Skip to main content

Full text of "Archiv für mikroskopische Anatomie"

See other formats


RB F oh Zenat, 
Dei br 
Re 


Ma 
"elie ladienag antun 


Aare 
mp SB any ie 


ee: 
De 


er 
ira regen 


Hertel wirt 
EINES 


Bar We 


Men el r 


NBL 


Eee 


Eee — 


Archiv 


für 


Mikroskopische Anatomie 


und 


Eintwicklungsgeschichte 


herausgegeben 
von 
O. Hertwig in Berlin, 


v. la Valette St. George in Bonn 
und 


W. Waldeyer in Berlin. 
Fortsetzung von Max Schultze’s Archiv für mikroskopische Anatomie. 


Siebenundfünfzigster Band. 


Mit 45 Tafeln und 66 Textfiguren. 


Bonn 
Verlag von Friedrich Cohen 
RO0T: 


mus 


NE 
"li ws alle 0 
a 


! ph IHIE 


Br, A: VAHBLRWE N 


ET PTaeT) en ya art, 


A, 107 


Ki er, "N Fnir un Ar, iR 
‘ 


au Ay 
ET 


4% 
@ % 
4 
Si ve 
‘ - 
“ ” 1 A = Ä % es 


Inhalt. 


Kittsubstanz und Grundsubstanz, Epithel und Endothel. Von 
VERF EHdLe Ve re De an ee 0 

Biologie der Zelle. II. Die Reitung und Betruchtung des Eies. 
Von Dr. med. P. Poljakoff, Prosektor am anatomischen 
Institut zu St. Petersburg. Hierzu Tafel I, II u. III 

Die Reifung und Befruchtung (des Eies von Petromyzon fluviatilis. 
Von Dr. Karl Herfort, Arzt der Königlichen Landesirren- 
anstalt Dobran in Böhmen. Hierzu Tafel IV, V und VI. 

‘Ueber die elastischen Fasern in der Froschhaut. Von W. Ton- 
koff. (Aus dem anatomischen Institut in Freiburg i. Brse.) 
Hierzu Tafel VII e 

‚Ueber die in den Sehnen der schiefen Banohmuskeim Bi Eee 
vorkommenden „Inseriptiones elasticae“. Von Dr. Richard 
Hans Kahn, Assistenten am physiolog. Institut der deutschen 
Univerität in Prag. (Aus dem histologischen Institut der 
deutschen Universitätin Prag. Vorstand: Prof. Dr. Sigmund 
Mayer.) Hierzu Tafel VII. 3 0 3 ARE ge. 

‚Ueber die Endverzweigungen der Arterien der menschlichen 
Niere. Von Dr. M. Zondek. (Aus dem anatomisch-biolo- 
gischen Iustitut der Universität Berlin.) Mit 2 Textfiguren. 

Ueber das elastische Gewebe des Haarbalgs der Sinushaare nebst 
Bemerkungen über die Blutgefässe der Haarpapille. Von 
P. Ksjunin. (Aus dem Laboratorium des Prof. A.E. Smir- 
now an der Tomsker Universität.) Hierzu Tafel IX 

Beitrag zur Kenntniss der „motorischen“ Hirnrindenregion. Von 
Walther Kolmer, cand. med. aus Wien. Hierzu Tafel X. 

Studien über Flimmerzellen. Theil I. Histogenese der Flimmer- 
zellen. Von Dr. Alexander Gurwitsch, Assistent am ana- 
tomischen Institut. (Aus dem anatomischen Institut in Strass- 
burg.) Hierzu Tafel XI und XI. 

Zur Entwicklung der Augenmuskeln der Ente. Yon H. Be in 
Prag. Hierzu Tafel XIII u. XIV und 2 Textfiguren 

‘Zur Pankreasentwicklung der Säugethiere. Von Dr. Konrad 
Helly, Prosector. (Aus dem I. anatomischen Institut zu Wien.) 
Hierzu Tafel XV, XVI u. XVII und 20 Textfiguren 

Die Morphologie des Kaninchenblutes im Fötalzustande und in 


Seite 


Re} 
{5} 


102 


15} 


229 


IV. > Inhalt. 


den ersten Lebenstagen. Von Prof. Dr. N. Tscehistowitsch 
und Dr. W.Piwowarow. (Aus dem bacteriologischen Labo- 
ratorium der Kaiserlichen medicinischen Militärakademie zu 
St. Petersburg.) a ro 6 

Die Pars ciliaris retinae des Vosklauzes Von M. Nussbaum. 
Hierzu 6 vom Verf. gez. Figuren im Text 

Ueber die Histogenese des peripheren Nervensystems bei Sana 
salar. Von Dr. phil. Ross Granville Harrison, Johns 
Hopkins University, Baltimore, U.S. A. (Aus dem anatomi- 
schen Institut zu Bonn und dem anatomischen Laboratorium 
der Johns Hopkins Universität zu Baltimore.) Hierzu Tafei 
XVIOI, XIX u. XX und 7 Textfiguren . 

Weiterer Beitr ag zur Kenntniss des Nervenverlaufs in nd Rücken. 
haut von Rana fusca. Von Dr. A. Kühn, I. Assistent der 
medieinischen Universitäts-Klinik zu Rostock. Mit 13 Text- 
higuren 72% ‚ s 

Bemerkung zum Kutkatzt Dr. r ir Streiff, St mit Al 
koholkammer etc.“ Von Dr. G. Alexander. (Aus dem 
l. anatomischen Institut in Wien.) . EEE. 

Zur Kenntniss der Zelltheilung bei My Esnden. Von Fr. Meves 
und K. v. Korff. (Aus dem anatomischen Institut in Kiel.) 
Hierzu Tafel XXI und 5 Figuren im Text le Hl. 

Bemerkungen zu der Arbeit: Dr. W. Tonkoff: Die Entwickelung 
der Milz bei den Amnioten. Dieses Archiv Bd. 56, S. 392. 
Von J. JanosSik er { 

Untersuchungen über das ER ondyaem des Köunchens, 
Von Dr. R. Krause und Dr. M. Pbilippson. (Aus dem 
anatomisch -biologischen Institut der Universität Berlin.) 
Hierzu Tafel XXII-XXV 

Die Implantation des Eies der Maus in die ee 
und die Umbildung derselben zur Deceidua. Von Georg 
Burckhard. (Aus dem Institut für vergleichende Anatomie, 
Mikroskopie und Embryologie und dem anatomischen Institut 
der Universität Würzburg.) Hierzu Tafel XXVI, XXVI u. 
XXVII und 4 Textfiguren IB. 30. re N: 

Primitivfibrillenverlauf in der Netzhaut. Von Gustav Embden. 
(Aus dem physiologischen Institut der Universität Strassburg.) 
Hierzu Tafel XXIX v 

Weitere Mittheilungen über den Bau en RN, der hack: 
lichen Epidermis und ihren sog. Fettgehalt. Von Dr. Franz 
Weidenreich, Assistent am anatomischen Institut. (Aus 
dem anatomischen Institut in re Hierzu Tafel XXX 
u. XXXI und 1 Textfigur 

es n in der Kehliarenkeulämn von Pula Yon 
Dr. H. Smidt. Hierzu. Tafel XXXII 

Untersuchungen über die normale und nnlorinahl Hypotrsis 


Seite 


335 


346 


354 


445 


480 


481 


487 


488 


528 


570 


622 


Inhalt. 


cerebri des Menschen. Von Waldemar Thom, Assistenzarzt 
an der chir. Abtheilung des Krankenhauses der Barmherzigen 
Brüder (Prof. Witzel) zu Bonn. (Aus dem pathologischen 
Institute der Universität Kiel.) Mit 2 Textfiguren 
Beitrag zur Histologie des Muskelmagens der Vögel. Von orte 
Bauer, appr. Arzt. (Aus dem anatomischen Institut der 
Universität Freiburg i. B.) Hierzu Tafel XXXIII u. XXXIV 
und 2 Textfiguren re ya ER 
Zur Rückbildung embry Annalen Ahlasen! Von M. Nussbaum. 
Hierzu Tafel XXXV—XXXVIH . : er 
Mittheilungen zur Entwicklungsgeschichte der idechse IE Die 
Schlundspalten in ihrer Anlage, Ausbildung und Bedeutung. 
Von Dr. Karl Peter, Privatdocent und Prosector. (Aus 
dem anatomischen Institut zu Breslau.) Hierzu Tafel XXXVIII, 
XXXIX u. XL und 2 Textfiguren ne. SP: 
Ueber den Verhornungsprocess. Von Dr. Hugo Apolant. 
(Aus dem anatomischen Institut in Berlin.) Hierzu Tafel 
XLI und XLU SS er mc, A ia. © 2. ee 
Ueber Knochenregeneration. Experimentelle Studie. Von Dr. 
H. Wendelstadt, Privatdocent und Assistent am pharma- 
kologischen Institut in Bonn. Hierzu Tafel XLII, XLIV 
und XLV BL RE ae ee 2 
Zur Entwickelung der bleibenden Niere. Von Dr. Ulrich Ger- 
hardt. (Aus dem anatomisch-biologischen Institut der Ber- 
liner Universität) 


V 


Seite 


632 


198 


Karl y h 
N BEN L 
t > Pu ’ 
q a } » 
t r j j L 
dr £ vn, 7 N 
Al 4 un 
& h v 


AN tr Bad: ME WE 
j Au Pa n y% 
15 227 I Br. UN Ta lo} j 


ae | ame 
4 abi Y 4 
ö Ne A 7 om, 
BEN?" 2 2: RER laute FREE 
a h, SER Pi a LE SATT AU EEE Pe Er En Ai E N 
A| ke f IR Fr ı KR Al ars u 
iLi ı+ F > uf #57 FH 7114 I De 
NR SD. ee MZ H): it, TIER TTEE f u | 
Aa .s pr (ur) ah ıl # ir 
ERLITT Krn. 


ul Aal Da AUF HR N 


I ER Mare IST A 


| | EIER 2 m ang ar Dr: > f a 4 E- “ 
a un RT WUERUT, u J nen Pe 

Kr 
5 Sau ıs wg ’ ’ . N vo) 2 


HALLE. Ha ef 47 


[3 
1} ce N “ 
(sk 37% "Ai ed fr 
%; 
er 2 N 
y TR 
5 e . 
ee en 
“ . i 
| Be re 
” = N 
Pi 
Y I 
ber 
mi, \ 
u 
I 08 
eh 
TR 5 
LE 7 
N 2 12 
gi 
, = 
N A > R Pi j en 
h 


Fr Puch r 10 ; 
| Be. % er RER 5 f 


F f Nm 
,e . NA BR e 
N RR u AB: 
De! ef ki N 
I, Bo 42 h u 


DEE 


72 


Kittsubstanz und Grundsubstanz, Epithel und 
Eindothel. 


Von 
W. Waldeyer. 


In dem Gedenkbuche der Societe de Biologie in Paris: 
„Cinquantenaire de la Societe de Biologie. Volume jubilaire, 
publie par la Soeiete. Paris, 1899. 8. Masson et Cie.“ S.531 ff. 
habe ich vor Kurzem Gelegenheit genommen, die in der 
Ueberschrift bezeichneten Begriffe einer kurzen Besprechung zu 
unterziehen. Ich wählte diesen Gegenstand, weil noch immer 
so verschiedene Deutungen gegeben werden und die Namen 
manchmal wahl- und ziellos zur Verwendung kommen. Neues 
habe ich nicht viel bieten können; ich habe nur das zusammen- 
gestellt, was in der Litteratur vorhanden war und die Meinung, 
zu welcher ich, gestützt auf eigene Untersuchungen, gekommen 
bin, angeführt. 

Ich komme bezüglich der Grundsubstanz und Kittsub- 
stanz zu dem Schlusse, dass die Kittsubstanz am besten aus unserer 
Nomenklatur zu streichen sei und will die Schlusszeilen meiner 
eitirten Mittheilung im Livre jubilaire zu näherer Erklärung an- 
führen: 

„Unter „Grundsubstanzen“ oder „Interzellularsubstanzen“ ver- 
stehe ich lediglich Bildungen, welche zu den Bindesubstanzen 
gehören und für diese charakteristisch sind. Diese Grundsub- 
stanzen sind homogene und strukturlose Bildungen, in welehe 
die fibrillären Bestandtheile der Bindesubstanzgewebe eingelagert 
sind, ebenso wie deren zellige Elemente. Ihre Konsistenz kann 
sehr verschieden sein: schleimig-weich beim Gallertgewebe, etwas 
fester, aber noch mueinhaltig beim gewöhnlichen fibrillären Binde- 
gewebe, schneidbar fest beim Knorpel, verkalkt und hart beim 
Knochen und Zahnbein. In diese Grundsubstanz sind die Binde- 


gewebszellen, die Knorpel- und Knochenzellen eingelagert, und 
Archiv f. mikrosk. Anat. Bd. 57 1 


2 W. Waldeyer: 


ebenso, wie bemerkt, die Fibrillen, die elastischen und Binde- 
gewebsfibrillen in ihren verschiedenen Modifikationen, die Knorpel- 
fibrillen (des Hyalinknorpels), die Knochen- und Zahnbein- 
fibrillen.“ 

„Diese sämmtlichen faserigen Bildungen müssen sehr wohl 
von der alizeit strukturlosen und homogenen Grundsubstanz unter- 
schieden werden. Beiläufig bemerke ich, dass ich in der Frage, 
welches Strukturelement beim Knochen und Zahnbeine die Kalk- 
salze enthalten, mich auf die Seite v. Ebner’s stellen muss, 
welcher dieselben in die Grundsubstanz verlegt, die Fibrillen 
aber unverkalkt sein lässt. Was die Entstehungsweise 
der Grundsubstanzen anlangt, so bin ich auch heute 
noch der Meinung, dass sie nicht einer Sekretion der Gewebs- 
zellen, sondern einer Metamorphose des Protoplasmas derselben 
ihr Dasein verdanken. Hiermit ist, denke ich, zur Genüge dar- 
gethan, was ich unter „Grundsubstanz“ verstehe.“ 

Die Gründe, welche mich dazu veranlassen, eine besondere 
„Kittsubstanz“ zwischen den Epithelzellen, zwischen den glatten 
und gestreiften Muskelfasern (z. B. des Herzens) und an anderen 
Stellen zu leugnen, sind folgende: Bei den Epithel- und Endothel- 
zellen sind jetzt fast überall Interzellularbrücken nach- 
gewiesen worden, durch welche die Zellen zusammenhängen. 
Nicht nur bei den Plattenepithelien finden sich diese Brücken, 
sondern auch bei Cylinder- und Flimmerepithelien, wie es u. A. 
Barfurth vom Uterusepithel nachgewiesen hat, s. Anatomische 
Hefte Jahrgang 1897 S. 79. In den zwischen diesen Brücken 
ausgesparten kleinen Lücken noch eine besondere Kittsubstanz 
anzunehmen, dazu liegt durchaus kein Grund vor. Es spricht 
vielmehr alles dafür, mit der Mehrzahl der neueren Autoren an- 
zunehmen (Citate vgl. im „Livre jubilaire*), dass die gewöhnliche 
Iymphatische Gewebsflüssigkeit es ist, welehe diese kleinen 
Lücken erfüllt. — Bei den glatten Muskeln wurden von mehreren 
Autoren, zuerst von Kultschitzki, ebenfalls Interzellularbrücken 
angenommen — Citate s. Livre jubilaire —; neuerdings setzt man 
ein umspinnendes Fasergerüst an deren Stelle; von Niemandem aber 
ist zwischen den Maschen dieses Gerüstes eine besondere Kittsub- 
stanz nachgewiesen worden. Auch die Herzmuskelelemente sollen, 
wie bemerkt, durch eine Kittsubstanz verbunden sein. — Vgl. u. A. 
Browiez (1). Diese Kittsubstanz soll nach letzterem Autor 


Kittsubstanz und Grundsubstanz, Epithel und Endothel. 3 


einen stäbehenförmigen Bau haben; es deutet dies, wie ich meine, 
auf Interzellularbrücken hin, zwischen denen wohl nur Gewebs- 
flüssigkeit sich noch befinden kann. Ich zeige ferner in meinem 
Artikel im „Livre jubilaire“, dass man auch an den übrigen 
Orten, wo man eine Kittsubstanz geglaubt hat annehmen zu 
müssen, ohne eine solche auskommen kann. — Was die Inter- 
zellularlücken ausfüllt und an die Stelle der Kittsubstanz zu 
treten hat, ist, wie gesagt, die mit der Lymphe in enger Be- 
ziehung stehende Gewebsflüssigkeit. 

Es kann auch nur zu Verwirrungen führen, wenn wir beim 
Knochen- und Knorpelgewebe von einer „Grundsubstanz“ oder 
von einer „Interzellularsubstanz“ sprechen, dagegen beim faserigen 
Bindegewebe von einer „interfibrillären Kittsubstanz“, wie das 
häufig genug geschieht. Was hier die Fibrillen zusammenhält, 
ist histologisch und genetisch dieselbe Grundsubstanz, wie beim 
Knochen oder Knorpel, nur nach der Konsistenz und nach ein- 
zelnen chemischen Eigenschaften verschieden. Ich komme am 
Schlusse dieser kleinen Darlegung noch einmal auf diese Dinge 
zurück. 

Was die Frage: „Epithel“ und „Endothel“ anlangt, 
so müssen wir uns daran erinnern, dass W. His sen., von wel- 
chem die- Bezeichnung „Endothel“ herrührt, darunter die zelligen 
Bekleidungen jener Oberflächen des Körpers verstanden wissen 
wollte, welche zu keiner Zeit mit der äusseren Oberfläche eben 
dieses Körpers in Verbindung stehen: Bekleidungen der serösen 
Häute, der Gefässlumina, Gelenkhöhlen, Schleimbeutelhöhlen, 
Sehnenscheidenhöhlen u.A. Ich schlage vor, die Hohlräume dieser 
Art „Binnenräume“, die sie begrenzenden Flächen „Binnen- 
flächen“ und den sie vorkommenden Falls bekleidenden Zell- 
belag „Endothel“ (im Sinne von His) zu benennen, während 
ich die äussere Oberfläche des Körpers und die in ihrer Konti- 
nuität fortlaufenden, das Darmrohr, Luftrohr, Harn- und Ge- 
schleehtsrohr begrenzenden Flächen „Aussenflächen“, die 
betreffenden Hohlräume „Aussenräume* und die sie be- 
kleidende Zellenlage „Epithel“ heisse. 

Zweifellos sind die Gelenkspalten, Schleimbeutel und Sehnen- 
scheiden niemals in Verbindung mit der Aussenwelt gewesen ; 
aber sie entbehren auch — und das ist sehr bezeicehnend — einer 
besonderen zelligen Auskleidung, die man als „Endothel“ be- 


4 W. Waldeyer: 


nennen könnte. Die Entwickelungsgeschichte lehrt ferner, dass 
die Möglichkeit besteht, die thatsächlich vorhandenen zelligen 
Beläge der übrigen ebengenannten Hohlräume, einschliesslich der 
Augenkammern und der Iymphatischen Räume des Nervensystems, 
von ächtem Epithel abzuleiten, d. h. die betreffenden Hohlräume 
genetisch als „Aussenräume“ anzusehen. Freilich, weiter als bis 
zur „Möglichkeit“ können wir z. Z. auch noch nicht gehen. 
Würde sich erweisen lassen, dass diese Möglichkeit Wirklichkeit 
wäre, dann wäre es somit nicht nöthig, den Begriff „Endothel“ 
beizubehalten: es gäbe thatsächlich kein Endothel! 

Bezüglich der serösen Höhlen und Häute bin ich der An- 
sicht, obwohl ich die von Ziegler (2) jüngst vorgebrachten Gegen- 
sründe sehr wohl würdige, dass sie genetisch mit den Aussen- 
räumen, bezw. Aussenflächen im Zusammenhange stehen, ge- 
brauche also für ihren Belag einfach den Namen „Epithel“, 
während ich, bis auf bessere Belehrung, für die zelligen Aus- 
kleidungen der Blut- und Lymphräume sowie der Augenkammern 
noch die Bezeichnung ‚„Endothel‘‘ beibehalten möchte. 

Dies die Ergebnisse, zu denen ich in der erwähnten Mit- 
theilung gekommen bin. — Wenn auch Forscher ersten Ranges 
den histogenetischen Standpunkt verlassen haben und sich auf 
eine rein morphologische Basis stellen, so prophezeie ich es doch 
vorher, dass die Frage nicht eher ruhen wird, bis sie genetisch 
völlig geklärt ist. — Ich verweise auch auf den ausgezeichneten, 
eingehenden Vortrag von F. Marchand bei der 2. Tagung 
der patholog. Gesellschaft auf der Naturforscher-Versammlung in 
München 1859. — Siehe Verhandl. der Deutschen Pathologischen 
Gesellschaft Il. Berlin, G. keimer, 1960, 5.38, „Ueber die Be- 
ziehungen der pathologischen Anatomie zur Entwickelungsge- 
schichte, besonders der Keimblattlehre‘“. 

Ich benutze nun diesen Platz, um meiner ausführlicheren 
Darstellung in dem Livre jubilaire der Societe de Biologie noch 
Einiges aus der Litteratur sich Ergebende hinzuzufügen. 

Hammar (3) vertheidigt gegenüber den von einigen Seiten 
(Erlanger, W. Flemming, His) ausgesprochenen Bedenken, dass 
die von ihm beschriebenen Verbindungen der Blastomeren unter 
einander in der That protoplasmatisch und primär seien. Sie wer- 
den durch den ektoplasmatischen Grenzsaum bewirkt, der an den 
von Ham mar benutzten Echiniden-Eiern vorhanden ist. Uebrigens 


Kittsubstanz und Grundsubstanz, Epithel und Endothel. 5 


gibt Hammar auch das Vorkommen von sekundären Verbin- 
dungen zu. In wie weit nun die an den späteren Gewebszellen 
nachgewiesenen Interzellularbrücken mit diesen primären (oder 
sekundären) Blastomerenverbindungen in Zusammenhang gebracht 
werden können, ist schwer zu sagen. — Bezüglich der Annahme 
einer Kittsubstanz an den Nervenfasern sind noch die Ar- 
beiten von Koch (4) und Scehiefferdecker (5) zu er- 
wähnen, welehe eine solehe als Ausfüllungsmasse der Lanter- 
man’schen (nieht Lantermann'schen, wie häufig geschrieben 
wird) Einkerbungen zulassen wollen. Johannides (6) nimmt 
an der Stelle dieser Einkerbungen gleichfalls eine besondere 
Substanz an, die er nach längerer Härtung der Nervenfasern in 
einer Mischung von Kaliumbichromat und Kupfersulfat durch 
Hämatoxylin färben konnte, äussert sich aber nicht näher über 
die Art dieser Substanz, obwohl er am meisten zur Ansicht von 
Koeh und Sehiefferdeeker neigt. Uebrigens hebt er 
selbst die Verschiedenheiten hervor, welche zwischen dem Ver- 
halten der von ihm supponirten Substanz und dem der gewöhn- 
lieh als Kittsubstanzen bezeichneten Dinge bestehen. Ich will 
hier nur betonen, dass wir keineswegs genöthigt sind auf Grund 
der Befunde von Johannides eine Kittsubstanz in den Lanter- 
man’schen Einkerbungen anzunehmen; das kann ebenso gut eine 
protoplasmatische Masse sein; es können auch Niederschläge aus 
einer eiweisshaltigen Flüssigkeit sein, die sich färben. Gegen 
die Annahme, dass die Silberniederschläge zwischen den Endothel- 
zellen (Epithelzellen) der Blutlymphgefässe und serösen Häute die 
Existenz einer Kittsubstanz beweisen, hat sich auch schon vor 
einigen Jahren H. Rab] (7) ausgesprochen. Letzterer stellt sich 
auf die Seite Schweigger-Seidels, der meinte, dass es 
sich um Niederschläge in einer Iymphatischen Flüssigkeit handeln 
müsse, welcher Ansicht ich mich gleichfalls anschliesse. Was 
die Natur dieser Niederschläge anlangt, so begründet es H. Rab, 
dass es sich nm Silberverbindungen handeln müsse, nicht um 
metallisches Silber. Flemming hat auf die Verschiedenheiten 
dieser Flüssigkeit und der in den geschlossenen Lymphgefässen 
strömenden ächten Lymphe aufmerksam gemacht, worin ihm 
L. Merk (8) folgt und deshalb diese Flüssigkeit als „Saft“, 
„Suceus“, und speziell für die Epithelien (Epidermis) „Suceus 
epithelialis“ genannt wissen will (l.c. S. 19). Ich gehe in der 


6 W. Waldeyer: 


Spezialisirung nicht so weit und gebrauche lieber den Namen 
„gGewebsflüssigkeit“, 

Für die glatte Muskulatur scheint nunmehr nach 
dem Erscheinen der ausführlichen Arbeit von Sehaffer (9) 
und den Bestätigungen seiner Ergebnisse durch v. Lenhossek (10), 
Volpino (11) wd Henneberg (12) von Interzellularbrücken 
Abstand genommen werden zu müssen. Das, was man für Inter- 
zellularbrücken gehalten hat, ist auf Durchschnitte eines Waben- 
werkes dünner Bindegewebslamellen zurückzuführen, welches die 
Muskelfasern zusammenhält. Einer Kittsubstanz wird damit 
natürlicher Weise nicht das Wort geredet; sie wird von den be- 
treffenden Autoren auch ausdrücklich zurückgewiesen; darauf aber 
kommt es hier an. 

Hansen (13) hat keine völlig sich gleichbleibende Namen- 
gebung für die verschiedenen Bestandtheile der Bindegewebsarten. 
Abgesehen von den Zellen unterscheidet er, wie allgemein 
angenommen, die homogen erscheinende „Grundsubstanz“ 
und die darin sichtbaren Fasern, eollagene und elas- 
tische. Die Grundsubstanz besteht aber wieder, wie er, über- 
einstimmend mit den neueren Ergebnissen von Tillmanns, 
v. Kölliker, v. Ebner u. A., nachweist, aus einer amorphen 
ZAwischensubstanz und eingelagerten, jedoch durch diese 
Zwischensubstanz (offenbar wegen der gleichen Liehtbreehung m.) 
unsichtbar gemachten (maskirten, Hansen) Fibrillen, die 
sich durch besondere Feinheit auszeichnen. Diese Zwischensub- 
stanz nennt Hansen nun auch wiederholt „Kittsubstanz“, wie 
s.Z. auch Tillmanns. Es findet sich für dieselbe aber auch 
der Name „Grundsubstanz“. So heisst es z. B. S. 424: „Ich habe 
überall constatiren können, dass die mehr weniger hyaline Knorpel- 
grundsubstanz aus sehr feinen Bindegewebsfibrillen („Collagen“), 
welche in einer basophilen Grundsubstanz eingelagert sind, 
besteht“. Ebenso wird S. 426 in der letzten Alinea der Name 
„Grundsubstanz“ für diese amorphe Zwischensubstanz gebraucht. 
Für eine Bezeichnung sollte man sich aber entscheiden. 

Ich schlage vor folgende Namen zu wählen, bezw. beizu- 
behalten: Die ganze hierhergehörige Gewebsgruppe heisse: 
Grundsubstanzgewebe von demjenigen ihrer Bestand- 
theile, welcher sie den anderen Grundgeweben des Körpers, dem 
Epithel-, Muskel- und Nervengewebe, gegenüber charakterisirt. 


Kittsubstanz und Grundsubstanz, Epithel und Endothel. 7 


Zu diesen Grundsubstanzgeweben gehören nun das Bindegewebe, 
das elastische Gewebe, das Schleimgewebe, das Knorpelgewebe, 
das Knochengewebe, das Zahnbeingewebe, das Pigmentbinde- 
gewebe, das Fettgewebe und das Iymphoide Gewebe. Sie alle 
führen in mehr oder minderer Masse und Ausbildung eine struktur- 
lose Grundsubstanz; darunter möge die basophile amorphe 
„Zwischensubstanz“, [„Kittsubstanz“ (Tillmanns, Hansen)] 
verstanden werden. Ferner führen sie meist Fibrillen von 
besonderer Feinheit und mehr starrem Verlaufe, die keine 
Bündel bilden und am frischen Präparate fast stets unsichtbar, 
d. h. in der Grundsubstanz maskirt sind, diese Fibrillen nenne 
ich „Grundfibrillen“. Da es nun erwünscht ist Grund- 
fibrillen und Grundsubstanz, welche an frischen oder auch an er- 
härteten Präparaten eine nicht weiter auflösbare Einheit bilden, 
mit einer besonderen Benennung zu versehen, so möge dieser 
Komplex, den Manche als „Grundsubstanz“ bezeichnen, mit dem 
alten Namen „Interzellularsubstanz“ belegt werden. 
Damit wird zugleich angezeigt, dass Zellen dieser Substanz 
eingelagert sind. 

Die „Zellen“, welehe nun den dritten Bestandtheil der 
Grundsubstanzgewebe darstellen, sollen in allgemeiner Bezeichnung 
den Namen „Grundsubstanzzellen“ führen. Sie unterscheiden sich 
in vielerlei Arten: die fixen und beweglichen Grund- 
substanzzellen, sowie die grosse Gruppe der „granu- 
lirten Zellen“. Die fixen Zellen umfassen die Bindegewebs- 
zellen, die Knorpelzellen, die Knochenzellen, die gewöhnlichen 
sternförmigen Pigmentzellen u. A., die beweglichen Zellen um- 
fassen die verschiedenen Formen der Lymphoeyten. 

Als vierten Bestandtheil hätten wir dann diejenigen „Fasern“ 
zu nennen, welche am frischen Präparate nicht maskirt sind, also 
ohne weiteres mikroskopisch siehtbar sind; dahin gehören die 
collagenen (Bindegewebs-)Fasern und die elastischen Fasern. 
Zweifellos müssen hier noch weitere Unterarten, wie sich bei mikro- 
chemischer Untersuchung herausstellen wird, z. B. die Retieulum- 
Fasern, die Milzfasern u. A. unterschieden werden. Alle diese 
„sichtbaren“ Fasern schlage ich vor als „Interzellular- 
fasern“ zu benennen, da sie in der Interzellularsubstanz liegen. 
Kurz zusammengefasst hätten wir also als Bestandtheile der 
Grundsubstanzgewebe: 1. Die Zellen=Grundsubstanz- 


fo) 


W. Waldeyer: Kittsubst. und Grundsubst., Epithel u. Endothel. 


\ 
zellen, 2. die Interzellularsubstanz, 3 diednter 
zellularfasern. Die Interzellularsubstanz bestände wiederum 
aus der Grundsubstanz und den Grundfibrillen. 


Literatur -Verzeichniss. 


Abgesehen von den im „Livre jubilaire“ angeführten Schriften 


vergleiche man: 


re 


1) 


© 


6. 


= 


> 


13. 


14. 


Browiez, T., Ueber das Verhalten der Kittsubstanz der Muskel- 
zellenbalken des Herzens in pathologischen Zuständen. Wiener 
klinische Wochenschrift 1889 und „Virchow’s Archiv“ 1893. 
Ziegler, H. E., Ueber den derzeitigen Stand der Coelomfrage. 
Verhandl. der Deutschen zool. Gesellsch. 1898. 

Hammar, J. A., Ist die Verbindung zwischen den Blastomeren 
wirklich protoplasmatisch und primär? Arch. f. mikrosk. Anat. u. 
Entw.-Gesch. Bd. 55, S. 313. 1900. 

Koch, Ueber die Marksegmente der doppelcontourirten Nerven- 
fasern und deren Kittsubstanz. Dissert. inaugur. Erlangen 1879. 
Schiefferdecker, P., Beiträge zur Kenntniss des Baues der 
Nervenfasern. Arch. f. mikr. Anat. Bd. 30, S. 435. 

Johannides, J. E, Die Ringbänder der Nervenfaser. Archiv f. 
Anatomie und Physiologie, Physiol. Abth. Supplement. 1892 S. 41. 
Rabl, H., Ueber geschichtete Niederschläge bei Behandlung der 
Gewebe mit Argentum nitrieum. Sitzungsb. d. K. Akad. d. Wiss. 
in Wien. Math.-naturw. Klasse Bd. CII, Abth. III Juli 1893 
Merk, L., Experimentelles zur Biologie der menschlichen Haut. 
I. Mittheilung. Sitzungsber. d. K. Akad. d. Wiss. in Wien. Math.- 
naturw. Klasse Bd. CVIII, Abth. III. Juni 1899. 

Schaffer, Zur Kenntniss der glatten Muskelzellen, insbesondere 
ihrer Verbindung. Zeitschr. f. wiss. Zoologie Bd. 66, Heft 2. Juli 
1899. S. 214. 

v. Lenhossek, M., Das Mikrocentrum der glatten Muskelzellen. 
Anat. Anzeiger Bd. 16, S. 334. Sept. 1899. 

Volpino, in: Atti della R. Accad. delle seienze di Torino. V. XXXIV, 
Disp. 5a. 189. 

Henneberg, B., Das Bindegewebe in der glatten Muskulatur und 
die sogenannten Intercellularbrücken. Anatom Hefte, herausg. von 
Fr. Merkel und Bonnet, Heft 44. Wiesbaden, Bergmann 1900. 
Hansen, Fr. ©. C., Ueber die Genese einiger Bindegewebsgrund- 
substanzen. Anatom. Anzeiger Bd. XVI, S. 417. 1899. 
Studnicka, F. K., Ueber die intercellularen Verbindungen, den 
sogenannten Cuticularsaum und den Flimmerbesatz der Zellen. 
Sitzgsber. d. K. Böhmischen Ges. d. Wissensch. Math.-phys. Kl. 1898. 


Biologie der Zelle. 
TE 


Die Reifung und Befruchtung des Eies. 


Von 
Dr. med. P. Poljakoff, 


Prosektor am anatomischen Institut zu St. Petersburg. 
oO 


Hierzu Tafel I, II und III. 


Bevor wir zur Analyse der Befruchtungserscheinungen über- 


gehen — die Untersuchungen sind hauptsächlich an Ascaris 
megalocephala angestellt — richten wir vorher unsere Aufmerk- 


samkeit auf die Geschlechtselemente, die Samenkörper und 
die Eizellen. 

Auf Grund meiner bisherigen Beobachtungen, die noch nicht 
abgeschlossen sind, kann ich jetzt schon erwähnen, dass der 
Samenkörperkopf hauptsächlich aus Kernkörperchensub- 
stanz besteht (Fig. 72, 73); das Mittelstück stellt das äussere 
Lininogenkörperchen vor; alles zusammen umhüllt eine geringere 
oder grössere Menge Lininsubstanz, aus der auch der Samenend- 
faden aufgebaut ist, der dem Lininogenkörperchen entstammt. 
Das Ei enthält alle Theile der Zelle: 1. Das Protoplasma, das 
in geringerer oder grösserer Menge Vorrath von Nährstoff ın 
Gestalt von Dotterkörnehen einschliesst, 2. den Kern (Keim- 
bläschen), 3. das Kernkörperchen — den Keimfleck. Viele Autoren 
erkennen den Keimfleck nicht als echtes Kernkörperchen an, 
vornehmlich aus dem Grunde, weil er in der ferneren Entwicke- 
lung in Chromatinelemente übergeht und dieses den neuen Theorien 
von der Befruchtung und Vererbung widerspricht. 

Die Befruchtung vollzieht sich in 2 Abschnitten: 1. der 
äusseren Befruchtung, d. h. der Verbindung von Samenkörper 
und Dotter, 2. der inneren, oder dem Verschmelzen des männ- 
lichen und weiblichen Kerns. Richten wir zuerst unsere Auf- 
merksamkeit auf die Bedingungen, die die Annäherung des 
Samenfadens zum Ei und deren Verbindung hervorrufen und auf 


10 BrPoljakoff: 


den Umstand, dass nach stattgefundener Copulation ein Eindringen 
anderer Samenkörper ausgeschlossen ist. 

Was veranlasst den Samenkörper, das reife Ei, das ein und 
derselben Thierart angehört, aufzusuchen, sich ihm zu nähern 
und mit ihm sich zu vereinigen ? 

Meiner Meinung nach ist dm Chemotropismus hierbei 
die Hauptbedeutung zuzuschreiben. 

Alle Autoren stellen das Factum fest, dass das Ei bald 
nach seiner Vereinigung mit dem Samenkörper von einer Membran 
umgeben wird, der Dotter aber sich zusammenzieht, einen freien 
kaum zwischen seiner Oberfläche und der Membran hinterlässt 
und dadurch ein Eindringen ven weiteren Samenkörpern ins Ei 
verhindert. Die Bildung der Membran erklärt sich nach der 
bisherigen Meinung dadurch, dass der Dotter, der sie bildet, da- 
dureh auf die Erregung, die die Berührung mit dem Samenfaden 
hervorruft, reagirt. Meiner Meinung nach jedoch sind letzt- 
genannte Erscheinungen einem anderen Grunde zuzuschreiben. 
Der Samenkörper, der sofort nach seiner Berührung mit dem 
Dotter sich stark nährt, bekleidet selbst das Ei mit der Membran. 
Dieses geht folgendermassen vor sich: Der Samenfaden berührt 
das Ei und bohrt seinen Kopf mittelst der Bewegungen des 
Schwanzstückes in den Dotter hinein; der Schwanz büsst wäh- 
rend der weiteren Bewegung des Samenfadens im Dotter seine 
Bedeutung ein und wird durch eine andere Vorrichtung ersetzt. 
Samenkörper jedoch, die keinen Endfaden besitzen, legen sich 
bloss an die Eioberfläche an. In dieser Lage verbleibt der 
Samenkörper einige Zeit scheinbar ohne Veränderungen. In der 
That jedoch vollzieht sich folgendes: Der Samenfadenkopf, d.h. 
das eigentliche Zellkernkörperchen, scheidet noch während seiner 
Bildung, zwecks Verstärkung seiner Ernährung, im nachfolgenden 
Lebensstadium ausserhalb der Mutterzelle ein äusseres Lininogen- 
körperehen aus, das aus einer Theilung des inneren Kernkörper- 
chentheiles hervorgeht, während der andere als Hauptbestandtheil 
im Kernkörperchen verbleibt. Das äussere Lininogenkörperchen, 
das dem Mittelstück des Samenfadens entspricht, erzeugt eine 
grössere oder geringere Menge Linin, das den Kopf umhüllt und 
falls es vorkommt, den Endfaden bildet; in Fällen, wo der End- 
faden fehlt, stellt das Linin den Samenkörperleib vor, in dem 
ein Kernkörperchen und äusseres Lininogenkörperchen enthalten 


Biologie der Zelle. 11 


ist. Ich wies bereits auf das Linin hin, als eine Substanz, der 
die Eigenschaft zukommt, die Nährstoffe aus dem umgebenden 
Medium auszusuchen und aufzusaugen. Das Linin, das den 
Samenkörper umsehliesst, hat dieselbe Bestimmung. Kommt der 
Samenkörper in Berührung mit dem Ei, so theilt sieh das äussere 
Lininogenkörperehen. Hierbei muss man bemerken, dass die 
Hauptrolle beim Bestimmen der Eilage und der Bewegungsrieh- 
tung des Samenfadens zum Ei derselben empfindenden und er- 
nährenden Lininsubstanz zufällt. Das Lininogenkörperchen theilt 
sich stets, wo eine Verstärkung der Kernkörperchenernährung 
nöthig ist; zu diesem Zweck vergrössert es seine aufsaugende 
Berührungsfläche mit dem Medium, dem es den Nährstoff ent- 
nimmt. Es könnte als unnütz erscheinen, die im gegebenen Fall 
schon so reichliche Ernährung durch den Dotter noch zu erhöhen. 
Hier sei erwähnt, dass ausser dem Dotter, der sozusagen die 
festen Nährstoffe bietet, ebenso unbedingt für die Ernährung auch 
gasförmige und flüssige Substanzen sind, die unmöglich in ge- 
nügender Quantität im Ei vorräthig sein können. Die Zustellung 
dieser Substanzen wird durch eine besondere Vorrichtung er- 
möglicht. Es gelang mir an vielen Präparaten von Ascaris me- 
galocephala, die die ersten Befruchtungsphasen darstellten, die 
allmählichen Veränderungen der Samenfäden nach deren Verbin- 
dung mit dem Ei festzustellen. Sie bestanden in Folgendem: 
Kommt der Samenkörper in Berührung mit dem Ei, so vertheilt 
sich ein Theil von ihm (Fig. 77) schnell an der Eioberfläche, 
bedeckt dabei das Kernkörperehen und drückt dasselbe mit dem 
äusseren Lininogenkörperchen an diese Oberfläche an. Die ober- 
flächliche, offenbar elastische Dotterschicht erhält unter dem Drucke 
des kugeligen Samenfadenkopfes eine trichterförmige Vertiefung 
mit einer Oeffnung im centralen Theil, durch die der Kopf bereits 
durchgegangen ist, während der Endfaden dagegen noch in der 
engen Trichteröffnung eingeklemmt ist. Die ganze triehterförmige 
Vertiefung ist weit über den Rand hinaus mit der Lininsubstanz 
des Samenfadenleibes ausgelegt, wodurch ein halbkugeliger Fort- 
satz an der Eioberfläche entsteht. Dieses Bild könnte leicht dazu 
führen, von einer partieulären Ausscheidung von Dotterbestand- 
theilen zu sprechen, statt vom eingedrungenen Samenkörper, wenn 
es nicht so deutlich zu sehen wäre, dass die oberflächliche Dotter- 
schicht, die kraterförmig eingebogen ist, eng anschliessend den 


12 BuBoljakotf: 


Schwanztheil des Samenfadens umgiebt. Die obere elastische 
Dotterschicht umschliesst offenbar die unter dem Drucke des 
Samenfadens entstandene Oeffnung beim Durchgang des letzteren, 
passt sich seiner Gestalt an und macht dadurch das Durch- 
dringen der Dottersubstanzen nach aussen unmöglich. Indem 
ich an verschiedenen Präparaten das Schicksal des ausserhalb 
verbleibenden Samenkörpertheiles verfolgte, kam ich zu dem 
Schluss, dass dieser allmählich sich verflacht, an der Eioberfläche 
zerriunt and das erste Material zur Bildung der äusseren Eihülle 
giebt. wachdem der erweiterte Theil des Samenkörpers mit dem 
Kernkörperchen in den Dotteraum gedrungen ist, sein Endfaden 
aber noch eingeklemmt ist, unterliegt er einer Umwandlung. 
Seine früher fast homogene, auf keine Farbstoffe reagirende 
Leibsubstanz zerfällt jetzt deutlich in 2 Theile; die äussere 
Schicht bleibt wie früher unfärbbar, d. h. die, welche bei der 
Copulation den Deckel für den eindringenden Samenkörper-bildet 
und später die Eihülle formirt; die innere Schieht jedoch, die 
das Kernkörperchen und äussere Lininogenkörperehen umschliesst, 
nimmt jetzt in Pierocarmin eine Rosafärbung an. Diese Reaction 
unterscheidet streng die Samenkörper, die sich mit dem Ei ver- 
bunden haben, von solchen, die dies nicht gethan haben und blos 
dem Ei anliegen. 

Die ferneren Veränderungen des Samenkörpers bestehen 
vor allem in einer Theilung des äusseren Lininogenkörperchens. 
Soweit ich aus den Beobachtungen schliessen darf, vollzieht sich 
diese Theilung auf mitotischem Wege. Mir gelang es sehr oft, 
Phasen des Muttersterns, der Metakinese, Tochtersterne zu be- 
obachten; die achromatische Spindel trat dabei deutlich hervor. 
Der Kopf des Samenkörpers wies im Stadium des Muttersterns, 
der Metakinese, im optischen Schnitt eine halbmondförmige Ge- 
stalt auf und war schwach gefärbt, stärker dagegen in den 
Phasen des Tochtersterns und der Bildung der Lininogen-Tochter- 
körperchen. Die gefärbten Elemente des sich theilenden Lininogen- 
körperehens, die den Chromosomen entsprechen, erschienen im 
Stadium des Muttersterns (bei Ascaris megalocephala bivalens) 
als 4 kugelige Körnchen (Fig. 75), die später in der Richtung 
der Spindelfäden zu Stäbchen sich ausreckten, in der Mitte 
durehbrachen (Fig. 76), dabei untereinander dureh Lininspindel- 
fäden verbunden blieben und schliesslich zu den Spindelenden 


Biologie der Zelle. 13 


auseinanderrückten, d. h. den Kopf- und Schwanztheil des Samen- 
körperleibes einnahmen. 

Ich verwendete besondere Aufmerksamkeit au? die Theilungs- 
art der Lininogenkörperehen im Samenkörper von Ascaris megalo- 
cephala, weil sie uns Aufschluss giebt über die Theilung der 
Lininogenkörperchen im Allgemeinen, sei es, dass sie sich im 
Kerne, als Bestandtheil desselben, oder ausserhalb des Kerns be- 
finden. Diese Theilungsart wirft ein klares Licht auf den 
Theilungsprocess des Micronucleus verschiedener Infusorienarten, 
wie ihn Balbiani, Bütschli, Maupas, R. Hertwig und 
viele andere Gelehrte beschrieben haben. 

Der Micronucleus der Infusorien bildet, wie bekannt, einen Theil 
ihres Kernsystems und entspricht seiner Function, Gestalt und Theilungs- 
art nach dem Kernkörperchen von Zellen höherer Thiere. Balbiani 
z.B. sah an Paramaecium aurelia, dass der s.ch theilende Mieronucleus 
an Grösse zunimmt, sich in die Länge zieht und längsgestreift erscheint; 
dieses letztere hängt von der Bildung eines Lininfadenbüschelchens in 
der Richtung der langen Micronucleusaxe ab. Die färbbaren Körn- 
chen, die früher in ihm systemlos verbreitet waren, gruppiren sich nun 
als äquatoriale Platte in eine Ebene, die die Mitte des Fadenbüschel- 
chens schneidet, das nun Spindelgestalt annimmt; eine solche Gestalt 
erhält um diese Zeit auch der ganze Micronucleus. Die Aequatorial- 
platte rückt später auseinander, und ihre Hälften streben den entspre- 
chenden Spindelpolen zu. Der Micronucleus verlängert sich jetzt 
noch mehr und nimmt Hantelngestalt an. Die die ganze Micronucleus- 
länge durchziehenden Lininfäden reissen in ihrem mittleren Theile 
durch, wo eine Einschnürung entsteht, die den Mieronucleus in 2 birn- 
förmige Abschnitte halbirt; im erweiterten Theil dieses letzteren befinden 
sich die färbbaren Körnchen, im anderen Lininfäden. Nach diesem 
gewinnt der Tochtermieronucleus mütterliche Gestalt, wird kugelig, 
und die färbbaren Körnchen vertheilen sich im ganzen Körper. Eine 
Membran umschliesst ihn während des ganzen Theilungsprocesses, im 
Protoplasma aber sind nirgends Attractionssphären oder Sternfiguren 
zu erblicken. 

Schwer dürfte es fallen, den Vorgang der Micronucleus- 
theilung zu verstehen, wenn nicht die Theilung des äusseren 
Lininogenkörperchens im Samenkörper bekannt wäre. Weder 
Centrosomen, noch Attractionssphären mit ihren Sternfiguren weist 
die Theilung des Mieronucleus sowohl innerhalb der Membran, 
als auch ausserhalb im Protoplasma auf; es fehlt somit ein An- 
ziehungs- oder Abstossungscentrum, ein centrirter oder decentrirter 
Fokus. Den Theilungsmechanismus des Mieronueleus klären die 


14 P. Poljakoff: 


existirenden Theorien keineswegs auf, das Theilungsbild jedoch 
zeugt hier von einem karyokinetischen, vom typischen bloss ab- 
weichenden Vorgang. Auf Grund meiner Beobachtungen, und 
meiner Zelltheilungstheorie entsprechend, erkläre ich mir den 
Theilungsmechanismus des Miceronucleus auf folgende Weise: 
Berücksichtigt man, dass der Micronucleus dem Kernkörperchen 
entspricht, das in ihm befindliche färbbare Körnchen aber dem 
Centralkörperchen der inneren Lininogenkernkörperchensubstanz 
oder des inneren Lininogenkörperchens, so versteht man, dass 
diese Theilung der gewöhnlichen Kernkörperchentheilung ent- 
spricht. Deshalb fehlen der Micronueleustheilung die Centrosomen 
und Sternfiguren, obgleich eine Spindel auftritt. Das färbbare 
Centralkörperchen des Micronucleus theilt sich in eine bestimmte 
Zahl Tochterkörperchen, die später, eine bessere Ernährung 
bezweckend, sich in einer Ebene gruppiren. Als unumgängliche 
Folge der Centralkörperchentheilung erscheint die entsprechende 
Neubildung von Lininogensubstanz, die jedes Körperchen um- 
giebt, weshalb auch der Miceronucleus so bedeutend anwächst. 
Die Membran des Micronucleus schwindet niemals während 
der Theilung, weil sie weniger eigentliche Membran ist, als 
die Chromatinogensubstanz des Kernkörperchens, die sich passiv 
zu allen Verwandlungen der unter ihr liegenden inneren Li- 
ninogensubstanz und des Centralkörperchens verhält. Während 
die alte Lininogensubstanz des Mieronucleus zur Zustellung des 
Nährstoffes der ganzen Centralkörperchennachkommenschaft dient, 
sorgt die um jedes Körperchen neuentstandene Lininogensubstanz 
nur für ihr Körperchen. Zu diesem Zweck wird, verständlicher 
Weise, jede neuentstandene Lininogensubstanz von jedem Oentral- 
körperehen aus sich nur in 2 Richtungen ausdehnen, um die 
Nährsubstanzen in möglichst günstigem Grade aus dem umgeben- 
den Medium aufnehmen zu können und zugleich nieht ähnlichen 
lininogenen Fortsätzen der benachbarten Centralkörperchen zu 
begegnen. Die Fäden der neugebildeten Lininogensubstanz, 
die jeder in sich ein Oentralkörperchen fassen, recken sich in die 
Länge und dehnen dadurch allmählich die äussere Chromatinogen- 
substanz aus, wodurch der ganze Micronucleus in einem seiner 
Diameter ausgereckt wird, seine kugelige Gestalt allmählich in 
eine ellipsoidische sich umändert und schliesslich Hantelgestalt 
annimmt. Alle diese Verwandlungen des sich theilenden Micro- 


Biologie der Zelle. 15 


nueleus werden verständlich, wenn man sich auf meinen Stand- 
punkt stellt. Die Centralkörperchen,. die früher in Unordnung 
im Mieronucleus lagen, beginnen sich in eine aequatoriale Ebene 
zu sammeln. Dieses geht folgendermassen vor sich: Sobald der 
Fortsatz der Lininogensubstanz an irgend einer Seite die Fläche 
der Chromatinogensubstanz berührt, heftet er sich an diese an 
und unterlässt sein Weiterwachsen in dieser Richtung; an der 
entzegengesetzten Seite setzt er sein Anwachsen fort, bis er auch 
dort die Chromatinsubstanzfläche erreicht. Dann setzt sich das 
Centralkörperechen in der Mitte seines Lininfadens fest, um da- 
durch die Möglichkeit zu gewinnen, zu jeder Zeit in einem be- 
stimmten Grade den Nährstoff aus beiden Hälften zu erhalten. 
Auf diese Weise lagern sich allmählich alle Körperchen in einer 
Ebene, die die Mitte des Mieronucleus schneidet. Haben sich 
alle Centralkörperchen in einer Ebene angeordnet, so beginnt die 
gleichmässige Ausarbeitung der Lininogensubstanz, die sich als 
Verdiekung zur grösseren Nährstoffaufsaugung an beiden Fäden- 
enden ablagert. Hierdurch wird erstens die alte Lininogensub- 
stanz aus den Endtheilen des Micronucleus in die mittleren ge- 
trieben, wo die Centralkörper liegen und wo sie noch zur Er- 
nährung dieser letzteren unbedingt nöthig ist. Zweitens breiten 
sich diese Endtheile allmählich immer mehr und mehr aus, wäh- 
rend die mittleren durch allmähliche Zerlegung der alten Sub- 
stanz und Entfernung der neuentstandenen in die Endtheile zu- 
sammenschrumpfen. Wenn sich die Centralkörperchen in einer 
Ebene angeordnet haben, unterliegen sie noch einmal einer Längs- 
theilung und jedes der Tochterkörperchen rückt an’s entsprechende 
Mieronucleusende ab, von seinem Abschnitt des sich zusammen- 
ziehenden Lininfadens angezogen. Zwischen den auseinander- 
rückenden Körperchen bilden sich von neuem Verbindungsfäden 
derselben Substanz, welche erst mit der Einselnürung des ganzen 
Mieronucleusleibes reissen. Auf diese Weise stellt es sich heraus, 
dass jeder Tochtermieronueleus nach Abschluss der Einschnürung 
in sich erneuerte Lininsubstanz und in vergrösserter Menge Cen- 
tralkörperehensubstanz fasst, welche wahrscheinlich theilweise 
zur Bildung des Central-Tochterkörperchens, theilweise zur Er- 
neuerung der Chromatinogenkernkörperchensubstanz verwandt 
wird. Anfangs trägt der Tochtermieronucleus ein gestreiftes Ge- 
präge, so lange noch die alte Lininogensubstanz des Muttermiero- 


16 P. Ploljakoff: 


nucleus nicht aufgebraucht ist und als Zwischensubstanz zwischen 
den Fäden aus neuer Lininogensubstanz mit anderer Licht- 
brechung liegt; mit vollkommener Aufbrauchung der alten Sub- 
stanz fliessen die einzelnen Fäden zusammen und nehmen so dem 
Mieronucleus sein gestreiftes Aeussere. 

Wir sehen nun, dass uns die Kenntniss der Theilungsart 
des Mieronucleus bei Infusorien über die Theilungsart der Lini- 
nogenkörperchen des Samenkörpers aufklärt; sie ergänzen und 
erklären einander. Während der Theilung des äusseren Lini- 
nogenkörperchens bleibt das Kernkörperchen des Samenkörpers 
ohne Veränderung. 

Betrachtet man die stete Vertheilung der färbbaren Sub- 
stanzen des Kerns und Kernkörperchens an der Oberfläche dieser 
zusammengesetzten morphologischen Gebilde, deren beständiges 
Streben zur Oberfläche hin, falls sie aus irgend welchen Gründen 
von ihr entfernt werden, so wird unwillkürlich die Vermuthung 
wachgerufen, dass genannte Substanzen eine grosse Rolle als 
Aufnehmer von Nährstoffen aus dem umgebenden Medium, nament- 
lich von gasförmigen, und als Bearbeiter dieser Substanzen zur 
Erzeugung von Lebensenergie in der Zelle durch Vermittelung 
von Kern und Kernkörperchen spielen, das Linin aber und die 
Lininogensubstanz diese Nährstoffe aufnehmen, in sich ansammeln 
und sie weiterleiten. Die färbbaren Substanzen haben an und 
für sich keine Bedeutung für die Zelle; ihr physiologischer Ein- 
fluss ist ein passiver. Die lebende, wirksame, färbbare Substanz 
ist stets organisch mit dem nichtfärbbaren Linin und der Lini- 
nogensubstanz verbunden und in dieser Verbindung ruht ihre 
Kraft und Bedeutung. Die färbbaren Substanzen, die sich in 
einem der Zellgebilde ohne organische Verbindung mit dem Linin 
und der Lininogensubstanz befinden, haben weiter keine physio- 
logische Bedeutung und erscheinen bloss als Fremdkörper. Indem 
sie sich in der Zelle zerlegen, können sie vielleicht noch werth- 
volle Nährstoffe geben, jedoch nicht als Stoffaufnehmer und Um- 
arbeiter dienen. Dort, wo die färbbare Substanz sich fern von 
der Kern- oder Kernkörperchenoberfläche befindet, wie z. B. das 
'entralkörperchen des Kernkörperchens oder Lininogenkörper- 
chens, ist sie stets mit der Oberfläche dieser Zellgebilde durch 
Linin oder Lininogensubstanz verbunden, dureh die in ihm, als 
Resultat der Lebensthätigkeit, der Stoffwechsel vor sich geht. 


Biologie der Zelle. 17 


Fehlt jedoch eine organische Verbindung mit der Kern- oder 
Kernkörperchenoberfläche, so ist es bestrebt dieselbe herzustellen. 
Im gegebenen Falle hat das Centralkörperchen durch Theilung 
in eine ganze Körperchengeneration die frühere organische Ver- 
bindung mit der Kernkörperchenoberfläche aufgehoben ; deshalb 
strebt jedes Tochterkörperchen danach, diese Verbindung wieder 
herzustellen. Zu diesem Zweck scheiden die Tochterkörperchen 
nach entgegengesetzten Seiten aus der sie umgebenden Lininogen- 
substanz Fortsätze aus, die die Oberfläche der Chromatinogen- 
Kernkörperchensubstanz erreichen, und verbinden sich dadurch 
mit dem Kernkörperchen organisch, wie ich meine, wesentlich zu 
Ernährungszwecken. 
Eines der Lininogen-Tochterkörperchen (Fig. 77), das sich 
nach der Theilung im Schwanzende des Samenkörpers befindet, bleibt 
ausserhalb des Kerns in der neuentstandenen Eimembran, deren 
Wachsthum und Ernährung es fördert; das andere Körperchen 
aber, das ein Lininfadenbüschelehen der ehemaligen Spindel mit 
dem ersteren verbindet, rückt mit dem Kernkörperehen des Samen- 
körpers zum Eicentrum hin. Die Vorrichtung, die diese Be- 
wegung ermöglicht, ist dieselbe, wie wir sie bei der Zelltheilung 
gesehen haben. Das Lininogenkörperchen schickt ins Protoplasma 
in der Richtung der beabsichtigten Bewegung äusserst feine 
Fortsätze seiner Lininogensubstanz aus, haftet mit diesen an dem 
netzartigen Protoplasmafaserngerüst und bewegt sich durch Con- 
traetion dieser Fäden. Zugleich scheidet das Lininogenkörperchen 
in die Umgebung eine Menge feinster saftaufnehmender Fäden 
aus, die ihm die Nährstoffe zuführen. Die Ernährung des Samen- 
kernkörperchens geht somit auf doppelte Weise vor sich: einer-. 
seits durch das Lininogenkörperchen, welches mit dem Kern- 
körperehen in den Eidotter hineindringt, andererseits durch das 
Lininogenkörperchen, welches die Eikernmembran formirt. 
Betrachten wir nun jene Erscheinungen, die im Ei als Folge 
der Bildung der äusseren Lininmembran vor sich gehen. Vor 
allem verhindert dieselbe ein weiteres Ausscheiden jener speci- 
fischen Eisubstanzen, die die Samenfäden anzogen. Auf diese 
Weise erklärt sich das Faetum vom gleichgültigen Verhalten 
der Samenfäden zum Ei nach stattgefundener Befruchtung; nicht 
aber dadurch, dass der Dotter, erregt dureh die Berührung mit 


einem Samenkörper, an seiner Oberfläche eine Membran aus- 
Arch. f. mikrosk. Anat. Bd. 57 2 


18 P. Poljakoff: 


schiede und durch spätere Zusammenziehung eine flüssige Masse 
produeire, wodurch ein Raum zwischen Membran und Dotter ent- 
stände, durch den die Samenfäden nicht zum Dotter gelangen 
könnten. 

Zweitens erscheint als Folge der Lininmembranbildung ein 
Raum zwischen der Membran und Dotteroberfläche (Fig. 75). 
Vorher wurden die Produete des Stofiwechsels des Eies unge- 
hindert in das umgebende Medium ausgeschieden, mit dem Auf- 
treten der Membran jedoch, die dem Dotter fremd ist (s. meine 
obige Darstellung) — was besonders wichtig ist — häufen sich 

diese Producte zwischen Membran und Dotter an. 

Drittens ruft das Auftreten der Lininmembran eine Stoekung 
im Ausscheiden der Abfälle des Stoffwechsels im Ei hervor. 
Ausserdem macht sich dem Eikernkörperchen ein Mangel an 
Ernährung fühlbar. Dieser Umstand erscheint auf den ersten 
Blick merkwürdig, da, wie man geneigt ist anzunehmen, das Ei 
im Uebertluss mit Nährstoffen versorgt ist. De facto verfügt 
das Ei im Ueberfluss über Nährstoffe, jedoch bloss über feste 
Substanzen, während die flüssigen und gasförmigen, die für das 
Ei ebenso unumgänglich sind, aus den umgebenden Medien be- 
zogen werden müssen. Mit der Bildung der Lininmembran jedoch, 
die fürs erste zur Ernährung des eingedrungenen Samenkörpers 
dient, hört der freie Zutritt der gasförmigen und flüssigen Sub- 
stanzen zum Ei auf. 

Da sich die Lininmembran allmählich bildet, und dabei 
an der Berührungsoberfläche des Eies mit dem Samenkörper be- 
ginnt und somit auch hier der Zutritt der gasförmigen und 
flüssigen Nährsubstanzen gehemmt wird, strebt erklärlicherweise 
das Eikerukörperchen zur entgegengesetzten Eioberfläche hin. 
Dort fehlt noch die Membran und die Nährsubstanzen haben zum 
Eiinnern noch freien Zutritt. Bedeckt jedoch die vom Samen- 
körper erzeugte Eimembran erst das ganze Ei, so wendet sich das 
Eikernkörperchen unterm Einfluss mangelhafter Nährsubstanzen 
der Seite zu, von wo es früher dieselben in grossem Massstabe 
erhielt, d. h. zur nächsten Dotteroberfläche. Gereizt von den 
sich ansammelnden Abfällen des Stoffwechsels, beginnt nun das 
Kernkörperehen sich zu theilen, da es nur auf diese Weise auf 
die Reizung reagiren kann. Beobachtungen zeigen, dass das 
Ausscheiden der Polkörperchen fast immer in dem Theil der Ei- 


Biologie der Zelle. 19 


oberfläche stattfindet, der der Berührungsstelle von Ei und Samen- 
körper entgegengesetzt ist. In dieser Reihenfolge jedoch gehen 
diese Erscheinungen nur in den Eiern vor sich, in denen die 
Ausscheidung der Polzellen nach ihrer Verbindung mit dem 
Samenkörper stattfindet (z. B. bei Ascaris megalocephala). 

Jene von den Autoren als unbestimmt aufgestellte Kraft, 
die das Keimbläschen verschwinden, den Keimfleck aber und sein 
Derivat sich bewegen und theilen lässt, erscheint auf diese Weise 
als ein vollkommen bestimmter Factor, der dieselben Erschei- 
nungen in der Zelle unter allen übrigen Bedingungen hervorruft. 

Wir schliessen unsere Analyse der Befruchtungserscheinungen 
mit der Frage, wie diese in den Eiern vor sich gehen, die ihre 
Polzellen erst nach der Verbindung mit dem Samenkörper aus- 
scheiden (Ascaris megalocephala bivalens). 

Der Samenkörper bewegt sich weiter ins Innere des Eies 
hinein, von seinem äusseren Lininogenkörperchen dorthin gezogen. 
(Fig. 77). Diese Bewegung ist auf dieselben Gründe zurückzu- 
führen, die den Samenkörper zum Ei hinlockten. Die Umstände 
haben sich jetzt in dieser Hinsicht für das Samenkernkörperchen, 
dem ehemaligen Kopfe des Samenkörpers, keineswegs geändert: 
die Substanzen, die vom Eikern ausgehen, locken es wie früher 
an. Allerdings existirt jetzt bereits kein Keimbläschen mehr als 
solches, seine Membran hat sich aufgelöst, sein Kermkörperchen 
aber ist zur Peripherie abgerückt, um sich dort bessere Be- 
dingungen für seine Ernährung zu suchen. Das Eikernkörperchen, 
d. h. der Keimfleck, erregt durch die angehäuften Abfälle des 
Stoffwechsels — eine Folge seiner eigenen Lebensthätigkeit, — 
reagirt auf diesen Reiz mit Theilung. 

Die Theilung des Eikernkörperchens nimmt denselben Ver- 
lauf, wie wir ihn überhaupt an jeder sich theilenden Zelle wahr- 
nehmen. Zuerst theilt sich das Centralkörperchen mit seiner 
Lininöogensubstanz, zwei Lininogenkörperchen bildend, von denen 
das eine nach aussen aus der Chromatinogensubstanz des Kern- 
körperchens heraustritt, das andere aber drinnen als Grundbe- 
standtheil des Kernkörperchens verbleibt. Beide Lininogen- 
körperchen jedoch bleiben während der ganzen Entwickelung 
untereinander durch ein Büschelehen Lininfäden,- das bei der 
Theilung als Spindel dient, verbunden. Das äussere Lininogen- 
körperchen umgiebt sich bald nach seinem Austritt aus dem 


20 P. Poljakoff: 


Kernkörperehen mit äusserst feinen saftaufnehmenden lininen Be- 
wegungsfäden, die zusammen die bekannte Sternfigur bilden. 
Unter der Leitung seines Linuinogenkörperchens, welches nicht nur als 
äusseres Bewegungs-, Ernährungs-, sondern auch als Empfindungs- 
organ dient, wendet sich das sich theilende Kernkörperehen der 
Dotteroberfläche zu, als dem günstigsten Ort zur Erlangung der 
flüssigen und gasförmigen Nährsubstanzen. Indem sich das Ei- 
kernkörperchen zur Theilung und Fortbewegung vorbereitet, ent- 
lastet es sich von allen ihm nun unnützen Substanzen, d. h. den 
Keimbläschentheilen. Die Keimbläschen-Membran zerfällt, das 
Chromatin und Linin löst sich auf. Alle diese nnd noch andere 
Substanzen, das Kernkörperchen ausgenommen, die vorher das 
Keimbläschen bildeten, üben wie früher eine anziehende Wirkung. 
Dieses veranlasst das Samenkernkörperchen zum ehemaligen Orte 
des Kerns, als dem für die Ernährung günstigsten, hinzurücken 
(Fig. 78). 

Das Samenkernkörperehen erreicht somit den ehemaligen 
Ort des Eikerns und hält sich dort eine Zeit lang auf. Der 
Zellsaft, die Auflösungsproducte der Kernmembran, des Linins, 
Chromatins, die dort verblieben, bieten offenbar dem Samenkern- 
körperchen die beste Ernährung und dieses beginnt den Kern 
um sich zu organisiren. Die Kernbildung ist eine Folge der 
verstärkten Ernährung des Kernkörperchens und dessen Bestrebens, 
von dem umgebenden Dotter und dessen unmittelbarem Einfluss sich 
zu separiren. Die bläschenförmige Kernkörperchen-Membran wird 
nicht vom Kernkörperchen, sondern vom äusseren Lininogen- 
körperchen gebildet, das seine Masse für dieselbe liefert. Es 
entsteht dadurch folgendes Verhältniss zwischen Lininogenkörper- 
chen, Kernkörperchen und Membran: nimmt man einen optischen 
Schnitt in einer Ebene, die diese 3 Gebilde schneidet (Fig. 79), 
so tritt vor unsere Augen das Bild eines Schnittes durch einen 
Siegelring u. z. in einer Ebene, die parallel der Peripherie liegt; 
der Ringbogen wird dabei dem Schnitt durch die Membran, die 
Steineinfassung dem Lininogenkörperchen, der Stein, der in der 
Einfassung ruht, dem Kernkörperchen entsprechen. 

Vergessen wir nicht, dass der auf diese Weise entstandene 
Samenkern durch das Lininogenkörperchen seiner Membran mittelst 
Lininfäden mit dem gleichen Körperchen der Eimembran ver- 
bunden “ist (Fig. 80). Auf Grund des oben erwähnten ist es 


Biologie der Zelle. 21 


klar, dass die Bildung der Ei- und Samenkernmembran Lininogen- 
körperehen verursachen,. die aus der Theilung ein und desselben 
äusseren Lininogenkörperehens des Kernkörperehens, d. h. dem 
Mittelstück oder Hals des Samenfadens entstanden sind. 

Wir sehen zuletzt das Eikernkörperchen in dem Zustande, 
wie es unterm Druck ungenügender Ermährung und der Anhäu- 
fung von Stoffwechselabwürfen sich zur Theilung vorbereitete, 
sich von der Membran und überhaupt allen Substanzen, die sie 
zusammensetzten, befreite, das Lininogenkörperchen ausschied und 
sieh zur Dotteroberfläche hin bewegte, um dort bessere Bedin- 
sungen für seine Existenz zu suchen. Auf seinem Wege theilt 
es sich. Anfangs theilt sich das Kernkörperchen mit bestimmten 
Wiederholungen, eine feste Anzahl Tochterkernkörperchen gebend, 
7. B. bei Ascaris megalocephala bivalens in 4 Theile. Jedes 
dieser Kernkörperchen verbinden, wie früher ihr gemeinsames 
Mutterkernkörperehen, Lininfäden mit dem äusseren Lininogen- 
körperehen (Fig. 81). Später theilt sich das äussere Lininogen- 
körperchen und giebt 2 Endkörperchen. Diese gehen nach ent- 
gegengesetzten Seiten auseinander und haben zwischen sich ein 
Büschelehen neuentstandener Lininfäden ausgespannt; gleichzeitig 
sind sie mit jedem Kernkörperchen durch ebensolche Fäden ver- 
bunden, die aus einer Spaltung derjenigen Fäden hervorgegangen 
sind, welche vorher die Kernkörperehen mit dem äusseren Li- 
ninogenkörperchen verbanden. Durch ihr Auseinanderweichen 
nach entgegengesetzten Seiten veranlassen sie die Lininogenend- 
körperehen, sich in einer Ebene zu gruppiren, die gleich weit 
von ihnen beiden entfernt ist und perpendieulär zu dem zwischen 
ihnen gespannten Büschelehen steht. Die Bewegung zur Dotter- 
oberfläche hin (Fig. 80) nimmt unterdessen ihren Fortgang, wobei 
jenes Lininogenendkörperehen die Richtung angiebt, das sich 
zufällig näher zur Dotteroberfläche befindet. 

Ich hatte bereits Gelegenheit zu sagen, dass ich das 
achromatische System, das bei der Zelltheilung aus dem Kern- 
körperehen hervorgeht, als ein Ganzes ansehe, in dem das Cen- 
trum der Ernährung oder Stoffverwendung und ebenso der Em- 
pfindung die Lininogenkörperchen sind, unabhängig davon, ob 
diese sich ausserhalb oder innerhalb der Kernkörperchen befin- 
den. Diese Centren empfangen mittelst radial aus ihrer Masse 
nach allen Seiten ausgeschiedener, feinster Fortsätze Nährsub- 


22 P. Poljakoff: 


stanzen und Reizempfindungen aus dem umgebenden Medium und 
übertragen gleiehmässig das Empfangene mit Hilfe ihrer saft- 
leitenden Linin-Verbindungsfäden in alle Theile des Systems. 
Man muss annehmen, dass die Reizempfindungen mit den Nähr- 
stoffen weitergegeben werden, und dass Uebertragungen auf alle 
Lininogenkörperchen des ganzen Systems stattfinden. Befindet 
sich ein Lininogenkörperchen unter günstigeren Bedingungen, so 
entsendet dieses den Ueberrest seiner Ernährung den anderen 
Lininogenkörperchen des Systems zu und das ganze System nährt 
sich dann vornehmlich durch dieses Körperchen. Aus diesem 
Grunde kann während der Fortbewegung des Systems des sich 
theilenden Kernkörperchens keine Uneimigkeit in der Wahl der 
Richtung eintreten, da jedes Körperchen in gleicher Weise empfin- 
den muss, wo die Ernährung für das ganze System sich am 
günstigsten gestalten wird, und desshalb wirken alle in einer 
Richtung. 

Das System des sich theilenden Eikernkörperchens gelangt 
somit in gerader Richtung zur Dotteroberfläche, von dem zu 
dieser am nächsten gelegenen Lininogenendkörperehen gerichtet; 
infolgedessen nimmt auch die Axe seiner Figur perpendieuläre 
Stellung zur Eioberfläche ein. Nachdem das leitende Lininogen- 
endkörperehen die Dotteroberfläche erreicht hat, verändert es 
sich, wenn auch nieht immer, je nach Umständen. Das bis da- 
hin kugelige Körperchen nimmt jetzt die Gestalt eines abge- 
platteten Knopfes an oder die einer runden Platte, die dieht der 
Dotteroberfläche anliegt (Fig. 32 u. 83), um dadurch die Mög- 
lichkeit zu gewinnen, in grossem Masse unmittelbar die Nähr- 
säfte mit den nöthigen gasförmigen Substanzen aufzunehmen. 
In anderen Fällen (Fig. 92) theilt es sich im 2 oder mehrere 
Endkörperehen. Dementsprechend verändert sich auch — aller- 
dings ist das nicht immer der Fall — symmetrisch das andere 
Lininogenendkörperehen (Fig. 94). Hierauf folgt nach der uns 
bereits bekannten Art eine Längstheilung der äquatorialen Kör- 
perchen in Lininogenkörperchen, die in der Aequatorialplatte ver- 
bleiben, und in Chromatinogenkörperchen, die zu den entsprechen- 
den Lininogenendkörperehen auseinander gehen (Fig. 82). Die 
äquatorialen Lininogenkörperchen haben um diese Zeit bereits 
die netzartige Linintrennungsplatte gebildet, deren Fäden in der 
Ebene ihrer Ausbreitung bis zur Dotteroberfläche reichen (Fig. 83tp). 


Biologie der Zelle. 23 


Später zieht sich diese Platte in centripetaler Richtung zusam- 
men und trennt das abgefasste Dottersegment zu einem selbst- 
ständigen Gebilde ab (Fig. 84), zusammen mit dem in ihm ent- 
haltenen die Richtung angebenden Lininsgenendkörperchen und 
4 Chromatinogenkörperehen. Je mehr sich die äquatoriale, netz- 
artige Trennungsplatte zusammenzieht, um so mehr ragt allmäh- 
lich der abgekniffene Dottersector mit der in ihm eingeschlossenen 
Hälfte des sich theilenden Kernkörperchensystems über die Dotter- 
oberfläche hinaus und wird auf dieser von einer immer tiefer 
werdenden Ringfurche abgegrenzt. Diese Furche nimmt all- 
mählich concentrisch ab, vertieft sich dabei immer mehr, bis sie 
schliesslich vollkommen den erfassten Dottertheil von der übrigen 
Eimasse abtrennt. Jetzt zieht sich die äquatoriale Trennungs- 
platte dermassen zusammen, dass alle 4 Lininogenkörperchen zu 
einem Lininogenzwischenkörperchen zusammenfliessen (Fig. 84, 85), 
dasnoch die beiden abgetrennten Hälften des Kernkörperchensystems 
zusammenhält. Schliesslich theilt sich das Zwischenkörperchen 
in 2 Tochterkörperchen, wobei jedes in seinen entsprechenden 
Theil des getheilten Systems abrückt. Nachdem verbleibt zwischen 
diesen nur noch ein Büschelehen Linin-Verbindungsfäden. Auf 
diese Weise theilt sich die sogenannte erste Polzelle ab. 
(Fig. 86— 89.) 

Jedoch nicht immer geht dieses so vor sich. Es existiren 
einige Abweichungen vom Normaltypus. Hier seien einige von 
ihnen angeführt. Das die Richtung angebende Lininogenend- 
körperchen theilt sich, nachdem es die Dotteroberfläche erreicht 
hat, oder noch etwas früher in 2, bisweilen 3, oder sogar 
4 Körperchen (Fig. 92), welche zum Zweck grösserer und besserer 
Aufsaugung von Nährstoffen von einander abrücken. Dement- 
sprechend theilt sich auch die Spindel in ihrem oberen Theile 
in 2, 3, 4 Büschelehen und stellt das vor, was v. Beneden 
als y-förmige Figur beschrieb. Diese Figur, und das muss un- 
vermeidlich geschehen, verwandelt sich später in eine V-förmige, 
sobald die Kernkörperchen. in der Aequatorialgegend auseinander- 
rücken (Fig. 95). Nachher kann noch dieselbe Figur H-förmige 
Gestalt annehmen (Fig. 94), wenn nämlich sich das dem die 
Richtung angebenden Lininogenendkörperchen entgegengesetzte 
Körperchen in 2 Theile theilt. 

Während der Metaphase, solange die Längstheilung der 


24 P. Poljakoff: 


Kernkörperchen stattfindet, formiren die äquatorialen Lininogen- 
körperchen die äquatoriale, netzartige Trennungsplatte und nähern 
sich selbst zwecks besserer Ernährung der Oberfläche des Dotters, 
die sie bisweilen sogar erreichen (Figur 95). Infolgedessen 
findet gleichsam ein Umbau der ganzen Spindelfigur des sich 
theilenden Kernkörperchens statt. Beim ersten Blick auf die 
Figur (Fig. 96) verwischt sich die eigentliche Spindel des sich 
theilenden Kernkörperehens mit ihren Lininogenendkörperchen 
vor der deutlich hervortretenden, um diese Zeit besser ent- 
wickelten äquatorialen netzartigen Platte und deren Lininogen- 
körperchen. Diese letztere erscheint beim Untersuchen in be- 
stimmter Lage mit ihren Kernkörperchen als echte Spindel, nur 
parallel zur Dotteroberfläche gelegen. Am Anfang der Anaphase, 
wo die Chromatinogenkörperehen ein wenig bereits zu den ent- 
sprechenden Polen abgerückt sind (Fig. 98, 99), erreicht die 
Simulation zwischen der echten Spindel und der äquatorialen 
Trennungsplatte ihren Höhepunkt, da es um diese Zeit fast un- 
möglich ist, das die Richtung angebende Lininogenendkörperehen 
und den Spindeltheil, der an dasselbe grenzt, als einzelne Ge- 
bilde zu erkennen. Jetzt, nach Abschnürung der ersten Polzelle, 
sehen wir deutlich an dieser so sehr in die Augen springenden 
falschen und unechten Spindel, als ob die Theilung nieht in der 
äquatorialen Spindelebene, sondern einer Axe entsprechend, die 
parallel der Dotteroberfläche liegt, stattfinde, wie es v. Beneden 
beschrieb (Fig. 100, 101). Aus diesem Grunde nannte er diesen 
Process, durch den die Abtheilung der Polzelle vor sich geht, 
— Pseudo-karyokinese (pseudo-karyokinese). Ausserdem dachte 
er, dass hierbei die Chromosomen nicht zu den entsprechenden 
Spindelpolen auseinander gehen, sondern dass blos anfangs eine 
Halbspindel mit 4 Chromosomen, später aber noch die Hälfte 
der nachgebliebenen mit 2 Chromosomen ohne Umbau der Spindel 
ausgeschieden wird. In Wirklichkeit jedoch vollzieht sich, wie 
es aus obigem ersichtlich ist, auch hier, wie immer die Thei- 
lung in der äquatorialen Spindelebene, die mit der tangentialen 
der Dotteroberfläche zusammenfällt und in der die netzfaserige 
Trennungsplatte liegt, die durch ihre Contraetion die erste Pol- 
zelle ausscheidet. 

Selten gelingt es zu sehen, dass die Lininogenendkörper- 
chen zur besseren Ernährung sich in so viel Tochterkörperchen 


Biologie der Zelle. 25 


theilen, als äquatoriale Kernkörperchen vorhanden sind (z. B. 
bei Ascaris megalocephala bivalens in 4). Hierdurch erhält jedes 
äquatoriale Kernkörperchen 2 eigene Lininogenendkörperchen 
und ist zugleich mittels Lininfäden auch mit dem übrigen Kör- 
perchen verbunden. 

Auf Grund des von der Bildung der ersten Polzelle er- 
wähnten wird es verständlich, dass nach deren Ausscheidung 
die Ernährung des im Dotter zurückgebliebenen halben Systems 
des sich theilenden Kernkörperchens bedeutend zurückgeht. Bis 
dahin erhielt das ganze System seine Nährsubstanzen vom Lini- 
nogenendkörperchen, das eine oberflächliche Stellung einnahm, 
jetzt jedoeh fällt die Ernährung dem Lininogenkörperehen zu, 
das im Innern des Dotters liegt. Der Gasaustausch sinkt er- 
klärlicherweise, die Nährsubstanzen des umliegenden Dotters 
aber werden noeh mehr durch die angesammelten Abwürfe des 
Stoffwechsels verschlechtert. Alles dieses veranlasst das im 
Dotter verbliebene halhe System des sich theilenden Eikern- 
körperehens zu mehrfachen schnellen Theilungen, ohne sich Ruhe- 
pausen zu gönnen (Fig. 85). Noch vor Formirung des Tochterkern- 
körperchens theilt sich das Lininogenendkörperchen in 2 Tochter- 
körperehen; diese (Fig. 86) untereinander durch ein neuent- 
standenes Lininbüschelehen verbunden, rücken nach entgegenge- 
setzten Seiten auseinander; hierbei zertheilen sie die zu ihnen 
gehörige Halb-Spindel in 2 gleiche Büschelehen Lininfäden, mit 
deren Hilfe sie bei ihrer Bewegung 2 von 4 Chromatinogenkör- 
perchen der Halbspindel nachziehen. Die Bewegung der Lin- 
inogenendkörperchen nach entgegengesetzten Seiten hat ihre 
Grenzen. Das Linmogenzwischenkörperchen, das Lininfäden mit 
jedem der 4 Chromatinogenkörperchen verbinden (Fig. ST), ver- 
hindert ein weiteres Fortbewegen, nachdem sich die Lininogen- 
endkörperehen mit ihm in eine Gerade gestellt haben. Es liegt 
jetzt in der Aequatorialebene mitten zwischen beiden Lininogen- 
endkörperchen (Fig. 88); beiderseits von diesen parallel der 
äquatorialen Ebene liegen je 2 Chromatinogenkörperchen, die 
einerseits mit dem entsprechenden Endkörperchen, andererseits 
dem Zwischerkörperehen verbunden sind. Auf diese Weise for- 
mirt sich die Spindel der zweiten Theilungsfigur zur Ausschei- 
dung der zweiten Polzelle. Natürlich hat diese Spindel einen 
feineren Bau, als die der ersten Theilungsfigur: sie entstand nur 


26 P. Poljakoft: 


aus der im Dotter zurückgebliebenen Halbspindel, die sich nur 
zu entrollen hatte. Die neuentstandene Spindel bewegt sich aus 
demselben Grunde, wie die erste und setzt sich mit ihrer Axe 
einem der Dotterradien entsprechend fest (Fig. 89, 90), wobei 
eins der Lininogenendkörperchen die Bewegungsrichtung angiebt 
und die Dotteroberfläche erreicht. Jetzt theilt sich auch das 
Lininogenzwischenkörperehen, wenn auch nicht immer, in mehrere 
Theile (höchstens 4), die in der Aequatorialebene, wie vorher 
die äquatorialen Lininogenkörperchen, die netzfaserige Trennungs- 
platte bilden. Diese Platte zieht sich darauf allmählich zu- 
sammen und scheidet die zweite Polzelle aus (Fig. 91), in die 
das die Richtung angebende Lininogenendkörperchen und 2 Chro- 
matinogenkörperchen hereinkommen, d. h. die Hälfte der sich 
theilenden zweiten Spindel. Auf diese Weise tritt bei der Bil- 
dung der zweiten Polzelle, infolge des schnellen Vorgangs, weder 
ein Ruhestadium ein, noch findet eine Längsspaltung der Linin- 
fäden, — Verbindungsfäden zwischen dem Lininogenend- und 
den Öhromatinogenkörperchen — statt, oder eine Längstheilung der 
äquatorialen Kernkörperchen, da diese hier Chromatinogenkör- 
perchen ersetzten, die keiner Theilung und nur einer passiven 
Fortbewegung fähig sind. Zum Schluss theilt sich nur das 
Lininogenzwischenkörperchen, und damit findet die Ausscheidung 
der zweiten Polzelle ihr Ende; diese wird nun mit dem Dotter 
durch ein Büschelehen Lininfäden, die sich zwischen den Lininogen- 
Tochterkörperchen hinziehen, verbunden. 

Verfolgen wir nun das weitere Schicksal der Polzellen. Die 
erste Polzelle theilt sich sofort nach ihrer Bildung in 2 Tochter- 
zellen mit je 2 Chromatinogenkörperchen. Die Theilung vollzieht 
sich analog der Theilung des im Dotter zurückgebliebenen halben 
Systems des sich theilenden Kernkörperchens. Anfangs theilt 
sich das Lininogenendkörperchen in 2 Tochterkörperchen, die 
nach entgegengesetzten Seiten an der Oberfläche der Mutterpol- 
zelle auseinandergehen und auf die Oberfläche des Dotters an 
den diametral entgegengesetzten Berührungspunkten des Dotters 
mit der Polzelle übergehen. In dieser Richtung an der Dotter- 
oberfläche sich weiter bewegend, zieht jedes Kernkörperchen 2 
Chromatinogenkörperehen mit sich, und hernach findet dann eine 
Abschnürung der Polzelle in 2 Tochterzellen statt. 2 Lininogen- 
endkörperchen und ein Zwischenkörperchen, die an dieser Thei- 


Biologie der Zelle. 27 


lung theilnahmen, befmden sich an der Dotteroberfläche. Hier 
auch sind das End- und Zwischenkörperehen der zweiten Pol- 
zelle (Fig. 84). Meistentheils jedoch geht die erste Polzelle bei 
ihrer Bildung mit Hilfe ihres Lininogenendkörperchens auf die 
äussere Eimembran über, die um diese Zeit den Dotter beinahe 
berührt (Fig. 104); die erste Polzelle wird hierbei mit der zweiten 
durch ein Büschelehen Lininfäden, die zwischen den Lininogen- 
zwischen-Tochterkörperehen gespannt sind, verbunden. Inden 
die Polzelle der inneren Fläche der äusseren Eimembran anliegt, 
verdiekt sie sich und schwimmt gleichsam auf dieser auseinan- 
der. Alle Lininogenkörperchen aber, die an der Ausscheidung 
der zweiten Polzellen theilnahmen, bilden un die Dotteroberfläche 
herum, an der sie sich befinden, die innere Linin-Eimembran — 
die Dottermembran der Autoren (Fig. 105). 

Auf diese Weise arbeitet das Eikernkörperchen, ebenso wie 
es das Samenkernkörperehen thut, zur Sicherung seiner Ernäh- 
rung eine Membran um den Dotter aus und ist mit dieser durch 
ein Büschelehen saftleitender Lininfäden verbunden. 

Ausserdem ist es aus oben Erwähntem ersichtlich, dass die 
Reductionstheilung, wie es jetzt Viele anerkennen, nicht nur dazu 
dient, um den Eikern von der überflüssigen Hälfte seines Chro- 
matins zu befreien. Die Ausscheidung der Polzellen machen diese 
Autoren von der Nothwendigkeit der Chromatinreduction abhängig 
und sehen deshalb in diesen bloss eine unvermieidliche Folge eines 
physiologisch wichtigen Vorgangs, der Chromatinreduction. Sie 
vertreten den Standpunkt, dass die Polzellen eim Abwurf ohne 
jegliche morphologische und physiologische Bedeutung sind. Bei 
der Zellenphysiologie stösst man auf eine Menge Facta, die da- 
von zeugen, wie ökonomisch jedes organisirte Gebilde in der 
Zelle aufgebraucht wird. Nichts verschwindet in ihr umsonst, 
nichts wird ausgeschieden und alles unterliegt einer Umarbei- 
tung, falls es sich in seinem gegenwärtigen Zustande als werth- 
los erweist. Während wir dieses alles wissen, stossen wir plötz- 
lieh auf eine solche Erklärung eines allbekannten Faetums, dass 
die Zelle, um sich vom Ueberflusse ihres Chromatins, das ihr 
schon als halbe Menge genügt, den Rest”nach aussen mittels 
eines bestimmten Processes ausscheidet und dass diese Chroma- 
tinmasse ausserhalb der Zelle zerfällt. Jedoch bei aller meiner 
Hochachtung vor der grösseren Erfahrung und Vertrautheit jener 


28 P. Poljakoff: 


Autoren, die diesen Standpunkt vertreten und ungeachtet der 
allgemein für dieses Faetum angenommenen Erklärung, kann ich 
mich nicht mit diesem einverstanden erklären und motivire 
mit Folgendem meinen Standpunkt: „1. Das Chromatin ist eine 
derart hoch differenzirte chemische Substanz, deren Ausarbeitung 
mit grossen Kraftaufwendungen und grossem Substanzaufbrauch 
verbunden ist, dass die Zelle dasselbe, als eine Substanz von 
hoher Potenzialenergie, äusserst ökonomisch mit ihrem Leben zu- 
sammen aufbraucht. Das ganze Leben der Zelle, nach ihrer Er- 
neuerung durch Theilung, nach ihrer Verjüngung, während wel- 
cher sie sich mit Chromatin versorgt, besteht ja in einer nach- 
folgenden Zerlegung dieser äusserst zusammengesetzten chemi- 
schen Substanz, wodurch die in der Zelle latente Energie frei 
wird und in verschiedensten Erscheinungen, den sogenannten 
Lebenseigenschaften der Zelle, zum Ausdruck kommt. Deshalb 
kann es unmöglich zugegeben werden, dass die Zelle freiwillig 
so zu sagen und dabei durch einen derartig complizirten Process, 
sich von dem trennen kann, was ihre Lebensfrage berührt, da 
doch mit der Vernichtung des Chromatins und der Unfähigkeit, 
durch Theilung den Vorrath zu erneuern, der Tod der Zelle ein- 
treten müsste. Angenommen selbst, dass der Kern wirklich aus 
irgend welchen Gründen sich von der Hälfte seiner Chromatin- 
masse befreien muss, so braucht er dazu doch nicht zu einem so 
verwickelten Process Zuflucht zu nehmen und das Chromatin 
unbedingt nach aussen auszuscheiden. Bei den Infusorien z. B. 
wird bei der Conjugation der Hauptkern (macronucleus) und ein 
grosser Theil der durch Theilung des Nebenkerns (mieronucleus) 
hervorgegangenen Kerne nach aussen ausgeschieden und dient 
zur Ernährung der durch die Conjugation sich neubildenden Or- 
ganismen, bis in diesen ein neuer Haupt- und Nebenkern sich 
gebildet hat. Dieses Beispiel muss um so sprechender sein, als 
die Autoren in ihm Erscheinungen derselben Chromatinreduetion 
sehen, wie sie die Zellen der höchsten Thiere aufweisen. 2. Die 
Bewegung des Kernkörperchens der Ei-Mutterzelle aus dem cen- 
tralen Dottertheil zur Oberfläche verursachen, wie wir oben er- 
klärten, bestimmte Gründe, die nichts mit dem Bestreben gemein 
haben, sich vom überflüssigen Chromatin zu befreien, das um 
diese Zeit sogar beim Kernkörperchen fehlen kann, da dieses 
vor Beginn der Theilung das ganze alte Chromatin und die an- 


Biologie der Zelle. 29 


deren Kernsubstanzen im Stiche lässt. 3. Der sogenannte Re- 
duetionstheilungsprocess selbst verfolgt nicht den Zweek der viel- 
genannten Chromatinreduction, sondern bloss das Bestreben, der 
Ernährung möglichst günstige Bahnen zu geben; die Chromatin- 
reduction erscheint hier schon in zweiter Linie, als Folge dieses 
genannten Bestrebens. Hier muss ich noch auf einen Umstand 
von grosser Wichtigkeit hinweisen: die Ohromatinreduetion kann 
in keiner Weise auf Grund der existirenden Theorien vom Zell- 
theilungsmechanismus vor sich gehen. Nach diesen "Theorien 
wären keine Gründe, weshalb die Chromosomen sich nieht auch 
im gegebenen Fall längstheilen wie in allen übrigen Fällen der 
Kerntheilung. Die Verfechter der Chromatinreduetion führen 
keine sprechenden Gründe an, weshalb im gegebenen Fall keine 
Längsspaltung der Chromosomen stattfindet, wie es sonst stets 
der Fall ist; unmotivirte Reduetionsgründe hielten sie für noth- 
wendig, um dadurch ihre scharfsinnige Befruchtungs- und Ver- 
erbungstheorie zu bekräftigen, die hauptsächlich auf dieses eine 
Factum gebaut ist. 4. OÖ. Hertwig verglich die Bildung der 
4 Samenzellen aus einer Samen-Mutterzelle mit dem Bildungs- 
process eines befruchtungsfähigen Eies und dreier Polzellen in 
Gestalt rudimentärer Eier aus der Eimutterzelle und sagt: „diese 
(die Polzellen) haben sich im rudimentären Zustande erhalten, 
weil sie bei der physiologisch wichtigen Reduetionstheilung eine 
Rolle spielen.“ Welche Bedeutung jedoch die Reductionstheilung 
auch haben mag, so liegt kein genügender Grund vor anzu- 
nehmen, dass die Polzellen sich bilden und einige Zeit existiren, 
nur weil sie für die Reductionstheilung nöthig sind. Beachten 
wir, dass die erste Polzelle aus einer normalen Theilung hervor- 
gegangen ist und keine Beziehung zur Reduetionstheilung hat, 
da letztere erst nach ihrer Bildung eintritt. Das Schicksal je- 
doch der ersten Polzelle und der zweiten, die durch abnorme 
Reductionstheilung entstanden ist, ist dasselbe. Die Bedeutung 
beider Polzellen ist somit ganz unabhängig von der Reductions- 
theilung. Jedenfalls liegt kein Grund vor zu behaupten, dass 
die Polzellen nur in ihrer Beziehung zur Reductionstheilung in 
Betracht kommen, selbst jedoch an und für sich bloss rudimen- 
täre Eier darstellen, die einer spurlosen Vernichtung unterliegen 
sollen. Es fehlen ebenso genügende Gründe anzunehmen, dass 
die Polzellen rudimentäre, unentwickelte Eier darstellen. Wie 


30 P. Poljakoft: 


bekannt, entstand diese Anschauung auf Grund der Aehnlichkeit 
im Bildungsprocess der Polzellen und Samenkörper. Diese heut- 
zutage angezweifelte Aehnlichkeit jedoch liegt in keiner Weise 
vor und dieses beabsichtige ich in Kürze in einer besonderen zu 
publizirenden Arbeit zu beweisen. 

Ich zeigte schon oben und werde es auch noch später 
thun, dass die Polzellen ausgeschieden werden, um die Ernähb- 
rung des Eikernkörperchens zu heben und die des zukünftigen 
Keims sicher zu stellen. Sie haben somit eine vollkommen be- 
stimmte morphologische und physiologische Bedeutung. 

Indem wir zur Geschichte der Entwickelung des Eikern- 
körperchens zurückkehren, erinnern wir uns dessen, dass dieses 
Kernkörperchen nach der Copulation von Samenkörper und Ei 
und nach der Bildung der Eimembran den Mangel an Nährstoff 
im Dottercentrum zu fühlen beginnt, von den 'angehäuften Ab- 
würfen seines Stoffwechsels gereizt wird und in Folge dessen 
zur Dotteroberfläche hinrückt. Bei dieser Bewegung leitet die 
qualitative Differenz der Nährsubstanzen das Kernkörperchen, 
welches die Seite der besseren Substanz wählt. Zugleich reagirt 
es auf den Reiz mit Theilung. Die Theilung des Kernkörper- 
chens vollzieht sich an der Eioberfläche, d.h. unter Bedingungen, 
die für seine Ernährung sich günstiger gestalten. Nach der 
ersten Theilung und Ausscheidung der ersten Polzelle theilt sich 
sofort das Kernkörperchen, fühlt jedoch keine gebesserten Er- 
nährungsbedingungen, im Gegentheil verschlimmerte, gönnt sich 
daher nach der ersten Theilung keine Ruhe und dieses führt 
unvermeidlich zur Redueirung bis zur Hälfte der in ihm ent- 
haltenen Chromatinogenkörperchen. Bedenken wir, dass diese 
vereinfachte Theilung unter normalen Bedingungen bis jetzt nur 
beim Heranreifen geschlechtlicher Producte d. h. des Samenkör- 
pers und Eies bemerkt wurde, und ziehen wir in Betracht, dass 
diese Theilung Bedingungen einer ungenügenden, abnormen Kern- 
körperchenernährung hervorrufen, besonders scharf beim Process 
der Eireifung, so sind wir im Recht zuzugeben, dass durch eine 
solche Theilung das Kernkörperchen gleichsam beabsichtigt seine 
Aufgabe zu lösen, nach Bildung der Eimembran die Bedingungen 
für seine Existenz besser zu gestalten, Bedingungen, die im Ei 
selbst ruhen. Indem das Kernkörperchen bis zur Hälfte seine 
Chromatinogenkörperchen redueirt, verringert es erstens auch um 


Biologie der Zelle. 31 


die Hälfte seinen Bedarf an Nährstoffen; zweitens häufen sich 
auch in geringerer Menge jene Abwürfe des Stoffwechsels. Mit 
der Redueirung der Chromatinogenkörperchen ist die Ausschei- 
dung der zweiten Polzelle verbunden und ebenso die Bildung 
der Lininmembran um den ganzen Dotter (Fig. 105), die mit 
dem in diesem verbliebenen Theil des sich theilenden Kernkör- 
perehens durch ein Büschelehen saftleitender Lininfäden verbun- 
den ist. Alles dieses müsste stark die Ernährung des sich thei- 
lenden Kernkörperchens heben, in Wirklichkeit jedoch gestalten 
sich die Bedingungen für diese immer ungünstiger und besonders 
an der Dotteroberfläche, da der Gasaustausch aufhört, die An- 
häufung der Abwürfe des Stoffwechsels dagegen zunimmt. Zu- 
gleich vollzieht sich im centralen Dottertheil der Gasaustausch 
vollkommen normal durch die äussere Eimembran, da diese durch 
saftleitende Lininfäden mit dem Samenkörperchen in Verbindung 
stehen. Die Ernährungsbedingungen ändern sich im centralen 
Dottertheil, sobald das Samenkernkörperchen dorthin gelangt, 
dermaassen zum Besseren, dass das Eikernkörperchen nun nach 
der Qualität der diffundirenden Ströme, die von dort zu ihm 
gelangen, deutlich dieses zu empfinden beginnt. Empfindet das 
Eikernkörperehen die Nähe eines Ortes mit besseren Ernährungs- 
bedingungen, so rückt es sofort dorthin, vom äusseren Lininogen- 
körperehen, diesem Organ seiner Bewegung, Ernährung und 
Empfindung, geleitet. Vor diesem formirt sich, nach Bildung 
der zweiten Polzelle, die aus einem Lininogen- und 2 Chroma- 
tinogenkörperchen besteht, der Rest des sich theilenden Kern- 
körperchens im Dotter auf oben erwähnte Weise zum Kernkör- 
perchen im Ruhestadium (Fig. 105). Nach Schluss der Thei- 
lung, nach Formirung und Ausscheidung des äusseren Lininogen- 
körperehens zur Hebung seiner Ernährung, hebt das Kernkör- 
perchen allmählich durch die sich ansammelnde Flüssigkeit, — 
eine Folge seiner Lebensthätigkeit, — die es umschliessende 
Lininmasse nach allen Seiten ab und bildet so den bläschenför- 
migen Kern (Fig. 106). Seiner Entstehung und äusseren Ge- 
stalt nach unterscheidet sich dieser Eikern in keiner Weise von 
dem oben beschriebenen Samenkern. Der sich nun im Dotter 
befindende weibliche Ei- und männliche Samenkern (Fig. 107) 
ähneln darin einander, dass sie beide durch saftleitende Linin- 
fäden mit den Eimembranen verbunden sind, der erstere mit der 


32 P. Poljakoff: 


inneren, der zweite mit der äusseren. Ich erwähnte bereits, dass 
das Eikernkörperchen, nachdem es zum Kern sich herangebildet 
und den Ort der günstigsten Ernährungsbedingungen ausfindig 
gemacht hat, sich nach dieser Richtung hinbewegt, vom äusseren 
Lininogenkörperchen geleitet. Bald nähert es sich demnach dem 
Samenkern, der seinerseits dieses Herannahen zu fühlen beginnt, 
da Diffusionsströme der Dotterflüssigkeit mit Produeten des Stoff- 
wechsels des Eikernkörperchens zu ihm gelangen, ähnlich den 
Strömen, die vorher die Samenkörper zum Ei heranlockten. Um 
diese Zeit haben sich die Ueberreste des Ei-Mutterkerns, die den 
Samenkörper zum Dottercentrum angelockt hatten, bereits voll- 
kommen aufgelöst und zur Ernährung gedient und können nun 
nicht mehr, wie früher, die Reizbarkeit des Samenkörpers beein- 
flussen. Der Samenkern wird daher beim Herannahen des Ei- 
kerns von diesem Reizeinflüsse erhalten und beginnt entweder 
diesem sich selbst entgegen zu bewegen (Fig. 106), oder aber 
zu ihm sein äusseres Lininogenkörperchen auszusenden. Haben 
sich Ei- und Samenkern genügend genähert, so berühren sich 
vor Allem zuerst die äusseren Lininogenkörperchen (Fig. 108). 
Zuerst tangiren einander die lininen Bewegungsfäden und nach 
deren Contraetion ebenso die Lininogenkörperchen, die darauf 
zu einem gemeinsamen Körperchen für beide Sexualkerne zu-' 
sammenfliessen (Fig. 109, 110, 127, 128, 129). Bald darauf (Fig. 
115) theilt sich dieses gemeinsame Lininogenkörperchen in 
2 Tochterkörperchen, die nach entgegengesetzten Seiten zwischen 
den einander genäherten geschlechtlichen Kernen auseinander- 
rücken und legen sich im Dotter in eine Linie (Fig. 111, 112), 
die mit der Axe der künftigen Spindel der ersten Eitheilung zu- 
sammenfällt. Nachdem sieh die Lininogenkörperchen verbunden 
haben, beginnt die Theilung der Kernkörperchen in den Kernen 
(Fig. 108, 113), die eine Neubildung von Chromatin und Linin 
zur Folge hat, — ein Fall, der überhaupt in jeder sich thei- 
lenden Zelle vorkommt (Fig. 114). 

Nachdem ich den Verlauf des Befruchtungsprocesses be- 
schrieben, auf die hierbei richtenden Kräfte verwiesen habe, wie 
es in den Eiern vor sich geht, die nach ihrer Vereinigung mit 
dem Samenkörper ihre Polzellen ausscheiden, möchte ich nun 
noch von demselben Standpunkte aus denselben Process beurtheilen, 
der in den Eiern vor ihrer Vereinigung mit dem Samenkörper 


Biologie der Zelle. 33 


stattfindet, jedoch zugleich nur auf die Eigenheiten hinweisen, 
die eine Abweichung vom oben beschriebenen enthalten. 

Die Ausscheidungszeit der Polzellen variirt vielfach. Bei 
verschiedenen Thieren beobachtet man diese Ausscheidung ange- 
fangen vom Bildungsmoment der Ei-Mutterzelle im Eierstock bis 
zur Copulationszeit mit dem Samenkörper. Die junge Ei-Mutter- 
zelle geräth, was ihre Ernährung betrifft, nach ihrer fertigen 
Bildung in durchaus schlechtere Verhältnisse, als es früher mit 
ihr der Fall war. Dieses veranlasst ihr Kernkörperchen sich zu 
bewegen, um dadurch bessere Ernährungsbedingungen zu er- 
langen. Das Kernkörperehen rückt zur Dotteroberfläche bin, 
theilt sich hier in bekannter Weise und bildet die Polzellen und 
Membran, um so die Ernährung besser zu gestalten. Zur Be- 
fruchtung herangereift rückt hierauf das Kernkörperchen, nach- 
dem es um sich den bläschenförmigen Kern gebildet hat, zum 
centralen Eitheil hin. Bei allen seinen Translocationen wird das 
Kernkörperchen ausschliesslich von der Differenz der Ernährungs- 
bedingungen geleitet und strebt stets dem Ort der besten Be- 
dingungen zu. Die vom Kernkörperchen um die Eizelle gebil- 
dete Membran kann in keiner Weise der Copulation der letzteren 
mit den Samenkörpern hinderlich sein, da sie genügend locker 
für deren Eindringen ist. Die Substanzen jedoch, die ein Pro- 
duct des Stoffwechsels im Ei darstellen und die Samenfäden an- 
locken, werden durchaus nicht von dieser Membran aufgehalten, 
da diese gleichen Ursprungs mit den Substanzen des Eikerns 
sind. Der Samenkörper vereinigt sich demnach mit dem Ei, 
bildet die äussere Eimembran und richtet sich zu dem im cen- 
tralen Dottertheil liegenden Eikern hin. Da die Bildung der 
äusseren Membran durch den Samenkörper eine Verschlechterung 
der Nahrungsbedingungen für das Eikernkörperchen zur Fulge 
hat, sendet dieses, von den vom Samenkörper sich ausbreitenden 
Diffusionsströmen mit grösserem Sauerstoffgehalt dazu angetrieben, 
sein Lininogenkörperchen zu dem sich ihm nähernden Samen- 
kernkörperchen aus. Dieses erklärt sich dadurch, dass das 
Samenkernkörperchen, das mit der äusseren Eimembran durch 
saftleitende Lininfäden verbunden ist, die Nährsubstanzen nicht 
nur aus dem Eidotter bezieht, sondern ebenso aus den das Ei 
umgebenden Medien. Die Saft aufnehmenden, zugleich Empfin- 
dungs- und Bewegungs-Fäden der Lininogenkörperchen beider Kern- 

Archiv f. mikrosk. Anat. Bd. 57 67 


34 P. Poljakoff: 


körperchen (des Eies und Samenkörpers) recken sich gegenseitig 
einander zu, greifen in einander und tragen durch gegenseitige 
Contraction zur schnelleren Vereinigung ihrer Lininogenkörperchen 
bei und beschleunigen folglich auch die Bewegung des Samen- 
kernkörperchens. Das gemeinsame Lininogenkörperchen gelangt 
ins Innere des Eikerns und zieht dabei das Samenkernkörperchen 
zu seiner Membran an. In dieser Lage verbleiben Eikern und 
Samenkernkörperehen einige Zeit, ohne zusammenzufliessen, da 
ihr früheres lebhaftes Annäherungsbestreben jetzt durch die Ver- 
einigung ihrer Lininogenkörperchen befriedigt ist. Nach diesem 
tritt das Samenkernkörperchen in die Eikernmembran ein und, 
vom Lininogenkörperchen angezogen, nähert es sich und ver- 
bindet sich später mit dem gemeinsamen Lininogenkörperchen 
und dem Eikernkörperchen. Nach dieser Vereinigung tritt eine 
Ruhepause für das Kernkörperchen des befruchteten Eikerns ein, 
welches sich nun in nichts von dem der übrigen Gewebezellen der- 
selben Thierart unterscheidet, seine bedeutende Energie ausge- 
nommen, die während der Theilung zur Geltung kommt. 

Ich möchte noch eines wichtigen Factums erwähnen. Wir 
erinnern uns, dass der Samenkern nach seiner Berührung mit dem 
Ei, mit Hilfe eines der Lininogen-Tochterkörperehen, die aus 
der Theilung des äusseren Lininogenkörperchens, d. h. des sog. 
Mittelstücks oder Halses hervorgegangen sind, die äussere Ei- 
membran bildet. Indem das Samenkernkörperchen ein Lininogen- 
Tochterkörperchen in der äusseren Eimembran zurücklässt, mit 
dem anderen aber zum Eikernkörperchen ins Dotterinnere dringt, 
ist es mit der Membran durch saftleitende Lininfäden verbunden. 
Ebenso verbinden solche Fäden das Eikernkörperchen, nachdem 
es die Polzellen und innere Eiinembran formirt hat, mit diesen 
letzteren. Sobald sich die Lininogenkörperchen beider Kern- 
körperchen verbunden haben, vereinigen sich beide Membran- 
systeme der Lininogenkörperchen, Polzellen und Kernkörperchen, 
in ein geschlossenes System (Fig. 109), das die Ernährung des 
befruchteten Eies bewerkstelligt. Die äussere Membran stellt 
dem befruchteten Ei den Nährstoff aus den umgebenden Medien 
zu, die innere — aus dem Dotter; die Lininogenkörperchen der 
Kernkörperehen erhalten ausserdem die Nährsubstanzen selbst 
unmittelbar aus den benachbarten Dottertheilen. Dieser compli- 
zirte Mechanismus zur Ernährung des befruchteten Eies bewahr- 


Biologie der Zelle. 35 


heitet sich dadurch, dass mit seiner Bildung eine besondere ver- 
stärkte Thätigkeit des Kernkörperchens beginnen muss, die die 
Ausarbeitung von Chromatin und überhaupt aller Substanzen der 
Kerntheilung hervorrufen muss. Mit der Entwiekelung des Kerns, 
angefangen von der ersten Segmentation des befruchteten Eies, 
erhält jede der 2 Tochterelemente eine ebensolche Chromatin- 
menge, wie sie der Mutterkern aufwies; anfangs nimmt diese 
Menge in jedem Tochterelement sogar zu. Diese verstärkte 
Thätigkeit des Kernkörperchens verlangt eine stärkere Ernährung, 
die die Eimembranen auf sich nehmen. Diese können nicht ein- 
flusslos auf die Ernährung des entstandenen Keimes bleiben, — 
sie weisen dazu einen complizirten Bau auf (Fig. 109), da in der 
äusseren Membran ein Lininogenkörperchen und die erste Pol- 
zelle liegt, die innere dagegen mehrere Lininogenkörperchen und 
die 2. Polzelle fasst. Wir kennen die Bedeutung, die die Lini- 
nogenkörperchen für die Ernährung der Kernkörperchen und der 
Zelle überhaupt haben; deshalb muss auch die Anwesenheit der 
Körperehen in den Eimembranen von grosser Bedeutung für die 
Ernährung des Keimes sein. Der Umstand aber, dass an der 
inneren Fläche der äusseren und an der äusseren Fläche der 
inneren Membran sich die Polzellen befinden, spricht auch von 
einer Bedeutung dieser in derselben Hinsicht. Ich nehme an, 
dass die Polzelle sich allmählich verflacht, mit der Substanz ihrer 
Protoplasmamasse, die zu diesem Zweck sich in eine äusserst 
feine Platte verwandelt, die ganze Membranoberfläche überzieht 
und auf diese Weise den primären serösen Raum bildet, der mit 
flachem Epithel ausgelegt ist. Das Epithel aber erscheint hier 
als zweckmässig, da es die Umarbeitung und Ausscheidung der 
Substanzen, die ins Ei aus dem umgebenden Medium gelangen, 
und ebenso die Abwürfe, die das Ei während seiner Ernährung 
ausscheidet, regulirt. 

Dass die Bildung der äusseren Eimembran bei Asecaris 
megalocephala durch den Samenkörper und nicht durch den Ei- 
dotter verursacht wird, bezeugen Befruchtungserscheinungen an 
jenen Eiern, die zufällig sich einander berührten. Würde der 
Eidotter die äussere Membran liefern, so entständen stets ein- 
fache Eier mit nur einem Keimbläschen. Nach der Berührung 
des Samenkörpers mit dem reifen Ei würde der Dotter durch 
Ausscheidung der Membran das gegebene Ei vom benachbarten 


36 P. Poljak off: 


abgrenzen, das ihn berührt oder an ihn angedrückt ist. In Wirk- 
lichkeit jedoch sieht man dieses nicht. Wird eines der beiden 
aneinander grenzenden reifen Eier (Fig. 125) befruchtet, so breitet 
sich die vom Samenkörper gelieferte äussere Membran über beide 
Eier aus, ohne Grenzen direct von einem Dotter zum anderen 
übergehend. Im ersten Fall müssten dann ausserdem alle übrigen 
Befruchtungserscheinungen nur in dem einen befruchteten Ei auf- 
treten, ohne das benachbarte zu berühren. Es fehlen jegliche 
Gründe zur Bildung der äusseren Membran um das benachbarte, 
nichtbefruchtete Ei, jegliche Gründe zur Bewegung des Keim- 
bläschens in diesem Ei, zur Ausscheidung der Polzellen und für 
andere Erscheinungen. In Wirklichkeit jedoch sehen wir, dass 
die benachbarte, der befruchteten anliegende, reife Eizelle von 
der Eimembran umgeben wird (Fig. 125), die ohne Grenzen auf 
diese von der befruchteten übergeht. Ferner sehen wir, dass 
das nichtbefruchtete Ei allen Verwandlungen unterliegt, die das 
direet befruchtete Ei charakterisiren (Fig. 126), wenn auch diese 
Verwandlungen zeitlich etwas zurückbleiben. In solchem, so zu 
sagen indireet befruchtetem Ei beginnen nach Bildung der äusseren 
Membran die Verwandlungen des Keimbläschens gerade so wie bei 
einem reell befruchteten. 

Stellt man sich auf meinen Standpunkt der Eireifungs- und 
-Befruchtungstheorie, so werden alle Erscheinungen verständlich; 
die bis jetzt vorgebrachten Theorien hingegen vermögen keines- 
wegs über Alles eine befriedigende Aufklärung zu geben. 

Ich füge dem Erörterten noch nachstehende, die allge- 
meinen Verhältnisse des Zellenlebens und das Wesen der Be- 
fruchtung berührende Betrachtung an: Viele behaupten, dass 2 
einander genäherte gleichartige Zellen zu einer Zelle zusammen- 
fliessen können, wenn auch mit 2 oder mehreren Kernen, je 
nach Anzahl der Kerne der ineinandergeflossenen Zellen. Im 
eigentlichen Sinne können meines Erachtens jedoch 2 oder 
mehrere einzelne Zellen nicht verschmelzen, sondern sich nur 
möglichst einander nähern. Mögen 2 Zellen scheinbar sich ver- 
einigen, so bleiben sie physiologisch doch getrennt, so lange ihre 
Kernkörperchen nicht verschmelzen. Es muss eine Verschmelzung 
der Kernkörperchen stattfinden, damit die Zellen auch eine phy- 
siologische Einheit bilden und aus 2 Zellen in der That eine 


Biologie der Zelle. 37 


einzige wird. Eine solche vollkommene Verschmelzung bleibt 
aber ein Privilegium der Sexualzellen, des Eies und des Samen- 
körpers, deren Kernkörperehenelemente verschmelzen und ein 
einziges Kernkörperchen bilden; darin eben besteht der Befruch- 
tungsvorgang. 

Ich erblicke also das Wesen der Befruchtung im Ver- 
schmelzen zweier Kernkörperchen von Zellen, die ver- 
schieden geschlechtlichen Organismen angehören. Das 
Ei ist reichlich mit Nährsubstanzen versorgt und bleibt deshalb unbe- 
weglich. Der Samenkörper, ohne Vorrath an Nährstoff, ist beweg- 
lich; es fehlen ihm die äusseren Nährsubstanzen, die es dem um- 
sebenden Medium mit Hilfe des ihn umschliessenden Linins durch 
das Lininogenkörperchen entnimmt. Das Fehlen von eigenem Vor- 
rath an Nährstoff bringt den Samenkörper dazu, das Ei aufzusuchen, 
wenn dieses sich in der Nähe befindet. Der Grund, dass er dem 
Ei den Vorzug vor etwelchen sonstigen Zellen giebt, liegt darin, 
dass der Samenkörper nur im Ei das passende Nahrungsmaterial 
vorfindet, dasselbe, von dem er sich in der Mutterzelle nährte. 
Hierdurch erklärt sich beim Befruchtungsprocess das Streben des 
Samenkernkörperchens zu dem Ei zu gelangen und umgekehrt. 
Beim Befruchtungsprocess sind alle Bewegungen der geschlecht- 
liehen Kernkörperehen mit dem Suchen nach besseren Ernährungs- 
bedingungen verknüpft. Dasselbe beobachtet man beim Theilungs- 
process der Zelle. 

Das Ausscheiden der Riehtungskörper wird dadurch bedingt, 
dass das sich theilende Kernkörperchen sich zwecks besserer 
Ernährung an der Dotteroberfläche hält. Die Nothwendigkeit etwa 
überflüssige Chromatinelemente abzustossen (Reduktionstheilung), 
vermag ich nieht anzuerkennen. Schwerlich kann ein Vorahnen 
des Zukünftigen in einer Zelle zugegeben werden. Die Aus- 
scheidung der Polzellen spricht daher nicht von einem Bestreben 
des Eies, sich zur Aufnahme des Samenkörpers bereit zu halten, 
dessen Ankunft es nicht voraussehen kann. Polzellen werden 
auch von Eiern ausgeschieden, die sich parthenogenetisch ver- 
mehren, für die es offenbar überflüssig wäre, sich zur Aufnahme 
des Samenkörpers vorzubereiten u. z. durch Ausscheidung der 
halben Chromatinmenge, um dadurch einer Verdoppelung der- 
selben zu entgehen. In allen Fällen wird die Bildung der Pol- 
zellen durch das Bestreben des Eikernkörperchens erklärt, seine 


38 P. Poljak off: 


Ernährung, die im gegebenen Augenblick gesunken ist, zu heben. 
Dadurch wird auch die Zeit der Bildung der Polzellen bestimmt. 
Je früher das Eikernkörperchen den Mangel an Nährsubstanzen 
zu fühlen beginnt, um so früher bilden sich die Polzellen, bis- 
weilen schon lange vor der Vereinigung mit dem Samenkörper. 
Eier, die mit reichlichem festen und flüssigen Nährstoff versorgt 
sind, haben relativ Mangel an gasförmigen Nährsubstanzen. Wird 
mit der Bildung der Polzellen dieser Mangel aufgehoben, so ist 
das Ei auf die Ankunft des Samenkörpers besser vorbereitet. 
Eier, die sich parthenogenetisch entwickeln, scheiden gewöhnlich 
nur eine Polzelle aus, nieht weil die Bildung einer zweiten für 
sie verderblich sein könnte, sondern weil im gegebenen Fall eine 
Polzelle zur Hebung der Ermährungsbedingungen des Eikern- 
körperchens genügt. Es giebt jedoch auch Eier, die 2 Pol- 
zellen ausscheiden und dabei sich parthenogenetisch entwickeln. 

Dass das Chromatin an und für sich keine wesentliche Be- 
deutung für die Befruchtung (und die Zelltheilung) hat, zeigt 
ausser dem oben Erwähnten das Faetum, dass es bei den 
Teleosteern und vielen anderen Thieren fehlt, wo nur Kern- 
körperchen vorkommen, die allmählich in den folgenden Segmen- 
tationen immer grössere Chromatinmengen ausarbeiten. Bei der 
Befruchtung vereinigen sich somit zwei ihrer individuellen Thätig- 
keit nach gleichbedeutende Kernkörperehen. Hier findet keine 
gegenseitige Ergänzung fehlender Elemente statt, wie es Boveri 
vermuthete, sondern ein vollkommenes Verschmelzen erblicher 
gleichförmiger Keime. 

Der in den beiden Theilen meiner Biologie der Zelle aus- 
geführte und möglichst nach allen Richtungen hin besprochene 
Grundgedanke liegt, wie eine Verfolgung meiner Darlegung ohne 
Weiteres ergiebt, darin, dass ich einmal dem Kernkörperchen die 
Bedeutung eines vitalen Centralorganes für die Zellen zuschreibe 
und ferner darin, dass ich in dem Ernährungsbedürfnisse der 
Zellen und ihrer Theile den Antrieb für alle die mannichfaltigen 
Vorgänge suche, welche bei der Zelltheilung, sei es der mitotischen 
wie der amitotischen, beobachtet werden. Indem sich die gleichen 
Prineipien auch zur Erklärung der Erscheinungen, welche wir 
bei dem Befruchtungsvorgange beobachten, verwerthen lassen, 
wie ich zu zeigen versuchte, hoffe ich für alle diese verwickelten 


Biologie der Zelle. 39 


und scheinbar disparaten Processe eine sie verbindende gemein- 
same Unterlage gefunden zu haben. 


SE: 


Ich halte es für meine Pflicht, meinem hochverehrten Lehrer, 
Exeellenz Professor Theodor Zawarykin, meinen auf- 


richtigen Dank auszusprechen. Diese Arbeit sei ihm als Gabe 
meiner Dankbarkeit gewidmet. 


10. 


nl 


Literatur -Verzeichniss. 


Arnold, J.. Ueber die Theilungsvorgänge an den Wanderzellen. 
Archiv für mikrosk. Anatomie, Bd. XXX. 1889. 

Derselbe, Weitere Mittheilungen über Kern- und Zelltheilung in 
der Milz; zugleich ein Beitrag zur Kenntniss der von typischen 
Mitosen abweichenden Kerntheilungsvorgänge, Ibidem, XXXI. 1888. 
Balbiani, Sur la structure du noyau des celiules salivaires chez 
les larves des Chironomus. Zoologischer Anzeiger. 1881. 
Derselbe, Centrosome et „Dotterkern“. Journal del’anatomie et 
de la physiologie normales et pathologiques, T. XXIX. 1893. 
Derselbe, Sur la structure et division du noyau chez le spiro- 
chora gemmipara. Annales de micrographie. 1895. 

Bambeke, van, Nouvelles recherches sur l’embryog£6nie des 
Batraciens. Arch. de Biologie, Bd. I. 1880. 


. Derselbe, Contributions A l’histoire de la constitution de l’euf. 


II Elimination d’el&ments nucleaires dans l’@uf ovarien de Scor- 
phaena scrofa L. Archives de biologie, T. XIII. 189. 
Belajeff, Ueber Bau und Entwi@kelung der Spermatozoiden der 
Pflanzen. Flora, LXXIX. 1894. 

Derselbe, Zur Kenntniss der Karyokinese bei den Pflanzen. 
Ibidem. 

Beneden, van, Recherches sur l’&volution des grögarines. Bull. 
de l’Academie r. d. sc. de Belgique. 1871. 

Derselbe, Rechercehes sur la maturation de l’®euf, la f&condation 
et la division cellulaires. Archives de biologie, V. IV. 1883. 
Beneden, van, etNeyt. Nouvelles recherches sur la fecondation et 
la division mitosique chez l’ascaride megalocephale. Leipzig 1887. 
Bellonei, La Kariokinese dans la segmentation de l’®uf de 
l’Axolotl. Archives italiennes de biologie, VI. 1884. 


P. Poljakoff: 


. Bloehmann, Ueber die Entwickelung der Neritina fluviatilis. 


Zeitschrift für wissenschaftliche Zoologie, Bd. XXXVI. 1881. 
Derselbe, Ueber die Richtungskörper bei Insekteneiern. Morpho- 
logisches Jahrbuch, Bd. XII. 1889. 

Derselbe, Ueber die Kerntheilung bei Euglena. Biologisches Cen- 
tralblatt, XIV. 1894. 


. Bobretzky, Zur Embryologie des Oniscus murarius. Zeitschrift 


für wissenschaftlich. Zoologie, XXIV. 1874. 


. Derselbe, Studien über die embryonale Entwickelung der Gaste- 


ropoden. Archiv für mikrosk. Anatomie, Bd. XIII. 1876. 


.Derselbe, Ueber die Bildung des Blastoderms und der Keim- 


blätter bei Insekten. Zeitschrift für wissensch. Zoologie, XXXI. 
1878. 

Bolles Lee, La spermatogene&se chez les Chötognathes. La Cellule, 
T. IV. 1888. 

Derselbe, La regression du fuseau caryocinetique. Ibidem, XI. 
189. 

Derselbe, Les eineses spermatogenetiques chez [Helix pomatia. 
Ibidem, T. XIII. 1897. 


. Boveri, Zellenstudien. Jenaische Zeitschrift. 1887, 1888, 1890. 


Derselbe, Ueber die Befruchtung der Eier von Ascaris megalo- 
cephala. Sitzungsbericht der Gesellschaft für Morphologie und 
Physiologie in München, III. 1887. 

Derselbe, Ueber den Antheil des Spermatozoons an der Theilung 
der Eier. Ibidem III, 1887. 


. Derselbe, Ein geschlechtlich erzeugter Organismus ohne mütter- 


liche Eigenschaften. Ibidem. 1889. 

Derselbe, Befruchtung, Ergebnisse der Anatomie und Entwick- 
lungsgesch., Bd. I. 1891. 

Derselbe, Ueber das Verhalten der Centrosomen bei der Befruch- 
tung des Seeigel-Eies nebst allgemeinen Bemerkungen über Centro- 
somen und Verwandtes. Verhandl. d. phys.-medic. Gesellsch. in 
Würzburg, N. F. XXIX. 189. 


. Derselbe, Zur Physiologie der Kern- und Zelltheilung. Sitzungs- 


bericht d. phys.-medic. Gesglischaft z. Würzburg. 1897. 


. Brandt, A., Commentare zur Keimbläschentheorie des Eies. Archiv 


für mikrosk. Anatomie, XVII. 1880. 


. Brass, Biologische Studien. I. Die Organisation der thierischen 


Zelle. Halle. 1883—84. 


29. Brauer, Zur Kenntniss der Herkunft des Centrosomas. Biolog. 


Centralblatt, Bd. XIII. 189. 


‚ Derselbe, Zur Kenntniss der Spermatogenese von Ascaris megalo- 


cephala, Archiv für mikrosk. Anatomie, XLII. 189. 


. Derselbe, Zur Kenntniss der Reifung des parthenogenetisch sich 


entwickelnden Eies von Artemia salina. lbidem, Bd. XLIII. 1894. 


. Bürger, Attractionssphären in den Zellkörpern einer Leibesflüssig- 


keit. Anatom. Anzeiger. 1891. 


38. 


34. 


35. 


36. 


I. 


49. 


50 


5l 


52. 
58. 


54. 
55. 


Biologie der Zelle. 41 


Derselbe, Was sind die Attractionssphären und ihre Central- 
körper? Anatom. Anzeiger. 1892. 

Bütschli, Studien über die ersten Entwickelungsvorgänge der 
Eizelle, Zelltheilung und Conjugation der Infusorien, Abhandl. d. 
Senckenberg. naturh. Gesellschaft, Bd. X. 1876. 

Derselbe, Untersuchungen über mikroskopische Schäume und 
das Protoplasma, Leipzig. 1892. 

Derselbe, Ueber die sogenannten Centralkörper der Zelle und 
ihre Bedeutung. Verhandl. d. naturhistor.-medic. Vereins zu Heidel- 
berg, Bd. IV. 1892. 

Derselbe, Ueber die künstliche Nachahmung der karyokinetischen 
Figur. Ibidem, V. 1892. 

Carnoy, La ceytodierese chez les Arthopodes. La Cellule, T. 1. 
1885. 


. Derselbe, La vesicule germinative et les globules polaires de 


l’Ascaris mögalocephala. Ibidem, T. II. 1886. 


. Derselbe, La cytodierese de l’aeuf. Ibidem 1886—1887. 
‚. Derselbe, et Lebrun, La fecondation chez l’Ascaris megalo- 


cephala. Ibidem, T. XII. 1897. 


. Chenelewskv, (Russische Abhandlung). 
. Cholodkovsky, Zur Kenntniss der männlichen Geschlechtsorgane 


der Dipteren. Zoolog. Anzeiger, XV. 1892. 


. Cornil, Sur la procede de la division indirecte desnoyaux et des 


cellules epitheliales dans les tumeurs. Arch. de physiol. norm. et 
patholog. 3 ser., T. VIII. 1886. 

Derselbe, Sur la multiplication des cellules de la moelle des os 
par division indireete dans l’inflammation. Ibidem, 1887. 


. Derselbe, Mode de multiplication des noyaux et des cellules dans 


l’Epithelioma, Journ. de l’anatomie et de la physiol., XXVII. 1891. 


. Czermak, N., Ueber die Desintegration und die Reintegration des 


Kernkörperchens bei der Karyokinese. Anatom. Anzeiger 1899. 


. Deeagny, Sur la morphologie cellulaire chez les Spirogyras et 


sur les phenomenes particulairs, qui en r6ösultent chez ces plantes. 
Cons. R. Acad&mie de Sciences, LXVI. 1893. 

Delage, Yves, La structure du protoplasma et les theories sur 
l’heredit& et les grands problemes de la biologie generale. Paris 
139. 

Demoor, Contribution ä l’etude de la physiologie de la cellule. 
Arch. de biologie, T. XIII. 1895. 

Dostoiewsky, (Russische Abhandlung). 

Duval, M., Preeis d’histologie. Paris 1897. 

Eismond, Ueber die Verhältnisse des Kerns zum Zellleibe und 
über die Zelltheilung. Sitzungsbericht d. biol. Gesellsch. zu War- 
schau. 1890. 

Derselbe, (Russische Abhandlung). 

Derselbe, Einige Beiträge zur Kenntniss der Attraetionssphären 
und der Centrosomen, Anatom. Anzeiger X. 1894. 


62. 


3. Derselbe, | 


P. Poljakoff: 


Derselbe, 
Derselbe, 
Derselbe, 
Erlanger, Beiträge zur Kenntniss d. Structur d. Protoplasmen 
und des Centrosoms. Archiv für mikrosk. Anatomie, Bd. XLIX. 
1897. 

Farmer, On nuclear division in the pollen-mother cells of Lilium 
martagon. Ann. of Botan. VII. 1893. 

Falkenberg, Die Befruchtung und der Generationswechsel von 
Cutleria. Mittheilungen aus der zoologischen Station zu Neapel. 
1579. 


Russische Abhandlungen. 


. Fick, Ueber die Befruchtung des Axolotleies. Anatom. Anzeiger. 


1892. 

Flemming, Die Befruchtung und Theilung des Eies bei Echino- 
dermen. Archiv für mikrosk. Anatomie, Bd. XX. 1881. 
Derselbe, Zellsubstanz, Kern und Zelltheilung. Leipzig. 1882. 
Derselbe, Neue Beiträge zur Kenntniss der Zelle. Archiv für 
mikrosk. Anatomie, Bd. XXIX und XXXVII. 1887 u. 1891. 
Derselbe, Amitotische Kerntheilung im Blasenepithel des Sala- 
manders. Ibidem, XXXIV. 1889. 

Derselbe, Ueber Theilung und Kernformen bei Leukocyten und 
über deren Attractionssphären. Ibidem, XXXVII. 1891. 
Derselbe, Attractionsspbären und Centralkörper in Gewebszellen 
und Wanderzellen. Anatom. Anzeiger, VI. 1891. 


. Derselbe, Ueber Zellentheilung. Verhandlung der anatom. Gesell- 


schaft zu München. 1891. 


. Derselbe, Zur Nomenclatur der Zelltheilung. Anatom. Anzeiger 


1892. 

Derselbe, Zelle, Bericht für 1891, Ergebnisse d. Anatom. und Ent- 
wiekelungsgesch., von Merkel und Bonnet. 1892, 1893, 1894. 

Fol, Sur les phenomönes intimes de la division cellulaire. C. R. 
Acad. des sciences, LXXXIII. 1876. 


‚. Derselbe, Sur les phenomenes intimes de la feEcondation. Ibidem, 


LXXXIV. 1877. 

Derselbe, Recherches sur la fecondation et le commencement de 
l’henog£@nie chez divers animaux, M&moires de la soc. de phys. et 
d’hist. natur. de Geneve, XXVI. 1879. 

Derselbe, Le quadrille de centres, un &pisode nouveau .dans 
l’histoire de la fecondation, Arch. des sciences phys. et natur. de 
Geneve, XXV. 1891. 


. Frenkel, La paranueleine, Atti dell’ XI Congr. medic. intern. 


Roma. 1894. 

Derselbe, Sur l’origine et de mode de coloration des filaments 
dits achromatiques dans les divisions indireetes des cellules. 
Ibidem. 


36. 


37. 


88. 


98. 


99. 


Biologie der Zelle. 43 


Frenzel, Die nucleoläre Kernhalbirung. Archiv für mikrosk. Ana- 
tomie,. XXXIX. 189. 

Gautier, La chimie de la cellule vivante. Paris 1894. 
Garnault, Sur les phenomenes de la f&econdation chez l’Helix 
aspersa et l’Arion empiricorum. Zoolog. Anzeiger. 1888—-89. 
Geberg, Zur Kenntniss der Flemming’schen Zwischenkörperchen, 
Anatom. Anzeiger. 1891. 

Gehuchten, van, L’axe organique du noyau, La Cellule, T. V. 
1889. 

Gerassimoff, Ueber die kernlosen Zellen bei einigen Conjugaten. 
Bull. de la soc. Imperiale des naturalistes de Moscou. 189. 


Göppert, Kerntheilung durch indirecte Fragmentirung in der 
Iymphatischen Randschicht der Salamanderleber, Archiv f. mikrosk. 
Anatomie, Bd. XXXVI. 1891. 

Guignard, Recherches sur la structure et la division du noyau 
cellulaire, Annales des sciences naturelles, Botanique, 6 ser., T. 
XVII. 1884. 


Derselbe, Nouvelles recherches sur le noyau cellulaire et les 
phenome£nes de la division communs aux vegetaux et aux animaux. 
Ibidem T. XX. 1885. 

Derselbe, Nouvelles etudes sur la fecondation, comparaison des 
phenome&nes morphologiques observes chez les plantes et les ani- 
maux. Ibidem, 7 ser., T. XIV. 1891. 

Derselbe, Sur l’origine des spheres directrices, ©. R. Acad. des 
sciences 1894, Journal de Botanique VII. 1894. 

Haecker, Die Furchung des Eies von Aequorea forskalea. Archiv 
für mikrosk. Anatomie, Bd. XL. 1892. 

Derselbe, Das Keimbläschen, seine Elemente und Lageverände- 
rungen, Ibidem Bd. XLI, XLII. 189. 


. Derselbe, Ueber generative und embryonale Mitosen, sowie über 


pathologische Kerntheilungsbilder. Ibidem Bd. XLIII. 1894. 
Derselbe, Ueber den heutigen Stand der Centrosomafrage. Ver- 
handl. d. deutschen Zoolog. Gesellschaft. 1894. 

Derselbe, Die Vorstadien der Eireifung. Archiv f. mikrosk. Ana- 
tomie, Bd. XLV. 189. 

Hansemann, Ueber asymmetrische Zelltheilung in Epithelkrebsen 
und deren biologische Bedeutung. Archiv Virchow’s, Bd. OXIX. 
1590. 

Derselbe, Ueber pathologische Mitosen. Ibidem CXXVM. 1891. 
Derselbe, Ueber Centrosomen und Attractionssphären in ruhenden 
Zellen. Anatom. Anzeiger. 1893. 

Derselbe, Ueber die Specifität der Zelltheilung. Archiv f. mikrosk. 
Anatomie, Bd. XLIII. 1894. 

Derselbe, Heidenhain, M., Ueber die Centralkörperchen und 
Attractionssphären der Zelle. Anatom. Anzeiger. 1891. 


44 


100. 


101. 


102. 


103. 


104. 


105. 


P. Poljakoftf: 


Derselbe, Ueber Kern und Protoplasma. Festschrift für Kölliker. 
Leipzig. 1892. 

Derselbe, Ueber die Centralkörpergruppe in den Lymphocyten 
der Säugethiere während der Zellenruhe und Zelltheilung, Ver- 
handl. d. anatom. Gesellschaft. Göttingen 189. 

Derselbe, Neue Untersuchungen über die Centralkörper und ihre 
Beziehungen zum Kern- und Zellenprotoplasma, Archiv f. mikrosk. 
Anatomie, Bd. XLIII. 1894. 

Derselbe, Cytomechanische Studien, Archiv für Entwickelungs- 
mechanik d. Organismen, Bd. I. 189. 

Henking, Ueber Reductionstheilung der Chromosomen in den 
Samenzellen von Insekten. Internat. Monatsschrift für Anatomie 
und Physiologie, Bd. VII. 1890. 

Derselbe, Untersuchungen über die ersten Entwickelungsvorgänge 
in den Eiern der Insekten, Zeitschrift f. wissenschaftl. Zoologie, 
Bd. XLIX, LI, LIV. 1889—91. 


105a. Derselbe, Ueber plasmatische Strahlungen. Verhandl. d. deutsch. 


106. 
107. 
108. 
109. 


110. 
ink 


112. 


113. 


114. 


115. 


116. 


117. 


118. 


119. 


Zoolog. Gesellschaft. 1891. 

Derselbe, Künstliche Nachbildung von Kerntheilungsfiguren. 
Archiv für mikrosk. Anatomie, Bd. XLI. 189. 

Henneguy, Röle de spheres attractives. C. R. de la societ. de 
Biologie. 1891. 

Derselbe, Nouvelles recherches sur la division cellulaire indirecte. 
Journal de l’anatomie et de la physiologie. 1891. 

Derseibe, Le corps vitellin de Balbiani. Ibidem. 1893. 
Derselbe, Lecons sur la cellule. Paris. 1896. 

Herla, Etude des variations de la mitose chez l’Ascaride megalo- 
c&phale, Archives de biologie, T. XIII. 1895. 

Hermann, F., Beiträge zur Histologie des Hodens. Archiv für 
mikrosk. Anatomie, Bd. XXXIV. 1889. 

Derselbe, Beitrag zur Lehre von der Entstehung des karyokine- 
tischen Spinkel. Ibidem XXXVII. 1891. 

Hertwig, O., Beiträge zur Kenntniss der Bildung, Befruchtung 
und Theilung des thierischen Eies. Morpholog. Jahrbücher, Bd. I, 
IM, IV. 1875, 1877, 1878. 

Derselbe, Das Problem der Befruchtung und der Isotropie des 
Eies, eine Theorie der Vererbung. Jenaische Zeitschrift. 1884. 
Derselbe, Welchen Einfluss übt die Schwerkraft auf die Theilung 
der Zellen. Ibidem. 1884. 


Derselbe, Vergleich der Ei- und Samenbildung bei Nematoden. 
Eine Grundlage für celluläre Streitfragen. Archiv für mikrosk. 
Anatomie, XXXVI. 1890. 

Derselbe, Experimentelle Studien am thierischen Ei vor, während 
und nach der Befruchtung. Jena 1890. 

Derselbe, Die Zelle und die Gewebe. Jena. 1892 —98. 


120. 


128. 


129. 


130. 


131. 


Biologie der Zelle. 45 


Hertwig, O. und R., Experimentelle Untersuchungen über die 
Bedingungen der Bastardbefruchtung. Jenaische Zeitschrift. 1885. 


.Derselbe, Ueber den Befruchtungs- und Theilungsvorgang des 


thierischen Eies unter dem Einfluss äusserer Agentien. Ibidem. 
1887. 


.Hertwig, R., Zur Histologie der Radiolarien. Leipzig. 1876. 
.Derselbe, Ueber den Bau und die Entwickelung der Spirochona 


gemmipara. Jenaische Zeitschr. 1877. 


.Derselbe, Ueber die Kerntheilung bei Actinosphaerium. Ibidem. 


1884. 


.Derselbe, Ueber die Gleichwerthigkeit der Geschlechtskerne bei 


den Seeigeln. Sitzungsberichte d. Gesellsch. f. Morphol. und Physiol. 
in München, Bd. IV. 1888. 


.Derselbe, Ueber Kernstructur und ihre Bedeutung für Zellthei- 


lung und Befruchtung. Ibidem. 


.Derselbe, Ueber die Conjugation der Infusorien. Abhandl. der 


bayer. Akad. der Wissensch. II. Cl., Bd. XVII. 1889. 

Derselbe, Ueber die Entwickelung des unbefruchteten Seeigel- 
Eies. Festschrift f. C. Gegenbaur. Leipzig. 1896. 

Heuser, Beobachtungen über Zelltheilung. Botan. Centralblatt. 
1884. 

Humphrey, J.E., Nucleolen und Centrosomen. Berichte d. deutsch. 
Botan. Gesellsch. 1894. 

Ishikawa, Conjugation von Noctiluca miliaris. Zoolog. Anzeiger. 
1891. 


13la. Derselbe, Studies of reproductive elements, spermatogenesis, 


132. 


133. 


154, 


135. 


136. 


137. 


138. 


ovogenesis and fertilization in Diaptomus, Journal of the college 
of science. Imperial university. Japan. Vol. V. 1891. 

Julin, Structure et d&veloppement des glandes sexuelles: ovo- 
genedse, spermatogenese etf&condation chez Stychopsis grossularia. 
Bullet. seientif. de la France et de la Belgique XXIV. 189. 
Derselbe, Le corps vitellin de Balbiani et les &l&ments de la 
cellule des Metazoaires qui correspondent au macronucleus des 
Infusoires eili6s. Ibidem. 1893. 

Karsten, Ueber die Beziehungen der Nucleolen zu den Centro- 
somen bei Psilotum triquetrum. Berichte d. deutsch. Botan. Gesell- 
schaft, XI. 189. 

Kölliker, Bedeutung der Zellkerne für die Vorgänge der Ver- 
erbung. Zeitschrift f. wissensch. Zoologie, Bd. XLII. 1885. 
Derselbe, Das Karyoplasma und die Vererbung. Eine Kritik der 
Weismann’schen Theorie von der Continität des Keimplasmas, 
Ibidem Bd. XLIV. 1886. 

Derselbe, Das Aequivalent der Attractionssphären E. van Benedens 
bei Siredon, Anatom. Anzeiger 1839. 

Korschelt, Beiträge zur Morphologie und Physiologie des Zell- 
kerns. Zoolog. Jahrbuch. Abt. f. Anatomie IV. 1889, 


46 


139 


P. Poljakoff: 


‚Derselbe, Ueber Kerntheilnng, Eireifung und Befruchtung bei 
ÖOphyotrocha puerilis. Zeitschrift f. wissenschaftl. Zoologie, Bd. 
1X4.183: 

.Kossel, Zur Chemie des Zellkerns. Zeitschrift f. physiolog. Chemie 
von Hoppe-Seyler. 1882. 


.Derselbe, Ueber die Nucleinsäure. Verhandlung d. Berliner 


physiolog. Gesellsch. 1892. 


2.Kostanecki, Ueber Centralspindelkörperchen bei karyokinetischer 


Zelltheilung. Anatomische Hette, I. 1892. 


.Derselbe, Ueber Kerntheilung bei Riesenzellen nach Beobach- 


tungen aus der embryonalen Säugethierleber. Ibidem. 


.Derselbe, Ueber die Schicksale der Centralspindel bei karyo- 


kinetischer Zelltheilung. Ibidem, Bd. II. 1892—93. 
.Derselbe und Siedlecki, Ueber das Verhältniss des Centrosomen 
zum Protoplasma. Archiv f. microscop. Anatomie, Bd. XLIII. 1897. 


.Kultschitzky, Die Befruchtungsvorgänge bei Ascaris megalo- 


cephala. Archiv. t. mikrosk. Anatomie, Bd. XXX1. 1887. 
.Derselbe, Ueber Eireifung und Befruchtungsvorgänge bei Ascaris 
marginata. Ibidem, Bd. XXXII. 1888. 

.Labb&, Sur le noyau et la division nucl&eaire de les Benedenia. 
GC, R..d. Acad. de seiences, T. CXX 1...1895. 


J. Lameere, A propos de la maturation de l’oeuf parthenogenetique. 


Bruxelles 1890. 

.Derselbe, Recherches sur la reduction karyogamique. Bruxelles 
1890. 

.‚Lavdowsky, Von der Entstehung der chromatischen und 
achromatischen Substanzen in den thierischen und pflanzlichen 
Zellen. Anatomische Hefte, Bd. IV. 189. 


2.Lebrun, Les centrosomes dans l’oeuf de l’Ascaris m&eralocephala. 
. be) 


Anatom. Anzeiger 189. 


53.Lenhossek, Untersuchungen über Spermatogenese. Archiv f. 


mikroskop. Anatomie, Bd. LI. 1898. 
.Leydig, Zelle und Gewebe. Bonn 1885. 


5.Lukjanow, Beiträge zur Morphologie der Zelle. Archiv für 


mikrosk. Anatomie XXX, 1887. 
.Derselbe, Einige Bemerkungen über sexuelle Elemente beim 
Spulwurm des Hundes. Ibidem, Bd. XXXIV. 1889. 


7.Derselbe, Beiträge zur Lehre von der Spermatogenese bei 


der weissen Maus. Archives des Sciences biologiques. St. P6ters- 
bourg. III. VI. 1898. 

.Derselbe (Russische Abhandlung). 

.Macfarlane, The structure and division of the vegetable cell. 
Transact. of the Royal society of Edinburgh, XIV. 1881. 
.Massart, Sensibilit® et adaptation des organismes A la concentra- 
tions des solutions salines. Archives de Biologie, IX. 1889. 
.Maupas, Recherches &xperimentales sur la multiplication des 
Intusoires Cilies. Archives zoolog. @xpe@rim., Bd. VI. 1888, 


167. 


168. 


170. 


Uns 


Biologie der:Zelle. 47 


2.Derselbe, Le rajeunissement karyogamique chez les Cilies. 


Ibidem, Bd. VII. 1889. 


.Derselbe, Sur la determinisme de la sexualit& chez l’Hydatina 


senta. ©. R. Acad. de sciences. 1891. 


‚Mertens, Recherches sur la signification du corps vitellin de 


Balbiani dans l’ovaire des mammiferes et des oiseaux. Archives 
de biologie, T. XIII. 189. 


.Meunier, Le nucl&eole des Spirogyra. La Cellule, T. III. 1888. 
;.Meves, Ueber amitotische Kerntheilung in den Spermatogonien 


des Salamanders und Verhalten der Attractionssphäre bei derselben 
Anatom. Anzeiger. 1891. 

Derselbe, Ueber eine Art der Entstehung ringförmiger Kerne. 
Inaugural-Dissert. Kiel 1893. 

Derselbe, Ueber eine Metamorphose der Attraetionssphäre in 
den Spermatogonien von Salamandra maculosa. Archiv f. mikrosk. 
Anatomie, Bd. XLIV. 1894. 


. Derselbe, Ueber die Zellen des Sesambeins in der Achillessehne 


des Frosches (Rana temporaria) und über ihre Centralkörper. 
Ibidem, Bd. XLV. 189. 

Derselbe, Ueber eigenthümliche mitotische Processe in jungen 
Ovocyten von Salamandra maculosa. Anatom. Anzeiger. 189. 
Mitrophanow, Contribution ä la division cellulaire indirecte 
chez les Selaciens. Journal internat. d’anatomie et de physiologie, 
XI. 1894. 


. Mitzkewitsch, Ueber die Kerntheilung bei Spirogyra. Flora, Bd. 


ERRXV. 189. 


. Morgan, Experiment. Studies on Echinoderm Eggs. Anatom. 


Knzeig er. 1894. 


. Derselbe, The fertilisation of non — nucleated fragments of 


Echinoderm Eggs. Archiv f. Entwicklungs-Mechanik, Bd.II. 189. 


. Nägeli, Mechanisch-physiologische Theorie der Abstammungs- 


lehre. München 1884. 


3). Olivier, Sur la canalisation des cellules et la continuite du pro- 


toplasme chez les vegetaux. C. R. Academ. de seiences. 1889. 


. Omeltschenko, Die Rolle des Kernkörperchens bei der indireeten 


Kerntheilung. Wratsch, Bd. XIX. 1898. (Russisch.) 


. Derselbe, Die Spermatogenese und ihre biologischen Grund- 


lagen. Inaugural-Dissertation. St. Petersburg. 1898. 


. Oppel, Die Befruchtung des Reptilieneies. Archiv für mikrosk. 


Anatomie, Bd. XXXIX. 1892. 


. Owsjannikow, Entwicklung des Fischeies. Bullet. de !’Academie 


de St. Petersburg, Bd. XIX. 1874. 


. Peremeschko, Ueber die Theilung der thienäähen Zellen. Archiv 


für mikroskop. Anatomie, Bd. XVI. XVII. 1879, 1880. 


2, Derselbe, Zur Frage über die Theilung des Zellkerns. Biologisch, 


Centralblatt. 1881. 


48 P-Poljakoff: 
183. Pfeffer, Ueber chemotactische Bewegungen von Bacterien, Flagel- 


184. 


191. 


19. 


196. 


197: 


198. 


199. 


200. 


201. 


202 


laten und Volvoeineen. Untersuchungen aus d. botan. Institut zu 
Tübingen, Bd. II. 1886. 

Pfitzner, Ueber den feineren Bau der bei der Zelltheilung auf- 
tretenden fadenförmigen Differenzirung des Zellkerns. Morpho- 
logisches Jahrbuch, VII. ‚1881. 


. Derselbe, Beobachtungen über weiteres Vorkommen der Karyo- 


kinese. Archiv für mikrosk. Anatomie, XX. 1881. 


. Derselbe, Beiträge zur Lehre vom Bau des Zellkerns und seinen 


Theilungserscheinungen. Ibidem, XXII. 1883. 


. Derselbe, Zur morphologischen Bedeutung des Zellkerns. 


Morphologisches Jahrbuch, XI. 1885. 


. Pflüger, Ueber den Einfluss der Schwerkraft auf die Theilung 


der Zellen. Archiv f. Physiologie, Bd. XXXi, XXXII. 1883. 


. Derselbe, Ueber die Einwirkung der Schwerkraft und anderer 


Bedingungen auf die Richtung der Zelltheilung. Ibidem, Bd. 
XXXIV. 1884. 


. Platner, Die Karyokinese bei den Lepidopteren als Grundlage 


für eine Theorie der Zelltheilung. Internat. Monatsschrift für 
Anatomie und Histologie, Bd. Ill. 1885. 

Derselbe, Ueber die Entstehung des Nebenkerns und seine Be- 
ziehung zur Kerntheilung. Archiv für mikrosk. Anatomie, Bd. 
XXVI. 1886. 


. Derselbe, Beiträge zur Kenntniss der Zelle und ihrer Theilungs- 


erscheinungen. lbidem, Bd. XXXIII. 1389. 


3. Derselbe, Ueber die Bildung der Richtungskörperchen. Biolog. 


Centralblatt, VIII. 1889. 


. Derselbe, Die erste Entwicklung befruchteter und parthenogene- 


tischer Eier von Liparis dispar. Ibidem. 

Podwyssozky, Les lois de la reg@n£ration des cellules glandu- 
laires A l’&tat normal et pathologique. Bulletin de la soe. anatomique 
de Paris, LXIIl. 1887. 

Poljakoff P., Beiträge zur mikroskopischen Anatomie und 
Physiologie des lockeren Bindegewebes. Inaug.-Dissert. St.-Peters- 
burg 1594 und Archiv f. mikrosk. Anatomie, Bd. XLV. 1895. 
Prenant, Observations cytologiques sus les &l&ments seminaux. 
La Cellule, T. III, IV. 1897, 1888, 1889. 

Derselbe, Le Corps intermediaire de Flemming dans les cellules 
seminales de la Sceolopendre et de la Lithobie. C. R. de la soc. de 
biologie. 1892. 

Derselbe, Le „corpuseule central“ d’ E. van Beneden dans les 
cellules s&minales de la Scolopendre. Ibidem. 

Derselbe, L’origine du fuseau achromatique nuel&aire dans les 
cellules seminales de la Scolopendre. Ibidem. 

Rabl, Ueber Zelltheilung. Morphologisches Jahrbuch, Bd. X. 1885. 
.Derselbe, Ueber Zelltheilung, Anatom. Anzeiger. 1889, 


203 


223. 


224 
225 


Biologie der Zelle. 49 


‚Derselbe, Ueber das Vorkommen von Nebenkernen in den Ge- 
webezellen der Salamanderlarven. Ein Beitrag zur Lehre von der 
Amitose. Archiv für mikrok. Anatomie, Bd. XLV. 189%. 

.Ranvier, Trait& technique d’histologie. Paris 1887. 

„Rath vom, Ueber eine eigenartige polycentrische Anordnung des 
Chromatins. Zoolog. Anzeiger. 1890. 

.Derselbe, Ueber die Bedeutung der amitotischen Kerntheilung 
im Hoden. Ibidem. 1891. 

.Derselbe, Ueber die Reduction der chromatischen Elemente bei 
der Samenbildung von Gryllotalpa vulgaris. Berichte der Naturf. 
Gesellschaft in Bd. VI. 1891. 

.Derselbe, Zur Kenntniss der Spermatogenese von Gryllotalpa 
vulgaris. Arch. für mikrosk. Anatomie, Bd. XL. 183. 


.Derselbe, Beiträge zur Kenntniss der Spermatogenese von Sala- 


mandra maculosa. Zeitschrift für wissenschaftliche Zoologie, Bd. 
LVII, 1893. 

.Derselbe, Ueber die Constanz der Chromosomenzahl bei Thieren. 
Biolog. Centralblatt, XIV. 1894. 


.Rauber, Formbildung u. Cellularmechanik. Morphologisches Jahr- 


buch, Bd. VI. 1880. 


2,Derselbe, Neue Grundlegungen zur Kenntniss der Zelle. Ibidem. 


XIII. 1882. 

.Rawitz, Centrosomen und Attractionssphäre in der ruhenden 
Zelle des Salamanderhodens. Archiv für mikrosk. Anat., Bd. XLIV 
1895. 

.Derselbe, Untersuchungen über Zelltheilung. Ibidem, Bd. LI, 
1899. 

.Reinhardt, (Russische Abhandlung). 

.Remak, Ueber extracellulare Entstehung thierischer Zellen und 
über Vermehrung derselben durch Theilung. Müller’s Archiv. 1852. 

.Derselbe, Untersuchungen über die Entwicklung der Wirbelthiere. 
1855. 

.Retzius G., Studien über die Zellentheilung. Biologische Unter- 
suchungen. Leipzig 1881. 

.Roux, Ueber die Bedeutung der Kerntheilungsfiguren. Leizig 1883. 

‚Derselbe, Beiträge zur Entwicklungsmechanik des Embryo im 
Froschei. Zeitschrift f. Biologie, XXI. 1885. 

‚Rückert, Die Chromatinreduction bei der Reifung der Sexual- 
zellen. Ergebnisse f. Anatomie und Entwicklungsgeschichte von 
Merkel und Bonnet, Bd. III, 1894. 

.Derselbe, Ueber das Selbstständigbleiben der väterlichen und 

mütterlichen Kernsubstanz während der ersten Entwicklung des 

befruchteten Cyclopseies. Archiv f. mikrosk. Anatomie, XLV. 1895. 

Rudnew, (Russische Arbeit). 

.Sachs, Vorlesungen über Pflanzenphysiologie. Leipzig 1882. 
.Derselbe, Ueber Stoff und Form von Pflanzenorganen. Arbeiten 
des botan. Instituts, Würzburg, Bd. II und III. 1880. 

Archiv f. mikrosk. Anat. Bd, 57 4 


233. 


P. Poljakoff: 


j. Sala, Experimentelle Untersuchungen über die Reifung und Be- 


fruchtung der Eier bei Ascaris megalocephala. Archiv f. mikrosk. 
Anatomie, Bd. XLIV. 189. 
.Schewiakoftf, Ueber d. karyokinetische Kerntheilung d. Euglypha 
alveola. Morpholog. Jahrbuch, Bd. XIII. 1888. 
.‚Schiefferdeeker und Kossel, Gewebelehre mit besonderer Be- 
rücksichtigung des menschlichen Körpers. Braunschweig 1891. 
.Schlater, Zur Morphologie der Zelle. Archiv f. mikrosk. Anatomie, 
Bd. XLIV. 1895. 
‚Schleicher, Die Knorpelzelltheilung. Ibidem. Bd. XVI. 1879. 
‚Schleiden, Beiträge zur Phytogenesis. Müller’s Archiv f. Ana- 
tomie und Physiologie. 1838. 
.Schottländer, Ueber Kern- und Zelltheilungsvorgäuge in dem 
Endothel der entzündeten Hornhaut. Archiv für mikroskop. Ana- 
tomie, Bd. XXXI. 1888. 
Schwann, Mikroskopische Untersuchungen über die Ueberein- 
stimmung in d: Structur u. im Wachsthum d. Thiere u. Pflanzen. 
Berlin 1839. 
.Sobotta, Die Reifung und Befruchtung des Wirbelthiereies. Er- 
gebnisse der Anatomie, Bd. V. 189. 
.Derselbe, Die Befruchtung und Furchung des Eies der Maus. 
Archiv f. mikrosk. Anatomie, Bd. XLV. 189. 
.Solger, Säugethiermitosen im histolog. Kursus. Arch. f. mikr. Anat., 
Bd. XXXIII. 1889. 
.Derselbe, Zur Kenntniss der Pigmentzellen. Anat. Anzeig. 1891. 
. Derselbe, Die radiären Structuren des Zellkörpers im Zustande 
der Ruhe und bei der Kerntheilung. Berl. klin. Wochenschr. 1891. 
.Derselbe, Zur Kenntniss des „Zwischenkörpers“ sich theilender 
Zellen. Anatom. Anzeiger. 1891. 
.Soltwedel, Freie Zellbildung im Embryosack der Angiospermen. 
Jenaische Zeitschrift f. Naturwissenschaft, Bd. XV. 1882. 
‚Steinhaus, Les mö&tamorphoses et la gemmation indirecte des 
noyaux dans l’Epithelium intestinal de la Salamandra ınaculosa. 
Arch. de physiologie normale et pathologique. T. IV. 1888. 
.Stoeckel, Ueber Theilungsvorgänge in Primordialeiern bei einer 
Erwachsenen. Arch. f. mikr. Anatomie, Bd. LIII. 189. 
.‚Strasburger, Zellbildung und Zelltheilung, 3. Aufl. 1880. 
.Derselbe, Ueber den Theilungsvorgang der Zellkerne und das 
Verhältnisse der Kerntheilung zur Zelltheilung. . Arch. f. mikrosk. 
Anatomie, Bd. XXI. 1882. 
.Derselbe, Die Controversen der indirekten Kerntheilung. Ibid. 
XXIII. 1884. 


. Derselbe, Karyokinetische Probleme. Jahrbuch f. wissenschaftl. 


Botanik, Bd. XXVII. 1895. 
. Ueber Cytoplasmastructuren, Kern- und Zelltheilung. Jahrbuch f. 
wissensch. Botanik, Bd. XXX. 1897. 


248. 


249. 


269. 


270. 


Biologie der Zelle. 5l 


Stricht, van der, Contribution ä l’e&tude de la sphere attractive. 
Archives de biologie, T. XII. 1892. 
Derselbe, La maturation et la fecondation de l’oef d’Amphioxus 
lanceolatus. Ibidem. T, XIV. 1896. 


.Tangl, E, Ueber die Theilung der Kerne in Spirogyrazellen. 


Sitzungsbericht d. Wiener Academie d. Wissensch. math.-naturwiss. 
Classe, Bd. LXXXV. 1882. 


.Tangl, F., Ueber das Verhältniss zwischen Zellkörper und Kern 


während der mitotischen Theilung. Archiv f. mikrosk. Anatomie, 
Bd. XXX. 1887. 


2. Tichomirov, A., Chemische Studien über die Entwicklung der 


Insekteneier. Zeitschr. f. physiolog. Chemie, Bd. IX. 1885. 


.Derselbe, (Russische Abhandlung). 
.Uskoff, Zur Bedeutung der Karyokinese. Arch. f. mikr. Anat,, 


Bd. XXI. 1882. 


‚la Valette St. George, Spermatologische Beiträge. Archiv f. 


mikrosk. Anatomie, Bd. XXV, XXVIl, XXVIIL, XXX. 1885—87. 


.Derselbe, Zelltheilung und Samenbildung bei Forficula auricularia. 


Festschrift für Kölliker. Leipzig 1887. 
Vejdovsky, Bemerkungen zur Mittheilung H. Fol’s „Contributions 
a l’histoire de la fecondation“. Anatom. Anzeig. 1891. 


. Verson, Zur Beurtheilung der amitotischen Kerntheilung. Biolog. 


Centralbl., Bd. XI. 1391. 


.Verworn, Die physiologische Bedeutung des Zellkerns. Archiv 


f. d. ges. Physiologie, Bd. LI. 1891. 


.Derselbe, Die Bewegung der lebendigen Substanz. Jena 189. 
. Vialleton, Recherches sur les premieres phases du developpement 


de la seiche. Paris 1888. 


.Vries, Hugö de, Intracellulare Pangenesis. Jena 1839. 
.Wager, J., On the presence of centrospheres in Fungi. Ann. of 


Botany, V. 159. 


. Wagner, J., Beiträge zur Kenntniss der Spermatcgenese Lei den 


Spinnen. Travaux de la Soc. Imper. des Naturalistes de St. Peters- 
bourg. Sect. zool. et physiolog., T. XXVI. 1896. 


.Waldeyer, Eierstock und Ei. Leipzig 1870. 
.Derselbe, Ueber Karyokinese und ihre Beziehungen zu den Be- 


fruchtungsvorgängen. Archiv f. mikrosk. Anatomie, Bd. XXXI. 
1888. 


.Derselbe, Eröffnungsrede. Ergänzungsheft zum VII. Jahr des 


Anatom. Anzeigers (Verhandlung der anatom. Gesellschaft in Göt- 
tingen). 189. 


. Wasiele wsk y, Die Keimzone in den Genitalschläuchen von Ascaris 


megalocephala. Archiv f. mikrosk. Anatomie, Bd. XLI. 189. 
Weismann, Beiträge zur Naturgeschichte der Daphnoiden. Zeit- 
schrift f. wissensch. Zoologie, Bd. XXXIII. 1879—80. 

Derselbe, Ueber die Vererbung. Jena 1882. 


P. Poljakoff: 


.Derselbe, Die Continuität des Keimplasmas als Grundlage einer 


Theorie der Vererbung. Jena 1885. 


.Derselbe, Die Bedeutung der sexuellen Fortpflanzang für die 


Selectionstheorie. Jena 1886. 


‚Derselbe, Ueber die Zahl der Richtungskörper und über ihre 


Bedeutung für die Vererbung. Jena 1887. 


.Derselbe, Amphimixis oder die Vermischung der Individuen. 


Jena 1891. 


.Derselbe, Das Keimplasma, eine Theorie der Vererbung. Jena 
1892. 
.Derselbe und Ishikawa, Ueber die Bildung der Richtungs- 


körper bei thierischen Eiern. Berichte der Naturforsch. Gesellsch. 
zu Freiburg, Ill. 1887. 


.Derselbe, Weitere Untersuchungen zum Zahlengesetz der Rich- 


tungskörper. Zoolog. Jahrbuch Ill, Abt. f. Morphol. 1888. 


. Wendt, Ueber den Chemismus im lebenden Protoplasma. Jenaische 


Zeitschr. XXVIII 1894. 


.Zacharias, E. Ueber den Zellkern. Botanische Zeitung. 1882. 
.Derselbe, Ueber Eiweiss, Nuclein und Plastin. Ibidem. 1883. 
.Derselbe, Ueber den Nucleolus. Ibidem. 1885. 

2.Derselbe, Beiträge zur Kenntniss des Zellkerns und der Sexual- 


zellen. Ibidem. 1887. 


.Zacharias, O., Neue Untersuchungen über die Copulation der 


(Geschlechtsproduete und den Befruchtungsvorgang bei Ascaris 
megalocephala. Archiv f. mikrosk. Anatomie, Bd. XXX. 1887. 


.Ziegler, H., Die biologische Bedeutung der amitotischen Kern- 


theilung im Thierreich. Biologisches Centralblatt, Bd. X]. 1891. 


.Derselbe, Untersuchungen über die Zelltheilung. Verhandl. der 


deutsch. zoolog. Gesellschaft. 189. 


. Derselbe, Einige Beobachtungen zur Entwickelungsgeschichte 


der Echinodermen. Ibidem. 1896. 


.Zimmermann, Ueber den Kerntheilungsmodus bei der Sperma- 


togenese von Helix pometia. Verhandl. der anatom. Gesellschaft. 
1891. 


.Derselbe, Studien über Pigmentzellen. Archiv f. mikrosk. Ana- 


tomie, Bd. XLI. 1893. 


Biologie der Zelle. 53 


Erklärung der Abbildungen auf Tafel I, II und IH. 


Die Abbildungen sind theils schematisch, theils naturgetreu nach 
Präparaten entworfen, die nach der von mir veränderten Ziegler- 
schen Methode behandelt wurden. Deckgläschen wurden paarweise 
an den Ecken durch Siegellack zusammengeklebt und zwar so, dass 
zwischen ihren parallelen Oberflächen ein Capillarraum sich bildete. 
Die auf diese Weise präparirten und dabei sterilisirten Gläschen mit 
capillarem Zwischenraume, der mit einer CINa-Lösung ausgefüllt war, 
wurden Meerschweinchen auf längere oder kürzere Zeit in den panni- 
eulus adiposus oder die Bauchhöhle gesetzt. Darauf wurden diese Gläs- 
chen sofort nach der Herausnahme in verschiedene Flüssigkeiten zur 
Fixation gelegt: (Solutio acidi osmiei 1/,—1/30/,, schwache Flemming- 
sche Lösung — verändert durch Fol —, Mischung von Pikrocarmin- 
lösung und Sol. acid. osmici 1/,%/, aa u. a.) und in dieser von ein- 
ander getrennt. Nach genügender, jedoch nicht allzustarker Fixirung 
der Präparate -—- bei einiger Uebung bestimmt man das nach Augen- 
maass — auch bei geringer mikroskopischer Vergrösserung, wozu man 
die Deckgläschen in einem kleinen Schälchen mit flachem Boden in 
der Fixirungsflüssigkeit schwimmen lässt, wurden die Deckgläschen 
nach ordentlicher Durchwaschung in Farblösungen, namentlich in 
Pikrocarmin gelegt. In Anbetracht dessen, dass im gegebenen Falle 
an der Gläschenoberfläche sich äusserst zarte Neubildungen befinden, 
muss man darauf besonders Acht geben, dass man das Fixirbad nicht 
zu lange wirken lässt. Ein Uebermaass äussert sich darin, dass alle 
Zellelemente und übrigen Gebilde in allen Theilen zusammenschrumpfen, 
zufällige Niederschläge von Eiweisssubstanzen aller Art sich bilden, 
die das Bild trüben und in bedeutendem Grade die Reaktion auf fär- 
bende Substanzen beeinträchtigen. Nach Färbung und Durchwaschung 
der Präparate wurden diese in eine Mischung von Glycerin und Wasser 
3:1 gebracht. Das Studium der Präparate wurde mit Hülfe von Zeiss- 
schen Apochromaten vorgenommen. Zum Studium der indireeten Zell- 
theilung wurden ausser den speciell dazu gewählten Eiern von Ascaris 
megal. ein Vorrath von Präparaten mit Bildern der indireeten Theilung 
angewandt, die zu verschiedenen anderen Zwecken, nach verschiedenen, 
allgemein angenommenen Fixirungs- und Färbungsmethoden hergestellt 
waren. Zum Studium der ersten Befruchtungsphasen an Eiern von 
Ascaris megal. eignete sich Pierocarmin, obgleich ebenso mit Safranin 
schöne Resultate erzielt wurden. Für diese Objeete wurde die Methode 
van Beneden’s angewandt; ist diese auch nicht ideal, so haben die 
übrigen, später vorgeschlagenen, auch ihre Mängel. Eine Beschrei- 
bung der Abbildungen ist im Text gegeben. Da die Schriftzeichen 
für alle Figuren gleich sind, so gebe ich hier nur eine allgemeine 
Erklärung: 


54 P. Poljakoff: 


!= Linin. 

/f = Lininfaden. 

fif = Lininfaden, fixirender. 
nlf = Lininfaden, nutritiver. 
EA — Chromatin. 

achr = altes Chromatin. 
nchr — neues Chromatin. 


chlf\_ 


fich [ — Linin-Chromatinfaden. 


alch = Lininchromatinschleifen. 
ig An 
Is! — Lininogensubstanz. 


chg \ 


chgs | — Chromatinogensubstanz. 


echg = Chromatinogenkörperchen. 


clg = Lininogenkörperchen. 

clgä — äquatoriales Lininogen- 
körperchen. 

elge = gemeinsames Lininogen- 
körperchen. 


elge = äusseres Linininogenkörp. 


clgp ] je 
pelg | 
elgt = Lininogenzwischenkörp. 


Lininogenendkörperchen. 


Biologie der Zelle. 


elgm = Membran des Lininogen- 
körperchens. 

rn — nucleus (Kern). 

nl = nucleolus (Kernkörperchen). 

nll= Centralkörperchen im Nu- 
cleolus. 

sf = Spindelfäden. 

apl = altes Protoplasma. 

npl = neues Protoplasma. 

jz = junge Zelle. 

zpl\ BR, 

pP] 

e— äussere Lininschicht. 

s = Samenkörper. 

vg — Keimbläschen. 

sp = Polspindel. 

me — äussere Membran. 

mi innere Membran. 

st— Raum zwischen Dotter 
Membran. 


elltrennungsplatte. 


und 


pz 
pzl 
pz2 —= zweite Polzelle. 
sk — Samenkern. 

ek —= Eikern. 


— erste Polzelle. 


Die Reifung und Befruchtung des Eies von 
Petromyzon fluviatilis. 


Von 
Dr. Karl Herfort, 


Arzt der Königlichen Landesirrenanstalt Dobran in Böhmen. 


Hierzu Tafel IV, V und VI. 


Einleitung. 

Diese Untersuchungen begann ich im Jahre 1895 auf 
Anregung meines Lehrers, Professors Vejdovsky, in dessen 
Institute wir im Jahre 1892 die künstliche Befruchtung von 
Petromyzon Planeri, 1895 von Petromyzon fluviatilis vor- 


Die Reifung u. Befruchtung des Eies von Petromyzon fluviatilis. 55 


nahmen. Das von Vejdovsky hauptsächlich in Flemming'scher 
Flüssigkeit conservirte Material der Befruchtungsstadien von 
Petromyzon fluviatilis erhielt ich damals zur Bearbeitung. 

Mir gelang es unter der Leitung Vejdovsky’s darzuthun, 
dass die eigentlichen Reifeerscheinungen im Petromyzonei von 
den Autoren, die sich mit diesem Gegenstande befassten, voll- 
kommen übersehen wurden und die von ihnen als Polkörper 
beschriebenen Gebilde mit der Reifung nichts zu thun haben, 
Resultate, die ich im Anat. Anz. 1895 (22.) veröffentlichte. Ich 
beschränkte mich in dieser Abhandlung nur auf den Reifungs- 
process, da das Material zu einer eingehenden Beschreibung der 
Befruchtungserscheinungen bei diesem Thiere nicht hinreichte. 
Die nächsten Jahre waren leider für die Beschaffung eines 
neuen Materials sehr ungünstig, da Hochwasser in diesen Jahren 
es vereitelte. Erst im Frühjahr 1897 erhielt ich ein reichliches 
Material von geschlechtsreifen Petromyzon fluviatilis aus der 
Moldau, das zum grossen Theil von V. Rohon, dem Vorstande 
des k. k. böhmischen Institutes für Histologie und Embryologie 
in Prag, angekauft wurde. Professor Rohon stellte mir gütigst 
sein Institut zur Vornahme der künstlichen Befruchtung zur Ver- 
fügung, wobei mir bei der Conservirung des Materials seine 
beiden Demonstratoren, die Collegen R. Fibieh und Josef 
Sebor hülfreich zur Seite standen. Professor Rohon und ge- 
nannten beiden Collegen spreche ich hiermit meinen herzlichen 
Dank aus. 


Speeieller Theil. 
Literatur: 


Von den Cyelostomen sind die Befruchtungserscheinungen 
nur bei Petromyzon studirt worden. Die interessanten Befruch- 
tungsphänomene, die man in vivo, wie vielleicht bei keinem 
zweiten Wirbelthier, bei Petromyzon beobachten kann, wurden 
zuerst von August Müller im Jahre 1864 in einer Carl Ernst 
von Baer gewidmeten Abhandlung (38.) beschrieben. Auf diese 
völlig in Vergessenheit gerathenen Beobachtungen lenkten von 
neuem das Interesse Calberla im Jahre 1877 in seiner Habili- 
tationsschrift (9) und 1878 Kupffer und Benecke in der Fest- 
schrift für Theodor Schwann (31). Die eigentlichen Be- 


56 Karl Herfort: 


arbeiter der Befruchtungserseheinungen sind Böhm (7, 8) (1887, 
1888) und Herfort (22, 23, 24) (1893, 1899). 


Die Laichung von Petromyzon. 


Kupffer und Benecke (31) konnten das Laichen von Petro- 
myzon Planeri in der Natur in einem Bach in der Nähe von 
Königsberg beobachten. Sie geben eine genaue Beschreibung, 
auf welche ich zu verweisen mir erlaube. 

Vejdovsky (54) beobachtete die Laichung von Petro- 
myzon Planeri im Aquarium. Vejdovsky gab in ein Aquarium, 
in dem sich 4 Männchen befanden, ein geschlechtsreifes Weibchen, 
das gerade zuvor zur künstlichen Abstreichung der Eier benutzt 
wurde. Sobald das Weibchen, das sich sogleich an einem Steine an- 
sog,insAquarium kam, begannen, nach der Darstellung Vejdovsky’s, 
die 4 Männchen plötzlich im Wasser wild herum zu jagen, bis sie 
das Weibchen erreichten, auf das sie sofort Angriffe unternahmen 
an ihrem Körper eine Stelle suchend, wo sie sich ansaugen könnten. 
Die Ursache dieser plötzlichen und lebhaften Action der Männchen 
ist in einem reizwirkenden Stoffe zu suchen, den das eben ab- 
gestrichene Weibchen von sich gibt. Bei der künstlichen Be- 
fruchtung geht gleichzeitig mit dem Rogen reichlich eine schleimige 
Masse ab, mit der sich die Eier zusammenkleben, ehe sie ins 
Wasser gefallen sind. Möglich, dass die schleimige Masse einen 
Stoff enthält, der sich im Wasser verbreitet und auf den Geruchs- 
sinn der Männchen eimwirkt, sie zum Geschlechtsakte reizend. 
Vejdovsky urtheilt so aus dem Umstande, dass die drei Männehen, 
in deren Nähe sich das Weibchen ansog, früher aus ihrer Ruhe 
kamen als das vierte Männchen, das weiter sich befand und das 
etwas später in schnellen Bewegungen das Weibchen zu er- 
reichen trachtete. In der Nähe des Weibchens angelangt, suchten 
alle vier Männchen sich an demselben anzusaugen und zwar bald 
an der Seite bald am Schwanze oder am Rücken, aber nur 
momentan, bis zwei von ihnen fast gleichzeitig sich am Kopfe 
des Weibcehens ansogen, eines in der Gegend oberhalb des Kiemen- 
korbes hinter dem Pinealflecke, das zweite aufs Auge. Das erstere 
verjagte mit mächtigen Exeursionen nach rechts und links das 
zweite Männchen, das das Weibchen losliess, wie schon früher 
die anderen zwei Männchen gethan hatten und sieh wie diese 
an einem Steine ansog. Unterdessen bereitete sich der des 


Die Reifung u. Befruchtung des Eies von Petromyzon fluviatilis. 57 


Weibehens habhaft gewordene Petromyzon zum Laichen vor, 
was sehr schnell geschah. Sobald er nämlich seinen Neben- 
buhler vertrieben hatte, schlang er seinen Körper nach links um 
das Weibehen herum. Darauf schmiegte er die Gegend des 
Penis eng an den Körper des Weibehens an und begann leb- 
haft an den geschwollenen und röthlichen Lippen des Abdominal- 
porus zu streichen. Sofort entleerte der Abdominalporus des 
Weibehens den Rogen einzelweis, aber keinesfalls auf dieselbe 
Stelle. Sobald das Weibchen zwei, drei Eier abgegeben, hob 
es seinen Körper und machte bald nach rechts bald nach links un- 
bedeutende Exeursionen, beständig Eier entleerend. Das Männchen 
unterdessen hörte nieht auf zu streichen. Dann aber hörte es 
plötzlich auf und ohne das Weibehen zu verlassen, hob es etwas 
schief die hintere Partie des Körpers mit dem Penis. In diesem 
Augenblicke spritzte es einen Strahl von Spermatozoen ins Wasser, 
der zwar fadendünn, aber in Folge seiner milchweissen Farbe 
sehr deutlich zu sehen war. Das Sperma spritzte verhältniss- 
mässig weit, aber immer auf dieselbe Stelle. Dessen war sich 
das Männchen instinktiv bewusst und begann, nachdem es sich 
ausgestreckt, mit mächtigen Schlägen nach rechts und links das 
Wasser zu bewegen, in dem das Sperma sich befand. Dadurch 
wurde selbst der Rogen auf dem Sande aufgewirbelt und hin- 
und hergeworfen, wodurch er offenbar mit dem Sperma in Ver- 
bindung kam. Dieses natürliche Umrühren des Rogens von 
Seite des Männchens dauerte eine geraume Zeit, worauf dasselbe 
— offenbar ermüdet — das Weibchen losliess, um sich an einem 
Stein anzusaugen. Das Weibchen verblieb ruhig auf derselben 
Stelle. 


Die künstliche Befruchtung. 


Nach dem Beispiele Vejdovsky’s nahm ich die „nasse“ 
Befruchtung vor. Emaillirte flache Schüsseln wurden zur Hälfte 
mit Wasser gefüllt, darauf der in ein Tuch gehüllte Rogner aus- 
gestrichen und während mein Assistent mit einem Glasstabe das 
Wasser mit dem frischabgestrichenen Rogen umrührte, wurde die 
Milch beigesetzt, die aus dem Penis schon bei schwachem Drucke 
auf die Bauchwände des Männchens in feinem Strahle weit weg- 
spritzt. Doch bin ich zu der Erfahrung gekommen, dass auf 
diesem Wege viele Eier unbefruchtet bleiben, was das Studium 


58 Karl Herfort: 


ungemein verlängert und erschwert. Darum wurde auch diese 
„nasse Befruchtung“ von Fischzüchtern aufgegeben und machte 
der „trockenen Befruchtung“ Platz; bei dieser streicht man 
zuerst den Rogen, dann die Milch in leere Schüsseln ab und 
giesst erst nachträglich, nachdem man mit der Fahne einer Feder 
den Samen mit den Eiern tüchtig vermengt hat, Wasser zu. 
(Paul Vogel, Ausführliches Lehrbuch der Teichwirthschaft. 
Bautzen 1898.) Mir gelang es nur Gastrulastadien aufzuziehen, 
da mir Saprolegnien die ganze Zucht vernichteten. Vejdovsky, 
der die Eier täglich sorgfältig überklaubte und alle mit Sapro- 
legnien angefallenen Eier beseitigte, gelang es, bis 4 cm lange 
Ammocoeten aufzuziehen. 


Angewandte Untersuchungsmethoden. 


Als Conservirungsmittel benutzte ich die von v. Rath (41) ange- 
gebene Pikrinosmium-Platinchloridessigsäure und Pikrinplatin-Chlorid- 
essigsäure; weiter conservirte ich mit Sublimateisessig. 

Mit allen 3 Methoden erhielt ich schön eonservirtes Material, das 
uns die feinsten Structuren des Protoplasmas lesen lässt und sich in 
Paraffinserien gut zerlegen liess. Doch muss ich bemerken, dass manche 
Fläschehen, obzwar die Eier auf dieselbe Weise conservirt wurden, 
ganz unbrauchbares Material ergaben, in welchem der Dotter zu einer 
dem Schilddrüsenkolloid ähnlichen Masse zusammengeschmolzen war 
und die überhaupt nicht zu schneiden gingen, sondern vollkommen 
zerbröckelten. Die erste halbe Stunde conservirte ich und zwar jedes 
Stadium auf die oben angegebene dreifache Weise alle 5 Minuten, 
später in viertel- bis halbstündigen Intervallen. Die Eier wurden ein- 
zeln in Paraffin eingebettet, und zwar erhielt ich, wie aus meinen 
Zeichnungen zu ersehen ist, schön orientirte Eier, was mich freilich 
erst eine lange Erfahrung lehrte. Ich benutzte nämlich beim Ein- 
giessen der Eier ins Paraffin breite, oben napfförmig erweiterte Pi- 
petten, wie sie bei den Tropffläschehen in der Augenheilkunde An- 
wendung finden, sog in eine solche zuvor erwärmte Pipette das Ei 
auf und liess das Paraffin mit demselben langsam auf ein mit Glycerin 
bestrichenes Objectgläschen ausfliessen. Mehrere Eier auf einmal ein- 
zugiessen und zu schneiden, bewährte sich nicht. Das Ei zerlegte ich 
in Serien von 50—100 Schnitten, die ich mit Wasser aufklebte. Die 
Schnitte färbte ich hauptsächlich mitM. Heidenhain’s Eisenhämatoxylin 
und mit Delafield’s Hämatoxylin, daneben einige mit Fuchsin und 
Safranin. Mit der E. A. H.-Methode erhielt ich schöne Präparate, be- 
sonders wenn dieselben noch mit Eosin nachgefärbt wurden. Für die 
stärksten Vergrösserungen zeigte sich die E. A. H.-Methode allein als 
die beste, und wendete ich dieselbe später fast ausschliesslich an. Die 
Entfärbung kontrollirte ich zwar unter dem Mikroskope, doch war ich 


Die Reifung u. Befruchtung des Eies von Petromyzon fluviatilis. 59 


was besonders die Centralkörper anbelangt, vollkommen dem Zufall 
preisgegeben, da diese Gebilde bei Petromyzon allzuklein sind. Doch 
waren gerade schwach oder wieder stark entfärbte Präparate oft sehr 
instructiv. Speciell möchte ich darauf aufmerksam machen, die Eier 
nicht allzulange im Alkohol absolutus zu lassen, sondern lieber ins 
Paraffin eingegossen aufzubewahren, da sich solche Eier noch heute 
geeradeso schneiden lassen wie frisch eingegossene, während sich Eier, 
die ich lange in Spiritus aufbewahrt hatte und die anfangs sehr gut 
zu schneiden waren, als vollkommen unbrauchbar erwiesen. Die Zeich- 
nungen der mikroskopischen Schnitte wurden mit Reichert’s Zeichen- 
apparat nach Abbe gefertigt. Die mit meinem Reichert’schen 
achromatischen Mikroskope gemachten Befunde controllirte ich mit 
einem im Besitze der Landesirrenanstalt zu Dobran befindlichen Zeiss- 
schen Apochromat-Mikroskope. 


Die Befruehtungsphänomene iin vivo. 


Obwohl meine Beobachtungen in vivo an Genauigkeit hinter 
denen Calberla’s und besonders Kupffer und Benecke’s weit 
zurückstehen, weil ich mein Hauptaugenmerk auf die Conser- 
virung des Materials richten musste, so ergänzen dieselben doch 
nicht unwesentlich die Beobachtungen dieser Autoren, wobei mir 
auch die unveröffentliehen Beobachtungen Vejdovsky’s sehr 
zu gute kamen. 

Die frisch abgestricehenen Eier sind gelblich weiss, circa 
1 mm lang, und sind sehr klebrig, wodurch sie sowohl an der 
Unterlage anhaften, so dass man das Wasser abgiessen kann, 
ohne dass sie sich lostrennen, als auch untereinander sich leicht 
zu grösseren oder kleineren Klumpen verkleben. Die Ursache 
dessen ist der schon erwähnte schleimige Ueberzug, der mit Aus- 
nahme des animalen Poles das Ei umgiebt. „Das Ei hat die 
Form eines Rotationsellipsoids“ und ist bis auf eine helle schmale 
Zone am animalen Pole, die auf optischem Querschnitte sichel- 
föormig dem übrigen Theile aufsitzt, undurchsichtig. Am ani- 
malen Pole sehen wir schon in vivo eine körnehenfreie Proto- 
plasmaschicht, die als solehe richtig von Calberla beschrieben 
und gedeutet wurde im Gegensatze zu Böhm, der dieses „Pol- 
plasma“, wie er es nannte, vom Eikern abstammen lässt. 

Das Ei zeigt sieh bei schwacher Vergrösserung von einer 
einfachen Eihaut umgeben, die am animalen Pole verdoppelt 
und verdickt erscheint. Dieser verdiekten Stelle der Eihaut 
sitzt die von August Müller als „Flocke“ bezeichnete sichel- 


60 Karl Herfort: 


förmige Masse auf, auf die wir später noch zu sprechen kommen. 
während die übrige Eihaut von einer breiten Schleimschicht um- 
geben wird. 

Bei stärkerer Vergrösserung und auf Schnitten erkennen 
wir, dass das Ei von einer doppelten Eimembran umgeben wird. 
Am animalen Pole werden beide Membranen dieker und wölben 
sich zugleich uhrglasförmig vor. Calberla beschreibt treffend 
dieses Verhältniss. Nach diesem Autor sind sowohl die breitere 
äussere als auch die weit dünnere innere Eihaut von dichtge- 
stellten feinen Kanälen durchzogen und zwar so, dass die Ka- 
näle der inneren Eihaut sich in die der äusseren direkt fort- 
setzen, was Kupffer und Benecke bestreiten, und nur die innere 
Eihaut von dichtgestellten Porenkanälen durchzogen sein lassen. 
Ich habe weder in vivo, noch auf Schnitten Porenkanäle beobachtet. 

Calberla beschreibt und zeichnet. eine deutliche Mikropyle 
am animalen Pole. Nach Kupffer’s und Benecke’s Darstellung 
ist die Mikropyle nieht eine offene Pforte, „wohl aber eine per- 
meablere Stelle“. Auch Vejdovsky vertritt seinen Beobach- 
tungen in vivo zufolge die Existenz einer Mikropyle. Ich habe 
in vollkommener Uebereinstimmung mit Böhm weder in vivo, 
noch auf Schnitten eine Mikropyle beobachten können. 

Nehmen wir in ein Uhrgläschen Eier unmittelbar nach der 
Befruchtung, so constatiren wir als erstes, dass sich der animale 
Pol von der Eihaut zurückzieht und zwar beginnt, wie dies 
schon die früheren Autoren gesehen haben, diese Zurückziehung 
nicht am Pole, sondern seitlich in Gestalt eines Walles. Auf 
anderen Eiern ist schon der ganze animale Pol von der Eihaut 
zurückgezogen, und hängt durch einen hyalinen plasmatischen 
Cylinder und einige plasmatische Fäden noch mit derselben 
zusammen. Verfolgen wir nun ein einziges Ei, so macht es fol- 
gende Bewegungsphänomene durch. Der hyaline Cylinder und 
die Fäden verschwinden. Aus der Mitte des von der Eihaut 
zurückgezogenen Eipoles beginnt ein hyaliner plasmatischer Tropfen 
zu wachsen, der seitlich von kleineren Tröpfehen umgeben ist. 
Derselbe erreicht eine bestimmte Grösse, um dann ebenso wie 
er erschienen sich wieder einzuziehen. Gleichzeitig schnürt sich 
die übrige Eiperipherie von der Eihaut ab. Dabei geht das Ei 
aus der ovalen in eine Birnform über. Indem sich die der Ei- 
haut noch eng anliegende Eiperipherie beständig verkleinert, 


Die Reifung u. Befruchtung des Eies von Petromyzon fluviatilis. 61 


wird die Birnform nach dem vegetativen Pole zu immer spitzer 
und spitzer, bis die ganze Eiperipherie von der Eihaut sich zu- 
rückgezogen hat. Das Ei rundet sich hierauf zu einer voll- 
kommenen Kugel ab, von den plasmatischen Gebilden am ani- 
malen Pole ist nichts mehr zu sehen. 

Oft konnte ich beobachten, dass der Uebergang zwischen der 
von der Eihaut schon abgeschnürten und der derselben noch eng 
anliegenden Eiperipherie nicht abgerundet, sondern scharfkantig 
ist. Während der Abschnürung des Eies von der Eihaut läuft 
diese Kante über das Ei, bis sie den vegetativen Pol erreicht. 

Betrachten wir nun jenen hyalinen Zapfen am animalen 
Pole, den Dottertropfen Calberla’s, bei stärkerer Vergrösserung, 
so sehen wir, dass derselbe amöbenartig seine Form ändert. Sehr 
oft konnten wir in Uebereinstimmung mit Calberla, Kupffer 
und Benecke beobachten, dass der Dottertropfen seine Basis 
„zu einem feinen Stiele* verdünnt, „der jeden Augenblick zu 
reissen droht“, worauf er sich wieder einzuziehen beginnt. Wie 
Kupffer und Benecke, so sahen auch Vejdovsky und ich 
im Polzapfen kleine Körnehen, die Brown’s Molecularbewe- 
gung zeigten. Seitlich vom Dottertropfen quellen aus dem Pol- 
plasma kleine hyaline Tropfen hervor, die sich wie der Dotter- 
tropfen wieder einziehen. 

Um die allerersten Bewegungsphänomene am befruchteten 
Ei zu studiren, habe ich einige frisch abgestrichene Eier in 
ein flaches Uhrglas mittelst Pipette übertragen, worauf mein 
Assistent in dasselbe den Samen eines bereitgehaltenen Milch- 
ners spritzte. Nach Umrühren mit einem Glasstabe wurde das 
Uhrglas sofort unters Mikroskop gestellt. Die Spermatozoen um- 
schwärmen massenhaft das Ei und hauptsächlich in der Gegend 
der Flocke, wie dies treffend schon Kupffer und Benecke 
beschreiben. 

Die Retraetion der Eiperipherie beginnt seitlich und zwar 
in der Weise, dass dünne Verbindungsfäden übrig bleiben, die 
sich von der Eiperipherie zur Innenseite der Eihaut ausspannen. 
Die Basis dieser Fäden hat auf optischem Durchschnitte die Ge- 
stalt eines Dreiecks. Die Retraetion schreitet nun auf diese Weise 
sowohl zum animalen als auch vegetativen Pole vor. Vom ani- 
malen Pole zieht sich der Dotter so zurück, dass zwischen ihm 
und der Eimembran auf optischem Durchschnitte ein breites 


{er} 
DD 


Karl Herfort: 


hyalines Band sich ausdehnt, das sich immer mehr in die Länge 
zieht, dabei aber continuirlich an Breite abnimmt. Unterdessen 
sind die dünnen Fäden gerissen und ihre Enden runden sich zu 
kleinen Tropfen um. Den der inneren Eihaut anliegenden Tropfen 
hat Calberla den Namen „Randtropfen* gegeben !). In jenem 
hyalinen Bande erscheint plötzlich ein kleines längliches Gebilde, 
das Spermatozoenköpfehen, das rasch im Dotter verschwindet. 
Unterdessen beginnt das hyaline Band sich in der Mitte einzu- 
schnüren, bis es endlich in 2 Hälften reisst, von denen die obere 
sich kugelig abrundet, ähnlich den schon beschriebenen Rand- 
tropfen, die untere Hälfte sich in das Ei einzieht. Die Ober- 
fläche des animalen Poles befindet sich in lebhafter Bewegung, 
aus demselben wächst dann jener hyaline Polzapfen, den wir 
schon oben kennen gelernt haben. 

Das Eindringen des Spermatozoons durch die Eihaut habe 
ich nicht beobachtet. Darüber berichten jedoch Kupffer und 
Benecke; nach diesen Autoren dringt das ganze Spermatozoon 
sammt Schwanz in das Ei ein. 

Calberla nannte jenes hyaline Band am animalen Pole, 
durch welches wir das Spermatozoon durchtreten sahen, „Leit- 
band des Spermatozoons“. Kupffer und Benecke verwerfen 
diesen Namen, „da er einer Annahme entspringt, die vorschnell 
den Einzelfall zur Regel erhoben“ und schlugen den Namen 
„Axenstrang“ vor. Sie haben das Spermatozoon an den ver- 
schiedensten Punkten der uhrglasförmigen Wölbung, häufig ganz 
nahe der Peripherie derselben, die Eihaut perforiren gesehen. 

Meine Beobachtungen sind in dieser Beziehung lückenhaft 
geblieben. Nur einen Befund möchte ich hier noch anführen. 
Oft fand ich nämlich jenen grossen Randtropfen, der nach Zer- 
theilung des Axenstranges an der Innenseite der Eihaut hängen 
bleibt, nicht streng polar, sondern seitlich an der Eihaut hängen. 

Wie lassen sich diese so interessanten Bewegungsphänomene 
am befruchteten Ei erklären? 


1) Nach Kupffer und Benecke stammen diese Randtropfen 
nur zum Theil von den an der Eihaut zurückbleibenden Enden der 
Verbindungsfäden. „Zu einem andern Theil aber stammen diese Bläs- 
chen vom Sperma her und zwar von Köpfen, die mehr oder weniger 
tief in die zweite Schicht der Eihaut sich einbohren oder dieselbe eben 
durchdringen.“ 


Die Reifung u. Befruchtung des Eies von Petromyzon fluviatilis. 63 


Calberla, der genaue Messungen mittelst des Zeichnen- 
prismas während des Befruchtungsvorganges angestellt hat, „ist 
es als zweifellos erwiesen, dass der Dotter sich nicht contrahirt, 
dagegen die Eihaut sich enorm ausdehnt. Der Raum zwischen 
Eihaut und Eidotter ist mit Wasser angefüllt, welches einzig und 
allein durch die feinen Poren der Eihaut eingedrungen sein kann,“ 
wie sich Calberla durch Versuche, in denen er dass Wasser 
mit 0,5°/, Inulinlösung gefärbt, hat überzeugen können. Da die 
Eiperipherie der Eihaut fest adhärirt, indem sie die feinen Poren der- 
selben verstopft, weicht die aus „klebrigflüssigem“ körnchenfreiem 
Protoplasma bestehende Randschicht nicht einfach in toto ınit dem 
übrigen Dotter zurück, sondern wird zu den erwähnten feinen 
Fäden ausgezogen. Die Entstehung des Dottertropfens bewirkt 
nach Calberla ein Contraetionsvorgang im Dotter, den nach 
geschehener Copulation, die sich um den Eikern, den er unter- 
halb des Polplasmas gesehen haben will, concentrisch anordnenden 
Dotterelemente bewirken sollen, eine Ansicht, die, wie wir sehen 
werden, ganz falsch ist. 

Kupffer und Benecke geben folgende Erklärung dieser 
Vorgänge: 

„Ausgehend von den beiden Thatsachen, dass sich der Dotter 
noch vor der Berührung desselben durch ein Zoosperm von der Eihaut 
am activen Pole zurückzuziehen beginnt, und dass das penetrirende 
Zoosperm zuletzt alle Bewegung einstellt und in radiärer Richtung 
angezogen wird, nehmen wir einen um diese Zeit in Wirksamkeit 
tretenden Körper im Dotter an, der sowohl auf das Protoplasma des 
Dotters als auf die Zoospermien eine Anziehung ausübt. Die von 
diesem Körper ausgehende Anziehungskraft denken wir uns als eine 
mit der Entfernung abnehmende, aber mit der Masse zunehmende, und 
den Körper als beweglich im Dotter.“ 

Diese Kraft verlegten sie in den sich bildenden Eikern, 
dessen Anziehungskraft in Wirksamkeit tritt. 

„Die nächste Wirkung ist die Ablösung des Protoplasmas von 
dem Uhrglase und die Anziehung desjenigen Zoosperms, das den ge- 
ringsten Widerstand an der Eihaut findet, d. h. desjenigen, das in dem 
die Mikropyle treffenden Radius herankommt. Da nun die Anziehung 
als eine gegenseitige zu denken ist und mit der Masse wächst, so muss 
bei dem excentrischen Auftreten des Kerns die grössere nach der 
Seite des passiven Pols hin gelegene Masse des Eies diesem Kern eine 
Bewegung gegen das Uentrum hin ertheilen. Dadurch entfernt der- 
selbe sich vom Uhrglase, und es nimmt seine Anziehung auf die übrigen 
Zoospermien ab. Mit der Annahme einer Bewegung des Kernes gegen 


64 Rarl Herfort: 


das Centrum harmonirt die allmählich vorschreitende Einschnürung 
des Dotters.“ 

Die Vor- und Rückwärtsbewegung des Zapfens bleibt, wie 
Kupffer und Benecke selbst zugeben, durch diese Hypothese 
unerklärt. 

Unterstützt durch meine an Serienschnitten gewonnenen Er- 
fahrungen gebe ich diesen Bewegungsphänomenen, die sich am 
animalen Pole des befruchteten Petromyzoneies abspielen, 
folgende Erklärung: Dieselben sind ein Ausdruck des „gelatin- 
flüssigen“ Aggregatzustandes (Rhumbler) (42) des Protoplasmas, 
das als Polplasma kappenförmig dem animalen Pole aufsitzt und 
als eine von zahlreichen Flüssigkeitsvacuolen erfüllte, von mir 
(22) als Alveolarschieht bezeichnete Randzone die übrige Eiperi- 
pherie einnimmt. Der wahrscheinlich schon durch das Eindringen 
des Spermatozoons in die Eihaut auf das Ei ausgeübte Reiz hat 
unter Äuspressung von Flüssigkeit eine Contraetion desselben zur 
Folge. Der dem Reiz am nächsten gelegene Locus minoris resi- 
stentiae ist eben die Alveolarschicht unterhalb des Polplasmas, 
da dieselbe im Gegensatze zu diesem von zahlreichen Flüssigkeits- 
vacuolen durchsetzt wird, die, wie ich annehme, bei der Retraction 
der Eiperipherie zum Platzen kommen, da nach Retraetion der 
Eiperipherie die Alveolarschieht nicht mehr vorhanden ist. Wie 
es eben dem dickflüssigen Zustande des Protoplasmas entspricht, 
löst sich dasselbe nicht einfach von der Eiperipherie ab, sondern 
unter Fadenbildung; da die Cohäsion des Plasmas geringer ist 
als dessen Adhäsion an die Eihaut, bleiben Flüssigkeitstheil- 
chen an der festen Eihaut hängen, die unter dem Einflusse der 
Oberflächenspannung zu den Randtropfen ebenso sich abrunden, 
wie dies Verworn (58) für Protoplasmamassen anführt, die durch 
Zerquetschen und Ausschneiden der Zellwände aus der Zellmem- 
bran herausquellen. 

Da das Polplasma, wie wir uns in vivo und auf Schnitten 
überzeugen konnten, aus lauter Protoplasma besteht, haftet es 
der Eihaui fester an als die übrige Eiperipherie. So kommt es 
bei der Retraction desselben von der Eihaut zur Bildung des Leit- 
bandes (Calberla) oder Axenstranges (Kupffer und Benecke), 
den ich für einen Empfängnisshügel halte. Schnitte durch diese 
Stadien lassen schwerlich eine andere Deutung zu. 

Freilich sprechen dagegen die sehr bestimmten Angaben 


Die Reifung u. Befruchtung des Eies von Petromyzon fluviatilis. 65 


Kupffer's und Benecke's. Diese Autoren geben zwar zu, dass 
es ın 80—90 Procent zur Bildung eines Axenstrauges kommt, 
aber das Zoosperm braucht nicht den Axenstrang zu passiren. 
Unter fünfzig von diesen Autoren beobachteten Fällen des Ein- 
dringens des Spermatozoons in das Ei (Petromyzon fluviatilis) 
lag die Perforationsstelle im Scheitelpunkte des Uhrglases nur 
sechsmal, d. h. nur sechsmal unter fünfzig Fällen wurde der 
Axenstrang als Weg für das penetrirende Spermatozoon in das 
Ei benutzt, was nach diesen Autoren auch für Petromyzon Planeri 
gelten soll. 


Bei der Retraction des Polplasmas von der Eiperipherie 
reisst auch dieser Axenstrang, wobei sich sein peripheres Ende 
zu einem grossen Randtropfen abrundet. 

Der Polzapfen, der nach Einziehung des Axenstranges aus 
dem Polplasma hervorquillt, ist nach meiner Ansicht nur ein 
Ausdruck des lebhaften Assimilationsprocesses, den das in das 
Polplasma eindringende Spermatozoon hervorruft. Wie wir uns 
auf Schnitten überzeugen konnten, beginnt unter rascher Assimi- 
lation von Dotterkörnern eine schnelle Vermehrung des Pol- 
plasmas, das sich in lebhaftem Aufruhr befindet; seine ganze Ober- 
fläche ist in beständiger wellenförmiger Bewegung; wie eine 
Amoebe entsendet dasselbe in Gestalt des Polzapfens und kleinerer 
kugeliger Gebilde Pseudopodien in den unter der Eiperipherie 
befindlichen Eiraum. Für die Pseudopodiennatur dieses Gebildes 
spricht die von Kupffer und Benecke angeführte interessante 
Beobachtung, dass der Zapfen manchmal die innere Eihautfläche 
„ableckt“ und die plasmatischen an ihr hängenden Randtropfen 
in sich aufnimmt. 

Kupffer und Benecke legten auf die Berührung der Eihaut 
durch den Zapfen einen besonderen Werth, indem er auch Zoo- 
spermien aufnehmen soll und schreiben ihm eine ergänzende Rolle 
bei der Befruchtung zu (Nachbefruchtung). Böhm’s und meine 
Untersuchungen sprechen gegen eine Polyspermie, niemals fanden 
wir mehr als ein Spermatozoon im Protoplasma. 


Ich gehe nun zur Darstellung meiner auf Serienschnitten 


gewonnenen Resultate über. 
Archiv f. mikrosk. Anat. Bd. 57 5 


66 Karl Herfort: 


Das unbefruchtete Ei und der erste Richtungskörper. 


Die 1895 (22) von mir gegebene Beschreibung kann ich 
vollkommen aufrecht erhalten Ein zum Zweck der künstlichen 
Befruchtung der Bauchhöhle des geschlechtsreifen Mutterthieres 
entnommenes Ei ist m Taf. IV, Fig. 1 dargestellt. Am animalen 
Pole befindet sich ein kappenförmiges, auf Durchschnitten sichel- 
förmiges Gebilde, das Polplasma Böhm’s, das aus feingranulirtem 
Protoplasma besteht. Die übrige Eiperipherie weist schon bei 
schwacher Vergrösserung ein deutliches grobschäumiges Gefüge 
auf; ich bezeichnete diese Randzone als Alveolarschicht. Seitlich, 
etwas unterhalb des Polplasmas, sehen wir die alveolare Rand- 
schieht unterbrochen. Hier fehlen die Alveolen, dafür sehen wir 
hier eine Einsenkung in der Eiperipherie, in der sich der erste 
Riehtungskörper befindet. Unter dieser Grube finden wir im Ei 
eine kleine tonnenförmige Spindel. Diese Gegend der Eiperipherie 
bildet den Ausgangspunkt einer deutlichen Radiation, die dadurch 
zustande kommt, dass die Dotterplättchen um die Grube strahlen- 
artig angeordnet sind. Das Innere des Eies ist von Dotterplätt- 
chen erfüllt; diese stehen unterhalb der Peripherie am dichtesten 
und sind auch viel kleiner als im Innern des Eies, wo sie zu- 
gleich lockerer angeordnet sind; wir sehen hier auf Durchschnitts- 
präparaten zahlreiche helle runde Flecken zwischen den Dotter- 
plättchen. 

Das Ei ist von einer doppelten Eihaut umgeben, der am 
animalen Pole die Flocke (Taf. IV, Fig. 2) in Gestalt von unregel- 
mässigen Zacken aufsitzt. 

Das Polplasma zeigt bei starker Vergrösserung eine deut- 
liche alveolare Structur, ausserdem finden sich in demselben 
grössere und kleinere Dotterkörner und Flüssigkeitsvacuolen ein- 
gelagert. Diese Wabenstructur lässt sich auf dünnen Schnitten 
auch in den Dotter hinein verfolgen. Die übrige Randzone be- 
steht aus dicht aneinandergereihten Vacuolen, bei stärkster Ver- 
grösserung, besonders mit Zeiss apochrom. homog. Immersion, 
lösen sich die Zwischenwände dieser Vacuolen in deutliche Waben 
auf. Sehr schön zeigt diese Wabenstructur ein Schnitt, der quer 
durch diese Randschicht geführt ist, wie wir solche als erste und 
letzte Schnitte unserer Serien durch unbefruchtete Eier erhielten 
MakıV. Fig. 5). 


Die Reifung u. Befruchtung des Eies von Petromyzon fluviatilis. 67 


Besonders deutlich erkennen wir diese Wabenstruetur, wenn 
wir bei stärkster Vergrösserung (Zeiss homog. apochrom. Im- 
mersion, Compensationsocular, 8, 12, 18) mit der Irisblende das 
Gesichtsfeld immer mehr und mehr verdunkeln, wobei uns die 
Waben körperlich als kugelige Gebilde, die die grossen kreis- 
förmigen oder polygonalen Hohlräume umgrenzen, entgegentreten. 
Diese eben beschriebenen, in der grobschäumigen Randzone die 
Grösse bis von 12 u erreichenden „Alveolen“ halte ich für 
Deutoplasma-Kugeln, für Flüssigkeitstropfen, welche besonders 
zahlreich an der Peripherie des Petromyzoneies angeordnet sind, 
aber auch im Inneren vorkommen, wie wir aus der Anordnung 
der Dotterkörner schon bei schwacher Vergrösserung erkennen. —- 
Die Dotterkörner haben bei schwacher Vergrösserung eine läng- 
liehe oder runde Gestalt, bei stärkster Vergrösserung (Taf. IV, 
Fig. 4) erscheinen sie auf optischem Querschnitte sechseckig mit 
mehr oder weniger abgerundeten Ecken. Ihre Grösse schwankt 
zwischen mikrosomaler Kleinheit bis zu der von 10 u. 

Die Riehtungsspindel besitzt eine schöne tonnenförmige Ge- 
stalt und eine Länge von eirca 12 u. 

An den Polen habe ich weder Sphären noch Centralkörper 
beobachten können, was — besonders die letzteren — sich auch 
schwer constatiren lassen dürfte, da die Spindel rings von Dotter- 
körnern umgeben ist. Die Chromosomen sind kleine kugelige, 
oft unregelmässig gestaltete Brocken, von einem Zählen derselben 
ist keine Rede. In meinem neuen Materiale habe ich nur wenige 
Präparate, die die Riehtungsspindel deutlich zeigen, da dieselben 
zumeist mit Heidenhain’s E. A. H. gefärbt sind, der die Dotter- 
körner tief dunkelblau färbt, so dass, besonders auf diekeren 
Sehnitten, die Spindel verdeckt wird; wir können daher nur aus 
der Einsenkung an der Eiperipherie und dem Richtungskörper 
in derselben auf deren Existenz schliessen. Im Jahre 1893 (22) 
habe ich eine grosse Reihe unbefruchteter Eier in Serien zerlegt. 
Damals habe ich die Eier mit Pikrokarmin in toto durchfärbt; 
alle meine Präparate hatten den Dotter schwach gefärbt, was 
mir das Finden der Riehtungsspindel sehr erleichterte. Ich ver- 
weise daher auf meine damaligen Befunde, welche beweisen, 
dass das befruchtungsfähige, unbefruchtete Ei von Petromyzon 
fluviatilis schon den ersten Richtungskörper abgeschnürt hat. 
Niemals konnte ich die Bildung desselben beobachten, immer 


68 Karl Herfort: 


war er schon ausgebildet. Ich glaube auf Grund meiner Befunde 
annehmen zu dürfen, dass der erste Richtungskörper schon sehr 
zeitig gebildet sein muss, da ich an zahlreichen unbefruchteten 
Eiern schon einen Zerfall desselben wahrnehmen konnte. Bei 
einigen unbefruchteten Eiern konnte ich überhaupt keinen Rich- 
tungskörper mehr finden, sondern nur eine Richtungsspindel unter 
der fast vollkommen ausgeglichenen Grube, die sich durch das 
Fehlen der Vacuolen schon bei schwächerer Vergrösserung gegen 
die übrige Eiperipherie markirt. In dem Taf. IV, Fig. 3 abge- 
bildeten Schnitte besitzt der Richtungskörper eine Länge von 
24 u, eine Breite von 12 u und lässt eine innere diehtere, mit 
einigen Chromatinbrocken erfüllte Zone und eine hellere Aussen- 
zone erkennen, die beide auf manchen Präparaten einen wabigen 
Bau zeigen. Manchmal finden sich in dieser Aussenzone des 
Riehtungskörpers ein bis zwei Dotterkörner. 


Die ersten Befruchtungserscheinungen. 


Die ersten Fläschehen, die die gleich nach vorgenommener 
Befruchtung eonservirten Eier enthielten, ergaben folgendes Resul- 
tat: Nur wenige Eier waren befruchtet, die meisten Eier waren 
noch unverändert, aber in der Flocke finden wir zahlreiche 
Spermatozoen eingelagert und auch vereinzelt liegt hie und da 
ein Spermatozoon seitlich der Eimembran an. Zwei solche frei- 
liegende Spermatozoen sind in Taf. IV Fig. 9 und 10 dargestellt, 
Sie besitzen eine Länge von circa 8 u und lassen ein deutliches 
Mittelstück erkennen, vom Schwanzfaden ist nichts zu sehen. 

Das jüngste Befruchtungsstadium, das ich auf Schnitten 
erhielt, stellt Taf. IV Fig 6 dar. Verfolgen wir zunächst die Ge- 
staltsveränderungen des Polplasmas. In dieser Figur besitzt 
dasselbe die Gestalt eines Empfängnishügels, indem seitlich die 
Eipheripherie retrahirt ist, während sonst das Polplasma der 
Eihaut eng anliegt. Auch die Ueberbleibsel der dünnen Fäden, 
die wir in vivo beobachten konnten und die nach Reissen der- 
selben zu kleinen Kügelchen sich abrunden, finden wir auf den 
Schnitten wieder. Diese sind es wohl, die Böhm (8) irrthümlich 
für Bichtungskörper angesehen hat. Ich besitze Serien, wo ich 
auf einem einzigen Schnitt bis zehn solcher Plasmatropfen vor- 
finde. Bei der Conservirung, wie ich schon früher (22) be- 


Die Reifung u. Befruchtung des Eies von Petromyzon fluviatilis. 69 


schrieben, können sie leicht von ihrer Unterlage abreissen und 
den Eindruck von Riehtungskörpern machen. 

Der Axenstrang stellt sich also auf Durehsehnitten als ein 
wahrer Empfängnishügel dar. Er sitzt anfangs mit breiter Basis 
dem übrigen Polplasma auf (Taf. IV Fig. 6). Mit der weiteren 
Entwiekemung beginnt an seiner Basis eine Unterminirung des 
Axenstranges und zwar, wie ich aus der Vacuolenbildung, die 
ich an einigen Präparaten beobachten konnte, schliesse, unter 
Ausscheidung von Flüssigkeit, die eine Abschnürung des Axen- 
stranges vom übrigen Polplasma zur Folge hat; sein Hals, der 
ihn mit dem Polplasma verbindet, wird immer dünner und dünner 
Mars TVo. 7. u:08). 

An einigen Präparaten fand ich ausser jenem centralen 
Halse des Axenstranges zwischen dessen verbreitertem Ende und 
dem darunter gelegenen Polplasma breitere und engere Verbin- 
dungsbrücken; so sehen wir z. B. auf Taf. V Fig. 22a links 
vom Halse des Axenstranges fast in der ganzen Ausdehnung das 
Polplasma mit diesem noch in Verbindung, rechts geht dann von 
seinem verbreiterten Ende ein dünner Faden zum Polplasma. 

Dies beweist, dass also das Polplasma sich in der Weise 
retrahirt, dass zuerst ein breiter Empfängnishügel zur Ausbil- 
dung kommt; derselbe dehnt sich bei der weiteren Retraection 
in die Länge und unter Flüssigkeitsausscheidung an seiner Basis 
kommt es zu einer allmählichen Abschnürung desselben vom Pol- 
plasma. Anfangs ist der Axenstrang durch einen centralen Hals 
und durch breitere und dünnere Protoplasmabrücken mit dem 
Polplasma verbunden; diese letzteren reissen mit der weiteren 
Retraction des animalen Poles von der Eihaut ab, so dass nur 
der Hals des Axenstranges als einzige Verbindung übrig bleibt, 
bis schliesslich auch dieser sich vollkommen abschnürt, wie man 
so schön in vivo beobachten kann. Bei dieser Absehnürung des 
Polplasmas vom Axenstrange fliesst die Mehrzahl seines Plasmas 
durch die erwähnten Verbindungsbrücken und den Hals des 
Axenstranges in das darunter gelegene Polplasma über, während 
nur ein kleiner Theil desselben an der inneren Eihaut haften 
bleibt, wie sich in vivo constatiren lässt. 

Aus’ Taf. IVORie2 6, 7, 8) Taf. V Figw221 ist’ ersichtlich, 
lass der Hals des Axenstranges auf Präparate, die mit Heiden- 
hain’s E.A.H. gefärbt sind, eine breite dunkelblaue Contour be- 


70 Karl Herfort: 


sitzt. Der Axenstrang selbst verhält sich bei dieser Färbung 
anders als das übrige Polplasma, indem sich sein Protoplasma 
schön blau färbt. 

Das Polplasma nimmt unter rascher Assimilation von Dotter- 
körnern beständig an Grösse zu und wächst immer mehr und 
mehr in den Dotter hinein, wie es Taf. IV Fig. 6, 7, 8, Taf. V 
Fig. 22, 23 zeigen. 

An seinem Uebergange in den Dotier sehen wir ein neues 
Gebilde, das dem unbefruchteten Ei fehlte. Wir sehen hier auf 
Schnitten eine breite „wellige Membran“ (Böhm). Dieselbe ist 
auf Taf. IV Fig. 6 noch ganz peripher unter dem Axenstrang 
gelegen, mit der Zunahme des Polplasma rückt sie immer mehr 
und mehr in die Tiefe, wie aus Taf. IV Fig. 7, 8, Taf. V Fig. 
22, 23 ersichtlich ist. Auf manchen Präparaten (Taf. IV Fig. 7) 
besitzt dieselbe auf der Innenseite spitze Zacken. Bei mittlerer 
Vergrösserung erweist sich diese wellige Membrane als aus dichtem 
Protoplasma bestehend und zeigt eine deutliche Querstreifung 
(Taf. IV Fig. 7, 8, Taf. V Fig. 22). Ich halte dieses interessante 
Gebilde für ein Differenzirungsprodukt des Polplasmas, das bei 
der Assimilation der Dotterkömer eine wichtige Rolle spielen 
muss. Es entsendet nämlich wurzelfadenartige Fortsätze in den 
Dotter hinein (siehe Taf. IV Fig. 6, 7). Diese plasmatischen 
Fäden (und die noch später zu erwähnenden Radien der Furchungs- 
spindelpole) waren es, die mich die eigentliche Struetur des 
Protoplasmas im Ei von Petromyzon fluviatilis kennen 
lehrten. Bei Immersionssystemen erkennen wir, dass diese plas- 
matischen Fäden, die von der welligen Membran in den Dotter 
hineinziehen, nicht Fäden, sondern, wie wir es noch später auch 
bei den Radien der Polstrahlungen beschreiben werden, Alveolen- 
züge sind, deren Wände uns Fäden vortäuschen. Diese wurzel- 
fadenartigen Fortsätze der welligen Membrane halte ich für 
Protoplasmaströme, die die aufgelösten Dotterkörner der welligen 
Membran zuführen, die sie dann dem Polplasma abbiegt. Ueber- 
all auf den Präparaten sehen wir unter der welligen Membran, 
dass hier ein Zerfall und Auflösung der Dotterkörner stattfindet. 
Die Dotterkörner unterhalb der welligen Membran zeigen gegen- 
über Farbstoffen ein ganz anderes Verhalten als die übrigen 
Dotterkörner; diese färben sich z. B. mit Heidenhain’'s E.A.H. 
tief dunkel, während jene sich weit schwächer färben; eigentlich 


Die Reifung u. Befruchtung des Eies von Petromyzon fluviatilis. 71 


finden wir hier alle Nüancen von tief dunkel sich färbenden bis 
vollkommen ungefärbten Dotterkörnern; überdies überwiegen hier 
kleinere Dotterkörner. 

Die wellige Membran selbst löst sich bei stärksten Ver- 
grösserungen ebenfalls in Alveolen auf, deren Wände sich im 
Gegensatz zu der Gerüstsubstanz des übrigen Polplasmas viel 
dunkler färben. 


Die Veränderungen des SpermatozoonsimE£Ei. 
Die Bildung seiner Sphäre und des männlichen 
Vorkernes. 


Das in das Ei eingedrungene Spermatozoon hat zunächst 
die Gestalt, wie die in der Flocke beschriebenen (Taf. IV, Fig. 
11, 17). Solche noch ganz unveränderte Spermatozoen finden 
sich an den verschiedensten Stellen des Polplasmas, gewöhnlich 
aber fand ich dieselben seitlich im Polplasma gelegen, ihre Längs- 
axe ist unter einem Winkel von eirca 45° gegen die Ober- 
fläche des Eies geneigt, wie dies schon Böhm richtig beob- 
achtet hat. Doch fand ich auch andersgelagerte Spermatozoen, 
solche, die knapp unter der Peripherie parallel mit dieser liegen, 
andere wieder, die in der Richtung des Eiradius gelegen waren. 
Aus meinen Präparaten schliesse ich, dass das Spermatozoon 
unter Schraubenbewegungen im Polplasma vorrückt, dabei nimmt 
es selbst eine schraubenförmige Gestalt an, wie aus den Taf. IV, 
Fig. 12, 13 ersichtlich ist. In einigen Fällen konnte ich mit 
Bestimmtheit hinter dem Spermakopfe ein distinet gefärbtes 
winziges Körperehen eonstatiren, den „Spermahals“. Dieser sitzt 
in Taf. IV, Fig. 11, 16 dem Hinterende des Spermakopfes auf, 
entfernt sich mit der weiteren Entwicklung von diesem und 
liegt „nackt“ im Polplasma. (Taf. IV, Fig. 13, 15, 18). Das 
Polplasma um das Sperma herum zeigtin diesen 
Stadien gar keine Veränderungen. Das Sperma und 
der von diesem getrennte Centralkörper (Hals) liegen wie Fremd- 
körper in dem aus deutlichen Alveolen bestehenden Polplasma. 
Im weiteren Verlaufe können wir im Polplasma folgende Ver- 
änderungen constatiren: 

1. Die Bildung eines hellen Hofes um das Spermatozoon 
und einer Sphäre, die den Ausgangspunkt einer Radiation bildet. 


72 Karl Herfort: 


2. Zerfall des Spermakopfes in einige Theilstücke, die 
Spermatomeriten (Böhm). 

3. Rotirung des Spermas um 180°. 

In Taf. IV, Fig. 6, Taf. V, Fig. 22a, 23 konnten wir im 
Polplasma um das Sperma keine Veränderungen wahrnehmen. 
Bei starken Vergrösserungen besitzt dasselbe, wie es Taf. IV, 
Fig. 11—18 zeigen, dieselbe alveoläre Structur wie an anderen 
Stellen. 

Betrachten wir Taf. V, Fig. 25a, so finden wir beim 
Spermatozoon schon die Spermatomeriten. Bei 500 facher Ver- 
grösserung, bei der dieses Präparat gezeichnet wurde, sehen wir 
um den Spermakopf einen hellen Hof ausgebildet, den Böhm 
schon beschreibt und zeichnet. Hinter dem Spermakopfe nehmen 
wir einen deutlichen Centralkörper schon bei dieser Vergrösserung 
wahr. Um das Spermatozoon herum, eigentlich um dessen Hof, 
finden wir ein feingranulirtes Protoplasma, das besonders hinter 
dem Spermakopfe um den Centralkörper zu einer deutlichen 
Sphäre!) angehäuft ist, die den Ausgangspunkt einer schönen 
Radiation bildet. Die Strahlen derselben präsentiren sich bei 
dieser Vergrösserung als grobe Fäden, die sich allmählich im 
Polplasma verlieren; besonders will ich hervorheben, dass sie 
sich nicht bis zur Eiperipherie verfolgen lassen. Untersuchen 
wir dieses Stadium bei stärkster Vergrösserung (Taf. IV, Fig. 19, 
20, 21), so erkennen wir, dass das SpermatozZoon von einem 
hellen Hofe umgeben ist, der aus schwach gefärbten Alveolen 
besteht. Die Sphäre besteht aus feinschaumigem Protoplasma; 
ähnlich umgiebt, aber nur in dünner Zone, ein feinschaumiges 
Protoplasma den hellen Hof um das Spermatozoen. Die Strahlen 
lassen sich deutlich in Alveolenreihen auflösen, zwischen denen, 
wie schon bei schwächerer Vergrösserung (Taf. V, Fig. 25a) 
wahrnehmbar ist, sich grössere Deutoplasmavacuolen befinden. 
Der Centralkörper ist in diesen Stadien sehr deutlich wahrzu- 
nehmen und ist auf gut entfärbten Präparaten von einem Hofe 
schwächer sich färbender Alveolen umgeben (Taf. IV, Fig. 20). 


1) Ich wende dieselbe Terminologie an, wie Haecker (20), nämlich: 
Centralkörper (den Ausdruck Centrosom will ich wie 
Katze | Meves (36) vermeiden) 
Sphäre 


Polkahinng)) Astrosphäre. 


Die Reifung u. Befruchtung des Eies von Petromyzon fluviatilis. 73 


Sehr interessante Veränderungen kann man am Spermakopfe 
selbst wahrnehmen. Wie schon Böhm festgestellt hat, zerfällt 
derselbe in einige Theilstücke, denen er den Namen Spermato- 
meriten gab; ich kann der Beschreibung, welche Böhm von ihnen 
gibt, zustimmen. Betrachten wir mit Zeiss Hom. apochr. Immersion 
diese Spermatomeriten — besonders deutlich zeigen dies stark 
entfärbte Präparate — so können wir wahrnehmen, dass sie eine 
maulbeerförmige Gestalt besitzen (Taf. IV, Fig. 19), indem sie 
nämlich sich aus kleinen dunkeleontourirten Bläschen zusammen- 
setzen. Mit der weiteren Entwicklung werden die Spermatomeriten 
undeutlich, indem die soeben beschriebenen Kügelchen sich zu 
einem unregelmässigen, traubenförmigen Gebilde (Taf. IV, Fig. 21) 
gruppiren. 

In Tafel V, Fig. 26a und 27b sehen wir schon den 
Spermakopf in einen runden männlichen Vorkern umgewandelt, 
dem eine spindelförmige Sphäre anliegt. Das Präparat, nach 
dem Fig. 26 gezeichnet ist, ist schwach entfärbt und zeigt be- 
sonders schön die Radiation um die Sphäre. In Taf. V, Fig. 27a 
befinden sich in der Sphäre zwei Centralkörper. Wir sehen also, 
dass die anfangs rundliche Sphäre sich spindelförmig auszieht, 
wobei der Centralkörper sich theilt. Der helle Hof, den wir um 
den Spermakopf wahrnehmen konnten. ist geschwunden, auf 
Taf. V, Fig. 26a sehen wir, dass dem männlichen Pronueleus 
links einige helle Alveolen aufsitzen. In Taf. V, Fig, 26 u. 27 
erkennen wir an der Eiperipherie noch Spuren des schon ein- 
gezogenen Polzapfens, indem sich hier eine umschriebene Partie 
des Polplasmas schön blau färbt. Bei stärksten Vergrösserungen 
besitzt der männliche Vorkern eine lappige Gestalt (Taf. V, Fig. 28), 
seine Struetur ist schwer zu enträthseln; wir sehen hier ein (serüst- 
werk, dem grössere und kleinere Chromatinschollen eingelagert sind. 

Aus den Bildern auf Taf. IV und V ist ersichtlich, dass 
das Spermatozoon sich im Polplasma um 180° rotirt. Das 
Spermatozoon liegt anfangs, wie wir bemerkten, eirca 45° gegen 
die Eiperipherie geneigt im Polplasma, die Sphäre mit dem 
Centralkörper befindet sich hinter dem Kopfe, also näher der 
Eiperipherie (Taf. V, Fig. 25). Mit der weiteren Entwicklung 
dreht sich das ganze Gebilde, so dass dann die Sphäre von der 
Eiperipherie weiter entfernt ist als der Spermakern (Taf. V, 
Fig. 26, 27). Diese Rotation scheint gewöhnlich während der 


14 Karl Herfort: 


Umwandlung des Spermakopfes in die Spermatomeriten und in 
den männlichen Vorkern zu geschehen, doch habe ich vereinzelte 
Beobachtungen, aus denen ich schliesse, dass die Rotirung manch- 
mal gleich nach dem Eindringen des Sperma in das Polplasma 
erfolgt. (Taf. IV, Fig. 17.) 


Die Bildung des zweiten Richtungskörpers 
und des weiblichen Vorkernes. 


Während die eben beschriebenen Vorgänge im Polplasma 
am Spermakern sich abspielen, kommt es zur Bildung des zweiten 
Richtungskörpers und des weiblichen Vorkernes.. Im unbe- 
fruchteten Ei fanden wir den Eikern unterhalb des Polplasmas 
in Gestalt einer tonnenförmigen, kleinen Spindel vor; der erste 
Riehtungskörper ist schon abgeschnürt und liegt in einer Ein- 
senkung der Eiperipherie (Taf. IV Fig. 1,3). Nach der Befruchtung 
verschwindet jene grobschaumige Randzone, die wir im unbe- 
fruchteten Ei schon bei schwacher Vergrösserung so schön wahr- 
nehmen konnten, ein Umstand, der das Finden der Spindel sehr 
erschwert. Meine mit Heidenhain’s E. A. H.-Methode ge- 
färbten Präparate sind für das Studium des Eikernes wenig ge- 
eignet aus dem schon oben angeführten Grunde, ich verweise 
daher auf meine alten Befunde aus dem Jahre 1893 (22). Nach 
erfolgter Befruchtung ist die periphere Grube und der erste 
Richtungskörper verschwunden. Die Spindel finden wir etwas 
von der Eiperipherie entfernt seitlich im Dotter liegen, gewöhn- 
lich finden wir dieselbe auf Serien schief durchschnitten. Unge- 
fähr °?/, Stunden nach der Befruchtung lässt sich die Bildung 
des zweiten Riehtungskörpers sehr schön verfolgen. In der Ei- 
peripherie sehen wir eine kleine Einsenkung, in der der zweite 
Richtungskörper sitzt. Derselbe ist ungefähr um die Hälfte 
kleiner als der erste Riehtungskörper und zeigt auf mit Heiden- 
hain’s E.A.H. gefärbten Präparaten eine breite, dunkie Contour 
(Taf. V Fig. 25 5). Die Spindel ist im Gegensatze zur ersten 
Riehtungsspindel nicht tonnenförmig, sondern besitzt eine klare 
Spindelform. DBetreffs der Sphären und Centralkörper kann ich 
nichts Bestimmtes angeben, doch bin ich eher der Ansicht, dass 
diese Gebilde auch bei Petromyzon der Richtungsspindel 
abgehen. 


—1 
en 


Die Reifung u. Befruchtung des Eies von Petromyzon fluviatilis. 


Die Aufnahme des weiblichen Vorkernesin 
das Polplasma. 


Das Polplasma besitzt anfangs die in Taf. V Fig. 25 und 26 
dargestellte Form. Mit der weiteren Entwicklung lässt sich 
constatiren, dass dasselbe allmählich in die Gegend des Eikernes 
hinfliesst, his es die Eiperipherie erreicht, um den Eikern nach 
Bildung des zweiten Richtungskörpers in sich aufzunehmen, wie 
aus den Fig. 27—31 der Taf. V auf das deutlichste zu ersehen 
ist. In Fig. 29 haben wir ein Stadium, wo das sehr in die 
Länge gezogene Polplasma an zwei Stellen der Eiperipherie an- 
liegt; die zwischen diesen zwei Stellen befindlichen Dotterkörner 
werden mit der weiteren Entwicklung aufgelöst (Tat. V Fig. 31). 


Die Absehnürung des Polplasmas von der Ei- 
peripherie und die Conjugation der Vorkerne. 


Wir sahen, dass das Polplasma aktive Bewegungen aus- 
führt, um den Eikern aufzunehmen. Das nächste Stadium, das 
ich auf meinen Serien fand, stellt Taf. VI Fig. 32) dar. 

Das Polplasma hat unter beständiger Assimilation von 
Dotterkörnern bedeutend an Grösse zugenommen und beginnt 
sich von der Eiperipherie zurückzuziehen. Am animalen Pole 
bildet dasselbe eine dünne Kappe, in deren Centrum sich der 
weibliche Vorkern, der eine deutliche gelappte Form besitzt, be- 
findet. Die grössere Masse des Polplasmas ist schon in den 
Dotter hineingerückt und ist durch einen breiten Hals mit der 
Peripherie verbunden; in der Mitte der grösseren Masse liegt der 
inännliche Pronucleus. Die Fig. 32—36 der Taf. VI zeigen uns 
die Absehnürung des Polplasmas von der Eiperipherie, der Hals 
desselben wird immer dünner und dünner, wobei besonders auf 
manchen Präparaten (Taf. VI Fig. 35) zahlreiche grosse Vacuolen 
in demselben auftreten, und wird allmählich vollkommen vom 
Dotter verdrängt, nur aus einer lockereren Anordnung der Dotter- 
körner an dieser Stelle erkennen wir noch seine Spuren (Taf. VI 


1) Die Figuren 32 bis 37 der Tafel VI sind im Original bei der- 
‘selben Vergrösserung (Reichert Objeetiv 8, Ocular 3) gezeichnet, wie 
die meisten Figuren der übrigen Tafeln. Da dieselben aber zu gross 
ausfielen, musste ich sie um ein Drittel verkleinern lassen, worauf ich 
auch hier besonders aufmerksam mache, um das richtige Grössenver- 
hältniss im Auge zu behalten. 


76 Karl Herfort: 


Die eben beschriebenen grossen Flüssigkeitsvacuolen können 
wir nicht nur in der Gegend des Halses, sondern überall in dem 
das Polplasma umgebenden Dotter wahrnehmen, wie sie besonders 
zahlreich auch Böhm (8) in seinen Figuren 25 bis 30 zeichnet. 
Das Polplasma bildet das Centrum einer besonders auf manchen 
Präparaten deutlich zum Ausdruck kommenden Radiation, indem 
die Dotterkörner um dasselbe radienartig angeordnet sind. Das 
Polplasma hat bedeutend an Masse zugenommen, dabei aber wird 
seine Struetur weit lockerer, grobschaumiger, dureh Bildung von 
zahlreichen Flüssigkeitsvacuolen in demselben. Bei stärksten 
Vergrösserungen, aber besonders auf mit v. Raths Pikrinplatin- 
chloridosmiumessigsäurelösung conservirten Präparaten, erkennen 
wir zwischen diesen aufs deutlichste die feine alveoläre Structur 
des Protoplasmas. Die wellige Membran, die wir als breites das 
Polplasma vom Dotter trennendes Band kennen gelernt haben, 
wird immer dünner, oft zackig und löst sich stellenweise voll- 
kommen auf; sie scheint in diesen Stadien ihre Rolle schon aus- 
gespielt zu haben und zu zerfallen. 

Welehe Veränderungen beobachten wir in diesen Stadien 
an den Vorkernen ? 

In Taf. V Fig. 26 uud 27 sahen wir, dass dem männlichen 
Vorkerne, der eirca 6u gross ist und schon Kugelgestalt ange- 
nommen hat, eine deutliche Sphäre anliegt, welche eine spindel- 
förmige Gestalt besitzt und in der auf gut entfärbten Präparaten 
zwei Centralkörper sich befinden. Das nächste Stadium, das ich 
in meinen Serien besitze, ist in Taf. VI Fig. 32 dargestellt. Der 
männliche Vorkern ist bedeutend gewachsen (12 u) und um den- 
selben kommt es zur Bildung eines eigenthümlichen Gebildes, 
nämlich eines hellen Hofes, der besonders auf mit Eosin nach- 
gefärbten E. A. H.-Präparaten schon bei schwacher Vergrösse- 
rung ungemein deutlich hervortritt, indem das übrige Polplasma 
sich roth färbt, während dieser den männlichen Vorkern um- 
gebende Hof ungefärbt bleibt bis auf plasmatische Fäden, die 
vom Kern zur Peripherie dieses Hofes ziehen, und die sieh mit 
Eosin weit intensiver färben als das umliegende Protoplasma. 

Auf nur mit Heidenhain’s E. A. Hämatoxylinmethode 
gefärbten, besonders auf stark entfärbten Präparaten machte 
dieser helle Hof um den männlichen Pronucleus zuerst den Ein- 
druck eines Artefactes, dadurch entstanden, dass bei der Conser- 


1 
I 


Die Reifung u. Befruchtung des Eies von Petromyzon fluviatilis. 


virung sich das Protoplasma vom Kern retrahirte, doch war mir 
schon in diesen Präparten auffallend, warum dies beim weib- 
Jiehen Pronucleus nicht der Fall ist, der in denselben Präparaten, 
oft auf demselben Schnitte von einem die alveoläre Structur des 
übrigen Polplasmas aufweisenden Protoplasma umgeben wird. 
E. A. H.-Präparate, die mit Eosin nachgefärbt wurden, lehrten 
mich, dass es sich um ein Artefact nicht handeln kann, sondern 
dass dieser helle Hof um den männlichen Pronucleus schon in 
vivo vorhanden sein muss. Ehe ich auf eine genauere Structur- 
beschreibung desselben eingehe, will ich gleich hier anführen, 
dass in diesen hellen Hof der weibliche Vorkern hineinrückt, 
der von der Peripherie durch den Hals des Polplasmas auf den 
männlichen Vorkern zusteuert, wie es die Fig. 32—35 der 
Taf. VI zeigen. In diesem Hofe finden wir dann die conjugirten 
Vorkerne (Taf. VI Fig. 36). 

Betrachten wir den hellen Hof um den männlichen Vor- 
kern bei starken Vergrösserungen, so erkennen wir auf günstigen 
Präparaten besonders beim Drehen der Schraube, dass er sich 
aus grösseren und kleineren Abtheilungen, Kammern zusammen- 
setzt, die in den Präparaten Hohlräume sind, in vivo wohl von 
einer Flüssigkeit erfüllt sein müssen. Dieselben umgeben auf 
manchen Präparaten fast symmetrisch den Kern (Taf. VI Fig. 33), 
ihre Scheidewände erscheinen auf optischem Querschnitte als 
doppelt contourirte plasmatische Fäden, die sich am Kerne in- 
seriren und bogenförmig wieder zu demselben zurückkehren. An 
diese den Kern unmittelbar umgebenden Hohlräume können sich 
noch grössere und kleinere Fächer ansetzen. 

Diese blasige Structur des den männlichen Vorkern um- 
sebenden Hofes können wir nur auf sehr gut conservirten Prä- 
paraten wahrnehmen. Bei der Conservirung kommt es nämlich 
oft, wie ich dies besonders bei meinen Sublimatpräparaten be- 
obachten konnte, durch Retraction des umgebenden Protoplasmas 
zu einer Deformirung des ganzen Gebildes, die Wände der eben 
beschriebenen Hohlräume platzen, werden beim Schneiden zer- 
rissen, beim Färben und Auswaschen der Schnitte vielfach weg- 
geschwemmt und dann erhalten wir Bilder, die erst schwer zu 
verstehen sind. Der Kern befindet sich nämlich in einem breiten 
hellen Hofe, hie und da geht von ihm ein Faden aus, der in 
dem Hofe blind endet, oder liegt ein Bruchstück der plasma- 


78 Karl Herfort: 


tischen Scheidewände lose in dem letzteren (Tafel VI Fig. 
34, 39). 

Was stellt uns dieser Hof dar? Ich kann, trotzdem ich 
eine grosse Zahl von Präparaten bei den stärksten Vergrösse- 
rungen durchstudirt habe, auf diese Frage keine bestimmte Ant- 
wort geben. Sicher ist, dass es sich nicht um ein Artefaet handeln 
kann, sondern dass dieser Hofschon in vivo vorhanden sein muss. 

Ein Uebergangsstadium von den in Taf. V Fig. 26, 27 abge- 
bildeten Verhältnissen zu diesen Stadien konnte ich nicht finden 
und das ist der Grund, warum ich mit der ausführlichen Arbeit 
so lange aussetzte, da ich gerade auf die Beantwortung dieser 
Frage mein Hauptaugenmerk lenkte und in der Hoffnung, ein 
Uebergangsstadium zu finden, eine grosse Zahl von Befruchtungs- 
stadien zerschnitt, aber leider mit negativem Resultate. Ich werde 
im allgemeinen Theile nochmals auf diesen Hof zu sprechen kommen 
und zeigen, dass ein ähnliches Gebilde schon von anderen Au- 
toren beschrieben wurde. Was die Deutung dieses hellen Hofes 
um den männlichen Vorkern besonders erschwert, ist der Um- 
stand, dass in diesen Stadien jede Radiation um den Kern fehlt, 
wodurch das Auffinden der Sphären fast unmöglich wird. Ich 
fand oft (Taf. VI Fig. 33, 36) an entgegengesetzten Seiten des 
Hofes im umliegenden Polplasma feinschaumige Protoplasmaan- 
häufungen, die als Sphären gedeutet werden könnten, doch wage 
ich es nicht, dies mit Bestimmtheit zu behaupten. Es müssen 
hier jedenfalls chemische Processe eine Rolle spielen, die das 
den männlichen Vorkern umgebende Protoplasma in dieser Weise 
verändern. 

Der männliche Vorkern ist auf allen Präparaten, wo er 
von dem eben beschriebenen Hofe umgeben wird, schon bedeutend 
vergrössert. Während er auf Pröparaten, wo ihm eine Sphäre 
anlagert, (Taf. V Fig. 26, 27) ca.6 u misst, beträgt sein Durch- 
messer auf diesen Präparaten 12—15 u. Seine Gestalt ist rund 
oder oval. Weiter ersehen wir aus den Fig. 32—35 der Taf. VI, 
dass der männliche Vorkern in den Stadien, wo er von dem Hofe 
umgeben wird, keine Ortsveränderungen macht, sondern ungefähr 
im Centrum der Masse des Polplasmas liegt, während gerade in 
diesen Stadien der weibliche Vorkern in reger Bewegung sich 
befindet, indem er von der Eiperipherie durch den Hals des Pol- 
plasmas auf den männlichen Vorkern zusteuert. 


1 
(de) 


Die Reifung u. Befruchtung des Eies von Petromyzon fluviatilis. 


Dies geschieht nicht immer direct, sondern manchmal, wie 
es Taf. VI Fig. 33 zeigt, in einer Bogenlinie, indem er zuerst 
seitlich vom männlichen Vorkern zu liegen kommt und sich erst 
dann direkt auf den männlichen Vorkern hinbewegt. Das den 
weiblichen Vorkern umgebende Protoplasma unterscheidet sich 
in nichts von dem übrigen Polplasma, Sphären oder Central- 
körper habe ich nirgends constatiren können. 

Der weibliche Pronucleus geht aus der lappigen (Taf. VI 
Fig. 52) in eine runde Gestalt über, seine Grösse beträgt auf 
diesen Stadien 9—12 u. Fast immer ist er, wie aus den 
Fig. 32—35 d Taf. VI zuersehen ist, kleiner als der männliche 
Vorkern, doch besitze ich zwei Serien, wo das Gegentheil der 
Fall ist. 

Auf Taf. VI Fig. 34 sehen wir, dass derselbe sehon den 
Hof des männlichen Vorkernes erreicht hat. Er wandert nun in 
den Hof hinein und konjugirt sich mit dem männlichen Vorkerne. 
Präparate dieser Art, wo die beiden konjugirten Vorkerne von 
einem hellen Hofe umgeben sind, besitze ich eine grosse Zahl. 
Auch in diesem Stadium fehlt jede Radiation. 

Was ist nun das eigenthümliche Gebilde, das Böhm (8) 
in seinen Figuren 28, 29, 30 zeichnet? Er fand im Polplasma 
an der Stelle, wo ich den männlichen Vorkern mit seinem Hofe 
beschreibe, eine aus grösseren und kleineren Kugeln combinirte 
Gruppe vor, von der einseitig eine Strahlung ausgeht. Diese 
Gruppe besteht (Böhm Fig. 25) aus fünf schwächer gefärbten 
grösseren und etwa zwanzig kleineren stärker gefärbten Kugeln. 
Die in der Fünfzahl vorhandenen grösseren Kugeln, die in nächster 
Beziehung zu den Strahlen stehen, hält er für die Spermato- 
meriten. Die kleineren stärker gefärbten Kugeln sollen nach 
Böhm aus einer Zerklüftung des weiblichen Vorkernes hervor- 
gegangen sein, und werden von diesem Autor als Ovomeriten 
bezeichnet. In seiner Fig. 29 besteht diese Gruppe aus zwölf 
grösseren und sechzig kleineren Kugeln. Derselben liegt ein 
sphärenartiges Gebilde an, das den Ausgangspunkt einer deut- 
lichen Radiation bildet. Aus seiner Fig. 30 ersehen wir, dass 
jedes einzelne Kügelchen dieser Gruppe, jeder Merit, aus zwei 
Theilen besteht, nämlich aus einer quantitativ bedeutenderen, sich 
schwach färbenden, peripheren Hauptmasse und aus einem, manch- 


80 Karl Herfort: 


mal zwei intensiv tingirten Körperchen, denen Böhm den Namen 
Mikrosomen des Meriten gegeben hat. 

Diesen Angaben Böhm 's stehe ich vollkommen rathlos ge- 
genüber; sicher ist aber die von Böhm gegebene Deutung dieses 
Gebildes irrig; vielleicht sind es gerade die Stadien der Bildung 
des hellen Hofes um den männlichen Vorkern, die zu finden mir 
nicht gelungen ist. 


Der Furchungskern. 

So unverständlich die Verhältnisse durch Bildung des eben 
beschriebenen Hofes um den männlichen Vorkern sich gestalteten, 
so werden dieselben wieder mit der weiteren Entwicklung ganz 
klar, Befunde, wie ich sie im Anatomischen Anzeiger (24) bereits 
beschrieben und gezeichnet habe. 

Das Polplasma rückt immer tiefer in den Dotter. Es be- 
steht aus zwei Theilen: 

l. aus einem grösseren oberen Theil, der im allgemeinen 
eine linsenförmige Gestalt besitzt und besonders auf manchen 
Präparaten sehr in die Länge gezogen ist. Am obern Pole hat 
derselbe eine Ausbuchtung, die die letzte Spur des in früheren 
Stadien das Polplasma mit der Eiperipherie verbindenden Halses 
desselben ist; 

2. aus einem kleineren, die Kerne respective die Spindel 
enthaltenden Theile, der auf Durchschnitten als eine rundliche 
Ausbuchtung der grösseren oberen Polplasmamasse auf deren 
Unterseite erscheint. 

Die wellige Membran ist in diesen Stadien zumeist ge- 
schwunden, nur auf einigen Präparaten fand ich dieselbe die 
Unterseite der linsenförmigen oberen Polplasmamasse als dünner 
Saum begrenzend, während sie in dem die Kerne oder Spindeln 
enthaltenden unteren Polplasmatheile niemals zu finden war. 

Der oben beschriebene helle Hof um die Vorkerne ist ge- 
schwunden. Die conjugirten Vorkerne, die aus der runden in 
eine ovale Gestalt übergegangen sind, haben an ihren Polen 
deutliche Sphären. Die Vorkerne sind beide gleich gross, ihr 
längster Durchmesser beträgt circa 24 u!). Die Sphären sind 


1) Die Messungen wurden mit dem Zeiss’schen Compensations- 
Ocular 6 mit !/, Mikron-Theilung ausgeführt. Ich muss hier auf einen 
Fehler in meiner kurzen Mittheilung (24) aufmerksam machen, in der die 


Die Reifung u. Befruchtung des Eies von Petromyzon fluviatilis. 81 


eirca 6 u breite, kugelige Gebilde und besitzen besonders auf 
Ösmiumpräparaten eine deutliche feinschaumige Struetur; auf 
mit Heidenhain’s E. A. H.-Methode tingirten Präparaten treten 
sie als dunkle Kugeln schon bei schwachen Vergrösserungen sehr 
deutlich hervor. Auf einigen Präparaten fand ich mit Zeiss 
homogener apochromatischer Immersion einen kleinen Central- 
körper, der von einem hellen Hofe umgeben ist, der sich aus 
schwächer gefärbten Alveolen zusammensetzt. Die Sphären sind 
auf manchen Präparaten schön rund, doch besitze ich Serien, 
wo ihre Begrenzungslinie unregelmässig erscheint; auf solchen 
Präparaten ist auch die Radiation schwächer entwickelt; ich 
glaube, dass diese ein Vorstadium der ersteren sind. Die Radien 
sind keine Fäden, sondern Alveolenzüge, deren Wände uns als 
Fäden erscheinen, die einen vielfach geschlängelten Verlauf be- 
sitzen. Diese Radien verlieren sich allmählich im Polplasma und 
wie wir auch später bei der Furchungsspindel beschreiben wer- 
den, kreuzen sich die den Vorkernen zunächst gelegenen Strahlen 
der einen Sphäre mit denen der anderen. Der obere Theil des 
Polplasmas besitzt ein stark gelockertes Gefüge, was durch Ein- 
lagerung zahlreicher Flüssigkeitsvacuolen wohl zu erklären ist. 
Die beiden Vorkerne verschmelzen zu einem Furchungskern, der 
eine Länge von 30 u besitzt. Er ist ebenso wie die Vorkerne 
von einer deutlichen Membran begrenzt, die aber in der Gegend 
der Sphären aufhört. Er lässt noch seine Entstehung aus den 
beiden Vorkernen erkennen; seine eigentliche Structur ist schwer 
zu enträthseln. Wie bei den Vorkernen, so fand ich auch in 
diesem grosse Hohlräume; die Peripherie zeigt immer ein dichteres 
Gefüge und sind hier zahlreiche Nucleolen eingelagert. 

Wir unterscheiden in den Vorkernen wie im Furchungskern 
einige grössere rundliche, manchmal auch nierenförmige, und zahl- 
reiche winzige brockenförmige Nucleolen, die letzteren oft zu 
Längsreihen oder kleinen Gruppen angeordnet. Die eigentliche 
Struetur der Kerne kann ich aus meinen Präparaten nicht er- 
kennen. Sehr deutlich tritt der bogenförmige Verlauf der Sphären- 
strahlen um den Furchungskern und zwar mit nach der Eiober- 


Dimensionen nicht richtig angegeben sind; die dort angegebenen 
u-Werthe sind nur die Zahlen der von dem Bilde des gemessenen Ob- 
jeetes in einem gewöhnlichen Mikrometerocular bedeckten Intervall- 


theile, aber nicht u, wie ich dort annehme. 
Archiv f. mikrosk. Anat. Bd. 57 6 


83 Karl Herfort: 


fläche gerichteter Konvexität hervor. Weiter konnte ich wahr- 
nehmen, dass an der Grenze zwischen dem grobschaumigen oberen 
Theile des Polplasmas und dem den Furchungskern mit den 
Sphären enthaltenden unteren Theile eine Einwanderung von 
Dotterkörnern in das Polplasma erfolgt. 


Die erste Furchungsspindel. 

Die Bildung der Spindel habe ich nicht beobachten können, 
dafür besitze ich mehrere schöne Präparate der Spindel selbst. 
Dieselbe ist zunächst tonnenförmig und hat auf diesem Stadium 
die Grösse des Furchungskernes, also circa 30 u. Die Sphären 
sind auf optischem Querschnitte rundlich oder halbmondförmig, 
wie dies schon Böhm angiebt. Die Chromosomen, die anfangs 
zerstreut in der Spindel liegen, stellen sich zu einer Aequatorial- 
platte zusammen. Sie sind meist brockenförmig, doch haben 
sich einige in dünne, gebogene Stäbchen umgewandelt. 

In der Metaphase zieht sich die Spindel bedeutend in die 
Länge, dabei wird sie immer dünner und dünner, ihre peripheren 
Fäden immer weniger und weniger gebogen. 

Die Sphären weisen eine „[einschaumige“ Struetur 
auf und besitzen auf diesen Stadien eine Grösse von eirca 12 u. 
Auf einigen Präparaten konnte ich in ihrem Centrum einen deut- 
lichen kleinen Oentralkörper wahrnehmen, der von einem aus 
schwächer gefärbten Alveolen bestehenden Hofe umgeben wird. 
Die Radiatien ist im Stadium der Metaphase am deutlichsten 
entwickelt, besonders tritt jetzt die Kreuzung der beiden Strahlen- 
systeme sehr deutlieh hervor. Während der Metakinese vermehrt 
sich die Zahl der stäbehenförmigen Chromosomen, doch tinden 
wir ausser diesen immer noch brockenförmige. Die Zahl der 
Chromosomen ist eine grosse, ein Zählen derselben ist unmöglich. 
Ueber die Structur der Spindel kann ich Folgendes aussagen: 
Am deutlichsten tritt dieselbe hervor im Stadium der Metakinese 
in dem mittleren, zwischen den Tochterplatten sich erstreekenden 
Theile der Spindel. Bei stärkeren Vergrösserungen sehen wir 
hier vielfach geschlängelte, selten ganz gerade verlaufende Fäden, 
die in der Mitte breiter sind als an den Enden. Mit Bestimmt- 
heit konnte ich bei stärksten Vergrösserungen Querverbindungen 
zwischen den Fäden constatiren. 

Auf mehreren Präparaten konnte ich eine schiefgestellte 


Die Reifung u. Befruchtung des Eies von Petromyzon fluviatilis. 83 


Spindel wahrnehmen, gewöhnlich aber steht dieselbe senkrecht 
auf der Längsaxse des Eies. Diese Einstellung geschieht schon 
im Stadium der Conjugation der Vorkerne, indem sich die durch 
die gemeinsame Berührungsfläche der Vorkerne auf die Sphären- 
centren gelegte Copulations-Ebene (Rückert 43) senkrecht 
auf die Längsaxse orientirt; diese Einstellung kann aber auch 
später erfolgen. 

Mit der weiteren Entwicklung sehen wir an den Polen der 
Spindel grosse ovale, „grobschaumige“ Gebilde, deren längster 
Durchmesser 48 u, der kürzeste 32 u beträgt. Schon bei schwachen 
Vergrösserungen nehmen wir in»der Mitte dieser so mächtig an- 
gewachsenen Sphären eine Verdichtungszone wahr, in der Central- 
körper zu finden, mir nicht gelungen ist; desgleichen zeigt die 
Peripherie der Sphären eine dichtere Structur. 

Die Querverbindungen zwischen den Fäden sind auf diesem 
Stadium sehr deutlich zu sehen. Wir sehen eigentlich nur in der 
Mitte Fäden, während gegen die Tochterplatten zu sich die 
Fäden in Alveolen auflösen; auch zwischen den Chromosomen 
der Tochterplatten konnte ich Alveolen wahrnehmen. — Ober- 
halb der Spindel seben wir im Polplasma an der Grenze seines 
oberen und unteren Theiles eine Schicht von Dotterkörnern, 
deren Einwanderung ins Polplasma wir schon im Stadium des 
Furchungskernes verfolgen konnten. 


Die erste Theilunse. 
fo) 


In Taf. VI, Fig. 38 ist die beginnende Theilung des Eies 
abgebildet. Das Polplasma hat sich in ein hantelförmiges Ge- 
bilde ausgezogen und bildet den Ausgangspunkt einer deutlichen 
Radiation im umliegenden Dotter. Das Mittelstück des Polplasmas 
lässt schon bei dieser Vergrösserung eine feine Streifung als 
letzten Rest der Spindelfäden erkennen. Bei stärksten Ver- 
grösserungen sind auch hier zwischen den Fäden aufs deutlichste 
Querverbindungen wahrzunehmen. Das Polplasma jeder Blastomere 
besteht wieder aus den zwei T'heilen, die wir schon am unge- 
theilten Ei beobachtet haben: 

1. aus dem oberen Theile, der auch hier auf manchen 
Präparaten sehr in die Länge gezogen ist und in den Hals des 
hantelförmigen Gebildes übergeht; 

2. diesem oberen Theile sitzt der kugelige untere Theil 


84 Karl Herfort: 


auf, der die in einem hellen Hofe gelegenen Tochterkerne 
enthält. 

Am animalen Pole beginnt schon die Einschnürung des 
Eies. — Auf vorhergehenden Stadien, wo noch das Ei rund ist, 
hat das Polplasma mehr die Gestalt eines Schmetterlinges. Das 
Mittelstück ist noch viel breiter, zwischen dem oberen und dem 
den Tochterkern enthaltenden unteren Theil jeder Theilhälfte ist 
eine tiefe Einkerbung, wodurch das Polplasma die Schmetterlings- 
gestalt annimmt. Auf solchen Präparaten besteht der Kern aus 
einigen grösseren und kleineren Theilstücken. Dieselben machen 
den Eindruck von Blasen, in deren Randschicht wir grössere 
und kleinere Chromatinschollen eingelagert finden. Auf älteren 
Stadien finde ich schon einen einheitlichen Tochterkern, der 
aber noch eine unregelmässige Gestalt besitzt, bis er zur Bil- 
dung eines ovalen Kernes kommt (Taf. VI, Fig. 37). Auch auf 
diesem Bilde sehen wir noch eine höckerige Ausbuchtung an 
der Kernperipherie. — Das die Tochterkerne umgebende Plasma 
weist eine „grobschaumige* Structur auf. Dieser Hof ist wohl 
aus den riesig angewachsenen Sphären der Furchungsspindel 
hervorgegangen, in die die Chromosomen eingewandert sind, wo 
sie sich zu einem Tochterkerne umbilden. Centralkörper konnte 
ich auch auf diesem Stadium nicht finden. 


II. Allgemeiner Theil. 


1. Auf allen Stadien des Petromyzoneies habe ich einen 
wabigen Bau der Zellsubstanz im Sinne Bütschli’s und von 
Erlanger’s gefunden. Besonders auf jungen Befruchtungstadien, 
wo das Polplasma noch ein dichtes Gefüge besitzt, tritt die 
Wabenstructur aufs deutlichste hervor und lässt sich auf sehr 
dünnen Schnitten auch in den Dotter hinein verfolgen. Mit der 
weiteren Entwicklung wird die Structur des Polplasmas durch 
Einlagerung von Flüssigkeitsvacuolen immer lockerer. Sehr schön 
zeigt die alveolare Struetur die Randschicht des unbefruchteten 
Eies. Auch in betreff der Structur der Sphären und ihrer Radien 
stimme ich mit Bütschli und v.-Erlanger überein. Die Sphären 
zeigen besonders auf Osmiumpräparaten ein deutliches „fein- 
schaumiges“ Gefüge, nur ist bei Petromyzon keine; concentrische 
Anordnung der Waben in den Sphären wahrzunehmen. Auch 


Die Reifung u. Befruchtung des Eies von Petromyzon fluviatilis.. 85 


die Strahlensysteme der Sphären lösen sich in Alveolen auf, 
„deren fortlaufenden Kanten uns als Fäden imponiren“, daher 
der vielfach geschlängelte Verlauf der Radien. Contraetile Fäden 
im Sinne der Muskelfadentheorie (van Beneden, Boveri, 
Kostanecki, M. Heidenheim) die an der Peripherie der 
Eizelle sich inserirten, muss ich für das Petromyzonei ent- 
schieden in Abrede stellen. 

2. Der Spermakopf besteht bei Petromyzon, ehe er sich 
zu einem einheitlichen runden Vorkern reconstruirt, aus einer 
Gruppe kleiner Bläschen. Rückert (44), der ganz ähnliche 
Verhältnisse am Spermakopfe von Pristiurus und Torpedo 
beschreibt, hält diese Zusammensetzung aus Kügelehen für eine 
Täuschung. Auf älteren Stadien tritt nach Rückert erst die 
wahre Structur hervor und „nun erkennt man, dass sie aus einem 
sehr diehtgewundenen Chromatinknäuel besteht, der regelmässige 
rundliche schwächer gefärbte Lücken freilässt“. Für Petro- 
myzon musr ich diese Ansicht Rückert’s bezweifeln, es sind 
dies wirkliche Bläschen, wie sie bei Wirbellosen schon mehrfach 
beschrieben wurden (so Griffin (19) bei Thelassema, 
Katharine Foot (18) bei Allolobophora foetida). 
Diese Bläschen sind wohl identisch den Karyosomen (Platner), 
aus denen sich der weibliche Vorkern und die Tochterkerne 
bilden, wie dies Platner (40), Vejdovsky (51, 52), Wilson 
(59), Griffin (19), Katharine Foot (18), Sobotta (47) und 
andere Autoren angeben. 

3. Aus meiner obigen Darstellung folgt, dass ich, wie 
v. Erlanger (10), die Spermasphäre ebenfalls vom Eieytoplasma 
herleite. 

In Uebereinstimmung mit den Befunden bei Wirbellosen 
finde ich also hinter dem Spermakopfe eine Sphäre. Einen 
Centralkörper, der direet den Ausgangspunkt des Strahlensystemes 
bildete, wie es Sobotta (48), Behrens (2) für das Wirbel- 
thierei angeben, habe ich bei Petromyzon nicht finden 
können. Eine Spermasphäre zeichnet auch für das Wirbel- 
thierei Oppel (39) im Reptilienei, Fick (13) im Amphi- 
bienei. Der Spermakopf wandelt sich in einen runden männlichen 
Vorkern um, wobei die Sphäre sich spindelförmig in die Länge 
zieht, welchem Processe eine Zweitheilung der Centralkörper in 
der Sphäre vorangeht. 


86 Karl Herfort: 


Ich finde dann die schon getheilten Sphären wieder an 
den Polen der schon eonjugirten Kerne. Die die Sphäreneentren 
verbindende Centrenaxe (Rückert [43]) fällt in die Be- 
rührungsebene der Vorkerne, in de Copulationsebene 
(Rückert). Die Sphären bilden mit der weiteren Entwicklung 
die Pole der Furchungsspindel, ohne zuerst besondere Verände- 
rungen durchzumachen. Im Stadium der Metaphase beginnen 
sie bedeutend an Grösse zuzunehmen, wobei sie aus der fein- 
schaumigen in eine grobschaumige Structur übergehen. Meine 
Befunde an Petromyzon sind eine vollkommene Bestätigung der 
3efunde Wilson ’s (59) und v. Erlanger’s (12) am Seeigelei, 
Agassiz und Whitman’s (1) an Teleostiereiern, Angaben, die 
schon im Jahre 1886 Vejdovsk y (51) für das Ei von Rynehelmis 
vertrat. In Uebereinstimmung damit sind die Befunde von His 
(26) an Furchungszellen des Forellenkeimes. 

Der Schwerpunkt der Angaben dieser Autoren liegt, wie 
auch Lilie (35) für Unio complanata nachgewiesen hat, 
darin, dargethan zu haben, dass die Sphären der Spivdel riesig 
anwachsen und dann die Tochterkerne in sich aufnehmen. Die 
direkte Einwanderung der Tochterkerne in die Sphären habe 
ich bei Petromyzon nicht beobachtet, doch schliesse ich darauf, 
da ich die Tochterkerne von einem grobschaumigen Hofe um- 
geben fand, den ich als Sphäre deute. 

Centralkörper habe ich auf diesen Stadien nicht gefunden. 
Auch v. Erlanger (12) zeichnet in dem zweigetheilten Ei die 
Tochterkerne von grobschaumigen Sphären umgeben, in denen 
ihm auch Centralkörper zu finden nicht gelang. 

Wie bilden sich nun die in den mächtig angewachsenen 
Sphären gelegenen Tochterkerne in die nächste Spindel um? 
Darüber geben uns heute nach meiner Meinung den besten Auf- 
schluss die interessanten Befunde Vejdovsky's (Bl, 52) an 
Rynchelmiseiern. Dieser Autor hat gemeinsam mit Mräzek (56) 
seine alten Befunde einer Controle unterzogen und fand seine 
alten Angaben vollauf bestätigt. Die wunderbaren Präparate 
dieser Autoren, die Vejdovsky (57) auf dem IV. internationalen 
zoologischen Congresse in Cambridge 1898 (57) demonstrirt hat, 
müssen jeden, der sie gesehen hat, von der Richtigkeit ihrer 
Angaben überzeugen. 

Nach diesen Autoren findet in der riesig angewachsenen 


Die Reifung u. Befruchtung des Eies von Petromyzon uviatilis. 87 


Sphäre eine endogene Bildung der Tochtersphäre um den 
Centralkörper in Gestalt eines hellen Hofes statt. Der Central- 
körper theilt sich, worauf die Theilung der Tochtersphäre er- 
folgt. So entsteht die Centralspindel, in die die fertigen Tochter- 
kerne eindringen. 

Innerhalb der centralen Tochtersphäre (Toechterperiplaste) 
befindet sich ein kleiner Centralkörper, wie sich Vejdovsky 
und Mräzek (56) auf mit E. A. H. gefärbten Präparaten über- 
zeugen konnten. 

Diese von Fol (17) bekämpfte „Einschachtelungstheorie* 
sewann durch die Befunde von His (26) an Furchungszellen der 
Forellenkeimscheibe eine vollkommene Bestätigung. 

Wie schon Henneguy (21) angibt, entstehen nach den 
Befunden von His auch hier „die Tochtersphären im Innern 
der Muttersphäre, während diese mehr und mehr sich ausweitet 
und schliesslich randwärts sich verliert. Es ist ein Verhalten, 
das man demjenigen von sich folgenden Ringwellen vergleichen 
kann. Um die Centrosomen kommt es zu einer Verdiehtung bez. 
zu einem dichteren Zusammenströmen des Plasmas; nach Art 
einer Ringwelle breitet sich die primäre Verdichtungszone aus, 
immer weitere Kreise beschreibend, und während sie so dem 
Zellenrande zustrebt, entstehen in ihrem Innern neue Wellen- 
ringe, die nach denselben Gesetzen sich weiter entwickeln. Will 
man das Bild noch weiter führen, so kann man die von der 
Peripherie aus vor sich gehende und centralwärts fortschreitende 
Wiederverdiehtung des primären Innenhofes mit einer zurück- 
seworfenen Welle vergleichen. Soviel steht fest, dass 
die Tochtersphären neue Bildungen sind, die nicht 
aus der Theilung deralten Sphäre sich ableiten 
lassen“}). 

Für die endogene Entstehung der achromatischen Figur 
in den Muttersphären sprechen auch die Befunde, die an den 
Richtungsspindeln Mac Farland (34) in Molluskeneiern, van 
der Strieht (50) im Ei von Thysanozoon Brocchi gemacht 
haben. Ich theile also die Ansicht der Autoren, die die Tochter- 
sphären für neue Bildungen ansehen, während die Centralkörper 


1) Ich habe mir erlaubt, den letzten Satz des Citates durch ge- 
sperrten Druck hervorzuheben. 


tote) Karl Herfort: 


„permanente Organe“ darstellen. Die grossen kugeligen 
Gebilde an den Polen der ersten Furcehungsspindel 
im Wirbelthiereie sind also Sphären (Periplaste, Centro- 
sphären [Vejdovsky], Centroplasmen [v. Erlanger]) mit 
Centralkörpern, nicht riesig angewachsene Gentrosomen, 
wie Sobotta (47,48) und Behrens (2) im Sinne Boveri’s (6) 
annehmen. 

4. Der heikelste Punkt meiner Untersuchungen ist jener 
helle Hof, den ich auf bestimmten Stadien um den männlichen 
Vorkern bei Petromyzon ausgebildet fand und in den auch der 
weibliche Vorkern einwandert. Wie dieser Hof entsteht, wie er 
verschwindet, was während seines Bestehens die Sphären und 
Centralkörper machen, darauf kann ich keine Antwort geben. 

Dasselbe Gebilde wurde nach meiner Meinung schon von 
Oppel (39) im Wirbelthierei beschrieben. In Fig. 7 und 8 
seiner Abhandlung zeichnet Oppel in einer Keimscheibe von 
Anguis fragilis (Fixirung: Sublimateisessig) ganz dasselbe Ge- 
bilde, wie ich es bei Petromyzon beschreibe. Oppel hält 
diesen Hof für ein Artefact, das erst unter Einwirkung der Fixirungs- 
mittel entstanden ist, bedingt entweder durch Schrumpfung der 
Kerne oder durch Schrumpfung und Retraetion der Umgebung. 
Die zweite Möglichkeit, „dass die Höhle im Leben bestände und 
von einem sehr wenig feste Bestandtheile enthaltenden Theil 
des den Furchungsdotter durchziehenden Protoplasmas erfüllt 
wäre“, erscheint diesem Autor als weniger wahrscheinlich. 

Auch bei Wirbellosen zeichnet ein ähnliches Gebilde Vej- 
dovsky (52) in Taf. VI, Fig. 15 seiner Entwicklungsgeschicht- 
lichen Untersuchungen. 

Zum Schlusse erlaube ich mir, meinem theueren Lehrer, 
Herrn Professor Vejdovsky, dessen Anregung diese Arbeit ihre 
Entstehung dankt und der mir seine reichhaltige Bibliothek zur 
Verfügung stellte, und meinem Chef, Herrn Dr. HraSe, Direetor 
der königlichen böhmischen Landesirrenanstalt in Dobran, der 
unser ärztliches Laboratorium meinen Zwecken entsprechend her- 
richten liess und meine wissenschaftlichen Intentionen in jeder 
Weise förderte, meinen tiefgefühlten Dank auszusprechen. 


Die Reifung u. Befruchtung des Eies von Petromyzon fluviatilis. 89 


Erklärung der Abbildungen auf Tafel IV, V und Vl. 


Tafel IV, 


Fig. 1—5. Das unbefruchtete Ei. 

Fig. 1. Vergröss. Reichert Obj. 4, Oc. 3. Am animalen Pole das 
Polplasma als eine feingranulirte sichelförmige Protoplasma- 
anhäufung, die übrige Eiperipherie nimmt eine durch Ein- 
lagerung zahlreicher grosser Flüssigkeitsvacuolen grobschäu- 
mige Randzone ein. Seitlich in einer Grube der Eiperipherie 
der erste Richtungskörper, darunter die Spindel. Radiation 
der Dotterkörner um die Grube. v. Rath. — E.A.H. 

Fig. 2. Vergröss. Reichert Obj. 8, Oc. 3. Der animale Pol des un- 
befruchteten Eies. Das Polplasma zeigt eine alveoläre Structur. 
Die Verdiekung der beiden Eihäute. Der äusseren Eihaut 
sitzt die Flocke in Gestalt eines halbmondförmigen, aus ein- 
zelnen unregelmässigen Fransen bestehenden Gebildes auf. 
v. Rath. E.A.H.-Eosin. 

Fig. 3. Vergröss. Reichert. Hom. Immers. !/s. Die Richtungsspindel 
und der erste Richtungskörper. v. Rath. Delaf. Hämatoxylin. 

Fig. 4. Vergröss. Zeiss. Homog. apochrom. Imm. 2, Compens.-Ocul. 8. 
Die grobschäumige Randzone. v. Rath m. Osmium. E. A.H. 

Fig. 5. Dieselbe Vergröss. Tangentialschnitt durch dieselbe. v. Rath 
m. Osm. E.A.H. 

Fig. 6. Vergröss. Reichert Obj.8, Ocul.3. Befruchtungsstadium 5 Mi- 
nuten nach vorgenommener Befruchtung conservirt. Seitliche 
Retraktion der Eiperipherie von der Eihaut. Plasmatische 
Tropfen an der Eiperipherie. Polplasma zum Axenstrang um- 
gewandelt, in demselben der Spermakopf. Unter dem Pol- 
plasma schwächer gefärbter Dotter. An der äusseren Eihaut 
Reste der Flocke mit eingelagerten Spermatozoön. v. Rath 
m. Osm. E.A.H. 

Fig. 7. Dieselbe Vergröss. Befruchtungsstadium nach 5 Minuten con- 
servirt. Einschnürung des Axenstranges. Polplasma stark 
vermehrt, gegen den Dotter zu von der gezackten „welligen 
Membran“ umsäumt, die in den Dotter wurzelfadenartige Aus- 
läufer entsendet. v. Rath m. Osm. E. A.H. 

Fig. 8. Dieselbe Vergröss. Aehnliche Befruchtungsstadien wie in 
voriger Figur — nach 1 Stunde 45 Minuten conservirt. Die 
Querstreifung der welligen Membran sehr deutlich. v. Rath 
m. Osm. — E.A.H. 

Fig. 9-18. Vergröss. Reichert Homog. Immers. !/ı;. Ocul. 3. 

Fig. 9. Ein der Eimembran anliegendes freies Spermatozoon. v. Rath 
m. Osm. — E.A.H. 

Fig. 10. Spermatozoon aus der Flocke mit deutlichem Mittelstück. v. 
Rath m. Osm. — E.A.H. 


90 


Karl Herfort: 


Fig. 11—21. Die ersten Veränderungen des Spermatozons im 
befruchteten Ei. 


Fig. 11. Nach 15 Minuten conserv. — v. Rath m. Osm. — E.A.H. 
Fig. 12. Nach 5 Minuten conserv. — v. Rath m. Osm. — E.A.H. 
Fig. 13. Nach 5 Minuten conserv. — v. Rath m. Osm. — E.A.H. 
Fig. 14. Nach 5 Minuten conserv. — v. Rath m. Osm. — E.A.H. 
Fig. 15. Nach 10 Minuten conserv. — Sublim.-Eisess. — E. A.H. 

Fig. 16. Nach 5 Minuten conserv. — v. Rath m. Osm. — E.A.H. 

Fig. 17. Nach 15 Minuten conserv. — v. Rath m. Osm. — E.A.H. 

Fig. 18. Nach 15 Minuten conserv. — v. Rath m. Osm. — E.A.H. 

Fig. 19—26. Vergröss. Zeiss. Homog. apochrom. Immers. 1,30. 
Compens.-Ocul. 8. 

Fig. 19. Nach 1 Stunde 10 Minuten conserv. Spermakopf in 3 maul- 
beerförmige Spermatomeriten aufgelöst, von einem hellen, aus 
Alveolen bestehenden Hofe umgeben. Hinter dem Spermakopfe 
eine feinschaumige Sphäre mit Centralkörper. Strahlensystem 
in Alveolen aufgelöst. v. Rath m. Os. — E.A.H. 

Fig. 20. Nach 1 Stunde 10 Minuten conserv. Spermakopf aus Bläschen 


Fig. 


bestehend. Um den Centralkörper ein „Höfchen“. v. Rath. 
EA, H. 


. 21. Nach 1 Stunde 10 Minuten conserv. Traubenförmige Gestalt 


des Spermakopfes. v. Rath. E.A.H. 
Tafel V. 


ig. 22 a—c. Vergröss. Reichert Obj. 8, Ocul.3. Nach 15 Minuten 


eonservirt. Drei hintereinanderfolgende Schnitte derselben 
Serie. Der Axenstrang. In Fig. 22a der Spermakopf im Pol- 
plasma. v. Rath m. Osm. — E.A.H. 


. 23. Dieselbe Vergröss. Nach 10 Minuten conservirt. Der Polzapfen. 


Im Polplasma der Spermakopf, hinter ihm ein „nackter“ Central- 
körper. Sublim.-Eisessig. — E. A. H.-Eosin. 


‚. 24. Vergröss. Reichert. Homog. Immers. Richtungsspindel aus 


derselben Serie. 


. 25a. Vergr. Reichert. Obj. 8, Oc. 3. Nach 1 Stunde 10 Minuten 


conservirt. Spermakopf in Spermatomeriten zergliedert, um- 
geben von einem hellen Hofe. Sphäre mit deutlichem Central- 
körper. Schön ausgebildeter Spermaaster. An der Peri- 
pherie des Polplasmas der letzte Rest des schon eingezogenen 
Polzapfens. v. Rath. E.A.H. 


ig. 25b. Dieselbe Serie und Vergr. Bildung des zweiten Richtungs- 


körpers. Rechts an der Peripherie der Rand des Polplasmas. 


.26a und b. Vergr. Reichert. Obj. 8, Ocul. 3. Nach 1 Stunde 


45 Minuten conservirt. Zwei aufeinanderfolgende Schnitte der- 
selben Serie. Spermakern mit anliegender spindelförmiger 
Sphäre. v. Rath m. Osm. — E.A.H. 

27a undb. Dieselbe Vergr. Nach 1 Stunde 45 Minuten conserv. 
Zwei aufeinanderfolgende Schnitte derselben Serie. Männlicher 


Die Reifung u. Befruchtung des Eies von Petromyzon fluviatilis. 91 


Vorkern mit anliegender Sphäre, in der zwei Centralkörper. 
Das Polplasma beginnt in die Gegend des Eikernes zu fliessen. 
v. Rath m. Osm. — E.A.H. 

Fig. 28. Vergr. Zeiss. Homog. apochrom. Immers. 1,30. Nach 1 Stunde 
45 Minut. conservirt. Lappenförmiger männlicher Vorkern. 
v. Rath m.‘Osm. —- E.A.H. 

Fig. 29. Vergr. Reichert. Obj. 8, Ocul. 3. Nach 2 Stunden 15 Min. 
conserv. Das Polplasma, bedeutend in die Länge gezogen, 
hat fast die Eiperipherie in der Gegend des Eikerns erreicht. 
Der Eikern auf diesem Schnitte nicht vorhanden, aber der 
zweite Richtungskörper in einer Einsenkung der Eiperipherie. 
v. Rath m. Osm. — E.A.H. 

Fig. 30. Dieselbe Vergr. Nach 1 Stunde 10 Minuten consery. Aehn- 
liches Stadium wie vorige Figur. An der Peripherie der zweite 
Richtungskörper. v. Rath. — E.A.H. 

Fig. 31. Dieselbe Vergröss. Nach 1 Stunde 45 Minuten conserv. Auf- 
nahme des Eikerns in das Polplasma. v. Rath mit Osm. — 
E.A.H. 


Tafel VI. 
Die Figuren 32—37 sind bei derselben Vergrösserung (Reichert 

Obj. 8, Ocul. 3) wie die Figuren der anderen Tafeln gezeichnet. Da 

dieselben zu gross ausfielen, liess ich sie um ein Drittel verkleinern. 

Fig. 32. Nach 3 Stunden 15 Minuten conserv. Aus zwei aufeinander- 
folgenden Schnitten combinirt. Das Polplasma bedeutend ver- 
grössert, beginnt in den Dotter sich einzuziehen. An der 
Peripherie der bläschenförmige weibliche Vorkern. In der 
Mitte der Polplasmamasse der von einem hellen Hofe umgebene 
Vorkern. Sublim.-Eisessig. E. A.H. 

Fig. 33. Nach 2 Stunden 45 Minuten conservirt. Der Hals des Pol- 
plasmas beginnt vom Dotter verdrängt zu werden. Der männ- 
liche Vorkern vom Hofe umgeben. Der kleinere weibliche 
Vorkern, rechts von jenem gelegen, ist aus dem nachfolgenden 
Schnitte eingezeichnet. v. Rath. E. A.H. Eosin. 

Fig. 34. Nach 2 Stunden 15 Minuten conservirt. Der weibliche Vor- 
kern knapp neben dem Hofe gelegen. Der nächste Schnitt 
der Serie ist in Fig. 39 dargestellt. v. Rath m. Osm. —E. A.H. 

Fig. 35. Nach 2 Stunden 45 Minuten conservirt. Der Hals des Proto- 
plasmas dünn und von zahlreichen Flüssigkeitsvacuolen er- 
füllt. Der weibliche Vorkern hat gerade diesen Hals passirt 
und liegt oberhalb des vom Hofe umgebenen männlichen 
Vorkernes. v. Rath. E.A.H. — Eosin. 

Fig. 36. Nach 2Stunden 15 Minuten conservirt. Polplasma vollkommen 
abgeschnürt. Der weibliche Vorkern ist in den Hof des männ- 
lichen Vorkernes hineingerückt und conjugirt sich mit diesem. 
v. Rath mit Osmium. E.A.H — Eosin. 


Fig. 


Fig. 


10. 


11; 


Karl Herfort: 


‘, 37. Nach 6 Stunden 45 Minuten conservirt. Querschnitt durch die 


Blastomere des zweigetheilten Eies. Tochterkern in einer grob- 
schäumigen Sphäre gelegen. Sublim.-Eisessig. E.A.H. 


. 38. Vergr. Reichert, Ocul. 4, Obj. 3. Längsschnitt durch das 


sich theilende Ei. Hantelförmige Gestalt des Polplasmas. Im 
Halse der Hantel Reste der Spindelfäden kenntlich. Die Tochter- 
kerne von der Sphäre umgeben. Radiation im Dotter. 
39. Vergr. Reichert. Homog. Imm. !/;; Ocul. 3. Der männliche 
Vorkern in dem hellen Hof, links davon der weibliche Vorkern. 
40. Dieselbe Vergr. Nach 2 Stunden 15 Minuten conservirt. Der 
männliche Vorkern mit dem Hofe. v. Rath m. Osm. E. A.H. 


Literatur -Verzeichniss. 


. Agassiz, A. and Whitman, C. OÖ. The development of Osseous 


Fishes. II. The praeembryoniec stages of Development. P.I. Memoirs 
of the Museum of Comparative Zoology at Harvard College. Vol. 
IV. 1; 51889! 

Behrens, G., Die Reifung und Befruchtung des Forelleneies. 
Inaug.-Dissert. Wiesbaden 1898. (Anat. Hefte Abth. 1, Heft 32.) 
Bellonei, G., Intorno alla cariocinesa nella segmentazione dell’ 
ovo die Axolotl. Reale Accad. dei Lincei. Roma 1883/84. 
Blanc, H., Etude sur la fecondation de l’oeuf de la Truite. Zoolog. 
Abhandlungen, A. Weismann zu seinem 70. Geburtstage gewidmet. 
Ber. Naturforsch. Ges. zu Freiburg i.B. Bd. 8. 1894. 

Boveri, Th., Referat Befruchtung. Ergebn. d. Anat. und Ent- 
wicklungsgesch. Merkel-Bonnet ]J. 1891. 

Derselbe, Ueber das Verhalten der Centrosomen bei der Befruch- 
tung des Seeigeleies etc. Verh. d. phys. med. Ges. zu Würzburg 
Bd. 29. 1895. 

Böhm, A.A., Ueber die Befruchtung des Neunaugeneies. Sitzber. 
d. k. Bayer. Akad. d. W., math.-phys. Kl. 1887. 

Derselbe, Ueber Reifung und Befruchtung des Eies von Petro- 
myzon Planeri. Arch. f. mikr. Anat. Bd. XXXII, 4. Heft. 1888. 
Calberla, E., Der Befruchtungsvorgang beim Ei von Petromyzon 
Planeri. Ein Beitrag zur Kenntniss des Baues und der ersten 
Entwicklung des befruchteten Wirbelthiereies. Habilitationsschrift. 
Zeitschr. f. wiss. Zool. Bd. XXX, 3. Heft. 1877. 

Erlanger, R. v., Beiträge zur Kenntniss der Structur des Proto- 
plasmas, der karyokinetischen Spindel und des Centrosoms. Arch. 
für mikr. Anat. Bd. IX. 1897. (Ausführliches Literaturverzeichniss.) 
Derselbe, De la provenance du corpuscule central (centrosome) 
dans la fecondation. Arch. d’anat. microscop. t. I, fasc. III. 1897. 
(Ausführliches Literaturverzeichniss.) 


Die Reifung u. Befruchtung des Eies von Petromyzon fluviatilis. 93 


13. 


14. 


15. 


16. 


29. 


30. 


Derselbe, Zur Kenntuiss der Zell- und Kerntheilung. II. Ueber 
die Befruchtung und erste Theilung des Seeigeleies. Biol. Central- 
blatt Bd. 18, No. 1. 1898. 


Fick, R, Ueber die Reifung und Befruchtung des Axolotleies. 
Zeitschr. f. wiss. Zool. Bd. 56. 189. 

Derselbe, Mittheilung über die Eireifung bei Amphibien. Verh. 
der Anat. Gesellsch. Tübingen 1899. Ergänzungsheft zu Bd. XVI 
d. Anat. Anz. 


Fischer, A., Fixirung, Färbung und Bau des Protoplasınas. Kri- 
tische Untersuchungen über Technik und Theorie in der neueren 
Zellforschung. Jena. G. Fischer 1899. 

Flemming, W., Ueber den morphologischen Bau der Zelle. Er- 
öffnungsrede, Verh. d. Anat. Ges. Tübingen. Ergänzungsheft zu 
Bd. XVl dd. Anat. Anz. 1899. 


Fol, H., Lehrbuch der vergleichenden mikroskopischen Anatomie. 
Leipzig 1887, 1896. 


. Foot, Katharine, The origin of the Cleavage Centrosomes. 


Journ. of Morph. Vol. XXII, No. 3. 1897. 


Griffin, Br. B, The History of the achromativ structures in the 
Maturation and Fertilization of Thalassema. Transactions. N.-Y. 
Acad. Sci. June 2, 1896. 


. Häcker, V., Praxis und Theorie der Zellen und Befruchtungslehre. 


Jena. G. Fischer 1899. 


. Henneguy, L.F., Nouvelles recherches sur la division cellulaire 


indireete. Journ. de l’Anat. et de la Physiol. T. 27. 1891. 


. Herfort, K., Der Reifungsprocess im Ei von Petromyzon fluviatilis. 


Anat. Anz. Bd. VIII. 1893. No. 21 u. 22. 


. Derselbe, Zräni a oplozeni vajicka obratlov£iho (Reifung und Be- 


fruchtung des Wirbelthiereies). Casopis lekarü Seskych. 1898. 


. Derselbe, Die Conjugation der Vorkerne und die erste Furchungs- 


spindel im Ei von Petromyzon fluviatilis. Anat. Anz. Bd. XV. 
1899. No. 15 und 16. 


Hertwig, O. Die Zelle und die Gewebe. 1893, 1898. Jena G. 
Fischer. 


. His, W., Ueber Zellen- und Syneytienbildung. Studien am Sal- 


monidenkeim. Abhandl. d. math. phys. Kl. d. k. Sächsischen Ges. 
d. W. Bd. XXIV, No. 5. 1898. 


. Kostanecki, K. v. und Wierzejski, Ueber das Verhalten der 


sogen. achromatischen Substanzen im befruchteten Ei. Nach Be- 
obachtungen an Physa fontinalis. Arch. f. mikr. Anat. Bd. 47. 1896. 


. Kostanecki, K., Ueber die Gestalt der Centrosomen im befruch- 


teten Seeigelei. Anat. Hefte. 1896. 

Kostanecki, K. und Siedlecki, M., Ueber das Verhältniss der 
Centrosomen zum Protoplasma. Arch. f. mikr. Anat. Bd. 48. 1896. 
Kostanecki, K., Ueber die Bedeutung der Polstrahlung während 


94 


48. 


49. 


50. 


Karl Herfort: 


der Mitose und ihr Verhältniss zur Theilung des Zellleibes. Arch. 
f. mikr. Anat. Bd. 49. 1897. 


. Kupfter, C. und B. Benecke, Der Vorgang der Befruchtung am 


Ei der Neunaugen. Festschr. f. Th. Schwann. Königsberg 1878. 


2. Kupffer, C., Die Befruchtung des Forelleneies. Bayerische Fischer- 


zeitung. 1886. 


. Lillie, Fr. R., Adaptation in Cleavage. Biologieal Leetures del. 


at the marine Biolog. Laboratory of Wood’s Holl. Boston 1899. 
Mac Farland, F. M., Celluläre Studien an Molluskeneiern. Zool. 
Jahrbücher. Abth. f. Anat. u. Ontog. d. Thiere Bd. X. 1897. 


. Mead, A. D., The Origin and Behavior of the Centrosomes in the 


Annelid Egg. Journ. of Morph. Vol. 14. 1898. 
Meves, Fr., Zelltheilung. Referat. Merkel-Bonnet’s Ergebn. d. 
Anat. und Entwicklungsgesch. Bd. VIII. 1898. 


. Michaelis, L., Die Befruchtung des Tritoneies. Arch. f. mikr. 


Anat. Bd. 48. 1896. 

Müller, A., Beobachtungen über die Befruchtungserscheinungen 
im Eie der Neunaugen. Königsberg 1864. 

Oppel, A., Die Befruchtung des Reptilieneies. Arch. f. mikrosk. 
Anat. Bd. 39. 1892. 


. Platner, G., Ueber die Befruchtung von Arion empiricorum. Arch. 


f. mikr. Anat. Bde 27.1886. 


. vom Rath, O., Zur Conservirungstechnik. Anat. Anzeig. Bd. XI, 


No. 9. 1896. 


. Rhumbler, L., Allgemeine Zellmechanik. Referat. Ergeb. d. Anat. 


u. Fntwicklungsgesch. Merkel-Bonnet. VI1ll. 1898. 
Rückert, J., Zur Befruchtung von Cyclops strenuus. Anat. Anz. 
Bd. 10, No. 22. 1895. 


. Derselbe, Die erste Entwickelung des Eies der Elasmobranchier. 


Festschrift zum 70. Geburtstage von C. v. Kupffer. Jena, G. 
Fischer, 189. 


. Schultze, O., Untersuchungen über die Reifung und Befruchtung 


des Amphibieneies. Zeitschr. f. wiss. Zool. Bd. 42. 1887. 
Sobotta, J., Die Befruchtung des Eies von Amphioxus lanceolatus. 
Anat. Anz. Bd. 11, No. 5. 189. 


. Derselbe, Die Reifung und Befruchtung des Wirbelthiereies, 


Referat. Ergebn. d. Anat. und Entwickelungsg. Merkel-Bonnet, 
1896. (Ausführliches Literaturverzeichniss des Wirbelthiereies.) 
Derselbe, Die Reifung und Befruchtung des Eies von Amphioxus 
lanceolatus. Arch. f. mikr. Anat. Bd. 50. 1897. 

Stricht, OÖ. van der, La maturation et la fecondation de l’oeuf 
d’Amphioxus. Bullet. de l’Acadeın. roy. de Belgique Ser. 3. T. 30. 
1895 u. Arch. de Biol. 14. 1896. 

Derselbe, La formation des deux globules polaires et ’apparition 
des spermocentres dans l’oeuf de Thysanozoon Brocchi. Arch. de 
Biol. XV. 1897. 


Die Reifung u. Befruchtung des Eies von Petromyzon fluviatilis. 95 


51. 


DD. 


Vejdovsky, Fr., Zräni, oplozeni a ryhoväni vajicka (Reifung, Be- 
fruchtung und Furchung des Eies). Spisüv poctenych jubilejni 
cenou kräl. spol. nauk v Praze. Cislo I. (Preisgekrönte Schriften 
der Königl. böhm. Gesellsch. Wiss. Prag No. I). 1887. 

Derselbe, Entwicklungsgeschichtliche Untersuchungen. Prag 1888 
bis 1892. (Enthält vorige Arbeit in deutscher Uebersetzung.) 
Derselbe, Bemerkungen zur Mittheilung H. Fol’s „Contribution 
a l’histoire de la fecondation. Anat. Anz. Bd. 6. 1891. 
Derselbe, OÖ treni mihule. (Die äussere Befruchtung des Neun- 
auges) (Petromyzon Planeri). Sitzber. d. königl. böhm. Ges. Wiss. 
in Prag. Math.-natrrw. Kl. 1893. 

Derselbe, Nyn&jsi stav otäzky oplozeni vajicka a kinetick&ho 
d&leni buneeneho (Die Befruchtung, der Eizelle und die kinetische 
Zelltheilung). Sitzber. d. königl. böhm. Gesellsch. Wiss. in Prag. 
Math.-naturw. Kl. 1897. 

Vejdovsky, Fr. und A. Mräzek, Üentrosom und Periplast. Vor- 
läufige Mittheilung, Sitzber. d. königl. böhm. Ges. d. Wissensch. in 
Prag. Math.-naturw. Kl. 1898. 

Vejdovsky, Fr., Fertilization of the Egg. of Rhynchelmis, Proce- 
edings of the fourth internat. Congress of Zoology. Cambridge 1898. 
Verworn, M., Allgemeine Physiologie. 2. Aufl. Jena 1897. 
Wilson, E. B., Archoplasm, centrosome and Chromatin in the 
sea-urchin egg. Journ. of Morph. XI. 189. 


(Aus dem anatomischen Institut in Freiburg i. Brsg.) 


Ueber die elastischen Fasern in der 
Froschhaut. 


Von 
W. Tonkoftf. 


Hierzu Tafel VII. 


Die vorliegende Notiz betrifft eine Reihe von Befunden 


über die elastischen Fasern in der Haut und in der Schwimm- 
haut des Frosches. Ich bediente mich bei Eruirung derselben 


96 W. Tonkoff: 


des unlängst veröffentlichten Verfahrens von Weigert!), das 
auch hier schöne Ergebnisse zu Tage förderte. 

Soviel mir bekannt, sind moderne Untersuchungsmethoden 
zum Studium des elastischen Gewebes in der Haut niederer 
Wirbelthiere bisher nicht angewendet worden, und besonders 
liegen über die elastischen Fasern in der Haut der Amphibien 
nur sehr wenige Befunde vor, auf die wir unten noch zurück- 
kommen. Einige Worte über den Bau der Froschhaut im All- 
gemeinen will ich hier vorausschieken. Man unterscheidet in 
derselben bekanntlich?) ausser dem Epithel drei Schichten, eine 
oberflächliche, eine mittlere und eine tiefe. Die oberflächliche 
Schicht (Fig. 1 s), netzartig, maschig und von reichlichem 
Pigment, Gefässen und Nerven durchsetzt, bildet ein lockeres 
Fachwerk für zahlreiche Hautdrüsen (Fig. 1 dr) und wurde daher 
von L. Stieda°) als Drüsenschieht beschrieben. Die mittlere 
Schicht (Fig. 1 m), die Schicht der wagerechten Fasern nach 
L. Stieda, bildet die eigentliche Grundlage der Haut und be- 
steht aus einem compacten Bindegewebe, dessen Faserbündel 
ausschliesslich parallel zur freien Hautoberfläche verlaufen, wobei 
sie sich grösstentheils unter rechten Winkeln mit einander kreuzen; 
durchsetzt wird diese Schicht von Bindegewebsbündeln, welche 
von L. Stieda als „senkrechte oder aufsteigende Faserzüge“ 
beschrieben wurden. Diese mittlere Schicht entspricht der sog. 
Lederhaut (Corium) der Säugethiere. Die dritte (tiefste) Schicht 
endlich besteht nach der Beschreibung von R. Wiedersheim 
(a. a. O.) aus einem weitmaschigen, zarten, nerven- und gefäss- 
reichen Reticulum und hat die Bedeutung eines Lymphraumes. 
Es liegt also die aus festem Bindegewebe aufgebaute mittlere 
Schieht zwischen zwei Lagen lockeren, pigment- und gefäss- 
reichen Gewebes. 

Ich gehe nun zu den elastischen Fasern der Haut über und 
muss hier zunächst auf die vorhin angezogene Arbeit von 


1) C. Weigert, Ueber eine Methode zur Färbung elastischer 
Fasern. Centralbl. f. allg. Pathologie 1898. Bd. IX. 

2) A. Ecker u. R. Wiedersheim, Die Anatomie des Frosches. 
3. Abth. Braunschweig 1882. S. 62. 

3) Ludwig Stieda, Ueber den Bau der Haut des Frosches. 
Archiv für Anatomie, Physiologie und wissenschaftl. Medie. Jahrg. 1865. 
Lpz. S. 52. 


Ueber die elastischen Fasern in der Froschhaut. 97 


L. Stieda hinweisen. Dieser Autor bemerkt, dass der tiefen 
Schicht der Haut viele elastische Fasern beigemischt sind; auch 
in der mittleren Hautschicht konnte er mit den ihm s. Z. zur 
Verfügung stehenden noch unvollkommenen Methoden, elastische 
Fasern entdecken: „nach Behandlung feiner der frischen Haut 
entnommener Schnitte mit Alkalien lässt sich leieht eine Bei- 
mischung von elastischen Fasern zum Gewebe erkennen und 
zwar namentlich in den senkrecht aufsteigenden Bündeln.“ Die 
späteren auf den Bau der Haut der Amphibien bezüglichen 
Arbeiten ergaben nicht nur nichts Neues bezüglich der elastischen 
Fasern, sondern stehen sogar im Widerspruche zu den soeben 
angeführten Befunden von L. Stieda. Eberth!) z. B. spricht 
von der Anwesenheit zahlreicher elastischer Fasern der tiefen 
Hautschichten und bemerkt, dass sie der eigentlichen Cutis (d. h. 
der mittleren Schicht) mangeln. Auch die jüngste bezügliche 
Arbeit von E. Fiealbi?) bringt nichts Neues auf dem uns bier 
beschäftigenden Gebiete. F. Leydig°) endlich bemerkt im all- 
gemeinen, dass die elastischen Fasern der Lederhaut sich bald 
in den oberen Fasern des Coriums, z. B. bei manchen Säugern 
(Schaf, Rind etec.), bald in den unteren bei den Selachiern, den 
Vögeln (Auerhahn), den Batrachiern (Frosch) zu eontinuirlichen 
Netzen vereinigen. Auch bei A. Ecker und R. Wiedersheim 
(a. a. O.) ist nur von elastischen Fasern der tiefen Schicht der 
Froschhaut die Rede. 

