die Körnchen des Pigmentepithels.
Von den Vögeln abwärts verhalten sich dieselben ganz gleich
wie diese letzteren Körnehen; mithin beruht der vorhin her-
vorgehobene Unterschied zwischen dem Pigment der Epithel-
zellen und dem der Stromazellen bei Säugethieren wohl nicht auf
einer den Stromazellen eigenthümlichen Form des Pigments, son-
dern bloss auf einer gradweisen Verschiedenheit, einmal in der
Farbennüance, das anderemal in dem Zusammenhange mit dem Zell-
protoplasma. Der als hellerer Fleck erkennbare Kern ist stets
pigmentfrei; um denselben ist manchmal eine stärkere Ansamm-
lung von Pigmentkörnchen zu constatiren. Die Intensität der Pig-
mentirung, die bei Thieren für die einzelnen Species eine ziem-
liche Constanz aufweist, ist bei Menschen grossen individuellen
Schwankungen unterworfen vom ganz lichtbraunen bis zum tief
dunkelbraunen. In einer und derselben Iris ist es auch nicht immer
gleich; man findet hellere und dunklere Zellen mit allen Zwischen-
stadien nebeneinander. Die verschiedenen Nuancen der Irisfarbe,
von hell bläulich, bläulich grau an bis zum tief schwarzbraun, rühren
zum grössten Theil von der verschiedenen Intensität der Pigmen-
tirung der Stromazellen her, zum Theil auch davon, dass die Menge
derselben mit der Sättigung der Farbe proportional zunimmt. In
der blauen Iris sind fast alle Stromazellen vollkommen pigment-
frei; aber selbst bei dunkelster Färbung der Iris bleiben immer
noch viele Zellen unpigmentirt. Aus dem Umstande, dass die
Form und Gestalt aller dieser Zellen, der pigmentirten und nicht
Untersuchungen über den Bau der Iris des Menschen und der Wirbelthiere. 11
pigmentirten, sehr ähnlich ist, dass die Menge der einen Gruppe
in ergänzender Beziehung zu der der anderen bei den verschieden
gefärbten Regenbogenhäuten steht und besonders, da auch Zwi-
schenstadien nicht fehlen, darf man wohl schliessen, dass die Zellen
der beiden Gruppen einer und derselben Art angehören und nur
durch den Pigmentgehalt von einander sich unterscheiden; vielleicht
sind also die Granulationen Vorstufen von Pigmentkörnchen.
Uebrigens hat Michel den Unterschied der platten Bindegewebs-
zellen und der Stromazellen wohl eingesehen, beide jedoch nicht
scharf genug auseinandergehalten, indem er Uebergänge zwischen
ihnen annimmt. Von Faber und vielen Anderen haben die Zellen
der Iris überhaupt nur eine sehr wenig eingehende Beschreibung
erfahren.
Die Zellen mit mehreren Kernen Michel’s sind von mir
nicht beobachtet worden weder bei den platten Bindegewebszellen
noch bei den Stromazellen; jede hat stets nur einen Kern. Die
freien Kerne oder Kerne mit einem geringen Protoplasmarest, die
in jedem Zerzupfungspräparat vielfach gesehen werden, sind als
verstümmelte platte Bindegewebs- oder Stromazellen aufzufassen.
Als dritte Art von Zellen enthält das Irisstroma Leuco-
eyten-ähnliche Formen in wechselnder, doch gewöhnlich nur be-
schränkter Zahl. Der kugelige oder elliptische Zellleib zeigt feine
gleichgrosse stark lichtbrechende, somit glänzend aussehende Körn-
chen, innerhalb derer bei der Färbung mit Hämatoxylin meist ein
einziger, höchstens zwei verhältnissmässig kleine (etwa halb so
gross wie die Kerne der Stromazellen) kuglige dunkelgefärbte
Kerne hervortreten. Die Kerne liegen fast immer excentrisch,
manchmal ganz dicht am Rande. Auffallend ist, dass die in Rede
stehenden Zellen, nach der Vorschrift Westphal’s!) in saurer
Dahlialösung gefärbt, und in Alkohol entfärbt, den Farbstoff fest-
halten, während alle anderen Zellen sich vollkommen entfärben;
danach müssten dieselben nach Westphal den echten Mastzellen
zugezählt werden. Andere Formen der Leucoeyten scheinen in der
Iris nicht vorhanden zu sein.
Endlich kommen noch eigenthümliche, tief dunkel pigmen-
tirte Zellen vor, die bisher vielfach als Pigmentklumpen beschrie-
ben sind, aber durch Bleiehung mit Chlorwasser oder Wasserstoff-
1) l. ce. p. 18.
12 J. Koganei:
superoxyd als unzweifelhafte Zellen sich herausstellen, indem der
sonst nur schwer sichtbare Kern als heller Fleck in der Mitte er-
scheint. Die Form dieser Zellen ist kuglig oder oval; die Grösse
wechselt von der der Leucocyten bis zum Dreifachen derselben.
Diese in ihrer Natur durchaus unklaren Zellen, die als
Klumpenzellen bezeichnet werden können, haben bei allen unter-
suchten Säugethieren nicht gefehlt und sind stets mit denen des
Pigmentepithels gleich beschaffenen Pigmentkörnchen gesättigt,
selbst in dem Falle, wo alle Stromazellen fast pigmentlos sind.
Bei den übrigen Thieren kommen ebenfalls rundliche Pigment-
zellen vor, die aber mehr den Stromazellen gleichen als den Klum-
penzellen. Möglicherweise waltet auch bei Säugethieren, möge
die Kluft zwischen beiden Zellformen äusserlich noch so gross er-
scheinen, doch nur ein quantitativer Unterschied ob, wenn wir
uns an den Polymorphismus der Stromazellen in der Wirbelthier-
reihe erinnern, worauf weiter unten noch mehrfach zurückzukom-
men ist.
Nach der Besprechung der einzelnen Formelemente sind die
Art und Weise der Anordnung und die Verhältnisse derselben in
den beiden Schichten des Stroma zu betrachten. Ich fange mit
dem Menschen an.
Die vordere Begrenzungsschicht der Autoren ist nichts weiter
als ein etwas verdichteter Theil des Stroma in der Weise, dass
die Stromazellen ungemein vorwiegen, während die Fasern so sehr
zurücktreten, dass von Michel ihre Anwesenheit ganz und gar
geläugnet worden ist, jedoch mit Unrecht, da stets zarte blasse
Fasern zwischen den Zellen in mehr unregelmässiger Richtung hin-
durchziehen. Die Zellen, die öfters die Spinnenform aufweisen,
als in der folgenden Schicht, liegen in 3—-4 facher Lage dicht über-
einander. Die Fortsätze laufen meistens der vorderen Irisfläche
parallel nach verschiedenen Richtungen, so dass der eine Fortsatz
mit den anderen sich vielfach kreuzt und auch wohl anastomotische
Verbindungen eingegangen werden. Von der Fläche angesehen,
bietet deshalb die vordere Grenzschicht ein dichtes Netzwerk dar,
welches jedoch keine Aehnlichkeit mit retieulärem Bindegewebe,
wie Michel es auffasst, besitzt. In den Maschen des Netzes sind
wohl einzelne Leucocyten nachweisbar, doch nicht in dem Maasse,
dass dadurch die Aehnlichkeit mit Iymphatischem Gewebe be-
gründet werden könnte. Behufs eines genaueren Studiums dieser
Untersuchungen über den Bau der Iris des Menschen und der Wirbelthiere. 13
Verhältnisse habe ich sowohl abgezogene Stücke der vorderen Be-
srenzungshaut als auch feine Schnitte von Lymphdrüsen der Tıyp-
sin-Verdauung unterworfen, konnte aber bei den beiderlei aus
dieser Procedur übrigbleibenden Fasergerüsten keine Aehnlichkeit
entdecken. Wenn also Michel!) sagt: „Auf Flächenpräparaten
erscheint daher ein reticulirtes Gewebe, welches die grösste Aehn-
lichkeit mit dem retieulirten Gewebe einer ausgepinselten Lymph-
drüse beanspruchen darf,“ so vermag ich dem nicht zuzu-
stimmen. — Die Klumpenzellen fehlen in dieser Schicht.
Auf der vorderen Fläche trägt die vordere Begrenzungsschicht
das vorhin beschriebene Endothel, nach dem Pupillarrande zu geht
sie gerade so weit wie das Endothel und hört ziemlich plötzlich
auf, am Ciliarrande kommt sie unter allmäliger Auflockerung mit
dem Lig. pecetinatum zusammen, dessen Ausläufer, welche Köl-
liker?) bis zum Annulus iridis minor verfolgt haben will, noch
eine kurze Strecke weit in dieselbe sich fortsetzen. Nach hinten
seht sie ohne scharfe Grenze in die Gefässschicht über, indem die
Zellen mehr auseinander rücken und in demselbeu Maasse die
Fasern zunehmen.
Die Gefässschicht. Als Träger der Blutgefässe und Ner-
ven bildet sie die Hauptmasse der Iris und zeichnet sich durch
ihre lockere mit dem lockeren Bindegewebe vergleichbare Struetur
aus, wovon die weiche, compressible Beschaffenheit der Iris her-
rührt. Im Gebiete der Pupillarzone enthält diese Schicht den
M. sphincter pupillae.
Die Art und Weise der Verästelung und die Vertheilung der
Blutgefässe sind schon vielfach beschrieben und abgebildet wor-
den, wie man in allen guten Handbüchern nachschlagen kann, so
dass ich auf diese Verhältnisse nicht weiter eingehen will. Nur
möchte ich hervorheben, dass die Arterien, wie von Brücke?)
zuerst beschrieben, theils sich in wirkliche Capillaren auflösen,
theils aber in feine noch nicht capillare Aeste, welche am Pupil-
larrande direct in Venen umbiegen. Die Bindegewebsfasern sind
der Hauptmasse nach um die Blutgefässe, sowohl um die Arterien
wie Venen und auch um die Nerven als mächtige eigenthümliche
— ee u nn,
Enlee:
2) 1. c. p. 662.
3) Anatom. Beschreibung des menschl. Augapfels. Berl. 1847. p. 16.
14 J. Koganei:
Adventitialschicht angehäuft, deren Dicke dem Durchmesser des
betreffenden Blutgefässes oder Nerven proportional ist und fast
das Doppelte des Gefäss- oder Nervendurchmessers beträgt. Die
Adventitia besteht fast ausschliesslich aus Fasern, die hauptsäch-
lich in der Richtung der Blutgefässe oder der Nerven verlaufen,
wenn es auch an eireulären Fasern nicht fehlt. Auf der Ober-
fläche der Adventitia liegen die hier meist spindelförmigen Stroma-
zellen vornehmlich in der Längsrichtung in ziemlich regelmässiger
Anordnung, können auch wohl mit einander verschmelzen und bil-
den eine unterbrochene zellige Scheide um die Adventitia, die leb-
haft an das perivasculäre Zellengewebe Waldeyer’s erinnert. Die
Capillaren entbehren einer solchen adventitiellen Scheide. Eine
nach innen von der Adventitia folgende Endothelscheide Michel’s
kann ich nicht bestätigen, vielmehr schliesst daran direet die
schwach entwickelte Muscularis an, welche mehr longitudinale als
eireuläre Fasern enthält. Die von Hüttenbrenner!) beschrie-
benen, die Irisgefässe begleitenden longitudinalen Muskelfasern
habe ich nirgends gesehen, es sind dies wahrscheinlich nicht pig-
mentirte Stromazellen gewesen ; ebenso wenig die elastischen Fa-
sern, wie ja auch Faber?) solche leugnet.
Die Zwischenräume zwischen den Gefässen und Nerven wer-
den, wie bemerkt, ausgefüllt von einem sehr lockeren Bindegewebe,
dessen Bündel vorzugsweise ebenfalls radiär verlaufen und grössere
Lücken zwischen sich lassen, die nicht anders betrachtet werden
können als Lymphlücken, und aus darin unregelmässig zerstreut
sich findenden, doch im Allgemeinen nach den Bindegewebsfasern
gerichteten Stromazellen.
Was die Vertheilung der Klumpenzellen betrifft, so zeigen die-
selben ihre grösste Ansammlung in der Umgebung des Sphineter
iridis und in diesem selbst, dann in geringerer Menge in der Nähe
des Ciliarrandes; an anderen Stellen liegen sie nur vereinzelt.
Michel hat dieselben genau beschrieben.
Das Gewebe der Gefässschicht geht am Ciliarrande in seiner
hinteren Hälfte ohne scharfe Grenze in das des Corpus eiliare
über; die vordere Hälfte wird dagegen von dem Maschengewebe
des Iriswinkels eingenommen. Daraus erklärt sich, dass die Iris
an dieser Stelle mit grosser Leichtigkeit sich ablöst; diese Stelle
1) Wiener Sitzungsberichte. Bd. 57. Abth. 1. 1868.
D)nlzechpo2:.
Untersuchungen über den Bau der Iris des Menschen und der Wirbelthiere. 15
entspricht gerade dem Winkel zwischen den Proe. eiliares und der
hinteren Irisfläche und ist als die natürliche ciliare Grenze der
Iris zu betrachten. In der Pupillarzone streben die Bindegewebs-
fasern nach dem M. sphincter zu, mithin die in der mittleren Ab-
theilung der Gefässschicht befindlichen Fasern, nach dem peri-
pheren Rande, die vorderen und die hinteren nach der vorderen
resp. hinteren Fläche des Sphineter und verweben sich mit dem
Bindegewebe zwischen den Muskelbündeln. Diese Anordnung der
Fasern ist verständlich, wenn man sich vorstellt, dass der Zug
des Sphineter bei seiner Contraction auf eine möglichst grosse
Ausdehnung vertheilt werden muss. Nach der hinteren Fläche zu,
welche in die Bildung der vom Ciliarrande bis zur Grenze der
Pupillar-- und Ciliarzone radiär verlaufenden Falten eingeht, ver-
dichtet sich das Gewebe wieder, wenn auch nicht in dem Maasse,
wie in der vorderen Grenzschicht; dieser etwas verdiehtete direet
die hintere Begrenzungshaut berührende Theil mit der Irismusku-
latur zusammen ist von Faber!) als dritte Schieht des Irisstroma
besonders beschrieben worden.
Ueber den M. sphineter pup. habe ich wenig zu bemerken,
da er schon vielfach genaue und übereinstimmende Beschreibungen
erfahren hat. Er nimmt die ganze Breite der Pupillarzone ein,
liegt der hinteren Fläche der Iris näher als der vorderen. Je
nach dem Contractionszustand soll der centrale Rand desselben
entweder den Pupillarrand selbst bilden, richtiger das Endothel
berühren, oder vom Pigmentepithel spornartig überragt werden.
Die ihn zusammensetzenden glatten Muskelfasern sind durch schmale
Bindegewebssepta in kleinere und grössere Bündel gesondert;
nach Michel?) stammen diese Septa von der hinteren Begren-
zungshaut; ich muss dieselben, wie bemerkt, von der Gefässschicht
der Iris (Stroma iridis) ableiten.
Die Nerven der Iris habe ich nicht verfolgt.
Bei Thieren kehren in mehr oder weniger modifieirter Weise
dieselben Verhältnisse wieder. Diese Modification, die unter Um-
ständen erheblich werden kann, besteht in geringerer oder
grösserer Entwickelung des Bindegewebes, der Blutgefässe oder
der Muskulatur. Der menschlichen Iris ist sehr nahe verwandt
Iyel. .c.. P.548:
Alalc:
16 J. Kogane!:
die Iris vom Gorilla und Orang-Utang, über welche deshalb
gar nichts weiter bemerkt zu werden braucht.
Das Stroma der Kanincheniris unterscheidet sich fast nur
durch die etwas stärkere Entwickelung der Bindegewebsfasern
von der menschlichen. Nach Michel!) fehlt bei diesem Thiere
die vordere Begrenzungsschicht (seine retieulirte Schicht) voll-
kommen; statt dessen erscheint ein Bindegewebe, welches ?) aus
zwei sich mattenartig regelmässig kreuzenden Faserlagen besteht.
Nach meinen Erfahrungen ist die vordere verdichtete Schicht hier
ebenso gut vorhanden wie beim Menschen und anderen Thieren;
in Folge der stärkeren Ausbildung der Fasern überhaupt, sind
diese auch in der Begrenzungsschicht zwischen den Zellen deut-
licher ausgeprägt und ohne Mühe sichtbar, jedoch wohl nicht in
solcher Regelmässigkeit wie Michel angiebt. Gerade die Iris des
Kaninchens liefert uns ein gutes Beispiel, um zu zeigen, dass die
vordere Begrenzungssehicht nieht als etwas Besonderes anzusehen
sei, sondern nur eine modifieirte Stromalage darstellt. Die Blut-
gefässe sind reichlich vorhanden und auch mit einer faserigen Ad-
ventitialscheide versehen wie beim Menschen. Es ist kaum nöthig
zu bemerken, dass das Stromagewebe beim albinotischen Kanin-
chen sich ganz ebenso verhält, bloss das Pigment fehlt, nicht etwa
der Träger desselben selbst, sondern die typischen Stromazellen
sind ebenso reichlich neben den platten Bindegewebszellen vor-
handen wie in der nieht albinotischen Iris und der Iris des Men-
schen. Nach Miehel’s Angaben sollen nur Zellplatten vorkommen.
Bei Ratten tritt die Entwickelung der Fasern sehr zurück
und somit entfällt den reichlich vorhandenen Blutgefässen die Ad-
ventitia; um so mehr kommen die Stromazellen zum Vorschein, so
dass bei nicht albinotischen Ratten die Durchschnitte, selbst die
dünnsten, ganz dunkel aussehen. Der starke Sphincter bildet den
wulstig verdickten Pupillarrand der dünnen Iris.
Die Iris der Fischotter hat einen colossal starken M. sphin-
eter. Dieser nimmt ungefähr ?/, der ganzen Irisbreite und fast die
ganze Dicke des Stroma ein; folglich bleibt bloss ein kleiner Platz
für das Bindegewebe übrig. Diese geringe Menge Bindegewebe,
von welchem dieser Platz und die vor und hinter dem Sphineter
1) 1. ec. p. 195. (Arch. f. Ophthalmol.).
2) Die histologische Structur d. Irisstroma. 1875.
Untersuchungen über den Bau der Iris des Menschen und der Wirbelthiere. 17
gelegenen spaltförmigen Räume gefüllt sind, ist reich an Stroma-
zellen und arm an Bindegewebsfasern wie bei der Ratte.
Die Iltisiris zeichnet sich durch die in reichlicher Menge
vorhandenen, tief dunkel pigmentirten spinnenförmigen Stroma-
zellen aus; ferner durch einen starken Sphincter, der fast 2/, der
Irisbreite umfasst. — Aehnlichen Bau hat das Stromagewebe der
Meerschweinchen- und Hundeiris; nur der Sphineter ist nicht
so stark.
In der Iris der Katze, in welcher sowohl die Fasern als
auch die Stromazellen in gleichem Verhältnisse vermehrt sind,
erleiden die letzteren zum Theil eine eigenthümliche Modification.
Der Zellleib der breitspindelförmigen oder rundlichen oder recht-
eckigen platten, manchmal mit mehr homogenen Fortsätzen ver-
sehenen Stromazellen ist aus feinen starren gelblich glänzenden
Fäserchen zusammengesetzt, die stets einander parallel nach der
längsten Axe der Zelle gerichtet sind. Der verhältnissmässig kleine
kuglige sich dunkel färbende Kern liegt, von den Fäserchen ein-
geschlossen, in der Mitte. Diese Zellen, die die Hauptmenge der
zelligen Elemente ausmachen, sind die, welche der Iris dieses
Thiers den eigenthümlichen Goldglanz verleihen und den Tapetal-
zellen der Choroidea vollkommen homolog erscheinen, so dass man
sie kaum von einander unterscheiden kann. Daneben sind ebenso
reichlich vorhanden die nicht pigmentirten Stromazellen mit kör-
nigem Protoplasma, und wenn das letztere Pigmentkörnchen auf-
nimmt, so entstehen daraus die eigentlichen pigmenthaltigen Stroma-
zellen, wie man von den farblosen bis zu den ausgebildeten pig-
menthaltigen Schritt für Schritt verfolgen kann; jedoch kommen
vollkommen ausgebildete Pigmentzellen nur in der Minderzahl vor
und sind grossen individuellen Schwankungen unterworfen. Uebri-
gens können auch in den Tapetalzellen der Iris Pigmentkörnchen
auftreten, wodurch der Uebergang zu den Stromazellen hergestellt
wird. Die übrigen als allgemeiner Bestandtheil vorhin angeführten
Zellen fehlen selbstverständlich auch hier nieht. Die in mässiger
Menge verbreiteten Blutgefässe haben ansehnliche Quer- und Längs-
muskulatur, entbehren der eigenthümlichen Adventitialscheide, nicht
aber der zelligen Scheide aus Stromazellen und Tapetalzellen.
Die Fasern des ansehnlichen Sphineter sind durch stärkere Septa
in einzelne Bündeln getrennt, die, in einer Reihe gestellt, über
die halbe Breite der Iris sich erstrecken.
Archiv f. mikrosk, Anatomie Bd. 25. 2
18 J. Koganeı:
Die stärkste Entwiekelung von Bindegewebsfasern erreicht
die Iris vom Schwein, Rind und Pferd; dadurch geht die der
Iris allgemein zukommende weiche, zerreissliche Beschaffenheit
verloren. Im Gegentheil ist hier die Iris sehr derb und fest. Die
Fasernbündel laufen in Zügen nach verschiedenen Richtungen,
doch meistens von der vorderen Fläche schief nach der hinteren;
deshalb vermag man hier die Iris nicht in Lamellen zu spalten.
In der Pferdeiris bemerkt man ausserdem zahlreiche eirkuläre
Fasern. Die vorwiegend spindelförmigen Stromazellen besitzen
eine beträchtliche Länge und sind nach den verschiedensten Faser-
richtungen gelegen. Der Sphincter beim Schwein und Rind er-
streckt sich etwa bis zur Mitte der ganzen Irisbreite und besteht
aus einzelnen kleinen Bündeln, welche durch eine grössere Menge
Bindegewebe von einander getrennt in einer Reihe liegen wie bei
der Katze. Beim Pferd liegen die Bündel diehter zusammen und
nimmt der Muskel keine so grosse Ausdehnung ein. Michel!)
macht bei der Iris des Schweins auf eine eigenthümliche Anord-
nung der Sphincterfasern aufmerksam; an einer mehr oder weniger
nach aussen gelegenen Stelle eonstatirte er nämlich zunächst ein
dichteres Zusammenliegen der Muskelelemente, als an anderen
Stellen, und dann eine Kreuzung und Durchflechtung von Muskel-
bündeln fast in der ganzen Ausdehnung des Sphincter; daraus
sucht er die querovale Form der Pupille des Schweins zu erklären.
Anders fasst Eversbusch?) die Ursache der länglichen Pupille
mit specieller Berücksichtigung des Pferdes auf. Während näm-
lich die Sphineterfasern den Langseiten der Pupille in parallel-
faseriger Anordnung folgen, weisen an den Enden derselben solche
nur die innersten Randbündel auf; die mittleren Fasern biegen
sich unter gegenseitiger spitzwinkliger Durchkreuzung in radiärer
Richtung um und verflechten sich vielfach mit den äussersten.
Die Iris der Vögel bietet in ihrem Stroma manche Eigen-
thümlichkeiten dar, welche die Aufmerksamkeit vieler Forscher
erregt haben; namentlich zu erwähnen sind Krohn’), Dogiel®),
1) 1. e. p.18:
2) Zeitschr. f. vergl. Augenheilk. 1882.
3) Müller’s Arch. 1837. p. 357.
4) Arch. f. mikrosk. Anat. 6. Bd. 1870. p. 89.
Untersuchungen über den Bau der Iris des Menschen und der Wirbelthiere. 19
Grünhagen!), Faber?), Michel?) u. A., von denen wesentlich
übereinstimmende Beschreibungen herrühren, zu denen ich wenig
hinzuzufügen babe. Der ungemein stark entwickelte Sphineter
besteht aus quergestreiften, öfters verästelten, nicht bündelweise,
sondern einzeln ganz lose nebeneinander liegenden Fasern, ausge-
nommen beim Strauss, wo diese in Bündeln zusammentreten, von
verschiedener Dieke und Länge, welche letztere wenigstens auf
!/, Kreis am Pupillarrande, wenn nicht länger, zu schätzen ist.
Derselbe erstreckt sich auf die ganze Breite der Iris vom Pupillar-
bis zum Ciliarrande in der Weise, dass die Fasern in der pupil-
laren Hälfte regelmässig eirceulär, dicht aneinander parallel laufen,
nach dem Ciliarrande zu mehr auseinandergehen; es kommen
schiefe Fasern hinzu, die unter sehr spitzen Winkeln sich kreuzen
und zum Theil in die Dilatatorfasern sich umbiegen. Die Dicke
der Fasern nimmt vom Pupillar- nach dem Ciliarrande allmälig zu.
Michel®), dessen Untersuchung auf Buteo vulgaris und die Taube
sich beziehen, meint, die Fasern seien in der Pupillarzone nur in
einfacher Lage. Ich habe dieselben auch bei der Taube in mehre-
ren 5—6fachen Lagen gefunden, deren Zahl ja nur von der Dicke
und Grösse der Iris abhängig sein muss, weil der Durchmesser
der Fasern, sowohl bei kleiner als bei grosser Iris, keine merk-
liche Differenz zeigt; ausserdem verhält sich der Pupillarrand sehr
verschieden, dieser kann zugeschärft oder stumpf sein je nach den
Species. Wegen der grossen Ausdehnung des Sphincter hat die
Vogeliris eine sehr beschränkte Menge Bindegewebe, dessen Stroma-
zellen bei der Ente, Taube und beim Huhn fast alle pigmentlos
sind, bei der grossen Iris des Strauss in geringer Zahl und bei
der Schwalbe meistens Pigment enthalten. Die oft zu Gesicht
kommenden runden Pigmentzellen dürften eher den Stromazellen
zugezählt werden als den Klumpenzellen. Die Blutgefässe finden
ihre Verästelung in reiehlicher Menge auf der vorderen Fläche
des Sphineter und gehen nach Faber?) zum grossen Theil nicht
zunächst in Capillaren, sondern unmittelbar in Venen über; die
Adventitia fehlt ihnen.
1) Arch. f. mikr. Anat. 9. Bd. 1873. p. 286.
A)1.'cpe69:
ayı.c: 4) 1. ce.
5) l. c. p. 69.
20 J. Koganei:
Die vorwiegend spinnenförmigen Stromazellen der Iris von
Lacerta, Coluber natrix und vom Alligator sind sehr dunkel
pigmentirt; hinsichtlich des Sphineter und der Blutgefässe ver-
hält es sich bei den beiden ersteren sehr ähnlich wie bei den
Vögeln. Die Sphineterfasern des Alligator zeichnen sich durch
ihren diekeren Durchmesser aus und liegen nicht so dicht, sondern
mehr getrennt durch grössere Bindegewebsmassen sich vom Pupillar-
bis zum Ciliarrande erstreckend. Die grösseren mit den oft er-
wähnten Adventitialscheiden versehenen Blutgefässe verästeln sich
in zwei durch eine zusammenhängende Lage Tapetalzellen von
einander geschiedene Schichten, von denen die eine unmittelbar
vor dem Sphineter und die andere dicht unter dem vorderen Endo-
thel gelegen ist, so dass sie auf der vorderen Fläche wulstig her-
vorspringen.
Der Frosch- und Tritoniris scheinen die muskulösen Ele-
mente (abgesehen von den Blutgsfässen) überhaupt zu fehlen; dies
ist eine hochauffallende Erscheinung, die bis jetzt wenig Beach-
tung fand. Faber!) giebt bei Fröschen, Molchen ete. glatte
Sphincterfasern an; beim Frosch glaubt er sogar auch radiäre
Fasern wahrgenommen zu haben. Zwar tritt hier der Forsehung
das Hinderniss des Stromapigments, namentlich beim Frosch, be-
sonders entgegen, doch möchte ich nach sorgfältiger Untersuchung
das Vorkommen einer besonderen Irismuskulatur für die in Rede
stehenden Thiere entschieden bestreiten.
Das Bindegewebe ist in Bezug auf Zellen reichlich entwickelt,
die Blutgefässe ebenfalls; sie ragen beim Frosch auf die vordere
Irisfläche hervor wie beim Alligator. Unter dem Endothel sind
eine geringe Anzahl von Tapetalzellen zerstreut nachgewiesen.
Ganz in demselben Verhältniss steht die Iris vom Karpfen,
Hecht und Stör; auch bei diesen fehlt der M.sphincter. Da-
gegen fand Faber?) bei Cyprinus barbus glatte Sphincterfasern,
die sich sogar leichter isoliren liessen, als bei anderen Thieren,
und Berger?) bei Huchen, Galeus, Chrysophrys und beim Thun-
fisch. Das wenig faserige Stroma zeichnet sich durch einen grossen
Reichthum an Tapetalzellen aus, welche unter dem vorderen Endo-
I Ip: 75.
2) 1. ec. p. 78.
3) Morpholog. Jahrb. 8. Bd. 1882. p. 1383.
Untersuchungen über den Bau der Iris des Menschen und der Wirbelthiere. 21
tbel, dureh eine dünne Lage Bindegewebe von diesem getrennt,
sich zu einer oft beträchtlichen (Hecht) durchaus nicht scharf be-
grenzten Schicht zusammenhäufen, die der Fischiris den bekannten
Silberglanz gibt und deswegen den Namen Lamina argentea
erhielt. Die Tapetalzellen zeigen ganz ähnliche Form und Struk-
tur wie die in der Katzeniris; sie bestehen nämlich aus feinen
Fäserchen, welehe bei durehfallendem Licht dunkel, bei auffallen-
dem Licht hell aussehen und allgemein als Krystalle anerkannt
worden sind. Der kleine kuglige Kern tritt bei der Färbung
in jeder Tapetalzelle dunkel hervor. Im ganzen Stroma, auch
wohl in der Lamina argentea selbst, kommen die pigmentirten
Stromazellen in verschiedenster Gestalt von einfach kugliger bis
zu einer: exquisiten Sternform mit mannichfach verästelten Fort -
sätzen zerstreut vor, welche zu einer und derselben Zellform ge-
hören und bloss als in verschiedenen Contractionsphasen, mit
welcher Fähigkeit sie begabt sind, angetroffen betrachtet zu werden
pflegen, wofür auch Berger!) spricht und wie es H. Virchow?)
an den ähnlichen Zellen vom Processus faleiformis des Lachses ete.
mit grosser Klarheit dargelegt hat. Das Stroma ist ferner durch
srossen Reichthum an Blutgefässen ausgezeichnet. Die Veräste-
lung derselben findet in der Weise statt, dass ein arterieller Haupt-
ast?) unweit vom Pupillarrande eirkulär verläuft, von welchem
sowohl pupillarwärts als auch eiliarwärts und zwar nach letzterer
Seite zahlreichere und grössere Aeste abgehen, die im Allgemeinen
ebenfalls annähernd eirkuläre Richtung behalten. Diese Gefässe
werden auf radiären Durehschnitten quer getroffen und so findet
man an der pupillaren Seite grössere Lumina als an der eiliaren;
daraus etwa auf eine Zunahme der Weite eines und desselben
Gefässes nach dem pupillaren Rande hin zu schliessen (Faber *)
und Berger?)), beruht augenscheinlich auf einem Irrthum. Noch
zu bemerken ist, dass der Iriswinkel von einem eigenthümlichen
aus Endothelzellen bestehenden Gewebe gefüllt ist, welches bei
näherer Betrachtung eine nicht geringe Menge Fasern enthält.
1),l.c p. 132.
2) Beiträge z. vergl. Anat. des Auges. 1882. p. 79. Fig. 6.
3) Es soll damit nicht die typische Verästelungsweise der Arterien aus-
gedrückt sein, sondern nur das, was man an Durchschnitten trifft.
AK CD: #0:
5) 1. c. p. 132.
223 J. Koganei:
Dieses sogen. Ligamentum annulare ist nicht$ anders als
das Lig. peetinatum iridis, in welchem die Zellen gegenüber den
Fasern sehr zugenommen haben, so dass dadurch die Maschen-
räume mehr oder weniger vollständig zu Grunde gehen, wie es
denn beim Karpfen eine compacte Masse bildet, während beim
Hecht der Typus des Maschengewebes noch erhalten ist. Dasselbe
setzt sich auf die vordere Irisfläche fort und geht schliesslich in
den einschichtigen Endothelüberzug über. Beim Menschenhai
(Carecharias glaucus) kehren die den Säugethieren und zwar dem
Pferd, Rind ete. ähnlichen Verhältnisse wieder; das Stroma ist
reich an Bindegewebe mit spindelförmigen langen Stromazellen,
und dementsprechend treten die Blutgefässe zurück. Die Tapetal-
zellen fehlen. Der starke wulstige Sphineter besteht aus glatten
Muskelfasern, gemischt mit zahlreichen pigmentirten Stromazellen.
Eine gewissermassen Mittelstellung nimmt die Iris von Heptan-
chus cinereus und Sceyllium ceatulus ein. Wie beim Karpfen
u.A. fehlt der Iris von Heptanchus der Sphineter und hat dieselbe
eine starke Lamina argentea, welche das Stroma in eine vordere
und hintere Abtheilung bringt, von denen die vordere zellenreich
und wenig faserig ist, die hintere dagegen Bindegewebsfasern in
auffallender Stärke enthält. Die Iris von Seylliam ähnelt mehr
der Iris von Carcharias, indem sie einen, wenn auch schwachen
Sphincter besitzt und das Stroma mit reichlichen spindelförmigen
Stromazellen versehen ist.
3) Die Schicht des M. dilatator pupillae ist derjenige
Theil- der Iris, welcher den grössten Variationen nach den ver-
schiedenen Geschöpfen unterworfen ist, ja sie kann, wie es scheint
sehr oft, vollkommen fehlen. Wenn der Dilatator aber einiger-
massen entwickelt ist, so nimmt er stets die Stelle zwischen dem
Stroma und der hinteren Begrenzungshaut ein, und wenn er bis
zum Ciliarrande sich erstreckt, hängt er niemals mit dem Ciliar-
muskel zusammen. Die den Dilatator zusammensetzenden Elemente
bieten keine Eigenthümlichkeiten dar gegenüber denen des Sphineter.
Beim Menschen muss ich einen M. dilatator im höchsten
Grade bezweifeln. Schwalbe!) nimmt wohl einen solchen an,
indem er schreibt: „Auf der vorderen Fläche der hinteren Be-
Dsi:sc.
Untersuchungen über den Bau der Iris des Menschen und der Wirbelthiere. 23
srenzungshaut liegen hie und da radiär verlaufende glatte Muskel-
fasern auf.“ — Ebenso fehlt der Dilatator beim Gorilla, Orang-
Utang, Hund, bei der Katze, beim Iltis, bei der Ratte,
beim Meerschweinchen, Schwein, Rind und Pferd.
Die Iris des Kaninchens hat, wie von Grünhagen!) ent-
deckt wurde, einen schwachen, jedoch mit Sicherheit nachweis-
baren Dilatator, den er freilich nicht als solchen, sondern als
einen Theil des Sphincter anerkennt und Insertionsbündel des-
selben nennt (vergl. unten). Wenn wir zunächst das Physiologi-
sche bei Seite lassen, so treten die glatten Muskelfasern aus dem
peripheren Rande und aus dem diesem sich anschliessenden Theil
der hinteren Fläche des M. sphineter in radiärer Richtung aus
und legen sich sofort an die hintere Begrenzungshaut an, bilden
in der nächsten Umgebung des Sphincter eine continuirliche
Schicht, kommen aber allmählig bündelweise auseinander und
etwa in der Mitte der Irisbreite hören sie ganz auf.
In der Iris der Fischotter wird man fast überrascht von
einem colossal starken Dilatator, der nicht nur eine continuirliche
Schicht bis zum Ciliarrande bildet, sondern auch eine beträcht-
liche Dicke hat, ja in der Nähe des Ciliarrandes fast die ganze
Dieke des Stroma einnimmt und mit dem Sphineter den grössten
Theil der Irissubstanz ausmacht. Derselbe fängt unweit vom Pu-
pillarrande mit einer geringen Zahl von glatten Muskelfasern an,
welehe aus dem Sphineter bündelweise heraustreten, nimmt all-
mählig an Dicke zu durch immer neuen Zuschuss von Fasern aus
dem Sphincter, erreicht am peripheren Rande des Sphincter,
welcher, wie oben bemerkt °/, der ganzen Irisbreite einnimmt,
seine höchste Dicke, indem er hier die letzten Bündel von Fasern
auf einmal in grösserer Menge erhält. Nachdem er das übrig blei-
bende !/, der Irisbreite in ungefähr derselben Dieke zurückgelegt
hat, hört er am Ciliarrande auf; es ist hier keine Veränderung des
Gewebes nachweisbar, die etwa als Ansatz oder vielmehr als Ur-
sprungsmarke angesehen werden könnte. Ein Theil von Bündeln
nimmt vorher eine kleine Strecke die eirkuläre Richtung an.
1) Zeitschr. f. ration. Med. 3. R. Bd. 31. 1868. p. 403. Zwar hat
Kölliker bereits vor Grünhagen einen Dilatator Iridis beim Kaninchen
beschrieben, doch ist hier, s. w. u., eine Verwechslung mit der hinteren Be-
grenzungshaut als möglich anzunehmen.
24 J. Koganei:
Das Vorkommen von radiär verlaufenden quergestreiften
Muskelfasern in der Iris von Vögeln ist von den Meisten, wie
von Kölliker!), H. Müller?), Hüttenbrenner°), Dogiel?),
Faber?) u.A. anerkannt, selbst von Grünhagen wurde es zuge-
geben; somit darf man dasselbe wohl als eine allgemein giltige
Regel ansehen. Auffallend ist, dass Michel) die radiären Fasern
bei Buteo vulgaris und bei der Taube nirgends entdecken konnte;
deshalb möchte ich hervorheben, dass ich wenigstens bei der
Taube, sowie bei allen andern untersuchten Vögeln (Buteo vul-
garis stand mir leider nieht zur Verfügung) die radiären Fasern
mit grosser Leichtigkeit zu Gesicht bekam. Diese liegen auf der
hinteren Fläche des Sphincter, dieht unter der hipteren Begren-
zungshaut, entwickeln sich in verschiedener Höhe des Sphineter
aus den schiefen Fasern desselben und laufen nicht in Bündeln,
sondern einzeln wie die Sphincterfasern, in gerader Richtung bis
zum Ciliarrande, lassen sich noch eine kurze Strecke bis in das
Corpus eiliare verfolgen und finden hier ohne hervorstechenden An-
satzpunkt ihre Enden; sie nehmen also vom Pupillar- nach dem
Ciliarrande hin allmählich an Menge zu und bilden in letzterer
Gegend eine fast zusammenhängende Schicht. Die Dilatatorfasern
sind durchschnittlich viel dünner als die Sphincterfasern.
Ebenso wurde in der Iris der Eidechse und von Coluber
natrix der quergestreifte Dilatator mit grosser Sicherheit nach-
gewiesen. Dagegen habe ich denselben beim Alligator völlig
vermisst; dies ist insofern bemerkenswerth, als somit der Di-
latator, der sonst mit dem quergestreiften Sphincter stets vorzu-
kommen scheint, auch einmal beim Verhandensein des letzteren
fehlen kann.
Während Faber’) beim Frosch und Cyprinus barbus und
Berger®) beim Thunfisch und Uranoscopus die radiären Muskel-
fasern gesehen haben wollen, habe ich dieselben in der Iris von
Frosch, Triton und Fischen ebensowenig wahrgenomen wie
Helge:
2) Arch. f. Ophthalm. III. Bd. 1. Abth. 1857.
S)al.ze: 4) 1. c.
5)/1.8: 6)lke:
TC. pP. 76 UWE.
Salze:
Untersuchungen über den Bau der Iris des Menschen und der Wirbelthiere. 25
den Sphineter. Beim Menschenhai und Hundshai fehlt der
Dilatator ebenfalls.
4) Auf das Stroma resp. auf die Dilatatorschicht folgt die
hintere Begrenzungshaut. Sie ist-eine bei verschiedenen Ge-
schöpfen sehr verschieden stark entwickelte Membran von eigen-
thümlicher, faseriger Beschaffenheit ohne Kerne und ohne zellige
Struktur. Dass die hintere Begrenzungshaut zuerst von Bruch!)
gesehen worden ist, geht aus seiner Beschreibung hervor; nach
der Entfernung des Pigments mittelst eines zarten Haarpinsels
konnte er nämlich aus der Choroidea, dem Corpus eiliare und der
Iris durch Abschaben mit flach gehaltener Messerklinge eine zarte,
slashelle, strueturlose Membran darstellen, die also unmittelbar
unter der Pigmentschicht gelegen ist. Auf derselben sitzen ovale,
mitunter zugespitzte Kerne in dieht gedrängten Reihen hinter-
einander. Ein an derselben zu beobachtendes faseriges Ansehen
hat er als schmale Fältchen gedeutet.
Ich wüsste auch keine bessere als die von ihrem Entdecker
angegebene Methode, um die hintere Begrenzungshaut isolirt zu
beobachten. Bei der menschlichen Iris gelingt dies sehr leicht
wegen der ansehnlichen Stärke derselben, um so mehr als sie mit
dem Stroma sehr locker verbunden ist, besonders bei den in
Müller’scher Flüssigkeit gehärteten Objecten, indem man zuerst
das Pigmentepithel abpinselt und darauf die hintere Fläche
der Iris mit einer Staarnadelabschabt. So kann man die Bruch’sche
Haut oft in grösserer Ausdehnung vom Stroma ablösen, und erkennt
daran eine radiär faserige Struktur und eingestreute Kerne, um
welehe noch stets Pigmentkörnchen in grösserer oder geringerer
Menge angesammelt sind. Die Kerne sind länglich oval, ausnahms-
weise auch nahezu spindelförmig und in regelmässigen Abständen
ebenfalls radiär gestellt. Diese faserige Streifung mit den Kernen
erinnert annähernd an eine Membran aus glatten Muskelfasern
und ist das, was vielen Forschern die Veranlassung gegeben hat,
diese Haut für die echte glatte Muskelmembran, den vielgesuchten
M. dilatator, zu erklären, zumal, wenn die Fasern am Rissrande
frei hervorstehen, was sehr oft vorkommt, oder abbrechen und zu-
fällig ein Kern daran haften bleibt; es wurde dann vielfach ge-
1) Zur Kenntniss d. körnigen Pigments. 1844.
26 J. Koganei:
glaubt, eine isolirte glatte Muskelfaser vor sich zu haben oder
solche wurden, wie oben bemerkt, gar durch die Stromazellen vor-
getäuscht, wie ich die von Faber abgebildeten isolirten Dilatator-
fasern (l. e. Fig. 5) als solehe erklären muss, besonders wenn er
meint, dass dieselben in verschiedenem Maasse von Pigmentkörn-
chen erfüllt seien!). Henle?) erkennt in der von ihm sogenannten
hinteren Begrenzungshaut eine gleichmässige und lückenlose, wenn
auch in dünner Lage vom Ciliar- zum Pupillarrande sich erstreckende
Schicht glatter Muskeliasern, deren Contraetion die Pupille er-
weitert, also den ächten M. dilatator pup., aus dem allerdings in
seltenen Fällen muskulöse Faserzellen isolirt werden konnten.
Jeropheeff und Iwanoff (Jeropheeff arbeitete unter Leitung
des Letzteren)®) bestätigen vollkommen die Henle’sche Ansicht.
Ausserdem fand Jeropheeff die eirkulären Bündel beim Ciliar-
rande. Die Merkel’sche Beschreibung der hinteren Begrenzungs-
haut kann man ungefähr folgendermassen zusammenfassen: Der
radiäre Muskel (Dilatator), welcher eine sehr geringe Dicke besitzt,
geht mit einer Art von Arcaden in den concentrischen (Sphincter)
über. Seine Faserzellen, welche eine bedeutende Länge haben,
die dem Radius der Iris oft nahezu gleich zu kommen scheint,
treten sogleich bei ihrem Ursprung am Ciliarrande zu Bündeln zu-
sammen. In den Zwischenräumen zwischen diesen ist eine einfache
Lage von Muskelzellen, wie man an jedem Querschnitt constatiren
kann. Dies bezieht sich auf die Kanincheniris. Die Muskel-
schicht beim Menschen unterscheidet sich nur dadurch von der
Kanincheniris, dass der Dilatator keine ausgesprochenen Bündel
zeigt, sondern eine fortlaufende ununterbrochene Platte darstellt,
welche in einzelnen Zügen in den Sphineter übergeht*). Durch
die Färbung mit dem von F. E. Schulze angegebenen Chlor-
palladium und Carmin gelang es ihm vollständig diese Auffassung
zu stützen. Ferner durch die Maceration in 20°, Salpetersäure
nach Abtragung des Sphineter wurden Muskelfasern zu isoliren
versucht und auch mit Leichtigkeit gefunden’). In seiner letzten
DI. ce, 9.50.
2) 1. c..p.2608.
3) Handb. d. gesammt. Augenheilk. I. Bd. 1874.
4) 1. c.
5) l. c. Bd. 54. 1869.
Untersuchungen über den Bau der Iris des Menschen und der Wirbelthiere. 27
Abhandlung!) eonstatirte Merkel ferner mittelst einer Hämatoxylin-
färbung, dass eine Verbindung der Iris und Ciliarmuskulatur nie-
mals und an keiner Stelle vorkommt. Ferner bestätigte er Jero-
pheeff’s Angabe, dass der Abschluss gegen den Ciliarkörper hin
eine eireuläre Faserlage bildet. An dem Pupillartheil des Muskels
gestalten sich die Verhältnisse so, dass die oberflächlichsten Muskel-
fasern in ihrem starren gestreckten Verlauf beharren, bis sie gauz
nahe dem Rande angelangt sind; hier hören sie dann mit ihren
spitzen Enden in einer nicht ganz regelmässigen Linie auf. Die
tieferliegenden gehen, bogenförmig umbiegend, in den eirkulären
Verlauf des Sphineter über, um in denselben zu verschwinden.
v. Hüttenbrenner?) fasst die Ergebnisse seiner Untersuchung in
folgenden Sätzen zusammen: „1) der Dilatator existirt bei den
Säugethieren und beim Menschen. 2) verläuft derselbe bei dem
Kaninchen und beim Menschen an der hinteren Wand als eine con-
tinuirliche Schichte vor dem Epithel. 3) kommen beim Menschen
glatte Muskelfasern um die kleinen Gefässe vor, welche unabhängig
vom Dilatator mit jenen Gefässen der Länge nach verlaufen.“
Aus diesen kurzen Referaten wird man sofort einsehen, dass
die Meinungen dieser Forscher im Wesentlichen übereinstimmen,
weil es sich ja um die Beschreibungen einer und derselben Ge-
bilde handelt. Dagegen nimmt Faber?) eine ganz gesonderte
Stellung ein, insofern als er ausser einem Dilatator noch eine Ba-
salmembran direet unter dem Pigmentepithel annimmt, doch wird
er am passendsten hier aufgezählt, vorausgesetzt, dass sein Dilata-
tor der hinteren Begrenzungshaut entspricht. Aus seiner Beschrei-
bung, die, soweit sie den Dilatator betrifft, in allen wesentlichen
Punkten von den eben genannten Forschern nicht abweicht und
vor allem aus seiner Abbildung (Fig, 3. D.) muss ich entschieden
für die Richtigkeit dieser hier geäusserten Voraussetzung eintreten.
Uebrigens sei gleich bemerkt, dass es, wie wir gleich sehen werden,
beim Menschen zwischen dem Stroma und Pigmentepithel nur eine
Sehieht giebt und es auch nieht anders sein kann; dennoch nimmt
Faber zwischen diesen beiden Schichten noch eine structurlose
Basalmembran, die er Bruch’sche Membran nennt und als die
Fortsetzung der Glaslamelle der Choroidea betrachtet, an. Des-
1) Muskulatur der menschl. Iris. 1873.
2), I&re,
3). .c:
28 J. Koganei:
halb musste er in die Beschreibung seiner Basalmembran aller-
dings in ganz anderer Weise die hintere Begrenzungshaut zum
Theil mithineinziehen; dadurch tritt er in eine schwer zu lösende
Verwiekelung zwischen der hinteren Begrenzungshaut und dem
Dilatator.
Wenn die Deutung der eben aufgeführten so bewährten Forscher
von der hinteren Begrenzungshaut als einer Muskelschicht zugegeben
werden sollte, so wird es doch Jedem auffallen, dass dieselbe schon
beim ersten Blick in so eelatanter Weise von dem gewöhnlichen glatten
Muskelgewebe und speciell von ihrem Nachbarn, dem M. sphincter,
abweicht. Da tauchte deshalb andererseits die Ansicht auf, dass
die hintere Begrenzungshaut gar kein Muskel sei. Diese Ansicht
wurde zuerst von Grünhagen ausgesprochen und mit Energie und
Dauer in mehreren Aufsätzen verfochten. In seinem ersten Auf-
satze !) heisst es: „Es giebt nämlich in dem Auge des Menschen
und der Säugethiere keinen Dilatator pupillae.* Grünhagen
konnte die von Kölliker beschriebenen Arcaden eines radiär ver-
laufenden Muskels nicht finden. Die breiten ziemlich scharf con-
tourirten Streifen, die vom Ciliarrande der Iris zum Pupillarrande
ausstrahlen und sich da mit der eireulären Faserung des Sphineter
vereinigen, bestehen nicht aus glatten Muskelfasern. Gewissen
Vögeln gestand er wohl den quergestreiften Dilatator pup. zu, an-
deren spricht er aber denselben ab. In seiner zwei Jahre später
erfolgten Publication 2} behandelt er speciell den M. Dilatator, und
sagt u. A.: „Man überzeugt sich leicht von der Gegenwart der
hinteren Begrenzungsschichte, welche, der hinteren Pigmentschichte
zunächst gelegen, in der Flächenansicht eine feine radiär gestreifte
Oberfläche darbietet. Nicht so leicht, wie von ihrer Gegenwart,
konnte ich mich ihrer muskulösen Beschaffenheit versichern. Denn
weder die feinen Spitzen, welche aus der fein gestreiften Membran
hervorragen, noch die seltenen Kerne, welche hier und dort anzu-
treffen waren und wohl zu einem Theile den zuvor abgepinselten
Epithelzellen, zu einem andern Theile dem Stroma der Iris selbst
entstammten, schienen mir dazu ausreichend.“ Er behandelte die
hintere Begrenzungshaut mit den beiden für die Isolation der
glatten Muskelfasern vorzüglichsten Mitteln, der Reichert’schen
1) Ueber Irisbeweguug. Virchow’s Arch. Bd. 30. 1864. p. 504.
2) Zeitschr. f. ration. Med. 3. R. Bd. 28. 1866.
Untersuchungen über den Bau der Iris des Menschen und der Wirbelthiere. 29
Salpetersäure und Moleschott’schen Kalilösung und verglich sie
mit dem Sphineter. Es bestand zwischen den aus der hinteren
Begrenzungshaut erhaltenen Fasern und den zu derselben Zeit iso-
lirten Sphineter-Fasern stets ein wesentlicher Unterschied; jene
waren gleichförmige öfters verzweigte Fibrillen ohne Kerne; diese
waren mit deutlichen Kernen versehene bandförmige Fasern. Ferner
sind im Durehsehnitte die Kerne in der ganzen Ausdehnung nicht
zu entdecken. Aus allem ist er zu dem Schlusse gekommen, dass
die hintere Begrenzungshaut kernlos und nicht musculös ist und
dass somit, da nun anderweite Dilatatorfasern auch nicht gefun-
den werden konnten, ein Dilatator pup. der Menschen- und Säuge-
thieriris abgeht. In der Kanincheniris 1) hat dieser Forscher aller-
dings radiäre, aus dem Sphincter in den Ciliartheil hineinstrah-
lende Muskelfasern wahrgenommen, die jedoch von der hinteren
Begrenzungsschichte Henle’s bedeckt sind und ganz im bindege-
webigen Stroma liegen. Er betrachtet sie jedoch als Insertions-
bündel des Sphineter, die in den Ciliartheil bloss eine kurze Strecke
hineinreichen. Weiter bestärkt er bei Kaninchen ?) seine Ansicht
durch genauere Prüfungen und findet die Annahme von den Dila-
tator-Areaden Kölliker’s, dessen Untersuchungen hauptsächlieh
auf das Kaninchen sich beziehen, auch hier vollkommen unstatthaft.
Nachdem die radiären Insertionsbündel des Sphineter, deren Wirkung
mit dem Anziehen einer Halsschleife verglichen wurde, bei Kanin-
chen gefunden wurden, sind auch, meint Grünhagen °), die früher
von ihm zugegebenen Dilatatorfasern bei Vögeln wegen der nahen
Beziehung derselben zum Sphineter und ihrer spärlichen Entwicke-
lung eher als Theile des Sphineter zu betrachten, als als ein beson-
derer Muskel mit eigenartiger Wirkung. Besonders hebt er aber
die Thatsache hervor, dass die hintere Begrenzungshaut Henle’s
nicht nur in der Iris des Menschen und der Säugethiere, sondern
ebenso deutlich auch in der mit quergestreiften eirculären und
radiären Muskelfasern versehenen Iris der Vögel sich findet.
Michel*) drückt sich nicht bestimmt aus über die Natur-der
hinteren Begrenzungshaut, sondern er meint, den Unterschied der
1) 1. c. Bd. 31. 1868. p. 403.
2) l. c. Bd. 36. 1869. p. 40.
3) Archiv f. mikrosk. Anat. Bd. 9. 1873. p. 286 u. 726.
4) Arch. f. Ophthalm. 27. Bd. 2. Abth. 1881.
30 J. Koganei:
letzteren von dem Sphineter hervorhebend, vermuthlich wegen der
darin befindliehen Kerne, dass dieselbe eine aus zelligen Elemen-
ten zusammengesetzte Membran sei. Aber allerlei Eigenthümlich-
keiten in der Art und Weise der Vertheilung der Kerne, ferner
der Umstand, dass bei einigen Säugethieren , wie er meint, die
Membran aus breiten pigmentirten Zellen bestehe, die unter keinen
Umständen den glatten Muskeln zugerechnet werden konnten, lassen
ihn bezüglich der museulösen Natur der hinteren Begrenzungshaut
zu keinem bestimmten Resultate gelangen. Die neueste Arbeit in
dieser Beziehung rührt von Schwalbe!) her, der sich im Ganzen
Grünhagen anschliesst. In der morphologischen Deutung der
ovalen Kerne mit der Pigmentmasse in deren Umgebung geht er
weiter und erkennt in denselben die Fortsetzung des äusseren
Blattes der seeundären Augenblase, die vordere Lage der Pars iri-
diea retinae, welche mit der Grenzmembran so fest verbunden ist,
dass die Trennung von einander nur schwer und unvollkommen
gelingt. Doch gelang es ihm die Begrenzungshaut wenigstens
eine Strecke weit bei sorgfältigem Pinseln von den Kernen und
der Pigmentmasse zu befreien. Dann erscheint sie fein radiär
gestreift; der feinen Streifung entsprechend lässt sich die Mem-
bran auch in feine starre Fäserchen zerklüften, die nichts mit Mus-
kelfasern oder Fibrillen der letzteren gemein haben. Das Ver-
halten der Rissränder der Membran spricht ebenfalls sehr gegen
die muskulöse Natur derselben; die Risslinien laufen mehr gerade
durch und zeigen nicht die unregelmässigen Auszackungen der
glatten Muskelmembranen. Uebrigens ist die ganze Dicke der
Grenzmembran an Diekendurchschnitten bedeutend geringer als
die einer einzelnen glatten Muskelfaser. Ferner hat Schwalbe
sich überzeugt, dass die Kerne nicht in der Grenzmembran, son-
dern auf ihrer hinteren Fläche gelegen sind.
In der That kann man bei der menschlichen Iris die hintere
Begrenzungshaut frei von Kernen und Pigment ohne Schwie-
rigkeit darstellen. Man pinselt zu diesem Zweck zunächst das
hintere Irispigment so weit ab, bis fast alle Pigmentmassen auf
den radiären Falten und in den Furchen fort sind und die hintere
Fläche einigermassen weiss aussieht, was freilich eine sehr müh-
same Arbeit ist; hierzu empfiehlt sieh ein recht feiner ziemlich
)Rleze:
Untersuchungen über den Bau der Iris des Menschen und der Wirbelthiere. 31
starrer Pinsel. Dann schabt man mit einer Lancetnadel oder
einem ähnlichen Instrument vorsichtig die hintere Fläche ab. Ein
auf diese Weise erhaltenes Stück der Grenzmembran besteht aus-
schliesslich aus feinen radiärverlaufenden Fasern. Die Kerne, die
man vorher in der Begrenzungshaut geselen hat, lassen sich
also durch eine sorgfältige Abpinselung mit der Pigmentmasse
zugleich fortschaffen. Diese Thatsache ist von denjenigen
Forschern, deren Anschauungen immer daraus hervorgingen,
dass die hintere Begrenzungshaut kernhaltig sei, niemals fest-
gestellt worden. Um nun die einzelnen Fasern genauer zu
studiren, habe ich die abgelöste Begrenzungshaut noch zerzupft;
dabei bekommt man dieselben oft auf längere Strecke ganz isolirt,
wie man sie auch sonst zufällig aus dem Rissrande hervorragend,
nicht selten beobachtet. Nicht alle Fasern sind gleich diek, doch
ist die Differenz nur sehr gering. Jede Faser ist nicht ganz linear ge-
richtet, sondern zeigt sehr feine flache Biegungen; sie ist ferner
von nahezu gleichmässiger Dicke, eylindrisch, nicht etwa kantig
oder platt, wenig verästelt, und hängt durch diese Verästelungen
mit anderen Fasern zusammen. Ueber die Länge der Fasern ver-
mag ich nichts Bestimmtes anzugeben, namentlich ob jede Faser
vom Pupillarrande bis zum Ciliarrande durchgeht, was nicht wahr-
scheinlich ist, da die Dieke der Grenzmembran im pupillaren Theil
dieselbe bleibt; sonst müsste die Begrenzungshaut hier an Dichtig-
keit oder Dieke zunehmen. Bis zum 1/, Durchmesser des Gesichts-
feldes bei Hartnack Syst. 7, Oec. 3 habe ich die Fasern isolirt
verfolgt; es ist dies schon eine verhältnissmässig beträchtliche
Länge. Manchmal, in einem Präparate wenigstens in einigen Stellen,
sieht man an denselben eine scharfe Knickung; ferner sind die
isolirten freischwimmenden Fasern im Ganzen (abgesehen von den
vorhin erwähnten kleinen Biegungen) stets gestreckt. Die Er-
scheinungen werden mehr auf eine starre Beschaffenheit der Fa-
sern hindeuten als auf eine elastische, wie dies schon Faber!)
aufgefallen ist. Ich bemerke das nur, weil bis jetzt, wenn die
Grenzmembran nicht für eine glatte Muskelhaut gehalten worden
ist, derselben ohne weiteres elastische Beschaffenheit zugeschrieben
wurde (Grünhagen, Schwalbe). Ich will aber damit eine ge-
wisse Elastieität derselben durchaus nicht ableugnen, noch weniger
1) 1. c. p. 50.
32 J. Koganei:
im lebenden Zustande; doch möchte man nicht voreilig sein in
der Beurtheilung der physikalischen Beschaffenheit und der physio-
logischen Bedeutung der fraglichen Membran, welche gewiss noch
weiterer Untersuchung bedarf. Jedenfalls wird man zu weit gehen,
wenn man die Fasern mit echten elastischen 'Fasern vergleichen
wollte. Trügt nicht alles, so müssen wir eben, wie ich auch aus
den Angaben Waldeyer’s in seinen Vorlesungen über allgemeine
Anatomie entnehme, im Bindegewebe noch Fasern anderer Natur
als die gewöhnlichen leimgebenden Fibrillen und elastischen Fa-
sern zulassen.
Das Verhalten derselben gegen chemische Reagentien hat
auch manche Aufklärungen ergeben. In Essigsäure quellen die
Fasern auf und erblassen, in verdünnter Kalilauge ebenfalls; das
würde mit den elastischen Fasern nicht stimmen. Es wurden ferner
die bekannten Isolirungsmittel für die glatten Muskelfasern, 20%/,-ige
Salpetersäure und 30%/,-ige Kalilauge angewendet. Die Grenz-
membran wird in Reichert’scher Salpetersäure sehr brüchig, bricht
in kleinen Stücken ab und die einzelnen Fasern werden unerkenn-
bar. In 30°/,-iger Kalilauge erhalten sie sich dagegen sehr gut,
und weichen leichter auseinander, indem wahrscheinlich eine sie
verbindende Kittsubstanz gelöst wird. Farbstoffe nimmt die Grenz-
menbran sehr wenig auf; selbst bei intensivster Färbung in Car-
min oder Hämatoxylin nimmt sie nur einen leicht röthlichen resp.
bläulichen Ton an, noch am besten färbt sie sich in Eosin. In
Pikrinsäure und Chlorpalladium färbt sie sich gelb, doch nicht in
der Weise, dass man etwa daraus auf glatte Muskeln schliessen
könnte, sondern gerade so wie Bindegewebsfasern. In der Tryp-
sinlösung erhalten sich die Fasern.
Aus allem diesem stellt sich unstreitig heraus, dass die hin-
tere Begrenzungshaut nicht muskulös, sondern eine aus
eigenthümlichen durch eine Kittsubstanz zusammenge-
haltenen Fasern bestehende Haut, ohne Kerne und ohne
jedwelche zellige Struktur ist. |
Das Totalbild der hinteren Begrenzungshaut ist schon von
Merkel, Grünhagen, Jeropheeff u. A. im Allgemeinen richtig
und genau beschrieben. Sie zieht die ganze hintere Fläche des
Irisstroma den radiären Falten desselben folgend in gleichmässiger
Dieke vom Pupillar- bis zum Ciliarrand eontinuirlich entlang. Die
auf der Höhe der Falten befindlichen Fasern können in der Pars
Untersuchungen über den Bau der Iris des Menschen und der Wirbelthiere. 33
pupillaris in ihrer Richtung ununterbrochen sich fortsetzen, wäh-
rend die in den Rinnen gelegenen, da die radiären Falten in der
Pupillo-Ciliargrenze mit Areaden enden, ihre Verlaufsrichtung in
leieht vorstellbarer Weise ändern müssen. Dadurch kommen in
der Gegend des Sphineter neben den radiären Fasern viele schief
gehende hinzu, wobei vielfache Kreuzungen stattfinden. Die Fa-
sern lassen sich bis dicht zum Pupillarrand verfolgen und hören
hier auf; nur wenige scheinen den eigentlichen Rand zu erreichen.
Hier ist die Stelle, wo die Begrenzungshaut mit dem Stroma fester.
zusammenhängt. Beim Ciliarrande schlagen, wie Jeropheeff
entdeckte, die Fasern eine eirceuläre Richtung ein. Dies war auch
ein Punkt, welcher für die Bejaher der musculösen Natur günstig
schien, besonders weil die Kerne der vorderen Schicht des (hin-
teren) Irisepithels gleichfalls dieselbe Richtung annehmen.
Endlich fragt es sich, ob die hintere Begrenzungshaut für
die Iris etwas Eigenthümliches sei oder ob in anderen Theilen
des Uvealtractus ein Homologon derselben nachzuweisen ist? Der
Lage nach, indem sie unmittelbar auf die Pars iridiea retinae
folgt, liegt die Vermuthung nahe, dass dieselbe die Fortsetzung
der Glaslamelle der Choroidea sei, mit welcher sie im Winkel
zwischen Iris und Processus eiliares zusammentrifft, wie von Grün-
hagen!) und Schwalbe?) schon hervorgehoben wurde, und wo-
mit ich mich auch einverstanden erklären möchte. Die weiteren
dafür sprechenden Momente sind: Die Glaslamelle der Choroidea
nimmt von hinten nach vorn allmählich an Dieke zu, so dass sie
auf den Processus ciliares der hinteren Begrenzungshaut der Iris
nicht viel nachsteht; man hat auelı an der Glaslamelle eine fase-
rige Struetur wenn auch nicht so ausgeprägt nachgewiesen (Iwa-
noff?), Kölliker*). Ferner die Beschaffenheit der Grenzmembran
solcher Geschöpfe, bei denen sie sehr schwach entwickelt ist,
spricht, wie wir sehen werden, zu Gunsten dieser Annahme.
Die entwicklungsgeschichtlichen Untersuchungen, die mög-
licher Weise manche Dunkelheiten lichten werden, habe ich noch
keine Gelegenheit gehabt, vorzunehmen ; jedenfalls ist die Annahme
1) Zeitschr. f. ration. Med. 3. R. Bd. 36. 1869.
2) 1. c.
3) Handbuch der gesammt. Augenheilk. Bd. I. 1874. p. 267.
4) 1. .c p. 66L,
Archiv f. mikrosk. Anatomie. Bd. 25. 3
54 J. Koganei:
Michel’s!), dass die hintere Begrenzungsbaut als die Fortsetzung
der Limitans primitiva retinae anzusehen sei, wohl abzulehnen.
Die hintere Begrenzungshaut der Thiere ist von ganz der-
selben Struetur wie beim Menschen, so dass die eben behandelten
Befunde direet auf dieselben sich übertragen lassen; nur ist sie
je nach dem Species in grösserer oder geringerer Mächtigkeit
vertreten. Uebrigens sei bemerkt, dass es bei keinem Thiere so
günstig ist, wie beim Menschen, die feineren Verhältnisse der be-
züglichen Haut zu untersuchen.
Am nächsten der menschlichen steht die Begrenzungshaut
vom Gorilla, Orang-Utang, Kaninchen, Hund, dann dem
Meerschweinchen, des Iltis und der Ratte; bei diesen drei
letzteren ist sie entsprechend der geringeren Dimension der Iris
dünner und haftet fester am Stroma.
Bei der Katze, dem Schwein, Rind und Pferd ist die
Begrenzungshaut eine ansehnliche Membran von mächtiger Dicke
und grosser Festigkeit, welche der Iris eine derbe Beschaffenheit
geben hilft und hängt mit dem Stroma sehr innig zusammen, so
dass man, um dieselbe von ihrer Unterlage abzulösen, trotz der
festeren Cohäsion, mit dem blossen Abschaben nicht zum Ziele
kommt. Man muss sie vielmehr mit einer kleinen Pincette ab-
ziehen, wobei man natürlich nur kleine Fetzen erhält. Durch Zer-
zupfen der letzteren lassen sich die Fasern nur unvollkommen iso-
liren. — Die Begrenzungshaut der Fischotter ist -wie bei den
Vögeln sehr dünn.
Die Vogeliris hat eine sehr schwache Begrenzungshaut,
welehe wegen ihres lockeren Gefüges sehr leicht, schon beim Ab-
pinseln des Pigmentepithels, sich von der Unterlage ablöst, aber
desto schwerer vom Pigmentepithel zu befreien ist, nicht nur weil
sie sich vom Stroma loslöst ehe die Pigmentmasse losgepinselt ist,
sondern weil das Pigmentepithel auch sehr hartnäckig an derselben
haftet. Dennoch kann man bei andauerndem sanften Pinseln, wenn
auch nur auf kleine Strecken, dieselbe frei vom Pigment und von
Kernen erhalten. Sie erscheint dann sehr dünn und durchsichtig;
die Fasern stehen mehr auseinander, indem sie weitere Zwischen-
räume zwischen sich lassen. Um sich zu überzeugen, dass diese
Zwischenräume nicht wirkliche Lücken, sondern von einer glas-
1) 1.60.
Untersuchungen über den Bau der Iris des Menschen und der Wirbelthiere. 35
artigen Masse ausgefüllt sind, braucht man bloss den queren Riss-
rand zu beobachten, dann sieht man zwischen den Fasern einen
zarten Contour. Noch einfacher wird man dasselbe aus rein
physikalischem Grunde schliessen können, denn wenn die Fasern
nicht durch irgend eine Substanz zusammengehalten wären, so
würde sich die Haut nicht als solehe isoliren lassen, die Fasern
würden einfach auseinanderfallen. Die bei der menschlichen Be-
srenzungshaut angenommene Kittsubstanz ist also hier mehr zu
einer Grundsubstanz geworden. Das Aussehen der Begrenzungs-
baut hat eine gewisse Aehnlichkeit mit der Glaslamelle der Cho-
roidea, in welcher spärliche Fasern sich entwickelt hätten. —
Direet daran schliesst sich die Begrenzungshaut der Eidechse,
wie hier’ überhaupt der ganze Bau der Iris dem der Vögel ver-
wandt ist; die des Alligator ist hingegen von bedeutender Stärke.
Der Frosceh- und Tritoniris scheint auch eine ähnliche dünne
Grenzlamelle wie bei Vögeln zuzukommen.
Bei Fischen erreicht sie wieder eine ansehnliche den Säuge-
thieren nahe kommende Dieke, namentlich nach dem Pupillarrand
zu, wo die Fasern eine concentrische Richtung annehmen, welche
möglicher Weise mit dem Fehlen des Sphineter in Zusammenhang
steht, womit auch ganz gut zusammenpasst, dass beim Carcha-
rias, welcher mit einer besonders starken Begrenzungshaut ver-
sehen ist, jene Anordnung der Fasern nicht constatirt wurde. Die
eoncentrische Anordnung der Fasern der Begrenzungshaut in der
Nähe des Pupillarrandes mit gleieligestellten Pigmentepithelzellen
der vorderen Lage spielt ganz dieselbe Rolle in Bezug auf die
Frage muskulöser oder nicht muskulöser Natur derselben, wie bei
der Begrenzungshaut anderer Thiere; dort bezüglich des Sphincter
und hier des Dilatator.
Es ist hier wohl der passendste Ort, über die viel bestrit-
tene Dilatatorfrage etwas specieller zu handeln und zugleich
das eben Auseinandergesetzte zusammenzufassen. Der Grund,
warum diese Frage ihrer Lösung trotz dem Eifer der anerkannte-
sten Forscher so hartnäckig widerstand, ist nicht bloss in der
Schwierigkeit der Untersuchung durch das Pigment, sondern viel-
mehr darin zu suchen, dass Jedem der Gedanke fixirt war, auf
Grund der physiologischen Thätigkeit der Iris nothwendiger Weise
ein dilatirendes Agens auch anatomisch nachzuweisen, und dass
man dabei begreiflicher Weise auf einen Muskel fahndete. Da aber
36 J. Koganei:
dieser Muskel, wie oben auseinandergesetzt, bei verschiedenen
Thieren sich verschieden verhält, von der eminenten Entwickelung,
wie bei Fischottern und Vögeln, für welch letztere wohl die mei-
sten Autoren nicht gezweifelt haben, bis zur Unnachweisbarkeit
und doch die Frage, um für die ganze Wirbelthierrreihe eine Ein-
heitliehkeit herauszubringen, ganz radical behandelt wurde, so
theilten die Autoren sich zunächst in zwei entgegengesetzte Par-
teien, von denen die eine die Existenz des echten M. dilatator
überall verneint und die andere diese vollkommen bejahend für
alle Classen beantwortet, welch letztere wiederum in drei Unter-
abtheilungen zu bringen ist.
1) Diejenigen Autoren, welche die Muskelfasern im Stroma
selbst annehmen. Hierber zu rechnen ist zunächst Brückel),
dessen Worte wir hier wiedergeben: „Der Erweiterer der Pupille,
M. dilatator pupillae, entspringt an der inneren Fläche der glas-
artigen Lamelle der Hornhaut, nahe dem Rande derselben; seine
Fasern lassen die grossen Gefässe und Nerven der Blendung
zwischen sich durchtreten und verlaufen dann hinter denselben
zum Pupillarrande, bis sie in dem Verengerer der Pupille sich
verlieren“. Dann Dogiel?), welcher sagt: „Die Muskelbündel
der glatten Muskelfasern des Erweiterers der Pupille, welche in
verschiedenen Höhen von solehen Bündeln des Verengerers der
Pupille abstammen, ziehen sich zwischen den Blutgefässen von
vorne nach hinten hin. Die Bündel des Dilatator verzweigen sich
dabei auf ihrer Bahn und diese Verzweigungen verbinden sich
an einigen Stellen mit anderen Muskelbündeln desselben Muskels
und endigen am Ciliarring. Obwohl die hier beschriebenen Bündel
des M. dilatator pup. ihren Anfang auf der Vorderfläche der Iris
haben, gehen sie doch alle an die Hinterfläche derselben über.“
Ferner ist zu nennen Kölliker?), welcher so zu sagen den Ueber-
gang zur nächsten Gruppe bildet; dieser Autor meint, der Dila-
tator pupillae beginnt in der Substanz der Iris am Ciliarrande
und sagt weiter: „Derselbe besteht beim Kaninchen aus vielen
schmalen Bündeln, die, weit entfernt eine zusammenhängende Haut
zu bilden, jedes für sich und zwar mehr an der hinteren Fläche
1) Anatom. Beschreibung d. menschl. Augapfels. 1847.
2) l. c. p. 9.
3) 1. e.
Untersuchungen über den Bau der Iris des Menschen und der Wirbelthiere. 37
der Iris zwischen den Gefässen nach innen verlaufen, und an den
Rand des Sphineter sich ansetzen oder hinter diesem Muskel gegen
den Pupillarrand verlaufen, ohne denselben in allen Fällen zu er-
reichen.“ Aus seiner allerdings nicht ganz klaren Abbildung
könnte man mit grosser Wahrscheinlichkeit glauben, dass er doch
die hintere Begrenzungshaut für den Dilatator gehalten habe, be-
sonders, wenn er über dieselbe schweigend hinweggeht; zum Theil
also gehört dieser Autor zu der nächsten Gruppe. Neuerdings
findet Eversbusch!) den Dilatator mitten im Stroma als einzeln
verlaufende speichenartig angeordnete Muskelbänder.
2) Diejenige, welche ausser der hinteren Begrenzungshaut
zwischen dieser und dem Stroma glatte Muskelfasern gefunden
haben, ist von Schwalbe vertreten. Dann möchte ich zum Theil
Grünhagen hierher rechnen, da er an der Kanincheniris radiäre
Muskelfasern gesehen und beschrieben hat, obgleich er dieselben
nicht als Dilatator auffassen will.
3) Solche, welche in der hinteren Begrenzungshaut zusammen
mit der vorderen Lage des epithelialen Theils den M. dilatator
erkennen. Hierher gehören Henle, Merkel, Jeropheeff,
Iwanoff u. A.
Der entschiedenste Gegner des Dilatator ist, wie oben hin-
reichend erörtert wurde, Grünhagen; ausserdem sind zu nennen
Hampeln?) und mit einer gewissen Reserve Michel.
Ich möchte bezüglich meiner Stellung zu dieser Frage noch
folgende Bemerkungen anknüpfen: ad1. Es wurde stets specielle
Aufmerksamkeit darauf verwendet, ob nicht unter den zelligen
Gebilden im Stroma muskulöse Elemente existirten; mir sind je-
doch solehe nie begegnet; möglicher Weise ist bei dem Einen
oder dem Andern eine Verwechselung mit den Stromazellen vor-
gekommen, bezüglich welcher Aehnlichkeit schon oben die Rede
war. ad 3. habe ieh meiner vorhin geäusserten Meinung, welche
sich gegen die muskulöse Natur der hinteren Begrenzungshaut
wenden musste, nichts weiter hinzuzufügen. ad 2. Schwalbe’s
Ansicht hat gewiss ihre richtige Seite; ebenso Grünhagen’s Dar-
legung; allein Letzterer ging seinerseits zu weit, indem er selbst
den von ihm festgestellten radiären Fasern dilatirende Wirkung
absprechen will, von dem Standpuncte aus, dass es sich nicht sowohl
ie
2) Ein Beitrag z. Anat. d. Iris. Dorpat. 1869.
38 J. Koganei:
um eine Nachweisung von radiären Fasern handelt, sondern viel-
mehr darum, ob diese Fasern bei ihrer Zusammenziehung wirk-
lich die Pupille erweitern. Allerdings gebe ich ihm Recht inso-
fern, als den in der Nähe des Sphineter vorkommenden spärlichen
radiären Fasern wie beim Kaninchen, jede erhebliche dilatirende
Leistung abgesprochen werden muss. Wenn aber andererseits die
radiären Fasern in so ausgesprochener Menge vorkommen wie bei
der Fischotter, den Vögeln ete., wird Niemand ein Bedenken tragen,
denselben eine selbständige und zwar dilatirende Wirkung zuzu-
sprechen. Nachdem wir solche Fälle kennen gelernt haben, finde
ich es berechtigter die radiären Insertionsbündel des Sphineter Grün-
hagen’s anders aufzufassen als Letzterer es thut, nämlich als einen
rudimentären Dilatator, welcher in der Iris von Menschen und bei
vielen Thieren völlige Rüekbildung erlitten hat. Dies ist um so wahr-
scheinlicher, als der Sphineter gleichfalls solche Variationen dar-
bieten kann, wie ich ihn denn z. B. bei einigen Fischen ganz ver-
misst habe. Diese vielfache Variabilität der Irismuskulatur, des
Dilatator und auch des Sphincter, weist unbedingt darauf hin, dass
die Beweglichkeit der Iris ebenfalls ungemein variabel sein müsse.
Es muss jedoch für die Beweglichkeit der Iris nicht allein die be-
sondere Muskulatur massgebend sein, sondern ausser dieser noch
ein anderes bewegendes Prineip angenommen werden, um die Erwei-
terung der Pupille bei solchen Thieren, welehe keinen Dilatator
haben, zu erklären. Somit ist das ganze Problem anders aufzu-
werfen, als es bis jetzt üblich war, nämlich: Welche ist die
pupillenerweiternde Kraft bei solcher Iris, der ein
Dilatator fehlt? Wie in vielen Körpertheilen durch eine Aende-
rung im Füllungszustande der Blutgefässe eine Bewegung ausge-
führt wird, so hat schon Grünhagen versucht diesen Factor auch
auf die Iris zu übertragen. Es wurde schon oben auf den direeten
Uebergang der kleinen Arterien in die Venen aufmerksam ge-
macht, ferner auf den grossen Reichthum der Iris an Blutgefässen
bei vielen Thieren. Aus diesen beiden Momenten darf man wohl
die Meinung schöpfen, dass den Blutgefässen der Iris ausser der
nutritiven, und abgesehen von der secretorischen, worauf hier nicht
einzugehen ist, noch eine andere wesentliche Bedeutung, nämlich
eine motorische zukomme. Hätte eine Volumveränderung der
Iris durch verschiedenen Blutgehalt stattgefunden, so wird die
srösste Excursion am freien Pupillarrande ausgelöst, indem der
Untersuchungen über den Bau der Iris des Menschen und der Wirbeltbiere. 39
Ciliarrand gewissermassen als puncetum fixum fungirt. Das Ge-
webe einer gefässreichen und weichen Iris ist gerade solcher
Volumenveränderung günstig, während die Blutgefässe in gleichem
Maasse zurücktreten, wenn das Stroma in einer der Entfaltung des
Füllungszustandes der Blutgefässe hinderlichen Weise sehr fest
und derb ist, wie beim Rind ete. Eine zweite Möglichkeit, woran
Grünhagen besonders gedacht hat, ist die elastische Kraft der
Iris, die auf die hintere Begrenzungshaut verlegt worden ist.
Selbstverständlich kann dieselbe nur in Verbindung mit dem
Sphineter oder den Blutgefässen zur Wirkung gelangen, indem
dieselbe der Voraussetzung bedarf, dass die Iris durch den Sphincter,
resp. den Blutgehalt stets in einem gewissen Tonus sich befindet.
Dies ist'gar nicht unwahrscheinlich, besonders bei der Iris vom
Rind ete., bei weleher etwas anders kaum gedacht werden kann,
obgleich ich der hinteren Begrenzungshaut eine besonders starke
Blastieität nicht zuschreiben möchte.
Es möge hier eine tabellarische Darstellung über die Ver-
theilung der drei pupillenverändernden Factoren und das Verhält-
niss des Bindegewebes zu denselben folgen, die zum Verständniss
des oben Auseinandergesetzten beitragen könnte:
En Pe2, Hintere ehe
M. dila- | Begren- | Blut- | Binde- Be-
tator. zungs- | gefässe. | gewebe. | merkungen.
haut. |
Mensch 0 stark stark |schwach
Gorilla (Gorilla gina) 0 x | f
Orang-Utang (Pithecus
satyrus) 0 . » | 4
Kaninchen (Lepus cuni-
eulus) schwach 5 R s;
Hund (Canis familiaris) 0 R E stark | Bindegewebe
zellenreich.
Ratte und Maus (Mus
decumanus et M. mus-
culus) 0 schwach R h Bindegewebe
zellenreich.
Meerschweinchen (Cavia
Cobaya) 0 stark Hi “ Bindegewebe
zellenreich.
Fischotter (Lutra vul-
garis) sehr stark] sehr | schwach | schwach
schwach
Iltis (Putorius foetidus) 0 stark | mässig stark | Bindegewebe
zellenreich.
Katze (Felis domestica) 0 sehr stark) schwach 5
40 J. Koganei:
R Hintere .
M. dila- | Begren- Blut- Binde- Be-
tator. zungs- | gefässe. | gewebe. | merkungen.
haut.
Schwein (Sus domesticus) 0 sehrstark, schwach |sehr stark
Rind (Bos taurus) 0) ” ” ”
Pferd (Equus caballus) 0 3 „ »
Vögel stark sehr stark sehr
schwach schwach
Eidechse (Lacerta agilis) a ® - -
Coluber spec. 3 ; 4
Alligator (Alligator lu-
cius) 0 stark schwach
Frosch (Rana eseul. et
tempor.) 0 schwach sehr stark " Bindegewebe
zellenreich.
Triton (Triton cristatus) 0 B A 5 Bindegewebe
zellenreich.
Hecht (Esox lucius) 0 stark H ® Sphincter
fehlt.
Karpfen(Cyprinuscarpio) 0 2 ie = 4
Stör (Acipenser spec.) 0 “ u 3 ®
Menschenhai (Carcharias
glaucus) | 0 = schwach | stark
Heptanchus cinereus 0 schwach n sehr stark eh
Scyllium catulus 0 a stark stark | Bindegewebe
zellenreich.
In dieser Tabelle fällt sofort auf, dass der Dilatator stets in
umgekehrtem Verhältniss steht mit der hinteren Begrenzungshaut,
nämlich bei solchen Thieren, welehe einen sehr schwachen oder
keinen Dilatator haben, die hintere Begrenzungshaut stark ent-
wickelt ist und umgekehrt bei solchen, welche einen ansehnlichen
Dilatator haben, die hintere Begrenzungshaut sehr dünn erscheint.
Hiervon machen die Ratte und Maus freilich eine Ausnahme; da-
bei muss jedoch in Erwägung gezogen werden, dass die ganze
Dieke der Iris hier eine ausserordentlich dünne ist, ebenso beim
Frosch und Triton. Ferner in der grossen Mehrzahl der Regen-
bogenhäute und zwar bei solehen, welche nur eine geringe Menge
faserigen Bindegewebes enthalten, ist ein grosser Reichthum an
Blutgefässen nicht abweisbar, ausgenommen bei der Fischotter,
bei welchem wegen der colossalen Ausdehnung der Muskulatur
für die Blutgefässe so zu sagen kein Platz mehr vorhanden ist.
Ebenso unabweisbar ist die Thatsache, dass die Irides mit sehr
starker Begrenzungshaut und zugleich mit sehr starken Binde-
gewebsfasern wenig Blutgefässe haben. Im Ganzen und nament-
lich in diesem letzteren Punkte erhält die Grünhagen’sche Be-
Untersuchungen über den Bau der Iris des Menschen und der Wirbelthiere. 41
hauptung einen wesentlichen Stützpunkt; nicht weniger lässt sich
die Bedeutung der Blutgefässe schätzen, welche bei Ratte und
Maus, Froseh, Triton und Fischen besonders hervorzutreten scheint.
Nichts destoweniger wird es immer noch unentschieden bleiben,
ob es in der That möglich ist, die Erweiterung der Pupille ad
maximum, sei es durch die Entleerung der Blutgefässe oder durch
die elastische Kraft der hinteren Begrenzungshaut oder durch die
combinirte Wirkung dieser beiden Faktoren zu erklären. Viel-
leicht dürfte aber der hier gebotene Versuch, zur Lösung dieser
ebenso bedeutsamen wie schwierigen Frage beizutragen, zu weiteren
Forschungen in der bezeichneten Richtung Anlass geben.
I. Pars epiblastica iridis.
Sie’ ist der am stärksten pigmentirte Theil der Iris. Wäh-
rend im Stroma die Intensität der Pigmentirung individuell sehr
variabel ist, enthält dieser Theil stets eine constante Menge Pig-
ment in so weit, als selbst bei den pigmentärmsten Individuen
(natürlich innerhalb des nicht pathologischen Zustandes) das Licht
vollkommen abgehalten wird, wie man unter dem Mikroskop vor
der Abpinselung der Pigmentmasse direct beobachten kann. Bei
der Darlegung der Struktur dieses Theiles stossen wir auf eine
grosse Schwierigkeit; an noch so sorgfältig angefertigten Dicken-
durehschnitten ist eben von einer Struktur nichts zu sehen, es
liegt scheinbar eine diffuse Pigmentmasse vor. Dazu kommt noch,
dass dieser Theil ungemein brüchig ist; bei dem Versuch denselben
etwa in einiger Ausdehnung abzulösen, zerfällt er sehr leicht in
einen Haufen Pigmentkörnchen von bekannter Form und Be-
schaffenheit. Wohl darin ist der Grund zu suchen, dass die An-
gaben hierüber grosse Schwankungen zeigen, obgleich der Gedanke
sehr nahe liegt, dass die Pigmentschicht, nach den entwicklungs-
geschichtlichen Thatsachen, aus zwei Lagen Epithelzellen bestehen
müsste, wenn nicht im späteren Leben irgend eine Veränderung,
wie Verschmelzen der beiden Zellenlagen und auch der Zellgrenzen,
was gar. nicht undenkbar ist, eintritt. In der That wurde eine
solche Veränderung von Henle!) behauptet, wie aus folgenden
Worten sich schliessen lässt: „Die Pigmentlamelle der Iris ist in
ihrer tiefsten, d. h. der hinteren Begrenzungshaut der Iris nächsten
Schichte zuweilen aus platten, polygonalen Pigmentzellen zusammen-
I). Re:
42 J. Koganei:
gesetzt; häufiger bildet jene Pigmentlage eine zusammenhängende,
nur durch die eingestreuten Kerne unterbrochene Membran. Näher
der freien Oberfläche sind auch Kerne nicht mehr sichtbar und
die Pigmentmoleküle scheinen zu einer gleichförmigen Masse ver-
bunden.“ Derselben Meinung huldigen Fabert), Michel?) u. A.
Eine andere von Grünhagen’?) zuerst ausgesprochene Auffassung
ist die, dass die auf der hinteren Begrenzungshaut sitzenden Kerne
nicht dieser selbst, sondern vielmehr zu den Epithelzellen der
hinteren Irisfläche gehören und für die Kanincheniris?) und Vogel-
iris?) wurde es vollkommen festgestellt an Durchsehnitten wie an
Flächenpräparaten, dass diese elliptischen mit der grossen Axe
radiär gerichteten Kerne der vorderen Lage des doppelten Epithels
der hinteren Fläche der Iris entsprechen. \
Hirschberg®) konnte die beiden Zellenlagen an Durch-
schnitten der Iris eines zweijährigen Kindes erkennen.
Schwalbe”) hat dann die Grünhagen’sche doppelte Lage
wohlbegrenzter Zellen, von denen die vordere die Fortsetzung der
proximalen und die hintere die der distalen Lamelle der secundären
Augenblase darstellt, constatirt und zwar als allgemein giltige
Regel bei jungen ebensowohl wie bei erwachsenen Menschen und
Thieren und meine Untersuchungen kommen auf dasselbe hinaus,
wofür ich einige dies beweisende Momente anführe:
1) An Diekendurchschnitten der Iris von Menschen oder
Thieren sieht man sehr oft die Pigmentschicht in zwei Schichten
von ungleicher Dieke gespalten, so dass die vordere etwa nur die
Hälfte oder ein Drittel der hinteren beträgt. Dies deutet zugleich
auf einen sehr losen Zusammenhang der beiden Lagen hin.
2) Die Durchsebnitte der in Chlorwasser oder Wasserstoff-
superoxyd gebleichten Iris zeigen sehr deutlich die zwei Schichten
aus Zellen mit einem Kern (als heller Fleck) und wohlmarkirtem
Zelleontour bestehend. Betreffend die Form und Grösse der Zellen
darf man das so Gefundene allerdings nicht ohne Weiteres auf das
natürliche Bild übertragen; schon die grosse Verschiedenheit in
denselben weist auf die durch das Bleichmittel bedingte Verän-
derung hin.
N, 0.7 2)ure
3) 1. c. 28, Bd. 1866. . 4) 1. c. 56. Bd. 1869.
5) Arch. f. mikrok. Anat. 9. Bd. 1873.
6) Arch. f. Ophthalm. 22. Bd. 1. Abth. 1876. T)l.c.
Untersuchungen über den Bau der Iris des Menschen und der Wirbelthiere. 43
3) Ein weit beweisenderes Bild liefern die Durchschnitte der
Iris des albinotischen Kaninchens, wozu tangentiale mehr zu em-
pfehlen sind als radiäre, weil die letzteren wegen der auf der
hinteren Fläche der Iris vorhandenen bei diesem Thier sehr aus-
geprägten radiären Falten schwer gerade senkrecht auf das Epithel
zu treffen und anderenfalls das Bild des doppelten Epithels nicht
klar sein kann. Fig. 6 stellt einen tangentialen Schnitt dar. Die
Zellen der vorderen Lage sind viel kleiner als die der hinteren
im Verhältniss von ungefähr 3:2, also drei Zeilen der vorderen
Lage umfassen 2 der hinteren. Die ersteren sehen auf dem Durch-
schnittsbilde quadratisch aus mit einem rundlichen, relativ grossen,
dicht auf der hinteren Begrenzungshaut liegenden Kerne und einem
schmalen -Protoplasmaring von feinkörniger Beschaffenheit; die
letzteren sind ebenfalls quadratisch mit einem rundlichen eben so
grossen Kern; das Protoplasma hat also grösseren Platz.
4) Nach diesem ist wohl nicht mehr zu zweifeln, dass die
Pigmentschicht aus einer zweifachen Lage von Zellen bestehe;
um aber eine genauere Vorstellung von der Gestalt derselben zu
erhalten, müssen dieselben noch von einer anderen Richtung,
nämlich im Flächenbilde, betrachtet werden. Wegen des losen
Zusammenhanges der beiden Lagen mit einander gelingt es sehr
leicht die vordere Lage von der hinteren zu trennen, entweder
einfach durch leises Abpinseln oder nach längerer Aufbewahrung
in Müller’scher Flüssigkeit durch spontane Ablösung.
Indem die vordere Lage mit der hinteren Begrenzungshaut
fest zusammenhängt, wird sie mit dieser zugleich untersucht.
Dieselbe besteht aus polygonal-spindelförmigen (d. h. eine Form,
welche entsteht, wenn ein Polygon in einer Richtung verlängert
wird) radiär gestellten Zellen mit einem bei der hinteren Begren-
zungshaut schon beschriebenen Kern. Um den Kern ist eine
Pigmentmasse in wechselnder Menge in eben genannter Spindel-
form von verschiedener Deutlichkeit, je nach dem Grade der Ab-
pinselung, angehäuft. Am Ciliarrande geht die Richtung dieser
Zellen in die eirkuläre über, also genau wie die Faserrichtung
der hinteren Begrenzungshaut; ebenso wie bei dieser treten in der
Pupillarzone unregelmässige Stellungen ein. In der Nähe des Pu-
pillarrandes werden die Zellen dagegen deutlich polygonal und
schlägt sich diese Schicht am Rande in die hintere Lage um; bei
Fischen aber stellen sie sich wieder eirkulär, wie die Fasern der
44 J. Koganei:
hinteren Begrenzungshaut. Zur Untersuchung der hinteren Lage
nimmt man einfach die von selbst abgelöste flottirende Membran
oder noch besser die vordere Linsenkapsel, auf welcher gewöhnlich
beim Loslösen der Linse mehr oder weniger Pigment, besonders
bei in Alkohol gehärteten Augen haften bleibt. Die Untersuchung
muss sehr vorsichtig geschehen wegen der grossen Brüchigkeit
des Pigmentepithels, selbst der leiseste Druck des Deckglases
macht oft das Präparat unbrauchbar. Auf diese Weise stellt sich
heraus, dass die hintere Lage aus regelmässig hexagonalen Zellen
mit einem hellen Kern bestehen, wie das Pigmentepithel der Re-
tina, aber viel stärker pigmentirt als dieses. Im Winkel zwischen
Iris und Processus eiliares angelangt, verliert diese Schicht das
Pigment und setzt sich in die farblose hintere Lage des Ciliar-
körperepithels fort.
Wenn ich die auf diese verschiedene Weise erhaltenen Er-
gebnisse kurz zusammenfasse, so besteht der epitheliale Theil der
Iris aus zwei Lagen. Die Zellen der vorderen Lage sind
spindelförmig mit einem gewöhnlich ovalen Kern, stets
in der Richtung der Fasern der hinteren Begrenzungs-
haut gestellt. Die viel stärker pigmentirten Zellen der
hinteren Lage sind nach der Fläche hexagonal, von der
Seite gesehen eubisch oder eylindrisch und haben einen
kugeligen Kern.
Das Pigmentepithel folgt genau den radiären Falten der hin-
teren Begrenzungshaut; ausserdem bildet die hintere Lage darauf
senkrechte, regelmässige, viel kleinere, etwa 3 Zellen umfassende
in der Pars ciliaris stärker ausgeprägte Falten, woran die vor-
dere Lage und die hintere Begrenzungshaut nicht theilnehmen.
Diese Falten wurden je nach der untersuchten Iris stärker oder
schwächer, ja manchmal fast ganz fehlend bei Säugethieren und
Vögeln gefunden und höchst wahrscheinlich bedingt durch den
Contraetionszustand der Iris, wenn man nur bedenkt, dass solchen
mit Pigmentkörnchen gesättigten brüchigen Zellen jede stärkere
Blastieität abgesprochen werden muss und doch ein gewisser Spiel-
raum nothwendig ist, um der Contraction und Erschlaffung der
Iris zu folgen.
Der Formunterschied der Zellen der vorderen und hinteren
Lage ist eine erst im späteren Leben eingetretene Erscheinung.
Bei Embryonen sind bekanntlich beide Zellenlagen gleich geformt;
Untersuchungen über den Bau der Iris des Menschen und der Wirbelthiere. 45
bei einem 7 monatlichen menschlichen Fötus war die Differenz
noch nieht ausgeprägt; beide Lagen bestanden aus gleichgeformten
eubischen Zellen, von denen die vordere, umgekehrt wie beim Er-
wachsenen, stärker pigmentirt war als die hintere. Die ersten
Pigmentkörnchen treten, wie bekannt, zunächst in der vorderen
Lage auf, während die hintere Lage noch eine Zeit lang farblos
bleibt. Dass ein solcher Zustand beim erwachsenen Triton erhalten
bleiben soll, kann ich nicht bestätigen; im Gegentheil habe ich beim
Triton eristatus die beiden mit aller Deutlichkeit unterscheidbaren
Lagen pigmentirt gefunden. An der Fischiris ist die hintere Lage
in der eiliaren Hälfte schwächer pigmentirt als die vordere, beim
Hecht sogar farblos; in der pupillaren Hälfte ist kein Unterschied
zwischen beiden bemerkbar.
Die hintere Fläche des Pigmentepithels ist, wie Schwalbe!)
richtig gesehen hat, von einem ganz feinen glasartig durchsichtigen
structurlosen Häutchen, der Membrana limitans überzogen,
welche am Pupillarrande gerade so weit reicht wie das Pigment-
epithel und nach dem Ciliarrande hin in die gleichnamige Haut
der Ciliarfortsätze sich fortsetzt. Von der Existenz dieser Mem-
bran kann man sich leicht überzeugen, indem man die abgelöste
hintere Lage des Pigmentepithels so umschlägt, dass die hintere
Fläche nach aussen kommt und am Faltenrande beobachtet, oder
besser noch schüttelt man ein solches Stück im Wasser hin und
her, dadurch wird die Pigmentmasse entfernt und man sieht an
einer oder der anderen Stelle, besonders an den Rändern eine
glashelle Haut, die fast nur aus daran haftenbleibenden Pigment-
körnchen und an den Falten erkenntlich ist. An Durchsehnitten
habe ich dieselbe meistens vermisst.
Angelucei?) will die Fortsetzung der Membr. limitans um
den Pupillarrand auf die vordere Fläche des Pigmentepithels der
Ciliarfortsätze nachgewiesen haben, die weiter auf die äussere
Oberfläche des Pigmentepithels der Retina übergeht. Dieselbe
müsste also liegen zwischen der vorderen Lage des Pigmentepi-
thels und der hinteren Begrenzungshaut; dass aber zwischen den
so innig zusammenhängenden Gebilden dieselbe noch Platz finden
soll, kann fürs erste noch bezweifelt werden. Angelucci und
Schwalbe rechnen die Membr. limitans zu den Cutieularbildungen.
1). ep 208: 2) Arch. f. mikrosk. Anat. 19. Bd. p. 156.
46 J. Koganei:
Von Henle, Kölliker und Iwanoff!) wird die Existenz
dieses Häutchens bestritten. Henle2) meint, wenn über die Pig-
mentkörnchen, durch einen schmalen hellen Raum von ihnen ge-
schieden, ein scharfer Contour hinziehe, könne dieser nur die
Grenze des Kittes bedeuten, der die Körnchen zusammenbhält;
Kölliker?°) deutet ihn als den Ausdruck der vereinten äusseren
Zellwandungen der Pigmentzellen, welche in der That in alten
Augen und bei Zusatz von Alkalien stellenweise vom Pigment sich
abheben; ähnlich lautet Faber’s®) Ansicht.
Zum Schluss erlaube ich mir meinem hochverehrten Lehrer
Herrn Geh.-R. Waldeyer für die vielfachen Unterstützungen die er
mir bei dieser Arbeit zu Theil werden liess, meinen wärmsten
Dank auszusprechen.
Erklärung der Abbildungen auf Tafel 1.
Fig. 1. Stromazellen der Iris vom Gorilla. In Müller’scher Flüssigkeit ge-
härtet, in Hämatoxylin-Eosin gefärbt. Hartnack Syst. VII. Oe. 3.
a spindelförmige, b solche mit einem getheilten Fortsatz versehene,
ce spinnenförmige pigmenthaltige Stromazellen. d spindelförmige
nicht pigmentirte Stromazelle.
Fig. 2. Fixe platte Bindegewebszelle aus der Iris der Katze (Felis domestica).
Behandlung und Vergrösserung wie Fig. 1.
Fig. 3. Mittlerer Theil eines radiären Durchschnitts der Iris einer Fisch-
otter (Lutra vulgaris), Hämatoxylinfärbung. Hartnack Syst. IV.
Oe. 3. 58 M. Sphineter. D M. dilatator. P hinteres Pigment-
epithel. * Zuschussbündel des Dilatator aus dem Sphincter.
Fig. 4. Hintere Begrenzungshaut der Iris von Menschen, von der vorderen
Lage des Pigmentepithels vollkommen befreit. Syst. VII. Oec. 3.
Hartnack. * eine frei hervorstehende isolirte Faser.
Fig. 5. Hintere Begrenzungshaut mit der vorderen Lage des Pigmentepi-
thels von der Taube (Columba domest.), stellenweise aber vom Pig-
ment befreit. Vergr. wie Fig. 4.
Fig. 6. Tangentialer Durchschnitt der Iris vom albinotischen Kaninchen
(Lepus euniculus). Carminfärbung. Vergr. wie Fig. 4. D Bündel
des Dilatator. B hintere Begrenzungshaut (fein punktirt erschei-
nend). vP vordere Lage, hP. hintere Lage des hinteren Epithels.
11.2083. HE. BEN 6.
3):1. e. p. 663. A) 1er pr60.
Untersuchungen über den Bau der Iris des Menschen und der Wirbelthiere. 47
Nachtrag.
Während der Correetur dieser Bogen wurde ich darauf auf-
merksam gemacht, dass Grünhagen!) früher aus dem gelben
pupillaren Ringe der Froschiris spindelförmige Zellen, welche sich
an einer mit Chlorwasser gebleichten Iris als die econcentrischen
Fasern des M. sphineter erkennen liessen, mittelst einer 38%, Kali-
lauge isolirt habe. Diese Fasern sollen von Pigmentscheiden um-
hüllt sein, während ihr Zellleib selbst nicht pigmentirt wäre. Die-
selben Zellen wurden von Grünhagen auch aus der Aal-Iris
isolirt 2).
Ich habe diese Angaben an der Froschiris nachgeprüft mit
38%, Kalilauge und 20°/, Salpetersäure; mit Leichtigkeit gelang
es mir, was die Isolirung grosser spindelförmiger Zellen anlangt,
die Angaben Grünhagens zu bestätigen. Doch sprechen deren
Eigenthümlichkeiten weniger für Muskelfasern, als für Zellen der
vorderen Lage des Pigmentepithels, die ja überhaupt spindelförmig
sind. Die Pigmentkörner liegen nämlich nicht, wie es Grün-
hagen meint (briefliche Mittheilung an Prof. Waldeyer), auf der
Oberfläche der Zelle als Pigmentscheiden, sondern im Protoplasma
der Zelle selbst, worin öfters der helle Kern sichtbar ist. Dies
ist zwar nicht entscheidend für die Frage nach der muskulösen
Natur der in Rede stehenden Zellen; doch macht es den musku-
lösen Charakter, da das Vorkommen pigmentirter glatter Muskel-
fasern überhaupt unerwiesen ist, in hohem Grade zweifelhaft.
Allerdings haben Faber?) und Kölliker*, pigmentirte Miskel-
zellen in der Iris angenommen, doch ist in diesen Fällen die
Möglichkeit einer Verwechslung mit pigmentirten Stromazellen
nicht ausgeschlossen (vergl. oben im Text). Ferner liegen num
die Grünhagen’schen Zellen, wie Zerzupfungspräparate zeigen,
auf der hinteren Fläche der hinteren (Bruch’schen) Begren-
zungshaut. Ganz evident zeigt dieses Verhältniss die Iris der
1) Zeitschrift f. ration. Med. Bd. 28. p. 178 u. p. 186.
2) Schur, Ueber den Einfluss des Lichtes, der Wärme ete. auf die
Weite der Pupille. ibid. Bd. 31. p. 379.
3) Der Bau der Iris d. Menschen u. der Wirbelthiere. 1876. p. 50.
4) Handb. d. Gewebelehre d. Menschen. 1867. p. 663.
48 Johannes Frenzel:
Knochenfische, z. B. die des Hechtes, sowohl an Flächenpräparaten
als namentlich an Durchschnitten; an radiären Durchschnitten
sieht man in der Nähe des Pupillarrandes die in Rede stehenden
Zellen quer getroffen auf der hinteren Fläche der hinteren Be-
srenzungshaut und bilden sie eben die vordere Lage des hinteren
Pigmentepithels an dieser Stelle. Auch beim Triton habe ich an
derselben Stelle, welche bei Flächenansichten die grossen spindel-
förmigen Elemente zeigte, beim Querschnitt rundliche Zelldurch-
schnitte getroffen, die ganz unzweifelhaft in der vorderen Schicht
des hinteren Irisepithels gelegen waren, also hinter der Bruch’-
schen Begrenzungshaut.
Sonach bleibt es mir sehr zweifelhaft, ob die in Rede stehen-
den spindelförmigen Elemente der Batrachier und Fische museu-
löser Natur seien.
Ueber die Mitteldarmdrüse (Leber) der Mollusken.
Im Auszuge mitgetheilt von Dr. Johannes Frenzel
in Berlin.
Mit Tafel 1.
Im Anschluss an eine Untersuchung: Ueber die Mitteldarm-
drüse der Crustaceen !) begann ich fast gleichzeitig, mich mit der
gleichen Drüse der Mollusken zu beschäftigen, wozu mir Dank
der Fürsorge der Zoologischen Station in Neapel überaus günstiges
Material geboten wurde. Nachdem ich nunmehr diese letztere
Untersuchung fertig gestellt und zur Veröffentlichung vorbereitet
habe, möchte ich in Folgendem einen kurzgefassten Auszug daraus
mittheilen, da sich wahrscheinlich des grösseren Umfanges wegen
ihre Herausgabe noch einige Zeit verzögern wird. Dieser Auszug
soll nur die hauptsächlichsten Resultate wiedergeben, und in Be-
treff aller Einzelheiten und weiterer Erörterungen sowie in Be-
1) Ueber die Mitteldarmdr. der Crustaceen. Mittheil. aus d. Zoolog.
Station zu Neapel V 1. p. 50 ff. /
Ueber die Mitteldarmdrüse (Leber) der Mollusken. 49
treff der physiologisch-chemischen Seite muss ich auf das Spätere
verweisen.
Geschichtliches.
Obgleich schon im ersten Viertel unseres Jahrhunderts Jo-
hannes Müller!) einige Angaben über den Bau der sog. Mol-
luskenleber machte, so wurden doch erst von Meckel?) genauere
mikroskopische Untersuchungen über dieses Organ im Jahre 1846
angestellt, nachdem Schlemm?) und Karsten*) kurz vorher
Aehnliches versucht hatten. Leydig’), Leuckart®), Gegen-
baur’), Claparede®), Lacaze-Duthiers?) und Hessling 1),
welche den anatomischen Bau irgend eines Mollusks oder einer
Gruppe von Mollusken erforschten, berührten unser Organ nur in-
soweit, als sein Verhältniss zu den übrigen Organen in Betracht
kam. Theils beriefen sie sich daher nur auf ältere Angaben, theils
führten sie dieselben auch weiter aus, wobei aber mannichfaltige
Widersprüche und Unklarheiten nicht zu vermeiden waren.
Während in der Zwischenzeit die chemisch-physiologischen
Eigenschaften der Molluskenleber nicht ganz unberücksichtigt blie-
ben, so vergingen doch viele Jahre bis in derselben Weise wie
1) De Glandularum secernentium structura pernitiori ete. Lipsiae 1830.
2) Mikrographie einiger Drüsenapparate niederer Thiere. Müller’s
Archiv 1846. p. 1 ff.
3) De hepate ac bile Crustaceorum et Molluscorum. Berlin 1844.
4) Disquisitio mieroscopica et chemica Hepatis et Bilis Crustaceorum et
Molluscorum. N. A. Ac. Caes. Leop. Car. 1845. XI p. 295.
5) Ueber Paludina vivipara ete. Zeitschrift f. wissensch. Zoologie II 1850.
Ueber Cyclas cornea. Müller’s Archiv 1855 p.47 ff. — Lehrbuch der Histo-
logie des Menschen und der Thiere. 1857.
6) Zoologische Untersuchungen. Giessen 1854. 3. Heft.
7) Untersuchungen der Pteropoden und Heteropoden. Leipzig 1855.
8) Anatomie und Entwicklang der Neritina fluviatilis. Müller’s
Archiv 1857. — Beitrag zur Anatomie von Cyclostoma elegans. Müller’s
Archiv 1858.
9) Histoire de l’organisation et du d&veloppement du Dentale. Annales
des Sciences Naturelles. IV. serie. Zoologie VI p. 223. — Histoire de l’orga-
nisation, du developpement, des moeurs et des rapports zoologiques du Den-
tale. Paris 1858.
10) Die Perlmuschel und ihre Perlen ete. Leipzig 1859.
Archiv f. mikrosk. Anatomie. Bd. 25. 4
50 Johannes Frenzel:
vorher von Sieard!) und Sabatier?), 1874 und 1877, das Drü-
senepithel von Zonites algirus und von Mytilus eine nur oberfläch-
liche Berücksiehtigung erfuhr, und erst als bald darauf unser
Wissen über die Funktion dieses Organs durch Hoppe-Seyler,
Frederieq und Krukenberg erheblich gefördert worden war,
gelang es Barfurth?) mit Anwendung neuerer Untersuchungs-
methoden auch über das Epithel desselben mehr Licht zu ver-
breiten, obwohl auch er sich nur auf einige Gastropoden beschränkte.
In Nachfolgendem sollen die Untersuchungen Barfurth’s an
einem umfangreichen Material weitergeführt werden, da nur ein
solehes im Stande ist, genaueren Aufschluss über den Bau und die
Thätigkeit eines so allgemein verbreiteten Organs wie der Mittel-
darmdrüse zu geben, welche sich in irgend einer Form durch den
ganzen Typus der Mollusken hindurch verfolgen lässt.
Von den hier in Betracht kommenden Spezies sind besonders
die Nachfolgenden genauer berücksichtigt worden.
I. Lamellibranchiata.
Östrea adulis; Peceten Jacobaeus; Mytilus edulis; Venus ver-
rucosa; Cytherea (Artemis) exoleta; Mactra helvacea; Soleeurtus
strigilatus; Cardita sulcata.
II. Scaphopoda.
Dentalium Dentalis.
III. Gastropoda.
Chiton sieulus (variegatus); Patella coerulea; Fissurella graeea;
Haliotis tubereulata; Paludina vivipara; Vermetus gigas; Natica
millepunctata; Cerithium vulgatum, Dolium galea; Tritonium eu-
taceum; Pterotrachea mutica. — Helix pomatia; Arion empirico-
rum. — Bulla (Haminea) hydatis; Gasteropteron Meckelii, Scaphan-
der lignarius; Aplysia limaeina, A. punetata; Pleurobranchaea
Meckelii; Pleurobranchus Meckelii; Umbrella mediterranea ; Doris
tubereulata; D. argus; Chromodoris spee.; Marionia tethydea;
Tethys leporina; Aeolis spec.
1) Recherches anatomiques et histologiques sur le Zonites algirus.
Annales des Sciences Naturelles VI serie. I 1874. Art. 3.
2) Anatomie de Ja Moule commune. ebenda serie X; tome V; 1877.
3) a) Die „Leber“ der Gastropoden, ein Hepatopankreas. Zoolog. An-
zeiger 1880 p. 499. — b) Ueber den Bau und die Thätigkeit der Gastropo-
denleber. Archiv f. mikrosk. Anatomie 1883. — c) Die Exkretionsorgane
von Cyelostoma elegans. Zool. Anzeig. 1883 p. 652.
Ueber die Mitteldarmdrüse (Leber) der Mollusken. 51
IV. Pteropoda.
Hyalea tridentata.
V. Cephalopoda.
Octopus vulgaris; Eledone moschata; Sepia offieinalis.
Barfurth’s „Leberzellen* mögen Körnerzellen, seine „Fer-
mentzellen“ Keulenzellen oder keulenförmige Fermentzellen genannt
werden. Für die dritte Zellart behalte ich den Ausdruck Kalk-
zellen bei.
Untersuchungsmethoden.
Die mikroskopisch-histologische Untersuchung des Drüsenge-
webes geschah grössentheils nach unmittelbarer Uebertragung des-
selben auf den Objektträger unter Zusatz von etwas Blutflüssig-
keit, die dem betreffenden Thiere durch Anschneiden des Körpers
entnommen wurde. Zu diesem Zwecke genügte bei den Seethieren
auch schon etwas verdünntes Seewasser, während Kochsalzlösung
von weniger als 1 %/, sich als zu salzarm erwies. Bei dieser Prä-
paration, auch wenn man die Vertheilung des Gewebes möglichst
vorsichtig bewerkstelligt, gehen zwar die meisten Zellen zu Grunde,
doch bleiben immer einige davon, so bei den Cephalopoden, Ha-
liotis, Seaphander ete. intakt; auch das zu einem Ballen vereinigte
Zellsekret bleibt meist leidlich gut erhalten. — Eine völlig befrie-
digende Härtung des Drüsengewebes konnte ich leider nicht er-
zielen, am wenigsten bei den Seemollusken. Am günstigsten zeigte
sich noch das Abtödten in Sublimat, welches in Aqua destillata,
Seewasser oder schwachem Alkohol gelöst war, dagegen erwies sich
die von Barfurth empfohlene Osmiumsäurebehandlung meist als un-
tauglich, da dies Mittel vor Allem nicht eindringt, so dass die äusse-
ren Theile des Objektes tief schwarz werden. Einigermassen gut
geeignet zum Conserviren waren die Apiysien, theilweise auch Um-
brella und Tethys, die Aeolidier, die Pulmonaten und ferner Chi-
ton, Haliotis, Patella und die Cephalopoden. Bei vielen Proso-
branchiern und anderen Mollusken wird das Gewebe hierbei je-
doch so bröcklich, dass es sich in Paraffin eingeschmolzen kaum
schneiden lässt. — Für die Färbung der Präparate ziehe ich hier
die Einzelfärbung der Schnitte vor, nachdem ich dieselben mittels
Chromgummi aufgeklebt habe, und da mir scheint, dass diese Auf-
klebeflüssigkeit vor anderen schon bekannten viele Vortheile besitzt,
so gebe ich ihre Herstellung und Anwendung kurz an. Man löst Gummi
53 Johannes Frenzel:
arabicum in Wasser zu einem dünnflüssigen Schleim und vermischt
diesen mit einer Lösung von Chromalaun in Wasser, wobei ein
Ueberschuss dieses Coagulationsmittels durchaus nicht schädlich
ist. Die Mischung wird mit etwas Glycerin versetzt, so dass sie
mit einem kleinen Pinsel auf den Objektträger aufgestrichen nicht
sofort eintrocknet, sondern ein bequemes Auflegen auch einer
srösseren Anzahl von Schnitten gestattet. Dieses Auflegen ge-
schieht, indem man die trocken oder feucht geschnittenen Paraf-
finpräparate mit dem Pinsel etwas antupft, dann ein wenig fest-
schmilzt und das Ganze bei mässiger Wärme (etwa 30 bis 45°C.)
einige Minuten bis höchstens !/, Stunde lang trocknen lässt, wo-
bei das Gummi in einen auch in Wasser unlöslichen Zustand über-
geführt wird. Das Paraffın wird jetzt in gewohnter Weise ent-
fernt, das Lösungsmittel desselben durch Alkohol verdrängt und
jede beliebige Färbung der Schnitte vorgenommen. Nur durch '
Fuchsin und Safranin wird die Klebeschicht in störender Weise
mitgefärbt, dagegen nicht durch die Hämatoxyline, Carmine und
übrigen Anilinfarbstoffe. — Nach dem Auswaschen des Tinktions-
mittels führt man das Präparat durch Alkohol, Xylol, Terpentinöl
oder dergl. in Balsam.
Bei der Untersuchung der Epithelbestandtheile unserer Drüse
sind mikrochemische Proben von grossem Werth, welche ich meist
in hergebrachter Weise durch einfaches Zufliessenlassen des Rea-
gens vornahm, wobei ich entgegen Barfurth’s Ausführungen !)
stets befriedigende Resultate erzielt habe. Sollte der Versuch länger
ausgedehnt werden, so wurde etwas Drüsensubstanz auf den Ob-
jektträger dünn aufgestrichen und durch einfaches Trocknenlassen
festgeklebt, worauf das Präparat beliebig lange Zeit in dem Reagens
liegen konnte.
Das Drüsenepithel.
2, Die Körnerzellen
Das Vorkommen dieser Zellart ist ein ganz allgemeines, und
nur der Klasse der Cephalopoden fehlt sie gänzlich. Jede Zelle
enthält ausser dem Protoplasma und dem Kern einen meist geson-
derten blasenartigen Ballen, welcher eine Anzahl mehr oder
minder stark gefärbter Körner, grössere und kleinere Fett-
kugeln und oft zahlreiche Körperchen einschliesst, die Eiweiss-
1) Biolog. Centralblatt. 1883. p. 436.
Ueber die Mitteldarmdrüse (Leber) der Mollusken. 55
klümpchen heissen mögen. Die farbigen Körner sind der cha-
rakteristische Bestandtheil der Zellen.
Die Grösse der Körnerzellen, wenn man ihren Durch-
messer oder ihre Höhe (Länge) misst, zeigt bei den meisten Mol-
lusken grosse Uebereinstimmungen, indem der Durchmesser zwi-
schen 30 bis höchstens 70 « schwankt. Bei Lamellibranchiern ist
er etwa 35 u, bei Prosobranchiern und Pulmonaten etwas grösser
und erreicht wie auch bei Vermetus bei den Opisthobranchiern
die grössten Werthe (Aplysia). Doch giebt es bei letzterer Ord-
nung auch sehr kleine Zellen, wie sich auch in Betreff anderer
Punkte gerade bei den Opisthobranchiern die grössten Verschieden-
heifen zeigen werden.
Die Gestalt der Körnerzellen ist in normalem Zustande
derselben schwer zu bestimmen, da die Zellen überaus leicht zer-
stört werden oder ihre Form verlieren, indem sie sich zur Kugel-
gestalt abzurunden streben. Gut erhaltene Zellen sah ich öfters
bei Haliotis (Fig. 2) und Scaphander. Bei diesen Thieren, sowie
bei anderen, von denen Schnittpräparate hergestellt wurden, ist
die Gestalt eine eylindrische, um diesen Ausdruck beizube-
halten. Sie ist also, darauf kommt es hier am meisten an, weder
keulig noch spitz kegelförmig, der Fuss der Zelle hat vielmehr
etwa den gleichen Durchmesser wie der obere Theil derselben
“ (Fig. 2 bis 5).
Die Gestalt des in der Zelle liegenden Körnerballens
wird durch die Gestalt der ersteren bedingt; auch er wird beim
Freiwerden meist kugelig oder wenigstens eiförmig, Trotz des ver-
schiedenen Alters der Zelle ist doch die Grösse des Ballens relativ
immer annähernd dieselbe, so dass in jüngeren wie auch in rei-
feren Zellen der grösste Raumtheil von dem Ballen eingenommen
wird. Eine wirkliche Membran besitzt er nicht. Sein Inhalt
besteht zunächst aus kleinen meist braun gefärbten Körnern,
welche Barfurth irrthümlicher- oder ungenauerweise als „Bläs-
chen“ bezeichnet.
Die Anzahl dieser Körner in einem Ballen unterliegt ausser-
ordentlichen Schwankungen, selbst wenn es sich um eine und die-
selbe Species handelt. Sehr wenig Körner, etwa 4 bis 6 Stück,
finden sich bei Solecurtus, Pleurobranchus aurantiacus und Pleuro-
branchaea Meckelii, wo sie überall auch eine beträchtliche Grösse
besitzen; einige mehr, 5 bis 8 Stück, bei zahlreichen anderen Mol-
54 Johannes Frenzel:
lusken, wie Peeten, Capsa, Peetuneulus, Mactra, Pterotrachea, Fissu-
rella und Natica. Zahlreicher sind sie bei Chiton (10 bis 18 Stück),
Haliotis, Aeolis, Marionia (20 bis 25) ete., und in noch grösserer
Menge bei Aplysia und Pleurobranchus Meckelii.
Die Körner liegen meist von einander getrennt im Ballen;
doch bilden sie auch zusammenhängende Päckchen, wie bei Doris
spee., Notarchus und Cardita, ferner noch bei Cytherea, und, wie
es scheint, auch bei Patella coerulea.
Die Grösse der Körner, wenn wir nur die fertig gebil-
deten in Betracht ziehen, ist grossen Variationen unterworfen,
schwankt aber bei einer und derselben Molluskenspecies nur
wenig, wenn man von einem besonderen Falle, dem einer Art von
Quellung, hier absieht. Legt man den Längendurchmesser zu
Grunde, so findet man die Grösse unter den Lamellibranchiern
bei Capsa = 8 bis 12 « (Quellung), Solen 3 bis 4 u, Cardita sul-
cata 8 u, Mytilus 4 «, Solecurtus 12 « (Quellung), unter den Sca-
phopoden bei Dentalium dentalis 4 bis 5 «, unter den Prosobran-
chiern bei Vermetus, wo sie sehr gross sind, 10 a, Fissurella
7 u, Haliotis 6 «, Chiton 3 « (die nicht gequollenen), Dolium 6
bis 8 «, Murex 4 bis 5 «. Von Heteropoden kommt nur Ptero-
trachea in Betracht, wo die Länge der Körner = 7 u ist, unter
den Opisthobranchiern ist sie bei Scaphander 6 u, Doris spec.
3 u, Marionia 5 «, Aplysia 5 u, Pleurobranchus Meckelii 6 u, Doris
argus 6 u, bei Tethys nur 3 « und bei Aeolis nur 4 u, bei Pleuro-
branchus aurantiacus dagegen 12 u, wie auch bei Pleurobranchaea
Meckelii. Auch bei den Pteropoden, wo sie quellen, können
sie von 5 bis zu 10 und 12 « erreichen.
Die Gestalt der Körner ist eine rundliche, der Kugel mehr
oder weniger angenäherte. Fast kreisrund ist ihr Querschnitt
(Fig. 6) bei den Lamellibranchiern, z. B. bei Pecten, Mytilus,
Venus, ferner auch bei einigen Prosobranchiern, wie bei Trito-
nium und Chiton sowie bei gewissen Opisthobranchiern(Aplysia,
(Fig. 10), Marionia). Eckig, aber doch fast isodiametrisch sind
sie bei anderen Mollusken, so bei Haliotis (Fig. 8), Vermetus und
Soleeurtus. Hiermit im Zusammenhang steht die oberflächliche
Begrenzung der Körner (ihr Contur). In einigen Fällen ist sie
ganz eben und glatt, wie bei Peeten u. A., ferner auch annähernd
so bei Aplysia, Solecurtus, Solen, Mytilus und andern Lamellibran-
chiern. Bei den meisten Prosobranchiern hingegen besitzen sie
Ueber die Mitteldarmdrüse (Leber) der Mollusken. 55
eine mehr runzlige Oberfläche, so bei Fissurella, Dolium und
Tritonium, denen sich die Heteropoden, Pulmonaten und viele
Opisthobranchier wie Scaphander, Tethys, Aeolis u. s. w. an-
schliessen.
Die Körner besitzen eine ganz bestimmte, sie charakterisi-
rende Färbung, die fast bei jeder Species, ja fast bei jedem In-
dividuum wechselt. Es finden sich Abstufungen vom hellsten Gelb-
braun zum Grünbraunen oder Rothbraunen, oder zum Ca-
cao- oder Sepienbraunen hin. Je reifer das Korn ist, um so
intensiver ist seine Farbe. — Kräftig rothbraun bis cacaobraun
gefärbte Körner besitzen Vermetus, Aplysia, Cleodora und Tiede-
mannia; schwächer aber sonst ebenso gefärbte Körner besitzen
Chiton, Hyalea und Doris argus. — Gelbliehbraun und nicht
sehr dunkel sind sie bei Haliotis, Dolium, Fissurella, Patella und
Capsa; noch heller erscheinen sie bei Venus, Cytherea, Solen,
Natica, Tethys, Aeolis und Pterotrachea. Ganz hell und fast
farblos waren die Körner oft bei Umbrella, Doris spee., Pleuro-
branchus testudinarius und Pleurobranchaea Meckelii. Bei diesem
kommen in anderen Individuen jedoch auch sepienbraune
Körner vor. — Bei vielen Lamellibranchiern ist die Färbung der-
selben eine mehr braungrüne, so bei Venus, Solecurtus und Peecten.
— Bei Tethys waren sie einmal intensiv rubinroth.
Die farbige Substanz ist nicht ganz gleichmässig im Korne
vertheilt, sondern bildet hellere und dunklere Flecken (Fig. 10),
oft mit gerüstartiger Anordnung, wie bei Cardita. Auch zwei
von einander getrennte Farbstoffe kommen vor, jedoch nur,
wie es scheint bei Umbrella, wo das hellgelbbraune Korn
‚ einen oder 2 grosse rothbraune Klumpen enthält. — Mit der Fär-
bung in direktem Zusammenhang steht die Fähigkeit der Körner,
das Licht zu brechen, denn je stärker sie gefärbt sind, um so
höher ist diese Fähigkeit. — Man kann den Farbstoff mit Alcohol
oder dergl. extrahiren, wodurch das Lichtbrechungsvermögen so-
fort verloren geht, und daraus ist zu schliessen, dass das Stroma
des Korns aus einer farblosen, das Lieht schwach brechenden Sub-
stanz, der Farbstoff jedoch aus einer das Licht stärker brechenden
Materie besteht.
Die farbigen Körner enthalten in ihrem Innern, jedoch mehr
nach der Oberfläche zu, ungleichmässig vertheilt eine verschiedene
Anzahl von mehr oder weniger grossen, starklichtbreehenden
56 Johannes Frenzel:
und oft lebhaft gefärbten Gebilden, welche Granula genannt
werden mögen. Barfurth beschreibt dieselben wenig genau als
„gelblich gefärbte, krümelig aussehende, unregelmässig geformte
Körnehen“, und behauptet von ihnen, dass sie das eigentliche
Sekret der „Leberzellen“ seien.
Diese Granula kommen nur in den oben beschriebenen
Körnern vor; es kann aber umgekehrt Körner geben, denen die
Granula fehlen. Hierher gehören die unreifen Körner, ferner
viele der gequollenen, wie die bei Pecten, Solecurtus und Hyalea.
Oft sind sie so klein, dass man sie erst mit stärkeren Systemen
(Oelimmersion Winkel Y/,) wahrnehmen kann; bei Cytherea aber
fehlen sie höchstwahrscheinlich sogar völlig.
Für die Anzahl der Granula im farbigen Korn lassen sich
gewisse Normen aufstellen, so verschieden dieselbe auch ist. Im
Allgemeinen steht die Grösse in umgekehrtem Verhältniss zur
Anzahl, doch findet es sich häufig auch, dass bei geringerer
Grösse nur wenig Granula in einem Korn zu zählen sind. Auch
kommt der Fall vor, dass sebr grosse Granula in grosser Menge
vorhanden sind, so dass sie dicht gedrängt im Korn liegen, wie
sich dies bei Pleurobranchaea Meckelii zeigt. Ein regelrechteres
Verhalten weisen auf die Aplysien (Fig. 10), Pleurobranchus Meckelii,
die Doris-Arten und die Pulmonaten. In reiferen Körnern ferner ist
die Anzahl der Granula eine grössere als in unreifen.
Bei den Lamellibranchiern sind die Granula klein und
in geringer Menge zu zählen, z. B. bei Pecten. Bei den Proso-
branchiern ist das Verhältniss ein normaleres, sie sind klein aber
zahlreicher. Aehnlich ist es bei den Heteropoden (Fig. 8). Unter
den Opisthobranchiern zählte ich bei einer Doris tubereculata,
bei Umbrella und Tethys 8 bis 12 Granula, bei Aplysia 15 bis
25 Stück, bei einer Pleurobranchaea Meckelii sogar deren 40. Die
grösste absolute Menge von Granulis scheinen die Körner von
Haliotis zu enthalten, wo mehr als 55 zu zählen waren.
Die Grösse der Granula ist eine sehr geringe bei fast allen
Lamellibranchiern (Fig. 6) und Prosobranchiern. Bedeuten-
der ist sie bei denPulmonaten undHeteropoden, während sich
für die Opisthobranchier keine einheitliche Regel aufstellen
lässt, indem hier die kleinsten wie auch die grössten (Fig. 10)
Formen anzutreffen sind. Selbst in einem und demselben Korn
sind die Grössenverhältnisse oft recht verschieden. — Die geringste
Ueber die Mitteldarmdrüse (Leber) der Mollusken. 57
Grösse der Granula, welche sie überhaupt haben können, ist die,
dass sie bei etwa 650-facher Vergrösserung als kleine Pünktchen
sichtbar werden, wie etwa bei den Pteropoden, wo es allerdings
noch fraglich bleibt, ob die in Frage stehenden Körperchen wirk-
lich als unsere Granula anzusehen sind. Als deutlichere Punkte
hingegen erscheinen sie bei Peeten, Venus, Pterotrachea, Trochus,
Dolium, Haliotis, Fissurella, Scaphander, Marionia und zuweilen
bei Tethys. Etwas grösser sind sie bei Chiton, Doris Johnstonii,
Solen, Vermetus, Cerithum, noch grösser dagegen bei Aplysia und
Pleuroblanchaea Meckelii, wo sie 3 bis 5 u erreichen können.
(Fig. 6 bis 10.)
Die äussere Gestalt der Granula ist eine sehr konstante
und kann meist‘ als eine kugelige oder ellipsoidische bezeichnet
werden, so dass sie in mittlerer Grösse meist Kugeln, in ex-
tremeren Fällen hingegen Ellipsoide bilden. — Die Oberfläche
der Granula ist völlig glatt, niemals runzlig.
Die Färbung der Granula entspricht meist der des Korns,
doch ist sie in der Regel intensiver. So ist oft das Korn ganz
hell, die Granula sind dagegen lebhaft gefärbt, z. B. bei Arion,
auch bei Doris argus, Chiton, Bulla, Cerithum u. s. w. — Ott
weicht aber die qualitative Färbung der Granula erheblich von
derjenigen des Korns ab, z. B. bei Doris tuber., wo einmal die
ersteren lebhaft rubinroth, das letztere hellgelbbraun aussah. Von
Tethys, Pleurobranchus und Umbrella lassen sich ähnliche Bei-
spiele anführen. So hatten bei letzterer die Körner einmal eine
chromgelbe, die Granula eine braunrothe Farbe. — Es findet sich
aber auch der Fall, dass die Granula weniger intensiv als die
Körner gefärbt sind, wie ich dies bei einer Pleurobranchaea beob-
achtete, wo die Granula ganz farblos erschienen.
Eine ganz charakteristische Eigenschaft der Granula ist ihr
Vermögen, das Licht stark zu brechen, wodurch sie sich
wesentlich von den Körnern unterscheiden; denn dieses Vermögen
wird nieht von dem Farbstoff bedingt, sondern ist eine Eigen-
thümlichkeit der Granulasubstanz selbst, da es auch beim Ent-
färben derselben bestehen bleibt.
Die Granula sind schliesslich völlig homogen, ohne weitere
Struktur, ähneln daber am meisten farbigen Oeltropfen.
In den meisten Fällen sind in den Körnern ausser den Gra-
nulis und etwaigen Farbstoffklümpchen (Umbrella) keine beson-
58 Johannes Frenzel:
deren Einschlüsse enthalten. — Nur zuweilen, bei gewissen Opistho-
branchiern, finden sich in den Körnern noch krystallartige
Stäbehen, so bei Pleurobranchaea Meckelii und namentlich bei
Tethys leporina. Stets waren diese Körner dann äusserst schwach
oder wohl gar nicht gefärbt, und enthielten bei Tethys auch
keine Granula. Daneben kamen aber bei letzterem Thiere auch
gefärbte Körner mit Granulis, aber ohne Krystalle vor. Bei Pleuro-
branchaea hingegen waren Granula und Krystalle auch in einem
und demselben Korne vereinigt, das hierbei gleichfalls blass
gefärbt erschien. -— Bei Tethys fanden sich die Krystalle zu jeder
Jahreszeit, bei Pleurobranchaea hingegen nur im Sommer, was
vielleicht aber eine ganz zufällige Erscheinung ist. |
Die Form der Krystalle ist meist die eines Stäbchens, des-
sen beide Enden oft abgerundet oder zugespitzt sind. Sie berühren
mit diesen Enden meist die Wand des Korns, in dem sie liegen. Ihr
Aussehen ist in allen diesen Fällen das gleiche, sie sind durchaus farb-
los und starklichtbrechend. — Ihr chemisches Verhalten ist wie folgt:
In concentrirten (Salzsäure, Schwefelsäure und Essigsäure)
und in verdünnten Säuren (Essigsäure) bleiben sie unverändert.
Durch Ammoniak und Kalilauge (5°/,) werden sie langsam gelöst.
Schnell löslich sind sie in Alcohol abs., Aether, Chloro-
form und andern Fettlösungsmitteln.
Nicht verändert werden sie durch Wasser bei gewöhnlicher
Temperatur, beim Erwärmen jedoch verschwinden sie.
Aus diesen Reaktionen kann man schliessen, dass es Kry-
stalle eines fettartigen Körpers sind.
Die Entstehung der farbigen Körner und ihrer Granula
findet innerhalb des Zellballens statt. Die jüngeren Körner
unterscheiden sich von den reiferen hauptsächlich durch ihre ge-
ringere Grösse, durch ihre blassere Färbung und durch eine
geringere Anzahl von eingeschlossenen Granulis. Sie liegen meist
im Fusstheile des Zellballens, verstreuen sich jedoch auch zwischen
die andern Körner. Die Qualität ihrer Färbung entspricht meist
derjenigen des reifen Korns, nur ist die Intensität derselben eine
in absteigendem Maasse schwächere. Allein Aplysia macht hier-
von eine Ausnahme, indem hier die jungen, unreifen Körner leb-
haft grün erscheinen, während auf der einen Seite die jüngsten
und kleinsten fast ganz farblos sind und halbreife auf der anderen
Seite grünbraun aussehen. — Die jungen Körner entbehren über-
[er
ie}
Ueber die Mitteldarmdrüse (Leber) der Mollusken.
all der Granula; diese treten vielmehr erst bei weiterem Wachs-
thum eins nach dem andern auf, wie sich dies bei Chiton, Doris
tub., Pleurobranchaea Meck. u. s. w. am besten zeigt. (Fig. 1, 3.)
Bei vielen Mollusken geht mit den reifen Körnern eine
eigenthümliche Veränderung vor sich, die einer Quellung
nieht unähnlich ist und daher als eine solche bezeichnet werden
möge. (Fig. 1.) Sie ist am meisten verbreitet bei den Lamelli-
branchiern (Pecten, Solecurtus, Capsa), fand sich unter den Proso-
branchiern nur bei Chiton, wurde vermisst bei Heteropoden, kommt
dagegen aber auch einigen Opisthobranchiern zu, wie z.B. Tethys
und Pleurobranchus aurantiacus. Schliesslich scheint dieser Vor-
sang auch bei den Pteropoden ein allgemeiner zu sein. — Er
seht meist in der Weise von Statten, dass sich die reifen Körner
nach und nach um das mehrfache ihres Volumens vergrössern,
wobei sie völlige Kugelgestalt annehmen und eine ganz ebene
Oberfläche erhalten, auch wenn dieselbe vorher runzlig war. Der
Radius des vergrösserten Korns kann um das Doppelte zuge-
nommen haben, so dass das Volumen desselben etwa das achtfache
wird. — Dieses Wachsthum beschränkt sich jedoch auf das
Stroma des Korns, indem die farbige Substanz an demselben
nicht theilnimmt, sondern vielmehr in kleinen strangartig zu-
sammenhängenden Partikeln vertheilt ist. — Ob sich die Substanz
desKornstromas hierbei geändert hat, ist ungewiss. — In mehreren
Fällen z. B. bei Chiton und Tethys verschwindet auch die in
dem einen Falle braunroth, im anderen Falle rubinroth gefärbte
Materie völlig bei dieser Quellung, so dass in der homogen ge-
wordenen schwachlichtbrechenden farblosen Kugel nur noch die
ungleichmässig vertheilten Granula übrig bleiben.
Eine ganz eigenthümliche Erscheinung liess sich bei Doris
tubereulata beobachten, wo während des Sommers in den Körner-
ballen grosse bläuliche und klare Kugeln zu sehen sind. Von
diesen wurden die in unserem Falle gelbgefärbten Körner,
welche grosse rubinrothe Granula besitzen, umgeben und ein-
geschlossen und schliesslich zum Verschwinden gebracht,
so dass dann nur noch diese letzteren Granula in den unver-
ändert aussehenden blauen Kugeln übrig blieben. (Fig. 3.
Eine ganz abweichende Form der gefärbten Körner fand sich
in mehreren Fällen bei jungen Aplysien, wenn dieselben etwa
eine Länge von 2 bis 4 cm Länge hatten. Hier fehlen nämlich
60 Johannes Frenzel:
sowohl die normalen braunrothen Körner und deren grüne
Jugendformen, und als Ersatz hierfür liegen im Ballen eine ent-
sprechende Anzahl von kupferfarbigen starklichtbrechenden
Kugeln oder gar krystallartigen Körpern. In andern Fällen hin-
gegen, hei ebenso kleinen Individuen, sind sowohl diese Gebilde
wie auch die farbigen Körner vorhanden, und zwar in derselben
Zelle vereinigt; und schliesslich finden sich ganz junge Thierchen,
bei denen man in Betreff der Körnerzellen gar keinen Unter-
schied von den erwachsenen Aplysien wahrnehmen kann. — Die
Form dieser Ersatzkörner ist meist eine kugelige oder eirunde,
zuweilen auch die eines kurzen Stäbehens mit abgerundeten Ecken.
Oft schon im frischen Zustande, meist aber bei Behandlung mit
Chloroform, Wasser ete. erscheinen diese Körper auch in krystalli-
nischer Struktur als drei-, vier- oder meist sechseckige unregel-
mässige Figuren von derselben Farbe, welche bald eine mehr
weinrothe, kupferglänzende, zwiebelrothe bis orangerothe ist.
Chemische Eigenschaften der farbigen Körner etc.
Die farbigen Körner und die Granula besitzen gegen Re-
agentien ein höchst charakteristisches und für ihre Erkennung
wichtiges Verhalten.
Dureh cone. Salzsäure werden die reifen Körner gras- oder
blaugrün gefärbt (Cardita), so dass die Intensität dieser neuen
Färbung der ursprünglichen entspricht (Aplysia, Solecurtus). Es ist
jedoch augenscheinlich, dass nur die farbige Substanz des Korns
eine solche Veränderung erfährt, indem das farblose Stroma farb-
los (Cardita) bleibt. Meist bringt dann die concentrirte Säure
eine weitergehende Veränderung hervor, indem sie mehr oder we-
niger schnell lösend auf den nunmehr grün gewordenen Farbstoff
einwirkt oder ihn mit der Zeit auch völlig zerstört. Hierbei scheint
das Kornstroma seine frühere Festigkeit zu verlieren, indem es
weich wird, seine Form wechselt, sich etwas auseinanderbreitet
oder quillt. Eine wirkliche Lösung des Korns tritt jetzt bei
Aplysia z. B. noch nicht ein, dagegen geschieht dies beim Erhitzen
über der Flamme. Schneller lösen sich die Körner bei Pleuro-
branchaea. — Im Gegensatz zu dem Kornfarbstoff wird derjenige
der Granula erst nach längerer Einwirkung der Säure in der-
selben Weise umgewandelt. Eine Lösung der Granula scheint
nicht einzutreten.
Ueber die Mitteldarmdrüse (Leber) der Mollusken. 61
Bei Anwendung von verdünnter Salzsäure tritt dasselbe Re-
sultat ein, jedoch entsprechend langsamer und in geringerem Grade.
Von der Wirkung concentrirter Schwefelsäure gilt im
Allgemeinen dasselbe, was oben gesagt worden ist. Die Grünfär-
bung tritt jedoch meist schneller auf; eine Lösung der Aplysien-
körner scheint auch schon bei gewöhnlicher Temperatur statt zu
haben. — Auch in dieser Säure sind die Granula selbst beim
Erhitzen unlöslich (Aplysia); nur bei einigen Mollusken (Vermetus)
ist dies nicht der Fall.
Aehnlich wie die vorigen Reagentien verhält sich Salpeter-
säure. Gar keine Einwirkung hingegen lässt Osmiumsäure
erkennen. Essigsäure gibt in seltneren Fällen eine ähnliche
Reaktion wie Salz- und Schwefelsäure; meist tritt nur eine Ent-
färbung ein, wozu auch längere Zeit nöthig ist.
Ammoniak übt auf die farbigen Körner eine geringe Wir-
kung aus, denn der Farbstoff verblasst meist erst nach längerer
Zeit (Capsa, Vermetus). Eine Auflösung des Kornstromas scheint
nur zuweilen vor sich zu gehen (Doris). — Die Granula bleiben
in allen Fällen völlig unverändert.
Noch geringere Erfolge lassen sich mit 5%,-iger Kalilauge
erzielen, selbst wenn man die Körner in dieser Flüssigkeit erhitzt
(Aplysia). Ein allmähliches Verblassen des Farbstoffs findet schliess-
lich statt.
Durch Aleohol werden die Körner recht langsam und auch
nur unvollständig entfärbt, die Granula bleiben fast unver-
ändert, und nur bei langer Einwirkung verblassen auch sie.
Eine schnellere Entfärbung wird hervorgerufen durch
Aether, Chloroform u. s. w., doch ist auch hier dieselbe oft keine
vollständige.
Glycerin wirkt im Gegensatz zu Barfurth’s Angaben ähn-
lich wie Alcohol, nur noch langsamer.
Dasselbe lässt sich von Wasser aussagen.
Beim Erhitzen werden die Körner erst grünlich gefärbt;
dann verkohlen sie, verbrennen und hinterlassen einen schwer
sichtbaren geringen farblosen Rückstand, welcher sich in verdünn-
ten Säuren sofort löst. Die Granula hingegen verbrennen total.
Die unreifen Körner verhalten sich im Allgemeinen wie
die reifen, und da sie weniger Farbstoff enthalten, so werden
sie schneller entfärbt.
62 Johannes Frenzel:
Durch Farbstofflösungen wie z. B. durch Hämatoxylin
oder durch die verschiedenen Carmine lassen sich die farbigen
Körner wie auch die Granula kräftig tingiren. Diese Flüssigkeiten
werden jedoch nur von der farbigen Substanz aufgenommen,
das Stroma selbst wird kaum gefärbt.
Die oben besprochenen modifizirten Körner junger Aply-
sien werden gleichfalls durch Säuren kaum angegriffen; ihr
Farbstoff wird jedoch extrahirt. Durch Ammoniak hingegen
werden sie bald gelöst, durch Alcohol, Chloroform und Aether
etwas entfärbt. Wahrscheinlich werden sie durch diese Substauzen
wie auch durch Wasser in die krystallartige Form übergeführt.
Ausser den farbigen Körnern sind in den Körnerzellen-
ballen vieler Mollusken noch Fettkügelchen enthalten. Diese können
unter sich von annähernd derselben Grösse sein, wie bei Sole-
eurtus, oder sie variiren von den kleinsten Granulis bis zu einem
ziemlich konstanten Maximum hin (Aplysia). Oft sind sie eben
so gross wie die Körner (Bulla), meist jedoch sind sie bedeutend
kleiner z. B. bei Haliotis, Vermetus, Mytilus, Arion.ete. In vielen
Fällen kann das Fett auch fehlen, wie bei Hyalea, Tethys ete. —
Recht verschieden ist in den reifen Ballen die Menge des Fettes
resp. die Anzahl der Fettkugeln. So ist z. B. bei Soleeurtus der
freie Theil des Ballens davon ganz vollgepfropft,/während sonst,
wie bei Chiton, nur wenig Kügelehen vorhanden sind. In diesem
Falle liegen sie im Fusstheile des Körnerballens. — Fast immer
sind diese Fettkugeln gänzlich farblos und nur Aplysia und Bulla
machen hiervon eine Ausnahme, indem sie hier theils goldgelb,
theils rothbraun sind. (Fig. 1—3.)
Bei Doris tubereulata, Pleurobranchus aurantiacus, Aeolis
und Hyalea scheinen diese Fettbestandtheile auch in krystallini-
scher Form aufzutreten und gleichen dann denjenigen, welche sich
wie oben erwähnt bei Anderen innerhalb der Körner finden. Diese
freien Fettkrystalle sah ich nur in der kälteren Jahreszeit (Tem-
peratur des Seewassers ea. 120 C.).
Ein ganz eigenthümlicher Bestandtheil der Körnerballen sind
schliesslich noch die Eiweissklümpehen (Fig. 11), welehe aber
auch in den keulenförmigen Fermentzellen ebenso verbreitet sind.
Sie sind unregelmässig kugelig bis eiförmig mit runzeliger, zum
Theil auch tief eingeschnürter Oberfläche. Irgendwie gefärbt sind
sie nicht, haben vielmehr ein weissliches Aussehen und sind da-
Ueber die Mitteldarmdrüse (Leber) der Mollusken. 63
bei etwas durehscheinend, indem sie den Eindruck des geronne-
nen Eiweisses machen. Sie sind weniger stark lichtbrechend als
Fettkugeln. Ihre Grösse ist schwankend, doch übertrifft sie meist
die der farbigen Körner. Im Ballen der Körnerzellen nehmen sie
oft den obersten Theil ein z. B. bei Haliotis und Scaphander.
Hier sind sie von den farbigen Körnern völlig gesondert. — In
vielen reifen wie unreifen Körnerzellen sind solche Eiweissklümp-
chen niemals anzutreffen; oft finden sie sich nur in letzteren, in
den unreifen Zellen. Constant scheint ihr Vorkommen zu sein
bei Haliotis, Scaphander, Bulla, Dolium, Murex etc. Völlig mangeln
sie hingegen den Aplysien, Tethys und wahrscheinlich sämmtlichen
Lamellibranchiern, Pteropoden und Pulmonaten. Ihre grösste Ver-
breitung haben sie bei den Prosobranchiern.
Die chemischen Eigenschaften der Klümpehen sind wie folgt:
Dureh verdünnte Säuren werden sie gelöst, wobei sie meist
quellen (Essigsäure).
Ebenso werden sie durch Ammoniak, Kalilauge und
Soda unter Aufquellen gelöst.
In Kochsalzlösung von 10 bis 20°, bleiben sie unver-
ändert, selbst nach 20stündiger Einwirkung. Dasselbe gilt von
Seewasser, destillirtem Wasser (auch kochend angewendet),
ferner. von kaltem und warmem Alcohol, Chloroform u. s. w.
Dureh Jodjodkalium werden sie gelbbraun gefärbt, durch
Osmiumsäure leicht gebräunt.
Beim Verbrennen verschwinden sie fast völlig.
Schliesslich sei noch der bläulichen Kugeln gedacht,
welche sich in Sommerexemplaren von Doris tubereulata fanden.
Ihre Farbe ist bald mehr roth-violett oder blau-violett, bald mehr
azurblau. Sie sind von verschiedener Grösse, welche die der an
und für sich schon riesigen farbigen Körner bei weitem übersteigt.
Das Innere der Kugeln ist völlig homogen, wasserklar, und macht
den Eindruck einer Flüssigkeit. Es finden sich ihrer mehrere,
etwa 12 bis 16 Stück in einem Zellballen. — Bei Behandlung mit
Reagentien zeigen sie Folgendes: Durch cone. Säuren wird ihre
Farbe in eine grünliche verwandelt, welche bald verschwindet,
ohne dass die Kugel selbst gelöst wird. Eine solehe Lösung tritt
jedoch schnell in Ammoniak und auch in Kalilauge ein.
10°%/,-ige Kochsalzsolution bewirkt nur eine Schrumpfung ;
Alkohol, Chloroform u. s. w. extrahiren den bläulichen Farbstoff
wie auch Glycerin.
64 Johannes Frenzel:
Jod färbt die Kugeln gelbbraun. — Vielleicht haben wir es
auch hier mit einem eiweissartigen Körper zu thun.
Ebenso vereinzelt wie das Auftreten dieser blauen Kugeln
ist dasjenige eines Kalkkörpers bei Haliotis, welcher in fast
jeder Körnerzelle dieses Thieres anzutreffen ist (Fig. 2). In der
Mitte des Ballens quer liegend scheidet er die oben gelagerten
Eiweissklümpehen von den unten liegenden angehäuften farbigen
Körnern. Er ist von ansehnlicher Grösse, etwas länger als die
Zelle breit ist. Seine Form ist länglich eiförmig mit mehreren
Einschnürungen. Dieser Körper ist stark lichtbrechend, erscheint
meist homogen, zeigt aber oft eine concentrische Schiehtung. —
In seinem chemischen Verhalten gleicht er den sog. Kalk-
kugeln aus der dritten Epithelzellart völlig.
Der im Obigen behandelte Körnerballen füllt den grössten
Theil seiner Zelle aus, so dass nur noch wenig Raum für das Zell-
protoplasma und den von diesem umgebenen Kerm übrigbleibt.
Dieser liegt immer im Fusstheile der Zelle (Aplysia ete.). Die
Grösse desselben ist im Verhältniss zu derjenigen der ganzen Zelle
eine recht unbedeutende; so ist sein Durchmesser bei Tethys
—= 8 u (Zelle ca. 30 u), bei Patella = 7 « (Zellhöhe = 60 u).
Seine Gestalt ist kugelig oder ellipsoidisch. Meist besitzt er eine
Struktur in Form eines grossmaschigen Netzwerks; niemals je-
doch eine andere, welche auf karyokinetische Vorgänge einen
Schluss erlaubte.
Die freie, dem Drüseninnern zugewendete Oberfläche des
Epithels wird von einem alle Zellen gleichmässig überziehenden
Härchensaum bedeckt, welcher bald aus kurzen, einen niedrigen
Deckel bildenden Härchen, bald aus langen starren Borsten
(Cephalopoden), bald aber auch aus lebhaft schwingenden
langen Wimpern zusammengesetzt wird. Kurz sind die Härchen
in der Mehrzahl der Fälle, so bei allen Lamellibranebiern, Proso-
branchiern, Pulmonaten, Heteropoden, Pteropoden und den meisten
Opisthobranchiern. Dabei sind sie so leicht zerstörbar, dass sie
nur unter besonders günstigen Umständen sichtbar sind, und nur
einige male sah ich sie in Form eines feinstreifigen Deckels auf den
unversehrten Körnerzellen von Scaphander und Haliotis(Fig. 2), sowie
auf den Keulenzellen von Gasteropteron. Bei Helix war dieser Deckel
Ueber die Mitteldarmdrüse (Leber) der Mollusken. 65
auch nach Härtung des Gewebes in Sublimat erhalten, wobei er
homogen oder feinkörnig geworden war. — Auf den Fermentzellen
der Cephalopoden hingegen sitzen Härchen, die um vieles dieker
und höher und zugleich widerstandsfähiger gegen äussere Einflüsse
sind. Ihre Länge beträgt 7 bis 9w«. — Ein echtes Wimper-
epithel schliesslich findet sich nach Lacaze-Duthiers bei
Pleurobranchus aurantiacus, und nach meinen Beobachtungen auch
bei Pleurobranchaea Meckelii und Doris tubereulata (Fig. 3), fehlt
hingegen vielen, wenn nicht den meisten anderen Opisthobranchiern.
Diese Wimperhärchen sind noch um vieles länger als die starren Här-
chen der Cephalopoden, dagegen viel feiner (Fig. 2, 3, 5, 21, 30).
2) Die keulenförmigen Fermentzellen.
Das Epithel der Mitteldarmdrüse enthält noch eine zweite
Art von Zellen, welche von Barfurth als Fermentzellen bezeichnet
worden sind. Bei zahlreichen Mollusken sind diese Zellen so un-
gemein verschieden in ihrem Aussehen und in der Gestaltung ihres
Inhalts, dass man sie auf den ersten Blick für mehrere verschie-
dene Zellarten halten könnte. Es lässt sich aber zeigen, dass alle
diese Zellformen auf eine gemeinsame Grundform zurückgeführt
werden können.
Diese Fermentzellen haben eine ganz allgemeine Verbrei-
tung, mangeln vor allem nicht den Cephalopoden, wie es bei den
Körnerzellen der Fall war. Dennoch existiren Mollusken, wo sich
auch nicht einmal eine Andeutung derselben auffinden lässt, und
bei anderen Mollusken haben sie ein ganz abweichendes Aussehen,
so dass sie sich schwer mit ersteren zusammenstellen lassen. Sie
fehlen, wie auch Bela Haller angiebt, bei den Chitonen, ferner
bei Patella, wahrscheinlich auch bei Fissurella und bei den Ptero-
poden. Sehr zweifelhaft ist ihr Vorhandensein bei einer Reihe
von Lamellibranchiern z. B. bei Ostrea, Solecurtus, Mytilus u. s. w.,
sowie bei einigen Prosobranchiern, wie Murex und Fusus. Ab-
weichend sehen sie aus bei den Heteropoden, bei Dolium, Te-
thys und Marionia tethydea.
Wie die Körnerzellen so besitzen auch die Keulenzellen einen
meist gesonderten blasenartigen Sekretballen, welcher mehr oder
minder stark gefärbte Einschlüsse von flüssiger, schleimiger
oder halbfester Consistenz enthält. Ausser diesem Sekret finden
wir ferner Fettkügelchen, die schon beschriebenen Eiweissklümp-
Archiv f. mikrosk, Anatomie. Bd. 25, 5
66 Johannes Frenzel:
chen, sowie in einem Falle, bei Umbrella, auch würfelförmige Kry-
stalle.
Die Grösse dieser Fermentzellen beträgt unter den Lamelli-
branchiern bei Peeten d = 32 u, unter den Prosobranchiern bei
Tritonium und Limnaeus 40 u, bei Cerithium weniger, und bei Ver-
metus bedeutend mehr. Aehnlich ist die Zellgrösse bei den Pul-
monaten, während bei Opisthobranchiern grosse Verschiedenheiten
bestehen. So ist sie bei Bulla d = 30, bei Aplysia d = 30 bis
40 u, bei Pleurobranchus, Pleurobranchaea und Umbrella sogar
über 70 u. - Dieselben Werthe werden auch bei den Cephalopoden
erreicht. Im Allgemeinen sind also die Keulenzellen ebenso gross
wie die Körnerzellen (Lamllibranchier): bei Opisthobranchiern
sind sie meist etwas grösser. — Die riesigsten Zellen finden sich
dort, wo der Inhalt der complieirteste ist (Umbrella, Pleuro-
branchaea).
Die natürliche Gestalt der reiferen Zellen ist die einer
Birne oder Keule, deren breiter (oberer) Theil dem Lumen
zugekehrt ist. Jüngere Zellen sind mehr.ceyFindrisch und noch
jüngere spitzkegelförmig, die jüngsten fast isodiametrisch.
(Umbrella Fig. 24.)
Die Keulenzellen enthalten als Hauptbestandtheil einen va-
kuolen- oder blasenartigen Ballen, in dem erst das eigent-
liche Sekret liegt. Letzteres schwebt oft in einer farblosen oder
blass gefärbten Flüssigkeit, welche nicht wie Eiweiss durch Alko-
hol u. s. w. zum Gerinnen gebracht wird. Oft wird der Ballen
völlig von dem Sekret erfüllt z. B. bei Aplysia, so dass diese Flüs-
sigkeit fehlt. Dieses Sekret ist, wenn man die verschiedenen Mol-
lusken vergleicht, viel weniger gleichartig als das der Körnerzellen.
Innerhalb einer und derselben Molluskenart herrscht jedoch grosse
Gleichartigkeit.
Das farbige Sekret der Keulenzellen tritt theils in Form
homogener Kugeln, welche flüssig sind, theils in Form von
feinkörnigen Klumpen auf, welche halbfest sind. Die ersteren
kommen in ihrer typischen Gestalt nur selten vor z.B. bei Aeolis
(Fig. 14), Gasteropteron und Chromodoris. Sie liegen in grösserer
Anzahl in einem Ballen und sind ungefähr alle von derselben
Grösse. Ferner sind sie homogen, stark lichtbrechend und leb-
haft gefärbt, so dass sie denselben Eindruck wie bunte Oeltröpf-
chen machen. Bei Aeolis sind sie etwa 2 «u. gross, bei Chromo-
Ueber die Mitteldarmdrüse (Leber) der Mollusken. 67
doris 4 bis 5 u. Auch bei Doris tubereulata kommen zuweilen
ähnliche gelbgefärbte Kugeln vor. Bei Aeolis ist die Färbung
immer eine rothbraune, bei Gasteropteron eine intensiv grüne, bei
Chromodoris eine gelbe.
Häufiger ist es, dass die Fermentkugeln von verschiedener
Grösse sind, und je grösser sie werden, um so mehr verlieren sie
ihr klares, ölartiges Aussehen, indem sie oft feinkörnig trübe
werden. Hierher gehören die Keulenzellen von ‚Doris, Umbrella,
wo sie meist klar bleiben, sowie die von den Aplysien und Pleuro-
branchaea, wo sie meist ihr Aussehen in dieser Weise verändern.
Bei letzterem Thiere enthalten jüngere Zellen oft gelbe, orange-
farbene, braune, braungrüne oder schliesslich blaugrüne, öltropfen-
. artige Kugeln, welche bei zunehmendem Alter der Zelle weiter
wachsen, trübe werden, zusammenstossend sich abplatten und
schliesslich einen grossen Klumpen von meist dunkelbrauner Farbe
bilden (Fig. 20). Oft enthält Pleurobranchaea auch Zellen mit
mehreren grünen klaren Kugeln, welehe entweder excentrisch oder
eoncentrisch in eine ganz grosse ebenso gefärbte Kugel einge-
lagert sind. i
Bleibt bei dem Wachsthum der Fermentkugeln ihre Substanz
nieht mehr ölartig klar und flüssig, sondern wird sie trübe und
feinkörnig, so entsteht der Uebergang zur Klumpenform des
Ferments. Die Kugeln vereinigen sich dann entweder völlig, wie
z. B. bei Aplysia (Fig. 23) oder der Klumpen besteht noch aus
einzelnen Theilstücken, wie bei Pleurobranchaea (Fig. 20). Beides
scheint bei Umbrella vorzukommen. Die Färbung des Klumpens
ist meist eine kräftige, dunkle (Pleurobranchaea). Oft ist der In-
halt desselben gleichmässig feinkörnig wie bei Aplysia, oft un-
regelmässig grobkörnig wie bei Pleurobranchaea. Nicht selten zeigt
er eigenthümliche Strukturen wie bei Umbrella, Aplysia (Fig. 23)
und den Cephalopoden, : welche meist in concentrischen Schichtungen
bestehen. ;
Innerhalb der Fermentkugeln wie auch der Klumpen kommt
ferner eine ganz bestimmte Differenzirung vor, welche in festeren
krümelig aussehenden Körpern besteht. Diese Gebilde
fehlen vielen Mollusken ganz,. und finden sich nur bei einigen
Opisthobranchiern z. B. bei Aplysia, Doris, Pleurobranchus und
bei Pulmonaten. Bei Umbrella und Pleurobranchaea habe ich sie
nicht gesehen. Ihre Grösse ist überall annähernd dieselbe, etwa
68 Johannes Frenzel:
= 3 bis 5 a; ihre Anzahl ist verschieden je nach der Grösse des
Fermentkörpers, in dem sie liegen. Ist dieser eine kleinere Kugel,
so enthält er nur 2, 3 oder wenig mehr solcher Krümel (Pleuro-
branchus), ist er ein grösserer Klumpen, so kann er bis 20 Stück
enthalten. Ganz kleine Kugeln entbehren derselben meist noch.
— In einer und derselben Drüse zeigen sich sowohl Fermentkör-
per mit solehen Krümeln wie auch ohne dieselben. Bei manchen
Individuen fehlen sie auch gänzlich, während sie bei anderen sehr
reichlich auftreten, ohne dass sich für diese Verschiedenheiten ein
irgendwie annehmbarer Grund feststellen lässt.
Die Krümel sind halbfest flockige Körper und jedenfalls nicht
krystallinischer Natur. Sie sehen fast aus, wie geronnenes Ei-
weiss. Ihre Färbung stimmt mit derjenigen. des Fermentkörpers
genau überein, nur ist sie intensiver. Auch besitzen sie eine
grössere Lichtbrechungskraft. (Fig. 12, 13, 19.)
Bei Umbrella, Aplysia und Doris tubereulata können die Fer-
mentkörper kleine gleichfalls gefärbte nadelförmige Krystalle ent-
halten, welche zu sternförmigen Figuren angeordnet sind (Fig. 15, 19).
Sie erscheinen bei Aplysia z.B. nicht nur in einer und derselben
Drüse mit den Krümeln vergesellschaftet, sondern zuweilen sogar
auch in dieser Weise in einer und derselben Zelle. — Das Auf-
treten dieser Krystalle ist ebenso unabhängig von äusseren Um-
ständen wie das der Krümel. — Durch äussere Einflüsse verändern
die Krystallnadeln leicht ihr Aussehen, indem sie nämlich aus dem
krystallförmigen festen in einen amorphen flüssigen oder flüssig
erscheinenden Zustand übergehen. Hierbei entstehen zum Theil
gelbe Kügelchen oder Hohlkugeln und andere ähnliche Figuren.
Zellen, welche solche Krystalle oder Krümel in sich führen,
sind nicht wesentlich von den anderen Keulenzellen verschieden
und nicht etwa als eine besondere Zellart anzusehen. Hiergegen
spricht vor Allem, dass sich häufige Uebergänge zwischen diesen
drei Modificationen zeigen, ferner auch, dass die einen oder die
anderen das eine Mal völlig fehlen, das andere Mal ganz massen-
haft das Drüsengewebe erfüllen.
Eine ganz vereinzelte Erscheinung sah ich bei mehreren Exem-
plaren von Umbrella während einer kurzen Zeit im Frühjahr. Hier
lagen in den Fermentklumpen mehr oder minder beträchtliche
Anhäufungen von leuchtend rubinrothen Krystallen, während
die farbigen Körner zugleich rothbraune Farbstoffklümpchen auf-
Ueber die Mitteldarmdrüse (Leber) der Mollusken. 69
wiesen. Diese Krystalle schienen theilweise regelmässige Würfel
zu sein, theilweise waren es längere und kürzere Stäbe, welche
eng zusammengedrängt einen grossen Theil des Klumpens ein-
nahmen.
Bei einer Anzahl von Mollusken kommen noch andere, weniger
scharf eharakterisirte Einschlüsse im Fermentkörper vor, so bei
Pleurobranchaea und Aplysia grobe Granulationen, welche in ihrer
Grösse die Mitte halten zwischen den Krümeln und den feinen
staubförmigen Körnchen, aus denen die Klumpen sonst zu bestehen
pflegen. Etwas dem Aehnliches findet sich auch bei den Cepha-
lopoden. Bei Bulla, wo die Fermentkugeln noch flüssig zu sein
scheinen, enthalten dieselben weniger dicht liegende, also mehr
verstreute kleinere Granulationen.
Bei Aplysia, Umbrella, Helix und bei den Cephalopoden ist
eine eigenthümliche Modification der öltropfenartigen klaren Fer-
mentkugeln zu beobachten. Denkt man sich nämlich die Farbe
sowie das Lichtbreechungsvermögen des Inhalts dieser Kugeln
stark verringert, das Uebrige aber völlig unverändert, so erhält
man bläschenartige Flüssigkeitsvakuolen, deren Färbung oft eine
sanz minimale ist und in deren Inneren entweder jene Krümel
oder Krystallsterne wie gewöhnlich liegen. Besonders häufig ist
diese Form bei Umbrella, während bei Doris nur die normale zu
bemerken war. Die Cephalopoden hingegen enthalten nur die
hierhergehörige Form mit den blassen Kugeln (Fig. 13). Bei
Aplysia, Helix und den letzteren waren nur Krümel in diesen
Kugeln zu finden, bei Umbrella nur Krystalle. — Eine scharfe
Trennung der beiden Fermentkugeln ist nicht möglich, denn er-
stens scheinen Uebergänge von den einen zu den andern bei Um-
brella vorhanden zu sein, und zweitens giebt es hier Zellen mit
zum Theil öltropfenartigen und mit zum Theil vakuolenartigen
Kugeln. Die Färbung der letzteren ist oft eine äusserst schwache
(Aplysia), oft ist sie aber auch deutlich wahrnehmbar, wie bei
den Cephalopoden. Die Qualität der Färbung entspricht bei
Aplysia immer derjenigen der normalen Fermentkugeln; bei den
Cephalopoden ist dieselbe bald eine grünlichgelbe, bald eine bräun-
liehgelbe, bald eine mehr: violette. Bei diesen Mollusken sind die
Kugeln im Gegensatz zu den übrigen von annähernd derselben
Grösse ; in ganz grossen Ballen können daher bis 125 Stück eng
gedrängt liegen.
70 Johannes Frenzel:
Die Krümel, welche in den blassen Kugeln der Aplysien
liegen, sind meist stärker und mehr grünlich gefärbt als diejenigen
der andern Kugeln. Auch sind sie dort oft in grösserer Menge
vorhanden als hier. Bei den Cephalopoden hingegen enthält jedes
Kügelchen nur 2 bis 3 Krümel. Bei zunehmender Reife beginnen
in diesem Falle die Krümel selbst zu wachsen, bis sie schliess-
lich das ganze Kügelchen ausfüllen, wobei der flüssige Inhalt der-
selben verschwindet. Dabei nehmen sie in gleicher Weise eine
intensivere und dunklere Farbe an.
In den bisher genannten Fällen war das klumpige Sekret
‘immer auf ein öltropfenartiges zurückzuführen, ein Vorgang welcher
sich namentlich bei Pleurobranchaea an einer ganzen fortlaufen-
den Kette von Zellen nachweisen lässt. Wahrscheinlich findet hier
noch eine weitere Complication statt, indem sich innerhalb des
Ballens um eine Anzahl oder um sämmtliche Kugeln herum eine
blasenartige Vakuole bildet, welche nun ihrerseits wieder durch
allmähliche Anfnahme oder Bildung von Farbstoff zu einer ge-
färbten Kugel wird (Fig. 20).
Ein ähnliches Zusammenballen ursprünglich einzelner Stücke
zu einem Klumpen geschieht auch bei Bulla und Scaphander. Bei
diesem liegt in jüngeren Zellen eine blasenartige Vakuole, in
deren Mittelpunkt mehrere knollenartige zusammengebackte Körper
schwimmen, welche meist eine braungelbe Farbe besitzen (Fig. 17).
Sie sind trübe und besitzen eine ringförmige Schichtung. Bei wei-
terem Wachsthum pressen sich diese Kugelknollen dicht aneinan-
der und bilden so einen compaeten Klumpen, an dem die noch
wahrnehmbaren Furchen die vorige Trennung andeuten. — Ob hier
eine wirkliche Verschmelzung stattgefunden hat, bleibe zweifel-
haft; eine solche findet aber bei Aplysia und Doris statt. Denkt
man sich nun den Fall, dass von Anfang an nur eine einzige
flüssige Sekretkugel in dem Zellballen vorhanden ist und dass
diese schon frühzeitig ein feinkörnig trübes Aussehen annimmt, so
erhält man schliesslich eine reife Zelle, in der ein Klumpen
liegt, welcher nicht durch Zusammenfliessen von mehreren Theil-
stücken hervorgegangen ist. Dies ist zuweilen bei Aplysia der
Fall. — Häufiger ist es jedoch, dass der Fermentklumpen gleich
von Ursprung an eine festere Consistenz hat, wie sich dies ähn-
lich bei Scaphander und Bulla trifft. — Wahrscheinlich geschieht
dies zunächst bei Vermetus, in dessen Keulenzellen ein oder zwei
Ueber die Mitteldarmdrüse (Leber) der Mollusken. 71
dieselben zum grossen Theil ausfüllende Klumpen von kräftig
dunkelbrauner Farbe liegen, deren Inhalt immer ein feinkörniger
zu sein scheint. — Bei Cerithium und Natica umschliesst die reife
Zelle einen einzigen grossen Klumpen von gleicher Färbung, dessen
Consistenz auch bei jüngeren Zellen eine festere ist, grade wie
bei Tritonium nodiferum (Fig. 22), wo sich alle Entwicklungs-
stadien dieser Zellen zeigen, von denen schon ganz kleine ein ein-
ziges trübe aussehendes Klümpchen führen. Auch bei Peeten
dürften sich ähnliche Verhältnisse finden. Hier ist der Ferment-
klumpen dunkelbraungrün und besitzt eine gedrängte wellig con-
centrische Schichtung. Ferner werden sich wohl auch die von
Barfurth als exkretorische Zellen bezeichneten Epithelelemente
von Cyclostoma hier anreihen lassen.
Bei den Cephalopoden ist die klumpige Form des Zell-
inhalts die vorherrschende. Jüngere Keulenzellen besitzen hier
eine vacuolenartige Blase, welche je nach dem Reifezustande einen
kleineren oder grösseren braun gefärbten Klumpen umschliesst.
Dieser enthält weitere Einschlüsse in Form von Krystallstäben,
öltropfenartigen Kugeln u. s. w. (Fig. 21). Auch hier besteht der
Klumpen. wahrscheinlich von Anfang an aus einer feinkörnigen
Masse, welche jedoch von etwas ungleichartiger Zusammensetzung
ist. Ganz allgemein verbreitet treten krystallartige Gebilde im
Klumpen auf. Sie bestehen aus langen Nadeln oder Stäben, welche
zu mehreren vereinigt sich zum Theil durchkreuzen, zum Theil
aber auch von einem Punkte radiär ausstrahlen. Sie sind völlig
farblos und viel grösser und massiger als die Krystallsternehen
der Umbrellen und Aplysien. Jüngeren Zellen gehen sie noch ab,
auch fehlen sie vielen sonst ganz wie gewöhnlich gestalteten Fer-
mentklumpen. |
‘ Ein wirklicher Uebergang zwischen dieser Zellform und den-
jenigen schon genannten Zellen mit krümeligem Inhalt der ein-
zelnen Bläschen ist nicht vorhanden. Dennoch darf man beides
wohl nicht für zwei grundverschiedene Zellarten ansehen, zumal
es doch gewissermassen Zwischenformen giebt (Sepia offieinalis),
wo die flüssige gelbbraune Sekretkugel mehrere dunkelrothe krü-
melartige Körper einschliesst.
Einen noch höheren Grad von Festigheit als in den zuletzt
genannten Fällen besitzt der Inhalt der Keulenzellen von Marionia
und Tethys. Bei beiden liegt im oberen angeschwollenen Theile
72 Johannes Frenzel:
der Zelle eine grosse vakuolenartige Blase, welche aus einer farb-
losen (Marionia) oder hellbraunen (Tethys) wasserklaren Flüssig-
keit besteht. In dieser’ Flüssigkeit schwimmt der Sekretklumpen
(Fig. 18). Das Protoplasma ist im spitzen Ende der Zelle ange-
sammelt; es enthält keine Eiweissklümpehen und wohl auch keine
Fettkugeln, dagegen den ovalen Kern. Die Blase ist schon in
ganz jungen Zellen zu sehen, das Sekret tritt jedoch erst recht
spät auf; es vergrössert sich bei zunehmender Reife mehr und
mehr, bis es bei Marionia die Blase fast völlig verdrängt. Das-
selbe ist meist von kugeliger Gestalt und hat bei Marionia auch
eine völlig glatte, abgerundete Oberfläche, während es bei Tethys
unregelmässig zackig, wie angefressen erscheint. Die Regel scheint
zu sein, dass nur eine einzige derartige Sekretkugel innerhalb
einer Zelle liegt. Ihre Färbung ist bei Marionia eine kräftig gelb-
bis orangebraune, bei Tethys eine mehr rothbraune bis chocoladen-
farbene und intensivere. Bei ersterem Mollusk sind die Kugeln
fast so stark lichtbrechend wie Oeltropfen, jedoch nicht wie diese
durchsichtig, sondern nur wachsartig durchscheinend. Besonders
charakteristisch ist ihre Sehiehtung, welche aus einer geringen
Anzahl (5 bis 6) eoneentrischer Ringe besteht. Vergesellschaftet
damit ist noch eine andere Struktureigenthümlichkeit, welche bei
Marionia für gewöhnlich nicht sichtbar ist, bei Tethys aber jene
Sehiehtung oft überwiegt, nämlich eine radiäre Streifung.
Diese Sekretkugeln von Marionia und Tethys bestehen aus
einer festen und ziemlich harten Substanz, denn selbst bei An-
wendung stärkeren Druckes werden sie weder breitgequetscht noch
zerbrechen sie.
Die Farbe des Sekrets der Keulenzellen.
Ganz gleichgültig wie das Sekret geformt ist, so hat es überall
eine bald bestimmte, bald in gewissen Grenzen schwankende Farbe,
welche im Allgemeinen eine bräunliche ist. Meist wächst mit
der Cormplieirtheit und Veränderlichkeit der Formation auch die
Variabilität dieser Färbung, so besonders bei Aplysia und Pleuro-
branchaea. Der einfachste Fall besteht bei Aeolis, wo bei allen
Exemplaren die öltropfenartigen gleichgestalteten Sekretkugeln stets
annähernd dieselbe braune Farbe aufweisen. Ebenso constant ist
eine gelbe Färbung zu finden bei Pleurobranchus Meckelii und
Doris, eine hell- resp. dunkelbraune bei Marionia und Tethys und
Ueber die Mitteldarmdrüse (Leber) der Mollusken. 73
ebenso eine tiefdlunkelbraune (cacaofarbene) bei Vermetus, Cerithium,
Natiea und Tritonium. Auch bei den Cephalopoden sind die Sekret-
klumpen meist übereinstimmend gelbbraun; der Inhalt der Va-
euolenbläschen ist jedoch bald gelbgrün, dunkelbraun oder spielt
in’s Violette. Bei Umbrella ist die gelbe Farbe vorherrschend, bei
Aplysia jedoch finden sich häufig in einem Individuum vereinigt
Zellen mit verschieden gefärbtem Inhalt, z. B. solche mit grünen
Krümeln in farblosen Bläschen und in gelben Kugeln, ferner solche
mit gelben Krümeln in gelben Kugeln, ferner Zellen mit klumpigem
braunem Sekret. Noch weiter geht die Veränderlichkeit bei Pleuro-
branchaea, wo man sogar verschiedene Farben in einer Zelle be-
merkt.
Von besonderem Interesse wird die Färbung des Keulenzellen-
sekrets, verglichen mit dem der Körnerzellen, welche schon was
ihre Qualität anbelangt nicht immer dieselbe ist, namentlich bei
den Opisthobranchiern. Grösser ist die Gleichartigkeit beider Fär-
bungen bei den Lamellibranchiern und Pulmonaten, während die
Prosobranchier den Opisthobranchiern ähneln. — In Betreff der
Intensität der Farbe ergiebt sich das überraschende und in einem
gewissen Gegensatze zu Barfurth’s Ausführungen stehende Re-
sultat, dass dieKeulenzellen im Allgemeinen einen viel kräftiger
gefärbten Inhalt als die Körnerzellen besitzen, so bei den Lamelli-
branchiern, bei den meisten Prosobranchiern und Opisthobranchiern,
während bei den Pulmonaten oft Gleichheit vorhanden ist.
Chemische Eigenschaften des Sekrets.
Die Wirkung der Salzsäure ist fast identisch mit derjenigen
der Schwefelsäure auf das Sekret. Die braunen Kugeln von Te-
thys werden violett verfärbt, indem zugleich ihre strahlige Struktur
deutlich hervortritt. Die violetten Kugeln von Pterotrachea ver-
ändern sich auch bei längerer Einwirkung nicht in verdünnter
Säure.
Durch conc. Schwefelsäure werden die braunen Kugeln
von Aeolis grün gefärbt, worauf sie zusammenfliessen. Bei Chromo-
doris werden sie gelöst, bei Umbrella hingegen bleiben die gelben
Kugeln etwas länger erhalten. Auch das klumpige Sekret ist
widerstandsfähiger; die grünen Klumpen von Pecten zerfliessen
nicht sofort und bei Vermetus ist schwächere Säure von ca. 2%,
Gehalt fast ohne Wirkung, was auch für die Klumpen von Eledone
74 Johannes Frenzel:
gilt. Der krümelige Inhalt der Kugeln und Bläschen verhält sich
ähnlich. Die knollenförmigen Kugeln von Seaphander werden nur
langsam gelöst, diejenigen von Tethys werden erst violett, dann
ebenfalls gelöst.
Einprocentige Osmiumsäure hateine verschiedene Wirkung.
Uebereinstimmend mit Nussbaum’s Befunden an anderen Orten
werden die Kugeln von Aeolis sofort fast ganz schwarz, bei
Gasteropteron hingegen bleiben die analogen Körper durchaus un-
verändert. Bei anderen Mollusken wie Pleurobranchus, Doris
und Aplysia tritt nur eine leichte Bräunung ein; die Kugeln von
Umbrella verhalten sich wieder ganz indifferent, und überall wo
das Sekret klumpig ist, findet dasselbe statt.
Cone. Essigsäure entfärbt und löst die Kügelchen von Aeolis
nach ea. 15 Stunden, diejenigen von Chromodoris schon eher. Die
braunen Klumpen von Aplysia werden erst grün, dann zerfliessen
sie. Verdünnte Säure ist ohne Einfluss, so bei Vermetus und Peecten.
— Die festen Kugeln von Tethys und Marionia werden verfärbt,
zerfallen wohl auch, lösen sich aber nicht.
Durch Ammoniak werden die Kugeln von Chromodoris so-
fort gelöst, wie auch die Krümelbläschen von Octopus. Langsam
unter Quellen gelöst werden die Klumpen der Aplysia. Die gelben
Kugeln der Umbrella bleiben jedoch erhalten. Die festen Kugeln
von Tethys und Marionia gehen schnell in Lösung, wie auch die
von Scaphander und Bulla.
Alkohol, Aether, Chloroform u. s. w. bewirken keine
Zerstörung des Sekrets; sie extrahiren aber, entgegen Barfurth’s
Angaben in vielen Fällen den Farbstoff desselben, so bei Pleuro-
branchus Meck., Aplysia, Gasteropteron, Sepia und Eledone Un-
verändert hingegen bleiben die Kugeln bei Tethys und Marionia.
Die Kugeln von Umbrella, Doris u. s. w. verblassen in Aether
mehr als in Alkohol.
Glycerin bewirkt keine Auflösung des Sekrets, sondern
nimmt den Farbstoff ähnlich wie Alkohol, oft in schwächerem
Grade aus. Oft ruft es Schrumpfung der flüssigen Kugeln hervor.
— Aehnlich wie Glycerin wirkt schliesslich Aqua destill.
Die flüssigen Kugeln werden also gelöst durch starke
Säuren und zuweilen durch Ammoniak. In den übrigen Fällen
bleiben sie meist ungelöst, werden aber dann geschrumpft, in-
dem sie dabei zahlreiche Vacuolen erhalten, und werden oft entfärbt.
Ueber die Mitteldarmdrüse (Leber) der Mollusken. 75
Die Sekretklumpen werden gleichfalls durch starke Säuren
gelöst und in den übrigen Fällen entfärbt, ohne jedoch zu
schrumpfen.
Die festen Kugeln von Tethys und Marionia verhalten sich
ebenso gegen Säuren, werden aber durch Alkalien schnell gelöst
und durch Alkohol, Aether u. s. w. nicht extrahirt.
Das Sekret der Keulenzellen unterscheidet sich daher in
vielen Punkten von dem der Körnerzellen, indem letzteres vor
Allem den Säuren und Alkalien widersteht. In Betreff des Alko-
hols, der Fettlösungsmittel und des Glycerins herrschen grosse
Uebereinstimmungen. — Die Körner tingiren sich schliesslich mit
Hämatoxylin und Carmin, was die Inhalte der anderen Zellen
nicht thun.
Wie die Körnerzellen so enthalten auch diese Zellen häufig,
aber nicht in so ausgedehntem Masse, Fettkügelechen. — Von
annähernd derselben Grösse sind diese in mehreren Fällen z. B. bei
den Cephalopoden (Fig. 21), wo sie entweder staubartig klein sind,
oder auch von sehr beträchtlicher Grösse sein können. Ueber-
haupt sind hier diese Fettkugeln am meisten verbreitet, während
sie an anderen Orten nicht selten gänzlich fehlen, was besonders
dort zutrifft, wo das Sekret selbst ein fettartiges Aussehen hat,
z. B. bei Aeolis, Gasteropteron u. s. w. Bei dem Reste der Mol-
lusken ist ihr Vorkommen kein constantes, und sie werden nament-
lich in sehr jungen Zellen vermisst, wie bei Aplysia, Umbrella ete.
Auch bei Tethys und Marionia scheint das Fett stets zu fehlen.
— In krystallförmiger Gestalt war es in den Keulenzellen niemals
zu sehen. _
Die bei früherer Gelegenheit besprochenen Eiweissklümp-
chen gehören gleichfalls den Keulenzellen an, namentlich denen
der Cephalopoden und Umbrellen. Sie fehlen wie die Fettkugeln
bei Aeolis, Gasteropteron, Doris (?), Tethys, Marionia, und ebenso
bei Aplysia und wahrscheinlich auch den Landpulmonaten. Auch
den Krümelzellen der Cephalopoden mangeln sie völlig.
Kalkkörper kommen in den Keulenzellen nicht vor, dagegen
finden sich in einem Falle noch gelbe Krystallwürfel, nämlich bei
Umbrella, und zwar namentlich in den jungen Zellen vergesell-
schaftet mit den etwa gleich grossen gelben Kugeln. Beim Reifen
der Zellen verschwinden sie allmählich und machen dem Sekret
Platz, wie es auch hin und wieder Exemplare von Umbrella giebt,
wo sie völlig fehlen.
76 Johannes Frenzel:
Diese Würfel werden durch starke Mineralsäuren erst
entfärbt, dann schnell gelöst; was auch in stark verdünnten Säuren
geschieht, wo jedoch eine Quellung einzutreten scheint. Aehn-
lich wirkt 5°/,-ige Kalilauge, wo die Lösung von innen heraus
vor sich geht. Essigsäure ist dagegen fast ohne jede Wirkung,
wie auch Ammoniak, Alcohol, die Fettlösungsmittel Aether, Ben-
zin u. s. w., Jodjodkalium, Glycerin, Salzwasser (10°/,) und Aqua
dest. In den meisten dieser Fälle bildet sich jedoch im Krystall
eine würfelige eoneentrische Schiehtung. Selbst starkes Kochen
in Wasser ist ohne Einfluss. — Nach dem Verkohlen verbrennen
die Würfel völlig, ohne einen Rückstand zu hinterlassen.
Der Kern der Keulenzellen erscheint zuweilen homogen,
meist jedoch mit einem Maschenwerk ausgestattet (Fig.21). Karyo-
kinetische Figuren waren niemals zu bemerken, auch keine di-
rekten Theilungen. Eine reichliche Zellvermehrung findet dennoch
statt, und junge Zellen sind sehr häufig. Wie diese aber ent-
stehen ist uns noch völlig räthselhaft.
3) Die sog. Kalkzellen.
Diese Zellen sind bei Weitem nicht so verbreitet wie ich
früher!) angenommen hatte und wahrscheinlich fehlen sie den
Lamellibranchiern völlig. Unter den Prosobranchiern kommen sie
vor bei Chiton, Murex, Cerithium, Dolium und Tritonium. Sie
fehlen bei Patella, Haliotis, Fissurella (?) und Paludina, und in
einigen Fällen sind sie noch zweifelhaft. Allgemein scheinen sie
den Pulmonaten anzugehören und den Heteropoden zu mangeln.
Unter den Opisthobranchiern zeigen sie sich bei Aplysia, Marionia (?),
Tethys u. A. Nicht vorhanden sind sie hingegen bei Pleuro-
branchaea, Pleurobranchus, Umbrella und Aeolis. Weit verbreitet
finden sie sich bei den Cephalopoden.
Die Grösse dieser Zellen ist eine beträchtliche und überragt
oft die der anderen Zellen. Ihre Gestalt ist im Gegensatz zu
diesen letzteren fast eine isodiametrische, so dass sie im Schnitt
wie ein gleichseitiges Dreieck aussehen, dessen breite Basis stets
nach unten gerichtet ist und der tunica propria auf-
sitzt. Nur zuweilen werden die Zellen etwas spitz wie bei Tethys
(Fig.27). Niemals ragen sie aber in das Lumen mit brei-
1) Biologisch. Centralblatt. 1883. Nr. 11. p. 325.
Ueber die Mitteldarmdrüse (Leber) der Mollusken. 77
ter Fläche, sie liegen vielmehr stets so, dass sie von den
übrigen Zellen überragt werden. Aus diesem Grunde halte
ich sie nieht für secernirende Epithelzellen, sondern vielmehr für
Bindegewebselemente, welche mit der Eigenschaft der Drüse
als Verdauungs- und sekretorisches Organ nichts zu
schaffen haben. Daher besitzen diese Zellen auch keine Sekretions-
blase (Ballen), sondern in ihrem grobkörnigen Protoplasma
liegen gleichmässig vertheilt die sog. Kalkkugeln (Fig. 25, 27, 28).
Diese Kugeln sind oft beträchtlich gross, wie bei Dolium;
von mittlerer Grösse sind sie bei Aplysia und Helix und viel kleiner
sind sie bei den Cephalopoden und namentlich auch bei Tethys.
— Ihre Gestalt ist in der Regel eine kugelige, häufig auch eine
nierenförmige (Dolium) u. s. w.!). — Meist sind sie ungefärbt,
zuweilen auch schwach gefärbt wie bei Marionia (Tritonia), Ce-
rithium und namentlich bei Tethys, wo sie chromgelb erscheinen.
Ebenso enthalten sie bei Aplysia und besonders bei Dolium, wenn
sie eine beträchtlichere Grösse erreichen, ein chromgelb gefärbtes
unregelmässig gestaltetes Centrum. — Wie bei den Kalkkörpern
aus den Körnerzellen von Haliotis so ist auch hier eine Schich-
tung sehr oft wahrzunehmen, so namentlich bei Dolium und
Aplysia (Fig. 26).
Besonders wichtig ist ihr Verhalten gegen Reagentien, welches
nicht überall ein übereinstimmendes ist. n
Concentrirte und verdünnte Mineralsäuren bewirken,
wie schon an anderen Orten gesagt, eine schnelle Lösung der
Kugeln, wobei oft noch ein schwer zu erkennender Rückstand, ein
Stroma übrig bleibt, welches nach einiger Zeit gleichfalls ver-
schwindet.
Essigsäure (cone.) hat eine verschiedene Wirkung. Lö-
sung tritt ein bei Cerithium u. A. mit Hinterlassung eines unge-
lösten Stromas, welches bei den Kalkkörpern von Haliotis Schich-
tung zeigt. Dagegen sind die in Alcohol aufbewahrten Kugeln
der Cephalopoden ganz unlöslich, sowohl in Eisessig, wie in
stark verdünnter Essigsäure, wie auch beim Erhitzen damit.
Oxalsäure löst bei Haliotis die starkbrechende Substanz
und in dem Stroma schlagen sich Kıystalle von oxalsaurem Kalk
nieder (unlöslich in Essigsäure, löslich in Salpeter- und Salzsäure).
1) Biolog. Centralbl. 1883. p. 325.
78 Johannes Frenzel:
Ammoniak bewirkt wahrscheinlich eine Lösung der gelben
Centralsubstanz sowie der gelben Kugeln von Tethys. Sonst
ist kurze Behandlung mit Ammoniak ohne Einfluss (Cerithium).
Kalilauge (5%,) löst dieKugeln bei Tethys langsam,
sowie die gelbe Centralmasse bei Dolium. Sonst ist sie unwirk-
sam, auch beim Erwärmen (Murex), ruft jedoch die Schichtung
zuweilen deutlich hervor, wohl durch Lösen oder Zerstören des
Stromas. Bei Aplysia jedoch entstand bei starkem Erhitzen ein
Aufquellen und Gelblichwerden der Kugeln unter theilweisem Zer-
springen derselben. Sie wurden schwach lichtbrechend, gingen
aber nicht in Lösung.
Aleohol abs. Die Kugeln von Aplysia sind nach 48stün-
digem Verweilen darin zum Theil unverändert, zum Theil ge-
schichtet, oft mit gelöstem Centrum. Sonst bleiben sie in der
Regel unverändert. Chloroform bewirkt nur ein schärferes
Hervortreten der Schichtung (Haliotis).
Von frisch bereiteter (aleoholischer) Sublimatsolution,
welche neutral reagirt, werden die Körper gelöst bei Haliotis, in-
dem sie zuerst einen krümeligen Inhalt erhalten. Auch wo anders
gehen die Kugeln beim Härten in Sublimat oft verloren.
Kochsalzlösung (10°%,) lässt bei längerer Einwirkung (18
Stunden) die Körper bei Haliotis verschwinden, ebenso die Kugeln
von Tritonium. Auch schwächeres Salzwasser löst bei Haliotis
(5%) und bei Aplysia (3°/,) bei sehr langer Einwirkung die stark
brechende Substanz.
Aqua dest. ist für gewöhnlich ohne Einfluss, auch beim
Kochen (Murex). Die Körper von Haliotis jedoch werden bei
längerem Kochen zerstört, indem sie ein geschichtetes Stroma
hinterlassen. Auch bei längerem, ca. 24stündigem Liegen in
kaltem Wasser geschieht dasselbe bei Murex, Haliotis, Cerithium
und Aplysia.
Selbst (neutrale!) Jodlösungen wirken zerstörend ein, So
bei Haliotis, Cerithium, Murex, Aplysia u. A., wenn man damit
erhitzt oder vorher oder nachher mit Kalilauge behandelt.
Aus diesem Verhalten sieht man, dass erstens die Zusammen-
setzung der sog. Kalkkugeln nicht in allen Fällen dieselbe ist,
da die von Tethys in Alkalien löslich und die der Cephalopoden
in Essigsäure unlöslich sind. Zweitens sieht man, dass sie aus
mindestens zwei Substanzen bestehen, einem wahrscheinlich or-
Ueber die Mitteldarmdrüse (Leber) der Mollusken. 79
sanischen schwachbrechenden Stroma und einer starklichtbrechen-
den Einlagerung. Dazu kommt die gelbe Centralmasse von Aply-
sia und Dolium, welche vielleicht identisch mit den gelben Kugeln
von Tethys ist. . Bei diesen wird allerdings der Farbstoff durch
Aleohol extrahirt, was dort nieht der Fall zu sein scheint. — Die
starklichtbrechende Einlagerung enthält jedenfalls Caleium in
irgendwelcher Bindung, worauf das Entstehen von oxalsaurem Kalk
bei Zusatz von Oxalsäure hinweist. Als phosphorsauren Kalk
kann ich jene Substanz nach obigen Reactionen jedoch nicht an-
sprechen, da sie zum Theil unlöslich in Essigsäure, löslich da-
gegen in Wasser u. s. w. ist. Es ist überhaupt danach sehr
fraglich, ob diese Substanz in allen Fällen genau dieselbe ist, und
es scheint mir nach Allem sehr wahrscheinlich, dass wir es hier
mit organischen Kalksalzen zu schaffen haben.
Uebersicht.
I. Lamellibranehier.
a) Die Körnerzellen fehlen nirgends. Die farbigen Körner
sind kugelig mit glattem Contur, von meist braungrüner oder
gelbbrauner Farbe. Quellung derselben nicht selten. Die
Granula punktförmig klein.
b) Die Keulenzellen fehlen wohl an mehreren Stellen. Sie
enthalten meist einen braunen oder braungrünen kräftig ge-
färbten Klumpen, dessen Färbung intensiver als die der
Körner ist.
c) Die Kalkzellen waren nirgends zu finden.
Ostrea edulis: Körner 3 bis 4 u, gelb- bis röthlichbraun. — Keulen-
zellen?
Pecten Jacobaeus: Körner 3 u, braungrün. Granula sehr klein. —
Fermentklumpen dunkelbraungrün, geschichtet.
Mytilus edulis: Körner 4 u, gelbbraun; Quellung. — Keulenzellen?
Venus verrucosa: Körner braungrün, zusammengeballt, 3 u; Keulen-
zellen mit ebenso gefärbten Klumpen.
80 Johannes Frenzel:
Mactra helvacea: Körner 10 u, blass. Granula gross.
Capsa fragilis: Körner 3 bis 12 « (gequollen) runzlig, Keulen-
zellen mit kleinen gelbgrünen Klümpchen.
Cardita sulcata: Körner stark runzlig, zusammengeballt. Färbung
fleekigbraun. Granula klein. Keulenzellen ?
Cytherea exoleta: Körner sehr klein, zusammengeballt. Ohne
Granula.
IH. Prosobranchier.
a) Körnerzellen mit oft blass gelbbraunen Körnern, die stark
gerunzelt sind, zahlreiche Eiweissklümpchen.
b) Keulenzellen fehlen bei Chiton, Haliotis (?), Patella u. A.
c) Kalkzellen mit farblosen Kugeln. — Fehlen oft.
Chiton siculus und marginatus: Körner rostbraun, kugelig, glatt,
3 u, Quellung. Granula klein, rostbraun. Keulenzellen fehlen.
Patella coerulea: Körner zusammengeballt (?) gelbbraun. Granula
fehlen. Keulenzellen fehlen.
Haliotis tuberculata: Körner 6 bis 7 u, runzlig, hellbraun, Granula
sehr klein. Keulenzellen?
Murex brandaris und trunculus: Körner 3,5 u, eiförmig, stark ge-
runzelt, gelbbräunlich. Granula dunkler. Keulenzellen?
Paludina vivipara: Körner hellgelbbraun mit dunklern Granulis.
Vermetus gigas: Körnerzellen sehr gross. Körner 10 u, intensiv
rostbraun, runzlig. Granula klein und dunkel. Keulenzellen
sehr gross, mit noch dunkleren Klumpen als die Körner sind.
Kalkzellen fehlen (?).
Natica millepunctata: Körner hell. Granula klein. Fermentklum-
pen dunkelcacaobraun, compakt.
Cerithium vulgatum: Körner hellbräunlich. Granula blass. Ferment-
klumpen dunkelbraun, compakt.
Dolium galea: Körner 6 bis 8 u, sehr blass. Granula sehr klein.
Keulenzellen mit 8 bis 12 grossen concentrisch geschichteten
festen Kugeln, braun. Protoplasma grobkörnig, keine Blase
(Ballen). — Kalkzellen gross, mit grossen Knollen.
Tritonium cutaceum: Körner blasshellbraun, 8 «, runzlig. Granula
sehr klein. Viele Eiweisklümpehen. Dunkelbrauner Ferment-
klumpen compakt.
Ueber die Mitteldarmdrüse (Leber) der Mollusken. s1
II. Heteropoden (Pterotrachea mutica).
a) Körnerzellen mit sehr blassen braunen, unregelmässigen
und runzligen Körnern. Granula klein.
b) Keulenzellen (?).
c) Kalkzellen fehlen.
IV. Pulmonaten.
a) Körnerzellen überall, mit hellgelbbraunen Körnern.
b) Keulenzellen überall. meist mit braunen Klumpen oder
Kugeln.
Helix pomatia: Körmer 5 bis 6 u, stark runzlig mit grossen dunk-
leren Granulis. Fermentballen mit ebenso gefärbten kugeligen
Klümpehen oder helleren Bläschen mit Krümeln. — Kalk-
zellen mit Kugeln.
Arion empiricorum: Körner 5 u, unregelmässig eiförmig, kräftig
grünbraun, runzlig. Granula dunkel und deutlich. Keulen-
zellen mit einem intensiv gefärbten Klumpen.
VO: piksıt Horb ra: merk eır.
a) Körnerzellen überall mit hoch entwickelten Körnern.
b) Keulenzellen überall mit kräftig gefärbtem reich gestalte-
ten Inhalt.
c) Kalkzellen theils fehlend, theils vorhanden.
Bulla hydatis: Körner gelbbraun, 5 bis 6 «. Granula klein. Fer-
mentblase mit mehreren festeren Krümeln oder Klumpen.
Gasteropteron Meckelii: Körner blass mit kleinen Granulis. Keulen-
zellen mit vielen intensiv grünen fettglänzenden Kugeln.
Scaphander lignarius: Körner 6 u, sehr blass. Keulenzellen mit
mehreren knollenartigen festen Kugeln.
Aplysia limacina und punctata: Körner 5 bis 6 u, kräftig rost-
braun, wenig runzlig. Granula gross von gleicher Farbe.
Keulenzellen mit verschiedenem Inhalt, meist mit dunkelbraunen
Klumpen, oder helleren klaren Kugeln oder Vacuolen, letz-
tere mit Krümeln. Kalkzellen mit Kugeln.
Pleurobranchaea Meckelii: Körnerzellen bewimpert. Körner sehr
gross von wechselnder Färbung. Granula sehr gross und
zahlreich. Keulenzellen bewimpert mit sehr verschieden ge-
formtem und gefärbtem Inhalt.
Archiv f. mikrosk. Anatomie. Bd. 25. 6
82 Johannes Frenzel:
Pleurobranchus Meckelis: hellbraune Körner mit blassen grossen
Granulis. Keulenzellen mit grossen chromgelben Kugeln;
Diese mit Krümeln. — Keine Kalkzellen.
Umbrella mediterranea: Körner runzlig, blassgelb. Keulenzellen
meist mit chronfgelben Kugeln, oder mit grossen Klumpen,
welche rubinrothe Krystalle enthalten.
Doris tuberculata: Körnerzellen bewimpert mit grossen gelben
Körnern (12 «); diese mit grossen rothen Granulis. Blaue
Kugeln. — Keulenzellen mit gelben Kugeln, oft mit Krümeln.
Marionia tethydea: Körner 3 bis 5 u, blass, runzlig. Keulenzellen
mit fester brauner geschichteter Kugel.
Tethys leporina: Körner blass oder auch rubinroth, letztere mit
grossen Granulis. Keulenzellen ähnlich wie bei Marionia.
Aeolis sp.: Körner blass, 3 bis 4 u. Keulenzellen mit zahlreichen
gleich grossen rothbraunen stark liehtbreehenden Kugeln.
VI Pteropoden (Hyalea tridentata).
a) Körnerzellen überall mit kräftig braunen Körnern, Quellung.
b) Keulenzellen fehlen wahrscheinlich.
c) Kalkzellen ebenso.
VI. Cephalopoden.
a) Körnerzellen fehlen völlig.
b) Keulenzellen entweder mit Bläschen, welche Krümel ent-
halten oder mit gelbbraunen Klumpen, welche farblose Kry-
stallstäbe einschliessen.
ec) Kalkzellen mit Kugeln.
Octopus vulgaris, Sepia officinalis, fast übereinstimmend.
Erklärung der Abbildungen auf Tafel I.
Fig. 1. Körnerzelle von Mytilus. An der spitzen Basis liegen Fettkügel-
chen, dann folgen einige unreife Körner, hierauf solche in normalem
Zustande mit kleinen Granulis. Oben in der Zelle sieht man blasse
gcequollene Körner.
Fig.
D°
D>'
>'
=
a
1
. 22.
Ueber die Mitteldarmdrüse (Leber) der Mollusken. 83
Körnerzelle von Haliotis, in der unteren Hälfte mit zahlreichen hell-
braunen Körnern, in der oberen Hälfte mit Eiweissklümpehen. Der
Härchensaum ist niedrig. |
Bewimperte Körnerzelle von Doris tuberceulata. Der Ballen enthält
grosse bläuliche Kugeln, in denen die gelben Körner zum Theil
liegen. — Zahlreiche Fettkügelchen.
Schnitt durch eine Körnerzelle von Aplysia. Die Körner sind zer-
stört, so dass nur ein hohles Maschenwerk übrig geblieben ist. Der
Kern ist homogen und eckig geworden. Behandlung: Momentan in
Salpetersäure, dann in Sublimat, Alcohol u. s. w.
Schnitt durch das Epithel von Patella. Links zwei reife Körner-
zellen mit den halbzerstörten Körnern. Rechts eine junge Zelle der-
selben Art, deren protoplasmatischer Inhalt sich mit Hämatoxylin stark
tingirt. Behandlung: Sublimatwasser 2 Stunden, dann Alcohol u. s. w.
Dunkles kugeliges Korn von Östrea edulis mit kleinen punktartigen
Granulis.
Dunkel braunes Korn von Vermetus, runzlig mit etwas grösseren
Granulis.
Helles unregelmässig geformtes Korn von Pterotrachea mit sehr
kleinen Granulis.
Runzliges Korn von Arion mit dunklen grösseren Granulis.
. Kugeliges glattrandiges Korn von Aplysia mit fleckiger Färbung
und grossen Granulis.
. Eiweissklümpchen.
. Ballen aus einer Keulenzelle von Doris, enthaltend mehrere gelbe
Kugeln, in denen gelbe Krümel liegen.
. Aehnliche Kugeln von Cephalopoden.
. Kugelig gewordene Zelle von Aeolis mit zahlreichen stark licht-
brechenden braunrothen Kugeln.
Gelbe Kugel von Umbrella mit gelben Krystallsternen.
Unreife Keulenzelle von Bulla. Die Blase enthält mehrere halb-
feste gelbe Kügelchen.
. Ebensolche Zelle von Scaphander mit gelbbraunen Knöllchen.
. Reife Keulenzelle von Marionia oder Tethys. In der Vacuole liegt
eine radiär gestreifte und concentrisch geschichtete feste braune Kugel.
. Dunkelbrauner Fermentklumpen von Aplysia mit Krystallsternen
und Krümeln.
. Aehnlicher Klumpen von Pleurobranchaea mit noch dunkleren klum-
pigen Einschlüssen.
. Keulenzelle von einem Cephalopoden. An der Basis kleine Fett-
kügelehen. Oben in der Vacuole ein gelbbrauner Klumpen mit
farblosen Krystallnadeln. Der Härchensaum ist hoch.
Fermentballen von Tritonium mit einem dunkelbraunen Klumpen,
Eiweissklümpehen und Fettkügelchen.
Fig. 23.
Fig. 24.
P. Schüler:
Fermentklumpen von Aplysia mit geschichteter Struktur.
Schnitt durch eine junge Keulenzelle von Umbrella. Ihr Proto-
plasma tingirt sich stark. Sie enthält gelbe Krystallwürfel und im
Präparat geschrumpfte gelbe Kügelchen.
5. Kalkzelle von Aplysia; frisch.
. Einzelner geschichteter Kalkkörper von Haliotis oder Dolium.
. Kalkzelle von Tethys, frisch. Mit gelben Kugeln.
. Schnitt durch eine Kalkzelle von Aplysia. Die Kugeln sind gelöst.
. Querschnitt durch einen Drüsenschlauch von Aeolis, Körnerzellen
und Fermentzellen (mit hellen Kugeln) enthaltend.
. Schnitt durch ein Drüsenstück von Helix. Halbschematisch. Links
eine Körnerzelle mit tingirten Körnern; dann folgt nach rechts eine
spitze junge Fermentzelle mit tingirtem Protoplasma, und mehrere
Körnerzellen, an deren Basis sich eine grosse Kalkzelle einschiebt,
ohne das Lumen zu erreichen. Rechts eine grosse Keulenzelle mit
mehreren Fermentklumpen.
(Aus dem histologischen Institut in Halle.)
Ueber die Beziehungen der cavernösen
Räume im Bindegewebe der Anodonta zu dem
Blutgefässsystem
von
Dr. med. P. Schüler aus Colberg.
Seit Flemmings Arbeiten über die Beziehungen der caver-
nösen Räume im Bindegewebe der Anodonta zu dem Blutgefäss-
system ist zwischen diesem Autor auf der einen, Griesbach und
Kollmann auf der anderen Seite ein Streit darüber, ob die Lan-
ser’schen Blasen wandlungslose Blutlacunen, oder in sich abge-
schlossene schleimig metamorphosirte Zellen seien.
Langer!) lieferte den ersten bestimmten Nachweis für das
Geschlossensein des Gefässsystems der Mollusken und für die Exi-
1) Das Gefässsystem der Teichmuschel. Denkschr. der kaiserl. Acad,
d. Wissensch. 1355—56. Math.-naturw. Classe. Bd. X.
Ueber die Beziehungen der cavernösen Räume im Bindegewebe ete. 85
stenz blasenförmiger Hohlräume im Bindegewebe, deren wahre
Natur er jedoch nicht vollständig erkannte.
Flemming!) hat nun in mehreren auf einander folgenden
Arbeiten die Behauptungen Langer s?) über das Geschlossensein der
Gefässe bestätigt und zugleich jene Hohlräume als Schleimzellen
erwiesen. Nur insofern kann man nach seiner Meinung von Blut-
lacunen sprechen, als einige Gefässe, von nacktem Bindegewebe
umgeben, des: Endothels entbehren.
Seine Ansichten hat Flemming durch folgende Befunde ge-
stützt. ° Er beobachtete an Querschnitten aus dem Mantel von My-
tilus und Anodonta rundliche, mattglänzende, von einem Gerüst
Zellen und Kerne tragender Balken umgebene Körper, die Lan-
ger’schen ‚Blasen, mit deutlich differenzirtem Kern und. Kernkör-
perehen. Färbungen frischer Osmiumschnitte in Pierocarmin oder
essigsaurem Carmin und Haematoxylin stellten die Zellennatur
dieser Gebilde ausser allen Zweifel. Die Kerne, mit einem oder
zwei Kernkörperchen, erschienen mit einem deutlich sichtbaren Ge-
rüst von Körnern und Fäden versehen.
Injeetionen, welche bald vom Herzen, bald durch Einstich in
die Mantelvene mit einer Mischung von Berlinerblau und Glycerin-
leim angestellt waren, drangen nicht in jene Blasen ein, zeigten
vielmehr das umgebende Balkenwerk mit Farbstoff erfüllt. Für das
Vorhandensein einer festen Membran an jenen blasenförmigen Zellen
entscheidet sich Flemming noch aus dem Grunde, weil es ihm nie
gelang, den Inhalt der einen Zelle in eine andere hineinzupressen.
Zum Schluss spricht Flemming noch einmal die Ansicht aus,
„dass man es hier mit einer, auf einen dünnen, vielfach verästelten
Sehlauch redueirten Bindesubstanz zu thun hat, welche die Wand
der Blutbahn darstellt und aussen mit grossen rundlichen Zellen
besetzt ist“.
Diese Form der Bindesubstanz hat nach seiner Meinung eine
weite Verbreitung innerhalb der Molluskenklasse und er steht nicht
an, auf sie, als den Grundtypus, die übrigen Bindesubstanzen dieser
Thiere zu beziehen.
1) Ueber Bindesubst. und Gefässwand der Mollusken. Habilitatschr.
Rostock 1871.
2) Ueber Bindesubst. u. Gefässwand im Schwellgewehe der Muscheln.
Arch. f. mikrosk. Anat. Bd. XII.
86 P. Schüler:
Einen ganz entgegengesetzten Standpunkt vertreten Koll-
mann!) und Griesbach?). Nach Ersterem tritt das Blut aus den
Capillarnetzen in Gewebslücken über, welche den Anfängen der
Lymphbabnen bei den höheren Thieren gleichen und vollständig
wandungslos und endothellos sind. Der genannte Autor führte
seine Untersuchungen hauptsächlich an der Anodonta aus.
Das netzförmig angeordnete Balkenwerk erklärt er als ein
solides Gewebe, die Langer’schen Blasen dagegen als blutführende
endothellose Räume. Flemmings Resultate schreibt er den „zu
prallen Injeetionen* und dem ungeeigneten Object, dem Mytilus zu,
bei welehem der Mantel zugleich in seiner Funktion als Eierstock
von allen möglichen Zellen durchsetzt ist.
Flemming?) widerlegte später noch einmal die Kollmann’-
schen Ansichten durch Vergleichung der Blutzellen mit den Kernen
der Schleimzellen. Die Kerne dieser sind durch ihre scharf ge-
zeichnete Membran unschwer von den Blutzellen zu unterscheiden.
Ferner wäre es nach Flemming undenkbar, dass in einer Blase
immer nur ein Kern vorhanden wäre, während in den echten La-
eunen die Blutzellen oft dicht gedrängt liegen. Gleiche An-
schauungen wie Kollmann vertritt auch Griesbach®). Er er-
kennt im Bindegewebe wandungslose lacunäre Räume an. Nach-
dem der Verfasser auch früher die Langer’schen Blasen als Schleim-
zellen erklärt hat, ist er später durch neue Untersuchungen, bei
welchen die Thiere in Farbstofflösungen gebracht sich mit den-
selben füllten, anderer Meinung geworden. In Folge dessen be-
hauptet Griesbach nun, dass die Blutflüssigkeit in den Lacunen
ströme.
In einer Erwiderung dieser Arbeit hält Flemming’) seine
früher aufgestellten Behauptungen noch im vollen Umfange auf-
1) Kollmann, Bindesubst. der Acephalen. Arch. f. mikrosk. Anat.
Bd. XI.
2) Der Kreislauf des Blutes bei den Lamellibranch., den Aplysien u.
Cephalop. Arch. f. mikrosk. Anat. Bd. XV.
3) Ueber die Blutzellen der Acephalen u. Bemerk. über deren Blut-
bahnen. Arch. f. mikrosk. Anat. XIII. 1878.
4) Das Gefässsystem und die Wasseraufnahme bei den Nayaden u. My-
tiliden. Zeitschr. f. wissenschaftl. Zoologie. Bd. 38.
5) Bemerk. hinsichtl. der Blutbahnen u. der Bindesubst. bei Nayaden
u. Mytiliden. Zeitschr. f. wissensch. Zool. Bd. 39.
Ueber die Beziehungen der cavernösen Räume im Bindegewebe etc. 87
recht, dass nämlich die Langer'schen Blasen Schleimzellen sind.
Die von Griesbach ausgeführten Selbstinjeetionen der Thiere
sieht Flemming für nicht beweisend an, weil die von ihm ge-
brauchten Farbstoffe einfach durch Imbibition die Zellen färben
können.
Zweck meiner Untersuchungen war es, diese Verhältnisse
näher zu beleuchten, und dazu wurden folgende Versuche an Ana-
donta ausgeführt. In der Art der Versuche habe ich mich mit
einigen Ausnahmen den von Flemming angegebenen ange-
schlossen.
Um es gleich vorweg zu sagen, bin ich bei der Anodonta zu
gleichen Resultaten gelangt, wie Flemming am Mytilus.
Zuerst nahm ich eine mittelgrosse lebende Anodonta, machte
Durchsehnitte durch den Mantelrand und untersuchte dieselbe in
kochsalzhaltigem Wasser.
In einem netzförmig angeordneten Gewebe, das einem Fach-
werk glich, waren grosse blasse Räume zu erkennen, und in diesen
bei genauer Einstellung dunkle Kerne, welche niemals in der Mitte
dieser Räume, sondern meist wandständig lagen.
Sowohl in Kochsalzlösung als in 33% Kalilauge gelang es
mir, den Inhalt dieser Räume in Gestalt heller, rundlicher oder
länglicher Blasen zu isoliren.
Dieselben waren von einer zarten Membran begrenzt und ent-
hielten einen hellen schleimigen Inhalt, in dem etwas excentrisch
oder wandständig ein scharf contourirter Kern mit Kernkörperchen
lag, von dem aus körnige Fäden in radiärer Richtung und auch
netzförmig ausgingen.
Das mikroskopische Bild nach Härtung in absolutem Alcohol
entsprach völlig der Flemming’schen !) Zeichnung.
Bei Härtung in Alcohol und Osmiumsäure war der Inhalt der
Blasen fein gekörnt und bräunlich.
Besonders hübsche Bilder lieferte die Chlorgoldbehandlung,
wodurch neben dem rothvioletten Blaseninhalt die Kerne sichtbar
wurden, von denen Fäden in das Innere der Blase zogen. Auch
von solchen Präparaten ist es nicht schwer, in grösserer Zahl die
blasenförmigen Zellen zu isoliren.
Zur Feststellung der Beziehungen dieser Langer’schen Blasen
1) Habilitationsschrift. Fig. 1.
88 P. Schüler: Ueber die Beziehungen der cavernösen Räume etc.
zum Blutkreislauf injieirte ich lebende Muscheln durch Einstieh
vom Mantel und vom Fuss aus mit einer Lösung von Berlinerblau,
theils unter schwachem, theils unter starkem Druck. Die Thiere
wurden dann längere Zeit in absolutem Alcohol gehärtet. An
Sehnitten solcher injieirter Thiere aus dem Mantelrand traf ich
ein wesentlich anderes Bild, wie Kollmann und Griesbach es
beschreiben. Die Blasen nämlich waren deutlich gegen die mit
Injeetionsmasse gefüllten Räume abgegrenzt, gleichgültig, ob die
Injection eine pralle oder nur eine unvollständige war.
