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Full text of "Archiv für mikroskopische Anatomie"

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ARCHIV 


für 


Mikroskopische Anatomie 


I. Abteilung 
für vergleichende und experimentelle 
Histologie und Entwicklungsgeschichte 
Il. Abteilung 
für Zeugungs- und Vererhungslehre 


herausgegeben 
von 


O0. Hertwig und W. Waldeyer 


in Berlin 


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Einundachtzigster Band 
I. Abteilung 
Mit 30 Tafeln und 17 Textfiguren 


BONN 
Verlag von Friedrich Cohen 


1913 


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Inhalt. 


Abteilungsl 


Erstes Heft. Ausgegeben am 22. Oktober 1912. 

Über die Entwicklung des sympathischen Nervensystems beim Frosch. 
Von Ren6 Camus. (Aus dem zoologischen Institut der Universität 
Strassburg.) Hierzu Tafel I—-IV und 4 Textfiguren 

Zur Kenntnis der verzweigten Muskelfasern. Von cand. med. Be za 
Glüceksthal, Zenta (Ungarn. (Aus dem vergleich. - anatom. 
Institut der Universität Freiburg i. Br.) Hierzu Tafel V 


Zweites Heft. Ausgegeben am 15. November 1912. 


Über eine neuartige Verwendung des Farbstoffes „Neutralrot‘. Von 
+ Prof. Dr. Siegmund Mayer. (Aus dem histologischen Institut 
der deutschen Universität zu Prag) Dun i 

Über die Darstellung des Glaskörpergerüstes und ne endlosen 
Nervenfasern nach S. Mayers Methode Von Dr. J.Kubik, 
Assistent. (Aus dem histologischen Institut der deutschen 
Universität zu Prae.) Hierzu Tafel VI und VII aa 

Azidophile Zellen in der Nebenniere von Rana esculenta. Von V. Patzelt 
und Dr. J.Kubik. (Aus dem histologischen Institut der deutschen 
Universität zu Prag.) Hierzu Tafel VIII j 

Bau, Entwicklung und systematische Stellung der Bintiymphastisen. 
Von Siegmundv. Schumacher, a. o. Professor in Wien. 
(Histologisches und embryologisches Institut der K. u. K. Tier- 
ärztlichen Hochschule in Wien.) Hierzu Tafel IX und X 

Die Beziehungen zwischen dem Strukturbilde des Achsenzylinders der 
markhaltigen Nerven der Wirbeltiere und den physikalischen 
Bedingungen der Fixation. Von Leopold Auerbach, Frank- 
furt a. M. Hierzu Tafel XI 

(Genese, entwicklungsgeschichtliche und elnirsehe. Bedkuaıne de 
Ligamentum rotundum uteri und des Gubernaculum Hunteri. 
Von Prof. Dr. Fritz Kermauner, Wien 


Drittes Heft. Ausgegeben am 25. Januar 1913. 


Die „basal gekörnten Zellen“ des Dünndarmepithels. Von Harry Kull. 
(Aus dem Institut für vergleichende Anatomie der Kaiserlichen 
Universität Jurjew |Dorpat]. [Direktor Prof. Dr. W.Rubaschkin.]) 
Hierzu Tafel XII und 1 Textfigur RATEN) AR 

en über die Histologie der Uterusschleimhaut. Von 
Dr.S. H.Geist, New York. (Aus dem pathologischen Institut 
der Universität Freiburg i. Br.) Hierzu Tafel XIII (Fig. 1—6). 

Die senile Involution der Eileiter. Von Dr. S.H. Geist, New York. 
(Aus dem pathologischen Institut der Universität Freiburg i. Br.) 
Hierzu Tafel XIII (Fig. 7 und 8) 


Seite 


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61 


185 


196 


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Seite 
Die Intelligenzsphären des Molluskengehirns. Ein Beitrag zur stufen- 
weisen Entfaltung dieser bei den Achordaten. Von B. Haller. 
Hierzu Tafel XIV-XR und aMeiguren > „U... 2. 9285 
Bemerkungen zu der Arbeit Aurel von Szilys: Über die Entstehung 
des melanotischen Pigments im Auge der Wirbeltierembryonen 
und in Choreoidealsarkomen. Von Dr. med. E.Meirowsky, 
Voln ax. Rh... :..2:. ee. 2. ABER 


Viertes Heft. Ausgegeben am 20. Februar 1913. 
Untersuchungen über die Anatomie und Entwicklung des peripheren 
Nervensystems bei den Selachiern. Von Erik Müller. (Aus der 
anat. Anstalt des Carolinischen Institutes in Stockholm.) Hierzu 


Tafel XX—XXVIO ... Ne DR TE RR (310: 
Zur Frage über die Folgen der Unterbindung des Wurmfortsatzes beim 
Kaninchen. Von Dr. L.W.Ssobolew aus Petersburg. . . . 377 


Über das Auftreten von Dermocystidium pusula (Perez), einem einzelligen 
Parasiten der Haut des Molches bei Triton cristatus.. Von 
Hans Moral. (Aus dem Biologischen Institut der Königl. 
Universität Berlin. [Direktor: Geh. Rat Prof. Dr. OÖ. Hertwig.]) 
Hierzu. Tafel RAIN N 2 el 2 ee Re 

Über das Chondriom der Pankreaszellen. Von Dr.N. Mislawsky aus 
Kasan, Russland. (Aus der Anatomischen Anstalt zu Tübingen.) 
Hierzu. Tafel XXX 2 N nz a. A 


Aus dem zoologischen Institut der Universität Strassburg. 


Über die Entwicklung des sympathischen Nerven- 
systems beim Frosch. 


Von 
Rene Camus. 


Hierzu Tafel I—-IV und 4 Textfiguren. 


Inhalt. Seite 
Einleitung 2 
Material und Methode, HN 3 
I. Entwicklung des sy ich) ande 4 
A. Rumpfteil 4 
1. Eigene ehr chiineen 3 3 4 
a) Sympathische Ganglien 4 
b) Rami communicantes 9 
c) Längskommissuren 14 
d) Grenzstrang 15 
2. Historisches 18 
3. Kritik 41 RE RR EA TEN 
BeSchwanzteili 3. 411.1... A KR RE rt NE EN 
= Historisches . .. BERN N At BE 
. Eigene aa ann Er RE Fa han JR ae ehe ELF AA LANA SA 
C. I U N RER 1a 20T STR 3 FLO RSPEANRERTATERT, es 
Re Historisches °.... 3 ne) ARMUT 
2. Eigene Barhocker PB ARE EE Nana en LAN SIR IE BER ENTE FEN Be I 
3, Kritikern Sn SE EIER ERR rae KERNE ULRIKE N Fe! 
II. Entwicklung des Dortlerrenssetenn Se Te RER BE UE RTANTANT Eau nad A nAkhe kei: 
1. Historisches . . BETEN 2 EL RT FALL OU TE 38 
Zpbisener Beobachtunzen: bin ua sel Hl, ER LEnn RA 5 139 
a) Nervus intestinalis . . . N EHE BL HEN u 21...00689 
B) Neryus:vesiealisY hl... 42 
3. Anatomische Befunde anderer De hai Kritik de 
BERTEHEz nn TE ET EEE lee. 7, AD 
Anhana ee ENT; Je. BER Re AL 2 DA ER Alam Co) 
Eteradtirverzee ee 3 ot Rn a a ad Ma BE Hei. Hp ER Er Rt RE >) 
Erklärung der vBruuremee Bu NT EHE Bl 


Archiv f. mikr. Anat. Bd.81. Abt.1. 1 


ID 


Rene Gamus: 


Einleitung. 


Das sympathische Nervensystem im weiteren Sinne ist im 
wesentlichen das Eingeweide-Nervensystem ; es versorgt besonders 
den Tractus intestinalis mit seinen Anhangsorganen, das (refäss- 
system und die Harn- und Geschlechtsorgane. 

Physiologisch zeichnet es sich dadurch aus, dass es nicht 
wie das cerebrospinale Nervensystem die quergestreifte, dem Willen 
unterworfene, sondern ausser der besonderen Herzmuskulatur 
nur die glatte, sogenannte unwillkürliche Muskulatur beherrscht. 
Ausserdem sind die Nervenfasern der sympathischen Elemente 
nur von einer Schwannschen Scheide umgeben, und sie ent- 
behren der Myelinscheide in ihrer ganzen Ausdehnung. 

Als Zentralorgan dieses Nervensystems betrachtet man im 
allgemeinen den Grenzstrang; das ist ein linker und ein rechter 
unter der Wirbelsäule und zu beiden Seiten der Aorta hin- 
ziehender Längsstrang, welcher metamere gangliöse Anschwellungen 
besitzt, die mit den entsprechenden Spinalnerven durch dünne 
faserige Stränge, die Rami communicantes, verbunden sind. 

Was die Entwicklung des sympathischen Nervensystems 
anbetriftt, so nahmen die älteren Autoren, Remak und 
Goette. für dasselbe einen selbständigen Ursprung 
und zwar aus dem mittleren Keimblatt an, während 
im Laufe der letzten drei Jahrzehnte sämtliche 
Forscher, mit Ausnahme von Paterson und Fusari, 
das sympathische Nervensystem mit dem cerebro- 
spinalen Nervensystem vom äusseren Keimblatt ab- 
leiteten. Waren sich aber die letzteren im allgemeinen über 
den Ursprung des Sympathicus einig, so hatten doch ihre Unter- 
suchungen in speziellen Punkten Gegensätze hervortreten lassen, 
so dass vier Bildungsmodi um Anerkennung gerungen haben. 
Die Zellen, die den Sympathicus bilden, stammen: 

1. von den Spinalnerven (Balfour, Marshall, Hoff- 
mann, van Wyhe, Kohn, Neumayer); 

2. von den Spinalganglien (Schenk und Birdsall, 
Onodi, W. His, His jun., Mazzarelli, Sedgwick, Jones, 
Rabl, Held, Abel); 

3. vom Medullarrohr (Froriep, Kuntz); 

4. von der Ganglienleiste (Marcus). 


Entwicklung des sympathischen Nervensystems beim Frosch. 3 


Wie man sieht, sind also noch heute hinsichtlich der Ent- 
wicklung des Sympathiecus manche und gerade die interessantesten 
Fragen Gegenstand von Kontroversen. Ich werde später, nach 
der Mitteilung meiner Beobachtungen, auf die Literatur näher 
eingehen. 

Als mir Herr Prof. Goette vorliegende Arbeit empfahl, 
war er trotz der umfangreichen gegnerischen Literatur von seiner 
alten Anschauung über die Selbständigkeit des sympathischen 
Nervensystems nicht abgekommen, da seine Befunde über das 
getrennte Auftreten des Nervus lateralis bei der Unke, der 
Kiemennerven und des Eingeweideastes des Nervus vagus bei 
Petromyzon seine 1375 gemachten Angaben durch berechtigte 
Analogieschlüsse stützten. 

Für den glücklichen Vorschlag und für die mannigfachen 
Anregungen, die mir Herr Prof. Goette zuteil werden liess, 
gestatte ich mir auch an dieser Stelle, meinem hochverehrten 
Lehrer meinen aufrichtigsten und bleibenden Dank auszudrücken. 


Material und Methode. 


Hoffmann sagt in seiner Schrift vom Jahre 1900, „der 
Sympathicus gehöre ohne Zweifel wohl zu einem der schwierigsten 
und kompliziertesten Bestandteile des ganzen Nervensystems“. 
Dass die Lösung einer so subtilen Aufgabe, wie es die Ent- 
wicklungsgeschichte des Sympathicus -ist, bei einem niederen 
Wirbeltier am ehesten zu suchen sei, lag auf der Hand. Es 
wurde der Frosch gewählt wegen der Grösse der Zellen und 
weil er leicht in genügender Menge zu beschaffen ist. Rana 
esculenta schien in weit grösserem Maße geeignet als Rana 
temporaria, da bei letzterer Art das überall fein verteilte Pigment 
störend wirkt, insofern es die frühesten Differenzierungen der 
sympathischen Ganglienzellen leicht übersehen lässt. 

Die Larven wurden in sandfreien Gefässen mit Plankton 
gefüttert, das hauptsächlich aus einzelligen Grünalgen bestand. 
Nebenbei wurde ihnen tierische Nahrung verabreicht. meist in 
Form von Teilstücken junger Froschlarven. Auf diese Weise 
konnte ich ein andauerndes, normales Wachstum konstatieren, 
das, wie sich zeigte, durchaus günstig war. 

Von den zahlreichen erprobten Fixierungsmitteln erwies sich 
Brasils Gemisch als unübertrefflich. Nach kurzer Einwirkungs- 

1* 


4 Rene Camus: 


dauer kamen die Objekte direkt in 80°/o Alkohol. Als Inter- 
medium zwischen absolutem Alkohol und Paraffin diente Chloro- 
form oder Benzol. Die dotterhaltigen Larven verweilten höchstens 
10 Minuten in geschmolzenem Paraffın, wodurch der Dotter sich 
in beliebiger Dicke schneiden liess. — Indem die Kerne mit 
Heidenhains Hämatoxylin gefärbt wurden, erleichterten sie 
das Auffinden junger Nerven- oder Ganglienzellen ungemein. Als 
Plasmafärbung diente vorzüglich Pikrinsäure und Säurefuchsin. 
So konnten in zweifelhaften Fällen nervöse Fasern von binde- 
gewebigen sicher unterschieden werden. — Die älteren Larven, 
von denen in vorliegender Arbeit die Rede ist, sind nicht in 
ganzer Länge gemessen worden, sondern nur vom Mund bis zum 
After. Für die jüngeren schien mir eine Längenbezeichnung 
nicht geeignet. Es mögen daher die Angaben über den Grad 
der Entwicklung der inneren Organe, z. B. des Gehörorgans, der 
Lunge, sowie die grössere oder kleinere Dottermenge Anhalts- 
punkte über den Grad der allgemeinen Entwicklung liefern. 


I. Die Entwicklung des sympathischen 
Grenzstranges. 


A. Der Rumpfteil des Sympathicus. 


l. Eigene Beobachtungen. 


Bei einer sehr jungen Larve von Rana esculenta, die noch 
keine Kiemenfalte zeigt, deren (sehörorgan ein einfaches Bläschen 
ohne Andeutung einer Faltenbildung darstellt, deren Lungen- 
divertikel aber schon deutlich hervortreten, habe ich die ersten 
sicheren Anlagen des sympathischen Grenzstranges in dem Mesen- 
chym zwischen je einem Rumpfspinalnerven und der Aorta (resp. 
den Aortenbögen) gefunden. — In diesem Stadium sind die 
Spinalganglien wohl differenziert; die Spinalnerven sind faserig 
und erstrecken sich weit über die Stelle hinaus, wo später der 
Grenzstrang zu suchen ist. — Die Anlagen des Sympathicus 
bestehen aus einzelnen oder gleich aus mehreren, 
segmentalangeordnetenZellen, die durch eine dicke 
Plasmahülle und durchihrenetwasgrösseren, kuge- 
ligenund wenigerchromatinhaltigenKernsich leicht 
von den umgebenden noch undifferenzierten Zellen 
unterscheiden (Fig. 1—3). Vonihrem homogenen, höchstens 


Entwicklung des sympathischen Nervensystems beim Frosch. ) 


kleine Vakuolen führenden Plasma gehen mehrere äusserst 
dünne und verzweigte Fortsätze aus, welche an ihrer 
Ansatzstelle oft verbreitert sind und in diejenigen der 
benachbarten Mesenchymzellen übergehen. Die be- 
schriebenen Elemente, welche sich in der Folge als Nerven- 
oder Ganglienzellen ergeben, sind bisweilen dem Spinal- 
nerven eng angeschmiegt, oft aber auch von ihm 
getrennt durch Mesenchymzellen oder deren verzweigte Aus- 
läufer oder durch grössere oder kleinere Dotteranhäufungen. 

Gegen die Ableitung der Anlagen der sympathischen 
Ganglienzellen vom cerebrospinalen Nervensystem spricht ihr 
mesenchymatischer Charakter, ihr vom Spinalnerven gesondertes 
Auftreten, ferner die Tatsache, dass weder innerhalb eines Spinal- 
nerven noch an dessen Peripherie, von dem Rückenmark und 
dem Spinalganglion an ventralwärts bis zur Höhe der Aorta und 
darüber hinaus, ausser den als solchen mit Sicherheit erkennbaren 
Schwannschen Kernen keine anderen zelligen Gebilde anzu- 
treffen sind. 

Die obigen Beobachtungen zeigen vielmehr, dass die sym- 
pathischen Ganglienzellen an Ort und Stelle aus dem 
Mesenchym sich differenziert und mit dem Spinal- 
nerven zunächst nichts zu tun haben. 

Bevor ich zur Schilderung der weiteren Stadien übergehe, 
muss ich erwähnen, dass die sympathischen Ganglien nicht, wie 
Hoffmann dies für Selachier beschrieben hat, „in vollkommen 
regelmässiger Weise cranio-caudalwärts entstehen, so dass man 
Gelegenheit hat, in einer Serie von Querschnitten durch einen 
und denselben Embryo verschiedene Entwicklungsstadien studieren 
zu können“. Es können vielmehr einige sympathische Ganglien 
in ihrer Entwicklung den anderen vorausgehen, auch halten die- 
jenigen der einen Seite mit denen der anderen Seite nicht immer 
gleichen Schritt. Um eine Vorstellung von der Entwicklung der 
sympathischen Ganglien gewinnen zu können, muss man aus vielen 
(Wuer- und Längsschnittserien die günstig getroffenen und dann 
überhaupt erst erkennbaren einzelnen Ganglienanlagen durch Ver- 
gleiche in eine fortlaufende Reihe unterzubringen versuchen. 

Ein zweites Stadium in der Entwicklung des 
Sympathicus findet man in Larven, deren (rehörorgane die 
Anfänge des komplizierten Labyrinths erkennen lassen. Hier treten 


6 Rene Camus: 


in der vorderen Rumpfhälfte schon kleine sympathische 
Ganglien auf. 

Die am wenigsten differenzierten bestehen aus Synceytien, 
in welchen grosse, für Nervenzellen schon charakteristische Kerne 
eingebettet sind. Die diesen Kernen gemeinsame Protoplasmahülle 
ist äusserst zart, speichert wenig Farbstoff auf und enthält mehrere 
Vacuolen. Sie geht peripher allmählich in sehr feine und ver- 
zweigte Ausläufer über, welche mit den umgebenden Zellen oder 
Zellprodukten zusammenhängen. Die Fig. 4 und 5, welche das 
II. und das IV. sympathische Ganglion zum Teil repräsentieren, 
mögen das (resagte illustrieren. 

Das III. sympathische Ganglion derselben Larve zeigt schon 
vorgeschrittenere Verhältnisse. Dasjenige der rechten 
Seite ist vollständig, d.h. mit allen Schnitten, in die es zerlegt 
wurde, in den Fig. 6—11 wiedergegeben. Es liest nahe an dem 
Spinalnerven, ohne jedoch mit ihm eine Masse zu bilden; es sind 
keine das Ganglion mit dem Spinalnerven verbindende Nerven- 
fasern zu finden. Das aus zirka zehn Nervenzellen bestehende 
Ganglion ist nicht überall scharf abgesondert, denn mehr oder 
weniger dünne Fortsätze seiner peripheren gangliösen Elemente 
gehören dem Mesenchymnetz noch an. Die median gelegene 
Portion des Ganglions setzt sich in mehrere Zellen fort, welche 
einen Teil der Anlagen des die Aorta und das von ihr abgehende 
(Gefäss begleitenden Plexus aorticus darstellen (Fig. S und 9, P. ao.). 
Um mehrere grosse Kerne ist ein bereits dichteres Plasma sichtbar; 
an einer Zelle sieht man einen mächtigen Fortsatz von dem kern- 
haltigen Pol der Zelle abgehen (Fig. 10), während die Fortsätze 
der Mehrzahl der Zellen auch an ihrer Ansatzstelle so aussser- 
ordentlich dünn sind, dass sie scheinbar dem Zerreissen nahe 
stehen. Um andere grosse Kerne desselben Ganglions ist das 
Plasma noch unregelmässig verteilt, es scheint um die Kerne etwas 
dichter zu sein als an der Peripherie, wo es ein dünnes und 
vacuolenreiches Netzwerk bildet (Fig. 11). Diese letzten, an das 
in Fig. 4 dargestellte Stadium erinnernden Verhältnisse lassen 
sich an einem peripheren Teil eines Ganglions oft beobachten. 
Der mit n in Fig. 11 bezeichnete Kern, der durch seine Grösse 
alle anderen Zellkerne übertrifft, stellt also wohl mit dem um- 
gebenden, noch nicht abgegrenzten, stellenweise schaumigen Proto- 
plasma die jüngste sympathische Ganglienzelle des Ganglions dar. — 


Entwicklung des sympathischen Nervensystems beim Frosch. l 


In dem Ganglion finden sich aber noch kleinere, von kaum nach- 
weisbarem Protoplasma umgebene längliche Kerne R. Sie ähneln 
zum grössten Teil denjenigen des Mesenchyms, aber ihre Zu- 
gehörigkeit zum sympathischen Ganglion ergibt sich schon daraus, 
dass sie tangential in bezug auf die einzelnen Ganglienzellen an- 
geordnet sind und bisweilen an der diesen zugekehrten Seite 
eine leichte Aushöhlung zeigen. Diese Kerne, von denen ein 
jüngeres Stadium in Fig. 14 dargestellt ist, bilden die Anlagen 
der Randkerne der Ganglienzellen. Der zwischen den 
einzelnen Ganglienzellen bestehende (Grössenunterschied im II. 
sympathischen Ganglion rechts ist im entsprechenden Ganglion 
der linken Seite schärfer ausgeprägt. Zwei aufeinanderfolgende 
Schnitte dieses Ganglions sind in Fig. 12 und 13 wiedergegeben. 
In jeder fällt eine Zelle besonders auf, deren umfängliches, mit 
dem Mesenchymnetz zusammenhängendes Plasma einen ausser- 
ordentlich grossen Kern umgibt. Dieser birgt in seinem Innern 
ein grosses Kernkörperchen, im übrigen erscheint er fast ganz 
homogen und durchsichtig. Die anderen Ganglienzellen, welche 
in den beiden abgebildeten Schnitten sich finden, stehen in einer 
späteren Phase der Histiogenese der sympathischen 
Zellen als die zuerst beschriebenen. Ich entnehme dies zunächst 
aus ihrer fast vollständigen Absonderung aus dem Mesenchym, 
dann aus dem Umstand, dass sie eine Ähnlichkeit bekunden mit 
solchen Ganglienzellen, die zweifellos difterenzierter sind. Ihre 
Kerne sind viel kleiner als diejenigen der zuerst beschriebenen 
(ranglienzellen, und deren Chromatin ist auch nicht mehr in dem 
Maße zusammengeballt wie bei diesen. 

Das I. sympathische Ganglion, welches wie das II. den 
folgenden anfangs in der Entwicklung nachsteht, wollen wir in 
einer etwas älteren Larve mit einem Kiemendeckel betrachten. — 
Das 1. Ganglion links (Fig. 15) besteht aus einer dem Spinal- 
nerven dicht anliegenden, medianwärts konvexen dichten Proto- 
plasmamasse, in welcher zwei grosse Kerne eingebettet sind. 

Auf der Strecke zwischen dem sympathischen Ganglion und 
dem Spinalganglion zeigt der Spinalnerv mehrere mehr oder 
weniger längliche Kerne mit kaum nachweisbarem Plasma, unter 
denen sich solche finden, die nicht die für Schwannsche Kerne 
charakteristische Form besitzen (Fig. 15, v.). Ohne die Kenntnis 
der vorausgehenden Stadien könnte man daher aus der blossen 


8 Rene Camus: 


Betrachtung dieses Ganglions zu der Vorstellung gelangen, die 
sympathischen Ganglienzellen seien Umbildungsprodukte jener noch 
wenig differenzierten, in der Bahn des Spinalnerven „wandernden“ 
Elemente. — Dagegen lässt die vom sympathischen Ganglion 
distal gelegene einzelne Ganglienzelle ihre Herkunft nicht ver- 
kennen (Fig. 14, Sy.). Sie zeigt noch ein jugendliches Aussehen, 
insofern sie sich noch einseitig, nach der Muskulatur, in dem 
Verband der Mesenchymzellen befindet. Durch ibren grossen 
charakteristischen Kern und ihren Plasmasaum ist die Richtung 
ihrer Differenzierung ausgeprägt. 

In der mesenchymatischen Zelle R glaube ich ein Vor- 
stadium der in Fig. 6 und S ebenfalls mit R bezeichneten Rand- 
zellen erblicken zu können, weil ihr Kern auf der der Ganglien- 
zelle zugekehrten Seite eine leichte Aushöhlung besitzt. 

Das aus fünf Ganglienzellen nebst mehreren Randzellen 
bestehende sympathische Ganglion der anderen Seite ist in 
Fig. 16—20 wiedergegeben. Die zentralgelegenen Ganglienzellen 
sind abgerundet und zeigen ein etwas dichteres Plasma als die 
peripheren, welche mit feinen Ausläufern ihrem Mutterboden noch 
angehören. Die Zellen R bekunden ihre Zugehörigkeit zu den 
Nervenzellen durch die ihnen zugekehrten konkaven Konturen 
ihrer Kerne; es sind dies die Randzellen. Das entsprechende 
Spinalganglion ist durch die am meisten ventral gelegene Ganglien- 
zelle SpG& in Fig. 19 repräsentiert. 

In einem späteren Stadium (Fig. 25) ist das sympa- 
thische Ganglion Sy & zellenreicher geworden, aber die einzelnen 
Elemente erscheinen in ihren Bestandteilen kleiner. Das Plasma 
der sympathischen Zellen ist bei weitem nicht mehr so umfänglich 
wie früher, es umgibt den Kern fast gleichmässig. Die Kerne 
werden von denjenigen der Spinalganglienzellen an Grösse über- 
troffen, und sie lassen sich etwas stärker tingieren als früher. 

Fig. 25 zeigt noch über dem Nephrostom und dorsal vom 
Spinalnerven eine mächtige sympathische Zelle Sy, welche mit 
dem Spinalnerven keinerlei Verbindungen zeigt; nur mit dem 
Mesenchym hängt sie noch durch einen sehr dünnen Fortsatz 
zusammen. Ein stärkerer Fortsatz geht von dem protoplasma- 
reichen Pol der Zelle aus und erstreckt sich bis nahe an den 
Spinalnerven; sein weiterer Verlauf konnte nicht festgestellt 
werden, weil er sehr dünn und daher auf dem benachbarten 


Entwicklung des sympathischen Nervensystems beim Frosch. N) 


Schnitt nicht mehr erkennbar wird. Die Zelle stellt offenbar ein 
Stadium dar, welches dem in Fig. 14 dargestellten folgt. Sie 
scheint wie diese viel jünger zu sein als die Zellen des ent- 
sprechenden Grenzstrangganglions. 

Solche isolierte sympathische Nervenzellen finden sich meist 
einzeln oder, wenn auch weniger häufig, zu mehreren in ver- 
schiedener Entfernung vom Grenzstrangganglion. Ältere Stadien 
zeigen, dass sie nicht etwa degenerieren, sondern sie liegen dann 
dem Spinalnerven eng an, oder sie erscheinen als an seiner 
Peripherie zerstreute Ganglienkugeln. 

Überblicken wir die verschiedenen Formen, in welchen 
sich uns die sympathischen Ganglienzellen in den aufeinander- 
folgenden Stadien zeigen, so scheint die erste Diflerenzierung 
der sympathischen Ganglienzellen sich folgendermassen abzuspielen: 

Die aus dem Mesoderm stammenden Anlagen der sympa- 
thischen Ganglienzellen sind als solche zu allererst von den 
umgebenden Mesenchymzellen durch ihr etwas umfänglicheres 
Plasma und ihren etwas grösseren und chromatinärmeren Kern 
unterschieden (Fig. 1 und 2). Diese Anlagen vermehren sich und 
nehmen dabei an Grösse beträchtlich zu (Fig. 3). Das bedeutende 
und rasche Wachstum des Plasmas und des Kerns scheint zu 
erfolgen durch reichliche Nahrungsaufnahme, welche mit der 
Verflüssigung des Dotters einhergeht. Indem nicht nur das den 
Kern umgebende Protoplasma, sondern auch die Fortsätze der 
sympathischen Zellen anschwellen, kommt es zur Bildung von 
Syneytien (Fig. 4 und 5). Und dadurch, dass die an Dicke zu- 
nehmenden Plasmaanastomosen stellenweise nicht verschmelzen, 
entstehen runde Lücken (Fig. 11). Später verdichtet sich das 
anfangs zarte Plasma um den Kern herum, rundet sich dabei 
mehr oder weniger ab, und die in dem entstehenden Zellterritorium 
befindlichen Lücken scheinen als vacuolenähnliche Gebilde in das 
Zellinnere einbezogen zu werden. Die Ganglienzellen lösen sich 
allmählich aus dem Mesenchymnetz heraus, nehmen unter starker 
Vermehrung an Grösse ab, bis sie um ein Geringes kleiner er- 
scheinen als die Ganglienzellen der Spinalganglien. 

Bald nachdem sich aus den die einzelnen sympathischen 
Ganglien darstellenden Syneytien um die Kerne ein dichteres 
Plasma abgesondert hat, beginnt die Bildung der Rami commu- 
nicantes (Fig. 12 und 13). Ich habe dieselben zuerst als 


10 Ren& Camus: 


verdiekte Stränge unterschieden, welche aus einem ziem- 
lich dichten Protoplasma bestehen und, wie Fig. 13 zeigt, 
einige kleine Vacuolen führen können. Sie sind ohne Zweifel 
durch Anschwellung einiger fortlaufend zusammen- 
hängender, das Mesenchymnetz bildender Fäden ent- 
standen. Diese Stränge betrachte ich als Vorstadien der Rami 
communicantes, weil sie in späteren Phasen in ihrem 
Innern eine Differenzierung erkennen lassen (Fig. 24). 
Sie stehen dann noch an vielen Stellen durch dünne 
Fäden mit demumgebenden Mesenchym in Verbindung; 
aber ihre Grundmasse ist nun vollständig durchsichtig geworden, 
und in derselben finden sich der Länge nach mehrere Fasern. 
welche nach ihrer Lokalisierung und nach der angenommenen 
Farbe nur Nervenfasern sein können. 

Wie die Nervenfasern nun zu den Ganglienzellen in Beziehung 
treten, habe ich nicht untersucht. Da aber zu der Zeit, wenn 
ein zelliger Ram. com. entwickelt ist, die sympathischen Ganglien- 
zellen sich noch nicht vollständig aus ihrem Mutterboden ab- 
gesondert haben, ihre einzelnen Zellterritorien also noch nicht 
abgegrenzt sind, so besteht eine Kontinuität zwischen dem Plasma 
der Ganglienzellen, des Mesenchymnetzes und also auch der 
zelligen Anlage des Ram. com. Den weiteren Verlauf könnte 
man sich dann so denken, dass im Augenblick der Differenzierung 
der Nervenfasern die Emanzipation der Ganglienzellen noch keine 
vollständige ist, so dass die Verbindung der Nervenfasern mit 
den Ganglienzellen von vornherein besteht. — Dass die Vor- 
läufer der faserigen Nerven in undifferenzierten 
Plasmasträngen zu suchen sind, ergibt sich schon aus 
folgender Überlegung: Bekanntlich reagieren junge Frosch- 
embryonen schon auf äussere Reize, ehe es zur Bildung differen- 
zierter peripherer Nervenbahnen gekommen ist. Daher lässt 
sich die Annahme nicht von der Hand weisen, dass während 
der Ontogenese die Reizleitung zunächst nach allen 
Richtungen hin durch undifferenzierte Plasmastränge 
erfolgt. Indem nach und nach nur gewisse Plasmastränge die 
Leitung besorgen, während die anderen sich an dieser Funktion 
nicht mehr beteiligen, wird durch die Lokalisierung der 
Funktion in ersteren eine spezifische Ausbildung be- 
dingt. 


Entwicklung des sympathischen Nervensystems beim Frosch. kl 


Es fragt sich nun, ob die Differenzierung des Nerven gleich 
in ganzer Länge erfolgt, oder ob sie von einem und dann von 
welchem Ende aus beginnt. 

Es ist einleuchtend, dass die Lösung dieser Frage für die 
Erkenntnis, als was die Rami com. aufzufassen sind, nicht un- 
wichtig erscheint. Dass aber die Bildung der Rami com. der 
Beobachtung ziemlich viele Schwierigkeiten bereitet, habe ich 
bald erkannt, weil die Entfernung der sympathischen Ganglien 
von den Spinalnerven in den betreffenden Stadien zu gering ist, 
um den in sehr kurzer Zeit sich abspielenden Prozess der Faser- 
bildung einwandsfrei studieren zu können, ferner weil der zellige 
Ram. com. vielfach Biegungen aufweist und daher selten in einer 
Ebene verläuft. — 

Ich ging aus von einer bereits fibrillären, konstant vor- 
kommenden peripheren Verzweigung einer Anastomose des X. mit 
dem XI. Spinalnerven, wie sie Fig. 23 zeigt. Der Zweig n gabelt 
sich in zwei sehr dünne Äste, denen längliche Schwannsche 
Kerne sw angelagert sind. In Fig. 22, welche ein jüngeres Stadium 
darstellt, gleicht der untere Ast dem korrespondierenden in 
Fig. 23, während der obere ein anderes Aussehen hat. Er ist 
deutlich breiter als der untere; seine nicht länglichen Kerne 
liegen inmitten des protoplasmatischen Astes. Ausserdem gehen 
an ihrer Ansatzstelle verbreiterte Ausläufer stellenweise von ılhım 
ab, die mit dem Mesenchymnetz zusammenhängen. Dagegen sind 
Nervenfasern in ihm nicht nachweisbar, wohl aber sind solche m 
dem Zweige bis zu seiner (abelung und im unteren Ast vor- 
handen. — Bei einem jüngeren Embryo ergab sich ein ähnliches 
Bild (Fig. 21), wie es für den Ram. com. in Fig. 12 und 13 
dargestellt ist. Die Mesenchymkerne des peripheren Nerven 
liegen noch ganz undifferenziert wenigstens teilweise in dem 
angeschwollenen dotter- und vacuolenhaltigen Plasmastrang. Wie 
sich dieser dem fibrillären Nervenstrang anschliesst, konnte wegen 
der ungünstigen Schnittrichtung und dann wegen der fehlenden 
festen Punkte in dem betreffenden und in den angrenzenden 
Schnitten durch Projektion nicht sicher ermittelt werden. 

Aus den drei beschriebenen Stadien ergibt sich, dass 

1. die Bildung des Nerven oder, genauer ausgedrückt, die 

faserige Differenzierung der Nervenbahn 
zentrifugal vom Zentrum aus erfolgt durch 


119 Rene Camus: 


vorschreitende Umbildung bereits vorhandener 
mesenchymatischer Plasmastränge. 

die Schwannschen Kerne aus Kernen mesen- 
chymatischer Zellen hervorgehen, deren Plasma, 
zum grössten Teil wenigstens, zur Bildung 
der Nervenfasern verwandt wird. 

Während mein erster Schluss mit dem, welchen Held (1909) 
aus seinen Beobachtungen über die Bildung peripherer Nerven 
bei Anamniern gezogen hat, übereinstimmt, besteht zwischen 
Held und mir eine grundsätzlich verschiedene Auffassung über 
die Herkunft der Schwannschen Kerne. 

Held hat mittelst der Molybdän-Hämatoxylinfärbung das 
Auswachsen eines langen Zellfortsatzes aus den Neuroblasten des 
Rückenmarks beobachtet. Er fand bei der Forelle die erste 
faserige Differenzierung eines Hautnerven wohl innerhalb der 
dünnen Plasmastränge des mesodermalen Reticulums; aber der 
Nerv war zuerst in seiner ganzen Länge eine vollständig freie 
Faser. Erst nachdem „Bindegewebszellen aus der Cutislamelle 
hervorgehen und das vorzeitige und epitheliale zu einem zelligen 
Bindegewebe“ umgewandelt haben, rücken Bindegewebszellen an 
den „aus einer einzigen und starken Neurofibrille und einer 
perifibrillären Plasmahülle mit ansetzenden Fäserchen bestehenden 
Hautnerven, ohne aber (was Held besonders hervorhebt) sich 
streng seiner Richtung anzupassen und sich eng zu ihrer Ober- 
fläche einzustellen“. Weiter heisst es, die Schwannschen Zellen 
des primären Hautnerven der Forelle seien ganz andere Bildungen 
wie jene Bindegewebszellen. Sie seien vielmehr an der Nerven- 
bahn vorgleitende Elemente, die anscheinend aus dem Medullar- 
rohr an ihrer dorsalen Austrittsstelle hervorgehen und sich durch 
ihren spindelförmigen Leib, durch längsovale Kerne und eine 
enge Zusammengehörigkeit mit den Nerven selbst auszeichnen. — 

Die Fig. 178 und 180, auf die der Autor hinweist, sind 
aber, meines Erachtens, schon vorgerückte Stadien. Dagegen 
sind in Fig. 179, „in welcher das sekundäre kernreiche Bild der 
Nervenstrecke in das des früheren Entwicklungsstadiums übergeht, 
die Schwannschen Zellen auf dem ersten Stadium ihrer peri- 
pheren Wanderschaft noch vielfach mit den umgebenden Binde- 
gewebszellen und ihren Fortsätzen verbunden“. — Wie diese 
primären Schwannschen Zellen nun aus dem Rückenmark an 


[S6) 


Entwicklung des sympathischen Nervensystems beim Frosch. 13 


der Nervenbahn vorgleiten und dabei doch mit dem umgehenden 
Bindegewebe vielfach verbunden sein sollen, kann ich mir nicht 
vorstellen. Ich betrachte die in Fig. 179 dargestellte grosse 
Zelle als eine unverschobene mesenchymatische Zelle, deren Kern 
in der Folge wohl zu einem Schwannschen Kern wird. 


Nachdem wir in dem wachsenden Nerven eine vom Zentrum 
aus peripher vorschreitende Differenzierung mesodermaler Teile 
erkannt haben, würde unsere Frage nach der Bildung des Ram. 
com. sich folgendermassen präzisieren: Stellt der Ram. com. eine 
vom Spinalnerven aus erfolgte Bildung dar, oder ist er vom 
sympathischen Ganglion aus entstanden? In letzterem Falle wäre 
dann der Ram. com. primär rein sympathischer Natur. 

Nach His, Kuntz u.a. soll der Ram. com. dadurch ent- 
stehen, dass spinale Nervenfasern in der Höhe der Aorta medial 
eine Ablenkung erfahren und durch Wachstum den Sympathicus 
erreichen. 

Paterson, welcher für einen selbständigen Ursprung des 
Sympathicus eintritt, beschreibt genau denselben Vorgang. 

Dagegen verdankt nach Fusarı der Ram. com. seine Ent- 
stehung einer zelligen Verlängerung der Anlage des sympathischen 
(ranglions, die nach dem Spinalnerven zustrebt. Auf den Prozess 
der Neurofibrillation geht er nicht ein; er sagt bloss, dass später 
in dem Ram. com. einige Nervenfibrillen sich finden, wo dieser 
sich mit dem Spinalnerven verbindet. 

Nach anderen Autoren, Neumayer u. a., ist die Verbindung 
des sympathischen Ganglions mit dem Spinalnerven von Anfang 
an vorhanden, und der Ram. com. entsteht in dem Maße wie das 
sympathische Ganglion von dem Spinalnerven abrückt. 

Nach Kohn endlich ist der Ram. com. zunächst an der 
Abgangsstelle vom Spinalnerven fibrillär differenziert, während 
er in seinem übrigen Abschnitt protoplasmatisch ist. 


Nach meinen nun folgenden Beobachtungen glaube ich für 
einen den herrschenden Anschauungen entgegengesetzten Bildungs- 
modus des faserigen Ram. com. eintreten zu müssen. 


14 Ren& Camus: 


Der Kopfteil des Sympathicus entsteht, wie später ausführ- 
licher dargestellt wird, aus einem faserigen Auswuchs aus dem 
Grenzstrang. Indem im Laufe der Entwicklung die betreffenden 
Fasern sich denjenigen der cerebralen Nerven beimischen, ist die 
Verbindung des Sympathicus mit dem cerebralen Nervensystem 
erreicht. 

Einen Hinweis für die gleiche Entstehungsweise einer Ver- 
bindung des sympathischen mit dem spinalen Nervensystem glaube 
ich in einer Verbindung des Darmnerven mit dem N. ischiadieus 
gefunden zu haben. Ich muss aber hier wieder vorgreifen und 
Verhältnisse schildern, die erst im II. Teil Platz finden sollten. 
Fig. 33 möge das Folgende illustrieren. Von den am Übergang 
des Mesenteriums in den Körperstamm gelegenen Ganglienzellen 
des Darmnerven geht ein Faserbündel r.c. ab, dessen einzelne 
Elemente mit denen des Spinalnerven unter einem „spitzen“ 
Winkel bei x zusammentreten. Aus dem Verlauf des Ram. com. 
und der Art seiner Verbindung mit dem Spinalnerven ist zu 
entnehmen, dass er zunächst nur aus sympathischen Fasern zu- 
sammengesetzt ist. Eine mit Osmiumsäure fixierte Larve von 
14 mm Länge zeigte denn auch noch keine myelinhaltigen Fasern 
in einem Ram. com. zwischen dem Darmnerven und dem Spinal- 
nerven. 

Aus diesen Befunden schliesse ich, dass auch die 
Rami com. des Grenzstranges als Bildungen zu be- 
trachten sind, die vom Sympathicus aus erfolgen, 
zunächstnursympathische, dann auch spinale Fasern 
enthalten. 


Das Auffinden der Vorstufe einer die sympathischen Ganglien 
untereinander verbindenden Längskommissur ist nicht leicht. 
Es ist mir dies nur an wenigen Serien gelungen. Den am glück- 
lichsten geführten Sagittalschnitt gibt Fig. 26 wieder. Die beiden 
sympathischen Ganglien stellen noch Syneytien dar. Zwischen 
ihnen treten innerhalb des Mesenchyms einzelne und zu kleineren 
Syneytien vereinigte Zellen hervor, die durch ihre Form und 
Grösse und durch ihre grosse Ähnlichkeit mit denjenigen der 
Ganglien sich bestimmt als sympathische Zellen erweisen. Es 
geht meines Erachtens aus der Betrachtung dieses Bildes deutlich 


Entwicklung des sympathischen Nervensystems beim Frosch. 15 


genug hervor, dass der Grenzstrang nicht, wie allgemein 
angenommen wird, ausschliesslich durch konvergentes 
Wachstum der einzelnen Ganglien zustande kommt. 
Die zwischen den Ganglien gelegenen mit i bezeichneten 
gangliösen Anlagen der Längskommissur sind zweifel- 
los anOrtundStelleausdem Mesenchym entstanden; 
nur haben sie sich später differenziert wie die metamer an- 
geordneten Ganglien. Die faserige Ausbildung des Längsstranges 
erfolgt später als diejenige der Ram. com. Fig. 27, die einen 
Sagittalschnitt einer 6,5 mm langen Rana temporaria wiedergibt, 
zeigt vom VIII. sympathischen Ganglion nach hinten sich er- 
streckend, einen nahezu gleich breiten plasmatischen mit Kernen 
versehenen Strang, welcher noch keine Differenzierungen zeigt, 
sondern vollkommen homogen ist. — Einen fast in seiner ganzen 
Länge faserigen Grenzstrang konnte ich in seltenen Fällen schon 
bei 5—6 mm langen Larven von Rana esculenta erkennen. Die 
Ganglienzellen sind noch nicht so zahlreich, dass sie überall eine 
geschlossene Reihe bilden; auch finden sie sich in unregelmässiger 
Verteilung, so dass nun von gangliösen Anschwellungen nicht 
wohl geredet werden kann. In der Folge verwischt sich 
die zuerst ausgesprochene Metamerie vollständig. Die 
nunmehr stärker tingierbaren Kerne der sympathischen Ganglien- 
zellen sind viel kleiner als diejenigen der grösseren Spinalganglien- 
zellen; das Plasma umgibt den Kern als spärlicher Saum, so dass 
bei schwächerer Vergrösserung der Grenzstrang sehr leicht über- 
sehen werden kann. Also nur bei starker Vergrösserung sind 
die sympathischen Zellen von den umliegenden Mesodermzellen 
zu unterscheiden und die zu wenigen und dünnen Bündeln ver- 
einigten Nervenfasern wahrzunehmen. 

Ungefähr von diesem Stadium ab dehnen sich die ersten 
beiden Spinalganglien ventralwärts bis in die Höhe des Grenz- 
stranges aus. Dies hat auch Jones bei Rana und Bufo be- 
obachtet und zwar in seinem Anfangsstadium. Er fand nämlich 
Zellen inmitten des Spinalnerven, die durch ihre Grösse von den 
charakteristischen Spinalganglienzellen differierten, aber denen des 
schon vorhandenen Grenzstranges ähnlich sahen; und er schloss 
daraus, dass jene Zellen, vom Spinalganglion kommend, in der 
Höhe der Aorta aus der Bahn der Spinalnerven heraus nach dem 
Standort des Sympathicus „wanderten“. Eine gleiche Entstehung 


16 Ren& Camus: 


nahm er an für die den Grenzstrang bereits bildenden sympa- 
thischen Zellen. 

Jones hat, wie aus dem Vorhergehenden ersichtlich ist, 
seine Untersuchungen bei Larven begonnen, welche schon einen 
kontinuierlichen Grenzstrang besassen, so dass also seine Befunde 
schon deshalb einen Schluss über den Ursprung des Sympathicus 
keineswegs erlauben. 

Seine Untersuchungen kann ich auch nur zum Teil bestätigen. 
Ich finde die von ihm geschilderten Verhältnisse, wie schon er- 
wähnt, nur bei den beiden ersten Spinalnerven; bei den folgenden 
dagegen sind sie nicht anzutreffen. Da der III. und die folgenden 
Spinalnerven der kleinen, den sympathischen Nervenzellen ähnlichen 
Elemente zwischen den Spinalganglien einerseits und den Ram. 
com. andererseits entbehren, und da diese Elemente nur in den 
Spinalganglien neben den grossen Ganglienzellen sich finden, 
müssen wohl die betreffenden Zellen dem Spinalganglion angehören. 
Ich habe beobachten können, dass gelegentlich auch grosse Spinal- 
ganglienzellen weit ventral bis nahe an den Sympathicus vor- 
geschoben erscheinen. Niemals aber handelte es sich in der 
Höhe des Sympathicus um einzelne, ich meine vom Spinalganglion 
isolierte Ganglienzellen im Spinalnerven. Also ist es das Spinal- 
ganglion selbst, welches in dem vordersten Rumpfabschnitt bis 
in die nächste Nähe des Sympathicus hinunterreicht. 

Ist somit Jones’ Ableitung des Sympathicus schon durch 
die Betrachtung eines weit vorgeschrittenen Stadiums unhaltbar, 
so wird sie es um so mehr durch die schon erwähnte Tatsache, 
dass in früheren Stadien (Fig. 19) die ersten Spinalganglien ventral 
noch nicht bis an die sympathischen Ganglien hinunterreichen. 

Bei einer ca. 7 mm langen Larve ist der Grenzstrang 
leicht zu verfolgen, er enthält nun viel mehr Ganglienzellen als 
in dem zuvor beschriebenen Stadium; auch ist das Gefüge der 
Zellen ein dichteres. Sein vorderes Ende liegt zwischen dem 
Vagusganglion und dem I. Spinalnerven, sein hinteres am IX. Spinal- 
nerven. Zur Bildung eines X. sympathischen Ganglions kommt es 
also nicht, wenigstens habe ich ein solches niemals beobachtet. 
Der Grenzstrang endigt caudal gewöhnlich kurz, nachdem von 
ihm einige Rami com. nach dem IX. abgegangen sind. Nur in 
einem Falle ist mir ein anderes Verhältnis in dieser Region 
begegnet. Man sieht in der Textfig. 1 von dem Ende des Grenz- 


Entwicklung des sympathischen Nervensystems beim Frosch. 17 


stranges bei S einen dünnen Nerven ausgehen, welcher der 
lateralen Wand der Aorta entlang zieht und sich mit dem 
X. Spinalnerven verbindet. Während er aber nur halbwegs bis 
zum X. ein gangliöses Band darstellt, entbehrt seine hintere 
Hälfte vollständig der Ganglienzellen. Daher ist der zwischen 
dem IX. und dem X. Spinalnerven liegende sympathische Abschnitt 
wohl nur als ein peripherer Teil des Grenzstranges aufzufassen. — 
Was die in der Literatur erwähnten, hinter dem IX. Spinalnerven 


S 


Milz > An. 
Fig. 1. 


.Rana temporaria. Rechtes Vorderbein durchgebrochen, linkes Vorder- 

bein eben noch unter der Haut. Linke Seite im Sagittalschnitt. s.S. — 

Sympath. Grenzstrang:; VIII.—X. — VIIL—X. Spinalnerv; M. — Muskulatur: 

Ao. — Aorta; R.c. — Ramus com.; W. — Einmündungsstelle des Wolff- 
schen Ganges in den Darm; ch. — Chorda dorsalis. 


gelegenen sympathischen Ganglia cocceygea betrifft, so verweise 
ich auf Teil II 3, in welchem sie als Teile des Darmnerven 
gedeutet sind. 

Die schon beim Auftreten des faserigen Grenzstranges ver- 
wischte Metamerie prägt sich in derälteren Larven- 
periode nach und nach wieder aus, aber nur teilweise: 
Während der Grenzstrang im vorderen und im hinteren Teile 
durch verjüngte und verdickte Stellen Ganglienknoten absondert, 
sind in seinem mittleren Abschnitt keine Ganglien abgegrenzt, 
der Grenzstrang bildet hier stellenweise ein Geflecht, welches 
mit dem die Aorta seitlich und ventral umgebenden gangliösen 
Nervenplexus zusammenhängt. 

Ob nun beim erwachsenen Frosch sich wirklich ein gut 


definierter Strang überall isolieren lässt, habe ich nicht untersucht. 
Archiv f.mikr. Anat. Bd.$1. Abt.1. 2 


18 Rene Camus: 


2. Historisches. 

Der erste Forscher, welcher sich über die Entwicklung des Sympathicus 
geäussert hat, ist Remak (1843). Beim Huhn tritt der Sympathicus in 
vier Abteilungen auf, die Remak als Grenz-, Darm-, Geschlechts- und 
Mittelnervensystem bezeichnet und unter dem Namen „Visceralnervensystem“ 
zusammenfasst. Zuerst bildet sich der Grenzstrang und zwar aus den 
Urwirbeln; diese sondern sich in eine Zentralmasse, die Anlage der Spinal- 
sanglien, und in eine Kapsel. Aus dem äusseren Ende einer jeden Kapsel 
wachsen kurze, faserige Schenkel hervor, die sich untereinander so zu Bogen 
verbinden, dass alle Bogen zusammen den Grenzstrang des Nervus sympathicus 
bilden. Nach His (1868) stammen die Zellen, aus welchen die Ganglien des 
Grenzstranges entstehen, aus den Urwirbelkernen. Unzweifelhaft sind aber 
auch diejenigen sympathischen Ganglien Abkömmlinge der Urwirbelkerne, 
welche an der Wurzel des Gekröses und in diesem selbst auftreten. 

1875 widmete Goette in seiner „Entwicklungsgeschichte der Unke“ 
einen Abschnitt der Entstehung des Eingeweidenervensystems. Innerhalb 
des Mesoderms entwickelt sich ein Nervensystem, das im Anfang seiner Aus- 
bildung eine durchaus selbständige Existenz hat und erst nachträglich mit 
den Spinalnerven in Verbindung tritt. Zuerst entsteht der Grenzstrang, 
während die weiteren Verzweigungen in den Eingeweiden erst später erscheinen. 
Die ersten Andeutungen glaubte er bereits am Ende der ersten Larvenperiode 
in kleinen Gruppen von Zellen gefunden zu haben, die, in ihrem Aussehen 
mit den Ganglienzellen der Spinalganglien übereinstimmend, zu beiden Seiten 
der Aorta, zwischen dieser und den Anlagen der Nieren liegen. Da er sie 
nur an einzelnen Querschnitten antraf, schien ihm dieser Umstand darauf 
hinzudeuten, dass die gangliösen Anschwellungen die ersten Anlagen bilden. 
In der Mitte der zweiten Larvenperiode besteht der Grenzstrang aus spindel- 
förmigen Ganglien und deren Verbindungszweigen, doch existieren noch keine 
Verbindungen mit den Spinalnerven noch mit dem Vagus. diese erfolgen 
erst später. 

1575 kam eine neue Auffassung von der Entwicklung des Sympathieus 
auf durch Balfour. 

Bei Elasmobranchiern fand er die ersten Spuren des Sympathicus in 
kleinen, segmental angeordneten Zellmassen am Ende eines kurzen, median 
gerichteten Astes je eines Spinalnerven. Diese Beobachtung verleitete ihn 
zu der Annahme, der Sympathicus „könne“ als ein Auswuchs (offshoot) aus 
dem cerebrospinalen System entstehen. Die Längskommissuren fand er erst 
in späteren Stadien. 

1550 bemühen sich Schenk und Birdsall, die Angaben Balfours 
bei Vögeln und Säugetieren zu bestätigen. Sie finden bei einem fünftägigen 
Hühnerembryo, desgleichen bei einem 22 mm langen menschlichen Embryo 
die Ganglien des Sympathicus in Zusammenhang mit den Intervertebral- 
ganglien; ferner, dass die sympathische Ganglienmasse am ventralen Ende 
nicht circumscript aufhört, sondern sich noch weiter mit zarten Ausläufern 
von Ganglienmassen anderen Organteilen nähert und an der Wandung der 
Aorta die Anlage zum Plexus aorticus, an der Wand des Darms die Anlage 
des Plexus Auerbachii bildet. Zu dieser Zeit ist die Differenzierung der 


Entwicklung des sympathischen Nervensystems beim Frosch. 19 


Gewebe im Darm nicht vollendet, es zeigt sich von diesen nur die Anlage 
der Ringfaserhaut. Es ist daher begreiflich, wie die Ganglien im Plexus 
Auerbachii zwischen die beiden Muskelschichten des Darms zu liegen kommen: 
Hieraus entnehmen sie, „dass die Ganglien, durch die Wachstums- und 
Bildungsverhältnisse im Embryo bedingt, in ihren Anlagen verschoben werden, 
bis sie ihren bleibenden Standort erreicht haben, wo sie sich erst meta- 
morphosieren“. — „Während man im Rumpfteil des Huhns den Intervertebral- 
ganglien entsprechend in alternativ angelegten Knoten die sympathischen 
Ganglien auftreten sieht, begegnet man am Halsteil einer zusammenhängenden 
Ganglienmasse als Anlage des Sympathicus. Die Verbindung der sympathischen 
Ganglien untereinander als auch mit den bezüglichen Intervertebralganglien 
ist während eines jüngeren Entwicklungsstadiums eine aus Ganglien zusammen- 
gesetzte. Die faserigen Verbindungsstränge zwischen den Ganglienknoten 
sind ein Produkt späterer Bildung.“ 

Nachdem durch Schenk und Birdsall die Selbständigkeit des 
sympathischen Geflechts, welches „nach seiner Entwicklungsweise mit dem 
übrigen Nervensystem in Verbindung steht“, in Frage gestellt und die 
sympathischen Ganglien als vorgeschobene Massen aus den Spinalganglien 
betrachtet worden waren, hielt Balfour (1881) den ursprünglichen Zusammen- 
hang des Sympathicus mit den Spinalnerven für erwiesen, da er nach neueren 
Untersuchungen ') die sympathischen Ganglien der Selachier zuerst als blosse 
Anschwellungen an den Hauptstämmen der Spinalnerven fand. 

1886 dehnte Onodi die Lehre vom epiblastischen Ursprung des Sym- 
pathicus auf die ganze Wirbeltierreihe aus. An Scyllium canicula 15 mm 
beobachtete er am ventralen Ende des Intervertebralganglions eine dreieckige 
Verdiekung. Dieses Produkt eines segmentartigen Zellenproliferationsprozesses 
betrachtete er als das erste Stadium des Sympathicus. In derselben Region 
fand er an 20 mm langen Embryonen die „erste Erscheinung des sympathischen 
Ganglions in Gestalt einer vollständig abgetrennten Ganglienmasse an der 
medialen Seite des faserigen Nervenstammes“. Bei 25 mm langen Embryonen 
ist im proximalen Teil des Stammes die Verbindung der sympathischen 
Ganglien schon hergestellt. Der Autor sagt, der sympathische Grenzstrang 
verdanke den in der Richtung gegeneinander wachsenden, separierten sym- 
pathischen Ganglien sein Entstehen; ferner der Grenzstrang entwickle anfangs 
gangliöse, später faserige periphere Äste, aus denen durch Abschnürung 
grössere periphere Ganglien sich bilden. Nach seinen nicht veröffentlichten 
Untersuchungen legt Onodi allen grösseren peripheren Ganglien einen durch- 
aus sympathischen Charakter bei. — An Mustelus laevis und Myliobatis 
aquila findet Onodi jeden Kiemenast mit einer scharf umschriebenen An- 
schwellung, einem Ganglion, versehen. Diese Befunde erscheinen ihm als Beweis 
für die Selbständigkeit der Kiemenäste; er betrachtet sie wie Gegenbaur 
als den Spinalnerven homolog. Dies zieht eine seinem Standpunkt ent- 
sprechende Auffassung der Ganglien nach sich. „Da, wie wir gesehen“, so 
führt Onodi weiter aus, „die sympathischen Ganglien aus dem distalen Teil 


ı) Balfour: Handbuch der vergleichenden Embryologie, übersetzt 
von Vetter, 1881. 


DES 


20 Rene Camus: 


der Spinalganglien sich entwickeln, und dieser Prozess bei den Selachiern 
nur auf das Gebiet des Rumpfes beschränkt ist, so ergibt sich uns als natür- 
liche Konsequenz, dass wir in den isolierten Ganglien der den Spinalnerven 
homologen Kiemenäste nicht nur spinale Ganglien, sondern die Summe der 
spinalen und der denselben entsprechenden sympathischen Ganglien erkennen 
müssen“. — Die in den Eingeweiden eingelagerten Ganglienzellen entwickeln 
sich nach Onodi wahrscheinlich separat. 


1889 bestätigt van Wyhe die Entdeckung Balfours, dass „jedes 
Segment des Suprarenalorgans mit dem zugehörigen sympathischen Ganglion 
als eine zellige Verdiekung eines Spinalnerven auftritt und sich allmählich 
von diesem entfernt, während es nur durch feine Nervenfäden mit demselben 
verbunden bleibt “. 


1890 glaubt His, „dass man nach Onodi’s Arbeiten die Herkunft 
des Sympathicus aus den spinalen Ganglien nicht mehr bezweifeln darf“, 
doch scheint ihm Onodi’s Fassung des Herganges nicht annehmbar. Der 
genetische Zusammenhang zwischen den sympathischen und den spinalen 
Ganglien liegt seines Erachtens „nicht darin, dass jene von diesen sich ab- 
schnüren, sondern es entstehen innerhalb der Spinalganglien unreife, beweg- 
liche Elemente, welche von da in das Gebiet des sich bildenden Grenzstranges 
überwandern und erst hier zu den eigentlichen Nervenzellen sich umbilden‘“. 
Weiter heisst es: „Es fehlt nicht an zahlreichen Anzeichen für diesen Vor- 
gang: die Spinalganglien sowohl als die jungen Grenzstrangganglien enthalten 
stets eine Anzahl von grösseren, rundlichen oder ovalen Zellen mit Mitosen. 
Solchen Zellen begegnet man auch innerhalb der Hauptnerven, und verhältnis- 
mässig reichliche Mitosen treten in dem gesamten Gebiete auf zwischen dem 
Nervenstamm einerseits, der Chorda dorsalis und der Aorta andererseits. 
Ein Teil der in letzterem Bezirk auftretenden Mitosen gehört Bindegewebs- 
zellen an; aber dies kann nur für einen Teil gelten, denn in keinem anderen 
Bindegewebsbezirk finden sich entfernt ähnliche Verhältnisse. Die Grenz- 
strangganglien sind wohl ihrerseits wieder als der Ausgangspunkt der vis- 
ceralen Ganglien anzusehen.“ — Es erscheint His sehr bedeutsam, dass die 
Geschichte des Nervus sympathicus beim Menschen nicht mit den Ganglien 
ihren Anfang nimmt, sondern mit den Rami communicantes. 


Durch ihre an höheren Vertebraten ausgeführten Untersuchungen 
wurden nun Paterson (1890) und Fusari (1892) veranlasst, wieder für 
die alte Auffassung vom mesodermalen Ursprung des Sympathicus einzutreten. 


Paterson beschreibt die Anlage des Sympathicus als eine unsegmen- 
tierte Zellkolumne, welche erst sehr spät, durch die Verbindung mit den 
Spinalnerven und durch ihre Lagebeziehungen zur Wirbelsäule, eine Segmen- 
tierung erfährt. 


Fusari findet die ersten Spuren des Sympathicus beim Huhn zu 
einer Zeit, wo die Spinalganglien die ventralen Wurzeln noch nicht erreicht 
haben, wo also ein weiter Abstand sie von den sympathischen Anlagen 
trennt. Es sind dies segmentale Bildungen, die, erst nachdem ein kontinuier- 
licher Grenzstrang ausgebildet worden ist, Verbindungen mit den Spinalnerven 
eingehen. Bei 4 mm langen Mus decumanus-Embryonen findet er einen 


Entwicklung des sympathischen Nervensystems beim Frosch. 21 


unsegmentierten Strang. Die Anlagen der Rami com. sind in der vorderen 
Körperhälfte zellig vorgebildet. 

1891 baut His jun. im wesentlichen die Theorie seines Vaters aus. 
Die wandernden Zellen, die nach ihm den Sympathicus bilden sollen, be- 
schreibt er als rundliche oder ovale, zuweilen polygonale Zellen, die voll- 
kommen frei, ohne Hülle in den Zwischenräumen des Mesoblastgewebes 
liegen. Der Kern sei relativ gross, meist exzentrisch; das grosse Kern- 
körperchen weise ein ungemein chromatinreiches Fadennetz auf. Das fein 
sranulierte Plasma zeige eine ausgesprochene Tinktionsfähigkeit gegen Häma- 
toxylin und Eosin, wodurch die Nervenzellen im Mesoblast deutlich hervor- 
treten. In diesem frühesten Stadium besitzen die Zellen keine Fortsätze: 
sie sind also weder untereinander, noch mit dem Zentralorgan in Verbindung. 
Nur bei einigen wenigen Zellen konnte His Fortsätze wahrnehmen, die aus 
dem Plasma hervorgingen, sich rasch verjüngten und zentripetal gerichtet 
waren. Ihre nervöse Natur hält His durch den Nachweis der auswachsenden 
Faser für sichergestellt, ihre Abstammung sei durch die bis zur Wurzel- 
kreuzung zu verfolgenden Schwärme klar gelegt. Für die Beweglichkeit 
schien ihm die Anordnung der Elemente in Stränge und der Umstand, dass 
die Stränge sich im Laufe der Entwicklung verlängerten, zu sprechen. His 
glaubt die Fähigkeit zu wandern bis in ziemlich späte Stadien der Ent- 
wicklung annehmen zu müssen. Einen weiteren Stützpunkt für seine Theorie 
sieht His in der auffälligen Ansammlung grösserer Gangliengruppen an 
Stellen, wo der Wanderung ein Hindernis entgegentreten konnte, an den 
Teilungswinkeln der Gefässe und Nerven, an der Umschlagsstelle des Peri- 
cards; ferner in der Beobachtung, dass im Beginn der Herznervenbildung 
die Ganglien an der Spitze der eindringenden Faserbündel marschieren. — 
Beim Huhn am Ende des 4. Bebrütungstages „entspringt aus dem Winkel, 
in dem beide Wurzeln zusammentreffen, ein dünner faseriger Ramus commu- 
nicans. Dagegen geht von der Vereinigungsstelle der Wurzeln ein Schwarm 
von Zellgruppen aus, der, ohne scharf begrenzte Bahnen einzuhalten, beider- 
seits der Bauchseite zustrebt. An einzelnen Stellen staut sich der Schwarm, 
und es bilden sich grössere Anhäufungen. — Unterhalb des Zwerchfells ver- 
einigen sich die Schwärme beider Seiten zu einer Schlinge, welche die Aorta 
ventral umschliesst; aus diesem Ring entstehen weitere Zellschwärme, die 
teils gegen das Darmgekröse, teils gegen die Urniere ziehen und sich dort 
zu einer zweiten Ansammlung anhäufen.* — 


1893 findet Marshall bei Rana und Gallus die Anlage des Grenz- 
stranges als „eine Serie von Auswüchsen gewisser Cranial- und aller Spinal- 
nerven, die zu gangliösen Anschwellungen werden und später sich unter- 
einander verbinden“. (Nach Jones.) 


1595 bestätigt Sedgwick bei Selachiern die Angaben Balfours 
über die Anlagen des Sympathicus und in demselben Jahr Mazzarelli 
diejenigen von His, und zwar an Selachiern und Vögeln. 


Nach Rabl (1897) ist der Sympathicus der Selachier nicht eine Bildung 
des Spinalnerven, sondern eine solche, welche allein durch die Verlängerung 
des Spinalganglions geschieht. {Nach Held.) 


22 Rene Camus: 


1897 führt His jun. im wesentlichen seine früheren Darstellungen 
weiter aus in einer Arbeit über die Entwicklung des Bauchsympathieus beim 
Hühnchen und beim Menschen. 

Eine Studie über die Entwicklung des Sympathicus bei Selachiern, 
welche wieder Balfours Angaben bestätigt, gibt Hoffmann (1900). Erst 
nachdem sich beide Spinalwurzeln vereinigt haben und der gemischte Spinal- 
nerv entstanden ist, beginnen die sympathischen Ganglien sich anzulegen als 
zellige Verdickungen der Spinalnerven unmittelbar unter der Vereinigungs- 
stelle beider Äste. In jedem Segment, sagt Hoffmann, dessen dorsale 
Nervenwurzel Gelegenheit findet, sich mit der ventralen Nervenwurzel des- 
selben Segments zu vereinigen, entsteht ein sympathisches Ganglion. Daher 
sind im Kopf von Acanthias, wo sensible und motorische Fasern getrennt 
verlaufen, keine sympathischen Ganglien als selbständige Nervenknoten vor- 
handen: nur der Nervus ophthalmicus (dorsale Wurzel) hat Gelegenheit, eine 
Verbindung einzugehen mit dem Nervus oculomotorius (ventrale Wurzel), 
und unter dieser Anastomose entsteht das Ganglion ciliare, welches das 
erste sympathische Ganglion repräsentiert. Nach Hoffmann differenziert 
sich das junge sympathische Ganglion in einen peripheren Teil, der faserig 
wird und die Anlage des Ramus communicans bildet, und in einen zentralen 
Teil, aus dem das Ganglion hervorgeht. — Längskommissuren zwischen den 
einzelnen Ganglien findet Hoffmann bei Acanthias nicht, während sie 
nach Onodi bei Scyllium vorhanden sind. Dagegen gibt Chevrel wieder 
an, dass es bei den Elasmobranchiern einen Grenzstrang nicht gibt, die 
einzelnen sympathischen Ganglien seien nicht miteinander verbunden. 

1902 findet Hoffmann „bei 9—10 mm langen Triton taeniatus die 
erste Anlage eines Sympathicus an der Stelle, wo später der Grenzstrang 
erscheint, als vereinzelte Zellen, die durch einen langen, aber äusserst dünnen 
Ausläufer mit dem Ramus ventralis spinalis zusammenhängen“. 

Dem Autor scheint der Schluss berechtigt zu sein, dass besagte Zellen 
aus dem Ramus ventralis ausgewandert sind. Bei Salamandra-Embryonen 
30—33 mm bildet der Sympathicus einen kontinuierlichen, teils zelligen, teils 
faserigen Stamm, der sich kopfwärts bis an die Ursprungsstelle der ventralen 
Wurzel des I. Spinalnerven verfolgen lässt und sich caudalwärts in den 
Schwanz verlängert. — Weiteres ist über die Entwicklung des Grenzstranges 
nicht mitgeteilt. 

1905 veröffentlicht Jones seine Beobachtungen über die Entwicklung 
des Sympathicus bei der Kröte und beim Frosch. Er findet bei Bufo 9 mm 
zwischen dem Vagus und dem II. Spinalnerven den Sympathicus zuerst aus 
im Mesoderm zerstreuten Zellen bestehend, die besonders in der Region des 
Spinalnerven dichter stehen und so einen Strang bilden, der sehr unregel- 
mässig erscheint und in jedem Querschnitt drei bis zwölf Zellen zeigt. Da 
er Zellen innerhalb der I. und II. Spinalnerven findet, die mit den Zellen 
einerseits der Spinalganglien, andererseits des sympathischen Grenzstranges 
in Kontinuität stehen, hält er die sympathischen Zellen für eetodermalen 
Ursprungs und neigt dazu, sie von den Spinalganglien abzuleiten. — In der 
Region des III. Spinalnerven soll vom Sympathicus nichts zu sehen sein, 
dagegen lässt sich ein kontinuierlicher Grenzstrang halbwegs zwischen dem 


En] 


Entwicklung des sympathischen Nervensystems beim Frosch. 23 


III. und IV. Spinalnerven bis zwischen dem IX. und X. verfolgen. In seinem 
zweiten Stadium (Bufo 12 mm) stellt der Sympathicus zwischen Vagus und 
N. Spin. II einen ununterbrochenen Strang dar. Er ist mit dem dahinter 
liegenden Hauptteil verbunden, welcher mit dem VI. Spinalnerven eine faserige 
Verbindung zeigt. — Bei Bufo 14 mm findet er auch den IV., V., VII. und 
VII. Spinalnerven in Verbindung mit dem Grenzstrang; bei 15 mm langen 
Larven ist auch N. Sp. IX verbunden. — Bei 21 mm Länge ist das Vagus- 
sanglion mit dem Grenzstrang verbunden. Zu dieser Zeit ist auch der 
Grenzstrang von einer wohl entwickelten Membran umgeben. 