Ich benutzte zu meinen Untersuchungen Rana esculenta L. 
und Rana temporaria, und zwar entnahm ich Hautstücke aus 
verschiedenen Gegenden — Rücken, Bauch, Extremitäten —, 
wobei im ganzen die nämlichen Befunde zu Tage traten. Wie 
schon im Hinblicke auf das früher Bekannte zu erwarten war, 
erwies sich am reichsten an elastischen Fasern die tiefe Schicht: 
hier verlaufen dieselben gewöhnlich parallel zu der freien: Haut- 
oberfläche in verschiedenen Richtungen unter Bildung eines diehten 
Netzwerkes, welches in die Wand der Lymphräume eingelagert er- 


1) Carl Jos. Eberth, Untersuchungen zur normalen und patho- 
logischen Anatomie der Froschhaut. Leipzig 1869. S. 17. 
2) Eugenio Ficalbi, Ricerche sulla struttura minuta della pelle 
degli anfibi. Messina 1896. 
3) F. Leydig, Lehrbuch der Histologie des Menschen und der 
Thiere. Frankfurt a. M. 1857. S. 79. 
Archiv f. mikrosk. Anat. Bd. 57 7 


98 W. Tonkoff: 


scheint. Auf Fig. 1 ist dieses Netzwerk nicht ganz deutlich siehtbar, 
weil es von Pigmentzellen verdeckt wird. Weit instruetivere 
Bilder gewähren Uebersichtspräparate der Haut. Hautstücke, auf 
gewöhnliche Weise fixirt und gehärtet (gesättigte Lösung von 
Sublimat und Alkohol von steigender Concentration) wurden zu 
diesem Zwecke nach Weigert gefärbt und sodann in Canada- 
balsam so eingebettet, dass die innere Hautoberfläche dem Beob- 
achter zugewendet bleibt. Bei diesem Verfahren hat es keine 
Schwierigkeiten, Verlauf und Anordnung der elastischen Fasern 
in ziemlich grosser Ausdehnung zu verfolgen (ich habe solche 
Präparate von mehreren Quadratcentimetern Flächenraum ange- 
fertigt). Man erkennt, dass die elastischen Fasern in grosser 
Anzahl sich zur Bildung loser Bündel vereinigen, welche unter 
mehrfachen Kreuzungen und Anastomosen nach verschiedenen 
Richtungen hin verlaufen, wobei zwischen den einzelnen Bündeln 
Zwischenräume entstehen, die häufig ovale Form darbieten (Fig. 20). 
Es sind jedoch auch diese Räume nicht ganz frei von elastischen 
Fasern, vielmehr beherbergen dieselben ein sehr zartes Netzwerk, 
dessen Fasern unter verschieden grossen Winkeln sich von den 
vorerwähnten Bündeln abzweigen. 

Kehren wir nun zur Betrachtung der Schnittpräparate zurück, 
so ist zu bemerken, dass von dem in der tiefen Hautschicht ein- 
gelagerten elastischen Netzwerke Faserzüge gegen die mittlere 
Schicht hin verlaufen und zwar nahezu ausschliesslich recht- 
winkelig zu der Hautoberfläche (Fig. 1 el). Es sind dies jene 
elastischen Fasern, welche L. Stieda in den aufsteigenden 
Bündeln vorfand. Heute sind wir vermöge der ungemein electiven 
Methode von W eigert in der Lage, den Verlauf dieser Fasern und 
ihre Beziehungen zu den umgebenden Theilen im einzelnen zu 
verfolgen. Allem zuvor bemerkt man, dass diese elastischen 
Fasern unzweifelhaft als Bestandtheile der aufsteigenden Bündel 
erscheinen, sich durch ihre Zartheit auszeichnen und durch die 
mittlere Schicht der Haut verlaufen, ohne ihre Richtung zu ver- 
ändern; Fasern, die in verschiedenen, wenn auch ganz benach- 
barten Bündeln verlaufen, anastomosiren nie mit einander im Be- 
reiche der mittleren Schicht, und überhaupt entbehrt die Schicht 
der wagerechten Fasern des elastischen Gewebes völlig, wenn 
man von den soeben erwähnten aufsteigenden Elementen absieht. 

Nach Durchsetzung der mittleren Schicht der Haut lösen 


Ueber die elastischen Fasern in der Frosehhaut. 99 


sich die elastischen Fasern unvermittelt in eine grosse Anzahl 
noch feinerer Fäserchen auf; viele von ihnen setzen ihre Bahn 
in der früheren Richtung fort, durchdringen die äussere Schicht 
der Haut einschliesslich des ganz oberflächlichen, gewöhnlich 
Pigment einschliessenden Theiles derselben und verlieren sich, 
immer feiner und feiner werdend, schliesslich dieht unter dem 
Epithel. Andere Fasern nehmen mehr oder weniger schräge 
Richtung an, wobei Fasern verschiedener Bündel nieht selten 
mit einander Anastomosen eingehen (Fig. 1 a); so entstehen 
elastische Arcaden, die in der oberflächlichen Schieht der Haut ver- 
laufen. Alle die genannten elastischen Fasern stehen in nächster Be- 
ziehung zu den Hautdrüsen, sie bilden einen Bestandtheil der 
bindegewebigen Hülle der letzteren, und gewinnen, indem sie 
als zartes Netzwerk den Körper der Drüse fast von allen Seiten 
umspinnen, eine nicht zu unterschätzende Bedeutung bei der 
Entleerung des Secretes. Die geschilderten elastischen Fasern 
sind in wechselndem Grade in den verschiedenen Hautregionen 
nachweisbar; in der Bauchgegend z. B. erscheinen sie sehr stark 
ausgeprägt. Es ergibt sich aus dem bisher Angeführten, dass 
die vertikalen Bündel der mittleren Schicht ausser Bindegewebs- 
fasern, glatten Muskeln und Pigment beständig auch reichliehe 
Mengen elastischer Fasern enthalten, was der Haut unzweifelhaft 
einen höheren Grad von Elastieität verleiht und eine festere 
Verbindung ihrer einzelnen Schichten gewährleistet. 

Es erübrigt hier noch mit einigen Worten der Schwimm- 
haut zu gedenken, da die Structur derselben einige Besonder- 
heiten darbietet. Es ist die Schwimmbaut bekanntlich eine Haut- 
duplikatur, in welcher ansehnliche Lymphräume sich vorfinden. 
In dem bindegewebigen Theile derselben können unterschieden 
werden: 1) eine innere unpaarige Schicht (Fig. 3 ö), welche die 
eigentliche Wandung des Lymphraumes bildet; sie beherbergt 
starke Blutgefässe und entspricht der tiefen Schicht der Haut; 
2) eine äussere paarige Schicht (Fig. 3 sm), entsprechend der 
äusseren und mittleren Schicht der Haut; der tiefere Theil dieser 
Schicht besteht aus Bündeln festen faserigen Bindegewebes, die 
parallel zur Hautoberfläche verlaufen, und entsprieht der mittleren 
Schicht der Haut, ist aber um ein mehrfaches dicker als letztere; 
der oberflächliche Theil der äusseren Schicht besteht aus lockerem 
Bindegewebe, enthält viele Drüsen und (unmittelbar unter dem 


100 W. Tonkoff: 


Epithel) Pigmentzellen ; da, wo Drüsen fehlen, geht dieser Theil 
der äusseren Schicht fast verloren; wo eine sehr umfangreiche 
Drüse vorliegt, nimmt dieselbe die ganze Aussenschicht ein, 
wobei das feste Bindegewebe der letzteren völlig zurücktritt. 
Ich sehe mich deshalb nicht in der Lage, in der Schwimmhaut 
eine äussere und mittlere Schicht als selbständige Gebilde zu 
unterscheiden, wie dies wohl für die Haut als zutreffend anzu- 
erkennen ist. 

Auf Fig. 3 (Querschnitt der Schwimmhaut mit nach Weigert 
gefärbten elastischen Fasern) sieht man Lymphräume (2) und in 
der Wand derselben ein reiches elastisches Netzwerk, dessen 
Fasern, wie dies auch in der Haut das gewöhnliche, parallel zur 
Oberfläche des Epithels verlaufen, um das sie hier sehr viel 
zahlreicher erscheinen und ihr Durchmesser merklich grösser ist. 
Der Verlauf der Fasern tritt deutlicher hervor an Flächen- 
präparaten, die ganz in der oben für die Haut angegebenen 
Weise hergestellt werden, wobei die Schwimmhaut in der Höhe 
der Lymphräume sich in zwei symmetrische Platten leicht spalten 
lässt. An solchen Präparaten erkennt man, dass die Fasern durchweg 
in einer und der nämlichen Richtung, und zwar ungefähr unter 
rechten Winkeln zur Axe der Finger, verlaufen, wobei dieser 
Winkel gegen die Fingerenden hin sich nach und nach zuspitzt, 
bis die Fasern schliesslich fast parallel zu der Axe der Finger 
hinziehen und in dem freien Rande der Schwimmhaut sich ver- 
lieren. Im Gegensatze zu dem Verhalten der übrigen Haut 
findet in der Schwimmhaut keine Vereinigung elastischer Fasern 
zu Bündeln statt, welche freie Zwischenräume gegen einander 
abgrenzen (Fig. 2 b), sondern hier bilden die elastischen Elemente 
ein sehr dichtes und feines Geflecht mit gleichmässig vertheilten 
Fasern. 

Von dem soeben beschriebenen Netze, welches die Wand 
der Lymphräume bildet, begeben sich, ganz wie in der Haut, 
in vertikaler Richtung Faserbündel zur äusseren Schicht, durch- 
dringen diese, zerfallen dann in feine Fäserchen und verlieren 
sich unmittelbar unter dem Epithel (Fig. 3 el). Charakteristisch 
für die Schwimmhaut ist der Umstand, dass die elastischen Fasern 
derselben nicht als gesonderte, mehr oder weniger von einander 
unabhängige, durch ansehnliche und sehr oft regelmässige, gleich 
grosse Zwischenräume von einander getrennte Bündel abgehen, 


Ueber die elastischen Fasern in der Froschhaut. 101 


sondern die ganze Dicke der Schwimmhaut mit einander anasto- 

mosirend durchsetzen (Fig. 1 und 5). Es ergibt sich hieraus 

ein grosser Reichthum elastischen Gewebes in der Schwimmhaunt, 

was zugleich die hohe Elastieität dieser Membran bedingt. Man 

darf die Schwimmhaut des Frosches mit Recht zu den am besten 

mit elastischen Gewebe ausgestatteten Organen rechnen. 
Berlin, Juni 1900. 


Erklärung der Figuren auf Tafel VII. 

Die Abbildungen sind mit Hülfe des Abbe’schen Zeichenappa- 
rates entworfen. Fig. 1 ist nach einem mit Borax-Carmin und Weigert- 
scher Lösung gefärbten Präparate, Fig. 2 nach einem nur nach Weigert 
gefärbten Präparate gezeichnet. 

Auf allen Figuren bedeutet: 

dr=Drüsen. — el=elastische Fasern. — ep = Epithel. — p= 
Pigment. 
Fig. 1. Querschnitt der Bauchhaut von Rana esculenta. a4= 
Anastomosen elastischer Fasern; © = untere Schicht der Haut; 
m = mittlere Schicht; s= äussere Schicht. Vergr. 100:1. 
Innere Oberfläche der Bauchhaut von der Fläche ge- 
sehen. b= Bündel elastischer Fasern: o—=Zwischenräume 
zwischen denselben. Vergr. 120:1. 
Fig. 3. Querschnitt der Schwimmhaut. b=Lymphräume; sm = 
äussere Schicht = äussere + mittiere Schicht der Haut. Ver- 
grösserung 200:1. 


= 
ug 
[80] 


102 


(Aus dem histologischen Institut der deutschen Universität in Prag. 
Vorstand: Prof. Dr. Sigmund Mayer.) 


Ueber die in den Sehnen der schiefen Bauch- 
muskeln bei Fröschen vorkommenden 
„Inscriptiones elasticae“. 


Von 


Dr. Richard Hans Kahn, 
Assistenten am physiolog. Institut der deutschen Universität in Prag. 


Hierzu Tafel VII. 


Im Jahre 1863 hat J. N. Czermak!) bei einheimischen 
Vertretern der Froschlurche, nämlich bei Rana fusca und Rana 
esculenta, jener milchweissen Streifen kurz Erwähnung gethan, 
welche bei Entfernung der Bauch- beziehungsweise Rückenhaut 
in ca.42°/, der Fälle neben der ventralen, beziehungsweise dor- 
salen Anheftungslinie der schiefen Bauchmuskeln sichtbar sind. 
Nach einer kurzen Besprechung ihrer Lage und der Häufigkeit 
ihres Vorkommens erwähnt er auch jene Details im feineren 
Bau dieser Streifen, welche ihm bei seiner Methode — Zerzupfen 
und Behandlung mit Essigsäure — sichtbar geworden sind. Er 
beschreibt den Uebergang einer scharf konisch mit ihrem Sarco- 
lemm endigenden Muskelfaser in ein kern- und faserreiches Binde- 
gewebe, welches sich unvermittelt in einen Strang „heller, dicht- 
gedrängter“ Fasern fortsetzt, während diese von Czermak 
als elastische bezeichneten Fasern ihrerseits wieder in das Binde- 
gewebe der Sehne übergehen. 

Als Stützen für die Annahme, dass die in die Sehne ein- 
geschalteten faserigen Elemente den Charakter elastischen Ge- 
webes haben, führt er ihre „netzförmig anastomosirende Anord- 
nung, ihr starkes Lichtbrechungsvermögen“ sowie die Thatsache 


1) Joh. N. Özermak, Ueber die in den Sehnen der schiefen 
Bauchmuskeln bei Fröschen vorkommenden „Inscriptiones elasticae“. 
(Gesammelte Schriften Bd. I, 2. Abthlg. pg. 660. Leipzig 1879.) Vorl. 
Mittheilung: Centralbl. f. d. med. Wissensch. 1863. No. 50. Sitzber. d. 
k. Akad. d. Wissensch. Bd. 48. 1863. 


Ueber die in den Sehnen der schiefen Bauchmuskeln ete. 103 
an, dass man durch Tetanisiren, also bei Contraction der Muskeln 
die in Rede stehenden Streifen auf das Doppelte ihrer Breite 
vergrössern kann, und dass sie nach Aufhören des Zuges wieder 
zu ihrer ursprünglichen Breite zurückkehren. 

Die zweite und wie es scheint letzte Erwähnung besonderer, 
im feineren Bau der Sehnen der schiefen Bauchmuskeln bei 
Fröschen vorkommender Eigenthümlichkeiten rührt von Leydig') 
her. Er hebt hervor, dass beim Laubfrosch „am Rücken längs 
der Wirbelsäule eigenthümliche Sehnenstreifen herabziehen, die 
sich nach Abzug der Haut sehr bemerklich machen. 

Von glänzend weissem Aussehen, erscheinen sie dem freien 
Auge histologisch aus feinen elastischen Netzen zusammengesetzt, in 
welche das Bindegewebe dieser Stelle völlig umgewandelt sich zeigt“. 

Ich habe mich eifrig, jedoch ohne Erfolg, bemüht, in der 
Literatur weitere Angaben über diese doch recht merkwürdigen 
Gebilde aufzutinden. 

Weder bei Duges?), noch in der von Gaupp ?) bear- 
beiteten Monographie des Frosches von Ecker-Wieders- 
heim ist auch nur mit einem Worte dieser gar nicht seltenen 
Erscheinung gedacht. Haslam’s*) englische Bearbeitung 
letzteren Werkes und Marshall’s5) englische Monographie 
des Frosches haben mir leider nicht zur Verfügung gestanden. 

Als ich im vergangenen Jahre Gelegenheit hatte, im hiesigen 
histologischen Institute zu arbeiten, machte mich Herr Prof. 
Sigmund Mayer auf diese Streifen aufmerksam und theilte 


1) Leydig, Die anuren Batrachier der deutschen Fauna, Bonn, 
1877, pg. 100.— Kölliker (Handbuch der Gewebelehre des Menschen 
VI. Aufl. 1889, pag. 119) erwähnt bei Gelegenheit der Aufzählung der 
Fundorte elastischer Fasern, dass solche „in der Form von Sehnen 
in den Bauchmuskeln des Frosches (Czermak)* vorkommen, 
ohne jedoch auf die hiedurch bedingten auffallenden Streifen hinzu- 
weisen. 

2) Ant. Dug&s, Recherches sur l’ost&ologie et la myologie des 
batraciens A leurs differents ages. Sciences math&matiques et physiques. 
Tome VI. Paris 1835. 

3) A. Ecker’s und R. Wiedersheim'’s Anatomie des Frosches, 
bearbeitet von Dr. E. Gaupp, III. Aufl. 1896. 

4) George Haslam, The Anatomy of the Frog. Oxford 1889. 

5) A. M. Marshall, The Frog. Manchester aud London, II. 
Ed. 1885. 


104 Richard Hans Kahn: 


mir mit, dass ihm dieselben schon vor sehr langer Zeit ge 
legentlich der Anstellung physiologischer Versuche an Fröschen 
aufgefallen seien. Da er über diese Gebilde in der sehr aus- 
führlichen Darstellung der Myologie des Frosches von Ecker 
keinerlei Angaben aufgefunden, so sei er eben im Begriffe ge- 
wesen, eine kurze Mittheilung von deren Vorhandensein zu 
machen, als ihm durch Zufall die Arbeit von Czermak in 
die Hände fiel, in welcher die genannten Streifen bereits erörtert 
waren. 

Da also die Angaben über diese weissen Streifen sehr spär- 
lich sind, und ausserdem seit deren Veröffentlichung beinahe ein 
halbes Jahrhundert verflossen ist, habe ich es unternommen, mit 
den heute zu Gebote stehenden besseren Untersuchungsmethoden 
den Bau des in Rede stehenden Gewebes zu untersuchen. 

Ich habe mich als Untersuchungsobjectes einer grösseren 
Anzahl von Exemplaren von Rana esculenta und Rana fusea be- 
dient und auch einige Exemplare von Hyla arborea und Bufo 
untersucht. Die in Verwendung gezogenen Frösche waren ver- 
schiedener Grösse, verschiedenen Ernährungszustandes und ver- 
schiedenen Geschlechtes. Ich fand bei fast 65°/, der Thiere die 
Streifen deutlich sichtbar. Laubfrösche und Kröten habe ich 
leider nicht in genügender Anzahl zur Verfügung gehabt, um 
Genaueres über das Vorkommen der zu besprechenden Gebilde 
aussagen zu können; ich konnte dieselben aber an ersteren nach- 
weisen. 

Was nun zunächst das makroskopische Ver- 
halten der in Rede stehenden Streifen betrifft, so kann ich 
im Allgemeinen auf die Angaben Czermak'’s verweisen. Zur 
raschen Orientirung will ich das Wesentlichste davon in Kürze 
anführen, wobei ich bemerke, dass ich nach meinen Unter- 
suchungen seine Angaben bestätigen kann. 

Es finden sich an einem Thier im Ganzen acht solcher 
Streifen, vier auf dem Rücken, vier auf der Bauchfläche, 
von denen je zwei, theilweise sich deckend, symmetrisch zu 
beiden Seiten der Mittellinie gelagert sind. 

Die Fasern der schiefen Bauchmuskeln inseriren sich einer- 
seits in die Fascien des Rückens, andererseits in die des Bauches. 
Der Museulus obliquus internus sendet seine Fasern von hinten 
und unten schräg nach oben und vorne, der Muse. obliquus ex- 


Ueber die in den Sehnen der schiefen Bauchmuskeln ete. 105 


ternus von hinten und oben nach unten und vorne. Die dorsale 
Anheftungslinie des Must. obl. extern. in der Rückenfascie reicht 
von dem oberen Viertel des Darmbeines bis über die Mitte des 
Schultermuskels (Muse. lombo-humeral, Duges). Dieser Linie 
entsprechend findet sich beiderseits nach Aussen vom Becken 
und der Wirbelsäule der erste dieser weissen Streifen. (ÖÜzer- 
mak, Fig. la). 

Die dorsale Anheftungslinie des Muse. obliqu. intern. be- 
sinnt tief unten im Becken, läuft längs des Innenrandes des 
Darmbeines empor, schlägt sich um das obere Ende der daselbst 
entspringenden Oberschenkelmuskeln (Muse. ex- ilio- trochanterien, 
Duges) auf die Rückenfläche herauf, und verläuft in der die 
Rückenmuskeln deekenden Fascie bis in die Höhe des Querfort- 
satzes des fünften Wirbels. Dieser Linie entsprechend findet man 
beiderseits den zweiten der dorsalen Streifen. (Özermak, 
Bie.xT:b). 

Die vier weissen Streifen der Bauchfläche laufen den ven- 
tralen Anheftungslinien der beiden schiefen Bauchmuskeln entlang 
(Czermak, Fig. II und II). 

Der dem Muse. obliqu. extern. zugehörige ventrale Streifen 
verläuft beiderseits vom oberen Rande dieses Muskels längs des 
äusseren Randes des Muse. rectus abdominis bis etwa zur dritten 
Inseriptio tendinea desselben, indem er die Grenze zwischen 
diesem und dem grossen Brustmuskel markirt. An dieser Stelle 
wendet er sich sodann nach aussen, biegt nach unten um, und 
verläuft, sich verjüngend, gegen den Schenkelbug. Der in der 
Sehne des Muse. obliqu. intern. verlaufende ventrale Streifen 
liegt bis zu der genannten Stelle unter dem eben beschriebenen, 
tritt dann von der die vordere Fläche des Musculus reetus be- 
deckenden Fascie an die die hintere Fläche desselben bekleidende 
und verläuft, ohne seine Richtung zu ändern, gegen die Scham- 
beinfuge hinab. Auf diese Weise sind je zwei über einander 
liegende Streifen theilweise nebeneinander sichtbar, theilweise 
decken sie sich vollkommen in ihrem Verlaufe. 

An jedem Thiere, an welchem diese Gebilde überhaupt 
sichtbar sind, finden sieh stets acht an der Zahl; niemals 
habe ich beobachtet, dass nicht alle Streifen gleich ausgebildet 
gewesen wären, oder gar einer oder mehrere gefehlt hätten. 

Um Genaueres über den feineren Bau der in Rede 


106 Richard Hans Kahn: 


stehenden Gebilde aussagen zu können, bediente ich wich folgen- 
der Methoden. z 

Zunächst war ich darauf bedacht, an Zupfpräparaten 
mich über die Anordnung der einzelnen Fasern im Streifen zu 
orientiren. Zur Maceration bediente ich mich mit bestem Er- 
folge einer 0,1°/, Chromsäurelösung, welche ich eine Woche ein- 
wirken liess. Die auf diese Weise leicht zu erhaltenden Muskel- 
bündel wurden mit der daran hängenden Sehne theils ungefärbt 
untersucht, theils nach der auch für Zupfpräparate mit sehr 
gutem Erfolge anzuwendenden von Weigert!) angegebenen 
Färbemethode für elastische Fasern behandelt. Einzelne Bündel 
der Muskelfasern brachte ich, nachdem die Chromsäure in Wasser 
ausgewaschen worden war, in eine Schale mit der Weigert- 
schen Färbeflüssigkeit (alkohol. Lösung eines aus der Mischung 
von Fuchsin und Resorein gewonnenen Farbstoffes) und fand nach 
etwa einer halben Stunde die elastischen Fasern blauschwarz ge- 
färbt. Diese Bündel wurden dann in Alkohol entwässert und in 
Ol. Origani in ihre Elemente zerzupft, wobei ich mir Mühe gab, 
die zu den einzelnen Muskelfasern gehörigen Theile der Sehne 
an denselben zu erhalten. Die Präparate wurden dann in Xylol- 
Balsam montirt. Auf dieselbe Weise habe ich auch Zupfpräpa- 
rate mit Alaun-Cochenille gefärbt. Gute Resultate ergab auch 
Maceration in einer Mischung von Essigsäure, Glycerin und Chloral- 
hydrat, wie sie von Sihler?) zur Vorbehandlung quergestreifter 
Muskelfasern behufs Darstellung der an ihnen befindlichen Nerven- 
Endorgane angegeben wurde. In diesem Falle folgte der Mace- 
ration eine Färbung in mit geeigneten Farbstoffen gemischtem 
Glycerin. 

Ferner habe ich die Structur der in Rede stehenden Ge- 
bilde vielfach an Schnittpräparaten untersucht. Zur 
Fixation zog ich den Alkohol, den Sublimatalkohol, die 0,2°/, Chrom- 
säure und das Flemming sche Säuregemisch in Verwendung, 
ohne von letzterem besondere Vortheile für den Zweck meiner 
Untersuchung zu bemerken. Im Gegentheil habe ich gefunden, 
dass die zur eleetiven Färbung elastischer Fasern angegebenen 


1) C. Weigert, Ueber eine Methode zur Färbung elastischer 
Fasern. Centralbl. f. allg. Pathologie u. pathol. Anatomie Bd.IX. 1898. 

2) Chr. Sihler, Cleveland, vorgelegt v. J. Gad in d. Verhandl. 
d. physiolog. Gesellsch. zu Berlin, Decemb. 1894. 


Ueber die in den Sehnen der schiefen Bauchmuskeln ete. 107 


Methoden, namentlich Tänzer-Unna’s Orceinmethode, nach 
der Fixation in Chrom-Osmium-Essigsäure, sowohl bezüglich des 
Annehmens des Farbstoffes, als auch bezüglich des Abgebens 
desselben in andere zur Weiterbehandlung dienende Flüssigkeiten 
besondere Geduld und Vorsicht erheischen. 

Die in den angegebenen Flüssigkeiten fixirten Muskelplatten 
wurden ungefärbt durch Alkohol, Alkohol-Xylol, Xylol und Xylol- 
Paraffin in Paraffin eingebettet und auf dem Jung schen 
Sehlittenmikrotom im Schnitte zerlegt. Selbst für die an die 
Dünne der Schnitte ziemlich hohe Anforderungen stellende Wei- 
sert’sche Methode habe ich die Schnittdieke von 10 u für aus- 
reichend gefunden. Die auf diese Weise gewonnenen, mit ver- 
dünntem Alkohol auf dem Objeetträger befestigten Schnitte habe 
ich nun auf verschiedene Art gefärbt. 

Zur Darstellung der Kerne bediente ich mich der ver- 
schiedensten Farbstoffe, wobei ich mit besonderem Vortheil das 
Delafield sche Hämatoxylin in Verwendung zog, und zwar 
deshalb, weil es, combinirt mit anderen besondere Zwecke ver- 
folgenden Färbemethoden sehr gute Kernfärbungen liefert. 

Als Stützen für die Annahme, die in Rede stehenden Streifen 
bestünden aus elastischem Gewebe, führe ich an die Färbung 
nach den für die Darstellung desselben angegebenen electiven 
Methoden, und den negativen Erfolg der Anwendung der zur 
Färbung des Bindegewebes vielfach verwendeten Säurefuchsin- 
Pikrinsäuremethode. 

Zu besagtem Zwecke habe ich die Schnitte in die von 
Tänzer angegebene und von Unna!) modifieirte Orcein- 
lösung gelegt. Mit Ausnahme der in Flemming 'schem Ge- 
misch fixirten Präparate genügten 15—20 Minuten zur Färbung. 
Nach Differenzirung mit der von Unna angegebenen Flüssig- 
keit erhielt ich die Streifen hellbraun auf hellem Grunde. Nach- 
dem ich die Schnitte längere Zeit (15 Minuten bis 2 Stunden) 
in reichlicher Menge Wassers ausgewaschen hatte, brachte ich 
sie in eine verdünnte Lösung Delafield’schen Hämatoxylins, 
in welcher ich sie 5 bis 15 Minuten liess. Nach abermaligem 
längeren Verweilen in Wasser hatten die Schnitte makroskopisch 


I) P.G. Unna, Notiz betreffend die Tänzer’sche Orceinfärbung 
‚les elast. Gewebes. Monatsh. f. prakt. Dermatol. Bd. XII, p. 394—396. 


108 Richard Hans Kahn: 


eine blaugraue Färbung angenommen. Nun wurden sie einige Sekun- 
den in eine zur Hälfte mit Wasser verdünnte concentrirte Pikrin- 
säurelösung gebracht und sodann nach nochmaligem kurzen Aus- 
waschen mit Wasser durch Alkohol und Xylol in Xylol-Balsam 
montirt. Auch audere Combinationen des Orceins mit Kern- und 
Plasmafärbungen (Alaun-Cochenille, Methylenblau, Eosin, Bleu de 
Lyon) habe ich ohne besonderen Vortheil verwendet. 

Weiters habe ieh vielfach Schnitte nach der von Weigert!) 
neuerdings angegebenen Methode gefärbt, wobei der Vorgang im 
Wesentlichen derselbe war, wie bei der Orceinmethode. Auch 
nach der von Martinotti angegebenen Methode der Safranin- 
färbung nach Chromsäurefixation habe ich positive Resultate 
erhalten. 

Schliesslich will ieh noch erwähnen, dass ich die van 
Gieson sche Methode allein und auch eombinirt mit Färbungen 
für Kerne und elastische Fasern angewendet habe, und zwar in 
der von Hansen?) zur eleetiven Färbung des Bindegewebes 
angegebenen Modification. Dabei färbte sich das Bindegewebe 
leuchtend roth, die Streifendurchschnitte aber schwach gelb. 
Diese Färbung lässt sich leicht mit einer der für elastische Ele- 
mente angegebenen Methoden combiniren und giebt dann sehr 
instructive, farbenreiche Bilder, nur dass das Roth des Binde- 
sewebes weniger leuchtend und gesättigt ist, als Hansen es 
bei seiner Methode angegeben hat, und wie man es auch in der 
That bei Anwendung derselben ohne Combination mit anderen 
Färbeflüssigkeiten unschwer erhalten kann. 

Die Resultate, zu denen ich mit den erwähnten Methoden 
gelangt bin, sind folgende: 

Die beiden in Betracht kommenden Muskeln, nämlich der 
Muse. obliqu. externus und der Muse. obliqu. internus (M. trans- 
versus, Ecker), stellen sich als dünne Platten dar, welche an 
ihren beiden Enden durch Bindegewebe mit ihren Ansatzpunkten 
verbunden sind. Sie bestehen aus einer etwa 5—20 fachen Lage 
quergestreifter Muskelfasern, welche ziemlich parallel laufen und 
von einander durch sehr spärliches Bindegewebe getrennt sind. 
Zwischen den einzelnen Fasern verlaufen in reicher Menge capil- 


Meck#a2220: 
2) ©. Hansen, Eine zuverlässige Bindegewebsfärbung. Anatom. 
Anz. Bd. 15, No. 9. 


Ueber die in den Sehnen der schiefen Bauchmuskeln ete. 109 


lare von einzelnen Pigmentzellen begleitete Blutgefässe und spär- 
liche Nervenstämmehen. Bei mit Flemming 'schem Säurege- 
misch fixirten Präparaten treten massenhafte Fetttröpfehen in 
den einzelnen Fasern durch Osmiumsäure geschwärzt hervor. 
Weder in dem bindegewebigen Zwischengewebe, noch in der 
diese Muskeln bedeckenden Fascie gelang es mir grössere Mengen 
elastischer Fasern nachzuweisen. 

Das die weissen Streifen bildende Gewebe besteht theils 
aus langen, dieken, fast gar nicht geschlängelten, theils 
aus kurzen, dieken, unregelmässig angeordneten Fasern. Erstere 
liegen genau, oder fast genau in der Richtung der Muskelfasern 
der zugehörigen Muskeln, also senkrecht auf den Verlauf des 
Streifens und parallel der Fläche der äusseren Haut. Sie unter- 
scheiden sich nicht besonders von den in anderen Geweben nach- 
gewiesenen elastischen Fasern. Meistens kann man beobachten, 
dass sie durch die ganze Breite des Streifens ununterbrochen 
sich fortsetzen. Je eine grössere Anzahl von solchen Fasern ist 
durch ein gleich zu besprechendes Gewebe zusammengehalten, und 
die dadurch entstandenen Bündel sind durch die zweite oben er- 
wähnte Art elastischer Elemente getrennt. 

Diese letztere stellen kurze, dicke, unregelmässig angeordnete 
Gebilde dar, welche untereinander ein Flechtwerk bilden und 
durch mechanischen Zug auch in ganz frischem Zustande leicht 
aus ihrem Gefüge zu bringen sind. In dieser Anordnung der 
beiden Faserarten ist wohl auch die Ursache zu suchen, warum 
die in Rede stehenden Streifen so leicht in querer Richtung auf 
ihren Verlauf in Bündel zertrennt werden können, und in dieser 
Annahme wird man durch folgende Betrachtung bestärkt. Man 
findet leicht bei genauer Durchsicht der Schnittbilder Stellen, 
an denen die Zahl der im Schnitt getroffenen Muskelfasern mit 
der Zahl der durch die eben erwähnten kurzen Fasern getrennten 
elastischen Faserbündel übereinstimmt (Taf. VIII, Fig. 1). Es 
scheint also, dass zu einer jeden Muskelfaser ein Bündel der 
langen elastischen Fasern gehört, eine Annahme, welche durch 
die Thatsache gestützt wird, dass man beim Isoliren der Muskel- 
elemente sehr leicht die zugehörigen Bündel von einander trennen 
kann und dann an den Rändern derselben das elastische Binde- 
mittel, nämlich die zweite Kategorie der oben erwähnten Fasern, 
hängen sieht. 


110 Richard Hans Kahn: 


Schon in ungefärbten und auch in den mit eleetiven Methoden 
(Orcein, Weigert ete.) gefärbten Schnitten fällt der grosse 
Reichthum des elastischen Gewebes an Kernen 
auf, welche zwischen den Fasern bemerkbar sind. Bei Anwen- 
dung von Kernfärbungen ist man nun leicht im Stande, die Be- 
deutung derselben zu erkennen (Taf. VIII, Fig. 2). Die Kerne 
sind hier der sichtbare Ausdruck für ein von spärlichen Fasern 
(Taf. VIII Fig. 5), aber reichlichen zelligen Bestandtheilen ge- 
bildetes Bindegewebe, welches das Gerüst der oben besprochenen 
elastischen Faserbündel ausmacht. Es sind runde oder schwach 
ovale Gebilde, welche regellos zwischen den Fasern eingestreut 
sind, und schon im ungefärbten Präparat so deutlich und das 
ganze Bild beherrschend ins Auge fallen, dass es Wunder nehmen 
muss, das Czermak, welcher das Wesentlichste im Bau dieser 
Streifen trotz seiner unzulänglichen Methoden bereits erkannt 
hat, des überraschenden Vorkommens dieser Gebilde im elastischen 
Gewebe mit keinem Worte Erwähnung thut. 

Das dritte der bei unserem Objeete in Betracht kommenden 
Gewebe ist das den Rest der Sehne und theilweise auch die 
Verbindung der elastischen Bänder und der Muskelplatten bildende 
Bindegewebe. Dieses unterscheidet sich wesentlich von dem an 
anderen Orten vorkommenden und auch von dem in anderen 
nicht mit elastischen Elementen durchsetzten Sehnen sich finden- 
den Bindegewebe. Es fällt zunächst auf, dass die Zahl der 
faserigen gegenüber der Zahl der zelligen Bestandtheile bedeutend 
zurücktritt. Man findet von zarten fibrillären Bälkchen gebildete 
Maschenräume, in denen eigenthümliche, von den Kernen des 
sonst sich findenden Bindegewebes durchaus verschiedene Kerne 
sich vorfinden. Dieselben haben eine ausgesprochen elliptische 
Gestalt, eine beträchtliche Dieke, sind etwa 2 bis 3 mal so lang 
als breit und zeigen meistens eine geringe Schlängelung (Taf. 
VII, Fig. 5). Sie liegen stets mit ihrer längsten Achse in der 
Richtung der Sehne, also auch der elastischen und Muskelfasern, 
und scheinen ihrem Wesen nach mit den oben beschriebenen 
Kernen zwischen den Elementen des elastischen Streifens identisch 
zu sein. Betrachtet man Schnitte, welche senkrecht auf jenen 
Theil der Sehne geführt wurden, welcher keine oder fast keine 
elastischen Elemente mehr enthält, so bekommt man Bilder zu 
sehen, welche sehr leicht zur Annahme eingelagerter glatter 


Ueber die in den Sehnen der schiefen Bauchmuskeln ete. 111 


Muskelfasern im Querschnitt verleiten könnten. Da erscheinen 
die besprochenen Maschenräume als sehr zierliche, regelmässig 
angeordnete Felder, welche in ihrer Mitte meistens den Durch- 
schnitt des Kernes zeigen (Taf. VIII, Fig. 4). Schliesslich sei 
noch erwähnt, dass sich sowohl in dem elastischen, als auch in 
dem aus Bindegewebe bestehenden Theile der Sehnen ziemlich 
reichlich Blutgefässe, in der Umgebung des letzteren auch kleine 
Nervenstämmchen vorfinden. 

Was nun die Verbindung der Muskelplatten mit den ihnen 
zunächst gelegenen Theilen der Sehnen, den elastischen nämlich 
betrifft, so habe ich darüber Folgendes ermittelt. Die Verbindung 
der einzelnen Muskelfasern mit den zugehörigen Bündeln elastischer 
Fasern erfolgt auf zweierlei Weise. 

Einmal — und das halte ich für die bei weitem häufiger vor- 
kommende Erscheinung, treten die beiden Gewebsarten nieht mit 
einander in direete Beziehung, sondern sie werden, wie es schon 
von Czermak auf Grund seiner durch Zerrupfen erhaltenen 
Präparate angegeben wurde durch Bindegewebe mit einander 
verbunden (Taf. VIII, Fig. 1, 6). Es macht den Eindruck, als 
ob sich das oben beschriebene Bindegewebe, welches das Inser- 
tionsende der Sehne ausmacht, als Gerüst mit noch mehr ver- 
ringertem Gehalt an fibrillären und zum Mindesten gleichem Ge- 
halt an cellulären Elementen durch den elastischen Streifen fort- 
setzte, um an den Verbindungslinien mit der Muskulatur wieder 
zur früheren Beschaffenheit zurückzukehren, wobei sich ein Unter- 
schied nur bezüglich des reichlicheren Gehaltes an eingestreuten 
elastischen Fasern und bezüglich der Grösse und Gestalt der 
Kerne bemerkbar macht. Diese sind nämlich im Allgemeinen 
kleiner und haben nicht die langgestreckte Gestalt der Kerne 
am peripheren Sehnenende, sondern gleichen etwa den im elastischen 
(Gewebe befindlichen Kernen. Sie liegen unregelmässig in grosser 
Anzahl in den hier nicht so deutlich ausgesprochenen Maschen 
des Bindegewebes. 

Dieses Gewebe nun, dessen Ausdehnung in der Achse der 
Muskelfasern etwa die Breite einer Muskelfaser oder etwas darüber 
beträgt, tritt in direete Beziehung zu denselben und zwar in folgender 
Weise. Die Muskelfasern, welche häufig an ihren Enden die 
bekannten Kernanhäufungen in mässig ausgesprochener Weise 
zeigen, verschmälern sich konisch, ohne jedoch eine scharfe Grenz- 


112 Richard Hans Kahn: 


linie erkennen zu lassen. Jedoch macht es meistens den Ein- 
druck, als wären die Anhäufungen nicht so gross und die Form 
der Kerne nicht so sehr von den anderen Muskelkernen ver- 
schieden, wie dies an den Verbindungsstellen von Muskelfasern 
mit bloss aus Bindegewebe bestehenden Sehnen beschrieben worden 
ist. Diese konischen Enden sind von den Strängen des oben 
beschriebenen Bindegewebes derartig umfasst, dass es nicht mög- 
lieh ist, den Uebergang des einen in das andere Gewebe genauer 
wahrzunehmen. Das Bindegewebe legt sich häufig an die ver- 
schmälerten Enden der Muskelfasern eng an, so dass gleichsam 
eine Einschnürung entsteht (Taf. VIII, Fig. 6). Wie schon er- 
wähnt, sind in der Regel in diesem Gewebe einzelne elastische 
Fasern bemerkbar, welche sich direet an die Muskelfasern an- 
legen. 

Die zweite Art der Verbindung ist die, wie mir scheint, 
viel seltenere und interessantere. Die Bündel langer elastischer 
Fasern reichen bis an die Muskelfasern heran und treten in direete 
Beziehung zu denselben. Durch vielfache Verästelung und Anasto- 
mosenbildung entsteht gleichsam ein elastischer Korb, welcher 
die Muskelenden umgibt und sie auf diese Weise unsichtbar 
macht (Taf. VIII Fig. 7). Ueber die Art der Verbindung 
dieser elastischen Netze mit dem Sarcolemm Genaueres anzugeben, 
bin ich nicht in der Lage. Zur Darstellung und Auffindung 
dieser Bilder eignet sich ganz besonders die Weigert sche 
Methode, wie ich überhaupt glaube, dass dieselbe zur Färbung 
der feineren Structurverhältnisse, bei denen elastische Fasern in 
Betracht kommen, der Orceinmethode vorzuziehen ist: Freilich 
verlangt sie dünnere Schnitte und eingehender zerzupfte Präparate. 

Die Verbindung der beiden eben besprochenen Gewebe ist 
eine sehr feste. Ungemein schwer gelingt es, das Muskelgewebe 
durch Zerreissen mit Nadeln an der Verbindungsstelle abzutrennen, 
stets reissen viel leichter die Muskelfasern nahe an ihren Enden 
entzwei. 

Am peripheren Ende der elastischen Streifen geht das Binde- 
gewebe allmählich in das elastische Gewebe über, indem sich die 
schon an und für sich in geringer Anzahl vorhandenen fibrillären 
Elemente bis auf geringe Reste in der grossen Masse elastischer 
Fasern verlieren (Taf. VII, Fig. 1). Auch dies lässt sich an 
nach Hansen gefärbten Schnitten deutlich verfolgen. 


Ueber die in den Sehnen der schiefen Bauchmuskeln ete. 113 


Aus all’ diesen angeführten Thatsachen geht also hervor, 
dass nicht etwa ganze Theile der Sehnen der schiefen Bauch- 
muskeln bloss aus elastischem Gewebe bestehen, und diese „elasti- 
schen Sehnen“ an ihren beiden Enden durch Bindegewebe einer- 
seits an den Ansatzpunkten der Muskeln, andererseits an den 
Enden der Muskelfasern befestigt sind. Ich bin vielmehr der 
Ansicht, dass der Grundstock dieser Sehnen überall aus Binde- 
gewebe besteht, wobei allerdings das Verhältniss der fibrillären 
zu den cellulären Bestandtheilen desselben sich an jenen Stellen, 
an denen die elastischen Elemente eingelagert sind, ganz be- 
sonders zu Ungunsten der Ersteren verändert. Die Bündel ein- 
gelagerter elastischer Fasern, welche von je einer Muskelfaser 
in Anspruch genommen werden, bilden mit ihren den Muskeln 
zugewendeten Enden keine gerade Linie, sondern reichen theils 
— und dies ist der fast regelmässige Fall — weniger, theils 
mehr an dieselben heran. In ersterem Falle tritt der binde- 
gewebige Grundstock als besondere Zwischenschichte hervor, in 
letzterem scheinen die elastischen Fasern den Muskelfaserenden 
anzuliegen. 

Zu ermitteln, in welcher Weise die Entwicklung dieses elasti- 
schen Gewebes vor sich geht, habe ich nicht versucht. Man könnte 
wohl durch Untersuchung verschiedener Entwicklungsstadien der 
Thiere darüber Aufklärung erlangen. 

Schliesslich habe ich noch über die Befunde an solchen Sehnen 
zu berichten, in denen makroskopisch keine Spur der besprochenen 
weissen Streifen wahrzunehmen war. Hier bestanden die Sehnen 
aus fibrillärem Bindegewebe, untermischt mit äusserst spärlichen 
feinen elastischen Fäserchen. Es zeigte sich also das auch an anderen 
Körperstellen in den Sehnen in Erscheinung tretende Verhalten. 

Wenn ich also die bei meiner Untersuchung gewonnenen 
Ergebnisse kurz zusammenfasse, so bestehen sie in Folgendem: 

1. Die Sehnenadernschiefen. Bauchmuskeln 
bei einigen Anuren, vorzüglich bei den Fröschen, 
bestehen bei einer erheblichen Anzahl von Thie- 
ren auseinem eigengshümlichen, fibrillenarmen, 
zellenreichenBindegewebe, ausgezeichnet durch 
Kerne besonderer Grösse und Form. 

2.4In diese Sehnen einzelagert finden,sich 
mächtige Mengen elastischenGewebes, zusammen- 

Archiv f. mikrosk. Anat. Bd. 57 8 


114 Richard Hans Kahn: 


gesetzt theils aus Bündeln langer, dicker, unge- 
theilter, in der Verlaufsriehtung der Muskelfa- 
sern liegender, theils aus Geflechten kurzer, un- 
regelmässig angeordneter elastischer Fasern, 
ebenfalls wohl charakterisirt durch ein Gerüst 
fibrillenarmen, zell- und kernreichen Bindegewebes. 

3. Die Verbindung der Sehnen mit den Mus 
kelfasern erfolgt durch dieses Bindegewebe oder 
dureh direeten Contact mit den elastischen Faser- 
bündeln. 

4. Bei Fehlen der Streifen im makroskopi 
schen Bilde ergiebt die mikroskopische Unter- 
suchung den Befund gewöhnlicher aus Bindege- 
webe bestehender Sehnen. 

Wir haben also in dieser von Czermak und unabhängig 
von ihm von Leydig schon vor langer Zeit mitgetheilten, und 
von mir genauer untersuchten Erscheinung den bemerkenswerthen 
Fall vor Augen, dass Elemente, welche nach der sie ganz be- 
sonders charakterisirenden Eigenschaft, der Contractilität nämlich, 
befähigt sind, bei ihrer Contraetion ihre beiden Ansatzpnnkte ein- 
ander zu nähern, beziehungsweise bei fixen Ansatzpunkten und 
bogenförmigem Verlauf einen Druck auf ihre Unterlage auszu- 
üben, sich mit solehen Elementen verbinden, welche den bei der 
Contraetion erreichten Effeet geringer erscheinen lassen, als er 
bei ihrem Niechtvorhandensein sich ergäbe. Diese Thatsache er- 
schien schon ÖÜzermak so unverständlich, dass er sich fast ver- 
leiten liess, die Existenz dieser „Inscriptiones elasticae“ für wider- 
sinnig und unzweckmässig zu erklären. Trotzdem ich weit ent- 
fernt bin, den Zweck oder gar einen Nutzen dieser Combination 
zweier Gewebe eingesehen zu haben, glaube ich doch, mich des- 
halb nicht allzusehr darüber verwundern zu müssen, da eine 
nicht geringe Anzahl von Autoren uns mit ähnlichen Erschei- 
nungen bekannt gemacht haben. 

So ist von Seuffert!), Kölliker 2), Bauer?) u. A. das 


1) L. Seuffert, Ueber das Vorkommen und Verhalten glatter 
Muskeln in der Haut der Säugethiere und Vögel. Würzburg 1861. 

2) Kölliker, Zeitschr. f. wiss. Zool. IX, p. 140. 

3) K. Bauer, Beitr. z. Kenntniss d. Talgdrüsen d. menschlichen 
Haut. Morph. Arb. Bd. III, 3. Heft. 


Ueber die in den Sehnen der schiefen Bauchmuskeln ete. 115 


Vorkommen elastischer Fasern als Sehnen glatter Muskeln fest- 
gestellt worden. 

Aber auch die Angaben über die Verbindung elastischen 
Gewebes mit quergestreiften Muskelfasern sind nicht vereinzelt. 

So hat Ranvier !) gezeigt, dass die baumförmig verästelten 
quergestreiften Muskelfasern in der Membrana retrolingualis beim 
Frosch vermittels elastischer Sehnen auf ihre Ansatzpunkte wirken, 
und die von Podwyssotzki?) in dem Papillarkörper der Lippen- 
haut beschriebenen Sehnenfäden verästelter, gegen das Epithel 
gerichteter, quergestreifter Muskelfasern stellen sich, mit Orcein 
oder nach Weigert gefärbt, als elastische Elemente heraus. 
Ebenso hat Martinotti°®) den Zusammenhang des elastischen 
und muskulösen Gewebes erwiesen. 

Schliesslich hat Smirnow*) bei den verschiedensten Thieren 
an verschiedenen Körperstellen aus elastischem Gewebe beste- 
hende Sehnen quergestreifter Muskelfasern gefunden, und als 
biologisches Gesetz für die Klasse der Wirbelthiere den Satz auf- 
gestellt: „In allen den Fällen, in denen die quergestreiften 
„Muskelfasern nicht in direete Beziehung zum knöchernen oder 
„knorpeligen Skelett treten, in denen sie sich an andere mehr 
„weiche Formen des Bindegewebes anheften, bestehen ihre Sehnen 
„aus rein elastischem Gewebe, oder es ist ihnen wenigstens eine 
„mehr oder weniger grosse Menge elastischer Fasern beigemengt.“ 
Diesen Satz kann ich nach vielfachen Untersuchungen, welche 
ich zum grössten Theil noch vor dem Erscheinen der vorläufigen 
Mittheilung Smirnow’s im hiesigen histologischen Institut ange- 
stellt habe, bestätigen und möchte nur noch hinzufügen, dass die 
quergestreiften Muskeln fast an allen von Smirnow ange- 


1) L. Ranvier, Des &l&ments musculaires et des elements 
elastiques de la membrane r£tro-linguale de la grenouille. Journ. de 
Mierographie, Quatorzieme annee. 1890. No. 7. 

2) W. Podwyssotzki, jun., Ueb. die Beziehungen der querge- 
streiften Muskeln zum Papillarkörper der Lippenhaut. Arch. f. mikr. 
Anat. Bd. 30. 1887. 

3) C. Martinotti, Sur la reaction des fibres &lastiques avec 
l’emploi du nitrate d’argent, et sur les rapports entre le tissu @elastique 
et le tissu musculaire. Anat. Anz. Bd. XVI, pg. 201. 

4) A. E. Smirnow, Ueber d. Beziehungen zwischen d. Muskel- 
und elastischen Gewebe bei den Wirbelthieren. Anat. Anz. Bd. XV, 
No. 23. 1899. 


116 


Riehard Hans Kahn: 


führten Stellen, an denen sie elastische Sehnen haben, auch ver- 
zweigt sind. 


Bezüglich der physiologischen Bedeutung der in der vor 


liegenden Arbeit untersuchten Gebilde eine auch nur hypothe- 
tische Erklärung aufzufinden, ist mir trotz aller Ueberlegung 
nieht gelungen. 


Fig. 


wD 


Erklärung der Abbildungen auf Tafel VIII. 

Schnitt durch die dorsal gelegene Sehne desM. obliqu. 
ext. von Rana esculenta, parallel zum Verlaufe der Muskel- 
fasern und senkrecht zur Fläche des Muskels. Die vier im 
Schnitte getroffenen Muskelfasern (oe.) sind durch kernreiches 
Bindegewebe mit je einem Faserbündel des elastischen Streifens 
(el) verbunden. Die zu dem untersten Faserbündel gehörende 
Muskelfaser ist nicht mehr im Schnitt getroffen. Der distale 
Theil der Sehne (s) ist frei von elastischen Fasern. (0,2%, 
Chromsäure — Hämatoxylin Delaf., Orcein.) Zeiss, Apochr. 
v. 16,0 mm Brw., Comp.-Oe. No. 4. 

Schnitt durch die ventral gelegene Sehne des M. obliqu. 
ext. von Rana esculenta, parallel zum Verlaufe der Muskel- 
fasern und senkrecht zur Fläche des Muskels. Der durch 
eingelagerte elast. Fasern ausgezeichnete Theil der Sehne (el) 
ist durchsetzt von einer grossen Zahl von Kernen als Ausdruck 
eines aus Bindegewebe bestehenden Gerüstes. Zu beiden 
Seiten des bloss aus Bindegewebe bestehenden Theiles der 
Sehne (s) und zwischen den Muskelfaserenden verlaufen 
capillare Blutgefässe (bg). oe= Muskelfasern des M. obliqu. 
extern. (Sublim.-Alkohol — Hämatoxylin Delaf.) Zeiss, Apochr. 
v. 16,0 mm Brw., Comp.-Oe. No. 4. 

Schnitt durch die ventral gelegene Sehne des M. obliqu. 
ext. v, Rana esculenta, parallel zum Verlaufe der Muskel- 
fasern und senkrecht zur Fläche des Muskels. Das bloss aus 
Bindegewebe bestehende distale Sehnenende (s) und die Ver- 
bindungsstücke zwischen den Muskelfasern und den elastischen 
Einlagerungen haben die der electiven Bindegewebsfärbung 
nach Hansen entsprechende Farbe angenommen. Dagegen 
sind die Muskelfasern (oe) und die Blutkörperchen in den 
capillaren Gefässen (bg) gelb gefärbt. Die elast. Fasern haben 
fast keine Farbe angenommen. Zwischen ihnen treten spär- 
liche Bindegewebsfibrillen als rothe Linien hervor. (Sublim.- 
Alkohol; Säurefuchsin-Pikrinsäure-Gemisch nach Hansen.) 
Zeiss, Apochrom. v. 16,0 mın Brw., Comp.-Oe. No. 4. 


Ueber die in den Sehnen der sehiefen Bauchmuskeln ete. 117 


Fig. 4. Querschnitt durch das distale, keine elastischen Fasern mehr 
enthaltende Ende der dorsal gelegenen Sehne des M. 
obliqu. intern. von Rana esculenta. In den grossen Maschen- 
räumen (m) liegen die Querschnitte der Bindegewebskerne (k). 
(0,2°/, Chromsäure — Hämatoxylin Delaf.) Zeiss, Apochrom. 
v. 3,0 mm Brw. Comp.-Oe. No. 4. 

Fig. 5. Längsschnitt durch das distale, keine elastischen Fasern mehr 
enthaltende Ende der dorsalgelegenen Sehne des M. 
obliqu. extern. von hana esculenta. k= Bindegewebskerne, 
m = Maschenräume. (0,20/, Chromsäure — Hämatoxylin Delaf.) 
Zeiss, Apochrom. v. 3,0 mm Brw., Comp.-Oe. No. +. 

Fig. 6. Längsschnitt durch eine Muskelfaser (mf) des M. obligqu. 
ext. von Rana esculenta mit dem dazu gehörigen Bündel 
elastischer Fasern (el). Die Verbindung beider Gewebe erfolgt 
durch eine kurze Schichte kernreichen Bindegewebes (bk), in 
Form einer Einschnürung. (0,2%, Chromsäure — Hämatoxylin 
Delaf., Orcein), Zeiss, Apochrom. v. 16,0 mm Brw., Comp.- 
Oeul. No. 18. 

Fig. 7. Längsschnitt durch eine Muskelfaser (mf) desM. obliqu. 
intern. von Rana fusca und den dazu gehörigen Theil der 
elastischen Einlagerung (el). Die elastischen Fasern reichen 
bis an die Muskelfaser heran und umgeben vielfache Anasto- 
mosen bildend das Ende derselben mit einem elastischen Netz. 
(Sublim.-Alkohol — Weigert’sche Färbung.) Zeiss, Apochr. 
v. 16,0 mm Brw., Comp.-Oec. No. 18. 


(Aus dem anatomisch-biologischen Institut der Universität Berlin.) 


Ueber die Endverzweigungen der Arterien 
der menschlichen Niere. 


Von 


Dr. M. Zondek. 


Mit 2 Textfiguren. 


Im Laufe der letzten 3 Jahrzehnte sind die makroskopisch- 
anatomischen Untersuchungen der Niere zu Gunsten der mikro- 
skopischen in den Hintergrund gedrängt worden. Es ist darum 
begreiflich, dass sich in vielen anatomischen Lehrbüchern be- 


118 M. Zondek: 


züglich der makroskopischen Anatomie dieses Organs einerseits 
verschiedene ungenaue, selbst unrichtige Angaben finden, und 
dass anderseits schon beschriebene wichtige anatomische Befunde 
garnicht erwähnt sind. 

So ist z. B. das Nierenbecken zumeist weit grösser darge- 
stellt, als es der Norm entspricht, und der Ureter wird gewöhnlich 
als ein gleichmässig eylindrisches Rohr beschrieben, indem man 
stillsehweigend die normale Gestalt des Ureters mit seinen Er- 
weiterungen und Verengerungen als ursprüngliche bezw. erworbene 
Abweichungen von der Norm ansieht ; und ebenso haben in vielen 
Lehrbüchern (Henle, Toldt, Broesicke, Gegenbaur u. a.) 
die natürliche Theilbarkeit der Niere, die Thatsache, dass oft 
2 gesondert aus der Aorta entspringende Aa. renales vorhanden 
sind, u. a. mehr, keine Erwähnung gefunden. 

Von dieser Erwägung ausgehend hatte ich zunächst das 
makroskopische arterielle Gefässsystem der Niere einer einge- 
henden Betrachtung unterzogen !), und diese ermöglichte mir neue 
Erklärungen für die Genese von pathologischen Processen in der 
und um die Niere (Nieren-Abscesse, Paranephritis) und die An- 
gabe von Modificationen von Operationsmethoden an der Niere 
(Nephrotomie, Nieren-Resection), die schon mehrfach Anerkennung 
gefunden (Braatz, Deutsche medic. Wochenschr. 1899 Nr. 10, 
Barth, Chirurgen-Congress 1900) bezw. praktisch angewandt 
worden sind (Israel, Koerte). 

War nun im Gegensatz zu den makroskopischen Unter- 
suchungen der Niere das Studium der mikroskopischen Verhält- 
nisse dieses Organs im allgemeinen nicht so stiefmütterlich be- 
handelt worden, so waren doch speciell die kleinen Arterien der 
Niere nur wenig Gegenstand eingehender Untersuchung. Es 
schien mir darum von Interesse, auch diese einer genaueren Be- 
trachtung zu unterziehen, um so mehr, als gerade hierüber die 
Ansichten der bedeutendsten Anatomen geteilt sind. 

Bei der Verschiedenartigkeit im Bau und der physiolo- 
gischen Bedeutung der Harnkanälchen in der Rinde und im Mark 
drängte sich vielen Autoren die Frage auf, ob das arterielle 
Gefäss-System des Marks und der Rinde nicht gesondert, von 
einander unabhängig ist, oder ob es vielmehr als ein einheit- 


1) Archiv für klinische Chirurgie. 59. Bd. Heft 3. 


Ueber die lindverzweigungen der Arterien der menschl. Niere. 119 


liches aufgefasst werden kann, ob, wieBowman!) und Kölliker) 
es scharf ausgedrückt haben, alles arterielle Blut der Niere 
dureh die Glomeruli führt. 

Bevor ich auf diese strittige Frage eingehe, will ich kurz 
das meinen Untersuchungen zu Grunde liegende Material an- 
geben. Ich habe die Nieren von zwei Neugeborenen, eine Niere 
eines 4jährigen, eines 7 Jahre alten Kindes und zwei Nieren von 
Erwachsenen mit Carmin-Leim im warmen Wasserbade injieirt, 
die Injection ist verschieden stark erfolgt, meistens absichtlich in 
nur mässigem Grade; unmittelbar nach der Injection wurde die 
Niere, zur Erstarrung der Leimmasse, in kaltes Wasser gelegt, 
und nach etwa 10 Minnten, in etwa 12 Teile aufgeschnitten, in 
95°/,igen Alkohol. Die Stücke wurden dann in Celloidin ein- 
gebettet, und, worauf mich Herr Dr. Röthig aufmerksam 
machte, in Formalin gebracht, wodurch die Präparate sehr fest 
an die Holzblöcke fixirt wurden. Die Aufhellung der Sehnitte 
erfolgte durch venetianisches Terpentin. 

An diesen Präparaten fand ich zunächst die Angabe Vir- 
chows?) bestätigt, dass die Arterien, nachdem sie durch die 
columnae Bertini an die Grenze zwischen Mark und Rinde ge- 
langt sind, nicht, wie es gewöhnlich in den Lehrbüchern ge- 
zeichnet ist, unter rechtem Winkel an der Basis der Pyramiden 
entlang führen, dass sie vielmehr unter flachem Bogen bis etwa 
zur Mitte der Basis der Markkegel verlaufen und sich hier in 
die aa. ascendentes auflösen. 

Ein sehr klares Bild über den Verlauf dieser Gefässe er- 
giebt auch die Betrachtung der Corrosinspräparate, auf die es 
gestattet sein mag nur mit wenigen Worten zurückzukommen. 
Die Aeste der A. renalis verzweigen sich im Hilus, zuweilen auch 
im Parenchym der Niere, in Arterien, welche gesondert nach der 
ventralen und nach der dorsalen Nieren-Partie führen. Die Ar- 
terien umschliessen das Nierenbecken ; dementsprechend verlaufen 
sie in einem nach dem Theilungsraum leicht econcaven Bogen, der 
um so grösser ist, je grösser der dorso-anteriore Durchmesser 
des Nierenbeckens ist. An der Grenze zwischen Mark und Rinde 


1) Bowman, Philos. Transactions 1842. I. 

2) Kölliker, Gewebelehre. 

3) Virchow, Ueber die Circulationsverhältnisse in den Nieren. 
Virchow’s Archiv Bd. 12. 1857. pag. 318. 


120 M. Zondek: 


ziehen sie unter sehr flachem Bogen nach der Basis der Mark- 
kegel hin, nachdem sie sich zuvor, der Linie der natürlichen 
Theilbarkeit annähernd parallel, dichotomisch getheilt haben; oft 
tindet auch eine weitere diehotomische Theilung in gleicher Richtung 
statt, und zwar immer so, dass je zwei benachbarte Nebenäste 
einander entgegenstreben; dass hier keine Anastomosen vor- 
kommen, wie Stein annimmt, bedarf wohl keiner besonderen 
Widerlegung. 

In den Lehrbüchern heisst es, dass aus der convexen Ober- 
fläche der arkadenförmig verlaufenden Gefässe die aa. interlobu- 
lares entspringen. Es entsenden jedoch die in leichtem Bogen 
an der Basis der Markkegel vorüberführenden Arterien nach allen 
Richtungen die Aa. ascendentes, nur nach dem Theilungsraum der 
Niere zu sind sie nackt. Das Gleiche gilt von den in den co- 
lumnae Bertini verlaufenden grösseren Gefässen, die nach der 
Peripherie hin divergent ihre Aeste entsenden. 

Virchow hat bereits auf die Verlaufsrichtung der V.afferentia 
aufmerksam gemacht, dass sie i. a. „rückläufig* angeordnet sind. 
In der der Basis der Markkegel zunächst liegenden Schicht der 
Rinde verlaufen sie unter einem mehr oder weniger spitzen Winkel 
nach unten, nach der Peripherie der Rinde zu nehmen sie zu- 
meist eine mehr horizontale und schliesslich eine mehr schräg auf- 
steigende Richtung an; jedoch führen sie nicht in gerader Richtung 
zu den glomeruli, sondern münden zumeist erst nach Bildung eines 
nach oben hin convexen Bogens von oben her in die Glomeruli. Das 
3lut strömt daher in die Glomeruli, schon gegen die Markkegel 
gerichtet, sodass auch der Secretionsdruck nicht nach der Peri- 
pherie der Niere, sondern nach der Marksubstanz, nach den 
Spitzen der Markkegel gelenkt wird. Würde das Blut auf directem, 
seradem Wege in die Glomeruli geführt werden, so würden, wo- 
rauf Virchow mit Recht hinweist, bei dem starken Druck, unter 
welchem das Blut aus der Aorta in die A. renalis und ihre Ver- 
zweigungen geschleudert wird, öfters Zerreissung der Glomeruli 
erfolgen. In dieser Anordnung der V. afferentia ist auch eine 
mechanische Vorrichtung zu sehen, die nächst anderen (worauf 
ich bei einer späteren Gelegenheit hinweisen werde) dazu ge- 
eignet ist, zur Verminderung der Stromgeschwindigkeit des 
Blutes in der Niere und zur vollen Ermöglichung der feinen 
secretorischen Vorgänge in der Niere beizutragen, die nicht so 


Ueber die Endverzweigungen der Arterien der menschl. Niere. 121 


gut vor sich gehen könnten, würde das Blut, ohne besondere 
Hindernisse zu finden, die Niere durchströmen. 

Ich komme nun zu der oben bereits kurz berührten Frage, 
ist das arterielle Gefässsystem der Niere ein einheitliches, oder 
ist es als ein in Bezug auf Mark und Rinde gesondertes auf- 
zufassen. 

Was nun zunächst die Arterien der Rinde betrifft, so ist 
zu bemerken, dass auch hier bereits von einigen Autoren eine 
zwiefache Anordnung angenommen wird: es führen von den Aa. 
ascendentes nicht allein Aeste zu den Glomeruli, um nach Bildung 
eines Wundernetzes zu einem Gefäss, dem Vas. effereus, zusammen- 
zufliessen und dann erst nach einem mehr oder weniger langen 
Verlauf sich in Capillaren zu zertheilen, sondern es entspringen 
aus den Aa. interlobulares auch Zweige, welche direet in das 
die Harnkanälchen umspinnende Netz übergehen. Gerlach !), 
Ludwig ?), Schweigger-Seidel?) vertreten diese Anschauung. 

Gerlach verlegt den Ursprung dieser Gefässe in die Ge- 
gend dicht oberhalb der Markkegel, Ludwig in den oberen Theil 
der Rinde, Schweigger-Seidel findet diese Gefässe in allen 
Theilen der Rinde vor; er muss aber, so lebhaft er auch für seine 
Anschauung eintritt, zugeben, dass er über die Zahl solcher Ge- 
fässe keine bestimmte Vorstellung gewinnen konnte. 

Die meisten Autoren berücksichtigen garnicht diese An- 
gaben, und wenn Virchow, ohne die Möglichkeit solcher Be- 
funde zu bezweifeln, sie für verhältnissmässig sehr selten und 
darum wenig belangreich hält, so kann ich dem auf Grund 
meiner Präparate nur beipflichten. 

Die letzten Ausläufer der Aa. ascendentes schemen in der 
That öfters sich direkt in Capillaren aufzulösen, die die ober- 
flächliche Rindenschicht versorgen. Wenn man aber genau zu- 
sieht, so erkennt man, dass die scheinbar direeten Fortsetzungen 
der Aa. interlobulares Vasa efferentia sind, die gewöhnlich von 
hinten her die Glomeruli verlassen und sich in nach aufwärts 
steigender Richtung in Capillaren zerlegen. 


1) J. Gerlach, Beiträge zur Structurlehre der Niere. Müller’s 
Archiv. 189. 

2) C. Ludwig, Wagner Bd.2. Handwörterbuch der Physiologie. 

3) Schweigger-Seidel, Die Nieren des Menschen und der 
Säugethiere. Halle 1865. 


122 M. Zondek: 


Von den soeben beschriebenen Verzweigungen der A. ascen- 
dentes, welche direet in Capillaren übergehen sollen, sind die- 
Jenigen Aeste der Aa. interlobulares wohl zu unterscheiden, welche 
ebenfalls nicht zu Glomeruli führen, sondern die Tunica fibrosa 
durchbrechen und sich in der Fettkapsel der Niere in Capillaren 
auflösen. Auf diese Aa. perforantes habe ich bereits in meiner 
oben erwähnten Arbeit hingewiesen. 


Das arterielle Gefässsystem der Rinde ist darum im allge- 
meinen als ein einheitliches aufzufassen ; weit wichtiger dagegen 
ist die Frage, ob das arterielle Gefässsystem des Marks als ein 
gesondertes, für sich allein bestehendes zu betrachten ist. 

Diese Frage deckt sich mit der Frage über die Herkunft 
der Arteriolae rectae, derjenigen Gefässe, welche aus dem dicht ober- 
halb der Basis der Markkegel gelegenen Theil der Rinde in die 
Marksubstanz hinabführen, parallel den Sammelröhren verlaufen 
und kurz oberhalb der Spitzen der Papillen in das die Harn- 
kanälchen umgebende Capillarnetz zerfallen. 


Ueber den Ursprung dieser Gefässe werden fast alle über- 
haupt möglichen Ansichten vertreten. 


So betrachten Bowman, Kölliker, Gerlach, Stein!) 
die Arteriolae rectae lediglich als Fortsetzungen der V. efferentia, 
jedoch nur derjenigen, welche dicht oberhalb der Markkegel ge- 
legen sind. 


Huschke, Henle?, Hyrtl?®, Kollmann‘®) leiten die 
Vasa recta ursprünglich von den Capillaren der Rinde ab. Die 
V. reeta würden demnach weder Arterien, noch wirkliche Venen 
sein, sondern den Charakter der Pfortadergefässe haben, die sich 
wieder in Capillaren zerlegen, um erst dann zu Venen zusammen- 
zufliessen. 


Virchow vertritt dagegen lebhaft die früher schon von 
Arnold gemachte Angabe, dass die Arteriolae reetae direct aus den 
Verzweigungen der Nierenarterien vor ihrem Eintritt im die Glo- 


1) Stein, Die Harn- und Blutwege der Säugethier-Nieren. Würz- 
burger medieinische Zeitschrift 1865. 

2) Henle, Handbuch der Eingeweidelehre 1873. 

3) Hyrtl, Lehrbuch der Anatomie des Menschen 1884. S. 771. 

4) Kollmann, Zur Anatomie der Niere. Zeitschr. f. wissensch. 
Zoologie von v. Siebold und Kölliker 14. 1864. 


Ueber die Endverzweigungen der Arterien der menschl. Niere. 123 


meruli hervorgehen. Dasselbe behaupten Donders!), Beate, 
Schweigger-Seidel, Luschka, Golubew?’) Gegen- 
baur°). Virchow stellt das Eindringen der Ausläufer der 
V. efferentia in die Marksubstanz keineswegs in Abrede, hält sie 
aber nicht für die Arteriolae reetae; sie sind vielmehr „langge- 
streckte Ausläufer, welche in das Capillarnetz des Marks, zu- 
weilen nach einer Seite hin in das des Marks, nach der anderen 
in das der Rinde sich auflösen“. 

Gegen die Herkunft der Arteriolae reetae aus den den Mark- 
kegeln zunächst liegenden V. efferentia macht Virchow auf 
die Thatsache aufmerksam, dass die V. efferentia wesentlich 
enger als die V. afferentia sind, dass dagegen die Arteriolae 
reetae ein fast so starkes, ja sogar noch stärkeres Caliber als 
die V. afferentia haben. 
Virchow bemerkt: „Ich 
lege auf diese schon für 
die einfache Betrachtung 
sehr in’s Auge fallende 
Verschiedenheit ein sehr 
grosses Gewicht, weil sich 
daraus von vornherein die 
Unwahrscheinlichkeit er- 
giebt, dass diese grossen 
Stämme aus Vasa efferentia 
abstammen“. 

Bezüglich des Grössen- 


Verhältnisses der Vasa W " 
afferentia und V. efferentia FA 
kann ich den Angaben Vir- ER 7 ! 
chows nur beipflichten; TH 
auch Kölliker’s Mes- = 


sungen ergaben dasselbe, 
wenn auch die absoluten 
Werthe wesentlich kleiner angegeben sind. Ich konnte aber 
gleichwohl die Arteriolae rectae als direete Fortsetzungen der 
V. efferentia nachweisen, da diese nach unten hin allmählich an 


1) Donders, Handbuch der Physiologie. 
2) Golubeso, Internationale Monatsschr. f. Anat. u. Hist. 1858. 
3) Gegenbaur, Lehrbuch der Anatomie d. Menschen. 1893. 


124 M. Zondek: 


Lumen zunehmen und kurz vor ihrer Auflösung in die büschel- 
förmigen Markgefässe oft noch breiter sind, als die Vasa afferentia 
(shrRig.il). 

Wenn Schweigger-Seidel behauptet, dass sich das Vas 
efferens niemals so büschel- und quastenförmig theilt, wie dies 
in den Abbildungen Virchow’s und in seiner Zeichnung gezeigt 
ist, so steht demgegenüber der positive Befund in vielen meiner 
Präparate. 

Gegen die Virchow’sche Anschauung wiederum wandten 
sich Ludwig, Stein, Kölliker, Henle, Hyrtl. Es ist klar, 
wenn es gelingt, die Injeetionsmasse blos bis an die Glomeruli heran 
zu bringen, dass dann die Arteriolae reetae, wenn sie aus den 
Aesten der A. renalis vor ihrem Eintritt in die Glomeruli stammen, 
injieirt werden müssten. Die einschlägigen Versuche der Autoren 
haben hier zu verschiedenen Ergebnissen geführt. Virchow 
hat, um die Masse nur bis an die Glomeruli zu treiben, die Injection 
frühzeitig unterbrochen und eine sehr dicke mit grobkörnigem 
Zinnober vermischte Masse dabei verwandt; seine zuverlässigsten 
Präparate gewann er an einer Niere mit starker amyloider De- 
generation, an denen er mit Sicherheit den Ursprung der Arteriolae 
rectae direet aus den Endästen der A. renalis nachweisen konnte. 
Demgegenüber berichtet Ludwig: „Um solche Präparate mit 
Sicherheit zu erhalten, wurden entweder der Injeetionsmasse 
Zinnober oder Ultramarinkörnchen beigemengt, welche klein genug 
waren, um durch die zuführenden Gefässe der Knäuel in die 
letzteren zu gelangen, aber zu gross, um die feineren Gefässe 
der letzteren zu passiren. Oder ich liess erst die Niere durch 
einen Strom von Wasser, den ich durch die Arterien hinein und 
durch die Venen austreten liess, soweit aufquellen, dass die Niere 
selbst für Wasser undurchgängig wurde, und dann injieirte ich 
gefärbten Leim. Oder endlich ich injieirte unter ganz niederem 
Drucke die Arterie mit gefärbter Masse und schloss das Gefäss, 
nachdem erste Spuren von Färbung auf der Nierenoberfläche 
sichtbar waren. 

Wenn es auf diese Weise gelungen war, die Grenze der 
Injeetion innerhalb der Gefässknäuel zu legen, so fanden sich 
niemals auf Längen- und Querschnitten, die das Mark seiner 
ganzen Ausdehnung nach durchsetzten, injieirte Gefässe vor.“ 

Stein injieirte die A. renalis zunächst mit rother und unmittel- 


Ueber die Endverzweigungen der Arterien der menschl. Niere. 125 


bar darauf mit blauer Masse, so dass die rothe Masse die Glomeruli 
passirt hatte, während die blaue bis zu den Gefässknäueln, 
z. Th. aber auch bis in die V. efferentia gelangte. Die Vasa 
recta waren nun sämmtlieh mit rother Masse angefüllt, nirgends 
aber waren blau gefärbte Vasa recta zu sehen, die sicher hätten 
da sein müssen, würden die V. recta direct aus den Verzweigungen 
der A. renalis bis zu den Vasa afferentia hin entspringen. 
Gegen die ausschliessliche Herkunft der Vasa recta aus 
den V. efferentia, wie sie also von Stein, Kölliker, Gerlach 
angenommen wird, und anderseits zum Beweis für den Ursprung 
derselben aus den Rinden-Capillaren macht Henle geltend, dass 
in Präparaten, in denen die Injeetionsmasse von den Harnkanälchen 
aus in die Capillaren der Rinde extravasirt war, die Glomeruli 
wie immer leer, die Vasa recta aber stark gefüllt waren. 
Sehweigger-Seidel weist dagegen darauf hin, dass 
Capillaren der Rinde in die V. efferentia münden; es können 
darum sehr wohl von den Capillaren aus, ohne dass eine Injection 
der Glomeruli erfolgt, diejenigen Arteriolae reetae gefüllt werden, 
welche die Ausläufer der Vasa efferentia sind. | 
Auch das Hyrtl’sche Experiment hält Schweigger-Seidel 
für nicht beweiskräftig genug, um, wie Kollmann meint, die 
Angaben Virchow’s zu widerlegen. Hyrtl injieirte die Niere 
mit einer in der Wärme flüssigen Harzmasse von den Venen 
aus bis in die Capillaren und, nachdem er das Organ hatte er- 
kalten lassen, injieirte er dann die Arterien mit einer ätherischen 
Masse. In diesem Präparat fand er die V. recta nur mit der 
von den Venen aus injieirten Harzmasse angefüllt. Schweigger- 
Seidel bemerkt dagegen, Hyrtl gebe selbst an, dass bei seinen 
Capillarinjeetionen die V. efferentia gefüllt wurden, ebenso gut 
„konnte oder musste die Masse von den Capillaren aus auch in 
die eigentlichen Arteriol. reetae eingedrungen sein, so dass dieselben 
später von der Arterie aus nieht mehr injieirt werden konnten.“ 
Ich habe nun zur Entscheidung der Frage über die Her- 
kunft der Arteriolae reetae über 100 Präparate untersucht und 
habe mich zunächst bemüht, ihren Ursprung aus den direeten 
Verzweigungen der A. renalis bis zu den Vasa afferentia hin 
nachzuweisen. Auf die Schwierigkeit der einschlägigen Unter- 
suchungen haben bereits fast alle Autoren hingewiesen, denn 
die Vasa reeta verlaufen zumeist in einer den grösseren Arterien, 


126 M. Zondek: 


aus denen sie entspringen sollen, geradezu entgegengesetzten 
Riehtung, und dazu kommt noch, worauf ich besonders hinweisen 
möchte, dass der obere Theil des Gefässes wiederum oft in einer 
anderen Ebene als der untere Theil gelegen ist. Man wird darum 
die Arteriolae reetae in ihrem ganzen Verlauf nur in recht dieken 
Schnitten verfolgen können. Das bringt aber wiederum einen 
Nachtheil mit sich, denn, je dieker der Schnitt ist, desto mehr 
geht die Uebersichtlichkeit verloren, desto grösser wird die ohne- 
hin schon vorhandene Schwierigkeit sich deckende Gefässe von aus- 
einander entspringenden zu unterscheiden. Ich habe die Schnitte 
durch Mark und Rinde, in einer Dicke von 100—180 u, und dann 
nicht immer in derselben, sondern in verschiedenen Richtungen 
angelegt. Bei der Güte der Injeetionsmasse, welche mir durch das 
Institut freundlichst zur Verfügung gestellt wurde, ergaben die 
Präparate trotz der ausserordentlichen Dicke anschauliche und 
klare Bilder, und die Betrachtung mit dem Stereoskop-Mikro- 
skop erleichterte erheblich die Durchsicht der grossen dieken 
Schnitte. 

Bei oberflächlicher Betrachtung der Präparate sieht man 
nun oft eine grosse Zahl von Vasa reeta, welche von einem 
grösseren Ast der A. renalis zu entspringen scheinen. Sieht 
man aber genauer zu, so zeigt sich, dass sie von hinten her in 
Bündeln bogenförmig über die Arterie hinwegziehen; sie sind oft 
oben abgeschnitten, sodass auch ihre anderweitige Herkunft nicht 
nachgewiesen werden kann. Sehr leicht zu Täuschungen führen 
ferner Präparate, in welchen die quastenförmig verlaufenden 
Gefässe dicht an einer grösseren Arterie gelegen sind, die man 
aber bei genauerer Betrachtung als Fortsätze von Vasa efferentia 
erkennen kann, die höher entspringen und hinter der Arterie 
hervorkommen oder gabelförmig sie umklammern und unmittelbar 
unterhalb derselben sich quastenförmig vertheilen. Besonders 
beachtenswerth sind ferner einzelne Vasa afferentia, welche in 
dem untersten Theile der Rinde bezw. in den Columnae Bertini 
horizontalwärts bezw. in leichtem Bogen nach unten verlaufen 
und so lang sind, dass sie kurz vor ihrer Einmündung in die 
Glomeruli abgeschnitten, sehr leicht als Arteriolae reetae imponiren 
können. 

Von diesen leicht zu Täuschungen führenden Befunden ab- 
gesehen, habe ich jedoch in mehreren Präparaten den Ursprung 


Ueber die Endverzweigungen der Arterien der menschl. Niere. 127 


von Art. reet. aus den grösseren Aesten der A. renalis mit Be- 
stimmtheit nachweisen können (s. Fig. 2). Das sind allerdings 
relativ seltene Befunde; bei der Schwierigkeit ihres sicheren 
Nachweises ist darum jedoch die Schlussfolgerung nicht gerecht- 
fertigt, dass diese Herkunft der Art. rectae selten und darum 
wenig beachtenswerth sein muss. 


Figur 2. 


Demgegenüber sind die Arteriolae reetae in fast allen Prä- 
paraten und stets vielfach als directe Ausläufer der Vasa efferentia 
zu erkennen; die derart entspringenden Arteriolae rectae sind 
darum relativ sehr häufig. 

Wie Schweigger-Seidel habe auch ich eorticale Capillaren 
in die Vasa efferentia einmünden sehen, und kann darum diesem 
Autor in seinen oben angegebenen Widerlegungen der An- 
schauungen von Henle, Kollmann, Hyrtlu..a. nur bei- 
pflichten. 

An Präparaten mit sehr starker Injection sind besonders 
gut, worauf auch Virchow hingewiesen, die capillären Ausläufer 
des corticalen Maschennetzes parallel den Arteriolae rectae in 
das Mark zu verfolgen. 


128 


(Aus dem Laboratorium des Prof. A. E. Smirnow an der Tomsker 
Universität.) 


Ueber das elastische Gewebe des Haarbalgs 
der Sinushaare nebst Bemerkungen über die 
Blutgefässe der Haarpapille. 


Von 
P. Ksjunin. 


Hierzu Tafel IX. 


Indem ich mich unter Anleitung meines hochverehrten 
Lehrers, Prof. Dr. A. E. Smirnow, mit der Untersuchung des 
Baues, der Innervation und Blutversorgung der Spür- oder Sinus- 
haare beschäftigte, habe ich meine Aufmerksamkeit besonders 
auf die Anordnung der elastischen Fasern in den verschiedenen 
Abtheilungen des bindegewebigen Haarbalgs gerichtet. Veranlasst 
wurde diese Untersuchung erstens durch den Umstand, dass in 
der umfangreichen Literatur über die Sinushaare bis jetzt über 
diese Frage nur wenige und unvollständige Hinweise existiren und 
zweitens durch den Wunsch, mich davon zu überzeugen, ob nicht 
ein Theil der elastischen Fasern des Haarbalgs in einer mehr 
oder weniger engen Beziehung zur Glashaut der Spürhaare steht, 
oder ob diese Beziehung — nach den bekannten Untersuchungen 
von R. Bonnet — nur eine scheinbare ist, welche durch den 
eigenartigen Bau der structurlosen Membran bedingt wird. Bei 
der Bearbeitung dieser Frage bin ich auf einige Facta gestossen, 
welche den Gegenstand dieser Mittheilung bilden sollen. 

Bevor ich zur Darlegung der Methode und des Resultats 
meiner Untersuchungen schreite, erlaube ich mir eine kurze Zu- 
sammenstellung der in der Literatur vorhandenen Daten über den 
Bau des bindegewebigen Balgs der Spürhaare im besonderen und 
der Beziehungen des elastischen Gewebes des genannten Haar- 
balgs zum collagenen Gewebe im allgemeinen zu geben. Das 


Das elastische Gewebe des Haarbalgs etc. 129 


letztere bildet bekanntlich die Hauptmasse der Hülle der 
Wurzel der Spürhaare. Alle Abtheilungen des Haarbalgs wollen 
wir nacheinander, von aussen nach innen fortschreitend, d. h. 
indem wir uns allmählich der Glashaut des Haarbalgs nähern, 
durchmustern. 

Bezüglich des äusseren Theils des bindegewebigen Haarbalgs 
ist durch die früheren Untersuchungen bereits festgestellt, dass der- 
selbe Aehnlichkeit hat mit dem Corium der Haut der Säugethiere 
(Leydig, Dietl etc... Sonach besteht der äussere Theil des Haar- 
follikels aus Bündeln bindegewebiger Fasern, welche vorzugsweise 
der Länge nach verlaufen; zwischen den Fasern des Bindegewebhes 
liegen abgeplattete Bindegewebszellen. 

Hinsichtlich des mittleren Theils des Haarbalgs ist festgestellt, 
dass dessen Gerüst aus einem bindegewebigen Balkenwerk besteht, 
welches sich von der äusseren fibrösen Kapsel hauptsächlich in der 
Richtung nach oben und nach innen hinzieht, wobei die Balken in 
der Nähe der äusseren Wurzelscheide, hauptsächlich im Gebiete unter- 
halb des Kreissinus zusammenfliessen und in den inneren Theil des 
Haarbalgs übergehen. Die Balken des cavernösen Gewebes, welche die 
äusseren und inneren Theile des Haarbalgs verbinden, bestehen aus 
einem faserigen Bindegewebe, das viel zarter ist und zahlreichere 
Zellen enthält, als dasjenige, welches die oben beschriebene äussere 
fibröse Kapsel des Spürhaars bildet. Unter den collagenen Fasern, 
welche die Hauptgrundsubstanz der bindegewebigen Trabekeln des 
cavernösen Gewebes bilden, beobachtet man auch elastische Fasern 
(Leydig, Dietl). Die zahlreichen Zellen haben im Vergleich zu den- 
jenigen in der äusseren fibrösen Kapsel eine rundliche Form; sie be- 
sitzen nicht soviel Fortsätze, als die Zellen im inneren Theile des binde- 
gewebigen Balgs der Spürhaare (Leydig, Diet). 

Der innere Theil des bindegewebigen Balgs der Spürhaare, 
welcher die Epithelial-Wurzelscheide unmittelbar umgiebt und von 
dieser letzteren nur durch die Glashaut getrennt ist, besteht aus einem 
zarten faserigen Bindegewebe. Die Hauptmasse dieses Theils des 
Haarbalgs ist aus collagenen Fasern zusammengesetzt, unter welchen 
man auch elastische antrifft. Die Zellen des inneren Theils des 
bindegewebigen Haarbalgs haben eine spindel- oder sternartige 
Form; sie enthalten ziemlich grosse Kerne und anastomosiren oft mit- 
einander durch lange, zuweilen sich verzweigende Fortsätze (Diet]). 
Im Gebiete des oberen und des unteren Endes des Haarfollikels ver- 
einigt sich der innere Theil des Balgs mit dem äusseren, wobei an 
diesen Stellen ein allmählicher Uebergang des einen in den anderen 
Theil stattfindet und irgend eine scharfe Grenze zwischen den ge- 
nannten beiden Theilen nicht zu bemerken ist (Dietl, Bonnet). 

Im Gebiete des oberen Endes des Haarfollikels verdickt sich der 

Archiv f. mikrosk. Anat. Bd. 57 9 


130 P. Ksjunin: 


innere Theil des bindegewebigen Haarbalgs bei seinem Uebergang in 
die äussere fibröse Kapsel allmählich, so dass dieser Abschnitt desselben 
die Form eines mit seiner Spitze nach unten gerichteten Kegels an- 
nimmt („kegelförmiger Körper“ Odenius’). Die Grenzen dieses Kör- 
pers bilden nach oben der Boden der Talgdrüse, nach unten der 
venöse Sinus, in welchen er in Gestalt eines mit seiner Grundfläche 
nach oben gerichteten Kegels hineinragt. Der kegelförmig gebildete 
Körper des inneren Theils des bindegewebigen Haarbalgs steht seinem 
histologischen Bau nach sehr nahe diesem ganzen inneren Theile; 
demnach besteht die Grundsubstanz des kegelförmigen Körpers aus 
collagenen Fasern, zwischen denen Zellen mit grossen Kernen wahr- 
zunehmen sind; hier trifft man auch elastische Fasern an; auf irgend 
welche charakteristische Anordnung der letzteren in dem besprochenen 
(Gebiete weisen die früheren Forscher nicht hin. 

Unterhalb des kegelförmigen Körpers befindet sich die sogen. 
„eompacte Lage des Schwammrohrs“, unter welcher Benennung man 
nach Dietl, entgegen der Ansicht der Mehrzahl der Forscher, nicht 
den ganzen inneren Theil des bindegewebigen Haarbalgs verstehen 
muss, sondern nur denjenigen Abschnitt desselben, welcher unmittelbar 
unter dem Kreissinus liegt, an der Stelle, wo die herabsteigenden 
Querbalken des cavernösen Körpers in grösserer Anzahl ineinander 
fliessen. In dem compacten Abschnitt des inneren Theils des Haarbalgs, 
welcher mit aneinandergereihten elastischen Fasern angefüllt ist und 
zahlreiche spindel- und sternförmige Körperchen mit langen Fortsätzen 
enthält, findet man, nach der Beschreibung Dietl’s, auch „runde viel- 
granulirte Zellen von dem Aussehen der Wanderzellen in grösserer 
oder geringerer Zahl (Maus, Ratte, Katze, Kaninchen), die vor den 
anderen blassen Kernen sehr deutlich hervortreten“ (l.c. S. 221). Von 
irgend einer Charakteristik in der Anordnung der elastischen Fasern 
in dem collagenen Gewebe des compacten Abschnitts des cavernösen 
Körpers ist bei den früheren Forschern keine Rede. 

Wir wollen noch einige Worte über einen eigenartigen Abschnitt 
des inneren Theils des bindegewebigen Balgs der Spürhaare hin- 
zufügen. 

Im Gebiete des venösen Sinus, nahe dessen Mitte, bildet der 
innere Theil des bindegewebigen Balgs der Spürhaare einen Wulst, 
welcher in die Höhlung des Ringsinus hineinragt. Die ersten Angaben 
von diesem Gebilde wurden von Odenius mitgetheilt, welcher dasselbe 
„Ringwulst“ nannte. Nach ihm hat der Ringwulst die Form eines 
Halbmonds; er geht von dem inneren Theil des bindegewebigen Haar- 
balgs aus und erstreckt sich in den venösen Sinus, indem er die 
Epithel-Wurzelscheide in einer Ausdehnung von °/, bis ?/, von deren 
Peripherie umfasst. Nach der Meinung von Odenius unterscheidet 
sich der Ringwulst histologisch durch nichts von dem denselben bildenden 
inneren Theile des bindegewebigen Haarbalgs. In der Folge wurde 


Das elastische Gewebe des Haarbalgs etc. 131 


der Wulst von Dietl sehr sorfältig untersucht, der ihn als „schildför- 
migen Körper“ bezeichnete. Die Ergebnisse dieses Forschers wurden 
darauf von Bonnet eingehend nachgeprüft und vollständig zutreffend 
befunden. Hiernach wird der Ringwulst nur dort angetroffen, wo es 
einen Sinus giebt, und daher kann von ihm keine Rede sein bei den 
Spürhaaren des Rindes, des Schafes und des Pferdes. Was die Spürhaare 
des Schweinsrüssels anbetrifft, so giebt es, obgleich hier weder ein Ring- 
wulst noch ein venöser Sinus existirt, dennoch bereits deutliche Anzeichen 
von der Bildung des einen wie des andereu; einer der gewöhnlichen 
Trabekeln des cavernösen Körpers mit allen für ihn charakteristischen 
histologischen Elementen (colagenen und elastischen Fasern, wie auch 
Zellen, die einen Kern enthalten) erscheint hier viel dicker als die anderen, 
weshalb derselbe an den schildförmigen Körper erinnert. Die Aehnlich- 
keit wird dadurch noch erhöht, dass das den Trabekel umgebende Ge- 
webe mehr oder weniger verdünnt ist, so dass man an dieser Stelle etwas 
in der Art eines venösen Sinus erhält. Bei charakteristischen Spür- 
haaren enthält der venöse Sinus in seiner Höhlung stets den schild- 
förmigen Körper. An Querschnitten hat der letztere die Form eines 
Halbmondes oder einer Sichel, welche sich der Wurzelscheide in °/, 
ihres Umkreises anschliesst. An Längsschnitten des Spürhaars kann 
man die Theile des genannten Gebildes an beiden Seiten der Wurzel- 
scheide wahrnehmen; diese Theile stellen sich in Art von Halbkreisen 
oder besser gesagt in Nierenform dar, welche mit ihrer Einbiegung 
an dem inneren Theile des bindegewebigen Haarbalgs befestigt sind, 
während der bauchig gewölbte Theil derselben frei in die Höhlung 
des Sinus hineinragt. Man kann sich leicht von dem Endergebniss 
Dietl’s über die Form des genannten Gebildes überzeugen. In dem- 
jenigen Theile des venösen Sinus, in welchem ein Drittel der von dem 
schildförmigen Körper nicht umfassenen äusseren Wurzelscheide liegt, 
kann man ein einmaschiges cavernöses Gewebe wahrnehmen. Der 
histologische Bau des schildförmigen Körpers ist im allgemeinen der- 
selbe, wie der innere Theil des Haarbalgs; seine Hauptmasse besteht 
demnach aus einem collagenen Bindegewebe mit elastischen Fasern; 
in diesem Fasergewebe liegen zahlreiche, zum Theil runde, zum Theil 
sternförmige Zellen (OÖdenius, Diet]). 

Der innere Theil des bindegewebigen Haarbalgs der Spürhaare 
ist von der äusseren Wurzelscheide durch die Glashaui getrennt, 
welche sich an Längs- wie an Querschnitten des Spürhaars in Gestalt 
eines mehr oder weniger hellen Grenzstreifens darstellt. Die Glas- 
haut wurde bereits im Jahre 1851 von Ü. Gegenbaur beschrieben, 
nach dessen Untersuchungen dieselbe „eine structurlose Membran ist, 
glashell, eine gleichmässige Dicke hat und oben mit deutlichem freien 
Rande endet“ (l.c. S. 21). An diese structurlose Membran legen sich 
unmittelbar die bindegewebigen Fasern des inneren Theils des Haar- 
balgs an; einige von ihnen sind nach der Beobachtung Gegenbaur's 
stärker an die structurlose Membran befestigt als andere, 


132 P. Ksjunin: 


Die Ansicht Gegenbaur’s von der Glashaut wurde von Leydig 
getheilt, welcher bereits eine genauere Angabe über die Natur der 
dieser Membran dicht anliegenden Fasern giebt. Er sagt: „Die homo- 
gene Grenzlage (resp. Grenzhaut der schwammigen Schicht) zeigt an 
der äusseren Seite scharfe Linien, welche von feinen elastischen, dicht 
beisammenliegenden Fasern herrühren (Hund, Pferd)“ (l. e. S. 717). 
Allein Odenius (1866) konnte die Frage nicht unzweifelhaft entscheiden, 
ob die feine Streifung der äusseren Oberfläche der Glashaut in Wirk- 
lichkeit durch das Durchdringen der elastischen Fasern an dieser Stelle 
bedingt sei, wie dieses Leydig annimmt, oder ob die hier in grösserer 
Anzahl beobachteten parallelen Linien vielmehr als Ausdruck einer 
Leisten- und Rippenbildung der structurlosen Membran selbst erscheinen. 

Diese letztere Meinung theilt Bonnet, während er die Angaben 
Gegenbaur's und Leydig’s über das Vorhandensein von elastischen 
Fasern, welche die äussere Oberfläche der Glashaut der Länge nach 
durchsetzen, als nicht zutreffend bezeichnet. 

Auf der inneren Oberfläche hat die Glashaut — nach Bonnet — 
ebenfalls ein ganzes System von Vorsprüngen, von denen die be- 
deutenderen eirculär verlaufen, während die kleineren sich in der 
Längsrichtung hinziehen; diese wie jene reichen in die äussere Wurzel- 
scheide, in die Zwischenräume zwischen deren Cylinderzellen, hinein. 
Indem sich die wallartigen Vorsprünge der Glashaut eirculär und der 
Länge nach anordnen, theilen sie die innere Oberfläche derselben in 
Abschnitte von verschiedener Grösse; ausserdem trägt die innere Ober- 
fläche der Glashaut die Abdrücke der derselben anliegenden Cylinder- 
zellen der äusseren Wurzelscheide. 

Auch beobachtete Bonnet, dass die Glashaut aus zwei Schichten 
besteht, welche sich zu den sie färbenden Flüssigkeiten verschieden 
verhalten. Die peripherische Schicht färbt sich also intensiver, und 
daher unterscheidet sich die Glashaut an Carmin- und Hämatoxylin- 
Präparaten von dem inneren Theile des bindegewebigen Haarbalgs 
durch sehr scharfe Contouren; die innere Schicht, d. h. diejenige, 
welche den Cylinderzellen der äusseren Wurzelscheide unmittelbar 
anliegt, erscheint dagegen immer blass. Ausserdem bemerkt Bonnet: 
„Bei schwacher Vergrösserung zeigt die innere blasse ungefärbte 
Schicht im Gegensatz zur völlig glatten und homogenen äussern 
ein fein granulirtes Aussehen‘ (l. ec. S. 353). Bei stärkerer Vergrösserung 
erweist sich die innere Schicht der Glashaut als porös — man be- 
obachtet in ihr Löcher und Spalten. 

Die Glashaut lässt sich von der grösseren Verdickung der Haar- 
zwiebel (wo die Glashaut in Form eines sehr feinen hellen Streifens 
erscheint) bis zum Halse des Haars einschliesslich verfolgen. Hier, im 
(Gebiete über dem verdickten Theile der äusseren Wurzelscheide, bildet 
die Glashaut mehr oder weniger bedeutende Querfalten. Ob die 
Glashaut in die Membrana propria der Talgdrüsen übergeht, um sich 


Das elastische Gewebe des Haarbalgs ete. 133 


dann in der peripheren Grenzmembran der Cutis fortzusetzen — diese 
Frage lässt Bonnet unentschieden. 

Die späteren Forscher haben sich nicht speciell mit der Unter- 
suchung des histologischen Baues der Glashaut der Spürhaare be- 
schäftigt, sodass die Untersuchungen Bonnet’s, so viel mir bekannt, 
der Zeit nach die letzten sind und dank ihrer Genauigkeit mit Recht 
in der Literatur über die Spürhaare als herrschende gerechnet werden 
können. 

Ueber die elastischen Fasern im bindegewebigen Haarbalge findet 
man noch folgende Angaben: 

Bei A.v. Kölliker (Hdb. der Gewebelehre des Menschen 6. Aufl. 
1889, Bd. I S. 234): „Die äussere Faserhaut besteht aus gewöhnlichem 
Bindegewebe mit längsverlaufenden Bündeln, mit vielen elastischen 
Fasern an ihrer Oberfläche und im Innern mit ziemlich vielen läng- 
lichen, spindelförmigen kleinen Bindegewebskörperchen und in seltenen 
Fällen einzelnen Fettzellen.“ 

Bei J. Renaut (Traite d’Histologie pratique. T. II, Fascieule 1. 
1897 p. 325): „Entre cette (membrane) vitr&e et le plan des faisceaux 
fibreux annulaires on voit une couche de fibres et de grains elastiques. 
Elle envoie des expansions entre les deux couches connectives du sac 
et de la gagne le syst&öme gen6rale des fibres elastiques du derme avec 
lequel elie se continue.“ 


Nachdem ich einen kurzen Ueberblick auf die bekannten 
Daten über den histologischen Bau der verschiedenen Theile 
des bindegewebigen Balgs der Spürhaare geworfen und die 
Hinweise über die Lage und Anordnungsweise der elastischen 
Fasern im collagenen Gewebe der Wurzelscheiden der Spürhaare 
angeführt habe, gehe ich zur Darstellung der Methode und der 
Ergebnisse meiner eigenen Untersuchungen über. 


Zum Studium des Baues der Spürhaare präparirte ich mittelst 
der Scheere die Haarfollikel von frisch getödteten Thieren — des 
Hundes (Canis familiaris), der Katze (Felis domestica), der Ziege (Capra 
hircus), des Kalbes (Bos taurus), des Hasen (Lepus variabilis), des 
Kaninchens (Lepus cuniculus), des Meerschweinchens (Cavia cobaya), 
der Maus (Mus musculus), des Hamsters (Cricetus frumentarius), des 
Backenhörnchens (Tamias striatus) und der Wühlmaus (Arvicola 
terrestris). 

Die Haarfollikel, welche einzeln oder zu Bündeln von 3—4 zu- 
sammen gewonnen waren, wurden wie gewöhnlich in Spiritus, Formalin, 
Sublimat, Flemming’scher Mischung, doppeltehromsaurem Kali, 
Müller’scher Flüssigkeit gehärtet. Nach der Erhärtung wurde das 
Objeet wie gewöhnlich in Celloidin oder Paraffin eingebettet. Ferner 
wurden mittelst des Mikrotoms Längs- und Querschnitte (4—8 Mikra), 
zuweilen auch eine ganze Reihe von Schnitten hergestellt. 


134 P. Ksjunin: 


Zur Färbung der elastischen Fasern des bindegewebigen Balgs 
der Spürhaare bediente ich mich anfangs des Orceins, in der Folge 
wurden aber die damit erzielten Resultate mittelst des neuen Farbmittels 
Weigert's nachgeprüft, welches sich für die Objecte meiner Unter- 
suchungen besonders tauglich erwies. 

Wie gesagt, gaben die ÖOrcein-Präparate vollkommen gute 
Resultate. Diese Färbung wurde in der Weise ausgeführt, wie sie 
von Prof. A. E. Smirnow angegeben ist, und zwar: zu 200 cem der 
Örcein-Lösung (nach Unna) -—- (Orcein [von Grübler] 0,5 + Alcoh. 
abs. 40,0-+- Aquae dest. 20,0 + Acid. hydrochlor. 20 gutt.) — wurden (nach 
Anweisung von Prof. Smirnow) 0,5 gr Pikrinsäure hinzugefügt. 
Die Schnitte blieben in dieser Lösung von 15—20 Min. bis zu einer 
Stunde liegen. Dann wurden die Präparate in absoluten Aikohol 
(nieht angesäuerten) gebracht; hierin blieben sie so lange, bis der 
Alkohol keine Farbe mehr herauszog. Darauf wurden die Präparate 
inirgend ein ätherisches Oel gebracht (Nelkenöl, Bergamottöl, Ol. ros- 
marini). Schliesslich erfolgte die Einbettung in Harz. 

Bisweilen wurde eine doppelte Färbung vorgenommen und zwar 
zuerst durch Orcein und darauf durch Pikrocarmin, seltener durch 
Ehrlich’s Hämatoxylin. 

Die Weigert’sche Färbung wurde unter genauer Beobach- 
tung aller vom genannten Autor angegebenen Vorschriften ausge- 
führt!). Die Paraffin- oder Celloidin - Schnitte wurden in die Wei- 
gert’sche Flüssigkeit auf 20 Minuten bis zu einer Stunde eingetaucht. 
Darauf folgte das Abspülen in Spiritus und die Aufhellung durch 
Xylol (aber durchaus nicht durch Nelkenöl etc.), wie es Weigert 
empfiehlt. Auf Anrathen von Prof. A. E. Smirnow benutzte ich zur 
Aufhellung gewöhnlich Oleum Origani, wodurch ebenso gute Resultate 
erzielt wurden, wie bei Anwendung von Xylol. Soviel ich bemerken 
konnte, färben sich die Celloidin-Schnitte viel schlechter als die Paraffin- 
Schnitte. Zuweilen blieben die Schnitte in der färbenden Flüssigkeit 
einige Stunden liegen, danach musste man sie, auf Weigert's An- 
rathen, in Alkohol eintauchen, der mit Salzsäure angesäuert war, 
damit die erforderliche Differenzirung in der Farbe hervortrat. Am 
besten erwies es sich, wie die Versuche lehrten, wenn man die (Paraffin-) 
Schnitte der Spürhaare nicht länger als 15—20 Min. in der Wrigert- 
schen Färbflüssigkeit liegen liess, dann erscheinen die elastischen Fasern 
dunkelblau, zuweilen fast schwarz, während das dieselben umgebende 
Gewebe mehr oder weniger blass bleibt; das letztere beginnt sich 
bei längerer Einwirkung der Weigert’schen Flüssigkeit zu färben, 
und dann treten die elastischen Fasern selbstverständlich nicht mehr 
so deutlich hervor. 


1) C. Weigert, „Ueber eine Methode zur Färbung elastischer 
Fasern“. (Centralblatt für allgem. Pathologie und patholog. Anatomie 
Bd. IX, No. 8/9. 1898, Mai.) 


Das elastische Gewebe des Haarbalgs ete. 135 


An unseren Präparaten lässt sich erkennen, dass die äussere 
fibröse Kapsel des Haarfollikels in ihrer Hauptmasse aus Bündeln 
von collagenen Fasern besteht; diese Bündel sind, wie man an 
Querschnitten deutlich wahrnehmen kann, von einander durch 
enge Spalten getrennt und haben eine verschiedene, ziemlich 
unregelmässige Form und Dieke. Die fasrigen Bündel gehen 
vorzugsweise in der Richtung von oben nach unten und erscheinen, 
wie die Längsschnitte zeigen, mehr oder weniger wellenförmig 
(Fig. 1). Unterhalb, im Gebiete der Haarzwiebel, d. h. dort, wo 
die fibröse Kapsel durch die m den Boden des Follikels hinein- 
ragende Haarpapille durchbrochen wird, verlaufen die fasrigen 
Bündel nieht mehr vertikal, sondern schräg oder sogar mehr oder 
weniger in horizontaler Richtung. Zu den collagenen Fasern, 
welehe die Hauptmasse des äusseren Theils des bindegewebigen 
Haarbalgs bilden, gesellen sich zwischen den leimgebenden Bündeln 
gelagerte elastische Fasern, wie dieses bereits aus der oben an- 
geführten Literatur bekannt ist. Auf Grund unserer Präparate 
müssen wir den Schluss ziehen, dass die elastischen Fasern, 
welche im allgemeinen die Richtung der collagenen Bündel ein- 
halten, durch Anastomosen unter einander Netze bilden, ähnlich 
denjenigen, welche man im Corium in der mittleren und unteren 
Schicht wahrnehmen kann. Die Vertheilung der elastischen 
Fasern in dem collagenen Gewebe ist keine gleichmässige, son- 
dern man kann an den Präparaten bald einzelne elastische Fasern, 
bald stellenweise eine bedeutende Anhäufung derselben beobachten, 
wie dieses aus Fig. 2 ersichtlich ist. 

Der mittlere Theil des Haarbalgs besteht im allgemeinen 
aus einem fasrigen feinbüschligen Gewebe. Die Hauptmasse der 
bindegewebigen Trabekel des cavernösen Körpers besteht aus 
collagenen Fasern, aber mit einer grösseren Beimischung von 
elastischen Fasern, als dieses in dem äusseren T'heile des Haar- 
balgs stattfindet. Die Bündelchen collagener Fasern des caver- 
nösen Körpers sind nieht zu dieken Fasernbündeln vereinigt, wie 
wir dieses in der äusseren fibrösen Kapsel gesehen haben; hier 
weichen die collagenen Fasern und deren Bündelchen, welche im 
allgemeinen die Hauptrichtung der Balken einhalten, d. h. haupt- 
sächlich von aussen und von unten nach innen und nach oben 
verlaufen, oft von dieser Hauptrichtung ab und verzweigen sich 


136 P. Ksjunin: 

n 
unter einander. Die elastischen Fasern in den Balken des caver- 
nösen Körpers verlaufen in derselben Richtung wie die colla- 
genen Fasern. An derjenigen Stelle, wo die Trabekeln des caver- 
nösen Körpers zusammenfliessen und eine mehr oder weniger 
dichte fasrige Platte als Grenze des Kreissinus bilden, sind die 
elastischen Fasern in grösserer Anzahl anzutreffen, als an den 
übrigen Stellen des mittleren Theils des bindegewebigen Haar- 
balgs (Fig. 1). 

Betrachten wir nun die Art und Weise der Anordnung der 
elastischen Fasern und deren wechselseitige Beziehung zu den 
collagenen Fasern in den verschiedenen Abtheilungen des inneren 
Theiles des bindegewebigen Balgs der Spürhaare. 

Die Bündel und Bündelehen der eollagenen Fasern im inneren 
Theile des bindegewebigen Haarbalgs sind, wie die Quer- und 
Längsschnitte zeigen, nach zwei Hauptrichtungen vertheilt — 
die einen verlaufen der Länge der Wurzelscheide nach, die an- 
deren der Quere nach, indem sie dieselbe umgürten. In dem 
Gebiete unterhalb der Talgdrüsen findet die letztere Anordnung 
dem Anscheine nach vorzugsweise immer statt, wie bereits 
Bonnet bemerkte. In dem peripherischen Abschnitte des inneren 
Theils des Haarbalgs trifft man die elastischen Fasern anscheinend 
nur in geringer Anzahl an; sie verlaufen im collagenen Gewebe 
bald eireulär, bald durchdringen sie dasselbe von der Peripherie 
zum Centrum, indem sie von den Trabekeln des cavernösen Kör- 
pers aus dahin gelangen und ihre Richtung nach der inneren 
Grenzschicht des bindegewebigen Haarbalgs nehmen, d. h. zu 
der sogen. Glashaut. Diese Glashaut kann man auf mehreren 
der beigefügten Zeichnungen wahrnehmen. In der Nähe der 
Epithel-Wurzelscheide trifft man die elastischen Fasern in unver-, 
gleichlich grösserer Anzahl an, als in dem peripherischen Ab- 
schnitte des inneren Theils des Haarbalgs: hier bilden die elasti- 
schen Fasern zwei sehr diehte Geflechte und Netze, ein äusseres 
eireuläres und ein inneres langgezogenes. Bevor ich aber von 
den Geflechten und von den Netzen der elastischen Fasern 
spreche, seien noch einige Worte über die Glashaut selbst ge- 
stattet. Die Glashaut der Spürhaare erscheint als ein heller 
Grenzstreifen. An Längsschnitten kann man wahrnehmen, dass 
die Glashaut gewöhnlich unten im Gebiete der grössten Ver- 


Das elastische Gewebe des Haarbalgs ete. 137 
diekung der Haarzwiebel beginnt, wie dieses bereits R. Bonnet 
beobachtet hat, wobei sie hier in ihrem Anfange in Art eines 
äusserst feinen Streifens erscheint. Nach oben verdiekt sich die 
Glashaut allmählich; im Gebiete der Mitte der Haarwurzel, d.h. 
der birnförmigen oder ovalen Verdickung der letzteren, erlangt 
sie ihre grösste Dieke, und indem sie ferner den erweiterten 
Theil der äusseren Wurzelscheide bekleidet, verdünnt sie sich 
wieder, sodass man sie fast niemals bis dieht an die Talgdrüsen 
verfolgen kann, und deshalb ist es auch, wie Bonnet ganz 
richtig bemerkt, schwer mit Gewissheit zu sagen, ob die Glas- 
haut unmittelbar im die Membrana propria der Talgdrüsen über- 
geht. Im Gebiete des Haarhalses, d. h. unterhalb der Talg- 
drüsen, bildet die Glashaut, wenn auch nicht „immer“, wie 
Bonnet sagt, so doch jedenfalls sehr häufig einige ziemlich 
grosse Querfalten. 

Die Glashaut stellt wahrscheinlich nichts anderes dar als 
die innerste compacte, fast homogene Grenzschicht des bindege- 
webigen Haarbalgs und liegt der äusseren Epithel-Wurzelscheide 
unmittelbar an. Die Cylinderzellen der äusseren Wurzelscheide, 
welche die Aussenreihe der letzteren bilden, lassen Fortsätze 
ihrer peripherischen Seite in die Substanz der Glashaut hinein- 
ragen, in dieselbe hineingedrängt werden, und daher sind die 
Cylinderzellen der Wurzelscheide, wie schon längst bemerkt wor- 
den, sehr schwer von der homogenen Grenzschicht des inneren 
Theils des bindegewebigen Haarbalgs zu trennen. Wenn man 
die Cylinderzellenreihe der äusseren Wurzelscheide beim Zerreissen 
des Präparats von der Glashaut abtrennt, so kann man wahr- 
nehmen, dass die innere Oberfläche der letzteren die Spuren der 
in ihre Substanz hineingedrückten Fortsätze der Cylinderzellen 
zeigt; auf solche Weise stellt die innere Oberfläche der Glashaut 
im wesentlichen sich als mit vielen Fortsätzen versehen und ge- 
zähnelt dar; ihre Fortsätze oder Vorsprünge rücken zwischen 
die entsprechenden Fortsätze der Cylinderzellen der äusseren 
Wurzelscheide ein (Fig. 3). 

Nach den Untersuchungen von R. Bonnet und meinen Be- 
funden stellt sich demnach die innere Oberfläche der Glashaut nicht 
als glatt dar, sondern sie ist bedeckt mit einer ganzen Masse von 
Eindrücken und denselben entsprechenden Hervorragungen, 


138 P. Ksjunin: 


Die Glashaut ist keine eompacte, sondern eine deutlich 
poröse Membran (Fig. 5), besonders im Gebiete der Verdiekung 
der äusseren Wurzelscheide. Durch die Poren der Glashaut, 
welche dieselbe annähernd quer durchsetzen, dringen die Nerven- 
fasern hinein, die in die äussere Wurzelscheide eintreten, um 
hier hypolemmatische Nervenendigungen zu bilden, und zwar ent- 
weder die Tastmenisken oder freie intraepitheliale Nervenendi- 
gungen). 

Oben habe ich bereits einige Angaben angeführt, welche 
sich in der Literatur über die Spürhaare hinsichtlich des Vor- 
handenseins von elastischen Fasern an der inneren Oberfläche 
der Glashaut vorfinden. Die erste dieser Angaben rührt von 
C. Gegenbaur her (1851), welcher unter der Anleitung von 
A. v. Kölliker beobachtete, dass einige Fasern des inneren 
Theils des bindegewebigen Haarbalgs stärker an die homogene 
Glashaut befestigt sind, als andere, welche ebenfalls derselben 
anliegen. In der Folge spricht Leydig schon sehr bestimmt 
von solchen Fasern: nach seiner Meinung sind das feine, der 
Länge nach verlaufende elastische Fasern, welche das Aussehen 
von auf der äusseren Oberfläche der Glashaut annäheruugsweise 
parallel sich hinziehenden Linien haben. Ein späterer Autor, 
Odenius, konnte darüber keine entscheidende Meinung äussern, 
ob die feine Längsstreifung der äusseren Oberfläche der Glashaut 
durch die dort hindurchgehenden elastischen Fäserchen bedingt 
ist, wie dieses Leydig annahm, oder ob in Wirklichkeit die 
auf der äusseren Oberfläche der Glashaut beobachteten parallelen 
Linien als Ausdruck von Falten der homogenen Grenzmembran 
selbst anzusehen sind. Um diese Frage unzweifelhaft zu ent- 
scheiden, wurden von Bonnet besonders sorgfältige Unter- 
suchungen des Baus der Glashaut angestellt. Diese Untersuchungen 
führten zu einem verneinenden Resultat in der gestellten Frage: 
die Angabe über das Vorhandensein von der Länge nach durch- 
gehenden elastischen Fasern auf der äusseren Oberfläche der 
Glashaut erweist sich, nach Bonnet, als der Wirklichkeit nicht 
entsprechend. Nach Bonnet ist die äussere Oberfläche der 


1) P. Ksjunin, Zur Frage über die Nervenendigungen in den 
Tast- oder Spürhaaren. Archiv f. mikrosk. Anat. Bd. 54. 1899. S. 416. 


Das elastische Gewebe des Haarbalgs etc. 139 


Glashaut der Länge nach geriefelt und demnach mit einem ganzen 
System von der Länge nach und parallel sich hinziehender Vor- 
sprünge oder Rippen bedeckt. Die Querschnitte dieser Rippen 
erscheinen als Querdurchsehnitte von elastischen Fasern, gleich- 
sam als ob solche der äusseren Oberfläche der Glashaut anlägen. 
Meine Untersuchungen führen dagegen zu einem entgegenge- 
setzten Schluss. Die Querdurchschnitte der elastischen Fasern, 
welche sich (in Wirkliehkeit) auf der äusseren Oberfläche der Glas- 
haut hinziehen, wurden von Bonnet augenscheinlich für die 
Querdurehscehnitte von Rippen der homogenen Membran gehalten. 
Wenn die der Glashaut dicht anliegenden hellen elastischen 
Fasern ungefärbt bleiben (z. B. auf Fig. 3), so wird die äussere 
Contour der quer durchschnittenen Membran selbstverständlich 
gezähnelt erscheinen, und man kann diese Zähne leicht für die 
Querdurchscehnitte der der Länge nach durchgehenden Rippen 
der Glashaut halten. In Wirklichkeit bildet die Glashaut nur 
srosse Längsfalten (Fig. 3); kleine Längsrinnen, wie sie Bonnet 
beschrieben, und ihnen entsprechende Rippen der äusseren Ober- 
fläche der Glashaut habe ich niemals beobachten können. 

Mit Hülfe der Orcein- und der Weigert'schen Färbung 
gelang es mir an der äusseren Oberfläche der Glashaut zwei 
diehte elastische Netze zu entdecken: ein äusseres eirculäres und 
ein inneres längsgezogenes. Unten, im Niveau der Haarpapille 
und ein wenig höher erscheint das cireuläre fasrige Netzgeflecht 
noch ziemlich undicht (Fig. 2), im Gebiete der Erweiterung 
der Haarwurzel ist es dichter (Fig. 3), auf der Strecke des 
kegelförmigen Körpers und im Niveau der Talgdrüsen stellt es 
sich als äusserst dicht und ausgedehnt dar (Fig. 4 und 5). 
Das innere Geflecht und zugleich Netz besteht aus elastischen 
Fasern, welche der äusseren Oberfläche der Glashaut dicht an- 
liegen und hauptsächlich parallel der Längsachse des Haars ver- 
laufen; aus diesem Grunde erscheinen die elastischen Fäserchen 
des inneren Netzgeflechts auf Querschnitten als Punkte, welche 
ziemlich gleichmässig längs der äusseren Contour der quer durch- 
schnittenen Glashaut vertheilt sind. 

Um die Art und Weise der Anordnung und die wechsel- 
seitige Beziehung des Quer- wie des fasrigen Längsgeflechts 
genauer zu studiren, kann man sich der Tangentialschnitte der 


140 P. Ksjunin: 


Spürhaare mit Vortheil bedienen. Auf einem solchen Schnitte 
bleibt gewöhnlich auch ein abgeschnittener Theil der Glashaut 
übrig, welcher in Art eines halbdurchsichtigen Häutchens die 
durch dasselbe durehschimmernde Epithel-Wurzelscheide bedeckt, 
von welcher ein Theil ebenfalls stellenweise auf dem Schnitte 
zurückbleibt. Indem wir die Schraube des Mikroskops drehen, 
können wir nach Belieben entweder die Glashaut mit den unter 
derselben hervorleuchtenden Zellkernen der äusseren Zellen der 
Epithel-Wurzelscheide, oder das unmittelbar über, resp. unter 
der Glashaut belegene fasrige elastische Längsnetz, oder aber 
das noch mehr oberflächlich, resp. tiefer belegene äussere eireu- 
läre fasrige Netz ins Gesichtsfeld stellen (Fig. 6). 

Das innere, unmittelbar der Glashaut anliegende Netz be- 
steht, wie bereits gesagt, aus elastischen Fasern, welche vor- 
zugsweise in der Längsrichtung verlaufen. Die elastischen Fasern 
des inneren Netzes verzweigen sich oft und wiederholt und 
anastomosiren mit einander mittelst ihrer Seitenzweigen, auf 
solche Weise ein ziemlich dichtes Netzchen mit winkligen, in 
die Länge gezogenen Maschen bildend (Fig. 6). Die elasti- 
schen Fasern des oberflächlichen Netzes verlaufen hauptsächlich 
kreisförmig, indem sie die äussere Wurzelscheide mit der die- 
selbe bedeckenden Glashaut und den unmittelbar auf letzterer 
liegenden inneren längsverlaufenden elastischen Fasern umgürten. 
Die eirculär verlaufenden Fasern, wie auch die tiefer belegenen 
des inneren Längsnetzes anastomosiren mit einander mittelst 
ihrer Seitenzweigen und erscheinen daher netzartig verflochten; 
aber die Maschen des äusseren elastischen Netzes sind im Ge- 
gensatz zu denen des inneren nicht in die Länge gezogen (d. h. 
parallel der Hauptachse des Haars), sondern hauptsächlich in die 
Quere, d.h. in annäherungsweise senkrechter Riehtuug zur Längs- 
achse des Haars (Fig. 6). 

Man kann ziemlich oft wahrnehmen, dass Zweige des eir- 
culären elastischen Fasernetzes sich der inneren Oberfläche der 
Glashaut dicht anlegen und sodann sich parallel der Hauptachse 
des Haars nach oben, resp. unten begeben; auf solche Weise 
gehen sie von dem äusseren eirculären elastischen Netze in das 
innere (längsfasrige) elastische Netzgeflecht über. Bisweilen kann 
man auch bemerken, dass die die äussere Wurzelscheide 


Das elastische Gewebe des Haarbalgs etc. 141 


umgürtenden elastischen Fasern des äusseren elastischen Netzes 
selbst in die Tiefe gehen, d. h. an die Glashaut herantreten; 
darauf beugen sie sich mehr oder weniger rechtwinkelig nach 
oben oder unten und ziehen dieht an der Glashaut parallel der 
Längsachse des Haars hin; demnach gehen nieht nur die Zweige 
der elastischen Fasern des äusseren eirculären Netzes in das 
innere elastische Netz über, sondern zuweilen auch die Fasern 
selbst. Es trifft sich auch, dass ein elastisches Fäserchen beim 
Uebergange von dem äusseren zum inneren Netze, indem es sich 
unmittelbar an die äussere Oberfläche der Glashaut anlegt, seinen 
früheren eireulären Gang beibehält (Fig. 2). 

Das äussere eirculäre und das innere längsverlaufende 
elastische Netz sind beide in der ganzen Länge der Haar- 
wurzel an der Glashaut belegen. Ersteres erscheint, wie bereits 
gesagt, in dem unteren Gebiete der Haarwurzel wenig dicht, in 
der Mitte der Länge aber, im Gebiete des kegelförmigen Körpers 
und besonders im Niveau der Talgdrüsen schr dieht und um- 
fangreich. (Vergl. die Fig. 2, 4 und 5.) 

Die elastischen Fäserchen kann man an der äusseren Ober- 
fläche der Glashaut bereits im Niveau über der Haarpapille er- 
blieken, wo die Glashaut vergleichsweise noch sehr dünn er- 
scheint (Fig. 2). Höher hinauf, im Niveau der Mitte der 
Länge der Wurzelscheide triftt man die elastischen Fasern in 
srösserer Anzahl an; hier liegen sie dicht beisammen und sind 
dabei regelmässiger vertheilt (Fig. 3). 

Im Gebiete des kegelförmigen Körpers (Fig. 1 und 4) 
gehen die elastischen Fasern des tiefen Längsnetzes in der Rich- 
tung von der Spitze des Kegels zu der nach oben gerichteten 
Basis desselben auseinander. Hier begegnet man auch ausser 
den erwähnten von unten nach oben auseinandergehenden ela- 
stischen Fasern und dem dichten eireulären elastischen Netze 
ferner (im peripherischen Abschnitte des kegelförmigen Körpers) 
Zügen von in verschiedenen Richtungen verlaufenden elastischen 
Fasern (Fig. 4. Allein bei weitem nicht alle elastischen 
Fäserchen, welche der äusseren Oberfläche der Glashaut anliegen, 
entfernen sich von der äusseren Wurzelscheide im Gebiete des 
kegelförmigen Körpers. Höher hinauf, sogar im Gebiete der 
Talgdrüsen, wo die Glashaut nieht mehr wahrzunehmen ist, trifft 


142 P. Ksjunin: 


man noch eine bedeutende Anzahl von elastischen Längsfasern 
an (Fig. 5). Im Gebiete der Talgdrüsen liegen auch die 
Längsfasern des tiefen elastischen Netzes gewöhnlich in nächster 
Nähe der Cylinderzellen der äusseren Wurzelscheide. Das äussere 
eireuläre elastische Netz erscheint im Gebiete der Talgdrüsen, 
wie bereits gesagt, gut entwickelt. Zwischen dem eireulären 
und dem längsverlaufenden elastischen Netzgeflechte trifft man 
hier, wie auch in den niedriger belegenen Gebieten des Haars 
oft Anastomosen an. 

Wir haben demnach auf der äusseren Oberfläche der Glas- 
haut die Längsriefelung und die von ihr bedingte Reihe von 
parallelen Vorsprüngen resp. Rippen R. Bonnet’s nieht wahr- 
nehmen können. In Wirklichkeit liegt unmittelbar auf der äusseren 
Oberfläche der Glashaut, wie unsere Präparate darthun, eine 
faserige netzförmige Kapsel (die winkeligen Maschen des Netzes 
sind im allgemeinen längs der Achse des Haars ausgezogen). 
Diese elastische netzartige Kapsel wird ihrerseits von netzartig 
durehflochtenen elastischen Fasern, welche im allgemeinen kreis- 
förmig verlaufen, umgürtet; die Maschen des letzteren Geflechts 
sind in annäherungsweise senkrechter Richtung zur Hauptachse 
des Haars ausgedehnt. Zwischen dem ersten und dem zweiten 
Netzgeflecht sind häufig Anastomosen wahrzunehmen. 

Um die Beschreibung des inneren Theils des bindegewebigen 
Balgs der Spürhaare abzuschliessen, erübrigt uns noch die Dureh- 
musterung der von ihm gebildeten Verdickung, welche in den 
venösen Sinus hineinragt — des „schildförmigen Körpers“ Dietl's, 
des „Ringwulst* Odenius’, des „bourrelet annulaire* Ranvier's. 
Wir haben bereits oben erwähnt, dass der schildförmige Körper 
Gegenstand einer speciellen Arbeit Dietl’s wurde, deren Daten 
nach sorgfältiger Nachprüfung auch von Bonnet als voll- 
kommen richtig anerkannt worden sind. Die Resultate unserer 
Untersuchungen stimmen mit den Daten dieser beiden Autoren 
fast vollständig überein. Hinsichtlich des histologischen Baus 
des schildförmigen Körpers möchte ich indessen Einiges hinzu- 
setzen. Die früheren Forscher unterschieden im schildförmigen 
Körper dieselben histologischen Elemente, welehe man im inneren 
Teile des Haarbalgs und im Gewebe der Trabekeln des eaver- 
nösen Körpers beobachten konnte, d. h. eollagene und elastische 


Das elastische Gewebe des Haarbalgs ete. 143 


Fasern und bindegewebige Zellen dieser oder jener Form. Unsere 
Präparate zeigen, dass der schildförmige Körper in Wirklichkeit 
nur aus collagenen Gewebe- und Zellelementen besteht, elastische 
Fasern jedoch in seinem Innern nicht anzutreffen sind; nur zu- 
weilen kann man beobachten, dass sich einzelne elastische Fä- 
serchen in den alleräussersten Abschnitten des sehildförmigen 
Körpers und in dem kleinen Stiel befinden, mit dem der schild- 
förmige Körper an dem inneren Theile des Haarbalgs befestigt 
ist. Die fast vollständige Abwesenheit der elastischen Fasern in 
dem collagenen Gewebe des schildförmigen Körpers fällt um so 
mehr in’s Auge, als in dem inneren Theile des bindegewebigen 
Haarbalgs eine grosse Menge elastischer Fäserchen sichtbar 
ist, welche hier nieht nur vereinzelt und in Zügen auftreten, 
sondern sogar die obenbeschriebenen elastischen Netze an der 
äusseren Oberfläche der Glashaut bilden. In den dieht sich ver- 
flechtenden Bündelehen collagener Fasern des schildförmigen 
Körpers liegen bald mehr oder weniger runde, bald sternförmige 
Bindegewebszellen mit einem gut sich färbenden Kerne in ihrem 
Körper. Die Fortsätze der sternförmigen Zellen sind zuweilen 
sehr lang und anastomosiren mit einander. Oft konnten wir auch 
im schildförmigen Körper die Anwesenheit von Körnern von 
braunem oder dunklerem, fast schwarzem Pigment beobachten 
(Fig. 1). 

Jetzt noch einige Worte über die Talgdrüsen der Spür- 
haare. Nach der Meinung Dietl’s bilden die Talgdrüsen der 
Spürhaare des Schweins eine Ausnahme von der allgemeinen 
Regel der Lage nach: hier liegen sie, wie schon von Gegen- 
baur beschrieben, umgeben von den Epithelzellen der äusseren 
Wurzelscheide — wobei das Epithelgewebe der äusseren Wurzel- 
scheide in das Bindegewebe des Haarbalgs hineingeschoben er- 
scheint. Wie unsere Zeichnung (Fig. 5) darthut, findet eine 
fast ebensolche Lage der Talgdrüsen auch bei den Spürhaaren 
des Hamsters statt. Die Talgdrüsen der Schweinshaare bestehen, 
nach Dietl, aus einer kurzen Zellreihe und sind sehr rudimentär, 
was von den Talgdrüsen der Spürhaare des Hamsters durchaus 
nicht gesagt werden kann, da die Talgdrüsen hier (wie auch bei 
anderen T'hieren) aus einem mehrschichtigen Epithel bestehen ; 
allein die Drüsenzellen, welche sich in verschiedenen Stadien der 


144 P. Ksjunin: 


Fettdegeneration befinden, sind beim Haar des Hamsters wie 
auch des Schweins unmittelbar von den Epithelzellen der äusseren 
Wurzelscheide umgeben, von denen sie sich ziemlich scharf durch 
ihre Grösse, Form und Lage, besonders aber dureh ihre Licht- 
breehung unterscheiden (Fig. 5). Die Talgdrüseu, welehe in 
dem bindegewebigen Haarbalge liegen, haben, wie gewöhnlich, 
eine tunica propria und um dieselbe eine compacte bindege- 
webige Hülle. An der äusseren Oberfläche der Talgdrüsen 
findet man ein Netz von elastischen Fasern; die elastischen 
Fasern des genannten Netzes an der äusseren Oberfläche der 
Talgdrüsen gehen in den allerverschiedensten Richtungen aus- 
einander. 

Zum Schlusse bringen wir einige Bemerkungen über die 
Blutgefässe der Wurzel der Spürhaare 

Die Haarwurzel stellt bekanntlich ein Bündel des feinfa- 
serigen Bindegewebes dar, welches durch den Boden des Haar- 
follikels hindureldringt und sich unten in die Haarzwiebel hinein- 
schiebt. Die Haarzwiebel und die Haarpapille liegen meistens 
in einer geraden Linie mit dem Haar (wie dieses fast immer bei 
den Haar der Katze stattfindet), aber zuweilen weichen erstere 
von der Hauptlängsachse des Haars ab, indem sie mehr oder 
weniger bedeutende Krümmungen machen. So beobachtet man 
häufig an den Spürhaaren des Backenhörnchens (Tamias striatus), 
dass die Haarzwiebel und die Haarpapille fast unter einem rechten 
Winkel gegen die Längsachse des Haars gekrümmt sind, und die 
Haarpapille erscheint oft missgestaltet, gleichsam eingeknickt. 
An der Stelle, wo die Papille durch den Boden der Haarzwiebel 
hindurchdringt, erscheint sie immer vergleichsweise dünn, bei dem 
Fortschreiten ins Innere der Haarzwiebel verdickt sie sich aber 
bedeutend und verdünnt sich dann allmächlich, wodurch sie das 
Aussehen einer in ihrer Mitte stark erweiterten Spindel erlangt. 
Der kegelförmig verengte Teil der Spindel (ihre Spitze) erhebt 
sich zuweilen sehr hoch. Die bis jetzt vereinzelte Angabe B o n- 
nets darüber, dass bei Hunden und Katzen die Wurzel der 
Spürhaare eine sehr lange zu sein pflegt und zuweilen bis in 
das Gebiet des Haarhalses hinaufsteigt, wird auch durch meine: 
Präparate als vollkommen richtig bestätigt. Ihrem histologischen 
jau nach ist die Haarwurzel analog, man kann sagen identisch 


Das elastische Gewebe des Haarbalgs ete. 145 


mit den Haarpapillen, sie ist nur viel grösser als diese. Die 
Papille der Spürhaare wird dureh die Arteria papillaris 
(Bonnet), welche oft von ein oder zwei sie begleitenden kleinen 
Arterien geringerer Grösse ergänzt wird, reichlich mit Blut ver- 
sehen. Diese kleinen Arterien zerfallen in der Haarwurzel in 
zahlreiche kleine Zweige, welche ihrerseits wiederum ein dichtes 
engmaschiges Capillar-Netz bilden, das sich sehr weit nach oben 
erstreckt (Bonnet). 

Bereits im Jahre 1822 wies Heusinger darauf hin, dass 
beim Abschneiden der Spürhaare (bei lebenden Thieren) an der 
Austrittsstelle des Haars aus der Haut aus dem Schnitt des 
Haars ein Tropfen Blut hervortritt. Allein die entsprechenden 
Untersuchungen Bonnet’s bestätigten nicht die Angabe H e u- 
singers. Wir sind zu dem Schlusse gekommen, dass der 
Versuch Heusinger's nur bei erwachsenen Thieren gelingt 
und nur beim Abschneiden grober Spürhaare, oder mindestens 
soleher von mittlerer Grösse. Wenn wir bei dem Abschneiden 
ziemlich grober Spürhaare eines erwachsenen Tieres (Katze) an 
der Austrittsstelle aus der Haut dennoch (entgegen der Angabe 
Heusinger's) keinen Tropfen Blut erblickten, so genügte nur 
ein leichtes Andrücken der den Follikel umgebenden Haut, da- 
mit das Blut aus dem Haarschnitt hervortrat. Eine solche Er- 
scheinung kann durch die Zeichnung eines meiner Präparate 
(Fig. 1) vollkommen erhellt werden: es zeigt sich, dass das 
Capillar-Geflecht sich fast dicht bis zur Hautoberfläche empor 
erstreckt; die Maschen desselben können noch im Niveau der 
Mündung der Ausführungsgänge der Talgdrüsen wahrgenommen 
werden. Wenn diese Maschen beim Abschneiden des Spürhaars 
nicht getroffen wurden, so erhöhen wir bei einem Druck auf die 
Haut im Gebiete des Haarfollikels den Blutdruck und können 
beim Zusammenpressen des Follikels selbst leicht einen Riss der 
dünnen Gefässwände herbeiführen. Das längs dem zarten Gewebe 
der Substanz des Haarschafts aus den zerrissenen Capillaren heraus- 
fliessende Blut gelangt leicht bis zur Oberfläche der Haut, wo 
es in Gestalt eines kleinen Tropfens hervortritt. Wenn dieser 
Versuch mit einem kleinen Spürhaare (eines erwachsenen Thieres) 
angestellt wird, so tritt das Blut an der Schnittstelle zuweilen in 


so unbedeutender Menge zu Tage, dass man es nur mit Hülfe einer 
Arch. f. mikrosk. Anat. Bd. 5 10 


I 


146 P. Ksjunin: 


Lupe wahrnehmen kann. Unsere Injectionspräparate zeigen, wie 
das Capillargeflecht der Papille, entsprechend ihrer Erweiterung 
in dem mittleren Theile derselben, sich ebenfalls erweitert. Höher 
hinauf, im Gebiete der kegelförmig verengten Spitze der Papille 
werden die daselbst zahlreich angesammelten Capillare sehr be- 
engt und begeben sich fast in gerader Richtung in die Höhe, 
wo sie ein reiches Netz bilden, dessen Maschen in der Länge 
des Haars stark vorgerückt sind und bisweilen bis zur Mündung 
der Ausführungsgänge der Talgdrüsen reichen (Fig. 1). 


Erklärung der Abbildungen!) auf Tafel IX. 


Fig. 1. Spürhaar einer Katze. Längsschnitt. Injection von Berliner- 
blau. Orcein-Färbung. Reichert's Mikrosk. Oc. 2, Object. 4. 
Auf der Abbildung sind sichtbar: «a = äusserer Theil des binde- 
gewebigen Haarbalgs, resp. die äussere fibröse Kapsel des 
Haarfollikels; b = die Trabekeln des cavernösen Körpers, 
welche von der äusseren fibrösen Kapsel hauptsächlich nach 
oben und nach innen zum inneren Theil des bindegewebigen 
Haarbalgs gehen. Zwischen den Trabekeln liegen venöse 
Räume, welche mit Blutkörperchen ausgefüllt sind. e= der 
innere Theil des bindegewebigen Haarbalgs; d= der venöse 
Ringsinus, welcher mit Blutkörperchen ausgefüllt ist, und in 
dessen Höhlung der vom inneren Theil des Haarbalgs aus- 
gehende schildförmige Körper — e — liegt. Höher hinauf 
geht der innere Theil des Haarbalgs allmählich in den äusseren 
über ; diese Stelle des Uebergangs des einen Theils des Balgs 
in den anderen wird der conische Körper — f— genannt. 
Die Spitze des Kegels ist nach unten gerichtet; g=Talgdrüse. 
Zwischen dem inneren Theile des bindegewebigen Haarbalgs 
und der Epithel-Wurzelscheide ist ein heller Streifen sicht- 
bar — die Grenzschicht des inneren Theils des Haarbalgs, 
resp. die Glashaut, welche nach unten bis zur Stelle der grössten 


1) Alle Figuren sind auf die Hälfte verkleinert. 


Fig. 


Das elastische Gewebe des Haarbalgs etc. 147 


Verdickung der Haarzwiebel verfolgt werden kann. In dem 
collagenen Gewebe, welches die Hauptmasse des bindege- 
webigen Haarbalgs bildet, sind in dem äusseren, dem mittleren 
und dem inneren Theile desselben die durch Orcein gefärbten 
elastischen Fasern sichtbar, welche sich an der Glashaut ver- 
flechten. In dem kegelförmigen Körper gehen die elastischen 
Fasern von der Glashaut in der Richtung von unten und von 
innen nach oben und nach aussen auseinander. Nach innen 
von der Glashaut ist die innere Wurzelscheide belegen, welche 
deutlich in eine äussere und eine innere Lage getheilt ist. Die 
äussere Wurzelscheide geht unmittelbar in das Stratum Mal- 
pigehii der Haut über. Im Gebiete der oberen Hälfte der 
äusseren Wurzelscheide ist dieselbe birnförmig erweitert. Die 
äussere peripherische Schicht der äusseren Wurzelscheide be- 
steht aus Cylinderzellen. In ‘er inneren Wurzelscheide unter- 
halb, in der Nähe der Haarzwiebel, kann man die äussere 
Schicht (Henle) von der inneren Schicht (Huxley) unter- 
scheiden, welche durch die in ihrem Protoplasma vorhandenen 
Eleidin- resp. Keratohyalin-Körner charakterisirt wird. Noch 
mehr im Innern ist die Cuticula sichtbar, welche aus dach- 
pfannenartig angeordneten kernlosen Schuppen besteht, die im 
Gebiete der Haarzwiebel in kernhaltige Zellen übergehen. Nach 
innen von der Cuticula liegt der von ihr bedeckte Haarschatt, 
welcher aus der Rinden- und Mark-Substanz besteht. In der 
Haarwurzel ist ein reiches Capillargeflecht sichtbar, dessen 
Maschen sich bis zum Niveau der Ausführungscanäle der 
Talgdrüsen erstrecken. Unten erblickt man die Anastomosen 
zwischen dem Wurzel-Capillargeflecht und dem Geflecht im 
inneren Theile des Haarbalgs. In dem inneren Abschnitte 
des Haarbalgs ist ein Theil der Capillaren an der äusseren 
Oberfläche der Glashaut belegen. Oberhalb sind die Blutgefässe 
im kegelförmigen Körper und das dünne Capillargeflecht der 
Talgdrüsen sichtbar. 

Spürhaar eines Hamsters. Querschnitt gleich über der Wurzel. 
Sublimat-Präparat. Färbung der elastischen Fasern nach 
Weigert'scher Methode. Mikroskop Reichert’s. Oc.3, Obj. Sa, 
Camera lucida Abbe-Reichert's,. a=äusserer Theil des 
Haarbalgs; b= innerer Theil; d= Trabekeln des cavernösen 
Körpers; e= Schicht derjenigen Zellen, welche noch nicht in 
die Elemente der verschiedenen Theile des Haarschafts (Matrix 
oder Keimlager) differenzirt sind. e=Glashaut. Die elastischen 
Fasern sind sowohl im inneren wie auch im äusseren Theile 
des bindegewebigen Haarbalgs sichtbar; dieselben gehen längs 
den Trabekeln des cavernösen Körpers von dem einen zum 
anderen Theile über. 


148 


Fig. 


Fig. 


2 


O 


PK sjunin: 


Spürhaar eines Hamsters. Querschnitt durch die Mitte des 
Haars. Sublimat-Präparat. Färbung nach Weigert’scher 
Methode. Mikr. Reichert’s Ocul. 3, Obj. 8a. Camera lucida 
Abbe-Reichert's. a = peripherischer Theil der äusseren 
Wurzelscheide; die Cylinderzellen der inneren Reihe ragen 
mit ihren Fortsätzen in die Glashaut hinein, welche stellenweise 
porös erscheint. An der äusseren Oberfläche der Glashaut 
liegt ein längsfaseriges elastisches Geflecht (die querdurch- 
schnittenen Fasern erscheinen in Art von dicht bei einander- 
liegenden Pünktchen). Weiter von der Glashaut entfernt 
befinden sich im inneren Theile des Haarbalgs einzelne elastische 
Fasern des kreisförmigen Geflechts. „ce“ = die Trabekeln des 
cavernösen Körpers, in deren collagenem Gewebe elastische 
Fasern in der Richtung zum inneren Theile des Haarbalgs 
verlaufen. Diese Fasern treten stellenweise an die Glashaut 
heran und nehmen Theil an der Bildung des bei derselben 
sich befindenden elastischen Geflechts. 


Spürhaar eines Hamsters. Querschnitt im Niveau des coni- 
schen Körpers. Sublimat-Präparat. Färbung nach Weigert- 
scher Methode. Reichert’s Mikrosk. Ocul.3, Obj. Sa. Camera 
lucida Abbe-Reichert’s.. a=äusserer Theil des Haarbalgs; 
e = venöser Ringsinus (der obere Theil derselben); 5 = innerer 
Theil des Haarbalgs, oder der sog. conische Körper (vergl. 
Fig. 1); d = äusseres kreisförmiges elastisches Geflecht; 
e=inneres längsfaseriges, elastisches Geflecht; f= äussere 
Wurzelscheide. 


Spürhaaar eines Hamsters. Querschnitt im Niveau der Talg- 
drüsen. Sublimat-Präparat. Färbung nach Weigert’scher 
Methode. Reichert's Mikr. Ocul. 3, Obj. Sa. Camera lueida 
Abbe-Reichert’s. a=äussere Epithel-Wurzelscheide; bb = 
Talgdrüsen; e=längsfaseriges elastisches Netz an der äusse- 
ren Oberfläche der äusseren Wurzelscheide; d= kreisförmiges 
elastisches Netz im inneren Theile des bindegewebigen Haar- 
balgs. 

Spürhaar eines Hamsters. Tangential- Längsschnitt mitten 
durch die Länge der Haarwurzel. Sublimat-Präparat. Färbung 
nach Weigert’scher Methode. Mikroskop Reichert’s Oe. 3, 
Obj. Sa. Camera lueida Abbe-Reichert’s. a=äussere Wurzel- 
scheide; db — innerer Theil des bindegewebigen Haarbalgs. 
Auf dem Präparat ist die unversehrt gebliebene halbdurch- 
sichtige Glashaut sichtbar (der obere Theil ist abgeschnitten). 
Unter derselben schimmern die Kerne der Zellen der äusseren 
Wurzelscheide hervor. Unmittelbar auf der äusseren Oberfläche 
der Glashaut liegt das längsfaserige elastische Netz; mehr 


13% 


14. 


Das elastische Gewebe des Haarbalgs etc. 149 


oberhalb ist das eireuläre Netz der elastischen Fasern belegen. 
Stellenweise kann man den Uebergang der Fasern von dem 
äusseren circulären zu dem inneren längsfaserigen elastischen 
Netze wahrnehmen. 


Literatur-Verzeichniss. 


Steinlin, W., „Zur Lehre von dem Bau und der Entwicklung d. 
Haare.“ Zeitschrift für rationelle Mediein Bd. IX. 1850. 
Gegenbaur, C., „Untersuchungen über die Tasthaare einiger 
Säugethiere.* Zeitschr. f. wissensch. Zool. Bd. III. 1851. 
Leydig, Franz, „Ueber d. äusseren Bedeckungen d. Säugethiere.“ 
Arch. f. Anat. u. Physiol. v. Reichert und Du Bois-Reymond. 
1859. S. 677. 

Ödenius, M. V., „Beitrag zur Kenntniss d. anatom. Baues der 
Tasthaare.“ Arch. f. mikr. Anat. M. Schultze Bd. II. 1866. S. 436. 
Dietl, M. J., „Untersuchungen über Tasthaare.“ Sitzungsberichte 
d. k. k. Akademie d. Wissensch. 1. Abth. Bd. LXIV. Juliheft 1871. 
III. Abth. Bd. LXVI, Juliheft, 1872. III. Abth. Bd. LXVII, De- 
cemberheft, 1873. 


. Mojsisovics, August, „Ueberd. Nervenendigung in d. Epidermis 


der Säuger.“ Sitzungsberichte d. k. k. Akademie d. Wissensch. 
Bd. LXXI. 1875. S. 242. 

Loewe, Ludwig, „Bemerkungen zur Anatomie d. Tasthaare.* 
Arch. f. mikr. Anatom. Bd. XV. 1878. 

Bonnet, Robert, „Studien über die Innervation d. Haarbälge d. 
Hausthiere.* Morpholog. Jahrbuch Bd. IV, S. 329. 1878. 
Ranvier, L., „Nouvelles Recherches sur les organes du tact.“* 
Comptes rendus de l’acad. des sciences. T. XCI. 1880, P. 1087. 
Richardi, S., „Intorno alla distribuzione dei nervi nel follicolo 
dei peli tattili con apparato vascolare erettile del Bos taurus.* 
Jahresberichte von Hofmann und Schwalbe Bd. XII, Literat. 
1883, S. 267. 


. Ranvier, L., Trait& technique d’histologie. 1883. 


Kölliker, A, Handbuch der Gewebelehre des Menschen Bd. I, 
Sechste Aufl. 1889. S. 234. 

Retzius, G., „Ueber die Nervenendigungen an den Haaren.“ 
Biol. Untersuchungen Ba. IV, S. 47. 189. 

Ostroumow, P., „Die Nerven d. Sinushaare.* Mitgetheilt v. Prof. 
Arnstein. Anatom. Anz. Bd. X, S. 781. 1875. 


150 


15. 


16. 


17. 


18. 


19. 


P. Ksjunin: Das elastische Gewebe des Haarbalgs etc. 


Szymonowicz, W., „Beiträge zur Kenntniss d. Nervenendigungen 
in Hautgebilden.“ „Die Nervenendigungen in den Tasthaaren.“ 
Arch. f. mikr. Anat. u. Entwicklungsgesch. Bd. XLV, S. 641. 189. 
Botezat, Eugen, „Die Nervenendigungen an den Tasthaaren von 
Säugethieren.“ Arch. f. mikrosk. Anatom. und Entwickl. Bd. XV, 
E21: 4897: 

Renaut, J., Traite d’Histologie pratique. Tome second. Fascicule 
premier, p. 325. 1897. 

Ksjunin, P., „Zur Frage über die Nervenendigungen in den 
Tast- oder Sinushaaren.“ Arch. f. mikr. Anat. u. Entwickl. Bd. LIV, 
S. 493. 1899. 

Weigert, C., „Ueber eine Methode zur Färbung elastischer Fasern.“ 
Centralblatt f. allgem. Pathologie u. patholog. Anatomie Bd. IX, 
No. 8/9. 1898, Mai. 


151 


Beitrag zur Kenntniss der „motorischen“ 
Hirnrindenregion. 


Von 


Walther Kolmer, 
cand. med. aus Wien. 


Hierzu Tafel X. 


Die Nervenzellen des Centralnervensystems galten bis vor 
wenigen Jahren als gleichartig und gleichwerthig. Die Methoden, 
die man zu ihrer Erforschung und zur Darstellung ihres Baues 
anwendete, waren wenig geeignet, uns hierüber Aufklärung zu 
verschaffen. Alle Forscher, die sich mit ihnen beschäftigten, be- 
schrieben nnr Unterschiede der Grösse und der äusseren Form. Je- 
doch wurde schon frühzeitig die Vermuthung ausgesprochen, dass 
die verschieden funetionirenden Nervenzellen schwerlich dieselbe 
Structur besitzen. 

So hat Sehwalbe (1) bereits 1876 die Meinung ge- 
äussert, dass die Nervenzellen der verschiedenen Orte des Nerven- 
systems auch in ihrem inneren Bau sehr verschieden sein dürften. 
Den Beweis dafür brachte jedoch erst Flemming (2), indem er 
die Unterschiede der Spinalganglienzellen den centralen Nerven- 
zellen gegenüber klar stellte. 

Im Jahre 1885 gelang es Nissl| (3) mit Hilfe seiner Me- 
thode die Structurdifferenzen einer ganzen Reihe von Nerven- 
zellen festzustellen. Zwei Jahre später zeigte derselbe auf der 
Naturforscherversammlung zu Köln (4), dass an den verschie- 
densten Stellen des Centralnervensystems constantdieselben 
gleichartig strueturirten Nervenzellen auftreten. 
Er machte speciell auf eine besonders charakteristisch gebaute 
Zellart aufmerksam, welche in der Thierreihe sowohl wie beim 
Menschen stets an denselben Orten angetroffen wird. So besitzen 
alle motorischen Hirnnervenkerne und die Zellgruppen der moto- 
rischen Rückenmarksnerven gesetzmässig nur diese eine eigenartig 
strueturirte Zellart. Niss] glaubte auf Grund dieses gesetz- 

Arch. f. mikrosk. Anat. Bd. 57 11 


152 Walther Kolmer: 


mässigen Zusammenhanges zwischen einer bestimmten Zellstruetur 
und bestimmten Regionen, welche anerkanntermassen eine Be- 
ziehung zur motorischen Function haben, zu der Behauptung be- 
rechtigt zu sein, dass diese bestimmt strueturirten 
Zellen in irgemn@=eimer'’Beziehung- zur moto 
rischen Function stehen. Er bezeichnete diese Elemente 
als motorische Nervenzellen, aber wohlbemerkt nicht deshalb, 
weil sie die motorischen Zellen des Centralorgans sind, sondern 
weil er nachweisen konnte, dass es eine ganz bestimmte Zellart 
giebt, die man in der Thierreihe gesetzmässig an Orten mit 
zweifellos motorischer Bedeutung antrifft. Wir finden aber ausser- 
dem noch Zellen dieses Typus an einer ganzen Reihe von Orten, 
deren Function uns bisher unbekannt geblieben ist (Deiters- 
scher Kerm, Formatio retieularis, rother Kern der Haube ete.). 

Sind wir nun berechtigt zu sagen, dass diese Zellen an Orten, 
deren Bedeutung wir nicht kennen, auch mit motorischen Func- 
tionen in irgend einer Beziehung stehen? Gewiss wäre es nicht 
logisch, von vornherein zu schliessen, dass Zellen, die gleich 
aussehen, auch die gleiche Function besitzen. Ausserdem 
kann man einwenden, dass die Methode der electiven Zellfär- 
bung, mit der wir die Zellunterschiede darstellen, gerade die 
Neurofibrillen, also denjenigen Zellbestandtheil, der in neuerer 
Zeit als der funetionell wichtigste erscheint, nicht zur Anschauung 
bringt und somit einen Schluss auf die Function nicht erlaubt. 
Trotzdem muss man sagen, dass die sogen. motorische 
Zelle durcehrdie ganze Thierreihe Kennzeichen 
aufweist, wie sie keineranderenZelle zukommen. 
Dies ist ein im eleetiven Präparat sichtbares Axon, welches vom 
sogenannten Nervenfortsatzhügel entspringt. Auf diese Eigen- 
thümlichkeiten soll an anderer Stelle eingegangen werden; hier 
sei nur betont, dass bei der Anwendung der Nissl’schen Me- 
thode keine andere Nervenzellenart ihr Axon ohne weiteres deut- 
lich erkennen lässt. Nur die Spinalganglien machen eine Aus- 
nahme, doch ist deren von den centralen Nervenzellen abweichen- 
der Bau schon von Flemming nachgewiesen. 

Die Anordnung der färbbaren und nicht färbbaren Zellsubstanz 
ist in den sogenannten motorischen Zellen so charakteristisch, dass 
letztere überhaupt nur mit einigen wenigen anderen ebenso grossen 
Zellarten bei oberflächlicher Betrachtung verwechselt werden 


Beitrag zur Kenntniss der „motorischen“ Hirnrindenregion. 158 


können. Genaueres Zusehen aber zeigt sofort, dass diesen der 
Nervenfortsatzhügel fehlt, und dass auch ihr Kern — wie später 
erörtert werden soll — anders gebaut ist. 

Zweifellos bieten die Nervenzellen gleicher Orte bei den 
einzelnen Thierarten mit Bezug auf die histologischen Einzelheiten 
weitgehende Unterschiede. Aber so gross auch die Differenzen 
z. B. im Bau der Spinalganglienzellen bei Hund, Kaninchen, 
Mensch, Rind, Fisch ete. sind, so werden doch die Grundzüge 
des Aufbaues der Nervenzelle durch die ganze Thierreihe mit 
grösster Zähigkeit festgehalten. Wie die Spinalganglienzellen in 
ihren feinsten Details bei verschiedenen Thieren Differenzen er- 
kennen lassen, so treten solche Unterschiede auch mit Bezug 
auf die Purkinje’schen Zellen, motorische Zellen und andere 
charakteristische Nervenzellen zu Tage. Studirt man aber z. B. 
beim Kaninchen die Unterschiede, welche zwischen den einzelnen 
Zellarten verschiedener Orte bestehen, und macht dieselben Ver- 
gleiche bei anderen Thierspecies, so nimmt man mit Staunen wahr, 
dass dieselben Differenzen, die sich bei dem Kaninchen zwischen 
den Spinalganglienzellen, den motorischen Zellen, den Purkinje- 
schen Zellen, den grossen Pallisadenzellen des Ammonshorns haben 
feststellen lassen, beim Rind, beim Hund, beim Menschen, beim 
Fisch ete. sich in genau derselben Weise wiederholen. Es 
handelt sich hierbei, wie Niss| betont, um eine gesetzmässige 
Erscheinung, sodass derjenige, der beim Kaninchen z. B. die 
Spinalganglienzellen, die Purkinje’schen Zellen und die Zellart 
der motorischen Elemente histologisch genau kennt, zwar nicht 
über die feinsten histologischen Details der gleichen Zellarten 
auch beim Menschen oder Hunde unterrichtet ist, aber mit aller 
Sicherheit die genannten Zellarten lediglich auf Grund ihres speci- 
fischen Baues auch beim Menschen, Hund und jedem anderen 
Thier wird unterscheiden können. Er vermag die Spinalgang- 
lienzellen als Spinalganglienzellen, die Purkinje’schen Zellen 
als Purkinje’sche Zellen und die anderen Zellarten als solche 
zu identificiren. Diese gesetzmässige Aehnlichkeit, die die Zell- 
arten der Centralorgane in der Wirbelthierreihe zeigen, be- 
rechtigt uns, die gleichartigen Zellarten verschiedener Thiere zu 
vergleichen, obschon wir genau wissen, dass das histologische 
Detail solcher gleichartiger Zellen bei einzelnen Thierspecies 
unter Umständen selbst weitgehende Unterschiede darbieten kann. 


154 Walther Kolme:r: 


Bei Durchschneidung von zweifellos motorischen Nerven 
und- Bahnen treten ausschliesslich nur bei den motorischen Ner- 
venzellen regressive Veränderungen ein, und zwar sind diese 
wieder typisch, nicht allein hinsichtlich der Form, sondern auch 
des Verlaufes der regressiven Metamorphose. Ja man vermag 
auf Grund der Degenerationsbilder selbst die Art des Experi- 
mentes zu erkennen und ungefähr auch die Zeitdauer zu be- 
stimmen, welche seit der Durchschneidung verflossen ist. Die 
motorischen Zellen sind auffallend widerstandsfähige Gebilde; 
Jedenfalls leiden sie bei der Präparation viel weniger als die 
anderen ebensogrossen Nervenzellenarten. Man kann sie daher 
mit den verschiedensten Methoden gut zur Darstellung bringen, 
während andere ähnlich grosse Zellarten nur bei einer ganz be- 
stimmten Technik zu Tage treten. Aber auch während des 
Lebens scheinen sie dem Einfluss der Schädlichkeiten besser zu 
widerstehen als wenigstens die grosse Mehrzahl der übrigen Zell- 
arten. Beide Umstände enthalten wohl die Erklärung dafür, 
dass man sich von jeher mit dieser auch durch ihre Grösse sich 
auszeichnenden Zellart mehr beschäftigt hat als mit irgend einer 
anderen Zellart der Centralorgane. 

Auch die Bahnen der ungefärbten Zellsubstanz zeigen in 
den motorischen Zellen ein besonderes Verhalten. Während die- 
selben in den meisten Zellarten überaus klar als deutliche Stränge 
zwischen den färbbaren Substanzportionen zu verfolgen sind, sind 
sie hier meist nur angedeutet. 

In Folge des kolossalen Fibrillenreichthums und andererseits 
der nach allen Richtungen sich abzweigenden Dendriten ver- 
tlechten und durchkreuzen sich die Fibrillenstränge in einer sehr 
complicirten Weise. Es ist daher nicht zu verwundern, das keine 
langgestreckten ungefärbten Bahnen im Zellkörper zu verfolgen 
sind; in den Dendriten dagegen kann man häufig ebenso schöne 
ungefärbte Bahnen wahrnehmen wie im Zellleib anderer Nerven- 
zellarten. 

Ohne auf die Frage nach der Bedeutung der färbbaren 
Zellleibssubstanz eingehen zu wollen, möge hier nur darauf hin- 
gewiesen werden, dass nach den Ergebnissen der electiven Zell- 
färbung (Nissls Methylenblaumethode) auch diese Be- 
standtheile des Zellkörpers der motorischen 
Zellart hinsichtlich ihres Aufbaus und ihrer 


Beitrag zur Kenntniss der „motorischen“ Hirnrindenregion. 155 


topographischen Vertheilung im Zellleib sich 
von dem Verhalten der färbbaren Bestandtheile 
anderer Zellarten in characteristischer Weise 
unterscheiden. Wenn auch Niss] die von ihm auf Grund 
des Verhaltens der färbbaren Zellleibsbestandtheile aufgestellte 
Eintheilung der Nervenzellen neuerdings nicht mehr im vollen 
Umfange aufrecht hält, so ist doch seine Definition einer 
spezifischen „motorischen“ Zellart, „die mit der mo- 
torischen Function’ in irgend einer Beziehung 
steht“, noch von Niemandem widerlegt worden. Dagegen 
wurde die Besonderheit der motorischen Zellart bereits von zahl- 
reichen Forschern bestätigt. Mit einem Worte, wenn wir alle 
uns bekannten Thatsachen zusammenfassen, so erscheint es in 
hohem Grade wahrscheinlich, dass die Zellart der motorischen 
Zellen (nach Nissl’s Definition) auch dann „mit einer motori- 
schen Function in irgend einem Zusammenhang steht“, wenn 
sie nicht an einem Orte mit sicherer motorischer Funetion (wie 
z. B. im Faeialis-Kern) angetroffen werden, sondern sich an 
irgend einer anderen Stelle des Centralorgans finden, dessen 
funetionelle Bedeutung uns unbekannt ist. 

In neuester Zeit sind Anschauungen über die funetionelle 
Bedeutung der Nervenzelle bekannt geworden, welche in hohem 
Grade von der allgemein getheilten Auffassung abweichen, 
Apathy (5) und Bethe (6) haben nachgewiesen, dass in der 
ungefärbten Substanz der Nervenzellen Neurofibrillen enthalten 
sind, welehe von den beiden Forschern als leitende Elemente im 
Centralorgan angesprochen werden. Nach den Anschauungen 
Bethe’s und Apäathy’s sind die Neurofibrillen kein Proto- 
plasmabestandtheil der Nervenzellen, sondern dringen von aussen 
in die Zelle ein, durchsetzen sie und verlassen sie wieder. 
Bethe hat durch seinen Versuch am Carcinus maenas bewiesen, 
dass die complicirten Reflexe der zweiten Antenne auch ohne eine 
einzige Nervenzelle ausgelöst werden können. Als das Re- 
flexcentrum für das zweite Antennenpaar des 
Taschenkrebses sind daher nicht Ganglienzellen, 
sondern das sogenannte Elementargitter Apäthy’s 
zu bezeichnen. Nach den Untersuchungen des letzteren 
Forschers besteht dasselbe aus einem Gitter von Elementarfibrillen, 
welehe die Differenzirungsprodukte besonderer nervöser Zellen sind. 


156 Walther Kolmer: 


Aus dem Elementargitter entwickeln sich die Neurofi- 
brillen, das heisst Bündelchen von Elementar- 
fibrillen, und begeben sich direct in die peripheren und 
centralen Nerven, oder durchsetzen erst die Nervenzellen, in 
deren Zellleib die Neurofibrillen ein intercelluläres Neurofibrillen- 
gitter bilden. Die aus diesem Zellgitter austretenden Neuro- 
fibrillen begeben sich theils direet in motorische Nerven, theils 
lösen sie sich wieder in Elementarfibrillen auf, d. h. sie treten 
wieder in das Elementargitter Apäthy 's ein. Das Elementar- 
gitter mit Einschluss der in den Ganglienknoten der Wirbellosen 
befindlichen Nervenzellenfortsätze, Nervenfasern und der bindege- 
webigen Antheile ist identisch mit der Punktsubstanz Leydig's 
und mit dem Neuropil von His. Niss1(7) hat diese Forschungs- 
ergebnisse nicht nur anerkannt, sondern hat an der Hand expe- 
rimenteller und pathologisch-anatomischer Thatsachen gezeigt, 
dass auch beim Wirbeltlier und beim Menschen die Nervenzellen 
keineswegs die alleinigen und ausschliesslichen Träger der ner- 
vösen Functionen sind. Er wies nach, dass die sogenannte graue 
Substanz nicht bloss ein Sammelausdruck für das zwischen den 
Nervenzellen gelegene Gewebe sein kann, also nicht allein die 
Summe der Fortsätze der Nervenzellen und ihrer Endigungen, 
sowie der hier befindlichen markhaltigen und marklosen Nerven- 
fasern, und endlich der entsprechenden Antheile des Gefässappa- 
rates und der Glia ist, sondern noch einen specifisch- 
nervösenBestandtheil, vämlich das nervöse Grau 
enthält, das ebenso wie die Nervenzellen bei der nervösen Fune- 
tion in Betracht kommt. Ueber den Ursprung und die Structur 
dieses nervösen Bestandtheils vermochte Niss| keine Auskunft 
zu geben. Bethe und Apäthy haben bis jetzt bei den 
Wirbelthieren und beim Menschen Neurofibrillen nur in den Ner- 
venzellen und in den Axencylindern nachzuweisen vermocht. Sie 
sind aber lediglich bis an die Oberfläche des Zellleibs und bis 
zur Spitze der Dendriten zu verfolgen. Nur die Neurofibrillen 
des Axons gehen continuirlich in den Axeneylinder über, und 
sind in seinem ganzen Verlauf als continuirlich dahinziehende 
Drähte wahrzunehmen. Wo jedoch der Axenceylinder sich ins 
Grau einsenkt und unseren Blieken sich entzieht, sind auch seine 
Neurofibrillen nicht weiter zu identifieiren. Nissl stellte die 
Hypothese auf, dass möglicher Weise das ner- 


Beitrag zur Kenntniss der „motorischen“ Hirnrindenregion. 157 


vöse Grau sich strueturell analog dem Elementar- 
gitter Apäthy’s verhält. Die nicht nur von Bethe, 
sondern auch von Golgi (8), Auerbach (9), Semi Mayer (10), 
Held (11), Ramön y Cayal etc. beschriebenen pericellulären 
Gitterstrueturen sind nach der Hypothese Nissls (7) ac- 
ecessorische Einriehtungen. vermöge welcher die hypotheti- 
schen Elementarfibrillen des nervösen Grau’s mit den in den 
Neurofibrillen der Nervenzelle enthaltenen Elementarfibrillen in 
Beziehung treten können. Demnach wären die pericellulären 
Gitterbildungen oder, wie Bethe sie nennt, die Golginetze Kabel- 
netze um die Nervenzellen, in denen Elementarfibrillen einge- 
schlossen liegen, welche sowohl aus den Nervenzellen als auch 
aus dem nervösen Grau, vielleicht auch noch aus den Neuro- 
fibrillen einer Anzahl direct mit dem Gitter zusammenhängender 
Axencylinderendigungen stammen. 

Während Nissl früher die Nervenzellen nicht nur als die 
ausschliesslichen Träger der nervösen Function betrachtete, son- 
dern auch die Meinung vertrat, dass die verschieden gebauten 
Nervenzellenarten die Träger ganz bestimmter nervöser Funetionen 
sind, hat er in Folge der neuen Untersuchungsergebnisse erklärt, 
dass die von ihm aufgestellte Hypothese einer speeifischen Function 
der Nervenzellen hinfällig geworden ist. Aber gleichzeitig 
bater mitallem Nachdruck betont, dass deshalb, 
weil ausser den Nervenzellen auch noch das „ner- 
vöse Grau* als Träger der nervösen Function an- 
erkannt werden muss, der Begriff der speeifischen 
Nervenzellenfunction keineswegs verschwindet: „er ver- 
schiebt sich nur und erhält eine andere Bedeutung.“ 

Nach der derzeitigen Sachlage ist eine endgültige Beant- 
wortung der Frage bezüglich der Bedeutung der Nervenzellen 
und ihrer verschiedenen Straeturen ausgeschlossen. Jedenfalls 
aber ist die strueturelle Verschiedenheit im Baue der Nervenzellen 
eine feststehende Thatsache, auf welche jede Antwort, mag sie 
ausfallen, wie nur immer, Rücksicht nehmen muss. Eine ebenso 
gesicherte Thatsache ist die Feststellung Nissls, dass alle 
Nervenzellen der Wirbelthierreihe, welche sich an Orten von 
zweifellos motorischer Bedeutung finden, gleichartige Kennzeichen 
besitzen, welche diese Zellart von allen übrigen centralen Zell- 
arten unterscheiden. 


158 Walther Kolmer: 


Da Niss! diese Zellen nicht deshalb als motorische Zellen 
bezeichnet hat, weil sie die motorischen Zellen sind, sondern 
ausdrücklich deshalb, weil es ganz bestimmte, von allen übrigen 
Nervenzellen sich unterscheidende Elemente sind, von denen wir 
sicher wissen, dass sie mit der motorischen Function „in 
irgend einer Beziehung“ stehen, wird auch die Bezeich- 
nung dieser Zellart nicht geändert zu werden brauchen, gleich- 
gültig, wie zukünftige Forschungen die Frage nach der Bedeutung 
der Nervenzellen und ihrer verschiedenen Structuren auch lösen 
werden. Ebenso klar ist es, dass unsere Untersuchung durch die 
gänzlich veränderte Sachlage, welche durch die Forschungen 
Apäthy’s und Bethe’s geschaffen wurde, in keinerlei Weise 
beeinflusst wird. 

Im Jahre 1875 hat Betz in der vorderen und hinteren 
Centralwindung des Menschen die sogenannten Riesenpyramiden 
beschrieben. Untersuchen wir nun diese Theile mit der electiven 
Methode, so finden wir, dass sich den Riesenzellen Betz’s ent- 
sprechend in der von ihm beschriebenen Anordnung Zellen finden, 
welche denselben Bau zeigen, wie die der motorischen Orte. Es 
ist hier auf einen Irrthum hinzuweisen, der sich vielfach in 
der Literatur findet. Verschiedene Autoren nennen schlechthin 
alle sehr grossen Cortexelemente, etwa solche, die mehr als 
30x40 u messen, Riesenzellen. Deshalb werden Riesenzellen 
nicht nur in der Centralwindung, sondern auch an anderen Stellen 
der Hirnrinde beschrieben. Kölliker (12) z. B. spricht noch in 
der 6. Auflage seines Handbuches der Gewebelehre (II. Theil, 
pag. 682. 1896) von Riesenpyramiden im Hinterhauptslappen. 
Eine derartige Nomenclatur war früher, als man noch nicht die 
verschiedenen Nervenzellenstructuren darstellen konnte, berechtigt. 
Heute aber wissen wir, dass die besonders grossen Cortexelemente 
durchaus nicht einheitlich gebaute Zellen sind, sondern eine diffe- 
rente Structur besitzen. Schon Meynert wusste, dass im Hinter- 
hauptslappen sehr grosse Zellen vorkommen; letztere aber haben 
mit jenen Elementen, die Betz Riesenzellen nannte, nichts zu 
thun, weil sie eine wesentlich andere Structur besitzen. Der Be- 
griff Riesenzelle der Hirnrinde ist also heute identisch mit der 
Bezeichnung Cortexzelle motorischer Art oder motorische Hirn- 
rindenzelle. 

Nachdem wir die verschiedenen Gründe kennen gelernt 


Beitrag zur Kenntniss der „motorischen“ Hirnrindenregion. 159 


haben, welche uns dazu berechtigen, die Nervenzellen des mo- 
torischen Typus auch dann als „mit motorischen Functionen in 
irgend einer Beziehung stehend“ aufzufassen, wenn sie nicht an 
einem Orte sich befinden, dessen Functionen uns genau bekannt 
sind, dürfen wir auch die Betz’schen Riesenpyramiden als mo- 
torische Zellen bezeichnen. Von der Rinde können wir allerdings 
nicht sagen, dass uns deren Funetionen ebenso unbekannt sind, 
wie zum Beispiel die des Deiters’schen Kerns oder des rothen 
Kerns ete., wo wir ebenfalls Zellen des motorischen Typus nach- 
weisen können. Im Gegentheil wissen wir, dass diejenigen Re- 
gionen der Hirnrinde des Menschen, in denen Betz seiner Zeit 
die Riesenpyramiden entdeckt hat. zweifellos auch mit motorischen 
Funetionen zusammenhängen, ja man hat diese Gegenden schlecht- 
weg motorische Oentra genannt. Es ist daher auch sehr wohl 
begreiflich, dass Betz und viele andere Forscher nach ihm die 
Riesenpyramiden als motorische Zellen aufgefasst haben. Aber 
wir müssen darüber vollkommen im Klaren sein, 
dass diese Auffassung ausschliesslich nur durch 
den Standort der Riesenzellen in einer motori- 
schen Rindenregion und durch dasFeblen gleich 
grosser Zellen inden anderen nicht motorischen 
Regionen begründet wurde. Diese Auffassung hat mit 
der unseren nichts gemein. 

Wenn Jemand die Betz’schen Riesenpyramiden schon bisher 
als motorische Zellen betrachtete, so musste er die übrigen Nerven- 
zellen derselben Region auch für motorische Zellen halten, denn 
ein anderer Unterschied, als die Grösse, konnte nicht gezeigt 
werden. Wenn sich aber Jemand darauf berufen würde, dass 
die Riesenzellen von Betz schon durch ihre eigenartige Topo- 
graphie kenntlich sind, so muss ihm entgegnet werden, dass 
die grossen Solitärzellen (Meynert’s) im Hinterhauptslappen 
ähnlich etablirt sind. Aber auch wenn wir zugeben, dass die 
Betz’schen Zellen eigenartig und leicht erkenntlich angeordnet 
sind, so bleibt doch immer noch die Unmöglichkeit bestehen, 
die kleinsten Betz’schen Zellen von den grössten der gewöhn- 
lichen Pyramidenzellen sicher zu unterscheiden. Da wieder- 
holt betont wurde, dass die Anschauung Nissl's bezüglich des 
motorischen Charakters der Betz’schen Riesenzellen durchaus 
keine neue Errungenschaft in sich schliesst, vielmehr von vielen 


160 Walther Kolmer: 


Seiten und schon längst ausgesprochen wurde, bin ich auf den 
fundamentalen Unterschied zwischen den Anschauungen Nissl's 
und der älteren Forscher eingegangen. Uebrigens ist darauf 
noch hinzuweisen, dass thatsächlich von verschiedenen Seiten 
„Riesenzellen“ auch im Hinterhauptslappen und an anderen nicht 
motorischen Orten der Rinde beschrieben wurden. Nach der Auffas- 
sung Nissl’s jedoch kann ein Zweifel darüber, welehe Zellen als 
motorische Rindenzellen zu bezeichnen sind, nieht bestehen. 
Es ist nur ein ganz äusserliches Moment, dass diese Zellen zu 
den grössten gehören, die es in der Rinde überhaupt giebt. Wie 
man sich leicht überzeugen kann, sind nicht alle motorischen 
Rindenzellen gleich gross und nicht immer grösser als die 
grösseren übrigen Rindenzellen, sondern es giebt unter 
den motorischen Rindenkörpern auch kleinere 
Elemente, dievonanderen Zellarten derRinde 
an Grösse übertroffen werden, und sehr viele grosse 
Rindenpyramiden besitzen dieselbe Grösse und Formen wie ein 
beträchtlicher Theil der motorischen Zellen im Cortex. Würden 
sich übrigens die alten Anschauungen mit denen Nissl’s decken, 
wie Manche irrthümlicher Weise zu glauben scheinen, so könnte 
man nicht gut verstehen, dass von keiner Seite darauf hingewiesen 
wurde, dass die Vertheilung der motorischen Zellen durchaus nicht 
mit den Grenzen der sogenannten motorischen Zone zusammenfällt. 
Um jedes Missverständniss auszuschliessen, weise ich nochmals auf 
die Definition der motorischen Zellart seitens Nissl’s hin, sowie 
darauf, dass dieser Autor an verschiedenen Orten mit allem Nach- 
druck betont hat, dass beim Aufbau der Rinde Zellen verschieden- 
ster Art sich betheiligen, und dass sowohl der verticale als der 
horizontale Durchschnitt der Rinde örtliche Bauunterschiede er- 
kennen lässt. 

Insbesondere ist nicht zu übersehen, dass die motorische 
Zellart in der Rinde in auffallend wenig Exemplaren 
vertreten ist. Ein gutes Verständniss von der Vertheilung 
der motorischen Zellen in der menschlichen Rinde giebt eine von 
Nissl (7) herrührende Photographie!). Auf diesem Bilde sind nur 
sechs Zellen der motorischen Art sichtbar. Aber gerade deswegen, 


1) Figur 3 in Nissl’s Aufsatz Nervenzelle und graue Substanz. 
Münch. med. Wochenschrift No. 31—33, 1898. Fig. 4 stellt den Durch- 
schnitt einer Hunderinde dar. 


Beitrag zur Kenntniss der „motorischen“ Hirnrindenregion. 161 


weil sie in so spärlicher Zahl auftreten und so überaus scharf 
auf eine ganz bestimmte Rindenregion beschränkt sind, erhält 
dieselbe ein eigenthümliches Gepräge. Niss] hat daher mit Recht 
darauf aufmerksam gemacht, dass, wenn wir noch gar nichts von 
dem inneren Aufbau der Rinde wüssten, die einzige Thatsache 
des Auftretens echter motorischer Nervenzellen an einer ganz 
bestimmten Rindenregion vollauf genügen würde, um die Frage 
bezüglich der Existenz örtlicher Bauunterschiede der Rinde im 
positiven Sinne definitiv zu beantworten. Ich brauche wohl nicht 
noch eigens zu betonen, dass der Nachweis echter motorischer 
Nervenzellen an einer scharf umschriebenen Stelle der Hirnrinde 
noch gar nichts präjudieirt. Wir ziehen aus diesem Nachweis 
nur den einen Schluss, dass an einer scharf umschriebenen Stelle 
der Rinde Zellen auftreten, die mit motorischen Funetionen in irgend 
einer Beziehung stehen. Selbstverständlich sind wir darüber im 
Klaren, dass dies nur ein Wahrscheinlichkeitsschluss sein kann, für 
den erst noch der exacte Nachweis zu erbringen ist. Keinesfalls 
solldamit gesagt sein, dass deshalb, weil Zellen 
motorischer Art an einer scharf begrenzten 
Region der Hirnrinde auftreten, diese Region 
ausschliesslich eine motorische Bedeutung 
habe. Dieser Schluss wäre ebenso unberechtigt, als die Auf- 
fassung, dass die verschiedenen Zellarten nicht motorischen Typus 
nichts mit motorischen Funetionen zu thun haben. 

Immerhin ist die Feststellung von Cortexzellen derselben 
Art, wie sie in den motorischen Kernen durch die ganze Wirbel- 
thierreihe beobachtet werden können, von grösstem Interesse, 
das sich noch erhöht, wenn man erwägt, dass sie in einer scharf 
umschriebenen Zone der Hirnrinde auftreten, welche in der Region 
der sogenannten motorischen Centren liegt. 

Da Nissl motorische Zellen wohl in der Himrinde des 
Menschen, Affen, des Hundes und der Katze, niemals aber bei 
Kaninchen und Meerschweinchen fand, veranlasste er mich, im 
anatomischen Laboratorium der Heidelberger Irrenklinik das Auf- 
treten der motorischen Zellen in der Thierreihe systematisch zu 
verfolgen und das Verhältniss dieser Elemente in der Rinde ein- 
zelner Thiere genauer zu studiren. 

Bei dieser Untersuchung wurden die Hemisphären der be- 
treffenden Thiere in 96°/, Alkohol in toto conservirt. Nach 


162 Walther Kolmer: 


mehrmaligem Wechsel des Alkohols (Alkohol darf dabei durchaus 
nicht gespart werden!) wurden die vollständig gehärteten Hemi- 
sphären sowohl in frontaler wie in sagittaler Richtung in eine 
Serie von ungefähr 1 mm dieken Scheiben zerlegt, deren Lage 
in der Hemisphäre genau aufgezeichnet wurde. Die Objectblöcke 
wurden durch Theilung der erst erhaltenen Scheiben hergestellt 
und in die Zeichnung genau eingetragen, sodann auf Kork 
mit Gummilösung aufgeklebt und uneingebettet in Serien von 
je 10—15 u dieken Sehnitten zerlegt. Je nach dem Objecte und 
der Region, die für jeden Schnitt auf Grund der Zeichnung 
leicht zu bestimmen war, wurde theils jeder Schnitt der Serie, 
theils nur jeder 5. oder 10. genau untersucht und das Verhalten 
der motorischen Zellart in der betreffenden Region notirt und 
eingezeichnet. Gefärbt wurden die Schnitte mit der electiven Zell- 
färbungsmethode (Seifenmethylenblau)nach Nissl. Auf diese Weise 
gelang die Feststellung der Vertheilung der motorischen Zellen 
in der Hirnrinde verschiedener Thiere ohne besondere Schwierigkeit. 

In den nach der Nissl’schen Methylenblau-Methode herge- 
stellten Präparaten zeigen die motorischen Zellen ein bei allen 
Thieren ziemlich gleichartiges Verhalten. Ich will bei der Be- 
schreibung der motorischen Zellen speciell von der menschlichen 
Rinde ausgehen. 

Die Kontur der Zellen lässt sich gegen das umgebende 
Gewebe hin nieht ganz exact abgrenzen. Die Form ist, wenn 
die Zelle senkrecht getroffen, die eines unregelmässigen, lang- 
gestreckten Polyeders, nur in seltenen Fällen die einer reinen 
dreiseitigen Pyramide. Gegen den Abfall der Windungen hin 
werden die Elemente kürzer, während zugleich die Breitendi- 
mension zunimmt. Die meisten Zellen dieser Art besitzen einen 
Haupt- oder Spitzenfortsatz, der gegen die Oberfläche der Rinde 
gerichtet ist, und drei, fünf oder mehr Basalfortsätze. Die Basis 
misst etwa 30—40 u, während der Längsdurchmesser wegen des 
sich allmählich verjüngenden Spitzenfortsatzes schwer genau an- 
gegeben werden kann. Immerhin ist der Spitzenfortsatz häufig 
noch in einer Entfernung von T0—80 u von der Zellbasis aus ge- 
rechnet 10—15 u breit. Spitzen- und Basalfortsätze geben mehrere 
seitliche Fortsätze ab. Die Fortsätze gesunder Zellen entstehen 
ohne Ausnahme durch die allmähliche Verjüngung des den Kern 
tragenden Zellleibs. Die gefärbten Substanzen zeigen eine cha- 


Beitrag zur Kenntniss der „motorischen“ Hirnrindenregion. 163 


rakteristische Anordnung. Es enthält die motorische Zelle zweierlei 
färbbare Substanzen, eine, welche sich mit basischen Farbstoffen 
schwach tingirt, und eine andere, welche in den Complexen der 
ersteren in Form unmessbar feiner Körnchen eingelagert, mit den- 
selben Farbstoffen sich intensiv färbt. Jene grossen und typisch 
geformten Portionen färbbarer Substanz, wie wir sie an anderen 
ähnlich grossen Pyramidenzellen nach Niss1's Vorgang als Basal- 
körper und Kernkappen bezeichnen, finden sich niemals in der 
motorischen Zelle. Die färbbare Substanz ist in eckigen, bald 
mehr oder minder länglichen, verzerrt polyedrischen Schollen 
angeordnet. Diese sind an der Peripherie der Zelle grösser als 
im Inneren, und an der Abgangsstelle des Spitzenfortsatzes wieder 
etwas umfangreicher als anderswo. Im Innern der Zelle werden 
die färbbaren Substanzportionen gegen den Kern hin wieder 
kleiner, nur auf der dem Spitzenfortsatz zugewendeten Seite des 
Kernes treten einzelne mittelgrosse Schollen auf. In den Proto- 
plasmafortsätzen finden sich häufig längliche Rhombenformen, an 
der Abgangsstelle der seitlichen Dendritenfortsätze treten intensiv 
sich färbende Körperehen in Dreiecksform auf, die sogenannten 
Verzweigungskegel. 

Die Farbenintensität der färbbaren Substanztheile ist nicht 
überall gleich stark. Mit besonderer Vorliebe finden sich an der 
Peripherie der Zelle sehr stark gefärbte Figuren. Die Art und 
Weise, wie die gefärbte Substanz in den Schollen angeordnet 
ist, ist noch immer nicht genau genug bekannt. Zum Theil sind 
die einzelnen färbbaren Figuren, namentlich die Spindelchen in 
den Dendriten, anscheinend vollständig homogen, zum Theil bilden 
sie Körnerecomplexe, wieder ein anderer Theil ist unregelmässig 
strueturirt, indem hellere und dunklere Punkte miteinander ab- 
wechseln. Sehr viele färbbare Substanzen zeigen sogenannte 
„Körperchenvacuolen“ (Nissl). Je homogener die Scholle ist, 
desto glatter ist ihre Kontur. In gesunden Zellen, wie wir sie 
beim Menschen verhältnissmässig selten zu Gesichte bekommen, 
sind die Spindelehen in den Dendriten nur eine relativ kurze 
Strecke weit zu verfolgen; es kommen aber auch Dendriten vor, 
welche kaum gefärbt sind, jedenfalls aber nirgends deutliche 
Schollen enthalten. Solche Dendriten sind aber immer sehr dünn 
und gehen niemals aus einem breiten Ansatz des Zellkörpers hervor. 
Form und Anordnung der färbbaren Gebilde ist abhängig von 


164 Walther Kolmet: 


der Lagerung der dazwischen liegenden, mit Methylenblau im 
Normalpräparat sich nicht färbenden Substanz. Diese enthält 
nachgewiesenermassen die Fibrillen und eine andere vorderhand 
als perifibrillär zu bezeichnende Substanz. 

Diese ungefärbte Substanz nimmt den Raum zwischen den 
färbbaren Figuren ein und bildet sehr häufig die äusserste Zell- 
zone. Die peripheren Theile der Dendriten sowie das Axon und 
zum weitaus grössten Theil sein Nervenfortsatzhügel, besteht 
ausschliesslich aus ungefärbter Substanz. Im Zellkörper selbst 
präsentirt sich die ungefärbte Substanz in Form von Strängen 
oder ungefärbten Bahnen, welche zwischen den färbbaren Figuren 
einherziehen. Theils begeben sie sich von den Dendriten nach 
dem Zellkörper, wo sie in den verschiedensten Richtungen sich 
kreuzen; ein anderer Theil tritt durch einen Dendriten ein 
und wendet sich entweder zum zunächst liegenden oder zu einem 
entfernteren, um die Zelle auf diesem Wege wieder zu verlassen ; 
ein dritter Theil schlägt die Richtung nach dem Nervenfortsatz- 
hügel ein. Stets aber lassen sie den Kern zur Seite, manchmal 
jedoch sieht man auch Bahnen, die direet den Kern ganz oder 
theilweise umkreisen. Am deutlichsten tritt der Verlauf der 
Bahnen in den breiteren Dendriten zu Tage; hier beschreiben 
die ungefärbten Züge häufig deutliche Spiraltouren. 

Der Axeneylinderfortsatz entspringt meist in der Mitte der 
Zellbasis. Im Nissl’schen Präparat zeigt er ein eigenthümlich 
glasartiges Aussehen, vermöge dessen er sich immerhin von der 
ebenfalls ungefärbten Grundsubstanz der Rinde genügend abhebt. 
Structurdetails sind bei dieser Behandlung nicht wahrzunehmen. 
Hier und da begegnen wir zwar einem Axencylinder, der einen 
Hauch von Farbe annimmt. Jedenfalls aber enthält er niemals 
irgend welche Figuren färbbarer Substanz. 

Wie ich schon oben bemerkt habe, sind bei völlig normalen 
Verhältnissen die Axencylinder aller übrigen Arten der Rinden- 
zellen niemals als solche zu erkennen. Fortsätze, die keine 
färbbaren Suhstanzportionen enthalten, sind allerdings dann und 
wann auch an anderen Zellen der Rinde bei Anwendung unserer 
Methode zu sehen. Niemand aber ist auf Grund eines solchen Be- 
fundes berechtigt, sie ohne Weiteres als Axeneylinderfortsätze anzu- 
sprechen. Bei der motorischen Zellart der Rinde aber zeichnet sich 
der Axeneylinder nicht nur durch sein homogenes glasartiges Aus- 


Beitrag zur Kenntniss der „motorischen“ Hirnrindenregion. 165 


sehen aus, sondern auch durch seinen Abgang aus einem besonders 
strueturirten Theil des Zellleibes, nämlich der von Nissl als 
Nervenfortsatzhügel bezeichneten kegelförmigen Ansammlung un- 
gefärbter Substanz. Dieser Nervenfortsatzhügel setzt sich mehr 
oder minder scharf, immer aber deutlich in einem nach aussen 
gegen den entspringenden Axeneylinder hin offenen Halbkreis 
gegen den übrigen Zellinhalt ab. In einzelnen Fällen schliessen 
die färbbaren Figuren die Linie des erwähnten Kreissectors ab, 
in anderen Fällen aber setzen sich die färbbaren Portionen 
des Zellleibes noch ein Stück weit in den Ursprungshügel des 
Axons fort, wo sie rasch immer kleiner werden und bald ganz 
verschwinden. Aber auch im letzteren Falle, wo der Hügel nicht 
so scharf gegen den Zellleib sich abgrenzt, bleibt der peri- 
phere Theil des Hügels mit dem Ursprung des Axons von färb- 
barer Substanz gänzlich frei. In jedem Fall verjüngt sich der 
Axeneylinder bald nach seinem Austritt mehr oder weniger stark. 
Der Kern der Zelle lässt sich im eleetiven Zellpräparat nur dann 
scharf abgrenzen, wenn der Schnitt zufällig mitten durch den- 
selben geht; ist dies nicht der Fall, so wird seine Membran durch 
die über und unter ihr liegenden Figuren mehr oder minder ver- 
deckt. Er ist an sich relativ gross. Das Grössenverhältniss zwi- 
schen Zelle und Kern ist etwa das gleiche wie bei den Zellen der 
Spinalganglien. Der Kern ist meist ziemlich kreisrund und erscheint 
im Normalpräparat fast vollständig farblos. Seine Membran 
zeigt niemals die bei anderen Ganglienzellkernen so 
überaus häufigen Linien, welche Nissl als Faltungs- 
erscheinungen der Kernmembran auffasst, auch 
ein Kennzeichen, das die motorische Zelle von 
vielen anderen Zellarten der Rinde unterschei- 
det. Vom Kerninhalt nimmt man nur in einzelnen Zellen 
unbedeutende Andeutungen wahr. Nur das Kernkörperchen, das 
stets sehr gross ist, ist intensiv gefärbt, ja der am stärksten 
gefärbte Theil der ganzen Zelle. In normalen und frisch ge- 
färbten Zellen erscheint es als ein homogenes, annähernd rund- 
liches Gebilde. In älteren Präparaten, manchmal aber auch in 
frisch gefärbten Zellen, kann man ein oder zwei etwas hellere 
kreisrunde Gebilde in ihm feststellen: die sogenannten Vacuolen 
der Nucleolen. In letzteren ist, namentlich wenn die Schnitte 
abgeblasst sind, oft auch im frischen Präparat je ein stark licht- 


166 Walther Kolmer: 


brechendes Körnchen zu erkennen: die Krystalloide der Nucleolen, 
wie Nissl diese Gebilde benennt. 

Pigment tritt in der Norm am häufigsten im Zellinnern auf, 
in zweiter Linie auch am Abgang der Dendriten und im Nerven- 
fortsatzhügel, selten in den peripheren Theilen der Dendriten, 
niemals aber innerhalb jenes Stücks derselben, wo die färbbaren 
Figuren absolut fehlen. Auch im Nervenfortsatzhügel befindet 
es sich immer zwischen den färbbaren Substanzportionen, niemals 
im ungefärbten peripheren Theile. Nur die motorischen Cortex- 
zellen des Menschen besitzen Pigment. 

Nissl unterscheidet mindestens zwei Sorten von Nerven- 
zellenpigment. Das häufigere auch im Nissl’schen Präparat an 
seiner Farbe kenntliche hellgelbe oder goldgelbe Pigment ist 
auch in den motorischen Zellen vertreten. Zwar besitzen 
dieselben auch noch daneben ein dunkleres Pigment, aber dasselbe 
bedarf zu seiner Darstellung besonderer Methoden. Sind jedoch die 
Pigmenthaufen sehr gross, so kann man auch bei der eleetiven Me- 
thode zwischen den goldgelben Massen einzelne dunklere, bräunliche 
Körnchen erkennen, die der zweiten Sorte von Pigment ange- 
hören. Wir haben keine Ursache, auf diese zweite Sorte Pigment 
des Näheren einzugehen. Nissl hält das gewöhnliche hellgelbe Pig- 
ment für ein Umwandlungsproduct der sich intensiv färbenden 
Substanz. Thatsächlich können wir in motorischen Zellen nicht 
nur häufig hellgelbe Pigmentkörner in den intensiv gefärbten 
Figuren eingesprengt finden, sondern begegnen manchmal färb- 
baren Figuren, deren intensiv gefärbte Körnchen ganz durch hell- 
gelbes Pigment ersetzt sind. In solchen Fällen zeigt sich jenes 
schon von Niss] beschriebene Bild einer Honigwabe, deren Wände 
die blau gefärbte Substanz bildet, während das goldgelbe Pigment 
den Inhalt der Waben darstellt. 

Das eben beschriebene Verhalten zeigen sämmtliche mo- 
torische Zellen auf der Kuppe der Gyri der menschlichen Rinde. 
Die in der Rinde der Furchen und deren Abhänge befindlichen 
motorischen Elemente verhalten sich zwar structurell ebenso, aber 
ihre äussere Form ist im Allgemeinen etwas anders. Abgesehen 
davon, dass an diesen Orten der Breitendurchmesser unverhältniss- 
mässig auf Kosten des Längsdurchmessers ausgebildet ist, fehlt 
hier gar nicht selten der Spitzenfortsatz gänzlich. Ja man kann 


Beitrag zur Kenntniss der „motorischen“ Hirnrindenregion. 167 


selbst beinahe randliche Elemente beobachten, deren Fortsätze 
sich nach allen Riehtungen hin gleichmässig entwickeln. 

Soweit können wir uns im electiven Präparat über die 
Structur der Zelle unterrichten. Wollen wir auch über jene 
Strueturtheile Aufschluss erhalten, die das elective Zellpräparat 
nicht färbt, so bleibt niehts anders übrig, als andere Methoden 
zu Hülfe zu nehmen. Da wir jedoch nur die Merkmale der mo- 
torischen Zellen und ihre Unterschiede von anderen Zellarten 
kennen lernen wollen, genügt es, mit Hülfe eines brauchbaren 
Kerndarstellungsverfahrens über die feinere Kernstructur der 
motorischen Zellart sich zu orientiren. Soweit es sich nur darum 
handelt, Unterschiede in der Kernstructur zwischen verschiedenen 
Zellen zu finden und nachzuweisen, dass wie der Zellleib so auch 
der Kern der motorischen Elemente sich von dem Kern aller 
übrigen Zellarten unterscheidet, reichen wir mit den gewöhnlichen 
Methoden vollständig aus. So erhalten wir beispielsweise nach 
Fixirung der Rinde mit Sublimat oder mit Hermann ’'scher oder 
Flemming’scher Lösung in Verbindung mit Heidenhain’s Eisen- 
alaunhämatoxylin-Methode eine genügend distinete Kerndarstellung. 
Wir können dabei immer die Besonderheit der motorischen Zell- 
kerne feststellen. Die grossen kreisrunden, wegen des reichlich 
vorhandenen Kernsaftes verhältnissmässig hell gefärbten Kerne 
zeigen eine dünne, schwach tingirte Kernmembran, die im Gegen- 
satz zu anderen Kernen niemals Faltungserscheinungen darbietet. 
Im Innern finden wir ein zartes, nur blass gefärbtes Liningerüst 
mit zahlreichen Ansammlungen von Lininsubstanz. In letzteren 
sowie in den zarten Lininfäden sind einige intensiv gefärbte 
Körnehen eingelagert. Dieselben färben sich auch mit basischen 
Farben, sind aber häufig so spärlich vorhanden, dass in der 
Regel auf dem Schnitte der Kerninhalt absolut ungefärbt er- 
scheint. Das Kernkörperehen hat eine besonders differenzirte 
Aussenzone, die sich tinetoriell etwas anders verhält als der 
Kernkörpereheninhalt. An zwei gegenüberliegenden Stellen des 
Nuceleolus findet man, mit seiner Oberfläche aufs innigste ver- 
schmolzen, zwei winzige, äusserst intensiv gefärbte Körnchen, die 
Polkörperehen Nissl’s. In ihrer Lage entsprechen die Pol- 
körperehen einerseits der Richtung des Spitzenfortsatzes, anderer- 


seits dem Axon. Man kann auch manchmal 3 Polkörperchen 
Archiv f. mikrosk. Anat. Bd, 57 12 


168 Walther Kolmer: 


wahrnehmen; in letzterem Falle ist aber eine Beziehung ihrer 
Lage zur Gesammtzelle nieht deutlich zu erkennen. 

Man beobachtet ausserdem die sogenannten „Anlagerungs- 
körner* Niss!’s, welche sich in keiner Weise von den im Linin- 
netz suspendirten Körnern unterscheiden, stets aber den Nucleolus 
begleiten, wenn er zufällig durch eine Rauhigkeit des Messers 
aus dem Kern gerissen wird. Meist sind im Inneren des 
Kernkörperehens die schon erwähnten Vacuolen nachzuweisen. 
Zur Darstellung der in ihnen liegenden Krystalloide bedarf es 
eigener Methoden. Was die Neurofibrillen-Präparate Bethe’s 
betrifft, so kann ich mich auf seine Schilderung des Ver- 
haltens der Neurofibrillen in den Cortexzellen berufen. Da, 
wie es scheint, ein prineipieller Unterschied bezüglich des 
Verhaltens der Neurofibrillen in den Zellen der motorischen 
Art und den übrigen Cortexzellen nicht besteht, so gilt die 
Darstellung Bethe’s auch für die Zellen dieser Art. Selbst- 
verständlich ist damit nicht gesagt, dass die motorische Zellart 
im Cortex mit Bezug auf ihre Neurofibrillen vollständig den 
übrigen Zellarten entspricht. Im Gegentheil auch im Hinblick 
auf die Neurofibrillenverhältnisse unterscheidet sie sich sehr 
wohl von den Elementen anderer Art. Die Unterschiede be- 
ziehen sich auf die Menge der Fibrillen, auf die Verlaufsart 
und die Durchflechtung ihrer Züge, sowie auf die auffallend 
reichlichen Massen von Neurofibrillen, die zu Axonfibrillen werden. 
Mehr lässt sich zur Zeit nicht aussagen. Wie schon Bethe be- 
tont hat, sind die Bilder seiner Methode genau die Negative der 
Nissl’schen Bilder, die als die positiven aufzufassen sind. Der 
Hinweis auf diese Thatsache allein genügt schon, um zu beweisen, 
dass die Zellart der motorischen Zellen sich auch hinsichtlich 
des Verhaltens der Neurofibrillen von den übrigen Zellarten der 
Rinde unterscheidet. Dadurch, dass die färbbaren Substanztheile 
fast allseitig von ungefärbter Substanz umgeben sind, in der die 
Neurofibrillenzüge eingebettet liegen, durchflechten und kreuzen sich 
die letzteren in viel höherem Maassstabe als in anderen Cortex- 
zellen. Uebrigens ist das Bethe’schen Präparat nicht nur mit Bezug 
auf den Zellleib das Negativ vom Positiv, das durch Nissls 
Methode erhalten wird, sondern für den Kern gilt das Gleiche. 
Auch hier ist das Bild der Bethe’schen Färbung das genaue Negativ 
des mit der Nissl’schen Methode gewonnenen positiven Kernbildes. 


Beitrag zur Kenntniss der „motorischen“ Hirnrindenregion. 169 


Es erweist sich namentlich der Kernsaft als ein Conglomerat 
aus diehtgedrängten, körnigen, fädigen und scholligen gefärbten 
Elementen, die Kernmembran dagegen als ein nicht scharf ab- 
gegrenztes Gebilde, während das Linin und die Masse des Kern- 
körperchens kaum gefärbt erscheint. Von den Dendriten strahlen 
die intensiv gefärbten Neurofibrillen in dichten Zügen in den 
Zellleib ein, erreichen jedoch denselben nur zum Theil, da eine 
Anzahl von Neurofibrillen sich von der Hauptrichtung abzweigen, 
um die nächstliegenden Dendriten zu erreichen, in deren Bahnen 
sie die Zelle wieder verlassen. Die durch den Hauptfortsatz in 
den Zellleib ziehenden Fibrilienbahnen streben in directer Rich- 
tung dem Kern zu, lösen sich aber noch bevor sie ihn erreicht 
haben, in eine Unzahl kleinerer Bahnen und in eine Masse sehr 
feiner Fäden auf, die in allen Richtungen sich kreuzen. Das 
Gewirre der in der Umgebung des Kerns befindliehen Fibrillen 
und Fibrillenbahnen ist viel zu dicht, als dass man im Stande 
wäre, einzelne Bahnen oder gar einzelne Fibrillen im Detail zu 
verfolgen. Gegen die Zellwand, namentlich aber gegen die Den- 
dritenursprünge, ordnen sich aus dem Gewirr der um den Kern 
gelegenen Fibrillen wiederum deutliche Züge, die man gut in die 
einzelnen Dendriten verfolgen kann. Die zu Axonfibrillen werden- 
den Neurofibrillen bilden bald näher, bald etwas weiter vom 
Zelleib entfernt einen dieken Draht, indem die einzelnen Neuro- 
fibrillen so dieht aneinander liegen, dass von einem Auseinander- 
halten derselben absolut nicht die Rede sein kann. In der Nähe des 
Nervenfortsatzhügels verbreitert sich das Axon, und nun kann man 
auch die einzelnen Fibrillen und Fibrillenbündelehen wahrnehmen. 
Dieselben durchziehen fächerförmig ausgebreitet den Nervenfort- 
satzhügel und treten von da zum Theil in irgend eine der zunächst 
liegenden Dendritenbahnen, zum grössten Theil aber in das um 
den Kern befindliche Gewirr von sich kreuzenden Fibrillen und 
Fibrillenbahnen ein. Auf Wunsch des Herrn Dr. Nissl habe ich 
der Abbildung einer motorischen Zelle des electiven Präparats die 
entsprechende Zeichnung aus einem Bethe’schen Präparat beige- 
fügt. Endlich weise ich noch darauf hin, dass die von Golgi, 
Auerbach, Held, Semi Meyer etc. beschriebenen pericellulären 
Netz- oder Gitterstrueturen in seltenen Fällen auch im Bethe’schen 
Präparat zur Darstellung gelangen. Wie mir Herr Dr. Nissl zeigte, 
treten die pericellulären Gitterstrueturen auch bei der 


170 Walther Kolmer: 


eleetiven Methode zu Tage, wenn schwere Schädigungen 
auf die Zellen eingewirkt haben. Am reinsten und klarsten 
werden bis jetzt diese von Bethe als Golginetze bezeichneten 
Structuren durch die Bethe’sche Methode dargestellt. Ich er- 
wähne diese in ihrem feineren Aufbau und hinsichtlich ihrer 
Bedeutung noch unbekannten Gitterstructuren deshalb, weil die 
verschiedenen Zelltypen ganz verschiedene Gitter 
besitzen, und der Hinweis auf die besonders geformten 
Gitterstructuren der motorischen Zellart ein weiteres 
seweismittel für die Specifität der motorischen Zell- 
art ist. 

Bis jetzt wurde von vielen Seiten der Begriff motorische 
Zellart gebraucht. Im grossen Ganzen kann man wohl sagen, 
dass diejenigen, welche sich dieses Begriffes bedient haben, sehr 
verschiedenartige Nervenzellenarten damit bezeichnet haben und 
zwar sowohl Zellen der motorischen Art im Sinne Nissl's, wie 
auch noch andere ähnliche grosse Zellen, deren Funetion Niemand 
kennt. Zweifellos giebt es in der Rinde des Menschen und der 
Thiere grosse Zellarten, welche den motorischen Zellen auch 
in structureller Hinsicht ähnlich sehen. Namentlich gilt das be- 
sonders von einer Zellart, welche Nissl als Uebergangsformen 
bezeichnet hat, weil sie structurell den motorischen Zellen 
sehr ähnlich sind und gewissermassen eine Uebergangsform 
zwischen den motorischen und andern grossen Rindenelementen 
darstellen. Diese Elemente der Uebergangsform haben aber ein 
viel grösseres Verbreitungsgebiet im Cortex als die motorischen 
Zellen. Immerhin kann man die Uebergangsform von den moto- 
rıschen Zellen deshalb leicht unterscheiden, weil erstere keinen 
ausgesprochenen Nervenfortsatzhügel besitzen und ausserdem das 
Kernfaltuangsphänomen darbieten. 

Hinsichtlich der topographischen Vertheilung finden sich 
die motorischen Zellen des Menschen zum grössten Theil oberhalb 
oder innerhalb der Schicht der Ganglienzellen nach Hammar- 
berg(13). Es ist dies jene Schicht, welche sich nach der 
Meynert'schen Eintheilung zwischen der Schicht der polymorphen 
Zellen (4. Meynert’sche Schicht) und der Schicht der Spindel- 
zellen einschiebt. Nach Nissl’s Eintheilung besteht die Rinde 
des Menschen aus dem zellfreien Rindensaum (erste Schicht 
Meynert's), aus der Pyramidenschicht, welche wieder in die 


Beitrag zur Kenntniss der „motorischen“ Hirnrindenregion. 171 


Schicht der kleinen (2. Meynert’sche Schicht) und in die Schicht 
der grossen Pyramiden (3. Meynert'sche Schicht) zerfällt. Drittens 
aus der kleinzelligen Schicht (4. Meynert’sche Schicht) und 
endlich aus der Markfaserschicht, welche Niss|l in eine äussere 
Zone (die Ganglienzellenschicht Hammarberg’s) und eine 
innere Zone (die 5. Schieht Meynert's) zerlegt. Bei dieser 
Eintheilung wird auch das Verhältniss zur Faserung berücksichtigt. 
Man muss allerdings wissen, dass die Schichten keineswegs überall 
gleich stark entwickelt sind; so fehlt speciell die kleinzellige Schicht 
oder ist nur andeutungsweise an den Orten entwickelt, wo wir 
die eehten motorischen Zellen finden, ein Umstand, der auch 
diese Rindenregion zu einer besonderen stempelt. Die klein- 
zellige Schicht entspricht der Höhe des mittleren Tangential- 
fasersystems (Baillarger’scher Streifen. Statt einer aus- 
sesprochenen Schicht kleiner Zellen findet sich 
im Verbreitungsgebiet der motorischen Zellen 
eine relativ zellarme Zone. Nach aussen stösst daher 
dieselbe an die innere Grenze der grossen Pyramiden, innen 
an die äussere Grenze der Hammarberg'schen Ganglien- 
zellenschicht oder an die äussere Grenze der Markfaserschicht 
Niss!’s. In dieser zellenarmen Zone, in der sich massenhaft 
tangential und radiär verlaufende Fasern finden, ist der weitaus 
grösste Theil der motorischen Zellen angeordnet. Freilich sind 
einzelne auffallend weit gegen die Schicht der grossen Pyramiden 
vorgeschoben, und ebenso stehen einzelne motorische Zellen dieht 
an der inneren Zone der Markfaserschicht oder an der Schicht 
der Spindelzellen Meynert’s. Der grösste Theil aber ist, wie 
schon gesagt, in der genannten zellenarmen Zone etablirt und zwar 
hinwieder vorzugsweise in der Grenzzone der Ganglienzellenschicht 
Hammarberg's. In Folge dessen steht auch die grösste Zahl 
der motorischen Zellen in ziemlich gleicher Höhe. Sie bilden 
daher auf dem Schnitt eine einfache Reihe von Zellen, da nur 
einzelne nach innen oder aussen vorgeschoben sind. Das Ver- 
halten der motorischen Elemente in dieser Reihe ist sehr cha- 
rakteristisch. Die Reihe ist, wie bekannt, nicht geschlossen, 
sondern die einzelnen Zellen sind durch Zwischenräume von 20 
bis 100 u und mehr getrennt; sie sind also in ihrem Verbreitungs- 
gebiet gleich einer Vorpostenkette angeordnet. Häufig sieht man 
in dieser Kette statt einer einzelnen Zelle kleine Gruppen von 2, 3, 


172 Walther Kolmer: 


selten mehr Zellen, die dann ziemlich dieht nebeneinander stehen. 
Die Lagerung der einzelnen Zelle im Rindengewebe habe ich schon 
mitgetheilt, nur weise ieh noch auf den Umstand hin, dass die 
motorische Zellart mit besonderer Vorliebe vor zahlreichen gliösen 
Trabantkernen umgeben ist, die sich enge an die Zelle schmiegen. 
Man findet gar nicht so selten 20 und mehr solcher Gliakerne, be- 
sonders an der Basis der Zelle. 

Die motorischen Zellen der Hirnrinde entsprechen in jeder 
Hinsicht den motorischen Zellen anderer Orte, indess bieten sie 
doch eine kleine Abweichung insofern, als sie namentlich beim 
Menschen sogenannte Kernschüsseln besitzen können, welche die 
motorischen Zellen der Hirnnervenkerne und des Rückenmarks 
niemals zeigen. Nissl versteht unter den Kernschüsseln jene 
färbbaren Figuren, die in Form einer Schüssel so enge sich an den 
Kern anlegen, dass man die Kernmembran in der Umgebung 
der Schüssel nicht von ihrer färbbaren Substanz abzugrenzen 
vermag. Auf genau senkrechten Durchsehnitten sieht natürlich 
diese „Schüssel“ wie eine dem Kerne dicht anliegende Sichel!) aus. 

Ich habe als Paradigma der Zellen der motorischen Art 
die motorischen Cortexzellen des Menschen geschildert. Da ich 
mir nicht die Aufgabe gestellt habe, die einzelnen motorischen 
tindenelemente bei verschiedenen Thieren zu beschreiben, sondern 
bloss deren Vertheilung in der Rinde einzelner Thiere, so kann 
ich mich mit dem Hinweise begnügen, dass die motorischen 
Zellen überall, wo diese Zellart bei Thieren überhaupt 
auftritt, dieselpoen Verhältnisse in ihrer Struetur und 
in ihrem Verhalten zu anderen Rindenzellen erkennen: 
lassen. Ein ausgesprochener Unterschied besteht nur 
hinsichtlich des Pigments, das den Thieren fehlt. 

Auch hinsichtlich der topographischen Vertheilung der mo- 
torischen Cortexzellen und ihrer Lagerung in der Rinde, sowie 
der Menge der sie umgebendeu grauen Substanz, der Markfasern 
und Gliazellen sind überall, wo motorische Zellen auftreten, 
analoge Verhältnisse vorhanden, so dass auch hierauf die Be- 
schreibung der menschlichen Rinde ziemlich passt. . Nissl legt 
auf diesen Umstand ein ganz besonderes Gewicht, weil 


1) Fig. IT Tafel X bringt die Kernschüssel an der rechtsseitigen 
Kernwand und zwar an deren unteren Hälfte zur Darstellung. 


Beitrag zur Kenntniss der „motorischen“ Hirnrindenregion. No 


die Gesetzmässigkeit, mit der analoge Verhältnisse der 
Rinde bei verschiedenen Thieren wiederkehren, ein 
weiterer Beweis dafür ist, dass man beim Auftreten 
motorischer Zellen in der Hirnrinde es nicht mit einer 
zufälligen Erscheinung zu thun hat, sondern mit Bau- 
verhältnissen, die, wie die Physiologie und Pathologie 
beweist, in innigster Beziehung zur Function stehen. 
Aus diesem Grunde hat mich Herr Dr. Niss] veranlasst, die 
Regionen festzustellen, in denen sich diese analogen Bauverhältnisse 
bei verschiedenen Thieren finden, und das Verbreitungsgebiet der 
letzteren in der Thierreihe exaet zu umgrenzen. Es ist damit 
natürlich nicht gesagt, dass die menschliche Rinde in dem Ge- 
biete, wo die motorische Zelle sich findet, etwa direct mit der- 
selben RKegion anderer Thiere verglichen werden dürfe. Im 
Gegentheil, wie schon Nissl betont hat, unterscheidet sich zum 
Beispiel die Rinde des Hundes total von der Rinde des Menschen, 
nicht nur hinsichtlich der einzelnen Zellen, sondern auch hin- 
sichtlich der Schichtung und vieler anderer Umstände. Aber 
wie man beim Menschen dieselbe Zellart, die seine motorischen 
Kerne enthalten, auch in der Rinde als flach ausgebreitetes Feld 
in einer innerhalb der radiären Faserung befindlichen Schicht 
antrifft, die relativ arm an Nervenzellen ist, so wiederholt sich 
dasselbe Verhalten in der Thierreihe. Man findet auch beim 
Hund und anderen Thieren ein Rindengebiet, das Zellen enthält, 
die den Zellen ihrer motorischen Kerne in jeder Beziehung ent- 
sprechen und sich in einer innerhalb der Radiärfasern befindlichen 
und an anderen Zellen armen Schicht in derselben vorpostenketten- 
artigen Weise vertheilen. Ich habe schon früher auf zwei von 
Niss] veröffentlichte Photographien hingewiesen, welche einen 
senkrechten Durchschnitt durch die motorische Rindenregion 
des Menschen und einen ebensolchen beim Hunde darstellen. 
Aus den beiden Bildern ergibt sich ohne Weiteres, dass die 
beiden Hirnrinden in toto sehr weit von einander verschieden 
sind. Was aber das Verhalten der motorischen Zellen betrifft, 
so ist es bei beiden auf den ersten Blick analog. Meine Auf- 
gabe besteht nunmehr darin, diese Analogie nieht nur beim 
Hunde, sondern überhaupt bei denjenigen Thieren zu beschreiben. 
welche eine motorische Rindenregion, das heisst, eine Region be- 
sitzen, inder Zellen jener Nervenzellenart enthalten sind, 


174 Walther Kolmer: 


welehe in der ganzen Wirbelthierreihe die Wurzelzellen 

sämmtlicher motorischer Hirn- und Rückenmarksnerven 

ausschliesslich liefert. 

Unter der „motorischen“ Hirnrindenregion eines 
Thieres oder des Menschen ist also jenes scharf nmschrie- 
bene Rindengebiet zu verstehen, in dem Zellen der 
motorischen Nervenzellenart in einer typischen 
Weise angeordnet sind, d.h. in einer vorpostenkettenartigen 
Vertheilung innerhalb einer Schicht, welche in der Regel nur 
wenige andere Nervenzellen enthält und noch innerhalb der 
Radiärfaserung sich befindet. Als Zellen der motorischen 
Nervenzellenart sind diejenigen Nervenzellen zu bezeichnen, 
die in physiologischer Hinsicht mit motorischen 
Funktionen in irgend einem, d. h. in einem zur Zeit 
uns noch unbekannten Zusammenhange stehen und welche 
inanatomischer Hinsicht von allen übrigen Nerven- 
zellen sieh dadurch unterscheiden, 
dass sie im elecetiven Zellpräparate 

1. ein Axon erkennen lassen, das sich aus dem Nervenfortsatz- 

hügel entwickelt, 

2. einen grossen Kern mit ungefärbtem Inhalt zeigen, dessen 
Membran nur ausnahmsweise und unter bestimmten Voraus- 
setzungen beobachtet werden kann, niemals aber Kernmembran- 
faltungen darbietet; 

3. eine eigenartige Gesammtanordnung der mit Methylenblau 
färbbaren Substanzgruppe besitzen; von den typischen sehr 
verbreiteten Figuren, wie Basalkörper, Kernkappen, Ver- 
zweigungskegel u. s. w. zeigen z. B. die motorischen Zellen 
ausschliesslich nur Verzweigungskegel und die kleinen Den- 
dritenspindelchen, die motorischen Nervenzellen der Rinde 
des Menschen allerdings auch noch Kernschüsseln; 

4. im Gegensatz zu den anderen grosszelligen Nervenzellenarten 
viel schwerer erkennbare, weil undeutlich zu Tage tretende, 
ungefärbte Bahnen im kernhaltigen Zellleib a dass sie 

5. im Bethe’schen Neurofibrillenpräparate eigenartige Golgi- 

netze aufweisen, und dass sie 

6. in mit Flemming’scher oder Hermann’scher Flüssigkeit 
ete. fixirten Präparaten bei distineter Kern- und Kernkörper- 
chenfärbung gegenüber anderen grosszelligen Nervenzellen- 


Beitrag zur Kenntniss der „motorischen“ Hirnrindenregion. 175 


arten erhebliche Unterschiede in der Anordnung des soge- 

nannten Lininnetzwerkes resp. der in diesem Netze vorhandenen 

Ansammlungen von Lininsubstanz wie auch der im Lininnetze 

eingebetteten und im Farbtone der Nucleolen gefärbten 

Körnchen darbieten, vor allem aber gegenüber anderen 

grosszelligen Zellarten stets nur winzig kleine Polkörperchen 

der Nucleolen besitzen. 

Den Schwerpunkt meiner Untersuchung lege ich nicht auf 
eine detaillirte Analyse der „motorischen“ Region und auf die 
Differenzen, welche in Bezug auf liese Rindengegend bei den ein- 
zelnen Thieren zu Tage treten, sondern auf eine möglichst 
genaue Abgrenzung jener Gebiete, die motorische 
Rindenzellen besitzen, von solchen Oertlichkeiten, 
welche keine motorischen Zellen enthalten und auf die 
Feststellung des Auftretens dieser „motorischen“* Re- 
gion in der Wirbelthierreihe. 


Mensch. 


Die motorischen Zellen des Menschen wurden zuerst in 
der Hirnrinde von Betz (14) in Kiew entdeckt und beschrieben. 
Er fand sie in der ganzen vorderen und bis zum oberen Ende 
in der hinteren Centralwindung. Dieser Befund wurde von 
Hammarberg genauer untersucht und bestätigt. Letzterer gab auch 
an, dass die Zellen, auffallend durch ihre Zahl und Grösse, an 
der inneren Fläche der Hemisphäre im Paracentralläppcehen zu 
finden sind. Es bezieht sich diese Angabe aber nur auf grosse 
Zellen im Allgemeinen, ohne dass dabei die Besonderheit der 
motorischen Zellart berücksichtigt wurde. 

Wenn man jedoch speciell nur auf diese achtet, so ergibt sich 
für die menschliche Hirnrinde etwa folgendes Verhältniss: Die mo- 
torischen Zellen bilden einen geschlossenen nach unten zu schmäler 
werdenden Streifen, der der Fissura centralis Rolandi auf beiden 
Seiten folgt. Die Zellen treten zuerst in grosser Anzahl im 
Lobulus paracentralis auf, gehen dann auf die obere Fläche des 
Gehirns zunächst in die vordere Centralwindung über. Hier er- 
strecken sie sich über die ganze Breite dieses Gyrus im oberen 
Drittel. Auch auf die hintere Centralwindung über die Central- 
furche hinüber erstreckt sich der motorische Zellstreifen und 
findet hier im mittleren Drittel der Windung seine grösste Breiten- 


176 Walther Kolmer: 


ausdehnung, indem er genau die gesammte Breite des Gyrus 
einnimmt. Von da abwärts verschmälert sich der Zellstreifen zu 
beiden Seiten der Centralfurche, so dass endlich im untersten 
Theil nur mehr auf der vorderen Centralwindung ein ganz schmaler 
Streifen übrig bleibt, der gegen das Opereulum hin verschwindet. 
Ich verweise hierbei auf die beigegebene Tafel, welche die Ver- 
hältnisse dieser, sowie der nächst beschriebenen Rinden möglichst 
genau wiedergibt. 

Was die genauere Zellvertheilung betrifft, gilt Folgendes: 
Am oberen Ende der vorderen, sowie in der Mitte der hinteren 
Centralwindung, finden sich besonders dichte Ansammlungen sehr 
grosser motorischer Elemente. Von der Fissura centralis aus- 
gehend, nimmt im beschriebenen Gebiete die Dichte der moto- 
rischen Zellen und, damit gleichen Schritt haltend, auch der 
Streifen des nervösen Graus, der sie umgibt, an Breite ab. Der 
Uebergang des motorischen Feldes zur übrigen Rinde erfolgt ganz 
allmählich und ohne scharfe Grenze. Dieser Befund stimmt mit 
den Angaben der Autoren so ziemlich überein. Einen auffälligen 
Unterschied in der Grösse der motorischen Elemente der rechten 
und linken Hemisphäre, wie ihn Betz von seinen Riesenpyramiden 
beschrieben hat, konnte ich niemals constatiren. In der Um- 
gebung der Region finden sich noch viele grosse ähnlich gebaute 
Zellen, denen aber die charakteristischen Merkmale fehlen; es 
sind dies die eingangs erwähnten Uebergangszellen. Man con- 
statirt eine Anzahl von diesen Elementen in der Wurzel der Stirn- 
windungen, sowie nach rückwärts gegen den Sulcus retrocentralis 
und interparietalis zu. Auch im Hinterhauptslappen sind bekannt- 
lich sehr grosse Pyramiden enthalten. Dieselben haben aber 
nichts mit der motorischen Zellart zu thun. 


Affe, 


Zur Untersuchung wurden verwendet die Hirnrinden von 
Macacus und Cynoscephalus. Im grossen Ganzen zeigen sich 
hier dieselben Verhältnisse wie beim Menschen. Das Feld der 
echten motorischen Zellen beschränkt sich auf einen etwa 1 cm 
breiten Streifen, der auf beiden Seiten der Centralwindung hin- 
zieht. (Ich folge bei der Beschreibung der thierischen Rinden 
jener Nomenclatur, die Flatau und Jacobsohn {15) in ihrem 
„Handbuch der Anatomie und vergleichenden Anatomie des 


Beitrag zur Kenntniss der „motorischen“ Hirnrindenregion. 177 


Centralnervensystems der Säugethiere“ aufgestellt haben.) Be- 
merkenswerth ist, dass die einzelnen Elemente auf der vorderen 
Centralwindung diehter stehen, als auf der hinteren, und dass 
sie nirgends die ganze Breite der Gyri einnehmen. — Von den 
Affen erwähnt schon Betz, dass er beim „grauen und grünen 
Affen“ Riesenpyramiden auf demselben Gebiete wie beim Menschen 
gefunden hat. Das hier beschriebene Feld stimmt so ziemlich 
genau mit dem beim Affen von den Physiologen beschriebenen 
motorischen Centrum überein. Nur ist letzteres etwas grösser, 
was sich wohl leieht dureh die Fehler erklären lässt, die die 
nicht genau zu umgrenzende physiologische Reizung ergibt. 


Hund. 


Beim Hund ist die motorische Region am längsten bekannt. 
Sie wurde hier zuerst durch das physiologische Experiment ent- 
deekt und genau erforscht. Auch Betz hat sich mit dieser Region 
beim Hunde beschäftigt und fand Riesenpyramidenzellen im 
„gleichen Gebiete“ wie beim Menschen, die, etwas kleiner als 
die menschlichen, sich bestimmt in Nervenfasern fortsetzen und 
alle Attribute motorischer Zellen besitzen. 

Die Untersuchung ergab hier Folgendes: Die motorischen 
Zellen bilden ein zusammenhängendes gelapptes Feld; sie finden 
sich — von vorne ausgehend — zuerst in der Mitte des Gyrus 
coronarius, begleiten beiderseits in schmalem Zuge die Fissura 
coronalis; hier breitet sich sodann das Gebiet über den hinteren 
Theil des Gyrus suprasylvius anterior aus, überschreitet die 
Fissura entolateralis und bedeckt die im Bereich der Fissura 
ansata gelegenen Theile des Gyrus centralis posterior und Gyrus 
entolateralis. Von hier aus breiten sich die Zellen, langsam an 
Zahl und Dichtigkeit abnehmend, über den Gyrus suprasylvius 
medius und ectosylvius medius aus, um in der Mitte der Fissura 
sylvii zu verschwinden. Nach rückwärts setzt sich das mit nur 
wenigen Zellen noch besetzte Feld über den Gyrus ectolateralis und 
suprasylvius medius fort. Der Uebergang der motorischen Region 
in die übrige Rinde ist ein ganz allmählicher, indem die dichte 
Anordnung der motorischen Elemente vom Centrum, der Fissura 
ansata, nach aussen hin nach und nach abnimmt. Die einzelnen 
Zellindividuen sind etwas kleiner, selbst in ihren grössten Exem- 
plaren, als die des Menschen. Sie sind nicht so schlank wie 


178 Walther Kolmer: 


diese, stimmen aber sonst im inneren Bau ziemlich mit den 
menschlichen Zellen überein. Auf die geringen Unterschiede 
kann im Rahmen dieser Arbeit nicht eingegangen werden. Auch 
beim Hunde stehen die motorischen Elemente in einer zellenarmen 
Schieht der radiären Markfasern; indess zeigt sie eine geringere 
Breite, als bei den höheren Thieren. In Folge dieses Um- 
standes stehen die Zellen dichter, so dass man auf gleichem 
Raume mehr Zellen sieht, als beim Menschen. Auch be- 
obachtet man beim Hunde eine Gruppenbildung von 3—5 Zellen 
gar nicht selten. Die sogenannten Uebergangszellen trifft man 
auch hier in der Umgebung des motorischen Feldes, besonders 
nach unten hin an. 

Speciell beim Hunde nahm ich Gelegenheit, in der eingangs 
besehriebenen Weise durch Serienschnitte die ganze Hemisphäre 
genau zu untersuchen. Dabei verdient hervor- 
sehoben zu werden, dass niehteineeinzigeZelle 
in der ganzen Rinde ausserhalb des Centrums 
sieh auffinden liess, welehemitden motorischen 
Elementen hätte verwechselt werden können. 

Das Verhältniss der motorischen Zellen zur Schichtung ist 
in der Rinde «des Hundes ein ähnliches wie beim Menschen, 
dennoch kann man die für die menschliche Rinde passende Be- 
zeichnung der Schichten nicht hier in Anwendung bringen, da die 
Rindenschiehtung von der menschlichen sehr verschieden ist. 


Katze. 


Auch von der Katze hat schon Betz angegeben, dass sie 
motorische Zellen besitzt. Es lässt sich diesbezüglich Folgendes 
feststellen: Die Elemente zeigen den beschriebenen charak- 
teristischen Bau, sind etwas kleiner als bei Mensch, Affe und 
Hund und stehen dieht in einer Reihe, doch ist ihre Kette nicht 
so regelmässig ausgebildet wie bei den höheren Thieren. Be- 
merkenswerth ist es, dass ein zellarmer Streifen hei diesen Thieren 
in der Umgebung der motorischen Elemente kaum ausgeprägt 
und nicht überall mit Sicherheit zu constatiren ist. Das motorische 
Feld begrenzt sich wie folgt: Es finden sich die motorischen 
Zellen schon ganz weit vorne in der Rinde des Gyrus cen- 
tralis anterior vor der Fissura eruciata. Von hier ausgehend 
breitet sich das zusammenhängende Feld der motorischen Zellen 


Beitrag zur Kenntniss der „motorischen“ Hirnrindenregion. 179 


über die Fissura eruciata weg nach rückwärts über die ganze 
Breite der zweiten und dritten Bogenwindung, bis etwa in ihre 
Mitte gleichmässig aus; nach unten hin bildet die Fissura ecto- 
sylvia die Grenze des Feldes. Einzelne Elemente lassen sich auch 
noch über die Mitte der oberen Bogenwindung nach rückwärts 
eine Strecke weit verfolgen. Bemerkenswerth ist der Umstand, 
dass bei der Katze in auffallender Weise die motorischen 
Elemente von der obersten Bogenwindung auch weit auf die 
mediale Rindenoberfläche übergreifen. Sie sind hier nur etwas 
weniger dicht gestellt als auf der lateralen Hemisphärenfläche, 
reichen aber nach unten bis zur Fissura splenialis. Das motorische 
Feld ist bei der Katze im Verhältniss zur ganzen Rindenober- 
fläche sehr umfangreich. 


Fledermaus. 


Bei der Untersuchung dieser Rinde stellte sich heraus, 
dass sie wie alle Rinden der unteren Repräsentanten der Säuge- 
thierreihe einem viel weniger differenzirten Typus angehört. Man 
findet die einzelnen Zellen dicht stehend, von wenig grauer Sub- 
stanz getrennt. Eine vollständige Serien-Analyse ergab das ab- 
solute Fehlen jeder motorischen Zelle in der gesammten 
Rinde. 

Igel. 

Der Igel und andere Insectivoren besitzen, wie 
alle niederen Säugethiere, keine einzige motorische 
Zelle. Bei genauer Durehmusterung der Rinde gelang es kaum, 
wenige Zellen zu finden, die sich auffallend durch ihre Grösse 
von den anderen unterschieden, ohne aber irgend wie die Charaktere 
der motorischen Zellart aufzuweisen. 


Nagethiere. 

Die glatte Hirnoberfläche der Nagethiere wurde an Kanin- 
chen, Maus, Ratte, Meerschweinchen von vielen Beobachtern, be- 
sonders auch von Nissl untersucht. In dieser Rinde giebt 
es niemals eine motorische Zelle, überhaupt sind die Grössen- 
unterschiede der einzelnen Elemente nicht so extrem wie beim 
Menschen etc. Bei diesen Thieren ist das übrige Centralnerven- 
system ziemlich genau bekannt und man weiss, dass die 
anderen motorischen Orte ganz genau ebenso ent- 


180 Walther Kolmer: 


wiekelt sind wie bei anderen Säugern. Die Zellen der 
Vorderhörner im Rückenmark, der Spinalganglien, der motorischen 
Kerne, sind wie bei den höheren Thieren strueturirt und überall 
ausgebildet. Mit diesem Befund stimmt überein, dass 
beim Kaninchen Verletzungen und Abtragungen ein- 
zelner Theile der Hirnrinde, ja selbst Wegnahme einer 
Hemisphäre keine so grosse Schädigung der motori- 
schen Erscheinungen zur Folge hat, wie zum Beispiel 
bei Hund und Katze, 


Schwein. 

Das, was von den Nagethieren gesagt wurde, scheint auch 
für alle tieferstehenden Klassen Gültigkeit zu haben. Die windungs- 
reiche Rinde des Schweins wurde in Serien untersucht. Auch 
hier liess sich keine einzige motorische Zelle con- 
statiren. Die Rindenelemente stehen hier nicht so dicht ge- 
drängt wie bei den Nagethieren. Der Cortex ist etwas zellärmer, 
und es finden sich einzelne ziemlich grosse Elemente, die einem 
ganz eigenen Typus anzugehören scheinen, der aber nichts mit 
dem motorischen gemein hat. 


Bund: 


Auch das Rind besitzt in der ganzen Ausdehnung seiner 
Rinde trotz des grossen Reichthums an Elementen nur wenige 
grössere Zellen. Es sind dies besonders lange, spindelartige 
Elemente mit zwei Basalfortsätzen, die so lang sind, dass sie 
sich durch fast zwei Drittel der Pyramidenschicht erstrecken ; 
keine einzige Zelle aber hat Aehnlichkeit mit mo- 
torischen Elementen. 

Leider war es mir durchaus unmöglich, die Hirne niederer 
Thiere (speciell die windungsreiche Rinde der Pinnipedier und 
die der Edentaten käme hier in Betracht) in so frischem Zustande 
zu erhalten, dass ich sie zu dieser Untersuchung hätte ver- 
wenden können. 

Es ergibt sich aus dieser Betrachtung der „motorischen“ 
tindenregion im Sinne Nissl’s, dass, so weit es die heutigen 
Methoden gestatten, nur bei wenigen höheren Wirbel- 


Beitrag zur Kenntniss der „motorischen“ Hirnrindenregion. 181 


thieren in der Hirnrinde eigenthümlich differenzirte 
Apparate zu constatiren sind, welche sich in jenen Regionen 
der Rinde befinden, welche auch von der Physiologie als mo- 
torische Rindencentra angesprochen werden. Die charakteristischen 
Bestandtheile dieses Apparates bilden die motorischen Zellen. 
Von diesen wissen wir, dass sie zur motorischen Funetion in 
irgend einem Verhältniss stehen. 

Es unterliegt keinem Zweifel, dass beim Menschen 
dieBeziehungen zwischen Rinde und Muskelsystem sehr 
innige sind. Apoplexien und Erweichungen in der motorischen 
Region haben Monoplegien zur Folge. Beim Affen zeigt sich ein 
ganz analoges Verhalten (Monakow). Beim Hunde hingegen finden 
wir als Folge einer derartigen Schädigung bloss vorübergehende 
Lähmung und bleibende Ataxie. Beim Kaninchen aber hat der 
Verlust einer grösseren Rindenpartie, ja einer ganze 
Hemisphäre nicht jene Folgen auf motorischem Gebiete, 
die wir beim Hunde, beim Affen und Menschen kennen. 
Durch diese Thatsache wird unsere Annahme gestützt, dass 
Zellen der motorischen Struetur auch in der Rinde mit 
der motorischen Funetion in irgend einer Beziehung 
stehen. Welcher Art diese Beziehung ist, wissen wir nicht. 
Ja, wir vermögen hierüber nicht einmal eine Hypothese aufzu- 
stellen. 

Die niederen Wirbelthiere besitzen, wie aus dem Vorher- 
gehenden erhellt, diese Elemente nicht. Ob sie andere motorische 
Zellen in der Rinde besitzen, lässt sich mit Bestimmtheit weder 
bejahen, noch verneinen; die blosse Thatsache der Existenz 
einer Pyramidenbahn berechtigt jedenfalls nicht zu 
einer bestimmten Antwort auf diese Frage. Immerhin 
ist zu betonen, dass die Ergebnisse der Pathologie und 
des Thierexperiments mit den Befunden meiner Unter- 
suchung im besten Einklange stehen. 

Was die histologische Ausdehnung des „motorischen“ Cen- 
trums im Sinne Nissl’s betrifft, so lässt sich deutlich eine Fort- 
entwiekelung in der aufsteigenden Thierreihe constatiren. 
Der Grad seiner Ausbildung drückt sich in verschiedenen Um- 
ständen aus. Die ontogenetisch höher stehenden Thiere besitzen 
grössere motorische Elemente mit einer feineren Differenzirung 
ihrer Structur und ausserdem sind die Abstände zwischen den 


182 Walther Kolmer: 


einzelnen Elementen grösser und die sie umgebende graue Sub- 
stanz mächtiger entwickelt. 

Für die vergleiehend-anatomische Forschung er- 
gibt sich die Thatsache, dass, ganz unabhängig von 
der so viel umstrittenen makroskopischeu Configura- 
tion der Rinde in ihren einzelnen Bezirken und Win- 
dungen, das übereinstimmende Auftreten bestimmt cha- 
rakterisirter Zellen der geeignetste Anhaltspunkt für 
das Auffinden homologer Regionen bei verschiedenen 
Thieren ist. 


Literatur -Verzeichniss. 

1. Jenaische Zeitschrift für Mediein und Naturwissenschaften 1876. 
„Bemerkungen über den Kern der Nervenzellen.“ 

2. „Vom Bau der Spinalganglienzellen.“ Beitrag zur Anatomie und 
Embryologie als Festgabe an Henle. Bonn 1882. 

3. Tageblatt der Naturforscherversammlung zu Strassburg 1885. 

4. „Ueber den Zusammenhang von Zellstruetur und Zellfunetion.“ 
Tageblatt der Naturforscherversammlung zu Köln 1887. 

5. Apäthy, Studien über die Histologie der Najaden. Math.-naturw. 
Abtheilg. d. ungar. Acad. der Wissenschaften 1884. — Nach welchen 
Richtungen hin soll die Nervenlehre reformirt werden? Biolog. 
Centralblatt 1889. — Ueber die Schaumstructur, hauptsächlich bei 
Muskeln und Nervenfasern. Biolog. Centralblatt 1891. — Con- 
tractile und leitende Primitivfibrillen. Mittheilungen aus der zoolo- 
gischen Station zu Neapel 10 Bd., 3. Heft 1892. — Ueber das 
leitende Element des Nervensystems und seine Lagebeziehungen 
zu den Zellen bei den Wirbelthieren und Wirbellosen. Compte 
rendu des seances du III congr£es international de Zoologie, Leyden 
1595 und Mittheilungen der Zool. Station zu Neapel. 12. Bd. 1897. — 
Bemerkungen zu Garbowski: Darstellung meiner Lehre von den 
leitenden Nervenelementen. Biolog. Centralblatt Bd. XV11I. 1898. — 
Ueber Neurofibrillen, Extracted from the Proc. of internat. congr, 
of the zoology. Cambridge 1898. 

6. Bethe, Archiv für mikroskop. Anatomie Bd. 50, p. 460—546 und 
589--689; Bd. 51, p. 382—452. — Ebendaselbst Bd. 54, p. 135. Die 


Degeneration der markhaltigen Neıvenfaser ete. — Anatom. An- 
zeiger Bd. XII. 1896. — Die anatomischen Elemente des Nerven- 


systems und ihre physiologische Bedeutung. Biolog. Centralblatt 
1898. p. 843. 
7. Nissl, Münchener Medieinische Wochenschrift 1898, No. 31—33. 
8. Golgi, Boll. della societä med. chir. di Pavia. April u. Juni 1898, 
Archives ital. de Biologie. Juni 1899, 


Beitrag zur Kenntniss der „motorischen“ Hirnrindenregion. 183 


9. Auerbach, Zur Anatomie und Physiologie der Nervenfasern. 
68. Versammlung deutscher Naturforscher und Aerzte in Frankfurt 
am Main. 1896. Neurolog. Centralblatt 1898. p. 445. Nachtrag 
ebenda p. 734. 

10. Semi Meyer, Archiv für mikroskop. Anatomie Bd. 46. 1895. — 
Berichte der math.-phys. Klasse der sächsischen Gesellschatt der 
Wissenschaft zu Leipzig. 25. X. 1897. —- Ueber centrale Neuriten- 
endigungen. Archiv für mikroskop. Anatomie Bd. 54. 1899. p. 296. 

11. Held, Beiträge zur Struetur der Nervenzelle und ihrer Fortsätze. 
Archiv für Anatomie und Physiologie, Anat. Abtheilung 1895, 1897, 
Supplementbd. 1897. 

12. Kölliker, Handbuch der Gewebelehre 1896. Bd. II. 

13. Hammarberg, Studien über die Idiotie. Stockholm 189. 

14. Betz, „Anatomischer Nachweis zweier Gehirncentra.“ Centralblatt 
für medieinische Wissenschaften. 1879. 

15. Flatau und Jacobson, Handbuch der Anatomie und vergleichen- 
den Anatomie des Centralnervensystems der Säugethiere. 1899. 


Aeltere Literatur. 


Remak, Observationes anatomicae et microscopicae de system. nerv. 
structura. Berlin 1838. 

Fromann, Untersuchungen über die normale und patholog. Anatomie 
des Rückenmarks. 

Max Schulze, Stricker’'s Handbuch der Lehre von den Geweben 
B0.215 p-108 

Hans Schulze, Die fibrilläre Structur der Nervenelemente bei Wirbel- 
losen. Archiv für mikrosk. Anatomie Bd. XVI, p. 57. 


Erklärung der Abbildung auf Tafel X. 


Fig. 1. Normale motorische Zelle der menschlichen Hirnrinde. Fixi- 
rung 96°/, Alkohol. Färbung des Schnitts aus uneinge- 
bettetem Material (von 10 u) nach Nissl’s Seifenmethylenblau- 
methode. Zeiss, Apochromat 2 mm num. Apert. 1.40, Oecul. 8. 
Vergrösserung ca 1000 x. 

Fig. 2. Sehr grosse motorische Zelle des Menschen, Bethe’s Fibrillen- 
färbung. Vergrösserung wie bei Fig. 1. 

Fig. 3. Topographie der „motorischen“ Hirnrindenregion des Menschen. 

Fig. 4 Topographie der „motorischen“ Hirnrindenregion des Cynos- 
cephalus. 

Fig. 5. Topographie der „motorischen“ Hirnrindenregion des Hundes. 

Topographie der „motorischen“ Hirnrindenregion der Katze. 


= 
13 
© 


Archiv f. mikrosk, Anat, Bd, 57 13 


184 


(Aus dem anatomischen Institut in Strassburg.) 


Studien über Flimmerzellen. 
Theil Il. Histogenese der Flimmerzellen. 


Von 


Dr. Alexander Gurwitsch, 
Assistent am anatomischen Institut. 


Hierzu Tafel XI und XI. 


Wenn auch die Untersuchung der Flimmerbewegung ein 
im Wesentlichen physiologisches Problem ist, so bleibt sie immer- 
hin so innig wie nur denkbar mit einer genauen anatomischen 
Kenntniss der feineren Structur der flimmernden Zellen verknüpft; 
andererseits ist eine rein deseriptiv-anatomische Darstellung der 
betreffenden Structuren, ohne Berücksichtigung der funetionellen 
Verrichtungen der einzelnen Bestandtheile des Wimperapparates, 
sehr wenig befriedigend, da sie uns jedenfalls über mehr oder 
weniger gut begründete Hypothesen nicht hinausführt; von einer 
Erklärung irgend einer vitalen Erscheinung kann wohl nur dann die 
Rede sein, wenn es gelungen ist, unsere physiologischen Kenntnisse 
über die betreffende Erscheinung in völligen Einklang mit den ana- 
tomischen zu bringen, d. h. wenn wir für jede anatomische Einzelheit 
des Objectes eine entsprechende Function oder physiologische Be- 
deutung, oder auch umgekehrt, wirklich nachgewiesen haben. 
Unser Erklärungsbedürfniss wird dabei in Bezug auf die gegebene 
specielle Frage befriedigt, obwohl wir ja natürlich in letzter In- 
stanz die daraus erkannten Wirkungsweisen auf andere, allge- 
meinerer oder höherer Ordnung zurückführen müssen. Dass das 
Verhältniss der physiologischen zu den anatomischen Kenntnissen 
speciell in der Flimmerbewegungsfrage ein sehr wenig befriedigen- 
des ist, muss wohl allgemein zugegeben werden; es sind uns 
mehrere physiologische Erscheinungen in der Flimmerbewegung 
bekannt, für die bis jetzt noch keine anatomische Basis gefunden 
ist; ich will als Beispiel den sog. Metachronismus nennen, d. h. 
das zeitlich streng geordnete auf einander folgende Schlagen der 
einzelnen Flimmerhaare, wodurch eine continuirliche, regelmässig 
fortschreitende Bewegungswelle entsteht. 

Auch kaun man noch vorderhand die Hoffnung nicht auf- 


Studien über Flimmerzellen. 185 


geben, an den grössten und dieksten Repräsentanten der Flimmer- 
haare eine feinere Structur zu finden, welehe als anatomische 
Grundlage für die so mannigfaltigen Contractionserscheinungen 
derselben gelten könnte. Wenn wir uns die Flimmerhaare als aus 
den in der Längsaxe fest orientirten Engelmann’schen Inotagmen 
bestehende Complexe vorstellen, so wird noch daraus nicht klar, 
warum die Haare z. B. in der Regel ein actives Schlagen, 
d. h. eine Contraction nach einer Richtung, unter Umständen 
aber eine pendelnde oder gar eine Triehterbewegung ausführen, 
d. h. warum die Reihe der Contraetionen der einzelnen Inotagmen 
bald an einer Seite des Haares geradlinig, bald in einer Spirale 
(Triehterbewegung) u. s. w. fortläuft. Als unerklärt muss es 
insofern gelten, als es aus der hypothetischen Natur 
des einzelnen Inotagmas nicht folgt. 

Noch mangelhafter ist unsere Kenntniss über die physio- 
logische Bedeutung einiger Structuren, die zum Theile 
allen uns bekannten Flimmerzellen eigen sind, zum anderen 
wenigstens so vielen Arten zukommen, dass sie unwillkürlich in 
einen intimen Zusammenhang mit der spezifischen Beschaffenheit 
des eigentlichen Flimmerapparates gebracht werden müssen. Zu 
den ersteren gehören die sog. Fussstücke oder in der letzten Zeit 
nach Apathy’s (1) Vorgang „Basalkörper* der Flimmerhaare 
genannte Bildungen; zu den letzteren die merkwürdigen fibrillären 
Structuren innerhalb vieler Flimmerzellen, die wir kurz als Faser- 
kegel bezeichnen können. 

Geleitet durch eine, allerdings zuweilen sehr auffallende 
äussere Aehnlichkeit eines Basalkörpers und des dazugehörenden 
Flimmerhaares mit der ersten Anlage des Axenfadens des Sperma- 
schwanzes aus dem Centralkörper der Spermatide, haben, wie be- 
kannt, Lenhossek (16) und Henneguy (11) gleichzeitig und 
von einander unabhängig die Vermuthung ausgesprochen, dass die 
„Basalkörper“ den Centralkörpern zu identifiziren wären, oder 
erstere aus den letzteren entstanden gedacht werden müssen. Daran 
anknüpfend suchten sie auch darzuthun, dass in den Basalkörpern 
ihrer centrosomalen Herkunft gemäss auch das „kinetische Centrum“ 
der Flimmerbewegung zu suchen wäre, eine Ansicht, welche auch 
Peter (19) durch seine physiologischen Versuche zu stützen glaubte. 
Die Hypothese von Lenhoss&ek-Henneguy wurde von vielen, so 
z. B. von Flemming (7) beifällig aufgenommen, ist jedoch in der 


186 Alexander Gurwitsch: 


von ihren Begründern ausgesprochenen Form durchaus unhaltbar, 
wie histogenetische Untersuchungen der in Betracht kommenden 
Fragen, die sehon kurz in einer vorläufigen Mittheilung (9) und 
ausführlich in der vorliegenden Arbeit geschildert werden sollen, 
ergeben. Wohl ist sie aber geeignet, noch einmal die Aufmerk- 
samkeit auf die merkwürdige Thatsache zu richten, dass ein, 
aus dem sog. Centralkörper der Spermatide herauswachsender 
Faden im Wesentlichen die gleichen Erscheinungen wie ein 
Flimmerhaar zeigt, d. h. dass doch ein flimmerndes Haar unter 
Umständen aus dem sog. Centralkörper herauswächst (voraus- 
gesetzt, dass derAxenfaden der Spermatide oder 
die Centralgeissel flimmern, was bis jetzt noch 
nieht nachgewiesen ist). Es muss daraus geschlossen 
werden, dass 1) entweder verschiedenen heterogenen Be- 
standtheilen der Zellen die Fähigkeit zukommt, aus sich ein 
Plasmaproduet zu differenziren, welches die merkwürdige Eigen- 
schaft der spontanen Flimmerbewegung besitzt, oder dass 2) 
da nachgewiesener Maassen die Basalkörper nicht aus 
den Centralkörpern hervorgehen, jedoch eine denselben völlig 
entsprechende Funetion besitzen, beide Bildungen auf etwas drittes, 
ihnen Gemeinsames zurückgeführt werden müssen, d. h. dass der 
Centralkörper der Zelle nicht als ein genuiner, immanenter Be- 
standtheil, Organ der Zellen, etwa dem Kerne gleichgestellt wer- 
den kann, sondern ein Differenzirungsproduet des Plasma’s 
wäre, oder endlich 3) dass das, was in den Spermatiden und 
Epithelien von den Autoren für einen Centralkörper, d. h. für 
ein in den bekannten Mitosevorgängen eine hervorragende Rolle 
spielendes Gebilde gehalten wird, es in der Wirklichkeit gar 
nicht ist. Die genauere Discussion dieser Alternativen wird u. A. 
die Aufgabe der folgenden Zeilen sein. Ich wollte hier zunächst 
nur andeuten, dass wir in den Flimmerzellen u. A. eine regelmässig 
wiederkehrende Structur haben, deren physiologische Rolle 
vorläufig noch in ein Dunkel gehüllt bleibt. 

Die zweite anatomische Besonderheit der Flimmerzellen ist 
der sog. Faserkegel, der schon Ende der 70er und namentlich 
im Jahre 1880 von Engelmann (6) sehr genau beschrieben 
wurde, jedoch in seiner Funetion völlig unaufgeklärt blieb. 

Sollte es uns gelingen, für dieoben angedeuteten physiologischen 
Erscheinungen eine entsprechende anatomische Grundlage, und für 


Studien über Flimmerzellen. 187 


die zwei von uns besprochenen anatomischen Structuren eine 
physiologische Bedeutung und Rolle nachzuweisen, so würde ein 
bedeutender Schritt vorwärts in unserer Kenntniss und im Ver- 
ständniss der Flimmerbewegung gemacht werden. 

Die nach Möglichkeit vollständige Lösung dieser eben an- 
gedeuteten Fragen war die Aufgabe und der Ausgangspunkt der 
orliegenden Untersuchung: dies möge auch gleichzeitig als Ent- 
schuldigung für deu fragmentarischen Charakter der Abhandlung 
dienen, deren Aufgabe es zunächst ja ist, die Lücken in den 
verschiedenen in Betracht kommenden Fragen, theils physiologi- 
schen, theils anatomischen Inhaltes, auszufüllen. 

Der Weg, der dabei zunächst eingeschlagen wurde, ist 
vorwiegend ein embryologischer: es wurde versucht, den Ent- 
wicklungsgang einer Reihe von Flimmerzellen zu studiren, mit 
der Hoffnung, aus demselben einige Aufschlüsse zu gewinnen; der 
Inhalt dieser, leider vorderhand sehr unvollständigen (woran 
hauptsächlich die Schwierigkeit der Beschaffung des nöthigen 
embryologischen Materials die Schuld trägt) Untersuchungen bildet 
den ersten Theil dieser Arbeit; im zweiten Theil werden die 
neuen Thatsachen über die Structur der fertigen Flimmerzelle 
und einiges über die physiologische Rolle ihrer Bestandtheile ihre 
Besprechung finden. 


Die Histogenese der Flimmerzellen. 


Es wurde schon in der vorläufigen Mittheilung angedeutet, 
dass der Entwicklungsgang verschiedener Flimmerzellen so ausser- 
ordentlich abweichend ist, dass eine allgemeine, für mehrere 
Arten gültige Schilderung ganz unmöglich ist. Ich werde daher 
versuchen, einige Typen der Entwickelung aufzustellen, um in 
dieselben die verschiedenen bei ber Untersuchung gewonnenen 
Ergebnisse einzureihen. 


Typus I. a) Tubarepithel des Kaninchens. 

Wendet man sich an die Säugethiere, so ist wohl das be- 
quemste Untersuchungsmaterial das Flimmerepithel der Tuben 
und namentlich des Pavillons derselben mit seinen Fimbrien; 
diese ziemlich grossen und schönen Flimmerzellen, die keine 
Secretionserscheinungen zeigen und, sich beim Schneiden leicht 
in der gewünschten Richtung orientiren lassen, verdienen ent- 


188 Alexander Gurwitsch: 


schieden den Vorzug vor den so vielfach benutzten Zellen des 
Nebenhodens. Im Aufbau einer fertigen Flimmerzelle der Fimbria 
sind keine besonderen Structureigenheiten wahrzunehmen. Der 
Zellleib ist ziemlich dunkel gefärbt, das dichte Plasma ist fein 
und grob granulirt, von irgend einer Spur einer faserigen Plasma- 
struetur ist nichts zu sehen. Die Basalkörper der Flimmerhaare 
sind in einem hellen, von dem dunklen Zellleib deutlich abge- 
setzten Zellsaum eingelagert. Jedes Basalkörperchen ist annähernd 
hantelförmig, erinnert somit in seiner Gestalt an die Centralkörper 
der Epithelzellen, ist jedoch bedeutend kleiner, als letztere. Der 
direete Vergleich kann leicht in den jungen Stadien geführt 
werden (Fig. 2), auf die wir noch weiter zurückkommen. In 
den Zellen b und c, die noch nicht flimmern, sind die Diplosomen 
zu sehen, welche an Grösse die Basalkörper der Flimmerzelle «a 
um ein Bedeutendes übertreffen. Die Reihe der palissadenförmig 
angeordneten Basalkörper nimmt die ganze Höhe des hellen, in 
unserem Falle mit Rubin roth gefärbten, hyalinen Zellsaumes ein. 
Irgend eine aufgelagerte Cutieula ist nicht nachzuweisen. Von 
jedem Basalkörper entspringt ein Flimmerhaar, wobei keine 
weiteren Differenzirungen wahrgenommen werden können. Der 
Entwickelungsgang dieses einfachsten Flimmerzellentypus lässt 
sich ziemlich vollständig an neugeborenen bis 8—10 tägigen Kanin- 
chen studiren. Das Epithel der jüngsten Stadien ist einfach 
eylindrisch und lässt zunächst weder im Innern des Zelleibes, 
noch am Zellsaum besondere Structuren wahrnehmen. Das dichte 
Zellplasma nimmt sehr begierig Farbstoffe an, erscheint daher 
sehr dunkel. Dieht an der feinen Oberfläche ist regelmässig ein 
Diplosom zu finden. Auch die „Centralgeissel“ [Zimmermann (25)] 
ist ein ziemlich häufiger Befund (Fig. 1). 

Betrachtet man das Epithel eines ca. 4tägigeu Thieres, so 
fällt zunächst ein mehr oder weniger scharf differenzirter, heller, 
fast vollständig hyaliner Zellsaum auf, dessen Höhe der Grösse 
des Diplosoms noch nicht ganz gleich kommt. Eine scharfe 
Trennung des hyalinen Saumes von dem stark körnigen Plasma 
gelingt nur in manchen Fällen. Meistens geht der helle Streifen 
ganz allmählich in das körnige Plasma des übrigen Zellleibes 
über; das Diplosoma ist noch zunächst in den allermeisten Fällen 
im hyalinen Zellsaum gelegen. Da es meistens höher als der 
Zellsaum ist, taucht sein inneres Ende in das granulirte Zell- 


Studien über Flimmerzellen. 189 


plasma hinein, welches jedoch um den Diplosomakorn herum einen 
hellen Hof bildet. Diese oberflächliche Lage des Diplosoms 
innerhalb des hellen Zellsaumes ist speciell den jüngeren Stadien 
eigen, und man kann mit einiger Bestimmtheit sagen, dass eine 
Zelle b (Fig. 2) in ihrer Differenzirung der Zelle c um ein geringes 
voran ist, da in ersterer das Diplosoma den Zellsaum bereits 
verlassen hat. Dieses Verhalten lässt sich am besten vermittelst 
einer Zählung feststellen. Unter 80 gezählten Zellen eines fünf- 
tägigen Thieres war nur in 2—3 Fällen das Diplosoma unter dem 
Zellsaum gelegen; bei einem Stägigen Kaninchen war dagegen 
das in Fig. 2 (Zelle d) und Fig. 3 reproducirte Verhalten die 
Regel, Zellen wie c (Fig. 2) eine Ausnahme. Schon im Epithel 
eines ltägigen Thieres kommen spärliche, aber völlig ausgebildete 
Flimmerzellen vor; die überwiegende Mehrzahl befindet sich jedoch 
noch auf dem soeben geschilderten Stadium. Etwas zahlreicher 
sind fertige Flimmerzellen im Tubenepithel eines 8 tägigen 
Kaninchens, zu deren Schilderung ich nunmehr übergehen will. 
Der hyaline Zellsaum ist viel schärfer gegen den körnigen Zell- 
leib abgesetzt, die Diplosomen meistens aus demselben bereits 
ausgewandert. Wie weit die Differenzirung und die Abgrenzung 
des Zellsaumes gegen das Zellplasma fortgeschritten ist, lässt sich 
am deutlichsten in den Fällen wahrnehmen, wo infolge der Ein- 
wirkung von Reagentien das geschrumpfte Zellplasma sich von 
der Oberfläche retrahirte, die äussere Zellcontur und sogar die 
normale Vorwölbung derselben durch den, anscheinend viel resi- 
stenteren Zellsaum erhalten blieb (Fig. 3). 

Viel Schwierigkeiten bietet eine nähere Analyse der Structur 
des Zellsaumes. Es lässt sich wohl mit Bestimmtheit behaupten, 
dass derselbe nicht ganz homogen ist, ob er aber einen wabigen 
Bau besitzt, wie man ihn in Fig. 3 angedeutet sieht, oder aus 
einzelnen Stäbchen besteht, entgeht einer direeten Wahrnehmung, 
kann aber mit ziemlicher Sicherheit mittelbar aus den weiteren 
Stadien zu Gunsten des wabigen Baues entschieden werden. 

In dem Zellsaum entstehen nun die Basalkörper der späteren 
Flimmerhaare. Bei der ausserordentlichen Kleinheit der Elemente 
kann man nicht gut von einer Vorstufe derselben sprechen. Ein 
Zwischenstadium zwischen den Zellen ce (Fig. 2) oder Fig. 3 und 
der Zelle Fig. 4 giebt es schlechterdings nicht. In dem hellen 
Zellsaum ist plötzlich eine Reihe von deutlichen hantelförmigen 


190 Alexander Gurwitsch: 


Basalkörpern aufgetreten, deren Höhe ganz genau den Zellsaum 
ausfüllt. Es treten immer mehrere Basalkörper gleichzeitig auf; 
es ist mir wenigstens nie gelungen, eine Zwischenstufe zwischen 
den zwei in Fig. 3 und 4 dargestellten Stadien zu finden. Es 
ist dabei zu beachten, dass die ersten auftretenden Basalkörper 
nicht etwa auf einer Zellregion concentrirt, sondern ziemlich 
rerelmässie in weiten Abständen von einander vertheilt sind. 
Eine Abknospung von dem Centralkörper oder Fragmentirung 
des letzteren erscheint schon demnach höchst unwahrscheinlich. 

Dass die Anzahl der Basalkörper des Stadiums Fig. 4 keine 
definitive ist, ergiebt sich mit einer viel grösseren Deutlichkeit 
auf Tangentialschnitten (Fig. 5). Neben vielen Zellen, die in 
der Höhe der Centralkörper angeschnitten sind, treten uns einige 
wenige entgegen, in welchen der Schnitt durch den Zellsaum 
ging. Der Zellsaum ist nun deutlich wabig gebaut. Es sind 
meistens regelmässige Waben, welche bis an die Schlussleiste 
heranreichen; die Basalkörper sitzen nun in den Knoten- 
punkten der Wabenmaschen. Bei der Klemheit und Zart- 
heit der Verhältnisse bleibt man zuweilen im Zweifel, ob nicht 
der eine oder der andere Basalkörper innerhalb einer Masche 
gelegen ist, oder ob zu demselben nicht ein ganz feiner Ausläufer 
einer Wabe hingeht. Im Allgemeinen lässt jedoch das Bild 
keinen Zweifel zu, dass die Lage der Basalkörper mit derjenigen 
der Knotenpunkte der Wabenmaschen zusammenfällt ). 

Ich glaube, dass diese T’hatsache, vereint mit dem absoluten 
Fehlen jeder Zwischenstufe, ein fast zwingender Beweis für eine 
s.z.s. autochtone Herkunft der Basalkörper als Differenzirungs- 
produet des Zellsaumes ist. Wenn man auch als Möglichkeit 
die von Bütschli (7) hervorgehobene Thatsache in Erwägung 
zieht, dass die in anderen Zellabschnitten entstandenen und se- 
eandär in den Zellsaum hineingelangten mikrosomalen Einschlüsse 
auf Grund der Oberflächenatraction sich vorwiegend in die Waben- 
knotenpunkte begeben, so wäre es immerhin unerklärlich, dass 
man nie Zwischenstadien beobachten kann, d. h. dass man nie 
etwa eine Anhäufung von Basalkörpern wahrnimmt, welche sich 
allmählich gleichmässig im Wabenwerke vertheilt. An diesen 

l) Der Flimmerbesatz einer fertigen Zelle ist dagegen so dicht, 
dass in den geringen Abständen der einzelnen Basalkörper auch auf 


einem Tangentialschnitte keine weiteren Einzelheiten wahrgenommen 
werden können. 


Studien über Flimmerzellen. 191 


letzteren Modus muss man unwillkürlich denken, wenn man die 
immerhin auffallende, schon von Lenhossek (16) hervorgehobene 
Thatsache berücksichtigt, dass in den mit Basalkörpern versehenen, 
wenn auch noch nicht flimmernden Zellen (Fig. 4) Centralkörper stets 
vermisst werden, obgleich sie sich gleichzeitig in den benachbarten 
Zellen nachweisen lassen (Fig. 1—5). Das war ja auch übrigens 
einer der hauptsächlichsten Gründe, welche Lenhossek zur 
Annahme bewogen, die Basalkörper von dem Centralkörper abzu- 
leiten. In unserem Falle würde der hypothetische Vorgang wohl 
nur in der Art zu Stande kommen können, dass die Substanz 
des Centralkörpers sich im Zellplasma auflöst, in Folge dessen 
unserer Beobachtang entgeht, um dann wieder im Zellsaum in 
Form einzelner Basalkörper aufzutauchen. Ob der Vorgang 
möglich und denkbar ist, ob directe Beobachtungen an anderen 
Objeeten denselben nicht direet ausschliessen, wird aus der 
weiteren Darstellung und dem theoretischen Abschnitte der Arbeit 
ersichtlich. Es sei hier nur hervorgehoben, dass die Substanz- 
menge eines Centralkörpers höchstens derjenigen von 3—4 Basal- 
körpern gleich kommt, so dass zur Annahme einer Production 
sämmtlicher Basalkörper aus dem Centralkörper noch eine weitere, 
die einer Wachsthums- resp. Assimilationsfähigkeit der Central- 
körpersubstanz hinzukommt. Diese Möglichkeit wurde übrigens 
von verschiedenen Autoren aus manchen Gründen für zulässig 
und sogar thatsächlich bestehend erklärt. 

Ich muss somit zugeben, dass, soweit ich aus meinen Prä- 
paraten schliessen kann, in der Regel das Diplosom aus der 
Zelle gleichzeitig mit dem Auftreten der Basalkörper im Zellsaume 
verschwindet. Zur Annahme eines causalen Zusammenhanges 
beider Erscheinungen, oder gar der Abstammung der Basalkörper 
aus dem Diplosom liegt eigentlich gar kein Grund vor, um so 
mehr als 1. in vielen Fällen auch in den mit dem Basalkörper- 
besatze versehenen Zellen schwarze Körperchen von mir beobachtet 
wurden, die immerhin eine grosse Aehnlichkeit mit Diplosomen 
besitzen, wegen ihrer wechselnden Lage jedoch nicht sicher 
diagnostieirt werden können; 2. eine Analogie in den Befunden 
von Studnicka (23) und Henry (12) vorliegt, welehe in 
anderen Flimmerzellenarten Centralkörper mit Sicherheit nach- 
gewiesen haben und!) 3. gleichzeitig mit dem Auftreten der Basal- 


1) Wie ich einer gütigen brieflichen Mittheilung des Herrn Prot. 


199 Alexander Gurwitsch: 


körper innerhalb der Zelle auch sonstige Veränderungen vor sich 
gehen, welche möglicherweise eine weitgehende Bedeutung für 
die Thätigkeit der Flimmerzelle besitzen. Es ist nämlich sehr 
auffallend, dass die in Bildung begriffenen und um so mehr die 
fertigen Flimmerzellen im Volumen die benachbarten jüngeren 
Zellen um vieles übertreffen und dieselben häufig hochgradig 
zusammenpressen (Fig. 3 und 6). Entsprechend der Turgor- 
zunahme des Zellleibes wird auch das Cytoplasma viel heller 
(Fig. 6), so dass wir wohl in der Annahme nicht fehl gehen, wenn 
wir eine bedeutende Flüssigkeitsaufnahme als Begleiterscheinung 
dder Metamorphose der vorbereitenden Entwickelungsstadien in 
die definitive Flimmerzelle annehmen. Es sei noch erwähnt, dass 
die gleiche Beobachtung, vielleicht in einem noch höheren Grade, 
auch bei den entsprechenden Vorgängen in den Rachen- und Oeso- 
phaguszellen des Salamanders gemacht wurde, worauf ich noch 
ausführlicher im weiteren Laufe der Beschreibung zurückkomme. 
Dieselbe auffallende Turgorzunahme und Abrundung der Epi- 
thelien wird ja auch übrigens bei der Mitose beobachtet, worauf 
Reinke neuestens ganz speciell aufmerksam macht (20). 

Ich habe die Darstellung der Entwickelung auf dem Stadium 
der Fig. 4 abgebrochen. Die Basalkörper der Flimmerhaare 
haben sich in den Knotenpunkten des wabigen Zellsaumes ent- 
wiekelt und zwar als Verdiekungen der Ersteren (Fig. 5); aus 
den Basalkörpern wachsen nun die Flimmerhaare heraus. Es ist 
dieses entschieden der schwierigste Punkt der Untersuchung, über 
den ich noch keine volle Klarheit erlangen konnte. Es ist zunächst 
grosse Vorsicht geboten, um in einer Zelle, wie z.B. Fig. 4, die 
Anwesenheit von kurzen Haarsprossen auszuschliessen, da die- 
selben ja bei einer schiefen Lage in einen anderen Schnitt fallen 
können. In einer grösseren Anzahl von Fällen, in denen die 
Aussenwand des Zellsaumes ganz scharf abschneidet, lässt es 
sich jedoch mit Bestimmiheit sagen, dass in einem bestimmten 
Stadium der Entwiekelung die Basalkörper ausgebildet sind, von 
den Flimmerhaaren dagegen noch keine Spur vorhanden ist. Fast 
unmöglich ist es dagegen, an unserem Object etwas Näheres über 


v. Apäthy entnehme, ist demselben durch eine Nachvergoldung der 
Nachweis von Oentralkörpern im Ependym des Kalbes gelungen. Die 
„Centriolen“ sind in diesem Objecte von einer sehr deutlichen „Sphäre“ 
umgeben. Die sehr kleinen Basalkörper sind hier und da zu unterscheiden, 


Studien über Flimmerzellen. 193 


den Wachsthumsmodus der Haare auszusagen. Die einzige Mög- 
lichkeit ist eigentlich ein Hervorsprossen aus der Substanz des 
Basalkörpers, welche ihrerseits in dem Maasse, wie sie aufge- 
braucht wird, aus dem umgebenden Plasma regenerirt wird. Der 
Vorgang lässt sich leicht vorstellen, wenn man bedenkt, dass die 
Basalkörper verdichtete Knotenpunkte eines Wabenwerkes sind. 
Solange es Waben giebt, wird stets in den Knotenpunkten der- 
selben eine gewisse Substanzanhäufung sich finden müssen und 
somit immer neues Material geliefert werden. An dieser Stelle 
genügt es, diese Hypothese angedeutet zu haben. Eine nähere 
Begründung und Besprechung derselben wird im Zusammenhange, 
nach der Schilderung der anderen Entwickelungsmodi der Flimmer- 
zellen, mehr am Platze sein. 


b) Rachen- und Oesophagusepithel der Bufolarven. 


Dem oben geschilderten Entwickelungsgange des Flimmer- 
epithels der Tuba und Fimbria schliesst sich am engsten die 
Entstehungsweise des Flimmerepithels im Rachen und Oesophagus 
der Krötenkaulquappen an. Wie wir im weiteren Verlaufe der 
Schilderung sehen werden, wird dadurch eine ganz auffallende 
Divergenz in der Histogenese identischer Gewebe bei zwei sehr nahe 
stehenden Thieren — der Kröte und dem Salamander — geschaffen. 

In meiner kurzen Mittheilung (9) habe ich den Befund bei 
einer Krötenlarve, der einzigen, welche mir zur Zeit zu Gebote 
stand, geschildert und abgebildet (9, S. 50 Fig. 1). Ich habe 
schon an jener Stelle hervorgehoben, dass im Gegensatze zu den 
entsprechenden Stadien des Rachenepithels der Salamanderlarven 
(l. e., Fig. 2), der wabige Zellsaum im Rachenepithel der Kröte 
ein sehr niedriger ist und nur aus einer Reihe prismatischer 
Waben besteht. Ich konnte mir aus dem vorliegenden Bilde 
keine bestimmte Vorstellung über den weiteren Entwiekelungs- 
gang der fraglichen Elemente bilden und war geneigt, anzunehmen, 
dass der niedrige einreihige Zellsaum nachträglich an Höhe zu- 
nimmt, mehrschichtig wird, kurz, den für den Salamander typi- 
schen, in der erwähnten Mittheilung bereits geschilderten Ent- 
wicklungsgang einschlägt. Es erweist sich jedoch, dass das 
weitere Schicksal des wabigen Saumes (Fig. 7 dieser Arbeit, Fig. 1 
aus 9) bis auf einige geringe Unterschiede mit demjenigen des 
Zellsaumes des Tubarepithels übereinstimmt (Fig. 1—6 u. 7—9). 


194 Alexander Gurwitsch: 


Was zunächst die wabige Struetur des Zellsaumes des 
Krötenepithels betrifft, so ist dieselbe ausserordentlich scharf und 
deutlich ausgesprochen. Es fallen etwa 20—30 Waben auf den 
grössten Zelldurehmesser. Betrachtet man die Zelle von der freien 
Oberfläche, in einem Tangentialschnitte (Fig. 9), so sieht man, dass 
die Waben meistens fünfeckige Prismen sind, welche an den 
Rändern der Zelle eine regelmässige sog. Randstellung (Alveolar- 
saum Bütschli) annehmen. Verdichtungen der Knotenpunkte 
sind zunächst noch nieht wahrzunehmen, dieselben treten erst im 
weiteren Verlaufe der Entwickelung auf (Fig. 8). 

Betrachtet man dagegen mit einem sehr starken System die 
Waben auf einem senkrechten Zelldurehschnitte (Fig. Ta), so 
merkt man, dass die der Oberfläche angrenzenden Abschnitte 
der Wabensepta ein wenig dicker als die basalen Theile der- 
selben sind, so dass ein verticaler Schnitt durch eine Wabenwand 
gegen die freie Oberfläche zu etwa keulenförmig anschwillt; ein 
färberischer Unterschied ist aber dabei noch vorderhand nicht 
wahrzunehmen. Der ganze Zellsaum hält z. B. das Eisenhäma- 
toxylin nur sehr wenig zurück, färbt sich dagegen bei einer 
Nachfärbung mit Rubin ziemlich intensiv roth. 

Gehen wir aber in der Entwickelung einen Schritt weiter, so 
ändert sich das Verhalten insofern, als die verdiekten Stellen 
der Wabensepta, namentlich die Knotenpunkte, sich nunmehr mit 
Eisenhämatoxylin intensiv schwärzen und sich von nun an als 
die ersten Anlagen der Basalkörper präsentiren (Fig. 8). Der ganze 
Vorgang lässt sich graduell viel besser als die entsprechenden 
Prozesse am Tubarepithel (Fig. 4—5) verfolgen. Man kann näm- 
lieh mit aller Bestimmtheit nachweisen, dass 1. die Basalkörper 
als kleinere Substanzanhäufungen auftreten, die durch weiteres 
Wachsthum ihre definitive Grösse erreichen (vgl. Fig. 8, Zelle 
a und 5b); 2. dass ihr Auftreten auch nicht gleichzeitig erfolgt, 
vielmehr zunächst nur wenige Basalkörper auftreten, allmälich 
sich auch weitere herausdifferenziren, und sogar ihren Flimmer- 
besatz erhalten, ehe ihre definitive Zahl erreicht ist (Fig. 7 b 
und 85). Auch in diesem Objeete ist die Thatsache von Be- 
deutung, dass in keinem Falle und auf keinem Entwieklungs- 
stadium auf eine gemeinsame Entstehung der Basalkörper aus 
einer Quelle, etwa dureh Abknospung oder Absehnürung ge- 
schlossen werden darf. Die Bilder Fig. 7 und 8 schliessen viel- 
mehr jede derartige Möglichkeit direet aus. 


Studien über Flimmerzellen. 195 


Eine Eigenthümlichkeit der Verhältnisse bieten die Flimmer- 
zellen des Rachenepithels der Kröte in der Beziehung der Basal- 
körper zu dem scharf abgegrenzten Zellsaum. 

Wie ich bei der Schilderung des Tubarepithels bereits 
hervorgehoben habe, nehmen die Basalkörper der Flimmerzellen 
des letzteren stets die ganze Höhe des wabigen Zellsaumes ein 
und erscheinen als einfache Rippen der prismatischen Waben. 

Unserem zweiten Objeete — dem Rachenepithel der Kröte — 
ist es dagegen eigenthümlich, dass der basale Theil des Zell- 
saumes auch in der ausgebildeten Flimmerzelle als ein heller 
hyaliner Streifen bestehen bleibt (Fig. 7 Z), was ja übrigens leicht 
erklärlich ist, da die Basalkörper als Differenzirungen der gegen 
die Oberfläche der Zelle zu gerichteten Schicht des Zellsaumes 
auftreten (Fig. 8). 

Eine Beziehung der Basalkörper zum wabigen System des Zell- 
saumes, wie sie in der Ontogenese in beiden von uns besprochenen 
Zellarten zu Tage tritt, lässt sich an völlig fertigen Flimmerzellen 
der betreffenden Epithelien nicht mehr mit Sicherheit nachweisen. 
Der Flimmerbesatz wird nämlich so dicht, die Basalkörper stehen 
auf einem Tangentialschnitte in so eng aneinander schliessenden 
Reihen, dass man von vorneherein darauf verzichten muss, in 
den kaum wahrnehmbaren Abständen zwischen den einzelnen 
Basalkörpern noch weitere Structureinzelheiten, d. h. im gegebenen 
Falle, mehr oder weniger dunkel gefärbte dünne Streifen, welche 
eine Verbindung der Basalkörper in ein Wabensystem herstellen 
sollen, nachweisen zu wollen. Nachdem man somit den Beginn 
des eigenthümlichen Differenzirungsvorganges mehr oder weniger 
stufenweise direet verfolgen konnte, muss man sich mit der 
immerhin berechtigten Annahme begnügen, dass der weitere Vor- 
gang in einer ganz analogen Weise fortschreitet. Um also den 
Entwickelungsmodus für beide bis jetzt besprochenen Zellarten 
zu recapituliren, will ich noch einmal hervorheben, dass die 
zuerst spärlich, dann in immer dichteren Massen auf- 
tretenden Basalkörper der Flimmerhaare sich als 
Knotenpunkte eines Wabennetzes aus demselben 
herausdifferenziren und, soweit man sie noch einzeln 


1) M. Heidenhain(10) bildet u. A. eine Oberflächenansicht einer 
Flimmerzelle des Leberganges der Helix, in welcher die einzelnen Basal- 
körper mit einander durch Substanzstreifen verbunden sind, 


196 Alexander Gurwitsch: 


verfolgen kann, durch Substanzbrücken — die Waben- 
wände— mit einander verbunden bleiben. Weiter können 
wir annehmen, dass das Wabennetz immer dichter wird, somit nach- 
träglich neue Knotenpunkte geschaffen werden, aus welchen sich 
wiederum neue Basalkörper herausdifferenziren. Es spricht ja 
alles dafür, dass der fertige Flimmerbesatz einer Zelle aus lauter 
völlig gleichartig gebauten Elementen besteht, so dass das, was 
wir für einen Theil der Flimmerhaare direet beobachten, wohl 
auch im Grossen und Ganzen für die später nachrückende 
Hälfte gültig sein wird. 


ec) Darmepithel des Lumbrieus. 

Die histogenetischen Vorgänge, die wir im Laufe der Onto- 
genese im Tubarepithel eines Säugethieres und im Rachenepithel 
der Krötenlarve verfolgt hatten, treten mit einer ungeahnten 
Deutlichkeit als verschiedene physiologische Zustände einer Zelle 
des erwachsenen Individuums im Darmepithel des Lumbrieus 
auf: es wurde, soweit ich übersehen kann, zum ersten Male von 
Greenwood (8) nachgewiesen, dass die Cilien des Darmepithels 
des Regenwurmes retractiler Natur sind, so dass, je nach dem 
physiologischen Zustande der Darmschleimhaut, die Epithelbeklei- 
dung der letzteren bald aus echten Flimmerzellen, bald aus 
Cutieularzellen besteht. Greenwood hat nur die physiologische 
Seite des Vorganges berücksichtigt, die feineren structurellen Ver- 
hältnisse dagegen nicht weiter besprochen; es treten jedoch einige 
anatomische Thatsachen zu Tage, welche auch ein aällgemeineres 
eytologisches Interesse beanspruchen können. 


Die epitheliale Auskleidung des Regenwurmdarmes besteht 
aus zweierlei Zellarten: sehr hohen und schlanken, zusammen- 
gepressten und auf manchen Funetionsphasen flimmernden Zellen 
(Fig. 10 #7) und dazwischen gelegenen, an grossen granulären 
Einschlüssen sehr reichen Drüsenzellen (Fig. 10 D); dies soll 
nach Greenwood das Bild der Darmmucosa im Hunger- 
zustande sein (]. e. Fig. 5, diese Arbeit Fig. 10). In meinem Falle 
war der Darm voll des gewöhnlichen erdigen Inhalts, so dass, 
jedenfalls das in beiden Fällen identische Bild wohl nicht aus- 
schliesslich auf den Hungerzustand zurückzuführen ist. Im Sta- 
dium der activen Fettresorption soll nach Greenwood das 


Studien über Flimmerzellen. 197 


Bild ein wesentlich anderes werden. Die Drüsenzellen sind fast 
vollständig entleert und in Folge dessen zusammengefallen, die 
Flimmerzellen haben ihren Flimmerbesatz eingebüsst und haben 
statt dessen eine aus kurzen starren Stäbehen bestehende Cuti- 
cula aufzuweisen, welehe unter Umständen auch mehr oder weniger 
strueturlos werden kann. Greenwood erwähnt nun gar 
nicht, ob die verschiedenen Zustände der Flimmerzellen und 
Drüsenzellen gleichzeitig in den verschiedenen Darmabschnitten 
desselben Individuums zu finden wären; das ist jedoch nach 
meinen Befunden zuweilen entschieden der Fall und liefert durch 
die graduelle Abstufung der Zustände in den benachbarten Zellen 
ein sehr werthvolles Beobachtungsobjeet für die für uns in Be- 
tracht kommenden Fragen. 

Ich gehe in der Schilderung der Verhältnisse von einem 
Querschnitt durch den Lumbrieusdarm aus, in welchem sämmt- 
liche Zellen dem in Fig. 10 entworfenen Bilde entsprechen. 

Die Drüsenzellen sind mit grossen runden, mit Eisenhäma- 
toxylin sich schwärzenden Granulae gefüllt, welche an Menge 
gegen die freie Oberfläche zu bedeutend abnehmen; die freie 
Mündung der Drüsenzellen ist in eine sehr eigenthümliche, kreis- 
förmige Schlussleiste eingefasst (Fig. 10 D und 11); das sonst 
sehr dichte und dunkle Zellplasma hellt sich in der Um- 
gebung dieser Schlussleiste in einer sehr eigenthümlichen Weise 
auf; die Authellung hat in der Regel eine regelmässige, fünf- 
theilige Rosettenform (Fig. 11). Ob das Ganze eine eigenthüm- 
liche Vorrichtung für Exeretionszwecke ist, lässt sich mit Sicher- 
heit nicht sagen. 

Die zwischen je zwei Drüsenzellen gelegenen und von den- 
selben stark zusamınengepressten Flimmerzellen haben aus dem 
letzterwähnten Grunde eine sehr schlanke Gestalt; der in der 
Mitte der Zellhöhe gelegene Zellkern bedingt eine geringe An- 
schwellung des Zellleibs, welcher auch gegen die freie Oberfläche 
zu an Breite bedeutend zunimmt; die Flimmerzellen stossen an der 
freien Oberfläche mit ihren Schlussleisten dicht aneinander, und 
werden nur an ihren Kanten durch die kreisförmigen oben er- 
wähnten Schlussleisten (Fig. 11) von einander gesondert. 

Das Zellplasma der Flimmerzellen ist fast völlig homogen 
oder zuweilen schwach granulirt; eine dicht der freien Zellober- 
fläche angrenzende Zone (Z) zeichnet sich von dem übrigen Cyto- 


198 Alexander Gurwitsch: 


plasma sowohl durch ihr eigenthümliches vollständig structurlos 
homogenes Aussehen, als auch durch ihre optischen Eigenschaften 
aus; sie ist nämlich stark doppeilichtbrechend ). Wir werden im 
Weiteren sehen, dass diese Zellzone eine ganz eigenthümliche Rolle 
bei den mit verschiedenen physiologischen Zuständen verknüpften 
Umwandlungen der Flimmerzellen zu spielen hat. 

Dicht uuter der freien Zelloberfläche sind in regelmässigen 
Abständen kurze, aber ziemlich grosse, kugelförmige Basalkörper 
gelagert: es kommen ihrer etwa 20—30 auf den grössten Zell- 
durchmesser. Von jedem Basalkörper entspringt ein langes und 
sehr feines Flimmerhaar. Die Flimmerhaare sind im fixirten Zu- 
stande meistens sehr deutlich nach einer Seite gebogen. 

Die zwischen den Flimmerhaaren frei bleibende Zellober- 
fläche besitzt einen sehr dichten, regelmässigen Stäbchenbesatz ; 
die einzelnen Stäbchen sind so deutlich als solche sowohl auf 
senkrechten wie auf den Querschnitten zu erkennen, dass jede 
Täuschnng in der Deutung ausgeschlossen ist, d. h. dass es gar 
nicht denkbar ist, dass wir es hier etwa mit einer durch poren- 
förmige Kanäle durchbrochenen Cutieula zu thun hätten, wie 
solche an vielen Flimmerzellen thatsächlich auftritt, und u. A. 
von Zimmermann für die eigenthümlichen, mit pseudopodien- 
artigen Fortsätzen versehenen Zellen des Ileums des Menschen 
angegeben wurden (26). 

Die Stäbchen dieses Cuticularbesatzes sind, soweit ich be- 
obachten konnte, starr, nehmen keinen nachweisbaren Antheil 
an der Bewegung der Flimmerhaare. Die Beobachtung ist jedoch 
in diesem Falle mit solchen Schwierigkeiten verbunden, dass ich 
vorderhand die negativen Ergebnisse derselben nicht für definitiv 
halten möchte. 

Dem soeben geschilderten physiologischen Zustande der 
Darmepithelien reihen sich in einer ganz continuirlichen Folge 
verschiedene Zwischenstufen an, welche zum völligen Verschwin- 
den sowohl des Flimmer- wie des Cuticularbesatzes der Zellen 
führen. Die durch Fig. 12—15 veranschaulichten Bilder sind ein 
und demselben Object entnommen und zwar ist deren Reihen- 


1) Auf die optischen Eigenschatten der verschiedenen Abschnitte 
des Flimmeraparates in den fertigen und in der Entwickelung be- 
griffenen Flimmerzellen werde ich im zweiten Theile der Arbeit noch 
zurückkommen, 


Studien über Flimmerzellen. 199 


folge bei der Durchmusterung eines Querschnittes durch den 
ganzen Darm auch in den Abbildungen eingehalten. Der dazu 
benutzte Regenwurm befand sich in anscheinend gleichen Lebens- 
bedingungen wie der vorhergehende, beide waren seit 2—3 
Tagen in Gefangenschaft in einer mit gewöhnlicher Gartenerde 
gefüllten Holzkiste. Ich kann daher vorläufig ebenso wenig eine 
Erklärung für die von einander so stark abweichenden Zustände 
der Zellen geben, als auch mit Bestimmtheit die Reihe für eine 
progressive oder regressive erklären, d. h. die Zellen (Fig. 12 
bis 15) für Vorstufen in der Entwicklung der Flimmerzellen, 
oder umgekehrt, für regressive Zustände derselben halten; eine 
specielle darauf hin gerichtete Untersuchung würde wohl diese 
Frage aufklären; für mich war es jedoch vorläufig von Wichtig- 
keit, die bei einer physiologischen Modification sich abspielenden 
morphologischen Vorgängezu untersuchen, daman ja mitsehr grosser 
Berechtigung erwarten kann, dassin der gleichen Weise wie 
die Flimmerzelle Fig. 10 sich durch die Zwischenstufen Fig. 12 
bis 14 in eine Zelle, wie eine in Fig. 15 dargestellt ist, ver- 
wandelt, auch umgekehrt aus der Zelle Fig. 15 wieder die Zelle 
Fig. 10 entsteht. Beide Vorgänge finden Platz, das kann man 
ja mit Bestimmtheit aus ihrem physiologischen Charakter, d. h. 
aus den veranlassenden Momenten, welche ja in kurzen Abständen 
wiederkehren müssen, erschliessen; für die Annalıme eines in 
beiden Fällen verschiedenen Hergangsmodus werden wir erst 
dann Veranlassung haben, wenn wir zwischen beiden extremen 
Zuständen (Fig. 10 u. 15) eine doppelte Reihe von Zwischen- 
stufen gefunden haben werden, was bis jetzt noch nicht der Fall 
ist. . Ich werde daher versuchen, in der Schilderung der ver- 
schiedenen Entwicklungsstufen ganz objeetiv vom Zustande a, b 
u. 8. w. zu sprechen, ohne etwas von der Zeitfolge der gegen- 
seitigen Abstammung zu präjudiziren. 

Wenn wir die in Fig. 10 abgebildeten Zellen mit a be- 
zeichnen, so kommen als deren nächste Zwischenstufe (b) die 
Zellen der Fig. 12 an die Reihe. Der Flimmerbesatz ist noch 
immer sehr dicht, der Stäbchensaum jedoch nicht so hoch wie im 
Stadium a. Die hyalinen, unter den Basalkörpern gelegenen schon 
in Fig. 11 abgebildeten Streifen Z haben an Schärfe und Breite 
zugenommen, auch ist ihr Doppellichtbrechungsvermögen stärker 
geworden. Am deutlichsten sind jedoch die Unterschiede in der 

Archiv f. mikrosk. Anat. Bd. 57 14 


200 Alexander Gurwitsch: 


Gestalt der übrigen Abschnitte des Zellleibs; infolge des Zu: 
sammenfallens der im Stadium a so prallgefüllten Drüsenzellen 
(D) nimmt ersterer seine ihm auch sonst zukommende breitere 
und regelmässigere Gestalt an. 

Die Drüsenzellen entleeren sich nun allmählich vollständig 
und Hand in Hand damit geht auch eine weitere Umwandluug 
der Flimmerzellen vor sich, welche uns zum Stadium c (Fig. 15) 
überleitet. Der Stäbehensaum ist nun ganz niedrig und unregel- 
mässig, der Flimmerbesatz bis auf einen relativ spärlichen Rest 
redueirt; statt der sonst im grossen Zelldurchmesser etwa zu zäh- 
lenden 23—30 Basalkörper sind es nunmehr 4—5; ein jeder der- 
selben trägt aber noch ein Flimmerhaar; im Stadium d (Fig. 14) 
verschwindet nun aber auch dieser spärliche Haarbesatz, die Zahl 
der Basalkörper wird noch geringer, redueirt sich auf etwa 8 bis 
10 Stück für eine Zelle; gleichzeitig damit rücken die Basalkörper 
von der Zelloberfläche mehr in das Zellinnere. Vom Stäbchen- 
saum sind auch nur spärliche Reste geblieben. Betrachtet man 
die Flächenansichten der verschiedenen von uns beschriebenen 
Stadien, so ergibt sich eine sehr überraschende Analogie mit 
den auf Seite 191 von uns geschilderten histogenetischen Vorgän- 
gen am Tubarepithel des Kaninchens und Rachenepithel der 
Kröte. Der Flimmerbesatz der Zellen, Stadien a u. b (Fig. 10 u. 12) 
ist so dicht, dass keine weiteren Structurverhältnisse zwischen 
den Basalkörpern wahrgenommen werden können; anders dagegen 
in den Stadien ce u. d (Fig. 13, 14 u. 15). Die Oberfläche der Zellen 
zeigt nunmehr eine deutliche wabige Structur; die Waben reichen bis 
an die dieken, mäandrisch geformten Schlussleisten. In den Kno- 
tenpunkten der Waben sitzen die spärlichen aber sehr 
grossen und deutlichen Basalkörper. Mit dem Stadium d (Fig. 
14) ist jedoch der Umwandlungsvorgang der Flimmerzellen noch 
nicht vollendet; seinen Abschluss findet derselbe vielmehr im 
Stadium e (Fig. 15). Es ist nunmehr weder Flimmerbesatz mit 
Basalkörpern, noch Stäbehensaum vorhanden, statt dessen ent- 
stand an der Stelle der schon vorher beschriebenen hyalinen 
Zone (Fig. 11—14Z), welche nach unten zu ohne scharfe 
Grenze in das anliegende Cytoplasma überging, eine ‚nunmehr 
von Letzterem völlig scharf abgesonderte, etwa 2—3 u hohe 
Schieht, welche undeutlich wabig gebaut ist, in ihrem 
färberischen und sonstigen optischen Verhalten vom übrigen Oyto- 


Studien über Flimmerzellen. 201 


plasma scharf absticht, jedoch auffallender Weise nieht mehr 
nachweislich anisotrop ist. Die Anisotropie hat ständig 
vom Stadium b ab abgenommen, in dem Maasse, als die Stäbehen- 
eutieula und die Basalkörper mit dem Flimmerbesatz in den Be- 
reich der Zone z hineingezogen wurden und letztere sich immer 
schärfer von dem übrigen Cytoplasma absetzte. Es ist nicht 
angebracht, sofort daraus einen Causalnexus zu construiren, die 
Thatsache ist aber um so bemerkenswerther, als die dem Flimmer- 
apparat unmittelbar anliegende Zone auch in vielen anderen 
Flimmerzellen nach meinen Beobachtungen deutlich anisotrop ist. 
Ich hoffe auf diese Frage noch im weiteren eingehen zu können. 
Eine grössere und schönere Uebereinstimmung einer morphologischen 
Modification als Folge verschiedener Funetionszustände mit onto- 
genetischen Processen, wie dieselbe an den bis jetzt beschriebenen 
drei Objekten — dem Darmepithel des Lumbrieus einerseits und 
dem Tubar — und Rachenepithel andererseits — zu Tage tritt, 
lässt sich kaum denken. 

Man kommt demnach in Versuchung, den uns bekannt ge- 
wordenen Entwicklungsmodus als den einzig existirenden oder 
möglichen zu erklären, da er ja unter so verschiedenen Fällen 
in gleicher Form auftritt, folglich auch anscheinend das Wesent- 
liehe, Nothwendigste in sich enthalten müsste, und doch ist es 
nicht so. Der Entwieklungsgang des Flimmerapparates schlägt 
noch manchen anderen Weg ein, welcher in einigen Fällen von 
dem uns bis jetzt bekannt gewordenen so sehr abweicht, 
dass man sich im ersten Augenblicke fragen muss, ob nicht ein 
Beobachtungsfehler in einem der Fälle vorliegt; glücklicherweise 
lässt sich ein solcher mit Sicherheit ausschliessen. 

Als ein unseren drei bisherigen Objeeten gemeinsames Ent- 
wiekelungsmoment haben wir das zuerst erfolgende Auftreten der 
Basaltheile des Flimmerapparates, der sog. Basalkörper, gesehen. 
Die Flimmerhaare wachsen aus denselben heraus oder, in einem 
Falle im Darmepithel des Lumbrieus, verschwanden wieder spurlos 
bis auf die Basalkörper; anders dagegen bei dem an dieser Stelle 
zu schildernden Objeete: es ist das Rachenepithel des Salamanders 
(S. maculosa). Die Histogenese dieses Epithels bildete den Haupt- 
inhalt einer kurzen vorläufigen Mittheilung, da eine prineipiell 
wichtige Frage — die Lenhossek-Henneguy’sche Hypothese 


202 Alexander Gurwitsch: 


— über die Entstehung der Basalkörper aus den Centralkörpern 
durch dieselbe im negativen Sinne erledigt wurde. 

Zur Zeit der ersten Veröffentlichung fehlten mir noch einige 
Zwischenstadien, auch konnte ich den Sachverhalt nur durch 
etwas schematische Abbildungen erläutern, so dass eine erneuerte 
ausführliche Besprechung der diesbezüglichen Thatsachen wohl 
am Platze sein wird. 


Typus IL Rachenepithel der Salamenderlarven. 


Die Rachenepithelzellen von ganz jungen, ca. 1 em langen 
Salamanderlarven enthalten noch sehr zahlreiche Dotterplättchen, 
das Plasma ist unregelmässig im Zellleibe vertheilt, an vielen Stellen 
retrahirt, nur um den Kern und die Zellwänden herum etwas dich- 
ter angehäuft (Fig. 16). Gegen die freie Zelloberfläche zu weisen 
Jedoch die Zellen eine ganz beträchtliche, ziemlich scharf abge- 
setzte Plasmaanhäufung auf, welche ich nach F. E. Schulze’s 
Vorgang (22) „Crusta“ nennen will (Fig. 16). Diese Cruste ist 
durch eine ziemlich deutliche Contur von dem Zellinnern abgesetzt, 
es haftet ihr jedoch eine Partie des Zellplasma an. Soweit ich 
mich überzeugen konnte, ist die Crusta auf dem mir vorliegenden 
Stadium structurlos, ziemlich stark lichtbrechend, anscheinend 
isotrop. 

Von der Anwesenheit von Centralkörpern in den ruhenden 
Epithelzellen konnte ich mich bis jetzt nicht überzeugen, obgleich 
dieselben in den zahlreichen in diesen Zellen vorkommenden Mi- 
tosen auf das schönste gefärbt waren. Der Nachweis derselben 
wird allerdings durch die sehr beträchtliche Grösse des Zell- 
kernes erschwert. 

Die Art und Weise, wie die anscheinend homogene Zell- 
kruste (Fig. 16) in das nächstfolgende Stadium (Fig. 17) übergeht, 
lässt sich nicht genauer verfolgen. Bei einer nieht unbedeutenden 
Höhenzunahme der Crusta sieht man in derselben einen ausge- 
sprochen wabigen Bau auftreten; entgegen dem uns von den an- 
deren Objecten her bekannten Bilde ist die Gestalt und Anord- 
nung der Waben wenig regelmässig; in den jüngeren Stadien 
sind die Waben ziemlich gross, deutlich einzeln zu unterscheiden 
und gewöhnlich in zwei Reihen angeordnet (Fig. 17). 

Ueber die Beschaffenheit des in den Wabenmaschen gele- 
genen „Enchylemm’s“ lässt sich nichts Näheres eruiren — die 


Studien über Flimmerzellen. 203 


Färbbarkeit desselben ist stets nur sehr gering, so dass die 
Wabenwände sich in jedem Falle vom helleren Hintergrunde 
dunkel abheben. 

Die Abgrenzung des wabig gebauten Zellsaumes gegen das 
Cytoplasma ist nunmehr eine sehr scharfe geworden, sodass die 
Bezeichnung „Crusta“ nicht mehr gut angewendet werden kann 
und man besser thut, von einem „Zellsaume*“ zu sprechen. Das 
dem Zellsaume anliegende Cytoplasma ist auch in diesem Ob- 
Jeete, wie in den analogen anderen Fällen verdichtet und ziem- 
lich stark anisotrop. Je weiter der Differenzirungsvorgang fort- 
schreitet, desto auffallender wird diese Abgrenzung eines scharf 
unterschiedenen Plasmastreifens, welcher darin eine Aehnlichkeit 
mit der im Darmepithel des Lumbrieus beschriebenen Zone ge- 
winnt. Auf den weiteren Stadien wird sogar ein sich durch 
Eisenhämatoxylin schwärzender Strich wahrnehmbar, welcher 
die Abgrenzung der Zone von dem central gelegenen Cytoplasma 
noch mehr verschärft (Fig. 18). Der Unterschied im Aussehen 
der Zone (z) und des central gelegenen Plasmas ist ein ganz 
beträchtlicher. Erstere sieht ganz homogen aus und färbt sich 
dunkler als das ziemlich grob granulirte Innenplasma; es wurde 
ausserdem schon erwähnt, dass die Aussenzone auch im Gegen- 
satze zum Innenplasma deutlich anisotrop ist. 