Nirgends war Injeetionsmasse in den Blasen nachzuweisen.
Dieselbe lag vielmehr den Blasen einfach auf. Von diesen Ver-
hältnissen kann man sich besonders leicht überzeugen, wenn man
injieirte Theile nach Celloidineinbettung schneidet, wodurch man
auch die Gefahr vermeidet, die Injectionsmasse beim Schneiden auf
die Schnittflächen der Langer’schen Zellen zu bringen. Besonders
hübsche Bilder liefert die Tinetion injieirter Präparate mit Eosin
und Haematoxylin.
Die Selbstinjeetionen, welche Griesbach benutzte, habe ich
aus gleichen Gründen wie Flemming nicht angewandt.
An Querschnitten aus dem Fuss der Anodonta liegen die
Langer’schen Zellen subepithelial. Ihre Struktur ist dieselbe, wie
der im Mantel befindlichen.
Ohne Zweifel geht wohl’ aus den eben beschriebenen Prä-
paraten mit Sicherheit hervor, dass jene Hohlräume im Mantel und
Fuss der Anodonta Zellen mit einem hellen schleimartigen Inhalt
sind. Denn hätte man es mit wandungslosen Blutlacunen zu thun,
so würde es jedenfalls nie gelungen sein, die Blasen zu isoliren.
Endlich geben die Injeetionspräparate den schlagendsten Beweis
für den Zelleharaeter der Blasen und für ihr Abgeschlossensein
vom Gefässsystem. Die Gefässe, welche von den Langer’schen
Blasen begrenzt werden, sind wohl endothellos, aber nicht wan-
dungslos. Meist bilden die Membranen der Schleimzellen die Wan-
dung der Gefässe. Mitunter schien es mir jedoch, als ob da und
dort auf den unmittelbar die Gefässlichtung begrenzenden Lan-
ger’schen Blasen ein ganz schwacher Saum von protoplasmatischer
Substanz aufläge.
J. Schöbl: Ueber Wundernetze und divertikelbildende Capillaren etc. 89
Ueber Wundernetze und
divertikelbildende Capillaren bei nakten Amphibien
und in pathologischen Neoplasmen
von
Prof. 3. Schöbl in Prag.
Hierzu Tafel III.
Divertikelartige Ausbuchtungen der Capillaren in der Gaumen-
schleimhaut des Frosches kenne ich seit mehr als 20 Jahren. Im
Jahre 1878 habe ich eine ganze Reihe nach meiner Injections-
methode ausgeführte Präparate in der k. Böhm. Gesellschaft der
Wissenschaften Sitzungsberichte d. k. b. Ges. der Wiss. 1878) vor-
gezeigt. Schon damals war es mir nicht unbekannt, dass sich
diese Gebilde nicht nur auf den Gaumen beschränken, sondern
gleichfalls auf der Schleimhaut des Unterkiefers bis zur Zungen-
wurzel und an den Rändern derselben sowie längs der ganzen
Speiseröhre vorkommen.
Auch gelangte ich bereits damals zu dem Resultate, dass sich
derartige divertikeltragende Capillaren nicht nur beim Frosche vor-
finden, sondern bei den meisten nackten Amphibien, deren ich über-
haupt habhaft werden konnte, so bei den Gattungen Pelobates,
Bufo, Bombinator Hyla und bei Salamandra. Ferner habe ich da-
mals bereits darauf aufmerksam gemacht, dass bei Triton, wo sie
gar nicht oder nur sehr spärlich vorkommen, in denselben Schleim-
hautparthien am Gaumen neben der Zunge und am Oesophagus,
wo sie bei anderen Amphibien sich vorfinden, durch wundernetz-
artige Venenplexus vertreten werden. Kurze Zeit darauf habe ich
ein mächtiges und prachtvolles venöses Wundernetz beim Frosch
entdeckt, welches ich wegen Zeitmangel mehrere Jahre lang un-
90 J. Schöbl:
bearbeitet liegen lassen musste, von dem ich aber glaube, dass eine
genauere Darstellung nicht ohne Interesse sein dürfte, da es sich
eben um ein, ich möchte sagen anatomisches und physiologisches
Hausthier handelt, welches so vielfach und so genau durchforscht
worden ist, dass es mir geradezu wunderbar erscheint, dass ein so
mächtiges Gebilde nicht schon längst zur Beobachtung gelangte.
Es lässt sich dies vielleicht nur durch die versteckte Lage und
die schwierige Injektionstechnik und Präparation, die erforderlich
ist, um schöne und instruktive Präparate zu erhalten, erklären.
Am schönsten manifestirt sich das betreffende Wundernetz,
wenn es mittelst meiner nenen plastischen Injektionsmethode in-
jieirt ist, wo es dann in seiner ganzen Mächtigkeit und Pracht
zu Tage tritt. Aber auch dann verlangt es eine nicht ganz leichte
Präparation, wenn man es unversehrt zu Gesicht bekommen will.
Das betreffende gut injieirte Thier muss vom Rücken aus in An-
griff genommen werden; zuerst entfernt man vorsichtig die Schädel-
decke, dann das Gehirn und die Augen, dann mit äusserster Vor-
sicht den mittleren Theil der Schädelbasis unterhalb des Gehirnes
und Stückchen für Stückchen die vorderen Parthien der Wirbel-
säule.
Sobald dies mit genügender Vorsicht geschehen ist, sieht man
das betreffende Wundernetz an der Aussenfläche der oberen Pha-
rvoxwand vor sich liegen. Das betreffende venöse Wundernetz hat
eine mehr oder weniger dreieckige Gestalt, wobei die Basis des
langgezogenen Dreieckes gegen den Schädel, die Spitze gegen den
Oesophagus zu gerichtet ist.
Es liegt dieses Wundernetz, wie bereits angedeutet wurde,
auf der Aussenfläche der oberen Pharynxwand und kommt da-
durch zu Stande, dass ein Theil der Venen des Oesophagus und
des vordersten Magenabschnittes sich nicht in die Vena portae er-
giesst, sondern eine mächtige Vene formirt, welche auf der Mitte
der oberen Oesophagealwand nach vorne verläuft und welche ich
vena oesophagea dorsalis media nenne. Diese Vene, in die
sich noch zu beiden Seiten kleinere Oesophagealvenen ergiessen,
zerfällt ungefähr in der Mitte des Oesophagus in ein Venennetz,
welches nach vorne zu immer mächtiger wird und schliesslich in
die beiden venae jugulares einmündet.
Es erscheint somit das betreffende venöse Wundernetz zwischen
meiner vena oesophagea media recurrens und zwischen den beiden
Ueber Wundernetze und divertikelbildende Capillaren etc. 91
venae jugulares interpolirt, es ist somit ein bipolares Wundernetz;
den einen Pol bildet die vena oesophagea, den andern die beiden
Jugulares.
In das Wundernetz selbst ergiessen sich kleine Oesophageal-
venen zu beiden Seiten desselben. Ansserdem Venen, welche das
Blut aus den divertikeltragenden Capillaren der Gaumen- und
oberen Pharyngealwand ableiten.
Die mächtigeren Venenstämme des Wundernetzes erscheinen
fast durchgehends von allerfeinsten nutritiven Arterien und Uapil-
laren umsponnen, welche aus der arteriae oesophageae ihren Ur-
sprung nehmen. Beim Frosch fand ich das betreffende Wunder-
netz am prachtvollsten entwickelt, bei den Gattungen Pelobates,
Bufo, Bombinator und Hyla erscheint es viel unbedeutender; das-
selbe gilt von Salamandra und Triton.
Was die divertikeltragenden Capillaren anbelangt, so er-
scheinen dieselben beim Frosche auch am schönsten ausgebildet.
Man sieht daselbst, dass die Wandungen der Capillaren diver-
tikelartig vorgetrieben sind und eine Reihe von ziemlich dicht
neben einanderstehenden Blindsäcken bilden, deren Durchmesser so
ziemlich dem Durchmesser der betreffenden Capillare gleichkommt.
In den vorderen Gaumenabschnitten bilden die divertikel-
tragenden Capillaren beim Frosche schöne polygonale Netze (Fig. 2).
Weiter nach rückwärts werden die Maschen des Netzes enger und
mehr langgestreckt, um sich im Oesophagus in einigen Longitu-
dinalfalten zu eoncentriren, welche bis in den vordersten Magen-
abschnitt hineinragen.
Bei der Gattung Bufo sind die Divertikel nur in den aller-
vordersten Gaumenpartien angedeutet. Im weitaus grösseren Ab-
schnitte des Gaumens sowie in allen übrigen Schleimhautregionen,
wo beim Frosch divertikeltragende Capillaren vorkommen, finden
sich bei Bufo ganz andere Gebilde. Nämlich in Reihen oder in
Leisten angeordnete pupillenartig vorspringende Gefässschlingen
(Fig. 3).
Diese Leisten bilden am Gaumen selbst zunächst polyedrische
Maschen, welche nach hinten zu langgestreckt werden, um endlich
in zwei Bogensysteme von Leisten überzugehen, welehe ihre Con-
vexität gegen die Medianlinie zukehren und in reine Longitudi-
nalleisten des Oesophagus übergehen. Viele der betreffenden Lei-
sten, namentlich in den vorderen Partien bestehen aus lauter dis-
92 J. Schöbl:
kreten, völlig papillenartigen, mehr oder weniger complieirten Capil-
largefässschlingen, während in der Mehrzahl der Leisten die betreffen-
den Capillargefässschlingen auf lange Strecken hin zusammenhängen
und förmliche Gefässschlingenkämme bilden. Diese ganze mit diesen
Gefässschlingenleisten dichtbesetzte Schleimhaut bietet, mit plasti-
scher Injeetionsmasse gefüllt, ein überraschend prachtvolles Bild.
Da diese Gefässschlingenleisten genau nur in jenen Schleimhaut-
partien von Bufo vorgefunden werden, wo sich bei Rana diverti-
keltragende Capillaren zeigen, so kann es wohl keinem Zweifel unter-
liegen, dass sie bei dieser Gattung jene Gebilde vikariirend vertreten.
Pelobates und Bombinator halten zwischen Rana und Bufo
so ziemlich die Mitte, doch sind bei ihnen beiderlei Gebilde nicht
mit der augenfälligen Deutlichkeit und Pracht entwickelt wie bei
den beiden erstbeschriebenen Gattungen.
Bei Salamandra maculosa sind die Divertikel wieder sehr
deutlich entwickelt, doch an Zahl etwas sparsamer als bei Rana
und erstrecken sich über sämmtliche Schleimhautregionen wie
beim Frosch. Gefässschlingenleisten kommen bei Salamandra gar
nicht vor.
Bei Triton findet man wohl ab und zu etwas ausgebauchte
Capillaren, welche man als divertikeltragende deuten könnte, doch
kann von einer Divertikelbildung, wie sie beim Frosch vorkommt,
keine Rede sein. Dafür finden sich an der Aussenfläche der oberen
Pharynxwand ungemein mächtige wundernetzartige Venenplexus.
Schliesslich muss ich noch erwähnen, dass ich divertikeltragende
Capillaren beim Frosch in neuerer Zeit auch an anderen, als den
oben angegebenen Schleimhautpartien entdeckt habe und zwar auf
der Nasenschleimhaut und im Ohre; beides erscheint in Fig. 1
abgebildet.
Ebenso kann ich nicht unerwähnt lassen, dass unter den
zahlreichen injieirten Froschgaumen, die ich besitze, sich ein Exem-
plar vorfindet, wo an einer Stelle, an der sonst divertikeltragende
Capillaren vorkommen, ein schönes Wundernetz ausgebildet ist.
Aus dem Umstande nun, dass normaler Weise in denselben
Schleimhautpartien divertikeltragende Capillaren mit venösen Wun-
dernetzen vergesellschaftet vorkommen, sowie aus dem Umstande,
dass bei Gattungen, wo divertikeltragende Capillaren zum grössten
Theile fehlen, an ihrer Stelle mächtige Capillargefässleisten vor-
kommen, wie bei Bufo, und endlich aus dem Umstande, dass ab-
Ueber Wundernetze und divertikelbildende Capillaren etc. 93
normer Weise an denselben Stellen, wo sonst normaler Weise nur
divertikeltragende Capillaren vorzukommen pflegen, in seltenen
Fällen, wahre Wundernetze vorgefunden werden, glaube ich auch
zu dem Schlusse berechtigt, die betreffenden divertikeltragenden
Capillaren sowie die Gefässschlingenleisten bei Bufo für Analoga
von Wundernetzbildungen zu erklären, welche den Zweck haben
dürften in den betreffenden Schleimhautpartien den Blutstrom zu
verlangsamen.
Im Anhange erlaube ich mir auch eine kleine mehr vorläu-
fige Mittheilung über meine neuesten Beobachtungen ähnlicher Ge-
bilde bei neoplastischen pathologischen Blutgefässen.
Es handelt sich hier um einen collossalen äusserst interes-
santen Tumor, welchen ich im verflossenen Semester auf meiner
Klinik extirpirt habe, und dessen genauen histologischen Befund
ich später, sobald es meine äusserst beschränkte Zeit gestatten
wird, zu veröffentlichen gedenke. Es wurde ein 4 jähriger Junge
auf meine Klinik gebracht, aus dessen rechter Orbita ein weiss-
licher leicht blutender colossaler Tumor hervorragte, welcher die
Grösse des halben Kopfes des betreffenden Kindes übertraf, pilz-
förmig von Gestalt war und an seiner Oberfläche halbkuglige
drusige Prominenzen zeigte.
Nach Angabe der Eltern soll der ganze Tumor noch vor
8—10 Wochen nicht einmal eigross und in der Orbita frei beweg-
lich gewesen sein. Ich stellte die klinische Diagnose auf Glioma
retinae und entschloss mich trotz des elenden Kräftezustandes des
Kindes sofort zur Operation.
Die Exstirpation war eine schwierige und musste mit exeute-
teratio orbitae und Entfernung des Periosts derselben eombinirt
werden.
Mit unsäglicher Mühe gelang es mir, den ungemein weichen,
fast breiigen extingirten Tumor von neugebildeten pathologischen
Blutgefässen aus vollständig zu injieiren.
Die nach erfolgter Härtung vorgenommene vorläufig nur
flüchtige histologische Durchforschung ergab nun geradezu über-
raschende Resultate, welche, so viel mir aus der Literatur bekannt
ist, diesen Tumor als einzig in seiner Art erscheinen lassen.
Der Tumor ging, wie ich vermuthet hatte, von der Retina
aus und war ursprünglich ein Gliom und behielt diesen seinen
gliomatösen Charakter während seines intraokulären Zustandes.
94 J. Sehöbl:
Von sämmtliehen intraokulären Organen fanden sich kaum
Spuren und auch die Sklera erschien durch Compression hochgradig
atrophirt und degenerirt, desgleichen der Nervus opticus.
Ob die intrabulbäre gliomatöse Neubildung die Bulbuskapsel
perforirt hat, und falls dies geschehen ist, wo? ist mir zur Zeit
unbekannt weil, wie ich bereits erwähnt habe, ich eine erschöpfende
histologische Durchforsehung des Tumors noch nicht vornehmen
konnte und mir auch Fälle bekannt sind, wo die extrabulbäre
neoplastische Wucherung mit der intrabulbären in keinem direkten
Zusammenhang steht und einen ganz anderen histologischen Cha-
rakter trägt. (So habe ich unlängst einen Bulbus, wo ich Myeloma
(Sareoma) Chorioideae diagnostieirt hatte, exstirpirt und fand im
Inneren des Bulbus ein halbhaselnussgrosses scheckiges spindel-
zelliges Myelom, während ohne jeglichen direkten Zusammenhang
extrabulbär von der Selera ausgehend, sieh ein kleines rund-
zelliges Melanomyelom vorfand.) Der extrabulbäre Theil des be-
treffenden Tumors, soweit er die ganze Orbita erfüllte, sowie auch
die grosse Masse des colossalen extraorbitalen Tumors erwies sich
nun nicht als Gliom, sondern als kleinzelliges Leucoglobomyelom.
Doch an dieser Umwandlung war es lange noch nicht genug; ober-
halb des Myeloms findet sich unter der Oberfläche eine mächtige
Schicht neoplastischer glatter Muskelfasern, in welcher starke neu-
gebildete Blutgefässe und später zu erwähnende Wundernetze ein-
gebettet liegen, so zwar, dass man diese Partie der Geschwulst als
Myom bezeichnen musste. Ausserdem sind an einzelnen Stellen,
abgesehen von den bereits flüchtig erwähnten Wundernetzen, Ge-
fässe so übermächtig entwickelt, dass sie an der betreffenden
Stelle die Hauptmasse der Geschwulst ausmachen, so dass man
diese Stellen als Angiome auffassen musste. Doch auch hiermit
ist der Polymorphismus der Geschwulst noch lange nieht erschöpft,
ein grosser Theil derselben erscheint, wie ich glaube, wohl einzig
in seiner Art, mit prachtvollen eolossalen neoplastischen” Papillen
bedeckt, welche auf den ersten Bliek sehr grossen normalen Pa-
pillen gleichen. Die betreffende Partie des Tumors müsste man
unbedingt als Papillom beschreiben.
Um endlich die lange Reihe voll zu machen, ändern auch
die Papillen gegen die Mitte des Tumor zu ihren Charakter, die
Epitheldecke wird mächtiger und schiekt Fortsätze und Nester
in die Tiefe des Tumors, so dass man das Bild eines exquisiten
Ueber Wundernetze und divertikelbildende Capillaren ete. 95
Epitheliareareinom vor sich hat, wobei ieh unerwähnt lassen will,
dass sieh, wie bei Epitheliomen, einzelne Stellen finden, wo ein
drüsiger Charakter der Gesehwulst hervortritt.
Nach dieser kleinen pathologischen Abschweifung, welche
zum Verständniss der Sache nöthig war, komme ich endlich wieder
zu den Wundernetzen und divertikeltragenden Capillaren zurück,
welehe mich hauptsächlich dazu bestimmt haben, diese meine For-
schungen hier im Zusammenhange mit ähnlichen normalen Gebil-
den, wie ich sie Eingangs bei nackten Amphibien beschrieben habe,
zu veröffentlichen.
Ein mächtiges arterielles bipolares Wundernetz findet sich
auf einer grossen Fläche ausgebreitet unterhalb der Oberfläche
des Tumor, wesentlich in jenen Partien desselben, welche von
Papillen oder epitheliomatösen Wucherungen bekleidet sind. Die
grossen Gefässnetze, welche unterhalb der Oberfläche dieser Tumor-
partie gelegen sind, sind in diesem flächenartig ausgebreiteten
Wundernetze gleichsam eingebettet, und die Arterien der Papillen
nehmen zum allergrössten Theile aus ihm seinen Ursprung. Ge-
speist wird das betreffende Wundernetz aus den grösseren Arte-
rien des vorerwähnten groben Gefässnetzes.
Ich habe schon früher ausser diesem eben besprochenen
Wundernetz auch in anderen Tumoren Wundernetze vorgefunden,
über die ich noch später Mittheilung machen werde, so bei Me-
lanoeareinomen der Orbita, bei Melanomyelomen der Lider, bei
Östeomyelomen und Chondromyelomen der Orbita, von denen ich
sämmtlich gelungene Injectionspräparate besitze. Das betreffende
geschilderte Wundernetz sammt den in ihm enthaltenen grossen
Blutgefässen erscheint förmlich eingebettet in einer Schicht von
neoplastischen glatten Muskelelementen, in einer Myomschicht.
Unterhalb dieser Myomschieht liegt die eigentliche Leucoglobo-
myelommasse, die die Hauptmasse des Tumors ausmacht; in diese
nun dringen aus den obenerwähnten grossen Arterien Capillaren,
welche als divertikeltragende bezeichnet werden müssen. Die
Divertikel dieser Capillaren sind wohl nicht so deutlich und regel-
mässig wie diejenigen, welche ich im Gaumen der Frösche be-
schrieben und abgebildet habe; doch ist ihre Existenz ganz klar,
umsomehr als in der nächsten Nachbarschaft derselben divertikel-
lose Capillaren vorkommen.
Auch hier erscheinen also divertikeltragende Capillaren und
96 J. Schöbl: Ueber die Beziehungen der cavernösen Räume etc.
Wundernetze mit einander vergesellschaftet und zwar an einer
Stelle, wo gerade das üppigste Wachsthum des mit grosser Rasch-
heit wuchernden Tumors vor sich geht, welcher Umstand, wie ich
glaube, meine oben angeführte Ansicht über den Zweck der be-
treffenden Gebilde gleichsam bestätigt.
Erklärung der Abbildungen auf Tafel IM.
1. Zeigt den Kopf und die Speiseröhre eines injieirten Frosches von
oben; das Schädeldach ist entfernt, ebenso das Gehirn und die
Augen; die Knochen der Schädelbasis und die Wirbelsäule. Von
unten her verläuft in der Medianlinie der Speiseröhre die Vena
oesophagea dorsalis media recurrens, und zerfällt in der Mitte des
ÖOesophagus in das mächtige dreieckige, blau gehaltene venöse
Wundernetz.
An der Schädelbasis am Grunde der Augenhöhlen sowie an der
linken blosgelegten Nasenschleimhaut und an beiden Eustachischen
Röhren sind die divertikeltragenden Capillaren dargestellt.
Fig. 2. Zeigt eine kleine injieirte Schleimhautpartie aus dem Gaumen von
Rana esculenta mit divertikeltragenden Capillaren.
us]
w
BY
Zeigt eine kleine injieirte Schleimhautpartie vom Gaumen von Bufo
variabilis mit Gefässschlingenleisten.
Fig. 4. Zeigt ein Stückchen eines Schnittes, entnommen der oberflächlichen
Partie eines Tumors. Oben ist eine der colossalen, diese Partie des
Tumors bekleidenden Papillen abgebildet, unterhalb derselben grosse
Gefässe, von einem arteriellen Wundernetz umgeben, und im eine
Schieht neugebildeter glatter Muskulatur eingebettet. Die unterste
Partie zeigt einen Theil des Leucoglobomyeloms von divertikel-
tragenden Capillaren durchsetzt.
Sigm. Exner: Ein Mikro-Refractometer. 97
Ein Mikro-Refractometer.
Von
Prof. Sigm. Exner,
Assistenten am physiologischen Institute zu Wien.
Hierzu Tafel IV und 2 Holzschnitte.
Seit längerer Zeit mit Untersuchungen über die optischen
Eigenschaften der Muskelfasern beschäftigt, benütze ich einen
kleinen Apparat, dem ich den obigen Namen beilegen will, und
der mir als Hilfsapparat zum Studium gewisser Fragen auf dem
Gebiete der Mikroskopie empfehlenswerth erscheint. Ich gebe im
Folgenden eine Beschreibung seiner Einrichtung und seiner Wir-
kung; über die Versuche, zu deren Zwecken er construirt wurde,
werde ich später berichten.
Entfernt man sein Auge von dem Ocular eines z.B. auf Blut-
körperchen eingestellten Mikroskopes um 2—3 em und schiebt all-
mählich in einer passenden Entfernung zwischen Ocular und Auge
ein Kartenblatt ein, so kann der Rand desselben ziemlich nahe an
die Axe des Mikroskopes heranrücken, ehe eine Verdunkelung des
Sehfeldes eintritt; ist er aber etwas über die Axe vorgerückt, so
ist die Verdunkelung eine vollkommene. Zwischen diesen beiden
Stellungen des Kartenblattes zeigt das Sehfeld ein eigenthümliches
Aussehen; es ist auf einer Seite blau, auf der anderen mehr oder
weniger orange gefärbt, und die Blutkörperchen heben sich relief-
artig, anscheinend mit scharfen Liehtern und Schatten vom halb-
verdunkelten Grunde ab!). Um diesen einfachen Versuch mit
gutem Erfolg auszuführen, ist nur nöthig, das Kartenblatt in der
richtigen Höhe über dem Ocular zu halten, und diese richtige Höhe
ist durch den hellen Punkt gegeben, auf welchen das mikrospi-
sche Bild zusammen zu schrumpfen scheint, wenn man sein Auge
vom Ocular des Mikroskopes bis auf dentliche Sehweite entfernt.
1) Aehnlich wie bei gewissen Arten der schiefen Beleuchtung.
Archiv f. mikrosk, Anatomie Bd. 25. 7
98 Sigm. Exner:
Der Apparat, von dem ich spreche, besteht nun in nichts
anderem, als einem passend montirten Schirm, der die Stelle des
Kartenblattes vertritt, und seine Wirkung ist die, dass er schon
geringe Abweichungen der Lichtstrahlen von ihrem normalen Gang
dureh das Mikroskop erkennen lässt. Letzteres ermöglicht je nach
den Prämissen zweierlei.
Erstens, wenn es bekannt ist, ob der Brechungsindex des
mikroskopisch gesehenen Objectes (z. B. einer Zelle) grösser oder
kleiner ist, als der der umgebenden Substanz, lässt sich, mit
erösserer Sicherheit als bisher, ein Schluss auf das Relief des Ob-
jeetes ziehen; gewöhnlich springt dieses Relief in die Augen, die
Dinge sehen körperlich aus als wären sie von einer Seite her
scharf beleuchtet, wie dies die beigelegten Figuren von Blutkörper-
chen des Menschen und des Frosches zeigen (Fig.1, Taf. IV).
Zweitens, wenn die Form des Objeetes wenigstens soweit be-
kannt ist, dass man für eine Stelle desselben weiss, nach welcher
Seite hin dasselbe an Dieke zu- oder abnimmt!) (es ist mir kein
Fall gegenwärtig, in welchem der Mikroskopiker das anzugeben
nicht in der Lage wäre), lässt sich feststellen, ob der Brechungs-
index des Objeetes oder der der umgebenden Substanz ein grösserer
ist. Es kann hieran, wie ich sogleich zeigen werde, eine Methode
geknüpft werden, wenigstens in vielen Fällen den Brechungs-
index eines mikroskopischen Objeetes mit ziemlicher Genauigkeit
zu bestimmen, d.h. diesen Apparat als Mikrorefractometer zu be-
nutzen.
Der sachkundige Leser wird schon erkannt haben, dass es
sich hier um eine Anwendung jenes optischen Prineipes handelt,
welches in der Benützung der unregelmässig gebrochenen Strahlen
zur Entwerfung eines Bildes besteht und seine bekannteste Anwen-
dung in Töpler's Schlierenapparat?) gefunden hat. Da nicht allen
Mikroskopikern dieses Prinzip geläufig sein dürfte, will ich es,
gleich mit Anwendung auf unseren speeiellen Fall, kurz erläutern.
In beistehendem Holzschnitt stelle 7’ das sogenannte Objectiv-
system, © die Collectiv- und 0 die Ocularlinse eines Mikroskopes
dar, A sei das Auge, &y die Axe des ganzen optischen Systemes.
1) Die Dieke auf die Richtung der Mikroskop-Axe bezogen.
2) Töpler, Beobachtungen nach einer neuen optischen Methode.
Bonn 1864.
Ein Mikro-Refractometer. 99
Von einem entfernten hellen Punkte werde
dureh den Planspiegel des Mikroskopes reflec-
tirt, ein Cylinder paralleler Strahlen (a,b) auf
die Frontlinse geworfen. Die Strahlen nehmen
den durch die ausgezogenen Linien einge-
schlossenen Weg. Sie werden also zweimal in
einen Punkt vereinigt. Der erste derselben
liegt hart über dem Objectivsystem; man sieht
ihn an jedem Mikroskope, wenn man nach
Entfernung der Oecularlinse in den Tubus
blickt. Der zweite Vereinigungspunkt liegt
über dem Ocular, man kann auch ihn, wie
schon erwähnt, ohne Weiteres sehen.
Nun sei in ce ein Object, auf welches
das Mikroskop eingestellt ist. Würde dasselbe
etwa mit auffallendem Liehte beleuchtet sein,
so würden die von je einem Punkte desselben
ausgehenden Strahlen den durch die gestri-
chelte Linie schematisirten Weg machen und
bei y zu einem aufrechten Bilde führen. Ist
ce aber durchsichtig, wie dieses bei dünnen
Schiehten thierischer Gewebe der Fall zu sein
pflegt, so giebt es keine Strahlen dieser Art.
Es kommen nur Strahlen, die durch das Ge-
webe hindurchgegangen sind in Betracht. Die
punetirt gezeichneten d und e seien zwei
solche dem beleuchtenden Lichte angehörige
Strahlen. Gesetzt, das Object e bestehe aus
einer stärker brechenden Substanz als seine
Umgebung und sei am Rande dünner als in
der Mitte, dann werden sie in der gezeichne-
ten Weise von ihrem Wege abgelenkt werden.
Nach ihrem weitern Verlaufe durch das optische System, den ich
in der Abbildung gezeichnet habe, werden sie zur Erzeugung des
Bildes auf der Netzhaut beitragen, da sie durch das eingestellte
Object hindurchgegangen sind.
Man bemerkt, dass an dem Punkte, an welchem der Schirm
S in den Weg der Liechtstrahlen vorgeschoben wird, der Strahl, der
durch die Spitze des Pfeiles gegangen ist (in der Abbildung), links,
100 Sigm. Exner:
und der durch die Federn des Pfeiles gegangen ist, rechts vom Brenn-
punkt des Mikroskopes verläuft. Schiebt man nun den Schirm
vor (in der Zeichnung von rechts nach links), so blendet er erst
die Fortsetzung des Strahles e ab, es wird also das Objeet auf
der scheinbar dem Schirm gegenüberliegenden Seite dunkel werden;
kommt der Schirm bis an den Brennpunkt, so verdunkelt sich das
Sehfeld, nur der Strahl d wird in seinem Verlaufe noch nicht
alterirtt. Es wird also die dem Sehirm scheinbar zugewendete
Seite des Objecetes immer noch hell erscheinen. Ist die Stellung
des Schirmes so, dass die Verdunkelung des Sehfeldes keine voll-
ständige ist, so tritt das Objeet auf der einen Seite hell, auf der
anderen dunkel hervor.
Die Farben, in welchen das Sehfeld in diesem Falle er-
scheint, rühren von der chromatischen Abweichung her. Da der
Brennpunkt der rothen Strahlen dem Auge näher als der der vio-
letten liegt, so blendet der Schirm bei einer Lage zwischen diesen
beiden Brennpunkten von der einen Hälfte des Sehfeldes vorwie-
gend die langwelligen, von der anderen vorwiegend die kurz-
welligen Strahlen ab. Deshalb erscheint die dem Schirm schein-
bar zugewendete Hälfte desselben blau, die andere orange.
Der Apparat selbst ist in Holzschnitt Fig. 2 durchschnit-
ten und vergrössert dargestellt. Ueber dem Ocular (0) des
Ein Mikro-Refracetometer. 101
Mikroskopes ist ein Kästchen angebracht. Eine Oeffnung (A) in
seiner oberen Wand erlaubt durch dasselbe, wie durch ein Ocular,
in’s Mikroskop hineinzublicken. Unter dieser Oeffnung befindet
sich ein Schirm (7), der aus einem breiten nach oben federndem
Stahlband besteht, er kann durch die Schraube Pin einer Schlitten-
vorrichtung vor- und rückwärtsgeschoben und durelı die Schraube
C© gehoben oder gesenkt werden.
Das ganze Kästchen ist in einem Ring, der in der Zeichnung
als Durchschnitt r,r erscheint, um die Axe des Mikroskopes dreh-
bar, wird von diesem Ring getragen, und ist durch ihn unter Ver-
mittelung eines federnden und klemmbaren Rohrstückes an den
Tubus des Mikroskopes befestigt. Um mit einem Handgriff
das Apparatehen vom Ocular entfernen und frei in’s Mikroskop
blicken zu können, bewegt sich das Ganze in einem drehbaren
Zapfen (Z) und ist mit einer Einschnappvorrichtung (E) versehen!).
Zur Beleuchtung benützte ich einen Gasrundbrenner, dessen
Gylinder aus einer weissen bodenlosen Thonzelle, wie man solche
zu galvanischen Elementen verwendet, bestand, und der aussen
noch mit einem Cylinder aus Schwarzblech umgeben war. Eine
runde Oeffnung von eirca 1 cm Durchmesser liess die Flamme
sehen, und bildet dann in der Entfernung von 1 m eine gute Licht-
quelle. Es ist aber für die meisten Zwecke diese Vorrichtung un-
nöthig, die ganz gewöhnliche Beleuchtung des Mikroskopes mit
Himmelslicht und Concavspiegel zeigt die Erscheinungen, beson-
ders wenn man das Mikroskop in einiger Entfernung vom Fenster
aufstellt, vortrefflich, ja in gewisser Beziehung besser, weil die bei
Benutzung des Lichtpunktes auftretenden Beugungserscheinungen
wegfallen. Die beigelegten Abbildungen von Blutkörperchen sind
bei gewöhnlicher Beleuchtung mit Tageslicht und Hohlspiegel ge-
zeichnet.
Bei starken Vergrösserungen (über Hartnack Obj. VIII) wer-
den die Bilder zu lichtsehwach. Ich versuchte in diesen Fällen
elektrische Beleuchtung anzuwenden. Glühlampen gewöhnlicher
Art (von der Construction Swan) geben, wie zu erwarten war,
keine nennenswerth grösseren: Helligkeiten als Gaslicht, und eine
Bogenlampe gab zwar auch für die stärksten Wasserimmersionen
1) Der Apparat wird vom Mikroskopfabrikanten Karl Reichert in Wien
für den Preis von circa 19 fl. ö. W. geliefert.
102 Sigm. Exner:
(Hartnack XV) genügend Licht, doch sind die Beugungserschei-
nungen dann schon so störend, dass wenigstens in dieser Form
an eine praktische Verwerthung des. Bogenlichtes nicht gedacht
werden kann.
Die vorliegende Mittheilung war schon abgeschlossen, als ich
eine Abhandlung Töpler’s!) fand, in welcher er sein Prineip der
Schlierenbeobachtung auf das Mikroskop anwendete. Seine Vor-
richtung, im Constructionsplan mit der meinen übereinstimmend,
unterscheidet sich von dieser besonders dadurch, dass er den
Schirm nieht über dem Ocular, sondern entsprechend dem andern
Vereinigungspunkt der Strahlen über dem Objectiv, also an der
Stelle » des Holzschnittes Fig. 1, einschiebt. Es geschieht die-
ses mit Hülfe eines Zwischenstückes, das oberhalb des Objectiv-
systemes eingeschaltet wird. Der Schirm ist nicht nach auf- und
abwärts verschiebbar, vielmehr geschieht die Einstellung, welche
ich dureh Schraube C (Fig. 2) besorge, durch Verschiebung der
im Objeettisch angebrachten Blendung.
Ich zweitle nicht, dass diese Einrichtung vortreffliche Dienste
leistet. Auch ich habe ursprünglich den Schirm am ersten Ver-
einigungspunkt der Strahlen angebracht, habe aber später die an-
dere Form gewählt, weil mir diese handlicher und zu meinen
Zwecken geeigneter erschien. Töpler war es nur darum zu thun,
den Effeet der schiefen Beleuchtung in vollkommenerem Masse zu
erzielen und Bilder zu erhalten, in welchen sich die Aenderungen
der optischen Dichtigkeit deutlich aussprachen; mir war die Ver-
wendung als Refraetometer die Hauptsache, und dazu ist es nöthig,
dass man mit einem Handgriff den Apparat ein- und ausschalten,
dass man den Schirm um die Axe des Mikroskopes drehen kann
(Töpler muss den ganzen Tubus drehen), dass man beliebige
Linsen verwenden (bei Töpler muss jede Objectivlinse mit der
Vorrichtung versehen werden) und dieselben leicht wechseln kann.
Diese und einige andere Unbequemlichkeiten dürften den von
Töpler angegebenen Vortheil der besseren Bilder aufheben. Um
wievieles die Bilder bei Abblendung am unteren Vereinigungs-
punkte vollkommener sind, kann ich freilich nicht angeben, denn
1) Ueber die Methode der Schlierenbeobachtung als mikroskopisches
Hilfsmittel, nebst Bemerkungen über schiefe Beleuchtung. Poggend. Annal.
Bd. 27, pag. 556.
Ein Mikro-Refractometer. 105
ich habe nur mit einem provisorisch zusammengestellten Apparat
dieser Art gearbeitet; hierbei habe ich allerdings keinen Unter-
schied zu Ungunsten meiner Vorrichtung bemerkt. Auch sind die
Bilder, die ich erhalte, so gut, dass sie bei den Vergrösserungen,
mit denen hier überhaupt gearbeitet werden kann, kaum etwas zu
wünschen übrig lassen.
Unzweifelhaft ist aus Töpler's Beschreibung zu ersehen,
dass die Wirkung seiner Vorrichtung bei Weitem den bis dahin üb-
lichen Arten schiefer Beleuchtung überlegen war, und es muss
auffallen, dass seine Empfehlung letztere durch Anwendung dieser
Vorrichtung zu substituiren, so wenig Beachtung fand.
So frappirend nun auch die Relief-Effeecte des Apparates
in vielen ..Fällen z. B. bei Blutkörperchen, Muskelfasern u. s. w.
sind, so glaube ich doch, dass der geübte Mikroskopiker, wenn es
sich ihm um die Feststellung einer Form handelt, nur bei ganz be-
sonderen Objecten Nutzen aus dem Apparate ziehen wird. Die
Ursache davon liegt in Mancherlei. In Fig. 1 5 habe ich absicht-
lich ein Froschblutkörperchen abgebildet, das zwei Alveolen ent-
hält. Sie erscheinen im entgegengesetzten Relief wie das Blut-
körperchen selbst, also wie Gruben im Blutkörperchen, weil sie
einen geringeren Brechungsindex haben als dieses. Hier ist die
Deutung der scheinbaren Vertheilung von Licht und Schatten leicht,
nicht so in manchen anderen Fällen, in welchen man im Zweifel
bleiben kann, ob ein Lichteffect auf einer Differenz im Brechungs-
index oder in der Dicke des Objectes beruht. Von einem Bei-
spiel dieser Art soll alsbald die Rede sein. An Schnittpräparaten
stört die Unebenheit ihrer Begrenzungsflächen.
Anders ist es bei der
Verwendung des Apparates als Refractometer.
Um seine Empfindlichkeit zu prüfen, stellte ich mir zwei
Flüssigkeiten von nahezu gleichem Brechungsindex her. Die eine
bestand aus einem Gemenge von gereinigtem Olivenöl mit Ethylen-
ehlorid und hatte einen Brechungsindex
rn = .1,4672;
die andere aus mit Wasser verdünntem Glycerin
n = 1,4669.
Macht man aus diesen Flüssigkeiten eine Emulsion, so sind
die Tropfen derselben bei Untersuchung mit dem gewöhnlichen
104 Sigm. Exner:
Mikroskope nur mit sehr zarten Contouren zu sehen. Mit dem
Refractometer erscheint jeder Tropfen als eine deutliche, von einer
Seite her beleuchtete Kugel und man überzeugt sieh auf den ersten
Blick von dem Unterschiede zwischen ihrem Brechungsindex und
dem der Umgebung. Es sind nämlich die Tropfen scheinbar auf
derselben Seite, auf welcher sich der Schirm des Apparates befin-
det hell, auf der entgegengesetzten dunkel, wenn der Tropfen
stärker brieht als die Flüssigkeit in der er suspendirt ist, und
umgekehrt, wenn er schwächer bricht als diese. Auch als ich den
Brechungsindex des Glycerines bis auf
n.—=: 1,4671
steigerte, konnte man nicht einen Moment im Zweifel sein, welche
der beiden Flüssigkeiten stärker breche.
Hierzu ist jedoch zu bemerken, dass die angeführten Brechungs-
verhältnisse der Flüssigkeiten mit Ab be’s grossem Refraetometer!)
gemessen wurden und dieses Instrument die Grenze seiner Lei-
stungsfähigkeit in der vierten Decimalstelle hat, derart, dass ich
Fehler bis zu 3 Einheiten derselben machen kann?). Die obigen,
sowie alle folgenden Angaben von » sind das Mittel aus mehreren
Ablesungen. Ferner habe ich zwar Flüssigkeiten gewählt, deren
gegenseitiges Lösungsvermögen ein Minimum ist, doch ist es nicht
undenkbar, dass sie bei der Bildung der Emulsion ihr » um eine
hier schon in Betracht kommende Grösse verändert hätten. Wie
dem immer sei, bei den schlagenden Resultaten, welche der
Apparat noch gibt, wenn die Brechungsverhältnisse der beiden
Flüssigkeiten, soweit es die Messungen mit Abbe’'s Refractometer
gestatten, einander so nahe als möglich gebracht sind, überschätze
ich die Empfindlichkeit sicher nicht, wenn ich sie auf einige Ein-
heiten der vierten Decimale angebe.
Die Messung des Brechungsindex eines mikroskopischen Ob-
jeetes geschieht nun, indem man eine Flüssigkeit herstellt, welche
eben noch stärker und eine andere, die eben noch schwächer
bricht als das Object. Die Breehungsverhältnisse dieser Flüssig-
keiten müssen dann (am bequemsten mit Abbe’s grossem Refracto-
1) Neue Apparate zur Bestimmung des Brechungs- und Zerstreungs-
vermögens fester und flüssiger Körper. Jena 1874.
2) Vergl.: v. Fleischl, die doppelte Brechung des Lichtes in Flüssig-
keiten. Wiener akad. Sitzber. Bd. 90. II. Abth. Oktob. 1884.
Ein Mikro-Refractometer. 105
meter, der bei seiner Billigkeit und Vortrefflichkeit ohnehin in
den meisten Laboratorien vorhanden sein dürfte und bei welchem
eine Messung kaum mehr als eine Minute erfordert) bestimmt
werden.
Je nach der Natur des Objectes wird man verschiedene Flüs-
sigkeiten verwenden und dafür sorgen, dass man durch Mischung
je zweier Flüssigkeiten eine Scala herstellen kann. Dabei ist es
möglich, über jene Genauigkeit hinauszugehen, welche das Abbe’-
sche Instrument erlaubt, indem man sich noch Mischungen her-
stellt, welche zwischen den gut gemessenen Grenzwerthen liegen
und ihren Breehungsindex entweder berechnet!) oder sich durch
eine Anzahl von Messungen verschiedener Concentrationsgrade
dieser Flüssigkeit eine Curve construirt, welche die Aenderung des
Breehungsindex bei Zusatz des einen Bestandtheiles angiebt. Man
kann dann interpoliren. Eine derartige Curve, die ich für ein
Glycerin-Wasser-Gemisch hergestellt habe, zeigte mir, dass man
innerhalb der engen Grenzen, um die es sich in einem solchen
Falle handelt, die Aenderung des Index proportional dem Zusatz
der einen Flüssigkeit annehmen kann.
Ich führe am Schlusse eine Anzahl von Flüssigkeiten mit
ihrem Brechungsindex an, die ich bisher in Gebrauch gezo-
gen habe.
In Bezug auf die Verwendung von mit Wasser unmischbaren
Flüssigkeiten bei frischen Geweben, in welchen ein Organtheil
also von einer Schicht Gewebeflüssigkeit umgeben zu sein pflegt,
sei hervorgehoben, dass, sobald diese Schicht nur hinlänglich dünn
ist, sie auf den Verlauf der Strahlen keinen merklichen Einfluss
übt. Es ist dies einem bekannten dioptrischen Gesetze für Kugel-
flächen analog?).
Es ist nun leicht z. B. den Breehnungsindex lebender Muskel-
fasern zu messen, das Nähere hierüber soll in der erwähnten
späteren Mittheilung besprochen werden; ein Blick auf einen Schnitt
durch den Kopf des Frosch-Femurs genügt, um zu erkennen, dass
die Grundsubstanz stärker bricht als die Knorpelzellen; ein Bei-
spiel einer ausgeführten Messung will ich aber etwas näher be-
sprechen.
1) Vergl. Landolt, Poggend. Ann. Bd. 123. pag. 623. 1864.
2) Vergl. Helmholtz physiol. Optik. pag. 60.
106 Sigm. Exner:
Bei Gelegenheit meiner Untersuchung: „über das Sehen von
Bewegungen und die Theorie des zusammengesetzten Auges“!) war
mir darum zu thun, die optischen Constanten eines Insektenauges
zu ermitteln. Ich berechnete den Brechungsindex der Cornea des
Hydrophilus piceus aus der Lage des optischen Bildehens, welches
eine Facette entwarf; den Brechungsindex des Glaskegels zu
bestimmen hatte ich kein Mittel. Ich setzte ihn damals gleich
dem der Cornea. Es war mir jetzt interessant nachzusehen, wie-
weit die direeten Messungen mit jenen unvollkommenen Bestim-
mungen und Annahmen coineidiren.
Was zunächst denGlaskegel anbelangt, so fand ich denselben,
frisch in einem Gemenge von Anilin und Olivenöl untersucht, von
einem Brechungsindex
n< 1,5612
n ) 1,5567.
Genauer liess sich die Bestimmung (deshalb nieht ausführen,
weil 2 der verschiedenen Kegel nicht ganz gleich war. Ja es
fanden sich Kegel, für welche der Werth » = 1,5612 noch zu
klein, und andere für welche a» = 1,5567 schon zu gross schien.
Die Genauigkeit der Messung geht hier also über die Gleichmässig-
keit, welche die Natur, mit oder ohne funetionelle Bedeutung, den
Gebilden gegeben. Man wird also nicht viel fehlgehen, wenn man
als Durchschnittswerth für den Kıystallkegel des Hydrophilus-
auges setzt
n.— 1,099.
Auffallend ist, wie wenig sich das Brechungsverhältniss dieser
hornartigen Masse ändert, wenn die Thiere Monate lang in Alko-
hol liegen. An solchen fand ich
n > 1,5536
n < 1,5734.
Complieirter sind die Verhältnisse in der Hornhaut des Hydro-
philus. Jede Facette derselben besteht aus einem soliden Chitin-
cylinder, der vorn durch eine Fläche begrenzt wird, deren Krüm-
mung die des mit freiem Auge sichtbaren Organes ist. Ihr
Krümmungshalbmesser ist für die verschiedenen Abschnitte des
Auges nicht genau gleich und beträgt in einem bestimmten Falle
1,14 mm. Der Krümmungshalbmesser der hinteren gegen den
1) Sitzbr. d. Wiener Akad. d. W. Bd. 72. 1875.
Ein Mikro-Refractometer. 107
Krystallkegel kuppelartig vorspringenden Fläche ist 0,013 mm !).
Vergl. Fig. 2, Taf. IV.
Legt man eine solehe Cornea, nachdem sie mit dem Pinsel
von den anhaftenden pigmentirten Theilen und von den Krystall-
kegeln gereinigt ist, auf einen durchbohrten Objectträger, so dass
die vordere Fläche an Luft, die hintere an Wasser grenzt, so ent-
wirft jede Facette ein mikroskopisches Bildchen. Aus der Ent-
fernung dieses Bildehens von der hinteren brechenden Fläche habe
ich (l. e.) den Brechungsexponenten der Substanz berechnet, aus
welcher die Hornhautfacette gebildet ist. Ich fand die enorm
grosse Zahl » = 1,82.
Als ich nun mit dem Mikrorefractometer den Brechungsindex
direct maass, fand ich diese Zahl falsch — und doch waren meine
früheren Rechnungen und Messungen richtig. Die Erklärung hier-
für liegt in einem eigenthümlichen dioptrischen Bau der Cornea-
facette, durch welche sie eine viel geringere Brennweite hat, als
ihr, entsprechend dem Brechungsindex und ihren brechenden
Flächen, zukäme; sie steht dadurch in gewisser Analogie zur
menschlichen Linse.
Bei der Bestimmung des Brechungsindex der Cornea?) ver-
fuhr ich in folgender Weise. Mir war darum zu thun, auch zu
sehen, ob die vorderen und hinteren Schichten gleiches Brechungs-
vermögen haben. Deshalb kappte ich von einer Cornea mit dem
Rasirmesser ein rundliches Stück ab, und fertigte dann einige
Schnitte an, welche dadurch ringförmig wurden, dass die Schnitt-
flächen senkrecht auf den Krümmungsradius des abgekappten
Stückes waren. Der äussere Rand des Ringes war demnach durch
die äusseren Hornhautschichten gebildet, der innere durch die
kuppelartigen Enden der Facetten, von denen an jedem Schnitt
mehrere waren, die die Gestalt einer gewöhnlichen planconvexen
Linse hatten, und nur durch eine schmale Brücke noch mit dem
übrigen Präparate zusammenhingen. An diesen konnte ich also
Messungen ausführen. Indem ich dieselben Schnitte nacheinander
in verschiedene Mischungen von Monobromnaphthalin und sogen.
1) Diese Maasse sind aus meiner schon eitirten Abhandlung genommen.
2) Da die Krystallkegel ihren Index durch langes Liegen in Alkohol
nicht veränderten, so durfte ich gleiches bei der Cornea voraussetzen, maass
also an Alkoholpräparaten.
108 Sigm. Exner:
flüssigen Paraffıin brachte, zeigte sich der Brechungsindex der
Cornea
n der äussersten u. innersten Schichten ) 1,4712 (Paraph.liquid.allein)
< 1,6608 (Monobrnaphth.allein)
N, „ „ „ ”
nn, on ” kr n > 1,5005
N „ „ ” 2) (1,6145
ar FE > e j; < 1,5907
Digte 4: " . a ( 1,5842
1, 3 "N n 4 (1,5727
en „ <der innersten merklich = 1,5651
AAN „ <einzelner Facetten der
innersten Schichten > 1,5582
iur „ <der innersten Schichten) 1,5517
ne „ Dehichten im Blau des Seh-
feldes spurweise <im Gelb
merklich =, der innersten
Schichten >» 1,5470
2: „ Schichten im Gelb des
Sehfeldes Jim Blau merk-
lich =, der innersten
Schichten > 1,5421
Dal „ und innersten Schichten ) 1,5385.
Man kann demnach den Brechungsindex für die äusseren
Hornhautschiehten — 1,545, für die inneren Sehiehten = 1,565
setzen. Der gefundene Unterschied muss nicht auf eine Zunahme
des Brechungsvermögens von Aussen nach Innen der Gesammt-
cornea bezogen werden, es kann vielmehr sein, dass er auf einem
nun zu besprechenden Umstande beruht.
Betrachtet man die Gesammteornea mit dem Mikrorefracto-
meter, während sie mit der concaven Fläche nach oben gewendet
unter dem Mikroskop liegt, so dass man einen Theil der Facetten
in der Richtung ihrer Axe vor sich hat, stellt auf die Facetten der
hinteren Fläche ein, so stellen sich diese, in Wasser betrachtet,
natürlich als stärker brechende Medien heraus: jede bildet eine
Kreisfläche, die auf der Seite des Schirmes hell erscheint. Das
kann von der Brechung an der stark gewölbten hinteren Fagetten-
fläche herrühren. Bringt man nun die Cornea in eine Flüssigkeit
die ebenso stark bricht wie die Cornea in ihren hintersten Schich-
Ein Mikro-Refractometer. 109
ten, so gewahrt man aber noch dasselbe Verhalten gegenüber dem
Refraetometer, ja man sieht auch noch ein ziemlich gutes Bild-
chen, welches die Facette entwirft. Dasselbe ist in einer Mischung
der Fall, welche stärker bricht als irgend ein Theil der Cornea
(Anilin und Olivenöl an = 1,5734). Ja, brachte ich die Cornea in
die stärkst brechende der mir zur Verfügung stehenden Flüssig-
keiten, in eine Barium-Quecksilber-Jodidlösung (n — 1,7783), so
zeigte sich immer noch dasselbe Verhalten, immer noch erscheint
die Facette hell auf Seite des Schirmes, immer noch entwirft sie
ein Bildehen, welches hinter (im Mikroskope über) der gekrümm-
ten Fläche liegt. Da der Brechungsindex der Cornea nun gewiss
kleiner ist als der der Umgebung, so sollte man erwarten, dass
jede Facette als Zerstreuungslinse, nicht als Sammellinse wirke.
Man kann weiter die hintere gewölbte Fläche der Facette (die
vordere kommt hierbei gar nicht in Betracht) ganz wegschneiden,
so dass man aus der Facette einen Cylinder mit ebener Basis an-
gefertigt hat, und immer noch entwirft derselbe ein ziemlich gutes
Bildehen, dessen Lage analog der Lage ist, welche das Bildchen
einer Convexlinse einnimmt.
Wie aus den obigen Messungsversuchen hervorgeht, sind die
Dinge ganz anders, wenn man nicht die Corneafacette in ihrer
ganzen Dicke, sondern nur ihren hintersten Abschnitt (als plan-
convexe Linse) unter dem Mikroskope hat. Hier geht also in der
Substanz der Corneafacette etwas vor sich, das zu einer Wirkung,
welche der einer Sammellinse ähnlich ist, führt. Was das ist,
erhellt aus dem optischen Verhalten einer Fagette, welche einem
dünnen Schnitt angehört (s. Fig. 2, Taf. IV), der parallel den Axen
der Facetten durch die Cornea geführt ist. Mit dem Refraetometer
erscheint jeder Facettenceylinder wirklich wie ein von der Seite
beleuchteter Cylinder auf der einen Seite hell, auf der anderen
dunkel. Was hier vorliegt ist aber kein Cylinder, die begrenzen-
den Sehnittflächen sind vollkommen eben, die Striemen, welche
das Messer an denselben zurückgelassen hat, zeigen das auf das
deutlichste. Es wird nicht nöthig sein die Frage zu discutiren,
ob die Hornhautfacetten Cylinder sind, welche eine ihrer eigenen
ähnliche Masse in ihren Zwischenräumen bergen, oder ob sie
sechsseitige Prismen sind, also keine Zwischenräume zwischen
sich haben, jedenfalls ist keine merklich anders brechende Sub-
stanz in der ganzen Cornea zu finden. Wenn sie sich also, selbst
110 Siem. Exner:
an Schnitten die dünner sind als ein Facetteneylinder, dem Mikro-
refractometer gegenüber wie Cylinder verhalten, so kann das nicht
an ihrer Gestalt liegen. Sie behalten ihr Aussehen, auch wenn
man sie in Schwefelkohlenstoff (n = 1,6306) legt.
Das geschilderte optische Verhalten der Corneafacetten er-
klärt sich unter der Annahme, dass der Breehungsindex der-
selben von aussen nach innen zunimmt. Sie sind zu
betrachten als aus eonaxial in einandergesteckten Cylindern be-
stehend, deren innerster den stärksten Brechungsindex hat, und die
äusseren successive kleinere. In der histologischen Structur braucht
das natürlich nicht ausgedrückt zu sein, da die optische Dichtig-
keit stetig zuzunehmen scheint.
Ich sehe in diesem Bau der Corneafacette eine weitere Ein-
richtung!) der Natur, möglichst viele jener Strahlen, die von einem
in der Axe der Facette gelegenen Punkte ausgehen, an der Spitze
des Krystallkegels zu vereinigen, also beim Sehact zu verwerthen.
Es ist nämlich einleuchtend, dass ein System ineinanderge-
schachtelter Cylinder, deren Brechungsindex in der geschilderten
Weise gegen die Axe hin zunimmt, einen Strahl im Allgemeinen
der Axe zuführen muss?). So wird es verständlicher, dass das
Bildchen einer Hornhautfacette näher liegt, als es den Krümmungen
und dem Brechungsindex derselben entspricht, ja dass überhaupt
noch reelle Bildchen zu Stande kommen, wo die Krümmungen
im Sinne von Concavlinsen wirken, oder wenn die Krümmung der
hinteren Fläche dureh eine Scehnittebene ersetzt ist.
Wie nun die Zeichnung (Fig. 2) ohne Weiteres ergiebt, so
ist in den äussersten Theilen der Hornhaut die Schichtung nur
andeutungsweise vorhanden, erst im hinteren Antheile wird die
Zunahme des Brechungsindex nach der Axe der Corneafacette
deutlich. Da nun beim Abkappen der hinteren Wölbungen haupt-
sächlieh die centraleren Partien derselben zur Beobachtung ge-
langen, so kann der oben gefundene Unterschied zwischen dem
Brechungsvermögen der vorderen und hinteren Hornhautschiehten
auch als Unterschied zwischen den vorderen Schichten, und den
centralen Theilen der Facette aufgefasst werden.
l) Ich habe auf diesen Punkt in der genannten Abhandlung aufmerk-
sam zu machen gesucht.
2) Ich komme an anderem Orte auf diesen rein optischen Gegenstand
zurück.
Ein Mikro-Refractometer.
Die angeführten Beispiele mögen vorläufig genügen,
zeigen, dass das Mikrorefractometer für gewisse Zwecke ein nütz-
liches Instrument sein kann, und das specielle Beispiel von der
Hornhautfacette, dass die Deutung des Bildes gelegentlich Vor-
sieht erheischt.
1ll
um zu
Die von mir bisher in Anwendung gezogenen Flüssigkeiten
sind:
Farbloses Olivenöl
Terpentinöl .
Aethylenchlorid
Diekstes Glycerin
Wasser
_ Diekstes Vaselin
Gereinigtes Olivenöl
Flüssiges Paraffın
Paraglobulin in wenig 1%, CINa- Lösung ahfeeclänt
Leim bei eirca 20° flüssig Rt
Colloide Flüssigkeit aus einer Be
Synovialflüssigkeit
Hühnereiweiss!) frisch
&B] „
„ ”
PB] „ z = =
Das letztgenannte Fähnereiweis 1-3 Midbe EN
dem Reeipienten der Luftpumpe mit Schwefel-
säure Be RENT STE e peere TEnleyn
Anilin e
Pseudofibrin in wenig acc nd Natronlauge au
gelöst .
Ein zweites Mal dasselbe
Auflösung von Mucin (aus Schnecken bereitet).
Lösliche Stärke
Benzaldehyd
Monobromnaphthalin
Cadmium borowolframieum
R
1,4730
1,4727
1,4463
1,4688
1,3347
1 ‚473
1,4727
1,4712
1,3607
1,3463
1,3657
1,3438
1,3590
1,3625
1,3612
1,3640
1,4053
1,5803
1,3470
1,3457
1,3405
1,3758
1,5494
1,6608
1,6066
1) Das dicke in der Nähe des Dotters hat so nahe gleiches Brechungs-
vermögen, wie das dünne aus der Peripherie des Eies, dass die Differenzen
innerhalb der Ablesungsfehler fallen.
112 Sigm. Exner: Ein Mikro-Refractometer.
Cuminaldehydus« ailsklane nagunı steigend ande 1,5147
Schwefelkohlenstofhuri ug 1: alas ol 1,6306
Barium-Quecksilber-Jodidlösung . . ......n = 1,7783!)
Diese Zahlen sind mit Abbe’s Refractometer gefunden, be-
ziehen sich also auf die D-Linie.
Auf die Temperatur habe ich keine Rücksicht genommen,
doch sind die Messungen bei gewöhnlicher Zimmertemperatur von
ca. 20° C. ausgeführt.
l
I
Erklärung der Abbildungen auf Tafel IV.
Fig. 1. A. Rothe und ein weisses Blutkörperchen vom Menschen, B ein
rothes vom Frosche, das zwei Vacuolen enthält, mit dem Mikro-
Refractometer gesehen. Die Farben des Sehfeldes sind nicht wieder-
gegeben. Gez. bei Hartn. Obj. VIII. Oe. 3.
Fig. 2. Ein dünner Schnitt durch die Cornea von Hydrophilus piceus mit
dem Refractometer betrachtet. Die scheinbar eylindrische Wölbung
der einzelnen Facetten rührt von der Zunahme des Brechungsindex
gegen die Axe her.
l) Mit dem Abbe’schen Refraetometer wegen zu hohen Brechungs-
vermögens nicht mehr bestimmbar; nach einer Bestimmung mit dem Hohl-
prisma.
Gustav v. Wiederspere: Beitr. z. Entwicklungsgesch. d. Samenkörper. 113
Beiträge zur Entwickelungsgeschichte der
Samenkörper.
Von
Dr. Gustav von Wiedersperg.
Hierzu Tafel V, VI, VI.
Die in der neueren Literatur öfters wiederkehrende Neu-
mann-Ebner’sche Lehre über dieEntwiekelung der Samen-
körper, ohne Betheiligung der Zellenkerne, hat mich
veranlasst diese Vorgänge an verschiedenen Thierspecies zu stu-
diren. Dabei bin ich zu einigen Resultaten gelangt, die mir ge-
eignet scheinen in mancher Richtung zur Klärung der Verhältnisse
bei der Samenkörper-Entwickelung beizutragen.
Ich beginne mit der Frage, woher die Elemente
stammen, aus welchen sich in letzter Reihe die Samen-
körper bilden.
Auch nach meinen Beobachtungen entwickeln sich die Samen-
körper ausschliesslich aus den sogenannten runden Hodenzellen,
und zwar in der Art, dass der Kern der Zelle zum Kopf des
Samenkörpers wird, die Geissel aber sich im Innern der Zelle
ausbildet, wie das ja jetzt von den meisten Forschern ange-
nommen ist.
Das Thema, das uns zunächst beschäftigt, redueirt sich auf
die Frage, woher diese kleinen runden Zellen stammen, welche
die Mitte des Lumens in den Hodencanälchen erfüllen.
In einer Hinsicht nun muss ich der Behauptung von Ebner's
zustimmen, der gemäss diese Zellen Derivate der fortge-
setzten Theilung der Randzellen des sogenannten Epithels
der Hodeneanälchen sind.
Ich halte sie für die Nachkommen der den jugendlichen —
ja der den embryonalen Hoden erfüllenden Zellen, die sich zur
Zeit der Mannbarkeit im Wege der Theilung zu vermehren be-
ginnen.
[0 6)
Archiv f. mikrosk, Anatomie, Bd. 25.
114 Gustav von Wiedersperg:
Die Theilung der Randzellen mit den grobgranulirten, sich
intensiv färbenden Kernen erfolgt in der bekannten Art, dass
sich zunächst der Kern einsehnürt (Taf. V, Fig. 4), dann in zwei
Kerne zerfällt, die dann voneinander rücken bis sich auch die Zelle
einschnürt und in zwei Theile zerfällt, was schon so vielfach be-
obachtet, beschrieben und abgebildet worden ist.
Anders aber verhält sich die Sache bei den späteren — viel-
leicht nur letzten Generationen dieser Zellen, aus welchen sich
dann direet die Samenkörper entwickeln.
Der Theilungsprocess dieser Zellen beginnt damit,
dass eine Differenzirung der Substanz im Kern selbst in
der Weise zu Stande kömmt, dass die mit Farbstoffen,
zumal Hämatoxylin sich stark färbende Masse — das so-
genannte Chromatin — sich an zwei einander entgegen-
gesetzten Polen der Kernkugel anhäuft (Taf. V, Fig. 1a,
2a, 7a).
Diese beiden Anhäufungen rücken nun allmählich auseinander,
so dass die auch bei Seitenansicht bisher runde Form des Kernes
erst länglich (Taf. V, Fig. 2b, e, d, e, Fig. 4b, Fig. 7b), endlich
strang- oder schlauchförmig gestreckt erscheint (Taf. V, Fig. 1b,
Fig. 2f, g, Fig. 3a, b, Fig. 4d, Fig. 6a, b, Fig. 7c). Während
dessen beginnt sich auch der Zellleib zu strecken und dann einzu-
schnüren (Taf. V, Fig, 2f, g, Fig. 4d, Fig. 6b).
Das Eigenthümliche dieser Theilungsvorgänge nun
aber ist, dass die beiden Poltheile des Kernes, indem
sie voneinander rücken, noch durch mehr oder weniger
zahlreiche Fäden von meist granulösem Ansehen mit-
sammen verbunden bleiben, welche den Contour des
Kernes noch deutlich markiren, wenn sich auch die bei-
den an den Polen zusammengeballten Massen schon
schon sehr weit voneinander entfernt haben.
Ja diese Fäden bleiben selbst dann noch persistent,
wenn sich auch schon der Zellkörper in zwei Theile
getrennt bat, so dass die zwei neugebildeten Zellen
noch durch eine Brücke von verschieden zahlreichen
Fäden, welche die Kerne der neuen Zellen verbinden,
zusammengehalten erscheinen. |
Die sich tingirende Substanz nun, das Chromatin scheint
sich an den Polen des Kernes bei diesem Theilungsprocess in.
Beiträge zur Entwickelungsgeschiehte der Samenkörper. 115
Form von Körnern, Strängen oder Fäden zusammenzuballen, so
dass da mitunter ganz eigenthümliche Bilder entstehen, wie auf
Taf. V die Fig. 1e eines darstellt, wo der sich in Flächenansicht von
oben her präsentirende Kernpol fast die Gestalt einer Blume zeigt.
Auch an andern der dargestellten Objeete ist eine Zusammen-
setzung aus rundlichen Körnern oder Balken und Strängen wahr-
nehmbar.
Ich lege auf diese Mannichfaltigkeit der Formen kein grosses
Gewicht, da sie vielleicht nur der Ausdruck der zufälligen Form
dieser so proteusartigen Substanz im Moment des Starrwerdens
ist. Die aus Körnern zusammengesetzte Masse, die das Bild in
Fig. 1e auf Taf. V darbietet, kann einen Moment vor dem Ab-
sterben vielleicht in der Gestalt von Strängen einen Knäuel dar-
gestellt haben, oder konnte ihn vielleicht, falls sie länger le-
bendig geblieben wäre, einen Augenblick später bilden. Kann
man doch an lebenden Zellen, z. B. farblosen Blutzellen der
Amphibien dieses Durcheinanderwogen der Kernmasse leicht beob-
achten.
Ich will auch in keiner Weise entscheiden, als was die Fä-
den, welche die farbigen Pole verbinden, angesehen werden sollen
— ob sie der Ausdruck eines im Kern bestehenden Gerüstes, ob
sie vielleicht „Leitungsfäden“ sind oder dergleichen, sie gelten
mir nur als der unanfechtbare Beweis, dass die beiden neuen
Kerne früher eins waren und wir hier mit aller Bestimmtheit die
Vermehrung der Zellen durch Theilung vor uns haben. Ich fand
diese Bilder bei den meisten von mir untersuchten Thierformen
zwischen jungen Zellen mit äusserst intensiv gefärbten Kernen und
da dann meist in einem gewissen Rayon, wenn auch nicht zahl-
reich, so doch meist auch nicht ganz vereinzelt.
Die umgebenden jungen Zellen mit den intensiv gefärbten
Kernen haben so grosse Aehnlichkeit mit den in Theilung be-
sriffenen Hälften, dass ich es für sehr wahrscheinlich halte, dass
sie alle jenen Theilungsprocess eben beendigt haben, welcher bei
den in Rede stehenden Zellen nicht mehr zu seinem Abschluss
gelangte.
Es ist nun auffallend, dass diese Bilder doch verhältnissmässig
so selten zur Beobachtung kommen, da doch dieser Vorgang sich
sehr häufig abspielen muss — vorausgesetzt, dass meine oben aus-
gesprochene Vermuthung richtig ist und die jungen Zellen in der
116 Gustav von Wiederspere:
5
Umgebung wirklich alle ihre Entstehung dem eben geschilderten
Theilungsprocesse verdanken.
Es ist indess möglich, dass der einmal begonnene Theilungs-
process durch eigene Lebensenergie der Zellen sich in der Regel
auch dann noch bis zu Ende abspielt, wenn das Organ auch schon
abgestorben ist; da kann es sich also ereignen, dass solche Kern-
theilungsbilder nur da fixirt werden, wo die Lebensenergie der
Zelle schon so weit herabgesetzt war, dass sie den eingeleiteten
Process aus eigener Kraft nieht mehr zu vollenden vermochten,
und daher auf Zwischenstufen stehen blieben, die sieh uns dann
bei der Beobachtung darstellen.
Da diese Bilder in einzelnen Abtheilungen eines Hodenkanäl-
chens in grösserer Anzahl nebeneinander sich vorfinden, wogegen
man ein ander Mal oft lange vergebens nach ihnen sucht, hat
vielleicht seinen Grund darin, dass eine solehe einzelne Partie
eines Canälchens aus irgend einer Ursache das Gesammtorgan um
etwas länger überlebte, und so noch einzelne Zellen zur Einleitung
des Processes angeregt wurden, den sie aber dann nieht mehr zu
vollenden vermochten.
Dem Gesagten zufolge halte ich die ‚runden Hodenzellen“,
aus welchen sich unmittelbar die Samenkörper entwickeln, für die
letzte Generation der durch fortgesetzte Theilung vermehrten Rand-
zellen. Ich will dieselben, wie andere auch schon thaten, „Samen-
zellen“ nennen.
Ob eine mehrfache Kerntheilung oder eine Theilung ganzer
Zellen innerhalb einer Mutterzelle als endogene Zellbildung im
Hoden warmblütiger Thiere stattfindet, will ich nieht unbedingt be-
streiten, doch habe ich bei sehr zahlreichen Untersuchungen an
sehr verschiedenen Vögeln und Säugethieren!) etwas dem Letzteren
ähnliches nicht zu beobachten vermocht.
Ob daher die aus mehr oder minder zahlreichen Samenzellen
zusammengesetzten kugelähnlichen Gebilde, die v. la Valette
St. George als „Spermatogemmen“ bezeichnet, und die man in
frischen Präparaten ungemein häufig, in gehärteten dagegen nur
äusserst selten zu sehen bekommt, durch endogene Bildung ver-
srösserte Mutterzellen sind, wage ich darum nicht zu entscheiden.
1) Bei Amphibien und Reptilien habe auch ich oft Bilder gesehen, die
auf diesen Vorgang weisen.
Beiträge zur Entwickelungsgeschichte der Samenkörper. 117
Die Samenzellen liegen frei nebeneinander in dem
mittleren Raum der Hodenkanälchen, umgeben von mehr
oder weniger zahlreichen Schichten anderer Zellen, die
ihrer Theilung erst entgegengehen.
Zu dieser Ueberzeugung kam ich namentlich durch das Stu-
dium dieser Vorgänge bei der Ratte, welche sich zu diesem
Zweck darum besonders eignet, weil ihre Samenkörper so eigen-
thümlich geformte Köpfe haben, dass auch schon in frühen Sta-
dien der Entwickelung, wo bei andern Thieren noch ein bestimmtes
Erkennen ganz unmöglich ist, der Kern der Samenzelle als im
Begriffe der Umwandlung in den Kopf eines Samenkörpers er-
kannt werden kann.
Es waren da vor Allem Schnitte, welche die Hodenkanälchen
der Länge nach trafen, die mich zur klaren Erkenntniss dieser
Verhältnisse führten.
Ich fand auch ein die Arbeit sehr erleichterndes Verfahren
darin, dass ich die Hodenkanälchen, die sich bei der Ratte unge-
mein leicht isoliren lassen, auf einer Parafin-Unterlage mit dem
Rasirmesser der Länge nach in zwei Hälften auf ziemliche Strecken
hin spaltete, worauf es meist leicht gelang, den Inhalt dieser
Hälften, ohne die Situation im wesentlichen zu stören, auszu-
schälen und auf dem Objectträger auszubreiten, wodurch äusserst
instruetive Uebersichtsbilder gewonnen wurden.
Die Entwickelung der Elemente in den Hodenkanälchen geht
äusserst regelmässig vor sich, und zwar so, dass die verschiedenen
Entwickelungsstadien der Samenzellen so aneinandergereiht liegen,
dass in einem gewissen Längenabschnitt eines Kanälchens nur
Zellen der gleichen Entwickelungsstufe gefunden werden, in dem
zunächst angrenzenden Abschnitt aber die nächst folgende oder
nächst vorhergehende Entwickelungsphase auftritt, die ganz all-
mählich ineinander übergehen.
Darum nun werden auf Querschnitten der Kanälchen
meist nur Zellen eines einzigen Entwickelungsstadiums
gefunden, während Längenschnitte den Vortheil gewäh-
ren, dieallmählichen Uebergänge in ihrem Nacheinander
beobachten zu können.
Hier nun zeigte sich, dass, wie ich schon oben gesagt habe,
die Samenzellen in ihren jugendlichsten Formen, un-
mittelbar nachdem sie durch die letzte Theilung ent-
118 Gustav von Wiedersperg:
standen sind, ganz frei und gleichmässig vertheilt in
dem mittleren Raum des Kanälchens nebeneinander
liegen.
Während nun die Ausbildung der Samenkörper in den Samen-
zellen eingeleitet wird, geht der Vermehrungsprocess in den äussern
Schichten der umgebenden Zellen auch vorwärts, um eine nächste
Generation von Samenzellen vorzubereiten. Damit ist natürlicher
Weise eine Volumsvergrösserung dieser Randschichten verbunden,
welche darum gegen das Centrum und die daselbst liegenden
Samenzellen der letzten Generation vorwächst.
Durch dieses Vorwachsen und Hereindrängen nun entstehen
die gezackten Figuren, die sich uns auf Querschnitten so häufig
darstellen.
Die Samenzellen werden durch die sich hereindrängenden
Keile jüngerer Zellen aber in Gruppen zusammen- respective
voneinandergedrängt, so dass wir sie dann in solchen beisammen
liegen sehen und zumal in gehärteten Präparaten — auch die
verschieden weit in ihrer Entwickelung vorgeschrittenen Samen-
körper deutliche Gruppen bildend finden (Spermatoblasten).
Ich will mich auf die Darstellung der sich während der Ent-
wickelung der Samenkörper in den Samenzellen abspielenden Vor-
sänge hier nicht einlassen, da ich nur das in den ausgezeichneten
Arbeiten von v. la Valette St. George!) und von Brunns?)
wiederholen müsste, aber eines Umstandes glaube ich Erwähnung
thun zu sollen, den zu beobachten ich vielfach Gelegenheit hatte.
Es betrifft dies das Verhalten der Kerne der Samenzellen
während ihres allmählichen Umwandlungsprocesses in die Köpfe
der Samenkörper gegen Farbstoffe — insbesondere gegen Häma-
toxylin, das für Studien der Spermatogenese von keinem andern
mir bekannten Farbstoffe erreicht wird.
1) v. la Valette St. George: Ueber Genese der Samenkörper: Schultze’s
Archiv für mikroskopische Anatomie, I. Mittheilung, I. Band, 1865. II. Mit-
theilung, III. Band, 1867. III. Mittheilung, X. Band, 1874. IV. Mittheilung,
XII. Band, 1876. V. Mittheilung, XV. Band, 1878.
2) A. von Brunn: Beiträge zur Entwickelungsgeschichte der Samen-
körper. Archiv für mikroskopische Anatomie. XI. Band 1876 und Beiträge
zur Kenntniss der Samenkörper und ihrer Entwickelung. Archiv für mikros-
kopische Anatomie, XXIII. Band, 1883.
Beiträge zur Entwickelungsgeschichte der Sämenkörper. 119
Das Verhalten der Kerne ist in verschiedenen Stadien ein
sehr verschiedenes.
Die Kerne der jungen Samenzellen färben sich in
ganz ähnlicher Weise, wie die Kerne der Mutterzellen,
aus denen sie hervorgehen. Sie zeigen deutlich eine
sich wenig oder gar nicht färbende Grundsubstanz, in
der sich Körner, Balken oder Netze einer Farbstoff mit
srösster Intensität aufnehmenden Substanz wahrneh-
men lassen. — Das Chromatin ist in diesen Formen von
der Grundsubstanz vollkommen differenzirt.
Während nun die Kerne der Samenzellen sich allmälich in
die Köpfe der Samenkörper umbilden, ändern sich diese Verhält-
nisse gar. sehr.
Man sieht nun keine farblose Grundsubstanz mehr
und findet je weiter die Umbildung vorschreitet, desto weniger
Körner oder Balken des Chromatins. Die Substanz, in welcher
diese liegen, färbt sich auch und das um so intensiver, je weniger
geformtes Chromatin sich mehr zeigt.
Es scheint somit eine Auflösung dieser Substanz in
der Grundmasse stattzufinden, wodurch diese die ihr früher
mangelnde Fähigkeit sich zu färben erlangt, und zwar in um so
höherem Maasse, je mehr Chromatin sich in ihr aufgelöst hat.
Denn wir sehen ganz deutlich, dass sie da, wo noch viele Körner
in ihr wahrnehmbar sind, nur blasse Tinten annehmen; da wo
weniger Körner vorhanden sind, färbt sie sich schon dunkler, bis
die homogen erscheinende Masse der fertigen Köpfe, in der das
Vorkommen kleiner Chromatinkörner nur mehr ausnahmsweise zu
beobachten ist, ihr höchstes Färbungsvermögen erreicht hat.
Ich sage darum ihr höchstes, weil nun dieses allmählich wieder
abnimmt, wie es schon seiner Zeit Schweigger-Seidel erwähnt
hat. Je älter die Samenkörper werden, desto weniger Neigung
zeigen sie, Farbstoffe aufzunehmen.
Samenkörper aus dem Nebenhoden färben sich. zwar nach
längerer Einwirkung der Farbstoffe recht intensiv, aber lange nicht
so rasch als jene der Hodencanälchen. Solche aus den Samen-
blasen, oder gar jene des ejaculirten Sperma färben sich selbst
in sehr lange Zeit einwirkenden Lösungen intensiv wirkender Kern-
färbungsmittel, kaum nennenswerth; — nur Anilinfarbstoffe mit
ihrer alles färbenden Tinetionskraft greifen da mehr an.
120 “ Gustav von Wiedersperg:
ich wende mich nun zu einigen Beobachtungen, die ich über
die Art und Weise, wie der in der Samenzelle fertig gebildete
Samenkörper aus dieser frei wird, zu machen Gelegenheit hatte.
Die Samenzellen aller von mir untersuchten Thierspeeies!)
haben eine deutliche Zellhaut; diese ist bei verschiedenen Thieren
mehr oder minder leicht sichtbar zu machen; am schwierigsten
ist sie bei der Ratte nachzuweisen, aber auch da ist es mir hin
und wieder gelungen. Ausser der Zellhaut ist auch noch der
Kern von einer besonderen Membran umgeben, von der ein Theil
mit der Kopfkappe ziemlich früh abgestossen wird, wie diesen Vor-
gang von Brunn beschrieben und abgebildet hat?).
Der Austritt der Samenkörper aus der Samenzelle erfolgt
nun auf zweierlei Art.
Ich lasse die Frage nach den treibenden Kräften unerörtert
und will mich nur an die Beschreibung der Thatsachen halten. —
Vielleicht ist übrigens die Elasticität der eng zusammengebogenen
Geissel nicht ohne Einfluss dabei, denn eine vitale Bewegung,
wie sie Sertoli behauptet, habe ich an derselben innerhalb der
Zellen nie gesehen.
Die Zellhaut wird von der Geissel meistens an der dem
Kopfe entgegengesetzten Seite durchbrochen, so dass diese dann
hinten aus der sie beutel- oder schlauchartig umgebenden Zellhaut
hervorsieht, aus welcher vorn der Kopf des Samenkörpers ganz
oder theilweise hervorragt.
Solche Bilder treten uns fast bei jeder Beobachtuug in grosser
Zahl entgegen (Taf. V, Fig. 11b, e. — Fig. 14a, o, ß, y, d. —
Fig. 15a, b).
Die Zellmembran, oder auch die Reste des Zellinhaltes, welche
die Geissel umgeben, schwinden nun allmählich und sieht man sehr
häufig an Samenkörpern kragenartige Zellhautreste die Geissel
1) Untersucht habe ich ausser dem Menschen von Säugethieren: Maus,
Ratte, Pferd, Rind, Ziege, Schaf, Hirsch, Reh, Wildschwein, Kaninchen,
Hund, Katze, Elephant u. a.
2) Ich habe Grund die Kopfkappe als eine Membran anzusehen, die
aus dem vordern Abschnitt der Kernmembran und jener nach von Brunns
Beobachtungen von der Spitze her den Kern umwuchernden membranösen
Ausbreitung der „Protoplasma-Anhäufung“ besteht, da diese nur bis zur
Hälfte vorwächst, die hintere Partie des Kernes aber auch von einer den
Kern von dem Raum des Zellkörpers trennenden Membran umgeben ist.
Beiträge zur Entwickelungsgeschichte der Samenkörper. 121
an ihrem Ursprung am Kopfe umgeben (Taf. V, Fig. I1d, e,
Fig. 14, Fig. 15, d).
Aber der Vorgang des Freiwerdens kann auch ein anderer
sein. Es kann die Hinterwand der Samenzelle resistenzfähiger
sein, als die Verbindung zwischen Kopf und Kern membran;
in solchem Falle wird der Kopf aus der Zelle — vielleicht durch
die Elastieität der Geissel — nach vorne in der Art ausgetrieben,
wie etwa das Projeetil aus einer Kinderpistole durch die Kraft
einer Spiralfeder ausgestossen wird.
In diesem Falle wird der Samenkörper dann ohne
jeden Anhang frei und rein aus der Zelle hervortreten.
Ob dieser Vorgang ein häufiger ist, lasse ich dahingestellt;
dass er aber vorkömmt, beweisen meine zahlreichen Beobachtungen,
von denen ich einige auch auf Taf. V abgebildet habe. Fig. 8
zeigt eine nur von vorn offene Zellmembran aus dem Hoden des
afrikanischen Elephanten!), den vordern Theil bildet die becher-
förmige Hinterhälfte der Kernmembran, die mit dem Zellhautsack
durch eine im Grunde derselben befindliche Oeffnung communieitt,
deren Ränder nach vorn und aussen zu fast flaschenbergartig vor-
gezogen erscheinen. Durch diese Oeffnung hindurch stand die
in dem hintern Zellbautsacke zur Entwickelung gelangte Geissel
mit dem Kopfe des Samenkörpers in Verbindung, und war auch
durch dieselbe, als sich dieser aus der Kernmembran gelöst hatte,
nach vorn herausgeschlüpft.
Ein Herausgleiten des Samenkörpers nach vorn muss auch
an den sub Fig. 9« und ß in zwei Stellungen dargestellten Ob-
jeeten aus dem Hoden des Pferdes stattgefunden haben, doch ist
hier der Zellsack nieht mehr intact. Ebenso liegen die Verhält-
nisse in dem in Fig. 10 dargestellten Falle von Wildschwein.
In beiden Fällen sieht man einen becherförmigen vordern
Theil, der mit der Zellhaut zusammenhängt. Im ersteren Object
ragt in die letztere von der Kernmembran her ein zapfenartiger
Fortsatz herein, durch welchen die Geissel hindurchgeschlüpft sein
1) Im April 1882 musste ein männlicher afrikanischer Elephant in der
k. k. Menagerie in Schönbrunn vertilgt werden, weil er allzu gefährlich ge-
worden war.
An dem Hoden dieses Thieres machte ich einige interessante Beobach-
tungen, die hier auch hin und wieder benutzt sind.
122 Gustav von Wiedersperg:
muss. Derartige Zapfen, die den Ursprung der Geissel röhrenartig
umschliessen, sind an Samenkörpern innerhalb der Samenzellen
oft zu beobachten. Auch an freigewordenen Samenkörpern findet
man sie öfters.
Noch einer Erscheinung muss ich hier gedenken; — es ist
das schon von mehreren Forschern erwähnte Vorkommen von
solehen Kernenin den Samenzellen, die mit der Bildung
des Samenkörpers nichts zu thun haben und neben den sich
in den Kopf des Samenkörpers umwandelnden Kerne in der Samen-
zelle liegen. Ich behalte für sie den von v.la Valette St.George!)
gebrauchten Namen: „Nebenkern“. Diese Nebenkerne gehören
in den Samenzellen des afrikanischen Elephanten zu den aller-
sewöhnlichsten Erscheinungen (Taf. V, Fig. 12, 13, 14).
Sie treten da in sehr verschiedenen Grössen auf und zeigen
auch mitunter eine körnige Zusammensetzung (Taf. V, Fig. 13 «).
Diese Kerne liegen — hin und wieder wenigstens — der
Zellmembran fest an, wie es der in Fig. 14«-0 dargestellte Fall
beweist, wo ein solcher Nebenkern der hinten offenen, die Geissel
schlauchartig umgebenden Zellhaut ganz am Rande der ziemlich
weiten Oeffnuug anhafte. Um mich zu überzeugen, ob ich es
nicht vielleicht mit einer zufälligen Ablagerung zu thun habe,
brachte ich die Zelle durch Rücken des Deckglases in. die ver-
schiedensten Lagen, welche zum Theil in den Figuren «&—d dar-
gestellt sind; der Nebenkern blieb unverrückt an seiner Stelle
haftend.
Die Figuren 12 und 13 stellen ebenfalls Zellen mit solchen
Nebenkernen in verschiedenen Stadien der Spermatogenese dar.
Die dem Samenkörper anhaftende Zellmembran schwindet
und man hat Gelegenheit mannichfache Phasen des Schwindens zu
beobachten. So sieht man zuweilen glatte wulstige Ränder der
Rissstelle (Taf. V, Fig. 14a u. b), dann findet man diese Ränder
auch — und weit öfter — zerschlissen und unregelmässig (Fig.
lld, e und Fig. 15, Taf. V).
Uebrigens finden sich Samenkörper mit Zellhautresten sehr
häufig im Vas deferens, in den Samenblasen, ja sogar im ejacu-
lirten Sperma selbst, in grosser Zahl. Doch sind da diese An-
hänge doch in der Mehrzahl auf ein geringeres Maass reducirt
l) v. la Valette St. George, V. Mittheilung, Archiv f. mikroskop.
Anatomie. XV. Bd. 1878.
Beiträge zur Entwickelungsgeschichte der Samenkörper. 123
und begegnet man da meist Formen wie in Fig. Ile und
Fig. ld.
Ich komme nun zu einigen Beobachtungen, die ich
am reifen ejaeulirten Sperma gemacht habe.
Auch in diesem finden sich nieht nur die zuletzt erwähnten
Formen, sondern fast alle Stadien der Entwickelung der Samen-
körper kommen oft in einem einzigen Präparate neben einander vor.
Ich machte Beobachtungen am Sperma des Menschen und
des Hundes.
Man findet da runde Zellen oft in grosser Zahl, an denen
noch gar keine Erscheinungen der Spermatogenese wahrnehmbar
sind, man findet solche, an deren Kern sich eben erst die
halbseitige Verdiekung des Contours wahrnehmen lässt,
auf die schon Kölliker, dann 1865 v. la Valette St. George
und 1874 abermals Merkel aufmerksam gemacht haben (Taf. VI,
Fig. 1 u. 2). Diese findet man ungemein häufig. Es kommen
dann Zellen vor, in denen bei vollkommen kugeligrunder Form
der Kern über die Wand der Zelle als kleine halbrunde Promi-
nenz hervorragt (Taf. VI, Fig. 3).
Ich sah solche, wo der fertig gebildete Kopf des Samen-
körpers der Zellwand angelagert war und die Geissel,
die als unendlich feines Fädchen ebenfalls der Wand
der kugeligrunden Zelle anlag, ziemlich genau einem
grössten Kreise entsprach.
Bei mehrfachen Lageveränderungen, denen die Formelemente
im frischen Sperma schon durch das sich so oft wiederholende
Anstossen der herumschwärmenden Samenkörper unterliegen, er-
schienen solche Zellen bald als durch einen haarfeinen dunkeln
geraden Strich in zwei gleiche Hemisphären getheilt, bald in den
Stellungen, die in Taf. VI, Fig. 4« u. % zur Darstellung kommen.
Auch der Zellwand nicht anliegende ausgebildete Samen-
körper habe ich gefunden, die im Innern einer Zelle lagen
(Taf. VI, Fig. 5), doch ist das selten zu beobachten.
In grosser Zahl beobachtete ich Samenzellen von rundlicher,
mehr oder weniger gestreckter Form, an denen der Kopf des
Samenkörpers verschieden weit über den Contour der
Zellmembran hervorsah, und die Geissel im Innern der
Zelle zusammengebogen lag, wie es die Figuren 6, 7, 8, 9
und 10 auf Taf. VI darstellen.
124 Gustav von Wiedersperg:
Auch eine Zelle beobachtete ich, deren vollkommen kugelig
runder Leib den Kopf des Samenkörpers noch umschloss, dagegen
die Geissel schon hatte austreten lassen (Taf. VI, Fig. 11). Der
Irrthum, eine zufällige Verklebung für genetischen Zusammen-
hang angesehen zu haben, ist dadurch ausgeschlossen, dass die
Zelle durch die äusserst lebhafte Bewegung der Geissel immer-
während hin- und hergerollt wurde, also in den verschiedensten
Stellungen beobachtet werden konnte und deutlich sehen liess, dass
der Kopf sich in der That im Innern des Zellleibes befand.
Uebrigens erinnert diese Zelle sehr an von Merkel darge-
stellte Elemente aus menschlichen Hoden (siehe Merkel: Ueber
die Entwickelungsvorgänge im Innern der Hodencanälchen. —
Müller’s Archiv 1871. Fig. e,i und k).
Die Geissel hat in diesem Falle ihren Austritt aus der Zell-
membran an einer ungewöhnlichen Stelle bewerkstelligt, denn,
wie oben schon gesagt, geschieht das in der Regel an der dem
Kopfe gegenüberliegenden Seite.
Auch solche Bilder findet man unendlich häufig im ejaeculir-
ten Sperma und sah ich da solche, wo der Kopf noch inner-
halb des Zellleibes lag (Taf. VI, Fig. 12« u. %), als auch solche,
wo er halb oder schon ganz aus diesem herausgetreten ist (Fig.
13a u. b, eu. d Taf. VI). Es haftet da noch die Zellhaut und
der Zellinhalt der Samenkörper an, in andern Fällen ist es nur
mehr erstere oder Reste von ihr, so in Fig. 14, Taf. VI.
An all diesen Figuren ist die hintere Hälfte des
Kopfes ausgesprochen dunkler als die vordere, es ist
das die Folge davon, dass die Kopfkappe am Vorder-
ende abgestossen wurde, während die Hinterhälfte des
Kopfes noch in der becherförmigen Hinterhälfte der
Kernmembran liest.
Ich glaube aber, dass diese Erscheinung auch mit durch das
Dickenverhältniss des Kopfes selbst bedingt wird, da dieser an
seiner Hinterhälfte ja oft einen nahezu kreisrunden Querschnitt
hat, an der Vorderhälfte aber von zwei Seiten her abgeflacht ist,
was von der Abgrenzungslinie der Kopfkappe ab oft ziemlich un-
vermittelt der Fall ist. Dadurch nun entsteht eine vordere viel
dünnere somit für das Licht pegmeablere Hälfte und eine hintere
diekere, daher minder durehsichtige.
Wir finden nämlich diese Erscheinung auch mitunter da, wo
Beiträge zur Entwickelungsgeschichte der Samenkörper. 125
der Samenkörper auch die hintere Hälfte der Kernmembran be-
bereits abgestreift hat, endlich auch manchmal da, wo ihm die
Kopfkappe noch anhaftet, wie in Fig. 17 auf Taf. VI, wo das Vor-
handensein des Spitzenknopfes deren noch Vorhandensein mehr
als sehr wahrscheinlich macht. Wir vermissen da auch die scharfe
Grenze des dunklen und lichten Theiles, die da allmählich inein-
ander übergehen. — Diese Dickendifferenz scheint übrigens nach
dem Abstreifen der Kernmembran nicht mehr lange so scharf aus-
geprägt zu bleiben, denn an den von Anhängen freien Samen-
körpern findet man meist weder in Flächenansichten mehr deren
optischen Ausdruck, noch zeigen sie sich mehr deutlich an Seiten-
ansichten. An ersteren ist meist nur der unter dem Namen des
Valentin’schen Querbandes bekannte lichte Streifen die einzige
Spur, die diese Entwickelungsvorgänge an dem reifen Product
zurücklassen.
Ausnahmsfälle sind indessen auch hier, bei diesen so über-
aus verschiedenen Abweichungen unterliegenden Gebilden eine
sehr häufige Erscheinung.
Auch die sogenannten Sameneysten oder Spermatogemmen
v. la Valette St. George’s habe ich oft im ejaeulirten Sperma ge-
funden. Sie enthielten mehr oder weniger zahlreiche Samenzellen
eingeschlossen, deren Kerne oft die ersten Umbildungsstadien in
die Köpfe der Samenkörper aufwiesen. Ich habe deren in den
Figuren 19 und 20 auf Taf. VI dargestellt.
Aber auch v.la Valette St.George’s Entdeckung der
Beweglichkeit der Hodenzellen vermochte ich noch in
dem ejaculirten Sperma des Menschen und des Hundes
zu bestätigen.
Man findet im ejaculirten Samen meist häufig leicht gra-
nulirte Zellen, die amöboide Bewegungen ausführen, in-
dem sie sowohl Contour-Veränderungen vornehmen, als
auch blasse, kolbige, kugelige oder knopfförmige Fort-
sätze hervortreiben und wieder einziehen.
Die Figuren 1, 2 und 3 auf Taf. VII zeigen Phasen solcher
Formveränderungen, wie man sie in manchem Sperma ungemein
zahlreich vorfindet, in andern Fällen sind sie sparsam und nicht
immer leicht zu finden. Ich beobachtete sie noch 2—3 Stunden
nach der Ejaculation in ihrer Bewegung.
Figur 4 stellt eine andere Art amöboiderZellen dar,
126 Gustav von Wiedersperg:
die ieh 7 Stunden nach der Ejaculation sich in der dar-
sestellten Weise verändern sah, wobei sie langsam
dureh das Sehfeld kroch und eine beträchtliche Orts-
veränderung ausführte, was bei den Zellen der erst geschil-
derten Art nur in untergeordneter Weise stattfindet. Ich habe
aber diese Form nur in einem einzigen Falle zu beobachten Ge-
legenheit gehabt.
In Figur 5 ist eine amöboide Zelle aus dem ejaculirten Sperma
des Hundes dargestellt, die ähnliche Bewegungen zeigte wie die
in den Figuren 1—3 dargestellten Objecte.
Die auf der Tafel VII dargestellten Zellen (mit Ausnahme der
von den übrigen vollkommen abweichenden in Fig. 4) sehen den
runden Hodenzellen sehr ähnlich — zumal unmittelbar nach der
Ejaculation ehe sie sich zu bewegen beginnen, (was meist erst nach
einiger Zeit vielleicht in Folge der Abkühlung anzufangen pflegt) —
wo sie meist ziemlich kugelige Formen darstellen. Es liegt also
die Vermuthung nahe, sie für solehe anzusehen, aber nichtsdesto-
weniger zeigen sie keinerlei Merkmale, welche sie unzweifelhaft
als solche erkennen liessen.
Unddoch hat es wohl vor alleminteresse zu wissen,
ob denjenigen Elementen, aus welchen sich die die
Fortpflanzung vermittelnden Gebilde, die Samenkörper
entwickeln, die selbstständige Beweglichkeit zukömmt,
oder nicht.
Es ist mir indessen auch gelungen an solehen Zellen,
welche unzweifelhaft als Samenzellen sich manifestiren,
Bewegungs-Erscheinungen zu konstatiren.
Ich beobachtete zu wiederholten Malen Bewegungs-
Erscheinungen an Zellen, in denen bereits Samenkörper
gebildet waren.
In Fig. 6, 7 und 9 auf Tafel VI habe ich Phasen dieser aller-
dings minder lebhaften, nichts desto weniger aber vollkommen
deutlichen Bewegungen an solehen Zellen dargestellt.
Die Bewegungen sind ganz und gar unabhängig von dem
eingeschlossenen Samenkörper, der sich dabei vollkommen passiv
verhält. Es sind ausschliesslich Bewegungen des Protoplasma.
Dass nicht etwa ein allmähliches Drehen des Zellkörpers die
Formverschiedenheiten der Contouren hervorbringen konnte, be-
weist neben der unveränderten Flächenansicht des Kopfes die
Beiträge zur Entwickelungsgeschichte der Samenkörper. 127
gleiche Stellung und Lage der gekrümmten Geissel im Innern des
Zellleibes, welche vollkommen deutlich sichtbar ist. Die Krüm-
mung dieser hätte bei Drehungen der Zelle unmöglich die gleiche
Lage beibehalten können, sondern alsogleich eine solehe verrathen
müssen. Die geringfügigen Abänderungen der Configuration dieser
sind nur die Folgen des sich Anbequemens an die Raumverände-
rungen im Innern der Zelle in Folge von deren Bewegungen.
Es kamen mir blosse Contourveränderungen vor und auch
Austreten von rundlichen Fortsätzen.
Am eclatantesten war die Bewegung an der in Fig.6, Taf. VI
dargestellten Zelle, welche als ein ziemlich langgestrecktes Ge-
bilde sich binnen wenigen Minuten — ehe ich im Stande war sie
zu zeichnen — in die in Fig. 6« dargestellte kugelige Gestalt ver-
ändert hatte, so dass ich die erste Form, die ich mir vollkommen
genau merken konnte, nach dem Gedächtniss als Fig. 6x hingesetzt
habe, doch muss dabei erwähnt werden, dass das noch nicht die
längste Streckung war, da ich ja durch die Formveränderung erst
auf diese Zelle aufmerksam wurde, und sie dann so abgebildet
habe, wie ich sie bei aufmerksamer Beobachtung bestimmt gesehen
habe. Die Fig. « und die die Zelle mit einem Fortsatze dar-
stellende Fig. # sind Portraitzeichnungen ohne Zuhilfenahme des
Gedächtnisses, wie alle übrigen Darstellungen auch.
Die Figuren 7a, b und e dürften dieselbe Zelle darstellen wie
Fig. 6, aber da dieselbe von anstossenden herumschwimmenden
Samenkörpern vielfach herumgestossen, auch einmal ganz aus dem
Sehfelde herausgedrängt wurde, kann ich für deren Identität keine
vollkommene Sicherheit geben.
Die Contourveränderungen der in Fig. 9«, $ und y darge-
stellten Zelle sind auch vollkommen charakteristisch, — sie voll-
zogen sich ziemlich langsam.
Damit nun ist der unzweifelhafte Beweis erbracht,
dass es nicht nur die Hodenzellen sind, deren manche
Autoren verschiedene Arten annehmen, denen die Fähigkeit
amöboide Bewegungen zu machen zukömmt, sondern
auch die wirklichen Samenzellen, welche in ihrem
Innern die Samenkörper hervorbringen, ja dass ihnen
diese Fähigkeit selbst dann noch bleibt, wenn sie schon
dieser ihrer Aufgabe genügt haben und der Samen-
körper zum Ausschlüpfen reif in ihrem Leibe liegt.
128 Gustav von Wiedersperg:
Die Bewegung der Samenkörper selbst betreffend
habe ich, wie schon bemerkt im Gegensatz zu Sertolil), nie eine
Spur einer solehen innerhalb der Samenzellen wahrzunehmen ver-
mocht und verhalten sich ja sogar die Samenkörper, die schon
freigeworden in den Hodencanälchen liegen, — ja selbst die des
Vas deferens so lange vollkommen bewegungslos, als sie nicht in
ein anderes Medium gerathen.
Der Zellinhalt und die die Hodencanälchen erfüllende Flüssig-
keit scheinen sieh da ganz gleich zu verhalten.
Sobald aber deren Mischung durch irgend einen Zusatz, und
sei er sonst auch noch so indifferent, wie z. B. Serum humor
aqueus u. d. l. in irgend einer Weise geändert wird, kann sich
das Bild mit einem Schlage ändern.
Ich halte jene Fälle, wo man einzelne Samenkörper aus
Hodenpräparaten, die ohne jeden weiteren | Zusatz untersucht
wurden, beweglich findet, möglicher Weise für dadurch bedingt,
dass geringe Veränderungen des Concentrationsgrades dieser Flüssig-
keit durch Mischung mit der aus anderen Hodentheilen stammen-
den gleichnamigen Flüssigkeit, oder auch mit dem die inter-
canalieulären Interstitien und Lymphräume erfüllenden Fluidum,
entstanden sein dürften.
Die Beweglichkeit kömmt ausschliesslich der Geis-
sel zu, und habe ich, wie es auch v. la Valette St. George
angiebt, sehr häufig Geisseln gefunden, an denen der Kopf fehlte
und die sich mit der grössten Lebhaftigkeit bewegten, ja ihre
Locomotion war eine ungleich raschere und leichtere, weil sie die
Last des Kopfes nicht zu schieben hatten (Taf. VI, Fig. 16). Samen-
körper an denen der Kopf abgebrochen, aber doch noch mit der
Geissel in Verbindung geblieben ist (Taf. VI, Fig. 15), oder solche
wo der dem Kopf zunächst liegende Theil der Geissel — das
„Mittelstück“ mancher Autoren — geknickt ist, machen unregel-
mässige Bewegungen, weil die Last unsymmetrisch vertheilt ist,
und beobachtet man da häufig Manege-Bewegungen.
Noch habe ich eines sehr merkwürdigen Gebildes zu er-
wähnen, das ich in Fig. 18, Taf. VI dargestellt habe. Der Kopf ist
bedeutend grösser, als bei normalen Verhältnissen, er hat also den
1) Sertoli: Sulla structura dei eanalicoli seminiferi dei testieoli ete.
Archivio per le science mediche Anno 1877.
Beiträge zur Entwickelungsgeschichte der Samenkörper. 129
Schrumpfungsprocess des sich umbildenden Zelikernes nicht in
entsprechender Weise durchgemacht. Auch in seiner Form ist er
keineswegs normal gebaut, wie die Abbildung zeigt.
Während die bedeutende Helligkeits-Differenz der Vorder-
und Hinterhälfte, das nicht mehr Vorhandensein der Kopfkappe
sehr wahrscheinlich macht, haftet dem nirgends eine Spur der Zell-
membran mehr zeigenden Kopfe hinten ein grosser, heller, zapfen-
förmiger Körper an, aus dem ein ausserordentlich feiner Faden
hervorgeht, der sich in sehr engen peitschenschnurartigen Schleifen
äusserst lebhaft hin- und herschlängelte, und wenn auch nur mässig
rasch, das Ganze von der Stelle bewegte.
Es könnte nun sein, dass ich in diesem Falle einen Samen-
körper vor mir hatte, an welchem der von v. Brunn!) entdeckte
Axenfaden ohne die von diesem Entdecker beschriebene „Proto-
plasmahülle“ geblieben war, also nackt zu Tage lag.
Der Mangel dieser Umhüllung könnte die weit grössere
Biegsamkeit bedingt und dem Faden Biegungen und Schleifen
von viel geringeren Radien gestattet haben, als wir sie jemals
an den Geisseln normal entwickelter Samenkörper beobachten.
Zumal in den dem Kopfe näher gelegenen Theilen, wo die Um-
hüllung des Axenfadens eine grössere Dicke hat, als weiter
gegen das Ende zu, sind ja die Biegungen stets sehr flach und
unbedeutend, erst weiter nach abwärts wird die Beweglichkeit
eine grössere, während in dem in Rede stehenden Falle nahezu
der ganze Faden sich in gleicher Weise schlangenartig hin und
her bog.
Uebrigens sind ähnliche zapfenartige Anhänge an den Köpfen
von Samenkörpern eine ziemlich häufige Erscheinung, scheinen
aber mitunter den häutigen Hüllen fester anzuhaften als den Samen-
körpern selbst, wie es die in Fig. 9 auf Taf. V dargestellten Zell-
membranreste beweisen.
Der Axenfaden ist innerhalb des hellen Zapfens nicht weiter
zu verfolgen, was wohl nur darin seinen Grund haben mag, dass
die Masse des Zapfens und die des Fadens ein gleiches Licht-
brechungsvermögen haben, und daher keine optische Differenz in
ihren Contouren zum Ausdruck kömmt.
1) A. v. Brunn: Beiträge zur Kenntniss der Samenkörper und ihrer
Entwickelung. Archiv für mikroskopische Anatomie. Bd. XXIII. 1883.
Archiv f. mikrosk. Anatomie. Bd. 25. 9
130 . Gustav von Wiedersperg:
Man kann ja den Axenfaden in der normalen Geissel auch
nicht sehen, ehe nicht die Hülle durch Reagentien zum Abbröckeln
gebracht wird.
Ich beobachtete später noch einen ähnlich beweglichen, eben-
falls äusserst dünnen Faden an einem gleichfalls abnorm gebil-
deten Kopfe, ohne ihn jedoch zeichnen zu können. Dann noch
einen ähnlichen, der oben an einem noch in der Samenzelle
steckenden Kopfe sass.. Auch diesen konnte ich nicht abbilden,
da das Gebilde aus dem Sehfelde verschwand und nicht wieder
aufzufinden war.
Abweichungen in der Form der Samenfäden sind übrigens
im ejaeulirten Sperma keineswegs etwas seltenes. Ganz abgesehen
von den nicht unbeträchtlichen Grössenschwankungen der Köpfe
sind auch Formabweichungen sehr gewöhnlich.
Samenkörper mit nahezu kugeligrunden Köpfen, an denen
die die Geissel tragende Hemisphäre deutlich dunkler als die vor-
dere (also noch von der Kernmembran bedeckt erscheint), ist eine
der gewöhnlichsten.
Geisseln mit ganz rudimentären Kopfbildungen sind auch
keineswegs selten, doch bleibt es da noch fraglich, ob die unebene
Anschwellung an dem vordern Ende wirklich eine Kernbildung,
und also als Kopf anzusprechen ist, oder ob sie vielleicht eine
dem oben erwähnten Zapfen ähnliche Bildung an einem Samen-
körper ist, der wie immer um den Kopf gekommen ist. Am
[rischen Präparat lässt sich das nieht unterscheiden.
Beiträge zur Entwickelungsgeschichte der Samenkörper. 131
Erklärung der Abbildungen.
Tafel V.
Darstellungen von in Alkohol gehärteten und mit Hämatoxylin tingirten
Präparaten aus den Hoden verschiedener Thiere und des Menschen.
(Die Figuren 1 u. 3 etwa 1500 Mal, die übrigen circa 1000 Mal vergrössert.)
Fig. 1.
Biv.-2.
Kerntheilungsfiguren aus dem Hoden der Ratte. (Vergrösserung
circa 1000 Mal.)
a) Der Kern ist rund, deutlich contourirt, das Chromatin an die Pole
auseinandergerückt, durch fünf granulirte Stränge verbunden.
b) Der Zellkörper ist von einem schlauchförmigen, feingranulirten
Strang durchsetzt, der das an die Pole auseinandergerückte, in
grössere Körner geformte Chromatin verbindet.
c) Ein Kern von oben gesehen. Das in 8 grössere Körner diffe-
renceirte Chromatin stellt fast die Form einer Blume dar.
d) Eine Zelle, deren Körper schon in zwei Theile durchtrennt ist,
welche aber durch 5, die Chromatinpole verbindende Kernstränge
vereinigt sind.
e) Eine ganz ähnliche Zelle.
Ebensolche Zellen. (Vergrösserung 600 Mal.)
a bis d) Solche mit fadig geformten Chromatin-Anhäufungen.
e, f u. g) Mit körnigen Formen, in den beiden letzten die Zellen
mit Einschnürung.
Fig. 3a u. b. Derlei Zellen vom Kaninchen.
Fig. 4.
Fig. 5.
Zellen aus dem Hoden des afrikanischen Elephanten.
a) eine Randzelle in Theilung, der Kern tief eingeschnürt.
b) Zelle mit Kerntheilungsfigur. Der Contour des Kerns ist etwas
verlängert aber deutlich oval.
c) Der Zellleib ist abgeschnürt. Der Kerncontour schlauchförmig
gestreckt.
Hodenzelle des Menschen mit ähnlichen Kern- und Zelltheilungs-
Verhältnissen wie in Fig. le und Fig. 4c. Der Zellkörper ist in
zwei Theile getrennt, die Chromatinkerne durch eine schlauchartige
Figur verbunden.
Gustav von Wiedersperg:
.6a u. b. Kerntheilungsbilder vom Pferd.
. 7a, b u. c. Kerntheilungen vom Auerhahn.
ch
Zellhaut einer Samenzelle von Elephas africanus, aus welcher
der Samenkörper nach oben ausgetreten ist. Der obere durch die
Hinterhälfte der Kernmemhran gebildete Theil ist durch eine in
der Mitte durchbrochene Scheidewand (den untersten Theil der Kern-
membran) von dem nirgends eine Continuitätsstörung zeigenden
Sack der eigentlichen Zellhaut getrennt, die Ränder der Oeffnung
sind flaschenbergartig nach oben gezogen (wohl durch die hindurch-
schlüpfende Geissel).
Fig. 9« u. $. Ein ähnlicher Zellrest vom Pferd in zwei verschiedenen An-
Fig. 10.
Bro).
Fig. 12.
Fig. 13«
ir
Fig.
14.
sichten. Hier ist der eigentliche Zellhautsack hinten offen. In den-
selben ragt ein an den Boden der Kernmembrau sich ansetzender
zapfenartiger Fortsatz.
Auch hier ist der Samenkörper nach oben ausgetreten.
Eine ähnliche Zellmembran vom Wildschwein.
Samenkörper aus dem Hoden vom afrik. Elephanten.
a) Keulenförmige Samenzelle mit deutlich im Innern des Zellleibes
zusammengekrümmter Geissel.
b) Eine Samenzelle, aus deren hinterem von der Geissel durch-
brochenen Ende der Zellinhalt hervorquillt.
c) Eine derlei Zelle, deren Zellmembran die Geissel schlauchförmig
umgiebt.
d) u. e) Samenkörper, denen noch Reste der Zellmembran von ver-
schiedener Grösse kragenartig anhaften.
Ebenfalls Samenzellen aus dem Hoden des afrik. Elephanten.
a) Samenzelle mit hervortretendem, noch wenig gestrecktem Kopf
und deutlichem kleineren Nebenkern.
b) Samenzelle mit ganz aus der Zelle herausgetretenem Kopf und
grossem runden Nebenkern im untern Theil des Zellleibes.
c) «u.ß. Eine ganz ähnliche Samenzelle in zwei verschiedenen An-
sichten.
u. 8. Eine ebensolche Zelle des afrik. Elephanten, in welcher aber
die Geissel deutlich sichtbar ist, in zwei Ansichten. Der grosse
runde Kern ist von einer Seite her granulös, von der andern in drei
deutliche Körner zerklüftet.
Ebenfalls Samenzellen des afrikan. Elephanten.
a) Samenkörper, dessen Geissel von einer schlauchartigen Scheide
der Zellhaut umgeben ist, der ein ovaler dunkler Nebenkern anliegt
und deren Oeffnung glatte gewulstete Ränder zeigt.
b) «, £, y, 0. Ein eben solcher Samenkörper in vier verschiedenen
Ansichten, um den deutlichen und festen Zusammenhang des
Beiträge zur Entwickelungsgeschichte der Samenkörper. 133
Nebenkerns mit der Zellhaut zu zeigen. Der untere Rand der
Zellmembran ist glatt und etwas wulstig verdickt.
Fig. 15. Samenkörper aus dem Hoden des Menschen.
a) u. b) Samenkörper mit die Geissel schlauchförmig umgebender
Zellhaut, welche aber jene nicht in ihrem Innern erkennen lässt.
(Bei a ein dunkler Fleck, der vielleicht ein Nebenkern sein kann,
doch ist bei der starken Tinction ohne deutliche Differenzirung
das nicht mit Sicherheit zu bestimmen.)
c) Samenkörper, dem die weit aufgerissene Zellhaut anhaftet, aus
der neben der deutlich sichtbaren Geissel sich der Zellinhalt
entleert.
d) Samenkörper mit kugeligrundem Kopf, dem ein kragenartiger
Rest der Zellhaut anhaftet. Die Geissel steckt mit ihrem freien
Ende in granulöser Masse.
Kater VL
Darstellungen verschiedener Formelemente aus dem ejaculirten Sperma
Fig.
Fig.
des Menschen.
(Die Figur 6 etwa 600 Mal, die übrigen 1000 Mal vergrössert.)
60,
Eine Samenzelle mit randständigem Kern, an welchem die eine
Hälfte des Contours deutlich die charakteristische Verdickung zeigt.
Eine vollkommen runde Samenzelle, in welcher der vollkommen
ausgebildete Kopf eines Samenkörpers mit an beiden Polen ver-
dicktem Contour sichtbar ist, die Geissel ist nicht zu bemerken.
Eine ebenfalls kreisrunde Samenzelle, an welcher der Kern als deut-
liche über der Contour des Zellkörpers hervorragende Prominenz
sichtbar ist.
g. te u. #. Eine ebenfalls runde Samenzelle in zwei Stellungen. Der fer-
tige Samenkörper liegt so der Wand an, dass die Geissel so ziem-
lich einem grössten Kreise der Zellkugel entspricht.
Eine grosse unregelmässig contournirte Samenzelle, in deren Innern
deutlich ein vollkommen entwickelter Samenkörper sichtbar ist.
8 u. y. Eine Samenzelle mit über der Zelleontour hervorragendem
Kopf mit grell voneinander verschiedenem hellen vorderen und
dunklen hintern Abschnitt. Die Geissel im Innern der Zelle zu-
sammengebogen.
Die Zelle machte deutliche amöboide Formveränderungen. «u. ß
sind Portrait-Zeichnungen, y aber nach dem Gedächtniss gezeichnet,
stellt eine den beiden anderen Figuren vorausgehende Configura-
tion dar.
134
3
Fig.
Fig.
Fig.
Fig.
Gustav von Wiedersperg:
7a, b u. c. Samenzellen mit über den Zellcontour herausragendem Kopf
des fertigen Samenkörpers, dessen Geissel im Innern der Zelle zu-
sammengebogen liegt. Die Köpfe auch hell und dunkel wie in
Fig. 6. Die drei Bilder dürften alle einer auch mit Fig. 6 iden-
tischen Zelle angehören, doch kann ich für die Identität nicht mit
aller Bestimmtheit einstehen, da die Zelle mehrfach von herum-
schwimmenden Samenkörpern herumgestossen wurde. An c ist ein
deutlicher veränderlicher Fortsatz bemerkbar.
.8. Eine länglich gestreckte Samenzelle, in der ähnlich wie bei den
vorhergehenden Figuren ein Samenkörper eingeschlossen ist. Der
Inhalt ist ausserdem von verschiedenen Körnern durchsetzt.
.9e, $, y. Eine ganz ähnliche Samenzelle, welche langsame Formver-
änderungen bemerken liess, welche in den drei Darstellungen zur An-
schauung gebracht sind. (Aus demselben Präparate wie Fig. 8, die
zwei Stunden später zur Beobachtung kam.)
10a, b,c,d,e. Samenzellen von sehr verschiedener Grösse mit verschieden
weit aus dem Zellkörper herausgetretenem Kopfe und im Innern der
Zelle zusammengebogenem Geissel. An Fig. a ist auch die Kopfkappe
deutlich. An au.b auch an der Insertionsstelle der Geissel ein run-
des knopfartiges Gebilde, wie solches auch an Fig. 8 sichtbar ist.
. 11. Eine runde Samenzelle, in deren Innern der Kopf des Samenkörpers
noch festgehalten ist, während die Geissel schon frei geworden ist.
Diese bewegte sich auf das Lebhafteste und rollte die Zelle hin
und her.
12« u. #. Eine Samenzelle in zwei Stellungen, in deren Innern der
Kopf des Samenkörpers noch ganz eingeschlossen ist, und deren
Masse auch einen Theil der Geissel umschliesst, in derselben liegen
zahlreiche glänzende Körner zerstreut. (Auch bei Fig. 8, 9 u. 10a
sind solche bemerkbar, vielleicht Colloid’?)
13a, b, c, d. Verschiedene Samenzellen, deren Samenkörperköpfe ver-
schieden weit aus dem Zellleibe hervorsehen. Auch hier sind glän-
zende Körner sichtbar. In d liegen sogar zwei dem schon ganz aus-
getretenen Kopfe an. Die Kopfkappe ist bei allen abgestreift und
die Köpfe vorn hell, hinten dunkel. Bei b ist der Kopf ziemlich
kugeligrund geblieben.
x. 14. Ein Samenkörper, an dem ein Rest der Zellmembran kragenartig
dem Abgangspunkt der Geissel vom Kopfe anhaftet. (Ein unend-
lich häufiger Befund.)
. 15. Ein Samenkörper mit abgebrochenem aber seitlich der Geissel noch
anhaftenden Kopte.
. 16. Ein Samenkörper ohne Kopf, wie er sehr oft vorkömmt. An dem
Beiträge zur Entwickelungsgeschichte der Samenkörper. 135
verdiekten Vorderende ist eine kurze Spitze sichtbar. (Vielleicht
eine Insertion des Axenfadens im Kopfe ??)
Ein Samenkörper ohne jede Anhänge, aber mit deutlicher Kopf-
kappe, die auch noch den Spitzenknopf trägt.
. Ein höchst eigenthümlicher Samenkörper mit ungewöhnlich grossem,
deutlich eine helle und eine dunkle Zone zeigenden Kopf, an welchem
sich ein sehr heller grosser Zapfen hinten ansetzt, aus welchem eine
ausserordentlich dünne und in lebhaftester Bewegung ungemein enge
Schlingen bildende Geissel ihren Ursprung nimmt. (Die Zeichnung
entspricht insoferne den thatsächlichen Verhältnissen nicht, als die
Geissel viel zu dick dargestellt ist, weil es eben nicht anders aus-
führbar ist.)
Fig. 19 u. Fig. 20. Aggregate von Samenzellen, sogenannte Samencysten,
Fig.
Fig.
Spermatogemmen nach v. la Valette St. George, in Fig. 19 drei
in Fig. 20 zahlreiche Zellen enthaltend, die in letzteren an den
Kernen deutlich halbseitige Contourverdieckungen zeigen.
Tafel VII.
Darstellungen von amöboiden Zellen aus dem ejaculirten Sperma.
Ile
Fig. 1 bis Fig. 4 aus dem des Menschen, Fig. 5 aus
dem des Hundes.
Eine amöboide Zelle aus dem Sperma des Menschen etwa 11/5 Stun-
den nach der Ejaculation in 10 verschiedenen Configurationen, die
in den Bildern a bis k chronologisch geordnet dargestellt sind.
Der Zellinhalt ist fein granulirt und enthält hin und wieder
glänzende Körner (Colloid?). In k ist der in den früheren Phasen
unsichtbare Kern deutlich wahrnehmbar.
. 2a, b, c. Vielleicht dieselhe Zelle — etwas später beobachtet (also die
Identität nicht vollkommen sicher).
(a wurde gemessen und zeigte sammt dem obern Fortsatz einen
Diameter von 6,1 «.)
.3a bis f. Ebenfalls eine amöboide Zelle in ihren allmählichen Formver-
änderungen. (a wurde gemessen und zeigte ohne Fortsätze einen
Durchmesser von 9,15 u.)
4a bis d. Eine amöboide Zelle aus dem Sperma des Menschen, 7 Stunden
nach der Ejaculation beobachtet. Dieselbe hat eine ganz andere
Gestalt als die früher dargestellten. Dieselbe hatte ohne Fort-
sätze etwa 11,59 « im Durchmesser und zeigte deutliche Locomotion,
indem sie in 2 Minuten um die Länge ihres Diameters fortkroch,
doch war die Bewegung nicht gleichmässig, so dass sie in 2 Mi-
136 Gust.v. Wiederspere: Beiträge z. Entwickelungsgesch. d. Samenkörper.
nuten auch nur den halben Weg machte. Die Fortsätze wurden
langsam ausgestreckt und wieder eingezogen.
Fig. a bis k. Eine amöboide Zelle aus dem ejaeulirten Sperma des Hundes
gleich nach der Ejaculation. Von c an wurden die sich allmählich
ergebenden Formyeränderungen derart aufgezeichnet, dass von ce bis
d 2 Minuten, von d bis e 3 Minuten, von e bis f 2 Minuten, von
f bis &g 3 Minuten, von g bis h 2 Minuten, von h bis i 4 Minuten,
von i bis k 4 Minuten vergingen, worauf Ruhe eintrat.
Johannes Frenzel: Ueber den Darmkanal der Crustaceen etc. 137
Ueber den Darmkanal der Crustaceen nebst
Bemerkungen zur Epithelregeneration.
Von
Johannes Frenzel.
(Aus dem Zoologischen Institut in Berlin.)
Hierzu Tafel VIII und IX.
Als ich mich vor einigen Jahren mit dem histologischen Bau
des Darmkanals des Flusskrebses beschäftigte, erschien es mir
nothwendig, auch noch andere Decapoden des Vergleichs halber
heranzuziehen, um so mehr, als kurz vorher Alex.-Nie. Vitzou!)
ausgedehnte Untersuchungen über diesen Gegenstand veröffentlicht
hatte. Ein längerer Aufenthalt in der Zoologischen Station zu
Neapel bot mir hierzu eine günstige Gelegenheit, doch liessen
mich andere Arbeiten erst jetzt dazu gelangen, das in Neapel eon-
servirte Material zu verwerthen. Auch stand ich bald davon ab,
eine grössere Anzahl von Species in gleicher Weise zu berück-
sichtigen, da der Darmkanal der Decapoden so sehr nach einem
Typus gebaut ist, dass schon einige wenige Vertreter dieser Cru-
staceenordnung genügen, um ein Bild seiner Structur und der ihn
zusammensetzenden Elemente zu bilden. — Den Gegenstand meiner
Untersuchung lieferten daher nur folgende Arten: Astacus fluvia-
tilis, Seyllarus aretus, Palinurus vulgaris, Paguristes maculatus,
Maja squinado, Dromia vulgaris und Pachygrapsus marmoratus.
Diesen Decapoden möchte ich von anderen Krebsen nur noch Phro-
nima anreihen, um mit wenigen Worten an einige an anderer
Stelle?) gemachten Bemerkungen wieder anzuknüpfen.
1) Recherches sur la structure et la formation des Teguments chez les
Crustac&s Decapodes. Archives de Zoologie Experimentale X, 1882, p. 451 ff.
2) Ueber die Mitteldarmdrüse der Crustaceen. Mittheilung aus der
Zool. Station zu Neapel Bd. V p. 50 ff.
Archiv f. mikrosk. Anatomie. Bad. 25. 10
138 Johannes Frenzel:
Geschichtliches.
Ist auch besonders der Flusskrebs schon oft der Gegenstand
eingehender mikroskopischer Untersuchungen gewesen, so bleibt
doch noch sehr viel, besonders was den histologischen Bau der
einzelnen Organe betrifft, zu erforschen übrig, da merkwürdiger-
weise gerade die Decapoden in neuerer Zeit sehr vernachlässigt
wurden, während doch manche andere Crustaceenordnungen eine
Reihe von namhaften Monographisten und anderen Erforschern ge-
funden haben; und wenn man von der umfangreichen schon oben
erwähnten Schrift Alex.-Nie. Vitzou’s absieht, welche zwar
multa, aber nicht gerade multum bringt, und sich zum Theil mit der
Wiederholung schon bekannter Thatsachen begnügt, so wird man
finden, dass unsere bisherige Kenntniss von dem Bau. und der
Thätigkeit des Darmkanals jener Thiere noch in ein gewisses
Dunkel gehüllt ist.
Es soll hier nicht auf Alle diejenigen eingegangen werden
welche sich bereits in der ersten Hälfte unseres Jahrhunderts mit
der makroskopischen Anatomie des Krebses und im besonderen
seines Darmtractus beschäftigt haben. Daher möge an dieser Stelle
nur Oesterlein?!) genannt werden, welcher (1840) zum ersten Male
in genauer Weise den Magen des Flusskrebses beschrieb. Und
sehen wir von denjenigen ab, welche wie Johannes Müller,
Meckel u. A. die ersten Angaben über die Gewebe, speciell über
die Drüsengewebe des Krebses machten, so ist aus jener Zeit nur
noch B. Reichert?) anzuführen. welcher in seiner noch heute so-
viel genannten Abhandlung „Vergleichende Beobachtungen über
das Bindegewebe“ auch dem Bindegewebe dieses Thieres, wenn
zwar nur eine geringe Beachtung schenkte. Von grösserer Bedeu-
tung für uns wird dagegen erst die Untersuchung Leydig’s „Zum
feineren Bau der Arthropoden“, welche 1855) erschien, denn sie bietet
namentlich in Betreff des Bindegewebes der Arthropoden viel Be-
merkenswerthes und auf den Flusskrebs Bezügliches. So unter-
schied Leydig in der Haut desselben „gewöhnliches“ Bindege-
1) Müller’s Archiv f. Anatomie und Physiologie 1840. Oesterlein,
Ueber den Magen des Flusskrebses.
2) Dorpat 1845.
3) Müller’s Archiv 1855, p. 376 ff.
Ueb. d. Darmkanal d. Crustaceennebst Bemerkungen z. Epithelregeneration. 139
webe mit „Bindegewebskörpern“ und „gallertige Bindesubstanz“,
welche aus einem Maschenwerk bestehe, das in seinen Central-
punkten schöne, grosse Kerne besitze und in den Hohlräumen eine
helle Gallerte einschliesse. Ueber die Struktur des Darmes hin-
gegen erfahren wir nur Wenig von Bedeutung, ein Umstand, welcher
sich durch die Unvollkommenheit der damals in Gebrauch gewe-
senen Methoden von selbst erklärt. Doch sah Leydig schon in
der Darmwandung verästelte Muskeln und erwähnt die zellenartige
Zeichnung der (Chitin-) Intima, deren Matrixzellen er gleichfalls
deutlich erkannte.
Die berühmte Abhandlung Häckel’s, welche zwei Jahre
darauf (1857) in derselben Zeitschrift unter dem Titel „Ueber die
Gewebe des Flusskrebses“ und theilweise als Inauguraldissertation
erschien, liess merkwürdigerweise den Darmkanal fast ganz unbe-
rücksichtigt, so dass doch trotz der grossen Sorgsamkeit der
Untersuchung dem Autor das so interessante Epithel des Mittel-
darms völlig entgangen ist.
Das in demselben Jahre herausgegebene „Lehrbuch der Histo-
logie des Menschen und der Thiere“ Leydig’s gab darauf eine
zwar im Prineip richtige, aber doch nur schematische Darstellung
der verschiedenen Schichten, welche den Enddarm des Flusskrebses
zusammensetzen.
Eine Reihe von Jahren verstrich nun, bis man sich erst wie-
der in neuerer Zeit, geleitet und gestützt durch die so ausgebil-
dete Sehnittmethode, dem Darmkanal der Decapoden zuwandte, in-
dem man nun nicht mehr einzig und allein beim Flusskrebs stehen
blieb, sondern auch dessen nächste Verwandten in den Kreis der
Betrachtung hineinzog. Max Braun’s Abhandlung: „Ueber die
histiologischen Vorgänge bei der Häutung von Astacus fluviatilis“!)
machte 1875 den Anfang. Sie theilt den Darm des Krebses in
drei Abschnitte: Oesophagus, Magen und Enddarm, kennt jedoch
den Mitteldarm nicht. Unzweifelhaft aber hat Braun das Epithel
desselben wohl gesehen und nur falsch gedeutet, indem er es als
der Matrix zugehörig betrachtete. Er fand nämlich am Anfangs-
theil des Enddarms dicht hinter dem Magen „Zellen von beinahe
riesigen Dimensionen“, während die eigentlichen Matrixzellen um
vieles kleiner wären. Die Serosa, welche aussen die Ringmuskel-
1) Arbeiten aus dem zoolog.-zootom. Institut in Würzburg II. Bd. 1875.
140 Johannes Frenzel:
schieht umgiebt, besteht ferner nach Braun aus einem grosszelligen
Bindegewebe, während sich das in den Lücken der Darmwandung
liegende Bindegewebe von ersterem verschieden verhalte und einen
srossen Reichthum von Kernen besitze.
Nur flüchtig sei der Arbeit J. J. Parker’s: On the stem
of the freshwater Crayfisch !) 1876 gedacht, welche eine genaue
anatomische Zergliederung des Magens und besonders seiner Chitin-
bewaffnung giebt. — Auch die Untersuchung, welche Bartsch?)
über „die Ernährungs- und Verdauungsorgane des Astacus lepto-
daetylus“ anstellte, kommt hier nur wenig in Betracht, um so
mehr als der Verfasser, wie er selber sagt, auf ältere Arbeiten
keine genügende Rücksicht nehmen konnte und daher schon viel
Bekanntes wiederbringt.
Während Huxley in seinem Lehrbuch der Vergleichen-
den Anatomie der wirbellosen Thiere noch nicht eine richtige
Auffassung des Darmkanals der Decapoden erkennen liess, so fin-
den wir dagegen in seiner so anziehenden Schrift: „Der Krebs;
Eine Einleitung in das Studium der Zoologie“?) zum ersten Male
die anatomische Gliederung des Darmes in Vorder-, Mittel- und
Enddarm richtig angegeben. „Man kann“, so führt Huxley p. 54
aus, „also einen Vorderdarm und einen Hinterdarm unterscheiden,
die einen dicken inneren Cutieularüberzug besitzen, und einen
sehr kurzen Mitteldarm, der keinen solehen Ueberzug hat.“
Als letzter, welcher sich in eingehenderer Weise auch mit
dem Darmkanal der Decapoden beschäftigte, ist noch Alex.-Ni-
colas Vitzou zu nennen (l. c.), welcher speciell auf die Struetur
des Vorder- und Enddarms eingeht, ohne jedoch weit über seine
Vorgänger hinauszukommen, gegen welche er vielmehr wegen der
schleppenden Breite seiner Darstellung und ihrer geringen Ueber-
sichtlichkeit weit zurückbleibt. Auch sind die Abbildungen, welche
er giebt, so prachtvoll sie auch von dem Kupferstecher ausge-
führt sind, doch viel zu schematisch gehalten, um der natürlichen
Beschaffenheit entsprechen zu können. Dies gilt namentlich vom
Bindegewebe, welches bald aus grossen Zellen (eellulles arrondies),
bald aus Fibern bestehen soll, in denen Kerne eingelagert seien.
1) Journal of Anatomy and Physiology 1876.
2) Budapester Naturhistor. Hefte 1878. II.
3) Internationale wissenschaftl. Bibliothek. XLVII Bd. Brockhaus,
Leipzig 1881.
Ueb. d. Darmkanal d. Crustaceen nebst Bemerkungen z. Epithelregeneration. 141
Von den Crustaceen gilt im Allgemeinen, dass der Mittel-
darm den an Länge beträchtlichsten Theil des Darmrohrs bildet
(Gegenbaur, Grundriss der Vergleichenden Anatomie), während
der Enddarm um vieles kürzer sei. In diesem Sinne äussert
sich auch Claus in seinen Grundzügen der Zoologie (4. Aufl.
p- 516). Hiervon verhalten sich aber, wie sich zeigen wird, die
Decapoden, mit Ausnahme der Paguriden, durchaus abweichend,
welcher Umstand es auch erklärlich macht, dass ihr Mitteldarm
bisher noch so wenig gewürdigt worden ist. — In Folgendem
möchte ich daher versuchen, diese Lücke in einigen Punkten aus-
zufüllen.
Methoden der Untersuchung.
Da sich mein Bestreben zuvörderst darauf richtete, die topo-
graphische Anatomie des Darmkanals festzustellen, so machte ich
hauptsächlich von der Schnittmethode Anwendung. Die Unter-
suchung des frischen Gewebes wurde nur aushülfsweise herbeige-
zogen, theils weil sie nur unbedeutende Resultate lieferte, theils
weil die Gewebselemente bei der Präparation mit der Nadel ent-
weder zu Grunde gehen, wie die Epithelzellen des Mitteldarms und
seiner Anhänge, oder stark verzerrt und in ihrem Aussehen ver-
ändert werden. Auch hat ja schon Häckel, welcher auf diese
Methode allein angewiesen war, beim Flusskrebs wenigstens fast
alles das erreicht, was mit derselben eben zu erreichen ist.
Die Fixirung und Härtung der Gewebe gelang mir nicht
überall gleich befriedigend und musste je nach dem Objekte aus-
probirt werden. Als ganz unbrauchbar für diesen Zweck erschienen
von den gebräuchlicheren Mitteln Osmiumsäure, Chromsäure, chrom-
saure Salze sowie die verschiedenen Mischungen und Modifikationen
dieser Flüssigkeiten, mit Ausnahme etwa der von Perenyi!) an-
gegebenen, welche mir auch schon bei Gelegenheit der Mitteldarm-
drüse (Leber) der Crustaceen gute Dienste geleistet hat. Wiewohl
dieselbe eine leichte Quellung hervorrief, so erwies sie sich doch
als recht brauchbar z. B. bei Maja, indem sie namentlieh das
Kerngerüst in den Mitteldarmzellen gut fixirte. Für den Fluss-
krebs ziehe ich Pikrinschwefelsäure, mit zwei Theilen Wasser
versetzt, allen übrigen Flüssigkeiten vor. Es genügt eine !/, stün-
1) Zoolog. Anzeiger 1882. N. 119.
142 Johannes Frenzel:
dige Behandlung damit, worauf die Härtung mit anfänglich 70 pro-
centigem Alkohol vorgenommen wird. Ist bei diesem Thiere auch
Sublimatwasser (gesättigte Lösung) mit einigem Erfolge an-
wendbar, so kommt dieses doch erst bei den Seekrebsen zur Gel-
tung. Leider löst sieh aber bei der Härtung mit Sublimat das
Mitteldarmepithel leicht von seinem Substrate los, so dass es oft
verloren geht oder nur noch in einzelnen Fetzen zusammenhangs-
los im Darmlumen hängt. Doch ist dies auch insofern von Vor-
theil, als man es wie ein Häutehen von der äusseren Darmwan-
dung abziehen und zur Herstellung eines Oberflächenpräparates
benutzen kann.
Zur Anfertigung von Schnitten schien mir das Einschmelzen
in Paraffin völlig ausreichend zu sein und zog ich es dem Ein-
schmelzen in Celloidin desshalb vor, weil es weniger umständlich
ist. Auch glaube ich, dass man bei der Auswahl des Paraffins
nicht so überaus ängstlich zu sein braucht und mit dem gewöhn-
lich käuflichen gute Erfolge erzielt, wenn man es nur vor dem
völligen Erstarren in kaltem Wasser abschreckt und
nach kurzer Zeit unter das Messer bringt, um das Anschiessen
srösserer Krystalle zu vermeiden, was geschehen würde, wenn man
das Paraffin langsam erkalten lässt, oder nach schnellem Erkalten
wochenlang aufbewahrt. Beim Vorhandensein grösser, schon
mit blossem Auge sichtbarer Krystalle aber wird das Paraffın
nicht nur bröckelich, sondern es werden auch feinere Strukturen
leicht zerstört.
Um die Schnitte zu färben, wurden dieselben, wie bereits an
anderer Stelle!) angegeben, mit Chromgummi aufgeklebt. Dieses
kann reichlich mit Glycerin vermischt werden; auch empfiehlt
sich ein Zusatz von Alkohol, welcher bezweckt, dass diese Flüs-
sigkeit besser auf dem Glase haftet. Dieselbe kann in ganz
dünner Schicht mit einem Pinselehen aufgetragen oder auch mit
dem Finger verrieben werden, ohne dass sie zu schnell eintrocknet
und ihre Klebrigkeit verliert, obwohl sie nur noch eine minimale
Menge von Gummi enthält. Es lassen sich auf diese Weise etwa
120 einzelne Schnitte mit Bequemlichkeit auf dem Objektträger
anordnen. — Zum Tingiren benutzte ich Alauncarmin, saure alko-
1) Vergl. Ueber die Mitteldarmdrüse der Mollusken. Auszug. — Dieses
Archiv XXV p. 50.
Ueb. d. Darmkanal d. Crustaceen nebst Bemerkungen z. Epithelregeneration. 143
holische Carminlösung nach Grenacker, wässerige Hämatoxylin-
lösung nach Böhmer und Safranin. Für das Mitteldarmepithel
ist eine Doppelfärbung mit saurem Carmin und Hämatoxylin sehr
zweckmässig.
Die Präparate schloss ich, wie gewöhnlich, in Canadabalsam
ein, obwohl die Zellgrenzen hierin recht undeutlich werden. Doch
bietet Glycerin oder Glycerinleim, worin ihre Deutlichkeit auch
noch viel zu wünschen übrig lässt, sonst keinerlei Vorzüge dar,
lässt vielmehr den Nachtheil sehr fühlbar werden, dass das Kern-
serüst sehr an Klarheit und Schärfe verliert.
Bei der Frage nach der Vermehrung der Epithelzellen im
Mitteldarm musste ich der Forderung W. Flemming’s gerecht
werden und ein starkes Linsensystem benutzen, nämlich Oelim-
mersion Y/,,“ von Winkel mit Ocular II, da sonst in der That,
selbst bei den hier vorliegenden verhältnissmässig grossen Gewebs-
elementen, grössere Feinheiten wie Kernstrukturen kaum sicher
zu erkennen sind. Die Fig. 15 bis 26 inel. sind mittelst dieser
Vergrösserung wiedergegeben. Im übrigen behalf ich mich ıneist
mit der Wasserimmersion B von Winkel, befeuchtete aber, wie
dies wohl auch Andere thun, die Linse nicht mit Wasser, sondern
mit halbverdünntem Glycerin, wodurch die Helligkeit des Bildes
zuzunehmen scheint und auch ein schnelles Verdunsten des Tro-
pfens vermieden wird.
Die topographische Anatomie des Darmkanals.
Wie bekannt steigt der Oesophagus bei den Decapoden dor-
salwärts in die Höhe und erweitert sich dann zu dem oft räum-
lich sehr ausgedehnten Kaumagen. Dieser erste Darmabschnitt,
welcher die Gesammtheit des Vorderdarms darstellt, möge hier
nicht weiter in Betracht kommen; denn der Bau des Kaumagens
ist schon oft und eingehend studirt worden, so von Oesterlein
und Parker, und in neuerer Zeit von Nauek!) und F. Albert?).
Auch der Oesophagus ist scbon, namentlich von Max Braun
untersucht worden, so dass dasjenige, was darüber noch zu sagen
sein wird, an anderer Stelle erledigt werden kann.
1) Zeitschrift f. wissenschaftl. Zoologie Bd. XXXIV. Heft 1.
2) F. Albert, Das Kaugerüst der Decapoden. Ebenda Bd. XXXIX
p- 444 ff.
144 Johannes Frenzel:
Dicht an den Pylorustheil des Magens setzt sich die enge
Röhre des Mitteldarms an. Sie ist bei den meisten Decapoden
ausserordentlich kurz und misst selbst bei grossen Thieren nur
einige Millimeter. Bei Maja mag seine Länge den Durchmesser
nur ein wenig übertreffen; bei Paguristes hingegen finden sich
andere Verhältnisse. Hier ist das Kopfbruststück sehr lang ge-
streekt und die Mitteldarmdrüse ist gänzlich in das Abdomen ge-
drängt, so dass sich auch der Mitteldarm weit nach hinten zieht
und den Enddarm an Länge übertrifft. — Dem Mitteldarm sind
zwei Systeme von Anhangsorganen eigen, deren erstes die Mittel-
darmdrüse (Leber) umfasst. Diese Drüse, in doppelter Zahl vor-
handen, mündet mit je einem Ausführungsgang vorne ventral
einund zwar dicht hinter dem Pylorusmagen (Taf. VIII Fig. 5), an
einer Stelle, wo das Cylinderepithel des Mitteldarms schon auf-
hört und die Cutieularbekleidung des Vorderdarms sichtbar wird,
Sie ist räumlich ungemein entwickelt und liefert die zur Verdau-
ung nöthigen Enzyme!); zwar ist sie als Ausstülpung des Mittel-
darms zu betrachten, besitzt aber andere Epithelzellen als dieser.
Das zweite System von Anhangsorganen ist von untergeord-
neter Bedeutung, indem es räumlich meist nur wenig entwickelt
ist. Diese Anhänge, welche als einfache Aussackungen des Mittel-
darms anzusprechen sind, münden mehr dorsalwärts und am Ende
dieses Darmabschnittes ein, dort wo er in den Enddarm über-
geht (Taf. VIII Fig. 4 oben). Daher befinden sie sich bei Pagu-
ristes auch ganz weit hinten, während sie sonst bei den anderen
Deeapoden wegen der Kürze des Mitteldarms scheinbar dicht hinter
dem Pylorusmagen austreten. Ihre Gestaltung ist eine verschie-
dene. Beim Astacus z. B. findet sich nur eine unpaare Aus-
sackung, welche Huxley sehr passend als dorsale Darmtasche
bezeichnet. (Vgl. Huxley I. c. p. 49, Fig. 10. coe. sowie hier
Taf. VIII, Fig. 4 bis 7 oben.) Auch Maja besitzt eine ähnliche
Tasche, welche dann nach vorne zu noch in einen kurzen tubus
ausläuft. Wie ich bei Claus (Grundzüge 1. ec. p. 619) angegeben
1) Vergl. ausser Hoppe-Seyler und Krukenberg noch Max
Weber: Ueber den Bau und die Thätigkeit der sog. Leber der Crustaceen.
Dieses Archiv XVII, p. 385 ff. und Johannes Frenzel: Ueber die Mittel-
darmdrüse der Crustaceen; Mittheilungen aus der Zoolog. Station zu Neapel,
Bd. V, p. 50.#.
Ueb.d.Darmkanal d. Crustaceen nebst Bemerkungen z. Epithelregeneration. 145
finde, sollen bei diesem Thiere mehrere Blindschläuche vorhanden
sein, worüber ich aber leider wegen Mangels an Material mir keine
Gewissheit verschaffen konnte. Nur fand ich in Querschnitten
durch den vordersten Theil des Enddarms an der Wandung des-
selben noch einen sehr kleinen Anhang, welcher das Epithel des
Mitteldarms besass. In andern Fällen schliesslich gestalten sich
diese Darmanhänge zu zwei langen fadenförmigen Schläuchen,
deren Richtung, wie bei Dromia und Pachygrapsus nach vorne
geht, indem sie sich mit spiraliger Windung an die Magenwan-
dung anlegen. Auch Paguristes besitzt zwei derartige Schläuche,
die aber wegen der Länge des Mitteldarms weit vom Magen ge-
trennt sind.
Ohne. weitere Complikation geht der Mitteldarm in den End-
darm über, welcher gleichfalls in seiner äusseren Gestaltung höchst
einfach ist und den Körper des Thieres in dessen Längsrichtung
ohne Schlingenbildung u. dergl. durchzieht. Er bildet meist den
längsten Theil des ganzen Darmtractus, so namentlich bei den
Makruren, und nur bei Paguristes tritter an Länge zurück. Sämmt-
lichen Decapoden scheint es.ferner eigenthümlich zu sein, dass dieser
letzte Darmabschnitt frei von Anhängen und selbständig entwickelten
Drüsen ist, während sich etwas Derartiges doch bei vielen Arthro-
poden als Malpighi’sche Gefässe z. B. zeigt. Auch die Amphi-
poden sollen zuweilen an der Dorsalseite zwei als Malpighi’sche
Gefässe zu deutende Schläuche besitzen, doch vermuthe ich, dass
sich dieselben mit den Mitteldarmanhängen von Paguristes werden
identifieiren lassen, welche scheinbar ja auch, wenn man die
histologische Struktur des betreffenden Darmabschnitts nicht be-
achtet, als zwei dorsale Schläuche dem Enddarm entspringen !). —
1) In seiner sehr verdienstvollen Abhandlung: „Beiträge zur Kenntniss
der Amphipoden der Adria“ (Arbeiten aus dem Zoologischen Institute der
Universität Wien etc. Tom. III, 1881, p. 122 ff.) geht Otmar Nebeski auf
die „Harndrüsen‘‘ der Crevettinen näher ein. Ich bin völlig seiner Meinung,
dass dieselben „nicht der Enddarmregion angehören, sondern auf Ausstül-
pungen der Dünndarmwand zurückzuführen sind“, woraus folgt, „dass wir
sie den Malpighi’schen Schläuchen der Insekten nicht homolog setzen
können, da diese ja aus dem Enddarm entspringen.“ Nur kann ich nicht
recht einsehen, warum Nebeski es für zweckmässig hält, von „Harndrüsen‘“
zu sprechen und. sie als ein „Exkretionsorgan“ zu bezeichnen. Zwar findet
er einen merklichen Unterschied zwischen dem Epithel dieser Drüsen und
146 Johannes Frenzel:
Man kann kaum am Enddarm der Decapoden mehrere verschie-
den gestaltete Abschnitte unterscheiden. Nur pflegt das Ende
desselben, das sog. Rectum, eine dünnere Wandung zü besitzen,
wie beim Astacus, oder die im Innern längslaufenden Wülste ver-
flachen sich, so dass dieser Darmtheil ein anderes Aussehen ge-
winnt. Wenn aber Al.-Nie. Vitzou an mehreren Stellen von
einer „portion renfl&ee* des Enddarms spricht, so weiss ich nicht,
was er dafür genommen hat. Vielleicht hat er den stets engeren
Mitteldarm, indem er ihn für den Anfangstheil des Enddarms an-
sah, zu jenem weiteren Theile in Gegensatz gebracht, oder er hat
sich durch eine zufällige Erweiterung eines Darmstückes, wie
eine solehe durch Inhaltsbestandtheile oder durch Erschlaffen der
Ringmuskulatur wohl bedingt werden kann, täuschen lassen.
Die histologische Struktur des Darmtraktus zeigt bei
allen Decapoden den gleichen Habitus, was besonders am End-
darme ersichtlich wird. Sein Querschnitt ist ein kreisförmiger,
doch ist seine Wandung nicht von derselben Dicke. Sie besteht
vielmehr aus einer Anzahl gleich- oder verschieden grosser unter
sich zusammenbängender Wülste, welche aussen von einer gemein-
samen Ringmuskelschicht und einer bindegewebigen Hülle umgeben
sind. Beim Astacus finden wir 6 solcher gleichgrossen und gleich-
gestaltigen Wülste, welche den gesammten Enddarm von vorne bis
hinten mit einer schwachen spiraligen Drehung bekleiden (Taf. VIII
Fig. 2) und welche bei kräftiger Contraktion der Ringmuskeln
das Darmlumen bis auf ein Minimum verengern können. Auch
demjenigen des Mitteldarms. Doch scheint mir dieser Unterschied, welcher
eigentlich nur in der verschiedenen Höhe der Epithelzellen seinen Grund
findet, kein sehr tiefgehender zu sein. Allerdings wies Nebeski auch in den
Schläuchen bei Orchestia Conkretionen nach, die aber der Hauptsache
nach aus kohlensaurem Kalk beständen, also doch wohl nicht viel mit dem
Exkret der Malpighi’schen Gefässe der Insekten gemein haben. Auch ver-
misse ich den Nachweis, dass diese Conkretionen nun wirklich aus den Drü-
senlumen ausgeschieden werden, und da sich derartige „feste Exkretions-
produkte“ bei anderen Crevettinen niemals vorfanden, so halte ich dafür,
dass ihre Bedeutung zum Mindesten noch sehr zweifelhaft ist. Man braucht
hierbei wohl nicht gerade an eine pathologische Erscheinung zu denken,
vielleicht aber kann es sich um eine Degeneration dieser Drüse handeln,
wofür der Umstand spricht, dass „das Epithel in einem grossen Theile des
Organs ganz verdrängt“ wird, an dessen Stelle dann eine Verkalkung Platz
greift, wie eine solche ja oft mit Degenerationserscheinungen Hand in Hand geht.
Ueb. d. Darmkanal d. Crustaceen nebst Bemerkungen z. Epithelregeneration. 147
bei Palinurus zeigen diese Wülste eine grosse Regelmässigkeit,
doch wechselt hier immer ein grösserer mit einem oder zwei
kleineren ab (Taf. VIII Fig. 9). Bei Maja haben sie nicht die Länge
des Enddarms. Sie bestehen vielmehr aus kürzeren Theilen, zwischen
deren sich abflachenden Enden sich immer wieder neue einzuschie-
ben scheinen. Dies rührt jedoch davon her, dass sie dureh Quer-
runzeln unterbrochen sind. Doch dürfte ihre Anzahl auch einem
gewissen Gesetz unterworfen sein, wie auch diejenige von Scyllarus
und Palinurus, wo sich in beiden Fällen 12 gleich grosse Wülste
finden, zwischen deren Ansatzstellen häufig noch ein ganz kleiner
sichtbar wird. Ihre Zahl ist also die doppelte wie bei Astacus.
Ganz flach werden die sonst hohen Wülste (Fig. 1) beispiels-
weise bei: Seyllarus im Rektum, wo sie nur noch als niedrige
Buckel erscheinen, und bei Paguristes haben sie im ganzen End-
darm solch’ ein Aussehen, ganz abgesehen davon, dass überall je
nach dem Zustande der Wulstretraktoren oder der diesen entge-
senwirkenden Ringmuskeln das Bild sich ändern kann.
Der Bau der einzelnen Wülste ist im Wesentlichen ein über-
einstimmender, was man am leichtesten an Querschnitten erkennen
kann. Die innere Auskleidung wird von einer kräftigen Cutieula
gebildet, deren Dieke im Allgemeinen eine gleichmässige ist.
Dieser Chitineuticula folgt nach der Peripherie des Darmes hin
die Epithellage der Matrix !) oder Hypodermis, deren hohe Cylinder-
zellen sich mit Deutlichkeit erkennen lassen, während bekanntlich
in vielen Fällen dieses Epithel unter sonst ganz ähnlichen Um-
ständen sich stark redueirt oder sonstwie verändert erweist. Meist
ist hier eine Hypodermiszelle wie die andere geformt, indem sie
alle annähernd von gleicher Höhe und gleicher Breite sind, so bei
Seyllarus (Fig. 1), Astaeus (Fig. 8) und Maja. In der Abbildung,
welche Al.-Nie. Vitzou von dem Enddarm des Astacus giebt, sind
diejenigen Zellen, welche in der Mitte des Wulstes liegen, auf-
fallend hoch gezeichnet?), was mir jedoch nicht richtig zu sein
scheint, da mir ein derartiges Aussehen in meinen Präparaten nicht
entgegentritt. Bei Maja, Astacus und Palinurus mögen diese Zellen
1) Matrix, Hypodermis und Chitinogene Membran sind Synonyme.
Huxley jedoch (Der Krebs, 1. c. p. 151) nennt „Matrix“ die Grundsub-
stanz der Bindegewebe.
1) 1. c. Taf. XXVI, Fig. 25.
148 Johannes Frenzel:
etwa doppelt so hoch als breit sein, bei Scyllarus sind sie wohl
noch etwas höher, während sie bei Paguristes nicht viel höher als
breit sind. Bei Maja und Paguristes, wo die zurückziehenden
Muskeln nur vereinzelt auftreten, stehen die einzelnen Epithelzellen
dicht neben einander gereiht wie ein typisches Cylinder- oder
Pallisadenepithel da (Fig. 11). Bei anderen Dekapoden, so bei
Astacus (Fig.8) und noch viel mehr bei Seyllarus jedoch (Fig. 1)
sind sie entweder alle einzeln oder in Gruppen durch faserige
Muskelsehnen, welche sich an die Cutieula ansetzen, von einander
getrennt. Auch in Betreff dieses Punktes müssen Al.-Nie. Vitzou’s
Darstellungen doch als etwas mangelhaft bezeichnet werden, da
er die Muskelfasern unmittelbar am Epithel endigen und sich an-
setzen lässt!). Ich.bin nicht sicher, ob diese Sehnen chitinös
sind und so wohl als eine Abscheidung der Matrixzellen anzusehen
wären, oder ob es bindegewebige Stränge sind, die sich nur
zwischen jene Zellen einschieben. Das Letztere scheint mir aller-
dings das Wahrscheinlichere zu sein, weil sich erstens diese
Stränge mit Carmin lebhaft roth färben, was unter den gleichen
Verhältnissen die ehitinösen Gebilde nieht thun, und weil sie ferner
theilweise direkt in das zellig-faserige Bindegewebe des Wulst-
inneren übergehen (Fig. 1). Namentlich bei Seyllarus, wo die Re-
traktoren eine grosse Ausbildung erlangen, sind auch jene Sehnen-
fasern reichlich vertreten, und hier und da nehmen sie fast die
ganze Breite einer Epithelzelle ein, um sich nach oben hin in
Form eines Dreiecks unter mannichfacher Verästelung noch mehr zu
verbreiten, auf welche Weise eine möglichst grosse Ansatzfläche
an der Basis der Cuticula gewonnen wird (Fig. 1). Zuweilen sieht
man sogar auch Muskelstämmchen bis nahe an die Cuticula heran-
treten, wie bei Astacus und Scyllarus. Sonst setzen sich diese
erst an der Basis des Epithels an ihre Sehnen in Form feiner
Fibrillen an, um sich allmählich nach der Peripherie hin zu ver-
einigen und auf diese Weise kräftige Muskelstämme zu bilden (Fig. 1).
Diese verlaufen jedoch nicht in senkrechter Richtung, welche mit
der des Mikrotommessers übereinstimmt, sondern, wenn sie ihren
Ursprung an der Basis eines Wulstes in der Nähe der Ring-
muskulatur nehmen, so steigen sie schräge im Darm nach dersel-
benRichtung hin auf, bis sie unter mannichfaltiger Verzweigung
ihren Ansatzpunkt erreichen. Ihre Zugwirkung zerlegt sich also in
1) 1. c. Tafel XXVII, Fig. 29, 30; Taf. XXVIII, Fig. 37 etc.
Ueb.d. Darmkanald. Crustaceen nebst Bemerkungen z. Epithelregeneration. 149
zwei Componenten, deren eine längs des Darmes und deren andere
in der-Richtung seines Radius nach aussen wirkt, so dass wir hier
die Vereinigung einer Längsmuskulatur und eines Retraktoren-
systems erblicken. Auf diese Weise wird zu gleicher Zeit an
irgend einem Punkte des Darmes sein Lumen verengert oder er-
weitert, während er dementsprechend verlängert oder verkürzt
wird, je nachdem diese Muskulatur ruht oder arbeitet; so dass
also derartigeine Weiterbeförderung des Darminhalts nach dem After
zu erzielt wird. Man sieht daher in den Querschnitten immer nur
einzelne Strecken von Muskelfasern, welche gerade vom Messer
getroffen sind, kann aber ihren weiteren Verlauf an voraufgehen-
den oder nachfolgenden Schnitten studiren. Nur muss man auch
wirklich genau senkrecht geschnitten haben, um nicht etwa durch
das falsche Bild eines Schrägschnittes irre geführt zu werden.
Ausser diesem Muskelsystem mögen ‘aber auch noch selb-
ständige Längsmuskeln vorhanden sein, namentlich da, wo die
Wülste nur flach und niedrig sind und nicht besonderer Zurück -
zieher bedürfen, wie bei Paguristes. Auch bei Maja, wo man fast
gar keine Sehnen zwischen den Epithelzellen sieht, sind solche
Längsmuskeln in überwiegender Menge anzutreffen. Sie finden
sich in stärkeren Stämmen an der Basis jedes Wulstes, so bei
Astacus und Palinurus, kommen aber auch als schwächere Stämme
zwischen den übrigen Muskelfasern zerstreut vor. Bei Maja sind
sie zu mächtigen Bündeln vereinigt und sind theils schon dicht
unter dem Epithel, theils zwischen dem Speicheldrüsen, nicht aber
weiter nach aussen anzutreffen. Auch bei Astacus kann man nicht
eine solche Vereinigung von Bündeln an der Basis des Wulstes
erkennen, während bei Seyllarus und Palinurus die einzelnen
Bündel durch grössere oder kleinere von Bindegewebe erfüllte
Zwischenräume von einander getrennt gehalten werden. — Be-
sondere von diesem Bindegewebe verschiedene Hüllen, ein Sarco-
lemm, vermag ich an diesen Muskeln nieht zu unterscheiden, doch
pflegen sie von engmaschigen Fasern umzogen zu werden. Bei
Maja allerdings zeigen sich an der Peripherie des Muskelcomplexes
längliehe sich intensiv färbende Kerne, welche auch der Peripherie
der Speicheldrüsen eigen sind (Fig. 11). Ihr Aussehen ist ein ganz
anderes als das der Bindegewebskerne und deutet darauf hin, dass
sie einer besondern Membran oder Hüllschicht angehören.
Dort wo ein grösserer Wulst mit einem um vieles kleineren
150 Johannes Frenzel:
abwechselt, kann man finden, dass die Längs- und Quermuskulatur
nur dem ersteren eigenthümlieh ist. Dies wird leicht erklärlich,
wenn man bedenkt, dass dort erstens mehr Raum für dieselbe zur
Verfügung steht und dass zweitens diese kleineren Wülste nicht
zurückgezogen zu werden brauchen, um eine Erweiterung der Darm-
lichtung zu ermöglichen. Auch sind diese Nebenwülste oft so
klein, dass ihr Matrixepithel fast die äussere Ringmuskulatur be-
rührt, so dass es kaum zur Entwickelung einer bindegewebigen
Schicht kommt. In diesen Fällen können die zwischen die Epithel-
zellen sich einschiebenden Sehnen oder Fasern entweder gänzlich
fehlen, oder sie treten doch nur vereinzelt auf und werden um so
spärlicher, je näher das Epithel der peripherischen Muskulatur
rückt (Seyllarus).
Wie Max Braun (l. ce.) fand, liegen eingebettet in dem Binde-
gewebe des Oesophagus drüsige Gebilde, welche er als Speichel-
drüsen bezeichnete. Dieser Entdeckung hat Al.-Nie. Vitzou noch
eine andere ebenso interessante hinzugefügt, nämlich die gleich-
artiger Drüsen in dem Enddarme mehrerer Decapoden, nämlich
des Palinurus u. s. w. Ja er behauptet sogar, dass man sie im
Enddarme „aller Deecapoden ohne Ausnahme“) constatiren
könne, eine Behauptung, welche aber in dieser Allgemeinheit
durchaus unhaltbar ist und schon in den von Vitzou gelieferten
Abbildungen keine Unterstützung findet?). Wie ich mich über-
zeugt habe, fehlen diese Drüsen völlig im Enddarm von Astacus
und Seyllarus und sind auch bei Palinurus ganz spärlich vor-
handen. Sehr reichlich trifft man sie dagegen bei Maja an und
auch bei Paguristes glaube ich sie in grosser Menge zu sehen.
Sie liegen bei Palinurus nur in einem kleinen Wulste oder doch
in der Nähe des Winkels, welchen der kleine Wulst mit einem
grösseren bildet. Bei Maja dagegen können sie fast die ganze
Dicke der Darmwandung einnelimen, indem sie schon dicht unter
der Matrix erscheinen und sieh bis weit nach aussen erstrecken.
Auch bei Paguristes füllen sie einen grossen Theil des flachen Wulstes
aus, wobei sie sich namentlich in dessen Peripherie ausbreiten.
In den Schnitten, welche durch den Enddarm von Palinurus
gelegt werden, bemerkt man entweder gar keine Drüsen oder nur
einen einzelnen Acinus an obengenannter Stelle (Fig. 9). Wenn
1), ]9e.P.523:
2) Vergl. l. ce. Taf. XXVI, Fig. 25, Taf. XXVII, Fig. 36.
Ueb.d. Darmkanal d. Crustaceen nebst Bemerkuugen z. Epithelregeneration. 151
ich daher meine Präparate mit der Zeichnung Al.-Nie. Vitzou’s
vergleiche, so wird mir diese letztere (l. c. Taf. XXV, Fig. 16)
nieht verständlich, da er drei grosse Drüsencomplexe in die
gleichmässig dieke Darmwandung jenes Thieres verlegt, was ich
an keiner Stelle des Enddarms sehen kann. Sollte hier jenem
Autor nicht vielleicht ein Irrthuam unterlaufen sein? Bei Maja
hingegen, wo Vitzou sie merkwürdigerweise gar nicht ab-
bildet, liegen stets grössere oder kleinere Gruppen von Aecinis
zusammen (Fig. 11), was auch bei Paguristes der Fall ist. Die
einzelnen Aeini sind dort nur durch Bindegewebsfasern von ein-
ander getrennt, scheinen, wie schon oben erwähnt, aber auch noch
jeder für sich eine besondere Membran, eine tunica propria etwa
zu besitzen, der jene länglichen stark tingirten Kerne angehören
dürften. Dass sich endlich zwischen diese Drüsen auch Muskel-
bündel einschieben können, ist schon oben gesagt worden.
Welcherlei nervöse Apparate im Enddarme liegen, habe ich
nicht ermittelt, ich gehe daher zu dem letzten seiner Bestandtheile
über, nämlich zu der Bindesubstanz.
Der ganze übrige Raum des Wulstes, vom Epithel an bis zur
äusseren Ringmuskelschicht hin, wird von einer Substanz erfüllt,
welche als zellig-faseriges Bindegewebe bezeichnet werden möge.
Dieses erscheint bald in lockerer, bald in festerer Form und lässt
in ersterem Falle oft grosse Hohlräume entstehen, welche mit einer
sleichmässig feinkörnigen, sich mit Carmin leicht tingirenden Masse
ausgefüllt sind (Fig. 1, 9, 11). Ferner enthält diese Masse, welche
stets bei Maja, Seyllarus und Palinurus anzutreffen ist und nur
beim Flusskrebs vermisst wurde, spärliche freie mit einem grossen
Kern versehene Zellen und muss daher wohl als Blutflüssig-
keit angesehen werden, so dass die Räume, in welchen sich die-
selbe befindet, Lacunen vorstellen. Zwar gewahrt man häufig, so
bei Maja, im Darmlumen an denselben Querschnitten eine ganz
ähnliche feinkörnige Masse und man könnte demzufolge der Ver-
mutbung Raum geben, dass diese letztere in jene Lacunen hinein
auf dem Wege der Resorption gewandert sei, da sie ganz den
Eindruck von geronnenem Eiweiss oder Pepton macht. Die Ein-
wände jedoch, welche sich gegen jene Vermuthung erheben, müssen
sie zum. Schweigen bringen. Denn um in jene Lacunen zu ge-
langen, müsste dieser Chymus doch entweder die Matrixzellen
selbst oder zwischen ihnen befindliche Lücken durchwandern,
..
152 Johannes Frenzel:
müsste also auch dort in derselben Form anzutreffen sein, was
jedoch nieht der Fall ist. Ferner treten doch sehr deutliche Fär-
bungsunterschiede namentlich bei Seyllarus unter Anwendung der
Doppelfärbung auf, indem sich nämlich bei gleicher Behandlung
und in dem gleichen Präparat das Darmceoagulum mit Häma-
toxylin blau, das Lacunencoagulum dagegen roth mit Carmin färbt.
Auch ist das erstere oft grobkörniger als das letztere, und schliess-
lich trifft man ausserhalb des Darmkanals, entweder in seiner
Wandung (Fig. 1) oder sonstwie zufällig im Präparate an anderer
Stelle ganz unzweifelhafte Blutgefässe, welche genau dasselbe Coa-
gulum wie jene Lacunen führen. Und dieses verhält sich in genau
derselben Weise gegen Carmin, enthält auch die gleichen freien
Zellen, so dass es demnach kaum noch zweifelhaft bleiben dürfte,
dass jene Lacunen mit dem Blutgefässsystem im engsten Zusam-
menhange stehen. Es sei übrigens an dieser Stelle bemerkt, dass
die Blutgefässe selbst nie innerhalb der Ringmuskulatur im
Darme aufgefunden werden, wohl aber ausserhalb derselben (Fig. 1).
Ob beim Flusskrebs diese Lacunen im Enddarm gänzlich
fehlen oder mir nur in Folge irgend welcher Umstände unsicht-
bar geblieben sind, — vielleicht weil das Blut desselben eine an-
dere Zusammensetzung als das der Seekrebse besitzt, — bleibe
unentschieden !), bei Seyllarus sind sie aber auch nur spärlich vor-
handen und erstrecken sich nicht tief in den Wulst hinein. Um
vieles mächtiger dagegen sind sie bei Maja und vor allem bei Pa-
linurus, wo sie sich bis dicht an das Epithel hinziehen. Auch
sind sie in diesen Fällen von beträchtlicher Ausdehnung, haben
eine eckige Form und senden nach allen Seiten hin Ausläufer
aus, welche mit denen anderer Laeunen in Verbindung treten
Bei Palinurus enthalten auch die kleinen Wiilste solehe Lacunen.
Das zellig-faserige Bindegewebe, dessen Textur weiter unten
noch Berücksichtigung finden soll, wird nach aussen hin von einer
continuirlichen Ringmuskulatur begrenzt, welche eine feste Ver-
einigung der einzelnen Darmwülste bewerkstelligt. Sie ist sehr
schmächtig bei Seyllarus, kräftiger und in mehreren Lagen dagegen
vorhanden bei Palinurus und Astacus.
Die äussere Umhüllung dieser Muscularis und mithin die
1) Nachträgliche Bemerk.: Lässt man einen Blutstropfen vom Fluss-
krebs auf dem Objektträger eintrocknen, um ihn dann wie oben angegeben
zu färben, so sieht er genau wie jene Coagula aus.
Mr
Ueb.d. Darmkanald. Crustaceen nebst Bemerkungen z. Epithelregeneration. 153
Umhüllung des ganzen Enddarms besteht schliesslich wieder aus
einem Bindegewebe, welches sich aber von dem des Wulstinnern
wesentlich unterscheidet. Denn es ist bedeutend fester, besteht
aus dicht verwebten Fasern und lässt eine zellige Struktur nicht
erkennen, enthält aber zahlreiche rundliche oder längliche (Fig. 8)
Kerne. In dieses Gewebe sind häufig Blutgefässe eingelagert, die
jedenfalls zur Speisung der oben besprochenen Lakunen dienen,
deren Inhalt ja mit dem dieser Gefässe, wie schon ausgeführt,
völlig übereinstimmt. Eine mehr rundliche Form und das Vor-
handensein einer membranösen Wand unterscheidet beiderlei Räume
von einander (Fig. 1). Im Umkreise eines solchen Gefässes kann
das Gewebe auch lockerer und von zelligem Bau sein, so dass es
mit dem des Wulstes übereinstimmt.
Innerhalb der äusseren wie wohl auch der inneren Binde-
substanz kann es auch zur Ablagerung von Pigmentkörnern kommen,
2.B. bei Maja. Wenigstens glaube ich, dass Gruppen von zusam-
mengehäuften gelbbraunen starklichtbrechenden und sich nicht
tingirenden Körnchen als etwas derartiges anzusehen sind.
Der Mitteldarm. Verfolgt man den Darmtraktus von hin-
ten nach vorne, so kommt man schliesslich zu der Stelle, wo der
Enddarm in den Mitteldarm übergeht, eine Stelle, welche sich
äusserlich eigentlich nur dadurch kenntlich macht, dass der Um-
fang des Darmkanals plötzlich um ein Geringes kleiner wird.
Und schneidet man den Darm auf, so sieht man im Inneren auch
nur, dass die Wülste des Enddarms hier endigen und dass nun die
Oberfläche eben und glatt erscheint. Höchstens lässt sie eine feine
Runzelung und bei Maja wenigstens eine feine gleichmässige Punk-
tirung erkennen, welche der Ausdruck des Mitteldarmepithels ist. —
Auch mit Hülfe des Mikroskops überzeugt man sich, dass der Ue-
bergang des einen Darmabsehnitts in den anderen sich in höchst
einfacher Weise vollzieht (Fig. 3). Die sechs Wülste endigen bei
Astacus nieht in derselben Höhe, d.h. nicht in derselben Kreis-
linie, die senkrecht zur Längsaxe des Darmes gelegt wird.
Daher kommt es denn, dass man in einem solehen Schnitt sowohl
einen Theil des Enddarms wie auch des Mitteldarms trifft. Und
vergleicht man eine Reihe von Schnitten mit einander, so findet
man, dass sich zuerst an der Basis eines oder zweier Wülste das
Mitteldarmepithel einschiebt, dass dann weiter nach vorn diese
Wülste verschwinden und schliesslich auch die übrigen jenem Epi-
Archiv f. mikrosk. Anatomie. Bd. 25, 11
154 Johannes Frenzel:
thel den Platz räumen, bis dann das letztere das Darmlumen allein
auskleidet (Fig. 14). Hiermit gehen jedoch noch andere bemerkens-
werthe Veränderungen der Gewebe der Darmwandung vor sich,
wie sich in Folgendem erweisen wird.
Die innerste Lage der den. Mitteldarm zusammensetzenden
Gewebe wird von einem hohen Cylinderepithel gebildet, welches,
entodermalen Ursprungs, eine sekretorische Funktion hat. Natür-
lich lässt es die dieke Chitineuticula vermissen, trägt aber als
Ueberzug einen Härchen- oder Borstensaum (Fig. 13, 27, 29, 30),
Eigenthümlichkeiten, auf welehe später noch einzugehen sein wird.
Dieses Epithel wird getragen von einer dieken, deutlich doppelt
conturirten sehr starkliehtbrechenden Membran, der Tunica propria
oder basement membrane, auch Stützmembran genannt. Sie scheint
bei den Deeapoden nur dem Mitteldarm und seinen Anhängen an-
zugehören, da ich ihrer weder am End- noch Vorderdarm ansich-
tig werden kann. Bei andern Arthropoden z. B. den Insekten ist
sie jedoch auch diesen Darmabschnitten eigen!). Im Quersehnitt
bildet sie meist eine wellige, häufig mit zahlreichen Zacken und
Falten in das Epithel vorspringende Linie. Auch scheint sie bei
Seekrebsen, wie etwa bei Dromia, aus mehreren Lagen zu bestehen
(Fig. 30), welche theils eng aneinandergelagert sind, theils spalten-
artige Zwischenräume zwischen sich frei lassen.
Nach aussen folgt dieser Tunica propria eine Ringmuskellage,
welche am Mitteldarm selbst kräftig ist und aus mehreren Lagen
besteht, an seinen Anhängen jedoch stark redueirt ist und wohl
auch verschwinden kann. Sie wird schliesslich von einer Binde-
gewebslage begrenzt, welche entweder, wie die der Enddarmwülste
zellig-faserig ist oder auch nur aus eng verschlungenen Fasern be-
steht, in welche Kerne eingelagert sind.
Complieirter als es beim Enddarm der Fall ist, vollzieht
sich der Uebergang des Mitteldarms in den Vorderdarm. — Ver-
folgt man die Querschnitte des ersteren nach vorne hin z. B. bei
Astacus, so kommt man schliesslich zu der Stelle, wo sich die
dorsale Tasche nach vorne aussackt (Fig. 4). Hier trifft man
zugleich die Ausläufer des Magengerüstes an, nämlich an der
Basis den mittleren Grath, zu beiden Seiten, nieht mehr mit der
1) Vgl. u. A. Ueber Bau und Thätigkeit des Verdauungskanals der
Larve des Tenebrio molitor ete, — Berliner Entom. Zeitschrift. 1882, Bd. 26.
Ueb.d. Darmkanal d. Crustaceen nebst Bemerkungen z. Epithelregeneration. 155
Darmwand verwachsen, also frei endigend die beiden seitlichen
Pylorusklappen !), und in der Mitte, den Speiseballen umschliessend,
die mittlere Pylorusklappe, welche aber entgegen der Darstellung
Huxley’s mehr die Form eines Rohres als die eines Klappen-
deckels hat. Die Epithelauskleidung des Ganzen ist hier noch
völlig die des Mitteldarms; die einzelnen ebengenannten Vorsprünge
sind dagegen chitinös und enthalten im Inneren das Hypodermis-
lager. Die obere Seite der mittleren Klappe hat gleichfalls Mittel-
darmepithel, welches von dem chitinösen Theile durch Bindegewebs-
lagerungen getrennt ist.
An der Einmündungsstelle der sog. Leberschläuche ist die
Grenze beider Darmabschnitte. Der mittlere Grath (verg. Huxley
l. e. Fig. 10) ist nach hinten gekrümmt, so dass von ihm ein oberer
und ein unterer Theil in den Schnitt (Fig. 5) fallen, deren ersterer
Theil mit zwei seitlichen Klappen versehen ist, die sich an die
beiden seitlichen Pylorusklappen anlegen können. Dies hat jeden-
falls den Zweck, ein Rückstauen des Drüsensekrets zu verhindern,
indem durch den Klappenschluss einem Eindringen des Speisebreies
in die Ausführungsgänge vorgebeugt wird. Die beiden seitlichen
Pylorusklappen, die eigentlich nicht Klappen sondern eher wohl
Wülste oder Kissen genannt werden sollten?), sind hier hinten immer
noch winzig, doch sieht man schon jetzt, dass sie nach vorne hin
an Volumen zunehmen. Die vorn fast ebenso wie mehr am Ende
gestaltete mittlere Pylorusklappe hingegen wird nun kleiner, um
bald darauf, etwas weiter nach vorne, zu verschwinden. Da der
klappenartig wirkende mittlere Grath nieht weit nach hinten reicht,
sondern mitten an den Ausführungsgängen abbricht und also dann
nicht mehr einen Abschluss des Darmes gegen dieselben bewirken
kann, so scheint mir, dass an seine Stelle nun die mittlere
Klappe tritt, welche in röhrenförmiger Gestalt die Speise umhül-
lend abschliesst und ferner unten ein Paar Klappen besitzt, durch
welche das Drüsensekret eintreten kann. In diesem Querschnitt
ist das Mitteldarmepithel schon sehr beschränkt. Oben sieht man
die hier sehr breite Darmtasche, welche durch oben genanntes
Bindegewebe von derHypodermis und deren Outicula geschieden wird,
welch’ letztere an dieser Stelle fast das ganze Darmrohr auskleidet.
1) Die Bezeichnungen sind die von Huxley (l. c. p. 49, Fig. 10) an-
genommenen.
2) Th. H. Huxley, Der Krebs, 1. e. p. 49, Fig. 10 v2,
156 Johannes Frenzel:
Gehen wir noch weiter nach vorn (Fig. 6), so finden wir
innerhalb des Darmrohres selbst kein Mitteldarmepithel mehr,
und nur noch ein Rest desselben wird oben als jene Darmtasche
sichtbar. Der mittlere Grath auf dem Boden des Darmes ist hier
noch breit, besteht aber aus einem compakten Körper. Die beiden
seitlichen Pylorusklappen sind hier zu zwei mächtigen Kissen her-
angewachsen; die mittlere Klappe dagegen hat ihr Ende schon
erreicht.
Die Chitinbekleidung des Darmrohrs ist eine sehr kräftige
und starke Borsten finden sich namentlich an der oberen Wandung.
Von der Hypodermis nach aussen dient als Ausfüllung der wulsti-
sen Theile dasselbe zellig-faserige Bindegewebe, das wir auch im
Enddarme angetroffen haben. Auch hier enthält es einzelne
Muskelzüge. — In Fig. 7 sieht man schliesslich das Ende der
dorsalen Darmtasche, die Ansatzstelle und den Beginn der beiden
sog. seitlichen Pylorusklappen, sowie unten den nach vorn spitz
auslaufenden Grath, welcher hier mit scharfzahnigen Chitinleisten
bewaffnet ist.
Da ich keine ausführliche Darlegung dieser Verhältnisse ge-
ben, sondern nur den Uebergang des Mitteldarms in den Vorder-
darm verfolgen wollte, so möge diese knappe Besprechung eines
einzelnen Falles hier genügen. Bei den übrigen Decapoden finden
sich auch ganz ähnliche Einrichtungen, deren Verbreitung ja bei
andern Crustaceen gleichfalls schon nachgewiesen ist!). Schliess-
lich lag mir daran, festzustellen, dass auch in den vorderen Thei-
len des Darmtraktus dieselben Gewebselemente wie im Enddarm
anzutreffen sind. Auf diese soll nun genauer eingegangen werden.
Die Gewebe des Darmkanals.
Aus der in Obigem gegebenen Darstellung wird ersichtlich,
dass wir es hier hauptsächlich mit folgenden Geweben zu thun
haben:
1) Vergl. C. Claus, Der Organismus der Phronimiden. Arbeiten aus
dem Zoolog. Institut der Univ. Wien, I, 1879. Taf. IV, Fig. 27. — Könnte
übrigens die von Claus als „dorsaler Leberschlauch‘“ bezeichnete Aus-
stülpung des Magen- (Mittel-)darms nicht besser den dorsalen Anhangs-
drüsen der Decapoden homolog gesetzt werden? — Vergl. ferner P. Mayer,
Die Caprelliden des Golfs von Neapel ete. Monographie. Leipzig 1882. Taf. 8.
Fig. 5.
Ueb.d.Darmkanal d. Crustaceen nebst Bemerkungen z. Epithelregeneration. 157
1) Mit dem Bindegewebe, welches in drei Gruppen zu spalten
ist, nämlich in das zellig-faserige, in das faserige und schliesslich
in das lamellöse oder elastische.
2) Mit dem Muskelgewebe,
und 3) Mit dem Epithelgewebe, welches in drei Formen auftritt,
nämlich als das der Matrix oder Hypodermis, als das des Mittel-
darms und seiner Anhänge und schliesslich als das der Intestinal-
(Speichel-) drüsen des Vorder- und Enddarms.
Der Vollständigkeit halber ist hier noch anzureihen das
nervöse Gewebe, über welches Max Braun s. Z. Mittheilung gemacht,
hat und die Blutflüssigkeit.
1) Das Bindegewebe.
In histologischer Hinsicht, nehmen die Arthropoden insofern
im Thierreiche eine besondere Stellung ein, als bei ihnen den
Bindesubstanzen nur wenig Raum zur Entwicklung gegönnt ist.
Alles bei ihnen ist Muskel und Chitingerüst, welch’ letzteres als
Stütze und Hebelarm der Muskulatur nicht wie die zu gleichem
Zwecke dienenden Knochen der Wirbelthiere aus Bindegewebe
hervorgeht, sondern das Ausscheidungsprodukt eines Epithels ist,
wie ja schon Leydig, Häckel u. A. vor langen Jahren bewiesen
haben und wie Vitzou, dem die grundlegende Untersuchung (]. ce.)
‘des Letzteren ganz unbekannt geblieben zu sein scheint, sich noch
einmal zu beweisen bemüht. So kommt es, dass unsere Kennt-
nisse von den Bindesubstanzen der Arthropoden immer noch recht
spärliche sind, während die der Mollusken, wo sie ja eine unge-
mein grosse Verbreitung und Differenzirung erlangt haben, schon
viel eingehender erforscht sind. Hier dient dieses Gewebe, wie
seine Benennung es ja treffend ausdrückt, zur innigen Verbindung
der Organcomplexe und ihrer einzelnen Theile unter sich, denen
sonst doch, namentlich bei den Nacktschnecken, wegen des gänz-
lichen Mangels eines festen Gerüstes jeder Halt genommen wäre.
Einen solchen Halt finden die Arthropoden aber in ihrem Chitin-
mantel, welcher morphologisch zwar als ein Epithelproduet an-
zusehen ist, den man aber wegen dieser seiner Funktion den
bindegewebigen Stützen der Wirbelthiere, Mollusken etc. an die
Seite stellen könnte, wie man das früher auch that, unbekannt
mit der Herkunft und Entstehung der Chitineutieula.
So verliert bei den Arthropoden die Bindesubstanz ihre Be-
158 Johannes Frenzel:
deutung als Stützgewebe, indem sie dann nur noch in derjenigen
Bedeutung Verwendung findet, welcher sie ihren Namen verdankt.
Aber auch diese Verwendung ist meist nur eine sehr beschränkte
und kann bei Weitem nicht mit derjenigen bei den Mollusken
wetteifern, denn bei diesen sind im Allgemeinen die Organsysteme
vielfach in einander verschlungen und verwickelt, und sie bedürfen,
um in ihrer Lage gehalten zu werden, der Ausbildung eines reich-
lichen Bindegewebes, Umstände, welche bei den Arthropoden sich
nicht im entferntesten so in den Vordergrund stellen. Im Beson-
deren kann sich dies auf den Darmkanal beziehen, welcher bei
den Gliederthieren nur eine geringe Anlage zur Bildung von
Schlingen besitzt und sogar bei den Crustaceen einen völlig ge-
streekten Verlauf nimmt. Ausserdem ist er wegen seiner ge-
sicherten Lage innerhalb eines festen Körpers nicht der Gefahr
ausgesetzt, grössere Verschiebungen und Zerrungen zu erleiden,
aus welchem Grunde nicht erst reichliche und starke Befestigungs-
bänder für ihn erforderlich sind. Nur sein anatomischer Bau
selber, die starke Muskulatur, welche ihm seine Aktion verleiht,
bedarf des vermittelnden Gliedes, und so erklärt es sich, dass bei
den Decapoden wenigstens der Darmkanal noch der günstigste
Ort für die Ausbildung von Bindesubstanzen ist und dass diese,
worauf es uns hier zunächst ankommt, nirgends besser als hier
studirt werden können. Je nach dem Zwecke, welchem sie dienen
sollen, ist die Struktur dieser Substanzen eine verschiedene, aber
es lassen sich zwischen den verschiedenen Formen zum Theil doch
Uebergänge und Zwischenglieder erkennen, so dass deren Ein-
theilung in drei, ja eigentlich nur in zwei Categorien gerechtfertigt
erscheinen dürfte.
Die erste Categorie möchte ich als das zellig-faserige Binde-
gewebe bezeichnen, wie man es in seiner reinsten Form am Mittel-
darm von Maja, und weiterhin, unter Verwischung seines ursprüng-
lichen Charakters, am Enddarm dieses Thieres und am End- und
Mitteldarm der übrigen Decapoden antrifft.
Al.-Nie. Vitzou (l. e.) spricht an mehreren Stellen davon,
dass dies Bindegewebe aus rundlichen Zellen bestehe, zwischen
denen Fasern verlaufen. Diese Bezeichnung entspricht der Wirk-
lichkeit, aber Vitzou’s Abbildungen lassen dies nicht erkennen,
indem er einmal (l. e. Taf. XXVII, Fig. 36, 37 ete.) nur Zellen,
ein andermal (l. e. Taf. XXV, Fig. 14, 16) nur gekernte Fasern
Ueb.d. Darmkanal d. Crustaceen nebst Bemerkungen z. Epithelregeneration. 159
wiedergibt oder sogar in demselben Schnittbilde stellenweise Com-
plexe von Zellen resp. Complexe von solchen Fasern zeichnet (I. e.
Taf. XXV, Fig. 15). An anderer Stelle schliesslich (Taf. XXIV,
Fig. 7) sind die Verhältnisse schon richtiger angegeben, doch
lässt jener Autor auch den Fasern eigene sehr kleine Kerne
zukommen, womit eine scharfe Grenze zwischen den rundlichen
Bindegewebszellen und diesen Fasern gezogen wird, eine Grenze,
welche mir nicht zu existiren scheint.
Vergebens habe ich mich bei der Betrachtung des Enddarms
von Maja und Astacus bemüht, die rein zellige Form des Binde-
sewebes aufzufinden , welche die entsprechenden Abbildungen
Vitzou’s zur Schau tragen; dagegen kann man häufig, so bei
Maja, Palinurus und Astacus Stellen finden, in denen dieses Ge-
webe nur noch aus Fasern besteht. Diese letzteren gehen näm-
lich, und das möchte ich im Folgenden zeigen, aus den Zellen
hervor, und können schliesslich unter gänzlicher Veränderung dieser
letzteren einzig und allein übrig bleiben, indem aber der gleich-
falls übrigbleibende ganz unveränderte Kern uns stets an ihre
Herkunft gemahnt. So entsteht aus dem faserig-zelligen schliess-
lich ein faserig-maschiges Gewebe.
Diejenige Form, welche die ursprünglichste sein dürfte, tritt
uns z. B. am Mitteldarm und dessen Anhängen von Maja entgegen.
Mit starken Linsen (Oelimmersion !/,,) sieht man hier Stränge von
Zellen, welche sich untereinander zu einem weitläufigen Maschen-
werk vereinigen (Fig. 10). Die einzelnen Zellen sind läng-
lich, rundlich oder abgestumpft-eckig, je nach ihrer Lage. Im
Centrum enthalten sie je einen rundlichen oder öfter auch läng-
lichen Kern, dessen Chromatingerüst sich sehr gut erhalten und
mit Hämatoxylin lebhaft tingirt zeigt. Ob echte Kernkörperchen
vorhanden sind, vermag ich nicht zu entscheiden, da die meist
vorhandenen Anschwellungen im Kerngerüst auch klumpige Defor-
mationen des letzteren sein könnten. Der übrige Theil’des Kerns
sieht hell aus und ist ungefärbt, und da das Gerüst nicht sehr
engmaschig ist, so sehen die gefärbten Kerne im Ganzen auch
hell aus. — Die Zellsubstanz!) lässt sich als ein sehr feines Netz-
1) Ueber den vermeintlichen von Claude Bernard, Vitzou und
Barfurth behaupteten Glycogengehalt derartiger Zellen, hoffe ich bei an-
derer Gelegenheit Mittheilungen machen zu können.
160 Johannes Frenzel:
werk erkennen, dessen zarte Fädehen nur wenig Farbstoff aufzu-
nehmen im Stande sind. Die Knotenpunkte treten als stärker
lichtbrechende Körnehen hervor, und das Ganze macht daher einen
sehr hellen, bei schwächerer Vergrösserung fein granulirt erschei-
nenden Eindruck.
Die einzelnen so gestalteten Zellen stossen nun nicht un-
mittelbar aneinander, sondern sind durch eine dicke Umgürtung
mit feinen Fasern von einander geschieden. Diese Fasern sind
wellig geschwungen, scheinen sich auch vielfach zu verästeln und
mit einander zu anastomosiren. Sie liegen locker neben einander
und lassen in ihren feinen Zwischenräumen noch eine schwächer
lichtbrechende homogene Substanz erkennen, welche namentlich
in nächster Nähe der Zelle selbst von Deutlichkeit ist. Man kann
auch an diesen Fasern eine gewisse concentrische Schichtung oder
Aneinanderlagerung wahrnehmen, so dass die Umgürtung der
Zellen eine annähernd gleich starke ist; und nur da, wo die Zellen
nicht aneinanderstossen, sondern Zwischenräume frei lassen, sowie
an den meist abgerundeten Ecken der Zellen kann die Faser-
schicht eine dickere sein, verliert aber hier an Dichtigkeit, indem
sie loekerer wird und zahlreichen sich abspaltenden oder ablösen-
den Fäserchen freies Spiel lässt. Irgendwelche selbständige
Kerne sind diesen Fasersystemen aber nicht eigenthümlich, so dass
man sich nach meiner Ueberzeugung zu der einfachsten Erklärung
sedrungen fühlt, dass sie Abkömmlinge jener grossen Zellen
sind, welche sie umziehen. Als Interzellularsubstanz sind sie
das Produkt dieser Zellen.
Ist das Gewebe locker, so enthält es reichlicehe Hohlräume
und Spalten, welche zur Aufnahme der Körpersäfte dienen; denn
dass es hier zur Ausbildung wirklicher Blutlakunen kommt, ist
schon oben gezeigt worden. In vorliegendem Präparate (Fig. 10) _
ist von geronnenem Blut zwar nichts zu sehen, wahrscheinlich in
Folge der Behandlung des Gewebes; dagegen sind zahlreiche
freie Zellen vorhanden, unzweifelhafte Blutzellen. Sie erscheinen
rundlich (wie auch in den übrigen Präparaten von anderen Deca-
poden) und enthalten einen grossen stets annähernd kugeligen Kern.
Letzterer ist etwas kleiner als derjenige der Bindegewebszellen,
die Blutzellen sind meist kleiner als diese, aber unter sich in der
Grösse übereinstimmend. Die Kerne der ersteren Zellen enthalten
ein sehr dichtes Gerüst, welches sich schön markirt, und machen
Ueb.d. Darmkanal d. Crustaceen nebst Bemerkungen z. Epithelregeneration. 161
daher mit Hämatoxylinfärbung einen dunkleren Eindruck als die
Bindegewebskerne. Die Zellsubstanz der Blutkörperchen ist gleich-
falls wie die des Bindegewebes feinmaschig, doch sind die Fäden
viel dicker, so dass der Schnitt durch eine solche Zelle weniger
den Eindruck eines Netzwerkes als den eines Siebes macht, in
welchem der Abstand zweier Löcher von einander etwa eS dem
Radius jedes Loches ist.
Nur selten begegnet man dem Bindegewebe in dieser so ein-
fachen und leichtverständlichen Form. Die grossen Zellen mit
ihrem so äusserst zarten Inhalt und mit der doch immerhin dünnen
Umhüllung mittelst der Fibrillen mögen eine zu geringe Festig-
keit dem Gewebe verleihen, zumal dasselbe ja noch von Hohl-
räumen durchsetzt ist. Es findet sieh daher nieht an Orten, wo
eine stärkere Muskulatur eines festeren Ansatzpunktes bedarf, und
da eine solche Muskulatur, wie wir gesehen haben, dem Mitteldarm-
komplex fehlt, so genügt es hier zur einfachen Umkleidung recht
wohl.
Den Fibrillen wird man die Eigenschaft zugestehen müssen,
eine gewisse Festigkeit zu besitzen, eine grössere als die Zellen.
Soll daher das Gewebe an Festigkeit gewinnen, so kann dies ein-
fach durch Vermehrung der ersteren geschehen. Dies ist in der
That der Fall, doch mit dem Unterschiede, dass bei diesem Process
die Zelle entweder als solche noch unverändert bestehen bleibt,
oder dass sie schliesslich ihren Charakter völlig verliert. Aller-
dings ist in der Regel dieser Unterschied kein so bedeutender,
da sich Uebergangsformen zwischen beiden Extremen nachweisen
lassen und sie alle vermischt neben einander bestehen können.
Gut erkennbaren Zellen mit starken Fibrillenschiehten be-
gegnet man hier und da, so in den Enddarmwülsten von Astacus
und Seyllarus (Fig. 1 und 8). Weiterhin aber trifft man, nament-
lich bei Seyllarus und Maja, Zellen an, in deren Innerem sich
gleichfalls concentrisch geschichtete, feinere Fibrillensysteme er-
kennen lassen (Fig. 11 oben, Fig. 1), so dass oft nur noch ein
schmaler Hof um den Kern bestehen bleibt und dass auch dieser
Hof schliesslich noch verschwinden kann. Dann ist nur noch der
Kern sichtlich, welcher von dicht liegenden concentrischen Fasern
umzogen ist, deren äusserste Theile nun mit denjenigen der be-
nachbarten sich vereinigen, wie man dies namentlich bei Seyllarus
an der Basis des Wulstes an der Ringmuskulatur schön zu Gesicht
162 Johannes Frenzel:
bekommt. Bei Maja fand ich derartige Zellen dicht unter der
Hypodermis, seltner weiter nach aussen. Um den Kern herum
sind die Fäserchen am feinsten, um dann nach der Peripherie
zu an Stärke zuzunehmen. Da die ersten Fasern an der Peripherie
der Zelle auftreten, so folgt, dass ihre Vermehrung von hier aus
nach innen hin stattfindet und dass die innersten und feinsten zu-
gleich auch die jüngsten sind.
Aber auch dieses dergestalt veränderte Gewebe hat noch nicht
den höchsten Grad von Festigkeit erreicht. Denn die den Kern um-
gebenden Fasern erscheinen feiner und sind lockerer gelagert als die
äussern. Auch findet wegen ihrer kreisförmigen Anordnung keine
bestimmte Riehtungsordnung statt; ihre Zugfestigkeit ist also
immer noch eine geringe, da für den Ansatz von Muskelfäden ihre
Aneinanderfügung nach einer Richtung nothwendig wird. Dieser
Nothwendigkeit wird in der That Genüge gethan, und so sehen
wir bei Seyllarus z. B. zwischen den Hypodermiszellen parallel-
verlaufende Fibrillen, welche an der Basis dieser Zellen fächer-
förmig auseinanderlaufend oder sich mit benachbarten Bündeln
vereinigend in straffer Spannung in die ihnen entgegenstrebenden
Muskelfäden übergehen (Fig. 1. Ein ähnliches jetzt verständ-
licheres Bild zeigt sich bei Astacus, wo sich ein Netzwerk von
Fasersträngen herausbildet, in deren Knotenpunkte nun z. Theil
die Kerne zu liegen kommen. Auch in der Enddarmwand von
Maja findet man immer Stränge von gleichverlaufenden Fasern
(Fig. 11), in denen die Kerne in planloser Verworrenheit ihre Her-
kunft zu verschleiern suchen, was ihnen um so leichter gelingt,
als sich zwischen ihnen gerade bei Maja noch viele Blutkörper-
chen aufhalten, deren Kerne denen des Bindegewebes bei schwächeren
Vergrösserungen doch recht ähnlich sehen.
Trotzdem sich nun auf diese Weise die Zellen in Fasern
umgestalten, so kann das Gewebe doch noch ein lockeres blei-
ben, indem noch immer grössere oder kleinere Lücken oder Spalt-
räume dazwischen bestehen bleiben, welche sich ja auch schon da
zeigen, wo die Zellen noch die Ueberhand haben (Fig. 10). Solche
Spalträume, welche, wie wir gesehen haben, den Werth von Blut-
lakunen haben, sind namentlich in den Enddarmwülsten von Maja
und Palinurus reichlich vertreten (Fig. 1 und 8). Bei Seyllarus
scheinen sie jedoch auf den Basaltheil des Wulstes beschränkt zu
bleiben.
Ueb.d. Darmkanal d. Crustaceen nebst Bemerkungen z. Epithelregeneration. 163
Verschwinden nun diese Lakunen, und rücken die Fibrillen
enge zusammen, so wird natürlich das ganze Gewebe noch dichter
nnd kann dann die Bedeutung einer Membran annehmen. Zwar
kann ich nieht den Beweis erbringen, dass dieses nun entstandene
rein faserige Bindegewebe wirklich mit dem zellig-faserigen eines
Ursprungs ist; verfolgt man aber die verschiedenen Formen dieses
letzteren, so lässt sich ein stetiger Uebergang zu dem ersteren
kaum verkennen. Auch ist sein ganzes Aussehen, die Gestalt
seiner Kerne, die Dieke und Färbbarkeit der Fibrillen u. s. w. ein
nicht sonderlich abweichendes. Zwar tritt es auch in einigen Ab-
änderungen auf, besteht aber meist, wie am Enddarm von Astacus
und Palinurus, und am Mitteldarm und dessen Aussackungen von
Dromia, Maja und Pagurus aus eoncentrisch-ringförmig (parallel) ver-
laufenden, dicht gelagerten wellig geschwungenen Fasern, in welche
rundliche oder längliche Kerne eingebettet sind (Fig. 8, 9, 12, 28, 30).
Es bildet stets die äusserste Umgürtung des Darmtraktus, ist also
von dem innern Bindegewebe entweder durch die Ringmuskel-
schicht und Tunica propria (Mitteldarm) oder durch eins von den
beiden (Enddarm, Mitteldarmschläuche) getrennt. Am Mitteldarm-
complex von Maja kommt dieses faserige mit dem ursprünglichen
faserig-zelligen Gewebe vor, und hier glaube ich auch einen Ue-
bergang zwischen diesen beiden Formen zu sehen, indem man
nämlich oft gehöfte Kerne d.h. solche, welehe noch einen Proto-
plasmarest um sich bewahrt haben, erkennen kann (Fig. 28).
Ein etwas anderes Aussehen hat das äussere Bindegewebe,
auch Tunica serosa genannt, schliesslich am Enddarm von Seyllarus
(Fig. 1), indem es nämlich aus stark geschwungenen fast parallel
laufenden kürzeren Fäserchen zusammengesetzt ist, deren Richtung
namentlich nach dem Rande zu eine deutlich radiäre (nicht
periphere) ist. Wo in diese Fäserchen Blutgefässe eingefügt sind,
sind deren nächste Umhüllungen dagegen mit dem zelligfaserigen
Bindegewebe des Wulstinnern übereinstimmend (Fig. 1).
Die letzte Categorie von Bindesubstanzen, welche hier in Be-
tracht kommt, tritt in Form einer Membran auf, welche als Tunica
propria zu bezeichnen ist. Sie ist von einer gewissen Dieke und
stark lichtbreehend, gleicht also dem gewöhnlichen elastischen Ge-
webe. Bald nimmt sie keine Tinktion an, bald färbt sie sich
kräftig mit Carmin, nicht aber mit Hämatoxylin. Durchbohrungen
oder Lücken lassen sich an ihr nicht wahrnehmen, sie bildet viel-
164 Johannes Frenzel:
mehr eine völlig geschlossene und wahrscheinlich nur für Flüssig-
keiten durchgängige Haut. Und daher wird es erklärlich, warum
sie dem Enddarm fehlt, da ja in dessen Lakunen das seine Blut-
zellen führende Blut einwandern muss. — Selbständige Kerne sind
an dieser Tunica propria durchaus nicht aufzufinden. Wie dieselbe
also entsteht und wo sie ihren Ursprung nimmt, dürfte daher nur
mit Hülfe der Embryologie zu erforschen sein.
Welcher Gestalt schliesslich die Umhüllungen der Intestinal-
(Speichel-) drüsen sind, habe ich an der Hand meiner Präparate nicht
feststellen können.
2) Das Muskelgewebe.
Das Muskelgewebe des Darmkanals der Decapoden bietet
nichts Abweichendes dar. Es besteht wie bei anderen Arthropoden
aus quergestreiften Fibrillen, welche im Enddarm eine schöne
fächerförmige Verzweigung der Muskelstämme zeigen. — Sie färben
sich kräftig mit Carmin, schwächer mit Hämatoxylin.
3) Die Epithelien.
a) Die Intestinaldrüsen (Speicheldrüsen) des Vorder- und
Enddarms.
Während Max Braun vollauf berechtigt war, die in der
Oesophaguswand liegenden Drüsen als ‚„Speicheldrüsen“ zu be-
zeichnen, da ja den Decapoden anderweitige Drüsen fehlen, welche
man dafür ausgeben könnte, so stiegen Vitzou, als er ganz ebenso
gebaute Drüsen auch im Enddarm fand, ernste Bedenken auf,
auch diese als Speicheldrüsen anzusehen, und er legte ihnen den
viel passenderen Namen „Intestinaldrüsen“ bei!). Da nun der
anatomische Bau der Oesophagusdrüsen mit denen des Enddarms
völlig übereinstimmt, so halte ich eine gleichlautende Benennung
für die rathsamste und möchte mich für diejenige Vitzou’s ent-
scheiden. Denn erstens ist sie in anatomischer Hinsicht die all-
semeinere?), und zweitens sind doch unsere Kenntnisse von ihrer
1):1.1c.,p..523.
2) Zwar bezeichnet man gewöhnlich im anatomischen Sprachgebrauch
den Darmtraktus erst vom Pylorus an als intestinum (Intestinum duodenum,
Jejunum etc.) Doch wurde von den Alten dieses Wort wohl überhaupt für
„Darm“ gebraucht das Gekröse im Unterleib jedoch wurde zur genaueren
Bestimmung yon Cicero z. B. intestinum medium wie auch intestina genannt.
Ueb.d. Darmkanal der Crustaceen nebst Bemerkungen z. Epithelregeneration. 165
speeifischen Funktion noch so unbestimmte, dass vielleicht sogar
für die Drüsen des Oesophagus der Ausdruck „Speicheldrüsen‘
kein völlig gerechtfertigter ist. Solche Drüsen aber ohne Weiteres
auch in den Enddarm verlegen, hiesse zu voreilig sein. Allerdings
ist ihre histologische Struktur ganz die, wie wir sie von echten
Speicheldrüsen kennen, und sollte es sich bewahrheiten, dass auch
das von ihnen gelieferte Sekret ein entsprechendes ist, so würden
sie wohl am besten als ‚‚intestinale Speicheldrüsen‘“ aufzuführen
sein. Doch auch die Drüsen des Pancreas der Wirbelthiere, die
Lieberkühn’schen Drüsen u. s. w. haben einen ähnlichen Bau.
Am schönsten sind diese Drüsen bei Maja zu erkennen, in
deren Enddarm sie in erstaunlicher Menge angesammelt sind. Sie
bilden in der Regel rundliche Acini, von denen mehrere öfter zu
einem Conplex vereinigt sind. Jeder Acinus wird von einer Anzahl
radiär angeordneter Zellen zusammengesetzt, welche fast bis zum
Centrum reichen und im Schnitt annähernd ein gleichschenkliges
Dreieck darstellen, und da sich hier etwa acht bis zwölf solcher
Zellen zählen lassen, so sind sie alle höher als ihre Basis breit ist
(Fig. 11). Ihre Zellsubstanz erscheint bei Maja äusserst spärlich
feinkörnig; sie färbt sich daher auch nur sehr schwach, und nur
nach dem Centrum des Acinus hin nimmt sie Hämatoxylin, nicht
aber Carmin, etwas begieriger auf. Ganz im Gegentheil hierzu
sind die Zellen bei Pagurus und Palinurus sehr dicht gekörnt
und erhalten ebenfalls nach dem Drüsencentrum hin mit Hämatoxylin
eine ungemein kräftige Blaufärbung, während die weniger körner-
reiche Basis der Zellen für Carmin empfänglicher ist!) (Fig. 9).
Die Drüsenzellen von Palinurus wie auch der ganze Acinus sind
ferner bedeutend kleiner als die von Maja, wo der Durchmesser
des letzteren etwa 90 Mikr. beträgt. |
Der Kern dieser Drüsenzellen liegt stets an deren breiter
Basis etwa in der Mittellinie. Von rundlicher Gestalt ist er mit
deutlichem und dichtem Netzwerk versehen, welches sich mit
Hämatoxylin kräftig tingiren lässt (Pagurus). — Andeutungen von
Der deutsche Ausdruck „Darm“ deckt sich fast mit dem lateinischen, ist
aber, wenn auch nicht im gewöhnlichen Leben, so doch in der Wissenschaft
auf den ganzen Verdauungskanal übertragen; daher für den Oesophagus die
Bezeichnung als „Vorderdarm.“
1) Das Gewebe ist mit Sublimat, Alkohol ete. behandelt worden,
166 Johannes Frenzel:
Kern- oder Zelltheilungen oder von Ersatzzellen und dergl. habe
ich hier nicht wahrnehmen können.
Geht der Sehnitt gerade durch den Mittelpunkt des als Kugel
gedachten Acinus (grösster Kreis), so kann man die Zellen so tref-
fen, dass sämmtliche Kerne sichtbar sind; bei Tangentialschnitten
fallen dieselben aber häufig auf dieser oder jener Seite aus. Im
ersteren Falle sieht man immer im Centrum eine Höhlung, den Aus-
druck des Sekretionskanals. Wie sich diese Kanäle zu einem gemein-
samen Ausführungsgang vereinigen, habe ich nicht wahrnehmen
können. Letzterer ist aber sowohl zwischen den Bindegewebsfasern,
wie zwischen den Hypodermiszellen hier und da deutlich zu erkennen,
namentlich da, wo er die Cutieula durchbohrt (Maja).
b) Die Hypodermis (Matrix, Chitinogene Membran.)
Sieht man von den Muskeln ab, so ist kaum ein Gewebe der
Arthropoden so langdauernd der Gegenstand sorgfältiger Unter-
suchungen gewesen, wie die das Chitin abscheidende Hypodermis.
Dennoch aber glaube ich, dass trotzdem gerade hier noch manche
Probleme ihrer Lösung harren. Sehon die Form dieses Epithel-
sewebes bietet so zahlreiche Variationen dar, wie man sie, eine
übereinstimmende Funktion desselben vorausgesetzt, gar nicht ver-
muthen könnte. Die Haut und der Darmkanal der Decapoden
zeigen uns die schönsten langgestreekten Cylinderzellen, während
an anderen Arten wieder, wo die secernirende Thätigkeit derselben
sewiss ebenso wenig schlummert wie dort, kaum eine dünne Lage
von schwierig oder wohl gar nicht zu unterscheidenden Zellen‘
vorhanden ist. Häufig wird aber die Frage noch in Erwähnung
gezogen werden müssen, ob der Hypodermis nicht noch andere
Funktionen zukommen könnten, und ob dadurch nieht könnte ihr
Aussehen nnd ihr Bau wesentlich beeinflusst werden. Gehen wir
nun zu einem speciellen Fall über, nämlich zu dem Enddarm der
Arthropoden, so ist diese Frage eine ungemein nahe liegende, wenn
wir uns darüber Klarheit verschaffen wollen, auf welchem Wege
die Resorption!) der verdauten Speise wohl vor sich gehe, was
weiter unten noch erörtert werden soll.
In Betreff des Enddarms der Decapoden kann man füglich
erwarten, dass das Hypodermisepithel überall eine ähnliche Funk-
1) Vergl.: Ueber Bau und Thätigkeit des Verdauungskanals der Larve
des Tenebrio molitor. 1. c.
Ueb.d. Darmkanald. Crustaceen nebst Bemerkungen z. Epithelregeneration. 167
tion haben werde, und wenn man dann den Rückschluss auf ein
ähnliches Aussehen machen will, so wird man sich nicht getäuscht
sehen, abgerechnet einige kleine und geringfügige Verschiedenheiten.
— Recht hoch und schmal sind die Hypodermiszellen bei Seyl-
larus (Fig. 1), etwas niedriger bei Maja, Palinurus und Astaeus.
Bei Pagurus, wo vielleicht schon eine kleine funktionelle Ver-
schiebung eintreten kann, sind sie noch weniger hoch, stellen-
weise sogar kubisch. — Im ganzen Epithel ist eine Zelle fast wie
die andere gestaltet, der Fuss ist so breit wie die Spitze. Bei
Seyllarus und auch bei Astacus wird Spitze und Fuss durch die
sich eindrängenden Bindegewebsfasern oft verengert. Die Zell-
substanz erscheint bei den Seekrebsen feingranulirt und nimmt nur
wenig Farbstoff auf. Bei Seyllarus ist an einigen Stellen auch ein
fädiges Gerüst zu erkennen. Stärker färbt sich die Zellsubstanz
bei Astacus, namentlich an der Spitze der Zellen, wo auch wohl
eine Längsstreifung auftritt (Fig. 8).
Der Kern der Hypodermiszellen ist gross, länglieh rund und
liegt ungefähr in deren Mitte. Er besitzt bei Seyllarus und Maja
ein deutliches aber loekeres Gerüst, so dass er nach Hämatoxylin-
färbung hell aussieht.
Hervorgehoben muss schliesslich werden, dass diese Zellen
keinerlei Inhaltsbestandtheile erkennen lassen, welche als resor-
birte Nahrung zu deuten wären. Wie schon weiter oben erwähnt,
sieht man oft im Lumen des Enddarms eine eiweissartige Sub-
stanz, wohl Pepton, welche beim Härten des Gewebes coagulirt
‚worden ist und welehe Hämatoxylin begierig aufnimmt. Etwas
Derartiges ist aber weder in den Hypodermiszellen, noch zwischen
ihnen, noch überhaupt innerhalb der Darmwand zu bemerken.
Die Chitinintima ist schon von Haeckel, Braun, Vitzou
und Anderen genügend berücksichtigt worden, so dass auf sie
nicht weiter eingegangen werden soll.
ec) Das Mitteldarmepithel.
Sehon oben haben wir gesehen, dass das Epithel des Mittel-
darms und seiner Anhänge —- von der Mitteldarmdrüse oder
„Leber“ hier ganz abgesehen — ein völlig übereinstimmendes ist, so
dass es in gemeinsamer Fassung hier abgehandelt werden soll.
Auch sei hier des Vergleiehs wegen noch einmal des entsprechen-
den Gewebes von Phronima gedacht.
168 Johannes Frenzel:
Auf den ersten Blick hin sieht das Epithel des Mitteldarms
dem des Enddarms nicht unähnlich, da es gleichfalls aus hohen
Cylinderzellen besteht. Nur sind sie in ersterem noch länger ge-
streekt, wie sie überhaupt absolut viel grösser sind. So beträgt
ihre Länge (Höhe) im Darmanhang von Dromia 100 bis 120 «
(Fig. 30) im Mitteldarm von Seyllarus 75 bis SO «, im Darm-
anhang von Pagurus dagegen 120 bis 150 « und an gleicher
Stelle bei Maja und Astacus (Fig. 28 und 13) etwa ebenso viel
oder sogar noch mehr. Wie sich im Enddarm Wülste zeigen, so
können im Mitteldarm auch kürzere Wülstehen oder Zotten (Pa-
pillen) entstehen, zum Theil wohl dadurch, dass bei Contraktion
der Ringmuskelschicht die Zellen zusammengepresst werden, und
da sie nur in das Lumen hin ausweichen können, sich hier unter
soleher Faltenbildung vorschieben. Derartige Veränderungen der
Epitheloberfläche brauchen keine regelmässigen zu sein (Fig. 14).
Es mag aber ausserdem noch, so in den Darmanhängen, eine be-
stimmtere Wulstbildung vorhanden sein, da ich nämlich dort
bei Pagurus im Querschnitt meist 5, nach dem blinden Ende hin
aber stets 4 Erhebungen fand (Fig. 12). Die Folge dieser Wulst-
und Zottenbildung nun ist, dass die Epithelzellen nicht dieselbe Höhe
und Breite haben, da sie alle nach unten hin meist bis zur tunica
propria reichen. Das Volumen der Zellen bleibt dabei aber unge-
fähr das gleiche, daher die in der Mitte der Zotte liegenden am
höchsten und schmalsten, die seitlichen dagegen niedriger und
auch breiter werden. So kann, wie bei Maja und Pagurus, die
Höhe der Zellen etwa das zehnfache der Breite erreichen. |
Die äussere Form dieser Epithelzellen ist keine so bestimmte
wie die der oben besprochenen Hypodermiszellen, da dieselbe von
manchen Umständen abhängig ist. Doch sind sie im allgemeinen
auch von prismatischer Gestalt, indem ihre Breite nach oben hin
weder erheblich zu- noch abnimmt. Nur die längsten Zellen in
einem Wulste sind in ihrer Mitte in Folge des seitlichen Druckes
oft stark verjüngt, während sie sich nach oben, nach dem Lumen
hin, wieder fächerförmig verbreitern. Ebenso haben die niedrig-
sten Zellen meist eine breite Basis und Mitte, indessen sie nach
oben spitzer werden. Schliesslich kann die Form sämmtlicher
Zellen dureh die dazwischen geschobenen jüngeren merklich ver-
ändert werden, worüber weiter unten das Nähere erfolgen soll.
Im Inneren der Epithelzellen sieht man meist nur die Zell-
Ueb.d. Darmkanal d. Crustaceen nebst Bemerkungenz. Epithelregeneration. 169
substanz und den Kern; ein bestimmt geformtes Sekret wird aber
nur selten und in undeutlicher Weise bemerkt (Fig. 27). So sieht
man häufig bei Seyllarus (Fig. 27) im mittleren oder oberen Theile
der Zelle je ein homogenes Klümpehen von rundlicher Form, das
von einem helleren Hof umgehen ist, und oft ist dieser nur allein
als Vaeuole vorhanden (Sublimatbehandlung). Aehnliche Dinge
können auch bei Dromia (Fig. 30) auftreten, während bei Maja
und Astacus nichts davon zu bemerken war. Dass in den ent-
sprechenden Zellen von Phronima ebenfalls bei Sublimatbehand-
lung im oberen Zelltheile rundliche Conkretionen entstehen, habe
ich schon an einem anderen Orte bekannt gemacht!). In den
secernirenden Zellen, wo sie allein vorhanden sind, werden sie
auch in der Flächenansicht siehtbar (Fig. 32).
Sonst erscheint der Zellinhalt sowohl nach Behandlung des
Gewebes mit Sublimat, wie auch mit Pierinschwefelsäure oder mit
der Perenyi’schen Flüssigkeit sehr dieht und mässig fein gekörnt.
Beim Einschliessen der Schnitte in Canadabalsam wird diese Kör-
nung zwar undeutlich gemacht, in Glycerin aber macht sie einen
ähnlichen Eindruck wie etwa das körnige Entosark der Gregarinen.