Auf Grund seiner Bearbeitung der bisherigen Literatur und seiner 
eigenen Untersuchungen über die „Histogenese und Morphogenese des peri- 
pheren Nervensystems, der Spinalganglien und des Nervus sympathicus“ in 
Hertwigs „Handbuch der Entwicklungslehre der Wirbeltiere“ betrachtet 
Neumayer (1906) für die Entstehung des Sympathicus das System der 
Spinalnerven als Ausgangspunkt. Nach ihm wäre der Sympathicus weder 
ein abgeschnürter Teil der Intervertebralganglien im Sinne Onodis, noch 
würde es sich um Wanderzellen handeln, wie das His annimmt. Das System 
des Sympathicus geht vielmehr aus Elementen hervor, die als Abkömmlinge 
der vorderen und hinteren Wurzel zu betrachten sind und sich ebenso in 
loco differenzieren wie die Spinalganglien und die Wurzelfasern. In einem 
in seiner Fig. 209 wiedergegebenen Querschnitt eines Pristiurus-Embryo, 
welcher wohl die Entstehung des Sympathicus veranschaulichen soll, ist das 
aus 25—-30 Kernen repräsentierte Ganglion „in ganzer Breite mit dem 
Spinalnerven verbunden, und aus ihm herab zieht ein kernreicher Strang an 
die Wand der Urniere herab. Der hier noch einheitliche Spinalnerv spaltet 
sich später in einen medialen, kernreichen, mit dem Sympathicus zusammen- 
hängenden Anteil und in einen lateralen Abschnitt. Der Sympathicus spaltet 
sich in der Folge der Länge nach vollständig vom übrigen Teil des Nerven 
ab, und zugleich damit erfolgt eine Ablösung des Ganglions von dem Nerven. 
Die sympathischen Nerven rücken stetig weiter ab, und in gleichem Mabe 
verlängern sich die freien Strecken der Rami com. Da die sympathischen 
Ganglien in ihrer Entwicklung im innigsten Konnex mit den gemischten 
Spinalnerven stehen, muss auch die Anlage zeitlich mit dem Erscheinen der 
Vereinigung der beiden Wurzeln zusammenfallen. Da, wo es zu einer solchen 
Vereinigung nicht kommt, fehlen demnach auch sympathische Ganglien 
(vgl. Hoffmann). Das früheste Auftreten sympathischer Elemente bei 
Knochenfischen hat Neumayer in seiner Fig. 177 bei einem 20 Tage 
alten Forellenembryo illustriert. „Von der ersten Anlage des Spinalganglions 
setzt sich ein kontinuierlicher Zellstrang bis zur Aorta fort und verbreitert 
sich hier zu einer Zellanhäufung“, die er als Anlage des sympathischen 
Ganglions betrachtet. Die Zellen dieses Ganglions sind protoplasmaarm, 
haben grosse, rundliche Kerne, die zum Teil etwas dunkler tingiert sind als 
diejenigen des Spinalganglions und des Ramus communicans. Ein Grenz- 
strang existiert zu dieser Zeit noch nicht. „Aus der Untersuchung einiger 
Rana-Embryonen ergab sich, dass schon vor dem Auftreten der sympathischen 
Ganglien ventro-medial wachsende, von den Spinalnerven auswachsende Zell- 
stränge existieren, von denen ausgehend es dann, wie auch Untersuchungen 


24 Rene Camus: 


an Urodelen ergeben haben, zur Bildung des Grenzstranges kommt.“ Seine 
Beobachtungen an Sauropsiden, auf die ich nicht näher eingehen will, stehen 
mit denen von Onodi beim Hühnchen nicht im Einklange. Dagegen findet 
er bei Hühnerembryonen Bilder, die den Beobachtungen bei Lacerta ent- 
sprechen; er stimmt mit den Angaben von His überein, der dem Auftreten 
der sympathischen Ganglien die Entwicklung des Grenzstranges voraus- 
gehen lässt.') 


Nach Froriep (1907) verlassen bei Torpedo und Lepus die Nerven- 
zellen der zum autonomen Nervensystem gehörigen vertebralen, prävertebralen 
und terminalen Ganglien als indifferente grosskernige Bildungszellen das 
Medullarrohr zusammen mit den ventralen Spinalnervenwurzeln und rücken 
mit diesen in den Hauptstamm des Spinalnerven. Sie wandern gemeinsam 
und vorübergehend innig verschmolzen mit auswachsenden Neuroblasten- 
ausläufern, die später wohl zu den präganglionären Fasern des autonomen 
Systems werden. Die Zellen biegen vom Spinalnervenstamm medialwärts 
ab und rücken an die dorso-laterale Wand der Aorta, wo sie sich zur Bildung 
der ventralen Grenzstrangganglien anhäufen. Von hier aus wandern wieder 
Zellen in Verbindung mit Neuroblastenausläufern zwischen der Aorta und 
der Vena cardinalis ventralwärts in die Wurzel des Mesenteriums und bilden 
hier die prävertebralen und noch weiter die terminalen Ganglien. Die Zellen 
wandern demnach weder frei noch durch reine mitotische Sprossung, sondern 
durch eine Kombination beider Prozesse, gebunden an die in bestimmten 
Bahnen wachsenden Neuroblastenfortsätze. (Neapeler zoolog. Jahresbericht.) 


1907 findet Kohn die ersten unverkennbaren Ansätze der Sympathicus- 
anlage bei 11 Tage 6 Stunden alten Lepus-Embryonen in deutlich verzweigten 
Zellen am Ende des sprossenden faserigen Spinalnerven. Während dieser 
dem Faserverlauf entsprechend gerichtete und mit länglichen Kernen ver- 
sehene Zellen ausgestattet ist, sind die jungen sympathischen Zellen grösser, 
protoplasmareicher. Ihre ansehnlichen Kerne sind mehr rundlich und stellen 
sich schief bis senkrecht zur Faserrichtung des Spinalnerven und ragen über 
dessen seitlich mediane Begrenzung hervor. Ihre Fortsätze sind deutlich 
median zu verfolgen und endigen mit freien Spitzen. Diese Zellen deutet 
Kohn als Differenzierungen der Neurocyten, welche den embryonalen Zellen 
des Medullarrohrs und der Spinalganglien entstammen. — Bei um 9 Stunden 
älteren Lepus-Embryonen beschreibt Kohn die sympathischen Zellen als 
dunklere, mit breit angesetzten, spitzauslaufenden Fortsätzen versehene 
Zellgruppen, die häufig zu einer syneytialen mehrkernigen Protoplasma- 
masse vereinigt sind. Selbst wenn Spinalganglienzellen und Neurocyten in- 
folge fortschreitender Differenzierung schon recht verschieden geworden sind, 
und im Spinalnerven nur die langgestreckten Kerne der Neurocyten vor- 
handen sind, findet Kohn „Bilder, die klar für einen noch immer andauernden 
Nachschub sympathischer Zellen von dem Spinalnerven her sprechen“. Aus 


!) Die Angabe von Neumayer, Goette habe festgestellt, die Ver- 
bindungsäste des Grenzstranges mit den Spinalnervenstämmen träten im 
Gebiet des Vagus zuerst auf, ist unrichtig. 


Entwicklung des sympathischen Nervensystems beim Frosch. 25 


den Neurocyten geht das gesamte Nervensystem mit seinen Ganglienzellen, 
Randzellen, Nervenfasern und Nervenfaserzellen samt den chromaffinen Zellen 
hervor. Der Autor spricht von der merkwürdigen Besonderheit des Hals- 
sympathicus, an dem bei 13 Tage alten Embryonen nichts auf die Abstammung 
aus den Abzweigungen des Spinalnerven hindeutet; worauf diese beruht, 
kann er nicht angeben. — Bis zum 16. Tage ist der Grenzstrang unsegmentiert, 
von da ab zeigt er eine Gliederung, aber die Anschwellungen lassen weder 
bezüglich ihrer Lage noch ihrer Zahl ein gesetzmässiges Verhältnis zu den 
Spinalnerven erkennen. Aufgefallen ist weiterhin dem Autor, dass die Differen- 
zierungen in den Geflechten die des Grenzstranges so entschieden überholten. — 
Kohns Angaben wurden von Held vollkommen bestätigt. 

1909 findet Held die erste Anlage des Sympathicus bei den Selachiern 
als eine spindelförmige Anschwellung des verlängerten Spinalganglions. Sie 
liegt in der Achse des sensiblen Spinalnerven, nicht der motorischen Wurzel, 
die nirgends mit der sensiblen ‚Wurzel durch Zellenzüge verbunden ist. Die 
Anlage des Sympathieus erscheint ihm durch eine stärkere Fortsatzbildung 
an seinen Zellen ausgezeichnet, die sie mit dem umgebenden Bindegewebe 
vereinigt, während der Spinalnerv selber nur schwächere Plasmodesmen seiner 
medullogenen Längszellen mit den angrenzenden Mesodermzellen besitzt. — 
Von der Forelle bildet Held zwei Zellen ab, die die erste Anlage des 
Sympathicus bilden sollen. Diese Zellen besitzen eine kompakte Plasmazone 
dicht am Kern, die medialste ist durch mehrere Plasmafäden mit der Wand 
der Aorta verbunden, wie diese Zellen auch sonst mit den umgebenden und 
locker verteilten Mesodermzellen zusammenhängen. Von dieser „kurzen 
Zellenkette“ sagt er, sie sei aus dem Spinalnerven hervorgesprosst. — Die 
erste Anlage des Sympathicus beim Frosch, Rana esculenta. findet er in 
einer geringen Verdickung des Spinalnerven ungefähr in der Höhe der Aorta. 
Da anscheinend keine direkten medullaren Zellen längs der ventralen Wurzel 
vorgleiten, so meint er, dass diese erste sympathische Anlage hier eine Zell- 
anhäufung ist, die vom Spinalganglion her, aber zum Unterschied von den 
Selachiern, längs des motorischen Fibrillenzuges, also innerhalb seiner Bahnen 
selbst gebildet worden ist. — Was die weitere Entwicklung, sowie die 
Anlagen des Sympathicus bei Emys europaea, bei der Ente und dem Kaninchen 
anbelangt, verweise ich auf das Original. 

1909 erkennt Marcus bei Gymnophionen die erste Spur des Sympathicus 
als eine medianwärts gerichtete Zellanhäufung am Spinalnerven. Diese 
metameren Zellklümpchen wachsen rasch heran und verbinden sich mit den 
Nachbarhäufchen, wodurch ein zelliger Grenzstrang entsteht. Er konstatiert. 
dass der I. Spinalnerv keine dorsale Wurzel und folglich auch kein Spinal- 
ganglion besitzt, aber trotzdem kommt in diesem Segment ein sympathisches 
Ganglion, das sogar eines der grössten des ganzen Tieres wird, konstant 
vor. Marcus bestätigt das Vorhandensein der von Froriep erwähnten 
Zellgruppe, die an der Austrittsstelle der ventralen Wurzel liegt, und zwar 
hat er „in jungen Stadien stets eine Verbindung dieser Zellgruppe mit der 
Ganglienleiste beobachten können“. Dieser Befund stehe in bestem Einklang 
zu dem von Harrison experimentell gewonnenen Nachweis, dass Zellen 
der Ganglienleiste zu den Neuroblasten werden. Daher glaubt Marcus, 


26 Rene Camus: 


dass die Ganglienleiste ausser den Spinalganglien und den Neuroblasten aller 
Nerven auch die sympathischen Zellen liefert. 

1910 endlich erschien die letzte Arbeit über die Entwicklung des 
Sympathicus bei Vögeln und Säugetieren. Kuntz beschreibt bei Sus zuerst 
einen kontinuierlichen Zellstrang, der anscheinend vom Spinalnerven unab- 
hängig ist. Bald findet er die Anfänge der Rami communicantes in Nerven- 
fasern, die von den Spinalnerven abgehen, den Grenzstrang jedoch noch 
nicht erreichen. Den Spinalnerven und den Rami com. entlang finden sich 
„accompanying cells“, die am Ende der Rami com. sich von ihm ablösen 
und in die Anlagen des Grenzstranges einzuwandern scheinen. Kuntz 
leitet diese Zellen von Medullarzellen ab, die in frühen Stadien vom Neural- 
rohr in die ventrale und in die dorsale Wurzel, dann gemeinschaftlich den 
gemischten Nerven, dann den Ramus com. entlang an die Stelle wandern, 
wo später der Grenzstrang zu liegen kommt. — Was seine Untersuchungen 
an Vögeln anbetrifft, so stimmen sie im wesentlichen mit denen von His jr. 
überein. 


3. Kritik der Literatur. 

Viele Angaben, welche über die Beobachtung der ersten 
Anlagen des Sympathiceus berichten, sind als Beiträge über bereits 
vorgeschrittene Entwicklungsstadien zu betrachten. Dies geht 
teils aus der Beschreibung, welche die Autoren gegeben haben, 
teils auch aus den die betreffenden Anlagen repräsentierenden 
Figuren hervor. 

Die sämtlichen Beobachtungen Remaks beziehen sich auf 
vorgerückte Entwicklungsstadien, was am klarsten aus seiner 
Angabe, die Nerven zeigten überall gleich einen faserigen Bau, 
zu entnehmen ist. 

Die von Goette yermissten Verbindungen des Sympathieus 
mit den Spinalnervenstämmen in der Mitte der zweiten Larven- 
periode konnten nachgewiesen werden. 

Wenn Balfour allgemein als der Vater von der ecto- 
dermalen Abstammung des Sympathieus gilt, so ist dies nicht 
gerechtfertigt. Balfour war sehr vorsichtig in der Deutung 
seiner Befunde. Obgleich er eine ectodermale Abstammung ver- 
mutete, schloss er ausdrücklich eine andere Bildungsweise für 
den Sympathicus keineswegs aus. Erst nachträglich, auf Grund 
der Arbeit von Schenk und Birdsall, wurde sein Standpunkt 
präziser. Seine neuere Angabe, wonach er die sympathischen 
Ganglien zuerst als blosse Anschwellungen. an den Hauptstämmen 
der Spinalnerven fand, betrifft keine erste Anlage mehr, denn das 
sympathische Ganglion erscheint im beigegebenen Schnitt viel zu 
zellenreich. 


Entwicklung des sympathischen Nervensystems beim Frosch. 27 


Von der Arbeit Schenk ’s und Birdsall’s sagt schon 
Onodi, sie behandle die Frage nach der Entstehung des 
Sympathieus nicht mit eingehender Präzision, und die beigelegten 
Abbildungen seien auch keineswegs überzeugender Art. „Die 
Schlussfolgerungen, die Schenk und Birdsall aufstellen, sind“, 
so meint Kohn, „mehr auf ihren guten Glauben als auf ihre 
Untersuchungsergebnisse zurückzuführen. Denn die von ihnen 
untersuchten Entwicklungsstadien waren viel zu alt, um über 
die erste Anlage des Sympathicus Aufschluss zu bringen. Was 
sie tatsächlich feststellen konnten, das ist der frühzeitige Zu- 
sammenhang vom sympathischen und cerebrospinalen Nervensystem. 
Dass aber ersteres aus letzterem hervorgehe, dafür haben sie 
keinen Beweis erbracht.“ — Dass die Arbeiten von Balfour 
und Schenk auch nicht imstande waren, der Abstammung der 
sympathischen Ganglien aus den spinalen zur allgemeinen Gültig- 
keit zu verhelfen, ersieht man, wie Onodi bemerkt, daraus, dass 
in Handbüchern, wiein Schwalbe’s Neurologie, die sympathischen 
Ganglien entwicklungsgeschichtlich den spinalen Ganglien gegen- 
übergestellt wurden. 

Die Figuren Patersons können den Leser von der meso- 
dermalen Herkunft des Sympathieus nicht überzeugen. Seine erste 
Anlage ist ein Strang, der schon eine ansehnliche Stärke besitzt, 
wie dies seine Fig. 3 zeigt. Zur Zeit, wenn der Grenzstrang 
schon von einer bindegewebigen Scheide umgeben ist und ein 
für sich abgeschlossenes Gebilde darstellt, soll nach Paterson 
noch keine Verbindung mit den Spinalnerven bestehen. Kohn, 
der Lepus untersucht hat, findet die sympathischen Anlagen viel 
früher als sie Paterson bei Mus und Rattus angetroffen hat. 

Wie schon Held erwähnt, hat Hoffmann viel zu alte 
Embryonen untersucht, um über den Ursprung des Sympathicus 
Bestimmtes aussagen zu können. 

Neumaver beginnt das Studium der Sympathicus- 
entwicklung bei Pristiurus mit mächtig ausgebildeten sympa- 
thischen Ganglien, von denen ein (Querschnitt nicht weniger wie 
25—30 Zellen enthält, wie seine Fig. 209 zeigt. — Das früheste 
Auftreten sympathischer Elemente bei der Forelle hat er in 
Fig. 177 illustriert. Ich finde aber, dass diese halbschematische 
Figur nicht imstande ist, einen Beleg für das Entstehen eines 
sympathischen Ganglions aus dem Spinalnerven abzugeben. — 


28 Rene Camus: 


Was seine an „einigen“ Froschembryonen angestellten Unter- 
suchungen betrifft, so kann ich nur mitteilen, dass ich durch 
die Untersuchung ‚sehr vieler“ Froschembryonen zu anderen 
Resultaten gekommen bin. 

Auf die Arbeit von Jones ist, um Wiederholungen möglichst 
zu vermeiden, in dem Abschnitt über meine eigenen Beobachtungen 
ausführlich eingegangen worden. 

Die von Held in Fig. 238, 240 dargestellten, mit den 
Spinalnerven verbundenen dotterhaltigen Zellanhäufungen bei 
Rana betrachte ich nicht als sympathische Anlagen. Dagegen 
erkenne ich die von der Forelle abgebildete Anlage als solche 
an. Obgleich „die medialste Zelle durch mehrere Protoplasma- 
fäden mit der Aortenwand verbunden ist, wie auch sonst die 
ganze Anlage mit den umgebenden und locker verteilten Mesoderm- 
zellen zusammenhängt“, glaubt der Autor, diese sympathischen 
Zellen doch als eine spinale Zellensprosse betrachten zu müssen. — 
Die in Fig. 242 als „peripher verlagerte sensible Neuroblasten“ 
bezeichneten Zellen muss ich als wirkliche sympathische Ganglien- 
zellen ansprechen. 

Der in Fig. 240 abgebildete kurze Zellenstrang, welcher 
die dotterreiche Plasmamasse mit dem Spinalnerven verbindet, 
soll bereits wenige Fibrillen enthalten und daher den Ram. com. 
vorstellen. Auf Grund meiner Beobachtungen muss ich aber das 
Vorhandensein von Nervenfasern bestreiten, da, wie ich ausgeführt 
habe, die erste Differenzierung der sympathischen Ganglienzellen 
der Bildung der Nervenfasern vorausgeht und in diesem Stadium 
noch keine gangliösen Anlagen erkennbar sind. 

Über die dreieckige Verdickung des Intervertebralganglions, 
welche Onodi als Anlage des sympathischen Ganglions betrachtet, 
kann ich mich nicht äussern. — Kohn sagt, dass es Onodi 
nicht gelang, für alle Wirbeltiere den sicheren Nachweis zu 
erbringen, wonach die sympathischen Ganglien Abkömmlinge der 
spinalen seien. Die untersuchten Säugetierembryonen seien zu 
alt gewesen, um über die ersten Entwicklungsvorgänge Aufschluss 
zu bringen. 

Den aktiv wandernden, leucocytenähnlichen Vorstadien der 
sympathischen (Ganglienzellen, welche His beschrieben und ab- 
gebildet hat, muss ich auf Grund meiner Beobachtungen jede 
Mitwirkung bei der Entwicklung eines Ganglions oder eines 


Entwicklung des sympathischen Nervensystems beim Frosch. 29 
Nerven absprechen. — Eine auffällige Ansammlung grösserer 


Gangliengruppen an Stellen, wo der Wanderung ein Hindernis 
entgegentreten konnte, konnte ich nicht beobachten. Den weiteren 
Stützpunkt, welchen His für seine Theorie angibt, wonach die 
Ganglien an der Spitze der vordringenden Faserbündel marschieren, 
kann auch ich nicht annehmen. 

Die wandernden Elemente, die nach Kuntz den Sympathicus 
und den Remakschen Darmnerven bilden solien, sind wahr- 
scheinlich dieselben, die His beschrieben hat. Auch hier können 
die halbschematischen Figuren den Leser nicht überzeugen. 

Dass Kohn wirklich die Anlagen des Sympathieus bei 
Lepus beobachtet hat, unterliegt nach seiner Beschreibung keinem 
Zweifel. Die Ableitung derselben von Neurocyten des Spinal- 
nerven erscheint mir aber gezwungen. Wie soll man sich vor- 
stellen, dass aus den langgestreckten Neurocyten des Spinal- 
nerven, welche besonders durch ihre Form vor einer Verwechslung 
mit Mesodermzellen geschützt sind, Zellen hervorgehen sollen, 
welche einen mesenchymatischen Charakter besitzen, um dann 
diesen wieder aufzugeben? — Ich möchte an dieser Stelle wieder 
erwähnen, dass der Autor von der merkwürdigen Besonderheit 
des Halssympathieus spricht, an dem nichts auf die Abstammung 
aus den Abzweigungen des Spinalnerven hindeutet. Worauf diese 
aber beruht, kann der Autor nicht angeben. 

Zuletzt sei nun noch einmal auf die Angabe von Marcus 
hingewiesen, da sie in glänzender Weise die Ableitung des 
Sympathicus aus den Spinalganglien als unmöglich erweist. Nach 
seiner Entdeckung besitzt nämlich der erste Spinalnerv der 
(symnophionen keine hintere Wurzel und folglich auch kein 
Spinalganglion; und dennoch kommt es in diesem Segment zur 
Bildung eines sympathischen Ganglions. 

Dass die Ansichten der einzelnen Forscher hinsichtlich der 
Entstehung des Sympathicus zum Teil recht weit auseinander 
gehen, kann nicht wundernehmen, da, wie aus dem Angeführten 
hervorgeht, der Ursprung desselben mehr diskutiert als beobachtet 
worden ist. 


30 Rene Camus: 


B. Der Schwanzteil des Sympathicus. 


Bei den Teleostiern hat Uhevrel einen sympathischen 
Grenzstrang bis zur Schwanzspitze verfolgt, aber bei den 
Selachiern und speziell bei Seyllium konnte er das Vor- 
handensein eines solchen nicht konstatieren. Dagegen findet 
Hoffmann bei Acanthias hinter dem letzten Rumpfganglion noch 
eine ganze Reihe sympathischer Schwanzganglien, von denen er 
das achte in einem (Querschnitt abgebildet hat. 

Bei Urodelen ist ein wohl entwickelter Schwanzsympathieus 
von Andersson beschrieben worden. Nach Hoffmann bildet 
er einen dünnen, teils faserigen, teils gangliösen Strang, welcher 
in viel näheren Beziehungen zu den arteriellen als zu den 
venösen (refässen steht. 

Was die Anuren anbelangt, so habe ich in der Literatur 
keine Angaben über einen Schwanzsympathicus gefunden. 

Da jedoch bei diesen der Rumpfsympathicus sich erst kurze 
Zeit nach der Bildung des Schwanzes anlegt, und da dieses larvale 
Organ bis zur Metamorphose erhalten bleibt und funktioniert, 
so ist die Frage, ob auch bei den Kaulquappen ein Schwanz- 
sympathicus in Anlagen vorhanden ist, wohl berechtigt. 

In jüngeren Froschlarven habe ich wiederholt an diesem 
oder jenem Schwanzspinalnerven oder an einigen zugleich Nerven- 
zellen, einzeln oder zu zweien gefunden, die ich wegen ihrer 
lage und dem weiten Abstand von den Spinalganglien als sym- 
pathische Zellen betrachte. Obgleich sie meist dicht am Spinal- 
nerven lagen, ist es mir doch gelungen, solche auch an einer 
unter der Chorda dorsalis verlaufenden Längsanastomose zweier 
Spinalnerven zu finden. — In einer sagittalen Serie konnte ich 
am X. Spinalnerven eine einzige Zelle als sympathische Zelle sicher 
unterscheiden; sie lag genau in der Höhe des VIII. und IX. sym- 
pathischen Ganglions. Dafür, dass es nicht mehr zur Bildung 
eines X. sympathischen Ganglions kommt, spricht der Umstand, 
dass das VIII. und IX. bereits aus (10—15) Zellen bestanden. 

Das sporadische Auftreten sympathischer Zellen 
im Schwanz der Kaulquappe wird sich wohl, im Hinblick auf 
das Vorhandensein eines gut ausgebildeten Schwanzsympathicus 
bei den Urodelen, als eine rudimentäre Erscheinung 
deuten lassen. 


Entwicklung des sympathischen Nervensystems beim Frosch. 51 


C. Der Kopfteil des Sympathicus. 

Nach der neuesten und eingehendsten Beschreibung des 
Sympathicus des Frosches von Gaupp „tritt der vorderste Kopf- 
teil aus dem ventralsten Teil des Ganglion prooticum commune 
als dünner Nervenstrang heraus, zieht ventral vom Abducens 
am Boden der Schädelhöhle caudalwärts und verlässt die Schädel- 
höhle durch das Foramen jugulare, medial an dem Vagus-Ganglion 
vorbeiziehend. Hier gesellt sich zu ihm ein zweiter Nerv, der 
aus dem Ganglion jugulare heraustritt. Beide Nerven ziehen 
dann, eng aneinandergelagert, caudalwärts zu dem vordersten 
Eigenganglion des Sympathicus, das dem I. Spinalnerven an- 
gelagert ist.“ 


1. Historisches über seine Entwicklung. 


Die erste mir bekannte Angabe über die Entwicklung des 
cranialen Teiles des Sympathicus stammt von Paterson (1890) 
und bezieht sich auf Säugetiere (Mus). Mir scheint, dass der 
Autor den terminalen Zustand beschreibt, wenn er sagt: „From 
the anterior end of the growing mass of the superior cervical 
ganglion a narrow bundle of fibres arises, which is closely applied 
to the internal carotid artery in its course beneath the auditory 
capsule. This bundle can be followed for a considerable distance 
and is gradually lost upon the vessel, forming the carotid plexus.“ 
Hierauf erklärt Paterson eine Figur, in welcher ein von dem 
Ganglion eervicale superius ausgehendes Bündel von Fasern dar- 
gestellt ist. Weiterhin aber spricht sich Paterson über die 
Entwicklung des eranialen Sympathieus aus; er betrachtet nämlich. 
das Ganglion cervicale anterius, den Plexus vertebralis und den 
Plexus carotieus internus als zum „collateralen“ Teil des Sym- 
pathicus gehörig, weil diese Auswüchse aus dem Hauptstrang 
darstellen, und weil keine Rami com. in diesen Teil treten. 

Aus den beiden folgenden Jahren datieren die letzten 
mir bekannten Angaben über die Entstehung des Kopfteils des 
Sympathicus. 

1891 sagt His jr. folgendes: „Der durch abwechselnd 
zahlreiche und faserige Abschnitte segmentierte Grenzstrang läuft 
nach dem Kopfende in einen zellfreien Faden aus, ohne mit dem 
Kopfnerven in Verbindung zu treten. Doch senden bereits der 
Trigeminus, Glossopharyngeus und Vagus Rami com. faseriger 


[8) 


Rene Camus: 


© 


Natur dem Grenzstrang entgegen. die bei Forellen von 12 mm mit 
demselben in Verbindung treten. Erst bei Forellen von 20 mm 
enthalten diese Verbindungsäste ihrer ganzen Ausdehnung nach 
sympathische Ganglienzellen. Dieses Verhalten zeigt, dass auch 
bei den Fischen das Auftreten der Rami com. dem der Ganglien- 
zellen vorausgeht.*‘ — Zwei Figuren sollen den beschriebenen 
Vorgang illustrieren; sie zeigen aber den terminalen Zustand! 
1592 unterscheidet His in den Kopfganglien zweierlei Elemente, 
die sich durch ihre Grösse und Färbung ebenso unterscheiden, 
wie die spinalen und sympathischen Ganglienzellen. Während 
Dohrn die kleineren Zellen als nervenbildende Zellen deutet, 
meint His, man dürfe dieselben nicht ausschliesslich als Jugend- 
formen der grösseren betrachten, denn man findet Mitosen in 
beiden Arten. Eine Verminderung der kleineren Elemente zu- 
gunsten der grösseren sei im Laufe der Entwicklung nicht zu 
bemerken. Dadurch, dass die grossen Zellen bipolar, die kleinen 
unipolar sind, hätte man einen Hinweis auf die Zugehörigkeit 
der letzteren zum sympathischen Nervensystem, welcher dadurch 
verstärkt wird, dass die Rami com. der Kopfganglien aus den 
kleinzelligen Abschnitten zum Grenzstrang hervorgehen. 


2. Eigene Beobachtungen. 

Der Kopfteil ') des Sympathicus entwickelt sich erst sehr spät 
beim Frosch. Eine ca. 11 mm lange Larve von Rana esculenta 
besitzt schon einen mächtigen Grenzstrang, der in die ebenfalls 
stark entwickelten Geflechte der Aorta, der Arteria mesenterica, 
der Arteria renalis übergeht; die Verbindungen mit den Spinal- 
nerven sind schon mit schwacher Vergrösserung zu finden, aber 
von einer Fortsetzung des Grenzstranges nach vorn 
ist noch nichts vorhanden. Dieser läuft proximal 
in ein oder mehrere Bündel feiner Nervenfasern aus, 
die das Vagus-Ganglion jedoch nicht erreichen. 

Eine ca. 13 mm lange Larve zeigt vorgeschrittenere Ver- 
hältnisse. Vom vorderen Ende des gangliösen Grenz- 
stranges geht ein ziemlich dicker faseriger Strang 
aus, welcher an dem Vagus-Ganglion vorbeizieht, 
ohne mit ihm in Verbindungzu treten, dann nach innen 


!, Leider kann ich nur meine Befunde in „einzelnen“ Serien mitteilen ; 
dies wegen der Schwierigkeiten, günstige Frontalschnitte zu erhalten. 


Entwicklung des sympathischen Nervensystems beim Frosch. >85 


umbiegt, durch das Foramen jugulare in die Schädelhöhle eintritt, 
um dann annähernd parallel der Längsachse des Gehirns nach 
vorn zu verlaufen. Bald nach seinem Eintritt in die 
Schädelhöhle verschmälert sich allmählich der Strang, 
um ventral vom Ganglion prooticum commune (Gangl. 
trigem. oder G. Gasseri) dicht auf der knorpeligen Schädelbasis 
zu enden. Kurz vor seinem distalen Ende zeigt der Strang 
einen median gerichteten homogenen kernhaltigen Fortsatz, welcher 
der letzte Rest einer mesenchymatischen Zelle ist, deren Kern zu 
einem Schwannschen Kern wird. Über das histiologische Ver- 
halten des distalen Endes könnte ich nur Unsicheres mitteilen; 
daher will ich mich jeder Äusserung enthalten. — Bei einer 
anderen gleich grossen Larve hat der sympathische craniale 
Strang an Ausdehnung gewonnen. Nachdem er den 
Nervus abducens gekreuzt hat, zieht er ungefähr in derselben 
Richtung wie dieser und läuft dann tangential an dem Trigeminus- 
Ganglion vorbei. In seinem vorderen Teil sind deutlich weniger 
Fasern als in dem vom gangliösen Rumpfteil abgehenden Ab- 
schnitt vorhanden. Auch sind die Sehwannschen Kerne des 
ersteren noch nicht charakteristisch ausgebildet, sie sind breiter 
und weniger langgestreckt als die des hintersten Abschnittes. 
Die Fasern des uns hier interessierenden distalen Teiles 
mischen sich am antero-medianen Rand mit denen 
des Abducens, dann weiter mit denen des Ramus 
ophthalmieus des Trigeminus. Mehr kann ich über 
den weiteren Verlauf der sympathischen Nervenfasern nicht 
berichten. 

Es sei an dieser Stelle erwähnt, dass schon nach Wattwille 
und Strong sympathische Fasern aus dem I. sympathischen 
Ganglion innerhalb des Ganglion prooticum commune in die 
Trigeminus-Äste übergeführt werden. 

Bei einer ca. 15 mm langen Larve finde ich, dass von 
dem in der Richtung nach dem Ramus ophthalmicus ziehenden 
intracraniellen sympathischen Strang ein kleines Bündel von Fasern 
nach der hinteren Peripherie des Trigeminus-Ganglions abbiegt, um 
dann wahrscheinlich mit den Trigeminusfasern sich zum Ramus 
maxillomandibularis zu vereinigen. Mittlerweile erscheinen die 
sympathischen Fasern, welche in den Ramus ophthalmicus ein- 


treten, teilweise von G@anglienzellen des Trigeminus- 
Archiv f.mikr. Anat. Bd.81. Abt.1I. 3 


34 Ren& Camus: 


Ganglions scheidenartig umhüllt, so dass in noch 
älteren Stadien ein Aufgehen des Sympathicus in 
dem Ganglion prooticum commune vorgetäuscht wird. 

Der vom I. sympathischen Ganglion nach dem 
Vagus austretende Strang kommt noch später zur 
Ausbildung als der nach dem Trigeminus ziehende. 
Ich habe seine Entwicklung nicht verfolgt. Bei einer 15 mm 
langen Larve war er noch nicht vorhanden, bei einem 20 mm 
langen Tier war er jedoch schon von ansehnlicher Stärke. Seine 
Fasern drangen nicht in das Vagus-Ganglion hinein, sondern sie 
zogen an dessen ventraler Fläche entlang. 

Die beschriebenen Stadien zeigen zur (renüge, dass die 
Bildung des Kopfteils des Sympathicus von dem 
gangliösen Grenzstrang ausgeht. Periphere, rein faserige 
Äste des I. Grenzstrangganglions sind es also, welche in eranialer 
Richtung zuerst frei, dann zusammen mit gewissen Kopfnerven 
verlaufen. 

Daher ist es nicht berechtigt, die von dem I. Grenzstrang- 
ganglion des Rumpfes abgehenden und nach dem Ganglion prooticum 
commune resp. dem Ganglion jugulare ziehenden sympathischen 
Nerven als den vordersten Teil des Grenzstranges zu betrachten. 
Die betreffenden Nerven stellen vielmehr sekundär gebildete, 
ganglienfreie Äste des Grenzstranges dar. 

Die Betrachtung des fertigen Zustandes, in welchem die 
sympathischen Äste in die Ganglien von Kopfnerven eindringen, 
macht es verständlich, wie sämtliche Autoren, die den Frosch 
untersucht haben, den sogenannten Kopfteil des Sympathieus in 
dem Gangl. proot. com. resp. im Gangl. jug. enden liessen. 

Als dann die aus den genannten Ganglien austretenden 
Nerven untersucht und in ihnen sympathische Fasern gefunden 
wurden, konnte über ihre Herkunft nichts Bestimmtes ausgesagt 
werden; und so war denn die Hypothese, dass in den gangliösen 
Anschwellungen gewisser Kopfnerven auch sympathische Ganglien 
enthalten seien, zur Erklärung des Vorkommens sympathischer 
Fasern in den betreffenden Kopfnerven willkommen. 

Die erste Vermutung über die Entwicklung der peripheren 
Ganglien ist nach Onodi in einer 1876 von Schenk gelieferten 
Arbeit zu finden. Er nimmt an, dass im Ganglion (Grasseri auch 
die Elemente der den Trigeminuszweigen entsprechenden peri- 


Entwicklung des sympathischen Nervensystems beim Frosch. 35 


pheren Ganglien enthalten sind. Seine Annahme stützt sich jedoch, 
wie schon Onodi erwähnt, auf gar keine objektiven Befunde. 

1879 spricht Kölliker von sympathischen Ganglien im 
Trigeminus-Gebiet, die er als zellhaltige Sprösslinge aus dem 
Gasserschen Ganglion „deutet“. 

Fusari (1592) scheint es wahrscheinlich, dass das Ganglion 
ophthalmieum seinen Ursprung dem Ganglion des fünften Segments 
verdankt, dies wegen seiner embryonalen Struktur und seiner 
nahen Beziehungen zu dem genannten Ganglion; es wäre dem- 
nach, ebenso wie das Gangl. sphenopalatin., ein spinales Ganglion. 
Höchstens, meint der Autor, könnte man beide Ganglien für 
gemischter Natur halten, dann könnte man immer noch annehmen, 
dass sich ihnen eine sympathische Anlage während ihrer weiteren 
Entwicklung zugefügt hätte. 

1901 versucht Hoffmann die Frage zu beantworten, welche 
Bedeutung den Ganglien des Kopfes bei den höheren Vertebraten 
zukommt, welche man gewohnt ist, als sympathische Ganglien zu 
bezeichnen. Er glaubt die Ursachen, dass wir an den meisten 
Urwirbeln des Kopfes entweder keine oder nur schwache motorische 
Nervenwurzeln finden, nicht darin suchen zu müssen, dass diese 
Wurzeln fehlen, sondern darin, dass sie mit dem Abortieren oder 
der schwachen Entwicklung ihrer Myotome eine andere Richtung 
eingeschlagen haben. Sie treten nicht erst aus dem Zentralorgan, 
um sich dann, wie die Spinalnerven, mit den dorsalen Nerven- 
wurzeln zu vereinigen; denn das ist für sie unmöglich durch die 
veränderte Lage der dorsalen Gehirnwurzeln und ihrer Ganglien 
in Beziehung zu den Somiten. Die ventralen Wurzeln vereinigen 
sich vielmehr schon in dem Zentralorgan selbst mit ihren korre- 
spondierenden dorsalen Wurzeln, und es tritt der dorsale Gehirn- 
nerv direkt als gemischter Nerv aus dem Zentralorgan, während 
bei den Spinalnerven der gemischte Nervenstamm durch die Ver- 
einigung des sensiblen und motorischen Nerven ausserhalb des 
Zentralorgans gebildet wird, und erst darnach das sympathische 
Ganglion entsteht. — „Diese Auffassung macht“, sagt Hoff- 
mann weiter, „das Fehlen besonderer sympathischer Ganglien 
im Kopf der Selachier verständlich. Die dorsalen Gehirnnerven, 
aus motorischen und sensiblen Nerven zusammengesetzt, besitzen 
bei ihrem Ursprung aus dem Zentralorgan schon das Vermögen, 
sympathische Nervenfasern bilden zu können. Die grossen peri- 


3* 


36 Rene Camus: 


pheren Ganglien dieser dorsalen Gehirnnerven sind nicht allein 
cerebrospinal, sie sind sympathisch zu gleicher Zeit; die Äste, 
welche sie abgeben, besitzen nicht allein sensible und motorische, 
sondern auch sympathische Elemente. Die Tatsache, dass besagte 
Nerven die Glandula thymus etc. innervieren, zeigt in genügender 
Weise, dass, wenn auch bei den Selachiern eigene sympathische 
Ganglien im Kopf fehlen, sympathische Nervenfasern dagegen 
ganz bestimmt vorhanden sind. Erst bei den höheren Wirbel- 
tieren sehen wir, dass allmählich besondere sogenannte sympa- 
thische Ganglien sich auszubilden anfangen. Die einzige Art, 
auf welche dies stattgefunden haben kann, ist durch Abschnürung 
oder Abgliederung von den grossen peripheren Ganglien der 
dorsalen Gehirnnerven, eine andere Entstehung kann ich mir 
nicht vorstellen. Daraus, dass bei allen Wirbeltieren die segmen- 
talen Gehirnnerven auch gemischte Nerven sind, folgt, dass die 
sogenannten sympathischen Ganglien des Kopfes Ganglien sein 
müssen, die sowohl aus cerebrospinalen, als aus sympathischen 
Elementen aufgebaut sind, und dass das Ganglion ciliare als das 
einzige, wahre sympathische Ganglion des Kopfes zu betrachten ist.“ 


Wie aus dem Angeführten ersichtlich ist, beruhen die bis- 
herigen Angaben, wonach in den Ganglien gewisser Kopfnerven 
auch sympathische Ganglien enthalten sind, mehr auf Annahmen, 
Deutungen und theoretischen Spekulationen als auf Beobachtungen. 

Aus meinen Untersuchungen geht aber hervor, dass es 
keine den Kopfnerven entsprechende sympathische 
Grenzstrangganglien gibt. 

Die Entwicklungsgeschichte des Sympathicus zeigt ausser- 
dem, dass die in den Bahnen des Vagus, des Ramus ophthalmieus 
und des Ramus maxillo-mandibularis verlaufenden sympathischen 
Fasern wenigstens zum Teil aus dem Grenzstrang und zwar wohl 
hauptsächlich aus dem I. sympathischen Ganglion entspringen. 

Nun wäre zu untersuchen, ob ein Teil der in den genannten 
Nerven verlaufenden sympathischen Nervenfasern ihre zugehörigen 
Ganglienzellen ausserhalb des Grenzstranges besitzen oder nicht, 
oder. was auf dasselbe hinausläuft, ob es im Kopf vielleicht peri- 
phere sympathische Ganglien gibt. 


- . . 05) 
Entwicklung des sympathischen Nervensystems beim Frosch. 6) 


Für das Ganglion prooticum com., in dem man sympathische 
Ganglien vermuten könnte, will Retzius ihr Nichtvorhandensein 
festgestellt haben. Dieser Autor hält die sympathische Natur des 
Ganglion ceiliare für wahrscheinlich, während Schwalbe und 
Antonelli das Ganglion ciliare für ein dem Oculomotorius 
angehöriges Ganglion halten. 

Die Entscheidung, ob das Ganglion ciliare als ein cerebrales 
oder als ein sympathisches Ganglion zu betrachten ist, wird 
meines Erachtens nur seine Entwicklungsgeschichte liefern. — 
Ich habe die Entstehung des Ganglion ciliare nicht verfolgt, aber 
ich habe keinen Grund, in demselben ein sympathisches Ganglion 
anzunehmen, da ich mir „sämtliche“ sympathische Fasern der 
Trigeminuszweige, sowie die scheinbar aus dem Ganglion ciliare 
austretenden, im Hinblick auf die Dicke des rein faserigen intra- 
craniellen sympathischen Stranges sehr wohl als dessen Ver- 
zweigungen denken kann. — Dafür, dass diese Annahme vielleicht 
Aussicht auf Bestätigung hat. glaube ich folgendes erwähnen zu 
können. Nach Gaupp scheint nämlich an der Stelle, wo das 
Ganglion ciliare dem ventralen Umfang des Ophthalmicus anliegt, 
ein Austausch von Fasern zwischen beiden stattzufinden. Von 
hinten her, sagt er weiter, tritt ein kräftiger Ast des Ophthal- 
micus oder ein kräftiger und einige schwächere an die laterale 
Seite des (ranglions und geht zum Teil in ihm auf. 

Mir scheint das teilweise Aufgehen der Ophthalmieus-Aste 
in dem Ganglion ciliare ein scheinbares zu sein, da von seiten 
des Ganglions eine sekundär erfolgte scheidenartige Umhüllung 
der Ophthalmicus-Fasern, unter denen sich wohl auch sympathische 
Grenzstrangfasern finden, analog den bei dem Trigeminus ge- 
schilderten Verhältnissen nicht ausgeschlossen ist. 


y . r 
38 Rene Camus: 


II. Die Entwicklung des Darmnervensystems. 


l. Historisches. 


Unsere Kenntnis von dem Vorhandensein eines Darmnervensystems 
stammt, wie schon im I. Teil erwähnt, von Remak (1843). In einer aus- 
führlichen Arbeit beschrieb er 1847 bei den Reptilien einen symmetrisch 
paarigen, bei den Vögeln einen unpaaren Darmnerven, der bei den Säuge- 
tieren in dem Nervus haemorrhoidalis sein Homologon fand. Dieses System 
war nur bei den Amnioten nachgewiesen; von den Fischen sagt der Autor, 
er habe keinen dem Darmnerven vergleichbaren Nerven gefunden; ein gleiches 
negatives Resultat habe der Frosch ergeben und zwar auf allen Ent- 
wicklungsstufen. 

Bei den Vögeln sollte sich nach der Schliessung des Darmrohrs in 
dessen ganzer Länge bis zum Magen hin von den Darmnervenplatten aut 
Kosten der Dicke der letzteren ein unpaarer, faseriger, später gangliöser 
Nervenstrang abschnüren, der, sich allmählich von dem Darmrohr entfernend, 
mit demselben durch Nervenzweige in Verbindung bleiben sollte. — Remaks 
am Huhn angestellten Untersuchungen begannen an einem Embryo vom 
6. Bruttage, wo der Darmnerv schon einen dem hinteren Darmrohr dicht an- 
liegenden Strang darstellt, welcher in der Dickdarmgegend zylindrisch ist 
und gegen die Einmündungsstelle der Leber- und Pankreasgänge hin ziemlich 
rasch sich zuspitzt. Der Diekdarmteil ist schon halb so breit wie der Dick- 
darm selbst, wogegen der Dünndarmteil verhältnismässig nur sehr klein ist. 

Onodi findet beim Huhn im distalen Teil des Mesenteriums einen 
runden Zellstrang, der vom Darmende bis zum distalen Rand der Leber 
reicht, aber proximal immer schwächer erscheint. Am 7. Tage findet er den 
Darmnerven paarig (also nicht wie Rema’k als eine unpaare Achsenbildung). 
Eine nnmittelbare Verbindung der Darm- und Grenzstrangganglien hat er 
nicht beobachtet (nach His). 

Nach Fusari (1892) differenziert sich der Darmnerv des Hühnchens 
aus dem umgebenden Gewebe schon vor Ende des 4. Bebrütungstages. Am 
Ende des 5. Bebrütungstages erstreckt er sich von der Cloake bis zum 
Ductus vitello-intestinalis. Während er vor dem zuletzt genannten Punkt 
umbiegt, sich teilt und sich dem Auge entzieht, verdickt er sich caudalwärts 
immer mehr und erscheint in der Höhe der Stelle, wo die Aorta sich spaltet, 
durch eine mediane Scheidewand in zwei Bündel aufgelöst. Eine Verbindung 
des Darmnerven erfolgt mit dem Plexus, den der Grenzstrang des Sympathicus 
über der Aorta caudalis bildet. 


1897 findet His inmitten des Gekröses eine Gruppe von Zellen, die 
die Charaktere der sympathischen Zellen aufweisen, an welcher Stelle am 
folgenden Tag der Darmnerv unzweifelhaft nachgewiesen werden kann. Er 
kann keine Zellschwärme erkennen, die den Darmnerven mit dem Grenz- 
strang verbinden, ebenso wie er am obersten Kopfteil dieselben nicht mit 
Sicherheit nachweisen kann. His glaubt eine Wanderung von Zellen an- 
nehmen zu dürfen, da eine solche am 4. und 5. Tage an diesen Stellen 
unzweifelhaft beobachtet wird. Der Darmnerv soll neue spinale Elemente 


Entwicklung des sympathischen Nervensystems beim Frosch. 39 


nur in seinem distalen Teil empfangen, der proximale Teil soll durch Nach- 
rücken der im Dickdarmteil liegenden Elemente wachsen. Der Darmnerv 
soll an der Versorgung der Darmwand mit Nervenzellen keinen Anteil haben ; 
vielmehr sollen aus dem Aortengeflecht Elemente in die Mangenwand ein- 
dringen. 

Nach Held (1909) „entstehen bei Emys europaea aus den primären 
sympathischen Ganglien, die den Rand der Aorta begleiten, unter ihrer Auf- 
lösung und Zerklüftung, wodurch sie scheinbar verschwinden, die Einzel- 
bildungen des Darmnerven, die späterhin vor der Aorta und im Ansatz des 
Mesenteriums als splanchnische Geflechte des Sympathicus gelegen sind“. 

1910 verlegt Kuntz das erste Auftreten des Darmnerven beim Huhn 
auf die Mitte des 4. Tages; er beschreibt die Anlage als eine ovale Zell- 
kolumne im Mesenterium gerade dorsal vom Darm gelegen. Auf dem Wege 
von dieser Zellmasse nach dem nächsten Spinalnerven sind Elemente in einer 
Figur angedeutet, die „entscheidend beweisen“ sollen, dass das Remaksche 
Darmganglion ein Derivat des „hypogastric plexus“ ist. 

Endlich sollen nach Abel (1910) von den Spinalganglien sich bei 
(rallus Zellen ablösen, die den sympathischen Strang bilden. Von ihm ver- 
laufen nun Zellketten um die Aorta herum und wandern durch das Mesen- 
terium in die Darmwandung. (Neapeler Jahresbericht.) 

Was die Kritik dieser Angaben anbelangt, so verweise ich, um 
Wiederholungen zu vermeiden, auf die Kritik des I. Teiles, in welcher sie 
schon enthalten ist. 

2. Eigene Beobachtungen. 

Bei einer etwa 6 mm langen Larve von Rana esculenta, 
bei welcher die Hintergliedmassen als nahezu halbkugelige Höcker 
hervortreten. ist bereits eine deutliche Differenzierung der den 
Anfang des künftigen Darmnervensystems darstellenden Zellen 
wahrnehmbar. — Im Mesenteriumepithel des Enddarms 
sind in der Höhe kurz vor der Einmündungsstelle der Urnieren- 
gänge in den Darm bis hinter die Musculi compressores cloacae 
einzelne Zellen (G in Fig. 28) durch ihr umfängliches 
Plasma und ihren grossen kugeligen Kern von den 
gewöhnlichen flachen Epithelzellen (RE) leicht zu 
unterscheiden. 

Indem jene Zellen, welche sich in der Folge als 
Ganglienzellen ergeben, sich vermehren, dringen sie 
sehr bald in die Tiefe, ins Mesenchym ein, so dass sie nun 
eine subepitheliale Lage einnehmen (Fig. 29). 

In einer 7—S mm langen Larve sind schon die Anlagen 
kleiner Ganglien vorhanden (Fig. 30). Diese treten in 
wechselnder Zahl und Grösse auf und sind zunächst von- 
einander wie auch von den spinalen Nerven isoliert. 


40 Rene Camus: 


Bei einer ca. 14 mm langen Larve findet man beiderseits 
einen ansehnlichen gangliösen Plexus, in welchem die 
bei weitem grösste Menge von Ganglienzellen in der Längsachse 
des Darms und unmittelbar unter dem dorsalen Mesenterium- 
epithel sich vorfindet (Fig. 32). An der dorsalen Befestigung des 
Mesenteriums am Rumpf hat sich dieser Plexus ein wenig nach 
innen (Fig. 32) und aussen (Fig. 53) von der Berührungslinie des 
visceralen mit dem parietalen Mittelblatt ausgebreitet, so dass 
der linke und der rechte Plexus einerseits durch gangliöse, quer 
über dem Darm verlaufende Anastomosen untereinander, anderer- 
seits mit dem linken resp. dem rechten X. Spinalnerven (oder 
einer Anastomose desselben mit dem IX.) zusammenhängen. In 
Textfig. 2 sieht man vier scharf konturierte Ganglien einer 17 mm 
langen Larve, die schon durch faserige Stränge miteinander und 
mit dem Spinalnerven verbunden sind, und in Fig. 531 sind zwei 
dieser Ganglien vergrössert. 

Den Vorgang, durch welchen die Verbindung des Darmnerven 
mit dem Spinalnerven hergestellt wird, habe ich nicht verfolgt. 
Es wäre dies noch schwieriger gewesen wie die Untersuchung 
der Bildung der Rami com. des Grenzstranges, da anfangs der 
X. Spinalnerv sehr nahe an den am meisten dorsal im Mesen- 
terium gelegenen Nervenzellen vorbeizieht, und daher die Wahr- 


Fig. 2 
Sagittalschnitt Rana esculenta 17 mm. u. = Urniere: c. — Coelom; b. — 
Bindegewebe des Stammes; m. — Mesenterium; G. — Ganglien des Darm- 
nerven; Sp. N. — Spinalnerv: m.c.c. — Musculus compressor cloacae. 


scheinlichkeit, das richtige Stadium in der günstigen Richtung 
zu schneiden, ausserordentlich gering ist. Dennoch glaube ich, 
wie im I. Teil ausgeführt worden ist, einen Hinweis auf die 


Entwicklung des sympathischen Nervensystems beim Frosch. 41 


vom Darmnerv aus erfolgte Verbindung mit dem 
Spinalnerven gefunden zu haben. 

Dadurch, dass ungefähr zur Zeit der Bildung der Harnblasen- 
anlage nach innen von dem nun verstärkten, mehr in die Tiefe 
verlegten Darmnervengeflecht eine Ringmuskelschieht, dann nach 
aussen von demselben eine Längsmuskelschicht sich ausbildet, 
kommt nun das Darmnervengeflecht zwischen beide 
Muskellager zu liegen. Da aber auch Längsmuskelfasern 
sich in den Maschen des Geflechts aus dem Mesenchym difteren- 
zieren, so erscheinen stellenweise Teile des Geflechts mit Längs- 
muskelfasern verflochten, was dem gangliösen Darmnerven an den 
verschiedenen Stellen ein recht verschiedenes Aussehen verleiht. 
Immerhin lässt sich aber jederseits ein starker, wenn auch ungleich 
dicker und teilweise in einige Stränge aufgelöster Gangliennerv 
unterscheiden (Fig. 34 und Textfig. 3). — Was seine Ausdehnung 


Eis: 
Sagittaler Längsschnitt durch eine einjährige Rana esculenta. W. — Woltt- 
scher Gang; E.D. = Lumen des Enddarms; H.B. = L. der Harnblase; 
L.M. — Längsmuskulatur; R.M. — Ringmuskulatur des Enddarms; 0.c. — 08 
coccygis; n.i. — Nervus intestinalis; n.v. — Nervus vesicalis; A. — After. 


anbelangt, so besitzt er die grösste Mächtigkeit in der Wandung 
der Cloake. Sein vorderes, sehr dünnes Ende konnte ich bis 
weit vor die Einmündung der Harn- und weiblichen Geschlechts- 
wege verfolgen. Bevor diese die Längsmuskulatur des Darms 
durchbrechen und mit ihm in einer gemeinsamen Scheide ver- 
laufen, ist der Darmnerv als gangliöser Strang wohl erkennbar. 
Sein hinterer Teil geht, wie schon erwähnt, eine oder einige 
stärkere Anastomosen mit dem Darmnerven der anderen Seite 
ein und verliert sich im hinteren Cloakenabschnitt. Die vom 


42 Rene Camus: 


Darmnerven ausgehenden plexusbildenden Äste umspinnen die 
ganze Uloakenwand. Der paarige Darmnerv des Frosches 
stellt demnach einen auf den hintersten Darm- 
abschnitt beschränkten, dorsal und zu beiden Seiten 
in der Längsachse des Körpers bedeutend.ver- 
stärkten Plexus myentericeus‘.dar: 

Wie die Untersuchung in allen Entwicklungsstadien bis zum 
zwei- bis dreijährigen Frosch zeigte, besteht keine direkte Ver- 
bindung des Darmnerven mit dem sympathischen 
Grenzstrang. In dem im I. Teil erwähnten Fall, wo der 
Grenzstrang sich bis zum X. Spinalnerven ausdehnte, ging der 
Ram. com. des Darmnerven eine ganze Strecke weiter ventral 
von dem Spinalnerven ab als der nach dem Grenzstrang ziehende 
Strang. 

Hand in Hand mit der Bildung der Harnblase erfährt das 
Mesenterium eine Faltung; dadurch kommen nun die in dem 
betreffenden Mesenteriumteil betindlichen Nervenelemente in andere 
Beziehungen zueinander. Mit der Entwicklung der Harnblase 
steht in Zusammenhang eine intensive Vermehrung der in Be- 
ziehung zu dem genannten Organ stehenden Nervenelemente ; und 
wie dorso - lateral vom Enddarm, so bildet sich auch am dorso- 
lateralen Rand der Harnblase im Mesenterium ein starker Strang 
aus, der bekannte Nervus vesicalis (Textfig. 3, 4 und Fig. 35, 36). 

Dadurch, dass in der ventralen Ausstülpung des Enddarms, 
als welche die Harnblase aufzufassen ist, die Ausbildung einer 


age 


IM, IM IH, 
nes!) IN /4 li ZU 
; ee 


yet ee —— 
ves. 
Fig. 4. 
Sagittalschnitte kombiniert. u. — Urniere; J. — Enddarm; Sp. — Spinal- 
nerv; R.M.C. — Ramus zum Musculus compressor cloacae; R.C. — Ramus 


communicans; n.ves. — Nervus vesicalis; ves. — Harnblase; A. = After 


Entwicklung des sympathischen Nervensystems beim Frosch. 45 


Längsmuskellage unterbleibt, werden die Beziehungeu des Nervus 
vesicalis zur Harnblase äusserlich keine so intimen wie diejenigen 
des Nervus intestinalis zum Enddarm. Während also beim aus- 
gebildeten Tier der Darmnerv in seinen topographischen Verhält- 
nissen sich als ein Nervus myentericus erweist. haben wir in dem 
Blasennerven einen Nervus mesentericus zu erblicken. 

Von den vorliegenden Angaben über den groben Verlauf 
der Nerven der Harnblase habe ich die von Marcusen so weit 
bestätigt: 

„Der Blasennerv geht an die Seitenfläche der Blase („geht 
an die“ wäre durch „verläuft an der“ zu ersetzen), an den einen 
Lappen derselben, bildet auf ihm einen Plexus, aus dem vorn, 
hinten und unten feinere Äste ausgehen, die sich auf der übrigen 
Oberfläche der einen Seite der Blase ausbreiten. In diesem in 
der Seite der Blase liegenden Plexus findet man Ganglienkugeln. 
Ein Ästcehen des Blasennerven geht nach hinten zum Blasenhalse ; 
in ihm, sowie auch an der Stelle, wo die Blase mit dem Rectum 
verwachsen ist, finden sich Ganglien. Überhaupt ist das Verhalten 
des Blasennerven eigentümlich, insofern er in einer weiten Strecke 
mit Ganglienmassen besetzt ist.“ 

Dieser Beschreibung möchte ich hinzufügen, dass der rein 
vesicale Teil des Blasennerven dorso-lateral von der Blase ver- 
läuft (Fig. 35), während der hintere Abschnitt, in dem Maße wie 
die Längsmuskulatur der Cloake’ den Halsteil der Blase umfasst, 
durch diese mehr und mehr ventral verschoben erscheint (Fig. 36). 
Sein hinterster der Cloake angehörender Teil geht in den Plexus 
myentericus derselben über. — Der von Marcusen erwähnte, 
nach hinten zum Blasenhalse ziehende Ast des Blasennerven stellt, 
wie sich durch seine Entwicklungsgeschichte ergibt, keinen Zweig, 
sondern vielmehr den hinteren Teil des Hauptstammes selbst dar. 

Nach den bisher gemachten Studien über den Nervus vesicalis 
des Frosches, die sämtlich rein anatomischer und physiologischer 
Natur sind, stellt dieser Nerv einen freien oder eine kurze Strecke 
mit dem gemeinsam entspringenden Ramus des Musculus compressor 
cloacae verwachsenen Ast des Nervus ischiadicus (oder eines der 
ihn bildenden Nerven oder einer Anastomose zwischen ihnen) dar. 

Da aber, wie bereits ausgeführt, der Nervus vesicalis eine 
selbständige Bildung im Mesenterium ist, so ist, analog dem Ver- 
hältnis des spinalen Nervensystems einerseits zum Grenzstrang, 


44 Ren& Camus: 


andererseits zum Darmnerven, der den Nervus vesicalis 
mit dem Spinalnerven verbindende Strang als eine 
secundäre Bildung anzusehen. Diese Betrachtungsweise wird 
auch durch das rein anatomische Studium des Blasennerven als 
die richtige erkannt. Ungefähr da, wo der antero-mediane Rand 
des Musculus compressor cloacae und der Stamm des Nervus 
vesicalis sich kreuzen, geht von diesem ein Nerv ab (Fig. 35, r. c.) 
in einer zu ihm nahezu senkrechten Ebene; und während der in 
der Längsachse verlaufende Stamm (Fig. 35, 36, n. ves.) in seiner 
ganzen Länge Ganglienzellen enthält, ist der von ihm abgehende 
die Verbindung mit dem Spinalnerven herstellende Nerv rein 
faserig. — Demnach stellt der Blasennerv früherer Autoren den 
wirklichen Nervus vesicalis nebst dem ihn mit dem Spinalnerven 
verbindenden Ram. com. dar. — Textfig. 4, welche die Verhält- 
nisse in einer Längsschnittserie etwas grob wiedergibt, zeigt die 
Verbindung des Nervus vesicalis mit dem Ramus des Musculus 
compressor cloacae durch den Ram. com., dessen Fasern proximal 
und auch distal sich denen des Ram. des Musc. compr. cl. beimischen. 


Was die Angabe von His betrifft. wonach der Plexus 
myentericus und der Plexus submucosus aus gemeinsamen Anlagen 
hervorgehen, die erst secundär, durch die Bildung der Ring- 
muskulatur getrennt werden, so kann ich sie weder bestätigen 
noch kann ich ihr widersprechen. Aber ich neige eher zur ent- 
gegengesetzten Annahme, der Plexus submucosus stelle eine spätere, 
ebenfalls anfangs selbständige Bildung dar. 


Die Resultate, zu denen meine Untersuchungen in bezug 
auf das Darmnervensystem des Frosches geführt haben, sind 
kurz folgende: 

Im Epithel des Mesenteriums des Enddarms ent- 
wickeln sich die ersten Anlagen sowohl des Darmnerven 
wie des Blasennerven. Gleich nach ihrem Auftreten nehmen 
sie eine subepitheliale Lage ein. Dadurch, dass sich die 
einzelnen Anlagen vermehren, entstehen die Anlagen kleiner 
(tanglien, welche zuerst voneinanderisoliert sind. Erst 
später bilden sich zwischen ihnen einerseits und zwischen den 


Entwicklung des sympathischen Nervensystews beim Frosch. 45 


Spinalnerven andererseits faserige Verbindungen, so dass das 
Darmnervensystem nun ein mit dem Spinalnervensystem durch 
faserige Stränge verbundenes gangliöses Nervengeflecht darstellt. 
Indem weiterhin besonders die dorso-lateral vom Darm gelegenen 
Nervenelemente sich intensiv vermehren, kommt es jederseits zur 
Bildung eines mächtigen gangliösen Nervusintestinalis, und 
mit der Entwicklung der Harnblase hält gleichen Schritt die Aus- 
bildung des etwas weniger kräftigen gangliösen Nervus vesi- 
calis. Durch die Ausbildung der beiden Muskelschichten des 
Darms kommt der Darmnerv zwischen diese zu liegen, stellt 
also einen Nervus myentericus dar. Der Blase dagegen fehlt die 
äussere Längsmuskelschicht, daher erscheint der Blasennerv auch 
später als ein Mesenterialnerv. 


Vergleicht man den fertigen Darmnerven des Frosches mit 
dem fertigen Remakschen Darmnerven des Vogels, so fallen 
neben ihrer verschiedenen Ausdehnung folgende Unterschiede auf: 

Letzterer verläuft frei im Mesenterium und ziemlich weit 
vom Darm entfernt; ausserdem zeigt er sich als ein nahezu ein- 
heitlicher Nerv, von welchem schwächere Zweige ausgehen. Ersterer 
dagegen ist innerhalb des Darms gelegen und zeichnet sich durch 
eine starke plexusartige Ausbildung aus. 

Dass aber die angeführten Unterschiede zwischen beiden 
Darmnerven keine wesentlichen, vielmehr secundäre sind, zeigt 
eben die Entwicklung des Darm- und des Blasennerven beim Frosch. 
Letztere sind nämlich, wie wir gesehen haben, anfangs unbedeutende 
Teile eines und desselben Nervensystems, welche durch secundäre 
Verhältnisse verstärkt und verschieden ausgebildet werden. 

Als Konsequenz dieser Ausführung würde sich für den 
Remakschen Nerven die gleiche Entstehungsweise ergeben. Ob 
aber der Remaksche Nerv dem Darmnerven des Frosches homolog 
ist, müssten spätere Untersuchungen zeigen. 


3. Anatomische Befunde anderer Autoren und Kritik derselben. 


Dass ein so stark entwickelter Nerv, wie es der Darmnerv 
ist, nicht vollständig übersehen werden konnte, liegt auf der Hand. 
Aber, wie aus nachstehender Literatur zu ersehen ist, ist er nur 
fragmentarisch und nicht in seiner ganzen Ausdehnung bekannt. 


46 Ren Camus: 


Daher erklären sich die verschiedenen Angaben über die Bedeutung 
der beobachteten gangliösen Teile. 

In seiner vergleichend - anatomischen Studie über Nerven- 
centren an ‘den Gebärorganen der Amphibien und Sauropsiden 
sagt Weidenbaum 1894: „In der dorsalen Cloakenwand des 
Frosches findet sich jederseits ein grösserer Ganglienhaufen, der 
in der Nähe der Uterinpapillen etwa seine grösste Ausdehnung 
erreicht; weiter nach hinten nehmen die Ganglien wieder an 
Grösse ab und verschwinden allmählich, während kleinere Gruppen 
von Ganglienzellen und einzelne Zellen sich bis weit nach vorn und 
hinten über die Uterinpapille hinaus in der Cloakenwand befinden.“ 

Hiermit hatte Weidenbaum oftenbar den stärksten Abschnitt 
des Darmnerven vor sich. Dass er ihn jedoch nicht als solchen 
erkannte, geht aus folgendem hervor: Weidenbaum verfolgte die 
Uteri eranialwärts bis sie die Cloakenwand verlassen und noch 
weiter nach vorn und fand keine Spur mehr von Ganglien im 
Bereich des Genitalschlauches, was den Tatsachen entspricht. Doch 
fand er Ganglien „nur“ im Gebiet der Uterinmündung, und deshalb 
schrieb er ihnen die Rolle von Centren für die Auslösung der 
Uterusmuskulatur zu. Beim Männchen fand er die Homologen 
der Uteringanglien an der Ampulle des Harnsamenleiters, die er 
mit den Prostataganglien des Menschen für identisch erklärte. 

Kurz vor dem Erscheinen der Arbeit Weidenbaums hatte 
Disselhorst (1894) den Harnleiter der Wirbeltiere beschrieben 
und sich folgendermassen ausgesprochen: „Die Armut an nervösen 
Elementen am Urogenitalapparat des Frosches gegenüber dem 
Reichtum an Nerven und Ganglien bei Bufo ist ganz auffallend, 
auch bei weiblichen Exemplaren. Ebenso besitzt der männliche 
Salamander an seinen Harn- und Geschlechtsorganen nur spärliche 
nervöse Apparate. Weder an den Nierenvenen noch in der Oloake 
habe ich bei Rana und Salamandra Ganglien gefunden; in den 
Cloakenwandungen treten einige Bündel gemischter Fasern auf. 
Sehr viel grösser war der Nervenreichtum bei der weiblichen 
Kröte und dem weiblichen Salamander, und zwar ist die Ver- 
teilung der Nerven und Ganglien auch hier so, dass der weitaus 
grösste Teil auf die Cloake entfällt; das eigentliche Ureterrohr 
und seine Umgebung ist fast frei von Nerven.“ 

Dieser negative Befund bei Disselhorst, wonach die 
Gloake des Frosches Ganglien entbehre, lässt sich nach Weiden- 


Entwicklung des sympathischen Nervensystems beim Frosch. 47 


baum nicht anders erklären, als dass der Autor beim Heraus- 
präparieren der Cloake vielleicht zu wenig von dem umgebenden 
(sewebe mitnahm und ihm die Ganglien so verloren gingen. 

Schliesslich sei noch auf einige Angaben über den Darm- 
nerven in Gaupps „Anatomie des Frosches“ eingegangen. 

Gaupp gibt in der Üloake zwischen beiden Muskellagen 
„sehr zahlreiche Nerven, denen häufig kleine Ganglien eingelagert 
sind“, an. 

Ausserdem verdienen folgende Befunde beachtet zu werden: 

Den Grenzstrang des Sympathicus lässt Waldeyer mit 
zwei Ganglia coceygea endigen, deren jedes sich mit dem X. Spinal- 
nerven verbindet. 

Wiedersheim hat noch eine grössere Anzahl mit dem 
N. spin. X. verbundener Ganglien als hin und wieder vorkommend 
beschrieben und gibt als Extrem zwölf Ganglia coceygea an. 

Mir scheint, dass beide Autoren bei der makroskopischen 
Präparation auf Deutungen gekommen sind, die sie durch auf- 
merksame Durchmusterung einer Schnittserie als falsch erkannt 
hätten. Ich halte diese überzähligen Ganglien für Teile des 
Darmnerven, die besonders an den Verbindungsstellen mit den 
Spinalnerven durch die Längsmuskulatur des Darms nach aussen 
herausgedrängt und wegen ihrer Lage etwa in der Höhe des 
Grenzstranges als dessen Fortsetzung erschienen. — Wieders- 
heim versucht seine Befunde so zu erklären: „Diese grossen 
Variationen hängen wohl mit der Verwischung der Metamerie der 
Wirbelsäule in der Regio coceygea zusammen. Es scheint wohl, 
als würde sich das sympathische System der im Skelett zutage 
tretenden Reduktion noch nicht anbequemen und versuchte, seine 
ursprünglich segmentale Anlage in Form eines Rückschlages bei 
diesem oder jenem Froschindividuum wieder zur Geltung zu 
bringen.“ 

Dazu bemerkt Andersson, das Vorhandensein eines wohl 
entwickelten, seine metamere Natur gut konservierenden caudalen 
Teils des Sympathieus bei Urodelen würde der von Wiedersheim 
aufgestellten Hypothese (dass die bei Rana bisweilen am Os cocevygis 
entlang auftretenden Ganglien als atavistische Bildungen auf- 
zufassen seien) eine gewisse Stütze verleihen. 

Den Ausführungen beider Autoren gegenüber muss hervorge- 
hoben werden, dass die betreffenden Ganglien alle mit dem \. Spinal- 


48 Rene Camus: 


nerven verbunden waren, was doch der metameren Natur nicht 
entspricht, da ja der X. Spinalnerv des metamorphosierten Tieres 
nicht die larvalen Schwanzspinalnerven in sich aufgenommen hat. 


Anhang. 

Da der Grenzstrang des Sympathicus sowie das Darmnerven- 
system aus selbständigen mesodermalen Anlagen hervorgehen, 
welche erst secundär mit dem cerebrospinalen Nervensystem in 
Verbindung treten, so wird man wohl für das übrige sym- 
pathische Nervensystem auf eine gleiche Entstehungsweise 
schliessen dürfen. 

Die bei seinem ersten Auftreten ausgesprochene Metamerie 
des Grenzstranges könnte vielleicht, im Hinblick auf die 
unregelmässig verteilten Anlagen des Darmnervensystems und des 
Plexus aorticus, als eine secundäre Erscheinung betrachtet 
werden, welche durch die Beziehungen des Sympathicus zu dem 
Spinalnervensystem bedingt worden wäre. 


Herrn Prof. Döderlein spreche ich für das wohlwollende 
Entgegenkommen bei der Anfertigung von Mikrophotographieen 
meinen herzlichsten Dank aus. 


Literaturverzeichnis. 


Anatomische Arbeiten. 

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1895. 


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1897. 
1900. 


1906 


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Entwicklung des sympathischen Nervensystems beim Frosch. >1 


Erklärung der Abbildungen auf Tafel I--IV. 


Für sämtliche Figuren gelten folgende Bezeichnungen: 


Sy. = sympathische Ganglienzelle. Sp N. = Spinalnerv. 


Sy. G. = sympathisches Ganglion. sw. — Schwannscher Kern. 
m. —= Myotom. R. = Randkern. 
ao. — Aorta. r.c. = Ramus communicans. 
mes. — undifferenz. Mesenchymzelle. ch. = Chorda dorsalis. 
d. = Dotiter. v. = Vacuole. 
Tafel I. 


Fig. 


Fig. 


. 1-3. Querschnitte einer Larve von Rana esculenta mit einem einfachen 


Gehörbläschen, aber ohne Kiemenfalte. sp. = VII. Spinalnerv. 


g. 4—13. Querschnitte einer Larve, deren Gehörorgan die Anfänge des 


Labyrinths zeigt. 


8.4. Schnitt durch das Il. sympathische Ganglion als Syneytium. p. = 


Pigment. 
>. Schnitt durch das IV. sympathische Ganglion. 


. 6—11. Sechs aufeinander folgende Schnitte, in die das III. sympathische 


Ganglion rechts zerlegt ist. P. ao. = Plexus aorticus; n. = Kern 
einer jugendlichen Zelle der Ganglienanlage. 


. 12 und 15. Zwei aufeinander folgende Schnitte durch das Ill. sympa- 


thische Ganglion links. r.c. — protoplasmatischer Ram. com. 

. 14—20. Querschnitte einer Larve mit Kiemenfalte. 

. 14 und 15. Zwei aufeinander folgende Schnitte. Sy. G. = I. sympa- 
thisches Ganglion links; Sy. — eine distal von ihm gelegene 
sympathische Ganglienzelle; R. — Randzelle. 