Die änfänglich annähernd zweireihige Anordnung der Waben 
des Zellsaumes auf den jungen Stadien macht allmählich einem 
etwas complieirteren Verhalten Platz: 
Die der Aussenfläche des Saumes 
anliegendev Rippen (Schema, R) blei- 
ben in ihrer früheren Anzahl und 
Grösse auch weiter bestehen; es fallen 
ihrer etwa 25—30 auf den grössten 
Zelldurchmesser, ihre Conturen und 
Anordnung sind im Ganzen regel- Schema 
mässig und bieten eine völlige Analogie mit den uns bei der 
Kröte (Fig. 9) bekannt gewordene Bildern. 

Aus diesen der Oberfläche anliegenden Wabenrippen ent- 
steht somit ein netziges Häutehen, welches die freie Zellober- 
fläche überspannt und auch durch sein färberisches Verhalten 
von den nach innen zu gelegenen Partien des Zellsaumes sich 
nunmehr unterscheidet. Auf der Fig. 17 ist dasselbe als eine 


204 Alexander Gurwitsch: 


scharfe oberflächliche Contur a zu sehen, wobei sein Zusammen- 
hang mit der oberen Wabenreihe noch erhalten bleibt. Indem 
aber das innere Wabenwerk weitere Umwandlungen eingeht, löst 
sich das oberflächliche Häutchen von seiner Unterlage ab, um 
vollständig individualisirt weiter zu persistiren (Fig. 18, 19a, das 
Maschenwerk in Zelle a Fig. 20). 

Das übrige Wabenwerk des Zellsaumes erleidet nun aber 
merkwürdige Veränderungen: die Wabenstructur verwischt sich 
allmälich, um einem dichten unentwirrbaren „Filzwerk“ Platz 
zu machen. Ich könnte wirklich keine passendere Bezeichnung 
für das eigenthümliche Aussehen des zukünftigen Flimmerbesatzes 
auf diesem Stadium finden. In einigen Stellen kann man kleine, 
in der Richtung der Längsaxse gedehnte Wabenmaschen erkennen, 
in einigen anderen sieht man schon mehr oder weniger individu- 
alisirte, noch stark gekräuselte Haare, welche zweifelsohne in ihrer 
Längsrichtung aus mehreren aneinander stossenden Wabenwänden 
entstanden sind. Auch Tangentialschnitte durch die betreffenden 
Stadien bieten keine nähere Aufklärung (Fig. 18u. 18a); man kann 
mit Sicherheit nur das eine sagen, dass durch einen Um- 
Tormunssprocess des sehr diehten und zarten 
Wabennetzes allmählich individualisirte Haare 
entstehen, die imo ihrer unreselmässiren ver 
flochtenen Anordnung und ihren wellenförmigen 
Conturen deutlichihre Entstehungsweiseaus dem 
Wabenwerke erkennen lassen. Es ist etwa ein ana- 
loger Vorgang, wie er häufig bei der secundären Orientirung der 
Mitomfasern der Centralspindel aus dem dichten Gerüstwerk des 
Kemlinins erfolgt!) (vergl. Strasburger). 

Als Endresultat des complieirten Umformungsprocesses des 
Wabenwerkes sehen wir endlich einen regelmässig gebauten, 
diehten Flimmerbesatz auftreten (Fig. 19). Es wurde schon in 
der vorläufigen Mittheilung hervorgehoben, dass wir es hier mit einem 
merkwürdigen Falle zu thun haben, wo dem vollständig 
ausgebildeten Flimmerbesatz zunächst noch die 


1) Der Vergleich bezieht sich selbstverständlich nur auf eine 
secundäre Örientirung eines zunächst regellosen Aggregates nach 
bestimmten Richtungen. In einem Falle haben wir es mit Wabenwänden 
und ihren Produkten (Fliimmerhaaren) in den anderen mit einem Faden- 
gerüst zu thun. 


Studien über Flimmerzellen. 205 


Basalkörper tkehlen, somit sich’erst secundär 
herausdifferenziren!') In diesen Umstande haben wir 
den schroffsten Gegensatz zu den bis jetzt beschriebenen Objecten, 
denen sich noch zwei weitere hinzugesellen sollen. Das Rachen- 
epithel der Salamanderlarve ist bis jetzt das einzige Object ge- 
blieben, an welchem ich diesen merkwürdigen histogenetischen 
Vorgang beobachtet konnte. Ich liess es daher auch nicht an 
Vorsicht fehlen, um jedem Irrthum aus dem Wege zu gehen. 
Dass wir es thatsächlieh mit einem wohlausgebildeten Flimmer- 
haarbesatz zu thun haben, beweisen auch die Tangentialschnitte 
mit einer Deutlichkeit, die nichts zu wünschen übrig lässt. Fig. 
19 und 20 sind demselben Objecte entnommen. Bei einem ganz 
oberflächlich durch den Flimmerbesatz gehenden Tangentialschnitte 
(Fig. 20a) trifft man das bedeckende, weitmaschige Häutchen 
(s. 0. S. 202), den einzigen Ueberrest der wabigen Structur des 
Zellsaumes. Durch die weiten Maschen des Deckhäutchens treten 
Querschnitte durch Flimmerhaare durch, an ihrer Spitze sehr 
dünn, gegen die Basıs zu etwas dieker; trifft der Schnitt den 
Flimmerbesatz etwa auf halber Höhe oder tiefer, so ist nichts 
wie Querschnitte durch die einzelnen Härchen zu seben, wobei 
jedes als ein deutlich eonturirter Punkt hervortritt. Wir können 
somit die thatsächliche Auflösung des wabigen Zellsaumes in 
einen Flimmerbesatz direct verfolgen. 

Es blieb nun zu eruiren, wann und aus welchem Material 
sich die Basalkörper herausdifferenziren; ein allmähliches Auf- 
treten derselben, ähnlich wie wir es an den anderen Objecten 
beobachten konnten, ist in diesem Falle nieht zu constatiren; es 
scheint sich vielmehr eine Zelle, wie die in Fig. 21 b abgebildete, 
mit einem Male in eine fertige Flimmerzelle (Fig. 21 f) durch 
Abstreifen des bedeckenden Häutchens und Hinzutreten einer 
dichten Reihe von Basalkörpern zu verwandeln. Es ist dabei 
sehr bemerkenswerth, dass die Basalkörper in einer ausserordent- 
lich dichten und regelmässigen, durch parallele Ränder be- 
grenzten Reihe angeordnet sind (Fig. 21 a). Diese Anordnung im 
Verein mit der Erwägung, dass jeder Basalkörper mit einem 

1) In Figur 1 seiner Arbeit bildet Studnicka (24) in einer Reihe 
fertiger Flimmerzellen einer älteren Salamanderlarve auch eine Zelle 
ab, die sehr genau meinem Bilde 19 und 21 entspricht, erwähnt aber, 
merkwürdigerweise mit keinem Worte den eigenthümlichen Befund. 


206 Alexander Gurwitsch: 


Flimmerhaare verbunden ist, lässt eigentlich nur eine Möglichkeit 
für die Lokalisirung der Muttersubstanz derselben: Die Basal- 
körper entstehen in ihrer definitiven Stellung dicht an der Basis 
des Flimmerbesatzes und zwar von einander unabhängig, als 
einzelne Individuen. Ob es sich nur um eine Verdichtung und 
Differenzirung der basalen Theile der Flimmerhaare handelt, was 
das bei weitem wahrscheinlichere ist, oder ob auch ein Theil der 
schon oben (s. S. 202) beschriebenen anisotropen Zone (Fig. 18 Z) 
dafür in Anspruch genommen wird, konnte ich vorläufig nicht 
entscheiden. Halten wir uns an eine wahrscheinliche Analogie 
mit den anderen uns bekannt gewordenen Fällen, so muss man 
sich den Vorgang am einfachsten folgendermaassen erklären: 
Der basale Abschnitt des wabigen Zellsaumes (Fig. 18) behält 
seine engmaschige Structur und lässt in den Knotenpunkten der 
Maschen, ähnlich wie in den übrigen Fällen, die Basalkörper 
entstehen, die dadurch von vorneherein mit den hinzugehörenden 
Flimmerhaaren eins bilden. Es ist mir jedoch vorläufig noch 
nicht gelungen, einen wirklichen Beweis dafür zu erbringen, 
und so lange es nicht der Fall ist, warnt uns die auffallende 
Verschiedenheit in der Histogenese der einzelnen Epithelarten 
vor einer Verallgemeinerung der gewonnenen Resultate. 

Wenn es nach dem Obengesagten noch eines weiteren Beweises 
für die Unmöglichkeit einer Abstammung der Basalkörper aus dem 
Centralkörper bedürfte, so könnte derselbe durch die in den be- 
treffenden Zellen ein paar Mal beobachtete Mitose erbracht werden!) 
(Fig. 19). Man müsste zu einem wahrlich undenkbaren Vorgange 
Zuflucht nehmen, um diese Hypothese zu retten; es könnte sich ja 
nur um einen Zerfall des Centralkörpers in mehrere Hunderte 
Theile (wobei jeder Theil demselben an Grösse etwa gleich käme), 
eine Wanderung der Zerfallsproducte zur Basis des Flimmer- 
besatzes und eine seeundäre Anlagerung und Verwach- 
sung mit je einem Flimmerhaare handeln!?) 


1) Auch in den ruhenden Zellen wurden ab und zu Körnchen 
beobachtet (Fig. 21), die möglicherweise für Centralkörper angesprochen 
werden dürften. 

2) Nach Lenhossek (16) haben wir uns diesen Vorgang folgender- 
maassen vorzustellen: „... die Centralkörper unterliegen einer fortge- 
setzten Theilung, bis sich die ganze Oberfläche der Zelle — ein saum- 
förmiges Gebiet am Rande abgerechnet — mit Centralkörpern bevölkert. 
Diese lassen dann .. . je einen fadenförmigen, beweglichen Fortsatz 


Studien über Flimmerzellen. 207 


Anders verhält es sich freilieb damit, wenn man den Ge- 
danken an die permanente individualisirte Existenz des Central- 
körpers aufgibt und folglich mit der Möglichkeit einer Auflösung 
seiner Substanz im Cytoplasma und eines späteren Wiederauf- 
tauchens derselben an einer anderen Stelle rechnet. 

Doch davon später. 

Ich habe schon vorher (s. S. 203) erwähnt, dass das netzig 
gebaute Häutehen, welches den Flimmerbesatz überzieht, zum Ab- 
schlusse der Entwickelung verschwindet. Es ist kaum anzunehmen, 
dass dasselbe in toto abgestreift wird. Aus den vorliegenden 
Bildern muss man vielmehr schliessen, dass es allmälich dem 
Drucke des eingeschlossenen Flimmerbesatzes nachgibt und wahr- 
scheinlich zerrissen wird; in den älteren Zellen sieht man häufig, 
wie die Contur des Häutchens stark nach aussen zu vorgewölbt 
und hier und da von einer Gruppe von Flimmerhaaren durch- 
brochen wird. Das definitive Verschwinden dieser zusammen- 
haltenden Membran erfolgt ungefähr gleichzeitig mit dem Auf- 
treten der Basalkörper. Es ist selbsverständlich, dass ihre An- 
wesenheit auf die Thätigkeit der Flimmerhaare hindernd einwirkt, 
so dass es leider dahin gestellt bleiben muss, ob die Basalkörper 
zum Zustandekommen der Bewegung des Flimmerbesatzes noth- 
wendig sind, oder nicht. 

Das letzte Umwandlungsstadium der Zellen, wie Fig. 19, 
21b, in eine fertige Flimmerzelle geht mit mehreren weiteren 
Veränderungen des ganzen Zellhabitus vor sich. 

Es ist zunächst auffallend, dass der Turgor der Flimmer- 
zellen auch in diesem Falle, ebenso wie in den Tubarzellen (s. 
0. S. 191 und Fig. 6) bedeutend zunimmt. Das Zellplasma ist 
viel lockerer angeordnet, sieht auch somit viel heller, als in den 
benachbarten nicht fertigen Zellen (Fig. 215) aus. Die Zelle 
nimmt dabei auch an Höhe zu, so dass der Flimmerbesatz der 
fertigen Zelle in ein etwas höheres Niveau, als derjenige der 
Jüngeren Zellen fällt (Fig. 21). 


aus sich hervorgehen“ etc. (S. 117). Henneguy (11) geht auf die 
problematische Entstehungsweise der Basalkörper aus den Centralkör- 
pern nicht näher ein, begnügt sich vielmehr mit der allgemein ge- 
haltenen Behauptung, dass „les granulations et les cordons colorables 
qui sont en rapport avec les cils vibratils des cellules &pitheliales, chez 
les animaux, sont de veritables centrosomes“ (S. 494). 


P2 


208 Alexander Gurwitsch: 


Am auffallendsten jedoch sind die Veränderungen an den 
Flimmerhaaren selbst: Die vielfach zusammengeflochtenen Flimmer- 
haare der vorbereitenden Stadien sind ausserordentlich zart, 
nehmen nur sehr wenig Eisenhämotoxylin auf, lassen sich über- 
haupt mit aller gewünschten Schärfe nur an Tangentialschnitten 
(Fig. 20) und an besonders gelungenen Stellen eines senkrechten 
Schnittes (Fig. 19) erkennen. Anders dagegen in der fertigen 
Flimmerzelle (Fig. 21 f): Jedes einzelne Haar tritt sehr scharf 
und ziemlich intensiv gefärbt hervor. Ich glaube, dass man die 
Dickenzunahme und auch das veränderte färberische Verhalten 
nach der Befreiung der Flimmerhaare von dem bedeckenden 
Häutchen (a Fig. 18, 19, 20) wohl hauptsächlich darauf zurück- 
führen kann, dass die einzelnen Haare einen Ueberzug von dem 
zähen Schleim der benachbarten Schleimbecher oder von sonstigem 
Inhalt des Rachens bekommen. Thatsache ist es, dass die Haare 
stets gruppenweise zusammengebacken und in eine schwach färb- 
bare Substanz eingelagert sind. 

Es bliebe nun noch die Besprechung zweier Objecte übrig. 

Zunächst das Mundepithel des Lumbrieus: Die vor- 
derste nach hinten mit dem musculösen Pharynx abschliessende 
Partie des Darmtractus des Lumbrieus — das Prostomium — hat 
beim erwachsenen Individuum eine einschichtige epitheliale Aus- 
kleidung. Das Epithel ist eylindrischh nicht flimmernd, 
besitzt eine dieke, regelmässige Outicula. Die Beschaffenheit des 
Cytoplasmas ist eine ganz eigenthümliche. Der ganze.Zellleib besteht 
aus einem dichten Geflecht von verschieden starken, bald gerade 
gestreckten, bald etwas geschlängelten Fasern. Besonders stark 
nimmt diese Faserung an der Basis und an den Seitenwänden der Zelle 
zu. Die Grenzen der einzelnen Zellen sind nur an dieser eigenthüm- 
lichen Verdichtung der Plasmabeschaffenheit zu erkennen. Be- 
trachtet man einen Querschnitt (Gegend des 4. Segmentes) durch 
einen sehr jungen ca. 3 em (im mässig gestreckten Zustande) 
langen Regenwurm, so hat man folgende Verhältnisse vor sich: 
Der stark gefaltete epitheliale Schlauch — Prostomium — (Fig. 
22 pr.) hat in den mit schwarzem Strich bezeichneten ventralen 
Abschnitten einen durch kurze flimmerlose Structur unterbrochenen 
Flimmerüberzug; die ganze dorsale Wand des Prostomiums ist 
dagegen mit dem gewöhnlichen ceutieularen Cylinderepithel aus- 
gekleidet; dorsalwärts vom Prostomium ist eine blinde Tasche — 


Studien über Flimmerzellen. 209 


der Pharynx — im Schnitte getroffen, welche auch bei erwachsenen 
Thieren eine eontinuirliche Flimmerzellenauskleidung besitzt. Es 
unterliegt nun keinem Zweifel, dass die fliimmernden Abschnitte 
der ventralen Prostomiumwand vorübergehende dem Untergange 
seweihte Bildungen sind. Die ganz kurzen, dazwischen liegen- 
den, nieht flimmernden Strecken, welche sich meistens nur über 
wenige Zellen erstrecken, können daher mit ziemlicher Sicherheit 
für regressive Stadien des Flimmerepithels angesehen werden. 
Eine genauere Uutersuchung derselben ergibt einige interessante 
Details. In der Fig. 23, welche den Abschnitt a des Prosto- 
miums (Fig. 22) bei starker Vergrösserung wiedergibt, gehören 
die Zellen d d der dorsalen, die Zellen © der ventralen Wand 
des epithelialen Rohres an; der Zellleib der dorsalen Zellen ist 
ziemlich hell, der faserige Bau im ganzen Verlauf gleichmässig 
ausgesprochen. An der Oberfläche der Zellen unter der Cutieula 
ist keinerlei Plasmaverdichtung oder Anhäufung wahrzunehmen. 
Anders dagegen in den ventralen Zellen der epithelialen Aus- 
kleidung, von welchen vier flimmernde Zellen und eine zwischen 
denselben liegende, auf einem regressiven Stadium befindliche 
Zelle abgebildet sind. Es fällt uns vor allem die relativ dunkle 
Färbung der Zellen auf, welche mit der Dichtigkeit des Cyto- 
plasmas und namentlich des faserigen Gefüges desselben zu- 
sammenhängt. Besonders auffallend ist dabei die dunkle Plasma- 
zone an der freien Zelloberfläche, unmittelbar unter den Basal- 
körpern der Flimmerhaare. Die faserige Structur der letzt- 
erwähnten Zone (Z) ist fast völlig verwischt, sie sieht mehr oder 
weniger homogen aus. Es ist dabei zu beachten, dass sie in der 
nicht flimmernden Zelle (Fig. 27 r) viel weniger scharf, als in 
den benachbarten Flimmerzellen ausgebildet ist. Der Flimmer- 
apparat besteht, wie gewöhnlich, aus sehr regelmässig angeord- 
neten und deutlich einzeln wahrnehmbaren Basalkörpern mit 
langen, zarten Flimmerhaaren; die Cuticula der Zellen wird von 
letzteren durchbrochen, wobei es sich nicht um präformirte Canäle 
handeln kann, da die einzelnen Haare, je nach ihrer zufälligen 
Lage, einen bald geraden, bald schiefen Verlauf innerhalb der 
Cutieula einnehmen. Die Cutieula muss demnach von einer weichen, 
halbflüssigen Consistenz sein. 

Statt der einzelnen, discreten Basalkörper tritt nun in der 
Zelle » ein dünner, continuirlicher Substanzstreifen auf, der sich 


210 Alexander Gurwitsch: 


färberisch ähnlich wie die Basalkörper verhält und an seinen 
freien Enden direet in dieselben übergeht. 

Es ist somit das regressive Stadium der Flimmerzellen (in 
diesem Falle, d. h. im Prostomialepithel des Lumbrieus) an fol- 
sende zwei Vorgänge gebunden: Die Basalkörper der Flim- 
merzellen fliessen, nachdem sie ihren Haarbesatz ein- 
sebüsst haben, zu einem continuirlichen Substanz- 
streifen zusammen, welcher sich zunächst färberisch 
mit ihnen gleich verhält, dann aber verschwindet; 
ebenso sehwindet allmählich die scharf gekennzeich- 
nete, homogene, oberflächlich gelegene Plasmazone. 
Als Endproduct der regressiven Metamorphose haben wir endlich 
Cutieularzellen, welche sich in keiner Weise von den dorsal ge- 
legenen, in dd abgebildeten unterscheiden. 

Diese zwei Thatsachen sind von Wichtigkeit für die all- 
gemeine Auffassung der Histogenese der Flimmerzellen, wie es 
sich aus dem Folgenden ergeben wird. 

Ich hatte leider bis jetzt kein embryologisches Lumbrieus- 
material zur Verfügung und muss mich daher auf diese spärlichen 
Angaben beschränken !). 

Das letzte hier zu besprechende Object ist das Epithel der Tela 
choroidea der Salamanderlarven. Wäre dasselbe Henneguy oder 
Lenhossek vorgelegen, so könnten sie in der That darin 
eine sehr gewichtige Stütze ihrer Ansichten erblicken. Im Zu- 
sammenhange mit den vorher an anderen Objeeten gewonnenen 
und oben geschilderten Resultaten gewinnen jedoch die jetzt zu 
besprechenden Thatsachen eine andere, ganz eigenthümliche und 
für die ganze „Centralkörperfrage“ wichtige Bedeutung. 

Die Epithelzellen der Tela choroidea wurden von Stud- 
ni@ka (24) und auch von mir in einer vorläufigen Mittheilung 
besprochen. Ich erwähnte daselbst, dass auch in vielen Zellen 
eines erwachsenen Individuums der Flimmerbesatz kein regel- 
mässiger und ununterbrochener ist, vielmehr nicht selten in einzelnen 
unregelmässigen Gruppen auf der sehr ausgedehnten Zellober- 
fläche vertheilt ist. Diese Unregelmässigkeiten und Lücken ge- 
hören jedoch zur geringen Minderzahl der Fälle und treten ent- 


1) Auf die eigenthümliche Structur des Pharyngealepithels komme 
ich im 2ten Theile der Arbeit zurück. 


Studien über Flimmerzellen. 211 


schieden im Vergleiche mit der regelmässigen, ziemlich dichten 
Bewimperung in den Hintergrund !). 

Anders bei den Zellen in der Tela einer ca. 2 em langen 
Salamanderlarve. 

Die Zellen sind ziemlien gross, in ihren Conturen sehr 
inconstant — bald mehr kubisch (Fig. 25, 26) bald ziemlich 
stark abgeflacht. Sie sind in einer Schicht angeordnet und liegen 
einer dünnen homogenen Basalmembran auf. Das Cytoplasma 
ist ziemlich dicht, fein granulirt, füllt den ganzen Zellleib aus. 
Häufig treten als Zelleinschlüsse grosse Myelintropfen auf, welche 
nach der Paraffin- Behandlung als runde Defecte im dichten 
Cytoplasma persistiren (Fig. 25 m). 

Die freie Zelloberfläche trägt eine von Studnitka ge- 
nauer beschriebene Cuticula; Studnicka hält sie für wabig 
gebaut, mir scheint sie eher eine Stäbcheneuticula, ähnlich wie 
in den Nierenepithelien der Salamanderlarve, zu sein (s. u. a. 
Meves 18). 

Dicht unter der Cutieula ist ein von der Umgebung deutlich 
abstechender Plasmastreifen gelegen. Er ist vom übrigen Cyto- 
plasma durch seine Helligkeit ausgezeichnet und durch scharfe 
geradlinige Conturen begrenzt. Eine deutliche Anisotropie konnte 
ich bis jetzt in dieser Schicht nieht nachweisen, es mag aber 
vielleicht theilweise an der Kleinheit der Verhältnisse liegen. 
Innerhalb dieser Zone entsteht nun der Flimmerbesatz der Zellen 
und zwar in einer von den bis jetzt bekannt gewordenen etwas 
abweichenden Weise. Die Basalkörper tauchen nämlich ganz 
vereinzelt in weiten Intervallen und anscheinend ganz regellos 
auf (Fig. 25, 26). Wenn wir die Fig. 24 betrachten, so können 
wir uns des Eindruckes nicht erwehren, dass wir ein gewöhnliches 
sog. Diplosom mit einer „Uentralgeisel“ vor uns haben — man 
braucht nur z. B. das Bild mit einer Fig. der letzten Abhandlung 
von Meves (18) etc. zu vergleichen. Noch mehr, wir haben 
auch kein Uriterium — weder ein positives, noch ein negatives 
— um beide Gebilde auseinander zu halten, oder ihre verschie- 
dene Natur zu erkennen. Im Tubarepithel hatten wir z. B. ın 
den nicht fertigen Zellen Diplosomen als Vergleichsobjekte mit 
den viel kleineren Basalkörpern; im Rachenepithel der Kröten- 


1) Diese Beobachtung wurde neuerdings von Studnitka (Anat. 
Hefte Bd. XV No. 2) bestätigt. 


212 Alexander Gurwitsch: 


larve konnten wir den Vorgang der Entstehung derselben aus 
den Wabenknotenpunkten verfolgen. In allen Fällen waren jeden- 
falls die Basalkörper Bestandtheile eines Wabenwerkes. Für eine 
ähnliche Genese in dem uns jetzt vorliegenden Objeete haben 
wir jedoch gar keine Anhaltspunkte, dürfen somit höchstens 
einen Analogie-Schluss machen. 

So lange wir somit in einer jungen Telazelle ein Flimmer- 
haar sehen, können wir vorderhand nicht erfahren, ob uns ein 
sog. Diplosom mit einer Centralgeissel oder die erste Anlage 
eines Systems von Flimmerhaaren vorliegt. Sobald ein zweites, 
drittes Haar u. s. w. auftaucht, wobei von einer Art Ab- 
knospung vom ersteren nicht die Rede sein kann, 
können wir nur constatiren, dass Gebilde, die in keiner durch 
unsere bisherigen Untersuchungsmethoden bekannt gewordenen 
Weise sich von den sog. „Centralkörpern“ unterschei- 
den, in einer grossen Anzahl innerhalb einer Zellzone 
entstehen können, wobei ihre Muttersubstanz jeden- 
falls nieht als ein morphologisch präformirtes, 
ständigals solches bestehendesZollorgan inner- 
halb der Zelle vorhanden ist. Mit dem letzten Satze 
berühre ich die in der letzten Zeit so unendlich oft besprochene 
und discutirte Controsomafrage. Da, meiner Ansicht nach, die 
hier niedergelegten Beobachtungen über die Entwiekelung der 
Flimmerzellen geeignet sind, einiges zur Klärung dieses strittigen 
Themas beizutragen, werde ich im Folgeuden auf dasselbe noch 
ausführlicher zurückkommen. An dieser Stelle will ich aber zu- 
nächst die sich auf die Flimmerzellen beziehenden Thatsachen 
abschliessen. 

Ueber die weitere Eutwickelung unseres letzten Objektes 
— der Zellen der Tela cehoroidea — lässt sich nichts Weiteres sagen. 
Der Flimmerbesatz nimmt allmählich an Diehte zu, beschränkt 
sich aber gewöhnlich nur auf einen Theil der Zelloberfläche und 
zeichnet sich von den übrigen uns bekannten Flimmerzellen 
durch seime Unregelmässigkeit und Regellosigkeit aus. 


Wenn auch die bis Jetzt geschilderten Ergebnisse der Histogenese 
der Flimmerzellen eine sehr grosse, ganz ungeahnte Mamnigfaltigkeit 
des Entwiekelungsganges ergeben, und uns zur grössten Vorsicht 


Studien über Flimmerzellen. 9213 


in der Verallgemeinerung der immerhin fragmentarisch zusammen- 
hängenden Thatsachen mahnen, so können wir doch unmöglich 
auf erstere vollständig verzichten; es wäre ja zu traurig, wenn uns 
das Recht genommen wäre, in der grossen Mannigfaltigkeit ver- 
schiedener, aber in ihrem Wesen analoger und, was die Haupt- 
sache ist, zu gleichen anatomischen und physiologischen Produeten 
führender Entwickelungsvorgänge, eine allen gemeinsame Grund- 
lage zu suchen. Es wird daher wohl bis auf Weiteres berech- 
tigt sein, bei allen Flimmerzellen einen im Wesent- 
lichen gleichen Mechanismus zu suchen und auch den ständigen 
Bestandtheilen desselben, trotz einiger Unterschiede in Grösse, 
Configuration u. s. w., eine wesentlich gleiche physiologische Fune- 
tion beizumessen. Dieser letzte, eigentlich als selbstverständlich vor- 
kommende Satz muss immer von Neuem ins Gedächtniss zurück ge- 
rufen werden, wenn man bedenkt, dass ein anscheinend wichtiger Be- 
standtheil des Flimmerapparates, die sog. Basalkörper der Flimmer- 
haare, welehe in den» meisten Fällen primär auftreten und aus 
sich die Flimmerhaare hervorwachsen lassen, bei einem Objecte 
umgekehrt, erstnach der vollständigen Ausbildung des Flimmer- 
haarbesatzes erscheinen und als ein Differenzirungsproduct aus dem 
Basaltheile des Flimmerhaares entstehen. Halten wir an der 
Identität der Basalkörper in sämmtlichen Flimmerzellen fest, so 
ergibt sich daraus die Schlussfolgerung, dass beide Theile des 
Flimmerapparates — Haar und Basalkörper — nur zwei geson- 
derte Bestandtheile derselben Substanz sein können. 
Untersuchen wir zunächst das Wachsthum der Flimmerhaare 
in dem 1. Typus der Histogenese (Flimmerzellen des Tubar- 
epithels des Kaninchens, des Rachenepithels der Kröte und des 
Darmes des Lumbriceus): Die Basalkörper sitzen in den Knoten- 
punkten des Wabenwerkes und reichen bis an die freie Zellober- 
fläche heran. Die Flimmerhaare erscheinen stets als unmittelhare 
Fortsetzung der Basalkörper, ja es ist im gegebenen Falle keine 
andere Entstehungsweise der ersteren, als ein direetes Heraus- 
wachsen aus den letzteren, möglich, es fehlt ja eine verfügbare 
Plasmamenge, welche, etwa durch die Basalkörper angeregt, sich 
zu einem fadenförmigen Fortsatz ausziehen sollte. In letzterer 
Weise stellt sich nämlich Meves den analogen Fall des Heraus- 
wachsens des Axenfadens der Spermatide vor: „Es dürfte sich 
vielmehr um einen Mitomfaden der Zellsubstanz handeln, welcher 


214 Alexander Gurwitsch: 


ebenso, wie z. B. ein Polstrahl oder eine Spindelfaser der 
achromatischen Figur der Mitose, an dem Centralkörper ange- 
heftet ist, und welcher die Substanz, auf Grund deren er wächst, 
um den Centralkörper herum oder vielleicht dureh ihn hin- 
durch!) aus der Zelle bezieht“ (17, S. 117). In unserem Falle 
handelt es sich um grössere Mengen Material für den gesammten 
Haarbesatz, die unmöglich in einer für uns unsichtbaren Weise 
„um die Basalkörper herum“ aus dem Cytoplasma stam- 
men können. 

Es wachsen somit in unseren Objeeten die Flimmerhaare 
aus den Basalkörpern hervor. Es ist klar, dass bei diesem 
Wachsthumsmodus die Substanz des Basalkörpers in kurzer Zeit 
verbraucht wäre, wenn nicht ständig für Ersatz für das Aufge- 
brauchte gesorgt wäre. Die dazu bestimmten Plasmamengen 
können entweder aus der Substanz des wabigen Zellsaumes, oder 
aus dem darunter liegenden Cytoplasma stammen. 

Lenhossek (15) stellt sich den Vorgang (für die ent- 
sprechende Erscheinung an den Spermatiden) als eine Seeretions- 
erscheinung seitens des Oentralkörpers vor: „es kann sich nur 
um eine Art von Ausscheidungsproduct der Centrosomen han- 
den“ (15 S. 301). Der Centralkörper wäre demnach ein „assi- 
milationsfähiges Organ“, welches die nöthigen Stoffe aus dem 
umgebenden Oytoplasma bezieht, „eine Forderung, die ja auch 
den Anschauungen M. Heidenhain’s entspricht“ (S. 300). 
Wir sehen demnach in beiden oben dargelegten Anschauungen, 
trotz der wichtigen Unterschiede, einen gemeinsamen Hauptpunkt 
aufrecht erhalten. Der Centralkörper erscheint in beiden Fällen, 
nach der Ansicht von Meves ebenso gut wie von Lenhossek, 
als ein selbständiges Zellorgan, unter dessen Einfluss 
oder als dessen Ausscheidungsproducet der Axenfaden 
der Spermatide entsteht. Beide Autoren schliessen ganz ent- 
schieden die Möglichkeit aus, dass die Substanz des Centralkörpers 
unverändert in den Faden übergehe; als Hauptgrund dagegen geben 
sie das verschiedene färberische Verhalten beider Substanzen an. 
Der Axenfaden nimmt nur in geringem Maasse Färbstoffe auf 
und weicht darin von dem sich so stark tingirenden Central- 
körper ab. 


1) Im Original nicht gesperrt. 


Studien über Flimmerzellen. 215 


Dieser färberische Unterschied kann kaum für besonders 
beweiskräftig gehalten werden; 1) es übertrifft einmal der Central- 
körper den dünnen Faden um ein mehrfaches im Umfang, so 
dass es nicht Wunder nehmen kann, wenn er begieriger den 
Färbstoff aufnimmt, oder denselben zäher zurückhält; 2) es können 
ausserdem so viele Modificationen der Centralkörpersubstanz so- 
wohl physikalischer wie chemischer Natur mit im Spiele sein, 
die vollständig zur Erklärung der färberischen Unterschiede aus- 
reichen, uns jedoch kein Recht geben, von einer anderen dem 
Centralkörper völlig fremden Substanz (Meves), oder von einem 
Ausscheidungsproduct der ersteren (Lenhossek) zu sprechen. 
Der Begriff des Ausscheidungsproduetes involvirt in sich die 
Vorstellung von einem chemischen Körper (ohne bestimmte 
Organisation), welcher von einem mehr oder weniger complieirt 
gebauten Organ produeirt wird. Es muss jedoch zugegeben 
werden, dass wir vorläufig keinerlei Anhaltspunkte für eine der- 
artig complieirte und willkürliche Annahme von der Natur der 
beiden in Betracht kommenden Gebilde — des Centralkörpers 
und des Axenfadens — haben. Wir brauchen uns nur eine Auf- 
lockerung des Gefüges der Centralkörpersubstanz bei ihrem Ueber- 
gange in den Axenfaden, oder einen ähnlichen einfachen Prozess 
vorzustellen, um eine völlig befriedigende Erklärung für die fär- 
berischen Unterschiede zu gewinnen; wo wir zu unbeweisbaren 
Hypothesen Zuflucht nehmen müssen, ist es ja immerhin ein 
Vorzug, eine möglichst einfache gewählt zn haben. 

Ich habe an dieser Stelle die Wachsthumserscheinungen 
des Axenfadens in den Spermatiden einer kurzen Betrachtung 
unterworfen, weil dieselben uns einige Anhaltspunkte für die 
Untersuchung unserer speciellen Frage, des Wachsthumsmodus 
der Flimmerhaare, geben. Rein morphologisch betrachtet, bieten 
die beiden Vorgänge sehr weitgehende Analogien. Ich habe 
schon vorhin angedeutet, dass die von Meves für die Axen- 
fäden zugelassene Entstehung aus dem angrenzenden Oytoplasma 
in unserem Falle ausgeschlossen ist. 

Wenn der Erklärungsversuch von Lenhossek (s. o.) für 
die Spermatide nichts weniger als beweisend und wahrschein- 
lich ist, so wird ein analoger Vorgang bei der Entwicke- 
lung des Flimmerapparates direct zur Unmöglichkeit. Der 


Prozess ist nämlich im letzteren Falle umkehrbar. So gut 
Archiv f. mikrosk. Anat. Bd, 57 15 


916 Alexander Gurwitsch: 


wie in unserem Typus I (Tubarepithel, Rachenepithel der Kröte, 
Darmepithel des Lumbrieus) die secundär auftretenden Flimmer- 
haare aus den primär entstandenen Basalkörpern hervorwachsen, 
tritt im Typus II (Rachenepithel des Salamanders) zunächst, als 
erstes, der Flimmerbesatz auf, und erst in zweiter Linie, als 
dessen Differenzirungsproduet an der Basis der Flimmerhaare — 
die Basalkörperreihe. Wir könnten somit mit dem gleichen Rechte 
im ersten Falle die Flimmerhaare für „Ausscheidungsproducte* 
der Basalkörper, wie im Typus II die Basalkörper für „Aus- 
scheidungsproducte“* der Flimmerhaare erklären. Es leuchtet 
ein, dass dies gegenseitige Verhältniss ein Ding der Unmöglich- 
keit ist. 

Wir kommen somit auf einem, wenn auch indireeten, doch 
ziemlich unanfechtbaren Wege zum Schlusse, dass uns in beiden 
Componenten des Flimmerapparates — den Flimmerhaaren und 
den Basalkörpern — morphologisch gesonderte Bestandtheile der- 
selben Substanz vorliegen. Eine völlig physikalisch-chemische 
oder physiologische Identität beider Gebilde braucht daraus nicht 
unmittelbar zu folgen; es wird vielmehr dadurch nur ausgedrückt, 
dass die zum Aufbau der Basalkörper dienenden Plasmatheilchen 
unter entsprechenden Modificationen in die Flimmerhaare über- 
gehen können, was im erhöhten Maasse während der Histogenese 
des Flimmerapparates, aber auchin der ganzen weite- 
ren Existenz. der fertigen Flimmerzelle, in 
Anbetracht derständigen Abnützung des Flim- 
merapparates, vorsich gehen muss. Das Verhält- 
niss des Basalkörpers zum Flimmerhaare wäre demnach etwa 
demjenigen der Haarzwiebel zum Haarschaft zu vergleichen. Die 
plasmareichen, wenig differenzirten Zellen der Haarzwiebel sind 
mit den hoch differenzirten Zellen der verschiedenen Schichten 
des Haarschaftes zwar nicht direet identisch, unterscheiden sich 
aber von den letzteren so graduell, dass man von einem einheit- 
lichen Gewebe sprechen kann; aus der Umkehrbarkeit des Pro- 
cesses in der Histogenese des Flimmerapparates (s. S. 214) müssen 
wir auf eine ähnliche nahe Verwandtschaft in der Structur beider 
zusammenhängenden Theile — des Basalkörpers und des Flimmer- 
haares — schliessen. Setzten wir an die Stelle der einzelnen 
Zellen (Haarzwiebel und Schaft) im letzteren Falle nicht näher 
definirbare Plasmatheilchen, so wird die Analogie eine vollständige. 


Studien über Flimmerzellen. 917 


Die von Meves als eine Möglichkeit zugelassene Vor- 
stellung, dass das Material für den Axenfaden „durch den Central- 
körper hindurch“ geht (s. o. S. 112), deckt sich, wenn ganz 
allgemein gehalten, mit meiner Auffassung. Erstere ist 
ja kaum in dem Sinne zu verstehen, dass der Centralkörper von 
dem durchgehenden Axenfaden durchlöchert wird, sondern dass 
die in den Centralkörper einrückenden Plasmatheile denselben 
nach manchen nicht näher definirbaren Modificationen in der 
Gestalt eines Haares verlassen. 

Die unmittelbare Folge des über die Entstehung und das 
gegenseitige Verhältniss der Basalkörper und der Flimmerhaare 
oben Auseinandergesetzten ist die Thatsache, dass wir unmöglich 
die Basalkörper (im Gegensatz zu den Flimmerhaaren) für ein 
Organ in dem Sinne, wie es gegenwärtig von den meisten 
Cytologen für den Centralkörper geschieht, halten können. 

Wenn wir von einem aus mehreren oder aus einer Zelle 
bestehenden, oder von einem intracelullaren Organe, etwa dem 
Zellkerne sprechen, so bleibt diesem Begriffe die Eigenschaft 
inhärent, dass er normaler Weise seinen stofflichen Bestand ent- 
weder nur in den allgemein giltigen Stoffwechselvorgängen, oder 
während seiner seeretorischen Thätigkeit ändert. Jedes 
Organ hat ein mehr oder weniger complicirtes, festes Gefüge, 
welches eine nothwendige Voraussetzung für seine normale Thätig- 
keit abgibt. 

Wir kennen kein Organ, dessen Thätigkeitsproduet ihm 
gleich oder ähnlich, ein Theil seiner selbst wäre, oder noch mehr, 
zu seinem eigenen Erzeugnisse in einem umkehrbaren Verhältnisse 
stünde, d. h. unter Umständen letzteres aus sich selbst entstehen 
lassen könnte. Ein ähnliches Verhältniss besteht aber, wie wir 
oben gesehen haben, zwischen den Basalkörpern und den Flimmer- 
haaren und das ist der Grund, weswegen wir die Vorstellung, 
dass wir im Basalkörper das active, schaffende Element, im 
Gegensatze zu dem passiven, erzeugten Flimmerhaar vor uns 
haben, fallen lassen müssen. Der Begriff „activ* wird im Bezug 
auf die Basalkörper auch in einem zweiten, sehr weittragenden 
Sinne angewandt. Man ist geneigt, in demselben ein „kinetisches“ 
Centrum für die Flimmerbewegung zu erblicken!), ähnlich wie 


1) S. u. A. Peter (19). 


218 Alexander Gurwitsch: 


man den Centralkörper für das „kinetische“ Centrum der Zelle 
hält. Ich will anf das Unklare und Unbefriedigende des Be- 
griffes an dieser Stelle nicht weiter eingehen; es liegt mir nur 
daran, zu zeigen, dass, nachdem wir den Entwickelungsgang 
beider in Frage kommenden Gebilde — des Basalkörpers und 
des Flimmerhaares — erfahren haben, auch der letzte Schein 
der Bereehtigung einer ähnlichen Annahme verschwinden muss. 
In der That, so lange man von der Vorstellung eines per- 
manentenZellorganes — des Oentralkörpers oder Centro- 
somas — ausgeht, welches durch seine Anwesenheit in den ver- 
schiedenen Zellabschnitten Impulse zu motorischen Processen in 
den betreffenden Zellterritorien abgeben soll, könnte man auch 
eine ähnliche Bedeutung den den Centralkörpern so ähnlichen 
Basalkörpern vindieiren. Nachdem wir aber erfahren haben, dass 
die Basalkörper nur bald primär, bald secundär auftretende Theile 
eines untrennbaren Ganzen des Flimmerapparates sind, fällt auch 
die letzte Wahrscheimlichkeit für die oben erwähnte Hypothese. 
Es wird auch nichts an der Sache geändert, wenn der bestimm- 
teste Beweis erbracht würde, dass die Basalkörper zum Functio- 
niren des Flimmerapparates nothwendig sind. Die Unentbehrlich- 
keit der ersteren kann ja thatsächlich bestehen, dabei aber in 
den allerverschiedensten Momenten ihre Quelle haben. Ich glaube 
daher, dass man auf Grund des oben dargelegten bis auf 
Weiteres in den Basalkörpern nur Anhäufungen einer Sub- 
stanz zu erblieken hat, welche zum Nachwuchs des Flimmer- 
haares sowohl im Laufe der Histogenese, wie auch als ständiger 
Ersatz des Verbrauchten im weiteren Leben der Zelle bestimmt 
ist. Einen speciellen, complieirteren Mechanismus im Aufbau des 
Basalkörpers anzunehmen, welcher demselben die Bedeutung 
eines „kinetischen Centrums“ beilegen soll, liegt gar kein 
Grund vor. 

Wir müssen uns nun fragen, ob die histogenetische Unter- 
suchungsmethode, die hier angewandt wurde, in der vorliegenden 
Frage — über die Bedeutung und Function der Basalkörper — 
mehr als die experimentelle Methode geliefert hat. Wenn man 
sogar die Ergebnisse der Untersuchungen von Peter (19) für 
definitiv feststehend und eindeutig hält, so folgt zu- 
nächst aus denselben im besten Falle nur die Unentbehrlichkeit der 
Basalkörper für das Functioniren der Flimmerhaare. Ich sage 


Studien über Flimmerzellen. 219 


„im besten Falle“, weil es gar nicht ausgemacht ist, dass durch 
die mechanische Abtrennung der Basalkörper von den Cilien 
nicht auch letztere dermassen beschädigt werden, dass sie ihre 
Funetionsfähigkeit einbüssen. Eme nähere Funetion der 
Basalkörper wurde aber bis jetzt auf experimentellem Wege 
nicht festgestellt. 

Anders bei der histogenetischen, also rein beschreibenden 
Untersuchung. Nachdem wir feststellen konnten, dass 1) die 
Basalkörper sich im Laufe der Ontogenese allmählich (s. beson- 
ders S. 193) herausdifferenziren, im Laufe der verschiedenen phy- 
siologischen Stadien sich wiederholt desorganisiren und reorga- 
nisiren können (Lumbrieus), gewinnen wir dadurch zunächst die 
Erkenntniss, dass wir es nicht mit Derivaten eimes specifischen, 
morphologisch individualisirten Organes der Zelle (wie 
es für das Centrosom vielfach angenommen wird) zu thun haben; 
da wir andererseits feststellen konnten, dass die Flimmerhaare 
stets im Zusammenhang mit den Basalkörpern entstehen, haben 
wir dadurch wenigsten eine Function der letzteren mit Sicherheit 
erkannt: d. i. die Basalkörper liefern den Nachwuchs für die 
Flimmerhaare sowohl im Laufe der histogenetischen Entwicke- 
Inng, wie auch des weiteren Lebens und Thätigkeit der fertigen 
Flimmerzelle. Es wurde bis jetzt nicht genug berücksichtigt, 
dass die Flimmerzellen, die ja zweifelsohne ein längeres indivi- 
duelles Leben haben (was aus der Seltenheit der Regenerations- 
erscheinungen an denselben hervorgeht) und eine ausserordentliche 
Thätigkeit ihrer Flimmerhaare entfalten, auch eines ständigen 
Nachwuchses derselben bedürfen. Da der Vorgang des Heraus- 
wachsens des Haares aus dem Basalkörper im Laufe der Histo- 
genese nachgewiesen wurde, liegt es auch nahe, dem Letzteren 
dieselbe Function auch für das spätere Leben zu übertragen. 
Wir kommen somit zu unserem Ziele — zum Nachweis einer 
bestimmten Function für die Basalkörper. Ob denselben 
auch andere, uns vorderhand Unbekannte zukommen, blieb zu- 
nächst abzuwarten, wir haben aber jedenfalls wenigstens theil- 
weise unser eingangs hervorgehobenes Postulat erfüllt — für die 
anatomische Structur eine entsprechende Function nachzuweisen, 
d. h. erstere biologisch zu erklären. Ich habe vorhin (S. 192) 
die Frage über die Herkunft des Ersatzes für die verbrauchte 
Basalkörpersubstanz in suspenso gelassen. Es lässt sich jedoch 


220 Alexander Gurwitsch: 


auf Grund des wabigen Baues des Zellsaumes, in dessen Knoten- 
punkten die Basalkörper sitzen, mit grosser Wahrscheinlichkeit 
vermuthen, dass nach Massnahme des Substanzverlustes durch 
fortschreitendes Wachsthum der Haare den Basalkörpern neue 
Substanzmengen aus den Wabenwänden zufliessen. 

Die physikalischen Voraussetzungen für einen derartigen 
Process sind vollständig erfüllt, da die Knotenpunkte des Waben- 
werks bekanntermaassen wie Attractionscentren auf die m den 
Wabenwänden vertheilten Substanzen wirken. Es liegt aber noch 
ausserdem zu Gunsten dieser Annahme eine sehr schwerwiegende 
Stütze morphologischer Natur vor. Da im Typus II (Rachen- 
epithel des Salamanders) der ganze Flimmerapparat aus den 
Wabenwänden des Zellsaumes entsteht (s. o. S. 202—204), liegt 
es auch natürlich nahe, für identische Bildungen in den anderen 
Flimmerzellen eine ähnliche Entstehungsquelle anzunehmen. 


Eine für die Auffassung des Flimmerapparates wichtige 
Thatsache ist die schon auf den frühesten Stadien erfolgende 
scharfe Absonderung des gesammten Materials für den ersteren 
aus dem übrigen Cytoplasma. In dieser Hinsicht scheint eine 
Uebereinstimmung in allen, wenigstens in den uns bekannt 
gewordenen, Fällen zu bestehen. Wir haben es in der That stets 
mit einem scharf abgegrenzten hyalinen Saum zu thun, welcher 
implicite das Material für die Flimmerhaare und Basalkörper 
enthält. Auch das anscheinend so abweichende Objeet — die 
Zellen der Tela choroidea des Salamanders — scheint darin keine 
Ausnahme zu machen, da wir auch hier eine scharf begrenzte 
Zone bereits auf Stadien finden, wo nur ganz wenige, zerstreute 
Basalkörper vorhanden sind. Letztere können auch so regellos 
über das weite Feld der Zelle vertheilt werden, stets sind sie in 
dieser Zone gelegen, voraussichtlich (wie es sich aus Ana- 
logie mit den anderen Fällen ergibt) auch in derselben, oder aus 
derselben entstanden. 

Ich glaube, dass man auf Grund dieser Thatsachen zur 
Vorstellung gelangen muss, dass das Wesen der Histogenese des 
Flimmerapparates iu einer Art Arbeitstheilang innerhalb des zu- 
nächst als indifferent zn denkenden Cytoplasmas besteht. Es 
sondert sich ein specifisch beschaffener Plasmatheil aus dem Ver- 
bande, welcher die Fähigkeit der Bewegung in sich ganz be- 


Studien über Flimmerzellen. 221 


sonders concentrirt und durch weitere Differenzirung alle Be- 
standtheile des Flimmerapparates aus sich hervorgehen lässt. 
Dass es überhaupt dieser Constatirung noch bedarf, und dass sie 
nicht nur nicht selbstverständlich, sondern eigentlich unerwartet ist, 
erhellt sofort, wenn man die zahlreichen Arten von Flimmerzellen 
beachtet, in welchen den Flimmern intracelluläre Differenzirungen 
entsprechen, welche in inniger Verbindung mit denselben stehen. 
Die s. g. Flimmerzellen treten in sehr verschiedener Gestalt auf. 
Am ausführlichsten wurden die verschiedensten Arten des „Fi- 
brilleneonus“ schon von Engelmann beschrieben und ab- 
gebildet, in der letzten Zeit wieder mit neuen Methoden von 
M. Heidenhain (10), Benda (3), Apathy (1). Man 
müsste eigentlich für diese Zellarten & priori den innigsten Zu- 
sammenhang des Flimmerapparates mit dem ganzen Zellleib !), 
eine morphologische Untrennbarkeit beider, annehmen. Das wäre 
eine Beschränkung des oben aufgestellten Satzes von der völligen 
frühzeitigen Emancipation des Flimmerapparates von dem übrigen 
Cytoplasma, welche beinahe einer Nichtigkeitserklärung desselben 
gleich käme. 

Der einfachste Weg zur Entscheidung dieser Frage, die 
histogenetische Untersuchung der fraglichen Zellen, scheiterte 
bis jetzt an Mangel an geeignetem Material; die nöthigen Ent- 
wicklungsstadien der Teichmuscheln und auch der Landschnecke 
sind sehr schwer zu erhalten. Es war für mich daher von grossem 
Werth, für eine Zellart nachweisen zu können, dass die direete Fort- 
setzung der Flimmerhaare in den Fibrilleneonus eine nur scheinbare 
ist, dass vielmehr die Fasern des Fibrilleneonus wohl in die Nähe 
des Flimmerapparates kommen, jedoch nicht organisch mit den 
Basalkörpern zusammenhängen. Besonders deutlich gelang es 
mir an den klassisch gewordenen Flimmerzellen des Mitteldarmes 
der Anodonta. Die schönsten Zellen sitzen gewöhnlich be- 
kanntermassen auf der s. g. Typhlosolis, einem in der 
Längsaxe des Darmrohres verlaufenden, in dessen Lumen hinein- 
ragenden Walle.. Da man gewöhnlich Querschnitte durch den 
Darm, d. h. auch durch die Typhlosolis anfertigt, und dadurch 
die Zellen stets von ihrer schmalen Seite zu sehen bekommt, so 
verfällt man leicht einer optischen Täuschung. Man sieht gewöhn- 


1) In allen Phasen der Histogenese. 


222 Alexander Gurwitsch: 


lich 8 bis 10 Basalkörper in einer Zelle (vergl. die Abbildungen 
von Apathy) und etwa ebenso viele Fasern des Fibrillenconus. 
Letztere brauchen nicht alle in derselben Ebene zu liegen, um 
gleichzeitig wenigstens annähernd scharf gesehen zu werden. 
Da ihre optischen Projeetionen auf eine Ebene zusammengedrängt 
sind, hat man wirklich den Eindruck, dass sie dieselben regel- 
mässigen Abstände wie die Basalkörper einhalten und entweder 
direet zu denselben ziehen, oder nach der Angabe Apathy’s 
mit denselben abwechseln. Betrachtet man dagegen günstige 
Flächenschnitte der betreffenden Zelle, so ergiebt sich Folgendes: 
Die Oberfläche der Zellen ist stets länglich, wobei die Längsaxe 
der Oberfläche mit der derjenigen der Typhlosolis zusammen- 
fällt (Fig. 27). Die S—10 von der schmalen Seite sichtbaren 
Basalkörper waren nur Glieder von ebenso vielen, ziemlich regel- 
mässigen Reihen, von denen jede etwa 20—30 Stück enthält. 
Senkt man den Tubus und stellt statt der Basalkörper die unter 
ihnen befindliehen Querschnitte durch die Fibrillen des Fibrillen- 
conus ein, so kann man deren höchstens 20—30 auf der ganzen 
Zelloberfläche zählen, wobei sie ganz regellos vertheilt sind und 
weder in ihrer Lage, noch in der Anzahl den Basalkörpern ent- 
sprechen (Fig. 28), oder mit jedem derselben zusammenhängen 
können. Es wäre nun noch der Einwand möglich, dass die 
Querschnitte durch den Fibrilleneonus ganze zusammengeschmolzene 
Fibrillengruppen treffen, die sich dicht an der Zelloberfläche in 
einer grösseren Anzahl auffasern könnten (vgl. Heidenhain 10). 
Ein Blick auf die Figuren Apathy’s genügt aber, um jede 
derartige Annahme zu entkräften. Die Fasern des Fibrillenconus 
sind gerade bei diesem Object durch ihren parallelen Verlauf 
und völlige Abwesenheit jeder Dichotomie in der ganzen oberen 
Hälfte der Zelle ausgezeichnet. 

Ich will mich hier nur mit dem angeführten Beispiel 
begnügen. Wenn es sich auch ergeben sollte, dass in eini- 
gen Flimmerzellenarten jedem Basalkörper eine Fibrille des 
Kegels entspricht, so ändert es nichts an dem Sachverhalt, 
dass beide Bildungen genetisch nicht zusammenhängen können, 
und dass folglich auch die mit intracelullären Differen- 
zirungen versehenen Flimmerzellen keine Ausnahme von der 
Regel zu machen brauchen, dass der flimmernde Anpa- 
ratsich sehr frühzeitig in einer morphologisch 


Studien über Flimmerzellen. 223 


noch nieht differenzirten Gestalt, sozusagen en 
bloevon dem übrigen Zellplasma absondert und 
nunmehr in der weiteren Differenzirunginkeinen 
Wechselbeziehungen mit demselben steht. Eine 
physiologische Verwerthung dieser Thatsache gehört in den 
zweiten Theil dieser Arbeit. 

Die spärlichen in der Litteratur über diese Frage vorhan- 
denen Angaben scheinen im vollen Einklange mit dieser Schluss- 
folgerung zu stehen. Die Histogenese der Flimmerzellen wurde 
meines Wissens überhaupt noch nicht untersucht; über die Ent- 
stehung des Flimmerapparates bei Infusorien finden wir aber 
einige ältere Angaben von Engelmann (5), die ich hier 
anführen will: „Der Process beginnt hier mit der Bildung einer 
wulstartig hervorragenden, glashellen, homogenen Verdichtung der 
Rindenschicht des Leibes. Gleich von Anfang an zeigt dieser 
Wulst undulirende Bewegungen. Die unmittelbar unter dem 
neuentstehenden Wulst gelegene Partie des Körperprotoplasmas 
behält dabei ganz das gewöhnliche Aussehen und lässt durchaus 
keine Bewegungen erkennen. Sie unterscheidet sich nicht merk- 
bar von den benachbarten Stellen der Körperrinde.*“ Der Wulst 
wird zueiner Leiste und „diese Leiste oder Membran .... spaltet sich 
dann, wenn sie eine gewisse Grösse erreicht hat, allmählich in 
einzelne parallele Stücke, die durch weitere Spaltung in einzelne 
Wimpern sich zerklüften. Die Zerklüftung kann vollkommen 
oder unvollkommen sein“ (5, S. 157). 

In der botanischen Litteratur finden wir dagegen sehr zahl- 
reiche neuere Angaben über die Entwickelung des eilientragenden 
Bandes bei Antherozoiden und der Geisseln der Schwärmesporen. 
Die Verschiedenheiten in der Entwiekelung beider Gebilde 
scheinen nicht geringer als die von uns in der Histogenese der 
Flimmerzellen aufgedeckten zu sein. 

Durch die ziemlich übereinstimmenden Angaben von Bela- 
jeff (2), Webber (25), Shaw (21), Ikeno (14) wurde für 
das Cilienband der Antherozoiden mehrerer Objeete, namentlich 
Schachtelhalme, Gingko, Cycas revoluta, Zamia, Marsilia ete., 
folgender Entwicklungsgang festgestellt: bei der letzten Theilung 
der generativen Zelle des Pollenschlauches treten in der Nähe 
beider Spindelpole ceentrosomähnliche Körper auf, welche 
nach dem Ablaufe der Mitose eigenthümliche Veränderungen ein- 


224 Alexander Gurwitsch: 


gehen, welche ihnen den Namen „Blepharoplasten* (Webber) 
eintrugen. Die kugeligen Körper strecken sich zu einem 
langen schmalen Bande aus, welches das Antherozoid spiralig 
umwächst. Das Band besteht aus einzelnen Körnern, die sich zu 
je einer Cilie ausdehnen. 

Der Cilienapparat der Antherozoiden verdankt somit seine 
Entstehung zweifelsohne einer eircumscripten Substanzanhäufung 
im Innern der Zelle. Soweit die Thatsachen, die anscheinend 
feststehen. Um so strittiger ist die Deutung der Natur der 
Blepharoplasten geblieben. Manche Autoren, namentlich Bela- 
Jeff und Ikeno sprechen sich für die Centrosomennatur derselben 
aus, andere, wie Webber und Strasburger (23) und Shaw 
halten die Blepharoplasten für Bildungen sui generis. 

Belajeff und Ikeno führen folgende Gründe zu Gunsten 
ihrer Annahme auf: die fraglichen Gebilde zeigen während der 
Mitose eine zuweilen prächtig entwickelte Strahlung und befinden sich 
in der Nähe, nach Belajeff (bei Marsilia) sogar in den Polen der 
Spindeln. Andererseits sprechen auch sehr gewichtige Gründe 
gegen die centrosömale Natur der Blepharoplasten; 1) weder in 
den vorhergehenden Mitosen, noch in den Furchungsspindeln des be- 
fruchteten Eies wurde jemals bei irgend einer in Betracht kommenden 
Pflanze ein Centrosom nachgewiesen. 2) Wird die Cilienbekleidung 
der Antherozoiden während des Befruchtungsactes abgestreift, und 
bleibt an derOberfläche des Eies, wo es zu Grunde geht, nimmt somit 
keinen Antheil an der Befruchtung, wie wir es von einem Centrosom 
auf Grund unserer Kenntnisse der entsprechenden Vorgänge bei 
thierischen Geschlechtszellen annehmen sollten. 

Wir sehen demnach, dass die ganze Frage über die Herknnft 
der Blepharoplasten noch nicht spruchreif ist, kann daher weder 
zu Gunsten noch gegen die präsumptive Verwandtschaft der Basal- 
körper der Flimmerzellen mit den Centralkörpern in’s Feld ge- 
führt werden. 

Eine wichtige Stütze kann ich dagegen in den Ergebnissen 
der botanischen Forschung für den von mir aufgestellten Satz 
von der wesentlichen Identität der Basalkörpersubstanz mit den 
Flimmerhaaren erblicken: die Insertionsstellen der Cilien brauchen 
nicht unbedingt als morphologisch gesonderte „Basalkörper“ in ver- 
schiedenen pflanzlichen Objeeten aufzutreten: „die Anschwellungen 
an der Basis der einzelnen Cilien sind in der That bei Schwärme- 
sporen und Gameten zu unbedeutend, um als Basalkörperchen 


Studien über Flimmerzellen. 225 


gelten zu können, und sie fehlen, wie schon erwähnt wurde, 
an der Basis pflanzlicher Spermatozoiden, allem An- 
schein nach, ganz.“ (Strasburger 23, S. 210%). Der ganze 
Blepharoplast wird somit zur Cilienbildung aufgebraucht ?). 

Der Vorgang der Cilienbildung bei den Schwärmesporen 
bietet einige nähere Anknüpfungspunkte an die Vorgänge der 
Histogenese der Flimmerzellen (Typus I). Es liegen neue Unter- 
suchungen von Strasburger an Vaucheria, Oedogonium, Clado- 
phora und Bryopsis vor. Allen Objecten ist die Entstehung der 
Cilien an der Peripherie (aber aus dem Material) einer linsen- 
oder höckerförmigen Anschwellung der Hautschicht des Cyto- 
plasmas gemein. Die Cilien wachsen pseudopodienartig aus der 
Hautschicht hervor, ihre Insertionsstelle giebt sich gewöhnlich 
durch ein kleines Knötchen zu erkennen; ob dieses Knötcehen durch 
sein färberisches Verhalten besonders ausgezeichnet ist, ist aus 
den Angaben Strasburger’s nicht zu ersehen. Strasburger 
sucht nun die beiden anscheinend so divergenten Entwickelungs- 
typen der Cilien im Pflanzenreiche durch die Annahme in Ein- 
klang zu bringen, dass wir es in beiden Fällen, sowohl im Ble- 
pharoplast, wie in der linsenförmigen Anschwellung der Hautschicht 
mit Anhäufungen des Kinoplasmas zu thun haben. Die Hautschicht 
des Cytoplasmas soll nach Strasburger in der Regel kino- 
plasmatischer Natur sein; wir stossen aber auf keinerlei Schwierig- 
keiten, um eine Wanderung der Hautschicht in das Zellinnere 
anzunehmen: findet ja der Vorgang jedes Mal bei der Entstehung 
der Zellplatte statt. 

Die frühzeitige morphologische Abgrenzung einer 
speeifischen Plasmaschieht — der Muttersubstanz des 
gesammten Flimmerapparates — ist somit ein cardi- 
naler, sowohl den thierischen als pflanzlichen Objeeten gemein- 
samer Punkt in der Histogenese. 

Strassburg i. E., im Juli 1900. 

1) Im Original nicht gesperrt gedruckt. 

2) Ich möchte dabei erwähnen, dass bis jetzt in keiner thieri- 
schen Wimperzelle Basalkörper vermisst wurden. Auch an dem ein- 
zigen mit den meisten Methoden untersuchten Repräsentanten der 
Protozoen (Infusor Colpidium Colpida) konnte Hoyer (13) den Basal- 
körpern analoge Bildungen nachweisen. Der Gedanke liegt nahe, 


dass die Cilienapparate des Pflanzenreiches bei ihrer sehr kurzen Exi- 
stenz keiner Reservesubstanz zum Nachwuchs bedürfen (s. o. S. 215). 


226 


Fig. 


Fig. 


Fig. 


Alexander Gurwitsch: 


Erklärung der Abbildungen auf Tafel XI u. X. 


Alle Objecte, mit Ausnahme der Fig. 23—24 in Sublimat oder 
Perenyi’s Flüssigkeit fixirt. Fig. 23—24 von Carnoy - Präparaten. 
Färbung Eisenhämatoxylin-Rubin. Vergrösserungen, wenn nicht anders 
angegeben, Seibert Apochr. 2 mm, Oc. 12, Höhe des Objecttisches. 


1. 


10. 


Zelle aus dem Fimbriaepithel eines Stägigen Kaninchens. Hya- 
liner Zellsaum noch nicht scharf differenzirt. Oentralkörper 
mit „Centralgeissel“. 

Fimbriaepithel eines 8Stägigen Kaninchens. Hyaliner Zellsaum 
scharf abgegrenzt. In Zelle ce Centralkörper ausnahmsweise 
noch innerhalb des Zellsaumes. 

Eine andere Partie desselben Präparates. Zellplasma von der 
Oberfläche retrahirt. Der Zellsaum zeigt Andeutungen einer 
wabigen Beschaffenheit. s— Schlussleiste. 

Dasselbe Object. Ein vorbereitendes Stadium in der Entwicke- 
lung der Flimmerzelle. Im Zellsaume mehrere Basalkörper 
aufgetreten; Flimmerbesatz fehlt noch vollständig. 

Dasselbe Object. Tangentialschnitt. In einigen ganz oberfläch- 
lich getroffenen Zellen ist die wabige Beschaffenheit des Zell- 
saumes zu erkennen. In den Knotenpunkten sitzen die Basal- 
körper. In den übrigen Zellen Centralkörper. 

Zellen aus dem Fimbraepithel eines ca. 10tägigen Kaninchens. 
Die Flimmerzellen sehr gross und prall. Die nicht flimmern- 
den Zellen stark zusammengepresst. 

Epithel aus der Uebergangsstelle des Rachens in den Oesophagus 


einer 1 cm grossen Krötenkaulquappe Zelle a = fertige 
Flimmerzelle. Unter der palissadenförmigen Basalkörperreihe 
ein schmaler hyaliner Streifen — z — wahrnehmbar. Zelle b 


— Vorbereitungsstadium; deutlich wabig gebauter Zellsaum. 


. Ein Abschnitt des Zellsaumes der Zelle b (Fig. 7) um die 


keulenförmige Anschwellungen der äusseren Partien der 
Wabensepta zu zeigen. 

Dasselbe Objeet. a= erstes Auftreten der färbbaren Basal- 
körperanlagen in den Knotenpunkten der Wabenwände. Zelle b 
— fertige, aber sehr spärliche Basalkörper mit Flimmerbesatz. 
Dasselbe Objeet. Tangentialschnitt. Wabige Structur des 
Zellsaumes — im Stadium der Zelle b (Fig. 7). 

Darmepithel eines erwachsenen Lumbricus. Gegend des Typhlo- 
solis. Stadium des Hungers (s. S. 19). F=Flimmerzelle durch 


die benachbarten Drüsenzellen — D — stark zusammenge- 
presst. Z= Hyaline anisotrope Zone. Dichter Stäbehenbe- 
satz, Flimmerhaare. D = Drüsenzelle mit sehr zahlreichen 


granulären KEinschlüssen. $ = Schlussleiste mit der hellen Ro- 
sette. 


Fig. 


Studien über Flimmerzellen. 397 


. 11. Dasselbe Object. Ansicht von oben. In zwei Zellen die Basal- 


körper eingetragen. Die dritte Zelle in der Höhe des Stäbchen- 

saumes getroffen. 

Fig. 12—15. Zellen aus dem Darme eines Lumbricus in ver- 
schiedenen physiologischen Zuständen — aus einem Querschnitte 
durch den Darm. 

12. Flimmerzelle mit dichtem Haarbesatz und deutlich ausgespro- 
chenem Stäbchensaum. Zone — Z — stark anisotrop. Cyto- 
plasma zeigt in den oberflächlichen Abschnitten eine faserige 
Structur. D= Drüsenzelle. 


. 13. Flimmerbesatz nur sehr spärlich vorhanden. Stäbcehensaum 


mehr in das Zellinnere gerückt. Zone Z schwach anisotrop. 


. 13a. Dasselbe Stadium. Ansicht von der freien Oberfläche. Basal- 


körper durch deutliche Plasmazüge mit einander in Verbindung. 


.. 14. Flimmerhaare fehlen. Basalkörper in sehr spärlicher Anzahl 


vorhanden und mehr in das Zellinnere gerückt; Stäbehensaum 
wie Fig. 13. 


. 14a. Dasselbe Stadium. Ansicht von der freien Oberfläche. Vgl. 


Fig. 13a. 


. 15. Vollständiger Schwund der Basalkörper. Zone Z (isotrop) 


sehr scharf von dem Cytoplasma abgesetzt, deutlich gestrichelt. 

Stäbchensaum in die Zone vollständig eingerückt. 

Fig. 16—21. — Rachenepithel von verschieden grossen Sala- 
manderlarven. Ap. 2 mm, Oe. 8. 


. 16. Zelle aus dem Rachenepithel einer 1 cm langen Larve. Zahl- 


reiche braune Dotterplättchen. Deutlich abgesetzter hyaliner 
Zellsaum. 


. 17. Etwas späteres Stadium. ca. 2cm lange Salamanderlarve. Der 


Zellsaum ist deutlich wabig gebaut, die Waben in zwei Schichten 
angeordnet. a= Schnitt durch das oberste netzige Häutchen. 


. 18. Aelteres Stadium. Der Zellsaum hat eine undeutlich faserige 


Structur. Z=hyaline, anisotrope Zone. a — siehe Erklärung 
zu Fig. 17. 


. 15a. Querschnitt durch den Zellsaum desselben Objectes. Sehr 


enge, unregelmässige Maschen mit einzelnen punktförmigen 
Querschnitten durch die Flimmerhaare alterirend (s. Text S. 203). 


. 19. Etwas älteres Stadium. Der Zellsaum aus deutlichen Flimmer- 


haaren zusammengesetzt. a — wie Fig. 17 und 18. 


. 20. Tangentialschnitt durch dasselbe Object wie Fig. 19. Zelle 


a ganz oberflächlich, Zellen b etwas tiefer angeschnitten. In 
Zelle a deutliche, das netzige bedeckende Häutchen mit da- 
zwischen hervorragenden Flimmerhaaren zu sehen; b = Quer- 
schnitte durch die Flimmerhaare. 


. 21. Uebergangsstelle des Rachens in den Oesophagus. Zellen bb 


auf dem Vorstadium. Zelle f=fertige Flimmerzelle in der 
Zelle b (links) = Centralkörper. (?) 


Alexander Gurwitsch: 


‘. 21a. Einige Basalkörper bei stärkerer Vergrösserung. 


wurmes. pr = Prostomium, Ph = dorsale Pharynxtasche. 
Schwarze Striche = Bereich des Flimmerbesatzes. Ap. 16mm, 
Comp.-Oe. 4. 


. 23. Die mit a bezeichnete Stelle des vorigen Bildes bei starker 


Vergrösserung. vzv= Zellen der ventralen, dd = der dorsalen 
Prostomialwand. Ap. 2 mm, Comp.-Oe. 12. 


. 24—26. Epithel der Tela choroidea einer ca. 2cm langen Sala- 


manderlarve. Stäbchensaum; m = Myelintropfen. Erklärung 

siehe im Text S. 210. 

Fig. 27. u. 28. Querschnitt durch zwei Flimmerzellen aus der 
Typhlosolis einer Unio. 


. 27. Hohe Einstellung. In Zelle a die ganze Oberfläche von dichten 


Basalkörperreihen eingenommen. Zelle b — theilweise der 
Fibrilleneonus im Querschnitte sichtbar (rechte Seite der Zelle). 


:. 28. Dieselben Zellen bei tiefer Einstellung. Querschnitte durch 


die spärlichen und unregelmässig vertheilten Fasern des 
Fibrillenconus, welche in ein dichtes dunkles Cytoplasma ein- 
gebettet sind. Vergr. Fig. 27 u. 23 Ap. 2 mm. Oc. 12. Höhe 
des Objecttisches. 


Literatur -Verzeichniss. 


Apathy, S.v., Mittheilungen aus der Zoologisch. Station i. Neapel 
Bd. XII. 1897. 

Belajeff, Berichte der deutschen botanischen Gesellschaft. 1899. 
Benda, C., Weitere Mittheilungen über Mitochondria. Verhand- 
lungen d. physiologischen Gesellschaft zu Berlin. 1899. 
Bütschli, O., Untersuchungen über mikroskopische Schäume und 
Protoplasma. Leipzig 1892. 

Engelmann, Jenaische Zeitschrift Bd. IV. 1868. 

Derselbe, Pflüger’s Archiv Bd. XXIII. 1880. 

Flemming, Ergebnisse von Merkel und Bonnet Bd. VII. 1898. 
Greenwood, Journal of Physiology. Vol. 13. 1892. 

Gurwitsch, A., Anatomischer Anzeiger Bd, XVII. 1900. 
Heidenhain, M., Anatomischer Anzeiger Bd. XVI. 1899. 


. Henneguy, Archives d’Anatomie microscopique. Vol. I. 1898. 


Henry, Archives d’Anatomie microscopique. Vol. III. 1900. 
Hoyer, Archiv f. mikroskopische Anatomie. 


. Ikeno, Jahrbücher f. wissenschaftliche Botanik 1898. 
. Lenhossek, M. v., Archiv f. mikroskopische Anatomie Bd.51. 1898. 


Derselbe, Verhandl. der anatomischen Gesellschaft in Kiel. 1898. 


Studien über Flimmerzellen. 999 


17. Meves, F., Archiv f. mikroskopische Anatomie Bd. 50. 1897. 

18. Berselbe, Festschrift für Kupffer. Jena 189. 

19. Peter, K., Anatomischer Anzeiger Bd. 15. 1899. 

20. Reinke, Archiv f. Entwicklungsmechanik Bd. IX. 1900. 

21. Shaw, W. R., Berichte d. deutsch. botanischen Gesellschaft. 1898. 

22. Schulze, F. E., Sitzungsberichte d. Akademie d. Wissenschaften 
in Berlin. 1896. ; 

23. Strasburger, E., Histologische Beiträge, Heft VI. Jena 1900. 

24. Studnicka, Sitzungsberichte der kgl. böhmischen Gesellschaft in 
Prag. 1899. 

25. Webber, H. J., Botanical Gazette. Vol. XXIV. 1897/98. 

26. Zimmermann, Archiv f. mikroskopische Anatomie Bd. 52. 1898. 


Zur Entwicklung der Augenmuskeln 
der Ente. 


Von 
H. Rex 


in Prag. 


Hierzu Tafel XIII und XIV und 2 Textfiguren. 


Die nachstehenden, mit Unterstützung der „Gesellschaft 
zur Förderung deutscher Wissenschaft, Kunst und Li- 
teratur in Böhmen“ ausgeführten Untersuchungen bilden die 
Fortsetzung jener Studien, über welche ich in meinem Aufsatze 
„Ueber das Mesoderm des Vorderkopfes der Ente“!) berichtet habe. 
Dieselben beschäftigen sich hauptsächlich mit dem Schicksale 
jener Gebiete, welche mit Balfour als „Kopfhöhlen“ bezeichnet 
werden. Von diesen ist, wie ich in meinem Aufsatze mitgetheilt 
habe, nurmehr die vorderste, prämandibulare Kopfhöhle bei meinem 
Untersuchungsobjeete wohlentwickelt vorhanden. während diezweite 
und dritte Kopfhöhle mit dem Verluste der Liehtung mehr weniger 
bedeutende Formveränderungen erlitten haben. Die Untersuchung 
befasste sich mit Embryonen vom vierten und fänften Bruttage 


1) Arch. f. mikr. Anatomie u. Entwicklungsgeschichte Bd.L. 1897, 


330 H. Rex: 


und ist bis zu jenen Stadien fortgeführt worden, in welchen die 
zelligen Anlagen der Augenmuskeln schärfere Umrisse gewinnen. 
Vielleicht sind zunächst einige Worte über die Altersbe- 
stimmung der untersuchten Embryonen am Platze. Für jüngere 
Stadien giebt die Zählung der Urwirbelpaaare ein gutes Kriterium 
der Entwieklungsstufe ab. Ich habe diese Art der Altersbestimmung 
bis zur Entwieklung von 45 Urwirbeln in Anwendung gebracht. 


b 


Figur 1. 

Bei älteren Keimen versagt die Zählung indessen bald und ich 
habe bei solehen mit folgenden Maassen mein Auskommen ge- 
funden, welche in der Textfigur 1 verzeichnet sind. Das mit aa 
bezeichnete sagittale Maass des Vorderkopfes dürfte wohl das 
wichtigste sein. Es gestattet verlässliche Rückschlüsse auf die 
Entwicklungsstufe des Vorderkopfess. Die Maasse bb und cc 
geben uns die grössten Längen des Embryos vom Scheitel- und 
Nackenhöcker aus gemessen an. Von diesen beiden ist das Maass 
cc allerdings etwas weniger verlässlich. Ich habe gefunden, dass 
bei Entenkeimen — und dies dürfte wohl für Vogelkeime überhaupt 
zutreffen — eine bei der Fixirung nicht selten auftretende, wenn auch 
geringe Einknickung der zwischen den beiden Extremitätenanlagen 
befindlichen Rumpfstrecke, hauptsächlich aber die etwas variable 
Krümmung des Rumpfes bei Embryonen derselben Entwicklungs- 
stufe das angeführte Maass in seiner Verwerthung beeinträchtigt. 
Alle drei Maasse sind vom gehärteten Objecete genommen, 


Zur Entwicklung der Augenmuskeln der Ente. 331 


Als Schnittebene der Querschnittserien wählte ich jene, 
welehe in der Textfigur mit der Linie «x, angezeigt wird. 
Wurde eine andere Linie gewählt — etwa parallel der Linie 
aa, so werde ich dies besonders hervorheben. Die Orientirung 
der Sagittalschnitte und der diesen entnommenen Abbildungen ist 
die gleiche, welehe der Embryo in der Textfigur 1 zeigt. 

Es folgt zunächst die Darlegung der Weiterentwicklung 
der Prämandibularhöhle. Nachdem bloss diese Höhle bei der 
Ente zur Entwicklung gelangt, so kann ich von ihr als Kopfhöhle 
schlechtweg sprechen. 


Ich beginne mit der Schilderung der Verhältnisse, welche 
wir bei Embryonen mit 35 und 36 Urwirbeln antreffen. Wir 
suchen uns zunächst in einer Quer- 
schnittserie jenen Schnitt auf, in wel- 
chem die Höhle den grössten Umfang 
aufweist. Ein solcher von einem Embryo 
mit 36 Urwirbeln ist in der Textfigur 2 
wiedergegeben. Der Schnitt geht knapp 
über dem Scheitel der Hypophysentasche 
hindurch. Vom Verbimdungskanal der 
Höhlen ist nichts mehr erhalten. Es liegt 
also die Vermuthung nahe, dass es nicht 
zur Aushöhlung seiner Anlage kam und 
diese bald rückgebildet worden ist. Bei 
älteren Keimen werden wir deutlichen 
Kanalresten begegnen. 

Die Textfigur orientirt uns über die 
nachbarlichen Beziehungen der Kopfhöhle. 
Es ist wohl vortheilhaft, an der Höhlen- 
wandung besondere Abschnitte mit be- 
stimmten Bezeichnungen zu versehen, auf 
welche sich die folgende Beschreibung 
beziehen kann. Wir können von einer 
Vorder- und einer Hinterwand sprechen, 
An ersterer erblicken wir einen medialen, 
dem Hirnrohre nahe benachbarten, und 
einen lateralen, dem Augenbecher zu- Figur 2. 


gekehrten Abschnitt. Ebenso können wir im Bereiche der 
Archiv f. ınikrosk, Anat. Bd. 57 16 


239 H. Rex: 


Hinterwand einen medialen und lateralen Abschnitt erkennen, 
welche beide namentlich bei älteren Keimen sehr deutlich erkennbar 
sind. Vorder- und Hinterwand vereinigen sich mit einander in 
der dorsalen und ventralen Circumferenz der Höhle, die lateralen 
Abschnitte beider Wände treten zur Bildung der lateralen Cir- 
ceumferenz zusammen. 

Ueber den Bau der Wandung belehren uns namentlich Sagit- 
talschnitte. Wir finden eine einschichtige Zelllage vor; Form 
und Grösse der Zellen sind recht wechselnd. Namentlich im 
Bereiche der ventralen Circumferenz sind platte Zellen häufig. 
Neben diesen finden sich kubische Zellen, und diese wechseln 
wieder mit solchen ab, deren basaler Abschnitt in einen stark 
verjüngten dünnen Fortsatz ausgezogen ist. An einzelnen Stellen 
zeigt sich der Beginn einer schärferen Abgrenzung gegenüber 
der Nachbarschaft. Die Zellen sind hier zu einer deutlichen 
Epithelschieht angeordnet, welche wohl ausgebildete Zwischen- 
zelllücken aufweist. 

Suchen wir uns jene Schnitte auf, in welchen wir den Stiel 
des Augenbechers antreffen, so finden wir, dass von der Ventral- 
hälfte der Vorderwand der Höhle eine Proliferation lockeren embryo- 
nalen Bindegewebes ausgeht. Dieselbe ist nicht sehr bedeutend, 
jedoch immerhin durch ein wenn auch geringes Maass der Ab- 
geschiedenheit gegenüber dem Bindegewebe der Nachbarschaft 
leicht erkennbar. Verfolgen wir die Serie weiter nach einwärts, 
so wird diese Proliferation bald recht dürftig; endlich gemahnen 
nur mehr charakteristisch gestellte Zelltheilungsfiguren in der 
vorderen Höhlenwand daran, dass hier ein Wucherungsprocess 
eingeleitet wird. @Querschnitte lehren, dass der Hauptsitz des 
letzteren im Bereiche jener stumpfen Kante gelegen ist, in welcher 
die beiden Abschnitte der vorderen Wand zusammentreffen. 

Das Studium des lateralen Abschnittes der Höhle zeigt uns 
kleine ventrale Divertikel derselben; wir finden ferner einen kurzen, 
leicht gekrümmten epithelialen Zug, der nahe der ventralen Cir- 
eumferenz durchs Bindegewebe dahinzieht. Es dürfte sich da 
wohl gleichfalls um ein Divertikel der Höhle handeln, welches 
zunächst den Zusammenhang mit dieser und sodann auch seine 
Lichtung einbüsste. Den Beleg für diese Auffassung giebt ein 
anderer Befund. Ich meine eine von der Höhle ventral abgehende 
rundliche Aussackung, welche sich bald verschmälert und sodann 


Zur Entwicklung der Augenmuskeln der Ente. 233 


dorsalwärts als sebmaler lichtungsloser Epithelzug längs der vor- 
deren Höhlenwand eine beträchtliche Strecke weit emporzieht. 
Damit ist wohl der Entwicklungsgang des vorhin geschilderten 
im Bindegewebe eingelagerten Epithelzuges klargelegt. Hie und 
da lenkt das Epithel der Höhlenwand von der Lichtung ab, um 
nach kurzem Verlaufe im benachbarten Bindegewebe zu enden. 
An seiner Stelle tritt letzteres, indem es die Lücke in der Höhlen- 
wand ausfüllt. Alle diese Befunde scheinen mir darauf hinzu- 
weisen, dass die Aushöhlung der Höhlenanlage keine vollkommene 
ist und in der Nachbarschaft ihres lateralen Abschnittes Theile 
der Höhlenanlage im Bindegewebe verborgen sind, deren Aushöh- 
lung nicht oder nur in beschränktem Maasse vor sich geht. Diese 
Auffassung ist für die Deutung der Entwicklungsverhältnisse des 
M. obliquus inferior, welche wir später kennen lernen werden, 
von Wichtigkeit. 

Die nachbarlichen Beziehungen der Höhle sind folgende. 
Der erste Quintusast verläuft dorsolateralwärts von ihrer äusseren 
Circumferenz. Das spitze, nach vorne leicht umbiegende Ende 
des dünnen Oculomotorius endet in beträchtlicher Entfernung 
von der hinteren Höhlenwand, etwa ın der Höhe der Mitte der- 
selben. Der Endabschnitt der Carotis interna zieht zwischen 
dem medialen Bezirke der vorderen Höhlenwand und dem Zwischen- 
hirn nach aussen — s. Textfigur 2 cö — und theilt sich nach 
dem Austritte aus dieser engen Spalte in zwei Endäste, von 
welchen der eine dem Mittelhirn, der andere dem Vorderhirn 
zustrebt. Einmal beobachtete ich eine Anastomose zwischen der 
Carotis und ihrem Mittelhirnaste. Die erstere entsendet dort, wo 
sie den ventralen Umfang des inneren Abschnittes der Höhle 
kreuzt, einen dorsaien Ast, der hinter der Höhle aufwärts ziehend 
dem Mittelhirnaste zustrebt. So ist der innere Endabschnitt der 
Höhle ventralwärts in eine Gefässgabel eingelassen, welche von der 
Carotis und deren dorsalem Ast hergestellt wird. 


Bei Embryonen mit 38 Urwirbeln ist das Epithel der Höhlen- 
wand weit besser entwickelt. “Die verjüngten basalen Enden 
seiner Zellen sind mit einander zu einer zarten Membran ver- 
einigt; jede Zelle ist von ihrer Nachbarin durch eine deutliche 
Zwischenzelllüicke geschieden. Die Bindegewebsproliferation 
von Seite der vorderen Höhlenwand ist eine regere. Verfolgt 


234 H. Rex: 


man dieselbe in einer Sagittalschnittserie, so bemerkt man wie 
früher, dass dieselbe medialwärts bald versiegt; gleichzeitig macht 
sich aber eine eigenartige Modification des Epithels des an der 
Proliferation nicht betheiligten dorsalen Abschnittes der vorderen 
Höhlenwand bemerkbar. Die Zellen besitzen einen stärker ge- 
färbten Kern, ihre den Kern beherbergenden freien Enden sind 
rosenkranzförmig aneinander gereiht und ragen in die Höhlen- 
lichtung vor. Das basale Ende jener Zelle ist zu einem langen, 
dünnen Fortsatz ausgezogen. Eine Vereinigung dieser Fortsätze 
zu einer Art Basalmembran ist nur stellenweise undeutlich er- 
sichtlich. Geht man in der Serie weiter nach einwärts, so er- 
lischt die Proliferation, um jedoch bald wieder, allerdings in 
beschränktem Maasse, einzusetzen; sie findet nun von Seite der 
ganzen Vorderwand statt. Endlich, im Bereiche des medialen 
Endabschnittes der Höhle, greift dieselbe auch auf die dorsale 
Cireumferenz über. Damit wird auch die vorhin beschriebene 
Modification des Epithels immer mehr dorsalwärts zurückgedrängt 
und ist schliesslich nur mehr im Bereiche des Dorsaltheiles der 
Hinterwand nachweisbar. 

In einer Querschnittserie finde ich den Rest des Verbindungs- 
kanales auf der einen Seite als deutlichen, lichtungslosen Zell- 
strang vor; er verbindet den verjüngten medialen Endabschnitt 
der Höhle seiner Seite mit dem Chordavorderende. 

Ich gehe nun zu etwas älteren Embryonen über, zu solchen 
mit 43 Urwirbeln. In diesem Entwicklungsstadium treten bereits 
die Anlagen von drei Muskeln des Oeulomotorius auf: die ge- 
meinsame Anlage für den Rectus inferior und Rectus internus, 
sowie jene des Obliquus inferior. 

Ueber die Formverhältnisse der Kopfhöhle ist zunächst zu 
berichten, dass jetzt die beiden Bezirke der hinteren Höhlen- 
wand deutlich ersichtlich sind. Dieselben treten zur Bildung 
einer dorsolateralwärtssehenden stumpfen Kante zusammen. S. Tafel- 
figur 2. Dem medialen Bezirke ist der Oeulomotorius (ZZI) nahe 
benachbart, dem lateralen ist eine zur Entwieklung der Anlage 
des M. obliquus superior in Beziehung stehende Zellmasse (Zm) 
angelagert. Das Epithel der Höhlenwandung zeigt eine Abnahme 
der Zwischenzelllücken; die Zellen rücken im Gegentheile recht 
nahe aneinander, so dass sie ein kubisches Epithel bilden. Ihre 


Zur Entwicklung der Augenmuskeln der Ente. 235 


Kerne sind stark gefärbt. Es ist wiederum die Hinterwand, in 
deren Bereich dies am deutlichsten ersichtlich ist. S. Tafelfigur 1. 
Dieselbe entstammt einem Sagittalschnitte, in welchem wir den 
Augenbecherstiel (A. st.) antreffen. 

Wir bemerken ferner, dass jetzt die ganze Vorderwand der 
Höhle, sowie auch die dorsale und ventrale Cireumferenz an der 
Mesodermproliferation theilnehmen. Indessen sticht die dem 
ventralen Höhlenumfange entstammende Zellmasse — m.r. inf. + int. 
— recht scharf vom Bindegewebe ab, das der vorderen Höhlen- 
wand seine Entstehung verdankt. Die Zellen sind dicht an ein- 
ander angeschlossen, ihre Kerne sind intensiv gefärbt. Ein Ueber- 
gang ins benachbarte Bindegewebe ist nirgend bemerkbar. Diese 
Zellmasse entspricht der gemeinsamen Anlage des Rectus inferior 
und internus. Der Abschnitt der ventralen Cireumferenz der 
Höhle, dem sie entstammt, ist der tiefst gelegene derselben. Er 
findet sich hinter und über dem Augenstiel (A.st.). Der Stamm 
der A. ophthalmiea durchsetzt den dorsalen Abschnitt der Muskel- 
anlage (a. o.). 

Die Proliferation embryonalen Bindegewebes ist wieder im 
Bereiche der ventralen Hälfte der Vorderwand am intensivsten; 
dorsalwärts nimmt sie ab. An einzelnen Stellen ist das epitheli- 
tale Gefüge der Zellen der Vorderwand unterbrochen; so in der 
Figur 1 bei &. Die ventrale Muskelanlage ist in acht Schnitten 
nachweisbar. (Sehnittdieke: 15 u). Einwärts von derselben ist 
die Proliferation von Seite der vorderen Höhlenwand eine gleich- 
mässig starke; im Bereiche der dorsalen Wand betheiligt sich 
namentlich der vordere Abhang derselben an der Wucherung. 
Gehen wir in der Serie noch weiter medialwärts vor, so bemerken 
wir, dass sich an die Proliferation von Seite der Vorderwand auch die 
Auflösung des epithelialen Verbandes der Zellen dieser Wand an- 
schliesst. Das Epithel der Dorsalwand findet nun am vorderen Ab- 
hang ganz unvermittelt ein Ende. Gerade von diesem Endab- 
schnitt nimmt die Wucherung einen besonders regen Aufschwung. 
Unter demselben drängt sich aber das neugebildete Bindegewebe 
in Gestalt eines schmalen, spitzen Fortsatzes in die Höhle vor, 
längs der freien Seite des Epithels eine kurze Strecke vorwachsend. 
Es ist dies der Beginn der Rückbildung der Höhlenlichtung. 

Die Durchsicht von Querschnitten zeigt, dass die Entwicklung 
des Bindegewebes nicht nur von Seite des medialen Bezirkes der 


236 H. Rex: 


Vorderwand statthat, sondern dass sich auch der laterale Bezirk, 
wie die Tafelfigur 2 lehrt, an dieser betheiligt. 

Kehren wir nochmals zu unserer Sagittalschnittserie zurück. 
In nur geringer Entfernung vom ventralen Umfange des äussersten 
Abschnittes der Höhle finden wir einen kleinen schräg vor- und 
abwärts gerichteten Zellhaufen. Das Vorderende desselben ist 
rundlich; das Hinterende leicht verschmälert. Das Gebilde ist 
in vier Schnitten nachweisbar. Es ist die Anlage des M. obliquus 
inferior. Irgendwelche Beziehungen zur Kopfhöhle sind nicht 
nachweisbar. Wir werden über solche durch die Untersuchung 
etwas älterer Embryonen bald bessere Anskunft erhalten. 

Ueber die nachbarlichen Beziehungen der Höhle ist Folgen- 
des zu berichten. An jener Stelle, an welcher der Stamm der 
Carotis interna den ventralen Umfang des stark verjüngten me- 
dialen Endabschnittes der Kopfhöhle kreuzt, entsendet er einen seit- 
lichen Ast, welcher längs der Ventralwand der Kopfhöhle nach aussen 
zieht, die ventrale Muskelanlage durchsetzt und endlich die hintere 
Peripherie des Augenbechers aufsucht. — Dieser Ast ist die A. oph- 
thalmiea, welcher ich bereitsoben gedachte. Der Oculomotorius er- 
reicht den medialen Bezirk der hinteren Höhlenwand ungefähr in 
dessen halber Höhe, zieht sodann demselben nahe benachbart ventral- 
wärts herab. Sein spitzes Ende kreuzt den hinteren Umfang der 
Ophthalmica. Der der Höhle benachbarte Abschnitt des Nerven 
zeigt eine deutliche, durch das Auftreten von Ganglienzellen be- 
dingte Verdiekung, welche am hinteren Umfang des Nerven die 
Gestalt eines im Sagittalschnitte dreieckigen Vorsprunges an- 
nimmt. 


Der folgenden Schilderung sind Embryonen vom Beginn 
des fünften Bruttages zu Grunde gelegt. Ich wähle zunächst 
solche, bei welchen das sagittale Maass des Vorderkopfes aa 
(s. Textfigur 1) 3,5 mm beträgt. Für die beiden anderen Maasse 
erhalte ich folgende Werthe: bb schwankt zwischen 5,5 bis 6,0 mm, 
cc beträgt 6,5 mm. 

Sagittalschnitte lehren, dass die ventrale Muskelanlage vor- 
und abwärts, gleichzeitig aber auch auswärts vorgewachsen ist. 
Ihr Vorderende finde ich unmittelbar über jenem des Obliquus 
inferior; der Zusammenhang mit der ventralen Höhlenwand ist 
jetzt von hinten her etwas eingeengt. Die Proliferation von Seite 
der Vorderwand geht wie früher mit der Auflösung des epithelialen 


Zur Entwicklung der Augenmuskeln der Ente. 237 


Gefüges dieser Wand einher. Wir bemerken abermals, dass das 
neugebildete Bindegewebe längs der freien Fläche der erhalten 
gebliebenen epithelialen Wandstrecke in die Höhle vordringt. 

Die Anlage des Obliquus inferior ist in diesem Stadium sehr 
deutlich entwickelt. Ich verweise auf die Tafelfigur 3 (m. o. :.) 
Die Anlage ist jetzt annähernd keulenförmig gestaltet. Ihr ver- 
jüngtes Hinterende, der Stiel, findet hinter dem Anschnitt des 
lateralen Höhlenabschnittes (KA) sein dorsales Ende. Charakteristisch 
gestellte Zelltheilungsfiguren im Vorderende der Anlage lasseu 
hier leicht den Sitz der Wachsthumsenergie errathen. Die hintere 
Abgrenzung der Anlage ist recht scharf, stellenweise durch einen 
feinen Spalt bewerkstelligt. Vorne tritt das benachbarte Binde- 
gewebe recht nahe an dieselbe heran. 

Die Kenntnis der Lageverhältnisse des Stieles sind für uns 
sehr werthvoll. Für's erste zeigt sie uns die Ursprungsstätte 
der Anlage und dann weist sie auch den Weg, den die Anlage 
von dieser auswachsend zurückgelegt hat. Das Studium dieses 
Schnittes und seiner Nachbaren lehrt, dass ein Zusammenhang 
der Muskelanlage mit der Kopfhöhle leicht erschlossen werden 
kann. Sucht man das Territorium dorsalwärts vom Hinterende 
des Stieles genauer ab, so findet man mitten im Bindegewebe 
epitheliale Zellzüge, welebe dem Anschnitt der lateralen Circum- 
ferenz der Kopfhöhle nahe benachbart sind. Einer derselben liegt 
gerade über dem Stiele unserer Muskelanlage. (S. Tafelfigur 3.) 
Ich habe bereits oben bei Keimen mit 35 Urwirbeln solche epi- 
theliale Züge beschrieben und zur Kopfhöhle in Beziehung ge- 
bracht. Nun sind im Bereiche der Entwicklungsstätte der Obliquus- 
anlage derartige Zellzüge gleichfalls nachweisbar; daraus darf 
man wohl schliessen, dass diese Anlage einem lichtungslosen Ab- 
schnitte der Kopfhöhle entstammt, der mit dem Verluste der 
Liehtung auch den Zusammenhang mit der Höhle einbüsste. 
Nach dieser Auffassung ist die Selbständigkeit dieser Muskel- 
anlage nicht eine ursprüngliche, sondern eine erst erworbene. 

Querschnitte lehren, dass der sagittale Durchmesser der 
Höhle eine Verkürzung erfahren hat; ferner, dass jetzt in die 
lateralen Abschnitte der Höhle das Bindegewebe der Nachbar- 
schaft eindringt. Zum Theil ergreift dasselbe von diesem Ab- 
schnitte der Lichtung Besitz, zum Theil dringt es längs der 
freien Fläche der Hinterwand einwärts vor. 


238 Honren: 


Wir sind diesem Beginne der Rückbildung der Lichtung 
schon im Bereiche des vorderen Umfanges der Höble mehrfach 
begegnet, allerdings in sehr bescheidenem Maasse. Dort über- 
nahm das der Höhlenwand entstammende Bindegewebe die Rolle 
des Eindringlings. Hier liegen andere Verhältnisse vor. Der 
laterale Abschnitt der hinteren Höhlenwand verfällt der Rück- 
bildung. Man erblickt noch einzelne Reste desselben, welche 
von der Lichtung abgedrängt, nach kurzem Laufe frei im Binde- 
gewebe enden. Diese Rückbildung erfolgt, ohne dass es vorher 
zu irgendwelcher Proliferation gekommen wäre. 

Der Beginn dieses Processes wird uns in der Tafelfigur 2 
ersichtlich. Wir bemerken hier an jener Stelle, an welcher Vor- 
der- und Hinterwand der Höhle zusammentreffen, eine Lücke im 
Epithel; durch diese dringt das benachbarte Bindegewebe ins 
Innere der Höhle vor. Mit der weiter vorschreitenden Rückbil- 
dung der Hinterwand wird dem Bindegewebe eine breite Einfalls- 
pforte geschaffen; wir bemerken, dass jene Zellen, welche die 
Lichtung jetzt begrenzen, recht platt sind. 

Ausgenommen von der Rückbildung bleibt der dorsale Ab- 
schnitt der Hinterwand. In seinem lateralen Bezirke bemerken 
wir schon den Beginn einer Proliferation, mit welcher wir uns 
bald näher zu beschäftigen haben werden. Es ist die Anlage 
des Rectus superior. 

Die Ganglionbildung im Bereiche des ventralen, in der uns 
bekannten Weise der Hinterwand der Höhle recht nahe benach- 
barten Endabschnittes des Oculomotorius hat weitere Fortschritte 
gemacht. — Der Nerv besitzt hier an seinem hinteren Umfange einen 
buckelförmig vorspringenden Aufsatz von Ganglienzellen, dessen 
Kuppe über dem lateralen Endabschnitt der Anlage der Abducens- 
muskulatur gelegen ist. Auch ist im Bereiche des medialen Um- 
fanges ein dünner Belag von Ganglienzellen nachweisbar. 

Die nächst älteren Embryonen, welche ich untersuchte, 
wiesen folgende Maasse auf. Das Maass aa des Vorderkopfes 
betrug 4.O mm; die Maasse bb und cc betrugen 6.0, bezw. 7.0 nm. 

Sagittalschnitte lehren, dass nur mehr das Epithel der dorsalen 
Circumferenz der Höhle erhalten ist. Mit Ausnahme dieses kleinen 
Abschnittes findet nun von allen Seiten das Eindringen von Binde- 
gewebe in die Höhle statt. Es ist dies in der Tafelfigur 4 er- 


Zur Entwicklung der Augenmuskeln der Ente. 239 


sichtlich. Wie der Vergleich mit der Tafelfigur 1 lehrt, ist jetzt 
die Liehtung der Höhle erheblich verkleinert. Wir erblicken 
links vom Höhlenrest einen Epithelzug mitten im Bindegewebe ein- 
gelagert. Er entspricht dem ventralen Abschnitt der Vorderwand, 
welcher noch vor seiner völligen Auflösung durch das in die Lich- 
tung der Höhle eindringende Bindegewebe von dieser getrennt 
wurde. Weiter einwärts von diesem Schnitte zieht das Binde- 
gewebe quer durch die Höhle hindurch, dieselbe in eine dorsale 
und ventrale Hälfte scheidend. 

Ich kann mich des Eindruckes nicht erwehren, dass bei 
der Rückbildung der Höhle auch ein anderer Factor mit thätig 
ist. Das Studium mehrerer Serien ergiebt, dass die hintere Höhlen- 
wand als Ganzes allmählich ins Höhleninnere vorgewölbt wird. 
So finden wir ja auch in der Tafelfigur 4 den dorsalen Rest der 
epithelialen Hinterwand mit der ihm entstammenden Anlage des 
R. superior nach vorne in die Höhle vorgelagert. 

Von den der Höhlenwandung entstammenden Gebilden ist 
Folgendes zu berichten. Das Bindegewebe der Vorderwand lässt 
wie früher nirgend einen Uebergang in die Nachbarschaft er- 
kennen. 

Ueber den Beginn der Entwicklung der Anlage des Rectus 
superior habe ich schon oben berichtet. Die Anlage entstammt 
dem lateralen Bezirke der Hinterwand; ihre innere Grenze ist 
in der Kante gegeben, in welcher lateraler und medialer Bezirk 
zusammentreffen. Ueber die Höhe, in welcher die Anlage zu 
finden ist, lehrt die Tafelfigur 4 Folgendes: Wir sehen in der- 
selben, dass das Proliferationsfeld m. r.s. dem höchst gelegenen 
Abschnitt der Hinterwand entspricht, und überdies noch auf den 
hinteren Abhang des dorsalen Umfanges der Höhle übergreift. 
Querschnitte jüngerer Stadien, in welchen eben die ersten Zellen 
der Anlage aus dem epithelialen Mutterboden ausgetreten sind, 
lehren, dass dieselben sehr bald in Spindelzellen umgewandelt 
werden und zur Bildung eines schmalen Zellstranges zusammen- 
treten, welcher vor- und auswärts vorwächst. Ueber diese Ver- 
hältnisse giebt uns die Tafelfigur 5 Aufschluss. Wir erblicken 
in derselben den dorsalen Abschnitt der Kopfhöhle Xh im Quer- 
schnitt; nach einwärts von ihr sehen wir das zweimal getroffene 
Stämmehen der Carotis interna c. i., lateralwärts die ventrale Cireum- 
ferenz des ersten Quintusastes im Anschnitt V./. Dem inneren 


240 H. Rex: 


Bezirke der hinteren Höhlenwand ist der Oculomotorius //I nahe 
benachbart. Die Kopfhöhle hat beträchtlich an Umfang einge- 
büsst; namentlich ihr sagittaler Durchmesser hat eine Verkürzung 
erfahren. Nur mehr ihre Hinterwand zeigt epithelialen Bau; 
die Zellen der Vorderwand haben im Anschluss an die von ihnen 
ausgehende rege Bindegewebsproliferation den epithelialen Ver- 
band eingebüsst. Medialwärts findet sich im Bindegewebe der 
vorderen Höhlenwand der Querschnitt eines dem Stämmehen der 
Carotis angeschmiegten Zellhaufens ZR., der ein dichtes Gefüge 
aufweist. Auch sind die Zellen stärker gefärbt. Wir werden 
über dasselbe bald Näheres erfahren. Im Bereiche der hinteren 
Wand ist die stumpfe Kante, in welcher ihre beiden Abschnitte 
zusammentreten, nur schwach entwickelt. Die Anlage des Reetus 
superior, welche sich aus dem äusseren Abschnitte entwickelt, 
stellt einen lateralwärts vorwachsenden Zellstrang m. r. s. dar. 
Die denselben aufbauenden Spindelzellen sind dieht an einander 
gelagert und satt gefärbt. 

Wie man sieht, habe ich der von Corning !) beschrie- 
benen Art der Entwicklung der Muskelzellen wenig hinzuzufügen. 
Der Autor fand bei Lacerta, dass die Bildung dieser Zellen in 
der Weise vor sich geht, wie z. B. auch an der Splanchnopleura, 
nämlich durch Abgabe von intensiv gefärbten Zellen von der 
betreffenden Stelle der Kopfhöhlenwandung. Diese Zellen ver- 
lieren sich jedoch nicht sofort im umgebenden Bindegewebe, son- 
dern bilden eine Masse, die als einheitliche Anlage in ähnlicher 
Weise wie eine Muskelknospe auswächst. Ich habe dieser Be- 
schreibung nur die oben erwähnte Beobachtung anzugliedern, 
dass sich die ersten Zellen scheinbar sehr bald, unmittelbar nach 
ihrem Austritte aus dem Verbande ihres epithelialen Mutterbodens 
in Spindelzellen umwandeln, welche diesem enge angeschmiegt 
sind. Meine Erfahrungen beschränken sich auf das Studium 
einer Muskelanlage, jene des Rectus superior. Für die zweite 
Anlage, welche in dieser Beziehung bei der Ente überhaupt noch 
in Betracht kommen könnte, also für die ventrale gemeinsame 
Anlage des Reetus inferior und internus vermochte ich den ersten 
Beginn der Entwicklung nicht mit wünschenswerther Sicherheit 


1) H.K. Corning: Ueber die Entwicklung der Kopf- und Ex- 
tremitätenmuskulatur bei Reptilien. Morphol. Jahrb. XXVIII. 1899. 


Zur Entwicklung der Augenmuskeln der Ente. 241 


zu verfolgen. Mein Material war nicht reichlich genug. Ich 
kann nur mittheilen, dass ich den Eindruck erhielt, als würde 
die Entwieklung dieser Anlage bereits einsetzen, bevor noch das 
Epithel ihres Mutterbodens jene Stufe der Ausbildung aufweist, 
welche das der hinteren Höhlenwand, also auch das der Bildungs- 
stätte des Reetus superior erreicht. Auch die Frage nach dem 
Zeitpunkte, in welchem die ersten contractilen Fibrillen in den 
Spindelzellen der Augenmuskelanlagen auftreten, fordert dringend 
eine Erledigung. Mit der Entwicklung der den Muskellamellen 
der Urwirbel entstammenden Seitenrumpfmuskulatur hat die Bil- 
dungsweise der Augenmuskelanlagen nur wenig gemein; wie wir 
später sehen werden, spricht vieles dafür, dass wir weit eher an 
die Art der Entwicklung der den Seitenplatten entstammenden 
visceralen Muskulatur zu denken haben. Ueber den Zeitpunkt, 
in welchem bei dieser die ersten Fibrillen auftreten, verdanken 
wir Rabl!) Mittheilungen, welche besagen, dass auch hier, 
wie bei der Seitenrumpfmuskulatur, die Bildung der Fibrillen 
sehr frühe einsetzt. Zur Visceralmuskulatur müssen wir auch 
die Muskulatur des Herzens rechnen, welche sich aus dem primi- 
tiven Eetocard entwickelt. Bei Pristiurus treten nun schon zur 
Zeit, wenn das Eetocard nur eine einschichtige Epithellamelle 
vorstellt, an der basalen, der Pericardialhöhle abgewendeten 
Seite der Zellen die ersten Muskelfibrillen auf. Rab] theilt 
weiter mit: „Es scheint, dass dies auch für die Muskulatur der 
Kiemenbogen gilt; indessen habe ich hier die Vorgänge noch 
nicht bis ins feinste Detail verfolgen können.“ Corning (l. e. 
pag. 94) theilt uns wiederum mit, er könne vorderhand nur so 
viel sagen, dass ihm scheine, als ob bei Lacerta die Entwick- 
lung von Fibrillen in der Anlage der Kiemenmuskulatur bedeutend 
später ihren Anfang nehmen würde, als in den Myotomen. Ich 
kann leider zur Klärung der Frage, wann in den Augenmuskel- 
anlagen die Fibrillenbildung einsetzt, zur Zeit nieht viel Be- 
friedigendes beitragen. 

Kehren wir zu unserer Schnittserie zurück. 

Die ventrale Muskelanlage ist durch lockeres Bindegewebe 
vom Höhlenreste fast ganz abgedrängt. S. die Tafelfigur 4: 


1) €. Rabl: Ueber die Prineipien der Histologie. Verhandlungen 
der anatom. Gesellschaft auf der dritten Versammlung in Berlin. 1889. 


242 H. Rex: 


mr. inf. + int. — Unmittelbar einwärts von dieser findet sich 
im Bindegewebe, welches den auf eine schmale Spalte redueirten 
Höhlenrest nach vorne hin begrenzt, eine längliche Zellmasse vor, 
welche aus dicht gehäuften Zellen mit stark‘ gefärbten Kernen 
besteht und scharf von der Nachbarschaft absticht. Ein weit 
kleinerer Zellhaufen von gleichem Bau findet sich weiter ein- 
wärts im Bindegewebe, welches der Vorderwand des medialen 
Endabschnittes der Höhle entstammt. Derselbe ist in der Tafel- 
figur 5 ersichtlich (ZA). Ich habe über ihn bereits oben berichtet. 
Diese Gebilde erinnern nicht wenig an Muskelanlagen; bei älteren 
Embryonen finde ich dieselben nicht mehr vor. 

Das Stämmehen der A. ophthalmica sehen wir jetzt auf 
dem Zuge nach aussen zum Augenbecher hin zunächst in be- 
trächtlicher Entfernung ventralwärts vom Höhlenreste gelagert. 
Weiter aussen, wo die Höhle ihre Tiefe noch bewahrt hat, ist 
das Gefäss wie früher dem unteren Rande der Hinterwand an- 
geschlossen, um endlich zwischen den beiden selbständig vor- 
wachsenden Muskelanlagen hindurch zum Augenbecher zu ziehen. 
S. die Tafelfigur 4, a. o. Ich habe oben darauf hingewiesen, 
dass bei der Rückbildung der Kopfhöhle neben der Einwanderung 
des Bindegewebes auch die Vorwölbung der Hinterwand ins 
Höhleninnere eine Rolle spielt. Dies beweist uns auch das Lager- 
verhältnis der A. ophthalmica.. Wäre eine Lageveränderung 
der Hinterwand und der ihr benachbarten Gebilde nicht einge- 
treten, so müssten wir letztere viel weiter hinter dem Höhlen- 
reste gelagert finden. Denken wir uns in der Tafelfigur 4 die 
ursprüngliche Ausdehnung der Höhle wieder hergestellt, so fänden 
wir den Querschnitt der Arterie und den ihr benachbarten Ocu- 
lomotoriusabschnitt (///) im Höhleninneren gelagert. — Quer- 
schnitte (parallel der Linie aa in der Textfigur 1 geführt) lehren, 
dass die Arterie von ibrem Ursprunge aus der Carotis an bis 
nahe an den Augenbecher in einer lateralwärts nur wenig an- 
steigenden Ebene verläuft. 


Die völlige Verödung der Liehtung der Kopfhöhle erfolgt 
bei Embryonen von der zweiten Hälfte des fünften Bruttages. 
Ich habe solehe mit einem Vorderkopfmaasse von 4,5 mm unter- 
sucht. Für die beiden anderen Maasse fand ich folgende 


Zur Entwicklung der Augenmuskeln der Ente. 243 


Werthe: bb beträgt 7,5 mm; cc schwankt zwischen 7,5 und 
8,0 mm. 

Ich schildere zunächst den Befund bei einem Embryo, bei 
welchem die Rückbildung der Höhle noch nicht ganz er- 
folgt war und gehe wiederum von einem Sagittalschnitte durch 
jenen Theil der Höhle aus, welcher ursprünglich die grösste 
Tiefe besass. Ein solcher Schnitt ist in der Tafelfigur 6 ver- 
zeichnet. 

Wir bemerken zunächst, dass jetzt auch der dorsale Ab- 
schnitt des Höhlenrestes seiner Rückbildung entgegengeht. Zum 
Theile wird dieselbe durch eindringendes Bindegewebe eingeleitet, 
welches entlang der Vorderfläche der Anlage des Recetus superior 
m. r. s. ins Höhleninnere vordringt; dann aber auch durch das 
Eigenwachsthum dieser Anlage. Der epitheliale Bezirk der 
Hinterwand, welchem letztere entstammt, ist bis auf einen kleinen 
dorsalen Rest aufgebraucht worden. 

Weiter einwärts von diesem Schnitte kommt es zur völligen 
Abgliederung des kleinen dorsalen Abschnittes der Höhle, wel- 
chen ich in der Tafelfigur mit & bezeichnet habe. Man kann 
denselben eine beträchtliche Strecke weit einwärts verfolgen, 
bis sich derselbe endlich mit dem fast gänzlich rückgebildeten 
inneren Höhlenabschnitte wieder vereinigt. 

Von der Seite des erhalten gebliebenen Epithelbezirkes der 
dorsalen Höhlenwand dauert die Proliferation embryonalen Binde- 
gewebes ungeschwächt fort. 

Nun zu den Muskelanlagen. Zu dem oben über die Anlage 
des Rectus superior Gesagten ist noch nachzutragen, dass ihr 
laterales, verjüngtes Ende nahe der dorsalen Circumferenz des 
ersten Quintusastes endet. 

Die ventrale Muskelanlage nimmt nur mehr in zwei Schnitten 
an der Begrenzung der Höhlenliehtung Theil. Sie ist um ein 
Beträchtliches ventralwärts, zugleich aber auch vor- und auswärts 
vorgewachsen. Ueber ihre Lagebeziehungen zur Anlage des 
Obliquus inferior, sowie über die Formverhältnisse und die Wachs- 
thumsrichtung dieser Anlage giebt uns unsere aus zwei benach- 
barten Schnitten combinirte Tafelfigur 6 Aufschluss (m. r. inf. + 
int. und m.o.i). Die bei dem vorhin geschilderten Embryo auf- 
gefundenen Zellmassen, welche sich einwärts von der ventralen 
Muskelanlage vorfanden, sind auch jetzt leicht wieder zu erkennen, 


944 H Rex: 


Die äussere derselbsn steht ventralwärts mit dem medialen Ab- 
schnitt der ventralen Muskelanlage in Verbindung. 

Der Oculomotorius ist soweit vorgewachsen, dass sein leicht 
verjüngtes Ende den Unterrand der ventralen Muskelanlage er- 
reicht hat. Die Umscheidung mit Ganglienzellen erstreckt sich 
Jetzt am Stamm aufwärts bis zur Höhe der Anlage des Reectus 
superior, abwärts bis zur Gegend des Dorsalraudes der ventralen 
Muskelanlage; sie ist nun namentlich im Bereiche der inneren 
und äusseren Circumferenz des Stammes deutlich entwickelt. Der 
hintere Umfang weist im Gegensatze zu. früheren Befunden nur 
einen dünnen Belag auf. Hinten wird der Nerv durch einen 
mässig breiten Zwischenraum vom nach aussen vorwachsenden 
Abschnitte der Anlage der Abducensmuskulatur getrennt. 

Bei einem zweiten Embryo derselben Altersstufe ist die 
Lichtung der Höhle bis auf einen kleinen unbedeutenden Rest, 
welcher mit der Anlage des Reetus superior in Verbindung steht, 
völlig geschwunden. Man erkennt ihre Lagerstätte leicht wieder. 
Das an ihre Stelle getretene Bindegewebe ist ein recht lockeres. 
Jenes, welches aus der vorderen Höhlenwand hervorgegangen ist, 
hat Umfang und Lagebeziehungen treu bewahrt. Namentlich bei 
schwächeren Vergrösserungen fällt dasselbe sofort als selbstän- 
diges Gebilde auf. Die Zellen sind einander nahe benachbart, 
ihre Kerne etwas stärker gefärbt. Eine innige Verbindung mit 
dem lockeren Bindegewebe der Nachbarschaft ist nirgends nach- 
weisbar. 

Das Studium von Querschnitten lehrt Beziehungen erkennen, 
welche zwischen den Abkömmlingen der Höhlenwandung und 
den Hüllen des Augenbechers bestehen. Die erste Entwicklung 
der letzteren geht schon bei weit jüngeren Embryonen vor sich; 
ihre Beziehungen zu den Augenmuskelanlagen treten indessen 
erst jetzt deutlich in Erscheinung, so dass ich mir eine nähere 
Schilderung bislang aufsparen zu können glaubte. 

Ich bespreche zunächst die äussere der beiden Hüllen. Die- 
selbe umgiebt die hintere Circumferrnz des Augenbechers und 
stellt im Querschnitt ein aus enge an einander gelagerten Mesoderm- 
zellen aufgebautes, mässig breites Band dar, das sich scharf von 
der Nachbarschaft abhebt. Seine hintere Grenze nimmt den 
Ausgangspunkt vom Grunde der Hinterhälfte jener ringförmigen 
Furche, welche den an der Seitenfläche des Vorderkopfes vor- 


Zur Entwicklung der Augenmuskeln der Ente. 245 


ragenden Abschnitt des Augenbechers umsäumt und zieht von 
da an vor- und einwärts. Diese Grenzlinie ist dem hinteren Um- 
fange des Augenbechers keineswegs parallel, sondern mehr ge- 
streckt, wie ein Blick auf die beiden Tafelfiguren 8 und 9 lehrt. 
Aussen reicht die Hülle bis zum freien Rande des Augenbechers; 
über und unter dessen Oeffnung setzt sich dieselbe in das etwas 
dichtere Mesoderm fort, welches dessen vorderen Umfang umgibt 
und jeder schärferen Abgrenzung entbehrt. 

Nach einwärts von dieser Hülle findet sich noch eine zweite, 
dem Augenbecher dieht angeschmiegte, welche sehr dünn und 
gefässreich ist. Beide werden von einander durch eine sehr 
schmale Zone lockeren Bindegewebes getrennt. 

Für uns ist vornehmlich der mediale Abschnitt der äusseren 
der beiden Hüllen von Interesse. Durchmustern wir eine Quer- 
schnittserie in eraniocaudaler Richtung und lassen wir zunächst 
die dorsale Region des Augenbechers ausser Betracht; diese soll 
später beim Studium der Anlage des Obliquus superior eingehend 
berücksichtigt werden. In der Höhe der Anlage des Reectus 
superior finden wir folgende in der Tafelfigur 3 wiedergegebene 
Verhältnisse. Die Muskelanlage — m. r. s. — ist von annähernd 
keulenförmiger Gestalt, aus dieht an einander gefügten, gleich- 
laufenden Spindelzellen aufgebaut und besitzt ein mediales 
spitzes Endstück. Mitten in diesem ist ein Rest der hinteren 
epithelialen Höhlenwand eingeschlossen; die genauere Unter- 
suchung lehrt, dass die Anlage nicht nur nach aussen, sondern 
auch nach innen vorwächst und hier sowohl entlang der vorderen 
wie auch der hinteren Fläche des benachbarten Abschnittes der 
hinteren Höhlenwand vordringt. Das Aussenende der Anlage 
hat den ersten Quintusast noch nicht erreicht und grenzt un- 
mittelbar ans Vorderende der äusseren der beiden Augenbecher- 
hüllen 7 an. Vor- und rückwärts von der Reetusanlage treffen 
wir das wohl abgegrenzte Bindegewebe der vorderen Höhlenwand 
an (Bd). Hinten stossen wir auf den Querschnitt des Oculo- 
motorius (///). In der anderen Hälfte des Schnittes sind deut- 
liche Reste des Verbindungskanales vorhanden. 

Weiter caudalwärts taucht der erste Quintusast auf. Das 
Bindegewebe der vorderen Höhlenwand gewinnt nun zu beiden 
Hüllen des Augenbechers nahe Beziehungen. Ans Vorderende 
der äusseren derselben tritt es so enge heran, dass eine Grenze 


246 H. Rex: 


zwischen beiden nur schwer nachweisbar wird. Vor der inneren 
wird dasselbe durch eine feine, von spärlichen Zellen durchsetzte 
Spalte geschieden. Auf seinem Zuge nach vorne durchsetzt der 
erste Quintusast, der medialen Fläche des Augenbechers nahe be 
nachbart, die äussere der Hüllen. 

Die Tafelfigur 9 ist der Region der Anlage der Abducens- 
muskulatur entnommen. Der parallel der Vorderwand der Ju- 
gularvene J schräg nach aussen und vorne vordringende laterale 
Abschnitt dieser Anlage — ab. d. m. — tritt ähnlich wie der 
Rectus superior ans Vorderende der Hülle 7 des Augenbechers 
heran. Vor der Muskelanlage sehen wir den Querschnitt des 
Oculomotorius — ZI —; seine Umscheidung mit Ganglienzellen 
ist eine fast vollkommene; namentlich im Bereiche des medialen 
Umfanges ist der Zellmantel ein recht stattlicher. Das Binde- 
gewebe der Kopfhöhle Bd zeigt nicht mehr die vorhin beschrie- 
bene innige Verbindung mit der Augenbecherhülle; je weiter 
wir in der Serie caudalwärts vorrücken, desto geringer wird der 
Umfang des von demselben eingenommenen Areals und damit 
auch seine Verbindung mit dieser Hülle völlig gelöst. Wir stossen 
bald auf die Arteria ophthalmica; sie zieht knapp vor dem 
Oculomotorius und weiter zwischen beiden Hüllen des Augen- 
bechers nach aussen. 

Endlich treffen wir die ventrale Muskelanlage im Schnitte; 
ihre laterale Circumferenz stösst direct ans Vorderende der äusseren 
der Hüllen an. Letztere verliert nun auch bald ihre scharfe 
hintere Abgrenzung; die Anlage des Obliquus inferior scheint 
ausserhalb des Rahmens derselben zu liegen und zwar dessen 
ventralem Umfang von aussen her angeschmiegt. 

Mit der Schilderung dieses Entwicklungsstadiums verlasse 
ich für diesmal das Gebiet der Oculomotoriusmuskulatur; die 
Schilderung der definitiven Ausgestaltung dieser Muskelgruppe 
soll einer weiteren Abhandlung vorbehalten bleiben. Ich wende 
mich nun zur Entwicklung des Muskels des N. trochlearis. 


Der jüngste Embryo, bei welchem ich den Beginn der Ent- 
wicklung des M. obliquus superior nachweisen konnte, besass 
38 Urwirbel. Wir haben also ein verhältnismässig spätes Sta- 
dium vor uns. 

Durchmustern wir in einer Sagittalschnittserie jene Schnitte, 


Zur Entwicklung der Augenmuskeln der Ente. 247 


in welchen der erste Quintusast zum Vorschein kommt, so be- 
merken wir, dass derselbe nahe der Aussenwand der Kopfhöhle 
nach vorne zieht, um über dem Augenbecher seinen Weg fort- 
zusetzen. Bevor er den letzteren erreicht, entsendet er einen 
starken rückläufigen Zweig, welcher sich von seinem ventralen 
Umfange ablöst und in leichtem Bogen nach hinten und abwärts 
verläuft. Nach kurzem Laufe endigt derselbe frei. Dieser 
Zweig schliesst mit dem Quintusaste einen nach hinten offenen 
Winkel ein. Beide Schenkel dieses Winkels sind in einer dichten 
mesodermalen Zellmasse eingelagert, welche namentlich den 
Winkel selbst völlig ausfüllt. Eine besondere Anordnung der 
Zellen, etwa in Gestalt versprengter kurzer epithelialer Züge, 
irgend ein Lumen mit dem Reste einer epithelialen Umsäumung 
konnte ich in dieser Zellmasse nicht nachweisen. Ohnedies wird 
die Einsichtnahme durch zahlreiche Gefässdurchschnitte, welche 
dieselbe durchsetzen, erheblich erschwert. Immerhin ist diese 
Zellmasse durch die etwas stärkere Färbung ihrer Kerne und da- 
durch, dass es in derselben stellenweise zur Zellgruppenbildung 
kommt, leicht erkennbar. Ich habe mich sehr bemüht, in diesem 
und älteren Stadien einen Zusammenhang der Zellmasse mit dem 
recht nahe benachbarten Dorsalabschnitte der Anlage der Trige- 
minusmuskulatur nachzuweisen; es ist mir dies indessen nicht 
gelungen. 

Querschnitte lehren, dass sich die Zellmasse nach innen 
zwischen die Jugularvene und die Hinterwand der Kopfhöhle 
fortsetzt, ohne indessen eine innere schärfere Abgrenzung er- 
kennen zu lassen. 

Embryonen mit 40 Urwirbeln zeigen uns bereits die ersten 
Umrisse der Aulage des Obliquus superior. Der nach aussen 
vom Quintusast gelegene Theil der Zellmasse hat eine festere 
Umgrenzung und ein dichteres Gefüge gewonnen. Derselbe tritt 
uns nun als länglicher, vorne leicht verjüngter Zellhaufen entgegen, 
welcher nach vorne und oben ansteigt und vom hinteren Abhange 
der dorsalen Circumferenz des Augenbechers durch einen mässig 
breiten Zwischenraum getrennt wird. Dieser Zellhaufen kann 
bereits als die Anlage des M. obliquus superior angesprochen 
werden. 


Arch. f. mikrosk. Anat. Bd. 57 7 


248 H. Rex: 


Bei Embryonen mit 43 Urwirbeln findet sich an Stelle des 
vorhin beschriebenen starken rückläufigen Quintuszweiges ein 
zarter Faden, welcher nach hinten und abwärts zieht. Nahe 
seiner Abgangsstelle und zwar nach hinten von derselben, besitzt 
der Quintusast an seiner ventralen Circumferenz einen annähernd 
dreieckigen, aus Ganglienzellen aufgebauten Vorsprung. Aus 
diesem tritt zunächst ein Zweigchen hervor, das mit dem eben 
geschilderten zarten Faden in Verbindung zu treten scheint, ferner 
ein Zweig, welcher vor- und abwärts zur Vorderfläche der bei 
diesem Embryo noch recht klemen Anlage des M. obliquus 
inferior herabzieht. Die Anlage des Obliquus superior zeigt jetzt 
eine scharfe Abgrenzung. Sie lässt zwei Randbezirke erkennen, 
welche sich aus dicht an einander gelagerten Spindelzellen auf- 
bauen und durch einen mittleren Abschnitt mit einander ver- 
einigt werden, welcher aus nur locker verbundenen und nament- 
lich schwächer gefärbten Zellen besteht. Ventralwärts läuft die 
Anlage spitz aus. Dies Ventralende, aus enge mit einander ver- 
bundenen Spindelzellen bestehend, liegt nach aussen vom dorsalen 
Endabsehnitt des Obliquus inferior. 

Das Studium einer Querschnittserie lehrt Folgendes: Die 
Muskelanlage ist zwischen der dorsalen Circumferenz des Augen- 
bechers und der Jugularvene leicht aufzufinden. Sie ist der 
Vorderwand der letzteren nahe benachbart. Weiter caudalwärts 
vorschreitend bemerken wir, dass die Anlage allmählich in eine 
ovale Zellmasse übergeht, welche der erste Quintusast auf seinem 
Zuge nach vorne durchsetzt. Der nach aussen vom Nerven. be- 
findliche Abschnitt ist durch das dichte Gefüge seiner stärker 
gefärbten Zellen vor dem inneren ausgezeichnet, welch’ letzerer 
sich aus etwas lockerer verbundenen, schwächer gefärbten Zellen 
aufbaut. In dieser Zellmasse erkennen wir jene leicht wieder, 
von welcher ich oben berichtete, dass aus ihrem lateralen Ab- 
schnitte die Obliquusanlage hervorgeht. Je weiter wir caudal- 
wärts in der Serie vorschreiten, desto kleiner wird der zur 
Muskelanlage sich umbildende Abschnitt der Zellmasse; endlich 
treffen wir in jenen Schnitten, welche die Kuppe der Hypo- 
physentasche getroffen haben, folgende Verhältnisse an. Die 
Zellmasse — s. Tafelfigur 2, Zm — ist annähernd oval gestaltet; 
ihr etwas verjüngter medialer Abschnitt ist zwischen der Hinter- 
wand der Kopfhöhle Xh und der vorderen Wand der Jugularvene J 


Zur Entwicklung der Augenmuskeln der Ente. 249 


gleichwie eingelassen. Im Bereiche ihres äusseren Umfanges be- 
merken wir ein kleines stark gefärbtes Zellhäufehen m. 0. s; es 
ist der Querschnitt des stielförmigen ventralen Endabschnittes 
unserer Muskelanlage. Noch weiter caudalwärts ist die Ver- 
folgung der uns interessirenden Einzelheiten recht schwer, da 
eine Abgrenzung gegenüber dem dichten Bindegewebe, welches 
sich zwischen dem hinteren Umfange des Augenbechers, der Kopf- 
höhle und der Jugularvene vorfindet, auf grosse Hindernisse stösst. 

In einer Sehrägschnittserie von einem etwas älteren Embryo 
— die Schnittebene schliesst mit der Medianebene einen ventral- 
wärts offenen Winkel ein — finde ich die Muskelanlage auf der 
einen Seite in ihrer ganzen Ausdehnung getroffen. Ich habe den 
uns interessirenden Bezirk des Schnittes in der Tafelfigur 10 
abgebildet. Die aus enge aneinander gereihten Spindelzellen 
aufgebaute Anlage m. o. s. zieht in leichtem Bogen vor- und 
aufwärts. In Berücksichtigung der Schnittebene müssen wir noch 
hinzufügen, dass die Anlage auch nach aussen vorwächst. Die- 
selbe lässt wiederum zwei Sonderabschnitte erkennen, welche 
durch einen lockeren Zellzug von einander geschieden sind. Jeder 
derselben scheint selbständig vorzuwachsen. Der Stiel der An- 
lage bildet die Fortsetzung des dorsalen Abschnittes; sein ven- 
trales Ende ist leicht verdiekt. Nach einwärts von diesem treffen 
wir das dorsale Ende der Anlage des Obliquus inferior an. 


Im Laufe der weiteren Entwicklung scheint es zur Rück- 
bildung des inneren zum Aufbau der Muskelanlage nicht ver- 
wendeten Abschnittes der Zellmasse zu kommen. 

Die Anlage selbst wächst nun über dem dorsalen Umfange 
des Augenbechers aus- und vorwärts vor; sie ist vollkommen ein- 
heitlich, eine Trennung in zwei Sonderabschnitte, wie wir sie 
früher sahen, ist nicht mehr nachweisbar. Ihr Stiel geht der 
Rückbildung entgegen. Bei Embryonen von der zweiten Hälfte 
des fünften Bruttages reicht derselbe kaum mehr bis zur dorsalen 
Cireumferenz des ersten Quintusastes herab. Seinem ventralen 
Ende ist jetzt der Aussentheil des Reetus superior nahe benach- 
bart; derselbe findet sich ventral und einwärts von ihm vor. 

Ueber die Formverhältnisse und Lagebeziehungen der An- 
lage gewähren jetzt Querschnitte den besten Aufschluss. Ich 
wähle wieder jene Schnittserie, welche oben der Schilderung der 


350 H. Rex: 


Beziehung zwischen der Oeulomotoriusmuskulatur und den Augen- 
becherhüllen zu Grunde lag. 

Suchen wir uns in derselben den dorsalen Umfang des 
Augenbechers auf. Seine Nähe kündigt sich durch das Auftreten 
der äusseren seiner beiden Hüllen an. Diese ist medialwärts 
völlig scharf von der Nachbarschaft abgegrenzt; von der Obli- 
quusanlage trennt sie ein mässig breiter Zwischenraum. Weiter 
caudalwärts nähert sich die Anlage bald völlig der Vorderhälfte 
der inneren Circumferenz der Hülle. Es ist dies in der Tafel- 
figur 7 deutlich ersichtlich, Die Anlage — m. 0. s. — hat die 
Form eines Dreieckes; ihr verjüngtes Hinterende setzt sich, wie 
die Durchsicht der folgenden Schnitte lehrt, nach hinten und 
einwärts in den kurzen Stiel fort. Die künftige Wachsthums- 
richtung der Anlage dürfte in der Richtung des vorderen Winkels 
liegen; es ist zwar die Hauptmasse der Zellen der Aussenfläche 
der Anlage gleichgerichtet, indessen sehe ich in ihrem Vorder- 
ende deutliche Zellzüge, welche nach dem vorderen Winkel hin- 
ziehen, sowie auch solche, welche aus diesem bereits vorwachsen. 
(Siehe die Tafelfigur.) 

Weiter caudalwärts treffen wir bald den kurzen Stiel der 
Anlage allein im Schnitte an und bemerken gleichzeitig, dass 
die Augenbecherhülle nur mehr bis zu jener Stelle eine innere 
scharfe Abgrenzung besitzt, an welcher der Stiel an sie angrenzt. 
Ist auch dieser aus den Schnitten verschwunden, so tritt das 
Aussenende der Anlage des Rectus superior an seine Stelle, mit 
welchem das innere Vorderende der Hülle in der uus bekannten 
Weise verbunden ist. Weiter caudalwärts ist das Gleiche mit 
der Anlage der Abducensmuskulatur der Fall. Diese Beziehung 
zwischen den Anlagen der Augenmuskeln und der Augenbecher- 
hülle scheinen mir einer weiteren Verfolgung werth. 

Wenig konnte über die Entwicklung des N. trochlearis er- 
mittelt werden. Bei Embryonen von der zweiten Hälfte des fünften 
Bruttages ist der Nerv eine stattliche Strecke ventralwärts vor- 
gewachsen. Das pinselförmig aufgefaserte freie Ende desselben 
ist von der Muskelanlage beträchtlich weit entfernt. 


Den Beginn der Entwicklung der Abducensmuskulatur traf 
ich bei einem Keime mit 21 Urwirbeln an. Ich habe über den- 
selben in meiner ersten Abhandlung Folgendes berichtet. Die 


Zur Entwicklung der Augenmuskeln der Ente. 251 


Anlage ist in diesem Entwicklungsstadium ein mesodermaler 
Zellhaufen, der dem Quintusganglion nahe benachbart ist. Er 
lagert ventral- und distalwärts von diesem. Die mittleren Zellen 
sind etwas dichter gedrängt; die peripheren Zellen, nicht selten 
in Kreisen angeordnet, umschliessen denselben. In einem Schnitte 
tritt in diesem Zellhaufen ein kleines ovales Lumen auf, das 
von epithelartigen Zellen umsäumt wird. Das ganze Gebilde ist nur 
in fünf Schnitten nachweisbar. 

Bei etwas älteren Embryonen, solchen mit 25 und 26 Ur- 
wirbeln, ist der proximale Abschnitt der Anlage eine kurze 
Strecke längs der Innenfläche des Ganglions emporgewachsen. 
Wir finden wiederum vereinzelte kleine Liehtungen, welche von 
Epithelzellen umsäumt werden; der proximale Abschnitt wird 
lateralwärts durch einen deutlichen epithelialen Saum abgegrenzt. 
— Mit Rücksichtnahme auf die Mittheilungen, welche wir Kast- 
Schenkio ı), Salzer 3, Grosser und :Brezina) ver- 
danken, ist es vielleicht von Interesse, auf eigenthümliche Um- 
bildungen der unserer Muskelanlage nahe benachbarten Venen- 
bahnen hinzuweisen. Eine eingehende Würdigung dieser Verhält- 
nisse kann hier allerdings nicht erfolgen, da eine solche ausser- 
halb des Planes dieser Untersuchungen läge. — Bei dem soeben 
besprochenen Embryo zieht die vordere Cardinalvene vom Augen- 
becher her schräg rück- und abwärts zur Innenseite des Quintus- 
ganglions, um von da an längs der Ventralfläche des Hinter- 
hirres distalwärts ihren Weg fortzusetzen. Beide Abschnitte der 
Vene, der zum Ganglion herabziehende, sowie der längs des 
Hinterhirnes verlaufende schliessen mit einander einen ventral- 
wärts offenen Winkel ein. Das Ganglion bildet mit dem benach- 
barten Abschnitte der Cardinalvene eine ventralwärts offene 
Nische, in welcher der proximale Theil der Abducensmuskel- 
anlage lagert. 

Bei Embryonen mit 30 Urwirbeln ist in den nachbarlichen 
Beziehungen der Muskelanlage zum Ganglion insoweit eine Aen- 


1) Das Schlundspaltengebiet des Hühnchens. Arch. f. Anatomie 
und Entwicklungsgeschichte. Jahrgang 1887. 

2) Ueber die Entwicklung der Kopfvenen beim Meerschweinchen. 
Morpholog. Jahrbuch. Bd. XXIII. 1895. 

3) Ueber die Entwicklung der Venen des Kopfes und Halses bei 
Reptilien. Ebendaselbst. 


252 H. Rex: 


derung eingetreten, als dieselbe lateralwärts fast ganz vom 
Ganglion gedeckt wird. Es wird dies wohl durch die Wachs- 
thumsverhältnisse beider Gebilde bedingt. 

Embryonen mit 34 und 36 Urwirbeln zeigen wesentliche 
Veränderungen im Bereiche der uns interessirenden Venenbahnen. 
Die Hauptwurzel der vorderen Cardinalvene weist im Sagittal- 
schnitte einen bedeutenden Umfang auf; sie nimmt einen beträcht- 
lichen Theil des Feldes zwischen der vorderen Cirecumferenz des 
Quintusganglions und der Hinterwand der Kopfhöhle ein. Ihre 
Fortsetzung wird jetzt durch eine völlig neue starke Bahn bei- 
gestellt, welche auf folgendem Wege dem Herzen zustrebt. Sie 
zieht vor dem Ganglion und vor der Muskelanlage distalwärts 
und verläuft sodann über den dorsalen Endabschnitten der Kiemen- 
spalten, sowie ventral vom Gehörbläschen abwärts. Die Astfolge 
des Quintus und der Facialis lagern lateralwärts von dieser Bahn. 
Der Glossopharyngeus ist — um mit Kastschenko zu sprechen 
— im „Durchschneiden* begriffen. Die’ ältere Abflussbahn, 
welche noch bei Keimen mit 30 Urwirbeln allein vorhanden war, 
zieht wie früher längs des Hinterhirnes eaudalwärts. Dem neuen 
Strome gegenüber verhält sie sich jetzt wie ein stärkerer Neben- 
fluss, indem sie den dorsoproximalen Umfang des Innentheiles 
unserer Muskelanlage überschreitet und in den vor ihr vorbei- 
ziehenden Abschnitt der neuen Abflussbahn einmündet. Die 
Muskelanlage ist jetzt mit Ausnahme ihres distalen Endabsehnittes 
allseitig von starken Venenbahnen umsäumt. 

Ich möchte nun auf die Tafelfigur 11 verweisen. Sie bringt 
uns einen Theil eines Querschnittes von einem Embryo mit 36 
Urwirbeln, der durch die Region der Muskelanlage hindurchge- 
führt worden ist. Die Anlage — abd. m. — ist jetzt ein wohl- 
abgegrenzter Zellhaufen, in welchem wir hie und da epitheliale 
Zellzüge eingelagert vorfinden. Ein solcher ist auch in der Tafel- 
figur ersichtlich. Diese Züge finde ich stets nur im Bereiche 
der dorsalen und lateralen Peripherie der Anlage vor, woselbst 
sie dieselbe nicht selten nach aussen sehr sauber abgrenzen. Ent- 
sprechend den vorhin geschilderten Veränderungen im Gebiete 
der Venenbahnen hat die Anlage jetzt dorsal- und ventralwärts 
die alte und neue Bahn zu Nachbarinen. (ca und J). 


Zur Entwicklung der Augenmuskeln der Ente. 253 


Etwas ältere Keime, solche mit 40 Urwirbeln, besitzen die 
dem Hinterhirn angeschmiegte ältere Venenbahn, die wir oben 
kennen lernten, nicht mehr. Ich möchte die neugebildete Bahn 
mitsamt ihrer Vorderkopfwurzel als Jugularvene bezeichnen, es 
künftigen Untersuchungen überlassend, diese Bezeichnung durch 
eine vielleicht passendere zu ersetzen. Jetzt ist auch der 
Facialis im Begriffe, diese Vene zu „durchschneiden“, der Glosso- 
pharyngeus liegt bereits einwärts von ihr. — Die Muskelanlage 
ist im Sagittalschnitte ein länglicher Zellhaufen, welcher schräg 
vor- und aufwärts zieht; sein Vorderende wird durch einen 
mässig breiten Zwischenraum vom ventralen Endabschnitte des 
Oculomotorius getrennt. Im Querschnitt finden wir zwischen 
dem ventralen Abschnitte des Quintusganglions und der Muskel- 
anlage die Jugularvene gleichwie eingelassen. 

Bei Embryonen mit 43 Urwirbeln haben sich die eben ge- 
schilderten Lagebeziehungen zwischen Anlage, Ganglion und 
Vene abermals geändert. Suchen wir uns zunächst jenen Ab- 
schnitt des Ganglions auf, welchem die motorische Wurzel me- 
dialwärts innig angeschmiegt ist. Jetzt findet sich der Quer- 
schnitt der Jugularvene nach einwärts vom Vorderende des 
Ganglions; beide bilden im Vereine mit dem benachbarten Ab- 
schnitte des Hinterhirnes eine Nische. Mitten in dieser lagert 
der distale Theil der Muskelanlage. Das Gefüge derselben 
ist nun namentlich im Bereiche ihres ventralen Abschnittes ein 
besonders dichtes, auch sind hier die Zellkerne stark gefärbt. 
Verfolgt man die Anlage cranialwärts, so bemerkt man, dass 
dieselbe allmählich die Umrisse eines Dreieckes annimmt, dessen 
Spitze ventralwärts und zugleich auch ein wenig lateralwärts 
gerichtet ist und ferner, dass dieselbe in der Richtung dieser 
Spitze längs der medialen und vorderen Fläche der Jugularvene 
in einen dünnen kurzen Fortsatz lateralwärts vorwächst. 

Im Sagittalschnitt finden wir unsere Anlage als länglichen 
Zellhaufen vor, der aus der eben beschriebenen Lagerstätte unter 
gleichzeitiger Verjüngung vor- und aufwärts ansteigt und zwar 
in einer Richtung, welche nach der ventralen Circumferenz des 
benachbarten Abschnittes der Kopfhöhle hinzielt. Sein Ventral- 
rand ist ziemlich geradlinig. Das Vorderende zeigt das be- 
reits beschriebene diehie Gefüge. — In diesem Entwicklungs- 
stadium wird auch der Abducens sichtbar. Ich finde einen ganz 


254 H. Rex: 


dünnen, kurzen, aus nur wenig Zellen zusammengesetzten Faden, 
dessen Verlaufsrichtung — er entspringt einwärts von der Anlage 
des Facialis und dringt nach kurzem ventralwärts gerichtetem 
Laufe bald proximalwärts empor — die Sicherstellung leicht er- 
möglicht. 


Die Untersuchung älterer Embryonen lehrt, dass der sagittal 
gelagerte Abschnitt der Muskelanlage der Rückbildung verfällt; 
es gelangt nur deren lateralwärts vorwachsendes Vorderende zur 
weiteren Ausbildung. 

Dies ist schon bei Embryonen mit einem Vorderkopfmaasse 
von 3,5 mm deutlich ersichtlich. Das Vorderende der Anlage 
baut sich aus Spindelzellen auf, deren Kerne satt gefärbt sind; 
es dringt nicht nur längs der Vorderwand der Jugularvene nach 
aussen vor, sondern zeigt auch schon einen medialwärts gerich- 
teten spitzen kurzen Fortsatz. Die Zellen des sagittal gelagerten 
Abschnittes sind nur mehr lose mit einander verbunden und nur 
schwach gefärbt. — Der Abducens besitzt jetzt fünf zarte Wur- 
zeln; aus der Vereinigung derselben entsteht ein schwaches 
Stämmchen, welches zum medialen Umfange des sagittalen Ab- 
schnittes der Muskelanlage emporzieht. Nahe dem Hinterende 
desselben verliere ich seine Spur völlig. 

Bei Embryonen mit dem Vorderkopfmaasse von 4,5 mm 
ist der sagittale Abschnitt nur mehr als dünnes, schwach tingirtes 
Zellband nachweisbar. Das ventrale Vorderende der Anlage, 
aus dicht an einander gefügten Spindelzellen aufgebaut, ist jetzt 
lateralwärts weit vorgewachsen; ich habe bereits über seine Lage- 
beziehungen und die Verbindung mit der äusseren der Augen- 
becherhüllen auf pag. 246 berichtet und möchte nur noch auf die 
Tafelfigur 9 verweisen. Man erblickt in derselben auch den 
Querschnitt des der Rückbildung anheim fallenden Theiles der 
(Gresammtanlage (abd. m.). — Der Abducens zieht bei diesem 
Embryo zunächst längs der Innenfläche des sagittalen Abschnittes 
empor und gewinnt höher oben dessen Ventralfläche, längs wel- 
cher er nach vorne und aussen vordringt, um in den inneren 
Umfang des ventralen Vorderendes unserer Muskelanlage einzu- 
treten. Siehe auch Tafelfigur 9, V1. 

Die weitere Entwicklung der Muskelanlage werde ich 
später schildern. 


Zur Entwicklung der Augenmuskeln der Ente. 255 


Die Besprechung der im Vorstehenden geschilderten Befunde 
muss wohl zunächst an die ersten Entwicklungsverhältnisse der 
uns interessirenden Gebilde, also vornehmlich an jene des Kopf- 
höhlenpaares anknüpfen. Ich habe über diese in meiner ein- 
gangs eitirten Abhandlung berichtet und möchte den Leser bitten, 
sich mit derselben vertraut zu machen, da ja beide Untersuchungen, 
die vorliegende und jene ältere ein zusammenhängendes Ganzes 
bilden. 

Vielleicht thue ich gut daran, wenn ich in Kürze auf jene 
Auffassung zurückkomme, zu welcher mich der damalige Stand 
meiner Erfahrungen führte. Ich hatte Folgendes gefunden. Die 
Anlage des Höhlenpaares und dessen Verbindungskanales wird 
vom rückgebildeten, lichtungslosen äussersten Vorderende des 
Kopfdarmes und von mesodermalen Zellsträngen beigestellt, welche 
diesem seitlich entstammen. Der mittlere Abschnitt der Dorsal- 
wand des Kopfdarmes — und das gilt auch für seinen Scheitel 
— wird von einer Zellmasse gebildet, welche ich als das mit 
dieser Wand verschmolzene Vorderende des Kopffortsatzes ge- 
deutet habe. Die in die Anlage des Höhlenpaares mit einbe- 
zogenen mesodermalen Zellstränge entstammen jenem äussersten 
Endabschnitt des Kopffortsatzes, welcher mit dem Kopfdarm- 
scheitel verbunden ist. 

Diesen Befund habe ich im Anschluss an v. Kupffer 
zu deuten unternommen. Dieser Forscher hatte den Versuch ge- 
macht, das Höhlenpaar der Sauropsiden mit dem präoralen 
Darme bei Ammocoetes in Parallele zu bringen. Eine genauere 
Ausführung dieses Vergleiches schien mir Erfolg verheissend. 
Ich kam zum Schlusse, dass der Aushöhlungsprozess, welehem 
die anfänglich liehtungslose Anlage des Höhlenpaares unterliegt, 
zur ursprünglichen Lichtung des Kopfdarmscheitels in Beziehung 
zu bringen sei und nahm ferner an, dass am Aufbau der Wan- 
dung der paarigen Ausstülpung des Kopfdarmscheitels auch das 
äusserste Vorderende des Kopffortsatzes mit betheiligt sei. 

Nach Abschluss der vorliegenden Untersuchungen drängte 
sich mir indessen eine andere Auffassung auf, welche vielleicht 
vor der soeben vorgetragenen den Vorzug verdienen dürfte. Ich 
muss zunächst abermals auf einige Resultate zurückgreifen, welche 
meine ersten Untersuchungen ergaben. Das mit der dorsalen 
Kopfdarmwand verbundene Vorderende des Kopffortsatzes — die 


256 H.Rex: 


mehrfach erwähnte Zellmasse — unterliegt einer in der Richtung 
von hinten nach vorne vorschreitenden Ausschaltung aus der 
Darmwand unter gleichzeitiger Differenzirung des ausgeschalteten 
Abschnittes in Chorda und Mesoderm. Schliesslich bleibt nur 
noch ein vorderster, letzter Endabschnitt desselben erhalten, weleher 
mit dem inzwischen lichtungslos gewordenen Kopfdarmscheitel 
verbunden ist. Letzterer geht einer allımählichen völligen Rück- 
bildung entgegen; die Differenzirung des in ihm eingeschlossenen 
Restes des Kopffortsatzes schreitet indessen weiter fort. Endlich 
löst sich dieser Rest vom Kopfdarm völlig ab; er bewahrt auch 
nach dieser Ablösung seine charakteristischen Eigenthümlieh- 
keiten. Seitwärts entstammen demselben mesodermale Zellstränge; 
in sein Hinterende taucht das Chordavarderende ein. Vergl. die 
Tafelfigur 11 meiner ersten Abhandlung; der Rest des Kopffort- 
satzes ist dort mit ./ bezeichnet. Derselbe wird nicht mehr zum 
Aufbau eines vordersten Chordaendehens verwendet; seine Diffe- 
renzirung ist vollendet, seine Aufgaben sind erschöpft. Wir haben 
in diesem Reste nur mehr eine zellige Commissur der seitlich 
vordringenden mesodermalen Zellstränge zu erblieken, welche 
keiner weiteren Fortentwicklung entgegensieht. 

In diesen Zellsträngen treten nun mehrfache, bald mit 
einander verschmelzende Lichtungen auf. Ein in mesodermalen, 
dem Kopffortsatze seitlich entstammenden Zellsträngen, also in 
einem Theile des gastralen Mesoderms auftretender Aushöhlungs- 
process ist wohl am ehesten als Entwicklung eines Coelomabschnittes 
zu deuten. Damit stehe ich auf dem Boden jener Auffassung 
des Höhlenpaares, welche fast sämtliche Forscher stets getheilt 
haben. Ich gehe weiter. Wir haben einen paarigen in meso- 
dermalen Zellsträngen auftretenden Coelomabschnitt vor uns. Dieser 
strebt medial- und lateralwärts an Ausdehnung zu gewinnen. 
Medialwärts vordringend stösst der Aushöhlungsprocess bald auf 
die Commissur des Höhlenpaares, den Rest des Kopffortsatzes. 
Wie ich vorhin hervorhob, ist derselbe nach Erschöpfung seiner 
Aufgaben nur mehr ein einfacher Zellstrang; die Aushöhlung 
greift von beiden Seiten her auch auf diesen über und endlich 
verschmelzen die in der Mediane hart an einander angrenzenden 
Lichtungen mit einander. Es ist dies eine bei Hohlgebilden 
gleicher Werthigkeit, welche in der Medianebene nahe benach- 
bart sind, durchaus nicht vereinzelte Erscheinung. Ich erinnere 


Zur Entwicklung der Augenmuskeln der Ente. 257 


nur an die Entwieklungsverhältnisse der Pericardialhöhle und 
hier an den Schwund des Mesocardium antieum. Nach dieser 
Auffassung ist der Verbindungskanal nur ein Aceidens, eine 
Bildung zweiten Ranges. Er gelangt bei der Ente durchaus 
nicht immer zur Entwicklung. Dasselbe vermelden Oppel, 
Corning und v. Davidoff für die von ihnen untersuchten Rep- 
tilien. Ob der Kanal bei Selachiern immer zur Entwicklung 
kommt, kann ich den diesbezüglichen Mittheilungen nicht ent- 
nehmen. 

Die eben geschilderten Entwicklungsverhältnisse erfahren eine 
weit schärfere Beleuchtung, wenn wir den Boden, auf welchem 
sich dieselben abspielen, nochmals überprüfen. Ich möchte hier 
vor allem auf die auffallende Verzögerung hinweisen, welche 
sich hier im Vorderkopfe in der Abgliederung des Mesoderms 
vom Entoderm sowie in der Differenzirung des ersteren bemerk- 
bar macht. Diese Verzögerung ist einem jeden Forscher, der 
sich mit der Entwicklung des Vorderkopfes befasst hat, wohl 
bekannt. 

Schon ein Vergleieh der Tafelfiguren 8 und 11 meiner 
ersten Abhandlung illustrirt uns diese Verspätung aufs Beste. 
In der Figur 8 von einem Embryo mit 9 Urwirbeln sehen wir 
vom Kopffortsatze nur mehr das kurze mit ./ bezeichnete Vorder- 
ende vor uns. Bis zu diesem Stadium schritt dessen Differenzi- 
rung stetig fort. Ihre Beendigung erfährt sie erst spät: erst bei 
einem Embryo mit 25 Urwirbeln — s. Tafelfig. 11 — finden 
wir dieselben beendet und den mit .J/ bezeichneten Abschnitt 
als einfache Commissur beider Höhlen wieder, erst jetzt ist der 
Kopfdarmscheitel völlig geschlossen. Fassen wir nun die dem 
Kopffortsatzrest entstammenden mesodermalen Zellstränge näher 
ins Auge. Ich möchte den Leser bitten, zu diesem Behufe 
die Tafelfigur 10, ferner die Textfiguren 7, 8 und 9 meiner 
älteren Mittheilung nachzusehen. Die eigenartigen nachbar- 
lichen Beziehungen der Zellstränge zum Vorderhirn, der Carotis 
interna, dem vordersten Aortenbogen und dem Kopfdarm dürften 
eine bestimmte Ausdehnung und auch Lagerung der Stränge be- 
dingen, und ihnen so eine gewisse Selbständigkeit verleihen. 
Noch mehr sind diese durch die Entwieklungsstufe derselben bedingt 
Sie stechen vom benachbarten, viel älteren, bereits zu embryonalem 
Bindegewebe umgewandelten Mesoderm des Vorderkopfes recht 


258 IEaRex:: 


ab, da sie ja einem, der allerersten Differenzirung erst entgegen 
gehenden Abschnitte des gastralen Mesoderms entsprechen. 

Die Abgliederung dieses Mesodermabschnittes vom Mutter- 
boden, dem Kopffortsatzreste, steht ebenfalls im Zeichen der 
Verzögerung, diese dürfte wieder damit in Zusammenhang stehen, 
dass in diesem Mutterboden kein Chbordaabschnitt mehr zur Ent- 
wicklung kommt. Der bei Embryonen mit 21 Urwirbeln auf- 
tretende Anshöhlungsprocess, der in den Zellsträngen einsetzt, 
trifft, medialwärts vorschreitend, einfachste, ich möchte fast sagen 
ursprüngliche Verhältnisse an. Er geht in einem Abschnitte des 
gastralen Mesoderms vor sich, der seine Verbindung mit der 
Ursprungsstätte noch nicht aufgehoben hat. Dieser Process greift 
sehr bald auf die letztere über, sein Vordringen wird dureh den 
völligen Mangel einer einem Urwirbel entsprechenden Bildung er- 
möglicht. So wird auch der Kopffortsatzrest von beiden Seiten 
her ausgehöhlt. Er verfällt endlich der Rückbildung; seine 
Aushöhlung hat diese vielleicht etwas verzögert. 


Ich bin in meinen vorstehenden Ausführungen etwas aus- 
führlicher geworden, als es ursprünglich meine Absicht war. In- 
dessen schien mir mit Rücksichtnahme auf die so ungemein 
complieirten Verhältnisse, welchen wir gerade hier im Vorder- 
kopfe begegnen, eine eingehende Besprechung unumgänglich. 
Es lösen einander hier auf einem verhältnismässig eng be- 
schränkten Gebiete, dem des Kopfdarmscheitels, eine ganze Reihe 
von Entwicklungsprocessen ab. Wir fanden mit diesem den 
äussersten Endabschnitt des Kopffortsatzes vereinigt und die 
Lichtung des letzteren mit jener des Darmes in Verbindung. 
Hierauf trat die Rückbildung dieses Darmabsehnittes unter 
gleichzeitiger, allmählich vorschreitender, Differenzirung des mit 
ihm vereinigten Kopffortsatzrestes ein. Und wir beobachteten 
endlich, dass auf demselben Boden, auf welehem sich bereits so 
viele Umwandlungen vollzogeu hatten, die Ausgestaltung der 
medianen Commissur des Höhlenpaares vor sich gieng. 

Wenn ich der soeben vorgetragenen Auffassung den Vor- 
zug vor meiner älteren gebe, so thue ich es deshalb, weil ich 
dieselbe mit meinen Beobachtungen besser vereinigen kann. Ich 
kann mir namentlich nicht verhehlen, dass mit der Annahme 
einer paarigen Ausstülpung des Kopfdarmscheitels etwas Fremdes 
in den Entwicklungsgang des gastralen Mesoderms hineingetragen 


Zur Entwicklung der Augenmuskeln der Ente. 259 


wird, welchem wir sonst nirgend weiter begegnen. Ich komme 
hierauf weiter unten, gelegentlich der Besprechung der v. Da- 
vidoff’schen Befunde, nochmals zurück. 


Wenn wir dem Höhlenpaare den Rang eines paarigen Coelom- 
abschnittes zuerkennen, so ersteht wiederum die Frage, ob wir 
in diesem eine einem Rumpfurwirbel gleichwerthige Bildung er- 
blicken dürfen. Diese Frage ist von einer ganzen Reihe von Fort- 
schern, ich nenne nur Kastschenko, Dohrn (1885), Rabl, 
v. Kupffer, Corning und Sewertzoff, in verneinendem Sinne 
beantwortet worden. Auch meine vorliegenden Untersuchungsresul- 
tate sind der Deutung der Prämandibularhöhle in dem erwähnten 
gleichen Sinne durchaus entgegenstehend. Dieselben führen zu dem 
Schlusse, zu welchem die genannten Forscher kamen. 

Können wir also die Kopfhöhle als Ganzes einem solchen 
Vergleiche nicht zuführen, so ist dies um so weniger der Fall, 
wenn wir einen Theil derselben, etwa den medialen Abschnitt, 
in Betracht ziehen. Hier spricht das Auftreten des Verbindungs- 
kanales gegen eine solche Auffassung. Wenn in irgend einem 
Entwieklungsstadium auch nur der Beginn der Differenzirung 
der medialen Wandungsabschnitte im Sinne einer Urwirbelbildung 
eingesetzt hätte, so wäre der Durchbruch des Verbindungskanals 
gewiss nicht erfolgt. Ein epithelialer Wall hätte dem Vordringen 
des Aushöhlungsprocesses Schranken setzen müssen. 

Ich kann mich daher mit der Bezeichnung „palingenetischer 
Urwirbel“ nicht befreunden. Warum sollen wir gezwungen sein, 
unsere Einsichtnahme in ohnehin schwierige Entwicklungsvorgänge 
durch die Einführung einer nicht zutreffenden Bezeichnung zu 
erschweren? Wir würden damit immer wieder gewisse Vor- 
stellungen in die Betrachtungsweise einführen, welche sich mit 
den Thatsachen nicht vereinigen lassen. Ist aber die Be- 
zeichnung „Kopfhöhle“ schlechtweg nicht genügend, so kann 
man ja, wie Corning vorschlägt, mit dem Namen „Mesoderm- 
abschnitt“ des Vorderkopfes vollauf auskommen. Damit ist nicht 
mehr gesagt, als wir wissen. 

Im Bereich des paarigen, prämandibularen Coelomabschnittes 
kommt es also nirgends zu einer Differenzirung der Wandung, 
welche uns berechtigen würde, einen Vergleich mit der Urwirbel- 


- 260 H. Rex: 


bildung im Rumpfe zu ziehen. Ueber die Stellung, die wir 
dem Höhlenpaare anzuweisen haben, giebt mein Untersuchungs- 
object keinen befriedigenden Aufschluss. Das Mesoderm des 
Vorderkopfes der Ente ist ja verhältnismässig ärmlich diffe- 
renzirt; es kann da wohl nur der Vergleich mit Befunden bei 
niederen Vertebraten, so vor Allem bei Selachiern, Auskunft 
ertheilen. Unter all den werthvollen Mittheilungen, welche uns 
die letzten Jahrzehnte über dies Thema gebracht haben, erregt 
gerade die jüngste, jene von Sewertzofft), unser besonderes 
Interesse. Wie schon oben bemerkt, weist dieser Forscher den 
Vergleich der prämandibularen und mandibularen Kopfhöhle mit 
Rumpfurwirbeln zurück. Seine Ausführungen werden daher für 
uns um so bedeutungsvoller, da wir ja zum ersten Male einem 
wohldurchdachten Versuche, die Vorderkopfhöblen in anderer 
Weise zu deuten, gegenüberstehen. 

Nach Besprechung der Zugehörigkeit des M. oblignus 
superior zur visceralen Muskulatur theilt uns der Autor über die 
Frage nach der Herkunft der Oeculomotoriusmuskelgruppe Fol- 
gendes mit: „Wenn aber diese Voraussetzung von der Angehörig- 
keit des M. obliquus superior zur mandibularen Muskulatur richtig 
ist, welche Bedeutung haben dann die Augenmuskeln, die sich 
aus den Wänden des prämandibularen Segments entwickeln?.... 
Mir scheint, dass, wenn wir anerkennen werden, dass das Man- 
dibularsesment und dessen Derivate Theile der mandibularen 
Muskulatur sind, wir aus demselben Grunde auch das präman- 
dibulare Segment und die aus demselben entstehenden Muskeln 
zur visceralen Muskulatur werden rechnen müssen. Zu Gunsten 
dieser Voraussetzung sprechen folgende Thatsachen, welche so- 
wchl bei Torpedo als auch bei den Haien beobachtet werden: 
das prämandibulare Segment bildet in frühen Stadien der Ent- 
wicklung eine unmittelbare Fortsetzung des Mandibularsegments 
und dies weisst darauf hin, dass wir es hier mit Gebilden von 
einer und derselben Bedeutung, d. h. mit Visceralbögen, zu thun 
haben.* Der Autor bespricht nun die grossen Unterschiede, 
welche Entwicklung und Bau des Höhlenpaares gegenüber jenen 
eines Urwirbels aufweisen. Er fährt fort: „Alle diese Merkmale 


1) A. N. Sewertzoff, Studien zur Entwicklungsgeschichte des 
Wirbelthierkopfes. 1. Die Metamerie des Kopfes des electrischen Rochen, 
Bull. des Natur. de Moscou (No. 2-3 1898). 1899, 


Zur Entwicklung der Augenmuskeln der Ente. 261 


scheiden das Prämandibularsegment !) aus der Reihe der typischen 
Somiten aus und sprechen eher zu Gunsten seiner Angehörigkeit 
zur visceralen Muskulatnr. Es ist schwer, zu sagen, ob wir auf 
Grund der Anerkennung des prämandibularen Segments für ein 
Element der visceralen Muskulatur die Existenz eines präman- 
dibularen Visceralbogens an dieser Stelle bei den Vorfahren der 
gegenwärtigen Vertebraten zulassen müssen, oder ob wir an- 
erkennen sollen, dass das prämandibulare Segment ein differenzirter 
Abschnitt des Mandibularbogens ist. Die Selbständigkeit des 
prämandibularen Segments in späteren Entwicklungsstadien und 
seine Innervirung vermittelst eines besonderen Nerven (des Oculo- 
motorius) spricht zu Gunsten der ersten Voraussetzung.“ Der 
Autor sagt am Schlusse seiner weiteren Auseinandersetzungen: 
»_—_ — (dass das mandibulare, das prämandibulare Segment und 
die „anterior head cavity“ der Selachier keine dorsalen, sondern 
ventrale Metameren sind und zum System der Visceralbögen ge- 
hören“. 

Sewertzoff schliesst also aus der Herkunft der Anlage 
des M. obliquus superior auf jene der Oculomotoriusmuskulatur. 
Der mandibulare und prämandibulare Mesodermabsehnitt sind 
nach seiner Auffassung Derivate der Seitenplatten; die aus 
demselben hervorgehenden Muskeln sind als zur Muskulatur der 
Visceralbögen gehörig zu betrachten. Nun hat Corning (l. ce.) 
die Entwicklung der Obliquus superior aus dem Dorsaltheile 
der Trigeminusmuskelanlage bei Laacerta nachgewiesen. Wir 
sind also wohl berechtigt, die Angliederung der Befunde bei 
Sauropsiden an jene bei Selachiern anzubahnen und damit der 
Deutung im Sinne Sewertzoff's näher zu treten. Zur Zeit 
erheischen jedoch nnsere Kenntnisse in erster Reihe eine gründ- 
liche Erweiterung und Vertiefung. 

Corning?) wies erst jüngst darauf hin, dass im Ver- 
gleich zur theoretischen Verwerthung der Kopfhöhlen und ihrer 
Produete bei der Beurtheilung der Segmenttheorie des Kopfes 
die Summe des Thatsachenmateriales entschieden zurückgeblieben 
ist, während bei der prineipiellen Wichtigkeit der Vorgänge jede 
Bereicherung unserer Kenntnisse von Werth sein muss. Diesen 

1) Im Originale heisst es, wie der Zusammenhang leicht ergiebt, 


irrthümlicher Weise „Mandibularsegment“. 
Dr lsic, 


262 H. Rex: 


völlig zutreffenden Ausspruch möchte ich dahin erweitern, dass 
das Gleiche von den in den Kiemenböden eingeschlossenen Coelom- 
abschnitten gilt. Ich kann mir ganz gut vorstellen, dass wir 
dereinst in der Lage sein werden, eine Gliederung dieser Ab- 
schnitte in einzelne Bezirke von bestimmter Werthigkeit zu er- 
kennen, ähnlich wie wir heute bestimmte Territorien der Wan- 
dung eines Urwirbels und einer Urwirbeleommunication zu be- 
stimmten Organanlagen in Beziehung bringen können. Wir 
werden dann auch über das Verhalten des Dorsaltheiles jedes 
dieser Coelomabschnitte genauer unterrichtet sein als heute, und 
werden namentlich über deren Beziehungen zu Muskelanlagen 
sowie über das endgiltige Schicksal dieser Genaueres erfahren. 
Die Mittheilungen über den Dorsalabschnitt der Höhle des 
Mandibularbogens lassen ein derartiges Verlangen nach Aufklärung 
dringend erscheinen. Sind wir einmal so weit orientirt, so 
werden wir auch die Art der Vertheilung der Muskelanlagen 
auf die Wandung der Prämandibularhöhle einem Vergleiche zu- 
führen können. 

Von diesem Gesichtspunkte aus erscheint die einfache 
Registrirung der Resultate des vorliegenden Theiles meiner Unter- 
suchungen geboten. Im Nachfolgenden seien die wichtigsten der- 
selben zusammengestellt. 
| Ueber die Entwicklung der Kopfhöhle habe ich Folgendes 
zu berichten. Die Zellen ihrer Wandung erfahren eine allmählich 
vorschreitende Differenzirung; sie treten schliesslich zu einem 
deutlichen, niedrigen, fast kubischen Epithel zusammen. Stets 
ist es die Hinterwand, deren Epithel in seiner Entwicklung sämmt- 
lichen übrigen Wandungsabschnitten voraneilt. 

Aus der Vorderwand der Höhle geht unter allmähliger 
Auflösung des epithelialen Verbandes ihrer Zellen embryonales 
Bindegewebe hervor. Dieses Bindegewebe bewahrt eine grosse 
Selbständigkeit; einen Uebergang in jenes der Nachbarschaft, 
welches seiner Entwicklung nach ein viel älteres ist, konnte ich 
nirgend nachweisen. Ueber sein endgiltiges Schicksal habe ich 
keine näheren Nachforschungen angestellt. Ich finde es noch 
bei Embryonen vom 6. und 7. Bruttage als selbständiges, von der 
Nachbarschaft deutlich geschiedenes Gebilde vor. Die Hinter- 
wand der Höhle scheint, soweit sie nicht zu Muskelanlagen in 
Beziehung tritt, einer einfachen Rückbildung zu verfallen, 


Zur Entwicklung der Augenmuskeln der Ente. 263 


Die Muskelanlagen entstammen jenem Theile des lateralen 
Höhlenabschnittes, welcher die grösste Tiefe erreicht. Der 
dorsale Abschnitt der Hinterwand tritt hier in die Bildung der 
Anlage des M. reetus superior, die ventrale Cireumferenz der 
Höhle in jene der gemeinsamen Anlage des Rectus inferior und 
internus ein. Ich habe den Eindruck erhalten, dass der Beginn 
der Entwicklung der ventralen Muskelanlage schon einsetzt, be- 
vor noch das Epithel seiner Bildungsstätte die endgiltige Aus- 
bildung erlangt hat. Die Anlage des R. superior hingegen, 
welcher erst später zur Entwicklung gelangt, besitzt einen Mutter- 
boden von deutlich epithelialem Gefüge. Die Entwicklung des 
R. internus ist recht verschieden von jener, welcher wir bei Sela- 
chiern begegnen. Bei diesen nimmt der Muskel aus der Hinter- 
wand der Kopfhöhle seine Entwicklung (in der Textfig. IV 
Sewertzoff’s |l. e.] ist sein Zusammenhang mit dem Reetus 
superior noch deutlich ersichtlich). Die Anlage des M. obliquus 
inferior ist eine selbständige. Indessen kann ihre Zugehörigkeit 
zur Kopfhöhle leicht erschlossen werden. Die Untersuchung ge- 
stattet die Annahme, dass derjenige Abschnitt der Höhle, dessen 
Wand diese Muskelanlage entstammt, bei der Ente zunächst 
seine Lichtung eingebüsst hat. Im Anschluss hieran hat dieser 
Abschnitt auch seinen Zusammenhang mit der Höhle und end- 
lich auch das epitheliale Gefüge der Zellen seiner Wand ein- 
gebüsst. 

Bei der Rückbildung der Kopfhöhle spielt in erster Reihe 
das der vorderen Höhlenwand entstammende Bindegewebe eine 
Rolle; es dringt in diese ein. Indessen ist auch die Verlagerung 
der hinteren Höhlenwand als Ganzes nach vome hin an der 
Verödung der Lichtung mit betheiligt. 

Den Entwicklungsgang des M. obliquus superior möchte 
ich vorderhand noch nieht der Besprechung zuführen; die Er- 
ledigung der Frage, ob die in der Tafelfigur 2 ersichtliche Zell- 
masse (Zm) einem Abschnitte der Mandibularhöhle gleich- 
zustellen ist, sei einer weiteren Untersuchung anheimgestellt. 
Das Gleiche gilt von der Entwicklung der Muskelgruppe des 
Abducens. Die reiche Gliederung, welche diese Anlage bei 
Sauropsiden erfährt — bei Lacerta entwickelt sich aus derselben 
das System der Retractoren (Corning), bei der Ente die Nick- 


hautmuskeln — lässt den Wunsch berechtigt erscheinen, auf 
Archiv f. mikrosk. Anat. Bd. 57 18 


264 H. Rex: 


Grund weiterer Untersuchungen eme breite Grundlage für das 
Verständnis dieser Muskelgruppe zu gewinnen. 

Ueber den Zeitpunkt, in welchem in den Spindelzellen der 
besprochenen Muskelanlagen die ersten contractilen Fibrillen 
zur Entwicklung gelangen, bin ich leider völlig im Unklaren 
geblieben. 


Von H. K. Corning’s Mittheilungen über die Entwick- 
lung des Mesoderms im Vorderkopfe von Lacerta sind für uns 
vornehmlich jene von Interesse, welche sich mit der Anlage der 
Augenmuskeln befassen. Corning’s Ergebnisse stimmen mit 
den meinen in der Grundsache überein; abweichende Befunde 
seien im Folgenden besprochen. 

Der Autor hat zunächst im Sinne meiner älteren Auffassung, 
welche ganz auf dem Boden der v. Kupffer’schen Lehre von 
der entodermalen Abstammung der Prämandibularhöhle stand, 
die ersten Entwicklungsverhältnisse dieses Höhlenpaares zu deuten 
versucht. Wir verdanken seinen Bemühungen eine Reihe werth- 
voller Einzelbeobachtungen, deren weitere Untersuchung mir sehr 
dankenswerth erscheint. Dieselben mit meinen Befunden bei 
der Ente in Vergleich zu stellen, scheint mir zur Zeit noch nicht 
räthlich; ein glatter Vergleich stösst denn doch auf manches 
Hindernis. Auch der Autor scheint derselben Ansicht zu sein, 
denn er theilt uns mit, dass erst erneuerte Untersuchungen an 
einem vollständigeren Material namentlich über die Bildung des 
vorderen Chordaendes Auskunft ertheilen können. Welche Be- 
deutung einer genauen Einsichtnahme in diese Verhältnisse inne- 
wohnt, habe ich oben ausführlich erörtert. 

Corning’s Schilderung der weiteren Entwicklung der 
bereits deutlich gesonderten Höhlenanlage stimmt mit meinen 
Befunden bei der Ente gut überein. — In seiner Tafelfigur 28 
ist ein Sagittalschnitt durch den Vorderkopf eines älteren 
Lacertakeimes abgebildet, bei welchem die Entwicklung der 
Muskelanlagen von Seite der Höhlenwandung bereits eingesetzt 
hatte. Wir erblicken da einen Zellstrang, welcher den gut ent- 
wickelten Verbindungskanal mit dem Kopfdarmscheitel verbindet. 
Wir müssen in diesem Befunde eine beträchtliche Verzögerung 
in der Abgliederung des zur Anlage des Kanales verwendeten 
Abschnittes der terminalen Zellmasse erblieken, welche in Jüngeren 


Zur Entwicklung der Augenmuskeln der Ente. 265 


und jüngsten Stadien das Vorderende der dorsalen Kopfdarm- 
wand bildet (s. Corning’s Figuren 15—21). Auch die Ab- 
srenzung der an der Bildung von Muskelanlagen betheiligten 
Wandungsbezirke der Höhle bei Lacerta lässt sich mit meinen 
Angaben für die Ente leicht in Einklang bringen. Ich hätte 
nur zu bemerken, dass Corning die Anlage des R. superior 
auf die dorsale Cireumferenz der Höhle bezieht. Indessen — 
ist seine Tafelfigur 29 richtig orientirt, so ist es bei Lacerta 
der gleiche Bezirk der Höhlenwand, dem diese Anlage ent- 
stammt, wie bei der Ente, und Corning’s Bezeichnung ist 
wohl nur als Versehen zu deuten. Bei Lacerta finden sich kleine 
Divertikelbildungen im Bereiche der an der Muskelbildung be- 
theiligten Wandabschnitte. Bei der Ente kommen solche, wie 
ein Blick auf die Tafelfiguren 1—3 lehrt, nicht vor; auch ist 
für mein Object ein Vergleich mit den ventralen Ausbuchtungen 
der Kopfhöhle, aus welchen die ventralen Muskelanlagen bei 
den Selachiern hervorgehen, nicht durchführbar. Ich habe erst 
vorhin darauf hingewiesen, dass die Anlage des Obliquus inferior 
ihren Anschluss an die Höhle verloren hat. 

Corning theilt uns ferner (pag. 78) mit: „Es kann keinem 
Zweifel unterliegen, dass die Kopfhöhle fast ausschliesslich Mus- 
kulatur liefert. Freilich wäre zunächst die Möglichkeit nicht aus- 
zuschliessen, dass einzelne Stützzellen sich aus jenen Theilen der 
Wandung entwickeln, welche nicht zur Muskelbildung ver- 
braucht werden. Aber von einem wesentlichen Beitrage zu dem 
die Kopfhöhle umgebenden Gewebe kann nicht die Rede sein. Viel- 
mehr sind es gerade diese Zellen, welche durch Einwuchern in 
das Lumen der Kopfhöhle letztere zum Schwinden bringen.“ 
Es ist also die Bindegewebsproliferation von Seite der Höhlen- 
wandung bei Lacerta auf ein Mindestmaass eingeschränkt. Dass 
das bei der Ente der vorderen Höhlenwand entstammende Binde- 
gewebe sich gleichfalls durch seine Abgeschlossenheit gegenüber 
der Nachbarschaft auszeichnet und mit an der Rückbildung der 
Lichtung der Höhle hetheiligt ist, habe ich bereits mehrfach 
hervorgehoben. — Ein epitheliales Gefüge der Höhlenwandung, 
wie es Corning’s Tafelfigur 30 zeigt, finde ich bei meinem 
Untersuchungsobjeete nicht. — Die Rückbildungsprocesse der 
Höhle bei Lacerta zeigen uns wohlbekannte Einzelheiten. — Die 
Untersuchung der weiteren Entwicklung der ventralen Gruppe 


966 H. Rex: 


der Oeulomotoriusmuskulatur bei Lacerta scheiterte an den compli- 
eirten Verhältnissen, welche die Ausbildung der mächtigen Re- 
tractoren mit sich bringt. Es ist dies sehr zu bedauern; die Entwick- 
lung der Anlagen des R. inferior und internus, sowie die Selbst- 
ständigkeit jener des Obliquus inferior — diese von mir bei der Ente 
aufgefundenen, von den wohlbekannten Verhältnissen bei den 
Selachiern so sehr abweichenden Einzelheiten hätten durch die 
Kenntnis der bezüglichen Vorgänge bei Reptilien gewiss eine 
schärfere Beleuchtung erfahren. Vielleicht bringt uns Corning 
doch noch einen weiteren Ausbau seiner Mittheilungen. Wie sie 
uns jetzt vorliegen, gewähren sie keinen sicheren Anhaltspunkt 
zu fruchtbarer Vergleichung. 

Auf die bedeutungsvolle Entdeckung unseres Autors, dass 
die Anlage des Obliquus superior aus dem Dorsaltheil der An- 
lange der Trigeminusmuskulatur hervorgeht, habe ich bereits oben 
aufmerksam gemacht. Eingehend hat Corning auch die 
Differenzirung der Abducensmuskulatur behandelt, welcher bei 
Lacerta auch die Retractoren entstammen. Durch den Hinweis 
auf einschlägige Befunde bei Teleostiern und Urodelen erfahren 
seine Angaben eine Vertiefung. 

Der Autor hat auch Oppels!) Mittheilungen einer gründ- 
lichen Besprechung unterzogen, auf welche ich verweisen möchte. 
Die Angaben dieses Forschers über die Entwicklung des Obliquus 
superior möchte ich zur Zeit noch nicht in den Rahmen der Be- 
sprechung mit einbeziehen. 

Wir verdanken endlich Corning werthvolle Mittheilungen 
über die Entwicklung des Vorderkopfes der Säuger. Seine Be- 
funde führen ihn zur Schlussfolgerung, dass die Anlage der 
Kopfhöhle bei Sauropsiden und Säugethieren eine gleichartige 
ist. Interessant ist seine Deutung der Zimmermann schen 
Angaben (pag. 69). 

So sehen wir also auch für die Säuger die Einsichtnahme 
in die Entwicklung der Augenmuskeln in erfreulicher Weise an- 
gebahnt. Jene Mittheilungen von K. Reuter?), welche die 
erste Entwicklung der Augenmuskeln beim Schwein behan- 


1) A. Oppel: Ueber Vorderkopfsomiten und die Kopfhöhle von 
Anguis fragilis. Arch. f. mikrosk. Anat. Bd. XXXVI. 

2) K. Reuter: Ueber die Entwicklung der Augenmuskeln beim 
Schwein. Anat. Hefte XXVIII-XXX (IX. Bd.) 1897, 


Zur Entwicklung der Augenmuskeln der Ente. 267 


deln, bedeuten in dieser Beziehung keine Förderung unserer 
Erkenntnis. Ich muss mich hierin völlig Corning’s Kritik 
anschliessen. 

Von grossem Interesse sind für uns die Mittheilungen v. Da- 
vidoff’s!) über die Entwicklung der Prämandibularhöhle 
beim Gecko. Sie lassen sich mit meinen Befunden leicht in 
Einklang bringen. 

Die Höhlenanlage wird beim Gecko von einer „entodermalen 
Zellplatte“ beigestellt, deren seitliche Abschnitte, die „Flügel“, 
ins benachbarte Mesoderm übergehen. Diese Zellplatte entstammt 
einem allmählich seine Lichtung einbüssenden vorderen End- 
abschnitt des Kopfdarmes, welchen der Autor als „mediales 
Divertikel“ des letzteren bezeichnet. Dieses „Divertikel“ unter- 
liegt einer ventralwärts vorschreitenden Abgliederung vom Kopf- 
darme, welche zu einer völligen Ablösung führt. Die seitlichen 
Abschnitte der Zellplatte wandeln sich zum Höhlenpaare um; 
ihr medianer Abschnitt schliesst das in Differenzirung befindliche 
Chordavorderende in sich ein. Nach vollendeter Ausbildung des 
letzteren stellt der Rest der Zellplatte eine zellige, lichtungslose 
Commissur beider Höhlen dar. Zur Entwicklung des Verbindungs- 
kanales, also zur Aushöhlung dieser Commissur, scheint es beim 
Gecko nicht zu kommen. Ich glaube, es steht nichts im Wege, 
was einer nahen Angliederung dieser schönen Befunde v. Davi- 
doff’s an jene bei der Ente, welche ich in meiner älteren Ab- 
handlung beschrieben habe, im Wege stände. 

Im Einzelnen jedoch weicht meine Auffassung dieses Ent- 
wicklungsganges von der des Autors beträchtlich ab. Bevor 
ich diese sehr wichtige Divergenz bespreche, sei zunächst Fol- 
gendes hervorgehoben. Die Untersuchung des Vorderkopfes der 
Reptilien ist mit grossen Schwierigkeiten verbunden. Von diesen 
hat bereits Corning berichtet. Fürs erste ist es durchaus 
nicht leicht, sich eine lückenlose Serie von Entwicklungsstadien 
zu verschaffen, was namentlich von solch’ seltenem Materiale 
gilt, an welchem gerade v. Davidoff arbeitete. Dann aber 
scheint mir die schon in frühen Stadien auftretende Drehung 


1) M. v. Davidoff: Ueber präoralen Darm und die Entwicklung 
der Prämandibularhöhle bei den Reptilien. (Platydactylus mauritanieus 
L. und Lacerta muralis Merr.) Festschrift f.C.v.Kupffer. Jena 1899. 


268 H. Rex: 


des Kopfes die Anfertigung von Medianschnitten erheblich zu 
erschweren. Mit diesen Schwierigkeiten sind jene, mit welchen 
das Studium der Entwicklung des Vorderkopfes der Vögel zu 
rechnen hat, kaum zu vergleichen, und doch weiss ich aus eigener 
Erfahrung, welehe Mühe die Anfertigung einwandfreier Median- 
schnitte erfordert. Auf diese Schwierigkeiten hat vor einigen 
Jahren His hingewiesen; er räth zum Hilfsmittel der Recon- 
struction. Ich kann diesem indessen nur einen beschränkten 
Werth zuerkennen. Diese Abschweifung aufs technische Gebiet 
scheint mir nur deshalb geboten, weil ich in v. Davidoff 's Ab- 
handlung nur zwei einwandfreie Medianschnitte verzeichnet finde, 
einen solchen von einem Keime mit zwei und einen zweiten von 
einem Keime mit 23—30 Urwirbeln (Textfigur 3 und 12). In den 
uns interessirenden Fragen ist jedoch das Studium von Median- 
schnitten eine Grundbedingung für die richtige Auffassung der so 
ungemein schwierigen Verhältnisse. 

Die tiefstgehende Diserepanz zwischen unseren Auffassungen 
ist in der Ansicht v. Davidoff’s gelegen, nach welcher er 
eine Betheiligung des Vorderendes des Kopffortsatzes an der 
Entwicklung des Höhlenpaares ausschliesst. Er ist ferner geneigt, 
auch für die Ente anzunehmen, dass der Kopffortsatz mit diesen 
Entwicklungsvorgängen nichts zu schaffen babe. v. Davidoff 
hat da eines nicht bedacht. Er schildert uns ausführlich, dass 
beim Gecko im medianen Abschnitte der Höhlenanlage, also der 
„enterdomalen Zellplatte“, die Anlage des Chordavorderendes 
enthalten sei. Die Chorda nimmt aus dem Kopffortsatze ihre 
Entstehung. Ihr Vorderende aber nicht? Warum sollen wir 
gerade für ihr Vorderende einen anderen Mutterboden an- 
sprechen? Dazu haben wir doch keinerlei Anlass. Ich nehme 
daher an, dass die Dorsalwand seines „medialen Divertikels“ 
das Vorderende des Kopffortsatzes in sich birgt und verweise 
diesbezüglich auf seine Textfigur 3, welche einen sehr schönen 
Medianschnitt von einem Keime mit zwei Urwirbeln darstellt. 
Hier hat der Autor den der interepithelialen Zellmasse gleich- 
altriger Entenkeime entsprechenden Abschnitt der dorsalen Kopf- 
darmwand als „primäres Entoderm“ bezeichnet. Dass nun v. Da- 
vidoff später zu einer anderen Schlussfolgerung gelangt, 
scheint mir darauf zu beruhen, dass der nächst ältere Embryo, 
von welchem er uns einen combinirten Medianschnitt bringt, 


Zur Entwieklung der Augenmuskeln der Ente. 269 


bereits sieben Urwirbel besass, also beträchtlich älter war, als 
der erst erwähnte. Der Autor dürfte also das Schicksal des 
primären Entoderms aus den Augen verloren haben. 

v. Davidoff hat auch die Lichtung im Vorderende 
des Kopffortsatzes der Ente zur Darmlichtung in Beziehung zu 
bringen versucht. Diese von mir als „dorsaler Schenkel des 
Divertikels* bezeichnete spaltförmige Lichtung tritt indessen, 
wie ich mich nachträglich überzeugt habe, schon bei Keimen 
auf, bei welchen es noch nicht zur Bildung des ersten Urwirbel- 
paares kam; bei solehen ist auch von der Anlage des Kopf- 
darmes noch nichts zu sehen. Die Spaltbildungen im Kopffort- 
satze sind vollkommen selbständig; sie sind von der Kopfdarm- 
liehtung unabhängig. Beide Liehtungen sind durchaus nicht 
gleichwerthig. Ich habe darauf bereits in meiner älteren Ab- 
handlung (pag. 99) hingewiesen. 

Die Abgliederung des äussersten Endabschnittes des Kopf- 
darmes beim Gecko fasst v. Davidoff als Resultat eines Ein- 
stülpungsprocesses auf, durch welchen die Dorsalwand des Kopf- 
darmvorderendes allmählich ventralwärts vorgestülpt wird. Diese 
Auffassung scheint mir keine wichtige Divergenz in unseren Be- 
funden zu bedeuten. 

Es finden sich ferner beim Gecko im Bereiche des ventralen 
Abschnittes des Kopfdarmscheitels lateralwärts vordringende 
Divertikel. Es ist dem Autor nieht unwahrscheimlich, dass auch 
diese am Aufbau der Prämandibularhöhle mit betheiligt sind. 
Ich habe diese Divertikelbildungen in Sagittalschnitten von 
Entenkeimen mit zwei, sowie mit sechs bis sieben Urwirbeln 
ebenfalls gefunden und in meiner ersten Abhandlung eingehend 
beschrieben. Eine Betheiligung am Aufbau der Höhle konnte 
ich nicht nachweisen. Beim Gecko erhalten sich dieselben weit 
länger als bei der Ente. Die Annahme, dass dieselben zur Bil- 
dung des Höhlenpaares mit verwendet werden, dürfte wohl aus 
den innigen Beziehungen geschöpft sein, welche zwischen den 
seitlichen Abschnitten der „entodermalen Zwischenplatte“ und 
der Dorsalwand dieser Divertikel bestehen. Ich möchte der er- 
wähnten Deutung dieser Beziehungen gleich v. Davidoff nur 
den Rang einer Vermuthung einräumen. 

Ueberblicke ich endlich den zunächst von v. Kupffer, 
sodann von mir und Corning, und nun auch von v. Davidoff 


270 HeRex: 


unternommenen Versuch, die entodermale Abstammung des prä- 
mandibularen Höhlenpaares für die Sauropsiden zu erweisen, so 
kann ich mich des Eindruckes nicht erwehren, dass der von mir 
für die Ente erwiesene Aufbau des Höhlenpaares aus einem 
vordersten Endabschnitte des gastralen Mesoderms dieser Auf- 
fassung ein schweres Hindernis in den Weg legt. Den Aus- 
höhlungsprocess, welchem die Höhlenanlage unterliegt, zur Lich- 
tung des Kopfdarmscheitels in Beziehung bringen, heisst doch 
wohl so viel, als annehmen, dass sich eine Divertikelbildung des 
Kopfdarmvorderendes in ein völlig fremdes Gebiet, und zwar in 
einen vordersten Abschnitt des gastralen Mesoderms und dessen 
Ursprungsstätte hineinerstreckt. Damit kommen wir aber auch 
von der Bedeutung des präoralen Darmes im Sinne v. Kupffer’s 
gänzlich ab. Namentlich würden wir aber — ich betone dies 
nochmals — in die Entwicklung des gastralen Mesoderms etwas 
Fremdes hineintragen, welches für das Bereich desselben sonst 
nirgend bekannt ist. 

Vielleicht lässt sieh meine oben vorgetragene Auffassung 
dieser complieirten Entwieklungsverhältnisse mit den uns bekann- 
ten Thatsachen leichter vereinigen. 


Prag, am 17. Juli 1900. 


Erklärung der Abbildungen auf Tafel XIII und XIV. 
Fig. 1. Aus einem Sagittalschnitte durch den Vorderkopf eines Em- 
bryos mit 43 Urwirbeln. Vergr. 165:1. 

Aus einem Querschnitte durch den Vorderkopf eines Embryos 

mit 43 Urwirbeln. Vergr. 71:1. 

Fig. 3. Aus einem Sagittalschnitte durch den Vorderkopf eines Em- 
bryos mit dem Vorderkopfmaasse aa=3,5 mm. Vergr. 71:1. 

Fig. 4 Aus einem Sagittalschnitte durch den Vorderkopf eines Em- 
bryos mit dem Vorderkopfmaasse aa—4 mm. Vergr. 165:1. 

Fig. 5. Aus einem Querschnitte durch den Vorderkopf eines Embryos 
mit dem Vorderkopfmaasse aa—=4 mm. Vergr. 165 :1. 

Fig. 6. Aus einem Sagittalschnitte durch den Vorderkopf eines Em- 
bryos mit dem Vorderkopfmaasse aa—=45 mm. Vergr. 165:1. 

Fig. 7, 8 und 9. Aus drei Querschnitten durch den Vorderkopf eines 
Embryos mit dem Vorderkopfmaasse aa = 4,5 mm. Vergr. 71:1. 


I) 


Zur Entwicklung der Augenmuskeln der Ente. 271 


Fig. 10. Schrägschnitt durch den Vorderkopf, welcher die Anlage des 
M. obliquus superior in ganzer Ausdehnung betrifft. Vergr. 72:1 

Fig. 11. Aus einem Querschnitte durch den Vorderkopf eines Embryos 
mit 36 Urwirbeln. Vergr. 107:1. 


Allgemein giltige Bezeichnungen. 
Kh. = prämandibulare Kopfhöhle. 
bd. =der vorderen Höhlenwand entstammendes Bindegewebe. 
m.r.s.—= Anlage des M. rectus superior. 
m.r.inf. + int. — Anlage des M. rectus inferior und internus. 
m.0.5. = Anlage des M. obliquus superior. 


m.o.. —= Anlage des M. obliquus inferior. 
ab.d.m.= Anlage der Abducensmuskulatur. 
tr.m. = Anlage der Trigeminusmuskulatur. 
Hy. = Hypophysentasche. 

4. —= Augenbecher. 

A.st. = Augenbecherstiel. 

H. — die äussere der beiden Augenbecherhüllen. 
Aur. = Labyrinthbläschen. 

IIL, = Öeulomotorius. 

Ggl. V= Trigeminusganglion. 

V.1. =eerster Ast des Trigeminus. 

VI = Abducens. 

c.i. = Carotis interna. 

a... =A. ophthalmica. 

ca. —= vordere Cardinalvene. 

J. = Jugularvene: 


(Aus dem I. anatomischen Institut zu Wien.) 


Zur Pankreasentwickelung der Säugethiere. 


Von 
Dr. Konrad Helly, Prosector. 


Hierzu Tafel XV, XVI und XVII und 20 Textfiguren. 


In den letzten Jahren erschien eine stattliehe Reihe von 
Arbeiten, die sämmtlich die Entwickelung des Pankreas bei den 
verschiedenen Klassen der Wirbelthiere zum Gegenstande hatten 
und die, wenige Ausnahmen abgerechnet, nur ein allen gemein- 


272 Konrad Helly: 


sames Ergebniss zu Tage förderten: nämlich, dass die Bauch- 
speicheldrüse ihre endgiltige Form dem Aufbaue aus drei, vorerst 
getrennten Anlagen verdanke. Die Eine derselben entstehe aus 
einer Rinne oder Vorbuchtung der dorsalen Wand des primären 
Duodenum, die beiden anderen seien ventrale Anhänge des Ein- 
geweiderohres, woferne sie nicht überhaupt fehlen, wie Befunde 
an Cylcostomen und Selachiern gezeigt haben. Diesem gemein- 
samen Ergebnisse stehen nun noch einige Fragen gegenüber, 
deren Lösung hisher gar nicht, oder nur in widersprechender 
Weise gegeben wurde. Einen Theil dieser Fragen, soweit es 
sich dabei um Säugethiere handelt, zusammenzufassen mit dem 
Versuche, sie in einer den Thhatsachen entsprechenden Weise zu 
beantworten, war der Zweck der vorliegenden Arbeit. Es sei 
mir gestattet, diese Fragen gleich eingangs vorauszuschicken, 
da sie auch die Gesichtspunkte abgeben, welchen die den kom- 
menden Ausführungen zu Grunde liegenden Untersuchungen 
Rechnung tragen mussten. 

Betrachtet man das Lageverhältniss der dorsalen Pankreas- 
anlage zu den beiden ventralen, beziehungsweise beim erwach- 
senen Thiere das der ihnen entsprechenden Ausführungsgänge, 
so sieht man alsbald, dass bei den verschiedenen Säugethieren 
hierin keine Uebereinstimmung herrscht, indem der dorsal ge- 
legene Duetus Santorini bald eranial, bald caudal von dem ven- 
tral gelegenen Duetus Wirsungianus in den Darm mündet. Ja, 
sogar bei ein und derselben Species finden sich bei den einzelnen 
Individuen Verschiedenheiten nach dieser Richtung, wie das Beispiel 
des Menschen am deutlichsten zeigt. Selbstverständlich ändert 
die nachträgliche Rückbildung des Ductus Wirsungianus beim 
erwachsenen Thiere nichts an der Möglichkeit, seine embryonale 
Lage zu bestimmen, da wir ja wissen, dass diese im allgemeinen 
an die Mündung des Ductus choledochus gebunden erscheint. 

Eine zweite Frage, über die widersprechende Angaben vor- 
liegen, ist die nach der Einfachheit oder doppelten Lappung 
(beziehungsweise Paarigkeit) der dorsalen Pankreasanlage 
der Säuger, wobei es sich in erster Linie darum handelt, 
festzustellen, ob diese Zweilappigkeit zugleich mit dem ersten 
Auftreten der Anlage erscheint, oder, ob sie erst eine Folge 
späterer, wenngleich sehr bald einsetzender Wachsthumsvor- 
gänge ist. 


Zur Pankreasentwickelung der Säugethiere. 273 


Was den Vorgang der Abschnürung des dorsalen Pankreas 
von der Darmwand betrifft, so lassen die hierüber bestehenden 
Meinungsäusserungen bezüglich der Säugethiere ebenfalls wünschens- 
werth erscheinen, endlich zu bestimmen, ob sich derselbe wirk- 
lich im Gegensatze zum entsprechenden Vorgange bei den übrigen 
Wirbelthieren in eaudocranialer Richtung vollzieht, wie verschiedene 
sucher theils geradezu behaupten, theils aus der Art, wie sie 
diesen Vorgang schildern, entnehmen lassen. 

Weiters besteht noch eine gewisse Unklarheit darüber, ob 
die erste Ursprungsstätte der beiden ventralen Anlagen noch der 
Darmwand zuzurechnen sei, oder, ob man dieselben als An- 
hangsgebilde des primären Leberganges aufzufassen habe, wenn 
auch darüber kein Zweifel obwaltet, dass im Laufe der späteren 
Entwiekelung sicher letzteres der Fall ist. 

Eine Frage, deren Lösung bisher auch noch nicht allseitig in 
gleichem Sinne erfolgt ist, ist die nach dem Schicksale der 
linken ventralen Pankreasanlage. Hierbei blieb bislang vornehm- 
lich unentschieden, ob dieselbe immer mit der rechten Anlage 
verwachse, oder, ob sie nicht mindestens im einigen Fällen 
sanz zu Grunde gehen könne, so dass die weitere Ausbildung des 
ventralen Pankreas ausschliesslich auf Kosten der rechten ent- 
sprechenden Anlage vor sich gehe. 

In histogenetischer Hinsicht habe ich es für wünschens- 
werth gehalten, den Vorgang näher zu untersuchen, der sich 
bei der Verwachsung der dorsalen und ventralen Anlage abspielt. 
Insbesondere glaubte ich, mein Augenmerk darauf richten zu 
müssen, ob beide Anlagen bloss infolge der Wachsthumsvorgänge 
mechanisch an einander gerathen und an der Berührungsstelle 
verschmelzen, oder, ob auch gewissermassen eine active Betheiligung 
der beiderseitigen Zellgruppen bei diesem Vorgange wahrzuneh- 
men ist. 

Nebst den hier vorausgeschickten Fragen allgemeinerer Art 
ergaben sich da und dort auch noch einige, die nur mit Bezug 
auf die untersuchte Thierspecies von Belang waren. Ich behalte 
mir vor, auf dieselben im Verlaufe der weiteren Darstellung, 
soweit es der Stoff erfordert, noch näher einzugehen. 

Um nun der einschlägigen Literatur zu gedenken, glaube 
ich im Hinblick auf die mustergiltigen Zusammenstellungen, die 
von einigen Forschern in den letzten Jahren darüber gemacht 


274 Konrad Helly: 


wurden, von einer Wiederholung derselben füglich absehen zu 
können. Ich werde mich daher lediglich darauf beschränken, 
jene Arbeiten anzuführen, auf die ich im Verlaufe meiner Unter- 
suchungen Rücksicht zu nehmen gezwungen war. 

Sehen wir von einigen älteren Angaben ab, die nur mehr 
geschichtlichen Werth besitzen und durch die Ergebnisse der 
neueren Forschung bereits überholt worden sind, so findet sich der 
erste Hinweis auf die Unklarheit, die darin gelegen ist, dass 
„beim Rind der Pankreasgang 6 Zoll analwärts vom Gallengang“ 
in den Darm mündet, bei Stöhr (26). Eine ähnliche Bemerkung 
macht einige Jahre später vv Brunn (4), der „diejenigen 
Fälle, wo, wie beim Rinde, ausser dem mit dem Duetus ehole- 
dochus ausmündenden Gange noch ein soleher weiter eaudalwärts 
mündender existirt....“ durch eine „spätere Wanderung der 
Mündung, sei es des Duetus choledochus eranialwärts, sei es 
durch die der dorsalen Anlage caudalwärts“ zu erklären versucht. 
Erwähnt sei, dass er bei einem vierwöchentlichen menschlichen 
Embryo die dorsale Pankreasmündung cranial, bei einem sieben- 
wöchentlichen Embryo dagegen „ein wenig caudal von dem 
Ducetus choledochus“ beobachtet hat. In die Zeit zwischen diesen 
beiden Arbeiten fallen die von Felix (7) und Wlassow (29). 
Ersterer hat aus dem Atlas von His (12) eine Zusammenstellung 
gemacht, wonach daselbst bei vier Embryonen die Pankreas- 
mündung — His kennt nur das dorsale Pankreas — cranial von 
dem Ductus choledochus dargestellt ist, während sie einmal der- 
selben genau gegenüber und dreimal eaudal von ihr liegt. Er 
selbst nimmt ein Nachabwärtswandern des Ductus choledochus 
an, welches der endgiltigen Lage seiner Mündung vorangehen 
soll. Letzterer findet beim Schwein die dorsale Anlage ein wenig 
caudal von der Mündung des Ductus choledochus gelegen. 

Eine ähnliche Umkehrung der Lage beider Mündungen, 
wie sie v. Brunn gesehen haben will, jedoch in entgegengesetztem 
Sinne, beschreibt JanoSik (15), der bei einem 1 em langen 
menschlichen Embryo die Mündung des Gallenganges näher 
dem Magen fand, als die des dorsalen Pankreas, während bei 
einem 2,9 cm langen Embryo beide den Platz gewechselt („ont 
change de place“) hatten, so dass die letztere näher zum Magen 
in den Darm mündete. Brachet (2), der die Pankreasentwicke- 
lung der Säugethiere am Kaninchen bearbeitete, beschränkt sich 


Zur Pankreasentwickelung der Säugethiere. 275 


darauf, das allmählige Hinabrücken der, angeblich schon zur 
Zeit ihres ersten Auftretens caudal von dem Ductus choledochus 
gelegenen dorsalen Pankreasmündung zu beschreiben und auf das 
beträchtliche Längenwachsthum des dazwischen liegenden Theiles 
des Duodenum zurückzuführen. Er vermeidet es jedoch, einen 
Vergleich mit dem Verhalten anderer Säuger anzustellen. Charpy 
(5) hält auch beim Menschen die caudale Lage des dorsalen 
Paukreas für den primären Zustand, aus welchem sich erst durch 
eine „inversion embryonnaire“ der bleibende (craniale Lage der 
dorsalen Anlage) ausbilde, so dass in jenen Fällen, wo beim er- 
wachsenen Menschen der Ductus Santorini tiefer mündet, als der 
Ductus choledochus, ein Stehenbleiben auf einer früheren embryo- 
nalen Entwickelungsstufe zu erblicken wäre. Alle übrigen, bisher 
nicht angeführten Arbeiten enthalten sich zumeist einer Aeusse- 
rung über diese Frage, woferne sie nicht die craniale Lage des 
dorsalen Pankreas als Regel betrachten. 

Die von Stoss (27, 28) und Wlassow (l. ec.) behauptete 
Zweilappigkeit, beziehungsweise Paarigkeit der dorsalen Pankreas- 
anlage wurde von Felix und Brachet in ihren vorerwähnten 
Arbeiten sehr richtig mit dem Hinweise auf die unpaarige Ein- 
mündung in das Duodenum bestritten. Wir werden überdies im 
Folgenden sehen, dass die beiden erstgenannten Forscher zu ihrer 
irrthümlichen Annahme dadurch gebracht wurden, dass ihnen 
nicht mehr die allerersten Entwickelungsstufen des Pankreas 
vorlagen. 

Der Abschnürungsvorgang des dorsalen Pankreas wurde, 
soweit er bei den Säugern bisher überhaupt Berücksichtigung 
fand, als caudocranial vor sich gehend geschildert; so nament- 
lich von Stoss(l.e.) und von Choronshitzky (6), welch 
Letzterer nicht ermangelt, auf den Unterschied hinzuweisen, der 
hierin gegenüber den anderen Klassen der Wirbelthiere gelegen 
ist, bei denen sich dieser Vorgang in umgekehrter, eraniocaudaler, 
Richtung vollzieht. 

Auf die, die ventralen Pankreasanlagen betreffenden Literatur- 
angaben übergehend, kann ich die Mehrzahl der bisher veröffent- 
lichten Arbeiten für den Ursprung dieser Anlagen aus dem ersten 
Anfangstheile des primären Leberganges ins Treffen führen; so 
namentlich die Arbeiten von Phisalix (21, 22), Zimmermann 
(30), Stoss (l. e.), v. Brunn (l. e.), Jankelowitz (13, 14), Jano- 


276 Konrad Helly: 


Sik (l. e.), Joubin (16) und Brachet (1, 2). Hamburger (8) 
lässt beim jüngsten von ihm untersuchten menschlichen Embryo 
die ventrale Anlage noch aus der Darmwand hervorgehen und 
erst nachträglich auf den Ductus choledochus hinaufrücken. In 
diesem Befunde dürfte, wie ich noch später näher auseinander- 
setzen werde, eine Varietät vorliegen. Auch Brachet (1) giebt 
die Möglichkeit zu, dass die beiden ventralen Pankreasdivertikel 
manchmal dem Darmrohre selbst angehören. Am weitesten in 
dieser Hinsicht geht jedoch Choronshitzki (]. e.), der für sämmt- 
liche Wirbelthierklassen die Behauptung aufstellt, dass die ven- 
tralen Anlagen Ausstülpungen der Darmwand seien und erst 
secundär auf den Ductus choledochus abrücken. 

Ueber das Schicksal der beiden ventralen Pankreasanlagen 
berichtet zum erstenmale in ziemlich ausführlicher Weise Stoss 
(l.e.).. Nach ihm findet eine Vereinigung derselben miteinander 
schon sehr bald nach ihrem Auftreten statt. Alle späteren For- 
scher suchen ihre Befunde mit seinen mehr oder minder voll- 
kommen in Einklang zu bringen, wobei in jenen Fällen, wo nur 
eine Anlage gefunden wurde, die Annahme zu Hilfe gezogen wird, 
dass die Verwachsung beider Anlagen bereits auf einer früheren, 
im vorliegenden Falle nicht mehr zur Beobachtung gelangten 
Entwiekelungsstufe vor sich gegangen sein müsse. Es theilen 
daher die Ansicht von Stoss namentlich Laguesse (18), Jankelo- 
witz (l. ce), Brachet (1), Piper (20) und Choronshitzki. 
Wlassow (l. ce.) ist mit seinem Urtheile über diesen Punkt zurück- 
haltend und Brachet (2) stellt für das Kaninchen geradezu die 
Behauptung auf, dass sich dessen linke ventrale Pankreasanlage 
grösstentheils zurückbilde. 

Oppel (19) giebt eine übersichtliche Zusammenstellung der 
bisherigen Ergebnisse. 

Die Verwachsung der ventralen mit der dorsalen Anlage 
kommt nach dem Urtheile aller, die sich hierüber geäussert haben, 
als weitere Folge der Darmdrehung zustande, die bewirke, dass 
die einander genäherten Anlagen in ihrem fortgesetzten Wachs- 
thume sozusagen mechanisch aneinander gerathen, und an der 
jeweiligen Berührungsstelle eine anastomotische Verwachsung 
erfahren. 

Hiermit schliesse ich die Uebersicht über die bereits vor- 
handene einschlägige Literatur ab und behalte mir vor, einzelner 


Zur Pankreasentwickelung der Säugethiere. a77 


hier nicht wiedergegebener Ansichten im Verlaufe meiner Arbeit 
an gelegener Stelle Erwähnung zu thun. Die folgenden Zeilen 
seien der Anführung des zu meinen Untersuchungen herange- 
zogenen Materiales, sowie dessen Behandlungsweise gewidmet. 

Mit Ausnahme eines menschlichen Embryos, den mir Herr 
Doe. Dr. H. Rabl in liebenswürdiger Weise als Serie geschnitten 
zur Verfügung stellte, wofür ich ihm an dieser Stelle meinen 
verbindlichsten Dank ausspreche, musste ich mich auf Thiere 
beschränken, bei denen die dorsale Anlage caudal von der Mün- 
dung des Ductus choledochus zu liegen kommt. Es sind dies 
eine, mit Bezug auf die ersten Entwickelungsstufen des Pankreas 
sehr vollständige Reihe von Embryonen der albinotischen weissen 
Ratte, desgleichen eine solche vom Meerschwein und eine fast 
vollständige vom Kaninchen. Dazu kommen noch einige Jüngere 
Embryonen von der Katze und vom Schwein. 

Als Fixierungsmittel wurde ein Gemisch von Pikrinsäure- 
Sublimat verwendet mit einem geringfügigen Zusatze von Essig-, 
beziehungsweise Ameisensäure. Die Einbettung erfolgte in Paraf- 
fin, die Färbung mit Hämatoxylin - Eosin, ausnahmsweise mit 
Carmin oder Cochenille-Alaun. Bei den Schweineembryonen wurde 
8—10°/, Formollösung als Fixierungsflüssigkeit mit gutem Erfolge 
verwendet. Von dem erwähnten menschlichen Embryo, der in 
Celloidin eingebettet war, ist abwechselnd je ein Schnitt mit 
Hämatoxylin - Eosin, und je einer mit Hämatoxylin - Congoroth 
gefärbt. 

Die Schnittdicke betrug bei allen Embryonen 10 u; die 
Schnittriehtung wurde im Allgemeinen senkrecht zum grössten 
Krümmungsdurchmesser gewählt. Die Lückenlosigkeit jeder ein- 
zelnen Serie war eine vollständige. 

Von der Ansicht ausgehend, dass die einzige Methode, die 
es ermöglicht, wirklich vollkommen richtige Bilder der unter- 
suchten Organe zu gewinnen, die der Reconstruction vermittelst 
Wachsplatten ist, verfertigte ich von den menschlichen Embryo, 
sowie von der Mehrzahl der Ratten-, Meerschwein- und Kaninchen- 
Embryonen insgesammt 23 Modelle. Ich bediente mich hierbei 
für alle der einheitlichen Vergrösserung von 1:100, 

Beginnen wir die Durchsicht der vorliegenden Ergebnisse 
mit jenen, welche an den drei einander nächststehenden Thieren 


278 Konrad Helly: 


gesammelt wurden — es sind dies: Kaninchen, Ratte und Meer- 
schwein —, so sehen wir bei jedem derselben im ausgewachsenen 
Zustande andere Mündungsverhältnisse des Pankreas vorliegen, 
als bei den beiden anderen. Während das Kaninchen sehr häufig, 
wenngleich nicht immer, beide Ausführungsgänge besitzt, findet 
sich bei der Ratte überhaupt keine, dem Duetus Wirsungianus 
oder dem Ducetus Santorini allein angehörende Darmmündung, 
und das Meerschwein nimmt eine Mittelstellung zwischen den 
beiden vorigen ein, indem bei ihm das Pankreas in einiger Ent- 
fernung von dem Duetus eholedochus durch den Duetus Santorini 
in das Duodenum mündet. 


1. Kaninchen. 


Obzwar in der Reihenfolge der von mir untersuchten Thiere 
die Ratte den ersten Platz einnimmt und auch die eingehendste 
Bearbeitung erfahren hat, beginne ich den beschreibenden Theil 
meiner Arbeitsergebnisse dennoch mit dem Kaninchen, da bei 
demselben die Entwickelung des Pankreas gewissermassen den 
Grundtypus zeigt, als dessen Variationen die entsprechenden 
Vorgänge bei Ratte und Meerschwein gelten können. 

Es war mir nicht schwer, an vier Embryonen aus der 
zweiten und einem aus der dritten Woche die Angaben zu über- 
prüfen, die Brachet (2) über die ersten Entwickelungsstufen 
der dorsalen Pankreasanlage beim Kaninchen gemacht hat, und 
mich von ihrer Richtigkeit zu überzeugen. Ich wende mich aus 
diesem Grunde, sowie auch deshalb, weil ich noch bei den beiden 
anderen zu beschreibenden Nagern Gelegenheit haben werde, 
über ganz ähnliche Vorgänge in der Entwickelung dieser Anlage 
zu berichten, gleich einem Embryo zu, bei dem aus der primären, 
etwas erweiterten, jedoch unpaarigen Vorbuchtung der dorsalen 
Darmwand bereits ein grösseres Divertikel geworden ist. 


T: 


Dieser Embryo, der ziemlich genau dem von Brachet in 
Fig. 4 auf Pl. XVIII abgebildeten entspricht, zeigt folgende 
Eigenschaften: 

Sein grösster Krümmungsdurchmesser beträgt 3,8 mm. Von 
den Anhangsgebilden des Darmrohres erwähne ich nur die Lunge, 


Zur Pankreasentwickelung der Säugethiere. 279 


deren Anlage bis zur Bildung der beiden primitiven Lungen- 
schläuche gediehen ist, und die Leber, in der bereits die Ent- 
wickelung der netzförmig angeordneten Zellstränge begonnen 
hat, und deren Ausführungsgang schon deutlich ein als Duetus 
choledochus anzusprechendes Endstück aufweist (Fig. 1, 2), wenn- 
gleich ein eigentlicher Duetus ceystieus noch fehlt. Der Magen 
kennzeichnet sich erst als Ausbuchtung des Darmrohres vor- 
wiegend im geraden, zum geringeren Theile auch im queren 
Durchmesser, wie ja um diese Zeit der Erstere im ganzen Vorder- 
darme den Letzteren an Länge beträchtlich übertrifft. Auf dem 
Querschnitte erscheint er gegen die Medianebene schräge gestellt, 
was als Ausdruck der beginnenden Darmdrehung aufzufassen ist. 
Der Ductus omphalo-mesenterieus, der verbältnissmässig breit 
genannt werden darf, mündet in geringer Entfernung vom Magen 
in den Darm. 

Die dorsale Pankreasanlage liegt etwas tiefer, als die Mün- 
dung des Ductus choledochus, so zwar, dass ihr oberer Rand 
dessen unteren noch immer um etwa 20 u cranialwärts überragt. 
Ihre Höhe an der Abgangsstelle vom Darme beträgt 200 u. Sie 
steht mit demselben in weit offener Verbindung. Auf dem Quer- 
schnitte zeigt sich ihre Lichtung als kurze, blind endigende, 
sackförmige Fortsetzung des Darmrohres mit überaus dicken 
Wandungen. Die Anlage zeigt auch jene seichte, nur oberfläch- 
lich ausgesprochene Längsfurche, wie sie Brachet an einem 
seiner Embryonen von 10!/, Tagen gesehen hat. 

Fragen wir nach der Bedeutung dieser Furche, so erkennen 
wir in ihr alsbald, namentlich, wenn wir den nächsten Embryo 
in Vergleich ziehen, die nothwendige Folge der beginnenden so- 
liden Sprossenbildung der Pankreasanlage. Die Anlage als Gan- 
zes betrachtet weicht gegenüber dem Darme ein wenig nach 
rechts ab. 

Meine Beobachtungen stimmen also bis zu diesem Punkte 
vollkommen mit den von Brachet gemachten überein. Wesent- 
lich anders steht es aber mit den an den ventralen Anlagen an- 
gestellten, denen wir uns jetzt zuwenden wollen. 

Ich vermochte wohl auch zu beiden Seiten des Duetus 
choledochus je einen Vorsprung zu erkennen, aber dieselben 
vereinigen sich nicht am hinteren (ventralen) Umfange des Gallen- 
ganges, sondern bilden jeder eine deutlich umgrenzte, kuppen- 

Archiv f. mikrosk. Anat. Bd. 57 19 


280 Konrad Helly: 


förmige Verdiekung des Epithels desselben (Fig. 1, 2). Die 
rechte Anlage ist etwas breiter, als die linke (60 u gegen 40 u). 

Selbstverständlich bemühte ich mich, den Grund zu finden, 
der den Unterschied zwischen unseren beiderseitigen Beobachtungen 
mit den daran geknüpften Schlussfolgerungen bedingte, und glaube, 
ihn hauptsächlich in einem technischen Fehler gefunden zu haben, 
der bei der Reconstruction bislang unbekannt gewesener Organ- 
formen sieh sehr leicht einschleicht und nur durch ein Aufgebot 
grösstmöglicher Vorsicht vermieden werden kann. 

Auf den von mir beigegebenen Zeichnungen dieser Ent- 
wickelungsstufe sieht man, wie die beiden ventralen Anlagen 
bloss durch eine sehr seichte Rinne von ihrer Umgebung abge- 
grenzt sind. Es ist nun nichts leichter, als diese Rinne an der 
Unterseite der Anlagen am Modell schon durch sehr geringe 
Ungenauigkeiten in der Zeichnung der Sehnitte, noch mehr aber 
durch das Wachs zu verdecken, das man zur Verstreichung der 
Stufen zwischen den einzelnen Platten verwendet. Diesem Febler 
lässt sich durch zwei Massregeln sicher begegnen. Die eine 
ist durch Anwendung möglichst starker Vergrösserungen — nicht 
unter 1:100 — bei thunlichster Genauigkeit der Zeichnung ge- 
geben. Die zweite besteht darin, dass man die allerdings etwas 
Geduld erfordernde Vorsicht gebraucht, das Verstreichen der 
Stufen immer nur von einer Platte zur anderen vorzunehmen und 
dabei sorgfältig zu vermeiden, dass die Ränder derselben durch 
aufgestrichenes Wachs verdeckt werden. Man kann dann sicher 
sein, dass das Modell, ohne die immerhin für den richtigen Ge- 
sammteindruck etwas störenden Stufen zu besitzen, doch nicht 
jene trügerische Glätte der Oberfläche zeigt, unter der sich oft 
wichtige Feinheiten der wahren Formen verbergen. 

Hat man ein derart riebtiges Modell zur Verfügung, dann 
wird man auch leicht einer unrichtigen Schlussfolgerung ent- 
gehen, die man auf Grund der blossen Durehsicht der Schnitte 
ebensoleicht zu ziehen geneigt wäre, und die darin besteht, dass 
man an jenen von ihnen, die den hinteren Choledochusumfang 
bereits nahezu tangential treffen, das scheinbar mehrreihige Zellen- 
lager, welches sich zwischen beiden Pankreasanlagen ausbreitet, 
für eine brückenartige Verwachsung Beider hält, während doch 
nichts weiter vorliegt, als eben ein Schrägschnitt durch die Wand 
des Ductus choledochus an jener Stelle, wo zwar nicht mehr 


Zur Pankreasentwickelung der Säugethiere. 281 


seine Lichtung besteht, wohl aber noch die ihm beiderseits auf- 
sitzendeu ventralen Anlagen getroffen sind. 

Die untenstehenden, mittelst Zeichenapparates genau nach 
dem Präparate gezeichneten Umrisse der Schnitte dürften im 
Zusammenhalte mit der in Fig.3 wiedergegebenen Durchschnitts- 
ansicht des Modells, entsprechend der in den Fig. 1 und 2 durch 
die Linie ss’ gekennzeichneten Ebene, den besten Beleg für die 
von mir vertretene Ansicht abgeben, dass die Annahme einer 
schon um diese Zeit ihrer Entwickelung vorhandenen Ver- 
wachsung beider ventralen Pankreasanlagen den Thatsachen 
widerspricht (Textfig. I—X). 


Textfig. I—-X. 
D.—=Darm, D. ch. = Ductus choledochus, @. = Gallenblase, P.v.d. = 
Pancreas ventrale dextrum, P.v.s. = Pancreas ventrale sinistrum, 
P.d. = Pancreas dorsale. 


Ich habe noch die Aufgabe, der Frage näher zu treten, 
ob diese Anlagen als Theile der Darmwand, oder als Anhangs- 
gebilde des Gallenganges zu betrachten seien. Ersteres wurde 
ja gerade vor kurzer Zeit wieder von Choronshitzky (l. ec.) 
als eine für sämmtliche Wirbelthierklassen geltende Regel be- 
hauptet. Der Autor giebt auch Abbildungen, die diese Behaup- 
tung beweisen sollen. Er findet immer eine „kreuzförmige Aus- 
stülpung der ventralen Darmwand“; der mittlere Schenkel 


282 Konrad Helly: 


derselben entspreche der künftigen Gallenblase, die seitlichen 
den beiden ventralen Pankreasanlagen. 

Ich kann mich mit diesem Gegenstande natürlich nur soweit 
beschäftigen, als die Säuger dabei in Betracht kommen. Die 
Frage ist nun die, ob wir zur Zeit des Auftretens dieser Anlagen 
noch berechtigt sind, die Leberanlage, vor allem aber das Ver- 
bindungsstück zwischen ihr und dem späteren Duodenum als 
Theil des Darmes im engeren Sınne anzusprechen, oder nicht. 

Dass die Leber bereits als selbständiges Organ zu betrachten 
ist, verlangt der Grad ihrer Entwickelung, die ja bereits bis zur 
Bildung der charakteristischen Zellstränge gediehen ist. Aber 
auch die Gallenblasenanlage und der primitive Ductus choledochus 
dürfen nicht mehr als Theile der Darmwand angesehen werden. 
Zwar bildet ihre Lichtung auf einer grösseren Anzahl von Schnitten 
die ununterbrochene Fortsetzung von der des Darmes; das ist 
aber nur eine Folge davon, dass sie an der Einmündungsstelle 
in denselben verhältnissmässig noch sehr weit ist. Ein Blick auf 
die Oberfläche dieser Organe belehrt uns aber sofort vollends 
über die allein richtige Auffassung derselben, indem wir deutlich 
einen gemeinsamen kurzen Stiel sehen, von dem der Ductus he- 
patieus und die Anlage der Gallenblase abgehen, während seinen 
seitlichen Wandungen die beiden ventralen Pankreasanlagen auf- 
sitzen (Fig. 1,2). Es ist klar, dass Schnitte, welche durch diesen 
Stiel — eben den primitiven Ductus choledochus — in der Ebene 
der genannten Anlagen gelegt sind, Bilder ergeben, wie sie 
Choronshitzky gesehen hat, und ich sie in obigen Textfiguren 
gegeben habe. 

Allerdings muss zugestanden werden, dass ein wesentlicher 
Unterschied zwischen den beiden Auffassungen nicht bestebt, da ja 
sämmtliche besprochene Organe in letzter Linie desselben entoder- 
malen Ursprunges sind. 


11. 


Der nächstfolgende Embryo misst im seinem grössten 
Krümmungsdurchmesser 4,8 mm und entspricht ungefähr der von 
Brachet in Fig. 5 und 6 dargestellten Altersstufe. In seiner 
Grösse genau um ji mm von dem Vorigen verschieden, lässt er 
in der Entwickelung seiner Organe folgende Fortschritte er- 
kennen: 


Zur Pankreasentwickelung der Säugethiere. 285 


Die Lungenanlagen zeigen eben die ersten Spuren der dem- 
nächst auftretenden primitiven Lungenbläschen. Die Leber ist 
bereits zu einem mächtigen, die ganze Breite der Bauchhöhle 
einnehmenden Organe geworden. Die Gallenblase hat sich soweit 
abgeschnürt, dass ein, wenn auch noch sehr kurzer Duetus eysti- 
cus zu erkennen ist. Der Magen ähnelt noch stark seiner vorigen 
Form, zeigt aber bereits eine beginnende, nach rechts gerichtete 
Abbiegung in seinem oberen Theile. Auch ist seine Neigung 
gegen die Medianebene, entsprechend der fortschreitenden Darm- 
drehung, stärker ausgesprochen, als bei dem früheren Embryo. 
Von einem Ueberwiegen das geraden Durchmessers des Darm- 
rohres mit der dadurch verbundenen seitlichen Abflachung desselben 
ist, vom Magen, abgesehen, kaum mehr etwas zu sehen. Die Nabel- 
schleife hat an Länge beträchtlich zugenommen, so dass die 
Mündung des bereits bedeutend verengten Ductus omphalo - me- 
senterieus vom Magen weit abgerückt ist. 

Die dorsale Pankreasanlage liegt, wie es auf den ersten 
Anbliek scheint, noch weiter caudalwärts von der Mündung des 
Ductus choledochus, als es bei dem vorigen Einbryo der Fall 
war (Fig. 4). Wenigstens ist ihr oberer Rand jetzt um 60 u 
tiefer gelegen, als dessen unterer. 

Als Erklärung dieser Erscheinung kommen zwei Möglich- 
keiten in Betracht. Die eine wäre in einem entsprechenden 
Längenwachsthume des dazwischen gelegenen Darmstückes zu 
suchen, die andere in einer etwa vor sich gegangenen Abschnürung 
beider Organe vom primitiven Duodenum, die es nothwendig mit 
sich gebracht hätte, dass auch deren Verbindungsstrecke mit 
demselben verkleinert worden, und auf diese Art der Endpunkt 
der einen von dem Anfangspunkte der anderen abgerückt wäre. 
Um zu entscheiden, welcher Vorgang thatsächlich stattgefunden 
hat, wird es nothwendig sein, mehrere vergleichende Messungen 
anzustellen, und hierbei einige Maasse nachzutragen, die an dem 
vorigen Embryo gewonnen wurden. 

Messen wir zunächst die Gesammtlänge des in Frage stehen- 
den Darmstückes, so ergiebt sie beim Embryo I eine Strecke von 
280 u. Als Anhaltspunkte für die Messung dienen dabei der 
obere Rand des Duetus choledochus und der untere des dorsalen 
Pankreas. Seine Gallenblasenanlage hat eine Höhe von 100 u. 

Bei Embryo II ist die bereits deutlich abgeschnürte Gallen- 


284 Konrad Helly: 


blase 120 u hoch. Da die Tiefe der früher nicht vorhanden 
gewesenen Furchen (Fig. 4 f,f) Je 30 u beträgt, so muss sich 
hier sowohl eraniocaudal, als auch in umgekehrter Richtung ein 
Abschnürungsvorgang vollzogen haben. Messen wir nun wieder 
von dem oberen Rande des Ductus choledochus bis zum unteren 
des dorsalen Pankreas, so erhalten wir eine Strecke von 250 u, 
was verglichen mit dem Embryo I also gerade um so viel weniger 
ist, als die Höhe der cranialen Abschnürungsfurche der Gallen- 
blase beträgt. Es ist also das erwähnte Darmstück sicher nicht 
länger geworden, und wenn man bedenkt, dass die Höhenzu- 
nahme der Gallenblase, wie man an dem folgenden Embryo deut- 
lieh entnehmen kann, eranialwärts eine stärkere ist, als in eau- 
daler Richtung, dann dürfte es sich sogar ein wenig verkürzt 
haben. Diese Verkürzung kann natürlich keinesfalls mehr als 20 u 
betragen und könnte wohl im Sinne einer caudocranialen Ab- 
schnürung der dorsalen Pankreasanlage aufgefasst werden. 

Messen wir nun die Höhe derselben beim Embryo II an 
ihrer Abgangsstelle vom Darme, so finden wir für sie 130 u. Die 
ganzen soeben erwähnten 20 u hinzugerechnet, erhalten wir erst 
150 u, was gegen die beim Embryo I gefundenen 200 u noch 
immer einen Unterschied von 50 u bedeutet: Es ist klar, dass 
derselbe nur die Folge eines eraniocaudal vor sich gegangenen 
Abschnürungsvorganges sein kann, der einen etwa auch in ent- 
gegengesetzter Richtung verlaufenen bedeutend an Stärke über- 
trifft. Wie man überdies aus der von Brachet in Fig. 28 ge- 
gebenen Abbildung ersehen kann, setzt der Erstere so früh und 
so deutlich ein, dass man kein Recht hat, den Anderen als den 
bei den Säugern, zum Unterschiede vonden übrigen Wirbelthieren, 
vorhandenen Typus zu erklären, wie es Choronshitzky gethan 
hat. Ich werde noch Gelegenheit haben, auf diesen Gegenstand 
zurückzukommen und weitere Beweise für die Richtigkeit meiner 
Ansicht zu erbringen. 

Kehren wir jetzt zur Beschreibung der dorsalen Anlage zu- 
rück, so sehen wir, dass aus der beim Embryo I angedeutet 
gewesenen Längsfurche ein tiefer Einschnitt geworden ist, wobei 
aus den früher eben angelegten Sprossen eine kurze linke und 
eine bedeutend längere rechte geworden ist, in welcher ich das 
von Hammar (9) an einem Kaninchenembryo von ungefähr gleich 
weit vorgeschrittener Entwickelung, aber grösserer Länge (8 mm) 


Zur Pankreasentwickelung der Säugethiere. 285 


beschriebene Divertikel zu erkennen glaube, dessen Bedeutung 
ihm unbekannt geblieben ist. Die nach rechts vom Darme ge- 
richtete Abbiegung der ganzen Anlage ist noch viel schärfer 
ausgeprägt, als es schon früher der Fall war. 

Begeben wir uns jetzt wieder zu den ventralen Anlagen, 
so sehen wir, dass an der rechten ein merkliches Längenwachs- 
thum stattgefunden hat, so dass sie sich uns in Form eines kurzen, 
von der Wand des Gallenganges abgehenden Zapfens darstellt, 
der auch sichtbar ist, wenn man das Modell von der linken Seite 
des Darmes betrachtet (Fig. 4). 

Die linke Anlage, die bereits etwas weniger scharf hervor- 
tritt, als im vorigen Falle, ist von der anderen nach wie vor 
deutlich getrennt. Ich befinde mich da neuerlich in einem Wider- 
spruche mit Brachet’s Befund, wonach die linke, von Anfang 
an mit der rechten verwachsene, ventrale Anlage im Verlaufe der 


Textfig. XI—XX. 
D.—=Darm, D.ch. = Ductus choledochus, @G. = Gallenblase, P.v. d. = 
Pancreas ventrale dextrum, P.v.s. — Pancreas ventrale sinistrum. 


weiteren Entwickelung des Embryos sich zwar ebenfalls zurück- 
bilden soll, aber dabei auch theilweise in den Lebergängen auf- 
gehe („Elle disparait en se eonfondant avee la paroi du canal 
choledoque et des canaux hepatiques“), wovon ich nichts beinerken 


236 Konrad Helly: 


konnte. Ich glaube, dass auch diesmal der Grund für die Ver- 
schiedenheit unserer beiderseits gewonnenen Ergebnisse in dem 
oben besprochenen technischen Fehler gelegen sein dürfte, den 
zu vermeiden ich bei der Herstellung meiner Modelle bestrebt war. 

In den vorstehenden Textfiguren XI-XX habe ich wie- 
der die Umrisse der in Frage stehenden Querschnitte abgebildet. 
Auch hier besteht wieder eine zellige Verbindung zwischen den 
beiden ventralen Anlagen. Die Betrachtung des Modells lässt 
aber sofort erkennen, dass diese nur eine Folge der tangentialen 
Schnittrichtung ist, die den Gallengang an einer Stelle trifft, wo, 
wie beim Embryo I, zwar nicht mehr seine Liehtung vorhanden 
ist, wohl aber die Pankreasanlagen noch zu finden sind. 

Hiermit wollen wir diesen Embryo verlassen, um unsere 
Aufmerksamkeit dem nächsten zuzuwenden, 


DIT. 


Dieser hat einen grössten Krümmungsdurchmesser von 5,4 mm, 
und entspricht etwa dem von Brachet in Fig. 7 zur Ansicht ge- 
brachten. Die Abschnürung der Lunge vom Darme ist bereits 
soweit vor sich gegangen, dass man das Epithelrohr, welches 
die sich entwickelnde Trachea kennzeichnet, über eine längere 
Reihe von Schnitten verfolgen kann. An der Leber hat die Ab- 
schnürung der einzelnen künftigen Leberlappen oberflächlich be- 
gonnen und die Durchwachsung der Venenstämme durch die 
Leberzellstränge bedeutende Fortschritte gemacht. Am Magen 
hat eine auffallende Formveränderung Platz gegriffen, indem er 
sich namentlich in seinem geraden Durchmesser bedeutend ver- 
grössert hat (Fig. 5). Der Darm erscheint auf dem Querschnitte 
überall kreisrund. Die Nabelschleife zeigt eine eben beginnende 
Krümmung ihrer Schenkel, die auf die demnächst sich ein- 
stellende Bildung der Dünndarmschlingen deutet, und liegt mit ihrem 
Pole bereits stark nach rechts von der Leibesmitte. Der Duectus 
omphalo-mesenterieus endigt bereits innerhalb der Bauchhöhle. 

Die dorsale Pankreasanlage hat ihre Mündung wieder um 
ein Stück nach rückwärts verlegt, und es ist jetzt zur Bildung 
eines, zwischen ihr und dem Gallengange gelegenen Darmtheiles 
in der Länge von 110 u gekommen. Gleichwohl wären wir im 
Irrthume, wollten wir dieses beginnende deutlichere Auftreten des 
späteren Duodenum auf Rechnung eines Längenwachsthumes setzen, 


Io) 
—1 


Zur Pankreasentwickelung der Säugethiere. 


das der erwähnte zwischenliegende Darmtheil erfahren hätte. 
Denn wenn wir das Maass für den Abstand des oberen Randes 
des Duetus choledochus von dem unteren des dorsalen Pankreas 
an ihren Einmündungsstellen in den Darm ermitteln, sowie wir 
es schon bei den beiden vorhergehenden Embryonen gethan haben, 
so ergiebt sich uns die Strecke von 240 u, was einer Abnahme 
von 10 u gegen den Embryo II entspricht. 

Es muss also eine weitere Abschnürung der beiden Organe 
stattgefunden haben, und zwar in erster Linie eine solche des 
Pankreas, dessen Höhe an der Abgangsstelle vom Duodenum nur 
mehr 90 u beträgt. 

Bemerkenswerth ist ferner die Formveränderung, die sich 
an ihm eingestellt hat. Während die linke Sprosse nur wenig 
gewachsen ist (Fig. 5) und bei dem folgenden älteren Embryo 
überhaupt nicht mehr als solche, getrennt von dem übrigen 
Drüsengewebe zu erkennen sein wird, hat sich die rechte an die 
Wand der Nabelvene angeschmiegt und umgreift sie von drei 
Seiten, nur ihre vordere Wand freilassend. Diese „hufeisenför- 
mige Krümmung“ wurde schon von Hammar (l. e.) gesehen und 
von Brachet bestätigt. 

Von den ventralen Anlagen hat sich die rechte weiter ent- 
wickelt, während von der linken nichts mehr zu finden ist (Fig. 5). 
Da die Erstere obendrein ausschliesslich auf die rechte Seite 
des Ductus choledochus beschränkt ist und ein Hinübergreifen 
auf die linke Seite desselben sich nirgends wahrnehmen lässt, 
so müssen wir wohl annehmen, dass die Entwickelung des ven- 
tralen Pankreas ausschliesslich auf Grund der rechten Anlage 
erfolgt, während es die linke nicht über die erste epitheliale 
Verdiekung der Gallengangswand hinausbringt, die ihr Auftreten 
kennzeichnet. Sie flacht sich vielmehr wieder ab, um schliesslich 
gänzlich zu verschwinden. 

Ich bin mithin in diesem Punkte zu einem ähnlichen Er- 
gebnisse wie Brachet gelangt, mit Ausnahme des Umstandes, 
dass ich zwischen beiden ventralen Anlagen zu keinem Zeitpunkte 
ihrer Entwickelung eine Verwachsung zugeben kann, sondern 
beide immer deutlich von einander geschieden wahrzunehmen ver- 
mochte. Keinesfalls aber kann ich Hammar'’s (10) Ansicht bei- 
pflichten, die dahin ging, dass in der von Brachet gesehenen 
linken ventralen Anlage eine irrthümliche Deutung eines richtigen 


288 Konrad Helly: 


Befundes vorliege, indem man es hier mit einem dritten Leber- 
divertikel zu thun habe. 

Dass Joubin die Entwickelung des ventralen Pankreas 
beim Kaninchen nur auf eine und zwar die rechte ventrale An- 
lage zurückführt, hat seinen Grund wohl darin, dass der jüngste 
von ihm beschriebene Embryo schon 6 mm lang, beziehungsweise 
12 Tage alt ist, mithin sowohl nach meinen, wie nach Brachet’s 
Untersuchungen die linke Anlange bereits ihre Rückbildung er- 
fahren hat. 


IV. 

Der nun an die Reihe kommende Embryo besitzt einen 
grössten Krümmungsdurchmesser von 7 mm und entspricht etwa 
dem von Brachet in Fig. 5 dargestellten. Die Entwickelung 
der Organe hat bedeutende Fortschritte gemacht, wie man aus 
der reichlichen Bläschenbildung in der Lungenanlage und der 
starken Lappung der Leber erkennen kann. Auch die Magen- 
und Darmdrehung baben ihren Fortgang genommen, und am 
Dünndarme sind bereits einzelne Schlingen vorhanden. 

Die dorsale Pankreasanlage hat sich mit ihrer Mündung 
von der des Ductus choledochus noch weiter entfernt. Wenn 
wir aber jetzt das zwischen beiden gelegene Duodenalstück 
messen, dann erkennen wir, dass nun dessenLängenwachs- 
thum das Auseinanderrücken der genannten Mündungen ver- 
anlasst hat. Es beträgt nämlich der Abstand des oberen Randes 
des Duetus ceholedochus von dem unteren des dorsalen Pankreas- 
ausführungsganges 330 u; das ist um 90 u mehr, als beim 
Embryo III. Das Zwischenstück des Duodenum, wie in den 
früheren Fällen von dem unteren Rande des Gallenganges bis 
zum oberen des Pankreasganges gemessen, beträgt 200 u, hat 
also ebenfalls um 90 u zugenommen. An den genannten Gängen 
selbst ist eine Veränderung ihrer Querschnittsmaasse nicht mehr 
nachzuweisen. Es ist also die weitere Zunahme ihrer Entfernung 
von einander ausschliesslich dem Wachsthume des Duodenum 
zuzuschreiben. 

Bemerkenswerth ist, dass dieses Wachsthum beim Kanin- 
chen erst stattfindet, nachdem die Abschnürungsvorgänge an 
Gallen- und Pankreasgang zu Ende gediehen sind. 

Aus der hufeisenförmigen Krümmung der dorsalen Anlage 


ie) 


Zur Pankreasentwickelung der Säugethiere. 28 


ist inzwischen ein, die Pfortader vollständig umgebender Ring 
geworden (Fig. 6), wie ihn auch Brachet als „anneau pe£ri- 
veineux“ beschreibt. Die ventrale Anlage, die sich bedeutend 
verlängert hat, steht mit demselben aber noch nicht in Verbindung. 

Wir befinden uns hier vor einer höchst eigenthümlichen 
morphologischen Thatsache, von der wir im Folgenden noch 
öfters sehen werden, dass sie sich bei anderen Thieren und an 
anderen Stellen in ähnlicher Weise wiederholt. Dass die Pfort- 
ader nämlich von der Bauchspeicheldrüse auf mehreren Seiten 
umwachsen wird, ist an und für sich nicht sonderlich merkwürdig, 
wenn man die Nähe beider Organe ins Auge fasst. Doch spielt 
sich dieser Vorgang gewöhnlich derart ab, dass die Vene an 
ihrem medialen und hinteren Umfange von der dorsalen Anlage 
umfasst wird, während sich an ihrem vorderen und lateralen 
Umfange die ventrale Anlage ausbreitet. 

Beim Kaninchen wächst nun die Letzere ebenfalls ein Stück 
entlang der vorderen Venenwand, bleibt aber im Allgemeinen in 
ihrer Entwickelung weit hinter der Ersteren und hinter jenem 
Maasse zurück, das sie bei anderen Thieren zu erreichen pflegt. 
Allmählich nimmt nun die dorsale Anlage den morphologisch 
der ventralen gebührenden Platz ein, was nur möglich ist, in- 
dem sie die Pfortader in ihrem ganzen Umfange umwächst. 
Doch werde ich noch Gelegenheit haben, über diese Eigenthüm- 
lichkeiten in der Formentwickelung der Bauchspeicheldrüse zu 
sprechen, und will nun zunächst die Beschreibung der auf das 
Kaninchen Bezug habenden Ergebnisse zu Ende führen. 


V: 


Ich untersuchte noch je einen Embryo von 7!/, mm, 8 mm 
und 3!/, em grösster Länge, und überzeugte mich an denselben 
von der Richtigkeit der Annahme Brachet's, dass das dorsale 
Pankreas im Verlaufe seiner weiteren Entwickelung bis an das 
Mesogastrium reiche. 

Eine Frage, die einige Zeit strittig war, ist die nach der 
Zahl der Pankreasmündungen beim erwachsenen Kaninchen. 
Krause (17) hat in seiner „Anatomie des Kaninchens“, im 
Gegensatze zu einer Reihe anderer Forscher, die Möglickeit des 
Vorhandenseins eines, mit dem Ductus choledochus gemeinschaft- 
lieh mündenden Duetus Wirsungianus bestimmt in Abrede gestellt. 


290 Konrad Helly: 


Ich füge hier ein, dass ich an der vom Menschen herüber- 
genommenen Bezeichnung des Ausführungsganges der ventralen 
Anlage als Ductus Wirsungianus und dessen der dorsalen Anlage 
als Ductus Santorini festhalten will und ihr in der vergleichenden 
Anatomie und Entwickelungsgeschichte jedenfalls den Vorzug 
gebe vor den Bezeichnungen Ductus pancreaticus und Ductus 
pancreaticus accessorius, wie sie nach der neuen anatomischen 
Nomenclatur für den Menschen gebräuchlich sind; denn diese, 
sowie alle anderen Bezeichnungen, welche mit Beziehung auf die 
Lage, Wichtigkeit oder Grösse der betreffenden Gänge gebildet 
würden, müssen infolge des Umstandes, dass nicht bei allen 
Thieren im ausgewachsenen Zustande dieselben morphologischen 
Verhältnisse obwalten, oft sinnstörend wirken. 

Ich selbst habe am erwachsenen Kaninchen der Frage nach 
dem Vorhandensein oder Fehlen des Duetus Wirsungianus nicht 
nachgeforscht, einerseits, weil mich dies über den Rahmen der 
vorliegenden Arbeit hinausgeführt hätte, andererseits aber, weil 
ich glaube, dass hier durch die Arbeiten Joubins (l. e.) und 
Schirmers (25) genügend Klarheit geschaffen wurde. Ersterer 
wies durch Injeetion mit blauer Farbe nach, dass der Ductus 
Wirsungianus zeitlebens erhalten bleiben kann; Letzterer fand 
ihn unter 22 Kaninchen 7 mal. Solchen Angaben gegenüber 
müssen wohl, glaube ich, alle etwa noch gehegten Zweifel 
schwinden. 

Bei meinem 3!/, em langen Embryo, bei dem ventrales und dor- 
sales Pankreas mit einander verwachsen waren, konnte ich den 
Ductus Wirsungianus noch finden. 

Damit schliesse ieh die Untersuchungen über das Kaninchen 
und wende mich der Ratte zu. 


Zehatte: 

Die zwei jüngsten Embryonen dieses Thhieres, über die ich 
verfüge, besitzen einen grössten Krümmungsdurchmesser von 
22 mm und 2,5 mm, und zeigen noch keine der Pankreas- 
anlagen. Ich gehe daher gleich zum nächst älteren Embryo über. 


'B 


Derselbe hat einen grössten Krümmungsdurchmesser von 
2,6 mın. Der Darm verläuft seiner ganzen Länge nach in der 


Zur Pankreasentwickelung der Säugethiere. 291 


Leibesmitte. Man erkennt an ihm die Lungenanlage (Fig. 7) 
in Form zweier kleiner Ausstülpungen seiner Wandung. Die 
Leberanlage zeigt soeben die ersten Lebereylinder; doch reichen 
dieselben noch nicht bis an die V. v. omphalo-mesentericae heran. 
Der Magen ist noch nicht angelegt. In allen Theilen des Darmes 
überwiegt der gerade Durchmesser über den queren. 

Der Ductus omphalo-mesentericus ist gänzlich verschwunden, 
was nicht Wunder nehmen kann, da er schon beim jüngsten, 
2,2 mm langen Embryo nicht mehr nachweisbar war. Durch 
diese zeitige Rückbildung des Dotterganges thut sich eben auch 
die nahe Verwandtschaft kund, die zwischen der weissen Ratte 
und der weissen Maus besteht, bei welcher der frühe Schwund 
dieses embryonalen Gebildes schon vor mehreren Jahren von 
Ravn (23) berichtet wurde. 

Gegenüber der Mündung der Leberanlage hat die dorsale 
Darmwand eine Auftreibung und Ausbuchtung erfahren, die nach 
keiner Richtung scharfe Grenzen aufweist. Ihre Gesammtlänge 
lässt sich daher nur annähernd messen und mit 150 u im weitesten 
Ausmaasse bestimmen. Ihre oberste Grenze fiele dabei in eine 
Ebene mit dem oberen Rande der Leberanlage an der Abgangs- 
stelle vom Darme, während die unterste Grenze deren unteren 
Rand um ein Geringes — etwa 10 u — überragt. Diese Aus- 
buchtung besitzt anch eine etwas verdickte Wandung (Fig. 8), 
und kann wohl als nichts anderes betrachtet werden, als die 
erste Anlage des dorsalen Pankreas. 

Von den ventralen Anlagen ist noch nichts zu bemerken. 


M: 


Der folgende Embryo besitzt einen grössten Krümmungs- 
durchmesser von 2,8 mm, ist also nicht viel grösser als der 
Vorige. Gleichwohl hat seine Entwiekelung merkliche Fort- 
schritte gemacht. Die Lungenanlage zeigt bereits die beiden 
primitiven Lungenschläuche. 

Die Leber hat die V. v. omphalo-mesentericae erreicht und 
deren Wandungen bereits stark zerklüftet. Ihre Verbindung mit 
dem Darme wird durch einen ziemlich weiten Gang bewerk- 
stelligt, dessen ventraler Umfang wohl etwas verdickt erscheint; 
doch geht diese Verdiekung unmittelbar in die Lebersprossen 
über, so dass man nirgends eine deutliche Anlage einer Gallen- 


292 Konrad Helly: 


blase wahrnehmen kann. Thatsächlich gehört ja auch die Ratte 
zu jenen Säugethieren, die in erwachsenem Zustande dies Organ 
immer vermissen lassen. Ich will noch hinzufügen, dass es mir 
bei keinem einzigen Rattenembryo bis jetzt gelungen ist, unzwei- 
deutige Spuren einer, wenn auch vorübergehenden Anlage der 
Gallenblase zu finden. 

Die Bildung des Magens hat bereits begonnen, und ist der- 
selbe als bedeutende Verlängerung des geraden Durchmessers an 
der betreffenden Stelle des Darmrohres zu erkennen. Gleichzeitig hat 
eine Ausbiegung dieser Anlage mit nach links gerichteter Convexität 
stattgefunden, während ihr dorsaler Rand ein wenig nach der- 
selben Seite von der Mittellinie abgewichen ist. 

Auch an der dorsalen Pankreasanlage zeigt sich, dass die 
Entwickelung der Organe nicht gleichen Schritt gehalten hat mit 
der Grössenzunahme des Embryos, sondern ihr ein wenig voran- 
geeilt ist. Denn an Stelle der früheren einfachen Erweiterung 
und Ausbuchtung des Darmrohres finden wir jetzt einen an- 
nähernd keilförmigen Anhang desselben (Fig. 9, 10), der an seiner 
Wurzel eine Höhe von 140 u besitzt. 

Es hat also eine geringe Längenabnahme der Verbindungs- 
strecke des dorsalen Pankreas mit dem Darme stattgefunden, 
mithin die Abschnürung des Ersteren bereits begonnen. Um 
nun zu entscheiden, in welcher Richtung diese vor sich geht, 
müssen wir zunächst feststellen, ob das Pankreas cranial oder 
caudal von der Mündung des Ductus hepatieus, wie ich denselben 
wegen der mangelnden Gallenblase nennen muss, gelegen ist. 

Stellen wir das Modell so auf, wie es in der Zeichnung 
dargestellt ist, wobei sämmtliche Anschnittsflächen wagerecht lägen, 
entsprechend der am Embryo eingehaltenen Schnittrichtung, die 
senkrecht zum grössten Krümmungsdurchmesser verlief, so wäre 
man beim ersten Anblicke vielleicht geneigt, dem dorsalen Pan- 
kreas die caudale Lage zuzuerkennen. Schlagen wir hingegen 
jenen Weg ein, welcher allein richtig ist, um die gegenseitige 
Lage zweier Punkte an einem Organe zu bestimmen, dann 
müssen wir dasselbe mit seiner Längenachse senkrecht aufstellen. 
Thun wir das mit unserem Modelle, so sehen wir, dass dieselbe 
etwa mit der neben der Zeichnung angedeuteten Linie 17 zu- 
sammenfiele, und wir gewinnen alsbald die Ueberzeugung, dass 
Pankreasanlage und Lebergang einander noch immer, wie beim 


Zur Pankreasentwickelung der Säugethiere. 293 


Embryo I, gegenüber liegen. Wenn wir aber vollends die sich 
jetzt ergebenden Maasse aufnehmen, so finden wir, dass die An- 
satzlinie der Ersteren die des Letzteren um 20 u eranialwärts 
überragt, während caudal dasselbe Verhältniss wie früher besteht. 

Wir werden also den Höhenverlust von 10 u, den wir an 
der Wurzel der Pankreasanlage nachweisen konnten, wohl mit 
Recht auf einen ceraniocaudal eingeleiteten Abschnürungsvorgang 
desselben beziehen können. 

Zur Form dieser Anlage will ich noch bemerken, dass sie 
wohl an der Oberfläche etwas höckerig erscheint, dass wir aber 
jene seichte Längsfurche, die wir beim Kaninchen fanden, noch 
vermissen. 

Fassen wir nun noch die Seitenwände des Leberganges ge- 
nauer ins Auge, so erblicken wir an denselben rechts und links, 
unmittelbar vor dem Uebergange in die Darmwand, je ein kleines 
Höckerehen, in denen wir unschwer die bei dem eben ge- 
nannten Thiere gesehenen ventralen Anlagen der Bauchspeichel- 
drüse wieder erkennen (Fig. 9, 10). Die Aehnlichkeit der Er- 
scheinung ist eine so grosse, dass ich mich damit begnügen 
kann, auf die beigegebenen Abbildungen zu verweisen, und mich 
der Beschreibnng des folgenden Embryos zuwenden will. 


II. 


Dieser misst in seinem grössten Krümmungsdurchmesser 
3 mm und zeigt eine sehr geringe Weiterentwiekelung seiner 
Organe, deren Grad ich wohl am besten kennzeichne, wenn ich 
anführe, dass beispielsweise die beim vorigen Embryo im Beginne 
stehende Einstülpung der primären Augenblase zur secundären 
bei diesem beinahe vollendet ist, während das Linsengrübehen 
noch weit offen steht. Dass ich denselben trotzdem einer Be- 
schreibung theilhaftig werden lasse, hat seinen Grund in einer 
scheinbar geringfügigen Varietät, die er bietet, die aber für 
meine späteren Schlussfolgerungen gleichwohl nicht belanglos ist. 

Vergleichen wir nämlich die Lage des dorsalen Pankreas 
mit der des Leberganges, so sehen wir, dass es demselben nicht 
gegenüberliegt, sondern als Ganzes ceranialwärts verschoben 
erscheint; und zwar liegt sein unterer Rand um 20 u, sein oberer 
um 150 „ höher, als der obere des Ductus hepaticus. Seine 
Höhe an der Abgangsstelle vom Darme beträgt demnach 130 u. 


294 Konrad Helly: 


Dass wir es hier thatsächlich mit einer Varietät in Bezug auf 
die Lage der dorsalen Anlage zu tlun haben, geht aus einem 
Vergleiche mit den übrigen älteren und jüngeren Embryonen 
hervor, bei denen sie immer gegenüber vom Lebergange zu 
finden ist. 

In welcher Richtung sieh die Abschnürung vollzogen haben 
dürfte, die zur Verkleinerung der Verbindungsstrecke mit dem 
Darme geführt hat, darüber lässt ein Blick auf den tiefen Ein- 
schnitt zwischen Letzterem und dem eranialen Rande der Anlage 
wohl kaum einen Zweifel zu (Fig. 11). 

Von den ventralen Anlagen tritt die rechte bedeutend 
stärker hervor, während die linke, die ebenfalls an Masse etwas 
zugenommen hat, nach oben hin ohne scharfe Grenze in den 
Lebergang übergeht. 


IV: 


Der nächste Embryo besitzt einen grössten Krümmungs- 
durchmesser von 4 mm; doch sind die Fortschritte in seiner 
Entwickelung gegenüber dem vorigen, um 1 mm kürzeren Em- 
bryo nur mässige zu nennen. An der Lunge erkennt man soeben 
die ersten Andeutungen, dass die Bildung der primitiven Lungen- 
bläschen begonnen hat. Die Leber lässt bereits die Anfänge 
des Zerfalles in mehrere Lappen bemerken, besitzt aber noch 
immer einen sehr kurzen Ausführungsgang. Der Magen, der 
bereits ziemlich schräge gegen die Medianebene gestellt ist, 
weitet sich nun auch entsprechend seinem Breitendurchmesser 
aus. Auch ist seine Krümmung nach der Fläche noch deutlicher 
geworden, als sie früher war. Der Darm erscheint auf dem 
Querschnitte jetzt schon überall kreisrund. Die Ablenkung der 
Nabelschleife nach rechts hat begonnen. 

Sehen wir uns wieder nach dem dorsalen Pankreas um 
(Fig. 12), so bemerken wir vor allem, dass seine Haftlinie am Darme 
sehr lang ist, und messen wir dieselbe, so finden wir sie mit 
150 u. Da sie schon beim nächstfolgenden Embryo wieder be- 
deutend kürzer ist, so können wir wohl kaum annehmen, dass 
sie sich etwa durch aetives Wachsthum vergrössert habe, sondern 
werden den Grund für ihre auffallende Länge in einer hier 
vorliegenden Varietät vermuthen, die entweder dadurch zu 
Stande kam, dass die dorsale Pankreasanlage von Anfang an 


DD 
pie) 
or 


Zur Pankreasentwickelung der Säugethiere. 


mächtiger entwickelt war, als bei den anderen Embryonen, oder 
dass ihre Abschnürung durch irgend einen Umstand behindert 
war. Nach ihrer Form zu schliessen, dürfte erstere Annahme 
die richtigere sein. 

Was die Lage der Anlage zur Mündung des Leberganges 
betrifft, so verhalten sich die unteren Ränder der beiden ähnlich 
wie bei Embryo I und II, während der obere Rand des Ersteren 
den des Letzteren eranialwärts bedeutend -— um 70 u — über- 
ragt. Dass dieser Abstand so gross ist, lässt sich wohl auf die 
abnorme Länge der erwähnten Haftlinie zurückführen. 

Wir sehen demnach, dass die dorsale Pankreasanlage ihren 
Platz gegenüber dem Lebergange nicht verlassen hat. 

Ihre Form weist jetzt eine uns schon vom Kaninchen be- 
kannte Erscheinung auf, nämlich eine seichte Längsfurche, die 
an der dorsalen Seite der Anlage verläuft, und die, hätte man 
nicht die jüngeren Embryonen gesehen, eine primäre Zweilappung 
des Organs vorzutäuschen im Stande wäre. Daraus aber, dass 
diese Furche bei der Ratte erst zu verhältnissmässig später Zeit 
auftritt, nachdem das dorsale Pankreas schon früher an den ver- 
schiedensten Stellen die beginnende Sprossenbildung in Form 
kleiner höckeriger Unebenheiten seiner Oberfläche zu erkennen 
gab, vermögen wir zuentnehmen, dass ihr wohl nureine ganz neben- 
sächliche Bedeutung zukommt. Sie ist nicht mehr, als ein 
vorübergehender Ausdruck des Wachsthums der Drüse. 

Von den ventralen Anlagen hat sich die rechte bedeutend 
weiter entwickelt und zeigt bereits mehrere Höcker, die den 
neugebildeten soliden Sprossen entsprechen (Fig. 12). Die linke 
Anlage vermag ich nicht mehr zu finden, und wenn ich mich 
daran erinnere, dass sie schon beim Embryo III gegen den 
Lebergang theilweise einer deutlicheren Abgrenzung vollständig 
entbehrte, so neige ich zur Annahme hin, dass ihr wohl dasselbe 
Schicksal widerfahren sein dürfte, wie der gleichen Anlage des 
Kaninchens: dass sie sich nämlich zurückgebildet habe. Ich 
halte mich aber nicht für berechtigt, aus der blossen Thatsache, 
dass sie bei einem Embryo noch vorhanden war und bei dem 
nächsten, nur wenig älteren nicht mehr zu sehen ist, den Schluss 
zu ziehen, sie habe sich mit der rechten Anlage vereinigt, wie 
es Choronshitzky beispielsweise beim Schafe thut. Auch 


sprechen noch andere Gründe gegen die Annahme einer solchen 
Archiv f. mikrosk. Anat. Bd. 57 20 


296 Konrad Helly: 


Vereinigung, welche näher zu beleuchten ich mir aber für später 
vorbehalte. 

Zur Lage der ventralen Anlage sei noch bemerkt, dass sie 
bereits bei diesem Embryo sehr nahe an die V. omphalo-mesen- 
terica dextra heranreicht. 


V. 


Der folgende Embryo misst im grössten Krümmungsdurch- 
messer 4,2 mm, also nicht viel mehr, als der vorige. Ich habe 
mich gleichwohl entschlossen, seine Beschreibung hier aufzu- 
nehmen, weil bei ihm an den Pankreasanlagen zum ersten Male 
eine Lageveränderung bemerkbar ist, die für die spätere Form 
der ganzen Drüse von Wichtigkeit ist. 

Um zunächst die Fortschritte in der Entwickelung der 
Organe zu erledigen, sei erwähnt, dass die Abschnürung der 
Lungenanlage soweit vor sich gegangen ist, dass man schon ein 
kurzes Trachealrohr sehen kann. Die Magen- und Darmdrehung 
schreitet langsam vor, während die Schenkel der Nabelschleife 
noch keine Krümmung im Sinne der Anlage von Dünndarm- 
schlingen erkennen lassen. 

Die Mündung der dorsalen Pankreasanlage, deren Ansatzlinie 
am Darme nur mehr 120 u beträgt, liegt nach wie vor gegenüber 
der des Leberganges (Fig. 13). Die Anlage selbst ist ziemlich 
in die Länge gewachsen, und lässt noch die beim Embryo IV 
erwähnte Längsfurche sehen. Ausserdem beginnt jetzt in er- 
höhtem Maasse die Bildung neuer Sprossen. 

Die ventrale Anlage, die sich ebenfalls merklich verlängert 
hat, liegt stark nach rechts herüber und zeigt ähnliche Wachs- 
thumserscheinungen, wie die dorsale (Fig. 15). Da sich die 
Letztere aus ihrer Stellung genau hinter dem Magen, die sie 
bisher beibehalten hatte, herausbegeben und ebenfalls nach rechts 
gewendet hat, haben sich die Endpunkte beider Anlagen einander 
genähert, was sich durch Messung leicht nachweisen lässt. 

Fragen wir nach den Ursachen dieser Abweichung der 
Pankreasanlagen aus ihrer früheren Lage, so erkennen auch wir 
sie einzig und allein in der Darmdrehung, die es mit sich bringt, 
dass die im Darmgekröse liegenden Anlagen geradezu gegen- 
einander geschoben werden. Diese Annäherung, die nicht nur 
ihre Enden, sondern auch ihre Seitenflächen betrifft, gibt wohl 


Zur Pankreasentwickelung der Säugethiere. 


D 
I 
SI 


zweifellos den ersten Anstoss für ihre spätere Verwachsung ab, 
wenngleich, wie sich bald zeigen wird, hierbei auch noch andere 
Erscheinungen zu berücksichtigen sind. 


\.r 


Der nun an die Reihe kommende Embryo hat einen grössten 
Krümmungsdurehmesser von 5 mm. Auch dieser Embryo zeigt 
in der Ausbildung der zur Kennzeichnung der Entwickelungs- 
stufe von mir immer angeführten Organe keine wesentlichen 
Fortschritte gegenüber dem vorigen, ausgenommen etwa die 
sichtlich stärkere Lappung der Leber und die ersten Andeutungen 
der demnächst sich einstellenden Bildung der Dünndarmschlingen. 

Die Pankreasanlagen sind mit ihren Endpunkten infolge 
der zunehmenden Darmdrehung einander noch näher gerückt und 
schliessen jenen Theil der Vena omphalo-mesenterica dextra 
zwischen sich, welcher eranialwärts durch Vermittelung der hinter 
dem Pankreas gelegenen queren Anastomose die Fortsetzung der 
Vena-omphalo-mesenterica sinistra bildet. 

In der Form der dorsalen Anlage hat sich wieder eine 
Aenderung vollzogen, die darin besteht, dass unmittelbar vor 
ihrer Mündung ein Höcker entstanden ist, der sich gegen die 
ventrale Anlage wendet (Fig. 14). Umgekehrt ist an Letzterer 
eine gegen die dorsale Anlage gerichtete seitliche Ausbuchtung 
ihrer Oberfläche wahrzunehmen. 

Wir wollen diese beiden neuen Erscheinungen im Auge 
behalten und sehen, wie sich ihr weiterer Verlauf gestaltet. 


MIT, 


Da der Embryo, welcher jetzt an die Reihe käme, und 
der einen grössten Krümmungsdurchmesser von 5.5 mm besitzt, 
sich in der Entwickelung von dem Vorigen nur wenig unter- 
scheidet, so will ich ihn übergehen und sofort den nächst Fol- 
senden vorführen, der 6 mm misst. 

Da zu dieser Zeit die Entwiekelung der Organe schon viel 
langsamer vorwärts schreitet, so dass die mit Hilfe derselben 
vorgenommene Kennzeichnung der Altersstufe der Embryonen 
sehr umständlich wird, werde ich von derselben künftig Abstand 
nehmen und mich auf die Anführung des Längenmaasses be- 
schränken. Ich glaube, dies umsomehr thun zu können, als die 


298 Konrad Helly: 


Unterschiede in der Entwickelung zweier Embryonen derselben 
Grösse von jetzt ab so geringe sind, dass die Anführung des 
grössten Krümmungsdurchmessers thatsächlich eine hinreichende 
Bezeichnung für deren Alter ist. 

Die dorsale Pankreasanlage nimmt gegen ihr Ende bedeu- 
tend an Masse zu und ist im ganzen der Fläche nach gekrümmt, 
so dass ihre Concavität der Pfortader zugewendet ist, wie wir 
das Gefäss bereits nennen dürfen, in welchem wir an dieser Stelle 
den früher erwähnten Theil der Vena omphal-mesenterica dextra 
wiedererkennen. Der schon angedeutet gewesene Höcker hat 
sich gleichfalls bedeutend vergrössert (Fig. 15), und lässt eine 
etwas stärker hervortretende Spitze erkennen. Dieselbe wendet 
sich gegen eine ähnliche am ventralen Pankreas, die wir ja eben- 
falls bereits beim Embryo VI vorgebildet fanden. 

Auch an der eben genannten Anlage zeigt sich immer deut- 
licher die charakteristische Eigenthümlichkeit der Bauchspeichel- 
drüse, sich in ihrer Entwickelung an die grossen Venenstämme 
anzuschliessen, indem sie in ihrem weiteren Wachsthume der vor- 
deren, theilweise auch der lateralen Wand der Pfortader folgt. 

Werfen wir noch einen Blick auf die Mündung der ven- 
tralen Anlage, so sehen wir, dass sie in nächster Nähe des Dar- 
mes in den Lebergang erfolgt. 


\VANIE 


Schon bei dem vorigen Embryo muss uns die Vermuthung 
aufgetaucht sein, dass die beiden, gegeneinander gerichteten Aus- 
wüchse der beiden Pankreasanlagen vielleicht mit der Zeit sich 
berühren und schliesslich zur Verschmelzung gelangen könnten. 

Der Embryo, den wir jetzt betrachten wollen, und der 
eine Länge von 6!/, mm besitzt, lässt uns über die Richtigkeit 
dieser Vermuthung keinen Zweifel mehr übrig. 

Suchen wir wieder die erwähnten Auswüchse auf, so be- 
merken wir, dass sich dieselben mit den bereits früher erkenn- 
bar gewesenen Spitzen einander fast bis zur Berührung genähert 
haben (Fig. 16). Da die Drehung des Darmes keine ausreichende 
Erklärung für das Gegeneinander-Wachsen der beiden Anlagen 
an dieser Stelle darbietet, so kann dieselbe wohl nur in dem, 
nach dieser Richtung eingetretenen, activen Wachsthume der 
Drüsenzellen gelegen sein. Eine genauere Betrachtung des mi- 


Zur Pankreasentwickelung der Säugethiere. 299 


kroskopischen Bildes der gedachten Stelle zeigt uns denn auch 
Folgendes: 

Das Mesenchymgewebe erscheint zwischen den einander am 
nächsten liegenden Punkten beider Pankreasanlagen etwas ge- 
liehtet, was die Folge davon ist, dass dessen Zellen hier in be- 
deutend geringerer Zahl vorhanden sind und das Zwischengewebe 
lockerer gefügt ist (Fig. 17). Da sich in der Umgebung zahl- 
reiche gut sichtbare Capillaren befinden, ist hierdurch das Bild 
gegeben, wie man es überall dort findet, wo eine Rückbildung 
embryonalen Gewebes stattfindet. Im vorliegenden Falle erfolgt 
dieselbe wohl unter dem Einflusse der reichlichen Zellwucherung, 
der die einander entgegenwachsenden Pankreasanlagen unter- 
worfen sind. Diese giebt sich aber durch die zahlreichen Kern- 
theilungsfiguren kund, die man im Gesichtsfelde wahrzunehmen 
vermag. 

Die Untersuchung dieser histogenetischen Vorgänge ist um 
diese Zeit noch mit einigen Schwierigkeiten verbunden, da im 
Pankreas soeben die eentrale Aufhellung der bisher solid gewe- 
senen Sprossen begonnen hat, und seine Zellen noch vielfach 
der scharfen Grenzen entbehren. Dadurch ist die Unterscheidung 
zwischen Mesenchym- und Drüsenzellen häufig keine leichte. Mit 
einiger Geduld und unter wechselnder Anwendung verschiedener 
Vergrösserungen vermag man jedoch dieser Schwierigkeit Herr 
zu werden. 

Wir sahen früher, dass die Enden beider Pankreasanlagen 
unter dem Einflusse der Darmdrehung eine gewisse Annäherung 
erfahren. Sie kommen jedoch weder jetzt, noch später zur Be- 
rührung, da keines von ihnen die Vena portae genügend weit um- 
wächst. Im Verlaufe der weiteren Entwickelung entfernen sie 
sich sogar wieder von einander, da die dorsale Anlage sich hinter 
und unter den Magen begiebt, während die ventrale im Gekröse 
des Duodenums weiterwächst. 

Noch zwei Gebilde giebt es, deren weiteres Verhalten unsere 
Aufmerksamkeit erregen muss; das sind die beiden Pankreas- 
ausführungsgänge. 

Ich habe schon einleitend bemerkt, dass wir bei der er- 
wachsenen Ratte keine der Bauchspeicheldrüse allein angehörende 
Darmmündung finden. [Vgl. Savietti (24).]| Nach alledem, was 
wir über die Entwickelung des Organes bereits wissen, werden 


300 Konrad Helly: 


wir zunächst an eine Rückbildung des Ductus Santorini denken. 
Thatsächlich sehe ich bereits bei diesem Embryo, dass die 
Lichtung des Ganges sich zu verschmälern und mit epithelialen 
Zellen zu füllen beginnt. 

Auch an der Mündung der ventralen Pankreas fand eine 
Veränderung statt. Sie ist nämlich nicht mehr in den Leber- 
gang gerichtet, sondern beide vereinigen sich und stehen mit 
dem Darme durch einen kurzen queren Gang in Verbindung, von 
dem man nicht behaupten kann, dass er einem von beiden 
allein angehöre (Fig. 16). 

Die Art und Weise, wie dieser Gang, den ich Duetus he- 
pato-pancreaticus benenne, zustande kam, ist wohl die, dass im 
Verlaufe der fortgesetzten Abschnürung des Leberganges vom 
Darme die Mündung der Pankreasanlage in den Ersteren von 
demselben ebenfalls abrücken musste. Der so geschaffene Leber- 
Pankreasgang liest in jener Schichte mesenchymatösen Gewebes 
eingebettet, welche die Bildungsstätte der späteren bindegewe- 
bigen und muskulösen Hüllen des Darmes abgiebt. Ich bemerke 
aber ausdrücklich mit Rücksicht auf die weiteren Vorgänge, die 
sich hier einstellen werden, dass vor dem Eintritte in diese 
Schiehte der Ductus hepaticus sowohl, als auch die Pankreas- 
anlage ihre vollständig gesonderten Wege gehen. 


IX. 

Wie zu erwarten ist, müssen die nächsten neuen Drüsen- 
zellen, die sich an der Stelle bilden, wo die dorsale und die 
ventrale Pankreasanlage einander so nahe gerückt sind, schon 
zur Verschmelzung beider führen. Ich wählte deshalb zur Unter- 
suchung als folgenden Embryo einen nur um 6.2 mm grösseren — 
er misst 6.6 mm —, als der vorige war. Die wahrnehmbaren 
Formunterschiede gehen denn auch grösstentheils kaum über 
jenen Grad hinaus, wie er durch die individuellen Verschieden- 
heiten gegeben ist. Wohl aber fällt uns sofort auf, dass die 
Verwachsung beider Pankreasanlagen jetzt vollzogen ist (Fig. 18). 

Untersuchen wir diese Stelle unter dem Mikroskop bei 
starker Vergrösserung, so gleicht sie vollständig jeder beliebigen 
anderen, die wir in der ganzen Drüsenanlage aufsuchen mögen. 
Das Bild der letzteren hat sich gegen früher nur insoferne etwas 
geändert, als die Zellgrenzen deutlicher geworden sind, des- 


Zur Pankreasentwickelung der Säugethiere. sol 


gleichen auch die schon sichtbar gewesene Lichtung der künf- 
tigen Drüsenalveolen "und -gänge, deren Weite ebenfalls zuge- 
nommen hat. 

Ich vermochte jedoch noch an keinem der in Betracht 
kommenden Schnitte in der Verwachsungsstelle einen durch- 
gängigen Gang zu finden, wohl aber daselbst und in ihrer Nach- 
barschaft die Bildung einzelner Gänge zu verfolgen, aus denen 
sich die später thatsächlich vorhandene Anastomose entwickeln 
wird (Fig. 19). 

Die Verlegung der Liehtung des Ductus Santorini durch 
epitheliale Zellen ist jetzt bereits eine vollständige. Seine Breite 
an der Mündung ist von 90 u beim Embryo VIII. auf 80 u bei 
diesem zurückgegangen. 

Zum Ductus hepato-pancreatieus will ich bemerken, dass 
es den Anschein gewinnt, als begäbe er sich aus der Mittel- 
stellung, die er früher zwischen dem Duectus hepaticus und dem 
Duetus Wirsungianus innegehabt hat, heraus und nähere sich 
dem Letzteren. Doch vermag ich noch nicht zu entscheiden, 
welches von den betheiligten Organen zu dieser etwa sich voll- 
ziehenden Aenderung am meisten beitrüge. 

Die nächsten Embryonen werden uns auch hierüber genü- 
gende Aufklärung bringen. Vorerst will ich mir aber erlauben, 
einen kurzen Vergleich zu ziehen zwischen der Lage des ven- 
tralen Pankreas bei der Ratte und jenem Theile des dorsalen 
beim Kaninchen, von welchem ich oben behauptete, dass es den 
morphologisch dem Ersteren gebührenden Platz einnehme. 

Man vergleiche Fig. 6 mit Fig. 18 und denke sich nun in 
Ersterer die Verwachsung des ventralen Pankreas mit dem dor- 
salen, die in einem späteren Zeitpunkte dort erfolgt, wo beide 
einander schon jetzt am nächsten sind, bereits vollzogen, dagegen 
den Ring des Letzteren, durch welchen die Pfortader verläuft, an 
deren lateraler Seite, entsprechend der mit la bezeichneten Streck 
unterbrochen. Es stände dann der mit a bezeichnete Theil 
desselben in fortlaufender Verbindung mit dem ventralen Pankreas 
und entspräche daher, sowie namentlich durch die Lage im Ge- 
kröse des unteren Duodenum, vorzüglich dem ventralen Pankreas 
der Ratte. 


302 Konrad Helly: 


x, 

Ich gehe allsogleich zu einer Entwickelungsstufe über, die 
uns die noch eintretenden bemerkenswerthen Formveränderungen 
des Pankreas in sofort auffallender Weise sichtbar macht, und 
wähle zu diesem Zwecke einen Embryo von 10 mm Länge. 

Bei demselben ist die Verwachsung beider Anlagen bereits 
in ausgedehntem Maasse erfolgt. Wie ich mich an Embryonen 
von 7, 8und 9 mm Länge überzeugte, hat man es hierbei nicht 
bloss mit einem, von der ersten Verwachsungsstelle mehr oder min- 
der gleichmässig nach allen Seiten sich ausbreitendem Vorgange 
zu thun. Es sind vielmehr in deren Nähe unter ganz ähnlichen 
histologischen Bildern einige neue, zunächst solide, späterhin 
durchgängige Verbindungen beider Anlagen entstanden und erst 
im weiteren Verlaufe mit einander zu einer einheitlichen breiten 
Verwachsung zusammengeflossen. 

An dem 10 mm langen Embryo kann man bereits deutlich ver- 
folgen, wie der übriggebliebene Theil des Ausführungsganges der 
dorsalen Anlage in den Ductus hepato-pancreatieus mündet. Er 
bedient sich hierbei der Anastomose, welche infolge seiner Ver- 
bindung mit der ventralen Anlage eingetreten ist. Inzwischen 
hat die Rückbildung des früheren Mündungsstückes des Ductus 
Santorini schon grosse Fortschritte gemacht und ist an der Durch- 
trittsstelle desselben durch die gut kenntlich gewordene Museu- 
laris des Darmes fast bis zur Abtrennung von dem Pankreas ge- 
diehen (Fig. 20). 

Am Ductus hepato-panereaticus fällt uns gleich beim ersten 
Anblick auf, dass er an Länge bedeutend gewonnen hat. Wir 
unterscheiden jetzt deutlich zwei Theile an ihm, von denen der 
eine uns schon von früher bekannt ist als der, innerhalb der 
Darmwand verlaufende, daher nicht sehr lange Gang, während 
der zweite eine neue Erscheinung bildet. 

Verfolgen wir den Lebergang, den ich wegen seiner Zu- 
sammensetzung aus einem rechten und linken Aste Ductus hepa- 
ticus communis nennen will, auf seinem Wege gegen das Duo- 
denum zu, so erkennen wir an ihm zunächst eme etwas am- 
pullenartig erweiterte Stelle, die unmittelbar der Vereinigung bei- 
der Ductus hepatiei folgt. Kaum hat er jedoch diese Stelle hinter 
sich, als er sich auch schon in das Drüsengewebe des Pankreas 
einsenkt, und nun innerhalh desselben, was wohl das Merkwür- 


Zur Pankreasentwickelung der Säugethiere. 303 


digste ist, nebst dem Ductus Wirsungianus und dem theilweise 
neu gebildeten Ausführungsgange der dorsalen Anlage mehrere 
kleinere, aus den umgebenden Pankreasläppehen stammende 
Gänge aufnimmt. Wir können daher im vollsten Sinne des 
Wortes von einem zweiten, neu hinzugekommenen Theile des 
Duetus hepato-pancreatieus sprechen. 

Es ist also nicht, wie es noch beim Embryo IX den An- 
schein hatte, der ursprüngliche erste Theil dieses Ganges aus 
seiner Mittelstellung zwischen Ductus hepaticus eommunis und 
Ductus Wirsungianus heraus und Letzterem näher gerückt, son- 
dern das Pankreasgewebe hat gewissermassen von einem Theile 
des Ersteren Besitz ergriffen. 

Für die Art und Weise, auf welche dieser Vorgang sich 
abgespielt haben mag, giebt es zwei Möglichkeiten. Die eine 
bestände darin, dass das Pankreas sich am Ductus hepatieus 
communis sozusagen hinaufgerankt habe, und einzelne seiner 
Läppcehen nachträglich eine Mündung in denselben gewonnen 
hätten. Dem widerspricht aber die Wahrscheinlichkeit, da bis- 
her noch nirgends beobachtet werden konnte, dass derartige 
Vorgänge an dieser Drüse- möglich seien. Eine zweite Möglich- 
keit, die ich für die riehtigere halten möchte, bestände darin, 
dass eine rasche Dehnung des Ductus hepaticus communis statt- 
findet, bedingt durch das, ähnlich wie beim Kaninchen, etwas 
spät einsetzende Längenwachsthum des Duodenums. Thatsäch- 
lieh mündet bei der erwachsenen Ratte der Ductus hepato-pan- 
ereaticus ungefähr 2!1/, cm unterhalb vom Pylorus in das im 
ganzen etwa 7T—8 cm lange Duodenum, also verhältnissmässig 
tief, und schliesst mit demselben einen nach oben offenen, sehr 
spitzen Winkel ein. Da dieser Winkel bei den jüngsten Em- 
bryonen noch ein stumpfer war, während er beim Embryo VIII 
ungefähr 90 u betrug, so deutet sein Verhalten ebenfalls darauf 
hin, dass die Mündung des genannten Ganges sich von seiner 
Abgangstelle aus der Leber bedeutend nach abwärts entfernt 
haben muss, indem das wachsende Duodenum sie mit sich fortzog. 

Die Wirkung dieses Zuges mag sich nun dahin geäussert 
haben, dass nicht nur der Ductus hepato-pancreaticus länger 
wurde, sondern dass ihr auch die Mündung des Duetus Wirsun- 
gianus nach und nach unterlag, wodurch gewissermassen ein 
Theil dieses Ganges zwischen den Ductus hepaticus communis 


304 Konrad Helly: 


und den Ductus hepato-pancreaticus hineingezogen wurde. War 
nur aber erst einmal diese neue Bildungsstätte für Pankreas- 
gewebe vorhanden, dann mochte sie sich weiterhin auch noch 
durch eigenes Wachsthum vergrössert haben, und so entstand 
dann das eigenartige Bild, dass scheinbar der Ausführungsgang 
der Leber in den des Pankreas mündet. 

Zur Gesammtform der Bauchspeicheldrüse sei bemerkt, dass 
um diese Zeit ihr läppchenförmiger Bau bereits hervorzutreten 
beginnt. 


xT. 


Da die Emhryonen jetzt auf einer Entwickelungsstufe an- 
gelangt sind, die sich von dem ausgewachsenen Thiere, abge- 
sehen von den, durch das fortgesetzte Längenwachsthum be- 
dingten Veränderungen, nur mehr dadurch unterscheidet, dass 
die dorsale Pankreaslage ihre Verbindung mit dem Duodenum 
noch nicht ganz aufgegeben hat, so erübrigt uns eigentlich nur 
noch die Aufsuchung jenes Embryos, bei welchem dieselbe zum 
erstenmale gänzlich unterblieben ist. 

Wir finden als solchen einen von 11 mm Länge. 

Seine Betrachtung zeigt uns an der Stelle, wo der Ductus 
Santorini früher mündete, einen kurzen Epithelzapfen, der noch 
innerhalb der Anlage der Submucosa, welche man schon gut 
unterscheiden kann, endigt (Fig. 21). In seiner zu denkenden 
Fortsetzung stösst man auf einen ebenfalls kurzen Fortsatz des 
Pankreas, welcher gerade noch in die äusserste Schichte der 
Musecularis Duodeni reicht, und deren Ende einen ganz gleich- 
artigen Zapfen darstellt. Wir haben also hier die letzten Reste 
des Duetus Santorini vor uns. Bald werden auch diese voll- 
kommen verschwunden sein, und schon an wenige mm grösseren 
Embryonen deutet nichts mehr darauf hin, dass der dorsale Gang 
einmal vorhanden war. 

Auch jetzt noch liegt die ehemalige Mündung des Ductus 
Santorini beinahe genau gegenüber von der des Ductus hepa- 
ticus, indem der obere Rand des Ersteren den gleichen des Letz- 
teren nur um 30 u überragt. 


XII, 


Ich habe nun noch einige ältere Embryonen untersucht 
und schliesslich auch am erwachsenen Thiere die Pankreasgänge 


Zur Pankreasentwickelung der Säugethiere. 305 


mit verschiedenen Injeetionsmitteln injieirt. Ich ging dabei so 
vor, dass ich den Ductus hepato-pancreaticus unmittelbar vor 
seinem Eintritte in die Darmwand unterband. Dasselbe that 
ich mit dem einen Duetus hepaticus (proprius), bevor er sich 
in die Leber versenkt, während ich in den anderen die Canüle 
der Injectionsspritze einführte, und nun unter mässigem Drucke 
injieirte. 

Es zeigte sich, dass von dem 2—2!/, cm langen Gange nur 
jener Theil frei von umgebendem und theilweise hineinmündendem 
Pankreasgewebe ist, welcher auf die Vereinigung der beider- 
seitigen Ductus hepatiei (proprii) folgt, und die schon erwähnte 
ampulläre Erweiterung aufweist. Dieser Theil ist sehr kurz; er 
beträgt bestenfalls nur 4—5 mm und stellt den Ductus hepaticus 
communis dar. Auf ihn folgt der Ductus hepato-pancreaticus, 
weleher ungefähr 3/, em, bevor er in die Darmwand eintritt, 
den Duetus Wirsungianus aufnimmt, während der in seinem End- 
stücke neugebildete Ausführungsgang, der dem aus der dorsalen 
Anlage hervorgegangenen Drüsentheile entstammt, sich einen 
weiteren halben em gangaufwärts mit ihm vereinigt (Fig. 22). 

Das histologische Bild des Ductus hepato-pancreaticus gleicht 
völlig dem der beiden mit seiner Hilfe mündenden Hauptaus- 
führungsgänge des Pankreas, die ihm nur an Weite nachstehen. 
In der etwa !/,, mm dieken Wandung liegen zahlreiche kleine 
Schleimdrüschen. 

Wir sehen also, dass die Bedenken, welche Krause (l. c.) 
beim Kaninchen gegen das Vorkommen eines gemeinschaftlichen 
Ausführungsganges für Leber und Pankreas geäussert hat, in- 
dem er sagte, es sei „von vorne herein einleuchtend“, dass die 
Einmündung eines Ausführungsganges in den einer anderen Drüse 
„ein anatomisch ziemlich exceptionelles Faetum darstellen würde“, 
durch die bei der Ratte gegebenen Verhältnisse wohl gänzlich 
widerlegt werden. 

Ich habe nun die Beschreibung dieses Thieres erschöpft 
und kann zu der des Meerschweines übergehen. 


3. Meerschwein. 
Da bei diesem Thiere die Entwickelung des Pankreas sehr 
rasch bis zu jenem Grade gediehen ist, von dem ab alle weiteren 
Veränderungen zwar in beträchtlichem Maasse die Form der 


306 Konrad Helly: 


Drüse betreffen, die Mündung derselben aber die gleiche bleibt, 
die auch dem erwachsenen Thiere zukommt, so wird es nicht 
nöthig sein, eine grosse Zahl von Embryonen zu untersuchen. 
Es wird mir vielmehr möglich sein, mich auf die Beschreibung 
von wenigen Modellen und einige flüchtige Angaben über mehrere 
nicht modellierte Altersstufen zu beschränken. 


RB 


An einem Embryo von 2°/, mm und an zweien von 5 mm 
grösster Länge vermochte ich noch nichts von den Pankreas- 
anlagen zu entdecken. 

Als Erste von ihnen erscheint die dorsale bei einem Em- 
bryo, dessen grösste Länge 3!/,, mm beträgt. An demselben ist 
von der Lungenanlage nicht mehr zu sehen, als die längliche Rinne 
an der ventralen Seite des Kopfdarmes. Die Leberanlage stellt 
noch eine an der vorderen Darmfalte verlaufende Ausstülpung 
des Vorderdarmes dar, die sich äusserlich gegen den nahe gele- 
genen Ductus omphalo-mesentericus nicht scharf abgrenzt. Ihre 
Wand wird durch ein stark verdicktes Zelllager gebildet, 
welches der ganzen Anlage das Aussehen eines quer zur Läng- 
achse des Darmes gestellten Wulstes verleiht. Der Magen ist 
noch nicht abgegrenzt. Eine nicht scharf umschriebene Erweite- 
rung des Darmrohres deutet seine spätere Lage an. Der Ductus 
omphalo-mesentericus verlässt den median gelagerten Darm nicht 
weit unterhalb der Leberanlage als ziemlich weiter Gang. 

(regenüber der Leberanlage findet sich eine seiechte Rinne 
des Darmrohres, die sich cranialwärts seitlich etwas erweitert 
und mit einer seichten Furche an ihrem oberen Rande abgesetzt 
erscheint; caudalwärts geht sie ganz allmählich in den Darm 
über (Fig. 23). Sie deutet uns die erste Anlage der Bauch- 
speicheldrüse an. 

Lässt nun schon die genannte Furche erwarten, dass auch 
bei diesem Thiere die Abschnürung sich demnächst in eranio- 
caudaler Richtung einstellen werde, so will ich dennoch nicht 
verabsäumen, wieder einige Maasse aufzunehmen, welche geeignet 
sind, uns über diesen Punkt völlige Klarheit zu verschaffen. 

Da an diesem Embryo die Abschnürung von der Leber- 
und Pankreasanlage noch nieht begonnen hat, so kann ich na- 
türlich keine vollkommen genaue Messung vornehmen, sondern 


Zur Pankreasentwickelung der Säugethiere. 307 
muss mich damit begnügen, für die betreffenden Organe das 
weiteste möglicherweise geltende Ausmaass aufzunehmen. Ich 
erhalte demnach für die Länge der Pankreasrinne etwa 210 u, 
für die der Leberanlage gegen 350 u. Der Grössenunterschied 
zwischen beiden ist derart vertbeilt, dass Erstere von Letzterer 
eranial um 110 u, caudal um etwa 30 u überragt wird. 

Man muss demnach folgern, dass beim Meersehwein die 
dorsale Pankreasanlage schon bei ihrem ersten Auftreten zwar 
gegenüber der Leberanlage, jedoch gegen diese ein wenig cau- 
dal verschoben liegt, wenngleich sie sie in letzterer Richtung 
infolge ihrer geringeren Länge um diese Zeit noch nicht überragt. 


IE. 


Am nächsten Embryo, der eine grösste Länge von 31/, mm 
besitzt, hat die Abschnürung der beiden unsere Aufmerksamkeit 
beanspruchenden Organe schon begonnen, was uns deren Messung 
wesentlich erleichtert. 

In der Entwiekelung seiner Organe kennzeichnet sich das 
fortgeschrittene Alter dieses Embryos dadurch, dass an Stelle der 
einfachen Lungenrinne nun schon eine beiderseits vertiefte Aus- 
buchtung der vorderen Darmwand getreten ist. An der Leber- 
anlage erkennen wir bereits neben einem rechten und linken Ast 
die Ausbuchtung, aus welcher sich die Gallenblase entwickeln 
wird. Der Magen tritt durch das Ueberwiegen des geraden 
Durchmessers des Darmrohres über den queren hervor. An seiner 
Form fällt uns wieder eine nach der Fläche stattgehabte Krüm- 
mung auf, deren Convexität nach der linken Seite gerichtet ist. 
Der Darm, der beim vorigen Embryo noch durch seine seitlich 
abgeflachte Form ausgezeichnet war, hat sich durch Verkürzung 
des geraden und Vergrösserung des queren Durchmessers der 
kreisrunden Form bedeutend genähert. Der Ductus omphalo- 
mesentericus ist bereits zu einem ziemlich engen Gange geworden. 

Die dorsale Pankreasanlage besitzt jetzt die Gestalt eines 
keilförmigen Wulstes (Fig. 24) und hat eine Länge von 190 u, 
an ihrer Wurzel gemessen. Sie steht mit dem Darme in weit 
offener Verbindung, ihre Wände sind deutlich verdickt, ihre Ober- 
fläche zeigt eine sehr seichte dorsal gelegene Furche. 

Die Verbindungsstrecke zwischen Darm und Lebergang hat 


308 Konrad Helly: 


eine Länge von 150 u, hat sich also infolge der eingetretenen 
Abschnürung ganz bedeutend verringert. 

Die unteren Ränder beider Organe liegen so ziemlich in 
der gleichen Entfernung von einander, wie beim Embryo I, wäh- 
rend ceranialwärts das Pankreas um 70 u höher hinauf reicht, als 
ler Lebergang. 

Aus diesen Maassen geht hervor, dass die Abschnürung 
des Letzteren mit viel grösserer Geschwindigkeit vor sich ge- 
gangen ist, als die des Ersteren. Ob sie sich bei beiden nur in 
eraniocaudaler Richtung, oder auch umgekehrt vollzogen hat, 
will ich noch dahin gestellt sein lassen, bis mir die Ergebnisse 
weiterer Messungen zur Verfügung stehen. 


IM. 


Von dem Embryo, den ich jetzt vornehmen will, habe ich 
wohl auch ein Modell angefertigt, dasselbe aber nicht abgebildet, 
da es nur unwesentliche Formenunterschiede gegenüber dem Vo- 
rigen aufweist, und eigentlich nur der Aufnahme der Maasse 
dienen sollte. 

Der Embryo hat eine grösste Länge von 3,9 mm und ist 
dem früheren nur sehr wenig in der Entwiekelung voraus. So 
haben zum Beispiel die seitlichen Ausbuchtungen der Lungenan- 
lage zwar an Tiefe etwas zugenommen; es ist aber noch nicht 
zur Bildung eigentlicher Lungenschläuche gekommen. 

Ich will mich daher bei der Beschreibung der übrigen Or- 
gane nicht aufhalten, sondern gleich zur dorsalen Pankreasanlage 
übergehen. Deren Grösse hat sich fast gar nieht geändert, da 
sie knapp 190 u beträgt. 

Einen etwas merklicheren, wenn auch nicht sehr grossen 
Unterschied zeigt die Mündung des Leberganges, die um 10 u 
abgenommen hat, und also 140 u beträgt. Da der Abstand 
zwischen ihrem eaudalen Rande und dem des Pankreas ebenfalls 
um 10 u kleiner geworden ist — er misst nur mehr 20 u — so 
können wir diese Verringerung wohl auf Rechnung der beginnen- 
den Abschnürung der Gallenblase setzen. Die Folge des ganzen 
Vorganges ist aber, dass die caudale Verschiebung der Leberan- 
lage gegenüber der Pankreasanlage zugenommen hat. 

Keinesfalls ist aber diese Verschiebung einseitig auf Kosten 
der dorsalen Darmwand erfolgt, 


Zur Pankreasentwickeluug der Säugethiere, 309 


IV. 

Der nächste Embryo, mit dem ich mich befassen werde, 
hat eine grösste Länge von 4 mm. Zwischen ihm und dem vor- 
hergehenden liegen drei andere von der gleichen Länge. Ich 
übergehe sie, weil sie nichts Neues darbieten, was der Beschrei- 
bung werth wäre. 

Bei dem hier zur näheren Schilderung seiner Pankreas- 
anlagen ausgewählten Embryo vermag man an der Lungenanlage 
bereits die primitiven Lungenschläuche zu sehen. An der Leber 
hat die Bildung der in die Venae ompbalo-mesentericae hinein- 
ragenden Zellstränge vor kurzem begonnen, und die Abschnürung 
der Gallenblase weitere Fortschritte gemacht. Magen und Darm 
liegen nicht mehr median, sondern sind etwas nach links ver- 
schoben. Die Mündung des Ductus omphalo-mesentericus in den 
letzteren hat sich bedeutend caudalwärts verschoben. 

Die dorsale Anlage (Fig. 25, 26), welche noch immer die 
seichte Längsfurche erkennen lässt, hat, an ihrer Darmmündung 
gemessen, eine Höhe von 140 u. Ihr oberer Rand liegt nur mehr 
um 20 u höher, als der des Leberganges, welcher eine Höhe von 
110 u hat, ihr unterer dagegen um 10 u tiefer, als der des 
Ersteren. 

Es ist also neuerlich die Pankreasanlage mit ihrem erania- 
len Rande etwas tiefer, die Leberanlage etwas höher gerückt. 
Während wir Letzteres auf die fortschreitende Abschnürung der 
Gallenblase zurückführen können, müssen wir für Ersteres wohl 
eine fortgesetzte ceraniocaudale Abschnürung des Pankreas 
annehmen. Für diese spricht auch die Form des Winkels, den 
dasselbe mit dem Darme eranialwärts einschliesst, sowie der Um- 
stand, dass wir diesen Winkel schon am jüngsten Embryo, der 
eine dorsale Pankreasanlage hatte, in Form der oben beschrie- 
benen seichten Furche angedeutet sahen. 

Allerdings zeigt sich eaudalwärts nach und nach ebenfalls 
ein Einschnitt zwischen Darm und Pankreas; doch erklärt sich 
derselbe ungezwungen aus dem in gleicher Richtung sich ein 
stellenden Längenwachsthume des Endstückes der Drüsenanlage, 
welches, wie sich messungsweise leicht feststellen lässt, thatsäch- 
lich statttindet. 

Richten wir jetzt unseren Blick noch einmal auf den Leber- 
gang, so schen wir an dessen beiden Seitenwänden rechts und 


310 Konrad Helly: 


links wieder je eine kleine Epithelverdiekung als Ausdruck der 
uns wohlbekannten ventralen Pankreasanlagen (Fig. 25, 26). Auch 
bei diesem Thiere sitzen sie unmittelbar vor der Mündung des 
genannten Ganges in das primitive Duodenum. Sie sind gegen 
ihre Umgebung deutlich abgegrenzt und stehen in gar keiner als 
Verwachsung zu deutenden Beziehung mit einander. 


V. 

Der folgende Embryo hat eine grösste Länge von 4!/, mm. 
Die primitiven Lungenschläuche sind zwar etwas in die Länge 
gewachsen, aber die Abschnürung der Lunge vom Schlunddarme 
hat noch nicht begonnen. Der Magen hat sich mit seinem ge- 
raden Durchmesser bereits in einen spitzen Winkel zur Median- 
ebene gestellt, womit seine Drehung eingeleitet ist. Der Duetus 
omphalo-mesentericus ist obliteriert und bildet nur mehr einen 
kurzen Anhang des Darmrohres. 

An der dorsalen Pankreasanlage ist die Längsfurche eben 
im Verstreichen begriffen. Die Länge ihrer Verbindungsstrecke 
mit dem Darme beträgt 120 u und überragt die des Leberganges, 
welche 100 u misst, caudalwärts um 20 u, eranialwärts dagegen 
gar nicht mehr. 

Was uns an dem Embryo sofort auffällt, ist, dass wir nicht 
mehr im Stande sind, die beim Vorigen soeben aufgetretenen ven- 
tralen Pankreasanlagen wiederzufinden. Wohl sehe ich an jeder 
Seite des Leberganges und der Gallenblase einige sehr undeutliche 
Unebenheiten der Oberfläche; ich trage aber lebhafte Bedenken da- 
gegen, irgendwelche von ihnen für die gesuchten Anlagen zu 
halten (Fig. 27, 28). 