Am gröbsten ist sie bei Maja und Dromia und im Basaltheil der
Zeilen von Seyllarus, feiner ist sie bei Astacus. Fast ganz gleich-
mässig sieht die Zellsubstanz bei Maja aus (Fig. 28). Bei Seyl-
larus dagegen ist das obere Drittel der Zellen äusserst feinkörnig,
geht dann nach unten, nach dem Kern zu, als zweites Drittel in
deutliche Granulirung über, bis schliesslich das unter dem Kern
liegende Drittel aus sehr groben Körnern besteht. — Recht an-
schauliche Bilder geben Doppelfärbungen mit Hämatoxylin und
saurem Carminalkohol. In ersterem färbt sich die körnige Sub-
stanz fast gar nicht oder bei längerer Einwirkung doch auch nur
langsam und schwach; es kann aber noch eine andere, sich entgegen-
gesetzt verhaltende Substanz vorhanden sein, so vor allem bei Seyl-
larus im oberen Zelldrittel, welche sich mit Hämatoxylin so kräftig
tingirt, wie man es nur vom Kerngerüst erwarten sollte. Auch bei
Astacus findet sich eine derartige Substanz an den beiden schmalen
Enden des Zellkörpers, von wo aus dann die Färbbarkeit nach
dem Kerne hin abnimmt (Fig. 13). Aehnlich liegen die Verhält-
nisse ferner auch bei Pagurisies, wo aber nur eine obere, sich
1) Mitteldarmdrüse der Crustaceen 1. c. Taf. 4, Fig. 41.
Archiv f. mikrosk, Anatomie Bd. 25, 1%
170 Johannes Frenzel:
blau färbende Schieht vorhanden ist (Fig. 12 bei b),. während mir
bei Maja eine derartige Erscheinung nicht begegnet ist. Mit Car-
min hingegen färbt sich auch der übrige Zellinhalt intensiv, und
wendet man oben genannte Doppelfärbung an, so erscheint bei
Seyllarus das obere Zelldrittel blau, welche Farbe dann allmäh-
lich nach unten in Blauviolett und dann in Rothviolett übergeht
(Fig. 27). Bei Paguristes ferner besitzen alle Zellen oben einen
sich ziemlich scharf absetzenden violetten Streifen und an der
Basis sich stark roth färbende Massen, welche sich nach oben hin
gleichmässig abtönen. (In beiden Fällen Sublimatbehandlung.)
Weiterer Zellstrukturen kann man kaum ansichtig werden,
doch erkennt man bei Astacus häufig, bei Dromia immer unter
der oberen Grenzmembran eine feine, bei Astacus bald verschwin-
dende Längsstreifung (Fig. 13), welche sich ebenfalls kräftiger als
das Uebrige tingirt (Fig. 30). Vielleicht ist dieselbe schliesslich
auch bei Paguristes nachweisbar, während sich bei Maja (Pe-
renyi’sche Flüssigkeit) und Seyllarus (Sublimat) keine Spur da-
von wahrnehmen liess.
Der Kern der reifen Epithelzellen bietet manches Bemer-
kenswerthe dar. Von regelmässig eiförmiger Gestalt ist er nor-
malerweise bei Maja (Fig. 23); seine Länge nimmt schon etwas
zu bei Seyllarus (Fig. 27) und Dromia (Fig. 30), wird recht an-
sehnlich im Verhältniss zu seiner Breite bei Paguristes (Fig. 12)
und erreicht bei Astacus eine staunenswerthe Ausdehnung. Hier
ist der Kern etwa 4- bis 6 mal so lang als er breit ist (Fig. 13).
Die ellipsoidische Form ist bei Maja wohl die am meisten zu be-
obachtende. Bei dem Zusammen- und Uebereinanderschieben der
Zellen jedoch, wird auch der Kern zusammengedrückt und da
dieser Druck meist an der unteren Zellhälfte wegen der sich ein-
keilenden jungen Zellen wirkt, so erscheint der Kern meist nach
unten zu verjüngt, birn- oder rübenförmig (Fig. 27). Wird aber
die Hauptmasse der Zelle nach oben, nach dem Drüsenlumen ge-
presst, und wird der Kern dabei mitgezogen, so kann er oben wie-
der, wo ein verminderter Seitendruck herrscht, seine ursprüngliche
Gestalt annehmen, welehe der Kugel zustrebt (Fig. 30). Von
diesen Umständen ist auch seine Lage innerhalb der Zelle ab-
hängig. Ist das Nachrücken jüngerer Zellen, auf welche übrigens
noch genauer einzugehen sein wird, kein sehr lebhaftes, und ist
mithin der Seitendruck ein schwächerer, welcher aber auch noch,
Ueb. d.Darmkanal d. Crustaceen nebst Bemerkungen z. Epithelregeneration. 171
was nicht zu vergessen ist, von dem Contraktionszustande der
Ringmuskulatur abhängt, so liegen die Kerne meist etwas unter
der halben Höhe der Zellen, besonders wenn ihre Grösse eine ge-
ringere bleibt (Maja Fig. 28, Seyllarus Fig. 27). Im anderen
Falle jedoch werden sie, wie schon oben gesagt. in die Höhe ge-
schoben, liegen aber zum grössten Theil noch im unteren Zell-
- theile (Fig. 30 Dromia, Fig. 12 Paguristes). Haben die Kerne
ferner überhaupt eine mächtige Längenentwicklung wie bei Pagu-
ristes und Astacus, so können sie sich bis weit hinauf vorschieben,
indem sie den grössten Theil der Zelle (im Flächenbild!) erfüllen.
Diese Eigenschaft des Kerns, oder allgemeiner gesagt, sein Vo-
lumen im Verhältniss zu demjenigen der Zelle ist in den vor-
liegenden Fällen etwas recht Auffallendes. Zum Theil vielleicht
in Folge der seitlichen Druckwirkung ist die Breite der Zellen,
wie wir gesehen, eine bedeutend geringere als ihre Länge. Die-
selben werden, so könnte man sich fast ausdrücken, soweit zu-
sammengedrückt, als es der Kern zulässt, und wird er schliesslich
durch diesen Druck nach oben geschoben (Fig. 30), so ist dann
auch die Breite des unteren Zellstückes eine oft ganz minimale.
Es besteht aber auch oft ein gewisses Gleichgewicht zwischen
beiden Kräften, nämlich zwischen dem seitlich wirkenden Druck
und zwischen der Elastieität des Kernes, welche wohl auch noch
durch die der Zelle selbst unterstützt wird, die doch auch in Folge
der in Wirksamkeit tretenden Tropfenspannung, jener ersten Kraft
entgegenwirken muss. In diesen Fällen, so bei Maja (Fig. 25),
- so. bei Seyllarus (Fig. 27) und in vielen Fällen von Dromia u. s. w.
hat der Kern etwa die Breite der Zelle selbst oder auch eine etwas
geringere, und da dort, bei Maja und Seyllarus, die Zellen sehr
langgestreckt, die Kerne aber nur etwa doppelt so lang als breit
sind, so ist das Volumen des Kerns zu dem der ganzen Zelle ein
recht geringes. — Auch bei anderen Decapoden, bei Dromia und
Paguristes, ist der Kern etwa so breit wie die Zelle; da er aber
hier bedeutend länger wird, sogar die halbe Höhe der Zelle über-
schreitet, so ändern sich die Volumenverhältnisse ausserordentlich.
Setzen wir hier der Einfachheit halber beide Körper als Cylinder,
so sehen wir, dass das Volumen des Kerns etwa halb so gross
als das der Zelle sein kann. — Dieses Verhältniss wird nun
schliesslich bei Astacus fast noch extremer, wie ein Blick auf
Fig. 13 lehrt. Zwar erreicht bier der Kern niemals die Breite der
172 Johannes Frenzel:
Zelle, weil er nämlich noch von einem ihn gleichmässig umgeben-
den hellen Hof von der Zellwand getrennt wird, was später noch
zur Sprache kommen soll, doeh kann er bald so lang wie die
Zelle selbst werden. Dies sind die riesigen Kerne, welche schon
Max Braun in die Augen gefallen waren, und welche ja über-
haupt für den Flusskrebs so charakteristisch sind.
Mir scheint, dass bisher auf das Verhältniss, in welchem das
Volumen eines Zellkernes zu dem seiner Zelle steht, viel zu wenig
geachtet worden ist, und doch wird dies geschehen müssen, wenn
man weiter kommen will in der Frage nach der Bedeutung des
Zellkernes überhaupt. Nachdem wir jetzt mit immer grösserer
Bestimmtheit erfahren haben, welche wichtige Rolle er bei der
Vermehrung der Zellen spielt, bleibt nun noch festzustellen
übrig, ob und welche anderen Funktionen er ferner noch über-
nehmen kann.
Auch das sonstige Aussehen des Kernes bietet noch einiges
Erwähnenswerthe dar, doch mag dasselbe erst bei der Besprechung
der Zellvermehrung wieder in den Vordergrund treten.
Der Zellsaum. Schon an einem anderen Orte!) war mir
Gelegenheit geboten, auf die Struktur des Saumes zu sprechen
zu kommen, welcher in so vielen drüsigen Organen die Epithel-
zellen überzieht. Daher kann ich hier jede weitere Spekulation
unterlassen und zu emigen weiteren Befunden übergehen.
Im Mitteldarm von Astacus sieht derselbe wie eine sehr dünne
mit Poren versehene Cutieula aus (Fig. 13), welche sich hier und
da stärker, meist aber schwächer als der Zellinhalt gefärbt er-
weist. In hohem Maasse ist ersteres dagegen bei Seyllarus der
Fall (Fig. 27), wo der Saum wie eine intensiv blau gefärbte deut-
lich doppelt-eonturirte Haut aussieht. Hier ist er durch Sublimat
gut erhalten, während er bei Dromia und Paguristes sich weniger
befriedigend zeigt. Bei Maja ging er schliesslich in Perenyi’s
Flüssigkeit entweder ganz verloren oder blieb in gut erhaltenen
Fetzen hängen. Mit Sublimat jedoch gelang seine Fixirung hier
am besten. Bei starker Vergrösserung (Oelimmers. Ys,“) sieht man
bei Maja ganz deutlich, wie er aus einzelnen kräftigen Stäben
besteht (Fig. 29), welehe sich mit Hämatoxylin lebhaft färben. An
1) Vergl. auch meine: Mikrographie der Mitteldarmdrüse (Leber) der
Mollusken, deren Veröffentlichung bevorsteht.
Ueb.d. Darmkanal d. Crustaceen nebst Bemerkungen z. Epithelregeneration. 173
der Basis besitzt jeder dieser Stäbe ferner ein breiteres Stück
(Fussstück) welches dicht an die benachbarten gleichen Gebilde
angrenzt und so eine durchlöcherte (mit Poren versehene) Membran
zu Stande kommen lässt. Diese Membran tingirt sich noch kräftiger
als die Stäbe. Letztere besitzen schliesslich jeder für sich an der
Spitze eine grössere kugelige Anschwellung, welche gleichfalls von
ihren Nachbarn aus durch geringe Zwischenräume getrennt ist.
Auch diese Kugeln sind so stark wie die Fuss(Membran-)stücke,
also stärker als die Stäbe gefärbt, und wenn man den ganzen
Saum bei schwächerer Vergrösserung betrachtet, so glaubt man
sowohl unten als oben eine zusammenhängende scharfe
Contur wahrzunehmen, so dass dadurch in der That das Bild einer
dieken Cutieula vorgetäuscht wird. Derartige Knöpfe an den
Stäbchen hatte ich schon an konservirten Darmzellen von Inseeten
gesehen, an den frischen Zellen dieser Thiere und der Mollusken
(Mitteldarmdrüse, Cephalopoden) sind sie jedoch nicht vorhanden.
Ich möchte sie daher für ein Kunstprodukt halten.
Die Regeneration der Epithelzellen des Mitteldarms.
Da ich schon vor Kurzem Einiges über die verschiedenen
Hypothesen niedergeschrieben hatte, welche bei der Frage nach
der Vermehrung von Epithelzellen aufgestellt werden könnten,
und da ich dieselben bei einer späteren Gelegenheit ausführlicher
behandeln möchte, so will ich mich an dieser Stelle darauf be-
schränken, dasjenige wiederzugeben, was ich am Mitteldarmepithel
der Crustaceen wahrgenommen habe, ohne aber die Schlüsse,
welche sich daraus ziehen lassen, irgendwie verallgemeinern
oder auf andere Verhältnisse übertragen zu wollen.
Man wird vom Mitteldarm der Decapoden erwarten dürfen,
dass er gerade wie auch bei anderen Athropoden ein Verdauungs-
sekret liefere, und obwohl er ja nur einen sehr geringen Umfang
hat, während seine ventrale Ausstülpung, die sog. Leber, ihm das
Hauptgeschäft abgenommen hat, so darf man deswegen doch noch
nicht schliessen wollen, dass er nun diese seine Funktion ganz
verloren habe, sondern höchstens, dass er sie wegen seiner räum-
lichen Beschränktheit in vermindertem Grade ausführe. — Ein
Blick auf seine Epithelzellen hatte gezeigt, dass dieselben in den
meisten Fällen einen gleichmässigen Inhalt besitzen, nicht also,
wie Becherzellen etwa eine Theca oder eine sonstwie beschaffene
174 Johannes Frenzel:
von dem übrigen Zellinhalt unterscheidbare Sekretmasse. Was
die Klümpchen an gleichem Orte bei Scyllarus zu bedeuten haben,
ist zwar nieht ganz klar, kommt hierbei aber wohl kaum in Be-
tracht. — Sollen also nun die Zellen das in ihnen bereitete Pro-
dukt secerniren, so kann dies nur geschehen, indem sie dasselbe
ausstossen, wobei sie entweder als lebende Organismen bestehen
bleiben, oder indem sie hierbei zu Grunde gehend in ihrer ganzen
Masse das Sekret bilden. Für beide Vorgänge giebt es zahlreiche
Beispiele unter den Drüsenzellen, in unserem Falle aber wird man
sich für den letzteren Vorgang entscheiden müssen, da hierfür
das eben erwähnte Aussehen der Zellen am meisten spricht. Man
wird dann aber auch folgerichtig zu der Forderung berechtigt
sein, dass die aufgebrauchten Zellen durch stets neu nachrückende
ersetzt werden; und thatsächlich sind solehe jugendlichen Zellen
sowohl im Epithel desMitteldarms selbst wie auch in dem der dorsalen
Anhänge nachweisbar, so dass dieser Forderung genüge geschieht.
Zwar treten diese Zellen nur selten in reichlichem Maasse
auf, sie sind vielmehr in manchen Schnitten so vereinzelt, dass
man sie fast zu vermissen glaubt. Dies mag von dem jeweiligen
Ernährungszustande, von dem Sekretionsbedürfniss abhängen;
denn bei Winterkrebsen (Astacus) welche wochenlang ohne Nahrung
gehalten wurden, waren junge Zellen recht selten, während bei
gut genährten Sommerkrebsen (August und September) das um-
sekehrte Verhältniss statthatte. — Ferner fanden sich nur spär-
liche junge Epithelzellen in der Darmtasche mehrerer anscheinend
normalen Majen!). Auch bei Paguristes (Darmanhang) ist ihre
Zahl eine mässige, da auf etwa 10 grosse Zellen erst eine oder
zwei ganz junge kommen, und ähnliche Resultate ergiebt der
Mitteldarm von Seyllarus. Im Darmanhang von Dromia traten sie
dagegen schon reichlicher auf (Fig. 30), und bei gut genälhrten
Flusskrebsen sind sie schliesslich in solcher Menge, dass etwa
jeder völlig erwachsenen Zelle eine ganz junge, die Zwischen-
formen abgerechnet, entspricht.
Nichts spricht dafür, dass die verschiedenen Exemplare von
Maja, Paguristes und Seyllarus, welche ich untersuchte, keine
normalen gewesen seien. Sie waren durchweg in günstiger Zeit
l) In Fig. 28 sind der Raumersparniss halber die jungen Zellen mehr
zusammengehäuft, als sie eigentlich sein sollten.
Ueb. d. Darmkanal d. Crustaceen nebst Bemerkungen z. Epithelregeneration. 175
gefangen, nämlich in Frühjahrs- und Sommermonaten; sie kamen
in frischestem Zustande zur Verwendung und ihr Darm war
durchweg gut gefüllt. Der Mangel an jungen Zellen muss daher
einiges Befremden erregen. Aber auch bei Astacus sind sie in
günstigen Fällen sogar viel spärlicher als an anderen Orten, wie
etwa im Mitteldarm der Insekten und wie in der sog. Leber der
Krebse und Mollusken. Dieser Umstand giebt uns jedoch, wir mir
scheint, einen Fingerzeig, wie jenes Phänomen zu erklären sei;
denn die ventrale Drüse (Leber)ist, wie schon oben gesagt, funktionell
an Stelle des Mitteldarms getreten, und dieser ist im hohem Grade
degenerirt. Jene so kolossal entwickelte Drüse liefert eine ent-
sprechend grosse Menge von Enzymen, und zwar, wie es sehr wahr-
scheinlich ist), alle, welche zur Verdauung nothwendig sind; auch
wird sie noch durch die Intestinaldrüsen des Vorder- und End-
darms häufig unterstützt. Man kann also behaupten, dass auf
diese Weise der Mitteldarm für die Verdauung?) entbehrlich ge-
worden ist, und dass er nur noch in Folge vererbter Gewohn-
heit, sit venia verbo, in beschränktem Maasse weiter thätig sei.
Glücklicherweise ist dieser Umstand hier sehr günstig für das
Studium der Zellvermehrung, da das mikroskopische Bild nicht
wie z.B. im Mitteldarm der Insekten durch einen embarras de
richesse getrübt wird, und so kann man für alle Stadien des Zell-
wachsthums neue fortlaufende Reihen von Belegen anführen.
Nun aber kommt die weitere Frage nach der Entstehung und
Herkunft dieser jungen Epithelzellen.
Bei Gelegenheit der Mitteldarmdrüse der Crustaceen und der
Mollusken hatte ich vergeblich danach gestrebt, der Lösung dieser
Frage näherzurücken, und nur bei Phronima fanden sich Zeugen
einer indirekten Kerntheilung, für welche ich mich auch s. Z. in
Betreff des Mitteldarms des Mehlwurms ausgesprochen hatte.
Ebenso schlechte Erfolge, wie mit jener Drüse hatte ich denn auch
ursprünglich mit dem Dekapodendarm, bis schliesslich ältere Prä-
parate von gut konservirten Sommerkrebsen zu besseren Re-
sultaten führten. Da jene Präparate, mit ungenügenden Hülfsmitteln
hergestellt, leider zu dicke Schnitte enthielten, und während der-
1) Vergl. die Arbeiten Hoppe-Seyler’s, Krukenberg’s und Max
Weber’s a. a. O.
2) Wie es sich mit der Resorption verhält, folgt weiter unten.
176 Johannes Frenzel:
letzten Wintermonate gut gefütterte Krebse nicht mehr zu erhalten?)
waren, so musste ich weitere Untersuchungen abbrechen, und für
eine günstigere Gelegenheit verschieben. — Immerhin lassen sich
schon jetzt Beweise genug beibringen, dass in den jüngsten
Epithelzellen (Ersatz- oder Mutterzellen) eine der
direkten ähnliche Kerntheilung vor sich gehe, und dass
mit dieser eine Zelltheilung verbunden sei. Damit soll aber, wie
ich hier ausdrücklich als Vorbehalt hinzufüge, eine indirekte mit
Karyokinese verbundene Kerntheilung vor der Hand noch nicht
widerlegt werden, da hierzu die Summe meiner Beobachtungen eine
noch zu geringe wäre. Doch glaube ich behaupten zu können, dass
mir eine solche Kerntheilung in meinen Präparaten nicht begegnet ist,
und da ich mit der Winkel’schen Oelimmersion Y/,“ jedes der-
selben durchmusterte, so kann mir kaum eine Täuschung wider-
fahren sein. Wohl weiss ich allerdings, wie vorgefasste Urtheile
das Auge blind machen können. Auch will ich mich von denselben
nicht frei sprechen; doch war mein vorgefasstes Urtheil gerade
ein entgegengesetztes, da ich ursprünglich darauf ausging, — in-
direkte Theilungen zu finden, später aber, als mir dies nicht
gelang, die Möglichkeit einer freien Zellbildung mit in Erwägung
zog. Meine Präparate waren schliesslich, wie ein Blick auf die
Fig. 15 bis 26 zeigt, die möglichst genau Strich für Strich nach-
gezeichnet sind, durchaus genügende, von ihrer Dieke abgesehen,
so dass der Einwurf die Erhaltung der Kernstrukturen sei eine
schlechte gewesen ein unberechtigter wäre. Zwar habe ieh nicht
die von W. Flemming empfohlenen Fixirungsmittel angewendet,
konnte mir aber für das vorliegende Gewebe keinen guten Erfolg
versprechen und reichte auch bei Phronima mit einer ganz sorg-
losen Sublimatbehandlung soweit aus, dass ich die hier wirklich
vorhandenen Mitosen als unz weifelhafte erkennen konnte (Fig.31),
wenngleich freilich eine vollständige Klarheit der einzelnen
Fäden ausgeblieben ist. Da ich aber überhaupt froh war, solche
Figuren zu finden, so begnügte ich mich damit, bitte aber die in
Fig. 31 gezeichneten nicht als eine der Natur entsprechende
Wiedergabe zu betrachten.
Diese Fig. 31 stellt ein Stück des Mitteldarm(Magen-)epithels
1) Die vom Händler im Februar und März bezoeenen Thiere waren in
fo}
Folge langen Hungerns und schlechter Behandlung sehr matt und starben
nach wenigen Tagen, selbst bei reichlicher Nahrungszufuhr.
Ueb.d. Darmkanald. Crustaceen nebst Bemerkungen z. Epithelregeneration. 177
von Phronima in der Flächenansicht dar, wobei weder etwas
in der Gruppirung der Zellen noch in ihrer Form geändert
ist. Das Präparat ist einfach durch Aufschneiden und Auseinan-
derbreiten der Darmwand gewonnen, und da diese etwa 100 «
diek ist, so ist dasselbe schon aus diesem Grunde zum Erkennen
feiner Strukturen nicht sonderlich geeignet. Doch sah ich in
mehreren Stellen auch die achromatische Spindel mit voller
Deutlichkeit. Dieselbe hatte sich nämlich auffälligerweise mit Hämat-
oxylin ziemlich kräftig tingirt, stand darin aber doch gegen die chro-
matophile Substanz weit zurück. — Hervorzuheben ist noch, dass
diese Kern- und Zelltheilungen nicht mit einiger Gleich-
mässigkeit im Darmepithel vertheilt sind; es finden sich vielmehr
einzelne verstreute Inseln, die aber eine Gruppe von mehreren in
Theilung begriffenen Zellen umfassen. Diese letzteren seibst, wie
auch die ihnen benachbarten enthalten keine durch Sublimat!) her-
vorgerufenen Conkremente wie die übrigen sich nicht theilenden
Zellen (Fig. 32). Dieses sind reifere, in Sekretbildung begriffene
Zellen und haben die Fähigkeit, sich zu theilen, verloren. Ob sie
hier bei Phronima jedoch während der Sekretion zu Grunde gehen,
bleibe unentschieden, da eine rasche Zellvermehrung wegen der
nicht grossen Zahl der Zelltheilungen und wegen der Langsamkeit,
mit welcher dieselben vor sich gehen müssen, nicht wahrscheinlich
gemacht wird. Es kann also möglich sein, dass die Zellen, nach-
dem ihr Produkt ausgestossen, die Fähigkeit, sich zu theilen wieder-
erlangen, oder dass sie neue Sekretmassen bilden. Es würden
dann also nur abgenutzte Zellen zu ersetzen sein. — An Phronima-
larven, welche wegen ihrer Durchsichtigkeit lebend unter dem
Mikroskop beobachtet werden können, war leider in betreff dieses
Punktes keine Gewissheit zu erlangen. — Es sei übrigens schliess-
lich noch betont, dass die indirekten Kerntheilungen nicht etwa an
jungen, sondern an völlig ausgewachsenen Thieren, nämlich ge-
sehlechtsreifen Weibehen beobachtet sind, wo sie in keinem der
darauf hin untersuchten Exemplare ca. 6 Stück fehlten.
Die bei Phronima obwaltenden Verhältnisse liefern einen Be-
weis dafür, dass die Regeneration des Mitteldarmepithels bei Crusta-
ceen in gewissen Fällen auch durch Karyokinese vor sich gehen
kann. Wie weit dies aber auf andere Arthropoden auszudehnen
1) Vergl. Mitteldarmdrüse der Crustaceen 1. ce. p. 97 ff.
178 Johannes Frenzel:
ist, bleibe noch zu untersuchen übrig, und jedenfalls verlangen die
bei den Decapoden stattfindenden Vorgänge, welche sogleich zur
Sprache kommen sollen, die grösste Vorsicht in der Beurtheilung
der einzelnen Fälle. Ich will daher für meine früher über den
Mitteldarm des Mehlwurms gemachten Mittheilungen jetzt nicht
einstehen. Auch mit Hülfe der Oelimmersion 1/,,“ ist dort nicht
viel mehr zu erkennen, als wie ich s.Z. angegeben hatte, da die
Gewebselemente gar zu winzige sind. Doch sehe ich die a.a.O.
in Holzschnitt pg. 286 Fig. I gezeichneten als Uebergangsstadien
zur Sternform der Tochterkerne erklärten zwei parallelen Balken
an vielen Stellen mit grosser Schärfe Ueber .die sog.
Kranzform aber wage ich kein bestimmtes Urtheil, da dieselbe
auch ein Kunstprodukt sein könnte.
Im Mitteldarmepithel der Decapoden, um nun zu diesen zu
gelangen, liegen an der tunica propria Zellen, welche kleiner als
die übrigen Zellen sind. Diese kleinen Gebilde bestehen bei allen
der zur Untersuchung gelangten Decapoden ohne irgend eine Aus-
nahme aus einem Zellkörper, welcher meist oben, zuweilen aber
auch nach der Mitte zu, einen grossen vakuolen- oder blasenartigen
Hohlraum enthält, in dessen Mitte der grosse Kern schwebt.
Dieser Hohlraum möge Kernhof heissen; er ist kein etwa durch
Sehrumpfung der Zellsubstanz entstandenes Kunstprodukt, sondern
schon in den lebenden Zellen vorhanden. Wenn diese nämlich
beim Zerzupfen des Gewebes platzen, so tritt er mit dem Kern
aus, ist aber, da er völlig hyalin, farblos und mässig stark licht-
brechend ist, kaum zu erkennen, und nur, wenn solch ein Kern
mit einem anderen Gegenstand zusammentrifft, kann er diesen
nicht berühren, weil ihn der Kernhof daran verhindert. In solchem
Momente gewahrt man auch deutlich den zarten Contur des letz-
teren. — Bald geschieht es dann, dass der Hof, welcher nichts als
eine Flüssigkeit ist, platzt, so dass nun der Kern frei umher-
schwimmt. — Ob der Hof mehr zur Zelle als zum Kern zu rechnen
ist, weiss ich nicht zu sagen, jedenfalls hängt er mechanisch mit
letzterem inniger zusammen. Auch in konservirtem Zustande ist
sein Aussehen das gleiche, seine Form passt sich möglichst der
des Kerns an (Fig. 13, 22, 24) sowohl vor, wie auch während und
nach der Theilung. Meist ist er in diesen Präparaten, so bei
Astacus (Fig. 13, 15 bis 26) Maja und Dromia, gleichfalls wasser-
klar und fast völlig homogen. Nur zuweilen treten in ihm, so bei
Ueb.d. Darmkanald. Crustaceen nebst Bemerkungen z. Epithelregeneration. 179
Seyllarus und Maja, vielleicht als Begleiterscheinungen einer Um-
wandlung seiner Substanz beim Reiferwerden der Zelle, feine
staubartige Granulationen auf (Fig. 27, 28). Mit Ausnahme von
Astacus verschwindet er schliesslich hierbei, wahrscheinlich in-
dem er den gleichen Inhalt wie die Zelle erhält, so dass nun in
reifen Zellen der Kern unmittelbar von der Zellsubstanz um-
geben wird und von dem Hof keine Spur mehr zu erkennen ist
(Fig. 27, 28). Bei Astacus bleibt er weiter fortbestehen und wächst
mit dem Kern zugleich in die Länge, sa dass er dessen Form
nachahmend ihn wie ein Sack umhüllt (Fig. 13).
Der Kernhof ist für die Untersuchung der Theilungsvorgänge
von grösstem Nutzen, da er wie ein heller Rahmen den Kern
erstens scharf markirt und zweitens dessen Gestaltsveränderungen
in vielen Fällen nachahmt, so dass er diese gewissermassen ad
oculos demonstrirt, wenn man sie sonst unter Umständen nur
schwierig erkennen könnte.
Die kleinsten überhaupt sichtbaren Zellen sind meist abge-
plattet eiförmig und liegen dann, wie bei Maja (Fig. 28), Pagu-
ristes und Dromia mit ihrer Längsseite der tunica propria dicht
an. Oder sie sind, wie oft bei Astacus, kugelig, und haften auch
dann eng an letzterer Membran. Sie lassen dann nichts anderes
als den Kern mit seinem hellen Hof erkennen; von einer Zellsub-
stanz sieht man nichts. Lassen wir nun eine etwa schon stattfin-
dende Kerntheilung ausser Acht, und verfolgen wir die wachsende
Zelle weiter, so sieht man sie, wie bei Dromia (Fig. 30) kugelig
werden, was sich erst nur noch auf Kern und Kernhof bezieht,
und nun entsteht an der Basis ein schmales Fussstück (Stiel),
welches im Schnitt fein grannlirt erscheint, also eiweissartiger
oder protoplasmatischer Natur ist. Dies ist der zuerst sichtbare
Anfang der eigentlichen Zelle. — Ist die ursprünglich genannte
längliche Zelle noch nieht kugelig geworden, so kann sie sich
nun auch aufriehten, indem sich die Längsaxe des Kerns nach
oben (dem Lumen zu) richtet. — Das weitere Wachsthum ist nun
nicht ein übereinstimmendes. Bei Astacus, Sceyllarus und Dromia
schiebt sich einfach der Kernhof mit dem Kern weiter aufwärts,
indem sich nur der basale Stiel verlängert und verbreitert (Fig. 15,
16, 24, 25, 27, 30). Bei Maja hingegen bleibt ersterer etwas
zurück, so dass nun über ihn hinaus der Zellkörper spitz keil-
förmig vorwächst (Fig. 28). Im ersteren Falle schiebt sich
180 Johannes Frenzel:
die junge Zelle wohl auch oft mit ihrem breiten Kopfe zwischen
die übrigen Epithelzellen hinein (Fig. 27). Bei Astacus jedoch
ist es fast Regel, dass eine solche junge Zelle einfach eine ältere
vor sich her stösst, bis diese wahrscheinlich ganz ausgestossen
wird (Fig. 13), und hier bleibt der Kernhof mit dem Kern lange
an dem einen Zellpole, bis er, wenn sich der Kern anfängt in die
Länge zu strecken, auch hier von der Zelle überragt wird. Wäh-
rend des keilförmigen Vorwachsens der Zelle bei Maja verschwindet,
wie schon gesagt, der Kernhof durch Einlagerung einer gerinnen-
den Substanz, während die Zelle noch ihren jugendlichen Cha-
rakter beibehält. Dieser macht sich überall dadurch kenntlich,
dass sich der Zellinhalt mit Carmin und Hämatoxylin weniger
stark tingirt, als derjenige reifer Zellen, was wohl daher rührt,
dass er eine geringere Anhäufung des granulösen Zellinhalts auf-
weist (Fig. 15, 16, 28 ete.). Es liegt hier mithin eine auffällige Ab-
weichung von dem Verhalten vieler anderer Jugendzellen vor, welche
sich sehr häufig, so im Mitteldarm vom Mehlwurm, in der Mittel-
darmdrüse von Crustaceen und Mollusken (Umbrella, Patella ete.)
namentlich mit Hämatoxylin sehr intensiv tingiren. — Vielleicht
aber findet in unserem Falle sich eine Erklärung in der Weise,
dass die eigentliche Zellsubstanz (seu Protoplasma) keine Farbe
annimmt, sondern dass dies nur von Seiten des oft gleichmässig
(Maja), oft ungleichmässig (Seyllarus) vertheilten Sekrets ge-
schieht. Die jungen Zellen enthalten demnach nur Protoplasma,
in welchem übrigens zuweilen auch eine zarte Netzstruktur her-
vortritt (Fig. 16).
So plausibel dieser ganze Vorgang des Zellwachsthums er-
scheint, so unklar liegt noch der Vorgang der Zellvermehrung
vor uns, indem hier scheinbar einfache Verhältnisse durch eine
ich möchte sagen unnütze Complikation verhüllt werden. Wenn
eine direkte Kerntheilung stattfindet, so wäre doch der einfachste
Weg der, dass sich in den an der tunica propria liegenden kleinsten
Zellen der Kern durch einfache mittlere Einschnürung halbirt.
Dieser Weg scheint auch in den meisten Fällen eingeschlagen zu
werden (Fig. 17, 20, 21, 26). ‘Wenn nun die Zelle, anstatt sich so-
gleich zu theilen, erst ein Stück in die Höhe wächst und sich dann
derselbe Vorgang abspielt (Fig. 15, 23, 25), so kann man darüber
noch hinwegsehen. Wenn sich aber der Kern, anstatt sich zu hal-
biren, in ein sehr grosses und ein sehr kleines Stück zerschnürt,
Ueb. d.Darmkanal d.Crustaceen nebst Bemerkungen z. Epithelregeneration. 181
was sich bei Astacus nieht selten ereignet (Fig. 16, 19, 22, 24),
so weiss ich nicht, ob man hier noch den Begriff einer „direkten“
Kerntheilung anwenden darf, oder ob dies nicht lieber als „Kern-
sprossung* zu deuten wäre. Diese ungleiche Absehnürung ist
übrigens nieht etwa ein Beobachtungsfehler ; sie wird nicht etwa
dadurch vorgespiegelt, dass ein schiefer Schnitt den einen Kern-
abschnitt nicht voll getroffen habe. In den Figuren 16, 22 und
24 liegen vielmehr beide Theile genau in derselben Schnittebene,
und auch in Fig. 19 entfernt sich der eine Theil nur ganz wenig
aus ihr.
Wo eine Halbirung des Kernes statthat, finden auch mehrere
Modalitäten Platz, welche vermischt neben einander in demselben
Sehnitt angetroffen werden können. Zuerst streckt sich der wage-
recht, senkrecht oder schief liegende Kern etwas in die Länge.
Hierauf entsteht in der Mitte senkrecht zur Längsaxe ein ring-
förmiger Einschnitt (Fig. 17, 18), weleher gleiehmässig fortschreitend
tiefer einschneidet, bis beide Kernhälften getrennt, aber dicht neben-
einanderliegen (Fig. 21, 23, 26). Dieser einfachste Vorgang scheint
auch der am meisten verbreitete zu sein.
In anderer Weise kann auch eine Halbirung des Kerns der-
artig vor sich gehen, dass die Einschnürung eine nur in einer
Richtung fortschreitende ist (Fig. 20), oder dass beide Kernhälften
frühzeitig auseinanderrückend eine schmale Brücke zwischen sich
ziehen, was wohl aber nur bei aufrechtstehenden grösseren Zellen
vorkommt (Fig. 15).
Die ungleichförmige Abschnürung habe ich bis jetzt nur
bei Astacus wahrgenommen. Sie lässt dieselben Modifikationen
wie die Halbirung zu (Fig. 16, 22, 24).
Mit der zuerst stattfindenden Verlängerung des Kerns geht
auch die seines Hofes Hand in Hand. Nieht immer hält dieser
jedoch mit der Einschnürung gleichen Schritt, thut dies aber oft
in unzweifelhafter Weise (Fig. 20, 22, 24). Ist dann schliesslich
die Abschnürung beider Kerntheile vollendet, so schnürt sich auch
der Hof völlig durch, und zwei neue Organismen sind fertig
(Fig. 25). — Geschieht die Theilung nun einigermassen senkrecht
zur tuniea propria (Fig. 21) so ist leicht ersichtlich, dass auch der
Zellstiel darin mit einbegriffen wird, so dass beide Theilstücke
völlig gleiehwertig sind. Geschieht die Absehnürung aber parallel
zur tuniea propria, so scheint der obere Theil schlechter ausge-
182 Johannes Frenzel:
stattet zu werden und nichts von dem Stiel mitzubekommen. Wie
er dennoch weiterwächst, und ob er niemals mehr die tuniea pro-
pria berührt, ist noch völlig räthselhaft.
Weitere Hypothesen an diese so merkwürdigen Vorgänge zu
knüpfen, halte ich vorläufig nicht für angemessen. Ein wiehtiger
Punkt verdient aber besonders hervorgehoben zu werden, näm-
lieh dass das Kerngerüst während dieser Theilung keine
merklichen Veränderungen oder Umlagerungen erleidet,
woher ieh mich hauptsächlich berechtigt halte, diesen Theilungs-
vorgang dem karyolytischen als einen direkten gegenüberzustellen.
In jugendlichen Kernen ist das Gerüst ein oft so dichtes, dass
es sich nur bei starker Vergrösserung in seine Bestandtheile auf-
lösen lässt. Während des späteren Wachsthums nimmt es aber
im allgemeinen nicht an Volumen zu, so dass in erwachsenen
Kernen seine Anordnung eine sehr lockere ist, und da der
Kernsaft sieh nieht tingirt, so sehen diese Kerne oft wie bei
Seyllarus und Maja heller als der Zellinhalt gefärbt aus (Fig. 27, 28).
Sehluss.
Es wird mir, so fürchte ich, der Vorwurf nicht erspart bleiben,
dass die Darstellung, welche ich in Obigem versucht habe von
dem Darmtraetus der Decapoden zu geben, weit davon entfernt
ist, eine vollständige und umfassende zu sein. Dennoch aber
glaube ich, so gerechtfertigt dieser Vorwurf auch sein mag, dass
sich schon jetzt werden einige Anknüpfungspunkte für physiologische
Erörterungen finden lassen; denn so einfach auch die äussere Ge-
staltung dieses Organsystems ist, so wenig möglich ist es doch
bisher gewesen, ein den wissenschaftliehem Standpunkte unserer
Zeit entsprechendes Bild der Thätigkeit desselben zu entwerfen.
Allerdings hat wohl gerade für diesen Zweek vorliegende Unter-
suchung nur wenig Positives zu Tage gefördert, vielleicht kann
sie aber dazu beitragen, in diese oder in jene Frage ein wenig
mehr Klarheit zu bringen.
Durch den kurzen senkrecht aufsteigenden Oesophagus ge-
langt die Speise, welche der Krebs zu sich genommen, in den
Magen. Unzweifelhaft liefern die von Max Braun im Oesophagus
gefundenen Drüsen ein Verdauungssekret, welches sich dem Speise-
brei beimischt. Es ist vor der Hand hier nicht von wesentlicher
Ueb. d.Darmkanal d.Crustaceen nebst Bemerkungen z. Epithelregeneration. 183
Bedeutung, weleher Art dieses Sekret ist; es mag aber recht wohl
dem echter Speicheldrüsen entsprechen, alse diastatischer Natur
sein. — Wie wenig wählerisch die Decapoden rücksichtlich ihrer
Nahrung sind, ist bekannt. Es gelangt daher auch viel unverdan-
liche Masse in den Magen. Diese wird hier zerrieben, um der eigent-
lichen Verdauung theilweise zugänglich gemacht zu werden. Zwar
meint Th. H. Huxley!), dass nur hinreichend flüssig gewordene
Theile durch den sog. Pylorusseiher in den Darm gelangen,
während die gröberen Theile der unbrauchbaren Stoffe schliesslieh
durch den Mund wieder ausgeworfen werden. Dies mag wohl der
Hauptsache nach richtig sein; dennoch fand ich häufig, so nament-
lieh bei Maja und Dromia, im Enddarm grössere Sandkörner,
Korallenstückehen und sonstige harte oft mehrere Millimeter grosse
Körper, welche doch noch hindurch geschlüpft waren. — Vergleicht
man die enorme Grösse des Magens mit dem winzigen Dureh-
messer der hinteren Darmabschnitte, so wird man mit Huxley
vermuthen müssen, dass schon im ersteren ein grosser — vielleicht
sogar der grösste — Theil der Verdauung vor sich gehe. Merk-
würdiger Weise aber tritt das wichtigste und an Menge über-
wiegendste Verdauungssekret, nämlich das der Mitteldarmdrüse
(Leber) von hinten her in den Magen ein, wo es in der That
als braune Flüssigkeit schon makroskopisch, mikroskopisch aber
durch das Vorhandensein der schon an anderer Stelle näher ge-
kennzeichneten Fermentblasen?) kenntlich ist, und damit dieses so
eintretende Sekret nicht durch den entgegengesetzten Strom des
Speisebreies zurückgedrängt werde, ist ein besonderes complieirtes
Klappensystem nöthig.
Nun tritt die im Magen zerkleinerte und von Verdauungs-
säften veränderte Nahrung in den Mitteldarm ein. Auch hier
dürfte es gleichfalls wieder zur Abscheidung von Stoffen kommen,
welche für die Verdauung nützlich sind. Denn dass die Zellver-
mehrung in dessen Epithel eine Folge vom Zellverbrauceh ist,
dürfte kaum fraglich sein. Auch dürfte wohl der Analogieschluss
erlaubt sein, dass dieses Epithel dieselbe Bedeutung besitze, wie
das Mitteldarmepithel anderer Arthropoden°). Nur ist diese Be-
i) „Der Krebs“ 1. e. p. 58.
2) Vergl. Mitteldarmdrüse der Crustaceen ]. ce. p. 70 ff.
3) Vergl. Darmtraktus der Larve des Tenebrio molitor ete. 1. c.
184 Johannes Frenzel:
deutung nicht in quantitativer, sondern bloss in qualitativer eine
gleiche. Denn obwohl der Mitteldarm noch durch dorsale Anhangs-
drüsen in seiner Arbeit unterstützt wird, so kann doch auch die
Gesammtleistung in Anbetracht der meist geringen Kürze dieses
Darmabsehnitts, und der geringen Oberfläche des secernirenden
Epithels, sowie in Anbetracht der nur träge zu nennenden Zellver-
mehrung, eine nur geringfügige sein. Eine allerdings nicht sehr
in’s Gewicht fallende Abweichung zeigen die Paguriden, doch ist
auch hier noch die Oberfläche des Mitteldarmepithels und seiner
Schläuche zu derjenigen der mächtig entwickelten ventralen Drüse
(Leber) eine verschwindend kleine.
Noch einmal sei hier kurz dieses letzteren Organs Erwähnung
sethan!). — Es ist mir gesagt worden, dass die für dasselbe ge-
wählte Bezeichnung als „Mitteldarmdrüse‘“ eine viel zu unbestimmte
und dass die von Alters her gebräuchliche als Leber doch vorzu-
ziehen sei. Denn wenn auch die Funktionen beider Organe so
grundverschieden seien, so hätten sie doch ihre Homologie, da
ja auch die Leber der Wirbelthiere eine Ausstülpung des Mittel-
darmgebietes sei. — Dagegen möchte ich aber den Einwand erheben,
dass dieses letztere Organ nicht die einzig existirende Ausstülpung
jenes Gebietes ist, dass es diese Eigenschaft vielmehr mit dem
Pancreas theilt. Diesem letzteren Organ ist also jene Drüse der
Decapoden auch homolog, und rücksichtlich seiner Funktion sogar
noch analog, könnte also eher als Panereas, denn als Bauch-
speicheldrüse, ausgegeben werden. Dennoch sträube ich mich vor-
läufig auch noch hiergegen, da ich mir nicht anmassen will, nun
endgültig die volle Bedeutung des fraglichen Organs festgestellt
zu haben. Absichtlieh möchte ich daher den unbestimmten
Ausdruck „Mitteldarmdrüse“ trotz seiner Plumpheit bestehen lassen.
Nach Passiren des Mitteldarms gelangt der Speisebrei nun
ohne Weiteres in den Enddarm, um hier ebenfalls oft noch mit
neuen Drüsensekreten in Berührung zu kommen. Diese entstammen
den Intestinaldrüsen Vitzou’s, werden aber funktionell wahr-
scheinlich denen des Oesophagus gleich stehen, wofür ja sehr das
übereinstimmende Aeussere beider Gebilde spricht. Ihr Sekret
1) Aus Versehen habe ich a. a. O. die Gattung Squilla mit den Deca-
poden vereinigt, denen sie allerdings im Bau des Drüsenepithels nahe steht.
Eine Berichtigung will ich an dieser Stelle nicht versäumen.
Ueb.d.Darmkanal d. Crustaceen nebst Bemerkungen z. Epithelregeneration. 185
mag, wie gesagt funktionell auch dem echter Speicheldrüsen ähneln.
Da man aber in dem steten Kampfe zwischen morphologisch-
embryologischen und physiologischen Prinzipien gar mieht mehr
weiss, welchen man in der Benennung eines Organs folgen soll, eine
einseitige Befolgung aber manchen Missgrifft heraufbesehwören
möchte, so ist ein unbestimmt lautender Name wohl immer noch
besser als einer, der sich leicht als ein ungültiger erweisen könnte.
Sind wir bis hierher dem Schicksal der Nahrung gefolgt, so
‘entsteht die wichtige Frage nach der Resorption des Verdauten.
Wie wir gesehen, muss schon im Magen ein beträchtlicher
Theil der Verdauung vor sich gehen; es werden sich also schon
dort resorbirbare Stoffe finden. Der grösste Theil der inneren
Oberfläche des Magens wird zwar durch die kalkigen Stücke
desselben bedeckt, und dürfte, namentlich wo dieselben eine be-
trächtliche Dicke erlangen, kaum für das Pepton, an welches wir
hauptsächlich zu denken haben, durchgängig sein. Immerhin be-
sitzt die Magenwandung mehrere dünne Stellen, die innen nur
einen Chitinüberzug haben, gerade wie der Enddarm, worauf wir
sofort kommen werden.
Gelangen die zu resorbirenden Stoffe in den Mitteldarm, so
finden sie hier bei den meisten Decapoden eine nur sehr ge-
ringe Oberfläche, wo sie aufgenommen werden könnten, nämlich
nur das Epithel dieses Darmrohrs selbst, da sie in dessen An-
hänge, in die grosse Drüse (Leber) und in die dorsalen Schläuche,
nicht eintreten. Dass hier in diesem oft so äusserst kurzen Darm-
stück, das dazu noch von geringerem Durchmesser als das nach-
folgende Stück ist, die gesammte Resorption vor sich gehen
sollte, halte ich für ganz undenkbar, da ja nicht einmal durch
eine Klappenvorrichtung oder .dergl. dafür gesorgt ist, dass der
Speisebrei längere Zeit hindurch hier festgehalten wird. Und
wenn im Mitteldarm überhaupt resorbirt wird, so könnte dies nur
in einem ganz bescheidenen Maasse geschehen. — Bereits früher,
als ich mich mit dem Darmkanal der Insekten!) befasste, hatte
ich mir diese Fragen vorgelegt, ohne aber zu einem Resultat zu
gelangen. Damals hatte ich den Einwand, dass die Zellen des
Mitteldarms nicht die Resorption ausführen können, weil sie bereits
die Funktion der Verdauungsfermentsekretion haben, als hinfällig
bezeichnet, da doch beim Leberegel z. B. beide Vorgänge durch die
1) Verdauungskanal der Larve des Tenebrio molitor. 1. e. p. 304 ff.
Archiv f. mikrosk. Anatomie. Bd. 25, 13
186 Johannes Frenzel:
nämlichen Zellen geschehen, wie Sommer nachgewiesen hat. Eine
solche Resorption, oder sagen wir lieber dafür: Nahrungsaufnahme,
muss ja überall vom Mitteldarm besorgt werden, wo der Enddarm
fehlt. Dennoch aber haben wir in unserem Falle hier mit ganz
anderen Verhältnissen zu rechnen, weil das Mitteldarmepithel
durchaus nicht hier und dort als ein gleichwerthiges ange-
sehen werden darf. So konnten wir nach dem histologischen Be-
funde schliessen, dass die Epithelzellen der Decapoden bei der
Sekretion zu Grunde gehen, da sie gewissermaassen das Sekret
selbst sind. Eine solche auszustossene Zelle wird aber nieht mit
der Eigenschaft ausgestattet sein, Peptone und dergl. in sich auf-
zunehmen und weiter zu befördern ; und wollte man ihr eine solehe
Eigenschaft wirklich beilegen, so müsste man erst wieder zu ge-
künstelten Hypothesen seine Zuflucht nehmen, indem man die
Thätigkeit der Zellen eine wechselnde sein liesse, so dass etwa
jüngere Zellen resorbiren, reifere dagegen sich in Fermentstoffe
umwandeln sollten. Zu solehen Annahmen weiss ich aber keine
Analoga, finde dieselben auch nicht durch das Aussehen der Zellen
unterstüzt und wahrscheinlich gemacht. — Im entgegengesetzten
Falle aber, um der Einfachheit halber beim Leberegel zu bleiben,
bleiben die Epithelzellen während ihrer Thätigkeit bestehen, ja
indem sie sogar feste Nahrungsbestandtheile in sich aufnehmen,
bewirken sie schliesslich eine intracelluläre Verdauung,
welcher naturgemäss auch eine intracelluläre Resorption
folgt, wie in neuerer Zeit Metschnikoff u. A. nachgewiesen haben.
So muss es also als sehr fraglich bezeichnet werden, .dass
der Mitteldarm der Decapoden überhaupt zu resorbiren im Stande ist,
und selbst bei Bejahung dieser Frage können wir demnach behaup-
ten, dass eine solche Resorption eine recht ungenügende sein muss.
Es bleibt für dieselbe also nur noch der Magen und der Enddarm
übrig. Im Lumen des letzteren sieht man in der That auf den
mikroskopischen Schnitten eine coagulirte eiweissähnliche Substanz,
und an seinem Inhalte kann man mit Kalilauge und Kupfersulfat
die Peptonreaktion erhalten. Aber diese Substanz war, wie schon
weiter oben betont worden ist, weder in den Hypodermiszellen
(noch zwischen denselben) noch überhaupt innerhalb der Darm-
wandung nachweisbar. Ich nahm daher auch von jedem Versuch
Abstand, der Frage nach der Resorption auf experimentellem Wege
näher zu kommen, zumal ich bei anderen Arthropoden (Mehlwurm)
Ueb.d. Darmkanald. Crustaceen nebst Bemerkungen z. Epithelregeneration. 187
nicht den geringsten Erfolg damit erzielt hatte. — Mit Glück hat
man bisher bei derartigen Gelegenheiten nur fein zertheilte feste
Farbstoffe (Carminpulver), nicht aber flüssige angewandt. Setzen
wir nun den Fall, dass die Hypodermis des Enddarms wirklich
zur Resorption dient, so kann man aber nicht erwarten, dass durch
die oft recht dieke, mit Poren u. s. w. nicht versehene Chitin-Cutieula
feste Körper, und seien sie noch so klein, hindurchwandern.
Obgleich demnach an der Hand morphologischer Befunde
ein positiver Beweis für die Resorption im Vorder- oder im End-
darm nicht geliefert ist und an der Hand derartiger physiologischer
Versuche nicht geliefert werden kann, so möchte ich sie doch als
wahrscheinlich bezeichnen. Man wird freilich einwerfen, dass die
Hypodermiszellen als Chitinbilder schon ihre bestimmte Funktion
haben, und dass man auf sie auch das beziehen könnte, was über
die Epithelzellen des Mitteldarms oben gesagt worden ist. Die
Chitinausscheinung ist aber, wie bekannt, keine stetige, findet
bei Larven u. s. w. vielmehr nur innerhalb bestimmter Perioden,
bei ausgewachsenen Hexapoden aber gemeinhin gar nieht mehr
statt. Die Häutung geschieht während einer ganz kurzen Zeit, in
welcher noch dazu keine Nahrung aufgenommen wird, und eine
Resorption demzufolge nicht stattfinden muss. Während der
übrigen Zeit hätten dann, wenn ieh mich so ausdrücken darf, die
Hypodermiszellen nichts zu thun und könnten dann wohl ihre
resorbirende Thätigkeit ausführen. Man ımüsste ihnen dann die
Eigenschaft beimessen, zwei verschiedenen Funktionen dienen zu
können, welche aber keine unbestimmt wechselnden sind, sondern
von denen nur die eine oder die andere zu gewissen Zeiten latent ist.
Es würde zu weit führen, die Frage wegen der Resorption
hier noch weiter zu verfolgen; denn da sie ja eine ganz allge-
meine ist und in dieser speciellen Weise alle Arthropoden angeht,
so kann sie nur an einem allgemeinen umfangreichen Material ge-
löst werden, welches einen Vergleich der heterogensten Fälle gestattet.
Ich muss mich daher auch diesmal damit bescheiden, sie nicht
gelöst zu haben, und muss wie früher damit schliessen, nämlich
dass die Frage noch eine offene bleiben muss. Man sieht aber,
wie sich hier weitere Anknüpfungspunkte für fortgesetzte Unter-
suchungen ergeben. Wenn man von dem leitenden Gedanken aus-
geht, dass alle Arthropoden z. B. Nahrung zu sich nehmen müssen,
abgesehen etwa von der kurzlebigen Eintagsfliege u. s. w., dass
188 Johannes Frenzel:
ferner die meisten von ihnen die Nahrung erst verdauen müssen,
während einige Schmarotzer sie wohl schon im resorbirbaren Zu-
stande erhalten, und dass sie schliesslich sämmtlich das Verdaute
(Pepton, Zucker, Fett ete.) zu resorbiren haben, so wird man den
Verdauungstraktus der heterogensten Erscheinungen zu vergleichen
haben, also den der einen Mitteldarm fast völlig entbehrenden
Decapoden (namentlich Astacus, Scyllarus ete.) mit dem derjenigen
schmarotzenden Isopoden !), wo nach Kossmann u. A., zwar der
Mitteldarm verschwunden ist, wo aber seine Anhänge überaus
mächtig entwickelt sind und die verdauende Funktion mit der
resorbirenden zu vereinigen scheinen; und schliesslich wird man
diejenigen Fälle noch hinzuzuziehen haben, wo der Enddarm fehlt
und seine Funktion auf den Mitteldarm übertragen hat, wie dies
bei Bienenlarven anzunehmen ist. So wird man sich erst ein
klares Bild von dem weiteren Schicksal der zu resorbirenden
Nahrung machen können, während wir vorläufig noch allzusehr
im Dunkeln herumtappen.
Berlin, im April 1885.
Nachsechrrft,
Im Aprilheft des Quarterly Journal of mikroskopical Science
Nr. XCVIIL p. 153 ff. legt W. Baldwin Spencer in der Schrift .
„Ihe Urinary Organs of the Amphipoda“ die Ansicht nieder, dass
die obengenannten Darmschläuche der Amphipoden den Malpighi-
schen Gefässen der Hexapoden analog seien, obwohl auch er in
Uebereinstimmung mit P. Mayer und Nebeski eine Homologie
zurückweist. Da Spencer aber ausdrücklich erklärt, in den Con-
eretionen keine Harnsäure gefunden zu haben, so kann doch wohl
eine gleiche Funktion mit jenen Gefässen nicht gut behauptet werden.
Erklärung der Abbildungen.
Tafel VIII und IX.
Tafel VII Figg. 1 bis 11 incl. Querschnitte durch den Vorder- und
Enddarm von Astacus, Scyllarus, Palinurus und Maja.
Fig. 1. Wulst im Enddarm von Scyllarus. Die Matrix besteht aus einem
hohen und deutlichen Cylinderepithel, zwischen dessen Zellen sich
zahlreiche und oft stark verästelte Bindegewebsfasern (Sehnen) hin-
1) Vergl. R. Bucholz. Die zweite Nordpolfahrt 1867 und 1870 etc.
Die Crustaceen; ferner Fritz Müller, P. Fraisse und R. Kossmann.
Ueb.d. Darmkanald. Crustaceen nebst Bemerkungen z. Epithelregeneration. 189
17 Ip}
"joo
Figg. 2
[oe
Fig.
Ne (5)
Fig. 3.
o
Fie. 4.
oO
Fig.
[511
Fig. 6.
Fig.
|
Fig. 8.
Fig. 9.
Fig. 10.
Fig. 11.
Fig. 12.
ziehen, an welche sich die verstreut im Bindegewebe des Wulst-
inneren verlaufenden Muskelzweige ansetzen. Dieses Bindegewebe
ist zellig, reichlich von Fasern durchzogen und enthält nur nach
aussen hin einige mit koagulirtem Blut gefüllte Lacunen. — Die
Ringmuskelschicht wird durch einen aus dicht verflochtenen welligen
Fasern gebildeten Ueberzug begrenzt. In diesem verbreiten sich
einzelne Blutgefässe. Vergr. 1: 300.
bis 8. Enddarm und Pylorusmagen von Astacus.
Querschnitt durch den Enddarm mit seinen sechs gleich grossen
Wüilsten.
Uebergangsstelle des Enddarms nach vorne in den Mitteldarm.
Vorderster Theil des Mitteldarms, in welchen einzelne Theile des
Magens hineinragen. Oben mündet die Mitteldarmtasche ein.
Einmündungsstelle der beiden Gänge von der Mitteldarmdrüse
(Leber) her.
Schnitt durch den Pylorusmagen etwas vor jener Einmündung.
Schnitt weiter vorn. Oben (dorsal) erscheint das vordere, sich blind
schliessende Ende der Darmtasche.
Ein Wulst aus dem Enddarm, stärker vergrössert. An der Basis
jedes Wulstes ein starker längslaufender Muskelstamm. Das Binde-
gewebe ist locker und erscheint mehr faserig-maschig als zellig. —
Blutlacunen sind nicht nachweisbar. Die Ringmuskelschicht ist kräftig.
Vergr. 1: 120.
Enddarm von Palinurus. Das Bindegewebe ist sehr locker und ent-
hält grosse und zahlreiche Blutlacunen. Die längslaufenden Muskel-
bündel sind zerstreut. — Intestinaldrüsen sind sehr vereinzelt und
liegen meist an der dünnsten Stelle des Darmes.
Bindegewebe vom Darm der Maja, in Perenyi’scher Flüssigkeit fixirt.
Es besteht aus einzelnen vielfach mit einander verflochtenen Strängen
von länglichen oder rundlichen Zellen, welch’ letztere durch Fä-
serchen von einander getrennt sind. — In den Hohlräumen befinden
sich vereinzelte freie Zellen (Blutzellen), deren Kern und Zellsub-
stanz sich deutlich von denjenigen ersterer Zellen unterscheiden. —
Vergr. 1/g4“ hom. Im. — 0ec. 2.
Enddarm von Maja. — Die kräftige Chitincuticula ist geschichtet
und setzt die Zellgrenzen der Matrix fort. — Im Bindegewebe ein-
gebettet liegen Complexe von zahlreichen und grossen Speichel-
drüsen, zwischen denen starke längslaufende Muskelbündel hinziehen.
Nach aussen sieht man schräg verlaufende Bündel. Sowohl dicht
unter der Matrix wie aber noch viel mehr an der Peripherie be-
finden sich grosse Blutlacunen. — Vergr. ca. 1: 150.
Querschnitt durch den Anhang des Mitteldarms von Paguristes.
Abschnitt a Doppelfärbung mit saurem Carmin + Hämatoxylin,
5 b Färbung mit Hämatoxylin,
= ce Färbung mit saurem Carmin.
190
.
Fig.
g.
Fig.
Johannes Frenzel: Ueber den Darmkanal der Crustaceen etc.
Tafel IX.
Mitteldarm von Astacus, Sceyllarus, Maja, Dromia und Phronima.
‚18:
al:
15
el:
„ 16.
ukrf-
Epithel des Mitteldarms von Astacus. — Wasserimmers. B.
Querschnitt durch den Mitteldarm von Astacus.
bis einschl 26. Kern- und Zelltheilungen, sämmtlich mit Hülfe der
Oelimmersion 1/94 Winkel gezeichnet. — Hämatoxylin.
Astacus. — Basalzelle. Halbirung des Kerns mittelst Abschnürung
in der Richtung nach oben d. h. dem Darmlumen hin. — Pierin-
schwefelsäure.
Maja. Höherliegende Basalzelle. Vom Kern ist nach oben hin ein
kleineres Stück abgeschnürt. — Perenyi’s Flüssigkeit.
Maja. Basalzelle, Halbirung des Kerns in seitlicher Richtung
Vergröss. 1: 1000. Sublimat.
. Astacus. Basalzelle.e. Halbirung des Kerns in schiefer Richtung.
Pikrinschwefelsäure.
Astacus. Basalzelle. Oben am Kern ist ein kleineres Stück in
schiefer Richtung abgeschnürt.
Astacus. Mittlere Einschnürung des Kerns und des Kernhofes in
seitlicher Richtung.
. Astacus. Basalzelle. Vollendete Halbirung des Kerns in seitlicher
Richtung.
. Astacus. Basalzelle. Abschnürung eines Kern- und Kernhofstückes
in schräg aufsteigender Richtung.
. Dromia. Höher liegende Zelle. Vollendete Halbirung des Kernes
nach oben hin. — Sublimat.
. Maja, Darmtasche. Höher liegende Zelle. Abschnürung (Spros-
sung?) eines kleineren Kern- und Kernhofstückes in schräg auf-
steigender Richtung.
. Astacus. Vollendete Halbirung des Kerns und des Kernhofes nach
oben hin.
. Astacus. Basalzelle mit 2 Kernen, die nicht genau in derselben
Schnittebene liegen.
. Mitteldarm von Seyllarus. Doppelfärbung mit Hämatoxylin und
saurem Carmin. Die Kerne der grossen Zellen enthalten nur wenig
Chromatin, die der Basalzellen färben sich dagegen kräftiger. —
Sublimat. Vergr. 1: 600.
. Mitteldarm von Maja. Junge Zellen in mehreren Stadien. In Wirk-
lichkeit sind sie hier nicht so zahlreich, sondern nur der Raumerspar-
niss wegen in der Zeichnung enger zusammengerückt. Vergr. 1: 350.
. Maja, Härchensaum der Epithelzellen. Oelimmm. 1/y. — Sublimat.
. Darmanhang von Dromia. Vergr. 1: 300.
. Mitteldarm der Phromina, von der Fläche gesehen. Indirekte Kern-
theilungen in mehreren Stadien.
. Dasselbe. Secernirende Zellen mit Concretionen.
Martin Overlach: Die pseudomenstruirende mucosa uteri etc. 191
(Aus dem histiologischen Laboratorium in München.)
Die pseudomenstruirende mucosa uteri nach akuter
Phosphorvergiftung.
Von
Martin Overlach. cand. med.
Hierzu Tafel X und XI.
Am 23. December 18353 kam in dem pathologischen Institut
zu München der Leichnam eines fünfundzwanzigjährigen Mädchens
zur Sektion, welches nach 30stündigem Aufenthalt im hiesigen
Krankenhause an akuter Phosphorvergiftung zu Grunde gegangen
war. Stattgehabte Blutung aus den Genitalien und blutiger In-
halt der Scheide deuteten auf einen zur Zeit des exitus letalis
menstruirenden Uterus, wesshalb dieses Organ alsbald nach der
Sektion in frischem Zustand dem anatomischen Institut zum Zweck
mikroskopischer Untersuchung übersandt, daselbst in Müller’scher
Flüssigkeit und später in Alkohol gehärtet wurde. Durch die
Güte des Herrn Professor Kupffer erhielt ich etwa 4 Wochen
nach der gedachten Section den Uterus in gutgehärtetem Zustand
zum Zweck genauer histologischer Untersuchung. Den Ergebnissen
dieser stelle ich aus leicht motivirbaren Gründen die Krankenge-
schichte und den Sectionsbericht in ihren wesentlichen Theilen voran.
1. Krankengeschichte.
„Therese R. Näherin, 25 Jahre alt. Patientin wird am 21.
. 12. 83 gegen 6 Uhr Abends im Zustande tiefsten Collapsus nach
dem Hospital verbracht. Bei dem vorgenommenen Krankenexamen
fällt sofort ein der Exspirationsluft und dem ganzen Körper an-
haftender intensiver Phosphorgeruch auf, ausserdem grosse Empfind-
lichkeit der Magengegend und rechten unteren Brusthälfte. Es
wird von der Kranken das Geständniss gewonnen, dass dieselbe
192 Martin Overlach:
heute Mittag eine grosse Anzahl von Schwefelhölzern in Bier zu
sich genommen habe. Nach Einführung der Magensonde wird eine
grosse Menge etwa 1/, em grosser, an der Grenze des Schwefels
abgeschnittener Zündhölzer theils durch die Magenpumpe, theils
durch spontane Brechbewegungen gewonnen. Das Motiv des Selbst-
mordversuches scheint miseria vitae, Arbeitslosigkeit, gewesen zu
sein. In den erzielten Stühlen werden ebenfalls grosse Mengen
von Schwefelhölzern vorgefunden. Nach der Magenausspülung ist
Pat. sehr angegriffen und verfällt rasch, erholt sich aber nach 0,6
Campher subeutan wieder einigermassen.
22.12.83. Subnormale Temparatur, Kühle der Extremitäten,
Puls äusserst klein, 104, sehr weich, leicht unterdrückbar. Exspira-
tion oberflächlich. Körperdecken zeigen gelblich graue Verfärbung,
Conjunktiva und Sclera ebenfalls gelblich pigmentirt. Mässige
Somnolenz. Brennender und drückender Schmerz in der Magen-
gegend, der nach rechts in das Hypogastrium ausstrahlt. Mässiger
jrechreiz. Sichtbaren Schleimhäute blutleer und etwas livide ver-
färbt. Papillen beiderseits etwas eng, reagiren jedoch auf Licht-
einfall prompt. Herzaktion bisweilen in der Frequenz wechselnd,
Töne deutlich und rein. Epigastrium und Hypochondrium druck-
empfindlich. Leber erscheint im Aufriss klein. Exspirationsluft
enthält deutlich durch den Geruch erkennbaren Phospsor. Rapide
Abnahme der Herzenergie und exitus letatis 12'/, Nachts.“
2. Seetionsbericht.
23.12.83. Anatomische Diagnose: Phosphorvergiftung. Nieren-
keile. Massenhafte Köpfe von Phosphorschwefelhölzern im Magen,
Dünn- und Dickdarm.
Mittelgrosse, mässig kräftig gebaute Leiche. Haut blass.
Bulbi gelblich. Haut über den mammae faltenreich, mammae hän-
gend, Abdomen flach, ohne striae.
Die vulva, das perineum, und die Innenfläche beider Ober-
schenkel sind belegt mit Blut, welehes in der Vagina noch flüssig
und dünn ist, sonst aufgetrocknet. Am linken Knöchel tief greifende
Excoriation in 5 Pfennigstück grossem Umfange, mit flüssigem
Blut belegt. Ebenso in der Gegend der Achillessehne und am
Rücken der 4. rechten Zehe, endlich noch am malleolus internus
sinister, überall bedeckt mit flüssigem, kirschrothen Blut. Mässige
Todtenstarre, dunkle Todtenflecke rückwärts, an den unteren Extre-
Die pseudomenstruirende mucosa uteri nach akuter Phosphorvergiftung. 193
mitäten auch nach vorne. Im Becken etwa 3 Esslöffel klares,
gelbliches Serum und Dünndarmschlingen. Magen bedeutend aus-
gedehnt, enthält graugrüne Flüssigkeit mit etwa 0,60—1 em lan-
gen Köpfen von Phosphorschwefelhölzern.. Im Duodenum und
jejun. graugrünlicher Speisebrei. Anfangstheil des Ileum leer. Am
Ende desselben einzelne Zündhölzchen. Der letzte Theil des Dick-
darm contrahirt enthält braungelben, zähen Koth. Auch hier noch
wenige Fetzen von Zündhölzern.
Leber normal gross; in den Gefässen dunkles Blut, welches
flüssig ist. Farbe der Leber: hellbraunroth. In der Gallenblase
hellgelbe Galle. Pleurahöhlen beide leer. Obere Lungenlappen
beide leicht emphysematös, trocken; rechter entleert helles lack-
farbenes Blut. Ebenso beide Unterlappen. In den Bronchien unbe-
deutender Belag von flüssigem kirschrothem Blut, in der pulmonal.
flüssiges hellrothes Blut. Herz etwas nach links gelagert, r. V.
beträchtlich verbreitert; in ihm dunkler Cruor und ziemliche
Mengen dünnflüssigen kirschrothen Blutes. Im linken dasselbe ;
das flüssige Blut etwas dunkler. Milz ziemlich vergrössert, Ge-
webe derb, dunkel, Trabekeln deutlich. Harnapparat: linke Niere
normal gross, auf Querschnitt dunkelrothe Keile. Rechte Niere
etwas grösser als linke. Oberfl. mehr glatt. Harnblase vollständig
contrahirt. Genitalien: Uterus nach rechts gelagert, anteflektirt,
steht mit dem fundus grade nach vorn; der rechte Eierstock nach
aussen und hinten. Im rechten Ovarium mehrfache kleine Cysten,
linkes normal gross.
Aus drei Gründen glaube ich bei dem vorliegenden Falle
normale Menstruation in Zweifel ziehen zu müssen: erstens, weil
die Todesursache akute Phosphorvergiftung war; zweitens, weil
kein geplatzter Follikel vorhanden ist; drittens, weil, wie wir
sehen werden, die mikroskopische Untersuchung schwerwiegende
Abweichungen von den histologischen Befunden bei normaler Men-
struation — wenigstens wie diese in den massgebenden neueren
Arbeiten betont wird — ergiebt. Weil ich aus diesen drei Grün-
den leider nicht allen durch die Untersuchung erzielten Resultaten
Gültigkeit für den normalen Menstruationprozess beimessen zu
dürfen glaube, halte ich es für eorrekter und in Hinsicht auf. die
drei genannten Thatsachen gewissenhafter gehandelt, den vorlie-
genden menstruellen Prozess zu jenen speciell bei Phosphor-
194 Martin Overlach:
vergiftung!) beobachteten, mit einer der menstruellen gleichen
Schwellung der Uterusschleimhaut auftretenden, von Virchow
bekanntlich als ,„Pseudomenstruation“ bezeichneten Fällen zu rechnen,
und im Folgenden mit diesem Namen zu belegen.
Die Resultate, zu welehen unsere Untersuchung führte, sind
in Kürze folgende:
1. Als Ursache der menstruellen Blutung ist venöse Stauung,
bewirkt durch Compression der Venen in der museularis uteri,
als Art der Blutung ist einecapilläre (und zwar im Gewebe
durch Diapedesis, an der Oberfläche durch Zerreissung) con-
statirbar.
Eine Bildung deeidualen Gewebes, bestehend im Auftreten
ausgeprägter Decidualzellen, ist unabhängig von Gravidität
möglich, da sie im vorliegenden Falle zur Beobachtung gelangt.
3. Die decidualen Zellen sind nicht bindegewebigen, sondern
epithelialen Ursprungs.
4. Die mucosa cervieis ist durch Bildung und Auftreten deei-
dualer Zellen, sowie durch vermehrte und specifische Schleim-
sekretion am Pseudomenstruationsprozess energisch betheiligt.
Diese Ergebnisse, welche einerseits für die Kenntniss der
deeidualen Gewebsbildung, andererseits für das Verständniss des
menstruellen Prozesses Bedeutung haben, sind vorweg aufgeführt,
um zu motiviren, warum die vorliegende Abhandlung zur Öffent-
lichen Mittheilung berechtigt sein dürfte.
$)
Der mit Tuben und Ovarien exstirpirte Uterus wird in der
Mittellinie gespalten und durch leises, vorsichtiges Abspülen in
Müller’scher Lösung des grösstentheils dünnflüssigen, blutig ge-
färbten Inhaltes entleert. Letzterer enthält, wie die mikroskopische
Untersuchung ergiebt, keinerlei grössere Membranstücke, eben so
wenig ein Eichen. Kleine, kaum 1 mm breite membranöse Fetz-
chen zeigen so minimale Resistenz, dass sie schon durch leise
Uebertragung auf den Objektträger mittelst einer Nadel in Par-
1) J. Wolffs, Diss. inaug. Berlin 1868. — Schultzen und Riess,
Annalen des Charite-Krankenh. Bd. XV. Berlin 1869. Wegner, Verhandlg.
d. Berlin. geburtshlf. Gesellsch. vom 10. Mai 1870. — Vetter, Virchow’s Archiv
für path. Anatomie Bd. LIII. Heft 2 u. 3.
NB. Diese literarischen Daten fand ich in „Haussmann’s Lehre v. d.
Dec. menst.“, p. 69.
Die pseudomenstruirende mucosa uteri nach akuter Phosphorvergiftung. 195
tikelehen zerfallen ; offenbar hat Ausstossung einer deeidualen Haut
nicht statt gehabt. Als feste Bestandtheile finden sich im flüssigen
Inhalt unter dem Mikroskop grosse Mengen rother Blutkörperchen,
eylindrische, theilweise mit gut erhaltenen Cilien besetzte Epi-
thelien, wenige aber schön ausgeprägte Becherzellen, zahlreiche,
scharf contourirte, grosskernige Rundzellen von verschiedenem
Charakter, und endlich einzelne spindelförmige Bindegewebszellen
mit länglichem Kern und dünnen Ausläufern.
Diese Bestandtheile deuten auf einen Zerfall, resp. Abstossung
der oberflächlichsten Parthien der mucosa uteri, und zwar der des
fundus und corpus, denn die Cervixoberfläche zeigt makroskopisch
keinerlei Veränderung oder Läsion, wohl aber fundus und corpus.
Einen am frischen wie am gehärteten Organe makroskopisch
deutlich sichtbaren, braunrothen Belag, welcher die ganze Innen-
fiäche des fundus und corpus uteri gleichmässig!) (1,5 mm hoch)
bedeckt, auf der Oberfläche mit sehr feinen Pünktchen (Oeffnungen!),
stellenweise mit unbedeutenden Zerklüftungen versehen ist und in
scharfer Abgrenzung am innern Muttermund in einer Mächtigkeit
von 2 mm steil endet, bezeichne ich als „Deeidua pseudomenstrualis“,
aus Gründen, die ich später erörtere.
Die zum Zwecke der mikroskopischen Untersuchung ange-
fertigten, senkrecht zur Schleimhautoberfläche geführten, dünnen
Schnitte lassen ohne Schwierigkeit die Decidua pseudomenstrualis
als identisch mit der durch den menstruellen Prozess modifieirten
mucosa fundi et corporis erkennen.
Die Dicke der Schleimhaut schwankt zwischen 1,5 und 2 mm,
steigt in der Richtung vom fundus zum os uteri internum. Die
Verengerung des cavum am os internum dient der Deeidua ge-
wissermassen als Stütz- und Ansatzpunkt, an welchem sie beginnt.
Die Oberfläche ist des Epithels beraubt, nur hie und dort finden
sich zwei bis fünf vereinzelte, flimmerlose Cylinderepithelien, welche
durch ihre Ausdehnung die Höhe, in der das Epithel der Schleim-
haut sich befand, bezeichnen und dadurch ermöglichen, die Grösse
der Substanzverluste an der Schleimhautoberfläche zu bestimmen.
Letztere ist uneben, das Interglandulargewebe ragt, des Epithels
beraubt, fetzig in das cavum uteri hinein, doch sind die Substanz-
verluste desselben äusserst gering, nirgends beträchtlich.
1) Also nicht in Form des von Reichert zuerst beschriebenen, von
Leopold bestätigten, nach den Seiten abfallenden Hochplateau’s.
196 Martin Overlach:
Die quer- oder schräggetroffenen Drüsenschläuche
zeigen sämmtlich ein klaffendes Lumen und starke Schlängelung.
Das niedere prismatische Epithel ist in den meisten erhalten, trägt
partiell noch intaete Flimmereilien. Gestalt und Grösse der Zellen
sind durchweg normal. Zuweilen ist das Epithel von der Drüsen-
wand gelöst, liegt als eingeknickter Ring im weiten Lumen, oder
ragt armförmig von der Wandung hinein. Selten fehlt es ganz;
in diesem Falle erscheinen die Drüsenlumina einfach als Löcher,
direkt umgeben vom interglandulären Gewebe; einer Membrana
propria entbehren alle Drüsen.
Die Sehlängelung der Drüsenschläuche ist bald mehr, bald
weniger stark ausgeprägt. Die Mündungen entbehren, entsprechend
dem Habitus der Schleimhautoberfläche, der äussersten Epithelien.
Eine oberflächliche und eine tiefe Schleimhautregion, von denen
auf erstere 2/,, auf letztere !/; der Mukosadicke fallen, differiren
in Anordnung und Weite der Drüsenschläuche. Es zeigt sich näm-
lich die Weite der Lumina als sehr bedeutend in der Tiefe der
Mucosa, nahe der musecularis, beträgt daselbst 0,054 mm und mehr,
während die innere Region durchweg enge, schmale, spaltförmige
Drüsenlöcher aufweist. Dementsprechend verhalten sich umgekehrt
die interglandulären Parthieen, dominiren auf allen Schnitten in
der oberflächlichen, nehmen in der tiefen Region nur etwa ?/, des
Flächenraumes der mucosa ein. Mithin prävaliren in der äusseren
Schleimhautschieht durchweg die hier etwa 0,09 mm von einander
entfernten Drüsen, in der inneren das interglanduläre Zellgewebe,
und wir haben annähernd das Bild einer Drüsen- und einer Zellen-
schicht der Deeidua pseudomenstrualis.
Das interglanduläre Gewebe trägt noch weit eklatanter
den Charakter eines „embryonalen‘“ Gewebes zur Schau, als solches
schon an der normalen mucosa uteri der Fall ist; es zeigt den
zelligen Charakter der normalen Schleimhaut, doch ist die Quan-
tität der Zellen enorm vermehrt, eine lagert dieht neben der an-
deren, und alle zusammen bilden einen das ganze Gesichtsfeld eng
erfüllenden Complex; nirgends ist ein Retieulum, ein fibrilläres
Bindegewebe, eine elastische Faser sichtbar, nur Massen von Zellen,
deren Kerne oft so nahe an einander liegen, dass für Zellproto-
palsma gar kein Raum gegeben zu sein scheint. In der That ist
an diesen runden und spindelförmigen Zellen der Protoplasmaleib
so schmächtig, dass man an ungefärbten Schnitten oder bei unge-
Die pseudomenstruirende mucosa uteri nach akuter Phosphorvergiftung. 197
eigneter Behandlung, z. B. mit Hämatoxylin, noch bei 300 facher
Vergrösserung nur mehr weniger runde und spindelförmige freie
Kerne vor sich zu haben glaubt. Erst nach Behandlung mit
Alauncarmin, Marron oder Pierocarmin werden unter 600 facher
Vergrösserung die Rundzellen als solehe durch eine ganz spärliche,
die Kerne umschliessende Hülle hellen Zellprotoplasma’s erkenn-
bar, und an den Spindelzellen erscheinen die von einem gleich
minimalen Zellleib auslaufenden fadenförmigen Fortsätze. Diese
langgestreckten Faserzellen sind die einzigen, einem Bindegewebs-
gerüste durch ihre Fortsätze nahe stehenden Gebilde der Deeidua
und construiren vielleicht durch Verschlingung ihrer Ausläufer an-
nähernd ein die rundlichen Elemente bergendes und stützendes
Netzwerk.
Der Durchmesser einer Rundzelle beträgt bis 0,0056 mm, eine
Ausdehnung, von der der Kern zum mindesten %/, beansprucht.
Dieses Verhältniss zeigt uns auf den ersten Blick, dass die in
Rede stebenden Zellen nieht speeifische Gebilde der pseudomen-
struirenden Mucosa, sondern einfach jene (an Zahl stark ver-
mehrten) kleinen Rundzellen der normalen und normal menstrui-
renden Uterusschleimhaut sind, denen dieselbe ihre Bezeichnung
als „embryonales Gewebe‘ hauptsässlich verdankt.
Ausser diesen Gebilden treten, wiederum aber erst bei geeig-
neter Behandlung dünner Schnitte, vollständig andersartige, von
den eben geschilderten scharf differenzirte Elemente der Decidua
pseudomenstrualis hervor in Gestalt einer Zellengattung sui generis.
Es sind dies schöne grosse Rundzellen mit scharfen abgerundeten
Contouren, grossem, dunklem, rundem Kern und breitem, hellem,
ganz fein granulirtem Protoplasmaleib. Diese Zellen haben im
Mittel einen Durchmesser von 0,014 mm; der scharf markirte Kern
liegt vorwiegend in der Mitte des hellen Zellprotoplasma’s, von
dem er sich auch dureh dunkle Granulation prächtig abhebt; sein
Durchmesser beträgt am häufigsten 1/, des Zelldurehmessers, oft
auch nur ein viertel. Die kleinsten der in Rede stehenden Zellen
sind 0,01 mm, ihre Kerne 0,0042 mm gross.
Diese speeifischen Zellen liegen zahlreich zwischen den übrigen
Gewebselementen und treten vorwiegend auf in der Nähe der
Schleimhautoberfläche, bald in diehten Haufen vereint, wo Zelle
an Zelle gedrängt ist, bald mehr weniger durch zwischenliegende
Spindel- und kleinere Rundzellen von einander getrennt. Im er-
198 Martin Overlach:
steren Falle resultiren durch den gegenseitigen Druck deutlich
polygonale Contouren, während die isolirte Zelle ihre schönge-
rundeten Formen bewahrt hat. Zweimal fand ich diese Zellen
haufenweise im weit klaffenden Drüsenlumen; ob sie durch das
Epithel hindurch getreten, oder von der zerfetzten Schleimhaut-
oberfläche aus mechanisch in den Schlauch hineingespült sind,
stebt dahin. Fig. 5, Tafel X zeigt das eine dieser Bilder;
der Sehnitt war mit Pierocarmin gefärbt. Ausdrücklich muss ich
wegen dieses Bildes betonen, dass eine Beziehung der Drüsen-
epithelien zur Bildung dieser Zellen durchaus negirt werden muss.
Ueberhaupt bieten die Elemente des corpus gar nichts zur Be-
antwortung der Frage nach dem Zellursprung; dass derselbe ein
bindegewebiger sei, ist mir höchst unwahrscheinlich.
Die Schärfe der Contouren, der helle, fein gekörnte, breite
Protoplasmaleib, der immerhin grosse, dunkle, runde Kern, kurz,
der ganze eigenartige Habitus dieser in Rede stehenden Zellen
führt im Verein mit dem Ort ihres Auftretens zu der Gewissheit,
dass dieselben völlig identisch sind mit den von Kölliker,
Friedländer, Leopold und anderen in der Decidua vera der
ersten Schwangerschaftswochen, mit den von Haussmann, Scehroe-
der, Saviotti in der wirklichen Deeidua menstrualis, mit den von
Wyder, Hegar und Maier in der pathologischen Deeidua bei
Abortus nachgewiesenen, von Friedländer mit dem Namen „De-
cidualzellen‘ belegten Gebilde! Ich gebe hier der Kürze wegen
nur Kölliker’s bezügliche, äusserst treffende Worte aus seiner
Beschreibung der Deeidua vera): „Die runden, von mir zuerst
(Erste Aufl. S. 440) genauer beschriebenen Zellen, die man, weil sie
besonders bezeichnend sind, mit Friedländer „Deeidualzellen“
nennen kann, sind schön und gross, meist kugelrund, mit scharfen
Contouren, wie wenn sie eine besondere Membran besässen, und mit
deutlichen Kernen und Kernkörperchen. (Man vergleiche die von den
ähnlichen Zellen der Deeidua menstrualis gegebene Abbildung in der
Arbeit meines Schülers und Freundes Saviotti über die Deeidua
menstrualis.) Dieselben erinnern theils an Knorpel-, theils an Epithel-
zellen, und zwar an letztere besonders dann, wenn sie Andeutungen
polygonaler Begrenzungen zeigen, was hier und da vorkommt.“
Diese Worte Kölliker’s passen genau auf die gedachten grossen
1) Kölliker, Entwicklungsgesch. d. Mensch. ete. Leipzig 1879, p. 326.
Die pseudomenstruirende mucosa uteri nach akuter Phosphorvergiftung. 199
Rundzellen der pseudomenstruirenden mucosa. Am schlagendsten
ist der Hinweis auf ihre Aehnlichkeit theils mit Knorpel, theils
mit Epithelzellen (ef. Taf. XI, Fig. 49). Auch ich nenne sie fortan
„Deeidualzellen.“.
Die Kenntniss des soeben mitgetheilten Befundes, des Auf-
tretens der Deeidualzellen in der pseudomenstruirenden Mucosa
corporis, ist als solche vom histiologischen und pathologisch-histio-
logischen Standpunkt aus interessant, dürfte aber ausserdem von
einer weittragenden Bedeutung sein, deren Erörterung hier am
Platze ist. Vorher muss ich jedoch auf die Mittheilung der Gründe
eingehen, welche mich bewogen, die vorliegende Mucosa corporis
als „Deeidua pseudomenstrualis“ zu bezeichnen.
Wyder’s nicht zu unterschätzendes Verdienst ist es, vor
den folgeschweren Irrthümern gewarnt zu haben, welche der Name
„Deeidua menstrualis“ bei zu weit ausgedehntem Gebrauch hervor-
rufen kann und thatsächlich schon hervorgerufen hat.
Vordem Wyder’s „Beiträge zur normalen und pathologischen
Histiologie der menschlichen Uterusschleimhaut“ !) erschienen, ist
die Benennung „Decidua menstrualis‘“ der normal menstruirenden,
ferner auch der durch endometritische Prozesse aller Art modifieir-
ten mucosa uteri, und endlich noch den verschiedenartigsten, aus
dem Uterus entleerten Häuten, mochte die Ursache ihrer Aus-
stossung wie ihre Gewebsstruktur sein, welche sie wollte, beige-
legt, ein Missbrauch, der aus dem Mangel genauer histiologischer
Kenntniss der normal menstruirenden, wie der pathologischen
mucosa uteri, und zweitens aus dem Mangel einer eingehenden
Vergleiehung der gedachten Gebilde resultirte. Diesem Mangel
haben Leopold und Wyder abgeholfen; wir kennen heute die
Gewebsstruktur der mucosa uteri bei normaler Menstruation, bei
vielen endometritischen Prozessen, bei mehreren Fällen einer
Dysmenorrhoea membranacea. Auf diesem Standpunkt aber sind
wir befähigt und daher verpflichtet, an alle von der Norm ab-
weichenden Veränderungen der mucosa, durch welche Ursachen
auch immer sie gesetzt wurden, heranzutreten mit dem Bewausst-
sein, dass von einer „Decidua“ nur die Rede sein darf, wo wirk-
lich deciduales Gewebe vorliegt. Und hiermit ist der Grund
gegeben, warum ich der mir vorliegenden mucosa uteri den Namen
1) Archiv für Gynaekologie, Bd. XIII. Berlin 1878,
200 Martin Överlach:
„Deeidua“ pseumdomenstrualis zuerkennen musste. Erstens an-
nähernde Differenzirung einer Zellen und Drüsenschicht, zweitens
der Habitus der Drüsen (starke Schlängelung und weite Lumina
in der Tiefe), drittens, und dieses ist stets das Kardinalkriterium,
das Dasein der Decidualzellen stellen die Bildung wirklichen
„deeidualen“ Gewebes als sicher vorliegend fest.
Ich wende mich jetzt zu der Erörterung meiner Behauptung,
dass der constatirte Befund der Decidualzellen bei pseudomen-
struirender Mucosa uteri nicht allein als solcher vom histiologischen
Standpunkt interessant, sondern ausserdem von weittragender Be-
deutung sein dürfte.
Einer endgültigen Entscheidung entbehrt noch heute die wich-
tige, schon viel diskutirte Frage, ob von den verschiedenen Mem-
branen uterinen Ursprungs, deren Ausscheidung in Form einer
Dysmenorrhoea membranacea beobachtet wurde, alle diejenigen,
welche wirklich deeiduale Gewebsstruktur aufweisen, als Abortus,
sei es bei extra- oder intrauteriner Gravidität, zu erklären sind,
oder aber ob auch bei anderen Ursachen, bei Menstruation und
bei endometritischen Prozessen die Bildung eines Gewebes mit
decidualem, das bedeutet grosszelligem Charakter erfolgen
kann. Das Vorkommen dieses Prozesses wird als sicher consta-
tit von Hausmann!), Saviotti?), Schroeder?), angefochten
von Kölliker®), entschieden in Abrede gestellt von Wyder?).
Haussmann sagt: „Simpson (Edinburgh medical Journal. Septb.
1846) wies zuerst hauptsächlich auf Grundlage der Drüsenlöcher
und Gefässe die mikroskopische Uebereinstimmung der bei der
Decidua menstrualis entfernten Häute mit den bei Fehlgeburten
sich ablösenden nach, welche Beobachtungen durch Oldham,
Virchow und andere in meiner Abhandlung über Deeidua men-
1) Haussmann, Geschichtl. Untersuch. ü. d. glandd. utrice. Archiv f.
Anat., Physiol. u. wissensch. Med. Jahrgang 1874. p. 259. — Haussmann,
Die Lehre der Dee. menstr. Beiträge z. Geb. u. Gynäk. Berlin 1870. Bd, I.
p- 192 etc.
2) Saviotti, Beitr. z. Kenntniss d. Decidua menstr. Seanzoni’s Bei-
träge z. Geb. u. Gyn. Würzburg 1869. Bd. VI. p. 219 ete.
3) Schroeder, Krankh. d. weibl. Geschl. 2. Aufl. p. 314.
4) Kölliker, Mikroskop. Anat. 1854. Bd. II. Theil IT. p. 451.
5) Wyder, Beitr. z.norm. u. path. Hist. d. menschl. Uterusschl. Archiv
f. Gynäk. Bd. XIII. Heft I,
Die pseudomenstruirende mucosa uteri nach akuter Phosphorvergiftung 201
strualis aufgeführte Autoren bestätigt wurden.“ In dieser Ab-
handlung bestätigt alsdann der Autor auch selbst auf Grund ge-
eigneter Präparate die Bildung deeidualen Gewebes an den bei
Menstruation ausgestossenen Häuten, denn es heisst in Bezug auf
diese: „neben den Zellen des Bindegewebes sieht man ferner zahl-
lose runde oder rundliche freie Zellen in dichten Haufen vereinigt,
bisweilen auch zwischen den übrigen Elementen zerstreut; sie haben
einen Durchmesser von 0,006 bis 0,012 mm und einen meist 0,004
bis 0,008 mm grossen Kern. Diese Rundzellen finden sich in uu-
geheurer Menge ete.“
Die Fälle von Schroeder und Saviotti beziehen sich auf
Säcke, die ebenfalls mit der Menstruation ausgestossen wurden
und wirkliches Deeidualgewebe präsentiren, letzteres wiederum
sicher wegen des Daseins der specifischen 0,0094 bis 0,0141 mm
(nach Saviotti) grossen Decidualzellen, von denen bei Saviotti
auch ausdrücklich bemerkt ist, sie „bieten eine grosse Aehnlich-
keit mit denen einer Decidua vera aus dem ersten Monate der
Schwangerschaft, nur dass diese bald grösser werden.“ Zu den
Gegnern der eitirten Autoren zählen, wie gesagt, Kölliker und
Wyder. Kölliker!) erklärt: „es ist nicht zu bezweifeln, dass,
wie Kiwisch und Scanzoni gesehen haben, manchmal auch die
Mucosa (bei Menstruation) ausgetrieben wird, allein in solchen
Fällen möchte wohl immer eine Retention der Menses oder eine
Schwangerschaft im ersten Monat“ — letztere wird also vom Autor
jedenfalls immer da angenommen, wo die ausgetriebene Mucosa
deeiduale Gewebsbildung zeigt — „vorhanden gewesen und hier-
durch die Loslösung der Schleimhaut sich erklären.“ Wyder
lässt in seiner Abhandlung, welehe wohl sehr inhaltsreieh und ein-
gehend ist, leider aber die Literatur wenig berücksichtigt, auch
Haussmann’s genannte „Lehre von der Dec. menstr.‘“ bedauer-
lichst unerwähnt. Dagegen erklärt der Autor 2) sowohl Saviotti’s,
als Schroeder’s Decidua menstrualis als „Ausdruck einer in
ihrem Verlaufe unterbrochenen Schwangerschaft“, erstere, weil bei
derselben eine Anamense, die „allenfalls noch im Stande gewesen
wäre, den endometritischen Ursprung der ausgestossenen Membran
darzuthun, ganz unberücksichtigt geblieben ist“; letztere, also
1) Kölliker, Mikroskop. Anatomie. Bd. I. Theil 2. p. 451. 1854.
2) Archiv für Gynaekologie. Bd. XIII. p. 47. Berlin 1878.
Archiv f. mikrosk. Anatomie. Bd. 25, 14
202 Martin Overlach:
Schroeders, einmal weil der untersuchte Sack von einer stillen-
den Wöchnerin ausgestossen ward, bei der die „Periode länger
als sonst ausgeblieben war“, ferner weil „nur ein einmaliger Mem-
branabgang beobachtet wurde.“ Ich wage ein Urtheil über die
beiden in Rede stehenden Fälle nicht abzugeben, erkläre jedoch,
dass ich zu der Ansicht neige, diese Fälle liessen sich auf endo-
metritischen Ursprung zurückführen, dass mir dieser Ursprung
noch annehmbarer erschien, — und nun komme ich zum Ziele
dieser Diskussion — nachdem ich deeiduale Gewebsbildung an der
mucosa des mir zum Objekt dienenden Uterus constatirt hatte.
Für diesen Uterus ist Gravidität glücklicher Weise mit Sicherheit,
normale Menstruation leider mit Wahrscheinlichkeit (wegen Feh-
lens eines geplatzten Follikels und wegen der Todesursache) zu
exkludiren. Aber wenn auch nicht als Folge des normalen, so
liess sich doch als Folge eines Pseudomenstruationsprozesses, im-
merhin als eines von Gravidität unabhängigen Vorganges
deeiduale Gewebsbildung hier feststellen und dadurch die Auf-
fassung widerlegen, dass diese Bildung stets an die Existenz eines
zur Befruchtung gekommenen Ovulums gebunden sei! Hierin ruht
die Bedeutung des Auftretens der Deeiduazellen in der nach akuter
Phosphorvergiftung pseudomenstruirenden Mueosa uteri. Ich kehre
jetzt zurück zu den Strukturverhältnissen der letzteren.
Die aus den drei beschriebenen Elementen, den quantitativ
vermehrten kleinen Rundzellen und Spindelzellen der normalen
Mueosa, und den doppelt, dreifach so grossen Decidualzellen zusam-
mengesetzte Schleimhaut zeigt schon makroskopisch eine an der
Oberfläche beginnende, bis über die halbe Dieke sich erstreekende
dunkle, nach Färbung mit Pierocarmin hellgelbe, mit Hämat-
oxylin graugelbe Färbung des Gewebes, und zwar, wie die mi-
kroskopische Betrachtung ergiebt, als Ausdruck einer in dieser
Region vorliegenden, äusserst starken Infiltration des Gewebes mit
extravasirten rothen Blutkörperchen.
Der Charakter dieser Hämorrhagie ist ein durchweg dif-
fuser; es sind nicht etwa einzelne abgegrenzte, kleinere oder
grössere Herde vorhanden. Dass eine Blutung durch oberfläch-
liche Capillarzerreissung stattgefunden, dürfen wir aus der zer-
fetzten Beschaffenheit der ihres Epithels beraubten Oberfläche so-
wie aus dem blutigen Inhalt des cavum corporis ohne weiteres
schliessen. Um aber erstens Art und zweitens Ursache der im
Die pseudomenstruirende mucosa uteri nach akuter Phosphorvergiftung. 203
Gewebe, und zwar, wie ich noch einmal bemerke, bis zur halben
Tiefe der Mucosa sichtbaren Hämorrhagie zu erkennen, fassen wir
die Beschaffenheit der Gefässe in’s Auge.
Die Arterien und Venen steben in schroffem Contrast. Die
Arterien verlaufen scharf geschlängelt, haben eine dieke Museularis
und durchweg enges Lumen. Dies gilt von den oberflächlichen,
von den tiefen, und von denen der Museularis uteri. Die Dureh-
schnittsweite beträgt nur 0,0209 mm, die grösste von mir gefun-
dene Weite 0,0348 mm; das betreffende Gefäss war 0,667 mm von
der Deeiduaoberfläche entfernt, also ganz in der Tiefe gelegen.
Bei einem 0,0139 mm betragenden Arterienlumen beläuft sich die
Mächtigkeit der Wandung auf 0,0195 mm, ist also sehr bedeutend.
Die stärkste Arterie der Muskulatur zeigte sogar eine Wandung
von 0,035 mm bei einem Lumen von 0,069 mm, und dieses in
einer Tiefe von 3,163 mm unter der Schleimhautoberfläche, von
1,579 mm unter der Grenze der Schleimhaut gegen die Museularis.
Diese Zahlen ergeben, wie gesagt, durchweg mächtige Wandung
und relativ enges Lumen der zuführenden Gefässe, deren Inneres
spärliche Blutkörperchen aufweist. |
Ein sanz anderes Bild bieten die Venen. Prall gefüllt von
rothen Blutkörperchen präsentiren sie sich in allen Schichten der
Mucosa als kolossal weite, dünnwandige, wenig geschlängelte
Schläuche. Unmittelbar unter der Oberfläche, fast freiliegend,
boten sie noch ein Kaliber von nieht weniger als 0,08 mm; in
dieser Stärke liegen sie an vielen Stellen zu 3 bis 5 auf engem
Raum beisammen, während nur eine oder höchstens zwei kleine
Arterien in der Nähe zu erspähen sind. Ueberall bietet die
Mucosa uteri das gewöhnliche Verhältniss zwischen zu-
und abführenden Gefässen, das Prävaliren der Venen
vor den Arterien! Die Grössendifferenz der oberflächlichen und
tiefen Venen ist unbedeutend, die Weite betrug bei 0,4mm Ent-
fernung von der Oberfläche 0,083 mm, also wenig mehr, als bei
den fast freiliegenden. Das weite Lumen aller Venen ist, wie ich
noch einmal ausdrücklich hervorhebe, von rothen Blutkörperchen
prall ausgefüllt. Das gleiche gilt von den stark dilatirten Capil-
laren. Das interessante und zur Erklärung des vorliegenden Pro-
zesses wiehtige Bild dieser starken Gefässinjektion bei gleichzei-
tiger diffuser Infiltration des Gewebes habe ich in Fig. 3 auf
Tafel X so wiedergegeben, wie es sich ausnimmt bei Färbung mit
204 Martin Overlach:
Hämatoxylin. Die Abbildung zeigt zugleich das verschiedene Ver-
halten von Venen und Arterien.
Die an den Gefässen constatirten Verhältnisse lassen uns
ohne Weiteres einen Schluss machen auf Blutung aus Capillaren
und kleineren Venen, bewirkt durch starke venöse Stauung. Be-
treffs der Art dieser Blutung muss ich mich trotz widersprechen-
der Angaben entschieden für eine solehe per diapedesin
erklären. Wyder!) sagt in Bezug auf zwei Fälle von normaler
Menstruation: „Die Frage, auf welchem Wege die Blutkörper-
chen in’s Interglandulargewebe gelangt sind, entscheidet sich zu
Gunsten des Austritts durch die zerrissene Gefässwandung. Ob-
gleich man an unseren Präparaten auch auf Bilder stösst, die den
Schluss auf Austritt per diapedesin sehr nahe legen, wagen wir
es doch nieht, diese Art der Blutung auch für unsere Fälle gelten
zu lassen: ein Riss in der Gefässwandung kann unserer Beobach-
tung z. B. dadurch entgangen sein, dass sich derselbe nach statt-
sehabter Blutung wieder geschlossen hat.“ Dieses „sich wieder
geschlossen haben“ ist mir bei der fortbestehenden prallen Injek-
tion der Gefässe — und diese Injektion bestätigt auch Wyder
— äusserst unwahrscheinlich, einfach wegen sehr wahrscheinlicher
Ausfüllung des Risses mit nachdrängenden Blutkörperchen. Ich
erkläre mich für Bluterguss per diapedesin, erstens weil ich wie
Wyder und alle anderen keine Zerreissung constatiren konnte,
zweitens keinen Faktor finde, der auf die Cohäsion der Gefäss-
wände einwirken, die Widerstandsfähigkeit herabsetzen und so
eine Ursache für Zerreissung liefern könnte. Als etwaiger der-
artiger Faktor liegt die von Williams und Kundrat thatsächlich
herangezogene primäre fettige Degeneration nahe. Ich verwahre
mich gegen dieselbe, denn erstens schliesst Kundrat nur auf
eine solche, hat sie nicht gesehen, zweitens Wyder und andere
Autoren ebenfalls nicht, drittens ich selbst auch nicht, und viertens
ist, wenn auch Williams sie wirklich als primär erkennen
konnte, noch lange nicht entschieden, „ob die Gefässwände durch
Verfettung wirklich zerreisslicher werden“ 2).
Ich muss mich also im vorliegenden Falle von Pseudomen-
struation für Blutung per diapedesin erklären und trage kein Be-
1) Archiv f. Gynaekologie. Bd. XIII. p. 21. Berlin 1878.
2) Cohnheim, Handb. d. allgem. Pathologie. Berlin 1882. Bd. I. p. 373.
Die pseudomenstruirende mucosa uteri nach akuter Phosphorvergiftung. 205
denken, mit Leopold der normalen Menstruationsblutung den-
selben Oharakter zuzuschreiben.
Dies war die Art der Blutung. Wo finden wir nun die Ur-
sache derselben und damit zugleich vielleicht die Ursache der
Auflockerung und Durehfeuebtung auch bei normal menstruirender
mucosa uteri? Leopold sieht die Ursache einer eintretenden
Hämorrhagie in den eigenthümlichen Grösseverhältnissen, nämlich
in einem Mangel von abführenden Gefässen, fügt jedoch die Fr-
klärung hinzu: „fernere Untersuchungen werden festzustellen haben,
ob die Schleimhaut in der That so arm an Abzugskanälen ist, wie
es zahlreiche Präparate beobachten lassen.“ Dass ich auf Grund
meines Untersuchungsobjektes nieht diese Beobachtung bestätigen
darf, sondern gerade das Gegentheil, eine numerische und enorm
voluminöse Prävalenz der Venen vor den Arterien behaupten muss,
ergab die Betrachtung der Gefässe.
Saviotti wirft am Schluss seiner Abhandlung die Frage
auf „nach den Ursachen, welche die Ablösung der Mucosa uteri
z. Z. der Periode in gewissen Fällen bedingen“ und bezeichnet als
solche Ursachen eine vielleicht dadurch bewirkte Ernährungsstörung,
dass die ungemeine Wucherung der Bindesubstanz in der Mucosa die
Gefässe comprimire. Diese Hypothese ist hinfällig, denn das
Mukosagewebe ist, wie Leopold ausdrücklich sagt und wie auch
allgemein bekannt, während der Menstruation nieht verdickt,
sondern aufgelockert, weich, kann also keinen stärkeren, höch-
stens einen schwächeren Druck als im nichtmenstruirenden Zustand
auf die Gefässe ausüben. Dagegen aber drängte sich mir der Ge-
danke auf an eine Compression der Gefässe in der Muscularis
uteri, welche ja durch die zur Zeit der Menstruation anfänglich
gesteigerte Blutzufuhr stärker ernährt und zweiffellos verdickt ist.
Bei der colossalen Differenz in der Mächtigkeit gerade der uterinen
arteriellen und venösen Gefässwand muss auch die Wirkung eines
von der Muskulatur (sei es durch Hypertrophie in Folge verstärk-
ter Blutzufuhr, sei es durch Contraktionen) ausgeübten Druckes
eine differente Compression beider Gefässgattungen sein. Die mit
sehr starker Wandung, speciell mit mächtiger Media begabten
Arterien werden dem äusseren Druck grösseren Widerstand bieten
können, als die schlaffen, dünnwandigen Venen. Auf diese Weise
tritt uns die leicht zu beobachtende venöse Stauung in der Mucosa
gewissermassen als Erektionsakt vor Augen, indem durch einen
206 . Martin Overlach:
von Muskeln ausgeübten Druck die Arterien schwach, die Venen
stark comprimirt werden. An meinem Untersuchungsobjekt habe
ich die zahlreichen Venen der Museularis in der That als schmale,
eomprimirte Spalten neben den runden Arterienluminis gesehen.
Mit einer Bestätigung dieses Befundes an der normal menstruire-
den Mucosa wäre zur Physiologie der Menstruation ein nieht un-
bedeutender Beitrag geliefert!
Meine Untersuchung der nach akuter Phosphorvergiftung
pseudomenstruirenden Mucosa fundi et corporis schliesse ich hier-
wit ab und stelle die gewonnenen Resultate kurz zusammen in
folgenden Erklärungen:
1. Die nach akuter Phosphorvergiftung pseudomenstruirende
Musosa fundi et corporis ist des Epithels fast vollständig be-
raubt, zeigt aber sonst nur geringe Gewebsverluste an der
Oberfläche.
2. Der pseudomenstruirenden Mucosa gebührt der Name „Decidua
pseudomenstrualis“, weil eine Bildung deeidualen Gewebes
thatsächlich vorliegt, bestehend in verschiedener Struktur der
äussern und innern Mukosaregion, in starker Schlängelung
und Dilatation der Drüsenschläuche !), und drittens im Auftreten
zahlreicher „Deeidualzellen* von durchschnittlich 0,014 mm
Grösse.
3. Das Auftreten der Deeidualzellen in der Decidua pseudomen-
strualis beweist die Möglichkeit einer von Schwangerschaft
unabhängig stattfindenden Bildung „deeidualen* Gewebes.
4. Die Deeidua pseudomenstrualis ist in der inneren Region
stark iufiltrirt von ausgetretenen Blutkörperchen. Die Infil-
tration zeigt sich nicht in Form markirter hämorrhagischer
Herde, sondern als ganz diffus. Die Hämorrhagie ist an
der Oberfläche durch capilläre Zerreissung, im Gewebe aber
durch Diapedesis in Folge venöser Stauung bewirkt.
. Die venöse Stauung in der Mucosa resultirt aus einer von
der Museularis uteri ausgeübten Compression der Venen.
6. Die Decidua pseudomenstrualis gleicht:
a. der Deeidua verain denersten Wochen der Gra-
vidität: durch Fehlen der Flimmerepithelien, Prävalenz
l) Die Umwandlung der eylindrischen Epithelien der Drüsenmündungen
in platte Zellen erfolgt nach Friedländer erst in späteren Perioden der
Schwangerschaft. |
or
Die pseudomenstruirende mucosa uteri nach -akuter Phosphorvergiftung. 207
der Drüsen in der äussern vor der innern Region, starke
Schlängelung der Drüsen und Erweiterung der Lumina,
Auftreten zahlreicher Deeidualzellen, Nichtbetheiligung
des Drüsenepithels am Bildungsprozess der Decidualzellen.
b. Der abortiven Schwangerschaftsdecidua: durch
die gleichen Symptome, wie in a. Ausserdem durch dif-
fuse Hämorrhagieen in Folge capillärer Blutung.
e. Der wirklichen Decidua menstrualis: durch die
Symptome unter a’ + b. Ausserdem durch den Mangel
einer fibrillären Intercellularsubstanz und durch das Fehlen
von hiesenzellen in der Tiefe des Gewebes.
d. Der normalen menstruirenden Mucosa uteri:
durch starke Vermehrung der kleinen Rund- und Spindel-
zellen, Untergang des Oberflächenepithels!), geringe Sub-
stanzverluste, Auflockerung und ödematöse Beschaffenheit
des interglandulären Gewebes, pralle Füllung der Gefäss-
stämme, starke Injektion der dilatirten Capillaren, par-
tielle Abstossung der Drüsenepithelien, Erweiterung der
Drüsenlumina, scharfe Begrenzung des ganzen Prozesses
am 0s internum.
7, Die Decidua pseudomenstrualis weicht ab:
a@. Von der Decidua vera der ersten Sehwanger-
schaftswochen: durch die zerfetzte Oberfläche, unvoll-
kommene Differenzirung einer Zellen- und Drüsensehicht,
Mangel einer reichlichen fibrillären Intercellularsubstanz, -
Fehlen der vielfaserigen grossen Spindelzellen in der
tiefen Schicht und Fehlen der Riesenzellen an der Grenze
der Deeidua gegen die museularis, dichte Infiltration mit
extravasirten Blutkörperchen.
ß. Von der abortiven Schwangerschaftsdeeidua:
durch die gleichen Symptome, wie in «. Ausserdem ist
bei abortiver Deeidua das Epithel der Drüsenmündungen
in Plattenzellen umgewandelt, und es fehlt die äusserste,
im Uterus zurückgebliebene Schleimhautregion mit den
Drüsenenden.
y. Von der wirklichen Deeidua menstrualis: durch
die Symptome unter « + £, mit Ausnahme der fibrillären
1) Der Ansicht, dass bei der Menstruation das Oberflächenepithel er-
halten bleibe (Möricke!), kann ich mich durchaus nicht anschliessen.
208
[0°
Martin Overlach:
Bindesubstanz, der Spindel- und Riesenzellen. Ausser-
dem trägt die Dee. menstr. auf ihrer Innenfläche Flimmer-
epithel (Saviotti).
d. Von der normal menstruirenden Mucosa uterik
durch Differenzirung einer inneren Zellen- und äusseren
Drüsenschicht, starke Schlängelung der Drüsenschläuche,
Auftreten der Deeidualzellen, geringere Mächtig-
keit, starke diffuse Blutung anstatt kleiner, zerstreuter
hämorrhagischer Herde in der Mucosa menstrualis, starke
Prävalenz der Venen an Zahl und Kaliber vor den Arterien.
e. Von der „Dysmenorrhoea membranacea ohne
deeiduale Gewebsbildung“: durch Auftreten der
Decidualzellen, Erweiterung der Drüsenschläuche, Mangel
eines kubischen Oberflächenepithels. Ausserdem fehlt auch
an der bez. Dysmen. membr. die im Uterus zurückgeblie-
bene Mukosaregion der Drüsenenden.
Aus den unter Ziffer 6 und 7 gegebenen Erklärungen folgt,
dass die Deeidua pseudomenstrualis hinsichtlich ihrer Ge-
websstruktur eine Mittelstellung einnimmt zwischen Deeidua
vera der ersten Graviditätswochen, abortiver Graviditätsdeeidua
und wirklicher Deeidua menstrualis einerseits, normal men-
struirender Mueosa uteri und Dysmenorrhoea membranacea
ohne deeiduale Gewebsbildung andererseits!
Anmerkung: Die Arbeiten, auf welehe sich meine Ver-
sleichung der Befunde bei Deeidua pseudomenstrualis mit den
übrigen genannten Schleimhautveränderungen des Uterus stützt,
sind folgende:
1
Für die Deeidua vera der ersten Graviditäts
wochen:
Kölliker. Entwieklungsgesch. Leipzig 1879. p. 326 ete.
Friedländer. Anat. phys. Untersuch. ü. d. Uterus. Leipzig
1870. p. 7 und ®8.
Leopold. Die Uterusschleimh. während d. Schwangersch.
ete. Archiv f. Gynäk. Bd. XI, Heft III
. Für die abortive Schwangerschaftsdeeidna:
Hegar u. Maier. Virchow’s Archiv Bd. LII, Heft I.
Wyder. Beitr. z. norm. u. path. Hist. d. menschl. Uterus-
schleimhaut. Archiv f. Gynäk. Bd. XIU, Heft I.
Die pseudomenstruirende mucosa uteri nach akuter Phosphorvergiftung. 209
Haussmann. Lehre v. d. Deeidua menstr. Beitr. z. Geb.
u. Gynäk. Bd. I. p. 155 — 277. Berlin 1872.
38. Für wirkliehe Deeidua menstrualis:
Hausmann. cf. oben.
Saviotti. Beitr. z. Kenntniss d. Dee. menst. Beitr. z. Geb. u.
Gynäk. Bd. VI. Nürnberg 1869.
Schröder. Krank. d. weibl. Geseblechtsorg. 2. Aufl. p. 314.
4. Für die normal menstruirende Mucosa uteri:
Hermann. Handb. d. Physiol. Bd. VI. Th. II. p. 63 u. 64.
Kölliker. Handb. d. Gewebel. Leipzig 1867. p. 199.
Möricke. D. Uterusschleimh. i. d. versch. Altersperiod. u.
z. 7. d. Menstr. Zeitschr. f. Geb. u. Gynäk. Bd. VII.
Wyder. cf. oben.
Leopold. Archiv. f. Gynäk. Bd. XXI, p. 354 ete.
— Archiv f. Gynäk. Bd. XI, Heft I. p. 114 ete.
Kundrat. Untersuch. ü. d. Uterusschleimh. Strieker’s
med. Jahrbücher. 1875.
Williams. On the structure of the mucous membr ete.
Obstetrieal Journal of Great Britain and Ireland Vol. 11.
1875.
5. Für dieDysmenorrhoea membranacea ohne deciduale
Gewebsbildungen:
Wyder. ef. oben.
Histiologie der mucosa uteri.
Den Ergebnissen der in Rede stehenden Untersuchung möchte
ich, wie bereits oben gesagt, in erster Linie für das Verständniss
des menstruellen Prozesses sowie für die Kenntniss der Deeidua-
bildung Bedeutung beimessen. Ausserdem aber dürften dieselben
einen neuen Beitrag zur Histiologie der mucosa uteri als solcher
liefern; diesen Beitrag in einem längeren, separaten Abschnitt der
Abhandlung einzufügen halte ich nicht für überflüssig, weil es an
einer sicheren Kenntniss des histiologischen Habitus der mucosa
uteri, im speciellen ihrer Epithelien und Drüsen bisher gebricht,
und weil zumal die ausserordentlich grossen Differenzen in der Ge-
websstruktur der mucosa eorporis und mucosa cervieis keine auch
nur annähernd genügende Beleuchtung erhalten haben. Der Beleg
für die über dem histiologischen Habitus der mucosa uteri bisher
210 Martin Overlach:
schwebende Dunkelheit wird eklatant geliefert in dem förmlichen
Chaos der diesbezüglichen, schroff sich widersprechenden literari-
schen Angaben. Dieselben alle wiederzugeben ist unmöglich; jede
der eitirten einzeln zu berichtigen, ebenfalls. Indem ich vorher
ausdrücklich bemerke !), dass sich meine Studien nur auf den ge-
schlechtsreifen, jungfräulichen Uterus beziehen, weil die Histiologie
aller anderen Stadien keinen Bezug hat zum Ziele dieser Abhand-
lung, muss ich mich begnügen, die massgebendsten, in möglichster
Kürze eitirten Urtheile durch Darlegung des thatsächlichen Be-
standes zu berichtigen oder aufzuheben.
Becker?) findet Flimmerepithel nur im Fundus uteri. Köl-
liker?) lässt das Flimmerepithel bis zum os uteri externum
reichen. Nach Friedländer®) gilt für Kinder die Kölliker’sche,
für Erwachsene die Henle’sche Angabe (cf. unten). In Strieker’s?)
Handbuch heisst es vorsichtiger Weise: „das Epithel der Cervikal-
schleimhaat ist in ihrer ganzen Ausdehnung oder nur in den oberen
zwei Dritteln ein fliimmerndes Cylinderepithel. Gegen den äusseren
Muttermund zu wird es ein mehrfach geschichtetes, alle Ueber-
sangsformen zeigendes Pflasterepithel.“ Lott‘) hat die bestimmte
Erklärung gegeben: „das Cylinderepithel des Cervikalkanals ist
zur Zeit der Geschlechtsreife immer ein flimmerndes.*“ In Rü-
dinger’s Topographischer Anatomie”) fand ich das Epithel des
cavum uteri nicht erwähnt. Wyder®) erklärt, bei Kindern ein
fliimmerloses Cylinderepithel bis zum os externum herunter, bei Er-
wachsenen ein Flimmerepithel im corpus und oberen Theil der
cervix, im unteren aber mehrschichtiges Pflasterepithel annehmen
1) Veranlassung zu dieser Bemerkung ist mir die Thatsache, dass
Wyder (Archiv f. Gynäk. Bd. XIII. p. 12. 1878) seine Verwunderung aus-
spricht über die so „geringen Andeutungen über das Epithel bei Kindern in
den verschiedenen ausführlichen Arbeiten, welche dieses Thema behandeln.“
2) Kölliker, Handb. d. Gewebel. Leipzig 1867. p. 562.
3) Kölliker, ebenda p. 561.
4) Friedländer, Physiol.-anat. Untersuchg. üb. d. Uterus. Leipzig 1870.
p- 29.
5) Stricker, Handb. d. Gewebel. Leipzig 1871. p. 1179.
6) Lott, Zur Anat. u. Physiol. d. Cervix uteri. Erlangen. 1872. p. 14.
7) Rüdinger, Topogr.-chirurg. Anatomie 1873.
8) Wyder, Beitr. z. norm. u. path. Histiolog. d. menschl. Uterus-
schleimh. Archiv f. Gynaek. Bd. XIII. Berlin 1878.
Die pseudomenstruirende mucosa uteri nach akuter Phosphorvergiftung. 211
zu müssen. Henlet) giebt der unteren Hälfte der cervix ge-
sehichtetes Pflasterepithel.
Weit mehr noch variiren die Beschreibungen der Uterus-
drüsen. Auch hier beschränke ich mich auf Angabe der mass-
gebendsten Beobachter. Hennig vertritt die Ansicht („Der Katarrh
der weiblichen Genitalien.* Leipzig 1861), dass die Drüsen des
Cervikalkanals lange, oft verzweigte Schläuche darstellen, welche
die Schleimhaut in schräger Richtung durchsetzen und nicht selten
nach ihrem Ende zu sich ein wenig erweitern.
Kölliker?) lässt, übereinstimmend mit Krause (ef. unten),
die Glandd. utrieulares sive uterinae, „viele kleine schlauchförmige,
einfache oder gabelig getheilte, am Ende nicht selten spiralig ge-
drehte Drüsen‘ nur im corpus und Fundus existiren. In der cervix
bezeichnet der Autor mit dem Namen „Schleimbälge“ „grössere
und kleinere, buchtige, von walzentörmigem Epithel ausgekleidete,
schief nach unten gerichtete Gruben“ zwischen den Plicae palmatae
als „Absonderungsorgane des zähen, glasigen Schleimes der cervix
uteri.‘“ Ueber Flimmereilien verlautet nichts. Friedländer?)
sagt in Resume: „Die Drüsen des Cervikalkanals sind bei Kindern
und bei Erwachsenen ganz verschieden; bei Kindern stellen sie
etwa hohlkugelförmige Einsenkungen der Oberfläche dar, bei Er-
wachsenen sind es lange, oft verzweigte Schläuche.“ Ferner er-
klärt der Autor das untere Drittel der Cervikalhöhle als drüsen-
frei; „es ist dies dieselbe Parthie, in welche die grossen Falten des
arbor vitae nieht hinübergreifen und die demzufolge für das blosse
Auge verhältnissmässig glatt erscheint; mikroskopisch sieht man
an derselben Stelle hohe, schlanke, sehr dicht und regelmässig
stehende Papillen.“ Allen Drüsenepithelien werden Cilien zuge-
schrieben.
Chroback*) giebt die Erklärung, die Glandd. utrieulares
fänden sich beim Menschen nur in einer Form, nämlich als „ein-
fache oder auch ein- selten mehrfach getheilte eylindrische Schläuche
mit leicht kolbigem, blindem Ende.“ Ferner fänden sich in der
Substanz der Plicae palmatae die sogenannten „Schleimbälge der
Cervix,“ „ausgekleidet mit annähernd kubischem Epithel.“ Betreffs
1) Henle, Grundriss d. Anat. Braunschweig 1880. p. 186.
2) Kölliker, Handb. d. Gewebel. Leipzig 1867.
5) Friedländer, Anat.-physiol. Untersuchg. üb. d. Uterus. Leipzig 1870.
4) Chroback, Stricker’s Handbuch der Gewebelehre. Leipzig 1871.
912 Martin Overlach:
der Cilien wird auf Lott’s Untersuchungen verwiesen. Lott!),
welcher in seinen Untersuchungen der cervix uteri findet, „dass
die Cervikaldrüsen eben nichts als Einstülpungen der Oberfläche
des Cervikalkanals sind, zumal auch ihnen Flimmerepithel zu-
kommt,“ neigt hinsichtlich der Differenzen in den Drüsenformen
dem Urtheil Friedländer’s in so fern zu, als er „keine kind-
liche Cervix mit vollkommenen Schlauehdrüsen fand.“ Da aber
Cervices von Erwachsenen neben schlauchförmigen auch buchtige
Drüsen aufwiesen, werden letztere von Lott als „eine frühere Ent-
wicklungsform der Schlauchdrüsen‘“ angesehen.
Ich kann mich der Ansicht Lott’s durchaus nicht anschliessen,
denn vergebenssuchteich Uebergangsformen zwischen
den beiden, am selben Objekte in charakteristisch
ausgeprägter Gestalt vorhandenen Drüsenarten, und
ferner ist, was mir am wichtigsten zu sein scheint, das Epithel
der Schlauch- und Buchtendrüsen, wie wir sehen werden,
durchaus verschieden.
Rüdinger unterscheidet drei Drüsenformen, von denen die
erste in der Mucosa des Grundes und Körpers auftritt und in zwei
Unterabtheilungen zerfällt: a) einfache, b) zusammengesetzte
eylindrische Schläuche. „Die zweite Form besteht aus zusam-
mengesetzten Drüsen mit 5 bis 5 Ausbuchtungen.“ Die dritte
Form, beschränkt auf die Schleimhaut des Uterushalses, besteht in
kleinen Drüsen mit wesentlich anderem Charakter, als die langge-
streckten Cylinder des corpus und fundus.“ Es seien theils ein-
fache und seichte Ausbuchtungen, theils tiefe Schleimdrüsen ohne
scharf begrenzten Ausführungsgang. Neben diesen einfachen Formen
erwähnt der Autor solehe mit zwei- bis sechsfachen rundlichen
oder länglichen Bläschen, mit etwas schärfer eingezogener, einem
Ausführungsgang ähnlicher Ausmündung. Diesen „Glandulae
mucosae cervicis uteri“ wird eine „viel deutlichere Tunica propria
als jenen des Körpers“ zugeschrieben, ein Befund, den ich auf das
entschiedenste gleich hier bestätigen möchte. Die Frage nach
ihrem Epithel wird dahin beantwortet, sie „sind mit einem Cylin-
derepithel (Flimmerepithel?) besetzt.“
Krause?) theilt die sogenannten Glandd. uterinae, „schlauch-
1) Lott, Zur Anat. u. Physiolog. d. Cervix uteri. Erlangen 1872.
p. 20 u. 21.
2) Krause, Allgem. u. mikroskop. Anatomie. 1876. p. 285.
Die pseudomenstruirende mucosa uteri nach akuter Phosphorvergiftune. 213
förmige, von Flimmerepithelien ausgekleidete, S-föürmig gebogene
Drüsen“ nur dem eorpus und fundus zu. Die Schleimhaut der
Portio vaginalis und der unterste Abschnitt vom Cervikalkanal
habe, so weit das geschichtete Plattenepithel reiche, lange Papil-
len, keine Drüsen. Ausserdem enthalte der Cervikalkanal rundliche
Krypten, Schleimfollikel, von denen die kleinsten 0,09 bis 0,14
messen sollen. Sie würden von eylindrischem Epithel ausgekleidet,
das niedriger sei als das des Uterus und wahrscheinlich flimmere.
In dem in der Portio vag. enthaltenen Theil der Cervix fänden
sich mit analogem Cylinderepithel ausgekleidete einfache und zu-
sammengesetzte, schlauchförmige Drüsen. Die kleinsten endeten
mit 2 oder 3 länglichen oder rundlichen Aecini. Die grösseren er-
schienen als zusammengesetzte, schlauchförmige, bis 1 mm lange
Drüsen und zeigten bis zu 20 Acini. Ihre Kanäle seien mehrfach ge-
gebogen. Nach oben zu gingen sie durch allmähliche Zwischen-
stufen, indem ihre Acini verstrichen, in die rundlichen Schleimkrypten
über. Am untern Ende des Cervikalkanals, wo lange Papillen
begönnen, hörten „mit seinem Rande‘ die Drüsen plötzlich auf.
Auch Krause’s Angaben sind nach meiner Erfahrung nicht
völlig zutreffend. Henle!) beschreibt „blinddarmförmige, soge-
nannte Uterindrüsen“ des corpus, „welche, einfach oder gabelig
getheilt, gerade oder geschlängelt, die ganze Dicke der Schleim-
haut durchsetzen. Das eylindrische Epithel dieser Drüsen ist bei
vielen Säugethieren, vielleicht auch beim Menschen, mit Cilien be-
setzt.“ Als drüsige Organe der Cervix werden nur „einfache
Buchten“ oder „längliche, hier und da getheilte und an den blin-
den Enden zuweilen kolbig angeschwollene Röhren, die, wie die
Höhle des Cervikalkanals selbst, von einem glasartigen Schleime
erfüllt sind“ angegeben.
Von Wy.der's Angaben über die Drüsen sehe ich ab, weil
sich dieselben nur auf die mucosa uteri der Kinder beziehen.
A. Epithel des cavum uteri.
Ueber das Dasein der Flimmerepithelien im cavum corporis
herrscht wohl kein Zweifel mehr, auch nicht über den eylindri-
schen Typus der Zellen. Ich habe der Bestätigung beider That-
sachen nur die Bemerkung beizufügen, dass der cylindrische Zell-
typus mannigfache Modifikation erlitten, dass die einzelnen Zellen
1) Henle, Grundriss d. Anat. Braunschweig 1880,
214 Martin Overlach:
in Gestalt und Grösse stark variiren. Diese Variation ist leicht
erklärt: die relativ grossen Zellkerne sind nicht in stets gleichem
Abstand von der Zellbasis einzeilig dicht neben einander gereiht,
sondern, wo immer sie Platz finden, den verschiedensten Zellregionen
eingelagert. Diese unregelmässige Kernlagerung verursacht im
Verein mit dem Umstand, dass jede Zelle ihre Contouren denen
der nachbarlichen eng anschmiegt, die Gestaltdifferenz und Ab-
weichungen von der Cylinderform. Die Höhe der Epithelien schwank-
te in diesem Falle zwischen 27,5 «u und 39 «. Die Cilien und der
von ihnen durchbohrte Zelldeckel waren an allen Präparaten, be-
sonders wenn ich die Schnitte noch in kalt gesättigter Lösung
von Kali bichrom. hatte liegen lassen, gut sichtbar.
Bei weitem ungleicher und unzulänglicher, als über das Epi-
thel des fundus und corpus, sind die Angaben bezüglich der epi-
thelialen Auskleidung der cervix; ungleich, weil erstens über die
Grenze der Cylinderzellen gegen das geschichtete Pflasterepithel,
zweitens über Existenz oder Fehlen der Cilien Widersprüche herr-
schen; unzulänglich deshalb, weil die genauere Erforschung der
mit Cylindern bekleideten regio cervieis, und daher die Kenntniss
etwaiger lokaler Differenzen in dieser Epithelbekleidung fehlt,
ferner weil die Cylinderzellen der Cervix derjenigen besonderen
Betrachtung und Beschreibung entbehren, welcher sie, wie wir
sehen werden, durehaus bedürfen. Wohl wird niemand den
diesbezüglichen Untersuchungen Lott's!) eine gründliche Erfor-
schung des Epithelbau’s sowie detaillirte und exakte Schilderung
des Befundes absprechen wollen, aber die wichtigsten Kriterien
fehlen, denn von lokalen Differenzen in der Cylinderepithelbeklei-
dung der Cervix verlautet nichts, die kolossale Grösse der Cervix-
epithelien bleibt unbetont, der gemeinsame und so speeifische Grund-
typus der Zellgestalten wird nicht hervorgehoben, und endlich die
Becherfrage, für deren Entscheidung gerade die ausgeprägten
Formen der in Rede stehenden Elemente das günstigste Objekt
bieten dürften, entbehrt der Lösung.
Das Epithel der Portio cervicalis präsentirt sich als aus
mächtigen, man kann geradezu sagen, imposanten keulen- und
flaschenförmigen Zellen zusammengesetzt. Die Figuren 12, 13, 14,
15 und 16 veranschaulichen die vorherrschende, fast überall er-
1) Lott, Zur Anatomie u. Physiol. d. Cervix uteri. Erlangen 1872.
Die pseudomenstruirende mucosa uteri nach akuter Phosphorvergiftung. 215
kennbare Form und bringen den Grundtypus des gesammten Epi-
thels zum Ausdruck. Abweichungen von der vorherrschenden Form
bieten die daneben stehenden Abbildungen (S—10,2.17—24). Die
Differenzen in der Zellgestalt werden wiederum zum Theil hervorge-
rufen durch verschiedene Lagerung des Kernes. Meist aber liegt
derselbe nahe der Basis, wo die Zelle alsdann den grössten Quer-
durchmesser zeigt. Von hier verjüngt sie sich nach oben, erreicht
etwa vor dem letzten Viertel ihrer Länge die geringste Mächtig-
keit (diese Stelle entspräche also dem Hals der Flasche), um als-
dann plötzlich und stark wieder anzusehwellen zu einem kugeligen
oder kolbigen, den Deckel und die Cilien tragenden Kopfe. Ge-
rade diese kopfähnliche Verdiekung des oberen Endes ist ausser-
ordentlich charakteristisch für die Cervixepithelien und spielt, wie
wir sehen werden, eine bedeutende Rolle bei der Zellfunktion.
Alle Zellen haben eine fast horizontal zum Leib stehende dünne
Fussplatte, alle zeigen starke Zelldeckel und mächtige Flimmer-
eilien. Die Fussplatte kann die beträchtliche Ausdehnung in der
Fläche von 27,8 u erreichen; sie haftet so fest an der Basalmem-
bran, dass bei dem Versuch der mechanischen Isolation die Zelle
meist von der Fussplatte abreisst. Die Höhe dieser imposanten
Zellen schwankt, von der Basis bis zum Deckel gerechnet, zwi-
schen 42,7 und 82,0 «, beträgt in der Mehrzahl 55,6 u. Die Grösse
der Kerne entspricht der sehr schwankenden Zellbreite. Die Ci-
lien sind im Durchschnitt 8,34 u lang, doch sah ich sie auch 9,73 u
erreichen.
Die angegebenen kolossalen Grössenverhältnisse finden wir
bei keinem Epithel des menschlichen Organismus wieder. Auch
in der Erscheinung als Keulen- und Flaschenform von näher be-
schriebenem Habitus steht das Öervixepithel einzig da.
Ich lasse es dahingestellt sein, wie weit der Pseudomenstrua-
tionsprozess vergrössernd auf die Zellen eingewirkt hat. Dieser
Einfluss ist um so wahrscheinlicher, als, wie aus dem folgenden
sich ergeben wird, diesen Zellen eine wesentliche Bedeutung bei
der Deciduabildung zukommt.
Als ich die vorliegende Arbeit im wesentlichen abgeschlossen
hatte, kam mir die im Februar 1884 von der Göttinger Fakultät
gekrönte Preisschrift Overdieeck’s „über Epithelien und Drüsen
der weiblichen und männlichen Uretra ete.‘“ zu Händen. In dieser
Arbeit constatirt der Verfasser unter fünf Präparaten dreimal „ein
916 Martin Överlach:
einschichtiges Cylinderepithel, bestehend aus langen, prismatischen
Zellen“ in der weiblichen Uretra. Bedauerlichst wird nicht die
Höhe dieses Epithels, sondern diejenige eines „gleichartigen“, an
den Harnröhren junger Hündinnen gefundenen in Zahlen angegeben.
Von 12 Messungen beträgt die mittlere Höhe 0,049 mm bei ge-
dehuter und 0,086 mm bei collabirter Harnröhre. Falls wir berechtigt
sind, diese Maasse ohne weiteres auf das zuweilen in der Uretra
des Weibes vorhandene Cylinderepithel zu übertragen, dürfte letzteres
das einzige sein, welches dem von mir geschilderten, 0,043 bis
0,082 mm hohen, keulenförmigen Cervixepithel, wenn nicht an Ge-
stalt, so doch an Grösse der Zellen nahe steht.
Die Grenze des mächtigen Flimmerepithels gegen das ge-
schichtete Pflasterepithel der Portio vaginalis uteri fiel an diesem
Uterus, den ich als einen geschlechtsreifen, jungfräulichen bezeichnen
kann, genau zusammen mit dem scharfen Rand des os externum !
Die in Figur 8 bis 24 gegebenen Abbildungen stammen von Zellen
aus dem untersten Theil der Cervix, aus einer nicht über einen
Millimeter betragenden Region dicht am os externum. Bei mehr
als hundert Präparaten fand ich in dieser Region die Zellen mit
den mächtigsten, schön erhaltenen Cilien besetzt.
Die Erledigung der Frage, ob im Bereiche der keulenförmigen
Flimmerzellen sich Regionen mit andersartigem Epithel finden, er-
heischt einige berichtigende Bemerkungen über die Papillen der
Portio eervicalis, denn diese sind zum Theil in ihrer Epithelbe-
kleidung einer Abweichung von der Cervix unterworfen.
Die Cervix enthielt im vorliegenden Falle zwei Arten von
Papillen: fadenförmige und warzen- oder, besser gesagt, pilzförmige.
Erstere finden sich nicht im oberen und unteren Theil der Portio
cerviealis, erhoben sich auch nicht in ihrer mittleren Region als
direkte Auswüchse der Schleimhautoberfläche, sondern sassen nur
auf den „Plicae palmatae.“ Dass Querschnitte von letzteren, wie
auch Henle andeutet, jedenfalls oft für Papillenlängsschnitte ge-
halten sind, glaube ich sicher, denn zur Vermeidung dieses Irr-
thums genügt nicht, wie Wyder versichert!), verschiedene Ein-
stellung des Tubus, — mögen die auf diese Weise betrachteten
Schnitte auch noch so diek sein! — sondern einzig die Anfertigung
und Betrachtung von Serien, welche aus einer grösseren Zahl
1) Archiv f. Gynaekol. Bd. XII!. Berlin 1878. p. 20.
Die pseudomenstruirende mucosa uteri nach akuter Phosphorvergiftung. 217
aufeinander folgender, möglichst dünner Schnitte bestehen. Auf
solehe Serienschnitte gründet sich meine Angabe, dass die faden-
förmigen Papillen den an Höhe vor ihnen weit prävalirenden Plieae
palmatae (welch letztere sich bis zu 5 mm bei 0,25 mm Dicke
erheben) spitzwinklig aufsassen und sonst nirgends vorkamen.
Von den vielen Falten des Arbor vitae sind die schlanken
Papillen zu unterscheiden durch ihr Epithel, denn dieses ist ganz
niedrig eylindrisch oder kubisch, 6—13,9 «u hoch und 11,12 « breit,
während das der Plicae palmatae bei einer Höhe bis zu 27,8 u
dem übrigen Cervixepithel an Mächtigkeit weniger nachsteht.
Figur 30.
Oberhalb und unterhalb der Plicae palmatae, welche zum os
externum hin allmählich abfallen und etwa 5 mm vor demselben
verschwinden, waren keine fadenförmige Papillen vorhanden,
sondern ganz vereinzelt erhob sich hier und da eine niedere, breite,
pilzförmige Papille, bekleidet von den mächtigen Flimmerzellen
der Cervix (ef. Figur 7).
Die Grundsubstanz beider Papillenarten zeigt sich als eine
dichtgelagerte Masse kleiner Rundzellen mit relativ grossem Kern
und sehr schmächtiger Protoplasmaschicht, weshalb Kölliker’s
Angabe „viele kleine Kerne (Zellen?)“ erklärlich ist.
Schon oben erwähnte ich, dass den Cervixepithelien eine
wesentliche Bedeutung bei der Deeiduabildung zukomme. Nicht
durch diesen, in einem besonderen Absehnitt des näheren zu be-
handelnden Umstand allein zeigte die Cervix eine rege Betheili-
gung am menstruellen Acte, sondern noch durch einen zweiten
Prozess: durch die bedeutende Verstärkung der Schleimsekretion.
Dieser Thätigkeit der Oberflächen- und Drüsenepithelien wandte
ich, weil mir befremdende Erscheinungen begegneten, einige Auf-
merksamkeit zu.
Sämmtliche Epithelien der Cervix und ihrer Drüsen sind
fähig zur Ausübung der Schleimsekretion; denn einerseits lassen
die prävalirenden keulen- und flaschenförmigen Zellen grössten-
theils in dem kolbigen, freien Ende eine deutliche Verschleimung
erkennen, andererseits finden sich von den schlanksten Cylinder-
epithelien bis zu den diekbauchigsten Becherzellen alle erdenk-
lichen Uebergangsformen. Einige derselben habe ich in Figur 8
bis 24 zusammengestellt. Hiermit ist die Frage nach dem Ursprung
der Becherzellen sofort erledigt.
Archiv f. mikrosk, Anatomie. Bd. 25. 15
918 Martin Overlach:
Wie verhalten sich nun die Zelldeckel und Cilien bei dem
Sekretionsakte? Bilder von solchen Cervikaldrüsen, deren Lumen
noch von einem Schleimklumpen prall ausgefüllt ist, geben auf
diese Frage bei Färbung mit Hämatoxylin oder Picrocarmin (er-
steres tingirt den Schleim blass bläulich, letzteres blass rosa)
leicht Auskunft. Neben solchen Zellen, deren freies Ende durch
den starken, mit mächtigen Cilien besetzten Deckel scharf und
sradlinig abgeschnitten erscheint, finden sich andere, an denen
Deckel und Cilien verschwunden, und die Gipfel zackig zerklüftet
sind. Zugleich sieht man als feine Strichelehen und stärkere
dunkle, etwas gekrümmte Stäbchen die abgestossenen Cilien und
Deckel in der Masse des secernirten Schleimes deutlich liegen.
Mithin gehen Zelldeckel und Cilien zu Grunde bei der Schleim-
sekretion.
Vielfach beobachtete ich in der kopfähnlichen Verdiekung der
Cervikalepithelien, resp. überhaupt an ihrem freien Ende, einen ziem-
lich scharf markirten, runden Körper, welcher sich bei Färbung mit
Hämatoxylin oder Alauncarmin schwach tingirte und als ein Kern mit
deutlichem Kernkörperchen zweifellos präsentirte (Fig. 25 und 26).
Weil aber an diese Endregion der Zelle die Funktion der Schleim-
sekretion gebunden ist, lag der Gedanke nahe, dass jene Kerne
beim Sekretionsprozess in Mitleidenschaft gezogen würden, und
eine Ausstossung resp. Verschleimung derselben statt habe. Bei
sorgfältiger, längerer Forschung stiess ich in der That auf eine
Anzahl Zellen, deren im oberen Ende enthaltene Sekretionshöhle
eine Portion Schleim entleert und einen in diesem Schleim ge-
legenen, deutlich gefärbten Kern ausgestossen hatte. Drei dieser
Bilder gebe ich in Fig. 27, 28, 29, von denen das letzte eine iso-
lirte Zelle zeigt, deren Schleimklumpen bereits fortgespült waren,
während Fig. 25 und 26 den innerhalb des Schleimes noch be-
findlichen Kern veranschauliehen.
B. Drüsen des Uterus.
Die Glandulae utrieulares waren an diesem pseudomenstrui-
renden Uterus erweitert und verlängert, was sich aus der häufig
wiederkehrenden spiralen Drehung schliessen liess; aber auch ge-
rade verlaufende fanden sich zahlreich. Neben einfachen Schläu-
chen waren, wie das ja von jedem Beobachter angegeben wird, gab-
lich getheilte vorhanden; nicht selten reichte die Theilung bis hart
Die pseudomenstruirende mucösa uteri nach akuter Phosphorvergiftung. 219
an die Mündung. Auf eine verschiedene funktionelle Bedeutung
dieser einfachen und getheilten Schläuche möchte ich aber nicht
schliessen.
Die grösste absolute Länge dieser Glandd. utrieulares sive
uterinae ist wegen des geschlängelten Verlaufes kaum anzugeben;
die grösste von mir beobachtete Ausdehnung eines Drüsenlängs-
schnittes betrug 1,668 mm. Schräge Stellung der Drüsen zur Längs-
axe des Uterus kommt wohl nicht allein dem Uterus zu, der ge-
boren hat, sondern fand sich auch an dem mir vorliegenden Ob-
jekte. Dass in den Seitenregionen des corpus uteri, wo die Mu-
cosa schon makroskopisch eine etwas geringere Mächtigkeit, als an
der vorderen und hinteren Wand zeigt, auch die Drüsen diesem
Umstande entsprechend kürzer und kleiner sind, wie Rüdinger
angiebt, kann ich bestätigen.
Das Epithel der Glandulae uterinae besteht, wie schon er-
wähnt, aus niederen prismatischen Flimmerzellen von nur 8,34 bis
22,24 u Höhe und 8,34 bis 13,9 u Breite. Die grösste Länge der
zarten Cilien beträgt 5,56 «. Der relativ grosse, runde oder ovale
Kern ist durchweg central gelagert. Eine Abbildung von diesem
Epithel der Glandd. uterinae, wie es an dünnen Schnitten bei Be-
handlung mit Picrocarmin erscheint, habe ich in 600facher Ver-
grösserung in Fig. 1 gegeben.
Von diesen Uterusdrüsen muss ich eine zweite, in der Cervix
vorkommende Drüsenart bestimmt unterscheiden, die ich als glan-
dulae cervicis bezeichnen will. : Ich hebe übrigens gleich hier her-
vor, dass letztere Drüsen nicht die ausschliesslichen in der Cervix
sind, sondern dass in der ganzen Cervix sich Drüsen finden, die
nach dem Charakter ihres Epithels den „Glandulae utrieulares“
corporis so nahe stehen, dass ich keinen genügenden Grund finde,
sie von letzteren zu unterscheiden. Die Cervix besitzt also
zwei Arten von Drüsen.
Die Glandulae cervicis sive cervicales sensu strietiori sind
Drüsen mit kurzem, breitem, dem geschweiften Halse einer nie-
deren Blumenvase gleichendem Ausführungsgange, mächtigem, bis
zu 1 mm weitem Drüsenhohlraum und meistens sehr vielen, grossen,
hohlkugelförmigen Ausbuchtungen. Fig. 7 zeigt die Gestalt einer
solehen Cervikaldrüse an einem mit Hämatoxylin gefärbten Prä-
parat bei Ölfacher, also schwacher Vergrösserung. Aus dem
Vergleich dieses Bildes mit den in Fig. 3 siehtbaren, 50mal ver-
2320 N Martin Overlach:
grösserten Schrägschnitten von Uterindrüsen erhellt sofort die zwi-
schen beiden Drüsenarten herrschende Gestalt und Grössendiffe-
renz; und hiermit eorrespondirt eine gleich beträchtliche Verschie-
denheit der epithelialen Auskleidungen (Fig. 2), denn anstatt des
niederen prismatischen Epithels tragen die Cervikaldrüsen das
hohe, keulenförmige Epithel des cavum cervieis! Nach der
Gestalt der Cervikaldrüsen scheint es mir am passendsten, sie als
unregelmässig acinöse Drüsen zu bezeichnen.
Die prismatischen Zellen in Fig. 1 sind einer Uterusdrüse
mit besonders hohem Epithel, die kolossalen Zellen in Fig. 2 da-
gegen einer vom scharfen Rand des os externum etwa 1 mm ent-
fernten Cervikaldrüse entnommen. Die gänzliche Verschiedenheit
beider Bilder bedarf keines Hinweises. Ausdrücklich muss ich
dagegen hervorheben, dass die Epithelien in Fig. 2 denen des
cavum cervieis an Grösse durchaus nieht nachstehen, wie in der
Literatur mehrfach behauptet wird, wohl aber auf starkem Zell-
deckel bedeutend gröbere und längere Cilien tragen, als jene. Im-
merhin dürfen die Drüsenzellen in Fig. 2 auch als Bild der Cer-
vixepithelien dienen.
Eine Verwechselung der Glandd. utrieulares mit den Glandd.
cervieis ist nieht möglich. Schon die äusseren Drüsencontouren,
welche einerseits als Bogenlinien geschweift einen grossen, viel-
buchtigen Hohlraum, andererseits geschlängelt einen langen,
schmalen Kanal einschliessen, liefern zu verschiedene Bilder.
Ausserdem ist, als zweites Differentialmerkmal, das Epithel der
Glandd. utrieulares viel regelmässiger als das der Glandd.
cervieis. Das Epithel der ersteren fand ich durchweg so regel-
mässig, wie es meine Abbildung in Fig. 1 zeigt, während mir an
den Cervikaldrüsen eine ungleiche Länge der gestreckten Epithel-
zellen auffiel (Fig. 2). Die Differenzen waren so bedeutend, dass
von einer gleichmässig flimmernden Fläche nicht wohl die Rede
sein kann. Die Flimmerbüschel nahe benachbarter Zellen standen
bald hoch, bald tief. Dementsprechend präsentiren sich die Kerne
dieser Zellen auf Schnitten unregelmässig mehrzeilig, an den
Glandd. utrieulares dagegen durchweg einzeilig (Fig. 3]).
Die Cervikalmukosa muss in drei Regionen getheilt werden
auf Grund verschiedener Beschaffenheit der Oberfläche; und be-
dingt durch eben diese Verschiedenheit der Oberfläche zeigt sich
ungleiches Verhalten der Drüsen in den drei Regionen, von wel-
Die pseudomenstruirende mucosa uteri nach akuter Phosphorvergiftung. 221
chen die erste das os internum und den oberen Cervikaltheil bis
zum Beginn der Plicae palmatae, die zweite das Gebiet der Plicae
palmatae, die dritte den unteren Cervikalabschnitt, vom Ende der
Plieae palmatae bis zum Rande des os uteri externum, umgreift.
Die oberste dieser drei Regionen ist die drüsenreichste des
sanzen Uterus. Zugleich birgt sie die mächtigsten und complicir-
testen Exemplare beider Drüsengattungen. Die Cervikaldrüse in
Fig. 7, sowie die in Fig. 31 abgebildete Gewebsparthie sind der
in Rede stehenden Region entnommen. Hier fand ich auch auf
einem besonders interessanten Längsschnitt fünfzehn quergetroffene
Drüsenschläuche so dicht neben einander gelegen, dass nur die
niederen Epitheleinfassungen dieser Drüsenschläuche und zwischen
denen eine ganz minimale, kaum die Hälfte der Epithelhöhe er-
reichende Bindegewebsschicht die Septa bildeten. Einzelne dieser
fünfzehn Schläuche waren kreisrund, die anderen oval, keiner er-
heblich schief getroffen, denn das Epithel zeigte an jeder Stelle
in einem Umkreis die gleiche Höhe und Gestalt; an den ver-
schiedenen Schläuchen schwankte es nur zwischen 8,34 und 11,12 x.
Auch die Schwankung im Kaliber der einzelnen Schläuche war
gering, der mittlere Querdurchmesser 97,3 u, also relativ be-
deutend. Der Complex dieser fünfzehn, wegen ihrer minimalen
Entfernung von einander und wegen ihrer völligen Gleichheit
zweifellos einer Drüse angehörenden Schläuche, fand sich an
der unteren Grenze des os internum, erfüllte eine Fläche von
etwa 1[_Jmm und lag in unmittelbarer Nähe der in Fig. 7
auf Tafel I gegebenen, sowie mehrerer anderer mächtiger, acinöser
Cervikaldrüsen!
Der Umstand, dass dieses Bild völlig quergetroffener Drüsen-
schläuche auf einem in der Längsaxe des Uterus senkrecht zur
Schleimhautoberfläche geführten Schnitt gegeben war, beweist,
dass keineswegs nur die oben genannte Verlaufsrichtung der
Drüsenschläuche, sondern sogar eine in Beziehung auf das Cavum
uteri eirkuläre (!) sich findet.
Die Drüsenverhältnisse in der zerklüfteten Region der Plieae
palmatae können nur aus fortlaufenden Schnittserien richtig
erkannt werden. Dieses Verfahren ergiebt folgende Resultate:
Die an ihrem niederen Epithel schon kenntlichen Glandd.
utrieulares sind nur der Substanz der Plicae eingelagert, finden
sich nieht in der den letzteren als Basis dienenden Parthie der
2322 Martin Overlach:
Sehleimhaut. Weil diese Parthie in der That drüsenleer ist,
wurden wohl der ganzen Faltenregion die Drüsen abgesprochen,
indem bei Ermangelung fortlaufender Serien die in den Plieae
liegenden Drüsen übersehen, oder ihre vereinzelten Querschnitte
fälschlieh als Falten und Einstülpungen der Plicae aufgefasst
wurden.
Die stark entwickelten acinösen Glandulae cervieis fehlen
der Faltenregion. Sie werden vertreten durch die verzweigten
Buchten zwischen den Plicae.
Die dritte und unterste Schleimhautregion gleicht der oberen
insofern, als sie beide Drüsenarten birgt, jedoch in geringerer
Zahl. Beide Arten sind wiederum dicht neben einander gelagert
und reichen zuweilen noch etwas in die Parthie der Mucosa,
welche bereits dem geschichteten Pflasterepithel der Portio vagi-
nalis angehört. Stets aber führen die Mündungen in das Gebiet
der hohen Flimmerepithelien. Die Glandulae cervieis sind in
dieser unteren Region durchweg kleiner und weniger complieirt
sebaut als in der oberen. Dagegen zeigten die Schläuche der
Glandd. utriculares relativ weite Lumina.
In der ganzen mit geschichtetem Epithel bekleideten Portio
vaginalis uteri habe ich keinerlei Drüsen gefunden! Weil solche
aber von Rüdinger und Friedländer sicher gesehen sind, er-
kläre ich das Auftreten von Drüsen in der Portio vaginalis natür-
lich nur als inkonstant. Dagegen muss ich die Existenz ge-
schlossener Schleimkrypten, Schleimfollikal, sogenannter ovula
Nabothi in der mucosa uteri auf das entschiedenste negiren!
Dieselben sollten zumal im oberen Theil der Cervix vorhanden
sein, und hier sah ich denn auch mehrere solcher anscheinend ab-
seschlossener, meist kreisrunder Schleimkrypten, ausgekleidet mit
sehr hohem Epithel, das bei vorsichtiger und zweckentsprechender
Behandlung hier und da mächtige, offenbar verklebte Cilien er-
kennen liess. Aber bei Verfolgung dieser Krypten in den aufein-
ander folgenden Schnitten einer Serie fand ich stets Communikation
derselben mit dem normalen Ausführungsgang einer Cervikaldrüse,
wenn auch nicht selten zwischen der Mündung dieser Drüse und
dem zunächst angetroffenen Balge sieh andere einschalteten. Es
ist nicht zu bezweifeln, was übrigens zur Zeit wohl die allge-
meine Ansicht sein dürfte, dass diese ovula Nabothi übermässig
erweiterte terminale Ausbuchtungen der Glandd. cervicales sind
Die pseudomenstruirende mucosa uteri nach akuter Phosphorvergiftung. 223
Die zähe Schleimmasse im Innern derselben stimmt vollständig
mit dem Inhalte der Glandd. cerv. überein. Bei der unregel-
mässigen Gestalt dieser Drüsen, wobei enge und weite Abschnitte
abwechseln, ist die gelegentliche Verstopfung einer Enge sehr
wahrscheinlich.
C. Epithel der Portio vaginalis uteri.
Obwohl das geschichtete Epithel der Portio vaginalis zu der
folgenden Untersuchung keine Beziehung hat, gehe ich auf dasselbe
zum Schluss dieses Abschnittes mit wenigen Worten ein, weil ich
auch hier Ergänzungen zu dem bereits Erkannten zu geben vermag.
Das geschichtete Pflasterepithel der Portio vaginalis uteri
enthält zahlreiche, von einer oder zwei Gefässschlingen durchzogene,
in der Dieke des Epithels ruhende Papillen. Es lässt deutlich eine
Lage von Basalzellen erkennen, deren Höhe ihre Breite ein wenig
übertrifft. Darauf folgt in mächtiger Schichtung das sogenannte
Stratum Malpighii, aus grossen, rundlich polygonalen Zellen be-
stehend, deren „Stacheln“ eine ganz ungewöhnliche Entwicklung
zeigen, Fig. 6. Der Durchmesser dieser Zellen erreicht 35 «, die
kleinsten massen 14 «. Die Breite der von den „Stacheln“ durch-
setzten intercellulären Zone betrug 3 bis 4 «. Auch die Basalzellen
sind sowohl unter sich, wie mit den nächstanstossenden Zellen
des Stratum Malpighii durch „Stacheln‘“ verbunden. Dass diese
sogenannten „Stacheln‘‘ nicht sowohl ineinander geschoben sind,
wie die ersten Beobachter annahmen, sondern von einer Zelle
zur andern continuirlich sich erstreckende Verbindungsfäden dar-
stellen — die heutige Auffassung competenter Beobachter — konnte
deutlich constatirt werden. Die obersten Schichten platter Zellen
(Stratum corneum) liessen die Stacheln nicht mehr wahrnehmen.
Der Bau der Zellen sowohl des Stratum Malpighii als des
Stratum corneum ist ein höchst eigenthümlicher, indem jede Zelle
ohne Ausnahme im Innern Vakuolen enthält, deren Inhalt durch
Farbstoffe nieht tingirbar ist. Dadurch erfolgt eine Sonderung
des Portoplasma in eine Wandschieht von wechselnder Dicke und
ein zwischen den Vakuolen gegen den Kern hin verlaufendes
Balkenwerk. Die Dicke der Wandschicht beträgt oft nur Y/,, des
Zelldurchmessers. So erhalten diese Zellen eine grosse Aehnlich-
keit mit solchen Pflanzenzellen, die reich an Zellsaft sind. Die
Vakuolen zeigen sich an Grösse und Zahl verschieden und nehmen
294 Martin Overlach:
im allgemeinen aus der Tiefe gegen die Oberfläche an Ausdehnung
zu; die Wandschicht wird dem entsprechend geringer. Wo die
Vakuolen den Kern ringsum umgeben, könnte es scheinen, als
wenn derselbe direkt von dem Inhalt der Vakuole berührt würde.
Indessen lassen starke Vergrösserungen immer eine dünne Schicht
Protoplasma um den Kern erkennen, in die das Balkenwerk über-
seht. Der Kern schwebt so häufig inmitten der Vakuole, Fig. 6.
Ueber den Inhalt der Vakuolen bin ich mir nicht klar geworden;
jedenfalls kann es keine eiweisshaltige Flüssigkeit sein, da die
Räume auch bei Anwendung starker Säuren völlig klar bleiben.
Entstehung der Deeidualzellen.
Die einen Hauptbestandtheil der modifieirten mucosa corporis
bildenden Deeidualzellen habe ich auch im ganzen cervix gefunden,
dem Schleimhautgewebe zahlreich eingelagert. Dieser in der
Literatur nirgends erwähnte Befund kommt in Betracht bei der
Frage nach dem Ursprung der Deecidualzellen. Wandern sie aus
dem corpus in die Cervikalmukosa? Oder umgekehrt? Oder ent-
stehen sie im corpus und im cervix?
Die quantitative Prävalenz der Decidualzellen in der mucosa
cornoris macht eine hier stattfindende Entstehung wahrscheinlich,
beweist aber nichts. Die Gewebsbestandtheile der mucosa corporis:
Bindegewebe, Drüsen, Gefässe, Blutkörperchen — Oberflächen-
epithel ist, wie oben gesagt, vernichtet — lassen keinen Entwick-
lungsprocess der gedachten Zellen erkennen, geben sogar nicht
den geringsten Anhaltspunkt für einen solchen. Die in der
Literatur vorherrschende, aber nirgends bewiesene Angabe einer
Entstehung der Deecidualzellen aus den kleinen bindegewebigen
Rund- und Spindelzellen des corpus finde ich dureh nichts be-
stätigt. Dagegen deuten zwei charakteristische Momente auf einen
andern Ursprung hin:
In der durch das Auftreten der Deeidualzellen am Menstrua-
tionsprozess betheiligten, im übrigen aber wenig alterirten cervix
sieht man auch die Decidualzellen vorherrschend in der Nähe des
Epithels und der Schleimbälge dem Gewebe eingelagert. Ferner
finden sich einzelne, mehrere, ja ganze Nester der Decidualzellen
im Epithel, und zwar in dem der cervix wie in dem gleicharti-
Die pseudomenstruirende mucosa uteri nach akuter Phosphorvergiftung. 225
gen der Cervikaldrüsen. Die durch diese zwei Befunde nahe ge-
legte Wahrscheinlichkeit eines epithelialen Ursprungs der
Deeidualzellen hat sich durch weitere Untersuchungen auf das
sicherste bestätigt!
Bevor ich auf den Bildungsprozess der Decidualzellen ein-
gehe, dürften einige Worte über die diesbezüglichen literarischen
Angaben am Platze sein.
Die festgestellte Identität der bei Schwangerschaftsbeginn, abor-
tiver Deeidua, wirklicher Deeidua menstrualis, und Decidua pseudo-
menstrualis auftretenden speeifischen „Deeidualzellen“ berechtigt
uns, ihnen in jedem der genannten Prozesse die gleiche Ursprungs-
stätte und Entwicklungsweise zuzuschreiben. Welcher Gewebsbe-
standtheil diese Ursprungsstätte bildet, und in welcher Weise die
Entwicklung vor sich geht, darüber ist bisher kein Nachweis ge-
liefert! Iclı verstehe hier unter Nachweis nicht etwa mehr weniger
berechtigte Vermuthungen oder Behauptungen, sondern, weil eine
direkte Beobachtung des gedachten Entwicklungsmodus am leben-
den Organismus unmöglich, die Construktion eines fortlaufenden
Prozesses aus einer Reihe konkreter Bilder von zweifelloser, über-
zeugender Zusammengehörigkeit. Aus der Thatsache, dass die im
Folgenden von mir herangezogenen literarischen Angaben die wichtig-
sten und allein erwähnenswerthen sind, erhellt die ganze Dürftigkeit
der bisherigen Erforschung dieses eben so interessanten, weil eigen-
artigen, als wichtigen Prozesses: des Ursprungs der Deeidualzellen!
Saviotti übergeht in seiner von allen späteren Autoren
eitirten Arbeit „Beitrag zur Kenntniss der Deceidua menstrualis‘!)
den Ursprung der Deeidualzellen vollständig, constatirt nur ihr
Dasein im Gewebe sowie in der Gefässadventitia und sagt zum
Schluss im Resumd, die Hypertrophie manifestire sich: a) in x,
b) „in einer ungemeinen Entwicklung einer einfachen Bindesubstanz
im Gewebe der mucosa, bestehend aus rundlichen Zellen und sehr
wenig Zwischensubstanz, c) in der Entwicklung eines ähnlichen Binde-
sewebes in der Adventitia der kleineren Arterien und Venen der
mucosa.“ Ebenso verfährt Haussmann. Seine „Lehre von der Deci-
dua menstrualis“ 2) lehrt wohl das Dasein, die Gestalt, Grösse und un-
geheure Menge dieser ‚zahllosen runden oder rundlichen freien
1) Beiträge z. Geb. u. Gynäk. v. Scanzoni, Bd. Il. p. 219 ete. Würz-
burg 1869.
2) Beiträge z. Geb. u. Gynäk. Bd. I. p. 192 etc. Berlin 1870.
226 Martin Overlach:
Zellen,“ welehe man „neben den Zellen des Bindegewebes“ findet,
giebt aber über Ursprung und Entwieklungsmodus keinen weiteren
Aufschluss, als die Erklärung, dass von den drei aufgestellten
Deutungen der Schleimhautveränderung als Folge einer Endome-
tritis epithelialis, einer Drüsenausschwitzung, oder drittens einer
Metritis nur die letztgenannte in Frage komme, „da die Annahme
einer Endometritis schon durch Hegar und Maier widerlegt
worden und die einer Drüsenausschwitzung durch nichts be-
gründet“ sei. |
Was bieten nun Hegar und Maier?!)
In der von diesen Autoren für die Bildung der „pathologi-
schen Deeidua bei unzweifelhafter Schwangerschaft“ aufgestellten
Theorie wird den Decidualzellen bindegewebiger Ursprung zuge-
schrieben. Leider kann sich das Urtheil nur auf theoretische
Combinationen stützen. Die gedachten Autoren erklären mit
folgendem Wortlaut: es sei ihnen durchaus unzweifelhaft, dass die
Parenchymzellen der mucosa des Uterus eine sehr wesentliche
Rolle in der Bildung der Decidualzellen spielen, und die Deeidua
so mit Recht als ein Abkömmling der mucosa zu betrachten sei.
Ob diesen Vorgängen an der genannten Grundlage die Bedeutung
der Ausschliesslichkeit beizumessen sei, könne noch dahingestellt
bleiben. Denn es sprächen andererseits auch manche Objekte
wieder dafür, dass die Submucosa diesen Vorgängen nicht so fremd
stehe, wie man vielleicht glauben möchte. (Auf letztere Erklärung
gehe ich gar nicht ein, weil der Uterus keine Submucosa hat.)
Wie ihnen scheine, gehe die erste Bildung vorzugsweise oder aus-
schliesslich vom Bindegewebe der mucosa aus.
Diese Meinung einer Abstammung der Deeidualzellen aus
dem Parenehym der Mucosa dürfte von den Autoren nicht genau
senug begründet sein, denn von der Art und Weise, wie der
Entwicklungsprozess der Deecidualzellen vor sich geht, verlautet
nur: „indem aus den Parenchymzellen der zum Balkengewebe
gewordenen Mucosa durch Wucherung der ersteren eine Neu-
bildung runder, junger Zellen entsteht und aus diesen die späteren
Deeidualzellen sich entwickeln, werden die ersten Anlagen ete.“.
Auf diese Erklärung dürfte sich das Resume der Autoren stützen:
„Die Neubildung‘ — nämlich die Deeidua — „entsteht durch
1) Virchow’s Archiv, Bd. LII. Heft 1. p. 175 etc. 1871.
Die pseudomenstruirende mucosa uteri nach akuter Phosphorvergiftung. 227
Zellenwucherung in dem Bindegewebsstroma der Mucosa, in der
Submucosa und in der Gefässadventitia. Von einer Antheilnahme
der Drüsen, ihres Epithels und des Epithels der Uterusschleim-
haut überhaupt an dieser Neubildung ist bis jetzt kein Nachweis
gebracht worden‘.
Bei Erwägung der von Hegar und Maier völlig über-
gangenen und doch so eklatanten Thatsache, dass diese speeifi-
schen Deeidualzellen durch ihre plattenförmige Gestalt, ihre relative
Grösse, ihren mächtigen runden Kern, ihr klares, helles Proto-
plasma, ihre scharfen, runden Contouren, kurz, durch ihren ganzen
Habitus auf alles mehr hinweisen, als auf einen bindegewebigen
Ursprung, möchte man eher geneigt sein, sich auf die Seite
Hennigs!) zu stellen, dem sich „die Infiltration der Uterin-
placenta mit weissen Blutkörperchen als mögliche Quelle der be-
rühmten grossen Serotinazellen aufdrängte“. Denn zumal die
Deeidualzellen mit spärlichem Zellprotoplasma erinnern sicher
mehr an weisse Blutkörperchen, als an bindegewebigen Ursprung,
und es ist erklärlich, dass Hennig sagt, eine Zurückführung der
Deeidualzellen — er nennt sie „Riesenzellen“ — „auf Wander-
zellen, also auf weisse Körperchen der Blutgefässe,* sei ihm als
„wahrscheinlichste Hypothese in petto geblieben“. Berechtigt aber
ist auch seine Bezeichnung „Eiypothese“, denn für eine so wunder-
bare Erscheinung, dass die allen Organen gemeinsamen weissen
Blutkörperchen nur im Gewebe der Gebärmutter so mächtig
wachsen, oder, wie Hennig sagt, „zu grossen, epithelähnlichen
Zellen mit grossen Kernen anschwellen“ sollten, konnte kein er-
klärender Nachweis geliefert werden.
Noch ein anderer Forscher empfand bei Betrachtung des
ganzen Habitus der Deeidualzellen das Bedürfniss, ihren binde-
gewebigen Ursprung in Zweifel zu ziehen, nämlich Friedländer?).
Friedländer stellt in seinen „anatomisch-physiologischen Unter-
suchungen über den Uterus“ betreffs der Decidualzellen, welche
er als „allerdings enorm gewucherte Bindegewebszellen der
Mucosa uteri“ bezeichnen zu müssen glaubte, die Frage auf, „ob
nicht die Decidualzellen selbst, oder wenigstens ein Theil der-
1) €. Hennig, „Die weissen Blutkörperchen und die Deciduazellen.“
Archiv für Gynäk. Bd. VI p. 508 etc. Berlin 1874.
2) Leipzig 1870.
298 Martin Overlach:
selben, von den Drüsen- oder Oberflächenepithelien abgeleitet
werden muss, da ja die Form derselben viel eher an Epithel- als
an gewöhnliche Bindegewebszellen erinnert“. Der Grund, weshalb
Friedländer sich zur Negation dieser Frage hinzuneigen
scheint, dass in den von ihm untersuchten Fällen allererster
Schwangerschaftsanfänge das Epithel der Oberfläche und der
Drüsen noch sehr wohl erhalten war, sich ausserordentlieh scharf
von dem darunterliegenden Gewebe abhob, und dabei sich das
letztere doch schon von, denselben „epithelioiden“ grossen Deei-
dualzellen zusammengesetzt zeigte, dieser Grund dürfte beseitigt
werden durch die nachfolgenden Mittheilungen.
Der einzige, der bisher auf Grund direkter Beobachtung die
Entstehung der Decidualzellen aus dem Epithel herleitet, ist Dr.
R. Frommel!). Allein bei seinen Beobachtungen handelt es sich
um die Maus, und der histiologische Charakter der Deeidua der
Maus ist denn doch derart abweichend vom Deeidualgewebe des
menschlichen Uterus, dass eine Uebertragung der dort gewonnenen
Anschauungen auf letzteres Objekt nicht unmittelbar zulässig er-
scheint. Die Decidua der Maus präsentirt sich fast wie ein com-
pactes Epithelgewebe, nur von spärlichen Bindegewebszügen durch-
setzt. Immerhin ist es von Wichtigkeit gewesen zu erfahren, dass
das Epithel der Drüsen sowohl, wie des Uterinkanals bei der
Bildung der Decidua vorwiegend betheiligt ist. Nach Frommel’s
Angaben treten an der Basis der Epithelzellen neue kleine, in
toto färbbare Kerne auf, die allmählich wachsen, ohne dass es
gelungen wäre, dieselben aus einer binären Theilung des Mutter-
kernes unter den Erscheinungen der Karyokinese herzuleiten.
Wenn diese neuentstandenen Kerne eine gewisse Grösse erreicht
und die Charaktere ruhender Kerne angenommen haben, d. h.
eine Kernmembran und ein färbbares Fadengerüst zeigen, schnüren
sich die Epithelzellen durch, und die aus den basalen Abschnitten
entstehenden neuen Zellen rücken vom Epithel ab und werden
Zellen der Deeidua.
Meine eigenen Beobachtungen anlangend, bot sich im Bereich
des corpus und fundus keine Gelegenheit, über die Entstehung
der Deeidualzellen Aufschluss zu erlangen. Wie ich bereits her-
vorgehoben habe, fehlt in diesen Regionen das Epithel grössten-
1) Aerztliches Intelligenzblatt. München 1883. Nr. 21.
Die pseudomenstruirende mucosa uteri nach akuter Phosphorvergiftung. 229
theils. Es fanden sich an den Schnitten nur einzelne Epithel-
zellen. Diese zeigten meistens offene Nischen, als wenn die
Zellen mit einem Hohlraum versehen gewesen wären, der sich
seöffnet und seinen Inhalt entleert hätte. Erst in der Nähe des
inneren Muttermundes begann das geschlossene, wohlerhaltene,
hohe Cylinderepithel. Dieses nun zeigte sich in lebhafter Proli-
feration begriffen. Jeder Schnitt enthielt Zellen mit mehrfachen
Kernen, oder im Innern der Mutterzelle enthaltenen, mehr oder
weniger ausgebildeten Tochterzellen.
Die mehrkernigen Zellen anlangend, so fanden sich solehe
mit zwei, drei, fünf, sieben Kernen und darüber. Ich habe auch
Epithelzellen mit mehr als fünfzehn neuen Kernen gesehen; selten
fand ich sechs, niemals vier. Eine Gesetzmässigkeit in numeri-
seher Hinsicht herrscht bei dieser Kerntheilung offenbar nicht,
sondern man kann nur sagen, dass die Theilung in zwei Kerne
der in eine ungerade Anzahl an Häufigkeit gleichkommt, während
ein Zerfall in höhere gerade Zahlen äusserst selten, wenn über-
haupt, Statt hat. Ich spreche hier von einer Theilung der
Kerne, ohne indessen jemals Bilder gesehen zu haben, die "auf
eine binäre Theilung unter den Erscheinungen der Karyokinese
oder Mytose (Flemming) deuteten. Niemals nahm ich Kern-
spindeln wahr, noch irgend welche andere der charakteristischen
Fadenfiguren. Möglicherweise trägt die Methode die Schuld daran,
dass derartige Kerntheilungsfiguren nicht hervortraten, denn, wie
erwähnt, war der Uterus mit Müller’scher Flüssigkeit behandelt
worden, ehe die Härtung durch Alkohol stattfand. Indessen
möchte ich doch nicht annehmen, dass durch diese Behandlungs-
weise jede Spur des in Rede stehenden Vorganges verwischt würde.
Ich glaube vielmehr, dass es sich hier um einen besonderen Modus
direeter Kerntheilung handelt. Die neuentstandenen Kerne sind
alle gegeneinander gradlinig abgegrenzt. So lange sie dieht an-
einander liegen, erscheinen die Grenzflächen dunkel. Dann rücken
sie ein wenig voneinander ab, und es zeigt sich ein schmaler,
heller Zwischenraum zwischen denselben. Bei einer grösseren
Zahl von Tochterkernen in der Zelle haben die Kerne vielfach
keilförmige Gestalt, als ob der Mutterkern durch radiäre Trennungs-
flächen zerfallen wäre (Fig. 35, 36, 41). Bei dieser Kernvermehrung
vergrössern sich die Zellen und geben so den jungen Kernen Raum
auseinander zu rücken.
230 Martin Overlach:
An den Epithelzellen mit zwei oder mehr Tochterkernen
beginnt dann eine neue Phase der Entwicklung, indem um die
_ Tochterkerne herum eine helle, feinkörnige, an Stärke allmählich
zunehmende Protoplasmaschicht sich ablagert (Fig. 39, 40, 41).
Dieser Act bietet insofern Modificationen, als entweder um jeden
einzelnen jungen Kern eine gesonderte, oder um mehrere zusammen
eine gemeinsame helle Zone auftritt (Fig. 40, 41).
In beiden Fällen ist durch die feinere Granulation, wie dureh
die scharflinige Abgrenzung gegen das umliegende, dunkelkörnige
Protoplasma die Bedeutung dieser hellen Zone als künftiges Pro-
toplasma der jungen Zelle bereits erkennbar (Fig. 40, 41). Indem
nun die Anfangs mehreren Kernen gemeinsame helle Region sich
noch um die einzelnen gruppirt und zwischen den einzelnen Be-
zirken Grenzen auftreten, liegt schliesslich jeder Kern mehr
weniger in der Mitte einer eigenen, Kreisförmig scharf begrenzten
Zone hellen Protoplasma’s.
Ist hiermit die Bildung der jungen Zellen, welche in den
scharf abgerundeten Contouren, dem hellen Protoplasma und dem
grossen, runden, dunklen Kern bereits das charakteristische Aus-
sehen der speeifischen „Deeidualzellen* erkennen lassen, im
wesentlichen vollendet, so gelangt sie definitiv zum Abschluss da-
durch, dass das helle Zellprotoplasma sich eontrahirt, und in Folge
dessen zwischen Mutter- und der von ihr umschlossenen Tochter-
zelle ein die letztere ring- (Fig. 42) oder sichelförmig (Fig. 45)
umgebender Hohlraum auftritt. Wir haben also folgendes Bild:
Die Epithelmutterzelle ist mächtig aufgetrieben. Ihr dunkel
sranulirtes Protoplasma zeigt eine scharf begrenzte, kugelige
Vakuole (Fig. 42 und 43), welche die junge, schön abgerundete,
helle Tochterzelle beherbergt und von derselben, je nach der
Grösse, mehr oder weniger ausgefüllt wird, so dass also ein An-
fangs schmaler (Fig. 42), später breiterer (Fig. 43) Hohlraum
zwischen der jungen Zelle und dem miütterlichen Protoplasma
liegt. Abhängig davon, ob Anfangs den einzelnen Kern eine ge-
sonderte, oder mehrere eine gemeinsame helle Zone umschloss,
weist die Vakuole nur eine (Fig. 43) oder mehrere in ihr ruhende
junge Zellen (Fig. 44) auf. Zuweilen finden sich beide Bilder
nebeneinander in derselben Mutterzelle. Diesen Fall veran-
schaulicht Fig. 45a.
Nicht immer stehen die aus einer Epithelmutterzelle hervor-
Die pseudomenstruirende mucosa uteri nach akuter Phosphervergiftung. 231
gehenden jungen Tochterzellen auf gleicher Entwicklungsstufe.
Sehr oft ist bei einfacher Theilung in zwei Kerne der eine zur
schönen Rundzelle mit grossem, dunklem Kern und breiter, heller
Protoplasmaschicht entwickelt, während neben diesem Gebilde der
andere Kern in dem dunklen Protoplasma der Mutterzelle ruhig
verharrt (Fig. 42). Bei mehrfacher Theilung sieht man oft ver-
schiedene Stadien: während um einzelne Kerne sich scharf eon-
totirirte Tochterzellen entwickelt haben, vollzieht sich an anderen
offenbar eine Wiederholung des Prozesses, durch den sie aus dem
Mutterkern entstanden, da dunkle Theilungslinien sichtbar sind
(Fig. 44a). Oder auch, die einen gehen noch weiterer Theilung
entgegen, während um die anderen schon eine helle Zone Proto-
plasma’s sich zu differenziren beginnt. Alle Fälle aber bieten ein
gemeinsames, dass nämlich von den durch Theilung entstandenen
jungen Kernen zum mindesten einer von weiterer Entwicklung
absteht. Ihm scheint die Rolle zuzufallen, später in der durch
Zusammenziehung ihres während der Proliferation ausgedehnten
Protoplasma’s restituirten Mutterzelle als neuer Zellkern zu fungiren.
Dieser liegt meistens, da es den jungen Zellen an Raum gebricht,
etwas gekrümmt und in die Länge gezerrt der Vakuole dicht an
(Fig. 41, 43, 47).
Oft fanden sich Erscheinungen, wie sie ausgeprägt in Fig. 46
gezeichnet sind. Die Mutterzelle ist kolossal aufgebläht, ihr Proto-
plasma zu einer dünnen Rindenschicht ausgedehnt, die eine mäch-
tige Vakuole umschliesst, in deren Inneren ein Klumpen von enge
zusammenhängenden Tochterzellen flottirt.
Was wird nun aus diesen Tochterzellen ?
Ich kann die Frage nur dahin beantworten, dass die Mutter-
zelle die Tochterzellen gegen das subepitheale Gewebe ausstösst.
Die Tochterzellen, mögen sie in grösserer oder geringerer Zahl
vorhanden sein, rücken allmählich basalwärts. Sind sie in grösserer
Zahl vorhanden und von einer geräumigen Vakuole umschlossen,
so verschiebt sich diese gegen die Basis. Man kann diese Er-
scheinung an Schnitten beobachten, die eine völlig intakte Lage
von Epithel zeigen. Die entwickelteren Tochterzellen resp. die
Haufen und Klumpen derselben liegen alle der Basaltläche des
Epithels näher als der freien. Mehrfach sind mir dann Bilder
begegnet, wie ich eins in Fig. 47 gezeichnet habe, wo das Proto-
plasma der Mutterzelle eine Oeffnung zeigt, und die Tochterzelle
in die Oeffnung einzutreten im Begriff ist.
2332 Martin Overlach:
Die Bindegewebsschieht unmittelbar unter dem Epithel, be-
sonders im oberen Theil der Cervix, war nun dicht durchsetzt
von Zellen, die einerseits mit den Decidualzellen in der Region
des Corpus, andererseits mit den entwickelten Tochterzellen des
Epithels identisch waren. Fig. 48, 49.
Es scheint mir hiernach der Schluss unabweis-
lich, dass die Deeidualzellen epithelialen Ursprungs
sind. N
Bei der Disloeirung der im Epithel entstandenen Deeidual-
zellen aus diesem Epithel in’s Bindegewebe scheinen die Binde-
gewebsfasern eine Rolle zu spielen. Man sieht nämlich oft die
junge Zelle an der basalen Grenze des Epithels von Fibrillen des
Bindegewebes wie von den Branchen einer Zange umfasst. Ana-
loges sah Harz!) bei der Wanderung der Ureier in’s Parenchym
des Ovariums sich vollziehen. Fig. 48.
Mit der Restitution der Mutterzelle, welche einstweilen noch
die ihres Inhalts entleerte klaffende Lücke erkennen, bald aber,
dem Druck der nachbarlichen Epithelzellen Rechnung tragend,
verstreichen lässt, ist der Bildungsprozess der Deecidualzellen
definitiv zum Abschluss gelangt.
Gegenüber dem eventuellen Einwand?), dass das Auftreten
der Decidualzellen in der Gefässadventitia ein Beleg sei für binde-,
sewebigen Ursprung derselben, behaupte ich: die Deeidualzellen
sind Wanderzellen, — natürlich mit Beschränkung dieses Begriffes
auf die Uteruswand. Hierfür spricht schon die quantitative Diffe-
renz ihres Auftretens in den verschiedenen Regionen der Mucosa:
zunächst ihrer Ursprungsstätte, dem Epithel, liegen sie in diehter
Masse, Zelle an Zelle (Fig. 49). Von hier aus nehmen sie zur
Museularis bin successive an Menge ab. Schon diese Thatsache
dürfte meine Behauptung genügend motiviren. Aber ich habe für
sie noch einen schlagenden Beweis: die Decidualzellen treten ver-
einzelt noch tief in der Muscularis uteri auf! (Bei dieser Beob-
achtung ist eine Verwechslung mit quergetroffenen Muskelzellen,
deren immer viele beisammen liegen, wohl zu meiden.) Saviotti?°)
1) Archiv f. mikrosk. Anatomie Bd. XXII. p. 392.
2) Kölliker, Entwicklungsgesch. Leipzig 1879. p. 326 ete.
3) Giovanni Saviotti, Beitr. z. Kenntniss d. Dec. menstr. Beiträge
2. Gebk. u. Gynaek. v. Scanzoni, Würzburg 69. Bd. VI. p. 219 ete.
Die pseudomenstruirende mucosa uteri nach akuter Phosphorvergiftung. 233
hat ihre Existenz in der Gefässadventitia bei Decidua menstrualis
eonstatirt. Kölliker!) bestätigt diesen Befund bei Deeidua vera.
Dass beiden Beobachtern meine Beobachtung entging, ist leicht
erklärlich. Denn Saviotti hat ein kleines Stückchen ausge-
stossener Decidua menstrualis untersucht und sagt daher: „die
mikroskopische Untersuchung bezog sich auf die Drüsen, das
eigentliche Gewebe der Membran, die Fäden der äusseren Ober-
fläche und endlich auf die Gefässe*. Ebenso lässt Kölliker bei
Besprechung der Decidua vera die Muscularis uteri unerwähnt.
Ich bin entfernt von der Behauptung,. dass das Epithel der
Cervix in der Nähe des inneren Muttermundes die ausschliessliche
Bildungsstätte der Deeiduazellen sei, sondern ziehe aus den Beob-
achtungen am hier besprochenen Objekte nur den Schluss, dass
einmal die, Decidualzellen epithelialer Herkunft sind, und dass im
speciellen auch das Epithel im oberen Theil der Cervix sich an
dieser Produktion betheiligt. Es scheint mir aber zweifellos, dass
auch im corpus die epitheliale Entwicklung der Decidualzellen
statt hat; die Formen der im cavum corporis vorhandenen Epithe-
lien und ihre Trümmer weisen zum Theil entschieden auf den-
selben Prozess hin. Desshalb sehe ich einer hierauf gerichteten
Untersuchung mit gespanntem Interesse entgegen.
Weil aber das nach Phosphorvergiftung pseudomenstruirende
corpus uteri in dem Stadium, wo es zur mikroskopischen Unter-
suchung gelangt, kaum jemals Innenflächenepithel aufweisen wird,
dürfte der auf dieses gerichteten Untersuchung ein im allerersten
Stadium der Gravidität befindlicher Uterus als geeignetes Objekt
dienen. Während der Entstehungszeit dieser Arbeit stand ein solches,
sicher seltenes Präparat leider nicht zur Verfügung.
Hiermit schliesse ich meine Arbeit ab. Fernere Untersuchungen
werden ergeben, ob die für den Pseudomenstruationsprozess berech-
tigten Erklärungen vielleicht in weit grösserem Umfange von Gül-
tigkeit sind für die normale Menstruation, als ich auf Grund der
von letzterer bisher vorhandenen Kenntniss behaupten zu dürfen
glaubte.
Vorliegende Arbeit entstand in der Zeit vom December 1883
bis zum October 1884 im histiologischen Institut zu München unter
4) Köllicker, Entwicklungsgesch. p. 326.
Archiv f. mikrosk. Anatomie, Bd. 25. 16
534 Martin Overlach:
der Leitung des Herrn Professor Kupffer. Meinem hochver-
ehrten Lehrer an dieser Stelle aufrichtigen, innigen Dank auszu-
sprechen für die in Rath und Belehrung mir jederzeit so gütig ge-
botene Hülfe, ist mir dringendes Bedürfniss! Ferner danke ich
Herrn Obermedieinalrath Professor von Ziemssen und Herrn
Professor Dr. Bollinger für die Erlaubniss, die Krankengeschichte
und den Sectionsbericht, welche mir freundlichst zur Verfügung
gestellt wurden, meiner Arbeit einverleiben zu dürfen. Herr Ge-
heimrath Professor Dr. Winckel und Herr Präparator A. A. Böhm
hatten die Güte, die auf meine Arbeit bezügliche, sehr umfang-
reiche Literatur mir zugänglich zu machen. Auch Ihnen ist in
Ergebenheit mein verbindlichster Dank gesagt!
München, den 1. April 1885.
Martin Overlach, eand. med.
Erklärung der Abbildungen auf Tafel X und XI.
Fig. 1. Flimmerepithel einer Glandula utricularis. Gefärbt mit Pierocarmin.
Vergrösserung : 600.
Flimmerepithel einer Glandula cervieis. Gefärbt mit Hämatoxylin.
Vergrösserung: 600.
ID
Fig.
Fig. 3. Senkrechter Schnitt durch die pseudomenstruirende mucosa corporis.
a = Arterien. d= Drüsenquerschnitte. eu=cavum uteri. m=mus-
eularis. v= Venen. Die Venen erscheinen prall gefüllt, ausserdem
diffuse Infiltration des Gewebes mit Blutkörperchen. Vergrösse-
rung: 50.
Fig. 4 Querschnitt einer Plica palmata. Gefärbt mit Marron! pl = Falten.
ppl=Papillen der Plica. d== Drüsenquerschnitte Das Blut zeigt
eine charakteristische lebhaft rothe Färbung bei bräunlicher Tinktion
des Epithels und Bindegewebes. Vergrösserung: 30.
[1
Fig. Querschnitt einer Gland. utrieularis aus der pseudomenstruirenden
Mucosa. Im klaffenden Lumen ein Complex runder Decidualzellen.
Die Flimmereilien zum Theil erhalten. Färbung mit Pierocarmin.
Vergr.: 350.
Fig. 6. Stachelzellen aus dem geschichteten Plattenepithel der Port. vagi-
nalis. Färbung mit Alauncarmin. Rindenschicht blass grau-rosa,
Kern rosa tingirt, Stacheln deutlich und dunkel, die Kerne zum
Die
Fig.
Fig.
Fig.
Fie.
Oo
Fig.
Fig.
Fig.
Fig.
Fig.
Fig.
pseudomenstruirende mucosa uteri naeh akuter Phosphorvergiftung. 235
Theil in Fadengerüsten schwebend, Hohlräume scharf contourirt.
Vergrösserung : 600.
7. Senkrechter Schnitt durch die obere Region der mucosa cervicis.
gc= Glandula cervieis. p=Papill. cu = cavum uteri. Das
Öberflächenepithel ist abgestossen. Färbung mit Hämatoxylin (Böh-
mer). Vergrösserung : 60. :
8—24. Isolirte Cervixepithelien aus der Nähe des os externum. Fig. 8
bis 16 Keulenform, Fig. 17 bis 24 Uebergänge zu normalen Becher-
zellen. Fig. 24: Becherzellen mit Zelldeckel und Resten von Cilien!
Vergr.: 600.
. 25—29. Ausstossung eines Kernes bei Schleimsekretion der Cervix-
epithelien. Färbung mit Alauncarmin. Vergr.: 600,
. 30. Gewebsparthie von einer Plica. Uebergang vom hohen Epithel der
Plica zu dem niederen der aufsitzenden Papille. Zeiss. Ocular 3.
Objectiv C.
. 31. Schleimhautpartie aus der Region des os internum, Eine glandula
cervieis in unmitelbarer Nähe einer schlauchförmigen Glandula utri-
eularis; erstere von mächtigem ceylindrischem, letztere von niederem
prismatischem Epithel ausgekleidet. m = Schleimhautgewebe. Glc
— glandula cervicis. Gl u= glandula utricularis. Zeiss. Ocular 3.
Öbjectiv C.
32 bis 38. Kernvermehrung an Cervixepithelien. Vergr.: 600.
39. Beginnende Ablagerung einer hellen Protoplasmazone um den ge-
theilten Kern. Vergr.: 600.
40 u. 41. Verbreiterung der hellen Protoplasmazone. Vergr.: 600.
42. Beginnende Schrumpfung des hellen Zellprotoplasma’s und in Folge
dessen Auftreten eines schmalen Hohlraumes um die junge Zelle
herum. Vergr.: 600.
43, 44, 45, 46. Fertige Decidualzellen in Hohlräumen der Epithel-
mutterzellen. Vergr.: 600.
47. Trennung des Protoplasma’s der Mutterzelle an der Basis und be-
ginnender Austritt der Decidualzelle. Vergr.: 600.
48. Eintritt der Decidualzellen aus dem Epithel in’s subepithiale Gewebe
Vergr.: 600.
49. Superepitheliales Gewebe mit eingelagerten Decidualzellen. Ver-
grösserung: 600.
956 Friedr. Dahl:
Die Fussdrüsen der Insekten.
Von
Friedr. Dahl aus Neustadt i. Holst.
Hierzu Tafel XII und XIII.
Nachdem noch bis vor Kurzem eine interessante Frage der
Zoologie, wie es den Insekten möglich sei, an glatten Flächen -
emporzuklimmen, bei deutschen Forschern fast unberücksichtigt
geblieben war, empfanden in den beiden verflossenen Jahren gleich-
zeitig Mehrere diesen Mangel und suchten ihn gleichzeitig und unab-
hängig von einander durch eingehende Untersuchungen zu beseitigen.
Leider treten bei derartigen, gleichzeitigen Bearbeitungen in
neuerer Zeit gewöhnlich sehr wenig sachlich gehaltene Streitschrif-
ten zu Tage; die Wissenschaft hat aber immerhin den Nutzen da-
von, dass der Gegenstand sofort auf das Gründlichste bearbeitet
wird und die Resultate deshalb schliesslich um so sicherer sein
müssen. Bei vorkommenden Differenzen sieht sich auch der Un-
betheiligte genöthigt, sich, wo möglich, durch Kurze eigene Unter-
suchungen ein Urtheil zu verschaffen und trägt desshalb auch seiner-
seits mehr oder weniger zur Lösung der Frage bei. Wir aber, die
wir zuerst eingehender über den Gegenstand gearbeitet haben, dür-
fen uns wohl berufen fühlen, allen Denjenigen, welche sich der
Sache nicht in gleichem Maasse widmen können, die geeignetste
Art der Untersuchung anzugeben und das Für und Wider vor Augen
zu stellen. So soll denn diese kleine Arbeit noch einmal den ana-
tomisch-histologischen Theil einer genaueren Prüfung unterziehen.
Der erste, der von den neueren Autoren einige vorläufige
Mittheilungen machte, war Dewitz!). Seine Angaben enthielten
aber soviel Verkehrtes, dass ich mich nicht veranlasst sah, meine
Untersuchungen aufzugeben. In seiner neueren ausführlichen Ar-
1) Sitzungsbericht d. Gesellsch. naturf. Freunde zu Berlin. 1882 p. 5
u. 109.
Die Fussdrüsen der Insekten. 237
beit!) stimmen die Ansichten von Dewitz allerdings in vielen Punk-
ten mit den meinigen überein, welche ich zuerst in einer vorläufi-
Mittheilung?) und dann in einer eingehenderen Arbeit?) veröffent-
lichte. Da nun die Resultate, in denen wir übereinstimmen, auch
schon von Andern anerkannt sind, so unterlasse ich es, hier noch
weitere Begründungen zu geben und berücksichtige nur die Punkte,
in denen wir von einander abweichen.
Ich will gleich von vorn herein erwähnen, dass ich in einer
Beziehung von meiner früheren Ansicht abweiche oder vielmehr
zu einer Ansicht zurückkehre, welche auch ich mir ursprünglich
bei meinen Untersuchungen bildete. Ich sehe mich nach fortgesetz-
ter Untersuchung eines besseren Materials veranlasst, die gefaltete
Matrix im Fusse gewisser Orthopteren doch als Drüsen anzusehen.
Wie ich sogleich zeigen werde, sind die zwei Gegengründe, dieich mir
selbst entgegenhielt und die mir allerdings in den Entgegnungen
bis jetzt noch nieht widerlegt sind, hinfällig. Ich gab damals an,
dass einerseits nicht überall entsprechende Gebilde vorkommen *)
und dass andererseits für eine dicke Chitinhülle auch starke Matrix-
zellen nöthig seien°).
Mit einer hinreichenden Genauigkeit beschrieben und darge-
stellt sind bis jetzt allein die Drüsen mancher Orthopteren. Alles
Uebrige ist entweder ungenügend beschrieben oder ganz verkannt
oder übersehen. Ich gebe hier desshalb eine vergleichende Ueber-
sicht der Verhältnisse bei allen Insekten.
Beginnen will ich mit den Käfern, nicht weil bei ihnen die
Verhältnisse am einfachsten liegen, sondern weil wir in dieser Ord-
nung die verschiedensten Formen von Drüsen finden und zwar
z. Th. sehr charakteristisch ausgebildet. Als Typus dieser Ord-
nung wähle ich Saperda carcharias L.
Die Fusssohle von Saperda ist mit gleichlangen Borstenhaaren
dicht besetzt (vergl. Fig. 17). Die Borstenhaare sind schwach,
S-förmig gebogen. Nahe vor dem Ende erweitern sie sich stark in
der Breite (Fig. 16), dagegen sind sie vorn an einer Stelle stark
1) Pflüger’s Archiv f. d. ges. Physiologie Bd. XXXIII. p. 440.
2) Zoolog. Anzeiger VII. p. 38.
3) Archiv f. Naturgesch. Jahrg. 50, Bd. I, p. 146. Separat als Inau-
gural-Diss.
Zi Stch. 12 N. Ba. Ir D. 167,
5) l. c. p. 166.
2338 Friedr. Dahl:
eingesehnürt (Fig. 17) und von dieser Stelle an wird die Chitin-
masse zarter und desshalb auch weit durchsichtiger. Die Unter-
seite des Endtheils (hl), die beim Auftreten die Fläche berührt,
ist vollkommen gerundet und lässt desshalb die Auffassung als
Saugnapf nieht zu. An der Oberseite sind zunächst einige grös-
sere Härchen und am Rande herum noch mehrere kleinere. Alle
diese Börstehen sind oben und können desshalb beim Auftreten nicht
mit der Fläche in Berührung kommen. Die Hafthaare sind bis nahe
vor der Spitze hohloder vielmehr mit einem äusserst lockern Gewebe
gefüllte Röhren. Man erkennt dies am leichtesten, wenn man sie gehö-
rig austrocknet, da dann der Innenraum mit Luft gefüllt ist und sich
deshalb scharf gegen die Wände abgrenzt. Die Austrocknung ge-
lingt am schönsten und vollkommensten, wenn man den Fuss vor-
her mit Kalilauge kocht. Bequemer aber ist es und fast ebenso
sicher, wenn man ihn längere Zeit in Aether liegen lässt, da in
Aether sich das Sekret vollkommen zu lösen scheint. Bringt man
alsdann die abgeschnittenen Haare auf einen Objeetträger und legt
diesen einige Tage auf einen warmen Ofen, so sieht man den
Hohlraum im Innern, in welchem ein lockeres Gewebe, das
auch durch Kochen mit Kalilauge nicht vollkommen zerstört wird,
beim Zusammentrocknen dünne Querwände bildet. Nach dem Ende
hin scheint das innere Gewebe dichter zu werden; denn die sich
bildenden Querwände rücken hier näher zusammen und nahe vor
der Einschnürung bricht der Hohlraum plötzlich vollkommen ab.
In dem durchsichtigen Endtheil tritt selbst bei starker Austrock-
nung nie ein Luftraum auf. Auch sieht man den Hohlraum nir-
gends nach aussen münden, was gerade dann, wenn dieser Kanal
mit Luft gefüllt wäre, sehr leicht müsste erkannt werden können.
— Untersucht man ein nicht ausgetrocknetes Hafthaar, nachdem
man sich den Endtheil in der breiten Seite zur Ansicht gebracht
hat, so bemerkt man, dass die festere Chitinmasse der Wandung
nach dem durehsichtigeren Endtheil hin allmählich dünner wird,
so dass das scheinbare Lumen sich hier erweitert, bis schliesslich
die ganze Masse durchscheinend ist und kaum noch eine Wandung
erkennen lässt. — Lässt man in den erweiterten, zarteren End-
theil des Hafthaares eine Farbe, die nicht allzu leichtflüssig sein
darf, theilweise eindringen, so sieht man nicht etwa dunkle
Streifen, wie man sie stetsin Präparaten wahrnehmen kann, welche
wirkliche Kanäle enthalten, sondern die Farbe dringt von innen
Die Fussdrüsen der Insekten. 239
sowohl als von aussen ganz gleichmässig wolkig vor. Das Ein-
dringen der Farbe geht aber weit schneller von innen vor sich.
Von aussen dringt sie nur dann schneller vor, wenn der zarte
Endtheil irgendwie verletzt ist. Man erkennt daraus, dass auch der
zarte Endtheil immerhin noch von einer feinen diehteren Hülle um-
geben ist, die man wegen ihrer äusserst geringen Dieke auch in
Längsschnitten nur schwierig beobachten kann. |
Fassen wir die Resultate aus den angeführten Beobachtungen
zusammen, so ergiebt sich kurz folgendes: Die Hafthaare sind
umgewandelte Chitinhaare, deren Endtheil erweitert
ist. Am Grunde sind sie röhrenförmig und mit einem
äusserst lockeren Chitingewebe gefüllt; im Endtheil
wird die Wandung zu einer äusserst feinen Membran,
die sich wenig scharf gegen die hier bedeutend dichter e
aber doch noch sehr leicht und vollkommen gleiehmäs-
sig durchtränkbare Innenmasse abgrenzt.
Betrachten wir nun zunächst zur Vergleichung die Hafthaare
der übrigen Käfer, so werden wir überall denselben Bau finden,
doch können die angegebenen Verhältnisse in den einzelnen Gat-
tungen in dieser oder jener Hinsicht nur noch weit klarer und
sicherer beobachtet werden.
Die kleinen Härchen auf der Oberseite des erweiterten End-
theils sind weit verbreitet. Gewöhnlich aber sind sie kleiner und
-treten oft nur als kleine Höckerchen auf. Bei manchen Arten fin-
det man eine grössere Anzahl derartiger Höckerchen wie z. B. bei
Ocipus cupreus Rossi (Fig. 8). Bei andern ist dagegen auf jedem
Haar nur ein einzelner Höcker vorhanden; so bei manchen Rüssel-
und Blattkäfern. Sieht man ein solches Haar von der flachen
Seite unter dem Mikroskop, so glaubt man nicht einen Höcker,
sondern eine runde, ins Innere führende Oeffnung zu sehen. Ich
bin desshalb fest überzeugt, dass auch Dewitz!) seine Fig. 1 nach
einem solchen Haar entworfen hat, obgleich ich den von ihm er-
wähnten Käfer nicht untersuchen konnte. Seine Zeichnung stimmt
fast genau mit dem mikroskopischen Bilde überein, welches z. B.
ein Hafthaar unserer Chrysomela goettingensis L. (Fig. 10b) liefert.
Die Aehnlichkeit mit einer Oeffnung ist um so täuschender, je
kleiner der Höcker ist. Am leichtesten überzeugt man sich in-
dessen immer, wenn man ein Haar genau von der schmalen Seite
1) Pflüger’s Archiv ete. Taf. VII.
240 Friedr. Dahl:
beobachtet (Fig. 10a). Man sieht dann nicht nur deutlich die
rundliche Erhöhung, sondern erkennt auch leicht, dass dieser
Höcker nichts mit dem Hohlraum des Haares zu thun hat. Aller-
dings kann man sich auch überzeugen, ohne dass man ein Haar
in dieser Lage sieht. Betrachtet man ein Haar etwas schräge
von oben, so ist die dunkelste Schattirung immer an der abgewen-
deten Seite. Wäre es eine Grube, so müsste sie an der zugewen-
deten Seite sein. Und ausserdem sieht man hier, dass ein Zu-
sammenhang der dunklen Linien mit der innern Höhlung nicht
vorhanden ist. Bei Donacia und Cassida sind die Haare gabel-
förmig gespalten!). Beide Arme sind hier gleich lang und treten
beide mit der Grundlage in Berührung.
Die Masse, welche den Innenraum ausfüllt, lässt sich am
besten an solehen Hafthaaren untersuchen, welche stark erweitert
sind. Dahin gehören namentlich diejenigen der Carabiden und
Dytiseiden, welche sexuellem Zwecke dienen. Selbst die ‚grossen
Saugnäpfe unter den Vorderfüssen des männlichen Dytisceus ist,
darüber kann kein Zweifel obwalten, ein umgewandeltes Chitin-
haar. Und desshalb stimmen auch diese im allgemeinen Bau mit
den übrigen Hafthaaren überein.
Trocknet man ein Hafthaar von Feronia (Omaseus) vulgaris L.
in der oben angegebenen Weise aus, so zeigt sich, dass der Stiel
nicht von einem wununterbrochenen Hohlraum durchzogen wird,
1) Simmermacher (Zeitschrift f. wissensch. Zool. Bd. XL, p. 523)
bestreitet allerdings die Gabelung, die schon Tuffen West (Transact. of
the Linn. Soc. of London. Vol. XXIII) beobachtet hatte, da sich aber Jeder
leicht schon bei schwacher mikroskopischer Vergrösserung eines trockenen
Haares von der Richtigkeit dieser Angabe überzeugen wird, so glaube ich
darüber nicht weitere Worte verlieren zu sollen. Da die Simmermacher’sche
Arbeit in ihren mikroskopischen Details überhaupt ziemlich mangelhaft ist,
und es z. Th. recht schwer ist zu erkenner, wie sich die Fehler erklären
lassen, so verzichte ich darauf, näher auf das Einzelne einzugehen, zumal da
auch schon von Andern dieser Mangel erkannt wurde. Als Beispiel nenne
ich nur Einiges: Die Tarsen der Orthopteren sollen nach ihm auch an der
Unterseite behaart sein. Er verlegte aber offenbar bei durchsichtig gemachten
Präparaten die Haare der Oberseite an die Unterseite. — Die feine Linie
zwischen den Gabelzinken in Fig. 52 wird vielleicht dadurch erzeugt sein,
dass sich zwischen denselben ein Tröpfchen einer anderen Flüssigkeit befand.
Wie man dagegen die Krallen der Hornisse übersehen kann (8. 547 u. Fig. 61),
ist mir noch nicht klar geworden.
Die Fussdrüsen der Insekten. 241
sondern dass er vielmehr von einer lockeren Masse angefüllt ist,
welehe mehrere neben einander herlaufende und z. Th. eommuni-
eirende Röhren enthält. Vor dem erweiterten Ende treten diesel-
ben auseinander und enden dann in der Gegend, wo das Haar
zart und durchscheinend wird (vergl. Fig. 6). Ich glaubte früher
beobachten zu können, dass sich die Röhren in viele kleine Röhr-
chen spalten, welche mir sämmtlich an der gerundeten Endfläche
auszumünden schienen. Bei einer Austrocknung aber müssten auch
die feinen Röhrchen mit Luft gefüllt sein, und wenn sich auch
ein Theil durch Zusammentrocknen des zarten Gewebes schliessen
würde, so müssten doch nothwendig einige als Lufträume erhal-
ten bleiben. Freilich könnten die Röhrchen zu eng sein, um ein-
zeln wahrgenommen werden zu können, es müsste aber dann die
ganze Masse durch unregelmässige und wiederholte Lichtbreehung
undurchsichtig werden, was ebenfalls nieht der Fall ist. Der End-
theil des Haares bleibt vielmehr bei der oben angegebenen Be-
handlung vollkommen durehsichtig. — Lässt man in zerschnittene
Hafthaare von demselben Käfer Farbe eindringen, so färbt sich im
oberen Theil zunächst nur das Innere, während die festere Aussen-
wand nur von sehr dünnflüssigen Tinetionsmitteln leichter durch-
drungen wird. Anders verhält es sich mit dem zarteren Endtheil.
Er färbt sich auch von aussen verhältnissmässig schnell. Die Farbe
dringt aber nicht in Streifen, sondern gleichmässig wolkig vor.
Auch im Stiel zeigt sich nichts von einer Streifung. Man muss
also wohl annehmen, dass die lockere Masse gleichmässig den
Stiel anfüllt, und dass nur infolge eines festeren Zusammenhanges
in der Längsrichtung die oben erwähnten, unregelmässigen Röhren
hervortreten. Die feinen Streifen im Endtheil, die ich früher für
Kanäle ansah, halte ich jetzt für festere Chitinfasern, welche dazu
beitragen, den biegsamen Theil ausgespannt zu erhalten. Wir
werden derartige Fasern in grosser Anzahl und von z. Th. bedeu-
tender Dicke sogleich bei Betrachtung der Saugnäpfe von Dytiscus
kennen lernen. Demselben Zwecke scheinen auch einige verdickte
Falten, welche quer über den erweiterten Theil verlaufen, zu
dienen.
Nahe verwandt mit den Hafthaaren von Feronia sind diejeni-
gen der Gattung Carabus. Man erkennt dies besonders am Sa-
gittalschnitt (Fig. 7 u. 11a). Der Endtheil ist hier aber weit schmä-
ler (Fig. 11b), und erscheint desshalb, von der breiten Seite gesehen,
242 Friedr. Dahl:
fast wie ein Saugnapf oder eine der Länge nach hohle, am Ende
offene Saugröhre, wie Simmermacher es beschreibt und auch
Graber!) es zuzugeben scheint. Dass es aber keine am Ende
vertiefte Saugvorrichtung ist, das sieht man sofort in einem Sa-
gittalschnitt dieses Theils, deren man stets einige an einem guten
Längsschnitt des Fusses findet. Man bemerkt dann, dass das Ende
allerdings etwas flächenförmig ausgebreitet ist, so dass sich ein
grösserer Theil der Unterlage anzulegen vermag, dass aber die
Ränder sogar etwas zurückgeschlagen sind, und entschieden erst
beim Auftreten sich auf der Grundlage ausbreiten. Die Stützfalten
erstrecken sich hier ringförmig um den weichen Endtheil herum
und hängen z. Th. etwas spiralig zusammen.
Erinnern wir uns jetzt noch einmal der Höckerchen und
Dörnehen am Endtheil gewisser Hafthaare, so lässt sich eine ge- '
wisse Analogie mit den hier beschriebenen Falten kaum in Abrede
stellen. Wir werden also auch dort wohl Stützvorrichtungen für
den weichen Endtheil vor uns haben.
Am schönsten sind alle beschriebenen Theile an den grossen
Saugnäpfen eines männlichen Dytiscus zu untersuchen und ich
hätte desshalb eigentlich mit diesem beginnen können. Es lag mir
aber gerade daran, zu zeigen, dass wir alles auch schon an den
gewöhnlichen Hafthaaren feststellen können, um nun den Bau der
Saugnäpfe als einen unerschütterlichen Beleg alles Gesagten be-
nutzen zu können. Dass die Saugnäpfe umgebildete Hafthaare,
sind, bezweifelt jetzt wohl keiner mehr, weil einerseits alle Theile
genau einander entsprechen und zweitens eine ganz allmählich
von der einen zur andern Form führende Reihe aufgestellt werden
kann. Die Saugnäpfe aber sind gross genug, um die Zerlegung in
eine Anzahl dünner Schnitte in jeder Richtung zu gestatten.
Wir können an einem grossen Saugnapf (Fig. 2) unterscheiden:
erstens stützende, feste Chitinmassen und zweitens lockere Chitin-
massen, welche das Drüsensekret weiter zu leiten haben. Be-
trachten wir zunächst die stützenden Theile: Das äussere Chitin-
integument des Fusses theilt sich am Grunde des Saugnapfstieles
tbei k) in zwei Lamellen, von denen die innere sich stark verdickt
und sich becherförmig in das Innere des Fussgliedes hinein fort-
setzt (bw). Die Becherwand ist von grossen Kanälen quer durch-
1) Biolog. Centralblatt IV, p. 568.
Die Fussdrüsen der Insekten. 243
setzt. Die Kanäle sind nur durch dünne aber feste Wände ge-
trennt. Gegen den Innenraum des Fussgliedes münden sie in ihrer
ganzen Weite. Nach aussen dagegen, d. i. gegen den Innenraum
des Bechers, schliessen die Ränder der einzelnen Kanäle gerundet
zusammen, lassen aber über jedem Kanal eine kleine, runde Oeff-
nung frei. Die äussere Lamelle «les Integuments (bei k) setzt sich
zunächst in eine dünne, biegsame Gelenkhaut fort, welche an ihrer
andern Seite in die feste Aussenwand des kurzen Saugnapfstieles (hh)
übergeht. In der Wandung des Bechers entspringen, und zwar in der
Mitte des Grundes, mehrere kreisförmig gestellte Stäbe (st), welche
die Mitte des Bechers senkrecht nach unten durchsetzen, wobei
sie in einer schwach gedrehten Spirale verlaufen. In ihrem weiteren
Verlaufe durch den Saugnapfstiel öffnet sich der Kreis an der
einen Seite und wird dabei elliptisch (Fig. I st). Vor dem Innen-
rande des tellerförmigen Saugnapfes weichen die Stäbehen ausein-
ander, biegen um und verlaufen nun strahlenförmig nahe unter der
Aussenfläche des Tellers bis zum äussersten Rande desselben
(Fig. 2 gr, st). Dabei gabeln sie sich. wiederholt (Fig. 3), so dass
ihre gegenseitige Entfernung immer annähernd dieselbe bleibt.
Parallel mit diesen Strahlen verlaufen in der Nähe der Innenfläche
in der Tellerwandung feinere und dichtere Chitinstrahlen(Fig. 2 kl, st),
die sich ebenso zertheilen. Die Fig. 4 zeigt den Querschnitt eines
Stückes der Tellerwandung mit den stärkeren (gr, st) und schwächeren
Strahlen. Man sieht an derartigen Querschnitten sofort, dass die
Strahlen vollkommen massiv sind. Ausser den genannten diekeren
Chitinstäben findet man noch viele feine Fäserchen, welche von jenen
Stäbchen auslaufen und sich vielfach zertheilen. Zunächst entspringen
Fasern am Grunde des Bechers (bw) und verlaufen im Bogen nach der
Gelenkhaut hin, ohne jedoch dieselbe ganz zu erreichen. Eine
zweite Parthie zweigt sich von der Oberseite der Stäbchen, etwa
an der Umbiegungsstelle, ab. Die Fasern verlaufen, indem sie
sich vielfach zertheilen, an die obere Wand des Bechers (fs). Die
Wandung wird aber von einem grossen Theil derselben nicht er-
reicht. Eine dritte Parthie schliesslich entspringt an der Unter-
seite der Stäbchen, etwa an derselben Stelle. Ein Theil dieser
Fasern tritt an die Innenwand des Bechers, ein anderer setzt sich
in den feinen Strahlen bis zum Rande fort. Da die dieken Stäb-
chen keine Röhren sind, so könnte man etwa diese Fasern dafür
halten. Dagegen spricht: 1) die allgemeine Aehnlichkeit mit den
244 Friedr. Dahl:
diekeren Strahlen; 2) der Umstand, dass sie weder im Querschnitt
noch in der Seitenansicht doppelte Konturen zeigen; 3) der Ver-
lauf (vom Grunde des Bechers verlaufen nur Fasern schräge nach
aussen und nicht nach unten), und 4) besonders der Umstand, dass
viele von ihnen nicht die Aussenfläche erreichen, sondern vorher
blind endigen. }
Alle genannten festen Chitintheile liegen in einer lockern,
sehr leieht und schnell tingirbaren Chitinmasse, die beim Ein-
trocknen sich stark zusammenzieht. Aeusserlich ist dieselbe von
einer zarten Membran abgeschlossen, welche selbst bei starker
Vergrösserung kaum erkennbar ist.
Am Aussenrande des Tellers befinden sich zarte Franzen,
welche nahe vor dem Rande, etwas nach oben entspringen und
nach aussen vorragen (Fig. 3 und 2 hl.).
Die Saugnäpfe sind bekanntlich nur beim Männchen vor-
handen und dienen zum Festhalten des Weibehens bei der Kopu-
lation. Ihre Wirkungsweise wird etwa folgende sein: Das kreis-
förmig gestellte Bündel fester Stäbe im Innern, welches fest mit
der Becherwand und durch diese mit der Chitinhülle in Verbin-
dung steht, ermöglicht ein festes Andrücken des Saugnapfes, ohne
dass der sonst lockere Stiel zusammengedrückt wird. Die einzelnen
Stäbe biegen sich, wenn der Rand des Saugnapfes mit der Unter-
lage in Berührung kommt, weiter zurück, indem die dazwischen
befindliche, weiche Masse etwas nachgiebt. Da aber der mittlere
Theil wegen der Festigkeit der Stielstäbe nieht zurückweichen
und dessbalb der Innenraum des Saugnapfes sich nicht vergrössern
kann, so muss dabei die Luft oder vielmehr das Wasser unter dem
Rande entweichen. Die Gelenkhaut am Grunde des Stieles ge-
stattet eine geringe Verschiebung des ganzen Napfes und damit
ein gleichmässiges Anlegen auch dann. wenn derselbe sich nicht
genau wagerecht der Unterlage nähert. Wird nun der Fuss zu-
rückgezogen, so tritt zunächst die Mitte zurück, einerseits weil der
Stiel sich in der Mitte befindet, besonders aber desshalb, weil die
Elastieität der Stäbe diese wieder in ihre ursprüngliche Lage zu
bringen sucht d. h. mit dem Rande auf der Unterlage gestützt die
Mitte zurückschiebt. Hierbei kann aber das Wasser nicht nach-
fliessen, weil der Rand des Saugnapfes ebenso wie die Flügel-
decken des Weibchens durch Hautdrüsen gefettet ist und sich dess-
halb wasserdicht angelegt hat. Wo etwa eine kleine Oeffnung
Die Fussdrüsen der Insekten. 245
bleibt und das Wasser einfliessen könnte, da werden die feinen
Franzen des Randes angesogen und verstopfen sie.