Tafel I. 
16—20. Fünf aufeinander folgende Schnitte. in die das I. sympathische 
Ganglion rechts zerlegt ist. Sp. G. — die am meisten ventral vor- 


dringende Nervenzelle des Spinalganglions. 


. 21—23. Drei aufeinander folgende Stadien eines peripheren Nerven. 


(Sagittalschnitte.) f.f. — faserfreier Teil. 


. 24. Querschnitt durch den VII. eben faserig gewordenen Ram. com. 
. 25. Querschnitt durch die Region des II. sympathischen Ganglions. 


ne. — Nephrostom; Sp.G. — II. Spinalganglion; Sy. — einzelne 
sympathische Ganglienzelle. 


. 26. Sagittalschnitt durch die Längskommissur zwischen dem VII. und 


VIII. sympathischen Ganglion. (1. Stadium.) i. — gangliöse An- 
lagen der Kommissur 


Tafel III. 
27. Rana temporaria 6,5 mm. Sagittalschnitt. 1. — Vorläufer eines 
faserigen Längsstranges; Sy. G. — VII. sympathisches Ganglion. 


4* 


Ren‘ Camus: Entwicklung des sympathischen Nervensystems. 


. 28 


31. Sagittalschnitte durch die Anlagen des Darmnervensystems. 
ig. 28. ca. 6 mm lange Rana esc. E. — Epithelzelle des Mesenteriums; 


G. — Anlage einer sympathischen Ganglienzelle: mesent. — Mesen- 
terium. 
29. Etwas älteres Stadium: subepitheliale Ganglienzellen G. 


ie. 30. Anlage eines Ganglions (”—8 mm). 
g. 31. Zwei in Textfig. 2 angedeutete und vergrösserte, wohl umschriebene 


Ganglien des Darmnerven (17 mm). 

. 32 und 33. Zwei Querschnitte einer 20 mm langen Larve. 

. 32. Ausdehnung des Darmnerven nach innen, Fig. 33 nach aussen von 
der dorsalen Berührungslinie der beiden Mittelblätter. st. = Stamm; 
c. — Coelom; b. — Blutgefäss. Bei X mischen sich die Fasern 
des Ram. com. des Darmnerven denen des X. Spinalnerven. 


Tafel IV. 
Coce. —= 08 CoccyEis. n.i. — Nervus ischiadicus. 
J. = Enddarmepithel. n. int. — Nervus intestinalis. 
R. M. = Ringmuskulatur des Darmes. n. ves. = Nervus vesicalis. 
L. M. = Längsmuskulatur desselben. m.c.c. = Musculus compressor 
D. M. = Müllerscher Gang. cloacae. 
D.W. — Wolffscher Gang. ves. = Harnblasenhals. 


Fig. 34. Querschnitt durch eine 2—-3 jährige Rana esculenta. Der Darmnerv 


in der Gegend seiner grössten Mächtigkeit. 
. 35 und 36. Querschnitte eines metamorphosierten Frosches. 


g. 35. Abgangsstelle des Ram. com. des Nervus vesicalis. 


. 36. Hinterer Teil des N. vesic. VIII. + IX. = VIU. und IX. Spinalnerv. 


Aus dem vergleichend-anatomischen Institut der Universität Freiburg i. Br. 


Zur Kenntnis der verzweigten Muskeliasern. 


Von 
cand. med. Geza Glücksthal, Zenta (Ungarn). 


Hierzu Tafel V. . 

Die vorliegenden Untersuchungen wurden auf Anregung des 
Herrn Professors Gaupp ausgeführt, dem ich an dieser Stelle 
meinen aufrichtigsten Dank für die mir durch seinen Rat er- 
wiesene Unterstützung aussprechen möchte. Zugleich danke ich 
auch Herrn Geheimrat Wiedersheim für die Arbeitsgelegen- 
heit in seinem Institut. 

In der Anatomie des Frosches (Abtle. 3, 1904, S. 50) be- 
merkt Gaupp, dass in der dünnen Schleimhautpartie, die den 
Sinus basihyoideus an der Unterfläche der Froschzunge begrenzt, 
die verästelten Muskelfasern sehr schön in situ zu erkennen, 
und z. B. nach Behandlung mit Pikrinsäure schon bei starker 
Lupenvergrösserung sichtbar sind. An einer anderen Stelle (S. 59) 
findet sich bezüglich der Muskelfasern dieser dünnen Schleim- 
hautpartie noch bemerkt, dass sie dünnkalibrig sind, und sich 
zum Teil von den gröberen Stammfasern des Musculus hypo- 
glossus als Astfasern ablösen und untereinander vielfach zu- 
sammenzuhängen scheinen. Doch meint Gaupp, dass es sich 
wohl überall nur um eine vielfache Kreuzung der Fasern 
handelt. 

Die Leichtigkeit. mit der hier die Muskelfasern in ihrer 
normalen Lage erkannt werden können, musste dazu auffordern, 
sie einer eingehenderen Untersuchung zu unterziehen, um die 
Art ihrer Verästelung, die Frage nach etwaigem Zusammenhang 
untereinander, sowie die nach den Beziehungen ihrer Endver- 
ästelungen zu klären. Die Ergebnisse dieser Untersuchungen 
scheinen mir einer kurzen Mitteilung wert, schon aus dem 
Grunde, weil das Objekt, an dem sie gewonnen sind, leicht zu 
haben ist und die Möglichkeit bietet, das Verhalten ver- 
ästelter Muskelfasern in natürlicher Lage ohne viel Vorbereitung 
zu demonstrieren. 


54 Geza Glücksthal: 


Die dünne Membran, in der sich die Muskelfasern finden, 
liegt an der Unterfläche der Froschzunge und begrenzt den hier 
gelegenen und rückwärts auf den Zungenbeinkörper sich fort- 
setzenden Sinus basihyoideus (Gaupp. Anatomie des Frosches, 
Abtle. 2, S. 504, S. 497, Fig. 141). Sie ist gegen die Mund- 
höhle mit einschichtigem Zylinderepithel bedeckt. 

Die verästelten Muskelfasern der Zungenmuskulatur sind 
schon lange bekannt. Herzig und Biesiadeczki haben sie 
auch bei anderen Tieren als dem Frosche nachgewiesen, und zwar 
in der Weise, dass sie die Zunge kochten und nachträglich die 
Muskelfasern zur Isolierung in Glyzerin legten. Rippmann 
untersuchte die verästelten Muskelfasern bei dem Huhn, bei 
Triton eristatus. Testudo europaea und auch beim Menschen, er 
benützte bei der Isolierung, Salzsäure. Margo hat baum- 
förmig ramifizierte Muskelfasern in dem Dünndarme des Fluss- 
krebses festgestellt. Podwyssozki fand im Lippenrand des 
Kaninchens baumförmig verästelte Muskelfasern. Billroth hat 
die oberflächliche Schichte der dorsalen Fläche der Froschzunge 
untersucht und fand die seitlichen Äste besonders zwischen 
den Drüsen. Kölliker sah Verästelungen bei der Raupe von 
Sericaria salieis. Fol konnte bei pelagischen Larven (Pteropoden, 
Gastropoden) an beiden Enden verästelte Fasern feststellen. 

Um die Verästelungen zu studieren, benützte ich zur 
Färbung zunächst Violett B., das noch Sigmund Mayer 
empfohlen hat für lebende und überlebende Präparate. Der 
Farbstoff wird in folgender Weise angewendet: Man breitet das 
Objekt auf den Objektträger mit feinen Nadeln aus und benetzt 
es mit einem Tropfen der Farbstofflösung (1 Gramm Violett B. 
auf 300 cem 31/» proz. Kochsalzlösung). Die Färbung darf nur 
sehr kurze Zeit dauern; 10—30 Sekunden genügen schon. 
Längere Färbung ist nicht empfehlenswert, weil die Aufhellung 
überfärbter Präparate nur mit Läsion des ausserordentlich sub- 
tilen Präparates geschehen kann. Nach der Färbung wird das 
Präparat mit '/2 proz. Kochsalzlösung abgespült. Das Violett B. 
färbt sehr intensiv die Bindegewebszellenkerne, die elastischen 
Fasern weniger gut. Auch die Muskelfasern fallen sehr intensiv 
auf. Um die Präparate für längere Zeit haltbar zu machen, 
habe ich mit Erfolg auf Sigmund Mayers Empfehlung 
Kalium aceticum verwendet, was zudem wegen des geringen 


Zur Kenntnis der verzweigten Muskelfasern. 99 


Brechungsexponenten die feineren Strukturen sichtbarer macht. 
In Kanadabalsam gehen die Präparate gleich zugrunde. Sigmund 
Mayer hat diese Methode für die Färbung des Kaninchennetzes 
angewendet. 

bei meinen Untersuchungen achtete ich zunächst auf das 
grobe Verhalten der einzelnen Fasern selbst, das immerhin Er- 
wähnung verdient (Fig. 1 und 2). Man sieht vielfach, dass 
Fasern nach kurzem Verlauf sich teilen, und dass auch ihre 
Äste sekundär noch eine Teilung erleiden. Die einzelnen Äste 
anastomosieren nach der Teilung mit den Ästen anderer Muskel- 
fasern. Manchmal laufen Ästchen eine Zeitlang paralell mit- 
einander, biegen dann ab und auf andere zu, die ihnen in 
gleicher Weise entgegenkommen:; doch erfolgt keine Ver- 
schmelzung, sondern die beiden Fasern gehen einander gegenüber 
in ihre Endverzweigungen über. Die freien Enden der Muskel- 
fasern zeigten sich nach der Färbung mit Violett B. teils stumpf, 
teils spitzig, zum grössten Teil aber verästelt. An einigen Stellen 
erschienen die freien Enden treppenförmig abgebrochen; andere 
hatten am Ende Einkerbungen. Nach Rollett wären die 
schlanken, spitzig endenden Fasern vorübergehende Entwicklungs- 
stadien und würden sich später in verästelte umwandeln, eine 
Meinung, deren Richtigkeit ich nach meinen Objekten nicht zu 
entscheiden vermag. Zu wiederholten Malen sah ich Fasern, die 
an beiden Enden verästelt waren, wie sie auch schon von 
anderen Autoren beobachtet worden sind. Die betreffenden 
Fasern erwiesen sich in der Mitte am dicksten und wurden nach 
beiden Richtungen in dem Maße, wie sie sich verästelten, immer 
schmäler. Ganz besonders möchte ich noch einmal hervorheben, 
dass die Verästelung durchaus nicht immer erst am Ende der 
Muskelfaser erfolgt, sondern dass vielfach auch im Verlauf der 
Muskelfaser sich längere Seitenäste ablösen, die unter vielfach 
wiederholter Teilung miteinander anastomosieren, so dass ein 
dichtes Netzwerk zustande kommt. 

Meine Untersuchungen stehen in Einklang mit der von Fol 
geäusserten Vorstellung, dass diese Verästelung eine allgemeine 
Erscheinung ist „bei der Befestigung von Muskeln an weichen 
Oberflächen“. 

In zweiter Linie richtete ich mein Augenmerk auf das 
Verhalten der Muskelfasern und ihrer Endigungen zu dem um- 


56 Geza Glücksthal: 


gebenden Gewebe. Die Färbung mit Violett B. erwies sich dabei 
als unzulänglich, dagegen gab die Färbung mit Örcein aus- 
gezeichnete Resultate. Einige literarische Bemerkungen über diese 
vielumstrittene Frage seien vorausgeschickt. Schon Mar go (1362) 
betont. dass das Muskelgewebe in engerem Zusammenhange mit 
dem Bindegewebe stehen muss, und dass überall, wo sich 
kontraktile Substanzen entwickeln, man mehr oder minder 
entwickelten elastischen Fasern begegnet. Nach Billroth 
spitzen sich die Muskelfasern in der Froschzunge in der Nähe 
der Papillen zu „feinen dunkeln Fasern“ zu. Meissner er- 
wähnt, dass er an den muskulösen Faserzellen der Blasenwand 
des Kaninchens einen Übergang in feine elastische Fasern 
konstatieren konnte. Holmgren sah im Katzendarm elastische 
Fäserchen, die die glatten Muskelzellen ringförmig umfassten. 
Martinotti hat sich auch mit dem Zusammenhange von Muskel- 
elementen mit elastischen Fasern beschäftigt. Er hat seine 
Untersuchungen mit Argentum nitrieum am Dünndarm des Schafes 
gemacht. wo er ein merkwürdiges Verhalten der elastischen 
Fasern zur glatten Muskulatur beschrieben hat. Er kämpfte auch 
auf Grund seiner Untersuchungen für die Ansicht, dass das 
Sarcolemma elastisches Gewebe sei. Meine Aufmerksamkeit wurde 
auf den Zusammenhang zwischen Muskelgewebe und Bindegewebe 
und auf die umstrittene Frage der Zusammensetzung des Sarco- 
lemma vor allem gelenkt durch die Arbeit Smirnows: „Über 
die Beziehungen zwischen dem Muskel- und elastischen Gewebe 
bei den Wirbeltieren“, die sich im Gegensatz zu den Arbeiten 
der eben genannten Autoren mit den Beziehungen des elastischen 
(rewebes zu quergestreiften Muskelfasern beschäftigt. In dieser 
Arbeit äussert sich Smirnow folgenderweise: „In allen Fällen, 
in denen die quergestreiften Muskelfasern nicht in direkte Be- 
ziehung zum knöchernen oder knorpeligen Skelett treten, in denen 
sie sich an andere mehr weiche Formen des Bindegewebes an- 
heften, bestehen ihre Sehnen aus rein elastischem Gewebe, oder 
es ist ihnen wenigstens eine mehr oder weniger grosse Menge 
elastischer Fasern beigemengt.*“ Zu dieser Anschauung wurde 
er geführt durch die Untersuchung von Organen, in denen quer- 
gestreifte Muskelfasern sich an bindegewebige Teile ansetzen. 
Da letzteres auch in der von mir untersuchten Membran der 
Fall ist, so erschien mir dieselbe besonders geeignet zu einer 


ot 
—1 


Zur Kenntnis der verzweigten Muskelfasern. 


Prüfung der Smirnowschen Anschauung. Ich nahm für meine 
Untersuchungen, wie schon erwähnt, Orcein in alkoholischer 
Lösung. Die auf den Objektträgern ausgebreiteten Membranen 
werden zunächst ungefähr 10— 15 Minuten lang Osmiumdämpfen 
ausgesetzt, solange bis die Präparate eine gelbliche Farbe be- 
kommen. Dann sind sie fixiert und zur Färbung bereit. Die 
Färbung dauert Y/» bis '/s Stunde. Um noch deutlichere Bilder 
zu bekommen, ist sehr empfehlenswert nach ÖOrcein auch mit 
Boraxcarmin und Fuchsin zu färben, je 10 Minuten lang. 

Die Färbung der Präparate nach dieser Methode gab folgende 
Resultate (Fig. 3—5). Es war bei schwacher Vergrösserung sehr 
auftallend, dass einige Stellen der Präparate besonders stark ge- 
färbt erschienen. Diese Stellen sind die verästelten Enden der 
quergestreiften Muskelfasern, die bei dieser Färbung pinselartige 
(Gebilde zeigten. Bei stärkerer Vergrösserung konnte man sehen, 
wie von den Faserästen dünne sehr gut tingierbare Fäden aus- 
laufen. Die Querstreifung und die Kerne sind bis an den Ansatz 
dieser letzten Fäden gut zu erkennen. Die Fädchen selbst ver- 
ästeln sich auch sehr reichlich, so dass ein sehr dichtes Netz 
gebildet wird. Diese Netze, in die also die Enden je einer 
Muskelfaser übergehen, sind nur besonders verdichtete Teile des 
grossen elastischen Netzwerkes, welches die ganze Membran 
durchzieht; sie sind zugleich der Grund, weshalb die Membran 
in der Umgebung der Muskelenden dunkler gefärbt erscheint. 

Merkwürdigerweise erscheint auch das Sarcolemma, oder, 
vorsichtig ausgedrückt, die der Muskelfaser anliegende Hülle sehr 
stark tingiert, was besonders mit Immersion sehr deutlich wird. 
Es scheint mir darnach zweifellos, dass diese Hülle aus elastischem 
Gewebe besteht. Aus ihr treten nach allen Seiten kleine Fäserchen 
heraus, die nur sehr selten wellenförmig sind, sondern grössten- 
teils, gerade verlaufen. Mit Immersion sieht man, dass die ganze 
Muskelfaser, nicht nur die baumförmige Verästelung in eine 
Hülle von netzförmig verbundenen elastischen Fasern einge- 
schlossen ist. Dievon Martinottierwähnten dreicharakteristischen 
Merkmale: „Bord nettement dessine, cours ondoyant, contour 
fonce et centre plus claire“ sind gut bemerkbar; doch fand ich 
den Verlauf der Fasern, wie erwähnt, meist mehr gerade gestreckt 
als wellenförmig. Die Fäserchen kreuzen sich und so entsteht 
ein sehr kompliziertes Netz um die Muskelfasern herum. Bei 


oO 
nn 


G6eza Glücksthal: 


der Kreuzung von zwei elastischen Fasern entstehen kleine 
Knotenpunkte, die das Bild dieses Netzes sehr charakteristisch 
gestalten. Die elastischen Fasern verlaufen hier meistens quer 
zu den Muskelfasern. Nur in der Nähe der baumförmigen Ver- 
ästelungen sieht man elastische Fasern aus der Hülle der Faser 
austreten, die dann parallel mit der Muskelfaser verlaufen. Es 
fiel mir auch auf, dass in dem weniger deutlich tingierten übrigen 
Bindegewebe, besonders schön in der Nähe der Verästelungen auf 
einmal ein sehr gut gefärbtes dunkleres elastisches Fasernetz auftritt. 
Es sind Fäserchen, die von der einen pinselartigen Verästelung zu 
der anderen übergehen, und so mit dieser in Verbindung treten. 
Die elastische Hülle ist am Ende der Faser nicht geschlossen, 
sondern geht unmittelbar in die elastischen Endbüschel über. 

Ich habe also hier mit Orceinfärbung gefunden, dass die 
Muskelfasern von elastischen Hüllen umgeben werden. Es mag 
dahingestellt bleiben, ob diese Hülle das Sarcolemma repräsentiert, 
oder ob etwa, was ja denkbar wäre, unter ihr noch eine zweite 
Hülle besteht. Dass auch das wirkliche Sarcolemma der quer- 
gestreiften Muskelfasern ausserordentlich resistent ist und Säuren 
und Alkalien grossen Widerstand leistet, ist ja allgemein bekannt; 
ebenso ist durch seine Beziehungen zur Muskelfaser schon eine 
grosse Dehnbarkeit von ihm gefordert. Immerhin mag, wie ge- 
sagt, in suspenso bleiben, ob es berechtigt ist, die zweifellos aus 
elastischem Gewebe bestehende Hülle, die ich an den Muskel- 
fasern meines Objektes fand, kurzweg alsSarcolemma zu bezeichnen. 
Ob auch die erwähnten elastischen Fäserchen an den verästelten 
Enden der quergestreiften Muskelfasern in unmittelbarer Konti- 
nuität mit den Muskelfibrillen stehen, wie dies von Schultze 
kürzlich für die bindegewebigen Sehnenfibrillen beschrieben worden 
ist, muss ich dahingestellt sein lassen. 


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Zur Kenntnis der verzweigten Muskelfasern. a2) 


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Fol: Kursus der vergleichenden Histologie. Leipzig 1884. 

Gaupp, E.: Die Anatomie des Frosches, Bd. 2 und 3, 1899— 1904. 

Kölliker: Handbuch der Gewebelehre, I. Bd., 6. Aufl., 1889. 

Lungwitz. M.: Die Bewegungsorgane mit Einschluss der Grundsubstanz- 
gewebe und des Muskelgewebes. In Ellenbergers: Vergleichende 
Mikroskopische Anatomie 1906. 

Margo: Neue Untersuchungen über die Entwicklung, das Wachstum, die 
Neubildung und den feineren Bau der Muskelfasern. Denkschrift der 
Kaiserl. Akad. der Wissenschaften. Mathem.-naturw. Klasse, Bd. 20, 
1562, Wien. 

Mayer, S.: Beitrag zur histologischen Technik. Sitzungsberichte der 
Kaiserl. Akad. der Wissenschaften in Wien, Bd. LXXXV, Jahrg. 1882, 
1. Heft. 

Martinotti, Carlo: Sur la reaction des tibres @lastiques avec l’emploi 
du nitrate d’argent et sur les rapports entre le tissu &lastique et le 
tissu musculaire. Anat. Anz., 1898, Bd. 16. 

Podwyssozki, W. (jun.): Über die Beziehungen der quergestreiften 
Muskeln zum Papillenkörper der Lippenhaut. Arch. f. mikr. Anat., 
Bd. 30, Bonn, Jahrg. 1887. 

Rollett: Über die freien Enden quergestreifter Muskelfäden im Inneren 
der Muskeln. Sitzungsberichte der Kaiserl. Akad. der Wissenschaften 
in Wien. Mathem.-naturw. Klasse, Bd. 21, Jahrg. 1856. 

Smirnow: Über die Beziehungen zwischen dem Muskel- und elastischen 
Gewebe bei den Wirbeltieren. Anat. Anz., 1899, Bd. 15. 

Schultze, ©.: Über den direkten Zusammenhang von Muskelfibrillen mit 
Sehnenfibrillen. Arch. f. mikr. Anat., Bd. 79. Jahre. 1912, Abt. 1. 


Erklärung der Abbildungen auf Tafel V. 


Fig. 1. Einige verästelte Muskelfasern und ihre Anastomosen. (Färbung 
mit Violett B.) 

Fig. 2. Netzförmig zusammenhängende Muskelfasern. 

Fig. 3. Einige Endbäumcehen mit den anschliessenden elastischen Fäserchen 
in natürlicher Lage. (Das allgemeine elastische Netzwerk ist der 
Klarheit wegen weggelassen.) 

Fig. 4. Einige elastische Endpinsel bei mittelstarker Vergrösserung. 

Fig. 5. Ende einer Muskelfaser mit den Endpinseln. Öl-Immersion !/ı. 


61 


Aus dem histologischen Institut der deutschen Universität zu Prag. 


Über eine neuartige Verwendung des Farbstoffes 
„Neutralrot“. 


Von 


7 Prof. Dr. Siegmund Mayer.') 


Da zurzeit die Anwendung von Farbstoffen und Reagentien 
in der Histologie leider noch mehr auf einem rein empirischen 
Probieren, als auf mehr oder minder sicheren Voraussetzungen 
beruht, so ist es leicht begreiflich, dass man bestimmten Verfahrungs- 
weisen, wenn sie sich einmal für gewisse Zwecke als sehr brauchbar 
erwiesen haben, einen ausgedehnten Wirkungskreis zu gewinnen 
bestrebt ist. 

Beispiele hierfür lassen sich aus der Geschichte der histo- 
logischen Untersuchungsmethodik in grosser Anzahl beibringen. 
So wurde die Überosmiumsäure zunächst für den Nachweis fettiger 
Substanzen und des Nervenmarkes in Anwendung gezogen, bis 
sich bei weiteren Versuchen mit dieser Substanz ihre ausgezeichnete 
Verwertbarkeit als Fixationsmittel und spezifisches Farbreagens 
für verschiedene Gebilde herausstellte. 

Chlorgold und Methylenblau spielten zuerst nur in der 
Histologie des Nervensystems eine hervorragende Rolle, während 
in der Folge die Anwendung der genannten Stoffe bei der Er- 
forschung des feineren Baues der Hornhaut, der quergestreiften 
Muskelfasern ‚usw. bemerkenswerte Resultate ergaben. Von den 
durch Golgi und seine Nachfolger in die histologische Technik 
eingeführten bekannten Methoden machte man zunächst nur für 
die Untersuchung des zentralen Nervensystems Gebrauch, und 
erst später stellte es sich heraus, dass man hiermit in uner- 
warteter Weise auch die feinsten Anfangsteile des Sekretgang- 
systemes in vielen Drüsen darstellen kann. 


!) Unter den zahlreichen hinterlassenen Manuskripten meines ver- 
storbenen Vorgängers und Lehrers befand sich auch diese fast druckfertige 
Arbeit. In der Überzeugung, dass Gegenstand und Methodik viele Fach- 
genossen interessieren dürften, habe ich mich zu ihrer Veröffentlichung 


entschlossen. Alfred Kohn. 
Archiv f. mikr. Anat. Bd.81. Abt.l. b) 


62 Siegmund Mayer: 


Die angeführten Beispiele mögen genügen, um es begreiflich 
erscheinen zu lassen, dass es mir sehr nahe lag, mit dem Neutral- 
rot, dessen hervorragende Leistungsfähigkeit für die sogenannte 
Vitalfärbung heute allgemein anerkannt ist, weitere Versuche, 
die zunächst nicht auf diese Vitalfärbung hinzielten, anzustellen. 
Und dies um so mehr, als ich glaube, der erste gewesen zu sein,!) 
der nach den Publikationen des verdienstvollen Entdeckers der 
vitalen Reaktionen des Neutralrot, P. Ehrlich, die Wichtigkeit 
dieser Methode für die Biologie erkannte und nach dieser Richtung 
zahlreiche, grösstenteils noch nicht veröffentlichte Untersuchungen 
anstellte. 

In den nachfolgenden Zeilen will ich nun einige Versuche 
in Kürze beschreiben, aus denen hervorgeht, dass das Neutralrot 
auch noch in anderer als in der bereits bekannten auf die so- 
genannte Vitalfärbung gerichteten Weise verwendet werden kann 
und dass es möglich ist, hierdurch Präparate in einfacher und 
wenig zeitraubender Weise zu erzielen, deren Studium für Forschung 
und Lehre, wie ich glaube, nicht ohne Bedeutung sein dürfte. 


I. Darstellung des fibrillären Baues des Glaskörpers. 


Wer es nicht verschmäht, bei dem Studium der wissen- 
schaftlichen Literatur auch den grösseren und kleineren in den 
verschiedenen Kultursprachen erscheinenden Lehrbüchern einige 
Aufmerksamkeit zuzuwenden, wird hierbei auf eine eigentümliche 
Erscheinung stossen, die für die Lehre gerade nicht als förderlich 
bezeichnet werden kann. Es zeigt sich nämlich, dass die Dar- 
stellung im Texte und die Illustration durch Abbildungen gewöhnlich 
nach einem bestimmten Schema, dessen erstmalige Aufstellung 
zeitlich zuweilen schon beträchtlich zurückliegt, durchgeführt 
werden. So wird von den in Frage kommenden Gegenständen 
öfters keine ganz zutrefiende Darlegung gegeben. 

Besonders hinsichtlich der den Text illustrierenden Abbildungen 
erweist sich der eben berührte starre Schematismus häufig wenig 
erspriesslich, insofern Dinge gewohnheitsgemäss zur Abbildung 
gelangen, die auch ohne solche, auf Grund von mit Fug und 
Recht vorauszusetzenden Kenntnissen und Anschauungen als leicht 
verständlich angesehen werden können. Andererseits kommen 

1) Über die Wirkungen der Farbstoffe Violett B und Neutralrot. 
Lotos.. Prag. 18%. 


op} 
Sb 


Eine neuartige Verwendung des Farbstoffes „Neutralrot“. 


bei der lehrbuchmässigen Darstellung in Beschreibung und Ab- 
bildung solche Dinge viel zu kurz, die schon bei oberflächlicher 
Betrachtung sich als etwas Spezitisches und aus dem Rahmen der 
gewöhnlichen und vielfach vorkommenden Strukturen Heraus- 
fallendes erweisen. 

Nach der eben angedeuteten Richtung hin ist hier der 
Glaskörper des Auges zu nennen, von dem in den Lehrbüchern 
in Wort und Bild gewöhnlich nur sehr wenig vermeldet wird, 
trotzdem aus älterer und neuerer Zeit über die eigentümlichen 
Strukturverhältnisse dieses (rebildes zahlreiche Untersuchungen 
vorliegen. Schon lange hat man zwar erkannt, dass die An- 
schauung der älteren Anatomen, nach welcher der Glaskörper 
einen keinerlei geformte Bestandteile enthaltenden Gallertklumpen 
darstelle, nicht haltbar sei; darüber aber, in welcher Art und 
Weise die geformten Substanzen innerhalb der ungeformten 
gallertigen Masse angeordnet seien, waren lange unrichtige, in den 
angewendeten Untersuchungsmethoden begründete Vorstellungen 
im Schwange. Es kann heutzutage wohl kaum mehr ein Zweifel 
darüber bestehen, dass die hauptsächlich an die Namen Brücke 
und Hannover geknüpften Lehren von der zwiebelartigen oder 
apfelsinenähnlichen Anordnung der geformten Anteile im Glas- 
körper nur noch eine historische Bedeutung haben, während 
andererseits die zuerst von Ciaccio (sen.) aufgestellte Ansicht 
von der filzartigen Disposition der faserigen Bildungen im Glas- 
körper später besonders durch die Untersuchungen von Hans 
Virchow, G. Retzius u. a. sich allgemeine Anerkennung er- 
worben hat. 

Wenn heutzutage in Lehr- und Handbüchern überhaupt 
Abbildungen von der Glaskörperfaserung vorgeführt werden, dann 
werden gewöhnlich die schönen, von G. Retzius herrührenden, 
auf Schnittpräparate sich beziehenden Bilder reproduziert. Man 
findet jedoch weder in den der Histologie des Glaskörpers ge- 
widmeten Abhandlungen, noch in den Schriften über histologische 
Technik, selbst nicht in denjenigen, welche speziell der Methodik 
der histologischen Untersuchung des Auges gewidmet sind, ge- 
nauere Angaben über die Sichtbarmachung des Fibrillenwerkes im 
Glaskörper. 

Es wird daher nicht ohne Interesse sein, wenn ich in den 


nachfolgenden Zeilen ein Verfahren schildere, durch welches es 
5* 


64 Siegmund Mayer: 


ermöglicht wird, sich von den faserigen Elementen des Glaskörpers 
zureichende Anschauungen zu verschaffen. Die zu schildernden 
Versuche sind einfach und ohne besondere Übung und Geschick- 
lichkeit auszuführen, so dass sie in histologischen Kursen auch 
den in der Technik nicht sehr weit Vorgeschrittenen zugänglich sind. 

Es mag zunächst bemerkt werden, dass sich weitaus die 
grösste Anzahl meiner Versuche auf das Auge des Frosches 
beziehen; einige Beobachtungen am Glaskörper eines neugeborenen 
Kindes und einer Katze haben jedoch ergeben, dass das zu 
schildernde Verfahren weit davon entfernt ist, nur auf den Frosch 
angewendet werden zu können. 

Indem ich nun zur Beschreibung des modus procedendi über- 
gehe, so ist vorerst hervorzuheben, dass man nicht die Augen 
des eben getöteten Tieres, also das ganz frische Objekt, sondern 
dass man die Augen ein- bis dreimal 24 Stunden post mortem 
zu unseren Versuchen benutzen muss, wobei selbstverständlich, 
bei hinlänglich kühler Aufbewahrung, das Auftreten von Fäulnis- 
erscheinungen ausgeschlossen ist. Für die Enucleation des Aug- 
apfels mag hier auf den von W. Kühne schon vor vielen Jahren 
angegebenen Kunstgriff hingewiesen werden, nach welchem man 
mit der Schere nicht sowohl den Bulbus aus dem Schädel, sondern 
vielmehr die knöchernen und weichen Umhüllungen des Bulbus 
von letzterem wegschneidet. 

Die Benutzung des nicht ganz frischen Materials ist geboten, 
weil im ganz frischen Auge die Trennung des von einer, bekannt- 
lich beim Frosche gut isolierbaren und reichlich vascularisierten 
Membrana hyaloidea umschlossenen Glaskörpers von der Netzhaut 
nicht reinlich durchführbar ist. 

Wenn der isolierte Bulbus nach Ablauf der oben angegebenen 
Fristen nicht mehr prall gespannt erscheint, sondern, offenbar 
durch eingetretene Verminderung intraocularer Flüssigkeiten, 
collabiert und weich geworden ist, dann schreitet man zur weiteren 
Bearbeitung in nachfolgender Weise: 

Nachdem die Cornea und Iris entfernt worden sind, hebt 
man mit einem plattgeschlagenen, vorn in einen stumpfen Winkel 
abgebogenen Drahte aus dem zurückgebliebenen Becher der 
Sclerotica, der Chorioidea und der Retina den von der Membrana 
hyaloidea umhüllten Glaskörper samt Linse vorsichtig heraus; 
hängengebliebene Stückchen der Chorioidea und Retina sucht 


Eine neuartige Verwendung des Farbstoffes „Neutralrot‘“. 65 


man nach Tunlichkeit zu entfernen; ebenso ist die Linse mit 
Kapsel vor der weiteren Behandlung in passender Weise aus 
ihrer Verbindung mit dem Glaskörper zu lösen. 

Nun bringt man den Glaskörper samt seiner Umhüllungs- 
membran in ein Uhrglas und befeuchtet das Objekt mit einigen 
Tropfen einer Lösung von Neutralrot in "» proz. Kochsalz- 
lösung, deren Konzentration genau zu bestimmen kaum erforderlich 
ist; es genügt die Neutralrotlösung derart herzustellen, dass sie 
die Farbe eines stark gefärbten Rotweins besitzt. 

In dieser Lösung braucht der Glaskörper längstens 5 Minuten 
zu verweilen, aber auch schon nach Verlauf von 1 bis 5 Minuten 
kann man auf befriedigende Resultate rechnen. 

Aus dieser Farbstofflösung überträgt man hierauf das Präparat 
in !/sproz. Kochsalzlösung, in welcher es ebenfalls nur mehrere 
Minuten zu verweilen braucht, um keine merklichen Spuren von 
Neutralrot mehr abzugeben. Alsdann wandert das Objekt in ein 
Uhrschälchen mit mehreren Tropfen einer konzentrierten Lösung 
von pikrinsaurem Ammoniak, in welcher es sofort seine vorher 
tief rote Farbe in eine gelbe umändert: nachdem es in dieser 
Flüssigkeit etwa 2 Minuten verweilt, wird es, ohne Abspülung 
deranhaftenden Lösungvonpikrinsaurem Ammoniak, 
auf den Öbjektträger gebracht und mit einem Tropfen konzentrierten 
Glycerins definitiv eingedeckt. Derartige mit Lackrahmen ver- 
sehene Präparate haben sich monatelang in sehr brauchbarem 
Zustande erhalten. 

Die nicht sehr ansehnliche Masse des mehr oder minder 
vollständig membranumhüllten Glaskörpers breitet sich unter dem 
Drucke des aufgelegten Deckgläschens zu einem sehr dünnen 
transparenten Häutchen aus; je weniger sich bei der Präparation 
nicht zu unserem Versuchsobjekte gehörige Teile, wie Pigment, 
von der Retina, der Chorioidea oder der Iris stammend, Retina, 
Linse und Linsenkapsel beigemengt haben, die übrigens von 
einem geübten Beobachter bei der mikroskopischen Betrachtung 
leicht zu erkennen sind, ein desto eleganteres Aussehen bietet 
das gefärbte Präparat dar. 

Schon bei der Betrachtung mit freiem Auge bemerkt man, 
dass für gewöhnlich stark gefärbte mit weniger gefärbten Stellen 
abwechseln, was entweder auf Rechnung einer andersartigen Be- 
schaffenheit in bezug auf die Zusammensetzung der betr. Stelle 


66 Siegmund Mayer: 


(Anwesenheit oder Fehlen der Membrana hyaloidea) oder der 
verschiedenen Intensität der Einwirkung der Farbstofflösung und 
des differenzierenden Reagens zu setzen ist. 

Indem wir nunmehr zu einer kurzen Schilderung der nach 
der in den vorstehenden Zeilen beschriebenen Weise erhaltenen 
Präparate übergehen, soll vorerst bemerkt werden, dass es sich 
hierbei keineswegs um eine eingehende Erörterung der für den 
Aufbau des Glaskörpers in Betracht kommenden Fragen handelt, 
was an dieser Stelle ausserhalb des Bereiches unserer Absichten 
liegt, sondern dass wir nur die wesentlichen Resultate unserer 
neuen Behandlungsweise schildern wollen, wobei sich selbstver- 
ständlich hie und da Bemerkungen über die Histologie des Glas- 
körpers ergeben werden. 

Unterwirft man zunächst eine der sehrintensivgefärbten 
Stellen des Präparates, von denen oben kurz die Rede war, der 
mikroskopischen Untersuchung, so wird man sich bald über die 
Verhältnisse klar, welche diese starke Färbung der Hauptsache 
nach bedingen. Sie hat nämlich ihren Sitz in feineren oder 
gröberen Körnern, die einem Niederschlage, welchen die ange- 
wendeten Reagentien in der amorphen interfibrillären Zwischen- 
substanz des Glaskörpers hervorgebracht haben, ihre Entstehung 
verdanken. Allerdings können zur Verstärkung der Färbung 
auch noch eine sehr intensive Tinktion der Fibrillenmasse, ge- 
legentlich auch eine sehr starke Färbung der dicht mit Blut- 
körperchen erfüllten Blutgefässe der Membrana hyaloidea mehr 
oder minder beitragen. 

Bei sehr starker Ausbildung des eben erwähnten Nieder- 
schlages, wobei die niedergeschlagenen Körner die Fibrillen ganz 
einhüllen, können letztere fast ganz unsichtbar werden; in ein 
und demselben Präparat kann man dann übersehen, wie alle 
möglichen Übergänge vorkommen, von sehr dunklen Stellen, 
scheinbar ohne Fibrillen, bis zu solchen, wo innerhalb dunkler 
Granulamassen die Fibrillen in sehr dunkelbrauner Farbe hervor- 
treten oder endlich die störende Nebenwirkung der Niederschlags- 
bildung in der amorphen Zwischensubstanz ganz ausgeblieben ist, 
wobei die Bedingungen für die Beobachtung der Glaskörper- 
fibrillatur weitaus am günstigsten sich gestalten. 

An solche Stellen muss man sich denn auch halten, um das 
ungemein dichte Filzwerk, feiner, glatter, eine enorme Anzahl 


Eine neuartige Verwendung des Farbstoffes „Neutralrot‘. 67 


von Hohlräumen begrenzender Fäserchen zu Gesichte zu bekommen, 
welche es in ihrer Gesamtheit zuwege bringen, dass der Glas- 
körper nach den bekannten Versuchen von H. Virchow') eine 
bemerkenswerte Zugfestigkeit zu entwickeln vermag. 

G. Retzius?) hat vom Froschglaskörper auf Grund von 
Celloidinschnitten nach Fixation in Flemmingscher Lösung und 
Rubinfärbung ein System feiner, straff gespannter Fasern be- 
schrieben und abgebildet, welche von dem bekannten Ringgefässe 
nach vorn von der Ora serrata ausstrahlten. „Von hier aus 
radiieren diese eigentümlichen Fasern nach hinten hin und lassen 
sich bis zum Augenhintergrunde verfolgen. Sie durchziehen in 
dieser Weise den ganzen Glaskörper, in ihm gewissermassen ein 
Striekwerk bildend. An der Hyaloidea angelangt, inserieren sie 
sich an ihr vermittelst dreieckigen Ansätzen und zwar bald an 
Stellen, wo Blutgefässe in der Membran liegen, bald an Stellen 
zwischen solchen. Zwischen diesen glasartig und steif erscheinen- 
den Fasern findet sich das feinfaserige Glaskörpergewebe. welches 
sich auch in den Pettischen Raum hinein zu erstrecken 
scheint.“ 

Über die Art und Weise, in welcher die spezifische Fibrillatur 
des Glaskörpers in das histologische System einzureihen ist, können 
nur weitere eingehende mikrochemische und ganz besonders 
histiogenetische Untersuchungen endgültigen Aufschluss geben. 
Immerhin gestatten die von uns erzielten Ergebnisse nach dieser 
Richtung hin einige Schlussfolgerungen, die wir hier kurz vor- 
führen wollen. 

Vielfache von mir mit den beschriebenen Kunstgriffen vor- 
genommene Versuche an transparenten Membranen, die nachweislich 
typische collagene Bindegewebsfibrillen oder elastische Fasern 
enthalten, ergaben die vom Glaskörper geschilderte Reaktion nicht. 
Es ist daher der auch schon von anderer Seite geäusserten Ansicht 
beizupflichten, dass die Glaskörperfibrillen nicht den genannten 
Fasergattungen zuzuzählen sind. 

In Anlehnung an zahlreiche wohl begründete Aufstellungen 
der letzten Jahre über die ektodermale Herkunft des Glas- 


Y) Bericht der Ophthalmolog. Gesellschaft. Heidelberg 1885. 

2) G. Hebzuws, Über den Bau des Glaskörpers und der Zonula Zinnii 
in dem Auge des Menschen und einiger Tiere. Biologische Untersuchungen. 
N.:E:, -BA.NT., 8..67. (1894. 


68 Siegmund Mayer: 


körpergewebes möchte ich die von V. v. Ebner!) geäusserte 
Anschauung, dass die Glaskörperfibrillen eine nahe Verwandtschaft 
mit den Neurogliafibrillen besitzen, für sehr plausibel halten. 

Wir würden dann vor der bemerkenswerten Tatsache stehen, 
dass nicht allein im Bereiche der mesodermalen Fibrillenbildungen, 
nach dem Ausweise vieler neueren Untersuchungen, mannigfaltigere 
Formationen vorkommen, als nur die schon lange bekannten 
collagenen und elastischen Fasern, sondern dass auch auf ecto- 
dermalem Boden Fibrillen von verschiedenen Eigenschaften zur 
Ausbildung gelangen können. 

Wie schon früher erwähnt, erhält man bei der geschilderten 
Präparationsmethode die Glaskörpermasse mehr oder minder von 
der Membrana hyaloidea umhüllt. In denjenigen Fällen nun, in 
denen die genannte Membran auf weite Strecken erhalten und 
ausserdem das Blutgefässnetz, eventl. mit Blutkörperchen erfüllt, 
gut ausgefärbt ist, erhält man als Nebenprodukt ein sehr schönes 
instruktives Bild dieser durch ihr reich entwickeltes Capillarnetz 
ausgezeichneten Haut. 

Am instruktivsten gestaltet sich die Beobachtung, wenn der 
Glaskörper ganz von der Hyaloidea umhüllt ist, indem man dann 
beim Wechsel der Einstellung zunächst deren Blutgefässnetz eventl. 
auch Faltenbildungen, sodann die Fibrillatur eventl. mit den 
Niederschlägen in der interfibrillären Substanz und endlich wiederum 
die blutgefässhaltige Membran, glatt oder gefaltet, zu Gesichte 
bekommt. 


II. Darstellung der Netze feiner markloser peripherer 
Nervenfasern. 


Wie bekannt, hat man schon lange versucht, das Problem 
des Verhaltens der Nerven in den peripheren Bezirken des Körpers 
zu lösen. Wir sehen hier von den terminalen Nervenausbreitungen 
in den quergestreiften Muskelfasern ab und beschränken die 
nachfolgenden Erörterungen auf das Verhalten der feinen mark- 
losen Nervenfasern, welche entweder Erregungsvorgänge zentral- 
wärts oder peripheriewärts zu glatten Muskelfasern resp. Drüsen- 
zellen leiten: die spezifischen Anordnungen der Nervenendigungen 
in den Sinnesorganen kommen hier nicht in Betracht. 


), Kuelliker-v. Ebner. Handbuch der Gewebelehre, 6. Aufl., 
IT, Bd.,’S. 878. 


Eine neuartige Verwendung des Farbstoffes „Neutralrot“. 69 


Die Methodik, die für die Darstellung der genannten Be- 
standteile des peripherischen Nervensystems in Anwendung ge- 
zogen wurde, hat im Laufe der Zeit bereits mannigfache Phasen 
durchlaufen. Im Anfange der hierher gehörigen Bestrebungen 
erkannte man in der Anwendung der verdünnten Essigsäure ein 
brauchbares Mittel, um feinste periphere Nervenausbreitungen 
sichtbar zu machen. Eine neue Epoche des Fortschritts auf diesem 
Gebiete wurde sodann durch die Einführung des Chlorgolds in 
die histologische Technik durch J. Cohnheim herbeigeführt, 
bis später die Anwendung der mehr oder minder modifizierten 
Methoden von ©. Golgi und seiner Nachfolger, sowie die von 
P. Ehrlich entdeckte Methylenblaufärbung weitere beträchtliche 
Errungenschaften in der Lehre von den sensiblen, peripheren 
Nervenendigungen ermöglichten. 

Wenn ich nun in den nachfolgenden Zeilen eine neue 
Methode zur Darstellung feiner peripherer markloser Nerven- 
fasern beschreiben will, so beabsichtige ich hiermit keineswegs 
die älteren bewährten Verfahrungsweisen zu verdrängen. Ich ver- 
folge hiermit nur den Zweck, zu zeigen, dass man durch eine 
eigenartige Anwendung des Neutralrot in sehr einfacher und 
rascher Weise an bestimmten Objekten feine periphere Nerven- 
netze zur Darstellung bringen kann, so dass dieses Anschauungs- 
gebiet der praktischen Histologie, welches immerhin zu den 
schwieriger zugänglichen gehört, selbst Anfängern leicht erschlossen 
werden kann. 

Die ersten Beobachtungen dieser Art machte ich an Sala- 
manderlarven. 

Ich hatte Salamanderlarven von etwa drei Zentimeter Länge 
mit Neutralrot (Einsetzen in mit Neutralrot gefärbtes Wasser) 
intensiv rot gefärbt. In der Absicht, die Wirkung des pikrin- 
sauren Ammoniak auf die hierbei neutralrot gefärbten Gewebs- 
bestandteile zu prüfen, warf ich eine derartig gefärbte Larve in 
eine konzentrierte Lösung des genannten Salzes, in der sie 18 
bis 24 Stunden verweilte. In dieser Lösung hatte sich die vorher 
rote Farbe der Larve in eine gelbbraune umgewandelt. Unter 
leichtem Schütteln in Wasser löste sich die epitheliale Decke 
der Haut von ihrer Unterlage ab, so dass man Stücke der letzteren, 
(Bauchhaut, Flossensaum etc.) in reinem Glycerin oder in der 
von mir angegebenen Mischung von Glycerin und konzentrierter 


70 Siegmund Mayer: 


Lösung von pikrinsaurem Ammoniak leicht zur Untersuchung 
benutzen konnte. 

Hierbei zeigte sich nun ein überaus zierliches und reich- 
haltiges Netzwerk von Fäden, die nach ihrer Anordnung und 
ihrer Verzweigung als marklose Nerven nicht zu verkennen waren. 

Diese Nervenfäden aber stellten sich durchaus nicht als 
kontinuierliche rotbraun gefärbte Gebilde dar; es war vielmehr 
der Verlauf der feinen Nervenfasern nur gleichsam markiert 
durch leicht nebeneinander gelagerte, rot- oder schwärzlichbraun 
gefärbte Körnchen, deren dichte Anordnung jedoch genügte, um 
den Nervenverlauf der betreffenden Körperstelle hinreichend sicht- 
bar zu machen. 

Als Hauptuntersuchungsobjekt dienten mir späterhin die 
Niekhaut von Fröschen und Kröten, sowie die abgeschnittenen 
Flossensäume der Larven von Salam. mac. und Rana fusca. 

Der nachfolgenden Beschreibung des Verfahrens, das sich 
übrigens mit dem für die Glaskörperfaserung angegebenen fast 
vollständig deckt, legen wir die Versuche an der für viele 
histologische Beobachtungen so hervorragend geeigneten Nickhaut 
unserer Batrachier zugrunde. 

Die Membran wird in zwei oder drei Stücke zerschnitten, 
um das Eindringen der Farbstofilösung von den Schnitträndern 
aus zu erleichtern. Wie beim Glaskörper brauchen alsdann stark 
weinrote Lösung von Neutralrot, abspülende '/> proz. Kochsalz- 
lösung (am besten durch Schütteln in einem Probierröhrchen) 
und pikrinsaures Ammoniak im Maximum je 10 Minuten einzu- 
wirken, um zum Einschluss in Glycerin taugliche Dauerpräparate 
zu erzielen. 

Bei der mikroskopischen Betrachtung halte man sich zunächst 
an die den Schnitträndern benachbarten Partien und an die dem 
vorderen geschichteten Plattenepithel anliegenden Schichten der 
bindegewebigen Grundsubstanz der Nickhaut. 

Man wird hier dann, in oft überraschendem Reichtum, die 
netzbildenden Nervenfädchen des sogenannten subepithelialen 
Plexus wahrnehmen, die jedoch nicht glatt, sondern, offenbar infolge 
einer Niederschlagsbildung, granuliert erscheinen. 

Dass hier in der Tat feine Nervenfasern vorliegen, wird 
sowohl durch die direkte Beobachtung, bei der man die Ver- 
bindung der geschilderten Fädchen mit zweifellosen feinen mark- 


Eine neuartige Verwendung des Farbstoffes „Neutralrot‘. 71 


losen Nervenstämmchen sehen kann, als auch durch die Vergleichung 
mit der nach anderen Methoden hergestellten Nervatur der Nick- 
haut, hinlänglich erhärtet. 

Bei der Untersuchung der einschlägigen Präparate stösst 
man häufig noch auf andere Befunde an den nervösen Bestand- 
teilen der Nickhaut, welche die mitgeteilte Methode als sehr 
brauchbar erscheinen lassen. 

1. Bekanntlich kommen in der Batrachiernickhaut in die 
bindegewebige Grundhaut eingelagerte, einfache, nach dem Typus 
eines Kochkolbens gebaute, auf der Vorderfläche der Membran 
mit einem kurzen Gange mündende Drüsen vor, welche bereits 
mehrfach Gegenstand histologischer und besonders histo-physio- 
logischer Untersuchungen gewesen sind. Im Hinblick auf die 
Tatsache, dass an diesen Drüsen auch das Verhalten der Nerven 
untersucht worden ist (Öpenchowski, Ranvier u. a.), ist es 
nun sehr interessant zu sehen, dass unsere Methode auch diese 
periphere Nervenverbreitung häufig in sehr zierlicher Weise zu 
Gesichte bringt. 

Wenn hierbei die Drüsenepithelzellen der Sitz feiner oder 
auch stärkerer Granula oder Schollen sind, dann sind die Be- 
dingungen für die Sichtbarkeit der feinen Nervenfasern minder 
günstige. In denjenigen Fällen jedoch, in denen die Anwesenheit 
der Drüsen eben durch eine spärliche Granulierung in den Zellen 
der Epitheltapete angedeutet ist, kann man deutlich ein die 
Konturen der Drüsen nachahmendes Netzwerk feiner Nerven- 
fasern bemerken, in denen diese Organe wie in einem von Lücken 
durchbrochenen Körbchen aufgehängt erscheinen. Über die viel- 
fach diskutierte Frage, wie sich innerhalb der Membrana propria 
die feinsten Nervenfibrillen zu den absondernden Zellen resp. 
denjenigen glatter Muskelfasern, welche zwischen Drüsenzellen 
und Membrana propria gelegen sind, verhalten, ergaben meine 
Präparate vorerst keine Aufschlüsse, die zu gewinnen auch zurzeit 
nicht in meiner Absicht lag. 

2. Eine weitere in unseren Versuchen hervortretende Wirkung 
entfaltete die kombinierte Anwendung des Neutralrot und des 
pikrinsauren Ammoniak auf die Nerven der Blutgefässe, deren 
gröbere Ausbreitung in den hinteren Schichten, deren feinere in 
den vorderen Schichten der Membran stattfindet. Hierbei ist 
häufig das Vorhandensein der Blutgefässe nur durch die spezifische 


72 Siegmund Mayer: 


Anordnung ihrer marklosen Nervenfasernetze angedeutet. Diese 
Anordnung ist aber insofern sehr charakteristisch und nicht leicht 
misszudeuten, als marklose Nervenfasern auf grösseren Strecken 
parallel verlaufen, die häufig durch querverlaufende Brücken 
miteinander verbunden sind; bei guter Ausfärbung kommt es 
or, dass sich das beschriebene Faserwerk in der für die Blut- 
gefässe typischen netzartigen Anordnung zeigt. Die Auffassung, 
dass es sich hier um die für die Blutgefässwandungen bestimmten 
Nerven handelt, wird, falls man nach dieser Richtung hin etwa 
noch Zweifel hegen sollte, zur vollen Gewissheit erhoben, wenn 
innerhalb der Nervenstrassen zirkulär angeordnete glatte Muskel- 
fasern oder geformte Elemente des Blutes beobachtet werden. 
Da die Physiologie mit Sicherheit nachgewiesen hat, dass das 
Nervensystem durch zentrifugal gerichtete Erregungen auf die 
Drüsen und Blutgefässe einzuwirken vermag, so ist wohl anzu- 
nehmen, dass jedenfalls ein Teil der durch die hier beschriebene 
und andere schon früher angewendete Methoden nachgewiesenen 
Nerven für zentrifugale Leitungen bestimmt ist. 

Aus den angeführten Tatsachen wird man leicht entnehmen 
können, dass sich die Wirkungen der kombinierten Anwendung 
von Neutralrot und pikrinsaurem Ammoniak mit den von Methylen- 
blau hervorgebrachten vielfach decken, wie es sich denn in meinen 
Versuchen an der Linsenkapsel und den anderen von mir in 
diesen Zeilen erwähnten Objekten herausgestellt hat, dass auch 
die von A. S. Dogiel und mir schon vor längerer Zeit aufge- 
fundene, an die Wirkung des Silbersalpeters erinnernde Reaktion 
an den Epithelien, welche durch die Kombination Methylenblau- 
pikrinsaures Ammoniak erzielt werden kann, auch bei der Kombi- 
nation des letzteren mit Neutralrot hervortritt. 

Vom theoretischen Standpunkte aus möchte ich hinsichtlich 
der beschriebenen Wirkung der kombinierten Anwendung des 
Neutralrot und des pikrinsauren Ammoniak auf marklose Nerven- 
fasern die nachfolgenden Bemerkungen machen. 

Weder von dem Entdecker der Neutralrotmethode, P.Ehrlich, 
noch von seinen Nachfolgern und auch nicht von mir wurde 
beobachtet, dass unter die Wirkungen dieser Vitalfärbung 
auch die Färbung markloser Nervenfasern gehöre. 

Wenn nun unter dem Einflusse des pikrinsauren Ammoniak 
innerhalb der marklosen Nervenfädchen eine deren Verlauf 


Eine neuartige Verwendung des Farbstoffes „Neutralrot“. 73 


markierende Körnelung auftritt, kann man, soviel ich sehe, hier- 
für verschiedene Prozesse verantwortlich machen. 

Es wäre zunächst denkbar, dass die primär in Granulis von 
Epithelzellen lokalisierten Farbstoffmengen unter dem Einflusse 
des Absterbevorgänge einleitenden pikrinsauren Ammoniak in die 
mit einer besonderen Aufnahmefähigkeit für das Neutralrot be- 
gabten, unter demEinflusse des genannten Reagens veränderten 
Nervenelemente überwandern und dort alsbald körnig gefällt 
werden. Zu einer solchen Auffassung wird man durch die Be- 
obachtung hingeleitet, dass der Gehalt der im Präparate vor- 
handenen Epithelzellen an primär neutralrot gefärbten Körnchen 
nach der Einwirkung des pikrinsauren Ammoniak, nach einge- 
tretener sekundärer Umänderung der roten Farbe in eine gelblich- 
braune, geringer erscheint, als vorher. 

Man könnte aber auch der Vorstellung Raum gehen, dass 
die marklosen Nervenfasern in lebendem Zustande das auf- 
genommene Neutralrot mit grosser Energie in eine farblose 
Substanz verwandeln und in sich festhalten; beim Absterben 
könnte dann wieder die gefärbte Substanz auftreten und durch 
das pikrinsaure Ammoniak zur Fällung gebracht werden. 

Eine sichere Antwort auf die hier auftauchenden Fragen 
vermögen wir jedoch vorerst nicht zu geben. 


74 


Aus dem histologischen Institute der deutschen Universität zu Prag. 


Über die Darstellung des Glaskörpergerüstes 
und peripherer markloser Nervenfasern 
nach S. Mayers Methode. 


Von 
Dr. J Kubik, Assistent. 


Hierzu Tafel VI und VII. 

Die rasche und einfache Methode, deren sich S. Mayer 
zur Darstellung des Glaskörpergerüstes und der peripheren mark- 
losen Nervenfasern bediente, forderte zu einer näheren Prüfung 
ihrer Verwendbarkeit auf. Prof. Mayer hatte sich bei der 
Ausarbeitung seiner Methode fast ausschliesslich auf die Kaltblüter 
beschränkt, so dass Erfahrungen über die mit seiner Methode bei 
Warmblütern und speziell beim Menschen erreichbaren Resultate 
wünschenswert erschienen. 


a) Darstellung des Glaskörpergerüstes. 


Es hat sich bald gezeigt, dass die Vorschrift Mayers, das 
Auge des Frosches erst 1 bis 3 Tage nach dem Tode zu ver- 
wenden, nur insofern Vorteile bietet, als dann der Glaskörper 
sich leichter von der Membrana hyaloidea befreien lässt, während 
dies beim frischen Froschauge Schwierigkeiten bereitet. Hiervon 
abgesehen gelingt auch am frischen Präparate die Darstellung 
des Glaskörpergerüstes in einwandfreier Weise. Über die Konzen- 
tration des verwendeten Farbstoffes macht Mayer keine genauen 
Angaben. Ich stellte mir eine gesättigte Lösung von Neutralrot 
in physiologischer Kochsalzlösung her, von welcher ich durch 
zehn- bis fünfzehnfache Verdünnung (mit physiologischer Koch- 
salzlösung) eine der Mayerschen Forderung entsprechende 
Lösung erhielt, mit der zufriedenstellende Resultate erzielt werden 
können. Die Zeitdauer der Färbung, die Mayer empfiehlt, be- 
währte sich auch in meinen Versuchen; zu langes Färben oder 
stärkere Farbstoftlösungen führen zu störenden körnigen Nieder- 
schlägen, die die Klarheit des mikroskopischen Bildes beein- 
trächtigen. 


Über die Darstellung des Glaskörpergerüstes ete. 75 
Ausgewaschen wird in physiologischer Kochsalzlösung so- 
lange, bis keine Farbstoffwolken mehr abgehen, was im allgemeinen 
nach 2 bis 3 Minuten der Fall ist. Sichtbar wird das Glas- 
körpergerüst erst, wenn das Präparat in eine Lösung von pikrin- 
saurem Ammonium gebracht wird. 

Untersucht wird in Glycerin. 

Die Mayersche Methode gibt aber niebt nur bei Amphibien 
gute Erfolge, sie lässt sich auch ebenso einfach bei Säugetieren 
anwenden. Untersucht wurde der Glaskörper von Mensch, Kaninchen, 
Meerschweinchen, Katze. Kleine Stücke des Glaskörpers werden 
in die Farblösung gebracht und in der angegebenen Weise weiter 
behandelt. Das frischeste menschliche Material, das ich unter- 
suchen konnte, war einer Leiche 6 Stunden nach dem Tode 
entnommen. Zum Vergleich wurde der Glaskörper des einen 
Auges sofort, der andere 24 Stunden später untersucht. Der- 
artige vergleichende Versuche wurden wiederholt unternommen, 
ohne dass sich ein Unterschied in der Deutlichkeit des mikro- 
skopischen Bildes des Glaskörpers beider Augen feststellen liess. 

Die Resultate, die man mit der Mayerschen Methode bei 
Säugetieren erhält, zeigt die beigegebene Abbildung des Glas- 
körpergerüstes des Katzenauges (Fig. 5). Man erkennt ein dichtes 
Geflecht feiner, durch eng aneinander gereihte Granula gebildeter 
Fäden, zwischen denen wiederum ein bedeutend feineres Netz 
derselben Art sichtbar wird. Der Reichtum des Glaskörpers an 
Fasern, ferner die Stärke der Fasern selbst variiert in den ein- 
zelnen Abschnitten des Glaskörpers beträchtlich. Die Deutlichkeit 
des Bildes leidet häufig durch einen mehr oder weniger stark 
auftretenden Niederschlag feinster und gröberer Körnchen von 
rotbrauner Farbe, die ganz diffus zwischen den Fasern verteilt 
sind, und deren Auftreten sich trotz verschiedener Abänderungen 
des Verfahrens nie vollständig vermeiden lässt. 

Mit dieser einfachen Methode lässt sich nicht nur das Glas- 
körpergerüst in kürzester Weise darstellen, es treten auch deutliche 
Verschiedenheiten in seinem Bau bei verschiedenen Tieren hervor. 
Natürlich ist es bei den Untersuchungen kleiner Teilstücke nicht 
möglich, Aufschluss über den Faserverlauf, oder über die Archi- 
tektonik des Gerüstes zu geben. Doch hat die Methode gegen- 
über den Schnitten aus gehärtetem Material den Vorzug, dass 
man die Durchflechtuug der Fasern auch nach der Tiefe hin 


76 aRubei ke 


durch Wechseln der Einstellung verfolgen kann und dass man 
von kleinen Glaskörpern leicht ein Totalbild gewinnen kann. Man 
sieht ohne weiteres, dass z. B. das Glaskörpergerüst des Kaninchens 
verhältnismässig grob, auch leichter darstellbar ist, während das 
Glaskörpergerüst von Mensch (Fig. 4) und Katze von grosser 
Feinheit, an einzelnen Stellen trotz gelungener Färbung kaum 
sichtbar ist. In einigen Präparaten von Katze und Mensch ist 
das Flechtwerk stellenweise so fein, dass man gerade noch mit 
starken Vergrösserungen das Fadengewirr auflösen kann. 

Es ist besonders hervorzuheben, dass die feinen Fäden, die 
im Glaskörper auftreten, im allgemeinen, wie auch Retzius 
betont, nirgends untereinander netzartig zusammenhängen, sondern 
isoliert verlaufen und auf weite Strecken hin zu verfolgen sind. 
Doch kommen auch parallel verlaufende Faserzüge vor und an 
verhältnismässig spärlichen Stellen sind auch wirkliche Ver- 
zweigungen der Fasern nachzuweisen. 

Zahlreiche Kontrollversuche und die Übereinstimmung der 
so gewonnenen Bilder mit den bestbeglaubigten Darstellungen 
des Glaskörpers machen es zur Gewissheit, dass es sich bei den 
beschriebenen Strukturen nicht um Kunstprodukte handelt. 

Wenn schliesslich ein Urteil über die Verwendbarkeit der 
Mayerschen Methode abgegeben werden soll, so liegen ihre 
Vorzüge in der ungemein raschen Ausführbarkeit. Nach wenigen 
Minuten schon ist man imstande, am frischen Glaskörper das 
Vorhandensein eines Gerüstes zu demonstrieren. 


b) Darstellung peripherer markloser Nervenfasern. 


Prof. Mayer hat nach einer der vorstehenden ähnlichen 
Methode auch marklose Nervenfasern, vorwiegend an der Nickhaut 
des Frosches, mit Neutralrot dargestellt. Er verwendet wieder 
seine bekannte Lösung von Neutralrot in physiologischer Koch- 
salzlösung, nur erlaubt er hier ein längeres Verweilen in der 
Farblösung, bis zu 10 Minuten, und wäscht auch länger in 
physiologischer Kochsalzlösung aus. Es ist von vornherein zu 
erwarten, dass die Färbungsdauer bei der Darstellung markloser 
Nervenfasern eine längere sein müsse als für den Glaskörper, 
weil das Eindringen der Farbe in das dichtere Gewebe, um das 
es sich dabei in den meisten Fällen handelt, nicht so rasch vor 
sich gehen kann wie bei dem gallertigen Glaskörper. 


Über die Darstellung des Glaskörpergerüstes etc. 17 


Ein zweiter Punkt, in dem die Methode von der früheren 
abweicht, besteht darin, dass Prof. Mayer hier durchwegs frisches 
Material verwendet und auf die Erreichung eines gewissen Mace- 
rationsgrades verzichtet. Es wurde schon erwähnt, dass diese 
Bedingung auch beim Glaskörper nur einem technischen Kunst- 
griff dient, der die Isolierung des Glaskörpers beim Frosche 
leichter ermöglicht, auf die Färbung selbst dagegen ohne Einfluss 
ist. Diese kleinen Abweichungen sind also schon in der Ver- 
schiedenheit des angewandten Untersuchungsobjektes begründet. 
Die weitere Behandlung ist die gleiche; auch die Nervenfasern 
werden erst nach Zusatz von konzentriertem pikrinsauren Ammonium 
sichtbar. Die Präparate können dann beliebig lange in dem 
von Mayer angegebenen Gemisch (gleiche Teile Glycerin und 
konzentriertes Ammoniumpikrat) aufbewahrt werden, wenigstens 
zeigen die bereits über ein Jahr alten Präparate gar keine 
Veränderung. 

Es liegt nahe, hier auf die Ehrlichsche Methylenblau- 
methode hinzuweisen, an welche die Mayersche Methode viel- 
fach erinnert und die sie, das mag hier gleich betont sein, gewiss 
nicht erreicht. Bei beiden Methoden wird meistens frisches 
Material mit einem für die Vitalfärbung geeigneten Farbstoff 
behandelt. Während aber bei der Methylenblaumethode die 
Nervenfasern sehr bald in schöner Blaufärbung sichtbar werden 
und das Ammoniumpikrat nur zur Fixierung der Färbung 
dient, ist an den Neutralrotpräparaten vor der Einwirkung des 
Ammoniumpikrats weder von Nervenfasern noch von Glaskörper- 
fibrillen irgend etwas zu sehen. Nervenfasern und Fibrillen treten 
erst dann hervor, das unterscheidet die Methode durchaus von 
der Methylenblaumethode, wenn das Präparat nach der Einwirkung 
des Farbstoffes und nach dem Auswaschen in physiologischer 
Kochsalzlösung mit konzentriertem pikrinsauren Ammonium be- 
handelt wird. Nach dem Auswaschen allein tritt ebensowenig 
wie vorher auch nur eine Andeutung der Nervenzeichnung hervor. 
Das Auswaschen verfolgt lediglich den Zweck, das mikroskopische 
Bild reiner zu gestalten, da die Präparate sonst zwar auch die 
Nervenfasern zeigen, aber ganz verdeckt von einer grossen Zahl 
feiner braunroter Körnchen. Dass es sich bei der Neutralrot- 
methode nicht wie bei der Methylenblaumethode um eine vitale 


Färbung handelt. geht auch daraus hervor, dass man auch längere 
Archiv f. mikr. Anat. Bd. 81. Abt.1I. 6 


178 J. Kubik: 


Zeit post mortem noch deutliche Nervenbilder erhalten kann. 
Es dürfte sich hier mehr um eine Fällungsreaktion handeln, wie: 
sie sich in ähnlicher Weise bei der Darstellung der Endothel- 
grenzen durch Silbernitrat oder der Darstellung der Gitterfasern 
der Leber nach Maresch-Bielschowsky abspielt. Dafür 
spricht die Tatsache, dass bei der Neutralrotmethode ebenso 
wie bei den Silbermethoden immer auch ein feinkörniger Nieder- 
schlag ausserhalb der dargestellten Fasern auftritt. Eine weitere 
Analogie liegt darin, dass mit Neutralrot in schöner Weise 
auch die Endothelgrenzen sichtbar gemacht werden können. 
Dies lässt sich in allen Präparaten der Cornea, in denen die 
Membrana Descemeti mit dem Endothel der vorderen Kammer 
erhalten geblieben ist, leicht feststellen. Interessant ist, dass 
auch schon Dogiel und Mayer mit Methylenblau die Kittlinien 
der Endothelien darstellen konnten. Auch in dem mehrschichtigen 
Fpithel der vorderen Hornhautfläche zeigen sich die Grenzen der 
Epithelzellen scharf braunrot gezeichnet. Analog der Methylen- 
blaumethode gelingt es auch mit der Neutralrotmethode, die 
Saftlücken der Cornea darzustellen; sie treten, von einem fein- 
körnigen Niederschlag erfüllt, deutlich hervor. Ein grundsätzlicher 
Unterschied gegenüber der Methylenblaumethode aber zeigt sich 
darin, das sei noch einmal nachdrücklich hervorgehoben, dass 
alle diese Strukturbilder erst nach der Einwirkung des Ammonium- 
pikrats sichtbar werden. 

In ähnlicher Weise wie beim Glaskörper wurden zuerst die 
Resultate Mayers an dem von ihm hauptsächlich untersuchten 
Objekte, der Nickhaut des Frosches, nachgeprüft und die Be- 
dingungen ausfindig zu machen gesucht, unter denen die Färbung 
am besten gelingt. Weiter wurde untersucht, inwieweit auch bei 
Säugetieren brauchbare Resultate erhalten werden. 

Dieselbe Konzentration des Farbstoffes, die bei der Dar- 
stellung des Glaskörpers am meisten befriedigte, gab auch für 
die Nervenfasern der Kaltblüter und Warmblüter die besten 
Resultate, zehn- bis fünfzehnfache Verdünnung der in der Wärme 
hergestellten gesättigten Lösung von Neutralrot in physiologischer 
Kochsalzlösung. Die Zeitdauer der Färbung schwankt, je nach 
dem es sich um Kalt- oder Warmblüter handelt, und je nach 
dem Alter des verwendeten Materials innerhalb geringer Grenzen. 
Bei einer frischen Nickhaut oder einer frischen Froschcornea 


Über die Darstellung des Glaskörpergerüstes ete. 79 


setzt das intakte Epithel dem Eindringen der Farblösung einen 
grösseren Widerstand entgegen, so dass eine längere Färbungs- 
dauer, bis zu 20 Minuten, erforderlich ist. Das Eindringen der 
Farbe wird daher zweckmässig durch einige tief reichende 
Scherenschnitte unterstützt, wodurch die Dauer der Färbung 
auch bei frischem Material von Kaltblütern um die Hälfte abge- 
kürzt wird. Bei älterem Material von Kaltblütern, 24 bis 48 
Stunden nach dem Tode, dringt die Farbe durch das macerierte 
Epithel leicht und rasch ein, so dass die Nickhaut oder die Cornea 
unzerteilt in 10 Minuten gefärbt werden kann. Bei Warmblütern 
genügt im allgemeinen eine 5 bis 10 Minuten dauernde Färbung, 
zumal wenn genügend dünne Objekte untersucht werden. Bei der 
Cornea von Warmblütern, die wegen ihrer Dicke nieht gut im 
Ganzen untersucht werden kann, werden zweckmässig vorher 
Flachschnitte angefertigt. Man wäscht dann in physiologischer 
Kochsalzlösung ungefähr solange aus, als man vorher gefärbt hat. 
Im konzentrierten pikrinsauren Ammonium bleiben die Objekte 
bis zur vollständigen Durchtränkung, bis die vorher rein rote 
Farbe des Präparates durch eine braunrote ersetzt ist. Dieser 
ganze Prozess kann auch ganz gut unter dem Mikroskop beobachtet 
werden; man sieht dann, wie die Nervenfasern im Präparate 
durch feine Körnchen markiert nach und nach aufschiessen in 
dem Maße, als das pikrinsaure Ammonium in das Präparat 
eindringt. 