Ich neige vielmehr zu der Ansicht hin, dass sie ebenso 
rasch, als sie erschienen sind, sich auch schon wieder zurückge- 
bildet haben. Um aber keinen Zweifel hierüber aufkommen zu 
lassen, will ich noch einen älteren Embryo untersuchen. 


AR 


Ich komme zum letzten Meerschweinembryo, von dem ich 
noch ein Modell angefertigt habe. Derselbe besitzt eine grösste 
Länge von 4'/, mm. Seine Entwickelungsstufe kennzeichnet sich 
dadurch, dass nun die Abschnürung der Lungenanlage schon be- 
gonnen hat, sodass man eine ganz kurze Luftröhre zu erkennen 


Zur Pankreasentwickelung der Säugethiere. 311 


vermag. Die Entwickelung des Leberzellengerüstes hat merkliche 
Fortschritte gemacht und die Gallenblase sich durch ihre fort- 
gesetzte Abschnürung soweit vom Darme entfernt, dass man be- 
reits einen deutlichen Ductus choledochus unterscheiden kann. 
Die schräge Stellung des Magens gegen die Medianebene hat 
sich verstärkt; die Schenkel der Nabelschleife verlaufen noch 
ungewunden. 

An der dorsalen Pankreasanlage ist die Längsfurche gänz- 
lich verschwunden. Weiter sieht man schon deutlich ein zwischen 
Drüsenkörper und Darm gelegenes, besonders verschmälertes 
Stück, das den künftigen Ausführungsgang vorstellt (Fig. 29). 
Die Anlage liegt als ganze jetzt schon sichtlich tiefer, als die Mün- 
dung des Ductus choledochus. Eine kurze Messung überzeugt uns 
aber sofort davon, dass ihr Hinabrücken noch keine Folge eines, 
etwa an dieser Stelle eingetretenen Längenwachsthumes des 
Duodenums ist. Denn der Abstand des unteren Randes des 
Duetus Santorini von dem oberen des Duetus choledochus beträgt 
90 u, von dem unteren hingegen 20 u, was ebensoviel ist, als die 
Entfernung der oberen Ränder beider Gänge von einander. Trotz- 
dem sich also die Gesammtlänge des in Betracht kommenden 
Darmtheiles von 120 u bei dem früheren Embryo auf 90 u bei 
diesem verringert hat, liegt doch der Pankreasgang mit seinem 
oberen Rande gegenüber dem Lebergange jetzt tiefer, als es 
früher der Fall war. Er muss sich daher neuerdings in eranio- 
caudaler Richtung abgeschnürt haben. 

Ich füge hier zur Erinnerung ein, dass ich bei allen meinen 
Messungen zur Entscheidung, welcher von zwei Punkten des 
Darmes der craniale, mithin höher gelegene sei, so vorging, dass 
ich nicht die Längsaxe des Embryos, sondern die des Darm- 
rohres als Riehtungslinie betrachtete. Hingegen sind in den bei- 
gegebenen Abbildungen die Modelle häufig ungefähr so gestellt, 
wie die Lage der durch sie dargestellten Organe im Embryo ist, 
wenn derselbe senkrecht zur grössten Längenaxe geschnitten ist. 

Auch bei diesem Embryo vermag ich nirgends mehr eine 
Spur der ventralen Anlagen zu entdecken. Ebensowenig ist mir 
das bei einer Reihe älterer Embryonen gelungen, die ich noch 
daraufhin untersucht habe. Da auch beim erwachsenen Thiere 
in der Nähe des Ductus choledochus nirgends Pankreasdrüsen- 
läppehen zu sehen sind, die an ihn heranreichten, so haben wir 

Arch. f. mikrosk. Anat. Bd. 57 1 


312 Konrad Helly: 


hier thatsächlich ein Säugethier vor uns, bei dem die ventralen 
Pankreasanlagen zwar vorübergehend auftreten, jedoch sofort 
wieder vollständig verschwinden; ein auf jeden Fall sehr merk- 
würdiges Verhalten. 

Da bei den Oyelostomen und Selachiern das Pankreas seine 
Entstehung nach den übereinstimmenden Untersuchungen sämmt- 
licher Forscher auch nur aus der dorsalen Anlage nimmt, so ist 
bezüglich der Pankreasentwickelung der einzige Unterschied zwi- 
schen jenen Thieren und dem Meerschweine der, dass bei diesem 
die ventralen Anlagen doch vorübergehend vorhanden sind, wäh- 
rend sie bei jenen überhaupt nicht zur Entwickelung gelangen sollen. 

Zur Morphologie der ganzen Drüse beim erwachsenen Thiere 
will ich noch bemerken, dass wir hierin einige Aehnlichkeit mit 
dem Kaninchen finden können, indem der Ductus Santorini durch 
ein nachträgliches Längenwachsthum des Duodenums sich um 
fast 5 em von dem Ductus ceholedochus entfernt, wodurch seine 
Mündung an das Ende des zweiten Drittels des ganzen Duode- 
num zu liegen kommt. Daher muss sich das dorsale Pankreas 
wieder in einem Gebiete ausbreiten, wo wir sonst ventrales Pan- 
kreas zu finden gewöhnt sind, nämlich im unteren Duodenal- 
gekröse. 

Werfen wir jetzt noch einen kurzen Blick auf den Weg, 
den die dorsale Pankreasanlage von dem Orte ihrer ersten Ent- 
stehung bis zu ihrer endlichen Mündung zurückgelegt hat, so 
sehen wir, dass, ähnlich wie bei der Ratte und beim Kaninchen, 
von Anfang an die dauernde Lage der Letzteren bereits ange- 
deutet war. Allerdings hatte es bei einigen Embryonen den An- 
schein gewonnen, als ob das Pankreas, nachdem seine Anlage 
zuerst — beim Embryo I — gegen den Lebergang ein wenig 
caudalwärts verschoben war, in entgegengesetztem Sinne gewan- 
dert wäre. Die vorgenommenen Messungen konnten uns aber leicht 
überzeugen, dass diese Wanderung nur die vorgetäuschte Folge 
davon war, dass die eraniocaudale Abschnürung der Leberanlage 
bedeutend rascher verlief, als die der Pankreasanlage. 

Als dann bei den älteren Embryonen die Letztere wieder 
nach und nach ihren eaudalen Platz gegenüber der Ersteren ein- 
zunehmen begann, war es auch nicht nöthig, zur Erklärung dieser 
zweiten Ortsveränderung eine neuerliche Wanderung jener an- 
zunehmen. Es genügte hierzu vielmehr wieder die fortschreitende 


Zur Pankreasentwickelung der Säugethiere. 313 


Abschnürung beider Anlagen, umsomehr, als das zwischen ihnen 
gelegene Stück des primitiven Duodenum sieh nicht nur nicht 
verlängerte, sondern sogar noch verkürzte. 

Erst nachdem sich ein Darmrohr von gewisser Länge auf 
solche Art hergestellt hat, beginnt dasselbe nun auch seinerseits 
in die Länge zu wachsen und damit eine weitere Entfernung 
der Mündung des Duetus Santorini von der des Duetus chole- 
dochus zu bewirken. 

. 

Waren meine bisherigen Untersuchungen von dem Bestreben 
geleitet worden, neue Aufschlüsse namentlich über die ersten 
Entwickelungsvorgänge an den Pankreasanlagen zu gewinnen, so 
ist es mir bei den noch folgenden vornehmlich darum zu thun 
gewesen, Vergleiche mit den von Anderen zu Tage geförderten 
Ergebnissen zu ziehen. Ich muss es dabei bedauern, dass es 
mir nicht möglich war, in den Besitz von entsprechendem Ma- 
teriale an Schafsembryonen zu gelangen, um auch bei diesem 
Säuger eine Nachuntersuchung des Verhaltens der ventralen An- 
lagen, sowie der Abschnürung der dorsalen Anlage vornehmen 
zu können. 

In der Reihenfolge, in der ich die noch übrigen Thiere — 
Katze, Schwein und Mensch — vorführe, liegt keine besondere 
Absicht, da sie eines inneren Zusammenhanges, wie er bei den 
vorigen vorhanden war, entbehren. 


4. Katze. 


Von diesem Thiere berichtet Felix (l.e.) auf Grund seiner 
Untersuchungen, die er an nur zwei Embryonen ausgeführt hat, 
von denen der eine 9mm und der andere 11 mm lang war, dass 
zunächst eine ventrale und eine dorsale Anlage vorhanden seien. 
Bei dem zweiten Embryo hat sich aber schon „das dorsale Pan- 
kreas gegenüber dem ventralen bedeutend zurückgebildet“. Da 
er weiters bei der erwachsenen Katze nur einen mit dem Leber- 
gange vereint mündenden Pankreasgang vorfindet, so zieht er 
den Schluss, dass beim erwachsenen Thiere die Drüse nach 
„Lage“ und „Ausführungsgang“ dem ventralen Pankreas des 
Hühnchens entspreche, und dehnt diese Schlussfolgerung auch 
auf die meisten Säugethiere aus. 

Es war mir von vornherein klar, dass hier eine unrichtige 


314 Konrad Helly: 


Beobachtung vorliegen müsse, die demnach auch zu gänzlich 
falschen Schlüssen geführt hat. Noch bevor ich an die Unter- 
suchung von Katzenembryonen ging, wusste ich schon aus zahl- 
reichen Präparationen am erwachsenen Thiere, dass sich immer 
beide Ausführungsgänge vorfinden. Um aber sicher keiner Täu- 
schung zu unterliegen, habe ich dieselben auch in einigen Fällen 
der mikroskopischen Behandlung zugeführt und an Serien mich 
davon überzeugt, dass beide Gänge vollkommen durchgängig 
sind und das Bild normaler Pankreasausführungsgänge geben, 

Mit diesen Beobachtungen stehe ich übrigens nicht allein 
da, sondern ich finde in der Litteratur beispielsweise die Angabe 
Schirmers (l. e.), der unter 17 Katzen bei allen beide Aus- 
führungsgänge nachweisen konnte. Allerdings hatte zwei Jahre 
vor ihm noch Stoss (28) die Bemerkung gethan: „Auch das 
Pankreas der Katze besitzt nur einen Ausführungsgang, den D. 
Wirsung.* Dagegen giebt neuestens Leche in Bronn (3) für 
die Katze die Anwesenheit zweier Ausführungsgänge an. 

Es war mir also schon aus der Anwesenheit der beiden 
Gänge nicht wahrscheinlich erschienen, dass sich die dorsale 
Anlage zurückgebildet haben sollte. Noch viel weniger aber ver- 
mochte ich bei der Betrachtung der Form und eben auch der 
„Lage“ der Drüse, mich dieser Ansicht anzuschliessen. Denn 
wenn auch von den beiden grossen Zipfeln des Organes der un- 
tere dem Duodenum nach abwärts folgt, mithin seine Ab- 
kunft aus der ventralen Anlage höchst wahrscheimlich erscheinen 
lässt, so ruft andererseits der Anblick des oberen, sich unter 
und hinter den Magen erstreckenden Zipfels sofort den Gedanken 
wach, dass er wohl der dorsalen Anlage entstammen dürfte, 
umsomehr, als er dem anderen an Masse entschieden überlegen 
ist. Nun wissen wir aber von allen bisher untersuchten Thieren, 
dass diese, wenn nicht die ganze spätere Drüse, so doch immer 
den grösseren Theil derselben liefert. 

Ich kann daher mit Rücksicht auf die von mir an Katzen- 
embryonen beobachteten Verhältnisse nicht umhin, der Vermu- 
thung Ausdruck zu geben, dass es sich in der bezüglichen Arbeit 
von Felix vielleicht nur um eine unglücklich gewählte und des- 
halb missverständliche Ausdrucksweise handelt, indem nicht die 
Lage des ganzen Pankreas, sondern nur die seines Ausführungs- 
ganges gemeint war. Da aber Felix am erwachsenen Thiere 


Zur Pankreasentwickelung der Säugethiere. 315 


nur den Duetus Wirsungianus zu finden vermochte, der sich als 
soleher durch seine gemeinschaftliche Mündung mit dem Leber- 
gange zu erkennen gibt, wäre es wohl leicht erklärlich, wie er 
dazu kam, die oben erwähnte Schlussfolgerung zu ziehen. 

Um mir nun die riehtige Deutung des zweiten Ausführungs- 
ganges in einwandsfreier Weise zu ermöglichen, habe ich drei 
Junge Embryonen in Serien geschnitten und einige ältere mit Hilfe 
der Loupe untersucht. Die drei Ersteren besitzen eine Länge 
von 4, 5 und 10 mm; ich will sie der kürzeren Ausdrucks- 
weise halber in gleicher Reihenfolge mit I, II und III bezeichnen. 

Embryo I besitzt noch beide ventralen Anlagen in Form 
kleiner Epithelsprossen, welche den Seitenwänden des Ductus 
choledochus kurz vor dessen Mündung in den Darm anhaften. 
Die rechte der beiden Anlagen ist deutlich stärker ausgebildet 
als die linke; eine Verwachsung zwischen beiden vermag ich 
nicht nachzuweisen. 

Die dorsale Anlage besitzt eine deutlich in den Darm sich 
öffnende Lichtung und reicht in ansehnlicher Ausdehnung bis 
hinter jene quere Anastomose beider Dottervenen, welche später- 
hin die aus ihnen stattfindende Entstehung der Pfortader ver- 
mittelt. Ihre Mündung liegt eaudal von der des Leberganges. 

Am Embryo II finde ich nur mehr eine ventrale Anlage, 
welehe von dem Duetus choledochus abgeht, an der rechten 
Seite des Duodenum liegt und sich weiterhin dem medialen und 
vorderen Rande der künftigen Pfortader anschliesst. 

Die dorsale Anlage ist stark gewachsen und schliesst sich 
dem hinteren Umfange des genannten Gefässes an. Sie mündet, 
wie früher, caudal von dem Ductus choledochus. Da sie in dieser 
Lage auch bei allen anderen Embryonen angetroffen wird, so 
erklärt es sich leicht, warum beim erwachsenen Thiere dasselbe 
Verhältnis besteht. 

Welches Schicksal der zweiten ventralen Pankreasanlage 
widerfuhr, vermag ich nicht zu entscheiden, da mir die Zwischen- 
stufen fehlen, die nöthig wären, diese Frage zu verfolgen. Ich 
muss mich damit begnügen, festzustellen, dass die hier vorhan- 
dene Anlage ihrer Lage nach wohl sicher auf die rechte zurück- 
zuführen, ist während die linke bereits fehlt. Ich könnte mich 
wohl versucht fühlen, ihr Verschwinden mit einer Rückbildung 
in Zusammenhang zu bringen, wie sie bei den früher beschrie- 


316 Konrad Helly: 


benen Thieren stattfindet. Ich thue dies aber nicht, weil es 
doch immerhin möglich wäre, dass eine Verwachsung mit der 
rechten stattgefunden habe, wenngleich ich deren Zustandekom- 
men in so früher Zeit aus noch später zu erörternden Gründen 
nicht für wahrscheinlich halte. Denn wir schen in der Entwicke- 
lung des Pankreas nicht nur bei den verschiedenen Thiertypen, 
sondern auch innerhalb derselben Species so viele Mamnigfaltig- 
keiten, dass es meiner Ansicht nach nicht angeht, ganz unbe- 
denklich von einem Thiere auf ein anderes zu schliessen. 

Embryo III zeigt endlich, dass die weitere Entwickelung 
der beiden noch vorhandenen Anlagen in gleichem Sinne erfolgt, 
wie bisher. Die Verwachsung zwischen Beiden ist noch nicht 
eingetreten, wohl aber sind sie einander an dem vorderen Um- 
fange der Pfortader fast bis zur Berührung genähert. Ihre Ver- 
einigung bahnt sich unter einem ähnlichen histologischen Bilde 
an, wie die der Ratte, nur mit dem Unterschiede, dass die An- 
lagen schon weiter entwickelt sind, wie dort, und daher bereits 
grössere Gänge und Alveolen zeigen. Infolge dessen besitzen 
denn auch schon die einander entgegenwachsenden Drüsensprossen 
eine Lichtung, was die Bildung einer durchgängigen Anastomose 
wohl wesentlich beschleunigen mag. 

Von einer Rückbildung der dorsalen Anlage ist nicht die 
mindeste Spur zu bemerken; auch ihr Ausführungsgang besitzt 
eine vollkommen durchgängige, entsprechend weite Lichtung. 
Wäre bei einem Embryo von Il mm das dorsale Pankreas wirk- 
lieh, wie Felix beschrieb, schon „bedeutend zurückgebildet“, 
dann müsste doch bei einem 10 mm langen wenigstens eine An- 
deutung hiervon bereits zu sehen sein. Statt dessen finde ich 
eine nach allen Riehtungen hin in bester Entwickelung begriffene 
Drüsenanlage vor. 

Ich kann also, namentlich in Ansehung der Befunde an 
den noch älteren untersuchten Embryonen, wohl behaupten, dass 
bei der Katze genau so, wie bei allen anderen Wirbelthieren, die 
dorsale Anlage während ihrer ganzen Entwickelungszeit das Ueber- 
gewicht über die ventrale besitzt, und beim erwachsenen Thiere 
sowohl als mächtiger Theil der ganzen Drüse, wie auch durch 
ihren zeitlebens erhalten bleibenden Ausführungsgang nachge- 
wiesen werden kann. 

Ich habe damit den Zweck erreicht, den ich bei der Unter- 


Zur Pankreasentwickelung der Säugethiere. 317 


suchung dieses Thieres vor Augen hatte, und will mich nun dem 
Schweine zuwenden. 


5. Sehwein. 


Die Kenntnisse, welche wir über die Pankreasentwickelung 
dieses Thieres besitzen, stammen aus der Untersuchung, welche 
Wlassow (l.e.) hierüber geführt hat. Das Ergebniss derselben 
gipfelt darin, dass die dorsale Anlage zweilappig sei, und zwar 
schon an dem jüngsten von ihm untersuchten Embryo, welcher 
eine Länge von 8Smm hat. Bei demselben ist auch die ventrale 
Anlage zweilappig; doch ist er nicht im Stande anzugeben, ob 
dieselbe von Anbeginn ihrer Entstehung an einfach war, oder 
ob sie aus zwei ursprünglich getrennten Anlagen hervorgegangen 
ist. Es geht also daraus hervor, dass er zum mindesten die 
Zweilappigkeit für den anfänglichen Zustand dieser Anlage an- 
sieht, die Möglichkeit einer ausgesprochenen Paarigkeit aber 
Angaben keinesfalls ausschliesst. 

Mir stieg alsbald die Vermuthung auf, dass Wlassow es, 
mit Rücksicht auf die ersten Entwickelungsstufen des Pankreas, 
mit viel zu alten Embryonen zu thun gehabt habe, und da mir 
ein Schweineembryo von 8 mm grösster Länge zur Verfügung 
stand, beschloss ich, mich von der Richtigkeit der betreffenden 
Angaben zu überzeugen. 

Nun lässt ein Blick auf das Präparat sofort erkennen, dass 
die erste Anlage der Drüse schon längst vorüber ist. Man er- 
kennt in beiden Pankreasanlagen bereits sehr deutlich die Zeichen 
der beginnenden centralen Aufhellung der künftigen Gänge und 
Alveolen. Dies, sowie die reichliche Sprossenbildung, weisen dar- 
auf hin, dass sowohl am dorsalen, wie am ventralen Pankreas 
die beobachtete Zweilappung wohl kaum mehr die Folge einer 
von allem Anfange an vorhanden gewesenen Paarigkeit sein 
dürfte. 

An der dorsalen Anlage ist sie auszuschliessen, wenn man 
die an den drei Nagern beschriebenen Verhältnisse in Vergleich 
zieht, bei denen sich deutlich gezeigt hat, dass die Zweilappig- 
keit der genannten Anlage nur ein vorübergehender Zustand ist, 
der obendrein erst einige Zeit, nachdem diese aufgetreten ist, 
erscheint. 

An der ventralen aber bin ich ebenfalls geneigt, die dop- 


318 Konrad Helly: 


pelte Lappung nur für eine Wachsthumserscheinung zu halten, 
solange nicht der unumstössliche Beweis geliefert worden ist, 
dass bei den Säugethieren die Verwachsung der rechten und 
linken ventralen Anlage als Grundtypus gelten könne. Bis jetzt 
aber beschränken sich fast alle Angaben, die hierüber gemacht 
wurden, darauf, aus der Anwesenheit einer einzigen Anlage, 
nachdem zu einem früheren Zeitpunkte zwei vorhanden waren, 
die stattgefundene Vereinigung beider zu folgern. 

Ich behalte mir übrigens für die Schlussbetraehtungen vor, 
auf diese Frage unter Zusammenfassung dessen, was hierüber 
bekannt ist, zurückzukommen, und will mich damit begnügen, 
beim Schweine festgestellt zu haben, dass ein Embryo von 8 mm 
schon eine so weitgehende Ausbildung der Pankreasanlagen zeigt, 
dass es kaum möglich ist, aus ihrer Form einen Rückschluss auf 
deren erste Entwickelungsstufen zu ziehen. Ich halte es viel- 
mehr für nöthig, zu diesem Zwecke Embryonen zu verwenden, 
deren Grösse zwischen 2!/, mm und 5 mm gelegen ist. Wenigstens 
lassen alle bisher veröffentlichten Arbeiten ersehen, dass bei den 
verschiedenen Säugethieren die Pankreasanlagen älterer Em- 
bryonen über ihre erste Entwickelung schon hinaus gediehen sind. 


6. Mensch. 


Ich komme nun zum letzten Säuger, dessen Pankreasan- 
lagen auf einer verhältnissmässig frühen Entwiekelungsstufe zu 
untersuchen mir möglich wurde. Das mir vorliegende Präparat 
betrifft jenen menschlichen Embryo Rabl’s, dessen ich schon Ein- 
gangs bei der Mittheilung des untersuchten Materiales gedachte. 

Derselbe besitzt, über die Krümmung gemessen, eine Steiss- 
Scheitellänge von 11 mm und entspricht in der Entwickelung 
seiner Organe etwa dem His’schen Embryo von 7!/, mm grösster 
Länge [His (12): zwischen No. 8 und No. 9], sodass ich glaube, 
auf die weitere Beschreibung verzichten zu können. Ich will 
mich vielmehr gleich den Pankreasanlagen zuwenden. 

Gegenüber vom Ducetus choledochus finden wir an einer 
etwas höher gelegenen Stelle des Duodenum den Abgang der 
dorsalen Anlage. Dieselbe hat eine annähernd rechtwinkelig ab- 
geknickte Form (Fig. 30). Ihre Verbindungsstreeke mit dem 
Darme hat eine Länge von 110 u. Der Körper der Drüse ist im 
geraden Durchmesser schmäler als im queren und erscheint daher 


Zur Pankreasentwiekelung der Säugethiere. 319 


flach. Oberflächlich bemerkt man mehrere kleinere Uneben- 
heiten, welche mit der Bildung neuer Sprossen im Zusammen- 
hange stehen. Die Letzteren zeigen im Innern bereits die be- 
kannte centrale Aufhellung und vielfach auch schon Lichtungen. 

Die Anlage mündet vermittelst eines engen Ganges in das 
Duodenum. An dessen linker Seite fällt uns aber eine epitheliale 
Wucherung auf, die genau im Winkel liegt, welchen der Gang 
mit dem Darme einschliesst (Fig. 32). Innerhalb dieser Wuche- 
rung, die sich als eine dem Duetus Santorini aufsitzende und 
bis auf das Darmepithel hinübergreifende Pankreasknospe er- 
kennen lässt, sehen wir ebenfalls bereits deutlich eine sehr kleine 
Lichtung. 

Der abgeknickte Theil der Anlage liegt der dorsalen Wand 
der späteren Pfortader an; ihr Abgang vom Darme erfolgt unter 
einem caudalwärts sehr spitzen Winkel. 

Wir sehen also an der dorsalen Pankreasanlage dieses 
menschlichen Embryos Erscheinungen, die wir bei keinem der 
früheren Thiere in ähnlicher Form beobachten konnten. Was 
zunächst die Abknickung anlangt, so muss ich bekennen, dass 
ich mangels jüngerer Embryonen nicht imstande bin, eine aus- 
reichende Erklärung hiefür zu finden, wenn ich auch glaube, 
dass diese Form auf nachträglich während des Wachsthumes ein- 
getretene Verschiebungen der betheiligten Organe gegen einander 
zurückzuführen sein dürfte. Im Zusammenhange mit der Schwierig- 
keit, welche die Erklärung der Form in sich birgt, muss ich mich 
auch eines Urtheiles darüber enthalten, wie es zur Bildung des 
erwähnten spitzen Winkels kam. Es ist mir aus dem gleichen 
Grunde auch unmöglich, eine stichhaltige Ansicht über den Ab- 
schnürungsvorgang zu bieten, der hier in früherer Zeit stattge- 
funden haben musste. 

Die dritte Eigenthümlichkeit endlich, die wir noch sehen, 
ist durch die Pankreasknospe gegeben, welche auf der linken 
Seite im Winkel zwischen Ductus Santorini und Darmrohr ge- 
legen ist. Für ihre sonderbare Lage gibt es zwei Erklärungs- 
möglichkeiten; entweder stammt sie noch von der primitiven 
Pankreasausstülpung der Darmwand, indem sie sich aus dem 
verdickten Epithel derselben durch centrale Aufstellung gebildet 
hat, oder sie stellt eine spätere Wucherung derselben dar. Wie 
dem auch sei, so bietet sie mir doch jedenfalls eine erwünschte 


320 Konrad Helly: 


Ergänzung jener Reihe von Embryonen, die ich vor kurzem zu- 
sammengestellt habe (11), um zu ermitteln, welchen Ursprunges 
das in der Papilla minor des erwachsenen Menschen vorkommende 
Pankreasdrüsengewebe sei. Sie zeigt eben, dass die Anlage 
dieses Gewebes schon in eine Zeit zurückreicht, in der von einer 
Anlage der Muscularis des Darmes noch nichts zu sehen ist. Da 
sie aber bis auf das Epithel des letzteren hinübergreift, ist es 
vollständig erklärlich, wie es kommt, dass sie bei ihrer folgenden 
Abschnürung von demselben doch nicht aus dem Bereiche der späte- 
ren Submucosa herauskommt. Denn dieser Vorgang vollzieht sich, 
wie ich an genannter Stelle gezeigt habe, erst nachdem die An- 
lage der Muscularis schon vorhanden ist, und dem weiteren Ab- 
rücken der Knospe von dem Darmepithel Halt gebietet. 

Nicht minder bemerkbar, wie die dorsalen Anlagen sind 
(die gleichfalls schon vorhandenen ventralen. Sie zweigen vom 
Duetus choledochus etwa 20 u vor dessen Einmündung in das 
Duodenum ab, welche ihrerseits wieder um 30 u tiefer liegt, als 
die des Duetus Santorini (Fig. 30). Die rechte ist grösser, als 
die linke; an ihrer Mündung in den Gallengang greifen ihre Zellen 
auch auf dessen ventralen Umfang über (Fig. 31). Eine that- 
sächliche Verwachsung mit der linken Anlage vermag ich aber 
nicht zu sehen; es ist vielmehr zwischen Beiden noch eine kurze 
Strecke der Choledochuswand zu unterscheiden, welche in ihrer 
Dieke den übrigen sicher von Pankreasbildungszellen freien Stellen 
desselben vollkommen gleich ist. Auch am Modelle kommt die 
Unabhängigkeit der beiden ventralen Anlagen von einander mit 
genügender Deutlichkeit zur Geltung. 

In der äusseren Form zeigen beide insofern eine gewisse 
Aehnlichkeit, als jede etwas platt gedrückt ist und mehrfache 
Unebenheiten der Oberfläche besitzt. Im mikroskopischen Bilde 
ergeben sich aber bedeutende Unterschiede zwischen ihnen. Wäh- 
rend nämlich die rechte Anlage sich als im vollen Wachsthume 
begriffen zu erkennen gibt, ihr breiter Ausführungsgang eine 
deutliche Lichtung zeigt, desgleichen auch die beginnende Alveo- 
lenbildung unverkennbar hervortritt, sieht man, dass die Zellen 
der linken Anlage viel kleiner und die Grenzen derselben viel- 
fach undeutlich sind. Von dem Rande der Anlage her wachsen 
stark erweiterte Capillargefässe in sie hinein und erzeugen die 
am Modelle früher sichtbar gewesenen Einschnitte ihrer Ober- 


Zur Pankreasentwickelung der Säugethiere. 321 


fläche. Zwischen den Drüsenzellen sammeln sich auch vielfach 
mesodermale Zellen an und verdrängen die Ersteren. Die Ver- 
bindung mit dem Ductus choledochus findet nicht, wie an der 
rechten Anlage durch einen durchgängigen Gang statt, sondern 
nur durch eine solide, bloss über wenige Schnitte zu verfolgende 
Zellschichte. Auch sonst sieht man nirgends deutliche Lichtungen. 

Wir haben mit einem Worte das ausgesprochene Bild einer 
in vollster Rückbildung begriffenen Drüsenanlage vor uns. 

Dieser Befund ist aus mehreren Gründen von nicht zu 
unterschätzender Bedeutung; denn vor allem wird dureh ihn die 
Lücke ausgefüllt, die bisher zwischen jenen Beobachtungen be- 
stand, welche von zwei ventralen Pankreasanlagen des Menschen 
Nachricht gaben, und jenen, welche nur eine nachweisen konnten. 
Es ist eben kaum anders zu erwarten, als dass bei Embryonen, 
welche kaum älter als vier Wochen sind, die linke Anlage be- 
reits ganz verschwunden und daher nicht mehr auffindbar ist. 
Daher konnten denn auch Jankelowitz und v. Brunns sie 
sehen, die anderen aber nicht. 

Doch kann ich mir nicht versagen, die von dem Ersteren als 
solche beschriebenen ventralen Pankreasanlagen einer kritischen 
Beleuchtung zu unterziehen. Die Beschreibung ist in zwei, theil- 
weise verschiedenen Abfassungen erschienen, doch nur die eine 
von ihnen (14) mit Zeichnungen versehen. Aus diesen geht aber 
mit vollster Deutlichkeit hervor, dass der grösste Theil des als 
Pankreasanlagen beschriebenen Gewebes anf Rechnung der Gallen- 
blasenanlage zu setzen ist. Denn abgesehen davon, dass es bei 
der überwiegenden Grösse, welche die dorsale Anlage immer über 
die ventrale, namentlich aber zur Zeit ihres Auftretens besitzt, 
ganz unwahrscheinlich ist, dass man die Letztere über 20 Schnitte 
verfolgen könne, während die Erstere nur auf 22 Schnitten zu 
sehen ist, so fehlt mir vollständig der Hinweis auf die Gallen- 
blase, welche ja schon vorhanden sein muss, nachdem sie sich 
doch, zeitlich, vor dem ventralen Pankreas anlegt. Wohl aber 
sehe ich auf den Abbildungen eine bedeutende Erweiterung der 
Lichtung des Gallenganges, welche ebenso, wie die dadurch be- 
dingten, für die Pankreasanlagen gehaltenen Ausbuchtungen seiner 
Wände, nach allem, was wir bisher über die Entwickelung der 
Gallenblase wissen, nur dieses Organ darstellen kann. Ebenso 
neige ich vielmehr dazu hin, die als Pankreasgänge bezeichneten 


322 Konrad Helly: 


Lichtungen mit jenen histogenetischen Vorgängen in Zusammen- 
hang zu bringen, welche sich um diese Zeit an der Gallenblasen- 
anlage beobachten lassen, und die mit der Bildung soleher Lich- 
tungen Hand in Hand gehen. Namentlich Fig. 8 bestärkt mich 
in dieser Deutung, da hier die rechte Anlage vollständig solide 
gezeichnet ist. 

Weiters muss ich gestehen, dass es mir nicht verständlich 
ist, wie es dem Autor möglich war, in dem etwas gleichmässigen 
Zellenlager die, allerdings nur dureh punktirte Linien angedeuteten, 
Grenzen der angeblichen Pankreasanlagen zu finden. Mir will 
vielmehr scheinen, dass dieselben, wofern sie überhaupt schon 
vorhanden sind, nur auf den letzten zur Ansicht gebrachten Ab- 
bildungen zu sehen sind. 

Einer ebenfalls hierher gehörigen Angabe muss ich noch 
gedenken, die von Felix (l. e.) gemacht wurde. Derselbe 
beschreibt an dem menschlichen Embryo H. M. 2, der eine Länge 
von 8 mm hat, eine ventrale Anlage, die auf die caudale Gallen- 
gangswand hinübergreift, und an der er eine Zweitheilung deut- 
lich wahrnehmen will. Er verwerthet diesen Befund im Sinne 
eines letzten Restes einer linken ventralen Anlage, was mit der 
bereits eingeleiteten Rückbildung an dem von mir beschriebenen 
Embryo ganz gut übereinzustimmen schiene, wenn nicht in der 
Formbeschreibung dieses angeblichen Restes einige Purkte ent- 
halten wären, die mich vermuthen lassen, dass überhaupt keine 
linke Anlage mehr vorhanden war. 

Zunächst zeigt ja der Rabl’sche Embryo gleichfalls das 
Hinübergreifen der rechten Anlage auf den caudalen, oder, was 
dasselbe ist, ventralen Umfang des Ductus choledochus. Wir 
sehen aber, dass von dieser Stelle vollkommen getrennt, die linke 
Anlage ihrerseits mit dem Gallengange zusammenhängt. Was 
jedoch die Zweitheilung betrifft, bezüglich deren Felix auf die 
von ihm gegebene Abbildung in Fig. 12 verweist, muss ich sagen, 
dass ich nicht vermag, sie aus derselben zu entnehmen. Ich 
sehe wohl auch einen soliden Theil der Anlage und weiter nach 
rechts eine Lichtung in derselben, erkenne aber hierin sofort die 
Aehnlichkeit mit der von mir in Fig. 31 gegebenen Abbildung 
wieder. Der solide Theil stellt nichts anderes dar, als jenen 
Bestandtheil der rechten Anlage, welehe zwischen ihrem Aus- 
führungsgange und dem Ductus choledochus liegt. Dass aber die 


Zur Pankreasentwickelung der Säugethiere. 323 


Lichtung des Ersteren so deutlich nach rechts verschoben ist, 
findet seinen Grund darin, dass sie von der des Letzteren sich 
eben schon ein beträchtliches Stück entfernt hat und daher bei 
der eingehaltenen Schnittrichtung nicht mehr in die Mitte der 
Pankreasanlage fallen kann. 

An dieser Stelle muss ich eines Umstandes gedenken, der 
schon in mehreren Fällen Irrthümer verursacht hat; das ist das 
Vorkommen von Varietäten an Embryonen, die, weil man die 
normalen Verhältnisse noch nicht genügend kannte, für die Letz- 
teren gehalten wurden. So beschreibt Hamburger (l.e.) an 
einem vierwöchentlichen menschlichen Embryo die Entstehung 
des ventralen Pankreas mit den Worten: „ihm (dem D. ch.) gegen- 
über liegt eine kleine, keulenförmige Drüsenanlage — das eine 
Pankreas —“, und schliesst weiterhin daraus, dass er bei einem 
fünfwöchentlichen Embryo die ventrale Anlage mit dem Gallen- 
gange vereinigt findet, dass diese Vereinigung erst nachträglich 
stattfinde. Ich glaube, dass man unbedenklich annehmen kann, 
dass der erstgenannte Embryo, die Richtigkeit der Beobachtung 
vorausgesetzt, eine Varietät darstellt. 

Wlassow (l. e.) hingegen, der bei einem 10,5 mm langen 
menschlichen Embryo nur die dorsale Anlage fand, nimmt auf 
die Möglichkeit einer Varietät Rücksicht, indem er eine vermuth- 
lich vorliegende „anormale Entwickelung“ annimmt. 

Ich habe eingangs eine Reihe von Fragen hervorgehoben, 
deren Lösung noch nicht in befriedigender Weise gelungen ist, 
und will nun versuchen dieselben einzeln zu beantworten. 

Zunächst können wir mit vollkommener Sicherheit die Mög- 
lichkeit ausschliessen, dass zwischen dorsaler Pankreasanlage und 
Lebergangsmündung ein wirklicher Platzwechsel im Verlaufe ihrer 
Entwickelung eintrete. Bei allen untersuchten Embryonen haben 
wir gesehen, dass die spätere Mündungsstelle des Duetus Santo- 
rini, ob sie nun erhalten bleibt oder nicht, von allem Anfange an 
durch die Lage der primitiven Pankreasrinne oder -ausbuchtung 
— jeder der beiden Ausdrücke hat seine Berechtigung — ange- 
deutet ist. Selbst beim Meerschwein, wo durch die eintretenden 
Abschnürungsvorgänge zeitweise eine scheinbare Verschiebung 
der genannten beiden Mündungen gegeneinander stattfindet, stellt 
sich bald wieder der ursprüngliche Zustand ein, und zwar wieder 


324 Konrad Helly: 


infolge fortgesetzter Abschnürungen, nieht aber dureh thatsächliehe 
Verschiedenheiten im Längenwachsthume der einzelnen Darmwand- 
abschnitte. 

Im scheinbaren Widerspruche zu diesem Befunde stehen 
nur jene, bei Besprechung der Litteratur angeführten Angaben 
einzelner Forscher, welche die dorsale Pankreasanlage des Menschen 
caudal vom Ductus choledochus entstehen liessen. Da wir aber 
von sicheren Fällen wissen, in denen der Duetus Santorini beim 
Erwachsenen ebenfalls caudal von dem Gallengange mündete, 
und diese Fälle als Varietäten betrachten, so ist gar kein Grund 
vorhanden, die genannten embryonalen Fälle als den ursprüng- 
lichen Zustand anzusehen, wie es Charpy thun wollte, sondern 
wir können sie ohne weiteres als Varietäten ansehen. 

Es wäre nur noch die Frage zu beantworten, wie man sich 
ihr Zustandekommen zu erklären hätte. Die Antwort ist nicht 
so schwer zu geben, wenn wir uns an die bei den Nagethieren 
beschriebenen Verhältnisse erinnern. Bei allen Dreien sahen wir, 
dass die erste Anlage des dorsalen Pankreas gegenüber von dem 
Lebergange liegt. Während aber beim Kaninchen und beim 
Meerschwein eine geringe Verschiebung ihres ceranialen Randes 
in caudalem Sinne nachzuweisen ist, war dies bei der Ratte nicht 
der Fall. Wenn man nun weiter die Grösse der genannten Ver- 
schiebung in’s Auge fasst, so erkennt man, dass es durchaus keiner 
‚besonders grossen Anomalien des Entwickelungsganges bedarf, 
um sie von allem Anfange an, oder erst späterhin in irgend einem 
Sinne, sogar auch im entgegengesetzten, zu verändern. Ich verweise 
beispielsweise auf die beim Rattenembryo III gegebene Varietät. 

Gegen v. Brunn’s Versuch, eine Wanderung eines beider 
Gänge anzunehmen, spricht aber ebenso, wie gegen Charpys 
„inversion embryonnaire“ eine rein physikalische Erwägung. Diese 
Wanderung könnte doch nur, wie schon bemerkt, durch ungleich- 
mässiges Wachsthum einzelner Theile der Darmwand bewirkt 
werden. Diese müssten aber folgerichtig eine Krümmung des 
Duodenums nach sich ziehen. Nun sehen wir von einer derar- 
tigen Krümmung noch lange nichts, während die künftige Lage 
der Gänge schon ausgeprägt ist. Diese Wanderung aber dadurch 
erklären zu wollen, dass man an eine thatsächliche Ortsverände- 
rung derselben innerhalb der Darmwand dächte, ist, abgesehen 
davon, dass für dieselbe kein einziger zureichender Grund anzu- 


Zur Pankreasentwickelung der Säugethiere. 325 


fübren wäre, so unwahrscheinlich, dass man diesen Gedanken 
wohl alsogleich wieder fallen lassen kann. 

Die dorsale Anlage ist ferner in allen Fällen, wo wir wirk- 
lich ihre erste Entwiekelungsstufe zu sehen bekamen, vollkommen 
unpaarig und hat die Gestalt einer rinnenförmigen Ausbuchtung 
der dorsalen Darmfalte. Die zu verschiedenen Zeiten der späteren 
Entwickelung auftretende und, wie wir gesehen haben, wieder 
vorübergehende Zweilappung des Organes ist nur — und hierin 
stimme ich mit Choronshitzky vollkommen überein — „als 
eine früh angedeutete Verzweigung der Bauchspeicheldrüse zu 
betrachten“, kann aber keinesfalls im Sinne einer primären 
Paarigkeit oder auch nur Zweilappung der dorsalen Aniage ver- 
werthet werde. 

Ich komme zu jener Frage, die sich mit der Richtung des 
Abschnürungsvorganges an der dorsalen Pankreasanlage befasst. 
Bevor ich an die Lösung derselben gehe, halte ich es für 
nöthig, zuerst eine Feststellung des Begriffes vorzunehmen, der 
mit dem Worte Abschnürung bezeichnet werden soll. Als solche 
verstehe ich jenen Vorgang, durch den die Haftlinie, die zwei 
Organe mit einander verbindet, im Laufe der fortschreitenden 
Entwiekelung kleiner wird. Nun ist es klar, dass dies Kleiner- 
werden im allgemeinen unter der Erscheinung einer Furche vor 
sich gehen wird, welche sich dort einstellen muss, von wo aus 
die Absehnürung beginnt. Es ist aber auch klar, dass nicht jede 
auftretende Furche der Ausdruck einer vor sich gehenden Ab- 
schnürung sein muss, da sie ja auch durch das Wachsthum der 
betreffenden Organe über ihre Haftlinie hinaus und ohne gleich- 
zeitige Verkleinerung derselben zustande kommen konnte. 

Wie erkennen wir nun, in welcher Richtung die Abschnürung 
stattfindet? Doch wohl nur derart, dass wir auf Grund von 
Messungen feststellen, ob sich die Endpunkte der betreffenden 
Haftlinie einander nähern, und welcher von ihnen dabei derjenige 
ist, der sich activ dem anderen nähert. Ich suchte meinen Zweck 
zu erreichen, indem ich für die Pankreas- und für die Leberan- 
lage die Abstände der Endpunkte ihrer Haftlinien gegeneinander 
aufnahm. Ich konnte so feststellen, dass die Abschnürung der 
Ersteren sicher in eraniocaudaler Richtung beginnt. 

Ich befinde mich durch dies Ergebniss im Widerspruche 
mit den Angaben von Stoss und von Choronshitzky. Da 


326 Konrad Helly: 


ich keine Schafsembryonen besass, um eine Nachprüfung ihrer 
Angaben vorzunehmen, muss ich mich eines bestimmten Urtheils 
über deren Richtigkeit enthalten. Ich möchte aber kemesfalls 
unerwähnt lassen, dass es nicht angeht, von dem Abschnürungs- 
vorgange, wie er bei einem Säugethiere möglicherweise ange- 
nommen werden kann, verallgemeinernd auf den ganzen Typus 
der Säuger zu schliessen. Dies thut aber Choronchitzky 
und findet so den Unterschied zwischen diesen und allen anderen 
Wirbelthieren, bei denen ja die Abschnürung eine eraniocaudale ist. 
Uebrigens stellt nicht einmal Stoss in seimer ausführlichen Ar- 
beit die caudocraniale Abschnürung als die alleinige bei Schafen 
stattfindende hin, sondern nur als die zuerst eintretende; bald 
nach ihr soll auch in entgegengesetzter Richtung ein ähnlicher 
Vorgang beginnen. Beide Forscher aber haben sich ihre Schlüsse 
bloss auf Grund des Vorhandenseins der tiefen Furche zwischen 
Pankreasanlage und Duodenum gebildet. Wollte man ausschliess- 
lich auf diese, ich wiederhole es, nicht stichhaltige Weise vor- 
gehen, daun kann man nach dem Befunde, den mit besonderer 
Deutlichkeit das Meerschwein bietet, ebenfalls zu dem von mir 
gezogenen Schlusse kommen, dass die Abschnürung des dorsalen 
Pankreas eraniocaudal einsetzt; denn dort finden wir ja die erste 
Furche am eranialen Ende der primitiven Pankreasrinne (Fig. 23.) 

Die Meinungsverschiedenheit, die zum Theile darüber herrscht, 
ob die ventralen Anlagen aus dem Ductus choledochus, oder aus 
dem Darme selbst entstünden, hat ihren Grund wohl nur darin, dass 
es an einer Feststellung darüber mangelt, wo mau die Grenze 
zwischen diesen beiden zu ziehen habe, beziehungsweise, wann 
man von ihnen als von zwei verschiedenen Gebilden sprechen 
könne. Ich habe bereits beim Kaninchen (s. 0.) diese Frage er- 
örtert und kann mich jetzt darauf beschränken, festzustellen, dass 
bei allen bisher untersuchten Säugethieren die ventralen Anlagen 
aus der Wand des Ductus choledochus, oder vorsichtiger ausge- 
drückt, des Leberganges entspringen. 

Der Befund Hamburger’s, wonach die ventralen Anlagen 
zunächst an einer vom Duetus choledochus entfernten Stelle aus 
der Darmwand entspringen, habe ich bereits früher unter die 
Varietäten verwiesen. 

Die Frage nach dem weiteren Schicksale der beiden ven- 
tralen Anlagen erachte ich dahin zu lösen, dass nur die rechte 


Zur Pankreasentwickelung der Säugethiere. 327 


das Material zur weiteren Ausbildung erhält, während die linke 
sich wieder zurückbildet. Eine Verwachsung beider vermochte 
ich nicht nachzuweisen. Dieselbe erscheint mir auch nicht wahr- 
scheinlich, wenn ich die Angaben Choronshitzky's, der ja 
auch für ihre Verwachsung eintritt, durchsehe. Denn zwischen 
der Art und Weise, wie sie bei den Säugern zum Unterschiede 
von den an den Wirbelthieren auftreten soll, liegt ein bedeutender 
Unterschied. Während nämlich bei Letzteren die beiden Anlagen 
im Verlaufe ihres weiteren Wachsthumes, in verhältnissmässig 
weit ausgebildetem Zustande, aufeinander stossen, und ihre Ver- 
einigung daher auf eine ähnliche Weise zustande kommt, wie die 
der ventralen mit der dorsalen Anlage, sollten bei Ersteren beide 
durch eine Verdickung der caudalen Choledochuswand miteinander 
verwachsen, da sie selbst noch viel zu klein sind, um sich mit 
ihrer Körpern berühren zu können. Choronshitzky gibt 
übrigen anmerkungsweise zu, dass diese Verdickung „auch dem 
hintersten Abschnitte der Gallenblasenanlage oder ihrer Fortsetzung 
angehören“ kann, und scheint folglich von dem wirklichen Be- 
stande einer Verwachsung in dieser frühen Zeit nicht sehr voll- 
kommen überzeugt zu sein. Da nun aber „schon im nächsten 
Stadium... ein einziges ventraies Pankreas“ vorhanden ist, so 
schliesst er, könne dieses nur „durch Konfluenz der beiden ge- 
schilderten ventralen Pankreasanlagen entstanden“ sein. Ich habe 
schon einleitend auf den Sprung hingewiesen, der hier in der 
Schlussfolgerung besteht. Natürlich ergibt sich dadurch wieder 
ein Unterschied der Säugethiere gegenüber den anderen Wirbel- 
thieren, da „bei Ersteren zuerst die beiden ventralen Pankreas- 
anlagen konfluieren, während bei Letzteren zuerst die rechte ven- 
trale mit der dorsalen Pankreasanlage sich vereinigt“. 

Ich bin auf Grund meiner Befunde, wie gesagt, der An- 
sicht, dass die linke Anlage bei den Säugethieren der Rückbil- 
dung anheimfällt, und stütze diese Ansicht namentlich durch das 
Verhalten des menschlichen Embryos, bei dem die rechte Anlage 
gut entwickelt, die linke aber in vollkommener Rückbildung be- 
griffen ist, und dennoch keine Verwachsung zwischen beiden 
wahrgenommen werden kann. 

Für die weitere Entwickelung des ventralen Pankreas ist 
übrigens die Frage, ob die linke Anlage zu Grunde geht, oder sich 
mit der rechten theilweise oder ganz vereinigt, gleichgiltig, da 

Archiv f. mikrosk. Anat. Bd, 57 22 


328 Konrad Helly: 


ja die Letztere schliesslich doch diejenige ist, welche das Material 
für die ventrale Anlage liefert, die überdies durch ihre Lage nach 
rechts hinüber auf ihre Entstehungsweise zurückdeutet. 

Mit Bezug auf die Gesammtentwickelung des ventralen 
Pankreas können wir sagen, dass dieselbe innerhalb der weitesten 
Grenzen schwankt. Sahen wir doch, dass das Meerschwein ihrer 
überhaupt vollständig entbehrt, während andererseits die so nahe 
verwandte Ratte, sowie auch die Katze, einen ansehnlichen Theil 
ihrer Bauchspeicheldrüse dieser Anlage verdanken. 

Es erübrigt mir noch, auf die histogenetischen Vorgänge ein- 
zugehen, welche sich bei der Verwachsung der dorsalen mit der 
ventralen Anlage abspielen. Nach dem mikroskopischen Bilde, 
das sich uns hierbei darbietet, vermag ich nicht, mich jenen An- 
schauungen anzuschliessen, welche diese Vorgänge einseitig auf die 
Wachsthumsrichtung der einen oder auch beider Anlagen zurück- 
führen wollen, ohne dabei eine active Betheiligung der Drüsenzellen 
anzunehmen. Denn wenn auch die Darmdrehung und die dadurch 
bedingte Annäherung des ventralen und dorsalen Pankreas gegen- 
einander sicher die erste Einleitung zur später eintretenden Ver- 
einigung Beider bilden mag, so reicht sie doch nicht aus, die 
Vorgänge zu erklären, die sich an der Ratte mit solcher Deutlich- 
keit verfolgen liessen, und die darin bestanden, dass zunächst 
zwei Sprossen, eine von jeder Anlage, einander geradeswegs ent- 
gegenwuchern unter deutlicher Verdrängung des dazwischen ge- 
legenen Mesenchymgewebes. Andererseits bleibt es unerklärt, 
warum die Verwachsung nicht auch am lateralen Umfange der 
Pfortader zustande kommt, wo beide Anlagen einander doch eben- 
falls stark genähert sind, zumal wir aus dem Verhalten des dor- 
salen Pankreas beim Kaninchen sehen, dass durchaus kein Hinder- 
niss für die vollständige Umwachsung dieses Gefässes gegeben 
zu sein scheint. 

Ich sehe mich also genöthigt, nächst den mechanisch von 
aussen auf die Verwachsung beider Pankreasanlagen hinwirkenden 
Ursachen auch noch solche anzunehmen, welche in den biologischen 
Verhältnissen der Drüsenzellen gelegen sein müssen, deren eigent- 
liche Natur mir aber gänzlich unbekannt ist. Für die letztere 
Ansicht mache ich noch den Umstand geltend, dass es ja, wäre 
diese Verwachsung nur eine nach den Regeln der Physik mecha- 
nisch vor sich gehende Erscheinung, ganz unerklärlich bliebe, 


Zur Pankreasentwickelung der Säugethiere. 329 


weshalb sie auch unterbleiben kann, trotzdem sich die beiden 
Anlagen bis zur innigsten Berührung genähert haben, wie Varie- 
tätenbefunde am Menschen erkennen lassen. Es ist ja nicht gar 
so selten, dass man als Hauptausführungsgang der ganzen Drüse 
beim Erwachsenen den Duetus Santorini findet, während der 
Duetus Wirsungianus nur einen kleinen Gang bildet, der, ohne 
mit jenem zu anastomosiren, in den Ductus choledochus mündet 
(s. Charpy). 


Ich bin am Ende meiner Arbeit über die Pankreasentwicke- 
lung der Säugethiere angelangt und will nur noch die Ergebnisse 
derselben kurz zusammengefasst anführen: 

1. Die endgiltige Lage des Duetus Santorini 
gegenüber dem Lebergange ist sofort zu Beginn 
des Auftretens der dorsalen Pankreasanlage an- 
gedeutet; eine nachträgliche Wanderung eines 
Ganzes sefen den anderen findet nicht statt, 
wohl aber häufig ein Auseinanderrücken der 
Beiden infolge desLängenwachsthumesdesDuo- 
denums. 

2. Die dorsale Pankreasanlage ist immer un- 
paarig alslängliche, ausgebuchtete Rinne der 
dorsalen Darmfalte angelegt; eine Zweilappung 
kommtals vorübergehender Zustand während 
derspäterenembryonalen Entwickelung häu- 
fig zustande. 

3. Die Abschnürung der dorsalen Pankreas- 
anlage von dem Darme beginnt in eraniocau- 
danlershuichtuwng. 

4. Die ventralen Anlagen nehmenihren Ur- 
Spa aus den segelrcehen Wänden desMeber- 
Samnees und nur dieses zunmittelbar, beywor.er 
inden Darm mündet. 

5. Die beiden ventralen Pankreasanlagen 
weten “deutlichivomf einander gesondertrauf; 
eine Verwachsung zwischen ihnen konnte ich 
inkeinem Falle beobachten. 

6. Dielinke ventrale Anlage fällt derRück- 
bildung anheim, während sich die rechtein der 


330 Konrad Helly: 


Regel weiter ausbildet, ausnahmsweise aber 
ebenfalls wieder zurückbilden kann. 

1. Die Verwachsung der dorsalen mit der 
ventralenPankreasanlage geht unter dendeut- 
lichen Zeichen einer activen, auf dieselbe’ab- 
zielenden Thätigkeit der Drüsenzellen vor sich, 


Literatur-Verzeichniss, 
1. Brachet, Die Entwicklg. u. Histogen. d. Leber und d. Pankreas. 
Ergebn. d. Anat. u. Entw. Bd. 6. 1896. 
. Derselbe, Recherches sur l. devel. du panereas et du foie (Selac., 
Rept., Mammif.). Journ. d. l’Anat. et d. l. Phys. 18%. 

3. Bronn, Klassen und Ordnungen d. Thierreichs (Leche: Säuge- 
thiere). Bd. VI, Abth. V, 54—56. Lief. 1899. 

4. v. Brunn, Verdauungsorg. Ergebnisse d. Anat._u. Entwicklungs- 
geschichte Bd. 4. 1894. 

5. Charpy, Variet. et anomal. d. canaux pancreatiques. Journ. 
d. l’anat. et d. 1. Phys. 1898. 

6. Choronshitzky, Die Entstehung d. Milz, Leber, Gallenblase 
u.s. w. Anat. Heft. Bd. XIII. 1900. 

7. Felix, Zur Leber- und Pankreasentw. Arch. f. Anat. und Phys. 
Anat. Abth. 1822. 

8. Hamburger, Zur Entwickl. d. Bauchspeicheldrüse d. Menschen. 
Anat. Anz. Bd. VII. 1892. 

9. Hammar, Einige Plattenmod. z. Beleucht. d. früh. embryonalen 
Leberentw. Arch. f. Anat. u. Phys. Anat. Abth. 1893. 

10. Derselbe, Einiges über d. Duplieit. d. ventr. Pankreasanl. Anat. 
Anz. Bd. XIII. 1897. 

11. Helly, Zur Entwicklungsgesch. d. Pankreasanl. und Duodenal- 
papillen d. Menschen. Arch. f. mikr. Anat. Bd. 56. 1900. 

12. His, Atlas menschl. Embr. 

13. Jankelowitz, Zur Entwickl. d. Bauchspeicheldrüse. Inaug.-Diss. 
Berlin 1895. 

14. Derselbe, Ein junger menschl. Embryo und d. Entw. d. Pankreas 
bei demselben. Arch. f. mikr. Anat. Bd. 46. 189. 

15. Jano$ik, Le pancr&as et l. rate. Bibliogr. anat. 189. 

16. Joubin, Contrib. a l’etude d. pancereas ch. 1. lapin. Bibliogr. 
anat. 189. 

17. Krause, Die Anat. d. Kaninchens 2. Aufl. Leipzig 1884. 

18. Laguesse, Structure et devel. d. panereas d’ap. l. travaux rec. 
Journ. d. l’anat. et d. l. Phys. 1894. 

19. Oppel, Lehrb.d. vergl. mikr. Anat. d. Wirbelthiere. III. Th. Jena 1900. 


L80) 


Zur Pankreasentwickelung der Säugethiere. 3ol 


Piper, Ein menschl. Embryo v.6-8 mm Nackenlänge. Archiv f. 
Anat. u. Physiol. Anat. Abth. 1900. 


. Phisalix, Etude d’un embr. humain d. 10 mm. Arch. zool. exp. 


gen. Ser. 2. T.6. 1888. (Mir nur im Referat bekannt.) 
Derselbe, Sur l’anat. d’un embr. humain d. trente-deux jours. 
Compt. rend. d. l’acad. d. se. 1887. 

Ravn, Zur Entw. d. Nabelstr. d. weissen Maus. Arch. f. Anat. u. 
Phys. Anat. Abth. 1894. 

Savietti, Untersuchungen über den feineren Bau d. Pankreas. 
Arch. f. mikr. Anat. Bd. 5. 1869. 


. Schirmer, Beitr. zur Gesch. u. Anat. d. Pankreas. Inaug.-Diss. 


Basel 1893. 
Stöhr, Ueb. d. Pankr. u. dessen Entwickl. Ergebn. d. Anat. und 
Entwicklungsgesch. Bd. 1. 189. 


. Stoss, Unters. über die Entwickl. d. Verdauungsorg., vorg. an 


Schafsembr. Inaug.-Diss. Erlangen 1892. 


. Derselbe, Zur Entwicklungsgesch. d. Pankreas. Vorl. Mittheil. 


Anat. Anz. Bd. VI. 1891. 
Wlassow, Zur Entw. d. Pankreas beim Schwein. Morphol. Arb. 
Ba. IV. 1894. 


30. Zimmermann, Rekonstr. eines menschl. Embr. von 7 mm. Verh. 


d. anat. Ges. 3. Vers. Berlin. Anat. Anz. Bd. IV. Suppl. 1889. 


Erklärung der Figuren auf Tafel XV, XVI u. XVII. 


Zeichenerklärung. 


A= Anastomose zwischen Paner. D.W.= Ductus Wirsungianus. 


dors. und Pancr. ventr. C. = Capillargefässe. 
D= Darm. f. = Längsfurched. Pancr. dors. 
D.ch. = Ductus choledochus. G. = Gallenblase. 
D.cy. = Ductus cysticeus. MM: 7 —Mazen. 
D.h. = Ductus hepaticus. Me. = Mesenchym. 
Doah.c. communis. P.d. = Pancreas dorsale. 
D.h.d. | — Duct. hep. | dexter. P.v. =Pancreas ventrale. 
mes: BInISNen, ES RE) ER [ dextrum. 


D.h.p.— Duct. hepato-pancreaticus. Pas. | Pancr. ventr. | sinistrum. 
D.0.— Duct. omphalo-mesentericus. Y,P. — Anlage der Vena portae. 


D.S. — Ductus Santorini. 7,2. = Zapfen der Pankreasan- 
Du. = Duodenum. anlagen. 
Fig. 1—6 behandeln die Modelle der Kaninchenembryonen. 


Fig. 7—22 beziehen sich anf die Ratte. 
Fig. 23—29 behandeln die Modelle der Meerschweinembryonen. 
Fig. 30—32 beziehen sich auf den menschlichen Embryo. 


Sämmtliche Modelle sind in natürlicher Grösse wiedergegeben 


und in der Vergrösserung 1:100 angefertigt. 
Fig. 1. Embryo von 3,8 mm, von links gesehen. Die Gallenblase ist 


332 


Fig. 


Fig. 


Fig. 


Fig. 


Fig. 


10. 


Konrad Helly: 


noch nicht abgeschnürt, der Ductus omphalo-mesentericus noch 
ziemlich weit, der Duetus choledochus bereits als ganz kurzer 
Gang kenntlich, dessen Seitenwand die linke ventrale Pankreas- 
anlage aufsitzt. Der craniali zwischen dorsalem Pankreas und 
Darm gelegene Einschnitt ist tiefer als der caudale. ss’ —= 
Schnittebene für Fig. 3. 

Dasselbe Modell von rechts gesehen. Am dorsalen Pankreas 
ist die Längsfurche zu sehen, am Ductus choledochus die rechte 
ventrale Pankreasanlage. ss’ — Schnittebene für Fig. 3. 
Schnittfläche des vorigen Modells, entsprechend der durch ss’ 
angedeuteten Ebene. Beide ventrale Pankreasanlagen sind 
von einander getrennt durch den ventralen, in der Zeichnung 
unteren, Umfang des Ductus choledochus. 

Embryo von 4,8 mm, von links gesehen. Die Gallenblase ist 
durch die Furchen /, und f, schon theilweise abgeschnürt. 
Die linke ventrale Pankreasanlage ist in der Rückbildung 
begriffen, die rechte weiter gewachsen. Am dorsalen Pankreas 
hat sich die rechte Sprosse mehr verlängert als die linke. 
Embryo von 5,4 mm, von links gesehen. Zwischen Ductus 
choledochus und Ductus Santorini ist bereits ein Stück Duo- 
denum zu sehen. Die linke ventrale Pankreasanlage fehlt 
schon gänzlich. Am dorsalen Paukreas hat sich die rechte 
Sprosse besonders verlängert und hufeisenförmig gekrümmt. 
Embryo von 7,0 mm, von rechts gesehen. Das Zwischenstück 
des Duodenum ist beträchtlich gewachsen. Das dorsale Pankreas 
hat sich zu einem Ringe geschlossen, durch welche man sich 
die Pfortader durchziehend zu denken hat. Das ventrale 
Pankreas hat sich verlängert, ohne aber das dorsale zu errei- 
chen. Die Längsfurche des dorsalen Pankreas ist nirgends 
wiederzufinden. 

Embryo von 2.6 mm, von rückwärts gesehen. Der Magen ist 
noch nicht kenntlich; das dorsale Pankreas erscheint als aus- 
gebuchtete Rinne der dorsalen Darmfalte und zeigt keine 
scharfen Grenzen. Lu. = Lungenanlage; ss’ = Schnittebene 
für Fig. 8. 

Schnittfläche des vorigen Modells, entsprechend der durch ss’ 
angedeuteten Ebene. Die dorsale Pankreasanlage erscheint 
als tiefe Rinne mit deutlich verdickter Wandung. 

Embryo von 2,8 mm, von rechts gesehen. Der Magen ist 
schon vorhanden, ebenso die rechte ventrale Pankreasanlage, 
welche der Seitenwand des Ductus hepaticus aufsitzt. Die 
dorsale Pankreasanlage ist nach oben und unten scharf be- 
grenzt. Le. = Lebersprossen; !l’=im Bereiche des Pankreas 
parallel zur Längsaxe des Darmes gezogene Linie. 

Dasselbe Modell von links gesehen. Die linke ventrale Pankreas- 
anlage ist ebenfalls schon da und sitzt auch an der Seiten- 


Fig. 


Fig. 


Fig. 


Fig. 


Fig. 


Fig. 


il, 


16. 


18: 


Zur Pankreasentwickelung der Säugethiere. 333 


wand des Ductus hepaticus, !!’=im Bereiche des Pankreas 
parallel zur Längsaxe des Darmes gezogene Linie. 

Embryo von 3,0 mm, von rechts gesehen. Das dorsale Pankreas 
zeigt schon mehrere Höcker an seiner Oberfläche, dagegen 
noch keine deutliche Längsfurche. Die cranial zwischen ihm 
und dem Darme gelegene Furche ist sehr tief, im Gegensatze 
zur caudalen. Das rechte ventrale Pankreas ist schärfer 
abgesetzt als das linke. 


. Embryo von 4,0 mm, von vorne gesehen. Am dorsalen Pankreas 


ist jetzt auch die Längsfurche aufgetreten. Das rechte ven- 
trale Pankreas zeigt als Ausdruck seines Wachsthums einige 
Höcker, das linke ist verschwunden. 


. Embryo von 4,2 mm. von rechts gesehen. Beide Pankreasan- 


lagen beginnen sich infolge der Darmdrehung einander zu 
nähern; am dorsalen ist die Längsfurche noch theilweise zu 
sehen. 

Embryo von 5,0 mm, von rechts gesehen. Am dorsalen Pankreas 
ist die Längsfurche nicht mehr zu sehen; an beiden Pankreas- 
anlagen ist je ein Zapfen, z und z,, an den einander zuge- 
wendeten Seiten aufgetreten. 

Embryo von 6.0 mm. Das dorsale Pankreas zeigt eine Krüm- 
mung nach der Fläche mit nach rechts blickender Concavität. 
Beide Zapfen z und z, sind grösser geworden und einander 
näher gerichtet. Der Ductus Wirsungianus mündet, wie bisher, 
in den Ductus hepaticus. 

Embryo von 6,4 mm, von rechts gesehen. Beide Zapfen z und 
2; sind einander fast bis zur Berührung nahe. Die Mündung 
des Ductus hepaticus und des Ductus Wirsungianus in den 
Darın wird durch den quer verlaufenden Duetus hepato- 
pancreaticus vermittelt. 


. Querschnitt durch den vorigen Embryo in der Höhe der beiden 


Zapfen zundz,. Man sieht, wie sich beide unter Verdrängung 
des dazwischen liegenden Mesenchyms unter dem Bilde leb- 
hafter Zelltheilung einander nähern; an der Spitze des ven- 
tralen Pankreas scheint eine solche eben vor sich gegangen 
zu sein. Vergr. 1:400 lin. 

Embryo von 6,6 mm, von rechts gesehen. Beide Pankreasan- 
lagen sind bereits mit einander verwachsen. Der Ductus 
Santorini beginnt sich zu verschmälern. Das ventrale Pankreas 
scheint schon ein wenig auf den Ductus hepaticus überzugreifen. 
Querschnitt durch den vorigen Embryo in der Höhe der Ver- 
wachsungsstelle beider Pankreasanlagen. Man sieht in der 
Umgebung der noch soliden Anastomose viele grössere und 
kleinere Lichtungen im Drüsengewebe. Vergr. 1:400 lin. 


. Embryo von 10 mm, von rechts gesehen. Die Verwachsung 


beider Pankreasanlagen nimmt einen breiten Raum ein. Der 


334 


Fig. 


Fig. 


Fig. 


180) 
So 


25 


. 80. 


Konrad Helly: 


Ductus Santorini ist schon stark zurückgebildet und an der 
Stelle, wo man sich seinen Durchtritt durch die Musecularis 
des Darmes zu denken hat, bereits sehr verdünnt. Der 
Ductus hepato-pancreaticus hat sich in seinen beiden Theilen 
stark verlängert. 


. Embryo von 11 mm, von rechts und oben gesehen. Die Rück- 


bildung des Ductus Santorini ist bis zur vollständigen Unter- 
brechung seines Verlaufes gediehen. 


. Erwachsene Ratte, von rückwärts gesehen. Leber- und Pankreas- 


gänge sind blau injieirt, alles Fettgewebe ist wegpräparirt. 
Am Ductus hepato-pancreaticus, der ebenso, wie der Ductus 
hepatieus communis im Bilde perspectivisch verkürzt erscheint, 
sieht man nebst den Einmündungen der beiden grossen 
Pankreasgänge noch die einiger kleiner, aus den nächsten 
Drüsenläppchen kommender. Mi.— Milz, Oe. = Oesophagus. 
Natürliche Grösse. 

Embryo von 3!/,, mm, von rückwärts gesehen. Die Leberan- 
lage —=_Le. ist noch nicht abgeschnürt, der Magen nur als 
unscharf begrenzte Ausbuchtung kenntlich. Die dorsale 
Pankreasanlage ist caudal noch nicht, eranial bereits durch 
eine seichte Querfurche —g von der hinteren Darmfalte ab- 
gesetzt. 

Embryo von 3!/, mm, von rechts gesehen. Der Magen hat 
sich entwickelt, die Leberanlage theilweise abgeschnürt, die 
Gallenblase angelegt. Am dorsalen Pankreas, das bereits 
scharf begrenzt ist, tritt die erste Andeutung der Längs- 
furche auf. 

Embryo von 4mm, von rechts gesehen. An der Seitenwand 
des Ductus choledochus ist die rechte ventrale Pankreasan- 
lage aufgetreten. Die Längsfurche des dorsalen Pankreas ist 
Jetzt sehr deutlich. 

Derselbe Embryo von links gesehen. Die linke ventrale 
Pankreasanlage ist ebenfalls bereits aufgetreten. Sie sitzt 
ebenso wie die rechte unmittelbar vor der Einmündung des 
Gallenganges in den Darm. 


. Embryo von 4!/, mm, von rechts gesehen. Die Längsfurche 


des dorsalen Pankreas ist im Verstreichen begriffen. Die 
rechte ventrale Anlage ist nicht mehr auffindbar. 
Derselbe Embryo von links gesehen. Auch von der linken 
Anlage ist keine sichere Spur mehr zu entdecken. 


. Embryo von 41/;, mm, von rechts gesehen. Die Längsfurche 


des dorsalen Pankreas ist verschwunden, der Ductus Santorini 
bereits unterscheidbar geworden. 

Von der linken Seite gesehen. Das dorsale Pankreas ist 
winkelig abgeknickt; an seiner Abgangsstelle vom Darme be- 
sitzt es eine kleine Knospe = K., welche ein wenig auf das 
Darmepithel übergreift. Von den beiden ventralen Pankreas- 


Fig. 32. 


Zur Pankreasentwickelung der Säugethiere. 335 


anlagen ist die rechte viel besser entwickelt, als die linke; 
eine als Verwachsung zu deutende Verbindung beider besteht 
nicht. 


. Querschnitt durch den Embryo in der Höhe der beiden ven- 


tralen Pankreasanlagen. Die rechte zeigt einen gut entwickelten 
Ausführungsgang = D.W.„ sowie beginnende Bildung von 
Alveolenlichtungen. Die linke zeigt deutliche Erscheinungen 
der Rückbildung und nirgends zweifellose Lichtungen ; ihre 
Zellen sind kleiner als die der rechten und mit Mesenchym- 
zellen vermischt. Vom Rande wuchern zahlreiche Capillarge- 
tässe hinein. Zwischen den Anwachsungsstellen beider An- 
lagen an den Duetus choledochus ist ein mit D.ch. bezeich- 
netes Stück dessen Wandung zu sehen, das nicht verbreitert 
und gänzlich frei von Pankreasbildungszellen ist. 

Querschnitt durch den Embryo in der Höhe der Mündung des 
dorsalen Pankreas. Man sieht im Winkel zwischen dessen 
Ausführungsgang und dem Darmepithel die auf dasselbe über- 
greifende Knospe =K., welche eine kleine Lichtung besitzt. 


(Aus dem bacteriologischen Laboratorium der Kaiserlichen medi- 


einischen Militärakademie zu St. Petersburg.) 


Die Morphologie des Kaninchenblutes im 
Fötalzustande und in den ersten Lebenstagen. 


Brot: 


Von 


Dr. N. Tsehistowitsech und Dr. W. Piwowarow. 


Als wir ein experimentelles Studium der unter Einwirkung 
von Infectionsprocessen beim Säugethierfötus und neugeborenen 


Thiere 


stattfindenden morphologischen Blutveränderungen unter- 


nahmen, fanden wir in der Litteratur nur sehr spärliche Angaben 
über normale Blutmorphologie gewöhnlicher Versuchsthiere in 
den erwähnten Lebensperioden. 

Cohnstein und Zuntz !) untersuchten das Blut von 


1) J. Cohnstein und N. Zuntz. Untersuchungen über das 
Blut, den Kreislauf und die Athmung beim Säugethier-Fötus. Archiv 
f. Physiologie Bd. 34. 1884, S. 173. 


336 N. Tsehistowitseh und W. Piwowarow: 


Kaninchen-, Meerschweinchen- und Hundeembryonen. Das 
schwangere Thier wurde laparotomirt, dann wurden Uterus und 
Fruchthüllen eröffnet und schliesslich dem Fötus entweder aus 
dem Herzen oder den Nabelgefässen Blut zur Untersuchung ent- 
nommen. Es wurde nur Erythrocytenmenge bestimmt, über die 
Leukocyten fehlen jegliche Angaben. Die Blutkörperchenzählungen 
wurden mit der Hayem’schen Kammer und dem Thoma- 
Zeissschen Mischgefäss ausgeführt. Zur Verdünnung des Blutes 
bediente man sich der 3°/, Kochsalzlösung. 

Cohnstein und Zuntz fanden, dass in der ersten 
Lebensperiode des Fötus die Anzahl der Erythrocyten eine sehr 
geringe ist. Bei 0,59—2,6 g wiegenden Kaninchenföten konnten 
nur 376000—500000 rothe Blutkörperchen im Kubikmillimeter 
gezählt werden. Die Menge der Erythrocyten wächst im Laufe 
des Fötuslebens nur ganz allmählich an. 

Embryonen von 43—45 g Gewicht wiesen bereits 3200000 
bis 4000000 Erythrocyten auf. Bei Meerschweinchenembryonen 
von 25,5—94,1 g Gewicht betrug die Anzahl der rothen Blut- 
körperchen 3521760—3498000. Bei Hundeföten von 115—117g 
wurden 4000000—4075000 Erythroeyten gezählt. Das Blut von 
Embryonen, welche bereits geathmet hatten, wies mehr rothe Blut- 
körperchen auf, als dasjenige von Embryonen, die noch keine Athem- 
züge gethan hatten. So wurden in Versuch I bei einem fast reifen 
Kaninchenfötus, der rasch von der Placenta abgetrennt und getödtet 
worden war, 3800000 rothe Blutkörperchen gezählt, während die 
Anzahl derselben bei einem anderen Embryo, welcher 4 Minuten lang 
geathmet hatte, ohne von der Placenta losgetrennt zu werden, und 
dann erst getödtet wurde, 4000000 betrug. Bei Embryonen, 
die länger mit der Placenta im Zusammenhange gestanden hatten, 
war das Blut concentrirter, als wie bei denjenigen, welche früher 
losgetrennt worden waren. Bei neugeborenen Kaninchen bis zur 
5. Lebensstunde nähert sich die Erythroeytenmenge derjenigen 
ihrer Mutter, übersteigt dieselbe jedoch nicht. Von der 5. bis 
zur 18. Lebensstunde ist das Blut des neugeborenen Kaninchens 
concentrirter, als wie dasjenige seiner Mutter. Bei 6— 10tägigen 
Kaninchen beobachtet man wiederum eine Verminderung der 
Erythrocytenmenge. 

Ueber die weissen Blutkörperchen der Embryonen machen 
Cohnstein und Zuntz gar keine Angaben. 


Die Morphologie des Kaninchenblutes im Fötalzustande etc. 337 


In dem bekannten Werke Hayem’s !) „Du sang“ finden 
wir folgende Angaben über Morphologie des Blutes von Kaninchen- 
embryonen. Bei 20—21 mm messenden Embryonen ist das 
Blut sehr arm an Formelementen. Die rothen Blutkörperchen 
zeigen sehr verschiedenartige Form und Grösse, es sind auch 
kernhaltige zu finden. Die kernhaltigen Blutkörperchen sind zu- 
weilen sehr gross, ihr Durchmesser beträgt bis zu 14—24 u. 
Sie enthalten meist nur einen Kern, welcher zuweilen in Theilung 
begriffen ist, selten 2 Kerne. Auf dem heizbaren Objeettische 
lassen die kernhaltigen rothen Blutkörperchen amöboide Be- 
wegungen gewahren. Sie stossen den Kern aus. Der Hämo- 
globingehalt der kernhaltigen Blutkörperchen ist ein geringerer, 
als wie derjenige der kernlosen. Im Blute der Embryonen 
kommen auch sehr kleine Erythrocyten vor. Die rothen Blut- 
körperchen bilden keine Geldrollen. 

Das Blut von Embryonen enthält nur wenig Leukoeyten. 
Sie gehören der zweiten Varietät Hayem’s, d. h. den poly- 
nucleären oder mononucleären mit polymorphem Kern, und der 
dritten Varietät — den grobgranulirten Leukocyten — an. Die 
polynucleären Leukocyten weisen zuweilen Hämoglobin auf. 

Die Angaben in der Litteratur erwiesen sich also sehr 
lückenhaft. Nirgends fanden wir Angaben über die Anzahl der 
verschiedenen Leukoeytengattungen bei Kaninchen- oder Meer- 
schweinchenföten. 

Da wir beabsichtigten hauptsächlich an Kaninchen zu ex- 
perimentiren, sahen wir uns genöthigt, vor Allem den normalen 
Leukoeytengehalt bei diesen Thieren im embryonalen Leben fest- 
zustellen. Der Lösung dieser Aufgabe stellten sich nicht wenige 
Schwierigkeiten in den Weg, von denen die grösste gar nicht 
zu überwinden war. Um das Blut von Embryonen zu gewinnen, 
muss man ein schwangeres Kaninchen laparotomiren, dessen 
Gebärmutterhörner eröffnen, die Embryonen herausnehmen und 
dann diesen die nothwendige Blutmenge entnehmen. So vor- 
sichtig wir auch immer diese Operation ausführen wollten, immer 
werden wir es jedoch mit bereits unnormalen Föten zu thun 
haben und kann also auch ihr Blut nicht für ganz normal gelten. 
Da wir einsahen, dass diese Hauptschwierigkeit nicht abzuwenden 


1) Hayem, Du sang. 1889, S. 545. 


338 N. Tsehistowitsch und W. Piwowarow: 


war, suchten wir wenigstens die Versuchsbedingungen so zu 
gestalten, dass möglichst wenig Noxen auf die Föten einwirkten. 

Die Operation führten wir in folgender Weise aus. Wir 
nabmen Kaninchenweibehen in der letzten Schwangerschafts- 
periode, um es mit möglichst grossen Föten zu thun zu haben. 
Dem Kaninchen wurde die Bauchhaut glatt rasirt. Weiter wurde 
in der Richtung der Linea alba von der Symphyse bis zum 
Nabel ein 6—7 cm langer Schnitt geführt, zuweilen nach vorher- 
gehender subeutaner Injection von einigen Tropfen einer 2°], 
Cocainlösung, öfter jedoch ohne diesen Eingriff. Einer der Ab- 
schnitte eines schwangeren Uterushornes wurde dann durch die 
Bauchwunde herausgezogen, mit in erwärmter physiologischer 
Kochsalzlösung benetzten Mullcompressen umgeben und durch 
einen Wandschnitt eröffnet. Nach Abfluss des gallertigen Frucht- 
wassers wurde der Fötus herausgehoben, doch nach Möglich- 
keit von der Placenta nicht abgesondert und in eine erwärmte 
Mulleompresse eingehüllt. Jetzt wurde eine der durch die Haut 
sichtbaren subeutanen Halsvenen angestochen und dann mit den 
entsprechenden Melangeurs Blut für die Zählung von rothen und 
weissen Blutkörperchen aufgezogen und ausserdem Trocken- 
präparate zum Zwecke weiterer Färbungen angefertigt. Die 
Blutkörperchenzählung führten wir in bekannter Weise mit dem 
Thoma-Zeiss’schen Apparate aus. Zur Zählung von weissen 
Blutkörperchen wurde das Blut 20fach mit !/, /, Essigsäure- 
lösung verdünnt. Zur Zählung der Erythroeyten bedienten wir 
uns anfangs, wie auch Cohnstein und Zuntz, 3°/, NaCl- 
Lösung, später jedoch verziehteten wir auf diese Lösung, da 
wir uns überzeugen konnten, dass sie dem Blute normaler Kanin- 
chenföten gegenüber nicht indifferent ist, dass vielmehr die 
Erythroeyten in derselben theilweise zerfallen; in unseren weiteren 
Versuchen bedienten wir uns in Folge dessen zur Verdünnung 
der Hayem’s Flüssigkeit. 

Bei der Leukocytenzählung in dem mit !/,®/, Essigsäure 
verdünnten Blute stellten wir zugleich mit der Anzahl der Leu- 
koeyten auch diejenige der kernhaltigen Erythroeyten fest, da 
die Kerne dieser letzteren sich nicht auflösen und von den Lym- 
phoeytenkernen nur schwer zu unterscheiden sind. Um die 
wahre Anzahl von Leukocyten und kernhaltigen Erythrocyten 
festzustellen, verfubren wir in folgender Weise. An Trocken- 


Die Morphologie des Kaninchenblutes im Fötalzustande ete. 339 


präparaten, welche mit dem dreifarbigen Gemisch von Ehrlich 
und Jegorowsky !) (Orange, Säurefuchsin und Methylgrün) 
gefärbt worden waren, bestimmten wir, wieviel Procente sämmt- 
licher mit Kernen versehener Zellen kermhaltige Erythrocyten 
ausmachen, stellten so das Verhältniss zwischen kernhaltigen 
Erythrocyten und Leukoceyten auf und konnten dann, da uns die 
Gesammtanzahl der mit Kernen versehenen Blutelemente bekannt 
war, mit Leichtigkeit berechnen, wieviel kernhaltige Erythroeyten 
und wieviel Leukocyten ein Kubikmillimeter des betreffenden 
Blutes enthält. 

Bei der Leukoeytenzählung auf Trockenpräparaten unter- 
schieden wir folgende Arten derselben. 

1. Polynucleäre Leukocyten mit pseudoeosinophiler Kernung. 
Diese Leukocyten enthalten mehrere Kerne, oder nur einen poly- 
morphen Kern. Dem Aussehen ihrer Granulation nach stehen 
dieselben zwischen neutrophilen und eosinophilen Leukocyten des 
Menschen. Ihre Granula sind zahlreich, grösser als wie die 
neutrophilen Granula des menschlichen Blutes, jedoch kleiner, als 
wie die eosinophilen Granula desselben. Es kommen unter ihnen 
auch grobgranulirte, den wahren eosinophilen Leukocyten ganz 
ähnliche, vor. 

In neuester Zeit haben J. W. Tallquistund E.A. Wille- 
brand?), welche sich der von dem letzteren vorgeschlagenen 
Färbungsmethode bedienten, gefunden, dass das Kaninchenblut 
ausser pseudoeosinophilen Leukocyten auch echte eosinophile 
aufweist. Erstere nehmen sowohl saure als auch basiche Farben 
auf, sind also amphophil im Sinne Ehrlich’s, während letztere 
acidophil sind. Solcher aeidophiler Leukocyten fanden Tallquist 
und Willebrand in dem Blute erwachsener Kaninchen etwa 
0,5 bis 3°/, vor. Färbt man die Präparate mit dem Ehrlich- 
schen Triaeid (Säurefuchsin, Orange, Methylgrün), so lassen sich 
die beiden Leukocytenvarietäten nicht unterscheiden. Die Anzahl 
der pseudoeosinophilen Leukocyten im Kaninchenblute schätzen 
Tallquist und Willebrand auf 45—55 ?|,. 

1) Jegorowsky, Inaug.-Dissertat. St. Petersburg 1894 (russisch). 

2) Die Präparate werden bei 120—130°C. fixirt and dann mit 
folgendem Farbengemisch gefärbt: es werden eine 0,50, Eosinlösung 
in 70° Alkohol und eine concentrirte wässerige Methylenblaulösung 
zu gleichen Theilen etwa zu je 25 cem vermengt und dann ca. 10—15 
Tropfen einer 1°/, Essigsäurelösung hinzugethan. (Tallquist und 
Willebrand, Scandinavisches Archiv f. Physiologie X. Bd. 1899.) 


310 N. Tsehistowitsch und W. Piwowarow: 


2. Mehrkernige Uebergangsformen. Grosse Leukocyten mit 
mehreren Kernen oder einem polymorphen Kerne, deren Proto- 
plasma sieh schwach rosaviolett färbt, jedoch keine Granula ge- 
wahren lässt. Diese Leukocyten vermitteln den Uebergang zur 
dritten Gruppe. 

3. Grosse mononucleäre Leukocyten. Grosse Leukoeyten 
mit ungranulirtem Protoplasma und einem grossen, ovalen oder 
selappten Kerne. Die Kerne dieser Leukoeyten färben sich 
schwächer als wie die Kerne der polynucleären Leukocyten und 
der Lymphoeyten. 

4. Lymphoeyten. Kleine Leukocyten mit rundem Kern 
und einem dünnen Saum spärlichen Protoplasmas. 

Ausser diesen vier Arten fanden wir in dem Blute des 
Kaninchenfötus und neugeborener Kaninchen jeweilen auch noch 
andere Varietäten in vereinzelten Exemplaren, doch war ihre 
Anzahl eine so geringe, dass es unnöthig schien, sie in specielle 
Rubriken anzureihen. So kamen in sehr spärlicher Menge zer- 
fallende polynucleäre pseudoeosinophile und eosinophile Leuko- 
cyten vor. In seltenen Fällen stiessen wir auch auf polynueleäre 
durehlöcherte Zellen, deren Protoplasma Vacuolen aufwies. Alle 
diese Leukocyten haben wir auf beigelegten Tabellen der Gruppe 
der polynucleären pseudoeosinophilen Leukoeyten zugerechnet. 

Da wir uns bei unseren Untersuchungen des Ehrlich’schen 
Farbengemisches (Säurefuchsin, Orange, G. Methylgrün) bedienten, 
so mussten wir überall eosinophile und pseudoeosinophile Leuko- 
eyten in eiver Gruppe unterbringen, da wir uns überzeugt hatten, 
dass bei erwähnter Färbung diese beiden Varietäten schwer von 
einander zu unterscheiden sind ). 


1) Ausser den oben erwähnten Leukocytenvarietäten fanden 
Tallquist und Willebrand bei Anwendung ihrer Färbungsmethode 
in dem Blute erwachsener Kaninchen 2—5°/, Zellen mit basophiler 
Granulation (Mastzellen). Im normalen Blute erwachsener Kaninchen 
beträgt nach T. und W. die absolute Leukocytenmenge in Mittel 11000 
(8800—13000). Hiervon gehören zu den: 

polynucleären pseudoeosinophilen Leukocyten 45—55/y. 


polynucleären oxyphilen Leukoeyten . . . 0,5— 30%/, 

grossen mononucleären Leukocyten nebst 
Uebergangsformen . . » 2 2.2.2.2... 20—25°/,, 

BISENDHOCytEn? 2. a. „2 ae 2 >, 


Mastzellen- ı#....22. Summe Maine. „sen rall, 


Die Morphologie des Kaninchenblutes im Fötalzustande etc. 341 


Die Ergebnisse unserer Untersuchungen an Kaninchenföten 
veranschaulicht die beigegebene Tabelle I. Das Blut derselben 
bot folgende Besonderheiten dar. 

Die Erythrocytenmenge war stets geringer als bei erwach- 
senen Kaninchen. Obgleich wir es immer mit bereits ziemlich 
grossen, vollkommen ausgebildeten 4,5 bis 11 em langen und 
24 bis 40 g wiegenden Föten zu thun hatten, betrug die Erythro- 
ceytenmenge nur 2515000 — 4720000 im Kubikmillimeter. Die 
Blutkörperchen liessen niemals Geldrollenbildung gewahren und 
waren von sehr verschiedener Grösse. Wir konnten auch ziem- 
lich viele kernhaltige Erythrocyten, 434— 2011 im Kubikmillimeter 
zählen. Dieselben entsprachen in jeder Beziehung der oben an- 
geführten Beschreibung Hayem’s. Nicht selten konnten wir in 
ihnen sämmtliche Phasen des Kernausstossens verfolgen. 

Die Anzahl der Leukoceyten war auffallend gering, wir 
zählten 202—1645 Leukocyten im Kubikmillimeter. Einige 
Präparate enthielten nur so spärliche Leukocyten, dass diese 
lange gesucht werden mussten. Bei so geringer Leukoeyten- 
menge stiess natürlich die Zählung ihrer verschiedenen Varietäten 
auf bedeutende Schwierigkeiten; es konnten nur sehr wenige 
Exemplare (100—300) gezählt werden und folglich konnten die 
erhaltenen Zahlen lange nicht auf solche Genauigkeit Anspruch 
machen, wie sie bei Blutkörperchenzählungen in jenen Fällen er- 
reicht werden kann, wo die Leukocytenmenge im Blute eine be- 
deutende ist. 

Die absolute Menge polynucleärer pseudoeosinophiler Leu- 
koeyten schwankte bei Kaninchenföten zwischen 152 und 859. 
Bei älteren Föten wuchs sowohl die Gesammtmenge der Leuko- 
cyten, als auch die Anzahl der pseudoeosinophilen Blutkörperchen 
an, blieb jedoch immer noch sehr unbedeutend. Die relative 
Anzahl der pseudoeosinophilen polynucleären Leukocyten erwies 
sich jedoch bei Föten als eine grössere, wie bei normalen er- 
wachsenen Kaninchen. Wir fanden, dass sie hei Föten 41,5 bis 
62,7°/, sämmtlicher Leukocyten ausmachen. Polynucleäre 
Uebergangsformen waren stets nur in sehr geringer Anzahl an- 
zutreffen; wir zählten deren 21—129 im Kubikmillimeter 
(2,9—12,2 9/9). 

Etwas bedeutender war die Anzahl der mononucleären 
Leukoeyten: 45—207 im Kubikmillimeter (11,8—28,0 |,). 


342 N. Tsehistowitsch und W. Piwowarow: 


Die Menge der Lymphocyten war auch eine sehr unbe- 
deutende und war grossen Schwankungen ausgesetzt: sie betrug 
30—363 im Kubikmillimeter (4—26,5 %/,)- 

Ausser den eben angeführten Blutuntersuchungen bei 
Kaninchenföten haben wir einige derartige Untersuchungen auch 
bei neugeborenen Kaninchen in ihren drei ersten Lebenstagen 
vorgenommen. Das Blut zur Untersuchung entnahmen wir einer 
subeutanen Halsvene. 

Wie aus beigelegter Tabelle II ersichtlich ist, enthält das 
Blut neugeborener Kaninchen noch sehr viele kernhaltige Ery- 
throeyten: von 495—6057 im Kubikmillimeter. 

Die Leukocytenmenge wächst bereits am ersten Lebenstage 
recht bedeutend an und erreicht am dritten Tage eine Höhe von 
3399 Blutkörperchen im Kubikmillimeter. Zugleich nimmt auch 
die Anzahl der Blutkörperchen in den einzelnen Leukocyten- 
varietäten zu, eine Ausnahme hiervon bilden nur die mononucleären 
Uebergangsformen, deren Anzahl auch post partum eine ebenso 
geringe bleibt, wie im fötalen Leben. 

Am Bedeutendsten wächst die absolute Menge der poly- 
nucleären pseudoeosinophilen Leukocyten an, doch werden auch 
die Lymphocyten und die grossen mononucleären Leukocyten 
bedeutend zahlreicher, als wie beim Fötus. Ueberhaupt nähert 
sich der Blutbestand demjenigen der erwachsenen Thiere. 

Betrachten wir die gefundenen Zahlenwerthe, so sehen wir, 
dass das Blut von Kaninchenföten sich in morphologischer Hin- 
sicht von dem Kaninchenblute im postembryonalen Leben haupt- 
sächlich durch seinen geringen Gehalt an weissen Blutkörperchen 
unterscheidet. So lange das Thier im Mutterleibe lebt, ist es 
gegen eine Reihe von schädlichen Einwirkungen, denen es von 
dem Momente seiner Geburt an ausgesetzt ist, geschützt. Die 
Hauptquelle solcher Einwirkungen bilden niedere Organismen, 
welehe sowohl mit der verzehrten Nahrung, als auch mit der 
eingeathmeten Luft in den Organismus des eben geborenen 
Thieres geraten. Den Hauptschutz gegen diese Feinde gewähren 
die Leukocyten. Andererseits geht auch die Ernährung beim 
Fötus in ganz anderer Weise vor sich, als wie beim bereits ge- 
borenen Kaninchen. 

Der Fötus erhält durch Vermittelung der Placenta aus dem 
mütterlichen Blute bereits fertiges, bearbeitetes Nahrungsmaterial. 


Die Morphologie des Kaninchenblutes im Fötalzustande ete. 343 


Die Leukocyten der Mutter haben bereits Alles oder fast Alles, 
was dem Fötus Schaden bringen könnte, aus dem mütterlichen 
Blute entfernt. Der Fötus bedarf also in viel geringerem Maasse 
jener Vertheidigungsarmee, welche dem erwachsenen Thiere so 
nützliche Dienste leistet, und dementsprechend finden wir im 
Blute des Fötus eine verschwindende Anzahl jener Vertheidiger. 

Sowie der Fötus aus Licht der Welt gelangt, werden die 
Blutbildungsorgane zu erhöhter Thätigkeit angeregt und die 
Leukoeytenmenge im Blute wächst rasch an. Von sämmtliehen 
Leukoeytenvarietäten entfalten die polynucleären Blutkörperchen 
die eifrigste Phagoeytenthätigkeit und gerade diese Leukocyten 
produeirt das neugeborene Kaninchen in seinen ersten Lebens- 
tagen in allerausgiebigster Menge. 


Arch. f. mikrosk. Anat. Bd. 57 23 


Tabelle I (Embryonen). 


| 


344 N. Tschistowiseh und W. Piwowarow: 


us1sdoyduAr] Aa aa erliar, „IS ca m © 5 
DS or} N Ke) x = au - 
ı9p meyad P/o STR = 5 a am 
= 
u914H0yn97J a 
To LO 209: I! a m on = 
DSH a - an an I 
USE STOHUOUGEN aaa nn aa a a - S = 
1op yeyoH %o > 
2 1 
U9AULIOFSSURD NER EN ee = o  S 
. - R je») [e 0) I [e) Neite je 0) [er} 
aoqan TprnuAjod S i & a 5 
aop eyan o = 
z 
"yn9J uajrydoumso9 ts; Kal 4m o x au en 
e = H - F= ee) X a a [a Ne) [oX ““ 
opnasd "pnuAjod I RENT “2 a = 
aap eyan) %o S 
= 
u9JddoyduA] © 
© 1a a no = (=) [>} or) - 7 
op ae Le Near) n & de) [e) 
— —_ - um] [ap] - fe! 
Iyezuy 2 
9 KH0yn9 1 15 
U9JADONN: 
al era a nee 5 er 
UIIBIPINUOLLOUL . Ne =, 9 & S as 
U9SS01I 'p [JUEZuYy a 
S 
UIULOJSDURD zZ 
: tod ea a0 ga zZ 3 nr Sa 
-19q99(1) PnuATo res Ze, 2 : = 2 = E 
1o9p [yezuy B=' 
© 
= Ber 2 E=) 
U9IX90NN9T ualıyd ‘Do 
-ouIs090pnasd er aa Aa = Br) fer} oo E 
2 x Free a8 [erWer = = =) 
u9ıBappnuAjod Arm 5 a aan «+ en x “ © 
ı9p [yezuy © 
h = 
= 
u94Adoyna] S 
Sue 0 © Rei = ıQ 1 2 hd 
I9P oO a de) “SD ee) al Bau ie) DS or] 
au (Je) al Ne) ir) in = b— Ne) [0.6] =) 
[yezueygwwvsdH) A 8 
m) 
u94A9o0aygÄIf = 
5 Seen =. 
DOoEMT2T ee oe Te PS = © en 
ı9p [yezuy > 7 = 
= — je) 
ran Sue see au 
unuyayw| 8883858 8 8 8 Se 
N x Ne) =) (e) - © 
u9lKD01yJAAT Op = = = 5 ıQ S 3 5 = | Q = 
7 17) .- m! el 
jyezurjunueseh) er 2 N :- an “8 
an 
a 2 Fe. Bs & "Hg Hg 
BE En En E56 50 50 5 BD = a2 ar 
© Ne) © 6) —+ o© oO = a a 
-u9uoÄıquo a IH en OU. II 8% re, = 
bs ß 5 5 . . = oo 4 De! zZ 
-U9UOULUBY «OP Ber Ge) '@) = IE @) 
|a8 = E 2 Reben = ie =. ec 
9SUPr] 'n IyDPIm9H a a ans ee an 
DI Tao oo Era, © S S 
2 ee 2 Bea 2 2 4 


6—8 vom 4ten und No. 9—12 vom 5ten Kaninchenweibchen. 


No. 


345 


', pun 9 'oN uoy»uruey} osuagd (uR JmM WOUD U9LOU9S Gg pun FE ‘ZT 'ON uayduruey 
"NONYOIMIIM Ur IM spe ‘UIDs AOSULIID OS[E USISSnUL UADUAMN UAUSNELID Op :JST Jueıoyıpur Iypru 1Oqnu9dag uayd 
-urueN] AOU910qgaSnaUu uay9ısdıoyIng uayjoa uop 'qw3re yaıs 9m aydpa uoyyey Jzmusq Sunso]-[geN /,g Sunuunpıoa 
-Injg ınz uoj® J UaseIp ur Am ep 'uagqasasur Iyaru 9DusmusgKdodygAiT Ip Am usqey UAYDULUBNY] G U9NSI9 UP 190g 


Fötalzustande ete. 


ım 


e des Kaninchenblutes 


i 


or 
Oo 


Die Morpholo 


‘000 999g g =} "ON UHUDUuruey ulog ‘000 007, =9'0N USYDUTuey wg IBM U9JAD0AyJ AI A19P [UBZULIWUIBSYH) OCT 


EI El 87 79 085 LE 6 G6CI 1175 2E09 1997 L 
98 815 98 60, el 687 eL gel 1105 6FIs 194 [ 9 
Gr | 08 90 899 vE8 113 03 3123 6688 081 198 G 
985 911 8T 0.89 G19 seE sg GOSI 0985 098 1918 v 
G08 E91 rad 01% 658 err 09 LSEL 6113 Gor 191% & 
128 ge GI 89 008 ag 06 gc8 8G81I FE6 19) [ & 
Gsl GFPI sg 219 891 GEL 0L 206 oFEI 0811 194] I 
[0 {e} 
4 he) o 3 > en 2 HS 
o SS _o or. oo ©, Se rS ar I [ep) ae 
ee ise| 2ES.| ®5 | 2452| 
y 3 [ep) 3 =‘ = pe = Se ea ne ® 
sg 5 8ls:8|52:8|sS: en en De ce ES5S = 
Eee en en ir: Bone Ser an Se ERS Er = oN 
al532jE52|233.2|22| 383 |Pss2lssse 55 |Sise, 5 
So 2 BB % = 5 a SEE 35 Ben ao. > & H = > © En 
= © ee) B rn - B oO A I = = = - 
Pa 3 4 = S 5 B & | Sn S = = SB 


‘(uoydurueyf 9U9L0g9Sn9N) II PTIPA®L 


346 


Die Pars ciliaris retinae des Vogelauges. 


Von 


M. Nussbaum. 


Hierzu 6 v. Verf. gez. Figuren im Text. 


Im Laufe der Untersuchungen über die Entwickelung des 
Auges war mir unter Anderem auch die Verschiedenheit in 
der Entstehung und Ausbildung des Corpus ciliare auf der me- 
dialen und lateralen Seite, oder, wenn wir diese vom Menschen 
entlehnten Bezeichnungen auf die Thiere richtig übertragen wollen, 
auf der frontalen und oceipitalen Seite aufgefallen. 

Jüngst hat OÖ. Schultze!) auf die älteren Beobachtungen 
von Brücke, Merkel und Schön wieder hingewiesen und beim 
Menschen die Ora serrata der Retina nasalwärts etwa Il mm weiter 
nach vorn reichen sehen als temporalwärts. 

An dem Auge eines erwachsenen Mustelus vulgaris, dessen 
Iris in der Mitte der unteren Hälfte den Rest der Augenspalte 
zeigte und in dieser, 3 mm vom Pupillenrande, den in den Bulbus 
vorspringenden Sichelfortsatz trug, war kein Unterschied zwischen 
frontaler und oceipitaler Ausdehnung des Corpus ciliare zu er- 
kennen. Die Augenspalte beginnt hier ungefähr in der Mitte des 
unteren Pupillarrandes. Das Corpus ciliare ist nach beiden Seiten 
hin breiter, als von oben nach unten. Am eröffneten Auge stellt 
das Corpus eiliare eine Ellipse dar, deren längste Axe horizontal 
gestellt ist. 

Untersucht man das Auge eines Vogels, so tritt der beim 
Menschen bekannte, aber immerhin geringe Unterschied des late- 
ral zur Pupille und medial zur Pupille gelegenen Abschnittes des 
Corpus eiliare viel deutlicher hervor. 

Halbirt man aequatorial die Augen vom Huhn und von der 
Taube und misst am vorderen, mit der Innenfläche dem Beob- 
achter zugewandten Balbusabschnitt auf einer Graden, die mit 
der geschlossenen Lidspalte gleich gerichtet ist, so kommen auf 
den frontalen Theil des Corpus ceiliare 3 mm, auf den oceipitalen 
5mm beim Huhn; bei der Taube 3 mm auf den frontalen und 
4 mm auf den oceipitalen Theil. Beim Huhn liegt die von hinten 


1) Sitzungsber. der phys. med. Ges. zu Würzburg, Jahrgang 1900. 
Sep.-Abzug. 


Die Pars ciliaris retinae des Vogelauges. 347 


sichtbare Iris mit der Pupille in einer Ausdehnung von 6 mm, 
bei der Taube von 4 mm frei. 

Beim Fasan ist das Corpus ceiliare oceipital ebenfalls breiter 
als frontal, und die Lage der Augenspalte im unteren Theile der Iris 
und des Ciliarkörpers noch deutlich zu erkennen. In der Iris ist sie 
geschlossen ; im mittleren Theile ihres Verlaufes ist sie mit Binde- 
sewebe ausgefüllt; hier schlagen sich die freien Ränder der se- 
eundären Augenblase nach aussen um, und die bis zu dieser 


Fig. 1 ; 
Stelle unpigmentirten Zellen des inneren Blattes der Augenblase 
führen gleich den Zellen des äusseren Blattes Pigment. Die 
Augenspalte liegt nicht in der Augenaxe, sondern ist frontal- 
wärts verschoben. Im hinteren Abschnitt ist die Augenspalte 
geschlossen; gegen den Sehnerven zu liegt das Peecten. 
Ebenso verhält sich die Augenspalte beim erwachsenen Huhn; 
sie ist in der Iris geschwunden, im vorderen Theil des Corpus 
eiliare offen, dann flach verwachsen bis zur Gegend des Pecten, 
wo die Augenblase in eigenartiger Weise ihre Ränder zur Be- 
rührung bringt '). 
1) Ausfülirliches hierüber wird eine demnächst erscheinende Ab- 
handlung bringen. 


348 M. Nussbaum: 


Entwicklungsgeschichtliche Vorgänge können für die Ent- 
stehung des vorhin beschriebenen Baues des Corpus ciliare beim 
Vogel verantwortlich gemacht werden. 

Die nebenstehende Figur 1 ist eine Contourzeichnung eines 
Hühnerembryo vom dritten bis vierten Brütetage 
bei zwölffacher Vergrösserung. 

Die Sinnesorgane sind angelegt; die Nasengrube bei N, 
die Ohrblase bei OÖ und das Auge bei A. Am Auge ist die 
Augenspalte offen, und, soweit sich das beurtheilen lässt, zieht 
frontal und oceipital um die Linse die Augenblase in gleich 
srossem Bogen, um nach abwärts in einer die Linse halbiren- 
den Ebene die Augenspalte zu begrenzen. Die Augenspalte 
liegt somit senkrecht unter der Ebene, die die Linse in eine 
frontale und oceipitale Hälfte theilt. Dies Verhältniss bleibt bis 
zum vierten Tage bestehen. Die Augenspalte beginnt alsdann 
vom Pupillarrande an sich zu schliessen. Dies alles ist bekannt; 


ich wiederhole es und gebe auch eine Abbildung dazu, um den 
Gang der Veränderungen im Zusammenhang schildern zu können, 
ohne dabei auf die Abbildungen der embryologischen Lehrbücher 
verweisen zu müssen. 

Bis zum vierten Tage (siehe Fig. 2) verläuft in der Quer- 
richtung des Auges, sowohl von der frontalen als oceipitalen 
Seite her, je ein Gefäss, das, in den bindegewebigen Augen- 
häuten gelegen, nach vorn zu gegen die Iris zieht und sich ga- 
belnd die Gegend des Linsenrandes kreisförmig umzieht. Es ist 


Die Pars ciliaris retinae des Vogelauges. 349 


dies eine später zwischen Seleraknorpel und der Chorioides ge- 
legene Arteria eiliaris. Vom vierten Tage an beginnt das fron- 
tale Gefäss zu schwinden (siehe Fig. 3) und das oceipitale sich 
auch auf der frontalen Seite weiter auszubreiten. Dieser Vor- 
gang ist am Anfang des sechsten Tages abgelaufen, und es ist 
dann nur das oceipitale Gefäss (siehe Fig. 3) übrig geblieben. 
Die Augenspalte ist schon merklich frontal verlagert. (Z. Linse, 
o. @. oceipitales Gefäss, Asp. Augenspalte.) Ciliarfortsätze sind 
noch nieht vorhanden; doch erkennt man an der Form des Pig- 
mentringes, der sich in 
der Gegeud des am 6. 
Tage entstehenden Corpus 
eiliare ablagert, dass die 
frontale Parthie kleiner 
ausfällt und mit der äusse- 
ren Grenze dem Linsen- 
rande näher gelegen ist, als 
die äussere Begrenzung auf 
der oceipitalen Seite. Im 
Laufe des sechsten Tages 
entstehen dann auf der oc- Bier. 

eipitalen Seite der Augenspalte unten die ersten Falten des Corpus 
eiliare, wenn auf der frontalen Seite noch keine Spur davon 
zu bemerken ist. 

Zugleich ist die Augenspalte weiter nach der frontalen 
Seite gerückt; sie ist nahe dem Pupillarrande dann schon ge- 
schlossen; auch beginnt dieht am Sehnerven das nach nnd nach 
wie eine Halskrause oder wie Wellblech gefaltete Peeten von der 
Augenspalte her gegen die Linse in den Glaskörperraum hinein 
zu wachsen. Die Zahl der Falten nimmt mit der Entwickelung 
zu; sie betrug beim elf Tage alten Embryo 7; beim dreizehn 
Tage alten dagegen 17. 

Zwischen Pecten und der verschlossenen Pupillarzone bleibt 
die Augenspalte jedoch, soweit ich dies bis jetzt an reifen 
Hühnerembryonen, am erwachsenen Huhn und Fasan habe nach- 
weisen können, vorn eine Strecke weit offen. Die Ränder der 
Augenblase vereinigen sich an dieser Stelle nicht, sondern 
schlagen sich unter Vergrösserung und stärkerer Pigmentirung 
nach aussen um. 


SD 


350 M. Nussbaum: 


Zur Illustration dieser Verhältnisse sollen die folgenden 
Abbildungen dienen. Fig. 4 stellt bei zehnfacher Vergrösserung 
die Linse Z und das Corpus ciliare nebst distalem Ende des 
Peeten P einer von innen gesehenen vorderen Bulbushälfte vom 
16—17 Tage alten Hühnerembryo dar. (Das Pecten ist bei * 
durehschnitten.) 

Die Ora serrata ist nasalwärts, rechts im Bilde, nahe an 
die Linse heran gerückt, sie rückt dann nochmals mit einer 
deutlichen Einbiegung oben und unten gegen die Linse vor, um 
dann zurückzutreten und in einem nach der oceipitalen Seite 
(links im Bilde) stark ausladenden Bogen weiter zu verlaufen. 
Es sind um diese Zeit 87 bis 90 Ciliarfortsätze nach Zählung 
an verschiedenen Augen vorhanden, die namentlich auf der na- 
salen Seite (rechts im 
Bild) nicht gleichmässig 
an die Linse heran- 
treten, so dass stellen- 
weise das hintere Iris- 
pigment sichtbar wird. 
Die Ciliarfortsätze stel- 
lenam Pupillarrand be- 
ginnende, hohe Wülste 
dar, die sich gegen die 
Ora serrata hin theilen 
und flach verlaufen. Bei 
Asp. liegt unten im 
Auge und mitten im 
Corpus ciliare der offen- 
gebliebene Rest der 
Augenspalte. Nach 
rechts von dieser weit frontalwärts gelegenen kurzen Spalte ist 
das Corpus eiliare schmal, nach links im Bilde dagegen breit. 

Es ist somit ein Leichtes, die Topographie des Corpus 
eiliare am Vogelauge zu erkennen, da unten der Spaltrest ge- 
legen und die frontale Seite am schwächsten entwickelt ist. 

Ueber die Lage und die Beschaffenheit des Corpus eiliare 
und der in ihm offenbleibenden Augenspalte gibt Fig.5 weiteren 
Aufschluss. Der Schnitt stammt aus der Gegend des unteren 
Lides uud ist horizontal durch die vordere Bulbushälfte eines 13 
Tage alten Hühnerembryo unterhalb der Linse im Bereich der 


Fig. 4. 


Die Pars ciliaris retinae des Vogelauges. 351 


Augenspalte geführt, die bei Asp. getroffen wurde. Die frontale 
Parthie des Schnittes liegt in der Abbildung nach unten. Man 
erkennt die grössere Ausdehnung des oceipitalen, nach oben von 
der Augenspalte im Bild gelegenen 'Theiles des Corpus ceiliare 
und zugleich die stärkere Entwickelung seiner quer und schräg 
getroffenen Ciliarfortsätze im Vergleich zu den oceipital gelegenen 
Ciliarfortsätzen. 

Gegen das obere und untere Ende des Schnittes geht die 
eiliare Zone in die eigentliche, im Schnitt dickere Retina R 
über. In der Figur 5 bezeichnet sodann C' den Conjunctival- 
sack; cut. den cutanen, sube. den subeutanen, conj. den con- 
Junetivalen Theil des durchschnittenen unteren Lides, auf dessen 
oceipitaler (im Bilde oberen Seite) der Lidmuskel Zm. nahe der 
Conjunetiva gelegen ist. S%k. ist das vordere Ende des Selera- 
knorpels; das III. Lid liegt nasal also unten im Bild; Se. k. sind 
Knochenplatten der Sclera; F. Federanlagen. 

Der eiliare Theil des inneren Blattes der secundären Augen- 
blase bleibt bis zum Uebergreifen auf die hintere Irisfläche zeit- 
lebens unpigmentirt; das äussere Blatt der secundären Augen- 
blase ist von einem gewissen Zeitpunkte an im ganzen Verlauf 
pigmentirt, An der Umschlagstelle der Augenblasenränder im 
mittleren, offen bleibenden Theile der Augenspalte wird aber, wie 
die Fig. 6 erläutert, auch das innere Epithel pigmentirt. Die 
unpigmentirten Zellen des inneren Blattes sind im ciliaren Theil 
der secundären Augenblase höher und schmäler als die pigmen- 
tirten; beide Zellreihen nehmen im offenbleibenden Theil der 
Augenspalte an Breite zu, ohne jedoch die Höhe der unpigmen- 
tirten Zellen zu erreichen. In der Augenspalte selbst liegt (in 
Fig. 5) bei @. ein Gefässdurchschnitt; Gefässe finden sich auch 
unter den Kämmen der Ciliarfortsätze, die nahe dem Epithel von 
einem weit lockereren Bindegewebe ausgefüllt werden als nach 
aussen hin. Dem Rest der Augenspalte gegenüber liegt der 
Querschnitt N. eines dicken Nerven; im festen, äusseren Binde- 
gewebe des Ciliarkörpers treten vereinzelte Chromatophoren auf. 
In der Figur 6 bezeichnet /. das innere, A. das äussere Blatt der 
Augenblase, oder das innere und äussere Epithel des ciliaren 
Theiles der Retina; C g. ein Blutgefäss im Ciliarfortsatz. Das 
Bindegewebe in der Augenspalte ist ungemein zart. 

Die Augenspalte war in der Serie dieses Auges (13 Tage 
alter Hühnerembryo) in 50 Schnitten von 0,01 mm Dicke ge- 


352 M. Nussbaum: 


troffen. Die Schnitte durch den unteren Theil der Augenspalte 
zeigten die umgebogenen Ränder der Augenblase in Form der 
Fig. 5; je näher sie der Linse kamen, um so mehr bogen sich 


SI 
SS 
58 


Fig. 5. Fig. 6. 
die freien Enden wieder gegen die Spalte zurück, bis sie sich 
endlich, 0,56 mm von dem unteren Rande der Linse entfernt, in 
Form eines®, dessen Kuppe nach aussen lag, vereinigten. Es folgten 


Die Pars ceiliaris retinae des Vogelauges. 353 


also auf die 50 Schnitte mit offener Augenspalte noch 36 bis zum 
unteren Linsenrande, in denen die Spalte geschlossen war. 

Sehnitte durch die entsprechenden Stellen des Corpus eiliare 
vom erwachsenen Huhn und Fasan geben dieselben Bilder; wohl 
varlirt die Ausdehnung der Pigmentirung in beiden Blättern der 
Augenblase an der Umschlagstelle in der Augenspalte. 

Durch die Untersuchung der vorderen Hälften gut gehärteter 
Augen aus verschiedenen Stadien der Entwiekelung des Huhnes 
lässt sich somit zeigen, dass das Corpus eiliare frontal schwächer 
sich entwickelt als oceipital, und dass die in ihm unten eine 
Strecke weit zeitlebens offen bleibende Augenspalte sich im Laufe 
der Entwiekelung in Uebereinstimmung mit diesen Vorgängen 
weiter frontal verlagert. Da ein freilich unerklärter Schwund des 
Gefässes auf der frontalen Seite und stärkere Ausbildung des ocei- 
pitalen Gefässes vorkommt, so wird man wohl die Erscheinungen 
auf stärkeres Wachsthum der oceipitalen Seite in Folge der 
besseren Blutversorgung zurückführen können. 

Es bleibt aber noch die Erklärung für das Offenbleiben 
des mittleren Theiles der Augenspalte beim Vogel übrig. Wie 
ich in der Entwickelungsgeschichte des menschlichen Auges!) 
mittheilte, entsteht der M. retraetor lentis der Fische aus der 
Augenblase. Die Ränder der Augenblase stülpen sich im eiliaren 
Theil der Augenspalte um, und ihre Zellen wachsen zum Theil in 
Muskelfasern der Campanula aus, andere liefern wie im übrigen 
Auge die Pigmentschicht der Campanula. Der Aceommodations- 
muskel des Fischauges entsteht also in der Augenspalte aus der 
Augenblase, wie der M. sphineter pupillae bei allen Wirbelthieren 
aus dem vorderen umgeschlagenen Rand der Augenblase. Ich glaube 
nun, da auch die Oertlichkeit übereinstimmt, in den im Ciliartheil der 
Augenspalte des Vogelauges zeitlebens nach aussen umgeschlage- 
nen Rändern der Augenblase das Rudiment, also das Homologon, 
der Campanula des Fischauges wiederzufinden. Beim Vogel gibt 
es keinen Accommodationsmuskel im Innern des Glaskörpers. 
Dafür ist ein ächter Ciliarmuskel wie bei den Säugern vorhanden, 
über den eine bald erscheinende Abhandlung im Zusammenhang 
mit der Entstehungsgeschichte der Binnenmuskeln des Auges aller 
Wirbelthiere berichten soll. 


a Graefe-Saemisch, Handbuch II. Aufl, II. Bd. 8. Cap. 
pag. 35. 1899. 


354 


(Aus dem anatomischen Institut zu Bonn und dem anatomischen 
Laboratorium der Johns Hopkins Universität zu Baltimore.) 


Ueber die Histogenese des peripheren Nerven- 
systems bei Salmo salar. 


Von 


Dr. phil. Ross Granville Harrison, 
Johns Hopkins University, Baltimore, U. S. A. 


Hierzu Tafel XVIIIL, XIX und XX und 7 Figuren im Text. 

Ueber die Entwicklung des Nervensystems der Knochen- 
fische liegen zahlreiche Untersuchungen vor. Der grösste Theil 
von diesen, meistens in Arbeiten über die gesammte Entwicklung 
der Teleostier enthalten, bezieht sich hauptsächlich auf die 
erste Entstehung des Centralnervensystems; andere, wie zum 
Beispiel die Arbeiten von Retzius (9), Van Gehuchten 
(95 und 96) und Aichel (95), behandeln den Zusammenhang 
der einzelnen Gewebselemente, wenn auch nur in späteren em- 
bryonalen oder larvalen Stadien. In den ersteren wird jedoch 
die Histogenese wenig oder gar nicht berücksichtigt, in den 
letzteren die ersten Stadien der feineren Umwandlung der Zellen 
überschlagen. Schaper (97) hat zwar die Differenzirungen im 
Centralnervensystem der Forelle eingehend untersucht, aber seine 
Studien beziehen sich, soweit sie nicht dem Kleinhirn gewidmet 
sind, nur auf die allerersten Differenzirungen der Zellen in 
Stütz- und Nerven-Elemente. In Betreff der Entwicklung des 
peripheren Nervensystems der Teleostier sind unsere Kentnisse- 
sehr unvollständig, und über die Histogenese der Nerven bestehen 
überhaupt keine Angaben. Selbst in der berühmten Arbeit von 
His über die Entstehung der Neuroblasten wird der Teleostier- 
embryo nur wenig in Betracht gezogen. 

Dagegen giebt es umfangreiche Untersuchungen über die 
erste Formumbildung der einzelnen Gewebselemente im Nerven- 
system bei anderen Wirbelthieren; die Arbeiten von His und 
Vignal sind hier an erster Stelle zu nennen; an diese schliessen 
sich die mit Hülfe der neueren Methoden gewonnenen Ergebnisse 


Ueber die Histog. d. peripheren Nervensystems bei Salmo salar. 355 


von Ramon y Cajal, v. Lenhossek und anderen. Das wich- 
tigste Resultat dieser Untersuchungen ist wohl der Nachweis, 
dass jede Nervenfaser als Auswuchs einer einzigen Zelle entsteht, 
d. h. dass Zelle und Faser von Anfang an eine morphologische 
Einheit bilden. Während dieser Schluss zunächst auf Unter- 
suchung der höheren Wirbelthiere begründet wurde, so ist es 
nicht ausser Acht zu lassen, dass auch die niederen häufig dazu 
herangezogen worden sind. Die Mehrheit der Arbeiten über die 
erste Entstehung des peripheren Nervensystems bei den niederen 
Wirbelthieren worunter Arbeiten von Hoffmann (83) und Henne- 
guy (88) über den Forellenembryo sich finden, beziehen sich jedoch 
mehr auf morphologische Fragen als auf die Histogenese. Soweit 
die Autoren dieser Arbeiten auf letzteres Thema eingehen, unter- 
stützten sie fast ohne Ausnahme die Lehre, dass die Nervenfaser 
aus einer Kette von Zellen entsteht, und dass Zellen aus dem 
Centralnervensystem herauswandern, “um die peripheren Nerven 
zu bilden. Selbst in den letzten Jahren hat diese Lehre, nament- 
lich seitens Beard (96), Platt (9), Sedgwick (96) und 
Hoffmann (98) Unterstützung gefunden. 

Die vorliegende Abhandlung enthält die Ergebnisse einer 
Untersuchung über die histogenetische Entwicklung des peripheren 
Nervensystem bei dem Teleostierembryo, Salmo salar, ein für 
histogenetische Studien sehr geignetes Object. Da das periphere 
Nervensystem nicht vom centralen zu trennen ist, so wird auch 
manches über die Differenzirungen im Medullarstrang berücksichtigt 
werden müssen; dies gilt ausser für die Nervenzellen des Rücken- 
marks, die die peripheren Nerven entsenden, auch für andere Ele- 
mente, namentlich die Commissurenzellen und das Ependym. Es ist 
der Zweck dieses Studiums, die Umbildung der einzelnen Zellarten 
Schritt für Schritt und möglichst zusammenhängend zu beschreiben 
und ausserdem Vergleiche mit den Befunden bei anderen Wirbel- 
thieren anzustellen Um diesen Plan auszuführen, wird es aber 
unvermeidlich sein, auf manche Einzelheiten einzugehen, die schon 
von früheren Autoren bei Embryonen anderer Arten beschrieben 
worden sind. 

Hinsichtlich der allgemeinen Schlüsse, die diese Unter- 
suchungen gestatten, ist hier nur zu bemerken, dass alle Befunde 
beim Lachsembryo für die Lehre sprechen, dass jede Nervenfaser 
von einer einzigen Zelle auswächst. Nichts habe ich finden können, 
was die Zellkettentheorie unterstützt. 


356 Ross Granville Harrison: 


Die Abhandlung ist im zwei Abschnitte getheilt. Der erste 
enthält bloss die Beschreibung der Befunde bei den einzelnen 
Embryonen. Der zweite besteht aus zusammenhängenden Be- 
handlungen der einzelnen Themata, womit eine Besprechung der 
Angaben von früheren Autoren verbunden wird. In diesem Ab- 
schnitt wird Folgendes berücksichtigt: 

1. Die Beziehungen zwischen Medullarstrang, Ganglienstrang 

und Epidermis. 

2. Die Bildung und Differenzirung der Spinalganglien und 

der sensiblen Wurzeln. 
. Neuroblasten und Stützzellen. 
Die motorischen Wurzeln der Spinalnerven. 
Die Hinterzellen!) und deren Nerven. 

Da Material, das mir zum Zweck dieser Untersuchung zur 
Verfügung stand, waren Erıbryonen, bezw. Larven vom Rhein- 
lachs, S. salar, in den verschiedensten Stadien der Entwicklung. 
Der jüngste Embryo, der beschrieben wird, hatte ca. zehn Ur- 
wirbel; bei dem ältesten war der Dotter schon vollständig auf- 
gebraucht. Zum Fixiren wurde hauptsächlich Sublimat Essigsäure 
und auch zum Theil Flemming’sche Flüssigkeit gebraucht. 
Serienschnitte wurden in allen drei Hauptebenen des Körpers 
sowie in einer schrägen Ebene angefertigt; sie wurden dann 
meistentheils mittelst Hämatoxylin gefärbt und in einer wässerigen 
Lösung von Congoroth nachgefärbt. Ich musste vom Gebrauch 
der speeifisch neurologischen Methoden absehen, da, nachdem die 
Untersuchung im Gange war, mir kein frisches Material mehr 
zur Verfügung stand. Wenn nun diese Methoden für das Studium 
der älteren Stadien ohne Zweifel von Hülfe gewesen wären, so 
glaube ich nicht, dass sie zu wesentlich anderen Ergebnissen ge- 
führt hätten; denn es handelt sich in dieser Untersuchung haupt- 
sächlieh um die ersten Formveränderungen der Nervenelemente, 
die zu einer Zeit stattfinden, wo die Beschaffenheit ihres Proto- 
plasmas sich kaum vom embryonalen Zustand geändert hat und 
demzufolge die speeifischen Färbungen der Nervenzellen nur selten 
oder gar nicht zu erzielen sind. 

Ich möchte nochmals an dieser Stelle Herrn Geheimrath 


op 


1) Auch Rohon’sche Zellen, Riesenzellen und „transient ganglion 
cells“ (Beard) genannt. 


Ueber die Histog. d. peripheren Nervensystems bei Salmo salar. 357 


Frhr. v. la Valette St. George danken für die freundliche 
Zuweisung eines Arbeitsplatzes im anatomischen Institut zu Bonn 
während des Sommers 1899, sowie Herrn Professor M. Nussbaum 
für die Ueberlassung seiner Serienschnitte, die als eine wichtige 
Ergänzung meines Materials dienen. 


I. Abschnitt. 
Beschreibung der Stadien. 
Stadium I!). 


Der Medullarstrang des Kopfes ist in diesem Embryo nur 
theilweise von der Haut getrennt. Im Rumpf sind keine Spuren 
von einem Ganglienstrang vorhanden. Dagegen finden sich im 
Kopf, eaudalwärts von der Augenblase drei paarige Ganglienan- 
lagen schon mehr oder weniger ausgebildet, die als Trigeminus, 
Acustico-Facialis und Glossopharyngeo-Vagus zu deuten sind. 

Die vorderste dieser Anlagen, die des Trigeminus, erstreckt 
sich von der caudalen Hälfte der Augengegend bis kurz vor die 
Ohrgrube. Sie hängt mit der dorsalen Fläche des Gehirns zu- 
sammen und bildet ein grosses Lappenpaar, das sich von seinem 
Ursprung ventro-lateralwärts streckt. Sie besteht aus einer dichten 
Zellmasse, in welcher viele Kerntheilungsfiguren vorhanden sind. 
Die Ganglienanlage ist auch mit der Grundschicht der Epidermis 
in Zusammenhang. Diese Schicht hört nämlich in einer gewissen 
Entfernung von der Mittelebene an jeder Seite auf, und der 
Ganglienstrang ist in der Mitte nur von der Deckschicht bedeckt 
(Textfigur 5 p. 392). Das Nervensystem: Medullarstrang und 
Ganglienstrang, ist also noch nicht von der Epidermis abgeschnürt. 

Caudalwärts vom Trigeminus ist eine ganz kurze Strecke 
(etwa 0,03 mm), wo der Ganglienstrang unterbrochen ist. Dann 
folgt in der Gegend der Ohrgrube die Anlage des Acustieo-Facialis, 
worin keine Sonderung in die zwei Bestandtheile zu merken ist. 
Diese Anlage ist nicht so weit ausgewachsen, wie die des Trige- 
minus. Sie macht im Querschnitt den Eindruck einer Haube, 
die auf dem Gehirn liegt. Mit letzterem, sowohl wie mit der 
Zu Der Embryo wurde am 16. Bebrütungstag (Wassertemperatur 
70—-80C.) eingelegt. Die Anzahl an vorhandenen Urwirbeln war nicht 
genau zu bestimmen, wird aber auf zehn oder elf geschätzt. Dieses 


Stadium entspricht dem Stadium F’ von Henneguy (88, p. 481) und 
dem Stadium VIII von Kopsch (98, p. 200). 


358 Ross Granville Harrison: 


Grundschieht der Haut, ist sie in eontinuirlichem Zusammenhang, 
liegt also zwischen beiden. Sie ist wie die Trigeminusanlage 
ein wahrer Zwischenstrang. 

Die Aecustieusanlage geht, caudalwärts von der Ohrgegend, 
in die Glossopharyngeo-Vagusanlage über, durch eine leichte Ein- 
schnürung davon getrennt. Letztere ist kaum so weit ausge- 
bildet wie erstere und wird nach dem Schwanz zu immer dünner, 
bis sie bald ganz aufhört. 


Stadium II). 

Die Trigeminusanlage dehnt sich in diesem Stadium weiter 
ventralwärts aus und ist schon aufgelockert. An den meisten 
Schnitten ist es kaum möglich, zwischen der Anlage und dem 
umliegenden Mesenchym eine Grenze zu ziehen. 

Die Vagusanlage ist ungefähr so weit entwickelt, wie die 
Trigeminusanlage im Stadium I. Im Vagusgebiet ist ein dichtes 
und scharf umgrenztes Mesenchym vorhanden; gegen dieses ist 
der Ganglienstrang zu unterscheiden. Das Mesoderm ist hier 
undeutlich segmentirt?); erst weiter caudalwärts (etwa 0,15 mm) 
hinter der Ohrgrube liegt die orale Grenze des ersten scharf um- 
grenzten Myotoms. 

Nach dem Schwanz zu wird die Fortsetzung des Ganglien- 
stranges rasch dünner, bis sie schon vor dem Gebiet der Myo- 
tome ganz aufhört. Der am weitesten caudal gelegene Theil des 
Ganglienstranges besteht aus einer schwachen Zellkette, die zwi- 
schen Epidermis und Medullarstrang eingeklemmt ist. Einzelne 
von diesen Zellen haben dünne, peripherwärts sich erstreckende 
Protoplasmafortsätze. 

In der Kopfregion hat die Abfaltung des Medullarstranges 
sammt Ganglienstrang von der Epidermis schon an gewissen 
Stellen stattgefunden. Ueber dem Trigeminuswulst z. B. stösst 
die Hautgrundschicht der beiden Seiten in der Mittelebene zu- 


1) Der Embryo wurde am 17. Tag eingelegt. Die Augenblase 
weist eine anfangende Höhlung auf. Die Ohrgrube ist noch mit der 
Hautgrundschicht in Zusammenhang. Die Urwirbelzahl wird auf fünf- 
zehn taxirt. Dieses Stadium ist etwas weiter entwickelt, als Stadium G 
von Henneguy, aber nicht so weit wie Stadium IX von Kopsch. 

2) Vergl. Nussbaum, M., Entwicklungsgeschichte des mensch- 
lichen Auges, pag. 64. 


Ueber die Histog. d. peripheren Nervensystems bei Salmo salar. 359 


sammen, und die Ganglienanlage bleibt nur mit dem Medullar- 
strang in Zusammenhang. Im Acustico-Facialis- und im Vagus- 
gebiet ist die Abfaltung nicht vollendet; die Grundschicht geht 
medialwärts in den Ganglienstrang über, und der mittlere Theil 
des letzteren wird direet von der Deckschicht bedeckt. 

Die ersten Stadien der Abfaltung sind in der Rumpfgegend 
zu beobachten Im caudalen Drittel des Embryo ragt der Medullar- 
strang keilartig zwischen die Mesodermstreifen hinein. An Quer- 
schnitten (Fig. 1) ist es ersichtlich, dass der Strang (m.s) lateral- 
wärts sich verjüngt und continuirlich in die Grundschicht (gr.s) 
übergeht. Die ganze Bedeckung des embryonalen Marks in 
diesein Stadium besteht ans der Deckschicht des Eetoderms (d.s), 
die jedoch noch recht diek ist. Die äusseren Zellen des Medullar- 
strangs sind senkrecht zur lateralen Fläche derselben verlängert. 
Die Höhe dieser Zellen fällt an der Uebergangsstelle (w) stark 
ab, indem die Schicht als Grundschicht fortgesetzt wird, die 
aus ceuboiden oder flachen Epithelzellen besteht. Etwas weiter 
kopfwärts wird der Uebergang des Medullarstrangs in die Epi- 
dermis schärfer; die runde Umbiegung wird zu einer Rinne ver- 
tieft (Fig. 7 bei w)'!), d. h. die Abfaltung hat begonnen. Der 
Querschnitt des Medullarstrangs wird durch diesen Vorgang 
schlusssteinförmig. Es bleibt eine Kante an der Stelle bestehen, 
wo der frühere Uebergang in die Epidermis lag (Fig. 7 fl.k). 
Noch weiter nach dem Kopf zu reicht die Grundschicht näher 
zur Mittelebene, aber erst im Trigeminusgebiet, wie oben be- 
schrieben, ist der Medullarstrang vollständig von ihr überdeckt. 


Stadium III?). 


Die vollständige Auflockerung der Trigeminusanlage hat 


schon stattgefunden. Dasselbe gilt, wenn auch in einem geringeren 
Grade, für die Facialisanlage. Die Vagusanlage ist noch intakt, 
obwohl die Zellen nicht so dieht aneinander gedrängt sind als 
im vorhergehenden Stadium. Sie hat sich sozusagen ausgestreckt, 


1) Diese Figur ist nach einem älteren Embryo abgebildet. 

2) Der Embryo wurde am 18. Tag eingelegt. Die Augenblase 
ist schon eingestülpt. Die Ohrblase wird von der Grundschicht der 
Haut abgeschnürt. Die Zahl der Urwirbel beträgt 19—20. Dieses Stadium 
ist zwischen den Stadium G und H von Henneguy und nur sehr 


wenig weiter entwickelt als das Stadium IX von Kopsch. 
Arch. f. mikrosk. Anat. Bd. 57 24 


360 Ross Granville Harrison: 


und direet unter der äusseren Haut verlaufend reicht sie bis an eine 
Kiementasche heran. Caudalwärts von der Vagusanlage sind nur 
einzelne Zellen vorhanden, an der Stelle eines compacten Stranges. 
Diese Zellen liegen zum Theil ganz frei in dem kleinen Raum zwi- 
schen Medullarstrang, Mesoderm und Haut und zum Theil in Zu- 
sammenhang mit dem erstgenannten, der in dieser Gegend eigent- 
lich die Anlage der Ganglien einschliesst. Die freien Zellen sind 
in dem zwischen Vagusanlage und erstem deutlichen Myotom 
liegenden Gebiet am zahlreichsten. Sie erstreeken sich zum Theil 
zur dorsalen Kante des Mesoderms. Nach dem Schwanz zu neh- 
men sie allmählich an Zahl ab; doch ist dies nicht ganz regel- 
mässig, denn z. B. im Gebiet des ersten Wirbels sind, auf beiden 
Seiten zusammen, siebenundzwanzig Zellen, beim zweiten Urwirbel 
zwölf, beim dritten achtzehn, beim vierten sieben und beim fünften 
eine; dann in der Gegend des siebten und elften sporadisch je 
eine Zelle. Die Zellen sind im Bereich eines Segments recht 
regelmässig vertheilt, und weisen keine metamere Anordnung auf. 
Die Abfaltung der Anlage des Nervensystems von der Epi- 
dermis ist im Kopf fast überall vollzogen, aber im Rumpf hängt 
der Medullarstrang lateralwärts mit der Grundschieht zusammen. 
Die Schnittbilder sind in diesem Stadium für diese Frage theil- 
weise sehr undeutlich, weil die Auflockerung der Ganglienanlagen 
des Kopfes schon sehr weit vorgegangen ist, und weil der dor- 
sale Theil der Hautgrundschicht äusserst dünn geworden ist. 


Stadium IV), 


Der Medullarstrang ist jetzt in fast der ganzen segmentirten 
Region des Embryo von der Haut abgeschnürt. In dem eaudal ge- 
legenen unsegmentirten Theil ist die Grundschicht der Epidermis 
noch mit dem Medularstrang verbunden, aber hier, sowie im Be- 
reich der letzten drei Urwirbel ist sie schon etwas weiter abge- 
faltet, als in der Fig. 7 gezeigt wird. Kopfwärts vom einund- 
zwanzigsten Urwirbel ist ein Gebiet, wo die Grundschicht nur 
stellenweise in der Mittelebene geschlossen ist. Die Abfaltung 
vollzieht sich also nicht ganz eontinuirlich vom Kopf nach dem 
Schwanz zu. Der Medullarstrang ist kopfwärts vom caudalen 


1) Die Urwirbelzahl beträgt in diesem Stadium vierundzwanzig. 
Es ist nicht so weit entwickelt, wie Henneguy’s Stadium H und liegt 
zwischen den Stadien IX und X von Kopsch. 


Ueber die Histog. d. peripheren Nervensystems bei Salmo salar. 361 


Theil des fünfzehnten Segments überall von der Epidermis 
getrennt. 

An den Stellen, wo der Medullarstrang noch nicht abge- 
faltet ist, ragt derselbe zwischen den beiden Seitentheilen der 
Grundschicht etwas empor (Fig. 7). Die Zellen in dieser Er- 
habenheit und auch einige aus der ganzen oberflächlichen Schicht 
des Stranges lateralwärts bis zur Flügelkante bilden den Ganglien- 
strang. Die dorsale Fläche des Medullarstrangs ist an manchen 
Stellen, wo er abgefaltet ist, glatt abgerundet; obgleich selbst 
nach vollendeter Trennung eine leistenförmige Erhebuug dort 
wahrzunehmen ist (Fig. 8 g. str). 

Der Medullarstrang hat im Querschnitt eine Form, die am besten 
mit einem Schlussstein zu vergleichen ist. Seine dorsale Fläche ist 
gewölbt und biegt seitwärts, an der Stelle, wo der Strang am 
breitesten ist, plötzlich in die Seitenfläche um. Die hier gelegene, 
ausgeprägte Kante oder Leiste nenne ich die Flügelkante, weil sie 
von der Flügelplatte der Markanlage hervorragt!) (Fig. T— 10 fl.k.). 
Eine deutliche Membran, welehe aus dem äusseren Theil der Zell- 
membranen besteht, umgiebt den Medullarstrang, der noch ein 
solides Gebilde ohne Centralcanal ist. Die beiden Seitenhälften 
des Stranges sind durch eine sagittal gelegene Membran getrennt, 
die im Querschnitt als eine zackige, den Grenzen der einzelnen 
Zellen entsprechenden Linie erscheint (Fig. 8 c.c‘). 

Die Zellen des Medullarstrangs sind epithelartig geordnet. 
Sie sind prismaförmig, und die Längsachse der einzelnen Zellen 
liegt quer im embryonalen Körper. Die Zellen erstrecken sich von 
der äusseren Grenzmembran bis zur Mittelebene, aber ihre ovalen 
Kerne sind nicht in einer Schicht geordnet, sondern liegen in ver- 
schiedenen Entfernungen von der Mittelebene. Dorsal und ventral, 
d.h. in den Theilen der Wandungen des Medullarstrangs, welche 
der Deckplatte und der Bodenplatte entsprechen, haben die Zellen 
eine radiäre Anordnung; doch im ersteren ist die Regelmässigkeit 
durch das Vorhandensein der Zellen des Ganglienstrangs etwas 
gestört. 

Die feinere Structur des Zellprotoplasmas zeigt sich im 
conservirten Material als reticulär. An den Fäden des Netzwerks 
sind äusserst kleine Körnchen angereiht (Fig. 11—15). Die ein- 


1) Siehe Anmerkung 2 auf Seite 400. 


362 Ross Granville Harrison: 


zelnen Fäden verlaufen hauptsächlich, wenn auch nur undeutlich, 
in der Riehtung der Längsaxe der Zellen. Der mediale sowohl 
als der laterale Theil der Zellen weisen eine gleiche Struetur auf. 

Die Kerne der Epithelzellen nehmen die mittlere Zone der 
beiden Seitenwände des Medullarstrangs ein. Medial davon fin- 
den sich, wie bekannt, zahlreiche in Theilung begriffene Keim- 
zellen (Fig. 10 %.z.). In dem lateral von den Kernen gelegenen 
Randschleier liegen durch die ganze Länge der Markanlage eine 
Anzahl Neuroblasten eingebettet (Fig. T—10 h. zm. z uud nbl). 
Diese Vorstufen der Nervenzellen liegen jetzt vereinzelt und bilden 
kaum eine besondere Mantelschicht (His). Sie sind in allen 
Horizontalebenen des Medullarstrangs zu treffen. Durch ihre ver- 
schiedene Lage kann man schon mehrere Gruppen von Neuro- 
blasten unterscheiden. Erstens sind im Niveau der Flügelkante 
und dorsalwärts davon gewisse auffallende Zellen (Fig. 7, 8 
und 10 AR.z), die zum Theil schon in früheren Stadien zu er- 
kennen waren, wo sie ganz nahe zur Uebergangsstelle zwischen 
Epidermis und Medullarstrang lagen. Es ist klar, dass diese 
Zellen örtliche Beziehungen zu den Zellen des Ganglienstrangs 
haben. Sie sind, wie später ersichtlich wird, die Vorstufen der 
Hinterzellen oder Riesenzellen von Rohon. Zweitens liegen die 
Neuroblasten, die sich bald zu Commissurenzellen herausbilden 
werden, direet ventral zur Flügelkante und bis zur mittleren 
Horizontalebene des Medullarstrangs (Fig. 9 com. 2). Drittens 
liegen in der ventralen Hälfte der Markanlage die künftigen mo 
torischen Zellen (Fig. 8 m. 2). 

Die Neuroblasten, die caudalwärts vom achtzehnten Ur- 
wirbel liegen, sind sämmtlich rund oder polyedrisch, und sind 
deutlich gegen die Epithelzellen abgegrenzt. In Bezug auf feinere 
Structur sind sie kaum von den anderen Zellen des Embryonal- 
körpers differenzirt. Die Fäden des Protoplasmagerüsts sind aber 
unregelmässig und nicht parallel mit einander geordnet. Die Kerne 
der Zellen sind rund und enthalten gewöhnlich ein rundes Kern- 
körperchen, während der ganze übrige Theil des Kerns etwas 
blass erscheint. Es finden sich schon in der Gegend des acht- 
zehnten Segments motorische und Commissuren-Neuroblasten, die 
eine etwas längliche Gestalt haben. Sie sind in ventro-lateraler 
Richtung ausgezogen und spitzen sich nach der Peripherie zu, 
wobei sie sich häufig gegen die äussere Grenzmembran des Me- 


Ueber die Histog. d. peripheren Nervensystems bei Salmo salar. 363 


dullarstrangs andrängen. Die Membran bleibt jedoch noch deut- 
lieh und vollständig intakt. Weiter nach dem Kopf zu sind hier 
und da Zellen vorhanden, deren Auswüchse etwas länger sind. 
Dies ist bei den motorischen Zellen der Fall, aber noch in höherem 
Grade bei den Commissurenzellen. Der kräftige Auswuchs einer 
solchen Zelle, der in der That eine dicke stumpfe Nervenfaser 
darstellt, erstreckt sich ventralwärts in der Substanz des Rand- 
schleiers, entweder direct innerhalb oder unweit von der äusseren 
Grenzmembran. Im Bereich vom zweiten, dritten und vierten 
Urwirbel reichen die Fortsätze von Zellen, die an der Flügelkante 
gelegen sind, in einzelnen Fällen bis an die mittlere Horizontal- 
ebene des Medullarstrangs. Der Randschleier besteht auch hier 
aus einem reticulären Protoplasma. Das Netzwerk ist aber intra- 
cellular und nicht so weitmaschig, als dass die auswachsenden 
Nervenfasern durch die Maschen geführt werden könnten. Im 
Gegentheil ist ihr Weg durch das Protoplasma der epithelialen 
Stützzellen ausgehöhlt. 

Der Zellkern von fast allen diesen weiter differenzirten 
Neuroblasten nimmt eine etwas excentrische Stellung em. Das 
Zellprotoplasma tingirt sich etwas stärker mit dem Congoroth, 
und das Protoplasmagerüst hat eine bestimmte Anordnung, indem 
die einzelnen Fädchen nach dem auswachsenden Pol "der Zelle 
zu convergiren. In den Fällen, ws ein deutlicher Fortsatz vor- 
handen ist, verlaufen die darin enthaltenen Fäden parallel mit 
der Axe derselben (Fig. 17 und 23). 

Wenn die Querschnittserie vom Schwanz nach dem Kopf 
zu durchmustert wird, finden sich die ersten Zeichen einer Sonde- 
rung der künftigen Spinalganglienzellen von der Rückenmarks- 
anlage in der Gegend des dreizehnten Urwirbels. Die obersten 
Zellen des Medullarstrangs erheben sich hier als eine etwas deut- 
lichere Leiste, und einige Zellen, die an der Oberfläche liegen, 
entsenden lange Ausläufer, die sich peripherwärts nach der Epi- 
dermis und der Muskelplatte zu ausstrecken (Fig. 9). Beim elften 
Myotom, wie auch im Bereich des zehnten Segments, liegt eine 
Zelle beinahe frei auf der Oberfläche der Markanlage. Von 
der oralen Hälfte des zehnten Urwirbels giebt es in jedem Schnitt 
lose Zellen, oder solche, die im Begriff sind, sich loszulösen. 
Die ganze oberste Schicht des Medullarstrangs betheiligt sich an 
der Abgabe der Zellen, die dann in den freien Raum hinein- 


364 Ross Granville Harrison: 


gleiten, der zwischen Haut, Medularstrang und Urwirbel liegt 
(Fig. 2 und 10). So bald diese Zellen frei liegen, ist an ihrer 
unregelmässigen Form und am Vorhandensein von Protoplasma- 
ausläufern zu merken, dass die künftigen Ganglienzellen wie 
Wanderzellen gestaltet sind. Sie ähneln sehr den Mesenchym- 
zellen desselben Stadiums.. Die Zellen, die sich aus dem 
Verband des Medullarstrangs gelöst haben, nehmen nach dem 
Kopfe zu recht regelmässig an der Zahl zu, jedoch nieht ganz 
ohne Sprünge und Rücktritte, wie aus der folgenden Tabelle zu 
ersehen ist: 


[zanı der losgelösten, | [Zahl der losgelösten 
Myotom No. Zellen ' Myotom No. Zellen 
Rechts | Links | Rechts | Links 
| | 
11 1 0 | 5) 13 ) 
10 1 0 | 4 22 | 18 
9 5 5) | 3 19 ı 19+21) 
8 1 5 N 2 2642 | 26+1 
7 8 | 1 3242 | 2242 
6 10 4 a 52 | 4941 
| 


Fast alle die Zellen liegen dorsal von den Urwirbeln, wo 
sie mit ihren Fortsätzen ein Netzwerk bilden. Doch beim sechsten 
Urwirbel liegt eine Zelle im Winkel zwischen Rückenmark und 
Urwirbel, als wenn sie im Begriff wäre, sich dazwischen hinein- 
zudrängen. Zwei Zellen haben sich im Bereich des dritten Myo- 
toms schon so weit hineingedrängt, dass sie ganz fest zwischen 
Muskelplatte und Medullarstrang eingeklemmt liegen. Beim zweiten 
Myotom sind rechts zwei und links eine solehe eingedrungene 
Zelle; beim ersten Myotom zwei auf jeder Seite; und bei dem 
vergänglichen Myotom a links eine Zelle, im Ganzen zehn, 
wovon zwei in Theilung begriffen sind. Auch im Gebiet des 
unsegmentirten Mesoderms sind viele Ganglienstrangzellen vor- 
handen und zwar in zunehmender Zahl je weiter nach dem 
Vagus zu. Der schon etwas aufgelockerte Ganglienstrang ver- 
läuft aber continuirlich vom Kopfe in den Rumpf hinein. Dies 
ist um so mehr zu beachten, als später den Myotomen a und 1 


1) Die nach dem + Zeichen befindlichen Zahlen bezeichnen die 
Zellen, die sich schon zwischen den Medullarstrang nnd das Myotom 
hineingedrängt haben. 


Ueber die Histog. d. peripheren Nervensystems bei Salmo salar. 365 


entsprechend keine Ganglien und im Bereich des Myotoms 2 
nur ein vorübergehendes rudimentäres Ganglion sich ausbilden!). 

Dass alle die eben aufgezählten Zellen ausschliesslich aus 
dem Ganglienstrang stammen, ist für sicher zu halten; denn 
keine freien Mesenchymzellen sind, ausser im Kopf, vorhanden, 
die eine Verwechselung hervorrufen könnten. Seitenplatten und 
Urwirbel sind überall sehr deutlich; letztere sind sogar mit einer 
bestimmten Membran umgrenzt. In den meisten Ursegmenten 
sind die Sklerotomdivertikeln nicht einmal entwickelt, und in den 
ersten sieben, wo sie vorhanden sind, sind die Sklerotome noch 
epithelial;: sämmtliche Zellen halten noch fest in dem epithelialen 
Verband. | 

Die Entwicklung der Hinterzellen kann am besten an 
schrägen Längsschnitten verfolgt werden, und zwar an Schnitten, 
die um etwa 30° bis 45° zur Frontalebene geneigt sind. In 
solchen schrägen Schnitten, die die Flügelkante treffen, und dem- 
gemäss die dorsale Fläche des Medullarstrangs, sowie die des 
Myotoms eben abschaben, treten die runden oder polygonalen 
Neuroblasten (Fig. 15 und 16 AR. z) gegen die länglichen, in 
Querrichtung gestreckten Stützzellen scharf hervor. Andere 
Neuroblasten sind vorhanden, die in der Richtung der Längsaxe 
des Embroys etwas gestreckt sind (Figur 16 bei c). Diese 
Zellen sind nicht gerade spindelförmig, denn der Zellleib, der 
den oft in die Länge gestreckten Zellkern enthält, liegt im 
Haupttheil, etwas medialwärts von der Axe der Auswüchse, die 
sich der äusseren Grenzmembran fest anschmiegen. Durch diese 
Verhältnisse erklären sich die Bilder, die man in Querschnitten 
erhält, wo der Kern ein wenig excentrisch in einer ovalen 
Protoplasmamasse liegt (Fig. 7, S und 101.2). 


Stadium V?). 


Die Auflösung des Ganglienstrangs ist jetzt bedeutend weiter 
vorgeschritten. Losgelöste Zellen sind bis in den Bereich 
des zweiundzwanzigsten Segments vorhanden. Die Entwicklung 
scheint besonders rasch in der caudalen Hälfte des Embryo vor 


1) Harrison (9%), p. 560. 

2) Bei Embryonen in diesem Stadium beträgt die Anzahl der 
Urwirbel neunundzwanzig. Das Stadium ist ungefähr dem Stadium X 
von Kopsch und H von Henneguy entsprechend. 


366 Ross Granville Harrison: 


sich gegangen zu sein, denn die einzelnen Entwicklungsstufen 
sind örtlich nicht so weit auseinander wie im Stadium IV. So- 
mit haben sich Zellen verhältnissmässig weit caudalwärts, d. h. 
im Gebiet des zwanzigsten Urwirbels, zwischen Medullarstrang 
und Urwirbel hinemgedrängt. Doch sind diese eingeklemmten 
Zellen nur vereinzelt in diesem weit caudal gelegenen Theil des 
Embryos. Sie sind erst vom sechzehnten Segment kopfwärts 
in jedem Metamer vorhanden, aber bis zum neunten Segment 
sind nie mehr als drei Zellen auf einer Seite eines Segments zu 
finden. Beim achten Myotom können Andeutungen einer Grup- 
pirung der Zellen wahrgenommen werden. Beim sechsten und 
den kopfwärts davon liegenden Segmenten ist ein rudimentäres 
Ganglion vorhanden (Fig. 3). Man sieht nämlich, dass hier 
zwischen dem ventralen Theil des Medullarstrangs und der da- 
neben liegenden Muskelplatte eine Anhäufung von Zellen vor- 
handen ist. Etwa vier solche Zellen sind in einem Schnitt zu 
finden. Ventralwärts vom Zellhaufen ist ein leerer vum Medullar- 
strang, Chorda dorsalis, und Muskelplatte begrenzter Raum, wo die 
Mesenchymzellen aus den Sklerotomdivertikeln später hineinwan- 
dern. Derartige Zellen sind in dem betreffenden Segment nicht vor- 
handen, und es ist deshalb mit Sicherheit zu bestimmen, dass der oben 
beschriebene Zellhaufen ausschliesslich aus Zellen des Ganglien- 
strangs zusammengesetzt wird. Die Ganglienanlagen liegen 
caudalwärts von der Mitte des betreffenden Segments, aber auch 
in anderen Theilen der Segmente sind isolirte Zellen zu finden, 
Die bei dem ersten Myotom und Myotom « befindlichen Zellen- 
anhäufungen sind kaum bestimmt genug, um Ganglienanlagen 
genannt zu werden. 

Die gesammte Anzahl der Zellen, die aus dem Ganglien- 
strang im Bereich der einzelnen Segmente ausgewandert sind, 
ist bedeutend grösser als im vorigen Stadium. Kerntheilungs- 
figuren sind auch an diesen Zellen häufig zu sehen. Eine 
metamere Anordnung dieser Zellen ist nur in den in der Ent- 
wicklung am weitesten vorgeschrittenen Gegenden zu merken, 
d. h. nur wo die Ganglienanlagen vorhanden sind. 

Die Veränderungen, die seit dem letzten Stadium im 
Medullarstrang selber stattgefunden haben, betreffen fast aus- 
schliesslich die Neuroblasten. Diese sind zahlreicher geworden 
und ihre Fortsätze, besonders in der oralen Hälfte des Embryos, 


Ueber die Histog. d. peripheren Nervensystems bei Salıno salar. 367 


sind zum Theil sehr lang geworden. Die Fortsätze oder Fasern 
von einigen motorischen Zellen überschreiten sogar die Grenzen 
des Medullarstrangs. Die erste solche Zelle (vom Schwanz ge- 
rechnet) findet sich in der Gegend des dreizehnten Urwirbels. 
Von hier bis zu (einschliesslich) dem siebenten Segment sind solche 
Zellen vorhanden, aber vor dem siebenten nur im vierten Segment, 
Eine sehr günstig getroffene Vorderhornzelle ist im Bereich des 
neunten Sesments zu sehen (Fig. 12). Der Fortsatz dieser 
Zelle, der schon zu einer deutlichen Faser (v. ww) ausgewachsen 
ist, durehbricht die äussere Grenzmembran des Medullarstrangs, 
und verläuft ventralwärts, der medialen Fläche der Muskelplatte 
entlang, welcher er sich fest anschmiegt. Es hat nicht den An- 
schein, als wenn die Faser direkt in die Muskelsubstanz hinein- 
wachsen würde, sondern als wenn sie für ein weiter ventral ge- 
legenes Gebiet bestimmt wäre. Die Faser ist noch protoplasma- 
tisch und hat die Differenzirung einer Nervenfaser noch nicht 
erreicht. Andeutungen von Fibrillen sind zu sehen, die zu parallel 
verlaufenden Zügen geordnet sind. Dieses Bild stellt ein sehr 
frühes Stadium in der Entwicklung der motorischen Wurzeln 
dar. In diesem Fall besteht die Wurzel aus einer einzigen 
Faser, obgleich in anderen Fällen Fortsätze von zwei Zellen 
nachzuweisen sind. Andere motorische Zellen liegen in der 
Nähe der Wurzeln, aber entsenden noch keine Fasern über die 
Grenze des Medullarstrangs hinaus. Fortsätze von den moto- 
rischen Zellen sind oft durch mehrere Schnitte in der Längs- 
richtung zu verfolgen. Die Länge der auswachsenden motorischen 
Fasern ist in den einzelnen Segmenten verschieden. Die im 
achten, neunten und zehnten Segmente befindlichen sind am 
weitesten entwickelt. Aus diesen Befunden ist zu ersehen, dass 
die motorischen Wurzeln den Spinalganglien in der Entwicklung 
vorauseilen, und dass ein regelmässiges Vorschreiten der Ent- 
wieklung der Wurzeln vom Kopf nach dem Schwanz zu nicht 
streng innegehalten wird. 

Das Verhalten der Sklerotome ist in diesem Stadium sehr 
günstig für die Beobachtung der motorischen Nerven. Denn 
nur vom vierten Segment oralwärts sind die daraus entstammenden 
Mesenchymzellen bis zur ventralen Fläche des Medullarstrangs 
vorgedrungen. Die auswachsenden Nerven sind frei von losen 
Zellen, die die Klarheit der Bilder stören könnten. Auch fehlen 


368 Ross Granville Harrison: 


alle Zeichen einer Auswanderung von Medullarstrangzellen, um 
an der Bildung der motorischen Nerven Theil zu nehmen. Die 
sieben Wurzeln, die schon vorhanden sind, haben ihre Bildung 
zweifellos ohne Betheiligung von solehen Zellen erreicht. Die 
äussere Grenzmembran des Medullarstrangs bleibt überall intaet, 
mit Ausnahme der kleinen Durchbruchstellen, die nur für den 
Durchlass der Zellfortsätze gross genug sind. 

Die Commissurenzellen sind weit ausgewachsen. Caudal- 
wärts bis zum dreizehnten Segment sind ihre Fortsätze bis zur 
Austrittsstelle der motorischen Wurzeln zu verfolgen. Einige da- 
von sind bis zur ventralen Grenze des Medullarstrangs gewachsen, 
wo sie sich dann nach der entgegengesetzten Körperseite des 
Embryo umbiegen. 

Die Hinterzellen entsenden jetzt recht lange Fortsätze, die 
sich im Niveau der Flügelkante durch mehrere Querschnitte ver- 
folgen lassen. Die Fortsätze von mehr als einer Zelle sind zu 
kleinen Bündelehen vereinigt, die den allerersten Anfang des 
Hinterstranges darstellen. Es ist in den meisten Fällen klar, 
dass eine Zelle einen oral und einen caudal verlaufenden Fort- 
satz abgiebt, wovon bald der eine und bald der andere stärker 
ist. Einige Zellen bilden ausserdem querverlaufende Auswüchse, 
die sich nach der dorsalen Mittellinie des Medullarstrangs zu 
ausstrecken. In Betreff der Grösse und des Differenzirungsgrades 
übertreffen die Hinterzellen in diesem Stadium kaum die moto- 
rischen Zellen oder die Commissurenzellen. 

Die Verhältnisse zwischen den Hinterzellen und deren Aus- 
läufer sind in einer schrägen Längsschnittserie von einem etwas 
älteren Embryo !) zu übersehen. Die Ausläufer sind ansehnlich 
und sind länger als der längste Durchmesser des Zellleibs 
(Fig. 23). Der Gegensatz zwischen Zellleib und Zellfortsatz ist 
Jetzt sehr deutlich. Ersterer liegt fast gänzlich medial von der 
Achse der Längsfortsätze. Der Zellkern bleibt in einigen Fällen 
in der Mitte der Zelle, nimmt aber gewöhnlich eine starke 
exeentrische Stellung ein. Die Substanz der Zellen sowie die 
der Fortsätze bleibt noch körnig. Letztere sind noch nicht zu 
eigentlichen Nervenfasern ausgebildet; doch tingirt sich das Proto- 


1) Embryo mit einunddreissig Urwirbeln, Länge des conservirten 
Embryos 3,6 mm. 


Ueber die Histog. d. peripheren Nervensystems bei Salmo salar. 369 


plasma der Fortsätze stark mit dem Congoroth und hebt sich 
dadurch von der Umgebung hervor. Die querverlaufenden Fort- 
sätze, die einige Hinterzellen bilden, sind auch schon recht lang 
geworden (Fig. 31). 

Bei einem noch älteren Embryo !) sind einige Hinter- 
zellen vorhanden, die etwas von der Flügelkante nach der 
Mittelebene zu abgerückt sind. Der Kerm von diesen Zellen 
liegt ganz an der medialen Seite des Zellleibs (Fig. 24). Die 
zwei Fortsätze verlaufen vom Zellleibe zunächst etwas Jlateral- 
wärts, um dicht innerhalb der äusseren Grenzmembran eine 
gerade Längsrichtung einzuschlagen, wo sie sich oft durch die 
Länge eines ganzen Urwirbels deutlich verfolgen lassen. Der 
Aufbau der Fasern nähert jetzt dem einer ausgebildeten Nerven- 
faser, obgleich die Fasern noch etwas dick sind. 


Stadium VI?) 

Die Entwicklung des Ganglienstrangs ist jetzt nur wenig 
weiter caudalwärts vorgeschritten. Dagegen hat der orale Theil 
deutliche Fortschritte gemacht. Eine grosse Anzahl von Zellen 
sind hier an ihre definitive Lage gelangt, und sie gruppiren sich 
um die ventralen Wurzeln, wovon schon zwölf vorhanden sind. 
Die Zellen der Ganglienanlagen sind theils im selben Sehnitt wie 
die entsprechende motorische Wurzel, theils weiter oral und theils 
caudal davon zu treffen. Die Maximalzahl der Zellen in einem 
Ganglion beträgt zehn, aber im Bereich der weit caudal ge- 
legenen Wurzeln ist mehrmals nur eine einzige Zelle vorhanden, 
die ihre definitive Lage eingenommen hat. Diese Zellen sind 
alle noch undifferenzirt und besitzen keine Nervenfortsätze; sie 
sind demgemäss ohne nervöse Verbindung mit dem Medullarstrang. 
Neben dem zweiten Segment finden sich neun Zellen in der 
Ganglienanhäufung auf der rechten Seite und sieben auf der 
linken, im Bereich des ersten Segments drei resp. vier Zellen. 
Dies ist von Interesse, weil in diesen Segmenten später eine 
Hemmung oder Rückbildung in der Entwicklung eintritt. Der 
vorübergehende Urwirbel (Myotom a) ist schon zum Theil einem 


1) Embryo mit dreiunddreissig Urwirbeln. Dieser ist nur ein wenig 
jünger als die Embryonen im Stadium VI. 

2) Die Zahl der Urwirbel beträgt in diesem Stadium fünfund- 
dreissig. Es ist etwas älter als Stadium XI von Kopsch. 


370 Ross Granville Harrison: 


mesenchymatischen Zerfall erlegen, so dass es unmöglich ist, die 
Anzahl der vorhandenen Ganglienstrang-Zellen zu bestimmen. 

Die Sklerotomdivertikel sind in diesem Stadium schon 
zum Theil aufgelöst. Von dem letzten bis zum fünfzehnten 
Segment sind sie noch intact, aber schon beim sechszehnten 
zeigen sich die Zeichen einer Loslösung, indem einzelne Zellen 
dorsal gerichtete Ausläufer ausstrecken (siehe Fig. 2, die nach 
einem jüngeren Embryo abgebildet ist). Einige solche Zellen 
sind auch im fünfzehnten Segment vorhanden, und im vierzehnten 
haben mehrere sich zwischen Notochord und Muskelplatte hinein- 
gequetscht. Ein Segment weiter kopfwärts, erreichen die vom 
Sklerotom abstammenden Zellen bereits die ventrale Kante des 
Medullarstrangs. Es ist daher oft schwierig, von diesem Segment 
an, die Mesenchymzellen von den Ganglienzellen zu unterscheiden; 
beide Zellarten sind noch vollkommen undifferenzirt. 

In dem Medullarstrang selber ist in Betreff der gröberen 
Verhältnisse zu bemerken, dass der Centraleanal sich viel weiter 
caudalwärts ausdehnt, indem Andeutungen davon sich bis 
zum vierzehnten Segment finden; und weiter, dass die Kanten, 
Flügelkante und ventrale Kante, in dem oralen Theil der 
Rückenmarksanlage die Neigung zeigen, sich mehr und mehr 
abzurunden. In feinerer Structur sind die Stützzellen kaum 
verändert (Fig. 11 und 17); nur von etwa dem fünfzehnten Ur- 
wirbel kopfwärts ist die Aussenzone des Medullarstrangs mehr 
und mehr von den Fortsätzen der ausgewachsenen Neuroblasten 
durchlöchert. Letztere sind inzwischen zahlreicher und ihre Aus- 
wüchse beträchtlich länger geworden. 

Motorische Wurzeln sind nur bis zum vierzehnten Segment 
entwickelt, d. h. nur ein Segment weiter als im Stadium V, ob- 
gleich die oral gelegenen kräftiger entwickelt sind, und sie 
kopfwärts bis zum dritten Segment, sowie auch im fünften und 
sechsten, wo sie vorher fehlten, vorhanden sind. Im vierzehnten 
Segment tritt der Fortsatz der motorischen Zelle nur auf der 
linken Seite über die Grenze des Medullarstrangs. Der Zellfort- 
satz hat auf der anderen Seite die äussere Grenzmembran nicht 
durchbrochen. Eine deutlich birnförmige Zelle streckt ihren 
Fortsatz nur bis zur Membran aus (Fig. 11 m. z), in welcher 
übrigens eine Unterbrechung angedeutet ist, wodurch der Fort- 
satz jedenfalls sehr bald ausgetreten wäre, Das Nervenpaar 


Ueber die Histog. d. peripheren Nervensystems bei Salmo salar. 371 


des dreizehnten Segments ist auf beiden Seiten weiter ausge- 
wachsen. Die Fasern schmiegen sich der Muskelplatte an und 
verlaufen eine kurze Strecke ventralwärts derselben entlang. Die 
Fasern der zwölften und der kopfwärts davon gelegenen Seg- 
mente lassen sich bis zur ventralen Hälfte der Chorda dorsalis 
verfolgen. Bei mehreren von diesen Wurzeln, zum Beispiel bei 
der des zehnten Segments, verlaufen nicht alle Fasern gerade 
ventralwärts, sondern wenigstens eine biegt sich lateralwärts 
und stösst direct gegen die Muskelplatte, wobei das stumpfe Ende 
der Faser dorsalwärts abgelenkt wird. Dies stellt den Anfang 
des Ramus dorsalis dar. In keinem Fall war es möglich, die 
Nerven-Fortsätze zwischen den einzelnen Zellen der Muskelplatte 
hinein zu verfolgen. Im Bereich des zweiten Urwirbels, dessen 
motorischer Nerv beim erwachsenen Lachs schwach entwickelt 
ist, ist kein Nerv in diesem Stadium ausgewachsen. Auch beim 
ersten und beim vorübergehenden Urwirbel fehlen, wie beim Er- 
wachsenen, eigene ventrale Wurzeln. 

Die Commissurenzellen sind jetzt in Querschnitten sehr auf- 
fällig und zur genauen Beobachtung geeignet. In der Abbildung 
(Fig. 13 com. z) ist eine Zelle dargestellt, die aus der Gegend 
des zwölften Urwirbels stammt. Der Zellleib liegt ungefähr in 
der mittleren Horizontalebene des Meaullarstrangs und entsendet 
einen kräftigen Fortsatz in ventraler Richtung. Der Fortsatz 
verläuft in einer geringen Entfernung von der äusseren Grenz- 
membran und biegt sich, der Membran entsprechend, in die 
Bodenplatte um; wo er nach einem kurzen queren Verlauf, etwas 
vor der Mittelebene in einer kleinen kolbenförmigen Verdickung 
(w. k) endigt. Dass der Fortsatz wirklich hier endigt, geht 
.daraus hervor, dass keine Spuren von der Faser in den nächsten 
Schnitten zu sehen sind. Die Faser verläuft in einem Canal, 
der in der Substanz der Stützzellen liegt; der Canal wird nicht 
ganz von der Faser ausgefüllt, was aber wohl auf Schrumpfung 
zurückzuführen ist. Ausserhalb des Canals ist die Structur der 
Stützzellen unverändert geblieben. Solche Präparate, wie das 
vorliegende, das als typisch gelten darf, deuten mit Bestimmtheit 
darauf hin, dass die auswachsende Nervenfaser ihren Weg durch 
die Stützzellen bohrt. Commissurenfasern sind in diesem Stadium 
sehr zahlreich und sind zum Theil weiter gewachsen als die 
eben beschriebene. Im Bereich des zehnten Urwirbels ist eine 


312 Ross Granville Harrison: 


Zelle vorhanden, deren Axon quer durch die Bodenplatte hin- 
durch verfolgt werden kann, bis es nahe zur Austrittstelle der 
motorischen Nerven der anderen Seite endigt. 

In Bezug auf die Hinterzellen ist der wesentlichste Befund, 
der dieses Stadium kennzeichnet, das Auftreten der dazugehörigen 
peripher verlaufenden Fortsätze (Fig. 17). Diese Fortsätze ent- 
springen von der lateralen Fläche des Zellleibs oder von einer 
der Strangfasern und erstrecken sich ventrolateralwärts nach der 
Haut zu. Der in der Fig. 17 abgebildete Schnitt, der aus dem 
Bereich des fünfzehnten Segments stammt, zeigt die typische 
Anordnung der Theile. Der periphere Fortsatz (h. n) ist 
weniger differenzirt als die Strangfasern (h. str) der Hinterzellen, 
indem er sehr diek und stumpf ist und noch auf dem proto- 
plasmatischen Stadium steht. Neben dem Auswuchs, der direet 
aus dem Zellleib entspringt, ist auch ein anderer vorhanden, der 
von dem Hinterstrang abzweigt, d. I. einer, der nicht direet vom 
Zellleib, sondern von einer Strangfaser seinen Ursprung nimmt. 
An einigen Stellen sind die Nerven nicht so weit entwickelt wie 
die eben beschriebenen; manchmal brechen sie nicht aus den 
Grenzen des Medullarstrangs hervor, sondern verursachen an der 
Flügelkante nur eine Hervorwölbung desselben. 

Die peripheren Nerven sind segmental angelegt. Sie ver- 
lassen das Medullarrohr dem dorsalen Ende der Myosepten 
gegenüber; sie verlaufen dann in den kleinen Rinnen zwischen 
zwei aneinander liegenden Myotomen, und richten sich gegen die 
Epidermis zu. Es hat daher manchmal bei flüchtiger Beobachtung 
den Anschein, als wenn der Nerv in dem Myotom endigte. Die 
peripheren Fasern sind nicht in den weit oralwärts gelegenen 
Segmenten vorhanden. In dem betreffenden Embryo findet sich. 
die erste in der Gegend des neunten Segments; sie verläuft dem- 
gemäss zwischen dem achten und neunten Urwirbel peripher- 
wärts!). Der am weitesten caudal gelegene gehört zum sechs- 
zehnten Segment. In allen dazwischen liegenden Segmenten sind 


1) Die Nerven der Hinterzellen liegen in ungefähr derselben Quer- 
ebene, wie die Spinalganglien und die motorischen Wurzeln. Sie sind also 
segmental. Die Myosepten verlaufen aber nicht senkrecht zur Längs- 
axe des Embryo, sondern von der Mitte dorsal und caudal. Dem- 
gemäss sind die Grenzen an der dorsalen Kante weiter caudal ge- 
lesen, als im Niveau der Chorda dorsalis. 


Ueber die Histog. d. peripheren Nervensystems bei Salmo salar. 373 


die Nerven vorhanden, mit der Ausnahme rechts vom zwölften 
und links vom zwölften und dreizehnten Segmente. In einigen 
Fällen betheiligt sich nur eine einzige Zelle an der Bildung 
eines Segmental-Nervens; in anderen sind es sicher zwei Zellen, 
aber mehr als zwei habe ich nicht beobachtet. Da im Bereich 
eines Urwirbels oft fünf oder mehr Hinterzellen vorkommen, 
so ist es klar, dass weniger als die Hälfte derselben periphere 
Fortsätze bilden. 


Stadium VII!). 


Der Medullarstrang ist durch seine ganze Länge von der 
Epidermis abgeschnürt, aber in dem frei über dem Dottersack 
aufragenden Theil des Embryo sind keine Spuren von einer Auf- 
lockerung des Ganglienstrangs vorhanden. Die ersten Zeichen 
dieser Auflockerung finden sich an der Schwanzwurzel im Gebiet des 
vierzigsten Urwirbels, wo einige Zellen sich von der glatten Ober- 
fläche des Medullarstrangs etwas abheben. Beim neununddreissigsten 
Segment sind Zellen vorhanden, die sich schon losgelöst haben, 
und beim fünfunddreissigsten haben einzelne Zellen sich zwischen 
Rückenmarksanlage und Muskelplatte hineingedrängt. An- 
deutungen von der Gruppirung der Zellen in Ganglien lassen 
sich erst im Bereich des sechsundzwanzigsten Urwirbels auf- 
finden. Kopfwärts von dieser Stelle sind deutliche Ganglienan- 
lagen in jedem Segment vorhanden. Die Zellen der Ganglien 
sind noch undifferenzirt. Die Erkennung ihrer Form wird da- 
durch erschwert, dass sie zusammengedrückt liegen, doch ist es 
sicher, nach Untersuchung mit Hülfe der stärksten Vergrösserungen, 
dass keine Nervenfortsätze mit diesen Zellen in Verbindung stehen, 
obgleich die motorischen Fasern längst differenzirt sind. 

Die Wucherung des Mesenchyms, hauptsächlich von den 
Sklerotomen her, hat beträchtlich zugenommen. Dies erschwert 
in hohem Grade die genaue Verfolgung der einzelnen Zellen des 
Medullarstrangs. Die Auflockerung der Sklerotome hat mit dem 
Zusammenziehen der Ganglienzellen gleichen Schritt gehalten. 


1) Dreiundvierzig Urwirbel sind vorhanden. Der Schwanz ragt 
frei über den Dottersack. Der unpaare Flossensaum hat sich in seiner 
ganzen Ausdehnung entwickelt, und eine Verdickung des Somatopleura 
deutet die Brustflosse an. Der Vornierentrichter ist noch offen. Dieses 
Stadium entspricht ungefähr Stadium XII von Kopsch. 


374 Ross Granville Harrison: 


Die ersten (vom Schwanz gerechnet) Mesenchymzellen, die sich 
zwischen Chorda dorsalis und Muskelplatte hineingedrängt haben, 
sind im Bereich des sechsundzwanzigsten Urwirbels, wo die 
am weitesten caudal gelegene Ganglienanlage sich findet. Ein 
Segment weiter nach dem Kopf zu reichen die Mesenchym- 
zellen bis an die ventrale Grenze des Medullarstrangs heran, wo 
sie sich dicht an die motorischen Nerven anlagern. 

Der Medullarstrang zeigt abgerundete Kanten, so dass 
er jetzt im Querschnitt fast oval erscheint. Die Flügelkante 
ragt nicht mehr über die Muskelplatten hervor. Der Central- 
canal ist bis zum dreiunddreissigsten Segment offen, und An- 
deutungen von einem Canal sind bis in das Schwanzgebiet des 
Embryo zu verspüren. Eine Durchmusterung der Querschnittserie 
von dieser Gegend nach dem Kopfe zu lässt die Art und Weise 
der Entstehung des Canals ermitteln. Caudalwärts vom dreiund- 
dreissigsten Urwirbel finden sieh zahlreiche kleine ungefärbte 
Vacuolen in dem dicht neben der medialen Membran befindlichen 
Theil der Stützzellen und Keimzellen; sie sind zum grössten 
Theil, wenn nicht ausschliesslich, intra- und nicht intercellular. 
(Vergl. Fig. 12 und 13 vac., die nach jüngeren Embryonen 
abgebildet sind.) Im Bereich des dreiunddreissigsten Segments 
ist am ventralen Ende der Medianmembran ein kleines Canälchen 
vorhanden, das offenbar durch Zusammenfliessen mehrerer Vacuolen 
entstanden ist. Der ventrale Boden des Canals ist gegen die 
Zellen der Bodenplatte abgerundet, der Canal läuft aber dorsal- 
wärts in eine Spalte aus (Fig. 12 und 13 c. c). Weiter nach 
dem Kopf zu dehnt sich der Canal weiter dorsalwärts allmählich 
durch Zufluss neuer Vacuolen aus. Am dorsalen Ende der 
Medianmembran erscheint auch eine unregelmässige Spalte oder ein 
Canälchen im Bereich des siebzehnten Urwirbels (Fig. 18); weiter 
kopfwärts wird dieses deutlicher und erstreckt sich weiter ventral- 
wärts bis in die Gegend des zehnten Segments, wo es mit dem 
ventralen Canälchen zusammenfliesst, um einen einheitlichen 
Uanalis centralis zu bilden. Weiter oralwärts dehnt sich der 
Canal direct unterhalb der Deckplatte seitwärts aus (Fig. 4). 
Diese laterale Ausdehnung nimmt oralwärts bis zum vierten 
Ventrikel allmählich zu, dessen caudale Grenze in diesem Stadium 
kaum bestimmbar ist. 

Die Structur der epithelialen Stützzellen des Medullarstrangs 


Ueber die Histog. d. peripheren Nervensystems bei Salmo salar. 375 


bleibt wenig verändert (Fig. 15). Nur im Randschleier ist das 
Protoplasma etwas mehr durch die Zunahme der Nervenfasern 
durehlöchert. 

Die Neuroblasten sind jetzt in der oralen Hälfte des 
Embryo weiter differenzirt. Ihre Substanz ist sehr feinkörnig 
und das faserige Netzwerk tritt nicht mehr deutlich hervor. 
Die Auswüchse der Zellen, die Nervenfasern, sind sehr dünn 
und der Zusammenhang zwischen Faser und Zelle zeigt sich 
nicht so klar wie im vorigen Stadium, wo die Fasern dicker und 
weniger zahlreich waren. 

Motorische Wurzeln sind in jedem Segment, vom zweiten 
bis zum (einschliesslich) vierundzwanzigsten vorhanden. Die 
weit caudal gelegenen Wurzeln stehen auf ungefähr demselben 
Entwicklungsstadium wie die letzten Wurzeln im Stadium VI. 
Die weiter oral gelegenen zeigen, dass eine beträchtlich grössere 
Anzahl Vorderhornzellen sich an ihrem Aufbau betheiligt. Die 
Fortsätze der Zellen convergiren von allen Seiten nach der Aus- 
trittstelle der Nerven zu und, ausserhalb des Medullarstrangs ge- 
langt, breiten sich die Nervenfasern gegen die Muskelplatte aus, 
wobei sich einige Fasern um die ventrale Grenze der ent- 
sprechenden Spinalganglien dorsalwärts richten, und den Ramus 
dorsalis bilden. Zahlreiche Mesenchymzellen, die aus den aufge- 
lösten Sklerotomen stammen, lagern sich an die motorischen 
Nerven. Während die embryonalen Bindegewebszellen zwischen 
der Chorda dorsalis und der Muskelplatte liegen, sind sie lang 
ausgezogen und ihre Kerne ordnen sich parallel den Nerven- 
fasern. Fortsätze der Zellen erstrecken sich bis zur ventralen 
Grenze des Medullarstrangs. Ein Strang von solchen Mesenchym- 
zellen kann, wenn nur mit mittleren Vergrösserungen untersucht, 
leicht für einen Auswuchs des Medullarstrangs gehalten werden. 
Bei Untersuchung mit der Immersion lässt sich die Continuität 
der Nervenfasern und ihre Unabhängigkeit von den daneben 
liegenden Mesenchymzellen constatiren. Die Fasern von jedem 
Segmentalnerv treten als ein compactes Bündel durch ein sehr 
kleines Loch in der äussern Grenzmembran aus dem Medullar- 
strang heraus. Auswandernde Zellen sind auch in diesem Stadium 
nicht vorhanden. 

Die bedeutendsten Fortschritte in der Entwicklung zeigen 
sich in den Hinterzellen. Die peripher verlaufenden Fortsätze 


Archiv f. mikrosk. Anat. Bd. 57 95 


376 Ross Granville Harrison: 


dieser Zellen sind zu hochgradig differenzirten Nervenfasern ge- 
worden, die sehr scharf contourirt sind (Fig. 18, Ah. n). Die 
Fasern sind viel dieker und viel leichter in ihrem ganzen Ver- 
lauf zu verfolgen, als irgend welche andere Fasern des embryo- 
nalen Nervensystems. Es haften keine Bindegewebselemente an 
diesen Nerven, so dass eine Verwechslung von Mesenchymzellen 
mit dem nervenbildenden oder nervenführenden Gewebe nicht 
vorkommen kann. Die Fasern bestehen nur aus einem nackten 
Axeneylinder ohne Scheiden und es ist klar, dass sie ohne 
Betheiligung von anderen Gewebselementen ausgewachsen sind. 
Die Nerven, die noch ihre metamere Anordnung aufweisen, ver- 
lassen den Medullarstrang an einer jetzt glatt abgerundeten 
Stelle, wo früher die Flügelkante war. Sie verlaufen über die 
Urwirbelkette hinaus in den kleinen Rinnen, die zwischen an- 
srenzenden Myotomen liegen, und erreichen somit den noch von 
losen Zellen freien Raum, der sich zwischen Muskelplatte und 
Haut vorfindet. Während des ganzen Verlaufs biegen die Fasern 
sanft ventralwärts; einige lassen sich bis zum Niveau der Mitte 
der Chorda dorsalis verfolgen. Es kann keinem Zweifel unter- 
liegen, dass die Nerven für die Haut bestimmt sind, obgleich 
ihre Endigungsweise sich nicht klar zeigt. Nerven sind mit 
einigen Ausnahmen in den Segmenten vom zehnten bis zum ein- 
schliesslich fünfundzwanzigsten vorhanden. Sie fehlen schein- 
bar bei dem untersuchten Embryo in den dreizehnten, siebenzehnten, 
und zwanzigsten Metameren auf der linken Seite, und rechts 
fehlen sie in dem zwölften, fünfzehnten, achtzehnten und zwei- 
undzwanzigsten. Es fehlen also im Ganzen sieben von zwei- 
und dreissig (sechszehn Paar) Segmentalnerven. Manchmal be- 
theiligt sich nur eine einzige Zelle und manchmal zwei an dem 
Aufbau der einzelnen Nerven. Die Strangfasern, die aus den 
Hinterzellen entspringen (Fig. 18 h. str), sind länger geworden 
und zu ansehnlichen Bündeln vereinigt, die bei der Ab- 
wesenheit anderer Strangfasern in Querschnitten deutlich her- 
vortreten. 

An schrägen Längssehnitten gesehen, haben die meisten 
von den Hinterzellen sich in der Form wenig verändert. Sie 
sind nicht viel weiter von der Seitengrenze des Medullarstrangs 
abgerückt (Fig. 5). Die Kerne sind aber in fast allen Fällen 
rund. Das Verhalten der peripheren Fasern zu den Zellen zeigt 


Ueber die Histog. d. peripheren Nervensystems bei Salmo salar. 377 


sich klar. Die Zellen, die diese Fasern entsenden, sind sonst 
den andern Hinterzellen ähnlich. Der periphere Fortsatz ent- 
springt gewöhnlich als ein lateraler Zweig von einem der längs 
verlaufenden Fortsätze. In der Mehrzahl der Fälle geht der 
periphere Nerv von der absteigenden Strangfaser (Fig. 5 und 22), 
manchmal aber von der aufsteigenden (Fig. 19) ab; auch kann 
er als direeter lateral verlaufender Fortsatz des Zellleibs ent- 
springen (Fig. 18). 


Stadium VIII!) 


Die Spinalganglien der oralen Hälfte des Embryo treten 
jetzt etwas deutlicher hervor, da die dazugehörenden Zellen 
dieht zusammengedrängt sind. Jedes Ganglion besteht aus 
ea. zehn bis zwölf Zellen, die um die entsprechende motorische 
Wurzel gruppirt sind. Die einzelnen Zellen sind noch kaum 
differenzirtt. Die Kerne weisen keine von den Eigenschaften 
von Ganglienzellenkernen auf. Der Zellleib ist etwas dick aber 
keine Spuren von auswachsenden Nervenfasern sind zu finden. 

Die Kanten des Medullarstrangs sind vollständig abge- 
rundet. Die Zunahme der Strangfasern fällt auf. Im oral ge- 
legenen Theil der Rückenmarksanlage bilden diese Fasern eine 
vollständige, wenn auch noch dünne Schicht, die sich vom 
Hinterstrang bis zur Bodenplatte dieht innerhalb der äusseren 
Grenzmembran erstreckt (Fig. 6). Diese Fasern, wie auch die 
Commissurenfasern, sind sehr fein geworden, und der Verlauf der 
einzelnen ist an Sublimatpräparaten sehr schwer oder unmöglich 
zu verfolgen. 

Motorische Nerven sind in allen Segmenten, vom zweiten 
bis zum fünfunddreissigsten, entwickelt, d. h. ungefähr durch 
das ganze Rumpfgebiet. Es haben keine bemerkenswerthen Fort- 
schritte in der Entwicklung der einzelnen Nervenwurzeln statt- 
gefunden. 

Viele von den Hinterzellen sind schon beträchtlich von 


1) Die Anzahl der Urwirbel beträgt einundfünfzig. Eine deut- 
liche Brustflossenanlage, jedoch noch ohne Flossensaum, ist vorhanden. 
Der Embryonalleib bezw. Schwanz ist vom dreiunddreissigsten Segment 
an vom Dottersack abgefaltet. Der Vornierentrichter ist gegen die 
Leibeshöhle geschlossen. Das betreffende Stadium ist weiter entwickelt 
als das Stadium XII von Kopsch. 


378 Ross Granville Harrison: 


ihrer ursprünglichen Stelle weggerückt. Sie liegen noch direct 
innerhalb der Grenzmembran, sind aber näher zur dorsalen 
Mittellinie des Medullarstrangs als vorher (Fig. 6. Ah. z). Der 
Zellleib ist bedeutend in der Querebene ausgezogen, denn die in 
Verbindung mit den Zellen stehenden Strangfasern bleiben noch 
in ihrer ursprünglichen Bahn (Ah. str). An Längsschnitten ist es 
zu constatiren, dass die Strangfasern aus dem distalen Ende des 
ausgezogenen, aber noch diek gebliebenen Zellleibs hervorgehen, 
so dass die Zelle jetzt fast unipolar geworden ist (vergl. Fig. 25, 
die nach einem älteren Embryo gezeichnet ist). Andere Strangzellen. 
die kleiner sind als die Hinterzellen, zeigen ein ähnliches Ver- 
halten (Fig. 20). Es giebt auch Hinterzellen, die nur einen ein- 
zigen Fortsatz haben (Fig. 21); diese Zellen sind birnförmig, spitzen 
sich in schräger Richtung nach aussen zu, um sich in eine 
Strangfaser fortzusetzen, die entweder oralwärts oder caudalwärts 
verläuft. 

Eine grosse Anzahl von peripheren Nerven, die aus den 
Hinterzellen entspringen, ist jetzt vorhanden. In einem Embryo 
entspricht der erste Nerv dem zehnten Segment, während der letzte 
in dem Bereich des neununddreissigsten Segments, d. h. an der 
Schwanzwurzel, liegt. Dieser Theil des Embryo ist von dem 
Dottersack schon abgefaltet. Die Nerven gehen vom Medullar- 
strang nur an den Stellen ab, die den dorsalen Enden der 
Myosepten entsprechen, aber sie fehlen, wie in den früheren 
Stadien, in mehreren Segmenten. Die Fasern selbst sind noch 
sehr scharf contourirt und besitzen in ihrem ganzen Verlauf keine 
Hüllen. Sie treten oft so deutlich hervor, dass sie fast wie ein 
Fremdkörper, ein Faden, aussehen (Fig. 6 h.n); ich habe solche 
Fasern bis in die Bauchwandung hinein, jedoch nie bis in die 
Dotterhaut verfolgen können. Nach der Peripherie zu wird der 
Nerv dünner. Bisweilen theilt er sich in zwei ansehnliche Aeste; 
sonst werden scheinbar nur kleine Zweige abgegeben, die sich 
aber nicht mit genügender Sicherheit von Gerinnselfäden unter- 
scheiden lassen. 

Dann und wann giebt es grosse Nervenzellen, offenbar 
Hinterzellen, die ausserhalb des Verbandes des Medullarstrangs, 
aber in nächster Nähe der Flügelkante sich finden. In jedem 
von drei verschiedenen Embryonen aus diesem Entwicklungs- 
stadium ist eine solche Zelle vorhanden. Jede entsendet einen 


Ueber die Histog. d. peripheren Nervensystems bei Salmo salar. 379 


peripher verlaufenden Nervenfortsatz. Dieses sind wohl Zellen, 
die aus dem Rückenmark gewandert sind, aber die Spinalganglien 
nicht erreicht haben. Sie haben sich an einem atypischen Ort 
differenzirt. 


Stadium IX!). 

Die Spinalganglienzellen bleiben noch zum grössten Theil 
undifferenzirt, obgleich die Anzahl der Zellen in den einzelnen 
sanglien zugenommen hat. Nur in einigen von den am weitesten 
in der Entwicklung fortgeschrittenen Ganglien sind die Kerne 
der Zellen deutlich rund geworden und enthalten ein scharfes 
rundes Kernkörperchen. Noch sind keine Nervenfasern in Ver- 
bindung mit diesen Zellen vorhanden. 

Das typische Verhalten von Spinalganglion und motorischer 
Wurzel lässt sich an dem in Fig. 4 abgebildeten Sehnitt über- 
sehen. An der linken Seite der Figur (rechter Seite vom Embryo) 
breitet sich der motorische Nerv aus, indem sich einige Fasern 
ventral und einige dorsal (r. d) richten. Letztere wenden sich 
um einen Zellhaufen, das Spinalganglion, das doso-lateral zur 
motorischen Wurzel liegt. Der Haupttheil des Ganglions findet 
sich im nächsten weiter caudal gelegenen Schnitt. Dies deutet 
schon die Lagebeziehung des Ganglions zur Wurzel beim er- 
wachsenen Lachs an. Das Ganglion, sowie der motorische Nerv 
sind von Mesenchymzellen umgeben. Auf der rechten Seite der 
Figur ist der Zusammenhang der motorischen Nerven (v. zw) mit 
den Vorderhornzellen (m.2z) dargestellt. 

An schrägen Längsschnitten gesehen, convergiren die 
Axonen der motorischen Zellen gegen die Austrittstelle der 
Wurzel. Einige Fasern verlaufen sogar in der reinen Längs- 
richtung, ehe sie über die Grenze des Medullarrohrs treten. Die 
motorischen Fasern lassen sich in Querschnitten, an günstig ge- 
troffenen Stellen, fast bis zur ventralen Grenze der Musckelplatten 
verfolgen. Sie sind jedoch sehr dünn, und ihre wachsenden Enden 
sind nicht mehr mit Sicherheit nachzuweisen. 

Die Stützzellen, die sich beträchtlich vermehrt haben, sind 


1) Dreiundsechzig Urwirbel sind vorhanden. Die Brustflosse be- 
sitzt einen deutlichen Flossensaum. Die Anlage der Sinnesorgane der 
Seitenlinie erstreckt sich bis zur caudalen Grenze des sechsten Ur- 
wirbels. 


380 Ross Granville Harrison: 


jetzt faserartig mit einer mittleren vom Kern verursachten An- 
schwellung. Die Zellsubstanz ist so stark zusammengedrückt, 
dass wenig mehr von ihrem Fadennetz und den Körnehen zu sehen 
ist. Die Zellen haben die Form der ausgebildeten Ependym- 
zellen. Die Fasern erstrecken zich radiär durch die weisse 
Substanz bis zur äusseren Grenzmembran und theilen dureh ihre 
Verästelungen die längs verlaufenden Nervenfasern in Bündel. 
Diese Strangfasern sind zahlreich und bilden eine bestimmte 
Schieht (r. s.) im Medullarstrang. 

Die Hinterzellen sind durchschnittlich näher zur dorsalen 
Mittellinie des Medullarrohrs gerückt als im vorigen Stadium. 
Einige wenige Zellen, im ganzen Embryo drei, liegen sogar in 
der Mittelebene. Die Hinterstränge bleiben noch in ihrer ur- 
sprünglichen Lage, im lateralen Theil des Medullarrohrs. Die 
Hinterzellen spitzen sich peripherwärts nach diesem Hinterstrang 
zu und die Fortsätze der einzelnen Zellen theilen..sich, um in die 
Strangfasern umzubiegen. Bei den meisten Hinterzellen ist auch 
etwas Zellprotoplasma an der medialen Seite des Kerns angehäuft. 
Die Lage der Hinterzellen, sowie ihre Gestalt, weisen viele 
individuelle Unterschiede auf. Einige sind sogar ganz an der 
Seite des Rückenmarks geblieben, so dass bisweilen an einem 
Querschnitt zwei Hinterzellen nebeneinander auf derselben Körper- 
seite liegen. Ausser diesen individuellen Verschiedenheiten ist 
es klar, dass andere vorhanden sind, die von der Form des 
Medullarrohrs abhängen. Dort wo die dünne breite Deckplatte 
besteht, in diesem Stadium vom Kopf bis zum zwölften Urwirbel, 
sind die Zellen nicht so weit aufgerückt wie weiter caudal, wo 
der Central-Canal eng und die Deckplatte verhältnissmässig dick ist. 
Eine Zählung der Zellen in elf aufeinander folgenden Segmenten 
(fünften bis fünfzehnten) zeigt eine Durchschnittszahl per Segment 
von vier Zellen auf jeder Seite. Die Zahl variirt in den ein- 
zelnen Segmenten von vier bis acht. 

Bezüglich der Ausbildung der von den Hinterzellen ent- 
springenden Nerven ist nichts wichtiges zu berichten. Der am 
weitesten oral gelegene entspricht dem motorischen Nerv des 
siebten Urwirbels; von hier aber bis zum fünfzehnten Segment 
fehlen eine Anzahl Nerven. Caudalwärts vom fünfzehnten treten 
sie regelmässiger auf. Ihr peripherer Verlauf ist jetzt kaum so 
leicht zu verfolgen, da die Fasern sich etwas mehr zu schlängeln 


Ueber die Histog. d. peripheren Nervensystems bei Salmo salar. 381 


scheinen. Es ist von Wichtigkeit zu merken, dass diese Nerven 
noch die einzigen sensiblen peripheren Nerven sind, die im Rumpf 
des Embryo entwickelt sind. 


Stadium X!). 


Die Spinalganglien sind noch ohne Faserverbindung mit 
dem Rückenmark, obgleich die Ganglienzellen zum Theil spindel- 
förmig geworden sind, und deutlicher hervortreten als vorher, 
Die Form der einzelnen Zellen ist aber nur in den günstigsten 
Fällen zu bestimmen, da die Elemente stark aneinander ge- 
drängt sind. 

Dieses Stadium zeichnet sich durch das Auftreten von 
Zellen im Rückenmark aus, die in nächster Nähe zur Austritts- 
stelle der motorischen Nerven liegen. Diese Zellen sind ausser- 
halb der anderen Neuroblasten der Mantelschicht in der weissen 
Substanz eingebettet. Am Austritt von drei verschiedenen 
motorischen Wurzeln, der fünften bis siebenten, sind solche Zellen 
vorhanden, und zwar entweder eine oder zwei Zellen im Bereich 
von jedem Nerv. Ausser diesen giebt es keine anderen Zellen 
im Medullarstrang, die von der weissen Substanz umgeben sind. 
Die betreffenden Zellen sind rund oder oval mit wenig Proto- 
plasma und ohne nachweisbare Fortsätze. Sie haben den Habitus 
von undifferenzirten Neuroblasten. 


Stadium XI). 


Dieses Stadium kennzeichnet sich durch das Auftreten der 
sensiblen Wurzeln und Spinalnerven. Einzelne von den Ganglien- 
zellen sind spindelförmig; der dorsal gerichtete Fortsatz dieser 
Zellen spitzt sich in eine Faser zu, die die äussere Grenzmembran 
des Medullarrohrs durchbrieht. Die Eintrittstelle des Nervs findet 
sich kaum dorsal von der dorsalen Grenze des Ganglions; sie ist 
ungefähr in der mittleren Horizontalebene des Medullarrohrs. 


1) Die Brustflossenanlage ragt bis zur halben Höhe der Urwirbel 
empor. Die Breite der Anlage an der Basis gleicht ihrer Höhe. Die 
Anlage der Sinnesorgane der Seitenlinie reicht bis an die caudale 
Grenze des zehnten Segments. 

2) Die Brustfiossenanlage reicht bis zum Niveau der dorsalen 
Urwirbelkante; doch hat keine Sonderung der verschiedenen Gebilde 
oder Gewebsdifferenzirung stattgefunden. Die Anlage der Seitenlinien- 
organe ist bis zur caudalen Hälfte des dreizehnten Segments gewachsen. 


382 Ross Granville Harrison: 


Innerhalb der Membran verlieren sich die Wurzelfasern im 
Hinterstrang (vergl. Fig. 14, die nach einem älteren Embryo 
gezeichnet ist). Die Achse der Spinalganglienzellen ist nicht 
senkrecht zur Längsachse des Embryo, sondern verläuft dorsal und 
etwas caudal, sodass das ganze Verhalten der Zelle zur Faser 
besser an Schnitten zu sehen ist, die zur Querebene etwas geneigt sind. 
Die einzelnen Ganglienzellen liegen dieht zusammen, und das 
Ganze ist von Mesenchymzellen umgeben. Dies erschwert die 
genaue Ermittelung der Verhältnisse. Zwei Punkte in Betreff 
der sensiblen Wurzeln sind hervorzuheben. Sie treten in das 
Medullarrohr an eier Stelle, die von dem Ursprungsherde der 
Zellen weit entfernt ist; und sie bilden sich erst dann aus, nach- 
dem die motorischen Wurzeln und die Hinternerven längst vor- 
handen sind. 

Die motorischen Wurzeln sind kräftig entwickelt. Was 
aber besonders auffällt, ist die Regelmässigkeit des Auftretens 
der Zellen, die an der Austrittstelle dieser Nerven liegen. Oft 
giebt es Zellen, die theils innerhalb, theils ausserhalb der äusseren 
Grenzmembran des Medullarrohrs liegen, und da das Loch in 
der Membran sehr klein ist, so sind die Kerne soleher Zellen 
oft ganz verunstaltet, um hindurch zu kommen. Auch sind hier und 
da Zellen zu finden, die ganz ausserhalb des Medullarrohrs liegen, 
vollständig von den motorischen Wurzelfasern umgeben. Es 
kann keinem Zweifel unterliegen, dass es sich hier um Zellen 
handelt, die aus dem Üentralnervensystem herauswandern. Sie 
sind wahrscheinlich als motorische Elemente des Sympathieus 
zu deuten. 

Die Lage der Hinterzellen im Medullarrohr ist moch wie 
vorher verschieden; es finden sich demgemäss recht verschieden 
gestaltete Zellen, die auch oft neben einander liegen. Diejenigen, 
die noch nahe zur lateralen Fläche des Medullarrohrs gelegen 
sind, sind kaum, was ihre äussere Form betrifft, weiter ausge- 
bildet als einige der Zellen bei einem Embryo im Stadium V. 
Das Zellprotoplasma und die Nervenfortsätze sind jedoch viel 
weiter differenzirt. Der Zellleib von solchen Zellen erscheint 
in schrägen Längsschnitten etwas in die Querebene ausgezogen, 
aber noch plump (Fig. 25 bei a). Die beiden Ausläufer ent- 
springen vom lateralen Theil des Zellleibs und schlagen un- 
mittelbar die Hauptrichtung ihres Verlaufs ein. In anderen 


Ueber die Histog. d. peripheren Nervensystems bei Salmo salar. 385 


Worten, der Zellleib ist nach der Medianebene zu gewachsen, aber 
als Ganzes nieht von der Stelle gerückt. Der Kern nimmt eine 
exeentrische Stellung nahe zur medialen Zellwand ein; medial- 
wärts davon findet sich eine abgerundete Ausbuchtung des Zell- 
protoplasmas. Eine andere daneben liegende Zelle (Figur 25 b), 
die aus der Gegend des neunzehnten Segments stammt, ist etwas 
weiter fortgeschritten. Der Zellleib ist stärker ausgezogen und 
ist innerhalb der Abgangsstelle der Fasern etwas eingeschnürt. 
Die Fortsätze entspringen von der lateralen Spitze der Zelle und 
wenden sich zunächst lateralwärts, um gleich in die Längsbahn 
einzubiegen. Eine dritte Zelle, die aus dem Gebiet der vier- 
zehnten Myotom stammt, weist eine weitere Formumwandlung 
auf (Figur 26). Der Längsdurchmesser dieser Zelle (entsprechend 
dem Querdurchmesser des Embryonalkörpers) ist fast doppelt so 
lang wie der der zuerst beschriebenen Zelle. Der Zellleib ist 
also mächtig ausgezogen, und reicht nicht weiter als halbwegs nach 
der Mittelebene zu; peripherwärts ist er deutlich eingeschnürt. 
Am lateralen Ende des dünnen Theils entspringen die zwei 
Strangfasern. Es ist, als wenn ein dicker Seitenausläufer sich 
in zwei Längsausläufer T-förmig theilt. Der Anfang der 
Fasern ist diek und protoplasmatisch geblieben; erst etwas 
von der Theilungsstelle entfernt werden sie dünn und nehmen 
die Charakteristik einer Nervenfaser an. 

Die feinere Structur des Zellprotoplasmas hat seit dem 
vorhin beschriebenen Stadium eine Umbildung erfahren. Der 
Haupttheil davon ist jetzt feinkörnig, das Fadennetzwerk ist 
undeutlich geworden. Dagegen sind gröbere chromophile Körper 
(Fig. 25 und 26 chr) aufgetreten, die hauptsächlich in bestimmten 
Theilen des Zellleibs eingelagert sind. Der Hof um den Kern 
ist meistens homogen und frei davon; der mediale Theil des 
Zellleibs enthält eine Menge solcher Körper, und auch im lateralen 
Theil der Zelle findet sich eine Ansammlung dunkel gefärbten 
Materials, das den Ursprung einer von den Fasern durehquert 
(Fig. 25). Einzelne Körner finden sich im protoplasmatischen 
Theil der Fasern selber. In den Zellen, die weiter differenzirt 
sind (Fig. 26), scheinen die ehromophilen Körper in den Zellleib 
gezogen zu sein; die Ausläufer sind dann frei davon. 

Die peripheren Nerven der Hinterzellen lassen sich auch 
in diesem Stadium constatiren, obgleich die Verhältnisse nicht 


3854 Ross Granville Harrison: 


mehr so klar zu Tage treten wie zuvor. Man findet sie zwar, 
wenn auch in scheinhar verminderter Zahl, an derselben Stelle, 
d. h, zwischen Myotom und Epidermis; doch ist die Verbindung 
zwischen Faser und Zelle nicht mehr klar, was sich dadurch 
erklären lässt, dass das Mesenchymgewebe, besonders als Rücken- 
markshüllen, sehr stark zugenommen hat. 


Aeltere Stadien!). 


Bei Embryonen von vier- bis achtundvierzig Tagen sind 
ungefähr alle Hinterzellen an ihrer definitiven Lage angelangt. 
Auch in der Gegend der Brustflosse, wo die Deckplatte jetzt 
verdickt ist, sind die Zellen bis an die dorsale Mittellinie des 
Medullarrohrs herangerückt. Einzelne Zellen bleiben aher hier 
und da an der Seite des Marks zurück, wo man einige auch in 
allen älteren Embryonen findet. Besonders in der Schwanzregion 
kommen solche Zellen vor. Die Anordnung der ausgebildeten 
Hinterzellen lässt sich in einer Frontalschnittserie eines Embryo 
von zweiundfünfzig Tagen übersehen?). Viele von den Zellen 
liegen in der Mittelebene des Marks, während andere sich 
lateralwärts hiervon befinden. Bisweilen finden sich drei neben- 
einander in einer Querebene. Trotz dieser Unregelmässigkeiten 
bilden die Zellen im allgemeinen eine doppelte Längsreihe. Die 
Anzahl Hinterzellen beträgt durchschnittlich etwas über sieben 
per Metamer auf beiden Seiten zusammen. Sie sind nicht 
gleichmässig vertheilt; vom vierten bis zum (einsehliesslich‘ achten 
Segment ist die Durchsehnittszahl nicht ganz fünf, während sie 
vom neunten bis sechszehnten (inel.) neun ist; letztere sind aber 
nicht gleich auf beide Körperseiten vertheilt; rechts sind nämlich 
fünf im Durchschnitt, und links nur vier. Diese Zahlen variiren 
beträchtlich bei verschiedenen Embryonen. Oralwärts vom vierten 
Myotom sind in keinen älteren Embryonen Hinterzellen vor- 
handen. Der Oeeipitalknorpel erstreckt sich bis zum Anfang 
des dritten bleibenden Myotom; zwischen dem dritten und vierten 
liegt der kleine sogenannte Oeceipitalwirbelbogen. Dremgemäss 


1) Die Beschreibung dieser Stadien betrifft nur die Hinterzellen; 
es scheint daher unzweckmässig, sie zu nummeriren. 

2) Die unpaaren Flossen treten als besondere Verdickungen des 
Flossensaumes hervor. Muskelknospen wachsen in die Anlagen der 
Rücken und Afterflossen. Die Länge des Embryo beträgt 11 mm. 


Ueber die Histog. d. peripheren Nervensystems bei Salmo salar. 385 


giebt es keine Rohon’sche Hinterzellen in dem Theil des 
Centralnervensystems, der zum Kopf gehört. 

An ihrer endgültigen Lage angelangt, erscheinen die Hinter- 
zellen jetzt in ihrer fertigen Form. Der Zellleib ist rund oder 
birnförmig, und enthält einen excentrisch gelegenen runden Kern 
(Figur 28). Die Zellen sind von einer auffallenden Grösse; der 
Durchmesser beträgt ea. 25 u, und der des Kerns 12 u. Von 
einer Seite des Zellleibs erstreckt sich ein kräftiger protoplasma- 
tischer Fortsatz, der die jetzt lang ausgezogene Verbindung 
zwischen Zellleib und Strangfasern darstellt. Dieser Fortsatz 
verläuft manchmal gerade in der Querebene, oder manchmal 
schräg oder geschlängelt. Er lässt sich an reinen Frontalschnitten 
bis zu einer Entfernung verfolgen, die den Durchmesser des 
Zellleibs um die Hälfte übertrifft; da die Faser sich allmählich 
ventralwärts biegt, um die Hinterstränge zu erreichen (Figur 32), 
so ist es unmöglich, den ganzen Verlauf an solehen Schnitten 
zu verfolgen. Auch an schrägen Längsschnitten ist es schwierig, 
denn in der Mehrzahl der Fälle macht die Faser einen der 
Oberfläche des Rückenmarks entsprechenden Bogen. Dies zeigt 
sich leicht an Querschnitten (Fig. 32). Einige Fortsätze ver- 
laufen aber nicht im Arcus der Gewölbe, sondern schneiden 
gerade durch, und sind an allen Seiten von Stützzellen umgeben. 
Eine solche Zelle, die aus der Schwanzgegend eines Embryo von 
vierundfünfzig Tagen stammt, wird in Fig. 27 abgebildet. Diese 
Zelle ist fast bis an die Mittelebene des Körpers gerückt, und 
die Theilung des Querfortsatzes in eine auf- und ein absteigende 
Strangfaser lässt sich deutlich constatiren. Während die 
grosse Mehrheit der Hinterzellen unipolar ist, so finden sich 
hier nnd da einzelne Zellen, die neben dem Querausläufer auch 
einen direeten Längsausläufer abgeben. Es giebt eine Anzahl 
Zellen, die einen zweiten Querausläufer entsenden, der sich nach 
der entgegengesetzten Körperseite begiebt; derartige Zellen sind 
am häufigsten in der Schwanzgegend vorhanden; sie liegen etwas 
von der Mittelebene des Körpers entfernt, und der Fortsatz ver- 
läuft dorsal-medialwärts, um die andere Seite des Marks zu 
erreichen. Sie sind wohl die im Stadium V beschriebenen Zellen 
(Fig. 31) in ausgebildeter Form. Dendritische Ausläufer sind 
nieht mit den von mir angewandten Methoden nachzuweisen. Der 
Körper der Zellen scheint im Gegentheil glatt und abgerundet. 


336 Ross Granville Harrison: 


Was die feinere Strucetur der Hinterzellen anbelangt, so ist sie 
wenig mehr verändert. Der Kern ist von einem hellen Hof 
umgeben, der aus feinkörnigem Protoplasma besteht. Die 
chromophilen Körper bleiben an der Peripherie der Zelle und 
bilden manchmal eine förmliche Hülle; in anderen Fällen liegen 
sie hauptsächlich in grösseren Haufen, die bestimmte Aus- 
buchtungen des Zellleibs einnehmen (Fig. 27 und 28). 

Die aus den Hinterzellen entspringenden peripheren Nerven 
entgehen in diesen späteren Stadien der Beobachtung ; wenigstens 
vpach Fixirung in Sublimat-Essigsäure oder Chromo-osmo-Essig- 
säure kommen sie nicht zum Vorschein. Da sie mittelst Golgi’scher 
Imprägnirung von Van Gehuchten (96) an älteren Embryonen 
nachgewiesen worden sind, nehme ich an, dass ihr scheinbares 
Fehlen an meinem Material auf die Methoden zurückzuführen ist. 
Die Zunahme des Mesenchymgewebes und das Auftreten von 
Bindegewebsfasern liefern eine genügende Erklärung dafür. 

Bei einer jungen Larve von ca. 5 Monaten, bei welcher 
der Dottervorrath fast aufgebraucht war, befinden sich die Hinter- 
zellen fast ausnahmslos in einem Zustande der Degeneration. 
Das Zellprotoplasma ist jetzt homogen. Der Zellleib ist stark 
zusammengeschrumpft (Fig. 29 und 30). Die Zellkerne sind 
theilweise noch rund, aber in Fällen, wo die Degeneration weiter 
fortgeschritten ist, erscheint der Kern eingedrückt und unregel- 
mässig. 

Aelteres Lachsmaterial steht mir nicht zur Verfügung. Bei 
einer jungen Regenbogenforelle (S. irideus) von einer Länge 
von 2.5 em, bei welcher der Dotter schon längere Zeit auf- 
gebraucht war, sind hier und da nur Spuren von eingeschrumpften 
Zellen in der Lage zu finden, wo früher die Hinterzellen waren. 
Diese sind wohl als Reste der degenerirten Hinterzellen aufufassen. 


II. Abschnitt. 
Verlauf der Entwicklung im Einzelnen. 
1. Die Beziehungen zwischen Medullarstrang, 
Ganglienstrang und Epidermis. 
Es ist nicht die Absicht, an dieser Stelle auf die Details 
der ersten Entwicklung des Centralnervensystems einzugehen, 
denn hierüber liegen schon genaue Angaben vor. Der Ganglien- 


Ueber die Histog. d. peripheren Nervensystems bei Salmo salar. 387 


strang steht aber in solch intimen Beziehungen zu den Anlagen 
des Rückenmarks bezw. des Gehirns zur Zeit der Sonderung 
dieser Gebilde vom embryonalen Eetoderm, dass dieser Vorgang 
nicht unberücksichtigt gelassen werden kann. 

Zunächst werden die Entwieklungsvorgänge im Rumpfgebiet 
beschrieben werden. Nachdem die breite Verdickung des Eeto- 
derms, die Axenplatte (Götte), sich in einen soliden Zell- 
strang umgewandelt hat, der in die Tiefe zwischen den Mesoderm- 
streifen hineinragt, steht dieser Medullarstrang an jeder Seite 
noch mit der Grundschieht der Epidermis in continuirlicher Ver- 
bindung (Fig. 1); beide Gebilde sind von einer dünnen Deck- 
schicht (d. s) überzogen, die, wie Götte (78) nachgewiesen 
hat, sich nicht an dem Aufbau des Nervensystems betheiligt. 
Zu dieser Zeit sind keine Spuren eines selbständigen Ganglien- 
strangs zu finden, obgleich die Zellen (Fig. 1 g. str) am Ueber- 
gang zwischen Medullarstrang und dünnem Ectoderm, nach der 
weiteren Entwickelung zu schliessen, den Ganglienstrang dar- 
stellen. Die eigentliche Trennung des Medullarstrangs sammt 
Ganglienstrang!) vom übrigen Eetoderm wird nun eingeleitet, 
indem die Grundschieht allmählich von beiden Seiten nach der 
Mittelebene vorwächst. Hierdurch bildet sich an der Stelle der 
sanften Umbiegung (Fig. 1x) eine immer tiefer und schärfer 
werdende Rinne, die dann zum ersten Mal die Grenze zwischen 
Epidermis und Anlage des Nervensystems scharf bezeichnet 
(Fig. 7 «)- Eine Zeit lang ragt der Medullarstrang noch in der 
Mitte gegen die Deckschicht empor; aber schliesslich stossen die 
Zellen der Grundschicht, von beiden Seiten herkommend, in der 
Mittelebene zusammen und vollenden die Abschnürung des Medullar- 
strangs (Fig.8). Durch das Heraufrücken der Epidermisgrundschieht 
von beiden Seiten, welches gleichzeitig mit der fortgesetzten Einfal- 
tung der obersten Zellen des Medullarstrangs geschieht, werden die 
Uebergangszellen, aus denen der Ganglienstrang hervorgeht, etwas 
weiter nach der Mitte zu gezogen, sodass sie am Ende oben auf 
dem Medullarstrang liegen (Fig. 7 und 8 g. str), obgleich man 
selbst nach vollzogener Abschnüruug der Anlage noch keinen 
disereten Ganglienstrang unterscheiden kann. 


1) Da zuerst der Ganglienstrarg mit dem Medullarstrang eine 
einheitliche Anlage bildet, werde ich die gesammte Anlage einfach als 
Medullarstrang bezeichnen. 


388 Ross Granville Harrison: 


Im Kopf sind die 'Entwickelungsvorgänge insofern hier- 
von abweichend, als sehr früh eine zweite Verdiekung des Eeto- 
derms zu beiden Seiten der noch flachen Axenplatte auftritt, 
wie Götte, Hoffmann und Goronowitsch schon be- 
schrieben haben. Diese Verdickung ist die Anlage der Kopf- 
ganglien; sie ist zunächst durch eine Rinne von der Medullar- 
platte abgegrenzt!). Mit der Umwandlung der breiten Medullar- 
platte in den Gehirnstrang, der sich in die Tiefe einfaltet, rücken 
die beiden seitlichen Verdiekungen nach der Mittelebene zu, 
bis sie daselbst zusammenstossen und einen unpaaren Ganglien- 
strang bilden, der dann auf dem Medullarstrang liegt und eine 
Stellung zwischen letzterem und der Haut einnimmt (Textlig. 5). 
Der Ganglienstrang des Kopfes ist aber nicht ein continuirliches 
Ganzes; hinter der Gegend der Augenblase besteht er aus drei 
der Länge nach geordneten Zellhauten, den Anlagen des Trige- 
minus, des Acustico-Facialis und des Glossopharyngeo-Vagus?). 
Bis zu diesem Zeitpunkt sind die Ganglienanlagen bloss von der 
Deckschicht der Epidermis überzogen. Lateralwärts gehen sie 
eontinuirlich in die Grundschicht über. Später werden sie, wie 
(der Medullarstrang des Rumpfes, durch einen von der Seite her 
vorschreitenden Abschnürungsvorgang von der Grundschicht 
getrennt. 

Ueber die Trennung der Anlage des Nervensystems 
von der Haut bei Knochenfischen weichen die obigen Angaben 
mehr oder weniger von den früheren Beschreibungen ab; die 
Auffassung des Vorgangs als Abfaltung ist bisher nicht hin- 
reichend betont worden. Götte betrachtet die Trennung als 
eine Delamination, wobei die ganze oberste Zellschicht der 
Axenplatte sich in die Grundschicht der Epidermis verwandeln 


1) Götte (78, p. 157) hat diese Verdickung zuerst genau be- 
schrieben, aber wie Hoffmann (83, p.50) und Goronowitsch (85, 
p. 427) gezeigt haben, hat er ihr Schicksal nicht richtig erkannt. Götte 
hat die Verdieckung nämlich als Sinnesplatte bezeichnet und als An- 
lage der Kopfsinnesorgane gedeutet, während sie nach Hoffmann 
wirklich die Anlage der Ganglien ist. 

2) Hoffmann (83) giebt eine kurze Beschreibung der Entwick- 
lung der Ganglienanlagen des Kopfes. Goronowitsch (88) bildet eine 
Reconstruction des Gehirns und Ganglienstrangs eines Lachsembryo in 
ungefähr diesem Stadium ab. 


Ueber die Histog. d. peripheren Nervensystems bei Salmo salar. 389 


soll!), eine Ansicht, der Hoffmann beistimmt ?). Freilich 
haben schon Goronowitsch?) und besonders Henneguy*) 
darauf hingewiesen, dass die Trennung des Medullarstrangs von 
der Haut an der Seite beginnt und 
allmählich nach der Mitte zu fort- 
schreitet. Henneguy meint jedoch, 
dass die obersten Zellen des Me- 
dullarstrangs von den übrigen als 
Grundschicht der Haut getrennt 
werden’). Nach meinen Beobach- 
tungen, wie oben angegeben, ent- 
spricht dies aber nicht dem That- 
bestand. 


Textfig. 1. 
Querschnitt durch das Nervensy- 
stem eines Selachierembryos vor 

Für die Vergleichung der Be- gem Schluss des Medullarrohrs. 
funde bei den Teleostiern mit e.p. = Epidermis; g.str. = Gang- 


denen bei den Selachiern und den lienstrang ; m.s. — Medullarrohr. 


meisten übrigen Wirbelthieren ist  <hematisirt nach Beard. 


1) Hierüber schreibt Götte (78, p. 148): „Der Vergleich von Quer- 
durehschnitten verschieden alter Keime überzeugt aber, dass die breite 
Anschwellung, welche ich die Axenplatte nenne, und welche mehrere 
Zellenlagen übereinander enthält, sich allmählich so vollständig in die 
mediane Anlage des Centralnervensystems zusammenzieht, dass jeder- 
seits unter der Deckschicht davon nur eine einfache Zellenlage als 
Grundschicht der Oberhaut zurückbleibt.“ 

2) Hoffmann (83, p. 13) sagt ausdrücklich, dass die oberste Lage 
zur Grundschicht wird, wie er es auch in seinen Abbildungen darstellt. 
Er zeichnet (z. B. in Fig. 1, Taf. III) eine regelmässige Schicht von 
cubischen Zellen, dıe die ganze Medullarplatte überzieht und lateral- 
wärts in die Grundschicht des Ecetoderms continuirlich übergeht. Die 
Zeichnungen von Hoffmann sind aber sehr schematisch gehalten und 
entsprechen dem thatsächlichen Verhalten nicht, denn die Grundschicht 
biegt, statt die Medullarplatte zu bedecken, in diesem Stadium in sie 
ein. Die obersten Zellen sind, wie Henneguy gegen Hoffmann 
zutreffend einwendet, unregelmässig gelagert. 

3) Goronowitsch (85) p. 421. 

4) Henneguy (88) p. 537. 

5) Die Worte von Henneguy lauten folgenderweise (p. 538) 
„Les lignes de separation de l’ectoderme et de l’axe nerveux s’avan- 
cent A la rencontre l’une de l’autre au dessous de la rangee super- 
ficielles des cellules ectodermiques et lorsqu’elles se sont rejoint sur 
la ligne me&diane, le systeme nerveux central est alor's separe et nette- 
ment differencie de l’eetoderme.*“ Diese Trennungslinie die Henneguy 


390 Ross Granville Harrison: 

es wichtig, den Abtrennungsvorgang als Abschnürung aufzu- 
fassen, da die Entwicklung bei allen genau untersuchten Formen 
sich auf diese Weise abspielt. Die Beziehungen zwischen 
Ganglienstrang und Medullarrohr treten bei manchen anderen 
Wirbelthieren viel klarer hervor als bei den Teleostiern. Bei 
Selachiern, dem Hühnchen u. s. w. ist der Ganglienstrang nach 
His, Beard und Anderen schon bei offener Medullarrinne ab- 
gegrenzt und bildet einen besonderen Strang an dem Uebergang 
zwischen Epidermis und der Medullarwulst!) (Textfig. 1). Er ist 
also paarig angelegt. Nach Voll- 
endung des Abfaltungsvorgangs 
stösst der Ganglienstrang der bei- 
(den Körperseiten in der Mittelebene 
zusammen und bildet einen langen 
keilförmigen unpaaren Zellstrang, 
der dorsal das Medullarrohr schliesst 
(Textfie. 2). Im Rumpfgebiet des 
Embryo ist die Abgrenzung des 


Textag.i2: 
Querschnitt durch das Nervensy- 
stein eines Selachierembryo nach Ganglienstrangs gegen das eigent- 
dem Schluss des Medullarrohrs. liehe Medullarrohr nieht immer 


3ezeichnungen wie in Figur 1. 


5‘ leicht zu unterscheiden, aber im 
Schematisirt nach Beard. 


Kopf, wo der Ganglienstrang 
kräftiger entwickelt ist, tritt sie schon sehr früh und deutlich 
hervor. 

Diese Entwicklungsvorgänge sind beim Teleostierembryo 
dadurch beeinflusst, dass der Ganglienstrang nur schwach ent- 
wickelt ist und dass das Üentralnervensystem solide angelegt 
wird. Die Medullarrinne verstreicht hier sehr früh, und damit 
berühren sich in der Mittelebene die Medullarwülste der beiden 
Seiten, wie auch die paarigen Anlagen der Ganglien, die noch 
keine Abgrenzung gegen die Rückenmarksanlage aufweisen 


in seiner Fig. 95 abbildet, ist, wie ich hervorheben möchte, die Grenze 
zwischen der Gehirnanlage und den Acusticusganglien und nicht die 
zwischen Haut und Nervensystem. Letztere Trennung wird später 
eingeleitet und ist von Henneguy nicht näher beschrieben worden. 

1) Es liegt keine Veranlassung vor, an dieser Stelle auf die Einzel- 
heiten dieser einst verwickelten Streitfrage einzugehen. Hierfür mag 
auf die Arbeiten von His (68 und 19), Balfour (75), Marshall (77), 
3eard (89) und v. Lenhossck (91) verwiesen werden. Letztigenannte 
Arbeit enthält eine vortreffliche historische Uebersicht. 


Ueber die Histog. d. peripheren Nervensystems bei Salmo salar. 391 


(Textfig. 3). Der Centralcanal entsteht dann erst secundär, 
wird aber zunächst durch eine verticale Membran vertreten, die 
im Querschnitt zackig erscheint und in der Mittelebene des 
Embryonalkörpers verläuft. Die Deckschicht des Eetoderms 


Schematischer Querschnitt durch das Nervensystem des Rumpfes eines 
Teleostierembryo vor vollendeter Abfaltung des Medullarstrangs. d.s.— 
Deekschieht der Epidermis; gr. s.—Grundschicht der Epidermis; g.str. — 
Ganglienstrang; h.z. = Hinterzelle; m.s. = Medullarstrang. 
überzieht den Ganglienstrang. Trotzdem der Ganglienstrang 
recht platt auf einem verhältnissmässig breiten Medullarstrang 
gedrückt liegt, ist es ersichtlich, dass die Lagebeziehungen der 
drei eetodermalen Gebilde, Grundschicht der Haut, Ganglien- 
strang und Medullarstrang, zu einander dieselben sind wie bei 
dem Selachierembryo. Dasselbe gilt auch für das spätere Stadium, 
wo die Abfaltung des Medullarstrangs sammt Ganglienstrang 
von der Haut vollendet ist (Textfig. 4). Im Rumpftheil des 
Lachsembroys ist der Ganglienstrang zu dieser Zeit noch nicht 
vom Medullarstrang abgegrenzt, und hierdurch unterscheidet sich 


Textfig. 4. 

Schematischer Querschnitt durch das Nervensystem des Rumpfes 
eines Teleostierembryo nach der Abfaltung von der Haut. Bezeich- 
nungen wie in Fig. 3. 
der Knochenfischembryo von den Selachiern und gewissen anderen 
Wirbelthieren. Medullarstrang und Ganglienstrang bilden zu- 
sammen eine compaete, scharf abgegrenzte Zellmasse, obschun die 
obersten Zellen (Ganglienstrang) sich durch eine weniger regel- 

Archiv f. mikrosk. Anat. Bd, 57 26 


392 Ross Granville Harrison: 


mässige Anordnung auszeichnen. Die Unscheinbarkeit des 
Ganglienstrangs beruht, wie oben bemerkt, auf der geringen 
Anzahl der darin enthaltenen Zellen 
denn im Kopf, wo die Ganglien- 
anlagen stark entwickelt sind, sind 
"sie als gesonderte Zellhaufen sehr 
viel früher zu unterscheiden (Text- 
figur 5). Es ist wohl prineipiell 
nicht von Belang, ob der Ganglien- 
strang früh, d.h. vor dem Schluss 
des Medullarrohrs, von letzterem 
abgegrenzt erscheint, oder ob dies 
erst später geschieht, denn die 
beiden Gebilde liegen dicht neben 
einander und in den günstigsten 
Fällen sind sie, wenigstens im 


Textfig. 5. 
Schematischer Querschnitt durch 
das Nervensystem des Kopfes 
eines Teleostierembryo vor voll- 
endeter Abfaltung des Medullar- Rumpf, nur undeutlich getrennt. 


strangs. s.pl.— Sinnesplatte. An- Interessant in dieser Bezieh- 


dere Bezeichnungen wie in Fig. 3. ung ist der Umstand, dass bei 


Amphioxus die Nervenzellen, welche die peripheren sensiblen 
Nerven entsenden, fortdauernd im Verband des Centralnerven- 
systems bleiben, und auch, dass bei allen Ichthyopsiden, wenig- 
stens während des larvalen Lebens, einige solche Elemente, die 
Hinterzellen, eine ähnliche lage einnehmen !). Diese That- 
sachen sprechen, meiner Meinung nach, gegen die Anschauung 
von Beard (89), der den Ganglienstrang als ein primitiv ge- 
trenntes Gebilde auffasst. 


2. Die Bildung und Differenzirung der Spinal 
ganglien und der sensiblen Wurzeln. 

Kurz nachdem die Abfaltung der Anlage des Nervensystems 
vollendet ist, fängt die Sonderung des Ganglienstrangs von dem 
eigentlichen Medullarstrang an. Einzelne Zellen der obersten 
Schieht heben sich von der Oberfläche des Medullarstrangs und 
gleichzeitig entstehen aus diesen Zellen lange protoplasmatische 
Ausläufer, die sich peripherwärts bis an die Urwirbel oder an 
die Haut erstrecken (Fig. 9g.str). Darauf rutschen die losen 


1) Siehe p. 429, 2. Absatz. 


Ueber die Histog. d. peripheren Nervensystems bei Salmo salar. 393 


Zellen seitwärts und ventralwärts über die gewölbte dorsale 
Fläche der Rückenmarksanlage bis in den kleinen freien Raum 
hinein, der von Myotom, Rückenmark und äusserer Haut begrenzt 
wird (Fig. 2 und 10). Häufig bleiben die ausgewanderten Einzel- 
zellen, die künftigen Ganglienzellen, noch längere Zeit durch 
Protoplasmaausläufer mit dem Centralnervensystem in Verbin- 
dung). 

Die Auswanderung der Zellen aus dem Medullarstrang 
findet, allmählich von der Kopfregion nach dem Schwanz zu 
fortschreitend, überall statt. Die Zellen bleiben zunächst ver- 
vereinzelt. Eine genaue Bestimmung der Lage der auswandernden 
Zellen, die durch die Durchmusterung langer Schnittserien ge- 
wonnen war, zeigt, dass keine metamere Anordnung der Elemente 
vorliegt. Die Zellen verlassen den Ganglienstrang nicht alle auf 
einmal, sondern sie folgen auf einander nach und nach, bis 
schliesslich ungefähr vierzig Zellen auf jeder Körperseite im 
Gebiet eines Myotoms ausgewandert sind ?). 

Während die Zellen sich loslösen, drängen sich auch einige 
davon zwischen Rückenmarksanlage und den daneben liegenden 
Urwirbel, und nehmen eine Stellung lateral von dem ventralen 
Theile des Medullarstrangs ein, die ungefähr der definitiven Lage 
des Ganglion entspricht (Fig. 3 sp.g). Die Zellen gleiten nicht nur 
in die Spalten, die zwischen zwei aufeinanderfolgenden Myotomen 
sich befinden, sondern sie drängen sich auch zwischen Muskel- 
platte und Medullarstrang, wo diese Gebilde sich eng berühren. 
Es ist nicht anders denkbar, als dass die Zellen, um dies zu 
erzielen, einen bedeutenden Widerstand überwinden müssen. 
Man sieht auch häufig, dass solche einkriechenden Zellen lang 
ausgezogen sind, als wenn sie sich hineinquetschten (vergl. 
ie. 12.9.2). 


1) Hensen (76) hat bekanntlich solche protoplasmatische Ver- 
bindungen zwischen den ausgewanderten Ganglienzellen und dem 
Mark beobachtet und hat ihnen eine hohe Bedeutung für die Ent- 
stehung der sensiblen Wurzeln zugeschrieben. Die Befunde beim Lachs- 
embryo bestätigen diese Ansicht nicht, denn die Protoplasmafäden ver- 
schwinden später, und die sensiblen Wurzeln treten ganz unabhängig 
von ihnen auf (vgl. p. 399). 

2) Die Anzahl von Zellen variirt beträchtlich von Segment zu 
Segment. Manchmal sind über fünfzig vorhanden. 


394 Ross Granville Harrison: 


Nachdem die Zellen zwischen Myotom und Rückenmark 
angelangt sind, gruppiren sie sich in kleine Haufen zusammen, 
die, den Urwirbeln entsprechend, metamer geordnet sind. Diese 
Anhäufung der Zellen vollzieht sich recht langsam und An- 
deutungen von Zellengruppen sind eine Zeit lang vorhanden, 
ehe man eigentlich von Ganglien reden kann. Aus diesen Be- 
funden ist es ersichtlich, dass die Gliederung der Spinalganglien 
nicht von vornherein in der Anlage vorhanden ist, sondern dass 
sie erst sekundär und allmählich entsteht, wahrscheinlich durch 
die metamere Anordnung des daneben liegenden Muskelsystems 
bedingt. Dies scheint für alle diejenigen Formen zu gelten, bei 
denen der Ganglienstrang verhältnissmässig schwach entwickelt 
ist, wie bei den Teleostiern und Amphibien!). In anderen 
Fällen ist die Metamerie sehr früh angedeutet, zum Beispiel nach 
v. Lenhossek beim Menschen ?). Bei Selachiern, wo der 
Ganglienstrang sehr stark entwickelt ist, ist nach Beard von 
Anfang an eine metamere Anordnung vorhanden ?). 

Es ist am Lachsembryo nachzuweisen, dass ungefähr zehn 
bis zwölf von den vierzig Zellen, die auf jeder Körperseite im 
Gebiet eines Metamers losgelöst werden, sich auf die oben be- 
schriebene Weise in der Anlage des Gangliens anhäufen. Nach- 
dem diese Zellen zusammengetreten sind, wird ihre Anzahl eine 
Zeit lang kaum grösser, obgleich eine beträchtliche Zunahme 
stattfindet, wenn diese Zellen sich differenziren. Wie dies 
geschieht, ob durch das allmähliche Anschliessen der übrigen, 
aus dem Ganglienstrang herstammenden Zellen, oder ob aus- 
schliesslieh durch Vermehrung der ursprünglichen zehn bis zwölf 
Zellen, ist deshalb nicht genau zu bestimmen, weil das Auftreten 
des Mesenchymgewebes die sichere Verfolgung vereinzelter Gang- 
lienzellen nicht gestattet. 

Während die Zellen des Ganglienstrangs sich in die kleinen 
Ganglienhaufen zusammenziehen, wachsen in nächster Nähe die 
motorischen Nerven hervor. Die noch undifferenzirten Gang- 
lienzellen gruppiren sich dann dorso-lateral von der ventralen 
Wurzel (Fig. 4). Zunächst liegen die Zellen des Ganglions so- 
wohl oral als caudal von dem entsprechenden motorischen Nerv; 


1) Vergl. v. Lenhossek (91) p. 21 und Platt (96) p. 512. 
2) von Lenhossek (9) p. 14. 
3) Beard (89) p. 169. 


Ueber die Histog. d. peripheren Nervensystems bei Salmo salar. 395 


später rücken sie allmählich caudalwärts, bis sie schliesslich alle 
in dieser Richtung von dem motorischen Nerven liegen, wie bei 
dem erwachsenen Lachs. 

Während nun die Spinalganglien durch das allmähliche 
Zusammentreten von Zellen, die einzeln aus dem Medullarstrang 
auswandern, gebildet werden, finden die ersten Entwicklungs- 
vorgänge an den Kopfganglienanlagen etwas anders statt. Wie 
schon oben angegeben wurde, ist der Ganglienstrang des Kopfes 
viel kräftiger entwickelt als der des Rumpfes und besteht schon 
sehr früh aus verschiedenen von einander getrennten Wülsten, 
die den Ganglieneomplexen des ausgewachsenen Thieres ent- 
sprechen. Vor der Abschnürung von der Epidermis sitzen diese 
Ganglienanlagen wie Hauben auf der dorsalen Oberfläche des 
Gehirns. Dann wachsen sie rasch ventro-lateralwärts zu grossen 
Lappen aus, die zunächst aus einer grossen Anzahl dicht 
sedrängter Zellen bestehen. Durch das starke Auswachsen 
kommt eine Auflockerung des Gewebes zu Stande, die schliess- 
lieh zu der vollständigen Disintegration der Anlagen führt. 
Dieser Vorgang fängt in der Trigeminusanlage an und schreitet 
caudalwärts durch die Acustico-facialis- bis zur Vagusanlage vor. 
Gleichzeitig wird das Mesodermgewebe des Kopfes auch locker, 
und wegen des Mangels an Differenzirung wird eine strenge 
Unterscheidung zwischen beiden Gewebsarten unmöglich. Erst 
beträchtlich später differenziren sich die Kopfganglienzellen und 
man kann es nur als eine Wahrscheinlichkeit bezeichnen, dass 
die Zellen dieser Ganglien wirklich aus dem Ganglienstrang 
entstammen !). 

In dem Rumpfgebiet sind die Zellen des Ganglienstrangs 
eine Zeitlang die einzigen freien, d. h. nicht in grössere Haufen 
verbundene Gewebselemente, die vorhanden sind, denn 'zu- 
nächst fehlt das interstitielle Bindegewebe gänzlich. Fast gleich- 
zeitig mit der Bildung der ersten Spinalganglien fangen die 
Zellen des Mesenchyms an aufzutreten und sich zu vermehren. 
Die kleinen Sklerotomdivertiekel (Fig. 2, skl) fangen an, Zellen 
abzustossen, die sich dann zwischen die Chorda dorsalis und die 
Muskelplatte hineinzwängen, und dorsalwärts schleichen (Fig. 3). 
Bald erreichen diese einzelnen Mesenchymzellen die ventrale 


1) Es wird bekanntlich von Goronowitsch (93) verneint, dass 
diese Verdickungen des Ganglienstrangs die Ganglien liefern. 


396 Ross Granville Harrison: 


Fläche des Medullarstrangs und die auswachsenden ventralen 
Wurzeln der Spinalnerven. An dieser Stelle stossen sie an die 
Zellen des Ganglienstrangs, die allmählich die Spinalganglien 
bilden. In dem embryonalen Zustand haben die beiden Zellarten 
ein gleiches Aussehen, so dass eine Unterscheidung nicht streng 
durchzuführen ist. Es ist ein Umstand zu Gunsten der Beobach- 
tung der Continuität in der Entwickelung der fertigen Spinal- 
ganglien aus den Zellen des Ganglienstrangs, dass wenigstens 
einige von diesen Zellenhaufen gebildet sind, ehe die Mesenchym- 
zellen an die Stelle gelangen, wo sie eine Verwechselung her- 
vorrufen könnten; denn die Entwickelung der Zellhaufen, seien 
sie noch so klein, lässt sich gut verfolgen, wo die einzelnen 
Zellen der Beobachtung entgehen würden. Ganz besonders bei 
den weit oral gelegenen Spinalganglien, die der allgemeinen 
Regel gemäss, die zuerst auftretenden sind, halten sich die ein- 
zelnen Entwieklungsvorgänge deutlich auseinander. Zum Bei- 
spiel bei einem Embryo im Stadium V ist das Mesenchym nur 
bis zum vierten Segment entwickelt, während die Anhäufungen 
der Ganglienzellen bis in das sechste Segment deutlich zu er- 
kennen sind. 

Obwohl es also durch directe Beobachtung begründet 
werden kann, dass auch bei dem Lachsembryo die Spinalganglien 
aus Zellen bestehen, die von dem Ganglienstrang hinwandern, 
so ist damit durchaus nicht gesagt, dass alle die Zellen, die 
aus dem Verband des Stranges austreten, zu Ganglienzellen 
werden. Es wurde oben betont, dass bedeutend mehr Zellen 
von dem Ganglienstrang im Bereich eines Metamers abgegeben 
werden, als die Anzahl der Zellen beträgt, welche sich in dem 
Ganglien zur Zeit der Differenzirung der Ganglienzellen vor- 
finden. Das Verhältniss ist ungefähr vier zu eins. Es ist mög- 
lich, dass die übrig gebliebenen Zellen des Medullarstrangs sich 
allmählich zu dem betreffenden Ganglion zugesellen; jedoch wäre es 
blos eine Annahme und ist keineswegs mit Bestimmtheitzu behaupten. 
Für gewisse Fälle wäre eine solche Annahme sogar unrichtig. 
Im Bereich von zwei Myotomen, dem ersten, das nur eine vor- 
übergehende Existenz hat, und dem ersten bleibenden, werden 
überhaupt keine Spinalganglienzellen ausgebildet !), und bei dem 


1) Vergleiche Harsison (95) p. 560. 


Ueber die Histog. d. peripheren Nervensystems bei Salmo salar. 397 


zweiten bleibenden Myotom werden nur wenig Zellen differenzirt. 
In der Gegend von diesen Segmenten ist aber der Ganglienstrang 
eben so kräftig entwickelt, wie an Stellen, wo die Spinalganglien 
normal ausgebildet werden. Bei scharfer Beobachtung dieser 
Zellen sind keine Zerfallserscheinungen zu bemerken. Im Gegen- 
theil ist es wahrscheinlich, dass diese Zellen des Ganglienstrangs 
sich den Mesenchymzellen, denen sie stark ähneln, anschliessen, 
eine Ansicht, die bekamntlich von Dohrn (91 a), Gorono- 
witsch (9), Platt (96), v. Kupffer (94) auf Beobachtungen 
bei verschiedenen anderen Wirbelthieren gestützt, vertreten wird. 
Von Dohrn, Goronowitsch und v. Kupffer wird es be- 
sonders betont, dass die betreffenden Zellen des Ganglienstrangs 
die Nervenscheiden liefern. 

Wie oben angegeben wurde, bleiben die Spinalganglien- 
zellen, nachdem sie an ihrer definitiven Stelle angelangt sind, 
eine beträchtliche Zeitlang ohne offenbare Differenzirung. So 
kann zum Beispiel zwischen dem Stadium V, wo die Ganglien 
zuerst gebildet werden, und dem Stadium IX an den einzelnen 
Zellen kaum eine Veränderung wahrgenommen werden. Dann 
fangen sie an, sich in ihre definitive Form umzubilden. Wie bei 
den anderen Nervenzellen wird der Zellkern rund und blass 
und enthält ein bestimmtes rundes Kernkörperchen. Etwas später 
wächst der Zellleib spindelförmig aus, der eine Fortsatz peripher- 
und der andere centralwärts. Letzterer richtet sich dorsalwärts 
und etwas medial und stösst bald gegen das Rückenmark. 
Auf halber Höhe zwischen der ventralen und der dorsalen Fläche 
desselben brechen die centripetalen Fortsätze durch die äussere 
Grenzmembran des Medullarrohrs und verlieren sich im Hinter- 
strang, der in diesem Niveau liegt. (Vergl. Fig. 14, die ein 
etwas älteres Stadium vorstellt.) Die Ganglien bestehen eine 
Zeitlang ausschliesslich aus bipolaren Zellen, aber bei der Forelle 
hat Van Gehuchten!) in älteren Stadien eine weitere Um- 
bildung beobachtet, indem einzelne von diesen bipolaren Gang- 
lienzellen sich allmählich zu unipolaren mit T-förmig getheiltem 
Fortsatz umwandeln, wie bekanntlich zuerst His (86) bei dem 
menschlichen Embryo nachgewiesen hat. 

Die Befunde beim Lachsembryo liefern eine weitere Be- 


1) Van Gehuchten (9) p. 135. 


398 Ross Granville Harrison: 


stätigung der von His!) begründeten Lehre, dass die sensiblen 
Wurzeln der Spinalnerven durch das Hineinwachsen von Fortsätzen 
der Spinalganglienzellen ins Rückenmark entstehen. Freilich 
sprechen die Angaben der früheren Autoren, die den Teleostier- 
Embryo darauf hin untersucht haben, zu Gunsten der entgegen- 
gesetzten Anschauung, dass sowohl die dorsalen Wurzeln, als die 
Ganglien selbst, direct aus den zelligen Auswüchsen des Gang- 
lienstrang (Neuralleiste) hervorgehen, und dass demgemäss die 
Wurzeln die überbleibende ursprüngliche Verbindung zwischen 
Ganglien und Mark darstellen. Freilich stammen diese Angaben 
aus einer Zeit, wo die His’sche Lehre noch keine allgemeine 
Anerkennung gefunden hatte. Hoffmann?), dessen Aufsatz 
schon einige Jahre vor dem betreffenden His’schen erschienen 
ist, giebt an, dass ein eontinuirlicher Kamm oder Leiste auf der 


1) His (86). 

2) Hoffmann giebt an (p. 46): „Schon bei ziemlieh jungen 
Forellenembryonen, und zwar bei solchen mit 10—12 Urwirbeln bemerkt 
man in einem Entwicklungsstadium, in welchem der Darm noch nicht 
einmal angefangen hat, sich abzufalten und das Rückenmark voll- 
ständig solide ist, dass die unmittelbar unter der Grundschicht der 
Oberhaut gelegenen Zellen des Rückenmarks durch eine äusserst feine 
Linie, die nur bei Anwendung sehr starker Vergrösserung deutlich zu 
sehen ist, von den darunter gelegenen Zellen desselben sich etwas ab- 
gegliedert haben und nach beiden Seiten eine continuirliche, lateral- 
wärts etwas angeschwollenen Leiste oder Kamm sich verlängern. Von 
diesem Kamm, dem „neural erest“ von Marshall und Balfour bei 
den Krorpelfischen wachsen nun (Taf. II, Fig. 5 u. Taf. IV, Fig. 9) an 
allen denjenigen Stellen, wo ein Nervenpaar sich anlegen wird, jeder- 
seits Fortsätze heraus, die unmittelbar der Seitenwand des Rücken- 
marks anliegend sich nach unten verlängern. Diese Auswüchse stellen 
uns die Anlagen der dorsalen Rückenmarksnerven vor. Auf der Höhe 
des oberen Randes der Chorda schwillt die dorsale Wurzel zu einer 
Verdiekung, dem Ganglion spinale, an (Taf. III, Fig. 5).“ Nach der 
letzt aufgeführten Abbildung von Hoffmann (Taf. III, Fig. 5), die ein 
älteres Stadium darstellt, zu beurtheilen, gehören jedenfalls viele von 
ihm als Ganglienzellen bezeichnete Elemente zu dem Mesenchym, das 
sich kurz nach der Anhäufung der wahren Ganglien stark vermehrt. 
In den jüngeren Stadien giebt es viel weniger Zellen in dieser Lage, 
und diese sind vereinzelt. Solche Zellketten wie Hoffmann nach 
Jüngeren Stadien (mit 10—14 Urwirbeln) abbildet (Taf. II, Fig. 5) 
treten nur im Koptgebiet auf, und in einem so jungen Stadium er- 
streckt die selbständige Ganglienanlage sich kaum weiter caudalwärts 
als bis zur Vagusgegend. 


Ueber die Histog. d. peripheren Nervensystems bei Salmo salar. 39 


dorsalen Oberfläche des Medullarstrangs beim Forellenembryo 
auftritt, und dass die Nerven bezw. Ganglien, von vorn herein 
segmental geordnet, von dieser Leiste direet auswachsen. 
Henneguy!') bestätigt diese Angaben im allgemeinen; geht 
aber auf die Einzelheiten nicht näher ein. 

Die Hoffmann’schen Angaben sind mit verschiedenen 
von den meinigen, die ich jetzt kurz wiederhole, kaum in Ein- 
klang zu bringen. Die Zellen des Ganglienstrangs verlassen das 
Rückenmark vereinzelt und sammeln sich allmählich zu den 
Ganglienhaufen zusammen. Erst nach dem Verlauf von Tagen 
entstehen die eigentlichen Nervenwurzeln. Die Ganglienanlagen 
bleiben somit nicht durch besondere Zellketten mit dem Ort 
ihrer Entstehung in Verbindung. Sie liegen zunächst zwar direet 
gegen die äussere Grenzmembran des Rückenmarks gedrückt, 
aber wenn die Wurzelfasern ins Mark hineinwachsen, brechen 
sie an dessen Seite durch, an einer Stelle, die beinahe um 
einen Viertelkreis von dem Ursprungsort der Ganglienzellen ent- 
fernt liegt. 

Diese letztgenannte Thatsache ist beachtenswerth, weil sie 
direct gegen die Annahme spricht, dass beim Auswandern der 
Ganglienzellen Protoplasmafäden zurückbleiben, die sich dann 
später in die Wurzelfasern umwandeln, wie es nach Bedot (84) 
im Anschluss an die bekannte Theorie von Hensen (76) der 
Fall sein soll. 


5) 


3. Neuroblasten und Stützzellen. 


Nach den Forschungen von His?) finden sich bekanntlich 
zwei verschiedene Zellarten schon in sehr frühen Entwicklungs- 
stadien im Medullarstrang des Wirbelthierembryo, die als Spon- 
gioblasten, die epithelialen Stützzellen, und Neuroblasten, oder 
junge Nervenzellen, bezeichnet werden. Schaper (94) hat die 


1) Henneguy (88, p. 548) giebt nur im Anschluss an die Befunde 
bei den Selachiern und Vögeln nach Balfour und Marshallan, 
dass die Spinalnerven aus kleinen Auswüchsen des Medullarstranges 
entstehen. Nach seiner Ansicht entstehen alle diese Auswüchse zu 
einer Zeit, wo der Medullarstrang noch nicht von der Haut abge- 
schnürt ist. Wie oben gezeigt wurde, gilt dies aber nur für die Kopf- 
ganglien. 

2) His (86 und 89). 


400 Ross Granville Harrison: 


ersten Differenzirungsvorgänge dieser Elemente bei dem Salmo- 
nidenembryo eingehend untersucht, und hat dabei die His’sche 
Anschauung in der Hauptsache bestätigt, dass die Neuroblasten, 
nahe zur Membrana limitans interna aus den bekannten Keim- 
zellen entstehen und später zwischen den Stützzellen hindurech- 
wandern, um eine Stellung in der Aussenzone des Medullarstrangs 
einzunehmen !). Die Wanderung der Neuroblasten fängt in der 
Rückenmarksanlage des Lachsembryo zu einer verhältnissmässig 
frühen Entwicklungsperiode an; denn schon ehe der Medullar- 
strang vollständig von der Epidermis abgeschnürt wird, finden 
sich Neuroblasten dieht an der äusseren Grenzmembran ge- 
lagert. 

Der Medullarstrang ist zu dieser Zeit noch solide und hat 
im Querschnitt eine eigenthümliche Form, die an einen Schluss- 
stein erinnert (Fig. 8); er ist dorsal beträchtlich breiter als 
ventral, und statt oval zu sein, wie bei den meisten übrigen 
Wirbelthierembryonen, zeigen sich auf jeder Seite zwei Kanten, 
eine dorsale Kante, die auf dem Niveau der dorsalen Fläche der 
Muskelplatten liegt (Fig. 7—10 fl.k), und eine ventrale Kante. 
Erstere bezeichne ich Flügelkante, weil sie von dem der Flügel- 
platte entsprechenden Theile des Medullarstrangs hervorragt ?). 
Der Strang besteht an den Seiten hauptsächlich aus länglichen 
prismatischen Epithelzellen, die sich von der medianen Mem- 
bran, die die beiden Seitenhälften von einander trennt, zur 
äusseren Grenzmembran erstrecken ?). Dorsal und venftral, wo 


1) Bekanntlich sieht His in den Keimzellen ausschliesslich die 
Vorläufer der Neuroblasten. Schaper (94 u. 97) ist aber auf Grund seiner 
sorgfältigen Untersuchungen bei dem Salmonidenembryo zu dem Schluss 
gekommen, wofür sich auch schon Kölliker, Ramon y Cajal und 
Andere ausgesprochen haben, dass aus den sich theilenden Keimzellen 
eine Generation indifferenter Zellen hervorgeht, aus denen Stützzellen 
sowohl als Nervenzellen sich entwlckeln. 

2) His (87, p. 371 und 88, p. 350) bezeichnet den dorsal von dem 
Suleus lateralis gelegenen Theil der Seitenwand des Markes als Flügel- 
platte und nennt (88, p. 355) eine Hervorwölbung in den Centralcanal 
Flügelleiste. 

3) Die Entdeckung dieser wichtigen Thatsache verdanken wir 
Hensen (76). Man vergleiche auch diesbezügliche Angaben von 
Burckhardt (89), His (90, p.95) und v. Lenhossek (91, pp. 6 und 9). 
Burckhardt (p.141) hat irrthümlicherweise Hensen die Vertretung 
der Ansicht der Mehrschichtigkeit des Epithels zugeschrieben, und 


Ueber die Histog. d. peripheren Nervensystems bei Salmo salar. 401 


die Seitenwände in einander übergehen, d. h. in den den Deck- 
und Bodenplatten entsprechenden Theilen, sind die Zellen kürzer 
und haben eine radiäre Anordnung. Die Kerne der Epithel- 
zellen liegen in mehreren Reihen und verursachen in den be- 
treffenden Zellen deutliche Anschwellungen. Medial von der 
Kernzone ist ein schmales Gebiet, das die in sehr reger Theilung 
begriffenen Keimzellen enthält. Lateral von den Epithelkernen 
ist eine breitere, relativ kernfreie Zone, dem Randschleier von 
His entsprechend, in welcher jedoch die noch fast undifferen- 
zirten Neuroblasten liegen. 

Eine kurze Beschreibung der Entstehung des Centralcanals 
dürfte hier am Platz sein. Gleichzeitig mit der Differenzirung 
der Neuroblasten bilden sich kleine Vacuolen an der medianen 
Membran, die den Medullarstrang in zwei Hälften theilt. Diese 
Vaecuolen (Fig. 11 und 12) liegen, wenigstens zum grössten Theil, 
in der Substanz der Zellen, Keimzellen sowohl als Epithelzellen ; 
sie sind also intra- und nicht intercellulär. Am ventralen Ende 
der Medianmembran fliessen dann nach und nach die dort be- 
findlichen Vacuolen zusammen um ein keines Canälchen zu bilden, 
welches den Anfang der Canalis centralis darstellt. Mit der 
Bildung desselben tritt die Bodenplatte der Markanlage klarer 
zu Tage. Der Canal dehnt sich durch Zufluss von neuen 
Vaceuolen dorsalwärts aus (Fig. 15 und 18). Ehe dieses ventral 
gelegene Lumen sich durch die ganze Höhe der Markanlage er- 
streckt hat, bildet sich am dorsalen Ende der Membran durch das 
Zusammenfliessen von dort befindlichen Vacuolen auch ein schmales 
weniger regelmässiges Canälchen (Fig. 18). Beide erweitern 
sich dann allmählich, bis sie zusammentreffen um den einheitlichen 


wendet sich deswegen gegen diese Anschauung. Der Wortlaut von 
Hensen ist aber unzweideutig; auf Seite 382 steht: „Die Ansicht 
über die Structur des Markes, zu welcher mich meine Studien führen, 
ist die, dass man das Mark auffassen müsse als ein Epithel, und zwar 
als ein einfach geschichtetes Epithel,“ und weiter: Unter letzterem 
Namen verstehe ich jedoch nicht eine einfache Lage von Zellen, son- 
dern eine Lage vieler Zellen übereinander, welche aber dadurch als 
einfach charakterisirt wird, dass jede Zelle zunächst direct, später 
allerdings sehr indireect mit dem einen Ende an die Innenfläche, mi 
dem anderen an die Aussenfläche der Schicht heranreicht, 


402 Ross Granville Harrison: 


Centralcanal zu bilden !). Diese Entwicklungsvorgänge beginnen 
bekanntlich in der Kopfregion und schreiten allmählich nach dem 
Schwanz zu fort. 

Um jetzt auf den Aufbau des Medullarstrangs zurück zu 
kommen, so ist zunächst zu bemerken, dass die Epithelzellen des- 
selben sich in Bezug auf feinere Strucetur nicht von den übrigen 
Zellen des Embryonalkörpers unterscheiden. Das Protoplasma 
ist in eonservirtem Material fein retieulär, und an den einzelnen 
Fäden sind kleine Körnchen angereiht (Figg. 11—13). In den 
Epithelzellen sind die Hauptzüge des Fadennetzwerks mit der 
Richtung der Längsaxe des Zellleibs gleichlaufend. Zwischen 
dem Theil der Zellen, der lateral von der Zone der Kerne, 
und dem Theil, der medial davon liegt, bestehen keine Unter- 
schiede in der Structur. Bei dem Lachsembryo sind nämlich 
in diesem Stadium der säulenartige Aufbau der Innenzone 
(Säulenschieht von His) und der verzweigt faserige Aufbau der 
Aussenzone (Randschleier), wie His beim menschlichen Embryo 
es beschreibt, nicht vorhanden ?). 

Die Neuroblasten unterscheiden sich von den Epithelzellen 
durch ihre runde oder polyedrische Form, und oft durch einen 


1) Es besteht schon eine ansehnliche Literatur über die Ent- 
stehung des Centralcanals bei Knochenfischen. Henneguy (88, p. 539%) 
hat hierüber genau berichtet. Er weist nach, dass die von verschiedenen 
Autoren vertretene Ansicht, dass der Canal durch Zerstörung von Zellen 
in der Mitte des Medullarstrangs entstehe, auf die Zerstörung der Keim- 
zellen durch Chromsäure-Härtung beruht. Die Beobachtung von 
Henneguy, dass bei der Forelle Keimzellen in der Medianebene sich 
theilen, wobei eine Tochterzelle jeder Körperseite zukommt, dürfte 
wohl nichts mit der Bildung des eigentlichen Canals zu thun haben, 
sondern lediglich mit der Abgrenzung der beiden Seitentheilen von 
einander; denn wieauch Henneguy angiebt, ist die mediane Membran 
schon geraume Zeit da, ehe das Lumen des Canals erscheint. Roud- 
new (95) giebt weitere Einzelheiten über die Bildung des Canals bei 
Corregonus und schliesst sich im Wesentlichen an die Henneguy’schen 
Angaben an. Die Tochterzellen sollen hier direct nach der Theilung 
in der Mittelebene nach beiden Seiten auseinanderrücken, aber noch 
durch intercelluläre Brücken in Zusammeuhang bleiben. Der Canal 
entsteht dann durch das Zusammenfliessen der zwischen den Proto- 
plasmabrücken liegenden Räume. Es müssen demgemäss Unterschiede 
zwischen Corregonus und Salmo in dieser Hinsicht bestehen. 

2X Bis (90, P97): 


Ueber die Histog. d. peripheren Nervensystenis bei Salmo salar. 403 


runden Kern; aber zunächst weisen sie keine Eigenthümlich- 
keiten in feinerer Structur auf (Fig. 8—10). Diese Zellen 
sind noch in einem fast undifferenzirten Zustande, and finden 
sich meistentheils im äussersten Theil des Randschleiers direct 
innerhalb der äusseren Grenzmembran gelagert. In dieser Hin- 
sicht weicht der Lachsembryo von den höheren Wirbelthieren 
ab; denn nach His und Anderen entstehen die Axonen der 
Neuroblasten schon, während die Zellen von der Keimschicht 
nach dem Randschleier wandern !). Die Ortsbewegung soll nach 
His mit der Fortsatzbildung im Zusammenhang stehen ?). 
Ueber die Formänderung der Neuroblasten, die während 
des Auswachsens der Nervenfasern stattfindet, stimmen meine 
Beobachtungen mit den His’schen überein. Bei den primär 
unipolaren Zellen, die wohl die Mehrheit, einschliesslich der 
motorischen und der Commissurenzellen, darstellen, häuft sich zu- 
nächst das Zellprotoplasma an einem Pol der Zelle, und der Zell- 
leib verjüngt sich nach diesem Pol zu, so dass er birnförmig wird 
(Fig. 11). In der grossen Mehrheit der Fälle richtet sich diese Spitze 
ventral- oder ventro-lateralwärts. Allmählich streckt sich das 
Ende zu einem langen Faden aus, der aber im Vergleich mit 
den fertigen Nervenfasern noch recht diek ist (Fig. 12 und 12). 
Bis zu diesem Zeitpunkt verändert sich die innere Structur der 
Nervenzellen sehr wenig; nur wird das Protoplasma durch das 
Congoroth»etwas stärker gefärbt. Das Netzwerk mit den Körnchen 
bleibt bestehen, aber die Hauptzüge des Netzes passen sich der 
Gestalt der Zelle an, indem sie gegen den Fortsatz zu conver- 
giren, wenn auch manchmal nur undeutlich; in dem Fortsatz 
selber verlaufen sie, zu einem Bündelchen vereinigt, parallel mit 
einander (Fig. 17, Fig. 23 Ah. 2). Mit der Umwandlung der 
Zellkörperform kommt der Zellkern excentrisch, entfernt vom 
auswachsenden Pol, zu liegen. Durch das Ausfliessen des Zell- 
protoplasmas in die Faser, bleibi gewöhnlich nur ein dünner 
Schleier über dem entgegengesetzten Pol des Kerns zurück. Der 
Kern wird meistentheils dann, wenn nicht schon vorher, rund 


1) His bezeichnet die Zelle eigentlich als Neuroblast erst nach- 
dem sie sich umgewandelt hat und der Faserfortsatz ausgewachsen 
ist. Die undifferenzirten Elemente werden Keimzellen und Uebergangs- 
zellen genannt. 

S)rklis (89, p. 2an). 


404 Ross Granville Harrison: 


und verhältnissmässig blass und weist gewöhnlich ein schartes 
rundes Kernkörperchen, bisweilen auch zwei (Fig. 12 und 19) 
auf. Dass der Kern sich nach dem auswachsenden Ende zu 
conisch verlängert, wie His beschreibt, habe ich nicht beob- 
achtet !). 

Es giebt auch Neuroblasten, die primar bipolar sind, wie 
zum Beispiel die Hinterzellen und andere Strangzellen. Bei 
diesen, die auch ursprünglich rund oder polyedrisch sind (Fig. 16 a), 
verlängert sich der Zellleib in zwei entgegengesetzte Richtungen, 
und dadurch entwickeln sich zwei Nervenfortsätze (Fig. 23). Hier 
geschieht das Auswachsen nur in der Längsrichtung und nicht wie 
bei den meisten Zellen, wo der eine Fortsatz sich gegen die 
Peripherie des Meduliarstrangs richtet. 

Es finden sich unter beiden Sorten von Neuroblasten manch- 
mal Zellen, die ausser dem auswachsenden Nervenfortsatz auch 
einen anderen besitzen, der gegen den Centralcanal gerichtet ist 
(Fig. 31). Das Vorhandensein dieses Fortsatzes ist aber keine Regel 
und die Zellen, die damit versehen sind, bilden kein bestimmtes 
Stadium der Entwicklung, wie Ramon y Cajal (90) es beim 
Hühnchen findet, wo vor dem unipolaren Stadium alle Zellen 
ein eben solches bipolares durchmachen. Dieser central ge- 
richtete Fortsatz besteht zweifellos manchmal an den Hinter- 
zellen. 

Während der Axencylinderfortsatz der Neuroblasten weiter 
auswächst, finden Aenpderungen in der Structur des Zellleibs 
sowohl wie des Fortsatzes statt. Beide werden noch stärker 
mit dem Congoroth tingirbar; im Zellleib wird das Fasernetz 
undeutlich, und dabei wird das Zellprotoplasma äusserst fein- 
körnig; die Nervenfaser wird mehr homogen und die einzelnen 
Fibrillen werden undeutlich; mit der Zunahme an Länge wird der 
Durchmesser der Faser geringer. 

Die wachsenden Enden der jungen Nervenfasern lassen sich 
meistentheils mit den angewandten Methoden nicht immer leicht 
auffinden. Dies ist besonders der Fall mit den Strangfasern, die 
gleich in Bündeln verlaufen, was das Auffinden des wachsenden 
Endes erschwert. Bei den motorischen Zellen weist das Ende 
oft keine Eigenthümlichkeiten auf. Der Fortsatz endigt nach 


1) His (89) p. 257. 


Ueber die Histog. d. peripheren Nervensystems bei Salmo salar. 405 


Durchbruch der äusseren Grenzmembran des Medullarstrangs ein- 
fach und ohne Anschwellung im interstitiellen Raum an der 
medialen Fläche der Muskelplatte (Fig. 12). Eine gleiche 
Endigungsweise scheint auch bei den peripher verlaufenden 
Fortsätzen der Hinterzellen vorzukommen (Fig. 17). Bei den 
Commissurenzellen lassen sich alle Beziehungen der auswachsen- 
den Fasern am allerklarsten beobachten (Fig. 13). Der ganze 
Nervenfortsatz ist scharf, und endigt in einer kleinen An- 
schwellung; diese ist aber glatt, d. h. ohne pseudopodienähnliche 
Exerescenzen, wie die Wachsthumskeulen (cönes d’acceroissement), 
die bekanntlich zuerst Ramon yCajal (90) nach Chromsilber- 
Präparaten vom Rückenmark des Hühnchenembryo beschrieben 
hat. Sie sind nach diesem Forscher an den motorischen Fasern, 
und besonders deutlich an den Commissurenfasern zu sehen. Es 
ist möglich, dass der Unterschied im Aussehen zwischen diesen 
Faserendigungen bei dem Lachs und bei dem Hühnerembryo an 
der Species liegt; aber wahrscheinlicher hängt er von den ange- 
wandten Methoden ab). 

Ueber die Art und Weise, wie die Nerverfaser sich ver- 
längert und ihr Endziel erreicht, geben die Befunde beim 
Lachsembryo einige befriedigenden Aufschlüsse. Ausserhalb des 
Bereichs des Centralnervensystems drängen sich die Fasern 
durch die Spalten zwischen die anderen- Anlagen des embryonalen 
Körpers und werden, wie His angiebt, wenigstens theilweise von 
der Gestaltung und dem Aufbau dieser Gebilde geleitet. Inner- 
halb des Öentralnervensystems sind die Verhältnisse insofern 
hiervon abweichend, als keine Structur vorhanden ist, die die 
auswachsenden Fasern leitet. Die Befunde beim Lachs sprechen 
direet gegen die His’sche Anschauung, dass die auswachsenden 
Nervenfasern durch die Maschen einer präformirten Markspongiosa 
geführt werden ?). 

Dies geht aus den folgenden Betrachtungen hervor. In 


1) Von Interesse in dieser Hinsicht sind die Beobachtungen von 
Stroebe (93, p- 253), der angiebt, manchmal eine „sondenknopfähn- 
liche Ansehwellung“ am wachsenden Ende von regenerirenden Nerven- 
fasern beim Kaninchen gesehen zu haben. Stroebe glaubt, dass diese 
mit den Endanschwellungen der embryonal auswachsenden Fasern zu 
vergleichen sind. 

2) His (86) p. 509 und (89) p. 255. 


406 Ross Granville Harrison: 


der Aussenzone des Medullarstrangs, dem Randschleier, ist nämlich 
das Protoplasma der Epithelzellen zur Zeit, wo die Nervenfasern 
anfangen auszuwachsen, vollkommen compact und undifferenzirt. 
Die einzelnen Zellen sind dicht gegen einander gedrängt, durch 
deutliche Randeontouren von einander abgegrenzt und bilden 
kein faseriges Netzwerk untereinander. Es besteht wohl ein 
Maschenwerk von Protoplasmafäden, die äusserst fein sind und 
an denen feine Körnchen angereiht sind, aber dasselbe bleibt 
innerhalb der Zellgrenzen und zeichnet sich übrigens durch 
keine Besonderheiten von dem Maschenwerk in allen anderen 
Zellen des embryonalen Leibes in dieser Periode der Entwicklung 
aus. His hat dieses intracellulare Netz erkannt und besonders 
beim Selachierembryo eingehend beschrieben. Es ist ersichtlich, 
dass aus diesem Netz, durch das Verschwinden der Zellgrenzen 
und das Zusammenfliessen der einzelnen Fäden m Bündel 
das eigenthümliche His’sche intercellulare Netzwerk, die Mark- 
spongiosa, entsteht !). Aber diese Umwandlung soll stattfinden, ehe 
die Nervenfasern auswachsen und das Netz soll sogar als „Filter“ 
dienen, das „die Neuroblasten in den Innenbezirken des Markes 
zurückhält“?). Dies ist beim Lachsembryo durchaus nicht der 
Fall. Neuroblasten liegen schon in der äussersten Schicht des 
Medullarstrangs und meistens sind sie in direeter Berührung mit 
der Membrana limitans externa, wenn ihre Fasern anfangen aus- 
zuwachsen. Das Verhalten des auswachsenden Nerven zu den 
Epithelzellen lässt sich am deutlichsten an den Commissuren- 
zellen ermitteln und zwar am besten zu der Zeit, wenn die 
ersten Fasern entstehen. An solchen Zellen (Fig. 13 com. z) 
ist es ersichtlich, dass die noch dieke Nervenfaser weder von 
den Grenzen zwischen den Stützzellen noch den Protoplasma- 
fäden abgelenkt wird; denn erstere sind von der Faser durch- 
brochen und letztere entweder durchbrochen oder bei Seite ge- 
schoben. Die Faser mit ihrem angeschwollenen Ende liegt 
nämlich in einem Canal, der durch die einzelnen Stützelemente 
verläuft und der in Schnittpräparaten von der Faser nicht ganz 
ausgefüllt erscheint. Es lässt sich nur ein Schluss aus dem Bilde 
ziehen; nämlich, dass der Nervenfortsatz nieht durch einen Irrgang 
im Randschleier geleitet wird, sondern dass er seinen eigenen Weg 
1) His (89) p. 280. 
2) Ibid. p. 268. 


Ueber die Histog. d. peripheren Nervensystems bei Salmo salar. 407 


durch ein vorhin compactes Gewebe bohrt, ohne sich um Zell- 
grenzen oder Protoplasmafasern zu kümmern. Das Auswachsen 
der Strangfasern aus den Hinterzellen gewährt uns auch ganz 
ähnliche Bilder. 

Die ersten Nervenfasern verlaufen dann in Canälchen, die die 
Stützzellen perforiren. Indem nun die Zahl der Neuroblasten 
und der daraus entstehenden Nervenfasern rasch zunimmt, wird die 
anfänglich compacte Aussenzone der Stützzellen nach allen Rich- 
tungen hin ausgebohrt, bis schliesslich nur ein faseriges Gerüst 
zurückbleibt. Dieses Gerüst, der Randschleier oder äussere Theil 
des Myelospongium, verdankt demgemäss seine endgültige Be- 
schaffenheit der Thätigkeit der auswachsenden Nerven. 

Nach diesen Befunden ist es klar, dass der Nervenfortsatz 
die active Rolle bei der Bildung der Bahnen im Centralnerven- 
system spielt. Ob dies durch eine einfache mechanische Aus- 
bohrung oder durch eine auf chemische Weise bewirkte Auf- 
lösung der im Wege stehenden Stützgewebe seitens der Wachs- 
thumskeule geschieht, muss dahingestellt bleiben. Das Vorhanden- 
sein von pseudopodien-ähnlichen Auswüchsen an der Endan- 
schwellung des Fortsatzes, wie es nach der Entdeckung von 
Ramon y Cajal der Fall zu sein scheint, deutet auf eine 
amoeboide Thätigkeit hin, so dass, wie v. Lenhossek!) ver- 
muthet, es sein könnte, dass der wachsende Nerv mittelst dieser 
Einrichtung sich seinen Weg durch die compacten Stützzellen 
hindurcharbeitet. 


4 Die motorischen Wurzeln der Spinalnerven. 


Die motorischen Wurzeln der Spinalnerven entwickeln sich in 
den einzelnen Segmenten ungefähr gleichzeitig mit dem Aus- 
wachsen der peripheren Nerven der Hinterzellen und der ersten 
Commissurenfasern, aber beträchtlich vor dem Auftreten der dor- 
salen Wurzeln. Die einzelnen Segmentalnerven entstehen im 
allgemeinen rasch nach einander vom Kopf nach dem Schwanz 
zu. Beim ersten Myotom fehlt der Nerv; beim zweiten und im 
geringen Grad beim dritten sind die Nerven schwach entwickelt. 
Diese erscheinen etwas später als die nächst caudal gelegenen. 
Ausserdem kommen in der ganzen Reihe kleine Abweichungen 
von der Regel vor. 


1) v. Lenhossek (%) p. 9. 
Arch. f. mikrosk. Anat. Bd. 57 2 


1 


408 Ross Granville Harrison: 


Die Zellen, aus welehen die motorischen Wurzeln heraus- 
sprossen, liegen in der ventralen Hälfte des Medullarstrangs, 
und wie die anderen auswachsenden Neuroblasten sind sie ent- 
weder in Berührung mit der äusseren Grenzmembran oder nahe 
daran (Fig. 8 m.z). Sie verlängern sich in ventraler Richtung 
und werden dabei birnförmig, bald stösst das auswachsende 
Ende des Stiels gegen die Grenzmembran (Fig. 11). Gleich 
nachher durchbricht die junge Nervenfaser die Membran und 
wächst weiter (Fig. 12). Der Durchbruch der Membran ge- 
schieht wohl nicht ohne Widerstand, denn oft erscheint der 
noch nicht ausgebrochene Fortsatz etwas gegen die Membran 
gekrümmt, wie in Figur 11 gezeigt wird. 

Das Auswachsen der motorischen Fasern geschieht bei 
Salmo sehr rasch, aber nicht so rasch in diesem Fall, dass man 
die einzelnen Stufen nicht ertappen kann, wie der Vergleich der 
Figuren 8, 11, 12 und 4 beweist!). 

Der Nerv besteht im Anfang in der Regel aus dem Fortsatz 
einer einzigen Zelle. Ausserhalb des Medullarstrangs gelangt, 
setzt der Nerv sein Wachsthum in derselben Richtung fort (Fig. 
12). Er drängt sich nicht direct in das Myotom hinein, obgleich 
letzteres in allernächster Nähe liegt, sondern er wächst weiter 
ventral, der medialen Grenze des Myotoms entlang, zwischen 
diesem und der Chorda dorsalis. Es ist bemerkenswerth, dass 
die erste auftretende Faser in allen Wurzeln diese Richtung ein- 
zuschlagen scheint. Andere Fasern entstehen sehr bald nach 
der ersten, und einige davon wachsen dann direet gegen die 

1) His (89, p. 258) schreibt hierüber: „Es hat mir früher viel zu 
denken gegeben, dass die motorischen Fasern, wenn sie einmal da 
sind, sofort eine gewisse Länge besitzen. Den dorsalen Ast von 
Rumpfnerven sieht man gegen den Urwirbel vordringen, und der 
ventrale erreicht frühzeitig die hintere Grenze der Leibeshöhle. Dies 
weist darauf hin, dass das Anfangswachsthum der Axencylinder ein 
rasches sein muss, während doch späterhin die Längenzunahme der 
Fasern nur langsam fortschreitet. Dieses bisherige Räthsel löst sich 
durch den Vergleich der Keimzellen mit den Neuroblasten. Der zuerst 
sich bildende Faserantheil entsteht, wie wir gesehen haben, aus einem 
zuvor aufgespeicherten Protoplasmavorrathe, während die spätere 
Längenzunahme nur auf Kosten von neu angesammelten Material vor 
sich gehen kann.“ Hierauf folgen Messungen, die beweisen, dass die 
Masse des Protoplasmas, in der Keimzelle genügt, um eine lange Faser 
zu bilden. 


Ueber die Histog. d. peripheren Nervensystems bei Salmo salar. 409 


Musckelplatte zu, während andere sich dorsalwärts um die 
Spinalganglienanlage biegen, um den dorsalen Ramus zu bilden 
(Fig. 4r. d)!). Schon sehr früh ist es zu constatiren, dass die 
Fasern von allen Seiten her gegen die Austrittsstelle der Wurzel 
convergiren, wie His es beschrieben hat. Beim Lachsembryo 
aber treten sämmtliche Fasern eines Segmentalnervs in einem 
compaeten Bündel aus dem Rückenmark heraus, und nicht, wie 
beim Menschen und manchen anderen Wirbelthieren in mehreren 
kleinen Bündelehen. Das Bündel verlässt den Medullarstrang 
beim Lachsembryo durch ein scharf umgrenztes Loch in der 
Membrana limitans externa. 

Bald nach dem ersten Erscheinen der ventralen Wurzel- 
fasern gelangen die ersten von den Sklerotomen kommenden 
Mesenchymzellen in die Gegend der Austrittsstelle des Nerven 
und lagern sich an die jungen Nervenfasern. In jedem Segment 
findet sich zunächst ein kleiner Zapfen recht dicht aneinander 
gedrängter Mesenchymzellen, der gegen die ventrale Kante 
des Medullarstrangs emporragt. Es ist wohl diese Erscheinung, 
die Hoffmann veranlasst hat, im Anschluss an die bekannten 
Angaben von Balfour, die motorischen Spinalnerven aus 
zelligen Auswüchsen des Medullarstrangs bei dem Forellenembryo 
entstehen zu lassen ?2). Es ist wahr, dass das Auftreten der 
embryonalen Bindegewebszellen die Klarheit der Beziehungen in 
Sehnittbildern stört. His hat schon vor Jahren diese Irrthums- 
quelle klargelesgt. Von den Speeialverhältnissen beim Lachs- 
embryo, die direet gegen die Lehre der zelligen Auswüchse 
sprechen, kann noch Folgendes aufgeführt werden: Die ersten 
motorischen Fasern sind schon vorhanden, ehe überhaupt lose 
Zellen in der Gegend der Austrittsstelle zu finden sind. Wenn 
man die Entwicklungsstufen genau verfolgt, indem man die Ver- 
hältnisse in successiven Metameren untersucht, so sieht man, dass 
die Zellhaufen allmählich gegen den Medullarstrang beraufwachsen 
und nicht aus diesem heraus. Der Medullarstrang ist von einer 
deutlichen Membran umgeben, die nur an der Austrittsstelle der 
Nerven unterbrochen ist. Die dort befindlichen Löcher sind nur 
so gross, dass die Fasern eben durchtreten können. 


1) His (89) beschreibt das frühe Auftreten des dorsalen Astes 
bei verschiedenen Wirbelthieren. 
2) Hoffmann (83) p. 47. 


410 Ross Granville Harrison: 


Erst viel später in der Entwicklung, d. h. erst wenn die 
motorischen Wurzeln stark entwickelt sind, treten gewisse Zellen 
hier aus dem Rückenmark heraus, wie gleich näher beschrieben wird. 

Die weisse Substanz des Rückenmarks entwickelt sich 
schnell, nachdem die ersten motorischen Fasern ausgewachsen 
sind. Dadurch werden die motorischen, wie die anderen Neuro- 
blasten, die zunächst gegen die Grenzmembran liegen, von 
der Oberfläche gedrängt und von den Nervenfasern umlagert 
(Fig. 14). Eine Zeit lang bleibt dann der Randschleier zellen- 
frei. Später begeben sich einzelne Zellen der Mantelschicht in die 
weisse Substanz. Man findet solche Zellen zunächst in der Nähe 
der Austrittsstelle der motorischen Wurzeln. Im Bereich von 
jeder Wurzel sind einige dieser Zellen zu treffen; aber sie sind 
zu der Zeit in anderen Theilen der weissen Substanz äusserst 
selten. Die Zellen, obschon klein, haben einen runden Kern 
und sind im allgemeinen den undifferenzirten Neuroblasten ähnlich. 
Bald nach ihrem Auftreten in der weissen Substanz wandern sie 
an der ventralen Wurzel aus dem Rückenmark heraus. Die 
Spalte in der äusseren Grenzmembran ist so eng, dass der Kern 
der auswandernden Zelle nicht passiren kann ohne sich durchzu- 
quetschen, und man findet demgemäss die Kerne der auswandernden 
Zellen durch Druck ganz merkwürdig gestaltet. Nachdem die 
Zelle ausserhalb des Medullarstrangs gelangt ist, bleibt sie von 
den motorischen Fasern umgeben und wandert ventralwärts dem 
Nervenstamm entlang. Wegen des Andrangs von Mesenchym- 
gewebe wird von diesem Punkt an die Verfolgung dieser 
Zellen unsicher und ihr weiteres Schicksal lässt sich vorläufig 
nur vermuthen. Wahrscheinlich ist es mir, dass sie motorische 
Elemente des Sympathicus darstellen, die dem visceralen Ast 
des Spinalnerven entlang wandern, um ihren Antheil an der 
Bildung der Grenzstrangganglien zu nehmen. 

Die Angabe, dass Zellen aus dem ventralen Theil des 
Medullarrohrs austreten, ist selbstverständlich keine Neuigkeit. 
Dieser Vorgang wurde schon zuerst von Balfour (75) beim 
Selachierembryo beschrieben und nachträglich von verschiedenen 
Seiten bestätigt. Die auswandernden Zellen wurden von einer 
grossen Anzahl Forscher als die Bildungselemente der motori- 
schen Nerven, sowohl vom Axencylinder als von den Nerven- 
scheiden, betrachtet. Gegen die Richtigkeit dieser Angaben ist 


Ueber die Histog. d. peripheren Nervensystems bei Salmo salar. 411 


besonders His aufgetreten. Wenn auch His mit Recht hervor- 
gehoben hat, dass die motorischen Nervenfasern der Spinalnerven 
Je aus einer einzigen im Rückenmark selbst befindlichen Zelle 
auswachsen und weiter, dass die Zellen, die sich den angehenden 
motorischen Nerven angelagert finden, nicht aus dem Medullar- 
rohr herstammen, sondern mesenchymatischen Ursprungs sind, so 
ist es doch nicht berechtigt, dem embryonalen Rückenmark jeg- 
liche Abgabe von Zellen an die motorischen Wurzeln abzusprechen!). 
His ist nämlich der Meinung, dass, wenn die Zellen in der Gegend der 
motorischen Wurzeln die Grenze des Rückenmarks überschreiten, 
wie Dohrn (88) eingehend beschrieb, dies nur dann in ganz 
Jungen Stadien geschieht, und ausserdem, dass die Zellen nur 
vorübergehend das Mark verlassen. Diese Einschränkungen 
können aber bei dem Lachsembryo nicht gelten. Hier findet die 
Auswanderung zu einer verhältnissmässig späten Periode statt, 
nachdem die motorischen Nerven gebildet sind, was übrigens 


1) Von den zahlreichen Autoron, die über die Auswanderung 
von Medullarzellen längs den ventralen Wurzeln der Spinalnerven be- 
richtet haben, giebt es eine Anzahl, die diesen Vorgang in verhältniss- 
mässig alten Stadien beobachtet haben und die Zellen als Ganglien- 
zellen und nicht nervenbildende Zellen aufgefasst haben. Van Wijhe 
(85) fand an den motorischen Wurzeln bei Pristiurusembryonen (im 
Stadium O von Balfour) ganglienähnliche Zellenhaufen. Dohrn (91 
a und b) hat am ausführlichsten hierüber berichtet, indem er eine be- 
deutende Abgabe von Zellen vom Medullarrohr, nicht nur zu den 
Augenmuskelnerven, sondern auch zu den Spinalnerven beschreibt. 
Wenn nun in einer späteren Notiz Dohrn (92) zugiebt, dass ein Theil 
seiner Beobachtungen doch eine andere Deutung haben könnte, so 
hält er doch seine Angaben betreffend des Oculo-Motorius aufrecht. 
von Kupffer (94) beschreibt, namentlich bei Acipenserembryonen, 
die Bildung von Ganglien an den motorischen Wurzeln und betrachtet 
einen solehen motorischen Ganglion als constanten Bestandtheil der 
Segmentalnerven des Embryo (p. 68). Die Zellen dieser Ganglien 
schliessen sich nach v. Kupffer dem Ganglion der entsprechenden 
dorsalen Wurzel an, aber leider wird kein Aufschluss über ibre weitere 
Differenzirung gegeben. In dieser Beziehung ist die Angabe von 
Freud (78, p. 155) von Interesse, wonach Ganglienzellen — allerdings 
nur wenige — an den motorischen Nerven des Caudalmarks von Petro- 
myzon vorkommen sollen. Schäfer (81) hat Ganglienzellen an den 
ventralen Wurzeln der Spinalnerven bei der Katze gefunden. v.Kölliker 
(95) hat diese Angabe bestätigt und hält die betreffenden Zellen mög- 
licherweise für Ganglia sympathica. 


412 Ross Granville Harrison: 


beweist, dass der Austritt von Zellen nieht als Stütze der Zell- 
kettentheorie gebraucht werden kann; die ausgewanderten Zellen 
können eine Strecke weit über die Grenze des Rückenmarks 
verfolgt werden, wo sie ganz von den motorischen Fasern um- 
geben liegen; und es bestehen überhaupt keine Gründe, die für eine 
nachträgliche Umwachsung der Zellen vom Randschleier sprechen; 
denn der Durchmesser des Medullarstrangs nimmt lange nach 
dem Austritt der Zellen überhaupt nicht zu und dann später 
nur sehr langsam. 

Es mag wohl keinen sicheren Beweis geben, dass diese 
auswandernden Zellen wirklich zur Bildung der sympathischen 
Ganglien beitragen. Letztere sollen sogar nach bisherigen Er- 
fahrungen ausschliesslich aus den Ganglien der dorsalen Wurzeln 
hervorgehen, entweder in grösseren Haufen nach Balfour (81) 
und Onodi (86), oder nach Angaben von His (90) und His 
jun. (91) als einzelne oder in Schwärmen verbundene unreife 
Zellen, die in den Grenzstrang überwandern. Die Angaben von 
den beiden letzten Forschern schliessen es aber nicht aus, dass 
ein Theil von den Zellen, die den ventralen Aesten der Spinal- 
nerven entlang wandern, aus den motorischen Wurzeln her- 
stammen!). Eine grosse Anzahl von den sympathischen Ganglien- 
zellen ist bekanntlich motorisch, und es wäre nur wahrscheinlich, 
dass diese in genetischem Zusammenhang mit anderen motorischen 
Zellen ständen. 


5. Die Hinterzellen und deren Nerven. 


Unter der Bezeichnung Hinterzellen verstehen wir gewisse 
Nervenzellen, welehe in dem Rückenmark der Embryonen und 
Larven der Ichthyopsiden und auch sogar bei Erwachsenen 


1) Einzelne Angaben in der Abhandlung von His jun. (91) 
deuten auch darauf hin, dass nicht alle die Zellen aus den sensiblen 
Wurzeln herstammen. Zum Beispiel auf Seite 9 steht Folgendes: „Da- 
gegen geht von dem Vereinigungswinkel der Wurzeln ein Schwarm 
von Zellen aus, der, ohne scharf begrenzte Bahnen einzuhalten, beider- 
seits der Bauchseite zustrebt, und auf Seite 11: „Ihre Abstammung 
(sympathische Zellen) aus dem Spinalganglion ist dadurch sicherge- 
stellt, dass man die Schwärme bis zur Wurzelkreuzung, und in einzelnen 
Fällen durch die vordere Wurzel hindurch bis zum Ganglion verfolgen 
kann. Im Innern der Spinalganglien habe ich Zellen der beschriebenen 
Art nicht beobachtet. 


Ueber die Histog. d. peripheren Nervensystems bei Salmo salar. 413 


einiger Arten vorkommen; sie zeichnen sich durch ihre Grösse, 
ihre beinahe eonstante Lage, nahe zur dorsalen Fläche des Marks 
und durch ihr frühzeitiges Auftreten und ihre Differenzirung aus. 
Diese Nervenzellen sind unter vielen Benennungen bekannt, z. B. 
als Reissner-Freud'sche Zellen, Rohon’sche Zellen, Riesen- 
zellen, colossale Zellen und Hinterzellen, sowie „cellules dorsales“ 
und „transient nerve cells“ (Beard). Von dieser Auswahl scheint 
mir, trotz des Einwands gegen den Gebrauch von „hinten“ statt 
„dorsal“, die Bezeichnung „Hinterzelle“ am gebräuchlichsten zu 
sein und ist wenigstens dem recht verbreiteten „Riesenzelle“ vor- 
zuziehen. 

Zuerst hat Rohon (84) die Aufmerksamkeit auf die Hinter- 
zellen, von ihm Riesenzellen genannt, gelenkt, indem er ihrem 
Verhalten bei der Forelle eine ausführliche Beschreibung widmet. 
Nach Rohon liegen die Zellen in einer doppelten Reihe auf 
der dorsalen Seite des Rückenmarks dicht innerhalb der äusseren 
Grenzmembran desselben. Von dieser Stelle entsenden sie Fort- 
sätze gegen die Eintrittsstelle der sensiblen Nervenwurzeln hin; 
aber ihr weiterer Verlauf oder etwaiger Ausstritt durch die dor- 
salen Wurzeln war nicht zu verfolgen. Rohon wies zugleich auf 
die Aehnlichkeit der Hinterzellen mit den Hinterzellen im Rücken- 
mark von Petromyzon hin, die Reissner(60), Kutschin (63) 
und Freud (78) beschrieben hatten. Auch mit den Riesen- 
zellen des Amphioxus wurden die Hinterzellen von der Forelle 
verglichen. Rohon beschrieb aber so zu sagen nur die aus- 
gebildeten Stadien der Zellen, wie sie sich bei ausgeschlüpften 
Forellenlarven oder bei denen, die kurz vor dem Ausschlüpfen 
standen, vorfinden. Burekhardt (89) hat ähnliche Nervenzellen 
sowie die dazu gehörigen Fasern bei Triton beschrieben und 
sie den Freud’schen Hinterzellen homolog gestellt. 

Seit dem Erscheinen der Rohon’schen Arbeit sind zahl- 
reiche andere Aufsätze veröffentlicht worden, die dasselbe Thema 
mehr oder weniger eingehend hehandeln. 

Es ist aber das Verdienst von Beard (89a), zuerst auf das 
allgemeine Vorhandensein dieser Elemente bei den Ichthyopsiden 
sowohl, wie auf die vorübergehende Natur bei den meisten hin- 
gewiesen zu haben. Auch die ersten Kenntnisse der dazu- 
gehörigen peripheren Nerven stammen von demselben Forscher!). 


1) Beard (92). 


414 Ross Granville Harrison: 


In seiner ausführlichen Arbeit?) liegt eine eingehende Be- 
schreibung der ganzen Lebensgeschichte dieser Nervenelemente 
bei Raja batis vor. Die peripheren Nerven werden hier be- 
sonders eingehend berücksichtigt und dabei stellt es sich heraus, 
dass die Nerven sich zur Haut begeben, also sensibler Natur 
sind, anstatt, wie Beard (92) in seiner vorläufigen Mittheilung 
angab, sich mit den Muskelplatten in Verbindung zu setzen. 

Ungefähr gleichzeitig mit dem ausführlichen Aufsatz von 
Beard erschien ganz unabhängig davon eine eingehende Arbeit 
vonStudnictka (95), dessen Beobachtungen sich auf alle Classen 
der Ichthyopsiden beziehen. Die Angaben von Beard und 
Studnitka stimmen in vielen Hinsichten mit einander überein. 
Eine Abweichung besteht darin, dass letzterer, im Anschluss an 
die frühere Anschauung von Beard, die Nerven motorisch sein 
lässt, wie auch Tagliani (97) es thut. Zum Schluss stellte 
Studnitka fest, dass die embryonalen Hinterzellen der Ichthy- 
opsiden mit den Hinterzellen des erwachsenen Neunauges und, 
was mir von grosser Wichtigkeit zu sein scheint, mit den mittel- 
grossen Zellen (nicht den Riesenzellen) des Amphioxus homo- 
log sind. 

Es war aber erst mit Hilfe der Golgi’schen Methode mög- 
lich, das genaue Verhalten der Fortsätze der Himterzellen zu er- 
mitteln. Van Gehuchten(96) fand nämlich bei der Forelle, 
dass diese Zellen, die übrigens unipolar sind, nieht nur periphere 
Fasern liefern, sondern dass ihre Fortsätze sich theilen und auch 
Fasern abgeben, die in dem Hinterstrang verlaufen. Angesichts 
dieser Befunde hat Van Gehuchten im Anschluss an Freud 
auf die grosse Aehnlichkeit zwischen Hinterzellen und Spinal- 
ganglienzellen hingewiesen, und ist zum wichtigen Schluss ge- 
langt, dass diese beiden Zellen homodynam sind. 

Was nun das Schicksal der Hinterzellen betrifft, so ist jetzt 
festgestellt, dass sie bei den Selachiern und den meisten Tele- 
ostiern während des larvalen Lebens eine Rückbildung erfahren. 
Doch giebt es eine Anzahl, ja eine mit der weiteren Forschung 
immer zunehmende Anzahl Species von Knochenfischen, bei 
welehen die Hinterzellen das ganze Leben hindurch bestehen. 
Zum Beispiel wurden sie von Dahlgren(97) bei den Erwachse- 


1)Beard (96). 


Ueber die Histog. d. peripheren Nervensystenis bei Salmo salar. 415 


nen einer ganzen Reihe Pleuronectiden entdeckt und ausführlich 
beschrieben. Später sind sie von Kolster (98) bei Perca und 
von Sargent (98) bei Ütenolabrus gefunden worden. 

Es giebt noch eine beträchtliche Anzahl Arbeiten, ausser 
den eben besprochenen, die die Hinterzellen berücksichtigen. Es 
liegen aber schon sehr ausführliche historische Behandlungen dieses 
Themas vor, und daher hätte es wenig Zweck, die obige Ueber- 
sicht weiter in die Länge zu ziehen!). Ich wende mich nun zu 
der Zusammenfassung der eigenen Befunde, wobei die einzelnen 
Angaben der früheren Forscher Berücksichtigung finden werden. 

Sobald die Neuroblasten sich von den Epithelzellen des 
Centralnervensystems hervorheben, lassen sich die Hinterzellen 
als eine bestimmte Säule durch ihre Lage in @Q@uerschnitten 
leicht unterscheiden. Sieliegen an, oder direkt dorsal von dem Niveau 
der Flügelkante (Fig. 7 und 10 A. z und Textfig. 3), einer 
Leiste, die in den frühen Entwicklungsstadien von der Seite 
des Medullarstrangs hervorragt?).. In dieser Lage finden sich 
die Hinterzellen in nächster Nähe des Ganglienstrangs, der sich 
noch nicht vom Medullarstrang getrennt hat, wie in den Schemata 
(Textfig. 3 und 4) veranschaulicht wird. Diese Lage-Verhält- 
nisse sind von Wichtigkeit wegen der Frage der morphologischen 
Gleichwerthigkeit der Hinterzellen und Spinalganglienzellen. Die 
Hinterzellensäule erstreckt sieh durch die ganze Länge der 
kückenmarksanlage. Einzelne Zellen lassen sich bei Embryonen 
von verschiedenem Alter in dem caudal gelegenen Theil des 
Medullarstrangs unterscheiden, während derselbe noch im Zu- 
sammenhang mit der Epidermis ist (Fig. 7). 

Mit den Hinterzellen treten gleichzeitig andere Neuroblasten 
im Rückenmark auf und einige von diesen, zum Beispiel die 
Commissurenzellen, finden sich nahe der Hinterzellensäule in 
etwas ventraler Richtung davon, so dass, ehe die Nervenfortsätze 
hervorsprossen und eine charakteristische Richtung einschlagen, 
diese beiden Zellarten dann und wann miteinander verwechselt 
werden könnten °). 


1) Rohon (84, van Gehuchten (9), Studnicka (9) und 
Dahlgren (98) erörtern sehr eingehend die Angaben anderer Autoren 
und geben auch sehr vollständige Literaturverzeichnisse. 

2) Siehe Seite 361. 

3) Diese Angaben stimmen nicht mit denen von Rohon (84) 


416 Ross Granville Harrison: 


Obgleich die Hinterzellen schon in noch jüngeren Embryonen 
aufzufinden sind, so sind sie in dem Stadium IV noch meistens 
undifferenzirt rund oder polygonal (Fig. 15 und 16). In diesem 
Stadium fangen die Zellen an, sich in der Längsrichtung zu 
strecken, wodurch sie sich von den Commissurenzellen unter- 
scheiden, die sich ventralwärts in der Querebene verlängern. 
In den Fig. 15 und 16 deuten die Hinterzellen bei d und c 
dieses Längswachsthum an. Das Wachsthum dauert fort und 
dadurch entstehen in Zusammenhang mit den meisten von diesen 
Zellen zwei entgegengesetzte Ausläufer oder Fortsätze, von denen 
sich der eine kopfwärts, der andere caudalwärts richtet (Fig. 23). 
Die Fortsätze liegen wie die Zellen direet innerhalb der äusseren 
Grenzmembran des Medullarstrangs, und da der Zellleib sich 
medialwärts hervorwölbt, sind «die Zellen, obgleich bipolar, nicht 
gerade spindelförmig. Gleichzeitig mit der Ausbildung der Fort- 
sätze findet eine Grössenzunahme des Zellleibs statt, die mit den 
üblichen Veränderungen in der Structur des Protoplasmas zusammen- 
fällt!). Diese Fortsätze bilden den ersten Anfang der Hinter- 
stränge, die zunächst und auch für eine relativ lange Zeit noch 
ganz an der Seite des Medullarstrangs gelegen sind. Sie sind 
die ersten auftauchenden Faserbündel des ganzen Central- 
nervensystems. 

Während die Fortsätze weiter auswachsen, dehnt sich all- 
mählich der Zellleib der Hinterzelle nach der Mittelebene des 
Embryos aus, wobei der Kern meistens eine excentrische Stellung 
einnimmt. Die ganze Zelle rückt sogar langsam von der Flügel- 
kante ab und nähert sich somit der dorsalen Mittellinie des 


überein. Dieser Forscher lässt die Hinterzellen zwar zu einer relativ 
frühen Zeit auftreten und stellt sogar den Satz auf (p. 43), dass zur 
Zeit der Entwicklung dieser Zellen keine Spuren von anderen nervösen 
Elementen im Centralnervensystem zu finden waren. Doch verlegt 
Rohon die Zeit des Auftretens der Hinterzellen auf ca. den vierzigsten 
Tag der Entwicklung (bei einer Wassertemperatur von 9° C.) oder 
nur zehn bis fünfzehn Tage vor dem Ausschlüpfen. Bei den von mir 
untersuchten Lachsembryonen sind zu dieser Zeit nicht nur die Hinter- 
zellen vollständig fertig ausgebildet, sondern auch die motorischen, 
die Commissurenzellen und verschiedene Strangzellen bezw. -Fasern 
sind schon längst differenzirt. Es ist klar, dass Rohon die ersten 
Entwicklungsstadien von den verschiedenen Nervenzellen nicht unter 
Augen gehabt hat. 
1) Vergl. p. 403. 