Im Anschluss an die grossen Saugnäpfe von Dytiseus will
ich kurz den Bau der kleinen Saugnäpfe (Fig.5) erwähnen, die
eine vorzügliche Mittelstellung zwischen jenen und den oben be-
schriebenen Hafthaaren der Carabiden einnehmen. Zunächst ist
hier ein langer Stiel vorhanden, der nicht vierseitig ist, wie bei
den grossen Saugnäpfen (Fig. 1) sondern gerundet. Der Becher,
an welchem der Stiel befestigt ist (Fig. 5 b), ist klein und der
Theil desselben, der die Kanäle enthält, bildet eine ringförmige
Wulst. Die Stäbe im Innern des Stieles (st) sind weit schwächer
und setzen sich als sehr dünne Strahlen im Saugnapfe (sn) fort.
Der letztere ist mit dem am Ende verengten Stiel etwas beweg-
lich verbunden und trägt am Rande keine Franzen.
Fassen wir wieder die Resultate kurz zusammen, so können
wir zu dem schon oben ausgesprochenen, allgemeinen Satze noch
folgendes hinzufügen: Die weichen Theile der Hafthaare
werden durch festere Theile gestützt, die theils als
Stäbe im Innern, theils als Falten oder Höcker an
der Oberfläche auftreten.
Nachdem wir die Hafthaare der Käfer kennen gelernt haben,
wenden wir uns den Drüsen zu, um auch hier wie dort die Formen
vergleichend durchzugehen. Als Typus kann wieder Saperda car-
charias L., gelten. Wie schon oben angedeutet wurde, habe ich
jetzt überall unter den Haftorganen eigenthümliche, stark ent-
wickelte Zellen gefunden. Da nun aus den Haaren ein leicht er-
kennbares Sekret ausgeschieden wird, welches, wie ich schon in
meiner früheren Arbeit gezeigt habe!), nicht mit der Blutflüssig-
keit übereinstimmt, so werde ich die Zellen ohne Weiteres Drüsen
nennen.
Die Hafthaare (Fig. 17 hh) stehen auf Kanälen, welche die
deutlich geschichtete Chitinhülle durchsetzen. Unmittelbar vor dem
Ende des Haares befindet sich in dem Kanal eine kleine Er-
weiterung (e), welche sich besonders intensiv färbt. In seinem
weiteren Verlaufe theilt sich der Kanal in einige Arme (g), über
denen je eine grössere Zelle (fdr) liegt, die wir als Drüse deuten
müssen. Die Zellen unterscheiden sich von den Matrixzellen
1) Arch. f. Naturg. 50. p. 167. Diss. p. 22.
946 Friedr. Dahl:
durch ihre weit bedeutendere Grösse, ihren grossen, runden,
stark granulirten Kern und einen birnförmigen, helleren Hof (h)
vor der Mündung des Kanals, welcher als Lumen der Drüse zu
‘ deuten sein wird. Die Matrixzeilen sind von den Drüsenzellen
. stark zusammengedrängt und desshalb liegen ihre kleinen läng-
lichen Kerne gehäuft zwischen den Mündungen der Kanäle. Da
die Drüsenzellen gegen den Innenraum des Fusses durch eine
vollkommen ebene Fläche abgegrenzt sind, so liegt die Vermuthung
nahe, dass sie nur umgewandelte Matrixzellen seien. Was sich
gegen diese Annahme einwenden lässt, werden wir weiter unten
sehen. Ausser den eben beschriebenen Drüsenzellen sind bei Sa-
perda noch Drüsen anderer Art vorhandeu, welche nicht auf die
Fusssohle beschränkt sind, sondern mehr oder weniger an allen
Körpertheilen auftreten. Sie wurden eingehender zuerst von Ley -
dig?!) beschrieben. In ihrer einfachsten Form sind dieselben
folgendermaassen gebaut: Eine grosse gerundete Zelle ist quer von
einer engen Röhre durchzogen (Fig. 17 hdr‘ zeigt einen Querschnitt),
deren Wände chitinös aber doch stark tingirbar sind. Um die
Röhre befindet sich ein lichterer Hof, welcher wieder von einer
dunkleren Röhre umgeben ist. Das Ganze ist nebst dem angren-
zenden grossen, runden Kern in die Plasmamasse der Zelle einge-
lagert. Das. Protoplasma zeigt eine netzartige, nach dem Rande
hin ziemlieh grossmaschige Struktur und ist entweder durch eine
scharfe Membran vom Blutraum abgegrenzt oder geht auch ziem-
lich unmerklieh in jenen über. In den allermeisten Fällen ist die
Röhre im Innern nicht gerade, sondern mehr oder weniger gebogen,
oft fast kreisförmig. Auch sind die Zellen selten einfach, sondern
gewöhnlich sind etwa drei zusammengeschmolzen (hdr“). Die Röhre
endet am einen Ende blind, am andern setzt sie sich als gleich-
weite Chitinröhre zum äussern Integument fort, durchsetzt Matrix
und Chitinhülle und mündet in einer feinen runden Oeffnung
zwischen den Hafthaaren. Der chitinisirte Ausführungskanal ist
von einer sehr dünnen Plasmalage umgeben, welche in der Matrix
einen langen schmalen Kern enthält. Die Drüse ist in ihrer ein-
fachsten Form also nicht einzellig, wie Leydig meint, sondern
zweizellig, vorausgesetzt, dass wir den Ausführungskanal als einen
Theil der Drüse ansehen. Drüsen dieser Art findet man, wie
1) Arch. f. Anat. u. Physiol. Jahrg. 1859.
Die Fussdrüsen der Insekten. 247
schon erwähnt, an allen Körpertheilen. Ueber ihren Ausführungs-
gängen stehen niemals Haare, sondern sie münden immer frei an
der Oberfläche. Sie scheinen wie unsere Talgdrüsen die Haut
einzufetten und man hat sie desshalb mit Recht Hautdrüsen ge-
nannt.
Unter den Bock-, Rüssel- und Blattkäfern ändert der Bau
der Fusssohle nur wenig ab, so dass die gegebene Darstellung von
Saperda annähernd auf alle übertragen werden kann. Merkliche
Abweichungen zeigen dagegen die Telephoriden, zu denen wir
jetzt zunächst übergehen wollen.
Die Drüsen von Telephorus wurden schon sowohl von Dewitz
als von mir beschrieben. Beide Darstellungen sind aber nur theil-
weise richtig. Untersuchen wir einen Längsschnitt durch die
Fussglieder von Rhagonycha melanura L., so sehen wir folgendes:
Die Sohle ist dieht mit gleichlangen Haaren bestellt, welche nament-
lich am vorletzten Gliede am Ende etwas gerundet erweitert sind.
Die Haare (Fig. 9 hh)stehen auf Kanälen, welehe das Chitinintegument
(ch) durchsetzen. Ueber den Kanälen treffen wir auch hier grosse
Zellen (fdr‘), welche wir entschieden als Drüsenzellen zu deuten
haben. Dieselben ragen hier aber weit über die Matrix hinaus,
in das Innere des Fussgliedes hinein. Sie sind theils einfach und
birnförmig (fdr‘) mit einem grossen, runden, stark granulirten Kern
und einem helleren Hof vor der Mündung eines Kanals. Theils
sind sie auch zu zwei und drei zu einer runden Masse ver-
schmolzen (fdr). Die Verschmelzung hat so vollkommen stattge-
funden, dass man gewöhnlich nur noch an der Zahl der Kerne
und der hellen Höfe die Mehrzelligkeit dieser Massen erkennen
kann. Scharf sind dagegen diese Drüsenzellen von der umgeben-
den Matrix (m) abgegrenzt und die theilweise schiefe Lage der
Matrixzellkerne beweist sofort, dass sie von den ersteren gleich-
sam verdrängt sind. Ausser diesen Haftdrüsen ist auch hier eine
zweite Form von Drüsen vorhanden (hdr). Dieselben sind der
Matrix aufgelagert und kommen am zahlreichsten unter der Ober-
seite des Fusses vor. Vereinzelt findet man sie indessen auch
zwischen den Haftdrüsen der Sohle. Es sind gerundete Zellmassen,
welche zwei bis drei grosse, runde Kerne enthalten. Sie sind aber
nicht flaschenförmig und stehen nicht mit den Haarkanälen der
Oberfläche in Verbindung, sondern entsenden feine Ausläufer, welche
z. Th. in die Matrix übertreten. Ihre Struktur ist etwas netzaderig
+
248 Friedr. Dahl:
Ausser den beiden Drüsenarten findet man in der Matrix noch
Ganglienzellen, welche oft auch mehrere Kerne enthalten und dess-
halb leicht mit Drüsenzellen verwechselt werden können. Sie
lassen sich daran unterscheiden, dass einerseits ein Nerv an sie
herantritt und sich über ihnen stets diekere Tasthaare befinden.
Dewitz hat nur die Haftdrüsen gefunden und dargestellt,
während ich in meiner früheren Arbeit die Form der zuletzt genannten
Drüsen auf alle übertrug. Dewitz hat die ersteren ausserdem
insofern nicht ganz richtig gezeichnet, als er alle für einzellig
hält. Auch die Matrix zwischen den Drüsen zeichnet er viel zu
dünn und hat die bei geeigneter Färbung sehr deutlichen
Kerne nicht erkannt. Dieselben erscheinen allerdings in senk-
rechten Schnitten nicht rund, wie ich sie früher zeichnete, son-
dern lang gestreckt.
Es liegt nahe die beiden Formen mit den Haft- und Haut-
drüsen von Saperda zu identifieiren. Die haarförmigen Ausläufer
der runden Zellgruppen sind entschieden als die Anfänge von Aus-
führungskanälen zu betrachten.
An manchen Stellen der Sohle werden die Haftdrüsen spär-
licher, so dass nicht über jedem Haar eine Drüse sich befindet
(Fig. 9); sie können sogar auf weite Strecken vollkommen feblen.
In diesem Falle werden sie offenbar durch die Matrixzeilen vertreten.
Dewitz!) glaubt, dass die Drüsen als Theile der Matrix zu
betrachten seien. Dagegen spricht aber 1) ihre scharfe Begrenzung
gegen die Matrixzellen, welche sie ausserdem meist weit überragen;
2) die verschiedene Struktur des Protoplasmas und verschiedene
Form der Zellkerne und 3) der Umstand, dass sich keine Ueber-
gangsformen zeigen, obgleich die Matrix stellenweise die Funktion
der Drüsen übernommen hat. Von Rhagonycha können wir nun
rückwärts schliessen, dass auch bei Saperda die Drüsenzellen nicht
der Matrix entstammen. Sie sind dort nur zahlreicher und dichter
gedrängt und infolge dessen gegen den Innenraum des Fussgliedes
durch eine ebene Fläche begrenzt.
Schon in meiner früheren Arbeit?) habe ich die Ansicht ge-
äussert, dass wir die Drüsenzellen als Theile des zellig-blasigen
Bindegewebes Leydig’s anzusehen haben. Es wird mir nun von
1) Arch. f. d: ges. Phys. XXXIII p, 457.
2) Man vgl. Zool. Anz. VII, p. 40.
Die Fussdrüsen der Insekten. 949
Dewitz!) vorgeworfen, dass Leydig selbst sie nicht dahin rech-
net. Leydig hat aber bekanntlich erst 1864 den Namen einge-
führt), folglich konnte er 1859, wo er die Drüsen beschrieb), sie
noch nicht so nennen. Da Leydig aber andererseits selbst sagt,
dass das Gewebe theilweise als Drüsen fungirt*), so dürfte wohl
vielnehr meine Ansicht mit derjenigen Leydigs übereinstimmen.
Bei Feronia (Fig. 7) finden wir sogar dreierlei Drüsenzellen.
Die Hautdrüsen (hdr) gleichen denen von Saperda so sehr, dass
man über die Identität nicht zweifelhaft sein kann. Sie unter-
scheiden sich namentlich dadurch, dass sie lang gestreckt sind und
fast wie kleine Würstchen aussehen und dass ausserdem der Kanal
im Innern, ebenso wie die Drüse selbst, gewöhnlich sehr wenig
oder gar nicht gebogen ist. Sind mehrere Zellen verschmolzen, so
sind die Röhren im Innern fast genau parallel. Jeder Röhre ent-
spricht dann ein runder Kern. Das Protoplasma der Ausführungs-
kanäle (k) führt auch hier einen langen schmalen Kern (kk) und
bildet folglich eine zweite Zelle. Die Ausführungskanäle sind
aber, wie die Drüsen selbst, wenig gebogen, und lassen sich dess-
halb leicht bis zu ihrer Mündung zwischen den Kanälen der Haft-
haare (hh) verfolgen.
Ueber den Kanälen der Hafthaare befinden sich grosse, ein-
zellige Drüsen (fdr), welche denen von Rhagonycha nicht unähn-
lich sind. Sie sind deutlich gegeneinander abgegrenzt und ent-
halten einen grossen runden, stark granulirten Kern. Vor dem
Kanal ist ein grosser, lichter Hof (h), den wir wieder als Lumen
auffassen. Im Innern desselben befindet sich eine dunkle, flammen-
förmige Figur, welche in den Haarkanal übertritt. Wir können
dieselbe, da sie in Form und Grösse veränderlich ist, vielleicht
als Theile des Drüsensekretes deuten. — Trotz der Aehnlichkeit
dieser Drüsen mit den Haftdrüsen bei Rhagonycha, die, wie wir
gesehen haben, offenbar der Matrix eingelagert sind, müssen wir
diese dennoch als umgewandelte Theile der Matrix auffassen; denn
man findet zwischen ihnen niemals verdrängte Matrixzellen, wie
dort. Einzelne Kerne, die sich allerdings stets zwischen ihnen
1) Zool. Anz. VII, p. 401.
2) Vom Bau des thier. Körpers, p. 29.
3) Arch. f. An. u. Phys. Jahrg. 1859, p. 38.
4) Vom Bau etc. p. 31.
Archiv f. mikrosk. Anatomie. Bd. 25. 17
2350 Friedr. Dahl:
befinden, und die nicht, wie ich es früher nach einem ungünstigen
(schiefen) Schnitt gezeichnet habe, rund, sondern stets lang ge-
streekt sind, lassen sich immer mit Bestimmtheit als Kerne der
Ausführungsgänge der oben beschriebenen Hautdrüsen nachweisen.
Dass die Matrix hier die Funktion der Absonderung übernimmt,
kann um so weniger befremden, da wir dasselbe auch schon bei
Rhagonycha sahen, und da wir es namentlich bei den andern In-
sektenordnungen als allgemeine Regel kennen lernen werden.
Bei Feronia findet man nun noch eine dritte Form eigenthüm-
lieher Zellen (dr), die sehr wahrscheinlich auch als Drüsenzellen
zu deuten sind. Sie sind der Matrix, namentlich an der Ober-
seite des Fussgliedes, eingelagert. Fast in der Mitte dieser
Zellen befindet sich ein grosser kugelförmiger Raum, der beim
Färben stets bedeutend heller bleibt als alle andern Theile der
Zelle. Im Mittelpunkt dieser Kugel bemerkt man einen dunklen
Fleck, der sich bei genauer Beobachtung als aus einer Anzahl
dunkler Körner zusammengesetzt erweist. Um denselben kann
man etwa drei scharf von einander abgegrenzte, eoncentrische La-
sen unterscheiden, die nach aussen hin immer etwas dunkler wer-
den. Der äussersten Lage liegt der grosse, dunkel gefärbte Zell-
kern an, welcher nebst der hellen Kugel von der schwach netz-
aderig erscheinenden Plasmamasse eingeschlossen wird. Das Proto-
plasma einer solehen Zelle scheint immer durch Ausläufer mit dem-
jenigen anderer in Verbindung zu stehen. Ausführungsgänge sind
dagegen nicht vorhanden. — Da die Zellen der Matrix eingelagert
sind, und da ausser ihnen keine vorhanden sind, welche jenen,
unter den Hafthaaren liegenden, Zellen bei Saperda und Telephorus
entsprechen, so glaube ich, dass wir sie als mit jenen homolog
anzusehen haben. Welches ihre Function hier ist, darüber kann
ich nichts angeben. Ob sie vielleicht die Hautdrüsen an der Ober-
seite des Fusses und überhaupt überall da, wo jene nicht vorkom-
men, ersetzen? —
Hautdrüsen sowohl als Haftdrüsen sind am schönsten ent-
wickelt bei dem männlichen Dytiscus (Fig. 2 und 5). Die Haut-
drüsen (hdr) sind hier ausserordentlich zahlreich. In den er-
weiterten Tarsengliedern der Vorderfüsse kommen sie in solchen
Mengen vor, und zwar an der Oberseite sowohl als an der Unter-
seite, dass sie stellenweis die Matrix fast verdrängen. Infolge
dessen fliessen sie mit ihrem Plasma gewöhnlich zu grössen Com-
Die Fussdrüsen der Insekten. 251
plexen zusammen, in denen man zerstreut die lichten Drüsenlumina
mit den zugehörigen grossen, runden Kernen liegen sieht. Das
Lumen einer einzelnen Drüse hat eine langeiförmige Gestalt.
Man unterscheidet daran einen mittleren, weiten Hauptkanal und
zahlreiche enge, als feine Strichelehen erscheinende Nebenröhrchen,
welche in den Hauptkanal strahlenförmig einmünden. Die Aus-
führungskanäle vereinigen sich zu Bündeln, in denen sie bis zu
ihrer Mündung nebeneinander herlaufen. Die Mündungen trifft
man selten in der freien Chitinhülle, vielmehr gewöhnlich in der
Nähe von Haaren, namentlich von Hafthaaren (Fig. 2 und 5k und kn).
Am zahlreichsten sind sie in einem 'ringförmigen Felde, welches
die grossen Saugnäpfe umgiebt (k). Es ist das die Stelle, an
welcher die Chitinhülle sich, wie oben beschrieben, in eine innere
und eine äussere Lamelle theilt. Die Kanäle setzen durch beide
Lamellen hindurch und sind an der Oberfläche von einem kleinen
Sehüppehen überragt. Die Zahl der Kanäle ist hier so gross,
dass man in einem optischen Querschnitt des Ringes etwa 40
zählt. Die hier mündenden Hautdrüsen haben offenbar die
Funetion, den Saugnapf äusserlich einzufetten, was im Innern und
am äussern Rande die eigentlichen Haftdrüsen vollziehen müssen.
Vielleicht macht der Aufenthalt im Wasser die starke Ent-
wieklung der Drüsen nöthig; denn es sind nicht nur die Haut-
drüsen, welche bei Dytiscus in einem solehen Maasse ausgebildet
sind, sondern auch die Haftdrüsen, namentlich unter den grossen
Saugnäpfen, zeichnen sich durch ihre bedeutende Grösse aus. Eine
einzige zusammenhängende mehrzellige Drüse umgiebt hier die
ganze becherförmige Einsenkung, in welcher der Stiel des Saug-
napfes steht (Fig. 2 und 5 fdr). Es ist hier ganz zweifellos
die Matrix, welche sich nach Absonderung des Saugnapfes und
Bechers abgehoben hat, um nun das Sekret zu liefern. Ihre ein-
zelnen Zellen sind deutlich begrenzt, lang gestreckt und führen
grosse, lange, grob granulirte Kerne. Der Raum zwischen Matrix
und Becher ist mit einer Masse ausgefüllt, welehe aus grösseren
und kleineren Kügelchen besteht, die auf eine fettartige Be-
schaffenheit schliessen lassen (drm). Bei den kleinen Saugnäpfen
findet man sie seltener und weniger charakteristisch ausgebildet.
Da von den Hautdrüsen keine ihr Sekret in diesen Raum entleert,
‚so muss die Masse allein von der abgehobenen Matrix geliefert sein.
Fassen wir jetzt das über die Käfer Gesagte kurz zusammen.
952 Friedr. Dahl:
Im Fusse der Käfer findet man Haut- und Haftdrüsen.
Die Hautdrüsen münden frei an der Oberfläche, die
Haftdrüsen dagegen in den Kanal der Hafthaare. Die-
selben sind aus Bindegewebezellen entstanden und der
Matrix eingelagert. Nur die sexuellen Haftdrüsen ge-
wisser Käfergruppen sind aus der Matrix selbst ent-
standen.
Wir wenden uns jetzt den Orthopteren zu, und zwar zunächst
der Gattung Forficula, da sie ein geeignetes Bindeglied zwischen
beiden Ordnungen bildet. Die Hafthaare stehen hier (Fig. 13),
wie auch noch bei der Neuropterengattung Sialis an der Sohle
des Fusses, wo wir sie bei den Käfern ausnahmslos gefunden
haben. Allerdings stimmen die als Drüsen fungirenden Zellen in
ihrem ganzen Habitus schon vollkommen mit denen mancher
anderer Orthopteren wie z. B. Periplaneta übereiu. Während bei
den Käfern gewöhnlich Bindegewebezellen in Drüsen umgewandelt
sind, ist es hier, wie bei allen übrigen Orthopteren, die Matrix
(Fig. 13 fdr). Allerdings sahen wir auch schon bei Dytiscus und
Feronia die Matrixzellen als Drüsen fungiren und ebenso an ein-
zelnen Stellen bei Zelephorus. Letztere Familie nähert sich um
so mehr dem Genus Forficula, da auch die Hautdrüsen in der
sonst bei Käfern charakteristischen Form fehlen. Meings&nsicht,
dass Forficula sich den Coleopteren nähere!), wird also durch
die Form der Drüsen nur bestätigt. Ebenso wird uns zwischen
Hymenopteren und Lepidopteren die Form der Haftdrüsen ein
neues Band liefern. Doch dürfen wir diesen Thatsachen keinen
allzugrossen Werth beilegen. Gerade der Umstand, dass bei den
Käfern zwei verschiedene Arten von Geweben zu Drüsen ge-
worden sind, warnt vor übereilten Schlüssen und beweist, dass
sich die Haftorgane, wenigstens die sexuellen, erst spät entwickelt
haben, nachdem sich schon die Insektenordnungen und z. Th.
auch die Familien von einander getrennt hatten. — Da die Matrix-
zellen bei Forficula dem Chitinintegumente anliegen und auch
keine Spur eines Ausführungskanals vor den einzelnen Haar-
kanälen zeigen, so glaubte ich früher, dass ihre weit bedeutendere
Stärke nöthig gewesen sei, um das hier ebenfalls stark verdiekte
Integument mit den Haaren abzusondern. Wir werden uns aber
1) Arch. f. Naturg. 50 p. 178. Diss. pag. 33.
Die Fussdrüsen der Insekten. 253
bei den Hymenopteren überzeugen, dass zur Abscheidung einer
starken Chitinhülle keineswegs eine dieke Matrix nöthig ist. Da
nun ausserdem diese Zellen denen anderer Orthopteren, bei denen
an der Drüsennatur nicht gezweifelt werden kann, in allen übrigen
Punkten gleichen, so dürfte auch hier die Deutung als erwiesen
gelten.
Von Fortieula gelangen wir über Periplaneta ete. zu Locusta,
wo Drüsen sowohl als Haftapparat unter unsern Orthopteren am
schönsten ausgebildet sind (Fig. 14 und 15). Was zunächst die
gefaltete Matrix anbetrifft (Fig. 15 fdr), so habe ich aus den
schon genannten Gründen meine Ansicht über ihre Funktion ge-
ändert. Dass es Drüsen sind, wird auch dadurch bestätigt, dass
sich oft Theile des Sekretes in den Falten finden (drm). Sie
stellen eine faserig geronnene Masse dar, welche zuerst Dewitz
beschrieb und abbildete!). Ueber diesen ersten Punkt sind wir
also jetzt alle der gleichen Ansicht; dagegen weichen unsere An-
siehten hinsichtlich des Baues der Chitinsohle noch sehr von ein-
ander ab. Graber?), der eigene Untersuchungen über diesen
Gegenstand gemacht hat, stellt sich auf die Seite von Dewitz
und behauptet, dass das Integument von zahlreichen Röhrchen
(ehst) durchsetzt sei. Zunächst möchte ich hier auf einen kleinen
Irrthum Graber’s in Betreff meiner Arbeit aufmerksam machen:
Wenn ich auch die Stäbchen für vollkommen solide halte, so
habe ich niemals behauptet, dass sie (wie beispielsweise die
Nebenläppehen am Schmetterlingsfuss) als eine Bürste wirken. Es
ist dies schon desshalb nicht möglich, weil die Stäbchen an der
Sohle durch eine dünne Haut (a. s.) verbunden sind. Dass es aber
solide, biegsame Stäbchen sind, behaupte ich auch jetzt noch
trotz Graber und Dewitz. Es ist allerdings leicht ein Irrthum
möglich; denn wenn man ein Stäbehen im Querschnitt bei starker
Vergrösserung beobachtet, so erscheint es in der That in der
Mitte etwas vollkommener durchscheinend als an den Rändern, und
scheint desshalb thatsächlich eine Röhre zu sein. Die Täuschung
wird dadurch erzeugt, dass die Oberfläche der Stäbchen fein
granulirt erscheint, indem sie die Ansatzpunkte eines lockeren
Gewebes zeigen, das auch von Dewitz, allerdings nicht ganz
1) Pflüger’s Arch. f. d. ges. Phys. 83, Taf. VIII, Fig. 4 u, 5.
2) Biol. Centralblatt Bd. IV, p. 570.
254 Friedr. Dahl:
richtig, gezeichnet ist. Wegen der wiederholten Licht-
brechung wird also die Oberfläche weniger durchsichtig als der
feste, innere Theil. Noch eharakteristischer tritt die Röhrenform
auf, wenn man einen dünnen Längsschnitt eintrocknen lässt. Beim
Eintroeknen legen sich die lockeren Theilchen an die Stäbchen
an, und die letzteren scheinen nun vollkommen frei und getrennt
nebeneinander herzulaufen. Ich behandelte die Stäbchen sowohl
mit Aether als mit kochender Kalilauge und liess sie wieder voll-
kommen austroeknen. Es entstand aber niemals ein wirklicher
Hohlraum im Innern, der sich, mit Luft gefüllt, leicht hätte wahr-
nehmen lassen. Die vollkommene Austrocknung erfolgt immer
augenblieklich, während sie bei geschlossenen Röhren stets eine
längere Zeit erfordert, indem sie dann vom Ende aus vorschreitet.
Schliesslich bemerke ich noch, dass sich an dünnen Chitinröhren
bei der genannten Färbungsmethode immer der mittlere Theil,
d. i. das Lumen, gerade am stärksten färbte, weil sich noch
Drüsensekret darin befand. Als Beispiel nenne ich nur die Aus-
führungskanäle der Hautdrüsen bei Käfern.
Da nicht jeder Leser selbst Untersuchungen über diesen
Gegenstand machen kann und sich doch ein eigenes Urtheil wird
bilden wollen, so füge ich noch einen logischen Grund hinzu, der
durchaus für meine Ansicht spricht: die Stäbchen liegen in einem
äusserst lockeren Gewebe, welches von einer Flüssigkeit durch-
tränkt ist, also gleichsam in der Flüssigkeit selbst. Die Flüssig-
keit kann wohl nur Drüsensekret sein, wenn man nicht besonders
complieirte Annahmen machen will; denn die faltigen Drüsen be-
decken die ganze Sohle und würden keine andere Flüssigkeit in
den Raum hineinlassen. Da wäre es doch sonderbar, wenn die
Flüssigkeit, welche an die Oberfläche befördert werden soll, in
äusserst engen Röhren durelı einen freien Raum, der mit der-
selben Flüssigkeit gefüllt ist, fortgeleitet werden müsste.
Ausserdem sieht man in einem Horizontalschnitt der inneren
Schicht (Fig. 14 i. s.), in welcher sich die Stäbchen vereinigen,
keine Spur von Poren. Die Stäbchen theilen sich auch an diesem
Ende in einige sehr kurze Verzweigungnn, welche sich in der
gleichmässig weicheren Schicht verlieren. Am unteren Ende theilen
sie sich in etwa sieben lange Fasern (Fig. 14 und 15f), welche
je eins .der sechseckigen Felder der Unterfläche zur Hälfte um-
schliessen. Die Fasern sind im Querschnitt vollkommen gleich-
Die Fussdrüsen der Insekten. 2355
mässig gefärbt. Sie durchsetzen eine lockere, etwas körnig er-
scheinende, leicht durchtränkbare Masse (a, s), welche an der
Unterseite in den erwälnten sechsseitigen Feldern noch um ein
Stück vortritt und dann durch eine sehr feine Membran abge-
schlossen wird. Zwischen den Feldern sind an der Unterseite
schmale Rinnen, welche jene rings umgeben. In diesen endigen
die feinen Fasern. — Die Stäbchen sind übrigens nicht nur bei
Decticus verzweigt, wie es Dewitz in seiner neueren Arbeit an-
giebt!), sondern bei allen mir bekannten in- und ausländischen
Orthopteren mit Ausnahme natürlich von Forfieula.
Bei den Fliegen ist der Bau der Haftorgane im Prinzip
demjenigen von Forficula ähnlich. Die Fliegen sind aber nicht
Sohlen-, sondern Zehengänger, und desshalb sind für die Hafthaare
bei ihnen zwei oder drei besondere Läppchen vorhanden (Fig. 12),
während wir sie bei jener Gattung an der Fusssohle fanden. Ein
Hauptunterschied zeigt sich auch darin, lass die Matrix nicht wie
dort der Chitinhülle überall fest aufliegt, sondern dass sie vom
letzten Fussgliede aus nur in den verdiekten Grundtheil der Hatft-
läppchen eintritt und dann umbiest (Fig. 12 fdr), so dass sich
unter den einzelnen Haaren keineswegs Drüsenzellen befinden.
Die Matrix wirkt vielmehr in ihrer Gesammtheit als Drüse. Es
waren jedenfalls die Fortsetzungen des Protoplasmas dieser Zellen,
welche die Chitinhülle mit den darauf stehenden Haaren ab-
sonderten. Die Fortsätze gingen alsdann zu Grunde und die
Zellen nahmen das charakteristische Drüsenaussehen an, durch
das sie sich sofort von dem übrigen Theil der Matrix unter-
scheiden lassen. Das Protoplasma ist viel dichter und gleich-
mässiger feinkörnig und die Kerne sind nicht nur weit grösser,
sondern auch gegen die umgebende Masse weit schärfer ab-
gegrenzt und stark granulirt. In dem dünneren Theil der Haft-
läppchen und von dort in die Kanäle der einzelnen Haare hinein
findet man eine geronnene Drüsenmasse, die sich besonders leicht
färbt. Die Haare sind auch hier leicht durchtränkbar, aber ohne
Ausführungskanal.
Eine vollkommen abweichende Ausbildung der Drüsen findet
man bei Hymenopteren und Lepidopteren (Fig. 19). Ein einzelnes Haft-
läppchen zwischen den Zellen ist auch hier vollkommen frei von
1) Arch. f. d. ges. Phys. 33, p. 459.
256 Friedr. Dahl:
Zellen, ja es fehlen sogar die grossen Matrixzellen im Grundtheil des
Läppehens. Die Drüse liegt weit zurück im Endgliede des Fusses
selbst (fdr) und scheint merkwürdiger Weise aus der Matrix der Chitin-
sehne des Krallen- und Fussbeugers (s) hervorgegangen zu sein. Die-
selbe nimmt nämlich im Endgliede eine ganz immense Ausdehnung
an und zeigt nach oben eine tiefe Aussackung, aus welcher die Sehne
schon in der Mitte des Gliedes hervortritt, begleitet von einer dün-
nen Zellschieht. Die Zellen oder vielmehr die Zellkerne, denn nur
diese lassen die Anzahl der Zellen in der zusammenhängenden
Masse unterscheiden, sind etwas gestreckt. Im Innern ist der ganze
Drüsensack von einer zusammenhängenden, dicken, aber structur-
losen Intima ausgekleidet. Das Lumen ist meist mit Secret ge-
füllt, welches sich, zu Längssträngen geronnen, zwischen Streck-
platte und Druckplatte!) hindurch bis in das Haftläppchen hinein
verfolgen lässt. Vergleicht man die dicke Matrix der Sehne (Fig.
20 fdr) mit der Matrix der Fusswandung (m), welche fast ver-
schwindend dünn ist und doch eine so gewaltige Chitinmasse ab-
geschieden hat, wie es das dicke Integument mit den zahlreichen
Stacheln ist, so sieht man sofort, dass mein früherer Erklärungs-
versuch der starken Matrix an der Sohle der Orthopteren hinfällig
wird. Es bleibt also, wie schon erwähnt, auch dort nur die ein-
zige Möglichkeit, sie als Drüse zu deuten.
Im Haftläppchen gelangt das Drüsensekret zunächst in einen
oberen Raum, der von spärlichen senkrechten, biegsamen Stäb-
chen durchsetzt wird (Fig. 18). Der Raum setzt sich bis fast zur
Spitze des Läppchens fort. Von da gelangt die Flüssigkeit, indem
sie eine dünne aber zusammenhängende Membran durchdringt, in
einen untern Raum, der mit weit dichter stehenden Strängen ge-
füllt ist. Die Stränge theilen sich nach unten in mehrere dünne
Fasern, ähnlich wie in der Sohle der Orthopteren und alle hängen
schliesslich unten in einer zarten Membran zusammen. Die Mem-
bran zeigt im Horizontalschnitt keine Spur von Poren, und es muss
demnach auch hier eine Durchtränkung stattfinden. — In Be-
treff des Baues eines solchen Haftläppchens muss ich auf meine
frühere Arbeit verweisen?). Zum leichteren Verständniss der immer-
hin etwas complieirten inneren Verhältnisse wird auch die Zeich- _
nung eines Querschnittes beitragen (Fig. 18).
1) Arch. f. Naturg. 50, p. 170; Diss. p. 25.
2) 1. c. p. 169 resp. 24.
Die Fussdrüsen der Insekten. 257
Die Drüse des Schmetterlings ist genau so gebaut wie die
der Hautflügler. Sie unterscheidet sich nur dadurch, dass die
Sehne erst sehr nahe vor dem Ende des Fussgliedes in das Drüsen-
lumen eintritt.
Fassen wir die Resultate der letzten Seiten zusammen: In
den verschiedenen Insektenordnungen mit Ausschluss
der Käfer fungirt die umgewandelte Matrix als Haft-
drüse und zwar ist nicht jede Zelle eine selbständige
Drüse,sondern der ganze, umgewandelte Theil bildet ge-
wissermassen eine einzige Drüse. Sie liegt entweder
über der Fusssohle, die in diesem Falle als Haftorgan
fungirt (Orthopteren), oder sie tritt inzwei Haftläppcehen
hinein (Dipteren), oder endlich sie gehört der Sehne des
Krallenbeugers an und liegt desshalb im letzten Fuss-
gliede, während als Haftorgan ein Läppehen zwischen
den Krallen vorhanden ist (Hymenopteren und Lepi-.
dopteren).
Soweit meine Resultate über den histologischen Bau der Haft-
apparate. Wir müssen, wie es schon wiederholt angedeutet wurde,
daraus schliessen, dass meine frühere Annahme einer
DurehsehwitzungderFlüssigkeit riehtig ist. Im Grunde
genommen sind allerdings Poren vorhanden, dieselben sind aber
so fein und so wenig von der Umgebung abgegrenzt, dass man
das ganze Gewebe eben als ein lockeres bezeichnen muss, welches
beim Eintrocknen sich wohl zusammenzieht, aber keinen Luftraum
entstehen lässt. Ein solehes Gewebe hat vor einem harten, mit Poren
versehenen den bedeutenden Vortheil, dass es sehr geschmeidig ist
und sich der Unterlage anschmiegen kann. Die Flüssigkeit, welche
das Gewebe durchdringt, ist allerdings nicht die unveränderte
Blutflüssigkeit, obgleich man a priori gegen eine solche Annahme,
die schon von Leydig einmal angedeutet wurde !), nichts ein-
wenden kann. Die Drüsen beweisen, dass es auch hier ein um-
sewandeltes Blut ist, oder, können wir sagen, dass es nur
gewisse Bestandtheile des Blutes sind, wenn wir nämlich mit Ley-
dig die Drüsen als ein Gewebe auffassen, welche nur bestimmte
Bestandtheile des Blutes durchlassen. Welches diese Bestandtheile
sind, darüber habe ich noch keine erneuten Untersuchungen an-
1) Arch. f. An. u. Phys. Jahrg. 1859. p. 164.
258 Friedr. Dahl:
stellen können. Nur einige allgemeine Bemerkungen, welche die
Aufgabe in ein klareres Licht stellen dürften, möchte ich hier
noch folgen lassen. Zuvor muss ich noch einem Einwande Emery’s
gegen meine „Durchschwitzungstheorie“ begegnen. Emery sagt
in seinem Referate der einschlägigen Arbeiten !), dass ich einen
Beweis gegen meine eigene Ansicht gebe, indem ich die Sohle
des Heuschreekenfusses als für färbende alkoholische Lösungen
sehr sehwer durehdringlich bezeichne. Es beruht dies natürlich
auf einem Missverständniss von Seiten Emery’s. Ich sage viel-
mehr wörtlich Folgendes ?2): „Die Durchtränkbarkeit der Sohle ist
in der That recht bedeutend. Es genügt schon ein Eintauchen eines
Schnittes in Hämatoxylinlösung, um alle Schichten der Sohle voll-
kommen zu färben. Sind diese aber so leicht für die doch nicht sehr
dünnflüssige Farbe durchlässig, wesshalb sollten sie nicht die geringe
Menge Flüssigkeit nach aussen durchlassen können ?* Nachher
aber, wo ich über das Chitinintegument im Allgemeinen spreche,
sage ich allerdings und zwar ganz richtig ®): „Wären es wirkliche
Poren (von den Porenkanälen Leydig’s ist hier die Rede), so
könnte man nicht begreifen, wie eine so leichtflüssige Masse, wie
es alkoholische Fuchsinlösung ist, mehrere Wochen gebrauchen
könnte, um in die diehteren Schichten einzudringen.“
Was nun die physikalische Seite des Vorganges anbetrifit,
so scheinen mir darüber noch manche Unklarheiten zu herrschen.
Ich habe mir die Sache einmal gründlich klar zu machen gesucht
und bin zu dem Schlusse gekommen, dass wir im Grunde genom-
men alle dieselbe Ansicht haben, und dass sich der Streit nur
darum dreht, das Ding beim rechten Namen zu nennen.
Kleben im Allgemeinen beruht bekanntlich auf Ad- und
Cohäsion. Allerdings denkt man bei diesem Worte gewöhnlich an
eine bedeutende Cohäsion der Flüssigkeit. An ein Eintrocknen da-
gegen, wie Simmermacher meint), braucht man nicht noth-
wendig zu denken. Dies gilt schon weit mehr für die Worte „lei-
men“ und „kleistern“. — Da nun Rombouts nachgewiesen hat?),
dass die Cohäsion hier eine noch geringere ist, als die des Was-
1) Biolog. Centralbl. IV, p. 440.
2) 1. c. p. 167 resp. 22.
3) l. c. p. 168 resp. 23.
4) Zool. Anzeiger VII, p. 516.
5) Ebenda p. 622.
Die Fussdrüsen der Insekten. 359
sers, so wäre damit die Dewitz’sche Ansicht schon vollkommen
auf die meinige zurückgeführt.
Es kann allerdings überraschen, dass die Cohäsion eine so
geringe ist und Zweifel an der Richtigkeit der Rombout’schen
Versuche erwecken: Man fragt sich, warum denn nicht in der
That die Blutflüssigkeit, die doch immerhin klebriger sein wird,
einfach als solche zur Verwendung komme. Bei gehöriger Ueber-
legung aber sieht man ein, dass dies von vorne herein unzulässig
war. Die Insekten bedürfen derartiger Haftorgane doch nament-
lich auf glatten Blattflächen (abgesehen von glatten Steinen ete.).
Man kann sich aber leicht überzeugen, dass glatte Blätter durch
Wasser nicht befeuchtet werden. Wer sich nicht erst die Mühe
eines Versuches machen will, kann es auch schon a priori schlies-
sen: Wenn die Blätter durch Wasser benetzt würden, so müssten
sich die Regentropfen über ihre Fläche ausbreiten, und während
eines länger anhaltenden Regens wäre durch Verschliessung der
Spaltöffnungen und überkaupt durch Unterbrechung der Communi-
cation mit der Atmosphäre Athmung und Assimilation unterbrochen.
Während man aber mit Wasser die Blattfläche nicht oder doch
nur schwer befeuchten kann, bleiben Oel und Fett sofort haften.
Die Insekten müssen nun einen Stoff besitzen, der haftet, selbst
wenn er eine etwas geringere Cohäsion besitzten sollte als Was-
ser. Es kam desshalb zunächst das Fett in Betracht, da es im
Blute reichlich vorhanden ist, während die Bereitung von Harz,
Wachs ete. schon schwieriger sein dürfte. Es war übrigens auch
gar kein klebrigerer Körper nöthig als Fett, wie es die von Rom-
bouts!) angestellten Versuche zur Genüge beweisen. Die De-
witz’schen Einwendungen können es allenfalls zweifelhaft machen,
ob wir überhaupt im Stande sind, den Vorgang genau nachzu-
machen, und zwar aus gleich anzuführenden Gründen.
Die Capillarattraction einer Flüssigkeit besteht bekanntlich
darin, dass sie vermöge einer durch die Cohäsion bewirkten Span-
nung die Bildung von Ecken und stark gekrümmten Kurven zu
vermeiden sucht. Auf Capillarattraction beruht auch die Bildung
des sogenannten Meniscus. In diesem Falle ist die benetzbare
1) De la Faculte qu’ont les mouches de se mouvoir sur le vere. Haar-
lem, 1883.
2) Zool. Anzeiger VII, p. 402 u. VIII, 157.
260 Friedr. Dahl:
Wand des Gefässes als zur Flüssigkeit gehörig zu betrachten. Alle
Erscheinungen der Capillarattraction beruhen also ausschliesslich
auf Ad- und Cohäsion. — Tritt zwischen einem befeuchteten Gegen-
stand und einer benetzbaren Fläche eine Berührung ein, so ent-
steht zunächst ein spitzer Winkel. Die Flüssigkeit sucht vermöge
ihrer Spannung diesen Winkel auszufüllen und es wird hier ebenso
wie im Capillarrohr die Schwerkraft in einem bestimmten Grade
überwunden, indem der Körper fest an die Fläche herangezo-
gen wird.
Es ist leicht einzusehen, dass die Capillarattraction nur dann
recht zur Wirkung kommen kann, wenn der Körper, der die
Fläche berührt, nicht absolut spitz, sondern gerundet ist und dess-
halb finden wir die fraglichen Härchen immer mehr oder weniger
stumpf. — Aber auch ein am Ende gerundetes Haar kann genau
genommen nur in einem Punkte mit einer Fläche in Berührung
kommen. Soll also eine grössere Berührungsfläche erreicht wer-
den, so können wir uns dies nur in zweierlei Weise denken: Es
ist entweder eine grössere Flüssigkeitsmenge vorhanden, welche
den Winkel ausfüllen kann oder der. Endtheil ist von einer nach-
giebigen, weichhäutigen Beschaffenheit und wird vermittelst der
Capillarattraetion in weiterer Ausdehnung an die Fläche angelegt.
Im letzteren Falle ist nur eine äusserst geringe Flüssigkeitsmenge
nöthig. Prüfen wir nun die beiden Möglichkeiten auf ihre Brauch-
barkeit, so finden wir, dass die letztere bedeutend -zweckmässiger
ist als die erstere. Setzen wir nämlich die in Berührung kommen-
den Flächentheile als gleich voraus, so ist im ersten Falle eine
grössere Menge der leicht verschiebbaren Flüssigkeitstheilchen nö-
thig als im andern, wo die festen Theile fast unmittelbar zusam-
menstossen und eine Verschiebung sehr erschweren.
Eine zarte nachgiebige Haut findet bei den Orthopteren, Hy-
menopteren, Lepidnpteren, Neuropteren, Rhynchoten und Tipuliden
mit vollkommener Gewissheit Anwendung. Bei den Coleopteren,
den meisten Dipteren, Forficula und Sialis dagegen kann man
zweifelhaft sein. Von Rombouts!) wird es hier in Abrede ge-
stellt. Für die direkte Beobachtung sind die Hafthaare aller-
dings, in der Regel sehr wenig geeignet. Man würde eine geringe
Formveränderung der kleinen Härchen selbst bei starker Vergrös-
1) Zool. Anzeiger VII, p. 622.
Die Fussdrüsen der Insekten. 261
serung niemals sehen können, weil man sie dabei nieht im Profil
beobachten kann. Breit scheibenförmig, wie Rombouts will,
brauchen sie natürlich keineswegs zu werden. Es genügt vielmehr,
dass sich jedes Härchen am stumpfen Ende etwas abplatte. Aus
folgenden Gründen glaube ich an meiner Ansicht festhalten zu
müssen: 1) Die Haare sind am Ende sämmtlich viel zarter und
erscheinen uns durchaus als weichhäutig. 2) Bei den sexuellen
Haftorganen der Carabiden kann man sich direkt überzeugen, dass
sie am Ende weichhäutig sind. 3) Das genannte Prineip des An-
legens einer zarten Haut mit geringer Befeuchtung kommt bei den
meisten Insekten sicher in Anwendung. 4) Dieses Prineip ist
weit geeigneter als das andere. Und 5) da nur eine geringe Feuch-
tigkeitsmenge nöthig ist, so ist es auch für das Thier ökonomisch
vortheilhafter.
Die Versuche nun, die Rombouts angestellt hat, gehen von
der Richtigkeit des ersten Prineips aus. Wir haben aber gesehen,
dass das zur Anwendung kommende Prineip noch bedeutend vor-
theilhafter ist wie jenes. Wenn also Rombouts nachgewiesen
hat, dass schon jenes fast oder vollkommen genügt, so hat er da-
mit zugleich festgestellt, dass das wirkliche sicher genügen muss.
Am meisten scheint die Ansicht Simmermacher’s von den
andern abzuweichen, doch hält auch er die Bildung eines luft-
leeren Raumes nicht für nöthig, ist also auch kein Anhänger der
eigentlichen Saugnapftheorie mehr. Dass aber andererseits der
Luftdruck die Cohäsion der Flüssigkeitstheilchen und mithin auch
die Capillarität bewirkt, können wir ebenfalls nicht in Abrede
stellen: Wird durch Temperaturerhöhung der Luftdruck über-
wunden, so hört sowohl die Cohäsion als die Capillarität auf (die
letztere nimmt bekanntlich mit Annäherung an den Siedepunkt ab
bis sie schliesslich = 0 ist).
Es fragt sich aber nun, mit welchem Worte wir den Vorgang
am besten bezeichnen, und da möchte ich meinem eigenen Aus-
druck das Wort Capillarattraction vorziehen, weil es die Er-
scheinung am bestimmtesten angiebt. Dass daneben Ad- und
Cohäsion auch selbstständig, d. h. nicht in der Form von Capillar-
attraction zur Wirkung kommen, würde sich ganz von selbst ver-
stehen.
Es dürfte hier der geeignetste Ort sein, einem Einwande
Graber’s gegen den Namen „Streckplatte“ (vgl. meine Arbeit
262 Friedr. Dahl:
und Graber’s Referat) zu begegnen. Graber glaubt nach-
gewiesen zu haben, dass das Gebilde den Namen nicht verdient,
weil die Krallen, nachdem die Platte abgeschnitten war, sich
auch vermittelst der Elastieität der hinteren Gelenkhaut allein
wieder streekten. Dieser Versuch beweist meiner Ansicht nach
gar nichts; denn beim Strecken sollen doch nieht nur die Krallen
zurückgelegt werden, sondern auch die Sehne um das gegebene
Stick durch alle Beinglieder hindurch gezogen werden, eine Arbeit,
die jedenfalls weit mehr Kraft erfordert, als das Zurückbewegen
der Krallen. Da nun Graber auch gar keine andere Deutung
giebt, so halte ich sowohl an meiner Deutung als an meiner Be-
nennung der Platte fest.
Erklärung der Figuren auf Tafel XII und XIII.
Fig. 1. Querschnitt durch den Stiel eines grossen Saugnapfes am Vorder-
fuss des männlichen Dytiscus marginalis L. st; feste Chitinstäbe im
Innern (90:1).
Fig. 2. Längsschnitt durch einen Theil des erweiterten Fussgliedes mit dem
grossen Saugnapf von derselben Art. ch Chitinintegument; m Matrix
desselben; hdr Hautdrüsen, bl Blutkörperchen; bst Haarborste; kn
und k Ausführungskanäle von Hautdrüsen; fdr Haftdrüse,; drm Theile
des Drüsensecrets; bw becherförmige Einsenkung einer Schicht des
Chitinintegumentes; hh Saugnapfstiel; st feste Stäbe im Innern des-
selben; gr. st. ihre strahlenförmige Verlängerung; kl. st. feinere
Strahlen; fs feine, feste Fasern; hl weiche Franzen am Rande (90: 1).
Fig. 3. Saugscheibe von unten gesehen, von demselben Käfer (35 : 1).
Fig. 4. Querschnitt durch die Saugscheibenwandung; gr. st. die grossen
Strahlen; kl. st die kleinen Strahlen (250 : 1).
Fig. 5. Kleiner Saugnapf von demselben Thier; b becherförmige Einsen-
kung (= bw); sn Saugscheibe. Die übrigen Buchstaben wie bei
Fig. 2 (150:1).
Fig. 6. Hafthaar vom Vorderfuss einer männlichen Feronia vulgaris L.(400 : 1).
Fig. 7. Längsschnitt durch das erweiterte Fussglied desselben Käfers; dr
drüsenartige Zellen: h Lumen der Haftdrüsen; hfl Haftfläche; fl feste
Querfalten. Alles übrige wie bei Fig. 2 (400: 1).
Fig. 8. Hafthaar von Ocipus cupreus Rossi; a Seitenansicht; b Flächen-
ansicht von oben.
Die Fussdrüsen der Insekten. 263
Längsschnitt durch die Fusssohle von Rhagonycha melanura L. fdr
zweizellige Haftdrüse; fdr’ einzellige Haftdrüse; hdr drüsenartige
Zelleruppe (600: 1).
Hafthaar von Chrysomela goettingensis L. a Seitenansicht; b An-
sicht von oben.
. Hafthaar vom männlichen Carabus hortensis L. a u. b ebenso.
Schnitt durch das Haftläppchen von Sarcophaga carnaria L. hh Haft-
haare; fdr Haftdrüse (600 : 1).
. Längsschnitt durch das vorletzte Fussglied von Forficula. Bezeich-
nungen wie bei Fig. 2; hh Hafthaar (300: 1).
. Längsschnitt durch die Fusssohle von Locusta cantans Charp. chst
feste Chitinstäbe, die sich bei f in Fasern auflösen und bei i. s. und
a. s. in einer dünen Lamelle zusammenhängen. fdr Haftdrüse; drm
Theile des Drüsensekretes (700: 1).
. Horizontalschnitt durch den untern Theil der Sohle. (Schiefer
Schnitt, etwas verkürzt.) Buchstaben wie in Fig. 14 (700: 1).
Hafthaar von Saperda carcharias L. (120: 1).
. Längsschnitt durch die Fusssohle von demselben Thier. & Ausfüh-
rungskanäle der Haftdrüsen; e Erweiterung derselben. Alle übrigen
Bezeichnungen wie in Fig. 7 u. 2 (120: ]).
. Querschnitt durch das Haftläppchen von Vespa crabro L.
Längsschnitt durch das letzte Fussglied von Vespa erabro L. stpl
Streckplatte; s Sehne des Krallenbeugers; dr Druckplatte; hl Haft-
läppchen; fdr Haftdrüse (50:1).
. Querschnitt durch das letzte Glied des Vorderfusses von Vespa
crabro L. s Sehne des Krallenbeugers; tr Tracheen; n Nerven-
strang; m Matrix des Integumentes; fdr Haftdrüse (70:1).
264 Joseph Heinrich List:
(Aus dem Institute für Histologie und Embryologie der Universität Graz.)
Studien an Epithelien.
Von
Dr. Joseph Heinrich List in Graz.
Hierzu Tafel XIV.
1. Ueber Wanderzellen im Epithel.
Seit Ph. Stöhr!) gezeigt hatte, dass das Wandern der
Leucocyten durch das geschichtete Pflasterepithel der Balgdrüsen
und Tonsillen als eine normale Erscheinung zu betrachten sei,
wurde auch an anderen Epithelien ein ähnliches Verhalten nach-
gewiesen.
So fand Bockendahl?) wandernde Leucoeyten im geschich-
teten Cylinderepithel der Trachea und zwar in allen Schichten
des Epithels in wechselnder Zahl.
Seit längerer Zeit mit umfassenden Epithelstudien beschäftigt,
theile ich im Folgenden Beobachtungen mit, die einiges Interesse
in Anspruch nehmen dürften.
1. Wandernde Leucocyten im Epithel der Barteln und
der Oberlippe von Cobitis fossilis.
Bei Untersuchung der Becherzellen in den Bartein und der
Öberlippe von Cobitis fossilis fiel mir an Schnitten®), die mit
salpetersaurem Rosanilin gefärbt wurden, das massenhafte Vor-
kommen von Leucoeyten in der Schleimhaut sowohl als im
1) Ph. Stöhr, Ueber Mandeln und Balgdrüsen. Virchow’s Archiv.
Bd. XCVII. 1884.
2) A. Bockendahl, Ueber die Regeneration des Trachealepithels.
Archiv f. mikr. Anatomie. Bd. 24. 1884.
3) Die Objecte waren in 1/,%/y-iger Chromsäure gehärtet worden.
Studien an Epithelien. 265
Epithel auf. Das ganze Corium der Oberlippe und der Barteln
war stellenweise ganz infiltrirt von Leucocyten, deren Kerne nach
Tinetion mit obigem Farbstoff scharf von den Nuclei der Epithel-
zellen sich unterschieden. Das Epithel, welches sowohl die Barteln
als die Oberlippe bedeckt, ist ein geschichtetes Pflasterepithel, in
welchem massenhaft Becherzellen der mannigfachsten Form vor-
kommen. Wenn man nun sehr feine Schnitte (Längs- und Quer-
schnitte,durch die Barteln und Querschnitte durch die Oberlippe)
nach Tinetion mit salpetersaurem Rosanilin oder Bismarckbraun
durchmustert, so bemerkt man, dass in allen Lagen des Epithels,
von dem Corium angefangen, wo die Leucocyten stellenweise
haufenartig beisammen liegen, Wanderzellen vorkommen. Sie
liegen zwischen den Epithelzellen und drängen sich wohl durch
active Wanderung durch die Spalten des Epithels durch bis zur Ober-
fläche. Auch an dieser fand ich hier und dort Leucocyten ent-
weder einzeln oder zu mehreren beisammen.
Während der Nucleus der Leucocyten nach der Tinetion an
Chromsäurepräparaten sich stark färbt, erscheint das Protoplasma
zu aufgehellt, um bemerkt werden zu können!). Der Kern selbst
zeigt mannigfache Formen (Fig. 2, a—z). Meistens erscheint er
wohl rundlich oder oval; in sehr vielen Fällen ist derselbe länglich
ausgezogen, spindelförmig, an beiden Enden spitz zulaufend, oder
am oberen Ende spitz, am unteren stumpf. Man bekommt so
ähnliche Bilder, wie sie Stöhr von den Tonsillen einer jungen
Katze beschrieben hat. Es sind dies Formen, die wohl beim
Durchzwängen der Leucocyten durch die Spalten zwischen den
Epithelzellen entstehen. Manchmal bemerkt man neben den läng-
lichen oder gewundenen Formen auch hantelförmig gestaltete
Leucocytenkerne (Fig. w, z). Es sind dies vielleicht Theilungs -
stadien.
Ich bemerke hier, dass solehe Formen nicht allein in allen
Schichten des Epithels zu finden sind, sondern auch im Binde-
gewebe des Corium. Ferner bemerkte ich sowohl in der untersten
als auch mittleren Epithellage (Fig. k) solche Ausbuchtungen, wie
sie Stöhr aus dem Tonsillenepithel beschrieben hat, und in
welchen Leucocyten lagen2). Ueber das Epithel der Oberlippe
1) Meine Präparate waren sämmtlich in Canadabalsam.
2) Diese Ausbuchtungen sind nur an sehr dünnen Schnitten wahrzu-
nehmen.
Archiv f. mikrosk. Anatomie, Bd. 25. 18
266 Joseph Heinrich List:
und der Barteln von Cobitis fossilis bemerke ich noch, dass ich
an Chromsäurepräparaten in allen Schichten des Epithels, nicht
aber in den Leucoeyten, zahlreiche karyokinetische Figuren fand.
2. Wandernde Leucocyten in der Oberhaut von Cobitis
fossilis.
Auch im geschichteten Pflasterepithel der Oberhaut von
Cobitis fossilis kann man an Querschnitten, die mit salpetersaurem
Rosanilin oder Weigert’schem Bismarckbraun tingirt wurden,
zahlreiche wandernde Leueoeyten in allen Schichten des Epithels
nachweisen. Meistens haben die Kerne der Leucocyten rundliche
Form, und man kann sie zwischen Epithelzellen, oder zwischen
Epithel- und den massenhaft vorkommenden Kolbenzellen liegen
sehen, um sich einen Weg zur Oberfläche zu bahnen. In allen
Schichten des Corium finde ich Infiltrationen von Leucocyten.
3. Wandernde Leucocyten im Cloakenepithel der
Rochen und Haie.
Bei Untersuchung des Cloakenepitheles der Rochen (Torpedo
marmorata, Raja miraletus, R. Schultzei, R. marginata) und der
Haie (Squatina vulgaris), fielen mir die 'Leucocyten im Epithel
besonders an Querschnitten auf, die mit obigen Farbstoffen tingirt
worden waren. In allen von mir untersuchten Cloaken kommen
-im Epithel derselben wandernde Leueocyten vor. Die Cloake
sämmtlicher Rochen ist von einem typischen geschichteten Pflaster-
epithel, in welchem sich zahlreiche Becherzellen vorfinden, aus-
gekleidet. Dasselbe sitzt einer bindegewebigen Mucosa auf. Die
meisten wandernden Leucocyten fand ich im Cloakenepithel von
Raja miraletus. Dieses Epithel ist von dem aller übrigen Rochen
auffallend verschieden. Es ist ausgezeichnet durch seine Dicke,
welche die bei anderen Rochen vorkommende um mehr als das
Doppelte übertrifft und setzt sich aus zwei Lagen zusammen, die
sich an Querschnitten auch sehr leicht trennen, nämlich einer obe-
ren Lage aus geschichtetem Plattenepithel und einer unteren aus
mehr ceylindrischen oder eubischen Zellen bestehend.
Die Leucocyten waren nun an manchen Stellen der Mucosa
massenhaft, und ausserdem in allen Schichten des Epithels bis zur
Oberfläche nachweisbar. Besonders aber war die untere Epithel-
Studien an Epithelien. 267
lage durch das Vorkommen wandernder Leucoeyten ausgezeichnet.
Alle jene Formen, die ich oben beschrieben habe, liessen sich auch
hier auffinden. Ebenso fanden sich solche Ausbuchtungen zwischen
den Epithelzellen vor, wie ich sie schon oben bei Cobitis erwähnt
habe. Die zu beohachtenden Bilder sprechen dafür, dass die Leu-
cocyten von der Mucosa aus, wo sie aufgestapelt werden, durch
die Intercellularlüicken des Epithels an die Oberfläche wandern.
- Niemals konnte ich bemerken, dass etwa Leucoeyten in Epithel-
zellen selbst eingedrungen wären. Die mannigfachen Formen, die
man im Epithel selbst beobachten kann, dürften wohl dadurch ver-
anlasst sein, dass die Wanderzellen sehr häufig auf bedeutenden
Widerstand der Epithelzellen selbst stossen; denn so kann man
sich ungezwungen die dünnen und spitzen Formen erklären, die
zwischen Epithelzellen zu sehen man häufig Gelegenheit findet }).
Wie weit etwa solche bizarre Kernformen auf direete Kernthei-
lungen bezogen werden dürfen, wage ich nicht zu entscheiden.
Diese wandernden Leucoeyten, die an die Oberfläche gelangen,
stellen dann wohl die Schleimkörperchen vor, die man in wech-
selnder Menge im Schleime, der die Oberfläche der betreffenden
Organe überzieht, findet.
Da ich die wandernden Leucocyten in den beschriebenen Ob-
jekten regelmässig im Epithel fand, so zweifle ich nicht, dass es
sich hier ebenso um einen normalen Vorgang handle, wie ihn
Stöhr an den Balgdrüsen und den Tonsillen beschrieben hat.
Erklärung der Tafel XIV.
Fig. l. Aus einem Längsschnitte durch die Bartel von Cobitis fossilis. Ge-
härtet in 1/,0/,-iger Chromsäure, tingirt mit salpetersaurem Ros-
anilin. (400: 1).
1) Stöhr erwähnt 1. c. solche stäbchenförmige Formen und bildet auf
Taf. IX Fig.7 ähnliche Formen ab, enthält sich aber jeder Deutung. Ich fand
solche dünne langgestreckte, oft gewundene Formen häufig, namentlich im Epi-
thel der Barteln und der Oberlippe von Cobitis fossilis. Es sind entschieden Leu-
cocyten, deren Kerne eine solche Veränderung erleiden, denn an Schnitten,
welche tingirt und sodann in verdünntem Glycerin aufgehellt worden waren,
konnte man deutlich die Protoplasmalage um den Kern bemerken.
268
Fig. 2.
Joseph Heinrich List: Studien an Epithelien.
a,b,o,d,es,6,g,h,i, ,m,n, 0,p, r, u, v,w, z. Leucocytenkerne
aus dem Epithel der Oberlippe von Cobitis fossilis, k Epithelzellen
der mittleren Lage mit Ausbuchtungen, in welehen Leucocytenkerne
liegen, ebendaher, s, t Leucocytenkerne aus dem Epithel einer
Bartel von Cobitis foss.
Gezeichnet bei Obj. VI, Ocul. I von Seibert (460:1). Nach
Präparaten aus 1/,0/,-iger Chromsäure, nachfolgender Tinction mit
salpetersaurem Rosanilin, Aufhellung in Bergamottöl und Einschluss
in Canadabalsam.
(Aus dem anatomischen Laboratorium in Bonn,)
Vergleichend-histochemische Untersuchungen über
das Glycogen.
Von
Dr. phil. et med. Dietrich Barfurth,
Privatdocent und Assistent am anatomischen Institut in Bonn.
Der chemische Theil der Untersuchungen, deren Ergebnisse
ich hier. mittheile, wurde im kleinen chemischen Laboratorium
unseres Instituts, dessen Ausrüstung und Benutzung mir Herr
Geheimrath Professor Dr. von Leydig in freundlichster Weise
gestattete, ausgeführt. Für das Entgegenkommen, welches mir
Herr Geheimrath Leydig in diesem Fälle wieder wie immer be-
wiesen hat, sage ich ihm an dieser Stelle zunächst meinen herz-
lichsten Dank.
Alle histologischen und mikroskopischen Untersuchungen, die
mit den quantitativen Glycogenbestimmungen stets Hand in Hand
gingen, wurden im anatomischen Laboratorium des Instituts an-
gestellt. Die Ausführung der Versuche, die natürlich die Grund-
lage der ganzen Untersuchung bilden, wurde mir durch die
Liberalität des Herrn Professor Dr. Freiherrn von la Valette
St. George, dem ich für stete Förderung meiner Arbeiten den
herzlichsten Dank schulde, ermöglicht.
Eintheilung.
I. Das Verhalten der Gewebe zum Glycogen.
II. Ueber den Bau und die Thätigkeit der Gastro-
podenleber. 2. Mitth. Die Glyeogenfunction der
Gastropodenleber.
Il. Ueber den gleichzeitigen Glyceogengehalt ver-
schiedener Gewebe des Kaninchens.
IV. Die Beziehung des Glyeogengehalts einer Leber
zu Grösse und Gewicht derselben.
V. In welchem Gewebe der Gastropoden tritt das Gly-
cogen nach einer Fütterung zuerst auf?
Archiv f. mikrosk. Anatomie. Bd. 25. 19
2360 Dietrich Barfurth:
VI. Die Beziehung des Glycogens zur Secretion der
Drüsen.
VI Die Aufspeicherung des Glycogens in den Ge-
weben des Frosches nach dem Winterschlaf.
VII. Zusammenstellung und Besprechung der Ergebnisse.
I. Das Verhalten der &ewebe zum Glycogen.
Ueber die Methoden der Untersuchung bemerke ich Folgen-
des: Ich bin stets von der mikrochemischen Untersuchung
der Gewebe auf Glycogen ausgegangen und habe mich nachher
in fast allen Fällen, wo es möglich war, bemüht, das durch die
mikrochemische Reaction angezeigte Glycogen aus den Geweben
nach der Brücke’schen Methode qualitativ oder quantitativ dar-
zustellen.
Der mikrochemische Nachweis des Glycogens wurde in fol-
sender Weise geführt. Kleine Stücke der zu untersuchenden
Gewebe wurden in einer bestimmten Zeit nach der Fütterung des
Versuchsthieres möglichst schnell in absoluten Alkohol gebracht ;
nach Härtung derselben wurden Schnitte in einer geeigneten jod-
haltigen Flüssigkeit auf dem Objeetträger zunächst ohne Deekglas
bei schwacher Vergrösserung, später nach Auflegen eines Deck-
glases auch bei stärkeren Vergrösserungen in kürzeren und längeren
Zwischenräumen untersucht. Von solchen jodhaltigen Flüssigkeiten
wandte ich drei an: 1) Jodjodkaliumlösung: JK 3,0, J 1,0,
H,O 500,0; 2) Jodglycerin: Die vorige oder eine etwas stärkere
Lösung zur Hälfte mit Glycerin versetzt; 3) Jodgummi nach
Ehrlich!): „Eine dünne Jodjodkaliumlösung wird mit soviel
Gummi arabicum versetzt, dass eine zäh syrupöse Flüssigkeit ent-
steht“. Die Schnitte kommen aus Alkohol direet in alle diese
Lösungen. Am schnellsten wirkt die erste — Lugol’sche —
Lösung auf glyeogenhaltige Gewebe; ich habe aber fast immer
dem Jodglycerin den Vorzug gegeben, da es die Gewebe für
eine Untersuchung mit stärkeren Vergrösserungen klarer und
durchsichtiger erbält. Die Ehrlich’sche Lösung, Jodgummi, habe
1) Ehrlich (m Fr. Th. Frerichs, Ueber den plötzlichen Tod u. s. w.),
Zeitschrift für klinische Mediein. 6. Bd. 1883. p. 33 ff. (p. 46.)
Vergleichend-histochemische Untersuchungen über das Glycogen. 261
ich häufig zur Controle angewandt und in allen Fällen, wenn ich
Präparate conserviren wollte.
Was nun die Reaction eimer Jodlösung auf Glycogen an-
betrifft, so besteht sie bekanntlich in einer braunen oder roth-
braunen, rostfarbenen, mahagonibraunen, maronenbraunen, zuweilen
auch purpurrothen, violetten oder auch bläulichen Färbung. Die
Färbung schwindet beim Erwärmen und kehrt nach dem Erkalten
wieder, wenn nicht alles Jod ausgetrieben wart). Aus Jodlösungen
oder Jodglycogenlösungen, die frei an der Luft stehen, verflüchtigt
sich nach einiger Zeit das Jod und die Flüssigkeit wird farblos.
Sowohl neutrale, wie schwach saure Lösungen des Glycogens geben
die Jodreaction; in zweifelhaften Fällen säuert man etwas an.
Es mag noch bemerkt werden, dass Neumann?) die Jod-
glycogenfärbung „jodroth“, Boek und Hofmann?) dunkelbraun®)
benennen.
Die grössten Farbendifferenzen habe ich zwischen Muskel-
und Leberglycogen gefunden, indem ich bei ersterem zuweilen
eine schön violette?), bei letzterem oft eine ganz maronenbraune
Farbe gefunden habe. Die Concentration der Lösung trägt übrigens
ebenfalls sehr viel zur Erzeugung der Farbenunterschiede bei.
Auf einen Punkt möchte ich nun hierbei noch besonders
aufmerksam machen. Die Jodlösungen färben bekanntlich das
Protoplasma, wie alle Eiweissstoffe, tief gelb. Ist nun der zu
untersuchende Schnitt nicht fein genug, so erhält man oft eine
1) Vgl. Krukenberg, Grundriss der medieinisch-chemischen Analyse
1884. p. 21.
2) Neumann, Ueber die Jodreaction der Knorpel- und Chordazellen,
Archiv f. mikr. Anat. 14 Bd. p. 55.
3) Bock und Hofmann, Ueber das mikrochemische Verhalten der
Leberzellen. Virchow’s Archiv. 56. Bd.
4) Schiff giebt an, dass das Glycogen in den Leberzellen in Form
von kleinen blassrandigen Körnchen enthalten sei, die sich durch Jod gelb
bis dunkel-gelb-braun färben. (Citirt nach: Külz, Kommt Glycogen in der
ersten Anlage des Hühnchens vor? Pflüger’s Archiv, 24. Bd. p. 62.) Ich habe
mich so wenig wie Külz von der, Richtigkeit dieser Angaben überzeugen
können.
5) Naunyn (Archiv f. experim. Path. u. Pharmak. 3, 97) hat zuerst
auf den Farbenunterschied zwischen den Jodverbindungen des Leber- und
Muskelglycogens aufmerksam gemacht. Vgl. darüber Külz, Pflüger’s Archiv
24. Bd., p. 64—65 Anmerkung.
262 Dietrich Barfurth:
bräunlich-gelbe Färbung, die einem das Vorhandensein von Gly-
cogen vortäuschen könnte, wenn man nicht ein einfaches und zu-
verlässiges Mittel besässe, sich Gewissheit zu verschaffen. Man
braucht nämlich das Präparat in der Jodlösung!) nur einige Zeit
liegen zu lassen und von Zeit zu Zeit wieder zu beobachten, um
sich zu überzeugen, ob die zweifelhafte Färbung verschwindet
oder nieht. Verschwindet sie nach einer gewissen Zeit
gänzlich, so hat man’s mit Glyeogen zu thun, da die
Jodverbindung des Glycogens, wie das Glycogen
selbst, in Wasser, inallen wässerigen Flüssigkeiten
und in Glycerin ziemlich leicht löslich ist. Hat man
kein Deekglas aufgelegt, so erfolgt diese Lösung — wie auch
vorher die Färbung — schneller als unter dem aufgelegten
Deekglas, da letzteres die Einwirkung des Reagenzes immer be-
einträchtigt. Die Diagnose auf Glycogen in einem Gewebe kann
aber mit fast genügender Sicherheit gestellt werden, wenn man
eine zweifellos braune oder braunrothe Färbung durch
die Jodlösung erhält, vorausgesetzt freilich, dass man
aus diesem Gewebe überhauptGlycogen darzustellen
in der Lage ist, und Amyloid, welches unlöslich in Wasser und
verdünnten Säuren ist und durch Jodlösung zwar ebenfalls braun,
nach Schwefelsäurezusatz aber violett oder blau wird,
ausgeschlossen werden kann. Wenn es aus irgend welchen Grün-
den unmöglich ist, das Glycogen?) aus den Geweben selber dar-
zustellen, so darf man sich nicht allein auf die mikrochemische
Jodreaction stützen, um die Gegenwart von Glycogen zu behaupten.
In solchen Fällen habe ich die Unlöslichkeit der verdächtigen
Substanz in Alkohol, die Löslichkeit in Wasser und Glycerin, das
1) Hierzu ist natürlich Jodelycerin oder Lugol’sche Lösung zu ver-
wenden.
2) Krukenberg („Ueber Reserwestoffe“ in „Vergleichend-physiol.
Studien an den Küsten der Adria“ p. 58 Anmerkung 1) hat ohne Zweifel
Recht, wenn er „von dem für Glyeogen ausgegebenen Körper“ den Nachweis
verlangt, „dass er sich nicht nur durch Jod bräunt, durch Alkohol aus wässe-
riger Lösung gefällt wird, sondern sich auch durch Diastase in Zucker
umwandeln lässt.“ Ich habe mich sehr oft überzeugen können, wie be-
rechtigt die letztere Forderung ist. Da diese Reaction aber leider mikro-
chemisch zur Zeit unausführbar ist, habe ich zur sicheren Diagnose des Gly-
cogens in den Elementen die oben beschriebenen Eigenthümlichkeiten dieser
Substanz verwerthet.
Vergleichend-histochemische Untersuchungen über das Glycogen. 263
Freibleiben des Zellkerns von Glycogen, und namentlich das
Verschwinden desselben aus den Geweben nach län-
serem Fasten des Thieres als weitere Kriterien benutzt, um
die Diagnose auf Glycogen mit hinreichender Sicherheit zu stellen.
Im übrigen ist die mikrochemische Reaction sehr zuverlässig und
vor allen Dingen ausserordentlich empfindlich, so dass, wenn man
in den Gewebselementen auf Jodzusatz keine braunrothe Färbung
bekommt, man mit absoluter Sicherheit die Abwesenheit
des Glyeogens feststellen kann. Näheres darüber soll bei
der Besprechung der einzelnen Gewebe angegeben werden.
In Bezug auf die Farbe der Jodglycogenverbindung will ich
noch bemerken, dass das eigenthümlich Leuchtende derselben durch
künstliche Farben sehr schwer oder gar nicht wiederzugeben ist.
In den beigegebenen Zeichnungen habe ich das Jodglycogen in
den Gewebselementen stets durch künstliche Farben darzustellen
versucht, bin mir aber wohl bewusst, dass diese Färbung weit
hinter der natürlichen zurückbleibt — vom rein ästhetischen Werth
dieser Darstellungsweise, über den ich mit Niemandem streiten
will, ganz abgesehen. Massgebend war für mich ausschliesslich
die Absicht, den Leser schnell über den Ort, wo das Glycogen
zu suchen ist, und wo möglich über die physikalische Beschaffen-
heit und Verbreitung desselben in den Gewebselementen zu orien-
tiren. Die Farbe, die die braunrothe Glycogenfärbung durch Jod
am besten und einfachsten wiedergiebt, ist gebrannte Terra siena,
der man, wenn nöthig, etwas van Dyck-braun zusetzen kann; sehr
brauchbar sind die sog. Gouache-Farben (Deckfarben).
Fast immer habe ich ausser Alkoholpräparaten auch frische
Zerzupfungspräparate nach Zusatz der Jodlösung untersucht: wenn
ich im frischen Gewebe kein Glycogen fand, war es auch in dem
Alkoholpräparat nicht zu finden und umgekehrt.
| Ueber die Form und physicalische Beschaffenheit. in der man
das Glycogen in den Gewebselementen findet, bemerke ich im All-
gemeinen Folgendes. Es findet sich sehr häufig in zähflüssigen
Tröpfehen oder unregelmässigen, tropfenähnlichen Massen, die bei
reichem Gehalt der Zellen an Glycogen den ganzen Zellleib diffus
durchdringen können. Sehr häufig findet man aber auch nur einen
Theil der Zelle gewissermassen von Glycogen durchtränkt, einen
andern ganz frei davon. Alles Nähere muss bei den einzelnen
Gewebsarten besprochen werden.
264 Dietrich Barfurth:
Wo es möglieb war, sind die Zeichnungen nach Präparaten
von solehen Geweben angefertigt worden, deren Glycogengehalt
zugleich quantitativ bestimmt worden war. Ich habe dabei gefun-
den, dass selbst grosse Unterschiede im Glycogengehalt der Ge-
webe durch die Jodreaction, also auch die Zeichnung, kaum in
die Erscheinung treten, weil eben die Reaction so empfindlich ist.
Ob also z. B. eine Kaninchenleber 0,5 oder 2,0 Glycogen enthält,
ist für die mikrochemische Methode ziemlich gleichgültig: man
sieht die Zellreihen der Acini fast alle ganz oder theilweise mit
Glycogen gefüllt und es erscheinen bei grösserem wie geringerem
Glycogengehalt der Leber einzelne Acini, Zellreihen oder Zellen
glycogenreicher als andere. Man wird desshalb nur nach Unter-
suchung vieler Schnitte von verschiedenen Leberlappen ganz
allgemein angeben können, ob eine Leber glycogenreicher ist
als eine andere. Eine zuverlässige Entscheidung kann nur die
quantitative Bestimmung des Glycogens liefern.
Eintheilung.
A. Glycogen im animalen Zellennetz (Pflüger).
I. Drüsen.
II. Muskeln.
Ill. Nervensystem.
B. Glycogen in den Bindesubstanzen.
I. Bindesubstanzen der Wirbelthiere.
Il. Bindesubstanz der Gastropoden.
C. Glycogen in den Epithelien.
I. Epithelien von Wirbelthieren und ihren Embryonen.
Il. Epithelien von Wirbellosen.
A. Glycogen im animalen Zellennetz.
In der nachfolgenden Darstellung folge ich der Pflüger ’schen !)
Eintheilung der thierischen Gewebe in das „animale Zellen-
1) Pflüger, Ueber die Beziehungen des Nervensystems zu der Leber
und Gallensecretion. Pflüger’s Archiv, 2. Bd. 1869. p. 190 ff. (p. 191). —
Pflüger, Theorie des Schlafes. Archiv für die gesammte Physiologie,
X. Bd., p. 470. Ich bemerke ausserdem, dass Herr Geheimrath Prof. Dr.
Pflüger, den ich als meinen Lehrer verehre, obige Eintheilung seit vielen
Jahren in seinem Colleg über Physiologie vorträgt.
Vergleichend-histochemische Untersuchungen über das Glycogen. 265
netz“, die Bindesubstanzen“ und die „Epithelien“, weil
diese Eintheilung sowohl den anatomischen wie physiologischen
Thatsachen Rechnung trägt, und bei dieser Art von Untersuchungen
die strenge Theilung der Arbeit bald ihre Grenze finden muss,
wenn ein wirkliches Verständniss erzielt werden soll. Während
die hier einschlagenden histochemischen Arbeiten sich bisher fast
ausschliesslich mit den Säugethieren beschäftigten, werde ich
aus guten Gründen auch die Gewebe niederer Thiere, nament-
lich von Mollusken, in den Bereich meiner Untersuchung ziehen.
Da die überaus wichtige vergleichende Arbeit nach dieser
Richtung hin bis jetzt fast gar nicht zur Geltung gekommen ist,
so hat die Vorführung gewisser hierher gehörenden Thatsachen
bei Wirbellosen an und für sich schon ein allgemein wissenschaft-
liches Interesse; ich glaube aber zeigen zu können, dass die histo-
chemische Untersuchung der Gewebe von Wirbellosen unbedingt
erforderlich ist, wenn die physiologische Bedeutung des Glycogens
in jeder Beziehung klar werden soll.
I. Drüsen.
1. Leber der Wirbelthiere.
Das histochemische Verhalten der Leber in Bezug auf Gly-
cogen wurde hauptsächlich von Schiff!), Bock und Hofmann’),
Heidenhain und Kayser?) und neuerdings von Ehrlich) und
Afanassiew°) geprüft. Die Angaben der ersteren Autoren sind
von Külz®) übersichtlich zusammengestellt, und ich würde das von
1) Schiff, Untersuchungen über die Zuckerbildung in der Leber.
Würzburg 1856.
2) Bock und Hofmann, Ueber das mikrochemische Verhalten der
Leberzellen. Virchow’s Archiv. 56. Bd.
3) Hermann, Handbuch der Physiologie V. 1. p.221 ff. und Kayser,
Ueber mikroskopische Veränderungen der Leberzellen während der Verdauung.
Breslauer ärztliche Zeitschrift. 1879. Nr. 19. Letztere Schrift war mir nicht
zugänglich; ich eitire nach Heidenhain.
4) Ehrlich a. a. O. p. 33 ff.
5) Ueber anatomische Veränderungen der Leber während verschiedener
Thätigkeitszustände. Pflüger’s Archiv, 30. Bd. 1883. p. 385 ff.
6) Külz, Kommt Glycogen in der ersten Anlage des Hühnchens vor?
Pflüger’s Archiv. 1881. 24. Bd. p. 61 ft.
266 Dietrich Barfurth:
ihm Gesagte lediglich wiederholen müssen, wenn ich näher darauf
eingehen wolite.
Ich begnüge mich deshalb damit, meine eigenen Änaschuungen
über die wesentlichen zum Theil noch strittigen Punkte hervorzu-
heben. Wie Külz stimme ich Bock und Hofmann!) darin bei,
dass das Glycogen in den Leberzellen „als eine amorphe, zwischen
die hellen Körnchen des Zellinhalts eingelagerte Masse“ auftritt,
möchte aber mit Ehrlich?) diese Angabe noch dahin präeisiren,
dass das Glycogen „diffus dem mehr passiven Theil des Zellin-
haltes, dem Paraplasma (Kupffer) in gleichmässiger Verthei-
lung einverleibt ist, während das eigentliche functionirende Proto-
plasma dasselbe nicht enthält. Das „dichte Netzwerk dunkel-
brauner Fädehen* aber, welches Boek und Hofmann beschreiben,
habe ich so wenig wie Heidenhain?) gesehen; auch Ehrlich
erwähnt nichts davon. Die oben erwähnte Angabe Ehrlich’s
aber, dass das Glycogen „in gleichmässiger Vertheilung“
dem Paraplasma einverleibt sei, erleidet für viele Fälle (an Ka-
ninchenlebern beobachtet!) eine Ausnahme, die sehr in die Augen
fällt und, wie ich später zeigen werde, ein hohes pbysiologisches
Interesse hat. Es ist das die von Bock und Hofmann) ganz
richtig beobachtete und mitgetheilte Thatsache, dass die Präpa-
rate vieler glycogenreicher Lebern eine „fleckige Zeichnung“ auf-
weisen, dass „die dunkeln Stellen mehr der Gegend der Leber-
venen, die hellen der Gegend der Pfortader entsprechen“ und
dass das Glycogen „bei allen Gliedern derselben Zellkette auf der
gleichen Seite neben dem Kern“ liegt.
Man findet also in solchen Präparaten, wie ich es früher)
schon ausgedrückt habe, „das Glycogen immer an der nach der
Lebervene zu liegenden Zellenseite, während der übrige Theil der
Zelle mit dem Kern frei bleibt. Nach der Lebervene zu häuft
sich dann das Glycogen, so dass in der Mitte des Acinus fast alle
Zellen ganz mit Glycogen erfüllt sind und nur der Kern frei bleibt.‘
1) Bock und Hofmann a. a. O. p. 205.
2) Ehrlich 3.8.09. 44
3) Heidenhain a. a. O. p. 225.
4) Bock und Hofmann, a. a. O. p. 204 u. 210. Vel. auch Heiden-
hain a..2.70.:p.23.
5) Sitzungsberichte der Niederrhein. Gesellschaft für Natur- und Heil-
kunde. Sitzung vom 19. Januar 1885. p. 4.
Vergleichend-histochemische Untersuchungen über das Glycogen. 267
So wie die peripheren Zellen des Acinus wenig oder gar kein
Glycogen enthalten, so nimmt auch die diffuse Glycogenmasse an
der nach der Peripherie des Acinus zu liegenden Seite ab, so dass
nach Jodbehandlung die tiefbraune Glycogeninfiltration von oben
nach unten zu allmählich heller wird. Ein Blick auf Tafel XVI
Fig. 3 erläutert diese Verhältnisse am schnellsten.
Diese Eigenthümlichkeit der Glycogenvertheilung in den Leber-
zellen findet man nieht in allen Kaninchenlebern und, wie es scheint,
beim Hunde gar nicht.
Afanassiew!) bemerkte bei einem geringen Gehalt an Gly-
eogen (z. B. am zweiten Hungertage) „um den Kern herum oder
auf einer Seite desselben eine dunkelrothe Färbung“ (p. 399).
Leberzellen mit reichem Glycogengehalt von Hunden sind viel
srösser als die Zellen einer Hungerleber, werden durch Kali-
lauge ganz zerstört (viel schneller als Hungerzellen), haben scharfe
Ränder, einen grossen runden Kern und färben sich in Jodjod-
kalium rothbraun. An Schnitten von Alkoholpräparaten, die zu-
erst in mit absolutem Alkohol stark verdünnte Jodtinetur und dann
in eine Lugol’sche Lösung gebracht wurden, sind „alle Zellen
von der Peripherie des Läppehens bis zum Öentrum braun-
roth gefärbt“ (p. 400). „Die Bildung des Glycogens geschieht
in allen Zellen des Läppchens mehr minder gleiehmässig“ (p. 400).
Die Bluteapillaren einer Leber wit nur mässigem Glycogengehalt
sind breiter, als in der glycogenreichen Leber (p. 401). Dureh
Behandlung mit Alkohol wird das Glycogen im Innern der Zelle
in Form charakteristischer Flocken niedergeschlagen (p. 406).
Langley°) berichtet, dass das zwischen dem Protoplasma-
netz der Leberzellen liegende Paraplasma aus Eiweisskörn-
chen, Fetttröpfchen und hyaliner Substanz besteht, die
die freien Räume zwischen den Körnehen und Tröpfehen ausfüllt.
Letztere besteht theils aus Glycogen, theils wahrscheinlich eben-
falls aus Protein. Von den Körnern glaubt er, dass sie „are de-
stined to give rise to some constituent or constituents of the bile“
(p. 24).
1) Afanassiew a. a. O. Pflüger’s Archiv. 30. Bd. 1883.
2) Langley, Preliminary account of the structure of the cells of the
liver and the changes wich take place in them under various conditions.
Proceed. of the r. soc, 1882. Nr. 220. p. 20-26.
“
268 Dietrich Barfurth:
Wie verhält es sich nun aber mit den „Körnern und Schollen“
von Glycogen, die Heidenhain!) und Kayser beschreiben ?
Külz?) meint, es wäre wünschenswerth festzustellen, in wie weit
der Alkohol an der Erzeugung jener Bilder mitbetheiligt ist.“ Dass
man diese Körner und Schollen in der That an Alkoholpräparaten
sieht, kann gar keinem Zweifel unterliegen; der eigenthümliche
Glanz dieser Glycogenmassen aber, sowie das feste und starre an
ihnen wird ganz sicher durch die Einwirkung des Alkohols er-
zeugt. Die Erwägung der hier vorliegenden physikalischen Ver-
hältnisse giebt darüber volle Klarheit. Man kann sich leicht durch
Versuche überzeugen, dass das Glycogen in Wasser und wasser-
haltigen Flüssigkeiten (Protoplasma) in jedem Verhältniss löslich ®)
ist und dass es in sehr geringen Wassermengen zu einer Kleister-
artigen Masse aufquillt. In letzterem Zustande, also als fest-
flüssige, dem Protoplasma selber ähnliche Masse muss
es in der Zelle eingelagert sein, manchmal in einem bestimmten
Theil der Zelle, manchmal in kleineren Massen zerstreut, manch-
mal die ganze Zelle diffus durchdringend. Der Alkohol wirkt nun
auf diese Glyeogenmassen fällend d. h. in diesem Falle lediglich
Wasser entziehend; aus den zähen Tröpfchen, kugelähnlichen
Massen, unregelmässigen Infiltrationen des Glycogens entstehen
dadurch eigenthümlich glänzende Körner, Schollen, unregelmässig
gestaltete Einlagerungen. Wem an der Richtigkeit dieser Dar-
stellung Zweifel bleiben, der mag sich an den Geweben Wirbel-
loser die Ueberzeugung verschaffen, dass es in der That kaum
eine Form gibt, in der man das Glycogen gelegentlich nicht
anträfe.
Wie Külz*) hervorhebt, war Claude Bernard der Ansicht,
dass sich das Glycogen in den Geweben stets in Form von Kör-
nern, granulations, fände. Wie in der Leber und der Placenta der
Säuger, soll sich nach Claude Bernard’) das Glycogen auch
im Blastoderm der Vögel „sous forme de granulations arrondies
1) Heidenhain a. a. O. p. 221 u. 225.
3) Külz, Beiträge zur Glycogenbildung in der Leber. Pflüger’s Archiv
1881. Bd. 24. p. 11. Anmerkung.
3) Nach Brücke (Sitzungsber. d. Wiener Akad. 63. Bd. 2. Abth.)
findet keine eigentliche Lösung, sondern nur ein Aufquellen statt (p. 218.)
4) Külz in Pflüger’s Archiv Bd. 21. 1881. p. 62.
5) Claude Bernard, Comptes rend. T. 75, p. 58.
Vergleichend-histochemische Untersuchungen über das Glycogen. 269
renfermees dans les cellules glycogeniques“ darstellen. Ebenso
findet er in der Cicatricula des Hühnereies „des granulations de
glycogene, soit libres, soit incluses A l’interieur de cellules“ 1); auch
in der embryonalen Muskelfaser des Säugethier-Embryo sieht er
„la substance glycogenique en granulations“?), bei weiterer Ent-
wieklung der Muskelfaser soll es freilich nur noch „a l’ötat d’imbi-
bition“?) vorkommen; bei Mollusken (Limax flavus) fand er das Gly-
cogen in Form von „granulations volumineuses renfermdes dans
des celluies ou parfois depostes dans les espaces interstitiels des
elements anatomiques“*). In Bezug auf die Crustaceen gibt er an,
dass sich in der Wachsthumsperiode der Krebse vor der Häutung
eine Glycogenschicht unter dem Panzer rings um den Körper findet,
„renferme dans des cellules volumineuses.“ Sonst aber sind die
andern Gewebe, besonders die Muskeln mit Glycogen „egalement
impregnes“5). Auf die Angaben Claude Bernard’s werde ich
an andern Stellen im einzelnen noch zurückkommen; fasst man
aber alles, was er über die Art der Einlagerung des Glycogens in
den Geweben sagt, zusammen, so wird man nicht gerade behaupten
können, dass seine Ansichten falsch seien. Er eilt zwar etwas
leichtfüssig über die vorliegenden Schwierigkeiten hinweg, aber
man kann ihm das nicht sehr verargen, da er die ganze Frage
vorzugsweise vom physiologischen Standpunkte aus betrachtete
und ihm alles histologische erst in zweiter Linie Interesse ein-
flösste. Der Ausdruck „granulations“ darf nicht gepresst werden,
das Adjeectiv „arrondies“ gebraucht Claude Bernard nur einmal
und eine Imbibition und Imprägnation gibt er zu.
Sehr beachtenswerth sind nun aber noch die Angaben Ehr-
lich’s über den vorliegenden Punkt. Er sagt an einer Stelle®):
„bemerkenswerth ist fernerhin, dass die in diesen Zellen (der
Harnkanälchen Diabetiker) nachweisbare Einlagerung in ihrem Ver-
halten gegen Jod nicht immer vollständig übereinstimmt; in der-
selben Zelle kann man neben Kugeln, die intensive Glycogenfär-
1) Claude Bernard, Lecons sur les phenomenes de la vie etc. Paris
1879; II. Bd. p. 92%
2) Ibidem p. 78.
3) Ibidem p. 79.
4) Ibidem p. 110.
5) Claude Bernard, Lecons etc. p. 111 und 112.
6) Ehrlich a. a. O. p: 34.
370 Dietrich Barfurth:
bung zeigen, andere gleich grosse finden, die nur hellgelb gefärbt
sind und daneben noch Zwischenstufen in allen Abtönungen von
braun bis zu gelb. Gerade diese Uebergänge weisen darauf hin,
dass zwischen braunen und gelben Kugeln ein innerlicher Zusam-
menhang bestehe, wofür auch alles andere, das gleiche Aussehen,
ddas gleiche Lichtbrechungsvermögen und gleiche Löslichkeitsver-
hältnisse sprechen. Man erhält den Eindruck, dass die braunen
Kugeln nicht nur einfach aus Glycogen beständen, wie es auf den
ersten Blick erscheinen könnte, sondern dass in ihre Zusammen-
setzung zwei Körper, ein in Jod vergilbender und ein in Jod
sich bräunender, das Glycogen, eingetreten seien. Die rein gelben
Kugeln enthielten nur den einen Körper und würden dann die ver-
schiedenen Nüancen von gelb bis zum braun einem verschieden grossen
Gehalt an Glycogen entsprechen.“ Ehrlich istnun offenbar nicht
der Ansicht, dass wir es hier mit pathologischen Eigenthümlich-
keiten zu thun haben, denn er sagt an anderer Stelle!): „Es ist
mithin das Glycogen an allen Orten, wo es im Organismus vor-
kommt, mit einer andern Substanz, die ich in Analogie mit der
Botanik als Trägersubstanz bezeichnen möchte, so zu sagen soli-
darisch vereinigt. Es besitzen die Träger des Glycogens in den
verschiedenen Organen differente Lösungsverhältnisse und müssen
daher auch hierfür ' mehrfache Unterarten angenommen werden.
Welche Funetion nun ihnen zukommt, ob sie Vorstufen des Gly-
cogens (Kohlehydrate) oder Generatoren desselben (Eiweiss) dar-
stellen, muss unentschieden bleiben; auf jeden Fall ist ihre Rolle
eine bedeutsame, wie daraus hervorgeht, dass wohl die Träger-
substanz in der Form rein gelber Kugeln isolirt vorkommen kann,
das Glycogen dagegen stets von ihr begleitet, nie frei zu existiren
scheint.“ Aus Ehrlich’s Darstellung geht hervor, dass er unter
den „gelben Kugeln“ etwas von Zellprotoplasma, bezw. -para-
plasma, welches durch Jod ebenfalls gelb gefärbt wird, verschie-
denes versteht. Demnach hätten wir nach Einwirkung von Jod
im gelben Zellprotoplasma noch wieder gelbe Kugeln oder unregel-
mässig geformte Massen, die dann ihrerseits in grösserer oder ge-
ringerer Menge das Glycogen enthielten und dem entsprechend
braun, gelbbraun oder gelb erschienen. Was die chemische Natur
dieser „Trägersubstanz“ des Glycogens anbetrifft, so spricht die
1) A. a. O. p. 45.
Vergleichend-histochemische Untersuchungen über das Glycogen. 271
Gelbfärbung durch Jod für die Vermuthung Ehrlich’s, dass wir
es hier mit einem Eiweisskörper, nicht mit einem Kohlehydrat
zu thun haben; unmöglich wäre es freilich nicht, dass hier ein
noch unbekanntes, sich mit Jod gelb färbendes Kohlehydrat (Vor-
stufe des Glycogens) vorläge.
Ehrlich’s Beobachtung in Betreff der gelben Kugeln (,,Träger-
substanz“) ist nun ohne Zweifel richtig und ich kann sie für alle
von mir untersuchten Objeete bestätigen. In zwei Gewebselementen
schien mir zuerst die Trägersubstanz vollständig zu fehlen: näm-
lich in den mit Glycogen erfüllten „Riesenzellen“ der
Placenta und den Leydig’schen Bindesubstanzzellen der
Gastropoden, die ebenfalls ungeheure Mengen von Glycogen auf-
stapeln. Diese letztern Zellen sind weniger protoplasmatischer,
als gallertiger, hyaliner Natur; nur die äusserste Zellhülle !)
und der von spärlichem Protoplasma umgebene Kern färben sich durch
Jod gelb, bestehen also aus Proteinsubstanzen, der ganze übrige
Theil der Zeile ausser dem Glycogen bleibt hell. In diesem Theil
der Zelle also liegt das unregelmässig geformte oder tropfenähn-
liche durch Jod braunroth gefärbte Glycogen und man sieht von
einer „Trägersubstanz“ zuerst keine Spur. Bringt man aber Ge-
websschnitte, die solche Zellen enthalten, in Jodglycerin oder auch
Lugol’sche Lösung, so überzeugt man sich leicht, dass auch hier
das Glyecogen in eine Trägersubstanz eingebettet ist. Man sieht
nämlich unter dem Mikroskop, dass sich in solchen Fällen zuerst
die Trägersubstanz wie das Plasma der Zellen gelb färbt und dass
erst später das ganze braun wird, weil die Verbindung
des Glycogens mit Jod sich langsamer vollzog. Umge-
kehrt sieht man nun nach kürzerer oder längerer Zeit in solchen
Präparaten zuerst die braune Jodglycogenfärbung verschwinden,
weil das Glycogen sich ziemlich schnell in der Zusatzflüssigkeit
löst; die gelbe Trägersubtanz aber bleibt nachher noch
einige Zeit sichtbar, weil sie etwas schwerer löslich scheint,
als das Glycogen.
Ich will nun aber an dieser Stelle bemerken, dass bei der
1) Den Ausdruck „Zellmembran‘“ vermeide ich aus demselben Grunde,
den Heidenhain (p. 223) angiebt: die periphere Zellhülle steht im conti-
nuirlichem Zusammenhange mit dem bei diesen Zellen freilich sehr spärlich
vorhandenen Protoplasmanetz.
312 Dietrich Barfurth:
Beurtheilung der Trägersubstanz in Form gelber Kugeln auch die
Produete der Zellthätigkeit wohl zu berücksichtigen sind;
dies gilt für alle secernirenden Zellen. Dass das Glycogen bei
der Drüsenthätigkeit, also bei Bildung der Secrete, eine Rolle
spielt, will ich später an den Speicheldrüsen der Gastropoden be-
weisen; in den Zellen dieser Drüsen finden sich ausser braunen
Glycogentröpfehen und -schollen gelbe Kügelchen, die nichts an-
deres sind als Speichelkörnehen, wie man sie in derselben Form
und Färbung auch im Ausführungsgang der Speicheldrüsen findet.
Sodann mache ich noch auf einen Umstand aufmerksam, der
bei Anwendung der Ehrlich’schen Jodgummimethode zu Täu-
schungen Anlass geben kann. Die Ehrlich’sche Methode ist ganz
ausgezeichnet, aber sie muss wie jede Methode mit Verstand ange-
wandt werden. Man erhält nach derselben Präparate, die mehrere
Tage, ja Wochen hindurch unverändert bleiben und die schönsten
Bilder liefern. Nach langer Zeit aber findet man doch an manchen
dieser Präparate, die schon nach wenigen Stunden ganz trocken
erscheinen, eine Veränderung, weil das Austrocknen langsam
aber sieher nach der Mitte zu fortschreitet. Während nämlich alle
frischen Jodgummipräparate ganz entsprechend den Controlpräpa-
raten in Jodglyeerin das Glycogen z..B. in den Leberzellen als
homogene Masse oder in zusammenhängenden Schollen aufweisen,
bilden sich in gewissen alten Präparaten in diesen bisher zusammen-,
hängenden Massen feine Risse, so dass jetzt das Glycogen in kleine
Felder oder unregelmässig begrenzte Körner zerfallen erscheint.
Es kann nach meiner Ansicht keinem Zweifel unterliegen, dass
diese Erscheinung ein Kunstprodukt ist, hervorgerufen dureh die
allmählich fortschreitende vollständige Austroeknung der Präpa-
rate. Diese Eigenthümlichkeit findet sich, wie ich mich überzeugt
habe, besonders an solchen Präparaten, bei denen die Jodgummi-
scehieht dünn ist, bei denen also das Austrocknen leichter und
schneller erfolgt und an den Gewebselementen leichter Veränder-
ungen hervorrufen kann. Da man nun gerade bei Anwendung
stärkerer Vergrösserungen die Reagenzschicht am liebsten recht
dünn hat, so hielt ich es nicht für überflüssig, auf obigen Um-
stand aufmerksam zu machen.
Ausser der Kaninchenleber habe ich mikrochemisch öfter die
Leber des Meerschweinchens, die Leber von Fröschen (Rana escu-
lenta) und von Salmoniden (Trutta salar und Trutta fario) untersucht,
Vergleichend-histochemische Untersuchungen über das Glycogen. 273
Die Leber des Meerschweinchens enthielt in allen von mir
untersuchten Fällen wenig Glycogen. Dasselbe war diffus den
Leberzellen einverleibt und zeigte nieht die Anhäufung in gewissen
Theilen der Zellen und der Aeini, wie man sie bei Kaninchen so
oft findet.
Von Rana esculenta standen mir nur aus dem Schlamm ge-
holte Winterthiere zur Verfügung. Die Thiere waren kräftig, die
Leber gross, glycogenreich. Das Glycogen war in den Leberzellen
sleichmässig verbreitet und wurde durch Jodlösungen mehr hell-
braun gefärbt.
In der Leber der bei Bonn gefangenen Wintersalme (Trutta
salar) habe ich niemals Glycogen gefunden. Die Leber eines
10 kg schweren Wintersalms, dessen Traetus intestinalis mit Fett
noch ganz bedeckt und dessen Fleisch schön roth war, wog 151,0,
wurde nach der Brücke’schen Methode auf Glycogen untersucht,
enthielt aber keine Spur davon.
Wiederholte mikrochemische Prüfungen der Leber anderer
Wintersalme ergaben dasselbe negative Resultat. Diese Thatsache
erklärt sich daraus, dass diese Thiere nach dem Aufsteigen in den
Rhein gar keine Nahrung mehr zu sich nehmen, wie ich schon im
Jahre 1574 nachgewiesen habe).
Anders verhalten sich die Lebern von Bachforellen, die selbst
im Winter — von der eigentlichen Laichzeit abgesehen — Nahrung
zu sich nehmen. Herr Professor Dr. Freiherr von la Valette
St. George hatte die Güte, mir die Eingeweide von vier sterilen,
in seiner Fischzuchtanstalt zu Auel gefangenen Bachforellen zur
Untersuchung zu überweisen. Jedes der Thiere wog ce. 250,0, die
vier Lebern, die ich 36 Stunden nach dem Tode nach der
Brücke’schen Methode auf Glycogen verarbeitete, wogen zusammen
6,0 und enthielten 0,74 %, Glyeogen. Die mikrochemische Unter-
suchung ergab auch hier, dass das Glycogen diffus die Leberzellen
durehdrang, die Färbung war ebenfalls hellbraun, die Lösung in
Jodglycerin oder Lugol’scher Lösung erfolgte auffallend schnell.
Diese Thatsachen bestätigen die Erfahrung, dass der Glycogen-
gehalt der Leber in einer direeten Beziehung zur Nahrungsaufnahme
und zur Beweglichkeit der Thiere steht. Viel frappanter sind
1) Ueber Nahrung und Lebensweise der Salme etc. Troschel’s
Archiv 1875.
374 Dietrich Barfurth:
noch die Ergebnisse von Untersuchungen an niedern Wirbelthieren,
die v. Wittieh?!) mittheilt. Derselbe fand:
Glycogen: Magen:
Karpfen 7,6 °%, des Lebergewichts
8,0) B
. Schleie 11,7 3 vollkommen leer
15,3 ® |
15,6 „
ichl 20% %
u ER gefüllt mit halbverdauten
ad ”’ Iaale ne
9,8 } kleinen Fischen
Zander 4,7 . | gefüllt
Aal (April) kaum Spuren (?)
Emys europaea 5,06 °/, } leer
Frosch (frisch eingefangen Dezember) (November)
5,5 %, des Lebergewichts \
3,0 k.
0) n
Magen leer.
9,4 »»
£
5,9 5
6,9 e}
Es fällt an dieser Tabelle, wie v. Wittieh bemerkt, beson-
ders auf, dass bei Warmblütern sich äusserst selten ein so hoher
Procentgehalt an Glycogen vorfindet.
Was noch die Leber des Menschen speeciell betrifft, so verhält
sie sich gegen Glycogen, wie die Leber der Wirbelthiere über-
haupt. Salomon?) fand in den Lebern von zwei Neugeborenen
1,2 bez. 11,0 Glycogen; v. Wittich?) in der Leber eines 5—6monat-
lichen menschlichen Foetus, der gleich nach dem Tode untersucht
werden konnte, 0,24 %/, Glyeogen.
Sehr merkwürdig und physiologisch wichtig ist die That-
sache, dass die embryonale Wirbelthierleber während ihrer Ent-
wicklung gar kein Glycogen enthält.
1) W. von Wittich, Aufsaugung, Lymphbildung und Assimilation.
Hermann’s Handbuch der Physiologie. V. Bd. 2. 1. Lieferung p. 362, 363.
2) Salomon, Centralbl. f. d. med. Wissensch. 1874. p. 738,
3) von Wittich a. a. O. p. 367.
Vergleichend-histochemische Untersuchungen über das Glycogen. 275
Claude Bernard!) gibt an, dass die Leber erst gegen die
Mitte des intrauterinen Lebens nach Vollendung ihrer histologischen
Entwieklung als Galle und Glycogen bereitendes Organ zu funetio-
niren beginne; er ist der Ansicht, dass die Bildung der Galle vor
der des Glycogens begänne. Diese Angaben Claude Bernard’s
muss ich bestätigen.
Ich habe die Leber von Kaninchenembryonen in verschiedenen
(frühen) Stadien der Entwicklung untersucht und keine Spur von
Glyeogen gefunden; bei einem Schafembryo von 19 em Länge
suchte ich in der Leber vergeblich nach Glycogen; die Leber eines
Meerschweinchenembryos von 10 em Länge, bei dem schon der
Haarwuchs mit seiner fleckigen Zeichnung weit vorgeschritten ist,
war glycogenfrei. In vielen andern Geweben dieser Thiere aber
(Haut, Huf, Darmepithel, Blase, Hoden ete.) fand ieh Glyeogen in
grossen Mengen vor?). In dem Maasse nun, wie sich die Glycogen-
Function der Leber entwickelt, schwindet beim Embryo das Gly-
cogen „successivement dans les enveloppes placentaires et dans
les organes limitants de son eorps“?). „Chez l'adulte, ainsi que
je Yai dit depuis bien longtemps, la formation de la matiere gly-
cogene est concentree dans le foie et ne se retrouve plus dans les
organes oü l’on en rencontre chez le foetus“*). Dass letztere An-
schauung unrichtig ist, werde ich im Lauf der weitern Darstellung
noch öfter nachzuweisen Gelegenheit haben.
Endlich mag noch darauf aufmerksam gemacht werden, dass
nach den Beobachtungen v. Wittieh’s) der Glycogengehalt der ein-
zelnen Leberlappen nicht absolut gleich, sondern gerade so verschie-
den ist, wie der der einzelnen Aeini und Zellen. Es ist dies offenbar
ein Analogon zu der von andern Drüsen (Speicheldrüsen, Milch-
1) Claude Bernard, De la matiere glycogene consideree comme
condition de developpement de certains tissus chez le foetus ete. Journal
de la physiologie Tome II. 1859. p. 335.
2) Claude Bernard hat in den embryonalen Drüsen (Nieren und An.
hangsdrüsen bei Tractus intestinalis) kein Glycogen gefunden; nur die Aus-
führungsgänge der Drüsen enthalten nach ihm Glycogen. Diese Angabe
muss ich bestätigen.
3) Claude Bernard, De la matiere glycogene ete. p. 336.
4) Ebenda, p. 536. Anmerkung 2.
5) von Wittich, Zur Statik des Leberglycogens. Centralblatt für
die med. Wissensch. 1375. p. 113—148.
Archiv f. mikrosk, Anatomie. Bd. 25. 30
276 Dietrich Barfurth:
drüsen, Niere) bekannten Thatsache, dass die Drüsenthätigkeit und
im Zusammenhange damit das morphologische und physiologische
Verhalten des Parenehyms durch die ganze Masse hindurch nicht
gleichmässig ist; während einzelne Theile ruhen, sind andere in
voller Thätigkeit. Das Glyeogen aber spielt bei. den hier vor sich
gehenden Veränderungen eine bisher wenig oder gar nicht beach-
tete Rolle.
3. Leber von Wirbellosen.
Das Verhalten der Gastropodenleber zum Glycogen werde
ich im nächsten Aufsatze besprechen; ich verweise also hier ledig-
lich auf denselben.
Was die Crustaceenleber betrifft, so wurde auf die An-
gaben Claude Bernard’s!) darüber schon gelegentlich aufmerk-
sam gemacht. Er fand in der Krebsleber das Glycogen in ansehn-
licher Menge nur kurz vor der Häutung, sonst wenig oder nichts;
in der Zwischenzeit zwischen zwei Häutungen ist die Leber ein
„gallebereitendes* Organ. Max Weber?) hebt dagegen in seiner
vortrefflichen Untersuchung über die Crustaceenleber hervor, dass
es ihm nicht gelungen sei, Glycogen auf mikrochemischem Wege
in den Drüsenzellen nachzuweisen. Er ist der Ansicht, „dass das
zum Aufbau. des Panzers nöthige Glycogen innerhalb der Zellen
des Fettkörpers bereitet wird, auch der Zellen, welche die
Tunica serosa der Drüsenschläuche bilden und dass eben hierdurch
Cl. Bernard zu seiner Ansicht verleitet worden ist.“ Hoppe-
Seyler?) hat nur einen „geringen Gehalt von Glycogen“ in der
Verdauungsdrüse des Krebses constatirt. In einer neuen Arbeit
über die Mitteldarmdrüse der Crustaceen von Dr. Joh. Frenzel ®)
finde ich keine speeielle Angabe über das Glycogen; Frenzel be-
merkt aber in Bezug auf Decapoden, dass Jodtinetur weder in den
Ferment-, noch in den Weber’schen Leberzellen (nach Frenzel
„Fettzellen‘“) „Rothfärbung“ hervorrief; das Protoplasma wurde nur
1) Claude Bernard, Lecons etc. p. 110 ff. T. II.
2) Max Weber, Ueber den Bau und die Thätigkeit der sogenannten
Leber der Crustaceen. Archiv f. mikr. Anatomie. 17. Bd. p. 452 ff. Anmerkung.
3) Hoppe-Seyler, Unterschiede im chemischen Bau und der Ver-
dauung höherer und niederer Thiere. Pflüger’s Archiv, Bd. 14. p. 399.
4) Frenzel, Ueber die Mitteldarmdrüse der Crustaceen. Mittheilungen
aus der Zoologischen Station zu Neapel. V. Bd. 1. Heft.
Vergleichend-histochemische Untersuchungen über das Glycogen. 277
gelbbraun, die Secretblase etwas dunkler gefärbt 1). Ich schliesse,
daraus, dass Frenzel kein Glycogen gefunden hat.
Wir haben demnach offenbar widersprechende Angaben vor
uns und ich habe mich deshalb entschlossen, dieser Frage noch
einmal näher zu treten. Herr cand. med. B. Kirch ist unter meiner
Leitung mit einer Untersuchung über das Verhalten der Gewebe
des Flusskrebses zum Glycogen beschäftigt und hat schon einige
Versuche ausgeführt. Herr Kireh wird die Ergebnisse seiner Ar-
beit später im Zusammenhange veröffentlichen, ermächtigt mich
aber schon jetzt zu folgender Mittheilung. Bei grossen 5—6jähri-
sen Flusskrebsen (Oderkrebsen) fanden sich nach 5wöchentlichem
Fasten in der Leber noch deutliche Spuren von Glycogen vor,
während die Muskeln glycogenfrei waren. Nach Fütterung mit
reinem, kohlehydratefreiem Fibrin wurden in der Leber 0,80 %,
bez. 0;35 %/,, in den Muskeln 0,114 %/, bez. 0,142 %/, gefunden. Wir
ziehen aus diesen Befunden vorläufig nur den einen Schluss, dass
die Leber des Flusskrebses in der That Glycogen bildet 2). Ob
diese Bildung nun bloss in den Zellen der Tunica serosa der
Drüsenschläuche stattfindet, wie Weber meint, oder ob auch die
Drüsenzellen selber dabei. thätig sind, soll durch weitere Unter-
suchungen entschieden werden.
Neuerdings hat auch die sog. Leber der Spinnen eine
sründliche Bearbeitung durch Bertkau?) erfahren. Er fand im
Zwischengewebe „eine Unmasse kleinerer und grösserer Kugeln
von eoncentrischer Schichtung“; „mit Jod färben sie sich, gleich
Glycogen, nach einiger Zeit braunroth.“ Bertkau bemerkt
1) Frenzel, a. a. O. p. 74.
2) Auch Krukenberg hat das schon gefunden. Vel. Ueber Reserve-
stoffe. Vergleichend-physiol. Studien an den Küsten der Adria. II. Abtheilg.
p- 59. Er sagt: „Schon früher hatte ich mich in Bestätigung einer Angabe
Hoppe-Seyler’s von dem, wenn auch geringen Glycogengehalte der Lebern
lebenskräftiger Flusskrebse überzeugt und auch aus ihren Muskeln Glycogen
dargestellt.“ In der soeben erschienenen Arbeit von Bourquelot (Recherches
sur le phenomönes de la digestion chez les mollusques e£phalopodes. Archives
de Zoologie experim. II. Serie. III. Bd. p. 1—75) finde ich die Angabe, dass
derselbe auch bei einer Krabbe, Portunus puber, Glycogen in geringer Menge
aus der Leber dargestellt hat (p. 3).
3) Bertkau, Ueber den Bau und die Functiou der sog. Leber bei
den Spinnen. Archiv f. mikrosk. Anat. 23. Bd. S. 224.
278 Dietrich Barfurth:
dann: „Ob hier eine (unlösliche) Modification von Glycogen oder
was für ein Körper vorliegt, kann ich nicht entscheiden.“ Auch
Ehrlich!) gibt an, dass eine in Wasser überhaupt unlösliche Mo-
dification des Glycogens und zwar in den geschichteten Epithelien
vorkomme. Ich habe diese unlösliche Modifieation des Glycogens
nie gefunden und da gerade die Löslichkeit des Glycogens in
Wasser, Glycerin und allen wässerigen Flüssigkeiten von allen
Beobaehtern als eine der charakteristischsten Eigenthümlichkeiten
des Glyeogens constatirt worden ist, so unterscheidet sich die von
Ehrlich erwähnte Modification sehr wesentlich von den bis jetzt
bekannten Formen des Glycogens. Was nun den von Bertkau
gefundenen Körper in der Spinnenleber betrifft, so hat er sich mit
Recht sehr vorsichtig geäussert. Die concentrische Schichtung, die
Unlösliehkeit in Wasser, Alkalieu und verdünnten Säuren verbieten
nach meiner Ansicht schlechterdings die Annahme, dass hier Gly-
cogen vorliegt ?). Dagegen kommt nach meinen Untersuchungen
Glyeogen im Darmepithel der Spinnen vor, was hier nebenbei
erwähnt sein mag ?).
Es ist hier vielleicht der geeignete Ort darauf aufmerksam
zu machen, dass eine Braunfärbung durch Jod noch bei andern
Zellbestandtheilen vorkommt, ohne dass die Diagnose auf Glycogen
gestellt werden dürfte. Frenzel hat gefunden, dass die Fett-
tropfen in den Leberzellen von Urustaceen (Lysmata, Maja ete.) sich
mit Jodtinetur deutlich gelbbraun färben. lch habe im nicht ab-
gelaichten, der Resorption verfallenen Hoden der Bachforelle fett-
artige Kugeln getroffen, die durch eine Jodlösung iangsam tief-
braun werden; ebenso sehe ich in der Gastropodenleber während
der Verdauung gelbliche tropfenartige Massen, die sich auf Zusatz
von Jod langsam braun färben. Dass hier kein Glycogen vorliegt,
1) Ehrlich a. a. O. p. 45.
2) Mit einer Untersuchung über die chemische Natur der von Bertkau
gefundenen Kugeln bin ich zur Zeit beschäftigt.
3) In der Arbeit von Bourquelot (Recherches sur les pheno-
möne de la digestion chez les mollusques c&phalopodes. Archives de
Zoologie experimentale II. Serie T. 3. p. 56. 57) finde ich die Mittheilung,
dass derselbe auch in der Cephalopodenleber (poulpe) Glycogen ge-
funden hat, während er früher (Archives de Zoologie experimentale. 1882.
p. 419) zu negativen Ergebnissen gelangt war.
4) A. 2.0. p. 64,
Vergleichend-histochemische Untersuchungen über das Glycogen. 279
ergibt sich für den durch längere Uebung Geschulten schon aus
der Art der Einwirkung des Reagenzes: überall, wo sich
Glyeogen findet, wirkt eine Jodlösung auf dasselbe nach
meiner Erfahrung sehr schnell ein; meist schon nach weni-
gen Minuten hebt sich das braune Jodglyeogen deutlich von den
umliegenden Gewebetheilen ab. Nur darf man nicht gleich ein
Deckglas auflegen, weil dies das Eindringen des Reagenzes ausser-
ordentlich beeinträchtigt.
In der Leber von Lamellibranchiaten hat schon Claude
Bernard!) eine Substanz gefunden, die nach den angegebenen
Reactionen wahrscheinlich Glycogen. war.
3. Niere der Wirbelthiere.
Ueber das Vorkommen von Glycogen in der Niere erwachsener
Thiere hat u. a. Ehrlich Mittheilungen gemacht. Bei Kaninchen,
Meerschweinchen und Mäusen wurde die „Abwesenheit des Gly-
cogens in dem eigentlichen Parenchym der Niere constatirt, wäh-
rend es in dem Epithel des Nierenbeckens, resp. auch in den
Anfängen der Sammelröhren (Kaninchen ohne Weiteres) nachzu-
weisen war“ 2). In manchen normalen Menschennieren fanden sich
ebenfalls „minimale Mengen* von Glycogen. „Die Glycogeninfil-
tration ... . . fand sich nur auf vereinzelte Epithelzellen des Canals
beschränkt“ 3). Auch bei Fröschen fand er es „in gewissen Ab-
sehnitten des Nierenparenchyms“ *). Von ausgewachsenen Thieren
habe ich nur das Kaninchen auf diesen Punkt untersucht nnd be-
stätige lediglich Ehrlich’s Angaben’). Ausserdem habe ich die
Nieren von Schat-, Meerschweinchen- und Kaninchenembryonen auf
Glyeogen geprüft und bin wesentlich zu demselben Ergebniss
sekommen, welches schon Rouget ®) und Claude Bernard’) mit-
l) Claude Bernard, Recherches sur une nouvelle function ete. An-
nales des sciences nat. III. Serie. T. XIX. Zoologie, 1853. p. 334 ff.
2) Ehrlich a. a. ©. p. 55. Vgl. auch Paschutin, citirt p. 286.
3) Ebenda p. 36.
4) Ebenda p. 39, Anmerkung.
5) In den Nieren von Hunden wies Abeles nach mehrtägiger Brot-
fütterung Glycogen nach (Centralblatt für die medic. Wissensch. 1876. p. 84).
6) Rouget, Des substances amyloides, de leur röle dans la consti-
tution des tissus des animaux. Journal de la physiologie 1859. p. 320.
7) Claude Bernard, De la matiere glycogene etc. Journal de la
physiologie 1859. p. 326 ff.
280 Dietrich Barfurth:
getheilt haben. Rouget sagt: „Deja aussi chez le m&me embryon,
toutes les cellules epitheliales.... de l’appareil genito-urinaire....
sont remplies de plasma amylace.“ (Rouget nennt das Glycogen
„Zoamyline‘ oder „plasma amylace“.) Dieser Ausdruck ist etwas
zu allgemein und deshalb ungenau. Claude Bernard drückt
sich bestimmter aus: „Le tissu glandulaire .. . ne renferme pas
de matiere glycogene. Sauf l’Eepithelium des conduits glan-
dulaires, je n’ai trouv& de matriere glycogene, dans le tissu m&me
des reins . ... . & aucune &epoque du developpement foetal“ '). An
einer andern Stelle (p. 332) sagt er von den „voies genito-urinai-
res“ — „elles offrent egalement chez l’embryon des cellules gly-
cogenes pendant leur evolution, j’en ai constate sur Ja muqueuse...
de l’uretere et m&me dans les canalicules des reins.“ Ich fand
bei Sehaf- und Meerschweinchenembryonen das Glycogen im Epi-
thel des Ureters, des Nierenbeekens und der Sammelröhren; die
eigentlichen Harnkanälehen waren frei von Glycogen, ebenso Glo-
meruli und Gefässe. Bei einem sehr jungen Kaninchenembryo,
in dem die Differenzirung des Wolff’schen Körpers noch nicht
vollendet war, fand sich Glycogen im Epithel aller Sammelröhren,
des Nierenbeckens ete., sowie des Müller’'schen Ganges.
4. Niere der Wirbellosen.
Ueber das Vorkommen von Glycogen in diesem Organ liegen,
so viel mir bekannt ist, bis jetzt keine Angaben vor. Ich habe des-
halb die Niere der Gastropoden daraufhin einer Untersuchung
unterzogen.
Ueber den Bau und die Function dieses Organs verdanken
wir Meckel?) die wichtigsten und im wesentlichen von allen
spätern Forschern ?) bestätigten Angaben. Es wird hier nur das
1) Claude Bernard a. a. O. p. 355.
2) Meckel, Mikrographie einiger Drüsenapparate der niedern Thiere
Müller’s Archiv. 1846.
3) Z. B. Leydig, Ueber Paludina vivipara. Zeitschrift für wissen-
schaftliche Zoologie. II. Bd. p. 180 ff. — Boll, Beiträge zur vergleichenden
Histiologie des Molluskentypus. Archiv f. mikrosk. Anatomie. 1869. Supple-
ment p. 92 ff. Man vergleiche auch die Zusammenstellung der in der Niere
und verwandten Organen von Mollusken gefundenen Körper aus der Harn-
säuregruppe bei Krukenberg, Vergleichend-physiol. Untersuchungen etc.
II. Abtheil. p. 17 ff.
Vergleichend-histochemische Untersuchungen über das Glycogen. 281
hervorgehoben, was zum Verständniss der nachfolgenden Mitthei-
lung und der Zeichnung Tafel XVII, Figur 22 erforderlich ist. Der
secernirende Theil. der Niere — ich habe vorzugsweise die der
Helieiden im Auge — besteht aus einem dreieckigen Sack, dessen
Wände mit-vorspringenden Falten dicht besetzt sind. „Einzelne
Partien dieser Blätter sind nur an einer Seite befestigt und bilden
faltige einfache Vorsprünge, gewöhnlich aber sind sie sowohl an
der obern, als an der untern Wand des Nierensackes beiestigt
und stehen perpendiculär auf dem Ausführungsgange parallel
neben einander. So entstehen durch die Blätter in dem Nieren-
sack eine Menge Fächer, welche in den an ihrem Ende verlaufen-
den Ausführungsgang durch enge Oeffnungen münden. Die Ver-
mehrung der Oberfläche ist demnach in der Niere der Gastropoden
nicht durch Follikel-, sondern durch Faltenbildung bewerkstelligt“
(Meckel aa. a. 0. p: 15). Die gesammte Oberfläche der beschrie-
benen Falten trägt nun das Epithel, welches das eigenthümliche
Produet der Drüse, harnsaures Ammoniak, Harnsäure und Körper
der Harnsäuregruppe !), secernirt oder wenn man will excernirt.
Diese Produete sammeln sich in einem Bläschen oder wie Boll
(p- 93 ff.) will, einer Vacuole ?) an und werden in einem gewissen
Reifestadium durch Dehiscenz der Zellen frei.
Es zeigt nun meine Figur 22 Tafel XVIII einen mit Jodgummi
behandelten Schnitt durch eine an einer Seite frei in den’ Nieren-
sack hineinragenden Drüsenfalte. Nach aussen ist die ganze Partie
durch ein niedriges Cylinderepithel begrenzt, welches einem binde-
gewebigen, stark mit Muskelfasern durchsetzten Grundgewebe auf-
sitzt; eine scharfe Trennung zwischen Submucosa und Muscularis
existirt nicht. Das Grundgewebe setzt sich direct in die Falte
fort, die das Epithel trägt. Namentlich an den Seiten der Falten
finden sich Leydig’sche Bindesubstanzzellen oft in grosser
Menge. Das Epithel selber finde ich an guten Schnitten der mir
vorliegenden 5 Tage lang mit Brot gefütterten Helix pomatia stets
in einfacher Schicht. Die Zellen sitzen oft schräg, oft ganz senk-
1) In der Niere von Arion empirium fand ich Xanthin.
2) Selbst von Bildung einer Vacuole ist nach Boll (p. 94) bei Helix
hortensis keine Rede; die harnsauren Coneremente „erreichen, in das Proto-
plasma der membranlosen Zellen eingebettet, die Grenze ihres Wachsthums.“
Ein näheres Eingehen auf diesen Punkt ist hier nicht angebracht.
2382 Dietrich Barfurth:
recht ihrer Unterlage auf, erreichen oft eine bedeutende Höhe,
enthalten einen grossen, meist kugeligen Kern und bestehen aus
einem mit feinen Körnern durchsetzten Protoplasma.
Wo finden wir nun das Glycogen? Das Grenzepithel
enthält nichts, die Muskeln wenig, das secernirende
Epithel viel und die Bindesubstanzzellen am meisten.
War der Schnitt so fein, dass er nur feine Scheibehen der Epi-
thelzellen liefert, so hat man natürlich auch nur eine dünne Gly-
cogenschicht vor sich. Solche Zellen zeigen dann nach Jodbehand-
lung einen eigenthümlichen orangen Farbenton, der in der
Zeiehnung nicht weiter berücksichtigt wurde.
Man kann nun den Einwand erheben, dass man nach einer
solchen von der natürlichen Ernährungsweise so sehr abweichenden
Fütterung keine normalen Verhältnisse vor sich habe. Ich habe
deshalb auch die Niere von im Freien gefangenen Sommerthieren
untersucht und habe an derselben wohl quantitative aber keine
qualitativen Unterschiede im Glycogengehalt wahrgenommen.
Man findet in solehen Nieren das Glycogen in denselben Gewebs-
elementen, aber überall weniger; namentlich sind viele Epithel-
zellen ganz frei von Glycogen. Bei andern Gattungen ist die
Niere weniger reich an Glycogen als bei Helix. In der Niere
von Limax wenigstens fand ich nach l6stündiger Brotfütterung
kein Glycogen im Epithel, wohl aber in den Bindesubstanzzellen;
bei einem andern Exemplar nach Stägiger Fütterung viel mehr
Glyeogen in den Bindesubstanzzellen, aber auch hier die Epithel-
zellen frei davon.
Die Gattung Arion verhält sich wesentlich wie Limax; nur
nach sehr reichlicher Fütterung tritt das Glycogen in den secer-
nirenden Zellen der Niere auf.
Bei Cyelostoma elegans müssen wir nach dem gegenwärtigen
Stande unserer Kenntnisse zwei Nieren!) annehmen. Die in der
Lungenhöhle gelegene Niere, die diesen Namen freilich mehr aus
morphologischen als physiologischen Gründen verdient, finde ieh
bei gut genährten (am 17. Juli 1354 auf dem Hammerstein ge-
1) Vergleiche darüber Claparede, Beitrag zur Anatomie des Cyclo-
stoma elegans, Müller’s Archiv 1858, und meine Mittheilung im Zool. An-
zeiger 1884 p. 474 ff. Ob zwischen den beiden Nieren ein Zusammenhang
besteht, habe ich noch nicht untersuchen können.
Vergleichend-histochemische Untersuchungen über das Glycogen. 283
fangenen) Thieren das Glycogen nur in den Bindesubstanzzellen,
in den Epithelzellen keine Spur. Die andere zwischen den Darm-
windungen gelegene Niere („Conerementendrüse“ Clapare&de’s), in
der ieh harnsaure Conceremente nachwies, ist viel reicher an Gly-
eogen. Nicht nur die hier in ungeheurer Menge vorhandenen
Bindesubstanzzellen sind vollgepfropft mit Glycogen, sondern auch
die secernirenden Zellen bergen in dem ilınen gebliebenen Proto-
plasmarest grosse Mengen von Glycogen.
Beim Hungern schwindet aus der Niere das Glycogen gerade
so wie aus andern Organen. Helix pomatia und Cyelostoma ele-
sans wurden am 5. Februar d. J. während des Wintersehlafes,
also nach mehrere Monate langem Fasten untersucht. Die Niere,
selbst die Bindesubstanzzellen, waren absolut frei von Glycogen.
5. Speicheldrüsen von Gastropoden.
Der Bau dieser Drüsen ist vollkommen richtig von Leydig!)
und Semper?) dargestellt worden. Die paarigen weiss ceder
gelblich aussehenden, lappigen Drüsen erstrecken sich weit am
Oesophagus und Anfangsdarm entlang, haben einen langen Aus-
führungsgang, der die obere Wandung des Schlundkopfes durch-
brieht und in der Mundhöhle mündet, und bestehen aus einer
grossen Zahl von Drüsenläppcehen, die mit seeundären ete. Aus-
führungsgängen versehen sind. Jedes dieser Läppchen besteht nun
aus einer Anzahl von Secretionszellen; „dieselben sind gross und
jede ist einzeln in ein zartes, bindegewebiges, mit etlichen Kern-
rudimenten versehenes Beutelehen gebettet. Letzteres verlängert
sich in einen dünnen Stiel und verbindet sich dadurch mit dem
gemeinsamen Ausführungs- oder Sammelgang, dessen Innenfläche
bei Limax ein Flimmerepithel zu haben scheint.“ (Leydig,
a. a. 0. p. 348). Letztere Angabe kann ich vollkommen bestä-
tigen: bei Limax variegatus sehe ich die Flimmer selbst in den
kleinsten Sammelröhren, während die sehr niedrigen Wimperzellen
selber meist nicht deutlich hervortreten. In etwas grösseren Aus-
führungsgängen finde ich ein niedriges mit Wimpern versehenes
Cylinderepithel, während in den grössern Ausführungsgängen die
Wimpern nur stellenweise auftreten. Wir haben also hier ähn-
1) Leydig, Lehrbuch der Histiologie. 1857. p. 348 ff.
2) Semper, Beiträge zur Anatomie und Physiologie der Pulmonaten.
Zeitschrift für wissenschaftl. Zoologie. VIII. Bd. 1857. p. 364 ff.
284 Dietrich Barfurth:
liche Verhältnisse, wie sie Leydig!) vom Darm beschreibt und
wie ich sie in den Leberausführungsgängen fand. Bei Helix po-
matia dagegen ist es mir weder an den kleineren, noch an den
grösseren Ausführungsgängen gelungen ein Wimperepithel zu finden.
An einem kleineren Sammelrohr fand ich in der Wand an einem
Alauncarminpräparat zahlreiche Kerne, die mir niedrigen Zellen
anzugehören schienen. Auch Semper hat an den feinsten Aesten
kein Epithel gefunden, „zweifelt aber nicht im Mindesten an dem
Vorhandensein eines solchen, da bei vorsichtiger Behandlung selbst
in den feinsten Kanälen deutliche Wimperung wahrzunehmen ist“
(Semper a. a. OÖ. p. 365). Ein näheres Eingehen auf diese
Dinge würde mich indessen zu sehr von meinem Gegenstande ent-
fernen.
Es mag noch im Allgemeinen bemerkt werden, ‘dass die
Speicheldrüsen von Limax verhältnissmässig arm an Bindesub-
stanz sind, während sich in denen von Helix pomatia ausser-
ordentlich vieleLeydig’scheBindesubstanzzellen nament-
lich an allen Ausführungsgängen vorfinden. Sie dienen, hier wie
überall, als Füllung bezw. als Hülle.
Welche Gewebe der Speicheldrüsen enthalten nun das Gly-
cogen? Ein Blick auf das Uebersichtsbild Tafel XVIII Figur 23 wird
uns das schnell lehren. Prineipiell gibt es in der ganzen Drüse
keine Gewebselemente, in denen das Glycogen nieht vorkäme:
wir sehen es am stärksten vertreten in den Bindesubstanz-
zellen, in den bindegewebigen Hüllen der secernirenden
Speichelzellen und in manchen Speichelzellen selber;
wir finden es in geringerer Menge in andern Speichelzellen
und nur Spuren davon im Epithel der Ausführungsgänge.
Das Präparat, nach dem oben erwähnte Figur gezeichnet
wurde, stammt aus einer Speicheldrüse einer Helix pomatia, die
Anfangs Dec. 1884 aus dem Winterschlaf geweckt und dann in
einem Tag und Nacht geheizten Raum mit Schwarzbrot 5 Tage
lang gefüttert wurde. Es ist mit Jodgummi nach Ehrlich behan-
delt. Durch Jod sind alle protoplasmatischen Theile, auch das
Seeret in den Zellen und den Ausführungsgängen gelb gefärbt,
während das Glycogen je nach der Mächtigkeit, in der es auf-
tritt, braun, rothbraun, orangebraun wurde. Demgemäss sind die
l) Leydig, Ueber Paludina etc. p. 164 u. 165.
Vergleichend-histochemische Untersuchungen über das Glycogen. 285
peripheren Schichten der Bindesubstanzzellen, das spärliche Proto-
plasma mit dem Kern gelb, das fast den ganzen Zellleih erfüllende
Glycogen braun; die Secretionszellen mit ihren Bindegewebshüllen
und dem mehr oder weniger fertig gebildeten Seeret gelb, die
ihnen einverleibten Körner, Schollen, Platten von Glycogen braun;
die Ausführungsgänge mit ihren Epithelzellen gelb, das die letz-
teren theilweise diffus durchsetzende Glycogen orangebraun.
Sehr merkwürdig ist die Verschiedenheit, die sich im Ver-
halten der Seeretionszellen zum Glycogen zeigt. Einige
Zellen sind ganz frei von Glycogen, dagegen gauz erfüllt mit
glänzenden, gelblich gefärbten Secretkugeln. In andern Zellen
sieht man in der Bindegewebshülle noch Glycogenmassen, die sich
wie Halbmonde an die Zelle anschmiegen; auch in der Zelle selbst
findet sich hier und da ein Glykogentröpfchen, sonst ist das ganze
Innere der Zelle mit Seeretkugeln erfüllt. Dann wieder findet
man Zellen, die fast ganz mit Glycogenmassen in allen Formen
vollgepfropft sind, während die Seeretkugeln zurücktreten. Das
Verhalten der Kerme in diesen Zellen, welches wenig constant ist,
und die physiologische Bedeutung der besprochenen Erscheinungen
soll weiter unten besprochen werden.
6. Andere Drüsen von Wirbelthieren.
In den andern Drüsen der Wirbelthiere — ausser Leber und
Niere — scheint Glycogen während des extrauterinen Lebens gar
nicht bezw. nur in geringem Masse vorzukommen.
Ehrlicht) berichtet, dass er im normalen Pankreas kein
Glycogen gefunden habe.
Pavy (siehe Centralblatt für die med. Wissensch. 1882.
p. 100) fand Glycogen in Milz, Pankreas und Niere.
In den Drüsen der Darm- und Magenwand des Kanin-
chens habe ich in verschiedenen Stadien der Verdauung kein
Glyeogen gefunden. Eine systematische Untersuchung der Spei-
cheldrüsen aufGlycogen während Ruhe und Thätigkeit ist bis Jetzt,
so viel ich weiss, nicht vorgenommen worden. Ueber einen etwaigen
Glycogengehalt der Lunge — wenn ich dieses Organ hier unter-
bringen darf — finde ich nur wenige Angaben?) In den Lungen
I) Ehrlich @ 2.029. >8
2) Die meisten Angaben über das Vorkommen von Glycogen in der
Lunge (Kühne, Ehrlich und Frerichs etc.) beziehen sich auf patho-
logische Verhältnisse (Diabetes, Pneumonie).
286 Dietrich Barfurth:
zweier Kaninchen, die ich gelegentlich untersuchte, fand ich kein
Glycogen, ebensowenig in den Lungen von Winterfröschen und
einer Lacerta stirpium.
Dagegen berichtet Abeles!), dass er in den Lungen von
Hunden nach 3tägiger Brodfütterung Glycogen nachweisen konnte.
Ebenso fand Paschutin?) fast immer Glycogen in den Lungen
von Hunden.
In den Hoden des Hundes fand Kühne?) Glycogen un-
mittelbar nach der Castration; Luchsinger®) fand es im Ovarium
von Fröschen, in den Hoden von Sommerfröschen und in den
Hoden gut genährter Hunde.
In der Thyreoidea, Thymus, Lacrymalis, den Schweissdrüsen,
Talgdrüsen, Milchdrüsen °), Tonsillen ist bis jetzt kein Glycogen
nachgewiesen worden.
Es kann also keinem Zweifel unterliegen, dass bei erwach-
senen Wirbelthieren das Glycogen nur in verhältnissmässig wenigen
Drüsen vorkommt. Andererseits muss aber auch hervorgehoben
werden, dass wir es hier mit einem Gebiet zu thun haben, auf
dem erst sehr wenige Entdeekungsreisen unternommen worden sind.
Bis jetzt sind es eigentlich nur die Physiologen gewesen, die
sich um einen etwaigen Gehalt der Drüsen an Glycogen, wie an
andern Stoffen, gekümmert haben. Die wenigen histochemischen
Arbeiten aber, die überhaupt bis jetzt vorliegen, zeigen jedenfalls
zur Genüge, dass bei Erforschung der Organe und ihrer Gewebe
auch der Zellinhalt mehr Berücksichtigung verlangt, als ihm
bis jetzt zu Theil wurde. Wenn sich leicht nachweisen lässt, dass
1) Abeles, Verbreitung des Glycogens im thierischen Organismus.
Centralblatt f. d. medie. Wissenschaften. 1876. p. 84. Es findet sich hier
nur die vorläufige Mittheilung.
2) Paschutin, Ueber Kohlehydratentartung der Gewebe. Centralblatt
für die med. Wiss. 1884. p. 689 ff. Derselbe fand Glycogen in Milz, Nieren,
Haut, Knorpel und Knochen (p. 692).
3) Citirt bei Gorup-Besanez, Lehrbuch der physiol. Chemie. 1878.
p- 730.
4) Luchsinger, Experim. und krit. Beiträge zur Physiol. und Path.
des Glycogens. p. 14. Derselbe, Zur Glycogenbildung in der Leber. Pflüger’s
Archiv. 8. Bd. p. 302 Anmerk.
5) Thierfelder (Zur Physiologie der Milchbildung; Pflüger’s Archiv
32. Bd. p. 621) fand im Milchdrüsensecret nach Digestion desselben mit
Drüsenbrei ein Kohlehydrat. Saecharogen, nicht identisch mit Gly-
cogen, in welchem er die Muttersubstanz des Milchzuckers sieht.
Vergleichend-histochemische Untersuchungen über das Glycogen. 287
dasselbe Gewebe bei einem gut genährten Thier ganz anders aus-
sieht, als bei einem Hungerthier, so zwingt schon die blosse Rück-
sicht auf das verschiedene mikroskopische Verhalten die Histo-
logen, den Ursachen dieser Verschiedenheit nachzuspüren d. h.
den Inhalt der Gewebselemente in verschiedenen Stadien der Er-
nährung zu erforschen. An diesem Punkte muss auch der Histo-
loge die Ueberzeugung gewinnen, dass die Anatomie der Chemie
so wenig entrathen kann, wie irgend eine andere Naturwissen-
schaft. Mag man die Art der Forschung, .die ich hier angedeutet
habe, als „Histochemie‘‘ oder als „Mikrochemie“ bezeichnen; nie
aber soll man vergessen, dass sie mit den „Färbemethoden“ genau
so viel zu thun hat, wie jede Wissenschaft mit ihrem zugehörigen
Handwerk.
7. Andere Drüsen von Wirbellosen.
Unsere Kenntnisse über das Vorkommen des Glyeogens in
anderen, als den schon besprochenen Drüsen Wirbelloser sind noch
ausserordentlich lückenhaft. Ich habe hauptsächlich die Drüsen
der Gastropoden darauf untersucht und dabei soviel festgestellt,
dass bei gut genährten Individuen der Species Helix pomatia,
Limax variegatus, Limax agrestis, Limax einereo-niger und Arion
empiricorum das Glycogen prineipiell in keiner einzigen
Drüse fehlt.
Abgesehen von der Thatsache, dass das Glycogen in den alle
Organe dieser Thiere mehr oder weniger stark durchsetzenden
Bindesubstanzzellen bei guter Ernährung niemals fehlt, fand ich
es auch im eigentlichen Parenchym der Drüsen. War die Füt-
terung nicht sehr reichlich, so findet man allerdings oft nur Spuren
in den speeifischen Drüsenelementen.
So fand ich nach mehr oder weniger langer Brotfütterung
Glycogen in der Fussdrüse) und ihrem Hauptausführungsgang
bei Limax variegatus.
1) Vergl. über den Bau derselben u. A. Semper (Zeitschrift für
wissensch. Zoologie. 8. Bd. p. 351), der auch die ältere Literatur in der An-
merkung eitirt. Sochaczewer (Zeitschrift f. w. Zool. 35. Bd. p. 30—46),
der in der Fussdrüse, wie früher der Amerikaner Leidy, ein Geruchs-
organ sieht. Gegen diese Auffassung Simroth (Zeitschrift für wissensch.
Zoologie Bd. 36. p. 1—67), der sie lediglich als Schleimdrüse auffasst, die zur
Herstellung des Schleimbandes als Unterlage für die Fortbewegung beiträgt.
Man vgl. auch Carriere, Die Fussdrüsen der Prosobranchier ete. Dieses
Archiv. 21. Bd. p. 387.
988 Dietrich Barfurth:
Auch die Geschleehtsdrüset!) mit ihren Adnexen enthält nach
reichlicher Fütterung Glyeogen. So finde ich nach 5tägiger Brot-
fütterung bei Helix pomatia Glycogen in der Zwitterdrüse und
zwar sehr viel in den Bindesubstanzzellen, Spuren in den Follikeln;
ferner findet sich Glycogen in den Geweben des Vas deferens
des Eileiters, der Eiweissdrüse, des Pfeilsackes. Ebenso
verhalten sich Limax einereo-niger und Arion empiricorum.
Endlich fand ich auch Glyecogen in den Manteldrüsen?)
von Helix pomatia, die hauptsächlich Schleim, Pigment, kohlen-
sauren und phosphorsauren Kalk enthalten und ausstossen. Hier
fand sich oft das Glycogen diffus dem Drüseninhalt beigemengt
und zwar nur in den tieferen Partien der Drüse. 2
Von Drüsen anderer Wirbellosen habe ich noch mit Herrn
eand. med. B. Kirch die grüne Drüse des Flusskrebses unter-
geringe Mengen von Glycogen gefunden.
C
sucht und darin ebenfalls
II. Muskeln.
1. Muskeln der Wirbelthiere.
Bald nach der Entdeckung des Glycogens von Claude Ber-
nard und Hensen wurde das Vorkommen des Glycogens in den
Muskeln von verschiedenen Forschern (Sanson, Limpricht,
Mac-Donnel ete.) constatirt. ©. Nasse?) sprach dann zuerst
den Satz aus, dass das Glycogen ein normaler Bestandtheil
des Muskels sei, constatirte den verschiedenen Gehalt der
1) Ueber den Bau derselben siehe Leydig, Histologie p. 528 ff. Bronn,
Klassen und Ordnungen. Ill. 2. p. 1212 ff.
2) Ueber den Bau derselben vgl. Leydig, Die Hautdecke und Schale
der Gastropoden. Troschel’s Archiv. 1876. p. 209—292. Auch Blochmann,
Ueber die Drüsen des Mantelrandes bei Aplysia ete. Zeitschrift für w. Zoo-
logie. 1885. p. 411—418. Blochmann ist mit Boll und Leydig der An-
sicht, dass die einzelligen Drüsen als umgebildete Epithelzellen zu betrachten
sind, entgegen der von Flemming (Untersuchungen über die Sinnesepi-
thelien der Mollusken. Arch. f. mikr. Anat. Bd. VI. 489 ff.), „welcher sie
aus Bindegewebszellen hervorgehen und erst nachträglich mit der Aussenwelt
in Verbindung treten lässt“ (p. 417). Flemming hat aber später selber
seine geänderte Auffassung mitgetheilt. Dieses Archiv. 13. Bd. p. 847 Anm.
3) OÖ. Nasse, Beiträge zur Physiologie der contractilen Substanz.
Pflüger’s Archiv. 2. Bd. (p. 100).
Vergleichend-histochemische Untersuchungen über das Glycogen. 289
verschiedenen Muskelgruppen an Glycogen !) und den Ver-
brauch von Kohlehydraten (Glycogen und Zucker) bei der
Thätigkeit (Starre) des Muskels?°). Der letztere Satz ist
neuerdings durch die Versuche von Boehm erschüttert worden; der-
selbe kam zu folgenden Ergebnissen: „Die Starre allein hat keine
Abnahme des Muskelglycogens zur Folge; wo sich die Prozesse
der Fäulniss und Starre combiniren, nimmt der Glycogengehalt der
Muskeln zwar deutlich ab, ohne indessen vollständig zu verschwin-
den“ (p. 54). Es scheint aber doch, dass für den unversehrten
Muskel des lebenden Organismus das Nasse’sche Prineip*), „dass
der Glyeogengehalt in umgekehrtem Verhältnisse zur Thätigkeit
des Muskels steht‘, seine Gültigkeit behalten wird. Der grössere
Glycogengehalt derjenigen Muskeln, die durch Nervendurch-
schneidung ), künstliche Behinderung ®), natürliche Bedingungen der
Organisation”) in ihrer Funetion gestört sind, andererseits die
Verminderung des Glyeogengehalts durch Tetanisirung 3)
1) Bemerkungen zur Physiologie der Kohlehydrate. Pflüger’s Archiv.
14. Bd. p. 482.
2) O. Nasse, Beiträge etc. p. 106.
3) Boehm, Ueber das Verhalten des Glycogens und der Milchsäure
im Muskelfleisch ete. Pflüger’s Archiv 23. Bd. p. 44.
4) ©. Nasse in Hermann’s Handbuch der Physiologie. I. Bd. p. 281.
5) Mac Donnel, Americ. journ. of the med. se. XLVI. 1863 p. 523.
Citirt bei O.Nasse in Hermann’s Handbuch. Chandelon, Pflüger’s Archiv
13. Bd. p. 626.
6) Ogle, St. George hospital. reports III. 1868 p.. 149. Citirt bei
0. Nasse I. c.
7) Weiss (Wiener acad. Sitzungsberichte LXIV. Bd. 1871. II. Abtheilg.)
fand, dass bei hungernden Hühnern das Leberglyeogen schon verschwunden
sein kann, während die Brustmuskeln noch ansehnliche Mengen von Glycogen
beherbergen. Die Erklärung für diese merkwürdige Thatsache gab Luch-
singer. Schon in seiner Dissertation hatte er nachgewiesen, dass beim Hund,
bei der Katze, der Taube, dem Kaninchen und dem Frosch das Muskelgly-
cogen viel früher verschwindet als das Leberglyeogen (l. e. p. 19 ff.). Er
erklärte deshalb den Befund von Weiss dadurch, dass gerade beim Huhn
das sehr reducirte Flugvermögen die Ansammlung und längere Erhal-
tung des Glycogens in den Peetorales begünstigen und ermöglichen müsse.
Den directen Beweis für die Richtigkeit dieser Erklärung brachte Luch-
singer dann später (Pflüger’s Archiv 18. Bd. 1878. p. 472 ff.).
8). Weiss. 2, 2,0. 287,
390 Dietrich Barfurth:
und ‚Inanition, bei welcher es parallel der Leistungsfähigkeit
schwindet“ 1), alle diese Thatsachen sprechen entschieden für die
Nasse’sche Lehre. Freilieh ist damit nicht bewiesen, dass das
Glycogen die direete Kraftquelle des Muskels ist.
Der Glycogengehalt des Muskels scheint keine Bezie-
hung zu seiner Farbe zu haben. Die Muskeln haben nach
Krause?) eine „eigenthümliche, rothe, blasse oder dunklere Farbe.“
Krukenberg (Vgl.-physiol. Studien IV. Abtheilg. p. 44 ff.)
untersuchte bei Luvarus imperialis die verschiedenartige Function
der rothen, halbrothen und meergrünen Skeletmuskeln. Ich
habe beim Kaninchen auf eine etwaige Beziehung der Farbe der
Muskeln zum Glycogengehalt geachtet und gebe im folgenden eine
kurze Mittheilung darüber.
Während die meisten Muskeln des Kaninchens (Extremitäten,
Bauchmuskeln etc.) farblos oder leicht gelblich erscheinen, sind
einige andere (Zwerchfell) ganz roth. Nach Krause „steigt die
Anhäufung des Farbstoffs mit dem stärkern Gebrauch“ (Semiten-
dinosus des Kaninchens) (p. 80). Wie Grützner?) mittheilt, er-
gaben die Versuche von Ranvier, Kronecker und Stirling
übereinstimmend, dass die „weissen Muskeln sich schnell, die
rothen dagegen langsam zusammenziehen und in gleicher Art wie-
der in ihren Ruhezustand zurückkehren. Zudem ermüden erstere
schnell, letztere dagegen langsam.“ Grützner bemerkt dann wei-
ters „Die rothen Muskeln des Kaninchens enthalten über noch ein-
mal so viel sich mit Jod braun färbende Substanz als die weissen“
(p. 672 Anm.). Grützner schreibt diesen Umstand z. Th. dem
srösserern Gehalt an Haemoglobin, z. Th. dem wahrsebeinlich
reichern Glyeogengehalt zu (p. 672). Ich habe die Muskeln des
Kaninchens sehr oft mikrochemisch untersucht und bin zu der An-
sicht gekommen, dass in den rothen Muskeln der Glyeogen-
gehalt nur zum Theile die stärkere Braunfärbung durch Jod ver-
anlasst. Ein sehr lehrreiches Object ist das fast stets roth gefärbte
1) von Wittich in Hermann’s Handbuch der Physiologie V.p. 2. 362 ff.
Derselbe giebt hierin auch die Versuche von Boehm und Hoffmann (Arch.
f. exper. Path. u. Pharm. 8. Bd. p. 422 ff.), und einige der Versuche von
J. Mayer (Pflüger’s Archiv Bd. 17. p. 164 ff.).
2) W. Krause, Allgemeine u. mikrosk. Anatomie. 1876. p. 80.
3) Grützner, Zur Anatomie und Physiologie der quergestreiften
Muskeln. Recueil zoologique Suisse I. Bd. 1884. p. 665 ff.
Vergleichend-histochemische Untersuchungen über das Glycogen. 291
Zwerchfell des Kaninchens. Hier sieht man deutlich, dass manche
Muskelfasern durch Jod braun werden, während andere gelb blei-
ben; dazwischen bemerkt man Uebergänge, so dass einzelne Muskel-
fasern nur zum Theil vom Glycogen infiltrirt erscheinen. Andere
Thatsachen aber zwingen direct zu der Annahme, dass die rothe
Farbe der Muskelfaser vom Glyecogengehalt unabhängig, also
wohl hauptsächlich durch den grössern Gehalt an Blutfarbstoff be-
dingt ist. Es scheint festzustehen, dass Rothfärbung der Muskel-
faser ein Product ihrer Thätigkeit ist. Grützner findet die
Pectorales aller gut fliegenden Vögel dunkelroth (p. 683). Ebenso
fand Luchsinger!) die „stetsfort thätigen“ Schenkelmuskeln des
Huhns roth, die „mit minimaler Leistung bedachten“ Brustmuskeln
weiss. Da nun aber die rothen Schenkelmuskeln kein’
Glyeogen, die weissen Brustmuskeln ansehnliche Mengen
desselben enthalten (Luchsinger) und überhaupt bei Thä-
tigkeit des Muskels Glycogen verschwindet, so muss
der Glycogengehalt von der Farbe des Muskels unab-
hängig sein, oder die weissen Muskeln müssen mehr
Glyeogen enthalten als die rothen?). In der That findet
man sehr oft in weissen Muskeln (Kaninchen, Frosch, Krebs) nach
Jodbehandlung intensive Braunfärbung, die dem Gehalt an Glycogen
zuzuschreiben ist?). Eine volle Aufklärung dieser Thatsachen ist
wohl zur Zeit unmöglich.
1) Luchsinger, Notizen z. Physiol. des Glycogens. Pflüger’s Archiv.
18. Bd. p. 472 ff.
2) Grothe fand in den rothen Brustmuskeln von Fledermäusen un-
mittelbar nach der Tödtung kaum Spuren, während die hellen Muskeln des
Körpers durchaus wägbare Mengen von Glycogen führten. Von Wittich
in Hermaun’s Handbuch |. c. p. 367.
3) Ich hebe dies hervor, weil dadurch der Vorwurf entkräftet wird.
dass durch Jod braunroth gefärbter Blutfarbstoff mit Glycogen verwechselt
wäre. Gewebe, die mit aufgelöstem Blutfarbstoff imbibirt sind, sehen
schon vor der Jodbehandlung rothbraun aus und zeigen nachher
unter dem Mikroskop keine Aenderung dieser Farbe ; deshalb hat von Wit-
tich wohl Recht, wenn er Jodjodkaliumlösung als bestes Conservirungsmittel
für Blutkörperchen erklärt (l. c. p. 366 Anm.). Unter dem Mikroskop zeigt
ein mit Blutfarbstoff imprägnirtes Gewebe auch nach Jodbehandlung einen
stärkeren Stich in’s Rothe, während beim Jodglycogen der braune
Farbenton stets vorherrscht. Jodglycogen entfärbt sich beim Er-
wärmen, Blutfarbstoff in Jod nicht.
Archiv f. mikrosk. Anatomie. Bd. 25, 21
299 Dietrich Barfurth:
Auf die vom Leberglycogen etwas verschiedene Färbung, die
das Muskelglycogen durch Jod erleidet, habe ich schon früher ver-
wiesen!). In den Muskelfasern selber sehe ich von dieser Ver-
schiedenheit nichts: glycogenhaltige Muskelfasern werden durch
Jod braunroth, wobei ich zuweilen einen Stich in’s Orange bemerke.
Ich habe die Muskeln vom Kaninchen, Meerschweinchen, Schaf,
Reh, von mehreren Wirbelthierembryonen, vom Frosch, von der
Eidechse und der Forelle untersucht und sie immer mehr oder
weniger glycogenhaltig gefunden; stets wurde das Glycogen durch
Jod braunroth. Auf eine sehr wichtige Eigenthümlichkeit, die ich
an vielen Objeeten bestätigen konnte, hat Ehrlich hingewiesen.
Er fand, dass die eigentliche Muskelfibrille frei von Glycogen,
die interfibrilläre Kittsubstanz von ihm durchsetztist?).
Bei glycogenreichen Muskeln habe ich freilich das Glycogen auch
in den Fibrillen selber wahrgenommen, was sich an Querschnitten
unzweifelhaft feststellen lässt. Im Sarkolemm habe ich nicht immer
Glycogen gefunden; an vielen Muskelfasern hob es sich als ein
nur leicht gefärbter Saum von der Muskelfaser ab. In manchen
Muskeifasern sieht man deutlich einige Fibrillen frei von Glycogen,
andere mit Glycogen imprägnirt. Eine hohe physiologische Be-
deutung muss der Thatsache zugeschrieben werden, dass der
Muskel selbständig Glycogen zu bilden vermag, wie
Külz?) durch eine schöne Untersuchung an entleberten Fröschen
gezeigt hat.
In der normalen Herzmuskulatur ist das Glyeogen von Luch-
singer*) und Weiss’) aufgefunden worden. Von Wittich®)
gelang die Gewinnung nicht; ich habe im Herzen vom Kaninchen,
Meerschweinchen und Winterfröschen vergeblich darnach gesucht 7).
1) Man vergl. die Zusammenstellung der Angaben über diesen Punkt
bei Külz, Pflüger’s Archiv. 24. Bd. p. 64 Anm.
2) Ehrlich, a. a. O. p. 44.
3) Külz, Bildet der Muskel selbstständig Glycogen? Pflüger’s Archiv
Bd. 24. p. 64 ff.
4) Luchsinger, Zur Physiologie etc. p. 14.
5) Citirt bei von Wittich, a. a. O. p. 367.
6) Hermann’s Handbuch |. c. p. 367.
7) Aus später zu beschreibenden Versuchen geht aber hervor, dass
man bei geeigneter Fütterung auch in der Herzmuskulatur von Fröschen
Glycogen zur Aufspeicherung bringen kann.
Vergleichend-histochemische Untersuchungen über das Glycogen. 293
Dagegen habe ich in den vereinzelten Muskelbündeln, die die
Haut des Kaninchens durchziehen (Hautmuskel) Glycogen nach-
weisen können.
Auch in glatten Muskelfasern ist Glycogen gefunden
worden. Brücke!) wies es in der Muskelhaut des Schweine-
magens nach.
Brücke (l. e. p. 220) stellte auch Glycogen aus Karpfen-
muskeln dar.
2. Muskeln von Wirbellosen.
Ueber das Vorkommen von Glycogen in denselben liegen
mehrere Angaben vor, die Krukenberg?) zusammengestellt hat.
Chittenden fand es in den Muskeln von Pecten irradians ;
Hoppe-Seyler, Krukenberg, OÖ. Nasse, B. Kirch und ich
in den Muskeln von Crustaceen; Schwalbe in der Marksubstanz
der Blutegelmuskeln.
Ich habe die Muskeln des Regenwurms und die der Gastro-
poden untersucht und folgendes gefunden.
Regenwürmer, die hier im Institut zur Fütterung der Fische
ete. dienen und gewöhnlich mehrere Tage ohne Nahrung in einem
feuchten Glase gehalten werden, wurden in absolutem Alkohol ge-
härtet und dann mikrochemisch untersucht; ich fand aber bei die-
sen Thieren kein Glycogen in der Muskulatur der äussern Körper-
hülle. Darauf fahndete ich auf besser genährte Thiere, wartete
eine Regenzeit ab, liess am dritten Regentage (8. April 1885) im
Garten Regenwürmer aus fetter Gartenerde ausgraben und brachte
mehrere in Stücke zerschnittene grosse und kleine Exemplare so-
fort in absoluten Alkohol. Nach der Härtung wurden Quer- und
Längsschnitte in Ehrlich’s Jodgummi untersucht. Auch bei diesen
frisch gefangenen Thieren ergaben sich Unterschiede je nach dem
Ernährungszustande. Die Körpermuskulatur soleher Würmer, deren
Darm fast leer war, zeigte sich glycogenfrei, während solche mit
gefülltem, erdehaltigem Darm Glycogen in der Muskular aufwiesen.
Das Glyeogen war diffus in den Quer- und Längsmuskelbündeln
1) Brücke, Sitzungsberichte der Wiener Akademie LXII. 2. Abth. 1871.
2) Krukenberg, Literaturangaben über die Verbreitung des Gly-
cogens und anderer stärkeartiger Körper im Thierreiche. Vergl.-physiol.
Studien an den. Küsten der Adria. II. Abth. p. 60, 61.
294 Dietrich Barfurth:
verbreitet. Es hat nun Claude Bernard!) schon bewiesen, dass
im Körper des Regenwurms in der That Glycogen enthalten ist;
da es mir aber darauf ankam, ob speciell die Muskeln Glycogen
enthielten, so habe ich noch folgenden Versuch gemacht. Die
Körper zweier grosser Regenwürmer, die in absolutem Alkohol
gehärtet waren und in deren Muskulatur ich mikrochemisch
Glycogen nachgewiesen hatte, schnitt ich mit der Scheere
der Länge nach auf und präparirte aus der Körperhülle den Darm
und alle inneren Theile sorgfältig heraus, was sehr leicht gelingt.
Die muskulöse Körperhülle- habe ich dann mit destillirtem Wasser
längere Zeit ausgekocht; das eingedampfte leicht gelblich gefärbte
stark opaleseirende Decoct liess ich erkalten und fällte aus dem-
selben mit Salzsäure und Kaliumquecksilberjodid die Eiweiss-
körper ete. Der entstehende geringe Niederschlag wurde abfiltrirt
und das Filtrat mit 96°/, Alkohol versetzt, bis ein weisser flockiger
Niederschlag entstand. Ich liess absetzen, filtrirte, wusch aus und
erhielt eine kleine Menge eines weissen Pulvers. Eine kleine Probe
davon in eine dünne, nur leicht braune Jodjodkaliumlösung gebracht
umgab sich sofort mit einem tiefbraunen Hof und löste sich dann
mit brauner Farbe. Der Rest des Niederschlages wird in destil-
lirtem Wasser gelöst. In eine Probe der opaleseirenden Lösung
wird ein reines Jodsplitterchen (nach Külz) gebracht: die Flüssig-
keit wird sofort braun und allmählich tiefbraun. Eine andere
Probe wird mit Speichel versetzt und steht 5 Stunden bei Zimmer-
temperatur; sie liefert dann Trommer’sche Zuckerreaetion; die-
selbe Reaction erhielt ich von einer kleinen Menge der Lösung,
die einige Zeit mit verdünnter Schwefelsäure gekocht wurde. Es
kann also keinem Zweifel unterliegen, dass die mikrochemische
Methode auch hier zuverlässig ist: die Muskulatur des Regen-
wurmes enthält echtes Glycogen.
Es ist eine missliche Sache, das Glycogen, was man nach
Brücke’s Methode erhalten hat, abschätzen zu wollen, wenn man
es nicht wägen will (vgl. Külz, Pflüger’s Archiv. Bd. 24 p. 5).
Immerhin nehme ich keinen Anstand zu sagen, dass die Menge
Glycogen, die ich aus der Muskulatur des Regenwurmes erhielt,
verhältnissmässig gross war.
Da wir einmal bei den Würmern sind, so mag hier noch
1) Claude Bernard, Lecons sur le phenomönes ete. Bd. II. p. 115.
Vergleichend-histochemische Untersuchungen über das Glycogen. 295
bemerkt werden, dass ich auch in der muskulösen Körperhülle von
Nematoden Glycogen gefunden habe. Es waren das Darmtrichinen
des Kaninchens und kleine Nematoden (Angiostomum Lim. Dies.)
in den grösseren Gefässen von Arion empiricorum.
Was nun die Muskulatur !) der Gastropoden anbetrifft, so
macht sich auch hier das allgemeine Gesetz geltend, dass der
Glycogengehalt im umgekehrten Verhältniss zur Thätigkeit des
Muskels steht. Verhältnissmässig wenig thätig sind die Muskulatur
des Schlundkopfes, des Musculus columellaris, die Muskelfasern
im Darm, in den Ausführungsgängen der Leber u. s. w. Diese
Muskeln habe ich bei gut genährten Thieren stets glycogenhaltig
gefunden. Eine stärkere Thätigkeit müssen wir wohl der Fuss-
muskulatur zuschreiben und hier walten nun eigenthümliche Ver-
hältnisse ob. Die Muskelfasern dieses Organs, die sich nach allen
Richtungen des Raumes durchkreuzen und verzweigen, sind selten
so glycogenreich, dass die mikrochemische Untersuchung mit voller
Sicherheit das Glycogen nachweisen könnte. Nur bei Thieren, die
längere Zeit mit Brot gefüttert waren und dann 12—20 Stunden
in träger Ruhe verharrten, fand ich die Muskelröhren selber mit
Glyeogen durchtränkt; bei anderen Thieren der Gattungen Helix,
Limax und Arion zeigten die Muskeln selber nach Jodbehandlung
nur einen eigenthümlichen orangebraunen Farbenton, der auf einen
geringen Glycogengehalt hinweist. Da nun aber der Fuss gut
genährter Thiere sehr glycogenreich ist — ich fand bei Helix po-
matia nach 5tägiger Brotfütterung 3,29 °/, Glycogen! —, so fragt
es sich, wo denn diese ungewöhnlich grosse Glycogenmenge sitzt.
Die Antwort ergibt sich leicht aus der mikrochemischen Unter-
suchung des Organs. Fertigt man Querschnitte eines in absol.
Alkohol gehärteten Fusses an, und untersucht sie in Jodlösungen,
so erstaunt man immer wieder über das Bild, was sich unter dem
Mikroskop darbietet. Zwischen dem Gewirre der Muskelbalken
erblickt man grössere und kleinere Glycogenklümpchen oder -ku-
seln in ungeheurer Menge, die frei zwischen den Muskeln zu liegen
scheinen. Wendet man aber stärkere Vergrösserungen an, so sieht
man an Jodgummi-, besser aber noch an Jodglycerinpräparaten,
dass das Glycogen nicht frei, sondern überall iin Zel-
1) Man vgl. dazu u.A. Schwalbe, Ueber den feineren Bau der Muskel-
fasern wirbelloser Thiere. Arch. f. mikr. Anat. p. 237 ff.
296 Dietrich Barfurth:
len liegt und diese Zellen sind die uns bekannten Binde-
sewebszellen (Plasmazellen und Bindesubstanzzellen Brock’s).
Wem noch Zweifel bleiben, der fertige ein Jodglycerinpräparat
an und warte bis sich das Glycogen gelöst hat, was unter dem
Deckglase in 24 Stunden vollendet zu sein pflegt. Man sieht dann
deutlich zwischen den Muskelbalken die zahlreichen Bindegewebs-
zellen liegen, die vorher mit Glycogen erfüllt waren. Die periphere
Zellschicht erscheint dann gelb, ebenso der Kern mit dem ihn um-
sebenden Protoplasma; in manchen Zellen ist die gelbgefärbte
Trägersubstanz (Ehrlich) noch zurückgeblieben. Die Beobachtungen
Ehrlich’s!) finden hier eine glänzende Bestätigung: die contraetilen
Muskelfasern selber enthalten nur wenig Glycogen, die
zwischen ihnen liegenden Bindegewebszellen aber sta-
peln dasselbe in ungeheurer Menge auf. Von diesen Lager-
plätzen aus werden nun höchst wahrscheinlich die Muskelbalken
versorgt und sie verbrauchen das Glycogen während ihrer Arbeit;
denn es verschwindet allmählich beim Hungern und zwar um so
schneller, je mehr sich die Thiere bewegen.
Endlich haben wir bei den Schnecken noch Muskeln, deren
Thätigkeit von den Thieren am meisten in Anspruch genommen
wird. Das sind die Retractoren der Fühler. In denselben
habe ich niemals Glycogen nachweisen können; durch Jod-
lösungen färbten sie sich lediglich gelb. Nur die wenigen sie
umgebenden Bindegewebszellen enthalten auch hier grössere Mengen
von Glycogen.
Ein Vergleich der mitgetheilten Thatsachen ergibt also auch
für die Muskulatur der Gastropoden die Gültigkeit des O. Nasse’-
schen Gesetzes über die Beziehung des Glycogengehalts zur Thätig-
keit der Muskeln.
3. Muskeln von Wirbelthierembryonen.
Vor Entwicklung der Muskelfasern fand Claude Bernard’)
in den Muskeln kein Glycogen. Nach Entwicklung der histolo-
1) Ehrlich, a. a. O. p. 44: „Es dürfte wohl ein allgemeines
Gesetz sein, dass in allen einer Bewegung fähigen Elementen
das Glycogen oder analoge Reservestoffe nicht in, sondern um
das specifisch Contractile gelagert sind.“
3) Claude Bernard, De la matiere glycogene etc. Journal de la
physiol. 1859. p. 333 ft.
Vergleichend-histochemische Untersuchungen über das Glycogen. 297
gischen Elemente aber bei grösseren Embryonen fand er es in
der Muskelfaser als „une substance grenue intercalee.“ Zeigt die
vollständig fertige Muskelfaser schon deutliche Streifung, so findet
man in ihr das Glycogen „a l’etat d’infiltration“. Er fand es
ferner in den glatten Muskelfasern des Herzens und der Eingeweide
während der Entwickelung. Ueberhaupt enthalten die Muskel-
fasern während des ganzen intrauterinen Lebens Glycogen und es
schwindet erst nach der Geburt sehr schnell durch den Einfluss
der Athmung und Bewegung. v. Wittich!!) fand in der Mus-
kulatur eines frischen 5—6 Monate alten menschlichen Foetus
0,6%/, Glycogen.
Ich habe grössere Embryonen vom Sehaf, Kaninchen, Meer-
schweinchen, Reh und Forellen vor Resorption der Dotterblase
mikrochemisch untersucht und die Muskeln stets glycogenreich ge-
funden. In allen von mir untersuchten Fällen waren die Muskel-
fasern mit Glycogen imprägnirt.
'Eigenthümlich fand ich das Verhalten des Glycogens in der
Herzmuskulatur eines kleinen Kaninchenembryo aus der 1.—2.
Woche. In einem Schnitte aus der Herzspitze zeigte sich in den
Muskelfasern leichte Querstreifung, die Fasern selber waren mit
wenig Glycogen infiltrirt. Zwischen den Muskelfasern aber zeigten
sich kleine helle Zellen, die mit Glycogen erfüllt waren; es findet
sich also hier vorübergehend ein Sachverhältniss,, was bei den
Gastropoden dauernd ist.
[4
Il. Nervensystem.
1. Nervöse Elemente der Wirbelthiere.
Ueber das Vorkommen von Glycogen im normalen Gehirn
und den Nerven von Wirbelthieren liegt, so viel mir bekannt ist,
nur die Angabe von Pavy vor, der es im Gehirn fand. (Siehe
Centralblatt für die med. Wissensch. 1882. p. 101.) &rohe?) fand
Glycogen im Gehirn eines Diabetikers.
Ich selber habe das Gehirn gut genährter Kaninchen, deren
Leber sehr glycogenreich war, auf Glycogen untersucht, aber nichts
1) von Wittich in Hermann’s Handbuch p. 368.
2) Citirt bei Gorup-Besanez, Lehrbuch der physiol. Chemie. 1878.
p- 218.
298 Dietrich Barfurth:
gefunden; auch die grössern Nerven, die ich untersuchte, waren
glycogenfrei. Gehirn, Rückenmark und Nerven der von mir unter-
suchten Meerschweinchen und Winterfrösche enthielten kein Gly-
cogen. Auch Paschutin (a. a. O. p. 642) fand im Gehirn des
Hundes niemals Glycogen.
2. Nervensystem der Wirbellosen.
Ich habe Limax variegatus und Helix pomatia nach 3-, bezw.
5tägiger Brotfütterung untersucht und folgendes gefunden.
Die Schlundganglien und grössern Nervenstämme!) der Thiere
wurden möglichst schnell präparirt und in absoluten Alkohol ge-
bracht. Schnitte dieser Präparate wurden in Jodgummi und Jod-
glyceerin untersucht und ergaben, dass die meisten Ganglienzellen
ganz glycogenfrei waren, dass aber einzelne deutliche Spuren von
Glycogen enthalten, diffus an einer Seite des Protoplasma sich
hinziehend; der Kern ist hier wie in allen Zellen stets glycogen-
frei. Die Gesammtheit der eigentlichen Ganglienzellen, in deren
Mitte die stets glycogenfreie Leydig’sche ‚„Punetsubstanz“ ?) liegt,
ist nun umgeben von einer streifigen Substanz, die sich in die
Commissuren fortsetzt. Sie besteht zum Theil aus Neurilemm,
zum Theil aus Nervenfasern; zerstreut findet man einzelne Binde-
substanzzellen und Muskelfasern®). Diese streifige Masse ist nun
ganz von Glyengen durchsetzt, welches meist in feinen Zügen, oft
in grösseren Massen, zuweilen auch punktförmig auftritt und, wie
es scheint, immer dem bindegewebigen Neurilemm folgt,
während die eigentlichen Nervenfasern frei von Glycogen sind.
Die Bindesubstanzzellen sind auch hier mit Glycogen vollgepfropft.
Was die grösseren Nervenstämme anbetrifft, so sind sie
nach aussen zunächst von dem primären) Neurilemm (primäres
1) Ueber den feineren Bau dieser Organe geben die Untersuchungen
von Leydig, Walter, Buchholz, Waldeyer, Schwalbe, Boll,
Solbrig, H. Schultze u. A. Auskunft. Die Literatur findet man bei
H. Schultze im Archiv f. mikrosk. Anatomie. 1879. p. 57 ff. Sehr schöne
Zeichnungen der Ganglienkugeln aus dem Gehirn von Limax cinereus gibt
Leydig in den „Untersuchungon zur Anatomie und Histologie der Thiere“.
Bonn 1883. Tafel VII, Fig. 73, 74.
2) Leydig, Archiv für mikroskopische Anatomie. 1. Bd. p. 48 (Zur
Anatomie und Physiologie der Lungenschnecken).
3) Leydig, l. c. p. 5l und Archiv f. mikr. Anat. VII. Bd. p. 207.
4) Leydig, Archiv f. mikr. Anatomie. I. Bd. p. 51.
Vergleichend-histochemische Untersuchungen über das Glyeogen. 299
Neurilemmarohr, Hermann)'!) umgeben, welches nach innen zu
Septa°) bildet (seeundäres Neurilemm, Leydig; Secundärschei-
den, Hermann). Dieses secundäre Neurilemm umhüllt nun die
eigentlichen Nervenfasern, die wieder aus einer Anzahl feiner
Fibrillen bestehen und deshalb von Waldeyer?) als „Axen-
fibrillenbündel“ definirt wurden. Untersucht man nun Quer-
schnitte von grösseren Nerven reichlich genährter Thiere in Jod-
lösungen, so zeigen sich vor allen Dingen die ganz aussen liegen-
den „Plasmazellen“ des primären Neurilemms ganz mit Glycogen
erfüllt. Dann findet man es in den Faserzügen des primären und
hier und da auch des secundären Neurilemms, während die Ner-
venfasern ganz frei davon bleiben.
Fassen wir das Gesagte zusammen, so ergibt sich, dass die
eigentlich thätigen nervösen Elemente nur unbedeutende
Spuren von Glycogen aufweisen, dass aber die bindegewebigen
Hüllen auch hier die Vorrathskammern spielen, in denen die Auf-
speicherung erfolgt. |
3. Nervöse Elemente von Wirbethierembryonen.
Claude Bernard) konnte in keiner Entwieklungsepoche
Glycogen in den nervösen Geweben nachweisen. „J’ai traite,
soit par la coction, soit par divers autres moyens pr&c&dement in-
diques, le cerveau, la moelle Epiniere..... chez des foetus d’homme,
de veau, de mouton, de lapin, et & aucun äge je n’ai pu y con-
stater Ja moindre trace de matiere glycogene.“ Ich kann diese
Angaben lediglich bestätigen. Gehirn und Rückenmark der von
mir untersuchten Embryonen vom Schaf, Reh, Meerschweinchen,
Kaninchen, der Forelle und des Frosches waren glycogenfrei.
l) Hermann, Centralnervensystem vom Hirudo medic. München 1875.
Citirt bei H. Schultze l. c. p. 64.
2) Vergl. H. Schultze 1. ce. p. 79: „Das Lumen des Nervenstammes
ist durch ziemlich regelmässige Septa, die vom primären Neurilemm aus-
gehen, in eine Anzahl Fächer abgetheilt.“
3) Waldeyer, Untersuchungen über den Ursprung und den Verlauf
des Axencylinders bei Wirbellosen und Wirbelthieren etc. Zeitschrift für rat.
Mediein. 20. Bd. 1863. (p. 208).
4) Claude Bernard, De la matiere glycogene etc. p. 332.
300 Dietrich Barfurth:
B. Glycogen in den Bindesubstanzen.
I. Bindesubstanzen der Wirbelthiere.
1. Knorpel.
Ueber das Vorkommen des Glyeogens in den Knorpeln erwach-
sener Thiere liegen mehrere Angaben vor, während es nur von Pa-
schutin (a. a. O. p. 642) im eigentlichen Knochen gefunden wurde.
Schon Ranvier!) theilte mit, dass die Zellen eines Hyalinknorpels
sich durch eine Jodlösung „en brun fone&* färben, während die Grund-
substanz und die Kapseln „n’ont qu’une teinte legere“. Später?)
schrieb er diese Reaction der Anwesenheit von Glycogen zu.
Neumann?) widmete der „Jodreaction der Knorpel- und Chorda-
zellen“ eine besondere Untersuchung, deren Resultat war, dass
diese Zellen in der That Glycogen enthalten. Es gelang
Jaffe*), das Glycogen aus der Chorda dorsalis von Petromyzon
darzustellen; dasselbe zeigte alle Eigenschaften des echten Gly-
cogens. Aus den Knorpeln erhielt er kein Glycogen, obgleich die
Zellen derselben die Jodreaction deutlich zeigten (p. 58, 59).
Ich selber habe bei einer grossen Zahl von Kaninchen, bei
Meerschweinchen und Fröschen die Knorpel untersucht. In allen
Gelenkknorpeln, Ohrknorpeln, Rippenknorpeln, Trachealknorpeln,
in den knorpeligen Enden der Knochen (Scapula, Processus xiphoi-
des etc.) und den Knorpeln des Kehlkopfes bei Kaninchen fand
sich Glycogen. Diese Diagnose habe ich aus folgenden Gründen
gestellt: 1) Die in den Knorpelzellen enthaltene zu bestimmende
Substanz färbt sich durch Jodlösungen intensiv rothbraun bis tief-
braun. 2) Sie ist unlöslich in absolutem Alkohol, so dass an
Präparaten, die in diesem Reagenz aufbewahrt werden, die Jod-
reaction unter dem Mikroskop jeden Augenblick angestellt werden
kann. 3) Sie ist löslich in Wasser und Glycerin, deshalb auch
in Lugol’scher Lösung und Jodglycerin. Bringt man also Schnitte
eines Knorpels in letztere beiden Lösungen, so tritt zuerst die
1) Ranvier, De quelques points relatifs a la preparation et aux pro-
prietös des cellules de cartilage. Journale de la physiologie. 1863. p. 574 ff.
(p. 575).
2) Ranvier, Technisches Lehrbuch der Histologie. Uebersetzt von N i-
eati und v. Wyss. 1877. p. 258, 268.
3) Neumann im Archiv f. mikr. Anat. 14. Bd. p. 54 ff.
4) Siehe bei Neumann |. c. p. 58, 59.
Vergleichend-histochemische Untersuchungen über das Glycogen. 301
Glycogenreaction auf, verschwindet aber allmählich mit Auflösung
des Jodglycogens. Da im Laufe der Zeit auch das Jod allmählich
aus solchen Präparaten (Jodglycerin) verdunstet, so bleibt zuletzt
der blass gefärbte Knorpel in farblosem Glycerin zurück. 4) Sie
findet sich nur in den Knorpeln mässig gut und gut genährter
Thiere, verschwindet aber dureh längeres Hungern. Letz-
tere Thatsache habe ich an zwei Kaninchen festgestellt, von denen
das eine 6, das andere 7!/, Tage gehungert hatte. Bei ersterem
Thiere fand ich noch Glycogen in den Knorpeln am Brustbein und
den falschen Rippen, kein Glycogen in den Ohrknorpeln. Bei
dem zweiten Thiere waren die Zellen der Ohrknorpel, Gelenk-,
Rippen- und Trachealknorpel glycogenfrei, aber selbst nach so
langem Hungern fand sich noch Glyeogen in den Zellen des Knor-
pels am Processus xiphoides.
Ich habe mir dann viele Mühe gegeben, das Glycogen aus den
Knorpeln des Kaninchens und des Kalbes !) darzustellen (siehe weiter
unten), aber so wenig Erfolg gehabt, wie Jaffe. (Dagegen gelang
Paschutin die Darstellung. A.a.0.p. 692. Vgl. oben p. 286.) Die
Ursachen suche ich in der ohne Zweifel nur sehr geringen Menge
des vorhandenen Glycogens, in der ausserordentlichen Festigkeit
des Gewebes und dem sich nachher beim Kochen bildenden Leim,
der wahrscheinlich das Glycogen mechanisch umhüllt und die
spätere Gewinnung vereitelt. Dass die Extraction 2) des Knorpel-
gewebes sehr schwierig ist, erfuhr ich noch auf andere Weise.
1) Es waren meist Rippenknorpel, die ich mir gleich nach dem Schlachten
der Thiere verschaffte. Da aber die Kälber vor dem Schlachten, wie es
scheint, nur mässig genährt wurden, so waren die Knorpelzellen glycogen-
frei oder enthielten nur Spuren von Glycogen.
2) A. Budge hat freilich nachgewiesen, dass eine Communication zwi-
schen Lymphgefässen mit Knorpelkapseln existirt, sagt aber selber, dass es
unendlich feine Canälchen sind, die den Säftestrom vermitteln. (Die Saft-
bahnen im hyalinen Knorpel. Archiv f. mikrosk. Anatomie. p. 65 ff. (p. 72.)
C. Hasse (Pflüger’s Archiv 33. Bd. p. 58) gibt an, dass die „Imbibitions-
fähigkeit“ der Knorpelgrundsubstanz die schnelle und ausgiebige Ernährung
des Knorpels sichere und dass das Herausdringen der Nährflüssigkeit durch
Safträume des Perichondriums, welches direct oder indireect mit Muskeln im
Zusammenhang steht, befördert werde. — Jedenfalls kann man voraussetzen,
dass die Durchspülung im Knorpel langsamer geschieht, als in andern
lockerern Geweben; dafür liefert meine oben mitgetheilte Erfahrung einen
Beweis, x
302 Dietrich Barfurth:
Knorpel vom Kalb, Kaninchen und Meerschweinchen schnitt ich
mit dem Skalpell in dünne Scheiben und brachte sie in Glycerin.
Nach 4 Monaten habe ich diese Scheiben auf Glycogen ge-
prüft und dasselbe noch überall in den etwas tieferen
Schichten der Knorpelscheiben gefunden. Aus mikrosko-
pischen Schnitten wird es viel schneller extrahirt, weil hier
natürlich das Reagenz überall leichter eindringen kann und mei-
stens auch die Knorpelkapseln angeschnitten werden.
Im embryonalen Knorpel wurde das Glycogen schon von
Rouget!) und etwas später auch von Mac Donnel?) nachge-
wiesen, während Claude Bernard?) auffallenderweise das Gly-
cogen weder im Knorpel noch im werdenden Knochen des Foetus
vom Menschen, vom Kalb, vom Schaf und Kaninchen gefunden
hat. Claude Bernard spricht hier allerdings nicht davon, dass
er mikrochemisch untersucht hat, was er sonst immer hervorhebt;
vielleicht liegt es daran, dass er das Glycogen nicht fand. In der
That kann es keinem Zweifel unterliegen, dass Glycogen im Knor-
pel und auch in den sich entwickelnden Knochen vorkommt.
So fand ich bei einem Schafembryo Glyeogen im Gelenkknorpel
der Tibia und Fibula; bei einem Kaninchenembryo in den Brust-
beinknorpeln, bei einem Rehembry6o im Köpfchen der Tibia, an
der Knorpel- und Knochengrenze des obern Randes der Scapula
und im sich bildenden Unterkiefer; frei von Glycogen war hier
aber die eigentliche, später knöcherne Masse der Tibia und der
Kopf des Femur®). Als ich einen andern Rehembryo derselben
1) Rouget, Des substances amyloides; de leur röle dans la constitu-
tion des tissus des animaux. Journal de la physiologie. T. 3. 1859. p. 308
(p- 319). Die „substance amyloide‘“ ist hier wie später bei Mac Donnel
das Glycogen.
2) Mac Donnel, Recherches sur la substance amyloide de quelques
tissus du foetus etc. Journal de la physiol. T. 6. 1863. p. 554 ff. (p. 556).
3) Claude Bernard, De la matiere glycogene etc. 1. c. p. 332.
4) Nach Vollendung dieses Aufsatzes kam mir eine Arbeit von Mar-
chand (Ueber eine Geschwulst ete., nebst Bemerkungen über das Glycogen
in einigen foetalen Geweben. Virchow’s Archiv. 100. Bd. 1885. p. 42 ff.)
zu Gesicht, aus welcher ich ersehe, dass derselbe zu gleichen Ergebnissen
gekommen ist. Marchand fand das Glycogen in der Nähe der Gelenk-
flächen spärlich, in der Nähe der Verknöcherungsgrenze sehr reich-
lich (p. 56). Die Angaben Marchand’s über das Vorkommen des Gly-
Vergleichend-histochemische Untersuchungen über das Glycogen. 303
Tracht einige Zeit ganz in Lugol’sche Lösung getaucht hatte, er-
schienen sehr auffallend auch die sich bildenden Ohren, Augen-
lider, die Gaumenränder und der Schwanz tiefdunkelbraun, und
die mikrochemische Untersuchung bestätigte die Anwesenheit des
Glycogens in diesen Geweben. Mac Donnel hat das Glycogen
in den Füssen eines Kalbsembryo quantitativ bestimmt, indem er
die Substanz der Füsse bei 212° Fahr. trocknete und dann extra-
hirte; er fand „l grain ?/,) de substance amyloide de 7 grains de
cette matiere cornee“ (p. 557). Dabei ist allerdings zu berück-
sichtigen, dass diese Bestimmung nach einer jedenfalls unvoll-
kommenen Methode gemacht wurde.
2. Blutgefässe, Blutgefässdrüsen und Blut.
In der Wand der Arterien und Venen vom Kaninchen und
Meerschweinchen, deren Leber und Muskeln zum Theil stark gly-
cogenhaltig waren, habe ich niemals Glycogen gefunden. Dasselbe
gilt von der Milz und den Lymphdrüsen; die Milz vieler Winter-
frösche, die zum Theil nach vorhergegangener Fleischfütterung
zur Untersuchung kamen, war stets glycogenfrei. Auch die
Lymphdrüsen von Embryonen enthalten nach Claude Bernard!)
kein Glycogen.
Abeles?) dagegen fand Glycogen in der Milz von Hunden
nach dreitägiger Brotfütterung. Auch Brücke?) stellte Glycogen
aus der Milz dar, ist aber der Ansicht, dass es aus den Muskel-
fasern ihrer Gefässe stammt. Paschutin (a. a. O. p. 692)
fand ebenfalls Glycogen in der Milz (bei Hunden); er hebt aber
hervor, dass es nur Spuren waren. Dagegen vermisste Ehrlich ®)
das Glycogen in Milz und Lymphdrüsen.
Was das Blut anbetrifft, so sind die Ansichten der Forscher
darüber sehr verschieden. O. Nasse) sagt: „Glycogen kann
sich seiner chemischen und physikalischen Eigenschaften wegen
cogens in den foetalen Geweben und die Art seiner Ablagerung kann ich nur
bestätigen.
1) Claude Bernard, De la matiere glycogene etc. a. a. O. p. 335.
2) Abeles, Centralblatt für die med. Wissensch. 1876. p. 84.
3) Brücke, Sitzungsberichte der Wiener Akademie. 63. Bd. I. Abth.
1871. (p. 221, 222).
4) Ehrlich a. a. O. p. 39.
5) OÖ. Nasse, Pflüger’s Archiv. 2. Bd. p. 113.
304 Dietrich Barfurth:
ebensowenig wie Dextrin jemals im Blute finden.“ Die
Aeusserung Hoppe-Seyler’s!): „Im Chylus wie im Blut ist so
gut wie gar kein Glycogen aufzufinden“ — muss wohl so
gedeutet werden, dass Spuren von Glycogen doch wohl darin
vorkommen. Boehm und Hoffmann?) erwähnen in ihren sehr
sründlichen Untersuchungen über den Kohlehydratstoffwechsel
nichts von einem etwaigen Glycogengehalt des Blutes; das Kohle-
hydrat des Blutes ist bei ihnen lediglich Zucker. Auch die vielen
andern Forscher, die das Blut speciell auf seinen Zuckergehalt
untersucht haben (Bernard, Pavy, Abeles, von Mering, Tief-
fenbach, Bleile, Seegen?) u. s. w.) erwähnen nichts von einem
etwaigen Glycogengehalt, den sie doch hätten berücksichtigen
müssen. J. G. Otto*) fand im Blut ausser dem Zucker noch
eine gährungsunfähige redueirende Substanz in minimaler
Menge, spricht aber auch nicht von Glycogen. Brücke) spricht
sich dafür aus, dass das Blut einen geringen Gehalt von Glycogen
oder Dextrin führe. Sanson ®)erklärte das Glycogen als normalen
Bestandtheil des Blutes der Herbivoren. Ebenso wird das Vorkommen
von Glycogen im Blut von Salomon’), Frerichs®) und Ehr-
lich) ganz bestimmt behauptet. Ehrlich sagt: „Nur ab und
zu sieht man in vereinzelten weissen Blutkörperchen .. .. . einen
leicht bräunlichen Farbenton auftreten, der auf einen geringen
Glyeogengehalt hindeutet‘“ (p. 40). „Nicht gerade selten trifft man
1) Hoppe-Seyler, Ueber den Ort der Zersetzung von Eiweiss- und
anderen Nährstoffen ete. Pflüger’s Archiv. 7. Bd. p. 440. Hoppe-Seyler
fand das Glycogen in den weissen Blutkörperchen (p. 408).
2) Boehm und Hoffmann, Beiträge zur Kenntniss des Kohlehydrat-
stoffwechsels. Arch. f. exp. Path. und Therapie. Bd. VII. p. 271 ff.
3) S. die Literaturangaben bei Seegen, Pflüger’s Archiv. Bd. 34.
p. 388 ff.
4) Pflüger’s Archiv. 35. Bd. 1885. p. 467 ff. (p. 472).
5) Brücke a. a. O. p. 221.
6) Sanson, Sur l’existence de la matiere glycogene dans tous les
organes des herbivores ete. Journal de la physiol. 1859. p. 104 ff. (p. 106).
Er bezeichnet das Glycogen an dieser Stelle als Dextrin.
7) Salomon, Vorträge in der Deutschen medie. Wochenschrift. 1877.
Nr. 8 und 35. Derselbe „glaubt den Sitz des Glycogens mit grosser Wahr-
scheinlichkeit in die weissen Blutkörperchen verlegen zu dürfen.“
8) Frerich’s, Ueber den Diabetes. Berlin 1884. p. 6 und 7.
9) Ehrlich a. a. p. 40.
Vergleichend-histochemische Untersuchungen über das Glycogen. 305
dagegen im Blute kleine, bald rundliche, bald oblonge, intensiv
gefärbte Glycogentröpfehen“ (p. 40). Um ein eigenes Urtheil in
dieser Sache zu haben, habe ich einige Versuche’ angestellt, über
die ich hier berichte.
I. Versuch. 21./12. 84. Ein ausgewachsenes gut genährtes Kaninchen
bekam eine reichliche Menge Schwarzbrot zu fressen und wurde nach 12
Stunden in der Weise getödtet, dass ihm über einer Porcellanschale mit sie-
dendem Wasser der Hals durchschnitten wurde, so dass das Blut sofort in
das Wasser strömte. Die geronnene Masse wurde längere Zeit ausgekocht
und das Decoct nach der Brücke’schen Methode weiter auf Glycogen be-
handelt; ich fand keine Spur von Glycogen.
II. Versuch. 16./12. 84. Ein kräftiges gut genährtes Kaninchen
wurde 24 Stunden lang mit Schwarzbrot gefüttert und dann in derselben
Weise, die ich oben beschrieben habe, getödtet. Das Blut war glyco-
genfrei.
II. Versuch. 18./12. 84. Ein grosses, gutgenährtes Meerschweinchen
wurde ohne weitere Vorbereitung aus dem Stalle geholt und in der oben
beschriebenen Weise getödtet. Im Blnt fand ich kein Glycogen.
Ich habe dann ferner das Blut von Fröschen in verschiedenen
Stadien der Ernährung mikrochemisch untersucht, aber weder im
Plasma, noch in den Blutkörperchen Glycogen gefunden. Da-
gegen habe ich es wie Hoppe-Seyler!) und Ehrlich?)
leicht nachweisen können in weissen, ausgewanderten
Blut-, d. h. also Eiterkörperchen, während ich es in nor-
malen weissen Blutkörperchen ganz frischer Blutproben aus meiner
Hand nicht mit Sicherheit eonstatiren konnte. Da aber im nor-
malen Blut überhaupt wenig weisse Blutkörperehen vorhanden und
nicht einmal alle ausgewanderten Leukoeyten glyeogenhaltig
sind, so können auch einem sorgsamen Untersucher recht wohl
glyeogenhaltige Leukocyten des normalen Blutes entgehen. Ich
zweifle deshalb nicht im geringsten an den Angaben
Salomon’s und Ehrlich’s, dass im Blut Spuren von Gly-
cogen vorkommen und dass die weissen Blutkörperchen
die Träger desselben sind. Dass die Darstellung des Glyco-
1) Hoppe-Seyler wies nach, dass Rindslinsen nach mehrtägigem Ver-
weilen in der Bauchhöhle eines Hundes einen Gehalt an Glycogen aufweisen,
welcher auf die mittlerweile in das Linsenparenchym eingedrungenen Lymph-
zellen bezogen werden muss. Medic.-chem. Untersuchungen. 4. Heft. Ueber
die chemische Zusammensetzung des Eiters. p. 486 ff. (p. 494. 495).
2) Ehrlich a. a. O. p. 40, 41.
306 Dietrich Barfurth:
sens aus dem Blute nicht gelingt, macht mich nicht irre, weil ich
die Ueberzeugung habe, dass einem selbst nach der besten (Brücke’-
schen) Methode und bei sorgfältiger Arbeit Spuren von Glycogen
entgehen können.
II. Bindesubstanz der Wirbellosen.
Zahlreiche chemische Untersuchungen von J. Müller, Schloss-
berger, Max Schultze, Hoppe-Seyler, Forster, Kruken-
berg u. A. haben festgestellt, dass die Bindesubstanz der Wirbel-
losen nieht ohne weiteres mit dem Bindegewebe der Wirbelthiere
identifieirt werden darf; letzteres gibt echten Leim, ersteres nicht.
Die Histologen, z. B. Leydig!), Flemming?, Kollmann?),
Broek*) unterscheiden deshalb die „Bindesubstanz“ der Wir-
bellosen vom „Bindegewebe“ der Wirbelthiere. Andererseits
dürfte wohl feststehen, dass beide Gewebe morphologisch wie phy-
siologisch übereinstimmen.
Wir haben hier wie dort Fibrillen, verschiedene Arten von
Zellen u. s. w., hier wie dort dient es als Stützsubstanz, als Fül-
lung, als Hülle der Organe u. s. w.
Das Verhalten der Bindesubstanz bei den Avertebraten dem
Glycogen gegenüber ist meines Wissens noch von Niemandem ge-
prüft worden. Ich kann darüber also nur meine Beobachtungen
an Gastropoden mittheilen. Um aber nicht Dinge, die ich ander-
wärts gesagt habe oder noch sagen werde, wiederholen zu müssen,
bemerke ich nur ganz kurz, dass die verschiedenen Formen der
Bindesubstanz: Die Fibrillen, die Bindesubstanz- und die
Plasmazellen (Brock) sämmtlich in ganz hervorragender
Weise Träger und Stapelplätze des Glycogens sind.
Mag die Bindesubstanz auftreten als interstitielles Gewebe in den
Drüsen, als Neurilemm, als Adventitia der Gefässe, als Serosa der
1) Leydig, Ueber Paludina etc. p. 151. Lehrbuch der Histologie
p. 330 u. andere Stellen.
2) Flemming, Ueber Bindesubstanzen und Gefässwandung bei Mol-
lusken. Habilitationsschrift. Rostock 1861. Ferner: Archiv f. mikr. Anat.
Bd. XI. p. 391 ff. und Bd. XII. p. 818 ff.
3) Kollmann, Die Bindesubstanz der Acephalen. Arch. f. mikr. Anat.
Bd. XII. p. 558 ft.
4) Brock, Untersuchungen über die interstitiellen Bindesubstanzen der
Mollusken. Zeitschr, f. wiss. Zool. 39. Bd. 1883. p. 1 ff.
Vergleichend-histochemische Untersuchungen über das Glycogen. 8307
Drüsen, als Füllung in der Submucosa des Darmes, zwischen den
Muskeibalken des Fusses u. s. w., überall ist sie für die Aufhäu-
fung des Glycogens bevorzugt. Dies ist um so bemerkenswerther,
als das Bindegewebe der Vertebraten nur in geringem Masse Gly-
cogen beherbergt.
Was das Blut der Gastropoden anbetrifft, so habe ich nach
der Brücke’schen Methode vergeblich versucht, Glyeogen aus dem-
selben darzustellen. Es scheint aber, dass auch hier die (weissen)
Blutkörperchen minimale Quantitäten Glycogen beherbergen, wie
es Hoppe-Seyler!) auch von denselben Elementen im Blute der
Crustaceen annimmt.
6. Glycogen in den Epithelien.
- 1. Epithelien von Wirbelthieren und ihren Embryonen.
1. @esehiehtete Epithelien, Haut und Hautgebilde.
Schiele?) und Ehrlich berichten das Vorkommen von Gly-
cogen in geschichteten Epithelien vom Menschen.
Rouget?) fand es nach der Geburt „dans les cellules &pi-
theliales de lVenduit saburral de la langue, oü je l’ai constatee
chez de jeunes enfants, et surtout dans les cellules epitheliales de
la surface de la muqueuse vaginale chez la femme adulte.“
In der Haut der erwachsenen Thiere findet man das Glycogen
nur in den Residuen des Hautmuskels, den Muskelfaserbündeln,
die überall zerstreut vorkommen. Sehr merkwürdig aber ist es,
dass sich um die Haarwurzel kräftig wachsender Haare fast immer
Glycogen in beträchtlicher Menge anhäuft. Ich hatte Stücke der
Haut von Kaninchen, deren Lebern glycogenreich waren, in abso-
luten Alkohol gebracht und untersuchte dieselben nachher mikro-
chemisch. Feine Schnitte in Jodlösungen untersucht, zeigten das
Taf. XVI Fig. 7 dargestellte Bild : Die Grundsubstanz der Cutis,
die hauptsächlich aus feinen elastischen Fasern besteht, erhält
durch die Einwirkung des Jods nur einen kaum sichtbaren gelben
Schimmer. In dieselbe sind Gruppen von Haaren eingelassen,
1) Hoppe-Seyler, Pflüger’s Archiv. 14. Bd. p. 399.
2) Schiele, Centralbl. f. d. med. Wiss. 1880. p. 648. Ehrlich a. a.0.'
p. 39 u. 45.
3) Rouget a. a. O. p. 322.
Archiv f. mikrosk. Anatomie, Bd. 25. 39
308 Dietrich Barfurth:
deren Querschnitte sich etwas intensiver gelb färben, und unter
diesen zeichnen sich dann einzelne Querschnitte auffallend derber
Haare!) aus, die von einem braunen Ringe umgeben sind. Unter-
sucht man nun sehr feine Querschnitte bei starker Vergrösserung,
so erhält man von den oben bezeichneten derben Haaren das auf
Tafel XVI Fig. 8 dargestellte Bild.
Man sieht, dass die Zellen?) der äussern Wurzelscheide
die Trägerinnen des Glycogens sind. Die Zellen sind meist
ganz mit Glycogen erfüllt, der Kern wie immer frei. Was ist nun
morphologisch die äussere Wurzelscheide? Nichts anderes als
die Fortsetzung der Schleimschicht (Rete Malpighi) der
Epidermis. Hiernach könnte man die Sache so ansehen, als
hätten wir hier Glycogen im geschichteten Epithel der
Epidermis, was auch sonst noch vorkommt. Aber so einfach ist
die Sachlage doch nicht. Die äussere Wurzelscheide enthält das
Glycogen nur, wenn das von ihr umgebene Haar wächst.
Das ist der Fall bei allen Haaren des Embryo und bei gewissen
aus der gewöhnlichen Schaar der feinen Haare hervorragenden
wachsenden?) starken Haaren des erwachsenen Geschöpfes.
In den Haarbälgen von Embryonen hat schon Rouget) Glycogen
nachgewiesen; sein Befund wurde später von Mac Donnel?) be-
1) Diese Anordnung des Haarwuchses nennt Waldeyer (Atlas der
menschlichen und thierischen Haare. Lahr 1884) die büschelförmige, im
Gegensatz zur gleichmässigen. Ob beim Kaninchen der Haarwuchs überall
und immer büschelförmig ist, kann ich nicht sagen. In zahlreichen Haut-
proben vom Rücken und Bauch vieler Thiere war er es.
2) Waldeyer unterscheidet an der äusseren Wurzelscheide drei Lagen
von Zellen: 1) Die Binnenzellenschicht, 2) die Stachelzellenschicht, 53) die
Cylinderzellenschicht. Dass diese Schichten in meiner Zeichnung nicht her-
vortreten, muss man der Art der Präparation zu Gute halten.
3) Diesen Befund habe ich an zahlreichen grauen ausgewachsenen Ka-
ninchen während der Monate November und December 1884 gemacht; die
Thiere hatten 6 Tage gehungert und waren nach verschieden langer Brot-
fütterung getödtet worden. Die von mir oben hervorgehobene Thatsache
lässt sich nicht einfach an Querschnitten feststellen, da die starken Haare
gewöhnlich etwas tiefer wurzeln; Reihen von Querschnitten aber und Längs-
schnitte liefern den Beweis für nie Richtigkeit meiner Angaben; nur selten
führen auch die Haarbälge dünnerer Haare Glycogen; auch diese sind offen-
bar in kräftigem Wachsthum.
4) Rouget.a. a. OÖ. p. 320.
5) Mac Donnel a. a. O. p. 556.
Vergleichend-histochemische Untersuchungen über das Glycogen. 309
stätigt. Die Gewebselemente, in denen das Glycogen abgelagert
ist, haben beide nicht weiter zu bestimmen versucht. Macht man
nun Schnitte durch die Haut eines Embryo, dessen Haare gerade
in der Bildung begriffen sind, so bekommt man nach Zusatz einer
Jodlösung bei der mikroskopischen Untersuchung einen sehr auf-
fallenden Anblick. Schnitte, die senkrecht zur Längsachse der
Haare geführt werden, zeigen die Haare umgeben von braunen
Ringen, wie ich es oben beschrieben habe; Schnitte, die parallel
der Längsachse fielen, zeigen dementsprechend die Haare umgeben
von einer eylindrischen Hülle, dieaber nicht bis zum untersten
Ende der Haarwurzel reicht, sondern — in dem von mir
untersuchten Stadium wenigstens — nur bis dahin, wo sich
der Haarbalg zu einer Ampulle erweitert. Bei stärkerer
Vergrösserung sieht man dann, dass hier auch genau die
Grenze der äussern Wurzelscheide ist!). Dieselben Verhält-
nisse findet man an wachsenden Haaren erwachsener Thiere. Diese
Sachlage ist nun deshalb von Interesse, weil die äussere Wurzel-
scheide dasjenige Gewebe ist, welches die Haarwurzel und das
Haar bildet. „Fragt man nach den spezielleren Verhältnissen der
Bildung dieser ersten Haare und ihrer Scheide,“ sagt Kölliker?),
„so ist sicher, dass die ersten Anlagen derselben von der
Schleimschicht der Oberhaut aus durch eine Wucherung
derselben nach innen sich bilden.“ Ebenso bilden sich die
Ersatz- oder secundären Haare dadurch, dass Haarzwiebel und
äussere Wurzelscheide untrennbar vereint Fortsätze treiben, die
als „Haaranlagen oder Haarkeime“ (p. 787) anzusehen sind ?).
1) Vgl. Biesiadecki a. a. O.: „Die äussere Wurzelscheide wird durch
die Schleimschiehte gebildet, welche sich continuirlich von der Hautoberfläche
in die Haartasche fortsetzt, das Gewölbe jedoch derselben nicht er-
reicht, sondern meist in der Höhe der Papillenspitze, öfter aber
auch über der letzteren endigt (Moleschott, Chapuis).“ (p. 602).
2) Kölliker, Entwicklungsgeschichte des Menschen und der höheren
Thiere. 2. Aufl. 1879. p. 782. Auch Waldeyer (a.a. O. p. 33) sieht in der
kleinen Erhebung der ersten Haaranlage lediglich eine „Wucherung des
Stratum Malpighii der Epidermis.“
5) In gleicher Weise ist Waldeyer mit Unna der Ansicht, „dass mit
dem Ableben des alten Haares die besonderu Charactere der unten im Haar-
balge befindlichen Zellen verloren gehen und dass man es mit indifferenten
Epithelzellen zu’ thun habe (Waldeyer a. a. O. p. 38, Anmerkg.) Wenn
310 Dietrich Barfurth:
Die wichtige Thatsache, die aus den mitgetheilten Beobach-
tungen herzuleiten ist, besteht also darin, dass das Gewebe,
welches das Haar bildet, Träger des Glycogens ist.
In einer analogen Beziehung, wie zur Bildung der Haare,
steht das Glycogen auch zur Entwicklung der übrigen Hautgebilde.
Rouget!) betont, dass alle „produetions corndes de la peau, sont
remplies de plasma amylace.“ Zu demselben Ergebnisse kamen
Claude Bernard?) und Mac Donnel?°). Ich fand ebenso Glycogen
in der Hufwurzel von Schaf- und Rehembryonen. Es mag noch
hinzugefügt werden, dass auch die Linse von Forellenembryonen
im späteren Stadium Glyeogen enthält.
2. Cylinderepithelien.
Das Vorkommen geringer Mengen von Glycogen im Epithel
der Harnkanälchen von Säugethieren, welches Ehrlich nachge-
wiesen hat, wurde schon erwähnt; derselbe Forscher fand es in der
Retina des Frosches, ohne die Gewebselemente näher zu bezeich-
nen. Ausserordentlich grosse Mengen von Glycogen aber findet
man im Cylinderepithel des Tractus intestinalis von
Wirbelthierembryonen®). Bei Kaninchen- und Meerschweinchen-
embryonen fand ich dieses Gewebe so mit Glycogen erfüllt, dass
nach Jodbehandlung der Schnitte von den Zellen selber kaum noch
die Kerne zu sehen waren, alles andere strotzte von Glycogen.
Es würde sich, wenn man das durch Zeichnung veranschaulichen
wollte, nahezu dasselbe Bild ergeben, was ich vom Darm der
Gastropdengattung Limax auf Tafel XVI Fig. 10 dargestellt habe.
Dieser Befund ist um so bemerkenswerther, als das Darmepithel
erwachsener Thiere in keinem Stadium der Verdauung
Heitzmann (Mikroskopische Morphologie. Wien 1883. p. 581 ff.) im Haar
nur eine solide Verlängerung der hohlen inneren Wurzelscheide sieht, die nur
von der letzteren allein erzeugt wird, so mache ich dagegen geltend, dass die
innere Wurzelscheide, in der er wie alle anderen Autoren die Fortsetzung
der Epidermis sieht, doch sicher ihrerseits erst von der äusseren Wurzel-
scheide (Rete Malpighi) gebildet wird.
1) Rouget a. a. O. p. 321.
2) Claude Bernard, De la matiere glycogene ete. p. 327 ff.
3) Mac Donnel.a. a. O. p. 566.
4) Auch dies fanden schon Rouget (a. a. O. p. 320) und Claude
Bernard (a. a. O. p. 330 ff.).
Vergleichend-histochemische Untersuchungen über das Glycogen. 311
nachweisbare Mengen von Glycogen beherbergt. — Auf
den Glycogengehalt im Cylinderepithel der Drüsenausfüh-
rungsgänge hatschon Claude Bernard!) aufmerksam gemacht.
II. Epithelien von Wirbellosen.
Von diesen habe ich die Cylinderepithelien des Darmes und
der Drüsenausführungsgänge bei Gastropoden einer genaueren
Untersuchung unterzogen. Im Darm von Limax variegatus fand
ich nach 3tägiger Brotfütterung 1,60 %/, Glycogen. Da der Darm
dieser Gattung, wie auch Leber und andere Organe‘ verhältniss-
mässig arm an Bindesubstanz ist, so ergibt sich, dass fast die
gesammte Glycogenmenge im Cylinderepithel abge-
lagert sein muss, was auch durch die mikrochemische Unter-
suchung bestätigt wird.
Wie der Darm, so verhalten sich auch die Ausführungsgänge
der Leber. Bei Limax sind die Cylinderepithelzellen selber
die hauptsächlichsten Träger des Glycogens, während bei Helix,
Arion und Cyelostoma die reichlich vorhandene Bindesubstanz
vorzugsweise zum Stapelplatz des Glycogens dient. In den grossen
Ausführungsgängen der Helixleber liegt das Glycogen in dieken
Klumpen in den zur Ausfüllung der Wellenberge dienenden Plasma-
zellen, während es im Epithel selber nur in Form eines feinen zier-
lichen Bogens erscheint. Bei starker Vergrösserung sieht man,
dass in bestimmter Höhe der Zellen kleine Glyeogenmengen ein-
gelagert sind, deren Gesammtheit den Bogen bildet. Ein Blick auf
Tafel XVII Fig. 16 erläutert diese Verhältnisse am schnellsten.
Anhang.
1. Glycogen in den Adnexen des Emhryo.
Bekanntlich wies Claude Bernard das Glycogen in
der Placenta und im Amnion ?) der Säugethiere, sowie in der Vesi-
eula umbiliealis?) des Vogelembryo*) nach. Langhans und
1) Claude Bernard, De la matiere glycogene a. a. O. p. 331.
2) Claude Bernard, Sur une nouvelle function du placenta. Journal
de la physiologie. 1859. p. 31 ff.
3) Claude Bernard, Lecons sur les phenomenes etc. Bd. 2. p. 60.
Vgl. aber dazu die Bemerkung von Külz in Pflüger’s Archiv Bd, 24 p. 61.
4) Claude Bernard behauptete auch, dass Glycogen in der Cica-
312 Dietrich Barfurth:
Godet!) beschreiben das Vorkommen des Glycogens in den Zellen der
Deeidua der Kaninchenplacenta. Ich habe die Placenta des Meer-
schweinchens und die des Kaninchens auf Glycogen untersucht.
In der ersteren fand ich bei den mir vorliegenden Thieren wenig
Glycogen; über meinen Befund in der letztern theile ich folgendes
mit. Das Thier ist 1—2 Wochen alt; der mütterliche Theil der
Placenta lässt sich vom foetalen nicht trennen. Schnitte des ersteren
zeigen grosse Räume („Riesenzellen“), mit einer Menge ovaler
Kerne versehen und ganz oder theilweise mit Glycogen erfüllt.
Sehr oft findet man auch kleinere Zellen, ganz in derselben Weise
mit Kernen und Glycogen versehen. An der Grenze zwischen
foetalem und mütterlichem Theil der Placenta werden die „Riesen-
zellen“ seltener. Die Zeichnung Tafel XVI Figur 6 wird diese
eigenthümliche Ablagerung des Glycogens am schnellsten veran-
schaulichen.
2. Das Glycogen im Körper niederer Thiere.
Im Organismus vieler niedern Thiere haben manche Forscher
Glycogen gefunden, ohne die Gewebselemente, die es tragen, näher
anzugeben. Claude Bernard?) wies Glycogen nach in den fetten
Austern, im Segel mobiler Austernlarven, in Fliegenlarven, deren
Fettkörper fast ganz aus Glycogen besteht und deren sämmtliche
Gewebe, ausser der Haut, beträchtliche Mengen dieser Substanz
enthalten; in den Raupen vieler Insecten, in Regenwürmern, Band-
würmern und andern Entozoen.
Bizio®) fand Glycogen in Ostrea edulis, Cardium edule,
Mytilus edulis, Solen siligua, Pecten jacobaeus.
tricula des unbebrüteten Eies, sowie im Vogelembryo kurze Zeit nach Be-
ginn der Bebrütung vorkäme. Letztere Angabe wurde von Külz (a. a. O.
p- 64) bestätigt, erstere nicht. !
1) Ich citire dies nach Marchand, Arch. f. path. Anat. und Physiol.
100. Bd. 1885 p. 56. Die Dissertation von Godet habe ich mir weder von
der hiesigen Bibliothek, noch durch den Buchhandel verschaffen können.
Der Titel ist bei Frerichs (Ueber den Diabetes. Berlin 1884. p.7. Anm. 3),
eitirt: Recherches sur la structure du placenta du lapin. Dissertation inau-
gurale. Bern, 1877.
2) Claude Bernard, Lecons sur les phenomönes etc. 2. Bd. p. 108,
109; 113 f. Vgl. auch die Zusammenstellung bei Krukenberg, Vergl.-
physiol. Studien an den Küsten der Adria. II. Abth. 1880. p. 52.
3) Bizio, Sur l’existence du glycogene dans les animaux invertebres.
Vergleichend-histochemische Untersuchungen über das Glycogen. 313
Balbiani!) berichtet, dass die Embryonen der Arachniden
Glycogen führen und Claude Bernard?) berichtet dasselbe ausser
von Inseeteneiern auch von Eiern der Mollusken, offenbar von
solchen, in denen sich Embryonen entwickeln.
Krukenberg (Vgl.-physiol. Studien V. Abth. p. 38. Anmerk.)
erhielt aus sog. Ameiseneiern viel Glycogen.