Die beigegebenen Abbildungen sollen eine annähernde Vor- 
stellung von der Leistungsfähigkeit der Mayerschen Methode 
geben. Die Froschnickhaut, — es wurden in gleicher Weise 
Eskulenten und Temporarien benutzt — die wegen ihrer Durch- 
sichtigkeit und ihres Nervenreichtums zum Studium der Neutralrot- 
methode hervorragend geeignet ist, wurde inderschon beschriebenen 
Weise handelt. Das fertige im konzentrierten pikrinsauren 
Ammonium liegende Präparat ist aber für die Durchmusterung 
noch ungeeignet, weil das mitgefärbte mehrschichtige Epithel der 
äusseren Fläche den Einblick in die tieferen Schichten der Nick- 
haut verwehrt. Es empfiehlt sich, deshalb das Epithel mit einer 
Nadel oder einem Spatel durch leichtes Darüberstreifen zu 
entfernen, was leicht gelingt, da das Ammoniumpikrat tierisches 
Gewebe stark auflockert. Das Epithel muss, das gilt besonders 
auch für die Cornea, sehr vorsichtig entfernt werden, weil sonst 

6* 


s0 IRubik: 


auch das subepitheliale Nervennetz mit gefährdet wird. Neben 
dem subepithelialen Nervennetz und den tiefer gelegenen gröberen 
Nervenfasern gelingt in der Nickhaut in sehr schöner Weise 
auch die Darstellung der Gefäss- und Drüsennerven (Fig. 5 und 9). 

Auch an den anderen Kaltblüterorganen wurden Versuche 
zur Darstellung der Nervenfasern gemacht, die ganz befriedigende 
Resultate ergaben. So zeigen die beigegebenen Abbildungen 
Nervennetze aus dem Darm (Plexus myentericus) des Frosches 
(Fig. 7). Die Abbildung der Froschcornea (Fig. 1) zeigt nur das 
oberflächliche subepitheliale Nervennetz, das bei hoher Einstellung 
sichtbar wird, während die grösseren Nervenstämmchen erst in 
der Tiefe auftauchen. 

Um die Anwendbarkeit der Neutralrotmethode für Säuge- 
tiere zu erproben, wurden zahlreiche Präparate, meist von der 
Cornea, hergestellt, weil in ihr die Nervenverteilung gut bekannt 
ist und die Resultate daher leicht beurteilt werden können. Das 
Material stammte von Mensch, Hund, Katze, Kaninchen, Meer- 
schweinchen und Pferd. Da regelmässig Flachschnitte der Öornea 
zur Herstellung der Präparate angefertigt wurden, also ein Ein- 
dringen der Farbe von der Schnittfläche her leicht möglich war, 
so war eine Färbungsdauer von 5 bis 10 Minuten vollständig 
ausreichend. Die Cornea wurde teils sofort, nachdem das Tier 
getötet war, verwendet, teils in verschiedenen Zeitabständen, 
bis 24 Stunden, nach dem Tode; das Ergebnis war immer das 
gleiche. Das frischeste menschliche Material, das zur Untersuchung 
kam, stammte von einer Leiche 6 Stunden nach dem Tode. 

In den Corneapräparaten sind sowohl die tiefen gröberen 
Nervenstämmchen als auch die feineren subepithelialen Nerven- 
netze und die von den tieferen Nervenbündeln zu dem ober- 
flächlichen Nervennetze aufsteigenden Verbindungen deutlich zu 
sehen (Fig. 2 und 3). Zur Kontrolle wurde eine ganze Reihe von 
Versuchen mit der Methylenblaumethode nach Dogiels Vorschrift 
angestellt, die die vollständige Zuverlässigkeit der Neutralrotbilder 
dartaten, zu gleicher Zeit aber auch die Überlegenheit der 
Methylenblaumethode erwiesen. Es gelingt mit Neutralrot nicht, 
die feinsten Nervenverzweigungen so schön und vollständig dar- 
zustellen wie mit Methylenblau. 

Aber interessant ist die Methode S. Mayers auf jeden 
Fall. Dass man mit Neutralrot überhaupt Nervenfasern darstellen 


Über die Darstellung des Glaskörpergerüstes etc. 81 


kann, ist ganz neu. Besonders merkwürdig ist, dass der Farbstoft 
an sich zu ihrer Darstellung nicht genügt, dass es vielmehr noch 
der Nachbehandlung mit Ammoniumpikrat bedarf, um sie sichtbar 
zu machen. 


Erklärung der Abbildungen auf Tafel VI und VII. 


Sämtliche Präparate wurden in Neutralrotlösung gefärbt, mit Ammonium- 
pikrat nachbehandelt und in Glycerin-Ammoniumpikrat eingeschlossen. 


Tafel VI. 
Fig. 1. Feinere Nervennetze der Froschcornea. Vergr. 190. 


Fig. 2. Verzweigung eines Nervenstämmchens aus den tieferen Schichten 
der Cornea des Menschen. Vergr. 80. 

Fig. 3. Oberflächliches Nervennetz aus der Cornea des Menschen. Vergr. 120. 

Fig. 4. Glaskörpergerüst des Menschenauges. Vergr. 450. 

Fig. 5. Glaskörpergerüst des Katzenauges. Vergr. 330. 


Tafel VII. 
Fig. 6. Nervennetz vom Plexus myentericus des Dünndarms der Ratte. 
Vergr. 60. 
Q Nervennetz aus dem Plexus myentericus des Froschdarms. Vergr. 60. 
Fig. 8. Nervennetz aus der Nickhaut des Frosches mit Drüsennerven. 
Vergr. 75. 
Fig. 9. Drüsennerven aus der Nickhaut des Frosches. Vergr. 310. 


es 
5 
-] 


82 


Aus dem histologischen Institut der deutschen Universität zu Prag. 


Azidophile Zellen 
in der Nebenniere von Rana esculenta. 


Von 
V. Patzelt und Dr. J. Kubik. 


Hierzu Tafel VIII. 


H. Stilling?!) machte bei seinen Untersuchungen über die 
Nebenniere des Kaninchens die merkwürdige Beobachtung, dass 
ihr Gewicht periodischen Schwankungen unterworfen sei. Er 
‘glaubt auch Hand in Hand mit diesen Gewichtsänderungen 
Änderungen in der Struktur der Nebennieren wahrgenommen zu 
haben. Zur genauen Feststellung solcher periodischen Wandlungen 
stellte er vergleichende Untersuchungsreihen an frei lebenden 
Tieren an. In der oben erwähnten Arbeit teilt er die Resultate 
seiner Untersuchungen über die Nebenniere von Rana esculenta mit. 

Stilling findet auch hier dem Wechsel der Jahreszeiten 
entsprechende periodische Veränderungen, die hauptsächlich den 
epithelialen Anteil betreffen. Zwischen den typischen lipoidhaltigen 
Zellen treten nämlich zur Sommerzeit ganz neue stark granulierte 
Zellen auf, die sich in einer schwachen Eosinlösung leuchtend rot, 
im Ehrlich-Biondischen Farbgemisch rotviolett färben. Diese 
auffallenden, leicht wahrnehmbaren Zellen treten nach seinen 
Beobachtungen in den Nebennieren der in den letzten Tagen des 
Mai gefangenen Esculenten auf, sind während des ganzen Sommers 
vorhanden und verschwinden im Oktober scheinbar vollständig. 
Über die Art ihrer Entstehung im Frühjahr konnte Stilling 
ebensowenig Klarheit gewinnen wie über ihr späteres Schicksal 
im Herbst. Er hält diese Zellen für spezifische, von den Rinden- 
und Markzellen verschiedene Zellen, die im Herbste zum grössten 
Teil verschwinden. Nur einige wenige sollten zurückbleiben, die 
charakteristischen Granulationen verlieren und deshalb von den 
übrigen Zellen nicht mehr zu unterscheiden sein. Erst im folgenden 


ı) H. Stilling. Zur Anatomie der Nebennieren. Arch. f. mikr. Anat., 
Bd. 52, 1898. 


Azidophile Zellen in der Nebenniere von Rana esculenta. 33 
Sommer beginnen diese sich wieder zu vermehren, erzeugen wieder 
die charakteristischen Granula und bringen so eine neue Generation 
solcher Zellen hervor. Stilling nennt diese Zellen, weil sie 
nur im Sommer vorkommen, „Sommerzellen“. Da ihr Auftreten 
mit der Paarungszeit der Esculenten zusammenfällt, glaubt er, 
dass es in irgend einem noch nicht näher aufgeklärten Zusammen- 
hang mit dem Generationscyklus stehe. 

Das Schicksal dieser merkwürdigen Zellen, die Stilling 
als erster beschrieben hat, suchten wir genauer zu erforschen. 

Da aber nach allen vorliegenden Beobachtungen die „Sommer- 
zellen“ Stillings ganz unabhängig von der Jahreszeit erscheinen 
und auch im Winter nicht verschwinden, so glauben wir die un- 
zutreffende Bezeichnung „Sommerzellen“ vermeiden zu sollen und 
gebrauchen statt ihrer die allgemeinere Benennung „azidophile 
Zellen“ der Nebenniere. 

Untersucht wurden im ganzen die Nebennieren von 60 
Ranae esculentae, die in den verschiedenen Jahreszeiten getötet 
wurden. Dabei wurden auch Alter und Geschlecht, Lebens- 
bedingungen und Ernährungszustand stets verzeichnet. Das Unter- 
suchungsmaterial wurde im Laufe von 2 Jahren in kurzen 
Zeitabständen von 2 bis 3 Wochen zu allen Jahreszeiten beschafft. 
Ein Teil der Frösche wurde sofort nach der Einlieferung unter- 
sucht — im Winter wurden sie zu diesem Zwecke ausgegraben — 
ein anderer Teil verblieb vor der Untersuchung längere Zeit, 
bis über 3 Monate, in den Aquarien des Laboratoriums. Der 
Ernährungszustand war, wie man nach dem Fettkörper beurteilen 
konnte, bei den frisch gefangenen Tieren bedeutend besser als 
bei den Laboratoriumstieren. Die kleinste der untersuchten 
Esculenten hatte eben ihre Metamorphose vollendet, eine andere 
wies die stattliche Stammlänge von 9,4 cm auf. 

Untersucht wurden die Nebennieren frisch und fixiert. An 
frischen Zupfpräparaten in physiologischer Kochsalzlösung heben 
sich die azidophilen Zellen infolge ihrer Granulierung und ihrer 
scharfen Konturen dunkel und deutlich von den übrigen Zellen ab, 
so dass schon nach der Untersuchung der frischen Zupfpräparate 
ihre Anwesenheit zu jeder Jahreszeit leicht festgestellt werden 
kann. Zusatz von 1 proz. Essigsäure verändert die Granula der 
azidophilen Zellen nicht. Unter der Einwirkung von verdünnter 
Kalilauge lösen sich die Granula langsam auf, bei Anwendung 


54 V. Patzelt und J. Kubik: 


einer stärkeren Kalilauge (30 °/o) stieben die Granula plötzlich 
auseinander, werden dann undeutlich und aufgelöst. Im ganzen 
Zupfpräparate bleiben nach genügend langer Einwirkung der 
Kalilauge nur noch die gelblichen Lipoidtröpfehen der typischen 
Nebennierenzellen sichtbar. 

Neben dem frischen Material wurden Paraffinpräparate der 
fixierten Nebennieren zum Studium herangezogen. Zur Fixierung 
wurde vorwiegend Osmiumsäure (!/a °/o), dasZenkersche Gemisch 
(Kaliumbichromat-Sublimat-Essigsäure) und Kaliumbichromat-Sub- 
limat-Formol (Helly)in der von Prof. Kohn gewöhnlich benutzten 
Zusammensetzung (65 ccm einer 3!/s proz. wässerigen Kalium- 
bichromatlösung, 25 ccm einer 5 proz. wässerigen Sublimatlösung 
und 10 ccm Formol) angewendet. Kaliumbichromat - Sublimat- 
Formol bewährte sich besser als das von Stilling hauptsächlich 
verwendete Zenkersche Gemisch, da ersteres die azidophilen 
Zellen durch stärkere Markierung der Zellgrenzen schon im 
ungefärbten Präparate deutlicher hervortreten lässt. Zur Kern- 
färbung diente vorwiegend Delafieldsches Hämatoxylin, das 
ebenso wie andere Kernfarbstoffe vom Protoplasma der in Rede 
stehenden Zellen fast gar nicht angenommen wird, vorausgesetzt 
dass die Schnitte nicht zu lange gefärbt und genügend aus- 
gewaschen werden. Für die Protoplasmafärbung gaben uns ebenso 
wie Stilling die besten Resultate eine stark verdünnte Eosin- 
lösung (100- bis 200 fache Verdünnung der konzentrierten wässerigen 
Eosinlösung bei 1- bis 6stündiger Färbungsdauer) und in zweiter 
Reihe das Ehrlich-Biondische Dreifarbengemisch. Mit Eosin 
färben sich die Granula der azidophilen Zellen besonders bei der 
angegebenen Verdünnung weit stärker als das Protoplasma der 
übrigen Zellen, leuchtend rot, und sie stehen hierin nur den 
azidophilen Körnchen der Leukocyten des Blutes und Bindegewebes 
ein wenig nach. Nach der Färbung mit dem Ehrlich- 
Biondischen Farbstoffgemisch erscheinen sie intensiv rotviolett 
(die Granula der Leukocyten dagegen dunkel orangerot), nach 
Giemsafärbung hellrot. Auch mit anderen sauren Farbstoffen, 
Orange. Erythrosin, Säurefuchsin lassen sie sich leicht darstellen, 
so dass die Bezeichnung azidophile Zellen nach dem üblichen 
Sprachgebrauch gerechtfertigt erscheint. 

Nur die azidophilen Leukoeyten zeigen, wie schon oben 
erwähnt, eine noch grössere Affinität zu sauren Farbstoffen als 


Azidophile Zellen in der Nebenniere von Rana esculenta. 35 


die azidophilen Nebennierenzellen. Das kann man sehr schön 
zur Anschauung bringen, wenn man die Schnitte mit verdünnter 
Giemsalösung lange färbt (bis zu 24 Stunden) und nur kurze 
Zeit in Alkohol differenziert. Da kommt es dahin, dass die 
azidophilen Zellen noch dunkelblau, die azidophilen Leukocyten 
dagegen schon kräftig rot gefärbt erscheinen. Erst nach längerer 
Alkoholdifferenzierung geben die azidophilen Nebennierenzellen 
den blauen Farbstoff ab und erscheinen in der charakteristischen 
Rotfärbung. 

Besonders schöne Resultate ergibt die Behandlung mit 
Eisenhämatoxylin nach M. Heidenhain. Je nach dem Grade 
der Differenzierung färben sich die azidophilen Zellen ganz intensiv 
schwarz, oder ihre Granula allein heben sich dunkelschwarz von 
dem schwach graublau getärbten Protoplasma ab, während die 
chromaffinen Zellen einen dunkel-blaugrauen Ton annehmen, die 
Rindenzellen nur ganz schwach blaugrau gefärbt werden. 

Sehr instruktive Bilder geben auch die Osmiumpräparate. 
Die Rindenzellen sind ganz dicht mit verschieden grossen Lipoid- 
körnchen angefüllt; in den azidophilen Zellen dagegen lässt sich 
weder mit Osmium noch mit Sudan eine lipoide Substanz nach- 
weisen, so dass sie als helle, kleine Inseln scharf gegen die 
intensiv gefärbte Umgebung kontrastieren. Die Färbung der 
azidophilen Zellen mit Eosin gelingt auch in Osmiumpräparaten 
ganz gut, wenn es in höherer Konzentration verwendet wird 
(Eosin !/ı °/o, eine halbe Stunde Färbungsdauer). 

Nicht nur durch ihre besondere Färbbarkeit unterscheiden 
sich die azidophilen Zellen von den übrigen Nebennierenzellen; 
sie machen auch sonst durchaus den Eindruck von eigenartigen, 
wohl charakterisierten Elementen, die weder mit den lipoidhaltigen 
Rindenzellen noch mit den chromaffinen Zellen verwechselt werden 
können. Die Unterschiede sind schon im ungefärbten Präparate 
deutlich, im gefärbten treten sie noch schärfer hervor. Die 
azidophilen Zellen weisen durchwegs abgerundete, scharf konturierte 
Formen auf. Sie zeigen meistens eine rundlich birnförmige 
Gestalt und sind von den Nachbarzellen scharf abgegrenzt. Diese 
Abgrenzung ist dann besonders deutlich, wenn Kaliumbichromat- 
Sublimat-Formol zur Fixierung benutzt wurde, weniger scharf 
nach Fixierung in Zenkerschem Gemisch. An Grösse stehen 
die azidophilen Zellen den Rindenzellen nach, die chromaffınen 


56 V. Patzelt und J. Kubik: 


Zellen sind am grössten. Sehr charakteristisch für die azidophilen 
Zellen ist auch das dichte, intensiv färbbare Kerngerüst. Ihr 
Kern fällt stets gegenüber den Kernen der übrigen Rindenzellen 
durch seine dunkle Färbung auf und liegt gewöhnlich wandständig 
am schmäleren Pole der Zelle. Das Protoplasma ist dicht granuliert, 
doch sind die einzelnen Granula feiner und dichter als die 
Granula der eosinophilen Leukocyten. 

Unsere Beobachtungen über die azidophilen Zellen stimmen 
soweit mit den Angaben Stillings gut überein. Doch konnten 
wir im Gegensatze zu Stilling eine Regelmässigkeit in der 
Anordnung der azidophilen Zellen nicht nachweisen. Sie liegen 
ziemlich gleichmässig in den Zellbalken der Nebenniere zwischen 
den lipoidhaltigen Rindenzellen verteilt, bald einzeln, bald in 
kleinen Gruppen beisammen, ohne dass sich eine nähere Beziehung 
zu einer der beiden anderen Zellarten oder zu den Gefässen 
feststellen liesse. Dass die Zellen mit ihrem Längsdurchmesser 
gerade immer parallel zur Längsachse der Zellbalken stehen oder 
überhaupt eine bestimmte Richtung zeigen sollten, konnten wir 
nicht finden. 

Wie schon erwähnt, beschrieb Stilling eine merkwürdige 
Periodizität der azidophilen Zellen. Sie sollten nämlich erst in 
den letzten Tagen des Mai auftreten, dann den ganzen Sommer 
über nachweisbar sein und im Oktober wieder verschwinden. 
Deshalb nannte sie Stilling, der über die Natur dieser Zellen 
nicht ins reine kam, einfach „Sommerzellen“. Er vermutet, dass 
ein Teil im Oktober vollständig zugrunde gehe, während ein 
anderer Teil durch Verlust seiner charakteristischen Granula 
sich der deutlichen Beobachtung entziehe, aber vermehrungsfähig 
bleibe. Aus diesen sollte sich im nächsten Jahre die neue 
Generation von Sommerzellen entwickeln. Eine sichere Grund- 
lage für diese Annahme konnte er aber nicht gewinnen; döch 
fand er beim ersten Wiedererscheinen oft Sommerzellen mit zwei 
Kernen und andere, deren Kern in Mitose begriffen war. 

Gerade die näheren Vorgänge, die sich beim Untergang der 
Sommerzellen abspielen, und wie und woher im Frühjahr die 
neuen azidophilen Zellen sich entwickeln, wollten wir genauer 
untersuchen. Doch das Resultat war ein völlig unerwartetes. 
Gleich der erste Frosch, den wir zu diesem Zwecke im Februar 1910 
untersuchten, also zu einer Zeit, wo wir Sommerzellen zu finden 


Azidophile Zellen in der Nebenniere von Rana esculenta. 87 


nicht erwarten durften, zeigte Sommerzellen in schönster Aus- 
bildung. Es wurden dann während der folgenden Monate in 
kurzen Zeitabständen die Nebennieren zahlreicher Esculenten 
untersucht, immer mit dem gleichen Resultate: die azidophilen 
Zellen waren stets in gleicher Menge und Färbbarkeit vorhanden, 
ohne dass sich irgend eine Änderung nachweisen liess. Auch 
Mitosen und Zellen mit zwei Kernen, die nach Stillings Be- 
obachtungen im Frühjahr häufig sein müssten, fanden wir zu 
selten, als dass man daraus auf eine zeitweilig stärkere Vermehrung 
der azidophilen Zellen zu schliessen berechtigt wäre. Im Oktober 
und November war von einem Verschwinden oder auch nur von 
einer Abnahme der Zellen nichts zu merken. 

Wir suchten nach einer Möglichkeit, diesen Widerspruch 
aufzuklären. Unsere ersten, Ende des Winters und Anfang des 
Frühjahrs mit positivem Erfolg untersuchten Frösche waren 
gefangene Laboratoriumstiere, lebten also unter aussergewöhnlichen, 
für den Fortbestand der Sommerzellen vielleicht günstigen Um- 
ständen und waren daher auch nicht wie die im Freien lebenden 
Frösche in einen dem Winterschlaf ähnlichen Zustand verfallen. 
Dieser Einwand fällt aber bei jenen Fröschen weg, die dann 
während des Winters mehrmals im Freien eigens ausgegraben 
wurden und noch ganz erstarrt zur Untersuchung kamen. Auch 
diese besassen die azidophilen Zellen in unverminderter Zahl und 
Färbbarkeit. Schon deshalb erschien uns der von Stilling 
vorgeschlagene Namen „Sommerzellen“ unzweckmässig, abgesehen 
davon, dass solche Namen uns nichts über die Natur und 
Bedeutung der Elemente sagen. 

Wie die widersprechenden Befunde zu erklären seien, ist 
uns rätselhaft geblieben. Dass Stilling an seinen Winterfröschen 
die azidophilen Zellen stets vermisste, während an unseren 
Esculenten keinerlei periodische Schwankungen festzustellen waren, 
ist doch höchst merkwürdig. Es ist nicht ganz ausgeschlossen, 
wenn auch unwahrscheinlich, dass es sich um verschiedene noch 
nicht gekannte Spielarten von R. eseulenta handelt. Wir dachten 
auch daran, dass in der Verschiedenheit der benutzten Fixierungs- 
flüssigkeit eine Erklärung zu finden wäre, da Stilling Kalıum- 
bichromat - Sublimat - Essigsäure benutzte, während nach unseren 
vergleichenden Versuchen Kaliumbichromat - Sublimat - Formol 
bessere Resultate gibt. In der Tat sind im ungefärbten Zenker- 


ss V: Patzelt und J. Kubik: 


präparate die azidophilen Zellen viel schwerer zu sehen als im 
ungefärbten mit Kaliumbichromat - Sublimat - Formol behandelten 
Präparate. Doch konnten wir auch nach Zenkerfixierung bei 
Winterfröschen die azidophilen Zellen vollkommen einwandfrei 
darstellen. und sie wären wohl auch Stilling nicht entgangen. 

Auch irgend eine Abhängigkeit der azidophilen Zellen von 
physiologischen Veränderungen des Tieres konnten wir nicht 
wahrnehmen. Bei Esculenten, die kurz nach Beendigung der 
Metamorphose untersucht wurden, zeigten die azidophilen Zellen 
dasselbe Verhalten wie bei völlig erwachsenen Tieren, bei Männchen 
das gleiche wie bei Weibchen. Vor allem aber fanden wir nicht 
die geringsten periodischen Änderungen, die auf eine Abhängigkeit 
von den Jahreszeiten oder dem Geschlechtsleben hätten schliessen 
lassen. Ebenso zeigten sich die azidophilen Zellen vollständig 
unabhängig vom Ernährungszustande. Bei frisch gefangenen Tieren 
im ersten Frühjahr und im Herbst, bei denen der Fettkörper 
am besten entwickelt war, waren sie in gleicher Zahl und Färb- 
barkeit vorhanden wie bei Tieren, die durch mehrere Monate im 
Laboratorium gehungert hatten und deren Fettkörper sehr stark 
reduziert war. Wohl schien bei einzelnen Tieren die Zahl der 
azidophilen Zellen vermehrt, bei anderen verringert; doch waren 
diese Schwankungen gering, so dass es sich vielleicht nur um 
individuelle Abweichungen handelt. 

Über die funktionelle Rolle der azidophilen Zellen der 
Nebenniere können wir nach unseren Untersuchungen nicht einmal 
Vermutungen aufstellen. Für Stillings Ansicht, dass vielleicht 
ein Zusammenhang mit der Tätigkeit der Geschlechtsorgane 
bestehen könnte, findet sich in unseren Beobachtungen kein 
Anhaltspunkt. Doch dürfen wir wohl darauf verweisen, dass in 
ähnlich gebauten Organen mit innerer Sekretion azidophile Zellen 
kein ungewöhnliches Vorkommnis darstellen. Vor allem wäre an 
die azidophilen Zellen des drüsigen Anteils der Hypophyse sowohl 
des Frosches wie auch höherer Tiere und des Menschen zu 
erinnern, wo sie als besondere Spezies der epitbelialen Zellen 
des Vorderlappens erscheinen. Die Ähnlichkeit kommt in erster 
Linie in der eigenartigen Granulierung des Zelleibes zum Aus- 
druck, welcher die Zellen ihre besondere Färbbarkeit verdanken. 
In Übereinstimmung mit diesen lange bekannten Tatsachen darf 
man die azidophilen Zellen wohl als eine besondere Art der 


Azidophile Zellen in der Nebenniere von Rana esculenta. 59 


epithelialen Rindenzellen der Nebenniere auffassen. Wir hätten 
dann in der Nebenniere von R. esculenta drei Arten von Zellen 
zu unterscheiden: epitheliale (Rinden-) Zellen, die erstens 
in Form der allgemein verbreiteten lipoidhaltigen Zellen 
und zweitens als azidophil gekörnte Zellen auftreten und dann 
die chromaffinen Zellen. Es wäre nicht unmöglich, dass auch 
eine gewisse funktionelle Beziehung zwischen den azidophilen 
Zellen der Nebenniere und denen der Hypophyse besteht. Jeden- 
falls aber verlieren sie durch die Einreihung unter die azidophilen 
Zellen der epithelialen „Drüsen mit innerer Sekretion“ die ganz 
rätselhafte Sonderstellung, die ihnen durch den Namen „Sommer- 
zellen“ zugefallen war. 

Sehr merkwürdig ist es, dass die azidophilen Zellen, die 
sich so reichlich in der Nebenniere von R. esculenta finden, allen 
anderen untersuchten Amphibien und Reptilien fehlen. Ein ganzes 
Jahr hindurch wurden parallel mit den Nebennieren der Esculenten 
die der Temporarien untersucht, ohne dass jemals auch nur eine 
Andeutung von azidophilen Zellen gefunden werden konnte. Ebenso 
war auch die Nebenniere einer im Sommer untersuchten R. arvalis 
frei von diesen Zellen. Bei der nahen systematischen Verwandtschaft 
dieser Arten ist diese Tatsache wohl recht auffällig, und wir 
gewinnen damit wieder ein neues interessantes inneres Unter- 
scheidungsmerkmal für R. esculenta und temporaria. 

Angesichts der grossen Ähnlichkeit der azidophilen Zellen 
in Nebenniere und Hypophyse war auch daran zu denken, dass 
bei den Ranaarten, deren Nebennieren die erwähnten Zellen nicht 
aufweisen, diese Zellen möglicherweise in der Hypophyse in 
vermehrter Zahl vorkommen oder umgekehrt auch in der Hypophyse 
fehlen. Darauf gerichtete Untersuchungen haben gezeigt, dass 
die Hypophyse von R. esculenta und R. temporaria keine wesentlichen 
Unterschiede im Bau aufweist. 

In der Nebenniere der anderen im Sommer untersuchten 
Anuren, und zwar Bufo vulgaris, Bufo variabilis, Bombinator igneus, 
Pelobates fuscus, Hyla arborea waren keine azidophilen Zellen 
aufzufinden. Ebenso negativ war das Resultat bei einigen Urodelen: 
Salamandra maculata, Triton taeniatus, Triton eristatus. Auch die 
Reptilien, die vergleichsweise untersucht wurden (Lacerta smaragdea, 
Tropidonotus natrix, Testudo graeca) zeigten keine azidophilen 
Zellen in ihrer Nebenniere. 


90 V. Patzelt und J. Kubik: 


Am besten stimmen unsere Befunde mit der sehr eingehenden 
und zutreffenden Beschreibung Grynfeltts') überein. Auch er 
vermisste die Sommerzellen bei den übrigen Anuren und Urodelen, 
fana sie dagegen bei Esculenten zu jeder Zeit und ganz un- 
abhängig vom Geschlechtsleben. Allerdings ist er geneigt, sie 
für leukocytäre Elemente zu halten. Ciaccio”) beschrieb eine 
neue Art von sekretorischen Zellen in der Nebenniere von Rana 
(esceul.?), die vielleicht mit den „azidophilen Zellen“ identisch 
sind. Bonnamour und Policard’°) haben Stillings Sommer- 
zellen gleichfalls bei Winterfröschen beobachtet. E.Giacomini‘) 
macht die überraschende Angabe, dass er bei R. temporaria, 
nicht aber bei R. esculenta, die Sommerzellen aufs deutlichste dar- 
stellen konnte. Das ist das zweite grosse Rätsel: Stilling findet 
die fraglichen Zellen nur im Sommer, alle anderen Beobachter 
das ganze Jahr hindurch. Wir vermissen die „azidophilen Zellen“ 
bei R. temporaria, und ein so zuverlässiger Forscher wie E. Gia- 
comini findet gerade bei dieser Art analoge Zellen. 

Das Resultat dieser Untersuchung können wir kurz in 
folgenden Sätzen zusammenfassen: 

Die Nebenniere von R. esculenta enthält wie die Nebenniere 
der Säugetiere, Vögel und Reptilien einen epithelialen und 
einen chromaffinen Anteil. 

Der epitheliale Anteil enthält zweierlei Zellarten : die 
allgemein verbreiteten lipoidhaltigen Zellen und zwischen 
ihnen zerstreut azidophil gekörnte Zellen. 

Die azidophilen Zellen der Nebenniere von R. esculenta 
(„Sommerzellen“ nach Stilling) finden sich das ganze Jahr 
hindurch in unveränderter Zahl und Färbbarkeit. 

Sie zeigen keine Abhängigkeit von Alter, Geschlechtstätigkeit 
und Ernährungszustand. 


!) Grynfeltt, Ed. Notes histologiques sur la capsule surrenale des 
Amphibiens. Journal de l’Anat. et de la Physiol. norm. et pathol., XLe a. 1904. 

2), Ciaccio, Carmelo. Sopra una nuova specie di cellule nelle capsule 
surrenali degli Anuri. Anatom. Anzeiger, 23. Bd., 1903. 

3) Bonnamour et Policard. Note histologique sur la capsule 
surrenale de la Grenouille. Comptes rend. Assoc. d. Anatom., Ve sess. 
Liege, 1903. 

*) Giacomini, E. Sopra la fine struttura delle capsule surrenali 
degli Anfibii e sopra i nidi cellulari del simpatico di questi Vertebrati. 
Siena 1902. 


Azidophile Zellen in der Nebenniere von Rana esculenta. 9 


Sie fehlen in der Nebenniere der anderen untersuchten 
Anuren, der Urodelen und Reptilien. 

Eine azidophile Spielart epithelialer Zellen findet sich in 
den verschiedensten Drüsen mit innerer Sekretion (Epithelkörper 
der Säugetiere, Hypophyse der Wirbeltiere, Nebenniere von 
R. esculenta). 


Erklärung der Abbildungen auf Tafel VIII. 


Die gezeichneten Präparate stammen von einer Rana esculenta, die am 
6. Februar gefangen, am 9. Februar getötet wurde. Fixierung: Kalium- 
bichromat-Sublimat-Formol. Färbung: Hämatoxylin-Eosin. 


Allgemeine Bezeichnungen. 


az — Azidophile Epithelzellen. chr z — Chromaffine Zellen. 

lz — Lipoidhaltige Epithelzellen. blk = Rote Blutkörperchen. 
Fig. 1. Zellbalken aus der Nebenniere eines Winterfrosches. Vergr. 260. 
Fig. 2. Zellbalken aus der Nebenniere eines Winterfrosches. Vergr. 550. 


92 


Histologisches und embryologisches Institut der k. u. k. Tierärztlichen 
Hochschule in Wien. 


Bau, Entwicklung und systematische Stellung der 
Blutlymphdrüsen. 


Von 
Siegmund v. Schumacher, a. o. Professor in Wien. 


Hierzu Tafel IX und X. 


Einleitung. 

Vor ungefähr 15 Jahren hatte ich das Vergnügen, unter 
Leitung Hofrat von Ebners und meines Freundes Professor 
Schaffers im Wiener histologischen Institute meine wissen- 
schaftliche Tätigkeit mit der Untersuchung der Lymphdrüsen 
von Macacus rhesus zu beginnen. Es gelang mir damals den 
Nachweis zu erbringen, dass die Lymphdrüsen des Macacus 
Zerstörungsstätten von roten Blutkörperchen darstellen (26). 
Heute übergebe ich die Untersuchungsergebnisse über einen 
ähnlichen Gegenstand der Öffentlichkeit, die ich meinem hoch- 
verehrten Lehrer und ehemaligen Chef Hofrat von Ebner 
anlässlich seines Rücktrittes vom Lehrberufe in tiefer Dankbar- 
keit und Verehrung zueigne. 

Seit meiner ersten Arbeit sind von vielen Autoren Beobach- 
tungen über das Vorkommen von roten Blutkörperchen in den 
Sinus der Lymphdrüsen mitgeteilt worden, ja es wurden sogar 
derartige Lymphdrüsen als Organe sui generis, als „Haemolymph 
glands“ oder „Blutlymphdrüsen“ den gewöhnlichen Lymphdrüsen 
gegenübergestellt. 

Besonders eingehend hat sich mit dem Aufbau der Blut- 
Iymphdrüsen (speziell beim Schafe) Weidenreich (31, 32, 33) 
befasst und zum erstenmal betont, dass zwischen Blutlymphdrüsen 
und gewöhnlichen bluthaltigen Lymphdrüsen ein prinzipieller 
Unterschied bestehe. Nach Weidenreich unterscheiden sich 
nämlich die Blutlymphdrüsen von allen anderen Lymphdrüsen 
dadurch, dass sie weder zu- noch abführende Lymphgefässe 
besitzen und ausserdem ihre Sinus mit Blut gefüllt sind. Durch 
diese Eigenschaften, sowie durch ihre Zirkulationsverhältnisse 


Die Blutlymphdrüsen. 93 


kämen sie der Milz näher zu stehen als den gewöhnlichen 
Lymphdrüsen und Weidenreich stellt nach den verwandt- 
schaftlichen Beziehungen folgende Formenreihe auf: a) die Milz, 
b) die Blutlymphdrüsen, c) die Lymphdrüsen, deren Iymphoides 
Gewebe mit Blut- und Lymphbahn im Zusammenhange steht und 
d) die gewöhnlichen Lymphdrüsen mit vollständig getrenntem 
(refäßsystem. 

Helly (13) tritt den Ausführungen Weidenreichs haupt- 
sächlich insofern entgegen, als er die Blutlymphdrüsen nicht als 
Organe sui generis gelten lässt. Nach Helly steht und fällt 
die Behauptung von der besonderen Natur der Hämolymphdrüsen 
mit der Frage, „ob zwischen ihnen und den gewöhnlichen 
Lymphdrüsen eine zusammenhängende heihe von Zwischenformen 
besteht oder nicht. Bestehen solche Formen, dann haben die 
fraglichen Gebilde ihre Daseinsberechtigung als Organe sui generis 
verloren, da die Möglichkeit des Übergehens der einen in die 
andere Form beständig gegeben wäre.“ Tatsächlich findet man 
beim Schaf, wo bluthaltige Lymphdrüsen ohne Lymphgefässe 
(Blutiymphdrüsen) vorkommen. nach Helly alle Zwischenformen 
von diesen zu jenen mit Lymphgefässen und eine gleiche Stufen- 
folge leitet aber auch von den mit Lymphgefässen versehenen 
bluthaltigen Lymphdrüsen zu den gewöhnlichen „weissen“ Lymph- 
drüsen hinüber. 

Baum (1) kann die Ansicht Hellys, dass alle „roten“ 
Lymphknoten nur Sonderformen von echten Lymphknoten sind, 
nicht ganz von der Hand weisen, da zwischen den echten Lymph- 
knoten und den „roten“ Lymphknoten ohne Lymphgefässe viele 
Übergangsformen vorkommen. 

Piltz (21) sieht in den Blutlymphdrüsen Organe, die in 
ihrer Entwicklung nicht abgeschlossen sind und wahrscheinlich 
Entwicklungsstadien gewöhnlicher Lymphdrüsen vorstellen. 

Helly schlägt vor, die Blutlymphdrüsen „rote“ Lymphdrüsen 
und die gewöhnlichen „weisse“ zu nennen. Nach Weidenreich 
wäre eine derartige Bezeichnung unzweckmässig, da unter „patho- 
logischen“') Verhältnissen Blut in „weisse“ Lymphdrüsen gelangen 


!, Dass Blut auch unter normalen Verhältnissen in den Sinus 
gewöhnlicher Lymphdrüsen vorkommen kann, glaube ich, ist wohl einwandfrei 
durch meine früheren Untersuchungen (26, 27) und auch die anderer Autoren 
bewiesen. 

Archiv f.mikr. Anat. Bd.81. Abt.1. 


-1 


94 Siegmundv. Schumacher: 


und diese dann zu „roten“ machen kann, ohne dass sie 
aber deswegen „Blutlymphdrüsen“ geworden wären: nach der 
Hellyschen Nomenklatur wären das dann „rot-weisse Lymph- 
drüsen“. „Die Hellysche Nomenklatur kann also zu Irrtümern 
Veranlassung geben, sie ist zudem unnötig, da ja bereits ein 
Name besteht, und also abzulehnen.“ 

Nach Baum (1) gibt es besonders beim Schaf rote Lymph- 
knoten, die sicher weder zu- noch abführende Lymphgefässe 
besitzen; es gibt andererseits aber auch rote Lymphknoten, die 
zu- und abführende oder wenigstens zuführende Lymphgefässe 
besitzen, die also ein Mittelding zwischen den ersteren und den 
eigentlichen Lymphknoten darstellen; es gibt demnach rote 
Lymphknoten ohne Lymphgefässe und solche mit Lymphgefässen. 
Die ersteren bezeichnet Baum als „Iymphoide Blutknoten“, die 
letzteren als „Lymphblutknoten“, fasst aber beide unter der 
Bezeichnung „rote Lymphknoten“ zusammen. 

In seinem grossen Werke über „Das Lymphgefäßsystem des 
Rindes“ äussert sich Baum (2) über die Diagnose der Blut- 
Ivmphdrüsen folgendermassen: „Wenn ein Knoten schon nach 
seiner dunklen Farbe als Blutlymphknoten erschien und sich 
ausserdem bei der Injektion Venen, nicht aber auch Vasa 
efferentia füllten, wurde er für einen Blutlymphknoten gehalten. 
Wenn sich bei der Injektion eines Knotens hingegen Vasa efferentia 
füllten, wurde er für einen echten Lymphknoten angesehen, selbst 
wenn die Farbe eine verdächtig dunkle war. Wenn sich weder 
Lymphgefässe noch Venen füllten und auch die Färbung keine 
sicheren Anhaltspunkte ergab. wurden die Knoten als zweifelhaft 
angesehen.“ 

Ich möchte die Bezeichnung „rote Lymphdrüsen“ nicht 
als identisch mit Blutlymphdrüsen gebrauchen, sondern diesen 
Ausdruck für das makroskopische Aussehen von Lymph- 
drüsen verwenden, die sich gegenüber den „weissen Lymph- 
drüsen“ durch ihre Rotfärbung auszeichnen. Damit soll aber 
nicht gesagt sein — und tatsächlich ist es auch nicht der Fall 
— dass alle rot aussehenden Lymphdrüsen denselben inneren 
Bau aufweisen. Eine Lymphdrüse kann rot erscheinen, wenn sie 
in ihren Sinus Blut enthält, sie kann aber ebenfalls rot erscheinen, 
wenn die namentlich bei jungen Drüsen sehr weiten und reichlichen 
Venen stark mit Blut gefüllt sind, ohne dass in den Sinus rote 


Die Blutlymphdrüsen. 95 


Blutkörperchen liegen. Diese Rotfärbung, die nur durch stärkere 
Füllung der Blutgefässe bedingt ist, tritt um so deutlicher hervor, 
je spärlicher das Iymphoide Gewebe entwickelt ist. 

Injiziert man die Blutgefässe roter Lymphdrüsen mit 
Berlinerblau, so kann man sehen, wie ein Teil der vor der 
Injektion rot gewesenen Lymphdrüsen eine intensiv blaue Farbe 
annimmt, während bei anderen die Farbe bräunlichgrün wird 
oder die Rotfärbung auch noch nach der Injektion vorherrscht. 
Im ersten Falle war die Rotfärbung nur durch das in den Blut- 
gefässen enthaltene Blut bedingt; wird das Blut durch eine 
blaue Flüssigkeit ersetzt, so wandelt sich die rote Lymphdrüse 
in eine blaue um. Im 2. und 3. Falle wird die Rosafärbung der 
Lymphdrüse nicht ausschliesslich durch das in den Gefässen 
enthaltene Blut bedingt gewesen sein, sondern es wird die Füllung 
der Sinus, speziell des Mareinalsinus, mit Blut mehr oder 
weniger zur Rotfärbung beigetragen haben. 

Es ist aus dem Gesagten leicht ersichtlich, dass die Be- 
zeichnung „rote Lymphdrüsen“ nur für das makroskopische 
Aussehen verwendet werden darf und dass die Rotfärbung nicht 
ohne weiteres einen Rückschluss auf den mikroskopischen Bau der 
Lymphdrüsen zulässt. Es kann eine rote Lymphdrüse mit Lymph- 
gefässen in Verbindung stehen oder nicht und es kann eine rote 
Lymphdrüse in ihren Sinus rote Blutkörperchen enthalten oder nicht. 

Andererseits gestattet das weisse Aussehen von Lymphdrüsen 
ebenfalls keinen sicheren Rückschluss auf ihren mikroskopischen 
Bau. Jedenfalls ist an zwei Möglichkeiten zu denken. Es können 
Lymphdrüsen mit oder auch solche ohne Lymphgefässe weiss er- 
scheinen. Ich möchte vorgreifend gleich jetzt schon erwähnen, 
dass tatsächlich beide Arten vorkommen. 

Nach dem Gesagten könnte man folgende Einteilung der 
Lymphdrüsen treffen: 

1. Lymphdrüsen mit Lymphgefässen : 
a) ohne rote Blutkörperchen in den Sinus, 
b) mit roten Blutkörperchen in den Sinus. 
2. Lymphdrüsen ohne Lymphgefässe: 
a) ohne rote Blutkörperchen in den Sinus, 


b) mit roten Blutkörperchen in den Sinus (= eigent- 
liche Blutlymphdrüsen). 


7* 


96 Siegmundv. Schumacher: 


Rote Lymphdrüsen scheinen gelegentlich bei allen Säuge- 
tieren vorzukommen und wurden früher schlechtweg insgesamt 
als Blutlymphdrüsen bezeichnet. Blutlymphdrüsen nach der von 
Weidenreich eingeführten Definition, also Lymphdrüsen ohne 
zu- und abführende Lymphgefässe mit bluthaltigen Sinus, sind 
bisher einwandfrei nur bei Wiederkäuern nachgewiesen worden. 

Nachdem wir wissen, dass bei jeder Lymphdrüse freie rote 
Blutkörperchen in den Sinus und im Iymphoiden Gewebe vor- 
kommen können, dass also jede Lymphdrüse gelegentiich rot 
erscheinen kann, so tritt das für die Blutlymphdrüsen als 
charakteristisch angegebene Merkmal — die Füllung der Sinus 
mit roten Blutkörperchen — mehr in den Hintergrund gegenüber 
dem anderen Hauptkennzeichen der Blutlymphdrüsen, dem Fehlen 
der Lymphgefässe. Da aber, wie schon kurz erwähnt und noch 
weiterhin zu zeigen sein wird, Lymphdrüsen vorkommen, deren 
Sinus nicht mit Blut gefüllt sind und die keine Lymphgefässe 
besitzen, so ist auch das Fehlen der Lymphgefässe keineswegs 
ausschliesslich für die Blutlymphdrüsen charakteristisch. Sobald 
sich in den Sinus einer weissen Lymphdrüse ohne Lymphgefässe 
rote Blutkörperchen in grösserer Menge ansammeln, wandelt sich 
die weisse Lymphdrüse in eine Blutlymphdrüse um. Sobald 
andererseits in einer Blutlymphdrüse die ausserhalb der Blut- 
gefässe liegenden roten Blutkörperchen zerstört worden sind, 
ohne dass inzwischen neue aus der Blutbahn ausgetreten wären, 
können wir nicht mehr von einer Blutlymphdrüse sprechen. 

Schon aus den bisherigen Andeutungen geht hervor, dass 
die Blutlymphdrüsen keine streng gesonderte Gruppe gegenüber 
den anderen Lymphdrüsen bilden; trotzdem soll im folgenden 
die eingebürgerte Bezeichnung „Blutlymphdrüsen“ beibehalten 
werden, allerdings nur für Lymphdrüsen ohne Lymphgefässe, 
die ausserhalb der Blutgefässe gelegene rote Blutkörperchen 
beherbergen. 

Die bis heute im widersprechenden Sinne beantworteten 
Fragen: Wie gelangen die roten Blutkörperchen in die Sinus; 
was geschieht weiterhin mit diesen roten Blutkörperchen; können 
sich Blutlymphdrüsen in gewöhnliche Lymphdrüsen umwandeln oder 
umgekehrt? werden uns im folgenden hauptsächlich beschäftigen. 

Als Hauptuntersuchungsobjekt wählte ich die Lymphdrüsen 
des Schafes, da diese auch Weidenreich (33) als Grundlage 


Die Blutiymphdrüsen. 97 


für seine Beschreibung der Blutlymphdrüsen dienten und 
Weidenreich mit Recht hervorhebt, dass Nachprüfungen seiner 
Angaben nur dann Wert haben können, wenn sie an der gleichen 
Tierart gemacht werden. Allerdings scheint nach den letzten 
Untersuchungen von Piltz zwischen den Blutlymphdrüsen des 
Rindes und Schafes kein prinzipieller Unterschied zu bestehen. 

Ich kann es mir ersparen, auf die ganze Literatur über 
Blutlymphdrüsen im einzelnen einzugehen, da sich ausführliche 
Literaturzusammenstellungen bei Helly, Weidenreich und 
Piltz über diesen Gegenstand finden. Eingehender werde ich 
mich mit den Ausführungen der letztgenannten Autoren zu 
beschäftigen haben. 


Material und Technik. 


Durch das Entgegenkommen des provisorischen Schlachthaus- 
leiters des städtischen Schlachthauses in St. Marx. Tierarzt 
Wittek, dem ich auch an dieser Stelle besonders danke, hatte 
ich nicht nur Gelegenheit, Material von frisch geschlachteten 
Schafen in Hülle und Fülle zu erlangen, sondern auch eine 
grosse Menge von Schaffeten zu sammeln, so dass ich meine 
Untersuchungen auch auf die Entwicklung der Lymphdrüsen 
ausdehnen konnte, was um so wichtiger erschien, da bisher 
über die Entwicklung der Blutlymphdrüsen so gut wie nichts 
bekannt war. 

Ausser den Blutlymphdrüsen des Schafes kamen nebenbei 
noch Blutlymphdrüsen vom Halse eines achtmonatlichen Hirsch- 
kalbes, die mir mein Freund Professor J. Schafter überliess, 
retroperitoneale rote Lymphdrüsen von zwei Rehböcken (zwei- 
jähriger und mindestens dreijähriger Bock) und vom Schweine 
zur Untersuchung. 

Zur Fixierung wurde Zenker- Formol, Pikrinsäure-Sublimat 
und Formol-Alkohol angewendet. Einbettung in Celloidin und 
nahezu ausnahmslos Anfertigung von durchschnittlich 10 « dicken 
lückenlosen Schnittreihen. 

Gefärbt wurde in der Regel mit Delafieldschem Hämatoxylin 
und Eosin. Um möglichst gut differenzierte Färbungen zu erhalten, 
wurden sehr stark verdünnte Farblösungen angewendet. Namentlich 
ist eine protrahierte Färbung mit Eosin sehr zu empfehlen, da 
hierdurch die roten Blutkörperchen ausserordentlich scharf hervor- 


38 Siegmundv. Schumacher: 


treten. Die Eosinfärbung wurde meist auf mehr als 12 Stunden 
ausgedehnt und nachher ziemlich lange (eventuell mehrere Stunden 
lang) in Alkohol differenziert. 

Da bei der Untersuchung das grösste Gewicht auf ach 
Verhalten der Blutgefässe gelegt wurde, so stellte ich selbst- 
verständlich auch Injektionen an und zwar wurde gewöhnlich mit 
Berlinerblau injiziert. In einigen Fällen wurde nach dem Vorgange 
von Weidenreich und Helly eine Einstichinjektion mit der 
Pravazschen Spritze in eine retroperitoneale Blutiymphdrüse 
gemacht; es füllt sich hierbei, wie Weidenreich und Helly 
angeben, die abführende Vene der Drüse und von dieser aus die 
benachbarten Drüsen. Ich möchte aber gleich hier bemerken, 
dass sich keineswegs in jedem Falle die abführende Vene füllt; 
es scheint dies nur dann der Fall zu sein, wenn durch die 
Injektionsnadel eine Vene im Inneren der Drüse angestochen 
wurde. An Serienschnitten lässt sich dann gewöhnlich leicht die 
Stelle finden, an der die Injektionsnadel in eine der verhältnis- 
mässig weiten Venen eingedrungen ist. 

Weidenreich injizierte auch von der Aorta abdominalis 
aus, die mit dem retroperitonealen Fett und den darin enthaltenen 
Lymphdrüsen herausgenommen worden war, nach vorheriger 
Unterbindung aller durchschnittenen Arterien, bemerkt aber aus- 
drücklich, dass die arterielle Injektion der Blutlymphdrüsen sehr 
schwierig ist und nur selten gut gelingt. 

Ich nahm ebenfalls Injektionen von Arterien aus vor und 
zwar mit vollkommenem Erfolge, so dass diese jedenfalls den 
unsicheren Einstichinjektionen in die Drüse vorzuziehen sind. 
Eine Injektion wurde bei einem 4 Monate alten Lamm von der 
Aorta abdominalis aus ausgeführt, wobei die ganzen Bauch- 
eingeweide in situ belassen und nur die Aa. femorales unterbunden 
wurden. Ausserdem wurden bei verschiedenalterigen Feten In- 
jektionen von der Nabelarterie aus vorgenommen und zwar 
ebenfalls mit vollkommenem Erfolge. 


Vorkommen und makroskopisches Aussehen 
der roten Lymphdrüsen. 


Bezüglich der Lage der Blutlymphdrüsen beim Schafe bemerkt 
Weidenreich, dass sie sich im retroperitonealen Zellgewebe 
abwärts an den Nieren und am Beckeneingang finden; auch im 


Die Blutlymphdrüsen. 99 


Mediastinalraum hat Weidenreich Blutlymphdrüsen gesehen: 
an anderen Körperstellen nicht weiter nach Blutlymphdrüsen 
gesucht. Auffallend ist nach Weidenreich die Unregelmässig- 
keit ihres Vorkommens: „Man kann oft viele Schafe durchmustern, 
ohne an den Prädilektionsstellen irgendwelche zu finden, dann 
aber trifft man sie wieder in grossen Mengen. Alter und Ge- 
schlecht ist dabei anscheinend ohne jeglichen Einfluss, ebenso 
der Nahrungszustand des Tieres; sie finden sich bei jungen und 
alten, fetten und mageren Individuen, bei männlichen, weiblichen 
und Kastraten, oder sie können überall da fehlen. Auch die 
Jahreszeit spielt hierbei keine Rolle.“ 

Auch Piltz (20, 21) hebt die grosse Veränderlichkeit des 
Vorkommens der roten Lymphdrüsen beim Rinde hervor und 
macht genaue Angaben über die Örtlichkeiten, an denen die roten 
Lymphdrüsen gefunden werden. Im allgemeinen geht aus diesen 
Angaben hervor, dass dieselben überall dort vorkommen können, 
wo gewöhnliche (weisse) Lymphdrüsen gelegen sind. — „Sucht 
man nach ‘den in jedem Interkostalraum in der Nähe der Rippen- 
köpfchen liegenden echten Lymphknoten, so trifft man oft statt 
der grauen die uns beschäftigenden roten, manchmal die grauen 
vertretend, des öfteren auch in demselben Interkostalraum neben 
einem grauen liegend.“ Der makroskopische Befund ist nach 
Piltz beim Schafe nicht wesentlich verschieden von dem des 
undes, ebensowenig wie beim Rinde sind diese Organe beim 
Schafe auf die grossen Körperhöhlen beschränkt. Einen Einfluss 
des Alters und Geschlechts auf die Häufigkeit des Vorkommens 
hat Piltz nicht nachweisen können. 

Baum fand die roten Lymphdrüsen ausser an verschiedenen 
anderen Örtlichkeiten auch unter der Haut, ebenso Creshenzi (7) 
und A. Meyer (19). 

Martin (17) erwähnt, dass die Blutlymphdrüsen besonders 
häufig bei jungen Tieren zu finden sind und sich in gewöhnliche 
Lymphdrüsen verwandeln können. 

Alle Autoren geben übereinstimmend an, dass die Farbe 
der roten Lymphdrüsen eine ausserordentlich wechselnde ist, dass 
alle Übergänge vom tiefen Schwarzrot bis zur Färbung der ge- 
wöhnlichen (weissen) Lymphdrüsen gefunden werden und dass 
ausserdem Lymphdrüsen vorkommen, die nicht in allen ihren 
Teilen gleichmässig rot gefärbt sind, sondern dass dunklere 


100 Siegmundv. Schumacher: 


Partien mit helleren abwechseln, so dass derartige Lymphdrüsen 
ein geflecktes Aussehen bieten. 

Ich kann die Angaben sowohl bezüglich der Variabilität 
des Vorkommens der roten Lymphdrüsen als auch bezüglich der 
Färbung nur bestätigen. Eine Gesetzmässigkeit scheint aber nach 
meinen Befunden doch insofern zu bestehen, als bei jüngeren 
Tieren unter sonst gleichen Verhältnissen rote Lymphdrüsen in 
grösserer Menge gefunden werden als bei älteren. 

Fernerhin kann man die Beobachtung machen, dass die 
Färbung insofern mit der Grösse der Drüsen in einer gewissen 
Beziehung steht, als die kleinsten von ihnen intensiv dunkelrot 
sind und dass sie mit zunehmender Grösse im allgemeinen immer 
lichter erscheinen. Grosse Lymphdrüsen sind fast nie blutrot, 
sondern rötlich oder gelblich - weiss, höchstens mit einzelnen 
kleineren und grösseren eingesprengten roten Partien. 

Bei einem nahezu ausgetragenen Schaffetus, der genau 
daraufhin untersucht wurde, konnte ich überhaupt keine weisse 
Lymphdrüse finden; mediastinale, retroperitoneale, mesenteriale, 
inguinale, axillare usf. Lymphdrüsen waren ausnahmslos mindestens 
lichtrot gefärbt. Die kleinsten erschienen — allerdings mit 
einigen Ausnahmen — intensiv dunkelrot, die grössten rötlich. 
In Fig. 1 habe ich sämtliche retroperitoneal gefundenen Lymph- 
drüsen dieses Fetus abgebildet. 
3ei einem viermonatlichen Lamm kamen sowohl rote wie 
weisse Lymphdrüsen vor, aber auch hier liess sich nachweisen, 
dass alle kleinen Lymphdrüsen rot, während die grössten weiss 
erscheinen. 

Bei einem 24 cm langen Schaffetus waren die wenigen vor- 
handenen axillaren, jugularen und mediastinalen Lymphdrüsen 
nur eine Spur rosa gefärbt, alle retroperitonealen erschienen rein 
weiss. Dunkelrote Lymphdrüsen waren hier überhaupt nicht zu 
finden; man müsste eigentlich alle Lymphdrüsen den weissen 
zurechnen. Dieser Befund erscheint auf den ersten Blick über- 
raschend, nachdem, wie erwähnt. beim nahezu ausgetragenen 
Fetus sämtliche vorhandenen Lymphdrüsen als rote zu bezeichnen 
waren und post partum, wenigstens im allgemeinen, bei jüngeren 
Tieren mehr rote Lymphdrüsen vorkommen als bei erwachsenen. 
Teilweise lässt sich aber dieser Befund schon aus dem bisher 
Gesagten erklären. Wie erwähnt, muss die Rotfärbung der 


Die Blutlymphdrüsen. 101 


Drüsen nicht dadurch bedingt sein, dass die Sinus mit Blut ge- 
füllt sind, sondern kann auch darin ihre Ursache haben, dass 
die bei jugendlichen Lymphdrüsen gewöhnlich sehr weiten Blut- 
gefässe stark mit Blut gefüllt sind, während das Iymphoide Gewebe 
schwach ausgebildet ist (Fig. 13). Ist ein Tier verblutet, so 
werden weniger rote Lymphdrüsen zu sehen sein, als wenn das- 
selbe Tier ohne Blutverlust zugrunde gegangen wäre. Wird also 
bei einem Fetus gleich nach dem Tode des Muttertieres die 
Nabelschnur einfach (ohne Unterbindung) abgeschnitten, so dass 
ein starker Blutaustritt aus den Nabelgefässen erfolgt, oder wird 
der Fetus etwa gar gleich nach dem Absterben geöfinet und 
weiter verarbeitet, so werden die Venen in den Lymphdrüsen 
leer sein und können somit die Farbe derselben nicht beeinflussen. 
Wird hingegen die Nabelschnur vor der Durchschneidung unter- 
bunden und dann die Bauchhöhle geöffnet, so werden die Venen 
mit Blut gefüllt und daher die Lymphdrüsen röter erscheinen 
als im ersten Falle. 

Immerhin lässt das eventuelle Fehlen von intensiv rot ge- 
färbten Lymphdrüsen bei einem Fetus den Schluss zu, dass in diesem 
Falle keine Lymphdrüsen mit blutgefüllten Sinus vorhanden sind. 


Verhalten der Blut- und Lymphgefässe. 

Zunächst konnte ich bei der mikroskopischen Untersuchung 
von roten Lymphdrüsen des Schafes in Übereinstimmung mit 
Weidenreich, Helly u. a. nachweisen, dass Lymphdrüsen 
vorkommen, denen zu- und abführende Lymphgefässe vollkommen 
fehlen und deren Sinus mit roten Blutkörperchen vollgepfropft 
erscheinen, somit also echte Blutlymphdrüsen nach der Weiden- 
reichschen Definition. 

Die Grösse dieser Lymphdrüsen ist verschieden. Haupt- 
sächlich sind es aber kleinste und kleine Drüsen, denen die 
Lymphgefässe fehlen, während bei grösseren fast ausnahmslos 
zu- und abführende Lymphgefässe vorhanden sind; trotzdem 
können aber ihre Sinus mehr oder weniger mit roten Blut- 
körperchen erfüllt sein. 

Leider gelang es mir nicht, eine vollkommene Lymphgefäss- 
injektion zu erzielen; es sind aber im allgemeinen die zu- und 
abführenden Lymphgefässe, wenigstens an den Übergangsstellen 
in die Lymphdrüse, weit offen, so dass sie auch ohne Injektion 


102 Siegmund v. Schumacher: 


in ihrem Verlaufe leicht verfolgt werden können. Freilich sind 
lückenlose Serien notwendig, wenn das Vorhandensein von zu- 
und abführenden Lymphgefässen in Abrede gestellt werden soll. 

Wie schon Weidenreich hervorhebt und Helly und 
Piltz bestätigen, ergibt eine Einstichinjektion in eine Blut- 
Ivmphdrüse nur Füllung der abführenden Vene, so dass auch 
auf diesem Wege keine Lymphgefässe nachzuweisen sind. Ich 
habe mit demselben Resultate Einstichinjektionen vorgenommen, 
möchte aber nochmals hervorheben, dass keineswegs in jedem 
Falle nach einer Einstichinjektion sich die abführende Vene füllt, 
sondern dass dies nur dann der Fall zu sein scheint, wenn eine 
von den Venen im Inneren der Drüse angestochen wurde. 

v. Ebner (9) spricht sich im „Handbuch der Gewerbelehre“ 
über die Blutlymphdrüsen folgendermassen aus: „Da das Vor- 
kommen von Blut in den Lymphbahnen ein sehr häufiger Befund 
ist, so ist es wohl kaum gerechtfertigt, solche Drüsen als besondere 
Organe hinzustellen. Das wäre nur der Fall, wenn sich ins- 
besondere die Angaben von F. Weidenreich bestätigen sollten, 
welchen zufolge die Hämolymphdrüsen Organe wären, die nur 
in der Kapsel Lymphgefässe besitzen, während die den Lymph- 
sinus und Lymphbahnen anderer Lymphdrüsen entsprechenden 
täume ausschliesslich mit Blutgefässen im Zusammenhange stehen 
sollen. für welche Annahme das Vorhandensein von Blut in den 
Lymphbahnen keineswegs ein genügender Beweis ist.“ 

Dass tatsächlich beim Schafe Lymphdrüsen mit blutgefüllten 
Sinus ohne Lymphgefässe vorkommen, steht zweifellos fest. Das- 
selbe gilt auch für das Rind, wie aus den eingehenden Unter- 
suchungen von Piltz hervorgeht. 

Auffallend ist zunächst der Umstand, dass nach überein- 
stimmenden Angaben von Weidenreich, Helly und Piltz 
in der Kapsel und in der unmittelbaren Nachbarschaft der Blut- 
Iymphdrüsen Lymphgefässe vorkommen, ohne aber in die Drüse 
selbst einzudringen. Helly äussert sich diesbezüglich: „Es ist 
zu erklären, wie es kommt, dass rote Lymphdrüsen an Lymph- 
gefässen hängen, diese aber bereits in ihrer Kapsel ein Ende 
finden: Es muss also die Entwicklung der genannten Drüsen 
erforscht werden.“ 

Piltz bemerkt bezüglich der Blutlymphdrüsen des Rindes: 
„Auffällig war, dass die roten Lymphknoten den Lymphgefässen 


Die Blutlymphdrüsen. 103 


fast regelmässig anlagen. Die mikroskopische Untersuchung 
ergab aber nie einen Beweis für die Einmündung von Lymph- 
gefässen aus dem Organ in das dicht daran vorbeilaufende grosse 
Lymphgefäss. Es liessen sich demnach durch die Injektion für 
die Verbindung der Sinus mit dem Lymphgefäßsystem keine 
Anhaltspunkte finden.“ 

Ich selbst kann diese Befunde bestätigen. Man findet 
tatsächlich in der Regel die bluthaltigen Lymphdrüsen in der 
Nachbarschaft von grösseren Lymphgefässen ; von letzteren zweigen 
häufig Äste ab, die an die Lymphdrüse herantreten und an 
Serienschnitten oft auf ziemlich weite Strecken hin in der Kapsel 
verfolgt werden können, ohne dass sie die Kapsel durchsetzen 
und in den Randsinus der Drüse einmünden. Mitunter sieht 
man allerdings, dass sich das eine oder andere Lymphgefäss in 
den Randsinus öffnet, eine derartige Drüse dürfen wir aber 
nicht mehr als typische Blutlymphdrüse bezeichnen, da für letztere 
ja als charakteristisch das Fehlen von zu- und abführenden 
Lymphgefässen angegeben wird. Ich möchte aber gleich hier 
bemerken, dass man in bezug auf das Verhalten der Lymph- 
gefässe alle möglichen Übergangsbilder zwischen gewöhnlichen 
und Blutlymphdrüsen nachweisen kann. So kommen Drüsen vor, 
bei denen ein oder mehrere Lymphgefässe ohne das Kaliber 
wesentlich zu ändern die Kapsel durchsetzen, um in den Rand- 
sinus einzumünden. Bei vielen Drüsen sieht man aber, dass ein 
zuführendes Lymphgefäss sich unmittelbar vor seiner Einmündung 
in den Randsinus ganz wesentlich verengt, so dass nur ein ganz 
enger Abschnitt die Verbindung zwischen Lymphgefäss und Sinus 
herstellt und schliesslich kann man nachweisen, dass Lymphgefässe 
bis knapp an den Sinus heranreichen, ohne die Endothelwand 
des letzteren zu durchbrechen. Derartige Übergangsbilder, auf 
welche insbesondere Helly hingewiesen hat, legen den Gedanken 
nahe, dass entweder die Blutlymphdrüsen seinerzeit mit Lymph- 
gefässen in Verbindung gestanden sind und dieser Zusammenhang 
im Laufe der Entwicklung verloren gegangen ist, oder aber dass 
der umgekehrte Vorgang Platz greift, dass nämlich die Blut- 
Iymphdrüsen ursprünglich der Lymphgefässe entbehren, während 
ihrer weiteren Ausbildung aber mit Lymphgefässen in Verbindung 
treten. Ich werde noch später Gelegenheit haben, auf diese 
Fragen näher einzugehen. 


104 Siegmundv. Schumacher: 


Bezüglich der mit den Blutlymphdrüsen in Verbindung 
stehenden Blutgefässe wird allgemein angegeben, dass in jede 
Blutlymphdrüse am Hilus eine kleine Arterie ein- und eine 
verhältnismässig grosse Vene austritt, was ich bestätigen kann. 

Piltz sah (beim Rind) in einigen Fällen den Austritt 
zweier grosser Venen an einander gegenüberliegenden Stellen 
des Organs. „Ihre Äste anastomosierten innerhalb des Lymph- 
knotens, doch standen die Stämme ausserhalb des Organs augen- 
scheinlich nicht in Verbindung untereinander. Ebenso sah ich 
aus der Kapsel zahlreiche kleine Gefässe kommen, die mit im 
Fettgewebe hinziehenden Venen und Arterien in Verbindung 
traten.“ Soweit Piltz. 

Weidenreich hat gelegentlich beobachtet, wie eine 
„Venenlakune“ aus dem Inneren der Blutlymphdrüse sich direkt 
in eine in der Kapsel gelegene Vene fortsetzt. 

Art. Meyer (18), der die Ergebnisse seiner Untersuchungen 
der Blutlymphdrüsen des Schafes nur in Form von einer ganz 
kurzen Zusammenfassung wiedergibt, erwähnt, dass kleine Venen 
an irgendeinem Punkte der Peripherie die Kapsel von Blut- 
Iymphdrüsen durchsetzen können und es sich hierbei um zu- 
führende Venen handelt. 

Dass Venen mit den Blutlymphdrüsen nicht nur in der 
Gegend des Hilus, sondern an ganz verschiedenen Punkten der 
Peripherie in Verbindung stehen, habe ich wiederholt gesehen. 
Auch die Angabe A. Meyers, dass zuführende Venen vorkommen, 
glaube ich nach dem Befunde an einer in Fig. 2 wiedergegebenen 
Blutlymphdrüse des Schafes bestätigen zu können. Die betreffende 
Drüse wurde nach der Gefässinjektion mit Berlinerblau in toto 
aufgehellt und unter dem stereoskopischen Mikroskope untersucht. 
Wir sehen hier bei zV eine Vene in das Innere der Lymphdrüse 
eintreten, die sich aus Kapillaren des die Lymphdrüse umgebenden 
Fettgewebes sammelt. Es kann sich demnach hier nur um eine 
zuführende Vene handeln. Diese Drüse wurde nachher in eine 
Schnittreihe zerlegt und es liess sich nachweisen, dass das mit 
z\ bezeichnete Gefäss tatsächlich eine zuführende Vene ist, die 
ihr Wurzelgebiet in dem der Drüse anliegenden Fettgewebe hat. 

Gelegentlich kann man auch zwei oder mehrere kleinere 
Arterien an verschiedenen Stellen der Peripherie in eine Blut- 
Iymphdrüse eintreten sehen. 


Die Blutiymphdrüsen. 105 


Zunächst bedarf der Bau der aus den Blutlymphdrüsen 
austretenden Venen einer Besprechung, wobei gleich erwähnt sein 
soll, dass derselbe keineswegs etwa charakteristisch für die Blut- 
Iymphdrüsen ist, sondern in gleicher Weise an allen kleineren 
Lymphdrüsen gefunden wird. 

Nach Weidenreich stellt die aus dem Hilus austretende 
ausserordentlich weite Vene nur ein dünnwandiges Rohr dar mit 
deutlichem Endothelbelag ohne ausgesprochene Muscularis und 
Adventitia. An deren Stelle ist ein umhüllendes Gewebe getreten, 
das in seinem Bau mit der Drüsenkapsel übereinstimmt und dem- 
nach aus Muskelzellen, fibrillärem und elastischem Bindegewebe, 
jedoch ohne bestimmte Anordnung, besteht. Diese Umhüllung 
kann somit direkt als Fortsetzung der Kapsel aufgefasst werden. 
Weiterhin bemerkt Weidenreich, dass an der injizierten ab- 
führenden Vene an manchen Stellen Einschnürungen vorkommen, 
die jedoch nicht immer auf Rechnung von Klappen zu setzen sind. 
{ Es zeigen somit die aus den Lymphdrüsen austretenden 
Venen in ihrem Bau soviel Ähnlichkeit mit Lymphgefässen, dass 
man ohne Gefässinjektion leicht verleitet sein könnte, sie für 
solche zu halten. Ich muss aufrichtig gestehen, dass ich nach 
der Untersuchung der ersten (nicht injizierten) Blutlymphdrüsen 
selbst zur Ansicht hinneigte, dass es sich nicht um Venen, 
sondern um Lymphgefässe handle. Auch Weidenreich fühlte, 
dass der Einwand erhoben werden könnte, dass die von ihm als 
Venen bezeichneten Gefässe Lymphgefässe seien. Dagegen spricht 
nach Weidenreich nun alles: „erstens würden dann die Drüsen 
ableitende Lymphgefässe besitzen und keine Venen, weil das 
fragliche Gefäss das einzige ist, das die Drüse verlässt; zweitens 
aber lässt sich ohne weiteres nachweisen, dass es schliesslich in 
eine der Hauptvenen (Vena cava inf. oder V. iliaca comm.) ein- 
mündet, von eben da ist auch leicht eine direkte Injektion 
möglich.“ 

Tatsächlich lässt das Verhalten der Äste dieser Gefässe im 
Inneren der Drüse, sowie auch insbesondere das Ergebnis der 
Injektion mit absoluter Sicherheit die fraglichen Gefässe als 
Venen erkennen. 

Allerdings könnte das Ergebnis der Einstichinjektion in die 
Blutlymphdrüse, wobei nach Weidenreich sich stets die Vene 
füllen soll, auch missgedeutet werden; denn bei Lymphdrüsen 


106 Siegmundv. Schumacher: 


mit Lymphgefässen gelingt es leicht, die Vasa efferentia 
durch eine Einstichinjektion zu füllen. So könnte man sich auch 
bei Blutlymphdrüsen verleiten lassen, alle Gefässe, die sich nach 
einer Einstichinjektion füllen, für Lymphgefässe zu halten. Wie 
ich aber schon oben bemerkt habe, erhielt ich keineswegs nach 
jeder Einstichinjektion eine Füllung der Vene — in mehreren 
Fällen füllten sich nur teilweise die Sinus im Inneren der Drüse, 
ohne dass Injektionsmasse in die Vene eintrat. Füllte sich aber 
die Vene, so konnte an den Serienschnitten durch die betreffende 
Drüse stets nachgewiesen werden, dass im Inneren der Drüse 
eine Vene durch die Injektionsnadel angestochen worden war, 
so dass also von dieser Stelle aus die Flüssigkeit direkt in die 
grosse Sammelvene am Hilus abfliessen konnte. 

Einwandfrei ist aber auch der venöse Charakter des frag- 
lichen Gefässes durch Injektion von der Arterie aus nachzuweisen. 
Nach Injektion von der Aorta abdominalis aus füllte sich neben 
der Hilusarterie auch stets das fragliche Gefäss, ohne dass etwa 
im Inneren der Lymphdrüse Injektionsmasse in die Sinus aus- 
getreten wäre. Genau zu demselben Injektionsergebnis kam auch 
Piltz bei den Blutlymphdrüsen des Rindes. 