Ueber die Histog. d. peripheren Nervensystems bei Salmo salar. 417 


Medullarstranges!). Da aber die Fortsätze in ihrer ursprüng- 
lichen Bahn bleiben, wird der Zellleib etwas ausgezogen und die 
Wurzeln der Fortsätze verlaufen im Anfang schräg lateralwärts, 
um gleich in die reine Längsrichtung umzubiegen (Fig. 24). 
Indem die Zelle weiter von der Faserbahn sich entfernt, wird 
der Verbindungsstrang zwischen beiden etwas dünner ausgezogen 
(Fig. 25 und 26) und der Haupttheil des Protoplasmas häuft 
sich mehr und mehr um den Kern herum. Wenn schliesslich 
die Zelle ihre definitive Lage in oder nahe der Medianebene 
erreicht hat, ist sie mit den Längsfasern nur durch einen quer- 
verlaufenden, recht dünnen Fortsatz verbunden (Fig. 27). Mit 
anderen Worten ist aus einer oppositipol bipolaren Zelle eine 
unipolare Zelle geworden, deren einziger Fortsatz sich an der 
Stelle, wo die Zelle ursprünglich lag, T-förmig theilt, um eine auf- 
und eine absteigende Strangfaser zu bilden. Die Formumwand- 
lung wird in der beigegebenen Textfigur veranschaulicht. 


Textfig. 6. 
Schema der Formumwandlung der Hinterzellen. 


Diese Umwandlung entspricht genau derjenigen, welche die 
Spinalganglienzellen durchmachen ?). Nur in dem Fall der 


1) Tagliani (95) hat schon die Angabe gemacht, dass die Hinter- 
zellen (cellule giganti) im dorso-lateralen Theil des Embryonalmarks 
entstehen und später in die Deckplatte nach oben wandern. Leider 
giebt er nicht an, bei welchen Fischembryonen er diesen Vorgang be- 
obachtet hat. Die Formumwandlung, die gleichzeitig mit der Wande- 
rung stattfindet, beschreibt er nicht. 

2) In Zusammenhang hiermit ist eine Angabe von Ramon y 
Cajal (94, p. 167), die später von Lugaro (9) unabhängig ge- 
funden wurde, von hohem Interesse. Die Zellen der äusseren Körner- 
schieht des Kleinhirns sind nämlich bei Säugethieren zunächst bipolar 
und mit horizontalen Ausläufern versehen. Sie versinken allmählich 


418 Ross Granville Harrison: 


Hinterzellen ist eine thatsächliche Ortsbewegung zu eonstatiren — 
ob activ oder passiv muss dahingestellt bleiben —, die als directe 
Ursache der Formverwandlung zu betrachten ist. Ob bei den 
Spinalganglienzellen ein ähnliches Moment wirkt, geht nicht aus 
den Angaben von His!) hervor, der bekanntlich diesen Vorgang 
entdeckt hat. Wohl aber erfolgt nach der Auffassung von 
v. Lenhossek?) die Umwandlung der Spinalganglienzellen 
durch mechanische Momente, die die bipolaren Zellen aus dem 
direeten Verlauf der Nervenwurzel zur Peripherie derselben 
drängen. 

Ausser den primär bipolaren Hinterzellen giebt es auch 
solche, die von Anfang an nur einen Fortsatz haben, der eine 
absteigende oder eine aufsteigende Richtung einschlägt (Fig. 21) 3). 
Durch das Heraufrücken nach der dorsalen Mittellinie des Medullar- 
rohrs werden diese Zellen, wie es bei den bipolaren geschieht, 
in ihrer Gestalt umgewandelt ®). 

Der Verlauf des Zellausläufers der ausgebildeten Hinter- 
zelle bis zum Hinterstrang entspricht zuerst beinahe dem 
Gewölbe der Rückenmarksoberfläche, d. h. der Fortsatz biegt 
sich sanft ventralwärts, um den Hinterstrang zu erreichen 
(Fig. 32), welcher in den jungen Stadien weit lateral, direet 
dorsal vom Seitenstrang liegt’). Erst später nehmen die Hinter- 
in die Tiefe, wobei eine sich 'T-förmig theilende, fadenförmige Verbin- 
dung zwischen Zellleib uud Ausläufern zurückbleibt. Der Gedanke 
liegt nahe, dass vielleicht diese Art Transformation bei der Histogenese 
der Nervenelemente sehr verbreitet sei. 

1) His (87). 

2) v. Lenhossek (%) p. 265. 

3) Es ist kaum möglich, das Zahlverhältniss zwischen den uni- 
polaren und bipolaren Zellen zu bestimmen, denn in Schnittpräparaten 
werden offenbar eine grosse Anzahl Fortsätze abgeschnitten, wodurch 
bipolare Zellen zu unipolaren gemacht werden könnten, 

4) Bei Ctenolabrus findet Sargent (99, p. 222) eine Anzahl Hinter- 
zellen, deren Axonen einfach bleiben, während die meisten sich je in 
eine ab- und eine aufsteigende Strangfaser theilen. 

5) Rohon (84) hat den Verlauf von diesem Ausläufer beobachtet 
und abgebildet und fasst ihn als dorsale Wurzelfaser auf, obgleich 
er nicht im Stande war, den eigentlichen Austritt aus dem Rückenmark 
zu beobachten. Er schreibt: (p. 55) „Sie (die Ausläufer) erstrecken 
sich von der Zelle im Zwischenraum zwischen der Membran prima und 
der Oberfläche des Markes gegen die Stelle hin, wo die dorsalen 


Ueber die Histog. d. peripheren Nervensystems bei Salmo salar. 419 


stränge durch eimen mächtigen Zuwuchs von Fasern an 
Masse zu. Dadurch werden die zu den Hinterzellen gehörenden 
Fasern in die Tiefe gedrängt und nach der Mittelebene gerückt. 
Hierdurch erklärt sich, weshalb in dem Rückenmark der Er- 
wachsenen von jenen Knochenfischarten, bei denen die Hinter- 
zellen während des Lebens bestehen, der Ausläufer der Zelle 
zuerst rein ventral verläuft, um nahe zur Mittelebene in den 
Längsstrang umzubiegen, wie Dahlgren und Sargent es be- 
schrieben haben. 

Während wohl die Mehrheit der Hinterzellen nur solche 
Fasern bilden, die ausschliesslich im Centralnervensystem ver- 
laufen, so giebt es auch eine grosse Anzahl, aus denen periphere 
Fortsätze entstehen. In den Anfangsstadien sind die beiden 
Zellarten nicht von einander zu unterscheiden, aber kurz nach- 
dem die Strangfasern gebildet sind, lassen einige von den Zellen 
periphere Auswüchse hervorsprossen (Fig. 17 A. n.).. Zunächst 
stumpf und protoplasmatisch und nur eine Ausbuchtung an der 
Flügelkante hervorrufend, brechen sie bald durch die äussere 
Grenzmembran des Rückenmarks und wachsen zu einer sehr 
dieken, äusserst scharf contourirten, quer verlaufenden Nerven- 
‘faser aus (Fig. 18). Diese peripheren Fasern entstehen entweder 
direet am Zellleib oder an einem der Längsausläufer, an einer 
Stelle, die nicht weit vom Zellleib entfernt liegt). 

Die peripheren Nerven sind metamer geordnet (Fig. 5). 
Sie entspringen in ungefähr derselben Querebene wie die motorischen 
Wurzeln, aber da der dorsale Theil der Myosepten schräg nach 
hinten abläuft, entspricht die Lage der Nerven den Septen und nicht 


Wurzelfasern die Membrana prima durchsetzen und können nur die 
Bedeutung von dorsalen Wurzeln haben.“ His (89) hat auch die 
Hinterzellen des Forellenembryo erwähnt und abgebildet, jedoch ohne 
die Beziehung derselben zu dem Hinterstrang zu zeigen. Die von 
Retzius (93) abgebildete Hinterzelle stamnıt jedenfalls aus einem 
älteren Stadium, bei welchem der Hinterstrang schon in die Tiefe ge- 
drängt ist. 

1) Das Auswachsen der peripheren Fasern verläuft auf dieselbe 
Weise, wie bei den anderen Nervenfortsätzen, wofür auf die Beschrei- 
bungen von His(89) und auf Seite 406 sq. des vorliegenden Aufsatzes 
hingewiesen wird. Von dem Auswachsen oder „Spinnen“ von Fasern 
seitens der Hinterzellen bei Raja hat Beard (96, p. 393) eine treffliche 
Beschreibung gegeben. 


420 Ross Granville Harrison: 


den Myotomen selber. Die Nerven verlaufen demgemäss nach 
dem Austreten aus dem Rückenmark zuerst ungefähr quer in 
den kleinen Einsenkungen zwischen aufeinanderfolgenden Ur- 
wirbeln, um sich ausserhalb derselben sanft ventralwärts zu biegen. 
Zwischen Urwirbel und äussere Haut gelangt, wachsen sie rasch 
in ventraler Richtung weiter (Fig. 18). An günstig getroffenen 
Stellen lässt sich eine einzige Nervenfasser in der Bauchwand bis 
zum Niveau des Darmrohres verfolgen (Fig. 6). Die Bilder, die 
die Lachsembryonen liefern, sind in dieser Hinsicht manchmal 
fast identisch mit den von Beard nach Raja batis wiederge- 
gebenen. Häufig, wohl in der Mehrzahl der Fälle, betheiligt 
sich nur eine einzige Zelle an dem Aufbau eines Segmental- 
nerven. In anderen Fällen (Fig. 17) sind zwei Zellen mit peri- 
pheren Ausläufern versehen, die zu einem Stamm sieh vereinigen; 
aber mehr als zwei betheiligte Zellen in einem Segment habe ich 
nicht beobachten können. 

Nach Verlassen des Medullarrohrs ist die Nervenfaser ein 
nackter Axeneylinder, der bedeutend dicker als die übrigen 
Nervenfasern ist. Nur an der Austrittsstelle sind manchmal 
einzelne Zellen der Ganglienleiste vorhanden, aber in dem weiteren 
Verlauf zwischen Muskelplatte und Epidermis sind keine losen 
Zellen vorhanden (Fig. 6), wie überhaupt keine Elemente, die 
sich verdächtigen liessen, einen Antheil an der Bildung der Fasern 
genommen zu haben. 

Die Regelmässigkeit der Bilder ist bemerkenswerth. In 
dieser Beziehung stellt der Lachsembryo einen Gegensatz zu dem 
Rajaembryo dar. Beim ersteren kommen sporadische oder 
extramedulläre Hinterzellen nur sehr selten vor, und selbst dann 
liegen sie in nächster Nähe des Rückenmarks. Dagegen sind 
bei Raja und vielen anderen Selachiern die peripher gelegenen 
Zellen, nach Beard, in grosser Anzahl vorhanden; ein Lieblings- 
ort derselben ist auf oder zwischen den Zellen der Urwirbel. 
Die Strucetur der Nerven, die aus diesen Zellen hervorgehen, ist 
sehr variabel '). In den allereinfachsten Fällen ist das Verhalten 
wie beim Lachsembryo, d. h. der Nerv ist ein Ausläufer einer 
einzigen Zelle. In anderen Fällen sind peripher gelegene Gang- 
lienzellen vorhanden; manchmal sind zwei davon dieht zusammen ; 


1) Beard (96, p. 386). 


Ueber die Histog. d. peripheren Nervensystems bei Salmo salar. 421 


der Nervenfortsatz der einen verläuft peripherwärts, der der 
anderen eentralwärts. Auch bildet Beard Fälle ab, wo eine 
Faser zwischen zwei Zellen verläuft und beide mit einander zu 
verbinden scheint. Andere Nerven scheinen aus Zellketten zu be- 
stehen, und wieder andere sind einfache Fasern, auf denen aber 
Ganglienzellen sich fest anschmiegen ?). 

Ueber die Art und Weise, wie die Nerven endigen, kann 
ich nichts Bestimmtes berichten. In ihrem Verlauf scheinen sie 
kleine Aestehen abzugeben, die sich nach der Haut hin wenden. 
Doch können dieselben mit grosser Leichtigkeit mit Gerinnsel- 
fäden, die auch überall vorkommen, verwechselt werden. Sicher 
ist es aber, dass die Nerven Hautnerven sind, und dass sie keine 
motorische Funetion haben. Der Umstand, dass nach Verlassen 
des Rückenmarkes die Nerven in der kleinen Einsenkung zwischen 
zwei nebeneinander liegenden Myotomen verlaufen, verursacht 
oft Trugbilder an Querschnitten, die die Auffassung veranlassen 
konnten, dass die Nerven in der Muskelplatte selber endigten; 
selbst sehr dünne Querschnitte, die in die Ebene der Myosepten 
fallen, enthalten etwas von dem Myotomgewebe, das die Nerven 
überdeckt (Fig. 17 und 18). Genaue Einstellung iässt aber in 
allen Fällen, wo die Nervenfaser nicht gerade durch das Mikro- 
tomiren mitten in ihrem Verlauf abgeschnitten wurde, constatiren, 
dass der Nerv glatt an dem embryonalen Muskelgewebe vorbei- 
zieht. Noch besser beweisen dies die schrägen Längsschnitte 
(Fig. 5). In dieser Hinsicht stimmen die Befunde beim Lachs- 
embryo mit den an Selachiern geltenden Angaben von Beard?) 
überein. 

Die metamere Anordnung der Hinternerven ist eine Eigen- 
schaft, die, soweit mir bekannt, nur der Ampbhioxus mit dem 
Teleostierembryo gemeinschaftlich hat ?). Bei Raja, wie Beard 
ausdrücklich betont, fehlen gänzlich alle Spuren einer Segmen- 
tation *). Auch bei dem Lachsembryo ist die Metamerie nicht 


1) Vergleiche p. 432. 

2) Die ersten diesbezüglichen Angaben von Beard (9) wichen 
hiervon ab, wie auch die Angaben von Studnicka, was sich durch 
die Trüglichkeit der Querschnittbilder erklären lässt. 

3) Studnicka (95) macht leider keine Angaben über die etwaige 
Metamerie der Hinternerven bei Ammocoetes, Pristiurus, Rana, Bufo etc. 

4) Beard (96) p. 384. 


429 Ross Granville Harrison: 


ganz vollkommen; denn die Hinternerven sind in den kopf: 
wärts vom siebenten gelegenen Segmenten überhaupt nicht zu 
treffen, und sie fehlen bei jedem Exemplar auch hier und da an 
verschiedenen Stellen, wo sie sonst vorzukommen pflegen. Die 
Anzahl der Segmente, wo die Nerven zufälligerweise ausbleiben, 
beträgt aber nicht ein Viertel der ganzen Segmentzahl. 

Während die peripher verlaufenden Nervenfasern aus den 
Hinterzellen hervorsprossen, rücken die Zellen wie die anderen 
Hinterzellen allmählich nach der dorsalen Mittellinie des Rücken- 
marks zu (Fig. 6). Gleich den anderen Hinterzellen wird da- 
durch ihre Form verändert, indem aus einer bipolaren Zelle eine 
unipolare wird, deren einer Forsatz sich T-förmig theilt. Die 
Zweige verlaufen dann, wie ursprünglich, in den Hintersträngen. 
Der periphere Fortsatz, der dicker als die anderen ist, zweigt 
in der grossen Mehrheit der Fälle von einem der Längsfort- 
sätze ab und begiebt sich direet lateralwärts (Figg. 5, 19 
und 22). 

Die Gesammtverhältnisse der zu einer Zelle gehörenden 
Fortsätze lassen sich im den ausgebildeten Stadien kaum an 
Schnitten beobachten, die nach den gewöhnlichen embryolo- 
gischen Methoden behandelt sind. Ueberhaupt ist die Verbindung 
zwischen peripheren Fasern und Zellen einige Tage nach deı 
Entstehung der ersteren schwer oder gar nicht zu constatiren 
Um so mehr kommen deshalb die Resultate zu statten, die 
Van Gehuchten (96) mit Hülfe der Chromsilber - Methode 
gewonnen hat. Van Gehuchten hat nämlich gefunden, dass 
die betreffenden Zellen bei älteren Embryonen und Larven der 
Forelle!) unipolar sind und dass der einzige Ausläufer einer 
jeden Zelle sich in der Querebene nach dem Hinterstrang begiebt, 
wo er sich auf zwei verschiedene Arten vertheilen kann. In 
dem einen Fall theilt er sich in eine dünne Faser, die in dem 
Hinterstrang weiter verläuft und eine dieke, die durch die 
hintere Wurzel das Rückenmark verlässt und sich peripherwärts 
wendet, in dem anderen Fall theilt er sich T-förmig in einen 
aufsteigenden und einen absteigenden Ast, die beide in dem 
Hinterstrang verlaufen, von denen aber der eine dünn ist und 


1) Die Embryonen waren vierzig bis sechsundvierzig Tage be- 
brütet und standen unmittelbar vor dem Ausschlüpfen. Sie sind also 
beträchtlich älter als die von mir benützten. 


Ueber die Histog. d. peripheren Nervensystems bei Salmo salar. 423 


der andere diek; letzterer theilt sich nach einem mehr oder 
weniger langen Verlauf wieder in einen dieken peripher ver- 
laufenden Nerv und eine dünnere Strangfaser!). Dieses Ver- 
halten, welches nach meinen Beobachtungen die Regel zu sein 
scheint, wird in dem Schema (Textfigur 7c) dargestellt. Es ent- 
spricht dem, was aus der in Fig. 22 abgebildeten Zelle im Ver- 
lauf der Entwicklung geworden wäre, wenn sie ihre definitive 
Lage an der dorsalen Mittellinie des Medullarrohrs erreicht hätte. 
Die Hauptphasen der Umwandlung von der mit peripherem Fort- 


A 


[72 ® c 


Textfig. 7. 
Schema der Formumwandlung der mit peripherem Fortsatz 
versehenen Hinterzellen. 
nn 


satz versehenen Zelle lassen sıch im Schema (Textfigur 7) dar- 
stellen, wovon die letzte Stufe (c) unter Benutzung der Angaben 
von Van Gehuchten hergestellt wurde. 


1) In seinen Schlussbemerkungen erwähnt Van Gehuchten 
diesen zweiten Fall gar nicht, sondern er fasst in den folgenden Worten 
seine Resultate zusammen (p. 508): „Ces cellules ont de particulier et 
de caracteristigue qu’elles sont pourvues d’un prolongement unique, 
lequel, & une distance assez longue de la cellule d’origine, se divise 
en une branche grele et delicate, devenant une fibre constitutive du 
cordon posterieur, et une branche plus Epaisse qui sort de la moälle 
et p@netre dans une racine posterieure pour devenir le eylindre-axe 
d’une fibre peripherique.“ 

Die Angaben von Aichel (9) stimmen weniger mit den mei- 
nigen überein und weichen demgemäss auch von den Van Gehuchten- 
schen ab. Aichel, der auch mit der Golgi’schen Methode gearbeitet 
hat, findet zwar, dass die Ausläufer der Hinterzellen beim Eintritt in 
die Längsbündel sich T-förmig theilen, lässt aber die dadurch ent- 
standenen Strangfasern, sowohl in dem Vorder- und Seitenstrang 
als in dem Hinterstrang verlaufen. — Eine einzige Zelle, die er 
übrigens multipolar findet, sollsogar Fasern an alle drei Bündel liefern. 
Ein solches Verhalten lässt sich aber kaum mit der Entstehungsweise 
der Zellen in Einklang bringen. Es erklärt sich vielleicht dadurch, 
dass Ausläufer von mehreren Zellen aufeinander gelagert werden. 

Archiv f. mikrosk. Anat. Bd. 57 98 


4924 Ross Granville Harrison: 


Ueber die ausgebildeten Hinterzellen sind hier nur einige 
Abweichungen von früheren Angaben zu berücksichtigen. Was 
die äussere Form der Zellen betrifft, so ist es sicher, dass die 
grosse Mehrheit unipolar ist, wie oben schon beschrieben wurde. 
An wohl conservirten Exemplaren ist der Zellleib rund oder 
birnförmig; von einer Seite desselben verläuft lateralwärts ein 
dieker Fortsatz (Fig. 28). Wohl giebt es dann und wann Zellen, 
die nebenbei auch einen Längsausläufer direet vom Zellleib ent- 
senden; solche sind jedoch nur selten. Eine andere Form von 
Hinterzellen kommt etwas häufiger vor. Diese liegen meisten- 
theils recht weit von der Mittelebene entfernt. Sie sind bipolar; 
einer von den beiden Ausläufern erstreckt sich nach der ent- 
gegengesetzten Körperseite, wie Rohon beschrieben hat!). Die 
von Rohon beschriebenen dendritenartigen Ausläufer habe ich 
nicht gefunden. Es ist mir nicht unwahrscheinlich, dass diese 
durch die bei der Conservirung stattgefundenen Schrumpfungen 
hervorgerufen sein könnten. Diese Vermuthung wird auch da- 
durch bestärkt, dass nach Van Gehuchten keine Dendriten- 
fortsätze an Golgi’schen Präparaten erscheinen ?). 

Aus dem Vorhergehenden ist es ersichtlich, dass die Hinter- 
zellen unter einander beträchtliche Verschiedenheiten aufweisen, 
indem einige nur Strangfasern und andere auch periphere Fasern 
bilden; wieder andere entsenden eine Quercommissurenfaser nach 
der entgegengesetzten Körperseite. In den Vorstufen sind sie 
aber alle gleich, und entstammen aus einer bestimmten Säule des 
Rückenmarks. Die verschiedenen Formen sind nur Abweichungen 
von einem Typus?). 


1) Rohon (84, p. 45). 

2) Sargent (98, p. 217) hat an Jen Hinterzellen bei Ctenolabrus 
kurze Fortsätze gefunden, die er für Dendriten hält. 

3) Van Gehuchten (97) hat schon die Aufmerksamkeit darauf 
gelenkt, dass die Hinterzellen verschiedene Elemente sind. Er unter- 
scheidet nämlich zwischen dorsalen Wurzelzellen (cellules dorsales 
radiculaires) und dorsalen Strangzellen (cellules dorsales des cordons). 
Ferner meint Van Gehuchten, dass bei den verschiedenen niederen 
Wirbelthieren entweder die einen oder die anderen ausschliesslich vor- 
kommen. Die Wurzelzellen sollen bei Petromyzon, Forelle (auch wohl 
bei Selachiern und Anuren), die Strangzeilen bei Salamandra und 
Tropidonotus sich finden. Das Vorhandensein von beiden Zellarten 
bei Salmo, und der Umstand, dass sie aus einer Anlage hervorgehen, 
zeigen, dass wir keinen Anstand zu nehmen brauchen, die Hinterzellen 
von verschiedenen Wirbelthieren mit einander homolog zu stellen, 


Ueber die Histog. d. peripheren Nervensystems bei Salmo salar. 425 


Ueber die Verbreitung der grossen Hinterzellen im Central- 
nervensystem des Salmenembryo stimmen meine Erfahrungen 
nicht völlig mit denen von Van Gehuchten überein. Niemals 
habe ich solche Zellen oral von der Gegend des vierten Myotoms, 
d. h. vor dem ersten Wirbelbogen, bei einer älteren Larva ge- 
troffen, obgleich in den allerfrühesten Entwicklungsstadien ge- 
wisser Neuroblasten an der Flügelkante sich auch im Vagus- 
gebiet vorfinden. Da die ausgebildeten Hinterzellen an gefärbten 
Sublimatpräparaten kaum zu übersehen wären, so ist es anzu- 
nehmen, dass die im Hinterkopf gelegenen Neuroblasten nie zu 
einer auffallenden Grösse auswachsen. Van Gehuchten da- 
gegen giebt an, dass grosse Hinterzellen auch in dem verlängerten 
Mark vorkommen, und in vier von seinen sieben Figuren, in 
denen die Hinterzellen dargestellt werden, bildet er Sehnitte 
durch das verlängerte Mark ab. Vielleicht liegt die Abweichung 
daran, dass Van Gehuchten Forellen-, während ich Lachs- 
embryonen benutzte, aber es kommt mir viel wahrscheinlicher 
vor, dass es sich in den Präparaten von Van Gehuchten um 
eine Imprägnirung von etwas kleineren Elementen handelt, 
die ein ähnliches Verhalten aufwiesen, wie sonst die Riesen- 
hinterzellen. 

Bezüglich des Schicksales der grossen Hinterzellen beim 
Lachs ist es unzweifelhaft, dass sie während des larvalen Lebens 
zu Grunde gehen !). Dies geschieht auf ungefähr dieselbe Weise 
wie bei Raja nach Angaben von Beard?) Gleichzeitig mit 


1) Beard (96, p. 391). 

2) Im Gegensatz zu dem Verhalten bei den Selachiern und bei 
dem Lachsembryo ist es eben so sicher festgestellt, dass bei gewissen 
Knochenfischen die grossen Hinterzellen während des ganzen Lebens 
verharren. Die Zellen, die Dahlgren (97) bei Pleuronectiden, Kolster 
(98) bei Perca und Sargent (98) bei Utenolabrus beschrieben haben, 
weisen eine so grosse Aehnlichkeit mit den bei Lachsembryonen vor- 
kommenden Hinterzellen auf, dass ihre Gleichwerthigkeit nicht zu be- 
zweifeln ist. Besonders bei dem letztgenannten lässt sich der Vergleich 
bis in die Einzelheiten durchführen. Die Zellen sind nämlich unipolar; 
der Fortsatz verläuft ventralwärts und theilt sich in dem Hinterstrang 
in den meisten Fällen (zwei Drittel nach Sargent) in einem aufstei- 
genden Ast und einem absteigenden. Diese bilden ein gesondertes 
Bündel von Fasern. Ferner giebt Sargent an, dass dieses Bündel 
bis zur ventralen Wurzel des Trigeminus sich begiebt, durch welche 
es das Hirn verlässt. 


426 Ross Granville Harrison: 


dem Schwund des Dottervorraths schrumpfen die Zellen zu- 
sammen (Fig. 29 und 30). Das Protoplasma verliert seine körnige 
Beschaffenheit und wird homogen. Der runde Kern schrumpft 
und wird eingeknickt, und schliesslich verschwindet die ganze 
Zelle bis auf unbedeutende Spuren. Die peripheren Fasern werden 
viel eher in der Entwicklung unsichtbar. Schon im Stadium XIL 
sind sie wenigstens nicht mehr an Embryonen aufzufinden, die 
mit Sublimat oder Chrom-Osmo-Essigsäure behandelt worden sind. 
Damit soll aber nicht behauptet werden, dass sie zu Grunde 
gegangen seien. Im Gegentheil ist kein Grund vorhanden, daran 
zu zweifeln, dass sie länger persistiren, danach Van Gehuchten 
sie bei ausgeschlüpften Larven mit Chromsilber sich imprägniren 
lassen. Die Zunahme des Mesenchymgewebes, das bald Fasern 
erzeugt, wäre eine hinreichende Erklärung, weshalb die Nerven 
an gewöhnlichen Präparaten nicht zu Tage treten. 

Ueber die morphologische Bedeutung der Hinterzellen 
kann man angesichts unserer jetzigen Kenntnisse zu klaren Vor- 
stellungen gelangen. 

Beim Amphioxus sind die Vertreter der Hinterzellen zweifels- 
ohne in den bipolaren mittelgrossen Ganglienzellen von Rohde 
(88) zu erblicken. Diese Ansicht wurde zuerst von Studnitcka 
betont!). In der Begründung dieser Auffassung beruft sich 
Letzterer zutreffenderweise auf die Angaben von Retzius (91), 
der mittelst der Methylenblau-Methode vom Verhalten der ver- 
schiedenen Nervenzellen des Amphioxus eine klare Darstellung 
gegeben hat. Retzius findet, in Uebereinstimmung mit Rohde, 
dass die bipolaren mittelgrossen Zellen in zwei longitudinalen 


1) v. Kupffer (9, p. 73) hatte sich schon dahin ausgesprochen, 
dass die peripheren Fasern der Rohon’schen Hinterzellen den dorsalen 
sensiblen Fasern von Amphioxus entsprächen. Studnicka (9) hebt 
hervor (p. 21), dass Rohon und die meisten anderen früheren Autoren 
die Hinterzellen mit den sogenannten „colossalen Ganglienzellen“ des 
Amphioxus homolog gestellt haben, was aber angesichts ihres Verhaltens 
im Centralnervensystems nicht haltbar sei. Beard (96. p. 400), der 
jegliche Homologie der Hinterzellen mit Zellen des Amphioxus ablehnt, 
hat speciell den Vergleich mit den colossalen Zellen einer Kritik 
unterzogen. Die v. Kupffer’sche Auffassung, dass die peripheren 
Nerven der Hinterzellen mit den peripheren sensiblen Nerven des 
Amphioxus homolog seien, weist Beard zurück, ohne die von Retzius 
ermittelten Befunde beim Amphioxus überhaupt zu berücksichtigen, 


Ueber die Histog. d. peripheren Nervensystems bei Salmo salar. 427 


Reihen liegen, der Mittelebene des Thieres symmetrisch ange- 
ordnet. Der Wortlaut von Retzius (p. 42) sei hier wiederzugeben: 
„Sie [die Zellen] entsenden nach vorn und hinten je einen Fort- 
satz... Was nun aber die Fortsätze anbelangt, so geht in der 
That, wie eben erwähnt, von jeder Zelle der eine nach vorn und 
der andere gerade nach hinten . ... Beide ziehen weite Streeken 
nach vorn und hinten; in der Gegend einer sensiblen Wurzel, 
in der Regel der zunächst gelegenen, theilt sich der Fortsatz 
in zwei Fasern, von denen eine in derselben Richtung weiter 
verläuft, während die andere in die sensible Wurzel hineintritt“. 

Hieraus ist es ersichtlich, dass diese Zellen des Amphioxus in 
allen Hinsichten mit einem frühen Entwicklungsstadium der Hinter- 
zellen des Lachsembryo übereinstimmen (Fig. 19 u.24). Die Aehn- 
lichkeit der beiden Zellarten wird noch dadurch erhöht, dass der 
Zellleib von den „mittelgrossen“ Zellen immer etwas medial von 
der Faserbahn liegt, so dass die Zellen des Amphioxus auch auf 
der ersten Stufe eines Uebergangs in den unipolaren Typus 
stehen. Ja, einige davon sind fast unipolar mit T-förmig ver- 
zweigtem Fortsatz. 

In Zusammenhang hiermit sind die Befunde bei Petromyzon 
von hohem Interesse. Nach Angaben von Freud (78) giebt es 
auch hier gewisse Zellen, Hinterzellen genannt, die sich wie 
die bipolaren Zellen des Amphioxus verhalten !). Bei Petromyzon 
liegen die bipolaren Hinterzellen in den tieferen Schichten 
des Rückenmarks. Jede Zelle entsendet eine Strangfaser und 
von dem anderen Pol eine Faser, die das Rückenmark durch 
die hintere Wurzel eines Spinalnerven verlässt und sich peripher- 
wärts begiebt. Was aber von grosser Wichtigkeit ist, ist, dass 
Freud diese Zellen mit den Spinalganglienzellen vergleicht und 
zu dem Schluss kommt, dass sie morphologisch gleichwerthige 
Elemente sind. Er weist nämlich nach, dass die von beiden 
Zellarten entspringenden Fasern sich gleich verhalten, und auch, 
dass es wechselseitige Beziehungen zwischen der Anzahl in einem 
Spinalganglion und der Anzahl Hinterzellen in dem entsprechen- 
den Metamer des Rückenmarks giebt. So finden sich zum 


1) Freud schenkt den Angaben der früheren Autoren bezüg- 
lich dieser Zellen, namentlich denen von Kutschin (63) und Reissner 
(60) ausführliche Berücksichtigung, so dass ich mich mit dem Hinweis 
auf seine Darstellung begnügen kann. 


428 Ross Granville Harrison: 


Beispiel in der Schwanzgegend verhältnissmässig wenig Zellen in 
den Spinalganglien, aber viele Hinterzellen!). Weiter hat Freud 
auch nachgewiesen, dass es an verschiedenen Stellen im Verlauf 
der sensiblen Spinalwurzeln Zellen giebt, die den Hinterzellen 
und den Spinalganglienzellen gleich sind?), und hinsichtlich 
ihrer Lage eine intermediäre Stellung zwischen den beiden Zell- 
arten einnehmen ?). Diese Umstände zeugen für die Richtigkeit 
der von Retzius allerdings mit Vorbehalt aufgestellten Hypothese, 
dass die Vertreter der Spinalganglienzellen der höheren Wirbel- 
thiere in den mittelgrossen bipolaren Zellen des Amphioxus zu 
sehen sind ®). 

Es bleibt noch übrig, den Nachweis zu liefern, dass die 
bei Petromyzon und anderen Ichthyopsiden-Embryonen vorkom- 
menden Riesenhinterzellen mit den Hinterzellen des erwachsenen 
Neunauges identisch seien. Dieses wird durch die Ermittelungen 
von Studnitk,a erwiesen, der die embryonalen Hinterzellen 
durch verschiedene Entwicklungsstadien verfolgt hat, bis sie 
schliesslich, nach Wanderung in die tieferen Schichten des 
Rückenmarks zu denen des Erwachsenen wurden. Dass die 
Riesenhinterzellen bei allen Ichthyopsiden-Embryonen homolog 
sind, eine Ansicht, die von Beard (89) begründet wurde, wird 
von Niemand bezweifelt. 

Diese Vergleiche genügen, um die Gleichwerthigkeit der 
Hinterzellen und Spinalganglienzellen festzustellen. In der Ge- 
schichte des Lachsembryos sind aber noch wichtige diesbezügliche 
Thatsachen zu finden, worauf Van Gehuchten nach Ver- 
0) Freud (78, p. 144). 

2) Ibid. p. 137. 

3) Die Worte von Freud lauten (p. 142): „Die Aehnlichkeit der 
Hinterzellen und Spinalganglienzellen, das Vorkommen von Zellen an 
verschiedenen Strecken zwischen Spinalganglien und Hinterhoru, end- 
lich die der Entwieklungsgeschichte entnommene Thatsache, dass die 
Spinalganglienzellen bloss aus dem Rückenmark herausgedrückte Ele- 
mente des Hinterhorns sind, lassen es wahrscheinlich erscheinen, dass 
die Spinalganglien und Hinterzellen Elemente von gleicher Bedeutung 
sind, jede Zelle dazu bestimmt, eine Faser der hinteren Wurzeln in 
sich aufzunehmen. Spinalganglion und Hinterhorn würden zusammen 
eine Zellenmasse für den Ursprung der hinteren Wurzeln bilden, die 
vergleichbar ist den Zellenmassen in den Vorderhörnern, aus denen 


die vorderen Wurzeln entstehen.“ 
4) Retzius (91, p. 45). 


Ueber die Histog. d. peripheren Nervensystems bei Salmo salar. 429 


gleichung der ausgebildeten Stadien dieser beiden Zellarten bei 
der Forelle hingewiesen hat. Er begründet die Homologie auf 
Aehnlichkeit in der Form, auf die Beziehungen der daraus ent- 
springenden Fasern und auf den Umstand, dass beide Zellgruppen 
aus demselben Theil des Nervensystems entstammen. Wie aus 
der obigen Beschreibung hervorgeht, sind ihre Lagebeziehungen 
in den jüngsten Entwicklungsstadien sehr intim; indem die 
Hinterzellen an den lateralen Theil des Ganglienstrangs an- 
grenzen (Fig. 9 und 10 und Textfiguren 3 und 4). Auch ist 
es wohl von Wichtigkeit, dass, wie die vorliegende Untersuchung 
zeigt, die Hinterzellen sowohl wie die Spinalganglienzellen ur- 
sprünglich bipolar sind und dass ihre Unipolarität eine secundäre 
Erwerbung ist. 

Hinsichtlich der Lage dieser sensiblen Neuronen weisst die 
Wirbelthierreihe demgemäss verschiedene Stufen auf, von der primi- 
tivsten Anordnung, wo sämmtliche Zellen, die dorsale Wurzelfasern 
liefern, im Centralnervensystem bleiben, bis zu der am meisten 
modifieirten, wo alle Zellen der sensiblen Nerven in den Ganglien 
liegen. Amphioxus ist das einzig bekannte Exemplar der ersten 
Art!) Petromyzon und einige Knochenfische stellen in dieser Hin- 
sicht ein Uebergangsstadium dar, indem die Zellen der peripher 
verlaufende sensible Nervenfasern entsenden, theils im Rücken- 
mark, theils in den Spinalganglien, und bei Petromyzon theils 
zerstreut im Verlauf der dorsalen Wurzeln liegen. Bei den 
höheren Wirbelthieren sind sämmtliche Zellen der betreffenden 
Art in den Ganglien zu finden. 

Im Verlauf der embryonalen Entwicklung aller höheren 
Wirbelthieren werden die primitiven Verhältnisse durchlaufen, 
indem die Auswanderung der Zellen des Ganglienstrangs das 
ontogenetische Gegenstück zu der Stammesgeschichte bildet. 
Die Embryonen, bezw. Larven der Ichthyopsiden, verharren eine 
Zeit lang in einem Zwischenstadium. Bei dem Lachsembryo 
z. B. bleiben die Hinterzellen im Rückenmark und bilden, gleich- 


1) Nach Angaben von Retzius (91, p. 45) sind es verschieden- 
artige Zellen, die beim Amphioxus dorsale Wurzelfasern liefern. Die 
mittelgrossen bipolaren Zellen, die homolog mit den Hinterzellen sind, 
liefern die grosse Mehrheit von solchen Fasern, von denen aber auch 
einige durch die kleinen bipolaren Zellen und andere durch gewisse 
multipolare Zellen gebildet werden. 


430 Ross Granville Harrison: 


zeitig mit der Bildung der Fasern seitens der motorischen Zellen 
und Commissurenzellen, Hinterstrangfasern und die peripher ver- 
laufenden Hinternerven. Letztere bleiben geraume Zeit die ein- 
zigen peripheren sensiblen Nerven des embryonalen Körpers und 
functioniren, bis sie später durch die Nerven der Spinalganglien- 
zellen ersetzt werden. Es muss also den Hinterzellen eine hohe 
physiologische sowohl, als eine morphologische Bedeutung zu- 
kommen !). 

Bei diesen Betrachtungen ist noch zu beachten, dass die 
Hinterzellen unter einander eine Differenzirung erfahren, in- 
dem viele lediglich als Strangzellen auftreten. Dies ist wahr- 
scheinlich als eine neuere Erwerbung aufzufassen, da die Zellen 
ohne periphere Fasern bei Amphioxus und Petromyzon nicht 
vorzukommen scheinen. Bei einigen von denjenigen Knochen- 
fischarten, wo die Hinterzellen zeitlebens bestehen bleiben, unter- 
liegen sie noch einer weiteren Umbildung. So ist es höchst 
wahrscheinlich, dass die grossen Zellen, die in dem sogenannten 
lobus accessorius vorkommen, und die Ussow (82), Fritsch 
(84), Tagliani (95) u. A. bei Trigla, Lophius, Orthagoriscus, 
Ballistes ete. beschrieben haben, Hinterzellen sind, die sich in 
einer bestimmten Gegend des Centralnervensystems gehäuft haben, 
um eine specielle, aber noch nicht genau bekannte Function zu 


I) Die relative Zeit der Differenzirung der verschiedenen Nerven- 
elemente scheint für die richtige Auffassung ihrer Function von ge- 
wisser Wichtigkeit zu sein. Ich erwähne dies, weil Tagliani (97) 
zum Schluss gelangt ist, dass die Hinterzellen motorisch seien. und 
sich auf solche Gründe zu stützen sucht, nämlich dass die Hinterzellen 
sich gleichzeitig mit den Spinalganglienzellen ausbilden, und dass 
sie erst mit dem Auftreten der motorischen Wurzeln atrophiren. 
Tagliani giebt aber keine Einzelheiten an, um diese vermeint- 
lichen Thatsachen über allen Zweifel zu stellen. Auf Grund der Be- 
funde beim Lachsembryo möchte ich ihre Richtigkeit bestreiten, doch 
nicht ohne eine Erklärung dafür zu geben. Die erste Behauptung 
erklärt sich durch den Umstand, dass die ersten Entwicklungsstadien 
der ventralen Wurzeln sehr leicht zu übersehen sind. In Bezug auf 
die zweite ist zu erwähnen, dass die Hinterzellen sich zu der Zeit 
differenziren, wo der Ganglienstrang sich auflöst und seine Zellen zu 
den kleinen Anlagen der Spinalganglien sich anhäufen; dies bedeutet 
aber nicht, dass die Ganglienzellen gleich functionsfähig sind; 'm Gegen- 
theil bleiben sie recht lange undifferenzirt, und während dieser Zeit 
sind die Hinterzellen und die motorischen Zellen ausgebildet. 


Ueber die Histog. d. peripheren Nervensystems bei Salmo salar. 451 


übernehmen. Freilich kann man dies erst dann mit Sicherheit 
behaupten, wenn Näheres über ihre Entwicklung bekannt ge- 
worden ist. 

Die hier vertretene Ansicht über die Bedeutung der Hinter- 
zellen weicht wesentlich von den Anschauungen von Tagliani 
ab, der die betreffenden Elemente motorisch sein lässt!) und m 
ihnen keinen morphologischen Zusammenhang mit den mittel- 
grossen Zellen des Amphioxus und den Hinterzellen der Petromy- 
zonten sieht?). Tagliani führt aber keine speeifischen Be- 
obachtungen auf, die dafür sprechen, dass die Hinterzellen moto- 
risch seien, was auch nach den schon vorhin erwähnten Angaben 
von Beard, van Gehuehten und mir selbst unhaltbar ist. 
Die genaue Uebereinstimmung in allen Hinsichten zwischen den 
in Frage kommenden Zellen des Amphioxus und den frühen 
Entwieklungsstadien der Hinterzellen des Lachsembryo, wie zu- 
erst in der vorliegenden Untersuchung beschrieben worden ist, 
war Tagliani unbekannt, und es ist gerade diese Ueber- 
einstimmung, die alle Zweifel über die Beziehungen der beiden 
Zellarten beseitigt. In Betreff der Hinterzellen des Petromyzon 
ist es Tagliani entgangen, dass ihre Identität mit den 
embryonalen Riesenzellen oder sogenannten transitorischen Zellen 
durch direete Beobachtung von Studni@ka bewiesen worden 
ist, der, wie oben schon aufgeführt, die embryonalen Zellen sich 
in die Hinterzellen umbilden gesehen hat. 

Die sehr originellen Ansichten von Beard über das 
Wesen der Hinterzellen bei den Embryonen sollen noch vor dem 
Schluss eine kurze Berücksichtigung finden. Beard hat den 


1) Tagliani (97, p.269) schreibt: „Ho ferma convinzione di non 
trovarmi qui di fronte a elementi di senso, a elementi cio@ a eonduzione 
centripeta; le note anatomiche degli elementi nervosi giganti sono 
cosi spieceate, da farmi pensare senza tema di fallire, alla loro natura 
motoria, per quanto il loro ultimo destino non sia in aleun modo 
assodato.“ 

2) Ibid. p. 272: „dico e cio risulta di mie ricerche in corso sul 
midollo spinale del Petromyzon marinus, che le „mittleren grossen 
Zellen“ del Reissner o „Hinterzellen“ del Freud nel midollo spinale 
di Ammocoetes e di Petromyzon, dal punto di vista morfologico, e 
torse anche funzionale non hanno nulla di comune con le cellule 
eollossali dell’ Amphioxus e le cellule giganti de Teleostei e quindi 
ancor meno con l’apparato nervoso transitorio.“ 


432 Ross Granville Harrison: 


Satz aufgestellt, dass die Entwicklung der Metazoen nicht eine 
directe sei, sondern dass, wie bei den Pflanzen, dort ein Gene- 
rationswechsel vorliegt. Bei dem Rochenembryo, wo Beard 
diese Vorgänge besonders eingehend schildert, ist der Generations- 
wechsel sehr verborgen. Die Larve oder das Blastoderm stellen 
die asexuelle Generation dar; auf dieser, aber gleichzeitig mit der- 
selben auf eine sehr verwickelte Weise zusammengemischt, wächst 
die geschlechtliche Generation, der sogenannte erwachsene Orga- 
nismus. Der vorübergehende Nervenapparat (transient nervous 
apparatus), d. h. die Hinterzellen und Nerven, bildet das Nerven- 
system der ungeschlechtlichen Larvengeneration. Dieses, be- 
hauptet Beard, ist ein Nervensystem „totally different in 
character from the nervous system of a vertebrate animal“). 

Beard überschätzt aber nach meiner Meinung die Unter- 
schiede zwischen den Hinterzellen bezw. Nerven und dem übrigen 
Nervensystem eines Wirbelthieres; denn in Bezug auf Ursprung 
und auf Histogenese der Nervenfasern und Zellen verhalten sie 
sich ähnlich, und die Beziehungen der Hinterzellen zu anderen 
Bestandtheilen des Nervensystems sind sehr innig. Unterschiede 
bestehen zwar: die Hinterzellen differenziren sich sehr frühzeitig, 
und erscheinen desshalb merkwürdig oder auffallend; ihre Nerven- 
fasern sind verhältnissmässig dick und entbehren der gewöhnlichen 
Hüllen, und schliesslich verschwinden die Zellen bei den meisten, 
wenn auch nicht bei allen Ichthyopsiden mit dem Ende des 
larvalen Lebens. Diese Differenzen sind aber alle von unter- 
geordneter Natur. 

Es sind wohl das Vorhandensein der vielen sporadischen 
Nervenzellen und die Mannigfaltigkeit ihrer Beziehungen zu den 
vorübergehenden Nerven bei den Selachiern, die Beard veranlasst 
haben, eine Sonderstellung für die Hinterzellen zu suchen ?). Die spo- 
radischen Zellen gehören aber gewiss zu denen, die aus dem Ganglien 
strang herstammen, denn bei den Selachiern ist die Anzahl der 
dazugehörigen Zellen eine sehr grosse, wovon auch lange nicht 
alle zu den Spinalganglien zusammentreten ?). In anderen Worten 


1) Beard (96, p. 407). 

2) Vergleiche p. 421. 

3) Beard (9, p. 382) giebt sogar zu, dass die betreffenden Zellen 
in innigen Beziehungen zu den Spinalganglienzellen stehen ; spricht 
ihnen aber jegliche morphologische Verwandtschaft ab. 


Ueber die Histog. d. peripheren Nervensystems bei Salmo salar. 433 


stellen die sporadisch auftretenden oder peripheren Hinterzellen 
Elemente dar, die von ihrer ursprünglichen Lage abgerückt 
sind, ohne ihr bestimmtes Ziel, die Spinalganglien zu erreichen. 
Sie differenziren sich an irgend einer Stelle weiter, ohne dass 
sie in die richtigen Beziehungen zu anderen Elementen eintreten, 
um ihre ursprüngliche Function zu üben. Sie weisen, wie ge- 
wöhnlich bei sich rückbildenden Organen, viele Variationen 
auf. Bei dem Teleostierembryo fehlen diese überflüssigen Zellen 
fast gänzlich. Die Verhältnisse sind somit sehr vereinfacht und 
führen zu einer viel eonservativeren Auffassung vom Wesen der 
betreffenden Gebilde. Demzufolge sind die Hinterzellen nicht 
total verschieden von den übrigen Nervenelementen, sondern sie 
wirken in Zusammenhang mit diesen und weisen durch ihre 
Entwieklungsgeschiehte und durch Thatsachen der vergleichenden 
Anatomie eine genetische Verwandschaft mit den Spinalganglien- 
zellen auf, deren Function sie auch eine Zeit lang übernehmen. 


Zusammenfassung der Ergebnisse und Schlüsse. 

1. Die Trennung des Medullarstrangs von der Epidermis 
findet bei den Teleostiern, wie bei anderen Wirbelthieren, durch 
Abscehnürung und nicht durch Delamination der obersten Zell- 
schicht des Stranges statt. 

2. Nach Vollendung der Abschnürung besteht zunächst 
im Rumpfgebiet des Embryo kein disereter' Ganglienstrang; der- 
selbe wird aber durch Zellen dargestellt, die in der dorsalen 
Wandung des Medullarstrangs liegen. Diese Zellen bilden bald 
protoplasmatische Ausläufer, lösen sich vom Medullarstrang los 
und wandern einzeln zwischen Myotom und Medullarstrang ventral- 
wärts, um sich nach und nach zu kleinen Haufen, den Anlagen 
der Spinalganglien, zusammenzusammeln. Die Metamerie dieser 
Gebilde besteht also nicht in der Anlage (Ganglienstrang), sondern 
kommt allmählich während der Entwicklung zu Stande. 

3. Die Spinalganglienzellen bleiben geraume Zeit un- 
differenzirt; dann bilden sie sich in bipolare Zellen um. Der 
eine Fortsatz jeder Zelle wächst gegen das Rückenmark zu, 
brieht durch die äussere Grenzmembran und verliert sich im 
Hinterstrang. Die Eintrittsstelle dieser Fasern liegt ungefähr in 
der mittleren Horizontalebene des Markes, d. h. weit von dem 
Ursprungsort der Ganglienzellen entfernt. 


434 Ross Granville Harrison: 


4. Der Medullarstrang besteht, z. Z. seiner Trennung von der 
Haut, hauptsächlich aus länglichen, epithelial geordneten Stützzellen, 
die sich von der Mittelebene bis zur äusseren Grenzmembran er- 
strecken und deren Kerne in verschiedenen Reihen geordnet sind. 
Es sind eine innere und eine äussere kernfreie Zone vorhanden. 
In ersterer liegen die Keimzellen; in letzterer, nahe zur äusseren 
Grenzmembran, vereinzelte runde oder polyedrische Neuroblasten. 
Die Grenzen der Epithelzellen sind zunächst deutlich. Die 
Zellen enthalten ein sehr feines Netzwerk von Protoplasmafäden, 
an denen äusserst feine Körnchen angereiht sind. Sie gleichen dem- 
gemäss in Bezug auf feinere Structur den anderen Zellen des 
Embryonalkörpers. 

5. Die beiden Seitenhälften des Medullarstrangs sind zn- 
nächst bloss durch eine mediale Membran von einander getrennt. 
Der eigentliche Centralcanal entsteht dadurch, dass kleine Vaeuo- 
len intracellular neben der medianen Grenze der Zellen (Epithel- 
zellen und Keimzellen) sich bilden, und dann, ventral anfangend, 
allmählich zu einem einheitlichen Canal zusammenfliessen. 

6. Die Mehrzahl der Neuroblasten wird im Laufe ihrer 
Entwicklung birnförmig; das zugespitzte Ende wächst zu einem 
langen Fortsatz aus, der sich in eine Nervenfaser umbildet. 
Aus anderen Neuroblasten entstehen zwei Fortsätze von 
entgegengesetzten Polen der Zelle; beide wachsen in der Längs- 
richtung und bilden somit Strangfasern. In gewissen Fällen, 
besonders deutlich bei den Commissurenzellen, weist das wach- 
sende Ende der jungen Nervenfaser eine kleine Anschwellung 
auf, die glatt, d. h. ohne pseudopodienähnliche Anhänge er- 
scheint. 

7. Die auswachsenden Nervenfasern bohren ihren Weg 
dureh die Substanz der Stützzellen, ohne auf die darin enthal- 
tenen Fäden oder auf die Zellgrenzen zu achten. Bei der Zu- 
nahme der Fasern wird die Aussenzone des Medullarstrangs 
immer mehr durchlöchert, bis sie schliesslich eine gröbere netz- 
artige Beschaffenheit gewinnt; dieses Netz ist nicht mit dem 
intracellularen Netz zu verwechseln, das die embryonalen Zellen 
enthalten. Die wachsenden Nerven werden also nicht in die Maschen 
eines präformirten Netzwerks geleitet; im Gegentheil, das Netz, 
d. h. der Randschleier, verdankt seine fertige Structur dem 
activen Wachsthum der Nervenfasern. 


Ueber die Histog. d. peripheren Nervensystems bei Salmo salar. 1435 


8. Die motorischen Wurzeln der Spinalnerven entstehen 
dadurch, dass die Fortsätze von. Neuroblasten, die in der ven- 
tralen Hälfte des Rückenmarks liegen, die äussere Grenzmembran 
durchbrechen und weiter wachsen. Im Anfang besteht die 
Wurzel gewöhnlich aus einer Faser, dem Fortsatz einer einzigen 
Zelle, die ventralwärts wächst und nicht direet in die daneben 
liegende Muskelplatte hinein. Etwas später wachsen Fasern 
direet gegen das Myotom, während noch andere sich dorsalwärts 
wenden, um den Ramus dorsalis zu bilden. 

9. Längere Zeit, nachdem die motorischen Nerven ent- 
wiekelt sind, wandern einige Zellen aus dem Rückenmark an 
Jedem Nerv entlang heraus. Diese Zellen gesellen sich wahr- 
scheinlich den sympathischen Ganglien als motorische Elemente zu. 

10. Die Hinterzellen oder Rohon'schen Riesenzellen ent- 
stehen im dorsalen Theil des Medullarstrangs nahe zur Flügel- 
kante, d. h. unmittelbar neben dem Ganglienstrang. Die dort 
gelegenen Neuroblasten wachsen meistentheils bipolar aus und 
zwar in der Längsrichtung; andere sind unipolar. Die Fortsätze 
machen ihren Weg durch die Epithelzellen an der Flügelkante 
und bilden den ersten Aufang des Hinterstrangs. Sie sind 
überhaupt die ersten Nervenfasern, die im Embryonalmark auf- 
treten. 

11. Während die Strangfasern auswachsen, dehnt sich der 
Leib der Hinterzelle in der Querebene aus, und rückt allmählich 
von der Flügelkante ab, bis die Zelle schliesslich in, oder nahe an 
die dorsale Mittellinie des Medullarstrangs gelangt. Die Fasern 
bleiben an der ursprünglichen Stelle und die Verbindung zwischen 
Zellleib und Fasern wird dünn ausgezogen. Die bipolare Zelle 
wandelt sich somit in eine unipolare um, die rund oder bim- 
förmig wird. Die dazu gehörigen Strangfasern -entspringen dann 
durch T-Theilung des dünnen Verbindungsstrangs. 

12. Hinterzellen finden sich bei älteren Embryonen und 
Larven in allen Gegenden des Rückenmarks vom Bereich des 
vierten Myotoms bis zum Schwanz. Sie fehlen im verlängerten 
Mark. Mit dem Schwund des Dottersacks erleiden sie beim 
Lachsembryo, wie bei den Selachiern und den meisten Teleostiern, 
eine Rückbildung. 

13. Die Hinterzellen lassen sich in zwei Hauptarten ein- 
theilen. Die einen, wozu die Mehrzahl der Zellen gehört, bilden 


436 Ross Granville Harrison: 


lediglich Strangfasern. Die anderen, eine beträchtliche Anzahl, 
die wohl das primitivere Verhalten aufweisen, bilden auch peri- 
pher verlaufende Fasern. Die periphere Faser entsteht durch 
Umbildung eines protoplasmatischen Auswuchses, der vom Zell: 
leibe oder von einem der Längsfortsätze hervorwächst. Diese 
Fasern sind ausserordentlich dick und entbehren der gewöhnlichen 
Nervenhüllen. Die Nerven der Hinterzellen verlaufen über die Myo- 
tome hin nach der Haut zu, sind also sensibel. Sie sind metamer 
geordnet; jedoch fehlen sie beständig oral vom siebten Segment, 
sowie hier und da in anderen Rumpfsegmenten, je nach dem 
Individuum. Die Segmentalnerven bestehen aus einer einzigen 
oder aus zwei Fasern. 

14. In einem frühen, d.h. in dem bipolaren Stadium gleichen 
die Hinterzellen in Betreff ihrer Form und der Vertheilung ihrer 
Fortsätze vollständig den mittelgrossen bipolaren Ganglienzellen 
im Rückenmark des Amphioxus. Sie sind mit diesen und nicht 
mit den „colossalen“ Zellen homolog zu stellen. Auch mit den 
Hinterzellen von Petromyzon, mit den transitorischen Nervenzellen 
(Beard) und höchst wahrscheinlich mit den bei gewissen 
Knochenfischen im erwachsenen Zustande vorkommenden Riesen- 
zellen sind die Hinterzellen des Lachsembryo homolog. 

15. Die Hinterzellen sind mit den Zellen des Ganglien- 
strangs, d. h. mit den Spinalganglienzellen genetisch verwandt. 
Sie sind sensible Elemente, die nicht von ihrem Ursprungsherde 
auswandern; sie weisen demgemäss primitivere Verhältnisse als 
die Spinalganglienzellen auf. Bei dem Lachsembryo sind die 
Hinterzellen eine Zeit lang die einzigen mit peripheren Nerven 
versehenen sensiblen Elemente. Sie differenziren sich gleichzeitig 
mit den motorischen Nerven und mit den Commissurenzellen und 
funetioniren wohl im Zusammenhang damit. Erst bedeutend 
später differenziren sich die Spinalganglienzellen und übernehmen 
ihre Funetion. 


Ueber die Histog. d. peripheren Nervensystems bei Salmo salar. 437 


Verzeiehniss der eitirten Abhandlungen. 
Die nach den Autornamen in Klammern befindlichen Zahlen be- 
deuten das Jahr des Erscheinens der betreffenden Arbeit. 

Aichel, O. (9%), Zur Kenntnriss des embryonalen Rückenmarks der 
Teleostier. Sitzungsber. d. Gesellsch. für Morphol. u. Physiol. in 
München Bd. XI (Druckjahr 1897). 

Balfour, F. M. (75), On the Development of the Spinal Nerves in 
Elasmobranch Fishes. Philos. Transactions. Roy. Soc. London. 
Vel. 166 (Druckjahr 1876). 

Derselbe (81), A Treatise on Comparative Embryology. Vol.II. London. 

Beard, J. (89), The Development of the Peripheral Nervous System 
of Vertebrates. (Part I. Elasmobranchii and Aves.) Quart. Journ. 
Micr. Seience. Vol. 29. 

Derselbe (89a), On the Early Development of Lepidosteus Osseus. 
Proc. Roy. Soc. London. Vol. 46 (Druckjahr 1890). 

Derselbe (92), The Transient Ganglion Cells and their Nerves in 
Raja Batis. Anat. Anzeiger Bd. 7. 

Derselbe (9%), The History of a Transient Nervous Apparatus in 
Certain Ichthyopsida. Part. I. Raja Batis. Zool. Jahrb. Abtheil. f. 
Anat. u. Ontog. Bd. 9. 

Bedot, M. (84), Röcherches sur le developpement des nerfs spinaux 
chez les tritons. Recueil zoologique Suisse. T. 1. (Citirt uach v. 
Lenhossek.) 

Burckhardt, K. R. (89), Histologische Untersuchungen am Rücken- 
mark der Tritonen. Arch. f. mikr. Anat. Bd. 34. 

Dahlgren, U. (97), The Giant Ganglion Cells in the Spinal Cord of 
the Order Heterosomata Cope (Anacanthini Pleuronectoidea 
Guenther). Anat. Anzeiger Bd. 13. 

Dohrn, A. (88), Studien zur Urgeschichte des Wirbelthierkörpers. XIV. 
Ueber die erste Anlage und Entwickelung der motorischen Rücken- 
marksnerven bei den Selachiern. Mittheil. aus d. zoolog. Stat. zu 
Neapel Bd. 8. 

Derselbe (91), Studien zur Urgeschichte des Wirbelthierkörpers. 16. 
Ueber die erste Anlage und Entwickelung der Augenmuskelnerven 
bei Selachiern und das Einwandern von Medullarzellen in die mo- 
torischen Nerven. Mittheil. a. d. zool. Stat. zu Neapel Bd. 10. 

Derselbe (91a), Studien zur Urgeschichte des Wirbelthierkörpers. 17. 
Nervenfaser und Ganglienzelle. Histogenetische Untersuchungen. 
Mittheil. a. d. zool. Stat. zu Neapel Bd. 10. 

Derselbe (92), Die Schwann’schen Kerne der Selachierembryonen. 
Anat. Anzeiger Bd. 7. 

Freud, S. (78), Ueber Spinalganglien u. Rückenmark des Petromyzon. 
Sitzungsber. d. math.-naturwiss. Klasse d. kaiserl. Akad. d. Wiss, 
Wien. Bd. LXXVIII, III. Abtheil. 


438 Ross Granville Harrison: 


Fritsch, G. (84), Ueber den Angelapparat des Lophius piscatorius. 
Sitzungsber. d. Königl. Preuss. Akad. d. Wiss. Berlin. Jahrg. 1884. 

Van Gehuchten, A. (95), La moelle Epiniere de la truite (Trutta fario). 
La Cellule. T. XI. 

Derselbe (9), Les celluies de Rohon dans la moelle &piniere et la 
moelle allongee de la truite (Tr. fario). Bull. de l’Acad. Roy. d. 
Sciences de Belg. 3me Series. T. 30. 

Derselbe (97), Contribution A l’&tude des cellules dorsales (Hinterzellen) 
de la moelle Epiniere des vertebres inferieurs. Bull. de l’Acad. 
Roy. d. Sciences de Belg. 3me Serie. T. 34. 

Götte, A. (78), Beiträge zur Entwicklungsgeschichte der Wirbelthiere. 
III. Ueber die Entwickelung des Central-Nervensystems der Teleo- 
stier. Arch. f. mikr. Anat. Bd. 15. 

Goronowitsch, N. (85), Studien über die Entwickelung des Medullar- 
strangs bei Knochenfischen, nebst Beobachtungen über die erste 
Anlage der Keimblätter und der Chorda bei Salmoniden. Morphol. 
Jahrb. Bd. 10. 

Derselbe (88), Das Gehirn und die Cranialnerven von Acipenser 
ruthenus. Morph. Jahrb. Bd. 13. 

Derselbe (95), Untersuchungen über die Entwickelung der sogen. 
„Ganglienleisten“ im Kopfe der Vogelembryonen. Morphol. Jahrb. 
Bd. 20. 

Harrison, R. G. (95), Die Entwickelung der unpaaren und paarigen 
Flossen der Teleostier. Arch. f. mikr. Anat. Bd. 46. 

Henneguy, F. (88), Recherches sur le d&veloppement des poissons 
osseux. Embryogenie de la Truite. Journ. de l’Anat. et de la 
Physiol. 24me Annee. 

Hensen, V. (76), Beobachtungen über die Befruchtung und Entwick- 
lung des Kaninchens und Meerschweinchens. Zeitschr. f. Anat. u. 
Entwickl. Bd. 1. 

His, W. (68), Untersuchungen über die erste Anlage des Wirbelthier- 
leibs. Die erste Entwiekelung des Hühnchens im Ei. Leipzig. 
Derselbe (79), Ueber die Anfänge des peripherischen Nervensystems. 

Archiv f. Anat. u. Physiol., anat. Abtheil. 

Derselbe (86), Zur Geschichte des menschlichen Rückenmarks und 
der Nervenwurzeln. Abhandl. d. math.-phys. Klasse d. Kgl. Sächsi- 
schen Gesell. d. Wiss. Bd. 13. 

Derselbe (87), Die Entwickelung der ersten Nervenbahnen beim 
menschlichen Embryo. Arch. f. Anat. u. Physiol., anat. Abtheil. 
Derselbe (88), Zur Geschichte des Gehirns sowie der centralen und 
peripherischen Nervenbahnen beim menschlichen Embryo. Abhandl. 
d. math.-phys. Klasse d. Kgl. Sächsischen Gesell. d. Wiss. Bd. 14. 

Derselbe (89), Die Neuroblasten und deren Entstehung im embryo- 
nalen Mark. Arch. f. Anat. u. Physiol., anat. Abtheil. 

Derselbe (90), Histogenese und Zusammenhang der Nervenelemente. 
Archiv f. Anat. u. Physiol., anat. Abtheil. Supplement-Band. 


Ueber die Histog. d. peripheren Nervensystems bei Salmo salar. 439 


His, W., jun. (91), Die Entwickelung des Herznervensystems bei Wirbel- 
thieren. Abhandl. d. math.-phys. Klasse d. Kgl. Sächsischen Gesell. 
d. Wiss. Bd. 18. 

Hoffmann, ©. K. (83), Zur Ontogenie der Knochenfische. Verhande- 
lingen d. Koninkl. Akademie van Wetenschappen te Amsterdam. 
Deel 23. 

Derselbe (98), Beiträge zur Entwicklung der Selachier. Morph. Jahrb. 
Bd. 25. 

Kastschenko, N. (88), Zur Entwicklungsgeschichte des Selachier- 
embryos. Anat. Anzeiger Bd. 3. 

v. Kölliker, A. (95), Ueber das Vorkommen von Nervenzellen in den 
vorderen Wurzeln der Rückenmarksnerven der Katze. Verhandl. 
d. Gesell. deutsch. Naturforsch. "u. Aerzte. 66. Versamml., 2. Theil, 
2. Hälfte. (Citirt nach dem Referat in „Zool. Jahresbericht“ 1895). 

Kolster, R. (98), Ueber bemerkenswerthe Ganglienzellen im Rücken- 
mark von Perca fluviatilis. Anat. Anzeiger Bd. 14. 

Kopsch, Fr. (98), Die Entwicklung der äusseren Form des Forellen- 
embryo. Arch. f. mikr. Anat. Bd. 51. 

v. Kupffer, ©. (94), Studien zur vergleichenden Entwicklungsgeschichte 
des Kopfes der Kranioten. 2. Heft. Die Entwicklung des Kopfes 
von Ammocoetes Planeri. München und Leipzig. 

Kutschin (63), Ueber den Bau des Rückenmarks des Neunauges. 
Inaug.-Diss. Kasan. (Citirt nach Stieda, „Referat aus der russi- 
schen Literatur“. Arch. f. mikr. Anat. Bd. 2. 1866.) 

v. Lenhossek, M. (91), Die Entwicklung der Ganglienanlagen bei 
dem menschlichen Embryo. Arch. f. Anat. u. Phys., anat. Abtheil. 

Ders elbe (9), Beobachtungen an den Spinalganglien und dem Rücken- 
mark von Pristiurusembryonen. Anat. Anzeiger Bd. 7. 

Derselbe (9), Der feinere Bau des Nervensystems im Lichte neuester 
Forschungen. Berlin. 

Lugaro,E. (94), Ueber die Histogenese der Körner der Kleinhirnrinde. 
Anat. Anzeiger Bd. 9. 

Marshall, A. M. (77), On the Early Stages of Development of the 
Nerves in Birds. Journal of Anatomy and Physiology. Vol. XI. 

Onodi, A.D. (86), Ueber die Entwicklung des sympathischen Nerven- 
systems. Archiv f. mikr. Anat. Bd. 26. 

Platt, Julia (96), Ontogenetic Differentiation of the Eetoderm in Necturus. 
Study IL. On the Development of the Peripheral Nervous System. 
Quart. Journ. Mier. Sei. Vol. 38. 

Ramon y Cajal, S. (90), A quelle &poque apparaissent les expansions 
des cellules nerveuses de le moelle &piniere du poulet? Anatom. 
Anzeiger Bd. 5. 

Derselbe (94), Les nouvellesid6es sur la structure du syst&me nerveux 
chez ’homme et chez les vert&ebres. Paris. 

Reissner, E. (60), Beiträge zur Kenntniss vom Bau des Rückenmarks 
Archiv f. mikrosk. Anat. Bd. 57 29 


440 Ross Granville Harrison: 


von Petromyzon fluviatilisL. Arch. f. Anatomie, Physiologie und 
wissenschaftliche Mediein. 

Retzius, G. (91), Zur Kenntniss des centralen Nervensystems von 
Amphioxus lanceolatus. Biologische Untersuchungen. Neue Folge. 
II. Bd. No. 2. 

Derselbe (9), Die nervösen Elemente im Rückenmark der Knochen- 
fische. Biologische Untersuchungen. Neue Folge. V. Bd. No. 3. 
Rohde, E. (88), Histologische Untersuchungen über das Nervensystem 
von Amphioxus lanceolatus. Zoologische Beiträge herausgegeben 

von Anton Schneider, Bd. II. 

Rohon, V. (84), Zur Histogenese des Rückenmarks der Forelle. 
Sitzungsber. d. math.-physik. Klasse d. Kgl. Bayer. Akad. d. Wiss. 
Bd. 15. (Druckjahr 1885). . 

Roudnew, W. (9%), Note sur la formation du canal dans le syst&me 
nerveux central des T&l&osteens. Bibliogr. Anatomique. 3me Annee. 

Sargent, P. E. (98), The Giant Ganglion Cells in the Spinal Cord of 
Ctenolabrus caeruleus. (Preliminary Paper). Anat. Anzeig. Bd. 15. 

Schäfer, E. A. (81), Note on the Occurrence of Ganglion Cells in the 
Anterior Roots of the Cat’s Spinal Nerves. Proc. Roy. Soc. London. 
Vol. 31. 


Schaper, A. (9), Die morphologische und histologische Entwicklung 
des Kleinhirns der Teleostier. Morphol. Jahrb. Bd. 21. 

Derselbe (97), Die frühesten Differenzirungsvorgänge im Central- 
nervensystem. Arch, f. Entwicklungsmechanik Bd. V. 

Sedgwick, A. (%), On the Inadequacy of the Celwlar Theory of 
Development, and on the Early Development of Nerves, particularly 
on the third Nerve and of the Sympathetic in Elasmobranchii. 
Quart. Journ. Mier. Sei. Vol. 37. 


Stroebe, H. (95), Experimentelle Untersuchungen über Degeneration 
und Regeneration peripherer Nerven nach Verletzungen. Ziegler’s 
Beiträge zur pathol. Anat. Bd. 13. 

Studnicka, J.K. (9), Ein Beitrag zur vergleichenden Histologie und 
Histogenese des Rückenmarks. (Ueber die sog. Hinterzellen des 
Rückenmarkes.) Sitzungsber. d. Böhm. Gesell. d. Wiss., math.-nat. 
Klasse Jahrg. 1895 (Druckjahr 1896). 


Tagliani, G. (95), Intorno a cosi detti lobi accessorio e alle cellule 
giganti della midollo spinale di aleuni Teleostei. Boll. Soc. Natural. 
Napoli. Vol. 9. 


Derselbe (97), Considerazioni morfologiche intorno alle cellule ner- 
vose colossali dell’ Amphioxus lanceolatus e alle cellule nervose 
giganti del midollo spinale di aleuni Teleostei. Nota preliminare. 
Monitore zool. Ital. Anno 8. 


Ussow, M. (82), De la structure des lobes accessoires de la moelle 
epiniere de quelques poissons osseux. Archives de Biologie. 
Tome III. 


Ueber die Histog. d. peripheren Nervensystems bei Salmo salar. 441 


Vignal, W. (84), Sur le development des @l&ments de la moelle de 
mammiferes. Archives de Physiologie. III. Serie. T. 4. 

Van Wijhe, J. W. (88), Ueber die Entwicklung des Excretionssystems 
und andere Organe bei Selachiern. Anat. Anzeiger Bd. 3. 


Erklärung der Abbildungen auf Tafel XVIII—XX. 


Sämmtliche Figuren sind nach Schnittpräparaten von Embryonen 
von Salmo salar mit Hülfe der Abbe’schen Camera lucida gezeichnet 
worden. 


Allgemein gültige Bezeichnungen. 


ao. — Aorta, 

b. pl. —= Bodenplatte (His), 

br. fl. — Brustflosse, 

©. &: — Oanalis centralis, 

ErE.! — Medianmembran, die die zwei Hälften des Medullarstrangs 
trennt, ehe der Centralcanal sich entwickelt, 

ch. — Chorda dorsalis, 

chr. — Chromophile Körper (Nissl), 

com.2. = Commissurenzelle, 

d. — Darm, 

d.h. = Dotterhaut, 

d.pl. — Deckplatte (His), 

d.s. = Deckschicht der Epidermis, 

d.w. — Dorsale oder hintere Wurzel eines Spinalnerven, 

ep. — Epidermis, 

epend. =Epitheliale Stützzellen oder Ependyma, 

epend.k. — Kerne von Ependymzellen, 

fl. k. = Flügelkante, 

gl. —= Vornierenglomerulus, 

GES: — Grundschicht der Epidermis, 

g.str. = Ganglienstrang, 

g.2. — Spinalganglienzelle, 

h.n. —= Ein aus einer Hinterzelle entspringender Nerv, 

h. str. — Hinterstrang (funiculus dorsalis), 

h.2. — Hinterzelle (Rohon’sche Riesenzelle), 

k.2. — Keimzelle (His), 

mes. — Unsegmentirtes Mesoderm, 

m.f. — Muskelfibrille, 

m.fl. — Unpaarer Flossensaum, 

m.l.e.. = Aeussere Grenzmembran des Medullarstrangs, 

M. S. — Medulla spinalis (Medullarstrang resp. -Rohr), 

my. —= Myotom, 


M. 2. — Motorische oder Vorderhorn-Zelle, 


442 


nbl. 
n.f. 
a: 
Ben 
skl. 
sp. 9. 
s.Dl. 
vac. 


v. car. 
v.C.t. 
vi. 
v.S.t. 
2.1. 
W.g. 
w.k. 


Fie77. 


Fig. 8. 


Ross Granville Harrison: 
’ 

— Neuroblast, 
—= Nervenfasern (quergeschnitten), 
— Ramus dorsalis eines Spinalnerven, 
— Randschleier (His), 
— Sklerotom, 
—= Spinalganglien, 
= Seitenplatten, 
= Vacuolen in den Zellen des Medullarstrangs, die schliesslich 

zum Centralcanal zusammenfliessen, 
= Cardinalvene, 
= Vena cava inferior. 
= Dotter, 
—= Subintestinalvene, 
—= Ventrale oder vordere Wurzel eines Spinalnerven, 
= Wolff’scher Gang, 
— Wachsthumskeule am Ende einer Nervenfaser. 


Die Pfeile (»—-) zeigen bei Längsschnitten in die Richtung des 
Kopfes. 


Tafel XVII. 
Querschnitt durch den Kopf eines Embryo im Stadium Il. 
Uebergang zwischen Haut und Nervensystem. x232. (Nach 
einem Präparat des Herrn Prof. Nussbaum.) 
Querschnitt durch den Rumpf eines Embryo zwischen den 
Stadien IV und V. x 232. 
Querschnitt durch das 4. Segment eines Embryo im Stadium 
V. x 232. 
Querschnitt durch das 5. Segment eines Embryo im Stadium 
IX. x 232. 
Theil eines schrägen Längsschnittes durch einen Embryo 
im Stadium VII. Vier Myotome der linken Seite und die 
linke Hälfte des Medullarstrangs mit Hinterzellen und Hinter- 
strang sind dargestellt. x 232. 
Querschnitt (etwas schräg getroffen) durch die mittlere Rumpf- 
gegend eines Embryo im Stadium VIII. R.z. = Hinterzelle mit 
Fortsatz (Rh. n.), der sich bis in die Bauchwand hinein erstreckt. 
Der Verlauf der Nervenfaser ist nach den Befunden an drei 
aufeinanderfolgenden Schnitten dargestellt. x 232. 


Tafel XIX. 

Dorsaler Theil des Medullarstrangs mit angrenzenden Theilen 
des Mesoderms und der Haut aus einem Querschnitt durch 
das unsegmentirte Gebiet eines Embryo im Stadium V. Der 
Zusammenhang des Medullarstrangs mit der Grundschicht (gr. s.) 
der Epidermis wird gezeigt. Die Deckschicht (d.s.) zieht glatt 
über beide Gebilde hinweg. x 477, 

Medullarstrang und angrenzende Theile aus einem Querschnitt 
durch das 19. Segment eines Embryos im Stadium IV. Der 


Ueber die Histog. d. peripheren Nervensystems bei Salmo salar. 443 


Fig. 


ig. 10. 


ig. 13. 


Fig. 


ig. 15. 


il. 


14. 


. 16. 
g. 17. 


18. 


lo: 


Ganglienstrang (g. str.) ist noch mit dem Medullarstrang in 
innigem Zusammenhang. x 477. 

Dorsaler Theil des Medullarstrangs, mit angrenzenden Theilen 
von Haut und Urwirbeln, aus einem Querschnitt durch das 
16. Segment desselben Embryo (Stadium IV). Der Anfang 
der Auflockerung des Ganglienstrangs (g.str.) zeigt sich durch 
die Bildung von protoplasmatischen Ausläufern an dessen 
Zellen. x 477. 

Aehnlicher Theil eines Querschnitts durch das 9. Segment 
desselben Embryo (Stadium IV). Vorgeschrittene Auflockerung 
des Ganglienstrangs. x 477. 

Ventraler Theil der rechten Hälfte des Medullarstrangs mit 
angrenzenden Theilen des Myotoms und der Chorda dorsalis 
aus einem Querschnitt durch das 14. Segment eines Embryo im 
Stadium VI. m.z. — Eine birnförmige motorische Zelle mit 
Fortsatz, der die äussere Grenzmembran des Medullarstrangs 
noch nicht durchbrochen hat. x 887. 


. Dieselben Gebilde aus einem Querschnitt durch das 9. Segment 


eines Embryo im Stadium V. Der motorische Nerv (v. w.) dieses 
Segments wird durch eine einzige Faser vertreten, die in deut- 
lichem Zusammenhang mit der Nervenzelle steht. g.2.—=Zelle 
aus dem Ganglienstrang. x 887. 

Linke Hälfte des Medullarstrangs aus einem Schnitt durch das 
12. Segment eines Embryo im Stadium VI. com.z. = Commis- 
surenzelle mit auswachsender Faser; ww. k. = Wachsthumskeule 
(eöne d’aceroissana) am Ende derselben. x 887. 

Linke Hälfte des Medullarrohrs mit Spinalganglion und an- 
grenzenden Gebilden aus einem Querschnitt durch die Gegend 
des 9. Segments eines Embryo, der etwas älter als Stadium XI 
ist. g.z.=Bipolare Spinalganglienzelle mit Fortsatz (d. w.), 
der sich bis zum Hinterstrang (h.z.) verfolgen lässt. x 620. 


Tafel XX. 


Theil des Medullarstrangs aus einem Längsschnitt eines Em- 
bryo im Stadium IV. (Nach einem Präparat des Herrn Prof. 
Nussbaum). x 887. 

Ein anderer Theil desselben Schnittes. x 887. 

Dorsaler Theil der linken Hälfte des Medullarstrangs mit an- 
grenzenden Gebilden aus einem Querschnitt durch das Septum 
zwischen den 14. und 15. Myotomen eines Embryo im Stadium 
VL x 8837. 

Dieselben Gebilde aus einem Querschnitt durch das Septum 
zwischen dem 15. und 16. Myotyme eines Embryo im Stadium 
VAL 2887. 

Hinterzelle mit dazu gehöriger peripherer Faser aus der 
Gegend des 12. Segments eines Embryo im Stadium VII; aus 
einem schrägen Längsschnitt entnommen. x 887. 


444 


. 32. Theil des Rückenmarks aus einem Querschnitt durch die 


Ross Granville Harrison: 


. Strangzelle mit Fasern aus der Gegend des 10. Myotoms eines 


Embryo im Stadium VIII, nach einem schrägen Längsschnitt 
abgebildet. Die Zelle stellt ein vorgeschrittenes Uebergangs- 
stadium zwischen der unipolaren und bipolaren Form dar. 
x 887. 


. Zwei primär unipolare Strangzellen, wovon die grössere eine 


Hinterzelle ist, aus einem schrägen Längsschnitt eines Embryo 
im Stadium VIII; Gegend des 6. und 7. Segmenten. x 887. 


. Hinterzelle mit dazu gehöriger peripher verlaufender Faser 


aus der Gegend des 16. Segments eines Embryo im Stadium 
VII. Aus dem in Fig. 5 abgebildeten Längsschnitt. x 887. 


. Theil eines schrägen Längsschnitts durch den Medullarstrang 


eines Embryos mit einunddreissig Urwirbeln (zwischen Stadium 
V und VI). Zwei bipolare Hinterzellen heben sich gegen die 
Stützzellen hervor. x 887. 


24. Zwei Hinterzellen aus einem schrägen Längsschnitt durch einen 


Embryo im Stadium VI. Erste Uebergangsstufe zwischen uni- 
polarer und bipoiarer Form. x 887. 


. Zwei Hinterzellen aus der Gegend des 18. und 19. Segments 


eines Embryo im Stadium XI nach einem schrägen Längs- 
schnitt abgebildet. chr.—= Chromophile oder Nissl’sche Kör- 
per. x 887. 


26. Hinterzelle aus der Gegend des 14. Segments desselben Embryo. 


Umwandlung in die unipolare Form. x 887. 


. Fertig ausgebildete Hinterzelle aus der Gegend des 41. Seg- 


ments eines Embryo von vierundfünfzig Tagen, nach einem 
schrägen Längsschnitt abgebildet. Der Fortsatz der unipolar 
gewordenen Zelle theilt sich in zwei Strangfasern. x 887. 


. Gruppe von drei ausgebildeten Hinterzellen aus der Gegend 


des 7. Segments eines Embryo von zweiundfünfzig Tagen, 
nach einem Frontalschnitt dargestellt. 


. Degenerirende Hinterzelle aus einem Querschnitt durch das 


Rückenmark eines Embryo mit eben aufgebrauchtem Dotter- 
sack. x 887. 


. Dasselbe. 887. 
. Theil eines schrägen Längsschnittes durch den Medullarstrang 


eines Embryo mit einunddreissig Urwirbeln (zwischen Stadium 
V und VI). Ah.z. = Hinterzelle mit Fortsatz, der sich nach der 
entgegengesetzten Körperseite richtet. x 887. 


Gegend des 39. Segments eines Embryo von zweiundfünfzig 
Tagen. x 740. 


445 


(Aus dem anatomischen Institut zu Bonn.) 


Weiterer Beitrag zur Kenntniss des Nerven- 
verlaufs in der Rückenhaut von Rana fusca. 
Von 
Dr. A. Kühn, 

I. Assistent der med. Univ.-Klinik zu Rostock. 


Mit 13 Figuren im Text. 


Wenn auch die Frage, ob die Mittellinie des Körpers von 
den Hautnerven überschritten werde, durch die auf dem Ana- 
tomencongress zu Basel, April 1895 gemachten Angaben Nuss- 
baum’s und seine dort vorgezeigten Präparate im Prineip ent- 
schieden war, so schien es doch wünschenswerth, im Anschluss 
daran eine Reihe weiterer Fragen zu prüfen und zu erledigen. 

Nach Nussbaum hatte Zander !) durch Präparation 
an der Kopfhaut und Sensibilitätsprüfungen nach Nervenopera- 
tionen die Gültigkeit der von Nussbaum für den Frosch 
(Rana fusca) und die weisse Maus gefundenen Thatsachen auch 
für den Menschen nachgewiesen. 

Hoehne?) untersuchte in letzter Zeit das Verhalten speziell 
der Gaumen- und Dammnerven beim Menschen in Bezug auf ihren 
Uebergang über die Medianlinie in der Erwartung, dass diese 
beiden Gegenden von der allgemeinen Regel des Fasern-Ueber- 
gangs eine Ausnahme machen würden, wie es die klinische Sen- 
sibilitätsprüfung (kleinere Tastkreise als am übrigen Körper) wohl 
vermuthen liess. Er fand indess auch hier — auf anatomischem 
Wege —, dass die Nerven in der Schleimhaut des Gaumens und 
in der Haut des Damms ebenso die Mittellinie von beiden Seiten 
überschreiten, wie die am übrigen Körper. 

Die Untersuchung der einzelnen Nervenfasern in der mensch- 
lichen Haut stösst jedoch auf erhebliche Schwierigkeiten. So 
gelang es Zander nach sorgfältiger Präparation der grösseren 


1) Zander, Ueber das Verhalten der Hautnerven in der Mittel- 
linie des menschl. Körpers. Sitzungsber. der biolog. Seetion der phys.- 
ökon. Gesellsch. Königsberg, 28. Jan. 1897. 

2) Hoehne, Beiträge zur Kenntniss des Tastsinnes der Haut 
und der Schleimhäute, besonders in der Medianlinie des Körpers. 
lnaug.-Diss. Rostock 1898. 


446 A. Kühn: 


Nervenstämme und darauf folgender Aufquellung der Cutis durch 
Essigsäure mit Hülfe von Lupenvergrösserung nur Nervenfädchen 
nachzuweisen, welche eine geringe Anzahl von Fasern enthielten. 

Eine einzelne Faser dagegen auf längere Strecken zu ver- 
folgen, war vollständig unmöglich. Auf diesem umständlichen 
und schwierigen Wege kommt er u. A. zu dem Resultat, dass 
die Verzweigungen der einzelnen Nervenstämme stets sehr com- 
plieirt in einander greifen, so dass in der Regel jeder Hautbezirk 
von mindestens zwei Seiten seine Innervation erhält. Auch die 
Mittellinie macht von diesem Verhalten keine Ausnahme. 

Eine bessere Beobachtnng des feineren Fasernverlaufs ge- 
stattet nun die nach dem von M. Nussbaum!) angegebenen 
Verfahren präparirte Froschhaut. 

Diese in der Hauptsache in Spaltung der Froscehhaut ver- 
mittelst Essigsäure und nachfolgender Färbung mit Ueberos- 
miumsäure bestehende, nach M. Nussbaum von ÖOtten- 
dorf?) beschriebene Methode giebt absolut klare Bilder und ge- 
stattet ein genaues Studium der einzelnen Fasern. Auf diese 
Weise untersuchte Ottendorf unter Hinzuziehung der De- 
generationsmethode den Verlauf der Nervenstämme und ihrer 
Verzweigungen, und ich?) kam bei meinen ersten Untersuchungen 
an der Rückenhaut von gesunden Landfröschen zu dem Schluss, 
dass auch die Mittellinie des Körpers kein Hinderniss ist für 
den Verlauf der Nervenfasern von beiden Körperseiten, dass 
vielmehr auch den der Mittellinie des Körpers benachbarten Ge- 
bieten eine mehrfache Innervation eigen ist. Zugleich gab die 
Methode interessanten Aufschluss über den oft eigenartigen Ver- 
lauf einer besonderen Art von Primitivfasern, welche sich hier- 
durch, sowie durch ihre grössere Dieke und stärkere Färbbarkeit 
vor den übrigen Fasern auszeichnen. 

Was die eben erwähnte Degenerationsmethode anbelangt, 
so liegt ihr der Gedanke zu Grunde, die in Folge Durchschneidung 
der einseitigen Nerven eintretende Degeneration zum leichteren 


1) Nussbaum, Ueber den Verlauf und die Endigung peripherer 
Nerven. Verhandlungen der Anat. Gesellsch. in Basel 18%. 

2) Ottendorf, Die Plexusbildung der Nerven in der Mittellinie 
der Rückenhaut einheimischer Frösche. Archiv f. mikroskop. Anat. 
und Entwicklungsgeschichte Bd. 53. 1898. 

3) A. Kühn, Zur Kenntniss des Nervenverlaufs in der Rücken- 
haut von Rana fusca. Archiv f. mikroskop. Anatomie u. Entwicklungs- 
geschichte Bd. 55. 1899. 


Weiterer Beitrag zur Kenntniss des Nervenverlaufs ete. 447 


anatomischen Nachweis des Ueberganges einer gesunden in 
Ueberosmiumsäure gefärbten Nervenfaser in das degenerirte und 
deshalb von der Säure nicht färbbare Gebiet der durchschnittenen 
Nervenstämme zu benutzen. Foerster und Ottendorf 
haben diese Methode angewandt, konnten aber an ihren ope- 
rirten Fröschen nur das Ueberschreiten der Mittellinie von Fasern 
der gesunden Seite auf kurze Strecken nachweisen. Ein direkter 
Uebergang einer intakten Faser von einem Nervenstamm zum 
correspondirenden der anderen Seite liess sich nicht feststellen. 

Durch fortgesetzte Versuche bin ich nun dieser Frage etwas 
näher getreten und werde im Folgenden über meine Ergebnisse 
berichten. 

Zuvor möchte ich, was den makroskopischen Verlauf der 
betr. Nerven anbelangt, auf die oben eitirten Arbeiten sowie auf 
die von Gaupp besorgte II. Auflage der „Anatomie des Frosches 
von A. Ecker und R. Wiedersheim“ verweisen. 

Es wurde die die Nervendegeneration bezweckende Opera- 
tion zunächst in der von Ottendorf geschilderten Weise ge- 
macht, indem einem gesunden Thiere nach möglichster Desinfection 
(Alkohol) und im Uebrigen selbstverständlich mit allen Cautelen 
der Asepsis die Rückenhaut etwas medial vom seitlichen Rücken- 
wulst vermittelst eines ca. 2 em langen Schnittes durchtrennt 
und der Rücken-Lymphsack eröffnet wurde. Vom cranialen 
wie caudalen Ende des Schnittes wurde dann noch ein Schnitt 
rechtwinklig zu ersterem und zur Mittellinie geführt, wodurch 
die etwa von oben oder von unten eintretenden Nerven durch- 
schnitten wurden, und ein Hautlappen entstand, der nur noch 
an der medialen Seite mit der Haut zusammenhing und nur aus 
dieser Riehtung von Nerven versorgt werden konnte. 

Die erst eine längere Strecke im Lymphsack verlaufenden und 
dann in den Hautlappen eintretenden Nervenstämme (Rami cutan. 
dorsi medial.) wurden nun durchsehnitten und von ihnen zwecks 
Verhinderung einer zu frühen Wiedervereinigung ein ca. I—2 mm 
langes Stück resecirt. Dann folgte genaue Naht mit besonderer 
Berücksichtigung des glatten Aneinanderliegens der Hautränder. 

Trotz der grössten Vorsicht und absoluter Asepsis erfolgte 
die Heilung unr selten per primam; ein Umstand, welcher das 
Gelingen des Versuchs in hervorragender Weise beeinträchtigte. 

Eine grosse Anzahl der Thiere starb an secundärer Infection 
der Wunde oder an anderen intereurrenten Krankheiten. 


448 A. Kühn: 


Die zuerst auf diese Weise operirten Thiere wurden nun 
etwa 4 Wochen nach der Operation getötet und ihre Rücken- 
haut wurde nach der Nussbaum’schen Methode verarbeitet. 
Die resecirten Nerven waren dann fast vollkommen degenerirt, 
es liess sich daher mit Leichtigkeit der Verlauf gefärbter Fasern 
(OÖsmiumsäure) der gesunden Seite über die Mittellinie herüber 
in das Gebiet der degenerirten Nerven verfolgen. Es fanden 
sich an vielen Stellen Figuren, wie sie Ottendorf wieder- 
giebt. 

Ausserdem fanden sich in jedem Präparat, auch in den 
klinisch anscheinend primär geheilten Fällen, reichlieh Ent- 
zündungsresiduen in Gestalt von Verwachsungen der Lederhaut 
in den verschiedenen Schichten, von Zellanhäufung und Binde- 
gewebswucherung in der Nähe der operirten Nerven, sowie 
namentlich auch Degenerationserscheinungen in den nicht ope- 
rirten Nerven der anderen Seite. Wenigstens ist in diesem Sinne 
die Erscheinung anzusehen, dass auch in den nicht operirten 
Nervenstämmen zahlreiche Fasern verlaufen, deren Mark zu 
Fetttröpfehen zerfallen ist, und deren Axencylinder gequollen oder 
unterbrochen erscheint. Es läge nun nahe, solche degenerirte 
Fasern zum Beweis des Uebergangs von Fasern über die Mittel- 
linie hinzuzuziehen; da sie den Anschein erwecken, direet vom 
operirten und degenerirten Nerven der anderen Körperhälfte zu 
stammen, zumal die Mittellinie selbst directe Uebergänge erkenneu 
lässt. Indessen spricht das Vorhandensein von anderen Entzün- 
dungserscheinungen, das unregelmässige Auftreten dieser Fasern, 
ihr von dem des operirten Nerven oft verschiedenes Degenera- 
tionsstadium dafür, dass es ein auf irgend eine Noxe zurück- 
zuführender Zerfall von Fasern des gesunden Nerven ist. Es 
stimmt diese Annahme überein mit den Befunden, welche sich 
nicht selten bei anscheinend ganz gesunden nicht operirten Thieren 
darbietet; hier trifft man oft dieselben Bilder von partiellem Faser- 
zerfall resp. beginnender Alteration derselben. So wies das Prä- 
parat eines Frosches aus dem Froschteich des anatomischen In- 
stituts zu Bonn mannigfache pathologische Veränderungen der 
einzelnen Fasern auf; dieselben waren in Osmiumsäure ungleich- 
mässig gefärbt, streckenweise geschrumpft, an manchen Stellen 
wieder verdickt, das Mark geschwollen und zu grossen Tropfen 
zerfallen. Oft entfernten sich in einem Stamm die Fasern spulen- 
artig von einander, um sich dann wieder zu einem Zweig von 


Weiterer Beitrag zur Kenntniss des Nervenverlaufs etc. 444 


normaler Dieke zu vereinigen. Aehnliche Bilder lieferten Thiere, 
die längere Zeit gehungert hatten. 

Dass derartige Veränderungen nicht künstlich durch die 
Präparation bedingt waren, bewies der Umstand, dass die Haut 
eines gesunden, eben von der Wiese gefangenen Thieres voll- 
kommen normale Verhältnisse zeigte. 

Es kann also der Einfluss von gewissen Schädlichkeiten, 
wie in erster Linie Entzündungen in der Umgebung der Nerven, 
dann aber auch Schädlichkeiten allgemeiner Natur, wie Hunger, 
Gefangenschaft ete. die einwandfreie Beobachtung der Nerven- 
präparate nicht unerheblich beeinträchtigen. 

Um nun zunächst erst eine vollkommene Resorption der 
eventuell vorhandenen Entzündungserscheinungen sowie der De- 
generationsproducte der resecirten Nerven eintreten zu lassen und 
darauf den Ablauf der Regeneration abzuwarten, wurden die 
operirten Thiere monatelang gut gefüttert und erst, da eine voll- 
ständige Regeneration am den Ottendorfschen Fröschen auch 
nach 3!/, Monaten noch nicht zu beobachten war, nach 9—11 
Monaten getödtet. 

Nach Ablauf dieser Zeit konnte man wohl sicher auf eine 
durch Regeneration stattgefundene restitutio ad integrum rechnen. 

Während nach Ranvier beim Menschen die Regeneration 
der Nerven in nächster Nähe des Schnittendes im centralen 
Stumpf schon einige Tage nach der Operation beginnt und nach 
Ablauf des 3. Monats meist beendet ist, ist beim Frosch, wie 
v. Büngner!) nachgewiesen hat, nach einfacher Durchschnei- 
dung der Nerven am frühsten am 30. Tage nach der Operation 
eine beginnende Regeneration zu bemerken. Der Ablauf der- 
selben lässt sich in Bezug auf die Zeitdauer schlecht beurtheilen, 
er richtet sich auch nicht am wenigsten nach dem Grade der Ver- 
letzung. Für die in Frage kommende Resection der Nerven- 
stämme ist er erst, wie erwähnt, nach vielen Monaten zu erwarten. 

Denn das Wichtigste in der angewandten Operationsmethode 
ist eben die Art der Nervendurchtrennung, welche sich 'von den 
Versuchen Ranvier’s und Anderer erheblich unterscheidet. Letz- 
tere durchschnitten einfach die Stämme, ohne eine Wiederver- 
einigung der beiden Nervenstümpfe zu verhindern. Die danach 


1) Büngner, Ueber Degenerations- und Regenerationsvorgänge 
an Nerven nach Verletzungen. (Beiträge z. path. Anat. s. Ziegler 
X, 1891.) 


450 A. Kühn: 


beobachtete Regeneration musste dann immer von dem centralen 
Nervenstumpf ausgegangen sein. 

Die von uns angewandte Methode der Resection des Nerven- 
stammes innerhalb des Rücken-Lymphsackes machte eine Ver- 
wachsung der beiden Nervenstümpfe von vornherein unmöglich ; 
dem entsprechen auch die Befunde bei den einzelnen Thieren: 
bei keinem konnte eine directe Verwachsung der Nervenstamm- 
enden constatirt werden. Nur bei zwei Versuchen war die Haut 
stellenweise mit der Rückenfaseie verwachsen, ohne dass jedoch 
dabei eine Wiedervereinigung der Nervenstümpfe zu sehen war. 
Indess konnte bei diesen beiden Thieren die Möglichkeit einer 
Regeneration vom centralen Stumpf aus nicht ganz wie bei den 
übrigen Versuchen ausgeschlossen werden. 

Die einzelnen diesbezüglichen Befunde sollen bei Besprechung 
der einzelnen Versuche besonders berücksichtigt werden. 

Es war also von vornherein eine Mitbetheiligung des cen- 
tralen Stumpfes an der Regeneration so gut wie ausgeschlossen. 
Alle in dem operirten Gebiet vorhandenen, färbbaren Fasern 
konnten daher nicht von letzterem stammen, sondern mussten be- 
nachbarten Stämmen angehören. 

In welcher Weise sich an dieser Regeneration nun sowohl 
die in der Haut durchschnittenen höheren und tieferen Nerven 
sowie die intakten Nerven derselben Seite als auch die nicht 
operirten correspondirenden Nervenstämme der anderen Seite be- 
theiligen, wird aus den Präparaten ersichtlich werden. 

Dureh die entgegenkommende Güte von Herrn Prof. Nuss- 
baum wurde es mir ermöglicht, die im anatomischen Institut zu 
Bonn begonnenen Untersuchungen nach Ablauf der betr. Zeit in 
Rostock fortzusetzen, wofür ich ihm auch an dieser Stelle meinen 
verbindlichsten Dank aussprechen darf. 

Zu den einzelnen Versuchen übergehend, möchte ich zuvor 
erwähnen, dass bei der Beurtheilung des mikroskopischen Prä- 
parats auf den specielleren Faserverlauf hin sowohl die Degene- 
ration äls auch die Regeneration berücksichtigt werden musste. 
Es sind deswegen bei jedem einzelnen Präparat die bemerkens- 
werthen Einzelheiten über beide Vorgänge mit erwähnt. 


Versueh I. 


Mittelgrosser magerer Landfrosch. 8. VI. 99 Operation: 
rechtsseitiger Lappenschnitt und Resection zweier Nerven. Die 


Weiterer Beitrag zur Kenntniss des Nervenverlaufs ete. 451 


Hautwunde wird mit vier Seidennähten geschlossen; sie heilt 
„klinisch“ per primam,", so dass.sie bereits am 30. VI. 99 voll- 
kommen vernarbt ist. 

Sensibilität: 10. VI. 99, bei Berührung der rechtsseitigen 
Rückenhaut im Bereich des Lappens erfolgt keine Bewegung, 
während dieselbe bei Berührung der correspondirenden Stelle 
der linken Seite prompt ausgelöst wird. 

30. VI. 99 Erregbarkeit der beiden Seiten gleich. 

Das Thier blieb im Uebrigen gesund; 17. X1. 99 wird es 
zur Anfertigung des Präparats getötet, nachdem zuvor durch 
Eröffnung der Ven. abdom. eine möglichst grosse Menge Blut 
aus dem Gefässsystem entfernt war (zwecks Erzielung eines 
klaren, durch die störenden blutgefüllten Gefässe nicht beein- 
trächtigten Präparats). Bei der Ablösung der Rückenhaut vom 
Thier stellte sich heraus, dass die beiden resecirten peripheren 
Stümpfe, da sie ganz kurz abgeschnitten waren, makroskopisch 
nicht mehr zu sehen sind, während die centralen etwa 1 mm 
lang sind. Irgend welche Verwachsungen zwischen beiden sind 
nicht vorhanden. Die Haut ist nur im Bereich der Narbe mit 
der Unterlage etwas verklebt. 

Es waren also seit der Operation über 5 Monate verstrichen. 

Bei Betrachtung (— 35fache Vergrösserung —) des nach 
der Nussbaum’schen Methode angefertigten Präparats erscheinen 
die beiden resecirten Nerven als schwach gelblich gefärbte Stränge, 
welche im Bereich der Mittellinie zu dünnen Fäden redueirt, 
allmählich in die von der Osmiumsäure stark schwarz gefärbten 
Nervenstränge der gesunden Seite übergehen. Im Bereich der 
Schnittnarbe finden sich noch dicht gelagerte Pigmentzellen, 
Residuen der hier durch den Macerationsvorgang nicht völlig 
gelösten, weil entzündlich verklebten Lederhaut, und ein festeres, 
weniger durchsichtiges Bindegewebe. Irgend welche, in höherem 
Grade störenden Entzündungsresiduen sind nicht mehr nachweisbar. 

Ausser den beiden resecirten Nervenstämmen ist noch der 
eranial und caudal zu ihnen auf der operirten Seite gelegene 
Stamm degenerirt. Während aber bei letzteren eine Regeneration 
in gewöhnlichem Sinne möglich war, da an ihnen kein Stück 
ausgeschnitten war, sondern sie nur einfach von dem Schnitt 
durehtrennt worden sind, ist dieselbe bei den reseeirten Nerven 
direet ausgeschlossen. Denn eine Vereinigung der beiden Re- 
secetionsstümpfe im Rückenlymphsacke konnte nicht constatirt 


452 A. Kühn: 


werden. Es interessiren uns daher in erster Linie diese beiden 
resecirten Nerven. 

Im Bereich der degenerirten Fasernetze findet man gesunde, 
d.h. schwarz tingirte dieke Fasern, welche sich über die Mittel- 
linie herüber bis in einen Hauptast der gegenüberliegenden nor- 


/ \ \ 2 a, Hi 

& { 

l FE, 3 Ne 2 

N DE Hr N . ; 5 

N 

u nn ES RR ee N, 

h N. I j ir Bu} 
! N \ ns 3 


f N { of 1 
Y BAR: N f " Ri | 
\ Pl N Na ” eo = 
Ks 2 x 1 
f FE ea, 
at n 2 ; ir? ; ya h 
N, Sr S N N 7 BE | 
2 { | ; y. BR 


Mad... 20.0 2 Mn ee 

Bro, "1. 
malen Nervenstämmen verfolgen lassen, welche also von letzteren 
ausgehen. Zwei von diesen sind mit dem dazu gehörigen Nerven- 
netz in Figur 1 abgebildet. Die Figur ist nach der 25fachen 
Vergrösserung des Präparates (Seibert Obj. 0a, Ocul. I) ver- 


Weiterer Beitrag zur Kenntniss des Nervenverlaufs etc. 453 


mittelst eines Zeichenprismas hergestellt. N, u. N, sind die 
erhaltenen Nerven der gesunden, N, u. N, die degenerirten und 
daher blasser gehaltenen der gegenüberliegenden Seite. 

M. er. — M. caud. bezeichnet die Mittellinie und zwar 
M. er. die eraniale und M.caud. die caudale Richtung. Die 
mit a und b bezeichneten Fasern sind bei stärkerer Vergrösserung 
tiefschwarz eingetragen; sie sind, damit sie sich besser abheben, 
etwas stärker gezeichnet, als es den natürlichen Verhältnissen 
entspricht, und lassen auf diese Weise deutlich ihren die Mittel- 
linie übersehreitenden Verlauf, ihre vielfachen Theilungen und 
Verästelungen, welche sich im Allgemeinen nach dem übrigen 
Nervennetz richten, erkennen. Nur lassen sie sich nicht, worauf 
es eben in der Hauptsache ankam, bis in den Mutterstamm verfolgen, 
weder auf der gesunden, noch auf der degenerirten Seite. Denn bei 
x findet man im ganzen Strang keine einzige gefärbte Faser, wäh- 
rend bei «x die eingezeichnete die einzige gut gefärbte unter den 
degenerirten Fasern ist, wodurch sie sich, zumal sie zu der Kate- 
gorie der bekannten dieken Primitivfasern gehört, scharf abhebt. 

Aehnlich gefärbte Fasern und von derselben Dicke treffen 
sich an manchen Stellen des degenerirten Fasernetzes mit von 
den gesunden Nerven abgesandten, ihnen entgegenkommenden 
Fasern und durehbohren dann, mit letzteren vereint, die Haut, 
wodurch sie sich einer weiteren Beobachtung entziehen ; sie lassen 
sich, allerdings immer blasser werdend, nicht selten fast bis in 
einen degenerirten Stamm verfolgen und ähneln dann den oben 
besprochenen als Regenerationsprodukte angesprochenen Fasern. 

Ihr Ursprung ist schwer zu erkennen; sehr wahrscheinlich 
ist, dass sie von der gesunden Seite stammen und dass ihr Zu- 
sammenhang mit einer von dort kommenden geschwärzten Faser 
in den oberen Schiehten der Cutis, also ausserhalb der Möglich- 
keit der Wahrnehmung, liegt. Finden sich doch auch in dem 
Präparat an vielen Stellen spitzwinklige Theilungen, wobei der 
eine Schenkel umbiegt und in einer zur Mutterfaser entgegen- 
gesetzten Richtung verläuft. 

Wir haben die in dem degenerirten Nerven vorhandenen 
geschwärzten oder theilweise gefärbten Fasern, welche sieh nicht 
weiter verfolgen liessen, als Regenerationsprodukte angesprochen. 
Zeichen einer im Gange befindlichen Regeneration finden sich 
nun auch noch an anderen Stellen des Präparats und zwar be- 
sonders sehön im Bereich der einen Querschnittsnarbe, in welcher, 


454 A. Kühn: 


die durch den Schnitt getrennten peripheren Enden von Seiten- 
ästen eines grösseren Nervenstammes zusammenliegen. Der dazu 
gehörige centrale Stumpf ist im Lymphsack zurückgeblieben und 
daher im Präparat nicht enthalten. Irgend eine Vereinigung 
beider Enden war nicht zu bemerken, trotzdem eine Resection 
hier ja nicht stattgefunden hatte. Hier haben sich namentlich 
zwei grössere Stümpfe an der Spitze eigenartig umgestaltet. 


Fig. 2. 

Dieselben sind in Fig. 2 bei starker Vergrösserung (305= 
Seibert V, Ocul. I) ebenfalls vermittelst des Zeichenprismas 
wiedergegeben. Zunächst fällt hier eine Zuspitzung des ursprüng- 
lichen Nervenstumpfes auf, indem sich die inneren Fasern etwas 
retrahirt und die äusseren nach vorn und innen wenig umge- 
bogen haben; namentlich scheinen die meist aussen verlaufenden 
dünneren Fasern die inneren dickeren überwachsen zu haben. 
In zweiter Linie ist eine starke Neubildung von marklosen, theils 
diekeren, theils dünnen mit zahlreichen Zellen versehenen Fasern 


Weiterer Beitrae zur Kenntniss des Nervenverlaufs etc. 455 
o© 


auffällig, welche fast durchweg in direeter Verbindung mit der 
Schwann’schen Scheide und ihren Zellen stenen. Diese feinen 
Fasern schwärmen von dem Stumpf nach allen Richtungen aus- 
einander, so dass das ganze Gebilde ein pinselartiges Aussehen 
bekommt. Sie entfernen sich, je mehr sie sich in das operirte 
Gebiet verlieren, immer mehr von einander, indem sie wie eine 
Sehützenkette auseinander schwärmen. Dazu kommen ähnliche 
Gebilde und junge schon entwickelte marklose Nervenfasern aus 
anderen benachbarten Nerven derselben Seite, die in gleicher 
Weise das nervenlose Gebiet durchqueren. So bildet sich ein 
diehtes Netz aus jungen in der Entwicklung begriffenen Nerven- 
fasern; treffen dieselben auf ihrem Weg einmal eine Faser oder 
einen Ast des degenerirten Nerven, so schliessen sie sich wohl 
vorübergehend demselben an, im Allgemeinen haben sie aber 
nieht die Tendenz, den Bahnen des alten Nerven zu folgen. 
Dabei ist zu bemerken, dass die oben erwähnten charakteristi- 
schen dieken Primitivfasern, denen nach den früheren Unter- 
suchungen ein besonderes anatomisches Verhalten nichtabgesprochen 
werden kann, da sie in der gesunden Haut mit Vorliebe auf 
eigenen Bahnen ohne Rücksieht auf das übrige Nervennetz ziehen, 
nieht unter diesen jungen Fasern zu finden sind. 

Eine Beobachtung, welehe noch einmal den Uebergang von 
gesunden Fasern über die Mittellinie in das degenerirte Gebiet 
betrifft, verdient zum Schluss noch einer kurzen Erwähnung. 
Auffallend häufig findet man im Bereich der Mitte vom gesunden 
Nerv kommende Fasern, welche, im Gegensatz zu den Fasern 
a und b der Fig. 1, nach Ueberschreiten der Mittellinie nur auf 
kurze Strecken gut gefärbt sind und dann, je weiter sie sich in 
das degenerirte Gebiet erstrecken, um so undeutlicher werden. 
Diese zunehmende Undeutlichkeit geht einher mit degenerativen 
Veränderungen in den Fasern, welche nicht selten zur Lockerung 
und Quellung des Markes führen. Es wird dann eine derartige 
Faser schlechter sichtbar ohne Rücksicht auf etwaige Reducirung 
durch Abgabe von Seitenästen, wie es in anderen gesunden Prä- 
paraten der Fall ist, in denen sich eine gesunde Faser von 
gleicher Anfangsstärke, soweit sie sich natürlich nieht in einem 
Fasergewirr versteckt, gewöhnlich bis zu ihrem Durchtritt in die 
Oberhaut gut verfolgen lässt. Diese Beobachtung an unseren 
Präparat zwingt wohl zu der Annahme, dass die Faser im de- 
generirten Gebiet eine vielleicht direct von den degenerirten 

Archiv f. mikrosk. Anat. Bd. 57 30 


456 A. Kühn: 


Fasern des reseeirten Nerven, mit welchen sie ja an manchen 
Stellen in nähere Berührung kommt, ausgehende Schädigung 
erleidet. 

Um nun Gewissheit darüber zu erlangen, ob die gefundenen 
Faserveränderungen nicht etwa der langen Gefangenschaft oder 
ungenügender Ernährung zuzuschreiben waren, untersuchte ich 
darauf die in genau derselben Weise präparirte Haut eines ge- 
sunden Frosches, der dieselbe Zeit unter denselben Lebensbe- 
dingungen mit den operirten Thieren gehalten war. Hier fanden 
sich überall gesunde Fasern, nirgends auch nur die Spur einer 
Degeneration. 


Versuch Il. 


Kleiner gut ernährter Landfrosch. 25. VII. 99 Operation: 
ebenfalls rechtsseitiger Lappenschnitt und Reseetion zweier Ner- 
ven. 4 Nadeln. Die Wunde heilt nicht ganz per priman; die 
Fäden lösten sich nach 4 Tagen von selbst. Die Sensibilität 
erschien nach der Operation im Bereiche des Hautlappens wenig 
herabgesetzt, glich sich aber nach kurzer Zeit vollkommen wieder 
aus. Die weitere Heilung verlief dann ohne Störung. 

12. V. 1900 Tötung durch Verbluten und Anfertigung des 
Präparats in derselben Weise wie bei Versuch I. Zeitraum zwi- 
schen Operation und Tötung beträgt hier 10!/, Monate. 

Die mikroskopische Untersuchung ergiebt eine vollkommene 
Degeneration der beiden resecirten Nerven. Denn während bei 
Versuch I im Präparat noch hier und da Degenerationsproducte 
wie Fetttröpfehen, Markschollen ete. vorhanden waren, sind die- 
selben hier im Laufe der langen Zeit zwischen Operation und 
Tötung verschwunden. 

Beide Nerven erscheinen somit nur noch als Schatten bei 
schwäcberer Vergrösserung. Sie liegen fest eingebettet in binde- 
gsewebigen Verwachsungen, Residuen früherer Entzündung, und 
sind überwuchert von zahlreichen braun bis tiefschwarz gefärbten 
Pigmentzellen, Chromatophoren, deren Ablösung von der Unter- 
lage bei der Präparation nicht erfolgte, ein die Beobachtung 
der einzelnen Fasern ungemein erschwerendes Bild. In glei- 
cher Weise wie die peripheren Stümpfe der resecirten Nerven 
waren bei diesem Thiere auch die centralen in Verwachsungen 
eingebettet. Eine direete Vereinigung beider Stümpfe vermittelst 


Weiterer Beitrag zur Kenntniss des Nervenverlaufs ete. 457 


dieser Verwachsungen war nun allerdings nicht vorhanden, immer- 
hin war aber in diesem Fall die Möglichkeit einer Faserversorgung 
des peripheren im Präparat sichtbaren Endes vom centralen 
Stumpf durch den Lymphsackraum hindurch nieht ganz aus- 
geschlossen. 

Bei stärkerer Vergrösserung erkennt man in den Nerven- 
schatten vereinzelte dunkler gefärbte Fasern, die sich indess in 
unmittelbarer Nähe der Stämme nicht auf längere Strecken ver- 
folgen lassen. Auch im Bereich der Mittellinie verlaufen viele 
geschwärzte Fasern in der Richtung nach der degenerirten Seite, 


— : 2—— Ze - ——— - errgrReNg 


k 
f 
h 
v 


ALTE 


Pion9. 
sie lassen sich hier bei der intensiven Blassfärbung der degene- 
rirten Fasern gut erkennen, soweit es die Dieke der Schicht zu- 
lässt. Vielfach findet man so Bilder, die der Fig. 1 ähneln, und 
welche, um Wiederholungen zu vermeiden, nicht gezeichnet sind. 
Eine directe Anastomose eines gesunden mit einem degenerirten 
Nerven über die Mittellinie herüber vermittelst einer von Anfang 
bis zu Ende klar zu erkennenden Faser lässt sich nicht ermitteln, 


458 A. Kühn: 


Neben den beiden degenerirten Nerven ist noch ein grösserer 
Ast eines lateral (rechts) verlaufenden Stammes, der durch den 
Schnitt oder einen Nadelstich getroffen sein muss, degenerirt. 
Es liegen sich hier im Gegensatz zu Fig. 2 centrales und peripheres 
Ende des Nerven gegenüber, und es resultirt ein interessantes 
Bild von dem regenerativen Faserverlauf. Die betreffende Stelle 
ist in Fig. 3 bei schwacher Vergrösserung zur Darstellung ge- 
bracht (Zeichenprisma). 

N. bezeichnet den intensiv geschwärzten Nervenstamm, 
dessen Seitenast bei a. durchtrennt war. Das centrale Ende ist 
nun gelockert und spulenartig aufgetrieben, seine Fasern zum 
grössten Teil nach innen umgebogen und eingerollt; sie er- 
scheinen am äussersten Ende blasser gefärbt, man kann aber 
nicht entscheiden, ob diese Veränderung schon bei der ersten 
Ranvier'schen Einschnürung Halt macht. Das periphere Ende 
ist im Gegensatz zum centralen blass gefärbt, da es sehr 
viel degenerirte Fasern enthält. Daneben erkennt man aber in 
demselben eine grosse Anzahl dunkler und ganz schwarz ge- 
färbter Fasern, welehe zum grössten Theil mit dem centralen 
Stumpf in Verbindung stehen, indem sie den Zwischen- 
raum theils in abnormen Windungen überbrücken. Ausserdem 
gehen von der Peripherie des peripheren Endes eine Menge 
feiner zellenreicher Fäserchen aus. die an das Bild im Fig. 2 
erinnern. Auch sie scheinen mit den Schwann’schen Scheiden 
in Verbindung zu stehen. Die beide Enden vereinigenden Fa- 
sern, welche übrigens ausschliesslich zur Kategorie der dieken 
Primitivfasern gehören, machen den Anschein, als ob sie nur 
dazu bestimmt gewesen sind, die zerstörte Verbindung zwischen 
beiden Enden wieder herzustellen, und ihre abnormen Win- 
dungen lassen darauf schliessen, dass sie bei ihrem Wachsthum 
oft vom Wege abgeirrt sind. So sieht man auch einige Fasern, 
welche vom centralen Ende auslaufen, ihren Bestimmungsort, das 
periphere Ende, aber nicht erreicht haben; sie irren vielmehr 
vollkommen ziellos umher und scheinen weder von dem Verlauf 
anderer Nervenbahnen noch vom Verlauf der Gefässe beeinflusst 
zu werden. 

Meissiuich Ill. 

Mittelgrosser Landfrosch. 5. VIII. 99 Operation: rechts- 

seitiger Lappenschnitt mit Reseetion zweier Nerven, 4 Nähte. 


Weiterer Beitrag zur Kenntniss des Nervenverlaufs ete. 499 


Die Heilung erfolgt hier nahezu glatt. Sensibilitätsstörungen 
konnten nicht festgestellt werden. 

9. IX. 99; die Wunde ist glatt vernarbt, das Allgemein- 
befinden ohne Störung. 

19. V. 00 getödtet zur Anfertigung des Präparats in der- 
selben Weise wie bei den beiden anderen Versuchen. 

Der Zeitraum zwischen Operation und Tödtung beträgt hier 
9!/, Monate. Die Abtrennung der Haut geschah sehr leicht, da 
dieselbe an keiner Stelle verwachsen war. Dem entsprechend 
war auch von einer etwaigen Wiedervereinigung der resecirten 
Nervenstümpfe Nichts zu bemerken. Die centralen Enden waren 
rudimentär noch vorhanden und endeten frei in dieser Gestalt in 
den Lymphsack, von den peripheren war makroskopisch gar 
nichts mehr zu sehen. Die mikroskopische Untersuchnng zu- 
nächst nach dem Grade der Degeneration ergiebt, dass die ersten 
Ram. dors. auf beiden Seiten normal geblieben sind, dagegen ist 
der nun folgende auf der rechten Seite nur zum Theil erbalten, 
einige lateral ziehende Aeste sind von Schnitt oder Nadel ge- 
troffen und am Ende aufgefasert. Der 3. Ramus dors. der 
rechten Seite ist total degenerirt; sein gesammtes Fasernetz er- 
scheint blassgelb bindegewebig; er hat nur in seiner Peripherie, 
namentlich im Bereich der Mittellinie, einige wenige dunkler ge- 
färbte Fasern. Der 2. reseeirte Nerv, welcher diesem caudal- 
wärts folgt, tritt in die Cutis gerade in dem caudalen Quer- 
schnitt, so dass sein Anfangstheil durch die narbigen Trübungen 
und die stets in den Narben vorhandene Anhäufung von Pigment- 
zellen undeutlich geworden ist. Auch dieser Nerv ist vollkommen 
geschwunden. 

Die nicht operirte linke Seite zeigt in der oberen Hälfte 
normale Verhältnisse, die Nerven sind dunkel gefärbt, sle ent- 
halten aber durchweg neben den geschwärzten Fasern reichlich 
hellere und zerfallene, was bemerkenswerth ist. 

Der untere (caudale) Theil verhält sich insofern abnorm, 
als hier statt 1 oder 2 grösserer Aeste eine Menge kleinerer 
Aeste, etwa 13, welche theilweise nur aus einigen wenigen Fa- 
sern bestehen, in die Haut eintreten; ob dieselben theilweise zu- 
sammengehören und Seitenäste eines grösseren im Lymphsack 
bereits getheilten Hauptstammes sind, oder ob sie auch durch 
den Lymphsack getrennt verlaufen, entzieht sich der Beurthei- 


460 A. Kühn: 


lung. Ebenso wenig lässt sich feststellen, ob sie ein Product 
der Degeneration sind und sich vielleicht compensatorisch für die 
degenerirten Stämme gebildet haben. 

kücksichtlich des specielleren Faserverlaufs bietet sich in 
Bezug auf ihr Verhalten zur Mittellinie ein ähnliches Bild wie 
bei Versuch Il. Gesunde Fasern überschreiten dieselbe an vielen 
Stellen und verlieren sich im degenerirten Netz der gegenüber- 
liegenden Seite, sie lassen hier aber viel früher und ausgeprägter 
Zeichen von Degeneration, Quellung der Marksubstanz und kör- 
nigen Zerfall, erkennen, als es z. B. bei dem Versuch I (ef. 
p- 455) der Fall war. Da ausserdem, wie erwähnt, in den gesunden 
Stämmen viele geschädigte Fasern zu finden waren, so muss 
man hier wohl annehmen, dass diese Erscheinung zum grössten 
Theil auf eine der Eingangs erwähnten die Nerven im Allge- 
meinen alterirenden Schädlichkeiten zurückzuführen ist. 

Im Uebrigen bietet das Präparat nichts besonders Bemer- 
kenswerthes. Es ähnelt, was die abgelaufene Degeneration an- 
belangt, dem Präparat von Versuch II. 


Versuch W. 


Mittelgrosser Landfrosch. Operation 18. IX. 99: rechts- 
seitiger Lappenschnitt mit Resection eines Nerven. Heilung er- 
folgt glatt, ohne secundäre Infeetion. Der übrige Verlauf wie 
bei den vorhergehenden Versuchen. 

20. V. 00 getödtet, also nach 8 Monaten, zur Anfertigung 
des Präparats. Auch bei diesem Thier war weder eine direete 
Verwachsung noch eine durch bindegewebige Verklebungen be- 
günstigte Vereinigung der Stümpfe der resecirten Nerven inner- 
halb des Lymphraums eingetreten. Auch hier musste also eine 
Regeneration von Seiten der centralen Stümpfe in das degene- 
rirte Gebiet unmöglich gewesen sein. 

Die mikroskopische Untersuchung des letzteren ergiebt ab- 
gelaufene Degeneration des reseceirten 2. Ram. dors. rechts, 
während sämmtliche übrigen Nerven gut erhalten sind. Dieselben 
enthalten auch nicht, wie es bei Versuch 3 der Fall war, zer- 
fallene oder alterirte Fasern, sondern alle Fasern sind vorzüglich 
gleichmässig gefärbt. Der einzige degenerirte Nerv erscheint 
gleichmässig blass und enthält nur an der Peripherie seines Faser- 
netzes einige dunklere Fasern. Letztere sind, da sie von der 


Weiterer Beitrag zur Kenntniss des Nervenverlaufs etc. 461 


anderen Seite kommen, im Bereich der Mittellinie der einzige 
Beweis vom Faserübergang über dieselbe. Typischere Stellen 
sind im Präparat nicht aufzufinden. 

Auch rücksichtlieh der Regeneration bietet das Präparat 
nichts Bemerkenswerthes. Dagegen zeichnet dasselbe sich durch 
seinen Reichthum an den dieken schon oft erwähnten Primitiv- 
fasern in hervorragender Weise aus, die ausnahmsweise ausser- 
ordentlich gut gefärbt sind. In manchen Aesten sind sie fast 
ausschliesslich vorhanden und ihr Versorgungsgebiet erreicht nicht 
selten die Grösse von 2—3 DJ] mm, wenn man davon absieht, 
dass vereinzelte auf eine noch längere Strecke ungetheilt ver- 
laufen, um dann erst im dem eigentlichen Versorgungsgebiet 
eines benachbarten Nerven die Seitenäste abzugeben. Ihr iso- 


nee me nunmenn SE LEEEgE DEE rer = ng 


S gel > 
ex 
f 
Fig. 4. 


lirter Verlauf mit Rücksicht auf das übrige Nervennetz ist 
durchweg in der Nähe des Mutterstammes am ausgesprochensten. 
Je mehr man sich dem Grenzgebiete zweier oder mehrerer 
Nervenplexus nähert, desto seltener sieht man sie letztere dureh- 
queren und desto mehr halten sie sich in ihrem Verlauf an das 
gewöhnliche Netz. Dies ist besonders auffallend in der Gegend 
der Mittellinie, und hieraus resultirt wohl die Schwierigkeit, an 


462 A. Kühn: 


diesen doch sehr eharakteristischen Fasern den Uebergang von 
einer Seite auf die gegenüberliegende nachzuweisen. Von ihrem 
Mutterstamm zweigten sie bislang frühestens direet nach dem Ein- 
tritt des letzteren in die Haut ab. In diesem Präparat finden 
sich nun aber auch Stellen, an welchen die Abzweigung bereits 
im Lymphsack, also vor dem Eintritt in die Haut, erfolgt. Eine 
solehe Faser ist die mit a. bezeichnete in Fig. 4. Dieselbe 
verläuft, da ihr Nervenstamm N. erst bei der Linie m.n. in die 
Haut tritt, auch ausserhalb der letzteren getrennt vom Nerv. 
Die Figur ist wie die anderen mit dem Zeichenapparat bei 
schwacher Vergrösserung angefertigt. Die Theilungen der Fa- 
sern und ihre Verästelungen sind vollständig mit eingetragen. 

Das Charakteristische dieser Fasern ist, wie schon oft er- 
wähnt, ihre Dieke; nicht selten unterscheiden sie sich hierin aber 
auch von einander, ganz abgesehen davon, dass bei Degenerations- 
vorgängen das Mark quellen und dadurch die ganze Faser an 
Umfang gewinnen kann. 

In diesem Präparat 
sind die Fasern durchweg 
gesund und trotzdem gleich- 
mässig ausserordentlich 
verdickt. Ein Beispiel 
hierfür ist die Faser der 
Abb. 4, deren Theilung 
bei x in Fig. 5 bei stärke- 
rer Vergrösserung noch 
einmal wiedergegeben ist, 
um ihr Grössenverhältniss 


zu den gewöhnlichen Fa- 
sern, welehe sie an der 
betr. Stelle gerade schnei- 
det, zu beleuchten. Man sieht, dass sie diese Fasern um mehr 
als das Doppelte an Breite übertrifft. 

Ein Schluss auf eine besondere physiologische Function 
kann schon hieraus gerechtfertigt erscheinen. 

Brersuch '\V. 

Mittelgrosser gesunder Landfrosch. 3. VIII. 99 Operation: 
linksseitiger Lappenschnitt mit Resection von zwei Nerven. 
6 Nadeln. 


Fig. 9. 


Weiterer Beitrag zur Kenntniss des Nervenverlaufs ete. 463 


9. IX. 99 reactionslos geheilt; keine nennenswerthe Sen- 
sibilitätsstörnng. Ist sehr munter und frisst gut. 

31. V. 00 getödtet zur Anfertigung des Präparats. 

Die Zeitdauer zwischen Operation und Tödtung beträgt 
nicht ganz 10 Monate. — Die betreffenden centralen und peri- 
pheren Stümpfe der resecirten Nerven erwiesen sich bei der Ab- 
lösnng vollkommen retrahirt und verkümmert. Im Uebrigen war 
die resecirte Seite stellenweise fest mit der Unterlage verwachsen 
und liess sich nur mit der Scheere von derselben trennen. Die 
Möglichkeit, dass diese Adhäsionen Uebergangsfasern von den 
centralen Nervenstümpfen in die Haut und besonders in das de- 
generirte Gebiet enthielten, liess sich bei diesem Versuch, ähn- 
lich wie bei Versuch II, nieht ganz ausschliessen. 

Mikroskopisch zeigt sich an dem gut gelungenen Präparat 
folgendes Bild: Die beiden resecirten Nerven erscheinen im 
Ganzen blass; ihre Hauptstämme enthalten aber neben binde- 
gewebigen Strängen, den Residuen der zu Grunde gegangenen 
Fasern, die stellenweise in länglich kernhaltige spindelförmige 
und ovale Zellen übergehen, auch gesunde, gut gefärbte Nerven- 
faseın, welche sich auf dem helleren Hintergrund gut verfolgen 
lassen. Ueber den Ursprung dieser Fasern soll unten genauer 
berichtet werden. 

Auch das feinere Nervennetz in der Mitte ist gut zu er- 
kennen in Bezug auf den Uebergang von Fasern der einen Seite 
zur gegenüberliegenden. Nur fällt eine unregelmässigere An- 
ordnung auf; an manchen Stellen durchkreuzen sich 2—3 ver- 
schiedene, nur durch kleine Anastomosen mit einander in Verbin- 
dung stehende Netzsysteme, die unzweifelhaft zum Theil jüngeren 
Datums sind und wohl als Regenerationserscheinung angesehen 
werden müssen. 

Die gesunden Nerven, welche den degenerirten gegenüber- 
liegen, betheiligen sich an diesem Netz nur in ergingem Grade. 
Dagegen gehen von ihnen dicke Fasern aus, welche sich 
über die Mittellinie herüber bis nahezu in einen degenerirten 
Stamm der anderen Seite hinein erstrecken. Ein gleiches Ver- 
halten fanden wir schon bei den früheren Versuchen; hier ist 
nur die Menge der die Mitte überschreitenden Fasern, die oft 
einzeln, oft auch zu einem Strang vereint, verlaufen, auffallend. 
Eine einzelne Faser liess sich nun bis in einen Hauptstamm der 


A. Kühn: 


464 


Fig. 6 zur Dar. 


m 


ist 


inein verfolgen und diese 
Ze 


te h 


i 


stellung gebr 


anderen Se 


eise wie 


derselben W 


ın 


ichnung ist 


1e 


aa 


acht 


Fig. 6. 


; sind die gesunden Nerven der 


Fig. 1 verfertigt, N, und 


Weiterer Beitrag zur Kenntniss des Nervenverlaufs ete. 465 


rechten, N, und N, die degenerirten und darum blasser gezeich- 
neten der linken Körperseite. M. caud. — M cr. bedeutet wieder 
wie oben die Mittellinie. Mit a ist die vom Nerven N, aus- 
gehende und bis in den Nerven N, verlaufende Faser bezeichnet, 
welche sich auf ihrem Wege vielfach theilt und im Allgemeinen 
das Nervennetz berücksichtigt; obwohl sie der Kategorie der 
dieken Fasern angehört. Bei x war ihr weiterer Lauf 
sehr schwer zu eruiren, da lange Pigmentzellen das Bild 
undeutlich machten. Auch bei xx. ist eine undeutliche Stelle, 
die einen weiteren Verlauf nur vermuthen lässt. Eine andere 
mit eingezeichnete Faser b. erstreckt sich auch sehr weit ins 
degenerirte Gebiet, lässt sich aber mit Faser a, an Ausdehnung 
nicht vergleichen. Sie verläuft bei «we. unter dem alten Nerven- 
stumpf N,, der aus mehreren mitteldicken Stämmen besteht, in 
die er sich wahrscheinlich schon im Lymphsack getheilt hat. 

Was nun die Frage anbelangt, ob diese Uebertrittsfasern 
Produkte der Regeneration sind, oder ob sie als von einem ge- 
sunden Nerven stammend auch zwischen degenerirten Fasern 
einer Degeneration entgangen sind, also ihren ursprünglichen 
Verlauf beibehalten haben, so ist wohl mit Bestimmtheit anzu- 
nehmen, dass letzteres der Fall ist. Hierfür spricht in erster 
Linie der sich nach der allgemeinen Netzanordnung riebtende 
Verlauf der gezeichneten Faser, der besonders im degenerirten 
Gebiet bemerkenswerth ist. Eine neu entstandene Faser von 
gleicher Dieke wie Faser a. würde nach der Tendenz der neu 
wachsenden Fasern dieser Kategorie wohl die alten Bahnen der 
degenerirten Nerven nieht berücksichtigt haben. 

Es ist daher wohl mit Sicherheit anzunehmen, dass sie, 
nicht gestört in ihrer Ernährung vom gesunden Nerven aus, den 
von den benachbarten degenerirten Fasern ausgehenden alteriren- 
den Einflüssen widerstanden hat. 

Da so viele Degenerationspräparate durchmustert werden 
mussten, bis ein direkter Faserübergang über die Mittellinie 
nachgewiesen werden konnte, so müssen dem Auffinden derselben 
gewisse Schwierigkeiten entgegenstehen, welche eben auch den 
früheren Forschern hinderlich waren und sie bislang zu keinem 
positiven Resultat kommen liessen. 

Diese Schwierigkeiten bestehen einmal in der Unmöglich- 
keit, eine, wenn auch dicke und gut gefärbte Faser in einem 


466 A. Kühn: 


aus mehr als etwa 4 Fasern bestehenden Strang auf eine grössere 
Strecke im Auge zu behalten. Dann muss man annehmen, dass 
in der That nur sehr wenige Fasern in der in Fig. 6 wieder- 
gegebenen Weise verlaufen, da die meisten bereits etwa in der 
Mitte zwischen Mittellinie und Nerven enden. 

Schliesslich ist schon oben bemerkt worden, dass ein iso- 
lirter Verlauf von den bekannten dieken Fasern, welcher in der 
Nähe des Hauptstammes sehr häufig ist, im Bereich der Mitte 
sehr selten anzutreffen ist. Sie halten sich in dieser Gegend 
eben mehr an das Fasernetz. 

Ein BCnönEr Beispiel einer vom Stamm ausgehenden isolirten 
Faser ist die in Fig. 6 punktirt eingezeichnete 
Faser c.; sie verlässt den Stamm verhältniss- 
mässig früh und versorgt einen ziemlich grossen 
Hautbezirk. Ihre vielfachen Theilungen bieten 
nichts Abnormes mit Ausnahme der mit y. be- 
zeichneten; diese erfolgt nämlich in der Mitte 
der betr. Strecke, ohne dass die beiden Theil- 
äste sich sofort räumlich von einander trennen. 
Die Aeste laufen vielmehr erst eine beträcht- 
liche Strecke theils neben-, theils unter- und 
übereinander, bis sie sich schliesslich in einer 
Weise trennen, die bei flüchtiger Beobachtung 
erst als Theilung erscheint (ef. Fig. 7). 

Es wurde oben bereits von den in diesem 
Präparat auffallenden, aus jungen Fasern be- 
stehenden, verschiedenen Netzsystemen gespre- 

Fie. 7. chen. Derartige Netze finden sich nun mit Vor- 
Theilungsstelle y liebe in der Nähe der Hauptstämme namentlich 
der Faser ce von . ar 

Fig. 6. auf den degenerirten Seiten, so dass letztere von den 
l"’asern wie umsponnen erscheinen. Am deutlichsten ist dies bei Nerv 
N, in Fig. 6. Von diesem Nerv sind nur die grösseren Seitenäste im 
Präparat vorhanden; dieselben sind in diehte Verwachsungen — in 
Fig. 6 etwas schattirt — eingebettet und in diesen Verwachsungen 
hat sich nun ein reiches, meist aus den dieken Primitivfasern be- 
stehendes Fasernetz entwickelt, in Fig. 6 punktirt eingezeichnet. 
Die Fasern verlaufen vollkommen ziellos durch einander, sie ver- 
binden zum Theil die beiden reseeirten Stämme, zum Theil 
streben sie benachbarten gesunden Stämmen zu. In der Figur 


Weiterer Beitrag zur Kenntniss des Nervenverlaufs ete. 467 


sind die feineren und ganz jungen Fasern nicht berücksiehtigt, 
so dass also in Wirklichkeit das Fasergewirr noch viel diehter 
und complieirter ist. 

Die punktirten Fasern verlaufen unter der die Stämme 
enthaltenden Verwachsungsschicht. Der Ursprung der meisten 
dieser Fasern ist schwer zu erkennen, während sich einige mit 
Leichtigkeit in den caudal und den lateral benachbarten Nerven 
verfolgen lassen. Da sie in den Verwachsungen laufen und mit 
letzteren scharf abschneiden, sind sie höchstwahrscheinlich Rege- 
nerationsfasern der centralen Resectionsstümpfe, welche die Ver- 
wachsungen als Brücke benutzt haben, um in die Hant eintreten 
zu können. Es ist dies ein nicht beabsichtigtes Ergebniss, da 
Ja gerade der Hauptzweck unserer Operationsmethode der war, 
eine Regeneration vom centralen Stumpf zu verhindern, um dann 
die Versorgung der beiden resecirten Gebiete von anderen Nerven 
aus zu beobachten. 

Vier such VI. 

Grosser kräftiger Landfrosch 9. IX. 99 Operation. Die- 
selbe ist insofern modifieirt, als zunächst ein rechtsseitiger Lappen- 
schnitt mit Resection von 4 Nerven angelegt wurde; dann wurde 
die Wunde durch Nähte geschlossen und links ein etwa 
1 em langer Längsschnitt geführt, welcher in der Mitte zwischen 
Rückenwulst und Mittellinie parallel zur letzteren verlief und 
die bereits in der Haut verlaufenden Verzweigungen der links- 
seitigen Ram. dors. med. durchtrennte. 

Zweck dieser Modification war, den Ausgangspunkt der 
Regeneration und ein event. Ueberschreiten der von der linken 
Seite neu gebildeten Fasern über die Mittellinie erkennen zu 
können. Auch diese Wunde wurde durch Nähte geschlossen. 

Beide Wunden heilten — dieses Mal unter Jodol — fast 
reactionslos. 

6. VI. 00 getötet zur Anfertigung des Präparats. 

Zeitraum zwischen Operation und Tötung beträgt nicht ganz 
9 Monate. Trotz des schweren Eingritfs waren hier keine Ver- 
wachsungen im Lymphsack vorhanden. Die noch eben sichtbaren 
Reseetionsstümpfe lagen weit von einander getrennt. 

Das Präparat weist, mikroskopisch betrachtet, zunächst, 
was die Degeneration anbelangt, vier nahezu vollständig degene- 
rirte Nerven der rechten Seite auf. Namentlich der 4. Ram, 


468 N. Kühn: 


dors. ist nur noch ein bindegewebiger Strang ohne jede Faser- 
zeichnung. Auf der anderen Seite ist zwischen Mittellinie und 
Nervenstämmen deutlich die Narbe des Längsschnitts sichtbar, 
welche eben nur die Seitenäste der linksseitigen Ram. dors., nicht 
die Stämme selbst, getroffen hate. Nur muss der 4. Nerv wäh- 
rend seines Verlaufs im Lymphsack getroffen worden sein, da 
er auch auf dieser Seite in toto degenerirt ist. Das zwischen 
den Schnitten resp. Nerven gelegene Hautgebiet musste also eine 
Zeit lang von Nerven vollkommen unversorgt gewesen sein; auch 
jetzt ist es noch schwer, gut erhaltene Fasern in demselben zu 
finden. Dass die Nervenleitung hier eine Zeit lang ganz unter- 
brochen gewesen sein muss, erkennt man namentlich aus der 
neurotrophischen Veränderung der Pigmentzellen. Letztere unter- 
scheiden sich ganz erheblich von den gleichgearteten in gesunden, 
d. i. von Nerven versorgten, Hautbezirken. Sie sind grösser und 
plumper, ihre Fortsätze breiter und weniger zierlich verzweigt; 
sie communieiren durch dieselben oft miteinander, was unver- 
änderte Pigmentzellen nur selten thun. So findet man z. B. in 
der Mitte des betr. Hautbezirks einige diehte Rasen ineinander- 
geketteter Pigmentzellen. Ein Beweis für die neurotrophische 
Natur dieser Erscheinung ist der Umstand, dass auf der linken 
Hälfte unmittelbar hinter der Längsschnittsnarbe sich wieder 
normale Pigmentzellen vorfinden. 

Durch diese dicht gelagerten Pigmentzellen findet übrigens 
eine ausserordentliche Erschwerung der feineren Faserbeobach- 
tung statt. Gegen einen dunklen Hintergrund gehalten, hebt sich 
im Präparat mikroskopisch dieses zellenreiche Gebiet als hell- 
glänzende, wenig durchsichtige Partie ab. 

Der Faserverlauf bietet in diesem Präparat in mancher 
3eziehung Bemerkenswerthes. So findet man zunächst an manchen 
Stellen der linken Seite ein vollkommen planloses Gewirr von 
Fasern, welche meist von den lateral von dem Längsschnitt 
liegenden centralen Enden der vom Schnitt getroffenen Aeste aus- 
gehen. Von einem Nervenstumpf schwärmen sie z. B. an einer 
Stelle plötzlich nach alien Richtungen hin auseinander und ähneln in 
dieser Weise nicht wenig einem Medusenhaupt. Die einzelnen Fasern 
verhalten sich dabei noch verschieden. Einige sind am Ende des cen- 
tralen Stumpfes nach innen eingerollt, nachdem sie bis zur letzten 
Ranvier’schen Einschnürung degenerirt waren, andere streben in 


Weiterer Beitrag zur Kenntniss des Nervenverlaufs ete. 469 


spiraligen Windungen nach verschiedenen Richtungen, auch nach der 
Mittellinie, wieder andere bilden nur eine Schleife und kehren dann 
zum Stumpf zurück. Man sieht eben eine völlige Regellosigkeit 
im Wachsthum der neuen Fasern. Dass sich die schon im normalen 
Nervennetz durch ihren besonderen Verlauf auszeichnenden dicken 
Primitivfasern sehr rege an diesem Durcheinander betheiligen, 
bedarf kaum der Erwähnung. Sie lassen sich jedoch, je jünger 
sie sind, desto schlechter färben. 

Aus den bindegewebig veränderten alten Nervensträngen im 
Gebiet der Mittellinie und dem Reichthum an entarteten Pigment- 
zellen erkennt man also, dass ein nervöser Einfluss im Bereich 
der Mitte des Körpers vollkommen gefehlt hahen muss; es 
müssen also alle jetzt daselbst nachweisbaren gefärbten Fasern 
neugebildete sein. 

Gehen wir nun zunächst, um diesen Fasern nachzuspüren, 
von dem Längsschnitt links zwischen Mittellinie und Rückenwulst 
aus. Hier finden sich wie schon erwähnt, viele der Mittellinie 
zustrebende Seitenäste, welche von dem Schnitt getroffen waren. 
Die meisten Fasern sind in denselben centralwärts nur eine 
kurze Strecke degenerirt und peripherwärts jenseits: der Narbe 
vollkommen entfärbt. Am cranialen Ende der Längsschnitts- 
narbe sind jedoch einige Fasern zu erkennen, welche als Produkt 
einer Regeneration vom centralen Nervenstumpf aus anzusehen 
sind; sie gehen wenigstens aus letzterem hervor, überschreiten 
die Narbe und verlieren sich, im alten Nervengeleise laufend, 
im degenerirten Gebiet. Derartige Stellen sind aber vereinzelt. 

Häufiger ist die Erscheinung, dass vor der Narbe die 
Nerven beider Seiten Halt machen und sich eranial- oder caudal- 
wärts wenden, so dass die Narbe selbst frei von Fasern ist. Am 
unteren (caudalen) Theil dieser Narbe befindet sich der Eingangs 
der Besprechung des Präparats erwähnte aufgefaserte Nerven- 
stamm. Hier scheinen sich die Fasern nach der Schädigung 
zum Theil wieder erholt, zum Theil regenerirt zu haben; man 
sieht wenigstens die meisten Fasern erst in abnormen Windungen 
und Schleifen an derselben Stelle beharren, um dann erst eine 
bestimmte Richtung einzuschlagen. Viele wenden sich dann im 
Anschluss an das alte Nervennetz der Mittellinie zu, überschreiten 
sie und verlieren sich auf der gegenüberliegenden Seite. Sie 
lassen sich dabei wohl in die Nähe eines degenerirten gegenüber- 


470 A. Kühn: 


liegenden Stammes verfolgen, aber nicht bis in denselben hinein. 
— Weiter caudalwärts findet sich der in Fig. 8 abgebildete 
Verlauf, weleher einen dirketen Uebergang über Narbe und 
Mittellinie von Seiten neugebildeter Nervenfasern aufweist. Es 
sind in die mit dem Prisma angefertigte Figur nur einige wenige 
besonders schön verlaufende Fasern eingezeichnet. So trennt 
sich die Faser a. vor der Narbe x. von ihrem Stamm N. Z., 
überschreitet mit einer Schleife die Narbe, wobei sie schon 


ü 


Fig. 8. 

etwas oberflächlich verläuft, geht dann in das alte Netz der 
Nerven N. R. über und endet in einem Hauptast desselben. 
Faser b. verliert dagegen nach dem Uebergang über die Narbe 
bald ihr Mark und endet nach einigen Windungen als feine 
Faser im gegenüberliegenden Gebiet. Beide Fasern gehören 
ausnahmsweise nicht zur Kategorie der dieken Fasern. Nerv N. R. 
enthält übrigens, obwohl reseeirt, noch ziemlich viele, allerdings 
in abnormen Windungen verlaufende, Fasern, von denen er auch 
einige über die Mittellinie — mn —herüber in die Nähe der Längs- 
schnittsnarbe schickt. 


Weiterer Beitrag zur Kenntniss des Nervenverlaufs ete. 471 


Die letzten correspondirenden Nervenstämme dieses Präpa- 
rats sind beiderseits noch total degenerirt, sie enthalten in ihren 
blassgelben Strängen auch nicht eine einzige erhaltene Nerven- 
faser, da ihre gegenseitig anastomosirenden Fasern eben auch 
geschwunden sind. Erst in der Peripherie ihres Faser- resp. 
Strangnetzes treten wieder gefärbte Fasern der Nachbar- 
stämme auf. 


Versuch VII. 


Mittelgrosses gesundes Thier. 16. VIII. 99 Operation: 
linksseitiger Lappenschnitt mit Resection von 2 Nerven. Schluss 
der Wunde durch fortlaufende Naht. 

9. IX. 99 geheilt ohne Sensibilitätsstörungen noch Se- 
cundärinfectionen. 

14. VI. 1900 getötet zwecks Anfertigung des Präparats. 
Die Tötung geschah nach vorheriger Entblutung wie bei den 
anderen Versuchen. 

Zeitraum zwischen Operation und Tötung beträgt 10 Monate. 
— Auch bei diesem Versuch war eine Wiedervereinigung der 
in den Lymphraum hineinragenden Resectionsstümpfe nicht ein- 
getreten, so dass sich also auch hier der centrale Theil der re- 
seeirten Nerven nicht an der Regeneration betheiligen konnte. 

Bei mikroskopischer Be- 
trachtung des Präparats ergiebt 
sich als Resultat der Operation 
eine fast vollständige Degene- 
ration der beiden resecirteu 
Nerven; sie enthalten nur einige 
wenige gut gefärbte Fasern. 
Der 3. Ram. dors. links ist ausser- 
dem von dem caudalen Quer- 
schnitt getroffen und lässt im 
Präparat centrales wie peri- 
pheres Schnittende gut erkennen. 
Es ist diese Stelle, da in ihr 
die Art der Kommunication zwi- 
schen centralem und peripherem 
Nervenende vermittelst neuge- Fig. 9. 


bildeter Fasern besonders deutlich ist, in Fig. 9 zur Darstellung 
Archiv f. mikrosk. Anat. Bd. 57 28 


472 A. Kühn: 


gebracht. Die Herstellung derselben erfolgte in derselben Weise 
wie die der übrigen Figuren vermittelst des Zeichenprismas. Der 
Nerv wurde bei schwacher Vergrösserung erst skizzirt und dann 
die einzelnen Fasern nach der stärksten Vergrösserung nach- 
träglich eingetragen. Man erkennt leicht die Auffaserung des 
centralen Stumpfes, die an frühere Bilder erinnert. Das peri- 
phere Ende, in der Figur blass gehalten, ist völlig degenerirt. 


—— 


N 


Fig. 10. 
Die wenigen erhaltenen Fasern, die es empfängt, stammen vom 
centralen Theil. Interessant ist die Art des Uebertritts dieser 


Weiterer Beitrag zur Kenntniss des Nervenverlaufs etc. 473 


Fasern. Sie kommen in geringer Anzahl —nur 3—4 — aus der 
Mitte des Faser-Pinsels und erreichen in Windungen die degene- 
rirten Aeste. Die übrigen vom centralen Theil ausgehenden 
neugebildeten Fasern — in der Figur nur zum Theil gezeichnet 
— gehen nach allen Richtungen auseinander, so dass man wohl 
annehmen muss, dass eine besondere Anziehungskraft für die 
Wachsthumsrichtung der neuen Fasern von Seiten zu Grunde ge- 
gangener Nervensubstanz in diesem Fall nicht vorhanden ge- 
wesen ist. 

Einige Verwaehsungen sind auch in diesem Präparat trotz 
des reactionslosen Verlaufs der Heilung zu erkennen. 

Die Nerven der gesunden Seite sind gut schwarz gefärbt 
und völlig frei von veränderten Fasern. 

Am Auffallendsten ist in diesem Präparat eine Regellosig- 
keit und ein Reiehthum der einzeln, d. i. isolirt verlaufenden 
Fasern, wie sie in keinem der anderen Präparate vorhanden war. 
Ueberall, sowohl in gesunden als in den degenerirten Hautbezirken 
sieht man sie das Nervennetz durchqueren. Eine völlig abnorm 
verlaufende derartige dieke Faser aus einem gesunden Hautgebiet 
ist in Fig. 10 dargestellt. Dieselbe geht von dem lateral vom 
Lappenschnitt gelegenen Nervenstamm N. aus und ist in der 
Figur mit dem Buchstaben a. bezeichnet und dadurch kennt- 
lich gemacht. Sie durchläuft eine lange Strecke, etwa 3 mm, 
in grossen Windungen ohne jede Theilung, um dann nicht 
in der Haut zu enden, sondern eher anscheinend eine Verbindung 
mit dem benachbarten Nerven herzustellen. Durch das Fehlen 
jeder Theilung unterscheidet sie sich hauptsächlich von den 
anderen gleichgearteten Fasern. 

Auch die jungen in der Bildung begriffenen Fasern scheinen 
in diesem Präparat schon einen Hang zum abnormen Verlauf zu 
haben. Mit Vorliebe bilden sie feine Netze, aus denen dann 
stärkere Fasern hervorgehen. Ein derartiges Netz zeigt Fig. 11. 
Hier zweigen die jungen Fasern von einer alten ab (Sehwann’sche 
Scheide?) und begeben sich in die oberen Schichten des Präparats. 
Der Reiehthum an Kernen, namentlich an Stellen, wo sich mehrere 
Fäserchen treffen, spricht wohl für die Jugend der letzteren. 
Oft verlaufen sie schon eine Strecke lang in Bündel geeint, trennen 
sich aber meist bald wieder und laufen dann isolirt. 

Die Zeichnung ist mit starker Vergrösserung nach dem un- 


474 A. Kühn: 


gefärbten Präparat (nur Osmiumsäure) vermittelst des Prismas 
angefertigt. 

Die betr. Stelle befindet sich in der Narbe und die beiden 
sich kreuzenden dieken markhaltigen Fasern stammen wahrschein- 
lieh von einem nicht resecirten Nerven derselben Seite. Auch 
letztere verlaufen sehr unregelmässig und theilen sich noch 
vielfach, ebenso geben sie noch weiter in ähnlicher Weise wie 
in Fig. 11 feine weiter wachsende und sich theilende Fasern ab. 


EEE nl 
A ’ 


Hie#: 


In der Umgebung der resecirten Nerven findet man nun über- 
all derartige Netze von jungen zellreichen Fasern, die als Aus- 
gangspunkt den resecirten Stamm und seine wenigen gefärbten 
Fasern zu haben suheinen. 

Auch ältere markhaltige Fasern sind in der Nähe des rese- 
eirten Stumpfes am häufigsten und durehkreuzen ihn mit den ihn 
umgebenden Verwachsungen auf die mannigfaltigste Weise ohne 
Rücksicht auf das alte Bahnnetz. Es kommen also Bilder zustande, 


Weiterer Beitrag zur Kenntniss des Nervenverlaufs etc. 475 


die an Fig. 6, N, erinnern. Sie verlaufen lateral- und medial- 
wärts, biegen oft plötzlich um, machen Schleifen, wandern in die 
tieferen Schichten und kommen dann wieder an die Oberfläche. 
Auch sie gehen zum grössten Theil von dem Stumpf aus, der 
demnach doch nicht ganz von der Ernährung abgeschlossen ge- 
wesen sein muss. Nur zum kleinsten Theil betheiligen sich die 
Fasern der lateral benachbarten nicht operirten Nerven an dieser 
Regeneration. 

Die bekannten dieken Fasern, welche sich schon so wie so 
dureh ihren regellosen Verlauf auszeichnen, sind nieht minder von 
dieser allgemeinen Regellosigkeit ergriffen; auch sie bilden oft 
Schleifen, theilen sich, lassen ihre Seitenäste zu ihrem eigenen 
Stamm zurückkehren ete. Auch Dreitheilungen sind nicht selten. 
Eine besonders auffallende aus der Umgebung der reseeirten ersten 
Nerven zeigt Fig. 12. 

Was nun die Nervenfasern der gegenüberliegenden gesunden 
Seite anbelangt, so überschreiten sie wohl an vielen Stellen in 
der oben des öfteren geschilderten Weise die Mittellinie, betheiligen 
sich aber an der Regeneration der anderen Seite nur in geringem 
Grade. Wohl findet man an ihnen im Bereich der Mittellinie 
eine Vermehrung der Kerne der 
Sehwann’schen Scheide und des 
Perineuriums resp. Endoneuriums, 
auch entsenden sie wohl einige 
Ausläufer, welche mit dem neuge- 
bildeten Netz (ef. Fig. 11) in Ver- 
bindung treten. Doch ist auffallend, 
dass diese Proliferation weit zurück- 
tritt hinter derjenigen vom re- 
secirten Nerven der anderen Seite 
aus, soweit man natürlich die Aus- 
gangspunkte dieser jungen Fasern 
mit Sicherheit erkennen kann. — Bis 
Zweifellos ist indess, dass man in diesem Präparat dieke Primitiv- 
fasern, welche von den gesunden Nerven ausgehen und auf die 
reseeirte Seite ziehen, selten findet. Dieselben waren in den 
anderen Präparaten deutlicher. 


za Te 
$ r 3 2 
E ey B ji 


476 A. Kühn: 


Versuch VI. 


Mittelgrosser Landfrosch. 16. VIII. 99 Operation: rechts- 
seitiger Lappenschnitt mit Resection von drei Nerven. 

9. IX. 99 gut geheilt. Keine Sensibilitätsstörungen. 

5. VII. 00 getötet. Es sind also seit der Operation bis zur 
Anfertigung des Präparates fast 11 Monate verflossen. 

Mikroskopische Untersuchung des vorzüglich gefärbten Prä- 
parats: Man erkennt an der Anhäufung von Pigmentzellen noch 
deutlich die Narbe, während im Uebrigen Adhäsionen oder andere 
Entzündungsresiduen vollkommen fehlen. Dementsprechend war 
auch eine Wiedervereinigung der Resectionsstümpfe ausgeschlossen. 
Dieselben liessen sich bei der Lösung der Haut nieht mehr auf- 
finden. Das Präparat ist in allen Theilen klar und durchsichtig. 

Die 3 Dorsalnerven der rechten Seite, welche reseeirt waren, 
sind vollkommen degenerirt und auch der 1. und 4. nicht resecirte 
Nerv muss von einem Schnitt, wahrscheinlich den Querschnitten, 
getroffen worden sein; beide sind nämlich trotzdem eine Regene- 
ration von dem centralen Ende (nicht resecirt!) hätte stattfinden 
können, völlig entartet. Die correspondirenden Nerven der anderen 
Seite sind dagegen normal schwarz und enthalten keine einzige 
veränderte Faser. 

In den blass erscheinenden Strängen der rechten Seite heben 
sich nun vereinzelte dunkler gefärbte, meist der Kategorie der 
bekannten dieken Primitivfasern angehörige Fasern scharf ab 
und diese erhaltenen Fasern lassen sich meist mit Leichtigkeit 
über die Mittellinie herüber bis in irgend einen Hauptast eines 
gesunden Nerven der anderen Seite verfolgen. Es sind also ähn- 
liche Verhältnisse, wie sie schon früher beschrieben sind, und es 
ist daher von einer bildlichen Darstellung Abstand genommen. 
Unregelmässig verlaufende Fasern findet man hier im Gegensatz 
zu dem letzten Präparat viel seltener. Nur an einer Stelle — 
am kande des Präparates — waren sie sehr auffallend und diese 
Stelle ist, da an ihr die Art der Kommunikation zweier verschie- 
dener Primitivfasern im Bereiche der Mitte besonders deutlich ist, 
in Fig. 13 abgebildet. Es treffen sich hier Faser a. von der 
linken Seite und Faser b. von der rechten Seite ungefähr in der 
Mitte und ihre End-Verzweigungen treten mit einander vereint in 
die Oberhaut (y.), so dass also dieser kleine Hautbezirk von beiden 


Weiterer Beitrag zur Kenntniss des Nervenverlaufs ete. 477 


Seiten seine Innervation erhält. Interessant ist nebenbei die wieder- 
holte Dreitheilung der Faser b. (bei x.), da sie in dieser Weise 
sehr selten auftritt. 

Da diese Stelle, wie erwähnt, gerade an der Grenze des 
präparirten Hautstückes liegt, so sind leider die diese Fasern 
aussendenden Nervenstämme nicht zu sehen. 


Fig. 13. 


Zeichen einer wohl abgelaufenen Regeneration ist die An- 
häufung von dicken und gleichmässig tingirten Fasern in unmittel- 
barer Nähe der Narbe. Ihre Jugend erkennt man an dem völlig 
unregelmässigen Verlauf, wie wir ihn in den früheren Präparaten 
schon oft an den jungen Fasern kennen gelernt haben. Sie bilden 
Schleifen, durchkreuzen sich ete. und nicht selten kehrt eine Faser 
nach verschiedenen Windungen wieder in ihren Mutterstamm zu- 
rück. Dabei zeichnen sie sich durch ihren Reichthum an 
Ranvier’schen Einschnürungen ganz besonders aus, 


478 A. Kühn: 


Im Uebrigen verlaufen in diesem Präparat die Fasern, wie 
erwähnt, völlig normal und bieten nichts Abnormes. 


Ueberblicken wir noch einmal die Ergebnisse der angeführten 
Versuche, so finden wir durch sie zunächst die Angabe bestätigt, 
dass die Mittellinie kein Hinderniss ist für den Verlauf der Fasern 
von einer Körperhälfte zur gegenüberliegenden, dass also auch 
die der Mittellinie benachbarten Hautgebiete meist von mehreren 
Nerven versorgt werden. Es giebt sogar, wenn auch sehr ver- 
einzelt, Fasern, welche direkt über die Mittellinie herüber zwei 
correspondirende Nervenstämme mit einander verbinden und bei 
Untergang des einen Stammes eine Innervation vom gesunden 
aus bewerkstelligen, einen „Impuls“ leiten können. 

Diese schwer aufzufindenden Fasern richten sich in ihrem 
Verlauf meist nach dem gewöhnlichen Nervennetz und unter- 
scheiden sich dadurch nicht unwesentlich von einer Kategorie 
von Fasern, welche sich neben ibrer Dicke und guten Färbbar- 
keit durch ihren unregelmässigen Verlauf auszeichnen. Letztere, 
wohl auch physiologisch von den übrigen zu trennenden Fasern 
halten sich mit Vorliebe in der Nähe des sie entsendenden Nerven- 
stammes auf und sind daher im Bereich der Mitte seltener auf- 
zufinden. Sie theilen sich oft ausserordentlich häufig, meist in 
zwei, selten in drei Aeste, und können so mit ihren Verzweigungen 
ein Gebiet versehen, welches zwei bis drei OD) mm gross sein 
kann. Nur in Ausnahmefällen verlaufen sie vollkommen ungetheilt. 

Da bei den obigen Versuchen auch Regenerationsverhältnisse 
des Oefteren berücksichtigt werden mussten, möge es mir gestattet 
sein, auch diese noch einmal kurz zu rekapituliren. Um eine 
Regeneration vom centralen Nervenstumpf von vornherein auszu- 
schliessen, war bei der Operation ein Stück aus dem Verlauf des 
Nerven reseeirt und dadurch das eine Ende räumlich von dem ande- 
ren getrennt worden; eine spätere Vereinigung war infolgedessen 
auch in keinem Fall eingetreten. Wo vom centralen Reseetionsstumpf 
ausgehende Regenerationsfasern auf dem Wege bindegewebiger 
Verwachsungen in die Haut gelangt sind, ist in den einzelnen 
Versuchen jedesmal besonders auf diesen Umstand aufmerksam 
gemacht worden. Es fand sich an den betreffenden Stellen dann 
stets ein dichtes aber regelloses Fasernetz, welches den in den 


Weiterer Beitrag zur Kenntniss des Nervenverlaufs etc. 479 


Verwachsungen fixirten degenerirten peripheren Nervenstumpf um- 
spann, um dann erst in zweiter Linie sich in das Gebiet, dessen 
Nervenstämme resecirt waren, auszudehnen. 

Dieses zeitweise völlig nervenlos gewesene Gebiet wurde nun 
in der Hauptsache wieder von Fasern benachbarter Nerven der- 
selben Seite sowohl als auch der gegenüberliegenden Seite ver- 
sorgt und interessant war die Art und Weise, wie diese Fasern 
in das degenerirte Gebiet hineinwuchsen. So schickten die corres- 
pondirenden Nerven der anderen Seite meist ihre einfachen, im 
Nervennetz verlaufenden Fasern über die Mittellinie, seltener eine 
der dieken, stärker gefärbten Nervenfasern. Die benachbarten 
Stämme derselben Seite waren am stärksten an der Regeneration 
betheiligt. Die einzelnen Fasern zogen in grosser Anzahl und 
meist völlig regellos in das entnervte Gebiet; sie liessen sich auch 
durch Narben oder Entzündupgsresiduen nicht abhalten. Am 
schönsten sah man dies an den von Schnitten durchtrennten 
Aesten vom centralen Schnittende aus. Hand in Hand damit 
ging eine Bildung feiner junger Fasern, welche von den degene- 
rirten Aesten der resecirten Nerven auszugehen schienen und 
welche nicht selten ihre eigenen Netzsysteme bildeten. Es ge- 
nügt, darauf hinzuweisen, dass das hier Mitgetheilte für die 
bekannten Erscheinungen nach plastischen Operationen, Trans- 
plantationen, Vernarbung von Hautwunden zur Erklärung ver- 
werthet werden kann. 


480 


(Aus dem I. anatom. Institut in Wien.) 


Bemerkung zum Aufsatz: 


Dr. J. J. Streiff „Stabilitblock mit Alkohol- 
kammer etc.. .“'). 


Von 
Dr. &. Alexander. 


Streiff beschreibt einen hübschen Celloidinserienapparat, 
der eine Arbeitsunterbrechung bei der Herstellung von Celloidin- 
serien ohne Ausspannen des Objects gestattet, er hat jedoch 
übersehen, dass ein solcher Apparat längst vorhanden ist: 

Ich habe denselben vor mehr als 4 Jahren (Zeitschrift 
f. wissenschaftliche Mikroskopie Bd. XIII, 1896) ange- 
geben und abgebildet, wobei zu erwähnen ist, dass meine Vor- 
richtung durch die Hinzufügung einer Metalltasse und eine exacte 
Diehtung sogar bessere Brauchbarkeit als der von Streiff be- 
schriebene Apparat besitzt. 


1) Dieses Archiv, 56. Bd., 4. Hett. 


481 


(Aus dem anatomischen Institut in Kiel.) 


Zur Kenntniss der Zelltheilung bei 
Myriopoden. 


Von 
Fr. Meves und K. v. Korff. 


Hierzu Tafel XXI und 5 Figuren im Text. 

Zur Kenntniss der Zelltheilung bei Myriopoden theilen wir 
im Folgenden einige Beobachtungen mit, von denen besonders 
diejenigen von Interesse sind, welche wir über Verhalten und 
Lage der Centralkörper haben machen können. 

In den Spermatoeyten erster Ordnung von Lithobius forfi- 
catus (Fixirung mit Sublimat-Eisessig, Flemming’schem und 
Hermann’schem Gemisch) finden wir im Anfangsstadium der Mitose 
(Fig. 1) zwei Strahlungen an entgegengesetzten Polen des Kerns. 
Im Centrum der Strablungen liegen, von lichterem Cytoplasma um- 
geben, Centralkörper, welche schon auf diesem Stadium der Theilung 
verdoppelt sind‘). Die Centralkörper liegen der Kernmembran 
nicht unmittelbar auf, sondern in geringem Abstand von der- 
selben. Zwischen den Centralkörpern und der Kernwand be- 
obachten wir häufig einen hellen, halbmondförmigen Raum, wel- 
cher anscheinend von Flüssigkeit erfüllt ist; wir haben nicht den 
Eindruck, dass es sich um einen Schrumpfungsraum handelt. 

Der Kern wird in seinem Innern von einem körnigen Strang- 
werk durchsetzt, welches durch Eisenhämatoxylin schwarz, durch 
die Ehrlich-Biondi’sche Dreifarbenmischung (nach Fixirung 
in Sublimat-Eisessig) röthlich gefärbt wird. Nach der letzteren 
Färbungsreaktion besteht es aus Linin; das spärliche Chromatin 
des Kerns hat sich auf diesem Stadium bereits zu Chromosomen 
vereinigt, welche im Verhältniss zu der Kern- und Zellgrösse 
winzig klein und unmittelbar unter der Kernmembran gelegen sind. 

Der ruhende Kern schliesst gewöhnlich einen grossen Kuge- 
ligen Nucleolus ein; dieser erfährt im Beginn der Mitose einen 


1) Gewöhnlich erfolgt eine Verdoppelung bekanntlich erst auf 
dem Stadium des Muttersterns. 


Archiv f. mikrosk. Anat. Bd. 57 32 


ad 


482 Fr. Meves und. v. Korf!t: 


Zerfall in kleinere Kügelchen. (Fig.2; Theilstücke des Nucleolus 
roth gefärbt.) 

Die Zellsubstanz enthält unregelmässig geformte Körner, 
welche sich mit Eisenhämatoxylin schwarz färben. Es sind 
offenbar dieselben Gebilde, welche bei Myriopoden zuerst von 
Prenant!) aufgefunden und neuerdings von P. und M. Bouin?) 
genauer untersucht sind; wahrscheinlich sind sie mit den von 
v. la Valette St. George beschriebenen Cytomikrosomen 
der Hodenzellen (den Mitochondrien Benda’s) identisch. P. und 
M. Bouin beschreiben, dass die Körner in den Spermato- 
sonien von Lithobius durch Zerfall von Fäden entstehen und 
dass sie später eine Art gallertiger Umwandlung ihrer Substanz 
durchmachen; auf diese Weise entstehen sog. paranucleäre Körper, 
welche letzteren im Augenblick der Prophase verschwinden. 

Nach unseren Beobachtungen sind dagegen diese Körner 
in den Spermatocyten nicht nur noch in der Prophase vor- 
handen, sondern auch in den anschliessenden Stadien der Mitose 
nicht völlig verschwunden; sie haben vielmehr nur einen Zerfall 
in kleinere Elemente erlitten. 

In der Folge rücken nun die beiden Centralkörperpaare 
mit den sie umgebenden Cytoplasmahöfen und Strahlungen in 
entgegengesetzter Richtung vom Kern fort. Schliesslich kommen 
sie unmittelbar unter die Zellperipherie zu liegen (Fig. 3). In- 
mitten der Cytoplasmahöfe sind sie häufig noch von einem kleinen 
scharf abgegrenzten Innenhof umgeben (Fig. 4, 6). 

Bis zu diesem Zeitpunkt (Fig. 3) sind mit dem Kern 
keine weiteren Veränderungen vor sich gegangen. Erst auf 
einem folgenden Stadium beginnt das Liningerüst unter gleich- 
zeitigem Schwund der Kernmembran sich umzuordnen und zu 
Spindelfäden umzuformen. Und zwar streben die Lininfäden 
dahin, sich in der Richtung der Verbindungslinie der Central- 
körperpaare anzuordnen. Zunächst verlaufen sie noch stark 
wellig (Fig. 4). Erst später, nachdem die Chromosomen sich 
im Aequator gesammelt haben, nehmen sie einen geradlinigen 

1) Prenant, A., Observations cytologiques sur les elements 
s&minaux de la Scolopendre et de la Lithobie. La cellule, t. 3. 1887. 

2) Bouin, P. und Bouin, M., Sur la pr&sence et l’@volution des 
formations ergastoplasmiques dans les cellules s&minales de Lithobius 
forficatus. Bibliogr. anat., ann. 189. 


Zur Kenntniss der Zelltheilung bei Myriopoden. 485 


Verlauf an. Zugleich verlieren sie ihre körnige Beschaffenheit 
und gewinnen ein glattes Aussehen (Fig. 5, 6). 

Die Anzahl der Spindelfasern entspricht derjenigen der 
Chromosomen, welche in sie eingeschaltet sind. Die Spindelfasern 
liegen in einer hellen Substanz (wahrscheinlich Kernsaft) einge- 
bettet. Nach den Polen zu konvergiren sie etwas; ihre Enden 
sind aber nicht mit einander vereinigt, sondern hören frei auf. 

Die Cytoplasmastrahlen, welche radiär um die beiden 
Centralkörperpaare bez. die sie umgebenden Höfe angeordnet 
sind !), gehen grösstentheils an den Seiten der Spindelfigur in 
einander über; diejenigen Strahlen, welche direkt auf die Enden 
der Spindelfasern zu verlaufen, treten mit diesen allem Anschein 
nach nicht in Kontinuität. 

Die Theilstücke, in welche der Nucleolus im Beginn der 
Mitose zerfallen war, haben sich bis zu diesem Stadium (Fig. 5, 6) 
erhalten; sie sind ins Cytoplasma übergetreten, wo sie in der Nähe 
der Spindelenden liegen. Ein derartiges Verhalten von Nucleolen 
ist zuerst für pflanzliche Zellen von A. Zimmermann, für 
thierische von Haecker beschrieben worden. Von botanischen 
Antoren sind solche ins Cytoplasma übergetretene Nucleolen ver- 
schiedentlich irrthümlicher Weise als „Centrosomen“ angesprochen 
worden. 

Ueber das Stadium der Figur 6 hinaus haben wir die 
Theilungsvorgänge an unserm Material bisher nicht genauer ver- 
folgen können. Jedoch haben wir constatirt, dass die Chromo- 
somen auseinanderrücken, ohne dass die Centralkörper ihre Lage 
ändern und in nähere Beziehung zu den Enden der Spindel- 
fasern treten. 


An den beschriebenen Beobachtungen dürfte in erster Linie 
die Lage interessiren, welche die Centralkörper bei der Mitose 
einnehmen; besonders auch desshalb, weil dadurch gezeigt wird, 
dass es nicht gerechtfertigt ist, aus dem Umstand, dass Central- 
körper bei der Theilung einer Zelle an den Enden der achroma- 
tischen Spindel auf keine Weise nachweisbar sind, auf ihr 
Nichtvorhandensein in der Zelle zu schliessen. 

Ein ähnlicher Befund wie der unserige ist bei thierischen 

1) Die meisten Strahlen haben in den Prophasen ein körniges 


Aussehen: auf dem Stadium der Fig. 5 sind einzelne glatte Fäden 
zwischen ihnen aufgetreten. 


484 Fr. Meves und K. v. Korft: 


Zellen unseres Wissens bisher nicht beschrieben worden, wohl 
aber bei pflanzlichen. Jedoch ist bei den letzteren die Central- 
körpernatur der in Frage kommenden Gebilde — unseres Er- 
achtens allerdings durchaus mit Unrecht — bestritten worden. 
Hirase!) hat im Pollenschlauch von Ginkgo, Webber?) 
in dem von Zamia (Cycadeen) bei der Theilung der generativen 


Fig. d. Fig. e. 
Textfiguren a—e. Nach Hiras£°). Theilungsstadien der generativen 
Zelle von Ginkgo biloba. In Fig. ce hat der Kern sich senkrecht zur 
Verbindungslinie der Centralkörper abgeplattet. 


1) Hirase, S., Notes on the attraction sphere in the pollen cells 
of Ginkgo biloba. The Botanical Magazine, vol. 8, 1894. 

2) Webber, H. J., Peculiar structures oceurring in the Pollen- 
tube ..of Zamia. Botan. Gazette, vol. 23. 1897. 

3) Hirasc, S., Etudes sur la f&condation et l’embryog£enie du 
Ginkgo (second memoire). Journ. of the Coll. of Science. Imp. Univ. 
Tokyo, vol. 12, 1898. 


Zur Kenntniss der Zelltheilung bei Myriopoden. 485 


Zelle, deren Tochterzellen sich zu Spermien umwandeln, von Strah- 
lung umgebene Körper beobachtet, welche auf der Spindelaxe, aber 
in merklicher Entfernung von den Polen der Kernspindel lagen. 

Hirase hat diese Körper als „Attractionssphären“ auf- 
gefasst und hält an dieser Deutung auch in einer spätern Arbeit!) 
fest, in welcher er das Verhalten der in Rede stehenden Körper 
folgendermaassen beschreibt: Die generative Zelle nimmt bald 
nach ihrer Entstehung eine ellipsoidische Form an. Auf der 
langen Axe des Ellipsoids treten ganz in der Nähe des Kerns 
zwei homogene Kügelchen auf. Nach einiger Zeit beginnen sie 
vom Kern abzurücken und sich den beiden Polen der Zelle zu 
nähern. Während dieser Wanderung vergrössern sie sich und 
umgeben sich mit einer deutlichen Strahlung. Bei der Theilung 
nehmen sie nicht die Pole der Spindel, sondern, wie zuvor, die- 
jenigen der Zelle ein; ihre Verbindungslinie fällt mit der Längs- 
axe der Theilungsfigur zusammen (Textfig. a--e). 

Beobachtungen, die auch in der Deutung mit denen Hirase’s 
völlig übereinstimmen, machte Ikeno?) an der generativen Zelle 
von Cycas revoluta. 

Dagegen meint Webber?°), dass die in Rede stehenden 
Körper in den generativen Zellen von Ginkgo und den Cyeadeen 
keine „Centrosomen“ sein können; denn sie weisen nach ihm 
nicht die beiden wichtigsten Eigenschaften eines „Centrosoms“ 
auf, welehe sind: Kontinuität von Zelle zu Zelle und Lagerung 
an den Spindelpolen während der Theilung. Wegen ihrer Be- 
ziehung zur Cilienbildung (sie umwachsen die Spermatide in 
Form eines Bandes, von welchem die Cilien ausgehen) hat er 
(97. 3) den Namen Blepharoblasten für sie vorgeschlagen. 

Strasburger*) schliesst sich der Ansicht Webber’s an. 


HrHıvase.s, Etudes sur la f&condation et l’embryog£nie du 
Ginkgo (second memoire). Journ. of the Coll. of Science. Imp. Univ. 
Tokyo, vol. 12. 1898. 

2) Ikeno, S., Zur Kenntniss des sog. «entrosomähnlichen Körpers 
im Pollenschlauch der Cycadeen, Flora, Bd. 85, 1898. Derselbe: Unter- 
suchungen über die Entwickelung der Geschlechtsorgane und den 
Vorgang der Befruchtung bei Cycas revoluta. Jahrb. f. wiss. Bot., 
Bd. 32, 1898. 

3) Webber, H. J., l.c. und: Notes on the feeundation of Zamia 
and the Pollen tube apparatus of Ginkgo. Botan. Gazette, vol. 24, 1897. 

4) Strasburger, E., Histologische Beiträge, Heft 4. Ueber Re- 


156 Fr. Meves und K. v. Korff: Zur Kenntniss d. Zelltheilung ete. 


Für ihn ist es sicher, dass die Blepharoblasten der spermatogenen 
Zellen sich nicht an nachweisbare Centralkörper in sonstigen 
Geweben von Cycadeen und Ginkgo anknüpfen lassen. Er leitet 
sie phylogenetisch von den bei den Schwärmsporen der Algen 
sich findenden Cilienträgern ab, welche sich als verdiekte Haut- 
stellen aus „activirtem Kinoplasma“ bilden. Dieses „aetivirte 
Kinoplasma“ ist nach Strasburger in den spermatogenen 
Zellen augenscheinlich in eine gewisse Beziehung zu der Kern- 
theilung getreten: „Seine Abgrenzung wurde auf einige Kern- 
theilungen zurück verlegt; dadurch gewannen die Blepharoblasten 
Aehnlichkeit mit morphologisch nnd dynamisch bei der Kern- 
theilung mitwirkenden Centren“. 

Wir sind dagegen entschieden der Meinung, dass es sich 
bei den von Hiras&e, Webber und Ikeno beschriebenen 
Gebilden um echte Centralkörper handelt. Dem Umstand, dass der 
Nachweis von Centralkörpern in anderen als den spermatogenen 
Zellen von Cycadeen und Ginkgo bisher nicht gelungen ist, ver- 
mögen wir Gewicht nicht beizulegen. Unsere Beobachtungen 
zeigen, dass zweifellose Centralkörper thierischer Zellen bei der 
Mitose ein völlig gleiches Verhalten wie die sog. Blepharoblasten 
bei Cycadeen und Ginkgo zeigen können. Uebrigens hat Belajeff') 
eonsfatirt, dass bei Marsilia die Blepharoblasten bei der Theilung 
die Pole der Spindel einnehmen und daraus ebenfalls geschlossen, 
dass sie als Centralkörper zu deuten seien. Für diese Deutung 
spricht vor allem auch das Verhalten der Blepharoblasten bei der 
Spermienbildung, welches mit demjenigen der Centralkörper thieri- 
scher Zellen eine unverkennbare Aehnlichkeit zeigt. 


Die Abbildungen sind mit Zeiss’ homogener Immersion 3,0 mm 
(Apertur 1,50) und Ocular 8 unter Benutzung des Abbe’schen Zeichen- 
apparates (Projection auf Objecttischhöhe) entworfen; nach Präparaten, 
welche in Sublimat-Eisessig fixirt und theils (Fig. 1, 3, 5) mit Eisen- 
hämatoxylinnachM. Heidenhain, theils (Fig. 2,4, 6) mit der Ehrlich- 
Biondi’schen Mischung gefärbt waren. Sämmtliche Figuren betreffen 
Spermatocvten erster Ordnung von Lithobius forficatus. 


duetionstheilung, Spindelbildung, Centrosomen und Cilienbildner im 
Pflanzenreich. Jena 1900. 

1) Belajeff, W., Ueber die Centrosome in den spermatogenen 
Zellen. Ber. d. Deutsch. bot. Ges., 1899. 


487 


Bemerkungen zu der Arbeit: 


Dr. W. Tonkoff: Die Entwickelung der Milz 
bei den Amnioten. 
Dieses Archiv Bd. 56, S. 392. 


Von 
3. Janosik. 

Sei mir gestattet, einige sinnstörende Angaben, welche sich 
in die Arbeit W. Tonkoff’s eingeschlichen haben, in Bezug 
auf mein vorjähriges Resumee: Le pancreas et la rate. Bibliogr. 
anatomique. Tome III. 1895, richtig zu stellen. Zu dem, was 
Tonkoff auf S. 405 als Erläuterung meiner Fig. 22 anführt, 
ist hinzuzufügen, dass in meiner Arbeit hinter den Wörtern 
„6 jours“ sich einige Punkte befinden, welche statt der immer 
wieder sich wiederholenden Angabe „apres la ponte“ hier ein- 
gesetzt sind, was leicht verständlich wird aus den Erklärungen 
aller anderen auf Lacerta sich beziehenden Figuren. Auch aus 
dieser eorrigirten Angabe ist unmöglich zu schliessen auf den 
Grad der Entwieklung, worauf ich aufmerksam mache in der 
Erklärung der Fig. 5 und zwar mit nachstehenden Worten: „Il 
faut noter ici que les embryons dans des oeufs de m&@me jour 
ne se trouvent jamais du m@me stade de developpement. J’ai 
trouve A cet &gard des differences eonsiderables.“ Beim Hühnchen 
habe ich darauf bereits in einer früheren Arbeit!) hingewiesen. 
In diesem Sinne ist auch die Angabe Tonkoff’s auf Seite 
456 bezüglich der Zeit der Entstehung der Milz bei verschiedenen 
Wirbelthieren zu corrigiren. Hier sei auch zu beachten, dass 
ich überall in meiner Arbeit von „Lacerta agilis* spreche und 
nicht von „Lacerta viridis“. 

In der Erläuterung zur Fig. 22 meiner Arbeit ist hinzu- 
gefügt: „Pres de n la coupe est un peu oblique“. Damit wollte 
ich eben bei dieser naturgetreu gezeichneten Figur diesem mög- 
lichen Einwande aus dem Wege gehen. Hier muss ich auch 


1) JanoSik, Beitrag zur Kenntniss des Keimwulstes bei Vögeln. 
Sitzungsber. der k. Akademie, Wien. 1881. 


488 Bemerkungen von Janosik. 


bemerken, dass ich meine Angaben über die Betheiligung des 
Coelomepithels bei der Entwickelung der Milz nieht auf Grund- 
lage dieser Figur gemacht habe, sondern auf Grundlage mehrerer 
Schnittserien, aus welchen dieser Schnitt eben zur Abbildung 
gelangte, welche nicht schematisirt ist. 

Was nun die Bemerkung Tonkoff’s anbelangt, dass ich 
nirgends in der Milzanlage vom Vorhandensein von Zellen vom 
Typus der Ureier spreche, so will ich nur bemerken, dass ich 
das Vorkommen solcher Zellen auch anderwärts im Coelomepithel 
bereits in einer früheren Arbeit!) constatirt habe und ich halte 
dieselben für keine speeifischen Elemente, um ihr Vorhandensein 
oder Fehlen besonders hervorheben zu müssen. 


(Aus dem anatomisch-biologischen Institut der Universität Berlin.) 


Untersuchungen über das Oentralnerven- 
system des Kaninchens. 


Von 


Dr. R. Krause und Dr. MW. Philippson. 


Hierzu Tafel XXII—XXV. 

In den folgenden Blättern soll berichtet werden über Unter- 
suchungen, welche wir mittelst der vitalen Methylenblaufärbung 
am Centralnervensystem des Kaninchens angestellt haben und 
zwar soll sich diese Mittheilung speeiell mit dem Baue des Vorder- 
horns des Kaninchenrückenmarks beschäftigen. 

Seit der Entdeckung der nervenfärbenden Eigenschaften 
des Methylenblaus durch Ehrlich ist dieser Farbstoff von zahl- 
losen Untersuchern zur Darstellung der Nervenverbreitung und 
der Nervenendigung hauptsächlich in den peripheren Organen 
und Ganglien benutzt worden, während über die Verwendung des 


1) JanoSik, Bemerkungen über die Entwicklung des Genital- 
systems. Sitzungsber. der k. Akademie Wien. 1890. 


Untersuchungen über das Centralnervensystem des Kaninchens. 489 


Farbstoffs für das Studium der Centralorgane nur ganz vereinzelte 
Beobachtungen vorliegen, abgesehen von den Arbeiten von Semi 
Mieyer. 

Die von dem letztgenannten Autor geübte Methode der 
subeutanen Injeetion gesättigter Lösungen des Farbstoffs haben 
auch wir in zahlreichen Versuchen in Anwendung gezogen, sind 
aber von derselben vollständig zurückgekommen. Die Methode 
giebt wohl in einem gewissen Procentsatz der Versuche brauch- 
bare und gute Resultate für die Färbung von Grosshirn, Klein- 
hirn und besonders der Medulla oblongata, für die Untersuchung 
des Rückenmarks aber leistet sie bei weitem nicht so viel, wie 
die von uns in Anwendung gezogene intravenöse Injeetion, die 
auch von manchen anderen Gesichtspunkten aus den Vorzug 
verdient. 

Nach zahlreichen Versuchen und mannigfachem Probiren 
hat sich uns der folgende Modus procedendi am besten bewährt. 
Als Stammlösung dient uns eine 1 procent. Lösung des Farbstoffs 
in 0,6proc. Kochsalzlösung. Dem durch intraperitoneale Injection 
von Chloralbydrat (1—2 cem einer 50 proc. Lösung) narecotisirten 
Thier wird eine Glascanüle in die Vena femoralis eingebunden 
und die Farblösung mittelst einer Bürette mit Glashahn injieirt. 
Man muss bei der Injeetion sehr vorsichtig vorgehen, um das 
Thier möglichst lange Zeit am Leben zu erhalten. Zunächst 
verdünnt man die Stammlösung mit einem oder zwei Theilen 
Kochsalzlösung und lässt alle fünf Minuten einen Cubikcentimeter 
einfliessen. In der zweiten Stunde kann man dann zur Injection 
der 0,5- resp. 1 proc. Lösung übergehen. Bei solch vorsichtigem 
Vorgehen ertragen die Thiere die Injection mehrere Stunden 
lang, und es gelingt in manchen Fällen bis zu einem Gramm 
des trockenen Farbstoffs zu injieiren. Selbstverständlich muss 
die zu injieirende Lösung auf Körpertemperatur erwärmt werden; 
auch soll das Thier während der ganzen Operation künstlich 
warm gehalten werden durch Auflegen angewärmter Tücher oder 
ähnliche Vorrichtungen. 

Was die Erscheinungen anlangt, so soll hier nicht näher 
darauf eingegangen werden, vielleicht findet sich später einmal 
die Gelegenheit, über den ausserordentlich interessanten Verlauf 
der Methylenblauvergiftung Näheres zu berichten. Die Thiere 
sehen immer an einer Dyspnoe centralen Ursprungs zu Grunde. 


490 R. Krause und M. Phillipson: 


Häufig geht der eigentlichen Dyspnoe eine Glottislähmung voraus, 
und es gelingt durch rechtzeitige Tracheotomie die Thiere noch 
einige Zeit am Leben zu erhalten. Immer auch gehen dem Tode 
heftige Krämpfe in der Muskulatur des Stammes und der Ex- 
tremitäten voraus. Der Cornealreflex ist dann schon völlig er- 
losehen, und mit einer heftigen, tiefen Inspiration steht. die Ath- 
mung still und lässt sich weder durch rythmische Compression 
des Thorax noch durch Vagusreizung wiederherstellen. Die 
Herzthätigkeit wird unter dem Einfluss des Farbstoffs stark ver- 
langsamt und abgeschwächt, immer aber sistirt zuerst die Ath- 
mung und dann die Herzthätigkeit. 

Sehr wichtig erscheint uns die passende Wahl des zu 
verwendenden Farbstoffs. Von den im Handel vorkommenden 
Methylenblausorten wurden auf ihre Wirksamkeit geprüft 
Methylenblau B, 2B, B extra und Methylenblau medieimale 
cehlorzinkfrei, sämmtlich von E. Merck in Darmstadt bezogen, 
ferner ein Methylenblau Bx von Grübler (wohl aus der Badi- 
schen Anilin- und Sodafabrik stammend) und schliesslich ein 
chemisch reines, aber chlorzinkhaltiges Methylenblau eryst., das 
uns von den Höchster Farbwerken in liebenswürdigster Weise 
zur Verfügung gestellt worden war. Von allen diesen Präparaten 
erwies sich das zuletzt genannte als das bei weitem günstigste, 
es giebt die weitaus besten Resultate und sollte für unsere 
Zwecke ausschliesslich in Anwendung gezogen werden. 

Was nun bei Verwendung des genannten Präparates und 
Beobachtung aller Vorsichtsmaassregeln die Bedingungen anlangt, 
unter welchen eine gute Färbung zu Stande kommt, so sind die- 
selben auch hier ganz unberechenbar, und man wird selbst dann, 
wenn das Thier grössere Farbstoffmengen ertragen hat, ein gutes 
Resultat nie voranssagen können. FEinigermaassen brauchbare Prä- 
parate erhält man allerdings eigentlich immer, Präparate, die 
wohl meist noch ebensoviel oder mehr als gelungene Golgiprä- 
parate zeigen. 

Sobald das Thier gestorben ist, wird das Centralnerven- 
system herauspräparirt und in 10 proc. abgekühlte Lösung von 
molybdänsaurem Ammon für 6—12 Stunden eingelegt. Die ein- 
zulegenden Stücke dürfen nieht zu gross sein, da die Fixations- 
flüssigkeit ziemlich schwer eindringt. Die mehrere Stunden in 
fliessendem Wasser ausgewaschenen Stücke werden zunächst in 


Untersuchungen über das Centralnervensystem des Kaninchens. 491 


TO proe., dann in 95 proe. und absolutem Alkohol entwässert und 
durch Xylol in Paraffin eingebettet. Der ganze Process, Ent- 
wässerung und Einbettung, kann in 1—2mal 24 Stunden voll- 
endet sein. 

Neben dieser intravenösen Methode wurde dann die Farb- 
lösung auch intraperitoneal eingeführt. Man verwendet dazu 
1—2proe. Lösung und führt je nach der Grösse des Thieres 
stündlich 5—10 eem ein. Auch hierbei erhält man manchmal 
prächtige Resultate, doch sind sie noch weniger constant, als 
bei der vorigen Methode. 

Unsere vorliegende erste Mittheilung soll das Rückenmark 
behandeln und zwar speciell die Vorderhörmner. Hier erhält man 
mittelst der Methylenblaumethode immer die besten Resultate, 
Zellen und Fasern mit Collateralen sind vorzüglich gefärbt und 
auf weite Streeken verfolgbar. Später soll dann das Hinterhorn 
bearbeitet werden, das der Untersuchung grössere Schwierigkeiten 
in den Weg stellt. 


Die Gestalt des Vorderhorns in den verschiedenen 
Höhen des Rückenmarks. 


In der Uebergangszone zwischen Medulla oblongata und 
Rückenmark hat das Vorderhorn eine eigenthümliche hammer- 
förmige Gestalt. Lateral bilden die sich kreuzenden Fasern eine 
Einbuchtung, welche die graue Substanz ungefähr in der Höhe 
des Centralkanals stark einschnürt. Die Spitze des Hammers 
sieht lateral, der Kopf ist gegen die vordere Fissur gerichtet. Wir 
können dabei an dem Vorderhorn drei Spitzen unterscheiden, die 
eine sieht direct lateral, eine zweite wendet sich ventral und eine 
dritte mittlere springt zwischen beiden schräg ventral und lateral 
vor. Die Formveränderungen, welche das Vorderhorn im Hals- 
mark erleidet, beruhen nun wesentlich darauf, dass, indem sich 
seine Höhen- und Breitendimensionen ändern, sich diese Spitzen 
gegeneinander verschieben. Zunächst wird die stark vorspringende 
laterale Spitze mehr und mehr eingezogen und rückt dabei immer 
mehr dorsalwärts gegen das Hinterhorn vor, wodurch gleichzeitig 
die stark in die graue Substanz vorspringende Insel der weissen 
Substanz mehr und mehr verkleinert wird. Die mittlere Spitze 
zeigt eine verschiedene Entwicklung im Halsmark. Zunächst 
verschwindet sie ganz und geht in einen abgerundeten Contour 


492 R. Krause und M. Philippson: 


über; später erscheint sie wieder, um im mittleren Halsmark 
wieder zu verschwinden und im unteren Halsmark ihre grösste 
Ausdehnung zu erreichen. Sie rückt dabei immer weiter dorsal 
vor. Ein constantes Wachsthum von oben nach unten zeigt da- 
gegen die ventrale Spitze. Je weiter wir im Halsmark nach 
unten gehen, um so mächtiger wird sie, und um so weiter ent- 
fernt sie sich von der vorderen Fissur. Daher kommt es, dass 
der mediale Grenzcontour des Vorderhorns, der anfangs parallel 
der vorderen Fissur verläuft, sich später immer mehr schräg 
stellt und dass sich im Gegensatz dazu die Verbindungslinie 
zwischen ventraler und mittlerer Spitze immer mehr horizontal, 
also senkrecht zur vorderen Fissur stellt. Diese beiden Spitzen 
nähern sich im unteren Halsmark aber auch immer mehr und 
fliessen im oberen Brustmark zusammen. 

Wir haben also in diesem Theile des Rückenmarks ein ein- 
faches, schlankes Vorderhorn mit ventral gerichteter, abgerundeter 
Spitze. Die frühere laterale Spitze ist, wenn auch nur schwach 
angedeutet, doch noch vorhanden und geht in den im Dorsal- 
mark gut entwickelten Proc. retieularis über. Die wichtigste 
Formveränderung im Dorsalmark besteht darin, dass das Vorder- 
horn beständig an Höhe abnimmt und dass sich dadurch die 
mediale Grenzlinie immer schräger stellt. 

Im Lendenmark sucht das Vorderhorn das, was es durch den 
Verlust der ventralen Spitze eingebüsst hat, zunächst dadurch 
wieder zu gewinnen, dass es sich stark lateral ausdehnt. Indem 
dann im mittleren Lendenmark auch die ventrale Spitze sich 
wieder ausbildet, nimmt das Vorderhorn eine Form an, die der 
im unteren Halsmark sehr ähnelt. Es erlangt dann im unteren 
Lendenmark an der Grenze gegen das Sacralmark seine stärkste 
Entwicklung. 

Im Sacralmark wird das Vorderhorn mit abnehmendem 
Gesammtquersehnitt immer kleiner und rundet sich mehr und mehr 
ab, wie sich denn auch die ganze graue Figur hier abrundet. 

Die folgende Tabelle soll einige Maasse des Vorderhorns 
in den verschiedenen Höhen geben, 


Untersuchungen über das Centralnervensystem des Kaninchens. 493 


Basis | Höhe Breite 

mm | mme | mm 
Webersangszone "mama. 2 e 1.0 Hear 1.2 
@beresHalsmark ı Pyameanzen 2 1.397 270.9 1.0 
MibtleresrElalsmarke Frese: 1.24 | 1.0 13. 
Nitılexzes Hialsmarnlk Mrs Er 1.75, 1,1903 1.4 
lünteresztlalsmarke es 1:3 Naenaer 3 1:25 
Oberes Dorsalmark . mann 1.4156. 509 0.6 
Nithleres?Dorsalınarke es 0.8 08 0.45 
Umteres-Dorsalmark tr Er 0.8 0.7 0.7 
Oberesthendenmark en lan! 05 0.5 
Mittleres; Dendenmarka. Ser 113) IT, 0.6 
Unteres Lendenmark . . .... 159 1 1.5 
Sleralmark. «- "2%. 2 N al 11.08 0.7 


Es wurde dabei als Basis des Vorderhorns eine Linie an- 
genommen, welche horizontal durch den Centralkanal verläuft, 
als Höhe eine Senkrechte darauf durch die am weitesten ventral 
vorspringende Spitze und als Breite eine Linie, welche, parallel zur 
Basis verlaufend, die grösste Breite des Vorderhorns durchmisst. 


Die Vertheilung der Zellen. 


Die auf dem Rückenmarksquerschnitt sichtbaren Nervenzellen 
des Vorderhorns lassen sich in grosse, mittelgrosse und kleine 
eintheilen. Von ihnen zeigen nur die beiden ersteren Gattungen 
eine Sonderung in bestimmte und constante Gruppen, während 
die kleinen Zellen sich regellos im Querschnitt vertheilen. Am 
schönsten und klarsten ist die Gruppenbildung in der Hals- und 
Lendenanschwellung ausgesprochen, und auf sie soll sich auch 
die folgende allgemeine Besprechung beziehen. 

Wir können zunächst zwei zellreiche Zonen erkennen, eine 
laterale und eine mediale. Die erstere nimmt den late- 
ralen Rand des Vorderhorns ein und wird fast ausschliesslich 
aus grossen und mittelgrossen Nervenzellen gebildet. Die mediale 
Zone dagegen nimmt den medialen, gegen die vordere Fissur 
gerichteten Rand des Vorderhorns ein und besteht theils aus 
polygonalen, theils aus länglichen, fusiformen Nervenzellen. 

Zwischen diesen beiden zellreichen Zonen findet sich zu- 


494 R. Krause und M. Philippson: 


nächst am weitesten ventral ein von Zeilen fast gänzlich freies Gebiet, 
in welchem sich die aus dem Vorderhorn austretenden motori- 
schen Neuriten sammeln und zu den verschiedenen Wurzelbündeln 
ordnen. Wir wollen es in der Folge als Austrittszone be- 
zeichnen. Dorsal schliesst sich an die Austrittszone ein zellreiches 
Territorium, die Zwischengruppen, und am weitesten 
dorsal wird das Vorderhorn abgeschlossen in der Höhe des Central- 
kanals durch eine Zellmasse, die Mittelgruppe von Waldeyer!). 

Im Einzelnen zeigen die laterale und mediale Zellzone fast 
immer eine deutliche Theilung in drei hinter einander gelegene 
Territorien, so dass wir eine vordere, mittlere und hintere 
laterale, resp. mediale Zellgruppe unterscheiden können. 
Auch die Zwischengruppe theilt sich in eine vordere und 
hintere Abtheilung, welche in der Höhe der mittleren medialen 
und lateralen resp. hinteren medialen und lateralen Gruppe ge- 
legen sind. 

Zwischen diesen, also insgesammt neun deutlich zu trennen- 
den Zellgruppen des Vorderhorns, finden sich überall kleine, hier 
und da auch eine grosse Zelle, die zerstreuten Zellen von 
Waldeyer. 

Wenn wir die hier besprochene Gruppirung mit derjenigen 
vergleichen, welche Waldeyer (l.e.) vom Gorilla und Kind 
beschreibt, so finden wir eine weitgehende Uebereinstimmung. 
Unsere Präparate erheischten nur zum Unterschiede von Wal- 
deyer eine Trennung zwischen Lateral- und Zwischengruppen, 
was wohl auch beim Menschen angängig wäre. 

Nach dieser allgemeinen Besprechung der Quersehnittsform 
und der Zellgruppirung wollen wir nun dazu übergehen, die 
Details an der Hand einzelner durch die verschiedenen Höhen 
des Rückenmarks gelegter Schnitte zu studiren. 


Oberes Halsmark. 
Photogr. 1 und 2. 

Wie wir früher besprochen haben, endet in dieser Gegend 
das Vorderhorn in einer ventralwärts gerichteten Spitze. In der- 
selben findet sich eine grosse Gruppe von Zellen, welche ent- 
standen ist durch Verschmelzung der vorderen lateralen und 


1) W.Waldeyer, Das Gorillarückenmark. Abhandl. der König!. 
Preuss. Akad. der Wissensch. zu Berlin vom Jahre 1888. Berlin 1889, 


Untersuchungen über das Centralnervensystem des Kaninchens 495 


medialen Gruppe, und die wir später in dem lateralen und 
medialen Winkel des Vorderhorns wiederfinden werden. 

In Photogr. 1 erkennen wir, dass diese Zellgruppe besteht 
aus sieben Zellen, welche in drei parallelen, sagittal verlaufenden 
Reihen angeordnet sind. Fig. 1, Taf. XXII giebt drei dieser Zellen 
bei stärkerer Vergrösserung wieder. Wir sehen hier drei länglich 
polygonale Zellkörper, ungefähr 50 u lang und 10—20 u breit. Sie 
besitzen ziemlich lange und kräftige Dendriten, die sich in zwei 
Hauptrichtungen ausbreiten, die einen laufen schräg lateral und dor- 
sal, die anderen schräg medial und dorsal. Wie wir noch an anderen 
Gruppen bemerken werden, zeigen diese Zellen mit ihren Dendriten 
einen ganz auffallenden Parallelismus, und zwar beschränkt sich 
derselbe nicht etwa nur auf Zellkörper und Stanmdendriten, son- 
dern es laufen auch die kleineren Aestchen parallel und gehen in 
gleicher Höhe von den gröberen Zweigen ab. Der laterale Stamm- 
dendrit theilt sich in grösserer oder geringerer Entfernung vom 
Zellkörper in zwei Aeste, von denen der eine mehr ventral abbiegt 
und mit seinen Zweigen in die weisse Substanz des Vorder-Seiten- 
strangs einlenkt, während der andere dorsal weiterzieht und in 
die mittlere Lateralgruppe eintritt. Ganz analoge Verhältnisse 
bietet uns der mediale Stammdendrit, hier tritt der eine Ast in 
den weissen Vorderstrang, der andere verzweigt sich in der 
mittleren Medialgruppe. Die Stammdendriten verlaufen entweder 
auf oder doch ganz nahe der Grenze zwischen weisser und grauer 
Substanz, ihre in die erstere eintretenden Zweige lassen sich 
hier oft auf lange Strecken verfolgen, in einem Falle bis 900 u. 
Ausser diesen Hauptdendriten schicken die Zellen noch wenige 
kleine Nebendendriten aus, von denen sich die einen ventral zwi- 
schen die Vorderwurzeln in die weisse Substanz, die anderen 
dorsal zur vorderen Zwischengruppe begeben. 

Was die Neuriten anlangt, so sind sie nicht immer gut ge- 
färbt, unsere Figur zeigt z. B. nur einen einzigen. Immer aber 
treten sie aus der ventralen Seite der Zellen heraus und strahlen in 
die vorderen Wurzeln ein. Es ergiebt sich übrigens auch aus 
Vergleichung derselben Zellgruppen aus anderen Höhen des Mar- 
kes, dass wir es in diesen Zellen ausschliesslich mit Wurzelzellen 
zu thun haben. 

Ein Blick auf die Photogr. 1 und 2 lehrt uns, dass in dem 
oberen Halsmark eine zellfreie Austrittszone nicht vorhanden ist, 


496 R. Krause und M. Philippson: 


Mittlere Lateralgruppe. 

Durch die geringe Ausdehnung des Vorderhorns in dieser 
Gegend ist die Abgrenzung unserer Gruppe gegen die beiden 
vorigen nicht ganz leicht. Sie besteht aus einer Anzahl poly- 
gonaler Zellen, die in dem einen Durchmesser ca. 40 u, in dem 
anderen ca. 20 u halten. Wenn auch an den Dendriten dieser 
Zellen kein so weitgehender Parallelismus herrscht, wie an den 
früher beschriebenen, so nehmen sie doch der Hauptsache nach 
denselben Verlauf und verbreiten sich in vier verschiedenen 
Richtungen. Lateral und ventral entstehen Dendriten, welche 
sich in der weissen Substanz des Seitenstrangs verbreiten, lateral 
und dorsal gehen sie zur hinteren Lateralgruppe und geben da- 
bei Zweige in den Seitenstrang ab. Medial und dorsal begeben 
sich die Dendriten zur mittleren und hinteren Medialgruppe, 
medial und ventral durchdringen sie die ganze Spitze des Vorder- 
horns, um in die weisse Substanz des Vorderstrangs zu gelangen 
und auf ihrem Wege kleine Aestchen für die Vordergruppen ab- 
zugeben. Die Neuriten sind Vorderwurzelfasern. 


Hirastere Lateralerupne 

Diese Gruppe ist in Fig. 2, Tafel XXII durch zwei Zellen 
vertreten. Wir sehen grosse polygonale Zellen, 60 ux 30 u, deren 
Dendriten Bündel bilden und in vier Hauptrichtungen vordringen. 

Die einen gehen zur mittleren Lateralgruppe, die zweiten 
dringen in die weisse Substanz ein, drittens verlaufen Dendriten 
dorsal zum Hinterhorn und geben dabei Zweige an die weisse 
Substanz ab, viertens endlich begeben sich mächtige Dendriten- 
bündel zu den Mittel- und Zwischengruppen. Der Neurit ent- 
springt entweder mehr ventral oder lateral aus dem Zellkörper 
und läuft dann mehr oder weniger bogenförmig zur vorderen 
Wurzel. 


Mittlere Medialgruppe. 

Die mittlere Medialgruppe findet sich auf der Höhe der 
mittleren Lateralgruppe. Sie ist auf Photogr. 2 besonders gut 
ausgebildet und besteht aus fünf Zellen, die etwas in die Länge 
gezogen erscheinen. Der Längsdurchmesser beträgt 40—60 u, 
der Querdurchmesser 10—20 u. Die Dendriten breiten sich auch 
nur in zwei Hauptrichtungen aus, ventral und dorsal. Die ven 


Untersuchungen über das Centralnervensystem des Kaninchens. 497 


tralen gehen hauptsächlich zur mittleren Lateralgruppe, die dor- 
salen zur hinteren Medialgruppe; beide geben kleine Seitenzweige 
an die weisse Substanz des Vorderstranges ab. Die Neuriten 
verhalten sich wie die der folgenden Gruppe. 


Hintere Medialgruppe. 

Diese Gruppe besteht in dem der Fig. 3, Tafel XXI zu 
Grunde liegenden Präparat aus 10 exquisit fusiformen Zellen. 
Sie sind ca. 100 u lang und nur 15—20 u breit. Die meisten be- 
sitzen nur zwei Dendriten. Der eine dorsale giebt zahlreiche 
Aeste in die weisse Substanz ab und läuft auf die vordere Com- 
missur zu, der andere ventrale verzweigt sich in den Vordergruppen. 
Von der lateralen Fläche der Zelle entspringt ein meist wenig 
ansehnlicher Dendrit, der sich in den Zwischengruppen verästelt. 
Die dorsalen Dendriten lassen sich, zu Bündeln vereinigt, sehr 
weit verfolgen. Sie durchsetzen die vordere Commissur und 
dringen der Hauptsache nach in den weissen Vorderstrang der 
Gegenseite ein, nur schwache Aestchen gelangen in die Gegend 
der Mittelzellen. Je weiter man im oberen Halsmark cranial 
vordringt, um so mehr rückt die hintere Medialgruppe dorsal 
und kommt schliesslich in die vordere Commissur zu liegen. 

Die Neuriten dieser Zellen erwiesen sich in allen Fällen, 
wo sie beobachtet werden konnten, als echte Wurzelfasern. Sie 
entspringen von der lateralen Fläche des Zellkörpers und be- 
schreiben meist einen grossen Bogen, um in die vordere Wurzel 
zu gelangen. 


Hintere Zwischenzellen. 


Zwischen der hinteren Medial- und Lateralgruppe finden 
sich noch einige ziemlich grosse polygonale Zellen, ihre Durch- 
messer betragen 50 resp. 30 u, die ihre Dendriten nach allen 
Riehtungen hin ausschicken, ohne darin eine bestimmte Gesetz- 
mässigkeit erblicken zu lassen. 


Mittelzellen. 


Diese Zellen sind in der hier zu besprechenden Gegend 
wenig gut ausgebildet, weshalb auch nicht näher auf sie einge- 
gangen werden soll. Es sind mittelgrosse, 50x45 u, polygonale 


Zellen, deren Dendriten nach allen Richtungeu strahlen und ein 
Archiv f. mikrosk. Anat. Bd, 57 33 


498 R. Krause und M. Philippson: 


weites Gebiet beherrschen. Wir werden später sehen, dass wir 
es hier mit Strang- und Commissurenzellen zu thun haben. 


Austrittder Wurzelfasern. 


Die Neuriten der Vorderhornzellen treten gewöhnlich in 
vier Bündeln aus der grauen Substanz aus und zwar zwei aus 
der Spitze selbst, die beiden anderen lateral resp. medial davon. 
Die Fasern kommen aus den verschiedenen Gruppen häufig in 
grossem Bogen hervor, durchdringen die die Spitze des Horns 
ausfüllende, vereinigte vordere Medio-Lateralgruppe, kreuzen sich 
dann grösstentheils und strahlen in die verschiedenen Wurzel- 
bündel ein. 


Mittleresund unteres Halsmark. 
Photogr. 3, 4 und 5. 


Das Vorderhorn hat in dieser Gegend, wie früher besprochen 
wurde, eine grössere Ausdehnung gewonnen. Die früher einfache 
ventrale Spitze ist in zwei ausgezogen, eine mediale und laterale 
Ecke. In jeder von beiden findet sich eine gut ausgebildete 
Zellgruppe, die vordere Lateral- und vordere Medialgruppe. Da- 
zwischen liegt ein zellfreies, von vielen Neuriten durchzogenes 
Gebiet, das wir als Austrittszone der Wurzelfasern bezeichnet hatten. 


Yondere;, Lateralerupp.e. 

Die vordere Lateralgruppe liegt in der lateralen Ecke des 
Vorderhorns und besteht in Photogr. 3 aus 10 mittelgrossen poly- 
gonalen Zellen. Ihre Durchmesser schwanken zwischen 35 und 
40 u resp. 25 und 30 u. Die Dendriten verlaufen nicht streng 
parallel und sind auch nicht zu Bündeln vereinigt, man kann 
aber doch zwei Hauptrichtungen an ihnen erkennen. Die einen 
erstrecken sich zur mittleren Lateralgruppe, die anderen strahlen 
in die Austrittszone der Wurzelfasern ein. Ausserdem dringen 
schwächere Dendriten zur vorderen Zwischengruppe und zur 
weissen Substanz. 

Die Neuriten dieser Zellen waren fast in allen Fällen gut 
gefärbt und zeigten folgende Eigenschaften. Der Neurit entsteht 
immer aus einem spitz ausgezogenen Ursprungskegel. Er ist an- 
fangs ausserordentlich dünn und blass gefärbt, blasser noch als 
die Dendriten. Dieses und das im Folgenden zu beschreibende 


Untersuchungen über das Centralnervensystem des Kaninchens. 499 


Verhalten ist ausserordentlich charakteristisch und gilt für alle 
von uns beobachteten Neuriten ganz allgemein. Er ist ebenso, 
wie die Dendriten völlig glatt und zeigt meist einen schwach 
geschlängelten Verlauf. (Eine Ausnahme machen in dieser Be- 
ziehung nur die Vorderwurzelneuriten im Lendenmark, ef. später.) 
Nach einem Verlauf von 30—50 u von der Zelle schwillt der 
Neurit mehr oder weniger rasch zur 4—Öfachen Dicke an und 
erscheint ganz tief blau gefärbt. Er tritt in dieser Stärke durch 
die Austrittszone durch, giebt hier seine Collateralen ab und 
gelangt in eins der Wurzelbündel. Hier angekommen, verjüngt 
er sich nach und nach wieder auf die Hälfte oder noch mehr 
seiner Stärke. Ab und zu sieht man über den Neuriten quer 
herüber einen tiefblau gefärbten, etwas erhabenen Ring verlaufen. 


Mittlexe’Bateralgruppe. 

Diese Gruppe setzt sich in Photogr. 3 aus 12—15 poly- 
gonalen, manchmal etwas rundlichen Zellen zusammen, die durch- 
gängig etwas grösser sind als die vorigen, 23—40 x45—60 u. 
Die Zellen besitzen im Querschnittsbild 6—8 stärkere Dendriten, 
an denen man leicht fünf Hauptrichtungen erkennen kann. 

Es ziehen die Dendriten nämlich 1. zur weissen Substanz, 
2. zur hinteren Lateralgruppe, 3. zur hinteren Zwischengruppe, 
4. zur vorderen Zwischengruppe und zur Austrittszone und 5. zur 
vorderen Lateralgruppe. Die Neuriten begeben sich in die ver- 
schiedenen Bündel der vorderen Wurzel. Sie gleichen in ihrem 
Verhalten ganz den vorigen. 


Hintere Lateralgruppe. 

Diese Gruppe ist in unseren Präparaten vom mittleren und 
unteren Halsmark immer nur durch wenige, aber grosse Indivi- 
duen vertreten. Es sind das Zellen von 59—75 u X 20—30 u, 
die durch die Art ihrer Verbindung eine eigenthümliche Form 
annehmen. Von einem etwas in die Länge gezogenen, meist 
vier-, seltner dreieckigen Zellkörper strahlen fünf Hauptdendriten 
aus. Die correspondirenden Dendriten der einzelnen Zellen zeigen 
auch hier wieder einen ausserordentlich ausgesprochenen Paralle- 
lismus in ihrer Verlaufsrichtung. Von diesen Dendriten strahlt 
der erste genau lateral in die weisse Substanz, der zweite lateral 
und ventral zur mittleren Lateralgruppe, der dritte medial und 


500 R. Krause und M. Philippson: 


ventral zur vorderen Zwischengruppe, der vierte theilt seine 
Zweige zwischen den Mittelzellen und der hinteren Zwischen- 
gruppe, und der fünfte und letzte endlich zieht sum Cervix des 
Hinterhorns. 

Der Neurit entspringt entweder von der ventralen oder 
dorsalen Fläche der Zelle und zieht dann entweder direct oder 
in grossem Bogen zur vorderen Wurzel. 

In der hinteren Lateralgruppe finden sich im Halsmark 
auch Zellen, welche zum Accessoriuskern gehören. Ihre Neuriten 
verlaufen schräg dorsal zum Caput des Hinterhorns, um von hier 
aus in geradem Zuge die weisse Substanz des Seitenstrangs zu 
durchsetzen. Es stimmt dieser Befund mit den Angaben von 
Bunzl-Federn!) überein, welcher seine Resultate mittelst der 
Degenerationsmethode erhalten hatte. 


Vordrere Medisaleruppe. 

Sie besteht in Photogr. 3 aus 6—8 polygonalen Zellen von 
50 u x 25 u Grösse, welche dicht gedrängt liegen und vier Haupt- 
richtungen ihrer Dendriten erkennen lassen. Dieselben begeben 
sich eiumal zur mittleren Medialgruppe und auch durch sie hin- 
durch zur vorderen Commissur, dann in einem Bündel zur hinteren 
Zwischengruppe, ferner zur vorderen Zwischengruppe und Aus- 
trittszone und schliesslich zur weissen Substanz. Die Neuriten 
strahlen in die vorderen Wurzeln ein. 


Masitllerie M e dialeruppe: 


Sie besteht immer nur aus wenigen, meist dieht an der 
Grenze der weissen Substanz gelegenen, 60—65 u X 20—25 u 
grossen Zellen, deren Dendriten in je einem Bündel aus dem 
vorderen und hinteren Ende der Zelle entspringen. Dorsal dringen 
die Dendriten in die vordere Commissur und den gleichseitigen 
und gekreuzten Vorderstrang ein, vereint mit den Dendriten der 
vorigen Gruppe, ventral vertheilen sie sich in der vorderen 
Medialgruppe. 

Der Neurit entspringt aus der lateralen Fläche der Zelle 
und dringt in die vordere Wurzel. 


1) Bunzl-Federu, Monatsschr. für Psych. u. Neurol. Bd. II. 1897. 


Untersuchungen über das Centralnervensystem des Kaninchens. 501 


Hintere Medialgruppe. 
Sie fehlt in diesem Theile des Markes. Man findet an 
ihrer Stelle nur einzelne zerstreute, grosse polygonale Zellen in 
der Höhe der vorderen Commissur. 


VordereZAwischensruppse: 

Sie bildet in Photogr. 3 einen sehr gut abgegrenzten, kreis- 
runden Zellhaufen, welcher ventralwärts direet an die Austritts- 
zone anstösst und von zahlreichen Neuriten anderer Zellgruppen 
umgeben wird. Sind diese gut gefärbt, so können sie die Zell- 
gruppe etwas verdecken. Die Gruppe zeichnet sich ferner da- 
durch aus, dass die Grundsubstanz zwischen den Zellen stark 
mitgefärbt erscheint. Bei stärkerer Vergrösserung erkennt man, 
dass dies davon herrührt, dass zwischen den Zellen ausserordent- 
lich zahlreiche, quer und schräg geschnittene Fasern verlaufen, 
Dendriten und Collateralen, welche hier enden. Die Zellen (Fig. 4, 
Tafel XXII) sind gleichmässig gross, polygonal 45 u x 25 u und 
besitzen 4—5 Dendriten. Die letzteren bilden in ihrer Gesammt- 
heit vier Bündel, welche in Form eines Kreuzes aus der Gruppe 
hervorstrahlen. Dorsal geht ein Bündel zu den hinteren Zwischen- 
zellen, lateral eins zur mittleren Lateralgruppe, ventral verlaufen 
die Dendriten zur Austrittszone und medial schliesslich zur mitt- 
leren Medialgruppe. 

Ueber die Bedeutung dieser Zellgruppe können wir etwas 
absolut Positives nicht aussagen, da wir in keinem Falle einen 
Neuriten aus einer Zelle entstehen sahen. Es ist aber mit grosser 
Wahrscheinlichkeit anzunehmen, dass es sich um Wurzelzellen 
handelt. Man sieht nämlich zahlreiche Wurzelfasern in der Gruppe 
endigen. Wahrscheinlich verhält sich die Sache so, dass der 
Neurit von der eranialen oder eaudalen Fläche der Zelle abgeht 
und deshalb seine Entstehung auf Rückenmarksquerschnitten schwer 
zu beobachten ist. 


Hintere Zwischengruppe. 


Obwohl diese Gruppe nicht so scharf gegen ihre Umgebung 
abgesetzt ist, als die vordere Zwischengruppe, so lässt sie sich 
doch durch die eigenartige Form ihrer Zellen leicht von den 
umliegenden Gruppen unterscheiden. Es handelt sich hier um 
grosse, O— TO u X 15—30 u, viereckige, etwas in die Länge 


902 R. Krause uud M. Philippson: 


gezogene, oft rhombische Zellkörper, von deren Ecken vier Den- 
driten ausstrahlen, und zwar läuft der hintere laterale zu den 
Mittelzellen und der hinteren Lateralgruppe, der vordere laterale 
zur mittleren Lateral- und vorderen Zwischengruppe, der vordere 
mediale zur vorderen Medialgruppe und der hintere mediale zu 
den Mittelzellen. 

Was die Neuriten anlangt, so scheint diese Grnppe nicht 
einheitlich zu sein. Der grösste Theil der Zellen scheint zu den 
Oommissurenzellen zu gehören. Man sieht nicht selten ein starkes 
Bündel Neuriten aus der Gruppe austreten und in schrägem oder 
mehr geradem Verlauf zur vorderen Commissur ziehen, diese 
durchsetzen und in den Vorderstrang der Gegenseite einstrahlen. 
In einzelnen Fällen gelang es uns auch, Neuriten aus dieser 
Gruppe in den Seitenstrang derselben Seite zu verfolgen und 
auch das Vorkommen von Wurzelzellen in dieser Gruppe ist nach 
unseren Beobachtungen nicht auszuschliessen. 


Mittelzellen. 


Die Mittelzellen präsentiren sich uns im mittleren und unteren 
Halsmark als eine meist nur aus wenigen Exemplaren bestehende 
Gruppe mittelgrosser bis grosser, 49—70 ux30—40 u, polygonaler 
Zelien, welche auf der Basis des Vorderhorns ungefähr in der Höhe 
des Centralcanals liegen. Sie schieken ihre zahlreichen starken 
Dendriten nach allen Richtungen aus und zwar zu den ver- 
schiedenen Vorderhorngruppen, in das Hinterhorn, durch die 
Commissur hindurch und in die weisse Substanz. 

Die Neuriten der Mittelzellen begeben sich entweder bogen- 
förmig zur vorderen Commissur oder mehr gerade lateral zum 
Seitenstrang. Für beide Typen bieten unsere Photogramme Bei- 
spiele. Photogr. 3 zeigt zwei Mittelzellen, deren Neuriten zur 
vorderen Commissur, der eine in grösserem, der andere in klei- 
nerem Bogen verlaufen, in Photogr. 4 "sieht man eine grosse 
Strangzelle aus der Mittelzellengruppe. 

Ausser diesen bestimmten Zellgruppen finden sich nun hier 
und da auch noch zwischen den einzelnen Gruppen zerstreute 
srosse Zellen, welche dem Strang- oder Commissurenzellentypus 
angehören. 


Untersuchungen über das Centralnervensystem des Kaninchens. 503 


Die Austrittszone der Wurzelfasern. 


Die austretenden Vorderwurzelfasern bilden in der weissen 
Substanz 4—6 Bündel, welche ungefähr parallel verlaufen. Schon 
auf diesem Verlauf sieht man, wie aus dem einen Bündel Fasern 
in ein nebenliegendes abbiegen, wodurch natürlich eine Mischung 
der Fasern zu Stande kommen muss. Es galt uns nun, vor allem 
Klarheit über die Zusammensetzung der einzelnen Bündel zu er- 
halten. Es fragte sich, ob die einzeinen Bündel auch einzelnen 
Zellgruppen entsprechen, oder ob sich jedes Wurzelbündel aus 
Neuriten verschiedener Zellgruppen zusammensetzt. Wenn auch 
schon ein flüchtiger Blick auf Photogr. 5 zur Entscheidung dieser 
Frage genügt, so wollen wir doch diese Wurzelbündel in zwei 
verschiedenen Schnitten an der Hand von Fig.5 und 6, Taf. XXI 
genau analysiren. Wir gehen dabei von der lateralen zur me- 
dialen Ecke vor. In Fig. 5 besteht das erste Bündel aus fünf 
Fasern, von ihnen kommen die beiden ersten von der mittleren 
Lateralgruppe, die dritte von der hinteren Lateralgruppe, die 
vierte endet in der Gegend der vorderen Zwischenzellen, und 
die fünfte gehört der vorderen Lateralgruppe an, also fünf Fasern 
aus vier Zellgruppen. Im zweiten Bündel sind nur zwei Fasern 
gefärbt, von welchen die eine aus der vorderen, die andere 
aus der mittleren Lateralgruppe kommt. Die drei Fasern des 
dritten Bündels gehören der vorderen und mittleren Lateral- und 
einer der Medialgruppen an. Im vierten Bündel sind wieder 
fünf Fasern gefärbt, von denen sich drei aus den Lateral- und 
zwei aus den Medialgruppen herleiten; die einzige Faser des 
fünften, medialsten Bündels endlich stammt aus der vorderen 
Lateralgruppe. 

Ein anderer Schnitt, den Fig. 6 wiedergiebt, zeigt uns nur 
vier austretende Bündel. Im ersten Bündel ist nur eine einzige 
Faser gefärbt, welche aus der vorderen Lateralgruppe stammt, 
dazu kommt noch eine zweite, die, aus der vorderen Medialgruppe 
kommend und anfangs im dritten Bündel verlaufend, das zweite 
kreuzt, um in das erste einzutreten. Eine ziemlich vollständige 
Färbung erscheint im zweiten Bündel erreicht zu sein; es be- 
steht aus neun Fasern. Von ihnen stammt die erste, dritte und 
sechste aus der hinteren Lateralgruppe, die zweite von der vor- 
deren Lateralgruppe und die fünfte von der mittleren Lateral- 
gruppe. Die siebente und neunte gehören der vorderen resp. 


504 R. Krause und M. Philippson: 


mittleren Medialgruppe an, und die vierte und achte enden in 
der Gegend der vorderen resp. hinteren Zwischengruppe. Ausser- 
dem treten noch aus dem dritten Bündel zwei Fasern in das 
zweite ein, welche aus den beiden Medialgruppen stammen. Wir 
haben also in diesem Wurzelbündel Fasern aus sämmtlichen in 
Betracht kommenden Vorderhorngruppen. Im dritten Bündel 
bleiben uns noch drei Fasern übrig, die aus der vorderen Lateral- 
und der vorderen und mittleren Medialgruppe herstammen. Von 
den fünf Fasern des vierten Bündels sind zwei nicht ausreichend 
gefärbt, die anderen drei lassen sich zur hinteren Lateralgruppe, 
zur vorderen Medial- und vorderen Zwischengruppe verfolgen. 

Aus alle dem geht hervor, dass die einzelnen austretenden 
Faserbündel Fasern der verschiedensten Zellgruppen enthalten, 
worauf in einem späteren Kapitel noch des Näheren eingegangen 
werden soll. 


Die sog. rücklaufenden Collateralen. 


Jeder Neurit der motorischen Vorderhornzellen giebt ent- 
weder in der Austrittszone oder kurz nach seinem Eintritt in 
die weisse Substanz ein oder zwei feine Aestchen ab, welche 
sich im Vorderhorn oder zwischen den austretenden Fasern ver- 
ästeln, die sog. rücklaufenden Collateralen. Zwischen dem Ge- 
wirr der austretenden Wurzelfasern findet sich so ein zweites 
Gewirr viel feinerer Fäserehen, und man könnte statt von einer 
Austrittszone der Wurzelfasern auch von einer Zone der rück- 
laufenden Collateralen sprechen. Die Collateralen entstehen 
aus dem Neuriten entweder in der Ein- oder Zweizahl, im 
letzteren Falle aber immer ganz dicht nebeneinander oder vis-A- 
vis. Niemals ist es uns gelungen, an einem Neuriten die Ent- 
stehung von zwei oder gar mehreren Collateralen an zwei ent- 
fernten Punkten zu beobachten. Entsendet der Neurit zwei 
Collateralen, so wendet sich immer die eine ventral, die andere 
mehr dorsal. In der grossen Zahl der Fälle schiekt jeder Neurit 
jedoch nur eine Collaterale aus. Sie entstehen meist aus einer 
kleinen, spitz ausgezogenen Erhebung des Axeneylinders, und 
nicht selten läuft hier ein dunkel gefärbter Ring über den Axen- 
eylinder, die Andeutung einer Ranvier’schen Einschnürung. Der 
Verlauf der Collateralen ist nicht ganz leicht zu verfolgen, was 
hauptsächlich daher rührt, dass sie zahlreiche und starke Krüm- 


Untersuchungen über das Centralnervensystem des Kaninchens. 505 


mungen beschreiben. Man muss deshalb recht dieke Schnitte, 
von 100 u und mehr, anfertigen, um über ihren Verlauf in’s 
Klare zu kommen. Fig. 7, Tafel XXI zeigt bei homogener 
Immersion ein Bündel von acht austretenden Wurzelfasern, von 
welchen an fünf Fasern rücklaufende Collateralen gefärbt sind, 
und zwar gehen aus vier Fasern einfache, aus einer Faser doppelte 
Collateralen hervor. Wir sehen hier einmal, in wie verschiedener 
Entfernung von der Zelle die Collateralen entstehen. Jede Collate- 
rale theilt sich diehotomisch und zwar meistens mehrmals hinter- 
einander. Gewöhnlich schlägt der eine primäre Ast eine dorsale, 
der andere die ventrale Richtung ein. Es begiebt sich so der 
eine in die Gegend der vorderen Zwischengruppe, wohl auch der 
vorderen Medial- oder Lateralgruppe. Hier kann man sehr häufig 
beobachten, wie die Endreiserechen der Collateralen an die Den- 
driten oder Zellkörper sich anlegen. Der ventrale Theilast da- 
gegen splittert sich in der Austrittszone auf, und es entsteht 
hier ein Gewirr von Fäserchen, welches sich eine Strecke weit 
in das Wurzelbündel hinein verfolgen lässt. 

In Fig. 8, Tafel XXII liegt einer der zahlreich beobach- 
teten Fälle vor, in dem man Vorderhornzelle, Ursprung und Ver- 
lauf des Neuriten und der rücklaufenden Collateralen auf das 
Schönste verfolgen konnte. (Zu bemerken ist dabei, dass die 
Ursprungszelle, um die Figur nicht allzu gross anzulegen, viel zu 
klein gehalten ist.) Es handelt sich um eine hintere Lateralzelle. 
Der Neurit wendet sich in grossem Bogen medial- und dann 
ventralwärts, um in das Wurzelbündel einzutreten. Ungefähr in 
der Mitte seines Verlaufs, innerhalb der grauen Substanz, ent- 
stehen aus ihm zwei rücklaufende Collateralen. Die eine läuft 
parallel mit dem Neuriten zur Austrittszone, um sich hier zu 
verzweigen. Die andere wendet sich lateral und theilt sich in 
drei Hauptäste, von denen der eine sich zur Gegend der vorderen 
Zwischenzellen, der zweite zur mittleren, der dritte zur vor- 
deren Lateralgruppe begiebt. Solcher Beispiele liessen sich noch 
eine ganze Menge beibringen, welche beweisen, dass den rück- 
laufenden Collateralen ein grosses Verbreitungsgebiet zukommt. 
Gleichzeitig zeigt uns aber auch dieses Beispiel, dass der Name 
rücklaufende Collaterale durchaus nicht immer den thatsäch- 
liehen Verhältnissen entspricht, und wir wollen deshalb in Zukunft 
nur von motorischen Collateralen sprechen. 


506 R. Krause und M. Philippson: 


Collateralen des Seitenstrangs. 

Die Collateralen des Seitenstrangs bilden einen ganz wesent- 
lichen Bestandtheil des Fasergewirrs innerhalb der grauen Sub- 
stanz. Sie treten entweder einzeln oder zu starken Bündeln ver- 
einigt in die graue Substanz ein (Photogr. 6) und lassen sich 
meist nicht sehr weit in derselben verfolgen, da sie bald schräg 
abgeschnitten erscheinen. Das rührt daher, dass sie hier unter 
rechtem oder stumpfem Winkel in die Längsrichtung umbiegen. 
Wir werden deshalb ihren Verlauf besser an der Hand von 
Frontalschnitten später besprechen. 


Collateralen der Hinterstränge. 


Es sollen diese Collateralen später bei Besprechung des 
Lendenmarks behandelt werden, weil die Verhältnisse hier wesent- 
lich dieselben sind und unsere Präparate dort mehr Details auf- 
wiesen. Es bilden die Hinterstrangscollateralen ein dickes, gut 
gefärbtes Bündel, welches das Hinterhorn seiner Länge nach 
durchsetzt, die Mittelzellen umhüllt und bis zur Gegend der 
hinteren Zwischenzellen sich verfolgen lässt. An den Mittelzellen 
kann man auch, wie später auseinandergesetzt werden soll, die 
Endigung dieser sensiblen Fasern sehr schön beobachten. 


Das Dorsalmark. 


In Bezug auf das Dorsalmark können wir uns sehr kurz 
fassen. Durch die geringe Entwicklung des Vorderhorns in 
diesem langen Rückenmarksabschnitt wird naturgemäss auch eine 
geringe Entwicklung der Vorderhornzellen bedingt. Diese cha- 
rakterisirt sich vorwiegend durch eine Reduction der Zell- 
zahl, während die Grösse der Zellen in keiner Weise eine Ein- 
busse erleidet. Fast alle Zellgruppen sind gut entwickelt und 
deutlich von einander trennbar. Am schönsten präsentiren sich 
die Vordergruppen und die Medialgruppen, während die mittlere 
und hintere Lateraigruppe stärker redueirt erscheint. Jede 
Gruppe ist nur durch wenige Individuen vertreten. Die Zwischen- 
zellen lassen eine Untergruppirung nicht erkennen. Sehr stark 
vertreten sind meist die Mittelzellen, sie finden sich als grosse 
Zellkörper in der Höhe des Centralcanals und senden vor allem 
mächtige Dendriten in das Vorderhorn hinein bis zu den vorder- 
sten Zwischenzellen. Eine eigentliche Austrittszone der Wurzel- 


Untersuchungen über das Centralnervensystem des Kaninchens. 507 


fasern ist kaum vorhanden, vordere Lateral und Medialgruppe 
sind dieht aneinander gerückt. Nach vorn von ihnen bleibt ein 
kleiner zellfreier Theil grauer Substanz übrig, den man als Aus- 
trittszone auffassen kann. Anhangsweise sej bemerkt, dass die 
Clarke’schen Säulen mit ihren grossen Zellen sich immer sehr 
gut färbten, sie liegen, recht gut abgegrenzt, in der hinteren 
Commissur, jederseits dieht neben der Mittellinie. 


Das Lendenmark. 
Photoemwal 8. 9,.undy 10. 


Wir werden das Lendenmark nicht so ausführlich behandeln, 
wie das Halsmark, weil beide in vielen Punkten einen überein- 
stimmenden Bau zeigen. Es charakterisirt sich das Vorderhorn 
im Lendenmark durch eine sehr starke Entwicklung seiner late- 
ralen Partie und dem entsprechend zeigen auch die Lateral- 
gruppen hier eine mächtige Ausbildung. 


Vordere Lateralgruppe. 

Sie besteht aus zahlreichen mittelgrossen, 45 u x 15—25 u, 
manchmal etwas in die Länge gezogenen Zellen, deren Dendriten 
zwei Hauptrichtungen einschlagen. Der eine begiebt sich zur Aus- 
trittszone der Wurzelfasern, der andere zur mittleren Lateralgruppe. 
Kleinere Aeste lassen sich lateral zur weissen Substanz, medial 
zur Zwischengruppe verfolgen. Die Neuriten wenden sich meist 
gerade und medial und ventral zur vorderen Wurzel, oder sie 
beschreiben erst einen grossen Bogen, um in die mehr medial ge- 
legenen Wurzelbündel zu gelangen. Dabei lässt sich ein eigen- 
thümliches Verhalten des Neuriten beobachten, welches gerade 
im Lendenmark an den Neuriten der Vorderhornzellen sich sehr 
häufig findet und für sie fast als typisch bezeichnet werden kann. 
Der Neurit beschreibt nämlich nicht weit entfernt von seinem 
Abgang von der Zelle und zwar da, wo sein wenig gefärbter, 
dünner Abschnitt in den stark gefärbten dieken Abschnitt über- 
geht, einen Bogen oder eine kleine Schleife (Fig. 9 und folgende, 
Photogr. 8). Es lässt sich dieses Verhalten natürlich auf den 
Photogrammen, der starken Niveaudifferenzen wegen, nur schwer 
wiedergeben. 


508 R. Krause und Philippson. 


Mittlere Lateralgruppe. 

Die Zellen dieser Gruppe (Fig. 10, Taf. XXID) sind etwas 
grösser wie die der vorigen, 60—70 u x 30—50 u und mehr 
polygonal. Sie zeigen, wie im Halsmark, durch ihre Dendriten 
Verbindung mit der Austrittszone der vorderen und hinteren 
Lateralgruppe, den Zwischengruppen und der weissen Substanz. 
Ihre Dendriten verhalten sich ähnlich, wie die der vorigen. 


Hintere Lateralgruppe. 

Die Zellen besitzen eine Grösse von 45—60 u X 20—40 u 
und sind wieder etwas mehr länglich. Unsere Präparate dieser 
Gegend zeigen uns ausserordentlich schön den Zusammenhang 
dieser Zellen resp. ihrer Dendriten mit den sensiblen Collateralen 
der Hinterstränge, welche letztere in einem starken Bündel aus 
dem Hinterhorn hervorstrahlen. Die in Fig. 11, Taf. XXII mit 
x bezeichneten Dendriten laufen unter fast rechtem Winkel auf 
jenes Bündel zu und lösen sich, an ihm angelangt, in zahlreiche 
feinste Reiserchen auf. Dabei legen sie einen Weg von beinahe 
300 u zurück, auf dem sie sich gut verfolgen lassen. 


Mediale Gruppen. 


Sie zeigen keine Abweichung von den beim Halsmark be: 
sprochenen Verhältnissen, sind nur im Ganzen schwächer ent- 
wickelt als dort. Die hintere Medialgruppe ist vorhanden, aber 
immer nur durch ganz wenige Zellexemplare vertreten. 


Zwischengruppen. 


Die beiden Zwischengruppen lassen sich im Lendenmark 
nicht so leicht von einander trennen, als im Halsmark. Sie bilden 
einen mächtigen Haufen grosser Zellen, welche ihre Dendriten nach 
allen Riehtungen zu den benachbarten Zellgruppen hinaussenden. 


Austrittszone der Wurzelfasern. 


Auch für dieses Gebiet gilt ungefähr dasselbe, was wir 
für das mittlere und untere Halsmark beschrieben haben. Wir 
haben ausgezeichnete Präparate hier, besonders von der Lenden- 
anschwellung erhalten. Die austretenden motorischen Fasern 
(Photogr. 9) bilden hier auch wieder 4—6 Bündel, von denen 
wir in einzelnen über 30 gefärbte Fasern zählten. Jedes einzelne 


Untersuchungen über das Centralnervensystem des Kaninchens. 509 


Bündel setzt sich wiederum aus Neuriten der einzelnen Gruppen 
zusammen. Auch für das Studium der motorischen Collateralen 
bieten diese Präparate reiche Gelegenheit. 


Collateralen der Hinterstränge. 


Dieselben treten in einem geschlossenen starken Bündel 
durch das Hinterhorn durch und lassen sich so bis zur Höhe 
des Centralecanals verfolgen. Hier strahlen sie fächerförmig aus 
einander und treten einmal mit den Dendriten der Lateralzellen 
und dann mit den Zellen der Mittel- und Zwischengruppe in 
Verbindung. Fig. 12, Tafel XXII zeigt eine solche Mittelzelle 
mit den Endverzweigungen von Hinterstrangscollateralen. Die 
letzteren spalten sich zunächst dichotomisch in immer feinere 
Reiserchen, deren feinste mit starken Varicositäten besetzt sind, 
während die gröberen und die Fasern selbst gänzlich davon frei 
sind. Es gehen dabei die Aeste einer und derselben Collaterale 
zn verschiedenen Zellen, und eine Zelle kann wieder von zwei 
und mehr Collateralen versorgt werden. Die Endigung erfolgt 
so, dass sich die varieösen Fäserchen dem Zellkörper und den 
Dendriten anlagern. Von einer engeren Verbindung zwischen 
beiden war niemals etwas zu beobachten. 


Das Sacralmark. 
Photogr. 11. 


Im Sacralmark ändert sich das Querschnittsbild bedeutend, 
indem bei stetig abnehmendem Gesammtquerschnitt die graue 
Substanz die weisse immer mehr verdrängt, so dass schliesslich 
nur noch ein schmaler Saum weisser Substanz übrig bleibt. 

Die einzelnen Zellgruppen sind meist noch gut von ein- 
ander trennbar, nur die vordere Lateral- und Medialgruppe fliessen, 
wie im oberen Halsmark zu einer gemeinsamen Medio-Lateralgruppe 
zusammen (Fig. 18, Taf. XXIII). Sie besteht aus grossen, meist 
dreieckigen Zellen, und zwar liegen die Zellkörper immer so, 
dass die Basis des Dreiecks dorsal liegt und dem Contour des 
Vorderhorns parallel verläuft. Von den drei Ecken sieht die 
eine ventral zur Vorderhornspitze, die beiden anderen lateral 
resp. medial. Die aus diesen Ecken entspringenden, meist recht 
mächtigen Dendriten verlaufen zur weissen Substanz, zu den 
Medialgruppen und zur mittleren Lateralgruppe. Von der Basis 


510 R. Krause und M. Philippson: 


des Dreiecks gehen schwächere Dendriten zu den Zwisehengruppen. 
Der Neurit entspringt entweder aus der Spitze des Dreiecks oder 
aus der Basis und wendet sich in letzterem Fall in einem grossen 
Bogen zur Wurzel. In vielen Fällen zeigt er die für die Neu- 
riten des Lendenmarks beschriebene Krümmung. 

Die mittlere und hintere Lateralgruppe sind gut 
entwickelt und zeichnen sich durch den Gehalt an sehr grossen 
Zellen aus. Grosse bis sehr grosse polygonale Zellkörper, nieht 
selten von über 120 u Durchmesser, mit zahlreichen, sehr starken 
Dendriten, die nach allen Richtungen hin ausstrahlen. Unter 
diesen Dendriten fallen besonders mächtige Aeste auf, welche in 
die weisse Substanz einstrahlen und sich bis an die Peripherie 
des Markes verfolgen lassen. Photogr. 11 zeigt uns die vordere 
Medio-Lateralgruppe und die hintere Lateralgruppe gefärbt, und 
man sieht hier sehr schön, wie von einer Gruppe, lange Den- 
driten in die andere einstrahlen. Die mittlere Lateralgruppe ist 
hier nicht sichtbar. 

Auch die mittlere und hintere Medialgruppe sind im 
Saeralmark gut entwickelt, fliessen aber meistens zusammen und 
lassen sich nur schwer von einander trennen (Fig. 14, Taf. XXI). 
Sie bestehen aus grossen, manchmal auch sehr grossen Zellen. 
Aus dem länglichen Zellkörper geht am ventralen und dorsalen 
Ende je ein mächtiger Dendrit aus, der zur vorderen Medio- 
Lateralgruppe resp. zur vorderen Commissur zieht. Die dorsalen 
Dendriten lagern sich zu einem starken Bündel zusammen, durch- 
dringen die vordere Commissur und senden ihre Aeste theils in 
den weissen Vorderstraug, theils in die graue Substanz der 
Gegenseite. Durch die sich von beiden Seiten kreuzenden Den- 
driten entsteht in der vorderen Commissur ein sehr dichtes Faser- 
gewirr. Der Neurit entsteht von der lateralen Fläche der Zelle 
und zieht im Bogen zur vorderen Wurzel. 

Von Zwischen- und Mittelzellen lassen sich bestimmte Gruppen 
nicht mehr unterscheiden. Sie sind vertreten durch zahlreiche 
polygonale Zellen, die regellos im mittleren und hinteren Theil 
des Vorderhorns zerstreut sind und zu den grössten Zellen ge- 
hören, die wir im Rückenmark des Kaninchens beobachtet haben. 
Zellkörper von 150 u Durchmesser gehören nicht zu den Selten- 
heiten. Sie schieken ihre Dendriten nach allen Seiten hin. Ihre 


Untersuchungen über das Centralnervensystem des Kaninchens. 511 


Neuriten verlaufen entweder zur Commissur, oder sie treten in 
den Seitenstrang derselben Seite ein. 


Frontalschnitte. 
Bhotosr. 15, 7K& und 15. 


Es sollen nun in dem Folgenden kurz eine Reihe von 
Frontalschnitten besprochen werden, welche die früher erhaltenen 
Resultate in manchen Punkten erweitern und vervollständigen 
werden. 

Ein erster Schnitt (Photogr. 15) ist gelegt durch die weisse 
Substanz des Vorderstrangs. Die austretenden Wurzelfasern, die 
wir früher auf dem Längsschnitt sahen, erscheinen hier quer 
getroffen. Wir erkennen fünf Längsreihen quer geschnittener 
Wurzelfasern. Jede Reihe besteht aus mehreren hinter einander 
geordneten Streifen. Jede Reihe ist von der anderen ungefähr 
100—150 u weit entfernt. Es stellen also die motorischen Wur- 
zeln innerhalb der weissen Substanz 200— 300 u breite und 20 
bis 30 u dicke Bänder dar, welche in Längsreihen hinter und 
neben einander angeordnet sind. Ab und zu sieht man in den 
Schnitten auch eine Faser von dem einen Wurzelband zum an- 
deren herüberlaufen. 

Ein nächster Schnitt (Photogr. 14) führt uns in die Aus- 
trittszone der Wurzelfasern. Aus den einzelnen Wurzelbändern 
strahlen hier die Fasern fächerförmig nach links und rechts aus- 
einander, um sich zu ihren Ursprungszellen zu begeben. Zwischen 
den Fasern erscheinen hier und da blass gefärbte Zellen, An- 
gehörige der vorderen Zwischengruppe. Was aber diesen Schnitt 
charakterisirt, ist die enorme Menge von motorischen Oollateralen. 
Fast jede Faser zeigt, bei stärkerer Vergrösserung, untersucht 
eine einfache oder doppelte Collaterale.. Es bildet sich so ein 
dichtes Collateralengewirr, das bei der Vergrösserung des Photo- 
gramms allerdings nicht zu erkennen ist. Was die Verbreitung 
der motorischen Collateralen anlangt, so haben uns die Frontal- 
schnitte nichts Neues ergeben, das Verhalten der Collateralen 
zu den Zellen demonstriren sie uns jedoch häufig mit grösster 
Schönheit und Deulichkeit. Fig. 15, Taf. XXIII ist demselben 
Schnitte entnommen wie Photogr. 14. Sie zeigt uns zwei Zellen 
der vorderen Zwischengruppe, darunter eine mit dem entstehenden 
Neuriten. Daneben liegen mehrere, theils quer, theils schräg, 


512 R. Krause und M. Philippson: 


theils längs getroffene Neuriten. An dem einen quer geschnittenen 
Neuriten ist gerade die Stelle getroffen, wo zwei Collateralen 
entstehen. Von den anderen Neuriten entspringen theils einfache, 
theils doppelte Collateralen. So sieht man von dem Neuriten 1 
eine doppelte Collaterale ausgehen, die eine wendet sich im 
Bogen um und verschwindet, die andere theilt sich. Ihr einer 
Ast verzweigt sich an einer ersten, ihr anderer Ast an einer 
zweiten Zelle. Wir sehen also, dass von einer Collaterale aus 
zwei Zellen beeinflusst werden können. Gleichzeitig wird aber 
die zweite Zelle auch noch durch eine Collaterale des Neuriten 2 
versorgt, also ein und dieselbe Zelle von zwei verschiedenen Collate- 
ralen resp. Neuriten. Die Endigung der motorischen Collateralen 
ist ganz ähnlich, wie die der sensiblen, die feinen Reiserchen 
legen sich dem Zellkörper oder dem Dendriten dieht an, sie 
unterscheiden sich von jenen aber dadurch, dass sie niemals 
Knötchen oder Verdickungen besitzen. 

Photogr. 15 führt uns nun völlig in das Vorderhorn hinein. 
Wir erkennen auf der linken Seite den hellen Seitenstrang, auf 
der rechten Seite den schmalen Vorderstrang mit der vorderen 
Fissur. Zwischen beiden erscheint das Vorderhorn mit seinen 
Zellsäulen und zwar zunächst links die Lateralsäule, dann die 
Zwischensäule und am weitesten links die Medialsäule. Diese 
drei Säulen sind nun immer mehr oder weniger segmentirt, d.h. 
es wechseln zellreiche Partien mit zellarmen oder zellfreien Zonen 
ab. Meist ist die Segmentirung in den hinteren Lateralsäulen 
mehr ausgesprochen als in den vorderen. Die Zellen der Lateral- 
säulen erscheinen als grosse, TO—80 u X 30—40 u, polygonale 
Zellen, die ihre Hauptdendriten in drei Richtungen schicken, 
cranial, eaudal und medial zur, Zwischensäule. Lateral gehen 
sewöhnlich nur schwächere Dendriten zur weissen Substanz. 

Die Zellen der Zwischensäule sind noch etwas grösser als 
die der Lateralsäule, ihre Dendriten strahlen nach allen Rich- 
tungen aus. 

Die Zellen der Medialsäule sind kleiner, 40—50 ux20—30 u, 
sie schicken ebenfalls ihre Dendriten nach allen Richtungen, 
darunter besonders starke und zahlreiche Aeste in die weisse 
Substanz des Vorderstrangs. Diese Säule zeigt auch eine sehr 
hübsche Segmentirung; die einzelnen Zellgruppen sind 100 — 250 u 
hoch und stehen in 100250 u Abstand von einander. 


Untersuchungen über das Centralnervensystem des Kaninchens. 513 


In diese Zellsäulen treten nun von beiden Seiten Fasern 
ein aus dem Seitenstrang und aus dem Vorderstrang. Die aus 
dem Seitenstraug eintretenden Fasern sind entweder Strangfasern 
selbst oder Collateralen von solchen. Die letzteren gehen von 
den ersteren unter rechten Winkel ab, wobei sie die Faser etwas 
spitzwinklig einziehen. Sie theilen sich schon mehrmals inner- 
halb der weissen Substanz resp. geben Theiläste ab, welche sich 
weit vom Hauptstamm entfernen. In die graue Substanz treten 
sie häufig zu kleinen Bündeln zusammengeschlossen ein und be- 
decken sich bald, nachdem sie hier angekommen sind, mit Knöt- 
chen und länglichen Verdickungen. (Fig. 16 und 17.) Ihre Endi- 
gung finden sie an den Zellen der Lateralsäule ganz ähnlich wie 
die Hinterstrangscollateralen. Sie legen sieh dem Zellkörper resp. 
den Dendriten dicht an, manchmal einen wirklichen Korb um 
sie bildend. Wir haben diese Collateralreiserchen in einigen 
Fällen mit becherartigen Verbreiterungen enden sehen, welche 
den Endigungen mancher sensiblen Fasern in der Haut ähnlich 
waren. Auch direct rechtwinkelig in die graue Substanz ab- 
biegende Strangfasern kann man sehr häufig sehen. Fig. 16, 
Tafel XXIII, demonstrirt solche Fälle. Ferner ist noch er- 
wähnenswerth, dass die Fasern innerhalb der weissen Substanz 
schon Collateralen abgeben, welche auch innerhalb derselben 
bleiben und sich hier vielfach verästeln. Wir haben solche Bil- 
dungen gar nicht selten gesehen, sie scheinen beim Kaninehen 
ganz allgemein vorzukommen. 

Etwas anders als die Collateralen des Seitenstrangs ver- 
halten sich die des Vorderstrangs, vor allem haben wir sie nie 
so massenhaft gefunden, wie jene. Sie sind im Verhältniss zu 
den dieken Fasern sehr dünn, und es erscheint deshalb wohl 
auch die Stammfaser niemals eingeknickt. Die Vorderstrangs- 
collateralen gehen nicht immer rechtwinkelig von der Stammfaser 
ab, sondern sehr häufig oder meistens schief. In Fig. 18, Taf. XXIII 
sind einige solcher Collateralen aus einem Frontalschnitt abge- 
bildet. Faser 1 zerfällt noch innerhalb der weissen Substanz in 
zwei Theiläste, von welchen der eine im Strang weiterläuft, der 
andere in die graue Substanz eindringt. Faser 2 giebt dieht 
neben einander zwei Collateralen ab. Faser 3 biegt schräg ab, 
nachdem sie sieh plötzlich stark verjüngt hat, dringt in die graue 
Substanz ein und zerfällt-hier in zwei T'heiläste, Ihre Endigung 

Archiv f. mikrosk. Anat. Bd. 57 34 


>14 R. Krause und M. Philippson: 


finden die Vorderstrangfasern und -collateralen an den Zellen der 
Medial- und Zwischensäule ganz ähnlich wie die Seitenstrang- 
fasern. 

Damit hätten wir die Besprechung der einzelnen Schnitte 
beendet und wollen nun in den folgenden Blättern die erhaltenen 
Thatsachen sichten und zusammenstellen. 


Die Vertheilung der Nervenzellen im Vorderhorn. 


Im oberen Halsmark sind die vordere Lateral- und Medial- 
gruppe zu einer einzigen vorderen Medio-Lateralgruppe im spitzen 
ventralen Winkel des Vorderhorns zusammengedrängt, die beiden 
anderen Lateralgruppen erscheinen gut entwickelt, die hintere 
im lateralen Winkel des Vorderhors gelegen. Auch die Medial- 
gruppen sind gut erkennbar und von einander gesondert; die 
fusiformen Zellen der hinteren Medialgruppe liegen in dorso-ven- 
traler Richtung dicht an der Grenze des Vorderstraugs. Die 
Zwischengruppen und die Mittelzellen sind in dieser Gegend nur 
schwach vertreten. 

Im mittleren und unteren Halsmark finden wir dagegen 
alle die verschiedenen Zellgruppen in schönster Weise entwickelt 
und von einander getrennt. Die vordere Lateral- und Medial- 
gruppe haben sich von einander entfernt und sind in je einen 
Winkel des Vorderhorns gerückt. In dem dorsalen Theil der 
zwischen jenen gelegenen Austrittszone der Wurzelfasern erscheint 
scharf abgegrenzt die vordere Zwischengruppe, weniger scharf 
abgesetzt ist die hintere Zwischengruppe. Von den Medial- 
gruppen wäre nur die hintere besonders zu erwähnen, sie hat 
sich nämlich an der medialen Cireumferenz des Vorderhorns ent- 
lang dorsalwärts verschoben und ist so in die vordere Commissur 
gelangt, mit der ihre lange Zellen parallel verlaufen. Die Mittel- 
zellen werden durch grosse in der Höhe des Centralkanals ge- 
legene Zellen repräsentirt. 

Im Dorsalmark werden die Verhältnisse viel unklarer, hier, 
wo die Vorderhörner stark verkleinert sind, sind auch die Zellen 
viel spärlicher vorhanden, die einzelnen Gruppen fliessen zusammen 
und lassen sich nicht mehr von einander unterscheiden. 

Das mächtige Anwachsen der Vorderhörner im Lendenmark 
lässt auch wieder die Gruppirung der Zellen gut hervortreten. 
Im wesentlichen finden wir hier dieselben Verhältnisse, als im 


Untersuchungen über das Centralnervensystem des Kaninchens. 51» 


unteren Halsmark. Besonders auffallend ist die mächtige Ent- 
faltung der Lateralgruppen, während die Medialgruppen eine 
schwächere Entwieklung, als im Halsımark zeigen. Wenn auch 
die Zwischengruppen durch zahlreiche Zellindividuen vertreten 
sind, so erscheinen beide Gruppen doch nicht scharf von einan- 
der getrennt. 

Das Sacralmark ähnelt dem oberen Halsmark wieder in- 
sofern, als wir hier eine gemeinsame vordere Medio-Lateralgruppe 
haben. Alle anderen Gruppen sind gut entwickelt und enthalten 
häufig aussergewöhnlich grosse Zellen. Zwischen- und Mittel- 
zellen lassen eine Gruppirung nicht erkennen. 

Alle diese Zellgruppen bilden nun im Rückenmark längs 
verlaufende Säulen, welche eine mehr oder weniger ausgesprochene 
Gliederung zeigen. Wir können so eine laterale, eine mediale 
und eine Zwischensäule unterscheiden. Die einzelnen Glieder, 
aus denen sich die Säulen zusammensetzen, schwanken in ihrer 
Höhe zwischen 100 und 300 u, sie werden durch zellarme oder 
zellfreie Zonen von 50—150 u getrennt. 


Der Charakter der Vorderhornzellen. 


Die weitaus grösste Mehrzahl aller Vorderhornzellen sind 
Wurzelzellen d. h. sie schicken ihre Neuriten in die vorderen 
Wurzeln hinein. Die von uns angewandte Methode, welche die 
Zellen mit ihren Dendriten und Neuriten auf weite Strecken dar- 
stellt ohne jedes störende Beiwerk oder irreführende Kunstpro- 
dukte, gestattet uns in dieser Beziehung absolut sichere Schlüsse. 
Ausschliesslich aus Wurzelzellen setzen sich zusammen die Lateral- 
und Medialgruppen, also die wichtigsten Zeilgruppen des Vorder- 
horns. Die Zwischengruppen sind gemischter Natur, sie be- 
stehen zum grössten Theil, in ihren ventralen Partien sogar aus- 
schliesslich, aus Wurzelzellen, in den dorsalen Theilen finden sich 
dagegen zahlreiche Strang- und Commissurenzellen. Ausschliess- 
lich aus letzteren scheinen nur die Mittelzellen zu bestehen. Wir 
können nach dem Gesagten mit unserer Methode die Angaben 
vieler Autoren, die mit der Golgimethode gearbeitet haben, nicht 
bestätigen. Sie lassen in dem eigentlichen Vorderhorn zahlreiche 
Neuriten des Vorder-Seitenstrangs entstehen. 


516 R. Krause und M. Philippson: 


Gestalt und Grösse der Vorderhornzellen. 

Wir können im Allgemeinen im Vorderhorn zwei Arten von 
Nervenzellen unterscheiden polygonale und spindelförmige; die 
ersteren finden sich vorwiegend in den Lateralgruppen, die letzteren 
vorwiegend in den Medialgruppen. Die Form des Zellkörpers 
ist ausserordentlich verschieden und wird hauptsächlich bestimmt 
durch die Zahl und Anordnung der Dendriten, welche der Zell- 
körper ausschiekt. Mit Ausnahme der Kugel- und Birnform fin- 
den sich alle möglichen Zellformen vertreten, dreieckige, vier- 
eckige, polygonale, spindelige ete. 

Hinsichtlich der Grösse kann man unterscheiden: grosse 
Zellen von über 60 u Durchmesser, mittelgrosse Zellen von 
40—60 u Durchmesser und kleine Zellen, deren grösster Durch- 
messer unter 40 u bleibt. Im Allgemeinen kann man sagen, dass 
die mehr dorsal gelegenen Zellgruppen grössere Zellen enthalten, 
als die mehr ventral gelegenen. Die grössten Zellen über 100 u 
finden sich im Sacralmark und hier wieder in der mittleren und 
hinteren Lateralgruppe und unter den Mittelzellen. Zu den 
grossen Zellen gehören die hinteren Lateralzellen im unteren 
Halsmark, ebenso hier die hinteren Zwischen- und Mittelzellen 
und die mittleren Lateralzellen im Lendenmark, auch die hinteren 
Medialzellen des oberen Halsmarkes kann man hierher rechnen. 
Die Zellen aller übrigen Gruppen des Vorderhorns zählen zu 
den mittelgrossen Zellen. In den Vordergruppen finden sich 
auch vereinzelt kleine Zellen. 

Der Zellleib erscheint in den Methylenblaupräparaten 
meistens ganz homogen oder undeutlich längs gestreift, eine 
Längsstreifung, welehe sich auch auf die Dendriten fortsetzt. 
In selteneren Fällen erkennt man in dem Zellleib auch eine An- 
deutung der Nissl'schen Schollen. Der Kern ist meist dunkler 
gefärbt als der Zellkörper, ebenfalls homogen, und enthält in 
seinem Inneren, meist excentrisch gelegen, einen helleren rund- 
lichen Fleck, welcher jedenfalls dem Nucleolus entspricht. 


Die Dendriten der Vorderhornzellen. 

Wie schon erwähnt, wird.durch die Form und Zahl der 
Dendriten im Wesentlichen die Form des Zellkörpers bestimmt. 
Die Zahl der Dendriten ist sehr schwankend, niemals wurden 
weniger als drei und mehr als zwölf beobachtet, die meisten 


Untersuchungen über das Centralnervensystem des Kaninchens. 517 


Dendriten besitzen natürlich die exquisit polygonalen Zellen. 
Sie entstehen unregelmässig vom Zellkörper entweder mit breiter 
Basis, so dass sich der Körper direet in den Dendrit verjüngt, 
oder schmal und scharf vom Zellkörper abgesetzt. Meistens theilt 
sich der Dendrit unter spitzem oder stumpfem Winkel fortge- 
setzt diehotomisch, seltener entstehen mehr als zwei Aeste auf ein- 
mal. Eigenthümlich ist es, dass der Dendrit sich vor der Theil- 
stelle häufig etwas verdiekt und fast immer stellt der Theilungs- 
winkel wie bei den gespreizten Fingern keinen Spitzbogen, son- 
dern einen Rundbogen dar. 

Bei der Theilung können beide Aeste gleich oder ungleich 
stark sein. Schliesslich laufen alle in feinste Fäserchen aus, die 
sich sehr weit verfolgen lassen. Es ist uns so gelungen, Den- 
driten fast einen Millimeter weit vom Zellkörper zu verfolgen, 
besonders leicht gelingt das bei denjenigen, welche durch die 
vordere Commissur in die andere Rückenmarkshälfte hinein- 
strahlen. 

In den Methylenblaupräparaten besitzen die Dendriten 
immer eine absolut glatte Oberfläche, niemals zeigen sie ein 
solches bemoostes Aussehen, wie in den Golgipräparaten. Nur 
die allerfeinsten Fäserchen können hin und wieder perlschnur- 
artig verdickt oder in einzelne Körnchen zerfallen sein. Hier 
handelt es sich aber jedenfalls um Kunstproducte, entstanden 
durch den Zerfall dieser zarten Protoplasmafädchen. 


Das Verbreitungsgebiet der Dendriten. 


Wir wollen jetzt untersuchen, wie sich die Dendriten der 
einzelnen Gruppen verbreiten. Gerade für die Beantwortung dieser 
Frage, die bis bis jetzt noch wenig gewürdigt worden ist, liefert 
die Methylenblaumethode ausserordentlich klare Bilder und lässt 
uns auch wichtige Schlüsse auf die Function der Dendriten zu. 

Zunächst wäre ganz allgemein zu bemerken, dass fast eine 
jede Zellgruppe des Vorderhorns mehr oder weniger starke Den- 
driten in die weisse Substanz schiekt, entweder in die derselben 
oder der gegenüberliegenden Seite. Diese Dendriten sind meist 
sehr lang und verzweigen sich vielfach, im Sacralmark lassen 
sie sich bis an die Peripherie des Rückenmarkes verfolgen. Sie 
enden immer frei, in feinen Reiserchen und lassen irgend eine 
jeziehung zu den Gefässen niemals erkennen. 


5:8 R. Krause und M. Philippson: 


Diejenigen Dendriten, welche in der grauen Substanz bleiben, 
lassen eine ganz bestimmte Gesetzmässigkeit erkennen, sie stellen 
immer entweder Verbindungsbahnen zwischen einzelnen Zell- 
gruppen oder zwischen Zellgruppen und Endstätten zuleitender 
Fasern her. Wie wir gesehen haben, bilden die einzelnen Zell- 
gruppen im Rückenmark Säulen, die aus einzelnen Gliedern be- 
stehen. Es lassen sich nun in allen diesen Säulen Dendriten 
nachweisen, welche die einzelnen Glieder einer Säule mit einander 
verbinden. Ferner sind aber auch die einzelnen Säulen durch 
Dendriten mit einander verbunden und zwar zunächst die late- 
ralen Säulen unter sich und die medialen Säulen unter sich, dann 
aber auch die lateralen und medialen Säulen mit einander mit 
oder ohne Vermittlung der Zwischensäulen. 

Was die Verbindung der Dendriten mit zuleitenden Fasern 
anlagt, so finden wir dieselbe einmal in der Austrittszone der Wurzel- 
fasern. Hier verzweigen sich zahlreiche Dendriten der drei Vor- 
dersäulen und dringen mit ihren feinen Zweigen noch bis in die 
Wurzelbündel hinein. Als zuleitende Fasern sind hier ohne 
Zweifel die motorischen Collateralen aufzufassen. 

Eine weitere Stelle, wo eine solche Verbindung statt hat, 
ist der hintere Theil des Vorderhorns. Hier treffen die Den- 
driten der Lateralsäulen zusammen mit den Collateralen der 
Hinterstränge. Es lassen sich ferner jene langen mächtigen Den- 
driten der mittleren und hinteren Medialsäulen durch die Com- 
missur durch in die gleiche Gegend der gekreuzten Seite ver- 
folgen und aller Wahrscheimlichkeit nach treffen sie auch hier 
mit den Hinterstrangscollateralen zusammen. 

Was die feinere Endigung der Dendriten anlangt, so ge- 
hört sie zu den Punkten unserer Untersuchung, die am schwierigsten 
zu ergründen waren. Die Dendriten sind ja im Allgemeinen nur 
blass gefärbt und werden natürlich immer blasser und dadurch 
ausserordentlich schwierig zu verfolgen, je dünner sie werden. 
Es gehören ausserordentlich distinet und intensiv gefärbte Prä- 
parate dazu, um über diesen Punkt Klarheit zu erhalten. Eine 
sehr gute Gelegenheit bietet in dieser Beziehung die vordere 
Zwischengruppe im mittleren Halsmark. Die feinsten Dendriten 
der Lateralzellen umgeben hier die Zwischenzellen, sie bilden 
sewissermassen Körbe um dieselben, aber niemals haben wir eine 
so enge Aneinderlagerung gefunden, :wie bei den Collateralen. 


Untersuchungen über das Centralnervensystem des Kaninchens. 519 


Der Dendritenkorb ist immer vom Zellkörper noch etwas entfernt, 
es bleibt zwischen beiden immer noch ein kleiner Zwischenraum. 
Der Dendrit endigt immer in der Nähe des Zellkörpers oder des 
Neuriten, niemals scheint eine Verbindung zwischen Dendriten 
selbst vorzukommen. 

Ueber die Verbindungsweise zwischen Collaterale und Neu- 
rit ist wenig zu sagen, beide splittern sich in feinste Reiserchen 
auf, welche sich eng aneinander lagern. 

In dem Schema (Fig. 19, Tafel XXIII) sind unsere Befunde 
dargestellt. Jede Gruppe ist durch eine Zelle, die Mittelgruppe 
durch zwei vertreten. Zellkörper und Dendriten sind blau, Neu- 
riten und Collateralen roth gehalten. Das Schema soll demon- 
striren die Gruppirung der Zellen, das Verbreitungsgebiet der 
Dendriten, Ursprung und Verlauf der Neuriten und Collateralen. 


Die Funetion der Dendriten. 

Was die wichtige und viel diseutirte Frage nach der Func- 
tion der Dendriten anlangt, so müssen wir uns entschieden für 
die ausschliesslich nervöse Natur dieser Gebilde erklären. Das er- 
hellt schon zweifellos aus der Verbreitungsweise. Wo wir den 
Dendriten auch hin verfolgen können, immer trifft er mit einem 
nervösen Gebilde zusammen, entweder mit einem Zellkörper oder 
mit einer Collateralen. Man hat immer als einen Hauptgrund 
gegen die nervöse Natur der Dendriten ihr Einstrahlen in die 
weisse Substanz angeführt. Wir haben aber gesehen, dass ihnen 
hier reichlich Gelegenheit geboten ist, mit Collateralen zusammen 
zu treffen, Collateralen, die niemals in die graue Substanz ge- 
langen, sondern sich in der weissen Substanz ausbreiten. Was 
sollte wohl den Dendriten dazu bewegen, in die graue Substanz 
der Gegenseite einzudringen? Die Ernährungsverhältnisse sind in 
beiden Hälften des Rückenmarks dieselben. Wenn der Dendrit 
wirklich Ernährungsorgan wäre, dann könnte er auf derselben 
Seite bleiben. Damit soll natürlich nicht gesagt sein, dass der 
Dendrit nicht auch aus seiner Umgebung Nährmaterial aufnimmt. 
Das thut er ebenso gut wie der Axenceylinder und wie jedes 
protoplasmatische Gebilde auch. 

Wir haben unsere ganz besondere Aufmerksamkeit der 
Frage nach der Beziehung zwischen Dendriten und Gefässen ge- 
widmet. Die letzteren erscheinen bei der intravenösen Injeetion 


520 R. Krause und M. Philippson: 


von Methylenblau oft sehr schön und prall mit gelb gefärbten 
Blutkörperchen gefüllt. Auch das Gefässendothel mit seinen 
Kernen ist gefärbt, ebenso, wenn auch wohl nieht vollständig, die 
begleitenden Neurogliafasern und Zellen. Es bot sich also hier 
die beste Gelegenheit zum Studium dieser Frage. Wir konnten 
niemals irgend eine Beziehung zwischen Gefässen oder Gliaele- 
menten und Dendriten finden. Es findet weder ein Anlagerung 
der Dendriten an jene statt, noch auch enden sie in ihrer Nähe. 

Die Dendriten sind rein nervöse Gebilde und zwar scheinen 
sie ausschliesslich cellulipetal zu leiten, es ist uns wenigstens 
kein Fall zu Gesicht gekommen, in dem man an eine ceellulifu- 
gale Leitung hätte denken können. Sie führen dem Zellkörper 
Reize zu, die sie entweder von einer Collateralen oder von einem 
zweiten Zellkörper empfangen. 


Der Neumat. 


Der Neurit der Vorderhornzelle entspringt in den weitaus 
meisten Fällen vom Körper der Nervenzelle selbst, seltener in 
einiger Entfernung von letzterem von einem Dendriten. Er er- 
hebt sich immer aus einem spitz auslaufenden Ursprungskegel, 
der sich in den Methylenblaupräparaten in nichts von einem Den- 
driten unterscheidet. Der Ursprungskegel läuft in ein dünnes, 
blassgefärbtes Fädchen aus, welches sich dann unter starker 
Diekenzunahme in den tiefblaugefärbten Neuriten fortsetzt. Wäh- 
rend der Ursprungsfaden nur Bruchtheile eines Mikromillimeters 
im Durchmesser hält, erreicht der Neurit sehr bald eine Dicke 
von 5—4 u und mehr. Die Länge des Ursprungsfadens beträgt 
im Mittel ungefähr 40—50 u. 

Dieses Verhalten ist für den Neuriten absolut charakteris- 
tisch, es wurde bei allen Neuriten gefunden und niemals ver- 
nıisst. So allgemein wie das Vorkommen, so schwierig ist die 
Erklärung dieser Erscheinung. Ein Kunstprodukt, etwa eine 
Quellung des Axencylinders, ist wohl mit Sicherheit auszu- 
schliessen, dazu ist das Vorkommen zu eonstant. Am nächsten 
liegt die Erklärung, dass sich hier die Markscheide mitfärbt. 
Dagegen spricht jedoch mancherlei. Zunächst müsste man dann 
an den Fasern, die wir ja auf sehr weite Strecken verfolgen 
konnten, Ranvier'sche Schnürringe gesehen haben, was nie 
der Fall war. Wohl aher haben wir an den Fasern, besonders 


Untersuchungen über das Centralnervensystem des Kaninchens. 521 


an der Stelle, wo die Collaterale abgeht, ringförmige Verdickungen 
gesehen, die sich wohl als jene Kittsubstanzscheiben deuten 
lassen, welehe zwischen die beiden Enden der Markscheide ein- 
geschoben sind. Als weiteren Gegenbeweis können wir noclı 
anführen, dass wir nicht selten in der weissen Substanz die Mark- 
scheide als sehr blass blaugefärbten Mantel beobachten konnten. 
Wohl aber wird die Markscheide die Veranlassung zu der Ent- 
stehung jener intensiven Blaufärbung abgegeben haben. Das 
Nervenmark enthält bekanntlich in dem Leeithin und Fett Stoffe 
von sehr grosser Reduetionskraft, sie werden den Sauerstoff des 
Methylenblaues jedenfalls begierig an sich reissen und beim Ab- 
sterben an den mit redueirtem Methylenblau geschwängerten Axen- 
eylinder abgeben. Wenn der Neurit ein Stück weit in dem 
Wurzelbündel verlaufen ist, so verjüngt er sich wieder und schliess- 
lich wird er ungefärbt in den alleräussersten Partien des Markes. 
Das erscheint aber nicht weiter wunderbar, wenn man einmal 
die Art der Blutversorgung der weissen Substanz erwägt und 
dann die Thatsache in Betracht zieht, dass die nach unserem 
Vorgang hergestellten Methylenblaupräparate immer an der Ober- 
fläche der Präparate eine weniger intensive Färbung aufweisen, 
als mehr nach dem Innern zu. 

Im Halsmark verläuft der Ursprungsfaden des Neuriten ent- 
weder ganz grade oder im kleinem Bogen oder leicht gekrümmt, 
im Lenden- und Sacralmark dagegen beschreibt er eine starke 
Krümmung, er bildet eine kleine Schleife bevor oder indem er 
in den Neuriten übergeht. Für dieses Verhalten, welches die 
grosse Mehrzahl der Neuriten des Lenden- und Sacralmarkes 
zeigen, fehlt uns bis jetzt jede Erklärung. 

Wenn das geschilderte Verhalten des Neuriten nicht wäre, 
so würde es in manchen Fällen gar nicht leicht sein, ihn von 
einem Dendriten zu unterscheiden. Der Ursprungskegel des Neu- 
riten sieht dem Anfangstheil mancher Dendriten so ähnlich, wie 
ein Ei dem andern. Wir haben an den Zellen der hinteren Me- 
dialgruppen ausserordentlich feine, unverzweigte Dendriten ge- 
funden, die sich bis durch die Commissur hindurch verfolgen 
liessen und erst jenseits derselben in ihre Zweige zerfielen. 
Solehe Dendriten könnte man sehr leicht für Neuriten halten und 
wir sind überzeugt, dass das schon oft geschehen ist. Hier be- 
wahrt uns das geschilderte Verhalten des von der Lateralfläche 


522 R. Krause und M. Philippson: 


der Zelle entspringenden Neuriten vor einem schwerwiegenden 
Irrthum. 

Was den Verlauf der Neuriten innerhalb der grauen Sub- 
stanz anlangt, so hängt derselbe, wenn wir von den Strang- und 
Commissuralzellen absehen, einmal von der Lage der Zelle, dann 
von der Lage des Ursprungskegels und von dem Wurzelbündel 
ab, in welches der Neurit eintritt. Im Allgemeinen kann man 
sagen, dass der Neurit bei den lateralen Zellen von der medialen, 
bei den medialen Zellen von der lateralen und bei den Zwischen- 
zellen von der ventralen Zellfläche entsteht. Doch giebt es von 
dieser Regel ausserordentlich viele Ausnahmen. In dieser Bezie- 
hung sei auf die Fig. 2 und 13, Tafel XXIII verwiesen. 

Man kann mit Bestimmtheit sagen, dass jede Gruppe Neu- 
riten in jedes Wurzelbündel schickt. Daraus folgt einmal, dass 
die Neuriten, um in ihr Wurzelbündel zu gelangen, häufig grosse 
Bogen beschreiben müssen, und dann, dass innerhalb der Austritts- 
zone eine Kreuzung von Neuriten bestimmter Gruppen erfolgen 
muss. Wenn sich also so gewisse Gesetzmässigkeiten in dem Ver- 
laufe der Neuriten ergeben, so kann man andererseits in sehr 
vielen Fällen eine Erklärung für den eigenartigen Verlauf der 
Neuriten nur in Zellverlagerungen im Laufe der Entwieklung 
finden. 

Was die Zusammensetzung der Wurzelbündel anlangt, so 
haben wir dem früher Gesagten wenig hinzuzufügen. Jedes 
Wurzelbündel stellt ein von der grauen Substanz nach der Peri- 
pherie verlaufendes schmales Band dar. Die Bänder liegen in 
Reihen neben und über einander und zwar so, dass die Bänder 
der einen Reihen den Intervallen der nebenliegenden entsprechen. 
Man erhält so auf einem Querschnitt des Rückenmärks vier bis 
sechs Bänder geschnitten. Jedes Bündel setzt sich aus Neuriten 
aller Vorderhorngruppen zusammen, mit Ausnahme der Mittel- 
gruppe und vielleicht der hinteren Zwischengruppe. 


Die motorischen Collateralen. 

Aus unseren Präparaten geht mit Sicherheit hervor, dass 
die motorischen Collateralen beim erwachsenen Kaninchen con- 
stante und sichere Bildungen darstellen. Eine jede motorische 
Faser giebt in grösserer oder geringerer Entfernung von der Ur- 
sprungszelle, meistens aber innerhalb der Austrittszone der Wurzel- 


Untersuchungen über das Centralnervensystem des Kaninchens. 523 


fasern ein oder zwei feine Collateralen ab, die ein ziemlich grosses 
Verbreitungsgebiet besitzen. Zunächst wendet sich eine Collate- 
rale resp. ein Collateralast ventral und verzweigt sich innerhalb 
der Austrittszone und noch ein Stück weit im Wurzelbündel 
selbst. Die andere Collaterale resp. ihr Theilast verzweigt sich 
ebenfalls in der Austrittszone, schickt aber auch Aeste zu den 
verschiedenen Zellgruppen. Es entstehen so innerhalb der Aus- 
trittszone und noch im Wurzelbündel Collateralausbreitungen und 
Geflechte, mit denen die Dendriten verschiedener Vordergruppen, 
vor allem der vorderen Zwischengruppe, in Connex treten. Es 
ist auch nicht ausgeschlossen, dass Collateralen selbst durch die 
vordere Commissur durchtreten, wenigstens konnte in einem Falle 
eine Collaterale bis zur Commissur hin beobachtet werden. Die 
motorischen Collateralen stellen, ganz ähnlich wie die Collate- 
ralen der Seitenstränge, Verbindungswege zwischen einzelnen 
Zellen dar. Sie sind im Gegensatz zu den Dendriten immer 
cellulifugal leitend und übertragen die ihnen übermittelten Reize 
entweder auf einen anderen Zellkörper oder auf seine Dendriten. 


Die Collateralen der Seitenstränge. 


Jede Faser des Seitenstrangs giebt auf ihrem Wege eine 
Anzahl Collateralen ab, von denen wir zwei Arten unterscheiden 
müssen, einmal Collateralen, die sich in der weissen Substanz 
verästeln und solche, welche in die graue Substanz eindringen. 

Die ersteren sind von uns vielfach gefunden worden und 
scheinen eine ganz allgemein vorhandene Eimrichtung darzustellen. 
Sie zweigen sich entweder von der Stammfaser oder von einer 
anderen Collaterale ab. Sie verästeln sich zwischen den Nerven- 
fasern des Seitenstrangs und treten hier aller Wahrscheinlichkeit 
nach mit den Dendriten der Vorderhornzellen in Connex, welche 
Ja auch in grosser Zahl in die weisse Substanz eindringen. 

Diejenigen Collateralen, welche in die graue Substanz ein- 
dringen, biegen unter rechtem Winkel von der Stammfaser ab, 
die letztere dabei leicht einknickend. Sie ziehen geradenwegs 
durch die weisse Substanz hindurch, ordnen sich dabei zu kleinen 
Bündeln an und gelangen so in die graue Substanz, wo sie bald 
rechtwinkelig umbiegen in die Längsriehtung. Aus diesem 
letzteren Grunde findet man die Endigung der Collateralen besser 
an Längs- als an Querschnitten durch das Rückenmark. Die 


»24 R. Krause und M. Philippson: 


Hauptendstätten der Seitenstrangscollateralen sind die Zellen der 
Lateralsäulen, doch dringen einzelne Collateralen wohl auch bis 
zu den Medialsäulen. Die Endigung erfolgt so, dass sich die 
feinsten Endzweige mit kleinen Verdiekungen, welehe nicht selten 
die Form von Tastscheiben annehmen, dem Zellkörper oder den 
gröberen Dendriten innig anschmiegen. Engere Verbindungen, 
wie sie von Meyer, Held und Anderen in letzter Zeit be- 
schrieben worden sind, haben wir in unseren Präparaten niemals 
beobachtet. 

Die Seitenstrangfasern selbst biegen schliesslich ebenfalls 
rechtwinkelig um. Sie unterscheiden sich von den Collateralen 
einmal durch ihr stärkeres Caliber und ferner dadurch, dass sie 
meist schon innerhalb der weissen Substanz in mehrere Aeste 
zerfallen. Nicht selten sieht man auch die in die graue Substanz 
eingedrungene Faser pinselförmig sich in eine grössere Anzahl 
von Zweigen auflösen. Ihre Endigung finden die Strangfasern 
in derselben Weise, wie die Collateralen. 


Die Collateralen des Vorderstrangs. 


Die Collateralen finden sich in dem Vorderstrang in den 
Methylenblau-Präparaten niemals so massenhaft, wie in dem 
Seitenstrang. Man sieht hier verhältnissmässig viel mehr direct 
endigende Stammfasern. Die letzteren verhalten sich etwas 
anders als die Seitenstrangfasern. Sie biegen nie unter rechtem 
Winkel, sondern immer schief ab und verjüngen sich ent- 
weder während des Umbiegens oder kurz nachher oder vorher 
nicht unbeträchtlich. Auch sie zerfallen schon meistens innerhalb 
der weissen Substanz in einzelne Thheilreste, von denen einer als 
Strangfaser im Strang weiter laufen kann, während die anderen 
in die graue Substanz eindringen. 

Die Vorderstrangeollateralen sind im Verhältniss zu den 
Fasern sehr dünn, sie gehen ähnlich wie die Strangfasern nicht 
unter rechtem, sondern schiefem Winkel ab. Sie finden ihre 
Endigung der Hauptsache nach an den Zellen der Medialsäulen 
und verhalten sich hier ganz ähnlich wie Seitenstrangscollateralen. 


Die Collateralen des Hinterstrangs. 
Die Collateralen des Hinterstrangs kommen in einam star- 


ken Bündel aus der Spitze des Hinterhorns hervor. Sie stammen 
aus dem Grenzgebiet des Hinterstrangs gegen den Seitenstrang, 


Untersuchungen über das Centralnervensystem des Kaninchens. 525 


aus der Gegend, welche zwischen dem Kopf des Hinterhorns und 
der Peripherie gelegen ist. Hier kann man auch sehr gut ihren 
Abgang von der Stammfaser beobachten, welch letztere ebenso 
wie im Seitenstrang etwas winkelig eingeknickt erscheint. Das 
Bündel durchzieht das Hinterhorn der Länge nach und theilt 
sich in der Höhe der hinteren Commissur in zwei Theile, von 
denen der eine mehr lateral, der andere mehr medial sich wendet. 
Der erstere tritt in Verbindung mit den Endausstrahlungen starker 
Dendritenbündel, welche der hinteren Lateralgruppe angehören. 
Das mediale Bündel umhüllt zunächst die Mittelzellen. Man sieht 
oft diese grossen Zellen völlig in das Collateralenbündel einge- 
bette. Dann strahlen die Collateralen hauptsächlich in die 
Zwischensäule ein und finden an den Zellen derselben, ebenso 
wie an den Mittelzellen ihre Endigung. Ein weiteres Vordringen 
der Collateralen, etwa bis zu den Vordergruppen, haben wir nie 
beobachten können. 

Vergegenwärtigen wir uns nun einmal, wie nach unseren 
Beobachtungen eine auf dem Wege der Hinterstrangfasern in das 
Rückenmark eingedrungener Reiz weiter verlaufen muss, so wäre 
Folgendes zu bemerken. Es wird einmal derselbe auf dem Wege 
der Hinterstrangscollaterale von den Dendriten der hinteren Lateral- 
zellen aufgenommen und auf die Wurzelfaser übertragen. Für 
die Ausbreitung des Reizes kommt dabei in Betracht, dass die 
Dendriten der mittleren Lateralzellen in der hinteren Lateralgruppe 
endigen und so die zugehörigen Neuriten in Thätigkeit versetzt 
werden können. Das Gleiche gilt auch von den vorderen Lateral- 
zellen. Dann müssen wir berücksichtigen, dass auf dem Wege 
der motorischen Collateralen die Dendriten der Zwischenzellen 
und so indireet auch die Medialzellen reagiren können. Es kann 
also durch einen Reiz eigentlich die gesammte Vorderhornzell- 
masse gereizt werden. Andererseits enden aber die Hinterstrangs- 
collateralen auch an den Mittelzellen, deren Neuriten in den 
Seiten- oder Vorderstrang eintreten. Es ist also so auch für 
eine Weiterleitung des Reizes auf höhere Theile des Rückenmarks 
auf dem Wege der Seitenstrangfaser resp. ihrer Collateralen gesorgt. 
Wir fassen dabei die Dendriten immer nur als centripetal leitende 
Organe auf, und damit steht ja auch die bekannte Thatsache 
der Physiologie in bestem Einklang, dass von der durehschnittenen 
vorderen Wurzel aus bei Reizung keine Bewegung erfolgt. 


526 


R. Krause und M. Philippson: 


Erklärung der Figuren auf Tafel XXII—XXV. 


Die Figuren der Tafel XXII und XXIII sind mittelst des Abbe&- 
schen Zeichenapparates entworfen und auf den Arbeitstisch projieirt. 
Vom Lithographen wurden sie auf die Hälfte ihrer ursprünglichen 
Grösse redueirt. 


= 
“ 


Fig. 10. 


Fig. 11. 


Tafel XXI. 


Drei Zellen der vorderen Medio-Lateralgruppe aus dem oberen 
Halsmark. Zeiss D. D. Oe. 2. 

Zwei Zellen der hinteren Lateralgruppe aus dem oberen Hals- 
mark. Zeiss D. D. Oc. 2. 

Fünf Zellen der hinteren Medialgruppe aus dem oberen Hals- 
mark. Zeiss D.'D.'Oc. 2 

Vordere Zwischenzellen aus dem mittleren Halsmark. Zeiss 
D...D.i/06: 72; 


5 u. 6 zeigen die Zusammensetzung der Wurzelbündel in zwei 


verschiedenen Schnitten aus dem mittleren Halsmark. In 
Fig. 6 ist die Lage der verschiedenen Zellgruppen schematisch 
eingetragen. 

Vorderwurzelfasern mit motorischen Collateralen aus dem 
mittleren Halsmark. Zeiss hom. Imm. !/jo. Oe. 2. 

Eine hintere Lateralzelle mit Neurit und motorischen Collate- 
ralen. Zeiss hom. Imm. 1/i; Oc. 2. Um die Figur nicht zu 
gross anzulegen, sind die Fasern stark verkürzt gezeichnet. 
Drei Zellen der vorderen Lateralgruppe aus dem Lendenmark. 
Neuriten mit den chakteristischen Schleifen. ZeissD.D. Oe. 2. 
Zwei Zellen der mittleren Lateralgruppe aus dem Lendenmark. 
Zeiss. B.. 0£.;2. 

Zwei Zellen der hinteren Lateralgruppe aus dem Lendenmark. 
22188-020202; 


. Endigung der Hinterstrangeollateralen an einer Mittelzelle. 


Lendenmark. Leitz hom. Imm. !/,, Oe- 2. 


Tafel XXI. 


3. Vordere Medio-Lateralgruppe aus dem Sacralmark. Zeiss C. 


Oeul. 2. 


4. Medialzellen aus dem Sacralmark. Zeiss D.D. Oe. 2. 
. Motorische Neuriten mit Collateralen und Endigung der letzteren 


an den Zellen der Zwischensäule. Leitz hom. Imm. 1/5. Oe. 2. 


. Seitenstrangfasern mit Collateralen aus dem mittleren Halsmark. 


Zeiss hom. Imm. 1/5 Oe. 2. 


. Endigung von Seitenstrangcollateralen an Zellen der Lateral- 


säulen. Leitz hom. Imm. 1/,, Oe. 2. 


. Vorderstrangfasern mit Collateralen. Zeiss hom. Imm. 1/5 Oc. 2, 


Untersuchungen über das Centralnervensystem des Kaninchens. 527 


Re. 19. 


Fig. 20. 


Photogr. 
Photogr. : 
Photogr. 
Photogr. 
Photogr. 
Photogr. 
Photogr. 
Photogr. 


Photogr. 


Photogr. 


Photogr. 


Photogr. 


Photogr. 


Photogr. 


Photogr. 


Schema der Zellgruppirung und Ausbreitung der Dendriten 
im Vorderhorn des Kaninchenrückenmarks. Die Neuriten und 
Collateralen sind roth, die Zellen und Dendriten blau gehalten. 


Tafel XXIV., 
Schema des Vorderhorns vom Kaninchenrückenmark. Die 
einzelnen Zellgruppen sind durch Kreise markirt und durch 
jene eine Zelle dargestellt. Die Zellen mit ihren Dendriten 
sind blau, die Neuriten der Vorderhornzellen mit ihren mo- 
torischen Collateralen, die Seiten-, Vorder- und Hinterstrang- 
fasern und -collateralen roth gehalten. 


Tafel XXV. 
1. Oberes Halsmark des Kaninchens. Leitz 3, Oec. 2. 
2. Oberes Halsmark. Zeiss B. Oe. 2. 
3. Mittleres Halsmark. Leitz 3, Oe. 2. 
4. Mittleres Halsmark. Leitz 3, Oc.2. Eine Strangzelle der 
Mittelgruppe mit Nervenfortsatz. 
5. Mittleres Halsmark. Leitz 3, Oc. 2. Die austretenden 
motorischen Wurzelfasern. 
6. Mittleres Halsmark. Zeiss B. Oe. 2. 
7. Lendenmark. Leitz 3, Oec. 2. 
8. Lendenmärk. Zeiss, Wasserimmersion D. Oc. 2. Zellen 
der vorderen Lateralgruppe mit ihren Nervenfortsätzen. 
9, Lendenmark. Leitz 3, Oc. 2. Die austretenden motori- 
schen Wurzelfasern. 
10. Lendenmark. Leitz 3, Öc. 2. Die austretenden motori- 
schen Wurzelfasern, von denen besonders das aus den Medial- 
gruppen kommende Bündel bemerkenswerth ist. 
11. Sacralmark. Leitz 3, Oc. 2. Es ist die vordere Medio- 
Lateralgruppe und die hintere Lateralgruppe gefärbt. Von 
einer Gruppe strahlen die Dendriten in die andere über. 
12. Lendenmark. Leitz 3, Oc. 2. Das Einstrahlen der 
Seitenstrangscollateralen in die graue Substanz. 
13. Halsmark. Frontalschnitt. Leitz 3, Oe. 2. Der Schnitt 
trifft die durch die weisse Substanz ziehenden motorischen 
Wurzelbündel. 
14. Halsmark. Leitz 3, Oc. 2. Frontalschnitt durch die 
Austrittszone der Wurzelfasern. 
15. Halsmark. Leitz 3, Oc. 2. Frontalschnitt durch das 
Vorderhorn mit den drei Zellsäulen. 


rn 


Aus dem Institut für vergleichende Anatomie, Mikroskopie und lim- 
bryologie und dem anatomischen Institut der Universität Würzburg.) 


Die Implantation des Eies der Maus in die 
Uterusschleimhaut und die Umbildung der- 
selben zur Decidua. 


Von 


Georg Burckhard. 
Hierzu Tafel XXVI, XXVII u. XXVIII und 4 Textfiguren. 


Einleitung. 

Während über die Entwickelung und den Bau der Pla- 
centa sowohl bei Thieren wie beim Menschen bereits ziemlich 
zahlreiche Beobachtungen vorliegen, sind dieselben über die 
ersten Veränderungen der Uterusschleimhaut zu Beginn der Gra- 
vidität und über ihre Umwandlung in diejenige Form, die wir, 
wenn sie fertig gebildet ist, als Deeidua bezeichnen, bisher recht 
spärliche. 

Es liegt dies wohl in erster Linie daran, dass man beim 
Menschen nur äusserst selten, und nur durch einen besonderen 
Zufall in der Lage ist, geeignetes Material zu erhalten, das 
dann immer nur für ein bestimmtes Stadium verwerthbar ist; 
aber auch bei Thieren ist es durchaus nicht immer ganz einfach 
und leicht, sich das für ein genaues Studium der genannten Vor- 
gänge nothwendige lückenlose Material aus den verschiedenen 
Zeitpunkten der Gravidität zu verschaffen. 

Die dieser Arbeit zu Grunde liegenden Untersuchungen 
wurden im Laboratorium des Institutes für vergleichende Ana- 
tomie, Mikroskopie und Embryologie der Universität Würzburg 
unter Leitung des Herrn Privatdozenten Dr. Sobotta begonnen 
und dann unter seiner Leitung im anatomischen Institut fortge- 
setzt. Ich möchte auch an dieser Stelle Herrn Dr. Sobotta, 
dem ich nieht nur die Anregung zu dieser Arbeit und das über- 
aus reiche Material, sondern auch mannigfache Unterstützung in 
kath und That während der Anfertigung der Arbeit verdanke, 
meinen herzlichsten Dank aussprechen. 


Die Implantation des Eies der Maus ete. 529 


Es soll in Nachstehendem unsere Aufgabe sein, zu unter- 
suchen, auf welche Weise bei der Maus das in der Tube be- 
fruchtete und durchgefurchte Ei, nachdem es aus dem Eileiter 
in die Uterushöhle gelangt ist, durch das Uterusepithel hindurch- 
gelangt und sich in die Schleimhaut des Uterus einsenkt, da 
es sich später bei allen Thieren, die eine sogenannte Deeidua 
capsularis s. reflexa besitzen, in der Schleimhaut selbst befindet 
und vom Uteruslumen vollständig getrennt ist. 

Dabei sollen jedoch die Veränderungen, die sich am Ei 
selbst während dieser Zeit abspielen, unberücksichtigt bleiben !). 

Je länger und eingehender wir uns mit der Untersuchung 
der genannten Vorgänge beschäftigten, um so mehr lernten wir 
erkennen, eine wie grosse Menge Materiales man verarbeiten 
muss, um alle Varianten der einzelnen Stadien, deren Zahl eine 
recht erhebliche ist, überblicken, und alle Zufälligkeiten aus- 
schliessen zu können. Denn wenn man nur einzelne Exemplare 
des gleichen Stadiums zu untersuchen Gelegenheit hat, kann es 
sich sehr wohl ereignen, dass man eine der erwähnten Varianten 
für die Norm hält. So haben wir selbst nach Abschluss der 
Arbeit noch Stadien gefunden, deren Abweichung von der Norm 
uns obige Behauptung zu bestätigen im Stande war. 

Deswegen mussten wir uns ein relativ grosses Material für 
die Untersuchung gerade dieser Vorgänge zu verschaffen suchen, 
und wir haben längere Zeit hindurch eine sehr grosse Anzahl 
von Präparaten untersucht; es ist dies um so nothwendiger, als 
die einzelnen von einander schon recht verschiedenen Entwickelungs- 
stadien nur durch einen ausserordentlich geringen Zeitraum von 
einander getrennt sind. 

Des weiteren haben wir uns die Aufgabe gestellt, die Verän- 
derungen zu untersuchen, die die Uterusschleimhaut der Maus 
während der Gravidität eingeht und zwar speciell die Vorgänge 
bei der Umwandlung der gewöhnlichen Uterusschleimhaut in die 
Deeidua genauer zu verfolgen. Auch über diesen Punkt sind ge- 
nauere Untersuchungen an keinem Object gemacht worden, und 
auch der genaueste Voruntersucher, nämlich Duval lässt sich 
auf die Darstellung dieser speciellen Untersuchung wenig ein; 


1) Genauere Untersuchungen über diese Vorgänge werden in 
Bälde von Herrn Dr. Sobotta veröffentlicht werden, 


Archiv f, mikrosk. Anat. Bd, 57 35 


530 Georg Burekhard: 


insbesondere berücksichtigt er fast gar nicht die feineren Vor- 
gänge bei der Ausbildung der Deeiduazellen. 

Es ist nun besonders wünschenswerth, . die in Frage kommen- 
den Verhältnisse bei einer Thierspecies (Maus) genau erforschen 
zu können, die in vielen Beziehungen der Entwiekelung des 
Menschen näher steht, als sehr viele andere Säugethiere, nament- 
lieh in Bezug auf die Bildung der Deeidua, insofern als sie eine 
Decidua capsularis besitzt, und infolge dessen auch die Einbet- 
tung des Eies von den entsprechenden Vorgängen beim Menschen 
höchst wahrscheinlich in nur wenig abweichender Weise erfol- 
gen wird. 


Material und Methode. 


Als Material wurde ausschliesslich die weisse Maus benutzt. 
Da dieselbe fast drei Viertel des Jahres fortpflanzungsfähig ist, 
ist sie ein äusserst bequemes Objeet, zumal das Halten derselben 
nicht mit erheblichen Schwierigkeiten verbunden ist. Da diese 
Thiere von März bis November, unter Umständen sogar noch 
länger brünstig sein können, und schon wenige Wochen nach 
ihrer Geburt fortpflanzungsfähig sind, gelingt es unter Berück- 
siehtigung des unten angegebenen Verfahrens im ganzen nicht 
schwer, das nöthige Material für die Untersuchungen zu ge- 
winnen. 