Picard (Gazette medicale de Paris 1874. p. 618) fand Gly-
cogen in Echinodermen, Holothurien, Polypen und Schwämmen.
Foster wies Glycogen bei Ascaris lumbricoides nach (Pro-
ceedings of th. r. Soc. 1865. p. 543 ff.).
Krukenberg?) hat Schwämme (Suberites domunecula, Tethya
Lyneureum ete.) auf Glycogen untersucht, aber nichts gefunden.
Er zieht indessen aus diesen negativen Befunden keineswegs den
Schluss, dass das Glycogen in jeder Lebensphase den von ihm
untersuchten Spongien mangele und lässt dahin gestellt, ob die
nicht ganz lebenskräftige Beschaffenheit der Schwämme und die
ungünstige Jahreszeit die Abwesenheit des Glycogens zur Folge
hatten. ‚Mit demselben Rückhalt jeder voreiligen Verallgemeine-
rung“, bemerkt er ferner, dass er auch in Rhizostoma-Tentakeln,
im Mantel von Ciona canina etc, sowie in den Muskeln der Sa-
sartia troglodytes kein Glycogen vorfand. Auch in den Lebern
von Asteracanthion glacialis ete., in den Muskeln von Peetunculus
pilosus ete. fehlte das Glycogen ganz oder es fanden sich nur
zweifelhafte Mengen davon vor. Krukenberg sieht die Ursache
dieser negativen Ergebnisse zum Theil im reichen Diastasegehalt
der untersuchten Gewebe, durch den eine, wennschon geringe,
normal vorhandene Glycogenmenge sehr schnell in Zucker ver-
wandelt werden müsse, zum Theil wohl auch — und sicher mit
Recht! — in dem nicht ganz lebenskräftigen Zustande der unter-
suchten Thiere, denn er fand, wie er gleich darauf berichtet,
Comptes rendus. T. LXII. 1866. p. 675. Und: Nouvelles recherches sur le
glycogene. Comptes rendus T. 65. 1867. p. 75. Die italienischen Origimale
findet man: Atti dell’ Instituto Venet. di scienze etc. Ser. III. Vol. XI. 1866
und Ser. V. Vol. VIII. 1882.
1) Balbiani, Mem. sur le döveloppement des araneides. Annales
des sc. nat. Zool. Serie V. 1873. T. 18. p. 29.
2) Claude Bernard, Lecons sur les phenom£nes etc. Bd. 2. p. 9.
3) Krukenberg, Vergl.-phys. Studien an den Küsten der Adria.
2. Abth. 1880. p. 57 ff. |
314 Dietrich Barfurth:
das Glycogen in den Lebern lebenskräftiger Flusskrebse und
Pulmonaten.
Sehr merkwürdig und theoretisch interessant ist das Vor-
kommen des Glycogens im Plasmodium von Aethalium septicum
(Lohblüthe), welehes Kühne!) entdeckte, Berend?) später be-
stätigte. Auch Külz?) hat selbständig das Glycogen in diesem
Schleimpilz aufgefunden, es nach eigener Methode rein dargestellt
und den vollen Beweis seiner Identität mit dem thierischen Gly-
cogen geliefert.
3. Glycogen in einzelligen Thieren.
Ueber das Vorkommen von Glycogen in Protozoen *) liegt
bis jetzt nur eine Mittheilung von Certes (Sur la glycogenese
chez les infusoires. Comptes rendus T. 90. p. 77—80) vor. Der-
selbe wies durch die mikrochemische Methode Glycogen in Vorti-
cellen, Opalinen, Chilodon ete. nach; bei Amoeben und Rhizopoden
fand er es weniger constant. Meine nachfolgenden Mittheilungen
waren schon geschrieben, als mir die kurze Notiz von Certes
zu Gesichte kam; ich lasse meine Aufzeichnungen unverändert
folgen.
Aus theoretischen Gründen war es für mich von Interesse,
die im Wasser unserer Teiche, Aquarien etc. überall lebenden In-
fusorien auf einen etwaigen Glycogengehalt zu untersuchen, ich
fand aber in Vorticellinen, Paramaeeien etc. kein Glycogen.
Es konnte nun hierbei die ungünstige Jahreszeit (ich untersuchte
Anfangs April) von Einfluss sein, es war aber auch möglich, dass
der grosse Wassergehalt ?) der Thiere, die Möglichkeit beständiger
1) Kühne, Lehrbuch der phys. Chemie. Leipzig 1866. p. 334.
2) Nach einer Angabe Krukenberg’s a. a. O. p. 556 Anm.
3) Külz, Pflüger’s Archiv. 24. Bd. p. 65 ff.
4) Bütschli fand in Gregarinen und Infusorien, die im Darm von
Blatta orientalis schmarotzten, eigenthümliche Körperchen, die er nach dem
Ausfall der Reactionen (braunrothe bis braunviolette Färbung durch Jod,
die sich nach Schwefelsäurezusatz in eine weinrothe bis veilchenblaue Farbe
umändert, Unlöslichkeit in Essigsäure und verdünnten Mineralsäuren u. s. w.)
als aus Amyloid bestehend ansieht. Müller’s Archiv. 1870. p. 362 ff. Ueber
das „Paramylon“, welches Gottlieb in Euglena viridis fand und einige andere
hierher gehörige Mittheilungen vergleiche man Krukenberg, Vgl.-physiol.
Studien an den Küsten der Adria. 2. Abth. p. 56.
5) Engelmann gibt an, dass die festen Substanzen der Infusorien oft
Vergleichend-histochemische Untersuchungen über das Glycogen. 315
Durchspülung, schneller Verbrauch bei geringer Zufuhr, die ausser-
ordentliche Beweglichkeit u. s. w. eine Aufstapelung von
Glycogen verhinderten. Ich kam deshalb auf den Gedanken, die
im Rectum und der Cloake unserer Frösche lebenden Infusorien
einer Prüfung zu unterziehen, da ich voraussetzen durfte, dass
die oben erwähnten Einflüsse bei diesen Thieren sich in geringerem
Masse geltend machen würden. Diese Erwartung bestätigte sich
in auffallender Weise. Aus dem Rectum eines seit mehreren Stun-
den todten Frosches (Rana temporaria) entnahm ich auf den Rath
meines befreundeten Collegen Nussbaum, der sich in der letzten
Zeit viel und erfolgreich mit der Biologie der im Froschdarm
lebenden Infusorien beschäftig hat, nahe der Darmwand ein
Tröpfchen Flüssigkeit, in dem sich ziemlich viele Opalinen (Opa-
lina ranarum) und andere kleinere Infusorien befanden. Ich
brachte auf dem Objectträger zu dieser Flüssigkeit etwas Jod-
gummi und beobachtete unter dem Mikroskop bei schwacher Ver-
grösserung. Mehrere Thiere blieben selbst nach langer Einwir-
kung des Reagenzes einfach gelb, bei andernaber traten nach
kurzer Zeit braunrothe Stellen hervor, die vielfach
streifenförmig den eigenthümlichen Riefen („Muskeln“)
des Körpers folgten. Ich legte dann ein Deckglas auf und
brachte durch sanftes Drücken auf dasselbe zu Stande, dass ein-
zelne Thiere zerrissen wurden, und nun zeigte sich an den Riss-
stellen das Glycogen in Gestalt unregelmässiger Klümpechen ?), die
in dem Protoplasma eingelagert waren. Daneben sieht man zahl-
reiche helle, stark glänzende kleine Tröpfehen, die durch Jod-
behandlung leicht gelb werden und aus einer andern Substanz
(Fett?) bestehen. Um mich zu überzeugen, dass die gefundene,
durch Jod braunroth gefärbte Substanz in der That Glycogen sei,
wohl kaum 10—20°/, des Gesammtgewichtes ausmachen und dass unter den-
selben die Eiweisssubstanzen ohne Zweifel die Hauptmasse bilden. „Ausser-
dem fehlen wohl nie Kohlehydrate, Fett, anorganische Stoffe, nament-
lich Kaliverbindungen.“ Physiologie des Protoplasma und Flimmerbewegung.
Hermann’s Handbuch der Physiologie. 1. Bd. p. 345 ff. (p. 349).
1) Nussbaum, Sitzungsberichte der Niederrhein. Gesellschaft für Natur-
und Heilkunde. Sitzung vom 15. Dec. 1854. Ueber spontane und künstliche
Zelltheilung. !
2) Auch Certes sah bei Chilodon das Glycogen in Form von „gra-
nulations“ (l. c. p. 78),
316 Dietrich Barfurth:
habe ich andere Präparate mit Jodglycerin und Lugol’scher Lösung
versetzt. Die braunrothe Färbung bestimmter Partien des Körpers
tritt auch hier schnell ein, verschwindet!) aber bald wieder,
weil das Jodglycogen sich in wässerigen und glycerinhaltigen
Flüssigkeiten löst. Endlich überzeugte ich mich an andern Prä-
paraten, dass absoluter Alkohol die fragliche Substanz
fällt, so dass Thiere, die aus diesem Reagenz genommen werden,
nachher jeden Augenblick zur Untersuchung dienen können. Es
ist bei allen diesen Operationen zu bedenken, dass die zugesetzten
Reagentien die Leibessubstanz dieser Thiere stark schrumpfen
machen.
Im Reetum anderer Frösche fand ich noch ein anderes grös-
seres Infusionsthierchen, welches ebenfalls Glycogen führt. Es ist
dies Nyetotherus cordiformis, Stein (Bursaria ce. Ehrbg.). An die-
sem Thier lässt sich noch ein weiterer Beweis dafür feststellen,
dass die durch Jod braunroth gefärbte Substanz in der That Gly-
cogen ist. Im Lauf meiner Untersuchungen hat sich das aus-
nahmslos gültige, von Ehrlich zuerst gefundene Gesetz bestätigt,
dass das Glycogen in den Zellen stets den Zellkern frei
lässt?). Es hat nun Nyetotherus cordiformis einen grossen,
meist ovalen Kern, während Opalina deren mehrere zerstreut lie-
gende kleine besitzt. Demgemäss sehimmert bei Nyetotherus
der grosse Kern, der hier wie in allen glycogenhaltigen Zellen
vollständig frei von Glycogen ist, hell durch, während ringsum
zerstreut die Glycogenklümpchen liegen. Bei Opalina kommen
aber die kleinen Kerne meistens überhaupt nicht zur Erscheinung,
weil sie von den darüber liegenden glycogenführenden Protoplasma-
schichten verdeckt werden.
Ob man nun bei den genannten Thieren stets Glycogen fin-
den wird, weiss ich nicht. Der Ernährungszustand des Wirths
kommt vielleicht, der des Thieres selber sicher in Betracht.
Prof. Nussbaum macht mich darauf aufmerksam, dass Opalina
1) Legt man kein Deckglas auf, so erfolgt die Lösung in wenigen
Stunden, unter dem Deckglas in ca. 24 Stunden.
2) Auch Certes (Comptes rendus T. 90. p. 78) sagt: ‚Les noyaux,
les nuclöoles, les vesicules contractiles ne se colerent jamais.‘“ Ich bestätige
auch die Beobachtung von Certes, dass die Cuticula, die Wimper und der
contractile Stiel der Vorticellen stets glycogenfrei sind.
Vergleichend-histochemische Untersuchungen über das Glycogen. 317
ranarum um diese Zeit (Anfangs April) im Begriffe steht sich
zutheilen und dann zu eneystiren.
Als ich Ende April und Anfang Mai gelegentlich wieder frei
lebende Infusorien untersuchte, fand ich auch bei solchen
Glycogen. Die Thiere stammten aus einer schmutzigen grünen
Lache an der Porzellanfabrik in Poppelsdorf, welches von Euglena
viridis, Schwärmsporen, Bacterien und zahllosen kleinen Infusions-
thierechen wimmelte. Euglena viridis war zu der Zeit, als ich
untersuchte (Morgens früh), stärkefrei, die Schwärmsporen hatten
in ihren Chlorophylikörnern sehr viel Stärke aufgespeichert. Ge-
rade diese Sporen dienen nun, wie sich unter dem Mikroskop
deutlich beobachten lässt, den grossen Infusorien, Vorticellen,
Paramaecien u. a. zur Hauptnahrung; oft ist der ganze Zellleib
der Infusorien mit ihnen vollgepfropft. Glycogen findet sich nun
in grosser Menge bei Paramaecia aurelia und P. bursaria, etwas
weniger bei Vorticella mierostoma.
Da nun bisher aus einzelligen Thieren Glycogen in Substanz
überhaupt noch nicht dargestellt worden ist, so beschloss ich die
günstigen Verhältnisse zu benutzen und die Darstellung zu ver-
suchen. Ich brachte deshalb eine Portion des grünen, etwas faulig
riechenden schlammigen Wassers zum Sieden und fügte nachher
immer wieder von dem Material zu, bis etwa ein Liter verbraucht
und auf !/;, eingeengt war. Diese grüne Flüssigkeit filtrirte ich,
wobei das Filtrat ganz klar erschien und dampfte dann weiter
ein, bis ich noch etwa 50 cem Flüssigkeit hatte. Eine Probe da-
von mit einem Jodsplitter versetzt färbte sich durch die gelöste
Stärke zuerst blau, später aber zeigte sich um den Jodsplitter eine
schmutzig braune Flüssigkeit. Um die Stärke zu entfernen habe
ich dann das Decoct mit dem doppelten Volum 96°/, Alkohol ver-
setzt, absetzen lassen, den gelbbräunlichen Niederschlag abfiltrirt,
mit 70%, Alkohol ausgewaschen und auf dem Filter wieder in
etwas destillirtem Wasser gelöst. Da trotzdem das Filtrat grosse
Mengen gelöster Stärke enthielt, die ich nicht herauszuschaffen
vermochte, so musste ich diesen Versuch als resultatlos aufgeben.
Als ich nun die Gefässe mit dem grünen Schlamm in einen fast
absolut dunkeln Raum brachte, um die Stärke zum Verschwinden
zu bringen, ergab eine nach wenigen Tagen vorgenommene mikro-
skopische Untersuchung, dass nun die Mehrzahl der Infusorien
abgestorben war, während der Schlamm;eine tadellos grüne Farbe
318 Dietrich Barfurth:
behalten hatte. Ich suchte deshalb auf einem andern Wege mein
Ziel zu erreichen. Einem frisch ins Institut gebrachten Uterus
einer Kuh entnahm ich eine ansehnliche Menge Serum, brachte es
in ein weites Cylinderglas und liess es an der Luft stehen. Ich
entnahm einem andern Gefäss, in welchem Kaulquappen lebten,
eine Anzahl Infusorien (Glaucoma seintillans) und verpflanzte sie
in das Serum, welches bald zu faulen begann. Später fügte ich
ab und zu eine dünne Lösung von Salzen (Chlornatrium, phosphor-
saures Kali, kohlensaures Natron u. s. w.) und von Zucker zu.
Die Thiere gediehen in der Lösung so gut, dass nach etwa acht
Tagen jedes Tröpfchen, unter dem Mikroskop betrachtet, von In-
fusorien wimmelte. Ich brachte dann in einer flachen Porzellan-
schale etwa 50 ecm des Infusorienwassers zum Sieden und fügte
allmählich die ganze Menge desselben — etwa 1!/, Liter — hinzu.
Ich dampfte das Ganze bis auf etwa 10 cem ein und behandelte
nun das Decoct ganz nach der Brücke’schen Methode. Der zu-
letzt erhaltene sehr geringe weisse Niederschlag bestand aus (nicht
ganz reinem) Glycogen, wie folgende Reactionen bewiesen. Ein
Pröbehen des Niederschlags wurde mit der Federmesserspitze in
eine gelblich-braune Lugol’sche Lösung gebracht; es umgab sich
sofort mit einem rothbraunen Hof und löste sich schnell mit der-
selben Farbe auf. Der Rest des Niederschlags wurde in wenig
Wasser gelöst; eine Probe der Lösung wurde in ein weisses Por-
zellanschälchen gebracht, und ein Jodsplitterchen zugefügt; die
Flüssigkeit in der Umgebung derselben färbte sich sehr schnell
braunroth; eine andere Probe wurde mit verdünnter Salzsäure
gekocht und lieferte dann eine schwache, aber deutliche Trommer’-
sche Reaction. Hiernach ist das Vorkommen von echtem Glycogen
in Infusorien bewiesen und die Zuverlässigkeit der mikrochemi-
schen Methode auch an diesem Object dargethan.
Ich gebe nun zum Schluss eine Uebersicht über die Gewebe
und die Thiergruppen, in denen bis jetzt Glycogen gefunden wor-
den ist. Die Ergebnisse dieser Untersuchung und der folgenden
werde ich am Schluss der ganzen Arbeit zusammenstellen und
erörtern.
Diese Tabellen zeigen, dass es im Prineip kein Gewebe
und keine Thierklasse gibt, in denen das Glycogen nicht
vorkäme; es unterliegt auch für mich keinem Zweifel, dass die
Verbreitung desselben eine viel grössere ist, als man bisher glaubte
319
Vergleichend-histochemische Untersuchungen über das Glycogen.
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Dietrich Barfurth
320
Tabelle II.
Vorkommen des Glycogens im Thierreiche und bei Pilzen.
Wirbelthiere: Mollusken: Arthropoden: Würmer: Echinodermen:| Coelenteraten: | Protozoen: Pilze:
Säugethiere T |Cephalopoden 7 |Arachnoiden 7 |Platyhelminthen } ‚Crinoiden 7 Spongien 7 Rhizopoden 7 |Myxomycetenf
Vögel 7 Gastropoden 7 Insekten 7 Nemathelminthen f Asteroiden Anthozoen Infusorien 7
Reptilien 7 Lamellibranchia- |Myriopoden Anneliden T Echinoiden \ Polypomedusen f Gregarinen
Amphibien + ten + Crustaceen + |Rotatorien + Holothurien } Ctenophoren
Fische 7 Tunicaten 7
Anmerkungen zu Tabelle II.
Diese Zusammenstellung ist derjenigen von Krukenberg (Vgl. physiol. Studien an den Küsten der Adria. II. Abth.
Heidelberg 1880. p. 62, 63) nachgebildet. Das Zeichen F bedeutet, dass Glycogen bei Thieren der betr. Gruppe nachgewiesen ist;
bei den andern Gruppen ist eine systematische Untersuchung auf Glycogen noch nicht vorgenommen worden. Wenn ich den Spongien
und den Echinodermen Glycogen zuschreibe, so geschieht es auf die Angabe von Picard hin. DaKrukenberg bei diesen Thieren
zweifelhafte Mengen bezw. gar kein Glycogen fand, versieht er die betr. Gruppen mit einem ?. — Von den Pilzen siud nur die
glycogenhaltigen Myxomyceten genannt. — Die Crinoiden, Asteroiden und Echinoiden mussten vereinigt werden, weil Picard nur
von Echinodermen und Holothurien im Allgemeinen spricht.
Vergleichend-histochemische Untersuchungen über das Glycogen. 321
und dass man bei systematischen, ausgiebigen Fütterungsversuchen
diese grosse Verbreitung immer mehr wird feststellen können. Ich
werde später zeigen, dass man z. B. bei Fröschen durch geeignete
Fütterung das Glycogen auch in solehen Geweben und Organen
zur Aufstapelung bringen kann, die für gewöhnlich glycogenfrei
sind. Dass man in vielen Organen der Warmblütler das Glycogen
nieht nachweisen kann, liegt nur daran, dass Bildung und Ver-
brauch derselben gleichen Schritt halten.
II. Ueber den Bau und die Thätigkeit der Gastro-
podenleber.
II. Mittheilung !): Die Glycogenfunction der Gastropodenleber.
Da in den nachfolgenden Besprechungen die Leber der Gat-
tung Limax eine hervorragende Rolle spielt, so mag zuerst ein
Wort über den Bau dieses Organs Stelle finden.
Es kamen gelegentlich zur Untersuchung die Species Limax
einereo-niger, L. einereus, L. agrestis, L. carinatus und eine bis-
her am Rhein nicht beobachtete Species, die hier in Kellern ge-
funden wurde und die Herr Geheimrath Prof. Dr. Leydig als
Limax variegatus erkannte ?).
Der gröbere Bau der Leber stimmt mit dem von Arion empi-
ricorum fast ganz überein. Ein sehr in die Augen springender
und auch physiologisch wichtiger Unterschied mag hier gleich
hervorgehoben werden. Die Leber von Limax ist, wie auch andere
Organe des Thieres, namentlich die Gefässe, verhältnissmässig arm
an Bindesubstanzzellen. Diese Zellen sind bei Arion im Sommer
mit glänzenden Körnern von kohlensaurem Kalk erfüllt, weshalb
man in der Arionleber überall diese milchweissen zierlichen Ge-
fässverzweigungen sieht, die in der Limaxleber ganz fehlen. Die
Bindesubstanzzellen selber fehlen freilich in den Gefässwänden
1) Die I. Mittheilung siehe Archiv f. mikrosk. Anatomie Bd. 22. Eine
vorläufige Mittheilung: „Das Glycogen in der Gastropodenleber‘ findet sich
im „Zoologischen Anzeiger“ 1883. p. 652 ff.
2) Vgl. die Classification der einheimischen Limaeinen in: Leydig,
Die Hautdecke und Schale der Gastropoden. Troschel’s Archiv. 1876. p. 264 ff.
322 Dietrich Barfurth:
von Limax ebensowenig, wie in denen von Helix, es fehlt nur der
Kalk in ihnen.
In Bezug auf den feineren Bau der Limaxleber gilt alles,
was ich früher bei Besprechung der Gattungen Helix und Arion
angegeben habe. Das Leberepithel, was auch hier am besten an
Osmiumsäurepräparaten studirt wird, zeigt drei Arten von Zellen:
Ferment-, Leber- und Kalkzellen. Die Fermentkugeln sind
meist etwas kleiner als bei Helix und viel kleiner als bei Arion.
Das interstitielle Gewebe ist reich an Pigmentkörnchen und Fett-
kügelchen, die an Osmiumsäurepräparaten zuweilen die leichte
Uebersicht der Follikel und ihrer Zellen erschweren.
An der Limaxleber habe ich auch eine Eigenthümlichkeit fest-
stellen können, die von andern Drüsen (Heidenhain)längst bekannt
ist: das verschiedene Verhalten des Epithels während Ruhe und Ar-
beit. In derselben Leber findet man ruhende und thätige Partien. In
ruhenden Follikeln ist das Epithel sehr niedrig, die Kerne klein,
abgeplattet, oft halbmondförmig; arbeitende Follikel enthalten hohe,
sich hervordrängende Zellen mit grossen kugligen Kernen und
zahlreichen Secretbläschen. — Die Fermentzelien der Limaxleber
erzeugen ein Enzym, welches nach Krukenberg’s !) Unter-
suchungen in saurer und alkalischer Lösung Eiweiss verdaut.
Den ersten Nachweis des Glycogenvorkommens in der Ga-
stropodenleber verdanken wir Claude Bernard’). Es sagt:
„Quant au foie, on y rencontre tres-distinetement deux sortes de
sranules: les uns se colorant en rouge vineux par l’iode et appar-
tenant aux cellules glycogeniques, les autres se colorant en jaune
par l’iode et appartenant aux cellules biliaires.“ Die Wirbelthier-
leber zeigt physiologisch nach Claude Bernard’s Angaben zwei
getrennte Functionen: Bereitung der Galle und Bereitung des Gly-
cogens; eine histologische Trennung der Leberelemente aber
existirt nicht. Anders bei den Mollusken; hier existirt nicht nur
die physiologische, sondern auch die anatomische Trennung
der Leber in zwei Organe, in den „foie biliaire“ und den „foie
glyeogenique* ?). „Il y aurait chez les mollusques deux foies: un
1) Krukenberg, Untersuchungen aus dem physiol. Institut der Univers.
Heidelberg. Bd. II. Heft 1. p. 8.
2) Claude Bernard, Lecons sur les phönomönes etc. II. Bd. p. 110.
3) Ebenda, p. 107 und 108. Vgl. auch Krukenberg, Vergl.-phys.
Studien an den Küsten der Adria. II. Abth. p. 52.
Vergleichend-histochemische Untersuchungen über das Glycogan. 323
foie biliaire en communication avec Tiintestin, un foie glyeogenique
entourant l’autre et entrant en communication avec le systeme
eireulatoire“ (p. 108). Es wird sich später herausstellen, dass die
Trennung der Gastropodenleber in ein galle- und ein glycogen-
bereitendes Gewebe unzulässig ist.
Später hat Krukenberg!) aus den Lebern frisch gefangener,
lebenskräftiger Individuen der Species Arion empiricorum (ater),
und Helix pomatia nach der Brücke’schen Methode mehr oder
weniger grosse Quantitäten echten Glycogens dargestellt.
Ich selber habe mehrmals den Glycogengehalt der Leber von
Helix pomatia und Limax variegatus nach der Brücke’schen
Methode quantitativ bestimmt, öfter auch qualitativ nach dieser
Methode und den andern Reactionen (Jodreaction, Löslichkeit in
Wasser, Fällbarkeit durch Alkohol, Saccharifieirung durch Speichel-
ferment) nachgewiesen. Da aber die mikrochemische Unter-
suchung bei diesen Arbeiten von der grössten Bedeutung war, so
habe ich zuerst diese Methode der Untersuchung auf ihre Zu-
verlässigkeit geprüft.
Schnitte einer Helixleber, in welcher ich Glycogen makro-
chemisch — man gestatte diesen Ausdruck ! — dureh die oben
angegebenen Reactionen nachgewiesen hatte, zeigten in bestimmten
Gewebspartien, die nachher zu besprechen sind, nach Zusatz von
Jodglycerin, Lugol’scher Lösung oder Jodgummi braunrothes Jod-
glyeogen: wurden solche Schnitte 24 Std. in dest. Wasser oder
4—6 Tage in Glycerin extrahirt, und dann wie oben behandelt,
so zeigte die Jodlösung kein Glycogen mehr an, die Flüssigkeit
aber, in der die Schnitte gelegen hatten, wurde durch Zusatz eines
Tropfens Lugol’scher Lösung leicht braun gefärbt.
Ein Stückchen einer glycogenhaltigen Helixleber wurde einige
Minuten mit dest. Wasser ausgekocht und dann in absoluten Alho-
hol geworfen. Schnitte des gehärteten Präparates zeigten nach
Jodbehandlung intensive Glycogenreaction, da sich das Glycogen
beim Kochen grösstentheils gelöst und das Gewebe diffus durch-
drungen hatte.
Schnitte einer glycogenhaltigen Limaxleber werden 6 Tage
lang in Glycerin extrahirt; von diesen Schnitten enthielt einer
1) Krukenberg, Vergl.-phys. Studien an den Küsten der Adria.
II. Abth. p. 59. |
Archiv f. mikrosk. Anatomie. Bd. 25. 95
324 Dietrich Barfurth:
selbst nach so langer Zeit noch Glycogen. Eine kleine Scholle
'Glycogen, aus der Kaninchenleber bereitet, löst sich in Glycerin
innerhalb 24 Std. vollständig. Die Lösung erfolgt also in den
Geweben, namentlich nach Auflegen eines Deckglases, sehr viel
langsamer als im freien Zustande. — An frischen Präparaten
glycogenhaltiger Lebern sieht man bei Glycerin- oder Wasserzu-
satz das Glycogen nicht !); nach Behandlung mit absolutem Alko-
hol erscheint es in solchen Präparaten in Gestalt eigenthümlich
slänzender, weisser, kleinerer oder grösserer Schollen und Körner,
die sich auf Zusatz einer Jodlösung zuerst gelb, dann dunkler,
endlich rothbraun färben. 5 grosse Exemplare von Helix pomatia,
am 8. Juli 1884 gefangen, hungerten 3 Wochen: in der Leber
fand sich bei der mikrochemischen Untersuchung kein Gly-
cogen und auch nach der Brücke’schen Methode gewann
ich kein Glycogen.
Legt man Schnitte einer glycogenhaltigen, Leber in Jod-
glycerin, so färbt sich in kurzer Zeit, 2—5 Minuten, das vorhan-
dene Glycogen rothbraun; schon während der Färbung
beginnt aber aueh die Lösung der Substanz, so dass unter
dem Mikroskop in der Zusatzflüssigkeit braune Wolken sichtbar
werden. Nach kürzerer und längerer Zeit löst sich das ganze
Glycogen und das gesammte Gewebe erscheint gleichmässig gelb.
Erwärmt man ein Jodglycerinpräparat, in welchem Glycogen
enthalten ist, so verschwindet die braunrothe Färbung, um nach
dem Erkalten wiederzukehren, wenn noch Jod vorhanden ist.
In allen Präparaten, ausser Jodgummipräparaten, verdunstet das
Jod allmählich.
Aus diesen Versuchen ergibt sich die Zuverlässigkeit der
mikrochemischen Untersuchung. Wer einige Uebung be-
sitzt, wird auf die von mir angegebene Weise nach der mikro-
chemischen Methode allein das Vorhandensein oder
Fehlen von Glyeogen in der Gastropodenleber — und
auch in den übrigen Geweben — mit Sicherheit bestimmen können.
Nachdem festgestellt war, dass in der Gastropodenleber überhaupt
Glycogen gebildet wird, suchte ich die Gewebselemente zu
bestimmen, in denen sich das Glycogen findet. Es wurde schon
1) Nur die glycogenhaltigen Bindesubstanzzellen zeigen einen eigen-
thümlichen Glanz, der wohl vom eingelagerten Glycogen herrührt.
Vergleichend-histochemische Untersuchungen über das Glycogen. 325
gelegentlich darauf aufmerksam gemacht, dass sich in der Gastro-
podenleber zwischen den Follikeln und um dieselben mehr oder
weniger interstielles Gewebe, Bindesubstanz, findet. Am reichsten
ist damit die Leber von Arion versehen, viel findet sich auch bei
Helix, am wenigsten bei Limax. Da die Bindesubstanz für die
Glyeogenfrage bei diesen Thieren eine ausserordentlich wichtige
Rolle spielt, so mag eine kurze Erörterung über dieselbe hier
Stelle finden.
Schon Leuckart!) hatte an den Gefässen von Gastropoden
eine äussere „Lage von grossen, glashellen Zellen“ wahrgenommen,
„die auch in andern Fällen bei den Gastropoden statt einer äussern
Zellgewebsschieht vorkommt.“ Leydig?) sprach dann zuerst be-
stimmt aus, dass diese Zellen „im ganzen Körper von Paludina
vivipara überall da vorkommen, wo bei höheren Thieren das Binde-
sewebe sich findet“, und gab ihnen deshalb den Namen „Binde-
substanzzellen“. Dies ist der Grund, weshalb ich diese Zellen |
vielfach als „Leydig’sche Bindesubstanzzellen‘“ bezeichnet
habe. Diese Zellen sind, wie Brock ?) in seiner neuerdings er-
schienenen gründlichen Arbeit hervorhebt, fast allen spätern Beob-
achtern (Clapar&de, Semper, Lacaze-Duthiers, Flemming,
H. Schultze, Joyeux-Laffuie, Vignal) aufgefallen. Brock
unterscheidet nun drei Formen in der interstitiellen Bindesubstanz:
1) Plasmazellen. Brock hat diesen Namen gewählt, „weil
sie mit den von Waldeyer*) so genannten Elementen des Verte-
bratenbindegewebes in Bezug auf äusseres Aussehen und den Ort
ihres Vorkommens eine gewisse Aehnlichkeit aufzuweisen haben“
(p. 10). Zu diesen gehören die bei den Pulmonaten so ausser-
ordentlich massenhaft vorkommenden Leydig’schen Bindesubstanz-
zellen. Ueber Form, Grösse, Kern etc. habe ich mich schon an
1) Frey und Leuckart, Lehrbuch der Anatomie der wirbellosen
Thiere. 1847. (Wagner, Lehrbuch der Zootomie. II. Theil) p. 438.
2) Leydig, Ueber Paludina vivipara. Zeitschrift f. w. Zool. 2. Bd.
1850. p. 151.
3) Brock, Untersuchungen über die interstitiellen Bindesubstanzzellen
der Mollusken. Zeitschr. f. wiss. Zool. 1883. p. 1—63. Siehe daselbst (p. 39)
auch die Literaturangaben.
4) Waldeyer, Ueber Bindegewebszellen. Arch. f. mikr. Anat. Bd. XI.
1875. p. 176. Waldeyer’s Plasmazellen sind in der That protoplasmareich
(p- 190).
326 Dietrich Barfurth:
andern Stellen ausgesprochen !). „Das Protoplasma dieser Zellen
zeichnet sich frisch durch einen so starken Glanz aus, dass der
Gedanke, dasselbe möchte mit einer fettähnlichen Substanz infiltrirt
sein, nahe liegt“ (Brock a. a. ©. p. 39). Da alle Reactionen
aber gegen Fett sprechen, so lässt Brock mit Recht diesen Ge-
danken wieder fallen. Ich habe schon oben erwähnt, dass in den
von mir untersuchten frischen Präparaten der Glanz ohne Zweifel
vom Gehalt des Protoplasmas an Glycogen herrührt.
Brock unterscheidet dann mit Semper drei Arten von Plas-
mazellen nach dem Inhalt; von diesen ist es die erste Art, „deren
Kern eine Zone von feinen dunklen Körnchen‘“ umgibt, die beson-
ders zur Ablagerung des Glycogens in Anspruch genommen wird.
2) Bindesubstanzzellen mit leicht demonstrirbarem Kern,
einem sternförmigen Zellleib und zahlreichen verzweigten Aus-
läufern, die mit denen benachbarter Zellen in Verbindnng stehen.
3) Fibrillenbündel (von Muskelfasern zu unterscheiden);
sie scheinen bei Pulmonaten durchweg aus Spindelzellen hervor-
zugehen und besitzen eine structurlose Scheide. Die Kerne der-
selben sind schwer sichtbar, weil der Hof körnigen Protoplasmas ver-
schwunden, oder auf ein Minimum reducirt ist (Brock a.a.O.p. 45).
Was die Ergebnisse der Brock’schen Arbeit anbetrifft, so
habe ich mich sehr gefreut, dass endlich einmal ein wirres Mate-
rial geordnet worden ist. Weniger einverstanden bin ich mit dem
Brock’schen Namen „Plasmazellen“, insofern er auch die glycogen-
haltigen Leydig’schen Bindesubstanzzellen umfasst. Ich habe
schon früher darauf hingewiesen, dass an diesen Zellen nur die
äusserste Schicht und das spärliche Protoplasma mit dem Kern
„protoplasmatisch*“ sind, d. h. aus Eiweisssubstanzen bestehen,
während der übrige Theil der Zelle mehr gallertig, hyalin ist.
Nach Jodbehandlung: bietet demnach die Zelle folgendes Bild dar:
Die periphere Zellschicht (,„Zellmembran“), und der Kern mit den
ihn umgebenden spärlichen Protoplasmaresten ist gelb gefärbt; im
Innern der Zelle liegt das Glycogen in einer oft kugelförmigen,
oft unregelmässigen Form, mehr oder weniger das Lumen der Zelle
ausfüllend. Um dieses Glycogen aber sieht man dann auf feinen
Schnitten einen „leeren“ Raum, dessen Zustandekommen nur zum
Theil durch die Einwirkung des Alkohols zu erklären ist. In
1) Vgl. auch Brock a. a. O. p. 38 ff.
Vergleichend-histochemische Untersuchungen über das Glycogen. 327
manchen Zellen findet man nämlich nur wenig Glycogen und in
diesen ist der leere Raum sicher nicht durch den Alkohol erzeugt
worden; hier zeigt sich eben, dass ein grosser Theil der Zelle
nicht aus echtem Protoplasma (Eiweisskörpern) besteht, sondern
im Innern eine sich mit Jod nicht gelb färbende hyaline Substanz
vorhanden ist. Da diese Erscheinung an unzweifelhaft protoplas-
matischen Zellen, z. B. Leberzellen, niemals auftritt, so wäre viel-
leicht eine andere Bezeichnung für die „Plasmazellen“ charakteri-
stischer gewesen. Die „Trägersubstanz“ !) des Glycogens besteht
nun freilich höchst wahrscheinlich aus einem Fiweisskörper ; da
aber weder diese Substanz, noch das Glycogen immer in den
„Plasmazellen“ vorhanden ist, so ändert das nichts an der Sache.
Im Uebrigen kann ich alle Beobachtungen Brock’s für die
von mir untersuchten Gastropoden bestätigen. Wenn in den von
mir beigegebenen Zeichnungen die drei Formen der Bindesubstanz
nicht immer scharf hervortreten, so bedenke man, dass nach
Brock’s eigener Bemerkung (p. 39) die „Plasmazellen“ bei den
Pulmonaten ausserordentlich vorherrschend sind und dann, dass
an den mit Jod behandelten Präparaten gewisse histologische
Feinheiten mehr oder weniger verloren gehen.
In welchen Elementen der Gastropodenleber findet sich nun
das Glycogen? Es ist klar, dass diese Frage nur durch die mikro-
chemische Untersuchung beantwortet werden kann. Ich habe dess-
halb Thiere verschiedener Gattungen und Arten kürzere oder
längere Zeit mit ihrer natürlichen Nahrung (Vegetabilien) oder
mit Brot gefüttert und danm die Leber auf Glycogen geprüft. Alle
Pulmonatengattungen bilden ein vorzügliches Object für die Unter-
suchung auf Glycogen. Da es ja aber auch darauf ankommt, die
Thiere längere Zeit in der Gefangenschaft zu halten, so mag noch
hervorgehoben werden, dass sich wegen ihrer grossen Widerstands-
fähigkeit die Helix- und Limaxarten am besten eignen. Helix
pomatia lässt sich in einem nicht zu trocknen und zu warmen
Raume Jahre lang halten. Die Limaxarten setze ich in Cylinder-
gläser und halte sie rein und feucht.
Diese beiden Gattungen bilden zugleich die Repräsentanten
zweier grossen Gruppen unter den Pulmonnaten, die sich durch
grössere oder geringere Entwicklung des interstitiellen Gewebes
1) Vgl. Ehrlich a. a. O. p. 45.
328 Dietrich Barfurth:
und dementsprechend durch ihr Verhalten zur Glycogenaufhäufung
von einander unterscheiden. Bei den Helixarten finden wir in der
Leber ein massenhaftes Vorkommen von „Plasmazellen‘‘, theils in
der Adventitia der zahlreichen Gefässverästelungen, theils als Fül-
lung zwischen den Follikeln; bei der Gattung Limax sind diese
Zellen weniger reichlich vorhanden. Da nun diese Plasma-
zellen die vorzüglichsten Träger des Glycogens sind,
so unterscheiden sich die Lebern beider Gattungen in ihrem Ver-
halten zum Glycogen sehr wesentlich. Unter gewöhnlichen Er-
nährungsverhältnissen häuft sich in der Helixleber alles Gly-
cogen in den Plasmazellen an, während das Epithel
ganz frei davon ist; in der Leber der Limaxarten
aber sind diese spärlicher vorhandenen Lagerräume
bald gefüllt und desshalb wird schon sehr bald das
Epithel zur Aufstapelung des Glycogens mit heran-
gezogen.
Claude Bernard!) hat, wie ich aus seinen Mittheilungen
schliessen muss, nur solche Thiere untersucht, deren Leber-
epithel kein Glycogen enthielt. Die Leber ist nach ihm aus
einer Anzahl von Drüsenschläuchen zusammengesetzt, die eine der
Galle ähnliche Flüssigkeit secerniren „et c’est autour de ces
tubes, ou dans leurs interstices, que se trouve pr&-
cisement accumulede la matiere glycog&ne.“ Dies war
der Grund, warum er den foie biliaire vom foie glycogenique
trennte. Nun findet man aber schon bei einem mit Vegetabilien
(Kohlblättern) genährten Limax das Glycogen nicht nur in den
Bindegewebszellen (Plasma- und Bindesubstanzzellen), sondern auch
im Follikelepithel selber und zwar, wie ich in mehreren Fällen
beobachtete, zuerst in den Kalkzellen, später auch in den Leber-
und Fermentzellen. Ganz dieselbe Erscheinung zeigt sich in der
Helixleber nach reichlicher, kräftiger Ernährung (Brot). Die Binde-
gewebszellen pfropfen sich zuerst voll mit Glycogen und dann er-
scheint es auch im Epithel, niemals so reichlich wie bei Limax,
aber sehr deutlich in feinen Streifen und kleinen unregelmässigen
dem Protoplasma einverleibten Massen. Es besteht also zwischen
beiden Gattungen kein principieller, sondern nur ein von der
Nahrung abhängiger quantitativer Unterschied. Die Claude Ber-
nard’sche Trennung der Gastropodenleber in ein gallebereitendes
1) Claude Bernard, Lecons etc. p. 107 und 108.
Vergleichend-histochemische Untersuchungen über das Glycogen. 329
und ein glycogenbildendes Organ muss deshalb fallen gelassen
werden.
Die Form, in der das Glycogen in den Plasmazellen auf-
tritt, wird am einfachsten durch Tafel XVI Fig. 12 veranschaulicht.
In den Kalkzellen liegt es zwischen den glänzenden
Kügelehen von phosphorsaurem Kalk, die nach Jodbehandlung meist
dunkel erscheinen. In den Leber- und Fermentzellen findet
es sich diffus oder in unregelmässigen Körnchen im Protoplasma
zerstreut; bei sehr starkem Glycogengehalt sieht man zuweilen
sogar kleine Glycogenmengen in den Secretbläschen; dagegen
scheinen die fertigen, ausgestossenen Secretbläschen, die
man im Innern der Follikel oder besser noch im Lumen der Aus-
führungsgänge studiren kann, keine Spur von Glycogen mehr
zu enthalten. Glycogen in freien Tröpfchen, wie sie Ehr-
lich!) im Blute der Wirbelthiere gefunden hat, habe ich mit
Sicherheit nieht nachweisen können; das Glycogen war immer
Zellen oder abgeschnittenen Stücken von Zellen einverleibt. Die
Membrana propria der Drüsenfollikel war immer glycogenfrei.
Merkwürdig ist es, dass die Leberausführungsgänge und
selbst die kleinsten Gallengänge für die Glycogenablagerung
eine sehr beliebte Stätte bilden, so zwar, dass oft diese Gänge
stark glycogenhaltig sind, während die eigentlichen Leberfollikel
noch frei von Glycogen bleiben. Auch hier zeigt sich wieder ein eigen-
thümlicher Unterschied zwischen den Gattungen Helix und Limax.
Bei Helix sind die die Gallengänge umgebenden und in ihre vor-
springenden Epithelleisten sich hineindrängenden Plasmazellen
wieder in erster Linie für die Glycogenablagerung bevorzugt. Erst
bei starker Zufuhr in Folge reichlicher Ernährung sieht man es
auch im Epithel der Gänge, wo.es bei schwacher Vergrösserung
in Form eines zierlichen Bogens der ebenfalls bogenförmig ge-
lagerten Epithelleiste einverleibt ist. Bei starker Vergrösserung
sieht man an dünnen Schnitten, dass jede Epithelzelle in fast genau
gleicher Höhe über dem Kern eine tropfenförmige oder unregel-
mässig gestaltete Einlagerung von Glycogen besitzt (vgl. Tafel XVII
Fig. 16). Diese Regelmässigkeit der Einlagerung erzeugt auch
den Bogen.
Nachdem wir so den Ort besprochen haben, an dem das Gly-
1) Ehrlich a. a. O. p. 40.
330 Dietrich Barfurth:
cogen in der Gastropodenleber zu suchen ist, werde ich nunmehr
die Zeit des ersten Auftretens dieser Substanz in der Leber fest-
zustellen suchen.
Diese Zeit kann natürlich nur durch Versuche bestimmt
werden und diesen Versuchen müssen wieder andere vorhergehen,
durch welche die Fastenzeit festgestellt wird, die erforderlich
ist, um die Leber sicher glycogenfrei zu machen. Um durch voll-
ständige Mittheilung der Protokolle nicht zu ermüden, theile ich
in folgender Tabelle kurz die Ergebnisse dieser Versuche mit.
Tabelle Tr.
Glycogen
Nr. Datum des Here. Fasten- in der Bemerkungen.
Versuchs. zeit.
Leber.
1 116./6. 1884 5 Helix | 3 Tage + |In denGefässen und inter-
pomatia stitiellen Geweben Gly-
cogen. Ein Thier glyco-
genfrei.
2 |13./6. 1884 |3 Arion em-ı 6 „, + Ein kleines Thier war
piricorum glycogenfrei.
3 18./6. 1884 |9 Arion em-18 „, + Nur die grossen Gefässe
piricorum enthielten noch Gly-
cogen.
4 |26./6 1884 3 Limax 18 „ 0
cinereus
5 18./6. 1884 2 Arion 20 , 0 In den Gefässen eines
empiricorum Thieres schmarotzten
klene Nematoden,
deren Körper noch
mit Glycogen er-
füllt war!
6 |18./10. 1885| 3 Helix [21 ,, V
pomatia
7 18./6. 1884 3 Helix |21 -,„ 0
omatia
8 ı28./11. 1884| 4 Limax 21 „ 0
variegatus
9 114./12. 1884| 2 Limax 21 „ 0
variegatus |
Die Tabelle zeigt, dass dreiwöchentliches Hungern genügte,
um die Leber der von mir untersuchten Thiere glycogenfrei zu
machen. In einzelnen Fällen mag wohl eine längere Frist nöthig sein?);
1) Luchsinger (Zur Physiologie und Pathologie des Glycogens. Zürich
1875. Dissert.) gibt an, dass bei Helix pomatia 4—6 Wochen erforderlich
seien.
Vergleichend-histochemische Untersuchungen über das Glycogen. 331
Grösse, Ernährungszustand, Temperatur !), Bewegung?) und
andere vielleicht noch unbekannte Einflüsse spielen dabei sicher
eine Rolle. Interessant ist die Beobachtung (Versuch 5, Anmer-
kung), dass die schmarotzende Nematode mit Glycogen vollgepfropft
ist, während der Wirth hungert! Selbstverständlich findet man
die Lebern von Pulmonaten nach dem Winterschlaf immer gly-
cogenfrei. Ich untersuchte am 3. März d. J. die Lebern zweier
Exemplare von Helix pomatia, einer Helix nemoralis (alle einge-
deckelt) und mehrerer Cyclostoma elegans, welche letztere ich den
Winter über ohne Nahrung im Institut erhalten hatte, und fand in
denselben keine Spur von Glycogen. Einige Individuen von Cy-
clostoma elegans, am 16. Juli 1854 auf dem Hammerstein gefangen,
waren frisch untersucht worden; die Leber und zahlreiche andere
Organe enthielten grosse Mengen Glycogen. Ich habe dann durch
zahlreiche Versuche festgestellt, wie viel Zeit ein Hunger-
thier braucht, um in der Leber wieder Glycogen ab-
zulagern. Um grössere Sicherheit zu haben, dass die Lebern
der Versuchsthiere glycogenfrei waren, habe ich dieselben nicht
nur mindestens 21 Tage hungern lassen, sondern jedesmalan
einem Controlthier die Abwesenheit des Glycogens
festgestellt. Mehrere mit Arion emp. unternommenen Versuche
scheiterten daran, dass die Thiere die Gefangenschaft und das
lange Hungern nicht ertrugen. Bei Ansetzung dieser Versuche ge-
nügt es natürlich nicht, den Thieren zu einer bestimmten Zeit das
Futter zu verabreichen, sondern man muss ruhig und recht ge-
duldig warten, bis sie zu fressen beginnen und von diesem
Moment an die Dauer des Versuchs berechnen. Ich habe dabei immer
eine grössere Zahl von Schnecken auf oder an das betreffende Nah-
rungsmittel (Kohlblätter oder Brotscheiben) gesetzt und zum Versuch
diejenigen ausgewählt, die zu derselben Zeit?) zu fressen begannen.
1) Külz (Ueber den Einfluss angestrengter Körperbewegung auf den
Glycogengehalt der Leber. Fflüger’s Archiv. 1881. p. 41 ff.) hat die wich-
tige Thatsache festgestellt, dass angestrengte Körperbewegung die Leber gut
genährter Thiere glycogenfrei macht.‘
2) Külz (Ueber den Einfluss der Abkühlung auf den Glycogengehalt
der Leber. Pflüger’s Archiv. 1881. p. 46 ff.) fand, dass Abkühlung den Gly-
cogengehalt der Leber wesentlich herabsetzt.
3) Da man selten erlebt, dass mehrere Thiere ganz genau in demselben
Augenblick zu fressen beginnen, so habe ich als Maximum eine Frist von
332 Dietrich Barfurth:
Die Ergebnisse der Versuche stellte ich auf nebenstehendes Ta-
belle zusammen.
Zu dieser Tabelle sind einige Bemerkungen nöthig.
Die Daten der Versuche 6—15 sind Versuchen über das erste
Auftreten des Glycogens in den Geweben überhaupt ent-
nommen, die später im Zusammenhange mitgetheilt werden. Der
Darminhalt aller dieser Versuchsthiere war sauer, meist stark
sauer, ebenso ‚die Flüssigkeit in den Leberausführungsgängen
und das Leberparenchym. Nach Brotfütterung war der Inhalt des
Darmes grauweiss, sehr zuckerreich!). Der Anfangsdarm und
der Magen waren dabei durch den mit viel Flüssigkeit versehenen
Nahrungsbrei sehr stark ausgedehnt; auch die Ausführungsgänge
der Leber und die Leberfollikel selber waren durch die angesam-
melte Flüssigkeit sehr stark erweitert, und in mehreren Fällen
3 Minuten gewährt. Die Thiere, die innerhalb dieser Frist ihre Mahlzeit be-
gannen, wurden für den Versuch ausgewählt, die übrigen entfernt. Gar oft
muss man den Versuch aufgeben, weil die Thiere nicht fressen wollen; wenn
man sie ganz in Ruhe lässt und nur ganz sanft ab und zu ihrem Fortkriechen
die Richtung nach der vorgelegten Nahrung zu gibt, fährt man am besten.
Da fast alle unsere einheimischen Schnecken Nachtthiere sind und am liebsten
erst mit beginnender Dämmerung umherkriechen und fressen, so habe ich zum
Beginn dieser Versuche fast stets späte Abendstunden gewählt. Haben die Thiere
vor dem Versuch während der Fastenzeit ihren Aufenthalt in einem kühlen
Raume gehabt, so fressen sie gleich nachher am ersten Tage überhaupt nicht.
Ich habe sie deshalb einige Tage vor dem Versuch und auch nachher wäh-
rend des Versuchs immer in ein Tag und Nacht mässig geheiztes Zimmer ge-
bracht und sie mit lauem Wasser bespritzt; Wasser trinken sie auch gern.
Bei diesen Versuchen ist mir mehrmals aufgefallen, wie sehr die Thiere einer
Species sich zusammenhalten. In einem grossen Cylinderglase hatte ich län-
gere Zeit mehrere Individuen der Species Limax variegatus und Limax agrestis
untergebracht. Ich fand dann Morgens oftmals die Thiere der einen Species
sämmtlich dicht zusammengedrängt oben am Deckel des Glases sitzen, die
der andern Species ebenso am Boden des Glases. Diese Eigenthümlichkeit
hängt offenbar mit der Reinhaltung der Art zusammen. Etwas ähnliches
habe ich früher (Dieses Archiv. 22. Bd. p. 508) von den Weinbergsschnecken
berichtet, die in „Völkern“, aus mehreren Generationen bestehend, gemein-
sam den Winter verbringen.
1) Claude Bernard (Recherches sur une nouvelle fonction du foie.
Annales des sciences nat. Serie II. T. XIX. 1853. p. 533) hat diese That-
sache und andere merkwürdige Erscheinungen bei der Verdauung schon be-
richtet.
Vergleichend-histochemische Untersuchungen über das Glycogen. 333
Tabelle Il
Datum En SELTEN
zZ gr Thien | Salat, Zu; nach Be- Inter- ‚an Bemerkungen.
Ver- zeit. rung. ginn des | stitium Faishel
suches. Fressens.| Leber. Leber.
1/8./6. 1884| Arion |21 Tage| Kohl j2Stunden) 0 0
empir.
2 „ $}) ” ” j4 „ 0 0
3 ” ” ” „ 6 » 0 0
4 ” ”„ „ ” 8 ” 0 0
5 o AR 5; Hr 10 45 0 0
6| 3./1. 84 [Limaxva-| 40 Tage | Zucker- |8%/, „ 0 0
E reiches
rıegatus. Weissbrot
7 2) ” 2) „ 9 „ Sr 0
8 ” „ ” 9 [p) + 0
9126./12. 84 ” 30 Tage n 97 0) 0
10 ” ” ” ” 91/a ” 0 0
11 1) „ ” „» la » == 0
12 ” ” I „ 10 „ + 0)
31./12. 84 55 37 Tage 33 5 N £ re SEHE groB
» a ” » » au Thiere!
15 ” » ) 9 2) =E Ar -
16115./11. 84 5 33 Tage » Ban ab IM
17 ”» ” ” ” Ily „ + +
18 ” ” ” ” 92/4 ” SE an
19|17./11. 84 y5 35 Tage y5 107% 0 0
20 ” 2} ” ” 101/, ,, SF Sr
21 „ „ ” 101/5 ,, + +
22|20./11. 84 „ 38 Tage = 165 + +
23 ” er “ „ 15’9, 0 0 [MittelgrossesThier.
24|25./5.83| Helix |21 Tage |Schwarz-|17 ,, Erd 0
pomatia brot
25 2a Arion n er er 0 0 Das Thier war
empir. sehr matt.
26| 14./2. 84 B, 4—5 e DAstiz l) 0 Aus dem Winter-
Monate schlaf!
27| 22./2.84| Helix 4—5 5 AS 0 ) Beide Thiere
pomatia | Monate frassen wenig.
2810. /7. 84 5 65 Tage 55 Ddınız + 0 Die Thiere wurden
29| 4./9. 84 Re 60 Tage .; 36 + 0 |jaus dem Schlaf ge-
30| 5./9. 84 a3 61 Tage a ar lape.|, N) weckt und vor Be-
31) 7./12. 84 |H. pomat.| 82 Tage h# 5 Tage | + + ||ginn des Versuches
8 Thiere längere Zeit feucht
32| 9./12. 84 [H. pomat.| 84 Tage „ 5 Tage | + + fund warm gehal-
2 Thiere ten; sie frassen
dann das ange-
feuchteteSchwarz-
brot sehr gern.
33| 1./9. 84 |H. pomat.| 76 Tage a 36 Std. ) 0 Direct aus dem
2 Thiere Schlaf; sie frassen
sehr wenig.
334 Dietrich Barfurth:
hatte der Nahrungsbrei sich bis in die kleineren Gallen-
gänge und sogar bis in das Lumen der Leberfollikel sel-
ber verbreitet. Dies ergab sich sehr deutlich aus der Unter-
suchung von in Alkohol gehärteten Lebern. Schnitte von solchen
Lebern mit Jodlösung behandelt wiesen im Innern der Leber-
follikel grose Mengen unversehrter oder halbverdauter
Stärkekörner!) auf. Dieser Befund illustrirt sehr drastisch die
Thatsache, dass die Leberfollikel morphologisch nichts sind als
Ausstülpungen 2) der Darmwand bez. der Gallengänge.
Es ergibt sich aus den Versuchen, dass das erste Glycogen
in der Leber von Limax variegatus nach Brotfütterung in der 9.—10.
Stunde auftritt und ferner die sehr beachtenswerthe Thatsache,
dassesdie Bindegewebszellen sind, in denen das Glyco-
gen zuerst aufgestapelt wird. Sie zeigen ferner, dass indivi-
duelle Schwankungen vorkommen und dass auch die verschiedenen
Species sich verschieden verhalten. Wenn Helix pom. lange Zeit ohne
1) Die noch wenig oder gar nicht angegriffenen Stärkekörner wer-
den in einer Jodlösung tief dunkelblau, die zum Theil schon verdauten
färben sich blassblau mit einem Stich in’s Violette und zeigen ein eigenthüm-
liches Aussehen. In der Mitte erscheint eine Höhlung (,‚Kern‘), von der Fort-
sätze ausgehen; manchmal erscheint in der Mitte ein dunkler Halbmond, oft
sieht man nur ein Auseinanderweichen der Schichten. Die Peripherie zeigt
einen hellen Saum. Vgl. Strasburger, Das botanische Practicum, p. 18 ff.
Die in Fig. 8 gezeichneten Stärkekörner aus den Cotyledonen der Bohne ent-
sprechen genau den zuerst von mir beschriebenen.
2) Bertkau, a. a. O. p. 244, bemerkt von der sog. Leber der Spinnen,
sie entstehe dadurch, „dass der erweiterte Theil des Darmes im Anfange des
Hinterleibes eine beträchtliche Zahl grösserer und kleinerer Ausstülpungen
bildet, die sich weiter und weiter verästeln und durch ein Zwischengewebe
zu einer anatomischen Einheit verbunden werden.“ Der flüssige Speisebrei
„gelangt bis in die letzten Verzweigungen der Darmausstülpungen“. Bertkau
hält es deshalb für angemessen, „den Namen „Leber“ bei den Spinnen durch
„Chylusmagen‘‘ zu ersetzen. Es ist nun freilich sicher, dass die Differen-
zirung der Gastropodenleber als eines besonderen Organs viel deutlicher ist,
als beim „Chylusmagen“ der Spinnen; trotzdem kann ich einen principiellen
Unterschied in der Morphologie beider Organe nicht anerkennen. Die oben
von mir mitgetheilte Beobachtung beweist, dass auch die Gastropodenleber
bei reichlicher Nahrungszufuhr theilweise als „Chylusmagen“ zu functioniren
versteht. Man vergleiche dazu die „Hepatointestinalcanäle“ Krukenberg’s
(bei Aeolidiern und Thetys). Grundzüge einer vergl. Physiologie der Ver-
dauung. Heidelberg 1882. p. 64.
Vergleichend-histochemische Untersuchungen über das Glycogen. 335
Nahrung und trocken gehalten wird, verschliesst sie bekanntlich
die Schalenmündung mit einem oder mehreren häutigen Deckeln
und bleibt in diesem Zustande Monate lang unverändert. Wird
sie aus diesem Schlafe durch Wärme und Feuchtigkeit erweckt,
so frisst sie zuerst wenig oder nichts und eine Glycogenaufhäufung
findet nicht statt (Versuch 27 u. 33). Hält man sie aber mehrere
Tage munter, so fressen sie nachher gern und viel und häufen
Glycogen in fast allen Geweben, namentlich aber in der Leber
an (Versuch 31 u. 32; ersterer diente zugleich zur quantitativen
Bestimmung des Glycogens in verschiedenen Organen). So wie bei
Limax findet man auch bei Helix das Glycogen immer zuerst in
den Bindegewebszellen des interstitiellen Gewebes der Leber
und der Gefässe. Nach kürzerem oder längerem Hungern findet
man beim Verschwinden des Glycogens analoge Verhält-
nisse: es verschwindet zuerst aus dem Epithel der Leber
und dann erst aus den Bindegewebszellen (vgl. Tabelle I,
Versuche 1 und 3).
Ich bin dann der wichtigen Frage näher getreten, ob für die
Gastropodenleber in Bezug auf Glycogenbildung oder -anhäufung
ein ähnliches Verhalten gilt, wie für die Leber der Wirbelthiere,
ob also die Gastropodenleber durch eine hervorragende
Glyeogenfunction ein Analogon der Wirbelthiere ist
oder nicht. Diese Frage ist bekanntlich von Hoppe-Seyler!)
im Allgemeinen für die Wirbellosen verneint worden. Er sagt in
Bezug auf das Glycogen: „Bei Wirbelthieren bestehen die Functio-
nen (einer Leber) in der Bildung von Galle und Glycogen. Da
die wirbellosen Thiere wie die noch nicht völlig entwickelten
Wirbelthiere in den verschiedenen Organen von Glycogen strotzen
können, ist auf den geringen Gehalt von Glycogen, den ich in
der Verdauungsdrüse des Krebses constatirt habe, nicht viel zu
geben, derselbe kann sehr wohl von der grossen Zahl amö-
boider Zellen, die sich in diesem Organe finden, herrühren“ (p. 399).
Die Frage, ob die Leber der Wirbellosen Gallenfarbstoffe oder ein
Analogon derselben secernirt, mag hier unberührt bleiben. Es
ist aber in Bezug auf die Gastropodenleber neuerdings wieder von
1) Hoppe-Seyler, Unterschiede im chem. Bau uud der Verdauung
höherer und niederer Thiere. Pflüger’s Archiv 1877. p. 795.
336 Dietrich Barfurth:
Frenzel?!) in einer allerdings ganz kurzen Mittheilung behauptet
worden, dieses Organ sei lediglich eine Fermentdrüse, ent-
gegen der von Krukenberg?) und mir?) vertretenen Anschauung, -
dass sie ausserdem noch eine der „Galle“ ähnliche Substanz secer-
nire. Krukenberg (Untersuchungen aus dem physiol. Institut ete.
Bd. II. H. 1. p. 17) hat ausserdem wegen der in der Leber statt-
findenden Zuckerbildung zuerst für dieses Organ auch den
Charakter der Leber höherer Vertebraten in Anspruch
senommen. Es ist deshalb für die ganze physiologische Auf-
fassung der Gastropodenleber von grosser Wichtigkeit zu unter-
suchen, wie sie sich zum Glycogen verhält.
Ich habe schon oben auseinandergesetzt, dass von einer spe-
ciellen Glycogenfunetion der Wirbelthierleber in dem Sinne,
als ob sie ein Monopol auf die Glycogenbildung hätte,
nieht mehr die Rede sein kann. Da sie aber procentisch
mehr Glycogen bildet, als irgend ein anderes Organ oder
Gewebe, so kann man die „Glycogenfunction der Leber“ insofern
aufrecht erhalten, als man dadurch ausdrücken will, dass sie in
der That primus inter pares ist, aber nicht mehr. Von diesem
Standpunkte aus habe ich nun den Glycogengehalt der
Gastropodenleber mit dem anderer Organe und dem des
sanzen Körpers verglichen, um die Frage entscheiden
zu können, ob man in dem oben bestimmten Sinne von
einer Glyeogenfunction der Gastropodenleber reden
kann oder nicht.
Versuch I. 20. October 1884. 12 mittelgrosse Exemplare von Limax
variegatus hatten 21 Tage gehungert. Sie wurden zwei Tage lang feucht
und warm gehalten und bekamen dann angefeuchtetes Weissbrot; die meisten
frassen bald, das Brot blieb zwei Stunden im Glase und wurde dann ent-
fernt. Nach 24 Stunden wurden 4 Thiere zur anderweitigen Verwendung ab-
geschieden; von den übrigen 8 Thieren hatte eins nicht gefressen und wurde
entfernt. Der Darm der übrigen war noch stark mit Brotresten gefüllt, die
beim Aufschneiden der Thiere möglichst entfernt wurden.
1) Frenzel, Biol. Centralblatt. 1883—84. p. 327. In einer neueren
Mittheilung (Dieses Archiv 25. Bd. 1885. p. 48 ff.) sind diese Fragen nicht
erörtert.
2) Untersuchungen aus dem physiol. Institut d. Univ. Heidelberg. Bd. II.
Heft 1. p. 21, 22; Vergl.-physiol. Beiträge ete. p. 31. Vgl.-physiol. Studien
zu Tunis. Heidelberg 1880. p. 188.
3) Dieses Archiv. 22. Bd. p. 494 ff.
Vergleichend-histochemische Untersuchungen über das Glycogen. 337
Von den zum Versuch übrig bleibenden 7 Thieren wurde die Leber
präparirt und gewogen . . . » 2.2... = 1,8880
Davon zur mikrochemischen Untersuchung . = 0,3380
Blieben zur Glycogenbestimmung . . . . 1,5500 frische Substanz.
Die Körper der Thiere (ohne Leber) wogen = 19,6670
Davon zur mikrochemischen Untersuchung = 1,4202
Blieben zur Glycogenbestimmung . . . . 18,2468 frische Substanz,
Die Lebersubstanz und die Körpersubstanz wurde gesondert in schon
siedendes destillirtes Wasser geworfen und nun nach der Brücke’schen Me-
thode weiter behandelt. Die Lebersubstanz zerfällt nach mehrstündigem
Kochen leicht; sehr viel widerstandsfähiger ist die Substanz der Körper; sie
wird zuerst während des Auskochens in der Porzellanschale mit der Scheere
möglichst fein zerschnitten, dann in der Reibschale weiter zerkleinert, ob-
gleich die zähen Stückchen dem Zerreiben grossen Widerstand leisten. Als
die Decocte nur noch Spuren von Glycogen enthielten, wurden die Substanz-
reste mit sehr verdünnter Kalilauge (es wurden 5—6 Tropfen Kalilauge dem
Wasser beigemischt) zerkocht. Die Decocte der Körper mussten colirt wer-
den, das Auswaschen dauert ausserordentlich lange, da der Schleim!) das
Glycogen mit unglaublicher Zähigkeit festhält. Während die Darstellung
des Glycogens aus der Leber leicht gelingt, macht die Körpersubstanz bei
der Behandlung grosse Schwierigkeiten. Da es von der grössten Wichtigkeit
ist, den Schleim vollständig zu entfernen, so muss man grosse Mengen des
Brücke’schen Reagenzes (Kaliumquecksilberjodid) zusetzen. Das Leberglycogen
wurde noch einmal in destillirtem Wasser gelöst und mit Alkohol von 96°/,
gefällt. Es wurde auf gewogenem Filter gesammelt, zuerst im Exsiecator,
nachher im Trockenschrank bei 1000 getrocknet und lieferte ein tadellos
weisses Pulver, welches alle Glycogenreactionen gab und ohne Asche zu
hinterlassen verbrannte.
r
Viel schwieriger wurde mir die Reingewinnung des Glycogens aus der
1) Landwehr (Untersuchungen über das Mucin von Helix pomatia
und ein neues Kohlenhydrat [Achrooglycogen] in der Weinbergsschnecke.
Zeitschrift f. physiol. Chemie, 6. Bd. p. 74 ff.) hat eine dem Schneckenmucin
beigemengte glycogenartige Substanz (Achrooglycogen) dargestellt, die durch
Jod nicht gefärbt wird, sich aber sonst wie Glycogen verhält (p. 77). Bei
der Darstellung soll ein Kochen der alkalischen Lösung vermieden werden.
Ob dem von mir nach der Brücke’schen Methode dargestellten Glycogen
Achrooglycogen beigemengt war, weiss ich nicht, ich habe bei der kleinsten
Probe stets deutliche Jodreaction nachweisen können. Um etwaige Fehler
auszugleichen, habe ich immer genau nach derselben Weise die quantitativen
Glycogenbestimmungen ausgeführt. — Auch Hammarsten (Pflüger’s Archiv.
36. Bd. 1885. p. 373) fand in der Helixleber gewöhnliches Glycogen
(p- 429).
338 Dietrich Barfurth:
Körpersubstanz. Ich habe es dreimal wieder in destillirtem Wasser gelöst
und durch Alkohol von 96°/, gefällt, erhielt aber kein weisses, sondern grau-
weisses Präparat. Trotzdem muss ich das Präparat für rein!) halten: die
Lösung opalescirte, gab schöne Jodreaction, wurde durch Alkohol gefällt,
eine mit Speichel versetzte Probe gab nach mehreren Stunden die Trommer'-
sche Zuckerreaction, es verbrannte auf dem Platinblech, ohne deutliche
Spuren von Asche zu hinterlassen. Für die Stickstoffprobe mit metallischem
Natrium reichte das Material leider nicht aus.
Es wurde gefunden in 1,55 frischer Lebersubstanz 0,0520 Glycogen
— 3,380),
Es wurde gefunden in 18,2468 frischer Körpersubstanz 0,0641 Glycogen
— 0,350),.
Es ergab sich also aus diesem Versuch {nach 24stündiger
Fütterung), dass die Leber ce. 10mal so viel Glycogen ent-
hielt, als ein entsprechendes Gewicht des übrigen
Körpers.
Die mikrochemische Untersuchung der in absoluten Alkohol
gebrachten Gewebsstücke ergab Glycogen in fast allen Organen:
Leber, Darm, Speicheldrüsen, Fuss, Mantel ete. Es fiel mir aber
auf, dass das Glycogen in den Geweben durch Behandlung mit
einer Jodlösung nicht so tief braun wurde, wie ich es nach län-
gerer Fütterung wahrgenommen habe. Es war also, wie auch die
quantitative Bestimmung lehrte, verhältnissmässig wenig Glycogen
abgelagert. Damit hing auch offenbar zusammen, dass sich Prä-
parate in Jodglycerin viel schneller wieder entfärbten, als
ich es sonst beobachtete.
Ich suchte nun durch weitere Versuche zu bestimmen, ob die
Leber nicht nur mehr Glycogen als ein entsprechendes Körper-
gewicht im allgemeinen, sondern auch mehr Glycogen ab-
lagere, alsandere Organe, in denen die mikrochemische
1) Vgl. Kratschmer, Beiträge zur quantitativen Bestimmung von
Glycogen, Dextrin und Amylum. Pflüger’s Archiv. 1881. p. 134 ff. Er findet
sehr oft das Glycogen nicht ‚‚schneeweiss“, sondern mit einem mehr oder
weniger deutlichen Stich in’s Graue oder Gelbliche. „Trotzdem zeigt das so
gewonnene Glycogen alle Eigenschaften der Reinheit.“ Den Kunstgriff
Kratschmer’s, die überstehende klare Flüssigkeit zu decantiren (p. 136
u. 137) und den Glycogenniederschlag mit absolutem Alkohol durchzurühren
u. s. w., habe ich stets, aber trotzdem bei anderem als Leberglycogen
nicht immer mit vollem Erfolge angewandt; bei quantitativen Bestimmungen
darf man ja die überstehende trübe, suspendirtes Glycogen enthaltende
Flüssigkeit nicht decantiren, sondern muss alles filtriren.
Vergleichend-histochemisehe Untersuchungen über das Glycogen. 339
Untersuchung einen reichen Glycogengehalt nachwies.
Solche Organe waren nach meinen Beobachtungen der Darm
bei der Gattung Limax und der Fuss!) bei Helix po-
matia.
II. Versuch. 14. November 1884. 12 mittelgrosse bis grosse Limax
variegatus hungerten 4 Wochen, wurden dann wie die früher besprochenen
behandelt-und drei Tage lang mit Weissbrot gefüttert. 24 Stunden, bevor
sie getödtet wurden, war das Brot aus dem Cylinderglase entfernt worden,
um den Darm möglichst stärkefrei zu machen. Trotzdem wurde im Darm
bei einigen Thieren noch etwas unverdautes Brot gefunden, welches bei der
Präparation des Darmes mechanisch durch Ausdrücken entfernt wurde. Es
wurden von den Thieren die Lebern und die Därme herauspräparirt ?)
und wie der Rest des Körpers gewogen. Von allen Organen und Körper-
theilen wurden kleine Stückchen in absoluten Alkohol geworfen, um sie für
die mikrochemische Untersuchung aufzubewahren.
Die gesammelte Darmsubstanz wog . . . = 1,2000
" = Leber \ rl Ss Dez ERERBN
Die Substanz des übrigen Körpers wog . . = 28,3768
Bei der weiteren Behandlung machte zunächst der Darm einige Schwie-
rigkeit, weil immer noch etwas Stärke in ihm zurückgeblieben war. Als
uach Zusatz des Brücke’schen Reagenzes und Salzsäure die Eiweisssubstanzen
und der Schleim abfiltrirt waren, zeigte das Filtrat einen leicht bläulichen
Schimmer, herrührend von der beigemischten Jodstärke. Das Filtrat wurde
deshalb weiter (5 mal) durch feinstes schwedisches Filtrirpapier (einige Male
nahm ich Doppelfilter) filtrirt, bis es klar war, dann mit starkem Alkohol
gefällt, noch zweimal wieder in dest. Wasser gelöst und schliesslich mit abso-
lutem Alkohol gefällt.
Die Gewinnung des Leberglycogens und Reindarstellung desselben ging
glatt vor sich.
Viel Schwierigkeit machte mir dagegen wieder die Behandlung der
1) Flemming (Untersuchungen über Sinnesepithelien der Mollusken.
Arch. f. mikr. Anat. 6. Bd. p. 442 Anm.) hat ganz Recht, wenn er darauf
aufmerksam macht, dass man Mantel und Fuss consequenterweise nur als
Theile der „Haut“ ansehen dürfe. Bei Helix pomatia hebt sich dieser Theil
der Haut so deutlich ab, dass ich ihn in diesem Falle wohl als besonderes
Organ behandeln durfte.
2) Da es bei diesen Arbeiten auf möglichste Schnelligkeit ankommt,
sind sie für einen Einzelnen schlechterdings unausführbar. Bei diesen Ver-
suchen, sowie den später zu besprechenden an Kaninchen haben mir die
Herren Dr. Paul Lohmann und cand. med. Braun, Löwe, Peters,
Strasburg und Viehöfer in der liebenswürdigsten Weise assistirt, wofür
ich denselben meinen herzlichsten Dank sage.
Archiv f. mikrosk, Anatomie. Bd. 25. 94
340 Dietrich Barfurth:
übrigen Körpertheile. Sie wurden in der früher beschriebenen Weise behan-
delt, das Auskochen allein ‘aber kostete über 6 Stunden Zeit. Schliesslich
habe ich den Rest wieder mit sehr verdünnter Kalilauge zerkocht und dann
das Ganze wie früher behandelt.
Es wurde gefunden:
fm Dar. 2. “. — 0,0193, E00,
ner Weber ©... . —.05400. —.0,39%n
Im übrigen Körper . = 0,5146 = 185%.
Sämmtliche Präparate wurden zuerst über Schwefelsäure, nachher im
Trockenschrank bei 1000 bis zu constantem Gewicht getrocknet; die wäss-
rige Lösung einer Probe derselben opalescirte, gab intensive Jodreaction und
auf Speichelzusatz nach 8 Stunden deutliche Trommer’sche Zuckerreaction;
von sämmtlichen Präparaten verbrannte eine kleine Probe auf dem Platin-
blech, ohne Asche zu hinterlassen; die beiden letzten Präparate waren stick-
stofffrei (Natriumprobe), das erste (Darmglycogen) konnte wegen Mangels an
Material nicht auf Stickstoff geprüft werden.
Die mikrochemische Reaction wies Glycogen in fast sämmtlichen unter-
suchten Organen nach; nur Spuren von Glycogen wurden in der Zwitter-
drüse, in den Ganglien und der Fussmuskulatur nachgewiesen; in den Muskel-
fasern der Fühlerretractoren fand sich gar kein Glycogen. Das in den
Bindegewebszellen in grosser Menge aufgehäufte Glycogen färbte sich auf
Jodzusatz tief rothbraun; die Epithelien des Darmes, der Leber ete. waren
zum Theil so stark glycogenhaltig, dass kaum noch der freie Zellkern sicht-
bar blieb.
Da nun bei der Gattung Limax, wie früher erwähnt, vor-
zugsweise das Epithel der Leber Träger des Glycogens ist,
weil die Leber wenig imterstitielles Gewebe besitzt, so war es
von Interesse, mit dieser die bindegewebsreiche Helixleber
zu vergleichen. Der dritte Versuch wurde deshalb mit Helix
pomatia angestellt.
III. Versuch. 7. December 1884. 8 grosse Exemplare Helix pomatia,
die 82 Tage lang im Arbeitszimmer des Instituts ohne Nahrung schlafend
verbracht hatten, wurden durch Bespritzen mit lauem Wasser munter ge-
macht und drei Tage vor Beginn des Versuchs im geheizten Zimmer gehalten.
Wenn die Thiere sich wieder an die Wand des Glases, in dem sie sich
befanden, anhängten, so wurden sie herabgenommen und stets munter
gehalten. Sie wurden dann 5 Tage lang mit feuchtem Schwarzbrot gefüttert,
wovon sie gierig frassen. 24 Stunden vor der Tödtung wurde das Brot
entfernt. Um zu schen, ob im Blut der Thiere Glycogen enthalten
sei, wurde bei der Tödtung so verfahren, dass die Schale in der Nähe des
Herzens weggebrochen. das Herz durchstochen und das ausströmende Blut
direct in einer Porzellanschale mit siedendem destillirtem Wasser aufgefangen
wurde. Diese Procedur gelang bei 5 Thieren vollständig gut. Das Blut
Vergleichend-histochemische Untersuchungen über das Glycogen. 841
gerann in dem Wasser beinahe sofort und wurde dann nach der Brücke’-
schen Methode weiter behandelt. Ich fand aber in demselben kein
Glycogen.
Es wurde dann die Schale vollständig entfernt, die Leber heraus-
präparirt, der Fuss abgeschnitten und die Reste des Körpers zusammen-
gebracht. Von allen Theilen der Thiere wurden Stückchen für die mikro-
chemische Untersuchung aufbewahrt. Es wog
die Lebersubstanz . . . . = 14,1000
die Fusssubstanz . . . . = 29,0000
die übrigen Körpertheile . = 62,2000.
Es wurden diese Substanzen in der früher beschriebenen Weise weiter
behandelt. Ich gebe darüber folgende Aufzeichnungen aus meinem Tage-
buch wieder: „Alle Gewebe halten das Glycogen mit unglaublicher Zähigkeit
fest, woran ohne Zweifel der massenhafte Schleim Schuld ist: nur die Leber
hat wenig Schleim, der Fuss mehr, die übrigen Körpertheile am
meisten. Das Auskochen nimmt bei der Leber 6, beim Fuss 8, bei den
übrigen Körpertheilen ca. 9 Stunden in Anspruch, bis die Glycogenreaction
verschwindend gering ist. Alsdann werden die sämmtlichen Organe mit ver-
dünnter Natronlauge weiter ausgekocht und die Decocte weiter gesammelt,
bis die Glycogenreaction, die nach Zusatz der Natronlauge wieder
stärker geworden war, verschwindet.
Die stark schleimigen Auskochungen des Fusses und der übrigen Kör-
pertheile gehen nur Anfangs durch’s Filter, sehr bald geht kaum noch ein
Tropfen durch. Ich colire deshalb, presse das Leintüchlein zuletzt aus und
wasche aus, bis kein Glycogen mehr nachweisbar ist. Der Schleim hält das
Glycogen so fest, dass alle diese Massnahmen ausserordentlich oft wiederholt
werden müssen und ein lange dauerndes Einengen der Abkochungen unbe-
dingtnöthig ist.
Nachher werden die einzelnen Glycogenlösungen in bekannter Weise
neutralisirt. vollständig erkalten gelassen, und dann mit Salzsäure und Kalium-
quecksilberjodid abwechselnd unter starkem Schütteln und Umrühren ver-
setzt. Diese Reagentien müssen in sehr grossem Ueberschusse, nament-
lich zu den Decocten aus den „übrigen Körpertheilen“ zugesetzt werden, weil
sonst die kolossalen Schleimmassen nicht sämmtlich ausfallen. Man lässt
dann absetzen, entnimmt der überstehenden klaren Lösung eine Probe, über-
zeugt sich, dass alles Eiweiss und aller Schleim ausgefällt sind und filtrirt
dann. Die Filtrate, die leicht gelblich gefärbt, aber vollkommen durch-
sichtig sind und sehr schön opaleseiren, werden mit dem doppelten Volum
96°/,-igen Alkohols versetzt, wodurch das Glycogen ausgefällt wird. Nachher
wird das Präparat in gewöhnlicher Weise gereinigt. Ich erhielt in diesem
Falle nach einmaligem Wiederauflösen der drei Glycogenpräparate in Wasser
und Fällen mit absolutem Alkohol tadellos weisses mehlartiges Gly-
eogen. Es gibt alle Reactionen sehr schön; sämmtliche Präparate sind asche-
und stickstofffrei.“ Es wurde gefunden:
342 Dietrich Barfurth:
In der Leber = 0,8012 Glycogen = 5,76 %
Im Fuss = 0,9530 55 — 3,290),
Im übrigen Körper = 1,2830 a = 2,06 %
Bei der mikrochemischen Untersuchung fand sich in fast
allen Organen reichlich Glycogen. In allen „Plasmazellen“ der
Leber, der Gefässe, der Lebergänge, des Darmes, zwischen den
Muskelbalken des Fusses, im untern Theil des Mantels, in den
Speicheldrüsen, in der Eiweissdrüse, im Eileiter, in der Wand des
Pfeilsackes ete. Wenig Glyeogen fand sich in der Zwitterdrüse,
in den nervösen Elementen und in den Muskelfasern selbst; in
den Fühlerretractoren war keine Spur von Glycogen nachweisbar.
Ich stelle jetzt das Ergebniss dieser Versuche!) übersichtlich zu-
sammen. ($. nebenstehende Tabelle III.)
Es folgt aus diesen Versuchen, dass die Leber der
Gastropoden bei der Glycogenaufhäufung eine fast
ebenso hervorragende Rolle spielt, wie die Wirbelthier-
leber.
Irgend ein wohlwollender Kritiker ist nun vielleicht der An-
sicht, dass die Zahl dieser Versuche etwas klein ist. Ich will
deshalb zunächst sagen, warum ich nieht mehr angestellt habe.
Erstens bin ich der Ansicht, dass jemand, der durch das schla-
gende Ergebniss dieser drei Versuche nicht überzeugt wird, auch
durch drei weitere nicht überzeugt worden wäre. Zweitens sind
diese Versuche so überaus mühevoll, dass ich mich nicht ent-
schliessen konnte, ihre Zahl zu vermehren. Wem also noch Zweifel
daran bleiben, dass die Gastropodenleber verhältnissmässig viel
mehr Glycogen aufstapelt als irgend ein anderes Gewebe, der mag
sich durch eigene Versuche zunächst überzeugen, dass dieser Ar-
beit gegenüber alle Glycogenbestimmungen an Wirbelthierlebern,
die doch bei den Physiologen auch nicht gerade im angenehmsten
Rufe stehen, recht kurzweilig sind; er mag beweisen, dass viel-
1) Bizio (Citirt nach: Centralblatt für d. med. Wiss. 1882. p. 430)
hat beobachtet, dass das Glycogen bei Wirbellosen beim Liegenlassen der
Thiere sehr leicht die Milchsäuregährung eingeht und dass die Milchsäure
unter Umständen den Eintritt der Fäulniss gänzlich hindert. Auf Grund der
post mortem eintretenden sauren Reaction hat dann B. Angaben über den Gly-
cogenreichthum der einzelnen Organe mitgetheilt und der Leber einen grossen,
den weiblichen Geschlechtsorganen und den Eiern einen noch grösseren Gly-
eogengehalt zugeschrieben. Diese Art quantitativer Bestimmung ist mir doch
etwas zu kühn.
343
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344 Dietrich Barfurth:
leicht der Glycogengehalt irgend eines andern Gewebes einmal
dem der Leber gleichkommt oder ihn gar übertrifft — und er wird
damit nur gezeigt haben, dass bei den Gastropoden genau das-
selbe vorkommt, was wir auch bei den Wirbelthieren finden, dass
nämlich unter Umständen auch einmal andere Organe (Muskeln !),
Placenta ?2) mehr Glycogen enthalten können als die Leber.
Ein anderer Einwand aber kann hier erhoben werden: Wenn
auch die Gastropodenleber wie die Wirbelthierleber procentisch
mehr Glycogen bildet, als andere Organe, so ist doch die abso-
lute Glycogenmenge der Wirbelthierleber im Verhältniss zum Ge-
sammtglycogen des Körpers grösser, als es bei der Gastropoden-
leber der Fall ist. Es ist nun zwar die absolute Glycogenmenge
eines ganzen Wirbelthierkörpers unbestimmbar, indessen lässt sich
doch ungefähr berechnen, wie sich das Verhältniss des Leber-
slycogens zum Gesammtglycogen z. B. beim Kaninchen gestaltet.
Ein gut genährtes, grosses Kaninchen wiegt ca. 2000,0 (ieh nehme
innmer nur runde Zahlen!), dessen Leber = 100,0, die Muskulatur
(zu 0,4 des Gesammtgewichts gerechnet) = 800,0. Der Glycogen-
gehalt der Leber eines gut genährten Kaninchens schwankt zwi-
schen 1%/,—7%,3), der der Muskeln *) zwischen 0,030%/,—0,72%,.
Wir hätten demnach als Gesammtmenge des Glycogens in der
Leber 1,0—8,0, in der Muskulatur 0,24—5,76. Hierbei ist das
Glycogen in den andern Körpertheilen (Knorpel, Haarwurzelschei-
den etc.) nieht mit gerechnet. Wir finden also in der Kaninchen-
1) Luchsinger zeigte, dass die Brustmuskeln des Huhns noch be-
trächtliche Glycogenmengen enthalten können, während die Leber glycogen-
frei ist. (Notizen zur Physiologie des Glycogens. Pflüger’s Archiv. Bd. 18.
p. 474 etc.)
2) Ich fand in den Placenten eines trächtigen Kaninchens 3,61 %/,, in
der Leber nur 2,53 %/, Glycogen.
3) Salomon hat in einem Falle (nach 24stündiger Fütterung mit Kar-
toffeln und Rohrzucker) 8,0 Glycogen in der Kaninchenleber gefunden; der
Procentgehalt ist nicht angegeben. Ich habe als Maximum in der Kaninchen-
leber nach 24stündiger Brotfütterung 6,91 °/, Glycogen gefunden.
4) Der Glycogengehalt der einzelnen Muskelgruppen ist, wie O. Nasse
gezeigt hat, verschieden. (0. Nasse, Bemerkungen zur Physiologie der Kohle-
hydrate. Pflüger’s Archiv. 14. Bd. p. 482.) 0,72 °/, ist das Mittel der von
Nasse |]. c. angegebenen Werthe; 0.03 °/, fand ich bei einem gleichzeitigen
Gehalt der Leber von 5,60 %/, Glycogen; ich hatte u. a. zu dem Versuch
eine Partie glycogenarmer Bauchmuskulatur verwandt.
Vergleichend-histochemische Untersuchungen über das Glycogen. 345
leber ungefähr so viel Glycogen, wie im gesammten übrigen Körper
zusammen.
Mit dieser Berechnung stimmt die von Boehm!) an der
Katze angestellte überein. Er fand in der Leber 16,0, in der Ge-
sammtmuskulatur ca. 15,0 Glycogen.
Wie verhält sich nun in dieser Beziehung der Organismus
der Gastropoden? Aus meinen Versuchen ergibt sich
Glycogen
in der Leber im übrigen Körper
I. 0,0520 (nach 24 Stunden) 0,0641
II. 0,3760 (nach 3 Tagen) 0,5338
III. 0,8012 (nach 5 Tagen) 2,2360
Das heisst: Innerhalb 24 Stunden (I) nach Beginn der
Fütterung ist der Glycogengehalt der Leber so über-
wiegend, dass er beinah dem Gesammtglycogen des
übrigen Körpers gleichkommt.
Bei längerer Dauer der Fütterung nimmt dann das Glycogen
in den übrigen Körpertheilen zu; im ungünstigsten Fall aber (III)
beträgt der Glycogengehalt der Leber immer noch über
/, des gesammten Glycogens. Wenn sich also auch ein
Vortheil zu Gunsten der Kaninchenleber ergiebt, so verhält sich
im Prineip die Gastropodenleber doch ganz analog der
Wirbelthierleber.
Der quantitative Unterschied im Glycogengehalt der Leber
von Wirbellosen und von Wirbelthieren steht nach meiner Ansicht
in direkter Beziehung zur Circeulation. Die eigenthümliche Ein-
schiebung des Pfortadersystems in den Kreislauf der höheren
Wirbelthiere zwingt eine grosse Menge venösen Blutes zum
Durehgang durch die Leber, ehe es in den eigentlichen Kreis-
lauf gelangt. Es erfolgt also eine gewisse Stauung und Filtration
dieses Materials ‘im Leberparenchym, und diesem Umstande ist
ohne Zweifel die Aufspeicherung gewisser Stoffe in der Leber zu-
zuschreiben. Die Leber dieser höheren Thiere ist im Prineip auch
nichts anderes als eine Anhangsdrüse des Mitteldarms, ursprünglich
1) R. Boehm, Das Verhalten des Glycogens und der Milchsäure im
Muskelfleisch ete. Pflüger’s Archiv. 23. Bd. p. 5l. Frerichs (Ueber den
Diabetes. Berlin 1884) bezeichnet den Glycogengehalt der Muskulatur zu ca. !/s
des im ganzen Körper vorhandenen Vorraths.
346 ı Dietrich Barfurth:
durch Ausstülpung vom Duodenum aus gebildet!). Die eigen-
thümliche Differenzirung des Organs aber, die ganz speciell mit
der hohen Ausbildung der Cireulationsverhältnisse zusammenhängt,
unterscheidet es sehr wesentlich von dem einfachern Organ bei
den Gastropoden. Bei letztern haben wir nicht nur kein Pfort-
adersystem, sondern überhaupt nicht einmal ein geschlossenes
Cireulationssystem; es ist lacunös. Die Leber speciell wird
von einem arteriellen Gefäss (A. hepatica oder visceralis) versorgt,
dessen letzte Ausläufer sich in einfachen Bindegewebsspalten,
„Cireulationslücken‘“‘, verlieren. Letztere communieiren direet mit
einem grossen, die Leber und andere Eingeweide umgebenden
Blutsinus (Laeune). Dieser steht dann seinerseits in Communi-
cation mit den Venenwurzeln, die das Blut aufnehmen, zu
den Kiemen oder der Athemhöhlenwand (Lunge) und von da zum
Herzen zurückführen. Bei den Gastropoden schwimmt also die
Leber gewissermassen fortwährend in dem mit dem Chylus ver-
mischten Blut ihres Blutsinus und vermag aus demselben gewisse
Stoffe in sich aufzunehmen. Ausserdem finden sich bei den Ga-
stropoden gewisse Einrichtungen, die die Aufnahme und
Filtration mancher Stoffe durch das Leberparenchym
direct befördern.
Erstens stehen nämlich die Leberlappen durch so weite
Ausführungsgänge mit dem Darm (Pylorus) in Verbindung, dass
ein direetes Eindringen des Chymus in dieselben und
sogar bis in die Leberfollikel selber nicht nur möglich,
sondern sogar wahrscheinlich ein normaler Vorgang ist.
Leider ist unsere Kenntniss der Verdauungsvorgänge bei den
Gastropoden noch sehr mangelhaft. Sehr wichtig, aber wahr-
scheinlich nieht richtig gedeutet sind die Beobachtungen Claude
Bernard’s 2), auf die Krukenberg schon hinwies und die ich an
anderer Stelle ausführlich wiedergegeben habe. Es mag hier kurz
nur folgendes wiederholt werden: Wenn die Verdauung im Magen
unter dem Einfluss eines sauren Saftes?) beendet ist, ergiesst
1) Vgl. Kölliker, Entwicklungsgeschichte des Menschen u. der höheren
Thiere. 2. Auflage. 1879. p. 882, 8853. Gegenbauer, Grundriss der ver-
gleichenden Anatomie. 2. Aufl. 1878. p. 588 ff.
2) Claude Bernard, Recherches sur une nouvelle fonction du foie,
Annales des sciences nat. Serie II. T. XIX. p. 531 ff.
3) Claude Bernard nennt diesen Saft „suc gastrique acide.“ (p, 332).
Vergleichend-histochemische Untersuchungen über das Glycogen. 347
sich aus dem Ductus choledochus eine farblose zucker-
reiche Flüssigkeit in den Magen, die denselben stark
ausdehnt, in der Leber selber angestaut und dann resor-
birt wird. Ist diese Resorption ungefähr beendet, so ergiesst
sich erst die eigentliche Galle, das Lebersecret, in den
Darm.
Ich muss offen gestehen, dass ich mich mit der Auffassung
Claude Bernard’s in Bezug auf die Zuckerseeretion nie habe
befreunden können. Darm und Leber der Schnecken habe ich
unzählige Male in allen Stadien der Verdauung gesehen und habe mir
die Vorgänge bei der Verdauung auf Grund meiner Beobachtungen:
die im Ganzen mit denen von Bernard durchaus übereinstimmen,
in folgender Weise klar zu machen gesucht. Der saure Saft, das
eigentliche Agens bei der Verdauung, wird bald nach Beginn des
Fressens von der Leber secernirt (wahrscheinlich aus den Ferment-
zellen) und mischt sich mit den Ingesta. Das Leberseeret ver-
wandelt die eingeführte Stärke in Zucker!) und peptoni-
sirt die Proteinsubstanzen?). Da nun während dieser Ver-
dauungsvorgänge sich immer mehr Material (Ingesta und Seeret)
im Darm ansammelt), so reicht das Lumen desselben nicht mehr
aus, alles in sich zu beherbergen; die am Duetus choledochus be-
findliche Klappe, die ohnehin keinen vollständigen Abschluss bewerk-
stelligen kann, wird durch starke Erweiterung des Ausführungs-
Ich habe schon früher darauf hingewiesen, dass hier nur ein Secret der
Leber gemeint sein kann, da der Magen gar keine Verdauungsdrüsen enthält.
1) Krukenberg (Vgl. physiol. Beiträge zur Kenntniss der Verdau-
ungsvorgänge. Untersuchungen aus dem physiol. Institute der Univers. Hei-
delberg. Bd. II. H. 1. p. 15) wies im Lebersecret von Mollusken einen reichen
Gehalt an diastatischem Enzym nach. In der Nahrung der Schnecken siud
immer Kohlehydrate vorhanden.
2) Mehrere Stunden nach Beginn des Fressens habe ich bei zahlreichen
Untersuchungen an Helix, Arion und Limax den Darminhalt stets sauer
und stets reich an Zucker und Peptonen gefunden. Es wäre von
grossem Interesse, die Natur der Säure zu erforschen; aber unsere einheimi-
schen kleinen Schneckenarten eignen sich schlecht zu solchen Untersuchungen.
3) Krukenberg (Grundzüge einer vergl. Physiologie der Verdauung
p- 62) hebt mit Recht hervor, dass die Vorwärtsbewegung und gleichmässige
Vertheilung des Lebersecrets im Verdauungsröhr bisweilen durch besondere
Einrichtungen (Wülste und Falten im Darmblindsack bei Helix nach Gar-
tenauer) befördert wird.
348 Dietrich Barfurth:
ganges ganz insufficient und der ganze Darminhalt comm uni-
eirt ungehindert mit Ausführungsgängen und Follikeln
der Leber. Nach meiner Auffassung ergiesst sich also unter ge-
wöhnlichen Umständen der zuckerreiche Saft nicht aus der Leber
in den Darm, sondern umgekehrt aus dem Darm in die Leber
Es gibt wohl freilich auch Fälle, wo die Claude Bernard’sche
Auffassung zutrifft. Ich habe nach Brotfütterung in der Mehrzahl
der Fälle zu einer bestimmten Zeit (8.—12. Stunde nach Einnahme
der Nahrung) Stärkekörner in den Räumen der Leberfollikel
sefunden. Diese werden hier saccharifieirt und später wird der
gebildete Zueker mit dem Leberseeret wieder in den Darm be-
fördert. Auf diese Weise kann in der That eine zuckerbildende
(glycogene) Function der Leber zu Stande kommen. Ja, es gibt
vielleicht auch Fälle, in denen das in den Leberzellen aufge-
speicherte Glycogen mit dem Secret ausgestossen und sacchari-
fieirt wird; dadurch würde es ebenfalls zu einer Zuckerausscheidung
aus der Leber kommen. Solche Seeretion glycogenhaltiger Secret-
bläschen der Follikelzellen kann man nach längerer Brotfütterung
beobachten, obgleich für gewöhnlich selbst bei gut genährten
Thieren die Secretbläschen glyco genfrei sind. In den grösseren
Ausführungsgängen sind sie es ohnehin immer, weil dort die
Saccharifieirung schon statt gefunden hat.
Aus dem Gesagten ergibt sich der innige Zusammenhang von
Leber und Darm bei den Gastropoden. Nicht nur entwicklungs-
geschichtlich, sondern in mancher Beziehung auch physiologisch
ist die Leber in der That nur ein Theil des Darmes. Die
nach erfolgter Verdauung stattfindende Resorption geschieht wohl
zum grössten Theil durch die Darmwand, zum Theil aber auch
durch das Leberepithel selber und hierbei ist denn die Ge-
legenheit zu filtriren und gewisse Stoffe festzuhalten gegeben. Dar-
nach wäre also die Function eines „Chylusmagens“, die Bertkau
seiner Spinnenleber zuschreibt und die, wie Krukenberg!) nach-
1) Krukenberg, Untersuchungen des physiol. Instituts der Univ,
Heidelberg. Bd. II. Heft 3. p. 351—53. Dass in die Darmanhänge der Aco-
lidier Nahrung gelangt und in ihnen wie im Darmrohre verdaut wird, war
schon von Milne-Edwards, Quatrefages u. s. w. festgestellt worden.
Krukenberg extrahirte zuerst äus den abgelösten Papillen ein Enzym,
welches in saurer Lösung rohes Fibrin in kurzer Zeit peptonisirte.
Vergleichend-histochemische Untersuchungen über das Glycogen. 349
wies, auch vielen Gastropoden (Aeolidiern und Tethys) zukommt,
auch der Pulmonatenleber nicht fremd, obgleich sie hier nicht die
Wichtigkeit haben kann, wie bei den oben genannten Thieren.
Aber noch ein zweiter Umstand erleichtert es der Leber, den
im Darm bereiteten Chylus zu filtriren. Das ist die eigenthüm-
liche Einrichtung, dass der Darm auf mehr oder weniger
srosse Strecken so fest in das Leberparenchym hinein-
sebacken ist, dass beide Organe gewissermassen nur
ein Ganzes bilden. Am ausgeprägtesten finden wir diese
Eigenthümlichkeit in der Helixleber, bei der schon eine gewisse
Uebung dazu gehört, den Darm unverletzt aus der Leber heraus-
zuholen. Wenn also der Chylus die Darmwand passirt hat, so
trifft er auf die fest anschliessende Leber und wird hier noch
einmal filtrirt, ehe er in den Blutsinus des Eingeweidesacks gelangt.
Mir scheint, dass durch diese Einrichtung das Fehlen des
Pfortadersystems einigermassen wett gemacht wird.
Nach diesen Auseinandersetzungen wird es klar werden, warum
ich in der Ueberschrift von einer Glycogenfunction des Gastro-
podenleber, analog der der Wirbelthierleber, spreche.
So wenig, wie das von der Wirbelthierleber gilt, soll es
heissen, dass die Gastropodenleber vor den anderen Organen eine
specielle Function (Glycogenaufspeicherung) voraus hat; denn
in allen übrigen Geweben wird unter Umständen ebenfalls Glyco-
sen aufgestapelt. Es soll aber heissen, dass sie zu dieser Auf-
häufung mehr geeignet ist, als die übrigen Organe. Sie verhält
sich vielen Stoffen gegenüber genau wie die Wirbelthierleber, in-
dem sie dieselben wie ein Filter oder ein Reservoir fest-
hält und ansammelt; wie die Wirbelthierleber Glycogen,
Fett, metallische Gifte etc. ‚festhält, so speichert die
Gastropodenleber Glycogen, phosphorsauren Kalk!),
Fett2), Taurin), Harnstoff*) ete. auf.
Das Ergebniss dieser Untersuchung ist demnach, dass die
1) Barfurth, Ueber den Bau und die Thätigkeit der Gastropoden-
leber. Dieses Archiv. Bd. 22.
2) Krukenberg, Vergl. physiol. Studien an den Küsten der Adria.
II. Abth. Heidelberg 1880. p. 41.
3) Krukenberg, 1. c. p. 31.
4) Krukenberg, 1. c. p. 32.
350 Dietrich Barfurth:
Gastropodenleber nicht nur eine Fermentdrüse, sondern
durch ihre hervorragende Glycogenfunction ein Ana-
logon der Wirbelthierleber ist.
Anmerkung. Nach Vollendung dieses Aufsatzes erschien
die Arbeit von Hammarsten, die ich schon erwähnt habe. H.
fand im Herbst in der Leber von Helix pomatia 1,75 °%/, und
1,72 0/, Glyeogen; bei Thieren, die im März aus dem Winterschlaf
geweckt wurden, noch 0,429 %/o. Durch Brotfütterung habe ich
also den Glycogengehalt der Leber ausserordentlich gesteigert (bei
Helix p. auf 5,76 °/,); dass ich nach so langem Winterschlaf kein
Glycogen mehr fand, erkläre ich mir daraus, dass meine Schnecken
wärmer gehalten wurden. Auch Krukenberg fand bei Helix p.
im Winterschlaf kein Glycogen (Vgl.-physiol. Studien. II. Reihe,
2. Abth. 18832. p. 61).
H. fand in der Helixleber eine Proteinsubstanz, das ‚Nucleo-
albumin“, welches als Verunreinigung des Schneckenmueins auf-
treten kann. Auf die hohe physiologische Bedeutung der von H.
nachgewiesenen „Proteide“ soll später hingewiesen werden.
III. Ueber den gleichzeitigen Glycogengehalt verschiedener
Gewebe des Kaninchens.
Aus mancherlei Gründen erschien es mir wünschenswerth,
den Glycogengehalt in den verschiedenen Geweben eines Thieres
gleichzeitig in verschiedenen Stadien der Verdauung
zu bestimmen. Ein Einblick in die Vertheilung des Glycogens durch
den ganzen Thierkörper und die Bestimmung des ersten Auftretens
desselben in den verschiedenen Geweben muss für das physiolo-
gische Verständniss dieses merkwürdigen Stoffes förderlich sein.
— Die Ergebnisse der Versuchsreihe, die ich darüber anstellte,
sind nun zwar vielfach negativ, trotzdem in mancher Beziehung
lehrreich und mögen deshalb mitgetheilt werden.
Als Versuchsthiere standen mir Kaninchen und Meerschwein-
chen zur Verfügung; ich wählte das erstere aus denselben Gründen,
die Külz an einer Stelle!) entwickelt. Es wurden nur ausge-
1) Külz, Beiträge zur Lehre von der Glycogenbildung in der Leber.
Pflüger’s Archiv. 24. Bd. p. 6.
Vergleichend-histochemische Untersuchungen über das Glycogen. 351
wachsene, möglichst gleich grosse Thiere verwandt; sie hungerten
alle vor dem Versuch 6 Tage lang und bekamen dann reichlich
Schwarz- und Weissbrot, was sie gierig frassen; die Fütterung ge-
schah in bestimmten Zeitabschnitten (alle 12 Stunden).
Es wurden zur Untersuchung auf Glycogen folgende Organe
verwandt: Leber, Muskeln, Gehirn, Darm, Haut, Knorpel und ein-
mal Placenten und Embryonen eines trächtigen Thieres. Ich muss
gleich gestehen, dass mir die Darstellung des Glycogens aus Haut
und Knorpeln, die ganz sicher glycogenhaltig sind, nicht
gelungen ist; ebensowenig habe ich aus dem Gehirn und dem
Darm Glycogen darzustellen vermocht; freilich liess sich in diesen
Organen auch durch die mikrochemische Methode mit Sicher-
heit das Glycogen nicht nachweisen. Wegen der zahlreichen
Arbeiten, die bei diesen Versuchen nöthig sind und der Schnellig-
keit, mit der alles gemacht werden muss, bedarf man dabei meh-
rerer Assistenten; mir waren die früher genannten Herren in freund-
lichster Weise behülflich.
Ich schildere jetzt unser Verfahren. Das Thier wurde durch
den Genickschlag getödtet, der Schädel schnell aufgesägt, das Ge-
hirn !) herausgenommen, sofort in siedendes Wasser geworfen und
mit der Scheere zerschnitten. Dann wurde die Bauchhöhle eröffnet,
die Leber herausgenommen, nach Entfernung der Gallenblase ge-
wogen und in siedendes Wasser geschnitten. Hierauf entnahmen
wir der Muskulatur des Bauches, der Brust, der Oberschenkel-
adductoren und des Zwerchfells Partien, die gewogen und dann
in siedendes Wasser geschnitten wurden. In derselben Weise
wurden Stücke der Haut behandelt. Um Knorpelsubstanz zu
sewinnen, wurden die Gelenkenden des Femur, der Tibia und
Fibula, des Humerus, und die knorpeligen Theile der Scapula von
Muskulatur entblösst, mit der Knochenzange abgetrennt, in kleine
Theile zerschnitten und in siedendes Wasser?) gebracht; dazu brachten
wir später die von den anhaftenden Gewebstheilen befreiten Knorpel
1) Das Gewicht des Gehirns wurde in den zwei ersten Versuchen be-
stimmt und durchschnittlich = 10,0 gefunden; bei den anderen Versuchen
wurde es nicht mehr gewogen, um keine Zeit zu verlieren.
2) Ich habe aus den Knorpeln, wie gesagt, keinGlycogen gewinnen können;
auch Jaffe(beiNeumann, Archiv f. mikr. Anatomie. Bd. 14. p. 59) ist nicht
glücklicher gewesen.‘ Dagegen gelang es Paschutin (Centralblatt für die
352 Dietrich Barfurth:
der untern Rippen, des Processus xiphoides, des Ohres, des Kehl-
kopfes und der Trachea. Placenten und Embryonen wurden
mit der Scheere direet in siedendes Wasser hineingeschnitten. Von
Tractus intestinalis wurden Theile der gereinigten Magen-,
Zwölffingerdarm-, Dünndarm- und Diekdarmwand in derselben
Weise behandelt. Stets wurde (vom Gehirn abgesehen) das Ge-
wicht bestimmt. Die Organe wurden nach wiederholtem Auskochen
oder wenn die Deeocte keine Jodreaetion mehr gaben (Muskeln),
in der Reibschale zerrieben, weiter ausgekocht und endlich mit
verdünnter Kalilauge!) (5 Tropfen Zusatz) weiter behandelt. Vom
fast sämmtlichen Organen der Thiere wurden vor dem Wägen
kleine Stücke in absolutem Alkohol für die mikrochemische Unter-
suchung aufbewahrt.
Bevor ich die Versuchsergebnisse zusammenstelle, berichte ich
über die mikrochemischen Befunde an den Organen, die zu den
einzelnen Versuchen benutzt wurden und einige Besonderheiten.
Versuch XI2). 29. Aug. 1884. Das Kaninchen erhielt nach 6tägiger
Fastenzeit Schwarzbrot und wurde nach 51/, Std. getödtet. Der Darm war
in lebhafter Thätigkeit, stark contrahirt. Die Leberzellen gaben mit
Jodlösung intensive Glycogenreaction, obgleich die Leber nur 0,2525 Gly-
cogen enthielt. Das Glycogen durchdrang das Protoplasma diffus, zeigte
med. Wiss. Nr. 40. 1854) durch Kochen mit alkalihaltigem Wasser aus den
Knorpeln etwa dieselbe Menge Glycogen, wie aus Muskeln, darzustellen. —
Aus der Chorda dorsalis hat Jaffe das Glycogen dargestellt. — Paschutin
fand auch Glycogen in den Knochen erwachsener Hunde und im embryonalen
Skelet (p. 692).
1) Külz (Pflüger’s Archiv. Bd. 24. p. 70) hat diese Methode gerecht-
fertigt. Ich habe mich in einem Falle überzeugt, dass das Auskochen mit
Wasser beim Muskel nicht genügt. Eine zerschnittene, sorgfältig gemischte
Muskelsubstanz wurde in zwei Portionen getrennt mit Wasser und verdünnter
Kalilauge behandelt. Durch letztere Methode erhielt ich 0,081 °/,, durch
erstere 0,068 0/, Glycogen. — Die beste aber auch langwierigste Methode,
das Glycogen der Muskeln zu gewinnen, ist wohl die von Boehm (Pflüger’s
Archiv. Bd. 22. p. 47); er extrahirt zuerst 3mal mit siedendem Wasser und
kocht dann 12 Stunden im eisernen festverschlossenen mit Sicherheitsventil
versehenen Kessel. Bei einer Versuchsreihe muss man natürlich dieselbe
Methode beibehalten; dadurch werden auch etwaige Fehler ausgeglichen.
2) Die Versuche sind bei Zusammenstellung einer andern Tabelle ver-
werthet und nach jener Tabelle numerirt. Ich gebe ihnen deshalb die
Nummer jener Tabelle, um sie nicht doppelt zu bezeichnen.
Vergleichend-histochemische Untersuchungen über das Glycogen. 353
nicht die eigenthümliche Lagerung an einer nach der Lebervene zu gerich-
teten Zellseite, die an sehr glycogenreichen Lebern nach längerer Fütterung
beobachtet wird.
In einzelnen Muskelfasern am Proc. xiphoides und im Zwerchfell
fand sich Glycogen, obgleich quantitativ aus den Muskeln nichts gewonnen
wurde.
In den Knorpelzellen (falsche Rippen, Ohknorpel, Gelenkknorpel)
fand sich Glycogen, was vielleicht Restglycogen war.
Versuch XI. 11. Septbr. 18854. Das Thier wurde 12 Std. nach der
Fütterung getödtet. In der Leber, die 0,2614 Glycogen enthielt, wurden
Partien gefunden, die bei der mikrochemischen Untersuchung glycogenfrei
waren. In andern Acini durchdrang es die Leberzellen diffus und wieder in
andern lag es an derselben Seite der Zellen, nach dem Centrum des Acinus
zu. In den Haarwurzelscheiden der Cutis wurde mikrochemisch Gly-
cogen gefunden.
In den Muskeln des Zwerchfells und der Brust war mikrochemisch
etwas Glycogen nachweisbar, obgleich die quantitative Analyse resultatlos
blieb. In den Bauch- und Oberschenkelmuskeln war mikrochemisch kein
Glycogen nachzuweisen.
In den Gelenkknorpelzellen fand sich Glycogen,
Weder im Gehirn selbst noch in der Pia mit ihren Gefässen war
mikrochemisch Glycogen nachweisbar.
Versuch I. 27./9. S4. Die erste Abkochung der Knochen und Knor-
pel gab deutliche Glycogenre action, es wurde trotzdem nachher kein
Glyceogen gewonnen. Mikrochemisch fanden sich unregelmässige Schollen von
Glycogen in den Knorpelzellen des Proc. xiphoides, der Rippenenden und
der Gelenkknorpel.
In der Leber wurden fast alle Zellen glycogenreich gefunden.
In der Bauchmuskulatur fand sich sehr wenig Glycogen.'
Im Gehirn, dem N. ischiadieus, in der Magen- und Darmwand, der
Milz, den Lungen und dem Herzen fand ich kein Glycogen. Die Wurzel-
scheide wachsender Haare enthielt Glycogen.
Versuch Ill. 7. Oct. 1884. Der erste Siedwasserauszug des Gehirns
gab eine zweifelhafte Glycogenreaction; ebenso der der Knorpel. Das erste
Decoct der Haut gab aber eine sehr deutliche Glyeogenreaction. Ich habe
deshalb gerade die Haut sehr sorgfältig weiter behandelt und bekam schliess-
lich nach Fällung mit Alkohol einen weissen flockigen Niederschlag, der
genau dem aus Muskeln gewonnenen entsprach. Ich habe den Niederschlag
gesammelt, gewogen und darauf die Glycogenreactionen mit ihm angestellt.
Die Lösung opalescirte leicht, gab deutliche Jodreaction, lieferte aber
auf Zusatz von Speichel keinen Zucker, weshalb ich die Diagnose
auf Glycogen nicht stellen konnte. Auf Zusatz einer stark alkalischen Lö-
sung von Kupfersulfat entstand eine etwas bläuliche Purpurfarbe, die auf
Eiweiss hinwies; dagegen sprach aber die Braunfärbung auf Jodzusatz.
354 Dietrich Barfurth:
Uebersicht
en ————————————————————
Leber Muskeln | Placenten
F » a. 14 er » = | 5 =)
Nr. Fasten Fütte- | Getödtet = © 3 2| 8
zeit rung nach = 3 1 5 |Glyeogen| 0, 218 0,
[eB) ir [e) {eb} 4)
la jd2) ol 5
XIl.| 6 Tage |Schwarz-|51/, Std. | 56,4.0,2525 0,45] 68,2), 0 0
brot
XI. 5 Weiss- | 12 Std. [53,7.0,2614 0,49] 51,0) Mikro- | Spu-
brot chemisch | ren
i. Zwerch-
fell
Tal Fr „124 Sta. [28,0 6,7686/6,91l224,5 0,1143 |0,051
a i 36 Sta. |92,04,3124.4,69|183,0| 0,1452 |0,081
II. | Thier im Gleichgewicht des | 80,5/4,7618 5,60] 84,0) 0,0556 10,066
Stoffwechsels, wog 2046,0
V.| Ohne Vorbereitung direct | 90,0 2,3086 2,53 9,0,0,3250/3,610/,
aus dem Stalle, wog 2182,0
In den untersuchten Muskelstückchen aus dem Zwerchfell, den Bauch-
und Brustmuskeln und den Oberschenkeladductoren der hinteren Extremität
fand sich mikrochemisch ziemlich viel Glycogen, aber ungleichmässig ver-
theilt; manche Muskelfasern sind ganz frei, andere ganz voll; dazwischen
Uebergänge. Auch einzelne ganze Muskelbündel sind glycogenfrei. Im Zwerch-
fell waren die äusseren Partien bevorzugt, die inneren Fasern enthielten
wenig oder gar kein Glycogen. In der Muskulatur der Blase fanden sieh
Spuren von Glycogen; im Herzen nichts.
In den Knorpelringen der Trachea, im Knorpel des Proc. xiphoides,
in den Rippenknorpeln, im hyalinen Gelenkknorpel des Femur, im Ohrknorpel
und in den Knorpeln der falschen Rippen war viel Glycogen enthalten, ob-
gleich die Darstellung desselben auch hier nicht gelang.
In der Wand des Tractus intestinalis war kein Glycogen mikro-
chemisch nachzuweisen; ebensowenig im Gehirn und grösseren Nerven.
Versuch I. 23./10. 84. In der Darmwand dieses Thieres fand ich
viele Trichinen, die alle massenhaft Glycogen enthielten.
In der Muskulatur des Herzens, in der Venen- und Arterien-
wand, in der Lunge, dem Fettgewebe und dem Hoden war mikro-
chemisch kein Glycogen nachzuweisen.
Vergleichend-histochemische Untersuchungen über das Glycogen. 355
der Versuche.
m ana NAT dA Dem Tann nn BAUART En TE m en a beim nase Am. A mar mu nn mut nn ap [ Tun se nn —:
Embryonen Gehirn Knorpel Darm - | Haut
=|'5 = Eile = 1318
i oi <
© &0 © £ &n 2) 8 | 0 Bemerkungen.
5 3 0, 2 | Glycogen SE > sie ılyeogen
© on o © | (9) in
SH & is 5 (51
LT —————————————————————— | EEE
10,3 0 12,3) . 35,0 0 — —_
S
9,9 ) 22,3 2 | Mikro- |0]46,0| Mikro-
3 Ichemisch chemisch
= nachweisbar
3
— 0 21,0] 5 18,6 1|0186,0 2
©
= 0 25.01,81253= 0 !
=
=!
— [Zweifelhafte | 25,5 Mikro- |0| — *
Jodreaction chemisch
Hatte längere
8,6. 0,0202/0,230/ Zeit schlechte
Nahrung (Boh-
nenstroh) be-
kommen.
Die erste Abkochung des Gehirns gab wieder eine zweifelhafte Jod-
reaction; trotz der grössten Sorgfalt habe ich aber weder nach der Brücke’-
schen Methode noch mikrochemisch Glycogen gefunden.
Versuch V. 12./11. 84. Getrieben von dem Wunsche mir das Glycogen in
der Placenta einmal anzusehen, nahm ich zu diesem Versuche ein trächtiges
Thier. Seine Nahrung war 8 Tage hindurch schlechter Art gewesen (Bohnen-
stroh), trotzdem war es noch ziemlich fett. Ich bestimmte den Glycogen-
gehalt von Leber, Placenten und Embryonen; auf die Verarbeitung der
Muskeln musste ich verzichten, weil ich keinen Assistenten hatte. Die Re-
sultate dieser Glycogenbestimmungen sind sehr interessant; man findet sie
auf der Tabelle. Leider habe ich den Versuch nicht wiederholen können,
da mir kein trächtiges Thier mehr zur Verfügung stand.
Die Lösung des Placentenglycogens färbte sich auf Jodzusatz intensiv
braunroth, die des Embryonenglycogens erhielt eine bräunliche Färbung mit
einem Stich in’s Violette. TR
Ueber die mikrochemischen Befunde an den Embryonen
und Placenten berichte ich an anderer Stelle.
Die Zahlen bestätigen deutlich die schon von Luch-
Archiv f. mikrosk. Anatomie. Bd. 25. 25
356 Dietrich Barfurth:
singer!) hervorgehobene Thatsache, dass „man öfter in der Leber
schon ansehnliche Mengen Glycogen nach den Injeetionen finden
kann, in der Leber aber noch keine Spur“. Boehm ?) gibt an, dass er
bei der Katze das meiste Muskelglycogen „stets bei den in der
Verdauung begriffenen Thieren 2—3 Stunden nach einer reichlichen
Fleischfütterung“ erhielt. In einem Falle bestimmte er gleichzeitig
den ungewöhnlich grossen Glycogengehalt der Muskeln und den
der Leber einer Katze, die während der Verdauung getödtet war
und fand in den Muskeln 0,99 %/,, in der 213,3 schweren Leber
16,0 Glycogen. Genauere Angaben über Fütterung, Zeit der Tödtung
des Thieres nach der Fütterung u. s. w. fehlen, weil sie offenbar
für den Zweck Boehm’s ohne Belang waren.
Auffallend sind die geringen Glyeogenmengen, die ich
in den Muskeln fand. Ich schreibe das dem Umstande zu, dass
ich grössere Partien sehr glycogenarmer Muskeln (Bauchmuskeln,
Oberschenkeladduetoren) verwandte und dass sich die Thiere in
ihren Behältern ausgiebig bewegen konnten. Da die Zahlen zu
klein sind, will ich absichtlich keine weitern Schlüsse aus den-
selben siehen.
Dass ich aus der Haut und den Knorpeln kein Glycogen
erhielt, obgleich sich auf andere Weise ?) ganz sicher kleine Gly-
cogenmengen in diesen Geweben nachweisen liessen, mag daran
liegen, dass der sich beim Kochen bildende Leim die geringen
Glycogenmengen einschloss und nieht mehr losliess. Vom Gehirn
und Darm darf man solehe oder eine ähnliche Erklärung nicht
geltend machen, da in diesen Organen auch durch mikrochemische
Untersuehung mit Sicherheit Glycogen nicht nachgewiesen werden
konnte. Da das Gehirn in kaum einer Minute nach dem Tode
herausgeholt und in das siedende Wasser gebracht wurde, auch
beim Kochen sehr leicht zerfiel, so kann ich nieht annehmen, dass
mir in demselben vorhandenes Glycogen entgangen wäre.
Sehr bemerkenswerth ist es, dass sich beim trächtigen Ka-
ninchen in den Placenten ein so grosser Glycogengehalt, verglichen
mit dem der mütterlichen Leber und dem der Embryonen, fand.
1) Luchsinger, Experimentelle etc. p. 24.
2) Boehm, a. a. O. p. 50, 51.
3) Vel. oben p. 300.
Vergleichend-histochemische Untersuchungen über das Glyceogen. 357
IV. Die Beziehung des Glycogengehalts einer Leber zu
Grösse und Gewicht derselben.
Zahlreichen Beobachtern (Wolffberg !), Boehm und Hoff-
mann?) Külz?) u. a.) ist es aufgefallen, dass glycogenreiche
Lebern grösser und schwerer sind, als glycogenarme. Boehm
und Hoffmann theilen eine grosse Reihe von Gewichtsbestim-
mungen der Leber und ihres Kohlehydratbestandes mit, aus denen
hervorgeht, „dass in der Regel sehr hohes Lebergewicht mit einem
hohen Kohlehydratgehalt einhergeht.“ Sie fanden ferner, dass
slyeogenreiche Lebern nicht nur voluminöser, sondern auch „wei-
eher und heller gefärbt sind als glycogenarme.“ Ganz denselben
Befund theilt Afanassiew ®), der an Hundelebern operirte, mit.
Da Boehm und Hoffmann als Versuchsthier die Katze benutzt
hatten, so schien es mir von Interesse einen Frugivoren, das Ka-
ninchen, etwas genauer auf diesen Punkt hin zu untersuchen.
Mae Donnel’) berichtet, dass die Leber von Carnivoren (Katze)
bedeutend grösser, aber ärmer an Glycogen ist, als die der
Herbivoren (Kaninchen). Das Lebergewicht hungernder Kaninchen
beträgt nach H. Nasse ®) im Mittel 4,35°/,, das gefütterter Kanin-
chen 3,51°/, des Körpergewichts. Boehm und Hoffmann fan-
1) Wolffberg, Ueber den Ursprung und die Aufspeicherung des Gly-
cogens im thierischen Organismus. Zeitschrift für Biologie. 1876. p. 266 ff.
2) Boehm und Hoffmann, Beiträge zur Kenntniss des Kohlehydrat-
stoffwechsels. Archiv f. exp. Path. und Pharm. 8. Bd. 1577. p. 271 ff. Siehe
die Tabelle p. 286, 287.
3) Külz, Beiträge zur Glycogenbildung in der Leber. Pflüger’s Archiv.
24. Bd. 1881. p. 11 ff. (p. 8):
4) Afanassiew, a. a. OÖ. Pflüger’s Archiv. 50. Bd. 1883. p. 385 ff.
(p. 394, 395).
5) Mac Donnel, Recherches sur la substance amyloide etc. Journal
de la physiol. T. 6. 1863. p. 554 ff. (p. 561).
6) H. Nasse, Ueber einige Verschiedenheiten im Verhalten der Leber
hungernder und gefütterter Thiere. Archiv d. Vereins f. gemeinschaftl. Arb.
4. Bd. 1860. Schon H. Nasse fand die Hungerleber braunroth und fest, die
Leber gefütterter. Thiere grauroth, heller und mürber (p. 73).
358 Dietrich Barfurth:
den bei der Katze viel grössere Schwankungen; das Lebergewicht
betrug 1/i—\/sı des Körpergewichts.
Da Külz in einer Anzahl ausgezeichneter Untersuchungen
nachgewiesen hat, dass für den Glycogengehalt der Leber die Ver-
dauungsphase, also die Zeit nach der Nahrungsaufnahme, von
srösster Bedeutung ist, so habe ich gerade diesem Umstande sorg-
fältig Rechnung getragen. Zu meinen Versuchen habe ich immer
nur ausgewachsene Thiere mit dem Durehschnittsgewicht von ca.
1500,0 verwandt; bei einigen erheblich schwereren Thieren ist
das Gewicht besonders bemerkt. Aus gewissen Gründen habe ich
von drei Thieren mit verschiedenem Glycogengehalt zugleich das
Trockengewicht bestimmt. Dasselbe hat Afanassiew!) gethan;
ich bemerke dazu, dass meine Bestimmungen schon ausgeführt
waren, als ich die Arbeit von Afanassiew kennen lernte.
Die Versuchsreihe bestätigt das von Boehm und Hoff-
mann bei der Katze gefundene Ergebniss, dass glycogenreiche
Lebern schwerer sind als glycogenarme. Lasse ich den
letzten Versuch (XIII) ausser Acht und theile die übrigen Ver-
suche in drei Gruppen, so ergibt sich folgendes:
Die 4 Lebern mit grösstem Glycogengehalt wiegen zusammen 374,5
und enthalten 19,3546 Glycogen.
Die 4 Lebern mit mittlerem Glycogengehalt wiegen zusammen 322,3
und enthalten 6,1671 Glycogen.
Die 4 Lebern mit geringstem Glycogenhalt wiegen zusammen 215,9
und enthalten 1,7730 Glycogen.
Das Verhältniss der Lebergewichte dieser 3 Gruppen =1:1,5:1,8.
56 ” „. Glycogengewichte „ ,, en a
Ferner bestätige ich die Angabe von Külz (p. 8), dass gly-
eogenreiche Kaninchenlebern voluminöser sind als glycogenarme,
sowie die Beobachtung von Boehm und Hoffmann) (Katze) und
'Afanassiew°) (Hund), dass Lebern mit grossem Glycogengehalt
mürber und meist etwas heller gefärbt sind, als glyeogenarme.
Meine Bestimmungen des Trockengewichts von Lebern mit
verschiedenem Glycogengehalt ergeben zum Theil wesentlich andere
Zahlen als die von Afanassiew angestellten.
1) Afanassiew a. a. O. p. 408, 409.
2) A. a. O. p. 287, 288.
3) A. a. O. p. 394, 395.
Vergleichend-histochemische Untersuchungen über das Glycogen,
359
Uebersicht der Versuche über das Verhältniss des Gewichts der
frischen Kaninchenleber zum Gewicht des in ihr gebildeten Glycogens.
100%
IE
=
v1.
ade
vıl.
IX.
XI.
XI.
xı.[7'/;
Getödtet
nach
Fütte-
rung
Fasten-
. Organ
zeit
6 Tage | Weiss- lau Stund.| Leber
brot |
Thier im Gleichgewicht des
Stoffwechsels, wog 2048,0 Rn
6 Tage | Weiss- [36 Stund.| ,
brot
0 Schwarz-|12 Stund.| „
brot
——l el
Ohne Vorbereitung direct
aus dem Stalle, wog 2182,0 | „
6 Tage | Weiss- |19 Stund.|
brot
N R, 24 Stund.| „
R Schwarz- |19 Stund.| „
brot
e e 24 Stund.| „
” ” 5 Tagen „
5 Weiss- |12 Stund.| „
brot
5 Schwarz- | 51/, Std.| „
brot
Tage 0 0 h
Gewicht
der
frischen
Substanz
Glyeogen (bei
100° getrocknet)
= 5 E A Bemerkungen
SR STER
wo
Sr
6,7686) 6,91
4,1618] 5,60
4,3124| 4,69
4,0118| 8,86 | Das Thier hatte
vor der Brot-
fütterungnicht
gefastet!
2,5086| 2,53 Trächtiges
Weibchen!
1,7451) 1,69 Trächtiges
Weibchen!
1,0213| 1,55
1,0921] 1,45
0,8412) 1,44
0,4179) 0,88 | Das Thier be-
kam während
Ss Tagen nur
Schwarzbrod!
0,2614) 0,49
0,2525) 0,45
0 0
360 Dietrich Barfurth:
Uebersicht der Versuche über das Verhältniss des Gewichts der bei 100° C.
getrockneten Kaninchenleber zum Gewicht des in ihr gebildeten
Glycogens.
-
ES 5% © Glycogen
«S © er ©» = =]
= a = S N .Z .n = = =
$ a2 = Ne erete ON
‚| Fasten- | Fütte- | Getödtet 5 lee) 78 Stra
Nr. 3 Organ) 3 SsPal so B 58 °5
zeit rung nach za MI AHrRe| 5 |TR EB
x Eco (01, 4|,8,2 81115 ET Le
oe: BO 95 "15 558 SE
c2 |15& 77) on Ke =92
Ss IS fe o o
wr = =) 5: S
- FW aa LT CETTE I TOEE UNELNT EEE TE Er
II.| Thier im Gleichgewicht des
Stoffwechsels, wog 2048,0 [Leber |22,9468| 7,3539 31,960/, |4,7618|5,60°/,| 17,520/o
V.ı Ohne Vorbereitung direct
aus dem Stalle, wog 2182,0| ,
X111.]7!/; Tage
31,3000
I
17,7468)
Wu
8,5386|27,280/, [2,3086|2,53%) 9,28%
4,3510|24,51%/, | 0 0 0
Ich stelle die entsprechenden Zahlen, die von Afanassiew
bei der Hundeleber, von mir bei der Kaninchenleber gefunden
wurden, zusammen.
Thier Wasser Glycogen N-haltige Substanzen,
Fett und Salze.
Hund 1350°/, 16,00%, 8,50%
Pe 68,049/, 5,60%, 26,36%,
Haas 67,709%/o 4,27%, 28,03%,
“ Kaninchen 72,72%) 2,53%) 24.7509
Hund 70,40%, 0,92), 28,68%),
ur Kaninchen 75,49%), 0,00%), 24,51%),
Bei meinen Versuchen ergibt sich eine gleichmässige Zu-
nahme des Glycogens, sowie der Eiweisssubstanzen ete.,
dagegen eine entsprechende Abnahme des Wassergehalts, so
dass die Hungerleber am meisten Wasser, die gut genährte
Leber am meisten Trockensubstanz enthält.
Bei den Versuchen Afanassiew’s dagegen findet sich der
grösste Gehalt an Eiweisssubstanzen beim Hungertbier, der
grösste Wassergehalt verbunden mit dem grössten Gehalt
an Glycogen und dem kleinsten an Eiweisssubstanzen.
Afanassiew’s Ergebnisse stimmen mehr mit denen von
Vergleichend-histochemische Untersuchungen über das Glycogen. 361
Bidder und Schmidt, die meinigen mehr mit denen von Voit!)
überein. Da Afanassiew und ich aber an verschiedenen Thieren
und unter ungleichen Bedingungen gearbeitet haben, auch die
Versuchsreihe sehr klein ist, so wäre es absolut zwecklos, die
Differenzen weiter zu disceutiren. Es muss weiteren zahlreicheren
Versuchen überlassen bleiben das richtige zu finden; ich will aber
nieht unterlassen mein Verfahren bei den Trockenbestimmungen
mitzutheilen. Ich habe die Leber in einer Porcellanschale in
kleine Stücke zerschnitten, diese gut untereinander vermischt und
von dem Gemisch eine Portion zur Bestimmung des Trocken-
sewichts, eine andere zur Bestimmung des Glycogens verwandt;
kleinere Stücke dienten wie immer zur mikrochemischen Unter-
suchung. Die Fehler, die durch dieses Verfahren herbeige-
führt werden, dürften sich bei lediglich vergleichender Arbeit
ausgleichen; das Zerkleinern und Mischen aber ist unumgänglich.
Die Substanz trocknete im Trockenschrank bei 100° C., wurde
dann zum Pulver zerrieben und weiter bis zu constantem Gewicht
getrocknet.
Ein Bliek auf die Tabelle lehrt noch, dass die Glycogenauf-
speicherung, wie schon Külz bemerkt hat (p. 10), nicht nur „von
der chemischen Natur des einzuführenden Stoffes, wie von der
Versuchsdauer und dem Körpergewicht“, sondern sieher noch von
einer Reihe „weniger bekannter Momente“ abhängig ist. Zu letz-
teren scheinen einseitige Nahrung (X) und ein trächtiger Uterus (VI)
zu gehören. Dass übrigens gleiche Versuchsdauer bei meinen Ka-
ninchen zuweilen so ungleiche Glycogenmengen ergab, liegt offen-
bar an der Art der Fütterung. Die Thiere bekamen ihr Futter
alle 12 Stunden, aber sie fressen natürlich ungleichmässig. Exaete
Versuchsreihen dureh Injeetion u. s. w. zu erzielen, lag ja nicht
in meiner Absicht, da diese von Külz in unübertrefflicher Weise
schon geliefert sind.
1) Man vergleiche dazu die Auseinandersetzungen von Voit (Her-
mann’s Handbuch der Physiologie VI. Bd. p. 95 ff.).
362 Dietrich Barfurth:
V. In welehem Gewebe der Gastropoden tritt das
Glyeogen nach einer Fütterung zuerst auf?
Die Wirbelthierleber häuft nicht nur das Glycogen in ganz
hervorragendem Masse in sich auf, sie scheint auch das Organ
zu sein, in dem es nach der Nahrungsaufnahme zuerst auftritt,
und ist nach Ansieht mancher Forscher die eigentliche Bil-
dungsstätte desselben. Claude Bernard!) war von letzterer
Anschauung so durchdrungen, dass er nach Auffindung des Gly-
cogens in der Placenta in der letztern eine Art provisorischer
Leber sah und von „plaques hepatiques de l’amnios“ sprach.
Rouget?) trat dieser Auffassung sehr bestimmt entgegen: „Il n’y
a lieu, de voir la (im Amnion und der Placenta) un organe hepa-
tique temporaire, ni une fonction nouvelle du placenta. L’existence
de la substance amylac&e indique non une nouvelle fonction d’or-
gane, mais une nouvelle propriete de tissu.“
Auch Luehsinger?) verlegt den Ort der Glycogenbildung
in die Leber. Die Thatsache, dass Glycogen in vielen anderen
Geweben mit Sicherheit nachgewiesen ist, kann direct nicht
gegen die Auffassung, dass die Leber das eigentliche glycogen-
bildende Organ sei, verwerthet werden, obgleich sie einen wich-
tigen Einwand dagegen abgibt. Es liesse sich immerhin denken,
dass das Glycogen den übrigen Organen durch den Blutstrom ?)
zugeführt würde. Von grosser Wichtigkeit ist deshalb der von
Külz’) gelieferte Nachweis, dass nach Exstirpation der Leber
bei Fröschen die Muskeln selbständig Glycogen bilden.
Gelegentliche Beobachtungen an Helix pomatia und Arion
1) Claude Bernard, Sur une nouvelle fonction du placenta. Journal
de la physiologie. 1859. p. 31 ff. (p. 32).
2) Rouget, Des substances amyloides ete. Journal de la physiologie
1859. p. 308 ff. (p. 321).
3) Luchsinger, Zur Glycogenbildung in der Leber. Pflüger’s Archiv.
8. Bd. 1874. p. 289 ff. (p. 303).
4) Külz, Ueber den Einfluss angestreuster Körperbewegung auf
den Glycogengehalt der Leber. Pflüger’s Archiv. 24. Bd. p. 41 ff. (p. 43).
Derselbe gibt auch hierauf bezügliche Literaturmittheilungen an (p. 43. Anm.).
5) A. a. O. p. 64 fi.
Vergleichend-histochemische Untersuchungen über das Glycogen. 363
empiricorum hatten mich nun überzeugt, dass bei diesen Gastro-
poden nicht das eigentliche Leberepithel, sondern die Zellen
der Bindesubstanz als diejenigen Gewebselemente hervorragen,
in denen zuerst Glycogen aufgestapelt wird. Ich beschloss aber
diese Thatsache durch eine Anzahl ganz genauer Versuche be-
sonders zu erhärten. Zum Versuchsthier wählte ich Limax va-
riegatus, nicht nur weil diese Species sich gut in der Gefangen-
schaft hält, sondern aueh ganz besonders, weil ich gemerkt hatte,
dass bei diesen Thieren sehr wenig Bindesubstanz vorhanden ist,
und deshalb das Glycogen sehr bald im Leberepithel selber auf-
tritt. Liess sich also bei dieser Art feststellen, dass trotz der un-
günstigen histologischen Verhältnisse das Glycogen zuerst in den
Plasmazellen der Bindesubstanz nachweisbar ist, so war das Er-
gebniss um so schlagender.
Die Art und Weise, wie ich diese Versuche angestellt habe,
wurde schon oben von mir erläutert. Es sei nur noch einmal
hervorgehoben, dass die Thiere so lange hungerten, bis sie sicher-
lich glycogenfrei waren, dass ich aber trotzdem an einem Control-
thier, welches bei Beginn des Versuchs in absolutem Alkohol eon-
servirt wurde, den Nachweis lieferte, dass die Gewebe in der That
keine Spur von Glyeogen mehr enthielten; dass ferner nur solche
Thiere zum Versuche verwandt wurden, die innerhalb drei Minuten
nach Beginn desselben zu fressen begannen und solche, die nicht
wenigstens 10 Minuten lang frassen, wieder entfernt wurden. Die
ersten Spuren von Glycogen treten in der 9. Stunde nach Beginn
der Nahrungseinnahme auf; individuelle Verschiedenheit kommen
auch bei diesen Thieren vor. Die Versuchsthiere wurden nach Ab-
schluss des Versuchs in Zwischenzeiten von einer Viertelstunde
durch einen vorsichtig zu führenden Längsschnitt getödtet, dann
zu den in der Tabelle bemerkten Untersuchungen benutzt und
hierauf in absolutem Alkohol für die mikrochemische Untersuchung
aufbewahrt. (S. die Tabelle auf den beiden folgenden Seiten.)
Diese Tabelle liefert in der That den Beweis, dass
das Glycogen bei den Gastropoden zuerst in der Binde-
substanz auftritt, und dass die specifischen Elemente der Or-
gane erst später Glycogen aufzuspeichern beginnen.
Für die mikrochemische Untersuchung bemerke ich, dass man
sich nicht begnügen darf, ein oder einige Läppchen der Le-
ber zu untersuchen; in manchen Präparaten würde man dann kein
364
Dietrich Barfurth:
Ueber-
der Versuche über das erste Auftreten des Glycogens in den
nach Beginn
Limax u
variega- | .; a Des Darminhalts In der Binde-
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pomatia | Tage) brot
Glycogen finden, während es in der That in der Leber, und zwar
im interstitiellen Gewebe, schon vorhanden ist.!) Am besten ist es,
Querschnitte durch das ganze untere Ende der Leber zu führen
1) Hiernach ist meine Angabe in den Sitzungsberichten der Nieder-
rhein, Gesellschaft für Natur- und Heilkunde (19. Jan. 1885) zu berichtigen.
Vergleichend-histochemische Untersuchungen über das Glycogen. 369
sicht
verschiedenen Geweben von Schnecken zu einer bestimmten Zeit
des Fressens.
BE TEE RESET LET TE BO SEES EEE BEE TE SS SEHE SL EEE TEE TE Wa GEST SER BE GB SEES SENT I ESS u RT DS TEN TUR Bm Tr nn
Glycogen wurde gefunden:
Im animalen Gewebe In den
| der | Epithelien
En eanc . | nervösen
der Drüsen: der Muskeln: Eeental Bemerkungen
Sol&ela al m Ia5l 8 | elnae2 ,
2 2821828 |s 2 825 Dssälsällsae 2,8
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++ +/+|+|-|+ Reel
+ +/I+| tt) +|+J-| +| + | - | t|+|+#
und in Jodgummi zu untersuchen. Auf diese Weise erhält man
die Gewissheit, dass in der Bindesubstanz der Leber zuerst, un-
mittelbar darauf in der des Fusses das Glycogen auftritt und
dann nach und nach auch in den Plasmazellen der übrigen Organe
erscheint. Die Grösse der Thiere scheint hierbei von keinem Ein-
fluss zu sein.
366 Dietrich Barfurth:
VI. Die Beziehung des Glycogens zur Seeretion
der Drüsen').
Das eigenthümliche Verhalten des Glycogens zur Drüsen-
thätigkeit habe ich zuerst und am besten an den Speicheldrüsen
der Gastropoden beobachten können; es mag dasselbe deshalb
zunächst besprochen werden.
Was die Histologie dieser Drüsen anbetrifft, so verweise ich
auf meine früheren Angaben. Nach kürzerer oder längerer (1—5-
tägiger) Brotfütterung zeigen die secernirenden Zellen der Gat-
tungen Helix, Limax u. a. folgende Eigenthümlichkeiten. Viele
Zellen beherbergen in ihrem Innern zahlreiche grössere und klei-
nere Glycogenklümpehen, zwischen denen nur wenige nach Jod-
behandlung gelb gefärbte glänzende Kügelchen (Secretkugeln) auf-
treten; die Zellen sind also sehr reich an Glycogen, sehr arm an
Secret. Andere Zellen dagegen sind ganz vollgepfropft mit glän-
zenden gelben Sekretkügelchen, sind aber im Innern ganz glycogen-
1) Nach Vollendung des folgenden Aufsatzes erschien eine Arbeit von
Hammarsten (Studien über Mucein und mucinähnliche Substanzen, Pflüger’s
Archiv. 36. Bd. 1885. p: 373 ff.), die sehr wichtige Ergebnisse bringt. Nach
ihm gibt es namentlich in drüsigen Organen zusammengesetzte Protein-
substanzen (Nucleoalbumine, Proteidsubstanzen), durch deren Zerfall eiweiss-
artige Körper und Kohlehydrate entstehen. Das Mucin z. B. ist nach
Hammarsten ein besonderes Protoplasmaproteid, aus dem sich ein Kohle-
hydrat abspalten lässt. Aus dem „Glycoproteid“ der Eiweissdrüse von Helix
pomatia stellte Hammarsten ausser Eiweiss ein Kohlehydrat dar, welches
allem Anscheine nach zu derselben Gruppe gehörte wie die Dextrine und
das Glycogen; da dieses Kohlehydrat aber eine linksdrehende Substanz
ist, nennt H. sie „thierisches Sinistrin.“ H. stimmt in der Hauptsache mit
Krukenberg überein, der schon viel früher eine Entstehung von Kohle-
hydraten aus Eiweisssubstanzen im Thierkörper nachwies, sieht aber als
Muttersubstanzen der abgespaltenen Kohlehydrate nicht genuine Eiweisskörper,
sondern zusammengesetztere Stoffe, Proteide, an. — Ich glaube, dass
hiernach die folgenden Mittheilungen, besonders die über die Speicheldrüsen
der Gastropoden, noch ein erhöhteres Interesse darbieten.
. Vergleichend-histochemische Untersuchungen über das Glycogen. 367
frei; nur die bindegewebige Hülle kann bei diesen, wie auch den
sämmtliehen übrigen Zellen mit einer dünneren oder diekeren
Glyeogenschicht versehen sein. Diese Zellen sind also sehr reich
an Sekret, aber sehr arm an Glycogen. Zwischen beiden beschrie-
benen Arten von Zellen gibt es nun zahlreiche Uebergänge, je
nachdem der Gehalt an Glycogen oder an gebildetem Seeret über-
wiegt. Dass die beschriebenen gelben Kugeln in der That Seeret-
tröpfehen sind, ergibt sich daraus, dass man sie nur in bestimmten
Stadien der Verdauung findet.
An den erwähnten Zellen findet man nun noch weitere Rigen-
thümlichkeiten. Durch die Untersuchungen von Heidenhain!),
Pflüger?) u.a. sind an den Speichelzellen von Säugethieren we-
sentliche Abweichungen des ruhenden Zustandes vom gereizten nach-
gewiesen worden. In der ruhenden Drüse haben wir „in Carmin
sich nicht röthende Zellen mit rundem in Alkohol schrumpfendem,
sich intensiv röthendem Kern“; in der gereizten aber „in Carmin
sich röthende Zellen mit rundem in Alkohol nicht schrumpfendem
und in Carmin sich weniger röthendem Kerne“. (Pflüger
a. a. O. p. 329.)
Mit Recht wies Pflüger auf die Möglichkeit hin, dass die
Zellen „durch ihre langdauernde Arbeit eine wesentliche Altera-
ration ihrer chemischen Constitution erfahren haben und dass hierin
die Ursache des verschiedenen Aussehens der Zellen liegt“
(p. 329).
Heidenhain’) fasst seine Ansicht dahin zusammen, ‚dass
die Zelle der Parotis am Ende einer längeren Seeretionsperiode
ganz vorwiegend aus körnigem, in Carmin färbbarem Protoplasma
sich zusammensetzt, während nach längerer Ruhe die Masse der
1) Heidenhain, Studien des physiologischen Instituts zu Breslau. IV.
1868. und Hermann’s Handbuch der Physiologie. V. Bd. 1. Abth. 1880.
2) Pflüger, Die Speicheldrüsen. Stricker's Handbuch der Lehre von
den Geweben, Leipzig 1871. Schon im Jahre 1866 (Die Endigungen der
Absonderungsnerven in den Speicheldrüsen. Bonn 1866) hatte sich Pflüger
entgegen der später ausgesprochenen Ansicht Heidenhain’s dahin geäussert,
dass die Secretbildung nicht in einem Zerfliessen der Zellen bestünde. Vgl.
dazu: Nussbaum, Ueber den Bau und die Thätigkeit der Drüsen. I.’Mitth.
Dieses Archiv, 13. Bd. p. 721 ff. Die hieher gehörigen historischen Mitthei-
lungen gibt Nussbaum p. 731.
3) Heidenhain in Hermann’s Handbuch V. Bd. p. 60.
368 Dietrich Barfurth:
körnigen Substanz sehr redueirt, dagegen eine helle nicht färbbare
Substanz angehäuft ist“ und folgert daraus, „dass 1) während der
Ruhe auf Kosten des Protoplasmas jene andere Substanz sich ge-
bildet hat und dass 2) diese Substanz das während der Absonde-
rung verbrauchte Secretionsmaterial darstellt.“ Ferner haben
Heidenhain und seine Schüler an vielen Drüsen der Säuge-
thiere eine eonstante Veränderung der Kerne festgestellt; ruhende
Zellen besitzen einen wandständigen, abgeplatteten Kern, nach mäs-
siger Thätigkeit „aber werden die Kerne rund, zeigen deutliche
Kernkörperchen und rücken nach der Mitte der Zellen hin.“ (Hei-
denhain, a. a. OÖ. p. 65.)
Die von Heidenhain am Protoplasma beschriebene Ver-
änderung während Ruhe und Thätigkeit finde ich nun auch bei
den Speichelzellen der Gastropoden wieder; die Veränderungen
der Kerne aber sind an meinem Object nicht constant. Nuss-
baum!) hat auf experimentellem Wege an den Hautdrüsen von
Argulus foliaceus den Nachweis geführt, dass die Seeretion zwar
die Kerne verändern kann, dass diese Veränderung aber keine
wesentliche Erscheinung ist, da sie ebensogut fehlen kann. So
finde ich in ähnlicher Weise in manchen seeretstrotzenden Speichel-
zellen einen abgeplatteten, in manchen aber auch einen kugligen
Kern, dasselbe gilt von den übrigen Zellen in verschiedenen Sta-
dien der Thätigkeit. Wie jede Speichelzelle der Gastropoden mit
einer bindegewebigen Hülle versehen ist, so scheint eine jede auch
in physiologischer Beziehung selbständig zu sein, so dass man auf
Schnitten alle Stadien ?) der Seeretion neben einander findet. Es
ist nun durchaus nicht leicht, in diesem Gewirr von verschiedenen
Formen sich zurecht zu finden und den Cyelus der Vorgänge fest-
zustellen. Wenn ich das letztere trotzdem versuche, so thue ich
es wegen der Wichtigkeit des Gegenstandes, bin mir aber wohl
bewusst, dass meine Darstellung lückenhaft ist. Einen Anhalt für
die Richtigkeit der Beurtheilung hat man übrigens in Präparaten
bestimmter Versuchsreihen, indem man eine Anzahl Thiere
zu gleicher Zeit füttert, nach bestimmten Zwischenräumen tödtet
1) Nussbaum, Ueber den Bau und die Thätigkeit der Drüsen. IV. Mit-
theilung. Dieses Archiv. Bd. 21. p. 296 ff. (p. 338, 339).
2) Auf solche haben schon Leydig (Ueber Paludina, a. a. O. p. 166
Anm.) und Semper (Zeitschr. f. w. Zool. 8. Bd. p. 366) hingewiesen,
Vergleichend-histochemische Untersuchungen über das Glycogen. 8369
und ihre Speicheldrüsen frisch und nach erfolgter Härtung unter-
sucht. j
Um zunächst das Bild einer vollständig ruhenden Speicheldrüse
zu gewinnen, habe ich eine Helix pomatia, die e.5 Monate im Winter-
schlaf (eingedeckelt) verbracht hatte, aus dem Gehäuse genommen und
den Anfangsdarm mit den ihn umhüllenden Speicheldrüsen in absolu-
tem Alkohol gehärtet. Schnitte von diesem Präparat mit Haematoxy-
lin gefärbt ergeben folgendes. Die Zellen liegen dicht gedrängt, sind
klein, haben einen verhältnissmässig grossen ovalen oder kugligen
Kern und ein feinkörniges, nur selten ein netzartiges Gefüge zei-
sendes Protoplasma.. Der Kern allein ist durch Haema-
toxylin violett-blau gefärbt, der Zellleib ist farblos
seblieben. Von Glycogen findet man natürlich keine Spur.
Woraus aber besteht dieser Zellleib? Nach Watney und Klein
wird, wie Heidenhain (p.64) erwähnt, Mucigen, die Vorstufe des
Mueins, durch Haematoxylin nicht gefärbt, das Mucin selber
aber wohl. Dies trifft bei Helix, Limax und Arion zu. Man hat
bei diesen Thieren ein einfaches Mittel, sich davon zu überzeugen,
da im Darmepithel zahlreiche Schleimzellen vorkommen, deren
Inhalt auf sein Verhalten gegen Haematoxylin !) ausschlaggebend sein
muss. In feinen mit Haematoxylin gefärbten Schnitten des in
absolutem Alkohol gehärteten Darmes sieht man nun im Epithel
die flaschenförmigen Schleimzellen tiefblau, die Kerne
der Epithelzellen sind blau, das Protoplasma ist so gut wie
gar nicht gefärbt. Auch der Schleimpfropfen, der sich oben
aus den Schleimzellen herausquetscht, ist ganz tiefblau.
An der Hand dieser Farbenreactionen lassen sich nun weitere
Studien an den Speichelzellen machen.
Die oben erwähnte absolut ruhende Drüse von Helix pomatia
im Winterschlaf enthält kleine Zellen, deren Leib sich in Hae-
matoxylin nieht färbt, im übrigen leicht granulirt ist und keine
Maschen aufweist. Der Inhalt dieser Zellen könnte aus Proto-
plasma, er könnte auch aus Mucigen?) bestehen, welches
1) Ich verwende das Hämatoxylin nach der Vorschrift von Frey (Das
Mikroskop ete. 7. Auflage. Leipzig 1881.). Die Schnitte bleiben nur so
lange im Hämatoxylin, bis die Kerne deutlich gefärbt sind. Nach mehreren
Tagen sind die Glycerin-Präparate unbrauchbar, weil der Farbstoff alles diffus
durchdringt.
2) Nach Hammarsten (a. a. O. p. 449) ist das Mucin, welches aus
370 Dietrich Barfurth:
sich ebenfalls in Haematoxylin nicht färbt. Das Wahrscheinlichste
ist, dass beide Substanzen vertreten sind, wie die Betrachtung des
folgenden Stadiums lehrt.
Füttert man nun Weinbergsschnecken, die aus dem Winter-
schlaf erweckt werden, oder Arion und Limax, die längere Zeit
sehungert haben, mit feuchtem Brot, so treten in den Speichel-
zellen mit fortschreitender Verdauung und beginnender Seeretion
eigenthümliche Veränderungen auf, die im Allgemeinen mit dem
von Heidenhain an anderen Drüsen zuerst gefundenen wohl
übereinstimmen.
Einige Stunden nach der Fütterung werden die Speichel-
zellen grösser und entwickeln in ihrem Leibe ein grossmaschiges
Protoplasmanetz, in dessen Lücken eine helle, leicht glänzende
Substanz (Paraplasma, Mucigen) eingelagert ist. Der Kern hat
ein zackiges Aussehen, da er Fortsätze ausschickt, die mit dem
Protoplasmanetz eommunieiren. Haematoxylin färbt nur den Kern
blau, alles andere bleibt farblos. Jod färbt alles gelb, der Kern
glänzt auffallend durch. Glycogen ist zunächst in diesem Stadium
nicht nachzuweisen.
In einem folgenden Stadium?) kommt es nun innerhalb der
Maschen des Protoplasmanetzes zur Bildung von eigenthümlich
slänzenden Kugeln, deren Menge allmählich zunimmt. Diese
Kugeln werden durch Haematoxylin nicht gefärbt, zeigen nach
einer Umwandlung des Protoplasmas hervorgeht, ein besonderes Protoplasma-
proteid aus solchen Proteiden, weit zusammengesetzteren Körpern, als
die genuinen Eiweissstoffe, können nach H. Kohlehydrate abgespalten
werden. So glaubt H., dass das Glycogen aus einer Spaltung eines
Glyeoproteides schon intra vitam hervorgeht. Die Erfahrungen,
die man an den Speicheldrüsen der Gastropoden wacht, sprechen sehr für
diese Auffassung. Freilich stehen wir erst am Anfang des Verständnisses.
Was ist Mucigen? Weder identisch mit dem Zellprotoplasma, noch mit Muein,
muss es seinerseits als ein höheres Spaltungsproduct des Protoplasmas aufge-
fasst werden. Darnach wäre Mucigen eins der Spaltungsproducte des Proto-
plasmas, Muein eins der Spaltungsproducte des Mucigens, und aus diesem
entstünde u. a. Glycogen (neben einem Eiweisskörper). Immerhin wird das
Verständniss des Glyeogens schon gewaltig gefördert, wenn es als Spal-
tungsproduct complieirterer Substanzen (Eiweiss- oder Proteidkörper)
betrachtet werden darf.
2) Da die Stadien innerhalb weiterer Zeiträume schwanken, so sehe
ich von einer genauen Zeitangabe ab.
Vergleichend-histochemische Untersuchungen über das Glycogen. 371
Jodbehandlung eine glänzend gelbe Farbe und stellen nicht
das eigentliche Seeret der Zellen vor, denn man findet in
den Ausführungsgängen der Speicheldrüsen niemals die grossen
glänzenden Kugeln, sondern eine feinkörnige Masse. Das erste
Auftreten dieser Speichelkugeln beobachtete ich bei einem Limax
einereoniger, der 33 Tage gehungert hatte und dann Brot bekam, 7
Stunden nach der Fütterung. Bei Limax variegatus sah ich
die ersten Kugeln zwischen der 8.—11l. Stunde nach der Fütte-
rung; ähnlich verhielt sich Helix pomatia und Arion empiricorum.
Ihrer chemischen Natur nach halte ich diese Kugeln für eine Vor-
stufe des Speichelsecrets, für Mucigen. Zugleich mit dem ersten
Auftreten der Speichelkugeln findet man nun auch die ersten
Spuren des Glyeogens in den Speichelzellen, nachdem es
etwas vorher schon in der Bindesubstanz erschienen war. Nach
Alkoholeinwirkung bildet es Klümpcehen und Streifen im Para-
plasma, also zwischen dem Protoplasmanetz. Es nimmt an Menge
zu, bis die Bildung der Speichelkugeln einen gewissen Grad er-
reicht hat; nachher nimmt es ab, während sich die Zahl der Speichel-
kugeln vermehrt, und eine Zelle, die ganz vollgepfropft ist mit
diesen Kugeln, enthält kein Glycogen mehr. Die totale Anfüllung
der Zellen mit Speichelkugeln fand ich bei einigen Limax varie-
satus 10%/, Stunden nach der Mahlzeit vollendet; bei Helix war
dieser Vorgang in einem Falle 12 Stunden nach Beginn des Fressens
noch sehr wenig vorgeschritten.
Ein folgendes Stadium führt nun zu einem Zerfall der
Speichelkugeln in kleinere Körnchen, die man innerhalb der
Zellen findet und die sich durch Haematoxylin blau färben. Da
man Körnchen von ganz ähnlicher Beschaffenheit auch in den
Ausführungsgängen findet, so halte ich sie für das eigent-
liehe Secret, was wohl zum grossen Theil aus Muein!) besteht.
Dabei will ich aber nicht unerwähnt lassen, dass sich das Secret,
wie es scheint, nur frisch, also bald nach dem Austritt aus den
1) Krukenberg (Untersuchungen aus dem physiol. Institute der Univ.
Heidelberg. Bd. II. H. 1. p. 15, 16) hat nachgewiesen, dass in den Speichel-
drüsen der Pulmonaten kein diastatisches Enzym vorkommt, dass sie dem-
nach mit Unrecht im funetionellen Sinne „Speicheldrüsen“ genannt werden.
Das schleimig-wässerige Seeret der „Speicheldrüsen“ schemt nur zur Fort-
bewegung der Ingesta behülflich zu sein.
Archiv f. mikrosk. Anatomie. Bd, 25, 26
372 Dietrich Barfurth:
Zellen, in den Ausführungsgängen durch Haematoxylin blau färbt,
dass aber, wenn es längere Zeit darin verweilt hat, der blaue Ton
der Haematoxylinfärbung sehr abgeblasst erscheint. Ist die Zelle
in Thätigkeit, so bietet sie ein Bild, wie es Lavdowsky !)
(Tafel XXIV, Fig. 10) von den thätigen Orbitaldrüsenzellen dar-
stellt: ein bestimmter Theil (der untere) der Zelle ist sammt dem
Kern stark gefärbt, weil er sehr reich an Muein ist; der übrige
(obere) Theil der Zelle erscheint ungefärbt.
Zugleich mit den zuletzt geschilderten Veränderungen beginnt
dann die von Heidenhain und Lavdowsky beobachtete Rege-
neration des Protoplasmas. Man findet nach vollendeter Secretion
der Zellen in ihrem Innern eine körnige Substanz, die sich durch
Haematoxylin nur wenig färbt. Nimmt man dazu, dass nach Jod-
zusatz ein Theil dieser Körner braunroth, ein anderer gelb ge-
färbt wird, so ergibt sich, dass die körnige Substanz zum Theil
aus Glycogen, zum Theil wahrscheinlich aus Eiweisskörpern be-
steht: Glycogen wird durch Haematoxylin, Alauncarmin u. s. w.
nieht gefärbt, durch eine Jodlösung aber bekanntlich braunroth,
so dass Schnitte einer solchen Drüse mit einer Haematoxylinlösung
behandelt gewissermassen das negative Bild eines durch Jod-
lösung gefärbten Schnittes darstellen. Es gilt also hier dasselbe,
was Afanassiew?) an glycogenreichen Leberzellen feststellte.
Ausser den beschriebenen Stadien finde ich nun in der
Drüse noch eigenthümlich verschrumpfte Zellen, deren Kern und
Protoplasma sich zwar durch Jod gelb färbt, durch eine Hae-
matoxylinlösung aber nicht im geringsten gefärbt wird;
dabei erscheint der Kern sonderbar zerfallen, gelockert. Diese
greisenhaft aussehenden Zellen halte ich für Todescandidaten.
Nussbaum?) hat das Absterben und die Elimination von Drüsen-
zellen im Pancreas von Salamandra maculosa ausführlich beschrie-
ben und auf Tafel XVII, Fig. 42 dargestellt.
Ueberbliekt man nun die Stadien der Secretion in den
Speicheldrüsen und vergleicht damit das Auftreten des Glyeogens
1) Lavdowsky, Zur feineren Anatomie und Physiologie der Speichel-
drüsen, insbesondere der Orbitaldrüse. Dieses Archiv. 13. Bd. p. 281 ft.
2) Afanassiew, a. a. O. p. 400.
3) Nussbaum, Ueber den Bau und die Thätigkeit der Drüsen. IV. Mitth,
Dieses Archiv, 21. Bd. p. 296 ff. (p. 333 ff.).
Vergleichend-histochemische Untersuchungen über das Glycogen. 373
in diesen Zellen, so findet man Glycogen innerhalb eines Cyelus vor
und im Beginn der Bildung von Speichelkugeln. Ist die Zufuhr von
Nährstoffen nachher nieht unterbrochen, so findet es sich auch in
dem Stadium der Regeneration des Zellprotoplasmas, während
zugleich die Vorstufen des Secretionsmaterials (Mucigen)
sebildet werden. Eine Aufhäufung des Glycogens fin-
det also während der vorbereitenden Thätigkeit der
Zelle statt; die seecernirende Zelle und das Seeceretions-
material selber sind aber glycogenfrei.
Es mag hier nun gleich bemerkt sein, dass die Seeretion
lediglich von nervösen Einflüssen abhängig ist, dass sie z. B. auch
erfolgt, wenn man Hungerthieren unverdauliche Stoffe (Fliess-
papier) zu fressen gibt; dass aber die Glycogenaufspeicherung
nur eintritt, wenn zugleich Nährstoffe zugeführt werden.
Einen weiteren Beweis für den Zusammenhang zwischen Se-
eretion und Glyeogenaufstapelung sehe ich in dem eigenthümlichen
Verhalten der Leberzellen des Kaninchens !) nach reichlicher Füt-
terung. Wie Boek und Hoffmann, Heidenhain?) und Kayser,
Ehrlich und ich übereinstimmend beobachtet haben, findet man
das Glycogen in den Zellen nach der Mitte des Acinus zu
und zugleich an der nach dem Centrum liegenden Seite der
Zellen gehäuft, wie es Figur 3 Tafel XV veranschaulicht. Diese
Eigenthümlichkeit findet man nicht in allen Lebern, sondern nur
in solehen, die ein bestimmtes Stadium der Glycogenanhäufung
und der Secretion repräsentiren; genaueres darüber kann ich zur
Zeit noch nicht angeben.
Es kann wohl keinem Zweifel unterliegen, dass diese merk-
würdige Vertheilung des Glycogens nicht zufällig sein kann, son-
1) Ob das auch von den Leberzellen anderer Thiere gilt, muss ich da-
hingestellt sein lassen. Heidenhain spricht an der betr. Stelle (Hermann’s
Handbuch V. 1. p. 221) von Säugethierlebern überhaupt. Afanassiew
aber kommt bei seinen Untersuchungen an Hunden zu dem Schluss, „dass
die Bildung des Glycogens in allen Zellen des Läppchens mehr minder gleich-
mässig geschieht‘ (p. 400).
2) Ich glaube wenigstens die Aeusserung Heidenhain’s (Hermann’s
Handbuch, a. a. ©. p. 222): „Nach kurzer Zeit lösen sich jene Schollen, die
in den Leberzellenreihen mitunter inmerkwürdiger Regelmässig-
keit immer nur eine Seite der Zelle einnehmen“ u.s. w. so ver-
stehen zu müssen. °
374 Dietrich Barfurth:
dern dass sie im Zusammenhang mit dem Bau und der Function
der Leber stehen muss. Da im Centrum des Acinus die Leber-
vene, an seiner Peripherie die Leberarterie, die Pfortader nnd die
Gallengänge verlaufen, so liegt es nahe, diese Thatsachen zur
Erklärung jener Erscheinung zu verwerthen. Zwei Möglichkeiten
sind gegeben: Die Cireulation oder die Secretion erzeugt jenen
Ablagerungsmodus. Da der Blutstrom der vasa interlobularia von
der Peripherie des Acinus zu seiner Mitte hin gerichtet ist, so
könnte man an eine mechanische Fortspülung des Glycogens von
den zunächst und am stärksten getroffenen Stellen denken und
diesen Umstand mit einer Wanderung des Glycogens in Verbindung
bringen }).
Diese Erklärung stösst auf die Schwierigkeit, dass die Capil-
laren die Leberzellen in der Regel von allen Seiten umspülen.
Zieht man die Seeretion zur Erklärung heran, so ist zwischen
der eigentlichen secernirenden Thätigkeit der Zellen selber
und der Abfuhr des Secrets zu unterscheiden. In jedem Falle
wird die Erklärung am leichtesten auf Grundlage der Pflüger'-
schen Anschauung?) über den Zusammenhang von Leberzellen
und Galleneapillaren. Nach Pfiüger’s Auffassung „stellt das secer-
nirende Parenchym der Leber ein Netzwerk feiner Röhren (Netz
der Galleneapillaren) vor, in dessen Maschen die Leberzellen lie-
gen, so aber: dass sie Erweiterungen und Auswüchse dieser Röhren
sind oder wie sehr kurz gestielte Beeren denselben ansitzen. Das
Wesentliche ist hier, dass die Gallencapillare nieht bloss aussen
an der Leberzelle hinläuft, sondern dass diese in einer Erweite-
rung der Capillare liegt, die irgendwie beschaffen sein kann.“
Pflüger vergleicht deshalb die Leberzelle den einzelligen
Drüsen, wie sie bei niedern Thieren vorkommen. Man kann sie
auch den Speichelzellen der Gastropoden vergleichen, von denen
jede in einer bindegewebigen Hülle, wie in einem Sack, liegt; die
röhrenförmige Verlängerung dieser Hülle bildet den Ausführungs-
gang der Zelle, der sich wie in den gewöhnlichen acinösen Drüsen
1) In diesem Sinne äusserte ich mich in den Sitzungsberichten der
Niederrhein. Gesellschaft für Natur- und Heilkunde. Sitzung vom 19. Jan. 1885.
2) Pflüger, Ueber die Abhängigkeit der Leber von dem Nervensystem.
Pflüger’s Archiv. 2. Bd. p. 459 ff. (p. 471). Pflüger fusst auf der Arbeit
von L. Beale (p. 461). Vgl. dazu Heidenhain, Hermann’s Handbuch
Nele pay:
Vergleichend-histochemische Untersuchungen über das Glycogen. 375
mit benachbarten Genossen zu grösseren Gängen vereinigt. Wie
nun in jeder Drüse die einzelnen Zellen einen obern, dem
Ausführungsgang (Lumen) zugewandten Theil und einen untern
der Membrana propria aufsitzenden unterscheiden lassen, von denen
der obere vorzugsweise der Secretion dient und das
Seceretionsmaterial beherbergt, während der untere Theil
der Zelle mit dem Kern protoplasmatisch bleibt, so finden wir ein
ähnliches Verhalten bei den Leberzellen. Der obere Theil der
Zelle, welcher nach dem Ausführungsgange d.h. nach der Peri-
pherie des Acinus zu liegt, ist — wenigstens in einem be-
stimmten Stadium — der vorzugsweise secernirende und des-
halb glyeogenfreie, der obere, dem Centrum des Acinus zu
gerichtete Theil der Zelle, bleibt protoplasmatisch und be-
herbergt das Glycogen. Die Thatsache, dass das Glycogen
in den nach dem Centrum des Acinus (Lebervene) zu gelegenen
Zellen in grösserer Menge auftritt, würde sich ungezwungen da-
durch erklären, dass die Zellen um so stärker oder vielleicht
auch um so früher secerniren, je näher sie den Ausführungs-
gängen, d. h. der Acinusperipherie zu liegen. Zur Erklärung der
eigenthümlichen Glycogenablagerung könnte man ferner auch die
Ansammlung und Stauung des Secrets, also der Galle, selber
in Erwägung ziehen. Von der Annahme — deren Richtigkeit sich
an den Speichelzellen der Gastropoden direet beweisen lässt !) —
ausgehend, dass die Ansammlung des Secrets im umgekehrten
Verhältniss zur Aufspeicherung des Glycogens steht, könnte man
vermuthen, dass sich der Druck der angestauten Galle rückwärts
fortsetzt, in den peripheren Zellen des Acinus am stärksten ist,
deshalb hier nur geringe Glyeogenaufspeicherung zulässt und nach
dem Centrum des Acinus zu allmählich abnimmt, womit dann die
Zunahme des Glycogens Hand in Hand geht. Diese grob mecha-
nische Erklärungsweise erscheint mir deshalb unzulässig, weil die
blosse Aufspeicherung des einen Materials (Secret) die eines an-
1) Auch Langley (a. a. O. p. 24) kommt zu dem Resultat, dass „ge-
nerally speaking, a decrease of granules (Secret, Vorstufen der Gallenstoffe)
goes hand-in-hand with an increase of glycogen and an increase of granules
with a decrease of glyeogen“, obgleich ‚a certain amount of variation in
the one may take place without any variation or any corresponding variation
in the other.“
376 Dietrich Barfurth:
dern (Glyeogen) nicht hindern kann. Afanassiew hat dargethan,
dass glycogenreiche Zellen eines gut genährten Thieres 3—4 mal
grösser, als die glycogenarmen eines Hungerthieres sind; also
passt die Zelle ihr Volum einfach dem Material an, nicht aber
umgekehrt.
Für eine Beziehung zwischen Seeretion und Glycogenablage-
rung sprechen noch einige andere Thatsachen.
l. Claude Bernard!), dessen hierauf bezügliche Angaben
ich schon oben bestätigt habe, machte zuerst auf die merkwürdige
Thatsache aufmerksam, dass die embryonale Leber während
ihrer Entwieklung kein Glycogen beherbergt. Erst gegen die
Mitte des intrauterinen Lebens, wenn die histologische Ent-
wicklung beendigt ist, beginnt die Leber als Galle und Gly-
cogen bereitendes Organ zu functioniren; dabei beginnt nach Ber-
nard’s Ansicht die Bildung der Galle früher als die des
Glyeogens. Ebenso beobachtete Zweifel?) das erste Auftreten
der Galle schon im 3. Monat des intrauterinen Lebens, während
die Glyeogenbildung nach ihm im 5. Monat beginnt.
2. Ueber die zeitliche Beziehung zwischen dem Maximum
der Gallenseeretion und dem Maximum der Glycogenaufspeicherung
in der Leber ausgewachsener Thiere wissen wir erst nach den
Versuchen von Külz?) etwas sicheres. Wundt und Kühne
geben an, dass das Maximum der Glycogenbildung früher fällt, als
das Maximum der Gallenbildung. Da nun aber aus zahlreichen
Angaben vieler Autoren (Voit, Kölliker, H. Müller, Ber-
nard, Bidder und Schmidt, A. Wolf und Hoppe-Seyler)
hervorgeht, dass das Maximum der Gallenbildung in die 2. bis 15.
Stunde*) nach der Nahrungsaufnahme fällt und andererseits Külz’
1) Claude Bernard, De la matiere glycogene etc. Journal de la
physiologie. 1859. p. 335. Und: Lecons sur les phenomenes ete. Bd. II p. 76.
2) Citirt in Reitz: Grundzüge der Physiologie, Pathologie und Thera-
pie des Kindesalters. Berlin 1883. p. 35.
3) Külz, Beiträge zur Lehre von der Glycogenbildung in der Leber.
Pflüger’s Archiv. 24. Bd. 1881. p. 1. Die obigen Literaturangaben beziehen
sich auf Külz’ nistorische Erörterung p. 3 u. 4.
4) Am richtigsten ist wohl die Angabe Heidenhain’s, nach welcher
zwei Secretionssteigerungen eintreten: die erste unmittelbar nach der Speise-
einnahme, die zweite zwischen der 12.-—16. Verdauungsstunde. Hermann’s
Handbuch, a. a. O. p. 271.
Vergleichend-histochemische Untersuchungen über das Glycogen. 377
Versuche (am Kaninchen) den unumstösslichen Beweis liefern, dass
das Maximum der Glycogenaufspeicherung erst zwischen der 16.
bis 20. Stunde erreicht wird, so kann es wohl keinem Zweifel
unterliegen, dass die Seeretion der Galle vor der Aufspeicherung
des Glycogens ihr Maximum erreicht, dass sich also im Cyelus
der Verdauung die Verhältnisse des foetalen Lebens wiederholen.
3. Aus den Untersuchungen von v. Wittich und Külz
und Freriechs geht hervor, dass die Unterbindung des
Duetus choledochus die Bildung des Glycogens ver-
mindert.
Für die Erklärung dieser Thatsache zieht v. Wittich zwei
Möglichkeiten heran: „l) Das von der Leber fortprodueirte Gly-
cogen wird durch das Ferment der stauenden Galle schneller als
sewöhnlich in Zucker umgewandelt und mit dem Blute fortgeführt;
dafür spricht das unzweifelhafte Auftreten von Zucker im Harn.
Oder 2) die in ihrer Secretion unterbrochene Leber produeirt über-
haupt kein Glyeogen mehr, das in ihr vorhandene wird noch ver-
werthet“ (p. 293).
Külz und Frerichs, die die Versuchsresultate v. Wittich’s
sonst vollauf bestätigten, fanden indessen keinen Zucker im
Harn und da die zweite Mögliehkeit — auch nach v. Wittich’s
Ansicht — am leichtesten die Erfahrung Wikham Legg’s (Un-
wirksamkeit der Pigüre nach Unterbindung des Ductus chole-
dochus) erkläre, so neigen sie mehr zum zweiten Erklärungs-
versuch.
Der Ausdruck v. Wittich’s aber, dass die Leber in ihrer
„Secretion“ unterbrochen sei, bedarf doch einer genaueren Er--
klärung. Unterbrochen ist nur der Abfluss des Secrets
nach dem Darm, die „Secretion“ im engern Sinne aber, d. h.
die secernirende Thätigkeit der Leberzellen geht wei-
ter vor sich. Das beweist das nach der Operation beobachtete
Vorkommen von Gallenfarbstoffen und Gallensäuren im Blut, die
in den Leberzellen produeirt!) von dort in die Gallencapillaren
abgesondert und im Bereich der interlobulären Gallengänge
resorbirt werden.
Dabei findet ein direeter Uebergang der Gallenstoffe in
die Blutgefässe der Leber nicht statt, sondern die Aufsaugung
1) Siehe darüber Heidenhain, Hermann’s Handbuch a. a. O. p. 233.
378 Dietrich Barfurth:
geschieht nach Heidenhain (a. a. 0. p. 278) so, „dass die dureh
die Wandung der interlobulären Gallenwege filtrirende Galle in die
perivasculären Lymphbahnen und aus diesen in die grossen Lymph-
gefässe des Hilus gelangt‘.
4. In der Gastropodenleber findet man deutliche Anzeichen
für einen Zusammenhang zwischen Secretion und Aufspeicherung
oder vielmehr Nichtaufspeicherung des Glycogens; denn die
Seeretion — das mag schon hier gesagt sein — verhindert zu-
nächst die Aufstapelung des Glycogens, weil wahr-
scheinlieh bei der Arbeit der Drüse Glycogen verbraucht
wird. In den Follikelzellen der Helixleber findet unter normalen
Umständen, wie oben gezeigt wurde, überhaupt keine Ansammlung
von Glycogen statt. Nur bei sehr reichlicher Zufuhr von Nähr-
stoffen (Zucker) sieht man im Basaltheil der Zellen feine Streifen
und kleine Klümpchen von Glycogen; der obere Theil der Zellen
aber, in dem hauptsächlich gearbeitet, secernirt | wird, ist stets
slycogenfrei; ebenso fand ich in den Secretionsbläschen
der Ferment- und Leberzellen niemals Glycogen.
Etwas anders verhält sich die Limaxleber, bei welcher aus
Mangel an geeigneten Ablagerungsstätten (Bindesubstanzzellen) sehr
bald das Epithel der Leber selber zur Aufspeicherung des Gly-
cogens in Anspruch genommen wird. Aber auch hier bleiben unter
gewöhnlichen Verhältnissen die Secretbläschen stets gly-
cogenfrei. Nur nach sehr reichlicher Zufubr, wenn mehr Gly-
cogen abgelagert wird, als verbraucht werden kann, findet man
geringe Mengen von Glycogen auch in den Secretbläschen der
Leberzellen !).
5. Claude Bernard?) hat die auffallende Thatsache fest-
gestellt, dass in manchen foetalen Drüsen (Parotis, Pankreas,
Leber, Niere) zwar das eigentliche Drüsenparenchym glycogen-
frei, das Epithel der Ausführungsgänge aber stark glycogen-
haltig ist. Bernard sieht darin einen Beweis, dass dieses Epi-
thel in der That eine Fortsetzung der (glyeogenhaltigen) Mucosa
1) Ob auch in denen der Fermentzellen, habe ich noch nicht mit Sicher-
heit entscheiden können. In allen Fällen wird das Glycogen in den ausge-
stossenen Secretbläschen durch das vorhandene Ferment sehr schnell saccha-
rifieirt, weshalb die Bläschen, die man in den grösseren Ausführungs-
gängen findet, stets glycogenfrei sind.
2) De la matiere glycogene etc. p. 331.
Vergleichend-histochemische Untersuchungen über das Glycogen. 379
(des Traectus intestinalis) ist, lässt aber ausser Acht, dass das im
morphologischen Sinne auch vom Drüsenepithel selber gilt. Da
ich nun ausserdem bei Limax und Helix oft gefunden habe, dass
das Epithel der Leberausführungsgänge schon glycogen-
haltig war, während das Leberepithel und das Darmepithel
noch keine Spur von Glycogen enthielt, so erkläre ich mir den
Bernard’schen und meinen Befund daraus, dass in dem leb-
haft thätigen Drüsenepithel Glycogen verbraucht und
deshalb eine Aufspeicherung unmöglich wird, während das
passive Epithel der Ausführungsgänge Glycogen auf-
stapelt.
Hier wird man vielleicht den Einwand erheben: Aber die
foetalen Drüsen funetioniren ja gar nicht! Dieser Einwand ist
durch die Untersuchungen von Krukenberg!) und Langen-
dorff?) beseitigt, die gezeigt haben, dass Magendrüsen, Pankreas
und Speicheldrüsen schon in einer sehr frühen Periode des foetalen
Lebens zu funetioniren beginnen, obgleich die Seerete noch keine
Verwendung finden können. Dass die embryonale Leber trotz
ihrer Secretionsthätigkeit Glycogen enthält, hängt mit ihrer in
dieser Beziehung exceptionellen Stellung überhaupt zusammen und
liegt daran, dass hier die Bildung des Glyeogens den Verbrauch
übertrifft.
Es sei hier daran erinnert, dass Ehrlich in der Niere’ er-
wachsener Säugethiere (Kaninchen, Meerschweinchen, Mäusen)
eine ganz analoge Vertheilung des Glycogens feststellte: das eigent-
liche Nierenparenehym enthielt kein Glycogen, während es im
Epithel des Nierenbeckens und in den Anfängen der Sam-
melröhren leicht nachzuweisen war.
Auch in anderen Drüsen der Gastropoden findet man die be-
merkenswerthe Thatsache, dass das Glyecogen in den mehr passi-
ven Theilen der Drüsenelemente vorhanden ist, in den Theilen
aber, die die stärkste chemische Arbeit leisten, fehlt. So findet
sich das Glycogen in denjenigen Partien der Nierenzellen, die das
Secretbläschen (Vacuole) umgeben, niemals aber in letzterem
1) Krukenberg, Zur Verdauung bei den Fischen. Untersuchungen
des physiol. Instituts der Univers. Heidelberg. Bd. I. H. 4. p. 396, 397.
2) Langendorff, Ueber die Entstehung der Verdauungsfermente
beim Embryo. Archiv f. Anat. u. Physiol. 1879. Physiol, Abtheilg. $. 95 ff.
380 Dietrich Barfurth:
selber. Man findet es im untersten Abschnitt der Schleimdrüsen
in Haut und Mantel, nicht aber im obern, vorzugsweise secerni-
renden Theil.
7. Külz!) hat die Leber gut genährter Hunde dadurch
glycogenfrei gemacht, dass er die Thiere 5—7 Stunden lang
einen beladenen Wagen ziehen liess. Er sagt: „Die Versuche zei-
gen übereinstimmend, wie mächtig der Leberstoffwechsel durch
angestrengte Körperbewegung angeregt wird“ (p. 45). Die wesent-
lichste Leistung des Leberstoffwechsels ist ohne Zweifel die Bil-
dung der Galle und diese ist demgemäss mit einem Verbrauch
von Glycogen verbunden. Es liegen freilich keine bestimmten
Angaben darüber vor, ob starke Körperbewegung die Gallen-
secretion steigert und man könnte das Ergebniss dieser Ver-
suche auch auf einen Glycogenverbrauchin den angestrengt
thätigen Muskeln unter Voraussetzung einer Wanderung
des Glycogens?) zurückführen. Immerhin ist; es aber wahr-
scheinlich, dass die gesteigerte specifische Thätigkeit der Leber
mit einem stärkeren Verbrauch von Glycogen Hand in Hand geht.
8. Denn es ist bekannt, dass in thätigen Drüsen sich
lebhafte chemische Prozesse abspielen. Bernard?) und
Ludwig*) wiesen nach, dass mit der Drüsenthätigkeit eine be-
deutende Temperaturerhöhung verbunden ist, Heidenhain?) zeigte,
dass die Unterkieferdrüse des Hundes nach anhaltender Thätigkeit
an Wasser reicher, an festen Stoffen ärmer wird und Pflüger)
bewies durch seine Gasbestimmungen der Secrete, dass die Se-
cretion eine lebhafte Bildung von Kohlensäure zur Folge
nat. Die Ursache für die zugleich gefundene Sauerstoffarmuth
der Secrete sieht Pflüger”) im lebendigen Epithel der
Drüsen.
1) Külz, Ueber den Einfluss angestrengter Körperbewegung auf den
Glycogengehalt der Leber. Pflüger’s Archiv. 24. Bd. p. 41 ff.
2) In diesem Sinne äusserte ich mich in der Sitzung der Niederrhei-
nischen Gesellschaft ete. am 19. Jan. d. J.
3) Claude Bernard, Comptes rendus XLIII. 1856. p. 337 u. 339.
4) C. Ludwig und A. Spiess, Sitzungsber. d. Wien. Acad., mat.-nat.
Classe XXV. 1857. p. 584 ff.
5) Heidenhain, Studien d. physiol. Inst. zu Breslau IV. 1868. p.5t, 66.
6) Die Gase des Speichels. Pflüger’s Archiv. 1. Bd. 1868. p. 686 fl.
Die Gase der Seerete. Ebenda. 2. Bd. 1869. p. 156 ff.
7) Pflüger’s Archiv. 2. Bd. 1869. p. 177.
Vergleichend-histochemische Untersuchungen über das Glyeogen. 381
Es findet also in den arbeitenden Drüsenzellen ohne Zweifel
eine stärkere Zersetzung gewisser complieirter Substanzen statt,
und ebenso darf man annehmen, dass mehr Glycogen als sonst
zur „negeneration von Eiweissmolekülen“ (Pflüger!)) ver-
braucht wird.
Hierin sehe ich den Grund, dass im arbeitenden Drüsen-
epithel eine Glycogenansammlung gar nicht oder nur in geringem
Masse stattfindet, dass die Secretbläschen glycogenfrei sind u.s. w.
Ich gehe nun dazu über, die Ansichten einiger früheren
Autoren über einen etwaigen Zusammenhang zwischen Secretion
und Glycogenbildung zu erörtern und die gegen die Annahme eines
Zusammenhangs erhobenen Einwände zu erwägen.
Fast alle neigen zu der Auffassung, dass eine Beziehung
zwischen Glycogen- und Gallebildung in der Säugethierleber be-
steht, sprechen sich aber nachher auf Grund schwerwiegender Be-
denken gegen eine solche aus.
Kühne?) sieht mit Recht einen wichtigen Grund für die
Annahme einer Beziehung zwischen Glycogenie und Gallebereitung
in der Thatsache, dass das Blut je eines Gefässsystems (Leber-
arterie und Pfortader) sowohl der Zuekerbildung, wie der
Gallebildung vorstehen zu können scheint — trotzdem hält er
es nicht für unwahrscheinlich, dass diese beiden Prozesse un-
abhängig von einander ablaufen können.
Langley?°) findet, dass eine Zunahme von Gallenstoffen
(oder ihren Vorstufen) in den Leberzellen Hand in Hand geht mit
einer Abnahme des Glycogens und umgekehrt; da aber „a cer-
tain amount of variation in the one may take place without any
variation or any corresponding variation in the other“, so betrach-
tet er die Bildung der Gallenstoffgranula und die des Glycogens
als von einander unabhängige Vorgänge.
Wundt®) sagt: „Die... Entstehung der Gallenfarbstoffe (aus
dem Haemoglobin der in der Leber zerfallenden rothen Blut-
l) Ueber die physiologische Verbrennung in den lebendigen Organismen.
Pflüger’s Archiv. 10. Bd. 1875. p. 251 ff. (p. 331).
2) Kühne, Lehrbuch der physiologischen Chemie. Leipzig 1868.
p- 94, 9.
3) Langley, a. a. OÖ. p. 24 (Proceed. of the r. s. of London. Vol. 34.)
4) Wundt, Lehrbuch der Physiologie des Menschen. 3. Auflage. 1873.
p- 347.
382 Dietrich Barfurth:
körperchen, Ref.) insbesondere aber das reichliche Auftreten N-hal-
tiger Zersetzungsproduete im Lebergewebe, von Harnstoff in der
Säugethier-, von Harnsäure in der Vogelleber (Meissner) lässt
vermuthen, dass das Glycogen aus einer Spaltung N-haltiger Ge-
websstoffe seinen Ursprung nimmt; die Zunahme des Leber-
slyeogens bei der Zufuhr von Kohlehydraten in der Nahrung kann
unter dieser Voraussetzung nur aus der in solchem Fall eintreten-
den Verbrauchsersparniss erklärt werden‘“ Wundt setzt also als
gemeinsamen Ursprung der Gallenstoffe und des Glycogens offen-
bar den Zerfall von Eiweissmoleeülen voraus. 4
Heidenhain!), unsere erste Autorität in den die Seeretion
betreffenden Dingen, neigt entschieden zu der Annahme eines Zu--
sammenhangs zwischen Glycogenie und Gallenbildung. Er sagt
zwar zunächst: „Einen innern Zusammenhang zwischen Gallen-
absonderung und Glycogenbildung vorauszusetzen liegt bis jetzt
kein sicherer Anhalt vor, da ja die Gallenseceretion bis zum Hunger-
tode fortwährt, während die Glycogenbildung bei längerer Nahrungs-
entziehung erlischt.“ Darauf fährt er aber fort: „Doch wird
wohl nicht bloss mir die Vorstellung schwierig erschei-
nen, dass in derselben Zelle zwei chemische Prozesse
neben einander herlaufen sollten, ohne mit einander in
Beziehung zu stehen.“ .
Heidenhain’s Schüler, Afanassiew°) hat dann später bei
seinen Untersuehungen über die Veränderungen der Leber wäh-
rend verschiedener Thätigkeitszustände die Erfahrung benutzt, dass
durch Einfuhr gewisser Nährstoffe (Kartoffeln, Zucker) die Gly-
eogenaufhäufung ausserordentlich gesteigert werden kann, wäh-
rend die Gallenseceretion gering ist, und dass umgekehrt nach .ge-
wissen Operationen (Durchschneidung der Lebernerven mit oder
ohne nachfolgende Injection von Pilocarpin, Vergiftung mit Toluy-
lendiamin) die Gallenbildung sehr stark zunimmt, während die
Aufstapelung des Glycogens gering ist. Was den Ort der Fabri-
cation anbetrifft, so kommt Afanassiew zu dem Ergebniss, „dass
an der Glycogen-, wie an der Gallenbildung sich die Gesammt-
heit der Leberzellen innerhalb der Läppchen betheiligt“ (p. 434).
1) Heidenhain, Hermann’s Handbuch, a. a. O. p. 273.
2) Afanassiew, a. a. O. p. 385 ff. (Pflüger’s Archiv. 30. Bd.).
Vergleichend-histochemische Untersuchungen über das Glycogen. 383
Damit ist natürlich nicht gesagt, dass alle Zellen und alle
Partien der Zelle gleichzeitig!) arbeiten.
Sehen wir uns jetzt die Einwände an, die von den Autoren
gegen die Beziehung zwischen Glycogenie und Gallenbildung er-
hoben werden. Kühne?) stellt deren drei zusammen:
1) Die Maxima der beiden Processe fallen in verschiedene
Zeiten. |
2) Gewisse Nahrungsmittel fördern die Glyeogenbildung ohne
die Gallenseeretion zu steigern und umgekehit.
3) Es gibt Thiere, bei welchen die beiden Processe auf ver-
schiedene grob getrennte Organe vertheilt sind.
Hierzu kommt der Einwand Heidenhain’s:?)
4) Die Gallenseeretion währt bis zum Hungertode fort, wäh-
rend die Glyeogenbildung bei längerer Nahrungsentziehung er-
lischt.
Diesen Einwänden gegenüber mache ieh folgendes geltend.
Wolffberg*) hat mit Recht darauf aufmerksam gemacht, dass der
Glyeogengehalt eines Organs in dem bestimmten Moment, in
welehem wir dasselbe untersuchen, von den gegenseitigen Be-
ziehungen zwischen der Bildung und der Zerstörung des Glyeo-
sens abhängig ist. „Man darf daher aus der Abwesenheit
des Glycogens nicht schliessen, dass keins gebildet
wurde“ (p. 274). Es kann in der That nicht genug hervorge-
hoben werden, dass alles Glycogen, welches wir in den Organen
finden, nur das aufgestapelte zum Reservematerial be-
stimmte Glyeogen ist, während die viel grössere Quantität des
wirklich gebildeten Glycogens unserer Schätzang entgeht. Auch
Külz°) hebt hervor, dass eine Hungerleber nur aus dem Grunde
1) Afanassiew fand zwar beim Hunde, ‚dass die Bildung des Gly-
cogens in allen Zellen des Läppchens mehr minder gleichmässig geschieht“
(p. 400). In der Kaninchenleber ist das aber sicher nicht der Fall, wenig-
stens ist die Aufspeicherung des Glycogens sehr ungleichmässig.
2) Kühne, a. a. O. p. 9.
3) Heidenhain, Hermann’s Handbuch a. a. O. p. 273.
4) Wolffberg, Ueber den Ursprung und die Aufspeicherung des Gly-
cogens im thierischen Organismus. Zeitschrift für Biologie. XII. Band. p. 266 ff.
Schon früher hatte Tscherinow solchen Erwägungen Ausdruck gegeben
(Zur Lehre von dem Diabetes mellitus. Virehow’s Archiv. 47. Bd. 1869.
p. 102 ff. [p. 117, 118]).
5) Külz, Beiträge zur Lehre von der Glycogenbildung in der Leber.
384 Dietrich Barfurth:
sehr geringe Glycogenmengen enthält, weil Bildung und Ver-
brauch derartig Hand in Hand gehen, dass die Leber
nur Spuren von Glycogen enthält. Wenn also die Gallen-
bildung bis zum Hungertode fortwährt, so kann recht wohl auch
die Glycogenbildung ununterbrochen vor sich gehen, ohne dass
das gebildete und sofort wieder verbrauchte Glycogen in die Er-
scheinung tritt. Dies gegen den vierten Einwand (Heidenhain).
In Bezug auf die Kühne’schen Sätze bemerke ich folgendes:
Ad 1. Die Bildung beider Substanzen, der Galle und des
Glyeogens, kann sehr wohl von demselben Processe (Zersetzung
von Eiweisskörpern !)) ausgehen, obne dass die Maxima der Bil-
dung, bezw. Anhäufung zusammenfallen. Es muss betont wer-
den, dass die Bildung beider Stoffe ganz gleichmässig vor sich
gehen kann, dass aber die Ansammlung des Glycogens zu-
erst von der durch geeignete Zufuhr ermöglichten Ver-
brauchsersparniss und dann vom Verbrauch selber ab-
hängig ist. Es ist nun nicht nur wahrscheinlich, sondern so gut
wie sicher, dass das zuerst gebildete Glycogen grösstentheils
sofort verbraucht wird, entweder bei der Drüsenthätigkeit
speciell, oder, weil die Organe des Körpers überhaupt in Folge
der Carenz nach Kohlehydraten hungrig sind und erst ihren Be-
darf befriedigen, ehe es zu einer Aufstapelung des Glycogens
kommen kann. Vielleicht, ja sogar wahrscheinlich wirken beide
Pflüger’s Archiv. 24. Bd. p. 7. Anm. I. Man vgl. auch: Boehm und Hoff-
mann, Arch. f. exp. Path. und Pharmak. VIII. Bd. 1878. p. 413.
l) Zur Erklärung für den Ursprung des Glycogens haben wir bekannt-
lich zwei Hypothesen, die man mit Luchsinger (Pflüger’s Archiv. 8. Bd.
p. 289) als die der Anhydridbildung und die Ersparnisstheorie be-
zeichnet. Nach der ersteren entsteht das Glycogen durch einen ätherartigen
Process aus Zuckermolekülen (Anhydridbildung), nach der letzteren als Spal-
tungsproduct bei der Zersetzung von Eiweitsmolekülen der lebendigen Zellen.
Ich stelle mich hier und in den folgenden Erörterungen auf den Boden der
Ersparnisstheorie, weil sie nach meiner Ansicht die Thatsachen am ein-
fachsten erklärt; meine Gründe werde ich später im Zusammenhange angeben.
— Das Historische über die genannten Hypothesen sehe man bei Luch-
singer, Wolffberg, Maydl (Ueber die Abstammung des Glycogens. Zeit-
schrift f. physiol. Chemie. 3. Bd. 15879.) u. a. Den Grundgedanken der Er-
sparnisstheorie hat schon Tscherinow (Virchow’s Archiv. 47. Bd. 1869.
p. 102 ff. (p. 116). Es ist das Verdienst Wolffberg’s, die Prineipien der
Ersparnisstheorie klar dargestellt und zur Geltung gebracht zu haben.
Vergleichend-histochemische Untersuchungen über das Glycogen. 385
Factoren zusammen. Daraus würde sich leicht erklären, dass das
Maximum der Glycogenanhäufung erst eintritt, wenn das Maximum
der Gallenbildung überschritten, also die Drüse ruhiger geworden ist.
Ad 2. Diejenigen Nahrungsmittel, die die Gallenbildung
steigern, ohne die Glyeogenansammlung zu vermehren — Eiweiss-
körper — können nach der Ersparnisstheorie keine Verbrauchs-
ersparniss an Kohlehydraten, also keine oder nur geringe Gly-
cogenaufspeicherung bewirken; dass die andern Mittel, durch
die eine Steigerung der Gallenbildung erzielt wird — Nervendurch-
schneidung, Vergiftung mit Toluylendiamin — keine Ansammlung
von Glycogen ermöglichen, ist selbstverständlich.
Diejenigen Nahrungsmittel aber, die die umgekehrte Wir-
kung haben — Kohlehydrate —, vermögen eine so grosse Erspar-
niss und Anhäufung von Glycogen herbeizuführen, dass die Gallen-
bildung dagegen ganz zurücktreten kann. Der ganze Einwand
müsste nur dann als schlagend anerkannt werden, wenn man den
Nachweis führen könnte, dass bei gleichzeitiger Glyeogen-
aufstapelung in der Leber die Gallenbildung ganz auf-
gehört hätte. Dieser Beweis kann aber nicht — nicht einmal
durch Injection von Kohlehydraten in’s Blut! — geliefert werden,
denn „die Galle wird stetig und jedenfalls ohne alle
längere Unterbrechung abgesondert“ (Heidenhain, Her-
mann’s Handbuch, a. a. O. p. 251).
Ad 3. Hierher gehört die Angabe Bernard’s, dass die
Gastropodenleber eine anatomische Trennung in einen foie biliaire
und einen foie glycogenique aufweise. Ich habe oben den Nach-
weis geführt, dass diese Trennung nur unter gewissen physiolo-
gischen Bedingungen scheinbar berechtigt ist, dass aber in Wirk-
lichkeit das Leberepithel beide Funetionen versieht.
Kühne sagt ferner: „Bei den Artieulaten und bei fast allen
Inseeten enthalten die blinddarmförmigen Anhänge am Ende des
Magens eine bittere und meist gefärbte Flüssigkeit, aber keine Spur
von Zucker, dagegen finden sieh in den Darmwänden dieser Thiere
den Leberzellen sehr ähnliche Gebilde, welche reich an Zucker
sind.“ Da ich hierüber keine eigenen Erfahrungen habe, auch
andere Autoren, soviel ich sehe, diese Dinge nicht berücksichtigt
haben, so nehme ich von einer Erörterung dieses Einwandes Ab-
stand, erkenne also an, dass diese Thatsache als Analogie gegen
meine Auffassung verwerthet werden kann.
386 Dietrich Barfurth:
Aus meinen obigen Mittheilungen ziehe ich den Schluss, dass
die Annahme einer Beziehung zwischen Secretion und Glyeogen-
bildung, bezw. -aufspeicherung durch gute Gründe gestützt ist.
Dieser Beziehung gebe ich folgenden Ausdruck :
1) Es ist wahrscheinlich, dass Glycogen in Drüsen als Neben-
product bei der Bildung der Secretstoffe (Muein, Gallenstoffe) aus
Eiweissmoleeülen oder noch eomplieirteren Substanzen entsteht.
2) Es ist wahrscheinlich, dass bei der Drüsenthätigkeit Gly-
cogen zur Regeneration von Eiweissmolekülen und durch stärkere
Oxydation verbraucht wird.
VI. Die Aufspeichernng des Glyecogens in den Geweben
des Frosehes nach dem Winterschlaf.
„Da die Prineipien des Lebens bei allen Thieren dieselben
sind und bei den Amphibien wegen der grossen Langsamkeit aller
Stadien der verschiedenen Stoffmetamorphosen das Studium sehr
erleichtert ist“, wie Pflüger!) mit Recht hervorhebt, so durfte
man voraussetzen, dass auch Untersuchungen über das Glycogen
bei diesen Thieren in mancher Beziehung lehrreich sein mussten.
Das beweisen in der That die Arbeiten von Luchsinger, Külaz,
Ehrlich u. a., die zum grössten Theil schon früher besprochen
wurden. Aus den Angaben Luchsinger’s?) sind folgende an
diesem Ort von besonderm Interesse: Aus der Froschleber schwin-
det im Sommer .,„das Glyeogen bei völligem Hunger nach 3—6
Wochen, während Winterfrösche solches erst gegen Frühjahr bis
auf Spuren verlieren.“ „Mitte November fand ich in der Leber
eines grossen Frosches eine halbe Stunde nach der Tödtung noch
0,32 8, in jener eines andern 0,27 g; 2 Frösche von demselben
Fange, im Laboratorium aufbewahrt, enthielten Ende December
noch 0,19 und 0,228.“ Aus den Muskeln schwindet das Glycogen
im Winter „schon nach wenigen Wochen, wenn nicht ganz, so doch
1) Pflüger, Ueber die physiologische Verbrennung in den lebendigen
Organismen. Pflüger’s Archiv. 10. Bd. 1875. p. 251 ff. (p. 313).
2) Luchsinger, Zur Physiologie und Pathologie des Glycogens. Dis-
sertation. Zürich. 1875. p. 18 u. 20.
Vergleichend-histochemische Untersuchungen über das Glycogan. 8387
bis auf äusserst geringe Spuren, was für die Leber bekanntlich
nicht gilt. Im Sommer ist auch hier der Schwund beträchtlich
rascher.“ Ich kann die Erfahrungen Luchsinger’s lediglich be-
stätigen und noch zufügen, dass ich im Mai d. J. in Leber und
Muskeln zahlreicher abgelaichter und nicht abgelaichter Frösche
und Kröten keine Spur von Glycogen fand. Demnach finde ich
es mit Külz!) weit natürlicher, „das Leberglycogen der Winter-
schläfer nicht als neugebildet (aus Eiweiss oder Fett während der
Abstinenz, Ref.), sondern als Rest von dem Glycogen aufzufassen,
welches die Thiere beim Beginn des Winterschlafes haben.“ Sehon
Luchsinger hatte sich in demselben Sinne geäussert: „Die That-
sache des langsamen Verbrauchs von Glyeogen bei Win-
terfröschen findet ihr Analogon an dem Warmblüter im
Winterschlaf“ (p. 19).
Es ist nun sehr interessant, dass die Thatsache des lang-
samen Verbrauchs ein Analogon in der Thatsache der lang-
samen Aufspeicherung des Glyeogens beim Frosch hat. Ich
habe darüber folgende Erfahrungen gemacht.
Als ich durch meine Versuche an Gastropoden gefunden
hatte, dass unsere einheimischen Schnecken ein geradezu klassi-
sches Objeet für Glycogenstudien abgeben, dachte ich, es möchten
auch die kaltblütigen Wirbelthiere aus dem von Pflüger ange-
gebenen Grunde sich besser zu solchen Untersuchungen eignen,
als die Warmblüter. Ich stellte desshalb im December 1884 einige
Versuche mit Winterfröschen an. Leber und Muskeln dieser Thiere -
enthielten noch grosse Mengen von Glycogen. Ich glaubte deshalb,
es müsse um so leichter gelingen, durch Fütterung dieses Gly-
cogen zu vermehren, bezw. es in andern Organen zur Aufstape-
lung zu bringen.
1. Versuch. 4./12. 84. Rana esculenta, aus dem Schlamm geholt.
Grosses Thier, Fettkörper stark. In der Leber sehr viel Glycogen, in den
Muskeln der vordern und hintern Extremitäten und des Rückens wenig.
Merkwürdigerweise enthalten einige Muskelfasern Glycogen, andere dicht da-
neben liegende nichts. Alle andern untersuchten Organe: Zunge, Herz,
Knorpel vom Femur und Fuss, Niere, Hoden, Fettkörper, Magen, Darm, Ge-
hirn, Rückenmark, Ischiadicus, Milz, Lunge — waren glycogenfrei.
2. Versuch. 5./12. 84. Einer andern Rana esculenta, an demselben
1) Külz, Ueber den Glycogengehalt der Leber winterschlafender Mur-
melthiere ete. Pflüger’s Archiv. 24. Bd. 1881. p. 74 ff. (p. 80).
Archiv f. mikrosk. Anatomie, Bd. 25: 97
388 Dietrich Barfurth:
Tage gefangen, ebenfalls gross, stopfte ich eine ganze Oberschenkelmusku-
latur des oben erwähnten Frosches ein und tödtete das Thier nach 24 Stunden.
Bei der Untersuchung fand sich viel Glycogen in der Leber, weniger in den
Muskeln, gar nichts im Darm, Gehirn, Rückenmark, Ischiadicus, Eierstock,
Niere, Herz, Zunge, Gelenkknorpel, Milz, Lunge.
3. Versuch. 6,./12. 84. Eine Rana esculenta wurde zwei Tage lang
in der oben angeführten Weise mit Fleisch gefüttert, so dass das Thier alle
24 Stunden eine Oberschenkelmuskulatur eines andern Frosches bekam. Nach
48 Stunden wurde das Thier getödtet; es fand sich noch unverdautes Fleisch
im Magen vor. Leber und Muskeln enthielten Glycogen, aber kein anderes
Organ wies eine Spur davon auf.
Es war also durch diese Fütterungsversuche nichts erzielt
worden; ich war geneigt, die Ursache in der Jahreszeit, in der
geringen Verdauungskraft der Thiere im Winter, zu suchen und
verfolgte die Sache damals nicht weiter.
Ich hatte nun ferner bei Weinbergschnecken, die aus langem
Winterschlaf erweckt und mit Brot gefüttert wurden, gefunden,
dass sich nach 24 Stunden nicht immer Glycogen in Leber und
andern Organen abgelagert hatte. Da solche Thiere, wie ich
oben berichtet habe, zuerst wenig fressen, so war es möglich,
dass die Menge der eingeführten Kohlehydrate nicht ausreichte,
um eine Aufspeicherung von Glycogen zu bewirken; es war aber
auch möglich, dass nach der langen Fastenzeit das gebildete Gly-
cogen von den nach Kohlehydraten hungrigen Geweben sämmtlich
aufgebraucht wurde. Ich beschloss desshalb durch systematische
Versuche an Fröschen mehr Klarheit in diese Sache zu bringen.
| Die Versuche wurden am 18. Mai d. J. an einer Anzahl von
Fröschen und Kröten, abgelaichten und nicht abgelaichten, unter-
nommen. Alle Thiere hatten im Aquarium unseres Instituts über-
wintert, vor Beginn der Versuche nichts gefressen und waren, wie
die Untersuchung mehrerer Exemplare bewies, glycogenfrei.
Da es möglich war, dass mir bei meinen früheren Versuchen das
Optimum der Glycogenbildung entgangen und deshalb überhaupt
kein Glycogen zu Gesicht gekommen war, so untersuchte ich zu-
erst eine Anzahl von Thieren nach einer einzigen, allerdings
reichlichen Fütterung in verschiedenen Zeiten nach Aufnahme
der Nahrung. Die Fütterung bestand bei allen in zwei grossen
Kaulquappen, deren Muskulatur und Leber!) grosse Mengen von
1) Die Leber der Kaulquappen enthält, wie die der Säugethiere, erst
von einem gewissen Stadium der Entwicklung an Glycogen. Das Stadium
Vergleichend-histochemische Untersuchungen über das Glycogen. 389
Glycogen enthielten. Ausserdem bekam jedes Thier aufgeweichtes
Weissbrod im Volum einer Kirsche, oder einige Stückchen Zucker
im Gewicht von 0,4-—0,6.
4. Versuch. 18. Mai 1855. Eine abgelaichte männliche Rana tempo-
raria wurde in der oben beschriebenen Weise gefüttert und nach 19 Stun-
den getödtet. Der Magen ist noch mit Resten der Nahrung reichlich ver-
sehen, die Gallenblase enthält ziemlich viel grasgrüne Galle. In den die Leber-
schläuche umgebenden Gefässen und Capillaren sieht man massenhaft rothe
Blutkörperchen I). Leber glycogenfrei.
5. Versuch. 19. Mai. Rana esculenta, nicht abgelaichtes Weibchen;
Fütterung wie oben. Untersuchung nach 50 Stunden. Magen leer; Gallen-
hlase gross, voll grasgrüner Galle. In den Capillaren der Leber weniger rothe
Blutkörperchen; Leber glycogenfrei.
6. Versuch. 20. Mai. Rana esculenta, nicht abgelaichtes Weibchen;
nach 21 Stunden untersucht. Leber glycogenfrei.
7. Versuch. 21. Mai. Rana esculenta, wie oben. Nach 39 Stun-
den untersucht. Gallenblase sehr gross, voll eingedickter grüner Galle; Ma-
gen leer. Leberschläuche sehr gut hervortretend, in den Capillaren ziemlich
viele rothe Blutkörperchen. Leber glycogenfrei.
Aus diesen Versuchen musste ich schliessen, dass eine ein-
malige, selbst reichliche Fütterung unter den obwaltenden Um-
ständen eine Glyeogenaufspeicherung überhaupt nicht herbeiführen
konnte. Ich dehnte deshalb die Fütterungszeit aus.
8. Versuch. 9. Juni 1885. : Bufo einereus, kräftig, mit fester Musku-
latur, nicht abgelaichtes Weibehen. 8 Tage lang jeden Abend wie oben
gefüttert; dann getödtet. Gallenblase sehr stark erweitert und prall mit
grüner Galle gefüllt. Leber und Muskeln glycogenfrei.
9. Versuch. 10. Juni 1885. Rana esculenta, abgelaichtes Männchen.
10 Tage lang jeden Abend wie oben gefüttert, dann getödtet und unter-
sucht. Leber glycogenfrei.
tritt ein, wenn die Gallenblase sich mit grüner Galle füllt, wenn also die
Secretion hegonnen hat. Die Leberzellen der Kaulquappen enthalten nament-
lich vor der Secretion grosse Mengen von Fett. Ich wurde bei diesem Be-
fund an die Angabe Leydig’s über Paludina erinnert: „Die Leber des Em-
bryo besteht, ehe die Gallenabsonderung eintritt, aus Fettzellen, die einzelne,
grössere und kleinere Fettkörperchen als Inhalt besitzen; letztere wandeln
sich in helle, farblose Bläschen um und färben sich gelb, d. h. sie bilden
Galle“ u. s. w. Fürwahr eine merkwürdige Uebereinstimmung! Leydig
Ueber Paludina. Zeitschr. f. w. Zool. 2. Bd. 1850. p. 125 ff. (p. 168).
1) An vielen Stellen glaube ich einen Zerfall derselben gesehen zu
haben; ich drücke mich vorsichtig aus, weil die Art der Präparation die Be-
obachtung nach dieser Richtung hin sehr schwierig macht,
390 Dietrich Barfurth:
Selbst eine so lange dauernde Fütterung hatte keine Aufspeiche-
rung des Glycogens zur Folge. Ich beschloss jetzt die Fütterung noch
einmal längere Zeit hindurch fortzusetzen und dann plötzlich zu
verstärken.
10. Versuch. 15. Juni 1885. Rana esculenta, nicht abgelaichtes Weib-
chen. 8 Tage lang Fütterung wie oben, dabei abwechselnd Brot und Zucker.
Am 15. Morgens 7 Uhr zwei Kaulquappen mit Brot, am 13. Abends 7 Uhr
2 Kaulquappen mit Zucker, am 14. Morgeus 7 Uhr wieder 2 Kaulquappen
mit Brot. Am 15. Morgens 9 Uhr, also 26 Std. nach der letzten Fütterung
wurde das Thier getödtet. Magen und Dünndarm leer, Dickdarm und Kloake
mit Nahrungsresten vollgepropft. Gallenblase gross, prall; Leber nicht gross,
ziemlich schlaff. Bei der mikrochemischen Untersuchung ergibt sich, dass
die Leberzellen sehr glycogenreich sind; das Glycogen findet sich vor-
zugsweise in der Basis der Zellen, also in dem vom Innern der Leber-
schläuche abgewandten Theil. Die Muskeln der Extremitäten und des
Bauches, sowie die der-Zunge und des Herzens sind ganz mit Glycogen
infiltrirt. Querschnitte des Duodenums zeigen das Glycogen in der Mus-
eularis und im Epithel der Brunner’schen Drüsen; auch das Epithel des Py-
lorus enthält Spuren von Glycogen; ebenso das Epithel der Zungenschleim-
drüsen.
11. Versuch. 18. Juni 1885. Rana esculenta, nicht abgelaichtes Weib-
chen; 8 Tage lang Fütterung wie oben; dann 2 Tage lang alle 12 Stunden
mit je 2 Kaulquappen und Weissbrot gefüttert. 12 Stunden nach der letzten
Fütterung getödtet. Magen voll, Dünndarm enthält wenig Chymus, Dick-
darm prall gefüllt. Leber klein, Gallenblase klein, mit grüner eingedickter
Galle. Bei der Untersuchung fand sich Glycogen in der Muskulatur des
Bauches, der oberen Extremität, der Blase, der Zunge, des Darmes; das
Epithel des Oesophagus, des Dünndarms und der Zungenschleimdrüsen ent-
hielt Spuren davon; die Zellen der Gelenkknorpel enthielten beträchtliche
Mengen von Glycogen.
12. Versuch. 20. Juni 1885. Rana temporaria. Abgelaichtes Weib-
chen; das Thier war bei Beginn der Fütterung ausserordentlich mager und
schlaf, so dass es beim Ergreifen niemals Fluchtversuche machte. Es
wurde 14 Tage lang alle 24 Stunden, dann 2 Tage lang alle 12 Stunden
in der oben beschriebenen Weise gefüttert. 18 Std. nach der letzten Fütte-
rung wurde der Frosch, der immer noch sehr mager war, getödtet. Der
Magen war noch gefüllt; die Gallenblase enthielt flüssige grasgrüne Galle.
Es fand sich bei der Untersuchung Glycogen in der Muskulatur der Extremi-
täten, des Bauches, der Zunge, der Blase, des Magens und des Herzens; das
Epithel der Leberschläuche war sehr reich, das des Darmes und der Zungen-
schleimdrüsen ziemlich arm an Glycogen. Sehr überraschend und neu
war es mir, die Pepsindrüsen des Magens stark glycogenhaltig
zu finden; ausserordentlich glyeogenreich aber war das Epithel
der Magenschleimhaut. (8. Fig. 4 Tafel XV.)
Vergleichend-histochemische Untersuchungen über das Glycogen. 391
Diese Versuche lehren zunächst, dass die Aufspeicherung
des Glycogens beim Frosch nach dem Winterschlaf sehr langsam
erfolgt. Ich sage absichtlich „Aufspeicherung“‘, denn ich glaube
nicht, dass jemand an einer längst vorher erfolgten Bildung
zweifeln wird; die Bildung von Glyeogen geschieht sicherlich
nach der ersten Fütterung so gut, wie nach der zwölften, aber
das gebildete Glycogen wird offenbar sofort wieder verbraucht.
Die Frage, wozu und in welcher Weise dieser Verbrauch vor sich
geht, will ich nicht erörtern, weil ich dabei in das grosse Gebiet
der Stoffwechseltheorien gerathen würde. Mir scheint aber die
Erklärung, dass in diesem Falle die eingeführten Kohlehydrate
zur „Regeneration von Eiweissmolekülen“* (Pflüger) verwandt
werden, den Thatsachen am besten und einfachsten zu genügen,
Es folgt ferner aus diesen Versuchen, dass sich durch eine
richtig angestellte und ausgiebige Fütterung beim Frosch Glycogen
in Geweben zur Aufspeicherung bringen lässt, die unter gewöhn-
lichen Verhältnissen glycogenfrei bleiben; denn die Muskelfasern
der Darm- und Blasenwand und des Herzens, die Epithelzellen
des Darmes, der Schleim- und Magendrüsen enthalten bei gewöhn-
licher Ernährung kein Glycogen.