Über das Verhalten der Blutgefässe im Inneren der Blut- 
Iymphdrüsen werden verschiedene Angaben gemacht. 

Weidenreich tritt der Behauptung einiger früherer Unter- 
sucher entgegen, dass sich die Bluträume (= Sinus) im Inneren 
der Blutlymphdrüsen direkt in Venen fortsetzen. Dagegen be- 
stehen nach Weidenreich zahlreiche indirekte Verbindungen 
mit ihnen, indem die Venenwand Lücken besitzt. Die Injektion 
von der Vene aus soll diese Befunde bestätigen, indem sich deutlich 
die Austrittsstellen der Injektionsmasse aus den Venen in die 
Sinus hinein an Schnitten nachweisen lassen. Gegen die Annahme, 
dass es sich hierbei um eine Zerreissung der Venenwandung, also 
um ein Kunstprodukt handelt, spricht nach Weidenreich das 
mikroskopische Bild, indem keine Spur von Zerreissung nach- 
zuweisen ist und die völlige Übereinstimmung der Austrittsstellen 
der Injektionsmasse mit den an nicht injizierten Präparaten ge- 
fundenen. 

Bezüglich der Arterien bemerkt Weidenreich, dass er 
auf Grund der Injektionspräparate eine direkte Einmündung von 
Kapillaren in die Bluträume (Sinus) bis jetzt nicht feststellen hat 


Die Blutlymphdrüsen. 107 


können. — „Dabei ist allerdings zu bemerken, dass die arterielle 
Injektion sehr schwierig ist und nur selten gut gelingt.“ Nach 
Weidenreich würde das Blut aus den arteriellen Kapillaren 
in die Maschen des Iymphoiden Gewebes gelangen und — ab- 
gesehen von der direkten Einmündung in das venöse System — 
dort durchsickernd sich einen Weg bahnen, der es entweder in 
die Bluträume (Sinus) führt, was die Regel ist, oder aber in die 
Venen ableitet. 

Nach Weidenreich können die roten Blutkörperchen, 
nachdem das Fehlen von Lymphgefässen für die Blutlymphdrüsen 
nachgewiesen ist, nur aus der Blutbahn innerhalb der Drüse 
stammen. Durch die ausschliessliche Einschaltung der Blut- 
Iymphdrüsen in die Blutbahn unterscheiden sich nach der Ansicht 
Weidenreichs dieselben prinzipiell von gewöhnlichen Lymph- 
drüsen und sind viel eher mit der Milz als mit letzteren zu 
vergleichen. 

Helly kommt auf Grund seiner Injektionen zu einer 
wesentlich anderen Auffassung als Weidenreich. Nach Helly 
lehrt die Injektion, dass in den Blutlymphdrüsen des Schafes 
und der Ziege mit Sicherheit die Arterien und Venen direkt 
miteinander zusammenhängen. Je nach dem gewählten Injektions- 
wege (direkte oder indirekte venöse Injektion) ist entweder das 
ganze oder nur das venöse Blutgefässgebiet mit Injektionsmasse 
gefüllt. Daneben sind aber die Sinus strotzend voll mit roten 
Blutkörperchen, hingegen frei von Injektionsmasse. Nur hier 
und da finden sich in den Sinus gelegentlich kleine Extravasate. 
Es steht also nach Helly in den „roten Lymphdrüsen“ das Blut- 
gefäßsystem in keiner regulären Verbindung mit den Sinusräumen. 
Helly nımmt an, dass die roten Blutkörperchen durch lokale 
Blutungen innerhalb der Lymphdrüse in die Sinus hineingelangt 
sind. An Stellen derartiger Blutungen liegen die roten Blut- 
körperchen nicht gleichmässig zerstreut, sondern dicht beisammen, 
das umliegende Lymphgewebe ist durch sie ersichtlich auseinander- 
gedrängt, zertrümmert. Sicher sind nach Helly auch diese 
Blutungen kein ausschliessliches Merkmal der „roten Lymph- 
drüsen“. Es bleibt nur die Annahme übrig, dass die ausgetretenen 
roten Blutkörperchen dem Verfall geweiht sind. 

A. Meyer bemerkt, dass die Sinus der Blutlymphdrüsen 
des Schafes nur dann von den Venen oder Arterien aus injiziert 


108 Siegmund v. Schumacher: 


werden können, wenn ‚hoher Druck angewendet wird. Die 
Arteriolae öffnen sich direkt in die Venenlakunen. 

Piltz nahm an den Blutlymphdrüsen des Rindes Injektionen 
sowohl von den Arterien als auch von den Venen aus vor und 
kommt auf Grund dieser zu ähnlichen Ergebnissen wie Helly. 
An einigen gelungenen arteriellen Injektionspräparaten lässt sich 
deutlich die Einmündung der Kapillaren in weite, im Iymphatischen 
Gewebe liegende Venen nachweisen. „In diesen Schnitten fand sich 
aber keine Spur von Injektionsflüssigkeit in den Sinus. Ich halte 
mich demnach für berechtigt, anzunehmen, dass die Arterien 
durch die Kapillaren nur mit den Venen in Verbindung stehen 
und nicht mit den Sinus.“ Weiterhin bemerkt Piltz: „Im 
Sinus zeigte sich aber auch nach der Veneninjektion keine In- 
jektionsflüssigkeit, so dass ich für die von Weidenreich für 
das Schaf behauptete und abgebildete Verbindung zwischen Venen 
und Sinus beim Rind keine Bestätigung gefunden habe. Ich habe 
also durch arterielle und venöse Injektion nur nachweisen können, 
dass die Sinus in keiner Verbindung stehen mit dem Blutgefäß- 
system, sondern dass Arterien und Venen im Iymphatischen Gewebe 
ineinander übergehen.“ 

Nach Baum (2) spricht manches dafür, „dass es physio- 
logischerweise zu Blutungen aus den Blutgefässen, namentlich 
den arteriellen Kapillaren, in das umgebende Lymphgewebe und 
bis in die Sinus hinein kommen könnte, jedoch ohne dass hierbei 
ständige und reguläre Verbindungswege geschaffen oder benutzt 
würden.“ 

. Meinen eigenen Untersuchungen über das’Verhalten der 
Blutgefässe im ‘Inneren der Blutlymphdrüsen liegen vor allem 
vollkommen gelungene Injektionen von der Arterie aus bei 
einem 4 Monate alten Lamm zugrunde. Die Injektion ist eine 
kapillare, wie sich aus der vollständigen Füllung nicht nur der 
(Gefässe innerhalb der Lymphdrüsen, sondern auch der in ihrer 
Umgebung (im Fettgewebe usw.) gelegenen Kapillaren und Venen 
ergibt. Von den in Serienschnitten untersuchten Blutlymphdrüsen 
zeigen verhältnismässig viele an keiner Stelle einen Austritt von 
Injektionsmasse in das Iymphoide Gewebe oder in die Sinus hinein 
(Fig. 2). 

Die eintretende Arterie löst sich schliesslich in Kapillaren auf, 
und diese sammeln sich ohne irgendeine Unterbrechung in zahl- 


Die Blutlymphdrüsen. 109 


reichen meist auffallend weiten Venen. Allerdings fand ich in einigen 
Blutlymphdrüsen an einer oder auch an mehreren Stellen einen 
Austritt von Injektionsmasse namentlich aus den Venen in das 
Iymphoide Gewebe, ähnlich wie das Weidenreich abbildet, und 
von hier aus in die Sinus hinein. Ich will aber gleich hier be- 
merken, dass diese Austritte von Injektionsmasse aus der (refäss- 
bahn keineswegs charakteristisch für Blutlymphdrüsen sind, sondern 
dass ich genau dieselben Bilder an gewöhnlichen (weissen) Lymph- 
drüsen gelegentlich erhielt. Mehr Wert ist auf jene Fälle zu 
legen, in denen es zu keinem Fxtravasat gekommen ist, und 
meines Erachtens gestatten vollkommen injizierte Drüsen, in denen 
kein Extravasat aufgetreten ist, den sicheren Rückschluss, dass 
reguläre Verbindungen zwischen der Blutgefässbahn und den 
Sinus fehlen. 

Kommt es aber gelegentlich zum Auftreten eines Extra- 
vasates, so sind zwei Möglichkeiten im Auge zu behalten. Ent- 
weder handelt es sich um präformierte Lücken in der Gefässwand, 
durch die die Injektionsmasse austritt, oder um ein Kunstprodukt. 
Dass es sich kaum um präformierte Lücken handeln dürfte, geht 
aus den gelungenen Injektionen ohne Extravasat hervor, denn 
es scheint nicht wahrscheinlich, dass in der einen Drüse prä- 
formierte Lücken in der Gefässwand vorkommen, während sie in 
der anderen fehlen. Handelt es sich aber um ein Kunstprodukt, 
so darf man schliessen, dass gerade an den Stellen, wo derartige 
Extravasate auftreten, eine besonders geringe Widerstandsfähigkeit 
der Gefässwandung besteht. Wir dürfen also wohl annehmen, 
dass es in den Venen (und Kapillaren) der Blutiymphdrüsen bei 
höherem Blutdrucke jedenfalls eher zu Blutaustritten kommen 
kann als in den Gefässen ausserhalb der Lymphdrüsen. Dass 
aber diese Durchlässigkeit der Gefässwandungen keineswegs nur 
charakteristisch für die Blutlymphdrüsen ist, geht, wie schon 
erwähnt, daraus hervor, dass man auch in gewöhnlichen Lymph- 
drüsen (mit zu- und abführenden Lymphgefässen) genau unter 
denselben Bedingungen und annähernd ebenso häufig bei der 
Injektion Extravasate erhält wie in Blutlymphdrüsen. 

Schon seinerzeit habe ich (27) auf die grosse Durchlässig- 
keit der Gefässwände in den Lymphdrüsen hingewiesen und auch 
eine Stelle abgebildet. an der die Injektionsmasse zwischen die 


Endothelzellen und das Bindegewebe der Vene eingedrungen ist. 
Archiv f.mikr. Anat. Bd.81. Abt.1. 8 


110 Siegmundv. Schumacher: 


Ich äusserte mich seinerzeit folgendermassen : „Wahrscheinlich 
sind das jene Stellen, an denen früher Leukocyten durchgedrungen 
waren und die dadurch weniger widerstandsfähig geworden, auch 
bei geringem Drucke der Injektionsmasse den Durchtritt gewähren.“ 

Dass es leichter zu Extravasaten kommen wird, wenn man 
von der Vene als wenn man von der Arterie aus injiziert, scheint 
naheliegend. Bei den Arterien der Lymphdrüsen handelt es sich 
durchweg um enge Röhren, während die Venen im allgemeinen 
recht weit sind. Injiziert man von der Vene aus, so wird der 
Druck im Venensystem verhältnismässig gross sein, bis die Masse 
in die engen arteriellen Kapillaren eindringt. Infolge dieses 
höheren Druckes im Venensystem kann es dann leicht bei der 
grossen Durchlässigkeit der Venenwandungen zu Extravasaten 
kommen. Injiziert man aber von der Arterie aus, so gelangt 
die Masse von den engen arteriellen Kapillaren in die weiten 
Venen, und die Masse wird einfach in die Venen abfliessen, ohne 
dass es in diesen zu einem nennenswerten Drucke kommen wird. 
Es ist ja auch dies die natürliche Stromrichtung des Blutes, und 
es werden daher stets die Bilder, die man bei arterieller Injektion 
erhält, massgebender für die wirklichen Zirkulationsverhältnisse 
sein, als die nach venöser Injektion. So erhielt auch, wie schon 
erwähnt, Piltz nach arterieller Injektion der Blutlymphdrüsen 
des Rindes eine vollständige Gefässfüllung ohne Extravasate. 
Weidenreich, der an den Blutlymphdrüsen des Schafes zu 
anderen Ergebnissen kam, stützt sich hauptsächlich auf die Bilder, 
die er nach venöser Injektion erhielt. 

Nach meinen Injektionsergebnissen komme ich demnach zum 
Schluss, dass in Blutlymphdrüsen sowie in gewöhnlichen Lymph- 
drüsen das Blut im allgemeinen in geschlossenen Bahnen zirkuliert, 
dass keine konstante Verbindung zwischen den Blutgefässen und 
den Sinus besteht, dass man daher auch nicht berechtigt ist, die 
Sinus etwa als Blutsinus zu bezeichnen. Dass es unter gewissen 
Verhältnissen infolge der Dünnwandigkeit der Venenwandungen 
zu Blutaustritten kommen kann und dass dann das extravasierte 
Blut durch das Iymphoide Gewebe schliesslich in die Sinus ge- 
langt, will ich nicht in Abrede stellen; der gewöhnliche Weg, 
den das Blut einschlägt, geht aber sicher von den Arterien durch 
die Kapillaren direkt in die Venen, ohne dass es zu einem Blut- 
austritt aus der Blutbahn kommt. Das gelegentliche Auftreten 


Die Blutlymphdrüsen. 111 


von Extravasaten bei der Injektion beweist allerdings noch nicht, 
dass auch in vivo unter physiologischen Verhältnissen dasselbe 
der Fall sein muss. Es sprechen aber auch noch andere Um- 
stände für den gelegentlichen Austritt roter Blutkörperchen aus 
den Blutgefässen. Keineswegs darf aber das Auftreten von Extra- 
vasaten bei der Injektion als charakteristisch für die Blutlymph- 
drüsen angesehen werden. Ich konnte auch in gewöhnlichen 
Lymphdrüsen unter genau denselben Bedingungen das Auftreten 
von Extravasaten beobachten. 

Betrachtet man den Verlauf der Blutgefässe im Inneren der 
Blutlymphdrüsen, so kann man nachweisen, dass auch hier, wie 
in gewöhnlichen Lymphdrüsen, nahezu alle Gefässe (Arterien, 
Kapillaren und Venen) im Iymphoiden Gewebe — in den Mark- 
strängen und Rindenknoten — verlaufen. Nur in der Gegend 
des Hilus treten die Gefässe umgeben von Hilusbindegewebe ein 
resp. aus, ohne dass sie von Iymphoidem Gewebe umgeben sind. 
Dieses Bindegewebe begleitet die Gefässe auch noch auf eine 
kürzere Strecke in das Innere der Drüse hinein und wenn in 
der betreffenden Drüse Trabekel ausgebildet sind, verlaufen 
Arterien und Venen eine Strecke weit in diesen („Balkenvenen“ 
nach Weidenreich). 

Nur ausnahmsweise tritt eine Vene auch ganz an die 
Oberfläche des Iymphoiden Gewebes und liegt dann einem Sinus 
direkt an. In Fig. 3 ist eine derartige Stelle abgebildet. 

An vollkommenen Injektionspräparaten von Blutlymphdrüsen 
überrascht in den meisten Fällen die grosse Menge der Venen 
und ihre verhältnismässig beträchtliche Weite („Venenlakunen“ 
Weidenreichs). Ihre Wandung besteht, wie auch Weiden- 
reich hervorhebt nur aus einer einfachen Endothellage: sie 
weisen also den Bau von Kapillaren auf und können zutreffend 
als „kapillare Venen“ bezeichnet werden. 

Auch an Venen, die an anderen Stellen als am Hilus aus- 
treten, sieht man deutlich, dass ihre Wandung nur von einem 
einfachen Endothel gebildet wird. Dort, wo derartige Venen 
den Randsinus durchsetzen, erscheint als Grenze zwischen beiden 
sehr deutlich die einfache geschlossene Endothellage der Venen. 

An den Kapillaren und kapillaren Venen im Iymphoiden 
Gewebe sind die Wandungen stellenweise kaum nachweisbar. 


Man erkennt an Injektionspräparaten an manchen Stellen nur 
g*+ 


112 Siegmundv. Schumacher: 


daran das Vorhandensein einer Wandung, dass die Injektions- 
masse nicht in das benachbarte Iymphoide Gewebe austritt, 
sondern sich als Ausguss von mit undurchbrochener Wandung 
versehenen Röhren kundgibt. 

Ich kann daher die Angabe Weidenreichs, dass die 
injizierte Lösung sich zwischen den Leukocyten einen Weg bahnt 
und eine Begrenzung nach dem Iymphoiden Gewebe hin voll- 
ständig fehlt, nicht bestätigen; die Regel ist sicher, dass die 
Kapillaren und Venen gegen das lIymphoide Gewebe hin eine 
ganz dünne, aber ununterbrochene endotheliale Wandung besitzen. 

An den kapillaren Venen kann man an zahlreichen Stellen 
das Eindringen von Lymphocyten durch die Endothelwand nach- 
weisen. Ist dies in sehr reichlichem Maße der Fall, so kann die 
Gefässwandung wie durchbrochen erscheinen und an derartigen 
Stellen kann man gelegentlich auch Injektionsmasse aus den 
kapillaren Venen austreten sehen. Auch im Inneren der kapillaren 
Venen findet man oft in grosser Menge Lymphocyten, die 
zweifellos von dem Iymphoiden Gewebe aus in die Gefässe ein- 
gewandert sind. Durchwanderungsbilder von Lymphocyten in die 
Venen und Kapillaren konnte ich schon früher an Lymphdrüsen 
des Menschen und verschiedener Säugetiere nachweisen und es 
konnte auch durch vergleichende Zählung der weissen Blut- 
körperchen im Arterien- und Venenblut der Lymphdrüsen gezeigt 
werden, dass Leukocyten innerhalb der Lymphdrüsen in die 
Blutbahn gelangt sein müssen. Das Ergebnis der diesbezüglichen 
Untersuchung fasste ich (27) seinerzeit folgendermassen zusammen: 
„Die abführenden Lymphgefässe sind nicht der ein- 
zige Abflussweg der neugebildeten Leukocyten, 
sondern zahlreiche gelangen durch Durchwanderung 
der Venenwand aus den Lymphdrüsen direkt in die 
Blutbahn. Wahrscheinlich benutzen die roten Blutkörperchen 
denselben Weg, den die Leukocyten zu ihrem Übertritt aus den 
Lymphdrüsen in die Gefässe benutzten.“ 

Wenn Weidenreich sagt, dass die Ableitung der roten 
Blutkörperchen nicht die Hauptaufgabe der Venen der Blutlymph- 
drüsen ist, sondern dass sie vornehmlich dazu dienen, die in den 
Drüsen gebildeten Leukocyten in den Kreislauf zu bringen, so 
stimme ich mit ihm insofern überein, als auch nach meiner Ansicht 
den Venen neben der Ableitung der roten Blutkörperchen die Ab- 


Die Blutlymphdrüsen. 13 


leitung der Leukocyten zufällt. Sollen aus den Blutlymphdrüsen, 
die ja keine Lymphgefässe besitzen, Leukocyten schliesslich in 
die Blutbahn gelangen, so bleibt kein anderer Weg übrig als 
durch die dünne Wandung der Blutgefässe hindurch direkt in 
die Blutbahn. Das Vorkommen eines derartigen Übertrittes wird, 
wie schon gesagt, durch die mikroskopischen Bilder bestätigt. 

Keinesfalls darf aber die Dünnwandigkeit der Venen als 
charakteristisch für die Blutlymphdrüsen angesehen werden. Wir 
finden in jedem Punkte genau dieselben Bilder auch in anderen, 
namentlich jungen Lymphdrüsen, ob sie nun Lymphgefässe besitzen 
oder nicht. 

Auch Piltz fand in den Venen eine überraschend grosse 
Anzahl von Lymphocyten und schliesst sich der Ansicht an, dass 
die Venen in den Blutlymphdrüsen die Funktion der abführenden 
Lymphgefässe mit übernommen haben und die neugebildeten 
Lymphocyten aus dem Organ wegführen. 

Andererseits findet man namentlich die grösseren Venen 
im Iymphoiden Gewebe auffallend häufig ganz inhaltslos, wie dies 
auch schon Weidenreich und Piltz aufgefallen ist. Derartige 
Venen sehen auf den ersten Blick den Sinus ähnlich, unter- 
scheiden sich aber von diesen durch das Fehlen des Retikulum. 

Eine weitere Frage ist die, wie gelangen die roten Blut- 
körperchen in die Sinus und das Iymphoide Gewebe? Alle 
Untersucher, die sich in letzter Zeit eingehend mit dem Aufbau 
der Blutlymphdrüsen befasst haben, stimmen darin überein, dass 
nirgends innerhalb der Lymphdrüsen eine direkte Einmündung 
von Blutgefässen in die Sinus erfolgt. Da bei den typischen 
Blutlymphdrüsen zuführende (und abführende) Lymphgefässe 
fehlen, so scheint auf den ersten Blick keine andere Möglichkeit 
zu bestehen, als dass die roten Blutkörperchen in den Sinus aus 
den Blutgefässen innerhalb der Lymphdrüsen stammen. 

Man könnte höchstens daran denken, dass Erythrocyten in 
den Blutlymphdrüsen in grosser Menge neugebildet werden. 
wobertson (23), Clarkson (6) und Retterer (22) betrachten 
zwar die Sinus als Brutstellen roter Blutkörperchen und Gütig (11) 
hat an Ausstrichpräparaten von „Blutlymphdrüsen“ des Schweines 
Erythroblasten gesehen. Alle anderen Autoren halten die Blut- 
Iymphdrüsen nicht für Neubildungs-, sondern für Zerstörungs- 
stätten roter Blutkörperchen. Bei den ausserordentlich grossen 


114 Siegmundv. Schumacher: 


Mengen von roten Blutkörperchen in den Sinus müssten doch 
auch in grosser Zahl Erythroblasten gefunden werden, wenn es 
sich tatsächlich um neugebildete rote Blutkörperchen handeln 
sollte. Ich fand in den Blutlymphdrüsen des Schafes keine 
Erythroblasten. Da ausserdem, wie später gezeigt werden soll, 
nachgewiesen werden kann, dass in grossen Mengen rote Blut- 
körperchen in die Sinus während der Entwicklung der Lymph- 
drüsen hineingelangen, so kann mit Sicherheit geschlossen werden, 
dass wenigstens die überwiegende Anzahl von Erythrocyten nicht 
innerhalb der Lymphdrüsen neugebildet wird. Dabei besteht ja 
immerhin die Möglichkeit, dass einzelne rote Blutkörperchen in 
den Blutlymphdrüsen neugebildet werden, aber jedenfalls müsste 
wenigstens beim Schafe die Zahl der letzteren ganz in den Hinter- 
grund gegenüber den aus der Blutbahn stammenden treten. 

Wie schon erwähnt, nimmt Helly an, dass das blut in 
den Sinus der Blutlymphdrüsen aus kleinen lokalen Hämorrhagien 
innerhalb der Lymphdrüsen herrührt, während Weidenreich 
eine ständige, allerdings indirekte Verbindung des Blutstromes 
aus den Blutgefässen durch das Iymphoide (Gewebe hindurch mit 
den Sinus annimmt. 

Ich stehe auch heute noch auf dem Standpunkt, den ich 
schon in einer meiner früheren Arbeiten über die Lymphdrüsen 
eingenommen habe, dass rote Blutkörperchen aus den Venen (und 
Kapillaren) des Iymphoiden Gewebes austreten können, dass also 
gelegentlich jede gewöhnliche Lymphdrüse sowohl im Iymphoiden 
Gewebe als auch in ihren Sinus rote Blutkörperchen enthalten 
kann. Namentlich dürfte dort ein reichlicherer Austritt von 
roten Blutkörperchen aus den Blutgefässen der Lymphdrüsen 
statthaben, wo durch reichliche Einwanderung von Lymphoeyten 
die Wandungen der Venen und Kapillaren gelockert worden sind. 

Allerdings besteht noch ein anderer Weg, auf dem rote 
Blutkörperchen in die Sinus der Lymphdrüsen in grösster Menge 
gelangen. Darauf werde ich weiter unten bei der Besprechung 
der Entwicklung der Lymphdrüsen noch zu sprechen kommen. 


Sinus, Ilymphoides Gewebe, Kapsel, Trabekel. 
Bezüglich der Anordnung der Sinus in den Blutlymphdrüsen 
kann ich die Angaben früherer Autoren in den meisten Punkten 
bestätigen. Gewöhnlich findet man den Marginalsinus der Blut- 


Die Blutlymphdrüsen. 115 


Iymphdrüsen auffallend weit und zwar hauptsächlich dann, wenn 
er strotzend mit roten Blutkörperchen gefüllt ist (Fig. 3). Es 
kommen aber auch Blutlymphdrüsen vor, wo der Marginalsinus 
stellenweise auf einen engen Spalt reduziert erscheint, indem das 
Iymphoide Gewebe bis nahezu an die Kapsel heranreicht. In 
den Randsinus ragen die buckelförmigen Erhebungen der Rinden- 
substanz hinein, und je mehr das Iymphoide Gewebe an Aus- 
dehnung zunimmt, um so mehr wird der Rkandsinus eingeengt. 

baum erwähnt, dass gelegentlich der subkapsuläre Blut- 
raum in Blutlymphdrüsen vollständig fehlen kann. Auch ich habe 
kleine Blutlymphdrüsen gesehen, in denen ein kandsinus nicht 
nachzuweisen war, während die Intermediärsinus erhalten waren. 

Mit Ausnahme der allerkleinsten, jüngsten Blutlymphdrüsen 
sieht man, dass der Marginalsinus an vielen Stellen sich mit den 
Sinus der Marksubstanz — den Intermediärsinus — in Ver- 
bindung setzt. Auch letztere sind im Vergleiche zu Lymph- 
drüsen, deren Sinus nicht mit Blut gefüllt sind, gewöhnlich 
recht weit. 

Die Sinus sind allenthaiben von einem ziemlich spärlichen 
Retikulum durchzogen, das im wesentlichen und namentlich bei 
den kleinsten Blutlymphdrüsen zellig ist und mit dem Sinus- 
endothel zusammenhängt. 

Nach Piltz sammeln sich in den Blutlymphdrüsen des 
Rindes, wenn auch nicht konstant, so doch häufig, die vom 
peripheren Sinus ausgehenden Räume in der Mitte der Lymph- 
drüse in einem zentralen Sinus. 

Ich möchte dieses Verhalten nicht als typisch für die Blut- 
Iymphdrüsen des Schafes hinstellen, denn gewöhnlich haben wir 
es hier nicht mit einem einzigen zentralen Sinus zu tun, sondern 
mit einem ganzen System von Sinusräumen. 

Im grossen und ganzen ist demnach die Anordnung der 
Sinus dieselbe wie in gewöhnlichen jugendlichen Lymphdrüsen; 
sie unterscheidet sich von letzteren hauptsächlich durch eine 
beträchtlichere Weite der einzelnen Sinus. Es erscheinen diese 
durch die pralle Füllung mit Blut ausgeweitet und infolgedessen 
das Retikulum verhältnismässig spärlich. 

Einen strittigen Punkt bildet die Auskleidung der Sinus 
mit Endothel. Während eine Reihe von Autoren annimmt, dass 
das Iymphoide Gewebe gegen die Sinus hin durch eine ge- 


116 Siegmundv. Schumacher: 


schlossene Lage von Endothel abgegrenzt wird, stehen andere 
auf dem Standpunkt, dass das Endothel keine allenthalben ge- 
schlossene Lage bildet, sondern unterbrochen ist, so dass körper- 
liche Elemente vom Iymphoiden Gewebe aus stets in die Sinus 
gelangen können oder umgekehrt. 

Wenn Thome& (28), Weidenreich und andere annehmen, 
dass die Endothelzellen in den Lymphdrüsen nichts anderes als 
Retikulumzellen sind, die allerdings, wenn sie gegen das lymphoide 
Gewebe hin angepresst werden, eine Art Endothelbelag bilden 
können, so schliesse ich mich dieser Ansicht insofern an, als auch 
ich Endothel- und Retikulumzellen als zusammengehörig betrachte. 
Es stammen nämlich die Retikulumzellen der Sinus nach meinen 
Befunden von den Endothelzellen der Sinus ab. 

Keinesfalls darf von einem geschlossenen, das Iymphoide 
Gewebe gegen die Sinus hin allenthalben vollständig abschliessen- 
den Endothelbelag gesprochen werden. Wenn auch oft auf 
grössere Strecken hin eine durch das Endothel gebildete scharfe 
Grenze zwischen Iymphoidem Gewebe besteht, so dass kein regerer 
Übertritt der in den Sinus gelegenen Elemente in das Iymphoide 
Gewebe hinein oder umgekehrt nachzuweisen ist, so kommen 
doch andererseits in jeder Blutlymphdrüse (sowie wahrscheinlich 
auch in jeder gewöhnlichen Lymphdrüse) Stellen vor, wo von 
einer scharfen Abgrenzung der Sinus nicht die Rede sein kann. 
Man sieht an derartigen Stellen die Elemente der Sinus und des 
lymphoiden Gewebes sich gegenseitig durchsetzen, indem zwischen 
die in den Sinus gelegenen roten Blutkörperchen grosse Mengen 
von Lymphocyten und andererseits zwischen die Lymphocyten des 
lymphoiden Gewebes zahlreiche rote Blutkörperchen aus den 
Sinus eindringen. Ja, es kann die Vermengung der Elemente 
der Sinus und des Iymphoiden Gewebes soweit gehen, dass man 
auch nicht mehr andeutungsweise eine Abgrenzung zwischen Sinus 
und Iymphoidem Gewebe nachweisen kann. Es erscheint dann 
eine derartige Partie von ziemlich gleichmässig vermengten roten 
Blutkörperchen und Lymphocyten eingenommen (Fig. 3, Ue). 

Auch Piltz gibt an, dass es infolge der Vermengung von 
Lymphzellen und roten Blutkörperchen oft nicht möglich ist, zu 
unterscheiden, ob eine bestimmte Stelle dem Blutraum oder dem 
Iymphatischen Gewebe angehört und dass Sinus und Iympha- 
tisches Gewebe nicht durch feste Grenzen getrennt sind. 


Die Blutlymphdrüsen. 117 


Die Kapsel der Blutlymphdrüsen ist im allgemeinen schwach 
entwickelt und kann bei Lymphdrüsen ganz junger Tiere nahezu 
vollkommen fehlen. Sie enthält, wie von allen Autoren überein- 
stimmend angegeben wird, glatte Muskulatur, Bindegewebsfibrillen 
und elastische Fasern; allerdings ist die Beteiligung dieser drei 
Komponenten in den einzelnen Fällen eine recht verschiedene. 

Piltz beschreibt in Übereinstimmung mit anderen Autoren 
in den Blutlymphdrüsen des Rindes ein allmähliches Auseinander- 
weichen der Gewebsbündel der Kapsel gegen den Marginalsinus 
hin, so dass kleinere und grössere Lücken entstehen, die mit 
Blut gefüllt sind und mit dem Randsinus in Verbindung stehen. 
Auf diese Weise löst sich nach Piltz die Kapsel so allmählich 
ins Retikulum des peripheren Sinus auf, dass eine einigermassen 
genaue Abgrenzung beider nicht möglich ist. „Dass die in der 
Kapsel liegenden Räume mit dem Sinus zusammenhängen, lässt 
sich unschwer schon an ihrer Füllung mit roten Blutkörperchen, 
ganz sicher aber durch Serienschnitte nachweisen.“ In den Blut- 
Iymphdrüsen des Schafes konnte ich ein derartiges Verhalten der 
Kapsel ebensowenig wie Weidenreich finden. Hingegen möchte 
ich gleich hier bemerken, dass in Blutlymphdrüsen des Hirsch- 
kalbes eine allmähliche Auflösung der Kapsel gegen den Marginal- 
sinus hin vorkommt, genau in der Weise, wie es von Pıiltz für 
das Rind beschrieben wird. In den Blutlymphdrüsen des Schafes 
setzt sich die Kapsel stets scharf vom Randsinus ab, ohne 
dass Ausbuchtungen des letzteren in die Kapsel hinein zu be- 
obachten sind. 

Trabekel fehlen in den Blutiymphdrüsen nahezu vollständig. 
Nur in der Gegend des Hilus sieht man in manchen Blutlymph- 
drüsen das Hilusgewebe die ein- resp. austretenden Gefässe eine 
Strecke weit in das Innere der Drüse begleiten. Diese Züge von 
Hilusgewebe, die aber nur um die Gefässe herum gelagert er- 
scheinen, machen den Eindruck von Trabekeln. An anderen 
Stellen der Blutlymphdrüsen sah ich aber nie grössere Züge von 
Kapselgewebe nach Art von Trabekeln in das Innere treten, auch 
dort nicht, wo grössere Venen — entfernt vom Hilus — aus den 
Drüsen kommen und die Kapsel durchsetzen. 

Bezüglich des Iymphoiden Gewebes der Blutlymphdrüsen 
stimmen meine Befunde mit denen früherer Autoren überein. 
Dasselbe lässt nach den Angaben aller Autoren keine Trennung 


118 Siegmundv. Schumacher: 


in Rinden- und Marksubstanz erkennen. Es bildet eine zusammen- 
hängende Masse, die nur von den in der Regel weiten, aber im 
Vergleiche zu gut entwickelten gewöhnlichen Lymphdrüsen spär- 
lichen Intermediärsinus unterbrochen wird. 

Rindenknoten sind im allgemeinen nur insofern angedeutet, 
als der äussere Kontur des Iymphoiden (Gewebes stellenweise 
buckelförmige Erhebungen gegen den Marginalsinus hin aufweist. 


Keimzentren können vollkommen fehlen, was namentlich in 
den kleinsten Blutlymphdrüsen gewöhnlich der Fall ist. Wo 
Keimzentren vorhanden sind, zeigen sie die für diese charakte- 
ristischen epitheloiden Zellen, und man erkennt auch hier, sowie 
in gewöhnlichen Lymphdrüsen in der unmittelbaren Umgebung 
der Keimzentren häufig eine dichtere Lagerung der Lymphocyten, 
so dass sie in Form von konzentrischen Ringen die Keimzentren 
umgeben. 

Stets findet man im Iymphoiden Gewebe der Blutlymph- 
drüsen rote Blutkörperchen, die bald in grösserer Menge bei- 
sammenliegend, bald nur vereinzelt zwischen den Lymphocyten 
getroffen werden. Während ihre Zahl manchmal eine geringe 
ist. können sie sich gelegentlich — wie schon Weidenreich 
betont — in solchen Mengen finden, das sie den Lymphocyten. 
an Zahl gleichkommen oder sie übertreffen. 


In manchen Blutlymphdrüsen fällt der grosse Gehalt des 
Iymphoiden Gewebes an eosinophilen Leukocyten auf (Fig. 3), 
worauf auch schon Weidenreich (31) hingewiesen hat. Auf- 
fallend ist dabei zunächst der Umstand, dass sie innerhalb der 
Sinus nur verhältnismässig selten gefunden werden. In manchen 
Blutlymphdrüsen scheinen aber eosinophile Leukocyten vollkommen 
zu fehlen. Kommen sie in einer Lymphdrüse vor, so sind sie 
gewöhnlich in sehr grosser Menge vorhanden und liegen entweder 
einzeln oder in grösseren Gruppen beisammen. 


Das Vorkommen von Eosinophilen ist durchaus nicht 
charakteristisch für die Blutlymphdrüsen. Man findet solche in 
den gewöhnlichen Lymphdrüsen des Schafes gelegentlich in noch 
grösserer Menge als in Blutlymphdrüsen. Fig. 4 zeigt, in 
welch grosser Anzahl eosinophile Leukocyten mitunter in einer 
sewöhnlichen Lymphdrüse gefunden werden können. Die Ab- 
bildung stammt aus einer Lymphdrüse, in der ähnliche Gruppen 


Die Blutlymphdrüsen. 119 


von Eosinophilen auch noch an vielen anderen Stellen und 
massenhaft einzeln liegende Eosinophile gefunden wurden. Rote 
Blutkörperchen waren hingegen in dieser Lymphdrüse weder im 
Iymphoiden Gewebe noch in den Sinus zu finden. 


Zerstörung der roten Blutkörperchen in den 
Blutlymphdrüsen. 


Die meisten Autoren stimmen darin überein, dass die in 
den Sinus und auch im Iymphoiden Gewebe (ausserhalb der 
Blutgefässe) der Blutlymphdrüsen gelegenen roten Blutkörperchen 
dem Untergange geweiht sind und zwar, dass sie innerhalb der 
Lymphdrüsen zugrunde gehen. Nachdem es feststeht, dass den 
eigentlichen Blutlymphdrüsen zu- und abführende Lymphgefässe 
fehlen, besteht auch kaum ‚eine andere Möglichkeit, da ein 
Zurückgelangen der ausserhalb der Gefässe liegenden roten Blut- 
körperchen in die Blutbahn wohl kaum anzunehmen ist. Über 
die Art des Unterganges sind allerdings die Meinungen ver- 
schieden. Schon in früheren Arbeiten (26, 27) habe ich gezeigt, 
dass die Lymphdrüsen ähnlich wie die Milz Zerstörungsstätten 
roter Blutkörperchen darstellen und dass die in die Sinus gelangten 
Erythrocyten von Phagocyten aufgenommen und zerstört werden. 
Letztere sind modifizierte Retikulumzellen. Meine Angaben 
wurden zunächst von Thome (28), dann von einer Reihe anderer 
Autoren bestätigt. 

Weidenreich (31) nimmt an, dass in den Blutlymphdrüsen 
des Schafes die roten Blutkörperchen in Körnchen zerfallen, dass 
letztere von Leukocyten aufgenommen werden und auf diese 
Weise eosinophile Leukocyten entstehen: „Die eosinophilen Leuko- 
cyten sind also nichts anderes als sogenannte Lymphocyten, 
welche die durch den Zerfall roter Blutkörperchen entstehenden 
feinen Trümmer in ihren Plasmaleib aufnehmen, wobei ihr Kern 
in die polymorphe Form übergeht.“ Während nach Weiden- 
reich ein Teil der eosinophilen Leukocyten durch den Blutstrom 
in den Kreislauf gelangt, geht ein anderer Teil innerhalb der 
Drüsen selbst zugrunde und zwar indem sie von Retikulumzellen, 
die zu Riesenzellen anwachsen, aufgenommen und zerstört 
werden — „indirekte Hämophagocytose“. Es kommt daneben 
nach Weidenreich aber noch eine zweite Art von Zerstörung 
roter Blutkörperchen innerhalb der Blutlymphdrüsen vor, nämlich 


120 Siegmundv. Schumacher: 


die durch Aufnahme von ganzen roten Blutkörperchen durch 
Retikulumzellen —= „direkte Hämophagocytose“. 

Die Annahme Weidenreichs, dass die Granula der 
eosinophilen Leukocyten nichts anderes als Trümmer roter Blut- 
körperchen darstellen, erfuhr in der Folge teils Zustimmung, 
teils Ablehnung; ich will hier nicht auf die ganze diesbezügliche 
Literatur eingehen, sondern möchte nur bemerken, dass meiner 
Meinung nach gegen die Auffassung Weidenreichs haupt- 
sächlich der Umstand spricht, dass man in grösster Menge 
eosinophile Leukocyten in gewöhnlichen Lymphdrüsen finden kann, 
in denen auch nicht ein ausserhalb der Blutbahn liegender 
Erythrocyt nachzuweisen ist, dass ferner mindestens ebenso grosse 
Mengen Eosinophiler wie in den Blutlymphdrüsen auch in der 
Thymus und der Bursa Fabricii vorkommen, also in Organen, in 
denen eine Zerstörung roter Blutkörperchen in ausgedehnterem 
Umfange nicht angenommen werden kann. Ausserdem sei erwähnt, 
dass die eosinophilen Granula bei protrahierter Färbung mit Eosin 
einen wesentlich anderen, mehr karminroten Farbenton annehmen 
als die roten Blutkörperchen (Fig. 3). 

Piltz konnte in den Blutlymphdrüsen des Rindes nur die 
Aufnahme ganzer roter Blutkörperchen durch Retikulumzellen 
nachweisen, die sich innerhalb der letzteren in Pigmentkörnchen 
umwandeln, will aber die Möglichkeit des von Weidenreich 
beschriebenen Vorganges der Entstehung eosinophiler Leukocyten 
nicht in Abrede stellen. 

Nach den Befunden von Piltz überwiegt in den Sinus- 
räumen das feingekörnte, im Iymphatischen Gewebe das klumpige 
und schollige Pigment. Piltz macht für die Bemerkung anderer 
Autoren, dass beim Rind der Prozess der Phagocytose selten 
zu beobachten wäre, die äusserst starke Füllung der Sinus 
und die Dichte des Retikulums verantwortlich, indem hierdurch 
der Nachweis der Phagocyten erschwert wird. Die Aufnahme 
roter Blutkörperchen durch Phagocyten konnte Piltz haupt- 
sächlich in den Sinus beobachten. In der Nähe der insbesondere 
im Iymphoiden Gewebe gelegenen — vorzugsweise auch in den 
Keimzentren — groben Pigmentschollen bemühte sich Piltz 
vergeblich den Vorgang der Phagocytose zu beobachten. 

Nach Helly wird noch zu untersuchen sein, „ob der 
Grad der in den roten Lymphdrüsen stattfindenden Zerstörung 


Die Blutlymphdrüsen. 121 


roter Blutkörperchen im Einklange mit deren Menge in den 
Sinus steht“. 

Als ich die ersten Blutlymphdrüsen des Schafes untersuchte, 
war ich tatsächlich überrascht, trotz der Unmenge roter Blut- 
körperchen keine einwandfreien Phagocyten, welche Erythrocyten 
aufgenommen hatten, zu finden, um so mehr, als ich Phagocyten 
in den bluthaltigen Lymphdrüsen von Macacus in grösster Menge 
zu sehen gewöhnt war. Gewiss wird der Nachweis durch die 
dichte Lagerung der roten Blutkörperchen in den Sinus wesent- 
lich erschwert, wie dies von Piltz angegeben wurde. Um diese 
Schwierigkeit zu umgehen, untersuchte ich zwei Blutlymphdrüsen 
im frischen Zustande, in Zupfpräparaten, aber ebenfalls mit 
negativem Erfolge. Ich fand wohl einige grössere Zellen mit 
verschieden grossen Körnchen. Eine einzige von diesen schien 
Fragmente von roten Blutkörperchen zu enthalten. Später sah 
ich allerdings in mehreren Blutlymphdrüsen an Schnittpräparaten 
einwandfreie Phagocyten und zwar hauptsächlich im Iymphoiden 
Gewebe gelegen, die zum Teil mit roten Blutkörperchen voll- 
gepfropft waren, zum Teil nur deren wenige enthielten. Viele 
von den aufgenommenen Erythrocyten sind schwächer färbbar 
und nur mehr schwer nachzuweisen. Sicher kommt auch ein 
scholliger Zerfall roter Blutkörperchen in Phagocyten vor. Ausser 
roten Blutkörperchen sieht man in vielen Phagocyten auch Kerne 
resp. Kernreste von verschiedenen Leukocytenformen, so wie ich 
das für die Lymphdrüsen von Macacus beschrieben habe. 

Die Phagocyten gehören den Retikulumzellen an; sie zeigen 
den gleichen Kern wie letztere und gelegentlich — wenn die 
Zellen nicht zu dicht aneinandergedrängt liegen — kann man 
auch noch den einen oder anderen Fortsatz an einem Phagocyten 
sehen. Sind überhaupt mit roten Blutkörperchen beladene Phago- 
cyten in einer Blutlymphdrüse vorhanden, so findet man sie ge- 
wöhnlich in grosser Menge. Auch in Keimzentren kommen 
gelegentlich Phagocyten mit roten Blutkörperchen vor. Ich habe 
eine derartige Stelle mit vier Phagocyten in Fig. 5 wiedergegeben. 
In einzelnen Phagocyten lässt sich auch ein Zusammentliessen 
von roten Blutkörperchen zu einem grossen kugeligen, sich mit 
Eosin rot färbenden Tropfen nachweisen. 

Pigmentführende Zellen sah ich in den Lymphdrüsen des 
Schafes verhältnismässig selten. Es scheint Pigment nur in der 


122 Siegmundv. Schumacher: 


feinkörnigen, gelbbraunen Form vorzukommen: die groben, 
dunklen Pigmentschollen, die Piltz in den Blutlymphdrüsen des 
Rindes neben dem feinkörnigen Pigment fand, dürften beim 
Schafe fehlen. 

Ich glaube somit auf Grund meiner Befunde annehmen zu 
dürfen, dass in den Blutlymphdrüsen des Schafes, sowie in anderen 
Lymphdrüsen, eine Zerstörung der ausserhalb der Blutbahn ge- 
legenen roten Blutkörperchen durch Phagocytose erfolgt, dass 
die Phagocyten Retikulumzellen sind, innerhalb welcher sich die 
aufgenommenen Erythrocyten wenigstens teilweise in Pigment 
umwandeln. Immerhin scheint die Zerstörung von roten Blut- 
körperchen in den Blutlymphdrüsen des Schafes keine so lebhafte 
zu sein wie z. B. in den Lymphdrüsen der Affen, und ausserdem 
scheint sie nicht ununterbrochen abzulaufen, da man auch Blut- 
Iymphdrüsen finden kann, in denen keine Anzeichen von Phago- 
cytose nachzuweisen sind. In bluthaltigen Lymphdrüsen mit 
Lymphgefässen dürfte wenigstens ein grosser Teil der inner- 
halb der Sinus freiliegenden roten Blutkörperchen durch die Vasa 
efferentia abgeführt werden. da ich in einigen Fällen in diesen 
Ervthrocyten nachweisen konnte. 

Überblicken wir die bisher erhobenen Befunde, so können 
wir sagen, dass die Blutlymphdrüsen des Schafes 
Formen darstellen, die im allgemeinen Jugend- 
stadien gewöhnlicher Lymphdrüsen entsprechen. 
Hierfür spricht die im allgemeinen geringe Grösse, die schwache 
Ausbildung der Kapsel, das Fehlen der Trabekel, die mangelhafte 
Gliederung des Iymphoiden Gewebes und dementsprechend auch 
der Sinus, weshalb eine scharfe Trennung in Rinden- und Mark- 
substanz unmöglich ist, das oft vollständige Fehlen oder doch 
die spärliche Ausbildung der Keimzentren. Die Weite der Sinus 
dürfte zum Teil sicher mit dem Füllungsgrade derselben mit 
Blut zusammenhängen. Da das Vorkommen von Blutin 
denLymphsinuskeineswegsausschliesslich für Blut- 
Iymphdrüsen charakteristisch ist und ebenso die 
Lymphgefässe bei nicht bluthaltigen Lymphdrüsen 
fehlen können, so bleibt kein charakteristisches 
Merkmal für die Blutlymphdrüsen übrig, das es 
rechtfertigen würde, dieselben als Organe sui 
generis hinzustellen. ; 


Die Blutlymphdrüsen. 123 


Die Entwicklung der Lymphdrüsen beim Schafe. 

Obwohl gerade vom Studium der Entwicklung der Blut- 
Iymphdrüsen Aufschlüsse über ihre Beziehungen zu den gewöhn- 
lichen Lymphdrüsen zu erwarten sind, so ist hierüber doch so 
gut wie nichts bekannt. Es werden von einzelnen Autoren Ver- 
mutungen hierüber aufgestellt, die aber alle einer tatsächlichen 
Grundlage entbehren. 

Vincent und Harrison (29) halten die Blutlymphdrüsen 
für modifizierte Lymphdrüsen und glauben, dass sie sich aus 
diesen entwickeln. Eigene Untersuchungen über diese Entwicklung 
führten sie aber nicht aus. 

Nach Drummond (8) sind die Blutlymphdrüsen als Organe 
sui generis zu betrachten, obwohl ihre erste Entwicklung gleich 
der gewöhnlicher Lymphdrüsen abläuft. 

Piltz nimmt an, dass aus Blutlymphdrüsen sich echte Lymph- 
drüsen entwickeln. Er stellt sich diese Umwandlung folgender- 
massen vor: Die Blutsinus bilden ursprünglich eine Erweiterung 
des Kapillarsystems, verlieren dann den freien Zusammenhang 
mit den Blutgefässen. Später dringen von aussen her die blinden 
Enden der Lymphgefässe vor, so dass eine Verbindung der Sinus 
mit den Lymphgefässen hergestellt wird. Hierbei stützt sich 
Piltz hauptsächlich auf die Angabe Sabins (24), dass die 
Lymphdrüsenanlage um Blutgefässe herum beginnt, und dass ein 
Hineinwachsen von Lymphgefässen erst in einem späteren Stadium, 
erfolgt. 

A. Meyer (18) bemerkt, dass man bei 9,5 cm langen 
Schaffeten in der Lendengegend die ersten Unterschiede zwischen 
den Anlagen von Lymphdrüsen und Blutlymphdrüsen findet, gibt 
aber nur an, dass die Blutlymphdrüsen vom Mesenchym abstammen 
und später vaskularisiert werden. 

Da nach meinen Untersuchungen in der ersten Entwicklung 
zwischen gewöhnlichen und Blutlymphdrüsen keine Unterschiede 
bestehen, so möchte ich kurz auf die wichtigsten Literaturangaben 
über die für unseren Gegenstand in Betracht kommenden Ver- 
hältnisse eingehen und speziell die Untersuchungsergebnisse 
Klings (15) über die Entwicklung der menschlichen Lymph- 
drüsen in der Achselhöhle anführen. 

Kling leitet so wie Chievitz (5), Gulland (12) und 
Saxer (25) den Marginalsinus aus primär vorhandenen Lymph- 


124 | Siegmundv. Schumacher: 


gefässen ab. Kling unterscheidet „allgemeine“ und „spezielle“ 
Lymphdrüsenanlagen. Im dritten Fetalmonat stellt sich nach 
Kling innerhalb der Maschen eines Lymphgefässgeflechtes ein 
Differenzierungsprozess ein, der zur Entstehung von zellen- und 
blutgefässreichen Partien führt, die wegen ihrer Lokalisation in 
den Maschen des Lymphgefässnetzes eine unregelmässig trabekuläre 
Anordnung zeigen. Einer jeden späteren Lymphdrüsengruppe 
entspricht eine derartige allgemeine Lymphdrüsenanlage. Durch 
Teilung der letzteren bilden sich die Anlagen für die einzelnen 
Lymphdrüsen, die speziellen Lymphdrüsenanlagen. Die Teilung 
scheint durch Einwachsen und Erweiterung benachbarter Lymph- 
gefässe vermittelt zu werden. Die spezielle Lymphdrüsenanlage 
entbehrt anfänglich innerer Lymphbahnen und bildet also eine 
kompakte Zellmasse, die von einem reichlichen korbähnlichen 
Lymphgefässplexus — dem Marginalplexus — umsponnen ist, 
welch letzterer an mehreren Stellen mit benachbarten Lymph- 
gefässen in Verbindung steht. Durch Vergrösserung und Konfluenz 
der Lymphgefässe im Marginalplexus entsteht der Marginalsinus. 
Aus dem Teile des Marginalsinus, der den Hilus umgibt, dringen 
in die Drüsenanlage zahlreiche, netzförmig angeordnete Lymph- 
gefässe ein, die erst das Hilusbindegewebe und dann auch das 
Drüsenparenchym durchwachsen. An der Grenze zwischen beiden 
verbinden sie sich durch zahlreiche Anastomosen zu einem 
gewöhnlich plexiformen Terminalsinus. Die in die Drüsensubstanz 
eindringenden Lymphgefässe bilden die intermediären Lymphsinus, 
von welchen eine geringere Anzahl allmählich dem Marginalsinus 
entgegenwächst, um sich von innen her mit diesem zu vereinigen. 
Die Lymphsinus in der Drüse sind also anfänglich gewöhnliche 
Lymphgefässe. Die Retikulumzellen in ihrem Lumen treten erst 
sekundär auf und sind Abkömmlinge des Lymphgefässendothels. 
Die speziellen Lymphdrüsenanlagen sind vom Anfange an ver- 
schieden gross; sie durchlaufen nicht alle gleichzeitig die ver- 
schiedenen Entwicklungsphasen. Einige erreichen während des 
intrauterinen Lebens ihren definitiven Bau, während andere auf 
einem niedrigen Entwicklungsstadium stehen bleiben. Die kleinen, 
oft mikroskopischen Drüsen, die man beim erwachsenen Menschen 
neben den grösseren findet, sind als rudimentäre Drüsen zu 
betrachten, die unter gewissen Umständen auch beim Erwachsenen 
sich weiter entwickeln können. 


Die Blutlymphdrüsen. 125 


Die Ergebnisse meiner Untersuchungen über die Lymph- 
drüsenentwicklung beim Schaf stimmen mit diesen Angaben 
Klings in allen wesentlichen Punkten überein. 

Für gewöhnlich wählte ich die Prädilektionsstelle der Blut- 
Iymphdrüsen — das ist das retroperitoneale (rewebe von den Nieren- 
arterien bis kaudal von der Teilungsstelle der Aorta — zur 
Untersuchung. Die betreffende Partie wurde im ganzen eingebettet 
und in Schnittreihen zerlegt. 

3ei einem 14 cm langen Schaffetus treten retroperitoneal 
in einem verdichteten zellreichen Gewebe Ansammlungen von 
Lymphocyten auf. Diese Ansammlungen sind nicht scharf gegen 
die Umgebung abgegrenzt; allenthalben liegen zwischen ihnen 
zahlreiche Lymphgefässe und sind — was besonders an injizierten 
Präparaten auffällt — ausserordentlich reichlich vaskularisiert. 
Die Venen bilden innerhalb der Zellansammlungen Getlechte. 
Derartige Bilder würden als „allgemeine Lymphdrüsenanlagen“ 
im Sinne Klings aufzufassen sein. Daneben sind allerdings 
auch schon „spezielle Lymphdrüsenanlagen“ zu unterscheiden, die 
kleiner und mehr oder weniger kugelig erscheinen. Lymphgefässe 
findet man bei den speziellen Lymphdrüsenanlagen nur der 
Peripherie angelagert, Blutgefässplexus nur im Inneren der Anlage. 
Diese speziellen Anlagen liegen oft ganz isoliert und weit entfernt 
von den allgemeinen Anlagen, so dass man annehmen muss, dass 
spezielle Lymphdrüsenanlagen sich auch unabhängig von den 
allgemeinen ausbilden können. Es dürften nur dort allgemeine 
Anlagen auftreten, wo später Gruppen von eng aneinanderliegenden 
Lymphdrüsen vorkommen. 

Lymphdrüsen mit ausgebildeten Lymphsinus kommen in 
diesem Stadium noch nicht vor. 

Bei einem 24 cm langen Schaffetus fand ich keine allgemeine 
Lymphdrüsenanlage mehr, hingegen zahlreiche spezielle Anlagen 
(Fig. 6) und auch schon ziemlich gut ausgebildete Lymphdrüsen, 

Die speziellen Anlagen sind verschieden weit entwickelt. 
Weitaus die Mehrzahl führt an der Peripherie Lymphgefässe 
(= Marginalplexus), die bei einigen schon zu einem Marginalsinus 
verschmolzen sind, der aber noch kein Retikulum enthält. 
Während in keiner Lymphdrüsenanlage die lakunenartig an- 
geordneten Blutgefässe zu fehlen scheinen, kommen solche vor, 


bei welchen von Lymphgefässen weder an ihrer Oberfläche noch 
Archiv f.mikr. Anat. Bd. 81. Abt. I. I 


126 Siegmund v. Schumacher: 


im Inneren etwas zu sehen ist (Fig. 7). Freilich ist der Nachweis 
von feineren Lymphgefässen nur dann möglich, wenn sie nicht 
kollabiert sind. In den grösseren Lymphdrüsenanlagen hat im 
Vergleiche mit den kleineren die Zahl der Lymphocyten zu- 
genommen; immerhin sind die epitheloiden Kerne der späteren 
Retikulumzellen des Iymphoiden Gewebes sehr reichlich, dazwischen 
scheinen einzelne rote Blutkörperchen frei zu liegen. Es lässt 
sich hier allerdings nicht sicher nachweisen, ob die roten Blut- 
körperchen nicht in Kapillaren liegen, da die Blutgefässe bei 
diesem Fetus nicht injiziert wurden und der Nachweis der kleineren 
Blutgefässe ohne Injektion innerhalb der kompakten Zellmasse 
der Lymphdrüsenanlage kaum möglich ist. 

Eine grössere Lymphdrüse zeigt schon ein reichlich ent- 
wickeltes Sinussystem. Es lässt sich auch schon eine Rinden- und 
Markpartie unterscheiden. Erstere bildet eine zusammenhängende 
Masse ohne Keimzentren; von ihr strahlen die Markstränge aus, 
die durch reichliche Intermediärsinus voneinander getrennt sind. 
Ein Marginalsinus ist ebenfalls deutlich ausgebildet, der mit zu- 
und abführenden Lymphgefässen in Verbindung steht. Er zeigt 
entsprechend seiner früheren Ausbildung insofern eine höhere 
Entwicklung, als in ihm ein deutliches Retikulum aus sternförmig 
verzweigten Zellen bestehend vorhanden ist, während ein solches 
in den Intermediärsinus noch nahezu vollkommen fehlt. Letztere 
gleichen daher noch Lymphgefässen. Sie grenzen sich gegen die 
Markstränge durch ein Endothel ab und stellenweise sieht man, 
wie von den Endothelzellen einzelne Fortsätze gegen die Lichtung 
hin vorragen, oder wie eine mit dem Endothel im Zusammen- 
hange stehende Zelle in den Sinus hineinragt. Wir haben es 
hier mit Bildern zu tun, die die Abstammung des Sinusretikulums 
aus dem Endothel erkennen lassen. 

Bei einem 26 cm langen Schaffetus ist neben verschieden 
weit ausgebildeten kleineren auch eine verhältnismässig grosse 
Lymphdrüse zu sehen, deren Sinus prall mit Blut gefüllt sind. 
Der Marginalsinus ist schon deutlich ausgebildet, enthält aber 
noch kein Retikulum, so dass er noch den Eindruck eines Lymph- 
gefässes macht. Auch einige Intermediärsinus sind schon ent- 
wickelt. Eine Trennung in Rinden- und Marksubstanz ist noch 
kaum angedeutet. Keimzentren fehlen. In dem Randsinus sieht 
man an mehreren Stellen weite Lymphgefässe — Vasa afterentia 


Die Blutlymphdrüsen. 127 


einmünden, die alle mit Blut strotzend gefüllt sind. Dass es 
sich um Vasa afferentia handelt, erkennt man aus der Stellung 
der Klappen. Fig. 8 zeigt ein in den Randsinus eintretendes 
Lymphgefäss; die Drüse ist hier in ihrer Randpartie getroffen. 
In dem auf den hier abgebildeten folgenden Schnitt sieht man, 
dass das Vas afferens (Va) mit dem grossen Lymphgefäss im 
Zusammenhang steht. Fig. 9 stellt weitere Lymphgefässe der- 
selben Lymphdrüse dar, die sich ebenfalls in den Randsinus 
öffnen. Ähnliche Bilder sind noch an anderen Stellen dieser 
Lymphdrüse zu sehen. Im Hilus erkennt man ausser grossen 
Blutgefässen mehrere weite austretende Lymphgefässe, die alle 
mehr oder weniger mit Blut gefüllt sind. Würde es sich nicht 
um einen von der Nabelarterie aus mit Berlinerblau injizierten 
Fetus handeln, so könnte man daran denken, dass die mit Blut 
gefüllten weiten Gefässe ganz dünnwandige Venen sind. Da aber 
die Injektion vollkommen gelungen ist und alle Kapillaren und 
Venen mit Berlinerblau gefüllt sind, so kann es sich in den mit 
Blut gefüllten weiten Gefässen nur um Lymphgefässe handeln. 
Ausserdem spricht für Lymphgefässe die charakteristische grosse 
Menge von Klappen und die Dünnwandigkeit. Die Wandung 
scheint nur von einem Endothel gebildet zu werden. Schliesslich 
kommt es in keinem Fall vor, dass ein Blutgefäss sich in den 
Marginalsinus einer Lymphdrüse öffnet. 

Lewis (16) hat allerdings einen Fall von einer Lymph- 
drüse der Ratte wiedergegeben, in dem sich eine angebliche 
Vene in den Marginalsinus öffnet; aber schon Weidenreich 
hat hierzu mit Recht bemerkt, dass es sich zweifellos um ein 
Lymphgefäss und nicht um eine Vene handelte. 

In derselben Serie liegt eine Lymphdrüsenanlage (Fig. 10), 
bei der noch keine Sinus ausgebildet sind, die also ein kompaktes 
Knötchen von Iymphoidem Gewebe darstellt. Die Anlage des 
Randsinus ist in Form einiger Lymphgefässe an der Peripherie 
des Knötchens angedeutet (Marginalplexus); mit diesen Lymph- 
gefässen, die sämtlich mit Blut gefüllt sind. steht ein grösseres, 
ebenfalls mit Blut gefülltes, wahrscheinlich zuführendes Lymph- 
gefäss im Zusammenhange. Auch bei dieser Lymphdrüsenanlage 
sind die Blutgefässe vollkommen mit Injektionsmasse gefüllt. 

Das gelegentliche Vorkommen von roten Blutkörperchen in 
Lymphgefässen ist schon seit langer Zeit bekannt. Schon Herbst 

9* 


128 Siegmund v. Schumacher: 


(14) erwähnt, dass sich an Lymphgefässen und Lymphdrüsen 
gelegentlich eine rote Farbe nachweisen lässt. 

Forgeot (10) bemerkt, dass den Blutlymphdrüsen der 
Wiederkäuer zu- und abführende Lymphgefässe zukommen, und 
dass die Betrachtung des frischen Präparates genügt, um diesen 
Nachweis zu erbringen. Man sieht nämlich häufig die Lymphe 
in den zu- und abführenden Lymphgefässen von Blutlymphdrüsen 
durch die Beimengung von roten Blutkörperchen mehr oder 
weniger rot gefärbt und kann so den Verlauf der Lymphgefässe 
wie an einem Injektionspräparate schon makroskopisch verfolgen. 

Nachdem der Nachweis erbracht ist, dass Lymphgefässe 
mit roten Blutkörperchen gefüllt sein können und dass, sobald 
dies der Fall ist, jene Lymphdrüsen, in welche derartige Lymph- 
gefässe als Vasa afferentia einmünden, wenigstens zeitweise als 
Lymphdrüsen mit blutgefüllten Sinus erscheinen werden, drängt sich 
die Frage auf, wie die Erythrocyten in die Lymphgefässe gelangen. 

Durchmustert man die Serien durch das retroperitoneale 
(Gewebe von Schaffeten verschiedenen Alters, so kann man nahezu 
in jedem Falle Blutextravasate nachweisen. Oft liegen sehr 
grosse Ansammlungen roter Blutkörperchen frei im Bindegewebe. 
Neben grösseren Ansammlungen kommen auch mehr vereinzelte 
Erythrocyten vor (Fig. S und 10). Wurden die Blutgefässe des 
Fetus injiziert, so dringt an den Stellen, wo freiliegende rote 
Blutkörperchen angesammelt sind, auch Injektionsmasse zwischen 
diese ein. 

Bei Durchsicht der Schnittreihen lässt sich leicht nach- 
weisen, dass mit diesen Blutaustritten degenerierende Blutgefässe 
im Zusammenhange stehen. In der Mehrzahl der Fälle handelt es 
sich um degenerierende Venen. Im Bereiche des Blutaustrittes 
kann man gewöhnlich noch Reste der Blutgefässwandung sehen; 
teilweise noch im gegenseitigen Zusammenhange stehende Endothel- 
zellen, die aber kein geschlossenes Endothelrohr mehr bilden, 
Reste von verquollen aussehenden Muskelzellen mit Andeutung 
einer konzentrischen Schichtung. Je weiter man sich vom Blut- 
austritte entfernt, um so mehr nähert sich das Aussehen der Gefäss- 
wand der Norm, bis schliesslich das Gefäss seine normale Wand- 
beschaffenheit annimmt. 

Mit Sicherheit ist auszuschliessen, dass es sich um Zer- 
reissungen normaler Arterien oder Venen handelt. An keiner 


Die Blutlymphdrüsen. 129 


Stelle sieht man etwa eine Kontinuitätstrennung eines Blut- 
gefässes mit normaler Wandbeschafienheit, sondern stets lässt 
sich nachweisen, dass ein Blutgefäss (Arterie oder Vene), das in 
einiger Entfernung vom Blutaustritt eine normale Wandung zeigt, 
je mehr es sich diesem nähert, um so mehr seine Wandbeschaften- 
heit ändert, bis schliesslich die Wandung vollständig aufhört und 
das degenerierende (refäss im Extravasat sein Ende findet. Kleine 
degenerierende Arterien, die in einem Extravasat enden, können 
Bilder darbieten, die an Corpora fibrosa des Eierstocks erinnern. 
Im einzelnen sind aber die Bilder der in den Blutaustritten sich 
öffnenden Gefässe ausserordentlich variabel, und nur das eine 
lässt sich mit Sicherheit für alle Fälle sagen, dass es sich um 
degenerative Vorgänge in der Gefässwandung handelt, wobei die 
Elemente derselben wie zerworfen aussehen. 

Auffallend ist der Umstand, dass man im Bereiche der 
Blutaustritte für gewöhnlich kein Pigment findet. Viele von den 
roten Blutkörperchen haben ihre normale Färbbarkeit eingebüsst 
und erscheinen nur mehr wie Blutschatten. Nur in einem grösseren 
Extravasat im retroperitonealen Gewebe eines viermonatlichen 
Lammes, das schon Anzeichen einer Organisation erkennen lässt, 
fand ich in den Randpartien ziemlich reichliches Pigment. 

Es scheint demnach auch noch in der spätesten Fetalperiode 
und post partum beim Schafe zu beständigen Umbildungen in 
den feineren Blutgefässen zu kommen. Dabei dürften nicht nur 
die normalen Wachstumsvorgänge, sondern namentlich für die 
Gefässumbildungen im postfetalen Leben, auch der Fettansatz 
und -schwund eine ursächliche Rolle spielen. 

Die erwähnten Blutaustritte sind sicher die Quellen für die 
in den Lymphgefässen gefundenen roten Blutkörperchen. Letztere 
gehen zum grossen Teil nicht an Ort und Stelle zugrunde, sondern 
gelangen aus den Gewebsspalten in die Lymphgefässe, durch 
diese eventuell in Lymphdrüsen, wo sie, wenigstens zum Teil, 
zerstört werden, zum Teil — vorausgesetzt, dass die betreffende 
Drüse abführende Lymphgefässe besitzt — durch die Vasa 
efferentia mit dem Lymphstrom wieder herausbefördert werden 
und schliesslich neuerdings in den Blutstrom gelangen können. 

Dass die Vasa efferentia von Lymphdrüsen rote Blutkörper- 
chen führen können, hat auch schon Herbst beobachtet, indem 
er angibt, dass die ausführenden Kanäle der Lymphdrüsen eine 


130 Siegmundv. Schumacher: 


mehr oder weniger rote Flüssigkeit enthalten können, während 
die zuführenden Gefässe blass oder fast farblos sind. 

Bei den zwei untersuchten nahezu ausgetragenen Schaffeten 
findet man retroperitoneal Lymphdrüsen in der verschiedensten 
Ausbildung. Neben kleinsten Lymphdrüsen, in denen noch keine 
Intermediärsinus ausgebildet sind, kommen schon hochentwickelte 
grosse Lymphdrüsen vor. Der Hauptunterschied gegenüber einem 
viermonatlichen Lamm besteht nur darin, dass bei den Feten 
eigentliche Blutlymphdrüsen (mit fehlenden zu- und abführenden 
Lymphgefässen) nur sehr spärlich vorhanden sind. Weitaus die 
Mehrzahl aller Lymphdrüsen mit roten Blutkörperchen in den 
Sinus besitzt zu- und abführende Lymphgefässe. Immerhin 
kommen auch hier kleine Lymphdrüsen vor, die der zu- und 
abführenden Lymphgefässe entbehren, während die Sinus gut 
ausgebildet sind. In den Sinus dieser Lymphdrüsen können rote 
Blutkörperchen vorhanden sein, dann haben wir es mit eigent- 
lichen Blutlymphdrüsen nach der Weidenreichschen Definition 
zu tun, oder aber es können die Sinus nahezu oder auch voll- 
kommen der roten Blutkörperchen entbehren. In Fig. 11 habe 
ich eine derartige kleinste Lymphdrüse abgebildet, die weder 
zu- noch abführende Lymphgefässe besitzt. Man sieht wohl eine 
Arterie und Vene in der Gegend des Hilus ein- resp. austreten, 
von einem Lymphgefäss, das mit dem gut ausgebildeten Rand- 
sinus in Verbindung tritt, ist aber weder in den vorhergehenden 
noch in den nachfolgenden Schnitten eine Spur zu sehen. Der 
Marginalsinus enthält schon ein spärliches Retikulum und stellen- 
weise Lymphocyten, aber keine roten Blutkörperchen. Es handelt 
sich also in diesem Falle um eine „weisse“ Lymphdrüse ohne 
zu- und abführende Lymphgefässe. Derartige Lymphdrüsen konnte 
ich wiederholt finden und zwar nicht nur kleinste Formen, sondern 
auch solche, bei denen ausser einem Marginalsinus auch schon 
Intermediärsinus entwickelt waren. 

Fig. 12 zeigt eine ähnliche Lymphdrüse wie die in Fig. 11 
abgebildete mit fehlenden zu- und abführenden Lymphgefässen, 
aber mit dem Unterschiede, dass hier ein Lymphgefäss (Ve) in 
der Gegend des Hilus spitz auslaufend bis an die dünne Kapsel 
heranreicht, ohne aber in den Marginalsinus einzutreten. Der 
ganzen Lage nach muss es als ehemaliges Vas efferens der Drüse 
angesehen werden. Dieser und ähnliche Befunde an Lymphdrüsen 


Die Blutlymphdrüsen. 151 


verschiedener Grösse und Ausbildung legen den Gedanken nahe, 
dass es sich in den bis an die Kapsel oder teilweise noch in 
diese hineinragenden Lymphgefässen, die sich aber nicht in den 
Marginalsinus öffnen, um Vasa afferentia oder efferentia handelt, 
die entweder gegen den Sinus hin vorwachsen, um sich schliess- 
lich mit ihm in Verbindung zu setzen, oder aber, dass diese 
Lymphgefässe einstmals mit dem Marginalsinus in Verbindung 
gestanden sind und diese Verbindung verloren haben. 

Ich muss mich entschieden für die letztere Möglichkeit 
entscheiden. Nachdem es sich in dem eben angeführten wie auch 
in anderen Fällen um Lymphdrüsen handelt, in denen der Mar- 
ginalsinus und oft auch ausserdem schon Intermediärsinus gut 
ausgebildet sind, und nachdem von Chievitz (5), Gulland (12), 
Saxer (25), Sabin (24) und besonders überzeugend von Kling 
(15) der Marginalsinus aus primär vorhandenen Lymphgefässen 
abgeleitet wird, womit auch meine Befunde übereinstimmen, so 
ist nur die Deutung möglich, dass alle Lymphdrüsen mit einem 
gut ausgebildeten Marginalsinus einstmals mit Lymphgefässen im 
Zusammenhang gestanden sein müssen, da sonst eine Bildung 
desselben nicht möglich gewesen wäre. 

Die angeführten Befunde sprechen nach meiner Ansicht 
dafür, dass Lymphdrüsen in verschiedenen Stadien ihrer Aus- 
bildung den Zusammenhang mit den zu- und abführenden Lymph- 
gefässen verlieren können, dass die Lymphgefässe gewissermassen 
an der Eintrittsstelle in den Marginalsinus abgeschnürt werden. 
Dieser Abschnürungsvorgang dürfte mit der stärkeren Ausbildung 
der Kapsel im ursächlichen Zusammenhang stehen. Wir würden 
dann auch das von verschiedenen Autoren und auch von mir 
beobachtete Vorkommen von blind in der Kapsel der Blutlymph- 
drüsen endigenden Lymphgefässen verstehen. 