Wie Sobotta (5) nachgewiesen hat, ist die Maus, abge- 
sehen von der Zeit unmittelbar nach dem Wurf (Bischoff), 
am 21. Tag post partum wieder brünstig, zu einer Zeit, wo die 
Jungen im Stande sind, sich ohne Hilfe des Mutterthieres selbst- 
ständig zu ernähren. Man kann also diesen Zeitpunkt einerseits 
nach dem letzten Wurf bestimmen, hat andererseits, falls dieser 
nicht beobachtet wurde, aber auch andere, äussere Kennzeichen 
für den Eintritt der Brunst; es öffnet sich nämlich die gewöhn- 
lich verschlossene, durch epitheliale Verklebung ihrer Wände 
undurchgängige Vagina, so dass sie sieh erweitert, dabei röthen 
sich ihre Ränder und treten wulstig hervor. 

Am häufigsten wurde der Ovulationstermin am 21. Tage 
post partum benützt, um den Bock zur Begattung zuzulassen. 
Aber die erste Ovulatiovp nach dem Wurf erfolgt auch nicht 
immer mit absoluter Sicherheit gerade nach 21x24 Stunden, 
sondern kann gelegentlich auch etwas (!/;—1 Tag) später erfolgen. 


Die Implantation des Eies der Maus ete. 531 


Man muss daher von diesem Zeitpunkt an genau auf die unten 
genannten Zeichen der erfolgten Begattung achten. 

Gelegentlich wurden auch Thiere gefunden, die, ohne vor- 
her geworfen zu haben, die äusseren Zeichen der Brunst auf- 
wiesen, und die man zur Begattung benutzen konnte. Diese 
letzteren Fälle wurden jedoch sehr viel seltener von uns zur 
Materialgewinnung gebraucht, da sie sehr viel weniger zuver- 
lässig sind. Die Erfahrung lehrt, dass man hier mit einem nicht 
geringen Procentsatz von Fehlgriffen zu rechnen hat, was bei 
bekanntem Ovulationstermin, wenigstens so lange man die Thiere 
unter günstigen Bedingungen hält, nur relativ selten vorkommt. 
Als Zeichen der erfolgten Begattung wurde die Anwesenheit des 
sogenannten Vaginalpfropfes, bekanntlich das coagulirte Samen- 
blasenseeret des Männchens, betrachtet, da es nur in seltenen 
Ausnahmefällen gelingt, die Begattung selbst zu beobachten; da 
der Pfropf höchstens 24 Stunden lang in der Vagina vorhanden 
ist, muss man die Thiere mehrmals am Tage durchmustern, um 
ihn nicht zu übersehen. 

Dies Zeichen wurde als Ausgangspunkt für die Zeitrechnung 
der Gravidität benutzt, und die Thiere zu verschiedenen Zeiten 
derselben getödtet. Eine ausserordentlich grosse Anzahl von Ovulis 
haben wir selber im Verlaufe der Untersuchungen geschnitten; 
ausserdem stand uns eine nicht unbeträchtliche Menge von Prä- 
paraten, die von Herım Dr. Sobotta schon früher für einen 
anderen Zweck hergestellt waren, zur Verfügung, so dass die 
Zahl der für diese Arbeit verwendeten und untersuchten Eiein- 
bettungsstellen beziehungsweise Ovula mehrere Hundert beträgt. 

Erleichtert wurde die Beschaffung des Materiales dadurch, 
dass wir in der glücklichen Lage waren, eine schon seit längerer 
Zeit bestehende, und in tadellosem Zustand befindliche grosse 
Mäusezucht zu benutzen. 

Unmittelbar nachdem das Thier getödtet war, wurde das 
Abdomen geöffnet, die beiden Uterushörner demselben entnommen 
und lebenswarm in die Fixationsflüssigkeit gebracht. 

Zum Fixiren der Objeete wurde Pikrin-Sublimat, Zenker- 
sche Flüssigkeit und Flemming’sche oder Herrmann sche 
Lösung benützt. Nachdem die Präparate in einer dieser Lö- 
sungen ea. 24 Stunden lang verblieben waren, wurden sie, die in 
Pikrinsublimat fixirten ohne vorausgängiges Auswässern, (die 


532 Georg Burekhard: 


übrigen nach gründlichem Ausziehen der Fixationsflüssigkeit durch 
Wasser in gewöhnlicher Weise mit Alkohol nachbehandelt und 
in Paraffin eingebettet. 

Sodann wurden die Objeete in Serienschnitte zerlegt. 

Die Schnittdieke betrug bei allen Objeeten 5 oder 10 u; 
letztere genügt für die meisten Zwecke vollkommen. 

Gefärbt wurde mit Hämatoxylin und Eosin, nur die in 
Flemming’scher oder Herrmann ’'scher Flüssigkeit conservirten 
Präparate wurden mit Saffranin oder Eisen-Hämatoxylin tingirt. 
Wenige Objeete wurden vor der Einbettung in toto mit Borax- 
carmin durchgefärbt. 

Die Färbung mit Hämatoxylin-Eosin hat vor der mit reinem 
Carmin den Vorzug, dass ersteres die Unterschiede in den Ge- 
weben deutlicher hervorzuheben vermag; vor allem lässt sich die 
Anwesenheit von rothen Blutkörperchen besonders gut nachweisen, 
da sich dieselben bei Behandlung mit Pikrinsublimat und Zenker- 
scher Flüssigkeit mit Eosin intensiv roth färben, und bei einer 
Reihe von Stadien die Anwesenheit von Blut eine grosse Rolle 
spielt. Auch sonst ist die Färbung mit Eosin von Vortheil, in- 
sofern als das Epithel einen anderen Farbenton annimmt als die 
Decidua und man infolge dessen im Stande ist, schon durch die 
Färbung auch kleine Reste von Epithel, wie z. B. bei sieh ab- 
schnürenden Drüsen leicht zu erkennen. 

3ei den frühen Stadien der Eiimplantation kennzeichnet 
sich der Sitz des Ovulum noch nicht wie später durch eine 
cireumseripte Anschwellung des Uterushorns, sondern es macht 
sich nur eine Hyperämie des ganzen Organes bemerkbar; die 
Corpora lutea sind für die Zeitbestimmung nicht maassgebend, 
da sie um diese Zeit (also etwa Mitte des 5. Tages) bereits das 
sleiche Aussehen haben können, wie die von einer früheren Ovu- 
lation herstammenden. Diese frühen Stadien wurden eben wegen 
Mangels eines äusseren Hinweises auf den Sitz des Ovulum in 
der ganzen Länge des Uterushorns in lückenloser Serie geschnitten 
und dann später nach erfolgter Färbung diejenigen Objectträger, 
auf welchen sich die für die Untersuchung geeigneten Schnitte 
befanden, ausgesucht und weiter behandelt. 

Auch die späteren Stadien, bei welchen durch die An- 
schwellung des Uterus sehon angedeutet ist, an welcher Stelle 
das Ovulum sich ungefähr befindet, schnitten wir anfangs voll- 


Die Implantation des Eies der Maus ete. 533 


ständig in Serie, bis wir die Erfahrung machten, dass für das 
Studium der deeidualen Umänderung der Schleimhaut im Wesent- 
lichen nur die nähere Umgebung des Ovulum selbst in Betracht 
käme. Es konnte deshalb das ober- und unterhalb derselben 
liegende Stück der Uterusanschwellung in Wegfall kommen. 

Die Anwesenheit des Ovulum zeigt sich auf dem Quer- 
schnitt durch das Uterushorn schon eimige Zeit, bevor sie vom 
Schnitt getroffen wird, dadurch an, dass die in den Interstitien 
zwischen zwei Anschwellungen gelegenen Schleimhautpartien be- 
reits eine deeiduale Umwandlung ihrer Zellen erfahren. Es 
wurden deshalb zunächst von dem auf das Mikrotom aufgesetzten 
Block zahlreiche Schnitte abgetragen und unter dem Mikroskop 
eontrollirt, wann sich die genannten Veränderungen einstellten; 
erst dann wurden die Schnitte auf den Objectträger aufgelegt. 

Die zur Reproduction bestimmten Schnitte wurden bei einer 
Vergrösserung von 45:1 bis 370:1 auf mikrophotographischem 
Wege reprodueirt; die Photographien dienten dann als Grundlage 
für die Abbildungen, indem entweder nach einer genauen Pause 
gezeichnet wurde, oder indem dieselben auf Salzpapier eopirt und 
diese Copien in der von Sobotta (7) angegebenen Weise direct 
als Unterlage zum Zeichnen benutzt wurden. Nur eme Abbildung 
(Fig. 22) bei starker Vergrösserung wurde direet mit dem Zeichen- 
apparat übertragen. 

Literatur. 

Die Literatur über unser Thema ist, wie eingangs schon 
angedeutet, eine recht dürftige. 

Wir können hier unmöglich auf alle Details eingehen, die 
in der grossen Klasse der Säugethiere über die Veränderungen 
der Uterusschleimbaut während der Gravidität gemacht worden 
sind. Man weiss, dass alle deciduaten Säugethiere sich in 2 
Hauptgruppen scheiden lassen, nämlich solche, die sich mit einer 
Deeidua capsularis in der Uterusschleimhaut entwickeln, und 
solche, bei denen diese fehlt. 

Es wird für unsere Uutersuchungen nur die erste Gruppe 
in Betracht kommen: zu diesen gehören von den Nagethieren 
die Muriden und Cavia Cobaya, ausserdem die Affen und der 
Mensch. Vom Menschen sind in Anbetracht der Unmöglichkeit 
der Beschaffung des Materiales die für uns interessanten Stadien 
noch nieht untersucht worden; für den Affen ist zwar das Vor- 


534 Georg Burckhard: 


handensein der Keimblätterumkehr nachgewiesen, die frühesten 
Stadien der Eieinbettung jedoch sind noch völlig unbekannt. 
Es bleiben demnach nur noch übrig die Muriden und das Meer- 
schwein. 

Ueber Maus und Ratte finden sich die ausführlichsten Mit- 
theilungen in der grossen Monographie von Duval „Le placenta 
des rongeurs“ (2); über das Meerschwein hat Graf Spee (8) einige 
3eobachtungen veröffentlicht, die ebenfalls zu berücksichtigen sind. 

Spee (8) theilt in einer kurzen Veröffentlichung den Durch- 
trittsmodus des Eies durch das Uterusepithel mit. 

Auch Duval (2) hat einige frühe Stadien untersucht; wir 
werden darauf bei Gelegenheit unserer eigenen Untersuchungen 
noch zurückkommen. Wir können uns mit seinen Ergebnissen 
nicht in allen Punkten einverstanden erklären: es finden sich 
eine Reihe von Ungenauigkeiten und unrichtigeu Beobachtungen, 
insbesondere macht Duval (2) einige sehr auffallende und unzu- 
treffende Angaben über das Alter der von ihm untersuchten Objecte. 

Es sind die Untersuchungen von Duval (2) insofern unvoll- 
ständig, als man bei ihnen vor allem eine lückenlose Beschrei- 
bung der einschlägigen Stadien vermisst, da er gerade die in 
Frage stehenden Verhältnisse relativ wenig berücksichtigt. Es 
standen ihm zwar die frühesten und einige ältere Stadien zur 
Verfügung, dagegen fehlten gerade die wichtigen, in der Mitte 
zwischen beiden liegenden. Infolge dessen ist er in die Lage 
versetzt worden, an einem viel älteren Präparat das beobachten 
können zu glauben, was thatsächlich schon sehr viel jüngere auf- 
zuweisen haben. 

Auch Selenka (4), der sich im Wesentlichen nur mit der 
Keimblätterumkehr beschäftigt, berührt unser Thema nur ganz 
flüchtig, aber das wenige, was er anführt und was man aus den 
beigegebenen Abbildungen ersehen kann, steht grösstentheils im 
Widerspruch mit den Ergebnissen unserer Untersuchungen. Be- 
züglich anderer Säugethiere kommt nur eine kurze Mittheilung 
von Graf Spee (2) in Betracht, der die entsprechenden Vorgänge 
beim Meerschwein untersucht hat. 

Sonst fehlen jegliche Beobachtungen, welche sich genau 
auf das von uns behandelte Thema beziehen. 

Für die weisse Ratte hat Christiani (1) einige Unter- 
suchungen angestellt; seine vorläufige Mittheilung ist jedoch so 


Die Implantation des Eies der Maus etc. 535 


kurz, die Figuren sind so klein, dass man nur wenig daraus ent- 
nehmen kann. 


Eigene Beobachtungen. 

Bevor wir dazu übergehen, die mikroskopischen feineren 
Vorgänge der Festsetzung des Eies und der Bildung der Deecidua 
zu schildern, wollen wir zuerst in Kürze beschreiben, wie sich 
in den frühen Stadien der Gravidität der Uterus äusserlich 
verhält. 

Im Anfang, also etwa innerhalb der ersten 12 Stunden, welche 
sich das Ei in der Uterushöhle befindet, sieht man makroskopisch 
noch keine Veränderungen. Erst gegen Ende des ersten Tages 
(des 5. Tages nach erfolgter Imprägnation) bemerkt man einzelne, 
den Anlagerungsstellen der Eier an die Uteruswand entsprechende 
diffuse, zunächst noch wenig deutliche Verdiekungen der Uterus- 
hörner. Diese werden im Verlaufe der weiteren Entwickelung 
immer deutlicher, so dass man hald die Anschwellungen leicht 
von den übrigen nicht angeschwollenen Partieen unterscheiden 
kann. Je weiter die Schwangerschaft fortschreitet, desto eireum- 
scripter werden die Anuschwellungen, die nach und nach Erbsen- 
bis Haselnussgrösse erreichen, anfangs mehr rundlich, während 
sie in den späteren Stadien der Schwangerschaft eine mehr läng- 
liche Form annehmen, entsprechend der Gestalt des Embryo. 

Die allererste Entwickelung verläuft, wie nach unserer 
Kenntniss bei allen Säugethieren in der Tube. Bei der Maus 
gelangt das Ei nach ca. 4 mal 24 Stunden kleinzellig gefurcht 
und wahrscheinlich schon immer mit einer kleinen exeentrischen 
Furehungshöhle versehen in den Uterus. 

Während der Zeit, in weleher das befruchtete Ei den Ei- 
leiter passirt, zeigt der Uterus, insbesondere seine Schleimhaut, 
noch keine irgendwie in die Augen fallenden Veränderungen 
gegenüber dem nicht trächtigen Uterus. Selbst eine Hyperämie 
des Genitaltraetus ist um diese Zeit zunächst nicht zu bemerken. 

Wenn die befruchteten Eier die Tube verlassen haben, in 
deren letzten uterinwärts gelegenen Abschnitten sie meist ganz 
unmittelbar und dicht neben einander gelagert sind (Sobotta [5]), 
so zeigt sich die sehr auffallende Eigenthümlichkeit, dass sie 
sich anscheinend sofort über die ganze Länge des betreffenden 
Uterushornes verbreiten, so dass man die frühesten Stadien des 


536 Georg Burekhard: 


Eies im Uterus nieht etwa nur in der Nähe des uterinen Tuben- 
endes zu suchen hat, sondern ebenso gut an der Vereinigungs- 
stelle beider Uterushörner. 

Die Stellen, an welchen sich die Eier nach Verlassen der 
Tube im Uterus vertheilen, scheinen die definitiven Anheftungs- 
bezw. Einbettungsstellen derselben in der Schleimhaut zu sein. So 
findet man in der zweiten Hälfte des 5. Tages die Eier im Uterus- 
lumen an gewissen, bestimmte Strecken von einander entfernten 
Plätzen und zwar zunächst so, dass dieselben irgend einen Ein- 
fluss auf die Uteruswand, sei es auf das Epithel oder auf die 
Schleimhaut nicht ausüben. 

Der Darstellung der ersten Veränderungen der Uteruswand 
an den Stellen, wo ihr Eier angelagert sind, sei eine Beschreibung 
der Verhältnisse am nicht graviden Uterus vorausgeschickt; dabei 
ist zu bemerken, dass dieselbe auch für die Zeit noch Gültigkeit 
hat, während welcher die Eier nach erfolgter Imprägnation sich 
noch in der Tube befinden. 

Betrachtet man Querschnitte durch den nicht graviden Uterus, 
so zeigt sich, dass die Uterushöhle excentrisch liegt, mehr oder 
weniger stark nach dem Mesometrium zu verlagert. Sie hat 
verschiedene Form, bald mehr elliptisch-rundlich, bald bauchig, 
jedoch nie so ausgesprochen lang gestreckt, wie man es in der 
frühesten Zeit der Gravidität findet. Ein Inhalt ist in der Uterus- 
höhle meist nicht vorhanden. Das Epithel ist einschicehtig ey- 
lindrisch; die Kerne stehen meist näher an der basalen Fläche 
der Zellen, sind länglieh und mit ihrer Längsaxe parallel der Längs- 
ausdehnung derselben gestellt. Flimmerhaare tragen diese Zellen 
nicht. Auf einem Längsschnitt durch das Uterushorn sieht man, 
dass das Uteruslumen kein glattes, das ganze Uterushorn durch- 
setzendes Rohr ist, sondern dass es zahlreiche, radiär angeord- 
nete Ausbuchtungen von verschiedener Tiefe besitzt, deren tiefste 
mehr als zwei Drittel der Schleimhaut durchsetzen. Je nach- 
dem man nun mit dem Schnitt eine Bucht trifft oder nicht, er- 
scheint das Lumen mehr oder weniger lang gestreckt. 

Die Schleimhaut stellt kein vollkommen gleichmässiges Ge- 
webe dar, man bemerkt vielmehr schon bei schwacher Vergrösse- 
rung, dass sich in der Nähe des Querschnittes vom Uteruslumen 
die Kerne dichter gedrängt anhäufen und näher aneinander liegen, 
als in den peripherischen Abschnitten. Die Zellen sind theils 


Die Implantation des Eies der Maus ete. 937 


langgestreckt, theils rundlich; die letztere Zellform liegt haupt- 
sächlich in der Nähe des Uteruslumen. Die Zellen besitzen alle 
einen rundlichen, verhältnissmässig grossen Kern. Ein Unterschied 
bezüglich der Grösse der Zellen an verschiedenen Stellen des 
Uterusquerschnittes besteht nicht. 

Mit Blut gefüllte Capillaren finden sich im Bereiche des 
ganzen ÜUterusquerschnittes, i 
theils in Längs-, theils in 
@Quer- und Schrägschnitten; 
sie reichen bis dicht an das 
Uteruslumen heran. An der 
Peripherie sind einzelne Ca- 
pillaren stärker dilatirt. 

Die Drüsen sind, in 
wechselnder Zahl, ungleich- 
mässig vertheilt; man sicht 
sowohl Quer- wie Schräg- 
schnitte, selten reine Längs- 
sehnitte. Ihr Lumen ist theils 
leer, theils mit einem fein- 
fädig geronnenen Inhalt ge- 
füllt; ihre Epithelien sind 
einreihig cylindrisch, ohne 


Flimmerhaare. Textfigur 1. 
. Querschnitt durch das (nieht gravide) 
Aus der Art und Weise, S 


8 Den nn Uterushorn der Maus. Nach Sobotta. 
BUS Alle a al! Vergr. 20:1. a= Schleimhaut (sche- 


Querschnitt vertheilt sind, matisirt), db — Ringmuskulatur, c—= 
geht hervor, dass dieselben Längsmuskulatur, d=Serosa, e=Liga- 
sehr stark geschlängelt sein mentum latum, g = Gefässe. 
müssen. Man findet nämlich längsgetroffene Abschnitte derselben 
meist nur in unmittelbarer Nähe des Uteruslumen, an den Stellen, 
wo sie in dasselbe einmünden, an anderen Stellen nur selten, und 
in kurzen Stücken. Ausserdem sind aber auch vollkommen quer 
getroffene Drüsenschnitte vorhanden, was auch nur möglich ist 
bei starker Schlängelung der im allgemeinen radiär zum Uterus- 
lumen gestellten Drüsen. 

| Auch später, zur Zeit der beginnenden Gravidität findet 
man auf Querschnitten an den Stellen zwischen den einzelnen 
Embryonalanlagen resp. Uterusanschwellungen den gleichen Cha- 


wi 


Georg Burcekhard: 


rakter der Schleimhaut, nur mit dem Unterschied, dass die Drüsen 
im Ganzen sowohl als auch in ihren einzelnen Elementen grösser 
geworden sind. 

Wie oben angegeben, besitzen die Uterushörner zahlreiche, 
zum Theil recht tiefe Ausbuchtungen ihres Lumen. Es scheint, 
dass dieselben (wohl immer) den Ovulis als Platz für ihre 
Festsetzung dienen. Es ist ohne weiteres verständlich, dass bei 
der Vertheilung der Eier auf die Länge des Uterushornes nach 
ihrem Austritt aus dem Eileiter, dieselben in diese Buchten der 
Uterusschleimhaut hereingleiten, wie es auch Christiani (l) 
für die weisse Ratte anzunehmen geneigt ist. Als Regel ohne 
Ausnahme dagegen darf es bezeichnet werden, dass die Ein- 
senkung des Eies stets in die allerdings tieferen und reichlicher 
vorhandenen antimesometralen Buchten des Uteruslumen erfolgt. 
Ob hierbei active Contraetionen der Uterusmuskulatur (etwa peri- 
staltische Bewegungen) im Spiel sind, ist mit Sicherheit nicht 
zu entscheiden; man muss jedoch für wahrscheinlich halten, dass 
solche eine gewisse Rolle dabei spielen. Denn dass die Eier 
‚lediglich der Schwerkraft folgend sich auf die Länge des Uterus- 
hornes vertheilen und in die Buchten eindringen, ist wenig wahr- 
scheinlich, zumal die Buchten, in welche die Eier eindringen, 
eher der Wirkung der Schwerkraft entgegen liegen. Eigenbe- 
wegungen der Eier können dabei nicht in Betracht kommen. 

Es bestehen hier individuelle Verschiedenheiten in Bezug 
auf die Verhältnisse der Einlagerung der Ovula in die Schleim- 
hautbuehten, die sich unter Umständen sogar bei verschiedenen, 
von demselben Thier stammenden Ovulis zeigen können. Vielleicht 
erklärt sich dieselbe dadurch, dass die Eier, die schon eine ge- 
wisse Grösse erreicht haben, sich offenbar die Stelle der Uterus- 
bucht aufsuchen, die am weitesten ist. 

Das Ei kann sich nämlich in den vom Mesometrium am 
weitesten entfernt liegenden Theil der Schleimhautbucht einsenken; 
es endet dann die Uterushöhle an eben dieser Stelle mit einer 
rundlichen Ausbuchtung, die durch einen leistenartigen Absatz 
im Epithel (s. u.) vom übrigen Uteruslumen getrennt ist (Fig. 1, 
Tafel XXV]). 

Die zweite Möglichkeit ist die, dass das Ovulum sich nieht 
an dem eben genannten Theil des Uterusecavum anlegt, sondern 
eine mehr oder weniger grössere Strecke näher nach dem Meso- 


39 


er 


Die Implantation des Eies der Maus ete. 


metrium hin; dabei besteht aber ebenfalls eine Absetzung der 
Uterushöhle gegen die spätere Eieinbettungsstelle durch die noch 
näher zu beschreibende Veränderung im Epithel. Aber auch der 
jenseits der Anlagerungsstelle des Eies gelegene Abschnitt der 
Uterusbucht markirt sich durch eine Einschnürung, so dass dann 
auf diese Weise die spätere Eiimplantationsstelle präformirt ist. 
Ausser dieser aber sind noch zwei durch dieselbe getrennte un- 
gleich grosse Theile der Uterushöhle zu unterscheiden, von denen 
der dem Mesometrium abgewandte der sehr viel kürzere und oft 
nur noch schlitzförmig gestaltet ist. Dieser geht, wie sich 
später zeigen wird, im Laufe der weiteren Entwiekelung zu Grunde 
(ier.e2, Pal. XXVE HEISS IIATEIRRNIN: 

Nachdem die Eier so einige Stunden im Uteruslumen frei 
gelegen haben, treten die ersten Veränderungen in der Uterus- 
wand auf (also etwa Mitte des 5. Tages). Es scheint jedoch, 
als ob diese Veränderungen sich nicht immer zur gleichen Zeit 
einstellten; denn nach dem Alter der Eier zu urtheilen, welches 
für die Bestimmung des Zeitpunktes der Gravidität allein maass- 
gebend sein dürfte, treten sie bald früher, bald später auf. 

Das Epithel der Uterushöhle zeigt in deren Haupttheil um 
diese Zeit keinerlei Veränderungen. Nur in der Gegend, welche 
sich als spätere Implantationsstelle und Deeiduahöhle markirt, 
sind die sonst eylindrischen Zellen niedriger geworden und er- 
scheinen mehr eubisch. Es ist dies wohl als das erste Zeichen 
der beginnenden Degeneration aufzufassen, da die Epithelzellen 
an dieser Stelle, wie sich zeigen wird, später verschwinden. 

Was diese Abplattung der Zellen verursacht, kann man 
sich zunächst nicht vorstellen. Wenn dieselbe auch durch die 
Anwesenheit des Eies bedingt zu sein scheint, so kann man doch 
kaum annehmen, dass dasselbe um (diese Zeit schon einen Druck 
auf das Uterusepithel auszuüben im Stande sei, denn es stellt 
noch eine kleine dünnwandige Blase dar, welche nieht einmal 
in Berührung mit dem Epithel steht. 

Je nachdem also, ob das Ovulum sich am antimesometralen 
Ende einer Schleimhautbucht oder in einiger Entfernung davon 
behufs späterer Festsetzung befindet, verhält sich das Uterus- 
lumen verschieden. Findet die spätere Implantation des Eies am 
antimesometralen Ende der Uterushöhle statt, so ist dieselbe in 
zwei deutlich von einander getrennte Abschnitte getheilt. Pflanzt 


540 Georg Burcekhard: 


sich aber das Ovulum etwas weiter nach dem Mesometrium zu 
ein, so besteht dadurch, dass ein antimesometralwärts gelegener 
kest des Uteruslumen übrig bleibt, eine Dreitheilung desselben 
[vgl. Fig. 1 Tafel XXVI (Zweitheilung) mit Fig. 2 Tafel XXVI 
und Fig. 19 Tafel XXVIII (Dreitheilung)]. Der Fall, dass anti- 
mesometralwärts von der Implantationsstelle noch ein später zu 
Grunde gehender Rest von Uteruslumen und -epithel sich findet 
(Dreitheilung), ist bei weitem das Häufigere!). 

Die Abplattung des Uterusepithels an der Stelle der späteren 
Eieinbettung vollzieht sich mit einem plötzlichen Absatz gegen- 
über dem unveränderten eylindrischen Epithel, in der Weise, 
dass die Grenze des hohen und des abgeplatteten Epithels sich 
durch eine spornartig vorspringende Stelle des Uterusepithels 
markirt. Die Abplattung des Epithels ist zwar nicht im Bereich 
der Umgebung des Eies überall gleieh stark (Fig. 11 Tafel XXVI), 
stets aber ist sie so deutlich, dass die niedrigeren Zellen sich 
gegen das ceylindrische Epithel sehr scharf abgrenzen. Diese 
Erscheinung tritt schon in den frühesten Stadien selbst bei 
schwacher Vergrösserung deutlich in die Erscheinung (Fig. 1 
Tafel XXV]). 

Die eigentliche Uterus-Schleimhaut hat zur Zeit, wo das 
Epithel die beschriebenen Veränderungen zeigt, noch keine Um- 
wandlung erfahren; ihre Zellen unterscheiden sich bezüglich ihrer 
Form und Anordnung in nichts von den Elementen der Schleim- 
haut des nicht graviden Uterus. Kerntheilungsfiguren sind nicht 
zu sehen. 

Allerdings treten die Schleimhautveränderungen, welche 
sehr bald den ersten Epithelveränderungen folgen, anscheinend 
nicht immer zur gleichen Zeit auf. So findet man noch völlig 
intacte Schleimhaut bei bereits ziemlich stark abgeplattetem Epi- 
thel und bei einer Epithelabplattung, die nicht geringer ist, 
bereits deutliche Veränderungen in ersterer (vgl. Fig. 1, 2 und 11 
Tafel XXVD). 


1) Es scheint, dass die Uterushöhle unter Umständen auch auf 
andere Fremdkörper in der gleichen Weise reagiren kann, man 
findet nämlich gelegentlich auf Serienschnitten die genannten Ver- 
änderungen in derselben, ohne dass ein Ovulum oder auch nur Zell- 
trümmer als Rest eines etwa zu Grunde gegangenen Eies sich nach- 
weisen liessen. 


Die Implantation des Eies der Maus etc. 541 


Die Capillaren scheinen etwas reichlicher in der Schleim- 
haut vertheilt. Drüsen finden sich, verschieden getroffen, zahl- 
reich; die ganzen Drüsen hypertrophiren und dementsprechend 
scheinen auch ihre Epithelzellen bereits etwas grösser geworden 
zu sein. i 

Ausserdem sind in der Schleimhaut eine neue Art von Zellen, 
die sich im nieht graviden Uterus nieht in derselben finden, auf- 
getreten, nämlich Leukocyten in wechselnder Menge; dieselben 
sind ohne bestimmt nachweisbare Anordnung über den ganzen 
Schleimhautquerschnitt vertheilt. 

Annähernd das gleiche Alter scheint das jüngste von Du- 
val (2) beobachtete Stadium zu haben, welches er als „Stade de 
l’oeuf spherique“ (ungefähr 5. Tag) bezeichnet. Er ist ebenfalls 
der Ansicht, dass das Ovulum schon an seinem definitiven Platz 
angekommen sei. Die Schleimhaut soll schon seine bemerkens- 
werthe Hypertrophie aufweisen; diese Hypertrophie betreffe aber 
nicht die Partie der Schleimhaut, die nach dem Mesometrium 
zu gelegen ist, sondern gerade die entgegengesetzte, so dass das 
dem Mesometrium zugewandte Ende der Uterushöhle sich dicht 
an der Muskelschicht befinde, während das entgegengesetzte Ende 
derselben durch eine breite Schleimhautschicht davon getrennt 
sei. Dies soll das erste Zeichen einer localen Verdiekung sein, 
die zur Deciduabildung führt. Thatsächlich fände man auch 
an dem unteren (damit will er sagen antimesometralen) Ende des 
Uterusquerschnitttes stets das Ei, das in diesem Stadium noch 
nicht fixirt sei; das Epithel sei im Bereich des Ovulum noch 
intact. 

Diese Darstellung stimmt in manchen Punkten nicht völlig 
mit unseren Untersuchungen überein. 

Auffällig ist die Anschauung Duvals (2), dass um diese 
frühe Zeit — er selbst spricht als Zeichen der sehr frühen Ent- 
wiekelungsstufe von den noch fehlenden Veränderungen am Epithel 
— bereits Vorgänge in der Schleimhaut sich abgespielt haben 
könnten, die zu einer localen Verdiekung derselben führen. Wir 
haben an einer grossen Anzahl von Präparaten uns unzweifelhaft 
überzeugen können, dass bei noch völlig fehlenden Epithelver- 
änderungen die Uterusschleimhaut noch keinerlei Abweichungen 
von der des nicht graviden Uterus aufzuweisen hat, wenn die- 
selben auch nicht immer zur gleichen Zeit auftreten. Jedenfalls 


542 Georg Burekhard: 


haben wir kein Präparat zu schen Gelegenheit gehabt, welehes 
Schleimhautveränderungen bei noch unverändertem Epithel ge- 
zeigt hätte. 

Ebensowenig können wir Duval (2) darin beipflichten, dass 
durch die von ihm angenommene Verdichtung der Schleimhaut 
eine Verschiebung des Uteruslumen nach dem Mesometrium zu 
bedingt sei. Es ist diese excentrische Lage des Lumen, wie wir 
es am liebsten bezeiehnen möchten, vielmehr schon am nicht 
sraviden Uterus mehr oder weniger deutlich ausgesprochen. 

Des weiteren ist Duval (2) der Ansicht, dass das Ovulum 
sich stets am antimesometralen Ende des Uteruslumen festsetzt. 
Dass diese Stelle als Eieinbettungsstelle in Betracht kommen 
kann, liegt ausser Frage; dass das Ovulum sich aber immer 
diese Stelle auswähle, ist ebenso zweifellos unrichtig. Dass Du- 
val (2) die von uns oben erwähnte Möglichkeit der Dreitheilung 
des Uteruslumen entgangen ist. nimmt uns nicht Wunder. Er 
hat offenbar an einem verhältnissmässig kleinen Material gear- 
beitet und aus diesem seine Schlüsse gezogen; so ist es wohl 
gekommen, dass er das, was er an einer gewissen, vielleicht nicht 
sehr grossen Anzahl von Präparaten zu sehen Gelegenheit hatte, 
für die Norm gehalten hat, während ihm das, was ausserdem 
auch normaler Weise vorkommen kann und was er bei einem 
grösseren Material sicherlich sehr oft gefunden haben würde, 
entgangen ist. Nur so können wir uns die hier zu Tage tretende 
Einseitigkeit seiner Auffassung erklären. 

Zum Schluss seiner Darstellung dieses Stadium sagt Du- 
val (2), das Epithel sei im Bereich des Ovulum intact. Es ist 
sehr wohl möglich, dass man das Ovulum frei in der Uterushöhle 
liegend findet, ohne dass es irgend einen Einfluss auf das Epi- 
thel ausübt; dies ist aber nur eine kurze Zeit lang der Fall und 
zwar, wie ich auszuführen Gelegenheit hatte, nur in den ersten 
Stunden, nachdem das Ei die Tube verlassen hat. Mitte des 
5. Tages stellen sich bereits die Epithelveränderungen ein, als 
erstes und zunächst einziges Zeichen der Anwesenheit des Ovu- 
lum in der Uterushöhle, noch lange Zeit bevor sich in der Schleim- 
haut eine Umformung der Zellen bemerkbar macht. Erst nach- 
dem diese Vorgänge am Epithel bis zu einem gewissen Grade 
fortgeschritten sind, beginnt auch die Schleimhaut auf das in 
der Uterushöhle befindliche Ovulum zu reagiren. Man findet also 


Die Implantation des Eies der Maus. 545 
niemals eine „Verdichtung“ der Schleimhaut, so lange das Epi- 
thel der Eieinbettungsstelle noch unverändert ıst. Duval (2) 
hat offenbar auf die ersten feinen Veränderungen am Epithel bei 
seinen Untersuchungen nicht geachtet, oder aber, diese Möglich- 
keit muss man auch noch ins Auge fassen, das ihm zur Verfü- 
gung stehende Material war nicht sorgfältig conservirt. 

Ein ebenfalls offenbar sehr frühes Stadium der Eieinbettung 
— allerdings vom Meerschwein — beschreibt Graf Spee (8); er 
giebt zwar nicht an, welcher Zeit der Gravidität die von ihm 
beobachteten Ovula angehören, da das erste derselben aber noch 
mit der Zona pellueida versehen gewesen ist, muss es einem sehr 
frühen Stadium entsprechen. 

Graf Spee (8) nimmt nun auch an, dass das Ovulum sich 
stets an der Stelle des Uteruslumens ansetze, die vom Meso- 
metrium am weitesten entfernt ist; hier soll es sich zunächst in 
einer Grube des Uterusepithels ansiedeln und dann im weiteren 
Verlauf der Entwiekelung durch dasselbe hindurchschlüpfen. Ist 
dies geschehen, so soll ein scharf begrenztes Loch im Uterusepithel 
bestehen, dessen Ränder sich später hinter dem durchgetretenen 
Ovulum wieder schliessen, und nun letzteres frei in der Uterus- 
schleimhaut ohne jeden Zusammenhang mit dem Uteruslumen 
liegen; durch diesen Vorgang soll sich also schon in der aller- 
frühesten Zeit die Decidua reflexa gebildet haben. Deciduale 
Veränderungen in der Schleimhaut sollen erst nach Abschluss 
dieses Vorganges erfolgen. 

„Die Mechanik der Reflexabildung durch Einnisten des Eies 
in die Schleimhaut“ sehen v. Herff (3) u. A. als auch die für 
den Menschen gültige an, solange nicht das Gegentheil be- 
wiesen sei. 

Dass das Ei sich thatsächlich in die Schleimhaut „einnistet“, 
werden wir im Nachstehenden zu beweisen suchen, aber dies 
geschieht, wie sich wenigstens für die Maus zunächst zeigen 
wird, auf eine völlig andere Art und Weise, von weleher Analogie- 
schlüsse auf den Menschen zu ziehen wir uns für berechtigt halten. 
Dass der Vorgang thatsächlich so erfolge, wie Graf Spee (8) 
ihn beschreibt, besonders die Vorstellung des Entstehens einer 
Lücke im Epithel, die sich später wieder schliessen soll, hat von 
vornherein wenig überzeugendes. 

In der weiteren Entwickelung, also etwa Ende des 5. Tages 


544 Georg Burekhard: 


bis höchstens Anfang des 6., schreitet die Absetzung der Eiein- 
bettungsstelle, oder wie Duval (2) sie nicht unzweekmässig be- 
zeichnet, der Deceiduahöhle, etwas weiter fort. Die Grenze zwi- 
schen ihr und der übrigen Uterushöhle ist schärfer markirt, der 
trennende Sporn springt auf beiden Seiten weiter vor, die Eiein- 
bettungsstelle hat sich ampullenartig erweitert. 

Die Uterushöhle hat auf dem Querschnitt verschiedene 
Form: bald ist sie lang gestreckt, bald wieder geschlängelt und 
buchtig. Das erstere ist im Ganzen die häufigere Form. Ge- 
legentlich trifft der gleiche Schnitt auch eine mesometrale Bueht 
(Fig. 2, Taf. XXVI). Nach der dem Mesometrium entgegenge- 
setzten Seite verengert sich jenseits der Eieinbettungsstelle die 
Uterushöhle bei ausgesprochener Dreitheilung sehr erheblich, sie 
wird schlitzförmig. Das Epithel ist in diesem Abschnitt ähnlich 
wie in der eigentlichen Deciduahöhle abgeplattet. Das Ovulum 
hat sich aber noch nicht festgesetzt, sondern liegt noch frei ohne 
Berührung mit dem Epithel. 

Obwohl es sich gegenüber dem vorher beschriebenen Stadium 
nur um einen Altersunterschied von wenigen Stunden handelt, 
zeigt sich doch schon in der Schleimhaut eine unverkennbare 
Veränderung. In der Nähe und Umgebung der Eieinbettungsstelle 
treten an den Schleimhautzellen die ersten Erscheinungen der 
deceidualen Umwandlung auf!) (Fig. 2, Taf. XXVD. 

Man kann jetzt die Schleimhaut in drei Bezirke eintheilen, 
die jedoch ohne scharfe Grenze in einander übergehen. 

Am weitesten nach der Peripherie zu haben die Zellen noch 
den gleichen Charakter bewahrt, wie am nicht graviden Uterus; 
sie sind meist länglich, mit grossem rundem Kern, sie liegen 
nicht dicht gedrängt, sondern in mehr oder weniger grossen 
/wischenräumen von einander entfernt. 

In den centralen Theilen, also in der Umgebung der späteren 
Eieinbettungsstelle haben die Zellen ihre Form verändert; sie sind 
grösser geworden, haben im ganzen eine mehr rundlich-polygonale 
Form angenommen und besitzen einen grossen rundlichen Kern, 
haben also schon deutlich den Typus der Deciduazellen. 

Zwischen diesen beiden Zonen findet sich eine schmale 
Zone des Ueberganges, in der beide Zellformen mit einander 
abwechseln. 


1) vgl. auch oben p. 540. 


Die Implantation des Eies der Maus etc. 545 


Kerntheilungsfiguren sind vorhanden, aber sie sind selten 
und spärlich, so dass man unter dem Mikroskop viele Gesichts- 
felder durehmustern kann, ohne auf solche zu stossen. Sie finden 
sich in den peripherischen Zonen ebenso wie in der Uebergangs- 
partie, ohne in den central gelegenen Theilen gänzlich zu ver- 
schwinden. 

Ausserdem bemerkt man in der Schleimhaut das Vorhanden- 
sein von Leukocyten, die sich am stärksten in der mittleren 
Uebergangszone anhäufen; sie sind aber auch in den beiden 
anderen Partieen der Schleimhaut nachzuweisen, jedoch seltener; 
ebensowenig fehlen sie in der Muskulatur. 

Schliesslich treten noch eine Reihe von anderen Zellen auf, 
spindelförmig mit einem länglichen Kern. Man sieht deutlich 
einzelne Stellen, wo sie von der Wand bluthaltiger Capillaren 
ausgehen und mit dieser in Zusammenhang stehen. Wir haben 
es hier also zu thun mit Gefässsprossen, die eine Gefässver- 
mehrung in der Schleimhaut anbahnen. Sehr häufig findet man 
mitotische Theilungen der Kerne dieser Sprossen. 

Des weiteren findet sich in diesem Stadium eine Veränderung 
an den Drüsen, die bisher noch nicht zu beobachten gewesen 
war. In der Nähe der Eieimbettungsstelle sieht man nämlich eigen- 
artige Stränge, die aus einer Anzahl annähernd cubischer Zellen 
bestehen. Die Stränge beginnen mit einem spitz auslaufenden 
Ende in der Nähe der späteren Deeiduahöhle und lassen sich 
mehr oder weniger weit nach der Peripherie zu verfolgen, wo 
sie sichtlich anschwellen und blind endigen. Das peripherwärts 
gelegene Ende ist kolbig aufgetrieben und besitzt ein deutliches 
Lumen, welches alle Eigenschaften der Uterindrüsen besitzt. Das 
Ganze stellt also demnach nichts anderes dar, als eine Uterin- 
drüse, welehe in die vom Ei occupirte Uterusbucht einmündete 
und sich nun durch die hypertrophirenden Deciduazellen von ihrer 
Mündungsstelle (Fig. 11, Tafel XXVI) abschnürtee Man muss 
danach annehmen, dass der lang ausgezogene und durch den 
Druck der Deeiduazellen abgeschnürte Theil der Uterindrüsen zu 
Grunde geht, während die mit einem Lumen versehenen Enden 
der Drüsenschläuche erhalten bleiben und später nach dem Partus 
zur Neubildung von Drüsen verwandt werden. Die abgeschnürten 
und abgeplatteten Drüsenausführungsgänge gehen jedoch durchaus 


nieht sehr schnell zu Grunde, denn selbst in relativ alten Stadien 
Archiv f. mikrosk. Anat. Bd, 57 36 


546 Georg Burekhard: 


(Fig. 13 und 14, Tafel XXVII) finden sich noch deutliche Reste 
der Drüsenschläuche innerhalb stark veränderter Uterusschleimhaut 
(typischer Deecidua). Die Drüsen enthalten um diese Zeit fast 
regelmässig ein mit Eosin stark färbbares Secret, welches bei 
schwacher Vergrösserung leicht Blut vortäuschen kann. Dieses 
Seeret erhält sich aber auch bei erheblicher Abplattung der 
Drüsenepithelien noch lange Zeit (Fig. 14, Tafel XXVII). Mit 
starker Vergrösserung betrachtet, erscheint es feinkörnig. Die 
Querschnitte der unveränderten Drüsen finden sich hauptsächlich 
nach den peripherischen Partieen des Querschnittes zu verschoben; 
sie werden, je weiter die deeidualen Veränderungen vorschreiten, 
desto mehr gegen die Ringmuskulatur des Uterus gedrängt; sie 
verschwinden auch in den relativ alten Stadien nicht ganz (Fig. 10, 
Tafel XXVIM). 

Die Gefässvertheilung scheint etwas reichlicher zu sein als 
in den früheren Stadien. 

Auch Duval (2) sieht in diesem Alter eine beginnende TJm- 
formung des Uterusepithels und Veränderungen an demselben, 
die seine Resorption und sein Verschwinden anbahnen; er sagt: 
Das eylindrische Epithel verwandelt sich im antimesometralen 
Theil der Uterushöhle in eine homogene Masse; die Kerne werden 
zahlreich, stellen runde Körper dar mit klarem Centrum und kleinen 
Chromatinmengen, die sich an der Peripherie ablagern. Das ist 
die Stelle, an weleher sich das distale Ektoderm in dies umge- 
formte Epithel, in welches seine Zellen eindringen, einzupflan- 
zen scheint. 

Ganz abgesehen davon, dass Duval (2) dies Stadium für 
älter hält, als es nach dem abgebildeten Ovulum thatsächlich sein 
kann, ist seine Auffassung der bestehenden Verhältnisse wohl 
eine irrige. 

Wir besitzen gerade von diesem Stadium eine recht erheb- 
liche Anzahl von Präparaten und können, uns auf diese stützend, 
den Vorgang, welcher sich in dem antimesometralen Theil der 
Uterushöhle, gelegentlich schon um diese Zeit, meist aber erst 
etwas später, abspielt, wesentlich anders darstellen. 

Dass an der genannten Stelle eine Vermehrung der Kerne 
einträte, wie sie Duval(2) beschreibt, haben wir nie gesehen. 
Nach unseren Beobachtungen gestaltet sich dieser Vorgang wesent- 
lich anders, wie wir später beschreiben werden. 


Die Implantation des Eies der Maus etc. 547 


Betrachtet man die von Duval (2) zur Illustration des von 
ihm beschriebenen Vorganges gegebene Figur (Taf. VII, Fig. 77), 
so drängt sich einem unwillkürlich eine andere Deutung derselben 
auf. Wir haben bei einer Reihe von Präparaten ganz ähnliche 
Bilder gesehen, allerdings im Haupttheil der Uterushöhle selbst, 
wo sich das bisher stets einschichtige Epithel in ein mehrschich- 
tiges verwandelte, und jedesmal handelte es sich unzweifelhaft 
um einen Flachsehnitt. Wir glauben deshalb nicht fehl zu gehen, 
wenn wir für die genannte Abbildung Duval’s die gleiche Er- 
klärung in Anspruch nehmen. 

Duval (2) hält diesen Flachschnitt anscheinend für das in 
Frage stehende Stadium, weil das von ihm als nächstfolgendes 
beschriebene sehr viel älter ist, und deshalb für die Beurtheilung 
dieses Vorganges nicht mehr in Betracht kommen kann. Infolge 
dessen ist ihm auch die klare Vorstellung über das Wesen des- 
selben entgangen. Offenbar hat Duval (2) nicht die genügende 
Anzahl von Zwischenstadien zur Verfügung gehabt, oder es ist ihm 
bei der Auffassung der von ihm beobachteten ein Irrthum unter- 
gelaufen. 

Hierher gehört auch die Beschreibung Duval’s von jenem 
Stadium, das er für 7 Tage alt hält. Er beschreibt nochmals eine 
Anschwellung und Verdichtung der Uterusschleimhaut in der Nähe 
der Embryonalanlage, die aber schon, wie wir oben gesehen haben, 
am Ende des 5. oder Anfang des 6. Tages sich einstellt; er 
hält die von ihm beschriebenen Präparate also für älter, als sie 
wirklich sein können. 

Man findet sehr oft bei älteren Ovulis eine relativ geringe 
Epithelveränderung, dagegen schon starke Umwandlungen der 
Schleimhautzellen in der Nähe der Deeiduahöhle. Es kann sich 
also das Ovulum verschieden spät in die Schleimhaut einsenken, 
aber seine Anwesenheit in der Uterushöhle allein genügt von 
einem gewissen Zeitpunkt an schon, eine Reaction der Schleim- 
haut zu bewirken, ohne dass es mit dem Epithel in Berührung steht. 

An Präparaten, die wenig älter sind, also etwa der Grenze des 
5. und 6. Tages entsprechen, liegt das Ovulum noch frei in der 
Uterushöhle, aber etwas näher an der Wand derselben, das Epi- 
thel ist dabei noch etwas schmäler geworden. In der dieses 
Stadium darstellenden Fig. 3, Taf. XXVI ist das Ovulum von 
dem dünnen Epithel der Uterushöhle etwas stärker abgegrenzt 


548 Georg Burekhard: 


gezeichnet worden, als es gerade an diesem Schnitt zu sehen 
war: es ist dies deshalb geschehen, weil bei der schwachen Ver- 
grösserung eine Abgrenzung sonst nicht möglich gewesen wäre 
und es dann den Eindruck erweckt hätte, als ob die äusserste 
Zelllage des Ovulum schon mit der Wand der Einbettungsstelle 
verschmolzen wäre. An den nächstfolgenden Schnitten ist dieser 
schmale Raum zwischen Ovulum und Epithel sehr viel deutlicher 
sichtbar. Das Epithel der Uterushöhle ist unverändert, der Ueber- 
gang desselben in die schmalen Zellen der Eieinbettungstelle ein 
schroffer. Die Schleimhautveränderungen sind fast gar nicht 
weiter fortgeschritten, nur finden sich etwas weniger Drüsen, 
und es reicht die deciduale Veränderung etwas weiter nach der 
Peripherie zu. 

In der ersten Hälfte des 6. Tages hat sich das Ovulum 
meist schon an die Wand der Deciduahöhle angesetzt, und diese 
beginnt bereits, sich gegen die eigentliche Uterushöhle hin abzu- 
schliessen. An der Stelle, an welcher das Ovulum liest, wird 
die letztere immer stärker ausgebuchtet. Das. Epithel wird 
immer mehr abgeflacht unter dem Druck der wachsenden Deeidua 
einerseits, vielleicht auch durch den Druck des Ovulum von der 
anderen Seite. Durch die Dehnung entstehen wahrscheinlich 
direet Lücken im Epithel, und die übrig bleibenden Reste der 
Epithelzellen gehen schliesslich vollständig zu Grunde. Merk- 
würdig ist dabei aber, dass man nie, wie an anderen Stellen, an 
welchen sich ein ähnlicher Vorgang abspielt, Reste der Zellen 
oder ihrer Kerne sieht. 

Es lässt sich das wohl nur daraus erklären, dass das Epi- 
thel hier in einer so extremen Weise abgeplattet war, dass über- 
haupt nur wenige Kerne in Frage kommen, deren Reste sichtbar 
sein könnten. Vielleicht ziehen sich auch die Epithelzellen, welche 
durch den Druck der Deeiduazellen ihren Zusammenhang unter 
einander verloren haben, nach dem übrigen Epithel hin zurück, 
wo man dann sowohl an dem völlig abgeschnürten Theil der 
Uterusbucht, wie auch an dem gegen die Deeiduahöhle grenzen- 
den Theil des Hauptabschnittes des Uteruslumen deutliche De- 
generationserscheinungen sieht. Jedenfalls findet man in dem 
Abschnitt der Uterushöhle, welcher zur Deeiduahöhle wird, schon 
sehr bald nach Festsetzung des Ovulum kein Epithel mehr, son- 
dern die Höhlung wird direct von Deciduazellen begrenzt. Da 


Die Implantation des Eies er Maus etc. 549 


auch sehr stark abgeplattete und dünn ausgezogene Epithelzellen, wie 
7. B. bei den in Absehnürung begriffenen Drüsen sehr deutlich sicht- 
bar sind, würde man selbst äusserst stark abgeplattete Uterusepithe- 
lien, falls solehe noch vorhanden wären, unschwer erkennen müssen. 

Während also diese Art des Verschwindens der wenigen 
übrig gebliebenen stark gedehnten Epithelzellen nicht besonders 
auffällt, lässt sich das Zugrundegehen des Epithels bei den Prä- 
paraten, bei welchen eine Dreitheilung der Uterushöhle besteht, 
an dem antimesometral von der Deeiduahöhle gelegenen Theil 
des Uteruslumen in allen Einzelheiten genau verfolgen. 

Zunächst beginnt eine Desquamation der Epithelzellen in 
der ganzen Ausdehnung des genannten Raumes; die von ihrer 
Unterlage abgehobenen Zellen verfallen anschemend der hyalinen 
Degeneration, oder es tritt Karyolyse ein. Zuletzt ist die ganze 
Höhle ausgefüllt mit Epitheltrümmern und Chromatinresten (Fig. 15, 
Tafel XXVII). 

Der Abschluss der Deeiduahöhle gegen das Uteruslumen 
erfolgt durch starke Entwiekelnng des nach dem Mesometrium 
zu gelegenen Theiles des Ovulum, der unter dem Namen Ekto- 
placentarconus oder Träger bekannt ist. Dadurch, dass dieser 
Ektoplacentarconus grösser wird, füllt er das Lumen an der 
Grenze zwischen Deceiduahöhle und Uteruslumen vollständig aus 
und bewirkt so einen zunächst wahrschemlich pur mechanischen 
Abschluss, dem erst später eine organische Verbindung desselben 
mit der Umgebung folgt (Fig. 15, Tafel XXVII), 

In der Schleimhaut finden sich zahlreiche in Abschnürung 
begriffene Drüsen. 

Duval (2) verlegt den Beginn der Trennung zwischen Deeidua- 
höhle und Uteruslumen erst auf den 8. Tag; seine diesbezügliche 
Beschreibung weist, abgesehen von dem Irrthum in der Zeit, nichts 
Besonderes auf. 

Um die Mitte des 6. Tages (Fig. 5, Tafel XXVI) ist 
der Abschluss zwischen Deeiduahöhle und Uteruslumen definitiv 
erfolgt. Letzteres setzt sich im Anschluss an den Ektoplacentar- 
conus nach dem Mesometrium zu unverändert fort und zwar so- 
wohl in Bezug auf seine Weite als auch in Bezug auf sein Lumen. 
An der Eieinbettungsstelle hört das Epithel ganz plötzlich auf, 
in dieser selbst ist jetzt keine Spur mehr davon zu finden, die 
Zellen der Deeidua setzen sich vielmehr unmittelbar an die äussere 


990 Goorg Burcekhard: 


Zellschieht des Ovulum an. Der antimesometrale Rest der Uterus- 
höhle ist in der vorhin beschriebenen Form noch vorhanden. 

Die decidual umgebildeten Zellen sind sehr gross, rundlich, 
polygonal und besitzen einen grossen rundlichen Kern mit einem 
oder mehreren Kernkörperchen und einem feinen Chromatingerüst, 
das sich hauptsächlich in der Peripherie der Kerne ansammelt. 
In unmittelbarer Nähe der Deciduahöhle sieht man auch eine 
Anzahl von platten Zellen mit länglich geformten Kernen, die 
nach der antimesometralen Seite zu in Reihen angeordnet strahlen- 
förmig sich unter die übrigen Deciduazellen verlieren. Zwischen 
diesen findet sich eine andere Art von länglich gestalteten Zellen, 
welche von Gefässsprossen herstammen. Zwischen all diesen Zellen 
liegen nicht weuige Leukocyten, die in allen drei Zonen der 
Schleimhaut zu beobachten sind. Sie sind regellos in das Gewebe 
eingestreut, zahlreiche davon sind ausgesprochen eosinophil. 

Kerntheilungsfiguren sind vorhanden, stellenweise in nicht 
unbeträchtlicher Anzahl. Man muss sie nach der Form der Zellen, 
in welchen sie liegen, in zwei verschiedene Gruppen theilen. 
Die einen sind rundlich und bieten ein Anzeichen für die Thei- 
lung der eigentlichen Deeiduazellen. Die zweite Art dagegen 
ist auffallend lang gezogen, ihr Vorhandensein ist bedingt durch 
eine Theilung der Elemente der Gefässwand bei der Vermehrung 
der Gefässe in der Schleimhaut. Die Kerntheilungsfi&uren, be- 
sonders der ersten Art, finden sich hauptsächlich in der oben ge- 
nannten Zwischenzone, weniger oder gar nicht in der peripheri- 
schen Zone relativ unveränderter Schleimhaut und fast gar nicht 
in den vollständig deeidual veränderten central gelegenen Partieen. 

In der ganzen Schleimhaut vertheilt sieht man vereinzelte, 
unregelmässig verstreute erweiterte Capillaren, nicht eigentliche 
Blutsinus, im Gegensatz zu den später auftretenden richtig sinus- 
artig dilatirten Capillaren. Sie besitzen eine Wandauskleidung 
von platten Endothelzellen und stehen nicht in direetem Zu- 
sammenhang mit der Eieinbettungstelle. Eine besondere An- 
häufung derselben nach dem Mesometrium zu, wie sie Duval (2) 
jetzt schon beobachtet haben will, ist nicht nachzuweisen, im 
Gegentheil finden sich auch amı gegenüberliegenden Theil, un- 
mittelbar unter der Ringmuskulatur zahlreichere Räume, die theils 
mit Blut gefüllt sind, theils durch ihre Endothelauskleidung sich 
als dilatirte Capillaren documentiren. 


Die Implantation des Eies der Maus etc. 551 


Von Drüsenlumina ist auf den Querschnitten, die das Ovu- 
lum in seiner grössten Ausdehnung treffen, wenig zu sehen, nur 
vereinzelte Querschnitte finden sich, und zwar in den Seitenpartieen, 
dieht unter der Ringmuskulatur. In den Querschnitten ober- und 
unterhalb der genannten Stelle treten die Drüsen zahlreicher auf, 
und man kann hier ausser den Querschnitten auch schräg- und 
schief getroffene Lumina sehen; ihr Vorhandensein ist aber auch 
hier meist auf die peripherischen Abschnitte des Querschnittes 
beschränkt. 

Der Zwischenraum zwischen Deeiduahöhle und Uteruslumen 
verbreitert sich (2. Hälfte des 6. Tages, Fig. 6, Tafel XXV]) 
er wird eingenommen durch eine breite Brücke, die zum grössten 
Theil aus Blut und einigen Deciduazellen besteht. In der un- 
mittelbaren Umgebung der Deeiduahöhle finden sich die bereits 
erwähnten schmalen langgestreckten Deeiduazellen; sie reichen 
sogar bis in die Gegend des Uteruslumen. Uebrigens zeigen 
nicht alle Präparate eine derartige Abflachung der der Deeidua- 
höhle benachbarten Zellen. 

In dem dieses Stadium charakterisirenden Präparate, von 
welchem Fig. 6, Taf. XXVI entnommen ist, hat sieh offenbar 
das Ovulum in einer sehr tiefen Bucht des Uteruslumen festgesetzt. 

Auffallend ist es, dass ungefähr von dieser Zeit an (Ende des 
6. Tages) sich constant in der Nähe des Ovulum ein mehr oder 
weniger grosser Bluterguss findet; diese Blutungen können unter 
Umständen sogar eine recht erhebliche Grösse erreichen und so 
den ganzen Raum zwischen Deciduahöhle und Uteruslumen ein- 
nehmen, ja sogar auch noch in letzteres hinein reichen. Dabei 
drängt sich naturgemäss die Frage auf, woher die auf einmal 
auftretende Blutung kommt. 

Wahrscheinlich stammen diese Blutungen aus einer der 
grossen Capillaren, welche unmittelbar in der Nähe der Decidua- 
höhle gelegen sind. Bei der Constanz dieser Erscheinung möchten 
wir vermuthen, dass es sich hier um einen physiologischen Vor- 
sang handelt, der vielleicht mit zur Ernährung des Ovulum oder 
der Deeiduazellen dient. Man findet nämlich, wie gesagt, später 
immer in der Nähe des Ovulum Blutungen, die offenbar keinerlei 
Gerinselbildung erfahren und vielleicht noch mit Gefässen in 
Communteation stehen. Anscheinend werden sie jedoch theilweise 
von den angrenzenden Deeiduazellen aus resorbirt (s. u. 8. 562). 


552 Georg Burcekhard: 


An der Hand einiger Abbildungen (Fig. 15—18, Taf. XXVII) 
bei stärkerer Vergrösserung als die Figuren, welche als Ueber- 
siehtsbilder dienen, von Präparaten, welche das Uteruslumen, 
die (spätere) Deeiduahöhle und die zu Grunde gehenden Reste 
des durch die wachsende Decidua abgeschnürten Uterusepithels 
zeigen, möchten wir noch einmal ausführlicher auf den Modus, 
wie das Ovulum von der Uterushöhle in die nackte Schleimhaut 
gelangt, eingehen. 

Nach erfolgtem Abschluss zwischen Deeiduahöhle und Uterus- 
lumen (erste Hälfte bis Mitte des 6. Tages, Fig. 15, Taf. XXVII) 
ist letzteres im unmittelbaren Anschluss an den Ektoplacentarconus 
von gewöhnlicher Weite, die Epithelzellen zeigen keinerlei Ver- 
änderungen. Nach einiger Zeit beginnt das Uteruslumen dicht 
am Placentarconus sich zu verschmälern; gleichzeitig zeigt das 
Epithel in diesem Abschnitt Degenerationserscheinungen. Es 
wird unregelmässig, verliert seine epitheliale Anordnung und 
eylindrische Form, erhält dagegen unregelmässig geformte Kerne 
(Fig. 16, Tafel XXVII). So geht allmählich hier das Epithel 
zu Grunde, wahrscheinlich durch Druck der wachsenden Deeidua. 
So obliterirt ein weiterer Theil der Bucht, in welehe das Ovulum 
sich festgesetzt hatte. Nach und nach wird ein weiterer Theil 
der Uterushöhle ganz schinal und spaltförmig (Fig. 17, Taf. XXVII), 
sein Epithel geht ebenfalls zu Grunde. Schliesslich verschwindet 
auch dieser schmale Abschnitt des Uteruslumen noch völlig, und 
es besteht nunmehr zwischen Deeiduahöhle und Uteruslumen eine 
mehr oder weniger breite Brücke, die gebildet wird aus Deeidua- 
zellen, welche sich nun von beiden Seiten her unter der Basis des 
Ektoplacentarconus in der Mitte zusammenschliessen. Dieser 
Vorgang erfolgt jedoch nicht in der Weise, dass etwa an dieser 
Stelle eine besonders starke Vermehrung der Deciduazellen statt- 
fände, es werden vielmehr die einzelnen Zellelemente durch ihre 
eigene Vergrösserung und durch Druck der ebenfalls wachsenden 
Nachbarelemente mechanisch nach diesem Raum herübergedrängt. 
Die Degeneration des Epithels scheint sich auf die ganze Länge 
der seitlichen Einbuchtung des Uteruslumen, in welcher sich 
das Ovulum festgesetzt hatte, zu erstrecken, so dass schliesslich 
diese Bucht völlig verstreicht. So verkleinert sich die Uterus- 
höhle allmählich immer mehr und mehr, und auch auf Fig. 18, 
Tafel XXVIII ist dieselbe noch nieht so redueirt, dass die ur- 


Die Implantation des Eies der Maus ete. 5583 


sprüngliche Bucht völlig verschwunden ist. Noch in wesentlich 
späteren Stadien (Fig. 7 u. 8, Taf. XXVII) findet durch weitere 
Epitheldesquamation, Karyolyse etc. eine fortschreitende Verkleine- 
rung des Lumen statt. Die Deeiduabrücke zwischen Decidua- 
höhle und Uteruslumen wird immer breiter, so dass letzteres 
schliesslich als ganz kleiner Querschnitt weit nach dem Meso- 
metrium zu gedrängt liegt; sie enthält dann, ebenso wie die 
Deeidua in ihrer Umgebung, dilatirte Capillaren, unter Umständen 
auch einmal eine grössere mit Blut gefüllte Höhle. 

Wir haben bisher nur Querschnittsbilder der Uterushörner 
für die Betrachtung der Veränderungen des Uteruslumen, der 
Abschnürung der Deeiduahöhle u. s. w. benutzt. In der That 
sind diese für die Beurtheilung der meisten Verhältnisse recht 
günstig, haben jedoch insofern Nachtheile gegenüber Längs- 
schnitten, als man die Obliteration der seitlichen Uterusbucht 
nicht so unmittelbar verfolgen kann, wie auf letzteren. 

Längsschnitte durch eine Anschwellung des Uterushornes, 
welche so orientirt sind, dass sie durch den Ansatz des Meso- 
metrium bis zu der gegenüberliegenden Seite des Uterus reichen, 
geben über die genannte Erscheinung den besten Aufschluss. 
Leider gelingt es wegen der zahlreichen Krümmungen des Uterus- 
lumen und der vielen complieirten Faltenbildungen nur äusserst 
schwer, einigermaassen genau orientirte und übersichiliche Längs- 
schnittbilder zu erhalten. Wir verziehten daher hier darauf, 
vollständige Längsschnitte abzubilden, da dieselben zahlreiche, 
die Uebersichtlichkeit störende Momente enthalten würden. Drei 
schematische Längsschnittbilder, welche wir als Textfiguren geben, 
werden diese Verhältnisse wesentlich besser erläutern. 

Der erste derselben geht durch eine erst schwach ausge- 
prägte und wenig eircumseripte Uterusanschwellung um das Ende 
des 5. Tages, also zu emer Zeit, wo zwar schon deutliche de- 
ciduale Veränderungen vorhanden sind, ohne dass das Ovulum in 
der Uterusbucht, in welcher es sich befindet, bereits festen Fuss 
gefasst hätte. Wir sehen in der Uterusschleimbaut diesseits und 
jenseits der Anschwellung zahlreiche Buchten, welche an der 
antimesometralen Seite sehr viel stärker ausgebildet sind als an 
der mesometralen, was schon daraus hervorgehen muss, dass die 
Schleimhaut nach der erstgenannten Seite zu dieker und das 
Lumen excentrisch gelegen ist. Im einer dieser Buchten findet 


294 Georg Burckhard: 


sich das Ovulum innerhalb einer leicht verdiekten und geschwellten 
Schleimhaut, in deren Nachbarschaft die Schleimhautbuchten etwas 


Textfie. 2. 

Längsschnitt durch das Uterushorn einer Maus uın die Mitte des 
5. Tages der Trächtigkeit (schematisirt). Vergr. 30:1. — ul = Üterus- 
lumen. 5b = Uterusbucht, 0% = Ovulum, gl= Drüsen, mm = Meso- 

metrium, rm = Ringmuskulatur, im = Längsmuskulatur. 


N Ih 


NA 
NN If 
\ \\ \\ N \ If (I 


Textfig. 3. 
Längsschnitt durch das Uterushorn einer Maus um die Mitte des 
6. Tages der Trächtigkeit (schematisirt). Vergr. 30:1. 
3ezeichnungen wie bei Fig. 2. 


zurückgedrängt sind. Die Uterindrüsen sind entsprechend dem 
vorher nach Quersehnitten geschilderten Verhalten im Bereich 


Die Implantation des Eies der Maus ete. 555 


der eigentlichen Anschwellung in der Nähe der das Ovulum ber- 
genden Schleimhautbucht auf die Seite geschoben. 

Ein älteres Stadium stellt Textfigur 5 dar (etwa Mitte des 
6. Tages). Wir sehen, dass die deeiduale Anschwellung bedeu- 
tend stärker geworden ist. Die Bucht, in welcher das Ovulum 


liegt, zeigt die beschriebene Dreitheilung; der Ektoplaeentarconus 
des Embryo schliesst den antimesometralen Theil der Schleim- 


Textfig. 4. 

Längsschnitt durch das Uterushorn einer Maus am Ende des 7. Tages 
der Trächtigkeit (schematisirt). Vergr. 30:1. 
Bezeichnungen wie bei Fig. 2. 
hautbucht gegen den mesometralen völlig ab. Letzterer hängt 
noch mit dem Uteruslumen zusammen, und dieses eommunieirt 
frei mit den diesseits und jenseits der Anschwellung gelegenen 

Theilen des Uterusabschnittes. 

Zuletzt betrachten wir einen Längsschnitt dureh ein Stadium, 
welches etwa dem Ende des 7. Tages entspricht; es ist dies 
eine Zeit, in welcher die Uterusbucht, welche das Ovulum auf- 
genommen hat, schon völlig obliterirt ist. Wir sehen jetzt im 
Bereich der nun bereits mächtigen Deeiduaanschwellung das 
eigentliche Uteruslumen in Gestalt eines schmalen Spaltes ohne 
jede Spur von Buchten. Die Deeiduahöhle mit dem Ovulum ist 


556 Georg Burekhard: 


durch eine breite «deeiduale Brücke vom Uteruslumen getrennt. 
Letzteres communieirt wie früher auch, jederseits der Anschwel- 
lung frei mit dem Lumen der nicht veränderten Theile des 
Uterushornes. 

(rehen wir wieder einen Schritt in der Entwiekelung weiter 
(Anfang des 7. Tages, Fig. 7, Taf. XXVIN, so hat die Uterus- 
schleimhaut gegenüber den bisher beschriebenen Stadien wieder 
eine Reihe von Veränderungen aufzuweisen. Die deciduale Un- 
wandlung der einzelnen Schleimhautzellen, die sich bisher haupt- 
sächlich in der Umgebung der Deciduahöhle abgespielt hatte, 
ist jetzt bedeutend weiter nach dem äussersten Rand des Quer- 
schnittes zu fortgeschritten, so dass sich vollständig unveränderte 
Schleimhaut nur noch in der entferntesten Peripherie, unmittelbar 
innerhalb der Ringmuskulatur in ganz schmaler Zone findet. Die 
Zone rein decidualer Zellen hat sich also weiter ausgedehnt auf 
Kosten der eben genannten Zone unveränderter Schleimhaut und 
der früher erwähnten Uebergangszone, die beide mehr oder 
weniger verschmälert sind. Die schon wiederholt beschriebene 
mehrschichtige Zone länglicher Deciduazellen, die sich an die 
distalste Zellreihe des Ovulum ansetzt, zeigt auch unser Präparat. 
Die grossen runden Deciduazellen haben an Grösse erheblich 
zugenommen. Kerntheilungsfiguren sind in einzelnen Exemplaren 
noch vorhanden, sie finden sich meist in der Uebergangszone der 
kleineren in die grösseren Zellen. 

Die am meisten in die Augen fallenden Veränderungen haben 
die Capillaren erfahren, und zwar besonders an den Stellen, die 
seitlich von der Trennungszone der Deciduahöhle vom Uterus- 
lumen liegen. Hier findet man nämlich ein im wesentlichen 
transversal angeordnetes Netz, welches aus verschieden stark, 
theilweise sogar sinusartig dilatirten Capillaren gebildet wird. 
Durch diese erweiterten, spaltförmigen Bluträume werden die 
Deciduazellen in einzelne, theils rundliche, theils säulenförmig 
angeordnete Zellhaufen getrennt. Diese Gefässvermehrung_ er- 
streckt sich ausschliesslich auf die genannte Zone und erreicht 
an keiner Stelle die Peripherie. 

Die Stelle, an welcher die beschriebenen Vorgänge an den 
Gefässen sich abspielen, entspricht der späteren Placenta. Dass 
an dieser Stelle, also zwischen Deeiduahöhle und Uteruslumen, 
die Placenta später zur Entwiekelung gelangt, ist vielleicht im 


Die Implantation des Eies der Maus ete. 557 


ersten Augenblick etwas befremdlich. Diese topographische An- 
ordnung ändert sich aber im weiteren Verlaufe der Entwickelung; 
wenn diese späteren Vorgänge auch streng genommen nicht in 
den Bereich unserer Arbeit gehören, müssen wir sie doch der 
Vollständigkeit halber in Kürze hier streifen. Wir wissen durch 
anderweitige Untersuchungen, dass — auf welche Weise dies zu 
Stande kommt, ist allerdings noch nicht sicher nachgewiesen — 
später das Uteruslumen an der mesometralen Seite völlig ob- 
literirt und statt dessen auf der antimesometralen Seite erscheint; 
dementsprechend findet man auch bei den älteren Stadien die 
Placenta mesometralwärts von der Deciduahöhle wie auch der 
Ektoplacentarconus sich eben nach dieser Seite hin bildet, und 
auch die starke Ausbildung der Gefässe keinem anderen Zwecke 
dienen kann, als zur Anlage der Placenta. 

Die Drüsen sind Anfang des 7. Tages auf dem Querschnitt 
äusserst spärlich und meist in die peripherischen Partieen des 
Schnittes verdrängt; hier findet man einzelne quer getroffene 
Drüsenlumina. Aber auch m dieser späten Zeit kann man noch 
vereinzelte langgezogene und in Abschnürung begriffene Drüsen 
sehen, die zum Theil mit ihrem einen Ende dieht am Uterus- 
lumen liegen und sich von hier bis nahe an die Ringmuskulatur 
erstrecken (Fig. 13, Taf. XXVII). Mitunter sind aber die Drüsen 
nicht so vollständig an den Rand gedrängt, wie eben beschrieben, 
sondern es erhält sich gelegentlich an einer dem Mesometrium 
genau gegenüberliegenden Stelle ein Abschnitt unveränderter 
Schleimhaut mit zahlreicheren Drüsen, wie dies in Fig. 12, Taf. 
XXVI dargestellt ist. 

Nach und nach findet eine immer reichlicher werdende 
Entwickelung von Capillaren statt (Mitte des 7. Tages, Fig. 8, 
Tafel XXVII); sie dehnen ihren Verbreitungsbezirk aus, indem 
sie seitlich weiter nach der Peripherie zu fortschreiten und gleich- 
zeitig auch in der umittelbaren Umgebung des Uteruslumen auf- 
treten. Ausserdem sieht man von dieser Zeit an als constanten 
Befund Bluträume in der Nähe des Ovulum entstehen. Das Blut 
hat sich, offenbar aus einer der gewaltig dilatirten Capillaren in 
grosser Menge in die Umgebung des Ovulum hin ergossen und 
bildet eine mehr oder weniger breite Schicht, die, einer eigenen 
von Endothelzellen ausgekleideten Wand entbehrend, einerseits 


x 


558 Georg Burcekhard: 


von den distalen Ektodermzellen des Ovulum, andererseits von den 
Deciduazellen begrenzt wird. 

Die Obliteration des Uteruslumen, resp. des Restes der 
seitlichen Schleimhautbucht, in der das Ovulum liegt, schreitet 
weiter fort, bis, etwa in der zweiten Hälfte des 7. Tages, von 
der Bucht selbst nichts mehr zu sehen ist, und nur noch auf 
dem Querschnitt eine kleine Lichtung, das Uteruslumen selbst, 
ohne Buchten übrig geblieben ist (Fig. 9, Tafel XXVID). In 
Theilen der Deeidua, welche dem Ovulum am nächsten liegen 
und die genannten Bluträume begrenzen, findet man ausser einigen 
etwas abgeplatteten kleineren Zellen die grössten Deciduazellen, 
welche bereits jetzt als Riesenzellen bezeichnet werden können. 
Alle bereits stärker hypertrophirten Elemiente der Deeidua, nicht 
bloss die grössten in der Nähe des ÖOvulum, sind jetzt zwei- 
oder mehrkernig. Während die Umgebung der Eiimplantations- 
stelle wie überhaupt der gesammte antimesometrale Abschnitt der 
Uterusschleimhaut die stärksten decidualen Veränderungen zeigt, 
fehlen solche jetzt auch in der mesometralen Hälfte, also auch 
in der Nähe des Uteruslumen nicht. Es sind also jetzt auch 
Theile der Uterusschleimhaut in Umbildung zur Deeidua begriffen, 
welche bisher noch wenig oder gar keine Veränderungen gegenüber 
der nicht graviden Schleimhaut zeigten. Auch hier haben sich die 
Zellen vermehrt und sind grösser geworden. Auch in der Zone 
der grossen Deeiduazellen sieht man Mitosen; wahrscheinlich 
handelt es sich um solche, welche nur zu einer Theilung der 
Kerne, nicht der Zellen (s. u. S. 560) führen. Dagegen findet 
in der schmalen Randzone unveränderter Schleimhaut eine Ver- 
mehrung der Zellen statt, ähnlich wie in der mesometralen Hälfte 
der Schleimhaut. 

Die Brücke zwischen Deeiduahöhle und dem Uteruslumen 
ist relativ schmal, während sie in einem nur wenige Stunden 
älteren Stadium (Fig. 9, Taf. XXVII) sehr viel breiter ist. Dieser 
Unterschied hängt wohl mit der Tiefe der Schleimhautbucht, in 
welcher sich das Ovulum angesiedelt hat, zusammen; ausserdem 
ist bei dem einen Präparat (Fig. 8, Tafel XXVI) der aus der 
Dreitheilung resultirende, zu Grunde gehende Rest der Bucht noch 
vorhanden, der auf dem anderen Querschnitt (Fig. 9, Taf. XXVII) 
abgebildet ist. Es hat die weiter nach dem Mesometrium zu er- 
folgte Einbettung des Eies natürlich auch einen nicht zu unter- 


Die Implantation des Eies der Maus ete. 559 


schätzenden Einfluss auf die Breite der späteren Deeiduabrücke 
zwischen Uteruslumen und Eiimplantationstelle. 

Gegen Ende des 7. Tages (Fig. 9, Taf. XXVII) ist, wie 
erwähnt, der letzte Rest der Schleimhautbucht meist völlig ob- 
literirtt, und es beginnen nun die Capillaren an der späteren 
Placentarstelle diesen ganzen Raum zu durchsetzen. Dies nimmt 
am 8. Tag (Fig. 10, Tafel XXVIII) immer mehr zu. Auch die 
Umbildung der Schleimhautzellen in Deeiduazellen ist weiter nach 
der Peripherie zu vorgeschritten, so dass von unveränderter 
Schleimhaut überhaupt fast nichts mehr zu sehen ist. 

Der antimesometral von der Deeciduahöhle gelegene Rest 
des Uteruslumen fängt meist schon früher an zu verschwinden 
(Fig. 8, Taf. XXVI) und zwar durch ähnliche Vorgänge, wie 
wir sie mesometralwärts von der Deeiduahöhle beschrieben haben. 
Auch hier beginnen die Deciduazellen sich von der Seite her in 
den mit Zelltrümmern, rothen Blutkörperchen und Leukoeyten 
gefüllten Raum hereinzuschieben. 

Eine besondere Ausbildung haben die Deeiduazellen, die im 
allgemeinen vom Centrum nach der Ringmuskulatur zu an Grösse 
abnehmen, an der Stelle erfahren, welche der Deeidua capsularis 
entspricht. Hier liegen die allergrössten Zellen, während die 
nach der Placentarstelle zu gelegenen wesentlich kleiner sind. 

Ausserdem finden sich in der Umgebung der Deeiduahöhle 
jetzt besonders grosse Bluträume, die, wie erwähnt, von der 
dünnen Lage des Ektoderms des Embryo einerseits, von den 
Deeiduazellen andererseits begrenzt werden. Unter letzteren wei- 
sen vereinzelte, aber nicht gerade wenige Zellen ganz eigenthüm- 
lich grosse, gelappte Kerne auf, die schon bei der Betrachtung 
mit mittleren Vergrösserungen auffallen. 

Bei dieser Gelegenheit wollen wir kurz auf den feineren 
Bau der Deeidua capsularis eingehen, ohne näher bei den cellular- 
histologischen Details zu verweilen. 

Die Elemente der (späteren) Decidua capsularis s. reflexa 
sind die grössten Zellen, welche die Decidua überhaupt bildet. 
In späteren Entwickelungsstadien, etwa um die Mitte der Trächtig- 
keit erreichen sie eine Grösse von 128 u, die Kerne von 40 u. 
(Die grössten Zellen sind auch jetzt diejenigen, welche dem 
Ovulum am nächsten liegen). Da die Zellen der nicht graviden 
Uterusschleimhaut nur 12 u messen, beträgt also die Vergrösserung 


560 Georg Burchbard: 


jeder einzelnen Zelle in extremo etwa das tausendfache. Diese enorm 
grossen Zellen mit ihrer riesigen Protoplasmamasse dürften ein vor- 
zügliches Object für Protoplasmastudien abgeben. Die grosse Mehr- 
zahl der Zellen der Deeidua eapsularis ist im ausgebildeten Zustande 
zweikernig. Wie diese Erscheinung zu Stande kommt, werden 
wir unten sehen. Zuerst wollen wir kurz auf die während der 
Entwickelung der Deeidua auftretenden mitotischen Theilungen 
der Zellen eingehen. 

Die Mitosen der Deeiduazellen haben nur in den jüngeren 
Zellen das gewöhnliche Aussehen anderer Mitosen mit regelmässigen 
Chromosomen; man sieht sie in den verschiedensten Formen, vom 
ersten Anfang bis zur vollendeten Zelltheilung. Dazwischen findet 
man ziemlich zahlreiche Mitosen in Gefässsprossen, mit denen 
wir uns jetzt nicht zu beschäftigen haben. 

Je älter die untersuchten Präparate sind, desto mehr Mitosen 
findet man, welche ihren typischen Charakter verlieren; sie be- 
sitzen sehr viel weniger ausgesprochene Sehleifenform der Chromo- 
somen. Je grösser die Zelle ist, in welcher sie liegen, desto 
stärker ist auch ihre Unregelmässigkeit, desto mehr ähneln sie 
in ihrem Aussehen unregelmässigen, mitunter auch pluripolaren 
Mitosen (Fig. 20, Taf. XXVIIN)). 

Während die regelmässig aussehenden Mitosen auch zu 
einer normalen Zelltheilung führen, ändert sich dies bei den un- 
regelmässigen; diese bewirken anscheinend nicht mehr eine Thei- 
lung der ganzen Zelle, sondern nur eine solche des Kermes. Dies 
beginnt schon, wenn die Schleimhautzellen die ersten deeidualen 
Umwandlungen erfahren, also schon zu einer verhältnissmässig 
früihen Zeit der Gravidität. Und so findet man thatsächlich auch 
in den frühen Stadien vereinzelte, in den späteren fast ausschliess- 
lich Deciduazellen mit doppeltem Kern. Die gleiche Erscheinung 
lässt sich auch an ein und demselben Uterusquerschnitt verfolgen: 
je näher man sich an der Peripherie befindet, desto mehr findet 


1) Da bei letztgenannten Mitosen die achromatischen Figuren 
äusserst undeutlich sind, kann man nur aus eigenthümlichen Lage- 
rungen der Chromosomen — aber auch nicht mit Sicherheit — auf 
Pluripolarität schliessen. Nicht genügende Conservirung kann nicht 
der Grund für diese Erscheinung sein, denn man findet die Mitosen 
gewöhnlicher Form dicht neben den unregelmässigen im selben Schnitt 
(Fig. 20, Tafel XXVIII). 


Die Implantation des Eies der Maus ete. 561 


man einkernige Zellen, je weiter man dagegen nach der Eiein- 
bettungstelle fortschreitet, desto häufiger werden die zweikernigen 
Zellen, bis man schliesslich in der unmittelbaren Umgebung der 
Deciduahöhle fast nur solehe sieht. Das Vorhandensein zweier 
Kerne in der Deciduazelle rührt nicht von einer Kerntheilung 
durch Zerschnürung; denn man findet niemals ein Anzeichen 
für diesen Vorgang, niemals Einziehungen am Kernleibe, die 
Kerne haben vielmehr fast stets eine ausgesprochen runde Contour. 
Um Durchschnitte der gleich zu erwähnenden gelappten Kerne 
kann es sich auch nicht handeln, da diese nie eine so genau 
runde, sondern stets eine unregelmässige Form aufweisen müssten. 
Manche von diesen Zellen, die sich durch eine ganz besondere 
(rösse auszeichnen, besitzen einen ganz unregelmässig gestalteten, 
vielfach gelappten Kern, einzelne sogar zahlreiche Kerne. 

Das Vorhandensein dieser merkwürdigen Erscheinung weist 
uns auf eine besondere Auffassung der Deciduabildung und -ver- 
mehrung hin. Während man bisher schlechthin von einer „Wuche- 
rung“ der Deeidua sprach, ohne sich darüber eine genauere Vor- 
stellung zu machen, auf welche Weise die Deeiduavermehrung 
erfolge, dürfte durch unsere Untersuchung der Beweis erbracht 
sein, dass die enorme Vergrösserung, welche die Uterusschleim- 
haut bei Bildung der Deeidua erfährt, zum allergrössten Theile 
auf eine Hypertrophie der zelligen Elemente, erst in zweiter Linie 
auf eine Hyperplasie, also eine Vermehrung der Schleimhautzellen, 
zurückzuführen ist. 

Sahen wir doch, dass anfangs eine Hyperplasie noch fast 
völlig fehlte, dass andererseits, sowie die Zellen eine gewisse Grösse 
erreicht haben, sie sich nicht weiter theilen, wohl aber noch 
auf das Mehr- und Vielfache ihres Volumen anwachsen. Man 
braucht sich nicht einmal vorzustellen, dass jede ursprüngliche 
Scehleimhautzelle auch nur auf die Hälfte der Grösse der vorhin 
erwähnten grossen Zellen anwächst, um lediglich durch Hyper- 
trophie der ursprünglich vorhandenen Zellen die gesammte Ver- 
grösserung der Uterusschleimhaut erklären zu können. 

In der That findet man nun aber auch einen gewissen Grad 
von Hyperplasie. Wir glauben auf Grund unserer Beobachtungen 
annehmen zu dürfen, dass etwa jede ursprüngliche Schleimhaut- 


zelle, nachdem sie durch geringe Hypertrophie sich vergrössert 
Archiv f. mikrosk. Anat. Bd. 57 37 


562 Georg Burcekhard: 


hat, eine einmalige, höchstens wohl zweimalige mitotische Thei- 
lung erfährt. 

Noch einer weiteren Eigenthümlichkeit sei hier kurz ge- 
dacht, nämlich dass zahlreiche rothe Blutkörperchen im Bereich 
der grossen Deeiduazellen frei, d. h. ausserhalb der Gefässwand, 
intercellulär und anscheinend sogar intracellulär sich finden und dass 
diese ebenso wie die Zellen der grossen Blutergüsse in der Um- 
gebung des Ovulum durch die Deciduazellen gewisse Veränderungen 
erleiden. Man sieht nämlich, dass sehr viele Deeiduazellen, be- 
sonders die an letztgenannter Stelle liegenden, in ihrem stark 
streifigen Protoplasma rothe Blutkörperchen aufgenommen haben. 
Diese sind theils unverändert, theils findet man grosse röthliehe 
Schollen innerhalb des Zellleibes liegen. Man muss wohl an- 
nehmen, dass hier sich die Vorgänge einer Art von Phagoeytose 
abspielen, die durch Auflösung von rothen Blutkörperchen zur 
Ernährung der einzelnen Zellindividuen dienen. 


Schlussbetracehtungen. 


Die in Vorstehendem mitgetheilten Untersuchungen sind, 
wenn sie sich auch auf eine bestimmte Säugethierspecies allein 
beziehen, doch insofern von allgemeinerem Interesse, als bei 
diesem Thier Verhältnisse vorliegen, die nicht nur in Bezug 
auf die Entwickelung des Eies, sondern ganz besonders auch 
auf die Umbildungszustände der Uterusschleimhaut, die Ein- 
bettung des Eies u. s. w. dem bein Menschen sich findenden, 
beziehungsweise auf Grund der wenigen bisherigen Befunde zu 
postulirenden Verhalten gleichen. 

Bekanntlich können wir der Entwickelung nach 2 Typen 
von Säugethieren unterscheiden, wenn wir von der Entwickelung der 
niedersten Stufe derselben absehen. Fassen wir speciell die soge- 
nannten Deciduaten ins Auge, also diejenigen Säugethiere, bei denen 
es zur Bildung einer Decidua, d. h. zur Umbildung mütterlichen 
(Gewebes behufs Ernährung des Eies, also zur Bildung einer typi- 
schen Placenta kommt, so liegt der Hauptunterschied in der Ent- 
wiekelung des Eies darin, dass die eine Gruppe nach vollendeter 
Furchung relativ grosse, häufig sehr grosse, sei es kugelige oder 
eigenthümlich langgestreckte Keimblasen bildet, bei denen die 
Embryonalanlage sich auf der Oberfläche zeigt und infolge dessen 


Die Implantation des Eies der Maus ete. 363 


auch die Keimblätter-(Primitivstreifen-)bildung auf der Oberfläche 
der Keimblase erfolgt. Der Embryo wird alsdann erst durch 
Bildung der Amniosfalten so wie bei den Vögeln und Reptilien 
von der Oberfläche in die Tiefe „verlagert“. 

Die zweite Gruppe von Säugethieren bildet nach vollendeter 
Furchung eine minimal kleine Keimblase mit entsprechend kleiner 
Höhlung, und die Embryonalbildung (Keimblätter-Primitivstreifen- 
bildung) erfolgt nicht an der Oberfläche, sondern von vorn herein 
durch einen eigenthümlichen Vorgang, der unter dem wenig 
passenden Namen der Keimblätterumkehr bekannt ist, in der 
Tiefe des Eies. Auf der Oberfläche der Keimblase dagegen, 
wenigstens an einem besonderen Theil derselben erfolgt lediglich 
die Festsetzung im Uterus, wodureh die Placentarbildung einge- 
leitet wird. 

Bei der ersten Gruppe von Säugethieren, also denjenigen, 
welche eine grosse Keimblase mit oberflächlicher Primitivstreifen- 
bildung besitzen, liegen die Keimblasen längere Zeit hindurch 
frei im Uteruslumen und nehmen von hier aus ihre Festsetzung 
an der Uteruswand vor. Zu dieser Gruppe gehören von ausge- 
prägten Placentaliern vor allem die Raubthiere; ferner auch eine 
Anzahl von Nagern, wie das Kaninchen. 

Bei ersteren zum Beispiel wird die frei im Uteruslumen lie- 
gende Keimblase durch resistente von den Uterindrüsen abgesonderte 
Schleimfäden, welche mit der Zona pellueida des Eies zusammen- 
hängen, provisorisch fixirt (Bonnet). Sie macht also einen be- 
trächtlichen Theil ihrer Entwickelung frei im Uteruslumen durch, 
nur durch vergängliche Gebilde befestigt. Erst in viel späterer 
Zeit kommt es zur Bildung der Placenta und damit zur defini- 
tiven Fixirung fötaler Theile an der Uteruswand. 

Bei der zweiten Gruppe dagegen, also bei den Säugethieren, 
welche die sogenannte Keimblätterumkehr zeigen, findet eine, 
gerade durch diesen Vorgang eingeleitete, äusserst frühzeitige 
Festsetzung des Eies in der Uterusschleimhaut statt, welche in 
der Weise vor sich geht, dass das Ei sehr bald das Uteruslumen 
verlässt und in die Schleimhaut selbst eingebettet wird; es liegt 
zu einer Zeit, wo vo» Keimblätterbildung (Primitivstreifen) noch 
keine Rede ist, bereits ohne jeden Zusammenhang mit dem 
Uteruslumen fest in der Uterusschleimhaut eingebettet. 

Die gewöhnliche Bezeichnung hierfür ist die, dass die be- 


564 Georg Burcekhard: 


treffenden Thiere eine Deeidua reflexa oder capsularis bilden, 
d. h. das Ei liegt rings herum von Decidua umgeben und durch 
sie vom Uteruslumen getrennt. Zu dieser Gruppe gehören z. B. 
einige Nager (Muriden und Cavia), Affen und der Mensch; einige 
andere Formen scheinen Uebergänge zu der anderen Gruppe zu 
bilden wie die Fledermäuse (van Beneden). 

Beim Menschen sind zwar die frühesten Entwickelungsstadien 
des Eies noch nicht beobachtet worden, insbesondere noch nicht 
die für diese Gruppe von Säugethieren charakteristische Art der 
Festsetzung in der Schleimhaut und die Keimblätterumkehr. Da 
es jedoch keinem Zweifel unterliegen kann, dass das Vorhanden- 
sein einer sogenannten Deeidua capsularis mit der Keimblätter- 
umkehr im Zusammenhang steht, wie bei allen übrigen oben 
erwähnten Formen dieser Gruppe, da die Keimblätterumkehr 
nichts anderes ist, als ein Modus der frühzeitigen Festsetzung 
des Eies in der Uterusschleimhaut, so können wir mit ziemlicher 
Sicherheit annehmen und behaupten, dass auch beim Menschen 
die Entwickelung des Eies und seine Festsetzung in der Uterus- 
schleimhaut nach dem gleichen Modus erfolgt wie bei den Muriden, 
zumal auch die frühesten bisher beobachteten Entwickelungsstadien 
des menschlichen Embryo mit grosser Bestimmtheit auf eine Keim- 
blätterumkehr hindeuten. Jedenfalls aber kaun mit Sicherheit 
angenommen werden, dass die Entwiekelung des menschlichen 
Eies nicht auf die Weise geschieht wie bei der ersten der beiden 
erwähnten Gruppen; ebenso ist es höchst unwahrscheinlich, dass 
eine Zwischenform beim Menschen in Frage kommen kann. 

Die gewöhnliche Annahme für die Entstehung der Decidua 
capsularis beim Menschen ist bekamntlich die, dass sich das Ei 
an irgend einer Stelle der Uterusschleimhaut festsetzen und dann 
von Schleimhautfalten überwachsen werden sollte. Letztere sollten 
sich dann, etwa nach Art der Ammniosfalten über dem Ei zu- 
sammenschliessen und so eine Schleimhaut-(Deeidua-)Kapsel um 
(dasselbe herum bilden. Letztere müsste bei diesem Bildungsmodus 
natürlich mit Epithel ausgekleidet sein. Es liegt zu einer der- 
artigen Annahme kein Grund vor, ja, man muss sagen, dass man 
sich diesen Vorgang nur äusserst schwer vorstellen kann. Was 
sollte der Anlass zur Erhebung zweier Schleimhautfalten sein, 
was die Ursache zu einer so mächtigen localen Vermehrung der 
Schleimhautelemente mit einem noch dazu so eigenartigen Effect, 


Die Implantation des Eies der Maus etc. 565 


zumal wir Analoges in dieser Beziehung bei T'hieren überhaupt 
nicht kennen. Dagegen muss es im höchsten Grade wahrsehein- 
lich erscheinen, dass, wenn der gleiche Effeet bei Thieren auf 
ganz anderem Wege erzielt wird, dies auch beim Menschen in 
gleicher Weise der Fall sem kann. Wir gehen daher wohl nieht 
fehl, wenn wir annehmen, dass der Vorgang der Einbettung 
des menschlichen Eies, wenn auch vielleicht nicht ab- 
solut ebenso verläuft wie bei der Maus, so doch in 
einer principiell gleichen Weise. Dieser Vorgang ist von 
uns, wie wir glauben, zum erstenmal an der Hand einer genügend 
grossen Anzahl von Stadien geschildert worden, jedenfalls ge- 
nauer, als dies bisher von irgend einer anderen Seite geschehen 
war, und es dürfte die in Vorstehendem begründete Anschauung 
nicht nur für die specielle Entwiekelung der Maus, sondern auch 
ganz besonders für alle Säugethiere, welche sich nach dem Typus 
der genannten zweiten Gruppe, d. h. unter Bildung einer Decidua 
reflexa entwickeln, von Wichtigkeit sein. 

Da vom Menschen die entsprechenden Entwickelungsstadien 
zur Zeit eben noch völlig unbekannt sind, muss man auf die 
Verhältnisse bei den correspondirenden thierischen Stadien zurück- 
greifen, und insofern eine derartige Untersuchung auch für die 
Vorgänge bei der Festsetzung des menschlichen Eies maassgebend 
sein, bis auch hier nähere Untersuchungen angestellt sind, welche 
unsere Annahme entweder bestätigen oder das Bestehen anderer 
Verhältnisse nachweisen. Wie sehr die Art der Festsetzung des 
Mäuseeies von der landläufigen Vorstellung über die Festsetzung 
des menschlichen Eies und die Bildung der Reflexa überhaupt 
abweicht, geht aus unseren mitgetheilten Untersuchungen aufs 
Klarste hervor. Wir möchten jedoch im Anschluss hieran gerade 
einige in dieser Beziehung interessante Punkte besonders her- 
vorheben. 

Was zunächst die Art und Weise anlangt, wie das Ei aus 
der Uterushöhle herauswandert, so hätte sich nach der bisherigen 
Anschauung die Uterussehleimhaut allein aetiv an diesem Vorgang 
betheiligt; es wäre dann aber das Ei durch einen derartigen 
Process noch nieht eigentlich in die Uterusschleimhaut selbst ge- 
langt, sondern nur in einen abgesackten Theil der Uterushöhle. 
Man hätte nun wiederum noch weitere Veränderungen annehmen 
müssen, die nun erst eine wirkliche Einbettung des Eies herbei- 


566 Georg Burckhard: 


führen würden. Welche Stadien bei dieser Deutung die Autoren, 
welehe sie bisher vertreten haben, für die Entwiekelung des 
menschlichen Eies angenommen haben, ist nicht ersiehtlich. Im 
Allgemeinen wird höchstens angegeben, dass dies in einem recht 
frühen Entwiekelungsstadium vor sich gehen muss, da alle bisher 
gefundenen menschlichen Eier schon eine ausgebildete Deeidua 
capsularis hatten. Kaum aber dürfte einer der genannten Autoren 
der Ansicht gewesen sein, dass das fragliche Entwickelungs- 
stadium des menschlichen Eies schon bald nach beendigter Fur- 
chung zu suchen sei, wie wir auf Grund unserer Untersuchungen 
bei der Maus annehmen müssen. 

Bei dieser hat das kleingefurchte, mit einer kleinen Keim- 
höhle versehene Ei kaum den Uterus erreicht, als es schon seine 
Einwirkungen auf die benachbarte Uterusschleimhaut äussert. Die- 
selben sind nun nicht etwa der Art, dass das Ovulum von Falten der 
Schleimhaut umwachsen wird, sondern man muss vielmehr sagen, 
dass das Ei selbst in die Uterusschleimhaut vordringt und die 
Uterushöhle verlässt, indem deren Epithel an einer bestimmten 
Stelle unterbrochen wird. 

Man darf sich diesen Vorgang allerdings nicht in der Weise 
vorstellen, wie Graf Spee für das Meerschwein angiebt, und wie 
sie v. Herff ohne weiteres auch für den Menschen übertragen 
will, dass nämlich die Keimblase durch das Uterusepithel einfach 
hindurchschlüpfe, ohne dass man nachher eine Spur davon wahr- 
nehmen könne, sondern das Ei der Maus setzt sich in einem 
Theil, zum Beispiel einer Bucht des Uteruslumen fest, schnürt 
durch Bildung des sogenannten Ektoplacentareonus diesen Theil 
der Uterushöhle vom übrigen Uteruslumen ab. Dabei geht das 
vorher bereits anscheinend unter Einwirkung der Nähe des Ovu- 
lum abgeplattete Epithel völlig zu Grunde, und so kommt das 
Ei in eine mit dem Uteruslumen nicht mehr in Zusammenhang 
stehende, von ihm völlig abgetrennte Höhlung zu liegen, deren 
ursprüngliches Epithel, wie erwähnt, zu Grunde gegangen ist, 
die sogenannte Deeiduahöble, denn letztere wird nun direct von 
der veränderten Uterusschleimhaut (Decidua) begrenzt. Da dieser 
Modus der Einbettung des Mäuseeies in innigem Zusammenhang 
mit der späteren Placentarbildung steht, so ist kaum daran zu 
zweifeln, dass beim menschlichen Ei die Festsetzung in der Uterus- 
schleimhaut in einer mindestens sehr ähnlichen Weise geschieht. 


Die Implantation des Eies der Maus etc. 567 


Nach den weiteren Vorstellungen über das Wesen der De- 
cidua reflexa würde man nach Kenntniss dieser Art des Ein- 
bettungsmodus annehmen, dass derjenige Theil der Decidua, 
welcher zwischen Deciduahöhle und Uteruslumen gelegen ist, der 
Decidua reflexa entspricht, eine Annahme, die wir auch bei Duval 
vertreten finden. Dies ist jedoch keineswegs der Fall. Man hat 
vielmehr gerade an dieser Stelle die Entstehung der Placenta zu 
suchen, indem der Ektoplacentarconus des Ovulum, von dem 
die Bildung der fötalen Placenta ausgeht, sich gerade zwischen 
Deeiduahöhle und Uteruslumen festsetzt, da er ja, wie angegeben, 
überhaupt derjenige Theil des Eies ist, welcher den Abschluss 
der Deciduahöhle vom Uteruslumen bewirkt. 

Die wirkliche Decidua reflexa der Maus bildet sich aber 
gerade an der entgegengesetzten Seite, das heisst an dem von 
der Deciduahöhle antimesometralwärts gelegenen Theil. Im wei- 
teren Verlauf der Entwickelung des Embryo findet nämlich eine 
Verlagerung der Uterushöhle statt, in der Weise, dass das ur- 
sprünglich mesometralwärts gelegene Uteruslumen nunmehr auf die 
antimesometrale Seite der Deciduahöhle zu liegen kommt. Wel- 
cher Art die Vorgänge sind, die diesen Positionswechsel des 
Uteruslumen bedingen, wissen wir zur Zeit noch nicht. 

Da auf die Placentarbildung hier nicht eingegangen werden 
soll, müssen wir die näheren Details auch der Ausbildung der 
Deeidua reflexa ausser Acht lassen, möchten jedoch keinesfalls 
dieses für die Maus eigenthümliche Verhalten derart verallge- 
meinern, dass wir dasselbe auch direct für die Entwickelung des 
menschlichen Ovulum in Anspruch nehmen. Es ist sehr wohl 
möglich, dass die abweichenden Verhältnisse in Bezug auf Form, 
Grösse ete. des Uteruslumen auch abweichende Vorgänge in 
Bezug auf die Stelle der Einbettung des Ektoplacentarconus 
u. s. w. bedingen. 

Jedenfalls aber dürfte aus der Art und Weise der Einbettung 
der Eier mit Deeidua reflexa (und Keimblätterumkehr) der eine 
Schluss gerechtfertigt erscheinen, dass die das Ovulum bergende 
Deceiduahöhle nicht von Uterusepithel ausgekleidet sein kann, und 
dass nicht etwa Theile der fötalen Eihäute (Chorionzotten) aussen 
eine Lage mütterlichen Epithels tragen können. 


568 


Georg Burckhard: 


Literatur - Verzeichniss. 


Christiani, L’inversion des feuillets blastodermiques chez le rat 
albinos. Archives de physiologie normale et pathologique. De 
serie. 10. 

Duval. Le placenta des rongeurs. Extrait du journal de l’ana- 
tomie et de la physiologie 1889—92. Paris. Felix Alcan. 

von Herff, Beiträge zur Lehre von der Placenta und von den 
mütterlichen Eihüllen. Zeitschrift für Geburtshilfe und Gynäko- 
logie Bd. 35. 

Selenka, Studien über die Entwickelungsgeschichte der Thiere. 
1. Heft: Keimblätter und Primitivorgane der Maus. Wiesbaden 
1883. Kreidel. 

Sobotta, Die Befruchtung und Furchung des Eies der Maus. 
Archiv für mikroskopische Anatomie Bd. 45. 

Derselbe, Beiträge zur vergleichenden Anatomie und Entwicke- 
lungsgeschichte der Uterusmuskulatur. Archiv für mikroskopische 
Anatomie Bd. 38. 

Derselbe, Ueber die Verwerthung von Mikrophotographien für 
die Untersuchung und Reproduction mikroskopischer und embryo- 
logischer Präparate. Internationale photographische Monatsschrift 
für Mediein. 1899. 

Graf Spee, Vorgänge bei der Implantation des Meerschweinchen- 
eies in die Uteruswand. Verhandlungen der anatomischen Ge- 
sellschaft auf der 10. Versammlung. Berlin 1896. 


Erklärung der Abbildungen auf Tafel XXVI-XXVII. 


.1 Querschnitt durch das Uterushorn einer Maus um die Mitte 


des 5. Tages der Trächtigkeit. Vergr. 45:1. 


ig. 2. Querschnitt durch das Uterushorn einer Maus in der 2. Hälfte 


Fig. 


des 5. Tages der Trächtigkeit. Vergr. 45:1. 
3. Querschnitt durch das Uterushorn einer Maus an der Grenze 
zwischen 5. und 6. Tag der Trächtigkeit. Vergr. 45:1. 


. 4. Theil eines Querschnities durch das Uterushorn einer Maus in 


der ersten Hälfte des 6. Tages der Trächtigkeit. Vergr. 45:1. 
Querschnitt durch das Uterushorn einer Maus um die Mitte 
des 6. Tages der Trächtigkeit. (Die Längsmuskulatur ist 
nur in der Gegend des Mesometrium dargestellt.) Vergr. 45:1. 
6. Theil eines Querschnittes durch das Uterushorn einer Maus 

in der 2. Hälfte des 6. Tages der Trächtigkeit. Vergr. 45:1. 


1] 


Die Implantation des Eies der Maus ete. 569 


Fig. 7. Querschnitt durch das Uterushorn einer Maus am Ende des 
6. his Anfang des 7. Tages der Trächtigkeit. Vergr. 45:1. 

Fig. 8. Querschnitt durch das Uterushorn einer Maus um die Mitte 
des 7. Tages der Trächtigkeit. Vergr. 45:1. 

Fig. 9. Theil eines Querschnittes durch das Uterushorn einer Maus 
in der 2. Hälfte des 7. Tages der Trächtigkeit. Vergr. 45:1. 

Fig. 10. Querschnitt durch das Uterushorn einer Maus am Anfang des 
8. Tages der Trächtigkeit. (Die Längsmuskulatur ist nur in 
der Gegend des Mesometrium dargestellt.) Vergr. 45:1. 

Fig. 11. Theil eines Querschnittes durch das Uterushorn einer Maus 
gegen Ende des 5. Tages der Trächtigkeit. Vergr. 120:1. 

Fig. 12. Theil eines Querschnittes durch das Uterushorn einer Maus 
um die Mitte des 7. Tages der Trächtigkeit. Vergr. 45:1. 

Fig. 13. Theil eines Querschnittes durch das Uterushorn einer Maus 
am Anfang des 7. Tages der Trächtigkeit. Vergr. 120:1. 

Fig. 14. Theil eines Querschnittes durch das Uterushorn einer Maus 
am Ende des 7. Tages der Trächtigkeit. Vergr. 370:1. 

Fig. 15. Theil eines Querschnittes durch das Uterushorn einer Maus in 
der ersten Hälfte des 6. Tages der Trächtigkeit. Vergr. 80:1. 

Fig. 16. Theil eines Querschnittes durch das Uterushorn einer Maus 
in der Mitte des 6. Tages der Trächtigkeit. Vergr. 80:1. 

Fig. 17. Theil eines Querschnittes durch das Uterushorn einer Maus 
um die Mitte bis Ende des 6. Tages der Trächtigkeit. Vergr. 80:1. 

Fig. 18. Theil eines Querschnittes durch das Uterushorn einer Maus 
am Ende des 6. Tages der Trächtigkeit. Vergr. 80:1. 

Fig. 19. Theil eines Querschnittes durch das Uterushorn einer Maus 
in der Mitte des 5. Tages der Trächtigkeit. Vergr. 80:1. 

Fig. 20. Theil eines Querschnittes durch das Uterushorn einer Maus; 
gleiche Zeit der Trächtigkeit wie Fig. 10. Vergr. 370:1. 

Fig. 21. Theil eines Querschnittes durch das Uterushorn einer Maus; 
gleiche Zeit der Trächtigkeit wie Fig. 10. Vergr. 370:1. 

Fig. 22. Theil eines Querschnittes durch das Uterushorn einer Maus; 
gleiche Zeit der Trächtigkeit wie Fig. 10. Vergr. 370:1. 


Erläuterung der Figurenbezeichnung. 

O0 = Ovulum, — UTL = Uteruslumen, Haupttheil, A B = antimeso- 
metrale Schleimhautbucht, MB = mesometrale Schleimhautbucht, EP= 
Ektoplacentarconus, D= Drüse, DS= Drüsensecret, ER= Epithel- 
reste, (= sinusartige Capillaren, A=Blut, #7= Hämoglobinschollen, 
M= typische Mitose, M* = atypische Mitose. 

Die Figuren Nr. 1—10, 12—14, 20 und 22 wurden von dem Zeich- 
ner Herrn Freytag gezeichnet; die Figuren Nr. 11, 15—19 und 21 
hatte Herr Dr. Sobotta die grosse Liebenswürdigkeit, für mich an- 
zufertigen. 


N 
1 
je} 


(Aus dem physiologischen Institut der Universität Strassburg.) 
Primitivfibrillenverlauf in der Netzhaut. 


Von 


Gustav Embden. 


Hierzu Tafel XXIX. 

Max Schultze (1) hat zuerst eingehende Untersuchungen 
über die Structur der Nervenelemente der Netzhaut angestellt, 
und mit Bestimmtheit das Vorhandensein von gesonderten Fibrillen 
innerhalb der Ganglienzellen und ihrer Fortsätze behauptet. 

Späterhin hat namentlich Dogiel (2,3,4,5 und in andern 
Arbeiten) die Netzhaut als besonders geeignetes Material zum 
Studium von Nervenzellstructuren angesehen und zahlreiche, ver- 
dienstvolle Untersuchungen in dieser Richtung ausgeführt. 

Er bestätigte auf Grund seiner Befunde an der Retina die 
fibrilläre Structur der Nervenzellen und führte die Unterscheidung 
in Fibrillen und interfibrilläre Substanz strenge durch. Seine An- 
sichten wurden auch in dieser Hinsicht verschiedentlich bekämpft. 
Namentlich stellte Bach (6) das Vorhandensein einer fibrillären 
Structur in den grossen Ganglienzellen der Netzhaut in Abrede. 

Im Folgenden sollen kurz die Resultate mitgetheilt werden, 
die mit der Bethe’schen Methode der Primitivfibrillenfärbung 
gewonnen wurden (7). Die Methode war mir schon seit längerer 
Zeit zugänglich. 

Durch die Arbeiten von Apäthy (8) und Bethe (7, 9) 
waren Fragen wieder actuell geworden, die schon zu einem ge- 
wissen Abschluss gelangt zu sein schienen. Namentlich bedurften 
die vermittelst der Golgi’schen Silbermethode gewonnenen An- 
schauungen, welche ihren prägnantesten Ausdruck in der Neu- 
ronentheorie gefunden hatten, einer Nachprüfung. 

Von vornherein erschien die Netzhaut für eine solche Nach- 
prüfung besonders geeignet. 

Finden sich doch hier drei Neurone unmittelbar hinter- 


Primitivfibrillenverlauf in der Netzhaut. 571 


einandergeschaltet in inniger räumlicher Benachbarung und in 
ganz bestimmter, leicht erkennbarer Anordnung vor, so dass die 
Möglichkeit gegeben schien, nicht nur die Uebergangsstellen 
eines Neurons in das andere, sondern auch die zugehörigen 
Zellen selbst auf einem Schnitt zur Anschauung zu bringen. 
Speciell erschien das Verhalten der Primitivfibrillen zum Neuro- 
epithel der Retina von grossem. Interresse. 

Es muss gleich hier bemerkt werden, dass die erreichten 
Resultate weit hinter den erhofften zurückgeblieben sind. Nament- 
lich ist es trotz vielfacher Bemühungen nicht gelungen, ein 
irgendwie sicheres Urtheil über den Zusammenhang der bipolaren 
Elemente der inneren Körnerschicht einerseits mit den Neuro- 
epithelzellen, andererseits mit den Zellen des Ganglion optici zu 
gewinnen. 

Das ist wohl zum grössten Theil in dem eigenthümlichen 
Verhalten der Methode begründet. Was Bethe (7, 9) für seine 
Methode überhaupt angiebt, die ausserordentliche Ungleichheit 
der Erfolge, das trifft für die Netzhaut in besonders hohem 
Maasse zu. 

Gewisse Elemente, so namentlich die Horizontalzellen der 
inneren Körnerschicht gelangen häufig mit grosser Vollkommen- 
heit zur Darstellung; bei andern Gebilden, so bei den grossen 
Ganglienzellen des Ganglion optiei, ist dies schon seltener der 
Fall. In einer dritten Gruppe von Zellen, den Bipolaren der 
inneren Körnerschicht und den Neuroepithelzellen ist bisher der 
Nachweis von Primitivfibrillen überhaupt nicht gelungen. 

Was die Ausführung der Methode betrifft, so bin ich im 
Grossen und Ganzen völlig den Angaben von Bethe gefolgt. 
Fixirt wurde ausschliesslich mit Salpetersäure. Salpetersäure 
5:100 bewährte sich ebenso gut wie solche von 3:100. Die 
Fixationszeit betrug gewöhnlich 6 Stunden. 

Das weitere Verfahren bis zur Einbettung entsprach meistens 
völlig der Vorbehandlung I von Bethe (7), nur dass die Zeiten 
zum Theil etwas kürzer genommen wurden. 

Mehrmals habe ich auch in 5prozentiger Salpetersale bei 
höherer Temperatur (bis 38°) fixirt und die Stücke nach genügen- 
dem Verweilen in Alkohol und Wasser direct in die 4 prozentige 
Lösung von Ammoniummolybdat gebracht. Die nach dieser Vor- 
behandlung gewonnenen Präparate unterschieden sich von den 


572 Gustav Embden: 


gewöhnlichen dadurch, dass Zellfibrillen nur sehr mangelhaft zu 
erkennen waren, auch in den Fortsätzen traten die einzelnen 
Fibrillen weniger hervor als gewöhnlich, doch erschienen die 
Fortsätze im Ganzen intensiver und in grösserer Ausdehnung ge- 
färbt. Vielieicht wird sich auch anderen die hier angegebene 
kleine Modifikation zur Darstellung von Ganglienzellfortsätzen 
geeignet erweisen. 

Die Schnittdicke der stets in Paraffin eingebetteten Objeete 
betrug im Allgemeinen 10 u. 

Für die Darstellung gewisser Gebilde, so namentlich des 
diehten Fasergewirrs der inneren retikulären Schieht erschienen 
dünnere Schnitte wünschenswerth. Doch war die Färbbarkeit 
der letzteren auch bei Anwendung ganz kurzer Differenzirungs- 
zeiten und stärkerer Toluidinblaulösungen (1: 1000) derartig ge- 
ring, dass ich darauf verzichten musste, mit Schnitten von ge- 
ringerer Dicke als 10 u zu arbeiten. Die Differenzirung mit 
warmem, überschichtetem Wasser erfolgte, stets im Paraffinofen 
bei 57—60°. Die günstigste Differenzirungszeit lag meist zwi- 
schen 2 und 5 Minuten, doch lassen sich hierüber für die Retina 
ebensowenig wie für irgend ein anderes Organ bestimmte An- 
gaben machen. Manchmal wurde statt warmen Wassers mit 
gutem Erfolg Ammoniummolybdatlösung 1:3000 verwendet. 

Was die Färbung mit Toluidinblau anbelangt, so habe ich 
wie Bethe mit übergossener Farbschieht im Paraffinofen bei 
57T—60° gefärbt. Die Stärke der Lösung. betrug gewöhnlich 
1:3000, wo die Färbbarkeit eine geringe war, 1:1000. Es sei 
noch erwähnt, dass sich manchmal eine Abkürzung der gewöhn- 
lichen Färbezeit von 10 Minuten auf 5 Minuten als nützlich 
erwies. 

Die Färbungsversuche wurden anfänglich an den Retinae 
einer grösseren Anzahl von T'hierarten unternommen (an Pferde-, 
Ochsen-, Kalbs-, Hammel- und Schweinenetzhäuten). Da beim 
ersten Versuch die Präparate vom Pferde bei weitem am besten 
ausfielen, habe ich mich fernerhin ausschliesslich an diese Thier- 
art gehalten. 

Primitivfibrillenpräparate von der menschlichen Retina habe 
ich nur einmal herzustellen versucht, aber da das Material sehr 
scehleeht fixirt war, mit völlig negativem Erfolg. 

Da die von Bethe angegebene Methode der Primitivfibrillen- 


Primitivfibrillenverlauf in der Netzhaut. 573 


färbung gegenüber einer ganzen Reihe von Netzhautelementen 
bisher versagte, ist es selbstverständlich unmöglich, eine auch 
nur annähernd vollständige Schilderung des Verhaltens der Neuro- 
fibrillen in der Retina zu geben. Aber auch bezüglich derjenigen 
Zellen, in denen Fibrillen zur Darstellung gelangten, will ich 
mich ganz kurz fassen. Ich will mich auch dort, wo eine ge- 
nauere Klassifikation möglich wäre, mit der Beschreibung des 
Primitivfibrillenverlaufs in den Hauptarten von Zellen begnügen, 
ohne mich im Allgemeinen weiter auf die einzelnen Varietäten, 
wie sie Tartuferi (10, Ramon y Cajal (11), Dogiel und 
andere beschrieben haben, einzulassen. Genauere Speeifizirung 
würde nach meinen bisherigen Bobachtungen auch kein sehr 
grosses Interesse haben, sondern nur zu vielfachen Wiederholungen 
führen. 


Sehicht der’Neuroepitbelzellen. 

Es ist bisher nicht gelungen, innerhalb der Neuroepithel- 
zellen Primitivfibrillen nachzuweisen. 

Die Stäbehen und Zapfen sind an guten Präparaten in der 
Regel garmicht oder schwach gefärbt: auch die Limitans exterma 
bleibt farblos. 

In der äusseren Körnerschicht nehmen nur die Kerne der 
Sehzellen das Toluidinblau an, von den Zapfen und Stäbchen- 
fasern ist nichts zu erkennen, speciell bleiben die bekannten End- 
anschwellungen der Stäbehenfasern und der Zapfenfüsse farblos. 

Manchmal gelingt es, ganz feine Ausläufer der Horizontal- 
zellen eine Strecke weit zwischen die äusseren Körner zu ver- 
folgen; doch konnte über ihre Beziehungen zu den Sehzellen 
nichts Bestimmtes ermittelt werden. 


ANeussere retikwläresschiecht/ und Schicht der 
Horizontalzellen. 

Da weder der nach innen gerichtete Theil der Neuroepithel- 
zellen, noch der äussere Fortsatz der bipolaren Zellen zur Dar- 
stellung gelangte, so waren natürlich auch in der äusseren reti- 
eulären Schicht die Resultate höchst unvollkommen. Der an sich 
bedauerliche Mangel der Methode bot aber doch einen Vortheil: 
Es traten auf diese Weise die wohlgefärbten Ausläufer der Hori- 
zontalzellen mit ausserordentlicher Deutlichkeit hervor, 


574 Gustav Embden: 


Ich will diese Ausläufer gemeinsam mit den Horizontalzellen 
selbst besprechen. Diese zuerst von H. Müller (12) beschriebenen 
Zellen sind später zwar von einer ganzen Reihe von Autoren 
bestätigt und genauer untersucht worden, die Frage nach ihrer 
nervösen Natur wurde früher aber sehr verschieden beantwortet. 
Bald wurden sie als Ganglienzellen, bald als Stützelemente 
aufgefasst. 

In dieser Hinsicht waren die Untersuchungen von Ramon 
y Cajal (11) und Dogiel (2) entscheidend. Beiden Forschern 
gelang nämlich der Nachweis eines aus den Horizontalzellen 
hervorgehenden Axencylinders. Dieser verläuft nach Dogiel 
nur eine Strecke weit horizontal in der äusseren retieulären 
Schicht, um alsdann in die innere Körnerschieht umzubiegen, 
diese und die folgenden Schichten zu durchsetzen und schliesslich 
zur Opticusfaser zu werden; nach Cajal dagegen ist der ge- 
sammte Axeneylinderfortsatz innerhalb der retieulären Schicht 
gelegen und endet hier unter Bildung einer ausgedehnten End- 
arborisation. Letztere Auffassung wurde von Kallius (13) 
namentlich an vom Pferde stammenden Methylenblaupräparaten 
bestätigt. 

Die Protoplasmafortsätze dieser Zellen werden, wie bekannt, 
in äussere oder horizontale, und innere oder verticale unter- 
schieden. Erstere sind stets in grösserer Anzahl vorhanden, sie 
entspringen zumeist vom äusseren Theil der Zellen und bilden 
schräg aufsteigend in der äusseren reticulären Schicht ein aus- 
gedehntes Flechtwerk. Letztere Fortsatzart fehlt vielen Zellen 
und zwar im Allgemeinen den kleineren und mehr nach aussen 
gelegenen. Sie findet sich dagegen meist an den grösseren mehr 
nach innen gelegenen Zellen, und zwar ist gewöhnlich nur ein 
verticaler Fortsatz vorhanden. Häufig sind statt dessen zwei, 
seltener drei derartige Fortsätze beobachtet worden. Die inneren 
Fortsätze durchziehen senkrecht oder etwas schräge die innere 
Körnerschicht und treten aus dieser in die innere retieuläre Schicht 
ein, wo — angeblich in ziemlich bestimmter Höhe — ihre Ver- 
zweigungen ein sehr reiches Flechtwerk bilden. Auf eine weitere 
Klassifikation der Horizontalzellen und die vielen von Tartuferi 
(10), Dogiel und namentlich von Ramon y Cajal (11) be- 
schriebenen Einzelheiten an ihnen einzugehen, hätte für uns 
keinen Sinn. 


or 
[I 
en 


Primitivfibrillenverlauf in der Netzhaut. 


Die Horizontalzellen lassen sich mit der Fibrillenmethode 
in ausserordentlich schöner Weise darstellen. Es sind von allen 
Netzhautelementen diejenigen, bei welchen die Färbung am leichte- 
sten und vollständigsten gelingt. 

Will man das überaus reiche Geflecht ihrer horizontalen 
Fortsätze zur Darstellung bringen, so ist es am zweckmässigsten, 
möglichst grosse und möglichst horizontale Schnitte ganz kurz 
— unter Umständen garnicht — zu differenziren. Die Färbung 
geschieht dann in der gewöhnlichen Weise. 

Wohlgelungene derartige Präparate stehen — was die Voll- 
ständigkeit der Färbung betrifft — wohl kaum hinter gut ge- 
lungenen Methylenblaupräparaten zurück, nur dass bei der ver- 
hältnissmässig geringen Schnittdieke natürlich manches, was an 
Methyienblaupräparaten im Zusammenhang mit Zellen verfolgt 
werden kann, abgeschnitten ist. 

Auch die Axeneylinderfortsätze werden oft in grosser Aus- 
dehnung gefärbt, sind allerdings nicht so gut wie an Methylen- 
blaupräparaten von den oft sehr langen und wenig verzweigten 
Protoplasmafortsätzen zu unterscheiden, da — ganz abgesehen 
von der geringeren Schnittdieke — sie ebenso frei von Varicosi- 
täten wie die Protoplasmafortsätze erscheinen. Auch die Ver- 
schiedenheit der Structur bildet bei den kurz differenzirten Prä- 
paraten keinen genügend sicheren Anhaltspunkt, es erscheinen 
nämlich bei Anwendung kleiner Differenzirungszeiten auch die 
Protoplasmafortsätze ziemlich homogen. Einen Begriff von den 
so gewonnenen Bildern giebt Fig. 1, Taf. XXIX. Hier sind bei 
schwachem Immersionssystem einige Horizontalzellen mit ihren 
Fortsätzen gezeichnet, soweit dies bei gleicher Einstellung der 
Mikrometerschraube möglich war. (Bei Aenderung der Einstel- 
lung liessen sich die Fortsätze noch bedeutend weiter verfolgen.) 

Wie bereits oben bemerkt, haben Dogiel und Ramon y 
Cajal die nervöse Natur der Horizontalzellen durch den Nachweis 
von Axencylindern annähernd sichergestellt. 

Es lässt sich der Beweis, dass die Horizontalzellen Nerven- 
zellen sind, aber auch mittelst der Fibrillenmethode führen. 
Namentlich in länger differenzirten Präparaten treten die Primitiv- 
fibrillen in den Zellen und ihren Fortsätzen sehr deutlich hervor 
(Figur 1 ist als Fibrillenpräparat nicht genügend differenzirt). 
Es ist erwünscht, zu ihrer Beobachtung starke Immersionssysteme 


576 Gustav Embden: 


anzuwenden, da sie durch ausserordentliche Feinheit ausgezeichnet 
sind und ausserdem ziemlich dicht bei einander liegen. Ueber 
ihren Verlauf giebt namentlich die oben gelegene Zelle in 
Fig. 2 einigen Aufschluss. Hier erscheinen die Fibrillen ziem- 
lich gleichmässig über die ganze Zelle vertheilt; speciell finden 
sie sich auch in nächster Nachbarschaft des Kerns vor. Ihr 
Weg innerhalb der Zelle ist allem Anschein nach ein äusserst 
einfacher, sie durchziehen letztere in leichtem Bogen, zum Theil 
fast gradlinig, um von einen: Fortsatz in einen andern zu ge- 
langen. Die hierbei vielfach zu Stande kommenden Durchkreu- 
zungen erscheinen meist ausserordentlich klar, und der Verdacht 
einer intracellulären Netzbildung kommt nirgends anf. Ihr Ver- 
halten innerhalb der Fortsätze scheint nichts besonders Charakte- 
ristisches zu bieten, höchstens ist ihre sehr gleichmässige Ver- 
theilung über den ganzen Fortsatzquerschnitt besonders hervor- 
zuheben. 

Die angewandte Methode bringt nun aber nicht nur die 
Primitivfibrillen der Horizontalzellen zur Darstellung, sondern 
liefert, wie erwähnt, speciell bei kürzerer Differenzirungszeit oft 
auch ausgezeichnete Fortsatzbilder. Ganz feine Fortsätze werden 
allerdings nicht häufig mit genügender Differenzirung gegen die 
Umgebung gefärbt. 

Bezüglich dieser feinen Fortsätze hat Dogiel (2) ange- 
geben, dass sie eng umschriebene „terminale Nervennetze* bilden, 
welche ganz aussen in der äusseren retieulären Schicht, also in 
inniger Nachbarschaft der inneren Enden der Sehzellen ge- 
legen sind. 

Diese Ansicht hat wohl nur ausserordentlich geringe Ver- 
breitung gefunden, und speciell ist sie natürlich von den Anhängern 
der Neuronentheorie nicht getheilt worden. 

Auch an Präparaten, die nach der Fibrillenmethode be- 
handelt sind, sieht man zuweilen in der äusseren retieulären 
Schieht gegen die Umgebung gut abgegrenzte Convolute feinster 
Fasern, die auch noch bei Anwendung schwacher Immersions- 
systeme wahre Fasernetze zu sein scheinen. Doch sind einer- 
seits die gewonnenen Bilder an sich nicht genügend scharf, 
andererseits ihr Zusammenhang mit Ausläufern von Horizontal- 
zellen nicht genügend deutlich, um daraus irgendwie sichere 
Schlüsse ziehen zu können. Es war also nicht möglich, den von 


Primitivfibrillenverlauf in der Netzhaut. 577 


Dogiel beschriebenen unmittelbaren Zusammenhang zwischen 
den feinsten Ausläufern der Horizontalzellen zur Darstellung 
zu bringen. 

Dagegen gelang es mir, den Nachweis von ziemlich breiten 
Anastomosen zwischen Horizontalzellen zu führen. Ich bin mir 
wohl bewusst, wie vorsichtig man mit der Annahme solcher Anasto- 
mosen sein muss. Wie oft scheint selbst noch bei schwächerem 
Immersionssystem ein unmittelbarer Zusammenhang zwischen 
zwei Zeilen zu bestehen, und erst eine wesentlich stärkere Ver- 
grösserung, manchmal auch schon eine passende Aenderung der 
Beleuchtung erweist den scheinbar unmittelbaren Zusammenhang 
als einfache Uebereinanderlagerung. An sich ist gerade bei dem 
diehten Gewirr der horizontalen Fortsätze der Horizontalzellen 
ein Irrthum besonders leicht möglich. Aber gerade zur Ent- 
scheidung der Frage, ob Continuität oder blosse Berührung vor- 
liegt, ist die Bethe’sche Methode hervorragend geeignet. Bei 
Golgi’schen und bei den meisten Methylenblaupräparaten 
sieht man die Fortsätze immer nur als compacte, undurchsiehtige 
Stränge, und für die Frage, ob in einem speciellen Fall unmittel- 
barer Zusammenhang oder blosse Aneinanderlagerung stattfindet, 
sind wir ausschliesslich auf das Verhalten der äusseren Fortsatz- 
conturen angewiesen. Wohlgelungene Fibrillenpräparate 
gleichen Glasröhren, bei denen man nicht nur den unmittelbaren 
Zusammenhang der Röhrenwandungen wahrnimmt, sondern auch 
im Röhrenlumen eine grössere Zahl scharf begrenzter Fäden von 
Rohr zu Rohr ziehen sieht. 

Fig. 2 zeigt eine Anastomose zwischen zwei Horizontalzellen, 
und zwar hängt ein Fortsatz erster Ordnung der unten gelegenen 
mit einem Fortsatz zweiter Ordnung der oben gelegenen grösse- 
ren Zelle zusammen. Ich will nicht unterlassen, auf die Selten- 
heit der beschriebenen Anastomosen aufmerksam zu machen. Bei 
Weitem die meisten Fortsätze der Horizontalzellen hängen — in 
ihren gröberen Aesten wenigstens — nicht unmittelbar unter- 
einander zusammen. 

Die Bedeutung der erwähnten breiten Anastomosen erscheint 
übrigens, gerade im Lichte der Fibrillenlehre, nieht besonders 
gross, ganz abgesehen davon, dass für andere Zellarten, sogar 
für Ganglienzellen innerhalb der Netzhaut [Dogiel (2) und 


Greeff (14)) ähnlich breite Brücken beschrieben sind. 
Archiv f. mikrosk. Anat. Bd. 57 38 


578 Gustav Embden: 


nnere Körnerschicht. 

Im Gegensatz zu den guten Resultaten, die die Primitiv- 
fibrillenmethode an den Horizontalzellen lieferte, versagte sie 
nahezu völlig gegenüber den bipolaren Elementen der inneren 
Körnerschicht. Es wurde nur relativ selten ein innerer, nie, so 
weit ich beobachtete, ein äusserer Fortsatz gefärbt. Die Färbung 
der inneren Fortsätze war sehr blass, und von fibrillärer Structur, 
geschweige denn von Primitivfibrillen niehts zu bemerken. 

Etwas mehr Aufklärung brachte die Methode bezüglich der 
Spongioblasten oder amakrinen Zellen. Innerhalb der Zellkörper 
gelangten allerdings auch hier Primitivfibrillen nur in vereinzelten 
Fällen und zwar höchst unvollkommen zur Darstellung; dagegen 
färbten sich die Fortsätze manchmal auf ziemlich weite Strecken, 
und es traten dann auch Primitivfibrillen mehr oder weniger 
deutlich hervor. Das Vorhandensein von Primitivfibrillen wurde 
in den Fortsätzen kleiner und grösserer Spongioblasten beobachtet. 
Doch war die Fortsatzfärbung nirgends so vollkommen, um die 
in Frage kommenden Zellen mit den einzelnen von Dogiel, 
Ramon y Cajal und Anderen beschriebenen Varietäten zu 
identifieiren. Auch disloeirte amakrine Zellen fanden sich manch- 
mal gefärbt; so dürfte die in Fig. 3 links gelegene, von einigen 
nieht sehr deutlichen Fibrillenbündeln durchzogene Zelle sicher 
den Amakrinen zuzurechnen sein. 


Innere retieuläre Scehieht. 


In derselben Figur rechts findet sich eine bipolar gebaute 
Zelle. Die den Kern bogenförmig umziehenden Fibrillen treten 
in der Zeichnung wohl etwas deutlicher hervor, als auf dem 
Präparat der Fall war. Eine Klassifikation dieser Zelle will ich 
nicht versuchen. 

Von dem Fasergewirr der inneren retieulären Schicht er- 
hält man häufig ausserordentlich scharfe und detaillirte Bilder. 
Gerade zur Veranschaulichung dieses Gewirrs wurde Fig. 3 bei 
sanz starker Vergrösserung und voller Beleuchtung gezeichnet; 
es ist in der Zeichnung nur das wiedergegeben, was bei einer 
bestimmten Einstellung der Mikrometerschraube völlig scharf 
erschien. 

Die Hauptfrage, die Frage nach der Art des Zusammen- 
hangs der feinsten Nervenfasern untereinander liess sich aber 


Primitivfibrillenverlauf in der Netzhaut. 579 


trotz der optisch sehr scharfen Bilder auch hier nicht entscheiden. 
Häufig kommen Faseranordnungen vor, die ohne Zweifel als 
echte Netze oder vielmehr Gitter zu bezeichnen sind. Bestehen 
aber die Gitter aus Neurofibrillen oder aus Stützsubstanz? Das 
erstere liesse sich nur durch den Nachweis des unmittelbaren 
Zusammenhangs der Fasergitter mit unzweifelhaften Nervenfasern 
resp. Primitivfibrillen sicherstellen. Das Fasergewirr ist aber, 
namentlich bei Anwendung der Mikrometerschraube so dicht, die 
Ueberkreuzungen so zahlreich, dass, so oft man glaubt, eine 
Continuität zwischen Nervenfibrille und Fasernetz zu sehen, man 
nachträglich irgendwo eine Stelle entdeckt, wo der Verlauf der 
Nervenfaser unsicher ist. Also auch hier kann ich leider weder nach 
der einen noch nach der anderen Richtung hin eine bestimmte 
Behauptung aufstellen. 


Ganglion Nervi optici. 

In den grossen Ganglieuzellen des Ganglion Nervi optici 
und ihren Fortsätzen gelangten die Primitivfibrillen zwar durchaus 
nicht regelmässig zur Darstellung, immerhin aber wurden häufig 
recht brauchbare und manchmal ausserordentlich schöne Bilder 
erhalten. Der Verlauf dieser Primitivfibrillen scheint mir be- 
sonderes Interesse zu bieten. Es finden sich nämlich einmal 
zahlreiche Fibrillen, die von einem Protoplasmafortsatz in den 
Axeneylinder, d. h. die Optieusfaser ziehen, Fibrillen also, deren 
Funetion nach der Hypothese in der Zuleitung von Lichtreizen 
zum Centrum besteht. Ausserdem kommen aber Fibrillen vor, 
die von einem Protoplasmafortsatz in einen anderen derselben Zelle 
ihren Weg nehmen, indem sie theils den Zellkörper passiren, 
theils aber ohne die Zelle selbst überhaupt zu berühren, direet von 
Fortsatz zu Fortsatz ziehen. Derartige Fibrillen von Protoplasma- 
fortsatz zu Protoplasmafortsatz sind in Fig. 4, 5 und 6 wieder- 
gegeben. Es wäre werthlos, theoretische Erörterungen über die 
physiologische Bedeutung dieser Fibrillenart anzustellen, nament- 
lich da man bisher nicht weiss, wohin sie aus den Protoplasma- 
fortsätzen ihren Weg nehmen. Immerhin darf man, die leitende 
Natur der Primitivfibrillen vorausgesetzt, auf Grund dieses Be- 
fundes wohl annehmen, dass die Zellen des Ganglion Nervi optici 
keineswegs ausschliesslich der Leitung des Lichtreizes von den 
nach aussen gelegenen Netzhautschichten zum Nervus opticus 


580 Gustav Embden: 


dienen, sondern zugleich Bahnen für intraretinale Erregungs- 
vorgänge bilden. Eine ähnliche Behauptung ist übrigens schon von 
Greeff (14) auf Grund des Befundes von breiten Anastomosen 
zwischen Ganglienzellen dieser Schicht aufgestellt worden. 

Auffällig ist, dass an den Stellen der Fortsatzgabelungen, 
die sonst gleichmässig über den Fortsatzquerschnitt vertheilten 
Fibrillen oft sehr weit auseinanderweichen, homogene Dreiecke 
zwischen sich frei lassend (siehe Fig. 4 und 5). 

Die Axeneylinder der grossen Ganglienzellen lassen sich 
häufig bis weit in die Optieusfaserschicht verfolgen, die Primitiv- 
fibrillen in ihnen sind aber meist nur an der Stelle des Abgangs 
von der Zelle einigermaassen deutlich. Im Zellinnern sind die 
Fibrillenwege häufig recht eomplieirt. Die Fibrillen verlieren in 
dasselbe eintretend meist bald ihre bündelartige Anordnung und 
verlaufen dann in vielfachen Windungen, hierbei kommen Ueber- 
kreuzungen der verschiedensten Art vor. Namentlich, wenn dann 
die Fibrillen auf kürzere oder längere Strecken miteinander ver- 
kleben, können gitterähnliche Structuren hervorgerufen werden 
(Fig.7). Zwischen den Maschen dieses scheinbaren Netzes sieht 
man häufig noch wohlgefärbte Nissl’sche Schollen. 

Die von Dogiel (2) zuerst beschriebenen und dann nament- 
lich von Greeff (14): bestätigten breiten Anastomosen zwischen 
Zellen des Ganglion optiei habe ich nicht beobachtet; zur Dar- 
stellung derselben war die geringe Schnittdiecke wohl ziemlich 
ungünstig. 

Hervorheben will ich noch die eigenthümlichen I-förmigen 
Fortsatztheilungen, die ich mehrfach beobachtete. Eine derartige 
Theilung und der dadurch bedingte eigenartige Fibrillenverlauf 
ist in Fig. 5 abgebildet. 

Opticusfasern gelangten häufig, wie bereits erwähnt, im 
Zusammenhang mit den Ganglienzellen doch ohne deutliche 
tibrilläre Structur zur Darstellung. Ebenso führten in einem am 
Pferde-Opticus angestellten Versuche die Fibrillen zu färben, 
bisher nur zu höchst mangelhaften Resultaten, so dass eine Zäh- 
lung der in den Optieusfasern vorhandenen Primitivfibrillen, die 
vielleicht von erheblichem physiologischen Interesse wäre, bisher 
nicht ausgeführt werden konnte. 


Primitivfibrillenverlauf in der Netzhaut. 581 


Literatur-Verzeichniss. 


1. Max Schultze, In Strieker’s Handbuch der Lehre von den Ge- 
weben Bd. II. 1872. 

2. Dogiel, Ueber die nervösen Elemente in der Retina d. Menschen. 
Arch. f. mikr. Anat. Bd. 38. 1891. 

3. Derselbe, Arch. f. mikr. Anat. Bd. 40. 1892. 

4. Derselbe, Zur Frage über den Bau der Nervenzellen u. s. w. 
Arch. f. mikr. Anat. Bd.741, 1893. 

5. Derselbe, Die Structur der Nervenzellen der Retina. Arch. f. 
mikr. Anat. Bd. 46. 18%. 

6. Bach, Die Nervenzellenstructur der Netzhaut in normalen und 

pathologisch. Zuständen. Arch. f. Opthalmologie Bd. 41, Abth.3. 189. 

Bethe, Das Molybdänverfahren zur Darstellung der Neurofibrillen 

und Golginetze u. s. w. Zeitschr. f. wiss. Mikroskopie Bd. 17. 1900. 

8. Apäthy, Das leitende Element des Nervensystems u. s. w. Mittheil. 

d. zoolog. Station zu Neapel Bd. 12. 1897. 

Bethe, Ueber die Neurofibrillen in den Ganglienzellen von Wirbel- 

thieren und ihre Beziehungen zu den Golginetzen. Arch. f. mikr. 

Anat. Bd. 55. 1900. 

10. Tartuferi, Sull’ anatomia della Retina. Intern. Monatsschrift f. 
Anat. u. Phys. Bd. IV. 1887. 

ll. Ramon y Cajal, La retine des Vertebres. La cellule. 1833. 

12. Müller, Zeitschr. f. wissenschaftl. Zoologie Bd. 1II. 1851. 

13. Kallius, Untersuch. über die Netzhaut d. Säugethiere. Anatom. 
Hefte Bd. 3. 1894. 

14. Greeff, Zwillingsganglienzellen in der menschlichen Retina. Arch. 
f. Augenheilkunde Bd. 35. 


= 


Se 


Erklärung der Abbildungen auf Tafel XXIX. 


Sämmtliche Figuren sind mit dem Abbe&’schen Zeichenapparat 
von Leitz entworfen. Im Allgemeinen ist nur das bei einer Ein- 
stellung der Mikrometerschraube scharf Hervortretende gezeichnet 
worden. Der feinere Verlauf der Fibrillen wurde häufig freihändig 
eingezeichnet. Sämmtliche Präparate stammen vom Pferde; die Schnitt- 
dicke betrug stets 10 u. Die Vergrösserung ist bei den einzelnen Fi- 
guren angegeben. 

Fig. 1. Horizontalzellen von der Fläche. Aus einem Flächen- 
schritt. Vergr. Leitz Ocular I, Seibert Homogenimmersion 
U/js. Die Fortsätze sind nur soweit gezeichnet, wie dies bei 


Fig. 


Fig. 


Fie. 


DD 


6. 


Gustav Embden: 


einer Einstellung der Mikrometerschraube möglich war. Bei 
a findet sich ein Axencylinderfortsatz. Die Fibrillen treten 
nur wenig deutlich hervor. Die Kerne der Horizontalzellen 
zeigen die für die Bethe’sche Fibrillenmethode charakteri- 
stische Umkehrung des Bildes. Die frei liegenden Kerne im 
oberen Theil des Bildes gehören den bipolaren Elementen der 
inneren Körnerschicht an. 

Anastomose zwischen zwei Horizontalzellen. Aus 
einem Schrägschnitt. Vergrösserung: Zeiss’scher Apochromat 
2,00 mm, Apert. 1,30, Compensationsocular 6. Die Fibrillen 
innerhalb der oben gelegenen, grösseren Zelle sind sehr deut- 
lich, die Fortsätze beider Zellen jedoch lange nicht in so grosser 
Ausdehnung gefärbt, wie in den der Fig. 1 zu Grunde liegen- 
den Zellen. 

Aus der inneren reticulären Schicht. (Schrägschnitt.) 
Vergrösserung wie bei Fig. 2. Beleuchtung: Voller Auerbrenner 
bei weit offener Blende. Deutlich gitterförmige Faseranord- 
nung; links unten eine dislocirte amakrine Zelle, rechts unten 
eine Zelle von bipolarem Bau. Die beiden dicken Protoplasma- 
fortsätze mit deutlichen Primitivfibrillen entstammen der oben 
links gelegenen Ganglienzellschicht. 

Ganglienzelle des Ganglion nervi optici. (Schräg- 
schnitt.) Vergrösserung: Ocular: Leitz I, Homogenimmersion 
Seibert !/j. Unten im Bild sieht man parallel angeordnete 
Optieusfasern. Der Axencylinderfortsatz der gezeichneten 
Ganglienzelle findet sich bei a. Beim Eintritt in die Zelle ge- 
winnen die bis dahin ziemlich gleichmässig über den Fortsatz- 
querschnitt vertheilten Fibrillen bündelförmige Anordnung, 
um weiterhin bald undeutlich zu werden. An den Gabelungs- 
stellen der Fortsätze sieht man mehrfach Fibrillen direct von 
Ast zu Ast ziehen. Die hellen Lücken an den Gabelungs- 
stellen entsprechen färbbaren Substanzportionen des Nissl- 
präparats. In der Umgebung der Zelle dasselbe Netzwerk 
wie in Fig. 3. 

ZelledesGanglionNervi optieimiteigenthümlich I-för- 
miger Theilung. (Schrägschnitt.) Vergrösserung! Zeiss- 
scher Apochromat 2,00 mm, Apert. 1,30, Compensationsocular 
No. 6. Bezüglich des Fibrillenverlaufs innerhalb der Zelle 
gilt das bei Fig. 4 Gesagte. An der im Bild links gelegenen 
I-förmigen Theilungsstelle finden sich zwischen den Fortsatz- 
ästen sämmtliche ınögliche Fihrillenverbindungen mit Ausnahme 
der zwischen dem rechts oben und dem links unten gelegenen 
Fortsatzast. Auch hier an den Gabelungsstellen breite, drei- 
eckige, den Nisslschollen entsprechende Lücken. 
Ganglienzelle des Ganglion Nervi optici. (Schräg- 
schnitt.) Vergrösserung wie bei voriger Figur. Die Zelle 


Primitivfibrillenverbrauch in der Netzhaut. 583 


wurde wegen des äusserst klaren Fibrillenverlaufs gezeichnet. 
Der rechts gelegene Theil der Zelle mit dem Kern ist abge- 
schnitten; die hier vereinzelt und in verschiedenen Richtungen in 
verlaufenden Fibrillen wurden bei etwas tieferer Einstellung 
als die übrige Zelle gezeichnet. Im Uebrigen siehe Erklärung 
zu Fig. 4 und 5. 

Gitterähnliche Anordnung der Primitivfibrillen 
innerhalb einer Zelle des Ganglion Nervi optici. 
(Sehrägschnitt.) Vergrösserung wie bei Fig. 5. Bei & ein 
annähernd quer abgeschnittener Protoplasmafortsatz. Die 
Fibrillen schlagen, nachdem sie in bündelförmiger Anordnung 
in die Zelle eingetreten sind, gewundene Wege ein, wobei sie 
vielfach mit einander verkleben. Hierdurch wird die gitter- 
ähnliche Structur hervorgerufen. 


Fig. 


A 


(Aus dem anatomischen Institut in Strassburg.) 


Weitere Mittheilungen über den Bau der 
Hornschicht der menschlichen Epidermis und 
ihren sog. Fettgehalt. 


Von 


Dr. Kranz Weidenreich, 
Assistent am anatomischen Institut. 


Hierzu Tafel XXX u. XXXI und 1 Textfigur. 


In meiner Arbeit „Ueber Bau und Verhornung der mensch- 
lichen Oberhaut“ (33) habe ich die Ansicht ausgesprochen, dass 
das Eleidin in den oberen Lagen der Hornschicht Umwandlungen 
erfahre, die sich besonders in Aenderungen seines Aggregatzustandes 
zu erkennen geben würden; den so entstehenden festeren Körper 
habe ich als Pareleidin bezeichnet und ihn als das anatomische 
Substrat der färberischen Differenzen in den verschiedenen Schichten 
des Stratum corneum der Vola manus und Planta pedis ange- 
sprochen. Weiterhin hatte ich der Vermuthung Ausdruck ge- 
geben, dass die Befunde, welche auf die Anwesenheit von Fett 
in dieser Lage hinweisen, auf Reactionen jener Substanz zurück- 


584 Franz Weidenreich: 


zuführen seien. Meine Untersuchungen hierüber waren jedoch 
beim Abschluss jener Arbeit noch nicht soweit gediehen, um zu 
einem bestimmteren Urtheil gelangen zu lassen; ihre Resultate 
seien im Folgenden mitgetheilt. 

Zur Darstellung des Eleidins fand ich unter den vielfach 
angegebenen Methoden neben der von Friekenhaus (9) mit 
Recht gerühmten Wasserblaufärbung als die beste und am ehesten 
zum Ziele führende die von Buzzi (4) empfohlene Färbung mit 
Congoroth, von dessen 1°/, wässriger Lösung man 3—4 Tropfen 
in ein Uhrschälchen destillirten Wassers gibt. Die zu unter- 
suchende Epidermis der Sohlenbaut oder der Haut der Handfläche 
kann unmittelbar der Leiche entnommen oder auch vorher einige 
(4—5) Stunden lang in 60—70°/, Alkohol gehärtet werden; die 
Schnitte fertigt man am besten mit dem Rasirmesser aus freier 
Hand, jedoch erhält man auch bei Benützung des Gefriermikro- 
toms noch gute Resultate. Die Schnitte kommen sofort auf 3 
bis 5 Minuten in die Farblösung, werden in Wasser gehörig ab- 
gewaschen und dann in Alkohol übergeführt; entstammen sie 
frischer, vorher nicht gehärteter Haut, so lässt man sie etwa bis 
zu einer Stunde im Alkohol, wodurch sie genügend fixirt werden, 
dann werden sie in Xylol gebracht und in Canadabalsam einge- 
schlossen; auf diese Weise hält sich die Farbe unverändert, wenig- 
stens habe ich bis jetzt (8 Monate nach der Färbung) kein Abblassen 
beobachtet, während bei Aufbewahrung in Glycerin schon nach 
1—2 Tagen eine diffuse Färbung des Schnittes eintrat. 

Der Gehalt der Haut an Eleidin ist nun ein durchaus 
wechselnder; oft fand ich es überhaupt nur in Spuren, dann 
wieder sehr reichlich — selbstverständlich an denselben Haut- 
stellen. Hierbei scheint etwas von Einfluss zu sein, wie lange 
nach dem Tode die betreffende Haut entnommen wurde, bei noch 
warmen Leichen babe ich im Allgemeinen das Eleidin stets in 
grösserer Menge gefunden als bei solchen, die erst mehrere 
Stunden nach dem T'ode zur Untersuchung kamen; in den.letzteren 
Fällen gibt sich die bereits eingetretene saure Gewebsreaction 
sofort durch eine vorübergehende Blaufärbung der Congoroth- 
lösung zu erkennen. 

Was das Aussehen des Eleidins betrifft, so zeigt es sich in 
der Regel in Kugeln von wechselnder Grösse (Fig. 1, "und 3), 
oft finden sich mehrere kleinere wie Perlschnüre aneinander- 


Weitere Mittheilungen über den Bau der Hornschicht etc. 585 


gereiht (Fig. 3). Diese Kugeln haben fast stets einen tiefer 
gefärbten peripheren Ring und ein schwächer tingirtes Centrum 
(Fig. la); sehr häufig trifft man auch länglich ovale Formen, die 
dann, neben einander gelagert, lange Reihen bilden (Fig. 1b). 
Immer lässt sich jedoch beobachten, dass das Eleidin, ob es nun 
im einzelnen kugelig oder oval, gross oder klein ist, abgerundete 
Conturen aufweist, wodurch es sich scharf vom Keratohyalin 
unterscheidet, und ferner, dass die einzelnen Kugeln fast niemals 
über die Grösse einer Zelle hinausgehen. Dass das Eleidin lange 
eontinuirliche, d. h. nicht von Einsehnürungen unterbrochene Streifen 
oder Bänder bildet, wie von einigen Autoren, so besonders von 
Buzzi, angegeben wird, konnte ich nicht beobachten. Derartige 
Bänder erwiesen sich stets als aus aneinandergereihten ovalen 
Gebilden zusammengesetzt, die in der Grösse mit dem Umfang 
einer Zelle der basalen Hornschicht übereinstimmen. (Fig. 1b.) 
Was die Lage betrifft, so findet sich das Eleidin, wie man. 
sich ohne Weiteres durch verschiedene Einstellung des Tubus 
überzeugen kann, auf beiden Seiten des Schnittes. Es kann also 
seiner Form und Lage nach keinem Zweifel unterliegen, dass es 
von flüssiger Consistenz ist und infolgedessen bei dem Anschneiden 
der Zelle aus dieser heraustritt und so der Färbung zugänglich wird, 
wie das von dem Entdecker der Substanz Ranvier (22) schon längst 
angegeben wurde. So erklären sich wohl die Kugelformen, nicht 
aber die ovalen Figuren; dass diese stets die Conturen der Zelle 
wiederholen und in Reihen nebeneinander liegen, ohne jedoch 
ineinander zu fliessen, spricht dafür, dass hier das Eleidin in der 
angeschnittenen Zelle selbst gefärbt sein muss. Diese Annahme 
erhält eine weitere Stütze einmal dadurch, dass bei Haut, die einer 
schon längere Zeit gelegenen Leiche entstammt, das Eleidin fast nur 
in dieser Form aufzutreten pflegt, und dann ferner, dass man bei Haut, 
die mit Tannin fixirt wurde, auf dessen besondere Wirkung ich noch 
zurückzukommen haben werde, innerhalb des Stratum lueidum 
Zellen antrifft, die sich intensiv mit Congoroth färben, mit Aus- 
nahme einer centralen runden oder ovalen Stelle, der Kernhöhle, 
und die genau den);Bildern entsprechen, wo das Eleidin ovale 
Form angenommen hat (vergl. Fig. 4 und Fig. 1b). Aus der 
angeschnittenen Zelle tritt also das Eleidin in Tropfenform aus, 
ist jedoch auch, wenn es in derselben liegen bleibt, der Färbung 
zugänglich. Dass der letztere Fall bei nicht mehr ganz frischer 


Brels) Franz Weidenreich: 


Haut der häufigere ist, lässt vermuthen, dass das Eleidin mit 
dem Erkalten iu etwas seinen flüssigen Aggregatzustand einbüsst 
und dann schwerer aus der Zelle ausläuft. 

Hinsichtlich seines Vorkommens in der Hornschicht ist leicht 
festzustellen, dass es sich vor allem im basalsten Theile findet, 
entsprechend dem Stratum lucidum, wo es 2—3 Zellreihen aus- 
macht. Jedoch ist es keineswegs auf diese Zone beschränkt; 
wie Buzzi (4) zuerst richtig bemerkte und auch Dreysel und 
Oppler (6) bestätigt haben, begleitet es die Ausführgänge der 
Schweissdrüsen fast durch das ganze Stratum eorneum hindurch 
und setzt sich andererseits mit diesen auch etwas in das Stratum 
sranulosum, bezw. germinat. hinein fort. Auch an diesen Orten 
zeigt es die Eigenthümlichkeit, kleine Tropfen zu bilden, die 
jedoch die des Stratum lucid. an Grösse nicht erreichen, sondern vor- 
wiegend feine punktförmige Reihen auf den platten Zellen bilden, 
‘ die im Kreise die Ausführgänge umgeben; diese Zellen erscheinen 
oft auch in toto lebhaft roth gefärbt und eontrastiren dadurch von 
denen des benachbarten Strat. corn.; nach dem oben Gesagten 
wäre auch hier das Eleidin in den Zellen selbst tingirt worden. 
Ausser an diesen beiden genannten Stellen ist es mir nun aber 
auch gelungen, innerhalb der mehr mittleren Schicht des 
Strat. corn. eine verhältnissmässig breite Eleidinlage 
aufzufinden, deren Oberfläche sich mit zahlreichen kleineren und 
srösseren Tröpfchen wie besäet erweist (Fig. 2 st). Diese Tröpfehen 
unterscheiden sich in ihrer Form von denen des Strat. lueid. 
dadurch, dass sie im Allgemeinen etwas kleiner sind und eine 
grosse Neigung besitzen, sich zu perlschnurartigen Kettchen 
aneinanderzulegen (Fig. 3), ohne dass jedoch auch hier eine solehe 
Reihe die Länge einer Zelle überschreitet. Daneben bestehen 
noch Verschiedenheiten in der Dichte ihrer Anordnung und ihrer 
Färbbarkeit. Der Raum, auf dem sich hier das Eleidin findet, 
umfasst etwa 10 Zellreihen; nur sind die Tropfen über dieses 
Gebiet ziemlich zerstreut und liegen nicht so reichlich und nahe 
beisammen wie im Strat. Jueid., auch nehmen sie den Farbstoff 
weniger leicht an und färben sich nieht so intensiv (Fig. 3), 
dagegen fällt die ganze Schicht schon bei schwacher Vergrösse- 
rung durch ihre stärkere Färbung auf, wodurch sie sich von den 
Nachbarlagen unterscheidet. Die Grenzen gegen diese sind wenn 
auch nicht scharf, so doch immerhin deutlich genug abgesetzt; 


Weitere Mittheilungen über den Bau der Hornschicht etc. 587 


sowohl nach aussen als nach innen bleiben die Tropfen im Wesent- 
lichen auf eine bestimmte Zone beschränkt (Fig. 2 und 3). Nach 
innen folgt eine Lage von ca. 5—6 Zellreihen, die vereinzelte 
Tröpfehen aufweist (Fig. 2 und 3 sr), nach aussen folgt die 
äusserste periphere Schicht (Fig. 2 und 3 sd), in der sich keine 
Tropfen mehr finden. Diese Beschränkung auf eine ganz be- 
stimmte Zone schliesst aus, dass es sich um eine Verschleppung 
des Eleidins aus dem Stratum lueid. handeln könnte, weil dann 
doch auch die dazwischen gelegene Lage mit verschleppten 
Tröpfehen besprengt sein müsste; ferner spricht aber hauptsäch- 
lich gegen diesen Einwand, dass auch bei der Messerführung 
von der Peripherie nach der Cutis zu das Bild dasselbe bleibt. 
Es kann demnach keinem Zweifel unterliegen, dass an frischer oder 
kurz in Alkohol gehärteter und mit freier Hand geschnittener 
Haut sich ausser dem Strat. lueid. noch eine breite Zone innerhalb 
der Hornschicht findet, aus deren Zellen beim Anschneiden der In- 
halt heraustritt, und so der Färbung mit bestimmten Farbstoffen 
(Congoroth, Wasserblau) zugänglich wird. Dieser Zellinbalt charak- 
terisirt sich dadurch, besonders aber auch durch seine Form 
(Tropfen) als ein flüssiger; seinem ganzen Verhalten nach stimmt 
er demnach mit dem Eleidin des Strat. lueid. überein. 

Wir können also an dem Strat. corn. vier Zonen unter- 
scheiden (vergl. Fig. 2): 

1) eine basale, das Stratum lueidum, mit reichlichem Eleidin- 

gehalt — Zone A (sl); 

2) eine auf diese folgende Lage, ab und zu mit Spuren von 

Eleidin — Zone B (sr); 
3) eine weiter peripher gelesene Schicht mit wieder reich- 
lichem Eleidingehalt — Zone © (st): 

4) eine oberflächliehe Lage ohne nachweisbares Eleidin — 

Zone D (sd). 

Ich werde einstweilen diese Bezeichnung nach Zonen bei- 
behalten, weil sie die Beschreibung vereinfacht; inwieweit das 
Gebiet derselben sich mit der bisher üblichen, von Unna (29) 
eingeführten Eintheilung deckt und ob sie überhaupt eine Grund- 
lage für eine Eintheilung abgeben können, wird weiter unten zu 
erörtern sein. 

Der oben beschriebene Befund ist nun aber keineswegs ein 
durchaus regelmässiger. Während sich bei einzelnen Individuen 


588 Franz Weidenreich: 


reichliche Mengen von Eleidin in der Zone © befinden, ist es bei 
anderen spärlicher vorhanden und oft nur in Spuren nachweisbar; 
fast stets bemerkt man dann aber in diesen Fällen eine mehr 
diffuse, stärkere Färbung der einzelnen Zellen jener Zone, die 
sich dadurch von den schwächer tingirten Nachbarschichten 
mehr oder weniger deutlich abhebt. Dieser wechselnde Eleidin- 
sehalt der peripheren Zone steht aber etwas im Verhältniss zu der 
Menge des Eleidins im Strat. lucid.; tinden sich hier viele Tropfen, 
so sind sie auch in der oberen Lage in grösserer Zahl vorhanden; 
finden sich hier dagegen wenige oder keine, so fehlen sie auch 
dort. Hie und da kann man in der äussersten Schieht — Zone D — 
intensiver gefärbte, unregelmässige kürzere Bälkchen oder Krüm- 
mel im Bereich einer Zelle nachweisen, die oft den Eindruck 
von Farbstoffniederschlägen machen, die aber, wie man sich 
durch entsprechende Einstellung des Mikroskops überzeugen kann, 
innerhalb der Zellen liegen. 

Um zu einer Deutung all dieser Befunde zu kommen, ist 
es nöthig, das Verhalten der Hornschicht am fixirten Material 
zu untersuchen. Je nach dem dazu verwandten Reagens wird 
das Bild ein verschiedenes sein. Härtete ich in Alkohol, so 
konnte ich entgegen den Angaben von Dreysel und Oppler (6) 
keine Eleidintropfen mehr nachweisen; im Gebiete des Strat. 
lueid. fanden sich allerdings kleine Krümmel auf den Zellen lie- 
gend, die jedoch nichts für flüssiges Eleidin eharakteristisches 
mehr zeigten. Nach diesen Autoren würde „gewöhnliche, nicht 
zu lang dauernde“ Alkoholhärtung keine Consistenzveränderung 
des Eleidins bewirken; als Dauer der Härtung in absolutem 
Alkohol wird von ihnen 2—3 Tage angegeben. Meine Hautstücke 
verblieben nur 24 Stunden in diesem Medium, allerdings dafür 
ziemlich lange (bis 8 Tage) in Celloidin, sodass möglicherweise 
die Differenz in den beiderseitigen Beobachtungen sich dadurch 
erklärt, für den Aufenthalt in Celloidin geben Dreysel und 
Oppler keine Zeit an. Nach Friekenhaus(9) soll sogar 
noch nach einer vierteljährigen Alkoholhärtung (absoluter?) das 
Eleidin seinen flüssigen Charakter behalten. Wie dem auch sei, 
ich halte diese Frage aus später anzuführenden Gründen nicht 
für prineipiell bedeutungsvoll. Jedenfalls steht fest, dass nach 
lang +lauernder Alkoholeinwirkung, gleichgiltig ob man mit 
trockenem oder befeuchtetem Messer schneidet, keine Eleidintropfen 


Weitere Mittheilungen über den Bau der Hornschicht ete. 589 


mehr auftreten. So erhebt sich die Frage, was aus dem Eleidin 
geworden ist; da giebt es nun zwei Möglichkeiten: entweder es 
ist in Lösung gegangen, oder es hat seinen Aggregatszustand 
derart verändert, dass es beim Anscheiden der Zelle nieht mehr 
herausläuft, d. h. dass es fest geworden ist. Diese letztere An- 
sicht vertritt Grosse (8), während Friekenhaus zu der ersteren 
Annahme neigt. Ich trete hier vollständig auf Grosse's Seite; 
würde nämlich thatsächlich eine Lösung eintreten, so müsste dies 
doch in der Structur der Zelle zum Ausdruck kommen, und da 
sie aus Membran, Fasernetz und dem dieses erfüllenden Eleidin 
besteht, so würde bei der Lösung des letzteren das Maschenwerk 
hervortreten müssen. Dies ist nun aber bei den Alkoholpräparaten 
nicht der Fall, vielmehr erweisen sich die Zellen diffus von einer 
homogenen Masse erfüllt, wie ich es in meiner vorhergehenden 
Arbeit in den Fig. 15, 26 und 28 abgebildet habe, d. h. das 
Eleidin hat, jedenfalls infolge der wasserentziehenden Wirkung 
des Alkohols, eine feste Consistenz angenommen; eine 
wesentliche färberische Differenz tritt in den einzelnen Schichten 
nicht mehr auf, die gesammte Hornschicht färbt sich fast gleich- 
mässig. 

Ganz anders gestaltet sich das Bild, wenn man zur Fixirung 
eine 1°/,ige Tanninsäurelösung benutzt (24 Stunden bei ca. 30°, 
Auswaschen in fliessendem Wasser, Celloidineinbettung). Färbt 
man einen derartigen Schnitt mit Hämalaun und Congoroth (Fig. 5), 
so treten die Keratohyalingranula innerhalb des Strat. granul. 
deutlich hervor, während das Strat. corneum ein eigenthümliches 
Aussehen bietet. Unmittelbar auf die körnchenführende Schicht 
folgt nämlich eine ca. 10 Zellreihen hohe Lage (Fig. 5. sl und sr), 
in der roth gefärbte Zellen auf bläulichem Grunde hervortreten. 
Diese Zellen sind bläschenförmig, zeigen eine deutliche Membran 
(m), ein Faserwerk (/f) in ihrem Innern und eine centrale Kern- 
höhle (c), in der sich in den tiefsten Lagen noch ab und zu 
Kernreste (n) erhalten haben (Fig. 5 und 6). Membran und 
Netzwerk nehmen mit Uongoroth oder auch mit Pikrocarmin ge- 
nau dieselbe Farbe an wie das Eleidin und lassen sich auch mit 
Eosin sehr schön darstellen. Bei starker Vergrösserung machen 
diese Zellen den Eindruck, als wenn ihre Wände und die Fasern 
voneinander gezogen worden wären und nun eine schmierige, 
stärker lichtbrechende Masse sich zwischen diesen Fäden aus- 


590 Franz Weidenreich: 


spannen und an ihnen festkleben würde (Fig. 6). Bei kürzer 
dauernder Tannineinwirkung tritt das Fasernetz weniger deutlich 
oder gar nieht hervor; man erhält dann Bilder, wie ich sie in 
Fig. 4 wiedergegeben habe, die sich von den mit der typischen 
Eleidindarstellung gewonnenen (Fig. 1) nicht unterscheiden. Die 
erst beschriebene Erscheinung ist jedoch nicht auf die unteren 
Zellreihen, die hier nieht nur das Strat. lucid., sondern auch die 
darüber gelegene Zone umfassen, beschränkt, sondern findet sich 
ebenso ausgesprochen an den seitlichen Sehnitträndern in der 
ganzen Höhe des Strat. corn.; in der oberflächlichen Zone tritt 
dagegen das geschilderte Aussehen der Zellen weniger scharf 
hervor, Netzwerk und Membran werden hier nur an einzelnen Zellen 
deutlich, etwas häufiger die Kernhöhle, während an Stelle der 
schmierigen Masse nur kleine Krümmel nachweisbar sind. Der 
übrige Theil der Hornschicht zeigt mit Ausnahme der Seiten- 
ränder eine diffuse Blaufärbung, wie an stark gehärteten Alkohol- 
präparaten. Die Abgrenzung gegen dieses Gebiet ist sowohl von 
oben und unten als auch von den Seiten her keine scharfe. Ich 
glaube, dass für die Erklärung dieses Bildes die folgende An- 
nahme die riehtige ist: die Tanninlösung dringt von allen Seiten 
her in die Hornschicht ein und verursacht eine Quellung der 
Zellen bezw. ihres Inhaltes; diese nehmen so eine bläschenförmige 
Gestalt an, und das Eleidin spannt sich zwischen den Fäden des 
Zellinnern aus. Indem so durch die Quellung und Fixirung ein 
fester Gürtel gebildet wird, kann die Flüssigkeit nicht zu dem 
centralen Theil der Hornschicht gelangen und seine Zellen nicht 
zum Aufquellen bringen. Dabei scheint das Tannin die Eigen- 
schaft zu haben, mehr auf den Zellinhalt als auf die verhornte 
Membran zu wirken, da die oberflächliche Schieht zum Unter- 
schiede von den angeschnittenen Seiten nur wenig bläschenför- 
mige Zellen aufweist; die Krümmel deuten hier vielmehr darauf 
hin, dass das Eleidin hier völlig eingetrocknet ist und damit 
auch seine Quellungsfähigkeit verloren hat. Dafür sprechen noch 
andere, später zu erwähnende Beobachtungen. Dass die zwischen 
dem Maschenwerk des Zellinnern ausgespannte schmierige Masse 
wirklich das durch das Reagens allerdings in seiner Consistenz 
veränderte Eleidin ist, geht einmal daraus hervor, dass das ganze 
Strat. lueid. diese Eigenthümlichkeit zeigt (Fig. 5sl) und dass 


Weitere Mittheilungen über den Bau der Hornschicht ete. 591 


bei kurz dauernder Fixirung sich einzelne Zellen noch mit un- 
verändertem Eleidin gefüllt erweisen (Fig. 4 e). 

Fixirt man Sohlenhaut nach den Angaben Unna’s (32) in 
einer Lösung von 1,0 gr Tanninsänre und 1,0 Pikrinsäure in 
100 cem einer 1°/,igen Salpetersäurelösung bei einer Temperatur 
von ca. 90°, bettet die so behandelte Haut dann in Celloidin ein und 
schneidet genau senkrecht zu den Riffen der Oberfläche, so er- 
hält man bei Färbung mit Congoroth oder Pikrokarmin folgendes 
Bild (Fig. 7): Die Hornschicht lässt sich deutlich in vier Zonen 
abgrenzen; die unterste Zone A, dem Strat. lueid. entsprechend 
(sl), ist intensiv gelb gefärbt, die Zellen selbst sind stark abge- 
plattet. Darauf folgt eine breite stark roth tingirte Zone B (sr); 
hier sind die Zellen bläschenförmig und lassen eine deutliche 
Membran und Fasernetz, sowie eine leere Kernhöhle erkennen 
(in Figur 7 wegen der schwachen Vergrösserung nicht wieder- 
gegeben); ähnlich wie bei den Tanninpräparaten spannt sich 
zwischen den Fasern eine stark roth gefärbte, schmierige Masse 
aus, das gequollene Eleidin. Auf diese Schicht folgt eine Lage (C) 
gelb gefärbter platter Zellen (st), an denen keine Structur zu 
erkennen ist und darauf wieder eine Zone (D) bläschenförmiger 
Zellen (sd) mit Membran, Fasernetz und leerer Kernhöhle und 
zwischen dem Faserwerk eine mehr krümmlige Masse. Der 
Uebergang von einer Zone in die andere ist zwischen A und B 
sehr scharf, weniger zwischen B und C und C und D. Neben 
dieser verschiedenen Schiehtung fällt nun sofort auf, dass im 
Gebiet der die oberflächlichen Riffe begrenzenden Furche, also 
in dem von Blaschko (2) beschriebenen Faltentheil die Zone C 
der platten Zellen sich gegen das Strat. Malpighi hin einsenkt 
und das Strat. lucid. (Zone A) erreicht (pi). Die Hornschicht 
erscheint also hier, wie übrigens schon Oehl (19) beobachtet und 
abgebildet hat, deutlich in den intrapapillären Theil des Strat. 
Malpighi eingefaltet, nur die oberflächliche Schicht ist dabei 
weniger betheiligt und weist nur über der Falte eine Einbuchtung 
auf (in Fig. 7 nieht ausgeprägt). Behandelt man einen derartig 
fixirten Schnitt nach den weiteren Unna’schen Angaben mit einer 
Osmium-Alaunlösung, so färbt sich Zone A und © intensiv oliven- 
grün (Fig. 8sl und st), wodurch die platten Zellen von den heller 
osmirten bläschenförmigen der anderen Lagen (sr) scharf con- 
trastiren; im Faltentheil (pi) erkennt man so besonders deut- 


592 Franz Weidenreich: 


lich, dass hier die Zellen statt mit ihrem grössten Durchmesser 
horizontal orientirt zu sein, sich der Faltenrichtung entsprechend 
vertical gestellt haben. Dasselbe Verhalten hat nun bereits 
Zander (35) beobachtet; er giebt davon in Fig. 4 (Taf. V) ein 
anschauliches Bild. Dieses Zanderssche Präparat entstammt 
Haut, die in Chromsäure gehärtet und mit Methyleosin gefärbt 
war. Wir haben dort eine stark roth gefärbte Zone A (Strat. 
lueid.) mit platten, eine Zone B mit bläschenförmigen Zellen, eine 
Zone C mit wieder mehr abgeplatteten, die sich im Gebiet der 
Falte zum Strat. Malpighi einsenken und endlich eine periphere 
Zone D mit bläschenförmigen Zellen, die bei der Einfaltung 
weniger betheiligt ist. Zander hat dieses Bild so erklärt, dass 
die stark roth gefärbten und abgeplatteten Zellen total verhornt 
wären (Typus B), während die bläschenförmigen Zellen den für 
Vola manus und Planta pedis charakteristischen Bau zeigen wür- 
den (Typus A). Aehnliche Bilder ergiebt nun auch die Zenker- 
sche Flüssigkeit. 

Bei der Deutung dieses Phänomens entsteht als nächste 
Frage: Handelt es sich hierbei um ein Kunstprodukt, d.h. wird 
die eigenthümliche Anordnung und Verschiedenheit der Zellen durch 
das Fixationsverfahren bedingt, oder finden sich diese Unterschiede 
auch an frischer Haut? Ielı habe bereits auseinandergesetzt, dass 
sich thatsächlich an frischer Haut Differenzen insoweit nachweisen 
lassen, als wir je nach dem Auftreten des Eleidins vier Zonen 
unterscheiden können. Aber auch die Falte lässt sich ohne 
Weiteres nachweisen, nur erscheint die oberflächliche Schicht 
stärker eingebuchtet, dies entspricht eben der Furche zwischen 
den Riffen der Oberfläche. Diese Verhältnisse hat Oehl (19) 
nach Beobachtungen an frischer Haut in Taf. I Fig. 3 und 5 
schon vor bald 50 Jahren abgebildet. Auch an Haut, die kurze 
Zeit in 60-—70°/, Alkohol gelegen hat, lassen sich diese Ver- 
hältnisse noch gut erkennen, sehr lang dauernde Alkoholeinwir- 
kung verwischt dagegen das Bild, eine Beobachtung, die auch 
Unna (29) bestätigt. Dagegen kann weder an frischer noch an 
kurz in Alkohol gehärteter Haut in der Zellstruetur der ver- 
schiedenen Schichten ein Unterschied wahrgenommen werden; 
niemals treten hier bläschenförmige Zellen mit Membran und 
Fasernetz hervor. Ihr Auftreten ist also auf eine Quellung zurück- 


Weitere Mittheilungen über den Bau der Hornschicht ete. 595 


zuführen, wohl mit theilweiser Lösung des Zellinhaltes, d.h. des 
Eleidins; diese Quellung wird thatsächlich durch die zur Fixirung 
benutzte Säurelösung bedingt, in meinen Fällen durch die Sal- 
petersäure, Essigsäure und die Müller'sche Flüssigkeit, bei 
Zander durch die Chromsäure. 

Wie kommt es nun, dass diese Quellung sich nicht auf die 
ganze Hormschicht erstreckt, sondern nur auf bestimmte Lagen 
derselben? Da wir im Grossen und Ganzen auch an frischer 
Haut wesentliche Unterschiede finden, müssen diesen Ursachen 
zu Grunde liegen, die in einem besonderen Zustande des Stratum 
corneum zu suchen sind; diese können aber nichts anders als 
Spannungsunterschiede sein, welche ich an dem folgenden 
Schema erläutern will. 


Schema zur Erläuterung der Spannungsverhältnisse im 
Stratum corneum von Vola manus und Planta pedis. 
ah und ck=Zugrichtung im Blaschko’schen Faltentheil nach 
innen. Grosser Pfeil in der Mitte = Gegendruckrichtung nach 
aussen. Pfeile bei A und k = Richtung der die Zone ghik (Zone A) 
zusammenpressenden Kraft. Pfeile bei « und c= Richtung der 
die Zone abed (Zone C) spannenden Kraft. 0 = Interferenzzone 
(Zone B); ef= deren Mittellinie. 


Die Hornschicht ist im Gebiete der Blaschk o schen 
Falten gegen die Cutis zu stark eingezogen, während die zwischen 
zwei Falten gelegene Partie, die der Drüsenleiste entspricht, 

Archiv f, mikrosk. Anat. Bd, 57 39 


594 Franz Weidenreich: 


nach der Oberfläche zu vorgewölbt ist; dadurch wird in diesen 
Theilen eine dauernde Spannung erzeugt, welche sich in folgen- 
der Weise äussert: Nehmen wir in der Richtung der Faltenlinie 
ah und ck einen gegen die Cutis wirkenden Zug an und dem- 
entsprechend im Gebiete des Drüsenleistentheils von der Cutis her 
einen durch den mittleren Pfeil angedeuteten Druck nach aussen, 
so entstehen in dem Gebiete achk Spannungsunterschiede und 
zwar werden in der Zone ghik die Zellen gegen die Mitte zu 
in der Richtung der Pfeile bei } und % zusammengepresst, wäh- 
rend in der Zone abed umgekehrt die Zellen von der Mitte 
nach den Seiten auseinander gezogen werden. Dadurch entsteht, 
da ja die Linien ah und ck sich einander nähern können, nach 
dem Gesetze eines an seinen Enden frei beweglichen Stabes eine 
Interferenzzone bdgi mit der Mittellinie ef, in welcher die 
Spannung gleich Null ist. Einer grossen Spannung unterliegen 
demnach einmal die Zellen der Zone ghik (Zone A, Stratum 
luecidum) und der Zone abcd (Zone C), ebenso die Zellen des 
Faltentheils b g und di, keiner dagegen die der zwischen diesen 
Linien gelegenen Zone bgdi und der an der Einfaltung nicht 
mehr betheiligten äussersten peripheren Schicht (Zone D). Die 
Zonen A und C haben demnach ein festes Gefüge, 
die einzelnen Zellen unterliegen einer starken Span- 
nung in horizontaler Richtung, während die Zonen BundD 
locker geschichtet sind, auf ihre Zellen also kein 
besonderer Zug einwirkt. 

In diesen Spannungsverhältnissen der einzelnen Schichten 
finden wir nun eine unzweideutige Erklärung für die Bilder, wie 
sie die verschiedenen Fixirungsmethoden liefern. Bei all den 
Mitteln, die Quellung verursachende Reagentien enthalten, wie 
die Unna’sche Lösung, die Chromsäure, die Zenker’sche 
Flüssigkeit ete., äussert sich diese Quellung zunächst in den 
loekeren Schichten, weil hier die Flüssigkeit am leichtesten ein- 
dringen und sich ausbreiten kann, die Zellen nehmen dadurch 
Bläschenform an und werden so fixirt; während dort, wo ein 
festes Gefüge besteht, die Flüssigkeit schwerer und später ein- 
dringt, so dass diese Zellen durch die bereits gequollenen und 
fixirten der Nachbarlagen an der Ausdehnung verhindert werden, 
ja vielleicht sogar dureh jene eine Zusammenpressung erfahren. 
So erklärt sich, dass die Zonen A und C, sowie die Blaschko- 


Weitere Mittheilungen über den Bau der Hornschicht ete. 595 


sche Falte stark abgeplattete Zellen aufweisen, die infolge 
dessen auch färberische Differenzen zeigen werden, indem sie 
sich mit bestimmten Farbstoffen (Garmin, Congorot, Methyleosin) 
intensiver tingiren lassen. Verwendet man zur Fixirung dagegen 
Reagentien, die keine Aufquellung bedingen, wie den Alkohol, 
so kommen die Unterschiede der Schiehten weniger scharf zum 
Ausdruck; man findet hierbei keine bläschenförmigen Zellen, 
sondern durchweg mehr oder weniger abgeplattete, deren Inhalt 
in eine feste homogene Masse umgewandelt worden ist; doch 
bleibt die Blascehk o’'sche Falte deutlich ausgeprägt. Bei ganz 
frischer Haut ist sie dagegen oft etwas weniger bemerkbar, hier- 
bei trifft man dann eine mehr wellenförmige Anordnung derart, 
dass die Wellenthäler stets im Gebiet der Falte gelegen sind. 
Diese geringe Verschiedenheit ist darauf zurückzuführen, dass 
bei frischer Haut infolge der ihr innewohnenden bedeutenden 
Elastieität die natürliche Spannung durch das Ausschneiden des 
dünnen Rasirmesserschnittes etwas verloren geht. Ist nun der 
Inhalt der Hornzelle flüssig, wie bei frischer oder kurz in 
Alkohol gehärteter Haut, so wird derselbe beim Anschneiden 
das Bestreben haben, aus der Zelleauszutreten, und zwar 
in den Schichten, wo die Zellen einer besonderen Spannung 
ihrer Wandung unterworfen sind. Dies ist nun, wie aus- 
einandergesetzt, der Fall in den Zonen A und C, in den Lagen 
also, wo sich nach meinen eingangs angeführten Beobachtungen 
Eleidintropfen in reichlicher Menge nachweisen liessen; dagegen 
wird in der Interferenzzone B, ebenso wie in der oberflächlichen 
Lage D, da hier die pressende Kraft fehlt, nichts aus der Zelle 
ausfliessen. Es ist nun selbstverständlieh, dass diese Zonen ver- 
schiedener Spannung sich nicht scharf von einander abgrenzen, 
mit Ausnahme des Uebergangs von Zone A in B; hier tritt eine 
schärfere Trennung hervor, weil an dieser Stelle das Eleidin im 
Allgemeinen in eine festere Form übergeht. Aber auch dieser 
neuentstandene Körper kann noch hier und da ausgepresst wer- 
den, das ist dann der Fall, wenn die Spannungsverhältnisse gut 
ausgeprägt sind und sein Aggregatszustand nicht allzufest ist. 
Ist dagegen die Spannung eine geringere und das Eleidin wenig 
liquid, so gelingt es nicht, es noch in den höheren Lagen nach- 
zuweisen. 


596 Franz Weidenreich: 


Die geschilderten Spannungsunterschiede können nun noch 
dureh eine rein physikalische Eigenschaft der Hormschicht sicht- 
bar gemacht werden, auf die von Ebner (7) schon längst 
aufmerksam gemacht hat, die ich aber merkwürdiger Weise in 
keiner Beschreibung der Epidermis erwähnt finde, das ist die 
Anisotropie des Stratum corneum. Untersucht man 
Hornschicht, die nach Unna fixirt ist, im polarisirten Licht, so 
erkennt man leicht, dass die Zonen A und C ausserordentlich 
stark doppellichtbrechend sind, bedeutend weniger dagegen die 
übrigen Zonen; lange nicht so in die Augen springend ist der 
Unterschied bei frischer Haut, weil die Elastieität hier die Span- 
nung ausgleicht; immerhin aber tritt sie deutlich genug in den 
Zonen A und C und in den gegen die Blaschk o’sche Falte 
geneigten Zellreihen hervor, besser noch wenn man die Haut 
etwas eintrocknen lässt oder ein kurz in Alkohol gelegtes Stück 
verwendet. Dagegen erweist sich nach lang dauernder Alkohol- 
härtung das Strat. cormeum fast gleichmässig anisotrop; behan- 
delt man aber einen derartigen Schnitt mit Essigsäure, so quellen 
die Zellen auf und in demselben Masse nimmt in den gequollenen 
Partien die Doppellichtbrechung ab, eine Beobachtung, die zu 
dem Schlusse berechtigt, dass nicht gequollene und gespannte 
Zellen je nach dem Grade der Spannung anisotrop sind. Ich 
habe mich bemüht, festzustellen, an welchen Zellbestandtheil die 
Doppellichtbreehung gebunden ist, an die Hornsubstanz oder an 
das Eleidin. Die erstere kann jedenfalls anisotrop sein, wovon 
man sich ohne Weiteres überzeugt, wenn man ein dünnes Stück- 
chen Nagel zwischen die Nicols bringt; die Ränder zeigen sich 
dann isotrop, die Mitte mehr anisotrop. Dagegen fällt für das 
Eleidin der Nachweis schwerer; an den Tropfen lässt sich mit 
3estimmtheit nichts feststellen, dagegen erweist sich der ge- 
sammte Inhalt der Stratum lueidum-Zellen sehr stark doppellicht- 
breehend, ein Umstand, der mir doch dafür zu sprechen scheint, 
dass auch das Eleidin, wenigstens wenn es sich in einem ge- 
pressten Zustande befindet, anisotrop ist. 

Die Spannungsunterschiede der Hornschicht erklären nun 
aber auch ein Phänomen, - das neuerdings von Merk (16) be- 
obachtet wurde, von ihm aber, wie mir scheint, nicht in zu- 
treffender Weise gedeutet wird. Merk fand nämlich, dass bei 


Sr 
de) 
| 


Weitere Mittheilungen über den Bau der Hornschicht ete. 


Injeetionen in die Fingerbeere eines frisch amputirten Fingers, 
gleichviel mit welcher Flüssigkeit, eine „Verbreiterung“ der über 
dem Strat. lueid. gelegenen Zone eintrat, deren Zellen aufquollen 
und Bläschenform annahmen. Ueber den Drüsenleisten war die 
Verbreiterung stärker, schwach an den anderen Stellen, sodass an 
den „von der Injection mehr entfernten Partien nur die erstere 
Art der Verbreiterung (d. h. eine Beschränkung auf die Drüsen- 
leiste. D. Ref.) bei schwachen oder mässigen Vergrösserungen 
entdeckt werden konnte“. Die Merk ’schen Figuren la und 7 
lassen ohne Weiteres erkennen, dass seine „Verbreiterungszone“ 
identisch ist mit meiner Zone B (vgl. Schema und bes. Fig. 9 sr), 
die, wie oben auseinandergesetzt, locker gefügt ist. Es ist klar, 
dass infolgedessen die Injeetionsflüssigkeit sich in dieser Lage 
besonders leicht ausbreiten wird, nicht dagegen dort, wo eine 
starke Spannung herrscht wie in den Zonen A und B. Bei 
starkem Druck, d. h. also in der Nähe der Einspritzungsstelle 
wird dieser Widerstand überwunden und zwar zunächst in der 
Lage, in der er am schwächsten ist, also im unteren Faltentheil; 
die Flüssigkeit breitet sich dann auch hier aus. Bei geringerem 
Druck, d.h. bei grösserer Entfernung, bleibt sie dagegen auf die 
lockere Schicht beschränkt; sie wird hier diese Lockerung noch 
erhöhen und dem fixirenden Reagens das Eindringen in die Zone 
erleichtern; ist dieses säurehaltig, so bringt es sofort die Zellen 
zum quellen, thatsächlich rühmt nun auch Merk die Wirkung 
der Zenker’schen Flüssigkeit, die das Phänomen besonders 
zeige. 

Ganz abweichend hiervon beurtheilt nun Merk die mitge- 
theilte Erscheinung. Nach ihm handelt es sich dabei um eine 
Lebensthätigekeit der Hornzellen, die im Stande wären, 
überschüssige Flüssigkeitsmengen aus dem darunter liegenden Ge- 
webe aufzunehmen und an die Oberfläche abzugeben; es käme 
ihnen so eine bedeutende „regulatorische Thätigkeit“ zu. Trotz- 
dem ich bereits in meiner ersten Abhandlung gegen diese An- 
nahme, wie ich glaube, schwerwiegende Bedenken geltend ge- 
macht habe, hält Merk in einer eben erst erschienenen Arbeit (17) 
seine Behauptung aufrecht; er betont zwar ausdrücklich, dass 
ich seine Ausführungen nicht direet als gegen meine Person ge- 
richtet ansehen möge, weil mein Standpunkt der allgemein bisher 


598 Franz Weidenreich: 


vertretene wäre; ich glaube aber dennoch das Recht in Anspruch 
nehmen zu dürfen, seiner Auffassung entgegenzutreten. Zunächst 
müsste man sich eigentlich darüber verständigen, was beiderseits 
unter einer Lebensthätigkeit der Hornzelle verstanden wird. 
Merk erläutert dies nicht näher, aber aus seinen Ausführungen 
geht hervor, dass er annimmt, die Hornzelle vermöge in dem 
vorliegenden Falle durch eine besondere Function ihres Proto- 
plasmas Flüssigkeit activ aufzusaugen, in sich aufzuspeichern und 
nach Bedarf wieder abzugeben; das ist doch wohl das Wesen 
einer regulatorischen Thätigkeit. Daneben führt er noch an, 
dass die Hornzelle bei pathologischen Processen Veränderungen 
eingehe, über deren Natur aber einstweilen keine näheren An- 
gaben gemacht werden; er erwähnt hier nur besonders die früh- 
zeitige Abstossung der Zellen nach Aetzung und Verbrennung 
und meint, wenn die Zelle doch schon todt wäre, könnte sie nicht 
gut auf diese Schädlichkeiten reagiren und so noch „todter“ 
werden. Derartige Einwände haben doch recht wenig Beweis- 
kraft. Liegt es dann nicht viel näher, für diese Reactionen 
Aenderungen in den rein physikalischen Eigenschaften der Horn- 
zelle anzunehmen? Von diesen käme besonders in Betracht 
die Elastieität, die Quellungsfähigkeit und die Neigung des in 
den tiefen Schichten z. Th. flüssigen Zellinhalts mit dem Vorrücken 
der Zelle nach der Oberfläche fest zu werden und einzutrocknen; 
eine vorzeitige Abstossung der Hornzellen kann ebensogut auf 
einer starken Lockerung des Zellverbandes durch rein mechani- 
sche Momente basiren. Das Merk ’sche Phänomen ist leicht, 
wie bereits gezeigt, auf physikalische Eigenthümlichkeiten der 
Zellen zurückzuführen. Dass also die Hornzelle durch chemische 
und thermische Reize verändert werden kann, beweist gar nichts 
für eine Lebensthätigkeit derselben. Wenn ich z. B. ein Stück 
altes Horn vom Pferdehuf in Kalilauge koche, so bildet sich 
zunächst eine schleimige Masse; niemand wird aber deswegen 
sagen, das todte Stück Horn ist nun noch „todter ‘ geworden; oder 
aber wenn ich ein Blatt von einem Baume abschneide und lege 
es an die Sonne, so vertrocknet es schliesslich zu einer dürren, 
brüchigen Masse; die Zellen waren aber schon bedeutend früher 
abgestorben, bevor dieses Endresultat eintrat, und auch in diesem 
„todten* Zustande kann es, bezw. seine Zellen, noch „todter“ 
gemacht werden, nämlich dann, wenn man es verbrennt. Zu- 


Weitere Mittheilungen über den Bau der Hornschicht etc. 599 


nächst wäre demnach zu prüfen, sind die von Merk angeführten 
Punkte nicht auf rein physikalische Eigenschaften 
der Hornzellen zurückzuführen, die, wenn auch abgestorben, 
vermöge ihres Reichthums an solchen auf äussere Einwirkungen 
sehr leicht reagiren können. 

Als Haupteinwand gegen eine active Lebensthätigkeit hatte 
ich mit geltend gemacht, dass die Hornzellen des Kerns ent- 
behren und dass es unseren physiologischen Anschauungen wider- 
streite, einem kernlosen Gebilde wirkliches Leben zuzusprechen. 
Dagegen hebt nun Merk besonders hervor, dass er Kerne in den 
Hornzellen gefunden hane, die sich leicht färben liessen und dass 
in den Zellen seines Zehennagels solche gleichfalls nachweisbar 
waren. Ich weiss sehr wohl, dass man in den basalen Hornlagen 
ab und zu gut färbbare Kerne trifft und dass dieser Befund für 
die Hornzellen des Nagels der normale ist; allein die Thatsache 
bleibt bestehen, dass in den höheren Lagen der Hornschicht 
Kerne normaler Weise niemals gefunden werden; aber auch die 
in den tiefsten Lagen des Stratum corn. nachweisbaren Kerne 
lassen alle eine deutliche Schrumpfung erkennen und sind im 
Begriffe zu zerfallen (Fig. 5»). Ganz aber fehlen sie in den 
Zelllamellen der nach dem von Zander (35) so benannten Typus 
B gebauten Haut, d. h. an allen Hautstellen mit Ausnahme der Vola 
manus und Planta pedis,. Merk ignorirt in seiner Erwiderung 
den von mir bereits früher gemachten Einwand völlig, und doch 
kommen für pathologische Processe praktisch wohl hauptsächlich 
diese Partien in Betracht, jedenfalls aber dann, wenn es sich um 
eine wichtige physiologische Funetion der Hornschieht handeln 
soll, wie die „regulatorische Thätigkeit“ eine wäre. Ich muss also 
meine Frage wiederholen: Ist diesen Lamellen auch eine active 
Lebensthätigkeit zuzusprechen? Gelingt es hier überhaupt — darauf 
basirt ja in ihrem Kernpunkt die Merk’'sche T'heorie — Flüssig- 
keit in die Zellen selbst, nieht in die Interlamellarräume, mittels 
subepidermaler Injection himeinzuspritzen? Solange also keine 
stichhaltigeren Beweise für ein Leben der Hornzelle beige- 
bracht werden können, wird sie wohl einstweilen noch ihre Aufer- 
stehung nicht feiern; es bleibt vielmehr dabei, dass die Epider- 
miszellen einer fortschreitenden Degeneration unter- 
liegen, die schliesslich zum Absterben der Zelle führt }). 


1) Es sei mir hier gestattet, obwohl es nicht direct im Rahmen 


600 Franz Weidenreich: 


Der auffallende färberische Unterschied zwischen den ein- 
zelnen Schichten des Strat. corn. hat nun Unna (29, 30) schon 
früher veranlasst, eine Theorie hierüber aufzustellen; darnach 
würde es sich um Consistenzverschiedenheiten der Zelllagen handeln, 
was also im Prineip mit meiner Aufstellung übereinstimmen würde. 
Unna’s Untersuchungen beschränkten sich in der Hauptsache auf 
Fixirung der Haut in Osmium oder Alkohol mit nachfolgender 
Pikrokarminfärbung. Auf Grund so gewonnener Bilder nimmt er 
an, dass das Strat. lueid. sehr fest gefügt sei, eine darunter ge- 
legene „superbasale“ Schicht fest, eine folgende „mittlere“ locker 
und die „oberflächliche“ wieder fest. Für die Aufstellung einer 
eigenen superbasalen Schicht, die Unna als stark rothen, schmalen 
Streifen nur bei Pikrokarminfärbung fand, ist kein zwingender 
Grund vorhanden; ausserdem aber geht aus meinen Osmiumprä- 


des Themas liegt, kurz auch auf die Einwände Merk’s (17) einzugehen, 
die sich auf den Bau der Hornzelle beziehen. Zunächst habe ich nir- 
zends behauptet, dass sich zwischen den Hornzellen isolirte Fibrillen 
fänden, die entfernter gelegene Zellen mit einander verbinden würden. 
Ich leugne doch sogar schon eine Verbindung benachbarter Horn- 
zellen durch Fasern. Was nun die Frage nach den Poren der 
Zellen angeht, so hat Merk ein neues Argument dafür nicht vor- 
gebracht, noch meine Einwände widerlegt. Oberflächenbildern kommt 
hier m. E. wenig Beweiskraft zu, da hierbei sich niemals mit Be- 
stimmtheit sagen lässt, ob die Vertiefungen, wie sie sich in den 
Merk’schen Figuren A, B etc. finden, wirkliche Löcher oder nur 
Grübchen darstellen; die reprodueirten Photographien lassen die 
letztere Annahme sogar für richtiger erscheinen, die Zellen bieten nicht 
den Anblick einer siebartig durchlöcherten Hülle, sondern eher einer 
mit Zacken und Kämmen besetzten Oberfläche, die durch kleine Gruben 
von einander getrennt sind. Die Frage kann eben nur sicher ent- 
schieden werden mittelst eines Durchschnittes durch die Zelle; hierbei 
zeigt sich nun auf das Schlagendste, dass die Oberfläche mit Zähnchen 
besetzt ist, aber Durchbreehungen der Membran, wie sie doch beim 
Vorhandensein von Poren unfehlbar auftreten müssten, lassen sich 
nirgends, auch in den dünnsten Schnitten von 2,5 u nicht, constatiren. 
(Ich verweise hier nur auf die Fig. 15,16, 17,18,20 u. ff. meiner ersten 
Abhandlung.) Wenn es also gelingen sollte, auf einem Zelldurchschnitt 
Lücken in der Membran aufzufinden, die in das Zellinnere hinein 
führen, dann erst wäre das Vorhandensein von Poren unwiderleglich 
bewiesen. 


Weitere Mittheilungen über den Bau der Hornschicht ete. 601 


paraten hervor, dass seine oberflächliche Schieht mit den von 
mir als Zone © und D bezeichneten ungefähr identisch ist. Be- 
rücksichtigt man dies, so deckt sich die Unna’sche Angabe über 
die Consistenzverschiedenheiten mit der meinigen; es würde also 
die basale feste Schicht der Zone A, die mittlere lockere der 
Zone B, die oberflächliche der Zone C und meine lockere Zone 
D wohl dem peripheren Theile von Unna’s oberflächlieher Schicht 
entsprechen. Allein in der Erklärung der Consistenzunterschiede 
weiche ich von Unna ab; er hat ziemlich eomplieirte Theorien über 
die Aeusserung der Oberflächenspannung auf die einzelnen Horn- 
zellen aufgestellt. Wieweit diese in Betracht kommen, will ich 
dahin gestellt sein lassen; ich glaube, dass die von mir gegebene 
Deutung wesentlich einfacher ist, sie deekt sich zudem völlig 
mit den Befunden bei den verschiedensten Fixirungen und von 
frischer Haut. 

Fasse ich nunmehr die Ergebnisse zusammen, so 
lässt sich über den Bau der Hornschicht folgendes sagen: 
Das Stratum corneum wird von Zellen gebildet, an denen sich 
eine verhornte Membran und im Innern ein Fasernetz 
unterscheiden lässt, das jedenfalls aus einer sehr resistenten Sub- 
stanz, sicher aus irgendwie verändertem, jedoch nicht ver- 
horntem Protoplasma, besteht; der übrige Zellraum wird 
von einer homogenen Masse eingenommen, die jenes 
Netzwerk ausfüllt. Diese Masse entsteht durch Ver- 
flüssigung der im Strat. gran. gebildeten Keratohyalingranula 
und heisst dann Eleidin; indenbasalen 2—3 Zellreihen 
der Hornschicht behält dieses Eleidin seinen 
flüssigen Charakter bei, nimmt aber dann eine 
feste, zähe, colloidartige Consistenz an und trocknet 
insden Oberflächenziellen) zu einer krümmelizen 
Masse ein, während Membran und Faserwerk mor- 
phologisch keinerlei Veränderung mehr erfahren. 
Ich hatte in meiner ersten Abhandlung einzelne Beobachtungen 
aufgeführt, die für eine Betheiligung des Schweisses bei der 
Eleidinmetamorphose sprechen, konnte jedoch weitere Beweise 
für diese Annahme nicht finden; nahe liegt es jedenfalls die 
Wirkung der Luft für die Austrocknung des Eleidins 
anzunehmen. Für die festere Form dieser Substanz habe 


602 Franz Weidenreich: 


ich den Namen Pareleidin vorgeschlagen, weil mit dem Ueber- 
sang des Eleidins in diesen Zustand auch chemische Umwand- 
lungen einherzugehen scheinen, wofür die später zu erwähnende 
Osmiumreaction spricht. Demnach könnte man im Allgemeinen 
den homogenen Inhalt der Hornzelle jenseits des Strat. lueid. als 
Pareleidin bezeichnen. Neben dieser Structur der Zelle selbst 
bietet auch die Hornschicht als solehe in ihrem Gefüge 
wesentliche Verschiedenheiten dar. Die basale Schicht 
— Zone A, Strat. Iueid. — besteht aus stark abgeplatteten, 
festgefügten und gespannten Zellen, auf diese folgt eine 
lockere Schicht — die Interferenzzone B — mit weniger 
abgeplatteten Zellen, dann wieder eine feste Zelllage im 
Zustande der Spannung — Zone © — und endlich eine 
oberflächliche lockere Schicht mit den sich abstossen- 
den Zellen — ZoneD. Im Gebiet der Blaschk o’schen Falte 
erstreckt sich die gespannte Zone C bis zum Strat. lucid. herab 
und unterbricht hier so die lockere Schicht B (vergl. Fig. T, 
8 und 9). 

Ich habe bereits darauf hingewiesen, dass dieses eben ge- 
schilderte Bild individuellen Sehwankungen unterworfen 
ist, die in einem mehr oder weniger bedeutenden Ausgleich 
der Spannungsdifferenzen oder in der früher oder später 
eintretenden Aenderung des Aggregatzustandes des 
Eleidins, bezw. des Pareleidins bestehen. Es wäre jedenfalls 
zur Erkenntniss pathologiseher Vorgänge nicht ohne Werth, zu 
untersuchen, in wie weit Alter und Ermährungszustände diesen 
wechselnden Befunden zu Grunde liegen und in wie weit sie bei 
Krankheiten, welche die Hornschicht betreffen, eine Rolle spielen. 
Ein besonderes morphologisches Interesse bietet die angezogene 
Frage jedenfalls nicht. Vielleicht empfiehlt es sich vom prak- 
tischen Gesichtspunkte aus die einzelnen Schichten des Stratum 
corneum mit Namen zu belegen, die zugleich auch einen 
Hinweis auf ihren Bau enthalten; ich schlage also für den 
Fall, dass sich ein besonderes Bedürfniss nach einer dement- 
sprechenden ausführlichen Nomenelatur herausstellen sollte, folgende 
Bezeichnungen vor (vergl. dazu Fig. 9): 


Weitere Mittheilungen über den Bau der Hornschicht etc. 603 


Stratum eorneum. 


en zz EESSESSEEE 


Pars arcuata (pa)!) Pars implieita (p) 
(Drüsenleistentheil) (Gebiet der Blaschko’schen Falte) 
A. Stratum lueidum (Oehl) (sive Stratum tensum 
profundum — Stratum basale Unnae) (sl); 
B. Stratum relaxatum (8. fehlt 
Stratum medium Unnae) 


(sr); 
C. Stratum tensum (bezw. tens. superfic.) (st) 
D. Stratum disjunetum (Ranvier) (sd) 
(C und D — Stratum superficiale Unnae). 


Die Pars implieita unterscheidet sich also von der Pars 
arcuata dadurch, dass hier das Stratum relaxatum fehlt, an seiner 
Stelle reicht das Stratum tensum bis zum Stratum lueidum herab. 
In der Mitte der Pars arceuata verläuft durch alle Schichten hin- 
durch der Ausführgang der Schweissdrüsen (ds). 


Es erscheint mir nothwendig, auch hier wieder besonders 
hervorzuheben, dass in der eben geschilderten Weise nur die 
Hornschicht von Vola manus und Planta pedis gebaut 
ist, während das Stratum corneum der übrigen Hautstellen aus 
wenigen übereinander geschichteten Lamellen besteht, 
die ab und zu durch Spalträume von einander getrennt sind, welche 
man zweckentsprechend als Interlamellarräume bezeichnen 
könnte. Die Lamellen selbst wieder bestehen aus stark abge- 
platteten, untereinander verklebten Hornzellen, deren 
verhornte Wände ihrerseits wieder aneinanderkleben, sodass ein 
Inhalt —- Faserwerk und Eleidin, bezw. Pareleidin — hier 
überhaupt nicht oder nur inSpuren nachweisbar ist. Durch 
besondere Reagentien gelingt es jedoch, die Zellen zu isoliren 
und auch die Verklebung ihrer eigenen Wände zu lösen, sodass 
sie zu bläschenförmigen Gebilden aufquellen. Für die Beurthei- 
lung pathologischer Processe ist es unbedingt nothwendig, diese 
Unterschiede im Bau der Hornschicht streng zu beachten; Re- 


1) Die Buchstaben beziehen sich auf die Bezeichnung in der 
schematisirten Figur 9. 


604 Franz Weidenreich: 


sultate von Untersuchungen über das Stratum cor- 
neum von Vola manus und Planta pedis können 
daher niemals ohne weiteres als auch für die üb- 
rigen Hautstellen geltend angesehen werden und 
umgekehrt. 


Die Frage nach der chemischen Natur des Eleidins, bezw. 
des Pareleidins ist eng verknüpft mit der nach dem Fettge- 
halt derHornschicht. Der erste, der die Behauptung auf- 
stellte, dass das Stratum eorneum Fett enthalte, war Ranvier (21). 
Langerhans (12) hatte bekanntlich gefunden, dass nach Be- 
handlung der Haut mit Ueberosmiumsäure eine Schwarzfärbung 
in der Hornschicht auftritt, die nach ihm das Strat. lueid. frei- 
lassen würde und oberhalb desselben sich als ein breiter Streifen 
zu erkennen gäbe, eine Beobachtung, die Ranvier bestätigen 
konnte. Er fand gleichfalls, dass das Strat. lueid. ungefärbt 
blieb, während ein breiter schwarzer Streifen unmittelbar ober- 
halb desselben auftrat und ein zweiter an der Oberfläche; da- 
neben zeigten aber auch die Schnittränder eine intensive Schwarz- 
färbung. Das so entstandene Bild eines schwarzen Rahmens führt 
Ranvier darauf zurück, dass die Osmiumsäure von der freien 
Stückoberfläche her nach innen vordringe und so die Schwärzung 
verursache, dann aber ihrem weiteren Eindringen durch die gleich- 
zeitige Fixirung des bereits passirten Gewebes selbst ein Ziel 
setze. Was nun den Grund der Färbung angeht, so schliesst 
Ranvier aus dem Umstande, dass sie nach vorausgegangener 
Behandlung der Haut mit absolutem Alkohol ausbleibe, dass sie 
auf eine Substanz zurückzuführen sei, die in diesem letzteren 
Reagens löslich wäre. „Cette substance est vraisemblablement 
de la graisse. Or, le stratum lueidum, en rapport direet avee 
des couches du revetement &pidermique encore molles, doit con- 
tenir une certaine proportion d’eau et par eonsequent ne pas se 
laisser imbiber par les matieres grasses qui infiltrent les cellules 
dessechees de la eouche ceornee. Il est done naturel qu’il ne 
reduise pas lacide osmique et quil soit incolore dans les pre- 
parations faites seulement au moyen de cet acide.* Dieser An- 
nahme trat Unna (30) entgegen. Nach ihm ist die Osmium- 
reaction der Hornschieht nieht durch das schrittweise Eindringen 


Weitere Mittheiluneen über den Bau der Hornschicht ete. 605 
> 


des Reagens zu erklären, sondern würde auf den Consistenzver- 
schiedenheiten derselben beruhen; die von ihm hierfür ange- 
führten Gründe sind folgende: Der basale schwarze Streifen er- 
scheint auch dann zuerst, wenn man Schnitte von frischer Haut 
direet in Osmium überträgt; er besitzt eine konstante Breite und 
gerade die allerunterste Hornzellenschicht, zu der die Osmium- 
säure zuerst gelangt, schwärzt sich nicht. Dagegen glaubt auch 
Unna, dass die Hornschicht mit Fett imprägnirt sei und dieses 
die Osmiumreduetion bedinge; die Beobachtung, dass nach gründ- 
licher Entfettung eine vollkommene Inversion der Schwärzung 
eintrete, macht ihm jedoch wahrscheinlich, dass die Osmiumwir- 
kung auf die Hormschicht der Einwirkung dieser Säure auf fette 
Körper nicht einfach gleichzusetzen sei. Koelliker (11) be- 
schränkt sich darauf, zu bestätigen, dass nach Behandlung mit 
absolutem Alkohol die Schwärzung ausbleibe; er fand übrigens, 
dass auch das Strat. lueid. sich sehwärze; über die Ursache der 
Reduction spricht er jedoch eine eigene Meinung nicht aus. Mit 
der Entdeckung des Eleidins durch Ranvier (22) war die 
Fettfrage in ein neues Stadium gerückt. Ranvier selbst be- 
zeichnet es als ein „huile essentielle“, während es Liebreich (14) 
für ein Cholestearinfett hielt. Gegen diese beiden Behauptun- 
sen trat Buzzi (5) auf; er wies nach, dass das Eleidin weder 
ein ätherisches Oel, noch Lanolin sei und erklärte dasselbe für 
ein fettes Oel, ein Glycerinfett, vorzüglich wegen der Osmium- 
reaction der Tropfen. Rabl (20) bestreitet die Angaben 
Buzzi's; die Osmiumreduction der Hornschicht führt dieser Autor 
gleichfalls auf den Fettgehalt derselben zurück, jedoch findet er, 
dass das Eleidin bei Behandlung frischer Hautschnitte mit Osmium 
keine Schwarzfärbung annimmt, also auch kein Glycerinfett sein 
könne. Doch hält er es für möglich, dass das weitere Umwand- 
lungsprodukt des Eleidins ein Fett ist, oder wenigstens ein 
solches aus demselben abgespalten werden kann. Aus dem Auf- 
treten blauer und rother Zellen bei Behandlung mit polychrom- 
saurem Methylenblau schliesst Rausch (25), dass diese Färbungs- 
differenzen durch den Gehalt der Zellen an Fett und zwar wahr- 
scheinlich an verschiedenen Fetten in Bezug auf die Nuance be- 
einflusst werden, trotzdem nach Behandlung mit kochendem Aether 
diese Verschiedenheiten sich nicht ausgeglichen hatten. Die 
Frage nach dem Fettgehalt erhielt weiterhin einen neuen Anstoss 


606 Franz Weidenreich: 


durch die auffälligen Befunde Unna's, die er mit seiner seeun- 
dären Osmirung (31, 32) gefunden hatte. Er fixirte Hautstückehen 
in der bereits oben angegebenen Mischung, bettete sie dann auf 
dem gewöhnlichen Wege in Oelloidin ein und belıandelte nach- 
her die Schnitte mit einer Osmiumalaunlösung (1,0 aä) in der 
Wärme. Auf diesem Wege erhielt er eine ausgedehnte Schwarz- 
färbung; darnach würden reichliche Fettmassen — ich erwähne 
hier nur die für unsere Frage speeiell in Betracht kommenden 
Zellen — sowohl im Strat. germinat. als auch im Strat. corn. 
nachweisbar sein; das Fett läge in diesen Schiehten in den Kern- 
höhlen und Lymphspalten. Jedoch macht Unna eine Ein- 
schränkung; die Fettbefunde sollen nämlich nicht eonstant sein, 
am reichlichsten fänden sie sich in der Haut der Fusssohle älterer 
Individuen von 40—70 Jahren, und wie ich einer liebenswürdigen 
Privatmittheilung Herrn Unna’s entnehme, auch hier nur unter 
zehn Fällen viermal in höherem Grade, viermal in geringerem, 
zweimal nur in Spuren und zweimal überhaupt nicht. In der 
Deutung der schwarzen Bildungen als Fett ist jedoch Unna 
zum Theil scharfem Widerspruch begegnet. Meves (vgl. 31) 
hat dieselben für Niederschläge erklärt; Török (28) behauptet 
sogar, dass ähnliche von Unna beim Ekzema seborrhoieum be- 
schriebene, mit Osmium geschwärzte Tropfen Luftblasen wären. 
Gegenüber diesen Einwänden hat Löwenbach (15) die Be- 
funde Unna's bestätigen können. Er fixirte Fusssohlenhaut nach 
Unna oder in Flemming'scher Lösung und färbte dann mit 
Sudan III; hierbei fand er die Kernhöhlen der Hornschicht mit 
rothen Fettmassen gefüllt, ebenso Fett an allen von Unna be- 
schriebenen Stellen; aus seinen Angaben verdient jedoch hervor- 
gehoben zu werden, dass er an 41 Fusssohlen elfmal einen posi- 
tiven Befund hatte, dagegen konnte er in den untersuchten 
25 Fällen von frischer Haut weder mit Sudan noch mit Osmium 
Fett nachweisen. Sata (26) prüfte gleichfalls an einem reich- 
lichen Material die Unna schen Angaben, er fand jedoch mit 
der seeundären Osmirung niemals Fett in den Kernhöhlen und 
Lymphspalten des Strat. corn., dagegen wohl in Form kleiner 
Körnchen in den tiefen Schichten des Strat. germin., wo ähn- 
liche Beobachtungen bereits von Ledermann (13) und Went- 
scher (34) gemacht waren; bei einer Nachuntersuchung mit 
Sudan III waren jedoch rothe Tröpfehen in jenen Zellen nicht 


Weitere Mittheilungen über den Bau der Hornschicht ete. 607 


nachweisbar; er schliesst daraus, dass die durch Osmium darge- 
stellten Granula jedenfalls nicht völlig aus Fett bestünden. End- 
lich neigt Merk (16) zu der Annahme, dass Unna’s Fettbe- 
funde nichts anderes wären als Osmiumreductionen, veranlasst 
durch die in der Fixirungsflüssigkeit benutzte Gerbsäure. An 
Gefrierschnitten durch die Sohlenhaut war nach Merk's Be- 
obachtungen nach einer halben Stunde weder im Strat. germin. 
noch im Strat. corn. oder in den Schweissdrüsen irgendwelche 
auf Fett zu beziehende Farbenänderung nachweisbar; an be- 
haarter Haut schwärzte sieh das Strat. eorn. nur in der Umge- 
gend der Haare in einer oberflächlichen dünnen Zone. In den 
tiefen Epidermiszellen traten dagegen gleichfalls schwarz ge- 
färbte Granula auf, jedoch vollzog sich hier die Osmiumre- 
duction später als an den typischen Fettzellen des Unterhaut- 
bindegewebes. 

Soweit in der Hauptsache die Literatur über die Fettfrage. 
Zum Zweck einer kritischen Betrachtung all dieser zum grossen 
Theil sich widersprechenden Angaben mussten die angeführten 
Versuche wiederholt werden; ihre Resultate will ich zunächst mit- 
theilen. Zu meinen Untersuchungen wählte ich aus später anzu- 
führenden Gründen Sohlenhaut, die noch warmen Leichen ent- 
nommen wurde; dabei trug ich die Haut sorgfältig mit dem 
Rasirmesser ab, um kein Cutisfett, wenn nieht besonders ge- 
wünscht, in das Präparat zu bekommen. Bringt man derartige 
Haut in eine 1°/, Osmiumsäurelösung auf ca. 5 Stunden, wäscht 
dann in Wasser aus und bettet in Paraffin oder in Celloidin ein, 
so erscheint das ganze Strat. germinat. und granul. grünlich ge- 
färbt, die Keratohyalinschollen des letzteren haben gleichfalls eine 
grüne Farbe angenommen, das Strat. lucidum, in dem das Elei- 
din in fester Form erscheint, ist olivengrün. Von dem eigentlichen 
Strat. ecorn. sind die Seitenränder des Schnittes geschwärzt, ebenso 
die oberflächliche Schicht, während ein basaler Streifen sich eben 
durch eine dunkle Linie anzuzeigen beginnt. Ich möchte gleich 
hier hervorheben, dass auf dünnen Schnitten die Farbe der os- 
mirten Zellen deutlich schwarzgrün ist und sich dadurch von 
osmirtem Fett immerhin im Aussehen unterscheidet. Hat die 
Osmiumsäure längere Zeit, etwa 12 Stunden, eingewirkt, so zeigt 
sich, dass sowohl der basale als der oberflächliche Streifen an 
Breite zugenommen haben, ebenso die Seitenränder. Diesen 


608 Franz Weidenreich: 


basalen Streifen rechnet Unna (29) zum Strat. lueid., das er 
deswegen in zwei Unterabtheilungen — 4a und 4b — eintheilt; 
während 4a sieh durch Osmium sehwärzen soll, würde 4b unge- 
färbt. bleiben; infolgedessen nimmt er für das Strat lucid. sechs 
Zellreihen an. Dem kann ich jedoch nicht beistimmen. Das 
Strat. lucid. umfasst nicht mehr als 2—3 Zelllagen; 
man kann sich davon leicht überzeugen, wenn man einen dünnen 
Sehnitt frischer oder wenig in Alkohol gehärteter Haut mit Os- 
mium behandelt; während dabei das übrige Strat. corn. eine 
dunklere Farbe annimmt, behält das Strat. lucid. lange seinen 
stark lichtbreehenden Charakter, der sich jedoch nur auf 2—3 
Reihen beschränkt. Auch ist übrigens das flüssige Eleidin nur 
in den 2—3 basalen Zelllagen nachweisbar, und endlich hat auch 
der Entdecker der Schicht, O ehl, nur 2—4 Reihen angenommen, 
er sagt ausdrücklich (19): Le cellule dello strato lucido trovansi 
disposte a non oltre due, tre o quatro ordini. In seiner Abhand- 
lung erscheint allerdings das Strat. lueid. (auf Taf. II Fig. 17) 
ziemlich breit; dies aber hat darin seinen Grund, dass die Zellen 
jenes Schnittes durch die Behandlung — bollita nella potassa — 
stark gequollen sind. Ein vorzügliches Mittel in osmirten Präpa- 
raten das Strat. lueid. darzustellen, ist die Färbung mit Pfitzner- 
schem Safranin und nachheriger Differenzirung in schwach ange- 
säuertem absolutem Alkohol. Wie die Fig. 10 wiedergiebt, färben 
sich dabei nicht nur die Keratohyalingranula ausserordentlich 
scharf und intensiv roth (sgr), sondern auch die nicht geschwärzten 
Hornzellen, die nach innen von dem basalen Osmiumstreifen (b) 
nur 2—3 Zellreihen ausmachen (sl). Demnach besteht keine 
Veranlassung, das Strat. lueid. in zwei Unterabtheilungen zu 
zerlegen. 

Bleiben die Hauptstücke 24 Stunden lang in der Osmium- 
säure, so schreitet die Schwärzung immer mehr von den Rändern 
her gegen die Mitte zu fort, sodass sich an einzelnen Stellen die 
ganze Hornschicht geschwärzt erweist, mit Ausnahme des Strat. 
lueid., an dem ich hier nur eine tief dunkelgrüne Färbung beob- 
achten konnte. An einem derartigen Präparate war ich in der 
Lage, an einer Zelle des Strat. granulos. eine eigenthümliche, 
bisher meines Wissens nicht beobachtete Erscheinung zu con- 
statiren, auf die ich kurz eingehen möchte. Die Zelle (Fig. 11) 
liess neben einem deutlichen etwas geschrumpften Kern (r) und 


Weitere Mittheillungen über den Bau der Hornsehicht ete. 609 


zahlreichen kleinen mehr hellgrün gefärbten Keratohyalingranula 
(k) eine grosse dunkelgrün tingirte runde Masse (e) erkennen, 
die sofort den Eindruck eines grossen Tropfens macht. Ich 
habe daraufhin meine sämmtlichen Präparate durchmustert und 
nur noch einmal an einem in Formol fixirten und mit Heiden- 
hain’schem Hämatoxylin gefärbten Schnitt dieselbe Beobachtung 
machen können; dort war dieser Tropfen intensiv schwarzblau 
gefärbt. In beiden Fällen entsprach also die Färbung genau 
der des Eleidins innerhalb des Strat. lueid.; nimmt man dazu die 
ausgesprochene runde Form der Masse mit den glatten Conturen, 
die so ohne weiteres als Tropfen imponirt, so kann es keinem 
Zweifel unterliegen, dass wir es hier thatsächlich mit Eleidin 
zu thun haben, das im frischen Zustande eine Flüssigkeitsvacuole 
in der Zelle gebildet hat, die dann, durch die Behandlung fest 
geworden, auf dem Schnitt als eine Scheibe erscheint. Für die 
Ansicht, dass das Eleidin durch Verflüssigung des Keratohyalins 
entstünde, bietet diese Beobachtung einen weiteren Beweis; man 
kann sich denken, dass hier aus irgend welchem Grunde nahe 
beisammen liegende Keratohyalinkörner vorzeitig verflüssigt wurden 
und zusammenfliessend zur Entstehung einer Eleidinvacuole 
in der Strat. granul.-Zelle Anlass gegeben haben. Es ist 
übrigens interessant, dass Buzzi (4) bei Warzen häufig Kerato- 
hyalin neben Eleidin in denselben Zellen angetroffen hat. 

Um nun wieder zu der Deutung der Osmiumreaction der 
Hornschicht zurückzukehren, so schliesse ich mich hierin völlig 
den Autoren an (Langerhans, Ranvier, Rabl), welche die 
eigenthümliche Rahmenbildung auf die Art des Eindringens des 
Reagens zurückführen. Trotzdem auch ieh die Meinung vertrete, 
dass Spannungsverschiedenheiten in der Sehiehtung des Strat. 
corn. bestehen und dass diese von z. T. bestimmendem Einfluss 
auf die Fixation sind, glaube ich doch, dass man nicht berechtigt 
ist, diese für das Osmiumbild verantwortlich zu machen. Ich 
kann zunächst die Angabe, dass bei frischen Hautschnitten der 
basale Streifen zuerst auftreten soll, nicht bestätigen; die dagegen 
gern zugegebene Thatsache, dass er an fixirtem Material trotz 
fortgeschrittener Osmiumwirkung eine gewisse Breitenconstanz 
zeigt, führe ich darauf zurück, dass von der Cutisseite her durch 
das vorliegende und bereits fixirte Strat. germinat. und granul. 


das Eindringen des Reagens bedeutend mehr erschwert ist, als 
Archiv f. mikrosk. Anat. Bd. 57 40 


610 Franz Weidenreich: 


dies von der freien Oberfläche her der Fall ist. Dass ferner das 
Strat. lueid. trotz seiner leichten Zugänglichkeit sich nicht schwärzt, 
hat seinen Grund eben in chemischen Differenzen des Eleidins 
gegenüber dem Pareleidin, wovon noch die Rede sein wird. Der 
Einwand Unna’s, dass sowohl der basale wie der obere Streifen 
sich immer schärfer abgrenzen, während die Schwarzfärbung des 
Randes ungleicbmässig nach innen vorspringe, findet seine Er- 
ledigung in der Anordnung der Zellreihen, die ja im grossen und 
ganzen parallel übereinanderliegen, sodass der grösste Zelldurch- 
messer stets auch parallel sich mit der Eintrittsebene des Reagens 
befindet; dadurch wird dieses, von oben nach unten und umge- 
kehrt fortschreitend, eine Zellreihe nach der andern ergreifen, 
also stets eine ziemlich scharfe horizontale Abgrenzung erkennen 
lassen, während an den Seitenrändern, wo die Zellen senkrecht 
zu der Eintrittsebene angeordnet sind, die Enden der einzelnen 
fixirten und geschwärzten Zellen je nach ihrer Grösse und Lage 
bald weiter, bald kürzer nach innen vorspringen müssen. So 
entsteht hier eine ungleichmässige Abgrenzung der Eintrittslinie. 
Die Beobachtung Rabl’s, dass der basale Streifen von den Seiten- 
rändern her nach innen vorzurücken scheint, kann ich an fixirtem 
Material bestätigen; da der Streifen etwa dem Strat. relaxatum 
(sr, Fig. 9) entspricht, das locker geschiehtet ist, wird sich hier 
die eindringende Flüssigkeit rascher verbreiten können, namentlich 
dann, wenn diese Lage durch den Seitenschnitt eröffnet wurde. 
Dies sprieht ja nun allerdings in gewissem Grade für die Unna- 
sche Annahme, doch neige ich aus den obenangeführten Gründen 
dazu, das Osmiumbild als eine Folge des bekannten 
Durehtränkungsmodus diesesReagens anzusehen; 
im Einzelnen mag das Eindringen durch die Schieh- 
tung etwas erleichtert oder erschwert werden. 
Wie verhält sich nun Haut, die vorher mit absolutem 
Alkohol behandelt war, gegenüber der Einwirkung der Osmiam- 
säure? Zur Prüfung dieser Frage wurden kleine Stückchen 
Sohlenhaut auf 24 Stunden direet in absoluten Alkohol gebracht, 
dann über Nacht in fliessendem Wasser ausgewaschen, auf 24 
Stunden in eine 1°/, Osmiumlösung eingelegt und weiterhin in 
Paraffin eingebettet. Auch jetzt zeigte sich eine vollständige 
Schwarzfärbung und zwar des ganzen Strat. corn. mit Aus- 
nahme des Strat. lueid. Jedoch fiel mir dabei eine Besonderheit 


Weitere Mittheilungen über den Bau der Hornschicht ete. 611 


auf, während frisch osmirte Haut bei ihrer Entnahme aus der 
Fixirungsflüssigkeit völlig geschwärzt war, trat bei der erst mit 
absolutem Alkohol behandelten diese äussere Schwarzfärbung erst 
beim Auswaschen und nach der Ueberführung in Alkokol ein. 
Es erinnert dies an die Beobachtung Starke’s (27), dass die 
Osmiumreduetion bei einzelnen Fetten erst secundär in Alkohol 
eintritt (Alkohol-Osmium-Reduction). Zunächst möchte ieh noch 
erwähnen, dass es mir ebenso wenig wie anderen z. B. Merk 
gelungen ist, eine Sehwarzfärbung des Strat. corn. zu erhalten, 
wenn ich frische Schnitte, entweder mit dem Rasirmesser oder 
mit dem Gefriermikrotom angefertigt, in die Osmiumlösung brachte. 
Nach längerer, mehrere Stunden dauernder Einwirkung des Reagens 
wurde zwar die Hornschieht in toto grün, niemals aber beo- 
bachtete ich eine Schwärzung wie bei der Stückosmirung. 

Was nun die secundäre ÖOsmirung angeht, so konnte ich 
mich trotz genauester Befolgung der Unna’schen Angaben von 
dem Vorhandensein schwarzer und als Fett gedeuteter Körper 
nicht überzeugen. Zwar nahmen die Schnitte die Osmiumsäure 
sehr schön an, d. h. sie zeigten, wie Fig. 8, deutlich die charak- 
teristische grüne Osmiumfarbe; aber weder in den Kernhöhlen 
noch sonstwo erhielt ich eine Schwarzfärbung, mit Ausnahme 
zweier Fälle, in denen schwarze Körner in den tiefen Lagen des 
Strat. germinativ. auftraten (Fig. 12 g). Diese negativen Resultate, 
die trotz wiederholter Versuche constant waren, brachten mich 
darauf, einmal nachzuprüfen, ob denn überhaupt mit dem Unna- 
schen Verfahren sich wirkliches Fett fixiren und secundär osmiren 
lasse. Ich nahm dazu Fett aus der Nierenkapsel des Kaninchens 
und aus dem Unterhautbindegewebe des Menschen, brachte es auf 
24 Stunden in die Unna’sehe Mischung, wusch in fliessendem 
Wasser aus, bettete in Celloidin ein und behandelte die gewonnenen 
Sehnitte sofort mit der Alaun-OÖsmiunmlösung. Das Resultat war 
überraschend: ein leeres Masecehenwerk ohne jede Spur 
von Fett in den Fettzellen. Fixirt man gar in der Wärme, 
wie es Unna für die Haut empfiehlt, so beachtet man, dass das 
Fett ohne weiteres austritt und in Form von Augen auf der Fixi- 
rungsflüssigkeit herumschwimmt. Auf Grund dieser Thatsache 
bestreite ich entschieden die Fettnatur der nach 
der Unna’schen Methode zur Darstellung gebrachten 
Sehwärzungen, gegen die übrigens noch andere Momente 


612 Franz Weidenreich: 


sprechen. Wenn nämlich thatsächlich die Kernhöhlen der Horn- 
zellen Fett enthielten, warum sollte sich dann dieses Fett nicht 
ebenso gut durch die primäre Osmirung darstellen lassen? In 
dem Strat. disjunetum (sd, Fig. 9) lassen die Zellen bei Anwen- 
dung dieser Methode ein schwarzgrünes oder schwarzbraunes Faser- 
werk (f) erkennen (Fig. 13) mit einer centralen Kernhöhle (c), 
in der ich niemals einen schwarzen Körper nachweisen konnte; 
dass übrigens an diesen Zellen das Fasernetz so deutlich hervor- 
tritt, hat seinen Grund darin, dass hier das Pareleidin, wofür ich 
bereits mehrere Beobachtungen anführte, sich im Zustande der 
Eintrocknung befindet und so seinen homogenen, das Netz ver- 
deckenden Bau eingebüsst hat. Weiterhin muss auffallen, dass an 
Hornzellen, die in Osmiumsäure macerirt und isolirt wurden, keine 
Sehwarzfärbung beobachtet werden kann, sondern nur eine 
grüne Tinetion der Fasern; ebensowenig ist etwas von einem 
schwarzen Körper in der Kernhöhle zu beobachten. Ferner wäre 
noch zu erwähnen, dass sich auch an frischer mit dem Rasir- 
messer oder mit dem Gefriermikrotom geschnittener Haut bei Be- 
handlung mit Osmium dieselbe T'hatsache constatiren lässt; insbe- 
sondere tritt bei Färbung mit Sudan III keine rothe Masse im 
Zellinnern auf. Alle diese Befunde sprechen also gegen die 
Fettnatur der Unna’schen Schwärzungen. Mich in Speeulationen 
einzulassen, wie dann die von Unna dargestellten Bilder zu deuten 
sind, liegt kein Grund vor; ich halte aber mit Merk für das 
wahrscheinlichste, dass wir es dabei mit einer Gerbsäure-Osmium- 
Reduetion zu thun haben; die Fixirungsflüssigkeit enthält nämlich 
1°/, Gerbsäure; möglicherweise hängt es von dem Auswaschen 
ab, ob die Tanninsäure mehr oder weniger reichlich im Gewebe 
zurückgehalten wird und dann die Osmiumsäure stärker oder 
schwächer redueirt; dafür scheint zu sprechen, dass die Schwär- 
zungen nach Unna hauptsächlich in Höhlen oder Kanälen sich 
finden (Kernhöhlen, Schweissdrüsengang, Blutgefässe, Lymph- 
spalten). Aber selbst das Unmögliche zugegeben, es handle sieh 
um Fett, so spricht doch die Seltenheit des Vorkommens da- 
gegen, dass wir es mit emem normalen Befund zu thun 
haben; nach Unna’s eigenen Angaben und nach den Unter- 
suchungen von Löwenbach (15) würde es sich nämlich nur bei 
Personen zwischen dem 40. und 70. Lebensjahre finden und 
auch hier nur in etwa 40°), der Fälle. 


Weitere Mittheilungen über den Bau der Hornschicht etc. 613 


Was nun die schwarzen Körnchen in den tiefen Lagen des 
Strat. germinat. betrifft, so wurde deren Vorkommen von Sata 
(26) bestätigt, und auch ich habe derartige Bilder, wie oben er- 
wähnt, gesehen (Fig. 12). Die von mir beobachteten, mit secun- 
därer OÖsmirung dargestellten Körnchen fanden sieh allerdings nur 
auf eine bestimmte Zone beschränkt, nie in der Hornschieht noch 
auch in der Cutis. Dagegen zeigten sie in ihrer Lage zu den 
Zellen absolut nichts charakteristisches; bald hatte ich den Ein- 
druck, dass sie auf der Zelle lagen, bald schienen sie in das 
Protoplasma selbst eingebettet zu sein, einigemal auch fand ich 
sie im Kern, ja sogar im Intercellularraum. Ihre Form ist nichts 
weniger als rund oder überhaupt regelmässig, sie zeigen vielmehr 
am Rande Zacken und Ausbuchtungen, sodass ich sie trotz der 
Beschränkung ihres Vorkommens auf eine bestimmte Zone für 
Osmiumniederschläge halten möchte. Selbstverständlich kann 
ich in diesem Falle nur meine eigenen Präparate beurtheilen, 
da ich die Befunde von Sata und Wentsecher (34) nur aus 
den Abbildungen kenne. Gegen die Fettnatur spricht durchaus 
hier, dass die Unna’sche Methode das Fett überhaupt nicht zur 
Darstellung bringt und ferner ihr Verhalten dem Sudan gegen- 
über, wobei sie nach Sata viel kleiner als nach Osmiumbehand- 
lung sein sollen; ich selbst habe sie übrigens mit Sudan nicht 
nachweisen können. Thatsächlich hat sich auch schon Leder- 
mann (13), der sich am ausführlichsten mit diesen Körnchen 
beschäftigt, über ihre Fettnatur mit grosser Zurückhaltung ausge- 
sprochen; mich wundert nur, dass nicht an die Möglichkeit 
gedacht wurde, dass die Körner Glykogen sein könnten, das sich 
Ja in der Epidermis nicht selten findet. 

Kommen also auch die Unna’schen Befunde für den Fett- 
gehalt des Strat. com. nicht in Betracht, so bleibt doch die 
Thatsache seiner Schwärzung bei Osmiumfixirung bestehen. Da 
wir nun ohne weiteres anzunehmen geneigt sind, diese Reduction 
auf Fett zurückzuführen, so ist nicht zu verwundern, dass allge- 
mein die Schwärzung der Hornschieht dementsprechend beurtheilt 
wird. Es ist dabei aber in hohem Grade auffallend, dass von den 
meisten Autoren sich niemand mit Bestimmtheit darüber ausspricht, 
woher denn eigentlich dieses Fett der Hornzelle stammen 
würde. Die Quelle kann zweierlei Art sein: entweder gelangt 


614 Franz Weidenreich: 


es von aussen her in die Zelle hinein oder aber es ent- 
steht in der Zelle selbst. 

Der ersteren Annahme scheint Ranvier (21) zuzuneigen, da 
er die Hornschicht als von Fett „imprägnirt“ bezeichnet; woher 
aber dieses Fett kommt, wird von ihm nicht erwähnt. Gelangt 
es von aussen her in die Hornzelle, so können nur die Haut- 
drüsen dabei in Betracht kommen. Wir müssten uns dann 
vorstellen, dass diese Drüsen Fett produciren, das dann in 
flüssiger Form durch die Hornmembran der Zelle hindurch in 
diese hineindringen würde. Solche Fett produeirende Organe 
sind die Talgdrüsen, durch sie kann also Fett in das Strat. 
corn. ausgeschieden werden. Dabei ist aber zu bedenken, dass 
sich diese Drüsen weder an der Vola manus noch an 
der Planta pedis finden, während man doch gerade an dieser 
Haut den charakteristischen Osmiumbefund erhält. An der übrigen 
Haut können dagegen jene Organe eine Fettimprägnation verur- 
sachen, und der Befund scheint thatsächlich dafür zu sprechen. 
Ielı habe Hodensackhaut, die sich ja durch den Gehalt an besonders 
grossen Talgdrüsen auszeichnet, daraufhin untersucht und konnte 
hierbei constatiren, dass die Schwarzfärbung nicht die ganze Horn- 
schicht umfasst, sondern sich auf einzelne mehr oder weniger 
ausgedehnte Stellen beschränkt. Die geschwärzten Partien fanden 
sich im allgemeinen vorherrschend im der Umgebung der Talg- 
drüsenmündung auf der Oberfläche, sodass hier thatsächlich eine 
Beziehung zwischen Hautschwärzung und Fettausscheidung der 
Drüsen zu bestehen scheint. Immerhin aber ist diese Fettquelle 
wegen des Fehlens der Drüsen für die Hornschicht von Vola 
manus und Planta pedis auszuschliessen; da an die Möglichkeit 
gedacht werden muss, dass die Haut der Handfläche durch Be- 
rührung behaarter Körperstellen eingefettet werden kann, wählte 
ich, um ganz sicher zu gehen, für meine Untersuchungen Sohlen- 
hant, wobei diese Quelle kaum in Betracht kommen kann. 

Hier könnten also nur die Schweissdrüsen das Fett 
liefern. Bekanntlich wird ja für diese Drüsen von einzelnen 
Autoren eine Fettseeretion angenommen; ich will auf diese Frage 
hier nicht näher eingehen und möchte nur erwähnen, dass meine 
Beobachtungen nicht zu gunsten jener Annahme sprechen, da es 
mir weder mit der primären Osmirung noch mit der Sudanfärbung 
von Gefrierschnitten jemals geglückt ist, in den Knäueln oder den 


Weitere Mittbeilungen über den Bau der Hornschicht etc. 615 


Ausführgängen Fett nachzuweisen. Es wäre aber immerhin denk- 
bar, dass ich, wenn wir mit Koelliker (11) annehmen, dass 
die Fettseeretion möglicher Weise mit der des Schweisses alter- 
nirt, gerade immer das Unglück gehabt habe, in fettfreien Mo- 
menten zu fixiren. Deswegen sei die Fettsecretion zugegeben, 
und es würde sich demnach fragen, ob die Schweissdrüsen das Fett 
liefern, welches die Hornschieht imprägniren würde. Wäre dies 
der Fall, so würde also das in den Knäueln produeirte Fett die 
Ausführgänge passiren, auf die Oberfläche des Strat. corn. aus- 
geschieden und sich dort ausbreiten. Da nun innerhalb der Horn- 
schicht der Ausführgang einer eigenen Wandung entbehrt, könnte 
das Fett noch in den Intercellularräumen vordringen, dieselben 
umspülen und dann schliesslich in das Innere derselben gelangen. 
Dazu wäre aber Voraussetzung, dass es sich in einem flüssigen 
Zustande befindet; ob nun die Temperatur der Hornschicht noch 
so hoch ist, um dies zu gestatten, erscheint mir mehr als 
fraglich. Aber ich will selbst den Fall setzen, dass dem so wäre, 
dann hätten wir uns vorzustellen, dass das Fett entweder direct 
von den Ausführgängen der Schweissdrüsen aus nach allen Seiten 
die Hornschicht imbibirt oder aber von der Oberfläche her, d.h. 
von der Gangmündung aus, nach unten durchsickert und die Horn- 
zellen durchtränkt. Stimmt nun damit das Osmiumbild? Wenn 
wir die geschwärzten Partien betrachten, so stellt sich ohne 
weiteres heraus, dass alle Stellen gleich intensiv gefärbt sind, 
die Schwärzung also nicht etwa in der Nähe des Ganges oder 
an der Oberfläche stärker ist und von da nach unten oder irgend 
einer Seite zu abnimmt; ich habe bereits darauf hingewiesen, 
dass die Zellreihen des Strat. disjunetum (Fig. 13) sogar weniger 
intensiv gefärbt sind, als die darunter gelegenen. Die Osmirung 
steht also nicht im Verhältnis zu der Entfernung der Zellen von 
den Schweissdrüsengängen. Da ferner feststeht, dass die Schwär- 
zung plötzlich eintritt, sobald die Zelle bei ihrem Wege nach der 
Oberfläche zu eine bestimmte Höhenzone, nämlich das Strat. lueid., 
überschritten hat (Fig. 14), so müsste sich also hier sofort die 
Zelle mit Fett imprägniren: das könnte natürlich nur dann der 
Fall sein, wenn die ganze Hornsehicht beständig, wenn ich mich 
so ausdrücken darf, „unter Fett gesetzt“ wäre; für eine solche 
Annahme spricht aber absolut nichts. Ueberall also den besten 
Fall gesetzt, dass die Fettseeretion der Schweissdrüsen 


616 Franz Weidenreich: 


über allen Zweifel erhaben wäre, dass ferner die Tempe- 
ratur es gestatten würde, dass das Fett in flüssigem Zu- 
stande die Hornmembran passirt und die Zelle imprägnirt, 
so sprieht immer noch die gleichmässige und 
vondem Verlauf der Drüsengänge völlig unab- 
hängige Schwärzung gegen diese Erklärung. 
Demnach besteht aller Grund, immer angenommen, die Osmium- 
reaction der Hornschicht von Vola manus und Planta pedis beruht 
auf Fett, ene Durehtränkung der Zellen durch 
das Secret der Talg- oder Schweissdrüsen 
auszuschliessen. 

Es bliebe also noch die Möglichkeit zu erörtern, dass das 
Fett in den Zellen selbst entsteht. Da die Schwarzfärbung der 
Zelle eine gleichmässig homogene ist und die ganze Zelle erfüllt 
(sr Fig. 14), so müsste ihr die Substanz zu Grunde liegen, die 
sich ebenso verhält, das wäre also das Eleidin, bezw. das Par- 
eleidin. Das Eleidin ist nun bereits wiederholt seiner physi- 
kalischen und chemischen Eigenschaften wegen für Fett gehalten 
worden, besonders weil es sich in Osmium schwärzen soll. Ich 
habe bereits darauf hingewiesen, dass diese Schwärzung von vielen 
bestritten wird, und auch ich konnte sie nieht constatiren. Das 
Strat. Jucid. blieb auch bei lang dauernder Osminmeinwirkung 
ungeschwärzt (sl, Fig. 10 und 14). Aber auch diejenigen Autoren, 
die eine Schwärzung beobachtet haben wollen, geben überein- 
stimmend an, dass sie erst nach sehr langer Fixirung eintrat, ein 
Moment, das die Fettnatur des Körpers ausschliesst. Wie ich 
nämlich den Ausführungen Munk’s (18) entnehme, hängt mit dem 
Grade der Flüssigkeit eines Oeles oder Fettes auch der Gehalt 
an verschiedenen Fetten zusammen: der flüssige Zustand des 
Eleidins würde darnach voraussetzen, dass es besonders reich an 
Oelsäure, bezw. Olein, ist, Palmitin und Stearin dagegen in nur 
sehr geringer Menge enthalten würde. Nun haben aber sowohl 
Altmann (l)als auch Handwerck (10) nachgewiesen, dass 
eine rasche Reduction der Osmiumsäure nur durch den Gehalt 
eines Fettes an Oelsäure, bezw. Olein, bedingt wird, während 
die beiden anderen Fettsäuren nicht im Stande waren, Osmium 
zu reduciren: nach Handwerck ist eine intensive Schwärzung 
bereits nachı 1—2 Stunden eingetreten. Diese Thatsachen 
sprechen mit Sicherheit gegen die Fettnatur des 


— 


Weitere Mittheilungen über den Bau der Hornschicht ete. 61 


Eleidins. Wie verhält es sich nun mit dem Pareleidin? So- 
bald das Eleidin in den festeren Aggregatzustand übergeht, also 
jenseits des Strat. lueid., tritt die Schwärzung ein: es wäre also 
an die Möglichkeit zu denken, dass das Eleidin sich in Fett 
umwandelt. Allein nach allem, was wir über die Umwandlung 
eines Zellbestandtheiles in Fett wissen, folgt, dass der Uebergang 
ein allmählicher ist, indem zuerst einzelne Fetttröpfehen auftreten, 
die schliesslich mit einander eonfluirend eine eimheitliche Fett- 
masse bilden. Wie aber aus Fig. 14 (sr) hervorgeht, ist von 
solehen Tröpfehen nichts zu sehen; die Schwärzung ist sofort 
eine homogene und die ganze Zelle ist davon gleichmässig erfüllt. 
Wenn man Haut in Alkohol fixirt, in Celloidin einbettet und die 
Sehnitte dann mit Osmium behandelt, so bleibt die Schwärzung 
aus. Wäre hier Fett gelöst worden, so müssten, etwaigen kleinen 
Fetttröpfehen entsprechend, Vaeuolen in den Zellen vorhanden 
sein, oder aber der gesammte homogene Zellinhalt fehlen. Beides 
aber ist, wie ein Blick auf die Fig. 15 zeigt, nicht der Fall; 
diese Zellen unterscheiden sich nur dadurch von den osmirten, 
dass sie grün gefärbt sind; Anzeichen dafür, dass etwas extra- 
hirt wurde, bestehen, trotz des Ausbleibens der Osmiumwirkung 
infolge der Behandlung, nicht. Alle diese Beobachtungen sprechen 
dafür, dass das Eleidin nicht einer fettigen Meta- 
morphose unterliegt, also auch das Pareleidin 
kein Fett sein kann. 

Dass die Osmiumreduction der Hornschicht thatsächlich nicht 
auf einen Fetteharakter des Pareleidins zurückzuführen ist, wird 
zur Sicherheit durch den Entfettungsversuch. Zu diesem 
Zwecke wurde frische Sohlenhaut 24 Stunden lang im Soxhlet- 
Apparat mit kochendem Aether behandelt !), dann auf ebenso 
lange Zeit in eine 1°/, Osmiumsäurelösung übergeführt, ausge- 
waschen und in Celloidin eingebettet. Der Erfolg war auch hier 
ebenso wie bei dem oben angeführten Alkoholversuch eine 
deutliche Schwarzfärbung der Hornschicht, nur 
mit dem Unterschiede, dass auf dünnen Schnitten die Schwärzung 
einen Stich ins Braune zeigte statt ins Grüne, wie bei frischer 


I) Herr Dr. Hajo Bruns, Assistent am bacteriologisch-hygie- 
nischen Institut, hatte die Liebenswürdigkeit, die Fettextraction vor- 
zunehmen, wofür ich ihm auch hier meinen Dank ausspreche, 


618 Franz Weidenreich: 


Haut, eine Differenz, die sie übrigens mit dem Strat. germinativ. 
theilte. Eine Umkehrung der Schwärzung, wie sie Unna be- 
schreibt, konnte ich dagegen nicht beobachten. Was nun noch 
die Sudanreaection frischer mit dem Rasirmesser oder mit dem 
Gefriermikrotom geschnittener Haut betrifft, so nimmt die Horn- 
schicht stellenweise die Sudanfärbung überhaupt nicht an, an 
anderen Orten zeigt sie dafür eine hellrosa Färbung, die auch 
auf das Strat. germinat. übergreift. Wie aus den Angaben 
Daddi’s (5) hervorgeht und wie man sich stets auch selbst 
überzeugen kann, wenn sich an dem Hautschnitt noch fetthaltige 
Cutis findet, ist nur eine orangerothe Färbung für Fett charak- 
teristisch, nicht aber eine Hellrosafarbe. Aus dem ersteren Ver- 
suche geht nun hervor, dass eine Sch warzfärbung des 
Pareleidins durch Osmium selbst dann noch ein- 
tritt, wenn alles Fett extrahirt ist; aus dem zweiten folgt, 
dass das Pareleidin keine Fettreaction mit Sudan 
giebt. Demnach ist das Pareleidin kein Fett, dabei aber 
doch im Stande, Osmium zu redueiren; das letztere er- 
scheint nicht mehr anffällig, da es Beobachtungen genug giebt, 
die beweisen, dass auch andere Körper ausser Fett fähig sind, 
die Ueberosmiumsäure zu redueiren; ihnen wird das Pareleidin 
anzureihen sein. 

Zusammenfassend können wiralso sagen: 

1) DieSehwarzfärbung der Hornzellen 
von Vola manus und Planta pedis durch 
dieOsmiumsäureistnicht auf eine Fett 
imprägnation des Stratum corneum von 
aussen her, d.h. durch das Secret der Talg- 
oder Scehweissdrüsen zurückzuführen. 

2) Die Annahme, dass das Fett in den 
Zellen selbst entsteht und mit dem Eleidin, 
bezw. Pareleidin identisch ist, oder aus 
ihm abgeschieden wird, ist gleichfalls 
zu verwerfen. 

3) Das Pareleidin, nieht auch dasElei- 
din, besitzt die Eigenschaft, die Osmium- 
säure zu reduecieren, jedoch erst nach 
längerer Einwirkung des Reagensals dies 
bei wirklichem Fett der Fallist; 


13. 


14. 


Weitere Mittheilungen über den Bau der Hornschicht ete. 619 


4) Die mit seeundärer Osmirung erhal- 
tenen Scehwärzungen beruhen nicht auf 
Fett, sondern sind sehr wahrscheinlich 
Niederschläge. 

5) An den behaarten Hautstellen ist die 
Osmiumreduetion wahrscheinlich auf eine 
Fettimprägnation der Hornschicht durch 
das Seeret der Talgdrüsen zurückzuführen. 

l. October 1900. 


Literatur -Verzeichniss. 
Altmann, Die Elementarorganismen und ihre Beziehungen zu 
den Zellen. Leipzig 1894. 
Blaschko, Beiträge zur Anatomie der Oberhaut. Arch. f. mikr. 
Anat. Bd. 30. 1887. 
Buzzi, Keratohyalin und Eleidin. Monatsh. f. pract. Dermatolog. 
Ba. 8. 1889. 
Derselbe, Ueber Eleidin. Ebenda Bd. 23. 1896. 
Daddi, Nouvelle methode pour colorer la graisse dans les tissus. 
Arch. ital. de biolog. Bd. 26. 1896. 
Dreysel und Oppler, Beiträge zur Kenntniss des Eleidins in 
normaler und pathologisch veränderter Haut. Arch. f. Dermatol. 
und Syphil. Bd. 30. 189. 
Ebner v.. Untersuchungen über die Ursachen der Anisotropie 
organisirter Substanzen. 1882. 
Grosse, Ueber Keratohyalin und Eleidin und ihre Beziehungen 
zum Verhornungsprocess. Inaug.-Dissert. Königsberg 1892. 
Frickenhaus, Zur Technik der Eleidindarstellung. Monatsh. f. 
pract. Dermatol. Bd. 23. 1896. 
Handwerck, Beiträge zur Kenntniss vom Verhalten der Fettkörper 
zur Osmiumsäure und zu Sudan. Zeitschr. f. wissensch. Mikrosk. 
Bd. 15. 1898. 
Koelliker, Handbuch der Gewebelehre des Menschen. 6. Aufl. 1889. 
Langerhans, Ueber Tastkörpercehen und Rete Malpighi. Arch. 
f. mikr. Anat. Bd. 9. 1873. 
Ledermann, Ueber den Fettgehalt der normalen Haut. Arch. f. 
Dermatol. und Syphil. Frgänzungsh. 1892. 
Liebreich, Ueber das Lanolin ete. Berl. klin. Wochensehrift 
No. 47. 1885. 


17; 


18. 


23. 


[89] 
Ne) 


Franz Weidenreich: 


Löwenbach, Sitzungsber. der biolog. Abtheil. des ärztl. Vereins 
Hamburg. Münch. med. Wochenschr. Nr. 22. 1899. 

Merk, Experimentelles zur Biologie d. menschl. Haut. 1. Mittheil. 
Die Beziehungen der Hornschicht zum Gewebesaft. Sitzungsber. 
der k. Akad. d Wissensch. Wien. Math.-naturw. Kl. Bd. 108. 1899. 
Derselbe, Ueber den Bau der menschlichen Hornzelie. Arch. f. 
mikr. Anat. Bd. 56. 1900. 

Munk, J., Artikel „Fett“ in Eulenburg’s Realencyclopädie der ges. 
Heilkunde. 189. 

Oehl, Indagini di anatomia miecroscopica per servire allo studio 
dell’ epidermide e della eute palmare della mano. Annali univer- 
sali di medieina Bd. 160. 1857. 

Rabl, Untersuchungen über die menschliche Oberhaut und ihre 
Anhangsgebilde mit bes. Rücksicht auf die Verhornung. Arch. f£. 
mikr. Anat. Bd. 48. 1897. 
Ranvier, Trait& technique d’histologie. 1875. 

Derselbe, Sur une substance nouvelle de l’Epiderme et sur le 
processus de k6ratinisation du revetement Epidermique Compt. 
rend. de l’Accad. d. sciene. Bd. 88. 1879. 

Derselbe, De l’eleidine et de la r&partition de cette substance 
dans la peau, la muqueuse bucecale et oesophagienne des vertebre6s. 
Arch. d. physiol. 1884. 

Derselbe, Histologie dela peau. Arch. d’anatomie mieroscopique. 
Bdr23..189% 

Rausch, Tinctorielle Verschiedenheiten und Relief der Hornzellen. 
Monatsh. f. pract. Dermatol. Bd. 24. 1897. 

Sata, Ueber das Vorkommen von Fett in der Haut und in einigen 
Drüsen, den sog. Eiweissdrüsen. Beiträge z. pathol. Anat. und z. 
allgem. Pathol. Bd. 27. 1900. 

Starke, Ueber Fettgranula und eine neue Eigenschaft des Osmium- 
tetraoxvyds. Arch. f. Anat. und Physiol. Phys. Abtheil. 1895. 
Török, Die Seborrhoea corporis (Duhring) und ihr Verhältniss 
zur Psoriasis vulgaris und zum Ecezem. Arch. f. Dermatol. und 
Syphil. Bd. 47. 1899. 

Unna, Beiträge zur Histologie und Entwieklungsgeschichte der 
menschlichen Oberhaut und ihrer Anhangsgebilde. Arch. f. mikr. 
Anat. Bd. 12. 1876. 

Derselbe, Entwicklungsgeschichte und Anatomie der Haut. 
Ziemssen’s Handbuch der spec. Pathol. und Therapie Bd. 14. 1883. 
Derselbe, Ueber die Fettfunction der Knäueldrüsen und die 
Durchsetzung der Haut mit Fett. Verh. d. anatom. Gesellsch. in 
Kiel. 1898. 

Derselbe, Der Nachweis des Fettes in der Haut durch secundäre 
Osmirung. Monatsh. f. pract. Dermatol. Bd. 26. 1898. 
Weidenreich, Ueber Bau und Verhornung der menschlichen 
Oberhaut. Arch. f, mikrosk. Anat. Bd. 56. 1900. 


Weitere Mittheilungen über den Bau der Hornschicht ete. 621 


34. Wentscher, Experimentelle Studien über das Eigenleben mensch- 
licher Epidermiszellen ausserhalb des Organismus. Beiträge zur 
patholog. Anat. und z. allgemeinen Pathol. Bd. 24. 1898. 
Zander, Untersuchungen über den Verhornungsprocess. 11. Mit- 
theilung. Der Bau der menschlichen Epidermis. Arch. f. Anat. 
u. Physiol. Anat. Abtheil. 1888. 


35. 


Erklärung zu den Abbildungen auf Tafel XXX u. XXXI. 


(Wo nicht anders bemerkt, entstammt die Haut der Fusssohle 


des erwachsenen Menschen; die Zeichnungen sind mit dem Abbe'schen 
Zeichenapparate in der Höhe des Objecttisches entworfen.) 


Fig. 


Fie. 


Fig. 


1. 


6. 


-] 


Eleidin im Stratum lucidum. Alkoholhärtung (4 Stunden). 
Rasirmesserschnitt; Färbung mit Congoroth. Leitz Obj. 7, 
Oc. 1. a=Kugelform mit Ringbildung; b = ovale Formen. 
Vertheilung des Eleidins im Stratum corneum. Geschnitten 
und gefärbt wie Fig.1. Leitz Obj.3, 0e. 4. c=Cutis, sg = 
Strat. germinativ., sl = Strat. lucid., sr = Zone B, st=ZoneC., 
sd= Zone D, e=Eleidin. 

Eleidintropfen im Stratum tensum (Zone C). Geschnitten und 
fixirt wie Fig. 1. Leitz Obj. 7, Oec. I, si= Strat. lueid,., sr— 
Zone B, st=Zone C, sd= Zone D, e= Eleidin. 

Eleidin aus dem Stratum lueidum. Kurze Tanninsäurefixation 
Celloidineinbettung. Färbung mit Congoroth. Leitz Obj. 7 
Oc. 3. c = Kernhöhle, e= Eleidin. 

Zellen des Stratum corneum nach längerer Tanninsäurefixation. 
Celloidineinbettung. Färbung mit Hämalaun und Congoroth. 
Leitz Obj. 7, Oe. 1. sgr = Strat. granulos., sl = Strat. lucid., 
sr =Zone B, m = Zellmembran, f= Fasernetz, c=Kernhöhle, 
n = geschrumpfte Kerne. 

Zellen des Stratum corneum bei starker Vergrösserung. Be- 
handlung wie eben. Färbung mit Congoroth. Zeiss Ap.2 mm, 
Oe. 6. f= Fasernetz, e = Kernhöhle, rn = geschrumpfter Kern. 
Epidermis nach Unna fixirt. Celloidineinbettung. Färbung 
mit Congoroth. Leitz Obj. 3, Oc. 1. p= Cutispapille, sg = 
Strat. germinat., sö=Strat lucid, sr—= Zone B, st—= Zone C 
sd=Zone D, pt=Blaschko'sche Falte. 

Dasselbe Präparat, secundär osmirt. Leitz Obj. 3, Ocul. 4. 
Buchstabenbezeichnung die gleiche wie von Fig. 7. 

Schena eines Schnittes durch die Epidermis von Vola manus 
oder Planta pedis, senkrecht zu den Leisten der Oberfläche 
(vgl. Text Seite 602 u. f.). pa= Pars arcuata (Drüsenleistentheil) , 


’ 


622 Franz Weidenreich: 


pti=Pars implieita (Blaschko’sche Falte), sg = Strat. ger- 
minativ., sgr = Stratum granulos., s!= Strat. lueid. (Zone A), 
sr = Stratum relaxat. (Zone B), st=Strat. tensum (Zone C), 
sd = Strat. disjunct. (Zone D), vs = Capillarschlingen der Qutis- 
papillen, ds = Ausführgang einer Schweissdrüse. 

Fig. 10. Verhalten des Stratum lucidum bei Osmiumfixation. Zwölf- 
stündige Osmiumhärtung; Paratfineinbettung. Saffraninfärbung. 
Leitz Obj. 7. Oec.1. sgr =Strat. granulos., s!= Strat. lueid., 
b= basaler Osmiumstreifen, 2=noch nicht osmirte Horn- 
schicht. 

Fig. 11. Eleidinkugel in einer Zelle des Stratum granulosum. Haut 
der Fingerbeere. Osmiumfixation (24 Stunden); Paraffinein- 
bettung. Zeiss Ap. 2mm, Oc.6. n=Kern, k = Kerato- 
hyalingrarula e = Eleidintropfen. 

Fig. 12. Angebliche Fettkörnchen in dem Stratum germinativum. 
Fixation, Einbettung und Osmirung nach Unna. Leitz Obj.T, 
Oe. 1. e=Üutis, sg =Strat. germinat, g=schwarze Körn- 
chen fraglicher Natur. 

Fig. 13. Zellen des Stratum disjunetum. Osmiumfixirung (24 Stunden). 
Paraffineinbettung. Leitz Obj. 7, Oc. 1. f= Netzwerk im 
Zellinnern, ce = Kernhöhle. 

Fig. 14. Uebergang des Stratum lueidum in das Stratum relaxatum. 
Siebenstündige Osmiumfixirung. Paraffineinbettung. Zeiss 
Ap. 2 mm, 06.4. si= Strat. lueid., ‘sr —- Sirat. relaxat, 
Intercellularräume. 

Fig. 15. Basaler Theil des Stratum corneum. Fixation in Alkohol, 
seeundäre Ösmirung. Leitz 'Obj. 7, Oe 1. sgr—smar 


’ 
granulos., sc. = Strat. corn., ?s = Intercellularräume. 


Ganglienzellen in der Schlundmusculatur 
von Pulmonaten. 


Von 


Dr. H. Smidt. 


Hierzu Tafel XXXI. 
Nachdem schon seit mehr als 30 Jahren die Ganglienzellen 
des Herzens der Wirbelthiere bekannt und vielfach untersucht 
waren, erschien 1376 eine Arbeit von Dogiel „über die Anatomie 


Ganelienzellen in der Schlundmuseulatur von Pulmonaten 625 


und Physiologie des Herzens der Larve von Corethra plumi- 
eormis“ (1), in der gewisse, schon von R. Wagner und Leydig 
gesehene „birnförmige Körper“ in der Herzmuseulatur dieser 
Larve aus anatomischen Gründen als „apolare Nervenzellen“ an- 
gesprochen wurden. 

Im folgenden Jahre untersuchte derselbe Autor die Herzen 
verschiedener Mollusken (Peeten, Anodonta, Aplysia), sowie Salpen 
auf Ganglienzellen (2). Die nervöse Natur der „apolaren Zellen“ 
die er fand, wurde kurz darauf von Foster und Dew-Smith 
bezweifelt (3). Die von Dogiel gelieferten Abbildungen und 
Beschreibungen genügen auch unter Berücksichtigung der späte- 
ren Untersuchungen über ähnliche Evertebraten-Ganglien nicht, 
den Streit zu entscheiden. Nachprüfungen an Dogiel’s Unter- 
suehungsmaterial scheinen nicht gemacht worden zu sein. 

Ebenfalls 1877 wies Berger (4) analoge Gebilde im Herzen 
des Flusskrebses nach, einstweilen nur die Zellen ohne ihre ner- 
vösen Verbindungen. 

In den späteren Veröffentlichungen von Dogiel (5) (1894) 
und Nusbaum (6) (1899) wurde die Kenntniss der Ganglien- 
zellen im Crustaceenherz erheblich erweitert. Nicht nur wurde von 
beiden Autoren die innige Verbindung dieser Gebilde mit den 
Nervenfasern eonstatirt, sondern auch von Nusbaum das peri- 
celluläre Nervennetz (mit Methylenblaufärbung) sehr schön dar- 
gestellt. 

Auf diese Arbeiten!) beschränkt sich, soviel ich finde, die 
Kenntniss „sympathischer* Ganglienzellen im Muskelgewebe der 
Invertebraten. Alle erwähnten Untersuchungen beziehen sich auf 
die Herzmuseulatur. 

Es dürfte somit die Constatirung von Ganglienzellen in der 
Schlundmuseulatur von Evertebraten nieht nur anatomisches, 
sondern auch physiologisches Interesse haben. In gewissen Re- 
gionen dieser Museulatur trifft man bei Pulmonaten ?) sehr grosse 


1) Der Aufsatz von Lydia Pogoschewa „Die Nervenzellen der 
Scheeren und des Herzens vom Flusskrebs, Note für Naturw. St. Peters- 
burg 1890 Nr. 5* blieb mir, weil russisch geschrieben, unzugänglich. 
eit. b. Dogiel, Arch. f. mikr. Anat. Bd. 43. 

2) Die hier geschilderten Verhältnisse beziehen sich in erster 
Linie auf Helix, doch stimmen auch Arion und Limax in allem Wesent- 
lichen mit ihnen überein. 


624 H. Smidt: 


Zellen, deren Kerne vor allem sich von den Muskel- und Binde- 
gewebskernen durch ihr beträchtliches Ausmaass auszeichnen. Ihr 
Vorkommen ist ein topographisch scharf bestimmtes. 


Zerlegt man den Schlund einer dieser Mollusken in eine 
frontale Schnittserie, so bemerkt man, dass der Zungenknorpel 
denselben in eine orale und eine caudale Hälfte trennt. Oral- 
wärts trifft man die Mundhöhle, nach vorne begrenzt durch den 
Oberkiefer. Sie ist umgeben von einem lockeren Bindegewebe, 
untermischt von Muskelzügen, von denen einige, von der Epithel- 
wand ausgehend, caudalwärts, die Radula umgreifend, in die 
Muskelmasse ziehen, welche hinter dem Zungenknorpel liegt. 


Am caudalen Ende der Mundhöhle breitet sich transversal 
die Radula aus, welche weiter sich über die obere Fläche des 
Zungenknorpels legt, um sich hinter ihm in die Zungenscheide 
aufzurollen. 


Caudalwärts vom Zungenknorpel findet sich eine compacte 
Muskelmasse, durch die in der Mitte liegende Zungenscheide in 
zwei seitliche Hälften getheilt. Dieselbe hat im Wesentlichen 
zwei Ansatzpunkte: 1. an den Seitenästen sowie am oberen 
und unteren Rande des Zungenknorpels; 2. an der Radula resp. 
deren Basalmembran, sowie an der Zungenscheide selbst. — Ferner 
geht ein Theil der Muskelzüge von der Epithelwand der Mund- 
höhle, wie erwähnt, in die peripheren Schichten dieser Museu- 
latur über. 


Die ganze, im Vorstehenden geschilderte Region vom Ober- 
kiefer bis zum caudalen Ende des Schlundkopfes ist endlich von 
einer Muskelschicht eingehüllt, deren Fasern in langen Spiral- 
touren von hinten medial nach vorne lateral verlaufen, zum Theil 
auch mit den Seitenästen des Zungenknorpels sich verbinden. 


Caudal- und dorsalwärts von dieser ganzen Muskelmasse 
liegt das paarige Ganglion buccale in lockeres Bindegewebe ein- 
zebettet unter dem Oesophagus und sendet jederseits einen star- 
ken Nervenstamm in dieselbe. Diese Stämme treten jederseits 
an der hinteren medialen Fläche der Muskelmasse ein und ver- 
breiten sieh von hier aus oralwärts zunächst durch die ganze 
hintere Schlundmuseulatur. Starke Zweige biegen um die trans- 
versale Radulaplatte und innerviren die Mundhöhlenmuseulatur 
sowie die spiralige Hüllmuseulatur. Bei gut gelungenen Golgi- 


Ganglienzellen in der Schlundmusculatur von Pulmonaten. 625 


präparaten sind diese Fasern der Buccalnerven mit reichlichen 
motorischen Endplättehen versehen. 

Während so die motorischen Nerven oralwärts ziehen, mi- 
schen sich ihnen überall Fasern bei, die aus der entgegengesetzten 
Richtung kommen. Sie tragen keine Endplatten, sie sind im 
Allgemeinen zarter und zeigen häufiger (im Golgipräparate) Vari- 
cositäten sowie eingelagerte Kernchen. 

Ihre Hauptquelle ist die Basalmembran der Radula, die 
von einem ausserordentlich dichten Nervenplexus durchzogen ist. 

Auch die zu den Sinneszellen der Mundhöhle gehörigen 
Fibrillen sowie die Fasern, welche peripher als freie intraepi- 
theliale Nervenendigungen zwischen dem Mundhöhlenepithel 
endigen, ziehen um die transversale Radulaausbreitung herum zu 
den Buccalganglien. Die intraepithelialen Fibrillen münden in einen, 
mit Nervenzellen reichlich versehenen subepithelialen Plexus ein, 
aus dem wieder Fasern entspringen, die, in Bündeln zusammen- 
geschlossen, den Muskelzügen folgend caudalwärts ziehen. Den- 
selben Weg schlagen allem Anschein nach auch die Nerven der 
Sinneszellen ein, doch ist es natürlich fast unmöglich, die beiden 
Faserkategorien auf längere Strecken auseinander zu halten. 

Die Hauptmasse der letztgenannten beiden Fihrillengattungen 
tritt in den peripheren Muskelzügen verlaufend direct lateral 
in die Buccalganglien ein, kommt somit für das Gebiet der von 
innen in die hintere Schlundmuskelmasse (Zungenknorpel-Radula- 
ınusculatur) eintretenden Buccalnerven, die auch vom medialen 
Rande der Buccalganglien ihren Ursprung nehmen, kaum in 
Betracht. 

Die nunmehr zu besprechenden Ganglienzellen finden sich 
zunächst in grösserer Anzahl um diese letzterwähnten gröberen 
Nervenstämme gruppirt. Ferner treffen wir vereinzelte solche 
Zellen durch die ganze Zungenknorpel - Radulamuseulatur ver- 
breitet, besonders zahlreich in deren hinterer Hälfte. Nach vorne 
werden sie rasch spärlicher. Jenseits der transversalen Radula- 
ausbreitung, also im Gebiete der Mundhöhle, habe ich bei Helix 
überhaupt keine angetroffen; doch kommen sie bei Limax auch 
hier, besonders in der Hüllmusceulatur, wenn auch nicht zahlreich, 
vor. — Die Gesammtzahl dieser Ganglienzellen ist keine grosse. 
Die genaue Feststellung ist schwierig, da einestheils mit der 
Golgimethode nicht alle Zellen imprägnirt werden, anderentheils 

Archiv f. mikrosk. Anat. Bd, 57 41 


626 H. Smidt: 


ganz lückenlose Serien feinerer, für andere Färbemethode benutz- 
barer Schnitte schwer zu erhalten sind; die grosse Härtedifferenz 
der in Betracht kommenden Gewebe erlaubt, selbst bei sorg- 
fältigster Einbettung nicht immer ganz tadellose Schnitte. 

In einer sehr gut imprägnirten, ganz lückenlosen Golgi- 
serie zähle ich 57 Ganglienzellen. 17 davon schliessen sich dicht 
an die medialen Bncealnerven an, die übrigen liegen zerstreut 
in der Museulatur. Zahlreicher habe ich sie auch mit anderen 
Methoden nicht nachweisen können. 

Die Form der Ganglienzellen ist eine ovoide bis spindel- 
förmige. In Zupfpräparaten isolirte Zellen nähern sich oft der 
Kugelform, was auf eine gewisse Elastieität und Anpassungsfähig- 
keit der Zellen an die verschiedenen Contraetionszustände der um- 
gebenden Museulatur schliessen lässt, die sich auch bei Schnitten, 
die Muskeln und Zellen quer treffen (die längere Axe des Zell- 
ovoids fällt in die Muskellängsaxe) erkennen lässt. Die quere 
Cireumferenz solcher Zellen stellt hier nämlich keine regelmässige 
Curve, wie bei den künstlich isolirten dar, sondern ist durch die 
umgebenden Muskelbündel vielfach eingedrückt. 

Die Zellen sind von einer kernhaltigen Hülle umgeben, die 
sich auf die eintretenden Nerven fortsetzt. Während diese Hüllen 
sich an den Nerveneintrittsstellen spitz ausziehen, folgt das Proto- 
plasma ihnen nicht oder nur wenig und behält somit seine ovoide 
Form bei. 

Meist treten an den beiden Zellpolen Nervenfibrillen ein, 
doch kommen auch mehrere Eintrittsstellen vor, oder sämmtliche 
Nerventibrillen eoncentriren sich auf eine solche. Man kann 
somit von nıono-, bi- und multipolaren Zellen sprechen. Doch 
dürften diese Verhältnisse eher durch die zufällige Lage der 
umgebenden Nerven bedingt sein, als auf essentiellen Differenzen 
beruhen. 

Das Ausmaass der Zellen ist ein sehr beträchtliches. Bei 
Helix pomatia (frisches Zupfpräparat) variirten die Maasse des 
grössten und kleinsten Durchmessers von 104/92 u bis 60/56 u. 
In Schnittpräparaten sind beide Durchmesser differenter. Eine 
langgestreckte Zelle von Helix hortensis misst 84/20 u, eine 
andere ähnliche 64/14 u. Gedrungenere Typen sind aber häu- 
figer mit Maassen von 32/20 u bis 52/32 u (Helix hortensis). 

Einen sehr bedeutenden Raum der Zelle nimmt der Kerm 
ein, wie aus folgenden Zahlen ersichtlich ist: 


Ganglienzellen in der Schlundmusculatur von Pulmonaten. 627 


Zelldurchmesser Kerndurchmesser 
104/92 16/76 
16/52 45/25 | Helix pomatia. 
60/56 49/36 
54/20 52/16 Helix hortensis. 


Den Färbemitteln gegenüber verhält sich unsere Zelle durch- 
aus ähnlich den Centralganglienzellen. Das Protoplasma ist bei 
Färbung mit Thionin oder Hämatin-Apäthy erheblich blasser ge- 
färbt, wie die Formbestandtheile des Kernes. Ob seine feinen 
Fasern einem wabigen oder netzartigen Bau entsprechen, wage ich 
hier nicht zu entscheiden, eine Frage, die ja auch bezüglich der viel 
bequemer zu bearbeitenden eentralen Ganglienzellen controvers ist. 

Im Kerne fallen neben den Kernkörperchen zahlreiche in- 
tensiv gefärbte Körnchen (Edematinkugeln Reinke?) auf. Bei 
Sublimatfixirung sind sie von etwas schwächer gefärbten Granulis 
umgeben, ebenso bei gleich behandelten Centralganglienzellkernen. 
Bei guten Trockenpräparaten entspricht in letzteren den Granulis 
ein feines Netzwerk, in das die stark gefärbten Körnchen ein- 
gelagert sind. Es gelang mir bei der Spärlichkeit unserer Zellen 
nicht, von ihnen solche Präparate zu erhalten, doch lassen sich 
in ihnen wohl ähnliche Verhältnisse vermuthen. 

Andeutungen einesnervösen pericellulären Netzwerkessind auch 
in Thioninpräparaten zu finden. Um dieses einigermaassen vollständig 
darzustellen, bedarf es besonders gut gelungener Golgipräparate. 

Das silbergeschwärzte Fibrillennetz beschränkt sich an- 
scheinend wesentlich auf die Oberfläche der Zellen. Wenige 
Fasern dringen etwas tiefer, doch scheint der Kern durchweg 
frei zu bleiben. Eine deutliche Trennung in zwei Netze, wie 
sie Apäathy an centralen Ganglienzellen fand, kann ich bei den 
peripheren Ganglienzellen ebensowenig wie Nusbaum (l. e. p. 709) 
feststellen. Doch können an diesem negativen Resultate natürlich 
sehr wohl die gröberen Untersuchungsmethoden Schuld sein !). 


1) Auch bei anscheinend vortrefflichen Imprägnirungen sehen 
wir in die Netze hier und da Gruppen schwarzer Körnchen eingelagert, 
Spuren unvollkommen differenzirter Fibrillen. Besonders die zarten 
sensiblen Fasern laufen auch extracellulär meist in solche Körnchen- 
reihen aus. Je spärlicher das dargestellte Netz, desto häufiger die 
Körnchen. — Je besser das Nervennetz differenzirt ist, desto weniger 
ist der Zeilleib erkennbar; sind statt der Nerveunfasern nur einige 
schwarze Körnchen bemerkbar, so markirt sich Zellkern und Zellleib 
etwa wie in osmiumfixirten Zellen, sind nur die Hauptzüge des Netzes 


628 H. Smidt: 


In das Netz eingelagert finden sich häufig rundliche kern- 
artige Gebilde, die den motorischen Endplatten an Form und 
Grösse gleichen (s. Fig. 2, 3, 4 bei X. Die Endplatten X! in 
Fig. 3 liegen unmittelbar unter der Zelle). Hier und da trifft 
man mehr weniger parallele Fibrillenzüge, die sich in schrauben- 
förmiger Drehung um die Zellen legen, nie aber in der Regel- 
mässigkeit, wie bei den sympathischen Ganglienzellen der Amphi- 
bien. Im Uebrigen dürften die Fig. 1 bis 4 einen besseren Ein- 
druck der Form des Netzes geben, wie die Beschreibung. 

Es betheiligen sich an der Zusammensetzung der peri- 
cellulären Netze centripetale und centrifugale Fasern. Die sichere 
Constatirung des Verhältnisses beider Faserarten stösst in Einzel- 
fällen auf Schwierigkeiten. Wir dürfen wohl die aus dem sub- 
radulären Plexus stammenden Fasern für sensible halten. Ausser 
ihrer Provenienz aus muskellosen Schichten spricht dafür, wie 
erwähnt, die Abwesenheit motorischer Endplatten an ihnen sowie 
ihr zartes Kaliber. Die centrifugalen Fasern sind durehschnitt- 
lich stärker und zeigen in ihrem Verlaufe zahlreiche Ausläufer 
mit Endplatten. Die letzteren verlaufen zwar oralwärts, während 
die ersteren caudalwärts ziehen. Doch treten durchaus nicht 
immer diese am oralen, jene am caudalen Zellpole ein. Beide 
Arten können um die Zelle herumbiegen und je zum distalen 
Pole gehen, oder auch, wie sehr häufig, gemeinsam an der glei- 
chen Stelle in die Zelle eintreten. Die Entscheidung, ob in jede 
Zelle Fasern beider Gattungen münden, wird dadurch unsicher, 
dass oft nur eine Faser differeneirt ist oder ein Theil der Fasern 
nicht in die Schnittebene fällt. 

Jedenfalls ist aber an sehr vielen Zellen der Eintritt beider 
Faserarten sicher nachweisbar. So zeigen die in Fig. 3 und 4 
mit „sens“ bezeichneten Fasern alle Eigenschaften, auf die sich 
die Wahrscheinlichkeitsdiagnose der „Sensibilität“ stützt. Die 
weitere Verfolgung derselben im Nervennetz ist aber leider un- 
möglich. Schon an der Eintrittsstelle finden sich meist mehrere 
Fasern so eng verflochten, dass man selbst hier die einzelnen 
Fäden nicht entwirren kann. Damit ist aber auch ihr Antheil 
am pericellulären Netzwerk unbestimmbar. 

Dass die pericellulären Fasern zu einem wahren Netzwerke 


gefärbt, so ist der Zellleib mehr oder weniger braun gefärbt und 
scharf umgrenzt (Fig. 5, 6). Bei besten Differenzirungen ist er als 
solcher kaum erkennbar und deshalb in Fig. 1—4 nicht mitgezeichnet. 


Ganglienzellen in der Schlundmuseulatur von Pulmonaten. 629 


zusammentreten, scheint mir höchst wahrscheinlich. Auch Nus- 
baum nimmt offenbar in Fig. 7 (l. ec.) ein echtes Netzwerk an. 
Immerhin können Inerustationen, wie sie die Golgimethode liefert. 
bei aller Feinheit die Sicherheit nicht bieten, wie Tinetionen. 

Unter den Ganglienzellen finden sich vereinzelte in „oppo- 
nirter Stellung“, wie sie Bidder in der Vorhofscheidewand fand 
und auch Dogiel (Beitr. zur vergl. Anat. und Phys. d. Herzens, 
Taf. XIII, Fig. 15) abbildet. Unter den 57 Zellen der oben an- 
geführten Serie finden sich 4 solche Zellpaare. Die Verbindung 
der Zellen ist mehr oder weniger innig. In Fig. 4 deutet nur 
eine leichte Einschnürung die Berührungsebene an, während die 
Zellen in Fig. 3 sich mit emem viel kleineren Theile ihres Um- 
fanges verbinden. Die Zellnetze nehmen auf die Trennungsebene 
keine Rücksicht. — Ob diesen Zellpaaren irgend eine besondere 
funetionelle Bedeutung zukommt, kann ich nicht feststellen. 

Die Vergleichung unserer Zellen mit den von Berger, 
Dogiel und Nussbaum beschriebenen berechtigt uns, sie für 
diesen analoge Gebilde zu halten. Gestalt und Grösse (beson- 
ders des Kernes), Verbindung mit den Nerven und eigenes Nerven- 
netz zeigen die grösste Aehnlichkeit. Wir sind somit wohl be- 
rechtigt, ihnen auch die gleiche Funetion zuzuschreiben, wie sie 
nach allgemeinen physiologischen Anschauungen den Herzganglien- 
zellen zukommt, nämlich ohne Inanspruchnahme höherer Centren 
die automatische Bewegung ihrer Organe zu regeln. 

Muss auch ihre Verbindung mit den Geschmackszellen und 
den freien intraepithelialen Nervenendigungen noch zweifelhaft 
bleiben, so kann doch als sicher gelten, dass sie einerseits Fasern von 
dem sensiblen subradulären Nervenplexus, andererseits motorische 
Fasern der Schlundmuseulatur empfangen. Grade die Musculatur, 
in der sie vorzugsweise lagern, bewirkt vermöge ihrer Ansatzpunkte 
an Radula und Zungenknorpel die Bewegung der Reibmembran. 

Erfordert die Mundhöhle mit ihrem reichen Vorrath sen- 
sorischer Elemente zur Regelung ihrer complieirteren Bewegungen 
vielleicht eine centralere Verbindung, so ist es doch sehr wohl 
denkbar, dass die einfache Thätigkeit der Reibemembran mit 
Umgehung einer solchen lediglich auf den tactilen Reiz der ein- 
geführten Nahrungsstoffe hin durch Vermittelung der Ganglienzellen 
geleitet werden kann. 

Bellevue b. Konstanz, Ende September 1900. 


630 H. Smidt: 


Nachtrag. 

Die Arbeiten Paravieini’s (Ricerche anatomiche ed isto- 
logiche sul Bulbo Faringeo dell’ Helix pomatia, Bolletino dei 
Mus. di Zool. ed Anat. comp. di Torino Vol. XI No. 243 und 
Sulla minuta innervazione del canal digerente dell’ Helix po- 
matia, Pavia 1898) wurden mir erst während der Drucklegung 
dieser Arbeit durch die Güte des Autors zugänglich. Er sowohl 
wie Veratti (Ricerche sul sistema nervosa dei Limax, Memorie 
del R. istituto di seience e lettere Vol. XVIII 1900) haben 
Ganglienzellen in der Pharynxmusculatur beobachtet, letzterer 
auch Silber -inerustirte abgebildet (l. e. Fig. 58). Ob sie mit 
den von mir besprochenen identisch sind, kann ich nicht sagen, 
da in ersterer Arbeit Abbildungen derselben und genaue Maass- 
angaben fehlen und auch von Veratti ihre topographischen 
und Grössenverhältnisse nicht dargelegt werden. Vor allem aber 
sind die wichtigsten Bestandtheile dieser Zellen, ihre nervöse 
Netze, in beiden Arbeiten weder beschrieben noch dargestellt. 

In der äusserst sorgsamen und kritischen Bearbeitung der 
Bulbusmuseulatur in der ersten Arbeit Paravieinis wird die 
von mir als Hauptfundort der Ganglienzellen beschriebene Muskel- 
masse als „Muscolo radulare medio* bezeichnet. 

Dem zweiten Aufsatze Paravicinis entnehme ich, dass 
Trambusti in einem Artikel: Sull’ innervazione del ceuore nell’ 
Helix pomatia (Estratto della Rivista Internazionale di Medieina e 
Chirurgia, 1885, anno II, num. 12), der mir im Originale nicht 
zugänglich war, Ganglienzellen im Herzen von Helix mit den 
Worten erwähnt: „I nervi dei muscoli dell’ Helix pomatia sono 
ecostituiti da fibre sproviste di mielina e sono rivestiti di una 
guaina analoga a quella di Henle, muniti di nuclei ellitiei 
allungati. Lungo il decorso di questi nervi si incontrano talvolta 
delle cellule ganglionari unipolari e bipolarj.“ 

Leider sagt uns der Begriff „Ganglienzelle*, selbst mit dem 
Zusatze „unipolar“ oder „multipolar“, über die Natur der be- 
treffenden Gebilde wenig. Die gebräuchlichen Goldmethoden, 
mit Ausnahme der Apäthy’schen, färben (wie auch häufig die 
Golgimethode) bei Wirbellosen in erster Linie die Nervenscheide 
mit all den Zellen, die sich an diese anschliessen und zum Theil 
von ihr umschlossen werden, ohne das „Leitende“ zu differenziren. 
Alle diese Zellen pflegen unter dem Namen „Ganglienzellen“ sub- 
sumirt zu werden. Und das sind nicht nur „Ganglienzellen und 


Ganglienzellen in der Schlundmusculatur von Pulmonaten. 631 


Nervenzellen“ in der engeren Fassung Apäthy’s, sondern sicher 
auch viele Elemente, die der Nervenscheide allein angehören, 
ohne in engere Verbindungen mit den Primitivfibrillen zu treten. 
Wo diese nicht deutlich differenzirt sind, ist daher die genauere 
Diagnose der Zellen nicht zu stellen. Das gilt auch für die 
eben eitirten Publieationen. 

Mit dem Fortschreiten der Methoden der Fibrillenfärbung 
wird die bessere Classification und Nomenclatur der „Ganglien- 
zellen“ immer dringender. 


Erklärung der Abbildungen auf Tafel XXXII. 


Sämmtliche Figuren sind mit Abbe&’s Zeichenapparat entworfen. 
Schnittdicke 45 u. 

Fig. 1-4. Vergr. 543. (Seibert Oc. 0. Wasserimm. VII). 

Fig. 5, 6. Vergr. 250. (Zeiss Comp. Oc. 4, Apochr. Obj. 4). 


Fig. 1. Ovoide „unipolare“ Ganglienzelle. 
Fig. 2. Bipolare Ganglienzelle im Profil gesehen. 
Fig. 3. 
= Ganglienzellpaare „in opponirter Stellung“. 
Fig. 4. 


sens.— sensible Faser, K=in die Zellwand eingelagerte Kerne, 
K' = motorische Endplatten. Um möglichst das ganze Netzwerk wieder- 
zugeben, ohne die Zeichnung zu sehr zu verwirren, wurden die tiefer 
liegenden Fasern hellgrau gezeichnet. 
Fig. 5. | Ganglienzellhaufen an den Eintrittstellen der medianen 
Fig. 6. | DBuecalnerven in die Museulatur. 


Literatur-Verzeichniss. 


1. Dogiel, Anatomie und Physiologie des Herzens der Larve von . 
Corethra plumicornis. Me&moires de l’Acad&mie imp£riale des 
sciences de St. Petersbourg III. Serie Tome XXIV No. 10. 

2. Derselbe, Die Muskeln und Nerven des Herzens bei einigen 
Mollusken. Archiv f. mikr. Anat. Bd. XIV. 1877. 

3. Foster und Dew-Smith, Die Muskeln und Nerven des Herzens 
bei einigen Mollusken. Ibid. Bd. XIV. 1877. 

4. Berger, Ueber das Vorkommen der Ganglienzellen im Herzen 
des Flusskrebs. Sitzungsber. der k. Acad. der Wissensch. 1. Abth. 
Oct. Heft. Jahrg. 1876. Bd. LXXIV. 

5. Dogiel, Beitrag zur vergl. Anat. u. Physiol. d. Herzens. Arch. 
f. mikr. Anat. Bd. XLIII, 1894. 

6. Nusbaum, Beiträge zur Kenntniss d. Innervation d. Gefäss- 
systems nebst einigen Bemerkungen über d. subepidermoidalen 
Nervengeflechte b. d. Crustaceen. Biol. Centralblatt Bd. XIX 1899. 
pag. 700. 


632 


(Aus dem pathologischen Institute der Universität Kiel.) 


Untersuchungen über die normale und patho- 
logische Hypofysis cerebri des Menschen. 


Von 


Waldemar Thom, 


Assistenzarzt an der chir. Abtheilung des Krankenhauses der Barm- 
herzigen Brüder (Prof. Witzel) zu Bonn. 


Mit 2 Textfiguren. 


Die Hypofysis cerebri ist bereits mehrfach Gegenstand 
pathologisch anatomischer Forschung gewesen, allein jedesmal 
von einem vorschiedenen Gesichtspunkte aus. Wenzel!) unter- 
suchte die heute vollkommen geleugnete Beziehung zur Epilepsie, 
Rogowitsch?), Stieda®) und Schoenemann‘) die Be- 
ziehung zur Struma, Virchow), Boyce, Rubert, Beadles®), 
v. Reeklinghausen’),, Schoenemann prüften die Befunde 
bei Kretinismus und Kachexia thyreopriva, G. Wolf®) bei 


1) Wenzel, Beobachtungen über den Hirn-Anhang Epileptischer, 
Mainz 1810. 

2) Rogowitsch, Veränderung der Hypophysis nach Entfernung 
der Schilddrüse. B. v. Ziegler IV. 1889. 

3) Stieda, Verhalten der Hypofysis nach Entfernung der 
Schilddrüse. B. v. Ziegler VI. 

4) Schoenemann, Hypofysis und Thyreoidea. Virch. Ar- 
chiv Bd. 129. 

5) Virchow, Untersuchungen über die Entwickelung des 
Schädelgrundes. Berlin 1857. 

6) Boyce, Rubert and Beadles, Study of the Pathologie of 
the Hypophysis, ref. Centralbl. f. allg. Path. 1894. 

7) Angef. b. Buhecker: Ein Beitrag zur Pathologie u. Physio- 
logie der Hypofysis cerebri. Strassburg 1893 1.-D. 

8) G. Wolf, Zur Histologie der Hypofysis des normalen und 
paralytischen Gehirns. Würzburg 1897 1.-D. 


Untersuch. üb. d. normale u. patholog. Hypofysis cerebri etc. 693 


Paralysis progressiva. Neuerdings bringt man den Hirnanhang 
in Beziehung zu dem von Pierre Marie!) zuerst beschriebenen 
Bilde der Akromegalie. Eine Vergrösserung, resp. einen Tumor 
der Hypofysis haben bei dieser Erkrankung gefunden: Marie, 
Marünesco, Burg?), Brigidi, Henrot, Klebs,' Broea®), 
Boyce, Beadles, Worcester %), Comini°), Wolf®) 
Ponfick®) u. a. Eine der über die Akromegalie aufgestellten 
Theorieen erklärt das Leiden als eine von der glandula pituitaria 
herrührende Dystrophie, als eine perverse Funktion eines Organes, 
welches die normale Entwicklung des Körpers reguliren soll; 
eine Anzahl Kliniker empfehlen bereits zur Therapie Hypofysis- 
Extrakt. Wenn diese T'heorie zu Recht besteht, dann müssten 
wir folgerichtig auch bei Struktur-Veränderungen des Hirn- 
anhangs trophische und nervöse Störungen erwarten. Denn ein 
Haupt-Lehrsatz der allgemeinen pathologischen Anatomie heisst: 
Veränderung der Structur führt zur Veränderung der Funktion. 
Erst wenn bei Fällen von Akromegalie in der Hypotysis mehr- 
fach eine erhebliche Structur-Veränderung nachgewiesen wird, 
erst dann ist die letztere als anatomische Basis zu betrachten; 
andernfalls aber darf die Hypofysis-Vergrösserung nur als den 
übrigen Hypertrofieen coordinirt aufgefasst werden. Arnold?) 
und Ponfick®) betonen, dass es Fälle von Akromegalie ohne 
Veränderung des Hirnanhangs giebt, dass ferner die weit über- 
wiegende Anzahl der über 50 bisher beschriebenen Hypofysis- 
tumoren ohne Symptome von Akromegalie mitgetheilt wurden. 


1) Pierre Marie, Revue de Medecine. 1886. 

2) Angef. b. Wolf, Ein Beitrag zur Pathologie der Hypofyse. 
B. v. Ziegler XII. 189. 

3) Angeführt bei Erb, Deutsch. Archiv f. klin. Mediein Bd. 42. 

4) Worcester, Case of acromegalie with autopsy. Tumor of 
pituitary body. Boston, medical and surgic. Journal 1896. 

5) Comini, Contributo allo studio clinico ed anatomo-patologico 
dell’ acromegalie. Archivii per le science mediche. Vol. XX, No. 21. 

6) 71. Versammlung deutsch. Naturforscher und Aerzte. Mün- 
chen 1899. 

7) Arnold, Weitere Beiträge zur Akromegalie-Frage. Virch. 
Arch. Bd. 135. 

8) 71. Versammlung deutsch. Naturforscher und Aerzte. Mün- 
chen 1899. 


634 Waldemar Thom: 


Unter solehen Umständen sind häufige methodische Unter- 
suchungen dieses Organes bei den verschiedensten Krankheits- 
zuständen wohl indizirt. Die folgende Arbeit soll den Anfang 
dieser Forschungen machen. 

Zu dem Ende wurde durch einen quer -ellipsenförmigen 
Schnitt das opereulum und damit die sella tureica von oben er- 
öffnet. Nachdem dieselbe durch Abbrechen der processus 
elinoidei posteriores mittelst einer Knochenzange auch von 
hinten zugänglich geworden war, liess sich der Hirnanhang stumpf 
aus der fossa hypofyseos entbinden. Ein Theil wurde frisch 
auf dem Gefrier-Mikrotom geschnitten, meist aber das ganze 
Stück in 4°/, Formalin fixirt, in Alkohol von steigender Konzen- 
tration gehärtet, inCelloidin eingebettet und mit einem Schanze’schen 
Schlitten-Mikrotom meist in Querschnitte von 10—15 u möglichst 
durch die Mitte des Organs zerlegt. Zur Färbung wurde benutzt 
gewöhnlich Hämatoxylin-Delafield-Eosin, seltener Borax-Indigo- 
Karmin (Merkel) oder Pikrinsäure-Säurefuchsin (van Gieson). 
Ein Organ (s. später No. VIII) wurde nach Fixirung in Flem- 
ming'scher Lösung mit Anilinwasser-Safranin tingirt. 50 Hypo- 
fysen entnahm ich selbst dem Körper, 12 andere aus ziemlich 
frischen Leichen verdanke ich Herrn Geheimrath Heller. 

Ich beginne mit einigen makroskopischen Angaben, zu- 
nächst hinsichtlich der Lage. Bei einem 27jährigen Tuberkulösen 
war der sehr niedrige rechte process. elinoid. poster. mit dem process. 
elinoid. anter. durch eine bis auf den Boden der Fossa reichende 
knöcherne Platte verbunden. Der linke process. elinoid. poster. 
war durch eine bindegewebige derbe Membran mit dem linken 
vorderen Fortsatze vereinigt, gleichzeitig erhob sich vom oberen 
Theile des elivus Blumenbachi eine !/; em hohe Exostose. 

Was die Form des Vorderlappens anlangt, so fand ich 
die obere Fläche desselben meist völlig eben oder leicht konkav, 
allein 7 mal im Umkreise der Infundibular-Mündung zu einer bis 
6 mm breiten, tiefen Delle eingesunken. Letztere ist in 5 Fällen 
von Bindegewebsentwickelung durch Schrumpfung, in 2 Fällen 
von Meningitis purulenta durch Schwellung der Umgebung ent- 
standen zu denken. Wie sich an Sagittalsehnitten zeigt, nimmt 
nämlich die Stelle der Infundibular-Mündung an einer Schwellung 
des Organes nicht theil, weil die starken Bindegewebssepten, 


Untersuch. üb. d. normale u. patholog. Hypofysis cerebri ete. 635 


welche hier als processus infundibuli vom Trichter in den oberen 
Theil der Hypotfysis einstrahlen, eine stärkere Ausdehnung ver- 
hindern. 

Der Vorderlappen gleicht einer Niere; in einen deutlichen 
Hilus erscheint der process. infundibuli eingepasst. 5 mal zeigte 
der Vorderlappen auf dem Querschnitte eine Trapezform mit der 
längeren Seite nach vorn, 4mal eine Hantelform, 2 mal eine 
Asymmetrie infolge seitlicher Abplattung durch sehr starre ver- 
kalkte Gefässe des sinus cavernosus. 

Die Form des Hinterlappens ist die eines Kugelsegments, 
welches einer Halbkugel sich nähert oder bereits eine solehe dar- 
stellt. Bei Kindern bis zu 10 Jahren fand sich eine nur sehr 
geringe Prominenz des Hinterlappens und dadurch eine ellipsoide 
Abrundung des ganzen Organes. Das mikroskopische Bild zeigt 
nämlich eine nur geringe Ausbildung des process. infundibuli. 
Das Gebiet, welches der letztere beim Erwachsenen im oberen 
Hilus einnimmt, kommt beim Kinde bereits dem Hinterlappen zu 
Gute, wodurch dieser theilweise vom Vorderlappen eingeschlossen 
erscheint. 

Die Farbe des frisch herausgenommenen Vorderlappens 
ist meist hellgrauröthlich, die des Hinterlappens grauweiss. Sehr 
stark dunkelblauroth waren 9 Hypofysen (Mening. purul., Empyema 
proc. mast., Hämorrhagia cerebri, Nefritis chron., Myoecarditis, 
Ikterus, Gastro-Enteritis, Bronchopneumonie, Fthisis pulmon.), 
sehr blass 7 (3 Fälle von Gastro-Enteritis, 2 Fälle von Sepsis, 
Je ein Fall von Fthisis pulmon. und Marasm. sen.). 

Die Maasse nahm ich an dem Vorderlappen als dem 
spezifischen Parenchymtheil des Hirnanhangs vor, zumal der 
Hinterlappen wegen seiner Weichheit und der stark adhärenten 
Hirnhaut häufig nicht intakt erhalten wurde. Da die Manipu- 
lation der Messung aus Gründen der Schonung erst am gehär- 
teten, geschrumpften Organe vorgenommen wurde, so ist die Ge- 
nauigkeit meiner Werthe nur eine relative, Die Maasse, die ich 
in der Litteratur fand, beziehen sich auf den Erwachsenen 
(s. Tab. A). Meine Messungen umfassen Organe aus allen Lebens- 
altern, deren Mittel, für Dezennien berechnet, ich in Tab. B an- 
führe. Die Grösse der einzelnen, z. B. der transversalen, 
Durchmesser fand ich, selbst in gleicher Altersstufe, bisweilen 


636 Waldemar Thom: 


erheblich verschieden. Maassgebend aber für die Beurtheilung 
eines Diameters ist der Vergleich mit den beiden andern, Klein- 
heit des einen geht häufig mit relativer Grösse des andern ein- 
her, und nur die Gesammtbetrachtung aller 3 Durchmesser lässt 
einen Schluss auf das Volumen zu. Relativ gross sind dieselben 
bei einem Falle von Meningit. tub. mit starkem Gallertkropfe 
(s. No. ID), bei 2 Fällen von Tuberk. pulmon. mit Gallertkropf, 
resp. mit grossen blassen Geschwülsten der T'hyreoidea, weiter 
bei je 2 Fällen von Sepsis und Carein. ventric., resp. pleur., 
bei einem Falle von Nefrit. chron. mit Hydrocefalus und Anasarka, 
bei Myocarditis mit Adipositas, ferner bei einem Falle von 
Eklampsia partur. (s. No. IV). Hier war eine Vorwölbung des 
opereulum sellae zu einein stark gespannten, 3 mm hohen Kugel- 
segmente sichtbar, — nach Zander!) ein charakteristisches 
Zeichen einer beginnenden Hypofysis-Hyperplasie, weil im ver- 
tikalen Durchmesser der geringste Widerstand gegeben ist. Auf 
den histologischen Befund komme ieh später zurück. 