VIII. Zusammenstellung und Besprechung der Ergebnisse.
1. „Die Funetion der Bildung des Glycogens ist eine Func-
‘tion der Zellen“ (Hoppe-Seyler); in den Säften findet sich kein
Glyeogen.
2. Das Glycogen kommt prineipiell in allen Geweben und
allen Thierklassen vor; es muss also als normales Produkt des
Stoffwechsels der Zellen angesehen werden.
3. Das Glycogen ist in den Geweben der niederen Wirbel-
thiere (Ehrlich) und der Wirbellosen weiter verbreitet als in
denen höherer Wirbelthiere.
4. Beim Säugethierfoetus findet man Glycogen in vielen
Geweben, die beim erwachsenen Thiere glyeogenfrei sind (Claude
Bernard).
5. Das Glyeogen wird unter gewöhnlichen Verhältnissen nur
in den mehr passiven Theilen der Zellen (Paraplasma, Kupffer)
abgelagert; der Zellkern ist stets glycogenfrei (Ehrlich).
392 Dietrich Barfurth:
6. Das Glyeogen ist in den Zellen als glänzende hyaline
Masse von zähflüssiger Beschaffenheit abgelagert und kann in den
verschiedensten Formen auftreten. Nach Alkoholbehandlung ge-
rinnt und schrumpft es und zeigt sich als einfache Infiltration oder
in Form von kugeligen Massen, unregelmässigen Klümpehen,
Schollen, Körnern u. s. w.
7. Glycogen lässt sich in den Zellen mikrochemisch nach
folgenden Merkmalen mit voller Sicherheit bestimmen:
a. Es färbt sich durch eine Jodlösung schnell braunroth; diese
Farbe schwindet beim Erwärmen und kehrt nach dem Er-
kalten wieder, wenn noch Jod vorhanden ist.
b. Es wird durch Alkohol aus Lösungen gefällt, also in den
Zellen niedergeschlagen.
c. Es wird durch Wasser und Glycerin und alle wasser- und
glycerinhaltigen Flüssigkeiten gelöst. |
d. Es verschwindet aus den Zellen nach längerem Hunger.
e. Es lässt stets den Zellkern frei.
8. Die Leber der Wirbelthiere hat nur insofern eine „Glyco-
genfunction“, als sie unter gewöhnlichen Verhältnissen procentisch
und absolut am meisten Glycogen aufstapelt; sie hat also vor den
übrigen Organen und Geweben keine besondere Function voraus,
sondern ist nur primus inter pares.
9. Die Leber des Kaninchens kann schon bis zu 6%, Gly-
cogen enthalten, während andere Gewebe (Muskeln, Knorpel ete.)
erst Spuren davon und wieder andere (Gehirn, Darm etc.) gar
kein Glycogen aufweisen.
10. Glycogenreiche Lebern sind grösser, schwerer, heller
und mürber als glycogenarme (Boehm und Hoffmann, Külz,
Afanassiew).
11. Die Leber der Gastropoden ist nicht nur eine Ferment-
drüse, sondern durch eine hervorragende glyeogenbildende Thätig-
keit ein Analogon der Wirbelthierleber ; die Bernard’sche Trennung
der Gastropodenleber in einen foie biliaire und einen foie glyco-
genique ist unzulässig. |
12. Bei den Gastropoden wird nach einer Fütterung das
erste Glycogen in den Zellen der Bindesubstanz (der Leber, des
Fusses etc.) aufgespeichert; diese Zellen sind überall die haupt-
sächlichsten Stapelplätze des Glycogens.
13. Nach ausgiebiger Brotfütterung findet man bei unsern
einheimischen Schnecken Glycogen in sämmtlichen Gewebsarten
und in fast allen Organen.
Vergleichend-histochemische Untersuchungen über das Glycogen. 393
14. Nach dem Winterschlaf findet in den Geweben des
Frosches eine Aufspeicherung von Glycogen selbst nach sehr
reichlieher Fütterung mit Eiweiss und Kohlehydraten zunächst
nicht statt, weil zuerst wahrscheinlich alle Kohlehydrate zur
„Regeneration von Eiweissmolekülen“ (Pflüger) in den Geweben
verbraucht werden.
15. Durch ausgiebige Fütterung, namentlich von Kohle-
hydraten, lässt sich beim Frosch eine Glycogenaufspeicherung
auch in solehen Geweben erzielen, die gewöhnlich glycogenfrei sind.
16. Es ist wahrscheinlich, dass bei Bildung der Drüsense-
erete aus Eiweissstoffen oder noch complieirteren Körpern Glyco-
gen als Nebenprodukt abgespalten, aber während der erhöhten
Thätigkeit der Drüse zugleich verbraucht wird. Die Anschoppung
des Glycogens geschieht deshalb hauptsächlich erst in der ruhben-
den Drüsenzelle.
17. Es ist wahrscheinlich, dass beim Wachsthum der Haare,
Federn, Klauen ete., d. h. bei der Bildung von Keratin aus seiner
Muttersubstanz Glycogen als Nebenprodukt abgespalten und unter
günstigen Umständen in den bei dieser Bildung betheiligten Zellen
(äussere Wurzelscheide der Haare) abgelagert wird.
18. Es ist wahrscheinlich, dass das Glycogen keine histo-
genetische Rolle spielt; sein Vorkommen bei Neubildungen erklärt
sich daraus, dass es als Nebenprodukt bei der Zersetzung complieir-
terer Substanzen (Eiweisskörper oder Hammarsten’s Proteiden)
abgespalten und unter günstigen Verhältnissen als Reservematerial
abgelagert wird. Diese Ablagerung ist von zwei veränderlichen
Faetoren abhängig, von Bildung und Verbrauch (Tscherinow
und Wolffberg).
Wer sich längere Zeit mit Arbeiten über das Glycogen be-
schäftigt hat, wird auch das Bedürfniss fühlen, zu dem Streitruf:
„Hie Zucker! Hie Eiweiss!“ Stellung zu nehmen. Nach meinen
zahlreichen Fütterungsversuchen an Wirbelthieren und Wirbellosen
habe ich, wie wohl viele Andere, lange Zeit unter dem mächtigen
Eindruck, den die Resultate der Kohlehydratfütterung bewirken,
gestanden und mich der Hypothese der Anhydridbildung zugeneigt.
Die vergleichend histochemischen und physiologischen Beobach-
tungen aber, die ich im Laufe meiner Untersuchungen machte,
394 Dietrich Barfurth:
und die sich aufzwingende Erkenntniss, dass die Ersparnisstheorie
alle Thatsachen einfacher und leichter zu erklären vermag, als
ihre Gegnerin, haben mich derselben als Anhänger zugeführt. Ich
werde versuchen, meine Anschauung namentlich durch Zusammen-
fassung der oben mitgetheilten Thatsachen zu begründen.
1. Die von zahlreichen Forschern (Claude Bernard,
Naunyn, Dock, Finn, Salomon, Luchsinger, Forster,
Wolffberg, von Mering, Külz u. a.) übereinstimmend berichtete
Thatsache, dass nach Fütterung der heterogensten Stoffe !) immer
ein und dasselbe Glycogen entsteht, hat man mit Recht als eine
sehr wichtige Stütze der Ersparnisshypothese in Anspruch ge-
nommen. Für die Entstehung des Glycogens aus zerfallenden
Eiweisskörpern oder noch complieirteren Substanzen (Hammarsten)
sprechen aber auch folgende vergleichend-histochemische Thatsachen.
2. Das Vorkommen des Glyeogens in allen Thierklassen
und allen Gewebsarten, welches direet darauf hinweist, dass
das Glycogen ein normales Stoffwechselprodukt der Zellensub-
stanz ist.
3. Die grosse Verbreitung und starke Anhäufung des Gly-
cogens in foetalen Geweben. Diese Thatsache ist bisher zu wenig
beachtet, vor allen Dingen aber nach meiner Ansicht ganz falsch
gedeutet worden. Nach Claude Bernard’sVorgang hat man dem
Auftreten des Glycogens im embryonalen Knorpel, in der ersten
Anlage des Hufes, der Federn, der Haare, der Muskeln, der Epi-
thelien, unter dem Panzer des Flusskrebses vor der Häutung u. 8. w.
eine histogenetische Bedeutung zugeschrieben. Was heisst
das? Es kann nur heissen, dass das Glycogen an der Bildung
dieser Organe und Substanzen theilnimmt, dass also Gly-
cogenmoleküle in die Zusammensetzung der heterogen-
sten Stoffe eintreten. Ich will dabei die chemische Möglich-
1) Es gehören dazu: Eiweisskörper, Leim, Traubenzucker, Rohrzucker,
Milchzucker, Fruchtzucker, Inulin, Lichenin, Glycerin, Arbutin, Amylon. Die
Literatur über diesen Gegenstand ist so oft zusammengestellt worden, dass
ich mir die unnöthige Wiederholung dieser Arbeit wohl ersparen kann. Man
vgl. dazu: von Wittich in Hermann’s Handbuch der Physiologie V. 2.
1. Lieferung p. 359. Sehr merkwürdig ist die von Röhmann (Ueber die
Beziehungen des Ammoniaks zur Glycogenbildung in der Leber. Centralblatt
für klin. Medicin. 1884. Nr. 35) gemachte Entdeckung, dass ‚‚kohlensaures
Ammoniak Glycogenbildung bewirkt‘ (p. 554).
Vergleichend-histochemische Untersuchungen über das Glycogen. 395
keit!) oder Wahrscheinlichkeit dieses Vorganges gar nicht weiter
erörtern, sondern auf der andern Seite nur meine Anschauung mit-
theilen. Diese geht dahin, dass bei der Zerlegung der gemein-
samen Muttersubstanzen aller jener Körper, nämlich der
Eiweissstoffe oder complieirterer Substanzen, das Glycogen als
Nebenprodukt abgespalten und an geeigneten Stellen zum
weiteren Verbrauch abgelagert wird. Man wird mir zugeben
müssen, dass letztere Erklärung die näher liegende und einfachere
ist. Ich habe aber einen direeten Beweis dafür, dass sie auch
die allein richtige ist.
4. Ich habe oben nachgewiesen, dass unter der grossen Zahl
von Haaren eines Büschels in der Kaninchenhaut sich eins oder
einige durch Grösse und Umfang?), also stärkeres Wachs-
thum und durch einen reichen Glycogengehalt auszeichnen
(Vgl. Tafel XVI Fig. 7). Die übrigen Haare des Büschels
sind vollkommen normal angelegt und haben ihre äussere Wurzel-
scheide, wie auch die umfangreicheren Genossen. Wenn also das
Glycogen aus eingeführten Kohlehydraten gebildet und dann ein-
fach abgelagert würde, so wäre durchaus nicht einzusehen, wa-
rum nicht auch die Wurzelscheiden der wenig oder gar
nicht wachsenden Haare ihr Theil bekämen, und da in
diesen Haarbälgen offenbar ein viel geringerer Verbrauch
stattfindet, so müsste hier erst recht eine Aufspeicherung des
Glycogens erfolgen. Da aber nur die Wurzelscheiden der kräftig
wachsenden Haare Glycogen führen, so muss das Wachsthum
des Haares, welches ja von der äussern Wurzelscheide ausgeht,
die Ursache der Glycogenbildung und -aufstapelung sein. Das
heisst: Bei der Bildung des Keratins aus den Eiweisskörpern ?)
1) Diese Möglichkeit könnte wohl nur für das Chitin des Krebspan-
zers in Frage kommen, welches Drechsel auf Grund der Beobachtungen
Sundwik’s als ein Amidoderivat der Glycose bezw. des Glycogens anzu-
sehen geneigt ist. Hermann’s Handbuch der Physiologie. V. 1. Chemie d.
Absonderungen etc. p. 591.
2) Wie ich früher schon hervorhob, gibt es auch Fälle, in denen ein-
mal dünnere Haare in ibrer äusseren Wurzelscheide Glycogen aufspeichern.
Da auch diese Haare ohne Zweifel in kräftigem Wachsthum sind, so ändert
sich dadurch die Sachlage nicht; es kommt nur darauf an, dass Glycogen
und Wachsthum zusammen gehören.
3) Näheres darüber anzugeben ist natürlich nicht möglich. Dass diese
396 Dietrich Barfurth:
der Wurzelscheidenzellen wird Glycogen als Nebenprodukt abge-
spalten. Man könnte nun aber versuchen den Spiess einfach um-
zudrehen und folgendes einzuwenden. Warum sollten nicht die
feinen Haare gerade die wachsenden und die starken alte,
dem Absterben nahe sein? Abgesehen davon, dass ein Blick auf
den Pelz des Kaninchens genügen würde, diesen Einwand zu be-
seitigen, will ich noch eine Thatsache anführen, die unwiderleg-
lich beweist, dass die Aufstapelung des Glycogens an das Wachs-
thum der Haare geknüpft ist. Claude Bernard, Rouget, Mae
Donnel und ich haben übereinstimmend beobachtet, dass die
Haarbälge der jungen Haare von Säugethierembryonen
(Sehaf, Kaninchen, Meerschweinchen, Reh u. s. w.) stark glycogen-
haltig sind. Auch hier sitzt, wie ich früher schon berichtet habe,
das Glycogen in der äussern Wurzelscheide; diese Haare aber
wachsen sicherlich.
Es kann demnach keinem Zweifel unterliegen, dass die Auf-
stapelung des Glycogens vom Wachsthum des Haares abhängig
ist, nicht aber umgekehrt. Die richtige Erklärung für dieses
Glycogenvorkommen heisst also nicht: Damit das Haar wächst,
ist Glycogen da! sondern: Weil das Haar wächst, ist Glycogen
da! Dasselbe gilt nach meiner Anschauung für die andern foetalen
Gewebe. Zu meiner Freude sehe ich aus der oben erwähnten,
so eben erschienenen Arbeit von Marchand!), dass derselbe in
Bezug auf das Glyeogen des foetalen Knorpels schon vor mir
zu derselben Ueberzeugung gekommen ist, wie ich.
5. Er schreibt: „Es ist nicht gesagt, dass das Glycogen
auch zum Aufbau der Muskelsubstanz selbst verbraucht werde,
wenn es auch mit der zunehmenden Entwicklung des Muskels an
Menge so beträchtlich abnimmt. Es kann auch zu andern Zwecken
verwendet werden. In dieser Beziehung sei an das oben erwähnte
Verhalten der Knorpelzellen erinnert, wo derselbe Stoff gerade
bei der Vorbereitung zur Verknöcherng am reichlichsten auftritt.
Bildung nicht so ganz einfach verläuft, dürfte schon aus dem hohen Sch we-
felgehalt des Keratins folgen. Vgl. Kühne, physiol. Chemie, p. 425, 426.
Hoppe-Seyler, Handbuch der physiologisch- und pathol.-chemischen Ana-
lyse. 4. Aufl. 1875. 269, 270. Drechsel, a. a. O. p. 600. Waldeyer,
a. a. O. p. 14.
1) Marchand, a.a. O. p. &2.
Vergleichend-histochemische Untersuchungen über das Glycogen. 397
Dennoch kann das Glycogen hier dem Knorpel als sol-
chem nicht mehr zu Gute kommen, denn dieser geht da-
bei zu Grunde und zwar mit Einschluss der Knorpel-
zellen!). Die hier angehäufte Nährsubstanz kann also nur dem
jungen Knochenmark oder dem Blute zugeführt werden, ob aber
in der gleichen, oder in veränderter Form, wissen wir nicht.“
6. Es steht fest, dass in arbeitenden Drüsen Glycogen ge-
bildet und unter günstigen Umständen aufgespeichert wird. Ich
habe es wahrscheinlich zu machen versucht, dass bei der Bildung
der Secrete aus Eiweisskörpern Glycogen als Nebenprodukt abge-
spalten, dass das zuerst gebildete Glycogen zur Regeneration von
Eiweissmolekülen und durch gesteigerte Oxydation in der Drüse
verbraucht wird, und dass die Aufstapelung des Glycogens erst
dann ihr Maximum erreicht, wenn die Drüse ruhiger geworden ist.
Wollte man für das Drüsenglycogen etwa annehmen, es sei wie
alles Glyeogen aus Kohlehydraten gebildet und zur Verwerthung
in den Drüsen, analog der „histogenetischen“ Bedeutung, bestimmt,
so stünde man vor der unüberwindlichen Schwierigkeit erklären
zu müssen, in welcher Weise denn sich das Glycogen an der
Bildung der allerverschiedensten Seerete und Exerete betheiligen
könnte. Die Ersparnisstheorie dagegen hat nicht nur die grössere
Leichtigkeit der Erklärung, sondern ausserdem auch noch die
Thatsache für sich, dass sich in der Leber, den Nieren und andern
Drüsen bei Wirbelthieren und Wirbellosen zahlreiche Produkte der
regressiven Stoffmetamorphose (Harnstoff, Harnsäure, Guanin, Tau-
rin, Leuein, Tyrosin ete.) vorfinden.
7. Auch für den Muskel ist es wahrscheinlich, dass das in
ihm vorhandene Glyecogen an Ort und Stelle gebildet, ev. aufge-
speichert wird. Külz hat bewiesen, dass der Muskel des Frosches
nach Herausnahme der Leber selbständig Glycogen zu bilden
vermag. Ich habe oben schon hervorgehoben, dass in demselben
Muskel einzelne Muskelfasern reichlich Glycogen enthalten können,
während andere glycogenfrei sind; dasselbe Verhältniss wiederholt
sich in den Fibrillen der einzelnen Muskelfasern. „Die Muskeln
bilden fortdauernd Kreatin, Xanthin, Sarkin u. s. w., Stoffe, die
nur aus Fiweissstoffen entstehen können, sie bilden Glycerinphos-
phorsäure, welche ohne Zweifel aus Leeithin entsteht.“ (Hoppe-
1) Den gesperrten Druck dieses Satzes hat Ref. veranlasst.
398 Dietrich Barfurth:
Seyler!). Gerade im Muskel der Warmblüter müssen wir eine
beständige lebhafte „Dissoeiation der Eiweissmoleküle“ (Pflüger)
voraussetzen, da die Regulirung der Körpertemperatur eine fort-
währende stärkere oder schwächere Innervation der gesammten
Muskulatur und damit verbundene oxydative Processe erfordert
(Pflüger?), Zuntz?°)). Dass auch in den Muskeln der Kaltblütler
und Wirbellosen solche Zersetzungen beständig, wenn auch lang-
samer, vor sich gehen, beweisen die Versuche von Pflüger *) an
Fröschen und die neuern vergleichend - physiologischen Unter-
suchungen an Wirbellosen, durch die sich namentlich Kruken-
berg verdient gemacht hat. „Einer gesättigten Harnstofflösung“,
sagt Krukenberg?), „gleicht die Fleischflüssigkeit sämmtlicher
Rochen und Haie, einer eoncentrirten Taurinlösung der Muskelsaft
der Cephalopoden, grosse Quantitäten von Harnsäure häufen sich
leicht in dem Muskelgewebe bei Alligatoren und Crocodilen an,
ausserordentlich reich an Kreatinin sind die meerblauen Muskeln
von Luvarus imperialis“ u. s. w.
Wenn ich nun die Thatsache, dass Zersetzungsprodukte der
Eiweisskörper in allen Muskeln auftreten, mit der Thatsache der
ebenso allgemeinen Verbreitung des Glycogens in den Muskeln
in ursächlichen Zusammenhang bringe, so glaube ich dabei eine
gute physiologische Grundlage zu haben. Der Nasse’sche Satz,
dass bei der Thätigkeit des Muskels Glycogen verbraucht wird,
muss nach dieser Auffassung dahin erweitert werden, dass bei
der Thätigkeit des Muskels auch Glycogen gebildet
wird. In dieser Erweiterung des Satzes liegt auch eine Erklä-
rung für die neuerdings von Boehm) festgestellte Thatsache,
1) Ueber den Ort der Zersetzung von Eiweiss- und anderen Nährstoffen
im thierischen Organismus. Pflüger’s Archiv. 7. Bd. p. 399 ff. (p. 413).
2) Pflüger, Ueber Wärme und Oxydation der lebendigen Materie.
Pflüger’s Archiv. 1878. 18. Bd. p. 247 ff. (p. 373).
3) Zuntz, Zur Theorie des Fiebers. Centralblatt f. d. med. Wissensch.
1882. Nr. 32.
4) Pflüger, Ueber die physiologische Verbrennung etc. p. 313 ff.
Vgl. auch die Stelle p. 311 und 312: „So wenig es möglich ist, die Blausäure
zu zwingen, sich nicht zu zersetzen, ebensowenig ist lebendige Substanz denk-
bar, ohne fortlaufende Zersetzung.“
5) Krukenberg, Die eigenartigen Methoden der chemischen Physio-
logie. Heidelberg 1885. p. 26.
6) R. Boehm, Ueber das Verhalten des Glycogens u. s. w. Pflüger’s
Archiv. 23. Bd. 1880. p 44 ff. (p. 54).
Vergleichend-histochemische Untersuchungen über das Glycogen. 399
dass „die Starre allein keine Abnahme des Muskelglycogens zur
Folge hat.“ Wenn unter den veränderten Bedingungen kein Ver-
brauch oder keine Abfuhr des gebildeten Glycogens erfolgt, so
braucht die Starre keine Abnahme des Glycogens zu bedingen.
Damit ist natürlich über die Quelle der Muskelkraft nichts aus-
gesagt. Ich glaube aber, dass auch in diesem Punkte Pflüger!) das
richtige getroffen hat, wenn er sagt: „Da die Processe der Oxy-
dation des lebendigen Eiweissmoleküls hauptsächlich im Bereich
der Kohlenwasserstoffradicale ablaufen, so kann bei Gegenwart
von Fett und Kohlehydraten das Eiweissmolekül sich regeneriren.
So erklärt sich die Ersparniss an Umsetzung des Stickstoffs und
die Fettansammlung bei abnehmender Muskelarbeit. So versöh-
nen sich auch die entgegenstehenden Ansichten über
die Quelle der Muskelkraft.“
Diese Erörterungen fasse ich dahin zusammen, dass ganz
besonders bei den mit dem Wachsthum verbundenen Neubil-
dungen, bei der Secretion der Drüsen und bei der Contrac-
tion der Muskeln, überhaupt aber bei der Dissociation
von Eiweisssubstanzen der Zellen — d. h. überall und
immer! — Glycogen als Spaltungsprodukt gebildet und zur Re-
generation von Eiweissmolekülen bezw. zur weiteren Oxydation
auch verbraucht wird. Eine Aufspeicherung des Glycogens
kann nach dieser Auffassung nur unter günstigen Bedingungen
(reichliche Zufuhr von Nährsubstanzen, besonders Kohlehydraten,
geringer Verbrauch bei langsamer Dissociation) erfolgen. Nach
meiner Meinung wurzelt diese Anschauung in der Pflüger’-
schen Lehre über den Stoffwechsel, die er hauptsächlich in
der klassischen Untersuchung „über die physiologische Verbren-
nung in den lebendigen Organismen“ dargelegt hat, deren wich-
tigste Prineipien aber zum Theil schon in früheren Arbeiten ?)
ausgesprochen und bewiesen wurden.
1) Pflüger, Ueber die physiologische Verbrennung u. s. w. p. 331.
2) Pflüger’s Archiv. 1. Bd. 1868. p.61 fi. 2. Bd. 1869. p.156 fi. 6.Bd.
1872. p. 43 ff. Siehe ferner 10. Bd. 1875. p. 251 ff. 14. Bd. 1877. p. 630 ff.
18. Bd. 1878. p. 247 ff. u. p. 381 ff. — Es ist nicht mein Beruf und nicht
meine Absicht, schwierige Stoffwechselfragen zu erörtern. Wer aber auf das
Verständniss der physiologischen Bedeutung des Glycogens nicht von vorn-
herein verzichten will, muss auch zu den Stoffwechseltheorien Stellung nehmen;
darin sehe man die Erklärung für meine obigen Auseinandersetzungen. Die
400 Dietrich Barfurth:
Ueber die Rolle, die das Glycogen im Haushalt des Orga-
nismus spielt, habe ich mich im Allgemeinen schon ausgesprochen.
So interessant und wichtig dieser Stoff auch vom theoretischen
Standpunkt aus betrachtet ist, so scheint doch seine Bedeutung
für den Organismus eine untergeordnete zu sein. Das schwer
diffundirbare Glyeogen wird wohl vor dem Verbrauch durch Fer-
mente, die nach v. Wittich, Tiegel, Plösz, Boehm und Hoff-
mann, Seegen und Kratschmer, Krukenberg u.a. eine grosse
Verbreitung im Thierkörper haben, in Zucker verwandelt und zum
leichteren Transport geschickt gemacht. Gerade durch die grosse
Verbreitung saccharifieirender Fermente aber wird, wie Kruken-
berg hervorhebt, das Glycogen zu einem Reservestoff von sehr
ephemerer Bedeutung. Hätten nun aber die Fermente eine unum-
schränkte Wirksamkeit, so könnte auch das Glycogen überhaupt
nieht zur Erscheinung kommen; wir ‚würden überall nur Zucker
finden. Nach Claude Bernard setzt die Bildung des Glycogens
alkalische, seine Zerstörung saure Reaction der Gewebe vor-
aus. Das wesentliche wird aber wohl sein, dass die erhaltende
Kraft der lebendigen Zelle unter normalen Verhältnissen das Gly-
cogen gerade so schützt, wie sie die Epithelzelle des Magens vor
der Einwirkung der Salzsäure und des Pepsins bewahrt. Da aber
im Hunger das Ferment sofort zur Wirkung kommt, so muss nach
dieser Auffassung die darbende Zelle geradeso geschwächt sein,
wie wir es beim ganzen hungernden Organismus in der That
wahrnehmen.
Nach Seegen !) entsteht der gesammte Blutzucker (mindestens
Thatsachen, dass die Leber, die das meiste Glycogen bildet, eine sehr hohe,
nach Claude Bernard sogar die höchste Temperatur im Körper hat, dass
die Abkühlung im Stande ist, den Glycogengehalt der Leber herabzu-
drücken (Boehm und Hoffmann, Külz) und dass der glycogenreiche Foetus
beständig in einem warmen Bade schwimmt, scheinen mir direct darauf hin-
zuweisen, dass das Pflüger'sche Prineip, die Wärme als unmittelbare Ur-
sache der Zersetzungen im Thierkörper, auch bei der Bildung des Glycogens
eine Rolle spielt. Hier liegt aber ein noch unbearbeitetes Feld vor uns. —
Auf Grundlage der Hammarsten’schen Anschauung über die chemische Natur
des Protoplasmas und der Proteide muss man der Pflüger’schen „Regenera-
tionstheorie‘‘ eine noch wichtigere Rolle zuschreiben, als bisher.
1) Zucker im Blute, seine Quelle und seine Bedeutung. Pflüger’s Archiv.
Bd. 34. 1884. p. 388 ff.
Vergleichend-histochemische Untersuchungen über das Glycogen. 401
bei Fleischfressern) ausschliesslich aus den Eiweisskörpern der
Nahrung, und zwar ist es die Leber, die den Zucker aus den zu-
geführten Peptonen bildet. Darnach würde das Glyeogen für die
Bildung des Blutzuckers gar nicht in Frage kommen und wir
hätten für die ungeheuren Glycogenmengen, die sich oft in der
Leber finden — bis zur Hälfte des ganzen Trockengewiehts! —
keine Verwendung, wenn wir nicht annehmen wollen, dass sie
diesen Vorrath selber verbraucht. Andererseits hat aber Flügge!)
hervorgehoben, dass der „factische Umfang des Stoffwechsels in
der Leber stets nur solche Differenzen im Blut verursachen kann,
die innerhalb der Fehlergrenzen unserer Untersuchungsmethoden
fallen müssen.“ Darnach ist doch die Annahme zulässig, dass
fortwährend kleine Mengen Glycogen in der Leber saccharifieirt
und mit dem Blute fortgeführt werden, auch wenn der directe
analytische Beweis schwer oder gar nieht zu erbringen ist.
Erklärung der Figuren auf Tafel XV—-XVI.
Anm. Die Figuren stellen ausser Fig. 18—20’ Präparate nach Jod-
behandlung dar; demgemäss ist das Protoplasma gelb, das Gly-
eogen rothbraun. In der Lithographie ist letztere Färbung an
einigen Stellen zu roth ausgefallen und das eigenthümlich leuch-
tende der Jodglycogenfärbung nicht zum Ausdruck gelangt. Diese
kleinen Mängel sowie einige Härten der Zeichnung bitte ich zu
entschuldigen.
Fig. 1. Glycogen in quergestreiften Muskelfasern aus dem Pecto-
ralis major des Kaninchens nach 24stündiger Schwarzbrotfütterung.
Versuch III. p. 354. Glycogengehalt der Muskulatur (Brust,
Bauch, Oberschenkeladductoren, Zwerchfell) = 0,081 °/,. Jodgummi-
präparat nach Ehrlich. Zeiss F. Oec. 1.
Fig. 2. Glycogen imZwerchfell eines Kaninchens nach 42 stündiger Brot-
fütterung. Vordringen des Glycogens sichtbar in den quergeschnit-
1) Ueber den Nachweis des Stoffwechsels in der Leber. Zeitschrift für
Biologie. 13. Bd. 1877. p. 133 (p. 168).
402
Fig.
4,
oa
ie. 10.
Dietrich Barfurtih:
tenen Muskelfasern. In Alkohol absol. gehärtet, in Jodglycerin
untersucht. Zeiss CC. Oc. I. a glycogenreiche Faser, in b Spuren
von Glycogen, ce glycogenfreie Muskelfaser.
Schnitt durch einen Acinus aus der Leber eines Kaninchens nach
24 stündiger Weissbrotfütterung. Gewicht der Leber 98,0, des Gly-
cogens 6,7686 = 6,91%/,, Das Glycogen liegt überall an der nach
der Lebervene zu gerichteten Seite und häuft sich nach der Mitte
des Acinus an. Vgl. p. 354, 373 etc. Zeiss ÜC. Oc.1l. Jodgummi-
präparat.
Aus einem Schnitt durch die Magenschleimhaut des Frosches. Vgl.
12. Versuch p. 390. Das Epithel setzt sich nach unten zu fort in
die Labdrüsenzellen; zwischen beiden Elementen grosse blasenför-
mige Schleimzellen, die Heidenhain (Dieses Archiv. VI. Bd. p. 395)
beschrieben und auf Tafel XXI. Fig. 21 b dargestellt hat. Die
Zellen der Schleimhaut sind bei a mit Glycogen vollgestopft, bei
d ganz glycogenfrei. Die Zellen der Labdrüsen (c) enthalten eben-
falls Glycogen, aber in geringerer Menge. Zeiss F. Oc. I. Jod-
gummi.
Glycogen in den Knorpelzellen. Querschnitt durch das sternale
Ende einer falschen Rippe des Kaninchens nach 24stündiger Brot-
fütterung. k Ablagerung von Kalk. Zeiss F. Öc.I. Aus Alkohol
in Jodglycerin.
Aus einem Schnitt durch die Placenta des Kaninchens. Versuch V.
p. 355. Glycogengehalt der Placenten 3,61 °/,, aa Riesenzellen der
Placenta uterina mit vielen Kernen und mächtigen Ablagerungen
von Glycogen. b Blutraum.
Schnitt durch die Cutis vom Kaninchen nach 36stündiger Weiss-
brotfütterung. Versuch Ill. p. 353. Unter den Haaren der ein-
zelnen Büschel zeichnen sich einige durch Grösse und Umfang,
sowie durch ihren Gehalt an Glycogen in der äusseren Wurzel-
scheide aus. a glycogenfreie Haarwurzel, b Ablagerung von Gly-
cogen in der Haarwurzel. Zeiss A. Oc. I. Jodglycerinpräparat.
Querschnitt durch die Wurzel eines Kaninchenhaares in kräftigem
Wachsthum. Die Zellen der äusseren Wurzelscheide (a w) sind mit
Glycogen gefüllt; der Zellkern bleibt, wie immer, frei von Glycogen.
Jodgummipräparat. Zeiss F. Oc. 1.
Aus einem Querschnitt durch das Schwanzende von Limax varie-
gatus nach Stägiger Brotfütterung. S. p. 295. Das Glycogen liegt
zwischen den Maschen der Muskelbalken in den Zellen der Binde-
substanz. Zeiss F. Oc. I. Jodglycerinpräparat.
Schnitt durch den Darm von Limax variegatus nach 3 tägiger Brot-
fütterung. Glycogengehalt 1,600), ee Epithelzellen mit Glycogen,
mm quer geschnittene Muskelfasern mit Spuren von Glycogen,
g Gefäss. Jodgummi. Zeiss F. Oec. 1.
Fig.
Fig.
Vergleichend-histochemische Untersuchungen über das Glycogen. 408
sıldr
ie. 12.
13
„14.
15.
"16.
art.
18.
1
DD
Nyctotherus cordiformis Stein (Bursaria ce. Ehrenbg.), ein in der
Froschkloake schmarotzendes Infusionsthierchen; stark glycogen-
haltig; k Kern.
Gruppe von Leydig’schen Bindesubstanzzellen (Plasmazellen Brock’s)
aus der Leber von Helix pomatia nach 5tägiger Schwarzbrotfütte-
rung. Das Glycogen ist in Form tropfenähnlicher Massen in den
Zellen niedergeschlagen. Jodglycerin. Zeiss F. Oc. III. Glycogen-
gehalt der Leber 5,760/9.
ÖOpalina. ranarum aus der Froschkloake. Das Thier wurde durch
Druck auf das Deckglas zerrissen und zeigt das Glycogen in Form
unregelmässiger Klümpchen in der Leibessubstanz eingelagert. Zeiss
F. Oc. I. Jodgummi.
Schnitt durch einen Leberfollikel von Limax variegatus nach 24 stün-
diger Weissbrotfütterung. Glycogengehalt der Leber 3,380/,. Ver-
such 1. p. 356. 1 Leberzelle, f Fermentzelle, k Kalkzelle, Is Leber-
secretbläschen, g Gefäss. Zeiss F. Oc. 1. Jodgummi.
Aus einem Schnitt durch die Leber von Helix pomatia nach 5 tägiger
Schwarzbrotfütterung (s. p. 328). Glycogengehalt der Leber 5,76 0/,.
Die Plasmazellen (p) sind die hauptsächlichsten Stapelplätze des Gly-
cogens ; in den Epithelzellen (Leberzelle I, Fermentzelle f, Kalkzelle k)
tritt es nur in geringen Mengen und nur nach sehr reichlicher
Fütterung auf. Zeiss F. Oe. I. Jodgummi.
Theil eines Querschnittes durch einen grösseren Ausführungsgang
der Leber von Helix pomatia nach 5tägiger Schwarzbrotfütterung.
Das Glycogen erfüllt die Plasmazellen (p) der Submueosa und bildet
in den Epithelzellen (e) einen zierlichen Bogen. Zeiss F. Oe. II.
Jodgummi.
Schnitt durch das untere Schlundganglion von Helix pomatia nach
5tägiger Brotfütterung. Das Glycogen folgt in feinen Zügen den
Commissurfasern (im Neurilemm [n]); einzelne Ganglienzellen (g g)
enthalten Spuren von Glycogen. Zeiss A. Oc. II. Jodgummi.
Querschnitt durch einen Lieberfollikel von Limax cinereo-niger.
Ösmiumsäure. b Bindesubstanzzellen: f Fermentzellen, k Kalkzellen
mit glänzenden Kügelchen von phosphorsaurem Kalk, 1 Leberzellen.
Zeiss F. Oec. 1.
Theil eines Follikelquerschnittes aus der Leber von Limax cinereo-
niger. Zustand lebhafter Thätigkeit (Secretion). Bezeichnung
wie in Fig. 18. ÖOsmiumsäure. Zeiss F. Oe. 1.
. Wie in Fig. 19. Zustand der Ruhe.
Querschnitt durch ein kleineres Gefäss von Helix pomatia. p Plasma-
zellen, m longitudinal verlaufende Muskelfaser. Jodgummi. Zeiss
Ge 0er
. Schnitt durch einen Vorsprung der Niere von Helix pomatia nach
5tägiger Schwarzbrotfütterung. e Zellen des Grenzepithels, pp Plas-
Archiv f. mikrosk. Anatomie. Bd. 25, 28
404
Barfurth: Untersuchungen über das Glycogen.
mazellen, n Nierenzellen. Letztere enthalten ausser Glycogen die
Secretbläschen mit harnsauren Salzen. S.'p. 380 ff. In der Mus-
cularis finden sich nur Spuren von Glycogen. Zeiss F. Oc. I. Jod-
elycerin. |
Fig. 23. Schnitt durch eine Speicheldrüse von Helix pomatia nach 5tägiger
Schwarzbrotfütterung. Jodgummi. a Ausführungsgang, dessen Epi-
thelzellen nur Spuren von Glycogen enthalten; sp Speichelzellen in
verschiedenen Stadien der Seeretion und mit verschiedenem Glycogen-
gehalt; p Plasmazellen mit Glycogen vollgepfropft.. Zeis CC. Oec. I.
Fig. 24—31. Speicheldrüsen desselben Präparats bei stärkerer Vergrösserung.
Zeiss F. Oc. II. Es treten die Stadien der Secretbildung, der Gly-
cogenablagerung, der Veränderungen am Kern der Zellen u. s. w.
hervor. Jede Zelle liegt in einem bindegewebigen Sack (b), in dessen
Wand zuweilen Kerne (k) sichtbar sind; die Aufspeicherung des
Glyeogens in demselben scheint von der Seceretion unabhängig zu
sein (vgl. Fig. 283—30). p Protoplasma, m Muein, sp Speichelkugeln
(Mucigen). Fig. 24. Stadium der Ruhe. Fig. 25. Beginnende Thätig-
keit: der Kern wird zackig, das Protoplasma bildet grosse Maschen.
Fig. 26. Beginnende Bildung von Speichelkugeln (sp) und Ablage-
rung von Glycogen. Fig. 27. Die Zahl der Speichelkugeln nimmt
zu, das Glycogen ab. Fig. 28. Die Zelle ist vollgepropft mit Spei-
chelkugeln, Glyeogen findet sich nur noch in der Bindegewebshülle.
Fig. 29. Die Speichelkugeln zerfallen in eine feinkörnige Masse
(Muecin?). Fig. 30. Derselbe Vorgang weiter vorgeschritten und be-
ginnende Regeneration des Protoplasmas. Fig. 31. Regeneration
des Protoplasmas (Ruhe der Zelle) und stärkste Ablagerung des
Glycogens.
Philipp Fischelis: Beitr. z. Kenntniss d. Entwickelungsgeschichte etc. 405
(Aus dem anatomischen Institute zu Berlin.)
Beiträge zur Kenntniss der Entwickelungsgeschichte
der Gl. Thyreoidea und Gl. Thymus.
Von
Philipp Fischelis aus Odessa.
Hierzu Tafel XIX.
Die älteren Untersuchungen über die Gl. Thyreoidea und Gl.
Thymus haben eine Fülle von genau beobachteten Thatsachen zu
Tage gefördert ; zu einer Lösung des Räthsels, das über diesen
Gebilden schwebt, haben dieselben, ebensowenig wie die neueren,
nicht beigetragen. Es haben sich viele Forscher auch hauptsäch-
lich mit der theoretischen Seite dieses Gegenstandes beschäftigt
und manche von den aufgestellten Hypothesen, wie z. B. die von
Huschke!), sind wir erst heute im Stande richtig zu beurtheilen.
Erst in der zweiten Hälfte dieses Jahrhunderts sehen wir
eine Wandlung in der Art der Auffassung und Bearbeitung des
in Rede stehenden Gegenstandes eintreten. Der bedeutende Auf-
schwung, den die Anatomie durch die entwiekelungsgesehichtlichen
Arbeiten Remak’s genommen hat, ist für die uns hier interessi-
renden Fragen nicht ohne Erfolg geblieben. Remak selbst hat
seine Erfahrungen über die Entwickelungsgeschichte der Thy-
reoidea und Thymus in seinem epochemachenden Werke?) mitge-
theilt und viele Forscher, die sich nach ihm mit der weiteren
Ausbildung der Entwickelungsgeschichte befassten, haben diesem
Gegenstande ihre Aufmerksamkeit geschenkt. Auch viele Autoren,
die sich mit der pathologischen Seite dieser Gebilde beschäftigt
hatten, haben eine Exeursion in das embryonale Gebiet unter-
nommen. Einige widmeten ihnen besondere Monographien. Und
1) Isis 1826, p. 618—623. 1827, p. 403.
2) Untersuchungen über die Entwickl. d. Thiere $$. 81, 82, 176,
406 Philipp Fischelis:
es scheint in der That, dass es der Entwickelungsgeschichte vor-
behalten ist, wie es schon in so vielen Fragen geschehen ist, auch
hier die Aufklärung zu bringen.
So fruchtbringend einzelne Abhandlungen waren, so ist man
doch von mancher Seite, wie es so häufig in dieser Diseiplin der
Fall war, zu weit gegangen. Manche Forscher wie z. B. W. Müller!)
haben auf Grund einzelner Bruchstücke sehr weitgehende Theorien
aufgestellt, diese Theorien sind von competenter Seite?) als etwas
sicher dastehendes ohne jeglichen Commentar den Lehrbüchern ein-
verleibt worden. Andere ?) haben sogar diese als feststehende Grund-
lagen angenommen und geglaubt, weiter darauf bauen zn können.
Der letzterwähnte Umstand giebt mir Veranlassung, etwas
genauer auf den gegenwärtigen Stand unserer Kenntnisse über die
Entwieklungsgeschichte der hier in Rede stehenden Gebilde, be-
sonders der Schilddrüse, einzugehen. Ich beabsichtige indess kei-
neswegs die ganze hierher gehörige Literatur vorzuführen, will
vielmehr nur die wichtigsten Arbeiten einer kritischen Beleuchtung
unterwerfen, um somit das sicher feststehende vor dem rein hypo-
thetischen deutlicher bevortreten zu lassen.
Remak (l. e. $ 81) sagt über die Entwicklung der Schild-
drüse beim Hühnchen Folgendes: ‚Um die 70. Brütstunde zeigt sich
an der Vereinigungsstelle der Schlundbogen dicht über dem Aor-
tenende des Herzens ein runder undurebsichtiger Fleck.
Bei mikroskopischer Untersuchung überzeugt man sieh leicht, dass
dieser Fleck von einer Verdiekung des Drüsenblattes herrührt, in
dessen Zellen die Fetttröpfehen grösser und zahlreicher sind. Dieses
runde Stück des Drüsenblattes bildet alsbald eine sackförmige
Ausstülpung, welche sich mitsammt eines zarten von der Verei-
nigungshaut herrührenden Ueberzugs von der Schlundhöhle ab-
schnürt, so dass es an der Bauchhöhle derselben genau in der
Mittellinie des Körpers dieht über dem Aortenende des Herzens
zu liegen kommt.“
1) Ueber d. Entwickelung d. Schilddrüse. Jenaische Zeitschrift Bd. IV.
p- 428. 3
2) Wiedersheim, Lehrbuch der vergleichenden Anatomie der Wirbel-
thiere. 1882/83. Bd. II. S. 526—530.
3) Born, Ueber d. Derivate der embryonalen Schlundbogen und Schlund-
spalten hei Säugethieren. Dieses Archiv. Bd. XXII, p. 310.
Beitr.z. Kenntniss d. Entwiekelungsgeschichted. Gl.Thyreoidea u.G1.Thymus. 407
Die erste Spur der Schilddrüse dokumentirt sich also nach
Remak nicht als eine einfache Ausstülpung des Darmdrüsenblattes,
sondern es ist dies eine Verdiekung des Epithels, die zunächst
einen Fleek darstellt, welcher sich alsbald in eine Ausstülpung
umwandelt. Ich hebe dieses deshalb so ausdrücklich hervor, weil
von anderen Autoren die Bildungsweise der Schilddrüse in der-
selben Weise dargestellt ist, wie etwa die Lunge sich vom Darm-
rohr abschnürt und die Zeichnungen sind auch dem entsprechend
ähnlich.
Der Remak’schen Angabe ganz ähnlich ist diejenige von
Götte!). Er sagt folgendes: „Am dritten Tage bemerkt man
schon am vorderen Ende des Schlundes, an der unteren Fläche
der Darmblattröhre eine bedeutende Verdiekung derselben in
Form eines rundlichen Häufchens, welche viele Fettröpfehen
enthält. Allmählich dringt dieser Zellenhaufen in die Faserwand
ein und schnürt sich ganz vom Darmblatte ab. Während dieser
Einkapselung in die Faserwand erhält er am vierten Tage eine
Höhle, die von einer Lage eylindrischer Zellen ausgekleidet er-
scheint.“ Wie grundsätzlich verschieden dieser Bildungsmodus,
nach Götte, von denjenigen anderer Abkömmlinge des Darm-
rohres ist, möchte ich beispielweise durch Anführung seiner An-
gaben über die Bildung der Lunge belegen. Er sagt (l. e. p. 52):
„Die Lungen erscheinen zuerst als zwei grubenförmige, seit-
liche und nach hinten gerichtete Ausbuchtungen des Oesophagus.
Sie ziehen sich nach hinten heraus, bleiben jedoch noch mit ihm
in Verbindung.“
Wir sehen somit, dass auch Götte den Schwerpunkt bei der
ersten Anlage der Schilddrüse nicht in den Vorgang der Ausstül-
pung oder Abschnürung verlegt, sondern in die Anhäufung von
Zellen. Diese so präcise gemachten Angaben scheinen mir von den
anderen Autoren ganz übersehen worden zu sein. Die ‘Wichtig-
keit derselben werden wir bald zu würdigen haben.
Eine hervorragende Stelle in der Literatur unseres Gegen-
standes nimmt die Abhandlung von Wilhelm Müller ein. Es
wird in manchen Lehrbüchern und in vielen Monographien ange-
geben, dass die Untersuchungen des genannten Autors geradezu
1) Beiträge zur Entwickelungsgeschichte des Darmkanals im Hühnchen.
Tübingen 1867.
408 \ Philipp Fischelis:
srundlegend für die Kenntniss der Schilddrüsenentwicklung sind,
weil sie sich auf sämmtliche Wirbelthierklassen mit Einschluss
des Menschen ausdehnen. Auch die Schlüsse, die W. Müller aus
seinen Untersuchungen zieht, sind, wie wir schon oben hervorge-
hoben haben, yon einigen Autoren vollständig acceptirt worden.
Ich glaube nieht, dass die Resultate der Müller’schen Untersuchungen
so abschliessende und weitgehende sind und möchte zum Belage
hier einige der wichtigsten Stellen dieser Abhandlung anführen.
W. Müller giebt folgendes über die Objecte seiner Unter-
suchungen an: „Ich habe zur Prüfung der voranstehenden Angaben
Repräsentanten sämmtlicher Wirbelthierklassen untersucht. Bei
Amphioxus habe ich jede Spur der Schilddrüse vermisst (p. 432).
Dagegen ist mir der Nachweis des Organs in der Klasse der
Cyklostomen bei Myxine glutinosa gelungen, welcher die Schild-
drüse bisher abgesprochen worden ist. .... Sie besteht aus einer
ziemlich beträchtlichen Zahl theils zerstreut liegender isolirter,
theils zu kleinen Gruppen von 2—5 vereinigter, rings geschlossener
Follikel (p. 433). - f
Bei Petromyzon fluviatilis halte ich für das Aequivalent
der Schilddrüse den paarigen birnförmigen Sack, welcher beider-
seits vom Lungenbeinknorpel, zwischen Muskeln versteckt, bis zum
Beginn des Bronchus sich erstreckt (p. 433).
Aus der Klasse der Fische habe ich 30 mm und 20 Genti-
meter lange Embryonen von Acanthias vulgaris, sowie erwachsene
Exemplare von Raja elavata untersucht. Bei 30 mm langen Embryo-
nen von Acanthias vulgaris war die Anlage der Schilddrüse von
der Schlundhöhle bereits gesondert (p. 433). -
Aus der Klasse der Amphibien untersuchte ich von der Ord-
nung der Urodela Salamandra maculata in erwachsenen Exem-
plaren (p. 435).
Aus der Ordnung der Batrachia untersuchte ich die Schild-
drüse des braunen Frosches (Rana temporaria) von ihrer ersten
Anlage bis zur definitiven Gestaltung (p. 435).
Aus der Klasse der Reptilien untersuchte ich von der Ord-
nung der Ophidier Tropidonotus natrix in erwachsenen Exem-
plaren (p. 439).
Aus der Ordnung der Saurier untersuchte ich Lacerta ocel-
lata in 2 grossen, vollkommen ausgewachsenen Exemplaren
(p. 439).
Beitr. z. Kenntnissd. Entwickelungsgeschichte d.Gl.Thyreoideau.Gl.Thymus. 409
Aus der Ordnung der Chelonier untersuchte ich Emys pieta
und Cistudo ecarolina. Die Schilddrüse liegt bei beiden als
flach rundlicher, unpaarer Körper dicht vor dem Aortenbogen
unterhalb der Trachea (p. 440).
Aus der Klasse der Vögel untersuchte ich die Schilddrüse
des Huhns von der ersten Anlage bis zur Gewinnung der
bleibenden Form (p. 440).
Aus der Klasse der Säugethiere untersuchte ich die Schild-
drüse des Schweins, Schafs, Hundes und des Menschen (p. 444).
Das. früheste Stadium beobachtete ich bei Schweinsembryonen
von 15mm Länge. Die Schilddrüse stellte einen unpaaren
Körper dar (p. 444).
5 Vom Schaf untersuchte ich 2 Embryonen von 20 mm Länge.
Die Schilddrüse bildete einen dicht unterhalb der Anlage des
Larynx liegenden Halbring (p. 446).
Bei dem Embryo des Hundes von 15 mm Länge bildete die
Anlage der Schilddrüse gleichfalls einen die Trachea vorne und
an den Seiten umgebenden Halbring (p. 446).
Von menschlichen Embryonen hatte ich Gelegenheit Zwillinge
von 24mm Länge zu untersuchen. Die Schilddrüse umgab bei
beiden als einHalbring dicht unterhalb des Larynx die vordere
und die beiden Seitenflächen der Anlage der Trachea* (p. 447).
Aus der hier gegebenen Uebersicht der Objeete, die W. Müller
zu seinen Untersuchungen dienten, ist dem Leser ersichtlich, dass
die erste Anlage der Schilddrüse von dem Autor nur bei Rana
temporaria und beim Hühnchen beobachtet worden ist.
Nichts desto weniger. glaubt er folgenden Satz aufstellen zu
können: „Ich ziehe aus den voranstehenden Beobachtungen
folgende. Schlüsse: Die Schilddrüse entwickelt sich bei allen
Wirbelthieren nach demselben Plan in drei wohl charakterisirten
Stadien: einem Stadium der Abschnürung der stets un-
paaren Anlage vom Schlundepithel“ (p. 448).
Angenommen, dass die Thatsachen, die er über die erste An-
lage beim Hühnchen und Froseh mittheilt, tadellos richtig sind,
so fragt es sich, sind wir berechtigt auf Grund der Beobachtungen
an 2 Thierarten einen Satz von so bedeutender Tragweite aufzu-
stellen? So verlockend es auch ist allgemeingültige Gesetze in
den Naturerscheinungen aufzufinden, so mahnt uns doch der gegen-
wärtige Stand -der Descendenzlehre zu einiger Vorsicht in weit-
410 Philipp Fischelis:
gehenden Behauptungen, und ich hebe das um so mehr hervor als
auch einer der neuesten Autoren auf diesem Gebiete, Born, in
ähnlicher Weise wie W. Müller aus seinem Befunde bei einer
Thierspecies weitgehende Schlüsse zieht. So heisst es bei ihm,
s. d. Archiv Bd. XXI p. 310: „Ich bin fest überzeugt, dass
die Bildungsweise der Drüse bei allen Säugethieren die
gleiche ist, .... obgleich meine eigenen Untersuehungen
sieh nur auf Embryonen von Sus scropha erstrecken.* „Für
alle übrigen Wirbelthierklassen ist durch die ausgezeichnete
Arbeit W. Müller’s das Vorhandensein einer medianen Schild-
drüsen-Anlage mit Sicherheit nachgewiesen.“
Ich meinerseits glaube nicht, dass man nach Vergleichung
der eigenen Angaben W. Müller’s — s. das vorhin Mitgetheilte —
berechtigt ist, einen so weitgehenden Schluss zu ziehen. Jedenfalls
bedarf es dazu noch zahlreicher in der That auf die erste Anlage
vieler Thierklassen ausgedehnter Untersuchungen.
Was die Beobachtungen W. Müller’s über die erste Anlage
der Schilddrüse beim Hühnchen und Rana tempor. selbst betrifft,
so heisst es davon gewöhnlich, dass er die Angabe Remak’s
bestätigt habe. W. Müller schildert den Vorgang mit folgenden
Worten: „Beim Hühnchen vom Ende des zweiten Bebrütungstages,
welche die beiden oberen Schlundspalten und die drei vordersten
Kiemenarterien entwickelt zeigten, fand ich noch keine Spur der
Schilddrüsenanlage.
Das früheste Stadium boten Hühnchen von der Mitte des
dritten Tages! al
An der Stelle, wo die beiden vordersten Kiemenarterien aus
dem Stamm entsprangen, um in die Schlundwand einzutreten, fand
sich eine birnförmige, gegen die Arterienbifureation gerichtete
Ausbuchtung des Schlundepithels in der Mitte der vorderen
Scehlundwand. :..* Wenn wir diese Angabe vergleichen mit der-
jenigen von Remak, Götte und Seessel (die wir gleich kennen
lernen werden), so können wir das nicht ohne weiteres als eine
Bestätigung der Angabe Remak's ansehen. Seessel, der speciell
der Entwickelungsgeschichte der Schilddrüse beim Hühnchen seine
Aufmerksamkeit zugewendet hat, sagt darüber, dass Müller den
Ort der Schilddrüsenanlage zu hoch verlegt habe. Von den zwei
Zeichnungen, die Müller über das Verhältniss beim Hühnchen
giebt, ist die erste sehr bemerkenswerth. Sie soll nämlich, wie
Beitr.z.Kenntnissd. Entwickelungsgeschichte d. Gl. Thyroidea u.Gl.Thymns. 411
es ausdrücklich angegeben wird, einen Sagitalschnitt darstellen.
Dabei zeigt sie die oben erwähnte birnförmige Ausbuchtung
zugleich mit den Schlundspalten und Gehörbläschen. Dass
eine solche Zeichnung nicht einem einzigen Präparate entsprechen
kann, ist jedem, der nur etwas mit der Sache vertraut ist, ohne
weiteres klar. Kölliker ist das ebenfalls aufgefallen.
Ueber die erste Anlage der Schilddrüse bei Rana temporaria
giebt W. Müller folgendes an: „Die frühesten Stadien sind bei
diesem Thier schwer zu verfolgen, da der Reichthum an schwarzem
Pigment die Anwendung der Methode der successiven Schnitte
erforderlich macht und methodisch angefertigten Querschnitten
entsprechende Längsschnitte zur Seite gehen müssen, die Schnitte
aber bei der grossen Brüchigkeit der Gewebe junger Larven leicht
missglücken.
Das früheste Stadium in der Entwicklung der Schilddrüse
boten Larven, welche seit Kurzem das Ei verlassen hatten. Das
Verbindungsstück der beiden vorderen Schlundbogen war leicht
verdiekt und bestand aus mässig pigmentreichen, spindelförmigen
und rundlichen Zellen, in Folge des geringeren Pigmentreichthums
unterschied sich seine Substanz scharf von den intensiv pigmen-
tirten überziehenden Epithelsäumen. An seiner untern Fläche
bildete die Haut einen paarigen, mit je einer seichten Ein-
kerbung versehenen Fortsatz, welcher sich bis zur Herzgegend
erstreckte. Das Herz lag unmittelbar hinter dem Verbindungsstück
der beiden vorderen Schlundbogen in der vorderen Schlundwand,
von der Anlage der Rachenschleimhaut und der äusseren Haut
durch einen schmalen Flüssigkeit führenden Hohlraum geschieden.
Der Conus arteriosus verlängerte sich zu dem kurzen Kiemen-
arterienstamm, welcher an der Theilungsstelle in seine Aeste dem
Schlundepithel dicht anlag. Letzteres zeigte unmittelbar vor der
Theilungsstelle eine runde mediane Ausstülpung von 0,05
Länge, welche unter leichter Verengerung mit der Schlundhöhle
communieirte.
Bei Larven von 6 mm Länge hatte das Verbindungsstück
der vordersten Schlundbogen stärker sich verdickt. Die rund-
liche unmittelbar vor der Theilungsstelle des Kiemenarterienstammes
gelegene mediane Ausstülpung des Schlundepithels war durch
Vermehrung der auskleidenden Zellen solid und stellte in Folge
ihres Pigmentreichthums einen kugeligen schwarzen Körper dar,
412 Philipp Fischelis:
welcher durch eine doppelte Reihe dicht aneinander liegender
cubischer, sehr pigmentreicher Zellen mit dem analog beschaffenen
Schlundepithel zusammenhing. . . .“
Da ich hier nur die Angabe über die erste Anlage der Schild-
drüse hervorheben wollte, so verzichte ich darauf, auf die weiteren
Stadien einzugehen. Es geht, meiner Ansicht nach, aus der obigen
Schilderung hervor, dass an der Bildung der Schilddrüse zwei Be-
standtheile partieipiren, die Verdiekung des Verbindungsstückes
der Sehblundbogen und die Ausstülpung des Schlundepithels,
Die Darstellung ist nicht ganz klar, wie es mir scheint, und die
beigegebenen Zeichnungen sind nicht dazu geeignet, die Sache
klarer zu machen, denn sie stellen nur die Ausstülpung dar, aber
das Verhältniss zu dem Verbindungsstück ist nicht berücksichtigt.
Götte!) deutet ganz kurz die Entwickelung der Schild-
drüse bei Bombinater an. Er sagt: „Die Schilddrüse entwickelt
sich aus einer Grube des Darmblattes, welche als Rest der früher
bestandenen, durch die mediane Verwachsung der Oberhaut und
des Darmblattes hervorgerufene Finsenkung des letzteren hinter
dem Unterkieferbogen zurückbleibt. Anfangs hängt sie noch nach
vorn mit der medianen Schädelwand zusammen, welche jenen
Bogen durchsetzt; nach dem Schwunde derselben erscheint die
Anlage der Schilddrüse als ringsum freie, triehterförmige Vertie-
fung des Darmblattes, welche durch die geschilderte Ausdehnung
des Mundhöhlenbodens in den vorderen Theil des Zungenbein-
bogens geräth und dadurch von vorn her einen Einschnitt in dessen
Seitenplatte veranlasst... ...“ „Eine ausführliche Entwicklungs-
geschichte der Schilddrüse des Frosches hat W. Müller gegeben.“
Es scheinen die Schilderungen von Müller und Götte viel
Uebereinstimmendes zu haben, aber ganz klargelegt ist die Sache
noch nicht. Balfour?) sagt gelegentlich der Schilddrüsenbetrach-
tung folgendes: „Der eigenthümliche Zusammenhang des Thyreoid- '
divertikels mit der Epidermis bei den Amphibien ist von Götte
bei Bombinater und von Scott und von Osborn bei-Triton beob-
achtet worden. Es ist nicht leicht leicht einzusehen, welche Be-
deutung dieser Zusammenhang hat.“
Wir sehen somit, dass die Abhandlung von W. Müller nicht
1) Entwicklungsgeschichte der Unke. Leipzig 1874. p. 667.
2) Handbuch der vergleichenden Embryologie, Bd. II. 1881. p. 6834.
Beitr.z. Kenntnissd. Entwickelungsgeschichted. G1.Thyreoidea u. Gl.Thymus. 413
so gut fundirte Thatsachen bringt, dass wir sie als Grundlage für
allgemeine Schlussfolgerungen zu benutzen vermöchten. Auf die
phylogenetische Bedeutung der Schilddrüse, die von W. Müller
angedeutet worden ist und dann von Wiedersheim zu einer
Theorie erhoben wurde, werde ich später zurückkommen.
Seesselt) ist der letzte Forscher, der Ausführliches über die
Entwicklung der Schilddrüse beim Hühnchen mittheilt. Er: beginnt
zunächst seine geschichtliche Mittheilung mit dem Satze: „Nach
Remak beginnt die Entwieklung, wie bei allen drüsenartigen Or-
ganen des vegetativen Systems, bei der Schilddrüse mit einer
Ausstülpung des Darmdrüsenblattes.“ Wir sehen also, dass
auch ihm nur die Angabe der Ausstülpung aufgefallen ist. Er
eitirt sodann die ganze Angabe von Remak und theilt über seine
eigenen Beobachtungen folgendes mit: „Gegenüber anderen Forschern
muss ich behaupten, dass bereits im Laufe des zweiten Tages,
während der Kopf noch nicht zur Seite gedreht ist, oder doch
die Drehung erst beginnt und nur zwei Schlundbogen deutlich
angegeben sind, eine an Stelle der zukünftigen Drüsenentwieklung
gelegene Verdiekung der Schlundwände mit sehr geringer Vor-
buchtung zu bemerken ist. Die vorgebuchtete Stelle ragt in den
Bulbustheil des Herzens hinein, bildet einen gegen ‚die Schlund-
höhle offenen stumpfen Winkel und liegt ungefähr in der Höhe
des Ohrbläschens. Zu Anfang des dritten Tages ist die winklige
Vorbuchtung sehr deutlich ausgeprägt. Sie liegt genau in der
Mittellinie in der Höhe der Labyrinthblase, ragt frei in: den Bul-
bustheil des Herzens hinein. . . . |
In der Mitte. des dritten Tages ist die Ausbuchtung noch
deutlicher ausgebildet und liegt immer noch genau in der Mittel-
linje. „441,
Gegen Ende des dritten Tages bilden die Wände der Aus-
buchtung mit der Schlundwand einen rechten Winkel, dieselbe
ragt noch frei in den Bulbustheil des Herzens hinein. In der Mitte
der Ausbuchtung habe ich eine feinkörnige, durch Carmin dun-
kelgefärbte Masse liegen sehen, wie ich sie in anderen Höhlen
niemals beobachtet. Dieselbe sandte nach der Wandung zu feine
Fäserchen aus, über deren Natur ich trotz meiner Bemühungen
nicht klar werden konnte.
1) Zur Entwicklungsgeschichte des Vorderdarms. Archiv für Anatomie
und Physiologie, anat. Abth. 1877.
414 Philipp Fischelis:
Mit Beginn des vierten Tages vollendet sich die Abschnürung
der Drüse von annähernd ellipsoider Gestalt. Sie liegt in der
Mittellinie und grenzt dicht an das Schlundepithel an. Der Bulbus-
theil des Herzens hat sich etwas von ihr entfernt und ist durch
eine Faserlage von ihr geschieden. — Die Drüse zeigt eine aus
Spindelzellen zusammengesetzte Kapsel, während im Innern noch
immer die oben erwähnte feinkörnige, von Fasern durchwebte Sub-
stanz liegt, welche einigermassen an adenoides Gewebe erinnert.
Zu Ende des 4. Tages. .... Die Drüse hat eine aus Spindel-
zellen bestehende Hülle, die peripheren Zellen der Drüsen sind
radiär gestellte Cylinderzellen, während sie im Innern rundlich oval
sind und nicht festgedrängt aneinander liegen. In der Mitte findet
sich eine Höhle von 125 zu. Durchmesser, von einem Verbindungs-
canal mit der Schlundhöhle konnte ich nichts bemerken.
Am 5. Tage hat die Drüse eine mehrschichtige aus Spindel-
zellen bestehende Hülle. Ihre Substanz besteht peripher aus cylin-
drischen, im Innern aus ceubischen Zellen, zwischen welchen septa
auftreten. Zu dieser Zeit erfolgt nach Götte und Müller die
Theilung in der Mitte. Von den Forschern ist dies nicht direet
beobachtet worden. Mir ist es auch nicht gelungen. Aber ich
glaube mit Müller, dass Götte’s Ansicht nicht richtig sei, denn
zu dieser Zeit ist die Drüse solid.
Am 7. Tage stellt die Drüse 2 solide ovale Körper dar.“
His?) machte die Angabe, dass „aus dem seitlichen Abschnitte
des Kopfdarmes sich die Schilddrüsen und deren von Remak ge-
schilderte Nebenschilddrüsen entwickeln“ und gibt eine dazu ge-
hörige Abbildung. Er hat indess später seine Ansicht zu Gunsten
derjenigen von Seessel geändert (p. 109. A. m. Embryonen).
Die erste ausführliche und genaue Angabe über die erste
Anlage und Entwicklung der Schilddrüse der Säugethiere bringt
Kölliker?). Er theilt seine Erfahrungen, speciell am Kaninchen
gemacht, mit:
„Bestimmt ausgeprägt und deutlich als solche erkennbar, fand
ich die Schilddrüse bei Kaninchenembryonen von 10 Tagen, zu
1) Untersuchungen über die erste Anlage des Wirbelthierleibes. Leipzig
1868. p. 144.
2) Entwicklungsgeschichte des Menschen und der höheren Thiere.
2. Auflage. Leipzig 1879, p. 871.
Beitr.z. Kenntnissd. Entwickelungsgeschichted. Gl.Thyreoideau.Gl.Thymus. 415
der Zeit, in welcher auch Lunge, Leber und Panereas in der ersten
Anlage begriffen ist. In beiden Ansichten (Fig. 532 und 533) zeigt
sich die Schilddrüse als eine warzenförmige Verdiekung
des Epithels des Scehlundes, in der Höhe und im Winkel der vor-
dersten Aortenbogen....
Die Form der Schilddrüsenanlage im Querschnitte war ent-
weder die einer nach beiden Seiten ziemlich gleich gewölbten
Warze und fand sich diese vorwiegend bei jüngeren Embryonen,
oder es war das Organ gegen den Schlund zu mehr eben und nur
nach aussen gegen die Aorta gewölbt. In allen Fällen aber be-
stand das Organ durch und durch aus kleinen rundlichen Zellen,
die nur gegen die Schlundhöhle und an den Uebergangsstellen des
Organes in das benachbarte Schlundepithel eine mehr eylindrische
Gestalt annahmen.
Die im Vorigen geschilderte und abgebildete Form ist nicht
die allerjüngste, in der die Schilddrüse auftritt, vielmehr glaube
ich, als erste Anlage eine Ausbuchtung der vorderen Schlund-
wand mit verdiektem Epithel bezeichnen zu müssen, die
ich bei Emeryonen des 9. Tages an der Theilungsstelle des vor-
dersten Aortenbogens beobachtete. ....
„Diesem zufolge ergibt sich wenigstens insofern eine Ueber-
stimmung zwischen den Saugern und dem Hühnchen, als auch bei
den ersteren eine Ausbuchtung des Pharynxepithels bei der Bil-
dung der Sehilddrüse das Primäre ist, wogegen allerdings die Aus-
buchtung nicht als solche zu einer Blase sich abschnürt, sondern
in zweiter Linie durch Wucherung ihrer Elemente sich zu einem
warzenförmigen Vorsprunge umgestaltet und dann erst vom Epithel
sich löst.‘
Nachdem ich bei der Wiedergabe der Beschreibungen von
Remak, Götte und Seessel ausdrücklich hervorgehoben habe,
dass diese Autoren auch beim Hühnchen eine Verdiekung des
Epithels der vorgebuchteten Stelle angeben, liegt der Gedanke
nahe, dass vielleicht die Uebereinstimmung eine noch viel grössere
ist, als es auf den ersten Blick scheint. Ganz besonders ist die
oben eitirte Angabe von Götte, der von einem Eindringen des
Zellenhaufens in die Faserwand und Abschnürung desselben spricht.
Die weiteren Entwicklungsstadien gestalten sich allerdings ver-
schieden. Während sich beim Hühnchen ein Bläschen mit ver-
schieden gestalteten Zellen bildet, tritt beim Kaninchen ein solider
416 Philipp Fischelis:
Körper auf, der durch und durch aus kleinen rundlichen Zellen
besteht. Nach dem gegenwärtigen Stande der Histiogenese können
uns indess solche Thatsachen nicht befremdend scheinen, aber um
so interessanter sind dieselben vom allgemein-embryologischen
Standpunkte aus.
In den bis jetzt betrachteten Arbeiten ist, wie wir gesehen
haben, übereinstimmend die Ansicht vertreten worden, dass die
erste Anlage der Schilddrüse sich in der Medianlinie bildet, somit
also eine unpaare Mediane sei. Dem gegenüber ist in der
neuesten Zeit von zwei Autoren, Wölfler?!) und Stieda?) fast
gleichzeitig und ganz unabhängig von einander eine andere An-
sicht ausgesprochen worden. Es gebührt beiden Forschern das
Verdienst, darauf hingewiesen zu haben, dass dem Epithel der
sogenannten Schlundspalten eine grosse Rolle bei der Entwieklung
der Schilddrüsen und Nebenschilddrüsen zukommt. Beide Autoren
sind auf Grund ihrer Untersuchungen sogar zu der Ansicht ge-
führt worden, dass das Epithel der Schlundspalten einzig
und allein die Anlage für die Schilddrüse abgibt, somit also die
Anlage derselben, im Gegensätze zu der bis jetzt herrschenden
Auffassung eine paarige, bilaterale ist. Dieses von beiden
Autoren so übereinstimmende Resultat ist um so bemerkenswerther,
als die Ausgangspunkte und die Methode der Untersuchungen ganz
verschiedene waren.
Als Veranlassung zu den Untersuchungen diente Stieda die
von Kölliker aufgestellte Behauptung über die Entwiekelungs-
geschichte der Gl. Thymus. Im Gegensatze zu der bis dahin
herrschenden Meinung, dass die Thymus als eine Lymphdrüse auf-
zufassen ist, und ihren Ursprung von dem mittleren Keimblatte
nimmt, glaubte Kölliker auf Grund seiner Studien an Säuge-
thierembryonen schliessen zu müssen, dass dieselbe ein epitheliales
Organ sei. Stieda fand, mit Rücksicht auf seine anderweitigen
entwickelungsgeschichtlieben Studien, diese Behauptung sehr annehm-
bar, und unternahm eine eingehende Prüfung derselben. Schon
auf Grund einiger Querschnitte konnte er sich leicht überzeugen,
1) Wölfler, Ueber die Entwicklung und den Bau der Schilddrüse
Berlin. Reimer 1880.
2) L. Stieda, Untersuchungen über die Entwicklung der Glandula
Thymus, Glandula Thyreoidea und Gl. Carotica. Leipzig. Engelmann 1881.
Beitr.z. Kenntniss d. Entwickelungsgesehichted. Gl.Thyreoidea u. Gl. Thymus. 417
dass Kölliker Recht hatte. Nun erhob sich die Frage, woher
stammt das Epithel der embryonalen Tbymus? „Die Lösung dieser
Frage, sagt er, war nicht so leicht gefunden, als es auf den’ersten
Bliek scheinen möchte und als es vielleicht der eine oder der
andere Forscher annehmen dürfte mit Hinbliek auf die beigefügten
Zeichnungen.“ Trotzdem dass er viele Embryonen in Serien-
schnitte zerlegt hat, konnte er zu keinem Resultate gelangen, weil
die übliche Querschnittriehtung nicht geeignet war, einen Zusam-
menhang der Thymus mit dem Schlundepithel, wie es Kölliker
vermuthete, nachzuweisen. Nach langem Probiren fand er die schräg
nach vorn (unten) geneigte Richtung als die einzig richtige. Er
gelangte aber noch lange Zeit zu keinem Resultate, weil in frü-
heren Entwickelungsstadien sich die Anlage der Thyreoidea und
noch mehr die Anlage der Carotidendrüsen als ein störendes Ele-
ment in Bezug auf die Untersuchung der Thymus hineindrängt.
Er wurde dadurch geradezu gezwungen, auch die Entwickelung
der Thyreoidea mit zu verfolgen. Auf Grund seiner Unter-
suchungen — hauptsächlich an Sehweine- und Schafembryonen
ausgeführt — konnte er in Bezug auf die Thymus die Behauptung
Kölliker’s bestätigen, indem er festzustellen vermochte,. dass die-
selbe ein paarig angelegtes epitheliales Organ sei und
dass dieses Epithel von einer Schlundspalte herstamme.
Bezüglich der Schilddrüse fasst er seine Ansicht folgender-
massen zusammen (p. 32):
„Die Schilddrüse hat ihre erste epitheliale Anlage in
einer paarigen Wucherung des Epithels an der Stelle, wo der Rest
der epithelialen Auskleidung einer Kiemenspalte mit dem Rachen-
epithel zusammenstösst. — Sobald jene erste seitliche oder
paarige Anlage da ist, so wächst das Epithel‘ zur Mitte zu, so
dass sehr früh schon auch der mittlere Theil der Thyreoidea im
Embryo erscheint. Durch diese Darstellung, dass die Thyreoidea
ebenso wie die Thymus eine paarige Anlage besitzt, ‘bin ich mit
ganz direkten Angaben Kölliker’s im völligen Widerspruch.
„jch muss offen gestehen“, fährt Stieda fort, „dass ich lange
gezögert habe, die Bildung der Thyreoidea aus paarigen von
der Seite zur Mitte wachsenden : Anlagen anzuerkennen, weil
meine eigenen Präparate mir nicht überzeugend genug schienen.
— Allein, wenn die Schilddrüse sich nieht so'entwickelte, wie ich
aus meinen Präparaten schliesse, so hätte ich doch eine andere
418 Philipp Fischelis:
Bildungsweise finden müssen. — Aber ich habe nichts gesehen,
was ich als unpaare Anlage hätte deuten können. — Das frühe
Auftreten des mittleren Abschnitts der Thyreoidea in Form
eines einzigen quer über die Trachea laufenden soliden Zellen-
strangs (ziemlich gleichzeitig mit der Anlage des embryonalen
Thymuskanals) leitete meine Aufmerksamkeit immer auf die Mittel-
linie des Embryo, um hier die unpaare Anlage nach Kölliker
zu finden.“ Stieda schildert dann seine vielfachen vergeblichen
Versuche in dieser Beziehung und fährt nun, p. 34.1. ce. betreffs
der zugehörigen Kiemenspalte fort: „lch bin in Betreff der Frage,
um welehe Kiemenspalte es sich hier handelt, zu keiner ganz
sicheren Ansicht gelangt. Nach den Ergebnissen meiner Unter-
suchungen bei Schweine-Embryonen glaubte ich mich für die letzte
(4.) Kiemenspalte entscheiden zu müssen, wobei ich dann annahm,
dass aus dem lateralen Theil die Thymus, aus dem medialen,
unmittelbar an die Pharynx heranreichenden Theil die Thyreoidea
ihre embryonale Epithelanlage beziehe. Die Ergebnisse meiner
Untersuchungen an Schaf-Embryonen haben mich aber etwas da-
von abgebracht; es hat mir scheinen wollen, als ob die 3. und 4.
Kiemenspalte mit ihren medialen Enden an einer und derselben
Stelle in den Pharynx münden. — Darnach würde ich annehmen,
dass die Gl. thyreoidea aus der 4. Spalte, die Gl. thymus
aus der 3. Spalte hervorgehe. Oder aber ich muss annehmen,
dass beide Organe aus einer und derselben Spalte (der 3.
oder 4.) ihre Anlage beziehen.‘
Wir sehen hieraus, dass Stieda sich die grösste Mühe ge-
geben hat, möglichst objeetiv den Gegenstand zu untersuchen. Er
hat alles berücksichtigt, was etwa in Frage kommen konnte, und
gelangte auf Grund seiner Untersuchungen zu der Schlussfolge-
rung, dass der Entwieklungsmodus der Schilddrüse, wie er von
den verschiedenen Forschern beim Hühnchen und von Kölliker
beim Kaninchen beschrieben worden ist, beim Schwein und Schaf,
an denen er hauptsächlich seine Untersuchungen angestellt hat,
nicht stattfindet. ‘In diesem negativen Befunde liegt der Schwer-
punkt der so wichtigen Monographie von Stieda.
Stieda ist in seiner Darstellung von der allgemein üblichen
Form abgewichen, indem er die Zusammenfassung seiner Resul-
tate nicht am Schlusse, sondern gleich am Anfange der Abhand-
lung hinstelite, Er glaubte dadureh, wie er sagt, die Aufmerksam-
Beitr. z. Kenntnissd. Entwickelungsgeschichted. Gl.Thyreoideau.Gl. Thymus. 419
keit der Leser sicherer zu fesseln, und wahrscheinlich aus dem-
selben Grunde hat er da seine Hypothese bezüglich der Gl. Thy-
reoidea mit grösserer Sicherheit betont als es im Texte selbst ge-
schehen war. Er hat aber dadurch seiner in so vielen Beziehungen
werthvollen Monographie einen schlechten Dienst erwiesen, denn
während er selbst zugiebt, dass seine Präparate wegen der Lücken-
haftigkeit des ihm vorgelegenen Materials nicht überzeugend genug
seien, um die Frage endgültig zu entscheiden, hat er im Resume
der geläufigen Ansicht über die Entwickelungsgeschichte der Gl.
Thyreoidea den Nagel auf den Kopf getroffen. Durch dieses Vor-
schieben der Hypothese in den Vordergrund hat er die Aufmerk-
samkeit der Autoren von dem Texte selbst abgelenkt, und manche
von ihm auf so mühevollem Wege gefundene richtige Thatsache
wird nun irriger Weise anderen Forschern zugeschrieben (ef. z. B.
Kölliker, Grundr. d. E.-G. II. Aufl. p. 369).
Wenn ich oben angegeben habe, dass Wölfler zu demselben
Resultate gelangt sei, wie Stieda, indem er ebenfalls eine bila-
terale paarige Anlage für die Schilddrüse gefunden hat, so
muss ich doch sagen, dass die Genauigkeit der Untersuchungen
betreffs des uns hier interessirenden Punktes derjenigen von Stieda
bedeutend nachsteht. Es blieb ihm der Zusammenhang der Thy-
mus mit dem Epithel der Kiemenspalten unbekannt und deshalb
konnte er leicht dem Irrthume verfallen, die Anlage derselben mit
derjenigen der Thyreoidea zu verwechseln. Das ist auch in der
That geschehen, wie aus den seiner Monographie beigelegten Zeich-
nungen ganz unzweideutig hervorgeht. Ferner begnügte er sich
damit, Fortsätze der Schlundspalten, im Bogen nach der Mittellinie
verlaufend gesehen zu haben, um daraus schon den Schluss zu
ziehen, dass das Epithel derselben die alleinige Anlage der
Thyreoidea sei. Ob noch ausserdem eine mediane Anlage existirt,
und ob aus dem Epithel der Schlundspalten noch etwas anderes
entsteht, hat er, wie aus der Beschreibung hervorgeht, nicht weiter
verfolgt. Es schien ihm seine Annahme so plausibel. dass er so-
gar die Angaben der Forscher über die Anlage der Thyreoidea
beim Hühnchen und anderen Thieren, ohne diese selbst weiter zu
untersuchen, als irrthümlich erklärte. Er versuchte diese Angaben
in der Weise entstanden zu erklären, dass er annimmt, die be-
treffenden Forscher hätten auf dem Sagitalschnittbilde das mediale
Ende des Fortsatzes des Schlundspaltenepithels für eine Ausbuch-
Archiv f. mikrosk. Anatomie. Bd. 25. 29
420 Philipp Fischelis:
tung der ventralen Schlundwand gehalten. Abgesehen davon, dass
keine Berechtigung vorliegt, die Befunde an Säugethierembryonen
dazu zu verwenden, eine Erklärung dafür zu geben für die von
andern gemachten Beobachtungen am Hühnchen, so ist auch für
die Säugethiere diese Vermuthung nicht richtig; denn es reichen,
wie wir später sehen werden, die ventralen Fortsetzungen der
Schlundspalten lange nicht bis zur Mittellinie heran. Es kann so-
mit auf einem Sagittalschnitte, der ziemlich durch die Mittellinie
geführt ist, das mediale Ende gar nicht getroffen sein.
Die neueste Bearbeitung dieses Gegenstandes rührt von Born!)
her. Die Untersuchung, die zuerst allein auf die Entwicklung der
Gl. Thyreoidea gerichtet war, erweiterte sich durch die Anwen-
dung seiner Methode der plastischen Reconstruction zu einer Be-
arbeitung der Schicksale der Schlundbögen und Schlundspalten
sowie der Entwicklung der Gebilde, die zu denselben in Beziehung
stehen.
Bezüglich der Thymus konnte er die Angaben Stieda’s be-
stätigen und war auch in der Lage, festzustellen, dass sie sich
aus der dritten Kiemenspalte entwickelt, wie es Stieda auch ver-
muthete.
Was die Thyreoidea anbelangt, so ergab sich, dass dieselbe,
wie Stieda gefunden hat, allerdings aus den ventralen Fortsätzen
des Schlundspaltenepithels eine paarige Anlage entnimmt. Er
fand aber, dass das Mittelstück, was auch Stieda gesehen und
verfolgt hat, nicht in der Weise entsteht, wie es Letzterer für
wahrscheinlich hielt. Wir haben früher gesehen, dass Stieda an-
nehmen zu müssen glaubte, dass dieser mittlere Theil schon in
einem sehr frühen Stadium aus den seitlichen Anlagen hervor-
wachse. Demgegenüber fand Born, dass dieses mittlere Stück
ganz unabhängig von den lateralen Anlagen in der Höhe der
zweiten Kiemenspalte entsteht. Er glaubt aus seinen Präparaten
schliessen zu dürfen, dass diese mediane Anlage aus der ventralen
Schlundwand hervorgehe und durchaus dasselbe Ansehen wie jede
andere Drüsenlage habe. Erst später verschmelzen die beiden
lateralen Theile mit den medialen zu einem einheitlichen Gebilde.
1) G. Born, Ueber die Derivate der embryonalen Schlundbogen und
Schlundspalten bei Säugethieren. Archiv für mikrosk. Anatomie. Bd. XXU.
pi, 27.
Beitr. z. Kenntnissd. Entwickelungsgeschichted. Gl.Thyreoideau. Gl.Thymus. 421
Bei der Darlegung meiner eigenen Untersuchungen werde ich Ge-
legenheit haben noch genauer auf die Abhandlung von Born einzu-
gehen.
His!) glaubt beim Menschen eine paarige epitheliale An-
lage der Gl. Thymus und eine unpaarige mediale Anlage der
Gl. Thyreoidea annehmen zu müssen. Auf die von His beige-
brachten Zeichnungen werde ich später zu sprechen kommen.
Kölliker hat in der neuesten zweiten Auflage seines Grund-
risses der Entwieklungsgeschichte sich dahin geäusserst, dass
Stieda irre, wenn er meine, dass die Gl. Thyreoidea allein aus
den lateralen Anlagen entstehe. Wenn Kölliker somit die An-
sicht über eine mediane unpaare Anlage auch festhält, so scheint
er doch damit der Ansicht über die paarige laterale Anlage eine
Existenzberechtigung nicht absprechen zu wollen. Er würde so-
mit die Ansicht von Born acceptiren.
Ueberblieken wir das Ergebniss unseres literarischen Ex-
eurses, so erscheint uns die Uebereinstimmung in den Angaben
der verschiedenen Forscher lange nicht in so rosigem Lichte, wie
es denjenigen Autoren vorgeschwebt hat, welche geglaubt haben,
allgemeine, für die ganze Thierwelt gültige Gesetze aufstellen zu
können. Wir haben vielmehr die Einsicht gewonnen, dass wäh-
rend Remak, Goette, Seessel u. a. m. beim Huhne eine un-
paare mediane Anlage der Thyreoidea angeben, Wölfler und
Stieda bei Säugethieren eine paarige laterale Anlage der-
selben beobachtet haben, und Born endlich beim Schweine gleich-
zeitig eine paarige und unpaarige gefunden hat. Letzterer ist
sogar, wie wir früher gesehen haben, der Ueberzeugung, dass
dieser doppelte Entwicklungsmodus in der ganzen Wirbelthier-
reihe vertreten ist. Wir haben ferner gesehen, dass Remak,
ebenso wie Goette, die erste Anlage der Gl. Thyreoidea nicht
als einfache Ausstülpung des Darmepithels schildert, wie es bei
der Anlage anderer Drüsen der Fall ist. Beide Autoren geben
vielmehr, ohne aber besonderes Gewicht darauf zu legen, überein-
stimmend eine solide Verdiekung des Darmepithels als
den primären Process an. Dieser Punkt ist um so mehr von Be-
deutung, als Kölliker diesen Entwicklungsmodus auch beim Ka-
ninchen beobachtet hat. Auffallend erscheint es, dass diese An-
gabe von niemandem bis jetzt gewürdigt ‚worden ist.
1) His, Anatomie menschlicher Embryonen I. 1880. Leipzig.
422 Philipp Fischelis:
Wir finden somit die Frage über die erste Anlage der Gl.
Thyreoidea noch lange nicht erledigt und werden uns eingesteben
müssen, dass die vorliegenden Beobachtungen bei weitem nicht
ausreichen, um etwas Sicheres über die phylogenetische Bedeutung
dieses Gebildes aussagen zu können.
Auf Anempfehlung des Herrn Prof. Dr. Waldeyer, dem ich
hier meinen aufrichtigen Dank ausspreche, habe ich es unter-
nommen, durch eigene Untersuchungen, sowie durch das Studium
der wichtigsten diesbezüglichen Literatur die vorliegenden An-
gaben über die Entwicklungsgeschichte der Gl. Thymus, besonders
aber der Gl. Thyreoidea einer Prüfung zu unterwerfen.
Als Material, speeciell für diese Aufgabe, standen mir haupt-
sächlich Schweineembryonen der verschiedensten Stadien zur Ver-
fügung. Ausserdem war ich in der Lage, eine Präparatensamm-
lung von Hühnerembryonen, die ich mir zur eigenen Belehrung,
ohne einen speciellen Zweck zu verfolgen, im Laboratorium der
Anatomie zu Leipzig!) während meines Studiums daselbst ange-
fertigt hatte, und die ich in der letzten Zeit durch neue vervoll-
ständigte, für den hier verfolgten Zweck benutzen zu können.
Während der Bearbeitung dieses Manuskripts gelang es mir ausser-
dem noch einige ganz junge Kaninchenembryonen untersuchen zu
können. Wenn ich es auch sehr gewünscht hätte, alle Entwick-
lungsstadien des letzteren, sowie noch anderer Thiere in den Be-
reich meiner Untersuchungen gezogen zu haben, so glaube ich
doch, dass die Veröffentlichung der Resultate meiner Untersuchungen,
die mich wegen des in der gewünschten Qualität schwer zu er-
langenden Materials schon ziemlich lange Zeit in Anspruch ge-
1) Mein hochgeehrter Lehrer, Herr Prof. His, war so freundlich, mir
die Erlaubniss zu geben, die reichen Hülfsmittel des Laboratoriums für den
genannten Zweck benutzen zu dürfen. Ich erfülle nur eine angenehme Pflicht,
wenn ich die sich mir hier darbietende erste Gelegenheit ergreife, um dafür
demselben, sowie dem Prosector der Anstalt, Herrn Dr. Altmann, der mir
mit seiner reichen practischen Erfahrung auf diesem Gebiete zeitweise freund-
lichst zur Seite stand, meinen besten Dank auszusprechen.
Beitr. z. Kenntniss d. Entwickelungsgeschichted.Gl.Thyreoidea u. Gl.Thymus. 423
nommen haben, nicht ohne einiges Interesse sein werden. Die mir
vorgelegenen Hühner- und Schweineembryonen haben sich mit der
Zeit zu einer continuirlichen Serie der Entwicklungsstadien ge-
staltet, und ich glaube, dass es doch in Anbetracht dessen, dass
viele Forscher hauptsächlich und manche ausschliesslich diese 2
Species für die Untersuchung herangezogen haben, viel wichtiger
ist, eine Uebereinstimmung in den bereits vorliegenden Thatsachen
zu erstreben, als auf Grund einzelner neuen Bruchstücke weit-
gehende allgemeine Betrachtungen anzustellen, die einer genauen
Untersuchung gegenüber nicht stichhaltig sind und welche viel-
mehr eine richtige Erklärung der Thatsachen immer mehr er-
schweren. Es scheint mir dasselbe um so wichtiger, als bis jetzt
nur Born von Säugethierembryonen eine continuirliche Serie der
Entwieklungsstadien des Schweines untersucht hat. Ich verfüge
jetzt über brauchbare Quer- und Längsschnittserien der Kopf-Hals-
region von mehr als 30 Schweineembryonen der verschiedensten
Stadien. Für die Beschreibung werde ich diejenigen herausgreifen,
welche für das Verständniss des Entwickelungsganges der Drüsen
am meisten demonstrativ sind und durch welche wir auch im
Stande sind, über die Gegensätze, die in den Beschreibungen der
verschiedenen Autoren sich finden, in’s Klare zu kommen.
Des leichteren Verständnisses wegen glaube ich am zweck-
mässigsten so zu verfahren, dass ich nicht mit der Beschreibung
eines allerjüngsten Stadiums beginne, sondern dasjenige Stadium
zum Ausgangspunkte wähle, welches die morphologische Gestal-
tung der uns hier interessirenden Gebilde als bereits abgeschlossen
zeigt. Ein solches Stadium ist dasjenige, in welchem der Embryo
die Länge von 24 mm S.S.!) besitzt.
Zerlegt man die Halsregion eines solehen Embryo in Quer-
schnitte und durchmustert dieselben der Reihe nach, so trifft man
1) Als Maasse habe ich die von His für jüngere Embryonen einge-
führten benutzt. His misst die Länge von dem Nackenhöcker bis zu dem
am meist vorspringenden Theile der Steisskrümmung und bezeichnet diese,
Maass als Nackenlinie — N.L. Für ältere Embryonen habe ich dasjenige
Maass, welches von Born angegeben worden ist, benutzt. Letzterer misst
die grösste Gerade, die zwischen den Endpunkten des natürlich zusammen-
gekrümmten Embryos zu ziehen ist und bezeichnet dieselbe nach ihren End-
punkten als Steiss-Scheitellinie = S.S.
424 Philipp Fischelis:
die hier liegenden Gebilde in einem topographischen Verhältnisse,
welehes durchaus demjenigen des Erwachsenen entspricht. Fig. 1—4
sind den Schnitten 88, 90, 92, 94 der Serie eines Embryo von
24 mm 8.8. entnommen, und dessen Kopf-Halsregion ich in
Schnitte von 1/;p mm Dicke zerlegt habe. Die Schnitte sind etwas
schräg in der, Richtung von rechts nach links verlaufen und des-
halb ist an einer Seite der Fig. der Durchschnitt der oberen Ex-
tremität (E) sichtbar. An Fig. 1 gelingt die Orientirung nicht
schwer. Man erkennt das durchschnittene Centralnervensystem (n),
an welchem man bereits die graue und weisse Substanz unter-
scheiden kann. Vor dem Üentralnervensystem ist ein noch knor-
pelig angelegter Wirbelkörper (w) sichtbar. Weiter nach vorn ist
der Durchschnitt des Darmrohres (d) getroffen, und vor demselben
liegt die Trachea (tr); beide sind mit einem deutlichen Epithel
ausgekleidet. An den lateralen und ventralen Aussenflächen der
Trachea ist bereits die erste Anlage des knorpeligen Gerüstes (kn)
desselben angedeutet. In einer Entfernung von 0,l mm von der
Trachea sieht man ein halbmondförmiges Gebilde (S), welches wir
seiner topographischen Lage, sowie seinem feineren Baue nach
als die Gl. Thyreoidea erkennen. Sie besteht, bei stärkerer Ver-
srösserung betrachtet, aus Zellensträngen, die sich netzartig ver-
binden und in dessen Maschen Blutgefässe in mehr oder weniger
ausgebildeter Form wahrzunehmen sind. Die Anlage der Museu-
latur (m) tritt schon deutlich hervor. — Die Betrachtung der
nächstfolgenden Schnitte lässt uns die Form der Schilddrüse zu
dieser Zeit deutlich erkennen. In Fig. 2 stellt sich uns dieselbe
aus 2 Theilen bestehend dar, die durch eine Lücke von einander
getrennt sind. In Fig. 3 sehen wir nur eine Hälfte derselben und
in Fig. 4 ist nichts mehr von ihr wahrzunehmen. Denken wir
uns alle Schnitte — die der Reihe nach dazwischen liegenden,
hier nicht abgezeichneten, mit einbegriffen — aufeinander gelegt
und beachten dabei die etwas schräge Richtung derselben, so sehen
wir leicht ein, dass die Lücke nicht durch die ganze Dicke des
Gebildes durchgeht, sondern nur eine rinnenförmige Vertiefung
darstellt. Ich will hier gleich hervorheben, dass im weiteren Ver-
laufe der Entwicklung, den wir hier nicht berücksichtigen, die
Rinne keine weitere Ausbildung erleidet. Sie bildet sich weder
zu einem Spalte aus, um die Thyreoidea in 2 Theile zu trennen,
noch nimmt sie an Breite zu, um etwa einen isthmusähnlichen,
Beitr.z. Kenntniss d. Entwickelungsgeschichte d.G1.Thyreoidea u.Gl. Thymus. 425
mittleren Theil zu bilden. Das Organ stellt vielmehr auch später,
wie ich das in Uebereinstimmung mit den anderen Autoren con-
statiren kann, einen unpaaren ovalen, der Trachea anliegenden
‘Körper dar. — Auf das Verhalten der Rinne in den früheren
Stadien werde ich bei der Besprechung derselben noch zurück-
kommen.
Das topographische Verhalten der Gl. Thyreoidea in dieser
und der nächstjüngsten Periode noch mehr zu veranschaulichen,
ist die Fig. 5 geeignet. Sie ist einem Sagittalschnitte eines Em-
bryo von 20 mm S.S. entnommen. Man erkennt die Wirbelsäule
(w), die Schädelbasis (SB), den Unterkiefer mit Zunge (Uk), das
Herz (H) und die Leber (Lb). Vom Herzen aus geht in der Rich-
tung nach hinten oben der Aortenbogen (Ao) ab, und über dem-
selben liegt ein ovaler Körper, die Schilddrüse (S). Dieselbe ist
mittelst einiger sie durchwandernder Gefässe (in den Zeichnungen
mit schwarzen Strichen angedeutet) in mehrere Haufen gesondert,
von denen wir auf diesem Schnitte drei erblieken. Dorsalwärts
von der Thyreoidea sieht man als Fortsetzung der Mundbucht (Mb)
den Pharynx (Ph) und im weiteren Verlaufe das Schlundrohr (Oe)
vorüberziehen. Zwischen letzterem und der Schilddrüse sieht man
die Trachea (tr) liegen, der von der Pharynxhöhle aus eine im
Bogen verlaufende Einbuchtung — der embryonale Larynx (K) —
entgegenkommt. Die Lücke im Verlaufe der Luftröhre ist dadurch
bedingt, dass letztere einen etwas gewundenen Gang nimmt. Der
hier fehlende Theil ist auf den darauf folgenden Schnitten der
Serie, die hier nicht wiedergegeben sind, deutlich sichtbar.
Die Verhältnisse in einem nächstjüngeren Stadium stellen die
Fig.6—9 dar. Sie sind einem Embryo von 18 mm N.L. entnom-
men und entsprechen den Schnitten 76, 75, 73, 71 der Serie. Es
sind die einzelnen Theile in den Zeichnungen, nach Vergleich mit
dem bereits beschriebenen leicht zu erkennen. Was die Schild-
drüse in diesem Stadium betrifft, so sehen wir dieselbe in Fig. 6
ebenfalls bogenförmig vor der Trachea liegen; sie unterscheidet
sich aber von der in Fig. 1 dargestellten. Sie ist nieht mehr so
compaet und dick, ist mehr in querer Richtung ausgezogen und in
Fig. 7, die dem nächstfolgenden Schnitte entspricht, sieht sie mehr
bandartig aus. Es entspricht diese Form dem Bilde, welches Born
in seiner Fig. I1 für die Thyreoidea in diesem Stadium gibt. Es
fällt in der Fig. auf, dass das Band nicht in seiner ganzen Länge
426 Philipp Fischelis:
gleichmässig dick ist, sondern die beiden lateralen Enden dessel-
ben sind verdiekt, besonders deutlich tritt dieses in der linken
Hälfte des Präparates hervor. Diese Verdickung spielt, sowohl in
der Stieda’schen wie in der Born’schen Auffassung über die Ent-
wieklung der Thyreoidea eine hervorragende Rolle, und wir wollen
deshalb gleich hier auf die Erörterung dieses Punktes eingehen,
dann können wir uns in der weiteren Beschreibung kürzer fassen.
‘Wenn wir Fig. 6 und 7 mit Bezug auf diesen Punkt genauer
ansehen, so finden wir, dass die Verdickung durch ein Nebenein-
anderliegen von 2 Bestandtheilen in Fig. 6 und Verschmolzensein
derselben in Fig. 7 bedingt ist. Ich habe durch verschiedene
Sehattirung die beiden Theile von einander hervorzuheben gesucht.
In den Präparaten selbst ist ein demgemässer Unterschied in der
Intensität der Färbung durch Haematoxylin wie Carmin vorhan-
den. In welchem Verhältnisse stehen nun diese beiden Theile zu
einander? — Es liegen offenbar zwei Möglichkeiten vor. Erstens
kann einer der Theile (Ms oder Ls) als Ursprungsquelle für den
andern gedient haben, so dass einer von dem anderen hervor-
wuchs. Zweitens können wir uns aber auch denken, dass beide
Theile, sowohl (Ls) als auch (Ms) ganz unabhängig von einander
entstanden seien — der eine von der Seite, der andere von der
Mitte her — und dass dieselben an der Stelle, wo wir sie zu-
sammenliegen sehen, zusammentrafen, um eine Verschmelzung ein-
zugehen. Beide hier angegebenen möglichen Annahmen haben
ihre Vertreter gefunden. Wie wir oben gesehen, hat der Autor,
der zuerst dieses Bild gesehen hat — Stieda —, die Erklärung
desselben im Sinne der ersten Annahme gegeben, indem er
geglaubt hat aunehmen zu müssen, dass der Theil (Ms) aus den
Theilen (Ls) seinen Ursprung nahm. Demgegenüber hat später
Born geglaubt, auf Grund seiner Untersuchungen die vorliegende
Thatsache im Sinne der zweiten Annahme erklären zu müssen.
Um das für und wider bei der Beurtheilung dieser beiden Hypo-
thesen besser würdigen zu können, wollen wir zunächst die fol-
gende Frage beantworten. Welche Beweise müssten beigebracht
werden, um der einen oder anderen dieser beiden Annahmen zu
festem Boden zu verhelfen ?
Es leuchtet ein, dass die Beweisführung unbedingt an die
Untersuchung einer eontinuirlichen Serie der Entwicklungsstadien
gebunden ist. Zur Begründung der ersten Annahme müsste an
Beitr.z. Kenntnissd. Entwickelungsgeschichte d.G1.Thyreoideau. GL Thymus. 427
Präparaten demonstrirt werden, dass 1) die betreffenden Theile
(Ls) und (Ms) in den früheren Entwicklungsstadien immer den
Zusammenhang beibehalten, 2) dass der Zusammenhang der Theile
(Ms) in der Medianlinie immer lockerer wird und dass dieselben
sich allmählich nach ihren Ursprungsquellen (Ls) zurückziehen,
3) dass ein Stadium vorhanden ist, auf dem man noch nichts von
den Theilen (Ms) sieht, da dieselben noch nicht aus den vermeint-
lichen Ursprungsstellen (Ls) hervorgekommen sind. Würden wir
dagegen finden, dass 1) der Zusammenhang der Theile (Ls) und
(Ms) immer lockerer wird, bis er durch das Auseinanderweichen
der Theile völlig schwindet, 2) dass die Theile (Ms) in der Me-
dianlinie als ein einheitliches Ganzes immer ungetrennt bleiben,
dagegen in ihrer Länge durch die Entfernung von den Theilen
(Ls) stetig abnehmen, 3) dass der Theil (Ms) bis in das früheste
Stadium hinein, weit entfernt von den Theilen (Ls), in der Mitiel-
linie des Halses liegt, dann müssten wir der zweiten Annahme
mehr Existenzberechtigung zuerkennen. Wären wir ausserdem
noch in der Lage, den Ursprung des Theiles (Ms) aus einer an-
deren Quelle zu beobachten, dann wäre die zweite Ansicht zu einer
unzweifelhaft feststehenden Thatsache erhoben.
So einfach vielleicht auf den ersten Blick die Erledigung
einer solchen Aufgabe auch scheinen mag, so scheitert doch die
Lösung oder wird mindestens sehr erschwert durch Mangel an
passendem Material, was denjenigen Beobachtern, die sich mit
solchen Fragen befasst haben, gar wohl bekannt ist. Stieda stan-
den nur einzelne Entwicklungsstadien zur Verfügung. Damit war
aber auch die Möglichkeit einer vollständigen Erklärung der hier
in Betracht kommenden, von ihm zuerst beobachteten Thatsachen,
von vornherein ausgeschlossen. Was ihm an Material vorlag, hat
er möglichst allseitig untersucht und genau beschrieben. Darin
liegt der Werth seiner Monographie. Wir wollen nun sehen,
durch welche Thatsachen er in der Lage war, seine Annahme zu
stützen.
Das jüngste Stadium, welches er von Schweineembryonen
untersuchen konnte, war 13 mm lang, also etwa demjenigen gleich,
welches wir hier vor uns haben. Das Verhalten der Gl. Thyreoidea
in diesem Stadium gibt er in den Fig. I—3 wieder. Der Befund
unterscheidet sich von den in unseren Fig. 6 und 7 dargestellten
insofern, als kein Zusammenhang zwischen den Theilen (Ls) und
428 Philipp Fischelis:
(Ms) zu constatiren ist. Nach ausführlicher Beschreibung der Prä-
parate fügt er hinzu: „Dass diese vor der Trachea befindlichen, oben
schon als Thyreoidea gedeuteten Epithelmassen sich aus den
seitlichen Anlagen herausbilden, um in der Mitte sich zu ver-
einigen und nicht umgekehrt, daran zweifle ich gar nicht. — Einen
direeten Zusammenhang zwischen diesen beiden seitlichen Anlagen
der Schilddrüse und des am Querschnitte sichtbaren Mittelstücks
habe ich beim Schweine nicht gefunden und deshalb auch nicht
zeichnen können. Nach dem, was ich aber beim Schaf gefunden
(Fig. 10) kann ich keinen Augenblick zweifeln, dass das Mittel-
stück sehr früh aus dem seitlichen hervorwächst“ (p. 17). Wir
sehen hieraus, dass Stieda beim Schweine keine von den oben
angedeuteten beweisfähigen Thatsachen beobachtet hat, die zu
Gunsten seiner Annahme sprechen könnten. Was er beim Schweine
beobachtet hat, spricht vielmehr dagegen.
Wie verhält es sich nun mit den Schafembryonen, die er für
so ausschlaggebend erachtet hat? Seine Fig. 10 entspricht im
Grossen und Ganzen meiner Fig. 7. Sie ist, seiner Angabe nach,
einem Präparate von einem Schafembryo entnommen, der 18 mm
an Länge mass. Dieses Präparat war die Grundlage für die von
ihm gemachte Annahme. Was aber die jüngeren Stadien betrifft,
die wir doch allein für entscheidend halten müssen, so sagt er:
„Die Präparate, die ich von jüngeren Embryonen gewonnen habe,
sind nicht demonstrativ genug gewesen, um mich von dem wirk-
lichen Zusammenhang zu überzeugen“ (p. 22). Letztere Angabe
spricht aber auch mehr gegen als für seine Hypothese. Wir müssen
somit sagen, dass, so richtig auch die von Stieda gemachten
Beobachtungen sind, doch seine Erklärung derselben mindestens
nicht ausreichend gestützt erscheint. Stieda war sich dessen selbst
bewusst, indem er seine Mittheilungen als nichts Abschliessendes
sebende betrachtet und den Forschern, die sich weiterhin mit
dieser Frage beschäftigen würden, Embryonen von 12—16 mm
Länge zur Untersuchung empfiehlt.
Wir müssten uns jetzt zur genaueren Betrachtung der zwei-
ten, der Born’schen Hypothese wenden; indess, da meine Beob-
achtungen sich eng an die von Born gemachten anschliessen, so
werde ich das bei der weiteren Beschreibung meiner eigenen Be-
funde mit erledigen können. Bevor wir zum Studium des nächst-
jüngsten Stadiums übergehen, wollen wir noch einen Blick auf
Beitr.z. Kenntnissd. Entwickelungsgeschichted.G1.Thyreoideau.Gl. Thymus. 429
die mittlere Partie der Gl. Thyreoidea im vorliegenden Stadium
werfen. Fasst man diesen Theil in’s Auge, so ist ersichtlich, dass
in der Mitte desselben eine starke Verjüngung vorliegt, welche
wegen der schräg ausgefallenen Schnittrichtung in den verschie-
denen Sehnitten verschieden zum Vorschein kommt. Während
dieselbe in Fig. 6 deutlich ausgeprägt ist, tritt in Fig. 7 an der
entsprechenden Stelle eine Lücke auf, die in Fig. 8 — dem zweit-
nächsten Schnitte — noch grösser wird. An Fig. 9 ist von der
Schilddrüse nichts mehr zu sehen. Denken wir uns die Schnitte
der Reihe nach aufeinandergelegt, so finden wir, dass es sich auch
hier, gleich wie im vorher betrachteten Stadium, um eine rinnen-
förmige Vertiefung handelt.
Das nächstjüngste Stadium, welches wir zu untersuchen ha-
ben, ist dasjenige von 16 mm N.L. Wegen der vielen wichtigen
Thatsachen, die an den Präparaten dieses Stadiums zu constatiren
sind, werde ich Präparate von mehreren verschiedenen Embryonen
derselben Grösse besprechen, um alles Wichtige hervorheben zu
können. Fig. 10 ist am besten geeignet, an der Hand der bisher
betrachteten Thatsachen uns einen Schritt weiter zu führen. Wir er-
kennen in der Zeichnung den Durchschnitt des Schlundrohres (Oe)
und ventralwärts von demselben denjenigen der Trachea (tr). Die
Thyreoidea-Anlage ist hier noch mehr als im vorher betrachteten
Stadium bandförmig ausgezogen. Die lateralen Enden sind nicht
mehr verdiekt. Wir machen vielmehr die Wahrnehmung, dass die
Theile (Ls) und (Ms) viel weiter auseinander stehen, als in Fig. 6.
Auf den darauf folgenden Schnitten der Serie habe ich dieselben
ebenfalls getrennt angetroffen. Ventralwärts von der Schilddrüse
tritt uns in der linken Seite der Figur ein neues schlauchförmiges
Gebilde entgegen (Th). Es ist die von Stieda gefundene em-
bryonale Thymus. Eine Verwechselung dieser beiden Gebilde ist
nicht möglich. Während die Gl. Thyreoidea der Trachea näher
liegt und von derselben nur durch mesodermales Gewebe getrennt ist,
liegt die Gl. Thymus der dorsalen Herzwand näher und ist von
der Thyreoidea durch ein Gefäss getrennt. Dieses Verhalten der
Thymus ist von His auch beim Menschen gefunden worden und
in seiner Taf. II Fig. 42 abgebildet. Das Gefäss ist in diesem
Schnitte gerade nicht getroffen und deshalb auch nicht gezeichnet.
Aber noch ein anderes sehr wichtiges Unterscheidungsmerkmal
ist von Stieda- zuerst hervorgehoben worden. Während nämlich
450 Philipp Fischelis:
die Thymus hier nur aus Zellen besteht und an einigen Schnitten
deutlich ein lumentragendes, schlauchförmiges Gebilde darstellt,
zeigt die Thyreoidea eine starke Vaseularisation. Bei stärkerer
Vergrösserung sieht man, dass die Thyreoidea aus kleineren und
srösseren, nach verschiedenen Richtungen verlaufenden Zellen-
strängen besteht, welche durch Blutgefässe in verschiedenen Sta-
dien der Entwicklung von einander getrennt sind. Auch einzelne
Zellen und Zellenhaufen liegen ungeordnet da und sind von Blut-
bestandtheilen umgeben. Deutlich wahrnehmbare Gefässwände
habe ich hier in diesem Stadium nie beobachten können. Man
macht vielmehr die Wahrnehmung, dass hier Drüsenzellen und Blut-
bestandtheile sich innig durchdringen.
Durehmustern wir eine andere Schnittserie. desselben Sta-
diums, so finden wir im Grossen und Ganzen dasselbe Bild. Es
unterscheiden sich indess die einzelnen Exemplare derselben Tracht
in dem Grade der Ausbildung der einzelnen Theile, wie dies Born
ebenfalls gefunden hat.
In den Fig. 11, 12 und 13, die einer Serie angehören, treten
uns theils die Entwicklungsstufen von 13 mm N.L., theils die-
jenigen von 16 mm entgegen. Wir finden in Fig. 11 die Thy-
reoidea mit den charakteristischen Verdiekungen an den lateralen
Enden und in der Mitte des Gebildes die Lücke. In Fig. 12
finden wir die laterale Verdiekung deutlich ausgeprägt, aber wie
sich dieselbe hier darstellt, hat es mehr den Anschein, als ob sie
durch Aufeinanderlagerung zweier Theile entstanden sei. Diese
Deutung ist von Born zuerst ausgesprochen und in einem ent-
sprechenden Bilde bei starker Vergrösserung wiedergegeben. Wir
finden ferner in dieser Fig. 12 die schon in Fig. 10 aufgefundene
embryonale Thymus. Es ist auch das schon hervorgehobene Merk-
mal — die Trennung der Thyreoidea von der Thymus durch ein
Gefäss — hier deutlich constatirbar. An einem der darauf fol-
senden Schnitte, dem die Fig. 13 entnommen ist, sehen wir wie-
der die Thyreoidea in der geschilderten bandartigen Form. In
der Medianlinie ist eine fast vollständige Vereinigung derselben
vorhanden. Die Thymus ist wegen ihres gewundenen Verlaufes
in mehreren Portionen getroffen.
Ich möchte hier noch ein paar Worte hinzufügen bezüglich
der rinnenförmigen Vertiefung im Verlaufe der Thyreoidea, die
uns überall entgegengetreten ist. Bei der Beschreibung seiner
Beitr. z. Kenntniss d. Entwickelungsgeschichte d. Gl. Thyreoideau. Gl.Thymus. 431
Fig. 11 macht Born (p. 309) folgende auffällige Bemerkung: „Zu-
fällig hängen auf diesem Schnitte die Theile der Thyreoidea in
der Mitte nicht zusammen, ein Umstand, der vielleicht Stieda in
der Annahme, dass die mittleren Theile aus den seitlichen hervor-
wachsen, bestärkt hatte.“ Ich habe diesen Befund an allen Em-
bryonen ohne Ausnahme constatiren können. Nach der von mir
oben gegebenen Erklärung dieser Thatsache muss uns ja auch die-
ses Bild auf dem Querschnitte entgegentreten und kann es daher
nicht als ein zufälliges bezeichnet werden.
Durchmustern wir noch einige Schnitte eines ebenfalls 16 mm
langen Embryo. Die Fig. 14—16 sind der Schnittserie eines
solehen entnommen. Wir erkennen in den Fig. 14 und 15 die
schon besprochenen Theile wieder. Die Thyreoidea ist von stär-
keren Gefässen (mit schwarzen Strichen angedeutet) durchzogen.
Daneben liegen von beiden Seiten Theile der embryonalen Thy-
mus. Letztere heben sich von ihrer Umgebung deutlich ab, und
wir sehen auch, dass sie ein Lumen besitzen. Wir finden ausser-
dem in beiden Fig., die zwei aufeinanderfolgende Schnitte darstel-
len, in der linken Seite derselben einen Zellenstrang verlaufen,
welcher an einigen Präparaten, je nach der Richtung des Schnit-
tes, ein Lumen besitzt. Wir sehen in Fig. 15 den Strang oder
Schlauch ziemlich nahe an die Thymusstücke heranreichen, und man
trifft Präparate, in welchen man den direeten Zusammenhang beider
mit Leichtigkeit constatiren kann. Dieser Zusammenhang ist zuerst
von Stieda gesehen worden und in seinen Figuren abgebildet.
Er vermochte dadurch zu constatiren, dass die Thymus sich aus
einer schlauchförmigen Anlage herausbildet, welche bis zu dem
Epithel einer Schlundspalte verfolgt werden kann, von wo es sei-
nen Anfang nimmt.
Stieda konnte somit die Vermuthung Kölliker’s, dass die
embryonale Thymus ein epitheliales Gebilde sei, in vollem Maasse
bestätigen. Auf Grund unserer Präparate können wir uns dieser
Ansicht anschliessen. Nach oben hin lagert sich der Schlauch an
einen dreieckigen Körper an, in dem Stieda die Anlage der
Gl. Carotis vermuthet hat. Auf diesen Punkt werde ich weiter
unten zu sprechen kommen. Die Fig. 16 ist einem tiefer liegen-
den Schnitte derselben Serie entnommen. Der Durchschnitt des
Schlundrohres zeigt hier ein Verhalten, welches wir bis jetzt nicht
beobachtet haben. Wir sehen das Schlundrohr nach der ventralen
432 Philipp Fischelis:
Seite in einen feinen Fortsatz auslaufen, welcher als kolben- oder
birnförmige Verdiekungendet. Auf der linken Seite der Figur reicht
der Kolben nicht bis an das Schlundrohr heran. Im Verhältnisse
zu dem Gefässe (g) entsprechen die Kolben ihrer Lage nach den
Schilddrüsentheilen, und wir erkennen in denselben die in Fig.
15 und 14 nicht aufgefundenen Theile (Ls) derselben. Wir con-
statiren somit, dass die lateralen Anlagen der Schilddrüse (Ls) di-
reet mit dem Epithel des Schlundrohres zusammenhängen, wie es
Stieda zuerst gesehen hat. Wir finden aber andererseits, dass
der mediane Theil der Thyreoidea sich noch weiter von den la-
teralen entfernt hat und mit denselben in gar keinem Zusammen-
hange steht, wie es nach der Ansicht von Stieda sein müsste.
Letzteres Verhalten tritt besonders deutlich hervor, wenn man die
auf einander folgenden Schnitte der Serie betrachtet.
Wir wollen nun weiter ein nächstjüngstes Stadium unter-
suchen. Die Fig. 17, 18 und 19 sind einem Embryo von 15 mm
N.L. entnommen. In Fig. 17 tritt uns in der rechten Hälfte wieder
der dreieckige Körper — Stieda’sche Carotidendrüse — ent-
gegen. Wir können hier die wichtige Thatsache constatiren, dass
.das Epithel des Sehlundrohres bis an diesen Körper heranreicht.
Dieses Verhalten werden wir auf dem weiteren nächstjüngsten
Stadium antreffen, wo wir dann auch genauer darüber sprechen
wollen. Die Thyreoidea-Anlage ist etwas zu stark entwickelt für
dieses Stadium und dehnt sich ausnahmsweise etwas zu weit nach
hinten aus. Dieses Präparat war eines von den ersten, die ich
zu Gesicht bekam, und ieh war geneigt anzunehmen, dass hier ein
Befund vorliege, der viel für die Stieda’sche Hypothese spräche,
Als ich aber im weiteren Verlaufe meiner Untersuchung andere
Stadien studiren konnte und weder an jüngeren noch an älteren
Embryonen einen Zusammenhang des Theile fand, der für die Ab-
stammung dieses Theiles der Thyreoidea von dem dreieckigen
Körper, oder von dem Epithel der Schlundrohres spräche, so
musste ich die Stieda’sche Meinung als nicht richtig erachten.
Wir sehen ferner an diesem Präparate noch das mehrfach erwähnte
Gefäss (g) verlaufen und ventralwärts noch einen Durchschnitt des
Thymus. Einem um 5 Sehnitte tiefer liegenden Präparate ist
Fig. 18 entnommen. Wirfinden hier in der linken Hälfte der Figur
den Pharynx ebenso wie auf Fig. 16 in einem Fortsatze nach der
ventralen Seite auslaufen und kolbenförmig enden. Das Vorhanden-
Beitr.z. Kenntnissd. Entwickelungsgeschichted.Gl.Thyreoideau.Gl.Thymus. 433
sein eines Lumen in diesem Fortsatze ist deutlich constatirbar.
In der rechten Hälfte der Fig. sehen wir die Thymus in mehreren
Portionen wieder getroffen. Sehr deutlich tritt uns in diesem Prä-
parate die charakteristische. Lage des Gefässes (g) zwischen den
beiden Drüsenanlagen entgegen. Wenn wir schliesslich einen
noch tiefer liegenden Schnitt, dem Fig. 19 entspricht, betrachten,
so finden wir zu beiden Seiten der Trachea Durchschnitte von
schlauehförmigen Gebilden, die schon wegen ihrer Lage dorsalwärts
von dem Gefässe als die lateralen Schilddrüsenanlagen gedeutet
werden können. Diese Annahme wird vollauf bestätigt, wenn wir
das Verhalten dieser Theile aufwärts bis zu dem Schnitte, von dem
Fig. 18 entnommen ist, verfolgen. Wir finden nämlich, dass die-
selbe mit dem Fortsatz (Ls) der Fig. 13 zusammenhängen. Es
haben nämlich die lateralen Schilddrüsenanlagen einen bogen-
förmigen Verlauf und deshalb müssen wir dieselben je nach der
Höhe ‚der Schnittlage, ebenso wie die Thymus, verschieden zu
Gesicht bekommen.
Den Einblick in eine noch frühere Entwickelungsstufe gewin-
nen wir durch das Studium‘ der Embryonen von 14 mm N.L. Bei
der Durchmusterung der verschiedenen Schnitte finden wir das
Verhalten der Thymus, sowie der lateralen und medialen Anlagen
der Thyreoidea ebenso, wie wir das im vorher betrachteten Sta-
dium gefunden haben; nur haben die Theile nicht mehr diese Aus-
dehnung. Der Zusammenhang der Drüsenanlagen mit dem Epithel
des Schlundes ist noch deutlicher eonstatirbar. Nach der Median-
linie des Körpers zu sehen wir die kolbenförmigen Endigungen
der Schläuche nicht mehr so ausgeprägt. Die Fig. 20, die keine
weitere Erklärung braucht, zeigt uns das Verhalten der Drüsen-
anlagen und des dazwischen liegenden Gefässes in derselben Ge-
stalt, wie wir das im vorher betrachteten Stadium (Fig. 18) gesehen
haben.
Wichtig ist für uns dagegen die Fig. 21, wegen des Verhal-
tens des dreieckigen Körpers, den wir in seinem Zusammenhange
mit dem Pharynxepithel sehen. Wir finden in dieser Fig. den
Pharynx in die Breite gezogen und beiderseits mit Fortsätzen bis
an den dreieckigen Körper heranreichen. Der Körper ist an den
Präparaten immer schwächer gefärbt und hebt sich nach aussen
hin von einem ebenfalls intensiver gefärbten Strange ab. Den
letzteren kann man .an den darauf folgenden Präparaten als mit
434 Philipp Fischelis:
dem Eetoderm in Verbindung stehend auffinden. Um das Ver-
halten des dreieckigen Körpers zu den an ihn heranreichenden
zwei epithelialen intensiver gefärbten Fortsätzen, einerseits des Pha-
rynx, andererseits des Eetoderms, deutlich auffassen zu können,
müssen wir auf eine von His!) in der neuesten Zeit constatirte
sehr wichtige Thatsache zurückgreifen. His hat seine Erfahrun-
gen über das Verhalten der Schlundbogen und Schlundspalten
in folgender Weise zusammengefasst. „Die inneren Furchen und
Wülste sind vom Darmdrüsenblatte, die äusseren vom Hornblatt
umkleidet, ein marginaler Anschluss beider Blätter an einander,
wie er ja am Grund der Mundbucht und am Cloakeneingang sich
entwickelt, tritt im Bereich der sogenannten Spalten als Regel
nicht auf. Für die Umbildungsproducte wird es in der Folge nicht
mehr genügen, zu sagen, dass sie aus dem Epithel dieser oder
jener Kiemenspalte hervorgehen, vielmehr wird nachzuweisen sein,
ob sie der eetodermatischen oder endodermatischen Anlage entstam-
men.“ Wenn wir mit Rücksicht hierauf uns noch einmal die Fig. 21
ansehen, so können wir die uns interessirende Stelle in folgender
Weise deuten: DerPharynx ist an einer Stelle getroffen, wo das Epi-
thel desselben sich als die innere Kiemenfurche darstellt; dieser in-
neren strebt die äussere Kiemenfurche entgegen, sie bleiben aber
beide von einander durch den dreieckigen Körper getrennt. An
den meisten Präparaten ist keine scharfe Abgrenzung des
dreieckigen Körpers weder von dem Epithel der äusseren oder
inneren Kiemenfurche, noch von dem dazwischen liegenden meso-
dermalen Gewebe zu sehen. Es macht auf mich den Eindruck,
als bestehe dieser Körper aus Elementen aller drei Keimblätter.
Einen weiteren Einblick in das Verhalten dieses Gebildes
gewinnen wir, wenn wir eine entsprechende Stelle an einem 10 mm
langen Embryo untersuchen, wie sie uns in der Fig. 24 entgegen-
tritt. Wir sehen da ebenfalls den dreieckigen Körper, an den die
äussere und innere Kiemenfurche heranreichen. Wir lernen aber
eine neue sehr wichtige Thatsache kennen. Wir sehen nämlich
die vordere Wand der äusseren und die vordere Wand der inneren
Kiemenfurche als eine einheitliche schlauchförmige Einstülpung zu-
sammengetroffen. Dieser Schlauch (Th) ist die erste Anlage der
1) Mittheilungen zur Embryologie der Säugethiere und des Menschen.
His und Braune’s Archiv. 1881. p. 321.
Beitr. z. Kenntnissd. Entwickelungsgeschichte d.Gl. Thyreoideau.G1.Thymus. 435
Thymus, wovon wir uns dureh Untersuchung der darauf folgenden
Schnitte auf das unzweideutigste überzeugen können. Wir sehen
hieraus, dass die embryonale Thymus sich aus den ventralen Wän-
den, sowohl der äusseren wie der inneren Kiemenfurche ent-
wickelt. t
Was den Ursprung der lateralen Thyreoidea-Anlagen betrifft,
so gewinnen wir durch die Figuren 16 und 18 sehr leicht die
Ueberzeugung, dass dieselbe nur von dem Epithel der inneren
Kiemenfurche ihren Ursprung nehmen. Durch genaue Untersuchung
mehrerer Serien konnte ich mich überzeugen, dass diejenige von
den oben angegebenen Stieda’schen Vermutbungen richtig ist,
welche von Born mit Sicherheit nachgewiesen wurde und be-
sagt, dass die lateralen Thyreoidea-Anlagen an der vierten, die
Thymus dagegen an der dritten Schlundspalte ihren Ursprung
nehmen. Ich habe auch zur Feststellung dieser Thatsache Recon-
structionsversuche nach der Methode von Born gemacht.
Nachdem wir somit die Ursprungsquellen der Gl. Thymus,
der lateralen Schilddrüsenanlagen und des dreieckigen Körpers
erforscht. haben, wollen wir zum Schlusse noch den mittleren
Theil der Schilddrüse (Ms) weiter zu verfolgen suchen. Zu diesem
Ende sehen wir uns Präparate eines ID mm N. L. langen Embryo,
wie sie uns in den Fig. 22 und 23 entgegentreten, auf diesen
Punkt hin an.
Wir finden hier den mittleren Theil der Thyreoidea noch
ziemlich stark entwickelt. Das Gebilde ist hier aber noch von
keinen Blutbestandtheilen durchzogen. Es besteht aus Zellen, die
sich schon zu Haufen und kleineren Zellensträngen gruppiren und
welche sich scharf von der mesodermalen Umgebung abheben.
Einzelne Partien heben sich aber von der Umgebung nicht scharf
‘ab; man findet vielmehr die Zellen in dieselbe sich verlieren. Ein
solches Verhalten findet man bei den einzelnen Schnitten an ver-
schiedenen Stellen.
| Das jüngste Stadium, welches ich von Schweineembryonen
noch zu untersuchen in der Lage war, hatte 8 mm N. L.
Die Präparate, welche die mittlere Anlage der Schilddrüse
enthalten, sind in den Fig. 25 und 26 dargestellt. Fig. 25 zeigt
ein ähnliches Verhalten der Thyreoidea wie Fig. 22. In Fig. 26
heben sich die Zellenhaufen nach den Seiten hin und theilweise
Archiv f. mikrosk. Anatomie. Bd. 25. 30
436 Philipp Fischelis:
auch dorsalwärts, deutlich von dem umgebenden Gewebe ab. Ven-
tralwärts konnte ich keine deutliche Grenze constatiren.
Ich konnte an mehreren Embryonen dieses Stadiums keinen
Zusammenhang dieser Thyreoidea-Anlage mit dem Epithel des
Pharynx beobachten. Born hat an Embryonen von 7 mm N.L.
— den jüngsten die er untersucht hat — einen solchen Zusammen-
hang constatiren können und in seiner Fig. 10 abgebildet. Er
beschrieb den Befund in folgender Weise: „Die Anlage hat durch-
aus dasselbe Aussehen, wie die jeder andern Drüse. Aus einer
kleinen Vertiefung (in dem Epithel des Pharynx) zieht ein Epi-
thelstrang ventralwärts, der sich zu einer von hinten her löffel-
artig ausgehöhlten Epithelmasse verbreitert. — Die ausgehöhlte
Mitte derselben ist sehr dünn, so dass es oft den Anschein hat,
als theile sich der Epithelstrang in zwei bogenförmig divergirende
Aeste.“ — Wenn ich mit dieser Angabe und beigelegten Fig.
meine Fig. 26 vergleiche, so finde ich, dass dieselbe nur in einem
einzigen Punkte differirt. Ich war nur nicht in der Lage, den aus
einer Vertiefung ausgehenden Epithelstrang zu beobachten, das
übrige stimmt vollständig überein. Es ist mein Misserfolg in die-
sem Punkte leicht verständlich, denn das jüngste von mir beob-
achtete Stadium ist um 1 mm länger, somit also auch älter als
das von Born untersuchte. In der letzten Zeit war ich in der
Lage, einige, etwa 12 Tage alte Kaninchenembryonen untersuchen
zu können und konnte ich einen direkten Zusammenhang der
Schilddrüsenanlage mit dem Epithel des Pharynx, wie es Köl-
liker beschrieben und abgebildet hat, ganz deutlich constatiren.
Ich glaube hiermit einigermassen wenigstens die kleine Lücke, die
in meinen Untersuchungen von Schweineembryonen geblieben ist,
ausgefüllt zu haben.
Die Entwieklungsgeschichte der Thyreoidea beim Hühnchen
ist, wie wir oben gesehen haben, bereits so ausführlich bearbeitet
worden, dass ich mich darauf beschränken kann, nur einige der
wichtigsten Punkte hier kurz zu berühren.
a) Nach den im Vorhergehenden ausführlich auseinanderge-
setzten, neuesten Erfahrungen auf diesem Gebiete entsteht die
Beitr. z. Kenntnissd. Entwickelungsgeschichted. Gl.Thyreoidea u.G1.Thymus. 437
Frage: giebt es auch beim Hühnchen drei Anlagen der Gl. Thy-
reoidea? Auf Grund meiner Untersuchungen kann ich mich dahin
äussern, dass es hier keine lateralen Anlagen der Schilddrüse
giebt. Es ist nur eine mediane Anlage derselben vorhanden.
Ich habe keine Fortsätze, weder der inneren, noch der äusseren
hier in Betracht kommenden Kiemenfurchen nach der ventralen
Seite verlaufen sehen.
b) Die Angabe Seessel’s, dass er in der Mitte der Aus-
buchtung resp. im Bläschen eine feinkörnige, durch Carmin dunkel
gefärbte Masse beobachtet hat, die nach den Wänden feine Fäden
aussendet, kann ich bestätigen. Ich glaube aber nicht, dass der-
selben irgend welche wichtige Bedeutung beizulegen ist, denn auf
den weiteren Stadien habe ich nichts gefunden, was als Umwand-
lungsprodukt derselben zu deuten wäre.
c) Am 5. Tage der Bebrütung findet eine Zweitheilung der
Drüsenanlage statt. Es ist von W. Müller die Angabe gemacht
worden, dass die Drüsenanlage sich als bereits’ solider Körper
theile. Dagegen glaubt Götte, dass die Anlage während des
Theilungsprocesses noch ein Bläschen darstellt. Seessel hat die
Zweitheilung selbst nicht beobachtet, glaubt aber, sich der Ansicht
von W. Müller anschliessen zu müssen. Ich habe die Drüsen-
anlage noch vor der Theilung bereits solid angetroffen und habe
den Theilungsprocess an einem bereits solid gewordenen Körper
ablaufen sehen.
Wenn ich die Ergebnisse meiner Untersuchungen überblicke,
so finde ich folgendes:
Die Anlage der Gl. Thyreoidea beim Hühnchen und beim
Sehweine haben mit einander nur so viel gemein, dass bei beiden
dieselbe sich aus dem Epithel des Pharynx entwickelt.
Die Art der Entstehung und der weiteren Ausbildung ist bei
beiden verschieden. Beim Hühnchen nimmt die Schilddrüse nur
in der Medianlinie des Körpers von dem Pharynxepithel ihren
Ursprung. Sie stellt anfangs ein hohles Bläschen dar, bildet sich
dann zu einem soliden Körper aus und als solcher erleidet die-
selbe dann eine Theilung in zwei von einander sich immer
438 Philipp Fischelis:
mehr entfernende Körper. Die beiden Theile kommen dann nahe
den Ursprungsstellen der Carotiden zu liegen.
Beim Schweine dagegen nimmt die Gl. Thyreoidea, wie ich
in Bestätigung der Stieda’schen und Born’schen Untersuchungen
finde, aus drei verschiedenen Stellen ihren Ursprung: aus einer in
der Medianlinie des Körpers, in der Höhe des zweiten Kiemen-
bogens gelegenen und aus zwei symmetrischen lateralen in der
Gegend der dritten Kiemenspalte gelegenen Stellen, die als innere
Kiemenfurchen bezeichnet werden. Auf einer bestimmten Stufe
der Entwicklung treffen die beiden lateralen Anlagen mit den
lateralen Enden der mittleren Anlage zusammen und verwachsen
zu einem einheitlichen ovalen vor der Trachea liegenden Körper.
Eine Theilung der Anlage findet nicht statt.
Die Gl. Thymus entwickelt sich beim Schweine aus dem
Epithel der dritten, sowohl äusseren wieinneren Kiemenfurche.
Sie stellen zunächst schlauchförmige ventralwärts verlaufende Fort-
sätze dar.
Beim Hühnchen habe ich eine solche Anlage der Gl. Thymus
nicht finden können.
So interessant die vorliegenden Thatsachen nach vielen Rich-
tungen hin sind, so glaube ich doch, dass wir noch nicht in der
Lage sind, gegenwärtig die hier sich aufdrängenden Fragen über
die phylogenetische Bedeutung der Schilddrüse zu einem Abschluss
zu bringen.
In der festen Ueberzeugung, dass bei allen Wirbelthieren die
Gl. Thyreoidea in der gleichen Weise als Divertikel der ventralen
Schlundwand entstehe, hat W.Müller!) die Ansicht ausgesprochen,
dass die Schilddrüse aus der Hypobranchialrinne der Tunicatea
hervorgegangen sei. Wiedersheim?) hat sich dieser Ansicht
angeschlossen und glaubt, dass die Schilddrüse im Laufe der
1) W. Müller, Ueber die Hypobranchialrinne der Tunicaten und
deren Vorhandensein bei Amphioxus und Cyclostomen. Jenaische Zeitschrift
Bd. VII. 3. Heft 1873.
2) Wiedersheim, Lehrbuch der vergleichenden Anatomie der Wir-
belthiere Bd. II. 1883. p. 526.
Beitr. z. Kenntnissd. Entwickelungsgeschichted. Gl.Thyreoideau. Gl. Thymus. 439
Stammesgeschichte nur einen Functionswechsel einging. Auch
andere Autoren haben diese Ansicht für richtig erachtet.
Demgegenüber spricht sich Huschke!) in seinen sehr lehr-
reichen Betrachtungen dahin aus, dass sowohl die Gl. Thyreoidea
als die Thymus als Reste des Kiemenapparates zu betrachten
seien. Dieser Annahme hat sich in der neueren Zeit A. Dohrn?)
angeschlossen. So heisst es bei ihm p. 47: „Offenbar haben wir
es bei der Glandula Thyreoidea mit dem letzten Rest der zwischen
Hyoidbogen und Hyomandibularbogen zu Grunde gegangenen Kie-
menspalte zu thun.“
Durch die Ergebnisse der Arbeiten von Stieda und Born,
dureh meine eigenen Untersuchungen und das Studium der eben
angegebenen Abhandlungen habe ich die Ueberzeugung gewonnen,
dass die Huschke-Dohrn’sche Ansicht zur Zeit viel besser ge-
stützt erscheint, als die von W. Müller aufgestelte. Zur vollstän-
‘digen Erledigung dieser Frage müssen indessen weit mehr That-
sachen vorliegen als es jetzt der Fall ist; zur Zeit sind weitgehende
Verallgemeinerungen nur mit äusserster Reserve aufzunehmen.
Erklärung der Abbildungen auf Tafel XIX.
Die beigefügten Abbildungen beziehen sich sämmtlieh auf Schweine-
embryonen und sind bei 10facher Vergrösserung mit dem His’schen
Embryographen gezeichnet.
Figg. 1—4. Schnitte durch einen Embryo von 24 mmS$.S. cn — Centralner-
vensystem; w — Wirbelkörper; oe — Oesophagus; tr — Trachea;
kn — Knorpelanlage der Trachealringe; S — Schilddrüse; m — Mus-
kelanlage; E — obere Extremität.
Fig. 5. Schnitt durch einen Embryo von 20 mm 8.8. SB — Schädelbasis;
MB — Mundbucht; Uk — Unterkiefer mit Zunge; ukw — Unter-
kieferherzwinkel; K — Kehlkopfanlage; Ao — Aorta; Lb — Leber;
H — Herz. Alles übrige wie in den vorhergehenden Figuren.
1) Isis, 1826. p. 618—623, 1817. p. 403.
2) A. Dohrn, Studien zur Vorgeschichte des Wirbelthierkörpers VII.
Mittheilungen aus der Zoologischen Station zu Neapel Bd. VI 1 Heft,
440 Philipp Fischelis: Beitr. z. Kenntniss d. Entwickelungsgeschichte ete. 7
Figg. 6—9. Schnitte durch einen Embryo von 18mm N. L. Ms — Mediane
Schilddrüsenanlage; Ls — laterale Schilddrüsenanlage. Alles übrige
wie vorhin.
Figg. 10—16. Schnitte durch mehrere Embryonen von 16 mm N.L. g — Blut-
gefäss; C — Carotidendrüse; Th — Thymusanlage; Ph = Pharynx;
Lr — Larynx. Alles übrige wie oben.
Figg. 17—19. Schnitte durch einen Embryo von 15 mm N.L. Bezeichnungen
wie oben.
Figg. 20—21. Schnitte durch einen Embryo von 14mm N.L. ak — äussere
Kiemenfurche; ik — innere Kiemenfurche. Alles übrige wie oben.
Figg. 22—24. Schnitte durch einen Embryo von 10 mm N.L. Bezeichnungen
wie oben.
Figg. 25—26. Schnitte durch einen Embryo von 8mmN.L. Bezeichnungen
wie oben.
Hans Gierke: Die Stützsubstanz des Centralnervensystems. 441
Die Stützsubstanz des Centralnervensystems.
Von
Dr. Hans Gierke.
I. Theil.
Hierzu Tafel XX und XXI.
In den folgenden Darstellungen beginne ich die Publication
der Resultate langjähriger Untersuchungen über das centrale Nerven-
system. Es war eigentlich meine Absicht, dieselben in einem
eignen Werk zusammenzufassen, dessen erster Band neben der
Beschreibung der Elemente der Centralorgane auch die Histologie
des Rückenmarks und des verlängerten Markes enthalten sollte.
Doch gelang es mir bei der grossen Zahl schwieriger und doch,
wie ich hoffe, lösbarer Fragen noch nicht, die Untersuchung dieser
Partieen zu einem mich befriedigenden Abschluss zu bringen. Ich
habe mich daher entschlossen, vorläufig die Elemente, welehe das
centrale Nervensystem aufbauen, also die nervösen Fasern und
Zellen und die Gebilde der Stützsubstanz, allein abzuhandeln. Ich
gebe nun zunächst in dem folgenden ersten Aufsatz das, was ich
durch mehrjährige Arbeit hinsichtlich der Neuroglia habe fest-
stellen können, allerdings in grosser Beschränkung. Einmal ziehe
ich die Verhältnisse bei den niederen Wirbelthieren und bei den
höheren Wirbellosen gar nieht oder möglichst wenig in diese Dar-
stellung hinein, obgleich ich grade auf ihre Erforschung in den
letzten beiden Jahren viel Zeit und Mühe verwandt habe!). Zwei-
tens werde ich mich, um diese Arbeit nicht gar zu lang werden
zu lassen, hinsichtlich der Litteratur und der bisher geltenden An-
1) Ich benutzte besonders einen Aufenthalt von 4 Monaten in Neapel
im Beginn des vorigen Jahres dazu, die Neuroglia der Fische zumal der
Selachier, der Mollusken und Crustaceen näher zu untersuchen. Die reiche
Unterstützung, welche die zoologische Station des Herrn Professor Dohrn
mir gewährte, ermöglichte günstige Resultate.
Archiv f. mikrosk, Anatomie. Bd. 25. 31
4423 Hans Gierke:
sichten über das zu besprechende Gewebe auf die nothwendigsten
Angaben beschränken. Meiner Ansieht nach wird das Verständ-
niss der wirklichen Verhältnisse durch die Aufzählung aller Miss-
verständnisse nicht sonderlich gefördert. Und auf eine Geschichte
der Kenntnisse oder der Erkenntniss der Neuroglia kann ich hier
des mangelnden Raumes wegen nicht eingehen.
Diese Arbeit ist zum Theil schon vor Jahren niedergeschrieben
gewesen. Bereits im Mai des Jahres 1832 habe ich einen Theil
der hier zu veröffentlichenden Thatsachen in einem vor Fachge-
nossen gehaltenen Vortrag besprochen und dann drucken lassen!).
Weitere Resultate publieirte ich 1883 in Form einer vorläufigen
Mittheilung in dem Mendel’schen Neurologischen Centralblatt?).
Diese letzte Veröffentlichung war ein kurzer Auszug dieses da-
mals schon im grössten Theil niedergeschriebenen Aufsatzes. Da
ich aber alle hier abgehandelten Fragen in dem letzten Jahr, be-
sonders in diesem Winter, noch einmal auf das Genaueste und mit
zum Theil neuen Methoden durchgearbeitet habe, so ergaben sich
manche Aenderungen in sofern, als ich etliche Behauptungen, die
ich bisher mit grosser Vorsicht aufgestellt hatte, nun mit sicherer
Ueberzeugung aussprechen konnte und verschiedene neue Beobach-
tungen hinzuzufügen Gelegenheit hatte. An einzelnen Stellen, so
im Capitel von der medulla oblongata und von dem Grosshirn
hatte ich das Gesagte derartig zu erweitern, dass vollkommen
neue Darstellungen entstanden. Obgleich ich nun aber der Unter-
suchung der Stützsubstanz sehr grosse Sorgfalt und jahrelange
Mühe gewidmet habe, konnte ich doch die Verhältnisse in einigen °
Punkten nicht ganz klar erkennen. Es sind nur sehr wenige, auf
deren vollkommene Erkenntniss ich bei den jetzt mir zu Gebote
stehenden Hülfsmitteln verzichten musste. Im Uebrigen aber glaube
ich die Kenntnisse der Neuroglia durch die im Folgenden dar-
gestellten Resultate meiner Untersuchungen derartig zu fördern,
dass dies Gewebe, welches bisher so ungemein verschieden auf-
gefasst wurde und das im Grunde genommen noch recht unbe-
1) Beiträge zur Kenntniss der Elemente des centralen Nervensystems.
In dem Breslauer Physiologischen Verein gehaltener Vortrag. Breslauer
Aerztliche Zeitschrift 1882. Nr. 14 ff.
2) Die Stützsubstanz des centralen Nervensystems. Neurologisches Cen-
tralblatt 1883. Nr. 16 u. 17.
Die Stützsubstanz des Centralnervensystems. 443
kannt war, von nun an zu den am besten bekannten Ge-
weben des Körpers gehören wird. Es ist ja schon sehr viel über
dasselbe gearbeitet worden und eine grosse Anzahl tüchtiger For-
scher haben sich mit seiner Untersuchung beschäftigt. Liest man
aber nur in einigen wenigen Handbüchern der allgemeinen Histo-
logie oder der Nervenlehre die unsere Gewebe betreffenden Ab-
schnitte durch, so wird man einmal über die ungemein verschie-
dene Auffassung desselben, dann aber auch über die Dürftigkeit
der Darstellung auf das Höchste erstaunt sein. Der Eine hält
diese Stützsubstanz für eine Unterart des reticulären Bindegewebes,
der Andere für ein epitheliales Gewebe; dieser lässt sie nur aus
Zellen, jener nur aus Fasern zusammengesetzt sein u.s.w. Im
Allgemeinen wird sie viel zu wenig beachtet, was bei der grossen
ihr zukommenden histologischen und pathologischen Bedeutung
sehr zu verwundern ist. Freilich wird ihr eine viel geringere
quantitative Entwicklung zugeschrieben als sie in Wirklichkeit
besitzt. Eine grosse Masse von Substanz-Partieen des centralen
Nervensystems, welche bisher ganz allgemein für nervös angesehen
wurden, gehören ganz allein der Stützsubstanz an. Bei der eigen-
thümlichen Beschaffenheit des Gewebes ist es möglich geworden,
dass an vielen Stellen die ziemlich grossen Zellkörper desselben
sich der Entdeekung der tüchtigsten Forscher entziehen konnten;
dass diese nur die Ausläufer der Zellen, lange Fasergebilde, er-
kannten, sie aber für Nervenfasern hielten. Das äusserst intensive
Studium, das ich diesem Gewebe Jahre hindurch angedeihen liess,
dann auch der Fortschritt in den optischen Hülfsmitteln (Oelimmer-
sionen) gewährten mir die Möglichkeit, in der Erforschung dieses
Gewebes so viel weiter zu kommen als meine Vorgänger.
Ich habe meine Untersuchungen an den Centralorganen des
Menschen und der verschiedensten Thiere angestellt. Doch spreche
ich im Folgenden hauptsächlich von den sehr ähnlichen Verhält-
nissen bei den ersteren und bei den Säugethieren und behalte mir
vor, in nächster Zeit eine vergleichende Darstellung der nervösen
Stützsubstanz bei den niederen Wirbelthier-Klassen und den Wirbel-
losen zu veröffentlichen!). In gewissen Punkten unterscheidet sich
1) Doch ist das Studium der Neuroglia beiKaltblütern für das Verständniss
der Verhältnisse bei den höheren Thieren äusserst erspriesslich, vielleicht noth-
wendig. Schildkröten- und unter den Fischen Selachier-Gehirne sind nach meiner
444 Hans Gierke:
das Verhalten der Neuroglia beim Menschen und den Sängethieren;
es ist also nothwendig, die Centralorgane des ersteren ebenfalls
genau zu durehforschen. Manche Verhältnisse lassen sich aber in
ihnen viel schwieriger klarstellen als bei einigen leicht zu erlan-
senden Säugethieren. Es ist nämlich für die Herstellung sehr guter
mikroskopischer Präparate der Neuroglia durchaus nothwendig,
dass man vollkommen frisches Material, womöglich warme Gehirne
zur Verfügung hat!). Die menschlichen Gehirne, wie man sie aus
dem Obductionssaal bekommt, bieten für das Studium mancher
feinerer Verhältnisse gar zu ungünstige Objeete dar. Besonders
gelingt das Isoliren der Neuroglia-Zellen bei so beschaffenen Ge-
hirnen sehr schwer. Auch von diesem Umstand abgesehen eignen
sich die nervösen Centralorgane der Pflanzenfresser, besonders der
Wiederkäuer, für unsere Untersuchungen mehr als diejenigen des
Menschen und der Raubthiere, weil bei jenen die Anordnung der
Stützsubstanz eine viel klarere und übersichtlichere ist als bei
diesen.
In der Technik der Untersuchung wich ich nicht wesentlich
von andern Forschern ab. Ich suchte die Elemente der Stütz-
substanz zu isoliren und in Schnitten, welche nach allen Richtungen
Erfahrung die günstigsten weil deutlichsten und klarsten Objeete. Besonders
schön fand ieh die Verhältnisse bei sehr grossen Exemplaren von Chelonia Midas.
Während meines Aufenthaltes in Tokio gelang es mir, theils aus den japanischen
Gewässern, theils aus grösserer Ferne, besonders von den Bonin-Inseln unge-
heure Riesen dieser Art lebend zu bekommen. Das eine dieser Thiere wog
91/, Centner und musste von 6 Mann getragen werden; die Länge vom Kopf
bis zum Schwanzende mass 7 Fuss.
1) Nur einmal hatte ich Gelegenheit ein absolut frisches und ganz
warmes Gehirn in die Präparationsflüssigkeiten zu legen. Damals konnte ich
dann auch mehrere beim Menschen mir noch unklare Punkte aufhellen. Das
Gehirn stammte von einem Hingerichteten. Ich erhielt zwar in der ersten
Zeit meiner Lehrthätigkeit an der medieinischen Akademie in Tokio, der
Hauptstadt Japans, für die Präparirübungen eine sehr grosse Zahl von ge-
köpften Leichen geliefert; im ersten Jahr 52 Stück. Doch wurden sie den
bestehenden streng eingehaltenen Verordnungen gemäss erst 24 Stunden nach
der Execution auf die Anatomie geliefert. Nur einmaf gelang es mir nach
vielen Petitionen und grosser Mühe Zutritt zur Richtstätte und die Erlaubniss
zur sofortigen Herausnahme und Ausnutzung des Gehirns zu erlangen. Später
trat dann eine solche Milderung des Strafeodex ein, dass im letzten Jahr
unter den 115 zur Anatomie gelieferten Leichen nur noch 5 Hingerichtete waren.
“ Die Stützsubstanz des Centralnervensystems. 445
hin geführt wurden, zu studiren. Beim Isoliren wandte ich alle
bisher empfohlenen Macerationsflüssigkeiten an; besonders gern
die auf das Höchste verdünnten Lösungen von Chromsäure und
deren Salzen. Die Osmiumsäure, welche für die Isolirung der
nervösen Elemente von grossem Nutzen sein kann, bietet für die
Präparation der Gliazellen keine Vortheile dar. Ebensowenig
„a von Chloralhydrat, die ja auch für die Maceration des
Sentralnervensystems empfohlen wurden und die in der That für
die Darstellung der nervösen Zellen manche Vortheile darbieten?!).
Flüssigkeiten, welche die Structur der Elemente möglichst unver-
ändert einige Zeit bewahren, wie Amnios- oder Augenkammer-
flüssigkeit und Jodserum wurden herangezogen, doch nur für die
Untersuchung der Grundsubstanz mit Nutzen verwandt, da die
Stützzellen sich in ihrer feinern Structur beim Absterben nicht
verändern. Ranvier’s „Alcohol & tiers“?) ist ein sehr brauch-
bares Macerationsmittel, das auch für unsere Zwecke gute Dienste
leistet, meiner Meinung nach aber hinter den Lösungen der Chrom-
salze oder der Chromsäure selbst zurücksteht. In dem vergangenen
Jahr habe ich noch eine Lösung kennen gelernt, welche ich seit-
dem viel für die Isolirung der Elemente des Centralnervensystems
gebraucht habe und für diesen Zweck alllen andern Macerations-
flüssigkeiten ganz entschieden vorziehe. Aber auch für die Isoli-
rung anderer Gewebselemente kann ich nach etlichen vergleichenden
Experimenten dieselbe dringend empfehlen. Die zelligen Elemente
erhalten sich mit ihren Fortsätzen ausserordentlich gut in ihr, und
die Zwischen- oder Grundsubstanzen werden durch ihre Einwir-
kung leicht gelöst oder wenigstens in einen Zustand übergeführt,
dass die ersteren sich gut isoliren lassen. Ich lernte die Methode
in der zoologischen Station in Neapel durch Herrn Dr. Paul
Mayer kennen. Sie ist aber von Herrn Professor Landois in
Greifswald erfunden worden. Mit der gütigen Erlaubniss des Letz-
teren theile ich die Zusammensetzung dieser Macerationsflüssigkeit
hier mit. Von den concentrirten Lösungen folgender Substanzen
1) Das Chloralhydrat wurde als Macerationsmittel von Vietor Butzke
in seiner Arbeit: „Studien über den feineren Bau der Grosshirnrinde.“ Archiv
für Psychiatrie und Nervenkrankheiten Bd. III. p. 575 ff. empfohlen.
2) Ranvier, Trait& technique d’histologie. Paris 1875. p. 77 und in
den Archives de’ Physiologie normale et pathologique.
446 Hans Gierke:
1) Neutrales chromsaures Ammoniak, 2) Kali phosphorieum, 3) Natron
sulphuricum wird je 1 Theil zu 20 Theilen Aqua destillata ge-
setzt. Also
Neutrales chromsaures Ammon
Kali phosphoricum aa 5,0 gr
Natron sulphurieum
Aqua destillata 100,0 4,
Diese Flüssigkeit wird ebenso wie die sehr verdünnte Chrom-
säure angewandt. Die zu zerzupfenden Stückchen kommen für
1 bis 3, selbst 4 und 5 Tage in eine genügend grosse Quantität
derselben, dann noch für 24 Stunden in Carmin-Ammoniak-Lösung,
die zur Hälfte mit obiger Flüssigkeit versetzt ist.
Je älter das Thier, desto widerstandsfähiger sind sowohl die
Nerven- wie die Glia-Elemente. Natürlich giebt es da Grenzen,
indem bei ganz alten Geschöpfen die Sache sich wieder anders
verhält. Sehr wichtig ist es, möglichst frisches Material zur Ver-
fügung zu haben; womöglich muss der Kopf noch warm sein, aus
dem man das zu präparirende Gehirn herausnimmt. Je mehr
Zeit nach dem Tode des Thieres oder des Menschen verflossen
ist, desto schwerer ist es, die Elemente in ihrer vollkommenen Ge-
stalt zu isoliren und um so weniger gelingt es, sie zu färben. .
Grade dieser letzte Umstand ist sehr auffallend; es zeigt sich, dass
älterem Material entnommene Präparate, sowohl isolirte Elemente
als auch Schnitte, viel schwieriger mit allen in die mikroskopische
Technik eingeführten Farben deutlich zu machen sind, als solche,
welche von frisch getödteten Thieren herstammen. Genaue An-
gaben über Concentration der Macerationsflüssigkeiten und über
die Dauer der Einwirkung kann ich also nicht machen, da ich je
nach den Verhältnissen ausserordentlich wechselte, auch wohl die-
selben Stücke erst mit schwächerer, dann mit stärkerer Lösung
behandelte oder sie einen Tag in doppeltchromsaures Ammoniak,
dann in Chromsäure legte. Am liebsten verwandte ich eine Lö-
sung des eben genannten Salzes in einer Stärke von 1 auf 3000
Wasser, verfertigte vom möglichst frischen Gehirn und Mark ganz
dünne Schnitte mit dem Rasirmesser und brachte nicht allzu grosse
Quantitäten derselben in die Lösung. Viel Flüssigkeit, wenig Ma-
terial ist Hauptregel hier sowohl wie auch beim Erhärten. Ist
das Organ recht frisch, so ist es schön hart, und man kann leicht
dünne Schnitte anfertigen; hat es aber seit dem Tode des Ge-
Die Stützsubstanz des Centralnervensystems. 447
schöpfes längere Zeit gelegen, so ist es sicher weich und matsch;
es gelingt dann nur schwer, grössere dünne Schnitte zu machen.
Nach 24 Stunden wird die Flüssigkeit gewechselt; erscheinen die
"Stücke etwas weich, so verstärke ich wohl die Lösung oder ich
gebe eine minimale Quantität Chromsäure (1 auf 10000, oder 15,000)
hinzu. Nach 48 oder 60 Stunden schneide ich aus den Stücken
das, was ich zerzupfen will, also z. B. ein Vorderhorn des Rücken-
markes heraus und bringe es für abermals 24 Stunden in eine
färbende Flüssigkeit. Trotz ausserordentlich zahlreicher Versuche
und trotz aller möglichen Variationen der Methoden fand ich kein
Färbemittel, das für unsern Zweck dem Carmin gleichkam, ge-
schweige denn es übertraf. Einige Anilinfarben bringen zwar
schöne Färbungen hervor, erweisen sich aber sonst so wenig in-
different, dass sie den Macerationsprocess unterbrechen, so z. B.
erhärten etliche die Stückehen derart, dass ein Zerzupfen unmög-
lich wird. So wären sie nur in dem Fall anzuwenden, dass man
erst die Präparate zerzupft und dann in der feuchten Kammer
färbt. Es ist aber kaum möglich, auf diese Weise gelungene Prä-
parate zu erhalten. Einmal entbehrt man des grossen Vortheils,
unter der Lupe die gefärbten Zellen beim Zerzupfen sehen und
einzeln herausholen zu können; man tappt vielmehr im Dunkeln
und muss aufs Gerathewohl loszupfen; dann werden bei dem nach-
träglichen Färben sehr viele der kleinen isolirten Elemente fort-
geschwemmt, man weiss nicht was verschwunden und was ge-
blieben ist; endlich werden solche Präparate stets sehr unrein.
Für das Durchfärben ganzer macerirter Stückchen fand ich nur das
gewöhnliche in Wasser lösliche Anilinblau und eine Bordeaux-
Anilinfarbe tauglich. So blieb ich beim Carmin und wandte ein-
mal die gewöhnliche Ammoniakverbindung an, in der freilich jeg-
liches freie Ammoniak fehlen muss, und dann sehr gern carmin-
saures Natron!). Sehr erfolgreich erwies es sich, das Carmin in
obiger Lösung von doppeltehromsaurem Ammoniak, anstatt in
1) Herr Apotheker Maschke in Breslau stellt dies in vorzüglicher
Weise als trockenes Pulver dar, das man ganz nach Bedarf und Belieben in
Wasser lösen, und von dem man sich nach Wunsch jede Concentration an-
fertigen kann. Ist schon diese Bequemliehkeit sehr angenehm, so ist an-
dererseits auch der Erfolg der Anwendung ein besserer als bei dem gewöhn-
lichen Ammoniak-Carmin, zumal was die Kernfärbung angeht.
448 Hans Gierke:
Wasser aufzulösen, da bei dieser Methode der Macerationsprocess
durch die Färbung nieht unterbrochen wird. Jeglicher Versuch,
irgend einen Farbstoff zu finden, welcher bei diesen Isolirungs-
präparaten oder bei der Behandlung der Sehnitte vom erhärteten’
Material das nervöse Gewebe von der Neuroglia im Wesentlichen
zu unterscheiden vermag, misslang. Von dem so zubereiteten Ma-
terial zerzupfte ich dann sehr kleine Stückehen unter dem Prä-
parirmikroskope von Zeiss. Man kann unter demselben sehr
deutlich die Nervenzellen und die grösseren Elemente der Neu-
roglia erkennen und dieselben nun systematisch aus dem übrigen
Gewebe herausziehen und sie von den anheftenden Partikelchen
befreien. Diese Art des Isolirens, so schwierig sie auch zunächst:
für den Ungeübten ist, muss für das centrale Nervensystem als
die einzig richtige bezeichnet werden. Auf diese Weise erkennt
man schon während des Isolirens, was vorhanden ist und wie es
ungefähr aussieht. So z.B. hinsichtlich des Axeneylinderfortsatzes
der Nervenzellen merkt man unter dem Präparirmikroskop sofort,
ob man ihn abreisst oder ob er gar nicht vorhanden war; so auch
ist es ausserordentlich wichtig in Betreff der Erkenntniss der
letzten Enden der Ausläufer und ihrer Verbindungen unter ein-
ander, unter einer sehr starken Lupe zu zerzupfen, da man bei
einiger Uebung den Zusammenhang der Elemente unter einander
schon deutlich erkennen kann. Die so in Wasser zerzupften Prä-
pnrate, aus denen das nicht Hineingehörige, z. B. grössere, nicht
zerkleinerte Klümpchen, entfernt war, liess ich offen an der Luft
liegen, bis das Wasser vollkommen verdunstet war. Dann kam
Canadabalsam und Deckglas herauf. Diese Trockenmethode lie-
fert ganz entschieden die besten Glia-Präparate und ist auch für
die Nervenzellen ganz unbedingt dann am meisten zu empfehlen,
wenn man die Formen derselben und die Ausläufer studiren will-
Diese treten — und das betrifft ebenso die Glia- wie die Nerven-
Zellen — bis zur alleräussersten Feinheit so klar und deutlich
hervor, wie bei keiner andern Methode. Es gelingt daher auch,
in den so hergestellten Präparaten die Fortsätze viel weiter zu
verfolgen als es bei andern der Fall ist. Natürlich muss man
zum Vergleich, und um Irrthümer zu vermeiden, die isolirten Ble-
mente auch in Wasser und in Glycerin studiren.
Die Zupfpräparate allein geben uns zwar ein getreues Bild
von dem Aussehen der einzelnen Glia-Elemente, aber für das
Die Stützsubstanz des Centralnervensystems. 449
Studium der topographischen Anordnung derselben und ihrem Ver-
hältniss zu den nervösen Zellen und Fasern hat man nach den
verschiedensten Richtungen hin angelegte Schnitte dureh das er-
härtete Mark nöthig. Hinsichtlich derselben ist nun vor Allem
zweierlei zu beachten, um Irrthümer zu vermeiden. Einmal darf
man die feineren Untersuchungen nur an den allerdünnsten Sehnit-
ten vornehmen. So trivial und selbstverständlich dieser Satz klingt,
so glaube ich doch Ursache zu haben, ihn hier ausdrücklich aus-
zusprechen, da gewisse, allen Forschern gemeinsame Irrthümer
hinsichtlich der quantitativen Verhältnisse der Neuroglia nur da-
durch zu erklären sind, dass alle an zu dieken Schnitten studirt
haben. Die brauchbaren müssen eben ganz ungemein fein sein,
so fein, dass man sie auch bei grosser Uebung nicht in grösserer
Ausdehnung z. B. durch das ganze Rückenmark anfertigen kann;
es gelingt dies selbst nicht mit Hülfe der so vorzüglichen neuen
Mikrotome. Daher muss man sich mit kleineren Partieen begnü-
gen, die man aus einer grösseren Anzahl möglichst dünner Schnitte
gewiss in der gewünschten äussersten Feinheit herausfindet. Be-
sonders eignen sich die etwas ausgefranzten Randstellen eines
unvollkommenen Schnittes zur näheren Betrachtung, da dieselben
hier oft die allergeringste Dünne besitzen, die überhaupt zu er-
reichen ist. Zum Vergleich und zur Uebersicht der Verhältnisse
sind auch etwas diekere Schnitte nothwendig. Dieselben lassen
aber das Zwischengewebe zwischen den Nervenfasern viel stärker
erscheinen, als es in Wirklichkeit ist. In Wahrheit nämlich be-
finden sich meist nur einzelne dünne Gliafasern zwischen den
Nervenfasern. Auf einem etwas stärkeren Querschnitt aber liegen
gleich eine Anzahl solcher feinen Fädehen zwischen den Nerven-
faserquerschnitten über einander und zwar ohne sich genau zu
decken. Sieht man nun von oben auf den Schnitt hinab, so scheinen
sie neben einander zu liegen. Ganz besonders ist dies der Fall,
wenn der Schnitt nicht genau senkrecht zur Längsaxe der Nerven-
fasern geführt ist. Bei der ausserordentlichen Feinheit der Glia-
fasern ist es nicht so leicht, durch scharfe Einstellung des Mikro-
skops diesen Irrthum auszuschliessen. Das Wichtigste bei der
Präparalion der Schnitte ist ganz ohne Frage die Erzielung einer
sehr guten Färbung der Zellkörper der Stützsubstanz. Ungefärbt
sind nämlich diese äusserst durehsichtigen, häufig kernlosen Gebilde
vielfach vollkommen unsichtbar und entgehen dem suchenden Auge
450 Hans Gierke:
des Forschers durchaus. Auch die fasrigen Elemente der Neuro-
slia können erst in gefärbten Präparaten als einzelne differenzirte
Gebilde erkannt werden. Nur durch diesen Umstand kann man
sich erklären, wie so tüchtige Untersucher grosse Partieen der
Stützsubstanz übersehen konnten. Die Elemente der Stützsubstanz
färben sich durchweg schwieriger als die nervösen, und zwar mit
allen Tinetionsmitteln die ich versucht habe, und es ist dies eine
stattliche Reihe. Auch hier erhielt ich immer noch die besten
Resultate mit Carmin und zwar bei Anwendung einer combinirten
Methode der Tinetion mit Ammoniak-Carmin und Alaun-Carmin.
Neuerdings dann aber habe ich ebenso gute, in mancher Beziehung
noch viel bessere Resultate mit der neuen Heidenhain’schen !)
Methode der Hämatoxylin-Färbung erzielt. Für manche Zwecke,
so z. B. für die Darstellung der Glia-Scheiden der markhaltigen
Nervenfasern im Rückenmark ist diese Tinetion ausserordentlich
zu empfehlen, wie sie überhaupt nach meiner Ansicht trotz des
schlichten Aussehens der durch sie gewonnenen Präparate eine
der allerbesten Färbemethoden ist, mit denen uns die letzten Jahre
beschenkt haben.
Vorbereitet zum Schneiden wurden die Centralorgane durch
Frhärten in einer Lösung von 11/,%/,—2!/%/, von doppeltehrom-
saurem Ammoniak, das ich dem Kali-Salz vorziehe. Chromsäure
wende ich neuerdings nach jahrelangem Unmherprobiren fast gar
nicht mehr an. Höchstens füge ich, nachdem die Gehirne einige
Wochen in obiger Lösung gelegen haben, derselben Y/,—1/3%/,
Chromsäure bei. Doch lasse ich sie dann höchstens noch zwei
Wochen in jener Flüssigkeit. Das Material wird in Chromsäure-
Lösungen gar zu leicht spröde und brüchig und färbt sich auch
viel schwieriger als dasjenige, welches nur in einer Lösung des
Salzes gelegen hatte. Die Ammoniakverbindung ziehe ich der
sonst allgemein üblichen Kaliverbindung vor, weil sie einmal etwas
energischer erhärtet und dann besonders, weil die Präparate sich
besser färben. Die neuerdings von Weigert?) wieder empfohlene
1) Einlegen der Präparate (ganzer Stücke oder der Schnitte) in 1/%/y-ige
wässerige Lösung der Hämatoxylin-Krystalle und Nachbehandlung mit 1%/,-iger
Lösung von Kali bichromicum. Heidenhain, Eine neue Verwendung des
Hämatoxylin. Dieses Archiv. Bd. 24. Heft 3. p. 468.
2) Ueber Schnellhärtung des centralen Nervensystems zum Zweck der
Säurefuchsinfärbung. Centralbl. f. d. med. Wiss. 20. Jahrg. 1882. p. 819.
Die Stützsubstanz des Centralnervensystems. 451
Schnellhärtung im Brütofen und durch Hinzufügen von Cuprum
sulphuricum zur Lösung des chromsauren Salzes: sollte nur im
Nothfall, eben wenn es sich um schleunige Zubereitung des Ma-
terials handelt, angewandt werden. Die Tinctionsfähigkeit der so
zubereiteten Präparate zumal hinsichtlich der Neuroglia leidet ent-
schieden. Die sogenannte Müller’sche Flüssigkeit ist für längeres
Aufbewahren des Materials von Nutzen, sie erhärtet aber dasselbe
nicht genügend. Ich lasse die nervösen Centralorgane je nach der
Grösse derselben, nach der Temperatur und andern Umständen
sechs bis zehn Wochen in der Lösung des chromsauren Salzes,
dessen Stärke ich von 11/5°/, bis zu 3%, allmählich steigere. Dann
bewahre ich sie in Alkohol bis zum Verarbeiten auf. Sicher ist
jedoch, dass das Material im Alkohol proportional zu der darin
verbrachten Zeit an Tinctionsfähigkeit einbüsst. Am besten färbt
es sich mit Carmin, ohne in Berührung mit Alkohol gekommen
zu sein; unmittelbar der erhärtenden Flüssigkeit entnommen und
unter Wasser geschnitten. Da dies nicht so ganz einfach und
leicht zu bewerkstelligen ist, thut man wenigstens gut, das Ma-
terial möglichst bald nach dem Einlegen in Alkohol zu verarbeiten.
Dies gilt besonders für die Elemente der Neuroglia, ebenso freilich
auch für die nervösen Zellen des Gehirns, während die Nerven-
Zellen und -Fasern des Rückenmarks sich oft noch nach jahre-
langem Liegen in Alkohol sehr gut färben ).
Neben den Präparaten vom gehärteten Material muss man
aber auch mit grösster Sorgfalt Schnitte aus ganz frischen und
1) Die nervösen Centralorgane dürfen nicht in Paraffin-, Wachs- oder
Harz-Mischungen eingeschmolzen werden, wenn man feinere histologische
Studien anstellen will! Ich halte durchaus alle an solchen eingeschmolzenen
Präparaten gemachten mikroskopischen Beobachtungen für unzuverlässig.
Dagegen ist die Celloidin-Einbettung nach Schiefferdecker sehr zu
empfehlen. Sie verändert nichts an der feineren Structur und erlaubt doch
umfangreiche und dünne Schnitte zu machen. Haudelt es sich freilich um
das feinste Detail, so ziehe ich Schnitte, die ich mit einem guten Rasirmesser
aus freier Hand mache, vor, da ich diese, allerdings in geringem Umfang;
noch dünner anfertigen kann, als es mir mit dem Mikrotom möglich ist.
Ausserdem natürlich muss man der eigenen Geschicklichkeit und Uebung die
Messerführung anvertrauen, wenn man den Alkohol bei der Behandlung der
Präparate vermeiden will oder wenn man frisches oder nicht genügend ge-
härtetes Material verarbeitet.
452 Hans Gierke:
aus nur wenig in den Chromsalzen gehärteten Organen studiren.
Ich glaube, es ist dies bisher etwas vernachlässigt worden, weil
es ungemein schwer ist, feine Schnitte von dem frischen Material
zu machen. Dennoch ist es nothwendig, weil die Methoden der
Erhärtung ja möglicherweise Veränderungen hervorrufen, die wir
erst beim Vergleich mit dem sicher unveränderten Material er-
kennen können. Von den ganz frischen, womöglich noch warmen
Centralorganen lassen sich noch am leichtesten feine Schnittchen
anfertigen. Je mehr Zeit nach dem Tode des Thieres verflossen
ist, desto schwieriger wird dies.
Die nervösen Elemente der Centralorgane liegen nicht unmit-
telbar nebeneinander, sondern sind voneinander durch eine andere
Masse getrennt, welche man mit einer ganz indifferenten Bezeich-
nung als Stützsubstanz des Centralnervensystems benennen kann.
Sehr häufig wird dieselbe von den Autoren als Bindegewebe be-
zeichnet und auch wirklich hinsichtlich ihrer histologischen Bedeu-
tung zur „reticulären Bindesubstanz“ gerechnet; sie wird als eine
Unterart derselben hingestellt neben der eytogenen Bindesubstanz
der Schleimhäute und vieler Drüsen und dem Gallertgewebe. Da
aber, wie wir sehen werden, das Stützgewebe des bentralen Nerven-
systems nur in Hinsicht seiner Aufgabe, seiner Function mit dem
Bindegewebe zu vergleichen ist, im Uebrigen aber und ganz beson-
ders in Hinsicht auf die Entwicklung und auf das Aussehen und
das Verhalten des fertigen Gewebes sich wesentlich von ihm
unterscheidet, so ist es jedenfalls wünschenswerth, es auch nicht
mehr so zu benennen. Ich werde es im Folgenden, um über einen
möglichst kurzen Ausdruck zu verfügen, mit der von Virchow
eingeführten Bezeichnung „Neuroglia‘“ (gleich Nervenkitt) oder
abgekürzt Glia benennen. Die Stützsubstanz der Centralgrgane
besteht aus zwei Bestandtheilen, aus der ungeformten und der
geformten Substanz; beide müssen unter dem Namen Neuroglia
zusammengefasst werden, obgleich freilich die Bezeichnung „Ner-
venkitt“ für die zelligen Elemente weniger gut passt als für die
Grundsubstanz. Kürzen wir, wie das ja üblich ist, jenes Wort
ab, so haben wir in den Bezeichnungen „Glia-Substanz“ und „Glia-
Zellen“ sehr bequeme Namen, welche ich durchaus nicht wie Ran-
vier in der oben eitirten kleinen Arbeit „detestable‘“ finde.
Die Neuroglia besteht aus einer ungeformten Masse, welche
für die graue Substanz die Grundlage bildet, in der die übrigen
Die Stützsubstanz des Centralnervensystems. 453
Elemente eingebettet sind, und welche daher als „Grundsub-
stanz“ bezeichnet werden darf und aus den geformten Elementen,
welche sich überall im ganzen Centralorgan als Zellen und von
diesen ausgehende Fortsätze darstellen. Andere Dinge kommen
nirgends vor. Und alle anders lautenden Angaben, nach denen in
der Stützsubstanz elastische Fasern, Bindegewebsfibrillen oder freie
Kerne, sogenannte Körner vorkommen sollen, beruhen auf Täu-
schungen und zwar auf Täuschungen, die durch die ungenügende
Beschaffenheit der Präparate hervorgerufen wurden. Ich komme
noch weiter unten darauf zurück, wie schwer es in etwas weniger
feinen Schnitten ist, die fasrigen Elemente auseinander zu halten
und auf ihren Ursprung zurück zu führen. Besonders aber ist
der Mangel in der Färbung Schuld an vielen der eingebürgerten
Irrthümer.
Am meisten ist über die freien Kerne oder über die Körner,
wie Henle und Merkel!) sie genannt haben, geschrieben und
gestritten worden. Man meinte und meint auch heute noch viel-
fach, dass in dem Stützgewebe eine sehr grosse aber nach den
Orten wechselnde Menge von runden Körpern vorkomme, die
unvermittelt und ohne jede Spur von verbindenden Fortsätzen dem
Zwischengewebe eingelagert wären. Die Erklärung des Vorhan-
denseins einer so grossen Anzahl solcher isolirter Körper im Cen-
tralnervensystem ist natürlich schwer zu geben, da an eine func-
tionelle Bedeutung derselben beim besten Willen nicht zu denken
ist, besonders da nicht, wo sie in der Kömerschichte des kleinen
Gehirns in ungeheueren Massen nebeneinander aufgestapelt gedacht
werden. Henle und Merkel suchen sich dadurch zu helfen, dass
sie in ihnen junge unentwickelte Gebilde sehen, aus denen sich
andere Formen, z. B. Nervenzellen entwickeln können.
Diese freien Körner sind nun, wie schon von Jastrowitz?)
und Boll?) hervorgehoben wurde, durchaus nicht vorhanden. Die
nach den gewöhnlichen Methoden hergestellten Präparate geben
aber leicht zu ihrer Annahme Veranlassung. In Zupfpräparaten,
zumal von der grauen Substanz, zeigen sie sich regelmässig in
1) Henle, Nervenlehre p. 19 u. 20,60. Henle u. Merkel, Zeitschrift
für rationelle Medicin. Bd. 34. p. 75.
2) Archiv f. Psychiatr. Bd. III.
5) Ebendaselbst Bd. IV p. 31.
454 Hans Gierke:
srosser Zahl, und auf Schnitten, die mit Carmin gefärbt sind, sieht
man gleichfalls gewöhnlich sehr viele anscheinend ganz freie runde
Gebilde. Und doch ist dies Bild eine durch die Mängel der Prä-
parationsmethoden bewirkte Täuschung. Je besser und sorgsamer
die Präparate angefertigt und je aufmerksamer sie durchforscht
werden, desto weniger freie Kerne sind zu finden und in vorzüg-
liehen sieht man nur ausnahmsweise hier und da ein rundes, freies
Gebilde. Bei der Herstellung der Zupfpräparate zunächst merkt
man bald, dass das Protoplasma und die Fortsätze der gleich
unten zu schildernden Zellen sehr leicht abfallen und nur die
sorgsamste Behandlung sie zu conserviren vermag. Auch dann
findet man stets eine Anzahl verstiimmelter Zellen, die fast wie
freie Kerne aussehen und sie vortäuschen könnten, wenn nicht
grössere oder kleinere oft nur minimale Fetzen des Zellleibes oder
gar die Fortsätze an ihnen hafteten. So weisen die besten Prä-
parate gar keine Gebilde auf, an denen man nicht die Zellnatur oder
wenigstens einen Zusammenhang mit Fasern nachweisen könnte.
Freilich werden wir sehen, dass viele Neurogliazellen der grauen
Substanz des Rückenmarks einer rückschreitenden Metamorphose
der Art unterworfen sind, dass das Protoplasma des Zellleibes
vollkommen in der Bildung von Fasern aufgegangen ist, die ein
diehtes Netzwerk bilden, in dessen Knotenpunkten die grossen
übrig gebliebenen Kerne liegen. Ebenso wird man um so leichter
die Anwesenheit eines wenn auch geringen und zarten Zellleibes
um den anscheinend freien Kern in gefärbten Schnitten constatiren
können, je feiner und sorgsamer gefärbt dieselben sind und wird
bei andern derartigen Körnern, denen eine Umhüllung von Proto-
plasma wirklich ganz fehlt, wenigstens den Zusammenhang mit
den Fasern des umliegenden Flechtwerkes erkennen. In andern
Gegenden des Centralnervensystems, wie in der Körnerschicht des
_ kleinen Gehirns und des Bulbus olfactorius sind es geradezu kleine
runde Nervenzellen mit sehr zarten Fortsätzen, welche für freie
Kerne gehalten worden sind. Um Wiederholungen zu vermeiden,
verweise ich hinsichtlich dieses Punktes auf die Stellen, wo ich
von der Neuroglia jener Hirntheile rede. Nun soll aber doch nicht
bestritten werden, dass es hier und da im centralen Nervensystem
ganz unregelmässig und durchaus zufällig runde Gebilde giebt,
die mit ihrer Umgebung nicht verbunden, also frei sind. Dies sind
Lymphkörperehen, Wanderzellen, die hier wie in andern Geweben
Die Stützsubstanz des Centralnervensystems. 455
des Körpers anzutreffen sind. Doch sind ihrer unter normalen
Verhältnissen natürlich so wenige, dass sie nicht in Betracht kom-
men und nicht zur Aufstellung der freien Körner Veranlassung
gegeben haben hönnen t). Auch sonst könnte wohl ausnahmsweise
ein wirklicher freier Kern in der molekulären Substanz als ein-
samer Ueberrest der in der embryonalen Zeit reichlich vorhan-
denen rundlichen Bildungszellen vorkommen. Für die molekuläre
Substanz der Rinde des grossen und kleinen Gehirns nehmen selbst
solche Forscher, welehe den „Körnern“ in der weissen Substanz
jede Geltung absprechen, die Existenz derselben an. So behauptet
2. B. Boll, dass sie an diesen Stellen in grosser aber nach dem
Alter der Geschöpfe wechselnden Menge vorhanden seien. Da sie
ja Ueberreste der embryonalen Bildungszellen sind, sollen sie nach
der Ansicht und den Beobachtungen von Boll?) und Hess?) im
Jugendlichen Alter zahlreicher sein und mit zunehmendem Alter
allmählich abnehmen. Ich will nicht bestreiten, dass hier gerade
solehe functionslose Reste vorkommen, ja ich finde selbst hier und
da, wenigstens in der Rinde des kleinen Gehirns einiger jüngeren
Thiere, solehe runde Körper, die auch in den am besten gelunge-
nen Präparaten keinerlei Zusammenhang mit andern Elementen
und keinen einzigen Fortsatz erkennen lassen. Aber so zahlreich
wie Boll und andere sie annehmen, sind sie durchaus nicht; im
Gegentheil bilden sie auch hier, zumal bei erwachsenen Menschen
und Thieren, Ausnahmen. Die grosse Menge der Gebilde aber,
welche in der molekulären Substanz des kleinen Gehirns dafür
sehalten werden, sind sehr kleine Nervenzellen und zum Theil
1) Jastrowitz und Boll]. c. bemerken beide, dass gerade die Ge-
fässe von solchen Lymphoidzellen in: Menge begleitet werden. Es wäre das
Ja nieht unmöglich, doch gestehe ich, dass mein Suchen hinsichtlich dieses
Punktes in den allerverschiedensten Präparaten vom Mensch und Säugethieren
durchaus nicht von Erfolg gekrönt war; ich fand neben den Gefässen nicht
auffallend viel Lymphkörperchen (selbstverständlich meine ich Präparate von
gesunden Centralorganen), wohl aber sind die Gefässe stets von besonders
zahlreichen Gliazellen begleitet, von denen viele nur ihren rundlichen Leib
und nicht die Fortsätze erkennen lassen, so dass sie in nicht genügend ge-
färbten Präparaten wie runde Zellen mit scharfer durch keinen abgehenden
Fortsatz unterbrochenen Contour ausschauen.
2) 1,6. p.-48 fi.
3) De cerebelli gyrorum textura disquisitiones microscopieae, Dorpat 1858.
456 Hans Gierke:
vielleicht, soweit es die an der Oberfläche befindlichen betrifft,
Neurogliazellen. Ich selbst habe bis in die letzte Zeit hinein jene
runden Körper der molekulären Schichte für freie fortsatzlose und
verkümmerte Embryonalzellen gehalten. Bessere Präparate aber
und die Oelimmersionen haben mich erkennen lassen, dass ent-
weder alle oder fast alle dieser Gebilde nicht ganz rund sind,
sondern sehr verschiedene Formen und zarte Fortsätze besitzen,
mittelst welcher sie dem von den Protoplasmafortsätzen der Pur-
kynje’schen Zellen gebildeten Fibrillennetz eingeschaltet sind.
Für die diesen Zellen am nächsten gelegenen ist das sehr leicht
zu eonstatiren und aueh in der That schon bekannt, aber auch
für die übrigen gewähren sehr gute Präparate klare Beweise }).
Gerade für den Menschen haben mir meine Untersuchungen die
Gewissheit hiervon gegeben, da das dem Hingerichteten (siehe
oben) entnommene Material Präparate lieferte, welche die nervöse
Natur der in der molekulären Substanz zerstreuten, aber in ziemlich
grosser Anzahl vorhandenen Gebilde erkennen liess. Aber auch
bei verschiedenen Thieren fand ich die Verhältnisse durchaus
deutlich und ohne Zweifel so wie erwähnt. Nur sind nach mei-
nen Beobachtungen diese kleinen Nervenzellen lange nicht so
zahlreich, wie beim Menschen, wie freilich überhaupt die moleku-
läre Schichte bei diesem stärker als bei den Säugethieren ent-
wickelt ist. Doch da ich weiter unten noch ausführlicher auf die
Verhältnisse der Kleinhirnrinde eingehen muss, will ich hier nicht
das Genauere besprechen. Auch in der molekulären Schichte des
Grosshirns sind die „Körner“ wenn überhaupt vorhanden, viel
seltener als gewöhnlich angenommen wird, und sind es hier die
stark gefärbten Leiber einiger Gliazellen, welche zu ihrer Annahme
irrthümlich führen. Wir werden am passenden Ort weiter unten
sehen, dass zerstreut in dem Netzwerk der zarteren Neuroglia-
zellen einzelne derbere, stärkere liegen, welche sich dunkler fär-
ben. Da auch hier wieder der Zellleib sich viel leichter als die
Fortsätze färben, hebt er sich als rundliches Gebilde besonders
deutlich hervor und ist in nicht vollkommen tingirten Präpara-
ten ganz allein zu sehen, so einen isolirten runden Körper vor-
täuschend.
1) Deiters, Untersuchungen über Gehirn und Rückenmark. Heraus-
gegeben von Max Schultze. Braunschweig 1865. p. 95 erklärt diese kleinen
Zellen gleichfalls für nervöse Elemente.
Die Stützsubstanz des Centralnervensystems. 457
Aus dem eben Gesagten das Wichtigste zusammenfassend,
behaupte ich also, dass im Öentralnervensystem erwachsener Ge-
schöpfe freie runde Gebilde ohne Fortsätze, sogenannte Körner,
nur zufällig, ganz ausnahmsweise und unregelmässig vorkommen.
Dieselben sind einmal wandernde Lymphoidzellen, die durch den
Tod des Geschöpfes an dieser Stelle festgebannt wurden, oder sie
sind aus der embryonalen Zeit übrig gebliebene Bildungszellen,
welche jetzt als funetionslose übrigens ganz ausserordentlich sel-
tene Gebilde in der Grundsubstanz einiger Parthien der Central-
organe eingelagert sind. Dagegen existiren die für gewöhnlich
als „Körner“ oder als „freie Kerne“ beschriebenen Körper in
Wirkliehkeit nicht, vielmehr werden andere Gebilde irrthümlich
für solehe genommen, weil die ausserordentliche Schwierigkeit,
vollkommene Tinctionspräparate zu erhalten, die richtige Erkennt-
niss der Verhältnisse hindert.
s Andere, z.B. Gerlach!) finden elastisches Gewebe zwischen
den nervösen Elementen. Von dem Besitz einiger zelliger Ge-
bilde abgesehen, besteht nach ihm die Stützsubstanz nur aus elasti-
schen Fasern.
Schwalbe, der neuerdings ganz eigene Anschauungen über
die Nenuroglia ausgesprochen hat), sieht zwischen den Nerven-
gebilden und ihnen sich anschmiegend, kleine platte Endothel-
zellen. Diese wurden auch schon aus der Rinde des grossen Ge-
hirns beschrieben, wo sie die sogenannten pericellulären Räume
auskleiden sollten. Endlich wird am häufigsten fibrilläres Binde-
sewebe als wichtiger oder geradezu hauptsächlichster Factor des
Stützgewebes der Centralorgane beschrieben. Alle diese Dinge
kommen nicht vor. Ich werde weiter unten hinsichtlich des fibril-
lären Bindegewebes im Rückenmark und der medulla oblongata
sehr unwesentliche Ausnahmen zu constatiren haben. Im Uebrigen
aber ist mit grösster Bestimmtheit daran festzuhalten, dass die
Gerüstsubstanz des Centralnervensystems in einigen Partieen, be-
sonders der grauen Substanz, nur aus der ungeformten Grund-
substanz und aus den Neurogliazellen mit ihren langen Fortsätzen
besteht, in andern, besonders in der weissen Substanz, nur aus
1) Stricker’s Handbuch der Lehre von den Geweben. Leipzig 1871.
2) Hoffmann’ Anatomie. 2. Auflage. Bd. II. p. 304.
Archiv f. mikrosk. Anatomie. Bd. 25. 32
458 Hans Gierke:
den Zellen und deren Ausläufern. Es würde diese Arbeit gar zu
umfangreich machen, wollte ich die Ansichten und Angaben der
Forscher über die Neuroglia hier im Einzelnen anführen. Den
meisten derselben kann nur noch ein historischer Werth zuge-
sprochen werden und erscheint es mir ein Kampf mit Windmühlen
zu sein, gegen sie zu polemisiren. Ich glaube bestimmt, dass so
ausgezeichnete Mikroskopiker, so scharfe Beobachter wie Henle
und Gerlach heute auch schnell zu einer andern Ansicht gelan-
sen würden, wollten sie noch einmal mit den verbesserten Metho-
den der heutigen Technik die Verhältnisse untersuchen. Studire
ich meine Rückenmarkspräparate durch, zumal die vom Ochsen,
so kann ich durchaus nicht begreifen, wie solehe Figuren ent-
stehen konnten, wie z. B. die Figur 219B in Gerlach’s Arbeit !)
und Figur 14 u. a. in Henle’s und Merkel's Aufsatz?). Sie können
offenbar nur nach Präparaten angefertigt sein, welche heute bei
der fortgeschrittenen Technik als ungenügend angesehen werden
müssen.
Auf die ungeformte Grundsubstanz ist bisher niemals und
nirgends die ihr zukommende Rücksicht genommen worden. Die
Litteratur bietet keine genaue Beschreibung derselben und ihrer
Verhältnisse. Nur in einer Beziehung ist viel über sie geschrieben
und gestritten worden, nämlich hinsichtlich der Bedeutung der klei-
nen Gebilde, der sogenannten Molekel, welche man in ihr zu finden
glaubte. In manchen Beschreibungen des Centralnervensystems
ist von einer Grundsubstanz überhaupt nicht die Rede, sondern
man spricht nur von einem „granulirten Bindegewebe“, welches
die Zwischenräume zwischen den nervösen Elementen ausfüllen
soll. Dies Gewebe aber wird aus Zellen und deren Fortsätzen
bestehend gedacht. Letztere sollen nieht scharf und glatt eontpu-
rirt, sondern mit anhaftenden Körnchen versehen sein. In andern
Darstellungen liest man von einer molekulären Substanz, welche
unserer Grundsubstanz entspricht. Man legt ihr aber nicht die
richtige Bedeutung bei, und lässt sie auf bestimmte Partieen der
grauen Substanz beschränkt sein, während sie in derselben überall
zu finden ist ?).
1). 1. ep: 610.
2) Ueber die sogenannte Bindesubstanz der Centralorgane des Nerven-
systems. Zeitschr. f. rat. Med. III. Reihe. Bd. 33. Tab. IV.
3) Nachdem diese Arbeit bereits niedergeschrieben war, erschien eine
Die Stützsubstanz des Centralnervensystems. 459
Zunächst, was die Verwendung der Grundsubstanz betrifft,
so bildet sie einmal, wie wir noch näher sehen werden, mit den
geformten Elementen der Glia die äusseren und inneren Umhül-
lungsmassen des Centralnervensystems. Hier können wir sie am
besten studiren, da sie hier die grösste quantitative Entwick-
lung besitzt und nicht wie in der grauen Substanz durch zahl-
reiche feine Nervenfibrillen getrübt wird. Zweitens ist sie dann
die Grundlage der grauen Substanz, in der die andern Elemente
eingebettet sind. Wenig wird sie für den Aufbau der weissen
Substanz verwandt. Zwischen den einzelnen Nervenfasern ist sie
überhaupt nicht vorhanden. Doch werden in der weissen Substanz
des Rückenmarks die stärkeren Balken der Stützsubstanz aus Zell-
netzen und Grundsubstanz zusammengesetzt.
In der grauen Substanz ist die Grundsubstanz in sehr be-
deutender quantitativer Entwicklung vorhanden. Diese ist jedoch
bei den verschiedenen Säugethieren durchaus nicht gleich. So
weit ich es nach dem von mir untersuchten Material beurtheilen
kann, möchte ich behaupten, dass die quantitative Entwicklung
der Grundsubstanz im umgekehrt proportionalen Verhältniss zur
Entwieklung der.nervösen Elemente steht, diese aber wieder der
Höhe der Intelligenz der betreffenden Thierarten entspricht. Es
gilt dies besonders für die Rindenpartieen des grossen Gehirns
und lässt sich hier gut constatiren.
So ist im menschlichen Grosshirn viel weniger Grundsubstanz
enthalten als in dem der höher begabten Säugethiere; bei diesen
wieder weniger als in dem Centralorgane niederer Säugethiere.
Ich schätze 'z. B. beim Igel die Menge der Grundsubstanz in den
Rindenschichten des grossen Gehirns gleich dem dritten Theil der
sanzen Masse der grauen Substanz, bei der Katze oder beim
Hunde wird sie annähernd ein Viertel der grauen Substanz aus-
machen; beim Affen finde ich die Menge schon wieder deutlich
geringer, und in der Rinde des menschliehen Gehirns schätze ich
kleine Publication von Ranvier über die Neuroglia in den „Archives de
Physiologie normale et pathologique.‘“ Brown-Sequard, Chhrcot et
Vulpian. Er kennt offenbar auch keine Grund- oder Zwischen-Substanz
im Centralnervensystem, denn er führt als Bestandtheile der grauen Substanz
nur an: Die nervösen Zellen und deren Ausläufer, Nervenfasern mit und
ohne Mark, die Gliazellen mit ihren Ausläufern und die Blutgefässe mit
einer bindegewebigen Scheide.
460 Hans Gierke:
sie auf etwa ein Fünftel der grauen Substanz. Gilt dies für die
Hirnrinde, so gibt es andere weniger ausgedehnte Territorien, in de-
nen die Grundsubstanz bei allen Geschöpfen eine viel grössere Menge
ausmacht, gewiss die Hälfte der ganzen Masse und vielleicht noch
darüber. So ist sie z.B. in der substantia gelatinosa centralis
des Rückenmarks ungemein entwickelt; noch mehr in gewissen
Glia-Anhäufungen am Boden des vierten Ventrikels.
Die Grundsubstanz ist in allen Theilen des Centralnervensystems
ganz gleich beschaffen. Sie ist homogen, structurlos und dureh-
aus durchsichtig glashell; sie ist eine weiche aber feste, nicht
flüssige elastische Eiweisssubstanz, welche beim Absterben des
centralen Nervensystems nicht etwa durch Gerinnen fester wird,
sondern im Gegentheil etwas an Üonsistenz verliert.
Man hat in der letzten Zeit viel über kleine Einlagerungen
der Grundsubstanz, die man Molekel nannte, gestritten. Fast alle
Forscher fanden nämlich die Grundsubstanz nicht homogen, son-
dern in ihr eine unendliche Menge kleiner rundlicher oder ovaler
Gebilde, der Molekel. Man sprach daher gewöhnlich nicht von
einer Grundsubstanz, sondern einfach von einer molekulären Masse.
Einige Forscher, besonders Rindfleisch!), legten diesen Molekeln
eine fundamentale Wichtigkeit bei, indem sie annahmen, dass die
feinsten aus der Verästelung der Protoplasmafortsätze der Nerven-
zellen hervorgehenden Fibrillen in der Hirnrinde nicht ineinander
übergingen und durch diese Bildung eines zusammenhängenden
feinsten Fasernetzes alle Nervenzellen miteinander in Verbindung
brächten, sondern dass diese Endfibrillen sich in kleinen körnigen
Gebilden, eben den Molekeln auflösten. Dann wäre die moleku-
läre Masse nicht ein Theil der Stützsubstanz, sondern nervös und
gerade als die eigentliche centrale Substanz, in der alle Nerven-
reize endigen resp. beginnen, von allergrösster Wichtigkeit. An-
dere, Gerlach?) an der Spitze, läugneten diese Bedeutung der
Molekeln. Ich hatte früher auch stets an eine molekuläre Structur
der Grundsubstanz geglaubt und meinte, die kleinen rundlich ova-
len Gebilde deutlich zu sehen. Als ich nun aber neuerdings die
1) Zur Kenntniss der Nervenendigung in der Hirnrinde. M. Schultze’s
Arch. f. mikr. Anatom. Bd. VII. p. 453.
2) Ueber die Structur der grauen Substanz des menschlichen Gross-
hirns. Centralblatt f. d..med. Wissensch. 1872. p. 273.
Die Stützsubstanz des Centralnervensystems. 461
Stützsubstanz der Centralorgane viel genauer als früher unter-
suchte, fand ich zu meinem Erstaunen, dass die Grundsubstanz
überall gleich homogen und glashell sei, ich konnte nirgends mehr
die Molekel erkennen. Die starken Oel- und Wasserimmersionen
liessen sie ebenso klar und ohne Einlagerungen erscheinen, wie
die schwächeren Systeme. Ich erkannte dies zuerst an dünnen
Sehnitten durch erhärtete Gehirne, welehe nach bekannter Methode
in Canadabalsam eingeschlossen waren. Da aber der Einwand
möglich ist, dass die Behandlung dieser Präparate mit Alkohol
und dann mit den stark liehtbreehenden Substanzen (Terpentin
oder Kreosot und Canadabalsam) die Molekel auflösen oder we-
nigstens so durchsichtig machen könne, dass sie nicht mehr zu
erkennen sind, untersuchte ich auch Gehirne, welche keiner eingrei-
fenden Behandlung unterworfen gewesen waren. Einmal suchte ich
von ganz frischen, noch warmen Organen kleine dünne Schnittchen
anzufertigen, die ich in halbprocentiger Kochsalzlösung oder Augen-
kammerflüssigkeit studirte. Leider aber gelingt es auf diese Weise
sehr schwer, so ganz feine Schnittehen zu erhalten, wie sie nöthig
sind, um Irrthümer auszuschliessen; nur zufällig wird in einer
grossen Reihe von Präparaten eine kleine Stelle genügend dünn.
Um diesem Uebelstand abzuhelfen, benutzte ich auch Gehirne,
welche einige Tage in dreiprocentiger Lösung von doppeltchrom-
saurem Ammoniak gehärtet waren. Es ist nicht anzunehmen, dass
dieses Salz in irgend einer andern Weise auf die Grundsubstanz
wirkt, als dass es sie gerinnen lässt und sie zu gleicher Zeit
etwas färbt. Jedenfalls können etwa vorhandene Molekel durch
diese Härtung nicht verschwinden. Von diesen Gehirnen fertigte
ich dann ohne Benutzung von Alkohol, das Messer nur mit Wasser
befeuchtend, möglichst feine Schnitte an und studirte sie in Wasser
liegend. Auch betrachtete ich vielfach Schnitte, die ich von Stück-
chen der Rinde anfertigte, welche in Osmiumsäure erhärtet waren.
Alle Untersuchungen aber hatten dasselbe Resultat, nämlich, dass
die Grundsubstanz durchaus homogen und ohne eigene geformte
Elemente ist. Ich habe diesem Punkt die grösste Aufmerksamkeit
gewidmet und ihn mit einem Aufwand von viel Zeit und grosser
Mühe untersucht. Ich kann daher obige Behauptung mit grösster
Bestimmtheit aussprechen, trotzdem dass mehrere unserer ersten
Histologen die Verhältnisse anders gesehen haben. Ich habe mich
gefragt, wie dieser allgemeine Irrthum möglieh ist. Einmal könnte
462 Hans Gierke:
man ja leicht annehmen, dass jene Forscher Durchschnitte von
Fasern, theils von Nervenfibrillen, theils von Fortsätzen der Glia-
zellen für kleine Molekel gehalten haben. In der That ist der-
artiges wohl sehr häufig vorgekommen. Ich werde noch weiter
unten zeigen, wie z. B. Henle, dann aber auch Andere, die Grund-
substanz im Rückenmark „granulirt* sahen, weil sie die zahl-
reichen Querschnitte der Gliafasern nicht als solehe erkannten.
So auch gewiss in den Rindenschichten des Gehirns. Es reicht
aber dies nicht hin, um die allgemeine Täuschung zu erklären,
um so weniger, als einige Forscher, wie z.B. Boll, sich geradezu
gegen die Annahme verwahren, als ob sie Molekel und durch-
schnittene faserige Elemente verwechselt hätten. Es kommt aber
etwas Anderes hinzu. Keiner der bisherigen Untersucher hatte
eine richtige Vorstellung von den Gliazellen der Rindenschichten.
Zwar nahmen Einige ein Netzwerk solcher Zellen in jenen Ge-
senden an, Manche hatten auch einzelne Gliazellen gesehen, aber
von dem dichten aus Zellen und deren Fortsätzen gebildeten Ge-
rüst, von dem Fleehtwerk, in dessen Maschen die Grundsubstanz
und die nervösen Elemente eingelagert sind, hatte man keine rechte
Vorstellung. Gerade in den Gegenden nun, in denen man die Mo-
lekel sieht und beschreibt, sind die Gliazellen beim Menschen und
vielen Säugethieren durch ihren granulirten Zellleib ausgezeich-
net. Derselbe enthält in seiner Substanz kleine rundliche oder
ovale Körnchen. Da man nun die in der That sehr schwer zu
erkennenden Zellen nicht sah, höchstens ihren Kern abgrenzen
konnte, den Zellleib aber mit der Grundsubstanz verschmolz, so
liess man eben die Granula der Zellen dieser angehören. Die
Zellen sind hier, wie wir noch sehen werden, ziemlich platt und
liegen also dieht übereinander. In den gewöhnlichen Schnitten
daher, ja selbst in leidlich dünnen, hat man stets mehrere Zellen
übereinander in verschiedenen Ebenen, so dass ein Fleckchen
Grundsubstanz womöglich zwischen zwei Gliazellen oder wenig-
stens unter oder über einer gesehen wird. Dadurch wird die irr-
thümliche Vermischung dieser Elemente unter dem Mikroskop um
so leichter. Uebrigens haben, wie es scheint, die meisten Forscher
diese Frage an Zupfpräparaten zu studiren gesucht. Da nun die
Körper dieser Gliazellen leicht zerfallen, so können in diesen Prä-
paraten die gänzlich isolirten Granula der Zellen solehe Molekel
vortäuschen, oder abör man sieht Stückehen des Zellleibes, welche
Die Stützsubstauz des Centralnervensystems. 463
sich vom Kern losgelöst haben, als kleine Partieen der Grund-
substanz mit Molekeln gefüllt an. In der That fand ich, dass man
in Zupfpräparaten den Ursprung der kleinen Partikelehen nicht
feststellen kann und dass sie daher für die Entscheidung unserer
Frage ungeeignet sind. Ich glaube aber, dass Jeder, welcher das
Netzwerk der Gliazellen und ihrer Ausläufer genau kennen ge-
lernt hat und so die durch diese Elemente ermöglichten Irrthümer
vermeiden kann, bei einem sorgsamen Studium der Grundsubstanz
zu demselben Resultat kommen wird wie ich, dass sie an und für
sich absolut strueturlos ist und keine Molekeln enthält. Nannte
ich sie oben glashell, so muss ich doch hinzusetzen, dass sie beim
Erhärten sich in so fern ein klein wenig verändert als sie eine
minimale kaum bemerkbare Trübung annimmt, sie gleicht dann
einem sehr hellen Milchglas. Mit den allerstärksten uns zu Ge-
bote stehenden Vergrösserungen, z. B. Zeiss Oelimmersion !/;;, sieht
man sie dann wie von einem ungemein feinen Staub durchsetzt,
sie hat ihren Glanz verloren, doch gelingt es auch jetzt nicht,
kleine Körper wirklich zu erkennen und abzugrenzen. Vergleicht
man das Aussehen der Grundsubstanz in diesem Zustand mit dem
im frischen Gehirn, so muss man diese leichte Trübung als eine
Wirkung der erhärtenden Flüssigkeiten ansehen. Durch dieses
Aussehen unterscheidet sie sich von der geronnenen Lymphe, welche
auch in dem erhärteten Material vollkommen glashell und glänzend
aussieht. Auch färbt sie sich schwerer als diese, die durch Car-
min wenigstens hellrosa gefärbt wird. Die Grundsubstanz wird
durch die gebräuchlichen Tinetionsmethoden ganz ausserordentlich
schwer gefärbt. Carmin in den verschiedensten Anwendungsarten,
Haematoxylin und die Anilinfarben, welche ich probirte, geben
ihr kaum einen Schimmer ihrer Farbe. Osmiumsäure bräunt sie
nach sehr langer Einwirkung ein wenig; ebenso müssen die Me-
tallsalze lange wirken, ehe sie dieselbe färben.
Ich sagte oben, die Grundsubstanz sei weich aber test und
elastisch, nicht flüssig. Dass sie das erstere ist, wird Jeder
gern glauben, da das ganze Centralnervensystem so weich ist
wie kein anderes Organ des Körpers. Und von den Elementen
desselben sind jedenfalls, wie aus der weitern Betrachtung klar
werden wird, die Neurogliazellen und deren Ausläufer am festesten
und widerstandfähigsten. Die Grundsubstanz scheint doch die
Nervenzellen und deren Ausläufer noch an Festigkeit zu über-
”
464 Hans Gierke:
treffen und jedenfalls ist sie viel consistenter als das Nervenmark,
welches ja im Leben flüssig ist. Dass die Grundsubstanz dies
nicht ist, zeigt schon deutlich genug das Aussehen und Verhalten
der durchsehnittenen und blosgelegten lebenden grauen Substanz
des Gehirns. Ich habe sie bei ziemlich zahlreichen Exstirpationen
eines Theils der Rinde von Hunden zum Zweck secundärer De-
generation genau betrachte. Wäre ein so beträchtlicher Theil
der Rindensubstanz flüssig oder auch nur zähflüssig, von Honig-
consistenz, so würde sich das in dem Aussehen der Schnittfläche
verrathen. Die flüssige Substanz müsste doch über das Niveau
der Sehnittfläche austreten, zumal da das schneidende Instrument
nicht allzu scharf sein konnte, und daher einen Druck auf die
Nachbarschaft der vor der Schneide befindlichen Partie ausübte.
Das ist aber nicht der Fall; selbst mit der Lupe betrachtet zeigte
sich die Schnittfläche eben. Ebenso glatt blieb dieselbe auch,
wenn ich ein Gehirn frisch ansehnitt und dann härtete, wenigstens
so weit es die graue Substanz angeht, denn auf der Sehnittfläche
der weissen Substanz zeigen sich unendlich viele kleine Buckel,
die wohl aus ausgeflossenem und geronnenem Nervenmark be-
stehen. Ja selbst wenn man einen leichten Druck auf das frische,
durchschnittene Gehirn ausübt, quillt die Grundsubstanz nicht aus
den Maschen des Flechtwerks, in denen sie gelagert ist, über die
Schnittfläche hervor. Dies beweist, dass sie auch eine gewisse,
nicht ganz unbedeutende Elastieität besitzt, denn eine weiche aber
nicht elastische Masse würde durch einen Druck leicht hervor-
gepresst werden. Davon dass die Grundsubstanz im lebenden
Gehirn consistenter ist als im abgestorbenen, kann man sich leicht
überzeugen. Das dem eben getödteten Thier entnommene noch
warme Gehirn fühlt sich viel fester und elastischer an als einige
Stunden nachher. Noch besser erkennt man dies, wenn man gleich
grosse Stücke eines frischen noch warmen Gehirns und eines sol-
chen, das etwa 10 Stunden nach dem Tode des Thieres gelegen
hat, auf Festigkeit und Elastieität prüft und mit einander ver-
gleicht; der Unterschied ist ein sehr bedeutender. Es gelingt
daher, wie sehon erwähnt wurde, sehr viel leichter, mit dem
Rasirmesser feine Schnitte von dem ganz frischen Gehirn, das
noch warm ist, zu machen, als von einem, das schon einige Stun-
den nach dem Tode gelegen hat, und in dem eine wenn auch
sehr geringe Zersetzung stattgefunden haben mag. Wenn auch
.
Die Stützsubstanz des Centralnervensystems. 465
wohl bei dieser Erscheinung die Nervenzellen mit in Betracht
kommen, so wird sie in der grauen Substanz doch wohl haupt-
sächlieh durch die absterbende und ihre Elasticität verlierende
Grundsubstanz verursacht. So ist es auch zu erklären, dass man
bei einem Gehirn, das schon 20—30 Stunden nach dem Tode ge-
legen hat (je nach der Temperatur oder andern Umständen ent-
sprechend findet die Zersetzung schneller oder langsamer statt)
durch einen leiehten Fingerdruck eine dauernde Impression be-
wirken kann, was bei dem frischen oder gar beim lebenden Ge-
hirn unmöglich ist. Da die geformten Elemente der Stützsubstanz
noch bedeutendere Elastizität besitzen als die Grundsubstanz, so
kann das ceentrale Nervensystem sich ausdehnen und wieder ver-
kleinern, ein Vorgang, der bei der Pulsation desselben fortwährend
Statt hat.
Ich gehe zur Betrachtung der zelligen Elemente der Neuro-
slia über. Die für sie gebräuchlichen Benennungen sind mamnig-
fach und nicht immer zweekmässig. Ich habe schon oben den
Ausdruck „Zellen des Bindegewebes des Centralnervensystems*
verdammt. Besser und nur zu lang ist „Zellen der Stützsubstanz“,
das einfachste ist wieder Neuroglia- oder Glia-Zellen. Da Dei-
ters dieselben zuerst genau und gut in seinem nachgelassenen
Werke!) beschrieben hat, werden sie ihm zu Ehren auch vielfach
„Deiters’sche Zellen“ genannt. Aus ähnlichem Grunde findet
man die Namen „Boll’sche* und „Golgi’sche Zellen*?). Jastro-
witz?) verglieh sie mit Spinnen und nannte sie „Spinnenzellen*“,
ein Ausdruck, der sehr beliebt geworden ist. Diese Zellen haben
eine noch allgemeinere Verbreitung im Centralnervensystem als
die Grundsubstanz, da kein auch noch so kleiner Theil derselben
ohne das schützende und stützende Netzwerk, welches jene mit
ihren Ausläufern durch gegenseitige Verbindung bilden, vorkommt.
Dass bei dieser grossen räumlichen Verbreitung und bei der Ver-
werdung in den verschiedensten Theilen und Substanzen der
1) Untersuchungen über Gehirn und Rückenmark Herausgegeben von
Max Schultze. Braunschweig 1865.
2) Boll beschrieb sie in der früher eitirten Arbeit und Golgi in „Con-
tribuzione alla fina Anatomia degli organi centrali del systema nervosa.“
Rivista eliniea 1871.
3) 1. ci
466 Hans Gierke:
Öentralorgane die Form und die besondern Verhältnisse der Glia-
zellen nicht überall dieselben sein können, leuchtet schon a priori
ein. Und in der That bei näherem Studium findet man eine
Mannigfaltigkeit des äusseren Aussehens, der Grössenverhältnisse,
der Zahl und Stärke der Fortsätze, der Art ihres Ursprungs aus
dem Zellleib, der Zellformen, ja der Consistenz, welehe uns an
die reichen Verschiedenheiten erinnert, die die Nervenzellen dar-
bieten. Und wie eine bestimmte Form und bestimmte Verhältnisse
für die nervösen Zellen der einzelnen Localitäten der Central-
organe charakteristisch sind, so entspricht auch in Hinsicht der Glia-
zellen ein besonderer Typus dem bestimmten Ort, wenn auch
freilich hier Unregelmässigkeiten viel gewöhnlicher sind als bei
den nervösen Gebilden.
Zunächst was ist allen Gliazellen gemeinsam? Am meisten
charakteristisch für sie sind jedenfalls die Fortsätze. Ebenso wie
im Centralnervensystem keine Nervenzellen ohne Ausläufer vor-
kommen, so auch sind Zellen der Stützsubstanz ohne solche nicht
denkbar. Um eben an der Bildung des Gerüstes für die eingela-
gerten nervösen Elemente Theil nehmen zu können, müssen die
Gliazellen sich mittelst Ausläufer mit andern gleichartigen Ele-
menten verbinden. Ich kann auch auf das Bestimmteste behaupten,
dass im Centralnervensystem durchaus keine Gliazellen vorkom-
men, die ohne Fortsätze sind, und die daher isolirt, ohne Verbin-
dung mit dem allgemeinen Stützgerüst liegen. Hinsichtlich der
Anzahl der Fortsätze ist Bestimmtes nicht anzugeben. Meistens
besitzen die Zellen sehr viele, doch kommen auch solche mit ganz
wenigen vor. Zellen mit einem einzigen Fortsatz sind, wenn
sie überhaupt existiren, sehr selten, sie könnten vielleicht aus-
nahmsweise an der Oberfläche der Hirnrinden vorkommen. Bipo-
lare Zellen kommen an bestimmten Stellen vor, besonders dort,
wo lange Fäden nöthig sind. Der Zellleib kann dann hier so sehr
in der Bildung der auswachsenden Fortsätze aufgehen, dass er
nur noch eine geringe: Anschwellung in der Mitte jener ausmacht,
ja man findet an jenen Stellen Hornfäden, welche von einem Zell-
körper keine Spur mehr an sich haben, aber nachweisbar in der
sedachten Weise entstanden sind. Ich komme auf sie zurück.
Gliazellen mit drei oder sehr wenigen nach verschiedenen Seiten
abgehenden Fortsätzen kommen in allen Theilen des Central-
organs vor; doch sind sie viel seltener als die mit vielen Aus-
Die Stützsubstanz des Centralnervensystems. 467
läufern versehenen. In Hinsicht des weiteren Verhältnisse zeigen
die Fortsätze grosse Verschiedenheiten. Schon was die Veräste-
lung derselben angeht, so herrscht grosse Mannigfaltigkeit. Im
Allgemeinen kann man wohl behaupten, dass die Ausläufer der
Gliazellen sich lange nicht so reichlich verästeln wie z. B. die
Protoplasmafortsätze der Nervenzellen. Doch hängt hier sehr viel
von der Verwendung der betreffenden Stützzellen und von der
Gegend der Centralorgane ab. So bilden sie in der weissen Sub-
stanz Netze mit verhältnissmässig stärkeren und kräftigeren Fä-
den, der Art, dass eben die Fortsätze sich miteinander verbin-
den, ehe sie durch besonders reichhaltige Verästelung feiner ge-
worden sind. In der grauen Substanz aber, welche ja die feinsten
nervösen Elemente d. h. die aus den Plasmafortsätzen hervor-
gegangenen zarten Fibrillen enthält, ist auch das Netzwerk der
Neuroglia enger, ihre Elemente feiner. Daher theilen sich im All-
gemeinen die Fortsätze der in ihr gelegenen Gliazellen, welche
schon von vornherein feiner angelegt sind, viel mehr und bilden
endlich durch reichhaltige Verästelung ungemein zarte, kaum noch
erkennbare Fäserchen. Doch muss ich, um ein Missverständniss
zu vermeiden, noch ausdrücklich betonen, dass auch in der weissen
Substanz reiche Verästelungen sehr gewöhnlich sind, und überall
allerfeinste aus den Verästelungen hervorgegangene Gliafasern
gefunden werden. Ich hebe dies deshalb noch so besonders her-
vor, weil zu meiner grössten Verwunderung die gründlichsten
Kenner der Neuroglia durchaus entgegengesetzter Ansicht sind.
Deiters!) freilich fand seine Stützzellen mit sich theilenden Fort-
sätzen versehen und bildet auch eine solche ganz richtig ab. Die
späteren Forscher unseres Gewebes aber bestreiten mit grösster
Entschiedenheit jede Verästelung der Gliafortsätze und behaupten,
dass gegentheilige Angaben auf Täuschungen beruhen. So nament-
Golgi?) und Boll. Krause?) bildet zwar seine Gliazellen mit
l) 1. c. Tab. II. Fig. 10 bildet er ziemlich reiche Verästelungen einer
Gliazelle ab. Dieselbe giebt überhaupt ein sehr gutes und richtiges Bild
einer solchen und finde ich in der ganzen späteren Litteratur keine Abbil-
dung, die an Naturtreue ihr gleich käme. Sie entspricht etwa meiner Fig. 6,
ist jedoch reicher an Theilungen.
2) Golgi, Contribuzione alla fina Anatomia degli Organi centrali del
sistema nervoso. Rivista Clinica 1871.
3) W. Krause, Handbuch der menschlichen Anatomie. Hannover 1876.
p. 598.