Insbesondere möchte ich hier auf die zutreffenden Beobach- 
tungen Hellys über das verschiedene Verhalten der Lymph- 
gefässe zu den Blutlymphdrüsen und den Übergangsformen zu 
gewöhnlichen Lymphdrüsen verweisen. Nach Helly liegen die 
„/wischenformen“ in nächster Nähe grosser Lymphgefässe, „stehen 
mit einem oder dem anderen derselben nur durch einen sehr 
schmalen, in ihren Sinus einmündenden Ast in Verbindung, wäh- 
rend das betreffende Lymphgefäss selbst an der Aussenfläche 
der Drüsenkapsel blind endigt; oder man findet eine Drüse, welche 


132 Siegmundv. Schumacher: 


mit zwei Lymphgefässen in enge Beziehung tritt, aber nur eines 
derselben mündet in ihren Sinus, während das andere wieder an 
der Kapsel blind endigt. In anderen Fällen dringt zwar ein 
Lymphgefäss von ansehnlichem Durchmesser in die Kapsel einer 
Drüse ein, beginnt aber alsbald sich so sehr zu verkleinern, dass 
es sein Ende erreicht, bevor es noch die Kapsel vollständig durch- 
setzt hat, bestenfalls aber nur mehr mit einer sehr engen Mün- 
dung den Sinusraum erreicht. So liessen sich noch eine Reihe 
der verschiedensten Formen aufzählen, unter welchen man die 
roten Lymphdrüsen in Verbindung mit Lymphgefässen treten sieht, 
angefangen von solchen mit breit in den Sinus einmündenden bis 
zu solchen, wo überhaupt keine Lymphgefässe mehr in ihrer 
Nähe zu sehen sind.“ 

Diese Übergangsbilder würden so zu erklären sein, dass die 
ursprüngliche Lymphdrüsenform, das ist die, welche mit zu- und 
abführenden Lymphgefässen in Verbindung steht, durch immer 
weitergehende Verengerung der Lymphgefässe an der Übertritts- 
stelle in den Marginalsinus schliesslich den Zusammenhang mit 
den Lymphgefässen verliert und sich so von einer Lymphdrüse 
mit Lymphgefässen in eine solche ohne Lymphgefässe umwandelt. 

Forgeot(10) beschreibt bei Wiederkäuern Blutlymphdrüsen, 
die zwar mit Lymphgefässen in Verbindung stehen, bemerkt aber, 
dass diese Lymphgefässe ausserhalb der Drüse in verschiedener 
Weise blind endigen, also ihren Zusammenhang mit den be- 
nachbarten Lymphwegen verloren haben. Das Verhalten dieser 
Lymphgefässe kann ein verschiedenes sein. So kommen Fälle 
vor, in denen jedes Lymphgefäss einzeln blind endigt, oder wo 
mehrere Lymphgefässe mit der Drüse in Verbindung stehen, sich 
ausserhalb derselben zu einem stärkeren Stamm vereinigen, der 
dann blind endigt. In wieder anderen Fällen vereinigen sich die 
aus- resp. eintretenden Lymphgefässe ausserhalb der Lymph- 
drüse zu einer Schlinge, wobei aber die Schlinge nur mit der 
Lymphdrüse, nicht aber mit benachbarten Lymphgefässen in Ver- 
bindung steht. 

Auch alle diese Fälle sind nach meiner Ansicht nicht in 
dem Sinne von Forgeot, wonach die Lymphgefässe der Blut- 
Iymphdrüsen erst sekundär mit benachbarten Lymphgefässen in 
Verbindung treten sollen, zu deuten, sondern so, dass es zu einer 
Obliteration der Lymphgefässe an verschiedenen Stellen kommen 


ww 


Die Blutlymphdrüsen. 11838 


kann, so dass dann die Blutlymphdrüsen von der Lymphbahn 
ausgeschlossen erscheinen. 

An einer ganz kleinen Blutlymphdrüse des viermonatlichen 
Lammes konnte ich mit Sicherheit nachweisen, dass von den 
zwei mit dem Marginalsinus in Verbindung stehenden und mit 
roten Blutkörperchen gefüllten Lymphgefässen das eine schon 
knapp ausserhalb der Drüse blind endigt, während sich das andere 
noch eine Strecke weit fortsetzt, dann aber auch blind zu endigen 
scheint. Zwei andere Blutlymphdrüsen desselben Tieres zeigen 
je ein rudimentäres Vas efferens, das in der Gegend des Hilus 
vom Marginalsinus abzweigt und sich nach kurzem Verlaufe ver- 
liert. Auch diese Lymphgefässe sind mit roten Blutkörperchen 
gefüllt. 

Tritt die Obliteration der zu- und abführenden Lymph- 
gefässe an einer Lymphdrüse ein, die in ihren Sinus rote Blut- 
körperchen enthält, so entsteht aus einer bluthaltigen Lymphdrüse 
mit Lymphgefässen eine solche ohne letztere, das ist eine eigentliche 
Blutlymphdrüse. Die roten Blutkörperchen können in die Sinus 
entweder durch die zuführenden Lymphgefässe eingeführt worden 
sein oder auch aus den Blutgefässen der Lymphdrüse selbst 
stammen. Es ist ferner wahrscheinlich, dass eine Lymphdrüse 
ohne rote Blutkörperchen in den Sinus, die den Zusammenhang 
mit den Lymphgefässen verloren hat, sich nachträglich durch 
Austritt von Erythrocyten aus ihren eigenen Blutgefässen in eine 
Blutlymphdrüse umwandeln kann. 

Bei Feten findet man, wie schon erwähnt, weitaus die Mehr- 
zahl der Lymphdrüsen (auch der bluthaltigen) in Verbindung 
mit Lymphgefässen stehen, während z. B. beim viermonatlichen 
Lamm die Mehrzahl der bluthaltigen Lymphdrüsen keinen Zu- 
sammenhang mit Lymphgefässen zeigt, also eigentliche Blut- 
Iymphdrüsen darstellt. Auch dieser Umstand spricht dafür, dass 
primär ein Zusammenhang der Lymphdrüsen mit Lymphgefässen 
besteht und dass dieser erst sekundär verloren gehen kann. 

Immerhin wäre auch an die Möglichkeit zu denken, dass 
jene Lymphdrüsen, die den Zusammenhang mit dem Lymph- 
gefäßsystem verloren haben, gelegentlich wieder in die Lymph- 
bahn eingeschaltet werden, dass gelegentlich die in der Kapsel 
oder deren unmittelbaren Nachbarschaft befindlichen blinden 
Enden der Lymphgefässe wieder zu wachsen beginnen und mit 


134 Siegmundv. Schumacher: 


dem Marginalsinus in Verbindung treten. Dann wäre allerdings 
auch die Möglichkeit gegeben, dass sich eine typische Blutlymph- 
drüse in eine gewöhnliche Lymphdrüse mit zu- und abführenden 
Lymphgefässen umwandelt. 

Dass man bei manchen Feten keine roten Lymphdrüsen, bei 
anderen wieder nahezu ausschliesslich solche makroskopisch nach- 
weisen kann, lässt sich, wie eingangs erwähnt, wenigstens teil- 
weise durch den verschiedenen Füllungsgrad der Eigengefässe 
der Lymphdrüsen erklären, andererseits steht dieses wechselnde 
Aussehen sicher mit der Tatsache im Zusammenhang, dass bei 
Feten weitaus die Mehrzahl der Lymphdrüsen mit zu- und ab- 
führenden Lymphgefässen in Verbindung steht. Ist es in der 
Nachbarschaft von Lymphdrüsen zu einem grösseren Blutaustritt 
gekommen, so wird diesen bluthaltige Lymphe zugeführt, ihre 
Sinus werden mit roten Blutkörperchen gefüllt sein, die betreffenden 
Lymphdrüsen erscheinen dann schon makroskopisch rot. Dieselben 
Lymphdrüsen können aber schon nach kurzer Zeit wieder weiss 
erscheinen, sobald nämlich die zuführenden Lymphgefässe eine 
von roten Blutkörperchen freie Lymphe führen und durch diese 
die roten Blutkörperchen aus den Sinus herausgespült worden sind. 

3aum (1) bemerkt, dass es beim Schafe auch Blutlymph- 
drüsen gibt, denen die subkapsulären Bluträume fehlen. 

Auch ich habe beim nahezu ausgetragenen Schaffetus der- 
artige kleine Lymphdrüsen gesehen. Es liegen hier innerhalb 
der Kapsel ziemlich gleichmässig gemengt Lymphocyten mit roten 
Blutkörperchen und dazwischen Retikulumzellen. In den un- 
mittelbar unter der Kapsel gelegenen Anteilen lässt sich eine etwas 
weniger dichte Lagerung der Zellen erkennen. Derartige Stellen 
könnten vielleicht als Andeutung eines Sinus aufgefasst werden. 

Bezüglich der Entwicklung derartiger Lymphdrüsen wären 
zwei Möglichkeiten ins Auge zu fassen. Entweder handelt es 
sich um Lymphdrüsen, die sich aus einer Anlage entwickelt 
haben, zu der keine Lymphgefässe in Beziehung getreten sind, 
so dass also keine Gelegenheit zur Bildung eines Marginalsinus 
gegeben war, oder es sind Lymphdrüsen, in denen die Sinus durch 
ausgiebigste Vermengung der Elemente des Sinus und des 
Iymphoiden Gewebes ihre Begrenzung vollkommen verloren haben. 
Es wurde schon früher hervorgehoben, dass man bei Feten 
gelegentlich Lymphdrüsenanlagen findet, die keine Beziehung zu 


Die Blutlymphdrüsen. 11) 


Lymphgefässen besitzen. Aus derartigen Anlagen könnten sich 
Lymphdrüsen ohne Sinus entwickeln. Bei der Richtigkeit dieser 
Annahme müssten die roten Blutkörperchen, welche in derartigen 
Lymphdrüsen ohne Sinus zwischen den Lymphoceyten gefunden 
werden, aus den Blutgefässen der Lymphdrüsen stammen. Ich 
halte aber dem ganzen Bilde nach die zweite Annahme für 
zutreffender, da, wie erwähnt, stellenweise durch weniger dichte 
Lagerung der Zellen in den Randpartien ein Sinus angedeutet 
erscheint. Dass es einerseits zu sehr intensiver Durchsetzung 
des Marginalsinus mit Lymphocyten kommen kann, und dass 
andererseits auch das Iymphoide Gewebe mit grossen Mengen 
von roten Blutkörperchen überschwemmt werden kann, so dass 
eine Abgrenzung der Sinus gegen das Iymphoide Gewebe wenigstens 
stellenweise nicht mehr möglich erscheint, kommt, wie schon 
erwähnt, sehr häufig vor und zwar bei Blutlymphdrüsen ganz 
verschiedener Ausbildung. Wir dürften somit in den Blutlymph- 
drüsen mit scheinbar fehlenden Sinus Formen vor uns haben, 
bei denen es infolge mangelhafter Abgrenzung der Sinus gegen 
das Iymphoide Gewebe zu der denkbar ausgiebigsten Vermengung 
der beiderseitigen Elemente gekommen ist. 


Zusammenfassende Darstellung der Entwicklung 
und der Stellung der Blutlymphdrüsen des Schafes. 

Überblicken wir die Ergebnisse der Untersuchung von Schaf- 
feten, und suchen wir diese mit den Formen der Lymphdrüsen, 
die wir im postfetalen Leben finden, in Einklang zu bringen, so 
fällt vor allem auf, dass man bei den einzelnen Feten Lymph- 
drüsen in den verschiedensten Ausbildungsgraden nebeneinander 
findet. Neben schon weit vorgeschrittenen Formen liegen noch 
die ersten Anlagen, und auch in bezug auf die Anordnung von 
Iymphoidem Gewebe, Ausbildung und Inhalt der Sinus, sowie auf 
das Verhältnis der Lymphgefässe zu den Lymphdrüsen herrscht 
eine ausserordentlich grosse Variabilität, die ja auch für die 
Lvmphdrüsen des erwachsenen Tieres charakteristisch ist. 

Sicher geht daraus hervor, dass ein bestimmtes Ent- 
wicklungsstadium der Lymphdrüsen nicht an ein 
bestimmtes Alter des Fetus gebunden ist, ja es ist 
sogar sehr wahrscheinlich, dass auch noch im postfetalen Leben 
eine Neubildung von Lymphdrüsen erfolgt. 


156 Siegmundv. Schumacher: 


Suchen wir die verschiedenen Bilder in eine Reihe zu bringen, 
so können wir, wenn wir die „allgemeine“ Lymphdrüsenanlage, 
die keineswegs für alle Lymphdrüsen als erstes Entwicklungs- 
stadium charakteristisch zu sein scheint, unberücksichtigt lassen, 
mit der „speziellen“ Lymphdrüsenanlage als Ausgangspunkt be- 
einnen und unter Berücksichtigung der vorliegenden Literatur- 
angaben folgenden Entwicklungsgang rekonstruieren: 

Die spezielle Lymphdrüsenanlage stellt ein kleines, gegen 
die Umgebung nicht scharf abgegrenztes Knötchen dar, das sich 
durch die dichte Lagerung der Zellkerne von dem umgebenden 
embryonalen Bindegewebe unterscheidet. Neben epitheloiden, 
chromatinarmen Kernen sind stets schon, wenn auch in der 
Minderzahl, Lymphocyten vorhanden. In jedes dieser Knötchen 
dringt eine Arterie ein und daneben eine gewöhnlich bedeutend 
weitere Vene aus. Die Gefässe bilden im Inneren der Drüsen- 
anlage ein verhältnismässig weites Netz, und namentlich die 
dünnwandigen (nur aus einem Endothelrohr bestehenden) Venen 
sind im Inneren des Knötchens auffallend weit, anastomosieren 
untereinander und können als kapillare Venen bezeichnet werden. 
Eine scharfe Grenze zwischen letzteren und Kapillaren lässt sich 
nicht ziehen. Niemals erreichen die Gefäßschlingen die Oberfläche 
der Drüsenanlage. Die Blutbahn ist nirgends unterbrochen. Diese 
reiche Vaskularisation ist ganz charakteristisch; ich konnte in 
keinem Falle eine Anlage finden, in der nicht das Gefässnetz 
vorhanden gewesen wäre (Fig. 7, 11, 12). 

An der Peripherie der Drüsenanlage findet man gewöhnlich 
reichliche Lymphgefässe (Fig. 6), die zum Teil untereinander ver- 
bunden ein Netz bilden. Dieses Lymphgefässnetz — Marginal- 
plexus schmiegt sich der Oberfläche der Lymphdrüsenanlage innig 
an, ohne dass aber zunächst Lymphgefässe in das Innere der 
Anlage eindringen. Der Marginalplexus steht an mehreren Stellen 
mit weiter entfernten Lymphgefässen in Verbindung. An manchen 
Lymphdrüsenanlagen konnte ich den Marginalplexus nicht nach- 
weisen (Fig. 7), und es muss die Frage offen bleiben, ob später 
auch zu derartigen Drüsenanlagen Lymphgefässe in Beziehnng 
treten, oder ob sich diese Anlagen ohne das Hinzutreten von 
Lymphgefässen weiter entwickeln 

Als ein weiterer Schritt in der Entwicklung der Lymph- 
drüsen ist die Ausbildung des Marginalsinus zu betrachten. Dieser 


Die Blutlymphdrüsen. 137 


scheint nach den vorliegenden Literaturangaben und auch nach 
meinen Befunden aus dem Marginalplexus hervorzugehen. Er 
enthält zunächst noch kein Retikulum (Fig. S, 9). Letzteres 
bildet sich aus den Endothelzellen, welche die Wandung des 
Sinus bekleiden, und ist zunächst rein zelliger Natur. 

Die endotheliale Abgrenzung des Marginalsinus gegen das 
Ivmphoide Gewebe scheint schon gleich vom Anfange an keine 
ganz vollständige zu sein, da man schon sehr frühzeitig stellen- 
weise von einer solchen nichts nachweisen kann und an derartigen 
Stellen Lymphoeyten in grosser Menge aus dem Iymphoiden Ge- 
webe in den Sinus eindringen. 

Die ursprünglichen Verbindungen des Marginalplexus mit 
weiter entfernten Lymphgefässen stehen zunächst noch mit dem 
Marginalsinus in Verbindung und stellen Vasa afferentia und 
efferentia dar. 

Vom Marginalsinus dringen Ausbuchtungen in das Innere 
der Drüse ein und zwar zunächst, wie es scheint, stets in der 
Gegend des Hilus. Diese Ausbuchtungen sind die Anlagen der 
Intermediärsinus. Letztere besitzen zunächst kein Retikulum: 
dieses bildet sich erst allmählich in derselben Weise aus wie das 
Retikulum im Marginalsinus. Durch weiteres Vordringen der 
Intermediärsinus können diese schliesslich an verschiedenen Stellen, 
also sekundär, mit dem Marginalsinus in Verbindung treten, 
wodurch die Gliederung der Rindensubstanz in Rindenknoten 
erfolgt. 

Der geschilderte Entwicklungsvorgang kann aber insofern 
modifiziert werden, als bei vielen Lymphdrüsen nach der 
Ausbildung des Marginalsinus der Zusammenhang 
mit den zu- und abführenden Lymphgefässen ver- 
loren geht. Wahrscheinlich spielt hierbei die stärkere Aus- 
bildung der Kapsel eine Rolle, indem durch sie die in den 
Marginalsinus eintretenden Lymphgefässe gewissermassen abge- 
schnürt werden. Man findet häufig Bilder, die für einen der- 
artigen Vorgang sprechen (Fig. 12). So sieht man Lymphgefässe 
aus der Umgebung der Drüse kommend in die Kapsel eintreten, 
in dieser eine Strecke weit verlaufen und dann unter plötzlicher 
hochgradiger Verengerung in den Marginalsinus eintreten, oder 
aber Lymphgefässe, die jede Verbindung mit dem Marginalsinus 
verloren haben und noch innerhalb der Kapsel blind endigen. Es 


135 Siegmundv. Schumacher: 


ist aber auch möglich — wie dies aus den Angaben und Ab- 
bildungen von Forgeot hervorgeht, und wie auch ich in einigen 
Fällen nachweisen konnte — dass Lymphgefässe vorhanden sind, 


die ihren Zusammenhang mit Lymphdrüsen bewahrt haben, aber 
in einiger Entfernung davon blind endigen, also den Zusammen- 
hang mit den benachbarten Lymphwegen verloren haben. Der 
Obliterationsprozess an den Lymphgefässen wäre also hier nicht 
im Bereiche der Kapsel, sondern in grösserer oder geringerer 
Entfernung von dieser ausserhalb der Lymphdrüse erfolgt. 

Haben die Lymphdrüsen den Zusammenhang mit den zu- 
und abführenden Lymphgefässen verloren, so stellen sie Lymph- 
drüsen ohne Lymphgefässe vor. Man findet derartige Lymphdrüsen 
in den verschiedensten Ausbildungsstadien. Schon Lymph- 
drüsen, die nur aus einem Iymphoiden, mit einem 
Marginalplexus umgebenen Knötchen bestehen, 
können der Lymphgefässe entbehren (Fig. 11), während 
andererseits auch solche gefunden werden, bei denen ausser dem 
Marginalsinus auch Intermediärsinus gut ausgebildet sind. 

Wir haben also zwei Gruppen von Lymphdrüsen zu unter- 
scheiden, solche mit und solche ohne zu- und abführende Lymph- 
gefässe. Dazwischen würden als Bindeglieder Formen stehen, 
wie sie Forgeot beschrieben hat, mit denen zwar Lymphgefässe 
in Verbindung stehen, die aber ihrerseits den Zusammenhang mit 
benachbarten Lymphgefässen verloren haben. Die erste Entwicklung 
beider Formen scheint aber genau dieselbe zu sein, beide standen 
während ihrer ersten Entwicklung mit Lymphgefässen in Ver- 
bindung, wofür das Vorhandensein des Marginalsinus, der sich ja 
aus Lymphgefässen entwickelt, spricht. Nur für jene Lymphdrüsen, 
bei denen die Sinus vollständig zu fehlen scheinen, muss es 
unentschieden bleiben. ob ihnen jemals zu- und abführende Lymph- 
gefässe zukamen oder nicht. 

Dieinden Lymphgefässen zirkulierende Lymphe 
kann gelegentlich rote Blutkörperchen in grösserer 
oder kleinerer Menge enthalten und erscheint dann 
mehr oder weniger rot (Fig. 8, 9, 10). 

Die roten Blutkörperchen gelangen wenigstens 
zum Teil sicher aus Blutextravasaten in dieLymph- 
bahn. Diese Blutaustritte kommen bei der Rück- 
bildung von Blutgefässen zustande. 


Die Blutlymphdrüsen. 139 


Wird nun rote Lympbhe durch die Vasaafferentia 
einer Lymphdrüse zugeführt (Fig. 8, 9), so werden 
natürlich ihre Sinus mehr oder weniger mit roten 
Blutkörperchen erfüllterscheinen; die weisse Lymph- 
drüse hat sich in eine rote umgewandelt. Zu einem 
anderen Zeitpunkt können aber dieselben Vasa aflerentia Lymphe 
ohne rote Blutkörperchen führen, die noch in den Sinus vor- 
handenen Erythrocyten werden aus der Lymphdrüse herausgespült, 
die Sinus werden blutleer, die ganze Lymphdrüse erscheint weiss. 
So ist also die Möglichkeit gegeben, dass ein und 
dieselbe Lympbdrüse bald mit Blut gefüllte Sinus 
zeigt, bald als gewöhnliche weisse Lymphdrüse 
erscheint. 

Erfolgt dieObliteration der zu- undabführenden 
Lymphgefässe an einerLymphdrüse, deren Sinus mit 
roten Blutkörperchen erfüllt sind, so entsteht eine 
„Blutlymphdrüse“, enthielten die Sinus keine roten 
Blutkörperchen, eine „weisse“ Lymphdrüse ohne 
Lymphgefässe. 

Ich glaube aber nicht, dass die roten Blutkörperchen aus- 
schliesslich auf dem Wege der Vasa afferentia in die Sinus 
gelangen; sondern es spricht manches dafür, dass rote Blut- 
körperchen auch aus den dünnwandigen kapillaren 
Venen der Lymphdrüse austreten können und zunächst 
in das die Blutgefässe umgebende Iymphoide Gewebe gelangen, um 
dann schliesslich in die Sinus hineinbefördert zu werden, was 
infolge der mindestens stellenweise mangelhaften Abgrenzung der 
Sinus gegen das Iymphoide (Gewebe möglich ist. 

In Lymphdrüsen mit Lymphgefässen könnten die roten 
Blutkörperchen durch die Vasa efferentia vollständig abgeführt 
werden, es scheint aber doch ein Teil derselben innerhalb der 
Drüse durch Phagocytose zugrunde zu gehen. In eigentlichen 
Blutlymphdrüsen, wo also die zu- und abführenden Lymphgefässe 
fehlen, müssen die roten Blutkörperchen innerhalb der Drüse 
zerstört werden. Wenn auch nicht in jeder Blutlymphdrüse 
Phagocyten gefunden werden, die rote Blutkörperchen enthalten, 
so kann man solche wieder in anderen in reichlicher Menge finden 
(Fig. 5). Immerhin scheint beim Schaf die Zerstörung der roten 
Blutkörperchen in den Lymphdrüsen bedeutend langsamer abzu- 


140 Siegmundv. Schumacher: 


laufen, als dies bei vielen anderen Tieren der Fall ist, wo in 
den bluthaltigen Lymphdrüsen Phagocyten in grösster Menge 
vorhanden sind. Auch das seltene und spärliche Vorkommen von 
Pigment in den bluthaltigen Lymphdrüsen des Schafes dürfte in 
diesem Sinne zu deuten sein. 

Würden in einer Blutlymphdrüse sämtliche roten Blut- 
körperchen in den Sinus und im Iymphoiden (Gewebe zerstört, 
ohne dass es inzwischen zu einem Nachschub von Erythrocyten 
von der Blutbahn aus kommt, so könnte sich eine Blutlymphdrüse 
in eine „weisse“ Lymphdrüse ohne Lymphgefässe umwandeln. 

Die Frage, ob nicht auch Lymphdrüsen ohne Lymphgefässe 
gelegentlich wieder mit Lymphgefässen in Verbindung treten und 
sich dadurch in gewöhnliche Lymphdrüsen umwandeln können, 
muss ich unbeantwortet lassen; es scheint aber nicht unwahr- 
scheinlich, dass auf diese Weise die Blutlymphdrüsen allmählich 
verschwinden und als gewöhnliche Lymphdrüsen weiterbestehen. 

Jedenfalls erreichen die Lymphdrüsen ohne 
Lymphgefässe — wenigstens beim Schaf — niemals 
den Ausbildungsgrad, den Lymphdrüsen mit Lymph- 
gefässen erreichen können. Die Blutlymphdrüsen bleiben 
stets klein, mehr oder weniger kugelig, die Rindensubstanz bildet 
meist eine zusammenhängende Masse, so dass es zu keiner Ab- 
grenzung von hindenknoten gekommen ist: Keimzentren sind 
spärlich ausgebildet oder fehlen ganz; die Marksubstanz erscheint 
wenig gegliedert; die Kapsel ist meist schwach entwickelt, Trabekel 
fehlen in der Regel ganz oder können höchstens in der Gegend 
des Hilus um die grösseren Blutgefässe herum andeutungsweise 
vorhanden sein. Es scheint somit die Ausschaltung aus 
der Lymphbahn bis zueinem gewissen Grade hemmend 
auf die Weiterentwieklung der Lvmphdrüse zu 
wirken. 

Eine Einteilung der verschiedenen Lymphdrüsen kann man 
folgendermassen trefien: 

1. Lymphdrüsen mit Lymphgefässen, 

2. Lymphdrüsen ohne Lymphgefässe. 
Bei beiden Arten können die Sinus und auch das 
lIymphoide Gewebe rote Blutkörperchen enthalten. 
Ist dies bei der zweiten Art der Fall, dann sind der- 
artige Drüsen als Blutlymphdrüsen zu bezeichnen. 


Die Blutlymphdrüsen. 141 


Fine makroskopische Unterscheidung dieser beiden Arten 
ist nicht möglich; ja, wir sind makroskopisch nicht einmal imstande, 
mit Sicherheit Lymphdrüsen mit blutgefüllten Sinus von solchen 
ohne Blut in den letzteren zu unterscheiden, da als „rote“ Lymph- 
drüsen nicht nur die ersteren erscheinen, sondern auch solche 
Lymphdrüsen, in denen verhältnismässig spärliches Iymphoides 
Gewebe und ein stark ausgebildetes Venennetz vorhanden ist, 
vorausgesetzt, dass die Venen mit Blut gefüllt sind (Fig. 13). 

Aus den ganzen Untersuchungen ergibt sich, dass die 
Blutlymphdrüsen nicht als Organe sui generis auf- 
zufassen sind; sie bilden keine scharf abgegrenzte 
Gruppe und können nur als rudimentäre Formen 
gewöhnlicher Lymphdrüsen angesehen werden. 


Anhang. 


Blutlymphdrüsen vom Hirsch. 


Es standen mir nur Lymphdrüsen vom Halse eines 8 Monate 
alten Hirschkalbes zur Verfügung. Unter diesen befanden sich 
echte Blutlymphdrüsen (ohne Lymphgefässe), die sich durch ihren 
ausserordentlich grossen Reichtum an roten Blutkörperchen in 
den Sinus und dem Iymphoiden Gewebe und durch die geringe 
Anzahl von Lymphoeyten auszeichnen, so dass die ersteren ın 
weitaus grösserer Menge vorhanden sind als die letzteren und 
das ganze Bild beherrschen. 

Eine Abgrenzung der Sinus gegen das Iymphoide Gewebe 
ist kaum angedeutet. Eine Gliederung in Rinden- und Mark- 
substanz ist nicht möglich. An der inneren Grenze des weiten 
Marginalsinus findet man sehr reichliche, verhältnismässig weite 
kapillare Venen (Fig. 14, RV), deren Wandung stellenweise unter- 
brochen zu sein scheint; doch will ich die Frage, ob es sich hier 
um eine direkte Kommunikation der Venen mit dem Sinus handelt, 
oder ob eine solche infolge der Dünnwandigkeit der Venen nur 
vorgetäuscht wird, lieber unentschieden lassen, da mir keine 
Injektionspräparate zur Verfügung stehen. 

Jedenfalls unterscheiden sich die Blutlymphdrüsen des Hirsches 
von denen des Schafes nicht unwesentlich durch das Venennetz 
an der Innenseite des Marginalsinus, da, wie früher hervorgehoben, 


beim Schafe die kapillaren Venen im allgemeinen mitten im 
Archiv f. mikr. Anat. Bd.81. Abt. 1. 10 


142 Siegmund v. Schumacher: 


Iymphoiden (Gewebe verlaufen und nur ausnahmsweise bis un- 
mittelbar an den Marginalsinus heranreichen. 

Eine weitere Abweichung von den Lymphdrüsen des Schafes 
besteht im Bau der Kapsel und des Marginalsinus. Ich finde 
diesbezüglich ganz ähnliche Verhältnisse, wie sie von Vincent und 
Harrison (29), Drummond (8), Warthin (30), Lewis (16) 
und eingehend von Piltz (21) als charakteristisch für die Blut- 
Iymphdrüsen des Rindes beschrieben werden. 

Piltz äussert sich über die Kapsel der Blutlymphdrüsen 
des Rindes folgendermassen: „Die Kapsel bildet dem umgebenden 
Fettgewebe gegenüber eine ziemlich scharfe Grenze. Ihre Stärke 
scheint von der Grösse des Organs gänzlich unabhängig zu sein, 
weist auch in demselben Schnitte nicht im ganzen Umkreis die- 
selbe Dicke auf. Bei den wenigsten der uns beschäftigenden 
Organe sind die die Kapsel zusammensetzenden Gewebsbündel 
eng aneinander geschmiegt und durcheinander geflochten, in der 
Regel liegt aussen eine kompakte, geschlossene Gewebsschicht, 
dann weichen die Gewebsbündel erst ein wenig, nach dem Inneren 
zu immer mehr, auseinander, so dass unregelmässige kleinere 
und grössere Lücken entstehen, die in den peripheren Sinus über- 
gehen. Auf diese Weise löst sich die Kapsel so allmählich ins 
Retikulum des peripheren Sinus auf, dass eine einigermassen 
genaue Abgrenzung beider nicht möglich ist. Dass die in der 
Kapsel liegenden Räume mit dem Sinus zusammenhängen, lässt 
sich unschwer schon an ihrer Füllung mit roten Blutkörperchen, 
ganz sicher aber durch Serienschnitte nachweisen“ ... „Die 
Kapsel wird gebildet aus Bindegewebe, glatter Muskulatur und 
elastischen Fasern. Wie das ja auch für die grauen Lymphknoten 
gilt, ist der Reichtum an Muskelzellen in den roten Lymphknoten 
des Rindes anderen Tieren gegenüber ein sehr grosser. Eine 
besondere Schichtung der einzelnen Elemente lässt sich im all- 
gemeinen nicht nachweisen, doch kann ich die Angabe Robert- 
sons, dass sich die glatte Muskulatur vornehmlich in der tiefen 
Lage der Kapsel fände, für diejenigen Fälle bestätigen, wo die 
intrakapsulären Räume nur spärlich auftreten und eine stärkere 
Kapsel vorhanden ist. Die elastischen Elemente bilden ein dichtes, 
wirres Netz feinster Fasern.“ 

Diese Angaben treffen vollinhaltlich auch für die Blutlvmph- 
drüsen des Hirsches zu. In Fig. 14 ist die Kapsel und der 


Die Blutlymphdrüsen. 143 


Marginalsinus einer derartigen Lymphdrüse dargestellt. Die Rinden- 
substanz ist gegenüber dem Sinus nur durch etwas reichlichere 
Einlagerung von Lymphocyten gekennzeichnet. Zwischen beiden 
ist eine kapillare Vene sichtbar. Die Kapsel, welche im wesent- 
lichen aus glatten Muskelfasern besteht, bildet zunächst ober- 
tlächlich eine kompakte Schicht; weiter nach innen treten immer 
reichlichere, mit roten Blutkörperchen vollgepfropfte Spalträume 
auf, so dass die Kapsel immer mehr und mehr zersplittert wird. 
Erst etwa in der Mitte des Marginalsinus hören die Muskelfasern 
auf, und hier findet sich nur mehr ein spärliches Retikulum. Der 
periphere Teil des Marginalsinus erweckt hierdurch den Eindruck 
eines kavernösen Gewebes. 

An Präparaten, die nach Mallory gefärbt sind, erkennt 
man, dass das Bindegewebe in den äusseren Teilen der Kapsel 
etwas reichlicher ist als in den weiter nach innen gelegenen 
Abschnitten, wo die Auffaserung beginnt. Hier überwiegen bei 
weitem die glatten Muskelfasern, und das Bindegewebe beschränkt 
sich auf feinste Häutchen und Fibrillen, die die Muskelfasern 
umscheiden. Auch dort, wo das aufgesplitterte Kapselgewebe 
schon den Eindruck eines groben Retikulums macht, besteht das- 
selbe noch der Hauptmasse nach aus glatten Muskelzellen, die 
in verschiedener Richtung verlaufen. In manchen Blutlymphdrüsen 
sieht man auch noch vereinzelte Muskelfasern in den innersten 
Anteilen des Marginalsinus. 

Bei Färbung mit Resorcin-Fuchsin erkennt man feinste 
elastische Fasern zwischen den Muskelzellen, die sich soweit in 
den Marginalsinus hinein erstrecken, als die glatten Muskel- 
fasern reichen. 

Blutlymphdrüsen vom Reh. 

Beim Reh (zweijähriger Bock) kommen unter den roten 
Lymphdrüsen im retroperitonealen Gewebe auch wahre Blutlvmph- 
drüsen vor. Andere zeigen zwar rote Blutkörperchen in ver- 
schiedener Menge in den Sinus und im Iymphoiden (rewebe, be- 
sitzen aber auch Lymphgefässe. 

Die Blutlymphdrüsen stehen denen des Schafes näher als 
denen des Hirsches. Die an glatten Muskelfasern reiche Kapsel 
ist entweder gegen den Marginalsinus hin ganz scharf und glatt- 
randig begrenzt wie beim Schaf, oder zeigt in manchen Drüsen 


eine leichte Auffaserung, so dass einzelne Muskelbündel in den 
10* 


144 Siegmundv. Schumacher: 


Sinus hinein vorragen; niemals aber erreicht die Auffaserung 
den hohen Grad wie beim Hirsch, so dass beim Reh auch nie 
der Eindruck eines kavernösen (rewebes erweckt wird. 

In manchen Blutlymphdrüsen finde ich ziemlich reichliche 
gelbbraunes, scholliges Pigment enthaltende Phagocyten, die vor- 
zugsweise in den Keimzentren und im übrigen Iymphoiden Gewebe 
gelegen sind, auch Phagocyten mit zahlreichen roten Blutkörper- 
chen kommen vor, allerdings in nicht grosser Menge. 

Ein Venennetz an der Grenze zwischen Iymphoidem Gewebe 
und Marginalsinus ist hier — zum Unterschiede vom Hirsch — 
ebensowenig vorhanden wie beim Schafe. 

Im retroperitonealen Fettgewebe ziehen weite Blutstrassen, 
die keine eigenen Wandungen besitzen und oft unmittelbar der 
Kapsel von Blutlymphdrüsen anliegen. Auch hier kann nach- 
gewiesen werden, dass diese Extravasate mit sich rückbildenden 
(refässen im Zusammenhang stehen. 


Rote Lymphdrüsen vom Schwein. 

Gütig (11) spricht von „Blutlymphdrüsen“ des Schweines, 
scheint aber nur die körperlichen Elemente derselben an Aus- 
strichpräparaten und keine Schnitte untersucht zu haben. Seine 
Befunde sprechen für eine Neubildung von roten Blutkörperchen 
in den bluthaltigen Lymphdrüsen des Schweines. 

Weidenreich (32) bezeichnet die bluthaltigen Lymph- 
drüsen des Schweines als Übergangsformen. Der Hauptunterschied 
gegenüber gewöhnlichen Lymphdrüsen besteht darin, „dass sie 
grosse Mengen von Blut enthalten, dieses Blut aber nun nicht in 
den Lymphsinus gelegen ist, sondern da, wo man die Lymph- 
follikel erwartet; das Blut liegt hier aber keineswegs in (refässen, 
sondern frei in den Maschen des Retikulums des adenoiden 
(sewebes, wie sonst die Leukocyten, die sich an einzelnen Stellen 
auch hier in bekannter Anordnung finden‘. 

Zunächst sei festgestellt, dass ich Blutlymphdrüsen beim 
Schwein nicht finden konnte; alle roten Lymphdrüsen im retro- 
peritonealen Fettgewebe stehen mit zu- und abführenden Lymph- 
gefässen in Verbindung. In einigen zuführenden Lymphgefässen 
konnten rote Blutkörperchen nachgewiesen werden (Fig. 15, Va). 

Eine auch nur halbwegs scharfe Abgrenzung zwischen 
Iymphoidem Gewebe und Sinus ist nirgends zu sehen. Wie 


Die Blutlymphdrüsen, 145 


Weidenreich hervorhebt, liegen massenhafte rote Blutkörperchen 
im Iymphoiden Gewebe und: hier kann die Zahl der roten Blut- 
körperchen ganz ausserordentlich über die der Lymphocyten 
überwiegen: ja auf weite Strecken hin sieht man dort, wo man 
Iymphoides Gewebe erwarten sollte, überhaupt nahezu keine 
Lymphoeyten, sondern nur rote Blutkörperchen in einem spärlichen 
Retikulum (Fig. 15 und 16 R). Der Marginalsinus und auch 
die übrigen Sinus, soweit solche kenntlich sind, können verhältnis- 
mässig frei von roten Blutkörperchen sein. 

Dieses auf dem ersten Blick überraschende Bild dürfte so 
zu erklären sein, dass an jenen Stellen, wo hauptsächlich die 
Lymphe strömt, also in den Sinus, die roten Blutkörperchen 
durch die Lymphe ausgespült wurden, vorausgesetzt dass in der 
betreffenden Lymphdrüse die Vasa afferentia einige Zeit hindurch 
keine roten Blutkörperchen führten. An jenen Stellen hingegen, 
die vom Lymphstrom weniger berührt werden — also im Iymphoiden 
Gewebe — können sich rote Blutkörperchen ansammeln und 
längere Zeit liegen bleiben. Ähnliche Bilder findet man gelegentlich 
auch in bluthaltigen Lymphdrüsen des Schafes. In der unmittel- 
baren Nachbarschaft eines zu- oder abführenden Lymphgefässes 
sieht man hier gewöhnlich den Marginalsinus ganz frei von roten 
Blutkörperchen, während in derselben Drüse Stellen des Marginal- 
sinus, die weiter entfernt von Lymphgefässen gelegen sind, mit 
roten Blutkörperchen vollgepfropft erscheinen können. Gleichzeitig 
scheint in vielen bluthaltigen Lymphdrüsen des Schweines die 
Neubildung der Lymphocyten eine wenig lebhafte zu sein; die 
vorhandenen sind wahrscheinlich zum grossen Teile abgeführt 
worden, so dass an ihrer Stelle vielfach nur mehr rote Blut- 
körperchen gelegen sind. Im übrigen zeigen auch beim Schwein, 
sowie bei anderen Säugetieren, die Lymphdrüsen eine ausser- 
ordentlich variable Anordnung des Iymphoiden Gewebes und 
der Sinus. 

Noch ein anderer Befund in den bluthaltigen Eymphdrüsen 
des Schweines verdient der Erwähnung. Es ist dies das Auf- 
treten von Fettgewebe im Bereiche des Marginalsinus. Auf eine 
fettige Degeneration von weissen Lymphdrüsen des Schweines 
haben zuerst Baum und Hille (4) aufmerksam gemacht. 
Baum (3) äussert sich diesbezüglich im „Handbuch der ver- 
gleichenden mikroskopischen Anatomie der Haustiere“ mit folgen- 


146 Siegmundv. Schumacher: 


den Worten: „Bei der Mehrzahl der Lymphknoten des Schweines 
tritt mit dem zunehmenden Alter der Tiere eine fettige Degene- 
ration der Knoten ein, die. von der Kapsel aus beginnend, 
nach dem Zentrum hin fortschreitet und Fettgewebe an Stelle 
des Parenchyms treten lässt. Diese fettige Degeneration kann 
so hochgradig werden, besonders in den Körperlymphknoten, dass 
schliesslich nur noch Inseln Iymphoiden Gewebes vorhanden sind, 
in denen sich dann nur ganz verschwommene, undeutliche Keim- 
zentren vorfinden. Offenbar handelt es sich um eine fettige 
Degeneration bezw. um eine Fettzellenbildung des Retikulums, 
die zur Druckatrophie und schliesslich zum Verschwinden der 
Lymphocyten führt“. 

Dass schon frühzeitig Fettzellen in den roten Lymphdrüsen 
des Schweines auftreten können, zeigen Fig. 15 und 16, die von 
retroperitonealen Lymphdrüsen eines halbjährigen Schweines 
stammen. In Fig. 15 sind nur vereinzelte Fettzellen an der 
Grenze zwischen Rindensubstanz und Marginalsinus zu sehen, 
die sich wohl nur aus Retikulumzellen gebildet haben können. 
Fig. 16 zeigt eine dichtgedrängte Reihe von auffallend grossen 
Fettzellen, die an Stelle des Marginalsinus getreten sind, so dass 
vom letzteren nur mehr stellenweise spärliche Reste zu sehen sind. 

Eine fettige Infiltration resp. Degeneration ist sicher nicht 
ausschliesslich für das Schwein charakteristisch; gelegentlich kann 
man auch bei anderen Tieren Abschnitte einer Lymphdrüse durch 
Fettgewebe ersetzt sehen; nur dürfte dieser Vorgang nicht so 
häufig wie beim Schwein auftreten. 


Wien, Ende Juni 1912. 


> DD 


Die Blutlymphdrüsen. 147 


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Retterer, Ed.: Structure, developpement et fonctions des ganglions 
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31. 


32. 


Siegmundv. Schumacher: 


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drüsen und die Entstehung der roten und weissen Blutkörperchen. Anat. 
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Organe. II. Bau und morphologische Stellung der Blutlymphdrüsen. Arch. 
f. mikr. Anat., Bd. 65, 1904. 


Erklärung der Abbildungen auf Tafel IX und X. 


Fig. 


Sämtliche Abbildungen sind mit dem Prisma entworfen. 

1. Retroperitoneale Lymphdrüsen im frischen Zustande von einem 

nahezu ausgetragenen Schaffetus. A — Aorta: Ve = Vena cava 

posterior; Vr — Vena renalis. Vergr. 2fach. 

Retroperitoneale Blutlymphdrüse von einem viermonatlichen Lamm ; 

injiziert mit Berlinerblau von der Aorta aus, in toto aufgehellt. 

A — Arterie; V = Vene; zV = zuführende Vene, die das Blut 

aus den Kapillaren — K des die Drüse umgebenden Fettgewebes 

sammelt; kV = kapillare Venen im Inneren der Lymphdrüse. 

Vergr. ca. 40 fach. 

3. Randpartie aus einer retroperitonealen Blutlymphdrüse vom Schaf. 
Pikrinsäure-Sublimat; Delafields Hämatoxylin, Eosin. E = eosino- 
phile Leukocyten; K —= Kapsel; M — Marginalsinus; R = Rinden- 
substanz; V — randständige kapillare Vene. Bei Ue besteht keine 
scharfe Grenze zwischen Marginalsinus und lymphoidem Gewebe. 
Vergr. 300 fach. 


DD 


Fig. 4. 
Fig. 5. 
Big; 6. 
Kio. "7. 
Fig. 8 
Fig. 10. 
Fig. 11. 
Fig. 12. 
Fig. 13. 


Die Blutlymphdrüsen. 149 


Aus der Marksubstanz einer gewöhnlichen retroperitonealen Lymph- 
drüse eines nahezu ausgetragenen Schaffetus; Blutgefässe mit 
Berlinerblau injiziert. Formol-Alkohol: Delafields Hämatoxylin, 
Eosin. E = Gruppe von eosinophilen Leukocyten; kV — kapillare 
Venen; S = Sinus. Vergr. 285 fach. 

Phagocyten mit roten Blutkörperchen aus einem Keimzentrum einer 
retroperitonealen Blutlymphdrüse vom Schaf. Zenker - Formol; 
Delafields Hämatoxylin, Eosin. Vergr. 580 fach. 


Retroperitoneale, spezielle Lymphdrüsenanlage von einem 24 cm 
langen Schaffetus. Pikrinsäure-Sublimat, Delafields Hämatoxylin, 
Eosin. L —= Lymphgefässe, den Marginalplexus bildend: V = Vene, 
die aus der Anlage austritt. Vergr. 165fach. 
Retroperitoneale, spezielle Lymphdrüsenanlage ohne Marginalplexus 
von einem 26 cm langen Schaffetus; Blutgefässe mit Berlinerblau 
von der Nabelarterie aus injiziert. Formol-Alkohol; Delafields 
Hämatoxylin, Eosin. L — Lymphgefäss mit roten Blutkörperchen ; 
kV — kapillares Venennetz im Inneren der Anlage. Vergr. 165fach. 
und 9. Aus einer retroperitonealen Lymphdrüse eines 26 cm langen 
Schaftetus: Blutgefässe mit Berlinerblau von der Nabelarterie aus 
injiziert. Formol-Alkohol: Delafields Hämatoxylin, Eosin. Alle 
Lymphgefässe und Sinus sind mit roten Blutkörperchen vollgeptroptt. 
kV — kapillare Venen; L —= Lymphgefässe; M — Marginalsinus ; 
rB = freiliegende rote Blutkörperchen; Va — Vasa afferentia. 
Vergr. 85fach. 
Retroperitoneale, spezielle Lymphdrüsenanlage mit roten Blutkör- 
perchen im Marginalplexus von einem 26 cm langen Schaffetus:; 
Blutgefässe mit Berlinerblau von der Nabelarterie aus injiziert. 
Formol-Alkohol; Delafields Hämatoxylin. Eosin. M — Marginal- 
plexus; rB = freiliegende rote Blutkörperchen. Vergr. 165fach. 
Kleine retroperitoneale Lymphdrüse von einem nahezu ausgetragenen 
Schaffetus ohne zu- und abführende Lymphgefässe; Blutgefässe 
mit Berlinerblau von der Nabelarterie aus injiziert. Formol-Alkohol ; 
Delafields Hämatoxylin, Eosin. M = Marginalsinus; A = ein- 
tretende Arterie; V — austretende Vene; kV — kapillare Venen. 
Vergr. 100fach. 


Kleine retroperitoneale Lymphdrüse von einem nahezu ausgetragenen 
Schaftetus; Blutgefässe mit Berlinerblau von der Nabelarterie aus 
injiziert. Formol-Alkohol; Delafields Hämatoxylin, Eosin. Das 
Vas efferens — Ve steht nicht mehr in Verbindung mit dem Marginal- 
sinus = M; V —= abführende Vene: kV = kapillare Venen; F — 
Fettgewebe in der Umgebung der Lymphdrüse. Vergr. 165fach. 
„Rote“ retroperitoneale Lymphdrüse mit sehr spärlichem Iymphoiden 
Gewebe von einem nahezu ausgetragenen Schaffetus; Blutgefässe 
mit Berlinerblau injiziert. Formol-Alkohol: Delatfields Hämatoxylin, 
Eosin. Vergr. 25fach. 


150 Siegmundv. Schumacher: Die Blutlymphdrüsen. 


Fig. 14. Randpartie aus einer Blutlymphdrüse vom Halse eines achtmonat- 
lichen Hirschkalbes. Formol-Alkohol; Delafields Hämatoxylin, 
Eosin. Die hauptsächlich aus glatten Muskelfasern bestehende 
Kapsel — K fasert sich gegen den Marginalsinus — M hin auf. 
RV — randständige Vene an der Grenze zwischen Marginalsinus 
und Rindensubstanz —= R. Vergr. 300fach. 

Fig. 15 und 16. Randpartien aus bluthaltigen, retroperitonealen Lymphdrüsen 
von einem halbjährigen Schwein. Pikrinsäure-Sublimat; Delafields 
Hämatoxylin, Eosin. K — Kapsel; F = Fettzellen im Bereiche 
des Marginalsinus; M = Marginalsinus; L — Lymphgefäss; Va — 
zuführendes Lymphgefäss, das sich in den Marginalsinus öffnet; 
R — Rindensubstanz, die zum grössten Teil von roten Blut- 
körperchen eingenommen wird. Vergr. 85fach. 


Die Beziehungen zwischen dem Strukturbilde des 
Achsenzylinders der markhaltigen Nerven der 
Wirbeltiere und den physikalischen Bedingungen 
der Fixation. 
Von 
Leopold Auerbach, Frankfurt a. M. 


Hierzu Tafel X1. 

Die zunächst wohl auffällige Tatsache, dass sich die ana- 
tomische Literatur des letzten Jahrzehntes mit dem in biologischer 
Hinsicht bedeutsamsten, der Reizleitung unmittelbar dienenden 
Bestandteile der markhaltigen Nervenfaser der Wirbeltiere, dem 
Achsenzylinder, weniger beschäftigt als mit dem mehr accessorischen 
(rebilde der Markscheide, erklärt sich daraus, dass einerseits der 
axiale Teil des Nerven infolge seiner Einbettung im Inneren der 
stark lichtbrechenden Hülle der direkten Beobachtung im lebens- 
frischen Zustande so gut wie entzogen ist, andererseits das Schema 
seiner Struktur, soweit das Studium des fixierten Objektes darüber 
Aufschluss zu geben vermag, in den wesentlichen Zügen festgelegt 
scheint. Nachdem noch bis in den Anfang der neunziger Jahre 
die Angaben von Remak, Max und Hans Schultze sowie 
Engelmann, welche schon an dem unfixierten Präparate einen 
fibrillären Bau gesehen haben wollten, und sogar die am osmierten 
Nerven gewonnenen Resultate Kupffers und Boveris von 
kompetentester Seite (Schiefferdecker, Held) angezweifelt 
worden waren, erfolgte hierin mit dem Bekanntwerden der 
Forschungen Apathys und Bethes ein völliger Umschwung. 
Als die weiteren eminenten Fortschritte in der Methodik kurz 
darauf es einem jedem ermöglichten, sich an den-Ganglien- 
zellen der Vertebraten mit leichter Mühe über die Existenz 
und die allgemeinen Eigenschaften jener Kupffer-Betheschen 
Fibrillen zu unterrichten, konnte es fürderhin kaum als dankbare 
Aufgabe gelten, genau in Bethes und Mönckebergs Spuren 
zu wandeln und bestenfalls etliche kümmerliche Früchte bei einer 
Nachlese auf diesem Felde einzuheimsen. 


152 Leopold Auerbach: 


So blieb hinsichtlich der Struktur des Achsenzylinders zwar 
etwa ein untergeordnetes Detail wie die Reduktion der Neuro- 
fibrillen an den Ranvierschen Einschnürungen (Schieffer- 
decker, Retzius kontra Bethe und Mönckeberg) der 
endgültigen Entscheidung vorbehalten, doch herrschte fast absolute 
Einstimmigkeit darüber, dass der Achsenzylinder sich aus eben 
diesen Neurofibrillen und einer perifibrillären Substanz zusammen- 
setze. Letztere wurde entweder für eine sehr wasserreiche, seröse 
Flüssigkeit (Kupffer, Schiefferdecker, v. Lenhossek) 
oder eine zähflüssige, viscide Substanz (Neumann), oder einen 
festweichen, elastischen Kitt (v. Kölliker)') erklärt oder endlich 
mit einer gerüstartigen Stützsubstanz ausgestattet (Joseph). 
Namhafte Autoren halten diese Frage nach dem Wesen der 
Z/wischensubstanz noch nicht für spruchreif (Kaplan, Warncke); 
ähnlich lehnen Bethe und Mönckeberg die netzförmige Gerüst- 
substanz Josephs ab und neigen der Annahme eines homogenen 
Körpers zu, ohne hiermit zukünftigen, auf bessere Hülfsmittel 
gegründeten Erfahrungen mit Bestimmtheit vorgreifen zu wollen. 
In der allerjüngsten Zeit hat Nageotte das übliche Schema 
insofern etwas modifiziert, als er dem Achsenzylinder, abgesehen 
von zahlreichen, in regelmässigen Reihen eingelagerten, stäbchen- 
förmigen Mitochondrien, noch besondere protoplasmatische Bahnen, 
die von den Schwannschen Zellen ihren Ursprung nehmen und 
von der Markscheide aus auf den Achsenzylinder übergehen sollen, 
neben einer die Neurofibrillen auseinander drängenden serösen 
Flüssigkeit zuerkennt. Im Einklang mit den oben genannten 
Autoren leitet er aus dem Verhalten einer derartigen den axialen 
Raum erfüllenden, gewissermassen ödematösen Durchtränkung die 
Vulnerabilität des Achsenzylinders und die Neigung der Neuro- 
fibrillen, zu einem Strang zusammen zu schnurren, in ungezwungener 
Weise ab. 

Im Gegensatz zu den Ansichten über die Natur der peri- 
fibrillären Substanz, welche hauptsächlich Folgerungen aus dem 
physikalischen Verhalten der Nervenfaser im lebensfrischen Zu- 
stande darstellen, gründen sich die heutigen Anschauungen von 
dem Wesen der Neurofibrillen so gut wie ausschliesslich auf 
Befunde am osmierten Nerven. Zwar hat Bethe der Osmium- 


1) Schon 1863 hatte Waldeyer dem Achsenzylinder in seiner Ge- 
samtheit eine „festweiche“ Konsistenz zugeschrieben. 


Beziehungen zwischen dem Strukturbilde des Achsenzylinders. 153 


säurehärtung ein einfaches Verfahren an die Seite gestellt, indem 
er in Alkohol von — 9 bis — 15° © fixierte und danach seine 
Primärfärbung in Anwendung brachte. Jedoch scheint er persönlich 
davon nur in beschränktem Umfange Gebrauch gemacht zu haben, 
und in weiteren Kreisen hat sich die Methode meines Wissens 
nicht eingebürgert. 

Für eine Aufgabe nun, die ich mir seinerzeit stellte, nämlich 
in die funktionellen Veränderungen der Nervenfaser einen Ein- 
blick zu gewinnen und zu diesem Zwecke zunächst die Einwirkung 
von iso- und anisotonischen indifterenten Medien, Elektrolyten, 
narkotischen Stoffen usw. auf den Froschnerven zu studieren, bot 
das Verfahren hauptsächlich den einen Vorteil, dass der Alkohol 
wegen seiner raschen Diffusion eine gleichmässigere Fixation des 
Objektes verbürgt. In dieser Erwartung übernahm ich es, aller- 
dines mit der Abänderung, dass ich den Alkohol zunächst 
> Stunden lang mittels Kohlensäureschnees kühlte und hernach für 
20 bis 22 Stunden im Eisschrank beliess, sodass ich demnach im 
Beginn zu weit tieferen Kältegraden — schätzungsweise auf 
— 60 — bis 70°C — herabging. Es leitete mich dabei die 
Hoffnung, dass diese extremen Temperaturen der Erhaltung einer 
vitalen Struktur zugute kommen möchten, weil das Gewebe von 
dem Gefrierprozess so schnell ereilt wird, dass zur Ausbildung von 
Artefakten kaum Zeit bleibt, und weil die durch das Gefrieren 
verursachten Formänderungen, wenn sie selbst nicht völlig auszu- 
schalten wären, doch den Temperaturgraden umgekehrt proportional 
sein dürften.') Freilich bleibt es zweifelhaft, inwieweit die Tempe- 
ratur des Gefrierens mit derjenigen der Fixation zu identifizieren 
ist, da wir gar nichts darüber wissen, innerhalb welcher Zeit resp. 
ob überhaupt sich bei diesen äussersten Kältegraden die Gewebs- 
kolloide zum Alkoholgel umwandeln, und die Härtung möglicher- 
weise erst in späteren Stadien einsetzt, nachdem sich der Alkohol 
vorher wieder erwärmt hat. Im übrigen wählte ich den Ischiadicus 
des Frosches, welchen ich nach der Decapitation und Zerstörung 
des Rückenmarks blosslegte und behutsam exstirpierte. 

Während nun bei Nerven, die nicht sofort nach der Heraus- 
nahme zur Untersuchung gelangten, sich etwa erst vorübergehend 
in einem indifferenten Medium befunden hatten, nach dieser 

') Vergl. hierzu Liesegangs Kritik der Mellgaardschen vitalen 
Fixation (Anat. Anz., Band 39) und meine Erwiderung (ebenda, Band 40). 


154 Leopold Auerbach: 


Alkoholhärtung und einer exakt nach Bethes Anweisung vor- 
genommenen Primärfärbung mit Toluidinblau die erwarteten 
Fibrillenbilder oder leicht verständliche Varianten von solchen 
zur Darstellung kamen, ergab eine Reihe von Kontrollunter- 
suchungen, bei welchen zur Feststellung des absolut normalen 
Strukturbildes auf besonders schonende Präparation sowie auf 
schleunigste Fixation Bedacht genommen wurde, eine überraschende 
Tatsache. Die Achsenzylinder mit den typischen Fibrillenbildern 
werden zur kleinen Minderheit oder fehlen vollkommen, und an 
ihrer Stelle erscheinen andere Formen von eigenartigem Gepräge. 
In manchen Achsenzylindern nimmt die Zahl der Fibrillen derart 
zu, dass der axiale Raum mit Fäserchen bis auf das äusserste 
vollgepfropft erscheint und die perifibrilläre Masse demgegenüber 
geradezu verschwindet. Nun ist es auch für das normale Struktur- 
bild kaum angängig, bezüglich des Verhältnisses zwischen Fibrillen 
und Perifibrillärsubstanz eine ganz unabänderliche Proportion 
festzustellen, weil der Reichtum der einzelnen Achsenzylinder an 
beiden Bestandteilen nach meinen eigenen Erfahrungen stets in 
ziemlich weiten Grenzen schwankt. Aber alle Autoren (Bethe, 
Schiefferdecker, Retzius) stimmen doch darin überein, dass 
die Perifibrillärsubstanz über die Fibrillen bedeutend überwiegt. 
Hier dagegen wird das Verhältnis zwischen fibrillären Gebilden 
und Perifibrillärsubstanz geradezu auf den Kopf gestellt, denn die 
dichte Menge der ersteren überschreitet unter den gedachten 
Bedingungen bei weitem das Maß dessen, was man sonst zu 
sehen bekommt. Auch unterscheiden sich diese fibrillären Elemente 
von den typischen Formen in ihrem gesamten Habitus, sie lassen 
den zartwelligen Verlauf vermissen, erscheinen vielfach winklig 
geknickt, mit kleinen Ästchen ausgestattet, bisweilen kurz ab- 
gebrochen, sind ungleich in ihrem Kaliber, mit Knötchen und 
kleinen Anschwellungen besetzt. So präsentiert sich selbst auf 
2—3 cu dicken Schnitten an Stelle der Regelmässigkeit des 
gewöhnlichen neurofibrillären Baues eine unentwirrbare Fülle 
solcher teils paralleler, teils sich kreuzender und durchflechtender 
Fäserchen, zwischen denen nur ein minimaler Platz für eine 
Kittsubstanz übrig bleibt (Fig. 1). In einer anderen Kategorie 
von Achsenzylindern tritt die lineare Zeichnung nicht mehr so 
scharf zutage, wird vielmehr durch eine mehr oder weniger 
verschwommene, bisweilen gerade eben noch erkennbare, ungemein 


ou 


Beziehungen zwischen dem Strukturbilde des Achsenzylinders. 1 


zarte und dichte Streifung ersetzt (Fig. 2). Zwischen dieser 
verwaschenen Masse tauchen ab und zu einmal schärfer konturierte 
Fädchen auf, so dass man es direkt mit dem Auge verfolgen zu 
können glaubt, wie die fibrillären Gebilde aus einer geronnenen 
Substanz ihren Ursprung nehmen. Wenn hiermit etwa in die 
rein deskripte Darlegung der Befunde eine bestimmte Deutung 
des (Gesehenen hineingetragen wird, so geschieht dies, weil jene 
Auffassung sich dem Beobachter unwillkürlich und zwingend auf- 
drängt. Vielerorts wird man eben aus dem ganzen Charakter 
der Masse, ob sie sich nun im verschwommenen Bilde zeigt oder 
sich in die zahllosen Fäserchen zerlegt, auf den ersten Blick die 
Überzeugung von dem Vorhandensein eines Gerinnsels gewinnen. 

Nach den in vorstehendem skizzierten Erfahrungen erschien 
es natürlich wünschenswert, den Alkohol mit einem anderen 
Fixationsmittel zu vertauschen, um die experimentellen Bedingungen 
tunlichst abzuändern und sich über sämtliche Faktoren, welchen 
bei diesem Ergebnis eine Rolle zufallen könnte, zu orientieren. 
Somit musste ich wieder zur Osmiumsäure zurückgreifen, weil 
bei den sonst üblichen, leicht gefrierenden Fixationsmitteln nicht 
der Ausweg blieb, durch den nach Bethe das Schrumpfen der 
Achsenzylinder vermieden wird. Freilich ist man bei der Osmium- 
säure, sofern die Konservierung bei intensiver Kälte beibehalten 
werden soll, auf deren Dampf angewiesen, wobei die Abkühlung 
derart geschieht, dass das Gläschen mit dem Froschnerven in 
den Kohlensäureschnee eingebettet wird. Trotz dieser Vorkehrung 
hat man es nicht in der Hand, sogleich eine sehr niedrige 
Temperatur zu erhalten, weil jedesmal beim Einbringen des 
Präparates frische, nicht vorgekühlte Luft in das Gläschen ein- 
strömt. Um diesen Mißstand auszugleichen, habe ich die Versuche 
bei strenger Winterkälte (— 6 bis — 5°C) ausgeführt, so dass 
man auch bei dieser Versuchsanordnung ein hinreichend schnelles 
Gefrieren des Nerven erwarten durfte. Ein anderer Übelstand 
ist in der Sache selbst begründet und nicht auszumerzen. Bei 
stark sinkender Temperatur verflüchtigt sich die Osmiumsäure 
nicht mehr in dem erforderlichen Maße, um als Dampf noch eine 
Wirkung zu entfalten. Schliesslich ist die Austrocknung, welcher 
vorwiegend die langsamer erhärtenden Fasern mehr im Inneren 
des Nerven unterliegen, recht störend, so dass leider zuletzt stets 
nur kleine Partien an der Peripherie allen Anforderungen genügen. 


156 Leopold Auerbach: 


Im weiteren Vorgehen hielt ich mich. strenge an die von 
Bethe ausgearbeitete Technik: 

Vor der Einbettung Reduktion durch 2°/o Natriumbisulfit, 
dem auf je 10 ccm direkt vor dem Einlegen des Nerven 2—4 
Tropfen konzentrierter Salzsäure zugesetzt sind, später Färbung 
der Schnitte entweder direkt mit Toluidinblau, welches durch 
Ammoniummolybdat fixiert wird, oder indirekt zuerst Beizung 
mit Ammoniummolybdat und nachherige Tinktion mit Toluidinblau 
(vergl. Bethe-Mönckeberg). 

Bethes Methodik ist nicht allzu kompliziert, man gewinnt 
sehr schnell die gewünschte Sicherheit, und die Resultate sind 
bei einiger Routine äusserst zuverlässig. 

An dem Nerven, den man in der obenerwähnten Weise 
mit Osmiumdampf fixiert hat, finden sich in der Nachbarschaft 
von Stellen, welche eine intensive Austrocknung erlitten haben 
und diese Schädigung durch die voluminöse Aufblähung der 
Markscheide sowie den körnigen Zerfall der färbbaren Substanz 
des Achsenzylinders offenbaren, solche Fasern, deren Markscheide 
sich bereits ziemlich normal verhält und deren Achsenzylinder 
jedenfalls eine fibrilläre Struktur besitzen. Ihre Neurofibrillen 
sind ungefähr so gelagert, wie es dem Betheschen Typus ent- 
spricht, aber sie wechseln auffällig im Kaliber, streckenweise von 
unmessbarer Dünne, verdicken sie sich plötzlich zu kurzen Knoten 
oder auf etwas längere Strecken, verlaufen oft ziekzackförmig 
und verästeln sich (Fig. 3). Dass bei diesem Verhalten Ver- 
klebungen mitspielen, dass sich auch das Eintrocknen in höherem 
Maße geltend machen könnte, als man es nach dem kaum mehr 
geblähten Aussehen der Markscheide zunächst meinen sollte, ist 
zuzugeben. 

Die in Fig. 4 dargestellten Achsenzylinder umsäumt eine 
Markscheide, die annähernd so schmal ist wie im lebensfrischen 
Zustande und ganz glatte Konturen zeigt. Von dem bläulich 
tingierten Grunde heben sich Fäserchen ab, die, statt in gleich- 
förmigen, hübsch welligen Linien dahin zu ziehen, einen unregel- 
mässigen Durchmesser zeigen, wiederum stark winklig geknickt 
sınd, sich überkreuzen, ab und zu auch sich netzförmig zu ver- 
knüpfen oder zu verzweigen scheinen. Bei diesen Fäserchen tritt 
desgleichen schon die dichtere Lagerung hervor, welche in Formen, 
wie sie Fig. 5 wiedergibt, eine weitere Steigerung erfährt und 


Beziehungen zwischen dem Strukturbilde des Achsenzylinders. 157 


mit einer entsprechenden Verfeinerung der Fädchen parallel geht. 
Am Endpunkt dieser kontinuierlichen Folge stehen Achsenzylinder, 
welche auf ganz lichtem Untergrunde eine äusserst dichte und höchst 
zarte Schraffierung zeigen, die sich aus engen Reihen unmessbar 
feiner und nur wegen ihrer guten Tinktion scharf wahrnehmbarer 
Fädchen und stellenweise auch aus Körnchenreihen zusammensetzt, 
derart, dass schliesslich die Struktur mit dem typischen Bilde 
bloss noch die lineare Anordnung gemein hat (Fig. 6) 

Will man das Verfahren Bethes vollkommen getreu kopieren. 
womit auch die Mängel der Fixation durch die dampfförmige 
Osmiumsäure vermieden werden, so bietet sich die 0,25 proz. 
wässerige Lösung der Substanz, nur muss man alsdann von den 
extrem niedrigen Temperaturen begreiflicherweise absehen. Wenn 
der schon vorher durch den Kohlensäurestrahl steif gefrorene 
Nerv für 24 Stunden in eine Lösung gebracht wird, die gerade 
den (Gefrierpunkt erreicht, so wird ein Auftauen verhütet und 
die Fixierung im gefrorenen Zustande garantiert. Alsdann er- 
scheinen die Achsenzylinder in ihrer überwiegenden Mehrzahl als 
tiefblau gefärbte Bahnen, in denen bei sehr starker Vergrösserung 
oft zahlreiche aneinandergereihte, blauschwarze Körnchen oder 
feinste Strichelungen auftauchen. Diese breiten Bahnen füllen 
den axialen Hohlraum derart aus, dass nirgends ein Spalt klafft, 
wie auch andererseits die Markscheide durchgängig ihre linearen 
Konturen und geringe Dicke bewahrt hat (Fig. 7). Nichts be- 
kundet eine artefizielle Schädigung, und insbesondere fehlt jede 
Schrumpfung, wie sie sonst stets den Achsenzylinder des peripheren 
Nerven kennzeichnet, sobald er sich als ein gleichmässig tingierter 
Strang darstellt (Bethe, Warncke). 

Bei anderen, desgleichen von intakter Markscheide umgebenen 
Achsenzylindern, die durchweg den Randpartien angehören, lichtet 
sich der Grund, und man ist imstande, in ihnen eine aus zahllosen, 
nicht weit verfolgbaren, im grossen und ganzen längsverlaufenden, 
subtilen Fädchen gebildete Schraffierung zur Auflösung zu bringen. 
Doch entsteht selbst bei starker Vergrösserung infolge der Häufung, 
matten Färbung und Diskontinuität dieser Elemente an manchen 
Stellen wiederum der Eindruck jener diffusen und undefinierbaren 
Masse, der wir schon anderwärts begegneten. Die Fädchen selbst 
sind hie und da mit Körnchen untermischt, tragen des öfteren 


minimale Anschwellungen oder Knötchen und sind unter allen 
Archiv f. mikr. Anat. Bd.81. Abt.I. 11 


158 Leopold Auerbach: 


Umständen unvergleichlich zarter als die echten Neurofibrillen 
(Fig. 8). 

Die in Rede stehenden Befunde leiten zu der letzten und 
instruktivsten Versuchsreihe hinüber, bei welcher das vorherige 
Gefrieren des Nerven in Wegfall kommt und auch 
die Osmiumsäure nicht unter + I bis 2° © gekühlt wird. 
Man erhält dann unter den einfachsten Bedingungen in den von 
unversehrter Markscheide umgebenen Achsenzylindern den vorigen 
analoge Bilder, höchstens, dass die Struktur durchschnittlich häufiger 
jenen etwas ausgeprägteren Charakter annimmt. Entweder findet 
sich innerhalb der blauen Bahnen eine an der Grenze der Auf- 
lösbarkeit stehende ganz verwaschene Schraffierung (Fig. 9), oder 
die färbbare Substanz verteilt sich vorwiegend auf eine reiche 
Zahl überaus zarter Fädchen, die sich von dem lichteren Grunde 
als ungemein subtile, einigermassen individuelle Gebilde gesondert 
abheben. Sie verlaufen im allgemeinen in longitudinaler Richtung. 
bilden aber keine scharfen Linien und sind selten über weitere 
Strecken klar zu verfolgen, so dass sie mit den eigentlichen Neuro- 
fibrillen nur eine entfernte Ähnlichkeit aufweisen (Fig. 10). 


Die Kupffer-Betheschen Neurofibrillen der Wirbeltiere 
sind als „selbständige morphologische Elemente“ durch ihre 
„körperliche Individualität“ gekennzeichnet, besitzen scharfe und 
glatte Konturen sowie einen bestimmten, im Querschnittsbild stets 
deutlichen Durchmesser, treten im Areal des Achsenzylinders 
gegenüber der Interfibrillärsubstanz quantitativ erheblich zurück. 

Nun ist es zwar nicht immer leicht, sie im peripheren mark- 
haltigen Nerven in der geschilderten idealen Form zur Darstellung 
zu bringen; so hat z. B. Schiefferdecker, der nach Kupffer 
in toto mit Fuchsin färbte, geraume Zeit gebraucht, bis er über- 
haupt ihre Existenz zugestand, und für Warncke, welcher sich 
auf das strengste an die Betheschen Vorschriften hielt, „musste 
doch stets ein gewisser Zweifel bleiben, ob in den an und für 
sich sehr gut gelungenen Präparaten vom Froschischiadicus diese 
zarten Fäden nicht doch vielleicht nur Gerinnungsprodukte seien“. 