Eine erhebliche Kleinheit zweier Durchmesser fiel mir bei 
Gastro-Enteritis eines 2 monatl. und 1jähr. stark abgemagerten 
Kindes auf. Die hier vorliegende Anämie wirkt scheinbar auf ein 
Organ von geradezu kavernösem Bau wie die Hypofysis im Sinne 
einer Verringerung des Turgors und Volumens. Relativ kleine 
Durchmesser zeigt der Hirnanhang eines 33jähr. Verbrannten, 
wahrscheinlich infolge einer zugleich konstatirten sehr starken 
chron. Meningitis und dicker schwartiger Umschliessung der Hypo- 
fysis, ferner der Hirnanhang einer 46 jähr. Frau, bei der sich 
ausser einem glatten Zungengrund ein Empyema process. mast. 
und eine Induration des Hirns, der Niere und der Leber fanden 
(Lues? s. No. V). Stark im sagittalen Durchmesser (5 mm) ver- 
kleinert, daher wurstförmig ist der Vorderlappen eines 48 jähr. 
Epileptikers. Auffallend sind die kleinen Maasse des sagittalen 
und vertikalen Durchmessers an dem Organ einer 90 Jährigen mit 
Marasm. sen. und Bronch. chron. (s. No. IX), während der trans- 
versale relativ gross erscheint. Mikroskopisch ergiebt sich enorme 
Bindegewebsinduration. Nun wird der Grundstock des normalen 
Bindegewebes nach früheren Autoren und meinen Befunden von 


1) Ver. Beilage der Deutsch. med. Wochenschrift 1887, pag. 13. 


i ete. 637 


sis cerebri 


V 


‚pof) 


y 


Untersuch. üb. d. normale u. patholog. H 


"GEL Pg Alyday 'y9ary eOpIoaaäyL pun sıskjodAy ‘uuwwau9oydg (F 
'e] '3d 68T IAIYydsuspoMqM 'pa9ur "yasInac] A9p 9seflag "aA (€ 
oıpedopAduy-way SanqyuaIny ( 

"uo]fpqwL pun usgec] 'yIsÄyd pun -[oısäyd-Jeuy YpaoaaıA (I 


| ‘ ‘ | | 3 | R 2 
’ ee BES IRG a ee re strJao A 
ge RE £8'9 <19 a BE Fe a ae nes 
Hl EI a EI ZORci 121 901 Gr tl Eor = Er "SIHASUBLL 
| | | | | | | 
IE | fe | ff | ls | Ze f | p | p | p | uom | EN A9SSYUL 
06° | 0808 | 02-09 0908 |0° 207 7072.08 708702 7 08707 Ol Fa -yoandı 


wu ur susdde]IspIoA SOp Asseewslıuydsypand] 


"a 9TI2qeL 


60 = | 9—G | 81-G'zI (‚uuwewou9oydg 
> ggg 8 | 611 (.19puuz 
BE: | =S | Sad | el (‚sınquony 
co | ze) | ) | FI (gIPIOAOLA 
"y1919A | LOBS | "sa9Asurıl 
IU9IMOL) = m m ——— 10om\ 
19ss9uy9And 


“m UT ADUOSUARMAH 9SAJodAH Jap Assee 


NE SEN 


638 Waldemar Thom: 


zwei Hautbindegewebsbalken gebildet, welche vom process. infun- 
dibuli aus divergirend, die Richtung nach vorn seitlich unten 
einschlagen. Pathologische Bindegewebsschrumpfung wird daher 
wesentlich zn einer Verkleinerung des vertikalen und sagittalen 
Durchmessers führen. 

Meinen Messungen nach scheint die Hypofyse am schnellsten 
bis zum 30. Jahre zu wachsen, indem sich zwischen den ersten 
3 Dezennien eine Durchmesserdifferenz von 1 mm und darüber 
ergiebt (s. Tab. B). Dieselbe wird in späteren Jahren nicht 
mehr erreicht. Eine geringe, besonders sagittal auftretende Ab- 
nalıme der Maasse im VI. Dezennium wird anscheinend im VII. 
Dezennium durch mikroskopisch nachgewiesene (s. später) Binde- 
gewebswucherung ausgeglichen. Im hohen Alter scheint durch 
sekundäre Bindegewebs- Induration wiederum eine Abnahme, 
wenigstens des sagittalen und vertikalen Durchmessers zu erfolgen. 

Vor Mittheilung meiner mikroskopischen Befunde er- 
wähne ich in extenso den augenbliceklichen Stand der Hypofysis- 
Histologie. 

Der Hirnanhang besteht aus einem Vorder- und Hinter- 
lappen. Letzterer enthält wesentlich lockeres Bindegewebe, 
ersterer ein Netzwerk von schmalen, kernarmen, Gefässe tragen- 
den Bindegewebsfibrillen, deren weite Maschen durch längliche, 
meist solide Conglomerate von theils kubischen (Stöhr!), theils 
polymorphen (Lothringer?) Zellen ausgefüllt sind. Em auf 
dem Querschnitte leicht hell und dunkel geschecktes Bild führt 
Luscehka°) auf ungleichmässige Vertheilung des Blutes, 
Dostojewsky'!) auf eine mehr oder weniger ausgesprochene 
Pigmentirung verschiedener Parenchymelemente zurück. Dieselbe 
ist zuerst von Langen?) gesehen, von Flesch®), Dosto- 


1) Stöhr, Lehrbuch der Histologie. 

2) Lothringer, Untersuchungen an der Hypofysis einiger 
Säugethiere u. des Menscheu. Arch. f. mikrosk. Anat. Bd. 28. 

3) Luschka, Der Hirnanhang und die Steissdrüse. Berlin 1860. 

4) Dostojewsky, Ueber den Bau des Vorderlappens des Hirn- 
anhangs. Arch. f. mikrosk. Anat. 1886. H. 4. 

5) Langen, De Hypofysi cerebri disquititiones microscopicae 
1.-D. Bonnae 1864. 

6) Tageblatt der 57. Versammlung deutscher Naturforscher und 
Aerzte zu Magdeburg No. 4. 


Untersuch. üb. d. normale u. patholog. Hypofysis cerebri etc. 639 


jewsky und Lothringer wesentlich an Säugethier-Hypofysen 
durch mikrochemische Reaktion bewiesen worden. Darnach 
werden die helleren Zellen, welehe 3—4 u gross, sich durch 
Merkels Borax-Indigo-Karınin nur schwach blau färben, als Haupt- 
zellen, die dunklereu 5—18 u grossen Zellen als chromofile be- 
zeichnet, weil sie sich durch Hämatoxylin-Eosin roth, durch 
Borax- Indigo-Karmin dunkelblau, durch Ueber-Osmium-Säure 
dunkelgrau, durch Weigert'sche Markscheiden-Tinktion braun bis 
schwarz färben. Eine nach Härtung in absolutem Alkohol durch 
Lugol’sche Lösung entstehende Bräunung führt Lothringer!) 
auf Glykogen zurück. Durch das gleiche Tinktionsvermögen, 
sowie durch eine Beobachtung Virchow ’s?) und Langen’s?), 
wonach kleine Kolloidkörper an Stelle chromofiler Zellen zu treten 
scheinen, wird eine direkte Beziehung der letzteren zum Kolloid 
offenbar. Die Hauptmasse desselben liegt auf der Grenze zwischen 
Vorder- und Hinterlappen in einer grösseren spaltförmigen Hypo- 
fysenhöhle oder in multiplen kleineren Cysten. Lothringer!) 
findet die chromofilen Zellen wesentlich in den oberflächlichsten 
Schichten, Rogowitseh*) schliesst beim Kaninchen einen 
„dreieckigen Raum mit hinterer Spitze“ von ihnen aus, welcher 
ein „unfertiges embryonales Gewebe“, d. h. eine gleichmässige, 
nieht differenzirte Grundsubstanz mit sogenannten „Körnerhaufen“ 
enthält. Die bei Schilddrüsen-Exstirpation vikariirend auftretende 
starke Vermehrung dieser Maasse sowie der vermeintliche Befund 
einer kolloid reagirenden Substanz in den Blutgefässen veranlasst 
den genannten Autor zur Unterscheidung 1) eines Abschnittes, der 
„freies Kolloid liefert, welches entweder unmittelbar dem Blut- 
strome übergeben wird (nämlich im dreieckigen Raume) oder 
sich in Cysten sammelt“, 2) eines Abschnittes, „in dem das 
Kolloid gewissermassen gebunden nur in dem Protoplasma der 


1) Lothringer, Untersuchungen an der Hypofysis einiger 
Säugethiere und des Menschen. Arch. f. mikrosk. Anat. Bd. 28. 

2) Virchow, Untersuchungen über die Entwickelung des Schädel- 
grundes. Berlin 1857. 

3) Jhangen, De Hypofysi cerebri disquisitiones mieroscopicae 
I.-D. Bonnae 1864. 

4) Rogowitsch, Veränderung der Hypofysis nach Entfernung 
der Schilddrüse. B. v. Ziegler IV. 1889, 


640 Waldemar Thom: 


chromofilen Zellen angetroffen wird“. In den Vakuolen der letz- 
teren sah Wolf!) bei Weigert scher Markscheidenfärbung 
schwarze Gebilde, welche er für Blutkörperchen hält, deren hier 
stattfindende Zerstörung und Aufsaugung neben der Kolloidbildung 
eine weitere Funktion der Hypofyse wäre. 

Schoenemann?) endlich betont bei der Hämatoxylin-Eosin- 
Färbung die von Lothringer nur vorübergehend erwähnte Ein- 
theilung der chromofilen Elemente in blaue — eyanofile — und rothe 
— eosinofile — Zellen. Beide Arten sind nach ihm ganz unregel- 
mässig vertheilt, vielerorts nur mit starker Vergrösserung auffindbar 
und machen „gar keinen oder wenigstens nur einen geringen Bestand- 
theil der normalen menschlichen Hypofysis aus.“ „Kolloidbläschen 
längs der Grenze zwischen Vorder- und Hinterlappen in mässiger 
Anzahl und Grösse“ hält er für normal, findet dagegen im drüsigen 
Theile das Kolloid so spärlich, dass viele Gesichtsfelder bei 
schwacher Vergrösserung vergebens durchsucht werden. 

Ich lasse nunmehr meine eigenen mikroskopischen Befunde 
und zwar zunächst die Hauptzüge von 9 verschiedenen Hypofysen- 
Querschnitten folgen, welche betreffs normaler wie pathologi- 
scher Strukturverhältnisse wichtig erschienen. Wo keine beson- 
dere Bemerkung, ist der quergeschnittene Vorderlappen mit 
Hämatoxylin-Eosin gefärbt. 

No. I. m. 6 Mon. Gastro-Enteritis, Broncho-Pneum. 21 Stunden post 
mortem sez. S. No. 390. 1899. Maasse: 8:3 (mit Hinterlap. 4) :3. 

Der hantelförmige Vorderlappen enthält eosinofile und eyano- 
file Zellstränge. In der Breite der ersteren sind 3—4, der letzteren 
6—8 Kerne sichtbar. Es überwiegen ungefärbte Zellen, deren Kerne 
stellenweise um den eigenen Durchmesser von einander entfernt sind. 
Der Hinterlappen ist vorn und seitlich vom Vorderlappen umschlossen, 
daher ist der Querschnitt des ganzen Organs ein Ellipsoid. Die Hypo- 
fysenspalte erweitert sich beiderseits zu einer dreieckigen Höhle. 
Letztere ist, besonders deutlich auf der Pia, welche eine Seite des 
Dreiecks bildet, von kubischem Epithel ausgekleidet und enthält einen 


feinen hellblau granulirten Inhalt, stellenweise mit dunkelblauen runden 
Kolloidmassen. Links setzt sich die Höhle scheinbar in eine ?/, der 


1) G. Wolf, Zur Histologie der Hypofysis des normalen und 
paralytischen Gehirns. Würzburg 1897. 1.-D. 

2) Schoenemann, Hypofysis und Thyreoidea. Virch. Ar- 
chiv Bd. 129. 


Untersuch. üb. d. normale u. patholog. Hypofysis cerebri ete. 641 


hinteren Seite des Hinterlappens umgebende subarachnoidale Spalte 
fort. Stellenweise erscheint auch das Gewebe des Hinterlappens von 
der gleichen hellblauen Masse infiltrirt und eine breite Communication 
mit dem Höhleninhalt zu bestehen. Interfollikuläre hellblaue Massen 
des Vorderlappens gehen scheinbar ebenfalls in den Höhleninhalt sowie 
in eine im mittleren Drittel der Vorderseite zwischen Vorderlappen 
und Hirnhaut sichtbare Anhäufung einer gleichgefärbten Substanz über. 
Hauptbefund: Sehr viel Höhlen- und interfollikuläres Kolloid. 


No. II. w.12J. Mening. tuberc. m. stark. Gallertkropf. 21/, Stunden 
Pem.sez. S. No. 1.1900. Maasse.: 127:6,5 (m. H.E.9)2D. 

Querschnitt innerhalb des oberen Viertels des verticalen Durch- 
messers. 

Auf der Grenze zwischen Vorder- und Hinterlappen etwa 35 
ziemlich grosse Cysten mit kubischem oder abgeplattetem Epithel und 
hellblau bis blauroth gefärbtem, völlig homogenem, bisweilen leicht 
concentrisch gestreiftem Inhalte. Zwei breit vom processus infundibuli 
unter einem Winkel von 75° divergirende Bindegewebsbalken lösen 
sich im Vorderlappen in ein Bindegewebsnetz auf, welches deutlich 
über die Zellstränge dominirt, ihrer halben oder ganzen Breite gleich- 
kommend. Zwischen beiden Balken ist ein dreieckiger Raum abzu- 
grenzen. ?/, seiner Zellen sind schwach, !/, stark cyanofil, je !/, un- 
gefärbt und schwach eosinofl. Der Breitendurchmesser der stark 
blauen Stränge zeigt 3—12, der schwach blauen 3—8, der schwach 
rothen 2—5 Kerne. Ungefärbte Zellen sind zwischen den andern ver- 
theilt. Zahlreiche vermeintliche Vakuolen erweisen sich durch den 
Besitz eines Kernes als ungefärbte Zellen. 

Seitlich von den Bindegewebsbalken sieht man fast nur stark eosi- 
nofile Zellen. Die spärlichen eyanofilen Elemente erscheinen durch den 
Druck grosser ungefärbter Zellen stellenweise zu dreieckigen Gebilden 
deformirt, deren Basis nach der membrana propria, deren Spitze nach 
dem Follikelinneren gerichtet ist. An der Peripherie des Vorder- 
lappens werden die ungefärbten Zellen zahlreicher. Ein Lumen findet 
man selten, so dass die Bezeichnung Zellstrang glücklicher als Zell- 
schlauch ist. Wohl aber sind Interfollikularräume mit ungefärbtem 
oder nur leicht hellblau tingirtem Inhalte sichtbar. Die eosinofilen 
Zellen (s. in der Figur e und die übrigen schwach und mittelstark 
schattirten Zellen) zeigen auch untereinander feine Variationen des 
Farbentons; eine Abgrenzung durch eine Zellmembran ist nicht immer 
deutlich. Das Protoplasma enthält spärliche Vakuolen (v), welche jedoch 
kleiner als die der eyanofilen Zellen sind; es erscheint ferner sehr 
fein granulirt, ganz besonders an derjenigen Seite, die der Membrana 
propria entspricht (g). Hierher ist häufig der Kern gerückt, und hier 
scheinen die Granula die Zellgrenzen zu überschreiten. Im Lumen 
des abgebildeten eosinofilen Zellstranges liegt eine runde, zwischen den 

Archiv f. mikrosk. Anat. Bd. 57 42 


643 Waldemar Thom: 


Zellen des Tubulus eine dreieckige, durch Hämatoxylin lila gefärbte, 
im Bilde ganz dunkel gezeichnete Kolloidmasse (ko). Die ungefärbten 
— „echromofoben®“— Zellen sind häufig in der Mitte ambosartig einge- 
Leitz, Ocul. I, Oel-Immers. Y/ıs. engt (ch), der Kern 
ist relativ gross, 
meist ellipsoid, sein 
Chromatin in wei- 
ten Distanzen zer- 
streut, bisweilen 
auch in einem Pole 
besonders gesam- 
melt. Neben der 
dreieckigen Kol- 
loidmasse (s. Figur) 
findet sich eine 
kleine, ziemlich 
stark gefärbte Zelle 
(d) mit deutlich ge- 
schrumpftem 
Kerne und kleinen 
Vakuolen — augen- 
scheinlich im Sta- 
dium der Degene- 
ration. Hier zeigt 
die Membrana pro- 
pria (m) eine Unter- 
brechung. In die 
ungefärbten oder 
im Bereiche des 


Aus dem Querschnitt durch den seitlichen Theil des Membran -Defektes 

Vorderlappens der menschlichen Hypofyse. schwach  tingirten 
e=eosinofile Zellen, »— Vakuolen, y—= Granula, Interfollikularräu- 
ko = Kolloid, ca=chromofobe Zellen, d=degenerirte Me (?) scheinen 


Zelle, m=membrana propria, i=Interfollikularraum. Granula überzu- 
gehen. 


Hauptbefund: Sehr grosse Hypofyse. Bindegewebsentwickelung. 
Viel Cystenkolloid. 


No. III. m. 18 J. Acute Leukämie. 5 St. p. m. sez. S. No. 37. 1900. 
Maasse: 11:5:4. 

Mehrere kleine Oysten zwischen beiden Lappen mit theils blauem, 
theils blaurothem, theils ziegelrothem, homogenem Inhalte. Im lockeren 
(Gewebe des Hinlerlappens ein Blutkörperchen-Extravasat. Die Zell- 
stränge des Vorderlappens sind durch hellblaue, fein granulirte Massen 
von gleicher Breite ziemlich stark auseinandergedrängt. Mit Leitz 
Object. 5 sind oft 3—4 lila gefärbte Kolloidlumina in einem Gesichts- 


Untersuch. üb. d. normale u. patholog. Hypofysis cerebri ete. 643 


felde sichtbar. Nur spärlich vorhandene cyanofile Elemente scheinen 
stellenweise in eine Kolloidmasse überzugehen. 

Hauptbefund: Cysten- und viel inter- und intrafollikuläres Kolloid. 
Blutung im Hinterlappen. 


No. IV. w.37J. Eklampsia intra partum. 18 St. p. m. sez. S. No. 181 
1899. Maasse: 12:8:7. 


a) Frischer Gefriermikrotom-Sagittalschnitt. 
In der oberen Hälfte des Vorderlappens sind sehr weite Inter- 
follikular-Spalten sichtbar, gefüllt mit stark lichtbrechenden, weder 
auf Aether noch auf’ Essigsäure schwindenden, meist kreisrunden Tropfen. 


b) Hämatoxylin-Eosin-Färbung nach Härtung in Formalin. 
Sagittalschnitt. 

Auf der Grenze 15, meist kleine, sich bis auf die untere 
Fläche des Vorderlappens erstreckende Cysten. Meningen stellenweise 
hämorrhagisch infiltrirt. Während im oberen Vorderlappenabschnitt 
die Zellstränge infolge weiter Interfollikular-Spalten gut isolirbar sind, 
besteht die untere Hälfte aus so dicht erscheinenden stark eosinofilen 
Elementen, dass die Breitenbestimmung eines Einzelstranges unmöglich 
ist. Erst an der Peripherie kann man in der Breite eines Stranges 
bis zu 15 Kerne zählen. Ausserordentlich gering ist in dem unteren 
Vorderlappentheile auch die Anzahl der sichtbaren Gefässe. 


c) Die van Gieson’sche Methode 


ergiebt eine Orangefärbung des durch b) hellblauroth tingirten 
Cysteninhaltes. Andere Oysten, die bei b) fast farblos blieben, sind 
gelb. Das intrafollikuläre Kolloid ist orange, bisweilen aber wie auch 
die bei b) stark eyanofilen Zellen dunkelbraun, die bei b) stark 
eosinofilen Zellen sind nur gelb. Die spärlichen durch b) ungefärbten 
Zellen werden auch von der Pikrinsäure nicht tingirt. 

Hauptbefund: Sehr grosses Organ. Blutung in die Meningen, 
Hyperplasie der Follikel im unteren, starke interfollikuläre Kolloidan- 
häufung im oberen Vorderlappentheile. 


No. V. w. 46 J. Empyema proc. mast. Lues? Todesstunde unbe- 
kannt, Blutkörperchen sehr gut erhalten. S. No. 187. 189. 
Maasse: 10:5:5. 

Ausser einseitiger Hypofysenhöhle 15 ziemlich grosse Cysten. 

Eine derselben zeigt in der peripheren Schicht ihres Epithelsaumes 

eylinder- oder birnförmige, schwach eyanofile, nach dem Lumen zu 

kleinere stark eosinofile Zellen. Letztere überschreiten stellenweise 
die innere Contour der Cystenwand und gehen in den braunroth ge- 
färbten homogenen Cysteninhalt über. Grössere ungefärbte Zellen 
mit deutlichem Kerne helfen theils die Cyste mit auskleiden, theils liegen 


644 Waldemar Thom: 


sie, noch voluminöser und mit degenerirtem Kerne, im Lumen und 
machen schliesslich als kreisrunde, ganz fein granulirte oder völlig 
blasse Gebilde vollkommen den Eindruck von Vakuolen des Cysten- 
inhalts. 

Hauptbefund: Kleines Organ. Viel Cysten-Kolloid, ausserdem 
Blutung und kleinzelliges Infiltrat im Hinterlappen. 


No. VI. m. 58 J. Myokarditis. 10 St. p. m. sez. S. No. 424. 1899, 
Maasse: 12:7:4. 

Im Seitentheil des Vorderlappens umgeben schwach eyano- und 
eosinofile Zellen einen kreisrunden, das ganze Gesichtsfeld des Leitz- 
schen Öbjectivs 3 einnehmenden, schwächer gefärbten Herd. Die 
Zellstränge darin sind stark rareficirt, weisen nur 2 Kerne in der 
Breite auf. Die stark dominirende Zwischenmasse ist ganz fein hell- 
graublau gekörnt mit unregelmässigen blassen, anscheinend degene- 
rirten Zell- und Kerntrümmern. 

Hauptbefund: Ausgedehnte umschriebene kolloide Degeneration, 
ausserdem starke Hyperämie und Bindegewebsentwickelung. 


No. VII. w. 70 J. Karein. uteri, 5l/, Std. p. m. sec. S. No. 39. 1900. 
Maasse: 13:7:5. 
Makroskopisch erscheint der untere Theil des Infundibulum zu 
einer etwa 3 mm über die Oberfläche prominirenden Cyste erweitert. 


Sagittalschnitt. 


Auf der Grenze eine grosse Höhle nebst 3 grossen Cysten mit 
rothem Inhalte. Im Hinterlappen und auf der Pia der oberen Hypo- 
fisis- und hinteren Infundibularfläche sind stark dunkelblaue Massen 
(Kolloid?) sichtbar, theils als eine feinfaserig unregelmässige, theils 
als concentrisch geschichtete Substanz. Der Vorderlappen zeigt im 
mittleren Theile stark roth und stark blaugefärbte Zellstränge, da- 
zwischen eine feinkörnige, stellenweise vakuolisirte Masse, an der Peri- 
pherie wesentlich stark eyanofile Elemente und Haufen von Kernen, 
welche, ein kleinzelliges Infiltrat vortäuschend, um die Hälfte ihres 
Durchmessers von einander entfernt sind. Die Blutgefässe sind enorm 
weit, ihr Inhalt durchaus homogen roth (Stase?). 

Der untere Abschnitt des Trichters enthält eine das ganze Ge- 
sichtsfeld von Leitz Objectiv 3 einnehmende Cyste. Dieselbe ist vorn 
und oben von vorderlappenähnlichem Gewebe, hinten von lockerem 
Bindegewebe umgeben, in dem zahlreiche Blutkörperchen, Lympho- 
cyten und homogene, hellrothe, vakuolisirte Massen liegen. Die Wand 
der Cyste wird von einer mehrfachen Lage stark eyanofiler, kubischer 
Zellen gebildet; der Inhalt ist eine theils feinkörnige resp. feinfaserige 
hellblaue, theils den intrafollikulären Kolloidtropfen ähnliche, dunkel- 
blaue Masse. 


Untersuch. üb. d. normale u. patholog. Hypofysis cerebri etc. 645 


Hauptbefund: Kolloid im Hinterlappen und unter der Arachnoidea, 
starke Hyperämie und Stase, grosse Kolloideyste im unteren 
Trichtertheil. 


No. VIII. w. 75 J. Karein. recti. 11/, Std. p. m. see. S. No. 389. Maasse: 
11,5:9 (m. H.-L.. 12): 7. 


Flemming-Safranin-Präparat. 


Zablreiche dunkelbraun gefärbte Kolloidlumina. Auf der Grenze 
nur spärliche kleine Cysten. Eine Wandschrumpfung des Kolloids 
fehlt, wohl aber sind in ihm Vakuolen sichtbar, in denen man mit 
Leitz Oel-Immers. !/; bisweilen ausserordentlich feine Granula findet. 
Die Cystenwand besteht theils aus hellgraubraunen, theils aus unge- 
färbten Zellen. Die Kerne der ersteren sind stellenweise etwas eckig, 
an Stellen, die zwischen zwei Cysten liegen, scheinbar völlig degenerirt. 
Die cyanofilen Elemente sind bei dieser Färbung braunroth, chromo- 
fobe Zellen und ungefärbte Interfollikular-Massen mit Granulis sind 
gut sichtbar, weitere Differeneirungen der Farbe fehlen jedoch. Alle 
Zellen erscheinen voll von Osmiumniederschlägen. 

Hauptbefund: Viel intrafollikuläres Kolloid, starke fettige De- 
generation, ausserdem starke Hyperämie und Bindegewebsentwicklung. 


No. IX. w.90J. Marasm. sen., Bronch. 9/, Std. p.m. sec. S. No. 636. 
1899. Maasse: 141/, :51/4:4. 

Der Hinterlappen enthält auf einer Seite zahlreiche, stark eyano- 
file Zellen, welche, mit dem Vorderlappen-Epithel zusammenhängend 
und ihm gleichend, ein Sarkom vortäuschen. Zwischen den spärlichen, 
nur schwach blau und roth gefärbten Zellen des Vorderlappens ist 
besonders in sagittaler Richtung eine starke Bindegewebsentwickelung 
sichtbar. Links vorn fehlt sogar jede Spur von Epithelgewebe. Vakuolen, 
chromofobe Elemente, Kolloidlumina sowie Gefässe findet man nur 
in mässiger Anzahl. 

Hauptbefund: Sehr kleiner verticaler Durchmesser, sehr starke 
Bindegewebsinduration nebst Atrophie des Parenchyms, Anämie des 
Vorderlappens, ausserdem Blutung im Hinterlappen. 

Meine Ergebnisse, zunächst hinsichtlich der normalen 
Hypofysis sind folgende Ich kann den von Schoene- 
mann!) hervorgehobenen Unterschied zwischen eyanofilen 
und eosinofilen Zellen nur bestätigen, halte dieselben aber 
entgegen diesem Autor für durchaus normale Bestandtheile. Die 
Anordnung derselben scheint mir derart zu sein, dass gewöhnlich 
mindestens !/, sämmtlicher Vorderlappenepithelien eosinofil ist, 


> 


während die Menge der cyanofilen Elemente einen bedeutend 


1) Schoenemann, Hypofysis und Thyroidea. Virch. Ar- 
chiv Bd. 129. 


646 Waldemar Thom: 


kleineren Theil ausmacht. Einen dreieckigen Raum (Rogo- 
witsceh!) finde ich beim Mensehen ebenfalls (s. No. ID). Zwischen 
den nach seitlich vorm unten divergirenden Hauptbindegewebs- 
balken gelegen, enthält er jedoch entgegen den Angaben des 
genannten Autors stets eyanofile Zellen, während die seitlichen 
Gebiete — die „Seitenräume* — wesentlich aus eosinofilen Ele- 
menten bestehen. Die früher als . Hauptzellen bezeichneten Ge- 
bilde theile ich in schwach eyanotile, schwach eosinofile und unge- 
färbte Zellen; für letztere schlage ich den schon vorhin gebrauchten 
Namen „cehromofobe Zellen“ vor. Ihr Protoplasma färbt sich 
offenbar infolge einer wenig ausgesprochenen Filarmasse bei keiner 
der von mir angewandten Methoden. Unregelmässig zwischen den 
chromofilen Zellen vertheilt, unterscheiden sie sich von ihnen 
durch die genannte Achromasie, ferner durch die Mögliehkeit der 
Volumensschwankung, die sich bald in einer Aufblähung, bald im 
einer ambosartigen Einschnürung (s. die Figur) äussert. 

Die gleiche Unfähigkeit der Färbung zeigen stellenweise 
die Interfollikulär-Räume. Dass letztere kein Produkt der 
Schrumpfung sind, dafür spricht einmal ihr häufiger feinkörniger 
Inhalt, ferner der gleiche Befund im Flemming'schen Prä- 
parat. Chromofobe Zellen und Interfollikular-Räume erscheinen 
mithin chemisch verwandt, allein nicht völlig homolog; denn 
ausser einer chromofoben Substanz enthalten die Interfollikular- 
käume noch zahlreiche sehr feine Granula, welche intensiv ge- 
färbt und daher als chromofil zu bezeichnen sind. Wenn nun 
die starke Tinktion der chromofilen Elemente eine reiche An- 
häufung chemisch konzentrirter Substanzen bedeutet, so erscheint 
die Annahme einer Verdünnung ihrer Sekretstoffe durch ein 
chromofobes Sekret nicht allzu gezwungen. Letzteres ist von van 
der Stricht?) und Rothstein?) für das Nieren-, von 
Andersson‘) für das Schilddrüsen- Epithel nachgewiesen 


I) Rogowitsch, Veränderung der Hypofysis nach Entfernung 
der Schilddrüse. B. v. Ziegler IV. 1889. 

2) Van der Strieht, Contribution A l’ötude du me&canisme de 
la seer&tion urinaire. Comptes rendus. 

3) Th. Rothstein, Zur Kenntniss des Nierenepithels. Biologisca 
Föreningens Förhandlingar 1891 Bd. II. 

4) OÖ. Andersson, Zur Kenntniss der Morphologie der Schild- 
drüse. Archiv f. Anat. 1894. 


Untersuch. üb. d. normale u. patholog. Hypotysis cerebri ete. 647 


worden. Die Theorie einer Sekretion auch in die interfollikulären 
Lymphräume, wie ich sie für den Hirnanhang aufstelle, muss 
offenbar schon an und für sich mehr befriedigen als die augen- 
blickliche Lehre einer nur in das Lumen erfolgenden Absonde- 
rung. Denn der letzteren erwächst folgende Inkongruenz: Auf 
der einen Seite ein dem Bilde nach sehr aktives Protoplasma —, 
auf der anderen äusserst spärliche Lumina. Betonen doch auch 
alle früheren Untersucher, dass «die Zellstränge meist solid und 
Kolloidlumina selten sind. Ich komme daher durch meine Bilder 
zu folgender Hypothese. 

Die stark chromofilen Zellen der Hypofysis er- 
zeugen ein chromofiles Sekret in Form sehr feiner 
Granula. Die Zellerenzen werden undeutlich, der Kern 
rückt zur Peripherie, hier treten die Granula aus und 
mischen sich mit einem von den ehromofoben Ele- 
menten gelieferten unfärbbaren Sekretstoffe Ent- 
weder diffundirt dieses Gemisch durch die membrana 
propria, wie es für die perifollikuläre Lymphe eben- 
falls gilt, oder aber eskommt zu einer Degeneration, 
einer Schmelzung einer Randzelle im Verein mit um- 
schriebenem Schwunde der membrana propria (s. die 
Figur u. No. II u. VIII. Damit ist die freie Kommuni- 
kation mit dem interfollikulären Lymphraume gegeben. 
Eine solche ist bereits durch Biondi!) und Langendorff?) 
für die Schilddrüse beschrieben worden. 

Es wäre also zu unterscheiden: 1) ein intrafolliknläres, 
meist konzentrirtes Kolloid. 2) em peri- oder interfolli- 
kuläres sehr dünnes Kolloid. 5) en Oystenkolloid in der 
Höhle und den Cysten, von wechselnder Konzentration. 

Bezüglich des letzteren nehme ich nach meinen Bildern 
neben der reinen Absonderung noch einen anderen Sekretions- 
modus an, nämlich den einer Ausstossung von Zellen in das 
Lumen. Man vergleiche die Beschreibung des Präparats No. V. 
Hier tritt stellenweise als erstes Zeichen der Sekretmischung 
eine ganz leichte chromofile Granulirung der chromofoben Massen 


1) Biondi, Beitrag zur Struktur und Function der Schilddrüse, 
Ref. in d. Berl. klin. Wochenschr. 1888 No. 41. 
2) O0. Langendorff, Beiträge zur Kenntniss der Schilddrüse, 
Arch. f. Anat. 1889. 


648 Waldemar Thom: 


auf. Vordem aber imponiren letztere als Vakuolen. Ich halte 
die Vakuolen daher nieht für Schrumpfungserscheinungen, son- 
dern fasse sie als infolge spezifischer Sekretionsthätigkeit dort- 
hin gelangte degenerirte chromofobe Zellen auf, umsomehr als 
auch Osmiumfixirung dasselbe Bild ergiebt. Die gleiche Ansicht 
spricht Andersson!) für die Vakuolen des Schilddrüsen- 
kolloids aus. 

Der Process der intrafollikulären und Cysten-Kolloidbildung 
ist offenbar nicht sehr lebhaft, denn konzentrische Streifung und 
central auftretende dunklere Farbentöne machen eine gewisse 
Eindiekung wahrschemlich. Der von Lothringer?) be- 
obachtete zweimalige Wechsel von ungefärbter und gefärbter 
Schieht schliesst die Annahme einer beschränkten Einwirkung 
der als Beize wirkenden Härtungsfähigkeit aus. 

Das Kolloid färbt sich ganz verschieden, das intrafollikuläre 
meist dunkelblau bis lila, das interfollikuläre überhaupt nicht 
oder hellblau. Die Chemie hat noch nicht das letzte Wort dar- 
über gesprochen, worauf dieser Unterschied beruht. Die eosino- 
filen Zellen, welehe einen rothen Kolloidstoff enthalten, scheinen 
am aktivsten zu sein, theils wegen der starken Granulirung, 
(s. d. Figur), theils wegen ihrer Lage in den „Seitenräumen“, 
wo ein zarter als im dreieckigen Raume ausgesprochenes Binde- 
gewebsgerüst die reichlichste Lymphzufuhr und grösste Funktions- 
möglichkeit gewährleistet. 

Die eyanofilen Elemente scheinen, nach der meist im Cen- 
trum von Cysteninhalt sichtbaren, gleich starken Färbung zu 
urtheilen, einen konzentrirten Kolloidstoff zu besitzen. Dazu 
stimmt die Thatsache, dass sie im dreieckigen Raume innerhalb 
stärkerer Bindegewebssepten liegen, wodurch wegen der minder 
starken Saftdurehströmung bessere Möglichkeit der Konzentrirung 
gegeben ist; dazu stimmt ferner meine Beobachtung, dass ihre 
offenbar einer Sekretverdünnung dienenden Vakuolen grösser als 
in den eosinofilen Elementen sind, und dass sich in ihrer Um- 
gebung oder sogar in der Mitte ihrer Stränge besonders zahlreich 
die ehromofoben Zellen finden, die sich im Stadium der Ruhe 


1) OÖ. Andersson, Zur Kenntniss der Morphologie der Schild- 
drüse. Archiv f. Anat. 189. 

2) Lothringer, Untersuchungen an der Hypophysis einiger 
Säugethiere und des Menschen. Archiv f. mikrosk. Anat. Bd. 28, 


Untersuch. üb. d. normale u. patholog. Hypofysis cerebri ete. 649 


als „Kernhaufen“ präsentiren (s. No. VII. Diese schon von 
Rogowitsch!) beschriebenen, von Stieda?) geleugneten 
Gebilde sah ich ebenfalls und fasse sie in genanntem Sinne 
auf. Sie begleiten die stark eyanofilen Zellen sowohl inner- 
halb des dreieckigen Raumes als an der Peripherie und zeigen 
meist 10 um die Hälfte ihres Durchmessers von einander ent- 
fernte Kerne. 

Blutkörperchen oder Reste von solchen habe ich bei sorg- 
fältiger Durchmusterung meiner Präparate mit Leitz Oel-Im- 
mersion !/,; niemals in Vakuolen gefunden, obgleich die Erythro- 
cyten durch die Formalinfixirung in einer Weise zu Tage treten, 
die gewiss nicht der Weigert'schen Markscheidenfärbung 
nachsteht. 

Die Hypofysenhöhle finde ich nur beim Kinde in ganzer 
Grösse ausgeprägt. Sie erscheint entweder als leere Spalte, ev. 
mit gefalteten kubischen Epithelwänden oder als ein prall ge- 
füllter Raum. Zu Ende des III. und Anfang des IV. Dezen- 
niums treten neben der Höhle kleine Cysten auf. Ihre Entstehung 
ist nach den Bildern so zu denken, dass Vorderlappenepithelien 
gegen den Hinterlappen vordringen und eine partielle Oblittera- 
tion des Spaltes sowie Zertheilung desselben in Einzellumina be- 
wirken. 

Dieser Prozess der Einwanderung scheint aber noch bis ins 
spätere Alter zu erfolgen und ziemlich grosse Theile des vor- 
deren Hinterlappengebietes durch Vorderlappenelemente zu er- 
setzen, wodurch der beim Kinde schmale gleichmässig breite 
„Epithelsaum“ Lothringer’s?) eine unregelmässige, scheinbar 
krebsartige Ausbreitung gewinnt. 

Was den Verbleib des Kolloids anbelangt, so nimmt man 
eine allmähliche Resorption an. Meine Präparate ergeben aber 
stellenweise einen Zusammenhang sowohl mit den Interfollikular- 
als Subarachnoidal-Räumen (s. No. I u. VII). In letzteren habe 
ich mehrere Male kolloidähnliche Massen gesehen. Nach hier 


1) Rogowitsch, Veränderung der Hypofysis nach Entfernung 
der Schilddrüse. B. v. Ziegler IV. 1889. 

2) Stieda, Verhalten der Hypofysis nach Entfernung der Schild- 
drüse. , B- v. Ziegler WII. 

3) Lothringer, Untersuchungen an der Hypofysis einiger 
Säugethiere und des Menschen. Archiv f. mikrosk. Anat. Bd. 28, 


650 Waldemar Thom: 


wäre ein Abfluss, von dort ein Zufluss denkbar. Ob auch die 
Spalträume des lockeren Hinterlappengewebes ein kolloidhaltiges 
Serum führen (s. No. ID), wage ich nieht bestimmt zu beantworten. 
Howell!) übrigens hat mit Hinterlappen-Extrakt des Schafes 
typische Kolloidwirkung — Steigerung des Blutdruckes und Ver- 
langsamung des Herzschlages — zu erzeugen vermocht. 

Ueber die Elemente des Hinterlappens, deren Natur noch 
zweifelhaft ist, bemerke ich, dass bisweilen eine grosse Aehn- 
lichkeit mit kolloidalem Secrete resp. den fein granulirten Va- 
kuolen des Höhleninhalts (s. No. V) auffiel. Vielleicht rühren 
die häufigen pigmentirten Zellen von Blutextravasaten, die ich 
oft zu Gesicht bekam, her und sind somit ein Analogon der 
Herzfehlerzellen in der Lunge. 

Bei einem einjährigen Kinde zeigten sich im Hinterlappen 
zwei Tubuli, deren einschichtiges Cylinderepithel deutliche Lumina 
begrenzte. Es sind dies Ueberreste der ehemaligen Infundilarliöhle. 

Meine pathologischen Befunde sind in kurzer Zusammen- 
fassung folgende: Eine starke Weite, bisweilen sogar Vermehrung 
der Gefässe fiel unter meinen 62 Hypofysen 22 mal auf, näm- 
lich je 2mal bei intra partum gestorbenen Neugeborenen, bei 
Bronchopneumonie, Gastroenteritis, Mening. pur., je 3 mal bei 
Lungentuberkulose und Myokarditis, je 4mal bei Kareinom und 
Sepsis. 

Von Blutung in die Meningen wurden 9, in den Vorder- 
lappen 4, in den Hinterlappen 6 Fälle bemerkt; kleinere extra- 
vaskulär gelegene Massen rother Blutkörperchen wurden im 
Hinterlappen häufiger gesehen. 

Eine Bindegewebsentwicklung, also eine Hypofysitis inter- 
stitialis, zeigte sich 15 mal, nämlich 4 mal bei Lungentuberkulose, 
>mal bei Kareinom, je 2 mal bei Myokarditis und Mening. 
tubere., je Imal bei Nefr. chron., Periton. suppur. Pneumonie 
und Marasmus senilis eum bronchite chron. (No. IX). 

Den Prozess einer vermehrten Kolloidbildung theile ich nach 
oben erwähnten Gesichtspunkten in eine inter-, intra- und Cysten- 
Hyperkolloidose. Bisweilen allerdings sind diese drei Typen zur 
universellen Hyperkolloidose eombinirt. Bilder, die mit Leitz 


1) W. H. Howell, The physiological effects of extracts of the 
hypophysis cerebri and infundibular body. Journal of experimental 
Medieine 1898, p. 245. 


Untersuch. üb. d. normale u. patholog. Hypotysis cerebri ete. 601 


Objectiv 5 vier und mehr intrafollikuläre Kolloidlumina zeigen, 
halte ich für den Ausdruck einer gesteigerten Secretions- 
thätigkeit. 

Eine rein eystale Hyperkolloidose findet sich 4 mal, näm- 
lieh bei Lungentuberkulose, Mening. tub. mit starkem Gallert- 
kropf (No. ID), Karein. hepat. mit Ikterus, Empyema proe. 
mast. (No. V). 

Eine rein interfollikuläre Hyperkvlloidose zeigen 5 Präparate 
(Pneumonie, 2 Fälle von Karein., je 1 Fall von Epilepsie und 
Nefrit. chron.), eine rein intrafollikuläre 2 Präparate (Karein., 
Men. tub.). 

Eine eombinirte Form bietet sich Smal dar, nämlich 3mal 
bei Lungentuberkulose, 2 mal bei Sepsis, je Imal bei Pylor. 
Karein., Pneumonie und Leukämie (No. II). 

Weiter fortschreitende kolloide Processe haben zur Ent- 
stehung eines grösseren umschriebenen Degenerationsherdes (No.VI), 
2 mal zu Kolloideystenbildung (s. No. VII) geführt. Letztbezeichnete 
Cyste gehört dem Trichter, die andere von mir gesehene dem Vorder- 
lappen an. Die Nachbarschaft von Vorderlappenepithel darf im 
Bilde No. VII nicht befremden, denn schon Luschka!) zeigte, 
dass auf die vordere Trichterfläche echtes Vorderlappengewebe 
übergeht. Diese infundibularen Kolloideysten dürfen nieht mit den 
eystischen Bildungen verwechselt werden, die durch mangelhafte 
Obliteration der Infundibularhöhle entstanden und von Mala- 
earne!), Engel?) und Langer?) beschrieben sind. 

Weiterhin fand ich bei Eklampsie (No. IV) eine Hyper- 
plasie der follikulären Elemente, bei Mening. cerebro-spin. eine 
Hypofysitis purulenta und bei Karein. reeti (No. VIID eine 
fettige Degeneration. 

Der Befund einer starken Hyperkolloidose bei Karein. hep. 
mit Ikterus erinnert an die von Hürthle*) gemachte Beobach- 
tung, dass Gallenfarbstoff, durch Unterbindung des Duet. chole- 


1) Angef. b. Meckel, Handbuch der patholog. Anat. 1812 Bd. 1, 
pag. 273. 

2) Angef. b. Virchow, Geschwülste. 1862 Bd. III, pag. 88. 

3) Langer, Ueber ceystische Tumoren im Bereiche des infundi- 
bulum cerebri. Zeitschrift f. Heilkunde Bd. 13. 1892, pag. 56. 

4) Hürthle, Zur Kenntniss der Secretionsvorgänge der Schild- 
drüse. Archiv f. d. ges. Physiol. Bd. 56. 1894. 


652 Waldemar Thom: Untersuchungen etc. 


dochus oder dureh Toluilendiamin-Vergiftung im Körper kreisend, 
die Schilddrüsen-Epithelien des Hundes zur Hypersecretion reizt. 
Auffällig ist ferner ein vielfaches Zusammentreffen von Hypofysis- 
Anomalien mit Krebs und chronischen Krankheiten des Respi- 
rationstractus. Nehmen wir eine Beziehung der letzteren zu Hirn- 
anhangsveränderungen, also etwa nach Art der Gallenbestandtheile 
die Einwirkung toxischer Stoffwechselprodukte an, so nähern wir 
uns dem Gebiete der Akromegalie und Osteoarthropathie hyper- 
trophiante pneumique. Wird doch von Pierre Marie!) jene 
trophische Wachsthumsstörung der Körperenden als Folge einer 
Intoxikation durch abnorme, einstweilen hypothetische Stoffe ge- 
deutet. 

1) Pierre Marie, De l’osteo-arthropathie hypertrophiante pneu- 
mique. Revue de Med. X, 1890. 


653 


(Aus dem anatomischen Institat der Universität Freiburg i. B.) 


Beitrag zur Histologie des Muskelmagens 
der Vögel. 


Von 


Moritz Bauer, appr. Arzt. 


Hierzu Tafel XXXIII u. XXXIV und 2 Textfiguren. 


In Folgendem soll der Versuch gemacht werden, die Ent- 
 wieklung unserer Kenntnisse vom Muskelmagen der Vögel im 
Umriss kurz darzustellen und über die Resultate eigener Unter- 
suchungen zu berichten, die ich in diesem Gebiete anstellte, vor 
allem aber diejenigen histologischen Methoden anzudeuten, von 
denen sich neue Resultate erwarten lassen. 

In seiner vergleicheuden Anatomie der Verdauungswerkzeuge 
1806“, einem auch heute noch ausserordentlich anregenden Buche, 
unterschied der dänische Gelehrte Jens W. Neergaard im 
Vogelmagen die äussere Haut, die Muskelhaut, die Zellhaut und 
die vierte oder Gefässhaut. Er fand „bei dem Falco lago- 
pus, bei dem Sperber (Faleo nisus) und der Nacht- 
eule die Schleimlage besonders auffallend diek, fest und von 
einer braungelben Farbe. .... Sie war so fest, dass man sie 
beinahe als eine wahre Haut ansehen sollte, und liess sich, ohne 
ihre Form zu verlieren, von dem Magen leicht absondern. Dieser 
Schleim wird wahrscheinlich von vielen kleinen runden Schleim- 
drüsen, die zwischen der Zellhaut und Gefässhaut gelagert sind, 
abgesondert. Nimmt man ihn weg, so erblickt man auf der 
innern Fläche des Magens eine Menge kleiner Erhabenheiten, 
die indessen nicht mit den Darmzotten verglichen werden können, 
ob sie gleich vermuthlich aus den Endigungen der aushauchenden 
und einsaugenden Gefässe und der Schleimdrüsen gebildet werden. 
Durch diese Gefässe wird vorzüglich eine genaue Verbindung 
zwischen der Zell- und Gefässhaut hervorgebracht“ (8. 130 ff.). 

Archiv f. mikrosk. Anat. Bd. 57 43 


654 Moritz Baueit: 


Die harte Haut beschrieb Neergaard als „wahre, verdickte 
Epidermis“ (S. 198). Neergaard hat also nicht allein die 
Drüsen im Muskelmagen zuerst beschrieben, sondern auch ihr 
Verhältniss zur Oberfläche richtig aufgefasst. Er übertrifft an 
Schärfe der Beobachtung viele spätere Autoren und muss als 
direkter Vorläufer der Arbeiten von Molin, Berlin wd 
Leydig angesehen werden. In der Meckel’schen Ueber- 
setzung von Cuvier's „Vorlesungen über vergleichende Anato- 
mie“ ist kurz von der vierten Haut die Rede, welcher Cuvier 
eine selbständige Bedeutung abspricht, und die er nur als eine 
„Art von Oberhaut“ betrachtet, an der er „keine Spur eines 
organischen Baues bemerkt“. Sie scheint ihm „nur aus einer 
Art hornähnlich erhärteter, von der inneren Haut ausgeschwitzter 
Gallert zu bestehen“. Nur beim Strauss hat er bereits in der 
Oberhaut „kleine eylindrische, dieht aneinander gedrängte und 
perpendieulär auf den Wänden des Magens stehende Nadeln“ 
beobachtet (Bd. III S. 416 f.). 

Tiedemann bemerkte 1810 in seiner Zoologie: „Die 
innere Haut ist durchaus nieht absondernd, und es lassen sich 
in sie kleine Gefässe verfolgen. Sie gleicht ihrer Structur und 
Bildung nach einer sehr verhärteten Epidermis“ (Bd. II S. 428f.). 
(Tiedemann gibt eine sehr vollständige Uebersicht über 
die Litteratur von Aristoteles bis auf seine Zeit, was hier bei- 
läufig erwähnt werden mag.) 

Die Arbeiten von Home aus den Jahren 1812 und 1814 
haben hauptsächlich biologisches und makroskopisches Interesse, 
und ausser einer kurzen Bemerkung über die Streifung der „euti- 
eular eovering“* habe ich keine Besprechung der feineren Struetur 
bei ihm gefunden. Die Werke von Mecekel(1829) und Wagner 
(1843) waren mir leider nicht zur Hand; über Owen’s Artikel 
„Aves“ in Todd’s „Eneyclopaedia* und die zweite Auflage 
des Cuvier’schen Werkes gehen wir hinweg, und kommen zu der 
Arbeit, die Bisehoff 1838 in J. Müller’s Archiv veröffent- 
lichte. Er fand „in dem Muskelmagen keine Art von drüsigtem 
Baue“, wiewohl er „Zotten“ abbildete, „durch welche das Epi- 
thelium des Muskelmagens des Hahns mit seiner Matrix in Ver- 
bindung steht“. 

Auf S. 519 heisst es: „Das Epithelium des Muskelmagens 
ist bekanntlich sehr stark und hornartig. Die absondernde Ma- 


Beitrag zur Histologie des Muskelmagens der Vögel. 655 


terie desselben ist sehr fest mit den Muskeln vereinigt. Zieht 
man das Epithelium von ihr ab, so trennen sich beide mit lauter 
kleinen, pyramidalen Zacken voneinander, so dass die Trennungs- 
flächen sammtartig haarig aussehen. Die Zacken zeigen bei 
starker Vergrösserung einen körnigen Bau und jedes Körnchen 
in der Mitte einen dunkleren Kern“). 

In der zweiten Auflage des R. Wagner’schen Lehrbuches 
(1843), wie auch in dem Stannius-Siebold’schen Handbuche 
wird der feinere Bau nur kurz berührt; ungleich wichtiger ist 
die vielbesprochene Arbeit von Molin (1852). Man kann sie 
als Grundlage der neueren Untersuchungen bezeichnen, und zwar 
deswegen, weil er zuerst sich der histologischen Technik bedient 
hat. „Non le limitai soltanto ai preparati freschi, ma le estesi 
ben anco a preparati, i quali secondo il metodo del Prof. Pur- 
kinje erano cotto nell’ aceto, quindi asciutti, e nel momento dell’ 
osservazione umettati coll’ aecqua ovvero coll’ acido acetico.“ 

Hatte Neergaard die Drüsen nur bei Rapaces er- 
wähnt, so fand Molin, „che nello stomaco muscolare dei gra- 
nivori la generativa & composta di follieoli (Drüsen), i quali sono 
sempliei nell’ oca, nella gallina, nella colomba, nella folaga, nell’ 
usignuolo e nell passero, ma composti nell papagallo“. Er er- 
kannte ferner „ehe da ognuno di questi follicoli sorte un cilindro 
ovvero un lascetto di fili*, „che questi eilindri e questi fili for- 
mano lo strato epidermidale“, und gab an, „che nell’ oca i sin- 
goli fascetti dei cilindri formanti i dischi trituranti sono uniti me- 
diante une sostanza di cellule.“ 

Im selben Jahre veröffentlichte Berlin seine Arbeit, in 
welcher er das Verhältniss von Drüsen zur Cuticula richtig er- 
kannte, die Cylinder aber irrthümlich für Drüsen-Ausführungs- 
gänge hielt, die ein sauer reagirendes Verdauungssecret zur Ober- 
fläche beförderten. 

Leydig (1854 und 1857) kam zu derselben Anschauung 
wie Molin, und betonte ausdrücklich, dass die von den Drüsen 
secernirte Schicht „durchaus nicht ein Epidermisgebilde, sondern 
eine homogene, geschichtete Substanz sei“ ...., wenn auch ein- 
zelne Zellen mit in das Seeret gerathen sein können“. Ebenfalls 


1) Das Vorkommen von Drüsen im Muskelmagen wird schon 
von Mandl erwähnt (1835—1847.). (Citirt bei Oppel, Lehrbuch TI.) 


656 Moritz Bauer: 


1854 erschien eine Dissertation von Kahlbaum, in welcher 
der Verfasser erklärte: „Nescio quid Bisehoff materiam secre- 
toriam nominavit. Epithelium, ut supra demonstravi, ex cellulis 
polyedrieis eompositum est et multo erassius, quam quod a glan- 
dulis sub epithelio in tunica mucosa sitis secerni possit.“ Weiter 
unten heisst es: „De glandulis, quas in stomacho musculari in- 
veni, nee apud Bischoff nee apud Stannium quidquam 
legi.“ Dem Verfasser waren also die Arbeiten von Molin und 
Berlin nicht bekannt. „Epithelium ex altissimo epithelio ta- 
bulato eomponitur, cuius cellulae propria mutatione induruerunt 
et inter se fixae sunt. Per totum hoc epithelium eanaliculi graeiles 
eurrunt, qui maximam similitudinem praebent cum contortis cana- 
libus glandularum sudoriferarum, quae epidermidem hominum 
pervagantur. Hi canalieuli ad glandularum orifieia dueunt.“ Die 
Grundzüge der vergl. Anatomie von Gegenbaur 1859 er- 
wähnen nur ganz kurz den „inneren Ueberzug, der als eine von 
dem darunterliegenden Drüsenepithel dargestellte Cutieularbildung 
sich ergeben hat.“ 

Die Arbeit von Flower (1860) bestätigte die Befunde 
Molin’s und befasste sich eingehend mit der Anordnung der 
„eolonettes“ in der Cutieula. 

Das Jahr 1866 brachte die beiden Arbeiten von Cursch- 
mann und Hasse. Cursehmann studirte ebenfalls, wie 
Flower, eingehend die Anordnung der Fäden, sowie diejenige 
der Drüsen, und, was wir hier zum ersten Male finden, unter- 
suchte die Cutieula chemisch in systematischer Weise. Die 
Fäden wurden nieht durch Kalilauge, nicht durch verdünnte 
Mineralsäuren, hingegen durch eoncentrirte Säuren gelöst, und 
Curschmann hielt daher die Substanz der Cutieula für 
Chitin, oder doch für dem Chitin nahe verwandt. 

In Hasse’s Arbeit wurde nachdrücklich auf den Unter- 
schied von einfachen schlauchförmigen und zusammengesetzten 
Drüsen hingewiesen, sowie festgestellt, wie sich in ihnen nie- 
driges und hohes Epithel vertheilen. Die einfachsten Drüsen 
theilte er in solehe, „die mit einfachem Pflasterepithel bekleidet 
sind, und solche, deren Epithel mehr dem ceylindrischen sieh 
nähert.“ Bei den zusammengesetzten Drüsen trägt „der gemein- 
same Ausführungsgang, sowie die Oberfläche des secernirenden 
Theils gegen die Magenhöhle Cylinderepithel;* die Drüsen- 


Beitrag zur Histologie des Muskelmagens der Vögel. 657 


schläuche selbst sind „mit dem Epithel aus kleinen, grosskernigen, 
runden, stark granulirten Zellen bekleidet.“ Bei den Fleisch- 
fressern „nähern sich die Epithelzellen mehr der Cylinderform“, 
Es wird schon aus diesen Citaten klar, dass hier zum ersten 
Male eine eingehende morphologische Betrachtung der Drüsen 
durehgeführt wurde. Auch das Secret wurde ausführlich unter- 
sucht, festgestellt, dass es in Essigsäure und Kalilauge stark 
aufquillt, und seine Streifung „in Form von schwächeren oder 
stärkeren horizontalen Linien“ als „Spuren der schiehtweisen Ab- 
lagerung erklärt. Sehr interessant sind die Ausführungen (l. e. S. 26) 
über den Einfluss der verschiedenen Epithelarten „auf die grössere 
oder geringere Zähigkeit der Masse“. Er unterschied helles 
Cylinderepithel, Uebergangsepithel und Pflasterepithel. „Glaube 
ich sonach das helle Cylinderepithel, wo es sich findet, von der 
Betheiligung an den eigenthümlichen Absonderungsvorgängen aus- 
sehliessen zu dürfen, so bleiben doch noch immer die möglichen 
Beziehungen der beiden noch vorkommenden Epithelarten zur 
Seeretion zu erörtern.“ Endlich finden wir bei Hasse eine 
Erörterung darüber, ob denn nun von Secretion oder von Outieular- 
bildung zu sprechen sei. Er hält sich dabei eine Definition von 
Kölliker, nach der unter „Seeretion* diejenigen Zellausschei- 
dungen fallen, bei denen das Ausgeschiedene nicht in direktem 
Zusammenhange mit den Zellen steht, bei denen ferner das Aus- 
geschiedene sich im flüssigen Zustande befindet und keine be- 
sondere Struetur besitzt. 

Hasse glaubt, dass hier Secretion und Cutieularbildung 
zusammenwirken, und meint, dass die Zellen im Drüsenfundus 
jedenfalls ein flüssigeres Secret „secernirten“, dass hingegen die 
Abscheidung der Verbindungsstücke eine reine Outicularbildung sei. 

Diese Arbeit brachte seit derjenigen Molin’s die grössten 
Fortschritte, und noch 1888 konnte Cazin von Hasse’s Arbeit 
sagen: Dans un memoire tres instructif sur la structure micros- 
eopique de l’estomae des Oiseaux, M. Hasse a limite ses re- 
cherches A un tres petit nombre d’especes, et, pour quelques- 
unes, il s’est m&me contente d’etudier la muqueuse du gesier; 
mais le savant anatomiste n’en a pas moins deerit des faits par- 
faitement bien observes, et je dois eonstater que, sil y avait 
beaucoup A ajouter & ses resultats, il n’y avait guere d’inex-. 
actitudes a y relever.“ 


658 Moritz Bauer: 


Es ist hiernach einer Arbeit von Wilezewski (1870) 
Erwähnung zu thun, die mir die Seeret-Eigenschaft der „Horn*- 
Schicht Leydig gegenüber zu bestreiten scheint; er gibt an, 
dass die Hornschicht „kleine Einsenkungen in die Drüsenschläuche 
bildet“ (S. 25). Ferner lesen wir bei ihm, dass, wenn er zu 
frischen Schnitten Essigsäure setzte, es den Eindruck mache, 
„als wenn in der Hornschicht senkrechte Gebilde vorbanden sind, 
die bei Essigsäurezusatz schrumpfen und dadurch die dazwischen- 
liegende Substanz in Falten legen. Die Lage dieser Gebilde 
entspricht der Fortsetzung der Drüsenlumina.“ Dass Wilezewski 
sich, ebenso wie Berlin, und im Gegensatz zu Molin, Leydig 
und Hasse, vorstellte, die Cutieularschiecht werde von den Aus- 
führungsgängen der Drüsen durchsetzt, scheint mir aus folgender 
Stelle hervorzugehen: „Lässt man die Hornschicht lange Zeit 
(2—8 Tage) in Wasser liegen und untersucht dann feine Schnitte, 
so sieht man ganz deutlich schmale Gänge mit einem körnigen 
Inhalt in ziemlich gerader Richtung von den einzelnen Drüsen 
aus zur Magenoberfläche ziehen. Mitunter vereinigen sich auch 
zwei soleher Gänge, trennen sich dann wieder oder münden ge- 
meinschaftlieh. Die Substanz zwischen den Gängen macht bei 
dieser Behandlungsweise häufig den Eindruck, als bestände sie 
aus grossen polygonalen Zellen. Diese Gänge beobachtet man 
auch deutlich bei Zusatz von Jod und bei feinen getrockneten 
und dann in Canadabalsam eingekitteten Präparaten.“ 

In dem Strieker'schen „Handbuch der Lehre von den 
Geweben des Menschen und der Thiere“ (Abschnitt „Darmecanal“ 
von Klein und Verson) wird nach einer kurzen Besprechung 
der „Erbabenheiten* der Homschieht Leydig's Anschauung 
über die Entstehung derselben reproducirt, und betont, dass sich 
die Drüsenschläuche „direet in Form eines wandungslosen Kanals 
dureh die Hornschiechte hindurch fortsetzen. Es ist dies ganz 
deutlich auch daran zu erkennen, dass man an gehärteten und 
dann in Carmin gefärbten Präparaten immer ein homogenes Band 
aus den Schläuchen durch die Hornschicht als directe Fortsetzung 
des Drüsenlumens bis an die freie Oberfläche verfolgen kann. 
Das unter dieser Schiehte folgende eylindrische Epithel der 
Schleimhaut setzt sich ohne Unterbreehung in die Drüsenschläuche 
fort. Die einzelnen Drüsen zeigen ganz denselben Bau wie im 
Schaltstücke. 


Beitrag zur Histologie des Muskelmagens der Vögel. 659 


Ich kann wenigstens für Ammer und Huhn den Angaben 
von Hasse nicht beipflichten, nach welchem im eigentlichen 
Magen zwei Drüsenarten vorkommen sollen, einfache schlauch- 
förmige und zusammengesetzte. 

Die ersteren sollen theils wie die Einzelschläuche der Drüsen- 
säcke des Vormagens mit pflasterförmigen, stark granulirten 
Zellen ausgekleidet sein, theils einen eylindrischen Epithelialbelag 
haben.“ — 

Ein Blick über die bisher besprochene Literatur zeigt uns, 
‘“ dass vor den beiden nun zu besprechenden Arbeiten Wieders- 
heim’s (1872) das Verhältniss der Zellen zu den Secretzapfen 
keine nähere Beleuchtung erfahren hatte. Wenn wir von den 
kurzen Bemerkungen Hasse’s (l. e. p. 11, p. 13, 18) absehen, — 
deren wichtigste (p. 18), „als ob von den Zellen Einzelströmchen 
sich ergössen* uns noch weiter beschäftigen soll, — so ist 
Wiedersheim „le premier observateur qui ait deerit les 
rapports existant entre l’epithelium des glandes utriceulaires du 
gesier et la seeretion contenue A l’interieur de ces glandes“. 
(Cazinl.c.p. 42.) 

Wiedersheim machte „senkrecht zur freien Magenober- 
fläche feine Schnitte und trennte dann mit Nadeln die wie ein 
weisser Saum an die Cutieula anstossende Drüsenschichte von 
der ersteren los“. Ferner machte er Isolationspräparate in der 
Weise, dass er Präparaten, die 12 Tage in Müller ’scher 
Flüssigkeit gelegen hatten, die Cutieula abzog und so, durch Ab- 
schaben der letzteren und Schütteln auf dem Objeetträger viele 
isolirte Drüsenschläuche erhielt. 

Es ergaben sich je nach hoher oder tiefer Einstellung zwei 
verschiedene Bilder; bei ersterer beobachtete Wiedersheim 
ein polygonales Maschenwerk, wobei in jede Zelle eine Masche 
zu liegen kommt. Bei tiefer Einstellung hingegen trat „ein, in 
der Längsachse von vielen parallelen Linien durchzogener“ 
Drüseninhalt zu Tage. (Fig. 1 u. 2 auf Taf. XIX, vgl. damit die 
Figur 7 auf Tafel XXXIUI dieser Arbeit, wo der Zeichner 
beide Einstellungen in eine Ebene projieirt hat.) Ausser Müller- 
scher Flüssigkeit wandte Wiedersheim zur Isolation noch 
dünne Chromsäurelösung und Jodserum an, und unterschied drei 
verschiedene Isolationsgrade (Taf. XIX, Fig. 4—6), bei deren 
letztem, vollkommensten, das Secret „einen getreuen Ausguss des 


660 Moritz Bauer: 


ganzen Drüsenschlauchs bis in die Intercellularräume hinein re- 
präsentirt“. An den Rändern der Drüse zeigten sich „stachel- 
artige Gebilde“, die sich bei tiefer Einstellung als Maschen in 
Profilansicht herausstellten. Aus den verschiedenen Isolations- 
graden folgerte Wiedersheim, „dass das Secret, kaum aus 
der Zelle getreten, schon eine relativ bedeutende Consistenz be- 
sitzen muss und als eine reine Cuticularbildung aufzufassen ist. 
Dass dieser Erstarrungsgrad keine postmortale Erscheinung ist, 
lässt sich am besten beweisen aus jenen Präparaten, welche, 
nachdem ich sie dem noch lebenswarmen Magen entnommen hatte, ' 
dennoch jene korkzieherartig gewundenen Secretströmchen im 
Fundus der Drüse erkennen liessen, ohne dass ich Reagentien 
angewendet hätte.“ Fermer sah nun Wiedersheim, dass 
jeder Secretfaden an seinem Ende eine kolbenartige Verdiekung 
zeigte, die sich an den dem Drüsenlumen zugekehrten Abschnitt 
der Zelle anlegte, und dadurch eine Secretschale erzeugte, welche 
der Zelle aufsass. „Der Grund jeder Masche ist identisch mit 
dem Boden der Seeretschale.“ An dem basalen Ende jeder Zelle 
war ein kurzer, hakenförmiger Fortsatz von durchschnittlich 
2—5 u Länge zu bemerken, den Wiedersheim in Folge seines 
Verhaltens gegen Reagentien als nicht zum Drüsenprotoplasma 
gehörig, sondern als „paraplastische“ Bildung!) auffasste. 

Da diese hakenförmigen Fortsätze sich dachziegelartig 
decekten, so hielt Wiedersheim sie zunächst für identisch 
mit der Basalmembran, gestützt namentlich auch auf eine Aeusse- 
rung Schwalbe's in dessen Arbeit über die Brunner’schen 
Drüsen, kam aber von dieser Identität zurück (Diss. S. 20 u. 24). 

Auch auf Querschnitten konnte er die Secretströmehen be- 
obachten, und zwar als Punkte, die, „je mehr man sich der 
Peripherie nähert, desto deutlicher und regelmässiger geordnet 
hervortreten; denn je weiter vom Centrum, desto jünger resp. 
kürzer das Strömchen, welches jedesmal einem Punkt entspricht“. 
Wo keine Schrumpfung stattgefunden hatte, standen „Zellenkranz 
und Seeretmasse in unmittelbarem Zusammenhang“ ; wo Schrum- 
pfung eingetreten war, „hatte sich das Secret über jeder Zelle 
unter Bildung einer Reihe von Arcaden zurückgezogen, ohne je- 
doch seine Continuität mit den Zellen vollständig aufzugeben“ 
„Letztere wird vielmehr vermittelt durch feine Einzelströmehen, 

1) Der Ausdruck Paraplasma im Sinne v. Kupffer’s, nicht in 
der engeren Fassung Gegenbaur'’s (S. 47). 


Beitrag zur Histologie des Muskelmagens der Vögel. 661 


welche zwischen je zwei Zellen eindringen und sieh dort genau 
bis an die Basis des abgehenden Hakenfortsatzes hin erstrecken.“ 

Die zweite Arbeit Wiedersheim’s (1872) ist eine er- 
weiterte Umarbeitung der ersten und bringt in ihrer Einleitung 
Vergleiche der Seeretfäden und -Schalen mit den Befunden 
Leydig’s und Eimer’s an den Eischalen der Reptilien, und 
macht auf die Befunde an Brunner’schen Drüsen in der Ar- 
beit Schwalbe's aufmerksam. Als von besonderer Bedeutung 
möchte ich hervorheben, dass, während in der ersten Arbeit dem 
Hakenfortsatz nur eine „paraplastische* Bedeutung vindieirt 
war, Wiedersheim hier seine Ansicht direet dahin modifi- 
eirt, jener Fortsatz und der Seeretfaden seien auch physiologisch 
gleichzustellen. Es heisst auf Seite 447: „Ich halte mich für 
berechtigt, diesen Fortsatz als Cutieularbildung aufzufassen, oder 
mit andern Worten: die Seceretion geht auf zwei einander dia- 
metral entgegengesetzten Theilen der Zelle vor sich, einmal 
segen das Lumen der Drüse unter der Form der Seeretschale 
resp. des Secretfadens, und zweitens in der Richtung gegen die 
Propria zu in Gestalt des hakenförmigen Fortsatzes“. Der Ar- 
beit von Garrod und Schäfer über Plotus anhinga 
(1876) will ich nur kurz Erwähnung thun; in derselben wird 
irrthümlicherweise ein Vergleich der Filamente der Pylorusregion 
mit wirklichen Haaren angestellt. Garel (1579) scheint nach 
Cazin specielle histologische Angaben nicht zu machen, denn 
„quant A la structure du revetement coriace du gesier, M. Garel 
ne la pas etudiee et il ne donne aucun renseignement sur ce 
sujet“. Auch Remouchamps (1880) und Gadow (1879) 
haben für unsere Darstellung keine weitere Bedeutung, wie aus 
dem historischen Theil der Cazin’schen Hauptarbeit zu er- 
sehen ist. 

Wir wenden uns nun zu der Literatur der achtziger Jahre, 
und da sind es vor allem zwei Autoren, die umfassende Ar- 
beiten geliefert haben: Cazin und Cattaneo. 

Cattaneo hat ausser den beiden kürzeren Mittheilungen 
über Melopsittacus undulatus (1885) und über das „strato 
eutieulare* (1885) [— letzteres ist nur eine kurze Polemik gegen 
Bergonzini betr. die „prismi* und ihr Verhältniss zur „sostanza 
interposta“ —| eine grosse Arbeit veröffentlicht (Istologie a 


662 Moritz Bauer: 


sviluppo dell’ apparato gastrico degli uccelli 1884/51). Die von 
ihm angewandte Technik war: Einlegen in ein Gemisch von 
Alkohol und „d’un melange d’eau, de glieerine, de gomme 
arabique en solution sirupeuse, de sirop de glycose et d’acide 
pherique“. Dann liess er die Präparate an der Luft trocknen. 
Gefärbt wurde mit ammoniakalischer Carminlösung und Pikro- 
carmin zu etwa gleichen Theilen. Dann Wasser, Alkohol, Gly- 
cerin bezw. Nelkenöl. Cattaneo’s Untersuchungen betreffen 
im Wesentlichen die Zusammensetzung der Hornschieht. Er 
sagt (S. 145): „Quanto alla struttura della cuticola stessa, non 
posso confermare quella data dal Wiedersheim e dal Leydig. 
„Il primo, nelle sue figure, la rappresenta come una sostanza 
anista, che richiama la gel&e dureie del Cuvier; il secondo 
come una sostanza a strie disposte parallelamente alla mucosa, 
con corpuscoli ehiari interposti. Jo invece, tingendo delle sottili 
sezioni della cuticola, in metilvioletto o in carmino, trovai che 
essa risulta da una associazione di lunghi prismi disposti parallela- 
mente. Essi sono invisibili senza aleuna preparazione, essendo 
composti d’ una sostanza trasparentissima e fra di loro aderenti, 
ma si distinguono ehiaramente quando tra l' uno e 1’ altro sia 
penetrato uno straterello di una tintura qualsiasi. Da ciascun 
prismetto pende una fibra conica; e la loro unione forma una 
frangia al di sotto della euticola, che da alla pagina esterna di 
essa un aspetto vellutato.“ 

Auf das Verhältniss der Zellen zu den Secretfäden geht er, 
soweit ich sehe, nicht ein, auch gaben seine dem Texte ange- 
fügten Abbildungen mir darüber keine Aufklärung. Bergonzini 
(1885) weist darauf hin, dass es bald die Drüsen allein sind, 
welehe die Cuticula bilden, bald das „epithelium interglandu- 
laire“, welches an der Bildung Theil nimmt: „la eutieule est 
alors composde de deux substances assez differentes, dont l’une 
ne se colore pas tout & fait par le carmin, tandis que l’autre, 
dit-il, se colore plus ou moins: enfin, dans le renflement pylorique 
de l’Estomae du Martin-P&öcheur, la euticule est eompletement 
seeretee par lV’epithelium interglandulaire* ?).. Pilliet (1886) 


1) Da mir die Originalarbeit nur während eines kurzen Aufent- 
haltes in der Basler Un.-Bibl. zur Hand war, eitire ich im Wesent- 
lichen nach Cazin. 

2) eit. bei Cazin. 


Beitrag zur Histologie des Muskelmagens der Vögel. 663 


hat die erstaunliche Entdeckung gemacht, dass „die Drüsen- 
zellen Dunkelfärbung durch Osmiumsäure zeigen; sie färben sich 
mit Pikrocarmin dunkelroth, mit Haematoxylin dunkelblau; mit 
Eosin-Methylgrün färben sich die Zellen grün, mit Quinoleine 
grau. Die Blaufärbung der Zellen im Drüsengrund ist eine 
dunklere. Mit Methylenblau färben sich die Zellen blau“. „Bei 
allen diesen Färbungen zeigt der Inhalt der Drüsen im Lumen 
ein anderes Verhalten als die Zellen.“ 

Eine Dissertation von Postma (1887) behandelt den ganzen 
Tractus intestinalis der Vögel, giebt ausführliche Uebersicht über 
die Literatur und schliesst eigene Untersuchungen an. Seine 
Technik war: Fixation in Pikrinschwefelsäure, dann steigender 
Alkohol von 64—90°/,. Dann Alauncarmin, Alkohol absolutus, 
Terpentinöl, Paraffin. 

Die Methode Giesbrecht 's ist mir nicht bekannt. Frische 
Schnitte färbte Postma mit Boraxcarmin. Um auf dem Wege 
der Maceration Drüsen zu isoliren, legte er die Stücke in 
Müller’sche Flüssigkeit, Barytwasser, Salpetersäure, Salzsäure. 
Da ihm beim Muskelmagen die Mikrotomtechnik wegen der Härte 
der Cutieula unanwendbar schien, machte er Rasiermesserschnitte 
und färbte mit Boraxecarmin. Auch ergab Behandlung solcher 
Sehnitte mit KOH, HCl und HNO, gute Resultate. Die Arbeit 
ist in Bezug auf die Drüsen- und Cutieularschicht des Muskel- 
magens eine sorgfältige Nachprüfung Bischoff’scher, Leydig- 
scher, Hasse’scher und Wiedersheim scher Befunde. Her- 
vorheben möchte ich seine Angabe über Nucifraga caryo- 
catactes (p. 107): „Nog zij opgemerkt dat de haakoormige 
massa’s, die zich an dat gedeelte der epitheliumcellen bevinden, 
hetwelk het verst verwijderd is van het lumen der klier, bizonder 
duidelijk zijn waar te nemen; het gevolg hiervan is dat, terwijl 
wij ze bij de andere vogels evenals Wiedersheim bij isolatie 
gezien hebben, hare eigenschappen hier in situ onderzocht kunnen 
worden.“ 

Wir wenden uns nun zu den Arbeiten Cazin’s (1885, 
1886, 1886), deren Resultate wir zusammengefasst finden in der 
grossen Arbeit von 1888. Die grosse Anzahl der untersuchten 
Vögel, die umfassende historische Uebersicht, die vorzüglichen 
Abbildungen, endlich die Berücksichtigung der Entwicklung des 
Magens sichern dieser Arbeit für alle Zeit eine grosse Bedeutung- 


664 Moritz Bauer: 


Wir finden im ersten Haupttheil eine Darstellung der makro- 
skopischen Verhältnisse mit genauer historischer Uebersicht; dem 
schliessen sich eigene Untersuchungen an. Dieselbe Disposition 
hat der zweite Haupttheil, welcher den mikroskopischen Ver- 
hältnissen gewidmet ist. Bei der grossen Anzahl der unter- 
suchten Species der verschiedensten Ordnungen will ich das 
herausgreifen, was Cazin über das Huhn angiebt, und zwar 
deswegen, weil dieses am ausführlichsten besprochen ist (Seite 
58 ff.). Er bespricht die gruppenweise Anordnung der Drüsen 
beim Huhn und sagt, dass die Schläuche einer Gruppe in einen 
gemeinsamen Ausführungsgang münden. Ueberall weist Cazin 
auf die Einheit des Bauplans sowohl der verschiedenen Ab- 
schnitte des Magens (ventrieule succenturie, zone intermediaire, 
sesier, poche pylorique) als andererseits der verschiedenen Ord- 
nungen hin. Darauf bezieht sich auch folgende, für Cazin’s 
Forschung sehr charakteristische Bemerkung: „On peut dire 
que, dans le gesier, la muqueuse forme des plis soudes les uns 
aux autres dans la plus grande partie de leur hauteur et con- 
stituant ainsi de longs euls-de-sac tubulaires, au lieu de former, 
eomme dans la premiere partie de l’estomaec et dans la zone inter- 
mediaire, des lamelles et des prolongements prismatiques qui ne sont 
reunis qu’a leur base, pour limiter de petits culs-de-sae.* (S. 63.) 

Ueber die Zellen sagt Cazin: „L’£pithelium des tubes en 
eul-de-sae du gesier est compose d’une couche de cellules, im- 
plantees obliguement par rapport A l’axe des tubes, recourbees 
en erochet & leur extremite basilaire, et fortement renflees du 
cöte de la lumiere des tubes. l,orsqu’on examine cet Epithe- 
lium en remontant du fond des culs-de-sac vers leur orifice, on 
voit que les cellules deviennent plus claires au voisinage de 
l’orifice et que leur noyau se trouve, en m&me temps, refoule 
davantage vers leur base; enfin, sur les bords de l’orifice commun 
aux tubes en eul-de-sae d’un m&me groupe, l’Epithelium est con- 
stitu& par des cellules qui, tout en etant moins hautes, sont com- 
parables ä celles qui tapissent les plis lamellaires de la partie 
glandulaire de l’estomae et les prolongements prismatiques de 
la zone intermediaire.“ 

Cazin bespricht dann die hornartige Haut, weist darauf 
hin, dass sie weder eine homogene Substanz, noch aus Epithel- 
zellen zusammengesetzt sei und giebt an, dass nach Färbung mit 


Beitrag zur Histologie des Muskelmagens der Vögel. 665 


ammoniakalischer Pikrocarminlösung die Detritusmasse deutlich 
hervortrete, die wir schon früher als „sostanza interposta“ mehr- 
fach erwähnt haben. Das Verhältniss zwischen Seeret und Drüsen- 
zellen hat Cazin an Schnitten studirt, die mit 1°/,iger Os- 
miumsäure fixirt waren, und dabei dieselben Resultate erhalten, 
wie Wiedersheim an der Taube. Er beschreibt das Maschen- 
netz, die stachelförmigen Fortsätze. Auch die Hakenfortsätze 
Wiederheim’s hat Cazin gesehen, möchte ihnen aber keine 
seeretorische Bedeutung beilegen. Die feine Strichelung des 
Seeretzapfens ist ihm „apres fixation par l’acide osmique“ deutlich 
erschienen, und auch die Zugehörigkeit der Fäden zu den Zellen 
hat er im Anschluss an Wiedersheim nachuntersucht und fest- 
gestellt. — Was das „revetement eoriace“ angeht, so hat Cazın 
mit Safranin andere Bilder bekommen als mit Pikrocarmin. „Au 
lieu d’&tre color A peu pres uniform&ment dans toute sa masse, 
il represente une sorte de palissade constituce par des colonnes 
disposees perpendieulairement a la surface de la muqueuse, 
colordes en rouge intense ainsi que le contenu des tubes en 
eul-de-sae, et relices de distance en distance par de petits 
arceaux qui sont eolores de la m&me facon, et qui sont separes 
les uns des autres par des intervalles elairs renfermant quelques 
debris cellulaires.“ 

Grenacher’s Alauncarmin hat die Kerne schwach, die 
Hornschicht nicht gefärbt. Auf Querschnitten, die mit Pikro- 
carmin gefärbt und mit „eau thymiquee“ !) aufgehellt wurden, 
sah Cazin „dans chaque maille un certain nombre de figures 
polygonales - . . ces figures correspondent aux sections des co- 
lonnettes provenant ‘des tubes en cul-de-sac, et les trav&es repre- 
sentent les intervalles qui separent les groupes de colonettes.“ 

Ich habe hier nur das Wesentlichste hervorgehoben; auf die 
Untersuchungen der anderen Species, sowie auf den Absehnitt 
über die Entwieklung des rev&tement coriace kann ich hier nicht 
näher eingehen. Ausdrücklich sei hier nochmals auf die vor- 
züglichen Tafeln hingewiesen. — In H. G. Bronn’s Werke, 
6. Bd., IV. Abth. von Gadow und Selenka findet sich ein 
genaues Referat über die Forschungen von Flower, Molin, 
Wiedersheim, Cursehmann, Postma und Cazin. 

Ich habe nun einer Arbeit von J. Hedenius (1892) Er- 


1) Thymol ? 


666 Moritz Bauei: 


* 
wähnung zu thun, die, an Cursehmann’s chemische Unter- 
suchungen wieder anknüpfend, eine genaue quantitative Analyse 
machte, bei der die Hornschieht folgende Zusammensetzung ergab: 


C — HAN 
H —7n6,69;; 
N = 15,80: 
S = 40,9 


Asche=' 1,39. 

Hedenius folgert hieraus: „Man sieht also, dass die ver- 
hornte Schicht des Muskelmagens der Vögel nicht, wie seit den 
Untersuchungen Cursehmann’s wohl oft angenommen wurde, 
aus einer chitinähnlichen Substanz besteht. Abgesehen davon, 
dass das Chitin keinen Schwefel enthält, weicht die elementare 
Zusammensetzung desselben höchst wesentlich von derjenigen 
der hornähnlichen Substanz des Muskelmagens ab. Ein anderer 
wesentlicher Unterschied liegt ferner darin, dass die letztgenannte 
Substanz beim Sieden mit verdünnten Säuren keine redueirende 
Substanz giebt. Curschmann glaubt, dass die hornartige 
Haut des Vogelmagens auch derjenigen Substanz verwandt sei, 
welche die Schalen der Reptilieneier darstellt. Nach den von 
Engel bestätigten Angaben Hilger ’s sollen indessen die Repti- 
lieneier ein typisches Elastin enthalten, und von diesem Elastin 
unterscheidet sich unsere Substanz wesentlich dadurch, dass sie 
schwefelhaltig ist. Besser stimmt die fragliehe Substanz bezüg- 
lieh ihrer elementaren Zusammensetzung mit den Eiweisskörpern 
im eigentlichen Sinne und besonders den eoagulirten, unlöslichen, 
oder sehwerlöslichen Eiweissstoffen überein. Von diesen unterscheidet 
sie sich dagegen durch ihre grosse Widerstandsfähigkeit gegen 
Verdauungsflüssigkeiten, durch welche, wie auch durch ihre 
qualitativen Reactionen überhaupt, sie den Hornsubstanzen nahe 
zu stehen scheint. Der Schwefelgehalt ist allerdings etwas niedrig 
und etwa derselbe wie in den Eiweissstoffen; aber es giebt auch 
bekanntlich Keratin von verhältnissmässig niedrigem Schwefel- 
gehalt, wie das Neurokeratin Kühne's mit 1,63—2,29°/, SD. 
Der niedrige S-Gehalt widerspricht also nieht der Ansicht, dass 
es hier um eine dem Keratin verwandte Substanz sich handle. 
Von grösserer Bedeutung ist vielleicht der Umstand, dass die 
Häute reichliche Mengen Leuein, aber nur sehr wenig Tyrosin 
liefern, während die Keratine verhältnissmässig viel Tyrosin 


Beitrag zur Histologie des Muskelmagens der Vögel. 667 


liefern. Die lederartige Haut des Muskelmagens der Hühner be- 
steht also aus einer Substanz, welche weder typisches Keratin 
noch coagulirtes Eiweiss ist, sondern gewissermaassen eine 
Zwischenstufe zwischen beiden darstellt, und welche dement- 
sprechend, da sie dem Keratin am meisten verwandt ist, als 
eine keratinoide Substanz zu verzeichnen ist.“ Hiermit schliesse 
ich die Uebersicht über die wichtigsten Arbeiten ab, nicht jedoch, 
ohne des Lehrbuchs von Oppel (1896) zu gedenken, das zum 
ersten Male in der Literatur eine umfassende vergleichende Dar- 
stellung der mikroskopischen Anatomie des Magens bringt und 
an vielen Stellen eigene Untersuchungen und Theorien enthält. 
Besonders hinweisen möchte ich, als meine Arbeit berührend. auf 
das, was der Verfasser (S. 213) über die Drüsen im Muskelmagen 
des Falken sagt. Ferner sind die Abschnitte „Magen“ in 
Oppel’s Referaten „Verdauungsapparat“ (1897 u. 1898), sowie 
desselben Autors Arbeit „Die Magendrüsen der Wirbelthiere“ 
hier anzuführen. Leider war mir die meines Wissens neueste 
Arbeit über Magendrüsen der Vögel von Rina Monti bis jetzt 
nicht zugänglich. — 

Meine Untersuchungen verfolgten den Zweck, das Ver- 
halten der Seeretfäden zu den Drüsenzellen ge- 
nauer festzustellen. Als Material benutzte ich anfänglich 
Gans, Ente, Huhn und Taube, blieb dann aber ausschliess- 
lich bei der Ente; daneben wurden Präparate von Sperling, 
Reisfink und Mäusebussard herangezogen. Wenn im 
Folgenden nichts Besonderes angemerkt ist, so ist von Anas 
domestica die Rede. Während es mir nicht gelang, mit der 
Altmann’schen Methode Granula in den Zellen darzustellen, 
erhielt ich bei Präparaten, die im einer 1°/,igen Osmiumsäure 
fixirt und mit Saffranin gefärbt wurden, Bilder, wie sie auf Fig. 
1,2 und 3 dargestellt sind. Fig. 1 zeigt uns einen Schrägschnitt, 
auf dem uns zunächst das von Wiedersheim und den ihm 
folgenden Autoren beschriebene Maschennetz auffällt. Jede Masche 
entspricht dem Durehsehnitt durch eine Zelle, und die Zellgrenzen 
sind die intercellulären Secretgänge. An einigen Stellen er- 
scheinen diese homogen, an anderen hingegen aus Körnchen zu- 
sammengesetzt, welche als direete Fortsetzung der in den Zellen 
liegenden Körnchen aufzufassen sind. Aus den intereellulären 


668 Moritz Bauer: 


Secretgängen setzen sich die Secretzapfen zusammen, wie das 
aus Fig. 1,2 und 3 zu ersehen ist. Gleichzeitig zeigt uns Fig. 2, 
wie es wesentlich der dem Lumen zugewandte Theil der Zellen 
ist, der die Granula enthält, weswegen ich die Bezeichnung 
Seeretgranula anwende. Die Granula verschmelzen also theils 
schon intercellulär, theils erst später zum Secretfaden, ja oft sind 
noch dort, wo die Fäden sich schon zum Zapfen vereinigen, 
isolirte Granula sichtbar. Es ist mit unsern optischen Hülfs- 
mitteln unmöglich, zu entscheiden: ist hier ein Faden aus 
Granulis zusammengesetzt, oder von Granulis überlagert? Diese 
Einschränkung mache ich überall da, wo es sich um diese 
beiden Secretionsformen handelt. Um die Granula darzustellen, 
deren Verhalten mir für die Secretion dieser Drüsen ausser- 
ordentlich wiehtig scheint, schlage ich die einfache Osmiumfixa- 
tion mit nachfolgendem Auswaschen in Wasser oder Kalium- 
biehromat (vgl. Lehrbuch von Mayer und Lee) vor; noch 
besser ist das Räuchern der Objeete mit Osmiumdämpfen. Stei- 
gender Alkohol, dann vom 96°/,igen in Chloroform, Chloroform- 
Paraffin, Paraffin. Kurzer Aufenthalt in 96°/, Alkohol (1 Stunde), 
gänzliche Vermeidung des absoluten, schnelle Ueberführung in 
Paraffin erwiesen sich als das einzige Mittel, um die Härte der 
Hornschicht, die sonst allen Mikrotommessern Trotz bietet, zu 
vermeiden. Die Sehnitte sollen nieht über 5 u diek sein. Ich 
versuchte auch Fixation mit Flemming’scher, Hermann- 
scher, Altmann’scher und Unna’scher (Salpetersäure — Gerb- 
säure — Osmiumsäure) Mischung; Granula habe ich indessen nur 
mit einfacher Ösmiumsäure erhalten. 

Ein ganz anderes Granulaverfahren, die Benda’sche Fixa- 
tion mit Formalin und ansteigender Chromsäure (0,25 — 0,33 — 
0,5°/,) und nachfolgender Färbung mit Methylenblau, bezw. dem 
Gemisch von Michaelis, ergab Bilder, wie sie Fig. 4 zeigt. Doch 
färbten sich hier wesentlich die Zellen les Drüsenhalses. Diese Me- 
thode, von Benda in einem Vortrage über Anatomie der Hypophyse 
zur Granuladarstellnng empfohlen, wird überall da am Platze sein, 
wo zonenweise angeordnete Granula dargestellt werden sollen. 

Wenn auch die Zusammensetzung des Secretzapfens aus 
Fäden bei verschiedenen Fixationen zu Tage tritt, so halte ich 
doch für besonders geeignet solche Präparate, die m Müller- 
sche. Flüssigkeit fixirt und nach van Gieson (Hämalaun !/, St., 


Beitrag zur Histologie des Muskelmagens der Vögel. 669 


Pikrinsäure-Fuchin S wenige Minuten) gefärbt sind (Fig. 8). Es 
war mir dies um so interessanter, als Wiedersheim ja zur 
Maceration die Müller’sche Flüssigkeit verwandte. Vergleichen 
wir nun Fig. 5, 6 u. 7, die nach Wiedersheim’s Angabe 
isolirten Drüsen entsprechen, einerseits mit Fig. 1—3 seiner Ar- 
beit (Taf. XIX des Archivs), andererseits mit meiner Fig. 9 
(Taube), so finden wir genau dieselben Verhältnisse. Bei der 
van Gieson’schen Methode haben sich die Fäden hellgelb, 
die Zellkerne graublau, das interglanduläre Bindegewebe leuch- 
tend roth gefärbt. Grade in diesem Präparate (Ente) habe ich 
auch die hakenförmigen Fortsätze gesehen. Physiologisch halte 
ich diese Fortsätze nicht für secretorischer Natur, wobei jedoch 
der Umstand, dass sie sich gegen Essigsäure resistent verhalten, 
die paraplastische Natur derselben wahrscheinlich machen kann. 
Ich möchte mich lieber der ursprünglichen Anschauung Wieders- 
heim’s zuwenden, „dass gerade diese wie zu einer fortlaufenden 
Membran sich aneinanderreihenden, hakenartigen Fortsätze eine 
Art von Basalmembran repräsentiren würden“ (Arch. Arb. S. 450). 
Das Maschenwerk, von dem schon mehrfach die Rede war, tritt 
uns hier sehr deutlich entgegen (Fig. 7). In dem Fig. 9 ent- 
sprechenden Präparate war der Zusammenhang der Seeretfäden 
mit den Zellen deutlich erkennbar. Zellgranula konnte man auch 
hier, wie ebenfalls im frischen (ungefärbten) Macerationspräparate 
sehen; von eigentlichen, in der Innenzone angehäuften Secret- 
granulis war hier nichts zu erkennen, wie das ja auch bei der, 
Zellen nicht gut conservirenden, Müller’schen Flüssigkeit selbst- 
verständlich ist. 

Die Möglichkeit, mit Osmiumsäure intercellulare Seeretwege 
in soleher Deutlichkeit zu erhalten, veranlasste mich dann, auch 
andere Methoden heranzuziehen, und es gelang mir, mit der M. 
Heidenhain’schen Eisenalaun- Hämatoxylin- Rubin - Methode 
die intercellulären Gänge zu färben (Fig. 10). Indem ich hier be- 
sonders auf die Arbeiten vonK. W.Zimmermann und Erik 
Müller hinweise, glaube ich bestimmt, dass diese Methode 
auch in den Zellen noch Neues erschliessen wird; leider stört 
die homogene Schwärzung des Zapfens das Uebersichtsbild etwas 
und lässt auch in den feinen Secretgängen infolge der gleich- 
mässig-lineären Schwarzfärbung Körnchen nicht zu Gesicht kommen. 


Die Golgi’sche Methode (nach Kallius, sowie nach Zimmer- 
Arch. f. mikrosk. Anat. Bd. 57 44 


670 Moritz Bauer: 


mann) hat mich bis jetzt im Stiche gelassen oder doch wenig- 
stens nieht durchaus genügende Bilder geliefert. Diese Methode 
wurde u. a. 1894 von Langendorff und Laserstein 
in einer sehr sorgfältigen Arbeit auf verschiedene Drüsen ange- 
wandt, und neuerdings beschreibt Rina Monti (Referat in 
den Arch. ital. de biol. Bd. XXX 1898) bei Vögeln auf Grund 
der Golgi-Methode ein pericelluläres Canälchennetz, das sich 
also mit Wiedersheim’'s und meinen Befunden deckt. (Vgl. 
darüber auch Oppel, Ergebnisse 1898, S. 50 und Lehrbuch I, 
S. 104 f, 238, 389, 423, 445.) — lch versuchte nun bei Präpa- 
raten, die mit Müller scher Flüssigkeit fixirt waren (Thermostat 
bei ea. 50—55°, 4—6 Tage lang), Färbung mit concentrirter, 
wässeriger Methylenblaulösung und erhielt Bilder, wie sie in Fig. 11 
bis 13 abgebildet sind. Wieder sind es, ähnlich wie bei der 
oben besprochenen Benda’schen Granula-Methode (Fig. 4), 
wesentlich die Drüsenhalszellen und die Epithelzellen der Ueber- 
gangsstücke, die am intensivsten gefärbt sind; auch haben sich 
die Secretzapfen und die hornartige Schicht stark, schwächer da- 
gegen die Grundzellen gefärbt. Man gewinnt nach diesen Me- 
thylenblaubildern überhaupt den Eindruck, als sei der Drüsen- 
grund viel weniger an der Secretion betheiligt; ich erkläre mir 
diesen scheinbaren Unterschied aus einer verschiedenen Affinität 
der Zellen zum Methylenblau; vielleicht handelt es sich hier um 
ähnliche Verhältnisse, wie sie Oppel bei Sublimat-Hämatoxylin- 
Präparaten von Proteus anguineus auf S. 96 seines Lehr- 
buchs I beschrieben hat. Dass diese „verschiedene Affinität“ 
sich möglicherweise rein chemisch erklärt, wird sich durch vor- 
siehtiges Zusetzen von Säure bezw. Alkali zu der Methylenblau- 
lösung vielleicht eruiren lassen. Ich wende mich nun zu der 
Beschreibung der Methylenblaupräparate (Fig. 11—13). Von den 
Secretzapfen sieht man zu den Zellen ein feines Faserwerk hin- 
laufen, welches auch hier zu dem pericellulären Maschenwerk sich 
zusammensetzt. Ausserdem aber sah ich innerhalb der grossen 
Maschen oft noch ein zweites, feinstes Netzwerk, welches aus- 
schliesslich auf den dem Lumen zugewandten Theil der Zelle 
beschränkt zu sein scheint. Dieses Netzwerk aber ist nicht 
durchgängig anzutreffen; häufig vielmehr zeigen sich die peri- 
cellulären Maschen von Granulis erfüllt, so dass man folgendes 
3ild @ erhält, während an den erst erwähnten Stellen folgendes 


Beitrag zur Histologie des Muskelmagens der Vögel. 671 


Bild D sich zeigte. Ausnahmsweise konnte man die Ausbildung 
des Netzfaserwerkes bis tiefer zum Drüsengrunde hinab verfolgen, 
wie das (etwas übertrieben) in Fig. 13 dargestellt ist. Es ist 
zwar möglich, Secretfädehen und Körn- 
chen auch im Drüsengrunde zu sehen, 
doch kann von einer typischen Färbung 
des dem Drüsenlumen zugekehrten Zell- 
endes im Gegensatz zur Aussenzone 
hier keine Rede sein. Möglicherweise 
ergeben hier oben angedeutete Me- 
thylenblau - Modificationen neue Auf- 
schlüsse. Jedenfalls ist die Methylen- 
blaufärbung hier dringend anzurathen, um so mehr, als sie 
gerade die hornartige Schicht und die Zapfen mit ausser- 
ordentlicher Schärfe hervortreten lässt. Ausser in der kleinen 
Notiz von Pilliet (s. o.), dass Methylenblau blau ist, habe ich 
diesen Farbstoff in der Histologie des Vogelmagens nicht erwähnt 
gefunden. Fig. 14 zeigt als Ergänzungsbild ein Methylenblau- 
präparat, das mit dem Altmann’'schen Gemisch fixirt ist. Auch 
hier ist in den Maschen ein feines Netzwerk zu erkennen. — Ich 
erwähnte eben die scharfen Bilder, die das Methylenblau auch 
von der hornartigen Schicht liefert, ünd möchte im Anschluss 
daran noch kurz einiger anderer Farbstoffe gedenken. Dass die 
Saffraninfärbung sich zum Studium der Hornschieht besonders 
eignet, kann ich Cazin bestätigen. Auch sah ich vom Thionin, 
einem dem Methylenblau übrigens ganz nahe verwandten Körper 
(ef. Bernthsen 1893, S. 509), vorzügliche Resultate, besonders 
auch wegen seiner metachromatischen Eigenschaften (vgl. darüber 
Mayer und Lee, S. 379). 

Doppelfärbung von Thionin und Saffranin ist sehr zu rathen 
und besonders zum Auffinden von Mitosen sehr geeignet. 


Zusammenfassung. 


Fassen wir nun das Gesagte kurz zusammen, so ergiebt sich 
Folgendes: Während die hormartige Schieht selbst schon genau 
studirt worden ist (Hasse, Cattaneo, Cazin), ist das 
Studium ihrer Entstehung aus den Seeretzapfen der Drüsenschläuche 
noch keineswegs abgeschlossen. Worauf schon Hasse hinge- 
wiesen hat (l. e. S. 27), dass hier Drüsenseeretion und Cuticular- 


672 Moritz Bauer: 


bildung ineinandergreifen, das beschäftigt auch heute noch die 
Histologen. Ich weiss nicht, ob man bei der Zelldesquamation 
der bogenförmigen Verbindungsstücke, bei der Umwandlung dieser 
desquamirten Zellen in morphologischer und chemischer (ef. He- 
denius |]. e.) Hinsicht den Begriff der Secretion so ängstlich 
meiden muss; bezeichnet man aber mit den Autoren diese Bil- 
dung der „sostanza interposta“ als Cutieularbildung, so wird man 
sich doch bewusst sein müssen, dass eine scharfe Trennung der 
beiden Begriffe hier schon aus rein physiologischen Gründen nicht 
möglich ist. 

Der Nachweis von Secretgranulis in den Drüsenzellen mit 
der Osmiumsäure-Saffranin-Methode, das Verhalten dieser Granula 
zu den Secretfäden wird vielleicht Anregung geben, hier einmal 
Versuche mit Injeetionen von Atropin und Pilocarpin (vgl. Alt- 
mann, Elementarorganismen S. 125f.) zu machen und die da- 
durch hervorgerufenen Veränderungen zu untersuchen. Die Be- 
funde an den Methylenblau-Präparaten werden fortzusetzen sein, 
und vielleicht uns darüber unterrichten können, worin die bio- 
logische Verschiedenheit der Zellen des Drüsenhalses und Drüsen- 
srundes besteht. Endlich werden auch die Untersuchungen an 
Embryonen, wie sie Cattaneo und Öazin angestellt haben, 
nach den genannten Methoden zu erweitern sein. Wenn ich 
mir noch einen Vorschlag erlauben darf, so ist es der, die ver- 
schiedenen, zum Theil irreführenden Termini wie „Hornschicht“, 
„hornartige Schieht‘‘, „Cutieularschieht“, „Cutieula‘‘, — der vielen 
Namen in der älteren Literatur garnicht zu gedenken — zu 
Gunsten einer präeisen Bezeichnung aufzugeben, und hier im An- 
schluss an Hedenius von einer „keratinoiden“ Schicht zu reden. 

Zum Schlusse sei es mir gestattet, auch an dieser Stelle 
Herrn Prof. Dr. Wiedersheim für die Anregung zu dieser Ar- 
beit, ihm sowie Herrn Prof. Dr. Keibel für die gütige Unter- 
stützung meinen herzlicbsten Dank auszusprechen. Auch danke 
ich den Herren Prof. Dr. Gaupp und Prof. Dr. Häcker für 
ihre literarische Unterstützung herzlich. 


Beitrag zur Histologie des Muskelmagens der Vögel. 673 


Literatur -Verzeichniss. 


Jens W. Neergaard, Vergleichende Anatomie der Verdaungswerk- 
zeuge. Berlin 1806. 

Cuvier, Vorlesungen über vergleichende Anatomie, herausgegeben 
von Duvernoy, übers. v. Meckel. Leipzig 1810. Bd. 3, S. 416 f. 

Tiedemann, Zoologie Bd. 2: Anatomie u. Naturgeschichte d. Vögel. 
Heidelberg 1810. 

Home, E., On the different Structures and Situations of the Solvent 
Glands in the digestive Organs of Birds according to the nature 
of their Food and particular Modes of Life. Philosoph. Transactions 
of the Royal Society of London 1812. 

Derselbe, Lectures on comparative Anatomy, London 1814. 

Meckel, System der vergl. Anatomie IV. Halle 1829. 

Wagner, Lehrb. der vergl. Anatomie. Leipzig 1834. 

Owen, Art. „Aves“ in Todd’s Eneyclopädia. 1835 —36. 

Cuvier, Legons d’anatomie compar6e 2. Aufl. Paris 1835. 

Bischoff, Ueber den Bau der Magenschleimhaut. Müller’s Archiv. 
Berlin 1838. 

Stannius, in Siebold und Stannius’ Lehrb. d. vergl. Anatomie 
2. Theil. Berlin 1846. 

Molin, Sugli Stomachi degli uccelli. Denkschriften der Wien. Akad., 
math.-nat. Kl. Bd. III, Abth. 2. Wien 1850. 

Berlin, Bijdrage tod de spijsvertering der Vogeles. Nederlandsch 
Lancet. 3. Serie, 2. Jahrgang. Gravenhage 1852—53. 

Leydig, Kleinere Mittheilungen zur thierischen Gewebelehre Mül- 
ler’s Arch. 1854. 

Kahlbaum, De avium tractus alimentarii anatomia et histologia non- 
nulla. Inaug.-Diss. Gedani 1854. 

Leydig, Lehrbuch der Histologie des Menschen und der Thiere. 
Frankfurt 1857. 

Gegenbaur, Grundzüge der vgl. Anatomie. 1859. 

Flower, On the structure of the Gizzard of the Nicobar Pigeon and 
other granivorous Birds. 

Milne-Edwards, Lecons sur la Physiologie et l’Anatomie de l’homme 
et des animaux 1860. Bd. VI. 

Hasse, Beiträge zur Histologie des Vogelmagens. Zeitschrift f. rat. 
Mediein Bd. 28, H. 1. 1866. 

Curschmann, Zur Histologie des Muskelmagens der Vögel. Zeitschr 
f. wiss. Zo0l. Bd. 16, H2 2771866: 

Wilezewski, Untersuch. üb. den Bau der Magendrüsen der Vögel. 
Inaaug.-Diss. Breslau 1870. 

Klein u. Verson, Darmkanal, in Strieker’s Handbuch der Lehre 
von den Geweben des Menschen und der Thiere. 1871. 


674 Moritz Bauer: 


Wiedersheim, Die feineren Structurverhältnisse der Drüsen im 
Muskelmagen der Vögel. Inaug.-Diss. Würzburg 1872. 

Derselbe, Die feineren Structurverhältnisse im Muskelmagen der 
Vögel. Arch. f. mikr. Anatomie Bd. VIII. 1872. 

Gegenbaur, 2. Aufl. 1872. 

Gadow, Versuch einer vergl. Anatomie des Verdauungssystems der 
Vögel. Jenaische Zeitschr. Bd. 13. 1879. 

Cattaneo, Sull’ istologia del ventricolo e proventricolo del Melopsit- 
tacus undulatus. Bollet. Seient. No. 1. Pavia 1883. 

Derselbe, Istologia e svilluppo dell apparato gastrico degli uccelli, 
Atti della Soc. It. di Sc. Nat. Vol. 27. 1884. Milano 1885. 

Bergonzini, Sulla struttura dello stomaco del Alcedo hispida etc. 
Atti della soc. dei Nat. di Modena. Memorie serie 3, vol. 4. 
Anno 19. 1885. 

Cattaneo, Sulla struttura e formazione dello strato euticolare (corneo) 
del ventricolo muscolare degli uccelli. Boll. scient. VII. Pavia 1885. 

Cazin, Zahlreiche kleinere Arbeiten 1884—1887. ef. Oppel Lehrbuch 1. 
S. 508. 

Derselbe, Recherches anatomiques, histologiques et embryologiques 
sur l’appareil gastrique des oiseaux. Ann. des sciences natur. Zool., 
7. serie, Bd. 4 1888. (Hauptwerk.) 

Pilliet, Sur quelques reactions des cellules glandulaires du gesier 
des oiseaux. Comptes rend. hebdom. de la soc. de biol. 38. Bd. 1886. 

Postma, Bijdrage tot de kennis van den bouw van het darmkanal 
der vogels. Proefschr. Leiden 1887. 

Cattaneo, Intorno a un recente Lavoro sullo stomaco degli uccelli. 
Pavia 1888. 

Gadow und Selenka in H. G. Bronn’s Klassen und Ordnungen d. 
Thierreichs 6. Bd.. IV. Abth. Vögel, von Gadow und Selenka. 
Leipzig 1891. S. 678. 

Hedenius, Chemische Untersuchung der hornartigen Schicht des 
Muskelmagens der Vögel. Skandin. Arch. f. Phys. Bd. III. 1892. 

Oppel, Lehrbuch der vergl. mikroskopischen Anatomie d. Wirbelthiere. 
1. Der Magen. 189%. Diesem Werke ist eine umfassende Literatur- 
übersicht angefügt, die ich vielfach benutzt habe. 

Derselbe, Die Magendrüsen der Wirbelthiere. Anatom. Anzeiger 
Bd. 11. 1896. 

Monti, Su la morfologia comparata dei condotti escretori delle ghiandole 
gastriche nei Vertebrati Boll. Sc. Anno 20. No. 2. 1898. 


Weiter benutzte ich folgende Arbeiten: 
van Gehuchten, Le mecanisme de la secretion. Anat. Anzeiger 
VI. Jahrg. 1891. 
Heidenhain, R., Physiologie der Absonderungsvorgänge in Her- 
mann’'s Handbuch Bd. V, Abth. 1. 1883. 


Beitrag zur Histologie des Muskelmagens der Vögel. 675 


Korschelt, Beitrag zur Morphologie und Physiolog. des Zellkerns. 
Zool. Jahrb. Abth. f. Anat. Bd. IV. 

Hebold, Ein Beitrag zur Lehre von d. Seeretion u. Regeneration der 
Schleimzellen. Inaug.-Diss. Bonn 1879. 

Rawitz, Die Fussdrüse der Opisthobranchier. Abh. d. k. Akad. d. 
Wiss. Berlin 1887. 

Sacerdotti, Ueber d. Regeneration des Schleimepithels des Magen- 
darmeanals bei den Amphibien. Arch. f. mikr. Anat. Bd. 45 H.2. 

Kolossow, Eine Untersuchungsmethode d. Epithelgewebes etc. Arch. 
f. mikr. Anat. Bd. 52. 

Müller, Ueber Secreteapillaren. Arch. f. mikr. Anat. Bd. 49. 

Langendorff und Laserstein, Die feineren Absonderungswege der 
Magendrüsen. Arch. f. die ges. Physiol. Bd. 55, H. 11/12. 

Zimmermann, K. W., Beiträge zur Kenntniss einiger Drüsen und 
Epithelien. Arch. f. mikr. Anat. Bd. 52, H. 3. 1898. 

Müller, Erik, Drüsenstudien. II. Zeitschr. f. wiss. Zool. Bd. 64. 

Oppel, Ergebnisse d. Anat. u. Entw. Verdauungsapparat. 1897. 

Derselbe, Ergebnisse 1898. 

Altmann, Elementarorganismen 1894. 

Mayer P. u. Lee, Grundzüge der mikrosk. Technik. 1898. 

3enda, Verhandlungen der Berliner physiologischen Gesellschaft im 
Arch. f. Anat. u. Phys., phys. Abtheil. 1900: Ueber den normalen 
Bau ete. 

Böhm u. Oppel, Taschenbuch d. mikr. Technik 4. Aufl. 1900. 

Fischer A., Fixirung, Färbung u. Bau des Protoplasmas. 189. 

Flemming, „Zelle“ in den Ergebnissen 1897. 

Stöhr, Lehrbuch d. Histologie 7’ Aufl. 1896. 


Erklärung der Abbildungen!) auf Tafel XXXIH u. XXXIV. 


1. Ente. 1%,ige Osmiumsäure. Safranin. 

Fire. 2. Ente. 1%,ige Osmiumsäure. Safranin. 

Fig. 3. Ente. 1°/yige Osmiumsäure. Safranin. 

Fig. 4. Ente. 40,iges Formalin und darnach ansteigende Chromsäure 
(25 —-0,33—0,5) nach Benda. Methylenblau. 

Fig. 5. Taube. Macerationspräparat aus Müller’scher Flüssigkeit 
(8-12 Tage.) 

Fig. 6. Dasselbe in einem weiteren Isolationsstadium. 


1) Wo nichts anderes angegeben ist, handelt es sich um Schnitte 
von 5 u Dicke; ferner überall un Zeiss Ocul. Il, Oel-Immersion !/j2- 


676 Moritz Bauer: Beitrag z. Histolog. d. Muskelmagens d. Vögel. 


Fig. 7. Dasselbe. Man sieht Secretfäden, leere und noch von Zellen 
erfüllte Maschen. 

Fig. 8 Ente. Müller’sche Flüssigkeit, Van Gieson Obj. B. 

Fig. 9. Ente. Müller’sche Flüssigkeit. Van Gieson. 

Fig. 10. Ente. Sublimat. Rubin-Eisenalaun-Hämatoxylin nach Heiden- 
hain. 


Fig. 11. Ente. Müller’sche Flüssigkeit. Methylenblau. 
Fig. 12. Dasselbe. 


Fig. 13. Ente. Müller’sche Flüssigkeit. Methylenblau. 
Fig. 14. Ente. Altmann'sches Gemisch. Methylenblau. 
Fig. 15. Mäusebussard. Müller'sche Flüssigkeit. Methylenblau. 


Zur Rückbildung embryonaler Anlagen. 
Von 


M. Nussbaum. 


Hierzu Tafel XXXV—XXXVIL 


I. 
Die Papillen der Conjunctiva selerae junger 
Hühnerembryonen. 

Gegen das Ende des sechsten Brütetages treten in der Um- 
gebung der Cornea des um diese Zeit noch nackt zu Tage lie- 
genden Auges beim Hühnerembryo Verdiekungen des Epithels 
auf, deren weitere Veränderungen zu schildern die Aufgabe dieser 
Abhandlung sein wird. 

An einem 6 Tage und 15!/, Stunden bei 40°C. bebrüteten 
Embryo liess sich von Epithelwucherungen auf der freiliegenden 
Augendecke noch nichts erkennen. Um. diese Zeit sind oberes 
und unteres Augenlid als ein feiner Ringwulst vorhanden, das 
dritte Lid dagegen schon als halbmondförmige Falte deutlich 
abgesetzt. Die Chorioidalspalte ist nur am Pupillarrande ge- 
schlossen, eine Strecke weiter offen und in dem ferneren Ver- 
lauf gegen den Sehnerven von der Anlage des Pecten einge- 
nommen. Am vierten Tage liefen vom medialen!) und lateralen?) 


I) frontalen, 2) oceipitalen, wenn man für den Hühnerembryo 
topographisch richtig bezeichnet und nicht die für den Menschen zu- 
treffenden Ausdrücke gebraucht. 


M. Nussbaum: Zur Rückbildung embryonaler Anlagen. 67T 


Rande des Auges gegen die Iris hin je ein starkes, in der vor- 
deren Gegend der Augenblase sich gabelndes Gefäss; davon ist 
um diese Zeit nur das laterale noch zurückgeblieben, das mediale 
dagegen untergegangen. Dieser Befund muss umso interessanter 
erscheinen, als die Entwicklung des Corpus ciliare auf der 
lateralen Seite beginnt und auch beim reifen Hühnerembryo und 
vielen erwachsenen Vögeln die laterale Seite des Corpus ciliare 
breiter ausgebildet ist als die mediale‘). Man kann diese Verhält- 
nisse am lebenden Embryo und an den gehärteten Augen ohne 
Weiteres erkennen und die Details an Serienschnitten genauer 
studiren. An einem 6 Tage 20 Stunden bebrüteten Hühnchen 
war im Grossen und Ganzen der geschilderte Zustand derselbe 
geblieben. Nur zeigten sich, wie Fig. 1 erläutert, auf der 
lateralen Seite im epithelialen Belag der Sclera drei und auf der 
medialen Seite zwei Wucherungspunkte, die nach der Behand- 
lung mit Sublimatessigsäure als feine weisse Höckerchen hervor- 
traten; oben und unten fand sich Nichts derartiges. 

Die Oberfläche eines in Flemming 'scher Flüssigkeit er- 
härteten Auges vom 7 Tage 22'/, Stunden bebrüteten Hühnchen 
ist in Fig. 2 dargestellt. Während Fig. 1 bei Sublimatbehand- 
lung auch die tieferen Theile, das laterale Gefäss, das Corpus 
eiliare und den Augenspalt durch das durchsichtige Epithel er- 
kennen lässt, hat die Flemming’sche Lösung das zur Ge- 
winnung der Fig. 2 benutzte Präparat so undurchsichtig gemacht, 
dass nur die Oberfläche dargestellt werden konnte. Der Ring- 
wulst der Lidanlage ist höher geworden und am medialen Augen- 
winkel schon sichtlich spitz ausgezogen, sodass die Trennung der 
Anlage des oberen und unteren Lides hier sich zuerst vollzieht. 
Das dritte Lid ist gewachsen und tritt namentlich im Bereich 
des oberen Abschnittes aus der Fläche der Augendecke deutlicher 
hervor als 24 Stunden früher. Am meisten haben sich die 
Epithelwucherungen auf der Sclera verändert. Man zählt deren 
vierzehn, die in ziemlich regelmässigen Abständen kreisförmig 
um die Cornea herum angeordnet sind. Die einzelne Wucherung 
erscheint am Präparat bei auffallendem Licht wie eine Papille 
mit lichter kegelförmiger Basis und tief schwarzer Mitte. 

Im Laufe des neunten Brütetages wachsen die Lider so- 


1) Vergl. hierzu dieses Archiv Bd. 57, pag. 346. 


678 M. Nussbaum: 


weit vor, dass man die Epithelwucherungen in der Lidspalte 
nicht mehr zu Tage treten sieht. Fig, 3 stellt die Verhältnisse 
bei vierfacher Lupenvergrösserung dar. Die Lidspalte hat die 
Gestalt eines nasalwärts zugespitzten Ovals, das in seiner oberen 
Begrenzung gewölbter, unten dagegen flacher verläuft; der spätere 
Canthus oculi lateralis ist noch ganz rund. Die Absetzung der 
Lider gegeneinander erfolgt somit nasal früher als temporal. 
Das dritte Lid tritt in der Lidspalte breit hervor und ist lateral 
oben zipfelartig ausgezogen. Entfernt man die soweit ent- 
wickelten Lider, so wird man der in der Conjunetiva selerae 
gelegenen Epithelwucherungen ansichtig. Ein in Flemming- 
. scher Lösung erhärtetes Präparat zeigt sie, in regelmässigen Ab- 
ständen an der Peripherie eines Kreises angeordnet, als flache 
längliche Gruben mit glänzendem Wall und dunklem Centrum. 
Um diese Zeit ist die Anlage der Federn auch an den Augen- 
lidern schon weit entwickelt; die jüngsten Anlagen liegen dem 
freien Rande der wachsenden Lider am nächsten. Sie treten an 
den lateralen und medialen Augenwinkel näher heran als an die 
freien Lidränder und am oberen näher als am unteren. Bei 
dem zum Auskriechen reifen Hühnchen ist das obere Lid bis 
direct an den Rand behaart; das untere dieht am Rande zwar 
auch, aber dann folgt eine halbmondförmige nackte Stelle, wo- 
durch die Verschiedenheit der Federanlagen am unteren und 
oberen Lide des hier abgebildeten Auges verständlicher wird. 
Diese nackte Stelle des unteren Lides, das bei Reptilien und 
Vögeln — soweit ich es untersucht — grösser ist als das obere, 
kommt beim erwachsenen Huhn gleichfalls vor; bei der ein- 
heimischen Eidechse sind die Hormplatten hier dünner als die 
ganze Umgebung und zugleich durchsichtig, was offenbar mit 
der Beweglichkeit des unteren Augenlides zusammenfällt. 

Nach der hier gegebenen Schilderung eines Auges vom 
neunten Brütetage wird man nicht erwarten, den Verlauf der 
weiteren Entwicklung der Papillen auf der Sclera conjunetivae 
ohne Präparation verfolgen zu können. Welche Richtung die 
Entwicklung nehmen werde, lässt sich jedoch mit einiger Ge- 
wissheit vermuthen. Denn die Erscheinung, dass bei den in 
Flemming'’scher Lösung gehärteten Embryonen vom 8. Tage, 
(die noch von den Lidern nicht verdeckten Papillen im Centrum 
stärker gebräunt sind, als am Rande, lässt den Verdacht auf- 


Zur Rückbildung embryonaler Anlagen. 679 


kommen, es möge sich von da an um kückbildungsprocesse 
handeln. Das ist nun in der That der Fall, denn die Papillen 
verschwinden nach kurzem Bestehen wieder. Beim 11 Tage 
alten Embryo sind nur schmale, zapfenförmige Epitheleinsenkungen 
vorhanden; beim 13 Tage bebrüteten Embryo ist nur mikro- 
skopisch und auch nur an wenigen Stellen eine Spur der zuvor 
mächtigen Epithelwucherung nachzuweisen, wie auch beim reifen, 
zum Auskriechen fertigen Hühnchen der Conjunetivalsack ganz 
glatt und frei von Papillen ist. 

Soviel liess sich makroskopisch feststellen. Es fragte sich 
nunmehr, ob diese beim Huhn vergängliche Bildung bei niederen 
Thieren zeitlebens vorkäme. Meine allerdings nicht zahlreichen 
Präparationen haben in der Conjunetiva bulbi eines mir durch 
die Güte des Herm Dr. Redeke zur Verfügung gestellten, vor- 
züglıch in Sublimatessigsäure conservirten Auges von Mustelus 
vulgaris Nichts ergeben. Dagegen gelang es mir, an der be- 
treffenden Stelle bei emem schon früher von .mir benutzten und 
von Herrn Prof. Schiefferdeeker mir freundlichst überlassenen 
Gavialis Schlegelii, sowie an Chelone viridis Papillen nachzu- 
weisen. Die Conservirung ist aber für histologische Zwecke 
nicht genügend gewesen, sodass ich auf die Beigabe einer Zeich- 
nung und die histologische Schilderung vorläufig verzichten muss. 
Bei Lacerta agilis liess sich in der Conjunetiva bulbi nichts Aehn- 
liches auffinden. 

Da nun die Conjunetiva nur ein Stück modifieirter Haut 
darstellt und — nach Leuckart!) — Trapp bei Raja fullo- 
nica sogar Hautknochen auf der Conjunctiva corneae entdeckte, 
so musste die mikroskopische Untersuchung der geeigneten Ent- 
wicklungsstadien beim Hühnerembryo Aufschluss darüber geben, 
ob die vergänglichen Papillen in der Conjunetiva bulbi dieses 
Thieres etwa auf Anlagen von Federn oder Sinnesorganen zurück- 
zuführen seien. Die nachfolgende Beschreibung wird zur Ent- 
scheidung dieser Frage führen, wenn ihr, wie dies beabsichtigt 
ist, eine eingehende Beschreibung der ersten Phasen der Feder- 
entwicklung folgt. 


1) Graefe, Saemisch, Handbuch der Augenheilkunde II. Bd. 
Cap. VII, pag. 274. 


680 M. Nussbaum: 


11. 
Der Bau der Papillen auf der Conjunctiva selerae 
von Hühnerembryonen. 


An dem jüngsten Embryo, der zur makroskopischen Unter- 
suchung diente, und der zur Auffindung der Papillen führte, 
habe ich nur die histologische Untersuchung der Gegend ge- 
macht, wo Papillen als feine Höckerchen deutlich sichtbar waren, 
sodass die allerersten Stadien der Entwicklung mir hier nicht zu 
Gesicht gekommen sind. Da man diese Stadien der Papillen- 
entwicklung aber auch noch an Embryonen des 7. Tages findet, 
so soll, wie es der Gang meiner Untersuchungen mit sich brachte, 
die Beschreibung der allerersten Anlage der Papillen an jener 
Stelle nachgeholt werden. Sie besteht nur in einer einfachen 
Vergrösserung bestimmter Epithelzellengruppen. 

Wie die Fig. 1 erläutert, sind die medial zur Cornea ge- 
legenen beiden Papillen kleiner, als die drei lateral befindlichen, 
und diese unter sich wieder ungleich gross. Aber nicht allein 
bei diesem 6 Tage 20 Stunden alten, sondern bei allen darauf 
untersuchten Embryonen in der dem jeweiligen Entwicklungs- 
zustand des Embryos entsprechenden Weise sind die Papillen 
immer ungleich entwickelt. Sie entstehen und vergehen nicht 
in gleichem Tempo; immerhin bleiben die Papillen von einem 
bestimmten Brütetage nicht soweit in der Vor- und Rückbildung zu- 
rück, dass weit auseinander gelegene Phasen gleichzeitig vorkämen. 

Zum Zweck der histologischen Untersuchung war das in 
Fig. 1 abgebildete und in Sublimatessigsäure gehärtete Auge so 
behandelt worden, dass die medial und lateral zur Cornea ge- 
legenen Papillen tragenden Stellen als schmale Streifen heraus- 
geschnitten und in Serien von 5 u dicken Schnitten zerlegt wurden. 
Im medialen Theil kamen auf eine Papille 32 Schnitte; die 
Papille ist also 0,16 mm breit. Der in Fig. 4 abgebildete Schnitt 
stammt aus der Mitte der Papille. Es zeigt sich, dass im Bereich 
der Papille, von der Peripherie nach der Mitte zu anschwellend, die 
Zahl der Epithelzellen zugenommen hat. Da die Sublimatessig- 
säure im Gegensatz zur Flemming’schen Lösung die Grenzen 
der Zellen nieht deutlich erhält, so sind in Fig. 4 nur die Kerne 
mit Hülfe eines Projectionsapparates genau eingezeichnet worden. 
Auffallend ist die Abwesenheit von Zelltheilungsbildern mitten in 


Zur Rückbildung embryonaler Anlagen. 681 


der Papille; am Rande derselben, wie sich aus Fig. 7 ergiebt, 
kommen jedoch Mitosen vor. Das Bindegewebe unter der Pa- 
pille ist nicht verdichtet und in einer Wellenlinie gegen das 
Epithel abgesetzt. 

An den papillenfreien Stellen der Conjunetiva bulbi ist das 
Epithel zweischichtig und bedeutend niedriger; Zelltheilungen 
kommen, wie Fig. 6 und Fig. 3 erkennen lassen, in beiden 
Epithelschiehten vor, sodass um diese Zeit von einer eigentlichen 
Deckschicht der Epidermis nicht geredet werden kann. Die 
Figuren 6 und 8 enthalten auch im Bindegewebe, das sich deut- 
lich gegen das Epithel durch eine scharfe Grenzlinie absetzt, je 
ein Mitose, von denen nur die in einem optischen Querschnitt ge- 
legenen Theile abgebildet sind. 

An demselben in Fig. 1 abgebildeten Auge, von dem der 
in Fig. 4 wiedergegebene Schnitt herrührt, waren wie gesagt, 
die lateralen Papillen schon in weiterer Ausbildung als die 
medialen; die grösste lateral gelegene erstreckte sich durch 48 
Du dieke Schnitte, hatte also einen Durchmesser von 0,24 mm. 
Die Papille überragte mit ihrem centralen Theile die Oberfläche 
und drang dort auch in mehrere Lappen getheilt in das unter- 
liegende Bindegewebe, das an diesen Stellen verdichtet war. 
Die Verdiehtung im Bindegewebe unter den mittleren Theilen 
der Papille machte mehr den Eindruck eines mechanischen Zu- 
sammenrückens der einzelnen Zellen, als den einer lebhaften Zell- 
vermehrung. 

Die mittleren Schnitte der Papille gaben ungefähr das Bild 
der Fig. 9, wo ebenfalls Epithelzapfen gegen das unterliegende 
(in der Figur aber nicht dargestellte) Bindegewebe hineinragen. 
Aber auch schon die Figur 4 deutet an, dass die Entwicklung 
diesen Gang nehmen werde; da der Contour gegen das Binde- 
sewebe nicht gradlinig, sondern mit convexen Ausbuchtungen 
gegen das bindegewebige Substrat verläuft. 

Ein Zwischenstadium der Entwicklung ist in Fig. 5 abge- 
bildet. Der 10 u dieke Schnitt gehört zu einer Serie durch den 
ganzen vorderen Bulbusabschnitt eines 7 Tage alten Hühner- 
embryos. Die Schnittfolge geht von unten nach oben. In 
Fig. 5 ist nur die eine Hälfte der hier in der mittleren Partie 
getroffenen Papille dargestellt, die sich mit ihren nur wenig 
verdiekten peripheren Partien über 38 Schnitte erstreckt, also 


683 M. Nussbaum: 


0,38 mm breit ist und demgemäss die beiden vorher geschilderten 
an Breite übertrifft. Sie geht, wie ein Vergleich mit Fig. 4 er- 
giebt, weiter in die Tiefe, hat viele deutliche Ausbuchtungen 
gegen das unterliegende Bindegewebe, während die zweite, nicht 
abgebildete Papille des 6 Tage 20 Stunden alten Auges bei 
geringerer Breite eine grössere Ausdehnung in die Tiefe mit 
gleichzeitiger Abnahme der Zahl der Ausbuchtungen erreicht 
hat. Der Entwieklung vach gehört diese Papille zwischen die 
beiden vom 6 Tage 20 Stunden alten Embryo. Die Alters- 
bestimmung der Papillen ist aber nicht allein aus der Gestalt, 
sondern vorzüglich aus dem Zustande ihrer Zellen zu machen, 
worauf dann später genauer eingegangen werden soll. 

Die Bindegewebszellen unter der Papille sind nach Fig. 5 
nicht vermehrt; die Zellgrenzen, die bei der Conservirung des 
Präparats in Flemming'’scher Lösung gut hervortreten, sind der 
Einfachheit wegen nicht eingetragen worden; ebensowenig gewisse 
Veränderungen an einigen Zellen; da das gegebene Bild nur die 
Umwandlungen der Form der ganzen Papille versinnlichen soll. 
Die Papille ist demnach in die Breite und in die Tiefe ge- 
wachsen und überragt auch das Niveau der Epidermis mehr als 
in dem in Fig. 4 abgebildeten jüngeren Stadium. 

Auch am Auge eines 7 Tage 16 Stunden alten, gleichzeitig 
mit dem vorigen erbrüteten Hühnerembryo war die Entwieklung 
der Papillen nieht weiter vorgeschritten. Um diese Zeit ist das 
Epithel der Cornea mächtiger entwickelt (14 u), als das der 
Conjunetiva selerae (7 u); in dem Epithel der Conjunetiva kommen 
aber im Umkreise der Cornea ungefähr 1,75 mm vom Scheitel 
derselben entfernt und oberhalb des vorderen Theiles der eigent- 
lichen Retina, also nicht mehr im Gebiet der Pars ciliaris ge- 
legene Inseln von 0,18 mm Durchmesser vor, wo das Epithel 
noch etwas höher ist (16 u), als das der Cornea; diese Ver- 
diekungen liegen ausschliesslich an den Stellen, wo später die 
Papillen gefunden werden; sind also die ersten Entwicklungs- 
stufen derselben. Neben diesen Anfängen der Papillenentwick- 
lung kamen im  Umkreise der Cornea noch 6 Papillen von 
0,43 mm Breite vor, vier lateral und zwei medial. In der Mitte 
dieser Papillen war das Epithel nach der Tiefe dreimal so mächtig 
entwickelt als bei den ersten Anlagen; die Zahl der übereinander- 
geschichteten Epithelien war bedeutend vermehrt. Die Anlage 


Zur Rückbildung embryonaler Anlagen. 683 


der Papillen erfolgt somit nicht gleichzeitig, wie aus den Befunden 
an jedem dieser drei verschieden alten Augen sich ergiebt, und 
wie es die Fig. 1 der Tafel XXXV illustrirt. 

Am interessantesten ist die Untersuchung des Embryo vom 
8. Tage; da um diese Zeit die Papillen ihre höchste Entwick- 
lung erreicht haben. Dabei ist jedoch die einschränkende Be- 
merkung zu machen, dass trotz der Weiterentwicklung des Ganzen 
einzelne Zellen und Zellgruppen, wie auch schon am Tage vor- 
her, sich wieder zurückbilden und in Zerfall begriffen sind. 

Das unserer Schilderung zu Grunde gelegte Auge stammt 
von einem 7 Tage 22!/, Stunden alten in Flemming’scher 
Lösung gehärteten Hühnerembryo. Der vordere Bulbusabschnitt 
wurde in 10 u dieke Schnitte, die sich von unten nach oben 
folgten, zerlegt. 

Bis zum unteren Linsenrand sitzen auf der Conjunetiva 
sclerae 5 Papillen, von da bis zum oberen Linsenrande 4 und 
aufwärts davon 5 Papillen, also im Ganzen wie in Fig. 2 vier- 
zehn Papillen, die demgemäss erst nach und nach, nicht gleich- 
zeitig, sich entwickelt haben. Die Durchmesser der Papillen, 
gemessen aus der Zahl der sie enthaltenden Schnitte, beträgt 
0,15 bis 0,24 mm. Die Papillen überragen alle die Oberfläche 
der Epidermis und senken sich alle als Epithelzapfen in die 
Tiefe, wie es etwa Fig. 11 vom ungefähr 9 Tage alten Embryo 
darstellt. 

Die Breitendimension der Papillen hat somit im Vergleich 
zu ihrer Ausdehnung am vorhergehenden Tage abgenommen, 
nachdem sie sich bis dahin vergrössert hatte. Ihr Eindringen in 
das unterliegende Bindegewebe hat dagegen Fortschritte gemacht, 
sodass an den tiefsten Stellen des gegen die bindegewebige Stelle 
vorgeschobenen epithelialen Zapfens, die Papillen mehr als halb 
mal so diek sind, als die am weitesten entwickelten des vorigen 
Tages; manche der Papillen vom 8. Tage übertreffen im Durch- 
messer von aussen nach innen die grössten vom 7. Tage sogar 
um das doppelte und ragen gleich weit in die Selera hinein 
und über die Oberfläche hinaus. Unter diesen Umständen wird 
man zu dem Schlusse kommen, dass die Papillen weit weniger 
durch fortgesetzte Zellvermehrung als durch ein Zusammenschieben 
oder durch ein Vordringen der bis zu einer gewissen Zeit ge- 
bildeten und mehr in der Fläche angeordneten Zellen die vom 


684 M. Nussbaum: 


8. Tage beschriebene pilzförmige Gestalt annehmeu. Mitosen 
sind um diese Zeit nicht im Epithel der Papillen aufzufinden, 
während sie in der nächsten Nachbarschaft, in der Keimschicht 
der Retina, in grosser Menge vorkommen. Das Epithel der 
Papillen auf und in der Conjunetiva selerae ist somit jetzt in 
die eigentliche Selera hineingedrungen, bleibt aber durch einen 
deutlichen Contour gegen das darunter gelegene und am 8. Tage 
leicht verdichtete Bindegewebe abgesetzt. 

3ei dem nächstälteren Embryo von 8 Tagen 15!/, Stunden 
waren die Papillen der Form nach ungemein gegen die früheren 
Stadien verändert. Die Fig. 9 stellt einen Durchschnitt durch 
eine Papille dar, die mit ihren gegen das Bindegewebe gerich- ' 
teten mehrfachen Zapfen an frühere Stadien erinnert; nur ist, 
wie später genauer ausgeführt werden soll, der Zerfall der peri- 
pheren Zellen hier schon weiter vorgeschritten. Eine der im 
Laufe des 8. Tages vorhandenen Papillen glich der in Fig. 11 
abgebildeten, wo ein einziger mächtiger Zapfen weit in das 
Bindegewebe hinabreichte und mit dem peripheren Theil zugleich 
das normale Niveau der Epidermis überragte. Die anderen Pa- 
pillen hatten alle eine abweichende Gestalt. Sie ragten wie Pilze 
mit breitem Hut oder einfachem etwas zur Seite gebogenen 
Schaft über die Epidermis hinaus; das unter ihnen gelegene 
Bindegewebe war verdichtet und die Zellen desselben so stark 
vermehrt, dass die hier gelegene Masse aus dieht nach Art der 
Epithelien aneinander gepressten Zellen bestand und in der Mitte 
der Papille selbst zapfenartig über das Niveau der Epidermis in 
den epithelialen Theil der Papille hineinragte, wie das in Fig. 10 
dargestellt wurde. Mitosen im Bindegewebe solcher Papillen 
sind nicht selten; in Fig. 10 ist eine Mitose im Schnitt ge- 
troffen. Von anderen Papillen war nur ein von wenig verdiektem 
Epithel überzogener Krater zurückgeblieben; die Hauptmasse des 
Epithels der Papille war schon abgestossen worden; unter der 
vertieften Stelle der Epidermis waren auch in diesem Falle die 
Zellen des Bindegewebes stark vermehrt und lagen dicht ge- 
drängt mit gegenseitiger Abplattung da. 

In einer Papille, die wie eine junge Federanlage die Ober- 
fläche der Haut überragte, waren vereinzelte pigmentirte Zellen 
im Epithel nachzuweisen. 


Zur Rückbildung embryonaler Anlagen. 685 


Die einzelnen in ihrer Form so verschiedenen Papillen 
hatten einen Querdurchmesser von 0,16 bis 0,21 mm. 

Am Anfang des neunten Tages waren die Papillen wie sie 
Fig. 9 von früheren Stadien darstellt, nicht mehr vorhanden. 
Daneben kam noch eine von der Gestalt der Fig. 11 vor, wo 
sich der Epithelzapfen keilförmig in das Bindegewebe einseukte 
und mit breitem Dach wie der Hut eines Pilzes die Epidermis 
überragte. Die übrigen Papillen waren von zweierlei Gestalt; 
die einen bildeten einen seichteren oder bei einigen auch tieferen 
slattwandigen Krater, der in das Bindegewebe hineinragte und 
im Innern zu Grunde gehende Zellen enthielt, während die dem 
Bindegewebe direet aufliegenden Epithelzellen verlängert waren. 
Der Krater schnitt aussen im Niveau der Epidermis ab. (Vgl. 
hierzu Fig. 15.) Andere Papillen glichen wieder, wie einige des 
vorhergehenden Tages, durchaus jungen Federanlagen. Die Epi- 
dermis ragte als schmaler Zapfen über die Hautoberfläche; in 
das Innere dieses Zapfen reichten die auch jetzt noch in Mitose 
befindlichen Bindegewebszellen hinein; doch war die Basis so- 
wohl als die Höhe dieses Bindegewebskegels gegen die Maasse 
heim nächst jüngeren Embryo wiederum verkleinert. 

Die Untersuchung eines Auges vom elf Tage alten Hühner- 
embryo zeigte die Papillen in weiterer Rückbildung. Vorhanden 
waren solche, die durch weitere Einschmelzung und Ausstossung 
der eentralen Zellen, wie sie noch in Fig. 15 übrig waren, zu 
kurzen Schläuchen sich umgewandelt hatten und die, dazu noch 
schräg getroffen, nur durch fünf 0,01 mm dieke Schnitte sich 
erstreckten. Im ersten Schnitt lag die Oeffnung des zusammen- 
geschrumpften Kraters und in dem folgenden ein weiterer Ab- 
schnitt, bis im fünften Schnitte das blinde Endstück der an- 
fänglichen Anlage vorlag. Günstiger getroffen ist ein solcher 
schlauchähnlicher Rest einer Papille vom elften Brütetage in 
Fig. 12. Daneben kamen nun noch auch flache gereinigte Krater 
vor und solche, wo an der Oberfläche noch zurückgebildete Zellen 
sich fanden wie in Fig. 16. Alle diese Rudimente sind von den 
inzwischen weiter vorgewachsenen Lidern jetzt bedeckt; während 
am zehnten Tage gelegentlich noch ein Papillenrest dieht am 
freien Rande des unteren Lides gesehen werden konnte. Im 
Allgemeinen sind schon am neunten Brütetage die Papillen ganz 
von den Lidern bedeckt. Das letzte an Schnittserien untersuchte 

Archiv f. mikrosk. Anat. Bd. 57 45 


686 M. Nussbaum: 


Auge ist das eines Embryo vom dreizehnten Brütetage. Alle 
Papillen sind bis auf winzige Reste geschwunden; die Krater 
haben sich völlig gereinigt; alle degenerirten Zellen sind ausge- 
stossen und es sind nur Formen, wie sie in Fig. 13 u. 14 ab- 
gebildet sind, zurückgeblieben. Dabei erstrecken sich diese 
letzten Reste der in den mittleren Stadien so mächtigen Papillen 
nur durch drei bis vier Schnitte von 10 u Dicke. Zu den Fi- 
guren 13 u. 14 sei noch bemerkt, dass die dem Bindegewebe 
aufliegende Fläche (der Papillenreste nach rechts gewandt ist, 
wie alle übrigen Figuren dieser Tafel mit Ausnahme der Fig. 10, 
die der Raumersparniss halber so gedreht werden musste, dass 
das unter dem Epithel gelegene Bindegewebe in der Tafel nach 
links sieht und der Fig. 12 mit der Aussenfläche nach unten. 
Stellt man die Ergebnisse der bis hierher geförderten Unter- 
suchung zusammen, so findet sich, dass beim Huhn vom Ende 
des sechsten Brütetages bis etwa zum dreizehnten im Umkreise 
der Cornea auf und später auch in der Conjunetiva scelerae Pa- 
pillen entstehen und vergehen. Die erste Anlage entwickelt sich 
aus localen Epithelverdiekungen an Stellen der Conjunetiva, die 
auf dem vorderen Theile der eigentlichen Retina, also rückwärts 
von deren Pars eiliaris gelegen sind. Die breiteren, aber flachen 
Anfangstadien werden in verschiedener Weise umgewandelt, je 
nachdem das Bindegewebe in Mitleidenschaft gezogen wird oder 
nicht. Bei der Mehrzahl der Papillen betheiligt sich nämlich 
das Bindegewebe nicht am Aufbau derselben. Diese Art von 
epithelialen Wucherungen erhebt sich über die Epidermis und 
geht zugleich mit mehreren zapfenartigen Sprossen in das unter- 
liegende Bindegewebe hinein. Dann fliessen die unteren Zapfen 
zu einem Conus zusammen, die Papille wird höher und schmäler; 
zugleich aber entwickelt sich in ihren Zellen ein Degenerations- 
process, durch den die Zellen wieder zu Grunde gehen, so dass 
tiefe Krater entstehen, deren unterste epitheliale Zellenlage er- 
halten bleibt, während alle übrigen Zellen zu Detritus umge- 
wandelt und ausgestossen werden. Inzwischen wird der Rest 
der Papille zusammengepresst, so dass an manchen Stellen 
flache Gruben, an anderen kurze Schläuche zurückbleiben, die 
aber alle nach dem dreizehnten Tage verschwinden, so dass nach 
diesem Zeitpunkt eine ganz glatte Conjunetiva sclerae vorliegt. 
Bei einer geringeren Zahl von Papillen tritt das Bindegewebe 


Zur Rückbildung embryonaler Anlagen. 687 


mit dem Epithel in Wettbewerb beim Aufbau. Es entstehen 
kurze Cylinder, die wie Federanlagen über die Haut hervorragen; 
aussen von Epithelien, innen von gewucherten und gegen einander 
abgeplatteten Bindegewebszellen gebildet werden. Auch diese 
Papillen werden allmählich schmäler und gehen wieder zu Grunde. 

Da die Degenerationsvorgänge in den Epithelzellen schon 
bald nach der ersten Anlage der Papillen auftreten und durch 
alle Stadien späterhin zu finden sind, so ist bei der Beschreibung 
der Form der Papillen auf diesen Vorgang in den Zellen selbst 
nicht näher eingegangen worden. Wenn hier nochmals betont 
wird, dass selbst in den wachsenden Papillen nur wenig oder 
zuweilen gar keine Mitosen gefunden werden, während die äussere 
Keimschicht der Retina sehr reich daran ist, so bleibt hier noch 
eine eingehendere Würdigung der Art zur Darstellung übrig, wie 
die Zellen zu Grunde gehen. 


IM. 
Die Degeneration der Zellen in den vergänglichen 
Papillen der Conjunctiva selerae des Hühnerembryo. 


Bei dem reich gegliederten Aufbau der Zelle lässt sich 
erwarten, dass auch ihre regressive Metamorphose unter ver- 
schiedenen Formen ablaufen könne. So sieht man beim Ver- 
schwinden transitorischer Organe, wie den Saugscheiben der 
Amphibien, alle Zellenbestandtheile gleichmässig eingehen, ohne 
dass man sagen könnte, einer derselben sei besonders an dein Alters- 
process oder allein ursächlich betheiligt, und die anderen würden 
erst secundär in Mitleidenschaft gezogen. In den zur Abstossung 
bestimmten Schüppehen der Epidermis schwinden Kern und Proto- 
plasma in gleich hohem Maasse; ebenso habe ich für die altern- 
den Zellen der Drüsen einen Protoplasma, Kern und Nebenkern 
sleichmässig betreffenden Schwund nachweisen können (s. d. Arch. 
Bd. XXI pag. 349 und Fig. 42). In anderen Zellen ist es da- 
gegen nur einer der Zellenbestandtheile, der durch die an ihm 
zuerst auftretenden Veränderungen die übrigen Theile secundär 
in Mitleidenschaft zieht, sie verdrängt und so schliesslich den 
Tod der Zelle herbeiführt. 

Bei der Untersuchung des Eierstocks vom Kaninchen stiess 
Flemming auf Follikel, die eine eigenartige, bis dahin nicht 
gekannte Umbildung erlitten; statt zu reifen, verfielen sie dem 


688 M. Nussbaum: 


Untergang. „Offenbar“, sagt Flemming, „handelt es sich um 
eine Veränderung der Zellkerne in der Art, dass ihr Chromatin 
sich zu ecompacten Massen ballt, und dass der Kern darauf als 
abgegrenzter Theil überhaupt untergeht.* (His und Braune, Arch. 
f. Anatomie u. Entwiekelungsgeschichte 1885 pag. 222. 

Diese Erscheinung wurde von ihrem Entdecker mit dem 
Namen der Chromatolyse belegt; sie ist nachher öfter beschrieben 
worden und stellt einen Fall von Zellentod dar, wo der Zerfall 
durch Veränderungen des Kernes eingeleitet wird. 

Da es mir beim Studium der Rückbildungserscheinungen 
in den Papillen der Conjunctiva sclerae des Hühnerembryo darum 
zu thun war, ein möglichst grosses Material zur Vergleichung 
kennen zu lernen, so habe ich das Kaninchenovarium ebenfalls 
zur Untersuchung herangezogen und dabei die von Flemming 
beschriebenen und abgebildeten Veränderungen sämmtlich wieder- 
gefunden. Die Flemming’sche Fig. 16 gibt aber die Gewiss- 
heit, dass der Vorgang, der schliesslich zum Zerfall der Zellen 
führt, wenn man sich der Flemming schen Auffassung an- 
schliesst, kein einheitlicher, kein bei allen Zellen gleichartiger 
sein kann. Diese Fig. 16 enthält mehrere Follikelzellen, die am 
Rande eines Eies der Zona pellueida anhaften; aufwärts davon 
liegen stark veränderte Reste von Zellen. Die erste Zelle links 
in der oberen Reihe lässt um den chromatolytisch veränderten 
Kern einen Zelleneontour erkennen; der Raum zwischen Kern 
und Zellengrenze ist ganz hell, genau so wie in meiner Fig. 45 
bei a. Es gibt aber auch ganz gleiche Zellen, wie in der 
Flemming schen Fig. 4 beia und in meiner Fig. 4), wo der 
Zellinhalt eine dem Protoplasma der normalen Zellen gleiche 
Färbung besitzt. 

Die m Flemming'’s Fig. 16 weiter nach rechts auf die 
oben beschriebene Zelle folgende Masse ist im Innern hell ge- 
halten und hat am Rande das Uhromatin in ähnlicher Weise 
gruppirt, wie der Kerm der ersten, links gelegenen Zelle. Alle 
übrigen Zellenreste sind in ihrem Innern dunkel und entsprechen 
nach Flemming in abnehmender Grösse den aufeinanderfol- 
senden Stadien der Chromatolyse, sind also Zellen, deren Kern- 
contour fehlt, während das Chromatin der Kerne, zu compacten 
Massen vereinigt sich im Protoplasma findet. 

Die Präparate aus Osmiumsäure verhielten sich dabei von 


Zur Rückbildung embryonaler Anlagen. 689 


den in Flemming’scher Lösung gefärbten verschieden, da bei 
den mit Osmium behandelten Övarien noch feine schwarze Tröpfehen 
hervortraten, die bei der anderen Härtungsmethode entweder 
nachträglich ausgezogen oder nicht intensiv ganz geschwärzt 
worden waren. Doch gibt es, wie Flemming selbst hervor- 
hebt, auch noch grössere Zellen in den Osmiumpräparaten von 
Follikeln, die schon stark geschrumpft sind. Diese Zellen ent- 
halten einen kleinen Kern, geschwärzte Körnchen und dieselben 
Brocken wie die kernlos gewordenen Zellen. Schliesst man die 
inFlemming'scher Lösung gehärteten Präparate nicht in 
Lack, sondern in verdünntem Glycerin en, so kann man auch 
an ihnen die feinen schwarzen Körnchen erkennen, wie sie von 
Flemming an ÖOsmiumsäurepräparaten beschrieben werden. 
Die chemische Natur dieser feinen Körnchen wird noch festzu- 
stellen sein. 

Wie Flemming schon hervorgehoben hat, werden die 
Zellen aber nicht in der Weise verändert, dass sie bis zum Unter- 
gang an Ort und Stelle verbleiben und, was die Beurtheilung 
der Befunde erschwert, es kommen die verschiedensten Stadien 
der Rückbildung dicht neben lebenskräftigen in mitotischer Thei- 
lung befindlichen Zellen in allen Phasen des Follikelschwundes 
vor. Dabei werden die Zellen in ihrem Verband gelockert und 
man findet im Liquor follieuli unveränderte Zellen, Kugeln ver- 
schiedener Grösse mit oder ohne Chromatinbrocken, sowie freie 
Kerne. Demnach muss es möglich sein, dass das Protoplasma 
in manchen Fällen noch früher zerfällt als der Kern. Die Kugeln 
im Liquor follieuli sind feinkörnig und etwas dunkler als das 
Protoplasma der noch nicht degenerirten Zellen. Das Chromatin 
in den Kugeln ist sehr verschiedenartig angeordnet: oft in einem 
dicken Kom, oft in zwei, drei, vier und mehr kleinen Massen. 
In manchen Chromatinbrocken ist eine helle eentrale Zone vor- 
handen; in anderen schmiegt sich das Chromatin in Hufeisenform 
um diese helle Partie. 

Die Kerne der noch nicht veränderten Zellen enthalten ausser 
dem Chromatin noch ein feines Gerüst und befinden sich in allen 
Stadien der Ruhe und der mitotischen Theilung. Manche Kerne 
sind gelappt wie bei Fig. 45c; in diesen Kernen fehlt ein Gerüst, 
und das Chromatin ist in dicken Massen zusammengedrängt. 

Zu allen diesen Bildungen treten aber noch solche hinzu, 


690 M. Nussbaum: 


welche ich von anderen Objeeten her kannte, und die weiter 
unten bei diesen ausführlicher beschrieben werden sollen. Das 
sind verdichtete Protoplasmamassen neben dem Kerm wie in 
Fig. 41 und in 45 bei 5b, d und e. In den Zellen 5 u. d schmiegt 
sich der Kern der Form dieses Körpers, des Nebenkernes, an. 
Daneben gibt es andere Zellen, in denen die verdiehtete Proto- 
plasmakugel ein gefärbtes Korn enthält, wie in Fig. 42 und in 45 f. 
In Fig. 43 ist eine Zelle dargestellt, die neben dem Kern noch 
eine vacuolisirte Protoplasmakugel enthält. 

Bei einem solchen Befund ist es das Wahrscheinlichste, 
dass der Untergang dieser Zellen kein einheitlicher sein kann. 
In manchen Zellen gehen die ersten Veränderungen vom Kern 
aus, wie es Flemming unter dem Bilde der Chromatolyse 
beschrieben hat. In anderen wird vor dem Kern das Protoplasma 
zerstört, und in einer dritten Art von Degenerationserscheinungen 
gibt ein Körper neben dem Kern im Protoplasma den ersten An- 
stoss zum baldigen Tod der Zellen. Bei dieser letzten Form 
gehen Protoplasma und Kern allmählich zu Grunde; ein spätes 
Stadium einer soleh veränderten Zelle ist in Fig. 45 bei 2 abge- 
bildet. Diese Form ist auch von Flemming gefunden und 
abgebildet worden, wenn er auch über ihr Wesen keine endgültige 
Meinung sich bilden konnte (l. e. pag. 230 und Fig. 155). Neben 
dem geschrumpften und stark verkleinerten Kerne liegen in der 
Zelle eine grosse Zahl von dunkeln Kugeln; in einigen dieser 
Kugeln ist ein gefärbtes Korn oder auch mehrere vorhanden. 
Diese kleinen Kugeln sind durch Theilung oder besser gesagt 
Zerfall der anfänglich zu einer grösseren Kugel herangewachsenen 
neben dem Kern gelegenen Masse entstanden, wie das mit Sicher- 
heit aus der Analogie bei anderen Organen geschlossen werden 
kann. 

In allen Fällen macht das Chromatin, sei es das der Kerne 
oder der Nebenkerne, eine Reihe von mechanischen oder chemischen 
Veränderungen durch, die Flemming treffend mit dem Namen 
der Chromatolyse bezeichnet hat. Nur ist das Kaninchenovarium 
kein geeignetes Objeet, die Reihenfolge der Erscheinungen mit 
absoluter Sicherheit zu erkennen, denn nicht allein kommen die 
regressiven Veränderungen in verschieden grossen Follikeln alle 
nebeneinander und mit normal mitotisch sich theilenden Zellen 
gemischt vor; es sind auch viele sicher nicht zusammengehörige 


Zur Rückbildung embryonaler Anlagen. 691 


Processe nebeneinander vorhanden, die alle den Tod der Zellen ein- 
leiten und herbeiführen, so dass mir die oben gegebene Deutung 
bis jetzt die wahrscheinlichste zu sein scheint. Nur so viel steht 
fest, was ja schon Flemming gefunden und betont hatte, dass 
die geschilderten Veränderungen zum Untergang von Zellen führen. 

Befriedigender in den Ergebnissen sind die Beobachtungen, 
die man bei der Linsenentwiekelung mancher Wirbelthiere anzu- 
stellen im Stande ist. 

Geht man die einzelnen Stadien der Linsenentwickelung 
beim Lachsembryo durch, so kann man am 18. Tage die Ver- 
diekung der Grundschicht des Eetoderm, die vor der Augenblase 
erfolgt ist, als erste Linsenanlage deutlich erkennen. Alle Zellen 
sind frei von Einlagerungen. Dasselbe gilt vom folgenden, dem 
19. Tage, wenn die Linse sich als kugelförmiger Zapfen, der 
noch mit der Grundschicht der Haut zusammenhängt, in die 
Augenblase eingestülpt hat. Am 20. Tage fand sich in dem 
Pfropf untergehender Zellen, die später für einige Zeit im 
halbmondförmigen Spalt zwischen vorderem und hinterem Linsen- 
epithel liegen, eine einzige Zelle, die ausser dem Kern noch eine 
kleine Kugel mit feinem centralen in Hämatoxylin gefärbtem 
Korn enthielt. Vom 21. Tage an wiesen mehrere Zellen, die aber 
alle in dem centralen Pfropf lagen und in dem sogenannten Linsen- 
stiel, das ist der Verbindungsstrang zwischen der noch nicht ab- 
geschnürten Linse und dem Eetoderm, solche Veränderungen auf. 
Die Kugeln waren grösser geworden und die gefärbten Körner nicht 
mehr solitär, sondern zu zweien, dreien oder vieren und bedeutend 
grösser als am Tage vorher. Auch jetzt lagen diese Kugeln in Kern- 
nischen; oft deckte der Kern sie wie ein übergreifendes Dach. 

Der Process machte am 22. und 23. Tage Fortschritte; 
am 24. lagen in dem Spalt zwischen vorderem Linsenepithel und 
Linsenkern losgelöste Zellen mit den beschriebenen Kugeln 
neben dem Kern, freie Kerne und freie Kugeln. Dieselben 
Bildungen kommen auch vereinzelt in der Abschnürungsnaht des 
vorderen Linsenepithels und des Eetoderm vor. Die Linse ist 
um diese Zeit völlig abgeschnürt und das Mesoderm wuchert 
zwischen Linse und Ecetoderm von der Seite her vor, um die 
Linse gänzlich von ihrem Mutterboden zu trennen. 

Bei 27 Tage alten Embryonen ist die Zahl der in der 
Linsenhöhle gelegenen Zellenreste geringer geworden; sie sind 


692 M. Nussbaum: 


am 28. Tage noch vorhanden; sie fehlen am 30. Tage und 
kommen auch am 32. Tage und später nicht mehr vor. Die 
Figuren 35 bis 39 der Taf. XXXVII geben ein Bild der fortschrei- 
tenden Veränderungen in den Zellen der Linse, die schliesslich zu 
Grunde gehen. Dabei ist zu bemerken, dass die Anfangsstadien der 
Veränderungen nicht allein bei den jüngsten, sondern auch bei den 
älteren Embryonen gefunden werden; die Endstadien kommen 
dagegen ausschliesslich bei den älteren Embryonen vor, so dass 
wohl alle von der Veränderung befallenen Zellen absterben, aber 
nicht alle zu gleicher Zeit in demselben Stadium der Degene- 
ration gefunden werden. 

Der Vorzug dieses Objectes besteht in der Grösse seiner 
Zellen, der genau zu controllirenden Aufeinanderfolge der Phasen 
und besonders in dem Umstande, dass die Zellengrenzen sehr 
lange deutlich erhalten bleiben; während dies beim Follikelepi- 
thelsehwund im Kaninchenovarium nicht der Fall ist. Um sich von 
der Natur der beschriebenen chromatin- oder nicht chromatin- 
haltigen Kugeln zu überzeugen, sind feine Schnitte durch die ver- 
schiedenen Entwickelungsstadien der Linse, die in Sublimatessig- 
säure gehärtet und mit Hämatoxylin gefärbt in Lack eingeschlossen, 
genügend. Am elegantesten und durchaus leicht anzufertigen 
sind Präparate, die man am 23. Tage, wenn die Linse sich 
abschnürt, von der vor dem Auge gelegenen Epidermis und dem 
Linsenstiel erhält. Man umschneidet oberflächlich die Haut des 
Auges bei einem gehärteten und gefärbten Embryo und hebt 
mit einer feinen Nadel das Präparat ab, von dem noch die mit- 
gerissene Linse entfernt wird; der Rest wird in verdünntem Gly- 
cerin eingeschlossen. Dann zeigen sich in dem, mikroskopisch 
betrachtet, grossen Präparat Degenerationserscheinungen nur in 
der Linsengegend, und alle Stadien der Veränderungen können 
mit der grössten Einfachheit als in den Zellen ablaufend erkannt 
werden. Die Zellengrenzen des Eetoderm und des Linsenstieles 
sind an den Sublimatessigsäurepräparaten ganz scharf, und nirgend- 
wo entsteht ein Zweifel, ob die veränderte Zelle noch den Werth 
einer Zelle habe, wie das beim Kaninchenovarium gar zu oft der 
Fall ist. Bei der Entwickelung der Lachslinse gehen somit ge- 
wisse Zellen auf folgende Art zu Grunde. Es entsteht neben 
dem Kern eine kleine und im Vergleich zum Protoplasma dichtere 
Kugel, worin bei fortschreitendem Wachsthum ein oder auch 


Zur Rückbildung embryonaler Anlagen. 693 


mehrere gefärbte Körner auftreten. Der Farbenton dieser Körner 
ist gesättigter, als der des Chromatins der meisten Kerne und 
wird nur erreicht von den Chromatinschleifen während der Mitose. 
Durch Vermehrung der Kugeln wird der Kern verdrängt, einge- 
drückt; die Zelle wird gedehnt, bis sie durch Druck zu Grunde 
geht. Das Chromatin der Kugeln, die neben dem Kern auftreten, 
wird später vacuolisirt und nimmt dabei oft Hufeisenform an, 
wie in Fig. 39 und 46, oder es zersplittert in der Kugel (siehe 
Fig. 46). Die Zelle platzt schliesslich und geht zu Grunde; als 
Endstadien findet man geschrumpfte Kerne, kleine Kugeln mit 
und ohne Chromatin. 

Beim Epithelschwund im Eifollikel des Kaninchen kommen 
aber, wie wir zeigen konnten, neben den von Flemming be- 
schriebenen Veränderungen auch solche, wie in den schwindenden 
Epithelzellen der entstehenden Lachslinse vor. Man braucht nur 
die Figuren 41 und 455, d, g und weiter 42 und 45 f, hundi 
mit den vom Lachs gegebenen Stadien der Reihe nach zu ver- 
gleichen. Von der Vacuolisirung der Chromatinkugeln in beiden 
Objeeten genügen vom Lachs Fig. 539 und vom Kaninchenovarium 
Fig. 44 zur Vergleichung. 

Ueber einen Theil dieser Erscheinungen ist auch bei der 
Beschreibung der Linsenentwickelung von Rabl!) und mir?) be- 
richtet worden. Rabl legt den Einlagerungen in den Zellen 
nur eine untergeordnete Bedeutung bei und spricht sich über den 
Vorgang beim Kaninchen folgendermaassen aus: ‚Schon zur Zeit, 
wenn die Einstülpungsöffnung noch sehr weit ist, bemerkt man 
in den Zellen, welche die Oeffnung begrenzen, einzelne, stark 
liehtbreehende homogene Körner; dieselben verhalten sich gegen 
Färbemittel ganz so wie die chromatische Substanz der Kerne, 
sind aber von dieser leicht zu unterscheiden, da sie ganz ausser- 
halb der Kerne liegen. Ich glaube nicht, dass sie auf den Zer- 
fall von Kernen zu beziehen sind, sondern halte sie für Zellein- 
lagerungen oder Zellproducte mehr secundärer Art.“ 

Rabl hat den Vorgang als einen solchen aufgefasst, der 
zwar zum Untergang von Zellen führt, aber mit der von Flem- 
ming geschilderten Chromatolyse nicht in Zusammenhaug ge- 


1) Zeitschrift für wissenschaftl. Zoologie Bd. 65, pag. 307 und 
Bd. 67, pag. 5. 
2) Entwicklungsgeschichte des menschlichen Auges. 


694 M. Nussbaum: 


bracht werden kann. Meine Untersuchungen hatten mich gleichfalls 
(lavon überzeugt, dass hier ein wirklicher Degenerationsvorgang 
vorliege. Da aber die mir damals gestellte Aufgabe keine weitere 
Veranlassung bot, den beiläufigen Fund zum Gegenstand einer 
besonderen Untersuchung zu machen, so deutete ich die mir be- 
kannt gewordenen Erscheinungen im Sinne Flemming's. 
Weder Rabl noch mir ist aber zu jener Zeit die ganze Folge 
der Veränderungen bekannt geworden. Die ersten Veränderungen 
gehen nicht vom Kern aus, sondern von einem Körper, der neben 
dem Kern gelegen ist. Da mir dies erste Stadium, vgl. Fig. 35, 
früher entgangen ist, so war mir nicht aufgefallen, dass um diese 
Zeit und auch später noch, vgl. Fig. 36 und 37, der Kern mit 
Bezug auf seinen Chromatingehalt noch nicht verarmt oder deut- 
lich verändert ist; ich schloss aus Bildern wie Fig. 38 und 39, 
wenn der Chromatinschwund des Kernes schon deutlich geworden 
war, entsprechend den durch Flemming begründeten An- 
schauungen jener Zeit, dass das Chromatin nicht nur aus dem 
Kern geschwunden, sondern in die Nebenkerne übergetreten sei. 
Diese Auffassung kann aber nicht festgehalten werden. Wenn 
ich auch nieht nachweisen kann, wie die färbbare Substanz in 
den verdichteten protoplasmatischen Kugeln sich entwickelt, ver- 
mehrt und theilt, so entsteht sie doch unabhängig vom Kern. 
Die Schrumpfung des Kernes und die Abnahme seines Chroma- 
tins tritt erst später auf. 

Bei dem heutigen Stande unserer Kenntnisse vom Aufbau 
der Zelle könnte man daran denken, dass das ÜCentrosom 
hierbei in Frage käme. Dies zu entscheiden ist mir an meinen 
Objecten nieht gelungen; da die Centrosomen nur als feinste 
gefärbte Punkte in solchen Zellen erschienen, wo an der achro- 
matischen Spindel die Pole noch nieht abgeplattet waren, und die 
Chromatinschleifen im Aequator der Spindel Jagen. In den ruhen- 
den Kernen waren COentrosomen nicht zu erkennen. Vielleicht 
ist aber entweder mit verbesserten Methoden an diesem Object, 
oder auch an geeigneterem Material eine Aufklärung möglich; wie 
man ja auch den Nebenkern der Hoden und Drüsenzellen mit 
der Zeit in Beziehung zum Centroson und seiner Sphäre gebracht 
hat. Dann würde in unserem Falle die Degeneration der Zelle 
von einer Hypertrophie mit nachfolgendem Zerfall des Neben- 
kernes eingeleitet werden. 


Zur Rückbildung embryonaler Anlagen. 695 


Mit Bezug auf die Schilderung des Zellenzerfalles in den 
vergänglichen Papillen der Conjunctiva selerae des Hühnerembryo 
würde man vor Allem die Thatsache hervorzuheben haben, dass 
es sich ohne jeden Zweifel um Degenerationsvorgänge in diesem 
Falle handelt; da man das Entstehen und Vergehen der Papillen 
genau verfolgen kann. Als weiterer besonderer Vorzug dieses 
Objeetes, den es mit der Fischlinse gemein hat, muss der Um- 
stand betont werden, dass die Zellen als solehe, auch wenn die 
Erscheinungen des Zerfalles beginnen, noch lange erhalten 
bleiben, so dass man über die Natur des Vorganges nicht ge- 
täuscht werden kann. Auch hier beginnt die regressive Meta- 
morphose mit dem Auftreten einer verdichteten Protoplasmakugel 
neben dem Kern (Fig. 28 u. 29), der selbst nicht verändert ist. 
Die Protoplasmakugel wächst, und in ihr treten (Fig. 31) ein 
oder zwei färbbare Körner auf. (Als Farbstoffe wurden wie auch 
bei den anderen vorher geschilderten Objecten, Hämatoxylin, 
Safranin und M. Heidenhain‘s Gemisch benutzt). Die Zahl 
der Kugeln nimmt unter Verdrängung des Kernes und Vergrösse- 
rung der Zelle zu; es ist wahrscheinlich, dass sie durch Theilung 
aus der ursprünglichen Kugel entstehen, da sie kleiner sind und 
nur ein färbbares Korn enthalten; ausserdem treten feine durch 
Osmiumsäure geschwärzte Körnchen in dem Zellprotoplasma auf, 
die mit den durch Osmiumsäure stark gebräunten festen Kerm- 
bestandtheilen und den färbbaren Körnern der Kugeln, vom 
Ss. Tage an, den Papillen den tiefdunklen Farbenton im Gegen- 
satz zur Umgebung verleihen (vergl. Fig. 2.) Schliesslich platzen 
die Zellen und entleeren ihren Inhalt an die Oberfläche der 
Papillen als Detritus, worauf dann der gänzliche Schwund des 
nur kurze Zeit bestehenden Gebildes erfolgt. 

Ganz vor Kurzem sind mehrere Beobachtungen über Rück- 
bildung von Zellen erfolgt, die wahrscheinlicherweise zu dem 
hier geschilderten Process in näherer Beziehung stehen. Da die 
Veröffentlichung der betreffenden Abhandlungen aber erst nach 
dem Absehluss meiner Untersuchungen erfolgte, und mir somit 
keine Gelegenheit zur Nachuntersuchung geboten war, so werde 
ich an anderer Stelle später darauf zurückkommen. Es erübrigt 
hier noch eine Besprechung anzuschliessen, über die etwaige 
Bedeutung der vergänglichen Papillen, die sich für wenige Tage 
in der Conjunctiva sclerae des Hühnerembryo vorfinden. 


696 M. Nussbaum: 


Wie die voraufgehende Beschreibung dieser Bildungen er- 
giebt, betheiligt sich an ihrem Aufbau vorzugsweise das Eeto- 
derm; in ganz wenigen Fällen geräth auch das Mesoderm unter- 
halb der Papillen in Wucherung und dringt auf kurze Strecken 
in das massige Ectoderm ein. Der Gedanke an rudimentäre 
Schuppen- oder Federbildung lag somit recht nahe. Da es aber 
auf der Sclera des Hühnerembryo zu keiner wirklichen Feder- 
bildung kommt, so werden auch nur die ersten Stadien der 
Federentwicklung zum Vergleich herangezogen werden können. 


IY: 
Die erste Anlage der Vogelfeden. 

Ueber die ersten Anlagen der Vogelfeder liegt zur Zeit, 
soviel mir bekannt geworden, als neueste Untersuchung die Ar- 
beit Maurer’s aus dem Jahre 1892 vor. 

Maurer bildet einen senkrechten Schnitt durch die Nacken- 
haut eines Hühnerembryo vom 8. Brütetage zur Demonstration 
der ersten Federanlage ab. Für ein späteres Stadium wählt er 
einen gleichen Schnitt vom 10. Brütetage. Verfolgt man die 
Federentwieklung makroskopisch vom ersten Anfange an am 
unversehrten Embryo, so erkennt man, dass sie vom Rücken 
aus nach dem Nacken zu vorschreitet. Genauere topographische 
Angaben gehören nicht hierher. Es ist aber wichtig hervorzu- 
heben, dass man an Längsschnitten die Stadien der Entwicklung 
hintereinander gelegen findet; kopfwärts die jüngsten. Dies 
ist, wie es scheint, bisher übersehen worden; wenigstens kann 
es Maurer nicht aufgefallen sein. Sodann ist es nicht gleich- 
gültig, welche Flüssigkeit zur Erhärtung der Haut verwandt 
wurde. Beim Einbetten verzieht sich leicht das Hautstück, so- 
dass senkrechte Schnitte schwerer als bei glatt liegenden Prä- 
paraten gewonnen werden können. 

Da Maurer über die Art der Conservirung der von ihm 
benutzten Embryonen keine Angaben macht, so kann ich nur 
über meine eigenen Erfahrungen in Betreff dieses Punktes be- 
richten. So werthvoll beim Studium der Lachsembryonen gerade 
die Sublimatessigsäure ist, so unbrauchbar ist sie geradezu beim 
Hühnehen. Die Haut wird gerunzelt und in dem Eetoderm jede 
Zellgrenze undeutlich. Dagegen leistet die Vorbereitung in 
Flemming’scher Lösung Vorzügliches. Die Haut bleibt glatt, 


Zur Rückbildung embryonaler Anlagen. 697 


die Zellgrenzen sind überall deutlich; die Kernstrueturen sind 
mit Hülfe von Safraninfärbung gut darstellbar. Der Nach- 
theil der Sublimatpräparate, wegen der Runzelung der Haut nicht 
überall senkrechte Schnitte erhalten zu können, fällt bei den 
Präparaten aus Flemming’scher Lösung weg; ebenso die 
Verzerrung von Hautstücken aus Sublimatessigsäure während der 
Vorbereitung zum Einbetten in Paraffın. 

Maurer beschreibt nun als erste Anlage der Vogelfeder 
eine Coriumpapille, über die das Eetoderm (die Epidermis 
Maurer) zumeist glatt und unverändert fortziehe. Die darauf 
folgende Verdickung des Eetoderm beruhe auf einer Vermehrung 
der intermediären Zellenlage, die naturgemäss von der tiefsten 
Epithellage aus stattfinde (pag. 747). Die Zellen dieser tiefsten 
Lage nähmen aber niemals eine hohe Pallisadenform an, sondern 
glichen stets völlig den Zellen der tiefsten Lage der angrenzenden 
Epidermis (ebenda). 

In einem etwas späteren Stadium wird nach Maurer die 
Lederhautpapille höher. Das Bindegewebe wuchert; es ist unge- 
mein zellenreich und enthält ausser dem weiten und mächtig 
entfalteten Bluteapillarnetz auch deutlich Nervenfasern. Die Papille 
steht nicht mehr senkrecht, sondern ist schräg geworden; das 
Epithel an der oberen Fläche ist dieker geworden, als das an 
der unteren Fläche der umgebogenen Papille. — Nachdem sich 
mir gezeigt hatte, dass an verschiedenen Körperstellen die ein- 
zelnen Stadien der Federentwicklung eine bestimmte, an die Oert- 
lichkeit gebundene, regelmässige Aufeinanderfolge bieten, legte 
ich mehr Werth auf die Vergleichung der Anlagen einer zuvor 
mit der Lupe genau durchmusterten Gegend der Haut ein und 
desseiben Embryo, als auf die Durchmusterung verschiedener 
Hautstücke ungleich alter Embryonen und gebe in Fig. 25 einen 
Längsschnitt durch die Nacken- und Rückenhaut eines 8 Tage 
alten in Flemming'’scher Lösung conservirten Hühnerembryo. 
Die Nackenregion liegt in der Figur nach oben. Bei den 
schwachen Vergrösserungen treten die Zellen nur als feine Punkte 
hervor. Das Eetoderm ist gleichförmig schwarz in der Figur 
gehalten; im Corium der Haut sind die im Präparat als feine 
gefärbte Pünktchen sichtbaren Kerne der Zellen mit dem Zeichen- 
prisma möglichst genau in ihrer Zahl und Lage eingetragen 
worden; ebenso die Umrisse der sichtbaren Blutgefässe des Corium, 


698 M. Nussbaum: 


An diesem Schnitt fällt es auf, wie das Eetoderm und Meso- 
derm, je mehr man der Zone der ausgebildeten Federpapillen sich 
nähert, beide in ihren Zellen einen lebhaften Vermehrungsprocess 
aufweisen. Die obere Nackenregion hat eine dünne Eetoderm- 
decke, die sich nach abwärts zu in eigenartiger Weise unter 
Arcadenbildung verdickt, bis sie in der Gegend der unteren deut- 
liehen Federpapille über der Mitte der Papille höher erscheint 
und auch etwas in die Coriumpapille eingesenkt, während sie 
zwischen den Papillen b und e zwar nicht so niedrig als in der 
Nackengegend, aber doch merklich niedriger als auf der Höhe 
der Papillen ist. 

Untersucht man das Eetoderm auf Flächenbildern von ver- 
schieden alten Embryonen, so zeigt sich, dass schon gegen 
den siebenten Tag eine zweischichtige Lage von Zellen vor- 
handen ist, und dass in beiden Lagen noch Mitosen gefunden 
werden. Dabei vermehren sich nicht allein die Zellen vom 
siebenten bis gegen den zehnten Tag, sie nehmen auch an Grösse 
zu, wie ein Vergleich der beiden bei gleicher Vergrösserung ent- 
worfenen Flächenbilder vom sechsten (6'/,) Tage in No. 17 und 
neunten (9'/,) Tage in Fig. 18 ohne Weiteres ergiebt. Die Zeich- 
nungen sind mit Hülfe der Camera durch Projeetion der höheren 
Lagen auf die zuerst copirte tiefere Lage von Zellen angefertigt. 
Durch verschieden dunkle Tönung ist die Lage der Kerne an- 
gedeutet; die tiefste Lage ist am dunkelsten gehalten. Nur die 
Grenzen der äussersten Lage sind angegeben. In Figur 17, von 
der in Flemming’scher Lösung eonservirten Rückenhaut eines 
6 Tage 15 Stunden alten Hühnerembryo, ist eine Stelle seitlich 
zu den nahe der Mittellinie schon vorhandenen Federanlagen 
dargestellt, aber auf der linken Seite oben und unten nicht alle 
Kerne der tieferen Lage eingezeichnet. Es sind nur zwei Zellen- 
lagen vorhanden; in zwei Zellen der oberen Lage sind die Kerne 
in Mitose begriffen. Fig. 15 ist in gleicher Weise nach einem 
Präparat eines in Flemming scher Lösung eonservirten 9 Tage 
15 Stunden alten Hühnerembryo entworfen und stellt das Epithel 
dar, wie es auf einer jungen Federpapille vorkommt. Auch hier 
sind nicht alle Zellen der tieferen Lagen gezeichnet, sodass blos 
das Mittelfeld eine genaue Vorstellung über die Anordnung der 
Zellen zu geben im Stande ist. Es sind hier drei Lagen von 
Zellen vorhanden; auf eine Zelle der Oberfläche kommen zwei 


Fur Rückbildung embryonaler Anlagen. 699 


der mittleren Lage; in das Areal der oberen Zelle ragen dann 
noch zwei Zellen, die zum Haupttheil unter benachbarten Zellen 
der Oberfläche gelegen sind, hinein; von Zellen der dritten, tiefsten 
Lage, im Bild am dunkelsten gehalten, weil sie höher sind, als 
die übrigen, kommen hier auf die eime mittlere Zelle der ober- 
flächlichen Lage fünf, und noch vier ragen zum Theil in ihren 
Bezirk hinein. An weiter abwärts gelegenen Theilen der Rücken- 
haut desselben Embryo lassen sich derartige Flächenbilder nicht 
mehr gewinnen, weil beim Abheben der Haut die dieken Feder- 
papillen undurchsichtig bleiben. Aus den Flächen-Bildern und 
den an Quer- oder Längsschnitten der Haut sich ergebenden 
lässt sich mit Sicherheit folgern, dass zur Zeit der ersten Stadien 
der Federentwieklung zwei Zellschichten des Eetoderm vorhanden 
sind, von denen jede vermehrungsfähig ist. So liegt in Fig. 19, 
21, 23 und 26 je eine Mitose in der oberflächlichen Schicht, 
in Fig. 20 und 22 finden sich Mitosen in der tieferen Sehicht, 
die namentlich auf der Höhe der Federpapillen bedeutend länger 
ist, als an den anderen papillenfreien Stellen der Haut. Die 
intermediäre Schieht entsteht somit zu einer Zeit, wo noch beide 
schon vorhandenen Zellenlagen des Eetoderm sich mitotisch ver- 
mehren. Es ist gar nicht ausgeschlossen, dass sie zum Theil 
von der oberflächlichen Schicht gebildet wird, und dass sogar 
durch Verschiebung ihre Zellen in die untere Epithelschicht einge- 
reiht werden. Sie ist nicht an allen Stellen ziemlich weit ent- 
wickelter Papillen nachzuweisen, und wo sie fehlt, wie in Fig. 
19, kommen in der äusseren Epithelschieht Stellungen getheilter 
Zellen vor, die ebenso gut eine Verschiebung in der Fläche, als 
nach der Tiefe zu einleiten könnten. In Fig. 20 ist die inter- 
mediäre Schicht ebenfalls nicht eontinuirlich; man kann aber 
aus diesem Bilde nicht ohne Weiteres eine Betheiligung der 
äusseren Epithelschicht an ihrer Bildung nachweisen. Mir scheint 
die intermediäre Schicht ein Zwischenstadium unfertiger Lage- 
rung schnell durch Vermehrung entstandener Zellen zu sein, ohne 
dass ihr eine besondere Bedeutung als einer selbständigen Schicht 
zukäme, sonst müssten ihre Zellen regelmässiger gelagert und 
zahlreicher sein, als sie sind. Wenn später die Papillen wachsen, 
wird ihr Epithel wie die ganze Epidermis mehrschichtig; es tritt 
ein neuer Wucherungsprocess ein, der nach aussen verhornte 
Epithelien und gegen den bindegewebigen Kern der frei aus der 


TOO M. Nussbaum: 


Haut hervorragenden Federanlage wulstige, in Rosettenform an- 
geordnete Verdiekungen liefert. Diese Erscheinungen zu be- 
sprechen, geht aber über die hier zu ziehende Grenze der Unter- 
suchung hinaus. Es gilt zwischen der ersten Anlage der Pa- 
pillen der Selera und der ächten Federn Vergleichungspunkte 
aufzufinden, die naturgemäss auf die ersten Stadien beschränkt 
sein müssen, da die Selerapapillen wieder vergehen, ehe sie eine 
definitive Ausbildung erlangt haben. 

Die ersten Veränderungen des Eetoderm, die zur Anlage 
von Federn führen, bestehen somit in einer Verlängerung der 
unteren Zellschieht, Vermehrung sowohl in ihr als der äusseren 
Zellenlage und im Auftreten einer diseontinuirlichen intermediären 
Schieht. Die stark verlängerten Zellen der tiefsten Sehieht 
nehmen mit dem Fortschreiten der Entwicklung an Länge wieder 
ab. Die anfängliche Verlängerung der Zellen auf den Papillen 
ergiebt sich aus einem Vergleich des Eetoderm der Lider vom 
neuntägigen Hühnerembryo an einer papillenfreien (Fig. 6) und 
einer papillentragenden Stelle (Fig. 19). 

Studirt man die mit den Veränderungen des Epithels gleich- 
zeitig erfolgenden Umwandlungen und Neubildungen im Binde- 
gewebe, so ergiebt sich an der Hand der beigegebenen Abbil- 
dungen das Folgende. 

An der Rückenhaut des achttägigen Hühnerembryo (Fig. 25) 
ist in der Nackenregion unter dem Eetoderm eine von spärlichen 
Zellen gebildete mesodermale Unterlage, in der Corium und sub- 
eutanes Bindegewebe noch nicht unterschieden sind. Das Meso- 
derm wird von Blutgefässen und an Flächenpräparaten in Flem- 
ming scher Lösung conservirter Embryonen auffallend deutlich 
sichtbaren Nervenplexus und -Fasern durchzogen. Die weiter 
gegen den Rücken zu gelegenen Abschnitte des Präparates zeichnen 
sich vor Allem dadurch aus, dass die unter dem Eetoderm ge- 
legenen Partien zellenreicher werden, entsprechend den Arcaden 
des Eetoderm in verschieden weiten Abständen sich vorbauchen 
(Fig. 22 u. 26) und so in Gegensatz zu den tieferen Lagen des 
Mesoderm gerathen, die wie in der Nackenregion zellenarım 
bleiben. Es entsteht somit, wenn im Nacken noch keine Diffe- 
renzirung eingetreten ist, am Rücken schon Corium und subeu- 
tanes Bindegewebe. Während die Zellen des Mesoderm sich 
vermehren, haben sie schon Fibrillen gebildet gehabt, wie siclı 


Zur Rückbildung embryonaler Anlagen. 701 


aus den einzelnen Zellen der Fig. 47 ergiebt. Es tritt aber 
später eine eigene Umwandlung dieser Zellen auf, wenn im 
Corium dieht unter dem Eetoderm die Vermehrung so schnell 
vorschreitet, dass an einzelnen Stellen diehte Haufen von Binde- 
gewebszellen auftreten. Die Zellen platten sich dann nach Art 
von Epithelien gegen einander ab und liefern Bilder, wie sie 
in Fig. 23 und 24 sich finden. In Fig. 23 ist die ganze Dicke 
der Papille mit der oberen Schicht des Unterhautbindegewebes 
in einem kleinen Ausschnitt wiedergegeben, um den Unterschied 
der Zellen, wenn sie zur Bildung der Papillen sich anhäufen, 
gegen ihre frühere Gestalt, die sie auch dann noch im Unter- 
hautbindegewebe beibehalten, zu zeigen. Die Zunahme der Binde- 
gewebszellen von der Halsgegend (Fig. 21) gegen den Rücken 
abwärts (Fig. 22) ist so auffallend, dass sie keiner weiteren Be- 
schreibung bedarf; ich betone besonders den Umstand, dass die 
Zellen durch Mitose sich vermehren, wenn sie schon histogenetisch 
sich bethätigt haben, wie ich dies zuerst für die Drüsenzellen 
des Pankreas nachgewiesen habe '.. Wird die Vermehrung, wie 
es in der That geschieht, geradezu überstürzt, so hört für eine 
Zeit lang die Gewebebildung ganz auf, und es entstehen in 
den schwellenden Papillen Zellenlagen, die ganz den Eindruck 
von Epithelien machen. 

Die Entstehung der Papillen erfolgt also bei der ersten 
Anlage der Federn durch eine gleichzeitige Reaction im Epithel 
und Bindegewebe; das folgende Stadium, die Hervorwölbung der 
Papille über die Haut, geht vom Bindegewebe aus, während die 
definitive Ausgestaltung der Feder nicht allein vorzugsweise dem 
Epithel zufällt, sondern auch von theilweisem Schwund des 
Bindegewebes begleitet ist. 

Nach dem Gesagten bleibt zwischen der Entstehung der 
Papillen der Conjunetiva selerae der Hühnerembryonen und den 
ersten Anlagen der Federn ungemein wenig Aehnlichkeit übrig. 
Vor Allem betheiligt sich das Bindegewebe nicht in der Weise 
bei den Selerapapillen wie bei der Bildung der Federn; da nur 
in vereinzelten Fällen der massive epitheliale Propf der Selera- 


1) Dieses Archiv Bd. 21, pag. 335 und Taf. 18, Fig. 44. In der- 
selben Abhandlung habe ich auch nachgewiesen, dass das Pancreas 
des Salamanders aus Schläuchen bestehe; auch sind dort intraepi- 
theliale Drüsen beschrieben und abgebildet. 

Archiv f. mikrosk. Anat. Bd. 57 46 


702 M. Nussbaum: 


papillen einen Bindegewebskern enthält. Es muss somit vor- 
läufig unentschieden bleiben, ob in den vergänglichen Papillen 
der Conjunetiva scelerae des Hühnerembryo Bildungen vorliegen, 
wie sie dem fertigen Individuum zukommen, oder ob es nur An- 
deutungen von Organen seien, welche in der Phylogenie weit 
zurückliegen und bei der untersuchten Klasse gar nicht zur Aus- 
bildung gelangen. Es wäre aber auch möglich, dass die schon 
bald nach dem Erscheinen der Anlagen auftretende Zellen- 
degeneration auf der Conjunetiva sclerae des Hühnerembryo 
Formen schafft, wie sie in ausgewachsenen Thieren niemals exi- 
stirt haben. 


Erklärung der Abbild. auf den Tafeln XXXV-XNXVI. 


Tafel XXXV. 


Fig. 1. Vordere Augenhälfte eines in Sublimatessigsäure gehärteten 6 
Tage 20 Stunden alten, bei 40° C. erbrüteten Hühnerembryo. 
Ansicht von aussen; die inneren Theile schimmern dureh. a= 
Anlage des Augenlidwulstes; d—= drittes Lid; ce = Chorioidal- 
spalt; d=eine Sclerapapille, deren drei auf der temporalen 
und zwei auf der nasalen Seite des Präparates sich finden; 
e=der laterale oder oceipitale Theil des hier weiter als auf 
der frontalen Seite entwickelten Corpus ceiliare; @©= die durch- 
schimmernde Linse; o = das erhaltene laterale Gefäss im Be- 
reich des vorderen Bulbusabschnittes. (Bei vierfacher Lupen- 
vergrösserung in Tischhöhe mit der Camera entworfen.) 

Fig. 2. Vordere Augenhälfte eines in Flemming’scher Lösung ge- 
härteten 7 Tage 22!/, Stunden alten, bei 40% C. erbrüteten 
Hühnerembryo. Nur die Linsengegend © schimmert durch. 
a—= Lidwulst; b= Anlage des dritten Lides. Es sind vierzehn 
Papillen auf der Scelera vorhander. (Vergr. wie bei Fig. 1.) 

Fig. 3. Dasselbe Präparat bei gleicher Vergrösserung wie die vorigen 

von einem 10 Tage 14 Stunden alten, bei 40° C. erbrüteten 
Hühnerembryo. 5=drittes Lid, e= noch unbedeckter Theil 
der Cornea und Sclera; h = Federanlagen am medialen Theile 
des unteren Lides, Flemming’sche Lösung. Vergr. wie bei 
den beiden vorigen Präparaten. 

4. Schnitt durch eine Papille der Conjunctiva sclerae eines 6 Tage 

20 Stunden alten, bei 40° ©. erbrüteten Hühnerembryo. Sublimat- 
essigsäurepräparat. Vergr. Leitz 7, Oc. 2. 


Fig. 


104.17: 


or 


Ne) 


10: 


Bao: 


. 14. 


15. 


e. 16. 


218. 


Zur Rückbildung embryonaler Anlagen. 7103 


Schnitt durch eine Papille der Conjunctiva sclerae eines 7 Tage 
alten, bei nicht ganz constanter Temperatur (zwischen 38° und 
40° ©. schwankend) erbrüteten Hühnerembryo. Härtung in 
Flemming'’scher Lösung. Vergr. Leitz 7, Oe. 2. 

Nicht verdickte Lidhaut vom 9 Tage alten, bei einer zwischen 
38,50 und 40° C. schwankenden Temperatur erbrüteten Hühner- 
embryo. Flemming’sche Lösung. Vergr. Leitz homog. 
Immers. Y/;e, Oe. 2. 

Aus der Peripherie der in Fig. 4 abgebildeten Sclerapapille. 
Vergr. Leitz homog. Immers. 1/, Oe. 2. 

Die Conjunctiva sclerae desselben Präparates in einiger Ent- 
fernung von der Papille. Vergr. Leitz homog. Immers. 1, 
Ocul. 2. 

Schnitt durch die Conjunctiva sclerae eines 8 Tage 15!/, Stun- 
den alten, in Flemming’scher Lösung conservirten Hühner- 
embryo. Vergr. Leitz 7, Oe.2. Aussenfläche sieht nach links. 
Von einer anderen Stelle der Conjunctiva desselben Embryo. 
Dieselbe Vergrösserung wie in Fig. 9. Bindegewebe links. 


. Schnitt der Conjunetiva sclerae eines 9 Tage 1 Std. alten, in 


Flemming’scher Lösung conservirten Hühnerembryo. Vergr. 
Leitz 7. Oc. 2. Aussenfläche links in der Figur. 

Schnitt der Conjunctiva sclerae eines 11 Tage alten, in Flem- 
ming'scher Lösung conservirten Hühnerembryo. Vergr. 
Leitz 7, Oc. 2. Aussenfläche nach unten. 

Schnitt der Conjunctiva sclerae eines 13 Tage alten, in Flem- 
ming'scher Lösung conservirten Hühnerembryo. Vergr. 
Leitz 7, Oe. 2. Aussenfläche links wie auch in 

Ebendaher; gleiche Vergrösserung wie beim vorigen Präparat. 


Tafel XXXVI. 


Schnitt durch die Mitte einer Papille der Conjunctiva sclerae 
vom 9 Tage alten Hühnerembryo. Flemming’sche Lösung. 
Vergr. Leitz 7, Oe. 2. 

Schnitt durch die Mitte einer Papille der Conjunctiva selerae 
vom 11 Tage alten Hühnerembryo. Flemming'’sche Lösung. 
Vergr. Leitz 7, Oc. 2. Aussenfläche nach rechts gewandt. 
Flächenbild des Epithels der Rückenhaut vom 6l/, Tage alten 
in Flemming’scher Flüssigkeit gehärteten Hühnerembryo. 
Zellen der oberen Lage violett, Kerne hell, Zellgrenzen aus- 
gezogen; von der tieferen Lage der Epithelien sind nur die 
Kerne in dunkelgrauem Ton eingetragen. Vergröss. Leitz 
homog. Immers. 1/,,, Oe. 2, Tubuslänge 160 mm. 

Flächenbild des Epithels der Rückenhaut in der Gegend einer 
Federanlage von ca. 91/, Tage alten, in Flemmin g’scher 
Flüssigkeit gehärteten Hühnerembryo. Zellen der oberen Lage 
violett, Kerne hell, Zellgrenzen ausgezogen. Die direct unter 


704 


Fig. 


Fig. 


Fig. 


Fig. 


19: 


2. 24. 


M. Nussbaum: 


dieser oberflächlichen Lage befindlichen Zellkerne sind hell- 
grau, die tiefsten dunkelgrau in richtiger Projection zu ein- 
ander und zu den oberen hellen Kerne eingetragen, die Zell- 
grenzen der beiden unteren Lagen nicht eingezeichnet. Vergr. 
Leitz 1/,, homog. Immers., Oc. 2, Tubuslänge 160 mm. 
Epithel und Bindegewebe einer jungen Federanlage vom Lide 
eines 9 Tage alten Hühnerembryo. Flemming’sche Lösung, 
Safraninfärbung. Vergr. Leitz, homog. Immers. 1/, Oe. 2. 


. Aus dem Epithel und Bindegewebe einer weiter entwickelten 


Federanlage vom ca. 8 Tage alten Hühnerembryo. Flemming- 
sche Lösung, Safraninfärbung. Vergr. Leitz homog. Immers. 
ge, Oc. 2. Bindegewebiger Theil der Anlage unvollständig. 


. In Flemming’scher Flüssigkeit gehärtete Rückenhaut vom 


ungefähr 8 Tage alten Hühnerembryo. Längsschnitt aus der 
Halsgegend. 

Querschnitt der Rückenhaut aus der analwärts gelegenen Zone 
zwischen zwei Federanlagen vom 81/;, Tage alten Hühner- 
embryo. Vergr. wie bei Fig. 21, Leitz 7, Oc. 2. 


. Längsschnitt durch eine Federanlage in der Rückenhaut vom 


8 Tage alten Hühnerembryo. Flemming’sche Lösung. Vergr. 
Leitz 7, Oe. 2. 

Der oberflächliche Theil einer Federanlage vom 8 Tage alten 
Hühnerembryo bei stärkerer Vergrösserung. Leitz homog. 
Immers. 1/,,, Oe. 2. Tubuslänge 160 ınm. 

Längsschnitt durch die Nacken- und Rückenhaut eines 3 Tage 
alten Hühnerembryo, Halsregion nach oben im Bild. Vergr. 
Leitz 2. Oe.0. 

Schnitt durch eine Federanlage in der Rückenhaut der, 
Beckengegend eines in Sublimatessigsäure gehärteten Hühner- 
embryo, 6 Tage 20 Stunden alt. Vergr. Leitz homog. Immers. 
l/, Oc. 2. Tubuslänge 160. 


. Schnitt durch die Rückenhaut desselben Embryo, seitlich von 


der in voriger Figur abgebildeten Federanlage, bei derselben 
Vergrösserung. 


Tafel XXXVII. 


28—34. Degenerirende Zellen aus den Papillen der Conjunctiva 


von 7—9 Tage alten Hühnerembryonen. Präparate zu Fig. 33 
und 34 in Sublimat gehärtet, die übrigen in Flemming’scher 
Lösung; alle mit Safranin gefärbt und bei einer Vergrösserung 
von Leitz homog. Immers. !/;, Oc.4 gezeichnet. Tubuslänge 
160 mm. 


35—39. Degenerirende Zellen aus der Linsenanlage von Salmo 


salar vom 23. Brütetage. Die Präparate sind in Sublimatessig- 
säure gehärtet und mit Hämatoxylin gefärbt. Vergr. Leitz 
homog. Immers. !/j, Oe. 4, Tubuslänge 160 mm. 


Zur Rückbildung embryonaler Anlagen. 105 


Fig. 40—45. Degenerirende Zellen aus dem Follikelepithel eines säugen- 
den Kaninchen. Flemming'sche Flüssigkeit, Safranin. 
Vergr. Leitz homog. Immers. !/;,, Oc.2. Tubuslänge 160 mm. 

Fig. 45c und e bei Leitz homog. Immers. 1/;, Oe. 4, Tubuslänge 
160 mm gezeichnet. 

Fig. 46. Aus dem Epithel der vorderen Wand des Linsensäckchens 
von Salmo salar am 24. Brütetage. Sublimatessigsäure, 
Hämatoxylin. Vergr. Leitz homog. Immersion 1/,, Oe. 4, 
Tubuslänge 160 mm. 

Fig. 47. Bindegewebszellen aus der in Flemming'scher Flüssigkeit 
gehärteten Kückenhaut eines Hühnerembryo von der Mitte 
des 9. Brütetages. Vergr. Leitz homog. Immers. !/;., Oec. 2 
Tubuslänge 160 mm. 


(Aus dem anatomischen Institut zu Breslau.) 


Mittheilungen zur Entwicklungsgeschichte 
der Eidechse. 


IH. Die Schlundspalten in ihrer Anlage, Ausbildung 
und Bedeutung. 


Von 


Dr. Karl Peter, Privatdocent und Prosector. 


Hierzu Tafel XXXVIIL, XXXIX u. XL und 2 Textfiguren. 


Einleitung und Begrenzung der Aufgabe. 


Die Frage nach der Entstehung und Umbildung der Sehlund- 
spaltenderivate der Wirbelthiere hat zahlreiche Forscher be- 
schäftigt und eine bereits ziemlich beträchtliche Literatur hervor- 
gerufen. Gerade unser Object, die Eidechse, ist in dieser Hinsicht 
mit Vorliebe behandelt worden, und erst kürzlich hat Maurer 
(899) eine Arbeit erscheinen lassen, welche „Die Schilddrüse, 
Thymus und andere Schlundspaltenderivate bei der Eidechse* 
zum Thema hat. 

Ueber dem Interesse, welches man der eigenthümlichen 
Genese dieser bleibenden drüsigen Organe entgegenbrachte, trat 


706 Karl Peter: 


aber die Beobachtung der Anlage und Ausbildung der Kiemen- 
taschen selbst sehr in den Hintergrund. Nur der Punkt, ob sich 
dieselben nach aussen öffnen oder geschlossen bleiben, war öfters 
Gegenstand der Discussion, sonst werden diesen vergänglichen 
Gebilden nur beiläufige Bemerkungen gewidmet. Diese Lücke 
für ein Wirbelthier wenigstens auszufüllen, sollen die vorliegenden 
Zeilen versuchen; dass dabei die Angaben über die Entwicklung 
der oben genannten Drüsen controlirt werden mussten, wird wohl 
nicht als Fehler der Arbeit empfunden werden. 

Hauptsächlich verfolgte ich den Zweck, mir Klarheit über 
die erste Entstehung der Schlundtaschen des Darmes 
und Schlundfurchen der äusseren Haut zu verschaffen, um die 
Betheiligung der beiden Keimblätter, des Ektoderms und Ento- 
derms an diesen Bildungen festzustellen. Es würde sich dabei 
erkennen lassen, welches Gewebe den ersten Anstoss zur Bildung 
der Kiementaschen giebt; dadurch wäre die Möglichkeit geboten, 
den Begriff der Schlundtasche scharf zu umgrenzen und eine 
derartige Einstülpung von anderen Divertikeln zu trennen. 
Weiterhin lässt sich dabei über die Zahl der Kiementaschen 
von Lacerta, welche immer noch nicht fest ermittelt ist, — 
gerade Maurer’s oben eitirte Arbeit macht darüber abweichende 
Angaben —, Kenntniss erlangen. 

Untersuchungen, welche speciell die Antheilnahme der beiden 
Keimblätter an der Bildung der Schlundspalten zum Gegenstand 
haben, stehen noch aus; daher werden dem Ektoderm und Ento- 
derm von den Autoren verschiedene Rollen zuertheilt. Entweder 
überträgt man dem Darmdrüsenblatt allein ihre Entstehung oder 
man spricht diesem dieselbe Bedeutung zu wie dem Hautblatt. 

Eine entodermale Tasche wird von allen Forschern 
angenommen: schon Remak (855) sah beim Hühnchen sich 
eine Ausbuchtung des Darmes bilden und an das Ektoderm an- 
legen, eine Angabe, die von Kölliker (879) übernommen 
wurde und seitdem in den Lehrbüchern Platz gefunden hat. 
Nicht so übereinstimmend wird die Entstehung der äusseren 
Schlundfurchen beurtheilt; Minot (894) führt ihre Genese 
auf ein Festgehaltenwerden der mit dem Entodern verschmolzenen 
Ektodermpartien bei der Ausbildung der Kiemenbogen zurück. 
His (887) dagegen lässt diese Rinnen selbständig in die Tiefe 
gelangen, ohne Vermittlung des Darmes: „Die anfangs breit 


Mittheilungen zur Entwicklungsgeschichte der Eidechse. 707 


angelegten Falten [des Darms] verschmälern sich und ihnen be- 
gsegnen bald von aussen her kommende Ektodermfalten.* Auch 
Kaschtschenko (887) glaubte Rinnen am Kopf des Hühn- 
ehens, die er am 2. und 3. Tage vor den Kiemenfurehen und 
parallel mit denselben laufend beobachtete, als rudimentäre Schlund- 
furchen bezeichnen zu können. Für die Eidechse giebt Hoff- 
mann (886) an, dass den ersten beiden Kiementaschen blinddarm- 
förmige Einbuchtungen des Epiblasts entgegenwüchsen. 

Es geht aus diesen wenigen Literaturangaben deutlich her- 
vor, dass man sich über die Bedeutung des äusseren Keimblatts 
bei der Bildung der Schlundtaschen noch nicht im Klaren ist, 
und doch ist es wichtig, von der Antheilnahme der beiden Epi- 
thelien genaue Kenntniss zu besitzen: His (881) hat darauf 
schon mit folgenden Worten hingewiesen: „Für die Umbildungs- 
producte wird es in der Folge nicht mehr genügen zu sagen, 
dass sie aus dem Epithel dieser oder jener Kiemenspalte hervor- 
gehen, vielmehr wird nachzuweisen sein, ob sie der ektodermalen 
oder der entodermalen Anlage entstammen.“ 

Dies zur Rechtfertigung der nachfolgenden Untersuchungen. 

Dringender als beim Studium anderer Organe fühlte ich 
hier die Nothwendigkeit, mir durch eine Anzahl von Platten- 
modellen die verwickelten plastischen Verhältnisse der Sehlund- 
spalten vor Augen zu führen. Schon Kaschtschenko hatte 
dasselbe Bedürfniss empfunden und seine Methode der graphischen 
Isolirung mit Erfolg z. B. bei seinen Untersuchungen über die 
Branchialbogen des Hühnchens angewandt. So schöne Resultate 
nun diese Methode in der Hand ihres Erfinders erzielte, so ver- 
langt sie doch immer einen nicht geringen Grad von Zeichen- 
talent, das aus den Liniensystemen ein plastisches Bild auszu- 
arbeiten verstehen muss; auch ist es nöthig, dass das Object, 
um eine gute Ansicht der isolirten Organe zu geben, in ganz 
bestimmter Richtung geschnitten sei. Beides ist nieht erforder- 
lich bei der Anwendung der Born’schen Plattenmodellirmethode; 
diese bietet noch den nicht genug zu schätzenden Vortheil, dass 
man ein körperliches Modell vor sich hat, welches von allen 
Seiten betrachtet werden kann und ungleich belehrender ist, als 
die beste Zeichnung, die nur eine Ansicht wiedergiebt. 

Allerdings erwachsen bei der Beschreibung eines Modells, 
— eine ermüdende Häufung und Wiederholung von Lagebezeich- 


708 Karl Peter: 


nungen, wie oben, vorn, seitlich ete., ist oft unvermeidlich, — und 
bei der Auswahl der zu reprodueirenden Ansichten einige Schwie- 
rigkeiten; doch was wollen solche kleine Unbequemlichkeiten 
sagen gegen die geniale Methode unseres der Wissenschaft so 
früh entrissenen Born! 

Um nun die in der Einleitung berührten Fragen zu ent- 
scheiden, lege ich vorerst eine Beschreibung verschiedener Em- 
bryonal-Stadien von Lacerta zu Grunde, welche auf den Ent- 
wicklungsgrad und die Gestalt ihrer Schlundorgane untersucht 
werden. Als Zusammenfassung der Befunde wird dann dem 
Schicksal der Kiemenspalten und ihrer Derivate ein besonderer 
kurzer Abschnitt gewidmet. Dieses specielle Kapitel giebt also 
Auskunft über Anlage und Umformung der Halsorgane und bietet 
zugleich das Material, auf dem fussend der zweite allgemeine 
Theil die Antheilnahme der einzelnen Gewebe bei der Bildung 
der Schlundspalten, der letzteren Umbildung und Zahl erläutert. 
Zum Schluss werden noch einige Bemerkungen folgen, welche 
die physiologische Aufgabe der Kiemenspalten zu erklären ver- 
suchen. 


I. Specieller Theil. 


1. Beschreibung der Stadien. 
Stadium Il. 

Ein jüngstes Stadium mit vier abgegrenzten Urwirbeln — 
eine über den Entwicklungsgrad der zu besprechenden Embryonen 
orientirende Beschreibung wird am Schlusse auch dieser Mit- 
theilung folgen — zeigt den 120 u langen mit Dotterelementen 
angefüllten Vorderdarm an seiner ganzen ventralen Fläche mit 
dem Ektoderm in Berührung. Nur kurz vor der vorderen Darm- 
pforte drängen sich einige Mesodermzellen seitlich zwischen die 
beiden Epithelien ein und beginnen daselbst das Entoderm vom 
Hornblatt abzuheben. 

Dieser Zusammenhang des Darmepithels mit dem Ektoderm 
ist also primär, das Verdauungsrohr liegt mit seinem vorderen 
Ende von Anfang an der äusseren Bedeckung auf, ohne von ihr 
durch Bindegewebe getrennt zu sein. Schon Orr (887) hatte dies 
für wahrscheinlich gehalten. Die Angabe Hoffmann’s (890), 
dass „dem blinden Ende der Kopfdarmhöhle eine Einstülpung 


Mittheilungen zur Entwicklungsgeschichte der Eidechse. 709 


der Epidermis entgegenwächst, und dadurch Epidermis und 
Hypoblast hier unmittelbar zusammenstossen,“ ist demnach als 
nicht richtig zu bezeichnen; die spätere Einziehung dieser 
Verklebungsstelle zur Mundbucht beruht ebenso wie die Ent- 
stehung der Kiemenfurchen nach Minot (s. 0.) auf geringem 
Wachsthum des betreffenden Darmabschnitts, wodurch das mit 
demselben verschmolzene Ektoderm tief eingebuchtet wird. 

Der Querschnitt des Darmlumens ist rechteckig; die schmalen 
Seitenflächen sind durch Mesodermlagen von 3—4 Zellsehiehten 
Dicke vom Hornblatt getrennt. Bis ans vorderste Ende bleibt 
diese quere Form bestehen. Die dorsal gerichteten Eeken be- 
herbergen etwas reichlichere Kerntheilungsfiguren. 


Stadium 2. 

Nur wenig weiter ist ein Embryo von 5—6 Urwirbeln ent- 
wickelt. Der 230 u lange Vorderdarm weist mehr einen klee- 
blattähnlichen Querschnitt auf, wie auf Fig. 1 zu sehen ist. Die 
ventrale Erweiterung legt sich der Epidermis an, während die 
beiden anderen Ausbuchtungen (I. ST.) nach dorsal und lateral 
schauen. Diese seitlichen Flügel sind bis ans eraniale Ende des 
Darmrohrs zu verfolgen; daselbst treten sie sogar etwas spitzer 
hervor und rücken dem äusseren Epithel ein wenig näher, als 
im eaudalen Abschnitt, von dem sie übrigens nicht scharf abge- 
setzt erscheinen. Zweifellos haben wir es hier mit einem locali- 
sirtten Wachsthum der vorderen seitlichen Theile des Entoderm- 
rohres zu thun; die vorderen Ecken desselben, wie sie bei dem 
ersten Stadium beschrieben wurden, haben sich zu langen Diver- 
tikeln ausgezogen, und auch hier deuten zahlreiche Mitosen ein 
besonders intensives Wachsthum an, welches die Ausbuchtungen 
dem Hornblatt näher zu bringen bemüht ist. Das letztere zieht 
ohne Veränderungen aufzuweisen über jene Stellen hinweg. 


Stadıum 3. 


Ein Embryo von 9 Urwirbeln lässt auf dem Querschnitt 
durch das Vorderende des Darms wieder den ventralen Zusammen- 
hang der beiden Epithelien erkennen; die breiten seitlichen Flügel 
sind zu schmalen, dorsal und lateral weit ausladenden Ausbuchtungen 
angewachsen, die sich der Epidermis bedeutend genähert haben. 
Die Verschmelzung mit derselben ist aber noch nicht erfolgt; 
ein genaueres Zusehen lehrt, dass noch Bindegewebszellen in ganz 


710 Karl Peter: 


dünner Schicht, aber in eontinuirlicher Folge die beiden Keim- 
blätter von einander scheiden. Uebrigens lässt sich auch hier an 
den Stellen des späteren Zusanımenhangs keine besondere Thätig- 
keit der Epidermis beobachten, weder in Gestalt von Furchen, 
noch von reichlicher Kernvermehrung. 


Stadium 4. 

Bei einem Exemplar von Lacerta agilis mit zehn Urwirbeln 
ist die Anlagerung des Darmdivertikels, der ersten Schlundtasche, 
an das Hornblatt erfolgt. Die beiden Keimblätter berühren sich 
(Fig. 2, I. ST.). Eine Einziehung der Epidermis in diesem Bereiche, 
eine äussere Schlundfurche, ist aber nieht wahrzu- 
nehmen, eher eine Vorbauchuug derselben durch die stark vor- 
drängende Entodermtasche. Hoffmann’s (886) Angahe von einer 
primären äusseren Furche kann ich also nieht bestätigen. 

Während die früheren Stadien nur eine einzige Ausbuch- 
tung des Darmes aufwiesen, findet sich hier hinter der ersten 
Kiementasche bereits eine Andeutung einer zweiten: ein dorsal 
und seitlich gerichtetes Darmdivertikel, das zahlreiche Karyo- 
kinesen beherbergt und dem äusseren Epithel zustrebt, ohne es 
jedoch zu erreichen (II. St.). 


Stadium. 


Das folgende Stadium von 16 Urwirbeln ist reconstruirt 
worden. Das Modell, in Fig. 3 von der rechten Seite und in 
Fig. 4 in der Rückenansicht dargestellt, lässt die Verhältnisse 
des Vorderdarmes sehr gut erkennen. Die schiefe Lage der Schlund- 
taschen ist nieht auf Ungenauigkeiten in der Reconstruction, 
sondern auf Neigung des Embryo auf die Seite zurückzuführen. 
Modellirt wurde allein das ektodermale und entodermale Epithel, 
während das Bindegewebe ausgespart wurde. 

Um den Darm von der Dorsalseite sichtbar zu machen 
(Fig. 4), ist die Rückenwand mitsammt dem Centralnervensystem 
entfernt, sodass das Eingeweiderohr mit der Chorda dorsalis frei 
vorliest. Das Vorderende des Darms, das von Anfang an mit 
dem Hormblatt in Verbindung steht, ist schmal ausgezogen. Auf 
diese kegelförmige Spitze folgen bald seitliche Ausbachtungen, 
welehe das äussere Epithel berühren. Die Ausdehnung dieser 
Verschmelzung des Darmdrüsen- und Hautblatts, — der ersten 


Mittheilungen zur Entwicklungsgeschichte der Eidechse. 711 


5) 


Kiementasche —, ist in der Seitenansicht Fig. 3 roth punk- 
tirt angegeben: es ist eine von dorsal cranial nach ventral caudal 
ziehende Linie; dieselbe ist eontinuirlich, der Zusammenhang der 
beiden Keimblätter ist auf dieser Strecke nirgends unterbrochen. 
In der durch diese Verschmelzung entstandenen Verschlussmembran 
findet sıch keine Oeffnung, dagegen ist als neue Erwerbung eine 
seichte Furche zu beachten, in welcher der Verschmelzungsbezirk 
der Schlundtasche mit dem Hornblatt liegt: die erste Andeutung 
einer äusseren Schlundfurche, von weleher noch im Beginn der 
Anlagerung nichts zu erkennen war (I. SF.). 

Auf dieses erste Divertikel des Darmrohrs folgt eine schwache 
Einziehung; diese reicht bis zu einer zweiten Ausweitung, welche 
ebenfalls mit der Epidermis verschmilzt. Die 2. Schlund- 
tasche hat das Ektoderm erreicht. Die Anlagerung beschränkt 
sich auf der rechten Seite (cf. Fig. 3) auf eine kleine Strecke, 
welche dem am meisten dorsal gelegenen Abschnitt des Ento- 
dermrohrs entspricht (dies erkennt man wieder gut in Fig. 4), 
während sie sich links weiter nach dem Herzen zu erstreckt in 
einer mit der ersten Kiementasche ventral convergirenden, eben- 
falls ununterbrochenen Linie. Auf der ersteren Seite finden wir 
also ein früheres Stadium: die Verschmelzung beginnt erst und 
lässt erkennen, dass hier der nach dem Rücken zu gelegene Theil 
der Kiementasche sich zuerst mit der Epidermis in Verbindung 
setzt, und dass die Verwachsung der beiden Epithelien von da 
continuirlich ventralwärts fortschreitet. Eine äussere zweite Schlund- 
furche kann man rechterseits nicht wahrnehmen, links dagegen 
lässt sich eine solche seichte Rinne entdecken. Indess ist dies 
nur scheinbar eine Einbuchtung: das Ektoderm ist vielmehr dorsal 
durch die verdickte Anlage der Ohrblase und ventral durch die 
bereits kenntliche Herzwölbung vorgetrieben, sodass die da- 
zwischen gelegene, nicht mit vorgewölbte Strecke einer Einsenkung 
gleicht. Sobald sieh das Gehörorgan und das Herz von der 
zweiten Schlundtasche entfernen, schwindet auch diese ver- 
meintliche Kiemenfurche. N 

Die Schlundtaschen stellen, wie die Rückenansieht deutlich 
zeigt, in diesem ersten Stadium der Anlagerung »ur unbedentende 
seitliche Ausbuchtungen des Darmrohrs vor, welches zwischen 
und hinter diesen Divertikeln durch wenige Lagen von Binde- 
gewebszellen von dem Hornblatt abgetrennt ist: es bedarf also 


7112 Karl Peter: 


keines besonders mächtigen Wachsthums, um die Entodermwand 
der Epidermis zu nähern. 


Stadium da. 

Ein Embryo, der demselben Uterus entnommen wurde, wie 
der vorige, und ebenfalls 16 Urwirbel erkennen lässt, zeigt die 
erste Schlundfurche vertieft, und die Verschlussmembran 
der ersten Kiementasche in ihrem dorsalen Theil eingerissen. 


Stadium 6. 

Weiterhin treten an der ersten Schlundtasche keine Ver- 
änderungen von Belang auf; bei einem Exemplar mit 21 Urseg- 
menten lässt sich die Verschmelzung der beiden Epithelien über 
eine grössere Strecke verfolgen, doch weist die Schlussmembran 
nur im dorsalen Theil geringe Lücken auf. 

Dagegen findet sich Kiementasche II in breiter 
Anlagerung an die Epidermis, ohne dass irgend eine Einbuch- 
tung der letzteren zu bemerken wäre; die Schlussmembran er- 
scheint im Gegentheil nach aussen vorgebuchtet. Nur mit dem 
am weitesten ventral gelegenen Punkt erreicht diese Schlundtasche 
die jetzt tiefer gewordene Längsrinne, welche die Herzanlage vom 
Hals des Embryo absetzt. Diese Furcke, deren schon früher 
Erwähnung gethan ward, wird uns noch öfter beschäftigen, da 
sie in Beziehung zur Entstehung der hinteren Schlundspalten zu 
stehen scheint; wie im allgemeinen Theil jedoch ausgeführt wird, 
ist sie für die Genese des Kiemenapparates von keiner Be- 
deutung. 

Diese Rinne kommt weiter nach hinten zu, da das Einge- 
weiderohr daselbst mehr ventral gelagert ist, den Seitenflächen 
des Darmes gegenüber zu stehen; eine kleine Erweiterung des 
Darmrohrs, die sich da bemerkbar macht, kann man als Anlage 
einer dritten Schlundtasche auffassen. 


Stadium 7. 


Ein Eidechsenembryo von 25 Urwirbeln zeigte nun hinter 
der 2. Kiementasche eine dritte Verschmelzung des Darnıs 
mit der Epidermis: die eben erwähnte seitliche Ausbuchtung hat 
sich etwas vertieft und sehr bald das hier ganz nahe liegende 
äussere Epithel erreicht. Auch für diese dritte Schlundtasche 


Mittheilungen zur Entwicklungsgeschichte der Eidechse. 713 


besteht dasselbe Verhältniss, wie für die beiden ersten, dass 
die Anlagerung des Darmdrüsenblatts an das Hautblatt keine 
grosse Divertikelbildung voraussetzt. 

Der Berührungspunkt liegt, hier nur einen kleinen Raum 
einnehmend, in der Mitte der Seitenwand des Darms und nicht 
wie bei der zweiten Tasche (Stad. 5) nach dem Rücken zu. 

Die zweite Kiementasche beginnt dorsal einzureissen; die 
erste ist in ganzer Ausdehnung eröffnet; ihre Gestalt lässt sich 
aber am besten an der Hand eines zweiten Modells, das aller- 
dings nach einem etwas älteren Stadium von 32—33 Urwirbelu 
gebildet ist, verstehen. 


Stadium ®. 


Dieses zweite Plattenmodell, das Fig. 5 in der Seiten- 
ansicht, Fig. 6 von ventral und Fig. { von dorsal gesehen 
darstellt, zeigt schon in der Seitenansicht bedeutende Fortschritte 
gegen das erste. 

Der Kopf des Embryo hat sich nach vorn gebogen und 
liegt bereits ganz der nicht mit reconstruirten Herzwölbung auf 
(Fig. 5). Er legt sich über die Unterkieferfortsätze herüber, 
sodass die mit dem Darm in Communikation stehende Mund- 
bucht eine tief einschneidende Furche darstellt; Oberkiefer- 
fortsätze sind noch nicht gebildet. 

Eine zweite Einsenkung hinter diesem Unterkiefer- 
bogen bildet die erste Kiementasche (I. SS.). Sie ist in 
ihrem dorsalen Abschnitt in einem ziemlich langen Spalt ge- 
öffnet, welcher fast in der Längsrichtung des Halses gelagert 
ist und sich mit seinem hinteren Ende nur wenig caudalwärts 
neigt. Das Lumen ist weit, die vordere Lippe biegt stärker um, 
als die flach auslaufende caudale, dem zweiten Schlundbogen an- 
gehörige. Die Spalte läuft ventral in eine geschlossene Rinne 
aus, die in stumpfem Winkel nach der Herzwölbung zu abbiegend 
allmählich seichter wird und bis zu der tief einschneidenden 
Herzlängsfurche bemerkbar bleibt. 

Auch die zweite Schlundtasche, die bedeutend 
steiler aufgerichtet ist als ihre Vorgängerin, ist durchgebrochen 
(11. SS.). Der ventrale Zipfel der Spalte erreicht aber ebenfalls 
die Herzfurche nieht, sondern ist von dieser durch eine Strecke, 


714 Karl Peter: 


die keinerlei Einsenkung erkennen lässt und etwa halb so lang ist 
als der offene Theil, getrennt. 

Weiter eaudalwärts sind keine äusseren Furchen mehr zu 
bemerken, obwohl die erwähnte Längsrinne noch deutlich in 
dieser Richtung fortlaufend zu verfolgen ist und ziemlich scharf 
eingesenkt endet. 

Vor und zwischen den Kiemenspalten sind die ersten beiden 
Kiemenbogen vorgebuchtet. Besonders der erste ist gut aus- 
gebildet und ragt mit rundlichem Vorsprung in die Mundbucht 
herein. Beide Bögen sind dem Verlauf der ersten Schlundspalte 
resp. Rinne entsprechend nach vorn convex gebogen. 

Beschränkt man sich nun nicht auf das äusserlich hervor- 
tretende Relief, sondern zieht auch die Berührungsstellen 
der entodermalen Taschen mit der Epidermis in Betracht — sie 
sind wie früher auch in Fig. 5 durch rothe punktirte Linien 
umgrenzt —, so kommt man zu der Erkenntniss, dass die Aus- 
bildung des Kiemenapparates beträchtlich weiter vorgeschritten 
ist, als es die Aussenfläche ahnen liess. 


Die erste Schlundtasche lagert sich nämlich noch eine be- 
deutende Strecke weiter ventralwärts an das Hornblatt an, als 
die offene Spalte reicht, ohne allerdings die Herzfurche zu er- 
reichen. Das Epithel der zweiten Tasche ist dagegen bis an 
diese Längsrinne hin mit der Epidermis verwachsen. Weiterhin 
bemerkt man, dass eine dritte Kiementasche (III. ST.) bereits 
in ausgedehntem Masse mit dem Ektoderm verschmolzen ist. 
Die Berührungsfläche findet sich etwa in demselben Abstande 
von der zweiten Schlundspalte, wie die letztere von der ersten 
Spalte und steht nahezu senkrecht auf der Herzfurche, die sie 
mit ihrem ventralen Ende erreicht. Doch steht sie an Länge 
der zweiten Tasche nach, wird also dorsal von derselben über- 
ragt. Endlich erweist sich die am weitesten nach hinten ge- 
legene, scharf eingebuchtete Stelle der Herzrinne als Verschmel- 
zungspunkt einer vierten Schlundtasche (IV.ST.) mit dem 
Ektoderm. 

Ein anschauliches Bild vom Bau dieses Kiemenapparates 
sewähren die Dorsal- und Ventralansichten des Darmes. 


m 


Unser Modell ist in Fig. 7 von der Rückenseite gesehen 
dargestellt. Das Darmrohr mit seinen Ausstülpungen ist wieder 


Mittheilungen zur Entwicklungsgeschichte der Eidechse. 2115 


durch Wegnahme dor dorsalen Theile (Rückenmark, Gehörorgan, 
Chorda) dem Auge zugänglich gemacht worden. 


Bedenkt man die bereits beträchtliche Kopfbiegung des 
Embryo, wie sie in Fig. 5 ersichtlich war, so fällt in dieser An- 
sieht sofort auf, dass das Eingeweiderohr in seiner Längsrichtung 
genau geradlinig verläuft: in die caudale Oeffnung hineimsehend 
kann man am entgegengesetzten Ende die kraniale Ausbuchtung, 
die Seessel’sche Tasche (Se. T.) gewahren. Der Darm hat sich 
also an der Krümmung des Halses nicht mit betheiligt, dies 
kommt auch dadurch zum Ausdruck, dass er mit seinem Vorder- 
ende mehr dorsal gelegen ist, während der hintere Abschnitt 
sich im Niveau der ventralen Herzfurche befindet: der vordere 
Theil des Halses hat sich sozusagen um den gerade gebliebenen 
Schlunddarm nach ventral vorgebogen. 


Die Seessel’sche Tasche sitzt als schmale kegelförmige 
Ausstülpung dem breiten Eingeweiderohr auf, und schnürt sich 
besonders scharf ab, da letzteres sich sofort seitlich zur Bildung 
der ersten Schlundtaschen (I. ST.) stark ausweitet. Diese 
Taschen sind kranialwärts ein wenig ausgezogen. Ihre Ver- 
schmelzungsstelle mit der Epidermis nimmt entsprechend der 
Längsrichtung der Kiemenspalte in dieser Ansicht einen beträcht- 
lichen Raum ein. In ihrem vorderen Abschnitt lenkt sie etwas 
dorsal ab, nach hinten zu richtet sie sich etwas mehr dem 
Herzen zu. Gegen die gleiche Ansicht des ersten Modells, 
Figur 4, fällt also besonders die Längsausdehnung der ersten 
Sehlundtasche auf, es hat den Anschein, als ob sie sieh von 
jenem Stadium ab auch noch weiter dorsalwärts dem Hornblatt 
angelegt hätte. 


Durch den Hyoidbogen getrennt findet man die zweite 
Kiementasche (II.ST.). Die Einziehung des Darmrohrs vor 
ihr zeigt, dass sich sein Querschnitt gegen das Stadium 5 nur 
wenig erweitert hat. Die zweite Schlundtasche ist beträcht- 
lich schmaler als die erste, quer gestellt, nach der Seite zu 
stark nach hinten vorspringend gegen die eingesunkene Mitte 
des Darms, und mit einer kappenförmigen Ausbuchtung ver- 
sehen, die nach dorsal eranial schaut und ein Divertikel des 
Lumens_ birgt. 


Schon bedeutend weniger markant springt die dritte 


716 Karl Peter: 


seitliche Erweiterung (l1l.ST.) aus, sowohl lateral wie nach 
dem Rücken zu. 

Endlich ist linkerseits nach einer unscharfen Einschnürung 
des Eingeweiderohrs eine letzte, vierte Verschmelzungs- 
stelle (IV. ST.) des Darmdrüsenblatts mit der Epidermis zu 
bemerken. Da der Darm hier breiter geworden, der Querschnitt 
des Halses sich aber von vorn nach hinten verringert hat, so 
stehen sich die Epithelien des Ento- und Ektoderms sehr nahe; 
eine kaum merkbare Ausweitung des Schlundes genügt so, um 
ihn mit dem einspringenden Theil der Herzfurche in Berührung 
zu bringen. Das kleine Darmdivertikel befindet sieh — wie bei 
Entstehung der dritten Tasche — in der Mitte der Seitenwand, 
ist nicht dorsal gerichtet. Auf der rechten Seite buchtet sich das 
Entodermrohr dem Ende der Herzrinne gegenüber nur wenig aus, 
— zahlreiche Mitosen finden sich in dieser Tasche —, aber eine 
Verschmelzung ist noch nieht erfolgt. 

Die Ventralansicht des Modells, in Fig. 6 dargestellt, 
vervollständigt das Bild des Schlundapparates. 

Man bemerkt beiderseits die nach vorn zu scharf vor- 
springenden Herzfurchen (HF.), von der Innenseite gesehen. 
Während sie an ihrem hinteren Ende etwa in der Flucht der 
Seitenflächen des Darms liegen, weichen sie vorn ventral vom 
Eingeweiderohr ab: das Resultat des oben berührten Wachs- 
thumsprocesses. Trotzdem nun die erste Schlundtasche in ihrer 
Anlagerung an die Epidermis den Querschnitt des Darms noch 
bauchwärts überragt, erreicht sie die Längsrinne doch nicht mehr: 
auf der rechten Seite musste daher ein Stück des Unterkiefer- 
bogens und der Seitenwand entfernt werden, um das ventrale 
Ende der Verschmelzungsstelle zur Anschauung zu bringen (1. ST.). 

Noch im Bereiche dieser Tasche, nach hinten zu verlaufend, 
springt als kugelförmige Anschwellung, mit dünnerem Stiel von 
der Mitte des Darmes abgesetzt, die Anlage der Thyreoidea 
hervor (Thr.). 

Die zweite und dritte Schlundtasche erreichen 
ventral die Herzrinne und springen ebenfalls in ihrer Anlagerung 
an das Hornblatt nach ventral über das Niveau des Darms 
heraus, während die Verschmelzungsstelle des vierten Diver- 
tikels mit dem Ektoderm auf die Mitte der Seitenwand des Ver- 
dauungsrohrs beschränkt ist. 


TI 
_. 
I 


Mittheilungen zur lintwicklungsgeschichte der Eidechse. 


Die ausgebildeten Kiementaschen überragen also mit ihren 
seitlichen Theilen das Darmrohr sowohl dorsal wie ventral und 
haben gegen das erste Modell nach beiden Richtungen hin be- 
trächtlich an Ausdehnung gewonnen. Die vierte Tasche ist in 
demselben Stadium ihrer Bildung, wie es der vorige Embryo 
von der dritten zeigte. 

In welcher Weise die weitere Anlagerung an die 
Epidermis von statten geht, das wird kaum zu entscheiden sein. 
Ob bei der Wanderung des Darmes nach dem Rücken zu die 
erste Verschmelzungsstelle ganz ventral zu liegen kommt und 
nur dorsal neue Verklebungen zwischen den beiden Epithelien 
eintreten, oder ob mit einem nach-oben-Rücken der ersten An- 
lagerung die Kiementasche sich auch nach dem Herzen zu aus- 
dehnt, — das ist wohl von keiner principiellen Bedeutung. 

Ein Vergleich der beiden Modelle I und II lässt interessante 
Wachsthumsprocesse in der Halsregion erkennen, deren z. Th. 
schon Erwähnung gethan werden musste: im vorderen Abschnitt 
nimmt weder der Querschnitt des Darmrohrs, noch die Ent- 
fernung der Kiemenspalten von einander sichtlich zu; allein die 
Kiemenbogen buchten sich weiter vor und nehmen ihre säulen- 
förmige Gestalt an; das Wachsthum beschränkt sich auf eine 
Verlängerung der Schlundtaschen selbst, und dann hauptsächlich 
auf eine Weiterbildung der caudalen Region, in welcher sich 
neue Divertikel anlegen und die auch einen auffalienden Reich- 
thum von Kerntheilungsfiguren beherbergt. 

Für die weiteren Umbildungen, die sich an den ersten 
Schlundtaschen vollziehen, verweise ich auf die Abbildungen und 
Erläuterungen zu dem dritten Modell. Indess gehen im hinteren 
Abschnitt des Halses doch noch so wichtige Veränderungen vor 
sich, dass wir zu deren Kenntniss einige Zwischenstadien Revue 
passiren lassen müssen. 


Stadium 9. 


Zu erwähnen ist für diesen Embryo, dass die 3. Schlund- 
tasche durchgebrochen ist und die vierte sich in ziemlicher Aus- 
dehnung mit der Epidermis vereinigt hat, und zwar in einer 
Linie, die sich von vorn ventral nach hinten dorsal auszieht. 
Das ventrale Ende dieser Verschmelzung liegt bereits oberhalb 


der Herzfurche und nach vorn von deren hinterem Endpunkt. 
Archiv f. mikrosk. Anat. Bd. 57 47 


718 Karl Peter: 


Die Tasche ist also, wie früher die dritte, nach dem Rücken zu 
und nach vorn gewandert. 

Ein Querschnitt, der den dorsalen Theil dieser Ausstülpung 
noch trifft, lässt jetzt ein weiteres Divertikel des Darmes er- 
kennen, das stark ventral geneigt der Herzfurehe zuzuwachsen 
strebt und reichliche Mitosen aufweist; es ist dies die Anlage 
einer fünften Sehlundtasche, deren Richtung also noch 
mehr ventral ist, als es die vierte im Entstehen zeigte. Die 
Fig. 8 (V.ST.) giebt ein Bild von diesen Verhältnissen. Ein 
Durchsehen der Serie lehrt, dass man es mit einer Rinne zu 
thun hat, die an der Seitenwand des Darmes schräg nach oben 
und hinten verläuft. Von der Epidermis ist diese noch durch 
Zwischengewebe getrennt. 

Dies ist die letzte Erweiterung, welche das Verdauungs- 
rohr in diesem Stadium aufweist; in den darauffolgenden Schnitten 
besitzt es den regelmässigen querovalen Durchmesser. 


Stadium 10a. 


Dasselbe Bild wiederholt sieh auf einem Quersehnitt eines wei- 
ter entwickelten Embryos, der in Fig. 9 abgebildet ist, nur dass hier 
die fünfte Schlundtasche bereits mit der Epidermis verschmolzen 
ist und die Stelle der vierten in der vorigen Skizze eingenommen 
hat. Sie bleibt also nieht, wie Hoffmann (886) sagt, vom Horn- 
blatt durch Mesoderm getrennt. Genau dieselbe Stelle nun, die 
dort die Anlage der fünften Tasche zeigte, lässt hier ein sechstes 
dureh hohes Epithel ausgezeichnetes Divertikel erkennen (V1.ST.), 
das ebenfalls ventral gerichtet ist und sich dem scharfen hinteren 
Ende der Herzfurche zu nähern sucht. Es kann kein Zweifel 
obwalten nach dem Vergleich der beiden Bilder, dass man es 
hier mit der Anlage einer sechsten Schlundtasche 
zu thun hat. Die beiden Skizzen sind so frappant ähnlich, dass, 
wenn nicht das folgende Modell die Existenz einer sechsten Aus- 
buehtung einwandfrei bewiese, an ein Verzählen beim Aufzeichnen 
der Kiementaschen zu denken wäre. 


Stadium 10. 


Wiederum einen bedeutenden Fortschritt im der Entwicklung 
des Halses bezeichnet das dritte Modell, von dem vier An- 
sichten wiedergegeben sind; Fig. 10 zeigt es von aussen, Fig. 11 


Mittheilungen zur Entwieklungsgeschichte der Fidechse. 719 


von innen ventral, Fig. 12 von innen dorsal und endlich Fig. 13 
von der caudalen Seite. 

Die Aussenseite von Kopf und Hals (Fig. 10) besitzt ein 
ziemlich complieirtes Relief. Die flache Einsenkung, welche am 
weitesten nach vorn zu liegt, wird durch das vorquellende Auge 
erzeugt und convergirt dorsal mit einer etwas schärfer ausge- 
prägten Furche, die den ersten Anfang der Thränennasenrinne 
(ThrN.) bildet. Hinter dieser wölbt sich der gut entwickelte 
Oberkieferfortsatz (OKF.) vor; von dem ebenfalls stark vorspringen- 
den Mandibularfortsatz (UKF.) trennt ihn die tief einsechneidende 
Mundbucht (MB.). Die Unterkieferfortsätze sind in der Mitte ver- 
einigt und begrenzen die Mundbucht von unten. 

Weiter nach hinten zu folgt ein System von im Allgemeinen 
parallel gestellten Spalten und Furchen, die Schlundspalten 
resp. -Furchen. Alle diese Vertiefungen laufen ventral in die 
Herzrinne (HF.) aus, gegen die sowohl die Enden der Kiemen- 
bogen wie die Herzwölbung selbst steil unter spitzem Winkel 
abfallen. Vorn in der Gegend der zwei ersten Bogen ist diese 
Längsrinne am tiefsten, wird darauf ein wenig seichter, bildet 
aber doch mit ihrem hinteren Ende eine tiefe Bucht, dem Sinus 
cervicalis resp. praecervicalis (SC.) der Säugethiere vergleichbar. 

Die erste Kiemenspalte (I. KS.) ist nicht mehr in so 
ausgedehntem Maasse eröffnet, wie es das vorige Modell zeigte: 
nur noch eine kleine ovale, beiderseits scharf begrenzte Oeffnung 
führt in den nach vorn und ventral gerichteten Gang. Nach dem 
Herzen zu folgt eine seichte Furche, die sich in weiterem Ver- 
laufe aber bald vertieft und scharf in den vorderen Abschnitt der 
Längsrinne ausläuft. Die Spalte hat sich etwas aufgerichtet, 
divergirt aber dorsal noch mit ihrer Nachfolgerin. 

Diese zweite Schlundtasche (II. SS.) zeigt die be- 
deutendste Oeffnung, wenn sich das Lumen auch nicht bis an 
die Herzfurche verfolgen lässt. Sie springt zugleich, da sie rein 
quer steht, am weitesten nach dem Rücken zu vor und beschreibt 
einen nach vorn convexen Bogen. Die dritte Kiementasche 
(III. SS.) ist ebenfalls in beträchtlicher Ausdehnung durehgebrochen, 
ist aber viel kürzer als die zweite, und noch unscheinbarer sind 
zwei weitere Furchen, die als vierte und fünfte Schlund- 
furche (IV., V.SF.) anzusprechen sind und nirgends eine Oeffnung 
aufweisen. 


720 Rarl Peter: 


Von den Kiemenbogen springt der zweite, der Hyoid- 
bogen, am weitesten hervor; gut ausgebildet, wenn auch nicht 
ebenso kräftig entwickelt, ist der dritte; der vierte wird bereits 
viel kürzer; der fünfte erreicht knapp die halbe Länge des vor- 
hergehenden. Eine sechste convexe Erhabenheit, die man als 
sechsten Schlundbogen deuten könnte, lässt das Modell nicht 
wahrnehmen. 

Um die Innenseite des Kiemenapparates zur 
Anschauung zu bringen, müssen mehrere Abbildungen zu Hülfe 
genommen werden. 

Die erste Figur (Fig. 11) zeigt das Modell etwas von der 
Ventralseite. Wie aus derselben hervorgeht, ist der Darm 
jetzt in seiner Längsriehtung gekrümmt und ist der Biegung des 
Halses gefolgt. In seinem vorderen Theil hat er sich dadurch 
von der Herzfurche bedeutend dorsalwärts abgehoben. Sein 
Durchmesser ist in seitlicher Richtung breiter geworden, hat 
dagegen dorso-ventral in seinem vorderen Abschnitt abgenommen; 
weiter caudal weitet er sich wieder aus. Vorn springt die 
Seessel’sche Tasche (SeT.) vor, zwischen den ersten beiden 
Kiementaschen hängt an dünnem, lang ausgezogenem Stiel die 
birnförmige Schilddrüsenanlage (Thr.), nach hinten ge- 
richtet. 

Die Grenze zwischen dem ersten und zweiten Schlundbogen 
markirt sich als scharfe Leiste, ohne dass hier eine Verbindung 
mit dem Darmdrüsenblatt stattfände: in Weiterbildung des beim 
2. Modell beschriebenen Befundes hat sich die Verschmelzung der 
ersten Schlundtasche mit der Epidermis von ventral beginnend 
gelöst, sodass die beiden Epithelien allein noch im Bereich der 
äusseren Oeffnung mit einander verwachsen sind. 

Dagegen stehen die folgenden Kiementaschen noch bis an 
die Herzfurche heran in Berührung mit dem Homblatt. Da sich, 
wie erwähnt, der Darm von der letzteren abgehoben hat, so 
bilden die Schlundtaschen hier ventral beträchtlich über das 
Niveau des Verdauungsrohres vorspringende mauerartige Vor- 
sprünge. Am schärfsten sind sie ausgeprägt an der schmalen 
zweiten und dritten Tasche, während die beiden letzten mehr in 
den Bereich des hier herzwärts verlagerten Darms fallen und 
kaum eine ventrale Erweiterung zeigen. 

Die letzten Taschen sind in der Caudalansicht des 


Mittheilungen zur Entwieklungsgeschichte der Eidechse. 721 


Modells, Fig. 13, am besten zu übersehen. Da bemerkt man 
auch, dass hinter der fünften sich noch eine gut ausgebildete 
Anlage einer sechsten Kiementasche zeigt: ein Knopfförmiger 
Vorsprung, welcher nach der Seite und nach hinten schaut (V1.ST.) 
und dem scharf einspringenden Epithel des Sinus cervicalis gegen- 
über liest. Mit dem Ektoderm ist diese entodermale Ausbuch- 
tung in keine Verbindung getreten. 

Es folgt weiter eaudal, hinter dieser sechsten Tasche, noch 
eine nicht so scharf umschriebene seitliche Erweiterung des Darm- 
rohrs, deren Epitbel sich aber von dem des übrigen Verdauungs- 
traktes nicht im Geringsten unterscheidet, während das der Kiemen- 
taschen sich stets durch Höhe auszeichnet. Es ist dies nur der 
Ausdruck der Veränderung des Querschnitts des Darmes, welcher 
aus dem querovalen ziemlich plötzlich in eine runde Form über- 
geht. Diese Ausbuchtung ist also nur nach hinten zu abgegrenzt 
und täuscht nur eine Schlundtasche vor. 

Die Oeffnungen der Kiementaschen II—IV in das Lumen 
des Darms — die erste wird unten besonders besprochen werden 
— stellen sich als schmale, zu der jeweiligen Längsrichtung des 
Eingeweiderohrs quer gestellte Spalten dar. Die innere fünfte 
Schlundtasche ist breit und seicht, eine sechste nicht zu ent- 
deeken: diese Wucherung ist also bei diesem Exemplar solid. 
Seitlich nehmen die Spalten an Höhe zu, da ihr Hohlraum sich 
auch in die ventralen Fortsätze erstreckt. Die Aussenöffnungen 
oder Berührungsstellen mit dem Ektoderm sind länger als die 
Einmündungen in’s Darmrohr. 

Die Kiementaschen überragen übrigens auch dorsal das 
Niveau des Darmes, wie in der Fig. 12, die das Modell etwas 
mehr vom Rücken gesehen darstellt, zu erkennen ist. 
Man findet hier knopfförmige Auswüchse, die selbst 
über die Schlundfurchen hinausreichen und eine Fortsetzung des 
Lumens bergen. Eine Andeutung dieser Ausstülpungen zeigte 
das 2. Modell schon für die 2. Tasche (Fig. 7); hier vermag 
man solche Knoten an der 2. und 3. Schlundtasche in ziemlicher 
Grösse zu entdecken; auch der vierten sitzt ein etwas kleinerer 
auf, während die fünfte dorsal nur ganz wenig vorspringt. Es 
sind dies die Divertikel, an welchen sich die Thymus anlegt, 
gleich gebildete dorsale Protuberanzen der zweiten, dritten und 
vierten Kiementasche. 


—] 
nD 
DD 


Karl Peter: 


Eigenartig ist die erste Schlundspalte umgebildet. 
Während an den übrigen die ektodermale und entodermale Oeft- 
nung in einer Ebene liegen, ‚die Taschen also rein quer zur 
Längsaxe des Halses verlaufen, liess schon das zweite Modell 
erkennen, dass die beiden Mündungen der ersten Tasche zu 
einander geneigt liegen: die innere völlig in der Längsachse 
des Darmes, die äussere etwas schräg nach vorn dorsal gerichtet. 
Dies Verhältniss hat sich noch weiter. verschärft. Indem das 
Darmrohr und zugleich mit ihm die innere Oeffnung der ersten 
Kiemenspalte der Krümmung des Halses folgte, die äussere 
Mündung dagegen entgegengesetzt dieser Biegung sich nach der 
anderen Seite zu mehr querem Verlaufe aufrichtete, gewann die 
Tasche das Aussehen einer um die Fläche gebogenen Platte. Die 
Biegung wurde dadurch erleichtert, dass sich ihr ventraler Theil 
vom Ektoderm löste und sie selbst stark in die Länge wuchs, 
sodass sie einer derartigen Krümmung leicht nachgeben konnte. 
Jetzt stellt sie eine von lateral, kranial und dorsal schräg nach 
innen ventral, eaudal laufende, aus zwei Lamellen bestehende 
Platte dar, die mit freiem Rande, der bei den anderen Taschen 
medial schaut, in scharfem Bogen kopfwärts vorspringt. Die 
Abbildung (Fig. 11) illustrirt dies deutlicher, als eine lange Be- 
schreibung. Gerade eine solche Gestalt ist beim Studium der 
Serie ohne plastische Reconstruetion unmöglich zu verstehen. 

Betrachtet man das Modell noch einmal mit Bezug auf das 
Wachsthum des Halses, so ist zu bemerken, dass der Schlund- 
apparat jetzt auf der Höhe seiner Ausbildung steht. Die 
Taschen sind mit der Diekenzunahme des Embryos beträchtlich 
in die Länge gezogen worden; dennoch hält das Wachsthum der 
Kiemenregion nicht Schritt mit der allgemeinen Vergrösserung 
des Halses, andere Organe bilden sich stärker aus; so hat das 
schnelle Waehsthum des Centralnervensystems den Rückenantheil 
stark ausgeweitet und die Gegend der Schlundtaschen, die noch 
im Modell II einen grossen Raum einnahmen, auf ein verhältniss- 
mässig kleines ventrales Revier beschränkt. Auch der Abstand 
der einzelnen Schlundtaschen von einander hat sich nicht ver- 
grössert; wie schon bei der Besprechung des zweiten Modells 
hervorgehoben wurde, findet ein Längenwachsthum dieser Gegend 
allein im eaudalen Abschnitt statt; sobald die Taschen sich an 
die Epidermis angelegt haben, wächst das zwischen ihnen liegende 


Mittheilungen zur Entwieklungsgeschichte der Eidechse. 123 


Epithel, wenn überhaupt, nur soweit, als die Kiemenbogen ausge- 
bildet werden sollen. Es wird nämlich bei dieser Abrundung 
der Bogen der ganze Bezirk etwas zusammengedrängt, sodass 
die Taschen einander näher rücken. 

Ein paar Zahlen mögen dies illustriren. Es beträgt, an der 
Aussenseite gemessen, der Abstand zwischen 


Kiementasche 1—2 2—3 3—4 

in Modell I 2,5 (ventral) — 4 cm (dorsal) 
a 1 5) a — 55, A 4 em 3 em 
” III 2,9 N 0 5,5 n ” 2—3 r) 2 bD) 


Stadium 11. 


Wie weit übrigens die Ausbildung der sechsten Kie- 
mentasche fortschreiten und sie der fünften ähnlich machen 
kann, das lässt ein drei Tage nach der Ablage dem Ei ent- 
nommener Embryo erkennen. Fig. 14 giebt ein Bild davon. 
Eine weit ausladende Wucherung der Darmwand (VI. ST.) 
reicht bis an das tief einspringende hintere Ende der 
Herzfurche (HF.) heran. Selbst bei Anwendung der Immer- 
sion war es schwer zu entscheiden, ob nicht eine Schicht der 
dichtgedrängten Mesodermzellen die beiden Epithelien trennte; 
ich glaube dies in Abrede stellen zu können, wenn auch eine 
Verschmelzung der beiden Keimblätter nicht genau festzustellen 
war. Es ist dies ein einmaliger Befund, den ich aber immerhin 
registriren zu müssen glaubte zum Beweis des Vorkommens einer 
ausgebildeten sechsten Schlundtasche. Auch die fünfte Tasche 
berührte das Hornblatt. 

Auf der linken Seite, auf welcher allein die sechste Tasche 
persistirt, hatte dieselbe merkwürdiger Weise nicht denselben 
Grad der Ausbildung erlangt, die fünfte hatte sich hier bereits 
von der Epidermis losgelöst. 

Das Verhalten der Aortenbogen in diesem Falle wird weiter 
unten zur Sprache kommen. 


Stadrum 12. 
Ein weiteres Stadium, das ebenfalls reconstruirt wurde 
(s. Fig. 15) weist schon beträchtliche Rückbildungserschei- 
nungen in seiner Kiemenspaltenregion auf. 
Die Aussenansicht lässt von der ersten Schlundtasche 


724 Karl Peter: 


(1. ST.) nur noch eine kleine blind endigende Grube erkennen, die 
dem dorsalsten Theil der früheren Oeffnung entspricht. Ventral von 
ihr zieht sich eine anfangs sehr seichte Furche aus, die erst in 
weiterem Verlaufe den Unterkieferbogen vom Hyoidbogen scharf 
abgrenzt. Der letztere springt stark vor und deckt fast den noch 
gut ausgebildeten dritten Kiemenbogen. Die 2. und 3. Spalte 
sind in beträchtlicher Ausdehnung offen. 

Im hinteren Abschnitt des Kiemenbogenapparates sind 
regressive Umbildung bereits mächtig in Aktion. Die sanze 
Gegend ist verkürzt: die Entfernung des dorsalen Endes der 
ersten Kiemenspalte vom Sinus cervicalis beträgt bei Modell III 
10,5 em, hier 9; die von der 2. Schlundspalte bis ebendahin aber 
5,5 zu 3,375 em bei 150 facher Vergrösserung! Die Herzfurche 
hat sieh schärfer ausgeprägt; sie bildet an ihrem hinteren Ende 
einen tief eingesunkenen Sinus cerviecalis (S. e.) und ver- 
lagert dadurch die hinteren Schlundtaschen und -bögen völlig in 
das Innere, sodass sie nur theilweise noch von aussen sichtbar 
sind. Man erkennt in dieser Grube die offenen 3. und 4. Spalten; 
der vierte Kiemenbogen bildet einen ganz schmalen Pfeiler, 
während in der Tiefe von einem fünften Bogen oder Furche 
nichts mehr vorliegt. 

Indess sind diese Gebilde doch noch nicht geschwunden, 
wie ein Einblick in die Innenseite des Modells zeigt. Ich 
glaubte von einer erläuternden Figur hier absehen zu können, 
da keine wiehtigen oder schwer verständlichen Umbildungen 
gegen das vorige reconstruirte Stadium Platz gegriffen haben. 

Das Darmrohr hat sich, auch in den hinteren Partien, in 
dorsoventraler Riehtung bedeutend abgeflacht. Die Anlagerung 
der ersten Schlundtasche beschränkt sich auf die wenig umfang- 
reiche, von aussen als Grube sichtbare Stelle; nach dem Rücken 
zu besitzt sie eine kleine Ausstülpung, die man mit Maurer 
(899a) als bald sehwindendes Rudiment einer ersten Thymus 
auffassen kann. Die entsprechenden dorsalen Wucherungen der 
zweiten und dritten Tasche sind erheblich gewachsen, die der 
vierten jedoch nnr schwer mehr wahrzunehmen. Das Epithel 
des Sinus cerviealis springt weit vor und nimmt die vierte und 
die noch vollständig vorhandene fünfte Kiementasche auf. Das 
kleine sechste Divertikel tritt bei diesem Exemplar wenig hervor. 

Es wird uns hier also klar, dass eine Weiterentwick- 


Mittheilungen zur Entwieklungsgeschichte der Eidechse. 725 


lung der Sehlundtaschen nicht mehr stattfindet; 
nur ihre Derivate erhalten noch weitere Ausbildung. Da diese 
aber von anderen Seiten eingehende Beachtung gefunden hat, so 
bleibt nur noch übrig, mit kurzen Worten auf das fernere Schicksal 
der Kiementaschen selbst hinzuweisen. 


Stadıum la. 


Ein Embryo, der gleichzeitig mit dem vorigen Exemplar 
demselben Gelege entnommen wurde, besitzt zwar noch eine auf 
eine kurze Strecke offene erste Schlundspalte, weist dagegen ım 
caudalen Theil des Halses bereits Zeichen einer weiter fortge- 
schrittenen Rückbildung auf. 

Die hinteren Schlundbögen haben sich derartig zusammenge- 
schoben, dass der Sinus eerviealis die direete Fortsetzung der dritten 
Kiemenspalte darzustellen scheint und die beiden folgenden Taschen 
wie Anhängsel derselben aussehen. Die vierte berührt nur 
das Epithel der dritten, ist also bereits geschlossen. Nach dem 
Darm zu öffnet sie sich breit. Die Einbeziehung der fünften 
Tasche in die vierte ist noch deutlicher zu erkennen, sodass 
die erstere, nach Aufgabe der Verbindung mit der Epidermis, 
nur als Divertikel der vorhergehenden erscheint; zwischen beide 
schiebt sich noch ein Rest des fünften Kiemenbogens mit dem 
in Rückbildung befindlichen fünften Aortenbogen ein. Fig. 16 
giebt diese Verhältnisse wieder; der Verlauf des Sin. cerviealis 
ist nach einem vorhergehenden Sehnitte durch punktirte Linien 
angegeben. 

Die rechte Seite zeigt insofern einen weiteren Rückschritt, 
als vom fünften Aortenbogen keine Spur mehr vorhanden ist und 
die fünfte Schlundtasche nur mehr einen hohlen Schlauch dar- 
stellt, der sich vom Horn- und Darmdrüsenblatt völlig abge- 
schnürt hat, also frei im Bindegewebe lagert. 


Stadium 153. 

Die uns besonders interessirende Ausbildung der sechsten 
Tasche ist in einer fast gleiehalten Serie gut zu studiren. 

Kiementasche IV ist bereits geschlossen, V stellt, noeh in 
Verbindung mit Darm und Epidermis, einen langen, Iumenlosen 
Zellstrang dar. Die seehste Schlunrtasche ist, wie die Fig. 17 
lehrt (VI. ST.), rechterseits nur durch ein kleines Divertikel der 
fünften repräsentirt; links dagegen bildet sie eine ausgedehnte, 


726 Karl Peter: 


mit hohem Epithel ausgekleidete Ausstülpung, deren Lumen in den 
folgenden Schnitten noch in weiter Communication mit dem Ein- 
geweiderohr steht. Die Asymmetrie ist sehr in die Augen springend 
und lässt schon ahnen, dass das Organ auf der linken Seite 
einer weiteren Ausbildung entgegensieht, rechts dagegen dem 
Untergang verfallen ist. 


Stadium 14!). 


Nun gehen die Rückbildungsprocesse in raschem Tempo 
weiter. Die zweite Kiementasche hat sich in diesem Stadium 
geschlossen und bereits vom Ektoderm losgelöst; die Ausbildung 
ihrer Thymuswucherung, die noch mit dem Mutterboden in Ver- 
bindung steht, hat beträchtlich zugenommen. Schlundtasche III 
ist ebenfalls nicht mehr offen und beginnt auf einer Seite sich 
vom äusseren Epithel zu trennen. 

Interessant ist der hintere Theil der Halsgegend. Von der 
vierten Tasche ist nur ein kleiner Zellknoten. übrig ge- 
blieben; der ganze lange Gang, welcher die Verbindung mit dem 
Hornblatt herstellt, ist geschwunden. Auch der solide Zell- 
klumpen hat sich bereits auf der linken Seite, auf welcher er 
übrigens stärker entwickelt ist, vom Darm abgeschnürt und 
bildet das von Maurer als Epithelkörperchen bezeich- 
nete Organ. Eine fünfte Schlundtasche ist nieht mehr 
nachzuweisen, ebensowenig ein fünfter Aortenbogen; das im 
vorigen Stadium schon ganz redueirte Gefäss und der zuletzt 
frei im Mesodermgewebe liegende Zellschlauch sind restlos atro- 
pbirt. Auf der rechten Seite ist damit auch die sechste 
Tasche zu Grunde gegangen; links dagegen hat diese sich 
weiter entwickelt. Die Fig. 18 zeigt sie als ein gut ausge- 
bildetes, an der linken Seite der abgeschnürten Trachea liegendes 
Bläschen im Flachschnitt, das im Begriff steht, sich von der Darm- 
wand abzulösen, mit der es noch durch einen dünnen Stiel zusammen- 
hängt. Durch seine Lage — dicht hinter dem Zellhaufen, der 
als Derivat der vierten Tasche erkannt wurde und noch in dem- 
selben Schnitte — doeumentirt es sich als Weiterbildung des 
Divertikels vom vorigen Stadium. 

Das Bild zeigt, dass wir es hier mit dem Gebilde zu thun 
haben, das van Bemmelen: Suprapericardialkörper 


1) Dieses Exemplar verdanke ich der Güte des Herrn Prof. Keibel. 


Mittheilungen zur Entwicklungsgeschichte der Eidechse, 127 


undMaurer: Postbranchialer Körper benannten. Schritt 
für Schritt konnten wir verfolgen, wie dieses Zellbläschen aus 
einer der fünften Schlundspalte absolut gleichwertigen sechsten 
Ausstülpung des Darms entstand. 


Stadium 15. 


Die weiteren Entwicklungen führen zu einem Obliteriren 
und Schwinden auch der zweiten und dritten Schlundtasche und 
zu einem Abschnüren ihrer Producte. 

Die erste Kiementasche, vom Ektoderm entfernt, 
zeigt an ihrer dorsalen Spitze noch die kleine Wucherung der 
Thymus I. Die stark entwickelte 2. Anlage dieser Drüse ist 
fast von ihrem Mutterboden abgeschnürt; ihre Tasche bildet ein 
noch hohles Darmdivertikel. Kiementasche III ist ebenfalls 
völlig von der Epidermis abgeschnürt. 

Zwischen dem vierten und sechsten Aortenbogen lagert ein 
fester Zellklumpen, durch einen eben atrophirenden Strang, den 
Rest der vierten Schlundtasche, mit dem Darm in Zusammen- 
hang: das schon erwähnte Epithelkörperchen. Endlich 
findet sich auf der linken Seite des Embryo neben der Trachea 
ddas bläschenförmige Suprapericardialkörperchen mit 
dem Darm nicht mehr in Verbindung. 

Rechterseits beginnt auch die dritte Tasche zu atrophiren 
und lässt nur noch einen soliden Zellstrang erkennen, der ihre 
Derivate mit dem Schlundrohr verbindet. 

Auch dieser Rest schwindet, und imdem sich die Thymus- 
anlagen völlig abschnüren, ist die Rolle der Schlundtaschen aus- 
gespielt; mit Ausnahme der ersten, die zum Gehörorgan in Be- 
ziehung tritt, erhalten sich nur Epithelderivate. 


2. Entwicklung der einzelnen Schlundspalten und ihrer 
Derivate. 

Die langathmige Beschreibung der Stadien konnte nicht 
erspart werden, da sie ein Bild von dem Entwicklungsgrade der 
Schlundtaschen zu verschiedenen Zeiten des Embryonallebens 
geben musste. Ich halte es nun doch nieht für überflüssig, kurz 
die Anlage und Umgestaltung der einzelnen Kiemen- 
spalten noch einmal im Zusammenhang zu besprechen, und dabei 


-1 
ID 
2 


Karl Peter: 


mit wenigen Worten auf die Entstehung ihrer Derivate 
einzugehen. Wenn damit auch nur eine Wiederholung bereits 
beschriebener Verhältnisse gegeben wird, so sollen doch die zer- 
streuten Angaben in neuer Anordnung nochmals zusammengefasst 
werden. 


a) Entwicklung der Schlundtaschen. 
Erste Sehlundtasche. 


Die erste Tasche legt sich am frühesten an gemäss der 
altbekannten Regel, dass die Entstehung der Kiementaschen von 
cranial nach caudal fortschreitet. Schon Embryonen mit 5—6 
Urwirbeln lassen am vorderen Ende des Darmes seitlich und 
dorsal gerichtete Ausbuchtungen erkennen, welche durch grossen 
Reichtlium an Mitosen ihr intensives Wachsthum bezeugen (Fig. 1, 
I. ST.). Diese Divertikel schieben das Mesoderm, welches sie von 
der Epidermis trennt, bei Seite, nähern sich immer mehr dem 
Hornblatt, mit dem sie in ausgedehntem Maasse und in ununter- 
brochener Linie verschmelzen (Fig. 2, 3). Das äussere Epithel, 
das vor der Anlagerung der Tasche unverändert über diese 
Stellen hinwegzog, wird allmählich hier zu einer seichten äusseren 
Scehlundfurehe eingebuchtet. 

Während die Verwachsungsstelle sich immer mehr ver- 
längert, beginnt die aus den verschmolzenen Epithelien bestehende 
Schlussmembran von dorsal her einzureissen, bis die Kiemen- 
spalte fast in der ganzen Ausdehnung der inneren Tasche er- 
öffnet ist (Fig. 5). Die so entstandene Spalte ist anfangs beinahe 
in der Längsrichtung des Halses gelagert und wird ventral von 
einer mehr quer verlaufenden Rinne fortgesetzt; diese reicht bis 
zu der tief einschneidenden längsgerichteten Furche, welche die 
Herzwölbung von der Halsgegend des Embryo trennt. 

Das Darmrohr, welches ursprünglich der äusseren Bedeckung 
sehr nahe lag, hat sich bei der Zunahme des Umfangs des 
Embryo von der Epidermis entfernt, sodass aus den in der An- 
lage unbedeutenden flügelförmigen Divertikeln (Fig. 4) weit aus- 
gezogene, mit engem Lumen versehene Ausstülpungen entstanden 
sind, die zufolge der verschiedenen Krümmung des Eingeweiderohrs 
und der äusseren Haut des Halses eine eigenartige um die Fläche 
gebogene Stellung einnehmen. Die äussere Oeffnung stellt sich 
mehr quer, während die innere längsgerichtet ins Darmrohr 


Mittheilungen zur Entwicklungsgeschichte der Eidechse. 129 


ausmündet, ein Verhalten, das aus Fig. 12 am besten zu ver- 
stehen ist. 

Während diese Biegung sich einleitet, beginnt die lang- 
gestreckte Mündung auf der Aussenseite von ventral her sich zu 
schliessen, bis auch die dorsale Ecke keinen Durchgang mehr 
aufweist (Fig. 15). In demselben Maasse löst sich auch die ento- 
dermale Tasche von der Epidermis los. Die weitere Ausgestal- 
tung der sich nach dem Ohr zu ausweitenden Tasche zur Pauken- 
höhle und Tuba Eustachii zu beschreiben, lag nicht im Plane 
dieser Arbeit. 


Zweite Schlundtasche. 


Da das Darmrohr, wie erwähnt, in frühen Stadien dem 
Ektoblast sehr nahe liegt, so genügt auch weiter caudal von der 
ersten Schlundtasche ein kleines seitliches Divertikel, um eine 
zweite Verbindung zwischen den beiderseitigen Epithelien 
herzustellen. Die Verschmelzung findet zuerst in der dorsalen 
Ecke statt (Fig. 4) und schreitet nach dem Herzen zu fort. 
Eine äussere Kiemenfurche ist nicht zu bemerken. Die Richtung 
der entodermalen Tasche ist von Anfang an eine quere, sie con- 
vergirt also ventral mit der ersteren und trifft dort ebenfalls 
die Herzrinne. Von dorsal her reisst die Verschlussmembran ein. 

Der dorsoventrale Durchmesser des Darms nimmt allmählich 
im vorderen Abschnitt ab und so kommt es, dass die langge- 
streckte Sehlundtasche beiderseits bald über das Niveau desselben 
hervorragt (Fig. 6, 7). Eine dorsale Ausstülpung (Fig. 12) lässt 
durch Wucherung eine Anlage der Thymus entstehen. 

Die Kiementasche schliesst sich ziemlich spät; sie geht bis 
auf die abgeschnürte Thymus völlig zu Grunde. 


Dritte Schlundtasche. 


Zur Zeit der Eröffnung der zweiten Tasche legt sich dem 
hinteren Ende der Herzfurche gegenüber eine seichte Ausstülpung 
ddes Darmes an, die bald mit der Epidermis in Verbindung tritt, 
erst in einem kleinen Bezirk, dann in einer der zweiten Schlund- 
tasche parallelen, nach vorn etwas concaven Linie (Fig. 5). 
Die Eröffnung, Form der Tasche und erste Bildung der Thymus- 
anlage sind ganz ähnlich denen der vorhergehenden Tasche; 
wie diese atrophirt auch sie bis auf die epithelialen Reste, 


730 Karl Peter: 


Vierte Sehlundtasche. 


In genau gleicher Weise entsteht auch die vierte Schlund- 
tasche, in Anlagerung, Wachsthum und Ausbildung eines dor- 
salen Divertikels das verkleinerte Abbild der dritten. Doch 
öffnet sie sich erst sehr spät und schliesst sich auch bald wieder. 
Mit dem schärferen Einspringen eines Sinus cervicalis rückt 
sie in die Tiefe; der ganze epitheliale Strang, der sie noch 
in Verbindung mit der Epidermis setzt, verschwindet. Es er- 
hält sich nur ein compakter Zelleomplex als Epithelkörperchen. 


Fünfte Sehloundtwsche: 

Diese Tasche wird als Ausstülpung angelegt, die sich 
von der Seitenwand des Darmes ventral neigt und mit dem 
nach hinten fortwachsenden Ende der Herzrinne in Verbindung 
tritt (Fig. 8). Die Verschmelzung schreitet dann weiter fort, 
ohne die Dimensionen wie bei der vierten Tasche anzunehmen. 
Auch brieht die Schlussmembran nie durch; nur eine seichte 
äussere Furche zeigt die Gegend der Verwachsung der beiden 
Epithelblätter an (Fig. 10). 

Mit der Verkürzung der Kiemenregion und Ausbildung des 
Sinus eerviealis gelangt diese fünfte Ausbuchtung in die Tiefe, 
stellt sich bald nur wie ein Anhängsel der vierten dar (Fig. 16), 
löst sich von Darm und Epidermis los und geht zu Grunde ohne 
Reste zu hinterlassen. 


Sechste Schlundtasche. 


Zum Verwechseln ähnlich der Anlage der fünften Tasche 
ist die einer sechsten (Fig. 9), die aber noch weniger zur Aus- 
bildung gelangt: sie verschmilzt wohl nur ausnahmsweise mit dem 
Hornblatt (Fig. 14) und bleibt gewöhnlich nur als knotenförmige 
Ausstülpung des caudalen Schlunddarmes bestehen (Fig. 13). 
Allmählich stellt sieh dann ein Missverhältniss in der Grösse 
der beiderseitigen Organe ein, indem das rechte mit dem 
Schwinden der fünften Kiementasche zu Grunde geht (Fig. 17, 
18), während das links gelegene sich zu einem mit hohem Epithel 
ausgekleideten Sack entwickelt, der nach Zugrundegehen der 
fünften Tasche sich von seinem Mutterboden ablöst und als 
rundes Bläschen an der linken Seite der Trachea liegen bleibt. 

Um die zeitlichen Verhältnisse von Anlage, Aus- 


Mittheilungen zur Entwicklungsgeschichte der Eidechse. 731 


bildung und Rückbildung der einzelnen Schlund- 
taschen, soweit sie früher zur Sprache kamen, noch einmal zu 
beleuchten, füge ich eine kleine Tabelle bei, welche diese 
Argaben registrirt. Anspruch auf absolute allgemeine Gültigkeit 
kann diese Zusammenstellung bei dem kleinen Material und den 
variablen Verhältnissen nicht erheben; immerhin gestattet sie 
einen Einblick in die zeitliche Folge der Veränderungen im 
Schlundspaltengebiet. 


Tabelle I. 
Die zeitliche Entwicklung der Schlundtaschen. 
Die arabischen Ziffern geben die Zahl der Urwirbel des betr. 
Embryos an, die römischen die Bezeichnung des Stadiums. 


Erste Zweite Dritte Vierte Fünfte | Sechste 
Tasche | Tasche | Tasche | Tasche | Tasche , Tasche 


Anlage der |5—6. II. 10. IV. 21. VI 138933. ? 1 Me ar Aue 


Kiemen- | ISVIIE: IX. 

tasche | 
KG. erreicht | 10. IV. 16. v O5-Nm 3233. | AuUxX [XT.] 
Epidermis | ISSS VII: 


Schlussmem-] 16. Va. | 25. VII. 46 47.IX.51.XVIIL.| _ — 
bran reisst | 
ein | 


Schluss der |63. XI. XIV. XIV. 
Spalte 


Tasch.trennt| XIV. | XIV. xXIV.| XIV. XITa. — 
sich von d. 
Epidermis 


Kein Rest d. _ | - = | XIV. XIV. — 

Scehlund- | | 

tasche mehr 
vorhanden 


b) Die Entwicklung der Schlundtaschenderivate. 


Ueber die Derivate der Schlundtaschen, deren weitere Schick- 
sale ich nieht verfolgt habe, kann ich nur wenig hinzufügen. 

Ein Epithelderivat der ersten Tasche hat Maurer 
(889) angenommen. Ich habe ebenfalls die schwache Wuche- 


-=1 
Sr 
NG 


Karl Peter: 


rung bemerkt, möchte aber, wenn man sie als Thymusanlage be- 
zeichnet, auf die dorsale Ausstülpung der vierten Tasche 
hinweisen, welche den sich weiter zu Thymus II und III aus- 
bildenden Divertikeln der zweiten und dritten Kiemenspalte 
völlig zu homologisiren ist, wie Abbildung 12 lehrt. Allerdings 
findet hier keine Abtrennung eines Zellkomplexes statt, das 
Divertikel geht mit seiner vierten Schlundtasche zu Grunde. 

Dagegen erhält sich von letzterer ein compakter Zellhaufen. 
Maurer lässt dies „Epithelkörperehen“ als Bläschen 
entstehen; ich habe stets nur eine solide Wucherung wahrnehmen 
können. Eine Asymmetrie in der Bildung, wie sie Maurer in 
seiner Fig. 5 und 6 abbildet, ist mir nicht aufgestossen. 

Die fünfte Tasche schwindet, wie erwähnt, ohne Derivate 
zu bilden. 

Als Umbildung der sechsten wurde das Suprapericar- 
dialkörperehen van Bemmelen’s erkannt, das sich stets 
doppelseitig anlegt, meist allerdings auf der rechten Seite atro- 
phirt und als hohles Bläschen links von der Trachea zu finden ist. 

Ich habe der Frage grosse Aufmerksamkeit gewidmet, ob 
dieses Gebilde wirklich aus der sechsten Schlundtasche 
entsteht oder ob diese sich rückbildet und später an ihrer Stelle 
das fragliche Bläschen angelegt wird. An der Hand der voll- 
ständigen Entwicklungsreihe, die im Vorhergehenden ihre Be- 
schreibung gefunden hat, wurde die erste Art der Bildung 
nachgewiesen. Da das Körperchen demnach aus der letzten 
Kiementasche und nicht hinter derselben entsteht, so kann dem 
Namen Maurer’s „Postbranchialer Körper“ keine Be- 
rechtigung zugesprochen werden. Um nun nicht noch eine neue 
3ezeichnung in das schwierige Gebiet hineinzutragen, behalte 
ich van Bemmelen’s eingebürgerte Benennung „Supraperi- 
cardialkörper“ bei, wenn auch die damit ausgesprochene topo- 
graphische Beziehung für höhere Wirbelthiere nieht mehr besteht. 


II. Allgemeiner Theil. 
1. Betheiligung der Gewebe an der Anlage und Aus- 
bildung der Schlundtaschen. 
Soweit die Beschreibung der speciellen Entwicklung 
der einzelnen Sehlundtaschen. Im Folgenden soll nun die Be- 
antwortung von Fragen allgemeiner Natur versucht werden; es 


Mittheilungen zur Entwicklungsgeschichte der Eidechse. 133 


handelt sich darum, welehe Gewebe den Anstoss zur Bil- 
dung der Taschen geben und welche sieh am weiteren 
Ausbau derselben betheiligen: ob etwa die segmental ange- 
legten Aortenbögen einen Einfluss auf deren Anlage ausüben, 
— oder ob das Darmblatt oder Hornblatt die betreffenden 
Organe entstehen lassen. Dies wird weiterhin zu der Erkenntniss 
führen, welche Bildungen überhaupt als Kiementaschen aufzufassen 
sind, so dass ihre Anzahl bei der Eidechse bestimmt werden kann. 
Darauf werden noch einige weitere Umbildungen der Sehlund- 
spalten, ihr Oeffnen und Schliessen zur Sprache kommen. 


a) Betheiligung der Gewebe an der Entstehung der 
Schlundtaschen. 
0) Dire-R eo llezdier 2 rortenho en: 

Für die Frage nach der Entstehung der Kiementaschen ist 
es nicht unwichtig, die Bildung der Aortenbögen in's Auge zu 
fassen, insbesondere ihrem zeitlichen Auftreten in Rücksicht auf 
die Anlage der Schlundtaschen Aufmerksamkeit zu schenken. 

Es ergeben sich dabei die Fragen: entstehen die Arterien 
früher oder später als die Ausstülpungen des Schlundes? Be- 
dingen demnach die Aortenbögen deren Anlage, oder 
entwickeln sich dieselben unabhängig von den Gefässen ? 

Baer (825) scheint das erstere angenommen zu hapen, 
denn in seinem grossen Werke über die Entwicklung des Hühn- 
chens findet sich der Passus: „Zwischen den Gefässbogen ver- 
dünnt sich die Körpermasse in den bis zum ersten Bogen reichenden 
Bauchplatten, und so entstehen allmählich 3 Paar Spalten, und 
zwar die beiden vorderen zuerst, dann die dritte.“ 

Es ist nun allerdings keine leichte Aufgabe, in Schnitt- 
serien die Bildung der Aortenbögen und den Verlauf der eben 
angelegten Gefässe zu verfolgen. Der Durchmesser derselben 
ist anfangs ausserordentlich gering, kleiner als der eines Blut- 
körperchens, sodass die feine Lücke zwischen den Mesoderm- 
zellen in den 10 u dieken Schnitten oft verschwindet. Ich habe 
aber stets mit grösster Genauigkeit, sogar mit Hülfe von Im- 
mersionssystemen, die fraglichen Verhältnisse aufzudecken gesucht 
und gebe im Folgenden eine Tabelle, in welcher der Ent- 
wieklungsgrad einiger Embryonen in Bezug auf Kiementaschen 
und Aortensystem verzeichnet ist. 

Archiv f. mikrosk. Anat. Bd. 57 48 


1734 Karl Peter: 


Tabelle Il. 


Vergleichung des Entwicklungsgrades der Kiementaschen und 


Aortenbögen. 
ENTE 
Sn 
_ En .. 
DET> Schlundtaschen | Aortenbögen 
s = z | f 
= 2 | 


ST. I angelegt, nicht mit Ekto- | Keine Gefässanlage. 
derm in Berührung 


ST. I mit Ekt. in Verbindung, | AOB. I gebildet, von II keine 


Spross. 


ST. I-IO mit Ekt. in Verbin- | AOB. I, II vollständig, III dor- 
dung saler Spross. 


ST. I—III mit Ekt. in Verbin- | AOB. I, II vollständig, III ganz 
dung schwach, bis auf Ventralseite 
zu verfolgen. 


ST. I-III, IV einseitig, mit) AOB. I—III vollständig, IV in 
Ekt. in V erbindung Bildung begriffen. 


ST. I-II, IV rechts, mit Ekt.| AOB. I—III vollständig, 

in Verbindung | IV rechts eben vollständig 
zu verfolgen, links dorsale 
und ventrale Anlage. 


ST. I-IV mit Ekt. in Ver-| AOB. I—IIl vollständig, 
bindung IV nicht vollständig. 


17a 


ST. I-IV mit Ekt. in Verbin- | AOB. I—IV vollständ., V eben 
dung, V angelegt | . vollständig zu verfolgen, 
VI dorsaler kurzer Spross. 


ST. I-IV mit Ekt. in Verbin- | AOB. I—V vollständig, 
1 VI in Bildung | VI dorsaler Spross. 
ST. I-V mit Ekt. in Verbin- | AOB. I—VI vollständig. 

dung, VI gut entwickelt 


= lI angelegt | "Spuı 
5 T. I u. I an Ekt. angelegt | AOB. I vollständig, II dorsaler 


Aus dieser Zusammenstellung geht hervor: 


I. Einmal für die Bildung der Blutgefässe selbst, 
dass die Aortenbögen ihren Ursprung von der dorsalen 


Mittheilungen zur Entwicklungsgeschichte der Eidechse. 135 


Aorta nehmen; darauf entsteht ein ebensolcher Spross auch 
ventral; die Communication zwischen den beiden Anlagen stellt 
sich am spätesten her. Die Gefässe liegen übrigens im Kiemen- 
bogen immer an der caudalen Seite, nahe an der folgenden 
Schlundtasche, und es scheint öfters, als ob die ersten Lücken 
zur Öireulation der Blutflüssigkeit sich zwischen dem Epithel 
und dem Bindegewebe fänden. 

Sodann giebt die Tabelle Aufschluss über die Anzahl der 
Aortenbögen. Bei Eidechsenembryonen haben van Bemmelen 
(886) und Hoffmann (870) deren 6 beobachtet; der letzte Autor 
erwähnt sogar ausdrücklich, dass er niemals eine Spur von einem 
siebenten gefunden hat. 

Bei Embryonen, die eben abgelegten Eiern entnommen waren 
(Stad. 15), vermochte ieh ein klemes Gefäss zu verfolgen, das ich 
anfangs für einen siebenten Arterienbogen zu halten geneigt war. 
Vom dorsalen Theil des sechsten Bogen sprosste eine kleine 
Capillare aus, die nach hinten und ventral zog, jedoch bald im 
Bindegewebe verschwand. Nun sind im hinteren, rudimentären 
Theil des Aortensystemes Variationen nicht selten, und auch am 
fünften Bogen bemerkte ich, dass er sich in zwei Ströme spalten 
kann, die sich nach einer Inselbildung miteinander vereinigen. 
sodass ich obigem Befund keine weittragende Bedeutung beizulegen 
wagte. Was direet dagegen sprach, das fragliche Gefäss als 
7. Bogen aufzufassen, das waren die Verhältnisse am Stadium 11, 
dem Embryo, bei welchem die sechste Schlundtasche einseitig 
das Ektoderm berührte: hier lief der starke, spätere Pulmonalis- 
bogen hinter dieser sechsten Anlagerung, und in dem kleinen 
sechsten Kiemenbogen, fehlte jede Spur eines Gefässes. Wollte 
man diesen einzelnen Fall verwerthen, so müsste man den Pul- 
monalisbogen als siebenten bezeichnen und zwischen ihm und dem 
fünften nach einem Rest des sechsten forschen. Vielleicht finden 
sich im Verlaufe der fortgesetzten Untersuchungen weitere An- 
haltspunkte für diese Vermuthung. 

I. Weiterhin lässt sich aus obiger Zusammenstellung das 
zeitliche Verhältniss des Auftretens der Aortenbögen zur 
Bildung der Schlundtaschen erkennen. 

Aortenbogen I wurde zuerst bei Stadien beobachtet, welche 
die erste Kiementasche bereits mit der Epidermis verschmolzen 
und die zweite in der Anlage zeigten; 


736 Karl Peter: 


Aortenbogen II und III konnte ich erst in den vollständig 
gebildeten Kiemenbogen, also nach Bildung der hinter ihnen ge- 
lagerten Schlundtasche, nachweisen. Weiter nach hinten zu ver- 
wischen sich die Verhältnisse. 

Aortenbogen IV liess sich als dorsaler Spross schon auf- 
finden, bevor die vierte Entodermtasche dem Hornblatt nahe ge- 
rückt vor, erreichte seine Ausbildung aber erst mit Vervollstän- 
digung des zugehörigen Kiemenbogens; 

Aortenbogen V schien gar die ventrale Verbindung zu er- 
reichen, bevor die fünfte Tasche mit dem Ektoderm verschmolzen 
war, und in demselben Stadium wurde schon ein kurzer Spross 
des sechsten Bogens angelegt. 

Aus diesen Befunden geht hervor, dass die Aortenbogen 
sich nicht früher als die zwischen ihnen befindlichen Kiemen- 
taschen entwickeln, sondern fast immer erst in den ausgebildeten 
Sehlundbogen. Oder umgekehrt: die Schlundtaschen legen sich 
lange Zeit vor den Arterienbogen an, entwickeln sich ganz unab- 
hängig von ihnen, und der Befund eines Kiemengefässes 
ist nicht Bedingung, um eine seitliche Darmausstül- 
pung als Kiementasche zu bezeiehnen. Selbst wenn also 
ein siebenter Aortenbogen nicht aufgefunden werden sollte, so 
steht doch nichts im Wege, das oft erwähnte bilaterale Diver- 
tikel hinter der fünften Schlundtasche alseine sechste 
anzusehen. 

Anhangsweise möchte ich hier noch das Modell eines Aorten- 
systemes beschreiben, wie es Stad. 10 aufwies und in neben- 
stehender Zeichnung abgebildet ist, da es eine interessante 
Variation enthält. Der zweite Aortenbogen hat nämlich hier seine 
ventrale Verbindung mit dem Truneus arteriosus verloren, behält 
dagegen die mit der dorsalen Carotis interna und lässt erst auf 
diesem Umwege durch den ersten Kiemenbogen die Carotis ex- 
terna aus sich hervorgehen, — während nach Rathke’s Schema 
das letztgenannte Gefäss sich aus der ventralen Fortsetzung des 
Truneus arteriosus bilden sollte. Es zeigte sich das abgebildete 
eigenthümliche Verhalten beiderseitig bei 3 von 4 demselben 
Uterus entnommenen Embryonen, und so glaubte ich ihm eine 
weitere Bedeutung zuerkennen zu müssen, um so mehr, als Hoch- 
stetter (892) in seinem Referat über die Entwicklungsgeschichte 
des Gefässsystems sagt, dass sich die ventrale Carotis beim 


Mittheilungen zur Entwieklungsgeschichte der Eidechse. 137 


Hühnchen „fast vollstän- 
dig, vielleicht auch gänz- 
lich“ zurückbildet. Wei- 


tere Untersuchung einer IH 
grösseren Reihe vonälteren 
Lacertaembryonen — gra- 
phische Isolirung nach sel 
Kaschtschenko leistet tr. a. — 

5 ur : VE 
mir dabei gute Dienste 5 
— liessen allerdings er- ” 


kennen, dass die Arteria 
lingualis, die schwache 
Carotis externa der Ei- 
dechse, für gewöhnlich ein Textfigur 1. 

ventrales aus dem Truneus Modell der linksseitigen Aortenbögen des 
Stad. 10 von ventral und lateral gesehen. 
tr. a.— Truncus arteriosus; AOB. U— VI= 
? 2. bis 6. Aortenbogen. Aortenbogen II 
der abgebildete Befund nat seine ventrale Verbindung mit dem 
eine interessante Abwei- Truneus arteriosus verloren. 


chung dar, die vielleicht zu den Verhältnissen bei den Vögeln 
hinführt. Das alte Rathke’sche Schema der Aortenbögen der 
Eidechse besteht also in der von Hochstetter modifieirten 
Form zu Recht. 


arteriosus entstehendes Ge- 
fäss ıst. Es stellt somit 


ß) Die Rolledes Entoderms. 


Nachdem oben gezeigt worden ist, dass die Arterienbogen 
keinen Einfluss auf die Bildung der Schlundorgane besitzen, 
untersuchen wir jetzt die Antheilnahme der beiden epithe- 
lialen Keimblätter an der Bildung der Kiementaschen. 

Es wurde im ersten Theile öfters erwähnt, dass das Darm- 
rohr zur Anlage einer Schlundtasche ein seitliches Divertikel 
bildet, welches sich der Epidermis nähert. An diesen Stellen 
fanden sich die Mitosen auffallend reichlich, ein Befund. der auf 
eine intensive Vermehrung des Darmepithels schliessen und die 
Schlundtaschen demnach als durch actives Wachsthum des 
Entoderms entstanden erkennen lässt. 

Wie ich hier einfügen muss, hat His (887) auch die Bil- 
dung der Kiementaschen durch eine Faltung erklären wollen. 
Schon in der ersten Mittheilung sah ich mich genöthigt, die 


7138 Karl Peter: 


Faltentheorie His’ für die Entstehung des Riechgrübchens von 
der Hand zu weisen, hier lassen sich dieselben Gründe gegen 
eine derartige Annahme der Entstehung in's Feld führen; haupt- 
sächlich spricht ja der oben erwähnte Reichthum an Kernthei- 
lungsfiguren in den entstehenden Schlundtaschen für ein actives 
Wachsthum. 

His glaubte diese Darmfalten durch die Biegung des Kopfes 
gegen den Rumpf hervorgebracht und verlangte daher von ihnen 
einen ungefähr radiären Verlauf. Nun wurde einmal schon er- 
wähnt, dass an dieser Krümmung nicht alle Theile des Embryos 
in gleichem Maasse theilnehmen: das Darmrohr verläuft in Modell 
II (Fig. 7) noch vollständig gerade, während der Kopf bereits 
dem Herzen aufliegt; eine einfache Krümmung des Verdauungs- 
rohrs hat die weit entwickelten Schlundtaschen also nicht 
entstehen lassen. Sodann kann eine radiäre Lage den ersten 
Spalten nicht zugesprochen werden. Späterhin, nach ihrer wei- 
teren Ausbildung, stellen die Spalten sich allerdings mehr in die 
verlangte Richtung ein: doch liesse eine solche einfache Krüm- 
mung niemals die eigenartige Biegung der ersten Tasche in 
Stad. 10 verstehen. Endlich fordert His bei seiner Faltung so- 
wohl ektodermale wie entodermale Einbuchtungen; wie ich vor- 
sreifend bemerken will, ist aber von primären äusseren Schlund- 
furchen bei der Eidechse nichts zu finden. 

Das Darmepithel wächst also activ gegen das 
Hornblatt vor und legt sich an dasselbe an. Und zwar 
entstehen die einzelnen Schlundtaschen unabhängig von einander. 
Clarke’s (891) Angaben, dass sich beim Alligator aus ventraler 
Ausbuchtung der ersten die 2. und dann die folgenden bildeten, 
beruhen auf missverstandenen Oberflächenbildern, indem er den 
dem Ektoderm sehr naheliegenden, durehscheinenden Darm zwi- 
schen den Spalten als Theil derselben auffasste. 

Die Entstehung der Kiementaschen geht sehr schnell vor 
sich, so dass nicht allzu häufig Stadien angetroffen werden, 
bei welehen man den Process der Bildung verfolgen kann. Der 
Grund dafür liegt darin, dass der Darm an den Stellen, au 
welehen sich die Ausbuchtungen vorwölben, nur durch wenige 
Mesodermzellen vom Ektoderm getrennt ist; es genügt dann eine 
geringe Vermehrung der Entodermelemente, um sich mit denen 
der Epidermis zu vereinigen. Dies wurde schon bei Besprechung 
des ersten Modells erwähnt und kehrt bei Bildung jeder Schlund- 


Mittheilungen zur Entwicklungsgeschichte der Eidechse. 139 


tasche wieder. Anfangs nimmt das Darmrohr überhaupt einen 
so grossen Theil des Querschnittes ein, dass es im Ganzen der 
äusseren Bedeekung nahe liegt (Fig. 4); bei der Bildung der 
hinteren Kiemenspalten hat es sich im kranialen Theil des Halses 
vom Ektoderm zurückgezogen, dafür kommt hier die Furche zu 
Hülfe, in welcher die stärker hervortretende Herzwölbung vom 
Hals abgeknickt ist. An dieser Stelle ist die Epidermis etwas 
nach innen vorgeschoben, und hier legen sich der Reihe nach die 
dritte, dann nach dem Vorrücken derselben die vierte, fünfte und 
sechste Schlundtasche an. Diese Herzrinne wird uns noch weiter 
unten beschäftigen. 

Es muss Werth darauf gelegt werden, dass derselbe Bil- 
dungsmodus sich bei allen Schlundtaschen, von der ersten bis 
zur sechsten, zeigt. Nach Kupffer (894) sind nämlich bei 
Petromyzon noch drei Kiementasehen primär mit dem Ekto- 
derm in Zusammenhang, ein Verhalten, das nach Miss Platt 
(894) auch die erste Spalte von Neceturus aufweist. Die Worte 
der letzteren sind: „Bei der Entstehung der Hyomandibularspalte 
wird das Mesoderm nicht, wie bei Entstehung der folgenden 
Kiemenspalten, durchbrochen, sondern das Mandibularmesoderm 
wächst nach unten und bedingt auf diese Weise die Begrenzung 
der Hyomandibularspalte, an welcher von Anfang an Ektoderm 
und Entoderm sich berühren.“ 

Bei Lacerta geht aus der primären Verschmelzungsstelle 
der beiden epithelialen Keimblätter nur die Rachenmenmpbran 
hervor; die erste Anlage der vordersten Schlundspalte liegt weiter 
dorsal von dieser Stelle, durch Bindegewebsmassen von mehrerer 
Zelllagen Dicke von ihr getrennt; es liess sich verfolgen, dass auch 
diese Tasche activ das Mesoderm bei Seite drängen muss, um 
den Kontakt mit der Epidermis zu gewinnen. Während also 
die primäre Vereinigung der Epithelien bei Petromyzon für drei 
Kiemenspalten existirt, bei Necturus noch für die vorderste, lässt 
sich dies bei der Eidechse nicht mehr nachweisen: alle Kiemen- 
taschen sind anfangs durch Zwischengewebe von der Epidermis 
geschieden und ınüssen erst gegen dieselbe vorwachsen. 

Die erste Stelle dieser Vereinigung befindet sich für 
die zweite Schlundtasche am dorsalen Ende, wie das erste Modell 
nachwies. Für die dritte bis fünfte Tasche lässt sich dagegen 
nicht feststellen, welcher Punkt zuerst mit dem Hornblatt in Ver- 
bindung tritt. Der erste Ort der Verschmelzung liegt der Mitte 


740 Karl Peter: 


der Seitenwand des Darms gegenüber. Ob weiterhin nur ventral 
gelegene Theile des Eingeweiderohrs oder auch dorsale mit dem 
Ektoderm in Berührung treten, ist nicht zu entscheiden. Minot’s 
Angabe, dass die erste Stelle der Vereinigung stets dorsal liege, 
lässt sich für die Kiementaschen der Eidechse also nicht allge- 
mein nachweisen. 

Jedenfalls schreitet die Verschmelzung von dieser ersten 
Berührungsstelle gleiehmässig fort, ohne Unterbrechungen 
zu erleiden; ich habe niemals gefunden, dass das Darmepithel 
das Ektoderm an einem dorsalen und einem ventralen Punkt 
trifft, während es in der Zwischenstrecke noch durch Binde- 
gewebe von ihm getrennt wurde, wie es Kaschtschenko für 
das Hühnchen beschreibt. 


y) Die Rolle des Ektoderms. 


Während im Darmepithel sich ein localisirter Wachsthums- 
process einleitet, der die seitlichen Ausbuchtungen dem Hormnblatt 
näher bringt, zeigt dieses vor der Verschmelzung nicht die ge- 
ringste Veränderung, wie im ersten Theil bei der Entstehung 
sämmtlicher Kiementaschen hervorgehoben wurde. Weder eine 
lebhaft vor sich gehende Karyokinese oder auffallende 
Zellverdiekung, noch eine Einbuchtung giebt in der 
Epidermis die Stelle an, welche später mit der Darm- 
wand in Berührung treten wird. Und so bleibt das Ekto- 
derm völlig unbetheiligt bis zur Anlagerung des Darmepithels. 

Es giebt demnach keine primären äusseren Kie- 
menfurchen bei Eidechsenembryonen; das Hornblatt buchtet 
sich nirgends selbständig zur Bildung äusserer Rinnen ein, die 
ganze Aufgabe der Schlundtaschenbildung, vorläufig bis zur Ver- 
schmelzung der beiden Epithelien, fällt einzig und allein dem 
Darmdrüsenblatt zu. 

Diese Passivität des äusseren Keimblatts liess sich am 
klarsten bei der Entstehung der ersten beiden Kiementaschen 
beobachten, zu einer Zeit, in welcher die Herzwölbung noch 
nicht bedeutend und die sie absetzende Längsrinne noch nicht 
ausgebildet ist. Für die hinteren Taschen liegen die Verhält- 
nisse hier etwas schwieriger. Oefters wurde der Rinne Erwäh- 
nung zethan, welche durch den sich ventral einschnürenden Hals 
und die darauf stark vorgebauchte Herzwölbung entsteht. Diese 
Herzfurche ist durch ein ziemlich hohes Epithel in ihrer ganzen 


Mittheilungen zur Entwicklungsgeschichte der Eidechse. 741 


Länge ausgezeichnet, und da ihr gegenüber sich die entodermalen 
Divertikel der Schlundtasche III bis VI finden, so könnte es den 
Anschein erwecken, als ob es sich hier um ein Entgegenwachsen des 
Hautblatts nach dem Darme zu handelte. Dass diese Rinne jedoch 
nicht als äussere Kiemenfurche aufzufassen ist, wie man nach 
Sehnitten leicht annehmen könnte, tritt bei weiterer Ausbildung des 
Sehlundapparates deutlich hervor. Während nämlich diese Furche 
sich schärfer ausprägt, emaneipiren sich die Verschmelzungsstellen 
der beiden Epithelien grösstentheils von ihr und rücken dorsal; 
nur das ventrale Ende der Taschen berührt die Hautfurche. 
Ausserdem bildet diese ja eine längs verlaufende Rinne, die sich 
ebenso den Sehlundtaschen gegenüber, wie zwischen ihnen zeigt. 
Kurz, sie kann zu der Bildung der Kiementaschen nicht in Be- 
ziehung stehen. 

Auch nach der Verschmelzung des Darmdrüsenblattes mit 
dem Hornblatt bewahrt das letztere vollständig seine Passivität, 
wenn auch sein Verhalten bei den einzelnen Taschen nicht das 
gleiche ist. 

Bei der ersten Kiementasche zeigt sich nämlich nach ihrer 
Anlagerung an's Ektoderm, bevor die Schlussmembran zum Durch- 
bruch gelangt, eine ziemlich tiefe Einsenkung des Hormnblatts: 
es tritt hier eine wahre äussere Kiemenfurche auf. Dass 
diese auf ein actives Wachsthum der Epidermis zurückzuführen 
sei, möchte ich bezweifeln. Nie zeigt die nach innen einge- 
buchtete Stelle eine starke Zellvermehrung oder unterscheidet 
sich sonst im Aussehen von ihrer Umgebung: überall die gleichen, 
eubischen Elemente. Ich glaube vielmehr mit Minot, dass 
diese Einziehung auf einem Zurückbleiben der inneren Schlund- 
taschen im Wachsthum, das mit der allgemeinen Grössenzunahme 
des Embryo nicht Sehritt hält, beruht; dadurch müssen noth- 
wendigerweise die seitlich mit dem Darm verschmolzenen äusseren 
Epithelflächen eingezogen werden. Auch hier ist das Darm- 
epithel das active Element, welches das passive Ektoderm in's 
Innere hereinbuchtet. 

Genau derselbe Process spielt sich bei Bildung der äusseren 
Kiemenfurchen ab, welche der vierten und fünften 
Schlundtasche gegenüberliegen, nachdem diese mit der Epi- 
dermis verschmolzen sind. Diese seichten Einziehungen lässt 
das dritte Modell Fig. 10 gut erkennen. Aber auch hier ist 
im Ektoderm kein irgendwie in Betracht kommender Wachs- 


142 Karl Peter: 


thumsprocess nachzuweisen, auch diese Furchen sind durch das 
Entoderm entstanden. 

Bei der zweiten und dritten Schlundtasche, welche 
zeitig durchbrechen, entwickeln sich dagegen keine äusseren 
Furehen. Zwar scheint ein Embryo, bei welchem die zweite 
und dritte Schlussmembran noch nicht eingerissen sind, bei Be- 
trachtung unter der Lupe solche Rinnen zu besitzen, allein 
ein Schnitt durch diese Gegend beweist auf’s klarste, dass 
das Ektoderm uneingebuchtet über die Verschmelzungsstellen 
hinwegläuft, ja streekenweise ist die Kiemenmembran sogar nach 
aussen vorgedrängt, wie in Fig. 19 (SM, Il, III) zu sehen ist. 
Hier hält das Wachsthum der Taschen also Schritt mit dem 
der Halsgegend. Die Erscheinung, dass ein solcher Embryo in 
der Aufsicht Kiemenfurchen zu besitzen scheint, ist darauf 
zurückzuführen, dass das Darmlumen durch die dünne Schluss- 
membran durchscheint und dieser Stelle einen dunkleren Ton 
verleiht, als die dieken unter dem Epithel liegenden Mesoderm- 
massen, welche die Kiemenbogen undurchsichtig weiss erscheinen 
lassen; ein Relief wird so nur vorgetäuscht. Denkt man sich 
die dünne Haut völlig undurchsichtig, so schwindet auch diese 
Erscheinung: so zeigt das zweite Modell niehts von einer dritten 
Kiemenfurehe, die der zugehörige Embryo scheinbar erkennen liess. 