468 Hans Gierke:
einigen Verästelungen ab, gibt aber in der Beschreibung an, dass
die Theilungen wahrscheinlich nur vorgetäuscht seien, indem zwei
oder mehrere Fäden vom Zellkörper aus eine Strecke zusammen
verliefen. Die Erklärung dieses auffallenden Irrthums liegt darin,
dass, wie dies auch die Abbildungen deutlich beweisen, die Prä-
parate nicht vollkommen genug waren, und dass auch die betref-
fenden Forscher die feinsten Verhältnisse der Gliazellen nur an
Zupfpräparaten, nicht daneben in feinen Schnitten studirten, da
in diesen doch Manches erhalten bleibt, was selbst bei der vor-
sichtigsten Maceration zu Grunde geht. Beim Zerzupfen lösen sich
die feinsten Aeste leicht ab, besonders auch deshalb, weil die
grosse Mehrzahl derselben nicht frei auslaufen, sondern in der
Verschmelzung mit andern Fasern aufgehen. Bei vielen Fortsätzen
beginnt die Theilung erst spät, in grosser Entfernung vom Zell-
leib; ja sie können unter Umständen mehr als ein Fünftel Milli-
meter weit laufen, ehe sie den ersten Theilfaden abgeben. Da
nun die feinen Gliafasern auch sehr brüchig sind, ist es in der
That kein Wunder, wenn die zarten Aestchen von den stärkeren
Fortsätzen abbrechen und an ihren Endverbindungen haften blei-
ben. So können sich dann jene als die nackten dieken Strünke
darstellen, welehe Golgi und Jastrowitz abbilden. Sicher sind
auch von den Zellen, deren Abbildungen dieser Arbeit beigegeben
sind, sehr viele feine Theilfasern bei der Präparation abgebrochen.
Ich habe eine grosse Zahl von Zellen isolirt, deren Ausläufer sich
viel schöner verästelten, die aber aus andern Gründen nicht abgebildet
wurden. Auch findet man in Zupfpräparaten sehr häufig einzelne
abgebrochene Hauptfortsätze mit den bis in das feinste Detail
sehenden Verästelungen. Häufig sind dann die Endfäden noch
in Verbindung mit den von andern Zellen herkommenden, mit
denen zusammen sie engmaschige Geflechte bilden. Den besten
Beweis aber für die reiche Verästelung der meisten Gliazellen
bieten Längsschnitte durch die weisse Substanz, wenn sie in sehr
selungener Weise gefärbt sind. Figur 15 z. B., durchaus nach der
Natur gezeichnet, wird hoffentlich einen Jeden überzeugen, dass
die Fortsätze der Gliazellen sich reichlich verästeln können. Auch
in Querschnitten kann man häufig genug Theilungen beobachten.
Dass, wie schon oben hervorgehoben wurde, diese in der grauen
Substanz im Allgemeinen noch zahlreicher sind, dass in der durch
Verästelung der Gliafortsätze noch zarteres Faserwerk hervorgeht,
Die Stützsubstanz des Centralnervensystems. 469
lehrt z. B. Fig. 17a. Es ist dies eine Darstellung des überaus
feinen Gliageflechtes der äussersten Schicht der Kleinhirnrinde.
Freilich muss ich nun auch zugestehen, dass doch in der That
viele Gliazellen gefunden werden, deren Fortsätze eine sehr ge-
ringe Neigung zur Theilung besitzen. So scheint z. B. die Zelle,
welche Figur 7 darstellt, ziemlich unverletzt und vollständig zu
sein; ihre zarten Ausläufer sind also durch weite Strecken hin-
durch zu verfolgen, ohne dass man Aeste von ihnen abgehen sähe.
Aehnliches beobachtet man besonders bei Zellen, welche den Glia-
anhäufungen, dann der Gliahülle des Rückenmarks u. s. w. entnom-
men sind. An diesen Stellen scheinen nämlich die Ausläufer der
Stützzellen sich weniger durch Verschmelzung ihrer Endfäden zu
verbinden, sondern dadurch, dass dieselben nach allen Riehtungen
durcheinanderlaufend einen dichten Filz bilden.
Der Vollständigkeit wegen sei, was sich wohl von selbst ver-
steht, hinzugefügt, dass den Zellen eine äussere Hülle in keiner
Weise zukommt, sie besitzen weder eine eigne Zellmembran, noch
auch eine aus andern feinen Elementen gewebte Umhüllung.
Eine sehr wichtige Eigenthümlichkeit unserer Zellen liegt in
ihrer chemischen Beschaffenheit. Das Protoplasma ihres Zellleibes
und der Fortsätze, zum Theil auch ihre Kerne erfahren nach der
Geburt eine Umwandlung in Keratin, sie verhornen. Die hierbei
in Betracht kommenden Verhältnisse sind jedoch sehr eomplieirt
und es wird für das Verständniss besser sein, wenn wir erst
später genauer auf sie eingehen, nachdem wir zunächst das Nö-
thigste über -Form und Grösse der Zellen besprochen haben.
Die wesentlichsten Unterschiede der äusseren Gestalt und
des Aussehens werden ganz besonders durch die quantitativen Ver-
hältnisse des Kerns und des Leibes der Zellen - bedingt. Hierzu
kommt dann die grössere oder geringere Entwicklung der Fort-
sätze derselben, zumal die Entwicklung im Verhältniss zum Zell-
körper; endlich drittens der mehr oder weniger fortgeschrittene
Grad der Verhornung. So finden wir, und zwar ganz besonders
im verlängerten und im Rückenmark so ausserordentliche Unter-
schiede im Aussehen der Gliazellen, dass man sie nur sehr ungern
zusammenwerfen und mit demselben Namen bezeichnen mag.
Wenn wir nun zunächst beim Mark verweilen und dessen Stütz-
zellen genau studiren — was nur dureh die Combination sehr ge-
lungener und gut gefärbter Isolirungs- und Sehnitt-Präparate ge-
470 Hans Gierke:
schehen kann —, so sehen wir zwar eine grosse Anzahl verschie-
denartiger Formen, finden aber bei aufmerksamer Vergleichung,
dass sich alle in zwei grosse Gruppen sondern lassen. Die Zellen
nun, welche die Extreme derselben bilden, sind so ausserordentlich
verschieden gestaltet, dass sie sich diametral gegenüber zu stehen
scheinen, und dass man versucht ist, zwei ganz getrennte Zell-
arten der Stützsubstanz anzunehmen. In der That wäre man hierzu
auch gezwungen, wenn nicht so mannigfache Uebergangsformen
vorkämen, dass die breite und tiefe Kluft zwischen den extremen
Formen vollkommen überbrückt wird. In grösster Kürze lassen
sich diese beiden Zellsorten in folgender Weise characterisiren:
Die erste Form besitzt stets einen verhältnissmässig sehr grossen
Kern, der recht häufig ganz nackt ohne jede Umhüllung eines Zell-
leibes zu sein scheint, oder der doch, wenn auch ein Rest des
letzteren vorhanden ist, durchaus das Wesentliche der Zellkörper
ausmacht. Dieser Kern, der kugelförmig oder etwas oval gestaltet
ist, färbt sich auffallend leicht mit Carmin, während der etwa vor-
handene Rest eines Zellleibes gar nicht oder sehr langsam etwas
von diesem Farbstoff in sich aufnimmt. Entweder an die Peri-
pherie des Kerns sich direet anlehnend, oder aber, wenn noch
etwas von einem Zellleib vorhanden ist, aus diesem sich heraus-
bildend gehen einige, meistens nicht allzu zahlreiche Fortsätze ab.
Dieselben sind stets ausserordentlich zart und besitzen die entschie-
denste Neigung, sich zu theilen, so dass sie sich zuletzt in viele
sehr zarte Fäserchen verästeln können. (Die Figuren 1, 2 und 3
seben Abbildungen verschiedener Formen dieser Art.) - Ihnen gegen-
über stehen andere Zellen von festerer und derberer Consistenz,
die zum Theil einen viel grösseren Umfang besitzen, zum Theil
aber auch sehr klein sind. Der auffallendste Unterschied liegt
darin, dass in dem gut entwickelten Zellleib, an dem sich (wenn
das Material einem erwachsenen Geschöpf entnommen war) eine
weit vorgeschrittene Verhornung constatiren lässt) gar kein Kern
nachzuweisen ist oder nur ganz undeutlich ein soleher im Innern als
dunkle nicht scharf abgegrenzte Masse erscheint. Das gewöhnliche
ammoniakalische Carmin färbt unter günstigen Umständen diesen
Zellleib sehr intensiv, während er durch die guten Kernfärbemittel
nicht siehtbar gemacht werden kann. In Schnittpräparaten werden
daher nach der Tinetion mit letzteren Farbstoffen, so z. B. mit
Alaun-Carmin die vorher erwähnten Kernzellen sehr deutlich, wäh-
-
Die Stützsubstanz des Centralnervensystems. 471
rend die eben besprochenen unsichtbar oder doch wenigstens un-
deutlich bleiben. Gute Tinetion mit Ammoniak-Carmin hebt beide
hervor. Aus dem Zellleib der letzteren Zellen gehen verhältniss-
mässig starke und sehr zahlreiche Ausläufer hervor, welehe etwas
geringere Neigung zur Theilung zeigen als die der vorigen; doch
verästeln sie sich vielfach auch in reicher Weise. (Die Figuren
4, 5, 6 und 7 sind Proben dieser zweiten Form.)
Uebergangsformen sind in der medulla überall zu sehen und
man wird bei eingehender Untersuchung immerhin eine Anzahl
von Zellen finden, welehe weder der einen noch der anderen Gruppe
anzugehören scheinen. Im Allgemeinen aber lassen sich doch alle
Stützzellen des Markes in jenen unterbringen und wenn auch das
Verhältniss zwischen Kern und Zellleib etwas schwankt, so überwiegt
doch entweder der erstere so sehr, dass der letztere mehr neben-
sächlich erscheint, besonders da er sich in diesem Falle nicht gut
färbt oder es ist genau das Umgekehrte der Fall. Mit dem besser
entwickelten Zellleib sind auch stets derbere und kräftigere Fort-
sätze verbunden.
Ich erwähnte schon kurz, dass diese geschilderten Verhält-
nisse mit der mehr oder minder fortgeschrittenen Verhornung im
Zusammenhang stehen. Diese Umwandlung der Substanz der Stütz-
zellen und ihrer Fortsätze in Keratin ist nun eine der wichtigsten
Vorgänge in den nervösen Centralorganen. Natürlich nimmt nur
der geformte Theil der Stützsubstanz an ihr Theil, die Grundsub-
stanz bleibt unverwandelt. Sie behält auch bei alten Individuen
die zäh-weiche aber elastische Consistenz, von der oben die Rede
war. Anders die Zellen. Auch sie sind im embryonalen Entwicke-
lungsstadium aus weicher Protoplasma-Substanz gebildet, Zellkörper
sowohl wie Fortsätze. Es lässt sich constatiren, dass die schon
vorhandenen Ausläufer, ein ziemlich entwickeltes Netzwerk von
Gliafasern, zuerst keine Hornsubstanz enthalten. Dann aber beim
wachsenden Geschöpf, Mensch ebenso wie Thier. tritt die Um-
wandlung der Eiweisssubstanz in Keratin ein, die Zellen und ihre
Ausläufer verhornen. Leider ist es aber nun nieht möglich, mit
den jetzt zu Gebote stehenden Hülfsmitteln die Zeit des Beginnes
dieses Processes zu erkennen. Die ersten Anfänge der Verhornung
lassen sich durchaus nicht nachweisen, ebensowenig ist es leider
möglich, kleine Unterschiede in der Stärke derselben zu eonstatiren.
Der Nachweis des gebildeten Keratins beruht hauptsächlich auf
4723 Hans Gierke:
der von Kühne eingeführten Verdauungsmethode Ewald und
Kühne!) haben zuerst gefunden, dass in der grauen Substanz des
Centralnervensystems, ebenso wie in der Retina und auch in dem
Mark der weissen Nervenfasern eine in Form feiner Fasernetze
vorkommende Substanz existirt, welche der Pepsin- und Trypsin-
Verdauung widerstehen und sich gegen concentrirte Schwefelsäure
und 10 procentige Natronlayge äusserst resistent zeigen. Weitere
Untersuehungen haben ihnen den Nachweis geliefert, dass diese
Fasernetze aus Hormsubstanz bestehen. Sie benannten es speciell
als Neurokeratin. Von verhornten Zellen wussten sie nichts. Es
ist nun in der That nicht allzu schwer mittels der Verdauungs-
methode die gut ausgesprochene Verhornung zu erkennen; es las-
sen sich auch, besonders wenn man das hesultat mit demjenigen
anderer Methoden, so der Behandlung mit Säuren und. Alkalien
und der Tinction vergleicht, gröbere quantitative Unterschiede
deutlich machen. Aber die feineren, wahrscheinlich überall vor-
handenen Differenzen in dem Grade der Verhornung der Elemente,
sowie die schwachen ersten Anfänge derselben sind nieht nachzu-
weisen. Wenn ich daher im Folgenden von der stärkeren oder
geringeren Verhornung rede, so bezieht sich diese Angabe nur
auf gröbere und stark ausgesprochene Unterschiede, die ich dureh
die verschiedenen eben erwähnten Methoden zu constatiren ver-
moehte. Ich spreche auch in der Folge mehrfach von dem mehr
oder weniger stark verhornten Aussehen. Es ist dies allerdings
ein Ausdruck, der mit Vorsicht und in grosser Beschränkung zu
gebrauchen ist, da es besonders scharfe Kriterien des Grades der
Verhornung nach dem Aussehen nicht giebt. Doch aber schärft
sich, wenn man sieh Jahre hindureh so intim mit einem Gewebe
beschäftigt wie ieh mit der Neuroglia, der Blick für wenig stark
ausgesprochene Bigenthümlichkeiten, welche sich nieht mit Worten
schildern lassen und welehe aueh gewiss von Andern nieht sofort
erkannt werden würden. Bei fortschreitender Verhornung be-
kommen die Zellen etwas Derberes; dabei aber werden sie
durchsiehtiger und homogener ; in den Sehnittpräparaten zeigen sie
sich deutlicher, ihre Contouren treten schärfer hervor. Freilich
1) Ueber einen neuen Bestandtheil des Nervensystems von A. Ewald
und W. Kühne. Verhandlungen d. Naturhistorisch-medieinischen Vereins
zu Heidelberg. Neue Folge. 1. Bd. 1877.
Die Stützsubstanz des Centralnervensystems. 473
kann dies nur als allgemeine Regel gelten und möchte ich nicht
jede Stützzelle, welche ein solehes Aussehen nicht zeigt, durchaus
von vornherein als weniger verhornt hinstellen. Im Grossen und
Ganzen aber betrachte ich Gliazellen, deren Zellleib durch Ein-
lagerung zahlreicher kleiner Granula ausgezeichnet ist, und die
dadurch trüber und gegen die Umgebung weniger scharf differen-
zirt sind, als nicht so stark verhornt wie die glänzenden, glashel-
len Gebilde. Diese letzteren färben sich auch mit ammoniakali-
schem Carmin intensiver als die ersteren. Ich habe das überall
in dem Centralnervensystem und sowohl in Schnitt- wie auch in
den Isolirungs-Präparaten constatiren können. Je weiter die Ver-
hornung fortgeschritten ist, desto besser und kräftiger die Fär-
bung. Doch kommen Ausnahmen von dieser Regel vor, und dann
hängt diese Färbung natürlich auch von der Vorbehandlung des
Materials und von der Ausführung der Tinetion ab.
Sehr bemerkenswerth ist nun das genauere Verhalten des
Kerns bei der Verhornung vieler Stützzellen. Derselbe wird viel-
leicht zu gleicher Zeit mit dem Eintreten der Umwandlung des
Zellprotoplasmas in Hornsubstanz allmählich immer kleiner und
dürftiger, verliert seine regelmässige runde oder ovale Form und
nimmt eine unregelmässig längliche Gestalt an.
Dabei betheiligt sich nun auch er an der Umwandlung in
Keratin. Hierdurch verschwindet also die bisherige Differenz
zwischen Kern und Zellleib, sie bestehen beide aus derselben Sub-
stanz. Es gelingt darum nicht mehr, durch Ammoniak-Carmin
und ähnliche Tinetionsmittel die Kerne in den Zellkörpern hervor-
zuheben; die Zellen erscheinen ganz kernlos. Doch aber sind sie
es nicht, denn die besten Kernfärbemittel, wie Alaun-Carmin und
andere vermögen ihn doch noch als verhältnissmässig kleinen ver-
krüppelten Körper zu differenziren. Dann aber, wenn die Ver-
hornung einen noch höheren Grad erreicht, geht der Kern offenbar
ganz in dem Zellleib auf. Wenigstens findet man sowohl im
Rückenmark wie auch im Gehirn und in der weissen sowohl wie
in der grauen Substanz grosse und kleine Stützzellen, in denen
man auch durch die besten Kerntinetionsmittel keinen Kern mehr
sichtbar machen kann. Bei einem sorgfältigen Studium solcher
Schnitte, welehe mit Ammoniak-Carmin und hinterher noch mit
Alaun-Carmin tingirt sind, kann man wohl alle möglichen Ueber-
gangsstadien dieses Kern-Schwundes erkennen. Man findet viel-
Archiv f. mikrosk. Anatomie. Bd, 25. BB}
474 Hans Gierke:
leicht nebeneinander Zellen mit einem schön ausgebildeten runden
Kern in einem grossen Zellleib; dann solche in denen der Kern
noch deutlich aber kleiner ist; ferner solche, in denen der kleine
Kern in der verschiedensten Weise undeutlich ist, so dass Zellen
vorkommen, in denen er grade noch als verschwimmender, dunk-
ler, gefärbter Fleck sich offenbart; und endlich solche Zellen, die
in ganz gleichmässiger Weise gefärbt gar keinen Rest eines Kerns
erkennen lassen. Nach sehr vielen Versuchen bin ich nun zu der
Ueberzeugung gekommen, dass diejenigen Zellen, deren Kern ver-
schwunden ist, eine grössere Widerstandsfähigkeit gegen Säuren
und Alkalien besitzen, als diejenigen mit einem kleinen Kern,
diese aber in dieser Hinsicht noch weit die mit einem regelmäs-
sigen, grossen Kern versehenen übertreffen. Schon bei den ge-
wöhnliehen Macerationsmethoden kann man, wenn man genau ver-
gleicht, einen deutlichen Unterschied in der Widerstandsfähigkeit
dieser Gliazellen erkennen. Lässt man z. B. Rückenmarksstück-
chen bei warmer Temparatur (15—20°) längere Zeit hindurch
4—10 Tage, in sehr verdünnter Lösung von Ammonium bichromieum
maceriren und versucht dann von Zeit zu Zeit Zupfpräparate zu
machen, so wird man zu einem Punkt gelangen, wo die weniger
haltbaren Zellen nicht mehr ganz und unzerbrochen zu isoliren sind,
während die besser Widerstand leistenden Zellen noch mit den
Nadeln herausgezerrt werden können. Und wenn man sich dieser
Untersuchungsmethode in sehr vorsichtiger und möglichst exaeter
Weise bedient, kann man mittelst ihrer mehrere verschiedene
Grade der Widerstandsfähigkeit der Stützzellen gegen solche
Macerationsmittel eonstatiren. Dieselben stimmen ungefähr mit den
Stadien des Kernschwundes überein. Ebenso auch kann man bei
äusserst vorsichtiger Behandlung gut isolirter und möglichst frischer
Gliazellen mit caustischen Alkalien oder mit Säuren ähnliche
Grade der Widerstandsfähigkeit gegen diese feststellen, die auch
wieder den Stadien des Kernschwundes entsprechen. Dass die
kleinen Kerne der grossen Gliazellen einer Rückbildung unterwor-
fen sind, ergiebt sich meiner Ansicht nach auch daraus, dass man
in ihnen selbst bei günstigen Färbungen keine Differenzirungen
findet, während die grossen, schön ausgebildeten Kerne der kleinen,
zarten Gliazellen in gut tingirten Präparaten die schönsten und
äusserst deutlichen, aus regelmässigem Netzwerk bestehenden Kern-
figuren aufweisen.
Die Stützsubstanz des Centralnervensystems. 475
Ich erwähnte schon, dass Ewald und Kühne in ihrer Arbeit
nur von verhornten Fasern sprechen, wir sahen aber soeben, dass
die Zellen der Stützsubstanz, wenigstens diejenigen, welche einen
verhältnissmässig grossen Zellleib besitzen, ebenfalls verhornt siıfd.
Sie bleiben bei der Verdauung kleiner Stückchen weisser oder
grauer Substanz aus allen Partieen der Centralorgane durch Pepsin
und Trypsin mit den Fasern zusammen übrig. Man kann sie noch
tingiren und so deutlich machen. Die meisten von ihnen sind im
Zusammenhang mit ihren Fortsätzen eben dem Horngerüst Ewald -
Kühne’s geblieben. Verschiedene Beobachtungen haben mich zu
der Ansicht gebracht, dass hinsichtlich der Stärke der Verhornung
zwischen den Fortsätzen und den Zellkörpern ein gewisser Unter-
schied besteht, dass die ersteren, besonders so lange die Um-
wandlung in Keratin im Zunehmen ist, etwas stärker verhornt
und demgemäss etwas widerstandsfähiger sind. Der Unterschied
könnte aber jedenfalls nicht gross sein, da es mirtrotz mehrfachen
Bemühens nicht gelungen ist, ihn wirklich nachzuweisen.
Anders ist das Verhalten der zarten Gliazellen, deren Körper
fast ganz allein aus dem unverhältnissmässig grossen Kern besteht,
und bei denen die feinen Ausläufer sich entweder direct an diesen
anzulehnen scheinen oder aber von einem schmalen zart aus-
schauenden und in der That wenig widerstandsfähigen Zellleib
ausgehen. Werden sie der Verdauung unterworfen, so scheint sich
bei weitem in der Mehrzahl der Fälle der letztere aufzulösen, da
man die Kerne isolirt in der Flüssigkeit, in dem Gewebe aber
statt ihrer Löcher findet. Sucht man so behandelte Stückchen
grauer Substanz zu zerzupfen, so gelingt es fast niemals, die eben
erwähnten Zellen im Zusammenhang zu isoliren; man erhält nur
einzelne Fortsätze und losgelöste Kerne. Ausnahmen sind selten
und könnten vielleicht auf eine ungenügende Verdauung geschoben
werden. Dagegen verdienen andere interessante, allerdings auch
ziemlich seltene Befunde der Erwähnung. Bei sehr vorsichtigem
Auseinanderbreiten kleiner Partikelchen grauer, der Verdauung
unterworfenen Substanz erhält man hier und da einmal Gebilde,
welche kernlose Gliazellen der letzterwähnten Form zu sein scheinen.
Strahlenförmig angeordnete Fasern nämlich, welehe durchaus den
zarteren Gliafortsätzen gleichen, gruppiren sich, offenbar mit ein-
ander verklebt, um eine grosse rundliche Oeffnung. Manchmal
erkennt man einen sehr feinen, schmalen eentralen Saum, welcher
476 Hans Gierke:
kranzartig die Strahlen verbindet. Es sieht also so aus, als ob
die geringen, vielfach kaum noch oder gar nicht mehr erkennbaren
Reste des Zellleibes bei dieser Form der Stützzellen nicht ver-
hörnen und daher bei der Verdauung aufgelöst werden. Die reich-
lich verästelten Fortsätze dagegen bestehen aus unverdaulicher
Hornsubstanz, ja in einzelnen Fällen würde auch, wie aus den
eben geschilderten Befunden zu schliessen ist, die äussere Partie
des Zellleibes, von dem die Ausläufer abgehen, verhornen, während
die den Kern umlagernde unverhornt bleibt. Die Kerme selber
scheinen sieh ebenfalls nicht in Keratin umzuwandeln. Der Ver-
dauung widerstehen sie zwar, wie alle Kerne doch fand ich sie
nach Behandlung mit verdünnten Alkalien gelöst. Sie würden also
in dieser Hinsicht den verkrüppelten und verhornten Kernen der
andern Form der Stützzellen gegenüber stehen. Ich erwähne end-
lich noch, dass der später noch näher zu besprechende nicht ganz
seltene Befund der Kerntheilung in den zarten Gliazellen darauf
hinweist, dass nicht alle Zellen dieser Art zu gleicher Zeit ver-
hornen. Freilich ist es mir nie gelungen, Theilungen der ganzen
Zelle zu finden, ich sah sie stets nur an den Kernen, so dass
zwei oder drei derselben von einem gemeinsamen Strahlenkranz
von Fortsätzen umgeben war. Man muss also entweder annehmen,
dass sich die nieht verhornten Kerne in der verhornten Peripherie
allein theilen können!), oder aber, dass sich die ganzen Zellen thei-
len, und erst später nach diesem Vorgang verhornen. Eine Ent-
scheidung in dieser Frage soll hier nieht gegeben werden. Die
ganze Deutung, ich muss dies hinzusetzen, der eben geschilderten
Befunde und Resultate der Verdauungsmethode ist vorläufig mit
Vorsicht aufzunehmen, obgleich ich nur das möglichst Sichere an-
geführt habe. Als histologische Untersuchungsmethode bietet die
Verdauung grade für das Centralnervensystem grosse Schwierig-
keiten dar. Könnte man ihr sehr feine Schnitte des in gewöhn-
1) Dass die Fortsätze allein verhornen können, während die Zellkörper
andauernd aus lebendem weichem Protoplasma bestehen, beweisen die den
Centralkanal umgebenden Epithelien, welche, wie wir noch näher sehen
werden, ebenfalls Gliazellen sind, die für den besondern Zweck eine beson-
dere Form angenommen haben. Sie senden in die Substanz des Markes
längere oder kürzere Fortsätze, welche ohne Zweifel verhornen, während sie
selber in der Mehrzahl der Fälle ihr weiches Zellprotoplasma, das an der
freien Fläche zarte Flimmerhärehen trägt, unverändert behalten.
Die Stützsubstanz des Centralnervensystems. 477
licher Weise erhärteten Materials unterwerfen, so würde man zu
sehr viel klareren und bestimmteren Resultaten gelangen. So
aber muss man sich mit der Behandlung der verhältnissmässig
sehr dieken Schnitte der frischen Organe begnügen. Dieselben
geben auch nach der Auflösung vieler Gewebselemente durch die
Verdauung nur theilweise, z. B. in der weissen Substanz, klare
Uebersichtsbilder. Man muss das Detail durch Zerzupfen des
Materials zu erforschen suchen und hierbei muss man naturgemäss
auf die Klarstellung mancher Verhältnisse verzichten. Obige Schil-
derung jedoch, die mit grosser Vorsicht einer reichen Fülle von
Thatsachen und Befunden entnommen wurde, ist der Hauptsache
nach ohne jeden Zweifel richtig, dürfte aber auch in den einzelnen
Details mit grosser Sicherheit als der Wirklichkeit entsprechend
betrachtet werden. Dass es mir nicht gelang, den zeitlichen Be-
sinn der Verhornung mittelst der Verdauungsmethode zu erkennen,
erwähnte ich schon kurz. Das den Embryonen entnommene Cen-
tralnervensystem verdaut sich leicht und ganz; auch in den ersten
Wochen nach der’ Geburt, wo die Glianetzwerke schon ganz voll-
kommen ausgebildet sind, kann Hornsubstanz nicht nachgewiesen
werden. (Ich musste mich bei diesen Untersuchungen auf ver-
schiedene Thierarten beschränken. Für die Erforschung der Ver-
hältnisse beim Menschen fehlte mir das Material.) Bei Kaninchen
fand ich dann schon in den, ersten Monaten die durch Umwand-
lung in Hornsubstanz bedingte Widerstandsfähigkeit der Neuroglia
gegen die verdauende Kraft des Pepsin und Trypsin. Aber ich
konnte, wie schon gesagt wurde, weder bei Kaninchen noch bei
anderen Thieren die Anfänge dieser Umwandlung herausfinden.
Es ist doch sehr wahrscheinlich, dass die Verhornung ganz all-
mählich zu Stande kommt. Manche Befunde haben sogar in mir
den Glauben entstehen lassen, dass z. B. beim Kaninchen die Horn-
bildung in der Glia um die Geburt herum beginnt und langsam
fortschreitet, bis das Thrier ganz erwachsen ist. Aber es fehlt mir
durchaus an exacten Beweisen für diese Annahme. Doch habe ich
die diesbezüglichen Untersuchungen noch nicht abgeschlossen und
hoffe noch zu besseren und sicheren Resultaten, zumal durch Ver-
feinerung der Verdauungsmethode zu gelangen.
Ewald und Kühne haben die hornige Substanz, aus welcher
die Neuroglia besteht, das Neurokeratin, in grösseren Quantitäten
rein dargestellt und einer weiteren chemischen Untersuchung unter-
478 Hans Gierke:;
zogen. Es betrug mindestens 15—20°/, vom Gewicht des trocknen
mit Alkohol und Aether erschöpften Gehirnpulvers. Chemisch ist
es durchaus den übrigen Hornsubstanzen des thierischen Körpers
an die Seite zu stellen, hat aber doch auch wiederum seine Eigen-
thümlichkeiten. Da diese chemische Beschaffenheit der Stützsub-
stanz für das Verständniss derselben von Interesse ist, führe ich
hier die näheren Angaben der erwähnten Autoren !) an. Sie ver-
gleichen das Neurokeratin mit dem Keratin der Epidermis und
sagen: „Uebereinstimmung herrscht hinsichtlich der Unverdaulich-
keit, der Unlöslichkeit in kalter Schwefelsäure und Kalilauge, im
hohen Schwefelgehalte, sowie in der Beimengung schwefelhaltiger,
leicht zersetzbarer Substanzen, auch in den für Eiweissstoffe ge-
meinsamen Reactionen. Das Neurokeratin ist aber viel schwerer
löslich in kochender, starker Kalilauge, als in gleicher Weise
extrahirtes und ausgedautes geraspeltes Rinderhorn und es giebt
selbst bei 150° nur sehr wenig an Eisessig ab. Ferner giebt die
Lösung in heissem Aetzkali viel mehr Neutralisationsfällung als
die des Horns.“
„Nach 5stündigem Kochen von 1 Th. Neurokeratin mit 10 Th.
verdünnter SH;0, (1 Th. Säure auf 1,5 Th. H,O) bleibt etwa !/,
ungelöst, während Horn dabei ganz zergeht. Das Gelöste liefert
aber, wie beim Horn, beträchtlich mehr Tyrosin und weniger
Leuein, als die Eiweissstoffe. Unter Behandlungen, welche ans
Chitin Zucker bilden, wird aus Neurokeratin kein redueirender
Körper erhalten.“
„Unsere Substanz verbreitet erhitzt den Geruch nach ange-
branntem Horn, schmilzt, brennt mit leuchtender Flamme, hinter-
lässt 1,6°/, Asche, enthält Stickstoff und 2,95%, Schwefel.‘
Bleiben wir nun vorläufig noch bei der Stützsubstanz des
Rückenmarks und des verlängerten Markes stehen und sehen uns
die oben in Bezug auf ihre Form und ihre sonstigen Verhältnisse
nur ganz kurz skizzirten Zellen etwas näher an. Haben wir sie
gut verstanden, so kann es uns nicht schwer werden, auch die
Glia-Verhältnisse des Gehirns zu verstehen. Wir müssen an dem
oben betonten Unterschied der Zellen festhalten und die beiden
Formen, zwischen denen es allerdings viele Uebergänge giebt,
besonders betrachten. Zunächst also sprachen wir von zarteren
1) 1. ce. p. 463 ff.
Die Stützsubstanz des Centralnervensystems. 479
Gliazellen mit grossen rundlichen Kernen und feinen sich reich-
lich verästelnden Fortsätzen. In der Mehrzahl der Fälle ist der
Kern wirklich eine regelmässige, schöne Kugel, häufig aber auch
ist er oval gestaltet. Krause!) behauptet, die Kerne der Glia-
zellen seien stets oval und nur auf dem optischen Querschnitt rund
erscheinend. Dass dies für unsere Zellen unrichtig ist, erkennt
man leicht an den gänzlich isolirten und der Fortsätze beraubten
Kernen, welche in Flüssigkeiten schwimmend sich nach allen Rich-
tungen drehen und wenden können, ohne die runde Gestalt einzu-
büssen. Unter günstigeu Umständen kann man in den Kernen
sehr zierliche Netze mit verdickten Knotenpunkten erkennen. Die
Kernkörperchen sind regelmässig vorhanden und sehr gross. Auf-
fallend ist die grosse Widerstandsfähigkeit der Kerne gegen mecha-
nische und chemische Eingriffe. Sie übertreffen in dieser Hinsicht
nicht allein die Kerne der Nervenzellen sehr bedeutend, sondern
auch die meisten Kerne anderer Gewebe, mit denen ich sie hier-
auf verglich. So z. B. lösten sie sich bei lang andauernder Be-
handlung mit den gewöhnlich angewandten Macerationsflüssigkeiten
viel schwerer auf als die meisten andern Gewebselemente des cen-
tralen Nervensystems und sind bei dem endlichen Zerfall derselben
diejenigen Gebilde, welche man noch am längsten unversehrt er-
halten kann. Ebenso überdauern sie bei solcher Maceration die
Kerne des reticulären Bindegewebes, z. B. aus der Milz oder den
Lymphdrüsen, diejenigen der glatten Muskelfasern u. s. w. Auch
gegen die Einwirkung von Säuren und Alkalien leisten sie länger
Widerstand als die meisten andern Kerne. Dass sie mechanischen
Eingriffen besonders schwer erliegen, schliesse ich daraus, dass
es bei sehr intensivem Zerzupfen mit feinsten Nadeln fast niemals
gelingt, einen zu zerreissen, während man oft die Kerne der Ner-
venzellen zerstört. Auch kann man durch starken Druck des Deck-
glases sie viel schwerer zerdrücken als andere Gewebselemente.
In dieser Hinsicht auf die Widerstandsfähigkeit gegen chemische und
mechanische Eingriffe kommen ihnen nur die derberen und ganz
verhornten Gliazellen gleich, die sie in mancher Beziehung sogar
übertreffen. Merkwürdig ist die grosse Verwandtschaft dieser
Kerne zu ammoniakalischem Carmin, das ja sonst nicht zu den
Kernfärbemitteln gehört. Sie ziehen, zumal in sehr verdünnten
1) 1. e. p. 399.
480 Hans Gierke:
Lösungen des Farbstoffes, denselben mit grösster Gier an sich und
färben sich schneller mit ihm als alle andern Elemente des Central-
nervensystems, auch als die Kerne der Nervenzellen. Grade durch
diesen Umstand sind sie so vielfach in den Verdacht gekommen,
freie, isolirte und mit nichts Anderm in Verbindung stehende Ge-
bilde zu sein. Sie, intensiv gefärbt, heben sich überall in den
Sehnitten leuchtend hervor, während die zu ihnen gehörigen zarten
und ungefärbten Fortsätze nicht erkannt werden. In dieser her-
vorragenden Tinetionsfähigkeit mit Ammoniak-Carmin beruht ein
sehr wesentlicher Gegensatz gegen die mehr oder minder verkrüp-
pelten Kerne der andern Form der Gliazellen, da sie sich nur sehr
schwer mit diesem Farbstoff tingiren und jedenfalls nicht stärker
als der umgebende Zellleib. Ich komme hierauf noch einmal
zurück.
Vielfach sind nun diese Kerne von einem zarten an Masse
geringfügigen Zellleib umgeben, andere aber, und ihre Zahl ist
vielleicht grösser, besitzen einen solchen nicht. Aber auch, wenn
vorhanden, erscheint der Zellleib unbedeutend und gering dem
Kern gegenüber, selbst wenn er, was nicht häufig ist, ihn an
Grösse übertreffen sollte. Er hat eben etwas ungemein Zartes
und Unscheinbares, ist vollkommen durchsichtig, enthält selten
kleine Gewebe und färbt sich ausserordentlich schwer mit Carmin
und andern Tinctionsmitteln. Es ist gleichgültig, ob man Schnitte
durch das erhärtete Mark oder isolirte Zellen der Tinetion mit
Ammoniak-Carmin unterwirft, diese Zellkörper bleiben entweder
ganz ungefärbt oder nehmen höchstens einen blass-rosa Schein an,
während die von ihnen umhüllten Kerne intensiv roth gefärbt sind.
Offenbar hat der Zellleib eine sehr geringe Widerstandskraft gegen
Reagentien, da er sehr schnell zerfällt und schon lange aufgelöst
ist, wenn der Kern sich noch gar nicht verändert zeigt. Dass
diese Umhüllungen des Kerns nicht oder wenigstens in ihrem
grössten Theil nicht verhornen, habe ich schon erwähnt.
Ist der Zellleib etwas stärker entwickelt, so liegt der Kern
gewöhnlich nicht in der Mitte, sondern in einer Ecke wie in Fig. 2.
Andererseits bei einer starken Reduction des Zellleibes kann der-
selbe wie ein kleiner Anhang an dem Kern kleben. Natürlich
sehen die Fortsätze dann allein von diesem Anhang ab. In andern
Fällen aber wieder umgiebt der ungemein stark geschwundene Zell-
leib den Kern in ganz regelmässiger Weise und in gleich dicker
Die Stützsubstanz des Centralnervensystems. 481
Schicht; er bildet also eine diesen umschliessende Hohlkugel, von
der dann die Fortsätze nach allen Seiten hin in gleich starker
Weise ausgehen. Die Wandung dieser Hohlkugel kann so dünn
sein, dass man ihr Vorhandensein nur im optischen Querschnitt
an der doppelten Contour des Kerns erkennt. Dann aber, sobald
nur eine Spur eines Zellleibes vorhanden ist, pflegen die Ausläufer
mit einer kleinen dreieckigen Basis zu beginnen; sie entstehen
nicht plötzlich aus dem Zellleib, sondern dieser geht in sie sich
allmählich verschmälernd über, wie das so schön bei den Nerven-
zellen zu sehen ist. Ganz anders natürlich ist dies Verhältniss,
wenn gar kein erkennbarer Zellleib mehr vorhanden ist. Dann
müssen die Fortsätze ganz unvermittelt und ohne jeden Uebergang
entstehen; sie lehnen sich so direct an den Kern an, dass es aus-
sieht, sie kämen aus ihm heraus. Die in den Figuren 1 und 3
einerseits und in der Figur 2 andererseits abgebildeten Zellen
machen diesen Unterschied wohl ohne Weiteres klar.
Die Fortsätze dieser ersten Form der Gliazellen sind hin-
sichtlich der Zahl, der Stärke, der Länge und der Gestalt sehr
verschieden, stets aber sind sie verhältnissmässig feine Fäden von
ausserordentlicher Länge, welche eine grosse Neigung zur Thei-
lung zeigen. Was zunächst die Zahl angeht, so isolirt man Kerne
mit sehr wenigen Ausläufern, vielleicht 3 oder 4. Doch wird man
in diesen Fällen bedenken müssen, dass immerhin einige bei der
Präparation verloren gegangen sein können. Doch lassen auch
die Schnittpräparate vermuthen, dass von manchen Kernen, die
sewöhnlich auch recht klein sind, nur 2—4 Fortsätze ausgehen.
Diese sind dann sehr zarte und feine Fädchen von kaum mess-
barer Dicke (Fig. 1b). Andererseits können die Ausläufer sehr
zahlreich werden, ohne freilich die bei der andern Form der Glia-
zellen mögliche Zahl zu erreichen. Ich zählte bei den stattlichsten
hierher gehörigen Zellen etwa 25 derselben. Ebenso verschieden
wie die Anzahl der Fortsätze ist auch ihre Länge, da einige sich
bald nach ihrem Entstehen verästeln und mit den von Nachbar-
zellen abstammenden Fasern verbinden, andere zuvor eine weite
Strecke hindurch laufen, ehe sie sich in die Endäste auflösen.
Zwar erreichen sie niemals die bedeutende Länge, welche die
Ausläufer der andern Zellform der Stützsubstanz auszeichnen
können, aber doch sind es häufig sehr lange Fasern. Ja, wenn
man diese Gliazellen bisher nur in Schnittpräparaten studirt hatte
482 Hans Gierke:
und nun die gut isolirten Zellen anschaut, muss man ausserordent-
lich über die Länge ihrer Fortsätze erstaunt sein, da bei dem
dichten Aneinanderliegen der Zellen im Schnitt zur Verbindung
unter einander und zur Bildung eines Netzwerkes nur kurze Aus-
läufer nöthig erscheinen. Die Zellen aber senden ihre Fortsätze
nicht immer gleich zur nächst gelegenen Nachbarin, sondern häufig
weit über diese hinaus in eine fernere Gegend, damit sie sich
dort erst verästeln und mit andern Fasern verbinden. Die Stärke
der Ausläufer hängt zum Theil von ihrer Länge ab, indem die
längeren gewöhnlich — aber durchaus nicht immer — auch die
stärkeren sind, zum Theil von der Grösse des Kerns — alle aber
sind im Vergleich mit den Fortsätzen der anderen Form sehr
schmal und zart. Sie sind auch, wie der etwa vorhandene Zell-
leib durchsichtig und klar, enthalten keine Körnchen oder Granula
im Innern, keine Varicositäten, Knoten oder Verdickungen aussen.
Wo das, letztere behauptet wird, wie z. B. bei Krause!), da ist
dieser Irrthum wohl durch die Präparation entstanden, da sich
leicht kleine Partikelchen aussen an die Fasern anlegen und Ver-
diekungen vortäuschen können.
Ueber die Theilung der Fortsätze wurde schon früher aus-
führlich gesprochen. Grade die Ausläufer dieser Form pflegen
sich auf das Reichhaltigste zu verästeln und so zur Bildung der
allerfeinsten, nicht mehr messbaren Fäserchen Veranlassung zu
geben. Wie aber schon weiter oben hervorgehoben wurde, ist es
nicht gut möglich eine solche Zelle mit allen ihren feinsten Aus-
läufern vollständig zu isoliren, da die zarten Enden um so eher
abreissen oder abbrechen, da sie nicht nur mit den stärkeren Aus-
läufern dieser Zelle, sondern auch mit denen anderer benachbarter
Zellen verbunden sind. Ein Bild, wie die Figur la uns bietet,
gehört zu den grössten Seltenheiten und ist auch nicht einer voll-
kommen isolirten Zelle entnommen, sondern aus einem grösseren
1) 1. c. p. 398. In den Zupfpräparaten findet man häufig kleine De-
trituspartikelchen den Fortsätzen anliegen und in den Schnitten kommt da-
durch ein ähnliches Bild zu Stande, dass unmittelbar neben den horizontal
im Bilde verlaufenden Fasern, und ihnen innig angeschmiegt, nach andern
Richtungen laufende Fortsätze gelagert sind. Sie zeigen sich natürlich im
Querschnitt als Punkte und können den im Schnitt längs verlaufenden Fasern
so dicht anliegen, dass sie wohl für Varicositäten derselben gehalten werden
können.
Die Stützsubstanz des Centralnervensystems. 483
Zusammenhang herausgeschnitten, da die feineren Fortsätze mehr-
fach in das allgemeine Netzwerk der Stützsubstanz übergehen,
in dem sie dann nicht weiter zu verfolgen sind. Wir erkennen
hieraus die Art und Weise, wie die Ausläufer dieser Gliazellen
meistens endigen. Die letzten Endreiser verbinden sich, ohne dass
sich eine Grenze finden liesse, mit eben solehen aus ähnlichen
Zellen hervorgegangenen Fäserchen. Ob sie sich zuweilen nur
aneinander legen und so mit einander verkleben, ist schwer zu
entscheiden. Jedenfalls würde diese Art der Endigung und der
Bildung des Stützgeflechtes die seltenere, die erstere die bei Weitem
gewöhnlichere sein. In dieser Weise entsteht ein feines Netzwerk
mit den Kernen in den Knotenpunkten. Die Lücken werden, wie
ich noch später näher schildern will, von den nervösen Elementen
oder auch einfach durch Grundsubstanz ausgefüllt. In den Schnit-
ten, auch in den feinsten, ist es sehr schwer, das Netzwerk in
grösserer Ausdehnung deutlich zu machen, während dies an ein-
zelnen besonders günstigen Stellen recht gut gelingt. In Isola-
tionspräparaten aber erhält man wohl hier und da einmal, freilich
mehr zufällig als durch besondere Manipulationen feine Fasernetze
mit sehr engen Maschen und mit den runden oder ovalen Kernen
in den Knotenpunkten. Hier gelingt es dann nicht mehr, die
Grenzen der einzelnen Zellen festzustellen; man kann durchaus
nicht erkennen, ob bestimmte Fasern diesem oder jenem Kern zu-
gehören. Dieser fällt auch wohl, zumal wenn gar keine Spur eines
Zellleibes ihn mit den Fortsätzen verbindet, aus dem Netzwerk
aus, ein rundliches Loch in ihm zurücklassend, und liegt nun
isolirt als „freies Korn“ im Präparat herum.
In der Zelle Fig. 3 liegen drei Kerne dichtgedrängt neben-
einander, und gehen die Fortsätze von ihnen als gemeinsamem
Mittelpunkt gleichmässig nach allen Richtungen hin. Es ent-
spricht dies Bild durchaus einem häufige. Vorkommniss. Man
findet nicht nur bei ganz jungen Individuen, sondern auch bei
Erwachsenen sehr häufig Gliazellen der beschriebenen Art, welche
Theilungsvorgänge in den allerverschiedensten Stadien zeigen.
Zellen mit zwei Kernen sieht man gar nicht selten, auch mit dreien,
ja hier und da kommen noch vier Kerne vereint vor. - Dabei
lassen sich die verschiedensten Momente der Trennung beobachten,
von der leichten Einschnürung bis zur vollständigsten Loslösung.
Das Verhalten der Kernfiguren habe ich bei dieser Theilung nicht
484 Hans Gierke:
besonders untersucht; bei niedern Wirbelthieren, z. B. bei Hai-
fischen wird man bei Anwendung geeigneter Methoden gewiss nach
dieser Hinsicht schöne Bilder erhaiten, da bei ihnen die Kerne
der Gliazellen sehr scharf gezeichnete Figuren aufweisen. Sagte
ich eben, dass diese Theilungsvorgänge bei Geschöpfen von ver-
schiedenem Alter zu beobachten sind, so muss ich nun doch hin-
zufügen, dass sie ganz besonders bei wachsenden und bei jungen
Individuen, später aber etwas weniger gefunden werden.
Was die locale Verbreitung dieser Zellen und ihre Verwen-
dung betrifft, so will ich hier nur kurz andeuten — es wird später
genauer von diesen Dingen die Rede sein — dass sie ganz beson-
ders in der grauen Substanz und viel weniger in der weissen vor-
kommen. Denken wir an die extremen Formen, bei denen von
einem Zellleib gar nichts mehr zu sehen ist, so müssen wir diese
in der That auf die graue Substanz beschränken, da zwischen
den Nervenfasern der weissen Substanz nur Uebergangsformen
vorkommen. Jene sind nun aber durchaus nicht die einzigen Glia-
zellen in den grauen Massen, sondern sie haben sich, wie wir das
noch näher sehen werden, in der Aufgabe, ein Stützgerüst für die
nervösen Elemente zu bilden, mit den anders gestalteten Gliazellen
zu theilen. Ich werde weiter unten zeigen, dass sie besonders für
die Umscheidung der Nervenzellen und ihrer Fortsätze, für die
Bildung von Hüllen, diese zu umschliessen, verwandt werden.
Isolirt man nun aus der weissen Substanz der medulla spi-
nalis oder oblongata, dann auch aus der Umhüllungsmasse des
Ventrikels oder Centralkanals, oder aus der unter der Pia lie-
genden Hülle des ganzen Markes!) Gliazellen und sucht sich solche
aus, wie in der Figur 5 eine dargestellt ist, so wird man beim
Vergleich mit der eben beschriebenen Zellform leicht die Unter-
schiede erkennen, welche oben kurz zusammengestellt wurden.
Der ungemein stark entwickelte Zellleib, das Fehlen des Kerns
gibt der Zelle in Figur 5 ein ganz anderes Aussehen als den in
den Figuren 2 und 3 dargestellten. Es ist aber wohl dabei zu
1) Ich werde nachher noch zu zeigen haben, dass diese zweite Form der
Gliazellen auch in der grauen Substanz ein regelmässiges Gerüst bilden und werde
auf das Verhältniss der beiden Sorten in derselben näher eingehen. Ganz be-
sonders charakteristische und sehr schön ausgebildete grosse Stützzellen dieser
kernarmen Form sind in bestimmten bisher wenig bekannten Glia-Anhäu-
fungen in der medulla oblongata, am Boden des 4. Ventrikels zu finden.
Die Stützsubstanz des Centralnervensystems. 485
bemerken, dass hier eine möglichst von der vorigen Form ver-
schiedene Zelle gewählt wurde und dass es zwischen diesen Ex-
tremen Uebergänge aller Art in dem Rückenmark und der me-
dulla oblongata gibt, so dass man zuweilen Zellen isolirt, von de-
nen schwer zu sagen ist, welcher Form sie eigentlich zugerechnet
werden sollen. Ferner hat man zu bedenken; dass diese Zelle
einem mit Carmin-Ammoniak gefärbten Präparat entnommen wurde.
Würde sie mit einem richtigen Kernfärbemittel, wie z. B. Alaun-
Carmin tingirt sein, so könnte sich vielleicht im Innern des grossen
Zellleibes ein nicht allzu bedeutender Kern differenzirt haben.
Handelt es sich jedoch um ein von älteren Geschöpfen herstam-
mendes Material, so wird man sehr häufig Gliazellen finden, in
denen auch die Behandlung mit den energischsten Kernfärbe-
mitteln einen Kern nicht deutlich machen könnte. Niemals aber,
wenn ein solcher vorhanden ist, bildet er so sehr die Hauptmasse
und die Hauptsache der Zelle wie in der vorher beschriebenen
Form. Er tritt in den mit ammoniakalischem Carmin gefärbten
Präparaten mehr oder minder zurück gegen die Substanz des Zell-
leibes, da er einmal hinsichtlich der Grösse im Verhältniss zu
jenem nicht sonderlich auffällt, und dann auch besonders, weil er
sich mit dem genannten Farbstoff nieht sehr intensiv und zumal
nieht intensiver als der Zellleib färbt. Seine Verwandtschaft zu
Ammoniak-Carmin ist ausserordentlich viel geringer als die der
grossen Kerne der andern Gliazellform, ja auch viel geringer als der
Kerne der Nervenzellen, während der Zellleib den Farbstoff be-
deutend leichter aufnimmt als die geringen Reste eines Zellleibes,
welehe etwa den eben erwähnten grossen Kernen der Stützsubstanz
anhaften. Eine bestimmte typische Form kommt den verkrüppelten
Kernen unserer Zellen nieht zu, sie können die verschiedensten
Formen besitzen und sind oft recht unregelmässig gestaltet, wie
man das sonst bei Kernen nicht leicht wieder sieht. Kernkörper-
chen findet man selten in ihnen enthalten. Es soll aber hier doch
noch einmal ausdrücklich hervorgehoben werden, dass man alle
diese Verhältnisse bei den hierher gehörigen Zellen in einer gra-
duell sehr verschiedenen Weise ausgesprochen findet, so dass, wie
schon erwähnt wurde, ganz allmähliche Uebergänge zu der vorigen
Form genugsam vorkommen. Je jünger auch das Thier ist, dem
man das Material entnimmt, um so weniger ist die Verkrüppelung
der Kerne zu beobachten. In Bezug auf den Zellleib wurde schon
486 Hans Gierke:
die Möglichkeit, ihn mit Ammoniak-Carmin zu färben, betont; doch
muss hinzugefügt werden, dass derselbe durchaus nicht etwa dem
Protoplasma der Nervenzellen oder gar deren Kernen hinsichtlich
der Fähigkeit, sich mit Carmin zu tingiren, gleicht, sondern recht
sehr hinter ihnen zurücksteht. Das macerirte, zu zerzupfende
Material ebenso wie die Schnitte müssen viel länger in der Carmin-
lösung bleiben, um die Gliazellen zu färben, als zur Tinetion der
Nervenzellen. Genügt zu dem letzteren Zweck ein vierundzwanzig-
stündiges Verweilen der Schnitte in der ganz blass rosa-rothen
Flüssigkeit, so muss man sie mindestens 43 Stunden oder gar 3
Tage hindurch in der gleichen Lösung lassen, um die Gliazellen
der weissen Substanz zu färben. Und es scheint nur die allmäh-
liehe Einwirkung der ungemein verdünnten Lösung ein günstiges
Resultat zu ergeben, während eine stärkere, dunklere Carmin-
flüssigkeit nur in seltenen Fällen gute Färbungen jener Zellen er-
zielt. Alaun-Carmin und die meisten Anilinfarben, zumal alle
Kernfärbemittel, Haematoxylin, Goldehlorid und Osmiumsäure wir-
ken alle zusammen nicht auf diese Zellsubstanz. Etliche Anilin-
farben aber, wie Saffranin, Bordeaux, Anilinblau und einige an-
dere tingiren sie, keine jedoch so intensiv, wie sie in gleicher
Stärke und bei gleicher Dauer auf die meisten andern Gewebe
einwirken. Gewöhnlich und besonders in den Schnitten von er-
härtetem Material zeigt sich der Zellleib glashell, ganz durchsichtig
und homogen; keine Einlagerungen, Körnchen oder dergleichen
trüben ihn. Zuweilen aber erscheint derselbe fein granulirt. Fin-
det dies in Zellen statt, welehe nach einer der gewöhnlichen Ma-
cerationsmethoden isolirt worden sind (wie es z. B. bei der Zelle
in Figur 5 der Fall ist), so könnte man die feine Trübung wohl
auf die Präparation, bei welcher der Zellleib offenbar etwas auf-
quillt, schieben. Man sieht aber das Gleiche auch wohl in guten
Sehnittpräparaten, so dass man annehmen muss, dass den Zellen
unter besondern nicht näher bekannten Umständen solche feine
Körnelung zukommt, während sie für gewöhnlich durchaus homogen
und glashell sind. Im Uebrigen soll noch wiederholt werden, dass
sie sehr widerstandsfähig gegen chemische und mechanische Ein-
wirkungen sind. Ebenso muss man ihnen eine grosse Elastizität
zuschreiben, obsehon man dieselbe nicht direet beweisen kann.
Da aber die weisse Substanz in grösseren Partieen eine sehr bemerk-
bare Elastieität besitzt, den markhaltigen Nervenfasern jedoch offenbar
Die Stützsubstanz des Centralnervensystems. 487
jede Spur davon abgeht, so muss man sie auf Rechnung der Glia-
zellen und deren Ausläufer setzen. Diese letzteren nun gleichen
in Hinsicht auf ihre Substanz vollkommen den Zellkörpern, von
denen sie ausgehen. Es gehen diese ja auch vielfach ohne Grenze
in jene über, indem sie an einer Stelle eine dreieckige Partie
bilden, welche sich allmählich mehr und mehr zu einer Faser
verjüngt. Andere Fortsätze freilich entspringen ohne eine solehe
Vermittelung ganz plötzlich. (Die Zelle in Figur 5 gibt eine Illu-
stration beider Fälle.)Sie sind also auch homogen, ohne jede Einlage-
rung, ganz glashell und zeigen genau dieselben Eigenthümlichkeiten
hinsichtlich der Tinetion und des chemischen und mechanischen Verhal-
tens wie jene. Sie sind ganz scharf, glatt und ohne jede Varicosität.
Ueber die Verästelung der Fortsätze wurde schon oben im
Allgemeinen gesprochen und verweise ich auf das dort Gesagte.
Hinzuzufügen ist, dass im Grossen und Ganzen die Ausläufer die-
ser Gliazellen sich nicht in so reichhaltiger Weise verästen wie
diejenigen der vorher beschriebenen Form. Im Einzelnen aber
hängt der Grad ihrer Verzweigung und die Art derselben ganz
von den lokalen Verhältnissen und dem Zweck, den sie zu er-
füllen haben, ab. In der weissen Substanz werden zur Um-
scheidung der markhaltigen Nervenfasern durch häufige Theilung
sehr feine Reiserchen gebildet (wie z. B. Fig. 15 deutlich demon-
strirt), während in den Gliamassen am Boden des vierten Ven-
trikels und um den Centralcanal herum, ebenso in der Umhüllung
des ganzen Markes die Fortsätze der Gliazellen sieh nicht so reich-
haltig verästeln. Die durch Maceriren und Zerzupfen isolirten
Zellen können uns kein ganz richtiges Bild von der wirklich vor-
handenen Verzweigung geben, da ganz unzweifelhaft, wie das ja
oben schon erwähnt wurde, viele oder gar die meisten feinen Rei-
ser abbreehen müssen, wenn wir die Zelle aus ihrer Umgebung
herausreissen und von ihren Verbindungen isoliren; denn diese fei-
nen Fäden sind es ja, welche sie mit den gleichen Elementen der
Nachbarschaft zusammenheften. An einer Stelle müssen sie durch-
reissen, um ihrer Zelle die Freiheit zu geben und diese Stelle
scheint ganz besonders häufig ihr Ausgangspunkt von den stär-
keren Fortsätzen zu sein. Bei der Betrachtung der abgebildeten
Zellen Fig. 4, 5 und 6 hat man sich gewiss eine Anzahl der Aus-
läufer mit zahlreichen feineren sieh weiter verästelnden Zweigen
besetzt, vorzustellen, um das der Wirklichkeit entsprechende Bild
488 Hans Gierke:
derselben zu erhalten. Ich sage einer Anzahl der Ausläufer.
Denn viele verlaufen ganz sicher ohne besondere Verästelung, ja
oftmals ohne sich ein einziges Mal zu theilen, eine kürzere oder
längere Strecke, um sich dann mit einer andern Faser zu ver-
binden oder sich direct in eine andere Zelle einzusenken. Solche
Fortsätze verjüngen sich wenig oder gar nicht, sondern enden in
der Stärke, in welcher sie aus ihrer Zelle entsprangen. So wer-
den gewiss die meisten Ausläufer der in Fig. 7 dargestellten Zelle,
welche der substantia gelatinosa Rolandi entnommen wurde und
die für eine Sorte der dort vorkommenden Gliazellen geradezu
typisch geworden ist, wenig verletzt sein und werden im Zusam-
menhang mit den benachbarten Elementen nicht viel mehr Theil-
fasern besessen haben. Sehr ähnlich sehen auch die Fortsätze der
Zellen der äusseren Glia-Umhüllung des Rückenmarks aus, wie
auch diese Zellen im Ganzen der dargestellten so ähnlich sind,
dass dieselbe geradezu als Muster für sie gelten kann. Aber auch
eine Anzahl der Ausläufer der grossen Zelle in Fig. 5 ist gewiss
unverletzt und hat in der dargestellten Form ohne weitere Theil-
äste abzugeben, ihr Ende gefunden. Eine ganz besondere Art sich
nicht theilender Fortsätze kommt nur einigen Zellen zu, und zwar,
wenn auch nicht ausschliesslich, solehen, die in der weissen Sub-
stanz in longitudinalen parallel mit der Längsaxe des Markes an-
geordneten Reihen liegen. Es soll weiter unten über die Anord-
nung und Bedeutung dieser höchst eigenthümlichen Fasern ge-
sprochen werden. Hier genüge Folgendes: Man findet in Isola-
tionspräparaten hier und da Zellen, welche ausser den gewöhnlichen
eben beschriebenen Ausläufern einem ungemein starken Fortsatz
Ursprung geben, welcher ohne sich je zu theilen, in wellenförmigen
oder gar spiraligen Windungen eine verhältnissmässig nicht sehr
lange Strecke verläuft, um dann wie abgerissen zu enden. Er
sieht besonders durchsichtig und glasartig, dabei sehr fest und
derb aus. Besonders glückliche Zufälle beim Zerzupfen, dann aber
Sehnittpräparate zeigen, dass diese Fortsätze direct von einem
Zellleib zu einem andern benachbarten laufen, um sich in diesen
einzusenken. So wird zwischen zwei nahe beieinander liegenden
Zellen eine ganz besonders innige und feste Verbindung geschaffen.
Da diese Fortsätze in situ entweder nur ganz leichte oder gewöhn-
lich gar keine Windungen, im isolirten Zustand aber und an dem
einen Ende durch Abreissen von der einen Zelle befreit, ziemlich
Die Stützsubstanz des Centralnervensystems. 489
auffallende zeigen so wird man wohl Recht haben, wenn man an-
nimmt, dass sie in situ und besonders im Leben einer gewissen
Spannung und Dehnung unterworfen sind. In der Fig. 15 sind
einige derartige Verbindungen der Gliazellen in der weissen Sub-
stanz dargestellt; sie kommen aber auch in den grösseren An-
häufungen der Stützsubstanz vor. So fand ich sie besonders noch
in der starken Gliaschicht am Boden des vierten Ventrikels.
Die Stärke und Länge der Fortsätze ist ungemein verschie-
den. Im Allgemeinen aber sind sie viel stärker und länger als
jene der zarten, kernversehenen Gliazellen. Genauer ist das Ver-
hältniss so, dass die letzteren niemals eine solche Dieke oder Länge
erreichen wie die der jetzt besprochenen Zellen; diese aber besit-
zen Fortsätze von jedem Caliber, von den allerfeinsten bis zu sehr
starken; ebenso ist es auch mit der Länge. Die eben erwähnten
starken, gewundenen Verbindungsfäden zweier Zellen sind gewöhn-
lich kurz und manchmal sehr kurz. Die andern können kürzer
oder länger sein; viele erreichen eine Länge, die im Verhältniss
zur Grösse des Zellkörpers ausserordentlich genannt werden muss.
In den Figuren 5 und 7 sind zwar schon ziemlich lange Fort-
sätze dargestellt, aber einmal wurden sie, um Platz zu sparen, von
dem Zeichner etwas verkürzt und dann sind aus demselben Grunde
durchaus nieht die Zellen für die Zeichnung ausgewählt, welche
die längsten Fortsätze hatten. Ich habe aber vom Schaf solche
Zellen mit Ausläufern von !/, bis ?/, Millimeter - Länge isolirt.
Beim Menschen kommen ziemlich eben so grosse vor. Wenn ein
Zellleib mit dem Durchmesser von 0,015 bis 0,025 mm Fortsätze
von 0,3 mm besitzt, so ist das schon sehr auffallend. Einige Male
habe ich sogar Fortsätze von mehr als lmm Länge constatiren
können. Da diese Ausläufer ja nach allen Richtungen hin laufen,
so kann unter Umständen eine solche Zelle einen Raum von
2 Cubikmillimeter beherrschen. Freilich muss man einen solchen
Fall wohl mehr als Ausnahme ansehen, da die Dimensionen meistens
viel geringere sind.
Eine bestimmte typische Form kommt diesen Gliazellen nicht
zu. Sie sind je nach der Oertlichkeit und nach der Art der Ver-
wendung verschieden gestaltet. Eine sehr gewöhnliche Form in
der weissen Substanz ist die dreieckige; die Zelle bildet eine
Pyramide, die bald breit und niedrig, dann aber auch häufig
schlank und hoch und deren Basis gern concav ausgeschweift ist.
Archiv f. mikrosk. Anatomie, Bd. 25. 34
490 Hans Gierke:
Besonders zwischen den markhaltigen Nervenfasern und zum Zweck
der Scheidenbildung für dieselben sind so geformte Gliazellen sehr
häufig und werde ich weiter unten genauer auf die Verhältnisse
dieser eingehen, aber auch in der grauen Substanz und in den
Gliamassen um die centralen Hohlräume herum sind sie häufig
anzutreffen. Während im Allgemeinen die Zellen der Stützsub-
stanz nach allen Dimensionen hin entwickelt sind, kann man
häufig bei diesen pyramidenförmigen eine mehr oder minder starke
Abplattung constatiren, so dass zwei parallel mit einander ange-
ordnete Seitenflächen, drei Kanten und drei Ecken vorhanden sind.
Selten jedoch ist der Diekendurchmesser ein sehr geringer, die
Abplattung ist also meistens nicht bedeutend. Von solchen Zellen
gehen dann die Fortsätse gern in den Ecken ab und zwar treten
bei den ganz typischen Formen wirklich nur drei starke Ausläufer,
welche sich bald büschelförmig theilen, oder drei Bündel von Fasern
aus den drei Ecken heraus. Diese Form wird etwas unregel-
mässiger, wenn auch von den Kanten Fasern ausgehen. In der
Figur 4 ist z. B. eine solche Gliazelle aus der weissen Substanz
dargestellt; sie zeigt die geschilderten Verhältnisse sehr schön.
Ausser den starken, bald sich verästelnden, aus den Ecken her-
vorgehenden Fortsätzen a, b und e tritt bei d noch ein kleines
Faserbündel aus der Kante hervor. Unter besondern Umständen
können die Fortsätze dieser pyramidenförmigen Zellen so ange-
ordnet sein, dass man denselben den Namen Pinselzellen, den Boll
zuerst aufgebracht hat, beilegen kann. Derartige Gebilde aber,
wie er als Pinselzellen aus dem Rückenmark des Schafes abbildet !),
habe ich niemals gefunden, trotzdem dass ich gewiss mehrere
tausend Isolationspräparate durchmustert habe. Bei niedern Säuge-
thieren und dann ganz besonders bei Amphibien und Fischen sind
pinselförmige Pyramidenzellen häufiger im Rückenmark. So isolirte
ich z. B. aus dem Mark des Igels derartige dreieckige Zellen, von
denen an der einen Eeke ein sehr starker und langer sich erst
spät verästelnder Fortsatz ausging, während an der dieser Spitze
gegenüberliegenden Basis verschiedene feinere und schnell sich
verästelnde Ausläufer entsprangen. Aber auch diese Zellgebilde unter-
scheiden sich sehr wesentlich von den Boll’sehen Zeichnungen.
In manchen Fällen treten in dem voluminösen Leib unserer Glia-
PR) 90. ans Kipa m.aa:
Die Stützsubstanz des Centralnervensystems. 491
zellen mehr oder minder starke Einsehnürungen auf, welche aller-
hand seltsame Gestaltungen bewirken. Derartige Gebilde (Fig. 5
ist ein hübsches Beispiel) haben Jastrowitz veranlasst, sie und
diese Gliazellen überhaupt als „Spinnenzellen“ zu bezeichnen. In
vielen Fällen in der That dürfte diese Benennung nicht unpas-
send erscheinen, wenn man auch wohl noch niemals Spinnen mit
so vielen Beinen gesehen hat wie die Zellen Fortsätze haben.
Wenn ein Bündel von Ausläufern sehr dicht neben einander
aus einer Zelle hervorgeht, besonders in dem Fall, dass aus den
Ecken der pyramidenförmigen Zellen einige wenig von einander
divergirende Fasern herauslaufen, findet man wohl hier und da
eine helle durchsichtige Substanz, welche mit dem Zellleib in con-
tinuirlichem Zusammenhang steht, um sie herum oder auch nur
zwischen ihnen. Oft umhüllt dieselbe sie ganz — Ranvier sagt
wie ein Aermel —, diese scheinen aber durch, da sie derber und
fester sind und sich stärker tingirt haben. Diese Anhangsmasse
des Zellleibes ist auch heller und zarter aussehend als jener. In
der Fig. 6 a ist ein Beispiel für dies im Ganzen nicht sehr häufige
Vorkommniss gegeben. Eine ähnliche Bedeutung scheint es zu
haben, wenn sich starke Fortsätze in die Substanz des Zellleibes
hinein als distinete Fasern verfolgen lassen, oder wenn sie sogar
durch diesen hindurch verlaufend an einer andern Stelle wieder
austreten. Es kann also eine Faser durch die ganze Masse des
Zellleibes hindurch gehen, um sieb an beiden ausserhalb desselben
gelegenen Enden zu verästeln. Nicht ganz eben so aussehend , im
Prineip aber doch offenbar durchaus den erwähnten Gebilden ent-
sprechend sind Zellen, denen eine — viel seltener mehrere —
starke, bogenförmig gekrümmte Faser anliegt. Ich fand diese
Bildung hier und da einmal in der weissen Substanz, zwischen
den Nervenfasern, dann aber häufiger, wenn auch nicht oft, am
Boden des vierten Ventrikels, in den hier mächtigen Anhäufungen
von Stützsubstanz, welche überhaupt zum Studium der verschie-
denen Eigenthümlichkeiten der kernarmen Gliazellen die beste
Gelegenheit gewähren. Besonders kann man eine solche unge-
wöhnliche Gestaltung an grossen dreieekigen Pyramidenzellen !)
finden, von denen an den drei Eeken in früher beschriebener Weise
Fortsatzbündel (oder aueh wohl an Stelle dieser ein einziger bald
1) Nur an Isolirungspräparaten, durchaus nicht in Schnitten.
492 Hans Gierke:
sich theilender Fortsatz) ausgehen. Zwischen zwei dieser Bündel
und sieh innen dicht an sie anschmiegend läuft eine sehr starke,
bogenförmig sich krümmende Faser. Die beiden peripherischen
Enden derselben verästeln sich ganz so wie die andern Fortsätze,
denen sie überhaupt vollkommen gleichen, centralwärts aber sen-
ken sie sich nicht wie diese in den Zellleib ein, sondern verbin-
den sich mit einander durch ein gemeinsames schlingenförmiges
Mittelstück, so dass eben eine einzige Faser entsteht. Diese bogen-
förmige Schlinge ist nun der concav eingebogenen Zellkante oder
Zellfläche zwischen den Eck-Ausläufern derartig genau angepasst
und so innig angeschmiegt, dass sie ein Theil des Zellleibes zu
sein scheint. Die Figur 6 a wird dies besser als die Beschreibung
klar machen. Offenbar haben wir also hier dasselbe wie in dem,
früher erwähnten Fall, wo Ausläufer scheinbar durch die ganze
Masse des Zellleibes verlaufen, um sieh an beiden peripherischen
Enden zu verästeln. Hier nun in dem letztbesprochenen Fall hält
der mittlere oder centrale Theil der Fasser so genau die Kante
des Zellleibes ein, dass er ihm nur anzuliegen scheint.
Ich machte schon in der erwähnten früheren kleinen Publi-
cation!) auf einige dieser Verhältnisse aufmerksam. Gleich darauf hat
hat dann Ranvier?) dieselben mit besonders lebhafter Betonung her-
vorgehoben. Er spricht sowohl von der Umhüllung der Fortsatzbündel
— sie werden nach ihm von dem Protoplasma, wie von einem „man-
chon“ umgeben — als auch von dem Eindringen von Fasern in das
Innere des Zellleibes. Andere scheinen diese Vorkommnisse nicht
beobachtet zu haben. Ranvier legt ihnen nun eine sehr grosse
und meiner Ansicht nach viel zu grosse Bedeutung bei. Zunächst
ist es entschieden unrichtig, wenn er diese Bildungen als durchaus
gewöhnlich, ja als fast regelmässig hinstellt. Das sind sie durch-
aus nicht. Im Gegentheil, sie müssen selbst bei älteren Geschöpfen
als mehr ausnahmsweise vorkommende Bildungen angesehen wer-
den, die zwar an gewissen Stellen nicht ganz selten zu finden
sind, immerhin aber doch mehr die Ausnahme als die Regel aus-
machen. Es muss hier darauf aufmerksam gemacht werden, dass
diese Anordnung der fortsatzartigen Fasern eine im Laufe der
1) Breslauer ärztliche Zeitschrift 1882. Nr. 14 ff. .
2).De la Neuroelie in den Archives d. Physiol. normal. et path. 1883.
Die Stützsubstanz des Centralnervensystems. 493
Jahre auftretende Erscheinung ist. Im jugendlichen Mark konnte
ich sie durchaus nicht finden, und bei älteren Thieren sind sie
jedenfalls viel häufiger als bei jüngeren. Ich habe mich z. B.
vergeblich bemüht sie in den Centralorganen eines 10 Wochen
alten Lammes und eines Kalbes von 6 Wochen zu finden. Ich
benutzte ferner die sich mir bietende günstige Gelegenheit!), in
dieser Hinsicht die nervöse Stützsubstanz von einjährigen und
älteren (ungefähr 4—6Jjährigen) Schafen und ebenso von einer
etwa achtzehn Monate alten jungen Kuh und von vierjährigen
resp. siebenjährigen Rindern zu vergleichen. Das Resultat war,
dass bei den ein- bis zweijährigen Thieren, bei denen die Glia-
zellen jedenfalls schon verhornt waren, die geschilderten Bildungen
entweder gar nicht oder wenigstens nur in ziemlich undeutlicher
Weise, vielleicht beginnend vorkommen. Manche Zellen schienen
Andeutungen einer Differenzirung ihrer Substanz zu zeigen und
schien es mir, als könnte ich Fortsätze in das Innere verfolgen.
Immer aber gehörte zu diesem Erkennen etwas guter Wille, wäh-
rend nun bei den älteren Thieren die Verhältnisse, wie ich sie
oben schilderte, in mehrfachen Befunden sehr deutlich waren. Halte
ich diese Thatsache mit dem Aussehen dieser Zellen und dem
eigenthümlichen Verhalten ihrer Fortsätze zusammen, so glaube
ich schliessen zu können, dass die beschriebenen Fasern an und
in den Zellkörpern durch Differenzirung der Substanz derselben
bei der fortschreitenden Verhornung entstanden sind. Chemisch
sind ja die beiden Theile der Gliazellen, Fortsätze und Körper,
nicht besonders verschieden von einander, doch hatte ich schon
weiter oben die Ansicht ausgesprochen, dass die Fortsätze etwas
stärker verhornen und dadurch gegen mechanische und chemische
Eingriffe widerstandsfähiger werden als die Zellkörper. Die eben
besprochenen eigenthümlichen Stützzellen müssen nun diesen Glau-
ben bedeutend verstärken, nur schreitet hier die stärkere Ver-
hornung centralwärts fort und ergreift Streifen des Zellkörpers,
welche zwei der peripherischen Ausläufer mit einander verbinden.
Aus dem Zellleib bilden sich ja bei allen Gliazellen die Fortsätze,
1) Da ich die Ferien gewöhnlich auf einem Gut verbringe, das grosse
Schafheerden und einen sehr starken Bestand an Rindvieh besitzt, so erhielt
ich im Lauf der letzten Jahre hinreichendes Material von Thieren, deren
Alter sich genau feststellen liess.
494 Hans Gierke:
ihre Substanz wandelt sich in die der auswachsenden Fasern um.
In einigen seltenen Fällen nun differenziren sich an den Ecken
zwei oder mehrere faserartige Streifen in der Substanz des Zell-
körpers; sie gehen eine wahrscheinlich äusserst geringfügige che-
mische Veränderung ein, welche sie befähigt, sich von der umgeben-
den nicht veränderten Zellsubstanz als deutlich begrenzte Fasern
abzuheben und sick mit Ammoniak-Carmin stärker als jene zu
färben. Ebendasselbe ist es, wenn in andern Zellen an einer
Kante oder ganz im Innern des Zellleibes solche Fasern durch
eine geringe chemische Umwandlung feiner Streifen der Zellsub-
stanz entstehen. Warum nun aber diese Bildung bei einigen Zellen
bei der fortschreitenden Verhornung eintritt und bei der Mehrzahl
nicht, das vermag ich nicht zu sagen. Jedenfalls wird sie durch
Umstände bedingt, die sich nicht allzu oft wiederholen, denn ich
muss hier noch einmal im graden Gegensatz zu Ranvier betonen,
dass die so gebildeten Zellen nur Ausnahmen sind, welche an be-
stimmten Stellen der nervösen Centralorgane etwas häufiger gefunden
werden als in den übrigen Theilen. Auf keinen Fall darf man
annebmen, wozu die vorstehende Schilderung vielleicht ver-
leiten könnte, dass die kernarmen Gliazellen im höheren Alter der
Thiere zum grossen Theil oder vielleicht gar alle solche Fasern
in sich differenziren. Ein durchaus hinreichend grosses Material
und eine genügende Reihe von hierauf bezüglichen Untersuchungen
hat mir die Gewissheit verschafft, dass auch bei alten Thieren
diese Bildungen nur Ausnahmen bilden. Ranvier möchte sie zur
Regel machen und legt ihnen eine grosse theoretische Bedeutung
bei, welche mir etwas gesucht erscheint und von der jedenfalls
nach meiner Ansicht gar nicht die Rede sein kann. Er sieht
nämlich in dieser Bildung von Fasern innerhalb der Zellsubstanz
ein Analogon der fibrillären Structur der Nervenzellen. Und da
er, wie ja auch ich, behauptet, dass die Stützzellen und die Nerven-
zellen entwicklungsgeschichtlich nahe verwandt sind, so benutzt
er diese Analogie als einen Beweis für die Verwandtschaft. Ich
muss doch gestehen, dass es mir nicht verständlich ist, wie dieser
ausgezeichnete französische Histologe die erwähnten beiden Bil-
dungen mit einander vergleichen kann. Hier einige sehr wenige
starke wie zufällig in dem Zellleib sich abscheidende Fasern und
dort die ganze Zellsubstanz in ungeheuer zahlreiche feinste Fibrillen
zerfallend, welche von den Fortsätzen her in jene eindringen.
Die Stützsubstanz des Centralnervensystems. 495
Altersveränderungen sind nun aber auch noch in anderer
Weise zu beobachten. Denn wie wir so vielfach im Körper in den
aus Zellen und deren Ausläufern bestehenden Netzgeflechten einen
mehr oder minder stark ausgeprägten Schwund der ersteren finden,
so können wir auch bei der Untersuchung der Stützsubstanz Zellen
finden, deren kleiner, gering und verkrüppelt aussehender Zellleib
gar nicht im Verhältniss zu stehen scheint zu den mächtig ent-
wiekelten massenhaften, dicken und langen Fortsätzen (Figur 6).
Eine wenig centrale Masse hält diese letzteren zusammen. Diese
ist nicht, wie wir dies bei der andern Form der Gliazellen als
häufiges Vorkommniss fanden, der übriggebliebene Zellkern, son-
dern ein Rest des Zellleibes, in dem von einem Kern durch kein
Tinetionsmittel etwas nachzuweisen ist. Der Schwund des Zell-
körpers kann noch weiter fortschreiten als in der Figur 6, ja es
können einige Fortsätze eine scheinbare Selbstständigkeit erreichen,
indem sie dem Rest des Zellleibes nur noch anliegen. An dieser
Stelle ist der letztere eben vollkommen zur Bildung der ersteren
verwandt worden.
Es ist natürlich möglich, dass so zwischen den Nervenfasern
der weissen Substanz des Rückenmarks, wo man diese Gebilde
ebenso wie an andern Stellen antrifft, einzelne isolirte und selbst-
ständige Fasern der Stützsubstanz entstehen, welche dann aber
sruppenweise von einem gemeinsamen Centrum ausgehen müssten.
Jedenfalls könnten derartige Stützfasern nach meinen Untersuchungen
selbst bei alten Geschöpfen nur in sehr geringer Menge vorhanden
sein und durchaus könnten wir in ihnen nicht die elastischen Fasern
der Stützsubstanz erblieken, von denen manche Forscher wie G er-
lach!) und Schwalbe?) sprechen. Mit Sicherheit zu beweisen
ist das Vorkommen von einzelnen isolirten Fäden überhaupt nicht,
denn wenn man sie in Zupfpräparaten antrifft, können sie
selbstverständlich von irgend einer Zelle abgebrochen sein; und in
Schnittpräparaten können ebenso die etwa vorhandenen einzelnen
Fasern Fortsätze von Zellen sein, die in anderen Schnittebenen
liegen.
Ich will hier hinzufügen, dass verhornte selbstständige Glia-
fasern an bestimmten Stellen, im Rückenmarke z. B. in dem mittleren
I). .e,,9..640.
2) 1. c. p. 304.
496 Hans Gierke:
Commissurentheil — ich komme weiter unten hierauf zurück —
dadurch entstehen, dass bipolare Zellen ganz in der Bildung ihrer
Fortsätze aufgehen. Zuerst ist noch eine mittlere Verdickung der
Fasern zu erkennen, dann aber schwindet auch diese.
Ich habe in dem Vorhergehenden mehrfach darauf hingewie-
sen, dass die Verschiedenheiten der Gliazellen zum Theil Alters-
unterschiede sind. Ihre Form, ihre Grösse, die Anordnung ihrer
Fortsätze und manches Andere wird durch die Art ihrer Verwen-
dung und durch locale Verhältnisse bedingt, einige der auffallend-
sten Verschiedenheiten aber sind mit dem zunehmenden Alter
entstanden. Und untersuchen!) wir das Rückenmark von jüngeren
Embryonen, so werden wir die früher beschriebenen Unterschiede
überhaupt nicht finden. Die Gliazellen sind untereinander alle
gleich. Ja gehen wir weit genug zurück, so finden wir sogar
überhaupt keinen Unterschied zwischen den zelligen Elementen der
Markanlage. Rundliche Bildungszellen liegen dieht neben einander
gedrängt, kein Merkmal stempelt sie zu Nerven- oder Glia-Zellen.
Erst allmählig gelingt es wenigstens an einigen Stellen durch be-
stimmte charakteristische Eigenthümlichkeiten die beiden Formen
auseinander zu halten. Selbst in der weissen Substanz sind zuerst
gleichartige Zellen angelegt, welche sich bald in abwechselnden
Streifen angeordnet in zwei sehr verschiedenartige Elemente um-
wandeln, in die rundlich polygonalen Stützzellen und in längliche
Gebilde, welche noch richtige Zellen, mehr und mehr zu Fasern
auswachsen. Haben die Gliazellen Ausläufer bekommen, so sind
sie von den Nervenzellen zu unterscheiden, unter einander aber
sind sie gleichartig, und von den späteren Verschiedenheiten ist
noch nichts zu sehen. Indem ich hier die Einzelheiten der ersten
Entwicklung übergehe, bemerke ich nur, dass die Stütz- und Nerven-
1) Ich gehe auf die entwicklungsgeschichtlichen Verhältnisse der Stütz-
substanz in dieser Abhandlung nicht allzu genau ein, da dieselbe dadurch
gar zu umfangreich werden würde, und da in dieser Hinsicht meine Unter-
suchungen noch nicht ganz abgeschlossen sind. Die bei diesem Thema in
Betracht kommenden Fragen sind zum Theil ungemein schwierig und durch-
aus nicht so ohne Weiteres zu beantworten. Zur besseren Lösung der Auf-
gabe habe ich daher Embryonen niederer Wirbelthiere, besonders von Fischen
mit in die Betrachtung gezogen. Doch kann ich des mangelnden Raumes
wegen hier unmöglich genauer auf diese Verhältnisse eingehen, auch habe
ich diese Untersuchungen noch nicht ganz zum Abschluss bringen können.
Die Stützsubstanz des Centralnervensystems. 497
Zellen nicht nur das gleiche Aussehen haben, sondern sich auch
aus derselben Anlage hervorbilden. Aus den Bildungszellen des
Eetoderms scheidet sich eine Gruppe ab, um die erste Anlage des
centralen Nervensystems aufzubauen. Und diese Zellen bilden
sich theils zu Nerven- theils zu Stütz-Zellen um. Mit Bestimmtheit
ist die Ansicht abzuweisen, dass letztere von aussen mit den Ge-
fässen oder auf andere Weise in die Anlage des Centralorgans
hineinwuchern. Zellen wachsen von aussen durchaus nicht in
irgend einen Theil des CGentralnervensystems hinein; und an Fasern
kommen nur die wenigen Bindegewebsfibrillen, welche im Rücken-
mark eine äussere lockere Adventitia der Blutgefässe bilden, in
die Substanz desselben hinein. (Auf die eigenthümlichen Ver-
hältnisse der bindegewebigen Piafortsätze in den Longitudinal-
fissuren des Rückenmarks und ihre scheinbaren Einstrahlungen in
dasselbe komme ich weiter unten zurück.) Nur diese Fasern ge-
hören im Oentralnervensystem dem echten Bindegewebe an, nur
sie sind leimgebendes Gewebe. Die Elemente aber der eigentlichen
Stützsubstanz in den -nervösen Centralorganen, sowohl die unge-
formte Grundsubstanz wie die Zellen mit ihren Ausläufern nehmen
eine ganz andere histologische Stellung ein. Ich protestirte ja
schon gegen die noch immer allgemein gebräuchliche Bezeichnung
derselben als „Bindegewebe des Centralnervensystems“. Wir sahen
dann, wie sehr die Gliazellen und die mit ihnen zusammenhängen-
den Fasern dem collagenen Bindegewebe durch die Keratinbildung
gegenüber steht. Nun müssen wir auch als schwerwiegenden Unter-
schied hervorheben, dass die Neuroglia sich aus dem Ectoderm
entwickelt, während das Bindegewebe dem Mesoderm entstammt.
Es ist schon von anderer Seite darauf hingewiesen worden,
dass die Neuroglia den Stützfasern der Retina gleichwerthig sei!).
Dies ist durchaus richtig; sie gehören in jeder Hinsicht zusammen.
Und wie bei der Entwicklung des Sinnesorgans die dieht neben
einander liegenden und längere Zeit hindurch scheinbar ganz gleiehen
Zellen zu einer functionell so überaus verschiedenartigen Ausbil-
dung gelangen, so auch in den Centralorganen. Diese aus zar-
testem Protoplasma bestehenden Nervenzellen, die auf allen Seiten
1) So z. B. von Schwalbe im oben eitirten Werk. — Die Herkunft
der Neuroglia von dem Eetoderm ist ebenfalls schon von Schwalbe und
Anderen behauptet worden.
498 Hans Gierke:
von Blut umspült, dem lebhaftesten Stoffwechsel unterworfen sind,
und denen zum Theil eine so überaus reiche und wunderbare
Funetion zukommt, dass unserm Vorstellungsvermögen der causale
Zusammenhang zwischen ihnen, den stofflichen Gebilden und dem
Product ihrer physiologischen Thätigkeit, dem Geist geradezu unfass-
bar ist. Auf der andern Seite die mehr oder minder verhornten
Zellen der Stützsubstanz, die sich mit einem minimalen Stoffwechsel
begnügen können, da ihre ganze Aufgabe darin besteht, mit ihrer
elastischen Substanz die zarteren und weicheren nervösen Elemente
zu schützen und einzuhüllen. So verschieden aber diese beiden
Elemente in ihrer Funetion und zum grössten Theil auch in ihrer
äusseren Beschaffenheit sind, so bilden sie sich doch aus den gleichen
embryonalen Zellen des Ectoderms. Bedenkt man, dass sich ausser
diesen Gewebstheilen des centralen Nervensystems auch die Sinnes-
epithelien und ihre Stützgebilde und ebenso die ganze äussere
Zellbekleidung des Körpers, die Epidermis herausbildet, so wird
man die Stützsubstanz der Centralorgane für ein epitheliales Ge-
webe erklären müssen. Seine Elemente freilich nehmen zur Lösung
der ihnen gestellten Aufgabe, für die nervösen Gewebstheilchen
Hüllen oder Scheiden im Ganzen und im Einzelnen zu bilden,
ganz andere Form an als den Epidermiszellen zukommen, aber
man findet in den verwandten Stütz- und Deckzellen der Sinnes-
epithelien mannigfache Uebergänge zu jenen. Nur einige verhält-
nissmässig wenige Zellen der Stützsubstanz des Centralnerven-
systems nehmen eine derartige Form und Anordnung an und werden
in solcher Weise für die soeben erwähnte Aufgabe verwendet, dass
sie auch in dieser Hinsicht den Epithelien gleichen und auch
schon seit langer Zeit von einer naiveren Anschauung als Epithel-
zellen bezeichnet wurden. Es sind dies diejenigen Gliazellen, welche
das Stützgewebe nach innen gegen die centralen Hohlräume des
Gehirns und Rückenmarks abschliessen. In der letzteren Parthie
habe ich die Entwicklung dieser inneren Gegend am genauesten
untersucht und kann grade sie zum Studium der feineren Verhält-
nisse der Entwicklung des Gliagewebes empfehlen. Da ich aber,
wie schon oben erwähnt wurde, diese entwicklungsgeschichtlichen
Untersuchungen, welche ich möglichst auch auf niedere Wirbel-
thiere ausgedehnt habe, noch nicht beenden konnte, bemerke ich
an dieser Stelle nur!): Die Epithelschichte um den Centralcanal
i) Ich kann übrigens in Hinsicht auf die Entwicklungsgeschichte des
Die Stützsubstanz des Centralnervens ystems. 499
des Rückenmarkes ist bei Kaninchenembryonen bis über die Hälfte
der embryonalen Entwicklung hinaus sehr mächtig und besteht aus
vielen Schiehten länglicher elliptischer oder spindelförmiger Zellen,
welche in regelmässiger Anordnung um den Centralcanal herum
gelagert sind. Vor und hinter demselben stehen sie mit ihrem
langen Durehmesser sagittal, seitlich frontal. Das peripherische
Ende dieser Zellen verjüngt sich und geht in einen Fortsatz über,
welcher in der Längsrichtung der Zellen weiter verläuft und durch
die graue und weisse Substanz hindurch bis zum Rand des Markes
zu verfolgen ist. Im weitern Verlauf der Entwicklung verwandeln
sich die äusseren Zellen dieser mächtigen Schichte mehr und mehr.
Einmal gehen deutlich Ganglienzellen, dann auch eben so deutlich
multipolare Neurogliazellen aus ihnen hervor. Je mehr die Ent-
wicklung fortschreitet, desto mehr verschmälert sich die Schichte,
indem die Verwandlung der Zellen von aussen nach innen hin
vorgeht, bis zuletzt nur noch eine einzige Lage derselben übrig
bleibt; es bildet diese das bekannte Epithel des Centraleanals.
Was aus den Ausläufern der seitlichen sich umwandelnden Zellen
wird, habe ich bisher noch nicht ermitteln können. Dass sie hier
und da in dauernder Weise an der Bildung der Balken der weissen
Substanz, welche ohne Frage der Hauptsache nach aus richtigen
Gliazellen und deren Fortsätzen zusammengesetzt werden, sich be-
theiligen können, ist ja an und für sich nicht unmöglich, doch
nieht leicht zu beweisen, da sie sich nicht so recht von jenen
unterscheiden.
Die übrig bleibenden seitlichen Epithelzellen besitzen eben-
falls derartige Ausläufer, die sich nach kürzerem oder längerem
Verlauf mit den Fasern des Gliageflechts der substantiva gelati-
nosa centralis oder durch diese hindurch dringend mit jenen der
grauen Substanz verbinden. Die Epithelzellen vor und hinter dem
Markes auf die ausgezeichnete Behandlung dieses Themas in Kölliker’s
„Entwicklungsgeschichte des Menschen und der höheren Thiere.* 2. Aufl.
Leipzig 1879. p. 584 verweisen. Ich schliesse mich seiner Darstellung im
Grossen und Ganzen an. Nur in Bezug auf die Entstehung der Neuroglia
muss ich von seiner Auffassung abweichen, da er sie von aussen mit den Ge-
fässen hinein wuchern lässt. — Wenig dagegen kann ich mich mit den Ausfüh-
rungen Löwe’s (Dr. Ludwig Löwe: „Beiträge zur Anatomie und Entwick-
lungsgeschichte des Nervensystems.“ Bd. II. Lief. I. Leipzig 1883) einverstan-
den erklären.
500 Hans Gierke:
Centraleanal senden ihre Ausläufer in sagittaler Richtung nach
vorn respect. nach hinten zwischen den symmetrischen Hälften
des Marks zur bindegewebigen Hülle desselben, um sich mit dieser
zu verbinden. Auch hier bleiben bei der späteren Entwieklung
Fortsätze als selbständige Fibrillen bestehen, wenn ihre Zellen
sich umgewandelt haben. andere behalten ihren Zusammenhang
mit solehen Zellen, welche zu multipolaren Gliazellen der substantia
gelatinosa werden. Zu diesen Fibrillen kommen die Ausläufer
der bleibenden Fpithelzellen vor oder hinter dem Centraleanal und
bilden zusammen mit ihnen ziemlich starke aber ungemein ver-
schiedene und nicht sehr regelmässig entwickelte Bündel, welche
bei der weiteren Ausbildung des Markes speciell bei der Bildung
der hintern und vordern Stränge und der Longitudinalfissuren
zwischen den ersteren und zur Ausfüllung der letzteren bestehen
bleiben. Sie gehen oft bis zur Pia und verbinden sich innig mit
ihr, indem von ihr Bindegewebsfibrillen gewöhnlich in der Beglei-
tung der Blutgefässe ausgehen und parallel mit den eben beschrie-
benen Fasern bis zu dem Commissurentheil des Markes verlaufen
können. Doch treten sie, wie es scheint, nur ausnahmsweise und
nur eine lockere äussere Adventitia der Gefässe bildend in die
Marksubstanz ein. So sind die sogenamnten „Pia-Fortsätze“,
welche die Longitudinalfissuren ausfüllen, zum Theil Bindegewebs-
bündel, zum Theil aber verhornte Gliafasern, welche entweder
Fortsätze der nächststehenden Epithelzellen des Centralcanals oder
selbständig gewordene Fäden sind. Die Menge dieser sehr ver-
schiedenartigen Elemente ist jedenfalls ungemein wechselnd und
offenbar nicht constant. Im Allgemeinen aber scheinen die Pia-
fortsätze und besonders ihre inneren Theile ganz hauptsächlich
von den verhornten Stützfasern gebildet zu werden.
Die zunächst ausserhalb der bleibenden Epithelien liegenden
embryonalen Zellen wandeln sich dadurch, dass ausser dem einen
erwähnten Ausläufer noch andere Fortsätze aus dem Zellkörper
herauswachsen, in multipolare Stützzellen um, und zwar hier nur
in solche, während sich die mehr aussen gelegenen zum Theil in
diese, zum Theil aber in Ganglienzellen umbilden. Es entstehen
also die Gliazellen der substantia gelatinosa centralis aus den er-
wähnten spindelförmigen Embryonalzellen. In welcher Weise nun
aber bildet sich das zweite, das formlose Element dieser Substanz,
die structurlose Grundsubstanz? Grade diese Stelle ist durchaus
Die Stützsubstanz des Centralnervensystems. 501
die günstigste, um diese Frage zu lösen, da sie nur aus diesen
Gewebstheilehen der Stützsubstanz zusammengesetzt ist, und keine
eingelagerten nervösen Bestandtheile die Verhältnisse complieiren.
Und dennoch bin ich nicht zu einer vollkommen sicheren An-
schauung gekommen, ob sich die homogene, formlose Substanz
allein durch Zerfall und Umwandlung der embryonalen Zellen oder
durch eine Abscheidung der Gliazellen, oder endlich in beiderlei
Art bilde. Im ersten Fall wäre sie also als eine echte Grund-
substanz, im zweiten als Zwischen- oder Kittsubstanz zu bezeich-
nen. Ich glaube allerdings nach meinen bisherigen Untersuchungen
schliessen zu müssen, dass ganz hauptsächlich Grundsubstanz dureh
allmähliche Umwandlung des Zellkörpers entsteht. Man findet in
den Schnitten eines Markes vom Kaninchenembryo in der dritten
Woche seiner Entwicklung nicht selten Zellen in jener oben be-
schriebenen Gegend, welche die verschiedensten Zustände eines
Zerfallens und einer gänzlichen Auflösung so deutlich demonstriren,
dass man kaum an dem häufigen Untergang dieser embryonalen
Zellen zweifeln kann. Sie verschwinden allerdings nicht, sondern
verlieren nur ihre Zellnatur und überhaupt ihr distinctes Wesen
als gesonderte Gebilde und verschmelzen mit andern gleichartigen
Massen zu einer gemeinsamen keine Grenzen und Theile darbie-
tenden Substanz. Dabei liegt die Frage nahe, ob das Zellproto-
plasma allein oder auch die Kerne die Grundsubstanz bilden.
Diejenigen, welche glauben, dass ungemein zahlreiche freie, hüllen-
und fortsatzlose Kerne in den erwachsenen Centralorganen vor-
kommen, müssen annehmen, dass diese bei dem Entstehen der
Grundsubstanz übrig gebliebenen Zellkerne jene späteren nutzlosen
und funetionslosen Gebilde sind !). Wir sahen aber schon früher,
dass dieselben in Wirklichkeit sehr wenig zahlreich sind und dass
die ganz ungeheure Mehrzahl der freien Kerne der Autoren nichts
weiter als die Kerne von Glia- oder gar von Nervenzellen sind,
deren Leib und deren Fortsätze durch die Schwäche der Präpa-
rationsmethoden unsichtbar bleiben. In der That scheinen auch
1) In der That giebt Boll l. ce. p. 43, der für die weisse Substanz das
Vorkommen freier Körner leugnet und für die graue dasselbe Henle gegen-
über sehr einschränkt, diese Erklärung für die Entstehung jener nackten und
fortsatzlosen Kerne an, welche nach seiner Ansicht in der Rinde des grossen
und kleinen Gehirns nicht ganz selten gefunden werden.
502 Hans Gierke:
die embryonalen Zellen, welche sich zu einer homogenen Grund-
substanz umwandeln, ganz zu zerfallen, sodass die Kerne, wenn sie
auch etwas länger übrig bleiben, zuletzt doch auch ihre Umgren-
zung einbüssen und in der gleichmässigen Substanz verschwinden.
Damit soll aber freilich nieht geläugnet werden, dass hier und da
einmal ein soleher Kern sich eonserviren und im ausgebildeten
Mark als Andenken an seine Entwicklung bestehen bleiben kann.
Ausnahmen bestätigen ja nur die Regel. Während ich nun glaube,
dass die erste Anlage der Grundsubstanz hauptsächlich in der
geschilderten Weise zu Stande kommt, scheint es mir doch ebenso
wahrseheinlich, dass sich dieselbe bei den gebornen Individuen der
Hauptsache nach durch Abscheidung aus den Gliazellen vermehrt.
Die Grundsubstanz nimmt ja ebenso wie alle andern Elemente
des Centralnervensystems während des Wachsthums des ganzen
Körpers an Masse zu). Dies scheint mir eben zum grössten
Theil und an den meisten Stellen sicher ganz durch Ausscheidung
aus den noch nicht verhornten Körpern der Gliazellen Statt zu
finden. Denn natürlich wenn die Umwandlung in Hornsubstanz
vollständig geworden ist, kann von ihnen schwerlich noch etwas
abgeschieden werden. Dass an einzelnen Stellen der Centralorgane
auch nach der Geburt, ja selbst im ausgewachsenen Körper ein
allmählicher Zerfall der Gliazellen vorkommen kann, scheint nach
den Bildern, welehe die Rinde des grossen Gehirns, besonders
vom Menschen, darbietet, nieht unmöglich. Ich komme weiter
unten, eben bei der Betrachtung der Verhältnisse dieser Parthie,
auf diesen Punkt zurück.
So entstehen die Elemente der Stützsubstanz in dem Kern
des embryonalen Markes. Um diesen herum, d. h. um die soge-
nannte embryonale Epithelschicht entwickelt sich noch eine be-
deutende Lage grauer Substanz, die besonders im spätern Stadium
der Entwieklung mehr und mehr zunimmt und die erstere auf
das bleibende Epithel und die geringe substantia gelatinosa cen-
tralis redueirt. Hier nun stehe ich schon wieder vor einer Frage,
die mir bisher klar und sicher zu beantworten nicht gelungen ist,
1) Ueber die Wachsthumsverhältnisse der histologischen Elemente der
nervösen Centralorgane ist bisher gar wenig bekannt. Ich werde in Kurzem
in der Lage sein, meine diesbezüglichen nicht uninteressanten Untersuchungen
zu veröffentlichen.
Die Stützsubstanz des Centralnervensystems. 503
und die ich mit Zuhülfenahme entwicklungsgeschiehtlicher Unter-
suchungen an Fischen lösen zu können hoffe. Es scheint mir
nämlich durchaus als fände bei der weiteren Entwicklung der
srauen Substanz eine Durchmischung der Elemente in der Weise
statt, dass ganz allmählich einige von den sehr zahlreichen Glia-
zellen der innern besprochenen Schicht in die weiter aussen sich
bildende Lage grauer Substanz gerathen. Ich möchte dies sogar
als fast sicher hinstellen. Ob nun aber die sich so etwas ver-
schiebenden Zellen genügen, den Vorrath der grauen Substanz zu
deeken — sie theilen sich ziemlich lebhaft — oder ob auch hier
überall neue Stützzellen neben den Nervenzellen sich bilden, in-
dem sich die rundlichen oder länglichen Embryonalzellen durch
Auswachsen von Ausläufern in sie umwandeln, kann ich vorläufig
noch nieht mit absoluter Sicherheit behaupten. Es scheint mir
aber das Letztere der Fall zu sein. Auch in der weissen Substanz
sind zuerst nur Zellen angelegt, die dann aber schon sehr früh
(beim Hühnchen am vierten Tage) in die Länge wachsen, um
Nervenfasern zu werden. Boll!) sieht nun ausserdem etliche oder
seinen Zeichnungen nach sogar sehr viele (nach der Figur 24
wäre es entschieden die Mehrzahl) Zellen eckig werden. Sie sollen
in regelmässiger Weise so angeordnet sein, dass sich immer Streifen
von entstehenden Fasern und solehen Zellen abwechseln. Diese
letzteren würden dann zu Stützzellen der weissen Substanz. Ich
habe die Verhältnisse bisher so trotz darauf verwandter Mühe nicht
gesehen. Auch haben andere Autoren bis jetzt Boll’s Beobach-
tungen nicht bestätigt. Aber ich gebe sehr gern zu, dass die
Untersuchung der feineren, histologischen Verhältnisse der ersten
Anlagen der Centralorgane zu den allerschwierigsten gehört, welche
die Entwicklungsgeschichte uns überhaupt bietet. Und daher wage
ich nicht eher ein Urtheil in dieser Angelegenheit zu fällen als
bis ich sie noch einmal mit einem neuen und zwar vorzüglichen
Material durchgearbeitet habe. Jetzt erkenne ich zellige Elemente
zwischen den deutlich gebildeten Nervenfasern erst in einer etwas
späteren Zeit. Dagegen sehe ich schon früh rings um die weisse
Substanz herum einen schmalen Ring von rundlichen Zellen,
welche nicht zur Pia gehören. ‚Sie heben sich gegen die Umge-
bung nicht so scharf ab wie es wohl wünsehenswerth wäre und
1) 1. e. p. 120 m. Tafel II Fig. 24 bis 29.
504 Hans Gierke:
sind deshalb noch niemals, so viel ich mich erinnere, aufgeführt
worden. Sie sind den innern sogenannten Epithelzellen als äussere
epidermoidale Lage gegenüberzusetzen und sind ihnen an Bedeu-
tung gleich, denn aus ihnen geht zum mindesten ein grosser Theil
der Stützzellen der weissen Substanz, möglicherweise alle hervor.
Wenn die Blutgefässe aus der Pia in das Mark hineinwachsen,
stülpen sie diese äussere Zellhülle des embryonalen Markes nach
innen ein und erhalten beim weitern Wachsthum aus den wit-
wuchernden Zellen derselben eine Scheide. So entstehen die
triehterförmigen Einsenkungen der Rückenmarksperipherie (Fig. 16)
und so die gefässtragenden Balken der weissen Substanz. Es
scheint mir, als ob von den Zellen in der Umgebung der Blut-
sefässe Sprossen zwischen die Nervenfasern wuchern und so bei
fortgesetzter Theilung der Zellen die Elemente des Gliaflechtwerks
der weissen Substanz gebildet werden. Dies aber mit Sicherheit
zu behaupten, ist wir bisher unmöglich. Die Verhältnisse sind
äusserst schwer zu untersuchen und man ist gar zu leicht Täu-
schungen ausgesetzt. Es wäre sehr wohl möglich, dass neben
diesen in die weisse Substanz hineinwachsenden Stützzellen auch
noch andere an Ort und Stelle entständen, wie Boll das will, nur
macht die grosse Menge der von ihm abgebildeten embryonalen
Gliazellen mich etwas stutzig, da man an den deutlich gebildeten
Stützzellen in der spätern embryonalen Zeit lebhafte Theilungen
beobachten kann und so bei der starken von Boll gewollten An-
lage ihre endliche Zahl eine ungeheure und den wirkliehen Ver-
hältnissen nicht entsprechende werden müsste. Bei der grossen
Schwierigkeit der Untersuchung ist es vorläufig noch ganz unmög-
lich, die Behauptung zu widerlegen, dass Stützzellen aus ausge-
tretenen Blutzellen, aus Wanderzellen sich bilden. Dass die sehr
grosse Mehrzahl derselben nicht aus Wanderzellen sich umwandelt,
ist durchaus sicher, ob aber hier und da einzelne so entstehen,
kann durch das Mikroskop in keiner Weise entschieden werden.
Doch seheint es mir höchst unwahrscheinlich, dass sich die ganz
sleichartigen, dureh nichts unterschiedenen Elemente ein und des-
selben Gewebes in verschiedener Weise entwickeln sollten. So
slaube ich, kann man diese Behauptung — oder besser gesagt,
diese Vermuthung, denn auf irgend welchen andern Thatsachen,
als dass plötzlich viele solehe Zellen in der weissen Substanz auf-
tauchen, gründet sie sich nicht — als unrichtig abweisen.
Die Stützsubstanz des Centralnervensystems. 505
Wir sehen also, dass das Stützgewebe sich aus dem äussern
Keimblatt entwickelt und zwar zum grossen Theil, vielleicht ganz
aus der äussern oder oberflächlichen Schicht desselben, welche in
den seitlichen Fortsetzungen die Hornplatten bilde. Wir können
uns daber nicht wundern, dass seine zelligen Elemente eine grosse
Neigung zur Verhornung zeigen. Diese aber wie überhaupt die
weitere Ausbildung der Zellen ist ungleichartig und bewirkt die
später zu constatirenden und im Obigen genau beschriebenen Ver-
schiedenheiten derselben. Im embryonalen Zustand gleichen sich
die Gliazellen noch ganz. Man findet bei allen einen deutlichen
Kern in einem gut entwickelten Protoplasmaleib, der einige wenige
ziemlich starke Fortsätze aussendet. Die eine grosse Verschieden-
heit entsteht nun dadurch, dass bei etlichen Zellen sich der Leib
in der Bildung der Fortsätze mehr oder minder erschöpft, während
die andern zwar ebenfalls fortwährend Material an dieselben ab-
geben aber doch diesen Verlust mehr ergänzen, so dass ihr Leib
nicht kleiner wird, vielmehr an Masse bedeutend zunehmen kann.
Diese Zellen entwickeln sogar im Allgemeinen stärkere und län-
gere Fortsätze als jene, welche kleiner werden, so dass man ihnen
eine grössere Lebensenergie zuschreiben muss. Sie nehmen wäh-
rend ihres Wachsthums und während des Auswachsens ihrer Fort-
sätze mehr Bildungsmaterial von aussen auf als jene.
In Bezug auf die Bildung der Fortsätze ist dem Gesagten
noch hinzuzufügen, dass anfänglich meistens nur einige wenige
derselben angelegt sind. Diese aber sind verhältnissmässig sehr
stark und besitzen in ihrem Ursprungstheil so ganz den Charakter
und das Aussehen des Zellkörpers, gegen den sie auch in keiner
Weise abgegrenzt sind, dass man deutlich erkennt, dieser wächst
aus und bildet sich verjüngend die letzteren. Die dieken Fort-
sätze können dann durch Spaltung in feinere Fasern zerfallen,
derart, dass, wie wir oben sahen, noch eine Verbindungsmasse
zwischen ihnen bleibt, oder indem sie sich in ihrem Verlauf gänz-
lich von einander lösen; ja sie können sogar mit der Zeit mehr
und mehr auseinander rücken. Gehen, wie das z.B. bei allen
pyramidenförmigen Zellen der Fall ist, Bündel von Fasern von
einer Stelle, hier also von den Ecken ab, so sind dieselben sicher
durch Längsspaltung aus einem gemeinsamen starken Fortsatz
hervorgegangen.
So erklären sieh die verschiedenen Bilder, welche die Prä-
Archiv f. mikrosk. Anatomie. Bd. 25. 35
506 Hans Gierke:
parate uns darbieten ; es erklären sich die bedeutenden Differen-
zen in dem Aussehen der Stützsubstanz je nach dem Alter der
Geschöpfe; es klären sich die Widersprüche auf, die bei näherer
Betrachtung der Neuroglia so mannigfach dem Untersucher ent-
gegentreten. So wird es verständlich, dass zwei so verschieden-
artig aussehende Zellsorten, zwischen denen andererseits wieder
allerhand Uebergangsformen zu finden sind, für denselben Zweck
verwandt werden.
In dem Bisherigen ist nur von den Stützzellen des Rücken-
markes und des verlängerten Markes die Rede gewesen. Aus den
ausführlich geschilderten Verhältnissen derselben können wir aber
einen Rückschlag auf die Gliazellen des ganzen Centralnerven-
systems machen. Im Prinzip haben wir, wie sich das eigent-
lich für denjenigen, welcher an die Entwickelung der Centralorgane
denkt, von selbst versteht, überall die gleichen Verhältnisse. Im
Einzelnen aber hinsichtlich der Form und in Bezug auf das be-
sondere Verhalten finden wir sehr mannigfache Unterschiede
welche für die betreffenden Stellen, in denen sie vorkommen,
typisch sind. Da wir aber weiter unten die Anordnung der Neuro-
glia-Elemente in den einzelnen Organen des Centralnervensystems
besprechen werden, so würde es nur zu Wiederholungen führen,
wollte ich hier alle Abweichungen der Stützsubstanz des Gehirns
von denen des Rückenmarks hervorheben.
Die Elemente der Neuroglia sind überall die gleichen. Die
Grundsubstanz verhält sich im Gehirn genau so wie im Rücken-
mark. Die stets mit Fortsätzen versehenen Zellen lassen sich
zwar nicht so deutlich in zwei Hauptgruppen theilen; doch finden
wir überall im ganzen Centralnervensystem offenbare Unterschiede
in der Verhornung, besonders bei jüngeren Geschöpfen. Die Umwand-
lung des Protoplasmas in Keratinsubstanz stellt sich bei allen Glia-
zellen ein, aber zu sehr verschiedenen Zeiten. Ebenso ist die Theil-
nahme der einzelnen Elemente an der Verhornung eine ungleiche, und
verschieden verhalten sich die Zellkörper und die Kerne bei dem
Auswachsen der Fortsätze. Die Kerne der Gliazellen im Gehirn
zeigen nicht gerade ein Verhalten, das zur förmlichen Aufstellung
zweier Gruppen, der Kern-Zellen und der kern-armen Zellen ver-
locken könnte, aber doch finden wir diesen Unterschied überall
und sogar sehr häufig dicht nebeneinander. Bei zahlreichen Zellen
schwinden eben die differenzirenden Eigenschaften des Zellleibes
m
Die Stützsubstanz des Centralnervensystems. 507
und des Kernes und es ist nicht mehr möglich, den letzteren im
ersteren nachzuweisen. Wie im Rückenmark sind alle möglichen
Uebergänge vorhanden, in denen sich das allmähliche Aufgehen
des Kernes im Zellkörper constatiren lässt. Andererseits schwin-
det auch der Zellleib bei vielen Gliazellen des Gehirns mehr »
oder minder stark bei der Bildung der Fortsätze. Solche Bildungen
jedoch, wie sie in der grauen Substanz des Rückenmarks so häufig
sind, Kerne ohne eine Spur des Körperrestes, so dass die Fort-
sätze direct an jene angeklebt sind, kommen im Gehirn kaum
vor. Vielmehr sieht man stets die Ausläufer von einer Umhül-
lungsmasse des Kernes ausgehen, die allerdings sehr schmal sein
kann. Diese Reste des Zellkörpers sind nun aber, und dies ist
ein weiterer Unterschied den Kern-Zellen des Rückenmarks gegen-
über, stets derb und sehr widerstandsfähig gegen alle Eingriffe;
sie sind, wie man nachweisen kann, verhornt.
Es kommen im Gehirn noch andere Altersumwandlungen der
Gliazellen vor, von denen ich gleich hier das Folgende mittheilen
will, obschon ich später noch einmal auf diese Verhältnisse kurz
eingehen muss: Die Zellen können, während die Kerne gänzlich
verschwinden, so sehr in der Bildung der Fortsätze aufgehen, dass
sie in dem so entstehenden Horngerüst des nervösen Organs nur
kleine aber noch die Zellform verrathende Anschwellungen in den
Knotenpunkten bilden. So ist es z. B. in der äussersten, in der
sogenannten „molekulären“ Schicht des kleinen Gehirns, wenigstens
des Menschen. Wir sehen nämlich auch hier, was ich öfter zu
beobachten Gelegenheit hatte, dass die Stützsubstanz im Vergleich
zu dem nervösen Gewebe etwas bei ihm mehr zurücktritt als bei den
Säugethieren, zumal den niedern, und dass ihre Zellkörper kleiner
gestaltet sind. Freilich könnte man dies durch den Umstand er-
klären, dass für solche Untersuchungen gewöhnlich die Gehirne
älterer menschlicher Individuen, ja häufig genug sehr alter ver-
wandt werden. während die Thiere, deren Gehirne man durch-
forscht, wohl sehr selten ein höheres Alter erreicht haben. Sicher
ist dies von dem in meinen Untersuchungen viel verwandten
Schlachtvieh, den Rindern und Schafen. Aber auch andere Haus-
thiere und die wild lebenden Geschöpfe, wie die vielfach von mir
verwandten Igel, kommen wohl selten zu einem beträchtlichen
Alter. Höchstens wäre dies bei den Hunden und Katzen zu er-
warten. Man könnte nun die erwähnten geringeren Grössenver-
508 Hans Gierke:
hältnisse jener Gliazellen allein für eine weiter fortgeschrittene
Altersumwandlung zu halten geneigt sein, die man in dem Maasse
bei den Säugethieren zu beobachten nicht genügende Gelegenheit
hat. Zum Theil ist dies ja auch natürlich richtig. Aber meine Unter-
suchungen ergeben doch, dass auch unabhängig von den Altersunter-
schieden quantitative Differenzen der Stützelemente in der angegebe-
nen Weise stattfinden. In der Rinde des kleinen Gehirns ist dies sogar
in auffallender Weise zu beobachten. Denn während das Stütz-
gerüst der äussersten, der sogenannten „molekulären“ Lage der
Kleinhirnrinde beim Igel, dessen Körper überhaupt ausserordent-
lich grosse und deutliche Gewebselemente besitzt, recht deutliche,
wenn auch immerhin zarte und nicht sehr grosse Zellen aufweist,
sehen wir diese schon bei den höchststehenden Säugethieren sehr
viel feiner und von entschieden kleineren Dimensionen gebildet.
Ja, es ist bei der dichtgedrängten Zusammenfügung des Glianetzes an
dieser Stelle und dem mächtig entwickelten nervösen Fibrillennetz
in den Lücken desselben ganz ungemein schwer, das erstere und
besonders seine zelligen Elemente in den Präparaten deutlich zu
machen. Und der Litteratur nach zu urtheilen ist dies offenbar
den Forschern bisher überhaupt nicht gelungen. Mir ist es bei
einigen wenigen Präparaten, so z. B. vom Katzengehirn geglückt.
Das zierliche enggeflochtene Netzwerk mit den kleinen Zellen in
den Knotenpunkten würde uns, wenn wir es nicht sonst schon
wüssten, recht klar machen, wie man zn der Benennung „mole-
kuläre* Schieht und zu der Annahme kleiner Molekel in ihr ge-
kommen ist. Die Knotenpunkte, zum Theil auch nur die glän-
zenden punktförmigen Durchschnitte der Fasern dieses Gliagerüstes,
geben jener Hirnpartie ein granulirtes oder eben molekeläres Aus-
sehen. Gelang mir nun aber bei einem Raubsäugethier die Dar-
stellung der Gliazellen und des von ihnen gebildeten Netzes in
der äussersten Rinde des Cerebellums, so konnte ich dies trotz
aller angewandten Mühe beim Affen oder gar beim Menschen nicht
fertig bringen. Ich erkannte deutlich genug in den verschiedensten
Präparaten, dass die Anordnung die gleiche ist. Die Gliazellen
waren aber offenbar so klein und besonders so zart, dass die
Tinetion sie nieht deutlich genug zwischen den andern Gewebs-
elementen hervorhob.
Wieder sehr abweichend von den soeben geschilderten sind
die Formen, welche die Gliazellen in der grauen Rinde des Gross-
Die Stützsubstanz des Centralnervensystems. 509
hirns, zumal der äussersten Schichten annehmen. Sie verlieren
zum Theil in der bekannten Weise ihre Kerne bei dem Process
der Verhornung, so dass man auch hier unmittelbar nebeneinander
Zellen mit schönen grossen Kernen und solche, in denen diese un-
deutlich oder ganz verschwunden sind, beobachten kann. Doch
werden die Kerne hierbei nicht kleiner und kleiner, wie wir es
bei dem analogen Process im Rückenmark sahen, wo sie ordent-
lich! verkrüppeln, ehe sie verschwinden, sondern sie behalten
ihre bedeutende Grösse bei, verlieren aber allmählich mehr
und mehr die Schärfe ihrer Contour; ihre Grenzen sind nicht mehr
so deutlich zu erkennen; sie machen im gefärbten Präparat nicht
mehr den Eindruck eines eignen stark differenzirten Zelltheiles,
sondern scheinen nur eine verdichtete Centralmasse des Zellleibes,
ein dunkler Fleck in der helleren Peripherie zu sein. Man trifft
dann wieder, wie ich das vom Rückenmark schon beschrieb, Sta-
dien, in denen die Tinction mit Ammoniak-Carmin gar keinen
Kern mehr in der Zelle hervorhebt, während die besseren Kern-
färbemittel ihn noch als matten Fleck kenntlich machen; endlich
daneben Zellen, in denen auch die letzteren keine Spur des Kernes
mehr hervorzaubern können. Alle diese Momente des fortschreiten-
den Verhornungsprocesses sind, von ganz jungen und ganz alten
Individuen abgesehen, dicht nebeneinander zu constatiren. Haben
wir nun aber in diesem Kern-Schwund das überall im Central-
nervensystem beobachtete Prineip nur in besonderer Form, so be-
merken wir doch an den Stützzellen der äussern Lagen der Gross-
hinrinde noch etwas Anderes. Der Zellleib nämlich und ebenso
der Kern, wenn er in jenem aufzugehen beginnt, bekommen ein
sehr stark gekörntes Aussehen; sie werden granulirt. Während
wir im Allgemeinen sahen, dass die Stützzellen durch die Ver-
hornung recht homogen, glashell durchsichtig werden, zeigt sich
hier das Gegentheil. Ich bin der Ansicht, dass diese kleinen
Körnehen der optische Ausdruck eines sehr feinen Netzwerkes
sind, doch gelang es mir leider bisher noch nicht dies zu erkennen
oder gar durch die Tinetion darzustellen. Da ich später bei Gelegen-
heit der Betrachtung der Stützsubstanz des grossen Gehirns noch ein-
mal auf diese Zellen zurückkommen muss, so kann ich mich hier mit
dem Gesagten begnügen. (Fig. 19a (s. Thl. II) giebt ein naturgetreues,
bei sehr starker Vergrösserung gezeichnetes Bild einiger soleher
Zellen aus der äussersten Lage der grauen Hirnrinde des Schafes.)
510 Hans Gierke:
Die in der beschriebenen Weise zusammengesetzte Stützsub-
stanz bildet nun das Gerüst, in welchem die nervösen Elemente
eingelagert und durch welches sie gegen die Umgebung geschützt
sind. Ueberall im Centralnervensystem finden wir die Stützsub-
stanz vor, kein noch so kleines Fleckehen ist zu finden, das der-
selben entbehrte.e Und die Art und Weise der Verwendung ist der
Hauptsache nach überall dieselbe, wenn auch in Bezug auf die
Einzelheiten die Verschiedenheiten gross genug sind. Stets bilden
die Neurogliazellen und ihre Ausläufer Netze, in deren Lücken
entweder die Grundsubstanz allein eingelagert ist oder zusammen
mit den nervösen Elementen, oder in denen drittens auch die letz-
teren allein, ohne Grundsubstanz liegen können. Die Zellnetze
hängen durch das ganze Centralnervensystem mit einander zu-
sammen. Nirgends ist ein Abschluss des Gerüstes im Innern zu
finden und die Ausläufer der aus den verschiedenartigsten Glia-
zellen zusammengesetzten Netze gehen in einander über. Die
starken, grossen, verhornten Zellen verbinden sich mit den zarten,
kleinen, weichen; die mit verkümmertem Kern anastomosiren mit
jenen, welche fast nur aus einem Kern bestehen; die Netze der
weissen Substanz hängen mit denen der grauen, die eines Hirn-
theils mit jenen der andern zusammen. Zunächst wird überall
eine Hülle aus Stützsubstanz gewebt, welche das ganze Central-
organ aussen umgiebt und die innere Substanz von der pia mater
scheidet. Ich nenne diese äussere eigne Bedeckung des Central-
nervensystems, welche im Gegensatz zu den bindegewebigen Schutz-
häuten steht, Gliahülie. Sie istin ihrem regelmässigen Vorhanden-
sein und in ihrer allgemeinen Ausbreitung über das ganze Organ
bisher nieht erkannt und gewürdigt worden, wenn man sie auch
da, wo sie am dieksten und deutlichsten ist, nämlich am Rücken-
mark, unter verschiedenen Namen beschrieben oder wenigstens
angeführt hat. In der medulla oblongata wird diese Gliahülle
etwas unregelmässig, indem sie an verschiedenen Stellen in einer
später noch genauer zu beschreibenden Weise von den Nerven-
faserzügen des stratum zonale Arnoldi unterbrochen und ausein-
ander gerissen wird, während diese die Oberfläche einnehmen.
Im Uebrigen aber ist die Gliahülle ohne Unterbrechung und ist
ohne Ausnahme da zu finden, wo die Pia die Oberfläche bedeckt.
Ihre Dicke freilich, die Form und Grösse ihrer Zellen und vieles
Andere ist in den verschiedenen Theilen des Centralnervensystems
Die Stützsubstanz des Centralnervensystems. 511
sehr abweichend und muss in der Folge in den einzelnen Ab-
schnitten genauer geschildert werden.
Die Aufgabe der Gliahülle ist eine doppelte. Einmal dient
sie zur Herstellung der höchst eigenthümlichen Verbindung der
Oberfläche des nervösen Organs und der Pia und zur Bildung des
überall zwischen beiden vorhandenen schmalen Lymphraumes, —
Verhältnisse, auf die ich an dieser Stelle nicht weiter eingehe, da
ich sie später genau besprechen werde. Ferner dient die
Gliahülle offenbar als schützende Bedeckung für die inneren
Parthien und als einer der Hauptstützpunkte für das Flecht-
werk der Neuroglia. Mit ihr verknüpfen sich die Ausläufer
der benachbarten Stützzellen, von ihr aber gehen auch stärkere
Fasern und Balken weit in das Innere des Üentralorgans
hinein, um in grösserer Entfernung vom Beginn mit der dortigen
Neuroglia sich verbindend zu enden. Die Art, wie diese gröberen
Balken des Stützgeflechtes gebildet werden, ist sehr verschieden.
Der Zweck derselben ist aber der gleiche: sie sollen den Parthien,
die sie durchziehen, eine grössere Festigkeit und Elastieität ge-
währen; zum Theil dienen daneben die zusammengesetzten Balken
als Träger der Blutgefässe. Von der Beschaffenheit der Gliahülle
selbst hängt auch die Form der von ihr in das Innere ziehenden
Fortsätze ab. Da ich weiter unten auf diese Verhältnisse genauer
eingehen muss, kann ich mich hier mit einer kurzen Andeutung
begnügen. Wenn, wie dies im Rückenmark und in der medulla
oblongata der Fall ist, die Gliahülle aus unendlich vielen mit ein-
ander geflechtartig verbundenen Zellen, denen Grundsubstanz zwi-
schengelagert ist, besteht, so gehen auch ebenso zusammengesetzte
stärkere und feinere Balken, die meistens ein Blutgefäss um-
schliessen, in das Innere. Daneben zweigen sich auch sehr häufig
aussergewöhnlich lange Ausläufer der Gliazellen der Hülle ab,
treten zu mehr oder weniger eng verbundenen Gruppen zusammen
und laufen, ohne dass sich ihnen neue Gliazellen anschliessen,
eine Strecke in das Innere, um allmählich auseinanderzustrahlen und
nach einiger Verästelung oder auch ohne diese mit dem eignen
Gliagerüst des betreffenden Ortes sich zu verbinden. Natürlich
bleiben diese Stützbalken stets viel kürzer als die ersterwähnten.
Sie sind besonders häufig im verlängerten Mark. Besteht nun
aber die Gliahülle nur aus einzelnen grossen und stark verhornten
Zellen, womöglich ohne Einlagerung von Grundsubstanz, so gehen
512 Hans Gierke:
auch nur einzelne, aber sehr kräftig entwickelte Zellfortsätze in
das Innere des Centralorgans, um der gewöhnlich ziemlich zart
gebildeten Gerüstsubstanz der nächstinneren Parthieen einen grösse-
ren Halt zu geben. Meine vergleichenden Untersuchungen lehren
mir, dassim Allgemeinen die Gliahülle und die von ihr ausgehen-
den Fortsätze bei niedern Wirbelthieren stärker entwickelt sind
als bei den höheren!). Die von jenen Fortsätzen im Innern sich
abzweigenden Theilfasern haben an vielen Stellen ein bedeu-
tendes Uebergewicht über die den einzelnen Parthien besonders
zukommenden und in ihnen aus Zellen entstehenden Gliafasern;
ja sie können dieselben sogar ersetzen. So findet man z. B. in
der weissen Substanz mancher Reptilien, Amphibien und Fische
viel weniger Gliazellen als bei den Säugethieren, und das durch-
aus nicht gering entwickelte Faserwerk der Gerüstsubstanz, welches
die einzelnen Nervenfasern von einander trennt, nimmt seinen Ur-
sprung hauptsächlich aus der Gliahülle und den mit dieser zusam-
menhängenden Stützbalken. Ein höchst interessantes Beispiel für
diese Einrichtung gewährt das Rückenmark des Hechtes. Schon
die Zupfpräparate machen uns auf die ausserordentlich grossen
Stützzellen aufmerksam, welche man aus den peripherischen Theilen
des Rückenmarkes dieses Fisches isoliren kann. Feine Querschnitte
gewähren uns nun einen deutlichen Ueberblick über die Verhält-
nisse der Neuroglia. In der Fig. 10 ist ein Segment eines solchen
Schnittes ganz naturgetreu dargestellt, nur wurden der Einfachheit
halber die Querschnitte der Nervenfasern nicht eingezeichnet. Die
unmittelbar innerhalb der pia mater (Fig. 10a) liegende Gliahülle
wird aus sehr grossen gewaltigen Zellen und deren langen Aus-
läufern gebildet. Die Zellen liegen in kleinen Gruppen (Fig. 9)
eng beisammen. Im Querschnitt findet man zwei bis vier, kaum
mehr zu einer Gruppe vereinigt; auch in der Längsrichtung, d.h.
parallel mit der Längsaxe des Markes zählt man ungefähr drei
Zellen in einer Gruppe nebeneinander geordnet, so dass eine solche
also in Wirklichkeit aus ungefähr zehn Zellen besteht. Diese,
welche, wie schon oben erwähnt, sehr stark verhornt aussehen und
mit Ammoniak-Carmin behandelt niemals, mit Alaun-Carmin ge-
färbt selten und dann nur undeutlich und verwaschen einen Kern
1) Eine Ausnahme macht aber die Gliahülle des grossen Gehirns, welche
beim Menschen ausserordentlich viel stärker ist als bei den Thieren.
Die Stützsubstanz des Centralnervensystems. 513
aufweisen, sind durch zwischen ihnen eingelagerte Grundsubstanz
so innig vereint, dass man nur mit Mühe und bei stärkerer Ver-
grösserung ihre Grenzen gegen einander erkennen kann. Sie sen-
den einige lange und starke Ausläufer parallel mit der Oberfläche
des Markes und zwar ganz hauptsächlich in der Richtung des
Querschnittes, weniger nach der Längsrichtung hin und schräg;
doch kommen auch solche vor zur Verbindung der in verschiedenen
Längsebenen liegenden Zellgruppen. Die quer verlaufenden ver-
binden die in gewissen, ziemlich regelmässigen Abständen liegen-
den Zellgruppen derselben Längsebene. So besteht hier die Glia-
hülle aus kleinen knotenartigen aus Zellen bestehenden Anschwel-
lungen und einer meistens sehr dünnen Faserhaut zwischen diesen.
Nach innen, nach der weissen Substanz hin verjüngen sich die
srossen Zellen der Gliahülle etwas und gehen an der Spitze in
einige wenige starke Fortsätze über, welche geradeaus durch die
weisse Substanz hindurch nach der grauen hin laufen. Dabei
legen sich alle Spitzenfortsätze der verschiedenen Zellen einer
Gruppe so innig an einander, dass man bei flüchtiger Beobachtung
glaubt, sie wären mit einander verschmolzen. Dies ist aber nicht
der Fall, sie lassen sich durch die Isolirnadeln auseinanderzerren;
auch sieht man bei Anwendung starker Vergrösserungen minimale
Zwischenräume zwischen den dicht aneinander gedrängten Fasern.
(In Fig. 9 ist eine Gruppe solcher Zellen bei stärkerer Vergrösse-
rung gezeichnet, b sind die Basalfortsätze, welche die Gliahülle
vervollständigen und bei a sieht man die Spitzenfortsätze, die hier
durch die Präparation leicht auseinander gezogen sind, zu einem
Balken vereinigt. Die topographische Anordnung wird aus Fig. 10
ohne Weiteres klar. In den Querschnitten erscheinen die Zellen
meistens dreieckig, man muss aber bedenken, dass sie auch in
der Längsaxe des Markes einen nicht unbedeutenden Umfang be-
sitzen und dass ihre Gestalt dadurch wesentlich modifieirt werden
kann. Die ganz isolirte Zelle, welche die Fig. 8 darstellt, wird
wohl in situ eine ähnliche Anordnung gehabt haben, wie die rechte
Zelle der Fig. 9, so dass sie an dem einen Pol Fortsätze der Glia-
hülle, an dem andern die in das Innere führenden abgiebt.) Von
den starken aus der Gliahülle entstehenden Balken zweigen sich
nun in der weissen Substanz fortwährend Fasern ab, um die
Scheiden der Nervenfasern bilden zu helfen. Sie werden dabei
von überall zerstreuten sehr kleinen spindelförmigen Gliazellen
514 Hans Gierke:
und deren sparsamen Ausläufern unterstützt. Verhältnissmässig
noch sehr stark gelangen die Balken zur grauen Substanz, in der
sie dann auseinander strahlen, um die Grundlage ihres Stützge-
rüstes zu bilden. Auch hier kommt dann noch ein zarteres Flecht-
werk durch die eignen kleinen Gliazellen der grauen Substanz zu
Stande.
Ich habe mich länger bei dieser Anordnung der Glia im
Rückenmark des Hechtes aufgehalten, obgleich ich ja sonst mög-
lichst wenig auf die Verschiedenheiten derselben bei den verschie-
denen Wirbelthieren eingehen wollte, um diese Arbeit nicht ins
Endlose auszudehnen. Diese abweichende Art aber, das Gerüst
des Centralorgans zu bilden, erscheint mir sehr interessant und
zwar um so mehr, als die oben erwähnten Spuren dieses Systems
auch bei höheren Thieren vorkommen. Höchst auffallend ist die
ausserordentliche Entfernung, bis zu welcher die Gliazellen mittelst
ihrer Ausläufer an dem Aufbau der Gerüstsubstanz theilnehmen
können. Die Länge der Fortsätze dieser grossen Zellen der Glia-
hülle beim Hecht beträgt oft mehr als die Hälfte des Durchmessers
des Rückenmarkes!).
Die Stützsubstanz findet eben so wie nach aussen in der Glia-
hülle nach innen in der Umhüllung der centralen Höhlen einen
Abschluss. Bekanntlich sind die Centralorgane des Nervensystems
im Innern von einem zusammenhängenden System von Hohlräumen,
den verschiedenen Ventrikeln und dem Centraleanal durchzogen.
Diese nun sind in ihrer ganzen Ausdehnung von dicken Lagen
unvermischter Neuroglia vollkommen umschlossen; eine Lücke ist
nirgends zu finden. Ueberall besteht diese Auskleidung der cen-
tralen Hohlräume aus dichten Netzen von Gliazellen, in deren
Lücken nur die Grundsubstanz eingelagert ist. Nervöse Elemente
verlieren sich höchstens ausnahmsweise in diese Schichte hinein.
Für gewöhnlich finden wir den eben erwähnten einfachen Bau
derselben, der nur dadurch etwas weniger klar wird, dass die
Ausläufer der Zellen oft eine sehr grosse Länge besitzen und sich
nicht mit den benachbarten, sondern mit weiter entfernt liegen-
den verbinden. Dabei laufen sie natürlich nicht in einer Ebene,
sondern nach allen Richtungen. So findet man in den Schnitten
durch diese Parthieen ausser den Zellnetzen und der Grundsub-
1) Noch klarer liegen die Verhältnisse bei Haifischen urd Rochen.
Die Stützsubstanz des Centralnervensystems. 515
stanz zahlreiche punktförmige Querschnitte von Ausläufern, welche
die Reinheit der Grundsubstanz trüben, ganz besonders gern aber
dicht an den Zellen und an den im Schnitt horizontal verlaufen-
den Fortsätzen liegen. Sie sind es, welche manche Forscher ver-
leitet haben, von dem „granulirten Gewebe“ der substantia gelati-
nosa centralis des Rückenmarks und ähnlicher Parthieen zu spre-
chen!). Nach innen findet dies Stützgewebe seinen Abschluss
gegen den Hohlraum des Ventrikels durch eine Lage epithelartig
angeordneter Zellen, welche mit dem Netzwerk durch Fortsätze
in Verbindung stehen. Die Form dieser Epithelzellen ist, wie be-
kannt, nach den Oertlichkeiten verschieden. Es giebt da im
Rückenmark die schönsten Flimmerbesatz tragenden Cylinderzellen,
es giebt in den Gehirnventrikeln viel flachere Zellen, die keine
Flimmerhärchen haben und zu den Pflasterepithelien gerechnet
werden müssen. Ich brauche auf diese Verhältnisse hier nicht
näher einzugehen. Alle diese Epithelzellen aber, welche Form sie
auch immer haben mögen, stehen durch ihre basalen Ausläufer
mit den Gliazellen der äusseren: Schichten in inniger Verbindung.
Auch sind sie ja, wie wir früher bei der Betrachtung der Entwick-
lung dieser Elemente sahen, nichts anderes als metamorphisirte
Gliazellen. Ihre Fortsätze können schon in der nächsten Lage ihr
Ende finden, indem sie sich meistens verästeln und dann mit den
Fäden des dortigen Stützgeflechtes verbinden. Sie können aber
auch, — und wir werden hierauf bei der Besprechung der ein-
zelnen Gegenden noch zurückkommen — eine lange Strecke un-
getheilt verlaufen, ehe sie sich mit den Gliaelementen weit von
den Zellen gelegener Theile verbinden. Ganz besondere Verhält-
nisse werden wir in dem Commissurentheil des Rückenmarkes fin-
den. Zwischen den sich verjüngenden basalen Enden der Ventrikel
— Epithelzellen sind sehr zahlreiche kleine rundliche Zellen ein-
gefügt. Sie haben ganz verschiedene Grössen, sind aber stets
kleiner als die Hauptzellen, zwischen denen sie liegen. Sind sie
sehr klein, so haben sie auch eine ganz rundliche Gestalt, werden
sie grösser, so suchen sie die Form der Epithelien anzunehmen,
zwischen denen sie liegen. Nach aussen hin senden die ein wenig
1) Besonders sind es Henle und Merkel in der oben eitirten Arbeit,
und Henle in seinem Handbuch der Anatomie des Menschen.
516 Hans Gierke:
ansehnlicheren auch schon Fortsätze, welche sich wie die der be-
nachbarten Epithelien verhalten. Wir haben es hier mit Ersatz-
zellen zu thun, auf die man wenig aufmerksam geworden ist und
die doeh überall im ganzen Ventrikelepithel des Centralnerven-
systems häufig genug zu finden sind. Das eben nicht seltene Vor-
kommen dieser Ersatzzellen weist darauf hin, dass die Epithelien
hier und da zu Grunde gehen und durch neue ersetzt werden
können. In der That beweisen uns dies die Befunde bei Mensch
und Thier, besonders bei ersterem. Einmal finden sich im Central-
canal, wohin endlich auch die im Liquor suspendirten kleinen
Theilchen der übrigen Ventrikel hinabbefördert werden, allerhand
abgestossene Zellen und Zellreste. Ja diese können so massen-
haft vorhanden sein, dass sie nach dem Tode in dem geronnenen
Liquor eingebettet ein Gewebe vortäuschen und den Hohlraum so-
gar ganz verstopfen können. Doch soll hiermit nicht behauptet
werden, dass nicht auch wirkliche Wucherungen vorkommen können,
welche den Centralecanal des Rückenmarks unwegsam machen.
Diese, bei älteren Menschen und manchen Thieren nicht selten,
sehen entweder von dem Epithel selbst, viel häufiger aber von
dem um dieses herumlagernden Gliagewebe aus, wobei dann die
Epithelien einfach bei Seite geschoben werden und degeneriren.
Ich habe oben darauf aufmerksam gemacht, dass von der
äusseren Gliahülle verschiedene stärkere Fortsätze zusammenge-
setzter oder einfacher Art ausgehen, um sich an der Bildung der
Gerüstsubstanz der benachbarten inneren Gegenden zu betheiligen.
Auch von der eentralen Auskleidung der Ventrikel entwickeln sich
stellenweise Balken oder starke Fortsätze, welche nach aussen
laufen. Im Rückenmark habe ich derartiges nicht beobachten
können. Zwar gehen auch hier zahlreiche Fortsätze aus der cen-
tralen Gerüstsubstanz in die Umgebung, aber sie fügen sich nicht
zu stärkeren Balken aneinander. Viel mehr ist dies schon in der
medulla oblongata der Fall. Auffallender aber finde ich diese Er-
scheinung in der Umgebung der Hirnventrikel ausgebildet. Ich
konnte sie des Genaueren am besten in dem mächtig entwickelten
bulbus olfactorius des Igels studiren. Man sieht hier den Ven-
trikel von einer ganz ausserordentlich starken Lage Gerüstsubstanz
umgeben. Die sehr grossen Zellen derselben senden ihre Fortsätze
zum Theil in der gewöhnlichen Weise zu andern benachbarten,
um sich mit ihnen zu verbinden, zum Theil aber schicken sie die-
Die Stützsubstanz des Centralnervensystems. 517
selben in radiärer Richtung nach aussen. Von diesen gleich von
vorneherein gut entwickelten Ausläufern legen sieh sehr bald eine
gewisse Zahl, etwa drei bis zwanzig dicht aneinder, um eine sehr
starke Faser zu bilden. Diese läuft nun in radiärer Richtung
weiter nach aussen in die benachbarte Schicht, welche aus weisser
Substanz besteht, hinein; manche enden in ihr, andere durchkreuzen
sie, ohne sich zu theilen und erreichen die nächstfolgende Körner-
schicht. In der ersteren oder in der letzteren Gegend nun zer-
fasert sich der starke Faden ganz plötzlich und zerfällt wieder in
eine Anzahl Einzelfäden, welche divergirend auseinanderstrahlen,
um nach längerem oder kürzerem Einzelverlauf sich mit den Glia-
zellen oder dem Netzwerk ihrer Ausläufer in dieser Gegend zu
verbinden. Ob hierbei noch secundäre Theilungen vorkommen
d. h. ob nach dem Auseinanderstrahlen in einzelne Fasern diese
sich noch weiter verästeln können, habe ich nicht mit Sicherheit
entscheiden können. Ebenso wenig vermochte ich festzustellen, ob
die Zahl der Endfasern mit der Anzahl der in der centralen Stütz-
substanz zusammentretenden Fäden übereinstimmt. Ja es gelang
mir trotz grosser, auf diesen Punkt verwandter Mühe nicht zu
erforschen, ob die zu einem Balken zusammentretenden Ausläufer
der Gliazellen mit einander verschmelzen oder sich nur sehr fest
und innig an einander legen. Ich möchte an das Erstere, an eine
Verschmelzung glauben, da ich niemals auch nur die leiseste Spur
einer Zusammensetzung fand; nie zeigte sich die Andeutung einer
fibrillären Struetur; die starken Fäden hatten ein durchaus glas-
helles, strueturloses Aussehen, ganz genau so, wie die einzelnen
Gliafortsätze. Auch konnte ich trotz vieler Versuche die isolirten
starken Fäden nicht mit den Nadeln zerfasern; sie brachen stets
in der Quere, niemals spalteten sie sich der Länge nach, was
doch wohl hier und da geschehen wäre, wenn sie nicht zu einem
untrennbaren Ganzen verschmolzen wären. Dennoch will ich dies
mit absoluter Gewissheit nicht behaupten. Die Stärke ebenso wie
die Länge der Balken wechselt sehr, die erstere beträgt durch-
schnittlieh etwa 0,01—0,015 mm, die letztere kann 0,3 mm errei-
chen. Ihre Zahl ist in dem bulbus olfactorius des Igels eine ganz
ungeheuer grosse. Sie geben der Innenparthie desselben ein eigen-
thümliches Aussehen und erregen sofort die Aufmerksamkeit des
Beschauers. In den Innenparthieen des übrigen Gehirns um die
Ventrikel herum sind diese Bildungen bei dem gleichen Geschöpf
518 Hans Gierke:
ebenfalls deutlich genug entwickelt haben aber nirgends eine ähn-
liche Entwicklung wie an dem erwähnten Ort. So habe ich auch
bei den übrigen Säugethieren, die ich darauf hin untersuchte, ähn-
liche zusammengesetzte Stützfasern gefunden, welche aus der cen-
tralen Auskleidung der Ventrikel sich hervorbildeten und nach
aussen in die benachbarten Parthieen ausstrahlten; doch sah ich
sie nirgends wieder in so auffallender Menge wie an der er-
wähnten Stelle.
Ausserhalb der eigentlichen überall in ziemlich regelmässiger
Weise ausgebildeten Auskleidung der centralen Hohlräume befinden
sich noch andere, sehr verschieden entwickelte Anhäufungen von
Neuroglia, die theilweise eine verhältnissmässig gewaltige Ent-
wicklung erreichen und auch sehr schön ausgebildete Elemente
besitzen. Besonders am Boden des vierten Ventrikels kommen
solche Massen von Stützsubstanz ohne nervöse Elemente vor. In
ihnen findet man die grössten und schönsten kernarmen Gliazellen.
Fig. 5 z. B. stellt eine ihnen entnommene Zelle dar.
Zwischen den geschilderten Anhäufungen der Neuroglia, der
äusseren Gliahülle und der inneren Auskleidung des centralen
Höhlensystems und endlich dem gröberen Balkenwerk der innern
Stützsubstanz ist das feinere Geflecht derselben ausgebreitet. Nicht
aber liegt dies etwa locker und unverbunden innerhalb jener,
sondern es ist auf das Innigste und überall mit ihnen verbunden.
Sie ist natürlich hinsichtlich der Form und der Anordnung
der Elemente sehr verschieden, je nachdem sie das Gerüst der
grauen oder der weissen Substanz bildet. Aber auch in der ersteren
sind die Verhältnisse in den verschiedenen Theilen des Central-
organs so von einander abweichend, dass hier eine gemeinsame
und allgemeine Beschreibung nicht am Platz sein würde. Ich
muss weiter unten genauer auf die Besonderheiten der Stützsub-
stanz in den einzelnen grauen Parthieen des Centralnervensystems
eingehen und kann hier nur kurz erwähnen, dass überall die Glia-
zellen ein dichtes Netzwerk bilden, indem ihre nach allen Seiten
hin strebenden Ausläufer sich mit einander verbinden. Die Grösse
und Consistenz der Zellen sind den Eigenthümlichkeiten jeder
Gegend entsprechend, doch ist im Allgemeinen zu behaupten, dass
die Festigkeit der Gliazellen im umgekehrten Verhältniss zu der
der Nervenzellen steht.
Denn diese sind durchaus nicht gleich eonsistent und nicht
Die Stützsubstanz des Centralnervensystems. 519
in gleicher Weise widerstandsfähig gegen mechanische und che-
mische Angriffe. Was den Nervenzellen abgeht, ersetzen die zu
ihrem Schutz angelegten Gliazellen. Um Beispiele anzuführen:
sehr zart und leicht zu zerstören sind z. B. die Nervenzellen der
Körnerschichte des Kleinhirns und ebenso gewisse Nervenzellen
der Grosshirnrinde, darunter die grossen dichtgedrängten des
Ammonshorns. Es ist schwer, sie mit den bekannten Hülfsmitteln
unversehrt zu isoliren. Nicht nur lösen sich ihre Fortsätze unge-
mein leicht ab, sondern auch die Zellleiber fallen viel eher aus-
einander als bei andern Nervenzellen, so dass man von einigen
derselben immer nur die Kerne bei der Isolation erhält. Sehr
deutlich erkennt man auch in gefärbten Durchschnitten des gehärteten
Centralnervensystems, dass diese nervösen Zellen sehr weich, zart
und leicht zerstörbar, jene viel fester, derber und widerstandsfä-
higer sind. Die Art und Weise, wie sie beim Erhärten schrumpfen
und Retractionslücken bilden, der Höhegrad dieses Vorgangs, die
Art sich zu färben, ja am meisten einfach das Aussehen, welches
das Zellprotoplasma bei stärkerer Vergrösserung gewährt, sind
neben manchen andern characteristischen Erscheinungen die Kenn-
zeichen, welche zur Prüfung der Consistenz des Zellprotoplasmas
dienen können. Wie gross in dieser Hinsicht der Unterschied
zwischen den verschiedenen Nervenzellen ist, zeigen uns z. B. gute:
Schnittpräparate eines Gehirns, das erst längere Zeit, vielleicht
24 Stunden nach dem Tode in die erhärtende Flüssigkeit gelegt
wurde, da hier die zarteren Nervenzellen bis auf den Kern ganz
zerfallen sein können; ein feinkörniger Detritus, welcher den an-
gewandten Farbstoff gar nicht aufgenommen hat, lagert um den
gut erhaltenen Kern herum: während die derberen Nervenzellen in
schöner Färbung und gut erhalten sich präsentiren. Es ist hier
nicht der Ort genauer auf diese Verhältnisse einzugehen. Sie
sind interessant genug, aber nicht so ganz einfach; schon deshalb
nicht, weil offenbar die Nervenzellen je nach ihrem Functionszu-
stand ihre Consistenz etwas wechseln. Es sollten hier diese That-
sachen, die ja bisher so gut wie gar nicht von den Forschern be-
rücksichtigt wurden, nur in so weit beleuchtet werden, als sie für
das Verständniss der Gliaverhältnisse von Wichtigkeit sind).
1) Ich hatte schon früher Gelegenheit, auf diese ungemein verschie-
denartige Consistenz der Nervenzellen hinzuweisen. (In dem im Anfang
520 Hans Gierke:
Wie schon oben erwähnt wurde, werden die zarteren Nerven-
zellen von derberen Gliazellen umschlossen und umgekehrt. So
z. B. sind die Stützzellen, welche das die verhältnissmässig sehr
festen Nervenzellen des Rückenmarks umspinnende Flechtwerk
bilden, durchweg zu den feineren gehörig. Wir finden hier zum
Theil die als eigne Form beschriebenen Gliazellen, welche nur
aus einem grossen Kern und sehr zarten Fortsätzen bestehen oder
wenigstens einen im Verhältniss zum Kern verschwindenden Zell-
leib besitzen. Und betrachten wir dagegen die Elemente des Neu-
rogliageflechtes, welches z. B. die Nervenzellen der sogenannten
Körnerschicht des kleinen Gehirns (Fig. 21) oder gewisse nervöse
Zellen des Ammonshorns (Fig. 20) umgiebt, so sehen wir derbe,
grosse, mit kräftigen Ausläufern versehene Gliazellen, in denen
Kerne entweder gar nicht oder mit Mühe als unbedeutende und
nicht sonderlich scharf contourirte Gebilde nachgewiesen werden
können. Das characteristische, glashelle Aussehen des Zellleibes
lässt auf eine fortgeschrittene Verhornung schliessen, wofür auch
die grössere Widerstandsfähigkeit dieser Zellen spricht.
Auch die Dichte des Gliageflechtes, welches die Nervenzellen
schützend umgiebt, scheint an verschiedenen Punkten des Central-
organs sehr verschieden zu sein. Allerdings kann ich hier höch-
stens sagen: „Es scheint.“ Denn, da man die Verhältnisse nach
möglichst dünnen Schnitten, in denen die Zellen nicht in ihrem
sanzen Umfang, sondern nur feine von ihnen abgetragene Scheiben
enthalten sind, beurtheilen muss, kann man auch aus den geringen
im Präparat sich zeigenden Bruchstücken des Gliageflechtes nur
einen zweifelhaften Schluss ziehen. Am günstigsten gestaltet sich
das Pild, wenn der Schnitt eine grössere Nervenzelle so getroffen
hat, dass ein umfangreicher von Glia umsponnener Theil der Ober-
fläche siehtbar wird. Um das einhüllende Geflecht der grossen
Nervenzellen herzustellen, vereinigen sich eine gewisse Anzahl von
Gliazellen und bilden vermittelst eines Theiles ihrer Ausläufer ein
korbartiges, die Nervenzelle genau umschliessendes Gerüst, wäh-
rend ihre übrigen Fortsätze die Verbindung mit dem Glianetz
der Umgebung bewirken. Die kleineren Nervenzellen dagegen
liegen einfach in den Maschen der gleichmässig ausgebildeten Ge-
dieser Arbeit erwähnten Vortrag.) Ich werde bald in einer andern Arbeit
genauer auf sie eingehen können.
Die Stützsubstanz des Centralnervensystems. 521
rüstsubstanz, ohne dass eigne, ihnen besonders angehörige Glia-
zellen sie umschliessen. So kommt es häufig genug vor — die
Körnerschichten an verschiedenen Stellen des Gehirns sind die
besten Beispiele hiefür — dass in einer Parthie mehr Nerven-
als Gliazellen zu finden sind. Das in Figur 21 dargestellte Stütz-
gerüst der Kleinhirnrinde des Igels macht diess Verhältnisse klar;
freilich muss man bei der Betrachtung stets im Auge behalten, dass
die Zeichnung nach einem ungemein feinen Schnitt gefertigt ist,
welcher nur eine einzige Ebene darstellt. In der Lage b sind die
Fragmente von drei Körben vorhanden, welche je eine Purkiny’-
sche Zelle umschloss. Den ganzen Korb hat man sich etwa aus
drei bis höchstens fünf Gliazellen mit den dazu gehörigen Aus-
läufern bestehend zu denken. Die Lage e ist ein Theil des Gerüstes
der Körnerschicht. Die Maschen hat man sich zum grossen Theil
durch dichtgedrängte kleine Nervenzellen ausgefüllt vorzustellen.
Es leuchtet ein, dass sehr viele von diesen nur von Gliafasern
umsponnen sein können, ohne mit den Körpern der zugehörigen
Stützzellen in Berührung zu kommen.
Um nun aber zu verstehen, wie die Nervenzellen trotzdem
sie zuweilen, wie z. B. in den erwähnten Körnerschichten, so
ausserordentlich dicht gedrängt angeordnet sind, durch die Neu-
roglia von einander getrennt werden, muss man sich klar machen,
dass diese letztere ja nicht aus den Zellen mit ihrem faserigen An-
hang allein besteht, sondern auch aus der structurlosen Grundsubstanz.
Dieser letzteren kommt ein überaus wichtiger Antheil an ‚dem
Aufbau der grauen Substanz des ganzen centralen Nervensystems
zu. Wenn auch nicht überall in gleicher quantitativer Entwick-
lung, vorhanden ist sie überall da, wo dem frischen, unbehandelten
Centralorgan eine gewisse graue oder grau-röthliche Färbung
zukommt. Ihre Menge hängt von der Entwicklung der übrigen
Elemente ab und steht im umgekehrten Verhältniss zu derselben.
Je dichter besonders die Nervenzellen liegen, desto weniger Grund-
substanz muss vorhanden sein. An manchen Stellen drängen sich
die ersteren derartig aneinander, dass scheinbar nichts als einige
sehr zarte Gliafasern zwischen ihnen liegen, dennoch ist hier wie
überall zwischen den Zellen etwas von der ganz durchsichtigen,
gleichartigen Masse ausgebreitet. Denn sie füllt stets die Maschen
des Glianetzes aus, so weit dasselbe nicht von den nervösen Ele-
menten z. B. den Fortsätzen der Nervenzellen eingenommen wird.
Archiv f. mikrosk. Anatomie, Bd. 25. 36
522 Hans Gierke:
So erst wird diese zusammengesetzte Zwischenmasse der nervösen
Elemente zu einer vollständigen, durch nichts unterbrochenen Um-
hüllung derselben. Die Nervenzellen und ihre mannichfach und
auf das Reichste verästelten Fortsätze werden stets, so nahe an-
einander gedrängt sie auch liegen mögen, durch ein mit Grund-
substanz ganz ausgefülltes Flechtwerk auf das vollkommenste von
einander getrennt und gegen die gleichartigen Nachbarelemente
isolirt. Nie und an keiner Stelle des ganzen centralen Nerven-
systems — ich betone dies hier noch einmal ausdrücklich — be-
rühren sich nebeneinander liegende nervöse Theilchen ; immer sind
sie durch Neuroglia d. h. durch eine physiologisch ausserordent-
lich verschiedenartige Substanz von einander getrennt.
Das soeben betonte Gesetz hat dieselbe Geltung für die mark-
losen Nervenfasern, welche bis zu ungeheurer kaum noch erkenn-
barer Feinheit herunter in der grauen Substanz vorkommen und
sogar an verschiedenen Stellen einen Haupttheil derselben aus-
machen. Auch sie sind, mögen sie zu den allerzartesten Fasern
unseres Körpers überhaupt gehören, oder mögen sie jene oft ziem-
lich derben Fäden sein, welche als sogenannte Axencylinderfort-
sätze zu den Nervenzellen treten, um in ihnen zu enden, absolut
isolirt. Aber ein wichtiger Unterschied ist den Zellen gegenüber
zu constatiren. Die umhüllende und trennende Masse der Nerven-
fibrillen kann nur Grundsubstanz sein, es ist durchaus nicht erfor-
derlich, dass die faserigen Elemente der Neuroglia das Gerüst
der Hülle bilden, wie wir es bei den Zellen sehen, ja dies Ver-
halten muss sogar als ein ausnahmsweises und nur hier und da
stärkeren marklosen Nervenfasern zukommendes angesehen werden.
Im Allgemeinen bilden zarte Gliazellen und deren feinverzweigte
Ausläufer für die Stellen, in denen die Nervenfibrillen sich befin-
den, ein Stützgerüst, ein Netzwerk, dessen Maschen nicht direet
von diesen Fibrillen, sondern zunächst von Grundsubstanz erfüllt
sind. In dieser dann eingebettet und von ihr rings umgeben ver-
laufen die Nervenfäden. Vergleicht man dies Verhalten mit dem
der markhaltigen Nervenfasern, wie ich es weiter unten genauer
beschreiben werde, so muss man sagen, dass hier die Grundsub-
stanz die Markhülle der weissen Nervenfasern vertritt. Ich meine
dies nicht nur äusserlich als mechanische Umhüllungsmasse, son-
dern auch in functioneller Beziehung. Demnach würde die Haupt-
aufgabe des formlosen Theils der Neuroglia in Beziehung auf die
Die Stützsubstanz des Centralnervensystems. 523
marklosen Nervenfasern die Ernährung derselben sein; den Ersatz
zu liefern für das, was sie während ihrer Thätigkeit an Stoff ein-
büssen. Die Blutcapillaren reichen, trotzdem sie ein engmaschiges
Netz in der grauen Substanz bilden, nicht aus, um die feinen wegen
ihrer lebhaften Funetion einem regen Stoffwechsel unterworfenen
Nervenfibrillen direet zu ernähren. Es tritt daher die Grundsub-
stanz als Vermittlerin ein. Man könnte nun versucht sein, eine
gleiche Function derselben auch hinsichtlich der Nervenzellen an-
zunehmen, die ja doch auch von ihr umgeben sind. Ein genauer
Blick auf die thatsächlichen Verhältnisse belehrt uns jedoch, dass
sich hier die Dinge anders verhalten müssen. Jede Nervenzelle,
mag sie auch noch so klein sein, wird wenigstens eine Capillar-
schlinge in unmittelbarer Nachbarscheft haben, umfangreichere
Zellen aber werden von einem dichten Geflecht feinster Blutgefässe
vollkommen umringt. — Dass diese sich stets an die die Zelle
umhüllende Neuroglia halten und in ihr eine gewisse Stütze finden,
sei hier nebenbei erwähnt. — Es ist also natürlich, dass die Ner-
venzellen ihr Ernährungsmaterial aus den Capillaren direet be-
ziehen. Hierfür spricht auch der Umstand, dass die Nervenzellen
die Umhüllung aus Neuroglia meistens an Masse weit übertreffen.
Ausserordentlich wichtig ist für die Zellen sowohl wie auch für
die graue Substanz im Allgemeinen die Bildung der Räume und
Canäle für den Abfluss der Lymphe. Dieselben sind direet in der
Grundsubstanz eingegraben. Sie bilden ein complieirtes quantita-
tiv ungemein reich ausgebildetes System, auf das ich weiter unten
genauer eingehen werde.
Ich schilderte soeben das Verhältniss der marklosen Nerven-
fasern zu der Neuroglia. Das Bild ändert sich jedoch sofort, so-
bald eine markhaltige Nervenfaser in die graue Substanz eintritt.
An manchen Stellen derselben ist dies bekanntlich ein ziemlich
häufiges Vorknmmniss und sieht man z. B. in der grauen Substanz
des Rückenmarks eine grosse Zahl weisser Nervenfasern nach
allen Richtungen hin verlaufen. Diese haben nun stets eine eigne
aus den geformten Elementen der Glia gewebte Umhüllung, grade
so wie wir es gleich für die Nervenfasern der weissen Substanz
kennen lernen werden. Diese Scheide baut sich einmal aus Fasern auf,
welche von dem allgemeinen Stützgerüst der Nachbarschaft ab-
stammen, dann aber auch aus eignen Gliazellen und deren Fort-
sätzen. Ja diese letzteren sind offenbar ausserordentlich zahlreich
524 Hans Gierke:
und bilden den grösseren Theil der Elemente dieser Hüllen, da
man fast an jedem Querschnitt einer stärkeren in der grauen Sub-
stanz gelegenen markhaltigen Nervenfaser auch den Körper einer
Gliazelle, deren Grösse dem Durchmesser der Faser entspricht,
findet. Dieselbe schmiegt sich mit einer concaven Einbuchtung
innig der Nervenfaser an und umhüllt so einen nicht unbeträcht-
lichen Theil des Querschnitts derselben. Die von ihr ausgehenden
Fortsätze nehmen, indem sie sich mit andern Gliafasern netzförmig
verbinden, ebenfalls Theil an der Bildung der Scheide.
Insoweit konnte ich die Neuroglia der grauen Substanzen
gemeinsam schildern. Es wird sich später zeigen, dass den ein-
zelnen Gegenden noch manche Eigenthümlichkeiten zukommen.
Ehe ich aber auf die Schilderung derselben eingehe, möchte ich
zunächst die Verhältnisse der Neuroglia in der weissen Substanz
klar zu machen suchen. Das Verhalten der Stützsubstanz ist in
dieser viel gleichmässiger als in der grauen, obschon auch hier
im Einzelnen kleine Abweichungen in den verschiedenen Parthieen
der Centralorgane vorkommen. Der grösste Unterschied, welcher
mir auffiel, war von dem Üaliber der Nervenfasern abhängig. Die
Verhältnisse gestalten sich anders und sind, wie ich sofort hier
hinzufügen will, ungleich schwerer zu erforschen, wenn die weisse
Substanz nur aus ganz feinen Nervenfasern besteht, als wenn sie
aus stärkeren oder wie es gewöhnlich der Fall ist, aus gemischten
Fasern zusammengesetzt ist. Ein gewisser Unterschied wird auch
durch die mehr oder minder starke Entwicklung grösserer, aus
Neuroglia aufgebauter Balken bedingt. Dieselben erreichen in
dem Gehirn nirgends die hohe Bedeutung, welche ihnen im Rücken-
mark und, wenn auch schon in etwas geringerem Grade, in dem
verlängerten Mark zukommt.
Das Hauptprinzip in der Anordnung der Neurogliaelemente
der weissen Substanz besteht darin, dass aus ihnen für jede ein-
zelne markhaltige Nervenfaser — und zwar ohne jede Ausnahme —
eine eigne Scheide gewebt wird, welche, obgleich die Gliaelemente
sich nur zu einem netzförmigen Gewebe, nicht aber zu continuir-
lichen Häuten vereinen, dieselben vollkommen von einander isoliren.
Die einzelnen Nervenfasern sind durch eine möglichst geringe
Stützmasse umhüllt. Wir finden zwischen ihnen nur grade so viel
davon als zu ihrer vollkommnen Trennung und zu einer ziemlich
spärlichen Zu- und Abfuhr des Ernährungsmaterials nothwendig
Die Stützsubstanz des Centralnervensystems. 525
ist. Doch werden, theils um dem Ganzen eine grössere Festigkeit,
einen gewissen Halt zu geben, theils um den Blutgefässen, soweit
sie nicht Capillaren sind, als Träger zu dienen!), besondere Bal-
ken von ausserordentlich verschiedenartiger Stärke aufgebaut. Diese
zusammen mit der oben beschriebenen Gliahülle oder in manchen
Hirntheilen mit der centralen Auskleidung der Ventrikel bilden
das Hauptgerüst der weissen Substanz, an das sich das feinere
zwischen den Nervenfasern selber ausgebreitete Netzwerk der Glia
anlehnt. Für die Herstellung dieses letzteren sind ganz hauptsäch-
lich die Zellen der Stützsubstanz und ihre Ausläufer verwandt,
während die Grundsubstanz nur in geringstem Maasse und nur an
bestimmten Stellen für den Aufbau benutzt ist.” Von den erwähn-
ten Balken aber ist der bei weitem grösste Theil, wie die Glia-
hülle, mit der sie überhaupt grosse Aehnlichkeit aufweisen, aus
Grundsubstanz und Zellennetzwerk zusammengesetzt.
Wollen wir nun die soeben angedeuteten Verhältnisse der
Glia in der weissen Substanz näher studiren, so thun wir gut,
uns zunächst nur das Rückenmark darauf hin anzusehen, denn hier
ist die Anordnung eine besonders klare und auch besonders ty-
pische. Leicht ist es, nach Erkennung der dortigen Verhältnisse
diejenigen in der weissen Substanz der übrigen Gegenden der Cen-
tralorgane zu begreifen. Nachdem wir ja schon früher die Glia-
zellen der weissen Substanz durch sorgfältige Isolation im Einzelnen
dargestellt und nach allen Richtungen hin studirt haben, erübrigt
nun noch zur Erkennung der topographischen Anordnung der Ge-
rüstsubstanz Schnitte durch das erhärtete Mark zu machen und
dieselben mit Carmin gefärbt?) in bekannter Weise der mikrosko-
pischen Durchforschung zugänglich zu machen. Die vornehmste
Belehrung schöpfen wir aus dem Studium der so genau wie nur
1) Auf das nicht ganz einfache Verhältniss der Neuroglia zu dem Ge-
fässsystem muss ich weiter unten des Genaueren eingehen.
2) Die besten und in jeder Hinsicht deutlichsten Präparate erhielt ich
immer durch eine sehr vorsichtige Tinction mit Ammoniak-Carmin mit
leichter Nachfärbung in Alaun-Carmin, um die Kerne noch hervorzuheben.
Mit Bismarckbraun gefärbte Präparate können auch recht deutlich sein.
Neuerdings aber habe ich das Glia-Netzwerk, Zellen sowohl wie die Fasern bis
in ihre feinsten Verästelungen hinein sehr klar und deutlich durch die Hei-
denhain’sche Hämatoxylinfärbung erhalten. Besonders eignen sich. Längs-
schnitte sehr für dieselbe.
526 Hans Gierke:
irgend möglich senkrecht zur Längsaxe angelegten Quersehnitte?).
Doch sind dann Längsschnitte und zwar sowohl in sagittaler wie
auch in frontaler Richtung angefertigte, ebenfalls durchaus notl-
wendig für das Verständniss.. Auch sie müssen möglichst mathe-
matisch genau parallel mit der Längsaxe des Markes geführt wer-
den. Deutlich von der horizontalen oder senkrechten Richtung
abweichende Schrägschnitte können wohl zum Vergleich und für
das Studium ganz besonderer Verhältnisse benutzt werden — immer
aber mit grösster- Vorsicht, da sie zu allerhand Täuschungen Ver-
anlassung geben können. Ich wiederhole, was ich schon im Be-
sinn dieser Arbeit betonte, nur die allerfeinsten Schnitte, Schnitte
von einer Dünne, -wie ich sie offen gestanden in andern Samm-
lungen nie gesehen habe, vermögen uns die Anordnung der Stütz-
substanz im richtigen Licht darzustellen. Dickere Schnitte täu-
schen zu leicht. Es ist ja nicht nothwendig, Segmente, welche
den ganzen Umfang des Rückenmarks-Querschnittes umfassen, zu
benutzen; kleinere Fragmente, deren topographische Einordnung
in das Ganze allerdings genau bekannt sein müssen, genügen voll-
kommen. Fertigt man nach diesen Grundsätzen Präparate an, wo-
möglich von einem grossen Wiederkäuer, also am besten vom
Ochsen — nicht aber vom Kalb, da bei sehr jungen Thieren die
Verhältnisse nicht so gut ausgeprägt sind, wie bei älteren, — so
wird man das, was ich im Folgenden mittheilen werde, leicht be-
stätigen können. Bei Wiederkäuern sind die Verhältnisse der Neu-
roglia klarer und deutlicher zu übersehen als z.B. beim Menschen
und besonders als bei Raubthieren. Es hängt dies wohl von der
leichteren Tingirbarkeit der Elemente, vielleicht auch noch von
andern Gründen ab. Beim Rückenmark des Ochsen ist die ausser-
ordentliche Grössenentwicklung der Nervenfasern sowohl wie auch
der Gliaelemente von sehr grossem Vortheil.
Wie unzählige Male ist es unternommen worden, die feineren
mikroskopischen Verhältnisse der weissen Substanz des Rücken-
marks bildlich darzustellen, aber welch ein Werk ich auch meinen
Bücherspinden entnehme, sei es ein Handbuch der Histologie, eine
Beschreibung der feineren Verhältnisse des Oentralnervensystems
oder gar eine monographische Darstellung des Rückenmarks:
1) Schräge Querschnitte geben sehr leicht zu Täuschungen Veranlas-
sung. Die Verhältnisse erscheinen verzerrt.
Die Stützsubstanz des Centralnervensystems. 527
nirgends finde ich eine wirklich naturgetreue Abbildung der fei-
neren Verhältnisse der weissen Substanz desMarkes. Freilich, um
gerecht zu sein, muss ich hinzusetzen, dass es sich mit der grauen
Substanz genau ebenso verhält. Fast alle die vielen Holzschnitte
und Lithographien, welche ich kenne, geben die Verhältnisse, wie
Quer- oder Längssehnitte sie darbieten, in durchaus schematischer
Weise wieder. Die photographischen Bilder, denen man Natur-
treue wohl nicht absprechen kann, geben doch nicht die Details
wieder, auf die es hier ankommt!). Macht aber einmal ein Autor
den Versuch, ein Stück von einem Quer- oder Längsschnitt des
Markes genau und naturgetreu abzubilden, so misslingt dies Be-
streben erst recht. So entsprechen die Bilder der weissen Sub-
stanz des Rückenmarks, welche Boll?) in der mehrfach erwähnten
Arbeit giebt, so wenig der Wirklichkeit, dass ich mir oft Mühe
gegeben habe, zu enträthseln, wie dieser sonst so scharfsinnige
Forscher zu so groben Irrthümern hat gelangen können. Man
kann fast sagen, es sei unmöglich, die Verhältnisse noch falscher
abzubilden als Boll gethan hat. Ich gab schon früher an, wie
wenig naturgetreu Henle und Merkel’s, ebenso Gerlach’s Bilder
seien. Ich könnte auch die fast aller übrigen Autoren hinzufügen.
Die dieser Abhandlung beigegebenen Abbildungen der weissen
Substanz des Rückenmarks sind vollkommen naturgetreu. Sie
wurden mit dem Prisma angefertigt und entsprechen in jeder Zelle
und in jeder Faser bis zur feinsten herab ganz genau dem mi-
kroskopischen Bild. Nur die Figur 16 ist insofern etwas schema-
tisch gehalten, als sie, um das Nöthige möglichst deutlich zu zeigen,
aus den Bildern zweier Präparate zusammengesetzt ist. Sie soll
einen Ueberblick über die Verhältnisse der Gliahülle, der Balken
in der weissen Substanz und über die Beziehungen dieser letztern
zu den Blutgefässen gewähren. Die Figuren 11, 12, 13 und 14
stellen bei stärkerer Vergrösserung gezeichnete Fragmente von
Querschnitten, Fig. 15 ein Bruchstück eines Längsschnittes dar.
In den verschiedenen für diese Abbildungen benutzten Präparaten
1) Freilich nur deshalb nicht, weil man nicht die allerfeinsten Schnitte,
welche möglich sind, und ungenügend gefärbte für die Aufnahme benutzte.
2) 1. c. Figg. 6, 7, 8 auf Tafel I. Ich wundere mich um so mehr über
Boll’s Zeichnungen, als sie gleichfalls nach Präparaten aus dem Rücken-
mark des Ochsen und des Schafes und offenbar nach sehr dünnen Schnitten
gefertigt wurden. °
528 Hans Gierke:
waren die Gliazellen sammt ihren Ausläufern ausserordentlich gut
gefärbt und hoben sich bis in das Einzelne deutlich hervor?). Doch
ist zu bemerken, dass sich bei der Carminfärbung, welche um all-
gemein gute Effeete zu erzielen nothwendig ist, manche Kerne
nicht färben, welche sich bei der Tinetion mit den richtigen Kern-
färbemitteln noch färben würden.
Es ist allgemein bekannt, dass in der weissen Substanz des
Rückenmarks Nervenfasern von sehr verschiedenem Durchmesser
vereinigt sind. Wir finden die allerstärksten, die überhaupt im
Körper vorkommen und ganz ungemein feine. Bei vielen dieser
letzteren ist besonders die Markhülle so gering entwickelt, dass
man sie nur bei starken Vergrösserungen und genauester Betrach-
tung erkennt. Häufig genug scheinen die Querschnitte der feinsten
Nervenfasern ganz des umgebenden Markringes zu entbehren.
Starke Immersionssysteme lassen ihn jedoch stets entdecken und
man findet, dass so viele allerfeinste Nervenfasern mit minimalster
Markumkleidung versehen auch in der weissen Substanz des
Rückenmarks vorkommen, dennoch keine ganz marklosen in der-
selben existiren. Es müssten denn grade in der Nähe der grauen
Substanz sich einige verirrte Fibrillen dieser Art zwischen die
weissen Nervenfasern mischen?). Man könnte nun freilich meinen,
dass die Querschnitte der feinsten marklosen Axencylinder von
denen der Stützfasern nieht zu unterscheiden wären, und dass man
daher die Frage nach dem Vorkommen markloser Nervenfasern
in der weissen Substanz nieht entscheiden könne. In der That
sehen die kleinen Pünktchen, welehe die Nervenfibrillen und Glia-
fasern im Querschnitt repräsentiren, bei schwacher und mittlerer
1) In der Zeichnung sind durchaus noch nicht die feinsten Endreiser
der Gliafasern gezeichnet, einmal weil sie bei der Vergrösserung, bei welcher
die Abbildung gefertigt wurde, nicht sichtbar ‘waren und dann auch weil die
Zeichnung zu wirr und undeutlich durch die zahlreichen feinen Fibrillen ge-
worden wäre. Man ist zuerst äusserst erstaunt, wenn man in einem sehr
gut gefärbten Längsschnitt der weissen Substanz ein so reichlich entwickeltes,
dicht gefügtes Gewebe vor sich hat, von dem man bisher in den vielleicht
vielen tausend Präparaten des Rückenmarks, welche man angesehen hat, mur
rundliche Gebilde, d. h. die Kerne oder unvollkommen gefärbte Zellkörper
erblickte.
2) Weigert’s neue Färbemethoden, welche allein einen Theil der
Markscheide färben, lassen das Gesagte ebenfalls deutlich erkennen.
Die Stützsubstanz des Centralnervensystems. 529
Vergrösserung ziemlich gleichartig aus; mit Anwendung stärkerer
Systeme aber und besonders der Oelimmersion wird der einiger-
massen geübte Forscher niemals im Zweifel sein, mit welcher von
beiden er es zu thun hat. Die viel intensivere Färbung (bei An-
wendung von Carmin) ist ebenso characteristisch für den Axen-
eylinder, wie der eigenthümliche nicht zu verkennende hornige
Glanz für die Stützfaser; auch ist das Lichtbrechungsvermögen
beider ein durchaus verschiedenes. Im Allgemeinen findet man
die Nervenfasern ihrem Durchmesser entsprechend topographisch
zusammengestellt, so dass die stärkeren sich zu den sogenannten
Vordersträngen, die feineren zu den Hintersträngen zusammenord-
nen. In den Seitensträngen sind in den inneren, der grauen Sub-
stanz benachbarten Parthien dünnere, in den äusseren dickere
Fasern vereinigt. Doch würde man sehr irren, wenn man an-
nähme, dass in einer Gegend nur solche Fasern von ähnlichem
Durchmesser zu finden seien. Im Gegentheil, man sieht überall in
Hinsicht auf das Caliber sehr verschiedenartige durcheinander
gemischt und nur die Majorität einer Sorte ist für eine bestimmte
Parthie der weissen Rückenmarkssubstanz characteristisch. Und
grade die oben erwähnten ganz feinen markhaltigen Fibrillen von
kaum messbarem Durchmesser sind ausnahmslos in der ganzen
weissen Substanz zu finden. Sie liegen meistens in geringer Zahl
zu Gruppen vereinigt zwischen den stärkeren Nervenfasern. Da
diese kleinen Anhäufungen nach verschiedenen Richtungen hin mit
den gleichartig zusammengesetzten Gruppen in Verbindung treten,
entstehen netzartig durch die weisse Substanz sich hinziehende
Balken und Bälkchen, welche bei genauer Betrachtung ganz aus
diesen so markarmen feinen Fibrillen zusammengesetzt sind. Im
carmingefärbten Querschnitt unterscheiden sie sich desshalb so
auffallend von den umliegenden stärkeren Nervenfasern, weil bei
diesen letzteren das ganz ungefärbt bleibende Mark an Masse bei
weitem die intensiv roth gefärbten Axeneylinder übertrifft, während
bei den ersteren umgekehrt das Mark kaum in Frage komnit, die
Axencylinderquerschnitte vielmehr die Hauptmasse derselben aus-
macht. Der Erfolg ist natürlich, dass die Anhäufungen dieser Fi-
brillen rothgefärbte Balken zwischen den hell und klar aussehen-
den stärkeren Fasern bilden und sich dadurch fremdartig gegen
diese abheben. Ich betone desshalb diese Thatsache so ausdrück-
lich, weil ohne Frage diese starkgefärbten Zwischenbälkchen sehr
530 Hans Gierke:
häufig für einen Theil der Stützsubstanz gehalten worden sind.
Und in der That kommt man bei oberflächlicherer Betrachtung
der Präparate leicht zu dieser Annahme, die dann aber der ge-
naueren Durchforschung weichen muss. Es dienen nun diese feinen
Fasern in ihren kleinen Anhäufungen, zuweilen auch mehr oder min-
der vereinzelt dazu, um gemeinsam mit der Neuroglia die Lücken
zwischen den stärkeren Fasern auszufüllen. Sie haben also für
das Verständniss der topographischen Anordnung der Elemente in
der weissen Substanz des Rückenmarks eine sehr wesentliche Be-
deutung und dürfen durchaus nicht übersehen werden. Ihr häufi-
ses Vorkommen erklärt auch, dass die Gerüstsubstanz, welche die
Nervenfasern trennt, im Rückenmarks-Querschnitt vielfach mäch-
tiger entwickelt erscheint, als es in der That der Fall ist. Man
hat eben diese Nervenfibrillen von der Zwischensubstanz zu sub-
trahiren, um die Neuroglia zu erhalten.
Die Zellen der Neuroglia der weissen Rückenmarkssubstanz
sind oben so ausführlich besprochen worden, dass nichts mehr
hinzuzufügen ist. Diese Zellen nun mit ihren ungemein langen
und verästelten Ausläufern bilden die Scheiden der Nervenfasern.
Der meistens schön und kräftig entwickelte Zellleib selber nimmt
innigen Antheil an dem Aufbau derselben. Zu diesem Zweck
schmiegen sie sich mit ihrem Körper dem Mark der Nervenfaser
fest an; es entsteht eine eoncave Fläche, eine Einbuchtung des
Zellleibes, welche genau der Wölbung der ersteren entspricht und
einen mehr oder minder grossen Theil des Umfanges derselben
umgreift. Ich habe niemals gesehen, dass mehr als die Hälfte
desselben von dem Leib einer einzigen Gliazelle umfasst wurde.
Bei feineren Nervenfasern kommt es wohl, wenn auch selten, vor,
dass sie von zwei Zellleibern vollkommen eingeschlossen werden,
so dass ein dicker, scheinbar continuirlicher Ring den Querschnitt
derselben umschliesst!). Das ist aber mehr Ausnahme, denn im
Allgemeinen findet man ein Sechstel bis ein Drittel des Umfanges
— oft genug aber noch weniger — von dem Körper einer einzel-
nen Gliazelle umgeben. Doch laufen dann die starken Fortsätze
1) Eine noch viel seltenere, aber doch beobachtete Ausnahme ist es,
wenn eine einzige Gliazelle mit ihrem sehr stark gebogenen schmalen Leib
einen Theil einer schwächeren Nervenfaser umgiebt, während die ihn fort-
setzenden Ausläufer die übrige Oberfläche derselben vollkommen einschliessen.
Die Stützsubstanz des Centralnervensystems. 531
derselben um einen weiteren Theil der Nervenfaser herum bis sie
abbiegen und sich an der Oberfläche anderer zu verästeln und
deren Scheide bilden zu helfen. Sehr häufig schmiegen sich zwei '
oder mehrere Zellkörper in derselben Ebene einer Nervenfaser an,
so dass man selbst im dünnsten Querschnitt die Scheide einer
starken Faser aus drei, ja aus fünf Gliazellen zusammengesetzt
finden kann. Andererseits aber leuchtet es ein, dass eine Zelle
der Gerüstsubstanz, zumal, wenn sie einen kräftig entwickelten
Körper besitzt, nicht nur einer Nervenfaser anliegen, sondern meh-
rere berühren muss. Sie drängt sich ja in den kleinen Raum,
welchen die gewölbten Flächen der möglichst dicht neben einan-
der angeordneten Nervenfasern nothwendiger Weise zwischen sich
lassen müssen und füllt ihn ganz oder wenigstens zum grossen
Theil aus. Allen Fasern also, welche diesen Raum begrenzen,
wird sich die ihn ausfüllende Gliazelle mit Theilen ihrer Ober-
fläche anlegen. So habe ich Zellen gefunden, welche in einem
Querschnitt an der Bildung der Scheiden von fünf, ja von sieben
starken Nervenfasern mit ihren Körpern Theil nahmen. Die Figur
12 ist ein hübsches, durch die regelmässige Form der Zelle und
ihrer strahlenförmig abgehenden Fortsätze ausgezeichnetes Bei-
spiel dieser Anordnung. Haben wir aber in demselben ein compli-
eirtes Verhältniss kennen gelernt, so zeigt uns Figur 11 eine weit
einfachere, übrigens auch viel gewöhnlichere Lagerung der Theile.
Die Gliazelle ce, zeigt die Gestalt, in welcher sich durchaus die
meisten zwischen den stärkeren Nervenfasern gelegenen Stützzellen
im Querschnitt darstellen!). Sie sind dreieckig; ihre drei Seiten
legen sich an ebenso viele Nervenfasern an, während von den
Ecken lange Fortsätze ausgehen, welche theils dieselben, theils
benachbarte Fasern umschlingen. Je inniger sich die Seiten den
gewölbten Flächen der Nervenfasern anschliessen, um so stärker
concav sind sie. Sehr häufig finden wir auch Gliazellen, welche
im Querschnitt vierseitig sind und welche sich also an vier grössere
Nervenfasern anschliessen. In der Figur 14 sind mehrere Bei-
spiele dieser Form und die Zellee in Figur 11 zeigt deutlich, wie
leicht diese Gestalt aus der vorigen hervorgehen kann. Es spaltet
1) Wie ich bei der Besprechung der einzelnen Gliazellen der weissen
Substanz betonte, kann man auch an der Mehrzahl der isolirten Gebilde
dieser Art die gleiche Gestalt constatiren.
532 Hans Gierke:
sich einfach der eine Spitzenfortsatz gleich an der Basis und
zwischen den divergirenden Schenkeln wird eine Nervenfaser ein-
geschoben, die also noch mit dem Zellleib in Berührung tritt. Sind
die vier begrenzenden Fasern gleich stark, so hat die Zelle einen
regelmässigen quadratischen Querschnitt; nur sind die Ecken mehr
oder minder ausgezogen, indem sie sich in die Fortsätze ver-
längern. Es leuchtet nun aber wohl ein, dass häufig genug ein
Theil der Oberfläche des Zellleibes durch die ganz feinen Ner-
venfibrillen, welehe an ihr keine Einbuchtungen hervorzubringen
vermögen, oder aber auch durch die fasrigen Elemente des Ge-
rüstes, durch horizontal im Querschnitt oder senkrecht verlaufende
Gliafasern von dem Mark der stärkeren Nervenfasern abgedrängt
werden. Ja, dies kann mit der ganzen Oberfläche geschehen, so
dass der Leib der Gliazellen nirgends mit Nervenfasern in Berüh-
rung tritt. Man sieht, wie mannigfaltig die Möglichkeiten der
Anordnung und demgemäss auch der Form der Gliazellen sind.
Wie viel verschiedene Abweichungen aber von den geschilderten
Haupttypen; wie viele Unterarten derselben vorkommen können,
wird man bei einem etwas eingehenderen Studium der Abbil-
dungen, zumal der Figuren 13 und 14 leicht erkennen. Stets
jedoch muss man im Auge behalten, und ich betonte dies in der
obigen Schilderung auch fortwährend, dass die Abbildungen und
die soeben aufgeführten Formen nur die Querschnitte der Stütz-
zellen darstellen. Ihre Gestalt würde in Wirklichkeit nur dann
der bildlicehen und schriftlichen Darstellung ganz entsprechen, wenn
sie stark in der Längsrichtung abgeplattet wären, so dass ihre
wirkliehen oberen und unteren Flächen dem senkrecht zur Längs-
axe angelegten Querschnitt parallel liegen und mit demselben hin-
sichtlich der Form übereinstimmen. Dies ist aber, wie sofort ein
Blick auf einen guten Längsschnitt lehrt (siehe Fig. 15), nicht der
Fall. Die Stützzellen haben sehr oft einen nicht unbeträchtlichen
Längsdurchmesser, der häufig genug den queren übertrifft; frei-
lich kommen auch häufig genug, ebenso wie sehr lange, sehr kurze
und dann abgeplattete Zellen vor. Wäre die Form der länglichen
Stützzellen nun eylindrisch, so würden sie in den verschiedenen
Querschnitten dieselbe Gestalt darbieten und im gleiehen Verhält-
niss zu den benachbarten Gebilden, also vor allen Dingen zu den
Nervenfasern stehen. Sie sind es aber durchaus nicht, sondern
wechseln in Bezug auf die Grösse des Querdurchmessers nicht un-
Die Stützsubstanz des Centralnervensystems. 533
bedeutend. Ein Blick auf Fig. 15 lehrt dies besser als jede Be-
schreibung. Ist nun aber die Gliazelle in dem einen Querschnitt
viel weniger umfangreich als in dem unmittelbar darüber oder
darunter liegenden, so muss ein Defeet entstehen, welcher durch
irgend eine andere Substanz, ganz besonders aber durch die Glia-
fortsätze, dann auch wohl durch sehr feine Nervenfibrillen, welche
im Längsverlauf ihre Richtung und damit ihre Lage etwas ändern
können, ausgefüllt wird. Von solehen Ungleichheiten absehend,
wird man annehmen müssen, dass die Gliazellen in ihrer Längs-
ausdehnung und zwar je nach ihrer Gestalt, in grösserer oder ge-
ringerer Länge den Nervenfasern anliegen, oder besser sich ihnen
umschmiegen, wie wir es im Querschnitt sahen. Die Körper der
Zellen müssen demgemäss den Nervenfasern entsprechende breite
Rinnen besitzen, von deren stark vorstehenden Begrenzungskanten
in der ganzen Längsausdehnung Fortsätze abgehen. So auch wer-
den wir uns die in Fig. 12 abgebildete, im Querschnitt sich dar-
stellende Gliazelle in Wirklichkeit nicht mehr als einen Stern,
sondern als einen Cylinder mit sechs der Länge nach herabver-
laufenden breiten Rillen vorstellen; von den begrenzenden, etwas
hervorstehenden Kanten derselben werden in geringen Längsab-
ständen von einander Fortsätze in die Lücken zwischen die anlie-
genden Nervenfasern abgegangen sein.
Neben den Körpern der Gliazellen nehmen noch ihre Fort-
sätze einen höchst wichtigen Antheil an der Bildung der Nerven-
faserscheiden. Obgleich das quantitative Verhältniss beider nach
den Gegenden schwankt, kann doch ohne Weiteres behauptet wer-
den, dass die Fortsätze den bei Weitem grösseren Theil der Ober-
fläche der Nervenfasern einscheidet. Man schätzt wohl noch eher
zu niedrig ab als zu hoch, wenn man den Antheil der faserigen
Elemente an der Scheidenbildung auf vier Fünftel, den der Zell-
körper auf ein Fünftel angiebt. Ich wiederhole hier übrigens, was
ich schon früher mit Nachdruck betont habe, dass nämlich alle
faserigen Elemente der Stützsubstanz Fortsätze von Gliazellen sind.
Andere Fäden, als elastische oder Bindegewebsfibrillen sind durch-
aus zwischen den Nervenfasern nicht zu finden. Was nun die
Form, das Aussehen, die Verästelung und die Längenverhältnisse
der Fortsätze betrifft, so habe ich dem früher über die isolirten
Zellen Gesagten nichts hinzuzufügen und muss auf dasselbe ver-
weisen. Es erübrigt nur auf die Anordnung der Fortsätze und ihr
534 Hans Gierke:
Verhältniss zu den Nervenfasern einzugehen. Zunächst fallen uns
in Längsschnitten vielfach jene sehr starken, besonders fest und
elastisch erscheinenden Ausläufer auf, welche früher gleichfalls
genau besprochen wurden. Wir erkennen hier folgendes Verhalten
derselben. Wenn einige Gliazellen senkrecht ziemlich genau über-
einander, aber in kleinen Zwischenräumen angeordnet sind, so ver-
binden sie sich durch solche kräftigen Ausläufer mit einander.
Von den einander zugekehrten, vielfach etwas verjüngten Enden
laufen dieselben ganz direct zur nächst höher oder tiefer gelegenen
Zelle, um sich in sie einzusenken. Theilungen findet man bei
ihnen nicht. Die so kräftige Faser, welche direet von Zellleib zu
Zellleib läuft, legt sich im isolirten Zustand und abgerissen von
einer der Zellen, in starke Windungen, nicht selten spiraliger Natur.
In den Schnitten verlaufen diese Fortsätze entweder ganz gerade
oder nur mit sehr leichten Windungen. (Fig. 15 zeigt uns alle
diese Verhältnisse ganz deutlich.) Es ist anzunehmen, dass im leben-
den Mark diese Verbindungsausläufer gar keine Umwege und
Windungen irgend welcher Art machen, sondern im Gegentheil
etwas ausgedehnt und angespannt sind. Nach dem Tode sich ent-
spannend nehmen sie schon in situ einige ganz unbedeutende
Wellenlinien an, während sie aus der Umgebung und der Verbin-
dung mit den Nachbarzellen herausgerissen sich in starken spira-
ligen oder wellenförmigen Windungen anordnen. Es ist noch aus-
drücklich zu betonen, dass diese eigenthümlichen Fortsätze nur
solehen in senkrechten Reihen übereinander geordneten Gliazellen
zukommen, welche einzeln liegen und durch Zwischenräume von
einander getrennt sind, häufen sie sich nach irgend einer Rich-
tung hin zu Gruppen an, so fehlt diese direete Verbindung der
Zellen. Wir werden schwerlich irre gehen, wenn wir in diesen
starken, etwas gespannten Verbindungsfasern ein Mittel erblicken,
um die Festigkeit der Gerüstsubstanz zu erhöhen.
Im Uebrigen sind die von den Gliazellen der weissen Sub-
stanz ausgehenden Fortsätze sehr zahlreich und wenn auch viel-
leicht von dem Zellleib nur einige starke Ausläufer abgehen, so
zerfallen dieselben doch durch vielfache Verästelung bis ins Ausser-
ordentliche. Ein gelungener Längsschnitt, wie ihn die Fig. 15
darstellt, zeigt dies besser als jede Beschreibung. Manche Fort-
sätze jedoch laufen über weite Strecken hin ganz ungetheilt zwi-
schen den Nervenfasern dahin, um sich erst in grosser Entfernung
Die Stützsubstanz des Centralnervensystems. 535
vom Ursprung in die Endäste aufzulösen. Dabei nehmen sie an
der Scheidenbildung einer jeden Nervenfaser, an der sie vorüber-
ziehen und die sie berühren, Theil. Ich sah in dieser Weise
starke Gliafortsätze, welche an fünf bis zehn der dicksten Nerven-
fasern vorüber zogen, ohne unterwegs, wie es schien, Aeste abzu-
geben. Andere Fortsätze, und deren Zahl, ist wie die Isolirungs-
präparate beweisen, eine sehr grosse, kommen überhaupt nicht
zu einer Verästelung, indem sie sich entweder ganz ungetheilt
„oder nach einmaliger, vielleicht zweimaliger Gabelung mit einer
entgegen kommenden gleichartigen Faser verbinden und mit ihr
verschmelzen. Auch hier kann der Weg, welchen sie bis zu dieser
Begegnung zurücklegen müssen, ein ganz bedeutender sein. Unter-
wegs nehmen sie dabei Theil an der Bildung der Scheiden jener
Nervenfasern, an denen sie vorüberziehen, indem sie ein Stück
derselben bedecken. Zuletzt aber bilden sie bei der Verschmelzung
mit andern Fasern gewöhnlich geschlossene Ringe um die Nerven-
fasern und zwar Ringe, welche sie ganz genau im rechten Winkel
ihrer Längsaxe umschliessen. Der einfachste und nicht selten vor-
kommende Fall ist der, dass sich zwei durch gablige Theilung
eines Fortsatzes entstandene Fasern um eine Nervenfaser herum-
legen und mit einem auf ähnliche Weise in zwei Aeste sich thei-
lenden Fortsatz verbinden. Sehr häufig aber ist die Anordnung
eine complieirtere, indem mehrere von verschiedenen Zellen ab-
stammende Ausläufer mit einander verschmelzen. In der Fig. 11
ist ein solcher Ring als Theil der Scheide der schwächeren der
abgebildeten grossen Nervenfasern (a) dargestellt. Von der Glia-
zelle ce gehen zwei Ausläufer um die Nervenfaser a herum, etwa
die Hälfte ihres Umfangs umschliessend; bei e e treffen beide auf
je zwei andere Gliafasern, welche von ferner gelegenen, nicht ab-
gebildeten Zellen abstammen und verschmelzen mit ihnen. Sie
sehen dabei vollkommen glatt in einander über, bilden keine An-
schwellungen und gewähren keinerlei Andeutung der Begegnung,
so dass man durchaus nicht die Grenze der einzelnen Fasern er-
kennen könnte, wenn hier nicht die Complication vorläge, dass
sechs Fasern sich mit einander verbinden, von denen zwei von der
Seite kommen, so dass sie einen Winkel mit den andern bilden.
Bei d laufen die beiden aus verschiedener Richtung stammenden
Fortsätze übereinander fort, ohne zu verschmelzen. Der Umstand,
dass bei d zwei Fasern übereinander liegen, bewirkt naturgemäss
536 Hans Gierke:
den Anschein der Verdiekung im mikroskopischen Bilde. Durch
solche einfachen Kreuzungen der Gliafasern werden nun ebenso
wie durch die Verschmelzungen derselben Ringe um die Nerven-
fasern herum gebildet. Und zwar scheint es mir sicher zu sein,
dass sie nur übereinander liegen und nicht etwa durch irgend einen
Kitt mit einander verlöthet sind, da sie sich ja bei dem Zerzupfen
des Markes so leicht von einander lösen und man in den Isola-
tionspräparaten kaum je sich kreuzende Fortsätze findet, welche
das Ansehen fester Verlöthung darböten. In derselben Fig. 11s
wird die stärkere Nervenfaser a von einem Ringe umschlossen,
welcher zum kleinern Theil aus den Körpern zweier Gliazellen,
zum grösseren aus vier in der Ebene des Querschnittes verlaufen-
den Fortsätzen derselben gebildet ist. Letztere kreuzen sich bei der
Begegnung, ziehen ohne intimere Verbindung über einander hin-
weg und biegen sich von der Oberfläche der Nervenfaser ab, um
andere Wege einzuschlagen. Zu bemerken ist, dass die Körper
der Gliazellen ce. c,, da sie doch höchst wahrscheinlich eine ge-
wisse Längsausdehnung besessen haben, Antheil an der Bildung
mehrerer über einander gelegener Ringe derselben Nervenfaser
gehabt haben werden. Von den gleichen Kanten derselben con-
caven, die Nervenfaser innig umgreifenden Fläche sind — wie man
fast mit Sicherheit aus dem gewöhnlichen Verhalten der Gliazellen
schliessen kann — ähnliche Fortsätze hervorgegangen, die in glei-
cher Weise wie hier den Ring vervollständigt haben, oder die auch
vielleicht in einander ohne Grenze übergingen. Solehe Ringe nun,
die hier aus starken, dort aus feinen Fasern gebildet sind, um-
schliessen die Nervenfasern in dicht übereinander liegenden Ebenen,
da man wenigstens die stärkeren derselben öfter mit ihnen sieht
als ohne sie. Ganz ohne eine Berührung mit einem horizontal
verlaufenden Gliafortsatz findet man wohl niemals den Querschnitt
der Nervenfasern. Ist kein geschlossener Ring vorhanden, so wird
doch wenigstens ein grösserer oder kleinerer Theil der Oberfläche
des Nervenfaserquerschnittes von einem oder mehreren Gliafasern
bedeckt; vielfach wird ja auch eine Parthie desselben von dem
Leib einer Gliazelle umfasst. Was dann aber von demselben noch
übrig bleibt, ist durchaus nicht nackt, nicht ohne jede Scheide
und steht nicht in unmittelbarster Berührung mit dem Querschnitt
der benachbarten Nervenfaser, sondern es werden solche der stär-
keren Scheide entbehrenden Theile der Oberfläche von kleinen,
Die Stützsubstanz des Centralnervensystems. 537
feinen, stark lichtbrechenden Pünktchen umgeben. Dies sind die
Querschnitte der längsverlaufenden aus der Verästelung der Zell-
fortsätze hervorgegangenen Stützfäserchen. Sie ziehen in grosser
Zahl parallel mit den Nervenfasern und helfen unter steter Weiter-
verästelung mit die Scheide derselben bilden. Dabei liegen sie
also theilweise dem Mark jener unmittelbar an, zum Theil werden
sie durch die geschlossenen Ringe oder durch Fragmente derselben
von demselben abgedrängt und laufen nun aussen von den hori-
zontalen Fasern. Ich fand niemals die Elemente so geordnet, dass
bei Anwesenheit vön horizontalen Fasern die längsverlaufenden
zwischen diesen und den Nervenfasern lagen, sondern das Ver-
hältniss war stets das umgekehrte. Für die Bildung der Nerven-
faserscheiden werden aber nur feinere längsverlaufende Stützfasern
verwandt; die stärkeren, welche überhaupt viel weniger häufig
sind als die dickeren horizontalen, laufen in den zahlreichen kleinen
Lücken zwischen den Nervenfasern, gewöhnlich zusammen mit
feinsten nervösen Fibrillen. Sie halten selten die senkrechte Rich-
tung ein — ich sehe hier natürlich von den oben ausführlich be-
sprochenen Verbindungsfasern, welche eine andere Bedeutung haben,
ab — sondern laufen schräg und wenden sich früher oder später
gern zum horizontalen Lauf. Jedenfalls geben sie nach allen Rich-
tungen hin feine, quer verlaufende und an der Bildung der Nerven-
faserscheiden Theil nehmende Aestchen ab.
Blicken wir auf die gemachten Beobachtungen zurück, so
ı können wir kurz zusammenfassend sagen: Die Nervenfasern sind
von sehr eigenthümlichen, netzförmig aus den Elementen der
Stützsubstanz gewebten Scheiden eingehüllt. Die Maschen der-
selben sind ungemein eng. Die Knoten des Flechtwerks werden
von den Gliazellen, die Fäden von deren Fortsätzen gebildet,
Erstere sind in unregelmässigen Abständen von einander als An-
schwellungen dem Geflecht eingefügt. Die Hauptfäden desselben
sind dann horizontale oder schräge Ringe, welche in unbestimmten,
ganz unregelmässigen, aber kleinen Entfernungen über einander
angeordnet sind. In den Zwischenräumen zwischen ihnen sind
zum Theil horizontale Fasern, welche nur einen kleineren oder
grösseren Bruchtheil der Peripherie einnehmen, zu finden, zum
Theil senkrechte, vielleicht auch etwas schräge, welche entweder
nur von einem horizontalen Faden zum nächsten gehen, dieselben
untereinander verbindend, oder aber über eine Anzahl derselben
Archiv f. mikrosk. Anatomie. Bd. 25. 37
538 Hans Gierke:
hinweglaufen. Die faserigen Elemente des Geflechts liegen zum
Theil einfach aneinander, zum Theil gehen sie in einander über,
dadurch die Festigkeit des Ganzen erhöhend. Die horizontalen
Fasern sind im Allgemeinen stärker als die senkrechten, unter-
scheiden sich aber untereinander ausserordentlich durch ihr Ca-
liber. Wie gross aber auch die Differenz sein mag, eins steht
überall in gleicher Weise fest: Die horizontalen Ringe oder Ring-
fragmente bestehen in der Dicke nur aus einer einzigen Faser.
In ein und derselben Ebene verschmelzen niemals zwei oder mehrere
Fäden mit einander. Um nicht missverstanden zu werden, will
ich doch noch ausdrücklich hervorheben, dass wohl möglicher
Weise mehrere Gliafortsätze in einer Ebene zwischen zwei Ner-
venfasern liegen können, aber nur je eine von diesen gehört zu
den beiden Scheiden jener, die dritte oder die andern laufen, ohne
sieh mit den Scheiden näher zu verbinden, in andere Gegenden,
um dort erst an der Bildung von Nervenfasern Theil zu nehmen.
Dagegen können wohl hier und da, wenn der Unterschied in
dem Caliber der horizontalen und senkrechten Fasern gar zu gross
ist, letztere in mehrfacher Anordnung neben einander liegen; doch
bilden diese feinsten Fäserchen nicht ordentliche Schichten, son-
dern liegen ziemlich regellos neben einander. Natürlich sind nun
diese Nervenfaserscheiden durch viele tausende Verbindungen mit
den benachbarten verknüpft; unmöglich wäre es, eine derselben
aus der Nachbarschaft loszulösen, sie zu isoliren. Ja ebenso wie
wir oben ein und dieselbe Gliazelle mit ihrem Leib Antheil nehmen
sahen an der Bildung mehrerer Scheiden, so ist auch der gleiche
Fortsatz sehr gewöhnlich in den Scheiden zweier benachbarter
Nervenfasern verwebt und werden dieselben also stellenweise nur
von einer einzigen Gliafaser getrennt. Ja es muss dies ja überall
da Statt haben, wo eine Gliafaser, welche genau in die Lücke
zwischen einigen Nervenfasern eingezwängt ist, ihre Ausläufer
zwischen diesen hindurch schickt. Fig. 12 macht dies ohne Wei-
teres klar.
Ich habe im Vorhergehenden allein von der Stützsubstanz
gesprochen, so weit sie die Scheide der Nervenfasern bildet, und
habe sie so behandelt, als ob alle faserigen Elemente der Glia
von den zwischen den Nervenfasern liegenden Zellen abgingen.
Es geschah dies, um die Verhältnisse zunächst möglichst einfach
und verständlich darstellen zu können. Sie sind nun aber nur in
Die Stützsubstanz des Centralnervensystems. 539
einigen Parthieen derartig ; in allen Gegenden aber, welche der
Gliahülle, der grauen Substanz und den von diesen beiden Ge-
weben aus durch die weisse Substanz ziehenden Gliabalken und
Bälkchen anliegen, ist das System der zwischen den Nervenfasern
befindlichen Stützfasern kräftiger entwickelt, indem fortwährend
von den Gliaanhäufungen Zellfortsätze zwischen die Nervenfasern
treten. Sie legen zwischen ihnen einen kürzeren oder weiteren
Weg zurück, um in der gleichen Weise, wie es oben beschrieben
wurde, an der Bildung irgend welcher Nervenfaserscheiden Theil
zu nehmen. In ihrer letzten Verwendung ist durchaus kein Unter-
schied zwischen ihnen und den von den einzelnen zerstreuten
Zellen ausgehenden Ausläufern zu bemerken. Sie treten ganz be-
sonders aus der Gliahülle, aber auch aus den stärkeren Balken
und der grauen Substanz in kleinen Gruppen hervor, die sich
früher oder später in ihre Einzelfäden auflösen. So werden die
Nervenfasern in diesen Gegenden vielfach stärker auseinander ge-
drängt, als in andern. Zwar ihre eigentlichen Scheiden werden
dadurch nicht stärker, aber zwischen diesen können mehrere und
dabei recht dicke Stützfasern liegen, so dass das mikroskopische
Bild ein ganz anderes wird. Ich machte schon früher darauf auf-
merksam, dass die Masse der von der Gliahülle ins Innere ziehen-
den Stützfasern durchaus nicht gleichmässig bei den verschiedenen
Thieren entwickelt, und dass sie besonders bei einigen Reptilien
und Fischen ausserordentlich gross sei. Mehr vereinzelt und nicht
in so grosser Menge entwickeln sich die Stützfasern aus den in-
neren Balken der weissen und aus der grauen Substanz. Wirft
man bei schwacher Vergrösserung einen Blick auf den Rücken-
marksquerschnitt, so glaubt man allerdings, dass sich aus dem
Neurogliageflecht der grauen Substanz zahlreiche Fortsätze ent-
wickeln, welche in nahe Beziehungen zu dem Stützgerüst der
weissen Substanz treten. Auch Abbildungen und Beschreibungen
der Bücher sprechen sich derartig aus. Doch ist dies durchaus
unrichtig. Die Untersuchung bei starker Vergrösserung lässt er-
kennen, dass nur einzelne isolirte Gliafasern aus der grauen Sub-
stanz in die weisse treten, dass aber die starken balkenartigen
Gebilde, welche bei der schwachen Vergrösserung allein sichtbar
sind, entweder die radiären gefässtragenden Gliabalken der weissen
Substanz sind, welche vielfach bis zur Grenze der grauen Substanz
reichen, sich mit ihrem Glianetz durch Fortsätze verbinden; oder
540 Hans Gierke:
aber Züge feiner Nervenfasern, markhaltiger und markloser; welche
nach kürzerem oder längerem Verlauf zwischen den längsziehenden
Nervenfasern endlich umbiegen, um ebenfalls die Längsrichtung
einzuschlagen }).
Ueberall an der Innenfläche der Gliahülle und an den Glia-
balken der weissen Substanz laufen Nervenfasern, und sehr häufig
bilden jene einen Theil ihrer Scheide. Dabei drängen sich natür-
lieh die Nervenfasern mehr oder minder in die Gliaanhäufungen
hinein, sind von ihnen in einem Theil der Oberfläche, vielleicht in
einem Viertel oder zur Hälfte umgeben. Ja eine gar nicht so ge-
ringe Zahl von ihnen verlaufen ganz in den stärkeren Balken und
in der Gliahülle, sind ganz von den Elementen derselben umgeben,
welche in der gewöhnlichen Weise eine Scheide für sie bilden.
Es ist aber ausdrücklich hervorzuheben, dass nur die Gliazellen
und ihre Fortsätze, nie die hier in Masse vorhandene Grundsub-
stanz den Nervenfasern direet anliegen. Das allgemeine Gesetz,
dass markhaltige Nervenfasern niemals unmittelbar in der Grund-
substanz eingelagert, vielmehr stets in ihr durch die geformten
Elemente der Stützsubstanz getrennt sind, scheint ohne jede Aus-
nahme zu sein.
Mehrfach schon wurde der Gliabalken in der weissen Sub-
stanz gedacht, es muss hier genauer über sie gesprochen werden.
Sie kommen wohl durch das ganze Centralnervensystem hindurch
in der weissen Substanz vor, sind aber hinsichtlich der Form, der
quantitativen Entwicklung und der Anordnung wenig gleichartig.
Am besten sind sie im Rückenmark entwickelt und will ich diese
als Beispiel hier ausführlicher beschreiben, dabei freilich Einiges
der spätern Darstellung der Stützsubstanz des Rückenmarks über-
lassend. Es bestehen diese Balken grade so wie die Gliahülle,
der sie in der Zusammensetzung vollkommen entsprechen; aus
Gliazellen und Grundsubstanz. Doch füllen, wie wir eben sehen,
zuweilen Nervenfasern anstatt der letzteren die Lücken des Flecht-
werks aus. Die Grösse der Gliazellen ist im Allgemeinen ziemlich
gleichmässig, sie gehören meistens der grösseren oder wenigstens
der mittleren Sorte an. Doch kommen auch kleine und ganz
kleine vor, besonders können an bestimmten Stellen und zu be-
1) Ich spreche hier nur von Säugethieren. Bei Reptilien und Fischen
sind die Verhältnisse ganz andere.
Die Stützsubstanz des Centralnervensystems. 541
stimmten Zwecken sehr kleine Elemente verwandt werden. Sehr
abweichend ist der Durchmesser der Balken selber. Wir finden
neben ganz feinen, welche sich kaum von dem umgebenden Stütz-
werk abheben, sehr starke, welche ganz beträchtliche Blutgefässe
in sich einschliessen. Betrachten wir solche Balken genauer! Wir
sehen z. B. in einem Querschnitt, wie sich nach einer bestimmten
Richtung, gewöhnlich nach der radiären hin, Stützzelle an Stütz-
zelle legt, um eine fortlaufende Reihe zu bilden. Sie unterscheiden
sich noch sehr wenig von den einzelnen zerstreut in der Nach-
barschaft liegenden. Einmal aber liegt ihr Längsdurchmesser fast
immer in der Richtung der Reihe und nicht wie sonst parallel
mit der Längsaxe des Markes, dann auch bilden sie nur nach
den Seiten hin in gewöhnlicher Weise Scheiden für die Nerven-
fasern und schmiegen sich diesen an. In der Richtung der Längs-
reihe verbinden sich ihre Ausläufer zu einem engeren Netzwerk,
welches im gewöhnlichen Fall Grundsubstanz und nur mehr aus-
nahmsweise, wenn die Zwischenräume zwischen den Zellkörpern
noch grösser sind, Nervenfasern in den Lücken enthält. Legen
sich nun aber seitlich an diese erste Reihe andere gleiche Zellen
zu einer zweiten Reihe an, so bilden die einander zugekehrten
Zellflächen und die von ihnen ausgehenden Fortsätze sowohl in
querer wie in radiärer Richtung ein zusammenhängendes Netzwerk,
welches ganz hauptsächlich Grundsubstanz in den Maschen ent-
hält. So bleibt es denn auch, wenn sich die Zellen noch mehr in
der horizontalen Richtung häufen. Doch verlieren sie dann die
regelmässige Anordnung in Reihen, liegen vielmehr in unregel-
mässigen kleinen Abständen neben einander. Nach den Seiten
hin laufen dann immer in alter Weise Fortsätze, welche durch
Bildung von Nervenfaserscheiden die Verbindung mit der übrigen
Gerüstsubstanz herstellen. Die stärkste Breite eines solchen Bal-
ken in der Querschnittsebene entspricht wohl dem Breitendurch-
messer von vier bis fünf Gliazellen, selten mehr. Wie nun aber
in radiärer und in querer Richtung, so können sich solche Stütz-
zellen auch in der Längsrichtung aneinander reihen. Einmal kann
in gleicher Weise, wie ich es für die radiäre Richtung des hori-
zontalen Rückenmarkquerschnitts beschrieb, sich eine Zellreihe
oder deren zwei in der Länge über einander ordnen. Ja, wenn
wir an jene oben erwähnten senkrecht über einander liegenden
und durch starke, elastische und unverästelte Fortsätze direct ver-
542 Hans Gierke:
bundenen Gliazellen denken, so müssen wir in ihnen schon An-
deutung soleher Längsbalken sehen. Grundsubstanz freilich ist
zwischen diesen Zellen noch nicht zu finden, sondern lagert sich
erst zwischen sie und ihre Fortsätze, wenn jene nahe aneinander
rücken und ihre von den Längspolen ausgehenden Ausläufer sich
verästeln und durch Verbindungen ein Geflecht mit einander bilden,
in dessen Lücken für die Grundsubstanz Platz ist. Auch hier
treten die vielfach nach den Seiten ablaufenden Fasern in die
bekannten intimen Beziehungen zu den Nervenfasern. Solche
schmalen senkrechten Zellreinen sind besonders in dem verlängerten
Mark und den darüber gelegenen Hirntheilen sehr häufig, fehlen
aber auch dem Rückenmark durchaus nicht. Dann kommen auch
stärkere senkrechte Balken vor und endlich können auch die
radiär verlaufenden Fortsätze sich in senkrechter Richtung ver-
längern, so dass die Balken sich dann in Scheidewände umwan-
deln, welche ganz umfangreiche Gebiete weisser Substanz von
einander scheiden können.
Die stärkeren dieser Gliabalken sind stets die Träger der
Blutgefässe und entsprechen in ihrer quantitativen Entwicklung
gewöhnlich dem Caliber derselben. Freilich kommt es auch oft
genug vor, dass ziemlich starke Gefässe von wenig Gliazellen
umgeben sind, während andererseits feinere in dicken Balken
verlaufen. Im Allgemeinen aber ist ein gewisses proportionales
Verhältniss hinsichtlich der Gefässe und der sie umgebenden Balken
unverkennbar. Auch die Septa scheiden nicht in regelmässiger
Weise bestimmte, etwa funetionell verschiedene Nervenfasermassen
voneinander, sondern sie sind die Träger einer grösseren Zahl
von Gefässen, welche in verschiedenen Querschnittsebenen parallel
mit einander nach derselben Richtung hin und in ziemlich geringen
Abständen senkrecht über einander geordnet, verlaufen. Sind diese
Abstände etwas bedeutender, so findet man über einander eine
Anzahl von Balken, jeden mit seinem Gefäss. Rücken diese aber
näher an einander, so verschwinden die Zwischenräume zwischen
den Balken und dieselben verbinden sich durch ihre Zellausläufer
auf das Innigste mit einander, so dass eine zusammenhängende
Gliamasse, eben jene Scheidewände oder Septa entstehen.