Ich selbst habe aber, namentlich soweit ich den mit Kohlen- 
säureschnee gekühlten Alkohol zur Fixation anwandte, meist schöne, 


Beziehungen zwischen dem Strukturbilde des Achsenzylinders. 159 


klare Fibrillenbilder erzielt, vorausgesetzt, dass der Nerv nicht 
allzu frisch eingelegt ward. ') 

In dem letzteren, wie man denken sollte, eigentlich optimalen 
Falle zeigen sich merkwürdigerweise die oben beschriebenen 
atypischen Bilder, deren Bedeutung demnach nunmehr zu erörtern 
wäre. Dabei dürfte es sich für die Erledigung der gedachten Auf- 
gabe der grösseren Übersichtlichkeit halber wohl empfehlen, nicht 
sämtliche irregulären Formen zusammenfassend zu behandeln, 
sondern zunächst die im ganzen homogenen Bahnen zum Aus- 
gangspunkt der weiteren Betrachtungen zu wählen. Es liegt 
dies ausserdem darum am nächsten, weil es sich bei denselben 
um kein vollständiges Novum handelt, sondern man sich hier auf 
bereits halbwegs bekanntem Boden bewegt. Völlig neu allerdings 
ist die Tatsache, dass sie sich nicht auf die zentralen Fasern be- 
schränken, sondern unter besonderen Verhältnissen imperipheren 
Nerven zu finden sind, so dass von jetzt ab die Erklärung ihrer 
Entstehung dem doppelten Vorkommen gleichmässig gerecht werden 
muss. Man wird dieser Forderung um so leichter zu genügen 
imstande sein, als ihre Lagerung innerhalb des Präparates in 
beiden Fällen rücksichtlich ihrer Genese auf ein und dieselben 
äusseren Faktoren hinweist. 

Warncke hatte nämlich bei strenger Befolgung der Bethe- 
schen Vorschriften am Fischrückenmark in inneren Schichten, zu 
denen die Osmiumsäure langsamer vordringt, regelmässig eine 
ganze Anzahl von Achsenzylindern gefunden, die, ohne geschrumpft 
zu sein, eine diffuse Färbung zeigten, und mir selbst war am 
osmierten Rückenmark der Taube, wiederum mit Ausschluss der 
Randzone, die nämliche Anomalie seinerzeit aufgefallen. Wie sich 
Warnckes Abbildungen vollkommen mit meinen eigenen Fest- 
stellungen decken, ebenso akzeptiere ich Wort für Wort dessen 


!) Nebenbei bemerkt, habe ich in derartigen Alkoholpräparaten, deren 
ich eine sehr beträchtliche Anzahl durchmusterte, nie den von Bethe und 
Mönckeberg behaupteten, vonSchiefferdeckerund Retzius energisch 
bestrittenen isolierten Verlauf der einzelnen Neurofibrillen konstatiert, viel- 
mehr an den Ranvierschen Einschnürungen eine beträchtliche Reduktion, 
die sich bereits vor der Einschnürung deutlich einleitet, beobachtet. Auch 
an Zupfpräparaten konnte ich mich hiervon überzeugen. Dass von meinem 
Standpunkte aus die ganze Streitfrage in nichts zerfällt, wird aus dem 
folgenden erhellen; ich nehme an, dass die wechselnden äusseren Bedingungen 
bei der Fixation den Widerspruch verschuldelt haben. 

NY r 


160 Leopold Auerbach: 


Behauptung, dass „bei vielen noch nicht geschrumpften Rücken- 
marksfasern der fibrilläre Bau durch eine feine gleichmässige 
Gerinnung verdeckt resp. ersetzt“ wird. In bezug auf die zen- 
tralen Fasern erschien sonach seit langem Bethes Ansicht, 
es speicherten bei seinem Verfahren die Neurofibrillen den Farb- 
stoff in spezifischer Weise und würden hierdurch gegenüber der 
Grundsubstanz in elektiver Weise dargestellt, einer Korrektur 
bedürftig. Hinsichtlich des peripheren Nerven durfte man 
bis zu meinen Studien den Betheschen Standpunkt teilen, indem 
hier wirklich unter gewöhnlichen Verhältnissen die Darstellung 
der Neurofibrillen ausschliesslich an geschrumpften Achsen- 
zylindern zu versagen pflegt. 

Heute, wo wir wissen, dass es auch bei der peripheren Faser 
nicht auf die Schrumpfung ankommt, und die Meinung, dass allein 
die Masse der zusammengeschnurrten, zentralwärts gerückten 
Fibrillen die Farbe aufnehme, von den Tatsachen unzweideutig 
widerlegt wird, benötigt die Bethesche Lehre, welcher die 
Prämisse entzogen ist, dringend einer Revision. So einfach, wie 
man im allgemeinen denkt, liegt die Sache nicht, und man muss 
die Frage. warum sich in gewissen Fällen die Gesamtmasse des 
Achsenzylinders färbt und nicht bloss eine mittlere Lage, in der 
man allenfalls die untereinander verklebten Achsenzylinder zu 
suchen hätte, unter anderen Voraussetzungen und von einem 
anderen Gesichtspunkte aus in Angriff nehmen. Was für eine 
Bewandtnis hat es denn in solchem Falle mit den Neurofibrillen ? 
Oder, um die Alternative, welche Warncke nicht mit der 
wünschenswerten Schärfe herausarbeitet, in der Fragestellung hin- 
reichend zu präzisieren: Werden denn jetzt die Neurofibrillen 
durch die Masse des Färbbaren verdeckt, oder sind sie tat- 
sächlich darin aufgegangen, nachdem sie zuvor der Zer- 
störung bezw. Auflösung anheim fielen. Ein Drittes 
ist noch denkbar: ihre Präexistenz wäre überhaupt zu 
leugnen, und man hätte statt dessen die verschiedenen Struktur- 
bilder auf die verschiedenen Modifikationen kolloidaler Entmischung 
zu beziehen, wodurch das eine Mal individuelle Gebilde zur Ab- 
scheidung gelangten, das andere Mal eine mehr oder weniger 
homogene Koagulation entstünde. 

Dass die an erster Stelle ins Auge gefasste Eventualität 
nicht zutrifft, ergibt von vornherein die mikroskopische Prüfung 


Beziehungen zwischen dem Strukturbilde des Achsenzylinders. 161 


des Objektes. Man entdeckt bei Vorbehandlung mit einer bis 
zum Gefrierpunkt gekühlten Osmiumsäurelösung nirgends die Spur 
von einer die Neurofibrillen in sich bergenden Einbettung, man 
hat es vielmehr bei Bildern, wie sie Fig. 7 zeigt, mit einer gleich- 
mässigen Masse zu tun, aus der hie und da einige stark tingierte 
Punkte, Punktreihen oder Strichelungen auftauchen, die mit Neuro- 
fibrillen nichts gemein haben. In Fasern, welche nur Temperaturen 
von + 1-—2° C ausgesetzt waren, fehlen sogar diese schwachen 
Andeutungen einer Struktur, und die geringfügige Schraffierung, 
die bei stärkster Vergrösserung noch hervortritt, ist viel zu zart 
und vor allem viel zu dicht, als dass sie etwas mit den Neurofibrillen 
zu tun haben könnte (Fig. 9). Ohne vorzugreifen, möchte ich ferner 
an die Übergangsformen erinnern, welche auf der einen Seite der 
soeben besprochenen Kategorie noch recht nahe stehen, bei denen 
andererseits die Sonderung in individuelle Elemente, jedoch derart, 
dass man diese nicht als Neurofibrilien ansprechen darf, bereits 
etwas weiter vorgeschritten erscheint (Fig. 3 u. 10). Dem mit 
Osmiumsäurelösung fixierten Nerven sind die Alkoholpräparate an 
die Seite zu stellen, worin sich der Achsenzylinder in Gestalt 
einer verwaschenen, lockeren Masse präsentiert, die gar nicht das 
erforderliche kompakte Gefüge besitzt, um irgend welche indivi- 
duellen Elemente zu verdecken und in ihrer Sonderexistenz aus- 
zulöschen; auch da, wo ab und zu ein Fädchen aus dem diffusen 
Grunde auftaucht, ähnelt es selbst dieser Masse in seinem un- 
scharfen gerinnselähnlichen Aussehen (Fig. 2). 

Überhaupt könnten die Neurofibrillen in dem gesamten 
Achsenzylinderinhalt bloss unter der Bedingung verschwinden, 
dass zuvor der sie trennenden perifibrillären Substanz, die sich 
normalerweise der Farbe gegenüber total refraktär zeigt, eine 
ausgesprochene Chromatophilie zuteil würde. Wenn es nun beim 
Rückenmark darauf ankommt, dass die betreffenden Achsenzylinder 
innerhalb des Gesamtareals keine ganz periphere Lage einnehmen, 
oder, was dasselbe bedeutet, von der Fixation erst allmählich 
erreicht werden, so wird auch in unserem Falle die Herabsetzung 
der Temperatur kaum in direkter Weise, sondern indirekt 
durch die Verzögerung der Fixation ihre Wirkung 
ausüben. 

Da nun nicht recht abzusehen ist, wieso der zeitliche Ablauf 
der Fixation auf physikalischem Wege die färberischen Affinitäten 


162 Leopold Auerbach: 


bezw. die Adsorption des Farbstoffes zu beeinflussen vermag, wäre 
man genötigt, auf chemische Vorgänge zurückzugreifen, welche 
ihrerseits mit der Verlangsamung der Fixation in ursächlichem 
Zusammenhange stünden. 

Man würde somit von der Voraussetzung aus, dass die Neuro- 
tibrillen in der Gesamtmasse noch vorhanden sind, zu der nämlichen 
Betrachtung gedrängt, welche mit der Annahme einer Zerstörung 
resp. Auflösung der Neurofibrillen in den Vordergrund tritt: sind 
chemische Kräfte im Spiele, die, in offenbarer Abhängigkeit von 
der verspäteten Fixation, sowohl in der Tiefe des in üblicher Weise 
osmierten Rückenmarkes wie im Gesamtareal des bei niedriger 
Temperatur fixierten Ischiadieus das histologische Substrat um- 
zuwandeln vermögen? Denn dass für eine etwaige Destruktion 
der Neurofibrillen ausschliesslich chemische Agentien in 
Frage kommen, liegt auf der Hand, weil das einzige, allenfalls 
damit konkurrierende Moment der Kältewirkung einerseits für die 
entsprechenden Befunde am Rückenmark überhaupt nicht zutrifft, 
andererseits nicht einmal geeignet ist, für die eigentümlichen 
Resultate bei der Osmierung des Ischiadicus eine stichhaltige 
Begründung zu liefern. — 

Eine kritische Besprechung des Faktors des Gefrierens findet 
sich in meinem Aufsatz: Mollgaards vitale Fixation und meine 
Kritik der Neurofibrillenlehre (Anatom. Anz., Bd. 40, S. 182—189), 
und ich möchte darauf, um Wiederholungen zu vermeiden, nicht 
nochmals zurückkommen. Dagegen ist es wohl ratsam, sich in 
Kürze einem damit einigermassen verwandten Einwurf zuzuwenden, 
der darauf hinausliefe, dass auch in meinen Versuchen mit Osmium- 
säurelösung bei + 1 bis 2°C ein Einfluss der Kälte insofern nicht 
ganz ausgeschaltet scheine, als unter Umständen in einem oder 
dem anderen Gel bereits bei Temperaturen oberhalb des Null- 
punktes eine Wasserentziehung stattfinden könnte. Da nicht ein- 
mal die ausgezeichnete Publikation W.H. Fischers, welche die 
einschlägige, überaus reiche Literatur auf das eingehendste be- 
rücksichtigt, eine destruierende Wirkung von Temperaturen über 
0° erwähnt, so dürfte ich wohl den gedachten Einwand von vorn- 
herein als hinfällig beiseite schieben, wenn ich nicht doch bei 
einem einzigen Autor auf eine hierher gehörige Bemerkung ge- 
stossen wäre. Hardy hat beobachtet, dass in einem Gel, welches 
etwa 1,5°/o reine Gelatine enthält, bei 1° Ü unter dem Mikroskop 


Beziehungen zwischen dem Strukturbilde des Achsenzylinders.. 163 


ausserordentlich winzige Tröpfchen (exceedingly minute droplets) 
auftauchen. Es wäre also vielleicht theoretisch nicht absolut 
undenkbar, dass sich in der Osmiumsäurelösung von + 1 bis 2° C 
innerhalb der Substanz etwaiger präformierter Fibrillen eine ana- 
loge Entmischung abspielte und sich deren inneres Gefüge aus 
diesem Grunde bis zu einem gewissen Grade lockerte. Es wird 
dies durch das folgende widerlegt. Man »trifit in den fraglichen 
Präparaten keine distinkten Neurofibrillen, die sich dement- 
sprechend verändert zeigten, minder kompakt erschienen, den 
Farbstoff schlechter speicherten oder verwaschene Umrisse be- 
sässen, sondern man gewahrt ein von Grund auf verschiedenes 
Bild. Soweit dabei eine diffuse Färbung resultiert, wäre mindestens 
die Hilfshypothese heranzuziehen, dass bei jener Temperatur, 
welche die Neurofibrillen eines Teils des in ihnen enthaltenen 
Wassers beraubt, auch die perifibrilläre Kittmasse ihr refraktäres 
Verhalten gegenüber der Farbe dadurch verliert, dass sie in 
sich eine Änderung erleidet, etwa jenes aus den Neurofibrillen 
frei werdende Wasser ihrerseits wieder chemisch bindet. Es 
bedarf wohl keiner Ausführung, dass eine solche Kombination 
vollständig in der Luft schwebt und allzu gekünstelt ist, um 
ernstlich mit ihr zu rechnen. Ferner erweckt das histologische 
Substrat keineswegs den Eindruck, als ob hier Primitivfibrillen und 
Perifibrillärsubstanz einfach zusammengesintert wären. Schliesslich 
figurieren neben den diffus gefärbten Bahnen die Zeichnungen mit 
den atypischen fädigen Strukturen, die weder auf diesem Wege 
noch durch den — übrigens mit der Wasserabgabe nicht genügend 
zu erklärenden — mechanischen Vorgang einer Aufsplitterung aus 
den typischen Neurofibrillen herzuleiten sind. (Vergl. hierzu weiter 
unten.) Kurz, selbst wenn man die Analogie mit Warnckes 
und meinen Befunden an dem bei mittlerer Temperatur osmierten 
rückenmark ausser acht lässt und Erfahrungen, die einer einheit- 
lichen Auffassung unterliegen sollten, gewaltsam auseinanderreisst, 
verirrt man sich in einem Labyrinthe, ohne den Tatsachen irgend- 
wie gerecht zu werden. 

Sobald wir das physikalische oder physikochemische Moment 
der Kältewirkung verwerfen und uns auf streng chemischem Ge- 
biete bewegen, werden wir vor ein ähnliches Dilemma gestellt 
wie Warncke, der bei verwandter Fragestellung seinen Stand- 
punkt folgendermassen klarlegt: „Entweder die Fasern . haben 


164 Leopold Auerbach: 


an dem Zeitpunkt, wo die Osmiumsäure zu ihnen gelangt, ihre 
vitale chemische Struktur infolge Absterbens nicht mehr besessen, 
oder aber die Einwirkung der Osmiumsäure in der Peripherie 
hat aktiv in der Tiefe chemische Prozesse zur Folge gehabt, welche 
die Fasern verändert haben.“ Was die an zweiter Stelle versuchte 
Deutung anbelangt, so wäre sie für unseren Fall in dem Punkte 
zu modifizieren, dass kein erheblicher Unterschied aus der jeweiligen 
Lage der Fasern im Präparate erwächst. Es kommt darauf nicht 
viel an; denn erstens wird man der Osmiumsäure bei den äusserst 
niedrigen Temperaturen kaum eine solche energische Einwirkung — 
sei sie nun direkter, sei sie indirekter Natur — zuschreiben wollen, 
und zweitens darf man nicht das gleichsinnige Verhalten der 
Alkoholpräparate vergessen, bei denen eine nennenswerte chemische 
Aktivität des indifferenten Fixationsmittels schon an und für sich 
ausgeschlossen ist. 

Bestechender klingt für den ersten Augenblick die Meinung, 
dass vielleicht die Änderung der färberischen Eigenschaften oder 
die Schädigung der präexistenten Struktur auf eine spontane Ein- 
busse an Vitalität zurückzuführen sei. Aber auch diese Auffassung 
hält nicht stand gegenüber dem Einwand, dass weder im 96proz. 
Alkohol bei solch extremen Kältegraden noch in der 0,25 proz. 
Ösmiumsäurelösung bei Temperaturen um den Nullpunkt eine 
Autolyse zu erwarten ist.) Wenn man gar mit der Zerstörung 
und Auflösung der Neurofibrillen rechnete, wodurch freilich der 
totale Umschlag in den färberischen Eigenschaften gut zu erklären 
wäre, so müssten die direkten chemischen Wirkungen des Fixations- 
mittels oder die autolytischen Prozesse eine geradezu erstaunliche 
Intensität erreichen, um diese als besonders widerstandsfähig 
bekannten Gebilde zu vernichten. Ich erinnere daran, wie lange 
die Neurofibrillen der Ganglienzellen schweren pathologischen 
Prozessen Trotz bieten, und weise vor allem auf den schreienden 
Widerspruch hin, dass Bielschowsky für seine Silberimprägnation 
sogar ausdrücklich empfiehlt, die Sektion nicht früher als 24 Stunden 
post exitum vorzunehmen, dass also in der menschlichen Leiche, 


!) Hinsichtlich der Osmiumsäure bliebe allenfalls der Ausweg, dass 
man von ihr bloss die Abtötung des Gewebes abhängig machte, dagegen die 
Autolyse während des nachfolgenden Stadiums des Auswässerns stattfinden 
liesse; doch spricht schon das gleichsinnige Verhalten der Alkoholpräparate 
dafür, dass die Prozedur des Auswässerns für den Erfolg nicht in Frage kommt. 


Beziehungen zwischen dem Strukturbilde des Achsenzylinders. 165 


d. h. unter den allergünstigsten inneren und äusseren Bedingungen 
die Neurofibrillen so überaus lange Zeit nach dem Tode keiner 
Autolyse unterliegen. 

Um einen klaren Überblick über das Tatsachenmaterial zu 
gewinnen, wurde bisher ausschliesslich jener Bahnen gedacht, bei 
welchen man am ehesten versucht sein könnte, die mehr oder 
minder homogenen, stellenweise gerinnselartigen Massen aus dem 
scheinbaren Verschwinden oder dem wirklichen Untergang etwaiger 
präexistenter Neurofibrillen herzuleiten. Es ergab sich dabei, dass 
sowohl der unmittelbare Augenschein wie zwingende Schluss- 
folgerungen einer derartigen Annahme entgegenstehen. Es bleibt 
uns jetzt noch übrig, die ausgebildeten Strukturen, welche sich 
als mehr oder minder scharfe Strichelungen, Liniensysteme oder 
unter der Form regelmässiger, paralleler, in vieler Hinsicht den 
typischen Neurofibrillen verwandter, individueller Gebilde zu zeigen 
pflegen (Fig. 3—6, S und 10), in unsere Erörterung einzubeziehen. 
Um diese eine ausgeprägtere Struktur aufweisenden Achsenzylinder 
unter den alten Voraussetzungen zu deuten, wäre es natürlich 
notwendig, sowohl die Zerstörung der vorhandenen, typisch neuro- 
fibrillären Struktur als das primäre, wie auch die Umwandlung 
in den atypischen Bau als sekundäre Erscheinung dem Verständnis 
zu erschliessen. Hinsichtlich der Osmiumsäure könnte man viel- 
leicht versucht sein, die zwei verschiedenen Akte der Auflösung 
und der Neuentstehung auf die zwei Hauptabschnitte der Fixierung 
zu verteilen. indem man der ÖOsmiumsäure die destruierende 
und verflüssigende Wirkung zuschriebe, die spätere Entmischung 
der so gebildeten homogenen kolloidalen Masse, d.h. die Neu- 
bildung von Strukturen in den Alkohol verlegte. Doch ist damit, 
dass man in Rücksicht auf die sehr niedrigen Temperaturen der 
Osmiumsäure das Fixationsvermögen absprechen wollte, die bereits 
oben berührte Schwierigkeit nicht beseitigt, die aktive Vernichtung 
der bestehenden Struktur, die Verflüssigung der organisierten Ge- 
bilde unter den gleichen Aussenbedingungen plausibel zu machen. 
Die künstliche Konstruktion stürzt vollends in sich zusammen, so- 
bald man sich vergegenwärtigt, dass nicht minder in denjenigen Präpa- 
raten, die einzig und allein der Alkoholwirkung ausgesetzt wurden, 
bei welchen also von einer vorherigen Auflösung der ursprünglich 
vorhandenen Neurofibrillen gar nicht die Rede sein kann, fibrilläre 
Strukturen in ähnlich atypischer Form (Fig. 1) zu beobachten sind. 


166 Leopold Auerbach: 


Aus alledem ergibt sich die unabweisbare Notwendigkeit, 
eine Deutung der überraschenden Tatsachen auf gänzlich neuer 
Basis aufzubauen, nämlich die ursprüngliche Existenz histologisch 
differenzierter Gebilde vollständig zu leugnen und dem Achsen- 
zylinder ein mehr oder minder homogenes Plasma zuzuerkennen, 
dessen kolloidale Entmischung unter bestimmten äusseren Be- 
dingungen zu recht regelmässigen Pseudostrukturen (typischen 
und atypischen Fibrillenbildern) führt. Eine solche Behauptung, 
die freilich dem Dogma von dem auch für die Wirbeltierreihe 
gültigen neurofibrillären Aufbau des Nervensystems ein Ende 
bereitete, widerspricht, soweit meine Überlegungen reichen, in 
keinem Punkte irgendwelchen bekannten Tatsachen. Ein Analogie- 
schluss daraus, dass gute Gründe für das Vorhandensein von 
Neurofibrillen bei Wirbellosen in das Feld zu führen sind, wäre 
gänzlich verfehlt, um so mehr, als jene vielleicht auch prinzipiell 
als ganz abweichend zu beurteilende, besonderen Verhältnissen 
und Zwecken angepasste Stützapparate anzusprechen sind (Gold- 
schmidt). 

Ein gewichtigerer Einwand könnte etwa darin gefunden 
werden, dass Nemiloff mittels vitaler Methylenblaufärbung an 
Hirnnerven von Fischen (Lota fluviatilis) eine neurofibrilläre 
Struktur zur Darstellung brachte, wenn nicht die Abbildungen 
des Forschers die an und für sich schon bedingte Beweiskraft 
seiner Beobachtungen noch weiter erschütterten. Denn es ist 
nicht zu verkennen, dass auf Fig. 28 sowie 29 der Achsenzylinder 
kaum ein Drittel des Kalibers der gesamten Faser einnimmt, so 
dass man hierbei an eine postmortale Schwellung der Myelinhülle 
denken und diese Bilder nicht auf die lebensfrische, ungeschädigte 
Faser beziehen wird. Aus der Literatur zitiere ich die Messungen 
von Hans Schultze, der an isolierten Achsenzylindern 
des Trigeminus sowie aus Spinalwurzeln von Gadus morrhua 
Breitendurchmesser bis zu 0,012 mm und sogar 0,024 mm (!)') 
bestimmte, während die höchste Breite der (Gresamtfaser von ihm 
zu 0,027 mm und 0,03 mm angegeben wird. Bezüglich der Fig. 29 
ist ausserdem eine Schrumpfung des Achsenzylinders aus der tief 


!) 0,006 mm ist nach dem ganzen Zusammenhang offenbar nur als ein 
Grenzfall nach unten zu verstehen und nicht auf die breiteren Fasern zu 
beziehen. 


Beziehungen zwischen dem Strukturbilde des Achsenzylinders. 167 


gesättigten Färbung der perifibrillären Substanz zu entnehmen. 
Man wird demnach nicht berechtigt sein, sich auf Nemiloff zu 
berufen, und meines Wissens ist es sonst niemanden geglückt, 
durch Methylenblau einen neurofibrillären Bau am lebensfrischen 
Objekte aufzudecken. 

In meinen eigenen, sehr zahlreichen Versuchen von vitaler 
Methylenblaufärbung am Froschischiadieus folgte auf die erste 
Phase einer mässig intensiven, leicht metachromatischen diffusen 
Tinktion die Abscheidung feinster Körnchen, welche sich all- 
mählich zu vergrössern pflegten, worauf der Farbstoff schliesslich 
in Gestalt massiger, annähernd ovaler Klümpchen nach aussen 
in die sogenannte (Grerinnselscheide befördert zu werden schien. 
Versuche mit Neutralrot, das überhaupt bloss supravital färben 
soll, habe ich in beschränkterem Maße angestellt, und es gelang 
mir bis jetzt nicht, damit eine hinreichend scharfe und genügend 
gesättigte Färbung zu erzielen, weil sich die gedachten Körnchen 
hier noch schneller abschieden, um sich bald darauf in ähnlicher 
Weise zusammen zu ballen. Macdonald, der mit dem gleichen 
Farbstoff arbeitete und anscheinend bessere Resultate erhielt, hat 
ebenfalls niemals eine neurofibrilläre Struktur zu Gesicht bekommen 
und hält die letztere aus diesem Grunde auch nicht für präformiert. 
Es spricht also kein einziges positives Faktum für die Möglichkeit 
einer Vitalfärbung von Achsenzylinderfibrillen, und ich kann für meine 
Zwecke die allgemeine Streitfrage hinsichtlich der prinzipiellen 
Bedeutunge der Vitalfärbungen, zu welcher bekanntlich in letzter 
Zeit Rost und Schulemann wertvolle Beiträge lieferten, ganz 
auf sich beruhen lassen. Was unser eigenes Objekt anbelangt, 
so vergeht jedenfalls bei mittlerer Aussentemperatur eine recht 
geraume Zeit, bis das Methylenblau in den Nerven eindringt; 
unterdessen verraten wohl stets einzelne benachbarte Fasern in 
den veränderten Konturen ihrer Markscheiden den Beginn einer 
Schädigung, und zugleich mit der diffusen Färbung oder sehr 
bald danach hebt sich in der Regel auch der betreffende Achsen- 
zylinder von seiner Markscheide ab und verliert sein normales 
Kaliber. 

Die Angaben aus der älteren Literatur, wonach Neurofibrillen 
an lebensfrischen Nerven ohne alle weitere Vorbehandlung gesehen 
wurden, wird man mit Fug und Recht anzweifeln, nachdem der- 
artiges ausgezeichneten neueren Forschern (Held, Nageotte) 


168 Leopold Auerbach: 


nicht glückte.!) Dass die Bemühungen, noch innerhalb des lebenden 
Organismus eine Achsenzylinderstruktur wahrzunehmen, erst recht 
fehlschlagen, das wird durch die Misserfolge von Held, der die 
Schwänze von Froschlarven, Triton, Pelobates und Salamandra 
zum Untersuchungsobjekte wählte, deutlich bewiesen. 

Wenn man sich diesen negativen Resultaten gegenüber zu- 
künftig noch auf die seit Max Schultze in das Feld geführten 
Befunde am lebensfrischen N. olfactorius berufen wollte, so genügt 
der Hinweis darauf, dass in Wahrheit die scheinbaren Fibrillen 
des fraglichen Nerven bloss ebenso vielen, in gemeinschaftlicher 
Scheide liegenden Nervenfasern entsprechen (Tuckett). Nach 
Tuckett lässt sich auch an den Remakschen Fasern keine 
fibrilläre Struktur zur Anschauung bringen. 

Schliesslich möchte ich mit ein paar Worten auf die von mir 
seinerzeit beschriebenen ultramikroskopischen Bilder eingehen, aus 
denen ich selbst anfänglich auf eine bestimmte lineare Anordnung 
elementarer Strukturteile innerhalb des Achsenzylinders schliessen 
zu dürfen glaubte. Ich habe meine damaligen Versuche jüngst 
nochmals aufgenommen, um den Gründen für den auffälligen 
Widerspruch zwischen meinen positiven Ergebnissen und den ver- 
geblichen Bestrebungen Höbers nachzuspüren. Dabei überzeugte 
ich mich zunächst neuerdings von der Richtigkeit meiner Be- 
obachtungen und stellte wiederum fest, dass nicht irgendwelche 
accidentellen Umstände die Beugeerscheinungen im Inneren der 
Fasern verursachen. 

(rerade bei den von mir im Anschluss an Gaidukow ge- 
wählten ultramikroskopischen Einrichtungen (Dunkelfeldbeleuchtung 
durch Abblendung im Objektiv mit Wechselkondensor nach Sieden- 
topf) treten die von mir seinerzeit geschilderten Strukturen un- 
gemein scharf hervor, während auch ich bei Anwendung der von 
Höber bevorzugten Dunkelfeldbeleuchtung mit Paraboloidkondensor 
keine hinreichend ausgiebige Belichtung zu erreichen imstande 
war. Eine wesentliche Bedingung für das Gelingen bildet neben 
a 2) Übrigens verdient es volle Beachtung, dass unter den früheren 
Autoren ein Beobachter vom Range Waldeyers, trotz aller Mühe und im 
Gegensatz zu seinen Feststellungen bei Wirbellosen, bei Vertebraten keine 
Parallelfaserung im Achsenzylinder nachzuweisen imstande war und daher 
den Achsenzylinder der gewöhnlichen cerebrospinalen Fasern als ein homo- 


genes Gebilde ansah, das mit den bis dahin zu Gebote stehenden Hilfsmitteln 
keine feineren Strukturverhältnisse erkennen liess. 


Beziehungen zwischen dem Strukturbilde des Achsenzylinders. 169 


der Benutzung einer äusserst intensiven Lichtquelle das peinlich 
korrekte Festhalten an der Zeissschen Apparatur. Schaltet man 
z. B. eine Sammellinse ein, so misslingt der Versuch, d.h. es 
leuchtet alsdann der Achsenzylinder in einem ziemlich matten 
Schimmer, ohne dass sich Einzelheiten als Beugescheibehen oder 
Liniensysteme darin abheben. Leider bringen nur gerade bei 
dem gedachten Verfahren die Vorzüge einer weitgehenden Sicht- 
barmachung allerkleinster Teilchen den Nachteil mit sich, dass 
man wirklich vor lauter Bäumen den Wald nicht sieht, indem eben 
die in das ungemessene gesteigerte Diffraktion die Deutung der 
Erscheinungen unendlich erschwert. 

Der Achsenzylinder wird von einem leuchtenden Band um- 
grenzt, das man wohl mit Recht auf die Markscheide beziehen 
wird. Dieser helle Streifen geht nach aussen über in zahlreiche 
Reihen lichter Linien, die ihrerseits des öfteren wiederum von 
Systemen reihenweise angeordneter kürzerer Striche umsäumt 
werden. Da nun auch nach innen die Hülle meist von ähnlichen 
zusammenhängenden Linien umgrenzt wird, kann ich nach meinen 
letzten Beobachtungen, wobei ich gerade diesen Punkt sorgfältig 
zu prüfen suchte, mich des Verdachtes nicht ganz erwehren, ob 
nicht am Ende doch jene Strukturen, welche ich bisher auf den 
Achsenzylinder bezog, gleichfalls durch Beugung an den ausserhalb 
desselben gelegenen Gebilden vorgetäuscht werden. Wenn man 
sich über dieses Bedenken hinwegsetzt, wird man trotzdem aus 
dem ultramikroskopischen Bilde nicht die reale Existenz von 
kontinuierlichen Neurofibrillen entnehmen, vielmehr bloss das 
Vorhandensein kleinster Partikelchen, die zumeist in der Längs- 
richtung reihenweise angeordnet sind und auch häufig zu kleinen 
Strichen oder selbst etwas längeren, mit leichten Anschwellungen 
versehenen Linien zusammenfliessen. Einheitliche, aus gleich- 
mässig dichter Substanz bestehende Primitivfibrillen werden nirgends 
gefunden, wogegen allerdings die Längslagerung allerfeinster 
Strukturteilchen beim Absterben die Bildung paralleler, fädiger 
Gerinnsel zu begünstigen vermöchte. 

Dass es der letzteren Bedingung für die Einleitung einer 
fibrillären Koagulation nicht bedarf, lehren die Experimente 
Hardys, auf dessen sehr lesenswerte, die prinzipiellen Fragen 
der Beurteilung histologischer Strukturen kritisch würdigende 
Arbeit ich am Schlusse dieser Erörterungen ausdrücklich verweisen 


170 Leopold Auerbach: 


will. Was gerade die Entstehung der fibrillären Strukturen an- 
belangt, so zeigt der genannte Autor im Einklang mit Bütschli, 
wie sich fädige Gebilde bei der Entmischung kolloidaler Substanzen 
dann bilden, wenn ein Zug nach irgend einer Richtung auf die 
koagulierende Masse ausgeübt wird. Es gelingt dies leicht an 
gespannten Häutchen von Eieralbumin oder an Seifenlamellen 
oder besonders schön, wenn man eine kleine (Quantität eines 

Sols entlang einer geneigten Fläche mit der Spitze einer Nadel 

oder eines Glasstäbchens nach abwärts zieht und ohne Verzug zur 

Fixation schreitet. 

Nach alledem kann behauptet werden: 

I. dass die Gerinnung eines ursprünglich homogenen Plasmas 
nach den für die Entmischung kolloidaler Lösungen gültigen 
Gesetzen unter bestimmten Verhältnissen eine fädige Struktur 
zu erzeugen vermag, 

II. dass das Vorkommen präformierter Primitivfibrillen im Achsen- 
zylinder des markhaltigen Nerven der Wirbeltiere durch 
keine einzige bisherige Beobachtung erwiesen ist, 

Ill. dass die Abhängigkeit des Strukturbildes von den physi- 
kalischen Bedingungen der Fixation mit der Präexistenz dieser 
Kupffer-Betheschen Neurofibrillen nicht zu vereinigen ist. 


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Beziehungen zwischen dem Strukturbilde des Achsenzylinders. 175 


Erklärung der Abbildungen auf Tafel XI. 


Sämtliche Abbildungen sind nach Präparaten vom Ischiadicus des Frosches 
gezeichnet. Fig. 1—8: Seibert, Apochromat 2 mm homog. Immersion, 
Compens.-Ocular 8. Fig. 9 u. 10: Leitz, Apochromat 2 mm homog. Imm., 


Fig. 


Fig. 


Fig. 


Compens.-Ocular 12. 


1 und 2. Fixation in 96proz. Alkohol, der mit Kohlensäureschnee auf 
— 60 bis — 70°C gekühlt worden. Primäre Nervenfärbung durch 
Toluidinblau nach Bethe. 

3, 4 5, und 6. Fixation durch Osmiumsäuredampf, der mit Kohlensäure- 
schnee gekühlt worden. Reduktion durch Natriumbisulfit und direkte 
Toluidinfärbung bei + 50 bis 60°C nach Bethe. 

“ und 8. Fixation des vorher gefrorenen Nerven in 0,25proz. Osmium- 
säurelösung von 0° Reduktion durch Natriumbisulfit und direkte 
Toluidinblaufärbung bei + 50 bis 60°C nach Bethe. 

9 und 10. Fixation des Nerven in 0,25 proz. Osmiumsäurelösung von 
—-1 bis 2° C, direkt nach der Herausnahme ohne vorhergehendes 
Getrieren. Reduktion in Natriumbisulfit und indirekte Toluidinblau- 
färbung nach Bethe. 


Archiv f. mikr. Anat. Bd. 81. Abt. I. 12 


174 


Genese, entwicklungsgeschichtliche und terato- 
logische Bedeutung des Ligamentum rotundum 
uteri und des Gubernaculum Hunteri. 


Von 
Prof. Dr. Fritz Kermauner, Wien. 

Das runde Mutterband und sein Gegenstück beim Manne, 
das Gubernaculum Hunteri, hat in der operativen Praxis viel mehr 
Bedeutung erlangt als in der Entwicklungsgeschichte, obwohl es 
auch hier, namentlich in Verbindung mit dem Processus vaginalis 
peritonei, schon lange die Aufmerksamkeit auf sich gelenkt hat. 

Die heute geltende Anschauung über seine Entstehung führt 
auf Klaatsch u.a. zurück und wurde in neuerer Zeit besonders 
von OÖ. Frankl wiederholt vertreten. In Kürze stellt sie sich 
folgendermassen dar. 

Ursprünglich reicht der Wolffsche Körper bis an das 
kaudale Körperende. Frankl hat bei einem 12,5 mm langen 
Embryo einen derartigen Befund erhoben. Sehr bald kommt es 
nun zur Reduktion des W olffschen Körpers, sowohl vom kranialen 
als vom kaudalen Ende; es bildet sich kranial das Zwerchfell- 
ligament, kaudal das Inguinalligament der Urniere, welch letzteres 
zunächst mit dem Wolffschen Gang in Verbindung tritt und 
beim Weibe durch diesen sekundär schliesslich inden Müllerschen 
Gang, den Uterus, übergeht. 

Demgegenüber hat Felix eine ganz neue Ansicht geäussert. 
Er nimmt auf Grund des Querschnittsbildes eines 22,5 mm langen 
Fetus an, dass das runde Mutterband, bezw. das Inguinalligament 
der Urniere als knopfförmige Wucherung auf der Uro-Genitalfalte 
entsteht, als eine wirkliche Wucherung, welche sehr bald die 
laterale Bauchwand erreicht und dort mit einer Leiste verschmilzt 
(Crista inguinalis), die ebenfalls anscheinend selbständig entstanden 
ist. — Als Beleg führt Felix, wie gesagt, nur das Querschnitts- 
bild dieses einen Fetus an. Er exemplifiziert zwar auf einen 
13 mm langen; allein bei diesem Bild (Fig. 552, 1. c.) kann ich 
nur ein bereits fertiges Ligament, keine getrennten knopfförmigen 
Wucherungen finden. Ich glaube daher auch für das spätere 
Stadium nur Vortäuschung von getrennten Wucherungen durch 


Das Ligamentum rotundum uteri und das Gubernaculum Hunteri. 175 


die Schnittriehtung annehmen zu müssen. und kann mich mit der 
Darstellung von Felix nicht befreunden. 

Allein auch die Auffassung von Klaatsch-Frankl hat 
meines Erachtens manche schwache Seite. 

Vor allem will es mir nicht einleuchten, dass bei der 
supponierten Reduktion der Urniere die Falten immer so typisch 
an derselben Stelle auftreten, dass das Ligament einen so ausser- 
ordentlich konstanten Verlauf hat. Wenn es nur eine mehr oder 
weniger dem Zufall überlassene Faltenbildung ist, so müssten 
doch Abweichungen zu konstatieren sein. In unserer ganzen 
Missbildungsliteratur sind jedoch besondere Variationen nicht zu 
finden. Wir kennen wohl geringe Abweichungen in der Art der 
Insertion des Ligamentum rotundum am Uterus. kennen beträcht- 
liche Veränderungen seiner Länge und Dicke; aber der Verlauf 
ist mit einer merkwürdigen Konsequenz festgehalten, und im 
präinguinalen Abschnitt gibt es wohl verschieden starke Ausbildung, 
aber keine prinzipiellen Konstruktionsfehler. 

Ausserdem fehlt mir bei dieser Erklärung ein wichtiges 
Moment. 

Wenn wir Faltenbildung annehmen, so kann diese sich 
nur auf das Peritoneum und die innersten Teile des retro- 
peritonealen Gewebes erstrecken. Der ganze gefaltete Abschnitt 
müsste durch die nach vorne wachsende Muskulatur von der 
Haut abgehoben und intraabdominal verlagert werden; oder es 
muss irgend ein Moment hinzukommen, welches diese doch nur 
passiv entstandenen Falten an die Haut fixiert und so die Ent- 
stehung des Leistenkanals erklärt. Ein derartiges Moment ist 
jedoch bisher noch nicht gesucht worden. Ich kann mir auch 
keines denken. 

Ich glaube, wir müssen für einen so konstanten Befund 
eine andere Erklärung suchen, die uns zugleich die Konstanz 
der Erscheinung plausibel macht. 

Gegen die Theorie der Faltenbildung infolge von Reduktion 
der Urniere habe ich noch einen weiteren Einwand zu erheben. 

Frankls Fall, welcher das Herabreichen der Urniere bis 
an die vordere Bauchwand beweisen soll, ist gerade in den in 
Betracht kommenden untersten Abschnitten nur sehr kurz 
beschrieben. Eine Modellrekonstruktion wird nicht erwähnt. Er 


scheint dem von Felix (Fig. 552) abgebildeten Fetus sehr 
12* 


176 Fritz Kermauner: 


ähnlich zu sein. Auch hier reicht die Urniere sehr weit herunter, 
besitzt jedoch ein ganz deutliches Ligament. 

Felix, der über die Entwicklung der Urniere ein sehr 
reiches Detailmaterial bringt, erwähnt von einer kaudalen Reduktion 
der Urniere in so früher Zeit nichts; ebensowenig Broman 
und Bonnet. Der kaudale Poi der Urniere bleibt immer in 
der Höhe des 2. Lumbalsegmentes liegen, reicht später sogar 
eher noch etwas tiefer herab. 

Eine frühzeitige Reduktion der Urniere existiert also nicht. 

Damit muss wohl auch die Theorie, der Faltenbildung auf- 
gegeben werden. 

Nun muss ich noch hinzufügen, dass mir ausserdem der 
schon in sehr frühen Perioden ganz auffallende Mesenchymreichtum 
der Plica inguinalis in dieser Hinsicht recht bedenklich erscheint. 
Wir kennen doch noch andere peritoneale Falten; allein keine 
ist so mesenchymreich. Sieht man sich ein Ligamentum rotundum 
vom Ende des 2. Embryonalmonats an, so ist man überrascht, 
eine ganz mächtige Gewebslage zu finden, welche der Dicke des 
ganzen (Genitalstranges an Mächtigkeit nicht viel nachsteht, 
beim männlichen Geschlecht genau so wie beim weiblichen. Was 
soll die Ursache dieser enormen Mesenchymwucherung in einer 
ganz zufällig entstandenen Peritonealfalte sein ? 

Ich meine, alles dies muss uns darauf führen, eine andere 
Quelle für das Inguinalligament zu suchen. Und ich glaube, auf 
eine Quelle hinweisen zu können, welche zugleich auch die bisher 
noch ganz rätselhaften Relationen zwischen der Entwicklung des 
inneren und des äusseren Genitales unserem Verständnis etwas 
näher bringt. 


Die Urniere ist ein Teil des nephrogenen Gewebsstranges, 
der sich aus den Ursegmentstielen zusammensetzt; diese sind 
Abkömmlinge der Urwirbel. 

Sie ist aber nicht das ganze Produkt dieses nephrogenen 
(sewebsstranges. 

Im Maximum reicht sie vom 3. Zervikalsegment bis zum 
2.—3. Lumbalsegment. Hier, am 30. und 31. Körpersegment 
(3., 4., 5.? Lumbalsegment), entsteht in derselben Flucht des 
nephrogenen Stranges die Nachniere. 


Das Ligamentum rotundum uteri und das Gubernaculum Hunteri. 1 


Was aus den restlichen kaudalen Ursegmentstielen des 
5. Lumbal-, der fünf sakralen und der kokzygealen Segmente wird, 
das sagt uns bisher keine Entwicklungsgeschichte, obwohl z. B. 
der nephrogene Strang im Embryo Ingalls deutlich bis ans 
2. Sakralsegment herunterreicht. Es ist nicht wahrscheinlich, 
dass diese Urwirbel. wenn sie auch stark vernachlässigt sind, nicht 
ebenso ihre Ursegmentstiele, eine, freilich nur rudimentär bleibende. 
sagen wir zirrhotische Form, aber doch eben eine Fortsetzung des 
nephrogenen Stranges bilden. Und dieser kaudale Rest des 
nephrogenen Gewebsstranges wird meiner Ansicht 
nach zum Gubernaculum Hunteri und zum Liga- 
mentum rotundum. Irgend eine Differenzierung in ein be- 
stimmtes spezifisches Parenchyhm kommt gewöhnlich nicht 
mehr zustande, nur dichtes mesodermales (Gewebe findet sich in 
diesem Strang. 

Unter Umständen können ‚jedoch auch Kanälchen, selbst 
Glomerulusanlagen in diesem Gewebe vorkommen, welche dauernd 
persistieren, vielleicht sogar wuchern können. Es würden sich so 
die Adenomyome des Ligamentum rotundum deuten lassen, nicht 
als abnorme Versprengung, sondern als in loco entstanden, ihren 
eigentlichen Mutterboden beibehaltend, als eine Art Überproduktion. 
Bei ihrer ursprünglichen Nachbarschaft zur Nachniere darf es auch 
nicht wundern, wenn sie gelegentlich den Typus von Nachnieren- 
kanälchen deutlich wiedergeben (R. Meyer). 

Dass übrigens die primären Grenzen innerhalb des nephro- 
genen (rewebsstranges zwischen dem zu funktionierendem Nieren- 
parenchym, zur Urniere und zum Inguinalligament werdenden Teil 
nicht immer ganz streng eingehalten werden, dafür haben wir 
bei Missbildungen gelegentlich Anhaltspunkte. So fand Schwing 
bei einer Sirene in der Nähe der Keimdrüse ein abgesprengtes 
Nierenstück mit Ureter. Wiederholt sind Teilungen der Niere 
in mehrere gesonderte Abschnitte beschrieben worden. Auch auf 
die so mannigfach verschiedenen Fälle von doppeltem Ureter, 
wobei die kranial gelegene Niere häufig überhaupt kein richtig 
funktionierendes Nierenparenchym besitzt, sei hingewiesen. 


178 Fritz Kermauner: 


Man wird dieser Auffassung vielleicht entgegenhalten, dass 
der nephrogene Strang in der Nähe der Wirbelsäule gegen das 
Körperende hin gesucht werden müsste. Dieser Einwand ist jedoch 
gewiss nicht berechtigt. 

Der ganze nephrogene (sewebsstrang gibt seine Verbindung 
mit den Ursegmenten schon sehr früh auf. Anders wären auch 
die reichlichen Ortsverschiebungen innerhalb desselben, namentlich 
die Dislokation der Niere dorsalwärts und kranialwärts gar nicht 
verständlich. Ich glaube die Sache so deuten zu dürfen, dass in 
frühen Stadien, sagen wir, vor 7 mm Körperlänge, die Ver- 
bindung der Ursegmentstiele mit den Myotomen in der kaudalen 
Region vielleicht noch bestanden hatte, dass sie aber bald zu- 
srunde ging und der kaudale Abschnitt des nephrogenen Stranges 
nunmehr zum Wolffschen Gang, welcher bereits in die Kloake 
einmündet, nähere Beziehungen gesucht hat. Der Strang bleibt 
in seinem ganzen Verlauf in einer gewissen Verbindung mit ihm, 
nicht nur an der Kreuzungsstelle. Er erreicht die Membrana 
reuniens anterior, in welche die Myotome noch lange nicht ein- 
gewachsen sind, und — darin erweist sich eine gewisse Selb- 
ständigkeit seiner Funktion — verbindet sich mit ihr. 

Ich möchte diese Verbindung in eine sehr frühe Zeit ver- 
legen, jedenfalls bald nachdem der Wolffsche Gang die Kloake 
erreicht hat; wenn nicht schon früher. 

Alles andere ist sekundär. 

Der nephrogene Strang bleibt lateral. Der Wolffsche 
Gang, der unterwegs noch den Ureter abspaltet und lateral liegen 
lässt, hat seine Hauptfunktion, auf die ich an anderer Stelle noch 
eingehen will, in einem medial-kaudal gerichteten Wachstum. 


Die weiteren Veränderungen im kranialen Abschnitt dieses 
untersten Teiles des nephrogenen Stranges will ich nur kurz andeuten. 

Die Nachniere entwickelt sich dorsalwärts, sie tritt aus der 
Front des nephrogenen Stranges heraus und unterbricht seine 
Kontinuität. Dadurch gewinnt der kaudale Rest des Stranges 
Beziehungen zum Wolffschen Gang, dem einzigen Organ, das 
jetzt in der Nähe ist: das heisst, sein Mesenchym verschmilzt 
mit dem Mesenchym des Ganges, oder besser gesagt, die Ver- 
bindung tritt ganz passiv deutlicher hervor. Der Müllersche 


Das Ligamentum rotundum uteri und das Gubernaculum Hunteri. 17% 


Gang ist ja um diese Zeit noch gar nicht angelegt; es handelt 
sich um Embryonen von 5—7 mm Körperlänge. 

Es wird uns daraus verständlich, dass bei blossen Nieren- 
defekten und Fehlen des Müllerschen Ganges der einen Seite 
bei Vorhandensein der Keimdrüse das Ligamentum inguinale 
stets vorhanden ist. Das Verschwinden der Nachniere kann nur 
sekundär sein. 

Wenn Winkler bei einem „Pseudohermaphroditen“ mit Uterus 
bicornis angibt, dass rechts kein Ligamentum rotundum vorhanden 
war und die Tube mit blindem abdominalem Ende in der Nähe 
des Leistenringes dicht neben dem dort liegenden Hoden endete, 
so ist das ähnlich wie in den ganz analogen Fällen von Langer 
u. a. so aufzufassen, dass sich statt des Ligamentum rotundum 
ein Gubernaculum Hunteri ausgebildet hat, dass der Strang in der 
Hauptsache mit dem Wolffschen Gang in Verbindung geblieben 
ist und zu dem recht kümmerlichen Müllerschen Gang kaum 
Beziehungen gewonnen hat. Auch Siegenbeck findet nur eine 
Spur eines Ligamentum rotundum. Den angeblichen Defekt des 
Ligamentum rotundum, den einige Autoren (z.B. Rudolphi, 
1909) bei Uterus bicornis erwähnen, darf man wohl so verstehen, 
dass das Ligament zu kurz, der eine Semiuterus zu straff an 
den Leistenring herangezogen war, als dass es hätte isoliert 
werden können. 

Alle Fälle von Pseudothelie, in welchen der Hoden in den 
Leistenkanal tritt, haben ein Gubernaculum Hunteri und kein 
Ligamentum rotundum: oder die beiden scheinbar verschiedenen 
Gebilde sind so zu einem geworden, dass das Uterushorn dicht 
am Hoden sitzt (z. B. Pozzi). Als besonders deutliche Belege 
dafür möchte ich noch jene Fälle hervorheben, in welchen die 
eine Keimdrüse im Leistenkanal oder im Skrotum, die andere im 
Becken an Stelle des Ovarium gelegen war (Hengge, Schmorl 
u. a.). Hier ist immer nur auf jener Seite ein Ligamentum 
rotundum vorhanden, auf welcher die Keimdrüse nach Art des 
Ovariums sitzt, gleichgültig, ob der Uterus ein- oder zweihörnig 
oder einfach ist. 


Wenn wir eine primäre Verschmelzung des kaudalen Endes 
des nephrogenen Stranges mit der Membrana reuniens anterior 
annehmen (worauf ich noch zurückkomme), so erklärt sich die 


180 Fritz Kermauner: 


Entstehung des Leistenkanals von selbst. Die Ausläufer der 
Myotome umwachsen den ihnen im Wege stehenden Strang von 
allen Seiten; der Strang reserviert sich so den Kanal. Er zerfällt 
jetzt schematisch in einen intraperitonealen, intrakanalikulären 
und einen präinguinalen Abschnitt. Letzterer, das Ligamentum 
scroti, ist also nicht eine eigene, selbständige Bildung, kann auch 
tatsächlich in keiner Zeitperiode des fetalen Lebens gesondert für 
sich nachgewiesen werden. 

Der nephrogene Strang wird zuerst von der dorsalen Seite 
her vom Mesoderm umfasst; hier treten die Myotome zuerst 
an ihn heran. Daher die konstante dorsale Lage im Leisten- 
kanal. — Als ein Gewebe, dem eine gewisse aktive Selbständigkeit 
innewohnt, geht der Strang mit der Nachbarschaft Verbindungen 
ein: Verbindungen, die jedoch vielleicht zum Teil nur auf Ver- 
zögerungen im Wachstum zurückzuführen sind. 

Eine Folge solcher früher Verbindung mit dem Peritoneum ist 
der Processus vaginalis peritonej, das Diverticulum Nucki. Ich 
möchte es nicht als durch aktives Wachstum des Peritoneums 
entstanden auffassen, sondern als Stillstand, als Rückständigkeit. 
Dafür spricht, was z. B. schon Zuckerkandl und Strauss 
aufgefallen ist, dass bei Vorhandensein einer angeborenen Bruch- 
pforte beim weiblichen Geschlecht auch die Adnexe stets in Nähe 
dieser Bruchpforte liegen und sehr häufig verkümmert sind. — 
Die peritoneale Ausstülpung entsteht dadurch, dass ein mit dem 
Strang fester verbundener Teil hängen bleibt, obwohl die Bauch- 
decken immer dicker werden und das übrige Peritoneum ab- 
schieben. Mit der Zunahme der Bauchwanddicke wird dieses 
Divertikel immer tiefer. 

Wenn bei Adnexhernien des weiblichen Geschlechts ein 
Ligamentum rotundum vorhanden ist, so ist es stets sehr kurz 
(und dick), der Uterus dicht an den inneren Leistenring heran- 
gezogen. So erwähnt z. B. Fischer, dass die Torsionsstelle — 
es lag Stieldrehung der im Bruchsack befindlichen Adnexe vor — 
dicht am Uterus liege, das Ligamentum rotundum auffallend dick sei. 

Eine weitere Folge der Verbindung mit der Bauchwand- 
muskulatur ist wohl das Eindringen von quergestreifter Muskulatur 
in das Ligament, die bei 27 cm langen Embryonen nach O. Frankl 
bereits bis in den intraabdominalen Abschnitt des Bandes, bei 
Neugeborenen bis fast zum Uterus reicht. 


Das Ligamentum rotundum uteri und das Gubernaculum Hunteri. 181 


Ein weiteres Argument für die Auffassung, dass das Liga- 
mentum rotundum nicht eine einfache Falte, sondern der noch 
in gewissem Sinne differenzierungsfähige nephrogene Gewebsstrang 
selbst ist, sehe ich in den innigen Beziehungen einerseits zum 
Deszensus testiculorum und andererseits zur Ausbildung 
des äusseren Genitales. 

Bisher ist ja eine Korrelation zwischen der Entwicklung 
des inneren und des äusseren Genitales nur in dem Sinne denk- 
bar, dass gewisse allgemeine Wuchsstofte oder Wachstumstendenzen 
lokal in spezifischer Weise einwirken, Stoffe oder Tendenzen, die 
bis zu einem gewissen Grade von der Keimdrüse protektiv 
beeinflusst werden. 

Der folgende Erklärungsversuch soll nun nicht etwa einen 
durchaus eindeutigen Zusammenhang konstruieren: er will nur 
auf gewisse Wechselbeziehungen hinweisen, welche durch das 
Ligamentum inguinale vermittelt werden. 

Der Deszensus testiculi ist verbunden mit einer Reduktion 
des Grubernaculum Hunteri. Es ist ja schon oft ausgesprochen 
worden, dass das Band den Hoden herunterzieht; auch sein Name 
deutet darauf; und ebenso oft ist die Behauptung bestritten 
worden. Ich glaube doch, dass ein Körnchen Wahres daran ist. 

Mit der Reduktion des (ubernaculum ist stets verbunden 
eine sehr früh auffällige, nach meinen eigenen Beobachtungen 
Anfang des 3. Monats bereits ganz ausgesprochene Umwandlung 
des (sewebes in der Tiefe der Genitalwülste, die Vorbereitung 
für den Deszensus. 

Was finden wir anatomisch bei Erwachsenen? Beim Weibe 
im Labium einen wohl abgegrenzten Fettkörper, in welchen 
makroskopisch nachweisbar das Ligamentum rotundum übergeht, 
abgesehen davon, dass Fasern auch bis an die Basis des Phallus 
(Klitoris) selbst reichen. Und beim Manne direkten Übergang 
des Gubernaculum Hunteri in das mächtig aufgelockerte Gewebe 
des Skrotum. 

Ich entnehme daraus, dass sowohl der Fettkörper als das 
skrotale Bindegewebe direkt ein Produkt des nephrogenen Stranges 
ist; vielleicht steht. auch der Schwellkörper des Genitalhöckers 
irgend in direkter Beziehung zu dem Strang. 

Kräftige Ausbildung des kaudalen Endes des nephrogenen 
Stranges geht mit einer Verkürzung, einer Reduktion der übrigen 


182 Fritz Kermauner: 


Teile, infolge davon mit Deszensus der Keimdrüse einher; die 
beiden Vorgänge hängen so zusammen, dass man sie eigentlich 
nicht recht in ein genetisches, kausales Nacheinander auflösen 
kann. Gleichzeitig damit kräftige Ausbildung der übrigen Teile 
des äusseren Genitales, Verschmelzung der (renitalfalten und 
Genitalwülste, dadurch gewissermassen Behinderung in der Aus- 
breitung des Sinus urogenitalis, Vorschieben desselben in Röhren- 
form bis auf den Genitalhöcker; kurz: Ausbildung des männlichen 
Genitales. 

Es ist naheliegend, dabei zugleich auch schon an die Keim- 
drüse selbst zu denken, deren primäre Mesenchymwucherung mit 
diesen Prozessen in Zusammenhang stehen dürfte. An anderer 
Stelle habe ich es schon hervorgehoben, dass Überwiegen des 
Bindegewebes zur Zersprengung der Sexualzellen in Einzelelemente 
führt, während die Zellen sonst in längeren Verbänden bleiben bezw. 
in solche eintreten. Geringe Bindegewebswucherung: Hoden; dabei 
auch schwache Entwicklung des Ligamentum inguinale am kranialen, 
stärkere am kaudalen Ende; und umgekehrt beim Eierstock. 

Geringere Wucherung des kaudalen Endes des nephrogenen 
Stranges bedingt keine Verkürzung der übrigen Teile; der Strang 
bleibt lang, kann sogar durch Aufnahme von Gewebe aus der 
Nachbarschaft verstärkt werden. Dabei bleiben die Genitalwülste 
klein, der Genitalhöcker, dem noch dazu der zweite Wachstums- 
impuls von seiten des Sinus urogenitalis nur teilweise, in abge- 
schwächter Form zukommt, wird zur Klitoris. Eine Verschmelzung 
der beiden Seiten findet nicht statt, das Sinusepithel kann sich 
ausbreiten und bildet den Vorhof der Vulva. 

Vielleicht lässt sich sogar die Auffassung stützen, dass das 
ganze Mesenchym des Genitalstranges von der Stelle der Ver- 
bindung mit dem Inguinalligament kaudalwärts, also des Uterus 
einerseits, des im kaudalen Abschnitt eine dickere Wand auf- 
weisenden Vas deferens andererseits auf diese Weise vom nephro- 
genen Strang abstammt, und nur zum geringsten Teil von den 
Müllerschen und Wolffschen Gängen selbst. Es wäre das 
jedenfalls eine formal-genetische Deutung der Wandunterschiede 
zwischen Tube und Uterus, die sich z. B. mit den Angaben 
H. Bayers über die Uterusmuskulatur sehr gut deckt. 

Ja, man kann die Hypothese noch weiter ausspinnen. Der 
Übergang des Inguinalligaments der Urniere vom Wolffschen auf 


Das Ligamentum rotundum uteri und das Gubernaculum Hunteri. 153 


den Müllerschen Gang ist nur dann möglich, wenn das Ligament 
hier, in seinem kranialen Teil, eine bestimmte Proliferations- und 
Differenzierungsfähigkeit besitzt. Und mit dem Übergang ent- 
scheidet es sich, ob der Müllersche oder der Wolffsche Gang 
sich definitiv ausbildet, oder ob beide bestehen bleiben, eventuell 
beide rudimentär. 

Unter Umständen können nämlich am kranialen oder am 
kaudalen Ende des nephrogenen Stranges Störungen eintreten. 
Verlängerung des kranialen Teiles bei normaler Entwicklung 
des kaudalen: Kryptorchis. Keimdrüse selbst fast immer zurück- 
geblieben, ihr Bindegewebsanteil vermehrt. Reduktion des 
kranialen Teiles bei geringer Entwicklung des kaudalen, also all- 
gemeine Hemmung im nephrogenen Strang: Descensus der Eier- 
stöcke. Keimdrüse auch zurückgeblieben, fetales Ovarium, Eiballen- 
follikel, weil der Bindegewebsanteil zu gering ist. 

Stehenbleiben des kaudalen Endes auf halbem Wege bedingt 
alle verschiedenen Formen von Sexus anzeps (Kermauner) 
am äusseren Genitale, meist verbunden mit verschiedenen Störungen 
im Deszensus ete., meist auch in der Ausbildung der Keimdrüse 
selbst, der Müllerschen und der Wolffschen Gänge; letzteres 
ein Beweis, dass die Störung nicht auf das Inguinalligament be- 
schränkt ist, sondern die weitere Umgebung mit einbezieht. 


Ich habe damit durchaus nur formale Momente besprochen, 
und glaube für die formale Genese im Deszensus der Keimdrüse, 
in der Ausbildung des Genitales und in gewissen Missbildungen 
(Kryptorchis, Ovarialhernien, Sexus anzeps) wenigstens einen Weg 
der Erklärung gezeigt zu haben. 

Die kausale (Genese bleibt dabei vollständig unberührt. 

Allein auch die formale Genese ist wichtig genug. Sie zeigt 
uns ausser den besprochenen Störungen auch noch Verwandtschaft 
mit anderen Störungen im nephrogenen Gewebsstrang, in der 
Entwicklung der Niere, der Urniere, der mannigfachsten Art. 
Ich behalte mir vor, an anderer Stelle auf diese Beziehungen 
einzugehen. Auch die Genese des Uterus bicornis (Thiersch, 
v. Winckel, ©. Frankl) soll dort erörtert werden. 


1S4 Fritz Kermauner: Das Ligamentum rotundum uteri etc. 


Literaturverzeichnis. 

Bonnet: Lehrbuch der Entwicklungsgeschichte, 1907 (2. Aufl. 1912). 

Broman: Normale und pathologische Entwicklung des Menschen, 1911. 

Felix: Urogenitalapparat, inKeibel-Malls Handbuch der Entwicklungs- 
geschichte, 1911, Bd. 2. 

Fischer, ©.: Weibliche Adnexe als Inhalt von Inguinalhernien. Archiv 
f. klin. Chirurgie, 1910, Bd. 93, S. 385. 

Frankl, ©.: Das runde Mutterband. Denkschriften der Akademie der 
Wissenschaften in Wien, 1902, Bd. 74, math.-nat. Klasse. 

Frankl, O.: Über Missbildungen der Gebärmutter und Tumoren der Uterus- 
ligamente. Volkmanns Sammlung klin. Vorträge, 1903, Nr. 363. 
Hengge: Ein Beitrag zum Hermaphroditismus beim Menschen. Monats- 

schrift für Geb. u. Gyn., 1902, Bd. 15. 

Kermauner: Sexus anzeps oder Hermaphroditismus. Frankfurter Zeit- 
schrift für Pathologie, 1912, Bd. 11. 

Klaatsch, H.: Über den Descensus testiculorum. Morphologisches Jahr- 
buch, 1890, Bd. 16. 

Langer, C.: Uterus masculinus eines 63jährigen Mannes. Zeitschr. der 
Gesellsch. d. Ärzte, Wien 1855, XI. Jahrg., S. 422. 

Meyer, R.: Virchows Archiv, Bd. 204, und Zeitschr. f. Geb. u. Gyn., 
Bd. 71, S. 304. 

Pozzi: Sur un pseudo-hermaphrodite androgynoide. Annales des maladies 
des organs gen.-ur., 1897, Jan., No.1, p. 62. 

Schmorl: Ein Fall von Hermaphroditismus. Virchows Archiv, 1888, 
Bd. 113, S. 229. 

Schwing: Zentralblatt für Gyn., 1889, S. 484. 

Siegenbeek van Heukelom: Über den tubulären und glandulären 
Hermaphroditismus beim Menschen. Zieglers Beiträge zur patholog. 
Anatomie, 1895, Bd. 23, S. 144. 

Strauss: Archiv für klin. Chirurgie, 1887, Bd. 35. 

Winkler: Über einen Fall von Pseudohermaphroditismus masc. ext. Inaug.- 
Diss., Zürich 1893. 

Zuckerkandl: Archiv für klin. Chirurgie, 1877, Bd. 20. 


Aus dem Institut für vergleichende Anatomie der Kaiserl. Universität 
Jurjew, Dorpat. (Direktor Prof. Dr. W.Rubaschkin.) 


Die „basal gekörnten Zellen“ des Dünndarmepithels. 


Von 
Harry Kull, 


Hierzu Tafel XII und 1 Textfigur. 


Unter der Bezeichnung „basal gekörnte Zellen“ versteht 
man gegenwärtig besondere, von Nicolas, Kultschitzky, 
Möller und Schmidt beschriebene Epithelzellen der Darm- 
schleimhaut, die sich von den benachbarten Zellen durch die 
Anwesenheit feinster Körnchen in ihrem basalen Teile unter- 
scheiden. 

Da die Angaben der genannten Forscher durchaus nicht 
übereinstimmen, sei mir, bevor ich über die Resultate meiner 
eigenen Untersuchungen berichten werde, eine kurze Literatur- 
übersicht gestattet. 


Nicolas (4) fand im Darm der Eidechse flaschenförmige Zellen, 
welche bis zur Oberfläche der benachbarten Zylinderepithelzellen reichen und 
mit äusserst feinen safraninophilen Körnchen dicht gefüllt sind. Sie unter- 
scheiden sich deutlich von den Becherzellen und den Panethschen Zellen, 
können aber auch keine eingewanderten Leucocyten sein. 

Ähnliche Zellen beschreibt Kultschitzky (2) im Darm des Hundes. 
Hier liegen die Körnchen stets in der unteren Hälfte der Zelle, welche sich 
sonst nicht von den gewöhnlichen Zellen der Schleimhaut unterscheidet. Färbt 
man kurze Zeit (24 Stdn.) mit Ehrlich-Biondi, so tingieren sich die 
Körnchen gelb, während sie bei langer Einwirkung des Gemisches (einige 
Tage) eine rote Farbe annehmen. Diese Eigenschaft der Körnchen, saure 
Farben (Orange und Säurefuchsin) aufzunehmen, weist unzweifelhaft auf ihre 
acidophile Natur hin. 

Dieselben Zellen fand Möller (3) nicht nur bei dem Hunde, sondern 
auch bei der Katze, dem Rinde, dem Schaf und dem Schwein. 

Im allgemeinen bestätigt er die Angaben Kultschitzkys, findet 
aber, dass die Dauer der Färbung im Gemisch von Ehrlich-Biondi nicht 
immer die Farbe bestimme, welche ‘die Körnchen annehmen. Oft färbten 
sie sich schon nach 24 Stunden mit Säurefuchsin, gewöhnlich aber blieben 
sie in solchen Fällen gelb. Ausserdem können die Körnchen auch im oberen 
Teil der Zelle liegen, 

Archiv f. mikr. Anat. Bd. 81. Abt. I. 13 


156 Harry Ku: 


Die ‚gelben Zellen“, welche Schmidt (6) beschreibt, unterscheiden 
sich von den früher bekannten basal gekörnten Zellen hauptsächlich dadurch, 
dass ihre Körnchen beim Fixieren in Müller-Formol eine gelbe Farbe an- 
nehmen, welche auch in Präparaten, die mit Alaunkarmin oder Hämatoxylin 
gefärbt sind, sichtbar bleibt. Diese Zellen kommen beim Menschen und auch 
beim Hunde im ganzen Darmtractus mehr oder weniger häufig vor. 

Die Möglichkeit, dass die „gelben Zellen‘ Ähnliches darstellen könnten. 
wie die von den vorhin genannten Forschern beschriebenen Zellen, kann 
Schmidt nicht ausschliessen; der Abbildung nach seien sie aber doch recht 
verschieden. 

Die Schwierigkeit, sich aus diesen Angaben eine klare Vorstellung 
von den basal gekörnten Zellen zu bilden, erkennt man am besten im Referat 
A. Oppels (5), welcher sich dahin ausspricht, dass selbst Schmidt seine 
Zellen nicht mit den von Nicolas, Kultschitzky und Möller be- 
schriebenen sicher identifizieren konnte. 

Schliesslich erwähnt M. Kaufmann-Wolf (1) die basal gekörnten 
Zellen des Menschen in einer vor kurzem erschienenen Arbeit und meint, sie 
hätten bis jetzt nicht die gebührende Würdigung gefunden. 


Eigene Untersuchungen. 

Zum Fixieren der basal gekörnten Zellen eignet sich vorzüglich 
das von Kopsch angegebene Gemisch aus doppelchromsaurem 
Kalium und Formol. Beim Färben der dünnen Paraffinschnitte 
(2—5 u) gebrauchte ich ausser der Kontrollfärbung nach Ehrlich- 
Biondi hauptsächlich meine Färbung mit Hämatoxylin, Vietoriablau 
und Eosin, welche ich in Bd. 77 dieses Archivs schon beschrieben 
habe. Hier möchte ich noch eine kleine Verbesserung anführen, 
die der ganzen Methode eine wesentlich grössere Sicherheit gibt. 

Das Gelingen der Färbung hängt hauptsächlich vom Vietoria- 
blau ab; je besser dieses färbt, um so besser werden auch die 
Präparate; das Vietoriablau hängt aber seinerseits vom Jod ab. 
Wenn man nun mit Jod zu stark gebeizt hat oder auch das Jod 
ungenügend ausgewaschen ist, bildet das Vietoriablau Nieder- 
schläge, die sich in Alkohol nieht mehr lösen und dem Präparat 
ein scheckiges Aussehen geben. Beizt man aber zu schwach, so 
wird die ganze Färbung unbefriedigend. Meine Verbesserung 
besteht darin, dass ich die Schnitte mit Nelkenöl aufhelle, welches 
alles überflüssige Vietoriablau auflöst. Der Vorteil besteht also 
darin, dass man jetzt ruhig mit Jod beizen kann, ohne eine Über- 
färbung mit Vietoriablau fürchten zu müssen. Der Verlauf der 
Färbung ist folgender: zuerst werden die Kerne mit Alaun- 
hämatoxylin gefärbt und darauf wird der Schleim mit Delafield- 


Die „basal gekörnten Zellen“ des Dünndarmepithels. 157 
schem Hämatoxylin tingiert. Nun kommen die Schnitte in Jod- 
tinktur,: welche mit 50° Alkohol abgespült wird. Darauf wird 
erst mit Vietoriablau und dann mit Eosin gefärbt, mit Alkohol 
differenziert, in Nelkenöl aufgehellt, mit Xylol ausgewaschen und 
in Balsam eingeschlossen. 

Im Resultat erhält man eine tief himbeerrote Färbung der 
acidophilen Granulationen (Abb. 7 u. 15), während das Plasma 
blassrosa bleibt. Die Schmidtschen „gelben Zellen“, welche ich 


Fig. 1. (Erklärung S. 194.) 


bei Mensch, Katze, Igel und Fledermaus gesehen habe, bleiben 
ungefärbt, das heisst, sie behalten ihre gelbe Farbe, die sie bei 
der Fixierung mit doppelchromsaurem Kalium angenommen haben. 
Dass dieses wirklich der Fall ist, sieht man am besten in Präparaten, 
welche mit Formol fixiert waren. 

Es sind also Zellen mit „chromaffinen“ Granulationen, welche 
deshalb eben eine gewisse Ähnlichkeit mit den „chromaffinen“ 


Elementen der Paraganglien haben. 
13* 


158 Harry Kult: 


Da die Bezeichnung „chromaffin“ auf die chemische Be- 
schaffenheit hindeutet und nicht, wie es Schmidt anzunehmen 
scheint, unzertrennlich mit dem Begriff vom sympathischen Nerven- 
system verbunden ist, möchte ich die Schmidtschen „gelben 
Zellen“ lieber „chromaffine Zellen“ nennen. Es geschieht dieses 
hauptsächlich aus dem Grunde, weil in der Literatur schon acidophile 
Zellen beschrieben sind, welche sich nach Ehrlich-Biondi auch 
gelb färben können (Kultschitzky, Möller). Wie aber meine 
Untersuchungen zeigen werden, sind die Zellen Kultschitzkys 
von den chromaffinen Zellen ganz verschieden. 