Es ergiebt sich aus dem Vorstehenden, dass zwar sekundäre 
Kiemenfurehen bei Eideehsenembryonen auftreten, dass 
diese aber nicht durch actives Wachsthum der Epidermis ent- 
stehen, sondern dass das Entodermrohr einzig und allein 
die Bildungsstätte der Schlundtaschen ist. 

Dieser Befund ist nicht olme Tragweite, da er mit den An- 
gaben verschiedener Autoren im Widerspruch steht. 

So haben His, Hoffmann und Kaschtschenko, wie 
eingangs erwähnt, geglaubt, dass beim Hühnchen und der Ei- 
dechse äussere Schlundfurchen durch selbständiges Wachsthum 
des Hornblatts entstünden, welche sich den entodermalen Aus- 
stilpungen nähern sollten. Ich glaube, dass beim Hühnchen 
dieselben Täuschungen bei Betrachtung des Oberflächenbildes 
vorliegen, wie ich sie für Lacerta erklärt habe, und dass das 
äussere Keimblatt auch bei diesen Thieren seine Passivität bei 
Entstehung der Sehlundspalten bewahrt; die Bilder, die His 
(868) in seiner Entwieklungsgeschiehte des Hühnchens giebt, 


os 


Mittheilungen zur Entwicklungsgeschichte der Eidechse. 14: 


sprechen auch nicht für seine Annahme. Auf Tafel XI, Figg. 
I und II, sieht man mehrmals das Darmrohr der Epidermis seit- 
lich genähert oder sogar angelagert, ohne dass sich irgendwelche 
Einziehung in diesem bemerkbar machte: es ist keine äussere 
Kiemenfurche sichtbar ! 

Ist doch Remak (855) für das Hühnchen zu demselben 
Resultat gelangt, wie ich für Lacerta; er schreibt: „Das Drüsen- 
blatt macht eine rinnenförmige Ausstülpung, welche die Sehlund- 
platten und das Hornblatt durehbohrt, alsdann sich öffnet, sodass 
die beiden Hälften der von dem Drüsenblatt gebildeten Rinne 
die beiden Ränder der Spalte saumartig umkleiden.“ Letztere 
Angabe trifft für unser Objeet nur bei der zweiten und dritten 
Spalte zu, die vor dem Durchbrechen gar keine äussere Ein- 
ziehung besitzen. 

Jedenfalls erscheint es sehr gewagt, wie Kaschtschenko 
es will, seichte ektodermale Furehen vor der ersten Schlundspalte, 
die zum Darmrohr in keiner Beziehung stehen, als abortive Kie- 
mentaschen anzusprechen, und derselbe Vorwurf trifft Miss Platt, 
die intersegmentale äussere Einschnürungen, welche am Körper 
des Neeturus gegenüber eben solehen Erhebungen des Darmrohrs 
liegen, in gleicher Weise deutet. 

Andererseits ist diese Passivität des Ektoderms nicht 
unbemerkt geblieben: Liessner (888) hat die geringe Betheiligung 
desselben bei Bildung der Kiementaschen der Eidechse wohl be- 
achtet; er constatirt, dass bei der Entwicklung der fünften Tasche 
eine äussere Furche nicht sichtbar wurde und hebt hervor, dass 
die dünnen Verschlussmembranen der vierten kaum angedeutet 
eingezogen seien. Derartige Bemerkungen finden sich öfters in 
seiner Arbeit, ohne dass er ihnen irgendwelche Bedeutung bei- 
legt. Auch Piersol (888), der die Kiemengegend des Kaninchens 
untersuchte, giebt als erstes Resultat seiner Arbeit an: „Die 
inneren Schlundtaschen sind früher angelegt und entwickelt, als 
die entsprechenden äusseren Kiemenfurchen und Kiemenbögen,“ 
wenn er dieser Thatsache auch in der Abhandlung selbst keine 
Erwähnung thut. 

Indessen, wenn diesen Forschern auch die Unthätigkeit des 
Hornblatts auffiel, so zögerten sie doch, ihre Befunde für eine 
völlige Bedeutungslosigkeit des äusseren Keimblatts zu verwerthen, 
und gaben sie gewissermaassen mit aller Reserve. Jedenfalls 


744 Karl Peter: 


fordert unser Ergebniss bei der Eidechse auf, auch für andere 
Tbierklassen die Antheilnahme der Keimblätter bei Bildung der 
Schlundtaschen von Neuem zu untersuchen !). 

Somit ist auf Grund unserer Erwägungen der Schluss zu 
ziehen, dass die Anlage einer Schlundtascheallein 
vom Entoderm ausgeht, dass dazu weder ein 
Aortenbogen’noch eimer-äussere,Furche north: 
wendig istJund dass'wir jede eireumskrıipie 
seitliche Ausbuchtung des Darmes bis zum Ende 
der Herzrinne — oder des Sinus eerviealis —, 
welche durch Zellvermehrung entsteht, ads 
Anlage einer Schlundtasche bezeichnen dürfen. 
Es ergiebt sich somit die Thatsache, dass der Eidechse sechs 
Kiementaschen zukommen, von denen fünf stets mit der 
Epidermis in Berührung treten. 


b) Die Zahl der Schlundtaschen, 


Die Zahl der Schlundtaschen der Lacerta ist 
bisher ein strittiger Punkt gewesen. 

Maurer (899a) hat in einer seiner letzten Veröffentlichun- 
sen deren Anzahl auf 4 angegeben und dies später n Semons 
Reisewerk bei Besprechung der Kiemenspalten von Echidna (899 b) 
wiederholt. Er sagt einmal in der ersten Abhandlung von einem 
Dtägigen Embryo: „Hinter dieser vierten Spalte finde ich in 
diesem Stadium am vorliegenden Exemplar keine fünfte Kiemen- 
spalte mehr,“ und polemisirt weiter gegen van Bemmelen, 
welcher deren fünf beobachtet hat. Er glaubt, dass der hollän- 
dische Forscher vielleicht Ausbuchtungen der vierten Schlund- 
spalte für eine fünfte gehalten hat; „davan Bemmelen keine 
Abbildungen darüber gegeben hat, kann ich das nicht entscheiden.“ 

Der letzte Vorwurf ist nicht gerechtfertigt. Van Bemmelen 
hat in einer Schrift in Donders-Feestbundel (888), und dann im 
Anatom. Anzeiger (889) — zwei Arbeiten, deren Maurer keine 


1) Van Bemmelen (888) ist wohl zu demselben Resultate gelangt, 
wie ich; und wenn er eine ektodermale Einstülpung hinter der fünften 
Kiementasche deswegen nicht als eine sechste Tasche deuten will, 
„daar de werkelijke kieuwspleten niet als instulpingen van het ento- 
derm worden aangelegt“, so haben wir es wohl nur mit einem Druck- 
fehler zu thun, der an Stelle von ektoderm entoderm setzte. 


Mittheilungen zur Entwicklungsgeschichte der Eidechse. 145 


Erwähnung thut — graphische Reconstructionen von der Hals- 
gegend eines Eidechsenembryos gegeben, welche deutlich be- 
weisen, dass er fünf durch Arterienbogen getrennte Kiemen- 
taschen gefunden hat; allerdings braucht dieser Autor den Aus- 
druck „Sehlundspalten“ auch für Taschen, die nicht nach aussen 
durehbrechen. 

Nun hat Maurer nur einen jungen Embryo mit zwei 
Sehlundtasehen und dann als nächstes Stadium gleich einen, der 
5 Tage nach der Ablage dem Ei entnommen war, untersucht, 
hat also die Anlage einer fünften Tasche ebenso wenig beob- 
achten können, wie die gleichgestaltete der sechsten, seines post- 
branchialen Körpers. Aber noch lange Zeit besteht jene fünfte 
Tasche; in den Stadien, in welchen die vierte Spalte offen steht 
(Stad. 12) und noch nach Schluss der ersten und vierten, habe 
ich sie nie vermisst, sodass wolıl anzunehmen ist, dass Maurer 
sie übersehen hat, wenn sein Embryo nicht gerade abnorme Ver- 
schiebungen in der Entwicklung der Kiemenregion aufwies. 

Uebrigens befindet sich Maurer, — und mit ihm de 
Meuron (886), der ebenfalls nur 4 Schlundtaschen gelten lässt, 
— nicht bloss in Widerspruch mit van Bemmelen, wie er 
angiebt, sondern schon Rathke (848), dann Born (885), 
Liessner (888), Hoffmann (886, 890) Orr (887) haben bei 
Reptilien (Eidechsen und Schildkröten) 5 Einbuchtungen des 
Schlundes oder der äusseren Epidermis gefunden. 

Rudimente einer sechsten Schlundtasche sind eben- 
falls bereits mehrfach erwähnt worden, und auch nKollmann’'s 
Lehrbuch der Entwicklungsgeschichte ist diese Angabe gedrungen. 

Hoffmann (890) bemerkt „in einem ganz bestimmten 
Entwiekiungsstadium“ hinter dem sechsten Aortenbogen noch eine 
kleine Ausstülpung, die bald wieder verschwindet, und ver- 
muthet in ihr ein Rudiment der sechsten Kiementasche. Es ist 
nicht unmöglich, dass er dasselbe Divertikel gesehen hat, das 
Modell III zeigt, — das aber nicht zu Grunde geht, — und welches 
Liessner sicher beobachtet und in gleicher Weise gedeutet 
hat: „Es lässt sich weiter eine mit der distalen Wand der 
fünften inneren Kiemenfurche in Zusammenhang stehende ceireum- 
seripte Zone des Epithels der Schlundhöhle nachweisen, welche 
leicht ausgebuchtet ist und im Bereiche dieser Ausbuchtung eine 
Verdiekung des Epithels erkennen lässt, ein Verhalten, durch 


746 Karl Peter: 


welehes man veranlasst werden kann, hier den ersten Beginn 
der Anlage zu einer sechsten inneren Kiemenfurche anzunehmen.“ 

Dagegen scheint diese Ausstülpung van Bemmelen ent- 
sangen zu sein. Dieser Forscher beschreibt zwar hinter der 
fünften Kiementasche eine blinde Ausstülpung, welche durch eine 
Einragung der Darmwand von derselben abgegrenzt wird, warnt 
aber mit Recht vor Vergleichung mit einer Schlundtasche, da 
die Form und Art ihres Epithels von dem der wahren Taschen 
völlig verschieden sei. Die Reconstruction lässt erkennen, dass 
diese Ausstülpung der seitlichen Verbreiterung entspricht, die das 
Darmrohr vor Annahme des rundlichen Querschnitts besitzt, und 
die bei Gelegenheit der Besprechung des dritten Modells erwähnt 
wurde. Die erste Anlage der sechsten Tasche scheint van 
Bemmelen aber nicht beobachtet zu haben, da er das Supra- 
pericardialkörperehen nur linksseitig entstehen lässt, während es 
doch ziemlich lange Zeit auf beiden Seiten gleichmässig ausge- 
bildet ist. 


c) Oeffnung und Schluss der Schlundspalten. 


Nun noch einige Bemerkungen über das Durchbrechen und 
den Verschluss der Kiementaschen. 

Vor dem Durcehreissen werden die Zellen der Ver- 
schlussmembran niedriger und stechen besonders gegen die hohen 
Epithelien der Taschen ab; ihre Grenzen werden undeutlich. 
Wie der Durchbruch selbst stattfindet, wurde mir nicht völlig 
klar. Dass die Sprengung der Membran auf Zug der beiden 
stark wachsenden und sich voneinander entfernenden Kiemen- 
bogen zurückzuführen sei, ist bei dem Vorbuchten der Epithel- 
haut nach aussen oft noch kurz vor dem Einreissen, also bei 
ihrer Schlaffheit, nicht anzunehmen. Anderseits traf ich selbst 
einmal eine Mitose in einer sprungreifen Verschlussmembran, die 
gegen eine Atrophie ihre Elemente spricht. 

Die Rissstelle liegt, wie man an Frontalschnitten leicht 
beobachten kann, meist caudal, sodass die Membran von dem 
nach hinten gelegenen Kiemenbogen abreisst und anfangs an 
dem vorher befindlichen flottirend hängt. 

Auch noeh nach Abreissen des Membranrestes lässt sich 
eine Zeit lang die Grenze zwischen Ektoderm und 
Entoderm leicht feststellen. An dieser Stelle findet sich 


Mittheilungen zur Entwicklungeschichte der Eidechse. 747 


nämlich eine scharfe Kante am Kiemenbogen, und das hohe 
Cylinderepithel des Darmes geht unmittelbar in das kubische 
der Epidermis über. In Fig. 19 ist dies linkerseits an der 
zweiten Schlundspalte bemerkbar. Nach und nach verschwindet 
aber die Leiste, und ganz allmählich gleichen sieh die Höhen- 
unterschiede zwischen den beiden Epithelien aus: Die Grenze 
zwischen den beiden Keimblättern ist dann nieht mehr zu erkennen. 

Die Kiemenbogen wachsen und runden sieh allmählich ab; 
dadurch erscheinen jetzt auch an der zweiten und dritten 
Kiemenspalte äussere Schlundfurchen, an denen 
aber das Ektodern: nicht allein Antheil hat; Fig. 19 zeigt an 
der zweiten Spalte, wie beim Einreissen der Membranen die 
innere. entodermale Tasche auch von aussen her sichtbar wird, 
und wie bei Abrundung der Bögen — gleichmässiges Wachsthum 
aller Theile vorausgesetzt — die Grenze zwischen den beiden 
Keimblättern nach aussen verlagert wird; diese äusseren Furchen 
bestehen also in ihren tieferen Theilen aus entodermalem Epithel, 
in ähnlicher Weise, wie es Remak (855) für die Spalten des 
Hühnchens beschreibt. 

In der Zahl der bei Lacerta sich öffnenden 
Spalten stimme ich nach dem Vorhergehenden mit Liessner 
ziemlich überein: es brechen jederseits drei Schlundtaschen in 
grosser Ausdehnung durch, die vierte wohl auch stets, 
doch erst spät und nicht im ganzen Bereich der inneren Aus- 
buchtung. Wegen des Zeitpunktes verweise ich auf die Tabelle 
pag. 731. Gleiche Angaben macht Orr von Anolis. 

Insbesondere möchte ich gegen Hoffmann, welcher bei 
Reptilien einen Durchbruch der ersten Spalte in Abrede stellt, 
noch hervorheben, dass diese Schlundtasche stets und zwar ziem- 
lich lange Zeit offen gefunden wird, wie auch Maurer und 
van Bemmelen angeben. Allerdings ist sie die erste, die 
sich wieder schliesst. 

Die Ebene des Verschlusses der Schlundspalten 
ist nieht leicht zu bestimmen, da die Ansatzstelle der Schluss- 
membran, die Grenze zwischen Ektoblast und Entoblast, sich all- 
mählich verwischt. 

Kascehtsehenko hat beim Hühnchen gefunden, dass 
dieser Verschluss ‘weiter nach aussen hin stattfindet, als die 
Durehbruchstelle lag, sodass ein Theil des Ektoderms mit in die 


748 Karl Peter: 


Reste der Schlundtaschen einbezogen würde. Er lässt auch die 
Thymus nicht nur aus entodermalen, sondern auch aus dem 
Ektoderm entstammenden Elementen hervorgehen. His (889) neigt 
für den menschlichen Embryo derselben Ansicht zu, betrachtet die 
Frage aber noch als eine offene. Ich möchte eine Betheiligung 
des Ektoderms an der Bildung der Thymus für die Ei- 
deehse entschieden in Abrede stellen. 

Schon die geringe Aktivität des äusseren Keimblatts bei 
der Bildung der Schlundtaschen weist darauf hin, dass der Ento- 
blast als die eigentliche Bildungsstätte der Schlundtaschenderi- 
vate anzusehen sei. Nun finden sich aber in dem Winkel der 
Kiemenbogen, in welchen die beiden Keimblätter sich berühren, 
die Anlagen der Ganglien. Die dorsalen Ausstülpungen der 
Kiementaschen, aus deren Epithel die Thymus hervorgeht, liegen 
von Anfang an medial von diesen Zellknoten, eine Lage, an der 
auch die fernere Entwicklung nichts ändert, — also völlig im 
Bereiche des Entoderms! 

ah N a Mit dem sich schliessenden 
Thr Sinus cervicalis gelangen nun Ja 

| sicher ektodermale Zellstränge in’s 
Innern des Halses, und die abge- 
schnürten und zu Grunde gehenden 
Schlundspaltenreste mögen epider- 
moideale Elemente beherbergen, das 
IV. kann ich nieht in Abrede stellen; 
es ist dies aber auch kein Punkt 
von Bedeutung, da keine wichtigen 
Organe aus ihnen entstehen. Für 
die bleibenden Abkömm- 
lingei ist weine” Betheilae 
sung des äusseren Keim- 


Thm IL 


Eu In]. 


e2 


SPK 


Textfigur 1. 
Schema d. Schlundspaltengegend 
des Eidechsenembryos. I-VI— blattes sicher auszu- 


erste bis sechste Schlundspalte; schliessen, und die Angaben 
Thm I-IH — Thymusanlagen, Kaschtschenko’serscheinen da- 


®1, e&5— Epithelkörperchen, SPK _. e 
ER an mit der Prüfung werth. 

— Suprapericardialkörper, Thr = s 
Thyreoidea. Man erkennt beider- Wollen wir noch zum Schluss 
seits 6 Schlundtaschen, von denen unserer Befunde in ein Schema 
nur die fünfte und rechte sechste einkleiden, wie sie seit de Meu- 


völlig schwinden. ron Maurer und Verdun (898) 


Mittheilungen zur Entwicklungsgeschichte der Eidechse. 149 


verwandt haben, so müsste dasselbe für die Eidechse die neben- 
stehende modifieirte Gestalt annehmen. 

Wenn nun, wie Maurer annimmt, die suprapericardialen 
Körper der Amphibien dem der Eidechse homolog sind, so haben 
wir in ihnen ebenfalls eine sechste Schlundtasche zu erblicken, 
und die Schemata reihen sich dann gut an das der Teleostier 
an, denen 6 Paar Kiementaschen zukommen, aber ein supraperi- 
eardialer Körper fehl. Somit kämen bei Teleostiern, 
Anuren wie Urodelen und Lacertilieren in gleicher 
Weise 6 Paar Kiementaschen zur Anlage. Ueberträgt 
man die Homologie der suprapericardialen Körperchen auch auf 
das entsprechende Organ der Selachier, Vögel und Säuger 
(laterale Schilddrüsenanlage, Born, 383a), über welehe Formen 
mir allerdings keine eigenen Erfahrungen zu Gebote stehen, so 
mus man Acanthias 7, den Vögeln und Säugern 5 Paar Schlund- 
taschen zuschreiben. 


2. Die physiologische Bedeutung der Schlundtaschen 
der Eidechse. 


Die Schlundtaschen der amnioten Wirbelthiere 
betrachtet man als den Typus eines embryonalen Organes. 
Mit diesem Namen pflegt man Organe zu belegen, die bei den 
muthmaasslichen Vorfahren der betreffenden Form eine ausge- 
dehnte Thätigkeit ausgeübt haben, dieselbe aber mit veränderter 
Lebensweise ihrer Träger einbüssten, so dass sie beim ausgebil- 
deten Thier allmählich schwanden, — die aber doch durch die 
Kraft der Vererbung immer noch als Rudimente während der 
ontogenetischen Entwicklung des Individuums auftauchen, Reste, 
denen man gewöhnlich jede Funktion abspricht. Sehen wir ein- 
mal von Verwandtschaft und Thätigkeit ab, so können wir em- 
bryonale Organe als solche definiren, die während der Onto- 
genese in Erscheinung treten, sich bis zu einem ge- 
wissen Grade ausbilden, dann aber wieder verschwinden. 
ohne beim erwachsenen Thier eine Rolle zu spielen. 
Welche Bedeutung kommt ihnen aber für den Embryo zu? 

Roux (885) hat die individuelle Entwicklung der Thiere 
in zwei Perioden eingetheilt, in die der organbildenden und 
die der funetionellen Entwicklung. In dem ersten Zeit- 


raum sollen die Organe nur „angelegt und bis zur Befähigung 
Archiv f. mikrosk. Anat. Bd. 57 49 


750 Karl Peter: 


zum Beginn einer speeifischen Funetion ausgebildet werden“, 
während sie im zweiten diese speeifischen Functionen ausüben. 

Sieht man nun die embryonalen Organe als funetionslos 
an, so verzichtet man mit obiger Eintheilung der Ontogenie auf 
eine causale Erklärung derselben; sie haben ja weder ein Organ 
zu bilden, das dem erwachsenen Thier zukommt, noch üben sie 
selbst eine Thätigkeit aus. Wozu treten sie dann mit solcher 
Regelmässigkeit auf? „Weil die Vorfahren sie in ausgebildetem, 
funetionirendem Zustande besassen“, ist doch nur eine Erklärung 
für ihre Herkunft, nicht für ihre physiologische Bedeutung, ist 
kein Grund dafür, dass sie stets, bei jeder Art bis zu einem be- 
stimmten Grade sich entwiekeln und dann ebenso regelmässig 
allmählich schwinden. Wenn sie einmal überflüssig sind, warum 
erhalten sie sich bei verschiedenen Thierklassen in diesen ver- 
schiedenen, fest normirten Entwicklungsgraden ? 

Wie oben gesagt, passt diese Frage typisch auf unsere 
Schlundspalten. Die kiemenathmenden Organismen bedurften 
ihrer als Athemwerkzeuge; als aber mit dem Uebergang zum 
Landleben die Lungen sich ausbildeten und den Gasaustausch 
übernahmen, da schwand auch die Bedeutung der Kiemenspalten, 
und seitdem zeigen sie sich nur noch während der ÖOntogenese. 
Da nun im ersten Abschnitt Entstehung und Ausbildung dieser 
rudimentären Gebilde beim Eidechsenembryo eine so genaue 
Würdigung erfahren haben, so versuchte ich auch einen Ein- 
blick in ihre Function zu gewinnen, um zu erkennen, ob ihnen 
eine Thätigkeit zuzusprechen ist, oder nicht. 

Eine ganze Reihe von embryonalen Organen giebt es, 
welche beim ausgebildeten Individuum vollständig rückgebildet 
sind, deren Thätigkeit aber sich uns offen aufdrängt und wohl 
noch von Niemand geleugnet wurde. Hierher sind die Seiten- 
organe der Thiere mit Metamorphose zu rechnen. Die Haftorgane, 
die Hornkiefer der Froschlarven, oder — da diese Theile durch 
Anpassung neu erworben sind — die altererbten äusseren Kiemen 
der Salamandriden sind Lebensbedingungen für diese Larven, 
und doch bilden sie sich völlig wieder zurück. Diese sichtlich 
wohl funetionirenden Larvenorgane, deren Zahl sich beliebig 
vermehren liesse, geben doch zu denken, ob nicht auch die als 
zwecklos angesehenen Theile des Embryos ein physiologisches 
Erforderniss für seine Ausbildung darstellen. 


Mittheilungen zur Entwicklungsgeschichte der Eidechse. 751 


Freilich wird in unserem Fall die Untersuchung dadurch 
erschwert werden, dass die Lacertaembryonen nieht als freie 
Lebewesen vor unseren Augen im Kampf um’s Dasein für ihren 
Lebensunterhalt zu sorgen brauchen, wobei wir die Thätigkeit 
der Nahrungsaufnahme, der Bewegung ete. leicht controlliren 
könnten; den im Ei oder im Mutterleib sich entwickelnden Thieren 
wird durch die Mitgabe des Dotters oder auf anderem Wege 
leicht erreichbares Nährmaterial geboten, sie erhalten durch, die 
Eihüllen oder in utero Schutz vor äusseren schädlichen Ein- 
wirkungen. Indess ist dies doch nur ein gradueller Unterschied; 
der Embryo entwickelt sich nieht unter uns leicht erkennbaren 
Bedingungen, sondern unter solchen, die wir nur schwierig er- 
schliessen können, und in die uns nur das Experiment Einblick 
gewähren lässt. Versuchen wir es trotzdem einmal, die Auf- 
gabe der Schlundspalten für den Aufbau des embryo- 
nalen Eidechsenkörpers zu ergründen! 

Mit der Frage nach der Oenogenese und der Berechtigung 
des biogenetischen Grundgesetzes, die von Keibel (im 7. Band 
der Ergebnisse der Anat. u. Entwicklgesch.) kürzlich eine lichtvolle 
kritische Darstellung erfahren hat, steht unser specielles Thema 
in keinem nothwendigen Zusammenhang; dort handelte es sich 
darum, ob sieh Vorfahrenstadien in der Ontogenese der Nach- 
kommen nachweisen lassen, ob also die embryonalen Organe 
als Erbstücke zu betrachten sind; hier wollen wir das in der 
Entwicklung der Eidechse auftretende Organ physiologisch zu 
erklären suchen, ohne Rücksicht auf seine morphologische Be- 
deutung, seine phylogenetische Verwandtschaft. 

Treten wir jetzt unserer Aufgabe näher, nnd sehen wir ein- 
nal nach, ob die Kiemenspalten kiemenathmender Thiere 
wirklich allein im Dienste der Athmung stehen, oder ob ihnen 
noch eine andere Bedeutung zukommt. Da haben uns Maurer’s 
(886) Untersuchungen über die Thymus der Teleostier belehrt, 
dass die Schlundtaschen der Knochenfische — wenigstens die 
zweite bis sechste — auch den Mutterboden für die Thymusan- 
lagen abgeben, dass ihnen demnach auch bei diesen specifischen 
Kiemenathmern eine doppelte Thätigkeit zufällt: Die 
Bildung eines Theils des Athmungsapparates und die Anlage der 
Thymusdrüsen. Fällt nun bei weiterer Umgestaltung eine der 
beiden Funktionen dieser Ausstülpungen weg, so ist damit noch 


752 Karl Peter: 


nicht ihr völliger Untergang geboten. Sie haben noch eine 
zweite nicht weniger wichtige Aufgabe zu verrichten, und es 
würde eher Wunder nehmen, wenn die Divertikel z. B. mit Auf- 
hören der Kiemenathmung völlig wegfielen und die erwähnten 
Drüsen sich eine andere Bildungsstätte suchten. Freilich fällt 
hier störend in's Gewicht, dass wir diese Darmausstülpungen 
nach ihrer uns am leichtesten sichtbaren Funktion als „Kiemen- 
taschen und Kiemenspalten“ bezeichnen und nach Aufgabe der 
einen Thätigkeit noch von „Resten der Kiementaschen, die nicht 
mehr der Athmung dienen“, reden, während diese Organe als 
3ildner der Thymus doch auch noch dann ein berechtigtes Dasein 
führen. 

Nach diesen Betrachtungen wird uns die Bedeutung der 
Schlundtaschen der Eidechse schon um Vieles näher 
gerückt: auch sie geben ja bleibenden Gebilden den 
Ursprung, theils ebenfalls epithelialen Drüsen, theils anderen 
Organen. Lassen wir die sechs Taschen daraufhin noch einmal 
Revue passiren. 

Schlundtasche I betheiligt sich nur in geringem Grade an 
der Thymusbildung, tritt aber später in den Dienst des 
Gehörorgans, um Paukenhöhle und Tuba auditiva zu 
bilden. 

Schlundtasche II und III lassen den Haupttheil der Thymus- 
drüse aus sich hervorgehen. 

Tasche IV giebt ebenfalls einem Epithelkörper seine Ent- 
stehung, der allerdings später atrophirt. Endlich bildet sieh 

Schlundtasche VI linkerseits vollständig in das Supraperi- 
cardialkörperchen van Bemmelens um. 

Somit beschränkt sich unsere Aufgabe bereits beträchtlich; 
wir haben eine Erklärung der Ausbuchtung der ersten bis vierten 
und der sechsten Schlundtasche gefunden. Die Thymusanlagen 
mussten eben aus diesen seitlichen Divertikeln entstehen, um ihre 
laterale Lagerung einnehmen zu können. Dagegen fehlt uns 
noch eine Erklärung für das Auftreten der fünften und der 
rechtsseitigen sechsten Tasche, welehe ohne Reste zu hinter- 
lassen schwinden. 

Weiterhin aber scheint allein die linke sechste Tasche in 
der Erzeugung des genannten Bläschens ihre alleinige Bedeutung 
zu besitzen; sie geht so vollständig in dieser Aufgabe auf, 


—1 
[bi 
4) 


Mittheilungen zur Entwicklungsgeschichte der Eidechse. 


dass man vor Kenntniss der in ganz gleicher Weise erfolgenden 
Anlage der fünften Schlundtasche sich scheute, in ihr über- 
haupt den Rest eines solehen Divertikels zu sehen. Die ersten 
vier Taschen erlangen aber noch eine weitere Ausbildung, 
als sie der obige Zweck verlangt hätte: sie wachsen noch über 
die Gegend der T’hymusanlage seitlich hinaus, erreichen das 
Ektoderm und brechen nach aussen durch, bilden so Zelleom- 
plexe, die später der völligen Auflösung verfallen sind; wie man 
sieht, immer noch genug des Erklärungsbedürftigen. 

Es sei mir gestattet, hier einige Vorschläge zur Deutung 
dieser Verhältnisse zu machen. 

In dem Winkel, in welchem die entodermale Schlundtasche 
an die Epidermis stösst, entwiekeln sich die Zellmassen der 
Ganglien des Facialis, Glossopharyngeus und- Vagus; wäre es 
nun nicht möglich, diesem Zusammenstoss der beiden 
Keimblätter eine Bedeutung für die Bildung der Gan- 
glien zuzuschreiben? Damit wäre ein Einblick in die Noth- 
wendigkeit der Anlagerung der fünf ersten Taschen ans Haut- 
blatt gewonnen. So vage diese Behauptung auch klingen mag, 
so lassen sich doch analoge Fälle einer solchen Beeinflussung 
der Gewebe finden. 

Ein solches Beispiel ist die „Epithelscheide* des 
Schmelzergans. Das innere Epithel des kappenförmig der 
bindegewebigen Zahnpapille aufliegenden ektodermalen Schmelz- 
organs formt sich bekanntlich zu den säulenförmigen Adamanto- 
blasten um, Elemente, denen die Aufgabe zufällt, den Schmelz 
der Zahnkrone zu bilden. Doch zieht sich das Epithel noch 
weiter an der Papille herab, als der Bereich der späteren Krone 
ist, es überzieht auch noch die sich bildende Wurzel, ohne dabei 
Schmelz zu produeiren. Diese „Epithelscheide“ wächst, während 
ihre oberen, der Krone naheliegenden Zellen zu Grunde gehen, 
immer weiter in die Tiefe, bis die Bildung der Wurzel vollendet 
ist; dann wird auch der letzte Theil resorbirt. Dieses Gewebe 
lässt also in gleicher Weise wie die embryonalen Organe kein 
bleibendes Gebilde aus sich hervorgehen; es bildet keinen Schmelz 
mehr. Aber die Thatsache, dass sich nur unter ihm Zahnbein 
entwickelt, dass nach Atrophie des Epithels auch die Dentin- 
bildung aufgehört hat, zeigt doch deutlich genug seine physio- 
logische Nothwendigkeit; es kommt noch hinzu, dass die Epi- 


1754 Karl Peter: 


thelscheide bei Zähnen mit unbegrenztem Wachsthum auch ein 
bleibendes Organ ist. Röse (898) hat dies kürzlich dahin definirt, 
dass „eine Hauptaufgabe des epithelialen Mantels darin besteht, 
die Form für die künftige Gestalt des Zahnes vorzubilden‘“, also 
eines Organes, das in seiner ganzen Wurzel keine ektodermalen 
Elemente beherbergt. 

Welcher Art diese Beeinflussung der Dentinbildung ist, ent- 
zieht sich vorläufig unserer Kenntniss; auch soll nicht verschwiegen 
werden, dass sich an anderen Orten, z. B. in Knochen der Fische, 
Zahnbein vorfindet, das sich ohne epitheliale Bedeckung ausbildet; 
allerdings unterscheidet sich dieses „Trabekulardentin‘“ in seinem 
Wachsthum von dem echten „Orthodentin“. 

Eine derartige Beeinflussung einesanderen Ge- 
webes als Aufgabe eines Organs hindert natürlich nieht seine von 
diesen Theilen unabhängige Entstehung. Ebenso wie wir in der 
ersten Mittheilung sahen, dass das Geruchsorgan sich ganz un- 
abhängig vom Gehirn entwickelt, ohne welches es doch später 
seine Thätigkeit nicht ausüben kann, in gleicher Weise konnten 
wir hier beobachten, dass die Schlundtaschen durch lokalisirtes 
Wachsthum der seitlichen Darmwand angelegt werden und un- 
abhängig von anderen Geweben das Ektoderm erreichen. 

Auch das Durchbrechen der Kiemenspalten 
möchte ich nicht, wie van Bemmelen (889), für bedeutungslos 
halten; ich meine, dass es doch auch für Embryonen von Thieren, 
die nicht mehr durch Kiemen athmen, nicht gleichgültig sein 
kann, ob das Darmrohr in weite Communication mit der um- 
sebenden Flüssigkeit tritt. Und warum findet dieser Durchbruch 
regelmässig bei Reptilien, Vögeln und bei Echidna statt, während 
er bei Placentaliern nicht diese Ausdehnung erreicht und von 
His (889) z. B. in Abrede gestellt wird ? 

Bedenkt man, dass die eben genannten Amniotenklassen 
meroblastische Eier besitzen, so kann man sich des Gedankens 
nicht erwehren, dass dieser Dotterreichthum von Bedeu- 
tung für das Oeffnen der Schlundtaschen sei. Schon in der 
vorigen Mittheilung wurde darauf hingewiesen, dass nicht das 
Blut allein als Träger der Nährstoffe in jungen Stadien anzusehen 
ist, sondern auch die den Embryo umgebenden Säfte. Durch 
die offenen Schlundspalten würde sich der Austausch dieser 
Flüssigkeiten zwischen Darmrohr und Aussenseite leicht vollziehen 


Mittheilungen zur Entwicklungsgeschichte der Eidechse. 155 


können und die Epithelien mit reichlichen Nährstoffen versorgen. 
Für dotterarme Eier würde dieser Vortheil weniger ins Gewicht 
fallen, da bei ihnen die Blutgefässe als Vermittler der Ernährung 
schon früh eine höhere Bedeutung erlangen; daher vielleicht das 
Geschlossenbleiben der Schlundtaschen bei höheren Säugethieren. 

Somit wäre allein noch das Auftreten der rechten sechsten 
Tasche bei der Eidechse unverständlich. Um des Hypothetischen 
nicht noch mehr zu häufen, will ich keinen Versuch einer Er- 
klärung bringen. 

Man erkennt jedoch, wie sehr sich bei näherem Nachforschen 
die Bedeutung der „funktionslosen“ Schlundtaschen erhellt, wie 
klein das Gebiet wird, auf das die noch unerklärten Erschei- 
nungen zusammenschwinden. Dass eine Reihe von Thatsachen 
uns noch unverständlich bleiben, und dass wir mit unvollkommenen 
Erklärungsversuchen vorlieb nehmen müssen, das wird Niemand 
Wunder nehmen, der daran denkt, wie langsam mit den „funk- 
tionslosen“ rudimentären Organen des erwachsenen Menschen 
aufgeräumt wird. Es ist noch gar nicht lange her, dass die 
Schilddrüse in ihrer wichtigen Bedeutung erkannt wurde, und 
auch der Wurmfortsatz, das Iymphoide Organ des Diekdarns, 
wurde und wird noch als unnützes Anhängsel des Coecum ange- 
sehen. Schritt für Schritt kommen wir mit den erweiterten 
physiologischen Kenntnissen zu der Einsicht, dass jeder Theil des 
Körpers — ideal jede Zelle — seine Bedeutung und Aufgabe 
hat, dass der erwachsene Körper kein überflüssiges Gebilde auf- 
weist. Das gleiche Schicksal werden, davon bin ich über- 
zeugt, mit dem tieferen Eindringen in das dunkle Kapitel 
der Physiologie des Embryos die zahlreichen räthselhaften em- 
bryonalen Organe erleiden, sie werden ihre Unerklärlichkeit ein- 
büssen und sich als von den Vorfahren ererbte, aber doch nicht 
funktionslose Theile des embryonalen Körpers kundgeben. Ein 
Organ schwindet nicht, weiles funktionslos ist, 
sondern in dem Maasse, als seine Thätigkeit ab- 
nimmt. 

Man hat also zu unterscheiden, was ein Organ zu leisten 
hat, die Aufgabe, die ihm im ausgebildeten Zustand zufällt, und 
die Thätigkeit, die es während seiner Entwieklung ausübt, be- 
stehend in starkem Wachsthum, Beeinflussung anderer Theile 
ete.; insofern kann man die Roux 'sche Eintheilung der Onto- 


756 Karl Peter: 


genese wohl annehmen. Man hat aber einmal im Auge zu be- 
halten, dass diese endgültige Thätigkeit nicht nur dauernd sein 
kann, sondern auch nur kurze Zeit während, sodass das be- 
treffende Organ nach Erfüllung seiner Aufgabe dem Untergange 
verfällt; ferner ist daran zu denken, dass dieser Endzweck auch 
in’s embryonale Leben fallen kann, sodass wichtige Zelleomplexe 
bereits vor Ablauf der Entwicklung völlig schwinden können. 

Die Frage nach der phylogenetischen Herkunft soleher 
embryonaler Organe erleidet natürlich auch bei dieser Auf- 
fassung keinen Stoss; noch viele interessante Thatsachen wird 
uns das Forschen nach der Verwandtschaft aufdeeken. Aber 
man soll sich nicht zufrieden geben, damit zugleich die Existenz- 
berechtigung des Organs gefunden zu haben; und wenn auch 
seine biologische Bedeutung noch unaufgeklärt ist, so ist es 
doch mehr im Sinne der naturwissenschaftlichen Forschung, ein- 
zugestehen, dass unsere Kenntnisse noch unvollkommen sind, als 
sich mit Gründen zufrieden zu geben, die jedes weitere Nach- 
forschen ausschliessen. 


Breslau, den 5. October 1900. 


Charakterisirung der beschriebenen Embryonen. 


Stad. 1. (Lac. ag. 9. VI. 98. y. B.). Grösste Länge 1,8 mm. Vordere 
Amnionfalte überzieht den Kopf und reicht bis ans Gebiet 
der Urwirbel. Schwanzknoten deutlich. Rückenrinne caudal 
erweitert. 

4 abgegrenzte Ursegmente. Vorderer Neuroporus klafft weit, 
Medullarfalten dahinter 560 u lang aneinandergelegt, strecken- 
weise beginnende Verschmelzung. Vorderdarm 120 u lang, 
ventral vollständig ans Ektoderm angelagert. 

Stad.2. (Lac. ag. 9. V1.98. y. A.) Grösste Länge 2,0 mm. Amnionfalte 
bedeckt 4 Urwirbel. 

5 Urwirbel, ein 6. caudal nicht scharf begrenzt. Vorderer 
Neuroporus nicht weit klaffend: Rückenmark auf 1010 u ge- 
schlossen, Vorderdarm 230 u lang, Anlage der ersten Kiemen- 
tasche. 


Mittheilungen zur Entwicklungsgeschichte der Eidechse. 757 


Stad. 3. 


Stad. 4. 


Stad. 5. 


Stad. Da. 


Stad. 6. 


Stad. 7. 


(Lac. ag. E. 1895. 3.) Grösste Länge 2,1mm. Geringe Kopf- 
biegung:;: Amnion überzieht noch nicht den hinteren Theil 
des Körpers. 

9 Urwirbel. Vorderer Neuroporus offen, hinterer geschlossen. 
Primäre Augenblasen in erster Anlage, kein Riechfeld. Vorder- 
darm 310 u lang, Rachenmembran nicht gerissen, Schlund- 
tasche I erreicht fast das Ektoderm, II nicht angelegt. Keine 
Gefässanlagen. 

(Lac. ag. 16. VI. 98. ß. B.) Grösste Länge 2,0 mm. Wenig ge- 
bogen, Herzwölbung eben angedeutet; Amnion bis auf eine 
Strecke von 150 u am Hinterende geschlossen. 

10 abgegrenzte Urwirbel. Neuralrohr dorsal geschlossen 
bis auf den weit offenen vorderen Neuroporus. Verdicktes 
Hörepithel mit eben beginnender Einsenkung. Riechfeld kaum 
angedeutet. Primäre Augenblasen. Vorderdarm 440 u lang, 
Rachenmembran nicht gerissen. Schlundtasche I erreicht das 
Ektoderm, II erste Anlage. Aortenbogen I gebildet. Kopf- 
höhlen beginnen sich zu differeneiren, Beginn des Lumens. 
(Lae. ag. 17. VI. 99. 4.) Grösste Länge 2,6 mm, wenig gekrümmt. 
Herzwölbung angedeutet. Erste Kiemenfurche bemerkbar. 
Amnion geschlossen. 

16 Ursegmente. Vorderer Neuroporus als Spalte, Canalis 
neurentericus offen. Primäre Augenblase; offene Gehörgrube, 
unscharf begrenztes Riechfeld. Vorderdarm 480 u lang, Rachen- 
membran nicht gerissen. Kiementasche I und II erreichen 
das Ektoderm. Thyreoidea noch nicht angelegt. Herz ge- 
bogener Schlauch. Aortenbogen I vollständig, II dorsal an- 
gelegt. Kopfhöhlen: einschichtige Blasen, nicht miteinander 
verbunden. 

(Lae. ag. 17. VI. 99. 5.) Demselben Uterus entnommen wie 5. 

16 Urwirbel. Erste Andeutung der Linsenverdiekung. 

Vorderdarın 660 u lang. Schlundtasche I reisst ein. 
(Lac. ag. 19. VI. 99. C. 1.) Grösste Länge 2,75 mm. Kopf liegt 
der stärker vortretenden Herzwölbung an. Ohrgrübchen noch 
offen. Kiementasche I offen, II durchschimmernd. Allantois 
tritt aus dem Körper hervor. 

21 Urwirbel. Neuralrohr geschlossen, Canalis neurentericus 
mit verengtem Lumen. Sekundäre Augenblase, tiefes Linsen- 
srübchen. Tiefe offene Ohrblase. Verdicktes Riechfeld. Vorder- 
darm 900 u. Rachenmembran nicht gerissen. Schlundtasche I 
offen, II breit an Ektoderm angelagert, III angedeutet. 
Thyreoideaeinstülpung. Verdicktes Leberepithel an vorderer 
Darmpforte, ohne Gänge. Aortenbogen I und (ganz dünn) II 
vollständig. Kopfhöhlen ohne Verbindung, Wolff’sche Gänge 
ohne Lumen, erreichen die Kloake nicht. 

(Lac. ag. 22. VI. 99. A. 1.) Grösste Länge 3,0 mm. Kopf stark 


Stad. 16. 


Stad. 8. 


Stad. 17. 


Karl Peter: 


gekrümmt, dem Herzen aufliegend. Allantois tritt blasenför- 
mig hervor. 

25 Urwirbel. Nervenrohr geschlossen. Sekundäre Augen- 
blase, Linse nicht völlig abgeschnürt. Gehörblase noch offen, 
ganz seichtes Riechgrübehen. Rachenmembran gerissen, erste 
Anlage der Rathke’schen Tasche. Vorderdarm 1060 u. Schlund- 
tasche I offen, II im Einreissen, III berührt das Hornblatt. 
Thyroidea stark gewachsen, Leber ohne Gänge. Aortenbögen 
I, TI, III. Kopfhöhlen durch theilweise hohlen Strang ver- 
bunden. Wolff’sche Gänge erreichen die Kloake nicht. 
(Lae. ag. 16. VI. 98. II. Grösste Länge 2,7 mm. Allantois 
grosse Blase. 

27 Ursegmente. Neuralrohr völlig geschlossen, Neuromeren. 

Canal. neurentericus offen. Dach des IV. Ventrikels ver- 
dünnt. Linse völlig abgeschnürt, dem Ektoderm und der Retina 
dicht anliegend. Gehörblasen geschlossen, mit Hornblatt in 
Verbindung. Seichte Riechgrübehen. Vorderdarm 970 u lang, 
hachenmembran nicht gerissen. Kiementasche I gerissen, II 
und III geschlossen. Leber: dichtes, lückenloses Gewebe an 
der vorderen Darmpforte. Aortenbögen I, II vollständig, 
III dorsaler Spross. Kopthöhlen weit, durch soliden Strang 
verbunden. Woltf’sche Gänge erreichen eben das Epithel 
der Kloake; streckenweise hohl. 
(Lac. ag. 22. VII. 99. A. Il) Grösste Länge 3,4 mm. Erste 
Andeutung von Extremitätenanlagen. Allantois reicht schon 
über die Herzwölbung heraus. 2 Schlundspalten sichtbar, dritte 
durchscheinend. 

32—33 Urwirbel. Canal. neurenterieus offen. Linse abge- 
schnürt, durch wenige Mesodermzellen von Epidermis und 
Retina getrennt. In letzterer kein Pigment. Augenstiel hohl. 
OÖhrblase geschlossen, noch mit Ektoderm in Verbindung; 
Anlage des Duct. endolymphaticus. Offene Riechgrube ohne 
Jacobson’sches Organ. Rachenmembran gerissen, Schlund- 
tasche I, II offen, III und einseitig IV erreichen das Ektoderm. 
Thyreoidea birnförmige Ausstülpung des Darnıs. Herz S-för- 
mig gebogen; Aortenbogen I—III vollständig, IV in Bildung. 
Kopfhöhlen weit, ohne Verbindung. Wolff’sche Gänge mün- 
den in die Kloake. 

(Lac. ag. 24. VI. 99. 2.) Grösste Länge 3,5 mm. Stark gekrümmt, 
Allantois einen Theil der Kopfspitze deckend. Extremitäten- 
stümpfe. 2 Kiemenspalten. 

35 Urwirbel. Canal. neurentericus offen. Neuromeren deut- 
lich. Linse abgeschnürt, hintere Wand doppelt so dick wie 
vordere. Wenige Mesodermzellen zwischen Linse und Retina; 
in letzterer kein Pigment. Ohrblase abgeschnürt, durch Binde- 
sewebe vom Ektoderm getrennt. Riechgrube vertieft, ohne 


Mittheilungen zur Entwicklungsgeschichte der Eidechse. 159 


Jacobson’sches Organ. Rachenmembran gerissen. Schlund- 
tasche I, II offen; III und links IV an Epidermis angelagert. 
Thyreoidea durch engen Canal mit Darm in Verbindung. 
Leber: Beginn der Trabekel. Hypophyse ohne seitliche 
Lappen. Aortenbogen I—Ill, rechts auch IV vollständig. Kopf- 
höhlen ohne Verbindung, theilweise verdickte Wandung. 
Wolff’sche Gänge brechen eben in Kloake durch. 


Stad. 17a. (Lae. ag. 24. VI. 99. 1.) Demselben Uterus entnommen. 


Stad. 9. 


33-34 Urwirbel. Schlundtasche IV an Ektoderm ange- 
gelagert. Aortenbogen IV nicht vollständig. 

(Lac. ag. 19. VI.99. B.) Grösste Länge 3,4 mın, stark gekrümmt. 
3 offene Schlundspalten, IV durchscheinend. 

46-47 Urwirbel. Canal. neurenter. geschlossen. Ductus 
endolymphatieus gut abgesetzt. Kein Jacobson’sches Organ. 
Kiementasche I—II offen, IV an Ektoderm angelagert, V in 
Bildung. Thyreoidea von Darm fast abgeschnürt. Leber init 
Trabekeln. Hypophyse ohne seitliche Lappen. Wolff’sche 
Gänge münden in die Kloake; Glomeruli der Urniere ge- 
bildet. 


Stad. 10. (Lac. ag. 18. VI. 98. A.) Grösste Länge 4,0 mm, Extremitäten 


nit Epithelleiste. 3 Kiemenspalten, 2 weitere Furchen. 

47 Ursegmente. Canal. neurenter. geschlossen, deutliche 
Neuromeren. Hintere Wand der Linse 4 mal so dick wie die 
vordere. Retina ohne Pigment, Augenstiel im Schliessen. 
Ohrblase mit gut ausgebildetem Duct. endolymph. Riechgrube 
mit erster Anlage des Jacobson’schen Organs. Darmpforte 
170u lang. 3 Schlundtaschen durchgebrochen, IV und V mit 
Ektoderm in Berührung, VI angelegt, an II—IV dorsale Aus- 
stülpungen. Thyreoidea noch durch dünnen Stiel mit Darm 
in Verbindung, Trachea abgeschnürt. Aortenbogen I-IV ge- 
bildet. Kopfhöhlen weite Säcke mit theilweise verdickten 
Wänden. Glomeruli entwickelt, Keimepithel deutlich. 


Stad. 10a. (Lac. ag. 18. VI. 99. A.1.) Demselben Uterus entnommen. 


Stad. 18. 


Schlundtasche VI in erster Bildung. Aortenbogen VI erst 
dorsaler Spross. 

(24. VI. 99. B. 2.) Eben abgelegtem Ei entnommen. Grösste 
Länge 3,4 mm. Sehr stark gekrümmt, Extremitäten ange- 
gliedert, 5 Kiemenfurchen. 

51 Urwirbel. Retina mit Pigment; Opticus fast ohne Lumen; 
Linsenhöhlung ausgefüllt. Ohrblase mit faltenartigen Anlagen 
der Bogengänge. Nasengrube mit tiefem Jacobson’schem 
Organ. Ganz enge Darmpforte. Kiementasche I—-II, links 
auch IV eben offen, V und VI deutlich, Thyreoidea abgeschnürt, 
Lumeu spaltförmig. Aortenbogen I- VI gebildet, der letzte 
dorsal getheilt. Keimepithel mit Ureiern. Kopfhöhlen noch 
offen. 


160 


Staa. 11. 


Stad. 12. 


Karl Peter: 


(Lae. ag. 4. [7.] VI1.99. A. 1.) 3 Tage nach der Eiablage. Grösste 
Länge 4,0 mm, sehr starke Krümmung. Kopflänge 1,3 mm. 
Extremitäten ungegliedert, mit scharfer Leiste. 

Optieus nicht völlig geschlossen. Bogengänge des Ohrs 
als Taschen angelegt. Jacobson’sches Organ tief einge- 
buchtet. Kiementasche l1—III offen, IV im Schliessen; VI be- 
rührt rechts das Hornblatt. Thyreoidea abgeschnürt. Hypo- 
physe in weiter Communication mit Darm. Aortenbogen VI 
kräftig, II eben noch zu verfolgen, I geschwunden. Kopf- 
höhlen in Rückbildung begriffen. Urniere mit gut ausge- 
bildeten Glomerulis, Keimepithel mit Ureiern. Kaum sicht- 
bare Andeutung der Skelettanlagen. 

(Lac. ag. 4.[12.] VII. 89. B. 1) 8 Tage nach Eiablage. Grösste 
Läuge 4,0 mm, sehr stark gekrümmt. Extremitäten gegliedert, 
mit Epithelfalte. Sin. cerviecal. noch offen. 

63 Ursegmente. Parietalauge mit Linsenbildung, von Epiphyse 
fast abgeschnürt. Opticus mit Lumen. Bogengänge als tiefe 
Taschen. Primitive Nasenrinne. Oesophagus offen. Schlund- 
tasche I einseitig geschlossen, II—IV offen. Dorsale Taschen 
an I—IV. Hypophyse mit Darm in Verbindung. Aortenbogen 
III. IV, VI kräftig, V in Rückbildung, III und IV dorsal noch 
verbunden. Chorda nicht eingeschnürt, Skelettanlagen als 
dichtes Gewebe. 


Stad. 12a. (Lac. ag. 4. [12.) VIl. 99. B.2.) Demselben Gelege entnommen. 


Stad. 13. 


Stad. 14. 


Kiementasche I noch offen, IV geschlossen; V einseitig 
von Darm und Epidermis losgelöst. Aortenbogen V schwindet. 
(Lac. ag.? Sbl.1.) Grösste Länge 5,2 mm, Kopf 1,75 mm. Ex- 
tremitäten gegliedert. 

Hemisphären angelegt. Opticus solid. Bogengänge als 
Taschen. Tiefeinschneidendes Jacobson’sches Organ. Oeso- 
phagus noch mit Lumen. Schlundtasche I offen, IV ge- 
schlossen; V noch mit Epidermis und Haut in Verbindung, 
VI links stark ausgeweitet. Hypophyse mit Darm in Ver- 
bindung. Aortenbogen III, IV, VI. Kopfhöhlen rückgebildet. 
Chorda nicht eingeschnürt, zellreiches Gewebe als Anlage der 
Wirbelbogen. 

(Lac. ag. Kbl. 1900. 1.) Grösste Länge 4,8 mm, stark gekrümmt. 
Extremitäten mit pattenförmigen Enden. Sinus cervicalis ge- 
schlossen. 

Parietalauge der Epiphyse dicht anliegend. Plexus chorioid. 
gebildet. Retina mit Nervenfaserschicht, Chiasma opt. Bogen- 
gänge abgeschnürt. Jacobson’sches Organ mündet in 
Choane, vordere Nasenöffnung verklebt. Oesophagus ob- 
literirt. Schlundtasche I—IV, (III nur einseitig) abgelöst von 
Ektoderm, V geschwunden, VI ebenso rechts, links als Supra- 
perieardialkörper noch mit Darm in Verbindung. Thymus II 


Mittheilungen zur Entwicklungsgeschichte der Eidechse. 761 


und III kräftig entwickelt, Epithelkörper der IV. Spalte. Hypo- 
physe mit Darm in Verbindung. Vorknorpelige Skelettan- 
lagen. 

Stad. 15. (Lae. ag. 21. VOL [1. VIlL] 99.1.) 12 Tage nach Ablage. Grösste 
Länge 6,3 mm, wenig gekrümmt. Kopf 1,7 mm. Extremitäten 
mit pattenförmigen Enden. Sin. cervical. geschlossen. 

Parietalauge mit Linse, von Epiphyse nicht völlig abge- 
schnürt. Plex. ehorioid. Bogengänge abgeschnürt. Bildung der 
Nasenmuschel. Jacobson’sches Organ mündet in Nasenhöhle; 
äussere Nasenöffnung fast verklebt. Oesophagus solid. Schlund- 
tasche I—IV vom Ektoderm abgeschnürt, mit Thymus I, II, Ill. 
Epithelkörperchen und linksseitiger Suprapericardialkörper vom 
Darm gelöst. Tasche IV und rechts III sind solide, atrophirende 
Zellstränge; V geschwunden. Thyreoidea noch mit Lumen- 
resten. Hypophyse mit Darm in Verbindung. Skelettanlagen 
knorpelig, kein Knochen. Aortenbogen III, IV, VI; Ill und 
IV noch dorsal verbunden. 


Verzeichniss der eitirten Literatur. 

Baer, K.E. v.. Ueber Entwicklungsgeschichte der Thiere. Königs- 
berg 1828. 

Born, G., Eine frei hervorragende Anlage der vorderen Extremität 
bei Embryonen von Anguis fragilis. Zool. Anz. 1883. 

Derselbe, Ueber die Derivate der embryonalen Schlundbogen und 
Schlundspalten. Arch. f. mikr. Anat. Bd. XXI. 1883a. 

Clarke, S. F., The Habits and Embryology of the American Alligator. 
Journ. of Morph. V. 1891. 

His, W., Die erste Entwicklung des Hühnchens im Ei. Leipzig 1868. 

Derselbe, Mittheilungen zur Embryologie der Säugethiere und des 
Menschen. Arch. f. Anat. u. Phys. Anat. Abth. 1881. 

Derselbe, Die morphologische Betrachtung der Kopfnerven. Ibidem 
1887. 

Derselbe, Schlundspalten und Thymusanlage. Ibidem 1889. 

Hochstetter, F., Entwicklungsgeschichte des Gefässsystems. Ergeb- 
nisse d. Anat. u. Entwicklungsgesch. I. 1892. 

Hoffmann, ©.K., Weitere Untersuchungen zur Entwicklungsgeschichte 
der Reptilien. Morphol. Jahrb. XI. 1886. 

Derselbe, Reptilien lII. in Bronn, Klassen und Ordnungen des Thier- 
reichs. Leipzig und Heidelberg 1590. 

Kaschtschenko, N., Das Schlundspaltengebiet des Hühnchens. Arch. 
f. Anat. u. Phys. Anat. Abth. 1887. 

Kölliker, A., Entwicklungsgeschichte des Menschen und der höheren 
Wirbelthiere. II. Aufl. Leipzig 1879. 


762 Karl Peter: 


Kupffer, ©., Studien zur vergleichenden Entwicklungsgeschichte des 
Kopfes der Kranioten Heft 2. 189. 

Liessner, E., Ein Beitrag zur Kenntniss der Kiemenspalten und ihrer 
Anlagen bei amnioten Wirbelthieren. Morphol. Jahrb. XIII. 1888. 

Maurer, F., Schilddrüse und Thymus der Teleostier. Morph. Jahrb. 
XI. 1886. 

Derselbe, Die Schilddrüse, Thymus und andere Schlundspaltenderi- 
vate bei der Eidechse. Morphol. Jahrb. XXVII. 1899a. 

Derselbe, Schilddrüse, Thymus und andere Schlundspaltenderivate 
bei Echidna und ihre Beziehungen zu den gleichen Organen bei 
anderen Wirbelthieren. Denkschr. d. Med. Nat. Ges. Jena, VI. 
1899b. 

Meuron. P. de, Recherches sur le d&veloppement du Thymus et de la 
Glande thyroide. Geneve 1886. 

Minot, ©. S., Lehrbuch der Entwieklungsgeschichte des Menschen. 
Uebersetzt von Kaestner. Leipzig 189. 

Orr, H.. Contribution to the Embryology of the Lizard. Journ. of 
Morph. Vol. I. 1887. 

Piersol, G A., Ueber die Entwicklung der embryonalen Schlund- 
spalten und ihrer Derivate bei Säugethieren. Zeitschr. f. wissensch. 
Zool. Bd. XLVIH. 1888. 

Platt. J.. Ontogenetische Differenzirung des Ektoderms in Necturus. 
Arch. f. mikr. Anat. Bd. XXXXIIl 1859. 

Rathke, H., Die Entwicklungsgeschichte der Schildkröten. Braun- 
schweig 1848. 

Remak, Untersuchungen über die Entwicklung der Wirbelthiere. 
Berlin 1855. 

Röse, C., Ueber die verschiedenen Abänderungen der Hartgebilde 
bei niederen Wirbelthieren. Anat. Anz. Bd. XIV. 1898. 

Roux, W., Beiträge zur Entwicklungsmechanik des Embryo III. Bresl. 
ärztl. Zeitschr. 1885. 

Van Bemmelen, J. F., Die Visceraltaschen und Aortenbogen bei 
Reptilien u. Vögeln. Zool. Anz. 1886. 

Derselbe, Over de kieuwspleten en hare overblijfselen bij de 
Hagedissen. Overgedruckt uit den Donders-Feestbundel. 1888. 
Derselbe, Ueber die Herkunft der Extremitäten- und Zungenmuskula- 

tur bei Eidechsen. Anat. Anz. IV. 1889. 

Verdun, P., Contribution A l’etude des derives branchiaux chez les 

Vertebres superieurs. Toulouse 1898, 


Mittheilungen zur Entwicklungsgeschichte der Eidechse. 763 


Erklärung der Abbild. auf Tafel XXXVIIL, XXXIX u. XL. 


Allgemein 


AOB = Aortenbogen, 


Ar = Arterie, 

aur = (sehörblase, 

ch ==chorda dorsalis, 

Ep ==Epithelkörperchen der 4. 
Schlundtasche, 

Ggl = Ganglion, 

H — Herz, 

Hf = Herzfurche, 


Hyp = Hypophyse, 


hyp.m = Anlage der Hypoglossus- 


Muskulatur, 
m — Muskelanlage, 
MB = Mundbucht, 
N —Neryv, 
Ngr = Nasengrube, 
NR = Neuralrohr, 
Oe = Augenblase, 


OKf = Öberkieterfortsatz, 
I-V.SB = Erster bis 
Schlundbogen, 


fünfter 


giltige Bezeichnungen. 


S.c—=Sinus cervicalis, 

Se. T= Seessel’sche Tasche, 

I—Vl SF = Erste bis sechste 
Schlundfurche, 

II, III SM = Schlussmembran der 
2. und 3. Tasche, 

SPC = Supraperikardialkörperch., 

I—IV. 88. — Erste bis vierte 
Schlundspalte, 

I-VI. ST = Erste 
Schlundtasche, 

II—IV, Thm = Zweite bis 
Thymusanlage, 

Thr = Thyreoidea, 

Thr N = Thränennasenrinne, 


bis sechste 


vierte 


Tr = Trachea, 

UKF = Unterkieferfortsatz, 
UW = Urwirbel, 

VO = Vorderdarm, 

Ven = Vene. 


Sämmtliche Schnittbilder sind bei 80maliger Vergrösserung ge- 


zeichnet. 


(EX) 


Die Modelle zeigen nur die Epithelien der Epidermis und des 
Darmrohres: das Bindegewebe ist ausgespart, um die Verhältnisse der 


Schlundtaschen erkennen zu lassen. 


Fig. 1. 


Querschnitt durch den Vorderdarm des Stad. 2. 


Zeigt den 


ventralen Zusammenhang des Ento.Jderms mit dem Ektoderm und 
dorsal und lateral schauende Ausbuchtungen des Vorderdarms: 


erste Andeutungen der ersten Schlundtasche, 


noch dureh 


Mesodermgewebe von der Epidermis getrennt. 


Fig. 2. 


Ebensolcher Querschnitt durch Stad. 4. Die ersten Schlund- 


taschen erreichen das Ektoderm, ohne dass äussere Schlund- 


furchen bemerkbar sind. 


Fig. 3u.4 stellen das ModellI der Halsgegend von Stad. 5 bei 
5facher Vergrösserung dar. 


Von der rechten Seite gesehen. Man erkennt eine ganz seichte 


erste Schlundfurche und die durch roth punktirte Linien an- 


gegebenen Berührungsstellen der Schlundtaschen 


mit dem 


Ektoderm; die erste Tasche liegt der Epidermis in ziemlicher 
Ausdehnung, die zweite nur dorsal an. 


Fig. 


Fig. 


Fig. 


ig. 15. 


Fig. 


Fig. 


Fig. 


e. 4. 


Karl Peter: 


Dasselbe vom Rücken gesehen nach Hinwegnahme der dor- 
salen Wand und des Rückenmarkes. Ansicht der inneren 
Schlundtaschen. 


Fig. 5—7: Modell II des Stad. 8. Vergrösserung 7dfach. 


D. 


um 
jer} 


A 


[0 .) 


” 


Ansicht von der linken Seite. Erste und zweite Spalte durch- 
gebrochen, weitere Anlagerung dieser und der dritten und 
vierten Tasche durch rothe Punkte angedeutet, letztere ventral 
in die tiefe Herzfurche auslaufend. 

Dasselbe Modell von vorn gesehen. Da das Herz nicht mo- 
dellirt wurde, so sieht man auf die Ventralseite des Darmrohrs 
mit den 5—4 Schlundtaschen. Das vordere Ende der ersten 
Tasche wurde dadurch zu Gesicht gebracht, dass ein Stück 
des Unterkieferbogens entfernt wurde. 

Dorsalansicht des Modells nach Wegnahme der Rückenwand, 
des Nervenrohrs und der Chorda. Die erste Tasche ist fast 
längsgelagert, die zweite zeigt bereits eine dorsale Ausstül- 
pung, die vierte ist nur links ans Ektoderm angelagert. 
Querschnitt durch den hinteren Theil des Schlunddarmes des 
Stad. 9. Anlage der fünften Schlundtasche. 

Querschnitt durch dieselbe Gegend des Stad. 10a. Ganz ähn- 
lich aussehende Anlage der sechsten Schlundtasche. 


Fig. 10—13 Modell III, Stad. 10; etwa 60mal vergrössert. 


g. 10. 


g. 11. 


St: 


19. 


16. 


17. 


Von der Aussenseite. Ansicht der fünf Schlundfurchen resp. 
-spalten; Anlage des Sinus cervicalis. _ 

Von innen und etwas ventral. Ein Stück des Oberkieferbogens 
ist entfernt. Zeigt die ventralen Ausbuchtungen der inneren 
Sehlundtaschen. Der rothe Pfeil liegt im Unterkieferbogen. 
Von innen und dorsal. Lässt die eigenartige Biegung der 
ersten Tasche erkennen, sowie an der ersten bis vierten die 
dorsalen Ausstülpungen. 

Von hinten; der dorsale und vordere Theil des Modells ist 
abgeschnitten. Hinter der fünften Tasche sieht man die sechste. 
Querschnitt durch die hintere Schlundgegend des Stad. 11. 
Die sechste Schlundtasche erreicht ausnahmsweise das Ekto- 
derm. Der Verlauf der fünften ist nach anderen Schnitten 
punktirt angegeben. 

Modell der Schlundspaltengegend des Stad. 12 von aussen; 
Vergrösserung 50fach. Verkürzung der Schlundttaschenregion, 
Bildung des Sinus cervicalis, in dem die hinteren Bogen 
verschwinden. 

Querschnitt durch die hintere Schlundgegend des Stad. 12a. 
Schlundtasche V hat sich bereits vom Ektoderm losgelöst und 
bildet nur noch ein Anhängsel der vierten. 

Querschnitt durch dieselbe Region des Stad. 13. Asymmetrie 
der sechsten Schlundtasche: links (im Bild rechts) stark aus- 
gebildet, anderseits im Schwinden begriffen. Verlauf der fünften 
Tasche nach vorhergehenden Schnitten punktirt angegeben, 


Mittheilungen zur Entwicklungsgeschichte der Eidechse. 765 


Fig. 18. Aehnlicher Querschnitt vom Stad. 14. Suprapericardialkörper 


links (im Bild rechts) noch in Verbindung mit dem Darmrohr, 
rechts geschwunden, wie auch beiderseits die fünfte Schlund- 
tasche. 


Fig. 19. Frontalschnitt durch die Halsgegend des Stad. 17. Auf der 
rechten Seite erkennt man die Schlussmembran der zweiten 
und dritten Tasche nicht eingezogen — keine äusseren Furchen 
gebildet; auf der linken Seite die II. Spalte offen mit deut- 
licher Grenze zwischen Ektoderm und Entoderm. 

Inhaltsübersicht. 
Sr Seite 

Einleitung und Begrenzung der Aufgabe . . . 2 2 2.2.2... 8 

14Spe eieller)j Theile wre Rz: 208 
1. Beschreibung der Stadien. . . - 10 
2. Entwicklung der einzelnen Senlantenalten Aus ihrer 
Derivate 27.0 ze a SE 
a) Entwicklung der Schlundtaschen . . . . . .. 728 
b) Entwieklung der Schlundtaschenderivate. . . 731 
11.: Allgemeiner Theillsn.,28. 132 
1. Betheiligung des Gewebes an der Asa und Ane 
bildung der Schlundtaschen . . . 132 
a) Betheiligung der Gewebe an der Kuiseehaue 
der Schlundtaschen . . . bet Kor. 
a) Die Rolle der Mertenbögen. a EN Re 
ß) Die Rolle des Entoderms . . . ..... 137 
yY) Die Rolle des Ektoderms . . . . .....740 
b) Die Zahl der Schlundtaschen . . . .. ......744 
c) Betheiligung der Gewebe bei Oeffinung und 
Schluss der Schlundtaschen . . . . 746 
. Die physiologische Bedeutung der Scham dlaschen 
der Eidechse . . . u HE SEO) 

Charakterisirung der beschmebenen Eiabryonen BR EN rs  LONO) 

Merzeichniss. der eitirten, Biteratun na tt 

Brlarına der Abbildungen mr ware 2 an eier l0a 


Archiv f. mikrosk. Anat. Bd, 57 50 


766 


(Aus dem anatomischen Institut in Berlin.) 


Ueber den Verhornungsprocess. 


Von 


Dr. Hugo Apolant. 


Hierzu Tafel XLI und XULIl. 

Die Förderung, welche unsere Kenntniss des Verhornungs- 
processes in den letzten Decennien, seitdem dieser Gegenstand 
intensiver bearbeitet wird, erfahren ‚hat, liegt fast ausschlieslich 
auf histologischem Gebiete. Diese an sich auffallende Erschei- 
nung erklärt sich daraus, dass die strukturellen Veränderungen 
bei der Verhornung in ihren färberisch ungemein dankbaren Er- 
seheinungsformen bessere Angriffspunkte für die Analyse des 
Processes bieten als die chemischen Differenzen, da die Con- 
stitution der Keratinstoffe trotz ihres nach Alter und Fundort 
nicht unerheblichen Schwankens der der Albuminstoffe ausser- 
ordentlich nahe steht und im Wesentlichen dureh den höheren 
Schwefelgehalt ausgezeichnet ist. So betragen nach Hoppe- 
Seyler die Werthe für 


Albuminstoffe Keratin 

C 50 —55 C 50,5—52,5 
H 6,9— 7,3 H 6,4— 7,0 
N 15,0—18,0 N 16,2—17,7 
0 20,0—23,5 O 20,7—25,0 


S 0,3— 2,0 S 0,7— 5,0%9. 
Nach Munk schwanken die Werthe für Keratin in folgen- 
den Grenzen: 


C 50,9—54,9 


H 6,4— 6,94 
N 16,8—17,5 
0 19,6—21,9 


S 2,59— 5,34 9/.. 
3ot somit die histologische Forschung von vornherein mehr Aus- 
sicht auf eime befriedigende Lösung des Verhornungsproblems, 


Ueber den Verhornungsprocess. 767 


so zeigt doch andererseits ein Blick auf die Literatur, dass das 
tiefere Eindringen in die Structurverhältnisse vielfach zu Trug- 
schlüssen geführt hat, die erst mit dem Aufkommen der histo- 
chemischen Richtung als solche erkannt wurden. Indem jeder 
neuentdeckte Körper, wie Keratohyalin, Eleidin, Onychin hinsicht- 
lich seiner Natur, Entstehung und seines Schicksals sowie seiner 
Beziehung zum Verhornungsprocess mannigfache Probleme auf- 
warf, ist dieser Gegenstand allmählich um so complieirter ge- 
worden, als kaum eine einzige hierher gehörige Frage im Laufe 
der Zeit nicht in diametral entgegengesetztem Sinne beantwortet 
worden ist. Obwohl im Einzelnen noch viele Meinungsdifferen- 
zen bestehen, so haben doch unverkennbar in neuer Zeit eine 
Anzahl primeipieller Fragen eine erfreuliche Klärung erfahren, 
die eine schärfere Trennung des Wesentlichen vom Unwesent- 
lichen und damit ein tieferes Verständniss des interessanten Vor- 
ganges erhoffen lässt. 

Es ist ein entschiedener Fehler zahlreicher unseren Gegen- 
stand behandelnder Arbeiten, dass sie auf die Unterschiede bei 
der Entstehung differenter Horngebilde ein grösseres Gewicht 
legten, als auf die gemeinsamen Punkte, da doch die Erkenntniss 
der letzteren unter allen Umständen die Vorbedingung für ein 
Verständniss des ganzen Vorganges ist. Mag die chemische 
Constitution der auch makroskopisch so ausserordentlich differenten 
Gebilde wie Epidermis, Haare, Nägel, Hörner, Federn, Hufe ete. 
noch so verschieden sein, die Riehtung der Eiweissumsetzung 
ist doch allemal die gleiche, und somit ist es eine logische Forde- 
rung, dass diese Gleichheit auch in der histologischen Erscheinungs- 
form des Verhomungsprocesses zu Tage tritt. 

Von diesen Gesichtspunkten ausgehend, wählte ich, als mich 
Professor Waldeyer vor anderthalb Jahren zu den vorliegenden 
Untersuchungen veranlasste, als Object die embryonale Schweins- 
klaue. Maassgebend für die Wahl gerade dieses Objeetes waren 
drei Momente, 1. die Thatsache, dass zwei Haupttypen der Ver- 
hornung, nämlich die der Epidermis und des Nagels hier gleich- 
zeitig studirt werden konnten, 2. die Annahme, dass bei der em- 
bryonalen Entwicklung so gewaltiger Hornmassen die einzelnen 
Stadien bequemer zu verfolgen wären, da die in Frage kommenden 
Substanzen in einer die Analyse wesentlich erleiehternden Menge 
gebildet würden, sowie 3. der mehr äusserliche Umstand, dass 


768 Hugo Apolant: 


ich auf dem hiesigen Schlachthofe alle erwünschten Stadien in 
frischem Zustande erhalten konnte. Wenn sich mir daher manche 
bisher noch strittigen Punkte in besonderer Klarheit zeigten, so 
liegt dies weniger an einer Verbesserung der Untersuchungsme- 
thodik als vielmehr an der Wahl dieses besonders günstigen 
Objectes. 

Vereinzelte Angaben über den Verhornungsprocess an Klaue 
und Huf finden sich mehrfach in der Literatur verzeichnet, zu- 
erst bei Waldeyer (59) in seiner grundlegenden Arbeit über 
die Histogenese der Homgebilde, ferner bei Henle (19), Zablu- 
dowsky (63), Rabl (42), Renaut (49) u.a.; an einer syste- 
matischen Untersuchung der hier obwaltenden Verhältnisse fehlt 
es jedoch noch gänzlich, zumal die einschlägigen embryologischen 
Arbeiten, wie die von Thoms (54) weniger die histologischen 
Details des Verhornungsvorganges als vielmehr die Entwicklung 
der allgemeinen Formverhältnisse berücksichtigen. Die letzteren 
werde ich daher nur soweit besprechen, als es zum Verständniss 
der uns interessirenden Fragen nothwendig ist, während ich be-' 
züglich der Details auf die unter Leuckart angefertigte Disser- 
tation von Thoms verweise. 

Die Verhornung an der Schweinsklaue wird bei Embryonen 
von ca. 9 cm Rumpflänge durch eine Differenzirung der Sohlen- 
und Wandschicht eingeleitet. In das zunächst erheblich stärker 
ausgesprochene Wachsthum der Sohle wird auch der unterste 
Theil der Wand mit hineingezogen, sodass die Grenze zwischen 
beiden ganz auf der dorsalen Seite liegt und an Sagittalschnitten 
in einer ziemlich scharfen, schräg von oben innen nach unten 
aussen laufenden Linie zu Tage tritt (Fig. 1a). Die Sohlenzellen 
(Fig. 15) sind zahlreicher und kleiner, ihre Kerne färben sich 
dunkler, ihr Protoplasma erscheint dagegen heller als das der 
Wandzellen (Fig. 1c). Deutlich treten in dem Protoplasma Fasern 
hervor, die schon bei einfacher Hämatoxylinfärbung erkennbar 
und im Allgemeinen spärlich vorhanden sind. Eine irgendwie 
definirbare Schiehtung ist an der Sohle noch nicht ausgesprochen, 
die Zellen werden nur nach der Oberfläche zu grösser und neh- 
men allmählich den Charakter grosser Epitrichialzellen an, die 
sich nur in der äussersten Begrenzungsschicht stark abplatten. 
Die Intereellularbrücken sind in diesen äusseren Lagen besonders 
schön ausgeprägt. 


Ueber den Verhornungsprocess. 769 


Im Gegensatz hierzu treten an der Wandpartie die ersten 
Zeichen der Verhornung ein, die sich vor allem in einer mehr 
oder weniger deutlichen Schichtung doenmentiren. An Präpa- 
raten, die mit Hämatoxylin vorgefärbt und mit Pikrinsäure diffe- 
renzirt sind, sieht man, dass die den Leisten direet aufliegenden 
Zelllagen einen mattgelben Ton angenommen haben (Fig. 2a). 
Die Kerne der Zellen sind deutlich erhalten, zeigen jedoch zu- 
weilen eine etwas schwächere Tinetion. Zwischen dem Gros 
der hellgelben Zellen und zwar in deren peripherer, gegen die 
nächsthöhere Schicht grenzenden Zelllage findet man vereinzelt 
solche mit einer gesättigt gelben Färbung, die sofort durch 
ihren starken Glanz auffallen und vollkommen homogen er- 
scheinen (Fig. 25). Mit Säurefuchsin nehmen dieselben eine 
intensiv rothe Färbung an. Das etwas verwaschene, je nach 
Anwendung von Pinkrinsäure oder Fuchsin gelbliche oder 
mehr röthliche Aussehen der tieferen Zelllagen der Wandschicht 
rührt, wie man sich bei Anwendung starker Systeme überzeugen 
kann, von einer ungemein feinen und dicht stehenden Faserung 
her, die bei Mehrfachfärbung nach van Gieson niemals den 
Hämatoxylinton annimmt. Nicht immer erscheint das Protoplasma 
dieser Zellen fibrillär, sondern zuweilen feinkörnig oder eigen- 
thümlich gefiedert. Es kann keinem Zweifel unterliegen, dass 
diese Bilder nichts anderes als der Ausdruck in verschiedener 
Richtung getroffener Fibrillen sind. 

Der grosse Gegensatz, der hinsichtlich des Reichthums an 
Fibrillen zwischen den tiefen Sohlen- und Wandzellen besteht, 
und auf dessen prineipielle Bedeutung wir später noch zurück- 
kommen werden, tritt am schönsten an Präparaten zu Tage, 
die nach der Kromayer’schen Methode gefärbt sind. Fig. 
3a stellt eine Zelle von der Sohlenpartie dar; die Fasern 
haben einen im Allgemeinen gestreekten Verlauf, liegen ziemlich 
isolirt und sind leicht zu verfolgen. Sie bilden nur einen relativ 
geringen Theil des Protoplasmas, dessen Hauptmasse aus der 
Interfibrillarsubstanz besteht. Man findet wohl zuweilen Zellen 
mit einem dichteren Fasergefüge, das jedoch nie die Mächtigkeit 
erreicht, wie es die in Fig. 3b wiedergegebene Wandzelle des- 
selben Schnittes aufweist. Es ist unmöglich, aus diesem Faser- 
gewirr eine bestimmte Verlaufsrichtung der Fibrillen zu eruiren. 
Die Zelle erscheint bei schwacher Vergrösserung diffus gefärbt, 


770 Hugo Apolant: 


weil die Fibrillarsubstanz so enorm überwiegt. Irgendwelche 
sonstigen, mit Hämatoxylin färbbaren Körner habe ich niemals 
in diesen Zellen nachweisen können. Das Protoplasma der er- 
wähnten mehr peripher liegenden, sich stärker färbenden, glän- 
zenden Zellen, in denen stets nur ein rudimentärer Kern zu sehen 
ist, zeigt keinerlei feinere Structur mehr, jeder Ausdruck eines 
fibrillären Baues ist hier verschwunden. Unmittelbar nach aussen 
von diesen noch keine zusammenhängende Schicht bildenden, 
glänzenden, und, wie wir später sehen werden, bereits in der 
Verhornung begriffenen Zellen trifft man hier und da vereinzelte 
Zellen mit einer deutlichen Körnelung (Fig. 2c). Bemerkenswerth 
ist, dass in der Zone, in der diese Körner auftreten, die Fibrillar- 
substanz der Zellen bereits erheblich geringer ist, als in den 
tieferen Schichten, und sich mehr den Verhältnissen an der Sohle 
nähert. Die Körner erweisen sich wegen ihrer starken Färbbar- 
keit in Hämatoxylin und wegen ihrer sonstigen Eigenschaften 
als Keratohyalin und treten zuerst staubartig und ziemlich gleich- 
mässig über die Zelle vertheilt in ausserordentlicher Feinheit auf. 
Sind die Körner grösser, so ist ihre Anzahl entsprechend ge- 
ringer. Im übrigen zeigen die noch nieht mit Keratohyalin er- 
füllten Zellen wie die entsprechenden der Sohle den Charakter 
grosser nur in der äussersten Schicht abgeplatteter Epitrichial- 
zellen (Fig. 3d). 

Wir können also, wenn wir die bisherigen Ergebnisse kurz 
zusammenfassen, folgende Unterschiede zwischen Sohle und Wand 
aufstellen: Die Zellen der Sohle sind viel stärker ge- 
wuchert, sie zeigen eine deutliche, aber verhältniss- 
mässig nicht sehr reiche Fibrillarsubstanz und gehen 
ohne ausgesprochene Schichtung allmählich in die 
grossen Epitrichialzellen über. Die Wandzellen sind 
weniger stark gewuchert, in den tieferen, den Leisten 
zunächst liegenden Schichten ist die Fibrillarsubstanz 
viel stärker ausgebildet, weiter nach aussen treten die 
ersten Zeichen der Verhornung, ohne Betheiligung 
irgendwelcher Körner, in Form von stark glänzenden, 
homogen erscheinenden, mit Fuchsin und Pikrinsäure 
intensiv färbbaren Zellen auf, denen sieh nach aussen 
die ersten ebenfalls noch keine zusammenhängende 
Lage bildenden Keratohyalinzellen anschliessen, 


Ueber den Verhornungsprocess. 1 


Die nächsten untersuchten Stadien von 12 und 15 cm 
kumpflänge werde ich zusammen besprechen, da die Differenzen 
zwischen beiden nur quantitativer Natur sind. 

Mit der weiter fortschreitenden Entwicklung wird die Grenze 
zwischen Sohle und Wand immer ausgesprochener, da die Diffe- 
renz in der (Grösse der Zellen stetig zunimmt. Die Randleiste, 
die sich allmählich in Folge des stärkeren Sohlenwachsthums 
schnabelschuhartig von der plantaren auf die dorsale Seite um- 
biegt, ist bereits deutlich vorhanden. An der Sohle besteht die 
einzige structurelle Veränderung in dem ersten Auftreten von 
Keratohyalin, das in ausserordentlich feinen Körnchen und zu- 
nächst noch recht spärlich in den mittleren Zellsehichten gebildet 
ist. Irgendwelche sonstigen auf Verhornung hindeutenden Zeichen 
sind hier nicht zu constatiren. 

Complieirter haben sich die Verhältnisse an der Wand ge- 
staltet. Am besten gehen wir bei der Beschreibung von einfachen 
Pikrokarmin-Präparaten aus. An Längsschnitten erscheinen die 
Zellen der tiefen, den Leisten aufliegenden Schichten hellgelb. 
Die Zelleonturen sind ebenso wie die Kerne etwas verschwommen, 
so dass man bereits den Eindruck einer zusammenhängenden 
Platte erhält. Zuweilen, aber durchaus nicht regelmässig, treteu 
in dieser Schicht stark lichtbreehende Körnchen auf, die Thoms 
bereits gesehen und für Onychin gehalten hat. Ich hielt sie zu- 
erst ebenfalls dafür, obgleich sie eine Anzahl Eigenschaften be- 
sitzen, die mit dem Onychin der Autoren nicht recht in Einklang 
zu bringen sind. Auf Grund der Erfahrungen jedoch, die ich 
an späteren Stadien machen konnte, bin ich zu einer total anderen 
Auffassung dieser vermeintlichen Körner gelangt. Zunächst sind 
sie durchaus keine constante Erscheinung. Bei verschiedenen 
Embryonen desselben Alters habe ich sie theils gefunden, theils 
vermisst, aber auch an demselben Embryo wechselt ilır Vorkommen, 
bald sind sie reichlicher vorhanden, bald ausserordentlich spär- 
lich und nie in soleher Menge, wie es von den Autoren für das 
Onychin der Nagelmatrix angegeben wird. Auch Thoms betont 
ihr spärliches Auftreten. Nicht minder varürt ihre Form; ent- 
weder sind sie kugelrund und sehen wie glänzende Kokkenhaufen 
aus, oder sie haben eine mehr längliche Gestalt und gleichen 
dann eher Bacillen, oder sie besitzen endlich eine ganz unregel- 
mässige Form und erhalten dadurch ein eigenthünlich krisliges 


772 Hugo Apolant: 


Aussehen. Immer aber zeichnen sie sich durch starken Glanz 
aus und sind auf keine Art zu färben. Die wahre Natur dieser 
Körnehen erschloss sich mir erst, als ich zufällig in einigen Prä- 
paraten von etwas späteren Stadien dieselben Bildungen an Stellen 
fand, wo von Onychin nicht gut die Rede sein konnte, so vor 
Allem in den Spalten zwischen den Intercellularbrücken der Epi- 
trichialzellen. Nachdem ich sie ferner in gleicher Weise in der 
bereits verhornten Kralle eines Kaninchen-Embryos nachweisen 
und mich davon überzeugen konnte, dass alle diese Bilder in 
keiner Weise von den Körnelungen differiren, die man an fertiger 
Nagelsubstanz schon lange kennt, war es mir klar, dass es sich 
lediglich um fein vertheilte Lufteinschlüsse handelte. Zur Unter- 
stützung dieser Ansicht löste ich an einem die Körner nur spär- 
lich zeigenden Präparate den Balsam mit Xylol auf, liess den 
Schnitt an der Luft trocknen und montirte ihn dann schnell in 
etwas dicken Balsam. Die Form, in der sich jetzt die Luft ge- 
fangen hatte, stimmte mit den Körnchen so vollständig überein, 
dass ich kein Bedenken trage, die ganze, in den tiefen verhornten 
Wandschiehten auftretende und nicht färbbare Körnelung für 
Luft zu erklären, die bekanntlich bei dieser feinen Vertheilung 
ausserordentlich schwer aus dem Schnitt heraus zu treiben ist. 
Auf die eben besprochene gelbe Zellschicht folgt nach aussen 
eine in den verschiedenen Nüancen des Roth gefärbte Zone, in 
welcher die Zellen eine eigenthümliche Formveränderung erfahren 
haben. Letztere kommt dadurch zustande, dass infolge der all- 
mählichen Ausbildung der Krone einerseits und des Mächtiger- 
werdens der Randleiste andrerseits die ganze Wandpartie seitlich 
comprimirt wird. Relativ wenig leiden zunächst noch unter dieser 
seitlichen Compresssion die jetzt hier zahlreich vorhandenen 
Keratohyalinzellen, die nur etwas in die Länge gezogen erscheinen 
und dieht mit roth gefärbten Körnern erfüllt sind. Dazwischen 
jedoch bemerkt man völlig abgeplattete, diffus rothe Gebilde, 
die keine Spur einer Körnelung mehr aufweisen und nur durch 
den atrophischen Kern ihren Zellcharakter verrathen. Die nach 
aussen gelegenen Epitrichialzellen zeigen keinerlei Veränderung. 
Sehr viel prägnanter treten alle diese Verhältnisse an 
Eisenhämatoxylinpräparaten hervor (Fig. 4). Das Eisenhäma- 
toxylin hat nämlich, wie es Ernst von der Gram’schen Me- 
thode angegeben hat, die Eigenschaft, junges Horn auf das In- 


Ueber den Verhornungsprocess. 713 


tensivste zu färben. Wir sehen daher über den Leisten eine 
continuirliche, tiefschwarze Hornwand, deren Zusammensetzung 
aus Zellen nur an wenigen Stellen noch bemerkbar ist. Nach 
der Cutis zu setzt sich bereits in diesem Stadium, wie Quer- 
schnitte lehren, die junge Hornwand mit kurzen, den Epithel- 
leisten entsprechenden Zacken fort (Fig. 5a). Auch nach aussen 
hat diese Zellwand insofern eine Fortsetzung, als der Rand der 
hier gelegenen, in die Länge gezogenen Zellen in verschiedener 
Breite ebenfalls intensiv schwarz gefärbt ist. Da zugleich auch 
das Keratohyalin diese Farbe annimmt, so resultiren höchst 
complieirte Bilder (Fig. 6 und 7), deren Deutung uns zunächst 
beschäftigen muss. Was dieser Schicht ihren speciellen Charakter 
verleiht, ist das Auftreten zahlreicher sternförmiger Bildungen, die 
sich den Conturen der meist mit Keratohyalin erfüllten Zellen 
genau adaptiren. In ihrem Aussehen erinnern diese Bildungen 
an die Langerhans’schen Zellen der Haut, mit denen sie 
natürlich nichts zu thun haben. Ihre Deutung ergiebt sich aus 
zahlreichen Uebergangsformen, die gerade an Eisenhämatoxylin- 
präparaten besonders scharf hervortreten.. Im Beginn des Pro- 
cesses färbt sich nur die Zellperipherie in dünner Schicht, doch 
ist schon hier zu erkennen, wie die angrenzenden Partieen be- 
nachbarter Zellen in den Vorgang hineinbezogen werden, sodass 
verästelte geweihartige Figuren zustandekommen (Fig. Ta). All- 
mählich wird mit dem Fortschreiten nach dem Zellinnern die 
gefärbte Zone breiter, bis schliesslich die ganze Zelle schwarz 
erscheint; doch ist auch jetzt noch der allerdings atrophische 
Kern gut zu erkennen (Fig. 9). Je weiter der Process fort- 
schreitet, umsomehr platten sich die Zellen ab und nehmen jene 
charakteristische Sternform an, die wir oben erwähnten. Trotz- 
dem die Abplattung sehr stark werden kann, lässt sich doch an 
Serien ein Schnitt finden, in dem der die Zelle als solche eha- 
rakterisirende, atrophische Kern sichtbar wird (Fig. Sa). Dass 
es sich hier in der That um einen Verhornungsprocess handelt, 
geht aus dem Resultat der künstlichen Verdauungsversuche her- 
vor. Figur 11 stellt ein Präparat dar, das 24 Stunden in der 
von Behn angegebenen Verdauungsflüssigkeit gelegen hat. Die 
sternförmig conturirten, zum Theil ganz platten Zellen heben 
sich durch ihren starken Glanz von dem matten Untergrund 
scharf ab. In nach Unna verdauten und mit polychromem 


174 Hugo Apolant: 


Methylenblau gefärbten Schnitten werden sie intensiv schwarz- 
blau tingirt (Fig. 10). 

Es könnte auf den ersten Blick auffallen, dass mit der 
fortschreitenden Verhornung eine so grosse Gestaltveränderung 
der Zellen verbunden ist. Dies erklärt sich daraus, dass in 
denselben Zellen neben der Verhornung noch ein anderer Process 
Platz greift, den wir besser an Schnitten verfolgen können, die 
nach van Gieson gefärbt sind. Ich wende diese Methode stets 
so an, dass ich die einzelnen Färbungsphasen vollständig von 
einander trenne. Die Präparate werden 24 Stunden in mittel- 
starkem Delafield’schen Hämatoxylin überfärbt, gewaschen, 
auf einige Minuten in concentrirte Säurefuchsinlösung gelegt, 
wieder gewaschen und erst in wässeriger, dann in alkoholischer 
eoncentrirter Pikrinsäurelösung differenzirt. Nach der relativen 
Einwirkungsdauer der einzelnen Farbstoffe variiren nun allerdings 
die Farbtöne etwas, und zwar in unserem Stadium umsomehr, 
als sich die Affinitäten der Pikrinsäure und des Fuchsins zu 
jungem Horm ziemlich die Waage halten, wenigstens noch nicht 
die ausgesprochene Election zeigen, die wir in späteren Stadien 
kennen lernen werden. Immerhin haben die tiefen, den Leisten 
aufliegenden Schiehten mehr die Neigung, sich gelb zu färben, 
während an der Grenze gegen die Keratohyalinschicht intensiv 
roth gefärbte Zellen auftreten (Fig. 12c), die theilweise schon 
deutlich abgeplattet sind. Daneben sieht man nun zahlreiche 
Keratohyalinzellen mit blaugefärbten Körnern (Fig. 12a). Die 
Zellen zeigen sehr verschiedene Formen und gehen eine allmäh- 
liche Umwandlung ein, indem zuerst der Kern homogen wird und 
sich mit Fuchsin intensiv färbt, während gleichzeitig die Kernhöhle 
deutlich zu Tage tritt (Fig. 12d und 13a). Allmählich werden 
die Zellen platter, und, während die Körner schwinden, nimmt 
das sich diffus bläulich färbende Protoplasma eine homogene 
Beschaffenheit an. Aber selbst bei starker Abplattung ist der 
rothe Kernrest noch schön zu sehen (Fig. 125b und Fig. 135 cd). 
Die Veränderung bleibt jedoch hierbei nicht stehen, sondern 
schreitet in der Richtung fort, dass die Zellen zunächst eine 
sehmutzig-grüne und später entweder eine gelbe oder rothe Fär- 
bung annehmen, während von dem Kern schliesslich nur Reste 
einer Höhle zu erkennen sind. Kein Zweifel, dass die vorhin 


Ueber den Verhornungsprocess. 775 


besprochenen Eisenhämatoxylinbilder zum grössten Theil auf der- 
artige maximal geschrumpfte Zellen zu beziehen sind. 

Esergiebtsichalso dieinteressante That- 
sache, dass die ursprünglich mit Keratohyalin 
reichlich versehenen Zellen unter Schwinden 
der Körner einer enormen Abplattung unter- 
liegen undzu dünnen, verhornenden Gebilden 
werden, die durch Anpassung an ihre Umge- 
bung eine meist sternförmige Gestalt annehmen, 
während dietiefen, ohne Auftreten von Kera- 
tohyalin verhornenden Zellen ihre Zellferm 
im Wesentlichen bewahren. Diese Thatsache, zu: 
sammengehalten mit der schon vorhin eruirten, dass nämlich die 
Fibrillarsubstanz in den Zellen, in denen sich Keratohyalin bildet, 
bei weitem nicht so reichlich vorhanden ist, wie in den 
tiefen, schon früh verhornenden Zellen, lässt uns bereits den 
innigen Zusammenhang ahnen, der zwischen der Fibrillarsub- 
stanz und dem Verhornungsprocess besteht. 

Wir resümiren also die aus der Untersuchung des zweiten 
Stadiums sich ergebenden Resultate dahin, dass in den mitt- 
leren)Schichten deriSohle;die ersten.sSpuren 
von Keratohyalin auftreten, während an der 
Wand der’ Verhornungsproeess weitereukhond. 
schrittegemachthat. Dietiefen Lagenyhabren 
sich zu einer zusammenhängenden Hornwand 
uamere;swandeht,' die bemeits'.diie) erst sr Am age 
der in die Epithelleisten hineinwachsenden 
Hornblättehenrerkennen lässt. Nach aussen 
seht der Verhornungsprocess unregelmässiger 
or sich, \indem+zahlmenchie" Keratohyallinzelken 
sebildet werden, die sich zum Theil stark ab- 
platten und in diesem Zustande verhornen. 

Das nächste von mir untersuchte Stadium entspricht 
einem Embryo von eirca 17 em Rumpflänge. An Sagittal- 
schnitten (Fig. 14) fällt zunächst die starke Keratohyalinbil- 
dung an der Sohlenpartie auf. Während die ersten Körner 
schon in Zellen auftreten, die der Cylinderschicht ziemlich nahe 
liegen, trifft man erst weiter aussen eine colossale Anhäufung 
von Keratohyalin, das sich am Sagittalschnitt wie ein dickes 


176 Hugo Apolant: 


Band durchzieht (Fig. 14a); dabei liegen die Körner nicht nur 
dichter, sondern sie haben sich auch zu starken, unregelmässig 
gestalteten Schollen umgewandelt, die an etwas dickeren Schnitten 
die Zellen, in denen sie liegen, nicht erkennen lassen. Die nach 
aussen gelegene Epitrichialschicht (Fig. 145) ist frei von Körnern 
und zeigt bereits zahlreiche stärker abgeplattete Zellen. Je mehr 
man sich der jetzt schon gefalteten Randleiste nähert, um so 
stärker tritt in dem Stratum granulosum selbst eine Schichtung 
auf. Die Körner nehmen zuerst an Zahl und Grösse zu, dann 
folgt eine Schicht mit sehr stark abgeplatteten Zellen, die ein 
eigenthümlich gekräuseltes Aussehen haben und Keratohyalin nur 
spurenweise enthalten (Fig. 16). Weiter nach aussen liegt end- 
lich eine Schicht, in der die Schollen am grössten sind und am 
diehtesten liegen. In der Randleiste selbst ist die Dreischich- 
tung ebenfalls ausgesprochen, und hier sind die gekräuselten 
Zellen der mittleren Schicht derart abgeplattet, dass man bei 
schwächerer Vergrösserung keine Zell- sondern eine Faserstruetur 
vor sich zu haben glaubt und selbst mit starken Systemen eine 
Auflösung im Zellen stellenweise unmöglich ist (Fig. 15). Auch 
die Epitrichialzellen, die sich nur sehr schwach hellgelb färben. 
sind in dieser Partie stark abgeplattet und zeigen keine Spur 
mehr von Intereellularbrücken, lassen jedoch noch ihre Kerne 
erkennen. 

Die Wandpartie bietet jetzt folgende Verhältnisse dar: An 
dem Horn selbst kann man verschiedene Schichten unterscheiden, 
die bei der van Gieson-Färbung sehr deutlich hervortreten. 
Die tieferen Hornschichten, besonders die nach dem Falz zu ge- 
legene Partie hat eine intensiv gelbe Färbung angenommen (Fig. 
14c) untermischt mit einzelnen rothen Flecken, die jedoch nach 
aussen und nach der Randleiste zu stärker entwickelt sind. Noch 
weiter nach aussen und gleichsam einen Ueberzug über die 
Hornwand bildend, liegt eine Schicht stark in die Länge ge- 
zogener, abgeplatteter, blauschwarz gefärbter Zellen, die stellen- 
weise, besonders gegen den Falz hin, eine continuirliche Masse 
zu bilden scheinen, nach der Randleiste zu jedoch ihren gross- 
scholligen Keratohyalininhalt erkennen lassen (Fig. 14d). Diese 
Schicht setzt sich nach der Krone zu in Form von feinkörnigen 
Keratohyalinzellen ein Stück über den Falz hinaus fort, doch 
so, dass sie immer eine mehr nach aussen gelegene Zone ein- 


pin 


Ueber den Verhornungsprocess. 77 


nimmt als das eigentliche Horn (Fig. 14e). Auch in die Rand- 
leiste hinein findet eine Fortsetzung in Form gewöhnlicher 
Körnchenzellen statt. Da dasselbe Verhältniss, auch an den 
Seitenrändern des Klauenhorns constatirt werden kann, so haben 
wir es hier mit einer das neugebildete Horn in seiner ganzen Aus- 
bildung direct bekleidenden und an den Grenzen in Form eines 
gewöhnlichen Stratum granulosum überragenden Zelllage zu thun, 
die den tiefsten Theil des Epitrichiums darstellt. Sie ist aus 
der Umwandlung der Keratohyalinschicht hervorgegangen und 
muss, wie wir später noch genauer sehen werden, als Eponychium 
angesprochen werden. 

Noch eines Befundes muss ich hier Erwähnung thun, der 
die Beziehungen des Keratohyalins zum Verhornungsprocess meiner 
Ansicht nach in ein besonders klares Licht stellt. An dem 
unteren Ende des Wandhorns nämlich, da, wo dasselbe an Mäch- 
tigkeit und Consistenz plötzlich abnimmt, um sich in der Rand- 
leiste zu verlieren (Fig. 149g), findet man plötzlich auch zwischen 
Horn und Leisten vereinzelte Körnchenzellen als Fortsetzung und 
letzte Ausläufer des mächtigen Keratohyalinlagers der Randleiste. 
Das Auftreten der Körmnerzellen ist gerade an dieser Stelle so 
interessant, weil der eigentliche Verhornungsprocess hier lebhaft 
im Gange ist, und so das gegenseitige Verhältniss deutlich in 
die Augen springt. Scharf heben sich an van Gieson-Präpa- 
raten die dunkelblauen Zellen von dem hier leuchtend roth ge- 
färbten Horn ab (Fig. 17). Da sich jedoch der Verhornungs- 
process von der Anwesenheit der Zellen garnicht weiter stören 
lässt, so werden die letzteren von den neugebildeten Keratin- 
massen umklammert und kommen ähnlich zu liegen wie die 
Osteoklasten in den Howship schen Lacunen; schliesslich werden 
sie vollständig umschlossen und befinden sich gleichsam als 
Fremdkörper mitten in dem jungen Horn. Während dieses nun 
nach den Leisten zu unbekümmert weiter wächst, geht die As- 
similirung der Zellen unter Auflösung ihrer Körnchen erst ganz 
allmählich vor sich. 

Als.das; Wesenihliehste dieses;dritben)sta- 
danms möchterichiinsdier ‚Wandxegion, die/Ver- 
diehtung des mächtig entwickelten Stratum 
granulosum zudem das ganze Klauenhorn über- 
ziehenden Eponyehium betrachten. Das Wand- 


778 Hugo Apolant: 


horn selbst hatsich consolidirt und lässt den 
scharf zugeschnittenen Falz"jetzt deutlich 
erkennen. Im Bereich der Sohle und der Rand- 
leistekommt dem sceholligen Keratohyalinin 
den äusseren Lagen sowie der starken Abplat- 
tung der von Keratohyalin freien Zellen die 
hauptsächlichste Bedeutung zu. 

Das folgende, einer Rumpflänge von etwa 22cm entsprechende 
Stadium ist das letzte, das ich zu untersuchen Gelegenheit hatte. 
Die Randleiste, mit der wir bei der Beschreibung beginnen 
wollen, ist noch weiter ausgebildet und vielfach gefaltet (Fig. 18a). 
Auffallend ist hier vor Allem der colossale Schwund von Kera- 
tohyalin, das nur noch in unbedeutender Menge vorhanden ist. 
An den Stellen der früher grössten Anhäufung ‚dieser Substanz 
bemerkt man verwaschene, wie zerflossen aussehende Streifen, 
die unzweifelhaft einer Auflösung und diffusen Vertheilung von 
Keratohyalin ihre Entstehung verdanken. Im übrigen hat jetzt 
das gesammte Gewebe der Randleiste jenen in Folge der maxi- 
malen Zellabplattung faserigen Charakter angenommen, der im 
vorhergehenden Stadium nur die mittleren Schichten kennzeichnete. 
Von einer irgendwie nennenswerthen Verhornung kann hier keine 
Rede sein, da sich die Randleiste gegen künstliche Verdauung 
als sehr wenig widerstandsfähig erweist. Uebrigens ist die Ver- 
daulichkeit des Epitrichiums schon von Rosenstadt (50) nach- 
gewiesen worden. Aehnlich liegen die Verhältnisse an der Sohle, 
nur tritt hier das aus den am stärksten mit Keratohyalin er- 
füllten Zellen hervorgegangene, mit Fuchsin lebhaft roth gefärbte 
und mit den Ausläufern des Wandhorns in Verbindung stehende 
Band deutlicher hervor (Fig. 185). Dasselbe dürfte nach seiner 
Entstehung und seinem Aussehen dem Eponychium parallel zu 
stellen sein, bedeckt aber vorläufig noch keine Hornsubstanz, da 
sich das Sohlenhorn bekanntlich erst nach der Geburt bildet. 

Die Veränderungen an der Wand betreffen zunächst das 
Eponychium (Fig. 18c), in dessen Bereich die Menge des Kera- 
tohyalins beträchtlich verringert ist; nur an beiden Seiten, also 
am Uebergang zur Sohle und am oberen, den Falz jetzt weit 
überragenden Ende sind die Körnerzellen stärker entwickelt 
(Fig. 18d). Das Eponychium färbt sich jetzt nicht mehr mit 
Hämatoxylin, sondern mit Fuehsin als Zeichen dafür, dass die es 


Ueber den Verhornungsprocess. 779 


zusammensetzenden Zellreste ebenfalls verhormt sind. An dem 
Wandhorn selbst treten nun die Affinitäten zu den verschiedenen 
Farbstoffen mit grosser Schärfe und Constanz hervor. Die ältesten, 
in dem Verhornungsprocess am weitesten vorgeschrittenen Par- 
tien färben sich intensiv gelb, nur die Zellgrenzen und Kernrudi- 
mente nehmen den Fuchsinton an (Fig. 195). Dieses Verhältniss, 
von dem bei anderen, namentlich bei Pikrocarminfärbungen nicht 
das Geringste zu sehen ist, habe ich selbst postembryonal an 
der Klaue einjähriger Schweine constatiren können. Das noch 
unfertige Horm zeigt eine viel grössere Affinität zum Fuchsin 
und nimmt sogar bei der allerersten Bildung häufig einen eigen- 
thümlich violetten Ton an. Sehr schön sind diese Verhältnisse 
an Schnitten zu sehen. welche die Leisten flach treffen, sodass 
die Region der jüngsten Verhornung in grösserer Ausdehnung zu 
Tage tritt (Fig. 19). Auch hier ist die leicht gelb gefärbte 
Matrix der verhornenden Zellen (Fig. 19a), wie man sich bei 
starker Vergrösserung überzeugen kann, auf das feinste fibrillirt, 
ohne dass sonst auch nur eine Spur einer mit Hämatoxylin dar- 
stellbaren Körnelung auftritt. Nach der Randleiste zu geht das 
solide, gelbe Wandhorn in eine intensiv roth gefärbte weichere 
Modification über, die auch in der Form der abgeplatteten Zeilen 
den Charakter der Unfertigkeit an sich trägt, mithin sich seinem 
Wesen nach dem Eponychium nähert, von dem es schliess- 
lich nicht zu trennen ist (Fig. 18e). 

Zu allen diesen mehr graduellen Unterschieden gesellt sich 
nun als wichtigstes und prineipiell neues Moment die Ausbildung 
der Kronenmatrix hinzu, die wohl in ihren allerersten Anfängen 
schon im vorhergehenden Stadium wahrnehmbar war (Fig. 14 f), 
aber jetzt erst diejenige Mächtigkeit erlangt hat, die ihre Be- 
stimmung, als Hauptbildungsstätte des Wandhorns das ganze Leben 
hindurch zu functioniren, verstehen lässt (Fig. 18 f). Sie ist 
also die eigentliche Matrix des Klauenhorns, das direete Ana- 
logon der menschliehen Nagelmatrix. Da diese Schicht uns 
weiter unten wegen ihrer grossen Bedeutung in structureller 
Hinsicht noch eingehender beschäftigen wird, so seien hier nur ihre 
allgemeinen Verhältnisse kurz erwähnt. Sie schiebt sich als ein 
auf Sagittalschnitten annähernd rhombisches Polster zwischen 
den Falztheil des Klauenhorns, den obersten Theil der Epithel- 
leisten und das Eponychium em und geht nach oben allmählich 


780 Hugo Apolant: 


in das rete Malpighii der Krone über. An van Gieson-Prä- 
paraten tritt sie durch ihre leuchtend violette Farbe, die sich 
scharf von dem Fuchsinton abhebt, den sonst junges Horn anzu- 
nehmen pflegt, ungeheuer deutlich hervor. Bei stärkeren Ver- 
grösserungen erscheint die ganze Matrix theils streifig, theils 
punktirt, und nimmt erst beim Uebergang in das fertige Horn 
unter ziemlich schnellem Umschlagen der Färbung in roth und 
gelb eine homogene Beschaffenheit an. Doch hiervon später mehr. 

Wir eonstatiren also in diesem Stadium als die drei wich- 
tigsten Punkte: 

1) einen eolossalen Schwund von Kerato- 
hyalin, ohne dass verhornte Massen an seine 
Stelle treten; 

2) eine starke Consolidirung des Wandhorns 
unter schärkerer färberischer Differenzen 
deraltenvonden jungen Partien und 

3) die Ausbildung der eigentlichen Kronen- 
matrix. 

Nach dieser systematischen Schilderung der bei der Ver- 
hornung der Klaue auftretenden Verhältnisse wenden wir uns 
nunmehr zu einer Besprechung der bei dem Verhornungsprocess 
hauptsächlich zu berücksichtigenden Fragen und beginnen mit der 


Entstehung des Keratohyalins. 


Bezüglich der Literatur dieses vielbehandelten Gegenstandes 
verweise ich auf die ausführlichen Angaben von Ernst (12), 
Grosse (16), Rabl (42) und Weidenreich (60). 

Nachdem die älteste, der Beobachtung sich zunächst auf- 
drängende Theorie, die das Keratohyalin vom Kernchromatin 
ableitete, sowie die Kromayer’sche Theorie, nach der die 
Körner ein Zerfallproduet der Fasern darstellen, durch die 
Arbeiten von Rosenstadt, Rabl und Weidenreich als 
völlig widerlegt betrachtet werden dürfen, kommen meiner An- 
sicht nach nur noch zwei Theorien in Betracht, als deren Haupt- 
vertreter die beiden letztgenannten Autoren anzusehen sind. 
Rab] hält das Keratohyalin für das Umwandlungsproduet eines 
unfärbbaren, noch nicht näher bekannten Kernbestandtheils, das 
entweder in dieser Modifieation in den Zellkörper übertritt, um 
sich dort erst zu consolidiren oder bereits in definitiver Form 


Ueber den Verhornungsprocess. ‘si 


den Kern verlässt. Weidenreich fasst dagegen das Kerato- 
hyalin als Protoplasmaproduct auf und zwar als ein Zerfallspro- 
duet der Interfibrillarsubstanz. Ich bemerke vorweg, dass ich 
mich in dieser Frage ganz auf die Seite des letzteren Autors 
stellen muss. Ich hatte gerade diese Seite meiner Untersuchungen 
schon zu Ende geführt und Herın Professor Waldeyer die 
diesbezüglichen Präparate vorgelegt, als ich von den Weiden- 
reich'schen Untersuchungen Kenntniss erhielt. Meine Resultate 
sind daher gänzlich unabhängig von ihm gewonnen, was gewiss 
nur zu Gunsten seiner Theorie spricht, zumal ich meine Beobach- 
tungen an einem ganz anderen Material anstellte; ein Punkt, 
der für die vorliegende Frage nicht olıne Bedeutung ist. 

Eins der wesentlichsten Beweismittel für die Kerntheorie 
und, soweit ich sehe, auch das Hauptargument Rabl’s ist die 
Thatsache, dass man meistens die ersten Körmchen in unmittel- 
barer Nähe des Kerns auftreten sieht, sodass man zuweilen im 
Zweifel ist, ob sie innerhalb oder ausserhalb der Kernhöhle 
liegen. Weidenreich führt dagegen bereits an, dass dies 
durchaus nicht immer der Fall ist, sondern dass gelegentlich die 
ersten Körnchen an den Polen der Zelle auftreten, während ihre 
spätere, mehr centrale Lage sich aus der peripheren Lagerung 
der Fibrillarsubstanz erklärt. 

In diesem Punkt zeigt die embryonale Klaue höchst in- 
structive Bilder. Auf Grund meiner Präparate muss ich es ge- 
radezu als Seltenheit bezeichnen, dass die ersten Körnchen in 
der Umgebung des Kerns auftreten. Zellen mit 3, 4, 5 Körnehen 
sind besonders am Sohlenhborn bei 12 cm langen Embryonen 
keine Seltenheit (Fig. 20a). Stets fand ich dieselben regellos 
in der Zelle vertheilt; auch mit der weiteren Vermehrung der 
Körneh.n bleibt dieses Verhältniss bestehen, doch ist schon jetzt 
zuweilen eine Bevorzugung der Zellperipherie unverkennbar (Fig. 
205). Diese am Rand gelegenen Körnchen nehmen gewöhnlich 
auch zuerst grössere Dimensionen an, sodass sie in perlschnur- 
artiger Anordnung bei schwacher Vergrösserung die Zelleontur 
zu bilden oder doch wenigsten zu verstärken scheinen (Fig. 20 ec). 
Auch bei fortschreitender Keratohyalinbildung ändert sich wenig 
an diesem Lageverhältniss. Diese ganz evidenten Thatsachen, 
deren übrigens schon Thoms kurz Erwähnung thut, ohne 


weıter auf sie einzugehen, stehen in einem so offenkundigen 
Archiv f. mikrosk. Anat. Bd. 57 51 


1782 Hugo Apolant: 


Widerspruch mit den Erfahrungen, die man von jeher am stratum 
granulosum der Oberhaut gemacht hat, dass man nothwendig nach 
einem Grund für diese merkwürdige Differenz suchen muss. 
Ich sehe denselben zum Theil darin. dass die Fibrillarsubstanz 
in den Epitrichialzellen gleichmässiger vertheilt ist als im stratum 
granulosum der Haut, wo sich die Fasern bekanntlich vorzugs- 
weise peripher anordnen. Die mehr gleichmässige Vertheilung 
der Fibrillarsubstanz involvirt aber auch eine ebensolche der 
Interfibrillarsubstanz, wodurch also auch die Bedingungen für 
die Bildung von Keratohyalin innerhalb der Zelle überall die 
gleichen sind und eine Bevorzugung der Kernregion durch nichts 
gegeben ist. Dazu kommt vielleicht noch ein anderes Moment, 
das ich jedoch nur hypothetisch aussprechen möchte. Die meisten 
Beobachtungen von in der Nähe des Kerns auftretenden Kerato- 
hyalinkörnern sind an Zellen gemacht, die, wie das stratum 
granulosum der Haut, mehr oder weniger abgeflacht sind, und 
deren Form einer in der Mitte stärker gewölbten biconvexen 
Linse entspricht. Es ist selbstverständlich, dass die auf eine 
so gestaltete Zelle von aussen her und im Innern wirkenden 
Druck- und Spannkräfte sich nicht so gleichmässig über die 
Zelle vertheilen können wie an den zur Zeit der ersten Kerato- 
hyalinbildung nach allen Richtungen gleichmässig ausgedehnten, 
aunähernd kubisch-kugelig gestalteten Epitrichialzellen. Dass 
aber derartige Kräfte für das Zustandekommen von Keratohyalin 
von Bedeutung sind, wie es bereits Waldeyer unter Hinweis 
auf die analogen Vorgänge hei der Hyalinbildung ausgesprochen 
hat, ist auch dann anzunehmen, wenn man das primum movens 
in einer durch die Entfernung von der ernährenden Matrix be- 
dingten Nutritionsstörung sieht. 

Rabl stützt seine Theorie weiter durch Färbungsresultate, 
die er an Körnerzellen verschiedener Provenienz erhalten hat. 
So konnte er zeigen, dass in Schleimhäuten, wo das Keratohyalin 
eine grössere Affinität zum Eosin als zum Hämatoxylin hat, 
schon innerhalb der Kernhöhle homogene, dieselbe Farbenreaction 
eingehende Körner gebildet werden, die sich von den Kerato- 
hyalingranulis in nichts unterscheiden lassen. Am Präputium 
dagegen will er einen Uebertritt stark blaugefärbter Massen aus 
dem Kern in das Protoplasma gesehen haben, ohne dass der 
Kern hierdurch in seiner Grösse und Färbbarkeit wesentlich 


Ueber den Verhornungsprocess. 783 


alterirt wurde. Endlich spräche zu Gunsten seiner Theorie ein 
Befund, den er an der Haut eines Hühnerembryos gemacht hat. 
An einer reichlich mit rotem Keratohyalin gefärbten Zelle sah 
er innerhalb des blauen Kerns ein rothgefärbtes Körnchen liegen. 

Diesen Befunden ist Folgendes entgegenzuhalten. Zunächst 
hat Rabl mit derselben Schwierigkeit zu kämpfen, die für 
alle Theorien gilt, welche das Keratohyalin aus dem Kern ent- 
stehen lassen, nämlich zu erklären, woher der Kern, der, wie 
Rabl beim Präputium angiebt, fast gänzlich unverändert bleibt, 
den Verlust des zum Aufbau der Körnehen verwandten Materials 
ersetzt. Denn ob es sich um einen gefärbten oder ungefärbten 
Bestandtheil handelt, und ob er bereits im Kern oder ausserhalb 
desselben die specielle Modifiecation eingeht, bleibt sich für diese 
Frage ganz gleich. Der Ersatz kann nur aus dem Protoplasma 
hergenommen werden, sodass dem Kern bei der Keratohyalin- 
bildung eine Art fermentativer Wirkung zukäme. Mir scheint 
diese Erklärung genau ebenso verwickelt wie die von Ernst 
für die Chromatinnatur des Keratohyalins gegebene, welche Rabl 
selbst mit Recht als zu complieirt zurückweist. Aber auch die 
Färbungsresultate sind der Rabl’schen Theorie nieht günstig. 
Zunächst muss hervorgehoben werden, dass überall da, wo inner- 
halb einer Zelle Kern und Keratohyalin dieselben Farbstoffaffini- 
täten besitzen, wo sich also entweder Beide mit Hämatoxylin 
blau oder Beide mit Eosin roth färben, die Auswanderungstheorie 
nur durch den unzweideutigen Nachweis übertretender Körner 
gestützt werden kann. Vollends an solchen Zellen, in denen 
das Keratohyalin eine grössere Affinität zu sauren Farbstoffen 
hat, beweist die gleichzeitige Umwandlung des Kerns garnichts, 
weil mit derselben stets auch die Affinität zum Eosin resp. 
Säurefuchsin wächst. Bestünde die Rabl’sche Theorie zu Recht, 
so müsste sie auch an den Zellen Geltung haben, in denen 
das Keratohyalin bei der Färbung nach van 
Gieson eine grosse Verwandtsehaftzum Häma- 
toxylin zeigt, während der Kern mit beginnen- 
der Degeneration sich intensiv roth färbt. 
Es wäre ein absolutes Postulat, dass von dem Augenblick ab, 
in dem der Kern diese Veränderungen eingeht, die sich, abge- 
sehen von der allerdings nie von mir beobachteten Abschnürung 
mit der Rabl’schen Beschreibung und Abbildung vollständig 


784 Hugo Apolant: 


decken, das Keratohyalin in der rothen Modification erscheint. 
Wir müssten also von dem Augenblick ab blaue und rothe 
Körner gemischt im Protoplasma sehen. Das ist jedoch 
keineswegs der Fall, denn, obwohl die Vermehrung des Kerato- 
hyalins weiter anhält, und jene mächtigen Schollen gebildet 
werden, die wir schon so oft erwähnt haben, bleibt ihre Affinität 
zum Hämatoxylin bestehen und weicht erst kurz vor ihrer Auf- 
lösung der zu den sauren Farbstoffen. Nun könnte man ja 
allerdings im Rabl’schen Sinne einwenden, dass hier eben ein 
Fall vorliegt, in dem die ungefärbte Modification aus dem Kern 
ausgeschieden wird und erst später ihre speeifische Umwandlung 
erleidet. Diesem Einwand ist mit positiven Thatsachen nicht zu 
begegnen, weil man ja bei dieser Theorie gar kein anatomisch 
nachweisbares Substrat hat, an das man sich halten könnte, es 
kann daher nur auf die grosse Unwahrscheinlichkeit hingewiesen 
werden, die darin besteht, dass der morphologisch und färberisch 
sich stark verändernde Kern immer in gleicher Weise an dem 
Aufbau ein und derselben Substanz betheiligt sein soll, die 
ihrerseits keine wesentlichen färberisch nachweisbaren Verände- 
rungen zeigt. Ist es unter diesen Umständen nicht viel natürlicher, 
dem Kern jede active Betheiligung an der Keratohyalinbildung 
abzusprechen, diese vielmehr ausschliesslich, wie es Weiden- 
reich gethan hat, in die Interfibriliarsubstanz des Protoplasmas 
zu verlegen? Nur so verstehen wir auch die von allen Autoren 
anerkannte und auch an unserm Objeet wahrnehmbare Unregel- 
mässigkeit, die hinsichtlich der zeitlichen Coineidenz und gra- 
duellen Congruenz zwischen der Keratohyalinbildung und Kerm- 
degeneration besteht. 


Beziehungen des Keratohyalins zum Ver- 
hornungsprocess. 


Wesentlich mehr als über die Entstehung des Keratohyalins 
haben sich die Ansichten über seine Beziehungen zum 
Verhornungsprocess mit der Zeit geklärt. Dass diese 
3eziehungen schon frühzeitig als keineswegs so einfache ange 
sehen wurden, geht daraus hervor, dass einer der Ersten, die 
diese Frage überhaupt behandelt haben, nämlich Waldeyer, 
sich in diesem Punkte sehr vorsichtig ausdrückt, indem er nur 
sagt, dass der chemische Vorgang der Hornsubstanzbildung in 


Ueber den Verhornungsprocess. 185 


dem Auftreten des Eleidins auch einen mikroskopisch sichtbaren 
Ausdruck findet. Seiner Anschauung zufolge muss sich das 
Keratohyalin erst wieder mit dem Protoplasma verbinden, aus 
welcher Verbindung die Hornsubstanz hervorgeht. Bestimmter 
sprach sich später Blaschko (4) aus, der das Keratohyalin 
und Eleidin unter dem Namen „Prokeration* als directe Vor- 
stufen des Keratins bezeichnete, eine Anschauung, die er später 
wieder zurücknahm. Noch weiter ging Zander, der auf Grund 
ganz ungenügender Reactionen ohne weiteres Keratohyalin mit 
Keratin identifieirte. Mit der allgemeinen Anerkennung der 
durch Unna für die Charakterisirung der Hornsubstanzen ein- 
geführten Verdauungsmethode sank jedoch der Antheil, den man 
dem Keratohyalin bei dem Verhornungsprocess zuerkannte, immer 
mehr, sodass schliesslich das Auftreten der Körner nur als Be- 
gleiterscheinung des Processes aufgefasst wurde. Glaubte doch 
sogar Behn (3) ebenso wie Unna (57) und Kromayer (27) 
die beginnende Verhornung des Zellmantels noch vor dem Auf- 
treten der ersten Keratohyalinkörner mit der Verdauungsmethode 
nachweisen zu können. In diesem Sinne spricht sich in jüngster 
Zeit auch Weidenreich aus, der die Verhornung an der 
Epidermis lediglich in dem aus verdichteten Fasern zusammen- 
gesetzten Exoplasma vor sich gehen lässt, während das zu Kera- 
tohyalin umgewandelte Endoplasma sich zu Eleidin verflüssigt, 
und mit dem Verhornungsprocess selbst direet nichts zu thnn hat. 
Bei dieser Sachlage könnte es überflüssig erscheinen, noch weitere 
Beweise zu Gunsten der gänzlichen Unbetheiligung des Kerato- 
hyalins am Verhornungsprocess beizubringen. Was mich in- 
dessen veranlasst, die Angelegenheit doch mit einigen Worten 
zu berühren, ist erstens die Thatsache, dass ich kein zweites 
Object kenne, an dem die Verhältnisse so demonstrabel sind, 
wie gerade an der Schweinsklaue und vor allem, weil der An- 
theil, den das Keratohyalin an der embryonalen Nagelverhor- 
nung nimmt, noch keineswegs in wünschenswerther Weise ge- 
klärt ist. 

Was zunächst den ersten Punkt betrifft, so sahen wir das 
Keratohyalin zeitlich getrennt an drei verschiedenen Stellen auf- 
treten, zuerst an der Wandpartie, wo es zur Bildung des Epo- 
nychiums führt, später an der Sohle und schliesslich an der 
Randleiste. Bezüglich der Massenhaftigkeit und Grösse der Kera- 


786 Hugo Apolant: 


tohyalinschollen steht die Randleiste obenan. Es ist mir über- 
haupt kein Ort bekannt, an dem die Keratohyalinbildung in so 
excessiver Weise vor sich geht wie hier. Schon die Sohle tritt 
dagegen zurück und noch mehr die Wandpartie, an der sich die 
Verhältnisse schon mehr denen der Oberhaut nähern. Fragen 
wir nun aber nach dem Resultat dieser starken Körnerbildung, 
so zeigt sich, dass zunächst die Keratohyalinschollen, wie das 
ja schon des Oefteren beschrieben, und erst kürzlich von Ran- 
vier (46) experimentell nachgewiesen worden ist, zu Tropfen 
und Lachen zerfliessen, die unzweifelhaft mit dem Ranvier- 
schen Eleidin zu identificiren sind. Das weitere Schicksal des 
Eleidins entzieht sich vorläufig noch unserer Kenntniss. Nach 
Weidenreich geht es in den oberen Lagen des stratum cor- 
neum in eine festere Modification über, die er Pareleidin nennt. 
An dem von mir untersuchten Objeet scheinen die Verhältnisse 
jedoch anders zu liegen, denn hier spricht Alles dafür, dass das 
Eleidin die Zellen irgendwie verlässt, da es nicht nur später 
innerhalb der Zellen nieht mehr nachweisbar ist, sondern da 
dann von einem Zellinhalt überhaupt nicht mehr gesprochen 
werden kann; denn die Abplattung der Zellen wird, nachdem 
letztere zunächst ein durch die geschlängelten Zellconturen cha- 
rakterisirtes, eigenthümlich welkes Aussehen angenommen haben, 
schliesslich so excessiv, dass man, wie ich schon erwähnte, kein 
Epithel- sondern ein Fasergewebe vor sich zu haben glaubt. An 
der Randleiste nun, an der dieser regressive Process am stärksten 
und klarsten zum Ausdruck kommt, konnte ich färberisch sowie 
durch Verdauungsversuche ebensowenig etwas von einer Verhor- 
nung nachweisen, wie Rosenstadt beim Epitriehium über- 
haupt. Etwas mehr, wenn auch noch sehr geringe Ansätze zur 
Verhornung bemerkt man an der Sohle, wo sich doch wenigstens 
(las erwähnte, dem Eponyehium analog zu setzende, mit Fuchsin 
stark gefärbte Zellband allmählich ausbildet. Relativ am stärksten 
verhornt dagegen das Eponychium des Wandhorns, wo sich auch 
in dieser Beziehung die Verhältnisse denen der Oberhaut nähern. 

Es ergiebtsichalso, dass die Verhornung 
und Keratohyalinbildung graduell in einem 
reeiproken Verhältniss zu einanderstehen, ein 
Satz, der in dem weitesten Umfange Geltung hat, da wir schon 
bei dem ersten Auftreten der total verhornenden Wandzellen 


Ueber den Verhornungsprocess. 787 


sowie im weiteren Verlauf der Wandhornbildung jede Betheiligung 
von Keratohyalin ausschliessen konnten. Excessive Kera- 
tohyalinbildung gehtalso ohne gleichzeitige 
Verhornungserscheinungen einher, excessive 
Keratinbildung ohne nachweisbare Keratohya- 
linkörner. Zwischen diesen beiden Extremen, die an der 
Schweinsklaue durch die Randleiste und das Wandhorn reprä- 
sentirt werden, finden sich alle möglichen Uebergänge, in denen 
beide Processe sich eombiniren, doch so, dass ihre graduelle Re- 
eiproeität auf das Deutlichste zu Tage tritt. Die Keratohyalin- 
bildung ist somit weder Ursache noch Folge der Verhornung, 
sie ist auch nicht eigentlich eine Nebenerscheinung derselben, 
da bei ihrer stärksten Ausbildung eine Verhormung gar nicht 
nachweisbar ist. Die einzige Beziehung, die zwischen beiden 
Processen besteht, ist vielmehr die, dass sie auf dieselben Be- 
dingungen, nämlich auf eine in Folge allmählicher Entfernung 
von der ernährenden Matrix eintretende Nutritionsstörung zurück- 
zuführen sind, welehe letztere bei der Fibrillarsub- 
stanz der Zelle zur Verhornung, bei der Inter- 
fibrillarsubstanz zur Keratohyalinbildung führt. 
Das stärkere Hervortreten des einen oder anderen Processes ist 
daher in erster Linie abhängig von dem Mengenverhältniss der 
Protoplasmabestandtheile. Zellen mit viel Interfibril- 
larsubstanz produciren viel Keratohyalin, solehe 
mit viel Fibrillarsubstanz viel Keratin. Freilich 
scheint dieses Verhältniss nur im Grossen und Ganzen so ein- 
fach zu lieggn, da wir einerseits wissen, dass im Innern der 
Zellen des stratum corneum Fasern sich erhalten, die verdaut 
werden können, also nicht verhornt sind, und andererseits ent- 
halten die Zellen der Randleiste sicher auch Fibrillen. Trotz- 
dem behält im Wesentlichen der obige Satz seine Geltung. 
Nicht in Uebereinstimmung hiermit steht die ganz allge- 
mein verbreitete Meinung, der auch noch in den neuesten Lehr- 
büchern Ausdruck verliehen wird, dass, wie zuerst Brooke 
(5) und nach ihm namentlich Zander (64) betont haben, die 
erste Entwickelung des embryonalen Nagels unter Auftreten 
zahlreicher grosser Keratohyalinkörner vor sich geht, die erst 
bei der weiteren Ausbildung des Nagels allmählich schwinden. 
Nach den Untersuchungen Zander’s sollen bekanntlich die 


788 Hugo Apolant: 


Nägel etwa im dritten Monat von der Begrenzungsschicht aus 
allmählich nach hinten in den Falz hineinwachsen, eine An- 
sehauung, die er im Wesentlichen damit begründete, dass man 
eine in der Epidermis liegende, mit sauren Farbstoffen tingir- 
bare Hornschicht, die aus Keratohyalinhaltigen Zellen hervor- 
geht, sich allmählich nach hinten ausbreiten sieht. Es ist nieht 
zu leugnen, dass durch die allgemeine Anerkennung dieser 
Zander’schen Ansicht die Rolle und Bedeutung des Kerato- 
hyalins völlig unklar wurde. Bei der Verhornung der Ober- 
haut sollte das Keratohyalin keine Rolle spielen, am fertigen 
Nagel ist es überhaupt nicht nachzuweisen, bei seiner embryo- 
nalen Entwicklung aber tritt es plötzlich wieder als essentieller 
Bestandtheil auf und zwar in so grossen Körnern, wie man es 
unter normalen Verhältnissen an der Epidermis niemals findet. 
Hier lag ein offenkundiger Widerspruch vor, der erst in aller- 
neuester Zeit aufgeklärt wurde. Es ist ein entschiedenes Ver- 
dienst Okamura’s, der unter Rosenstadt arbeitete, nachge- 
wiesen zu haben, dass das, was die Autoren mit Zander stets 
als erste Nagelanlage aufgefasst haben, mit dem Nagel als 
solchem überhaupt gar nichts zu thun hat, da der letztere ganz 
unabhängig davon erst zu Beginn des fünften Monats mit isolirt 
im Falz liegenden Zellen ohne jede Spur von Keratohyalin ent- 
steht und also schon embryonal genau so von hinten nach vorn 
wächst wie im postembryonalen Leben. Die unter reichlicher 
Körnchenbildung schon früher aufgetretene Hornschicht, die 
übrigens schon früher von Unna und Pollitzer (34) als tiefste 
Schicht des Eponychiums, also nicht als erste Nagglanlage ange- 
sprochen wurde, kommt dadurch, dass der Nagel sich unter sie 
wegschiebt, anf demselben zu liegen, und bildet so das eigent- 
liche Eponyehium, das seinerseits wieder vom Epitrichium be- 
deckt ist. 

Diese Darstellung Okamura’s steht somit in Ueberein- 
stimmung mit meinen Befunden an der Schweinsklaue, insofern 
als wir auch hier an der Wandpartie, die dem primären Nagel- 
felde der Autoren homolog ist, aus der grosskörnigen Kerato- 
hyalinschicht eine relativ dünne, verhomende Platte hervorgehen 
sahen, die dem eigentlichen Wandhorn aufsitzt und sich daher 
in überaus klarer Weise als Eponyehium charakterisirt. Ein 
Unterschied zwischen Okamura’s und meinen Befunden besteht 


Ueber den Verhornungsprocess. 189 


nur darin, dass er die Eponychial- und Nagelbildung zeitlich und 
örtlich vollständig trennt, da das Eponychium schon im dritten 
Monat an der Begrenzungsschicht entsteht, während der eigent- 
liche Nagel sich erst im fünften Monat im Falz bildet. Dagegen 
konnte ich an der Schweinsklaue nachweisen, dass in demselben 
embryonalen Stadium von 9 em Rumpflänge die ersten, zum 
späteren Eponychium sich umwandelnden Keratohyalinzellen mehr 
oberflächlich und gleichzeitig die ersten Hornzellen des späteren 
Wandhorns dicht darunter auftreten. Eine zeitliche Trennung 
ist hier also gar nicht vorhanden und eine örtliche nur insofern, 
als beide Bildungen in verschiedenen Schichten auftreten, doch 
so, dass sie stets in direetem Contact miteinander bleiben. Die 
Eponychialschicht ist also an der Schweinskaule von vorn- 
keoneın als’solche charakterisirt, ssielisti nichts 
weeiiter: alsweine den'jungenlNagelibedeekende, 
aus den tretstieen ZellenidessEpitri ech um scher: 
vorgegangene, unvollkommen verhornte Schicht. 

Diese Thatsache spricht ganz entschieden gegen die Auf- 
fassung Okamura’s, der das Eponychium als eine phylogene- 
tische Vorstufe des Nagels, als einen primären Nagel auffasst. 
Ich gebe zu, dass die Verhältnisse, wie sie Okamura beim 
Menschen beschreibt, seine Deutung verstehen lassen, sie verliert 
jedoch dadurch ihre Berechtigung, dass durch die engen und 
erheblich anschaulicheren Lagebeziehungen bei der Bildung in 
einem phylogenetisch weit zurückliegenden Stadium, wie es die 
Schweinsklaue im Verhältniss zum menschlichen Nagel darstellt, 
der prineipielle Gegensatz zwischen Eponychium und eigentlichem 
Horn viel schärfer hervortritt. Es dürfte sich vielleicht auf 
Grund der an der Klaue eruirten T’hatsachen empfehlen, das 
Nagelbett menschlicher Embryonen in sehr frühem Stadium da- 
rauthin zu untersuchen, ob nicht gleichzeitig mit der Kerato- 
hyalinbildung in einer tieferen Schicht die Anfänge echter Ver- 
hornung sich nachweisen lassen, eine Möglichkeit, die mir aus 
verschiedenen Gründen gegeben zu sein scheint, und deren Be- 
weis der Bedeutung der Okamura’schen Arbeit in keiner Weise 
Abbruch thäte. 


790 Hugo Apolant: 


Das Onycehin. 


Die für die Auffassung des Verhornungsprocesses vielleicht 
wichtigste und bisher noch am wenigsten aufgeklärte Frage ist 
die nach dem Wesen des Onyehins. Stehen sich doch die 
Ansichten über die reelle Existenz dieser Substanz noch diametral 
gegenüber. Zu einer Zeit, in der dem Keratohyalin eine wie 
auch immer geartete Rolle beim Verhornungsprocess zugeschrieben 
wurde, war es ein logisches Postulat, am Nagel, als der typischsten 
Hornformation im menschlichen Organismus eine analoge Substanz 
zu supponiren. Diese Annahme war um so zwingender, als die 
sich mehrenden, entwieklungsgeschichtlichen Untersuchungen dar- 
zuthun schienen, dass bei der embryonalen Nagelentwicklung 
Keratohyalin in reicher Menge und ungewöhnlich grosser scholliger 
Form gebildet würde. In der That zeigte Ranvier (45), dass 
in den weichen Stellen, die die obere Lage der Nagelmatrix 
bilden, eine diehtstehende Körnelung nachweisbar ist, die bei 
Anwendung von Pikrokarmin braun erscheint. Mit der Bezeich- 
nung „onyehogene Substanz“ wies er ihr eine wichtige 
genetische Bedeutung für den Nagel zu. Waldeyer betonte, 
obwohl er sich Ranvier anschloss, die Schwierigkeit, die Kör- 
ner als solche zu erkennen und erklärte dieselbe aus der starken 
Abplattung der Zellen. Zur leichteren Darstellbarkeit der Körner 
empfahl er Aufhellung des frischen Präparates in Essigsäure. 
Henle trat entschieden für die Existenz des Onychins ein und 
setzte es in direete Parallele zum Eleidin, wie aus folgenden 
Worten hervorgeht: „Denn dass die onychinhaltigen Zellen ein 
Stadium in der Entwieklung des Nagels repräsentiren, dafür 
zeugt nieht nur ihre Analogie mit der Eleidinschicht der Epi- 
dermis, sondern auch die Erfahrung, dass, soweit das Onychin 
reicht, die scharfe Grenze zwischen der Schleim- und Hornsehicht 
des Nagels, die auf dem eigentlichen Nagelbett besteht, verwischt 
ist.“ Inzwischen hatte Unna (56) die reelle Existenz des Ony- 
chins geleugnet und die Interferenzerscheinung nieht auf dicht- 
stehende Körner, sondern auf die ausserordentlich feinen aber 
deutlich zu Tage tretenden Stacheln des Stratum mucosum der 
Matrix bezogen, eine Anschauung, der unter Anderen auch 
Kölliker (25) beipfliehtete. In neuerer Zeit hatte diese Unna- 
Kölliker’sche Ansicht eine den modernen Anschauungen vom 
Bau der Epidermis entsprechende Modification durch v. Brunn (6) 


Ueber den Verhornungsprocess. 791 


erfahren, der die Körner als querdurchschnittene Fibrillen auffasst. 
Der Wichtigkeit halber führe ich den betreffenden Passus hier 
wörtlich an: „Eigene Untersuchungen haben mir die Ueberzeu- 
gung verschafft, dass sie — gemeint ist die undurehsichtige Be- 
schaffenheit der Onychinschieht — von einer Fibrillenbildung im 
Protoplasma herrührt. Ich finde solche Fibrillen auf Längs- 
schnitten des Falzes sehr deutlich und sehe an Querschnitten 
derselben Gegend ihre Querschnitte als feinste Pünktehen im 
Innern der Zellen.“ Die beigefügten Abbildungen lassen dieses 
Verhältniss deutlich erkennen. Uebrigens finde ich schon bei 
Renaut die Fasern in der Matrix der Kuhklaue ausgezeichnet 
beschrieben und ebenso bei Blaschko, der das Bestehenbleiben 
der fibrillären Structur bei der Verhormung zuerst klar ausge- 
sprochen hat, die starke Lichtbreehung der zahlreichen intra- 
cellulären Fibrillen bei der Nagelverhornung betont. Trotzdem 
glaubte der neueste Bearbeiter dieser Frage Okamura, in 
seiner sonst sehr schätzenswerthen Arbeit für das Onychin wieder 
eine Lanze brechen zu müssen und zwar nicht nur, weil er in 
der betreffenden Schicht Körnchen nachweisen konnte, die in 
Verdauungsflüssigkeiten unlösbar sind, sondern weil es ihm auch 
aus theoretischen Gründen ungereimt erscheint, dass beim Ver- 
hornungsprocess, der doch sonst zu einer Verwischung der fibril- 
lären Zellstrucetur führt, gerade am Nagel ein stärkeres Hervor- 
treten dieser Fibrillen bemerkbar sein soll. Bei dieser Sachlage 
war eine Nachprüfung unerlässlich und um so dankbarer, als auch 
hierin die embryonale Schweinsklaue besonders klare Bilder giebt. 

Die Unsicherheit, welche über der ganzen Onychinfrage 
liegt, erhellt schon daraus, dass offenbar sehr verschiedene Dinge 
als Onychin aufgefasst worden sind. Das was Ranvier ursprüng- 
lich dafür erklärt hat, und was später auch Waldeyer und 
Henle als solches angesprochen haben, ist eine in den obersten 
Lagen der Nagelmatrix auftretende, ungeheuer feine und dicht- 
stehende Körnelung, die jedoch stets nur immer an der Grenze 
gegen den Nagel, niemals in diesem selbst sichtbar ist. Zwei 
Eigenschaften sind also mit dem Onycehin untrennbar verbunden, 
eine ausserordentlich diehte Lagerung, die die einzelnen Körner 
kaum als solche erkennen lässt, und das Auftreten in der den 
Uebergang von der eigentlichen Matrix zum fertigen Nagel bil- 
denden Schicht. Diese Definition ist deswegen nothwendig, weil 


192 Hugo Apolant: 


bei der grossen Neigung vieler Autoren, die erste Ablagerung 
von Horn in Körnchenform stattfinden zu lassen, Vieles als 
Onycehin resp. Keratinkörner bezeichnet wurde, was absolut nicht 
hierher gehört. Zum Theil handelt es sich um eine Verwechsluug 
mit Keratohyalin, was beispielsweise sicher der Fall ist bei den 
körnchenhaltigen Zellen des embryonalen Hühnchenschnabels, die 
Zabludowsky (63) beschrieben hat. Theilweise aber sind 
die fraglichen Körnehen nichts weiter als Lufteinschlüsse, wie 
ich dies bei der Wandhornbildung ausführlicher dargestellt habe. 
Das eigentliche Onychin Ranvier’s ist jedoch ganz anders zu 
erklären und auf Vorgänge zurückzuführen, die den Verhornungs- 
process in besonders klarem Licht erscheinen lassen. Der Nagel- 
matrix entspricht an der Schweinsklaue das schon erwähnte, an 
der Krone sich allmäblich ausbildende, mächtige Polster, das die 
Eigenthümlichkeit hat, sich mit Fuchsin violett zu färben. Im 
Einzelnen zeigt diese Klauenmatrix folgende Verhältnisse. Im 
Bereich der Kronenpapillen ist das rete Malpighii stark gewuchert. 
Die dichtgedrängt stehenden Zellen zeigen einen schön ausge- 
bildeten Kern. An van Gieson-Präparaten bleibt das Proto- 
plasma der tiefen Zelllagen ungefärbt, während der Kern mattblau 
tingirt wird (Fig. 21). Ueberhaupt ist an diesen unteren Schichten 
eine besondere Protoplasmastructur nicht sichtbar. Je weiter 
man jedoch nach der Oberfläche vorrückt, um so deutlicher sieht 
man in den Zellen Fasern auftreten, die zunächst noch ungefärbt 
bleiben und erst weiter oben den violetten Ton annehmen, worauf 
die differente Färbung dieser Schicht beruht. Auch mit der 
Kromayer’schen Methode können die Fibrillen dargestellt 
werden. Da sie ferner gegen Verdauungsflüssigkeiten ungemein 
resistent sind, so trage ich kein Bedenken, sie als Fibrillen an- 
zusehen, die sich im Verhornungsprocess befinden. Die Fasern 
erfüllen zwar den ganzen Zellleib viel diehter als dies sonst bei 
Epithelzellen der Fall ist, indessen lässt sich namentlich an den 
mittleren Partien der Matrix erkennen, dass die Fasern in der 
Zellperipherie besonders dicht stehen, sodass also hier die Fär- 
bung eine besonders intensive ist, ein Umstand, der wesentlich 
dazu beiträgt, die Zellen als solche überhaupt abgrenzen zu 
können (Fig. 22 b), da die Fihrillen derartig überwiegen, dass 
man nicht mehr ein Epithel-, sondern ein Fasergewebe mit ein- 
gestreuten Kernen vor sich zu haben glaubt. Die Bilder erinnern 


Ueber den Verhornunesprocess. 193 
> 


ausserordentlich an die Verhornung der Haarrinde, wie sie von 
Waldeyer zuerst beschrieben und später auch von Reinke (48) 
abgebildet ist. Nach der Oberfläche zu platten sich die Zellen 
allmählich etwas ab, sodass die Fibrillen jetzt noch diehter stehen. 
Die Richtung, in der die Fasern den Zellleib durchziehen, ist 
keine einheitliehe, es findet vielmehr eine Durchflechtung statt, 
doch so, dass die Anordnung in der Längsachse der Zellen im 
Allgemeinen gewahrt bleibt. Hieraus ergiebt sich nun, dass das 
mikroskopische Bild nach der Schnittrichtung ausserordentlich 
wechselt. Trifft man die Zellen genau in der Längsachse, so 
nimmt man eine fast ausschliessliche Längsstreifung wahr, bei 
geringen Abweichungen macht sich jedoch schon der verschiedene 
Fibrillenverlauf durch eine deutliche Fiederung bemerkbar. Reine 
Querschnitte lassen Fasern überhaupt nicht mehr erkennen, die 
ganze Zelle besteht vielmehr aus ungemein dichtstehenden, fein- 
sten, aber tief violett gefärbten Pünktchen, als optischem Ausdruck 
der quer durchschnittenen Fasern (Fig. 22a). Wenn man Schnitte 
der Klauenmatrix ungefärbt oder nach Pikrokarmintinetion in 
Glycerin untersucht, so tritt die Körnelung der braun erscheinen- 
den Uebergangsschicht ausserordentlich deutlich hervor. Bei 
auffallendem Licht erscheint sie mattweiss, kein Zweifel also, 
dass sie der Onychinschieht der Autoren entspricht. Zum Be- 
weise, dass das Onychin wirklich nur der optische Ausdruck 
quer oder schiefdurchscehnittener Fibrillen ist, behandelte ich 
Schnitte der menschlichen Nagelmatrix, die ungefärbt die Körne- 
lung deutlich erkennen liessen, nach van Gieson und erhielt 
völlig gleiche Resultate wie bei der Schweinsklaue; auch hier 
theils Fasern, die sich leuchtend violett färben, theils dasselbe 
wechselnde Bild von Längsfaserung, Fiederung und Punktirung 
der Zellen. 

Somit kann kein Zweifel mehr bestehen, dass das Onychin 
keine reell vorhandene Substanz ist, sondern lediglich der optische 
Ausdruck einer deutlicher hervortretenden Zellfibrillirung. Mit 
dieser Auffassung steht keine einzige der für das Onychin ange- 
gebenen Reactionen im Widerspruch. Wenn Ranvier die Braun- 
färbung an Pikrocarmin-Präparaten als charakteristisch ansah, 
so ist dem entgegenzuhalten, dass, wie bereits Henle nach- 
wies, der braune Ton schon am frischen Präparat sichtbar ist 
und keine Färbung, sondern eine Interferenzerscheinung darstellt, 


794 Hugo Apolant.: 


die natürlich ebensogut durch gedrängtstehende, stark licht: 
liehtbreehende Fasern, wie durch diehtgelagerte Körnchen be- 
dingt sein kann. Das deutlichere Hervortreten nach Essigsäure 
bringt ferner ebensowenig einen Entscheid, wie die Verdauungs- 
methode, da sich verhornende Fasern und in Körnchenform ge- 
bildetes Horn diesen Medien gegenüber ganz gleich verhalten müssen. 

Mit der Veränderung des Zellprotoplasmas geht die des 
Kerns Hand in Hand. Derselbe wird allmählich in die Länge 
gezogen und nimmt schliesslich ebenfalls die Fuchsinfärbung an. 

Die weitere Umwandlung der Zelle documentirt sich färbe- 
risch darin, dass der intensiv violette Ton plötzlich in einen tief- 
rothen und schliesslich in den gelben Pikrinton umschlägt. Nur 
die Zellgrenzen und der Kern bleiben roth gefärbt. Die 
letztere Umwandlung scheint ziemlich schnell vor sich zu gehen, 
da man ausserordentlich häufig inmitten des schon fertigen, gelb 
gefärbten Horns Inseln dunkelvioletter Zellen erkennt (Fig. 21). 
Mit dem Umschlagen der Färbung in roth wird die Faserung 
plötzlich undeutlich, sodass nunmehr das Protoplasma eine völlig 
homogene Masse darstellt. Der Endeffeet ist bei der Matrixver- 
hornung also derselbe wie bei der früher besprochenen Wand- 
hornbildung, nur mit dem Unterschiede, dass die Fibrillarsubstanz 
bei dem letzteren Modus nicht so scharf m den Vorder- 
grund tritt. 

Das Unbefriedigende der meisten, bis in die neueste Zeit 
hinein vertretenen Verhornungstheorien liegt vor Allem in den 
schwer verständlichen Differenzen, die bei zwei Haupttypen der 
Verhornung, wie sie die der Oberhaut und des Nagels darstellen, 
statuirt werden mussten. Diejenigen, welche sowohl die Kera- 
tohyalin- als die Onychinbildung als Zwischenstadien der Ver- 
hornung ansahen, mussten es unerklärt lassen, warum das gross- 
körnige Keratohyalin nur so geringe, das feinkörnige Onychin so 
starke Hornmassen liefert. Diejenigen wiederum, die dem Kera- 
tohyalin eine direete Bedeutung für die Verhornung absprachen, 
für das Onychin aber eine solche anerkannten, statuirten erst 
recht einen prineipiellen Gegensatz zwischen zwei Processen, die 
nicht sowohl qualitativ als vielmehr quantitativ differiren. Merk- 
würdigerweise hat es auch nicht an solehen gefehlt, die, wie 
von Brunn, das Onychin zwar leugnen, dem Keratohyalin 
aber doch eine genetische Rolle bei der Verhornung zuweisen. 


Ueber den Verhornungsprocess. 7195 


Am meisten befriedigte bisher die Unna’sche Theorie, indem 
sie dadurch, dass sie das Onychin sowie die genetische Rolle 
des Keratohyalins für die Verhornung leugnete, den Process in 
die eigentliche Fibrillarsubstanz verlegte. Besonders klar sprach 
dies schon Renaut aus, der die totale Zellverhornung als Evo- 
lution cornee vraie der evolution epidermique gegenüberstellt, 
bei welcher letzteren wegen des Auftretens von Eleidin nur eine 
theilweise Zellverhornung zustande kommt. Mit dem Nachweis 
der fibrillären Structur der Nagelmatrixzellen sowie der That- 
sache, dass die die Hauptmasse des Protoplasmas bildende Fi- 
brillarsubstanz sich färberisch und chemisch als eigentlicher Sitz 
des Verhornungsprocesses erweist, gewinnt der ganze Vorgang 
an Einheitlichkeit und Verständniss. 

Bei der Definition des Verhornungsprocesses müssen zwei 
Punkte morphologisch obenan gestellt werden: 1) die Verhor- 
Dameaist ausschliessltkehuan. die Zelltasersee 
bunden, und 2) sie stellt’sieh in dieser Faser 
stets alsein diffuser Process dar, der niemals 
ansorm von Körncbengaurtreten k ann.r47Diese 
Definition steht in bestem Einklang mit dem Chemismus der 
Verhornung. Wir betonten bereits in der Einleitung die geringen 
Differenzen, welche zwischen der chemischen Constitution des 
Eiweisses und des Horns bestehen, und es ist uns wohl ver- 
ständlich, wenn diese chemische Differenz ihren morphologischen 
Ausdruck darin erhält, dass die betreffenden Elemente lediglich 
derber, starrer werden und sich tinetoriell anders verhalten. 
Verständlich ist es uns ferner jetzt, warum die Verhormung beim 
Nagel eine so viel intensivere ist als bei der Oberhaut. Der Ver- 
hornungsprocess an sich ist bei beiden genau 
derselbe. Hier wie dort ist es lediglich die Zellfibrille, die 
die Umwandlung eingeht, der Unterschied liegt ausschliesslich 
darin, dass die Fibrillen m den Zellen der Nagelmatrix unge- 
heuer viel dichter liegen und in sehr viel grösserer Anzahl vor- 
handen sind. 

Diese Auffassung des Verhornungsprocesses ist die einzige, 
welche alle Erscheinungen befriedigend erklärt, die Einheitlich- 
keit des Vorganges wahrt und mit dem Chemismus des Pro- 
cesses in vollen Einklang gebracht werden kann. Weiteren 
Untersuchungen bleibt es vorbehalten, darzuthun, dass diese 


796 


Hugo Apolant: 


Auffassung auch für den dritten Haupttypus der Hornsubstanzen, 
die Haare, volle Geltung hat, was nach den bereits vorliegenden 
Untersuchungen im hohen Grade wahrscheinlich ist. 


wo. 


DD D 


DD 
oO 


w m 
Sn 


CB) 
em 


LET, 


SEEN 


Literatur -Verzeichniss. 
Arloing, Poils et ongles. Paris 1880. 
Behn, Studien über die menschliche Oberhaut. Inaug.-Dissert. 
Kiel 1887. 
Derselbe, Arch. f. mikr. Anat. Bd. 39. 189. 
Blaschko, Verhandl. d. deutsch. dermat. Gesellsch. 1889. 
Brooke, Mitth. a. d. embryol. Instit. d. K.K. Univers. Wien 1883. 
v. Brunn, in v. Bardeleben’s Handbuch d. Anatomie. 1897. 
Buzzi, Monatshefte f. pract. Dermat. 1899. 
Derselbe, ibid. 1896. 
Cajal, Internationale Monatsschr. f. Anat. 1886. 
Curtis, Journ. de l’anat. et de la physiol. 1889. 
Dreysel und Oppler, Arch. f. Dermat. 189. 
Ernst, Virch. Arch. Bd. 130. 1892. 
Derselbe, Arch. f. mikr. Anat. Bd. 47. 189%. 
Franke, Langenbeck’s Arch. 1887. 
Gardiner, Arch. f. mikr. Anat. 1885. 
Grosse, Ueber Keratohyalin und Eleidin ete. Inaug.-Dissert. 
Königsberg 1892. 
Günther, Haarknopf und innere Wurzelscheide etc. Inaug.-Diss. 
Berlin 18%. 
Guldberg, Monatshefte f. pract. Dermat. 1885. 
Henle, Abhandl. d. K. Gesellsch. d. Wissensch. Göttingen 1884, 
Herxheimer, Arch. f. Dermat. 1889. 
Heynold, Virch. Arch. 1875. 
Hoppe-Seyler, Handb. d. chemischen Analyse. 
Kölliker, Grundriss d. Entwicklungsgeschichte. 1834. 
Derselbe, Zeitschrift f. wissensch. Zoolog. 1888. 
Derselbe, Handbuch d. Gewebelehre. 6. Aufl. 
Krause, Beiträge zur Kenntniss d. Haut d. Affen. Inaug.-Diss. 
Berlin 1888. 
Kromayer, Arch. f. Dermat. 1890. 
Derselbe, Arch. f. mikr. Anat. 1892. 
Derselbe, Monatsh. f. prakt. Derm. 1897. 
Kundsin, Ueber die Entwickelung d. Hornhufs. Imaug.-Dissert. 
Dorpat 1882. 
Langerhans, Arch. f. mikr. Anat. Bd. 9. 
LazZanski, Arch. f. Derm. 18%. Ergänzungsheft. 
Leisering und Hartmann, Der Fuss des Pferdes. 1882, 


Ueber den Verhornungsprocess. 19 


—] 


Marcuse, Untersuch. über pathol. Verhornung. Inaug.-Dissert. 
Berlin 1897. 

Mertsching, Virch. Arch. Bd. 116. 

Munk, Artikel „Hornstoffe* in Eulenburg’s Real-Enceyelopädie. 
Okamura, Arch. f. Dermat. Bd. 51. 1900. 

Pavloff, Monatshefte f. prakt. Dermat. 1889. 

Pollitzer, Monatshefte f. prakt. Dermat. 1889. 

Posner, Virch. Arch. Bd. 118. 1889. 


. Rabl, Verhandi. der anat. Gesellsch. 1896. 


Derselbe, Arch. f. mikr. Anat. Bd. 48. 1897. 

Ranvier, Trait& technique. 

Derselbe, Compt. rend. de l’Acad. d. science. 1879. 

Derselbe, Arch. de physiol. 1884. 

Derselbe, Compt. rend. de l’Acad. science. 1899, 

Rausch, Monatshefte f. prakt. Dermat. 1897. 

Reinke, Arch. f. mikr. Anat. Bd. 30. 

Renaut, .Compt. rend. de l!’Acad. d. science. 1887. 

Rosenstadt, Arch. f. mikr. Anat. Bd. 49. 1897. 

Selhorst, Ueber das Keratohyalin etc. Inaug.-Diss. Berlin 1890. 
Siedamgrotzky, Ueber die Hornscheiden der Wiederkäuer etc. 
Dresden 1871. 

Suchard, Arch. de Physiol. T. 2. 1882. 

Thoms, Untersuch. üb. Bau, Wachsthum etc. der Artiodactylen. 
Inaug -Diss. Leipzig 1896. 

Unna, in Ziemssen’s Handb. d. Hautkrankheiten. 

Derselbe, Arch. f. mikr. Anat. Bd. 12. 1876. 

Derselbe, Monatshefte f. prakt. Dermat. 18858. 

Derselbe, Monatshefte f. prakt. Dermat. 1897. 

Waldeyer, Untersuch. üb. d. Histogenese d. Horngebilde. Fest- 
schrift f. Henle. Bonn 1882. 

Weidenreich, Arch. f. mikr. Anat. Bd. 56. 

Weleker, Abhandl. d. naturf. Gesellsch. zu Halle Bd. IX. 1869. 
Winkler und Schrötter, Mittheil. aus d. embryolog. Instit. d. 
Univers. Wien. 1890. 
Zabludowski, Mittheil. aus d. embryolog. Instit. der Univers. 
Wien. 1880. 

Zander, Arch. f. Anat. u. Phys. (Anat. Abth.) 1886. 

Derselbe, ibid. 1858. 


Erklärung der Abbildungen auf Tafel XLI u. XL. 


Fig. 1. Längsschnitt durch die Wand- und Sohlengrenze eines 9 cm 


langen Foetus. a= Grenze zwischen Sohle Wand, b= Sohle, 
e—= Wand. Vergr..%. 
Archiv f, mikr. Anat. Bd. 57. 52 


180) 


‚18: 


. 14. 


15. 
16. 
ER WE 


. 18. 


„19. 


. 20. 
g. 21. 
, 22. 


Hugo Apolant: Ueber den Verhornungsprocess. 


. Wandpartie desselben Foetus. a= Tiefe Wandzellen, b= 


Verhornte oberflächliche Wandzellen, ce =Keratohyalinhaltige 
Zellen, d—= Epitrichialzellen. Hämat.-Pikrinsäure. Vergr. 500. 


. a= Tiefe Sohlenzelle, b = Tiefe Wandzelle desselben Foetus. 


Kromayer’sche Färbung. Vergr. 1000. 
J © > 


. Wandpartie eines 12 cm langen Foetus. Eisenhämatoxylin. 


Vergr. 150. 


. Querschnitt der Wandpartie desselben Foetus. a= zackige 


Ausläufer des Wandhorns. Eisenhämatoxylin. Vergr. 40. 


. Schnitt durch die Körnerschicht der Wand desselben Foetus. 


Eisenhämatoxylin. Vergr. 150. 


. Desgleichen. Vergr. 500. 

. Desgleichen. Hämatoxylin. Vergr. 500. 

. Desgleichen. Eisenhämatoxylin. Vergr. 700. 

. Längsschnitt der Wand eines 12 cm langen Foetus, verdaut 


und nach Unna mit Methylenblau gefärbt. Vergr. 40. 


. Schnitt durch die Zone der beginnenden Verhornung. Verdaut. 


Vergr. 150. 


. Längsschnitt durch die Wand desselben Foetus. van Gieson. 


a= Keratohyalin, db = homogene blaue Zellen, ce = Verhornte 
Zellen, d = Kerndegeneration in den Keratohyalinzellen. 
Vergr. 150. 

Zellen von der Wandpartie desselben Foetus. van Gieson. 
a= Zelle mit wenig Keratohyalin und degenerirtem Kern. 
b,c,d—= diffus blaue Zellen mit degenerirtem Kern. Vergr 200. 
Längsschnitt eines 17 cm langen Foetus. van Gieson. a= 
Keratohyalinschicht der Sohle, 5b = Epitrichialschicht der Sohle, 
e= Wandhorn, d=Eponychium des Wandhorns, e= Fort- 
setzung des Eponychiums, f= Klauenmatrix, g = Uebergang 
der Randleiste in das Wandhorn. Vergr. 25. 

Randleiste desselben Foetus. Hämatoxylin. Vergr. 250. 
Gefaltete Zellen der Keratohyalinschicht. Vergr. 600. 
Keratohyalinzellen und Wandhorn am Uebergang des letzteren 
in die Randleiste. Vergr. 600. 

Längsschnitt durch die Klaue eines 23 cm langen Foetus. van 
Gieson. a=Randleiste, b=Beginnende Verhornung an der 
Sohle, e=Eponychium des Wandhorns, d=Obere Grenze des 
Eponychiums, e=ÜUebergang des Wandhorns in die Randleiste, 
f=Matrix der Klaue. Vergr. 25. 

Flachschnitt durch die Wandpartie desselben Foetus. van 
Gieson. a=Matrix der Hornblättchen, b=Fertige Horn- 
zellen. Vergr. 150. 

Beginn der Keratohyalinbildung. Vergr. 1000. 

Flachschnitt durch die Klauenmatrix. van Gieson. Vergr. W. 
Matrixzellen. van Gieson. Vergr. 1000. 


199 


Ueber Knochenregeneration. 
Experimentelle Studie 


von 


Dr. H. Wendelstadt, 
Privatdocent und Assistent am pharmakologischen Institut in Bonn. 


Hierzu Tafel XLIOI, XLIV und XLV. 


Die folgende Arbeit über Regenerationsvorgänge bei Axo- 
lotIn und Tritonen soll zur Klärung der Frage dienen, ob ein 
Gewebe sich aus andersartigen Geweben regeneriren kann. Hierzu 
musste ein Versuchsplan erdacht werden, der eine Gewebsgruppe 
auszuschalten erlaubte, ohne dass die übrigen mit entfernt wurden. 
Zu dieser Art von Versuchen muss die Linsenregeneration nach 
Entfernung der ganzen Linse gerechnet werden. Auf eine Kritik 
dieses Versuches einzugehen, ist hier niekt der Ort. Es fragte 
sich nur, ob nicht auch andere Körperstellen zur Anstellung von 
Versuchen auf gleichem Grundplan geeignet seien, und ob sich 
bei diesen gleiche Erfolge erzielen lassen würden. 

Die ganze Lehre von der Regeneration verloren gegangener 
Theile aus den zugehörigen specifischen Zellen!) würde durch 
den Stand, den die Frage der Linsenregeneration augenblicklich 
einnimmt, einen bedrohlichen Stoss erleiden. Die Differenzirung 
von Zellen, die anfänglich gleichwerthig waren, scheint nach den 
Versuchen über die Linsenregeneration wieder rückgängig ge- 
macht werden zu können. In der folgenden Arbeit handelt es 
sich nun darum, zu entscheiden, ob diese Erscheinung bei den- 
selben Thieren auf einem durchgreifenden Gesetze beruht. 

Zur Beantwortung dieser Frage wurde bei regenerations- 
fähigen Thieren an einem Unterarm?) Ulna und Radius entfernt, 


1) Vergl. hierzu M. Nussbaum: Die mit der Entwicklung fort- 
schreitende Differenzirung der Zellen. Niederrh. Ges. 5. Nov. 1894. 

2) Ich habe in dieser ganzen Arbeit die Vorderextremitäten der 
operirten Thiere Arme genannt und die einzelnen Theile entsprechend 
bezeichnet. Die Skeletttheile habe ich der Kürze halber meist einfach 
als Knochen bezeichnet, auch wenn sie aus Knochen und Knorpel 
bestehen. Diese Bezeichnungen sind nicht misszuverstehen und er- 
schienen mir kürzer, 


800 H. Wendelstadt: 


und bei dieser Operation auf das Sorgfältigste die übrigen an- 
liegenden Gewebe geschont, und die ganze Hand erhalten. Bei 
dieser Entfernung der Knochen aus der Continuität der Extremität 
konnte, wenn die Knochen regenerirt wurden, nur dann ein 
beweisendes Resultat für die Neubildung aus den anders gearteten 
Geweben erwartet werden, wenn die Regeneration von dem Ober- 
armknochen oder von den Handwurzelknochen aus ausgeschlossen 
wurde. Dies war durch eine vorsichtige Vermeidung jeder Ver- 
letzung der zurückbleibenden Knochen bei der Extirpation der 
Unterarmknochen zu erreichen. Bei einer Exartieulation in den 
Gelenken ohne Verletzung des zurückbleibenden Gelenkendes 
tritt eine Regeneration bekanntlich nicht ein. Der Knochen re- 
generirt nur, wenn er verletzt worden ist, wie dies bei einer 
einfachen Amputation geschieht. Wurde also eine Verletzung der 
Gelenkenden vermieden, so konnte eine Neubildung, wenn eine 
solche überhaupt auftrat, nur von den Zellen der umliegenden 
Gewebe ausgehen und zwar in der Art, dass von ihnen neue 
Zellen produeirt wurden, welche sich dann zu Knorpelgewebe 
und Knochen differenzirten. 

Ehe ich näher auf die Versuche eingehe, will ich kurz 
die Erfahrungen, welche ich bei der Behandlung der operirten 
Thiere sammelte, erwähnen. Als Versuchsobjecte dienten Triton 
taeniatus, Salamandra maeculata und Siredon piseiformis (Axo- 
lot). Es ist nicht ganz leicht, die Thiere über die ersten 
Tage nach der Operation hinweg zu bringen. Die Axolotl, welche 
bei ihrer enormen Regenerationsfähigkeit und ihren verhältniss- 
mässig grossen Extremitäten besonders geeignet zu den Versuchen 
erschienen, wurden vor der Operation einige Tage in öfter er- 
neutes Wasser gebracht, um möglichst die Infectionskeime von 
der Haut zu entfernen. Nach der Operation wurden sie einzeln 
in geräumige Glasschalen gesetzt, und das Wasser wurde täglich 
erneuert, bis die Wunde sich geschlossen hatte. Die Thiere 
fühlten sich anscheinend am wohlsten bei einer Wassertemperatur 
von ca. 20° C. Zum Wechseln wurde gekochtes und wieder 
auf 20° C. abgekühltes Wasser benutzt. Die Temperatur des 
Zimmers blieb in den ersten Tagen möglichst gleichmässig. War 
die Wunde geschlossen, so gestaltete sich die Wartung sehr viel 
einfacher. Die Thiere sind im Ganzen nicht sehr empfindlich 
gegen Temperaturwechsel, wenn dieser nicht zu plötzlich eintritt. 


Ueber Knochenregeneration. 801 


Es brauchte daher in der späteren Zeit nicht mehr so genau 
auf eine gleichmässige Zimmertemperatur geachtet zu werden, 
und nur beim Wasserwechsel wurde für eine gleiche Temperatur 
des neuen Wassers mit dem alten gesorgt. 

Nach Einsetzen von Fontinalis antipyretica in die Behälter 
hielt sich das Wasser sehr lange klar und nahm keinen üblen 
Geruch an. Es konnte so bis zu drei Wochen ohne Wechsel 
stehen bleiben. 

Die Axolotl wurden mit lebenden kleinen Fischen oder 
mit lebenden Regenwürmern gefüttert. Sie entwickelten eine er- 
staunliche Fresslust. Mit einiger Geduld kann man die Thiere 
auch daran gewöhnen, kleine Stücke rohen Fleisches von einer 
Pineette zu nehmen, wenn man es vor ihnen hin und her bewegt. 
Für die Wintermonate ist diese letztere Art des Fütterns geeig- 
neter, weil das andere Futter dann schwerer zu beschaffen ist. 
Man muss nur darauf achten, dass keine Stücke Fleisch im Wasser 
liegen bleiben, da sich sonst trotz der Anwesenheit von Fontinalis 
antipyretica Fäulniss entwickelt. Ebenso ist es gut, Regenwürmer 
einige Stunden nachdem man sie in das Gefäss zu den Thieren 
geworfen hat, wieder zu entfernen, wenn sie nicht gefressen 
worden sind. Die Thiere beissen die Würmer oft todt, ohne sie 
zu verzehren. 

Jedes Thier muss in einen besonderen Behälter gesetzt werden, 
da sie sich gerne untereinander die Extremitäten abbeissen. Es ist 
erforderlich, die Gefässe mit einem Drahtnetz zuzudecken, weil 
die Axolotl sonst leicht aus dem Wasser heraus springen. Die 
von mir benutzten Behälter waren ganz von Glas, 30 em lang, 
15 em hoch und 15 em breit. 

Unter Pilzinfeetionen, welche so häufig in hohem Masse 
störend bei derartigen Thierexperimenten auftreten, hatte ich 
kaum zu leiden. Der Grund lag wohl darin, dass es keine In- 
stitutsversuche waren, sondern dass die Thiere in meiner Woh- 
nung in einem besonderen ziemlich staubfreien Zimmer gehalten 
wurden. Die Vorsicht, in den ersten Tagen nur gekochtes Wasser 
zum Auffüllen der Aquarien zu verwenden, erscheint mir nach 
meinen Erfahrungen sehr rathsam. Die ganze Behandlung der 
operirten Thiere ist im Anfang nicht leicht, und, bis man ihre 
Lebensgewohnheiten kennen gelernt hat, wird man immer Ver- 
luste haben. 


302 H. Wendelstadt: 


Die Operation wurde in der Weise ausgeführt, dass mit 
einem kleinen Scalpell auf der ulnaren Seite in der Längsrichtung 
des Vorderarmes Haut und Gewebe bis auf den Knochen getrennt 
wurden. Die Knochen wurden dann mit einem stumpfen Instru- 
mente so von der Umgebung losgelöst, dass diese möglichst wenig 
verletzt wurde, und mit grosser Vorsicht zunächst die Gelenk- 
kapsel am Ellenbogen, dann die an den Handwurzelknochen ohne 
Verletzung der zurückbleibenden Knochenenden durchtrennt. Ulna 
und Radius liessen sich dann leicht entfernen. Die Wunde wurde 
mit einigen Nähten geschlossen. 

Die Nachblutung hielt meist während einiger Stunden an; 
der Blutverlust war aber im Ganzen nicht erheblich. War die 
Operation nicht ganz tadellos gelungen, so traten nach einigen 
Tagen die ersten Anzeichen einer beginnenden Gangrän in der 
stehengebliebenen Hand ein. Es gingen auf diese Weise einige 
Versuchsobjeete verloren. Die Gangrän entwickelte sich sehr 
leicht bei Salamandern, welche deshalb nach einer Reihe von 
Versuchen als nicht geeignet angeseben werden mussten. Bei 
ihnen war auch der Blutverlust stärker als bei den Axolotln, und 
einige Thiere starben bald nach der Operation. Es zeigte sich 
hier auch wieder, dass Thiere, welche im Wasser gehalten wer- 
den können, leichter operative Eingriffe überstehen, als Landthiere. 

Die Thiere brauchten nach der Operation die operirten Ex- 
tremitäten nur in sehr beschränktem Maasse. Sie ruderten mit 
dem Oberarm beim Schwimmen, brauchten den Arm aber nicht 
beim Kriechen. Eine Bewegung der Hand gegen den Oberarm 
fand nicht statt. Ob nach der Operation noch Gefühl in der 
Hand geblieben war, konnte bei den scheuen Thieren nicht mit 
Sicherheit festgestellt werden. 

Fast alle Axolotl überstanden die Operation der Entfernung 
der beiden Unterarmknochen. Bei ihnen verkürzte sich das ope- 
rirte Glied in der ersten Zeit nach der Operation ganz bedeutend. 
Die Haut zwischen Oberarm und Hand legte sich in tiefe Falten; 
die Hand rückte dicht an den Oberarm heran und stellte sich 
bei einigen Thieren in einen Winkel zur Axe des Oberarms. Das 
Aussehen und die Stellung der operirten Extremitäten sind auf 
Tafel XLIII, Fig. 1—5 abgebildet. Auf den Zeichnungen sind 
die dieken Wülste, die sich gebildet haben, deutlich erkennbar. 

Von den operirten Axolotln haben vier gar keine Re- 


Ueber Knochenregeneration. 803 


generation gezeigt. Bei ihnen war die Operation ganz nach 
Wunsch gelungen, und Ulna und Radius vollständig ohne zurück- 
bleibende Knochensplitter entfernt worden. Ebenso war bei ihnen 
eine Verletzung des Oberarms glücklich vermieden worden. Bei 
andern war die Operation nicht tadellos ausgeführt, und es hatten 
sich Unterarmknochen wieder neugebildet. Auf diese letztern 
gehe ich an anderer Stelle ein. 

Die Extremitäten der vier Thiere, welche die Vorderarm- 
knochen nicht regenerirt haben, wurden 10—15 Monate nach 
der Operation abgeschnitten, in Seriensebnitte zerlegt und unter- 
sucht. Wie schon angegeben war keine Spur einer Regeneration 
von Knochen zu finden. 

Um die Regenerationsfähigkeit der operirten Axolotl, welche 
eirca 12 cm lang waren, festzustellen, wurden bei sechs gleich- 
langen, also wohl auch gleich alten Thieren die Extremitäten mit 
Durehtrennung der Vorderarmknochen abgeschnitten. Die Re- 
generation der Hand erfolgte in der bekaunten Weise in der Zeit 
von 4—6 Wochen. Ebenso regenerirte ein sehr viel älteres Con- 
trollthier, das doppelt so lang und dick war, wie die zu den 
Hauptversuchen benutzten, in 8 Wochen die abgeschnittene Hand. 
Bis die Hand ihre normale Grösse erreicht hatte, vergingen so- 
wohl bei den kleineren, wie bei dem grösseren Controllthier, noch 
weitere 6—8 Wochen. Es kann also kein Zweifel sein, dass die 
Operirten alle die Fähigkeit zur Regeneration besassen. Auch 
wird die Regenerationsfähigkeit dadurch vollständig erwiesen, 
dass die überlebenden Thiere, nachdem ihnen der früher operirte 
Arm, dessen Knochen nicht neugebildet waren, hoch am Oberarm 
zur Untersuchung amputirt worden war, wieder neue Extremitäten 
bildeten. 

Das Bild ist bei den vier mit Erfolg operirten Axolotln ein 
so ähnliches und in allen wichtigen Punkten übereinstimmendes, 
dass es mir genügend erscheint, wenn ich nur einen derselben 
genauer beschreibe. Ich wähle hierzu das Thier, welches nach 
Ablauf von 10 Monaten starb, weil bei ihm die eingetretenen 
Veränderungen an der Haut am charakteristischsten zu sehen 
waren. Deshalb wurden auch aus der von ihm angefertigten 
Sehnittserie die Präparate zu den Zeichnungen gewählt. 

Bei dem Axolotl Nr. 1, operirt am 3. März 1899, wurden 
beide Unterarmknochen exartieulirt mit Erhaltung der umliegen- 


s04 , H. Wendelstadt: 


den Gewebe. Das Thier konnte die Hand nach der Operation 
nicht mehr gebrauchen; dieselbe hing vollständig schlaff herunter. 
Die Wunde wurde mit einigen Nähten geschlossen. Das Thier 
blutete wenig nach. Nach einigen Tagen wurden die Nähte ent- 
fernt. Die Wunde war nach vier Tagen geschlossen. Die Hand 
stellte sich nun in kurzer Zeit in einen rechten Winkel zum 
Oberarm, und zwar war dieser Winkel nach hinten offen. Im 
Laufe der nächsten Zeit legte sich die Haut in tiefe Falten, und 
an der Stelle, wo die Unterarmknochen gesessen hatten, bildete 
sich ein dieker Wulst,. Der ganze Arm war um ein beträcht- 
liches Stück verkürzt. Diese Stellung behielt der Arm im wei- 
teren Verlaufe bei und veränderte sich in keiner Weise. Das 
Thier starb am 10. Januar 1900. Bis dahin war die Hand wohl 
bei Schwimmbewegungen benutzt worden, blieb dabei aber ganz 
steif; dagegen konnte das Thier die Hand nicht zum Weiter- 
kriechen benutzen; es sass auf dem Grunde des Glases auf den 
drei gesunden Extremitäten. Die Finger konnten gespreizt wer- 
den; sie zeigten gar keine Erscheinungen von Atrophie, wie über- 
haupt die ganze Hand ihr Aussehen, abgesehen von der Stellung, 
nicht veränderte und jedenfalls in gutem Ernährungszustande ge- 
blieben war. Das Präparat wurde sofort nach dem Tode in 
Flemming’sche Lösung eingelegt und blieb darin 12 Stunden. 
Darauf wurde es 2mal 24 Stunden gewässert und kam dann 
für 5mal 24 Stunden zur Entkalkung in 3°/, Salpetersäure. Die 
Salpetersäure wurde durch dreitägiges Entwässern entfernt, and 
dann das Präparat weiter in steigendem Alkohol gehärtet. Es 
wurde in Paraffin eingebettet und in der Längsriehtung an der 
radialen Seite des Armes beginnend in Serienschnitte zerlegt. 
Gefärbt wurden die Schnitte mit Hämalaun. In gleicher Weise 
sind alle übrigen Präparate behandelt worden. Einige Male 
färbten sich die Präparate schlecht, was wohl an einer mangel- 
haften Entwässerung nach der Salpetersäurebehandlung lag; die 
meisten aber machten keine derartigen Schwierigkeiten, nament- 
lich nachdem die Wässerung nach der Entkalkung gründlicher 
vorgenommen wurde. 

Die Schnitte ergaben, dass emne Regeneration der Unter- 
armknochen nieht stattgefunden hatte, und dass sich zwi- 
schen Oberarm und Handgelenk auch kein neues Gelenk gebildet 
hatte, sondern dass sich zwischen beide andere Gewebe eingeschoben 


Ueber Knochenregeneration. 305 


hatten. Die Verhältnisse bei den Axolotln sind so gross, dass 
schon makroskopisch ein knochenfreies Spatium zwischen dem 
unteren Ende des Oberarmknochens und dem Handwurzelknochen 
an den gefärbten Sehnitten wahrgenommen werden konnte. Zu- 
nächst fällt bei mikroskopischer Untersuchung des Präparates 
auf, dass die Haut ihre äussere Form verändert hat. Sie bildet, 
wie man schon makroskopisch wahrnehmen konnte, am Unter- 
arm eine Reihe von diehtgedrängten Wülsten. Die Wülste der 
Haut ragen sowohl nach aussen wie nach innen vor. Die Haut- 
falten senken sich stellenweise tief in das darunterliegende Ge- 
webe ein. Diese Hautwülste sind dadurch entstanden, dass bei 
der Verkürzung des Armes die Haut gleich einem Harmonika- 
balge sich in Falten gelegt hat. Hierbei sind die Hautpartien, 
die sich nach innen eingestülpt haben, so dicht aufeinanderge- 
drängt, dass zwischen ihnen stellenweise nur noch ein ganz ge- 
ringer Zwischenraum vorhanden ist, ja, dass man bei manchen 
Einstülpungen den Eindruck gewinnt, als ob eine vollständige 
Verwachsung der beiden Hautblätter miteinander stattgefunden 
hätte. Die Drüsen- und Epithelzellen sind in diesen Aus- und 
Einstülpungen kleiner und dichter aufeinandergedrängt, als in 
den normalen Hautpartien. Zwischen die Gelenkflächen des 
Oberarms ünd der Handwurzelknochen haben sich Muskeln, 
Bindegewebsstränge, Nerven und Gefässe gelegt, die den Zwischen- 
raum, der durch den Ausfall der Knochen entstanden ist, aus- 
füllen. Die Gelenkflächen des Humerus und der Handwurzel- 
knochen sehen gequollen aus. Die Knorpelsubstanz ist bei den 
Knorpeln, die vorhanden sind, unverändert. 

Die drei übrigen operirten Axolotl, bei welchen keine Re- 
generation stattfand, boten, wie schon oben gesagt, das gleiche 
Bild; nur trat nicht die Winkelstellung der Hand gegenüber dem 
Arme auf. Sie waren am 3. März 1899 operirt worden. Im 
Laufe des Juni 1900 wurde ihnen der operirte Arm hoch am 
Oberarm amputirt und in Serienschnitte zerlegt. Von dem Ampu- 
tationsstumpfe aus regenerirte sich eine neue Extremität. Die Zeich- 
nungen der 4 Thiere finden sich auf der Tafel XLIIL, Bild 1—4. 
Dort ist die Ansicht von oben und von der Seite gezeichnet. 

3ei einem anderen Axolotl, bei welchem auch die Unter- 
armknochen total entfernt werden sollten, blieb durch eine un- 
vollständige Operation ein Stück Ulna zurück, während der 


806 H. Wendelstadt: 


Radius total entfernt war. Das Thier wurde am 3. März 1899 
operirt und starb am 16. Juni 1900. Bei diesem Thiere hat sich 
ein Knochen regenerirt, und zwar die Ulna. In dem äusseren 
Aussehen der operirten Extremität hatte sich in vivo kein Unter- 
schied gegenüber den ersten vier bemerklich gemacht (Taf. XLIII, 
Fig. 7). Die Hand zeigte eine deutliche Winkelstellung wie bei 
Nr. 1. Der Befund war daher ein überraschender. Dass sich 
die äussere Form trotz der Regeneration nicht verändert hatte, 
erklärte sich dadurch, dass die neue Ulna sehr viel kürzer als 
eine normale geblieben war, und dass desshalb keine Streckung 
der verkümmerten Extremität stattfindeu konnte. 

Bei der Durehmusterung der Serienschnitte lässt sich deut- 
lich erkennen, dass von dem unteren Ende der Ulna vom Hand- 
gelenk aus bis zur Mitte hin ein schmaler Streifen alten Knochens 
stehen geblieben ist. Der alte Knochen ist mit dem neu ge- 
bildeten fest vereinigt und in keiner Weise anders als durch die 
Form der Zellen abgegrenzt. In dem alten Splitter sind Knochen- 
zellen, während bei allen neugebildeten Theilen sich nur Knor- 
pelzellen finden. Hierdurch sind die alten von den neugebildeten 
Theilen leicht zu unterscheiden. Das obere Ende der Ulna von 
der Mitte bis zum Humerus besteht nur aus neugebildetem Knorpel 
und ebenso der grösste Theil des unteren Endes mit Ausnahme 
der schmalen Spange alten Knochens. Der feine, stehenge- 
bliebene Knochensplitter geht bis zur Articulation der Ulna mit 
den Handwurzelknochen. Bei der Operation ist also von der 
Ulna ein schmales Stück abgesplittert, das mit den Handwurzel- 
knochen noch in Gelenkverbindung stand. Von diesem stehen 
gebliebenen Knochensplitter ist die Neubildung der Ulna ausge- 
sangen. Es ist eine Ausbesserung des an der Ulna gesetzten 
Defeetes in centripetaler Richtung eingetreten. 

Diese eigenartige Erscheinung bei der Neubildung verloren 
gegangener Theile verlangt eine besondere Erläuterung, da sie 
von den geläufigen Erfolgen nach den operativen Eingriffen bei 
Ampbhibien-Verwundung, Amputation oder Exartieulation sich 
wesentlich unterscheidet. 

Bei den Regenerationsvorgängen können wir von einem 
Ersatz und von einer Ausbesserung reden. Unter Er- 
satz ist die Neubildung von Theilen zu verstehen, die nicht selbst 
verletzt, sondern mit verletzten distalen Theilen eines Extremitäten- 


Ueber Knochenregeneration. 307 


abschnittes entfernt worden sind; unter Ausbesserung ist 
das Flicken und Ergänzen eines zum Theil entfernten Knochens 
zu verstehen. So ist bei einer Amputation, welche in der Mitte 
des Vorderarmes vorgenommen wird, die Regeneration der Ulna 
und des Radius, deren oberes Ende stehen geblieben ist, eine 
Ausbesserung, die Neubildung der weggefallenen Hand ein 
Ersatz. 

Der Radius war vollkommen entfernt worden und regene- 
rirte sich nicht. Der Humerus war auch unverletzt geblieben, da 
sonst die beiden Unterarmknochen sich erneuert haben würden. 
Es ist jedenfalls lehrreich, dass der Rest der Ulna nur eine Ulna 
und nicht beide Knochen regenerirte. Die Störung der Function 
war eine so grosse, dass die Regeneration beider Knochen durch 
sie hätte veranlasst werden können. 

Es genügt nicht, dass ein beliebiges Knochenstück, das 
noch regenerationsfähig ist, zurückbleibt, um beide Knochen zu 
erneuern, sondern es wird nur der Knochen erneuert, dem das 
Stück angehörte. Diese Regeneration kann offenbar centrifugal 
und centripetal stattfinden. Dagegen bildet sich von dort aus 
nicht der nebenliegende Knochen. Bei einer centrifugalen Re- 
generation eines verletzten Knochens sind die Zellen im Stande, 
auch weitere fehlende Knochen zu ersetzen, wie die Regeneration 
bei Amputationen deutlich zeigt. Bei centripetaler Regeneration 
wird der Knochen wenigstens wieder so gut als möglich ausge- 
bessert. Das Ausbleiben der Regeneration des nebenliegenden 
Knochens lässt die Vermuthung aufkommen, dass eben nur das 
Streben nach centrifugalem Ersatze und centripetaler Ausbesse- 
rung eines Defeetes in den Zellen liest. Dies würde auch 
am meisten dem Bedürfnisse der Natur entsprechen und wohl 
meist genügen, um Verletzungen auszuheilen. Der Humerus 
bildet Unterarm-, Hand- und Fingerknochen, der Unterarm- 
knochen Hand und Fingerknochen, die Ulna aber nicht 
den Radius, derneben und nicht inihrer Wachs- 
thumsrichtung liegt. Esfindet nurein Ersatz 
vorwärtsund eine Ausbesserung rückwärtsin 
embryonaler Wachsthumsrichtung der Kno- 
hie n .s-tabit: 

Die Frage nach der Regeneration in centripetaler Rich- 
tung war von vornherein bei der Versuchsanordnung gestellt 


s08 H. Wendelstadt: 


worden, und deshalb zwei Axolotl am 9. März 1899 in fol- 
sender Weise operirt worden. Ulna und Radius wurden in 
ihrem oberen Ende freigelegt, und dann in der Mitte zwischen 
Ellenbogengelenk und Handwurzel beide mit scharfer Scheere 
durehschnitten. Hierauf wurden die beiden oberen Enden bis 
zum Humerus hin vorsichtig beraus präparirt und ohne Ver- 
letzung der Gelenkfläche des Oberarmknochens entfernt. 

Bei beiden Thieren fanden sich nach 15 Monaten die 
Knochen wieder neugebildet und, zwar ging die Regeneration 
von den stehen gebliebenen distalen Enden der Knochen aus. 
Es ist also eine Regeneration in centripetaler Rich- 
tung eingetreten, d. h. der Defeet wurde in dieser Richtung aus- 
sebessert. Von der Gelenkfläche des Humerus geht die Neu- 
bildung nicht aus. Von hieraus hätte sich, wäre der Oberarm- 
knochen verletzt gewesen, eine neue Extremität gebildet, wie 
wir es bei einem später zu besprechenden Triton fanden, während 
hier nur eine Ausbesserung des entfernten Knochenstückes ein- 
trat. Von einer einfachen Verheilung des gesetzten Defeetes 
und der Bildung einer Pseudo-Gelenkfläche ist nicht die Rede, 
da sich vollständig neue den normalen entsprechende obere 
Knochenenden gebildet haben. Bei dem einen Thiere ist das 
neugebildete Knochenstück nicht gerade gewachsen, sondern es 
hat sich bei Ulna und Radius der Form angepasst, welche der 
Vorderarm nach der Operation annahm. Dieser hatte sich ver- 
kürzt, und die Hand war stark palmarwärts gebeugt. Der 
Unterarm, dem nach der Entfernung der halben Knochen der 
Halt fehlte, war dieser Beugung gefolgt, sodass von dem Ober- 
arm aus eine Krümmung eingetreten war. Die Neubildung hat 
sich nun dieser Krümmung angepasst. Ich habe überhaupt den 
Eindruck gewonnen, dass das eentripetale Wachsthum nieht mit 
der gleichen Energie vor sich geht, wie das centrifugale. Einen 
strieten Beweis kann ich aber hierfür nicht erbringen. Bei dem 
anderen Axolotl sind beide ganz gerade gewachsen, da die Krüm- 
mung vorher nicht eingetreten war. 

Den beiden zuletzt beschriebenen Axolotln, bei welchen ab- 
sichtlich das untere Ende der Unterarmknochen zurückgelassen 
wurde, reiht sich ein weiterer an, wo bei der zur totalen Exstir- 
pation unternommenen Operation dasselbe unabsichtlich geschah. 
Auch hier trat Regeneration beider Unterarmknochen ein. Das 


Ueber Knochenregeneräation. 809 


Thier wurde am 31. Januar 1899 operirt und der Arm am 25. Juli 
1900 amputirt, also 15 Monate nach der Operation. Es handelt 
sich bei ihm um Ausbesserung und nicht um Ersatz einer neuen 
Extremität. Auf die Amputation erfolgte dann nach ebensoviel 
Wochen, als vorher Monate verlaufen waren, die Bildung einer 
neuen Extremität vom Amputationsstumpfe aus. 

Das Thier bot in den ersten Wochen dasselbe Bild, wie 
die zuerst beschriebenen Axolotl, bei welchen die totale Exstir- 
pation gelungen war. Der Arm hatte sich auch verkürzt und 
die Haut hatte sich in Falten gelegt. Da nur ein kleines Stück 
beider Unterarmknochen stehen geblieben war, so war die Re- 
traction eine ganz bedeutende. Nach einigen Wochen trat aber 
ein deutliches Längenwachsthum des Armes auf, die Hautfalten 
glichen sich mehr und mehr aus, und nach 4 Monaten hatte der 
Arm seine normale Länge erreicht (Tafel XLIII, Fig. 5 und 6). 
Die Serienschnitte ergaben eine vollständige Ausbesserung der 
beiden Unterarmknochen. In den nach der Handwurzel zuge- 
kehrten Partien waren am unteren Ende alte Knochentheile bei 
beiden Knochen erkennbar. 

Das Thier bot ausser dieser Erscheinung noch das Eigenthüm- 
‚liche, dass es eine Zehe regenerirte. Einige Tage nach der Ope- 
ration wurden die beiden mittleren Zehen der linken Hand 
gangränös und fielen ab. Die hierdurch entstandene Wunde schloss 
sich bald, und die Extremität bot das Bild einer zweizinkigen 
Gabel. 26 Tage nach der Operation zeigte sich an der ulnaren 
Seite des Handgelenkes ein kleiner warzenförmiger Auswuchs, der 
in der nächsten Zeit die Form eines Fingers annahm (Tafel LXIII, 
Fig. 5). Dieser neugebildete Finger, der richt an der Stelle der 
sangränös gewordenen zwischen den beiden stehen gebliebenen, son- 
dern neben denselben sich bildete, rückte immer mehr nach vorn 
und schob dabei den ihm zunächst stehenden Finger nach dem 
dritten hin. Die Hand veränderte ihr Aussehen vollständig. 
Nach 4 Monaten sah sie so aus, als ob der letzte Finger auf 
der ulnaren Seite fehle, während die anderen Zehen ganz normal 
vorhanden seien (Taf. XLIIL, Fig. 6). Die Neubildung war wahr- 
scheinlich durch eine Verletzung eines Handwurzelknochens her- 
vorgerufen worden, die bei der Anlegung des Hautschnittes er- 
folgt war. Ganz eigenartig ist es, dass der neugebildete Finger 
die beschriebene Wanderung vornahm und nach seiner Ausbildung 


810 H. Wendelstadt: 


die Stellung einnahm, die am besten zum Ausgleicbe der durch 
die Gangrän hervorgebrachten Funetionsstörung dienen konnte. 
Ohne die Verletzung des Handwurzelknochens hätte kein Finger 
neugebildet werden können, wenigstens wurde keiner in dem 
grossen durch Gangrän erzeugten Defeet regenerirt, da dort keine 
Verletzung der Knochen vorlag. 

Von vornherein erschien es weiter von Interesse, festzu- 
stellen, was eintrat, wenn man nur einen Unterarmknochen 
exstirpirte, ohne die zurückbleibenden Knochen zu ver- 
letzen. Bei einem Axolotl wurde diese Operation am 3. März 1899 
gemacht, und dabei die Ulna entfernt. Dieselbe war nach 
11 Monaten nicht regenerirt. Das umliegende Gewebe re- 
generirte die Ulna nicht, auch nicht der unverletzte, in der ganzen 
Länge anliegende Radius. Wenn hier auch keine so grosse Func- 
tionsstörung vorlag, wie bei der Entfernung beider Knochen, so 
war sie doch wohl genügend, um eine Neubildung anzuregen. 
Denn der Ausfall eines ganzen Unterarmknochens musste sich doch 
bemerkbar machen, wenn auch die Extremität zum Kriechen und 
Schwimmen nach wenigen Tagen wieder gebraucht werden 
konnte. Es unterliegt auch wohl kaum einem Zweifel, dass ein 
so regenerationsfreudiges Thier, wie ein Axolotl, regenerirt hätte, 
wenn die Möglichkeit von den vorhandenen Geweben aus vor- 
gelegen hätte. 

Um zu sehen, ob eine einfache Verletzung des Ober- 
armknochens eine Neubildung hervorrufen könnte, wurde bei 
einem Axolotl der Oberarm ungefähr in der Mitte mit einem 
scharfen Instrument scharf angekratzt, nachdem durch einen 
kleinen Schnitt die Weichtheile bis zum Knochen durchtrennt 
waren. Es erfolgte keine Neubildung irgend welcher 
Art, und nach einem Jahre liess sich “an dem Oberarm, der in 
Serienschnitte zerlegt wurde, nichts abnormes mehr wahrnehmen. 
Der gesetzte Defect war ausgebessert worden, aber darüber hinaus 
keine Reaction erfolgt. Dies war ja schon von vornherein an- 
zunehmen; denn bei den häufigen Verletzungen, denen die Thiere 
ausgesetzt sind, müssten doppelte Unterarme und Hände häufig 
am Oberarm gefunden werden, wenn eine solche Verletzung zu 
derartiger Neubildung Veranlassung gäbe. Nur in ihrer ursprüng- 
lichen Wachsthumsrichtung können die Knorpelzellen auf eine 
Verletzung mit Regeneration reagiren; die Regeneration geht 


Ueber Knochenregeneration. sil 


nicht seitlich davon ab. Ein einfacher Defeet im Knochen wird 
ausgebessert in dieser Richtung und führt nicht zu einem seit- 
lichen Auswachsen einer Neubildung. 

Mit welcher Energie die Regenerationsvorgänge sich ab- 
spielen können, dafür liefert ein Triton, der schon oben erwähnt 
wurde, ein schönes Beispiel, bei welchem nach der Exstirpation 
beider Unterarmknochen mit Erhaltung der anliegenden Gewebe 
sich von dem bei der Operation verletzten Oberarmknochen aus 
neue Unterarmknochen und eine zweite neue Hand bildeten. 

Dieser Triton wurde am linken Arm in der Weise, wie sie 
bei den AxolotIn beschrieben worden ist, am 18. Juni 1898 zur 
Entfernung beider Vorderarmknochen operirt und am8. August 1898, 
also eirca 7 Wochen nach der Operation, getödtet. Es war mit 
grosser Mühe verbunden, das Thbier nach der Operation am Leben 
zu erhalten. Nur der eifrigen Pflege, welche meine Frau dem 
operirten Thier angedeihen liess, und mit der sie sich auch der 
anderen annahm, habe ich eszu verdanken, dass die Untersuchung 
zu einem befriedigenden Abschlusse gediehen ist. Zunächst wurde 
der Triton in ein Glassgefäss gesetzt, auf dessen Boden ein 
feuchtes Stück Filtrirpapier ausgebreitet war. Das Thier ver- 
weigerte acht Tage lang jede Nahrungsaufnahme und magerte 
ganz bedeutend ab. Das operirte Bein hing schlaff herab, und 
der Triton vermied es, beim Gehen den Boden damit zu berühren. 
Er bewegte sich dadurch nur sehr schwer und regte sich über- 
haupt kaum. Versuchsweise wurde nun Wasser in das Gefäss 
gegossen; mit gutem Erfolge. Das Thier schwamm nach kurzer 
Zeit lebhaft umher, wobei es seine drei gesunden Beine bewegte 
Hierauf wurde der Behälter zu einem kleinen Aqua-Terrarium 
umgewandelt, in welchem sich der Triton bald wohl zu fühlen 
schien. Als Nahrung nahm er nach den ersten acht Fasttagen 
lebende Regenwürmer, wenn ihm dieselben vorgehalten wurden, 
später fing er sich dieselben selbst. Er frass nicht jeden Tag, 
sondern nahm zwei grosse Würmer hintereinander und machte 
dann eine Pause von 1—2 Tagen. Wie ich mich überzeugt habe, 
kann man Tritonen das ganze Jahr im Wasser halten, ohne ihnen 
Gelegenheit zum Herauskriechen zu geben. Das Verlassen des 
Wassers, wie es in der Natur von diesen Thieren geschieht, ist 
keine Nothwendigkeit zur Erhaltung des Lebens. 

Das operirte Bein legte sich nach einigen Tagen fest an 


812 H. Wendelstadt: 


den Leib an und wurde gar nicht gebraucht. Es verkürzte sich, 
und drei Zehen verkümmerten, während eine ihre Länge behielt. 
Es waren in der Hand also zunächst Ernährungsstörungen auf- 
getreten, die sich aber bald wieder ausglichen. 

Nach drei Wochen benutzte der Triton das operirte Bein 
wieder beim Schwimmen und Gehen. Es wurde aber nur im 
Schultergelenk bewegt, sonst ganz steif gehalten. 

Die Operation war am 18. Juni 1898 gemacht worden; 
5 Wochen nachher zeigte sich auf der ulnaren Seite in der Ge- 
gend der lange vernarbten Hautwunde ein kleiner Auswuchs, der 
sich bis zu den ersten Tagen des August zu einer deutlich zu 
erkennenden neuen Hand auswuchs (s. Abbildung Tafel XLIII, 
Fig. 8). Das Thier wurde am 8. August getödtet und in Flem- 
ming’scher Lösung gehärtet, darauf in Alkohol aufbewahrt. 

Wenn man die Serienschnitte, welche wagerecht zum Ver- 
laufe des Oberarmes von oben nach unten durch die ganze Ex- 
tremität angelegt sind, verfolgt, so findet man am Ende des Hu- 
merus, der vollständig unverändert erscheint, ein gut ausgebildetes 
Ellenbogengelenk. Von hier aus gehen Ulna und Radius, beide 
noch ganz aus Knorpelzellen bestehend, im Winkel ulnarwärts 
ab. Ulna und Radius sind noch kürzer, als sie es in ausge- 
wachsenem Zustande sein müssten. Am Ende beider Knochen 
haben sich Knorpelzellen zu Handwurzel-, Handmittel- und Finger- 
knochen gruppirt, wie man dies bei Regenerationen des Unter- 
armes und der Hand nach Amputationen in diesem Stadium stets 
beobachtet. Vom Humerus aus hat sich also ein neuer Unterarm 
und eine neue Hand gebildet. Nun ist aber noch die alte Hand 
vorhanden, und ein kurzes Stück von der Ulna am Handgelenk, 
das stehen geblieben war. Die alte Hand ist unverändert, nur 
fehlen diejenigen Finger, welche gleich nach der Operation 
gangränös geworden waren. 

Das Stück der Ulna, das am Handgelenk stehen geblieben 
war, wird an seiner Spitze von der neu gebildeten Ulna ge- 
troffen und ist an dieser Stelle mit ihr verwachsen. Das 
neu gebildete Skelettstück bildet hier mit dem alten eine zu- 
sammenhängende Masse, sodass wir anscheinend eine Ulna vor 
uns haben mit zwei distalen Enden. Dies Bild kommt zu Stande, 
weil die neue Ulna mit dem Reste der alten einen Winkel an 
der Berührungsstelle bildet. Die Berührung beider Knochen ist 
eine rein zufällige und hat mit der Entwicklung der neuen Ex- 


Ueber Knochenregeneration. 813 


tremität Nichts zu thun. Das Bild erscheint nur in dieser Form, 
weil von dem Knochenreste aus auch schon eine centripetale 
Ausbesserung beginnt. Ich möchte es scharf betonen, dass 
dieser Knochenrest Nichts mit der Entwiekelung des neuen Unter- 
armes und der Hand zu thun hat. 

Die neuen Knochen treten auf ihrem Wege dicht an die 
alten Handwurzelknochen, welche durch die Retraction der Ge- 
webe in die Höhe gezogen sind, heran, berühren sie aber nicht 
und bilden mit ihnen keine Artieulation (s. Taf. XLV). 

Vom Humerus aus hat sich also ein neuer Unter- 
arm und eine neue Hand gebildet ohne Rücksieht 
darauf, dass noch eıne alte Hand vorhanden war. Die 
Bildung ist auch nicht in der Richtung der früheren Unterarm- 
knochen erfolgt, sondern sie geht im Winkel von dem Humerus 
ab und schiebt die Hindernisse auf Seite oder drückt sie, wie 
die Haut, vor sich her. 

Von einer Narbe in der Haut, dem Schnitte bei der 
Operation entsprechend, ist Nichts zu finden. 

Von den Muskeln aus schieben sich neu gebildete Stränge 
nach der Hand hin; ebenso sind Blutgefässe reichlich vorhanden. Die 
Nerven haben eine eigenthümliche Veränderung erfahren. Kurz unter- 
halb des Ellenbogengelenkes sind dieselben noch ganz normal; 
aber an der Stelle, wo die überzählige Extremität anfängt her- 
vorzuragen, macht der Nervus ulnaris eine Schleife in der Rieh- 
tung nach der neugebildeten Hand bin. Er sendet von dieser 
Schleife aus eine Reihe von zarten Nervenfasern nach der Peri- 
pherie der Hand hin, geht dann aber wieder zurück zu dem 
ursprünglichen Verlauf und lässt sich im die alte Hand hinein 
verfolgen. Diese schleifenförmige Abzweigung des Nerven ist 
offenbar neugebildet und nicht etwa der alte Nerv, der durch 
eine Zerrung in diese Lage versetzt worden wäre. Das ist auf 
den Schnitten durch die Färbung des neuen Nerven, der noch 
des Markes entbehrt, deutlich zu erkennen (s. Taf. XLIV Fig. 1). 

Die Vorgänge bei diesem Triton beweisen in unzweifelhafter 
Form, dass vom verletzten Humerus aus ohne Rücksicht auf die 
noch vorhandenen Handknochen ein neuer Unterarm und eine 
neue Hand gebildet werden. Diese Thatsache ist von Wichtig- 
keit für die von mir angenommene centripetale Ausbesserung von 
distalen Knochenresten aus, da ich gestützt auf dieselbe in den 


oben beschriebenen Fällen eine Regeneration vom Humerus aus 
Archiv f. mikr. Anat. Bd, 57. 53 


814 H. Wendelstadt: 


ausgeschlossen habe. Auch in diesem Falle war die Stelle, an 
welcher der Humerus verletzt worden war, und von der aus die 
Neubildung ausgegangen sein muss, nicht mehr zu entdecken. 


Zusammenfassung der Ergebnisse. 

Um eine bessere Uebersicht über die im Vorhergehenden 
beschriebenen Versuche zu geben, stelle ich dieselben in der 
folgenden Tabelle zusammen mit einer kurzen Angabe der er- 
zielten Erfolge. 


Operationen an Axolotln. 


Datum der Art; Dal der Erfolg 
e i FE nter- 3 z8 

Operation der Operation bare der Operation 

3. 3. 1899 |) Exstirpation beider | 12, 12.1899 

2.5, 1809 Unterarmknochen mit 10. 1° 1500: 

. 9. 1599 || Erhaltung der umlie- ‚4. iR I SE 

3. 3. 1899 |(genden Geweherähne oe laop.! Keine Regeneration 

|| Verletzung der anlie-| , | 
3. 3. 1899 genden Knochen 16. 6. 1900 


for) 


3. 3. 1899 | Exstirpation beider | 12. 6. 1900 | Ulna allein regene- 

| Unterarmknochen. rirt 

Ein Rest der Ulna ist 
stehen geblieben 


9. 3. 1899 |, Exstirpation des obe-| 15. 6. 1900 £ - Eh 
Oral 1saalronndes von Dina 107.100. en 
31. 1. 1899 |) und Radius 25.7. 1900, | alenzEntE 

3. 3. 1899 Exstirpation des 10. 2. 1900 | Keine Regeneration 


Radius allein mit Er- 
haltung der Ulna 


31. 1. 1899 | Verletzung des Hu-! 10. 5. 1900 | Ausbesserung ohne 
merus weitere Neubildung 


Operation an einem Triton. 


18. 6. 1898 | Exstirpation beider 8. 8. 1898 | Neubildung eines 


Unterarmknochen. neuen Unterarmes 
Ein Rest der Ulna | und einer zweiten 
ist stehen geblieben Hand. 


und der Humerus 
ist verletzt worden 


Ueber Knochenregeneration. 815 


Dass das Ausbleiben der Regeneration bei den ersten vier 
Axolotln nur in der Unfähigkeit des zurückgebliebenen Gewebes 
zur Erzeugung von Knochen oder Knorpel seine Erklärung findet 
und nieht in anderen Ursachen, glaube ich beweisen zu können. 

Zunächst könnte es in Frage kommen, ob nicht bei Vor- 
handensein aller nöthigen Factoren zur Regeneration dieselbe 
nur aus dem Grunde ausbleibt, weil keine Nothwendigkeit zum 
Ersatze vorliegt, d. h. weil die Function des Armes bei Erhal- 
tung der Hand nur in sehr geringem Maasse gestört war. Dem 
Ausfalle der Function wird ja eine gewisse Reizwirkung zur 
Neubildung von vielen Seiten zuerkannt. Wenn sie erhalten 
bleibt bei der Operation, so wird damit auch die Beweiskraft 
der Versuche stark erschüttert. Dies ist aber nicht der Fall. 
Der Arm wird von dem Ellenbogen ab nach Entfernung der 
stützenden Knochen für das Thier ganz unbrauchbar, und die Hand 
wird auch zwecklos und ist eher bei der Bewegung hinderlich. 

Dieser Ausfall der Function kommt dem bei einer Ampu- 
tation gleich und würde doch sicher genügen, um einen Regene- 
rationsvorgang, wie die Neubildung der Knorpel und Knochen 
herbeizuführen, der doch sehr viel einfacher erscheint, als die 
äusserst complieirte Neubildung einer ganzen Extremität von 
einer Amputationswunde aus. Wenn wir die Annahme einer 
Einwirkung irgend welcher Art durch den Ausfall einer Func- 
tion auf Neubildung anerkennen, so muss diese Einwirkung hier 
stattfinden, und die übriggebliebenen Gewebe müssten die Knochen 
regeneriren, wenn sie dazu überhaupt im Stande wären. 

Ich möchte hier nochmals betonen, dass die Verhältnisse bei 
diesen Versuchen vollständig verschieden sind von denen, bei 
welchen eine totale Exartieulation vorgenommen worden ist. Dort 
sind die Bedingungen derart, dass der proximal von der Wunde 
gelegene Knochen zwar selbst nicht verletzt ist, mit dem ent- 
fernten distalen Knochen aber auch alle ihn umgebenden Gewebe 
in Fortfall kommen, während bei meinen Versuchen die um- 
gebenden und die distal gelegenen Gewebe erhalten bleiben. 

Die Annahme, dass durch die Operation die Ernährung 
dder Gewebe so sehr gestört werde, dass desshalb die sonst vor- 
handene Fähigkeit der Regeneration aufgehoben sei, liegt nahe; 
sie entspricht aber nicht den Verhältnissen. Wenn eine der- 
artige Störung auch vielleicht gleich nach dem blutigen Eingriffe 


s16 H. Wendelstadt: 


bestand, so spricht doch das Aussehen der ganzen Extremität in 
der späteren Zeit dagegen, dass dauernde Ernährungsstörungen 
vorlagen, und das Aussehen der Gewebe bei den mikroskopischen 
Schnitten widerspricht dem auch. Die Cireulation in der Ex- 
tremität war sicherlich eine genügende, um die Regeneration zu 
ermöglichen, wie die Neubildungen bei den anderen Axolotln ja 
auch zeigen. Bei einem Axolotl, der Ulna und Radius nicht 
regenerirt hat, hatte sich doch ein fünfter, überzähliger Finger 
gebildet, wahrscheinlich durch eine Verletzung eines Handwurzel- 
knoches hervorgerufen. Die Ernährung der Gewebe war also 
sicherlich ausreichend. Wenn bei der Operation tiefere Schä- 
digungen der Ernährung gesetzt wurden, welche sich nicht in 
kurzer Zeit wieder ausglichen, so trat ausgedehnte Gangrän der 
Finger und der Hand in den ersten Tagen auf, wodurch die 
Thiere zu weiteren Beobachtungen unbrauchbar wurden. 

Hindernd für eine Neubildung konnte auch der Umstand 
werden, dass die stehengebliebenen Gewebe durch die Narbenbil- 
dung so fest zusammengezogen wurden, dass durch den dadurch 
ausgeübten Druck die Neubildung verhindert wurde. Dieser Ein- 
wand wird durch die Regeneration in den Fällen unvollständiger 
Exstirpation der Knochen sofort widerlegt, da hier doch auch 
derselbe Druck vorhanden war und doch überwunden wurde. 

Die Regenerationsfähigkeit war bei den operirten Thieren 
in vollem Maasse, wie ich oben bewiesen habe, vorhanden. 

Die durch die Operation geschaffenen Bedingungen waren 
einer Neubildung günstig. Durch den Ausfall der Function 
war ein Reiz geschaffen, die Ernährung der Gewebe war eine 
genügende, der von den zurückgebliebenen Geweben ausgeübte 
Druck bot kein Hinderniss und die Regenerationsfähig- 
keit der Thiere war in vollem Maasse erhalten. Da unter 
diesen Umständen beiriehtig' ausgeführten 
Ezstirpationsderipeiden Unterarmknochen ohne 
Verletzung der’ zurückblieibenden’ Knochen 
und mit Erhaltung des umliegenden’ Gewebes 
keine Neubildung der Knochen eintrat, so ist 
dadurch erwiesen, dass die übrig gebliebenen 
Gewebe keinen Knorpel oder Knochen bilden 
konnten. 

Die Regeneration der exstirpirten oberen Hälfte von Ulna 


Ueber Knochenregeneration. 817 


und Radius bei drei AxolotIn habe ich durch ein centripetales 
Wachsthum von den stehengebliebenen Knochenresten aus er- 
klärt. Allerdings kann ich die Möglichkeit, dass es sich doch 
um eine Regeneration von dem Oberarmknochen aus handelt, 
nicht absolut von der Hand weisen, da vorläufig noch die Zwischen- 
stadien fehlen, worüber demnächst berichtet werden soll. Es 
scheint mir aber doch berechtigt zu sein, wenigstens nach meinen 
Versuchen, anzunehmen, dass wenn der Humerus an der Regene- 
ration betheiligt wäre, sich ein ganz neuer Unterarm und eine 
Hand gebildet haben würden, wie dies bei dem Triton, bei welchem 
eine Verletzung des Oberarms vorlag, geschehen ist. Es ist auch 
schwer anzunehmen, dass bei einer Regeneration vom Oberarm 
aus diese Neubildung die vorhandenen distalen Stücke der Unter- 
armknochen so genau getroffen hätte, dass diese Stücke und 
Splitter in der Richtung des neuen Knochens liegen, wie es 
thatsächlich der Fall ist. Nur durch das veränderte Aussehen 
der Zellen, nicht durch eine Richtungsänderung im Verlaufe sind 
die alten von den neuen Knochen und Knorpelbildungen zu 
unterscheiden. Bei den vielen Hindernissen, welche auf diesem 
Wege vom Humerus zu den Resten der Unterarmknochen sich 
der Neubildung entgegensetzten, ist eine Abweichung von der 
Riehtung, die zur Erlangung des vorliegenden Resultates 
ja eine mathematisch genaue sein musste, mehr als wahrscheinlich 
und trat auch bei dem Triton ein. Nehmen wir dagegen nur 
eine Ausbesserung von den Knochenresten in centripetaler Rich- 
tung an, so fällt diese Schwierigkeit fort. Die Knochenreste 
regeneriren in ihrer Sphäre und treffen dabei schliesslich 
nach oben hin von irgend einer Richtung aus auf das Gelenk- 
ende des Humerus. Hier bilden sie ein bewegliches Gelenk, 
dem man die Richtung, aus welcher die Knochen angelangt 
sind, nicht mehr ansehen kann. ‚Jedenfalls brauchen sie nicht 
in einer so genau passenden Weise anzukommen, wie in dem 
anderen Falle. 

Bei der Operation ist auch eine Exartieulation der Knochen 
im Ellenbogengelenk, wenigstens bei den grossen Axolotln, ohne 
Verletzung der anstossenden Gelenkflächen mit einiger Sicher- 
heit auszuführen, jedenfalls sehr viel leichter, als die Exartieu- 
lation am Handgelenk. Es ist also eine grosse Wahrscheinlich- 


s18 H. Wendelstadt: 


keit vorhanden, dass der Humerus nicht bei der Operation ver- 
letzt worden ist. 

Der Befund bei dem Triton, bei welehem sieh neue Unter- 
armknochen und eine neue Hand gebildet haben, — eine Neubildung, 
die zweifellos vom Oberarmknochen ausgegangen ist — zeigt, 
dass bei einer Regeneration vom Oberarm aus nach der Exartieu- 
lation der Vorderarmknochen nicht das Bestreben vorhanden ist, 
den alten Knochenrest zu treffen und so nur auszubessern, 
sondern dass von dort aus sich eine ganz neue Extremität er- 
setzt, ohne Rücksicht auf noch distal gelegene Gewebe. Die 
Neubildung bei dem Triton ist sogar noch beweiskräftiger für 
meine Annahme, weil ein Stück Ulna am Handgelenk stehen ge- 
blieben ist. Die nach oben gewandte Spitze dieses Stückes wird 
von der neugebildeten Ulna getroffen, aber die neue Ulna ändert 
ihre Richtung desshalb nicht. Sie. bildet mit dem Reste der 
alten Ulna einen spitzen Winkel und geht zur neuen Hand weiter. 
Von dem alten Stück Ulna geht auch eine centripetale Neubil- 
dung aus, wenigstens kann man an ihm junge Knorpelzellen er- 
kennen. In den Fällen, bei denen ieh eine centripetale Aus- 
besserung und keinen centrifugalen Ersatz annehme, glaube ich 
daher zu dieser Annalıme berechtigt zu sein. 

Die Regeneration der Ulna allein bei dem einen Axolotl, 
bei welchem der Radius ganz entfernt, und nur ein Stück der 
Ulna am Handgelenk stehen geblieben war, ist nur so zu er- 
klären, dass diese Ausbesserung zwar eintreten, dass aber der 
fehlende Radius von dem Reste der Ulna aus nicht ersetzt wer- 
den konnte. Ebenso hat die Ulna bei dem Thiere, bei welchem 
der Radius allein entfernt worden war, diesen nicht ersetzt, ob- 
gleich sie doch wahrscheinlich bei der Exstirpation auch verletzt 
worden war. Aus dem ersten Versuche geht hervor, dass die 
Ulna gar nieht im Stande war, den mit ihr gleichlaufenden, 
neben ihr liegenden Knochen zu ersetzen, der weder centrifugal 
noch centripetal in ihrer Wachsthumsrichtung lag. 

Die Ergebnisse der Arbeit kann ich in folgenden Sätzen 
zusammenfassen : 

1) Knochen und Knorpel regeneriren sich 
bei den Urodelen nur von Knochen und Knor- 
pelzellenundniehtvon irgendeinemanderen 
Gewebe aus. 


Ueber Knochenregeneration. 819 


2) Die Regeneration geschieht nurim Ent- 
wicklungsgebiete desbetreffenden Knochens 
Sowohl in centrifugaler wie in centripetaler 
Riehtung. 

3) Einin ausreiehendem Maasse verletzter 
Knochen bildetin centrifugaler Richtung die 
in seiner Wachsthumsrichtung liegenden Kno- 
chen neu, auch wenn die Gebilde noch vorhan- 
den sind, aber durch einen Substanzverlust 
30:01h megeitinienndt hie sen. 

4) Ein verletzter Knochen bildet niemals 
einen neben ihm liegenden, nach abgelaufener 
Entwicklung vonihm getrennten Knochen. Die 
Ulna regenerirt nicht den Radius und umge- 
kehrt. 

5) Ob in ecentripetaler Richtung auch eine 
so ausgiebige Regeneration stattfinden kann, 
wie in centrifugaler, ist aus meinen Versuchen 
Brecht zu Lolsern. Tech habe in ’dieserkichtung 
nur Ausbesserung aber keinen Ersatz gesehen. 

Die Anregung zu der vorliegenden Arbeit verdanke ich 
Herrn Professor Nussbaum, der mir auch die Ausarbeitung 
durch seine gütige Unterstützung mit Rath und That ermög- 
lichte. Ich spreche ihm mit besonderer Freude hier meinen ver- 
bindlichsten Dank aus. Angefangen wurde die Arbeit in dem 
anatomischen Institut, in welehem mir Herr Geheimrath Professor 
Freiherr von la Valette St. George in freundlichster 
Weise einen Arbeitsplatz zur Verfügung stellte, wofür ich ihm 
hier meinen besten Dank sage, vollendet im pharmakologischen 
Institut des Herrn Geheimrath Professor Binz, nachdem ich 
dort die Assistentenstelle angetreten hatte. 


Erklärung zu den Abbildungen auf Tafel XLIII—XLV. 


Tafel XLII. 


Fig. 1—4 sind Zeichnungen der vier Axolotl, bei welchen die 
beiden Unterarmknochen exstirpirt worden sind, ohne dass Regeneration 
eintrat. Die Zeichnungen wurden im Juni 1899, also drei Monate nach 
der Operation von Herrn Zeichner Rose nach dem Leben angefertigt. 
In den Hauptfiguren sind die operirten Extremitäten von oben und 


220 H. Wendelstadt: 


auf den kleineren Nebenfiguren von der Seite gezeichnet. Bei allen 
sieht man, wie sich der operirte Arm verkürzt hat, indem die Hand 
näher an den Oberarm herangerückt ist, und wie die Haut zwischen 
beiden einen Wulst mit tiefen Falten bildet. Bei den 4 Thieren ist 
in der Seitenansicht die Narbe, welche von der Operation herstammt, 
durch die Einziehung kenntlich. 


Fig. 1. Stellt den am 10. 1. 1900 gestorbenen Axolotl dar. Bei ihm, 
wie bei den anderen Thieren, hatte sich das äussere Aussehen 
der Extremitäten seit dem Tage der Zeichnung nicht mehr 
merklich verändert. Die linke Hand bildet bei ihm mit dem 
Oberarme einen Winkel. Von diesem Arme stammen auch 
die in Fig. und 2 der Tafel XLIV abgebildeten mikroskopi- 
schen Schnitte. 

Fig. 2. Das Thier starb 9 Monate nach der Operation. Im Gegensatze 
zu dem ersten Bilde ist hier ebenso wie bei Bild 3 und 4 kein 
Winkel zwischen Hand und Oberarm zu sehen. Der Hautwulst 
ist aber sehr deutlich ausgeprägt. An dem einen Finger der 
operirten Extremität zeigt sich eine Doppelbildung. Dieselbe 
war schon vor der Operation vorhanden und bietet bei den 
Axolotln, die sich so oft unter einander die Finger und die 
ganzen Extremitäten abbeissen, nichts besonderes. Bei diesem 
Thiere war ebeuso wie bei Bild 3 und 4 der rechte Arm ope- 
rirt worden. 

Fig. 3. Der Axolotl starb am 12. 6. 1900, also 15 Monate nach der 
Operation. Der äussere Anblick ist dem Bilde 3 sehr ähnlich. 

Fig. 4 Das Thier starb am 16. 6. 1900, 15 Monate nach der Operation. 
Bei ihm hatte sich nach der Operation ein überzähliger fünfter 
Finger gebildet, der senkrecht auf der Ebene der Hand heraus- 
gewachsen war. Zweifellos ist derselbe durch eine Verletzung 
eines Handwurzelknochens entstanden. 

.5 und 6 sind von dem Axolotl angefertigt worden, welcher beide 
Unterarmknochen von stehengehliebenen distalen Knochen- 
resten aus regeenerirte. Der Arm hatte nach 3 Monaten seine 
normale Länge wieder erreicht. Das Thier ist am linken Arın 
operirt und verlor durch Gangrän in den ersten Tagen die 
zwei mittleren Finger. Nach einigen Wochen zeigte sich ein 
in Bildung begriffener neuer Finger auf der ulnaren Seite 
der Handwurzel, der sich bis zum 3. Monat zu einem voll- 
ständig entwickelten dritten Finger ausbildete, wie es Figur 6 
zeigt. Die auf Fig. 5 noch weit auseinanderstehenden Finger 
sind auf Fig. 6 dicht zusammengerückt, und der neue Finger, 
der auf Fig. 5 eben sichtbar ist, hat sich als äusserer Finger 
auf der ulnaren Seite dazu gestellt. An der nicht operirten 
Hand ist eine Doppelbildung an einem Finger. 

Fig. 7. Der Axolotl hatte von einem kleinen distalen Reste aus die 
Ulna regenerirt. Die Ulna war aber kleiner als eine normale 
zeblieben und hatte sich auch bei der Regeneration der Winkel- 
stellung, welche die operirte linke Hand zum Oberarme ein- 


be) 


Fig. 8. 


Fig. 1. 


Fig. 2. 


Fig. 3. 


Ueber Knochenregeneration. 821 


genommen hatte, angepasst. Deshalb bot der Arm äusserlich 
das gleiche Bild, wie die Thiere von Fig. 1—4. 
Der Triton, bei welchem am 18. 6. 1899 links die beiden Unter- 
armknochen entfernt worden waren, uud der bis zum 8. 8. 1898 
neue Unterarmknochen und eine neue Hand gebildet hatte. 
Die Finger der linken Hand sind bis auf einen durch Gan- 
grän nach der Operation verkümmert. Die alte Hand hat da- 
durch ein hakenförmiges Aussehen bekommen. Oberhalb der 
alten Hand ist ein Auswuchs sichtbar, der an seinem äusseren 
Ende vier kleinere Zacken trägt. Dies ist die zweite, neue Hand. 
Die linke Extremität ist gegenüber der rechten etwas verkürzt. 
Das kleine Nebenbild zeigt die Ansicht des Armes von oben. 

Das Bild ist nach einer Photographie gezeichnet, welche 
von dem Triton, nachdem er in Alkohl eingelegt war, gemacht 
wurde. 

Tafel XLIV. 

Theil eines Schnittes durch den Arm des operirten Triton. 
(Vergrösserung Zeiss Apochromat-Objectiv von 8 mm Brenn- 
weite, Ocular 8, Tubuslänge 160 mm.) Es ist eine Stelle zwi- 
schen den neugebildeten Knorpeln der Ulna und des Radius 
sewählt, an der neben einander ein alter Nervenstrang (a. Nerv) 
und der neue von dem Ulnaris schleifenförmig abgehende 
(n. Nerv) sichtbar sind. Der Schnitt liegt dicht oberhalb der 
Stelle, wo die neue Hand aus dem alten Arme heraus tritt. 
Die Knorpel der Ulna und des Radius sind noch mit in das 
Bild genommen worden (rn. An). Altes und neues Gewebe 
liegt neben einander in dem Bilde. 
(Vergrösserung Zeiss Apochromat. Objectiv von 15 mm Brenn- 
weite, Sucher Ocular 1, Tubuslänge 160 mm. (Axolotl.Nr. 1.) 
Zeichnung eines Durchschnittes in der Längsrichtung durch 
das operirte Bein eines Axolotl, welcher nach der Exstirpation 
die Unterarmknochen nicht regenerirt hat. Handwurzelknochen 
(Hand. Kn) und das Gelenkende des Oberarmes (Oberarm Kn) 
sind sich nahe gerückt. Es liegen aber noch immer Gewebs- 
stränge zwischen ihnen. Dies ist der Schnitt in der Serie, wo 
beide Knochen sich am nächsten liegen. Der Oberarm ist 
schräg von dem Schnitte «etroffen und ist deshalb nicht in 
seinem Verlaufe nach oben hin weiter zu verfolgen. Die un- 
cefärbte Stelle im Knochen ist eine Höhle in demselben, die 
nichts Anormales bietet. Die Hautfalten sind auf der Innen- 
seite des Winkels sehr deutlich zu sehen. 
Gleiche Vergrösserung wie bei Fig.2. Der Schnitt ist auch aus 
derselben Serie. Vom Oberarm ist nur ein kurzes Stück vor- 
handen, da der Schnitt schräg verläuft. Die Gewebe, welche 
sich zwischen Humerus und Handwurzel gelegt haben, sind 
hier in weiterer Ausdehnung sichtbar. Die Lücken im Prä- 
parate sind Kunstprodukte, beim Schneiden entstanden. 


822 H. Wendelstadt: Ueber Knochenregeneration. 


Tafel XLV. 


Triton. (Vergrösserung Zeiss Apochromat. Objectiv 16 mm Brennweite, 
Sucher-Oeular 2. Tubuslänge 160 mm.) Bei der Präparation 
war die Hand von dem neuen Arme abgebrochen. Die Zeich- 
nung deutet dies durch die gestrichelten Verbindungslinien 
an. Bei der Zusammensetzung sind möglichst passende Schnitte 
aus beiden Serien gewählt. Der Schnitt ist so geführt, dass 
die neugebildeten Knochen getroffen wurden. Der neue Radius 
(n. Radius) erscheint sehr breit, weil mit ihm noch dicht ein 
Handwurzelknochen zusammenliegt. Die neue Ulna (nr. Ulna) 
ist ebenfalls nicht in ihrem ganzen Verlaufe getroffen, was ja 
auch nach dem Verlaufe der Knochen unmöglich war. Das 
Stück alte Ulna (a. Ulna) ist deutlich zu erkennen. Es ver- 
läuft senkrecht zur Schnittrichtung weiter nach unten. Ein 
alter Handwurzelknochen ist getroffen an seinem oberen Rande 
(a. Handıv. Kn). In der Haut sind grosse (g. Hautdr), dann 
mehr zur neuen Hand hin kleinere Hautdrüsen (kln. Hautdr). 
Ueber den neu gebildeten Fingerknorpeln (rn. An) eine mehr- 
schichtige Epitheldecke ohne Hautdrüsen. Wenn man sich in 
der Zeichnung die beiden Punkte, an welchen die grossen 
normalen Hautdrüsen aufhören, durch eine Bogenlinie ver- 
bunden denkt, so liegt zwischen dieser Linie und dem durch 
die Haut mit den grossen Drüsen gebildeten Bogen das alte 
Gewebe des Armes, ausserhalb der Linie die neuen Gewebe. 


(Aus dem anatomisch-biologischen Institut der Berliner Universität.) 


Zur Entwickelung der bleibenden Niere. 


Von 
Dr. Ulrich Gerhardt. 


Seit den ersten Decennien des 19. Jahrhunderts hat die 
Entwieklungsgeschichte des Urogenitalapparates viele Autoren 
beschäftigt. J. Müller, Wolff, Rathke haben sorgfältige Be- 
obachtungen hierüber angestellt. Auch speciell die Entwicklung 
der bleibenden Niere hat viele Bearbeiter gefunden, ohne dass bis 
heute in allen Punkten eine vollständige Uebereinstimmung erzielt 
worden wäre. Wir wissen seit Kupffer’s Untersuchungen, 
dass die Niere nicht, wie Remak meinte, unabhängig vom 
Urnierengang im Blastem entsteht und den Ureter zur Oloake hin 


Ulrich Gerhardt: Zur Entwickelung der bleibenden Niere. 823 


aussprossen lässt. Es ist vielmehr heutzutage nicht mehr zu be- 
zweifeln, dass vom Urnierengang ein hohler Spross nach oben 
und kopfwärts auswächst, sich am Ende theilt und hier von einer 
dichten Bindegewebsmasse, dem „Nierenblastem“ umgeben ist. 
Ebenso steht es fest, dass das blinde Ende sich zunächst in zwei 
Fortsätze theilt, die Anlagen des Nierenbeckens, dass ferner von 
hier aus weitere Canäle, die Anlagen der Sammelröhren, aus- 
sprossen. Nun aber tritt die Frage auf, ob die Niere von dieser 
Grundlage aus nach dem Typus des gewöhnlichen Drüsenwachs- 
thums sich entwickelt, oder ob nach Analogie der Urnieren, peripher 
angelegte Canälchen secundär mit den primär gebildeten Sammel- 
röhren in Verbindung treten. Nach der letzteren Anschauung 
würden die tubuli contorti selbständig im „Blastem“ der Niere 
als isolirte Zellinseln angelegt werden und erst dann durch Canali- 
sation und Zusammenwachsen eine Continuität des Lumens der 
Canäle eintreten. Gerade diese Frage ist von den verschiedenen 
Autoren bald in dem, bald in jenem Sinne beantwortet worden 
und deshalb dürfte hier eine Uebersicht über die bisher in der 
Literatur festgelegten Resultate berechtigt sein. 

Rathke (1,2) lässt die Nieren selbständig im Blastem 
entstehen und den Ureter zur Cloake hin aussprossen. Er be- 
schreibt genau den Entstehungsprocess der Sammelröhren, lässt 
jedoch gerade die uns hier beschäftigende Frage unentschieden. 

Johannes Müller (3) theilt Rathke’s Meinung bezüg- 
lich des Entstehungsortes der Nieren. M. lässt die ursprünglichen 
Sprossungen im Blastem sich immer feiner verzweigen und durch 
Sehlängelung schliesslich die Trennung von Mark und Rinde 
herbeiführen. 

Remak (4) besteht gleichfalls auf der Meinung, dass die 
Niere selbständig entsteht und den Ureter aussprossen lässt. Er 
vertheidigt sogar diese Ansicht lebhaft gegen v. Wittich. 
Ueber die Verzweigungen und Schlängelungen der Nierencanälchen 
erfahren wir nichts Neues, es entspricht ungefähr der Anschau- 
ung Joh. Müller’s. R. hat bei Kanineben, Hunden und Katzen 
die Glomerulusbildung verfolgt, er sagt, es scheine, dass die 
Glomeruli unabhängig von den Epithelröhren gebildet würden. 
Sieher umwachsen die Letzteren die Glomeruli am blinden 
Ende. R. beobachtete zuweilen die Umwachsung des Glomerulus 
durch eine Seitenwand, wobei das Epithel sich abplattete. Das 


324 Ulrich Gerhardt: 


Lumen des Canals wird dabei durch Einwachsen verengt; indess 
kommt es offenbar nicht zu einem vollständigen Schwinden. Die 
den Glomerulus umwachsende Membran ist eine direkte Fort- 
setzung der Membrana propria des Röhrchens. 

Valentin (5) lässt die Nieren wahrscheinlich vom serösen 
Blatt ausgehen. Der Ureter entsteht secundär. Zwischen den 
Anlagen des Nierenbeckens und der Canälchen besteht zunächst 
kein Zusammenhang. Die Epithelien des Nierenbeckens umfassen 
die vorher angelegten Canälchen wie placenta foetalis und 
materna sich umfassen. Wie die Malpighischen Körper sich bilden, 
wird nicht angegeben. 

Kupffer (5) nimmt entschieden Stellung gegen Rathke 
und Remak, indem er an der Hand von Zeichnungen nach 
eigenen Präparaten nachweist, dass vom Urnierengange aus die 
Anlage des Ureters als blinder Fortsatz auswächst, dass dann an 
diesem blinden Ende die Anlage des Nierenbeckens durch Ver- 
zweigung entsteht. Die Harncanälchen entstehen zuerst als solide 
Haufen. Sie rühren nicht von Epithelzapfen her. Indessen wird 
die Möglichkeit zugegeben, dass ein zweites Canalsystem vom: 
Ureter her seinen Ursprung nimmt. In einer Schilderung der 
Nierenentwicklung beim Huhn (die vorige Beschreibung bezieht 
sich auf das Schaf) lässt K. es unentschieden, ob Remak’s An- 
sicht falsch sei, dass alle Harneanälchen vom Nierenbecken aus 
ihren Ausgang nehmen. 

Gegenbaur (6) gibt an, dass die bei Vögeln vom Ur- 
nierengang ausgehende Ureteranlage bei Säugern vom Urachus 
ausgehe. In das verdickte, begleitende Mesodermgewebe sprossen 
vom blinden Ende des Ureter die Harncanälchen hinein. Hier- 
durch ist die Niere angelegt, der Nierengang wird zum Harn- 
leiter. Dabei tritt die sich vergrössernde Niere hinter die Ur- 
niere, gleichzeitig verlängert sich der Harnleiter. Der Ureter 
tritt vor den Urnierengang, in das untere Ende des Urachus, der 
Urnierengang mündet in den Sinus urogenitalis. Das blinde Ende 
des Ureter theilt sich in zwei kolbige Auswüchse, das Nieren- 
beeken. Von ihm gehen weitere Blindsäcke, die Nierenkelche, 
aus. Die Canälchen wachsen weiter aus, sie treten mit den» 
Canälehen der Rindenschicht zusammen, die aus dem Mesoderm- 
gewebe entstehen. 

is ist also ein epithelialer, centraler und ein mesoder- 


Zur Entwickelung der bleibenden Niere. 825 


maler, peripherer T'heil zu unterscheiden. Am Ende der tubuli 
eontorti findet sich eine Erweiternng, die den Glomerulus auf- 
nimmt. Daun differeneiren sich die Epithelien im Verlauf der 
Canäle. 

Wiedersheim(7) bringt in ganz besonders ausgesproche- 
ner Weise den Standpunkt zur Geltung, dass es sich um zweierlei 
Anlagen in der Niere handelt. Er kommt bei dem Studium der 
Entwicklung bleibender Nieren von Schildkröten und Krokodilen 
zu dem Resuitat, dass ein Spross, die Ureteranlage, kopfwärts 
wächst. Dann fährt er fort: „Erst nachdem jenes auswachsende 
Hohlgebilde, welches nichts anderes ist, als der Ureter, d. h. der 
Harnleiter der bleibenden Niere, eine ziemlich beträchtliche Länge 
gewonnen hat, kommt es im Bereich des hinteren Urnierenendes 
zur Sprossenbildung. Die anfangs soliden, später aber sich 
höhlenden Zellstränge treffen auf Seitencanäle, die späteren 
Sammelröhren, welche dem Ureter entgegenzuwachsen scheinen, 
und nachdem sich beide Gebilde erreicht haben, kommt es zum 
seeundären Durchbruch in den Ureter. Daraus erhellt, dass die 
erste Anlage der drüsigen, secernirenden Elemente in der Niere 
durch einen Anstoss von der Urniere, nicht aber vom Meta- 
nephrosgang, vom Ureter aus, erfolgt. Urniere und bleibende 
Niere sind also — im Grunde genommen — ein und dasselbe, 
und dies gilt auch für die Malpighischen Körper beider Systeme. 
Hier wie dort handelt es sich um Coelomderivate.“ 

Es soll weiter unten Gelegenheit genommen werden, auf 
diese Anschauung näher einzugehen. 

Colberg (8) sah Rindencanälchen mit Glomerulis in Ver- 
bindung. Als deren Vorläufer beschreibt er die „Pseudoglomeruli* 
— ein Name, der für die Zukunft wichtig ist —- die aus zu- 
sammengerollten Enden der Rindencanälchen bestehen und die 
Grösse ausgewachsener Malpighischer Körperchen haben. Auf 
späteren Stadien sah er in ihnen wirkliche Gefässknäuel. 

Schweigger-Seidel (9) findet unter der Nierenkapsel 
kugelförmige Körper, Colberg’'s „Pseudoglomeruli“. Sie stellen 
sich als gewundene Canalstrecken heraus. Die beiden Schenkel 
der Umbiegungsstelle sind durch gemeinsames Bindegewebe um- 
hüllt und machen dadurch den Eindruck einer Kapsel. Es be- 
steht keine endständige Erweiterung, der eine Schenkel setzt sich 
zur Bowman’schen Kapsel fort. Die gewundenen Canäle und die 


326 Ulrich Gerhardt: 


Henle’scehen Schleifen sind ursprünglich als Zellstränge angelegt. 
Die Schleifen wachsen activ centralwärts, es liegt nicht bloss eine 
mechanische Streekung vor. Die Marksubstanz entsteht nicht durch 
Neubildung, sondern durch Streekung der Schleifen und geraden 
Kanälchen. Zwischen Rinde und Mark entsteht eine gewisser- 
maassen neutrale Zone, der Bildungsort der ersten Glomeruli. 

Thayssen (10) beantwortet die Frage nach der Ent- 
stehung der Harneanälchen und Malpighischen Körperchen in 
folgenden Sätzen: 

1) Die Sammelröhren und Schaltstücke entstehen durch 
hohlsprossige Ausstülpung vom Ureter her. 

2) Jedes Malpighische Körperchen entsteht aus dem zuge- 
hörigen tubulus eontortus und Henle’scher Schleife selbständig in 
der Niere aus einem soliden Zellhaufen. 

3) Wenn sich aus dem Zellhaufen die primäre, solide An- 
lage des Malpighischen Körperehens entwickelt hat, so geht der 
Glomerulus mit der Ampulle aus ihr hervor, die Ampulle hebt 
sich dureh Spaltbildung ab. Wie die beiden Anlagen des 
Canalsystems untereinander in Verbindung treten, lässt 'Th. unent- 
schieden. 

Riedel (11) fasst seine Resultate folgendermaassen zu- 
sammen: 

1) Der Uebergang vom embryonalen zum postembryonalen 
Entwicklungsmodus der Niere fällt nicht mit dem Termine der 
Geburt zusammen. 

2) Die erste Generation von Sammelröhren verdankt ihre 
Entstehung einem Ausstülpungsprocess vom Uretersystem aus. 
Ihre wiederholte Theilung zwecks Production neuer Generationen 
von Sammelröhren wird stets eingeleitet durch Anlagerung eines 
rundlichen Zellballens an ihr peripheres Ende, welcher die Anlage 
des gesammten Harncanalsystems, der Bowman’schen Kapsel, aller 
Wahrscheinliehkeit nach auch die des Glomerulus in sich birgt. 

3) Der rundliche Zellballen geht aus der Aneinanderlagerung 
embryonaler, an der Peripherie der Niere sich stets reprodu- 
eirender Zellen hervor. Die Production der Zellballen und ihre 
Apposition an das periphere, ampullenförmige Ende des Sammel- 
rohres dauert solange, als das Thier überhaupt nach embryonalem 
Typus wächst. 

4) Die in frühester Zeit des Embryonallebens aus den Zell- 


Zur Entwickelung der bleibenden Niere. 827 


ballen hervorgehenden Malpighischen Körperehen und tubuli er- 
reichen eine excessive Grösse; sie verkleinern sich beim Rinde 
noch im Verlauf des embryonalen Lebens wieder; die später ge- 
bildeten Malpighischen Körperchen und tubuli erreichen im Lauf 
des embryonalen Lebens nur eine solche Grösse, wie sie beim 
neugeborenen Thier gefunden wird. 

5) Mit der Streckung der Sammelröhren in das Nierenbecken 
hinein zwecks Bildung der Marksubstanz, resp. der Papillen ist 
eine Umformung der zuerst gebildeten Sammelröhren des Nieren- 
beckens verbunden. 

6) Die Grenze des Marks entsteht bei blindgeborenen Thieren 
erst post partum. 

7) Das postembryonale Wachsthum beruht sowohl auf 
einer Vergrösserung als auch auf Verlängerung der vorgebildeten 
Elemente. 

Bornhaupt (12) lässt gesonderte, rundliche Zellballen zu 
Bläschen werden, deren Wand sich auf einer Seite allmählich so 
stark verdickt, dass die Wände sich fast berühren. Aus der 
Verdiekung entsteht später der Glomerulus. Die peripheren Zellen 
werden zu einem Häutchen, die centralen zu Blutkörperchen. 
Aus dem Häutchen entstehen durch Scheidewände Capillaren. 
Dabei verbindet sich der Glomerulus mit dem Aortensystem, die 
Kapsel mit dem Wolff’schen Gange. 

Dursy (15) vertritt die Auffassung einheitlichen Drüsen- 
wachsthums der ganzen Niere, ebenso 

Waldeyer (14), auch 

Toldt (15) schliesst sich dieser Meinung an und begründet 
sie ausführlich. Er geht von Colberg’s „Pseudoglomeruli* aus. 
Die zur Peripherie gedrungenen Canäle enden mit einer Verdick- 
ung und Erweiterung des Lumens. Von dem verbreiterten End- 
stück geht ein kurzes Canälchen aus und drängt sich in den 
„Pseudoglomerulus“ hinein. Es ist dies ein Zwischenstück zwichen 
ihm und der Sammelröhre. Kleinere und grössere „Pseudoglo- 
meruli“ verhalten sich hierbei verschieden. Bei den kleineren 
macht das Verbindungsstück eine scharfe Kniekung gegen das 
Sammelrohr, liegt halbmondförmig nach der anderen Seite und 
endigt nach !/, kreisförmiger Biegung blind zugeschärft. An 
der Convexität werden die Epithelzellen dünne, kernhaltige Platten. 
Meist ist das Canälchen hier zweiblätterig haubenförmig. Im 


828 Ulrich Gerhardt: 


Innern findet sich gewöhnliches Bindegewebe. Die beiden Blätter 
der Kugelschale bilden später die Blätter der Bowman’schen 
Kapsel; im Innern bildet sich der Glomerulus. An den grösseren 
Glomerulis ist das Zwischenstück vorher in mehrere Schlingen 
gelegt; Capillarschlingen aus dem umgebenden Bindegewebe treten 
in den Hohlraum der Kugelschale ein. Die Windungen des 
Canälchens liegen hierbei stets peripher. Das in die Kugel- 
schale mündende Canalstück rückt weiter an die Convexität, die 
Schale schliesst sich um den Gefässknäuel, die Windungen des 
Canälehens vermehren sich. So entsteht ein Malpighisches Kör- 
perchen. Es besteht also vollkommen einheitliche Abstammung 
aller Nierenbestandtheile. Später plattet sich das innere Blatt 
der Bowman’'schen Kapsel ab, nach dem Centrum der Niere 
hin wird das Epithel bedeutend niedriger. Eine Membrana pro- 
pria ist vorhanden. 

Lieberkühn (16) verweist in der uns interessirenden 
Frage auf Riedel’s Arbeit (s. o.). 

Loewe (17) meint, es müssten sämmtliche Abschnitte der 
Harmncanälchen mit Einschluss des „etwaigen“ Epithels der Bow- 
man’schen Kapsel Abkömmlinge der primären Ureterverzwei- 
gungen sein. Die Membrana propria jedes Glomerulus ist ein 
Derivat der Braun’schen Zellstränge. Die Endothelien der Ca- 
pillaren entstammen ebenfalls den Braun’schen Strängen. Da- 
her stammt nach Loewe das Endothel der Capillaren vom 
Endothel des Peritoneums ab (sie). Bei der Theilung von Mark 
und Rinde entsteht die Rinde aus Kolben und Zellhaufen. Das 
Mark zerfällt in einen inneren, eigentlich secernirenden, und einen 
äusseren Theil. Daher entspricht das embryonale Mark nicht 
dem des Erwachsenen. 

Riede (18) findet bei 1O mm langen Schafembryonen das 
Blastem, dessen abgrenzende Hülle und die verzweigte Nieren- 
beekenanlage. Die Hülle besteht aus faserartigen Zellen, das 
Blastem aus runden und das Nierenbecken aus 2—3 Reihen von 
geschiehteten Oylinderepithelzellen, In den blinden Enden findet 
sich keine Basalmembran, die sonst überall vorhanden. — Da 
Braun’s Ansicht sicher falsch ist, so entsteht nach R. die ganze 
Niere, exclusive Kapsel und Gefässe, aus dem Urnierengang. 
3ei 15 mm Länge entstehen getrennt von den T-förmigen An- 
lagen der Sammelröhren die der Bowman schen Kapseln, rund- 


Zur Entwickelung der bleibenden Niere. 829 


liche abgegrenzte Zellhaufen. Das Centrum wird hell, eine Wand 
verdickt sich und wird concav. So entsteht eine Sichelform. 
Ausserhalb der Concavität legt sich der Glomerulus an. Bei 
20 mm entspringt von der peripheren Seite der Bowman'schen 
Kapsel ein Hohlspross und wächst in das blinde Ende der T- 
förmigen Partie ein. Die Theile eröffnen sich gegenseitig. 

Nagel (19) vertritt energisch die einheitliche Entwicklung. 
Er sagt: Auf keiner Stufe des Wachsthums habe ich das Auf- 
treten von epithelialen Schläuchen gefunden, welche dann nach- 
träglich mit einander in Verbindung treten. Die Harncanälchen 
entwickeln sich also aus sich selbst heraus, d. h. durch Verlängerung 
und Sprossenbildung der schon vorhandenen. Was die Entstehung 
der Glomeruli betrifft, so erklärt N. zunächst Colberg’s „Pseudo- 
glomeruli“ als Knickungen der Harncanälchen. Ein Harncanälchen, 
an seinem Ende etwas erweitert, trifft auf eimen knopfartigen 
Vorsprung der umgebenden Bindesubstanz. In dieser Hervor- 
ragung finden sich einzelne Gefässe, die sich später zum Glome- 
rulus entwickeln. Die Basis der Wucherung, die erst breit ist, 
schnürt sich später ab. Dadurch entsteht die spätere Form des 
Glomerulus. N. hält es für unwesentlich, ob das Malpighische 
Körperehen durch Umwachsung des Glomerulus durch das Harn- 
canälchen, oder durch Einstülpung des Knäuels in das Canälchen 
entsteht. Den Hauptwerth legt er auf die Thatsache der Ein- 
stülpung selbst. 

Hamburger (20) lässt die embryonale Niere aus Epithel- 
sprossen, runden Zellgruppen und hakenförmigen Körpern be- 
stehen. Letztere sind Zwischenstufen zu den runden Zellgruppen. 
Die Literaturangabe bietet im Wesentlichen nichts Neues. Nach 
H.’s Untersuchungen enden alle Sammelröhren mit einer Ampulle. 
Deren Basis wird durch einen 2—3 schiehtigen Zellmantel gegen 
die Oberfläche der Niere abgegrenzt. Der Zellmantel ist von der 
Ampulle scharf getrennt. Im peripheren Theil der Zellschicht 
entstehen dichtere Gruppen, die Anlagen der tubuli contorti. Die 
Zellgruppe grenzt sich schärfer ab unter radiärer Anordnung der 
Zellen (2—3 eoncentrische Reihen). Die Zellgruppen sind häufig 
in die Ampullenwand eingedrückt, aber immer scharf von ihr 
getrennt. Zwischen beiden besteht keine Continuität. In der 
Anlage der tubuli eontorti entsteht später ein kleiner Hohlraum, 
es findet Verwachsung mit der Ampulle statt. Die Verbindung 

Archiv f. mikrosk. Anat. Bd. 57 54 


830 Ulrich Gerhardt: 


besteht aus einem soliden Zellstrang, der sich durch Aneinander- 
rücken der verwachsenen Körper bildet. (cf. Emery, vesicules 
renales.) An dem dem Sammelrohr abgekehrten Ende der An- 
lage findet Spaltbildung statt; in der Spalte sieht man rothe 
Blutkörperehen. Diese Spalte nennt H. Glomerulusspalte. Aus 
einem flügelförmigen Fortsatz der Anlage entsteht die Bowman- 
sche Kapsel. Diese besteht von Anfang an aus zwei Blättern. 
In einer späteren Zeit besteht die Anlage aus: 1) einer gegen 
die Nierenoberfläche ceoneaven Schale; 2) einem kurzen dieken 
Canälehen, das S-föürmig Ampulle und Anlage verbindet. Die 
Bowman’sche Kapsel besteht aus zwei Blättern mit einem Spalt 
dazwischen. Eine Biegung des S-förmigen Stückes liegt in der 
Concavität der Schale. Später wird die Glomerulusanlage dicker 
und das S-förmige Stück tritt stärker aus der Schale hervor. 
Das parietale Blatt der Bow man ’schen Kapsel zeigt stark abge- 
plattetes Epithel, das viscerale kubisches. Das viscerale Blatt 
taltet sich in die Spalten der Glomerulusanlage hinein. Die 
Schale schliesst sich mehr und mehr und bildet die Bowman- 
sche Kapsel, das S-fürmige Stück wächst sehr stark und bildet 
die übrigen Canalabschnitte. Zuerst differenzirt sich die Henle- 
sche Schleife. Sie besteht aus drei Abschnitten: 1) einem geraden 
Stück des tubulus eontortus; 2) dem dünneren Henle’schen Rohr; 
3) dem dieken Rohr, eigentlich wieder aus zwei Theilen be- 
stehend: a) einem proximalen Abschnitt mit hellen, platten Zellen; 
b) einem distalen T'heil mit höheren, körnigen Zellen, die bereits 
Streifung an der Basis zeigen. Auch die Schaltstücke bilden 
sich schon früh. Auf dem proximalen Ende der Schleife ent- 
steht eine Biegung, sie wächst, ist zunächst dünner, zuletzt 
weiter als die Röhren der Nachbarschaft. Das Epithel besteht 


aus hellen, ungestreiften kubischen Zellen. — Bei der Streckung 
der Schleife verlängert sich das Henle’sche Rohr. — Das 


Verbindungsstück zwischen Schaltstück und Ampulle hat helle, 
kubische Zellen. Der tubulus contortus geht aus dem dritten 
distalen Schenkel des S-förmigen Stücks hervor. Er hat anfangs 
helle, deutlich abgegrenzte Cylinderzellen, die sich später trüben, 
bis schliesslich Streifung auftritt. 

Die Malpighischen Körperchen gehen aus der oben beschrie- 
benen Schale hervor. Diese schliesst sich und die Basis des 
Glomerulus wird dünner. Gleichzeitig entfernt sich der tubulus 


Zur Entwickelung der bleibenden Niere. 331 


contortus vom Schalenrande und rückt weiter auf die Convexität. 
Bei Mäuseembryonen setzt sich oft das Epithel des tubulus con- 
tortus auf das parietale Blatt der Kapsel fort. Das Epithel des 
visceralen Blattes wird niedriger und ist infolge von Faltungen 
schwerer zu erkennen. 

Die Sammelröhren entstehen zweifellos eontinuirlich vom 
Ureter her. Nach der Peripherie hin theilen sie sich fortwährend. 

Was die Entsehung der Verbindungen zwischen Sammel- 
röhren und tubuli ceontorti betrifft, so muss man zwei Perioden 
unterscheiden: 1) die Periode der Theilung der Sammelröhren; 
2) die der Bildung der terminalen Ver- zweigungen. 

l. Periode: Hier besteht ein Unterschied zwischen einfachen 
und zusammengesetzten Nieren. Einfach sind sie bei Maus, Ratte, 
Katze, Kaninchen. Je zwei tubuli contorti nehmen ihren Ur- 
sprung je an einer Ampulle. Ihr ausschliesslicher Ent- 
stehungsort ist in der Nachbarschaft einer Ampulle. Bei zu- 
sammengesetzten Nieren (Mensch, Rind, Schwein) verläuft der 
Process wie bei den einfachen, indess treten auch tubuli con- 
torti auf zwischen zwei Theilungsstellen von Sammelröhren. 
Nach H. handelt es sich hier gewissermaassen um eine Ueber- 
production an tubuli eontorti. Von ihnen muss bei der definitiven 
Ausbildung der Niere ein Theil wieder zu Grunde gehen. In 
der That trifft man auch zuweilen Malpighische Körperehen und 
tubuli contorti, die deutlich bereits in Resorption begriffen sind. 

Auf die Frage nach den genaueren Vorgängen in der 
zweiten Periode vermag H. nach seinen Unternehmungen bei 
Schwein und Ratte keine definitive Erklärung zu geben. 

Sedgwick Minot (21) ist unter den neuesten Autoren 
wohl derjenige, der am schärfsten den Standpunkt einheitlicher 
Entwicklung vertheidigt. Daher sind seine Ausführungen von 
besonderem Interesse für unsere Frage und ich gebe sie z. Th. 
wörtlich. 

Die Nierenanlage setzt sich aus drei Bestandtheilen zu- 
sammen: 1) der epithelialen Ausstülpung des Urnierenganges; 
2) dem verdichteten Mesenchym und 3) den Braun ’schen Zell- 
strängen. 

Ueber 1) sagt M. nichts Neues und schliesst sich den 
Kupffer’schen Beobachtungen an. Zu 2) bemerkt er: „Das 
Mesenchym, das die Nierenanlage umgiebt, verdichtet sich sehr 


832 Ulrieh Gerhardt: 


bald, und zwar erfolgt die Verdichtung, wenigstens bei Kroko- 
dilen, vorzugsweise an der medialen Seite des Nierenrohres. 
Das verdichtete Mesenchym lässt sich eine Strecke weit längs 
des Ureter verfolgen. Es wird aber allmählich lockerer und 
seine eoncentrische Anordnung schwindet.“ Die fibröse Kapsel 
entsteht sehr früh, bei menschlichen Embryonen von 20—25nmm 
Länge ist sie bereits endgültig vorhanden, auch beim 15 tägigen 
Kaninchenembryo. 

Betreffs des Verhaltens der Nierencanälchen vertritt M. mit 
Entschiedenheit den Standpunkt, dass sich alle Nierencanälchen 
aus dem Ureter entwickeln. „Die Nierencanälchen bilden sich 
aus Aesten der blinden Enden der Nierenausstülpung und die 
blinden Enden dieser Aeste bilden wiederum die Malpighischen 
Körperchen“. — „In einer früheren Entwicklungsperiode — 
beim Kaninchen am 14. Tage — erreichen die Aeste die Kapsel, 
welche sieh unterdessen aus dem umgebenden Mesenchym diffe- 
renzirt hat. Die Kapsel scheint eine weitere Verlängerung des 
Astes in der bisherigen Wachsthumsriehtung zu verhindern und 
das Ende desselben zu zwingen, sich aufzurollen. So giebt die 
Kapsel durch eine einfache mechanische Bedingung den Anlass 
zur Bildung des Malpighischen Körperchens. Diese Rolle der 
Kapsel hat bisher, soviel ich weiss, noch keine Beachtung ge- 
funden. Ich wurde darauf aufmerksam durch die Entdeckung, 
dass bei älteren Nieren (menschliche Foeten von 3—D Monaten) 
die Bildung der Malpighischen Körperchen immer hart an der 
Kapsel erfolgt. — Je jünger das Körperehen, desto näher liegt 
es an der Kapsel. Um diese Unterschiede in der Lage zu er- 
klären, müssen wir annehmen, dass die Körperchen annähernd 
an der Stelle liegen bleiben, wo sie entstanden sind, während 
die Kapsel wächst und so Raum gewährt für Bildung neuer 
Malpighischer Körperchen, nach aussen von den älteren.“ 

Die Entstehung der Canälchen, speciell der tubuli contorti 
und der Malpighischen Körperchen, wird hauptsächlich im An- 
schluss an G olgi (22) eingehend geschildert. Das S-förmige blinde 
Ende des Nierencanälchens liefert hiernach den gesammten tubulus 
contortus von der Henle’schen Schleife bis zu den Malpighischen 
Körperchen. Der Glomerulus entsteht durch Einwachsen einer 
Gefässschlinge. 

M.’s Angaben über die Braun’schen Zellstränge führe ich 


Zur Entwickelung der bleibenden Niere. 333 


wieder wörtlich an: „Max Braun (23) hat Zellstränge beschrieben, 
die bei Eidechsenembryonen in sehr frühen Entwieklungsstadien 
die Nierenanlage durchziehen. Diese Stränge sind vom Rest des 
Mesenchyms nur wenig verschieden, abgesehen davon, dass ihre 
Zellen dichter gedrängt sind und dass sie nachweislich direet 
mit dem Mesothel in Verbindung stehen. Diese Entdeckung hat 
Sedgwiek für das Hühnchen und Wiedersheim für Krokodil- 
und Schildkrötenembryonen bestätigt. Ich muss die Stränge nach 
Braun’s eigener Beschreibung lediglich für den Beginn einer 
Verdiehtung des Mesenchyms der Nierenanlage erklären. Die 
drei Autoren, welche die Stränge beobachtet haben, halten sie 
für Anlagen der tubuli eontorti, ohne dafür einen direeten Beweis 
liefern zu können: Da es aber positiv erwiesen ist, dass die 
tubuli contorti aus den Sammelröhren hervorgehen, so muss jene 
Auffassung aufgegeben werden. 

Die Autoren nach Braun lassen sich stark durch theore- 
tische Rücksichten beeinflussen, besonders durch das Bestreben, 
zu zeigen, dass die echte Niere sich ähnlich entwickle, wie der 
Wolff’sche Körper, mit anderen Worten, dass die harnausschei- 
denden Canälchen einen anderen Ursprung besitzen, als die Aus- 
führungsgänge. Meine eigenen Beobachtungen setzen mich in 
den Stand, mit Zuversicht zu bestätigen, dass die Canälchen 
durch Ausstülpung des Ureter entstehen und dass beim Menschen 
die tubuli contorti und Malpighischen Körperchen aus Aesten von 
Sammelröhren hervorgehen. Die Thatsachen sind so klar, dass 
es heutzutage unverständlich ist, wie man an der Anschauung fest- 
halten konnte, dass die tubuli eontorti aus dem Blastem hervor- 
gehen und nicht durch Verzweigungen der Sammelröhren ent- 
stehen.“ 

Es ist schliesslich noch zu erwähnen, dass in der neuesten 
Auflage von Kölliker’s Entwicklungsgeschichte (24) heraus- 
gegeben von O. Schultze, der Standpunkt der einheitlichen Ent- 
wicklung aller Theile der Niere auf das Energischste betont wird. 

Aus alledem geht hervor, dass die alte Kupffer’sche An- 
sicht von der getrennten Entstehung der Mark- und Rinden- 
canälchen zwar lange Zeit hindurch die meisten Anhänger ge- 
funden hat, dass aber gerade in der neuesten Zeit wieder die 
Auffassung von der Entstehung nach dem gewöhnlichen Typus 
des Drüsenwachsthums mehr Boden gewinnt. Es soll nun gezeigt 


334 Ulrich Gerhardt: 


werden, wie sich meine eigenen Untersuchungen zu dieser Frage 
stellen. 

Als Untersuchungsobjeet wurden Embryonen hauptsächlich 
der weissen Maus benutzt, ausserdem vom Huhn, Schwein und 
Hund. Die Schweineembryonen wurden in möglichst frischem 
Zustande vom hiesigen Schlachthofe bezogen. Die Nieren von 
Hundeembryonen kamen zufällig bei einer Section in meinen Be- 
sitz. Für die Gewinnung des Mäusematerials wurden männliche 
und weibliche Thiere getrennt gehalten und nur zum Zweck der 
Begattung zusammengelassen. War diese erfolgt, so wurde das 
Weibelhen gekennzeichnet und nach einer bestimmten Zeit ge- 
tötet. Die Embryonen wurden sofort nach dem Tod der 
Mutter herausgenommen und in Carnoy’ sche Flüssigkeit gebracht, 
von da in mehrfaclı gewechselten, absoluten Alkohol, dann in 
Chloroform und in Paraffin vom Schmelzpunkt 58° eingebettet. 
Die Schnitte hatten eine Dieke von 10 u. Als Färbung wurde 
fast ausschliesslich Boraxcarmin und Pikrinsäure angewandt. 

Es ergab sich, dass am 10. Tag die bleibenden Nieren bereits 
deutlich erkennbar angelegt sind. Von da ab wurden nun alle 
Stadien bis zum 16. Tag untersucht. Am 10. Tage sind die bleibenden 
Nieren als T-förmige, bläschenförmige Ausstülpung des Nieren- 
ganges, umgeben von einem Blastem, vorhanden. Sie liegen weit 
caudal, ganz in der Schwanzkrümmung, während die Urniere viel 
weiter kopfwärts liegt. Um die epitheliale Anlage des Nierenbeckens 
herunı liegt ein stark verdiektes embryonales Gewebe, das bereits die 
bohnenförmige Gestalt der Niere erkennen lässt. In der Peripherie 
dieser Zellansammlung lässt sich bereits eine abgeplattete ein- 
fache Lage von Zellen unterscheiden, die spätere Nierenkapsel. 
Von Anlagen der Nierencanälchen ist noch nichts zu sehen. In- 
folge von Entwicklungsverschiedenheiten traf ich auch auf einem 
Stadium von 13 Tagen einen fast ganz gleichen Befund. Nur 
war der Nierengang etwas weiter kopfwärts gewachsen, und das 
ganze Organ hatte einen grösseren Umfang. Bei anderen Em- 
bryonen, ebenfalls von 13 Tagen, waren die Nieren schon be- 
deutend weiter entwiekelt, hatten aber im Ganzen noch eine 
ähnliche caudale Lage. Hier waren bereits vom Nierenbecken 
aus zahlreiche Canälchen ausgesprosst, die ein auffallend weites 
Lumen und einen fast gestreckten Verlauf besassen. Deutlich 
erkennbar war, dass von jedem Hauptast des Nierenbeckens, der 


Zur Eutwickelung der bleibenden Niere. 835 


sich durch Weite auszeichnet, einige Canälchen ausgingen. 
Irgendwelche Anlagen von Canälchen in der Peripherie der Nieren- 
anlage waren nicht zu bemerken. 

Schon aus diesem Präparat lassen sich m. E. einige 
Schlüsse ziehen, die gegen die Wiedersheim’sche Ansicht 
sprechen. Wir finden hier die bleibende Niere mit bereits zahl- 
reich angelegten Canälchen schon entwickelt, bevor das blinde 
Ende des Ureter auch nur in die Nähe des caudalen Urnieren- 
endes vorgedrungen ist. Hieraus geht hervor, dass sich die 
Canälchen der bleibenden Niere — wenigstens bei Säugethieren 
— in dieser selbst entwickeln und nicht von der Urniere aus 
hineinsprossen. Dadurch ist von vorn herein der Schluss berech- 
tigt, dass auch die Glomeruli der bleibenden Niere nichts 
mit denen der Urniere zu thun haben. Dass es sich bei dem 
Malpighischen Körper der bleibenden Niere überhaupt um 
Coelomderivate handle, ist von vorn herein ganz unwahrschein- 
lich. Denn dass der Spaltraum der Bowman’schen Kapsel nicht 
vom Coelomepithel, sondern vom Nierencanälchen herstamme, 
ist nach dem Befund bei der erwachsenen Niere wahrscheinlich. 
Dass sich die bleibende Niere bei Krokodilen und Chelonieren 
in der Nähe der caudalen Partie der Urmiere anlegt, würde es 
erklärlich scheinen lassen, dass die gleichen Blutgefässe in der 
Ur- und bleibenden Niere sich verzweigen. Dies könnte natürlich 
die Identität beider Glomeruli vortäuschen. Wo aber, wie bei der 
Maus, die Niere räumlich anderswo entsteht, als die Urniere, da 
ist es wohl nicht möglich, eine Homologie der Gefässbildungen 
anzunehmen. Während es beim Schwein, das sich durch ausser- 
ordentlich grosse Urnieren auszeichnet, mit Leichtigkeit gelingt, 
Nieren und Urmieren auf einem Querschnitt gleichzeitig zu treffen, 
findet man dies nicht bei der Maus. 

Es scheint also die blosse Thatsache, dass schon die cau- 
dalwärts von der Urniere gelegene Nierenanlage sich differenzirt, 
dafür zu sprechen, dass wir in der bleibenden Niere ein selbstän- 
diges, von der Urniere unabhängiges Organ zu erblicken haben. 

Es tritt uun hierdurch die neue Frage auf, ob wir über- 
haupt theoretisch ein Recht haben, bei der bleibenden Niere 
eine Homologie der Entwicklung mit der Urniere vorauszusetzen. 

Hierbei kommt es darauf an, von welchem Gesichtspunkte 
man ausgeht, wenn man annimmt, dass die Vor-, Ur- und blei- 


836 Ulrieh Gerhardt: 


bende Niere nur drei „Generationen“ ein und desselben Organes 
sind, wie dies viele Autoren thun, so wird man dann allerdings 
auch gleiche Entwieklungsvorgänge erwarten. Betrachtet man 
dagegen Vor- und Urniere einerseits, die bleibende Niere andrer- 
seits als ganz verschiedene Organbildungen, so kann gleiche Ent- 
wieklung unmöglich theoretisch gefordert werden, obwohl ihre 
Möglichkeit selbstverständlich nicht in Abrede gestellt werden 
kann. Nun geht eine grosse Reihe von Forschern von der 
ersten Auffassung aus, ist also bemüht, in der Niere eine ge- 
trennte Entwicklung der ableitenden und Rindencanälchen zu 
finden. So giebt z.B. Hertwig selbst an, er halte der Theorie 
zuliebe eine Entwicklung der Canälchen entsprechend denen in 
der Urniere für wahrscheinlicher. Natürlich hat diese Annahme 
viel Bestechendes und es wäre theoretisch auch leicht verständ- 
lich, dass die 3 Formen der Niere gleichen Entstehungsmodus 
besässen. Indessen scheint mir doch die entgegengesetzte Auf- 
fassung mehr Berechtigung zu haben. Denn wir haben in dem 
Vorhandensein oder Fehlen der bleibenden Niere einen ebenso 
durchgreifenden Unterschied zwischen Amnioten und Anamniern, 
wie es das Vorhandensein oder Fehlen des Amnions bietet. Da- 
gegen sind Vor- und Urniere sämmtlichen Vertebraten (der Am- 
phioxus gehört natürlich nicht hierher) gemeinsam. Dass diese 
beiden älteren Organe zu einem ganz neu auftretenden in mehr- 
facher Beziehung in einem Gegensatz stehen können, ist ein- 
leuchtend. Der wichtigste Punkt ist hier der: Während Vor- 
und Urniere ursprünglich metamere Organe mit Nephrostomen sind, 
zeigt die bleibende Niere nichts von solchen, und es ist durch 
nichts zu beweisen, dass sie jemals solche besessen habe. Wir 
werden also das Fehlen der Nephrostomen in der bleibenden 
Niere als einen prinzipiellen Unterschied von den beiden vorher- 
gehenden Generationen ansehen dürfen. Nun tritt die wohl be- 
rechtigte Frage auf, ob ein Organ, das neu auftritt und in der 
Struktur von den älteren Organen abweicht, aus irgend einem 
zwingenden Grunde die nämliche Entwicklung haben muss. Diese 
Frage ist jedenfalls nieht von vorn herein unbedingt zu bejahen. 
Es ist daher meines Erachtens nieht zu verwundern, wenn die 
bleibende Niere durch einfaches Drüsenwachsthum vom Ureter 
aus entsteht. Wenn dies aber für Säugethiere erwiesen werden 
könnte, so ginge die Schlussfolgerung wohl nieht zu weit, dass 


Zur Entwiekelung der bleibenden Niere. 837 


wir dann bei den Ammnioten überhaupt diese Entwicklungsweise 
anzunehmen hätten, da die Niere aller Amnioten wohl allgemein 
als ein und dasselbe Organ betrachtet wird. 

Nun habe ich mein Augenmerk besonders auf folgende 
Punkte gerichtet. Erstens: Lässt sich auf irgend einem Stadium 
nachweisen, dass in der Peripherie der Niere sich Kanäle ge- 
trennt von den aus dem Ureter herstammenden Sammelröhren 
anlegen ? 

Zweitens: Lässt sich auf späteren Stadien zeigen, dass im 
Verlauf der Nierencanäle irgend eine Verwachsung peripherer 
und ausführender Canäle stattgefunden hat? 

Drittens: Finden sich im Epithel der Canäle an Rinden- 
und Markcanälchen Unterschiede, die auf eine doppelte Ent- 
stehungsweise hindeuten ? 

Was den ersten Punkt betrifft, so ist es mir auf Stadien 
von 12—16 Tagen nicht gelungen, getrennte periphere Anlagen 
nachzuweisen. Nach meinen Beobachtungen sprossen zunächst 
aus der T- oder Y-förmigen Erweiterung des Ureters, die das 
Nierenbecken darstellt, relativ weite und kurze Canäle aus, die 
wenig geschlängelt die Kapsel erreichen. Ich glaube bestätigen 
zu können, dass die Kapsel ein mechanisches Hinderniss für das 
Weiterwachsen bietet und dass dadurch der erste Anstoss zur 
Aufknäuelung gegeben wird. Indessen tritt eine nennenswerthe 
Schlingenbildung erst relativ spät, etwa am 14. Tage, auf, wenn 
die Niere in toto bereits eine gute Strecke weiter kopfwärts ge- 
wandert ist. Nun kann ich in diesem Stadium der beginnenden 
Z/Zusammenrollung der Canäle bereits die Bildung der Glomeruli 
feststellen. Gerade dieser Punkt, wohl der schwierigste in der 
ganzen Nierenentwicklung, gab am meisten Gelegenheit zur Er- 
örterung der uns hier beschäftigenden Streitfrage und führte zu 
widersprechenden Resultaten. Die Schwierigkeit besteht darin, 
dass keine Möglichkeit einer Injection beim Embryo besteht. 
Daher kann der Verlauf der Gefässe nicht mit solcher Sicher- 
heit festgestellt werden, wie beim Erwachsenen und es ist schwerer 
zu entscheiden, ob der Zellklumpen,, der den Glomerulus 
bildet, bereits vascularisirt ist, oder nicht. Fermer ist das 
Lumen der Canäle an der Umbiegungsstelle, kurz vor dem Glome- 
rulus ausserordentlich eng, so dass leicht die Meinung entstehen 
kann, es handle sich um Zellstränge, die erst später ein Lumen 


338 Ulrieh Gerhardt: 


erhalten. Viele der früher vorhandenen Schwierigkeiten sind 
durch die Fortschritte der heutigen Mikrotomtechnik, die das 
Durchmustern lückenloser Serien gestattet, beseitigt. Was die 
Bildung des Glomerulus selbst betrifft, so kann ich Toldt’s 
Angaben vollauf bestätigen. Es findet also, entgegen der Angabe 
Wiedersheim’'s, eine Einstülpung des blinden Endes durch 
den Gefässknäuel und nicht die Abkammerung eines Theils des 
Coeloms in einen Theil der Kapsel des Glomerulus der Urniere statt. 
Nach meinen Untersuchungen sind vielmehr die Gefässknäuel selbst- 
ständige Gefässwucherungen. Es ist schwer festzustellen, ob 
hierbei das blinde Ende des Nierencanälchens eine active oder 
eine passive Rolle spiel. Am wahrscheinlichsten ist es wohl, 
dass Beides der Fall ist, dass gleichzeitig mit dem Einwachsen 
des Gefässknäuels das Canälchen sich activ an der Bildung der 
Bowman’schen Kapsel betheiligt. Für die prineipielle Auf- 
fassung erscheint diese Frage aber von geringerer Bedeutung, 
da bier vor Allem die ausschliessliche Bildung des Malpighi- 
schen Körperchens aus dem Glomerulus und der Wand des 
Canälchens betont werden soll. (ef. Nagel.) Hier sei noch 
einmal eine theoretische Erörterung erlaubt. Der Umstand, dass 
die bleibende Niere sowohl, als auch die Vor- und Urniere Glome- 
ruli besitzen, d. h. arterielle Wundernetze, in denen die zur 
Secretion bestimmten wässerigen Blutbestandtheile in das Lumen 
der Nierencanäle hineinfiltrirt werden, könnte wieder zu dem 
Schlusse führen, dass es sich hier um eine wahre Homologie 
handelt. Indessen ist wohl hier einzuwenden, dass bei einem 
Exeretionsorgan exeretorische Vorrichtungen eben eine conditio 
sine qua non sind, und dass wir in der Wirbelthier-Reihe als 
solche nur die Ableitung durch Gefässknäuel kennen. Wenn 
man diese Auffassung als richtig anerkennt, so wird man sieh 
auch hüten, zu schematisiren und von der Urniere hergenommene 
Anschauungen auf die bleibende Niere zu übertragen. Es liegt 
ausserhalb des Rahmens dieser Betrachtung, ob die Glomeruli 
der Urniere thatsächlich in abgekapselten Coelomkammern liegen. 
Ich kann beim Schwein die Lage der Glomeruli in nebeneinander- 
liegenden Kammern an der medialen, ventralen Seite der Urniere, 
wie sie Wiedersheim (8. 537) abbildet, bestätigen. Bei 
der bleibenden Niere habe ich niemals eine dieser entsprechende 
Anordnung gefunden. Ich fand die Glomeruli immer zuerst ganz 


Zur Entwickelung der bleibenden Niere. 639 


peripher gelagert, später an der Grenze von Mark und Rinde, 
aber im Uebrigen über die ganze Nierenoberfläche regellos ver- 
theilt. Dass hierin Unterschiede bestehen werden zwischen der 
eine bedeutendere Länge erreichenden Reptilienniere und der 
compacten, bohnenförmigen der Säuger, ist wohl möglich. Ich muss 
mich hierüber des Urtheils enthalten, da ich die Reptilienniere 
nicht untersucht habe. 

Nach meinen Erfahrungen entstehen also keine soliden, erst 
später canalisirten Stränge peripher von den Sammelröhren, und 
dieser Punkt der Untersuchung wäre somit zu Gunsten der 
'Sedgwiek Minot’schen Ansicht entschieden. 

Was die zweite Frage betrifft, ob eine Verlöthungsstelle im 
Lumen eines Canals zu finden ist, so ist es mir ebenfalls nicht 
gelungen, eine solehe nachzuweisen. Vielmehr fand ich regel- 
mässig, dass das Lumen der Canäle ununterbrochen vom Nieren- 
becken bis zur Peripherie zu verfolgen ist. Am besten gelang 
dies bei Stadien von 15 Tagen, wo die Glomeruli bereits vor- 
handen waren. Auf späteren Stadien liegen die tubuli contorti 
gedrängter und die Canäle sind relativ enger. Daher bereitet 
hier die Untersuchung grössere Schwierigkeiten. Dagegen sind 
auf dem oben erwähnten Stadium die Canäle seltener, weiter, 
kürzer und gerader in ihrem Verlauf. Auf diesem Stadium nun 
finden wir von den beiden weiten Aesten des Nierenbeckens 
ausgehend, ziemlich gerade Canäle, ohne irgend welche Ver- 
änderung ihres Lumens. Hier lässt sich besonders schön zeigen, 
dass auch unmittelbar vor dem Glomerulus der Canal offen hin- 
zieht, eine Thatsache, die gleichfalls auf späteren Stadien 
schwerer festzustellen ist. Selbstverständlich liegt kein Grund 
vor, anzunehmen, dass bei der späteren Wiederholung des Pro- 
cesses ein anderer Vorgang platzgreifen sollte. Diese Erwartung 
fand ich denn auch bei der Durchsicht aller in Betracht kommenden 
Stadien bestätigt. Ich muss also annehmen, dass eine derartige 
Verwachsungsstelle in der That nieht existirt. 

Die dritte Frage ist die nach Unterschieden im Verhalten 
des Epithels. Hierzu ist noch eine Vorbemerkung nöthig. Es 
handelt sich um die Thatsache, dass in dem schon weiter ent- 
wiekelten, differenzirten Nierencanälchen das Epithel an ver- 
schiedenen Partien hochgradige Verschiedenheiten aufweist. Es 
ist daher nieht zu verwundern, dass wir hier verschiedene Färb- 


840 Ulrieh Gerhardt: 


barkeit antreffen. Ganz regelmässig färben sich die peripheren 
Theile der Canäle mit Boraxcarmin intensiver roth, als die cen- 
tralen. Doch ist hier zu bemerken, dass auf früheren Stadien, 
so auf dem bereits erwähnten von 15 Tagen, diese Differenzen 
in der Färbbarkeit noch nicht nachzuweisen sind. Diese That- 
sache lässt wohl mit Recht den Schluss zu, dass es sich hier in 
der That nur um Differenzirungen handelt, die mit der späteren 
Function des Organes in Zusammenhang stehen. Im Uebrigen 
erscheint mir die Thatsache, dass auf den früberen Stadien das 
Epithel im Verlauf des ganzen Canälchens einen durchaus gleich- 
artigen Charakter besitzt, genügend zur Stütze für die Anschau- 
ung, dass die Nierencanälchen als einheitliche Bildungen aufzu- 
fassen sind. Die Beobachtungen, die ich an relativ frühen 
Stadien der Niere machen konnte, lassen sich wohl ohne 
Weiteres auf spätere übertragen. Denn, wie auch Nagel in 
seiner Arbeit hervorhebt, es ist doch nicht denkbar, dass später 
in demselben Organe ein anderer Entwicklungsmodus eingeschlagen 
wird, als im Anfang. Der gleiche Vorgang wird sich immer in 
gleicher Weise wiederbolen. Es wäre ja, wenn die Wieders- 
heim ’sche Ansicht von der Urnierennatur der bleibenden Niere 
richtig wäre, ganz schwer erklärlich, woher sich die Glomeruli 
anlegten, die sich noch später neu bilden, wenn die Urniere be- 
reits zu Grunde gegangen ist. Es müssten hier nothwendig 
zwei Bildungsweisen Platz greifen. 

Fassen wir nun die Resultate unserer Beobachtungen zu- 
sammen, so ergiebt sich, dass in den in Frage kommenden 
Punkten durchweg die Anschauung von der einheitlichen Ab- 
stammung sämmtlicher Canäle der bleibenden Niere gestützt wird, 
während sich für die gegentheilige Meinung keine Anhaltspunkte 
gewinnen lassen. Ich fasse meine Ergebnisse in folgenden Sätzen 
zusammen: 

1. Die bleibende Niere ist ein bei den Amnioten neu auf- 
tretendes Organ, das zwar vom Urnierengange, nicht aber von 
den Urnierencanälchen seinen Ursprung nimmt. 

2. Die Malpighischen Körperchen der Niere sind von denen 
der Urniere räumlich und bezüglich ihrer Entstehungsweise ver- 
schieden. Sie entstehen durch Einstülpung des peripheren blinden 
Endes eines Niereneanälchens durch einen Gefässknäuel. 

3. Die peripberen Theile der Nierencanälchen entstehen 


Zur Entwickelung der bleibenden Niere. 841 


durch eontinuirliches Wachsthum der Sammelröhren. Es lässt 
sich nicht nachweisen, dass in der Rinde gebildete Canäle mit 
denen des Marks secundär in Zusammenhang träten. 

4, Niere und Urniere sind Organe, die sich nicht in gleich- 
artiger Weise entwickeln. 

Am Schlusse meiner Arbeit danke ich Herrn Geheimrath 
Hertwig ergebenst für die Anregung dazu und das stets dafür 
bewiesene Interesse. Auch Herrn Privatdocenten Dr. R. Krause 
sage ich für freundliche Unterstützung in technischer Beziehung 
meinen besten Dank. 


Literatur-Verzeichniss. 

1. Rathke, Abhandl. z. Entwicklungsgeschichte d. Menschen u. der 

Thiere. 1830. 

Rathke in Burdach, Physiologie als Erfahrungswissenschaft 

1828. Bd. 1. 

3. Joh. Müller, De glandularum secernentium structura. Meckel’s 
Archiv f. Anat. u. Physiol. 1829. 

4. Remak, Untersuchungen über die Entwicklung der Wirbelthiere. 

Berlin, 1851. 

Kupffer, Untersuch. über die Entwicklung der Harn- und Ge- 

schlechtsorgane. Archiv f. mikr. Anat. Bd. I u. II. 1865/66. 

0. Gegenbaur, Lehrbuch der Anatomie des Menschen. 1892, 

1. Wiedersheim, Handb. d. vergl. Anatomie d. Wirbelthiere. 1893. 

8. Colberg, Zur Anat. d. Niere. Centralbl. f. d.med. Wissensch. 1863. 

9. Schweigger-Seidel, Die Niere des Menschen und der Säuge- 
thiere. Halle 1869. 

10. Thayssen, Die Entwicklung der Niere. Centralbl. für d. med. 
Wissenschaften. 1875. 

11. kiedel, Entwicklung der Säugethierniere. Untersuchungen a. d. 
anat. Institut zu Rostock. 1874. 

12. Bornhaupt, Zur Entwicklung des Urogenitalsystems beim Hühn- 
chen. Dissertation. Dorpat 1867. 

13. Dursy, Zeitschrift für rationelle Mediein Bd. 23, pg. 287. 

14. Waldeyer, Eierstock und Eier. 1870. 

15. Toldt, Untersuch. über das Wachsthum der Nieren des Menschen 
u. d. Säugethiere. Sitzungsberichte d. K. Akad. d. Wissenschaften, 
Wien 1874. 


1 


— 


342 


16. 


IT: 


18. 


19. 


Ulrich Gerhardt: Zur Entwicklung der bleibenden Niere. 


Lieberkühn, Ueber die Allantois u. die Niere von Säugethier- 
embryonen. Marburger Sitzungsber. 1875. 

Loewe, Zur Entwicklung der Säugethierniere. Arch. f. mikr. 
Anat. Bd. 16. 

Riede, Untersuch. zur Entwickl. der bleibenden Niere. Disser- 
tation. München 1887. 

Nagel, Ueber die Entwicklung des Urogenitalsystems des Men: 
schen. Arch. f. mikr. Anat. Bd. 34. 
Hamburger, Arch. f. Physiol. Anatom. Abtheil. Supplement. 1890. 


. Sedgwick Minot, Lehrbuch der Entwicklungsgesch. 1894. 


Golgi, Annotazioni intorno all’ istologia dei reni ete. Accad. dei 
Lincei V, isem. fasc. 5. Rom 1889. 

Braun, Das Urogenitalsystem der einheimischen Reptilien. Arb. 
aus dem zool.-zoot. Inst. zu Würzburg. VI. 1877. 


24. Schultze, Entwicklungsgeschichte. 1897. 


Archiv Fmikroskop. Anatomie. Bd. LVn. 


J 
Tin AnstvWerner&Winter, Frankfurt” 


Poljakoff deluxib 


Bm m m mn tn nn nn nn m Me SE = E 


‚Archür Emikroskop. Anatomie Ba.LVm. 


107. ge 


PoljakofF deluxis, 
Iih. Anst. veWerner «Winter Frankfurt ®M. 


5 


e * 


Archiv f mikroskop. Anatomie Ba. VI. | | 


RM 


Lit, Anstw Werner & Winter Frankfurt". 


Archür Emikroskop. Anatomie. Ba.Lvn. 


Taf IV. 


9 a 
Pi. 
17. 


10. 


18. 


21. 


16 


_ 


Archiv £mikroskop. Anatomie. Ba.LVH. 


gab a, L 


O9L 


09° 7 
20000, | 
100 5:05 “= 


28 


At 
02:0,080 
no sgeg“ 


[% IS 
RAT TI 


“os 


rer 


u 


u 


. 5 * 
DWAOINDE  VEEEL ET Sun >. de "Fe © 
x me VE DEE Ad 
S : 
S 
= 
x 
302 
ER 
| Bess 
.- b :We0S R 
Pr | 
% 
S E 
S o 
E 20% E 
: u 5 
S Ess 
Ss 
5 . 
N :. 
S > 
8 
ei 
Z 
3 


40. 


RER ENT: 
SEHR Dex 


% 
® 


= 


FE L Fk 
- E58 ELTR 


. 


”. 


* 


vr 


Pa 0 
.% w_- 


2 
pr 


£ - 


# u, 
u ”.. » vr 
„u 
Archir f. mikroskop. Anatomie Ba.IVIl. Taf vn. 
dr 
da ner ° 
N ER 1D 
\ BER RC HVELT 
ae er N 
EN \ 
EN een. 7° 
ii HIN {| en ER x a = , 
wah ST ja r 
ie 9% 


naltomıe 


A 


/ 


I 


"T. IMIKTO. 


ee | 
Arche Kmuikroskop. Anatomie. Ba. ıvı, 


Ta IX. 


Bd.LVM. 


RN = 
= f ——— = = ee: g —ıH 7 - N 
Fe = = = ne Al BT, - N 

= — m — 5 S——— a ——— Va IN Be 

Se er — m U BE £ AR ”, E) Y 
L  — SG NAAN A 1 ee 

= a = u —e—  —_ZÄ NIS "11 47 
Te EEE III U 2 

mu ED — >= IT 


- Archiv f£ mikroskop. Anatomie 


- en SS u 
——H — Sees 
u 


Er 


N S eo 


TAI Re 


rechts 


5 IE 
Vinier, Franklurt?M. 


/ 


Archiv f mikroskop. Anatomie Ba... 


= 2. 


Taf x1 


. - 

1 2 

r h 5 
tr! allyır ‚2 [ S 
— u | ’ f 
a  / 

Br ) 22 \ 2 PPELLLLLLLLLEELLILSIITEPHR x 2 

| ER = ea LP 
€ 4 


ALL) 


{N n 
9%; $ 
ey T 

18% 3 SR 4 


p ni 


Archiv f.mıkroskop. Anatomie Ba.1vn Taf Xu 


l 
un 


93 Y 
4 
4 
»r ü 
da j 

I} 
| f \ 
| NN 
| 4 em Oh 
| £ 
| 
| 
| 
| 
| 
| 

, 


| 
| 
> 
97 =8 
| 
| 
” - 5 “ 7 
. .. = 
| RN An ? 


Archiv Kmikroskop. Anatomie Ba. LVH. i 
2 Taf. XUr. 


W 


er 
BUT 
k I) 


ee} 
1 


900005 
Arte 5, 


0.20, © 
See, 
RE 


Mm. inf» int. 


Rex und Jedlicke, del = i 
Lih. Angt v Warner & Winter, Frankfurt #M 


Archiv £Emikroskop. Anatomie. Bd. LVI. 


| 


< 


re 


m.oS. 


| 
| 
| 
| 


Werner Winter Frankfart®H. 


Archiv fmikr 


a: 


Doeh- 


Pd. 


oskop Anatomie Bd. IV. 


Archiv £ mikroskop. Anatomie. Bd. vn. >: 
= i Taf xvr. 


Archiv £ mikroskop. Anatomie Ba. Lv. Taf xVo.. 


—-: z — 7 —_ 


Archür £ mikroskop. Anatomie Bd.1Vl. 


Taf’ xvir. 


Lk. Anst.w Werner «Winter Frankfurt ®M. 


ie 


Archiv £ mikroskop. Anatomie Bd. VI. 


Be‘ 
—.8.® 


-tom.z 


Lith. Anst. wWernar xWinter, Frankfurt ®M. 


Archiv E mikroskop. Anatomie 


ba.ıvll. 


h.str 


ın 


m.le 


opendk 


= : + 
” A 


" Archuv Fmikroskop. Anatomie Ban. | TAar X. 


| 


sfße2. u vHor/f 
* 


Archiv £ mikroskop. Anatomie Ba.lVn. 


, Mill. 
Medial Gr. 


Mittl. Lat 6r 2% 


Weisse Subst. 


Hınt.Lat.6r: 


Taf xx. 


Zwischen Gr Hınt. Med.Gr. 


1 2 3 4 10. 
Commissur 
N 


ı 


(ommuissur ? 
& - ar 
Zwischen Gr: u Bu I S 
. Q 
— = n Mittl I 
: : Lat.or Sy 
Weisse Subst. RS 
SI = 
Hint. > ustritiszone 
WersseSubst Lat.Gx. 
Vordere Gruppen 
ü 9. 
Hınterhom. 


oo 
Nenrit 


is} 


; 1 
Se Y E |, 
EN Y Vord.hat.6r: Mittelzellen 

es Fe, 


Weisse Subst. 


x 
Hint. Zwischenzelle . 
an 
Yord. Zwischen \ Tord. Zwischenzell ; 
Vord. Zwischen ord. Awischenzelten MittH.LatGr. 
Gr 


Hint. Zwischenzellen 


4 


vr 


Mitt. 
Lateralgr. 


4 
Net Zwischengr 
Austrittszone > \ Y Wischen Gr: 


Fi TR WERE 
Jüh. Anst.mr Werner & Hinter Frankfurt ”M 


u 
.’ * 
Ri - 
* 
* 
.’ 


2 


. 


Archiv Kmikroskop Anatomie Ba.VH. 


Taf XX. 


.. 


- 


r 


-n 
m 
„i 
> 


u! 
Archiv fmikroskop. Anatomie Ba. Lvn. 


5“ 


il Ill 


 Motorische 


Seitenstrangfäsern 


Taf. XXIV. 


Ill 


Wurzelbündel 


Hinterstrangeollateralen. 


r Alfinter Hrarkfur 


Tafel 25. 


Bd. LVII 


Archiv für mikroskop. Anatomie. 


Lichtdruck von Kühl & Co., Frankfurt a. M. 


Archiv Ümikroskop. Anatonue Ball. 


«linter, Ph 


Archiv £mikroskop. Anatomie Ba.ıyM. 


ri 


* 


Taf xxvu. 


Archiv Emikroskop. Anatomie  Ba.LvI. 


N 


4 


il f- n AR, ER 
IKEA RK 
Haß A 
R l > % 


‚Lüh, Aust. w Werner inter, Franddurt? N 4 


Archiv f mikroskop. Anatomie Bd. 1Vl. 
alas KH 


| 
| Me Br | 


E.Hretz gez. 


Tal XIX. 


>: 


| 


Jih. Anst.v. Werner Winter Frankfurt®M. 


Archiv £mikroskop. Anatomie Ba.1vH. 


1:7802,0.0 4 


6. 


a 


11. 


19% 


10. 


R oa E 
4 ei R 
er 
8 n 
j N 
% 
rn \ 
x 
. * Pr i 
. * 
f L N 
zu A + u 
..r ns 
u. ud R 3 a. 
w “ 4 Pr 
re E 
n u‘ »— " a 
R u. f - en, } “_ 5 
5 = 7 5 un E 
be [2 
r 
v DR Ar 
“w 1 
v 1 
t u B P} 
% =“ 
’ 7 


Archiv f£mikroskop. Anatomıe. Ba. LVI. Taf. XXX. 


5 


.. 


Taf XXX. 


AOROF 


Archiv £mikroskop. Anatomie Ba.ıVl. 


urner kWinter Frankfurt” N. 


Taf! XxXXıV. 


Archäür £mikroskop. Anatomie Bd. UM. 


Archiv £mikroskop. Anatomie Ba. LVI. 


C>) 
et 
09) us 


.) 
DICDYA 
ro) 


G e_ SIT (@ 


ö NO, ö) N 
NV \ an 
Y DO, x 
20 O0 ( 
A @® % S 
2 > 
IN (d x In® 
ID DIE IV 
BE) 
\ Y a 
WOrGEV) 


> 
- 
RE, 
[e_} 
on 


DE 


en; 
IEARV 


Det 


SIT 
ST 


ah 
Tr 
NE 


— 
Yon 


AA. 


Taf. 


Ansb.w Werner & Winter, 


M. 


Frankfurt? 


Archiv £Emikroskop. Anatomie Bd.LVN. 


Taf. XXXVI. 
- ] 


Ne 


Archiv # mikroskop. Anatomie Ba.LVH. Laf. XXXVN. 


28. 09 30. 31. zo 
. - ”. 
f} Pr 2 - - 
U77 Fi N} a , 
» 
- - ee zoa 
5) 7%. 35 321 
.. » > 
“ . = = » x 
u ws a 
37. 
30. sg 39. 
JO. 
& z 
. ».e “ 
P7} & ‘ 
77 > e . « 
. 
. Po } ®) 
“oe 
% 
42. - 44. 
40. - ED 


» L} * 
Er 15 
Falk 5 
. 7 4 y’ 
KR: RE . 


z -g © 


A 


IL: 
> Pu 
» f am ® 
U N 
N NZ 
Fr 
— 
& 
% 
Pre] 
; + 
ca | 
| 


Archiv f mikroskop. Anatomie Ba.ıVM. 


SS 
HF-—- 


IST 


TE Gaga 


ST-- 


NST- 


UIST- 


Taf. XXXVI. 


u | 


“., 


I 


SeT ch ThrN OKB 


Ih yp.m 


. 


ı/ 


- 


ed 
tom Ba.Ivn. 


Ya 
dv. 


Archiv Fmihroshop.; 


wo] 


en 
DE 


R 
* 
ware 
Rs 
- 
£7 


“ 
a’ “ 
i _ 3 
TCof; — + = 
L.Setffert gez. } 
P. 


Tin. Anst.w Werner & Hinter, Frankfurt YM. 


Archiv f mikroskop Anatomie Ball. Taf. Xx11. 


220 Zu Su 200 


au 


re 
Or To HOSO 
— 


1) — Fe 
2609 SH LETH TO Rg 


is Ba. 


Tine 
R ESP „De 


oO 2 EEE 


Archiv fmikroskop Anatom 


Lich. Anstı v Werner «Winter, Frankfurt YM. 


En - £ > x At 
A: er Pr . 
re ” Ph, e. - 
Br . Ar 
re nr . Pr R Ri >) 
9% 
£ Er ee 


AR RZ 
N je .- h 
ur 
% ie Fu 


n.Finger 


ee: 


N: Hand 


% Hand 


n. Hand 


a. Hand 


“ 

Fr a 
oe Ta Arce vn Werner a Winzer Fraktre"M, 
u . 

Sr 


rt. u 


ad 


®, 
Archür Fmikroskop. Anatomie Ba.ıv. 


W.Rose del 


Aa Kn. 


Jah Austen Werneralinter Franäfurt ET 


rchiv £ mikroskop. Anatomie’ Bd. IVM. 


A 


” 3 ‚ , » , 
. * i £ w 
5 „ I ER . ee EE „+ \ * Ya 9; R 
RR VO 2750 Sur TRIER SEE ran Bl - 
> 
wg rn, a s « 
„ un. S=8. 
. Pr Dr a “ E ü 
f rn, ni. 250 SE 
ww 


Ulnd 


Ell- 


a. Handw.Kn.---- 


h 
rin 


n. Radius —----% 


- 


n.Ulna 
> Kin.Hautdr: 


ML. 
B 


Werner &Winter, Franktunf? 


I 
# 


ith.Änst.v. 


7: 
en 


% 


n. Handı. Kn= 


[Rose- del. 


n 


Au Zr 


Mu A”7 


n ’ A ij 
A a I x N ın u ih, j 
Dunn. nr Ku 


uf 


Sa 


Min 


war 


a Fa Kar th 
men, 
nem 
a me 


Pr 
DOSE PIE HT RER 


Saypage 
re nn 


u 
Dune in ann 
UL 


BT ae ai 


ln Va) lrertana Meysanıı 
DIES