Nieht alle Blutgefässe der weissen Substanz werden so von
Gliabalken getragen; die feinsten, so besonders die Capillaren
laufen einfach zwischen den Nervenfasern oder besser zwischen
Die Stützsubstanz des Centralnervensystems. 543
deren Scheiden. Sie lehnen sich an die Elemente der Neuroglia
an, sind auch wohl von den Fortsätzen der Gliazellen umsponnen,
aber dieselben sind ihretwegen durchaus nicht stärker entwickelt;
es sind keine eignen Stützelemente angelegt, um sie zu befestigen,
vielmehr genügen hierzu die in der gewöhnlichen Weise angeord-
neten Zellen und Zellfortsätze. So wird bewirkt, dass die Capil-
laren den Nervenfasern so nahe wie möglich anliegen und nur
durch deren Scheide von dem Mark getrennt werden.
Die Neuroglia der Balken umgiebt die Gefässe ringsum, hüllt
sie vollkommen ein, aber ihre Elemente treten niemals in directe
Verbindung mit der bindegewebigen Wandung derselben, welche
häufig noch durch eine besondere, aus der Pia herstammende fibril-
läre Adventitia verstärkt wird, sondern wird von ihr stets durch
eine feine Zellhaut getrennt. Diese eine Fortsetzung der die In-
nenfläche der Pia bedeckenden Endothelmembran umgiebt im Leben
sanz eng die bindegewebige Gefäss-Adventitia und an ihr setzen
sich die Fortsätze oder auch wohl die Körper selber der Gliazellen
an. Und zwar sehr gewöhnlich in der Weise, dass in unmittel-
barster Umgebung der Gefässwandung oder besser der Endothel-
membran die Grundsubstanz zwischen den Zellen und ihren Aus-
läufern fortbleibt. So entsteht ein schmaler von Zellkörpern und
Fasern vielfach durchzogener, das Blutgefäss vollkommen umgeben-
der Raum, der als Sammelcanal für die Lymphe dient, welche
aus der Umgebung in feinen, den stärkeren Fortsätzen der Glia-
zellen entsprechenden Substanzstücken herbei fliesst. Diese peri-
vasculären Räume haben nun nach innen gegen das Gefäss hin
eine bestimmte abgeschlossene Wandung, ‘die Endothelmembran;
nach aussen bildet das Balkenmaterial, besonders die Grundsub-
stanz eine unregelmässige und fortwährend von den Einmündungs-
stellen unterbrochene Wand. Der in der Fig. 23 dargestellte Quer-
schnitt eines solchen perivaseulären Lymphraums aus dem Gehirn
unterscheidet sich von den besprochenen nur durch die äussere Wand,
welche bei ihm durch die Hirnsubstanz direet anstatt durch die
reine Gliasubstanz des Balkens gebildet wird. Die Weite dieser
Räume in den Balken der weissen Substanz des Markes ist unge-
mein verschieden und entspricht gewöhnlich dem Caliber der Ge-
fässe. Beträchtlich ist sie nie und übersteigt in der weissen Sub-
stanz des Rückenmarks wohl nicht die Breite, welche dem halben
Durchmesser des Gefässes entspricht. Im Leben füllt nun das Gefäss
544 Hans Gierke:
den von der Endothelmembran gebildeten Hohlraum vollkommen aus,
im Tode aber, wenn es sich entleert, zieht es sich zusammen.
Hierbei kann es sich von der ersteren glatt ablösen, so dass diese
durch die Befestigung an dem Gliabalken zurückgehalten wird,
und ein klaffender Spalt zwischen Gefässwandung und Endothel-
rohr entsteht. In andern Fällen aber muss zwischen beiden eine
innigere Verbindung existiren, sie haften aneinander und beim Zu-
sammenklappen des Gefässes reisst die Endothelmembran von den
Anheftungspunkten der Gliaelemente ab. Auch so entsteht ein
Spalt, er aber befindet sich zwischen der Membran und den zer-
rissenen Elementen des Stützbalkens, welche den Lymphraum
durchziehen. Im ersteren Fall ist also der äussere Rand des
Spaltes haarscharf, im letzteren unregelmässig gezackt. Das quer
durchschnittene Gefäss ebenso wohl wie das der Länge getroffene
kann aus einem feinen Schnitt herausfallen, wenn sich so mit
oder ohne das Endothelhäutehen von der Balkensubstanz zurück-
gezogen hat. Dann entsteht eine Lücke, die ohne Weiteres gar
nicht erkennen lässt, was sie im unversehrten Organ barg. Solche
Lücken in den Balken der weissen Substanz des Rückenmarkes
sind in den Querschnitten desselben sehr häufig anzutreffen. Sie
entsprechen also stets einem herausgefallenen Blutgefäss. Ich muss
übrigens später noch einmal im Zusammenhang auf die Verhält-
nisse der Lymphräume zu den Gefässen eingehen und begnüge
mich daher mit den gemachten Andeutungen. Es ist häufig aus-
gesprochen, dass solche Spalten in der weissen Substanz des
Markes dadurch entstehen, dass das Gewebe selbst beim Absterben
oder Erhärten schrumpfe und sich daher von den Gefässen zurück-
ziehe, dass also sogenannte Retraetionslücken sich bilden. Dies
ist aber unrichtig. Die nervösen Elemente freilich schrumpfen
nicht unbeträchtlich und zwar in sehr verschiedenem Grade. Die
Zellen verkleinern sich mehr als die Fasern und auch die ersteren
zeigen in dieser Hinsicht Unterschiede je nach ihrer Consistenz,
welche zum Theil wenigstens von ihrem Functionszustand abhängt.
Die Stützsubstanz aber schrumpft beim Absterben eben so wenig
als beim Erhärten in Lösungen von chromsauren Salzen. So ent-
stehen wohl viele, unendlich viele Retractionslücken in dem Stütz-
gerüst, dies selber aber behält durchaus seine Grösse und Form.
In Hinsicht auf die geformten Elemente wird man dies leicht ver-
stehen, wenn man an ihren verhornten, elastisch widerstandsfähigen
Die Stützsubstanz des Centralnervensystems. 545
Zustand denkt. Weniger leicht einzusehen ist es aber in Bezug
auf die Grundsubstanz, doch scheint die Elastieität, die ihr jeden-
falls in hohem Grade zu eigen ist, sie vor der Schrumpfung zu
schützen. Sicher wenigstens ist einmal, dass Gebirn und Rücken-
mark ihren Umfang im Ganzen beim Absterben oder Erhärten
nicht verändern. Die genausten Messungen ergaben mir z. B.,
dass nach der Entleerung des Centralcanals und der Blutgefässe
der Umfang des Rückenmarks beim vorsichtigen Erhärten in
Müller’scher Flüssigkeit oder in einer zweiprocentigen Lösung von
doppelt chromsaurem Ammoniak (oder Kali) nicht mehr abnimmt.
Bei der mikroskopischen Untersuchung findet man dann wohl die
Nervenzellen von spaltförmigen Räumen rings umgeben, aber die
Grundsubstanz füllt ihre Maschen vollkommen aus; zwischen ihr
und den Gliafasern resp. Gliazellen ist kein Spalt zu finden.
Fragen wir uns nun, ob die quantitative Entwicklung der
Neuroglia in der weissen Substanz des Rückenmarks überall gleich
sei, so müssen wir mit einem „Nein“ antworten. Vor allen Din-
gen sind in dieser Hinsicht ohne Zweifel grosse Unterschiede
zwischen den verschiedenen Thierarten zu constatiren. Es fehlt
mir bisher an genügendem Material, um hier allgemeine Behaup-
tungen aufstellen zu können, doch scheint mir nach meinen bis
jetzt gemachten Beobachtungen sicher, dass niedere Wirbeltbiere
eine viel grössere Entwicklung der Stützsubstanz zwischen den
Nervenfasern besitzen als die Säugethiere. Ganz besonders stark
fand ich die Glia in der weissen Rückenmarkssubstanz der Riesen-
schildkröte. Ein wenig geringer entwickelt zeigte sie sich bei
den von mir daraufhin untersuchten Fischen, noch weniger wieder
beim Frosch. Unter den Säugethieren scheinen die Raubthiere
sich durch stärker ausgebildete Stützsubstanz von den Pflanzen-
fressern zu unterscheiden. Der Mensch nähert sich in dieser Be-
ziehung mehr den Raubthieren. Doch wie gesagt, bin ich nicht
im Stande, mit Bestimmtheit allgemeine Gesetze aufzustellen, da
ich noch zu wenig Thierarten, und von jeder Art zu wenig Indi-
viduen untersucht habe!). Jedenfalls gewährt das Rückenmark
des Ochsen, des Schafes und selbst des Kaninchens mit zum Theil
1) Die individuellen quantitativen Unterschiede sind jedenfalls auch
ziemlich beträchtlich.
546 Hans Gierke:
deshalb so günstige und klare Präparate, weil die geringere Quan-
tität der Stützsubstanz leicht übersehbare Verhältnisse schafft.
Ferner sahen wir schon oben, dass in der Nähe der Balken
und der Gliahülle eben so auch neben der grauen Substanz mehr
Stützfasern zwischen den Nervenfasern verlaufen als an andern
Stellen. Wichtiger aber ist, dass die Elemente der zwischen den
Nervenfasern sich befindenden Neuroglia hinsichtlich der Grösse
der Stärke jener entsprechen. Die Mächtigkeit der Scheiden der
Nervenfasern ist durchaus von dem Caliber dieser abhängig und
während dieselben bei den grösseren Fasern sehr deutlich und
schön entwickelt sind, können sie bei den allerfeinsten markhal-
tigen Nervenfasern selbst bei starker Vergrösserung nicht mehr
genau nachgewiesen werden. Die sie zusammensetzenden Fasern
sind zum Theil so fein, dass man sie durchaus nicht mehr er-
kennen kann. Und dennoch wird man annehmen müssen, dass
auch diese feinsten Nervenfibrillen, so lange sie überhaupt noch
eine Markscheide und mag dieselbe auch noch so geringfügig sein,
besitzen, von Gliafäserchen eingescheidet sind. In der That findet
man auch in den Zupfpräparaten ungemein feine, nur eben noch
erkennbare Stützfasern, welche unter günstigen Verhältnissen noch
im Zusammenhang mit ihren Zellen stehen, oder auch von ihnen
abgebrochen isolirt in der Flüssigkeit umherschwimmen. Man
sieht diese Fäserchen sich noch mehr verästeln, kann aber die so
entstehenden Endfädehen nur unter ganz besonders glücklichen
Bedingungen weiter verfolgen. Man sieht leicht ein, dass: diese
so ungemein feinen Fäserchen (weiter oben gab ich an, dass die
zartesten derselben noch nicht ein zehntel Mikromillimeter messen)
in den Sechnittpräparaten nicht mehr erkannt werden können,
mögen dieselben durchsichtig gemacht, oder in Wasser angesehen
werden.
Entspricht also die quantitative Entwicklung der Stützzellen,
sowohl in Hinsicht auf ihre Anzahl als auf ihre Grösse, dem Ca-
liber der Nervenfasern, zwischen denen sie gelagert sind, so wird
naturgemäss in den Vordersträngen die Glia reichlicher entwickelt
sein als in den Hintersträngen. In der That wird man im Allge-
meinen in den ersteren zahlreichere und grössere Gliazellen an-
treffen als in den Hintersträngen. Durch stärkere Verästelung der
Ausläufer der einzeln gelegenen Zellen, dann auch durch grössere
Beihülfe von Fasern, welche aus der Gliahülle, der grauen Sub-
Die Stützsubstanz des Centralnervensystems. 547
stanz oder den innern Stützbalken abstammen, erhält die Neuro-
glia zwischen den feineren Nervenfasern eine genügende Menge
von fasrigen Elementen, um für jene die Nervenscheiden zu bilden
und sie in derselben vollkommnen Weise, wie es bei den stärkeren
Fasern geschieht, von einander zu trennen. Ich habe in einigen
Schnittpräparaten die Nervenfasern und Gliazellen gezählt, welche
in genau gleich grossen Quadratflächen eingelagert waren. Bei
dem Resultat dieser Zählungen ist aber zu bemerken, dass, ob-
gleich ich selbstverständlich die für diesen Zweck am besten
geeigneten Präparate heraussuchte, manche Stützzellen auch in den
gut gefärbten Schnitten den Farbstoff nicht aufgenommen haben
und in Folge dessen nicht leicht zu erkennen sind. Je kleiner
aber diese Zellen sind, desto schwieriger sind sie zu erkennen.
Man wird daher zu jeder der folgenden Summen von Gliazellen
einige hinzuzählen müssen, und zwar zu den aus den Hintersträn-
gen entnommenen mehr als zu denen aus den Vordersträngen. Im
Grossen ‘und Ganzen kommen aber diese Zahlen der Wahrheit
gewiss sehr nahe. Die Schnitte übrigens waren möglichst fein,
in dickeren wird man selbstverständlich mehr Zellen finden.
Ich zählte in feinsten Querschnitten des Hunderücken-
marks:
Vorderstränge: Hinterstränge:
Präp. 1. 44 starke Nervenfasern, 135 feinere Nervenfasern,
13 grosse Gliazellen. 11 kleine Gliazellen,
Präp. 2. 48 starke Nervenfasern, 103 feinere Nervenfasern,
14 grosse Gliazellen. 10 feinere Gliazellen.
Ebenso in Querschnitten des Ochsenrückenmarks, indem ich
die Grösse der Fläche verdoppelte.
Präp. 1. Entfernt von d.Gliahülle,
d. grauen Substanz und
nur von einem feinen
Balken durchzogen
55 starke Nervenfasern, 134 feinere Nervenfasern,
17 grosse Gliazellen. 15 kleine Gliazellen,
Präp. 2. 61 starke Nervenfasern, 145 feinere Nervenfasern,
29 grosse Gliazellen 13 kleine Gliazellen.
(auffallend zahlreich).
Präp. 3. Unmittelbar an der Glia-
hülle -
548 Hans Gierke:
45 sehr starke Nervenf.,
11 grosse Gliazellen.
Präp. 4. Zu beiden Seiten eines
sehr starken Gliabalkens
58 starke Nervenfasern,
13 grosse Gliazellen zwi-
schen d.Nervenfasern,
23 grössere u. kleinere .
Gliazellen in dem be-
treffenden Abschnitt
des Balkens.
Beim Hund hatten die Körper der als gross bezeichneten
Gliazellen einen Durchmesser von 0,006 bis 0,015 Mikra, die klei-
nen 0,002 bis 0,008Mikra. Beim Ochsen die ersteren einen Durch-
messer von 0,015 bis 0,048 und darüber, die kleinen 0,003 bis
0,01 Mikra. Die Nervenfasern im Rückenmark des Ochsen zeig-
ten im Vorderstrang durchschnittlich einen Durchmesser von 0,012
Mikra. Der grösste gemessene Durchmesser betrug 0,031 Mikra,
mit einem Axencylinder von 0,008 (die überall in Menge gelagerten
ganz feinen Nervenfibrillen wurden natürlich weder mitgezählt noch
hier bei der Berechnung des Durchschnitts mitgerechnet). In den
Hintersträngen betrug (gleichfalls von den feinsten Fibrillen abge-
sehen) der durcehschnittliehe Durchmesser 0,0037.
Im Prineip sind nun die Verhältnisse des Stützgewebes der
weissen Substanz in den übrigen Theilen des centralen Nerven-
systems den geschilderten ganz gleich. So verschieden auch auf
den ersten Blick hin das Aussehen ist, wir finden überall die Ner-
venfasern von feinen Scheiden, welche aus den Glia-Elementen
gewebt sind, eingeschlossen. Der grösste Unterschied aber im Aus-
sehen wird zunächst durch den Mangel der Glia-Balken des Rücken-
marks und der medulla oblongata in den übrigen Gegenden be-
wirkt. Hierdurch fällt die örtliche quantitative Verschiedenheit
der Neuroglia zwischen den Nervenfasern fort. Dieselbe ist über-
all gleichmässig entwickelt. Zellen und Fasern bilden nach der
ausführlich beschriebenen Anordnung die Hüllen der Nervenfasern.
Sie und etwa vorkommende Gefässe, mit den sie begleitenden
Gliazellen, welche aber im Gehirn keine dicken Balken bilden wie
im Mark — ich komme auf diesen Punkt zurück — sind die ein-
zigen Elemente zwischen den Nervenfasern der weissen Substanz.
Die Stützsubstanz des Centralnervensystems. 549
Es giebt weder — von einzelnen wenigen Stellen abgesehen —
zu andern Zwecken verwandtes Stützgewebe noch etwa andere
Gewebselemente zwischen ihnen. Ich besitze einige Schnitte vom
Kleinhirn der Katze nach der Heidenhain’schen Hämatoxylin-
Methode tingirt, in denen sich durch einen mir unbekannten Zufall
an einer Stelle nur das Gliagerüst in der weissen Substanz, nicht
die Nervenfasern gefärbt haben. In diesen Präparaten, welche
die weisse Substanz theilweise im Längs-, theilweise im Quer-
schnitt enthalten, sieht man auf das Klarste die oben geschilderte
Anordnung. Gliazellen sind in sehr grosser Zahl und in einem
reicheren Verhältniss als oben vom Rückenmark angegeben wurde,
vertreten. Möglicherweise beruht dies nur auf der besseren Fär-
bung. Die Stellen weisser Gehirnsubstanz, welche ich vorher aus-
nahm, weil sie zwischen den Scheiden der Nervenfasern noch Glia-
elemente enthielten, sind die an der Auskleidung der Ventrikel
oder unter der Hülle der Oberfläche gelegenen Parthien. Hier
nämlich laufen zwischen den Nervenfasern und ihren Scheiden
noch die mehr oder minder starken Fortsätze jener Anhäufungen
der Stützsubstanz, theils einzelne Fasern, theils zusammengesetzte
Balken bildend, welche eine längere Strecke in gedachter Weise
hinziehend sich erst in weiter entfernten Punkten verästeln und
mit dem dortigen Gliageflecht verbinden. Hierdurch erhalten
diese Parthien einen andern Character und ein verschiedenes Aus-
sehen der übrigen weissen Substanz des Gehirns gegenüber. Hin-
sichtlich der Gliazellen ist zu betonen, dass die Kerne trotz der
offenbar starken Verhornung jener nicht so sehr geschwunden sind,
wie wir das von der weissen Substanz des Rückenmarks consta-
tiren mussten. Auch in jener der verschiedenen Theile des Ge-
hirns sieht man häufig Zellen, in denen Ammoniak-Carmin keinen
Kern mehr deutlich macht, ja auch solche, welche selbst nach
Behandlung mit den besten Kernfärbemitteln einen solehen nicht
mehr aufweisen. Aber sie sind viel seltener als im Rückenmark
und umgekeht sieht man sehr zahlreiche Gliazellen mit schönem
runden Kern. Den meisten Abbildungen und vielen Präparaten
entsprechend müsste man annehmen, dass sehr viele grosse kern-
artige Gebilde ohne Zellleib und ohne Fortsätze in den weissen
Lagen des Gehirns vorkommen. Ich constatirte aber sehon früher,
dass dies nur eine Folge der ungenügenden Tinetion sei. Ich be-
haupte mit Bestimmtheit, dass hier ebenso wie im Rückenmark
550 Hans Gierke:
freie Kerne nur ganz ausnahmsweise einmal vorkommen können.
Alle jene als nackt gezeichneten Kerne haben in Wirklichkeit
einen grösseren oder kleineren Zellkörper als Umhüllung gehabt,
von dem zahlreiche Ausläufer abgingen. Ebenso muss ich mich
gegen die von Boll in seiner früher eitirten Arbeit!) ausgespro-
chene Ansicht, dass sich die Zellen der weissen Substanz des Ge-
hirns von denjenigen des Rückenmarkes wesentlich unterscheiden,
desshalb wenden, weil dieselbe viele Anhänger gefunden hat. Im
Uebrigen kann ich mich nicht darauf einlassen, Boll’s und ver-
schiedener anderer Autoren Angaben über das Stützgewebe der
weissen Substanz zu widerlegen. Ein Blick auf die betreffenden
Abbildungen von Boll und ein zweiter auf die meinigen zeigt,
dass die Gegensätze beider Darstellungen so gewaltig sind, dass
die Kluft in keiner Weise überbrückt werden kann. Es ist für
mich vollkommen unmöglich, auch nur annähernd die Boll’schen
Bilder mit den Präparaten in Einklang zu bringen. Wenn er nun
für die Gliazellen der weissen Gehirn-Substanz einen stärker ent-
wickelten Zellleib denjenigen des Rückenmarks gegenüber als
ersten Unterschied aufstellt, so kommt dieser genau dem umge-
kehrten Verhältniss entsprechende Irrthum daher, dass Boll die
letzteren niemals gesehen hat. Ferner behauptet er, die Gliazellen
der weissen Hirnsubstanz hätten kürzere und weniger Fortsätze
als die entsprechenden Gebilde des Rückenmarks, sie seien oft
sehr reich, zart, platt, bandartig. Diese ganze Schilderung ist
unrichtig. Noch mehr aber beweisen die Abbildungen, dass Boll
die in Rede stehenden Gliazellen durchaus nicht erkannt hat. Die
in den Schnitten von Thalamus opticus (seine Figuren 9 u. 10)
gezeichneten Gebilde entsprechen nur solchen Zellen, welche ganz
ungenügend gefärbt waren. Ich machte schon früher darauf auf-
merksam, dass die Fortsätze und die Randparthien der Gliazellen,
aus denen jene hervorgehen, sich etwas schwerer färben als die
Innenmasse; am leichtesten tritt natürlich der Kern hervor. Die
unregelmässig eckigen oder rundlichen Gebilde, welche Boll dar-
stellt, sind so zu Stande gekommen. Ebenso sind die in seinen
Figuren 11 und 12 gezeichneten Klümpchen, welche isolirte Glia-
zellen der weissen Substanz des Thalamus opticus vorstellen sollen,
nichts als durehaus verstümmelte, durch die Präparation ihrer
1) 1. ce. p. 29 fi.
Die Stützsubstanz des Centralnervensystems. 551
Fortsätze beraubte Zell-Fragmente. Ich kann auch keineswegs
zugeben, dass die Zellen der Stützsubstanz in diesen Gegenden
die in der Figur 10 angedeutete Anordnung haben, so dass immer
Gruppen von ihnen eine Anzahl von Nervenfasern einschliessen.
Allerdings findet man sie sehr häufig in Reihen angeordnet, welche
parallel mit dem Längsverlauf der zu schützenden Nervenfasern
stehen, aber dieselben sind durchaus unregelmässig, liegen in
sehr verschiedenen Entfernungen von einander, sind bald lang,
bald kurz und werden durch viele einzelne ihnen vollkommen
gleichende Zellen mit einander verbunden. Dass übrigens Boll
auch schön erhaltene Gliazellen aus der weissen Hirn-Substanz
isolirt und gesehen hat, scheint mir aus seiner Darstellung mit
Sicherheit hervorzugehen. Nur konnte er sich offenbar nicht vor-
stellen, dass diese schönen Gebilde (die er leider nur beschreibt,
aber nicht abbildet) Stützzellen seien. Daher erklärt er sie für
Ganglienzellen der weissen Substanz und giebt sogar an, Axen-
eylinderfortsätze gesehen zu haben. Trotz dieser letzteren Behaup-
tung muss ich ganz entschieden versichern, dass diese Gebilde
Gliazellen waren, auf die auch seine Beschreibung, von dem eben
erwähnten Fortsatz abgesehen, vollkommen passt. Nervenzellen
kommen in der von Boll behaupteten Weise nirgends in der
weissen Substanz vor.
Erklärung der Abbildungen auf Taf. XX und XXI.
Die Zeichnungen sind, wenn sie nicht ausdrücklich als schematisch be-
zeichnet sind, ganz streng naturgetreu nach den Präparaten angefertigt. Die
meisten, besonders auch die isolirten Zellen sind mit dem Prisma gezeichnet.
Die Nummer des angewandten Oculars wird im Folgenden durch eine
römische, jene des verwendeten Objectives durch eine arabische Ziffer be-
zeichnet, und zwar beziehen sich die Angaben zum grössten Theil auf ein
Hartnack’sches Mikroskop, zum kleineren Theil auf ein solches von Zeiss.
Bei dem letzteren sind die Objective durch Buchstaben gekennzeichnet.
Die Figuren sind von verschiedenen Zeichnern angefertigt. Die ein-
552 Hans Gierke:
zelnen Zellen sind zum Theil von dem Autor, zum Theil von Herrn Zeichner
Assmann gezeichnet. Von letzterem rühren ausserdem die Figuren 8 bis
16, 20, 21 und 23 her. 18a und 22 sind von Herrn Dr. Rosenstein, 17,
17a und 17b, 19 und 19a von Herrn cand. med. Born gefertigt.
Die meisten Präparate, nach denen die Zeichnungen angefertigt wurden,
waren mit Carmin-Ammoniak tingirt, einzelne noch ausserdem mit Carmin-
Alaun, um die Kerne deutlich zu machen. Fig. 19 ist nach einem mit Bis-
marckbraun, Fig. 19a nach einem durch die neue Heidenhain’sche Hämat-
oxylinfärbung tingirten Präparat gezeichnet. Manche Gliazellen, welche jetzt
kernlos erscheinen, würden einen undeutlichen und verhältnissmässig kleinen
Kern zeigen, wenn sie mit den besten Kernfärbemitteln behandelt worden
wären.
Tafel XX.
Die isolirten in Fig. 1 bis 8 gezeichneten Zellen sind alle dem Cen-
tralnervensystem erwachsener Schafe entnommen.
Fig. la. Eine Gliazelle (Kernzelle der Stützsubstanz) aus der grauen Substanz
des Rückenmarkes. Bei a hat sich als seltenes Vorkommniss eine
kleine Partie des zarten Glianetzes erhalten, welches die sich ver-
ästelnden feinen Fortsätze der Zellen bilden. VI/7 450 x Hartn.
Fig. 1b u. c. Zwei Gliazellen ohne Spur eines Zellleibes. Allerzar teste Fort-
sätze, die vorkommen. Aus der grauen Substanz (Vorderhörner
des Rückenmarkes. IV/7 450 x Hartn.
Fig. 2. Gliazelle aus der grauen Substanz des Rückenmarkes. Einen Ueber-
gang bildend zwischen den richtigen Kernzellen und den kernarmen
resp. kernlosen Zellen. Ein zarter Zellleib bei a, aus dem sich die
Fortsätze entwickeln. Der Kern im Verhältniss zur Stärke der
Fortsätze nicht mehr so gross und schön (auch nicht mehr so regel-
mässig rund oder oval gestaltet) wie in den echten Kernzellen.
IV/7 450 x Hartn.
Fig. 3. Echte Kernzelle der Stützsubstanz mit 3 Kernen. Zwischen den
Kernen noch Restspuren des Zellleibes. Graue Substanz der me-
dulla oblongata. IV/7 450 x Hartn.
Fig. 4. Gliazelle mit undeutlichem Kern (Ammoniak-Carminfärbung) aus den
weissen Substanz des Rückenmarkes. Der Kern bildete nur einer
undeutlich begrenzten Fleck im Innern des Leibes. Fortsätze bei
a und b abgebrochen. IV/7 450 x Hartn.
Fig. 5. Grosse Stützzelle ohne Andeutung eines Kernes (Ammoniak-Carmin-
färbung) aus der Gliaanhäufung am Boden des 4. Ventrikels (Ca-
lamus scriptorius). IV/7 450 x Hartn.
Fig. 6. Gliazelle ebendaher. Ohne Kern. Auch der Zellleib fast ganz in
der Bildung der Fortsätze aufgegangen. -
Fig. 6a. Aus zwei ziemlich gleich gestalteten Gliazellen derselben Gegend
zusammengesetzt. In der einen Zelle waren die beiden Fortsatz-
Fie. 11.
Fig. 12.
Fig. 14.
Kie. 15.
Archiv f. mikrosk. Anatomie. Bd. 25.
Die Stützsubstanz des Centralnervensystems. 553
bündel aa von einer zarten homogenen Masse umhüllt, die blasser
als der Zellleib und weniger als er gefärbt war. In der zweiten
fehlte diesen Ausläufern die verbindende Masse, innen aber von
ihnen zeichnet sich die starke den concaven scharf begrenzten Rand '
des Zellleibes bildende Faser aus. IV/7 450 x Hartn.
Kernlose Gliazelle aus der Substantia gelatinosa Rolandi des Rücken-
markes. IV/7 450 x Hartn.
Tafel XXI].
Grosse Gliazelle aus der Randzone der Stützsubstanz des Rücken-
markes des Hechtes. Ammoniak-Carminfärbung. Kerne sind in diesen
Zellen nicht zu erkennen. IIl/6 Hartn. 240 x.
Eine Gruppe solcher Zellen, wie sie in Fig. 10 bei b in situ liegen.
Homogene Kittsubstanz hielt die Zellen zusammen. a Spitzenfort-
sätze der Zellen in einem starken Bündel zur grauen Substanz ver-
laufend. Die einzelnen Fasern des Bündels sind durch die Präpa-
ration etwas mehr voneinander getrennt als in ihrer natürlichen
Lage. b und ce Fortsätze, welche die oberflächliche Glialage zwischen
den Zellgruppen vervollständigen. III/6 Hartn. 240 x.
. Segment eines Horizontalschnittes des Hecht-Rückenmarkes. In der
grauen A und der weissen B Substanz sind die Details nicht ausge-
führt. a Pia mater. b Gliahülle aus den Zellgruppen und den sie
verbindenden Fortsätzen bestehend. c centrale Fortsatzbündel jener
Glia-Zellgruppen, deren Fasern sich so innig aneinander schmiegen,
dass sie wie homogene Balken aussehen. d Querschnitte von Nerven-
fasern in der grauen Substanz. III/5 Hartn. 160 x.
Ein Segment der weissen Substanz des Ochsenrückenmarkes. Sehr
dünner Querschnitt zweier starker Nervenfasern a und a, und ihrer
Gliahülle, bestehend aus den Gliazellen e und c, und ihren sowie an-
derer nicht gezeichneter Zellenausläufer. IV/7 Hartn. 300 x.
Aus der weissen Substanz des ÖOchsenrückenmärkes. Querschnitt
einer Gliazelle mit dem Anfang ihrer Fortsätze, welche einen Theil
der Peripherie von 8 Nervenfasern umfassen. III/6 Hartn. 240 x.
. Segment aus einem Querschnitt des Hunderückenmarkes (Seiten-
strang). Stärkere und feinere Nervenfasern, dazwischen Gliazellen.
Bei a ein Gliabalken. Il/4 Hartn. 70 x.
Segment aus dem Vorderstrang des Ochsenrückenmarkes. Beia ein
Gliabalken. II/6 Hartn. 180 x.
Längsschnitt des Vorderstranges des Ochsenrückenmarkes. Die stär-
keren und feineren Längslinien sind Axencylinder, die weisse Sub-
stanz zwischen ihnen ist das Nervenmark. Das feine Netzwerk ist
das Gliageflecht, in dessen Knotenpunkten die Zellen liegen. Bei
aaa starke, glashelle und ungetheilte Fortsätze, welche einige Glia-
zellen der Länge nach verbinden. II/6 Hartn. 180 x.
38
554 K. Möbius:
Fig. 16. Ein hinteres Viertel des Rückenmarkquerschnittes (vom Hund) zum
Theil ein wenig schematisch gehalten. Von dem Hinterhorn a geht
bei e ein Fortsatz von Gliasubstanz bis zum Rand. h hintere Wurzel.
e Gliahülle. b Pia mater aus 2 Schichten bestehend. Der perimedulläre
Lymphraum zwischen b und e ist hier kaum zu erkennen, da er unge-
mein gering entwickeltist. gg aus der Pia in die weisse Substanz ein-
tretende Blutgefässe mit Gliabalken als Scheiden. dd Gliabalken
ohne Gefässe; doch haben sie zum Theil gewiss zu abgeschnittenen
Gefässen Beziehungen gehabt. V grosse Längsvene neben dem Cen-
tralkanal. h Hintere oder graue Commissur. 1/2 Hartn. 25 x.
Ueber die Eigenschaften und den Ursprung der
Schleimfäden des Seestichlingnestes.
Von
Prof. K. Möbius in Kiel.
Hierzu Tafel XXI.
Der merkwürdige Instinkt des Seestichlings (Spinachia
vulgaris Flem.), für seine Eier und Jungen ein Nest zu bauen,
wurde durch David Milne!) zuerst wissenschaftlicb bekannt.
Nachher machten darüber noch mehrere andere britische Beobach-
ter Mittheilungen. 1840 wurde in Annals and Mag. of natural
history, Vol. V, p. 148 eine Notiz: „On the nidification of the
fifteen spined Stieckleback or Gasterosteus Spinachia L.“, unter-
zeichnet „G.J.“ aus den Transactions of the Berwikshire Natura-
lists Club abgedruckt, in welcher von den Spinnfäden des Nestes
Folgendes gesagt wird: „The thread is of great length, as fine as
ordinary silk, tough and somewhat elastie, whitish and formed of
some albuminous secretion.‘“
1) The Edinburgh new philos. Journ. March 1829, p. 398.
Ueb. d. Eigenschaften u. d. Ursprung d. Schleimfäden d. Seestichlingnestes. 555
Nach C. Th. v. Siebold!) fand R. Q. Couch?) das Nest des
Seestichlings aus festgewachsenen Fucoideen bestehend, deren
Aeste durch einen glasartigen, elastischen Faden zu einem Büschel
zusammengehalten werden.
Jonath. Couch schreibt in: A history of the Fishes of the
Brit. Islands, I (ohne Jahreszahl) p. 180 über die Spinnfäden des
fünfzehnstacheligen Seestichlings Folgendes: „A thread is employed
with much skill and patience in binding these materials together;
and there is no doubt that its substance is obtained from the
ereature's own body. It much resembles silk and is elastic. Under
a good magnifier it appears to be formed of several smaller threads
glued together, and it hardens into firmness by exposure to the
water. But it is reason to believe that it is not excuded, nor the
roe deposited, all at once, for as it is passed through the mass
with intricacy in various directions, the roe appears in little
elumps, which are in different degrees of development.“
Francis Day°) fand Seestichlingnester von der Grösse
einer Mannesfaust, 5 bis 6 Zoll lang, birnförmig, aus grünen und
rothen Tangen und Corallinen bestehend, welche durch einen
elastischen seidenähnlichen Faden zusammengebunden waren, der
„under a magnifier appears to consist of several strands connected
together by a gluey substance, which hardens by exposure to the
water.“
Nach einer im Hamburger Aquarium gemachten Beobachtung
sollen, wie F. Heincke mittheilt, Männchen und Weibchen ge-
meinsam das Nest bauen. Nach diesem genauen Beobachter des
Seestichlings wird das Nestmaterial „durch zarte Fäden einer
weissen, schleimigen, wahrscheinlich von der Harnblase abgeschie-
denen Masse zusammengehalten“ ?).
Das ist alles, was ich über die Fäden des Seestichlingsnestes
habe auffinden können.
1) Die Süsswasserfische von Mitteleuropa. Leipzig 1863. S. 70.
2) Notes on the nidification of Fishes. In: The Zoologist, a popular
Miscellany of nat.-hist. conduct. by Newman, II, London 1844, p. 795.
3) Instinets and emotions in Fish. In: Journ. Linn. Soc. Zool. XV,
1881, p. 37.
4) Illustrirte Naturgeschichte d. Thiere. Herausgeg. v. Martin II.
1. Fische bearb. v. F. Heincke. Leipzig 1882, S. 400.
556 K. Möbius:
Nach A. Agassiz!) spinnt auch Chironectes pietus Cuv.
Nestfäden. Sargassumbüschel ballt er zu einer runden Masse von
doppelter Faustgrösse dadurch zusammen, dass er sie in allen
Richtungen mit Fäden durchzieht. An diesen befinden sich perlen-
förmige Verdiekungen von der Grösse eines Stecknadelknopfes.
Auch diese interessante Mittheilung giebt uns keinen Aufschluss
über die Bildungstätte der Fischnestfäden.
Der Seestichling lebt an der ganzen Ostküste von Schleswig-
Holstein. Im Winter hält er sich in tieferem Wasser auf, als vom
Frühjabr bis zum Herbst. Sein Nest legt er an in der Region
des Seegrases, nur wenige Fuss unter dem Wasserspiegel. Er
verwendet dazu verschiedene daselbst wachsende Pflanzen: Zostera
marina, Fucus vesiculosus, Enteromorpha intestinalis, Conferven
u. a., zuweilen auch Blätter von Landpflanzen, welche ins Wasser
gefallen sind. Aus diesen Stoffen bildet er einen rundlichen Bal-
len von ungefähr 5—8 cm Durchmesser, indem er sie in den verschie-
densten Richtungen mit weissen seidenglänzenden Fäden umspinnt.
Die Nester des Seestichlings liegen niemals am Grunde, sondern
sind zwischen dem Wasserspiegel und dem Grunde an aufstrebenden
Pflanzen festgesponnen oder sie hängen an dem Holzwerk des
Ufers und der Landungsbrücken. Im Kieler Hafen findet man
Seestichlingsnester von Anfang Mai bis in die zweite Hälfte des
Juni. Das Weibchen legt seine Eier in Klumpen von 150 bis 200
Stück, welche miteinander verkleben, zwischen die Pflanzenmassen
des Nestes. Das Männchen fährt dann noch fort, Fäden um das
Nest zu ziehen und überspinnt daher auch noch die Eierklumpen.
Es bleibt in der Nähe des Nestes. Treibt man es weg, so kehrt
es bald wieder zurück. F. Heincke fing im Kieler Hafen ein
sein Nest bewachendes Männchen, machte es durch einen Faden,
den er um den Schwanz band, kenntlich, und setzte es dann über
500 Schritt weit von dem Neste entfernt wieder ins Wasser. Eine
Stunde nachher fand er es wieder bei seinem Neste 2).
Das Nest, welches Taf. XXI Fig. 1 abgebildet ist, wurde
am 7. Juni 1880 von einer Landungsbrücke des Kieler Hafens ab-
1) Fish-nest in the sea-weed of the Sargasso-Sea. In: Amer. Journ. of
Scienc. and Arts. 3. Ser. III, 1872, p. 154.
2) Die Fische der Ostsee von K. Möbius u. Fr. Heincke. Berlin 1883
S. 64.
Ueb. d. Eigenschaften u. d. Ursprung d. Schleimfäden d. Seestichlingnestes. 557
genommen und mit dem Männchen, welches bei demselben war,
in ein Aquarium gesetzt. Um es zwischen der Oberfläche und
dem Grunde schwebend zu erhalten, wurde das Nest an einen
Zweig gebunden und dieser an einer hohlen Glaskugel aufgehängt.
Als es aus dem Meere genommen wurde, enthielt es drei Eier-
klumpen; der oberste lag frei auf den Pflanzen. Am 9. Juni früh
war das Männchen todt. Vorher hatte es aber noch den obersten
Eierklumpen übersponnen und auch noch um den Zweig Fäden
gezogen. Aus der Oeffnung seiner Harnblase ragte Nestfaden-
schleim hervor.
Die Nestfäden haben meistentheils einen Durchmesser von
0,12—0,13 mm. Unter dem Mikroskop betrachtet, bestehen sie
aus aneinandergeklebten Strängen, welche wiederum aus sehr
feinen parallellaufenden Fäden zusammengesetzt sind (Fig. 2).
Versetzt man Männchen, welche Spinnstoff bei sich haben,
ohne ihr Nest in Aquarien, so entledigen sie sich desselben in
der Form kleiner kugel- oder birnförmiger Massen, die in einen
Faden auslaufen wie die sogenannten Bologneser Glastropfen. Diese
Schleimklümpehen pflegen sie an Steine und Pflanzen anzukleben.
Oeffnet man die Bauchhöhle männlicher und weiblicher See-
stichlinge zur Fortpflanzungszeit, so findet man die Harnblase und
den eaudalen Theil der Nieren bei den Männchen auffallend grös-
ser als bei Weibchen. Das craniale Ende der Harnblase ist
dann birnförmig erweitert bis zu einem Durchmesser von 20 mm,
während die Harnblase gleich grosser Weibehen nur 3 mm dick
ist; und das caudale Viertel der männlichen Nieren erreicht
dann eine Höhe von 5—6 mm, während es beim Weibehen nur
2—2,5 mm hoch ist. Die Abbildungen Fig. 4 und 5 zeigen diese
Grössenunterschiede der Harnorgane beider Geschlechter. In der
weiblichen Harnblase befindet sich nur Harnflüssigkeit; die männ-
liche ist angefüllt mit eimem durchscheinend weissen, klebrigen
Schleim, der sich in Stränge ausziehen lässt (Fig. 3), welche aus
ebenso feinen Fäden bestehen wie die Stränge der Nestspinnfäden.
Dieser Schleim hat folgende chemische Eigenschaften:
Er ist unlöslich in kaltem See- und Süsswasser. In siedendem
Wasser löst er sich auch nicht und wird undurchsichtig weiss,
ebenso verhält er sich in siedendem Alkohol. Auf Platinblech er-
hitzt, verkoblt er, indem er sich aufblähet und wie verbrennendes
Horn riecht. Kochende eoncentrirte Salzsäure färbt ihn violett und
558 K. Möbinus:
löst ihn dann auf. In siedender Salpetersäure wird er gelb, aber
nicht gelöst. Kalte Jodlösung färbt ihn braun. In kochender
Essigsäure ister unlöslich. In Kalilauge wird er durchsichtig gelb-
lich und dann aufgelöst. Aus dieser Lösung wird er durch tropfen-
weis zugesetzte Essigsäure weiss gefällt, in überschüssiger Essig-
säure aber wieder aufgelöst. In erwärmtem salpetersäurehaltigen
salpetersauren Silberoxyd (Millon’s Reagenz) wird er rotlbraun.
In kochendem Barytwasser wird er gelblich und dann aufgelöst.
Kochendes Kalkwasser färbt ihn auch schwach gelblich, löst ihn
aber nicht auf.
Hiernach verhält er sich ähnlich wie das Mucin der Wein-
bergschnecke, von dem er sich jedoch durch seine. Unlöslichkeit
in Kalkwasser unterscheidet).
Eine histologische Untersuchung der Harnblase des schleim-
trächtigen Stiehlingmännchens ergab, dass die Epithelzellen der-
selben mit denen der weiblichen Harnblase übereinstimmen und
dass der Nestschleim nicht in der Blase gebildet wird.
Nun öffnete ich einen Harnleiter eines schleimträchtigen
Männchens und zog einen weissen Schleimfaden heraus, der in
den Figuren 6 und 7 mit F bezeichnet ist.
Jetzt hatte ich den Ursprung des Spinachia- Mucins in den
Nieren zu suchen, härtete daher Nieren schleimträchtiger Männchen
theils in Osmiumsäure, theils in Chromsäure, theils in einem Ge-
misch von Chromsäure, Osmiumsäure und Eisessig nach W. Flem -
ming?), theils in Alkohol und zerlegte sie in dünne Quer - und
Längsschnitte. Die lehrreichsten Präparate lieferten Nieren, welche
ich zwei Tage in zweiprozentige Osmiumsäure, dann in Alkohol
legte, darauf mit Celloidin durchtränkte?) und deren Schnitte ich
mit Hämatoxylinlösung nach de la Field*) behandelte. Durch
1) Vgl. E. Eichwald, Ueber das Mucin, besonders der Weinberg-
schnecke. In: Annal. d. Chemie u. Pharmacie. Bd. 134, 1865, S. 177. —
Gorup-Besanez, Physiol. Chemie. 3. Aufl. 1874, S. 142.
2) W. Flemming, Mittheilungen zur Färbetechnik. In: Zeitschrift f.
wiss. Mikroskopie I, 1884, S. 349.
3) Vergl. Schiefferdecker, Ueber Verwendung des Celloidins in der
mikrosk. Technik. In: Arch. f. Anat. u. Phys. I. Abth. 1882, S. 199; auch
in: Zeitschr.‘ f. wiss. Mikroskopie, herausg. v. Behrens, I, 1884, S. 226.
4) W. Flemming, Zellsubstanz, Kern- u. Zelltheilung, Leipzig 1882,
S. 383 Anm. 2.
Ueb. d. Eigenschaften u. d. Ursprung d. Schleimfäden d. Seestichlingnestes. 559
Betrachtung der Figur 3 wird man sich am bequemsten mit dem
bekannt machen, was ich nun fand. Sie stellt Durchschnitte ge-
wundener Harnkanälchen aus dem hintern verdickten Theile einer
schleimbildenden Niere dar.
Die Zellen des Kanälchens a sind zwei bis dreimal so
lang als breit, enthalten in der Nähe ihrer an die Basalmembran
stossenden Grundfläche einen deutlichen kugelförmigen Kern mit
geschwärztem Nucleolus und tragen an der entgegengesetzten
Endfläche Flimmerwimpern, welche in das Lumen des Kanälchens
hineinragen. Ihr Zellenleib wird von einem engen Wabengerüst
durchsetzt, das schwärzlich gefärbt ist. Das Lumen des -Kanäl-
chens enthält einen dicken schwarzgefärbten Schleimstrang.
Die Zellen des Kanälchens b sind alle mit blau gefärbten
Körnehen angefüllt und ihre Lumenseite ist mit einer Masse be-
deckt, welche ebensolche blaue Körnchen enthält. Diese werden
jedoch nach der Achse des Kanälchens zu seltener und machen
einer schwärzlichen körnchenfreien Masse Platz. Das Lumen ent-
hält den Querschnitt eines schwarzgefärbten Schleimstranges und
viele freie Schleimfäden, die meistens mit blauen Körnchen be-
setzt sind.
Die Zellen des Kanälchens c haben alle abgeflachte Kerne.
Der Zellenleib enthält ein Wabengerüst und aus den gegen das
Lumen des Kanälchens gekehrten Oeffnungen der Zellen sind
wasserhelle Schleimpfröpfe hervorgetreten.
Das Kanälchen d vereinigt in sich Eigenschaften der Ka-
nälchen a und c.
In dem Harnkanälchen e stehen zwischen Epithelzellen
mit dunklem Wabengerüst und grossen Kernen stark geschwärzte
dünnleibige Zellen, aus denen schwärzliche Fäden hervorkommen,
die mit einem im Lumen des Kanälchens liegenden Schleimstrange
zusammenhängen.
f ist das Bild eines Harnkanälchens, welches theils in
der Richtung seiner Achse, theils schief- und rechtwinkelig gegen
diese geschnitten ist und enthält Epithelzellen von allen bespro-
chenen Eigenschaften, ausserdem aber noch Zellen, deren Körper
nur zum Theil mit blauen Körnchen erfüllt ist.
Aus diesen Thatsachen ist zu schliessen, dass das Spi-
nachia-Mucin in Epithelzellen der Harnkanälchen
gebildet wird. Die Umwandlung der gewöhnlichen Epithel-
560 K. Möbius:
zellen in Schleimzellen geschieht auf folgende Weise: Der Kern
wird flach und rückt an die Basis der Zelle. In den Hohlräumen
des Wabengerüstes entsteht zunächst eine Substanz, die durch
Haematoxylin nicht gefärbt wird (Mucigen), Fig. 8 ec;
diese geht über in eine durch Haematoxylin intensiv blau
werdende körnige Substanz, Fig. 8 b, welche sich endlich
in einen körnchenfreien hyalinen Schleim verwandelt, den
Haematoxylin nicht färbt, den aber Osmiumsäure schwärzt,
Fig. 8 e, f£e In Folge der Abgabe des Schleimes werden die
Zellen schmächtiger und ihre Kerne verschwinden. Wahrschein-
lich gehen sie mit der Entleerung des letzten Schleimrestes ganz
zu Grunde.
Die Umwandlung des Mueigens in körniges und darauf
in hyalines Muein geht in der Regel wahrscheinlich von dem
Lumenende der Zellen aus und schreitet von dort aus abwärts
bis zum Grunde derselben.
Behandelt man Dünnschnitte schleimträchtiger Nieren, welche
in Alkohol gehärtet wurden, erst mit Pikrokarmin, dann mit Hae-
matoxylin, so findet man die gewöhnlichen grosskernigen Epithel-
zellen der Harnkanälchen schwach gebläut; die mucigenhaltigen
sind farblos bis auf die flachen blaugefärbten Kerne. Alle Schleim-
stränge in den Kanälchen fallen auf durch intensiv rothe Farbe;
die feinen Schleimfäden, aus denen sie sich bilden, sind blass-
roth. Ein deutlicher Farbenunterschied zwischen der jüngeren
körnigen und der älteren hyalinen Entwicklungstufe des Mueins
macht sich nicht bemerklich.
Hiernach verhalten sich die schleimbildenden Epithelzellen
der Harnkanälchen männlicher Seestichlinge ebenso wie die Zellen
echter Schleimdrüsen }).
In den Malpighi’schen Knäueln schleimträchtiger Nieren
und in den aus ihnen entspringenden Kanälchen habe ich niemals
Muein gefunden. Die einzige Bildungsstätte des Spinachiamueins
1) Zur Vergleichung glaube ich hier nur auf die ausführlicheren neueren
Mittheilungen über Schleimdrüsen verweisen zu müssen. E. Klein, Observat.
on the struct. of cells and nuclei. In: Quart. Journ. mier. sc. XIX. 1879,
p. 125. — R. Heidenhain, Physiol. d. Absond. In: Hermann’s Handb. d.
Physiol. V, 1, 1883, S. 14 u. 56. — Schiefferdecker, Zur Kenntniss d.
Baues d. Schleimdrüsen. In: Arch. f. mik. Anat. Bd. 23, 1884, S. 382,
Ueb. d. Eigenschaften u. d. Ursprung d. Schleimfäden d. Seestichlingnestes. 561
sind daher Epithelzellen der Harnkanälchen und zwar in allen Theilen
der Niere von ihrem cranialen bis zu ihrem caudalen Ende. Die in
den gewundenen Harnkanälchen gebildeten dünneren Schleimfäden
vereinigen sich zu dickeren Strängen in Sammelröhren, welche
aus niedrigeren Epithelzellen bestehen, als die gewundenen Ka-
nälchen.
Nach der Fortpflanzungszeit vermindert sich das Volumen
der Nieren in der Harnblase des Spinachiamännchens wieder.
Beide sind dann nicht grösser als bei weiblichen Individuen von
gleicher Körperlänge. Die Harnblase ist dann ebenso wie bei
Weibehen mit einer farblosen wässerigen Flüssigkeit angefüllt,
aus der sich Harnstoffkrystalle ausscheiden, wenn man den In-
halt einer oder mehrerer Blasen auf einen Objectträger fliessen
und in .der Zimmerluft verdampfen lässt. Ebensolche Kry-
stalle erscheinen auch, wenn man Schleim aus der Harnblase
eines trächtigen Männchens auf einen Objeetträger ausbreitet und
eintrocknen lässt. Es wird also gleichzeitig mit dem Mucin auch
Harn aus den Nieren in die Blase geführt.
In Nieren männlicher Seestichlinge, welche in der Ruheperiode
ihrer Geschlechtsthätigkeit getödtet wurden, habe ich kein Muein
gefunden.
Der Nachweis, dass das Spinachiamuein in den Epithelzellen
der Harnkanälchen gebildet wird und dass diese dabei verschie-
dene histologische und mikrochemische Zustände durchlaufen, ist
ein neuer Beitrag zu der von R. Heidenhain begründeten wich-
tigen Lehre histologischer Verschiedenheiten zwischen secerniren-
den und ruhenden Drüsenzellen !).
Ist die Bildung von Mucin in den Epithelzellen der
Harnkanälchen des männlichen Seestichlings während der
Fortpflanzungszeit auch eine bis jetzt einzig dastehende Erschei-
nung, so wird ihr doch nicht aller Werth für die Lehre von den
Funetionen der Harnkanälchen im Allgemeinen abgesprochen wer-
den können.
Nach N. A. J. Voorhoeve?) betrachten Axel Key und
1) R. Heidenhain, Studien d. physiol. Instit. z. Breslau, IV, 1868
und Derselbe, Absonderungsvorgänge. In: Hermann’s Handbuch d. Physiol.
V, 1. Theil, 1883, S. 14 und S. 56.
2) Ueber das Entstehen der sog. Fibrineylinder. In: Virchow’s Arch.
f, pathol. Anat. u. Physiol. Bd. 80, 1880, S. 247.
562 K. Möbius:
Oertel die sogenannten Fibrineylinder als Producte der epithe-
lialen Auskleidung der Harnkanälchen. Ob diese pathologischen
Harnbestandtheile des Menschen vielleicht in ähnlicher Weise ent-
stehen wie das Spinachia-Muein, das -zu entscheiden, muss spe-
ciellen Nierenkennern überlassen bleiben.
Den Zoologen liegt es nahe, nun auch bei einem andern be-
kannten Fische, welcher sein Nest mit Fäden umspinnt, bei Chi-
ronectes pictus, nach der Bildungsstätte dieser zu suchen. Viel-
leicht erhalten wir dann eine breitere Grundlage für eine Erklärung
der absonderlichen Nierenthätigkeit, welche ich hier beschrieben
habe. Obgleich diese breitere Grundlage noch fehlt, so möchte
ich zum Schluss doch noch einige Gedanken äussern über den
etwaigen Ursprung des Instinetes des männlichen Seestichlings,
sein Nest mit Schleimfäden zu umspinnen.
Wenn die Hoden des männlichen Fisches der Reife entgegen-
gehen, so befindet sich auch der diesen benachbarte Enddarm in
einem hypertrophischen Zustande. Vielleicht war auch eine Hyper-
trophie der Nieren, welche die periodische Reifung des Spermas
als secundäre Erscheinung begleitete, der Anfang ihrer nun in der
Fortpflanzungszeit normalen Thätigkeit, Nestfadenschleim abzuson-
dern. Die umfangreicher gewordene Niere musste ungewöhnlich
stark auf die Bauchdecke drücken. Die Empfindung dieses Druckes
veranlasste das Bedürfniss, sich von ihm freizumachen. Der Fisch
rieb die gedrückte Stelle an fremden Gegenständen und kam da-
durch zum Ankleben und Ausziehen des Schleimes. Da er nun in
‚der Zeit dieses Zustandes gerade mit dem Weibchen zusammen-
lebte und die in Klumpen an Wasserpflanzen .angeklebten Eier
befruchtete, so fand er gerade dort auch die nächste und be-
quemste Gelegenheit, sich von dem drückenden fadenzieherden
Schleime zu befreien und wurde so zum Nestumspinner.
Erklärung der Abbildungen auf Tafel XX1.
Fig. 1. Nest des Seestichlings, aus dem Kieler Hafen vom 9. Juni 1880.
In Spiritus konservirt, 50mm hoch, 40—45 mm breit. Nat. Gr.
(Gezeichnet von M. Rheder.)
Ueb. d. Eigenschaften u. d. Ursprung d. Schleimfäden d. Seestichlingnestes. 563
Fig.
Fig.
Fig.
Ein Nestfaden, 360 m. vergr.
Nestschleimfasern aus der Harnblase eines schleimträchtigen Männ-
chens, 360 m. vergr.
Rechte Niere (N), und Harnblase (H) eines 140 mm langen weib-
lichen Seestichlings. Nat. Gr.
Rechte Niere (N) und Harnblase (H) eines 155 mm langen schleim-
trächtigen männlichen Seestichlings. Zwischen der Niere und Harn-
blase der rechte Hode. Nat. Gr.
Nieren und Harnblase eines männlichen Seestichlings, gefangen am
10. Mai 1854. Nat. Gr. B Harnblase. D Darm. F Schleimfaden,
aus dem Harnleiter hervorgezogen. HlHarnleiter. N Niere. W Wir-
belsäule.
Harn- und Geschlechtsorgane eines männlichen Seestichlings, gefangen
den 22. Mai 1884. Nat. Gr. A After in der nach hinten zurück-
geschlagenen Bauchdecke. B Harnblase. F Schleimfaden. G Ge-
schlechtsöffnung. HlHarnleiter. Ho Hoden. N Niere. Sa Samen-
leiter.
Durcbschnitte von sechs Harnkanälchen aus dem hinteren Theil
der Niere eines schleimträchtigen Männchens, 450 mal vergr.
a Ein Harnkanälehen mit gewöhnlichen grosskernigen Zellen und
Cilien. Im Lumen ein dicker Strang hyalinen Mucins, welches
durch Osmiumsäure geschwärzt ist.
b Sämmtliche Epithelzellen enthalten durch Hämatoxylin ge-
bläutes körniges Mucin. Im Lumen des Kanälchens sind Schleim-
fäden und ein Schleimstrang.
c Ein Harnkanälchen mit Mucigen enthaltenden und abgebenden
Epithelzellen. Die Kerne sind abgeflacht und an die Basis
gerückt.
d Ein Harnkanälchen, welches aus gewöhnlichen Epithelzellen
und aus Mucigen enthaltenden besteht.
e Ein Harnkanälchen mit gewöhnlichen Epithelzellen und mit
Schleimzellen, welche hyalines, durch Osmiumsäure geschwärztes
Mucin enthalten und abgeben. Im Lumen ein Schleimstrang,
zu welchem Schleimfäden gehen.
Ein theils längs, theils quer geschnittenes Harnkanälchen mit
zur)
gewöhnlichen Epithelzellen und mit Sehleimzellen von ver-
schiedenen Entwicklungsstufen.
Kiel, den 14. Juli 1885.
564 Gustav Platner:
Ueber die Spermatogenese bei den Pulmonaten.
Von
Gustav Plainer.
Hierzu Tafel XXIII.
Als ich im Sommer 1884 die eigenthümlichen Strukturver-
hältnisse bei den Spermatosomen der Schnecken fand !), schien es
mir von Interesse, auch der Entwicklung dieser Gebilde weiter
nachzuforschen. Indem ich im Folgenden die Resultate der dies-
bezüglichen Untersuchungen mittheile, habe ich, um die Klarheit
in der Darstellung dieser verwickelten Vorgänge nicht allzu sehr
zu beeinträchtigen, es vorgezogen, das Ganze in zwei Theilen zu
erörtern, in der Art, dass ich zunächst eine einfache Darlegung
der Verhältnisse, wie ich sie fand vorausschicke, dann in einem
zweiten Abschnitt unter Heranziehung der besonders in neuerer
Zeit zahlreich erschienenen Literatur auf die strittigen Punkte und
Differenzen mit den Resultaten anderer Forscher näher eingehe,
wobei zugleich noch einige vergleichende eigne Untersuchungen
bei andern Thieren Erwähnung finden sollen.
Wie bereits in der erwähnten Abhandlung auseinander gesetzt
wurde, lassen sich die verschiedenen Schneckenarten nach der
Struktur ihrer Spermatosomen in zwei Klassen theilen, nämlich
solche, wo sich bei den Samenfäden ein Spiralfaden findet und
solche, wo dieses Element fehlt (ef. Fig. 1 und 2).
Die Spermatogenese giebt einen neuen Beweis für die Be-
rechtigung dieser Trennung. Es verläuft jedoch dieser Prozess
bis zur Bildung der Spermatiden, aus denen direkt die Samenfäden
hervorgehen, nahezu gleichmässig, so dass er erst von diesem
Punkte eine besondere Betrachtung nach den verschiedenen Arten
verlangt. Da ferner die einzelnen Spezies der beiden grossen
1) G. Platner, Die Struktur und Bewegung der Samenfäden bei den
einheimischen Lungenschnecken. Göttingen 1885.
Ueber die Spermatogenese bei den Pulmonaten. 565
Klassen keine wesentlichen Differenzen hierbei zeigten, so wurde
als Repräsentant der einen Arion, als solcher der andern Helix
hauptsächlich zum Untersuchungsmaterial gewählt.
Um Undeutlichkeiten möglichst zu vermeiden, habe ich ausser-
dem die von v. la Valette St. George!) eingeführte und von
W. Voigt?) weiter ausgebildete Nomenklatur streng durchgeführt
und unterscheide demnach die verschiedenen aufeinander folgen-
den Entwicklungsstadien wie folgt:
1) Sexualzellen, Geschlechtszellen,
2) Spermatogonien, Stammsamenzellen,
3) Spermatocyten, Samenvermehrungszellen,
4) Spermatiden, Samenausbildungszellen,
5) Spermatosomen, Samenkörper.
Die Zwitterdrüsen von Arion und Helix zeigen unterein-
ander grosse Verschiedenheiten. Bei Arion stellt die Zwitterdrüse
ein kugeliges Gebilde dar, welches aus zwei getrennten halbkuge-
‘ ligen nur durch die Ausführungsgänge und Gefässe zusammen-
hängenden Hälften besteht. Dieselbe ist in die Leber eingebettet,
aus welcher sie sich leicht herausschälen lässt, da sie nur durch
die Gefässe damit in Verbindung steht. Ihre Farbe wechselt vom
braungelben oder röthlichen. Colorit bis zum völligen Schwarz.
Der Grund dieser Färbung beruht in dem entsprechenden in den
Alveolenwandungen abgelagerten körnigen Pigment. Sie erreicht
eine Grösse von 2em und darüber im Durchmesser. Mikroskopisch
lässt sie einen alveolären Bau erkennen. Die funktionirenden
Zellen werden von einem Netzwerk feiner Fasern, welche das
erwähnte Pigment zwischen sich fassen und an einzelnen Stellen
längliche Kerne zeigen, zu mehr oder weniger grossen Complexen
abgetheilt. Die Ausführungsgänge sind mit einem flimmernden
Cylinderepithel ausgekleidet. Die Zwitterdrüse von Helix ist von
länglicher vorn breiter nach hinten sich verschmälernder Form.
Sie zeigt sich zusammengesetzt aus mehrern rundlichen grössern
und kleinern Lappen, zwischen welche das Lebergewebe mehr
oder weniger tief hineingewuchert ist, so dass es kaum möglich
1) v. la Valette St. George, Ueber die Genese der Samenkörper.
Vgl. Arch. f. mikrosk. Anat. Bd. XV.
2) Walter Voigt, Ueber Ei- und Samenbildung bei Branchiobaella.
Arbeiten aus dem zool.-zoot. Inst. zu Würzburg. 1885.
566 Gustav Platner:
ist sie intakt herauszupräpariren. Ihre Farbe ist weiss oder gelb-
lich. Sie enthält kein Pigment. Dagegen findet man sie oft mit
gelben fettglänzenden grössern und kleinern Körnehen durchsetzt.
Diese gehören ihr aber nicht eigen, sondern stammen aus der
Leber, treten daher nur in den Randpartien auf und lassen. sich
bei sorglicher Präparation fast völlig vermeiden. Arion, dessen
Drüse nicht in so inniger Weise mit der Leber durchwachsen ist,
zeigt daher nichts davon. Die Kerne der fasrigen Alveolenwan-
dungen sind meist bei Helix mehr rundlich, granulirt. Die Grösse
der Drüse erreicht in der Länge zuweilen 2cm, im breitesten
Querdurchmesser 1/,—1 em. Die Ausführungsgänge verhalten sich
wie bei Arion.
Macht man durch die Drüse auf der Höhe ihrer Entwicke-
lung Schnitte, so erkennt man, wie die sich ausbildenden Samen-
fäden um grosse stark granulirte und der Alveolenwand anliegende
Kerne, welche von einem feinkörnigen Protoplasma umgeben sind,
ziemlich regelmässig angeordnet sind. Die Köpfe der Spermato-
somen sind diesen Kernen zugekehrt, nur durch eine mehr oder
weniger breite Protoplasmaschicht davon getrennt und zu einer
gebogenen Reihe angeordnet. Es fragt sich, in welchem Zusam-
menhang stehen diese grossen Kerne mit der Spermatogenese.
Hierüber erhält man Aufschluss, wenn man die Zwitterdrüse in
einem sehr frühen Entwicklungsstadium untersucht. Die besten
Bilder liefert Arion. In einer Zwitterdrüse von 2 mm Durchmesser
erkennt man von diesen grosskernigen Zellen noch nichts. Der
Ausgangspunkt der Samenbildung können sie also nicht sein. Die
Drüse enthält ausser den grossen Eiern nur eine Art von Zellen
(Fig. 29). Diese zeigen einen grossen nur spärlich von gefärbten
Körncehen durchsetzten Kern, ein sehr deutliches sich intensiv fär-
bendes Kernkörperchen und sind von keiner nachweisbaren Membran
umschlossen. Ihr Protoplasma ist gering. Diese Zellen sind die
Spermatogonien. Sie finden sich in jedem Entwickelungsstadium
der Drüse in dieser vor, später freilich nur neben andern aus
ihnen hervorgegangenen Elementen. An zerzupften Präparaten
zeigen sie bei Zusatz der Körperflüssigkeit der Thiere, welche das
beste Conservirungsmittel für diese Gebilde, wenn man frisch unter-
sucht, bildet, und bei Anwendung starker Vergrösserung (homog.
Im. 1/5) folgende Struktur. Der grosse Kern mit dem deutlichen
Kernkörperchen ist excentrisch gelagert. Das Zellprotoplasma hat
Ueber die Spermatogenese bei den Pulmonaten. 567
daher eine halbmondförmige Gestalt. In seinem breitesten Theil
liegt nun ein eigenthümliches Gebilde. Dieses besteht bei Arion
(Fig. 10) scheinbar aus einer Anzahl von Stäbchen, die stark licht-
brechend und zu einer mehr oder weniger regelmässigen eckigen
Figur geordnet sind. Bei Helix findet man statt dessen ein in sich
selbst verlaufendes mehrfach verschlungenes Element (Fig. 11).
Bei diesem Thiere erkennt man an den Spermatogonien auch noch
eine andre Differenz. In den kleinsten Drüsen von lem Quer-
durchmesser zeigten sich die Kerne der Spermatogonien, welche
im Uebrigen keine Differenzen untereinander erkennen liessen,
viel stärker granulirt. Dieser Umstand könnte zu der Täuschung
führen, dass man den ganzen Alveoleninhalt mit Ausnahme der
Eier für frühe Stadien jener grosskörnigen Zellen, Basalzellen,
wie ich sie weiter hier bezeichnen werde, ansieht. Das Haupt-
kriterium, jenes Gebilde in dem Protoplasma der Spermatogonien
hat nämlich die Eigenschaft, sich mit Hämatoxylin kaum, mit
Safranin gar nicht zu färben und daher in Schnittpräparaten nur
unter günstigen Bedingungen sichtbar zu sein. Vor diesem Irr-
thum schützt nun der Vergleich mit dem analogen Präparat von
Arion völlig. Ich habe ferner zu bemerken, dass in den kompakten
Drüsen von Arion infolge der ungleichmässigen Einwirkung des
Härtungsmittels (Chromsäure) die Spermatogonien in den centralen
Alveolen sich von der Wand losgelöst haben, nur wenige sind
haften geblieben. Durch den entstandenen schmalen Zwischen-
raum ziehen sich zahlreiche Protoplasmafäden (Fig. 29). Bei dem
zerklüfteten viellappigen Bau der Drüse von Helix fällt dieser
Uebelstand weg. Die Spermatogonien füllen dicht gedrängt den
ganzen Alveolus aus. Dieselben findet man nun bereits in diesem
Stadium in reger Vermehrung begriffen. Da die Kerntheilung auch
späterhin genau in gleicher Weise verläuft, so mag sie hier be-
schrieben werden. Unter Auflösung des Kernkörperchens und
Schwund der runden scharfen Kernkontour kommt es, nachdem
in dem Kern ein Fasergerüst kenntlich geworden, zur Ausbildung
einer exquisiten Knäuelfigur (Fig. 5). Diese wandelt sich weiter-
hin in eine Kernspindel um (Fig. 6). In dem Aequator derselben
liegt eine Reihe grosser sich stark färbender Körner. Von ihnen
gehen in schwach gebogenem Verlauf Fasern nach den Polen, ver-
einigen sich hier und bilden dann noch eine kurze Strecke weiter
ziehend eine büschelförmige den Polen aufsitzende Figur. Die
568 Gustav Platner:
äquatoriale Körnchenplatte theilt sich und zwar in der Richtung
der Spindelachse (Fig. 7). Dadurch entstehen zwei Reihen klei-
nerer Körnchen, welche auseinander rücken, wobei ihnen die zu-
gehörigen Fasern die Richtung geben, so dass diese letzteren jetzt
auf beiden Seiten der Körnchen zu erkennen sind (Fig. 8). Nach-
dem die Körnchen die Pole erreicht haben (Fig. 9), erfolgt die
Trennung in der Mitte und die beiden Halbtheile der Kernspindel
wandeln sich, den beschriebenen Prozess Knäuelfigur und Faser-
gerüst rückwärts durchmachend, zuletzt in zwei reguläre Kerne
mit wieder auftretenden Kernkörperchen um. Die Theilung des
Protoplasmas erfolgt in einer weniger vollkommenen Weise, so
dass häufig ein mehr oder minder ausgesprochener Zusammenhang
bestehen bleibt, was bei dem Mangel einer Zellmembran nicht zu
verwundern ist.
Mit der Trennung des Protoplasmas tindet auch eine solehe
des in demselben gelegenen eigenthümlichen Körpers statt, in der
Art, dass die Stäbchen oder der Knäuel zu zwei neuen gleichen
Figuren sich gruppiren. Dieser Prozess schliesst sich unmittelbar
an die Kerntheilung an und findet stets statt, auch wenn die
Scheidung des Protoplasmas unvollkommen oder gar nicht erfolgt.
Während der Kerntheilung liegt jener Körper in der Aequatorial-
ebene der Spindel. Indessen bei der letzten Theilung der Sper-
matogonien, wodurch sie sich in Spermatocyten umwandeln, geht
er zu Grunde.
Indem nun die Spermatogonien in Spermatocyten übergehen,
gerathen sie zu gewissen an der Wand der Alveolen liegenden
Zellen, die eine bestimmte, gleich näher zu beschreibende Um-
wandlung erfahren haben, in eine besondere Art von Abhängigkeit,
insofern nämlich als alle um die gleiche Basalzelle nach dem
Centrum der Alveole zu gruppirten Spermatocyten die weitern
Entwickelungsstadien gemeinsam durchlaufen. Dieses geht so weit,
dass sie selbst die gleichen Stadien der Kerntheilung mehr oder
weniger übereinstimmend zeigen.
Die Spermatocyten unterscheiden sich nun von den Sperma-
togonien dadurch, dass sie kleiner sind, dass ihnen jenes eigen-
thümliche Element fehlt, welches bei der letzten Theilung unter-
gegangen ist, endlich dadurch, dass ihre Kerne wegen der jetzt
rasch aufeinander folgenden Theilungen in einem ruhenden Zustand
überhaupt nicht mehr zu erkennen sind, meist haben sie die
Knäuelform.
Ueber die Spermatogenese bei den Pulmonaten. 569
Man kann in ihnen daher auch kein Kernkörperchen ent-
decken.
Was nun die erwähnten Basalzellen anlangt, so entwickeln
sie sich ziemlich frühzeitig aus der Alveolenwand anliegenden
Zellen, Spermatogonien ihrer Form nach und zwar in folgender
Weise. Der Kern wird stark granulirt eiförmig, nimmt an Grösse
bedeutend zu und zeigt ein oder zwei, selten mehr Kernkörperchen.
Es färbt sich jetzt sehr intensiv. Weitere Theilungen kommen an
demselben nicht mehr vor.
Ich kann wenigstens Vermehrung der Kernkörperchen eben-
sowenig wie in höchst vereinzelten Fällen zu bemerkende seichte
Einschnürung als Zeichen einer solchen anerkennen. Die grossen
Kerne sind nun von einem entsprechend vermehrten feinkörnigen
Protoplasma umgeben, an welches sich centralwärts direkt die
Spermatocyten anschliessen. Es wandeln sich nun aber durchaus
nicht alle Spermatogonien in Spermatoeyten um, sondern ein grosser
Theil derselben bleibt bestehen und bildet namentlich bei Arion
regelrecht angeordnete Zellsäulen, welche sich direkt von der
Alveolenwand zwischen den um ihre Basalzelle geordneten Sper-
matocytengruppen erheben. Von diesen geht späterhin nicht nur
eine neue Generation von Spermatocyten aus, sondern sie liefern
auch wieder neue Basalzellen, nachdem die früheren zu Grunde
gegangen sind.
Die Spermatocyten theilen sich nun wahrscheinlich mehrmals
immer unter Bildung karyokinetischer Figuren. Die letzten Pro-
dukte dieser Theilung bilden die Spermatiden. Auch in diesem
Falle erfolgt die Theilung des Protoplasmas unvollkommen oder
gar nieht. So kann es geschehen, dass zuweilen eine beträchtliche
Zahl von Kernen innerhalb derselben Protoplasmamasse zu liegen
kommt.
Die Spermatiden zeigen nun zuerst einen grossen stark gra-
nulirten Kern, welcher nur von einem schmalen Protoplasmasaum
umgeben ist (Fig. 12). Dieselben zeigen allerdings nur unter gün-
stigen Bedingungen amöboide Bewegungen, welche sich dadurch
auszeichnen, dass sie mit grosser Langsamkeit vor sich gehen.
Aus dem Protoplasma derselben sprosst ein Fortsatz heraus, wel-
cher mehr und mehr an Länge zunimmt. Ich nenne ihn den pri-
mären Samenfaden zum Unterschied von dem völlig entwickelten
und zwar ist er als der extracelluläre Theil des erstern zu be-
Archiv f. mikrosk, Anatomie. Bd. 25. 39
570 Gustav Platner:
zeichnen, da ein anderer Theil sich später innerhalb der Zelle
entwickelt, der dann als intracellulärer Theil angeführt wird. Die
körnige Substanz des Kerns rückt nunmehr an die Peripherie der
Zelle und nimmt eine halbmondförmige Gestalt an (Fig. 15). In
dem dadurch relativ vermehrten Protoplasma tritt nun ein neues
Element auf, der Nebenkern. In Bezug auf diesen beginnt aber
schon eine Differenz zwischen Arion und Helix sich zu zeigen.
Daher soll im Folgenden zunächst der Entwicklungsgang bei Arion,
weil er der einfachere ist, weiter beschrieben werden.
Der Nebenkern erscheint bei diesem 'Thier als unregelmässi-
ges eckiges Gebilde, welches den Anschein hat, als sei es aus
einer Anzahl aneinander liegender Stäbchen zusammengesetzt. Diese
an Zahl variirend, meist sind es 4—6, sind von verschiedener
Länge, theils grade, theils leicht gebogen und zu einer zusammen-
hängenden polyedrischen Figur geordnet (Fig. 13 ff.). Wenn keine
Theilung des Protoplasmas erfolgt war, so liegen die Nebenkerne
meist ziemlich entfernt von den ihnen zugehörigen Kernen, nahe
beieinander; aber immer sind so viel Nebenkerne als Kerne vor-
handen. Sie färben sich mit Hämatoxylin kaum, mit Safranin
sar nicht. In der granulirten halbmondförmigen Kernmasse hat sich
unterdessen die chromophile Substanz zu einem runden, glänzen-
den, homogenen, im Verhältniss zur Grösse der ganzen Zelle klei-
nen, neuen Kern concentrirt. Die Spermatiden stellen in diesem
Stadium also sieh als Zellen dar, die mit einem Fortsatz von
wechselnder Länge, dem primären Samenfaden, versehen sind,
ein feinkörniges, den Nebenkern tragendes Protoplasma besitzen
und einen homogenen Kern, die Anlage des Kopfes des Sperma-
tosoms enthalten. In diesem Kern kann man zuweilen ein wei-
teres rundes Gebilde in frischen Präparaten sehn, für welches man
in diesem Falle aber die Bezeichnung Kernkörperchen nicht ge-
brauchen darf. Gefärbte Schnittpräparate zeigen, dass es ganz
anders gedeutet werden muss. Ich kann hierfür folgende Methode
am meisten empfehlen. Die frischen Drüsen werden in Flem-
ming’sches Säuregemisch, bestehend aus 11 Theilen Chrom-
säure (1,5%), 8 Theilen Osmiumsäure (1°%,) und 1 Theil Eis-
essig für 20—40 Minuten je nach der Grösse gelegt, dann in Cel-
loidin eingebettet mit Hämatoxylin oder Safranin gefärbt und
nach dem Aufhellen durch Origanumöl in Canadabalsam einge-
schlossen. In dieser Weise behandelte Präparate zeigen nun den
Ueber die Spermatogenese bei den Prlmonaten. 571
Kern intensiv gefärbt, aber anstatt dass in der Mitte ein dunkler
gefärbtes Element auftritt, wie man es bei dem Vorhandensein
eines Kernkörperchens erwarten müsste, zeigt sich die mittlere
Partie bedeutend heller (Fig. 20). Der Kern erscheint bei andern
Zellen mehr oval bis bohnenförmig, was seiner Seitenansicht ent-
spricht. Der Vergleich mit frischen Präparaten (Fig. 15) lehrt
nämlich, dass es sich hier um eine Einstülpung des Kernes han-
delt. Diese findet da statt, wo sich der inzwischen aus dem
Protoplasma entstandene intracelluläre Theil des primären Samen-
fadens ansetzt. Dieser geht wieder continuirlich in den extra-
eellulären Theil über. Die Einstülpung schreitet nun weiter fort
und der Kern bekommt dadurch eine mehr sackförmige Gestalt.
Innerhalb desselben stellt sich die ungefärbte Füllungsmasse der
Einstülpung als ein stäbchenförmiges, vorn etwas kolbig ange-
schwollenes Element dar, welches sich hinten in den primären
Samenfaden fortsetzt.
Ob der Nebenkern ein Abkömmling des Kerns ist oder nicht,
darüber vermochte ich mir keine Klarheit zu verschaffen. Ich
sah ihn meist ziemlich entfernt von demselben im Protoplasma
auftreten. Es liegt in der Nähe des primären Samenfadens.
Der aus dem Kern der Spermatide in der angegebenen Weise
sich anlegende Kopf des Spermatosoms beginnt sich nun mehr
und mehr zu strecken. Dabei gewinnt die chromophile Substanz
eine unregelmässig verschlungene Fadenzeichnung (Fig. 16). Das
centrale stäbchenförmige ungefärbte Element wird dadurch ver-
deckt und entzieht sich der Beobachtung. Ich halte dafür, dass
es zum Axenfaden des Kopfes der Spermatosomen wird. Auch
dieser färbt sich, wie ich schon früher gezeigt habe, nicht.
Indem nun der intracelluläre Theil des primären Samenfadens
mehr und mehr an Länge zunimmt, krümmt er sich zugleich, so
dass er zuweilen selbst mehrere Spiraltouren innerhalb der Zelle
beschreibt. Für die Untersuchung sind letztere Formen allerdings
weniger brauchbare Objecte, da die Theile dadurch zu sehr ver-
deckt werden. Man muss vielmehr diejenigen aufsuchen, wo die
Krümmung und Länge des Samenfadens innerhalb der Sperma-
tide eine geringere ist. Nach solchen wurden auch die beigefügten
Abbildungen angefertigt.
Der sich mehr und mehr entwickelnde Kopf, welcher bereits
eine Annäherung an die definitive Form wahrnehmen lässt, indem
572 Gustav Platner:
er sich in die Länge streckt, ein vorderes spitzes und ein hinteres
breites Ende zeigt, drängt an einer Stelle über das Gebiet der
Zelle hinaus (Fig. 16). Indem der anschliessende Theil des Sper-
matosoms nachfolgt, wird die Zelle dementsprechend in die Länge
gezogen. Die Hauptmasse ihres Protoplasmas, welche noch den
Nebenkern enthält, geht hierbei voran und rückt immer weiter
nach dem Ende des primären Samenfadens herunter.
Bei geeigneten Objeeten und starker Vergrösserung (homog.
Im. 1/0) erkennt man, dass die Protoplasmahülle, mit welcher auf
diese Weise der primäre Samenfaden umkleidet wird, eine ganz
bestimmte Structur zeigt. Sie lässt nämlich erkennen, dass sie
zu zwei Fäden sich umgebildet hat, welche in weiten flachen
Windungen,den primären gestreckt bleibenden Samenfaden um-
schlingen und schliesslich in der Masse des Protoplasmarestes
endigen (Fig. 17). Der primäre Samenfaden wird dadurch, das
lässt sein Verhalten ohne Mühe entscheiden, zum Axenfaden.
Der Protoplasmarest nimmt nun, je weiter er nach hinten
vorrückt, um so mehr an Masse ab. Auch der Nebenkern bildet
sich zurück; seine Stäbehen lösen sich von einander und zerfallen
schliesslich körnig. Wo im gegebenen Falle der Rest der Sper-
matide liegt, lässt sich mit Sicherheit immer dadurch bestimmen,
dass er den Nebenkern enthält; ferner zeigt oberhalb desselben
der Samenfaden bereits die gewundene Struktur, während er
unterhalb noch glatt ist. Dieses Verhalten schützt ihn auch vor
zufälligen Protoplasmaanhäufungen, wie sie an den verschiedensten
Stellen des Spermatosoms vorkommen können, indem entweder
grössere umgeformte Partieen bei dem Herabziehen des Zellrestes
haften geblieben, oder solche in irgend welcher Art von aussen
sich aufgelagert haben. Auch der primäre Samenfaden lässt, be-
vor er noch von den beiden Protoplasmafäden umschlossen wird,
zuweilen leichte Anschwellungen erkennen, so endet er oft knopf-
förmig.
Die im Allgemeinen nicht bedeutenden Abweichungen, welche
Helix hierbei zeigt, sind nun folgende: Zunächst ist der Neben-
kern meist anders beschaffen. Nur bei einzelnen Exemplaren zeigt
er sich so aus Stäbchen zusammengesetzt wie bei Arion. In der
Regel bildet er eine unregelmässig ringförmige Figur, von glän-
zender homogener Beschaffenheit (Fig. 21 und 22). Interessant ist
die Umwandlung, welche er weiter hier erfährt. Indem der Ring
Ueber die Spermatogenese bei den Pulmonaten. 573
grösser wird, bildet er Schlingen, die sich zum Theil übereinander
legen und in ausgeprägten Fällen ein ansehnliches Convolut dar-
stellen (Fig. 24 und 25). Zugleich mit dieser Veränderung ver-
liert er aber auch die Fähigkeit, das Licht stark zu brechen und
dadurch leicht in die Augen zu fallen, so dass man bei schwäche-
rer Vergrösserung, zumal, wenn man diesen Prozess nicht kennt,
glauben könnte, er sei verschwunden. Dieser Umstand hat, wie
später auseinander gesetzt werden wird, zu den verschiedensten
Irrthümern Veranlassung gegeben. Man sah den Nebenkern nicht
mehr und behauptete nun bald von diesem, bald von jenem Theil
des Spermatosoms, er sei daraus entstanden. Die Verwendung der
homogenen Immersion lässt über sein Schicksal keinen Zweifel
mehr aufkommen. Er bleibt in seiner Knäuelform in dem sich
herabstreckenden Zellrest bestehn, um gerade wie bei Arion schliess-
lich zu Grunde zu gehn.
Die andern Entwicklungsvorgänge verlaufen nun in Bezug
auf den Kopf und den primären Samenfaden bei Helix analog wie
bei Arion und werden durch die beigefügten Figuren (21—26) ge-
nügend erläutert. Nur was die Fäden anlangt, welche aus der
verlängerten Spermatide sich bilden, so herrscht hierin noch ein
Unterschied. Es treten nämlich bei Helix drei Fäden auf. Zwei
umschliessen dicht den primären Samenfaden, der auch hier zum
Axenfaden wird, der dritte bildet etwas losere, weitere Touren.
Er wird zu dem beschriebenen Spiralfaden. Besonders an kleinern
Helix-Arten (H. nemoralis, H. hortensis) lässt sich dieses Verhal-
ten schön beobachten.
Ein Vergleich des sich entwickelnden und des fertigen Sper-
matosoms (Fig. 1 und 17) lehrt uns, dass bei letzterem die Win-
dungen der umhüllenden Fäden weit engere und dichtere sind, so
dass ihre Grenzen bei Helix nahezu völlig verschwinden, bei
Suceinea, welche zu derselben Klasse in Bezug auf die Sperma-
tosomen gehört, bleiben sie bestehn. Auch die Windungen des
Kopfes sind regelmässiger und dichter geworden. Meiner Ansicht
nach kann man sich dies wohl so erklären, dass die Samenfäden
schon sehr früh, wie sie auch Bewegungen machen, sich zu drehen
beginnen. Der Prozess, wodurch die Windungen enger, dichter
regulär werden, beginnt am Kopfe und schreitet von dessen Spitze
aus immer weiter nach hinten vor. Ersterer gewinnt dabei auch
bei Arion seine bohrerförmige Gestalt.
574 Gustav Platner:
Indem in dieser Weise der Entwicklungsgang des einzelnen
Spermatosoms sich abspielt, bleibt noch übrig ihr Verhalten in der
Gesammtheit hierbei noch etwas näher zu betrachten. Wie erwähnt
sind die Spermatocyten um die Basalzellen in regulärer Weise ge-
lagert. Eine solche Gruppe von Spermatocyten zeichnet sich nun
dadurch. aus, dass die weitern Entwickelungsvorgänge bei allen
gleichen Schritt halten (Fig. 3 B). Zwischen diesen Gruppen er-
heben sich wie gesagt die namentlich bei Arion zu regelmässigen
Säulen angeordneten übrig gebliebenen Spermatogonien. Diese
zeigen keine weitern Veränderungen, dagegen gehen alle um eine
Basalzelle gruppirten Spermatocyten die Umbildung in Spermati-
den und weiterhin in Spermatosomen ein, als welche sie zu Bün-
deln geordnet die Köpfe zu einer gebogenen Reihe gruppirt und
der Basalzelle zugewandt, sich völlig entwickeln. Sie lösen sich
dann los, liegen im Lumen des Alveolus und werden schliesslich
in die ausführenden Kanäle der Drüse befördert.
Die Basalzellen mit ihren grossen Kernen gehen, nachdem
sie ihren Zweck erfüllt haben, dem Untergang entgegen.
II. Abschnitt.
Von den Autoren, welche über die Spermatogenese der Schne-
cken gearbeitet haben, lassen Keferstein!), Duval?) und M. v.
Brunn?) die Samenfäden bildenden Zellen von den grossen an der
Alveolenwand liegenden, von mir Basalzellen genannten Elemen-
ten ausgehen freilich in verschiedener Weise.
Keferstein sagt hierüber: „Noch ehe aber diese Zellen von
der Wand sich los lösen, produziren sie in eigenthümlicher Weise
neue Zellen. An ihrer Peripherie knospen nämlich höckerartig
die letztern hervor, runden sich ab und umgeben wie ein kugeli-
ger Besatz die eentrale Mutterzelle, die oft dabei zu Grunde geht
und meistens durch sie den Blieken entzogen wird. Im diesen se-
1) Keferstein, Die Klassen und Ordnungen des Tbierreichs von
Bronn, fortgesetzt von Keferstein. III. Bd. 2. Abth. (1862—1866).
2) Mathias Duval, Recherches sur la Spermatogenese etudiee chez
quelques gasteropodes pulmones. Journ. de Micropraphie. T. III. 1879.
3) M. v. Brunn, Untersuch. über die doppelte Form der Samenkörper
von Paludina vivipara. Arch. f. mikrosk. Anat. Bd. 23. 1884.
Ueber die Spermatogenese bei den Pulmonaten. 575
kundären Zellen schien sich jedesmal ein Kern neu zu bilden,
indem der Kern der Mutterzelle, so viel ich sehen konnte, keine
solche Theilung oder Knospung mit macht.“ In ähnlicher Weise
beschreibt Duval den Prozess, indem er von jenen grossen Zel-
len „cellules meres de spermatozoides“ sagt: „Leur protoplasma est
le siege de la production de nombreux petits noyaux disposes
d’une maniere irreguliere autour du grand noyau, que nous desig-
nerons pour abreger, sous le nom de noyau prineipal.“ Weiter
auf der folgenden Seite heisst es: „A ce premier 6tat l’ovule mäle
on cellule möre se presente done sous la forme d’une grosse masse
cellulaire, dans laquelle ont pris naissance par formation en-
dogene un grand nombre de noyaux au milieu desquels le noyau
primitif ou prineipal subsiste et se distingue par ses dimensions.“
Beide Autoren lassen also durch endogene Kernbildung, die ja
längst hinfällig geworden ist, die ersten Samenzellen entstehen.
Von einer Theilung der Kerne der Basalzellen findet sich bei
ihnen nichts. Dem gegenüber behauptet M. v. Brunn, dass diese
grossen Kerne sich theilen sollen und aus diesen Theilungspro-
dukten die Samen bildenden Zellen hervorgehen. Er identifizirt
die Samenmutterzellen, wie er sie nennt, mit den Ersatzkeimen,
welche Grobben!) bei den Decapoden beschreibt. Vergleicht
man nun die betreffende Angabe Grobens, so lautet sie wie
folgt: „Diese grossen Kerne theilen sich wahrscheinlich und haben
sich gewiss auch schon früher getheilt‘“ In der Anmerkung fügt
er dann hinzu: „Ich kann nicht unerwähnt lassen, dass ich Kern-
spindeln in den Ersatzkeimen nie zu Gesicht bekam, obgleich ich
sich ohne Zweifel theilende Zellen öfters beobachtete.“ Was meine
Beobachtungen an den Basalzellen der Pulmonaten anlangt, so
habe ich an ihnen nie Formationen entdecken können, welche auf
eine beginnende Theilung hingewiesen hätten, sie hatten immer ein
granulirtes Aussehen. Es bliebe nun noch die Annahme einer
direkten Kerntheilung übrig. Dann müsste aber folgender Fall
sich ereignen: die Spermatogonien würden sich zuerst durch in-
direkte Theilung vermehren, dann nach dem Uebergang ihrer Kerne
in die grosse granulirte Form durch direkte Theilung die Spermato-
eyten liefern und diese dann endlich wieder durch indirekte Thei-
1) Grobben, Beiträge zur Kenntniss der männlichen Geschlechtstheile
der Decapoden. -Arbeiten aus dem zool. Inst. der Univ. Wien. 1878.
576 Gustav Platner:
lung in Spermatiden übergehen. Man sieht wohin das führt. Dass
die Spermatogonien das Primäre sind, darüber lassen Schnitte dureh
die sich entwickelnde Zwitterdrüse von Arion keinen Zweifel
(Fig. 29). Bei Helix ist die Deutung schon weniger leicht, da
die Spermatogonien hier, wie erwähnt, stärker granulirte Kerne
enthalten. Zudem habe ich noch zu erwähnen, dass eine direkte
Kerntheilung, denn um die könnte es sich ja nur handeln, die
durch Vermehrung der Kernkörperchen und Einschnürungsfurchen
angedeutet werden soll, nach Flemming!) und Krause?) nicht
angenommen werden darf, vielmehr deuten solehe Befunde auf be-
ginnenden Zerfall der Zelle, dem sie ja auch bald entgegen geht.
Ich befinde mich in Bezug auf die von mir vertretene Ansicht
auch in voller Uebereinstimmung mit Bloomfield°). Nachdem
er in der Zwitterdrüse von Helix die Theilung der Spermato-
sonien, welehe er als ihrer Grösse nach von ihren Abkömmlingen
verschiedene Zellen erkannt hat, zu grösseren Zellhaufen „spermato-
spores,“ beschrieben hat, sagt er: „In the months of May or June
the spermatospores will be found to have advanced, most of them
to the stage of polyplasts of ordinary mulberry-likeform, consisting
of pearshaped spermatoblasts, one of wich can be distinguished
from the rest by the granular nature of the plasma arround it and
by the larger size of the nucleus. This nucleus also under the
action of pierocarmine takes up a darker hue than that of the
surrounding spermatoblasts.“ Weiter heisstes: „This cell is always
on the side of the polyplast next to the wall of tbe ampulla of
the gland, and it is the first appearance, of the blastophoral cell,
which from the time of its appearance, undergoes no further divi-
sion, but remains inative, while the other spermatoblasts con-
tinue their process of multiplication more or less supported by it.“
Was nun den Zusammenhang der Samenzellen mit den Basal-
zellen durch Protoplasmabrücken anlangt, so stützen sich die An-
gaben hierüber auf Zerzupfungspräparate. Wie man aber durch
diese für die Beurtheilung des Zusammenhangs zelliger Elemente
schon an sich verwerfliche Methode bei Zellen, welche ein weiches
zähes Protoplasma besitzen und einer jeden begrenzenden Membran
1) Flemming, Zellsubstanz, Kern und Zelltheilung. Leipzig 1882.
2) Krause, Handbuch der menschlichen Anatomie. Nachtr. z. I. Bd.
3) Bloomfield, The development of the Spermatozoa. Part. II, Helix
and Rana. Quaterly journ. of mikrosk. Sc. XXI. New Series 1881. .
Ueber die Spermatogenese bei den Pulmonaten. 577
entbehren, Bilder gewinnen kann, die sich bei richtiger Auswahl
der erhaltenen Produkte im Sinne jeder Theorie verwerthen lassen,
das bedarf wohl keiner besonderen Erörterung. Zudem beweisen
sie nicht einmal was sie sollen, denn da die Basalzellen ebenso
wie die Spermatocyten den Spermatogonien ihren Ursprung ver-
danken, das Protoplasma dieser aber bei Theilung meist nur un-
vollkommen sich trennt, so lassen sich solche Erscheinungen schon
hieraus genügend erklären. Ich kann demnach den Namen Samen-
mutterzellen nicht anerkennen, sondern nenne diese Gebilde nur
Basalzellen, womit weiter nichts gesagt wird, als dass sie die
Basis der sich entwickelnden Samenfädenbündel einnehmen. Was
ihr weiteres Schicksal anlangt nach der Samenreife, so lassen
Keferstein und Duval sie zu Grunde gehen, Bloomfield ver-
muthet dies als höchst wahrscheinlich, während M. v. Brunn sie
bestehen lässt, um später neue Generationen von Samenzellen zu
erzeugen. Ich muss mich ersteren Autoren anschliessen. Ich
habe den mit grosser Bestimmtheit gemachten Angaben M. v.
Brunn’s gegenüber es für nöthig erachtet, die vorhergehenden
Punkte eingehender zu diskutiren als ich dies sonst für geboten
gehalten hätte.
In den Spermatogonien findet sich jener eigenthümliche dem
Nebenkern der Spermatiden ähnliche Körper, dessen Vorkommen
schon Nussbaum!) erwähnt bei Helix. Grobben?) beschreibt
ein solches Gebilde bei Astacus fluviatilis, ferner bei Eupagurus
Prideauxii und Eriphia spinifrons in den Spermatogonien. Er ver-
muthet, dass es aus dem Kern hervorgehe, da er es mit diesem
bei Homarus durch Fäden zusammenhängen sah. Es verschwindet
bei Ausbildung der Kernspindel. Letztere Angaben kann ich bei
den Pulmonaten nur für die letzte Theilung der Spermatogonien,
wodurch sie sich in Spermatoeyten umwandeln, bestätigen. Stras-
burger?) beschreibt in den Pollenmutterzellen ein Element, welches
er Sekretkörperchen nennt. Dieses tritt vor der Theilung auf und
entsteht nach der Beschreibung dieses Autors aus dem Kerne.
}) Nussbaum, Ueber die Veränderungen der Geschlechtsprodukte bis
zur Eifurchung. Arch. f. mikrosk. Anat. Bd. 23.
2) Grobben, Beiträge zur Kenntniss der männlichen Geschlechtsorgane
der Decapoden. Arbeiten aus dem zool. Inst. der Univ. Wien. 1878.
3) Strasburger, Ueber den Theilungsvorgang der Zellkerne und das
Verhältniss der Kerntheilung zur Zelltheilung. Arch. f. mikr. Anat. Bd. XXI.
578 Gustav Platner:
Die Spermatiden zeichnen sich durch das Vorhandensein des
Nebenskerns aus. Dieses Element, welches von v. la Valette St.
George!) entdeckt wurde, hat die verschiedensten Deutungen er-
fahren. Einen Grund für die Differenzen in den Angaben der
Autoren erwähnt W.Voigt?), indem er bemerkt, „dass man unter
der allgemeinen Bezeichnung Nebenkörper offenbar Dinge ganz
verschiedener Art zusammenfasst.“ Bei Helix wird die Sache
noch dadurch komplizirt, dass dieser Körper hier jene merkwürdige
Veränderung eingeht, wobei er, da er sein glänzendes Aussehen
mehr und mehr verliert, sich leicht der Beobachtung entzieht. In-
dem nun zu gleicher Zeit ein glänzender homogener Kern in der
Spermatide sich ausbildet, kann man leicht dahin gelangen, jene
beiden Dinge zu verwechseln. Dem entsprechend lässt v. la Va-
lette St. George bei Helix den Kopf des Spermatosoms aus
dem Nebenkern entstehen, ein Irrthum, welcher bei den damaligen
Hülfsmitteln nicht zu vermeiden war. Ebenso beschreibt Duval
den Vorgang, nur nennt er den Nebenkern, welchen er gleichfalls
nachher mit dem Kern verwechselt „corps ee&phalique“ M. v.
Brunn sah den Nebenkern bei den Pulmonaten überhaupt nicht.
Nussbaum stimmt in seinen Angaben über dieses Element, näm-
lich, dass es ohne eine besondere Rolle zu spielen in dem Proto-
plasma der sich streckenden Spermatide bleibt und schliesslich
zu Grunde geht, völlig überein mit dem, was ich gefunden. Dass
es auch bei den Säugethieren keine bestimmte Aufgabe hat, dafür
lieferte mir die Untersuchung des Kaninchens den Beweis. Schon
A. v. Brunn?) erwähnt in den Samenzellen dieses Thieres das
Vorkommen zweier Körper. Ich kann freilich der Deutung, welche
er ihnen giebt, nicht beistimmen. Der eine dieser Körper in der
Nähe des Kerns gelegen liefert die Kopfkappe, der andere etwas
weiter entfernte geht, ohne Veränderungen weiter zu zeigen, schliess-
lich zu Grunde. Ersterer würde nach Voigt’s Vorschlage als
1) v. la Valette St. George, Ueber die Genese der Samenkörper. 11.
Arch. f. mikrosk. Anat. Bd. II.
2) Walter Voigt, Ueber Ei- und Samenbildung bei Branchiobella.
Arbeiten aus dem zool.-zoot. Inst. zu Würzburg. 1885.
3) A. v. Brunn, Beiträge zur Kenntniss der Samenkörper und ihrer
Entwickelung bei Säugethieren und Vögeln. Arch. f. mikrosk. Anat. Bd. XXI.
1884.
Ueber die Spermatogenese bei den Pulmonaten. 579
Bildungskörperchen der Kopfkappe, letzterer als Nebenkern zu
bezeichnen sein (Fig. 27 und 28).
Die Einstülpung des Kerns der Spermatide, wenn er sich
zum Kopf des Spermatosoms umzubilden beginnt, erinnert an die
merkwürdigen Strukturverhältnisse bei Spermatosomen der Deca-
poden, wie sie Grob ben beschreibt.
Die Veränderungen in der gewundenen Struktur stehen auclı
nicht ohne Analoga da. Bei dem Stier findet sich an eben ent-
wiekelten Samenfäden, worauf schon Jensen!) aufmerksam machte,
ein deutlich gewundenes Mittelstück. An reifen Samenfäden sieht
man kaum noch die Spuren davon in Gestalt einer feinen Quer-
streifung des Mittelstücks (Fig. 18 und 19).
Einen Spiralfaden der Spermatosomen der Schnecken bildet
0.8. Jensen?) bei Triopa claviger ab, Nussbaum desgleichen
bei Helix. E. L. Mark?) erwähnt eine membran volatile bei
einer grossen amerikanischen Limax. Leydig?) bildet die ge-
wundene Struktur des Fadens ab, seine Deutung als Spiralfaden
entspricht diesem Begriff nicht ganz. Ich fand einen eigent-
lichen Spiralfaden nur bei Helix und Suceinea.
Ich glaube nun als Resultat der vorliegenden und meiner
früheren Untersuchungen folgende Sätze für die Spermatosomen
der Pulmonaten aufstellen zu können:
Die Entwicklung der. Samenfäden bei den Pulmonaten geht
von den Spermatogonien aus, welche, die ganzen Alveolen der
Zwitterdrüse erfüllend, durch fortlaufende auf dem Wege der Karyo-
kinese erfolgende Theilungen schliesslich die Spermatiden liefern.
Der Nebenkern hat bei der Spermatogenese keine nachweis-
bare Funktion zu erfüllen.
Die Spermatosomen bestehen aus einem Axenfaden, welcher
sich durch Kopf und Schwanz erstreckt, und einer Hülle, welche
in Form zweier gewundener Fäden ihn dicht umgiebt. Dazu kommt
1) O0. S. Jensen, Recherches sur la Spermatogenese. Archives de
Biologie. T. IV. 1883.
2) 0. S. Jensen, Die Struktur der Samenfäden. Bergen 1879.
3) E. L. Mark, Maturation, Feeundation and Segmentation of Limax
campestris. Bulletin of the Museum of comparative. Zoology at Harvard
College Cambridge. Cambridge Mass. U. S. 1881.
4) Leidig, Untersuchungen zur Anatomie und Histologie der Thiere.
1883.
580
Gustav Platner:
bei einigen Gattungen (Helix, Carocolla, Suceinea) noch ein Spiral-
faden, der vom hintern Kopfende ausgehend in weiten Umgängen
den Schwanz umschlingt. Ein Mittelstück fehlt.
Der Axenfaden geht aus dem primären Samenfaden hervor
und besteht auch im Kopf aus unfärbbarem Protoplasma.
Zum Schlusse sei es mir gestattet, Herrn Professor v. la
Valette St.George für die Freundlichkeit, mit weleher er mir
die Literatur und die Hühfsmittel des anatomischen Institnts zur
Verfügung stellte, meinen besten Dank zu sagen.
Fig.
Erklärung der Abbildungen auf Tafel XXIII.
. 1. Samenfaden von Arion empiricorum (homog. Im. 1/9).
. 2. Samenfaden von Succinea Pfeifferi (homog. Im. 1/99).
. 3. Schnitt durch die Zwitterdrüse von Arion auf der Höhe der Ent-
wicklung; in Müller’scher Flüssigkeit gehärtet mit Hämatoxylin ge-
färbt. B Kerne der Basalzellen. C Spermatiden. D Entwickelung
der Samenkörper aus denselben. S Spermatogonien.
. 4. Schnitt durch die Zwitterdrüse von Helix pomatia (in 0,2%,-iger
Chromsäure gehärtet mit Safranin gefärbt). Bei A Kerntheilungs-
figuren, übrige Bezeichnung wie in Fig. 3.
. 5—9. Aufeinander folgende Stadien der letzten Kerntheilung der Sper-
matogonien.
. 10. Spermatogonie von Arion (homog. Im. Y/ıo).
. 11. Spermatogenie von Helix (homog. Im. 1/j5).
. 12—17. Auf einander folgende Stadien der Entwicklung der Sperma-
tosomen von Arion aus den Spermatiden (homog. Im. 1/). Frisches
Präparat.
. 18. Eben entwickelter Samenfaden vom Stier (homog. Im. 1/5).
. 19. Samenkörper desselben aus dem vas deferens (homog. Im. 1/59.)
. 20. Aus einem Schnittpräparat der Zwitterdrüse von Helix pomatia.
Die Einstülpung des Kerns der Spermatide, sowie den Nebenkern
zeigend. (In Flemming’scher Säuremischung gehärtet, mit Safranin
gefärbt.)
21—26. Aufeinander folgende Stadien der Entwicklung der Sperma-
tosomen von Helix aus den Spermatiden (h. Im. 1/0). Frisches
Präparat.
Ueber die Spermatogenese bei den Pulmonaten. 581
Fig. 27. Spermatide aus dem Hoden des Kaninchens (h. Im. Y/go)-
Fig. 28. Weiteres Entwicklungsstadium derselben (h. Im. 1/0).
Fig. 29. Schnitt durch eine Zwitterdrüse von Arion in einem sehr frühen
Stadium (mit Chromsäure gehärtet, durch Safranin gefärbt). Bei o
ein Ei. Verschiedene Spermatogonien sind in Theilung begriffen.
Spermatologische Beiträge.
Von
v. la Valette St, George.
Erste Mittheilung.
Hierzu Tafel XXIV und XXV.
In den nachfolgenden Mittheilungen gedenke ich, die Resul-
tate gelegentlicher Untersuchungen über den Bau und die Entwicke-
lung der Samenkörper im Thierreiche zu veröffentlichen. Möchten
dieselben dem von mir vor mehreren Jahren aufgestellten Gesetze
der Spermatogenese !), welches vielfach den Beifall Kundiger
gefunden hat, neue Gönner erwerben. Die Literatur soll vorläufig
nur in soweit berücksichtigt werden, als sie sich auf das in Rede
stehende Object bezieht.
Bombinator igneus.
Bau der Samenkörper.
Die anscheinend reifen d.h. jedes Anhanges von Zellsubstanz
entbehrenden Spermatosomen der Unke zeigen, unter Wasser oder
indifferenter Flüssigkeit untersucht, einen spindelförmigen 0,035 mm
1) Ueber die Genese der Samenkörper. Fünfte Mittheilung. — Die
Spermatogenese bei den Säugethieren und dem Menschen. Archiv f. mikrosk.
Anatomie. Bd. XV. 1878. S. 308.
582 v. la Valette St. George:
bis 0,043 mm langen und in der Mitte 0,0025 mm breiten Körper.
Das eine Ende desselben, welches ich als das obere oder vordere
bezeichnen will, geht in einen hellen, 0,0025 mm langen, stumpfen,
am Ende meist etwas verbreiterten Fortsatz aus, Taf. XXIV,
Fig. 1—6, 8, 9a, während das entgegengesetzte, hintere oder un-
tere Ende, je nach der Lage des Samenkörpers, entweder einfach
zugespitzt erscheint, oder in eine längere und in eine zweite, 0,0l2mm
kürzere, dieser mehr oder weniger anliegende, feine Spitze aus-
läuft. Fig. 1 und 2—6.
Die Oberfläche des Körpers lässt, namentlich unter Wasser,
eine eigenthümliche geflechtartige Zeichnung erkennen, unter Jod-
serum erscheint sie glatter. Taf. XXIV, Fig. 1, 2, 3, 4 und 5K.
Unterhalb des oberen Spitzchens beginnt eine Flimmerkrause,
welche, mehr oder weniger spiralig gedreht, nach abwärts zieht,
die untere Spitze frei lässt und von vorn nach hinten lebhaft un-
dulirt. Taf. XXIV, Fig. 1-6, 88.
Die Flimmermembran sitzt nicht unmittelbar am Körper des
Spermatosomen, sondern wird von einem dünnen, nach unten in
die zweite längere, feinere Spitze ausgehenden Faden getragen.
Dieser ist oben, dieht unter dem stumpfen Spitzchen, stets mit
dem Körper verbunden, geht dann fast gerade nach abwärts oder
windet sich mehr oder weniger um denselben herum. Taf. XXIV,
Fig. 2-6F. Er liegt dabei dem Körper dicht an, Taf. XXIV,
Fig. 1, oder wird durch eine dünne Protoplasmaschicht mit ihm
vereinigt, Taf. XXIV, Fig. 2P, entfernt sich auch von diesem
in Gestalt eines Zirkelschenkels oder einer Bogensehne bald in ge-
ringerer, bald in grösserer Ausdehnung. Letztere Erscheinung tritt
leicht bei Wasserzusatz hervor.
Verhältnissmässig recht selten begegnet man solchen Sper-
matosomen, welche ganz frei sind vom Protoplasma ihrer Mutter-
zelle; meist hängt ihnen an irgend einer Stelle ein Rest der Sper-
matide!) an, der nach Zusatz von Wasser oder Speichel ganz beson-
ders hervortritt. Es besteht dieser aus hyaliner Grundsubstanz, in wel-
1) Ich acceptire gern diese, von Semper vorgeschlagene und durch
Walter Voigt in seiner trefflichen Arbeit: „Ueber Ei- und Samen-
bildung bei Branchiobdella“ — Arbeiten aus dem zoologisch-zootomi-
schen Institut in Würzburg von C. Semper. Bd. VII. Hft. III. 1885. 8.310
— eingeführte Bezeichnung für die aus der Vermehrung der Spermatocyten
hervorgegangenen Zellen, welche sich in Spermatosomen direkt umbilden.
Spermatologische Beiträge. 583
cher viele feine Körnchen eingebettet sind; andere gröbere, fett-
glänzende Körner scheinen dagegen nur zufällig anzuhaften, Taf.
XXIV, Fig. 2—4, 6—11.
Die Körnchen zeigen lebhafte, tanzende Bewegung von ganz
anderer Art, wie die des Flimmersaumes, welche noch fortdauert,
nachdem diese längst aufgehört hat, auch selbst bei leichtem Jod-
zusatz nicht erlischt.
Sie hat die grösste Aehnlichkeit mit der Bewegung der Körn-
chen in den „Speichelkörperchen“.
Auch losgelöste Protoplasmaballen lassen dieselbe noch eine
Zeitlang wahrnehmen. Ganz anders wird das Bild, wenn derartige
Reste von Zellsubstanz im Bereiche des Flimmersaumes liegen.
Alsdann geht die Bewegung des letzteren in den Protoplasmaballen
über; zu der Körnchenbewegung tritt noch eine zweite, welche
die ganze Substanz des Klümpchens hin und her wogen lässt und
dessen Umriss lebhaft verändert. Nicht selten zeigt jener Proto-
plasmarest Vacuolen, bald eine, bald deren mehrere.
Bei einzelnen Samenkörpern sieht man, meist vom untern
Ende, bald vom Stützfaden des Flimmersaumes, Taf. XXIV,
Fig. 4, bald vom Körper selbst, Fig. 5, gröbere bis haarfeine
Fäden ausgehen, deren Länge, sehr verschieden, oft die des Kör-
pers mehrfach übertrifft und bis zu 0,18 mm gemessen werden
konnte. In Wasser und Speichel wurden sie selten, bei Zusatz
von indifferenten Flüssigkeiten dagegen sehr häufig und am häu-
figsten bei Spermatiden beobachtet, deren Umwandlung zu Sper-
matosomen noch nicht beendigt war. Sie scheinen stets aus dem
Protoplasma der Samenausbildungszellen hervorzugehen, Taf. XXIV,
Fig. 4—11.
In einem Falle waren beide Enden des Spermatiden in
einen solchen Faden ausgezogen, Taf. XXIV, Fig. 11 Pf, Pf.
Die Substanz dieser Fäden scheint sehr weich, zeigt zuwei-
len kleine Ringe, Fig. 9, oder Knötchen im Verlaufe des Fadens
oder an dessen Ende, Fig. 4 und Fig. 8. Auch sah ich einmal
an dem unteren Ende des Spermatosoms die Zellsubstanz in einen
geknöpften Faden und daneben in eine amöboide Platte auslau-
fen. Taf. XXIV, Fig. 8 P.
Diese Fäden treiben auch zuweilen seitliche Ausläufer.
Auch wurden ganz kurze Fädehen wahrgenommen, die vom
Körper oder Wimpersaume ihren Ursprung nahmen, ebenso losge-
584 v. la Valette St. George:
löste, längere und kürzere, welche in der Untersuchungsflüssigkeit
umherschwammen. Selten sind diese Fäden starr, meist zeigen
sie eine schwache, pendelnde, in kurzen Wellen undulirende Be-
wegung.
Ein Peitschen des Fadens in toto wurde bei ausge-
bildeten Spermatosomen niemals beobachtet, wie auch nie-
mals dessen Schwingungen so stark wurden, als dass sie zu einer
Fortbewegung des Körpers hätten Veranlassung geben können.
Auch sah ich kürzere Fäden während der Beobachtung auftreten
und wieder schwinden.
Unsere Färbungsmethoden tingiren den Körper stark; das
vordere und hintere Spitzchen, der Flimmersaum nebst Faden
bleiben heller. Von meinem Collegen Ungar darauf aufmerksam
gemacht, dass schwache Anilinlösungen die Samenkörper färben,
ohne ihre Bewegung zu beeinträchtigen, gebrauchte ich vielfach
als Untersuchungsflüssigkeit Jodserum, welches mit Dahlia leicht
tingirt war. Manches tritt dadurch sehr viel schöner hervor am
lebenden Objeete — nicht einmal die amöboide Bewegung der
Samenzellen wird dabei alterirt.
Bei der Untersuchung unter Jodserum stiess ich auf höchst
eigenthümliche Bilder, die mir sonst nirgendwo während zahlreicher
Beobachtungen über ähnliche Formen von Spermatosomen begeg-
net sind. Etwa eine Stunde nach dem Einlegen der frischen
Samenkörper in Jodserum von solcher Concentration, dass es
Protoplasma- und Flimmerbewegung lebhaft unterhält, beginnen
die Samenkörper zu zerfallen. Es bleiben von ihnen zwei Theile
übrig. Der eine hat die Form eines oben dickeren, abgestumpften,
dann leicht gekrümmten, unten fein zugespitzten Stäbchens von der
Form einer Reitpeitsche — er bildet den Rest des Körpers —, der
andere zeigt ein um etwa ein Drittel längeres, stärker gekrümmtes,
oben grob, unten sehr fein zugespitztes, zweites Stäbchen, als Rest des
Fadens, an welchem sich der Flimmersaum noch eine Zeit lang vom
diekeren zum dünneren Ende hin bewegt — Alles sehr scharf
contourirt. Stets sind die beiden Stäbchen so nebeneinander ge-
lagert, dass die diekeren Enden derselben die Spitze, die dünneren
die divergirenden Schenkel eines Winkels bilden, bald in der
Spitze dieht aneinander liegen, bald auch mehr oder weniger von
einander getrennt, wobei meist das kürzere das längere an dieser.
Stelle überragt, Taf. XXIV, Fig. 12K, FE.
Spermatologische Beiträge. 585
Um die Stäbchen liegt eine feinkörnige, zuweilen streifige
Masse, welehe nach und nach in der Untersuchungsflüssigkeit zer-
geht. Taf. XXIV, Fig. 13, 14, 15x.
Das kürzere Stäbehen mass 0,026—0,0935 mm, das längere
0,035 —0,043.
Diese Stäbehen sind offenbar die Skelettheile von Körper
nebst Stützfaden.
Zusatz von Jod, in Jodkalium gelöst, lässt dieselben, wenn
auch nicht so bestimmt, in der umgebenden, leichter gefärbten
Masse hervortreten.
Fasse ich vorstehende Angaben kurz zusammen, so ergibt
sich über die Structur der ausgebildeten Samenfäden der Unke
Folgendes: Es bestehen die Spermatosomen der Unke aus einem
spindelförmigen Körper, welcher an dem einen Ende in ein helles
stumpfes Spitzchen ausläuft, an dem andern in eine feine Spitze
ausgezogen ist. Dicht hinter dem vorderen Spitzchen legt sich
an den Körper ein Faden an, welcher, an dem Körper ent-
lang verläuft und am untern Ende diesen überragt. Mit dem
oberen Ende ist der Faden stets fest am Körper vereinigt,
in der Mitte und am untern Ende häufig von demselben getrennt.
Der Faden trägt den Flimmersaum, welcher jedoch eher endigt,
als jener aufhört. Die Bewegung der Flimmerkrause geht von den
kurzen, stumpfen Spitzen nach den längeren, feinen, spitzen En-
den. Höchst wahrscheinlich wird das ganze Spermatosom von
einem Protoplasmamantel umgeben, dessen Contractilität im Be-
reiche des Flimmersaumes besonderen Ausdruck findet.
Der Samenkörper biegt und streckt sich wurmförmig. Da er
sich, wie es scheint, auch mehr oder weniger um seine Längsachse
drehen kann, so folgt der Flimmersaum in einer engeren oder wei-
teren Spirale und versetzt durch seine Thätigkeit den Körper in
eine rotirende Vorwärtsbewegung.
Es könnte nun die Frage aufgeworfen werden, ob die in
dieser Weise beschriebenen Spermatosomen auch wirklich den
letzten Grad ihrer Entwickelung erreicht hätten, ob nicht vielleicht
noch weitere Veränderungen mit ihnen vorgehen könnten, insbe-
sondere der Faden nebst Flimmersaum sich strecke in der Richtung
der Längsachse des Körpers.
Form und Bewegung dieser Samenkörper haben etwas so
eigenartiges, sind so verschieden, sowohl von denen der übrigen
Archiv f. mikrosk. Anatomie. Bd. 25. 40
586 v. la Valette St. George:
Anuren, wie der Urodelen, dass eine derartige Frage wohl be-
rechtigt wäre.
Ihre sichere Beantwortung stösst jedoch gerade bei Bom-
binator auf besondere Schwierigkeiten.
Dass die direkt dem Hoden entnommenen Samenkörper stets
in Bezug auf ihre Reife verdächtig sind, versteht sich von selbst.
Erweiterungen der Harn-Samen-Ausführungsgänge an deren
unterm Theile, welche als Samenblasen anzusprechen wären, be-
sitzt die Unke bekamntlich nicht.
Nach v. Wittich!) fungiren als solche die über den late-
ralen Rand der Nieren herausragenden, blinden Enden jener Aus-
führungsgänge, welche zur Laichzeit ganz mit Samen erfüllt sein
sollen.
Zu dieser Aeusserung ist wohl v. Wittich durch die eigen-
thümliche weissliche Farbe des Blindsackes veranlasst worden.
Dieselbe rührt jedoch, wie uns Leydig?), welcher den Harn-
samengang der Unke zu derselben Zeit, jedoch sehr viel ein-
sehender untersucht hat, mittheilt, von der feinkörnigen Masse
her, welche das dem Lumen des Kanals zugekehrte Ende der.
diesen auskleidenden, langen Cylinderzellen erfüllt.
Bei Unken-Männchen, welche die Weibehen noch umklammert
hielten und strotzend angeschwellte Hoden zeigten, fand ich Samen-
körper im oberen, wie unteren Theile des Ausführungsganges,
jedoch nur in verhältnissmässig geringer Anzahl.
Sie unterschieden sich in keiner Weise von denen, welche
dem Hoden direkt entnommen wurden.
Demnach möchte ich die oben beschriebene Form für die
definitive ansprechen.
Die ersten Mittheilungen über die Samenkörper der Unke
wurden, so viel ich weiss, von R. Wagner und R. Leuckart
gemacht). Die Verfasser beschreiben das Spitzchen als „again
el 21 Er \
1) Beiträge zur morphologischen und histologischen Entwickelung der
Harn- und Geschlechtswerkzeuge der nackten Amphibien. Zeitschrift für
wissenschaftliche Zoologie. Bd. IV. 1853, S. 135.
2) Anatomisch-histologische Untersuchungen über Fische und Reptilien.
1853..8.78. Taf.-UI. Eig. 25je, Rig.i26h.
3) Todd, Cyelopaedia of anatomy and physiology. Vol. IV. 1849.
p- 481. Fig. 341.
Spermatologische Beiträge 587
rather enlarged, and flattened“. Der Flimmersaum wurde als um-
geschlagener und zurücklaufender Schwanzfaden gedeutet.
Dann hat v. Siebold!) sich in sehr eingehender Weise mit
ihnen besehäftigt und namentlich den Flimmersaum recht genau
beschrieben. Auch vermochte er den zweiten dünneren und län-
geren Theil des Samenkörpers zu unterscheiden und sah an diesem
den undulirenden Hautsaum herablaufen.
Ausführliche Untersuchungen über Form und Bewegung der
Spermatosomen der Unke hat uns Eimer mitgetheilt 2). Er
deutet das den Flimmersaum tragende Stäbchen als Schwanz des
Samenkörpers, weleher in die Concavität des halbmondförmigen
Kopfes hineingeklappt sei und das, diesem häufig ansitzende
und im Wasser aufquellende „Bläschen“, dessen bereits v. Sie-
bold Erwähnung gethan, als ein Häufchen Protoplasma.
Zu dieser Darstellung ist nur zu bemerken, dass der eingeklappte
Schwanz weder früher aufgeklappt war, noch es, allem Anschein
nach, jemals wird.
Das „Bläschen“ ist gewiss nur ein Rest der Zellsubstanz der
Spermatide, welche ihre amöboide Bewegungsfähigkeit beibehalten
hat, daneben jedoch auch unter Umständen molekulare Körnchen-
bewegung zeigt.
Leydig?)schloss sich Eimers Auffassung an, sowohl in Bezug
auf den Bau der in Rede stehenden Samenkörper, als auch in
Betreff der Strömungen der Substanztheilchen der Protoplasma-
Reste und des Flimmersaumes.
Nach einer zweiten Untersuchung des Gegenstandes) be-
schreibt er das „Kopfstück* als platt und leicht spiralisch gedreht,
lässt es in Innensubstanz und zackig vorspringende Wandschicht
zerfallen und in eine helle lange Spitze auslaufen, von entschieden
1) Zeitschrift für wissenschaftliche Zoologie. Bd. I. 1850. S. 356.
Taf. XXI. Fig. 4—11.
2) Untersuchungen über den Bau und die Bewegung der Samenfäden.
Verhandlungen der physik.-med. Gesellschaft in Würzburg ds. J. Bd. VI.
Separat-Abdruck S. 22. Fig. 12.
3) Die anuren Batrachier der deutschen Fauna. 1877. S. 60. Taf. V.
4) Untersuchungen zur Anatomie und Histologie der Thiere. 1883.
S. 111. Taf. VII Fig. 88.
588 v. la Valette St. George:
blasserer Beschaffenheit, mit plötzlicher Grenze nach hinten, ge-
denkt auch eines blasigen kernartigen Gebildes, welches er, ver-
schieden von den scharfgerandeten Kernen der Samenzellen, mit
einem „Secretbläschen“ vergleicht.
Die neuesten Angaben über den Bau der Samenkörper der
Unke verdanken wir Pflüger!). Er beschreibt am vorderen
Kopfende ein kurzes Spitzchen, dessen Ende etwas abgestumpft
sei. Ich kann diese Beobachtung durchaus bestätigen. S. Taf.
XXIV, Fig. 1-6, 8, 9a.
Die von Leydig beschriebene „lange belle Spitze“, welche
sich am Kopfstück abgliedern soll, hält Pflüger für einen Fortsatz
der Mutterzelle des Spermatozoons. Vergleicht man Leydig’s
Fig. 51 (Eekfigur nach rechts) der vorletzten Abhandlung mit
Fig. 83 der letzten Arbeit, so wird man allerdings finden, dass
auf der einen der Faden des Flimmersaums der längere ist, wäh-
rend sich auf der andern der Körper in eine längere Spitze fort-
setzt. Worauf dieser Mangel an Uebereinstimmung zwischen
den beiden Zeichnungen desselben Autors beruht, weiss ich nicht;
beide widersprechen sich und entsprechen nicht ganz der Natur;
vielleicht ist ein Versehen des Lithographen daran Schuld. Ein
besseres Bild giebt die zweite Abbildung bei Fig. 51.
Pflüger lässt das Spermatosom des Bombinator aus einem
spindelförmigen Kopf und einem einfachen, ungeheuer (bis 0,189 mm)
langen, fadenförmigen Schwanze bestehen.
Dass diese Fäden vorkommen, habe ich vielfach, wie oben
bemerkt, constatiren können, muss sie jedoch nach meinen Erfah-
rungen für solche Protoplasma-Fortsätze halten, denen die Bedeutung
eines wirklichen Schwanzfadens nicht zuzusprechen ist. Ich fand
sie ja ausgehen bald vom Faden des Flimmersaums Taf. XXIV,
Fig. 4, bald vom Körper, Fig. 5, und sah sie direkt von der
Zellsubstanz entspringen, Fig. 6-10, sogar von beiden Enden
der Spermatide, Fig. 11, am häufigsten an unreifen, noch in der
Samenzelle liegenden Spermatosomen, wovon noch weiter unten
die Rede sein wird.
Derartige Fäden, welche als Ausdruck einer höchst energi-
1) Untersuchungen über Bastardirung der anuren Batrachier und die
Prineipien der Zeugung. Pflüger’s Archiv f. d. ges. Physiologie. Bd. XXX.
1883. S. 550.
Spermatologische Beiträge. 589
schen Protoplasmabewegung anzusehen sind, können der Bildung
von Schwanzfäden vorausgehen, sich sogar in diese umwandeln,
wie ich bei anderen Gelegenheiten oft genug beobachtet habe.
Die von Pflüger angegebene Thatsache ist demnach durch-
aus nicht zu bestreiten, und ist merkwürdig genug, lässt jedoch
eine andere Deutung zu.
Die weitere Differenz in der Anschauung beider Autoren er-
klärt sich wohl daraus, dass Pflüger den die Flosse tragenden
Faden sammt jener dem „Kopfe“ zurechnet, während Leydig
ihn, wie auch Eimer, als „Schwanzfaden“ bezeichnet, welcher
gegen die Aushöhlung des Kopfes eingeschlagen erscheine.
Um Missverständnissen vorzubeugen, hielt ich es für zweck-
mässiger, beide Ausdrücke gänzlich zu vermeiden.
Entwickelung der Samenkörper.
Bereits in meiner vierten Mittheilung über die Genese der
Samenkörper !) konnte ich die Unke als sehr geeignetes Unter-
suchungsobjeet empfehlen.
Pflüger’s interessante biologische Angaben über Bombi-
nator igneus?) geben dazu den Schlüssel. Da die Brunst dieses
Thieres vom Frühjahr bis in den Herbst andauert, so ist man in
der Lage, während des ganzen Sommers die Spermatogenese in
allen ihren Stadien verfolgen zu können.
In der Hauptsache auf meine frühere Darstellung verweisend,
möchte ich hier nur noch einiges Neue beifügen, was mich stär-
kere Linsen und verbesserte Methoden erkennen liessen.
Nach mir hat meines Wissens nur Nussbaum die Sper-
matogenese der Unke untersucht und seine Beobachtungen in
der bekannten und geschätzten Abhandlung „Zur Differenzirung
des Geschlechts im Thierreich“ 3) niedergelegt.
Ganz besonders interessirte mich der Theilungsmodus der
1) Archiv f. mikrosk. Anatomie. Bd. XII. 1876. S. 8006.
2) 1. c. S. 254.
3) Archiv f. mikrosk. Anatomie. Bd. XVII. 1880. S. 42.
590 v. la Valette St. George:
Spermatogonien und Spermatocyten, nachdem Flemming!) uns
auf die Bedeutung der Karyomitose bei der Samenentwickelung
aufmerksam gemacht hat.
Recht schöne und zahlreiche Präparate gewann ich von Sper-
matogonien mit einfachem Kern, Taf. XXV, Fig. 18 und solchen,
deren Kerne in lebhafter Abspaltung begriffen waren, Taf. XXV,
Fig. 19 und 25.
Dann fand ich eine Zellvermehrung innerhalb der Follikel,
welche aus direeter Abspaltung der Spermatogonien hervorgegan-
gen zu sein schien, Taf. XXV, Fig. 20, 21 und 24. Daneben
jedoch wurden, wenn auch verhältnissmässig äusserst selten, präg-
nante Bilder von mitotischer Kerntheilung der Ursamenzellen
wahrgenommen, Taf. XXV, Fig. 22 und 34, wie solche von Swaen
und Masquelin?) bei Selachiern und dem Salamander und von
Nussbaum?) bei Rana fusca beschrieben worden sind.
Ob die Kernspaltung zur direeten Kerntheilung führt oder
nur als Einleitung zur Mitose auftritt, darüber bin ich nicht ins
Reine gekommen.
Nach Flemming’scher Methode behandelt, gaben die Sperma-
toeyten die schönsten Bilder von Karyomitose, Taf. XXV, Fig. 16
und 17. In einer und derselben Spermatocyste fand ich fast alle
Phasen von mitotischer Vermehrung der Spermatocyten, Taf. XXV
oe. 17.
Dagegen wollte es mir nicht gelingen, an den Spermatocysten
eine doppelte Umhüllung zu erkennen. Ich möchte demnach
die Möglichkeit nicht ausschliessen, dass die Follikelhaut, welche
stets die Spermatogonie umschliesst, wovon man sich mit Leichtig-
keit überzeugen kann, als Cystenhaut weiter fungirt. Diesem
Thema gedenke ich späterhin noch eine besondere Untersuchung
zu widmen.
Die Umwandlung der Spermatiden in Spermatosomen habe
1) Beiträge zur Kenntniss der Zelle und ihrer Lebeuserscheinungen
II. Theil. Archiv f. mikrosk. Anatomie. Bd. XVII. 1880. 5. 233.
2) Etude sur la Spermatogenese. Archives de biologie. Tome IV. 1885.
P+756, PISXVI. Rie. 1’ete.;p, TER DELERXY. Fig. 178622
3) Ueber die Veränderung der Geschlechtsproducte bis zur Kifurchung ;
ein Beitrag zur Lehre von der Vererbung. Archiv f. mikrosk. Anatomie.
Bd. XIII. 1884. S. 193. Taf. XI, Fig. 51 und 52.
Spermatologische Beiträge. 591
ich ziemlich in allen ihren Stadien verfolgen können und auf
Taf. XXV, Fig. 26 bis 33 darzustellen versucht.
Der Umfang des Spermatidenkerns wird verringert, sodass
zwischen ihm und dem Protoplasma sich ein Zwischenraum bemerk-
bar macht. Der Kern selbst erscheint homogen, glänzend, zu-
weilen höckerig oder von kleinen Hohlräumen durchsetzt, Taf.
XXV, Fig. 26. Dann wird er wieder glatt und zieht sich in die
Länge aus als Körper des Spermatosoms, Taf. XXV, Fig. 27—32.
Bei der Untersuchung unter Jodserum zeigte das Protoplasma
der Spermatiden in jenen Stadien ganz regelmässig eine Vacuole,
wie solches Leydig (l. s. ce.) bereits angemerkt hat. Diese scharf
begrenzten Hohlräume, die weder mit einem Kern noch Nebenkern
irgend welche Aehnlichkeit haben, können auch doppelt oder in
mehrfacher Zahl und verschiedener Grösse vorkommen.
Gleichzeitig mit ihnen sah ich häufig einen oft sehr langen
Faden aus der Zellsubstanz hervortreten. Das lebhafte Peitschen
und Schlagen des Fadens bewegte das ganze Spermatosom und
gab ihm nebst der Vacuole auf den ersten Anblick das Ansehen
eines Flagellaten. Diese lange Geissel ist jedoch nichts Bleiben-
des, doch glaube ich, dass ihr oberer Theil, nachdem sie sich
wieder verkürzt hat, zum Stützfaden des Flimmersaumes wird und
dieser letztere aus dem übrigen Protoplasma hervorgeht.
Es weisen darauf hin die Bilder, welche ich auf Taf. XXV,
Fig. Sl und 32 wiedergegeben habe.
Erklärung der Abbildungen auf Tafel XXIV und XXV.
Tafel XXIV.
Fig. 1. Samenkörper vonBombinator igneus. a: Spitzchen, K: Kör-
per, S: Flimmersaum. Frisch in Wasser.
=
Q
DD
Samenkörper. a: Spitzchen, K: Körper, S: Flimmersaum, F:
Faden, weleher den Flimmersaum trägt. P: Protoplasmarest zwischen
Körper und Faden. Frisch in Wasser.
Fig. 3. Samenkörper. a: Spitzchen, K: Körper, 8: Flimmersaum, F:
592
Fig. 4.
Fig. 10.
Bır. Tl.
Fig. 12.
v. la Välette St. George:
Faden, an welchem der Flimmersaum befestigt ist, P: Protoplasma-
ballen. Frisch in Wasser.
Samenkörper. a: Spitzchen, K: Körper, S: Flimmersaum, F:
Stützfaden des Flimmersaumes, P: Protoplasma, welches Körper
und Faden verbindet und über das Ende des letzteren sich in
einen feinen, am Ende mit einem Knöpfchen versehenen Faden Pf
fortsetzt. Frisch in Jodserum.
Samenkörper. a: Spitzchen, K: Körper, S: Flimmersaum, Pf:
Faden, welcher vom spitzen Ende des Körpers ausgeht. Frisch
in Jodserum.
Spermatide. a: Spitzchen, K: Körper, F: Faden, S: Flimmersaum,
P: Rest von Zellsubstanz, welcher sich in einen Faden auszieht.
Kochsalzlösung von 0,5°/).
Spermatide. K: Körper, P: Protoplasma, welches in einen Faden
ausläuft. Kochsalzlösung von 0,5%).
Spermatide mit entwickeltem Spermatosom. a: Spitzchen, K:
Körper, S: Flimmersaum, P: Protoplasma, welches in einen schwin-
genden Faden und in eine amöboide Platte ausläuft. Pf: Proto-
plasmafaden mit Knöpfchen. Kochsalzlösung von 0,50%.
Spermatide. a: Spitzchen des Spermatosom, K: Körper, P: Proto-
plasma mit Faden Pf, Kochsalzlösung von 0,5%).
Spermatide. K: Körper, P: Zellsubstanz, welche in einen sehr
langen, feinen Faden Pf ausgeht. Kochsalzlösung von 0,5%,
Spermatide. K: Körper des Spermatosom, P: Protoplasma, welches
von beiden Enden des Samenkörpers in einen feinen Faden Pf
ausläuft. Kochsalzlösung von 0,5%/y.
Skelet des Spermatosoms, durch Maceration in Jodserum ge-
wonnen. K: Körper, F: Faden, S: Flimmersaum.
Figg. 13, 14, 15. In derselben Weise hergestellte Präparate von Samen-
Fig. 16.
Fig. 17.
Fig. 18.
Fig. 19.
körpern. K;: Körper, F: Faden, 8: Flimmersaum, x aufgeblähter
Rest der Umhüllungssubstanz der beiden Skelettheile.
Tafel xXXY.
Spermatocyste mit Spermatocyten erfüllt, welche in indireeter
Theilung begriffen sind. Ch: Cystenhaut, Ck: Cystenkerne, St:
Spermatide. Flemming’sche Mischung, Dahlia, Glycerin (1 Glye.,
1 Ale., 1 Aqu.)
Aus dem Inhalte derselben Cyste. Mitosen der Spermatiden.
Flemming’sche Mischung, Dahlia, Glycerin.
Spermatogonie mit einfachem Kern, von der Follikelhaut um-
geben. Fh: Follikelhaut, Fk: Follikelkerne, K: Wandkerne. Alc.,
Alauncarmin, Glycerin.
Spermatogonie im Follikel mit Andeutung von beginnender Kern-
theilung. Fh: Follikelhaut. Fk: Follikelkern. Fl. M., Glye.
Fig.
Fig.
Fig.
al,
32.
34.
Spermatologische Beiträge. 593
In zwei Zellen getheilte Spermatogonie. Fh: Follikelhaut,
Fk: Follikelkern. Fl. M., Hämatoxylin.
. Spermatogonie in vier Zellen getheilt. Fh: Follikelhaut,
Fk: Follikelkerne.
. Spermatogonie mit Kernfigur. Fh: Follikelbaut, Fk Fol-
likelkern. Fl. M., Alauncarmin.
Spermatogonie mit Kernfäden. Fh Follikelhaut, Fk: Folli-
kelkerne. Fl. M., Hämatoxylin.
. Spermatogonie in drei Zellen getheilt. Fh: Follikelhaut,
Fk: Follikelkerne. Fl. M., Hämatoxylin.
Zwei Spermatogonien mit Kernspaltung in der Follikel-
baut. Fh: Follikelhaut, Fk: Follikelkern. Ale., Alauncarmin.
. Spermatide mit verkleinertem Kern. Stk: Spermatidenkern. Jod-
serum, Dahlia.
. Spermatide mit glattem hellem Kern, Vacuole und Protoplasma-
faden. Stk: Kern, V: Vacuole, Pf: Protoplasmafaden. Jods., Dahlia.
. Spermatide mit Kern, zwei Vacuolen und Protoplasmafaden.
Stk: Kern, V: Vacuolen, Pf: Protoplasmafaden. Jods., Dahlia.
. Spermatide mit länglichem Kern, Vacuole und Protoplasmafaden,
Stk. Kern, V: Vacuole, Pf: Protoplasmafaden. Jods., Dahlia.
Spermatide mit spindelförmigem Kern, Vacuole und Protoplasma-
faden. Stk: Kern, V: Vacuole, Pf: Protoplasmafaden, Jods.,
Dahlia.
Spermatide mit Körper des Spermatosom und Flimmersaum,
der in den Protoplasmarest übergeht. K: Körper, F: Faden, S:
Flimmersaum, P: Protoplasmarest, V: Vacuolen. Jods., Dahlia.
Spermatide mit Körper und aufgerolltem Faden im Protoplasma.
K: Körper, F: Faden, P: Protoplasmarest. Fl. M., Dahlia.
Spermatocyste mit Spermatiden erfüllt, deren Vacuolen durch
die Cystenhaut durchscheinen. Ch: Cystenhaut, CK: Cystenkerne,
V: Vacuolen. Jods., Dahlia.
Spermatogonie in Karyomitose. Fh: Follikelhaut, Fk: Follikel-
kern. El. M., Dahlia.
594 D. Biondi:
(Aus dem anatomischen Institute zu Berlin.)
Die Entwicklung der Spermatozoiden.
Von
Dr. D. Biondi.
Hierzu Tafel XXVI, XXVII und ein Holzschnitt.
I.
Noch vor wenigen Jahren war es nicht schwierig, sich nach
dem Stande unserer damaligen Kenntnisse über die Spermatoge-
nese eine bestimmte und klare Vorstellung zu verschaffen. Heutzu-
tage können wir das nicht mehr sagen; durch zahlreiche neue Arbeiten
sind zwar unsere Kenntnisse bezüglich dieses Vorganges ausser-
ordentlich vermehrt, aber unter bedeutender Einbusse an Klarheit
und Einigkeit in den Anschauungen.
Kölliker!), Henle?) und Andere fanden in den Samen-
kanälchen nur zwei Arten von aufeinander folgenden runden Zel-
len mit verschieden grossen Kernen; diese gaben nach ihnen in
letzter Metamorphose die Samenfäden. Sertoli?) aber beschrieb
im Jahre 1865 noch andere eigenthümliche Elemente, die der
Kanälchenwand mit der Basis aufsitzend und mit dem Körper durch
die diehte Schicht von runden Zellen hindurchgehend, in das Kanäl-
chenlumen vorragten, wo sie oft verzweigt erschienen. Später theilte
Sertoli*) dasselbe Element in peripherisches Ende oder Ba-
1) A. Kölliker, Physiologische Studien über die Samenflüssigkeit.
Zeitschrift für wissenschaftliche Zoologie, herausgegeben von v.Siebold und
Kölliker. Siebenter Band. 1856. S. 262. 270.
2) J. Henle, Handbuch der systematischen Anatomie des Menschen.
1. Auflage. 1866. S. 356. II. Auflage. 1874. S. 370.
3) E. Sertoli, Dell’ esistenza di particolari cellule ramificate nei ca-
nalicoli seminiferi del testicolo umano. Giornale Morgagni. Anno 1865.
p. 31. — ÖOsservazioni sulla struttura dei canalicoli seminiferi. 1%. Communi-
cazione preventiva. Gazzetta Medica Italiana. 1871.
4) E. Sertoli, Struttura dei canalicoli seminiferi e sviluppo dei ne-
maspermi del ratto. Torino. Vincenzo Bona. 1878. p. 10-20,
Die Entwicklung der Spermatozoiden. 595
sis, Körper und centrales Ende, denen er ganz bestimmte
Charactere gab. Die breite, abgeplattete Basis stehe in ihrem
ganzen Umfange ohne Grenzlinie in direkter Berührung mit
den benachbarten gleichwerthigen Elementen und, in der Regel
wenigstens, auch mit der Kanälchenwand. Sie enthalte einen
kugeligen oder ovalen Kern mit doppelt contourirter Membran,
durchsichtigem homogenem Inhalt und relativ grossem Kern-
körperchen. Der Körper habe eine prismatische Gestalt mit
unregelmässigen, gezackten und unbestimmten Contouren. Das cen-
trale Ende, das in das Kanälchenlumen vorspringe, sei glatt und
rund oder tief gezackt, je nach dem Verhältniss zu den Nachbar-
Elementen und nach der Härtungsflüssigkeit, die benutzt sei. Was
die Function betrifft, so meint Ser toli, dass möglicherweise diese
Elemente denselben sekretorischen Werth wie eylindrische Drüsen-
Epithelien hätten und bezeichnet sie daher als epitheliale, ver-
zweigte und fixe Zellen im Gegensatz zu den mobilen,
repräsentirt durch die runden Zellen.
Viele Beobachter, wie Kölliker'), Boll?), v. La Valette?),
Merkel*), Henle°’) etc. bestätigten nun das neue von Sertoli
gefundene Element und zwar gaben Merkel und Henle demsel-
ben den Namen „Stützzelle‘“, indem sie annahmen, dass dasselbe
dazu da sei, um dem beträchtlichen Zelleninhalt der Samenkanäl-
chen als eine Art Gerüst zu dienen.
Wie man sieht, wird die alte Ansicht über den Ursprung der
Samenfäden durch diese Befunde nicht erschüttert, indem auch
Sertoli dieselben von den runden Zellen des Samenkanälchen-
Inhaltes ableitet.
Im Jahre 1871 unterlagen jedoch diese Anschauungen durch
die Arbeit v. Ebner’s®) einer völligen Umwälzung. Die Samen-
1) Kölliker, Gewebelehre. 5. Aufl. S. 531.
2) Boll, Beiträge zur mikroskop. Anatomie der acinösen Drüsen. In-
augural-Dissertation. Berlin 1869. p. 21.
3) v. La Valette, Stricker’s Handbuch der Lehre von den Geweben.
p- 527.
4) Merkel, Göttinger Nachrichten. 1869. Nr.1. — Reichert’su. du
Bois-Reymond’s Archiv. 1871. S. 1.
5) Henle, Handbuch der systematischen Anatomie des Menschen. 1874.
Bd. I. L. II. S. 370.
6) Victor v: Ebner, Untersuchungen über den Bau der Samenkanälchen
596 D. Biondi:
fäden stammen nach des Letzteren Untersuchungen nicht von den
runden Zellen, sondern direkt von den oben genannten Elementen,
die desshalb Spermatoblasten genannt wurden. Dies Element
allein ist von Bedeutung für die Samenfädenbildung, während die
anderen, runden Zellen, obwohl sie den grösseren Theil des Sa-
menkanälcheninhalts bilden, nur Abkömmlinge von weissen Blut-
körperchen seien und eine nebensächliche Rolle spielten. Sie bil-
den durch Umwandlung und spätere Auflösung die Zusatzflüssig-
keit, welche die Fortleitung der Samenfäden zu erleichtern be-
stimmt ist. Die Spermatozoiden aber stammen von dem nackten
Protoplasma des centralen Endes der Spermatoblasten. Man sehe
hier einen runden Kern — Kopf — erscheinen, bald darauf die Ver-
ästelung in Lappen, von denen Mittelstück und Schwanz der
Samenfäden stammen.
Die v. Ebner’sche Theorie gab Anlass zu zahlreichen neuen
Arbeiten, die jedoch in ihren Resultaten weit auseinander gingen.
Zusammenfassend kann man kurz sagen, dass Sertolit), v. La Va-
lette St.George?),Merkel?),Henle*) und neuerlich Renson?),
Swaen, Masquelin®) und Wiedersperg’”)gegen die Ebner’sche
Theorie sich erklären, während Neumann°®), Krause®), v. Mihal-
und die Entwicklung der Spermatozoiden bei den Säugethieren und beim
Menschen. 1872.
1) E. Sertoli,l. c.
2) v.La Valette, Ueber Genese der Samenkörper. Archiv. f. mikrosk.
Anatomie. V. Mittheilung. XV. Band. 1878.
3) Merkel, Reichert’s und du Bois-Reymond’s Archiv. 1871.
S. 644. — Merkel, Untersuchungen aus dem anatomischen Institute in
Rostock. 1874. S. 29.
4) Henle,l. c.
5) Renson, De la Spermatogenese chez les mammiferes. Archives de
Biologie. 1882.
6) Swaen et Masquelin, Etude sur la Spermatogenese. Archives de
Biologie. 1883. Tome IV. Fasciceule IV. Pag. 791. 798.
7) Wiedersperg, Archiv f. mikrosk. Anatomie. 1885. Bd.25. I. Heft.
— Beiträge zur Entwickelungsgeschichte der Samenkörper. — 8. 113—130.
8) C. Neumann, Centralblatt für die medieinischen Wissenschaften.
1872. S. 881. Ueber die Entwicklung der Samenfäden. Zweite vorläufige
Mittheilung.
9) W. Krause, Allgemeine und mikroskop. Anatomie. 1876. S. 254.
Die Entwicklung der Spermatozoiden, 597
kovies!), Frey?), Müller?), Toldt*) u. A. sich derselben an-
schliessen.
Die erstgenannten Forscher, besonders Sertoli und Merkel,
beschreiben sorgfältig die einzelnen Umwandlungen, die die Hoden-
zellen erleiden. Zuerst verwandeln sich die Zellen, welche an
der Kanälchenwand haften (Keimzellen nach Sertoli), allmäh-
lich in grössere Zellen, die er „Samenzellen“ (cellule seminali)
nennt und später in die sogenannten Nematoblasten, aus denen
weiterhin deNemaspermen oderSpermatozoiden hervorgehen.
Der Kern des runden Elements jüngster Generation — Nemato-
blast — rückt nach dem peripherischen Pole der betreffenden Zelle,
um dort den Kopf zu bilden, indessen von dem gegenseitigen Zel-
len-Pole der Schwanz und das Mittelstück des Samenfadens
entspringt. Nach Sertoli-Merkel’s Meinung findet man die
Nemaspermen bereits in die Körper der Epithelial- oder Stütz-
zellen eingelagert, wenn die Entwicklung derselben begonnen hat.
Die ersten Erscheinungen der Abgrenzung des Kopfes zeigen sich
schon, wenn das Faden bildende Element in die an der Seite der
Stützzellen befindlichen Nischen einrückt (Merkel), welche nach
Sertoli erst durch den Druck von Seiten der runden Zellen ent-
stehen sollen. So lässt sich, ohne die Entwieklung der Nema-
spermen aus den runden Elementen in Zweifel zu ziehen, ihre Ver-
einigung in Bündel um die Stützzellen erklären. Bestätigung
findet ferner diese Auffassung durch die Thatsache, dass stets
neben den in den Nischen liegenden Nemaspermen jüngere Form
der letzteren frei zu finden sind.
Die Anhänger der Ebner’schen Theorie beschreiben die
Spermatoblasten eingehend und verfolgen in allen Stadien die Ent-
wieklung der Spermatozoiden aus denselben. Neumann beson-
ders lässt vermittelst freier Kernbildung den Kopf des Spermato-
zoiden aus dem Spermatoblasten hervorgehen und will häufig ganz
1) V. v. Mihalkovics, Beiträge zur Anatomie und Histologie des
Hodens. S. 228—236. — (Abdruck aus den Berichten der math.-phys. Classe
der Königl. Sächs. Gesellschaft der Wissenschaften. 1873.)
2) H. Frey, Grundzüge der Histologie. 1885. S. 198. Desselben Lehr-
buch der Histologie und Histochemie. 1876. S. 608.
3) Müller, Anatomie und Physiologie des Rindes. 1876. I. Theil der
Rindviehzucht von Fürstenberg und Rode.
4) C. Toldt, Lehrbuch der Gewebelehre. 1877.
598 D. Biondi:
abgetrennte Theile des Spermatoblasten im Kanälchenlumen gefun-
den haben, welehe dann einen ganz anderen Ursprung der Nema-
tospermen vertäuschen und so die Auffassung Merkel’s und
Sertoli’s erklären könnten.
Zwischen diesen weit auseinandergehenden Meinungen der
verschiedenen Autoren nimmt nur Blumberg!) einen vermitteln-
den Standpunkt ein. Er behauptet, dass möglicherweise die Samen-
fäden sowohl von den Spermatoblasten als auch von den runden
Zellen abstammen könnten.
So lagen die Verhältnisse, als ich, um mir selber ein Urtheil
zu bilden, im vorigen Jahre diesen Gegenstand zu studiren be-
sann, in Folge einer Aufforderung Seitens des Prof. Waldeyer,
dem ich hiermit meinen wärmsten Dank ausspreche.
II. Untersuchungsmethode.
Anfangs beschränkte ich mich auf die Untersuchung von
Ratten- und Stierhoden , also dieselben Untersuchungsobjecte,
welche hauptsächlich von den früheren Forschern gewählt worden
waren, dann dehnte ich, um die gewonnenen Resultate in weiterem
Umfange zu bestätigen, meine Studien auf Kater, Hund, Kanin-
chen, Meerschweinchen, Pferd, Schwein, Java-Affe, Antilope (Por-
tax pieta), Rana temporaria und Triton taeniatus aus.
Fast immer habe ich, um die Modifiecationen, denen die
primitiven Elemente unterliegen, besser zu verstehen, die Hoden
von ganz jungen und von erwachsenen Thieren derselben Species
bearbeitet.
Um die Kenntniss der verschiedenen Theile des Samenkanäl-
cheninhalts zu erleichtern, habe ich oft die Elemente in absolut
frischem Zustande in indifferenten Medien untersucht. Unter die-
sen fand ich die Augenflüssigkeit, dem Untersuchungsthier ent-
nommen, oder Jodserum in geeigneter Concentration am vortheil-
haftesten.
Wichtiger sind die Untersuchungen der in lebensfrischem Zu-
stande gehärteten Präparate. Zur Härtung habe ich alle von den
1) A. Blumberg, Ueber die Entwickelung der Samenkörperchen des
Menschen und der Thniere. Köniesbere i. Pr. 1873.
> >
Die Entwicklung der Spermatozoiden. 599
früheren Autoren angegebenen Mittel benutzt, aber zweifelsohne
verdient die Flemming’sche Flüssigkeit — 15 Th. 1°%/, Chromsäure,
4 Thl. 2°/, Osmiumsäure, 1 Thl. Acid. acet. glaciale —, welche Dbis-
her (abgesehen von Grünhagen, s. dessen vorläufige Mitth. Centlb.
1885, Juli) noch nicht bei den Hodenuntersuchungen angewandt wor-
den ist, den unbestrittenen Vorzug. Gewöhnlich liess ich die Flem-
ming’sche Flüssigkeit auf ganz kleine Stücke 24—28 Stunden
einwirken. Auch Chromsäure — 1%, — und Osmiumsäure —
0,08°%/, — haben oft gute Erfolge gegeben.
Aeusserste Dünnheit der Präparate und die Er-
haltungder topographischen Verhältnisse der Elemente
der Samenkanälchen sind das Wichtigste bei der Un-
tersuchung.
Das Erstere erreicht man mit einer guten Einbettungsmethode.
Nur die Methode von Bütschlit), d.i. die Einlegung der ge-
härteten Stücke zuerst in reines Chloroform und dann in eine
Lösung von Paraffin-Chloroform gestattete mir, feine Schnitte zu
erzielen, die häufig nur eine Zellenschichte enthielten.
Die topographischen Verhältnisse conservirte ich am besten,
indem ich die einzelnen Schnitte auf dem Deckglas anklebte. Be-
sonders erlaubte mir dies folgendes Verfahren:
Der Schnitt wird vom trocknen Messer des Mikrotoms direkt
mit einer Platinnadel auf ein Deckglas gebracht, in dessen Cen-
trum ein Tropfen Alkohol — 50%, — befindlich ist. Auch wenn
der trockne Schnitt etwas gefaltet ist, breitet er in Berührung
mit Alkohol sich vollständig über die Deckglasoberfläche aus und
haftet nach Y/; oder 1 Stunde in Folge der Verflüchtigung des
Alkohols dem Deckglas fest an. Bei meinen späteren Untersu-
chungen fand ich es vortheilhaft, um eine vollständige Verbin-
dung zwischen der unteren Oberfläche des Schnittes und der
oberen des Deckglases zu erreichen, letzteres mit dem Präparate
24 Stunden im Brütapparate bei 350°—-37°C. zu ‚halten, was,
wie ich ausdrücklich hinzufüge, die histologische Structur des Ge-
webes nicht im mindesten verändert. Nachher wird, wie ge-
wöhnlich, das Deckglas, um das Paraffın zu lösen, in Xylol oder
Terpentinöl gebracht, dann in Alkohol, Färbungsflüssigkeit ete.
1) O. Bütschli (Heidelberg), Modification der Paraffineinbettung für
mikroskopische Schnitte. Separatabdruck aus dem „Biologischen Centralblatt“.
1. Jahrgang.
600 D. Biondi:
Zur Färbung eignet sich am besten das Safranin, das als gesät-
tigte, alkoholische oder wässerige Lösung, in feuchter Kammer
und bei einer Temperatur von 35° C. /»—1 Stunde eingewirkt
hat, während das Deckglas auf der Flüssigkeitsoberfläche schwimmt.
Mit dieser Substanz färben sich alle Elemente der Samenkanäl-
chen, besonders aber die Spermatozoiden und die Kernkörperehen.
Bei der Anwendung von Safranin muss man übrigens nicht lange
mit Alkohol auswaschen und ebenso auch einen langen Aufenthalt
in Nelkenöl vermeiden, welches wie der Alkohol sehr leicht die
Farbe auszieht. Am besten ist es, die entwässerten Präparate in
Terpentinöl aufzuhellen und dann in Canadabalsam einzuschliessen.
III. Beobachtungen.
Die Beobachtungen an den verschiedenen Säugethierhoden
haben meist dieselben Resultate gegeben; ich will deshalb mit we-
nigen Ausnahmen bloss diejenigen Befunde ausführlich mittheilen,
die ich beim Stier gehabt habe.
In Quersehnitten von Samenkanälchen eines sechs oder acht
Wochen alten Kalbes — Figur 1 — sieht man auf der Membrana
propria am Rande nur eine ununterbrochene Reihe von Kernen
(a) und in der Mitte eine reichliche, gelbliche Substanz (b), in welcher
ohne bestimmte Ordnung noch andere spärliche Kerne eingebettet
sind (e). Die peripheren Kerne sind rund, nahezu gleich gross, kreis-
förmig angeordnet und stehen in Berührung mit der Membran und mit
einander. Das Protoplasma der Zellenleiber ist nicht deutlich ab-
grenzbar; es scheint in die erwähnte gelbliche Substanz (Zwischen-
substanz) überzugehen. Die Kerne hingegen sind scharf abge-
grenzt und gut tingirt. Es ist kein Kernkörperchen zu sehen, aber
fast immer einige stärker gefärbte Punkte. Wesentliche Unterschiede
zwischen den mehr peripherisch und den nach innen liegenden
Zellen resp. Kernen konnte ich im Hoden junger Thiere nicht
finden, nur kann man sagen, dass die letzteren etwas grösser sind
als die ersteren.
Die oben erwähnte gelbliche Substanz (b) füllt alle Spalträume
zwischen den Kernen aus und ist oft in so grosser Menge vorhanden,
dass ein Kanälchenlumen nicht zu sehen ist. In gehärteten Prä-
paraten nimmt dieselbe oft sonderbare Gestaltung an; meistens
Die Entwicklung der Spermatozoiden. 601
scheint sie in radiärer Richtung gespalten. Was die Structur die-
ser Substanz betrifft, so sieht sie in gehärteten Präparaten ent-
weder homogen oder feinkörnig aus. Ersterer Zustand scheint der
normale, der andere ist wohl durch Zerfall der Kerne hervorge-
rufen. In einigen Präparaten fallen, nach längerem Auswaschen
in Alkohol, die Kerne aus und es bleibt diese zähe Substanz allein
übrig, die so eine grob verzweigte Form darbietet.
Zerzupft man ein solches frisches Hodenkanälchen in Augen-
flüssigkeit, so sieht man viele Klümpcehen von dickflüssiger Masse
und runde Zellen oft mit Fortsätzen und glänzenden Kernkör-
perchen.
Der Kanälcheninhalt — Fig. 2 — einer noch nicht geschlechts-
reifen — ungefähr 3 Wochen alten — Ratte besteht aus verschiedenen
runden Zellen in einer zähen Zwischensubstanz. In der peripheren
Zellschicht, auf der Tunica propria liegend (a), sieht man
gleichartige, runde Kerne, die in regelmässiger, radiärer Ordnung
gruppirt sind. In der Mitte zeigen sie Kernkörperchen von ver-
schiedener Grösse. Nach innen folgt auf diese Schicht noch eine
andere (b), auch von runden, aber etwas grösseren und nicht regel-
mässig radiär angeordneten Elementen. Alle diese beschriebenen
Zellen stehen in deutlicher Aufeinanderfolge und vermehren sich
dureh Theilung: man sieht nämlich in der mittleren Schicht viele
Zellen mit karyokinetischen Figuren, ferner solche mit mehreren
Kernen, welche eingeschnürt und mit zwei Kernkörperchen versehen
sind.
Die Kerne der im Centrum des Kanälchens gelegenen run-
den Zellen werden zu grossen von der Zwischensubstanz begrenz-
ten Körnchenhaufen (ce). Nach dieser Metamorphose scheinen die
Elemente im ruhenden Hoden zu Grunde zu gehen.
Ausserdem sind im Kanälcheninhalt der Ratte noch andere
srosse, ganz hell eontourirte, runde, kernlose und niemals gefärbte
Elemente (d) vorhanden, die wir später noch häufiger bei der ge-
schlechtsreifen Ratte finden werden und für Klümpchen von hya-
liner Substanz halten müssen. Die Zwischensubstanz, auch bei der
Ratte sehr reichlich, füllt häufig das Kanälchenlumen, nur erscheint
sie mehr granulirt.
Im Hoden vom jungen, ungefähr 6 Monate alten Kater findet
man dieselbe zähe Substanz mit vielen eingelagerten Kernen. —
In Hoden von noch nicht geschlechtsreifen Thieren anderer Spe-
cies ist ganz dasselbe zu sehen.
Archiv f. mikrosk, Anatomie. Bd. 25. 41
602 D. Biondi:
Der Kanälcheninhalt von noch nicht gesehlechtsreifen Säuge-
thieren besteht demnach aus runden Zellen und einer Zwi-
schensubstanz. Ein wesentlicher Unterschied zwischen den run-
den Zellen scheint in dieser Periode nicht vorhanden zu sein.
Die Zwischensubstanz entsteht wahrscheinlich durch Zerfall der
Zellen und ist wohl eine Art von Eiweisssubstanz, welehe durch
Einwirkung härtender Agentien sehr zähe wird und ein eigenthüm-
liches netzartiges Gefüge annimmt.
Das mikroskopische Bild des Samenkanälchens vom brünsti-
gen Stier ist höchst mannigfaltig. Was mir zunächst auffiel, war
das gleichzeitige Vorkommen fast aller Entwicklungs-
stufen vonSamenfäden nicht nur in demselben Präparate,
sondern auch in den einzelnen Kanälchenquersehnitten
desselben Präparates, wie auch in den Elementen des-
selben Seetors eines Kanälchenquerschnittes.
Die Figur 3 zeigt z. B., dass dicht an der Kanälchenwand
nebeneinander Elemente von ganz verschiedenen Charakteren lie-
sen (a), denen zum Lumen hin andere, in concentrischen Reihen
angeordnet, ebenfalls in verschiedenen Entwicklungsstadien befind-
lich (b), folgen. Zwischen allen sieht man dann, senkrecht auf
der Kanälchenwand und bald mit, bald ohne peripherischen Kern
die Spermatoblasten der Autoren mit Spermatozoiden (ce).
Was ferner in die Augen springt, da wo die topographischen
Verhältnisse gut erhalten sind, ist die säulenartige Anordnung
der Zellen. Von der Peripherie nach dem Lumen sieht man,
dass einem basalen Elemente auf derselben Linie ein zweites,
drittes, viertes bis sechstes folgt, ferner, dass alle Säulen mehr
oder weniger nach dem Lumen convergiren und dass mit unbe-
deutenden Unterschieden alle aus derselben Zahl von Gliedern
bestehen.
Wenn wir nun die Stadien oder Phasen, welche die einzel-
nen Säulen durchlaufen, verfolgen, können wir uns von der Ent-
stehung der Spermatozoiden aus den Elementen der Säulen sehr
leicht überzeugen.
Man kann an den Präparaten 8 solcher Phasen unterscheiden,
welche an dem nebenstehenden Schema mit den Ziffern 1—8 be-
zeichnet sind.
Die Entwicklung der Spermatozoiden. 603
St.Z. (Stammzelle). M.Z. (Mutterzelle). T.Z. (Tochterzellen).
Erste Phase. Bei starker Vergrösserung stellt sich uns eine
Säule von Elementen dar, wie in Fig. 4, und 4, Taf. XXVI. In der-
- selben sehen wir drei charakteristische Arten von Zellen, die von der
Peripherie nach dem Centrum drei bestimmte Zonen, von mir
erste, zweite, dritte Zone genannt, bilden. Ohne Ausnahme besteht
die erste Zone aus nur einem Elemente (a), die zweite aus eins
bis drei, meistens zwei Elementen (b), die dritte aus zwei bis
acht, meistens vier Elementen (ec).
Das Element der ersten Zone, das ich Stammzelle (St. Z.)
nenne (a), liegt diehtan der Tuniea propria des Kanälchens; ist
rundlich und zeigt deutlich Zellmembran, Zellleib, Kern und
Kernkörperehen. Die Zellmembran von diesem und den folgenden
Elementen erscheint in Präparaten aus Flemming’scher Flüssig-
keit wie eine ganz feine, schwarze, mitunter wellige Linie, die
604 D. Biondi:
häufig von der protoplasmatischen Zwischensubstanz sich nicht
deutlich abgrenzt und manchmal, ebenso wie der äussere Theil
des Zellprotoplasmas, etwas gestreift erscheinen kann. Man sieht
solche Streifen besonders nach dem central gelegenen Pole des
Elementes, wo es in Berührung mit dem ersten Elemente der zwei-
ten Zone steht. Im übrigen Theil ist der Zellleib in der Regel
ganz klar und zeigt nur ausnahmsweise spärliche, kleine, schwarze
Körner. Der Kern, fast immer ganz rund und mit distineter Be-
grenzung, zeigt oft eine äussere, mit Safranin rosa gefärbte,
und eine centrale intensiv rothe Zone. Die äussere Zone ist
meist fein, die innere grob granulirt, die Grenze zwischen beiden
manchmal maulbeerförmig gekerbt. Unter den gröberen Körnern
der inneren Kern-Zone erscheint in der Regel eines sehr dent-
lich in der Mitte, welches vielleicht das Kernkörperchen reprä-
sentirt.
Die Elemente der zweiten Zone, die ich Mutterzellen (M. Z.)
nenne, sind einander ähnlich, etwas grösser als die der ersten Zone,
aber mehr oval. Sie haben ebenfalls eine Grenzlinie, die indessen oft
in die Zwischensubstanz übergeht. Der Kern ist gross und eckig
und besteht aus einer Anhäufung von chromatischer Substanz,
welche verschiedene Kerntheilungsfiguren zeigen kann.
Die Elemente der dritten Zone, die ich Tochterzellen (T.Z.)
nenne, sind ein- — Fig. 4 — oder zweireihig gruppirt — Fig. 4".
Sie haben pflasterförmige Gestalt und sind von einer feinen Grenzlinie
umgeben. Der Zellleib ist ganz klar oder zeigt kleine protoplas-
matische Häufchen. Der Kern ist rundlich und scharf begrenzt,
In demselben sind zwischen unregelmässigen Anhäufungen von
protoplasmatischer Masse oft 2—3 Kernkörperchen zu sehen,
die fast rund und in Flemming’scher Flüssigkeit schwarz gefärbt
erscheinen und oft auf der Kernmembran liegen.
Jede Säule steht genau senkrecht auf der Kanälchenwand
und bildet ein Prisma mit der Spitze gegen das Lumen hin, eine
Configuration, welche wohl durch die Raumverhältnisse innerhalb
des Kanälchens bedingt ist.
Die verschiedenen Theile einer Säule stehen in direeter Berüh-
rung mit einander, während die Säulen selbst seitlich durch etwas
Zwischensubstanz von einander getrennt sind.
Alle Glieder je einer Säule entstehen aus der Stammzelle.
Zu einer gewissen Periode sieht man, dass der Kern der Stamm-
Die Entwicklung der Spermatozoiden. 605
zelle grösser und granulirt wird, sich einschnürt und in zwei
Theile zerfällt. Es entsteht so die erste Mutterzelle, die
weiterhin Tochterzellen gibt. Im Ganzen scheint eine Stamm-
zelle etwa vier bis sechs Generationen produeiren zu kön-
nen, was ich aus dem Verhalten der Zellen in den Säulen schliessen
möchte —, wonach sie dann selbst die gleichen Metamorphosen
durchmacht wie die von ihr gelieferten Mutter- und Tochterzellen.
Die neugebildeten Elemente werden, weil seitlich kein freier Raum
ist, durch die Vis a Tergo, in einer Linie bis zum Centrum des
Kanälchens vorgeschoben.
Die zweite Phase — Fig. 5 Taf. XXVI und Holzschnitt
Phase 2 — charakterisirt sich dureh die Umwandlung der
Elemente der dritten Zone (Tochterzellen) in Sperma-
tozoiden, während die Elemente der zweiten Zone (Mut-
terzellen) Tochterzellen geworden sind und das Element
der ersten Zone (Stammzelle) die Merkmale einer Mut-
terzelle angenommen hat.
Im Einzelnen stellt sich dieser Vorgang folgendermassen dar:
Der Kern der Tochterzellen (dritte Zone) begibt sich nach dem
peripherischen Pole des Elementes, während dasselbe im Ganzen
oval wird. Am Pole selbst sieht man eine nach der Kanälchen-
wand gerichtete Spitze. Dies ist die erste Erscheinung der Kopfes
des Spermatozoiden. — Gleichzeitig ist der Kern wie das ganze Ele-
ment noch schmäler geworden, während man die 2 oder 3 Kern-
körperchen, die wir in dem Elemente vorher gefunden haben, nicht
mehr sieht. Später perforirt die erwähnte Spitze die Kernmem-
bran, der Kerninhalt nimmt das Aussehen eines Stäbehens mit
einem abgerundeten peripheren (a) und einem scharf abgeschnitte-
nen centralen Pole (b) an; der Zellleib sowie der achromatische
Theil des Kerns wird frei und gibt eine durchsichtige oder fein-
sranulirte Substanz ab, die manchmal rings um den metamorpho-
sirten Kern in ovaler Form bestehen bleibt. In dieser Periode
der Spermatozoiden-Entwicklung sieht man mit sehr starker Ver-
grösserung stets ein Bläschen (ec) — die primitive Kernmem-
bran —, welche an dem centralen Pole hängen bleibt, während sich
in der Mitte eine ganz feine, kaum sichtbare Linie zeigt, die den
Schwanz des Nemasperms vorstellt. Später werden die Contouren
des Kopfes noch schärfer, der Schwanz perforirt, wie es scheint,
das Bläschen, welches nachher mit dem unteren Ende des Kopfes
das Mittelstück bildet.
606 D. Biondi:
In Folge dieser Beobachtungen kann ich mich denen an-
schliessen, welche der Meinung sind, dass alle 3 Theile des Sper-
matozoiden, d.i. Kopf, Mittelstück und Schwanz nur von
dem Kern ihren Ursprung nehmen und zwar nur von dem
chromatischen Theil desselben, während der achromatische
Theil und der Zellleib die zähe, durchsichtige, oben erwähnte
„Zwischensubstanz“ gibt!). Diese Beobachtung bestätigt somit
in vollem Umfange die von Kölliker über diesen Punkt ausge-
sprochene Meinung’).
In diesem Stadium sind die Elemente der zweiten Zone, wie
ich schon erwähnt habe, in Tochterzellen umgewandelt, worauf
die karyokinetischen Erscheinungen, die wir schon im ersten Sta-
dium gesehen haben, hindeuten. Die Zahl von Tochterzellen, die
aus einer Mutterzelle entstehen können, ist sehr verschieden, aber
gewöhnlich sind es nicht mehr als 6, die immer die Richtung der
Säule einhalten; nicht selten sieht man auch die Tochterzelle noch
in der Mutterzelle eingekapselt.
In der ersten Zone (s. Holzschnitt) beginnt die Stammzelle
des vorhergehenden Stadiums, die schon die ganze Generation der
Säule gegeben hat, sich umzuwandeln und nimmt den Charakter
einer Mutterzelle an, was besonders deutlich an der intensiven
Kernfärbung erkennbar ist.
Das wichtigste Unterscheidungszeichen der drit-
ten Phase ist die beginnende Umwandlung der Elemente
der zweiten und die fortgesetzte Umwandlung der Ele-
mente der dritten Zone in Spermatozoiden — Fig. 6, und 6,,.
— Natürlich sind die jungen Samenfäden der dritten Zone dieser
Phase zu derselben Zeit stets schon weiter in der Entwicklung,
als die der zweiten Zone, die noch das beschriebene Bläschen
zeigen können; aber alle neugebildeten Spermatozoiden sind um-
umgeben von der Substanz, welche durch den Zerfall der Zellen
entstanden ist, der von mir sogenannten „Zwischensubstanz“. Fer-
ner ist zu bemerken, dass in der zweiten Zone oft die Spermato-
zoiden in Bündelform scheinbar aus der Mutterzelle hervorgehen,
1) Gewebelehre. V. Aufl. p. 527 ff.
2) Ich hoffe dies in einer späteren Arbeit am menschlichen Hoden ge-
nauer nachweisen zu können.
Die Entwicklung der Spermatozoiden. 607
in dem Falle nämlich, wenn dieselbe, wie oben gesagt, die Toch-
terzellen noch in ihrem Innern birgt.
Das Element der ersten Zone kann dann in diesem Sta-
dium die Charaktere der Mutterzelle beibehalten (Fig. 6‘) oder
zu Tochterzellen geworden sein (Fig. 6°), die dann, wenn das letz-
tere der Fall ist, in direkter Berührung mit der Kanälchenwand
stehen.
Das Merk mal der vierten Phase ist die Umwandlung
aller Elemente der SäuleinSpermatozoiden (Fig. 7, und 7,,).
Auch die letzten (peripheren) Glieder der Säule, das heisst die Reprä-
sentanten der ersten Zone, machen die oben erwähnten Metamor-
phosen durch und wandeln sich schliesslich in Spermatozoiden
um, so dass stufenweise an die Stelle der Zellensäule ein Sperma-
tozoidenbündel tritt.
Bemerkenswerth in diesem Stadium ist Folgendes:
a) Am centralen Ende des Spermatozoidenbündels zwischen
den Schwänzen desselben sind viele runde Klümpcehen, welche
selbst bei den stärksten Vergrösserungen strukturlos erscheinen
und wohl die Reste der in Spermatozoiden umgewandelten Tochter-
zellen sind. Dieselben sammeln sich in Folge der Raumverhält-
nisse in dem Kanälchenlumen und werden später mit den Samen-
fäden ausgestossen..
b) Am peripheren Ende des Bündels sieht man entweder nur die
mehr oder weniger dieke Zwischensubstanz, die zwischen den Sper-
matozoiden selbst bleibt (Fig. 7°), oder noch einen ovalen Körper
(Fig. 7b). Auch hier kann man eine Struktur in diesem Ele-
mente nicht erkennen. Es scheint kernlos, zerrissen und gestreift,
besonders am oberen Pole: selten sind kleine spärliche Körnchen
zu beobachten. Die Streifen rühren von Eindrücken her, welche
die Spermatozoidenköpfe hinterlassen. Ich halte diesen Körper
für einen Rest der Kernmembran der Mutterzelle; nach Umwand-
lung des Inhaltes dieser Zelle in Spermatozoiden bleibt dieser Rest
übrig analog den anderen, die wir im Kanälchenlumen gesehen
haben. Ob die leere Hülle längsoval mit dem Bündel zum Lumen
heranrückt, oder platt an der Kanälchenwand liegen bleibt (was
auch oft zu sehen ist), hängt wohl davon ab, in welcher Richtung
der Druck der Nachbarelemente wirkt.
Die fünfte Phase ist charakterisirt dureh das Vor-
rücken der Spermatozoiden nach den Kanälchenlumen
(Fig. 5). Das Vorrücken ist ein passives und wird bewirkt durch
608 D, Biondi:
die Elemente der Nachbarsäulen, die zuerst die Spermatozoiden
zu einem Bündel zusammen- und es dann in das Kanälchencentrum
hineinpressen. Wir sehen also hier dieselben Kräfte wirken, welche
Lott!) und Drasch?) für die Ausstossung des Cylinderepithels
der Trachea resp. des Pflasterepithels herbeigezogen haben. In
dieser Phase sieht man, wie die Epithelzelle von Sertoli oder
die Stützzelle von Merkel und Henle oder der Spermato-
blast von v. Ebner und Neumann entsteht. In Folge des
Vorrückens des Bündels bleibt nämlich die erwähnte
Zwischensubstanz hinter demselben zurück, füllt alle
Zwischenräume zwischen den Nachbarsäulen bis zur Ka-
nalwand hin aus und bildet mit dem an ihrem centralen
Ende steekendem Samenfadenbündel zusammen den
Spermatoblasten.
Wie aller Zellen-Detritus zeigt auch diese Zwischensubstanz
nach der Einwirkung der härtenden Flüssigkeit keine eigene Struetur;
ihre Grenz-Contouren sind unbestimmt, mit vielen Winkeln und
Unregelmässigkeiten je nach den Raumverhältnissen der neben-
stehenden Elemente versehen; nur selten (Fig. 8) zeigt sie feine
Streifen, herrührend von Eindrücken der Spermatozoidenköpfe (b).
Inder sechsten Phase, noch vor der gänzlichen Aus-
stossung der Spermatozoiden, sieht man an der Basis
des sogenannten Spermatoblasten ein neues Element
mit den Charakteren einer Stammzelle erscheinen
(Pie.9:").
Der Ursprung dieses Elements erklärt sich so: Wie wir in
vorigem Stadium gesehen haben, findet man (um nur eine „Fläche
nicht die „körperliche Dimension“ in Betracht zu ziehen) an bei-
den Seiten eines Spermatozoidenbündels oder des sogenannten
Spermatoblasten je eine Säule der ersten Phase, deren Stamm-
zelle (Fig. 8 St. St.), nachdem sie bislang sich in radiärer Richtung
1) Ueber den feineren Bau und die physiologische Regeneration der
Epithelien, insbesondere der geschichteten Pflasterepithelien von Gustav
Lott. Untersuchungen aus dem Institute für Physiologie und Histologie in
Graz.
2) Die physiologische Regeneration des Flimmerepithels der Trachea
von Dr. Otto Drasch, LXXX. Band der Sitzb. der K. Akad. der Wissensch.
III. Abth. Oct.-Heft. Jahrg. 1873.
Die Entwicklung der Spermatozoiden. 609
getheilt hat, nunmehr eine tangentiale Theilung vollzieht und so
zwei neue basalliegende Stammzellen erzeugt !).
In Folge meiner Beobachtungen muss ich betonen, dass die
Theilung der Zellen nicht immer in einer bestimmten Richtung
erfolgt, sondern immer in derjenigen, in welcher zur Zeit der
Theilung gerade Raum frei ist. So haben wir gesehen, dass
eine Stammzelle Mutter- und Tochterzellen in der Richtung
senkrecht zur Kanälchenwand giebt, weil zuerst dieser Raum cen-
tral von der Stammzelle zu Gebote steht, während sie sich später
seitlich theilt, weil in Folge der Spermatozoidenausstossung in der
Nachbarschaft freier Raum entstanden ist. Vielleicht lässt sich
auf Grund dieser Erscheinungen ein allgemeines Gesetz der Zell-
theilung, was die Richtung derselben betrifft, aufbauen.
Die beiden letzten Phasen, die siebente und achte,
charakterisiren sich durch die Reproduction der ur-
sprünglichen Säule, d. h. der Elemente der zweiten Zone
(Mutterzellen) und derjenigen der dritten Zone (Tochter-
zellen) (Fig. 10 u. 11 und Holzschnitt).
Vom ersten Stadium unterscheiden sie sich dadurch, dass
man ausser den jungen Zellen noch die Spermatozoiden der vori-
gen Generation antrifft. Dieselben erkennt man daran, dass sie
vollständig entwickelt und nicht mehr in Berührung mit der Spitze
der Säule sind.
An einem Längsschnitte eines Samenkanälchens sieht man
pflasterförmige Elemente mit Kernen von verschiedener Grösse, und
Zwischenräume mit einer structurlosen Substanz ausgefüllt, welche
offenbar mit der oben beschriebenen Zwischensubstanz identisch ist.
Um mich zu überzeugen, dass die Zwischensubstanz in den
Samenkanälchen nichts anders als eine eiweissartige Ausfüllungs-
masse nicht zelliger Natur sei, habe ich mich vor der Härtung
bemüht, dieselbe zu lösen.
Zu diesem Zwecke habe ich ganz kleine frische Hodenstücke
1) Diesen Theilungsmodus, wie es nach seinen Abbildungen scheint, hatte
Kölliker schon im Jahre 1856 gesehen.
610 D. Biondi:
vom Stier direkt in verschiedene Lösungen eingelegt, dann gehärtet
und geschnitten. Am geeignetsten haben sich Salmiak- und Koch-
salzlösungen erwiesen, die ich in verschiedenen Concentrationen
(1—2—-10°/,) und für verschiedene Zeitdauer (1—6 Stunden) an-
gewandt habe.
Schon nach sehr kurzer Einwirkung der 10°/,igen Lösung !)
war makroskopisch um das Gewebsstück eine grosse Menge dieser
Substanz als weissflockige Wolke sichtbar. In solchen Präparaten
war dann nach der gewöhnlichen Härtung nichts mehr an der
Stelle der sogenannten Spermatoblasten zu sehen.
Auch in Hodenpräparaten desselben Thiers, welche vor der
Härtung vorsichtig mit dem Gefriermikrotom geschnitten, wie auch
in ganz frischen zerzupften Präparaten war keine Spur von den
Ebner’schen Spermatoblasten anzutreffen.
Dieselben Bilder, die wir an den Hoden des brünstigen Stieres
gesehen haben, wiederholen sich fast noch deutlicher wahrnehm-
bar in den Samenkanälchen der geschlechtsreifen Ratte. In
feinsten, auf dem Deckglas angeklebten Schnitten ist nach gelun-
gener Safranin-Tinetion die topographische Lage aller Elemente
einer Säule vollkommen erhalten. In einer Reihe (Fig. 12) sind
ganz wie beim Stier die runden Samenzellen angeordnet: einer
basalen Stammzelle folgt die Mutterzelle und dieser die
Tochterzellen. Auch hier werden also die drei Zonen gebildet.
Die Zellen sind pflasterförmig, berühren sich gegenseitig und zei-
gen untereinander die beschriebenen charakteristischen Unterschiede.
Von Abweichungen hebe ich hervor:
a) Bei der Ratte besteht die zweite Zone der Säule ebenso
wie die erste constant aus einem Gliede (während wir beim
Stier doch 2—3 gesehen haben): die dritte Zone besteht fast
immer aus 5 Gliedern.
b) Vor dem Vorrücken des Bündels treffen wir die Sperma-
tozoidenköpfe häufig ganz in Berührung mit der Kanälehenwand.
c) Die Spermatozoiden stammen oft, ohne dass vorher
Tochterzellen auftreten, direkt aus den Zellen der ersten
(Stammzelle) und der zweiten Zonen (Mutterzelle), dann ragen sie
in einem Bündel alle aus einer Zelle hervor und stehen mit den
Köpfen dicht zusammen (Fig. 13°).
1) Ich habe die kleinen Stücke meist 1 Stunde in der Flüssigkeit ge-
lassen,
Die Entwicklung der Spermatozoiden. 6ll
d) Nach vollständiger Umwandlung der Elemente einer Säule
in Spermatozoiden bleibt nicht wie beim Stier am unteren Ende
des Bündels der Rest der Kernmembran der Stammzelle liegen,
was vielleicht von der Zartheit der Kernmembran bei diesem Thiere
abhängt (Fig. 12 u. 13°).
Im Centrum des Kanälchenlumens zwischen den Spermato-
zoidenschwänzen sieht man denselben Zellrest (Zwischensubstanz)
häufig mit kleinen Fetttröpfehen (Fig. 12 u. 13‘) erfüllt.
e) Die ersten Erscheinungen der freien Eiweisszwischensub-
stanz sehen wir, wenn eben die Ausstossung des Bündels begonnen
hat (Fig. 13°). In derselben oder neben ihr treffen wir auch
grosse runde Tropfen von hyaliner Substanz, ähnlich der schon
in Hoden noch nicht geschlechtsreifer Ratten gefundenen (Fig. 2
und 15%). Was im übrigen die verschiedenen Stadien jeder Säule
und den Ursprung der Spermatozoiden direkt aus dem Zellkern
betrifft, so wiederholen sich hier die beim Stier beobachteten
Vorgänge.
Bei den übrigen untersuchten Säugethieren, besonders beim
Kater und Bock zeigt der Kanälcheninhalt denselben Bau. Auch
hier trifft man nur eine Art von Samenzellen, angeordnet in Säulen,
welche dieselben Phasen der drei Zonen durchmachen. Wie bei
der Ratte, habe ich auch bei diesen Thieren den Rest der Kern-
membran am peripheren Ende des Bündels nie getroffen.
Rana temporaria und Triton taeniatus.
Von beiden Batrachiern untersuchte ich Hoden während der
Brunstzeit, d. i. im April, Mai und Juni nach Behandlung mit
Flemming’scher Flüssigkeit und Safraninfärbung.
Auch hier finden wir nur eine Zellenart, deren Ab-
kömmlinge anstatt. in einer Säule in eystenäbnlichen
Haufen gesammelt sind.
Der Kanälchenquerschnitt (Fig. 14) einer Rana zeigt zwischen
vielen Bündeln von vollständig entwickelten Spermatozoiden (a)
an der Wand abwechselnd halbkuglige, verschieden grosse eysten-
artige Zellhaufen (b) und isolirte grosse Zellen (e). Die Haufen
sitzen mit breiter Basis der Wand auf und enthalten, je nach der
612 D. Biondi:
Grösse, eine verschiedene Anzahl von runden Zellen. Die isolirt
liegenden Zellen sitzen meist dieht an der Wand, von ihnen strahlt
fächerförmig je ein Spermatozoidenbündel nach dem Centrum
hin aus.
Mit starker Vergrösserung sehen wir in einem Segment des-
selben Kanälchens (Fig. 15) die Wand aus einem eigenthüm-
lichen sehr dicken Bindegewebe bestehend (a, unten). Es zeigt isolirt
liegende, grosse, ovale oder keulenförmige Kerne mit vielen
Kernkörperchen. An einzelnen Stellen scheint es, als ob diese
Kerne die Grenze der Membrana propria durcbbohrten und in
das Kanälchen hineinragten. In den fächerförmig angeordneten
Spermatozoidenbündeln (b) finden wir ausser den Schwänzen eine
zähe mit Safranin sich gelb färbende Substanz, die oft das ganze
Lumen ausfüllt. Die an der peripheren Spitze des Bündels sitzende
grosse, runde, rosa gefärbte Zelle (d) zeigt eine scharf contourirte
Membran und nach innen von derselben eine breite, helle, den Kern
umgebende protoplasmatische Schicht. Der Letztere enthält viele
grosse Körner und ist oft in Theilung begriffen. Neben dieser Zelle
sieht man eine andere ebenfalls mit a bezeichnete vielkernige, bedeu-
tend grössere. Die Hauptveränderung, die dieselbe erkennen lässt, ist
das Auftreten mehrerer Theilungen, durch welche viele andere Zellen
aus ihr entstehen, die auch Kernkörperchen und abgesonder-
ten protoplasmatischen Stoff besitzen. Wie man an zahlreichen
Präparaten leicht verfolgen kann, giebt diese Zelle, die ich
für eine Stammzelle halte, nach vielen wiederholten Theilungen
den genannten eystenartigen Zellen-Haufen ihren Ursprung. Was
die Entstehung dieser Stammzelle betrifft, so scheint es (vergl. die
Abbildung), dass sie, sobald ein Haufen von Elementen in Sperma-
tozoiden umgewandelt ist, von einem Nachbarhaufen herkommt.
Möglich ist aber auch, obwohl ich es nie gesehen habe, dass nach
der Umwandlung der Kerne in Spermatozoiden, eine Zelle sich
nicht umwandelt, an die Wand des Kanälchens rückt und als
Stammzelle für eine neue Generation übrig’ bleibt.
Die eystenartigen Haufen (f) haben, wovon man sich bei star-
ker Vergrösserung überzeugen kann, keine eigene Membran und
bestehen nur aus runden intensiv gefärbtenZellen (Tochterzellen),
die sich später in Spermatozoiden umwandeln. Sonach ist, we-
nigstens für Rana, die Bezeiehnung ‚Cysten“ nicht zutreffend.
Die Ausstossung der Spermatozoiden geschieht auch bei Rana
Die Entwicklung der Spermatozoiden. 615
mittelst der Expansionskraft der benachbarten Tochterzellenhaufen ;
zu den Seiten eines Spermatozoidenbündels liegen ja Tochterzellen,
die in Folge ihres eigenen Wachsthums die Spermatozoiden in das
Centrum des Kanälchens vorschieben.
An Querschnitten von ganzen Hoden von Triton taeniatus
(Fig. 16) fand ich die vier schon von Helmann!) beschriebenen
Abtheilungen. Rechts aussen (a) sieht man kleinere kreisförmige
Räume mit je 1—2—4 Zellen. Jede Zelle (Stammzelle), isolirt
von den andern mittelst bindegewebiger Leisten, die besonders an
der Stelle, wo sie der Wand entspringen, dreikantige Kerne be-
sitzen, ist gross, rund, mit einem grob granulirten Kern versehen
und fast immer in Theilung begriffen — Fig. 17 zeigt eine solche
in Theilung begriffen bei starker Vergrösserung. Dieser folgt die
zweite Abtheilung (b) mit Samenkanälchen ähnlichen, aber kein
Lumen aufweisenden Gebilden, die von radiär verlaufenden kern-
haltigen Septen durchzogen sind. Jeder isolirte Raum dieser
zweiten Abtheilung enthält eine beträchtliche Anzahl von Tochter-
zellen, die durch Theilung der Stammzellen erzeugt sind. Die
Tochterzellen sind auch rund, stehen in Berührung miteinander
und haben grosse Kerne und Kernkörperchen. Fig. 18 zeigt ein
Nest von sich theilenden Zellen dieser Art.
In der dritten Abtheilung (ce) sind ebenfalls grosse Räume,
aber hier hat grösstentheils schon die Zellproliferation aufgehört
und die Umwandlung der Elemente in Spermatozoiden begonnen.
Neben Räumen mit den nur theilweise in Spermatozoiden umge-
wandelten Tochterzellenhaufen sind andere, blos von Samenfäden-
knäueln erfüllt, vorhanden.
Etwas weiter nach links findet man nur leere Räume, etwas
kleiner als die vorigen, welche keine Spermatozoiden mehr ent-
halten (d). Hier trifft man zwischen den bindegewebigen Kernen
und Leisten runde Zellen, vielleicht übriggebliebene, nieht zu Sper-
matozoiden umgewandelte Zellen, die für die nächste Generation
als Stammzellen dienen müssen.
Endlich werden die Räume nach der Peripherie hin noch
kleiner und enthalten die oben erwähnten Stammzellen.
1) C. Helmann, Ueber die Entwickelung der Spermatozoen der Wir-
belthiere. Dorpat -1879. S. 26-29,
614 D. Biendi:
Diese Anordnung lässt vermuthen, dass beim Triton taeniatus
die Spermatozoidenerzeugunzg von einem Pole des Organs nach
dem andern hin abläuft, und zwar nach erfolgter Metamorphose
der Stammzellen in Muiter- und Tochterzellen innerhalb der be-
sehriebenen bindegewebigen Leisten, resp. der davon umschlossenen
Räume.
IV. Vergleiehung mit den Beobachtungen anderer Forscher.
Während meine Beobachtungen sich zum weitaus grössten
Theil mit den Befunden der früheren Autoren deeken, gelange ich
zu Schlüssen, welche von den ihren weit entfernt sind. In der That
lassen sich jedoch die besseren Bilder der früheren Forscher sehr
wohl mit den neu gewonnenen Erkenntnissen vereinigen. So wer-
den alle Streitfragen erledigt, indem es sich zeigt, dass alle Autoren
richtig gesehen und abgebildet. aber ihre Bilder nicht richtig ge-
deutet haben.
Sertoli hat eonstant die verästelte, manchmal mit basalem
Kern versehene Masse gesehen, und, obwohl er selbst die Abwesen-
heit einer Grenzmembran hervorhebt und die unbestimmten, variabeln,
nur selten sichtbaren centralen Endigungen beschreibt, so konnte
er sehr wohl zu der Annahme eines neuen Elements gelangen, und
dies um so mehr, als ihm an der Kanälchenwand zweierlei Arten
von Kernen auffielen. Jetzt wird klar, dass der basale Kern des
Sertoli’schen Elemenis nichts anders ist als der Kern einer Stamm-
zelle, deren oben beschriebene Charaktere mit den von Sertoli dem
Kern seines Elements zugesehriebenen Eigenschaften genau über-
einstimmen.
Nun lösen sieh auch die Controversen, betrefiend die Charak-
tere und das Vorhandensein eines Kerns im Sertoli’schen Ele-
mente: manchmal kann die Stammzelle schon die Charaktere einer
Mutterzelle angenommen haben, ein andermal, wie wir gesehen
haben, kann wirklich die protoplasmatische Masse (Zwischensub-
stanz) gar keine Kerne zeigen. Hier hat Neumann Recht, wenn
er vor der Entstehung der Lappen gar keine Kerne am Fusse des
Spermatoblasten gesehen hat.
Wieder Andere haben als Kern des Sertoli’'schen Flemesk)
den Mutierzellen-Best beschrieben, der nach der Umwandlung der
Zelle in Samenfäden noch eine Zeit lang zusammengefallen an der
Kanälehenwand liegen bleibt
Die Entwicklung der Spermatozoiden. 615
Was die verschiedenen Phasen der runden Zellen betrifft, so
stimmen meine Beobachtungen mit den exacten Angaben Sertoli’s
überein. Nur ist folgender Unterschied hervorzuheben: Meine
Stammzelle entspricht niebt der Keimzelle von Sertoli, son-
dern dem, was er für den Kern seines Elementes ansieht.
Die Sertoli’schen Keimzellen gehören, wie Afanassiew?) rich-
tiz beobachtet hat, nieht dem Inhalt des Samenkanälehens an,
sondern der Kanälchenwand. Die Sertoli’schen Samenzellen
sind meine Mutterzellen und seine Nematoblasten meine
Tochterzellen.
Die Merkel’schen Ansichten über die Stützzellen finden die-
selbe Erklärung wie die Sertoli’schen Elemente Wie schon
Mihalkovies andeutet. sind diese Gebilde nicht lebende Zellen,
sondern Umwandlungsproducte von Zellen.
v. Ebner, der zu einer gewissen Zeit die Anlagen der Samen-
fäden am eentralen Ende der Zwischensubstanz und ein andermal
dieselben in Bündeln um letztere angeordnet gesehen hat, musste
natürlich die Samenfäden nieht von den runden Zellen, sondern
von seinen Spermatoblasten herleiten. Indem er es unterlassen hat,
an Isolirpräparaten sich von der wahren Bedeutung der runden
Zellen für die Spermatogenese zu überzeugen, indem ihm weiterhin
entgangen ist, dass die in seinen Spermatoblastenlappen auftreten-
den Kopfanlagen der Spermatozoiden schon vollständig entwickelte
Samenfäden sind, kam er zu jener irrthümlichen Vorstellung, welehe
so viel Schwierigkeiten in den von uns behandelten Gegenstand
hineingetragen hat. Immerhin aber bleibt den Arbeiten Sertoli’s und
v.Ebner’s das unbestreitbare Verdienst, ein neues morphologisches
Element innerhalb der Samenkanälehen nachgewiesen und damit
zu gründlicheren weiteren Studien die Anregung zegeben zu haben.
Die v. Ebner'sche erste Anlage der Samenfädenköpfe in den
Spermatoblastenlappen entspricht meiner sechsten Phase, d. i. der
Samenfädenausstossung. Die kernartigen Gebilde, die er in diesen
Lappen unterscheidet, sind die Reste der runden Zellen nach Um-
wandlung der Kerne in Samenfäden. Ueberzeugt von dem central
gelegenen Ursprung der Samenfäden nimmt v. Ebner seine Zuflucht
1) R. Afanassiew, Untersuchungen über die sternformizen Zellen der
Hodenkanälehen und anderer Drüsen. Archiv f. mikrosk. Anatomie Bd. XY
H. II. S. ®0. Taf. XL
616 D. Biondi:
zu der Hypothese, dass dieselben vom Centram nach der Peripherie
des Kanälchens wandern, ein so unnatürlicher Weg, dass es schwer
hält, eine treibende Kraft für denselben ausfindig zu machen.
Neumann liess sich durch v. Ebner’s verführerische Theorie
und das nicht minder verführerische mikroskopische Bild verleiten,
obwohl er zugeben muss, dass zu der Zeit, wo Spermatozoiden in
dem Lappen auftreten, Spermatoblasten gar nicht zu sehen sind.
Aber da er die Entstehung von Samenfäden aus den runden Zellen
doch gesehen hat, so betrachtet er letztere nicht mit v. Ebner als
Leukoeyten, sondern als abgetrennte Lappen des Spermatoblasten,
die sich noch in Spermatozoiden umwandeln können.
Ihm schliesst sich W. Krause an, der ebenfalls von abgelösten
Spermatoblastenlappen resp. abgebrochenen Spermatoblastenköpfen
spricht.
Die Blumberg’sche Vorstellung, d. i. die Entstehung von
Samenfäden einmal aus den runden Zellen und aus den Spermato-
blasten erklärt sich leicht. Blumberg hatte wirklich die Ent-
stehung aus den runden Zellen gesehen, ebenso wie die Vereinigung
der Samenfäden mit dem centralen Ende der Zwischensubstanz
und deutet diese Vereinigung unter dem Einfluss der herrschenden
Theorie als einen zweiten Ursprung.
Auch La Valette’s Beobachtungen lassen sich mit meinen
Befunden in Uebereinstimmung bringen: seine Spermatogonien
sind meine Stammzellen, seine Samenzellen meine Mutter-
zellen, seine Zellen in der Spermatogemme enthalten meine
Tochterzellen.
Wichtig sind die Beobachtungen von Mihalkovics, Ri-
volta!), Helmann, Müller und anderen, die von reichlicher,
freier, besonders während der Samenfädenentwicklung zunehmen-
der Eiweisssubstanz sprechen. Dieser Substanz schreibt v. Mihal-
kovies die Epithelialzellen von Sertoli, die Stützzellen von
Merkel und das Keimnetz von Ebner zu, während er die Sper-
matoblasten bestehen lässt und im Grossen und Ganzen sich der v.
Ebner’schen Theorie anschliesst.
Merkel hat das Verdienst, zu einer Zeit, wo sich die meisten
Autoren der v. Ebner’schen Lehre zuwandten, unentwegt an der
1) S. Rivolta, Sopra gli elementi morfologiei eontenuti nei canalicoli
seminiferi del Testieolo degli animali domestici. Giornale di Anatomia, Fi-
siologia e Patologia degli animali. Pisa 1872. p. 74.
Die Entwicklung der Spermatozoiden. 617
Entstehung der Spermatozoen aus den runden Zellen des Hoden-
kanälchen festgehalten zu haben; so lange aber die Spermatoblasten
nicht richtig erklärt waren, mussten sich immer Schwierigkeiten
ergeben, wie wir sie u. a. in den Darstellungen von W. Krause,
Renson, der im Wesentlichen Merkel folgt, und neuerdings Swaen
und Masquelin finden.
Mit den von verschiedenen Seiten angenommenen zweierlei
Arten von Zellen im Hoden (auch abgesehen von den Spermato-
blasten) vermag ich mich nicht einverstanden zu erklären. Es
sind ausser den samenbildenden Zellen noch sogenannte Follikel-
zellen, Sternzellen, Stützzellen u. A. beschrieben worden, von deren
Existenz ich mich nicht überzeugen konnte. Sämmtliche Zellen,
welche ich in den Samenkanälchen finde, sind Abkömmlinge einer
Art und betheiligen sich alle an der Samenfadenbildung.
V. Sehlusssätze.
1) In den Samenkanälchen aller genannten Thiere, sowohl
von noch nicht geschlechtsreifen Individuen, als auch von solchen,
welche sich in der Periode der Reife befinden, trifft man nur eine
Art von Zellen (Samenzellen oder runde Zellen).
2) Die Epithelialzellen von Sertoli, die Stützzellen von Mer-
kel und Henle, die Spermatoblasten von Ebner sind Umwand-
lungsproducte und entstehen, sobald die runden Zellen die Samen-
fäden erzeugt haben, aus den Protoplasmaresten dieser Zellen.
3) Alle Samenzellen stammen von Stammzellen ab und
liegen in einer halbflüssigen Eiweisssubstanz.
4) Im thätigen Hoden giebt jede Stammzelle eine Genera-
tionvonZellen, die in einer Linie säulenartig angeordnetsind.
5) In jeder Säule unterscheidet man 3 Zonen, von der Peri-
pherie nach dem Centrum des Kanälchens 1., 2. und 3. Zone genannt.
Die 1. Zone enthält nur eine Zelle (Stammzelle), die 2.
eine Reihe von 2—3 Zellen (Mutterzellen), die 3. eine andere
Reihe von 4—6 Zellen (Tochterzellen).
6) Sobald die Zellgeneration einer Säule abgeschlossen ist,
beginnt vom Centrum nach der Peripherie die Umwandlung der
Zellen in Samenfäden.
7) Die drei Theile jedes Samenfadens entstehen nur aus
dem Kern, der mit der vorderen Hälfte den Kopf und mit der
hinteren Mittelstück und Schwanz liefert.
Archiv f. mikrosk. Anatomie. Bd. 25. 49
618 D. Biondi:
8) Die Spermatozoiden während und nach ihrer Bildung be--
wegen sich nicht nach der Kanälchenwand, sondern bleiben da,
wo sie formirt sind, liegen.
9) In Folge der vollständigen Umwandlung aller Zellen einer
Säule in Samenfäden, tritt an die Stelle jeder Zellensäule ein
Samenfädenbündel.
10) Die Ausstossung der Samenfäden geschieht mittelst der
Expansionskraft der Zellen der benachbarten Säulen.
11) Bei der Entstehung der Samenfäden aus den Kernen bleiben
Bestandtheile der letzteren und das Protoplasma der Samenbildungs-
zellen übrig. Diese „Reste“ wandeln sick in die erwähnte halb-
flüssige Eiweisssubstanz „Zwischensubstanz“ um.
12) Die Samenfäden stecken natürlich mit ihren Köpfen in
dieser Zwischensubstanz ; ein solches Bündel Samenfäden mit der
zugehörigen Zwischensubstanz, wie es aus einer Zellensäule hervor-
ging, und wie es zwischen den heranwachsenden Nachbar-Zellen-
säulen eingepresst liegt, ist ein v. Ebner’scher Spermatoblast.
13) An Stelle einer jeden Zellensäule tritt nach ihrer Um-
wandlung in Spermatozoidenbündel und Zwischensubstanz, und ihrer
Ausstossung folgend, eine neue Generation, hervorgehend aus einer
Stammzelle einer Nachbarsäule.
14) Die Kerntheilung der Stammzelle vollzieht sich nicht
immer in einer bestimmten Richtung, sondern in derjenigen, wo
serade Raum frei ist!).
Berlin, 30. Juli 1885.
1) Mit Rücksicht auf eine inzwischen erschienene vorläufige Mittheilung
von Grünhagen (Centralblatt f. d. med. Wissensch. 1855. Nr. 28, 11. Juli),
welcher unter Anwendung der Flemming’schen Lösung bezüglich der Auffas-
sung der Spermatoblasten zu demselben Resultate gelangt, wie Dr. Biondi,
bemerke ich, dass Letzterer mir die hier veröffentlichten Resultate, was die
Säugethiere anlangt, bereits Ende Februar d. J. vorlegte und durch Präpa-
rate bewies. Ich verhinderte ihn, schon damals zur Publication zu schreiten,
weil ich wünschte, namentlich mit Rücksicht auf die Arbeiten von Swaen
und Masquelin, dass auch noch ein anderer Thierkreis, und. speciell die
Batrachier, in die Untersuchung einbezogen werden möchten. Dr. Biondi
ist zu seinen Resultaten auch völlig unabhängig von mir gekommen; ich habe
im Gegentheil die Spermatoblasten als besondere Zellenform der Hodenkanäl-
chen ihm gegenüber lange vertheidigt, obgleich ich ihnen schon seit Ren-
son’s Untersuchungen, s. d. Arch., nicht mehr die denselben von v. Ebner
zugewiesene wichtige Rolle hatte belassen können. Waldeyer.
Die Entwicklung der Spermatozoiden. 619
Erklärung der Abbildungen auf Tafel XXVI und XXVII.
Fig. 1.
Fig.
Fig.
Fig.
Fig.
Fig.
Fig.
Fig.
Fig.
2.
10.
11.
Samenkanälchenquerschnitt vom Kalb. a,c Kerne. b Eiweisszwi-
schensubstanz. Vergr. 150.
Samenkanälchenquerschnitt einer noch nicht geschlechtsreifen Ratte;
a, b runde Zellen. c Körnchenhaufen. d hyalines Klümpchen.
Vergr. 150.
Samenkanälchenquerschnitt eines Stiers. a, d verschiedene Samen-
zellen. c sogenannte Spermatoblasten mit Spermatozoen. Vergr. 350.
Samenzellensäule. Erste Phase. Homog. Imm. Vergr. 1000. Zeiss’-
sche Camera lucida.
4. Nr. 1 erste Zone. Nr. 2 zweite Zone. Nr. 3 dritte Zone.
a Stammzelle. b Mutterzelle. c,c,c Tochterzellen.
4". Nr. 1 erste Zone. Nr. 2 zweite Zone. Nr. 3 dritte Zone.
a Stammzelle. 5b, b Mutterzellen. c, c Tochterzellen.
Samenzellsäule. Zweite Phase. Homog. Im. Vergr. 1000. Zeiss’sche
Camera lucida.
Nr. 1. Erste Zone. (Mutterzelle). Nr. 2. Zweite Zone (Tochterzellen).
Nr. 3. Dritte Zone (Samenfäden). a abgerundete periphere Pole
b scharf abgeschnittene centrale Pole. ce Bläschen (die primi-
tive Kernmembran) mit dem Schwanz in der Mitte.
Dritte Phase. Dieselbe Vergrösserung. Die Zellen der zweiten und
dritten Zone sind in Samenfäden umgewandelt, während die Zelle
der ersten Zone die Charaktere einer Mutterzelle beibehält (6’) oder
sich in Tochterzellen (6°) umwandelt.
7, und 7,,. Vierte Phase. Dieselbe Vergrösserung. Alle Zellen einer Säule
sind in Samenfäden umgewandelt. a,a runde, structurlose Klümp-
chen. b Rest der Kernmembran der Mutterzelle.
Fünfte Phase. Dieselbe Vergrösserung. Vorrücken der Spermato-
zoiden durch die Elemente der Nachbarsäule. «a Rest der Kern-
membran. D Kopf eines Spermatozoen. SZ Stammzelle. WZ Mut-
terzelle. TZ Tochterzelle.
Sechste Phase. Dieselbe Vergrösserung. Vor der gänzlichen Aus-
stossung des Bündels sieht man an der Basis eine Stammzelle er-
scheinen (9a). 9,, mit dem Reste der Kernmembran der früheren
Stammzelle, 9, ohne solchen Rest.
Siebente Phase. Dieselbe Vergrösserung. Reproduction der ursprüng-
lichen Säule. 1 Stammzelle (erste Zone) in Theilung begriffen.
2 Mutterzelle (zweite Zone) auch in Tbeiluug.
Achte Phase. Dieselbe Vergrösserung. Reproduction der ursprüng-
lichen Säule. 1 Stammzelle (erste Zone). 2 Mutterzelle (zweite
Zone). 3. Tochterzellen (dritte Zone).
620
Fig.
Fig.
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Fig.
Fig.
Fig.
Fig.
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Fig.
Fig.
12.
13°.
13’
14.
15.
16.
IE
18.
D. Biondi: Die Entwicklung der Spermatozoiden.
Ratte. Vergr. 800. Samenfädenbündel und Zellensäulen.
Dasselbe mit 1000 Vergrösserung.
Spermatozoidenbündel, direkt von einer Mutterzelle stammend.
Kanälchenquerschnitt einer Rana. Vergr. 200. « Samenfädenbündel.
b eystenartige Zellenhaufen. c isolirte grosse Zellen.
Dasselbe mit 1000 Vergrösserung. a(unten) Bindegewebe. b Samen-
fädenbündel, d Stammzelle, « (oben) Stammzelle in Theilung begriffen.
f eystenartige Haufen.
Querschnitt vom ganzen Hoden von Triton taeniatus. a (erste
Abtheilung) kleinere kreisförmige Räume mit je 1--2--4 Zellen.
b (zweite Abtheilung) Samenkanälchen ähnliche, aber kein Lumen auf-
weisende Gebilde. c (dritte Abtheilung) grosse Räume mit Samen-
fäden. d (vierte Zone) kleinere Räume mit übergebliebenen Stamm-
zellen.
Stammzelle von Triton in Theilung begriffen. 1000 Vergr.
Ein Nest von sich theilenden Zellen bei Triton. 800 Vergr.
Universitäts-Buchdruckerei von Carl Georgi in Bonn.
Archiv Fmikroskop Anatomie. Bd.XIV.
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Mikroskopische Anatomie
herausgegeben
von
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W. Waldeyer in Berlin.
Fortsetzung von Max Schultze’s Archiv für mikroskopische Anatomie.
Fünfundzwanzigster Band.
Erstes Heft.
Mit 7 Tafeln und 2 Holzschnitten.
Bonn
Verlag von Max Cohen & Sohn (Fr. Cohen)
1885.
Ausgegeben 22. April 1885.
Inhalt.
Untersuchungen über den ‚Bau der Iris des Menschen und der Wirbel-
thiere. Von Dr. J. Koganei, Assistenten am anatomischen In-
stitute zu Berlin. Hierzu Tafel I .
Ueber die Mitteldarmdrüse (Leber) der Mollusken. Im Auszuge mit-
getheilt von Dr. Johannes Frenzel in Berlin. Hierzu Tafel I
Ueber die Beziehungen der cavernösen Räume im Bindegewebe der
Anodonta zu dem Blutgefässsystem. Von Dr. med. P. Schüler
aus Colberg. (Aus dem histologischen Institut in Halle.)
Ueber Wundernetze und divertikelbildende Capillaren bei nackten Am-
phibien und in pathologischen Neoplasmen. Von Prof. J. Schöbl
in Prag. Hierzu Tafel III TER . :
Ein Mikro-Refractometer. Von Prof. Sigm. Exner, Assistenten am
physiologischen Institute zu Wien. Hierzu Tafel IV und 2 Holz-
schnitte : N ns AT
Beiträge zur Entwickelungsgeschichte der Samenkörper. Von Dr.
Gustav von Wiedersperg. Hierzu Tafel V, VI, VI.
Seite
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48
54
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Verlag von August Hirschwald in Berlin.
Soeben erschienen:
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am Cadaver und deren Verwerthung beim lebenden
Menschen
von Professor Dr. E. Gurlt.
Sechste Auflage. 1885. 4 Mark.
Die Thatsachen der Vererbung
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Band I-XX.
Bearbeitet von Ludwig Schirmeyer.
Preis 8 M.
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| W. Waldeyer in Berlin. |
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Fortsetzung von Max Schultze’s Archiv für mikroskopische Anatomie.
Fünfundzwanzigster Band.
Zweites Heft,
Mit 7 Tafeln.
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Bonn
Verlag von Max Cohen & Sohn (Fr. Cohen) n
1885.
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Inhalt.
Ueber den Darmkanal der Crustaceen nebst Bemerkungen zur Epithel-
regeneration. Von Johannes Frenzel. (Aus dem Zoologischen
Institut in Berlin.) Hierzu Tafel VII und IX. . . ....,.
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Von Martin Overlach, cand. med. (Aus dem histiologischen
Laboratorium in München.) Hierzu Tafel X und XI... . ..
Die Fussdrüsen der Insekten. Von Friedr. Dahl aus Neustadt in
Holst; Hierzu -Patel/XIE und XII aa
Studien an Epithelen. 1. Ueber Wanderzellen im Epithel. Von Dr.
Joseph Heinrich List in Graz. Hierzu Tafel XIV.
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Verlag von F. €. W. VOGEL in Leipzig.
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Universitäts-Buchdruckerei von Carl Georgi in Bonn,
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Fortsetzung von Max Schultze’s Archiv für mikroskopische Anatomie.
Fünfundzwanzigster Band.
Drittes Heft.
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Bonn
1885.
Verlag von Max Cohen & Sohn (Fr. Cohen)
I
Ausgegeben 17. August 1885.
Inhalt.
Vergleichend-histochemische Untersuchungen über das Glycogen. Von u
Dr. phil. et med. Dietrich Barfurth, Privatdocent und Assistent
am anatomischen Institut in Bonn (Aus dem anatomischen La-
boratorium in Bonn.) Hierzu Tafel XV—XVI.. . . . 2.2 ..%259
Beiträge zur Kenntniss der Entwickelungsgeschichte der Gl. Thyreoidea
und Gl. Thymus. Von Philipp Fischelis aus Odessa. (Aus dem
anatomischen Institute zu Berlin.) Hierzu Tafel XIX. . . . .. 405
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Universitäts-Buchdruckerei von Carl Georgi in Bonn.
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Mikroskopische Anatomie
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| v. la Valette St. George in Bonn
|
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Fortsetzung von Max Schultze’s Archiv für mikroskopische Anatomie.
SÄILIILIIILLLTTTN
Viertes Heft.
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N
| Fünfundzwanzigster Band.
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Bonn
Verlag von Max Cohen & Sohn (Fr. Cohen)
Be 188.
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I. Theil. Hierzu Tafel XX und XXl . Re
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stichlingnestes.. Von Prof. K. Möbius in Kiel. Hierzu Tafel XXU
Ueber die Spermatogenese bei den Pulmonaten. Von Gustav Platner.
Hierzu Tafel XXIII
Spermatologische Beiträge. Von v. la Valette St. George. Erste
Mittheilung. Hierzu Tafel XXIV und XXV
Die Entwicklung der Spermatozoiden. Von Dr. D. Biondi. (Aus dem
anatomischen Institute zu Berlin.) Hierzu Tafel XXVI, XXVI
und 1 Holzschnitt .
Seite
441
554
564
581
594
Bei Max Cohen & Sohn (Fr. Cohen) in Bonn ist eben erschienen:
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gezeichnet und in Kupfer gestochen
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Avant la lettre weiss Af 150.— Mit der Schrift chines. #4 105.—
Mit der Schrift weiss M 75.—
Von allen Nachbildungen der Sixtinischen Madonna unbedingt
die dem Original am Nächsten kommende, der glänzendste
und dekorativste aller vorhandenen Kupferstiche.
. . ’
Demnächst erscheint:
La Vierge au Linge
(Madonna mit dem Schleier).
Nach Rafael’s Gemälde in der Gallerie des Louvre in der
Grösse des Originals gezeichnet und in Kupfer gestochen
von
J- Kohlschein.
Epreuve de Remarque A 600.— Epreuve d’Artiste HH 240.—
Avant la lettre chines. A 150.— Avantlalettre weiss W 135.— #
Mit der Schrift chines. A 75.— Mit der Schrift weiss 44 60.—
Edi
Rafael’s liebliche Composition erscheint hier zum ersten Mal
in der Grösse des Originals, Pendant zu den Kupferstichen
gleicher Grösse: Sixtina — Sposalizio — H. Caecilia.
Aufträge übernehmen zu obigen Preisen alle in- und ausländi-
schen Buch- und Kunsthandlungen wie auch die Verlagshandlung,
welche ausdrücklich garantirt, dass nur tadellose Abdrücke zur
Versendung kommen.
Universitäts-Buchdruckerei von Carl Georgi in Bonn,
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