Bezüglich der basal gekörnten chromaffınen Zellen im Darm- 
epithel des Menschen kann ich noch einige Angaben machen, 
welche die Untersuchungen Schmidts ergänzen. Schmidt 
kann nicht entscheiden, ob diese Zellen mit ihrem freien Ende 
das Darmlumen erreichen. 

In meinen Präparaten sieht man fast überall die Zellkonturen ; 
daher kann man auch feststellen, dass die chromaffınen Zellen 
ebenso die freie Oberfläche erreichen, wie das mit den 
gewöhnlichen Zellen der Fall ist (Abb. 1, 2, 3, S). Bisweilen färbt 
sich die obere Hälfte einer chromaffinen Zelle heller, und in solchen 
Fällen tritt die Grösse und die Form der Zelle besonders deutlich 
hervor, wie das auf der Mikrophotographie zu sehen ist. Auf 
derselben Abbildung sieht man auch deutlich den charakte- 
ristischen hellen und bläschenförmigen Kern einer 
solchen Zelle; ausserdem ist die ganze Zelle bedeutend breiter 
als die Nachbarzellen. Die letzte Eigenschaft ist aber nicht so 
beständig wie die ersten; vielmehr hängt die Breite der Zelle 
von der Zahl der chromaffinen Körnchen ab. Die Körnchen füllen 
in allen Fällen den ganzen Raum zwischen Zellbasis und Kern 
und umringen den letzteren halbmondförmig (Abb. 1, 2,8). In 
den meisten Fällen ist die Basis einer chromaffinen Zelle nicht 
viel breiter als die Basis der benachbarten Zellen; immer aber 
ist die Zelle selbst kegelförmig (Abb. 1 u. 8). In einigen Zellen 
sind die Körnchen aber zahlreicher und füllen die untere Hälfte 
der Zelle so vollkommen, dass ihre Seitenwände vorgewölbt werden 
(Abb. 2). Endlich findet man in ganz seltenen Fällen die Körnchen 
auch in der oberen Hälfte der Zelle, über dem Kern (Abb. 3). 

Die chromaffınen Zellen kommen beim Menschen recht 
spärlich vor, liegen aber nicht nur in den Lieberkühnschen 


Die „basal gekörnten Zellen“ des Dünndarmepithels. 189 


Drüsen, wie Schmidt angibt, sondern ebenso oft auch auf den 
Zotten. Über die durchsehnittliche Häufigkeit dieser Zellen lassen 
sich begreiflicherweise nur annähernde Angaben machen. Es 
scheint mir, dass ich mich nicht zu sehr täusche, wenn ich ihre 
Zahl auf 3—5 Zellen in einem Längsschnitt (5 «) einer Zotte angebe. 

Ausser den chromaffinen Zellen kommen im Dünndarmepithel 
des Menschen noch andere basal gekörnte Zellen vor, welche ich mit 
den von Kultschitzky und Möller beschriebenen acidophilen 
Zellen identifizieren kann. Der Unterschied zwischen beiden Zell- 
arten besteht hauptsächlich in der Färbbarkeit der Körnchen. 
Während die chromaffinen Zellen in meinen Präparaten gelb bleiben, 
nehmen die Granula der acidophilen Zellen eine tief himbeerrote 
Färbung an, welche mit der Farbe der benachbarten eosinophilen 
Leucoceyten vollkommen übereinstimmt (Abb. 7). Färbt man mit 
Ehrlich-Biondi, so bleiben die chromaffinen Zellen auch gelb, 
die acidophilen aber tingieren sich mit dem Säurefuchsin schmutzig 
rot. Der Beschreibung Kultschitzkys entspricht nicht nur die 
Farbreaktion der Körnchen, sondern auch ihre Lage zwischen der 
Basis der Zelle und ihrem Kern (Abb. 6, 7, S und 9). Selten wird 
die Zelle von den Körnchen so stark gefüllt, dass ihre Seiten- 
wände vorgewölbt werden (Abb. 5), und noch seltener liegen die 
Körnchen auch über dem Kern (Abb. 9). 

Nur darin kann ich die Angaben Kultschitzkys nicht 
bestätigen, dass manchmal in den Zellen sehr wenig Körnchen 
sein könnten. Nach meinen Beobachtungen ist der basale Teil der 
Zelle immer gefüllt. Vergleicht man jedoch sehr viele acidophile 
Zellen untereinander, so sieht man, dass die Granula durchaus 
nicht überall gleich deutlich ausgeprägt und gleich intensiv gefärbt 
sind (Abb. 4, 5, 6, 7, S und 9). Ja, man findet sogar Zellen, 
welche in ihrem basalen Teile eine anscheinend strukturlose, mehr 
oder weniger rot gefärbte Masse enthalten (Abb. 5). Einige Zellen 
sogar unterscheiden sich von den gewöhnlichen Zylinderzellen nur 
dadurch, dass ihr basaler Teil etwas dunkler gefärbt ist (Abb. 4). 
Man könnte beinahe annehmen, dass es hier Übergangsstadien 
zwischen Zylinderzellen und acidophil gekörnten Zellen gäbe. Dafür 
spricht der Umstand, dass die Färbbarkeit der Granula genau mit 
ihrer Deutlichkeit übereinstimmt, denn die hellsten Granula sind 
die undeutlichsten (Abb. 6), und die intensiv gefärbten sind am 
besten ausgeprägt (Abb. 7, 8, 9). Ausserdem füllen die helleren 


190 HH artyKull:t 


Granula die Zelle nie so stark, wie es bei den intensiv gefärbten 
oft vorkommt (Abb. 6, 7, 8, 9). Die grosse Seltenheit der aller- 
jüngsten Übergangsstadien (Abb. 4, 5) spricht aber gegen diese 
Annahme. 

Die basal gekörnten Zellen mit acidophilen Granulationen 
kommen auf den Zotten und auch in den Lieberkühnschen 
Drüsen vor. Häufiger findet man sie im Ileum, spärlicher 
im Jejunum, im Duodenum jedoch scheinen sie vollständig zu 
fehlen. Im grossen Ganzen sieht man sie ebenso oft wie die 
chromaffinen Zellen. 

Vergleicht man nun die acidophilen Zellen mit den chromaf- 
finen, so fällt sofort ihre sehr grosse Ähnlichkeit auf (Abb. 1 und 7, 
2 und 5, 3 und 9). Der wichtigste Unterschied ist ja die Färbbar- 
keit der Granula: ausserdem sind die Kerne der chromaffınen 
Zellen meistens kugelförmig (Abb. 1—3), während die acidophilen 
Zellen gewöhnliche Kerne haben (Abb. 7—9). Schliesslich kann 
man noch konstatieren, dass die acidophilen Granula ein wenig 
kleiner sind als die chromaffinen. Sonst sind alle übrigen Merk- 
male der Zellen, namentlich ihre Grösse und Form und auch die 
Anzahl und Lagerung der Körnchen, einander vollkommen identisch. 
Diese merkwürdige Ähnlichkeit will geradezu zur Annahme zwingen, 
dass die beiden Zellarten verwandt seien, und dass die eine Zell- 
art aus der anderen entstanden sein könnte. 

(Gegen diese Annahme spricht jedoch der Umstand, dass 
zwischen beiden Zellarten überhaupt keine Übergangsstadien vor- 
handen sind, denn überall unterscheiden sich die gelben chromaf- 
finen Körnchen scharf von den tief himbeerroten acidophilen. 
Ausserdem sah ich im Duodenum menschlicher Föten (7 und 
S Monate) reichliche chromaffine Zellen, die acidophilen Zellen 
dagegen fehlten hier ganz und traten erst im Jejunum auf. End- 
lich kann man bei beiden Zellarten jüngere und ältere Formen 
unterscheiden. Die jüngeren Stadien enthalten noch wenig Körnchen, 
so dass die Zelle nicht viel breiter als eine gewöhnliche Epithel- 
zelle ist; die älteren sind schon reichlicher gefüllt, werden daher 
auch bedeutend breiter und bisweilen enthalten sie so viel Körnchen, 
dass die letzteren sogar über dem Kern liegen können (Abb. 1, 2, 3, 
7, 8 und 9). Ja, bei den acidophilen Zellen scheinen Übergangs- 
stadien zwischen ihnen und den gewöhnlichen Zylinderepithelzellen 
vorzukommen. Gerade dieser Umstand, dass beide Zell- 


Die „‚basal gekörnten Zellen‘ des Dünndarmepithels. 191 


arten unabhängig voneinander junge undältere 
Formen bilden, spricht, meiner Meinung nach, am 
besten gegen ihre Verwandtschaft. Denn, wenn man 
annehmen sollte, dass die eine Zellart durch ihre allmähliche 
Umbildung die Zellen der anderen Art gäbe, könnte doch die 
erstere nicht auch so vollkommen entwickelte Formen bilden, wie 
es mit der letzteren der Fall ist. 

Auf Grund dieser Beobachtungen muss ich annehmen, dass 
die chromaffinen und die acidophilen Zellen zwei 
voneinander unabhängige Zellarten sind, welche 
nur eine gewisse äussere Ähnlichkeit haben. 

Ebenso liegen die Verhältnisse bei der Katze, bei der Fleder- 
maus und beim Igel. wo auch chromaffine und acidophile basal 
sekörnte Zellen vorkommen. Diese Zellen der genannten Tiere 
unterscheiden sich von den homologen Zellen des Menschen nur 
durch ihre äussere Gestalt, welche jedoch von der schmäleren und 
höheren Form der Dünndarmepithelzellen dieser Tiere abhängt. 
Aus demselben Grunde haben die chromaffinen Zellen auf den 
/otten keinen kugelförmigen Kern (Abb. 10), während solche 
Kerne in den Lieberkühnschen Drüsen gar nicht so selten 
sind (Abb. 11). 

(regen die Verwandtschaft der chromaffinen und acidophilen 
Zellen sprechen besonders auch die Befunde beim Meerschwein- 
chen. Hier gibt es überhaupt keine acidophilen Zellen, und 
dennoch sind hier sehr schöne chromaffıne Zellen vorhanden. Die 
chromaffinen Zellen des Meerschweinchens unter- 
scheiden sichaber so beträchtlich von den homologen 
Zellen des Menschen und der anderen genannten Tiere, 
dass ich ihnen meine besondere Aufmerksamkeit zuwenden muss. 
Ausserdem konnte ich in der Literatur überhaupt 
keine Angaben über diese Zellen finden. 

Von den chromaffinen Eigenschaften der Körnchen kann 
man sich leicht überzeugen, wenn man mit doppelchromsaurem 
Kalium fixierte Schnitte nur mit Alaunkarmin färbt (Abb. 12). 
In solchen Präparaten findet man die chromaffinen Zellen leicht 
und kann deutlich sehen, wie sich die gelbe Farbe der Körnchen 
von der grünlich-gelben Farbe der roten Blutkörperchen unter- 
scheidet. Beim Färben nach meiner Methode mit Hämatoxylin, 
Vietoriablau und Eosin bleiben die Körnchen auch gelb, werden 


192 Harry Kull: 


aber vom Eosin auch ein wenig tingiert, so dass sie eine leuchtendere 
und dunklere Farbe erhalten (Abb. 13). Dieselbe Erscheinung 
kommt auch bei den chromaffinen Zellen des Menschen beständig vor. 

Die eigentümliche Besonderheit der chromaffinen Zellen des 
Meerschweinchens besteht darin, dass die chromaffinen 
Körnchen immer fast die ganze Zelle ausfüllen und 
nie auf den Raum zwischen Zellbasis und Kern 
beschränkt sind, wie es beim Menschen der Fall ist. 
Aus diesem Grunde befindet sich die Hauptmasse der Körnchen 
im oberen Teil der Zelle, über dem Kern (Abb. 12, 13, 14), welcher 
gewöhnlich ganz an der Zellbasis liegt. Nur in seltenen Fällen, 
wo die Anzahl der Körnchen eine besonders grosse ist. drängen 
sie sich reichlich auch zwischen Kern und Zellbasis, so dass ersterer 
fast in der Mitte der Zelle liegt (Abb. 13, ce). 

Weiter besitzen alle chromaffinen Zellen des Meerschweinchens 
noch eine Besonderheit, welche ein wenig an die Verhältnisse 
beim Menschen erinnert. Es ist nämlich nie die ganze Zelle 
mit den Körnchen gefüllt, sondern immer ist ihre äusserste Spitze 
leer (Abb. 13, 14). Dieser leere Raum ist gewöhnlich sehr klein 
und ragt keilfürmig in die Zelle hinein. Seine Grenzen sind 
nicht immer scharf, da die Körnchen an seinen Rändern nicht 
so dicht liegen, wie in der übrigen Zelle. 

Die Beständigkeit dieser Erscheinung weist unzweifelhaft 
darauf hin, dass sie eng mit der physiologischen Funktion der 
Zelle verbunden ist. Demnach kann man die chromaffinen Zellen 
des Meerschweinchens auch als basal gekörnte bezeichnen, da auch 
bei ihnen der basale Raum mit Körnchen gefüllt ist, die Spitze 
aber leer bleibt (Abb. 14). 

Dieses trifft aber nur bei den Exemplaren zu, welche in den 
Lieberkühnschen Drüsen liegen, denn es ist eine weitere 
Besonderheit der chromaffınen Zellen des Meerschweinchens, dass 
ihre charakteristischen Eigenschaften davon abhängig sind, an 
welcher Stelle der Darmschleimhaut die betreffende Zelle liegt. 
Man kann sogar eine vollkommene Gesetzmässigkeit feststellen, 
welche sich darin äussert, dass die tief liegenden Zellen alle 
positiven Eigenschaften in bedeutend grösserem Maße besitzen 
als die höher liegenden. Deshalb lassen sich zwei Typen auf- 
stellen, welche durch Übergangsstadien verbunden werden. Der 
erste Typus liegt in den Lieberkühnschen Drüsen und zeichnet 


Die „‚basal gekörnten Zellen“ des Dünndarmepithels. 193 


sich aus durch die Grösse seiner Zellen, durch ihren Körner- 
reichtum und durch ihren grossen, kugelförmigen Kern. Sogar 
innerhalb dieses Typus lässt sich die genannte (resetzmässigkeit 
verfolgen (Abb. 13a, b, ec). 

Die Zellen des zweiten Typus befinden sich auf den Zotten. 
wo sie sich von den gewöhnlichen Epithelzellen fast nur durch 
die Körnehen unterscheiden (Abb. 15). Ihr Kern liegt annähernd 
in einer Höhe mit den benachbarten Kernen und unterscheidet 
sich kaum von ihnen. Die Breite der Zelle ist sehr gering und 
hängt gewiss von der kleinen Zahl der Körnchen ab. Dennoch 
sammelt sich auch in diesen Zellen die Hauptmasse der Körnchen 
über dem Kern, so dass der basale Teil nicht einmal ganz gefüllt 
wird (Abb. 15). Ebenso bleibt auch hier die Spitze der Zelle leer, 
so dass der keilförmige Raum besonders tief in die Zelle hineinragt. 

Diese Gesetzmässigkeit weist darauf hin, dass die physio- 
logische Tätigkeit der chromaffinen Zellen des Meerschweinchens 
hauptsächlich auf die Lieberkühnschen Drüsen beschränkt ist. 
Deshalb findet man sie hier auch viel häufiger als auf den Zotten. 

Beim Menschen und bei den anderen von mir untersuchten 
Tieren lässt sich überhaupt keine Abhängigkeit der Zellen von 
ihrer Lage nachweisen. Deshalb glaube ich annehmen zu können, 
dass die betreffenden Zellen des Meerschweinchens sich nicht nur 
äusserlich, sondern auch funktionell von den homologen Zellen des 
Menschen unterscheiden. 

Über die Funktion der basal gekörnten Zellen habe ich 
keine Aufschlüsse erhalten. Es lässt sich aber die Vermutung 
aussprechen, dass sie mit der Nahrungsaufnahme, wie es Kult- 
schitzky annimmt, in keinem innigen Verhältnis steht, da die 
Zahl solcher Zellen bei hungrigen und gefütterten Tieren ungefähr 
die gleiche ist. 

Mit den Panethschen Zellen haben die basal gekörnten 
keinen Zusammenhang, da sie auch bei der Katze vorkommen, 
welche ja keine ausgesprochenen Panethschen Zellen besitzt, 
andererseits aber bei der Maus vollkommen fehlen. 


Zusammenfassung. 
1. Im Dünndarmepithel des Menschen, der Katze, des Igels 
und der Fledermaus gibt es besondere Zellen, welche in ihrem 
basalen Ende sehr feine chromaffine Körnchen enthalten. 


194 GC Harry’ Kult 


2. Ausser den chromaffinen Zellen gibt es hier noch Zellen 
mit feinsten acidophilen Granulationen in ihrem basalen Ende. 

3. Die chromaffinen und acidophilen Zellen sind 
zwei verschiedene, von einander unabhängige Zell- 
arten. 

4. Im Dünndarmepithel des Meerschweinchens 
gibt es besondere, in der Literatur bisher noch 
nicht beschriebene, chromaffine Zellen, welche sich 
von den homologen Zellen des Menschen bedeutend 
unterscheiden; acidophile Zellen fehlen beim Meerschweinchen. 


Literaturverzeichnis. 


1. Kaufmann-Wolf, M.: Kurze Notiz über Belegzellen, Panethsche 
Zellen und basal gekörnte Zellen im Darm des Menschen. Anat. Anz., 
Bd. 39, 1911. 

2. Kultschitzky, N.: Zur Frage über den Bau des Darmkanals. Archiv 

f. mikr. Anat., Bd. 49, 1897. 

Möller, W.: Anatomische Beiträge zur Frage von der Sekretion und 

Resorption in der Darmschleimhaut. Zeitschr. f. wiss. Zoologie, Bd. 66, 1899. 

4. Nicolas, A.: Recherches sur l’epithelium de l’intestin grele. Internat. 
Monatsschr. f. Anat. u. Physiologie, Bd. 8, 1891. 

5. Oppel, A.: Verdauungs-Apparat. Ergebnisse der Anatomie und Ent- 
wicklungsgeschichte, Bd. 14, 1904. 

6. Schmidt, J. E.: Beiträge zur normalen und pathologischen Histologie 
einiger Zellarten der Schleimhaut des menschlichen Darmkanals. Arch. 
f. mikr. Anat., Bd. 66, 1905. 


os 


Das Mikrophotogramm ist vom Verfasser aufgenommen worden und 
zeigt eine Lieberkühnsche Drüse eines 8 Monate alten menschlichen Fötus. 

Man sieht deutlich eine chromaffine Zelle, welche das Drüsenlumen 
erreicht. (Es scheint, dass die chromaffine Zelle sich plötzlich verjüngt und 
erst dann das Lumen erreicht. Dieses ist aber eine Täuschung, da die 
eigentliche Eintrittsstelle ein wenig tiefer liegt und das Objektiv auf ihren 
oberen Rand eingestellt ist.) 

Obj. Zeiss homog. Immers. 3 mm; Apert. 1,30, Projektions-Okular 4 
und Cameralänge 75 cm. Vergrösserung 1000 fach. 


Abb. 
Abb. 
Abb. 
Abb. 
Abb. 


Abb. 
Abb. 
Abb. 
Abb. 
Abb. 
Abb. 


Abb. 


Abb. 


Abb. 
Abb. 


Die „basal gekörnten Zellen‘ des Dünndarmepithels. 195 


Die Abbildungen 1—13 und 15 sind bei 1000facher Vergrösserung 
gezeichnet (Zeiss Apochromat 1,5 mm; Komp.-Okular 6). 

Die Abbildung 14 ist bei 2000 facher Vergrösserung gezeichnet (Apochr. 
1,5 mm, Komp.-Okular 12). 

Färbung der Präparate, nach welchen Abb. 1—11 und 13—15 hergestellt 
wurden, mit Hämatoxylin, Vietoriablau und Eosin. 

1-9. Zottenepithel eines 8 Monate alten menschlichen Fötus. 


12 


Gewöhnliche chromaffine Zelle. 
Körnchenreiche chromaffine Zelle. 
Seltene Form einer chromaffinen Zelle. 

und 5. Übergangsstädien von gewöhnlichen Zellen zu den acido- 
philen Zellen. 
Acidophile Zelle mit undeutlichen, schwach gefärbten Körnchen. 
Gewöhnliche acidophile Zelle; unten zwei eosinophile Leucocyten. 
Chromaffine und acidophile Zelle mit vielen Körnchen. 
Seltene Form einer acidophilen Zelle. 
Chromaffine und acidophile Zellen im Zottenepithel der Katze. 
Chromaffine und acidophile Zellen in einer Lieberkühnschen 
Drüse der Katze. 
Lieberkühnsche Drüse des Meerschweinchens mit chromaffinen 
Zellen. Alaunkarmin. 
Verschiedene chromaffine Zellen und Panethsche Zellen des Meer- 
schweinchens in einer Lieberkühnschen Drüse. 
Chromaffine Zelle des Meerschweinchens. 
Chromaffine Zellen im Zottenepithel des Meerschweinchens. Unten 
ein eosinophiler Leucocyt. 


196 


Aus dem pathologischen Institut der Universität Freiburg i. Br. 


Untersuchungen über die Histologie der 
Uterusschleimhaut. 
Von 
Dr. S.H. Geist, New York. 


Hierzu Tafel XIII (Fig. 1—6). 


Die verschiedenen Ansichten, die heutzutage über die normale 
Histologie der Uterusschleimhaut herrschen, haben Herrn Professor 
Schridde veranlasst, mich mit Untersuchungen auf diesem Ge- 
biete zu betrauen. Bevor ich auf meine eigenen Befunde eingehe, 
will ich in kurzen Strichen die einzelnen Anschauungen anderer 
Autoren über den Aufbau der Uterusschleimhaut hier anführen. 

Seit dem Erscheinen der Arbeit von Hitschmann und 
Adler beschäftigten sich eine Anzahl Autoren mit der Frage der 
zyklischen Umwandlungen der Uterusschleimhaut der geschlechts- 
reifen Frau, sowohl unter normalen wie pathologischen Verhält- 
nissen, um eine bestimmte Norm feststellen zu können. 

Hitschmann und Adler untersuchten ein grosses Material 
und kamen zu dem Schlusse, dass die Uterusschleimhaut bestimmten 
zyklischen Umwandlungen unterworfen sei, die normalerweise — 
abhängig vom Menstruationstypus — zeitlich schwanken, und zwar 
zwischen drei oder vier Wochen. Sie zerlegten diese Periode in 
vier scharf voneinander getrennte Phasen, das prämenstruelle, 
menstruelle, postmenstruelle und das Intervallstadium. Unter der 
prämenstruellen Phase verstehen sie die Zeit vom 6. bis 7. Tage 
vor und bis zum Tage des Menstruationseintrittes. 

In diesem Stadium beschreiben sie eine Scheidung der 
Schleimhaut in einen kompakten und einen spongiösen Teil. Die 
Drüsen sind vergrössert, erweitert, mit ausgedehnten Buchten 
versehen und mit Sekret gefüllt. Die Epithelzellen selbst sind 
vergrössert, blass, gequollen; die Kerne sind nur schlecht gefärbt, 
und der Zelleib zeigt granuliertes Aussehen. Diese Vorgänge 
halten sie für den Ausdruck sekretorischer Tätigkeit. 

Ihrer Angabe nach fanden sich keine ausgesprochenen 
Flimmerzellen, sondern nur gruppenweise angeordnete oder auch 


Untersuchungen über die Histologie der Uterusschleimhaut. 197 


vereinzelte Zellen mit ziemlich hohem Aufsatz, in denen sie zwar 
keine deutlichen Cilien unterscheiden konnten, diese Zellen aber 
dennoch als Flimmerzellen ansprachen. 

Auch in den übrigen Phasen vermissten Hitschmann und 
Adler die Flimmerzellen oder fanden sehr selten und spärlich 
cilientragende Zellen. 

Im Stroma beschreiben diese Untersucher eine decidua- 
ähnliche Reaktion, hauptsächlich im Obertlächenbindegewebe. 

Während der menstruellen Phase werden die Drüsen 
wieder kleiner, die Schlängelung viel geringer, das Lumen wird 
enger und das Epithel kleiner und niedriger. Hitschmann und 
Adler nehmen an, dass das Epithel teilweise — sowohl an der 
Oberfläche wie in den Drüsen — ausgestossen wird. Die Schleim- 
haut wird mit Blut überschwemmt, und in ihr treten zahlreiche 
Lymphocyten und Leukocyten auf. Die Flimmerzellen erwähnen 
sie in diesem Stadium überhaupt nicht. 

Postmenstruell nehmen die Drüsen wieder schmale und 
gerade Formen an. Das Epithel ist niedrig, die Kerne sind oval, 
verhältnismässig gross und gut gefärbt. Im Epithel fehlt jedes 
Zeichen der Sekretionstätigkeit, in den Drüsen dagegen findet 
man gelegentlich noch Reste von Schleim. Während des post- 
menstruellen Stadiums finden sich zahlreiche Kernteilungsfiguren 
im Epithel und Bindegewebe. Die Stromazellen sind lang und 
spindlig, besitzen ovalen, gutgefärbten Kern und sehr wenig Proto- 
plasma. Dies Stadium dehnen sie vom 1. bis 5. Tage nach der 
Menstruation aus. Auch hier sind die Flimmerzellen nicht be- 
sonders beschrieben. 

Sodann folgt das Intervallstadium, wo das Epithel 
wieder höher als postmenstruell ist, die Drüsen anfangs leicht, 
allmählich immer stärker geschlängelt sind, bis sie endlich wieder 
den prämenstruellen Typus erreicht haben. In der ersten Hälfte 
dieses Stadiums finden sich ebenfalls ziemlich reichlich Kern- 
teilungsfiguren. Flimmerzellenbefunde sind auch hier nicht hervor- 
gehoben. 

Die meisten Autoren stimmen in bezug auf die zyklischen 
Umwandlungen mit Hitschmann und Adler überein, nur über 
manche Zellarten gehen die Meinungen auseinander. Eine scharfe 
Unterscheidung von vier Phasen wurde von den Beobachtern ver- 
neint, welche die einzelnen Phasen weniger deutlich ausgesprochen 


198 S. H. Geist: 


fanden und Übergang der einen in die andere beschrieben. Am 
weitesten ging Büttner, der das sogenannte Intervall in noch 
zwei weitere Unterabteilungen zerlegt, das Frühintervall, wo viele 
Drüsen noch denen des postmenstruellen Stadiums gleichen, und 
das Spätintervall, wo eine Anzahl Drüsen vom Typus des prä- 
menstruellen zutage treten. 

In einer neuerdings erschienenen Arbeit von Keller und 
Schickele kommen die Autoren dazu, die zyklische Umwandlung 
der Drüsen, wie Hitschmann und Adler sie als typisch und 
normal annehmen, zu verneinen. Sie beschreiben den Befund der 
angeblich prämenstruellen Drüsen auch in den übrigen Stadien 
und das Fehlen dieser typischen Drüsen während der prämen- 
struellen Phase in vielen Fällen. Ihrer Annahme nach nehmen 
nicht alle Drüsen an dieser Umwandlung teil, und die daran be- 
teiligt sind, sind es doch nicht in gleichem Maß und in gleicher 
Weise. Sie beschreiben, ähnlich wie Hitschmann und Adler, 
eine Zelländerung dahin, dass prämenstruell das Epithel hohe, 
blasse Zellformen aufweist, die keulenförmige Vortreibungen nach 
dem Lumen und das Auftreten feiner Körnchen und Krümeln 
innerhalb des Protoplasmas erkennen lassen. 

Im Stroma erwähnen sie den Befund charakteristischer Ver- 
änderungen, die vom 9. Tage vor bis zum 4. Tage nach der 
Menstruation nachweisbar sind; es sind dies die Hyperämie, Gefäss- 
erweiterung, Quellung und deciduaähnliche Umwandlung der 
Stromazellen mit Austritt von Flüssigkeit. Sie halten diese Ver- 
änderungen wie auch diejenigen am Epithel für die charakte- 
ristischen, nicht aber die Drüsenveränderungen. 

In der Beschreibung von Hitschmann und Adler findet 
sich keine Unterscheidung der verschiedenen epithelialen Zelltypen, 
mit Ausnahme der erwähnten eigenartigen Zellen mit hohem Auf- 
satz, die sie für Flimmerzellen hielten. Lott erwähnt ebenfalls 
einen solchen Zelltyp und sprach sie ebenso als Wimperzellen an. 

Die Frage der Flimmerzellen wurde von vielen Autoren 
erörtert, aber alle scheinen mit Hitschmann und Adler darin 
übereinzustimmen, wenn sie sagen, dass in Fällen, wo Flimmer- 
zellen als regelmässiger Befund in fixierten Präparaten beschrieben 
sind, „die Wahrheit der Konvention zum Opfer gebracht wurde“. 

Mandl sagt: „dass das Epithel der Uterusschleimhaut nicht 
immer ein flimmerndes ist. Aber wenn es auch flimmernd vor- 


Untersuchungen über die Histologie der Uterusschleimhaut. 199 


gefunden wird, können sich doch streckenweise Partien finden, 
in denen die Zellen der Cilien entbehren. Das Flimmerepithel 
des Uterus zeigt zur Zeit, wo es nicht flimmernd ist, Bilder 
sekretorischer Tätigkeit.“ 

Ferner behauptet er, dass während der Menstruation und 
kurz nachher — oder mit anderen Worten: während des post- 
menstruellen und menstruellen Stadiums — die Flimmern ver- 
schwinden und im Intervall regenerieren. 


Hoehne hat die Flimmerzellen „diskontinuierlich, herd- 
förmig, insulärer Weise“ gefunden, und er nimmt an, dass diese 
insuläre Anordnung und der Cilienschwund durch einen Funktions- 
wechsel der Flimmerzellen erklärt werde. Er glaubt weiter, dass 
wenn Flimmerepithel während der Menstruationszeit gefunden 
werde, dies durch abnorme Erscheinungen erklärt werden müsse. 

Bayer beschreibt, dass bis wenige Tage vor der Menstruation 
regelmässig Flimmerepithel nachweisbar sei, postmenstruell jedoch 
fehle. Er schliesst daraus, dass während der Menstruation das 
Flimmerepithel geschwunden sein müsse. 


Henle erwähnt in seinem Handbuch der systematischen 
Anatomie des Menschen die Tatsache, dass das Drüsenepithel sich 
vom Oberflächenepithel dadurch unterscheide, dass letzteres be- 
deutend mehr Flimmerzellen aufweise. 

Heimmerdinger beschreibt Flimmerzellenbefunde in 
einem graviden Uterus der 5. bis 6. Woche. 

Hitschmann und Adler glauben an die oben erwähnte 
Möglichkeit eines Funktionswechsels der Flimmerzellen und finden 
Beziehungen zwischen dieser Rückbildung und der sekretorischen 
Tätigkeit der Schleimhaut. 

Über die sekretorischen Vorgänge herrschen noch ver- 
schiedene Anschauungen. Fine Anzahl Autoren erwähnen sie 
überhaupt nicht. Andere hingegen, wie Chrobak, Rosthorn, 
geben an, dass nur die Cervix der schleimproduzierende Teil sei, 
und dass das Corpus ein mehr seröses Produkt liefere.. Waldeyer 
und Gebhardt führen nur an, dass das Sekretionsprodukt des 
Uterus ein minimales sei. 

Hitschmann und Adler beschäftigten sich ebenfalls mit 
dieser Frage und beschreiben Veränderungen in den Zellen, welche 
ihren Höhepunkt prämenstruell erreichen und gekennzeichnet sind 


200 S. H. Geist: 


durch Quellen der Zelle, Anwesenheit von Granula im Zellkörper 
und der Existenz typisch gefärbter Sekretionsmassen im Lumen. 

Wegelin konstatierte bei seinen Untersuchungen über den 
Glykogengehalt der Uterusschleimhaut ebenfalls eine regelmässige 
(Glykogenzunahme in den Zellen, welche ihren Höhepunkt prä- 
menstruell und in der Schwangerschaft erreichte. Das Glykogen 
fand sich in grosser Quantität entweder im oberen Pol oder in 
geringerer im unteren Pol des Zelleibes, nie aber im Kern. 

Neben anderen im Epithel vorhandenen Zellarten ist eine 
eigentümliche, die sogenannte „Stiftchenzelle“ zu nennen, die von 
Barfurth zuerst beschrieben und von ihm als degenerierte Form 
angesprochen wurde. 

Auch Albrecht und Logothetopolus hielten sie für 
einen degenerativen Typus, und diese Zellen machten ihnen den 
Eindruck sekretorischer Zellen, die ihrer Sekretionsfähigkeit ver- 
lustig gegangen, von den umgebenden Zellen zusammengepresst 
und degeneriert waren, wenngleich in den Drüsenlumina solche 
Zellen niemals gefunden wurden. 

Büttner beschreibt Pyknose im Epithel und nimmt an, 
dass sie in bestimmten Beziehungen zur Menstruation stehe und 
den Untergang einzelner Zellen anzeige. 

Auch Keller und Schiekele erwähnen ähnliche Befunde, 
die sie in der Mehrzahl der Fälle erhoben, und hielten sie eben- 
falls für Untergangsformen. 

Die im Stroma vorkommenden Bindegewebszellen sind 
in ihren zyklischen Umwandlungen genau von Hitschmann und 
Adler beschrieben; diese erwähnen eine Ähnlichkeit der Binde- 
gewebszellen im prämenstruellen Stadium mit denen der Schwanger- 
schaftsdecidua. Andere Autoren, wie Wyder und Christ, ver- 
neinen eine solche Ähnlichkeit. 

Über die kleinen Rundzellen, die unabhängig von den 
Bindegewebszellen selbst im Stroma vorkommen, liegen die Be- 
schreibungen vieler Autoren vor. Manche nennen sie Lymphoid- 
zellen, wie Nagel und Waldeyer, und vergleichen die 
Uterusschleimhaut dem Iymphatischen Gewebe der Dünndarm 
schleimhaut. 

Jacoby, Hitschmann und Adler, wie auch Pompe 
de Meerdewoordt beschreiben ebenfalls das Vorhandensein 
solcher Lymphoidzellen-Anhäufungen verschiedenster Grösse. 


Untersuchungen über die Histologie der Uterusschleimhaut. 201 


Albrecht und Logothetopolus beschrieben schon diese 
Zellgruppen und hielten sie für entzündlichen Ursprungs. 

Ein weiterer strittiger Punkt ist das Vorkommen von Plasma- 
zellen. Hitschmann und Adler sehen in ihrer Gegenwart das 
sichere Zeichen einer früheren Endometritis, wohingegen andere 
Autoren sie in ganz normaler Uterusschleimhaut beschreiben. 

Büttner fand die Plasmazellen in Polypen- und Adenom- 
fällen vereinzelt vor. 

Aus den obigen Meinungen und Beschreibungen ist leicht 
ersichtlich, dass noch manche Untersuchungen nötig sind, um ein 
genaues Bild zu gewinnen. Wir gingen bei unserer Arbeit auf 
das Ziel zu, wenn möglich, festzustellen, welche Zellarten in der 
Schleimhaut, sowohl im Epithel wie im Stroma, vorkommen, und 
innerhalb welcher Grenzen man diese als normal bezeichnen dürfe. 
Wir hofften, so bestimmte Bilder zu gewinnen, die es ermöglichen 
sollten, die normalen Verhältnisse in den verschiedenen Phasen 
festzustellen und von ihnen aus die Grenze zum Pathologischen 
ziehen zu können. 

Mein Material, das aus 75 Fällen besteht, entstammt der 
Frauenklinik in Freiburg 1. Br. Die Ausschabungen wurden lebens- 
warm in Formalinlösung oder Formalin-Müller fixiert. Die 
exstirpierten Uteri konnten erst einige Zeit nach der Operation 
fixiert werden. 

Die Einbettung geschah in Paraffin. Zur Untersuchung 
wurden 5 « dicke Schnitte verwandt. Als Färbungsmethoden habe 
ich benutzt: Hämatoxylin-Eosin, Methylerün-Pyronin, Kresylviolett 
und Heidenhains Eisenalaun-Hämatoxylin. Die Flimmerzellen 
wurden am besten dargestellt, wenn mit dieser letzten Methode 
überfärbt wurde. 


Eigene Untersuchungen. 


Das Epithel. 

Die Epithelbekleidung der Oberfläche besteht aus einem 
einreihigen Zylinderepithel, das aus etwas niedrigen und dicht 
nebeneinander stehenden Zellen gebildet wird. Die Kerne sind 
oval, meist ausgesprochen basal gelagert und sind in allen Stadien 
sehr chromatinreich. 

Die Oberflächenzellen scheiden sich nun in zwei Haupt- 


gruppen: die Flimmerzellen und die sezernierenden 
Archiv f. mikr. Anat. Bd.Si. Abt.I. 14 


202 S. H.-Geist: 


Zellen. Dazwischen sind noch die Stiftchenzellen und Zellen 
mit pyknotischen Kernen vorhanden. 
Ausserdem sieht man im Oberflächenepithel stets Lymphocyten 
und unter gewissen Verhältnissen auch neutrophile Leukocyten. 
Das Epithel in den Drüsen ist im wesentlichen genau so 
aufgebaut. Nur sind hier die Zellen höher und nicht so dicht 
aneinander gedrängt als an der Oberfläche der Schleimhaut. 


Die sekretorischen Zellen. 


Die Hauptmasse der Zellen bilden die von mir als sekre- 
torische Zellen bezeichneten Elemente, die sowohl an der Ober- 
tläche wie in den Drüsen vorhanden sind. Ihre genaue Beschreibung 
sollen die folgenden Zeilen bringen. 

Ein Teil dieser zylindrischen Zellen zeigt einen geraden, 
scharfen oberen Zellrand. Der Kern ist oval, chromatin- 
reich und meist in der Mitte oder basal gelagert. Bei Hämatoxylin- 
Eosin zeigt das Protoplasma einen gleichmässig rötlichen Farbenton, 
bei Kresylviolett erweist es sich als blassblau, so dass also von 
einer Schleimbildung nicht die Rede sein kann. Bei dieser Färbung 
konnte man gelegentlich im oberen Zellpole kleine purpurn 
gefärbte Körnchen nachweisen, die bei Eisenalaun-Hämatoxylin 
schwarz erschienen. 

An sämtlichen Zellen dieser Art, sowohl an der Oberfläche 
wie in den Drüsen, liessen sich mit dieser letztgenannten Färbung 
distinkt tingierte Schlussleisten nachweisen (Fig. 1). Das 
Schlussleistennetz trat vor allem bei Flachschnitten in Erscheinung 
und zeigte, dass die Zellen sechseckige Prismen darstellen. 

Ausser diesen sekretorischen Zellen mit geradem Oberende 
fanden sich, bald in geringer, bald in reichlicher Anzahl, Elemente, 
die einen knopfförmigen Vorsprung an der Oberfläche auf- 
wiesen (Fig. 4). Dass diese Zellen hierher zu rechnen sind, zeigt 
einmal der sonst ganz gleiche Aufbau des Plasmas, ferner der 
gleichgeformte Kern, vor allem aber der Umstand, dass auch sie 
die gleichen Schlussleisten besitzen. 

Der erwähnte Protoplasmapfropf springt mehr oder weniger 
vor. Dadurch, dass sich immer ganze Gruppen solcher Zellen 
finden, sieht es so aus, als ob eine Art Perlenschnur den Zellen 
aufgelagert sei. Zwischen den Pfröpfen erkennt man jedesmal 


Untersuchungen über die Histologie der Uterusschleimhaut. 205 


das eigentliche Oberende an den Schlussleisten. Die Grösse dieser 
Knöpfe ist verschieden. Manchmal sieht man nur Andeutungen. 

Ausser den Schlussleisten waren an diesen Zellen sonst keine 
besonderen Formationen am Oberende wahrzunehmen. 

Bemerkenswert bei diesen Pfropfzellen oder Knopf- 
zellen, wie ich sie kurz bezeichnen will, ist, dass die Kerne 
chromatinärmer sind als bei den anderen sezernierenden Zellen, 
dass ferner das Plasma blasser erscheint und vielfach hellere 
Partien aufweist. 

Die Pfröpfe zeigen besonders im prämenstruellen 
Stadium bei der Färbung mit Kresylviolett eine mehr oder 
minder deutliche Purpurfarbe. Gelegentlich habe ich in ihnen 
und im Oberende der betreftenden Zellen purpurne Körnchen 
gesehen. Bei der Heidenhainschen Tinktion waren in ihnen 
stets dunkle bis schwarz gefärbte Körner enthalten. Bei dieser 
Methode treten die Knöpfe überhaupt am besten hervor. 

In anderen Zellen wieder waren diese Knöpfe mehr 
bläschenförmig gestaltet oder mehr wabig. Auch in ihnen 
konnten mit Eisenalaun-Hämatoxylin Körnchen dargestellt werden, 
die sich um die Bläschen herum gruppierten. Hin und wieder 
waren auch bei Kresylviolett hier einzelne purpurne Kerne zu sehen. 

Aber die Zellknöpfe wiesen auch andere Beschaffenheit auf. 
Manchmal erschienen sie bei Heidenhain-Färbung als gleich- 
mässig schwarz gefärbte Ballen, oder aber zeigten auch eine un- 
regelmässige faserige Beschaffenheit. Dass es sich hier nicht um 
degenerierte Flimmerzellen handelte, wurde dadurch erwiesen, 
dass Schlussleisten nachgewiesen werden konnten, und dass 
keine Basalknötchen vorhanden waren. 

Bezüglich des Vorkommens dieser, hinsichtlich der vor- 
springenden Plasmaknöpfe verschiedenen Zellen sei bemerkt, dass 
sie sowohl an der Oberfläche der Schleimhaut wie in den 
Drüsen vorkommen, dass aber die Zellen mit bläschen- 
förmigen oder wabigen Knöpfen nur in den Drüsen 
zu finden sind. 

Die Untersuchungen haben weiter gezeigt, dass die ge- 
schilderten verschiedenenFormen derSekretionszellen 
zu verschiedenen Zeiten auftreten. So sind die Zellen 
mit dem geraden, scharf abgegrenzten OÖberende 
und gleichmässig gefärbtem Protoplasma regelmässig post- 

14* 


204 S. H. Geist: 


menstruell und im Frühintervall vorhanden (Fig. 1). Die 
anderen Formen von Knopfzellen fanden sich in allen 
Phasen, ausgenommen in den eben erwähnten 
Perioden. Hin und wieder waren allerdings postmenstruell 
Zellen mit ganz kleinen Knöpfchen nachzuweisen. 

Es konnten ferner hinsichtlich der Grösse der knopf- 
törmigen Plasmavorstülpungen Unterschiede festgestellt 
werden. Sie nehmen während des Intervallstadiums zu 
und erreichen ihre grösste Ausbildung im Spätintervall 
und prämenstruell. Während der Menstruation fanden sie 
sich ebenfalls in einzelnen Drüsen, die aber stets den prämen- 
struellen Typ darboten. 

Die Schwangerschaftsschleimhaut zeigt ein ähn- 
liches Bild wie die prämenstruelle. Hier treten vor allem 
die Zellen mit den bläschenförmigen Strukturen (Fig. 6) in 
den Vordergrund, während die mehr: soliden Knopfbildungen nur 
gelegentlich angetroffen wurden. Bemerkenswert war, dass hier 
diese knopfartigen Vorsprünge besondersgross waren. 

Ich habe nun besonders darauf geachtet, ob diese eben 
beschriebenen Veränderungen an den Zellen mit dem Auftreten, 
der Masse und der Art des Sekretes, das man in den Drüsen 
findet, in Zusammenhang gebracht werden können. Es scheint 
mir dieses in ausgesprochenem Maße der Fall zu sein, und 
deshalb habe ich von vornherein die in Frage stehenden Zellen 
von vornherein als sekretorische Zellen bezeichnet. Dafür sprach 
ja auch direkt die ganze Morphologie der Zellen mit ihren knopf- 
artigen Vorsprüngen und den im Oberende und in den Knöpfen 
hervortretenden Körnern, die sich beiHeidenhain schwarz und 
bei Kresylviolett purpurn färbten. 

Im Spätintervall (Fig.5) und in der prämenstruellen 
Periode erkennt man bei Kresylviolett im Lumen der Drüsen 
Massen, die sich tiefrot färben. Sie sind zum Teil homogen, 
zum Teil unregelmässig faserig, hie und da enthalten sie auch 
kleine rote Körnchen. In den Zellen stellt man nun die oben 
beschriebenen purpurnen Granula fest, die bis an den Kern 
im Protoplasma sich ausdehnen können. Vor allen Dingen sind 
die Knöpfe purpurn gefärbt, während die bläschenförmigen 
Strukturen hell erscheinen. Es besteht also ein augenscheinlicher 
Zusammenhang zwischen den roten Massen im Lumen, die ohne 


Untersuchungen über die Histologie der Uterusschleimhaut. 205 


Zweifel als Sekretionsprodukt aufgefasst werden müssen, und den 
genannten Zellveränderungen. 

Bezüglich der anderen Stadien sei bemerkt, dass in der 
menstruellen Phase nur gelegentlich Sekret in den 
Drüsen gefunden wurde. Die Drüsen, die hier Sekret ent- 
hielten, waren von prämenstruellem Typus. Im postmen- 
struellen Stadium und im Frühintervall war fast durchweg 
kein Sekret wahrzunehmen. Hier zeigten auch die Zellen 
keine purpurnen Körner bei Kresylviolettfärbung. In der Schwanger- 
schaft sah ich die gleichen Verhältnisse wie im Prämenstruum. 
Die Sekretionsmassen im Drüsenlumen waren von tiefroter Farbe. 

Es zeigt sich also, dass die Sekretionstätigkeit der 
Korpusdrüsen eine Kurve beschreibt, die prämenstruell 
ihren Höhepunkt erreicht und in der Menstruation ab- 
sinkt. Wenn dieMenstruationinfolge vonSchwanger- 
schaft nicht eintritt, bleibt diesekretorische Tätig- 
keit weiter bestehen. 


Die Flimmerzellen. 

Im eigentlichen Aufbau zeigen diese Zellen so gut wie keine 
Unterschiede. Nur die Gestalt wechselte. Einmal finden sich 
Zellen, die hochzylindrisch sind und sich nach der Basis zu ver- 
jüngen. Auf der anderen Seite sieht man Zellen, die mehr kubisch 
sind, und deren Oberende sich flachkugelig vorwölbt. 

Der Kern der Flimmerzellen ist oval und ziemlich gross. 
Er kann bis zu drei Viertel der Zelle ganz einnehmen. Sein 
Chromatingehalt ist ganz besonders gross. 

Das Protoplasma zeigt bei den angewandten Methoden 
eine homogene Beschaffenheit. 

Das Oberende der Zellen wird durch die sog. Basal- 
knötchen, die in einer Reihe stehen, eingenommen. Sie färben 
sich am besten mit Eisenalaun-Hämatoxylin. Bemerkenswert ist, 
dass sie fast stets eine Stäbchenform besitzen. Deshalb wäre 
es richtiger, von Basalstäbchen zu sprechen (Fig. 1). 

Jedem dieser Stäbchen sitzt ein Fliimmerhaar auf. Auch 
diese Gebilde sind nur bei der Heidenhainschen Färbung gut 
zu studieren. 

Die Cilien sind in manchen Fällen gerade und lang. Ihre 
Länge beträgt oft zwei Drittel der Zellenhöhe. Ihre Zahl ist 


206 S. H.:@eist: 


eine. verschiedene.‘ Es gibt Zellen, die im Schnitte fünf, und 
andere, die bis zu zehn aufweisen. In anderen Zellen sind sie 
kürzer und neigen an ihrem Ende zur Verklebung. 

Einen charakteristischen Unterschied gegenüber den Sekre- 
tionszellen weisen die Flimmerzellen darin auf, dass sie bei 
Eisenalaun-Hämatoxylin keine Schlussleisten erkennen lassen 
(Fig. 1). An diesem Merkmal kann man die beiden Zellsorten ohne 
weiteres bestimmen, auch wenn bei den Flimmerzellen die Cilien 
nicht mehr vorhanden sind, oder wenn man sich bei den Sekretions- 
zellen nicht ganz klar ist, ob zusammengebackene Flimmern oder 
Sekretionsknöpfe vorliegen. 

Die Flimmerzellen kommen sowohl an der Oberfläche 
wie inden Drüsen vor. Sie sind allerdings an der Oberfläche 
bedeutend reichlicher (Fig. 1). Hier stehen sie stets in 
Gruppen, die oft sehr ausgedehnt sein können. Ich habe im 
Schnitte 10—30 und noch mehr Flimmerzellen beobachtet, die neben- 
einander standen und keine Sekretionszelle zwischen sich zeigten. 

In den Drüsen sind diese Zellen meist seltener und in 
geringerer Anzahl vorhanden. Mehr wie vier nebeneinander 
stehende habe ich so gut wie niemals gesehen. In manchen Fällen 
waren in den Drüsen überhaupt keine Flimmerzellen vorhanden. 

Bezüglich ihrer Lokalisation war festzustellen, dass sie so- 
wohl inden oberflächlichen wieindentiefen Abschnitten, 
ja auch in den Gabelungen der Drüsen zu finden sind. Hier 
sind sie allerdings stets vereinzelt. 

In einigen Fällen, in denen die Drüsen vermehrt, vergrössert 
und erweitert waren, und die Diagnose glanduläre Hyper- 
trophie gestellt war, konnten Flimmerzelleninsehr reich- 
licher Anzahl in allen Abschnitten der Drüsen nach- 
gewiesen werden. In zweiadenomatösen Polypen konnte ich 
ebenfalls das massenhafte Auftreten dieser Zellen feststellen. 

Wie bei den Sekretionszellen war auch das Verhalten 
der Flimmerzellen hinsichtlich ihrer Menge in den 
einzelnen Zyklen der Schleimhautveränderung ein 
verschiedenes. Ich will dieses Verhalten im einzelnen in den 
folgenden Zeilen schildern. 

Von den Stadien, die das histologische Bild der prämen- 
struellen Schwellung zeigten, habe ich 15 Fälle untersucht. 
Das Material war 2—10 Tage vor der Menstruation gewonnen. 


Untersuchungen über die Histologie der Uterusschleimhaut. 207 


In diesen 15 Fällen habe ich Flimmerzellen elfmal gefunden. 
In dreien waren sie sowohl an der Oberfläche wie in den Drüsen 
festzustellen, in sechs Beobachtungen nur an der Oberfläche, wäh- 
rend sie in zwei Fällen nur in den Drüsen vorhanden waren. 
Der Grund, dass sie in einigen Beobachtungen nicht nachgewiesen 
werden konnten, liegt vielleicht darin, dass das Schabsel mehrfach 
gar kein Oberflächenepithel aufwies. 

Schleimhaut aus der Menstruationszeit habe ich drei- 
mal untersucht. In allen drei Fällen waren Flimmer- 
zellen vorhanden. In einem Falle fanden sie sich sowohl an 
der Oberfläche wie in den Drüsen, in den beiden anderen nur ın 
den Drüsen. Hier ist zu bemerken, dass sich in den letztgenannten 
Beobachtungen überhaupt kein Oberflächenepithel in den Präparaten 
fand, und dass damit wohl der Befund zu erklären ist. 

Aus der Zeit des Intervalls (Fig. 1) standen mir 33 Fälle 
zur Verfügung, unter denen ich 26mal Flimmerzellen fand. Dass 
sie hier und auch in anderen Stadien manchmal nicht festgestellt 
werden können, liegt daran, dass bei der Ausschabung eben nur 
kleine Partien der Schleimhaut erhalten werden. Diese können 
zufällig tlimmerlos sein. Man darf also aus dem negativen Er- 
gebnis bei Untersuchungen an Uterusausschabungen nicht schliessen, 
dass Flimmerzellen in den bestimmten Stadien fehlen. Allein ver- 
wertbar ‚ist nur der positive Befund. 

Unter diesen Beobachtungen des Intervalls habe ich 15 mal 
Flimmerzellen sowohl an der Oberfläche wie in den Drüsen ge- 
sehen. Einigemal waren wenige an der Oberfläche und in den 
Drüsen, dann wieder zahlreiche an beiden Orten. Des öfteren 
konnte man auch sehr reichlich Flimmerzellen an der Oberfläche 
sehen und nur vereinzelte in den Drüsen. Das scheint ganz will- 
kürlich zu schwanken. In zehn Fällen waren sie nur an der 
Oberfläche, in dreien nur in den Drüsen vorhanden. 

In acht Fällen aus der postmenstruellen Phase habe 
ich fünfmal Flimmerzellen konstatiert, viermal sowohl an der 
Oberfläche wie in den Drüsen. An der Oberfläche waren sie meist 
in grossen Gruppen vorhanden. 

In sechs Fällen von Frühschwangerschaft (Fig. 2 u. 5) 
— nach den klinischen Angaben 4. bis 7. Woche — wurden viermal 
Flimmerzellen gefunden. In einer Beobachtung waren sie ganz 
besonders reichlich an der Oberfläche und in den Drüsen. 


208 S.H. Geist: 


Weiter habe ich noch zehn Fälle von Schleimhaut in 
myomatösen Uteris untersucht und sie hier neunmal fest- 
gestellt. Die Frauen hatten ein Alter bis zu 58 Jahren. In 
sechs Beobachtungen zeigten die Flimmerzellen sich sowohl an 
der Oberfläche wie in den Drüsen, in dreien nur an der Oberfläche. 
Die Schleimhaut erschien in allen Fällen histologisch normal. 
Bemerkenswert ist, dass bei vier Frauen bereits seit 4+— 10 Jahren 
Menopause eingetreten war. 

Überblicken wir die obigen Befunde, so sind als besonders 
wichtig folgende Ergebnisse hervorzuheben. 

Die Flimmerzellen stehen stets in Gruppen und 
sind durch Flächen nicht flimmernder Elemente, der Sekretions- 
zellen, voneinander getrennt, wie das auch schon Mandl und 
Hoehne betont haben. 

Das wichtigste Ergebnis meiner Untersuchung aber scheint 
mir zu sein, dass ich in allen Phasen Flimmerzellen nach- 
weisen konnte, dass sie sowohl in der Menstruation wie in 
der Schwangerschaft vorhanden sind. Wenn in einigen Fällen 
ihre Anwesenheit nicht nachgewiesen werden konnte, so liegt das, 
wie schon hervorgehoben, an der Art des Materiales. Aber dieses 
gelegentliche negative Ergebnis sagt nichts gegen die Tatsache, 
dass eben in allen Stadien der Schleimhautumwandelungen diese 
Zellen konstatiert werden konnten. 

Schliesslich ist noch hervorzuheben, dass die Untersuchungen 
gezeigt haben, dass die Zahl der Zellen in den verschiedenen 
Stadien Schwankungen unterworfen ist. ImIntervallund prä- 
menstruellsind siereichlicher zugegen alsim Menstruum. 

Auch im Frühstadium der Schwangerschaft habe 
ich Flimmerzellen festgestellt. Über ihr Vorkommen im 
weiteren Verlaufe der Schwangerschaft kann ich nichts aussagen 


Die sog. Stiftchenzellen. 

Die Gebilde zeichnen sich dadurch aus, dass sie bei allen 
Färbungen als schmale, dunkel tingierte Stifte zwischen den 
anderen Epithelzellen erscheinen. Ein Kern ist in ihnen meist 
nicht mehr festzustellen. Manchmal sieht man noch eine An- 
deutung von ihm. 

Bei den Heidenhainschen Färbungen konnten niemals 
Basalstäbchen oder Reste von ihnen nachgewiesen werden. 


Untersuchungen über die Histologie der Uterusschleimhaut. 209 


Bemerkenswert ist, dass diese Stiftchenzellen stets 
zwischen den Sekretionszellen gelegen sind. 

Alles dieses macht es in hohem Grade wahrscheinlich, dass wir 
es mit zugrunde gehenden Sekretionszellen zu tun haben. 

Über ihre Lokalisation ist zu sagen, dass sie sowohl im 
Oberflächenepithel wie in den Drüsen vorkommen. Sie 
sind jedoch immer nur vereinzelt vorhanden. 

Hauptsächlich treffen wir sie im Spätintervall, wo 
ich sie in 40°/o der Fälle feststellen konnte, während sie prä- 
menstruell in 25°/o zu sehen waren. 

Besonders hervorzuheben ist, dass sieniemalsimEpithel 
schwangerer Uteri konstatiert werden konnten. 


Die Zellen mit „pyKnotischen‘“ Kernen. 


Auf diese Zellen hat vor kurzem Büttner aufmerksam 
gemacht und sie mit dem Menstruationszyklus und dem Untergang 
einzelner Zellen in Zusammenhang gebracht. Auch Keller und 
Schickele haben sie als eine Folge der Zelldegeneration an- 
gesehen. 

Auch in meinen Präparaten habe ich solche Zellen mit tief 
dunkel tingierten Kernen, die keine Struktur mehr aufwiesen, 
beobachtet. Auffällig war es von vornherein, dass ich sie in 
jedem Stadium sah, sowohl an der Oberfläche wie in den Drüsen. 
Und ferner zeigte sich — und das trat am klarsten bei der 
Heidenhainschen Färbung zutage —, dass diese Zellen einmal 
sekretorische Zellen waren, das andere Mal aber auch Flimmer- 
zellen, wenn die Cilien auch oft schwer geschädigt waren. Dass 
es sich aber um solche Elemente handelte, wurde durch das Vor- 
handensein der Basalstäbchen bewiesen. 

Bei weiterer Untersuchung konnte ich weiter feststellen, 
dass diese „pyknotischen“ Kerne nicht nur in einzelnen Zellen 
vorhanden waren, sondern dass alle Epithelien der Oberfläche 
und der Drüsen und auch die Stromazellen eines Bezirkes in der 
gleichen Weise betroffen waren. Diese Bezirke lagen aber immer 
an den Rändern der Schnitte. 

Als ganz besonders eigentümlich erschien es ferner, dass 
diese BefundenurindenPräparatenvonAusschabungen, 
nie aber in der Schleimhaut ganzer exstirpierter 
Uteri gesehen wurden. 


210 I S: H. Geist: 


Nach allen diesen Befunden kann ich mich daher der Meinung 
Büttners nicht anschliessen, dass es sich um zugrunde gehende 
Zellen mit pyknotischen Kernen handele. Ich bin vielmehr der 
Ansicht, dass hier Kunstprodukte vorliegen, die durch den 
bei der Ausschabung erfolgten Druck auf die Gewebe entstanden 
sind. Ganz die gleichen Veränderungen beobachtet man auch an 
anderen gequetschten Organen, so z. B. am Wurmfortsatze an den 
Stellen, die mit der Pinzette gefasst sind. 

Zu den Epithelzellen mit pyknotischen Kernen mögen aber 
ferner auch durch das Epithel wandernde Lymphocyten ge- 
rechnet worden sein. Diese Durchwanderung des Epithels bildet 
nach den Untersuchungen Schriddes einen normalen Vorgang. 
Ich habe nun unter diesen Lymphocyten auch hin und wieder 
Zellen mit Pyknose und Karyorrhexis gesehen. Ausserdem zeigen 
die Lymphocvten an sich schon einen sehr dunkel tingierten Kern, so 
dass eine Verwechselung mit pyknotischen Kernen um so möglicher 
erscheint. 

Die Kernteilungen im Epithel. 

Nach Hitschmann und Adler sind Mitosen mit grösster 
Regelmässigkeit postmenstruell und im Frühintervall vorhanden. 

Ich habe sie in 45°/o meiner Fälle postmenstruell und im 
Intervall bis zum 14. Tage nach der letzten Periode festgestellt. 

Im Oberflächenepithel habe ich sie nur zweimal feststellen 
können. Dagegen zeigten sie sich ziemlich zahlreich in den 
Drüsen. Bemerkenswert erscheint mir, dass ich in Flimmerzellen 
niemals Kernteilungsfiguren gesehen habe. Sie scheinen hier sehr 
schnell abzulaufen. 

Wenn ich meine Erfahrungen zusammenfassen soll, so bin 
ich zu der Ansicht gekommen, dass das zugrunde gegangene 
Oberflächenepithel hauptsächlich durch Vermehrung 
der Drüsenzellen ersetzt wird. Darauf hin weisen die hier 
reichlichen Mitosen, während sie im Oberflächenepithel so gut 
wie ganz fehlen. 


Zum Schlusse dieses Abschnittes möchte ich noch auf die 
Frage zu sprechen kommen, ob es eine Umwandlung von 
sekretorischen Zellen in Flimmerzellen oder um- 
gekehrt gibt, wie das Schaffer für die Eileiterschleimhaut 
behauptet hat. Diese Meinung ist vor allem deshalb aufgestellt 


Untersuchungen über die Histologie der Uterusschleimhaut. 211 


worden, weil einige Autoren, wie beispielsweise Mandl, das 
Vorkommen von Flimmerzellen in der Menstruation leugnen. Wie 
nun aber meine Untersuchungen gezeigt haben, sind zu allen 
Zeiten, auch während des Menstruums, Flimmerzellen vorhanden. 
Aus ihnen können natürlich wieder neue hervorgehen, und es 
braucht schon deshalb gar nicht der Hypothese, dass diese Zellen 
sich aus Sekretionszellen bilden sollen. Auch die Annahme, dass 
in diesen Stadien die Flimmerzellen ihre Flimmern verlieren und 
sich zu Sekretionszellen umbilden — weil nach der Angabe der 
Autoren im Menstruum keine Flimmerzellen vorkommen sollen — 
ist ebenfalls aus dem Grunde schon hinfällig, weil auch in dieser 
Zeit, wie gesagt, stets Flimmerzellen vorhanden sind. 

Ich muss an dieser Stelle auch gleich bemerken, dass die 
Meinung von Mandl irrig ist, dass in fixierten Präparaten die 
Flimmerzellen gar nicht oder schlecht nachzuweisen seien. In 
meinen Präparaten, die mit Heidenhain tingiert waren, waren 
sie stets tadellos zu sehen. Dass es Flimmerzellen waren, wurde 
vor allem durch das Vorhandensein der Basalstäbehen bewiesen. 
Auf der anderen Seite lassen sich, wie das ebenfalls meine Unter- 
suchungen zeigen, die Sekretionszellen durch ihre Schlussleisten 
auf das schärfste von den Flimmerzellen trennen. 

Ich habe nun niemals irgendwelche Übergänge zwischen 
diesen beiden Zellsorten feststellen können und muss mich daher 
ganz der Meinung Schriddes, die er hinsichtlich des Tuben- 
epithels ausgesprochen hat, anschliessen. Schridde sagt über 
die behauptete Metaplasie der Flimmerzellen zu sekretorischen 
Zellen: „Es wäre dieses das einzige Beispiel in der gesamten 
Biologie, dass aus einer nur physikalischen Zwecken dienenden 
und nur für sie besonders strukturierten Zelle nun also eine 
sekretorische, d. h. rein chemischen Vorgängen angepasste Zelle 
würde. Das wäre eine derartige Umwälzung des ganzen Zell- 
aufbaues, wie sie ganz einzig dastände. Wir hätten hier eine 
derartige direkte Metaplasie vor uns, wie sie selbst der fanatischste 
Anhänger der unhaltbaren direkten Epithelmetaplasie bisher auch 
nur zu träumen nicht gewagt hätte.“ 


Das Stroma der Uterusschleimhaut. 


Das Stroma bot im ganzen ein bestimmtes Bild, natürlich 
mit einzelnen Variationen. 


212 S. H. Geist: 


Die Bindegewebszellen erschienen manchmal als schmale 
ovale oder rundliche Gebilde, etwas grösser als die Lymphocvten, 
die an einer und der anderen Stelle dichter gelagert sind. 
Manchmal auch lagen sie dicht über die ganze Schleimhaut aus- 
gebreitet. Dies war die gewöhnliche Anordnung im Ruhestadium. 
Nur prämenstruell waren sie leicht vergrössert und mehr oder 
weniger stark auseinandergedrängt, behielten aber immer ihre 
charakteristische ovale Gestalt. Die Kerne waren gut gefärbt, 
der Zelleib aber blasser als in den übrigen Stadien. 

Freilich fanden wir prämenstruell vereinzelte grosse, 
platte, blassgefärbte Strukturen mit.etwas kleinem Kern, die mit 
isolierten Deciduazellen Ähnlichkeit besassen, aber sie 
fanden sich nur gelegentlich und konnten das Gesamtbild des 
Stromas nicht mit der wahren Decidua verwechseln lassen. 

Die Stromazellen weisen postmenstruell und im Intervall 
ziemlich häufig Kernteilungsfiguren auf und — wie schon 
von anderen Autoren angenommen — erleidet auch das Stroma wäh- 
rend der Menstruation einen regelmässigen Verlust an Stromazellen. 

Im Stroma finden sich nun ferner die von Jakoby, Hitsch- 
mann und Adler, Pompe de Meerdewoordt beschriebenen 
Iymphocytären Zellen regelmässig in allen Stadien des 
Menstruationszyklus. Sie wiesen starke Variationen in Zahl und 
Verteilung auf. Manchmal waren sie spärlich über die ganze 
Schleimhaut zerstreut. In anderen Fällen zeigten sie sich in grösserer 
Zahl und zwar zerstreut uud gruppenweise. Bald reichlicher, bald 
in geringerer Anzahl wurden sie auch stets auf der Durch- 
wanderung durch das Epithel, sowohl in Oberfläche wie 
Drüsen angetroffen. Sie zeigten im Epithel regelmässig einen 
grösseren, runden, blassen Zelleib und einen gleichmässig dunkel 
gefärbten Kern; oft blieb der Zelleib sogar ungefärbt und erschien 
wie ein helles bläschenförmiges Gebilde, welches die dunklen Kerne 
in sich schloss. Sowohl im Drüsenepithel wie im Stroma fanden 
sich auch Lymphocyten mit deutlicher Karvorrhexis. 

In manchen Fällen traf man auf kleine, scharf begrenzte 
Anhäufungen von Lymphocyten. Sie lagen mit Vorliebe 
in der Nähe der Drüsen oder Blutgefässe. Albrecht 
und Logothetopolus beschrieben schon diese Zellgruppen 
und hielten sie für entzündlichen Ursprungs. Dass es sich um 
einfache runde Zellzusammenlagerung und nicht etwa um echte 


Untersuchungen über die Histologie der Uterusschleimhaut. 213 


Lymphknötchen handelte, war aus der Tatsache ersichtlich, 
dass sich weder Mitosen noch Keimzentren nachweisen liessen. 
Über ihre Bedeutung liess sich nichts Bestimmtes sagen, da die 
Schleimhaut keine ungewöhnlichen Verhältnisse aufwies, und diese 
Lymphoeytenanhäufungen ein häufiger Befund in allen Menstruations- 
phasen waren. Gelegentlich fanden sich in einem Präparat zwei 
oder drei solcher Zellenhaufen, manchmal auch noch mehr. In 
Fällen, wo diese Zellanhäufungen sich zeigten, waren auch 
die Lymphocyten im allgemeinen zahlreicher. 

Neutrophile Leukocyten fanden sich nur in einer 
geringen Zahl der Fälle mit anscheinend normaler Schleimhaut. 
In 25°/o der Intervallfälle zeigten sich vereinzelte Leukocyten, 
gewöhnlich in der Umgebung der Blutgefässe oder nahe dem 
Oberflächenepithel. In nur einem einzigen prämenstruellen Falle 
waren Leukocyten vorhanden und ebenso nur in drei Schwanger- 
schaftsfällen. Die übrigen Befunde in den Schnitten erlaubten 
keine Schlüsse in bezug auf pathologische Verhältnisse. In einer 
Anzahl von Fällen, wo grosse (Juantitäten freien Blutes im Stroma 
zu finden waren, wurden auch Leukocyten in geringerer Zahl 
beobachtet, und es lässt sich daraus schliessen, dass bei Ruptur 
der Blutgefässe und Blutergüssen die Leukocyten in das Stroma 
überwandern. In den drei Menstruationsfällen waren Leukocyten 
in mässiger Zahl vorhanden, was auf die Tatsache der eben 
erwähnten Blutüberschwemmung der Schleimhaut zurückgeführt 
werden kann. 

Plasmazellen, auf deren Vorhandensein für die Diagnose 
der Endometritis Hitschmann und Adler so viel Gewicht 
legen, fanden wir auch in sonst normaler Schleimhaut. In diesen 
Fällen waren nur vereinzelte Plasmazellen vorhanden. Wir nehmen 
an, dass sie die Reste einer ganz leichten entzündlichen Reaktion 
darstellen, welche im übrigen ganz ausgeheilt ist. Es ist wohl 
verständlich, dass die Uterusschleimhaut sehr häufig eine leichte 
Infektion oder geringfügige Schädigungen erleidet. was, wenn- 
gleich die Einwirkung leicht ist, dennoch stark genug erscheint, 
eine zelluläre Reaktion auszulösen, als deren Reste wir diesen 
vereinzelten Plasmazellenbefunden begegnen. Von diesem Stand- 
punkte aus deuten sie eine frühere Entzündung an und da keine 
anderen Zeichen früherer Entzündung zurückgeblieben sind, sind 
wir aus diesem Befunde berechtigt anzunehmen, dass vereinzelte 


214 S. H. Geist: 


Plasmazellen auch in einer anscheinend normalen Schleimhaut 
vorkommen, in Fällen, wo klinische Erscheinungen subjektiver 
oder objektiver Art mangelten. 

Auch in Polypenfällen und in einem Fall mit Adenom 
konstatierten wir vereinzelte Plasmazellen, wie dies auch schon 
Büttner beschrieb, aber wir sahen in ihrer Gegenwart den 
Ausdruck oben erwähnter Tatsache, da bei solchen Neubildungen 
leicht Schädigungen oder Infektion zustande kommen. 

Mastzellen fanden wir in mit Kresylviolett gefärbten 
Präparaten zehnmal, und zwar während des menstruellen und 
postmenstruellen Stadiums. Sie waren während der 
Menstruation und in den ersten 2 Tagen nach derselben in 
mässiger, am 5. bis 7. Tage danach nur in sehr geringer Zahl 
nachweisbar. In den Präparaten, die Mastzellen enthielten, traten 
auch die Lymphocyten reichlicher auf. 


Allgemeine Betrachtungen. 


In den vorliegenden Untersuchungen haben wir die zykli- 
schen Umwandlungen der Uterusschleimhaut geschildert 
und konnten, wenn auch im allgemeinen, so doch nicht in allen 
Punkten mit Hitschmann und Adler übereinstimmen. Die 
Unterscheidung der vier Phasen stellte sich uns nicht so scharf 
dar, denn wir fanden allmähliche Übergänge der einen in die 
andere. Die Einteilung Büttners in Früh-, Mittel- und Spät- 
intervall scheint uns eine günstige zu sein, da sie die Übergangs- 
formen gut charakterisiert. In verschiedenen Fällen schienen 
zwei verschiedene Stadien zu gleicher Zeit gegenwärtig zu sein, 
da ein Schnitt das Intervallstadium, ein anderer aus demselben 
Uterus mehr das typisch prämenstruelle Stadium repräsentierte. 
Diese Vorgänge sind bereits beschrieben und haben zu der An- 
nahme geführt, dass die Umwandlung der Uterusschleim- 
haut sich in mehr oder weniger stufenartiger Weise 
vollzieht, erst eine Partie ergreift, und die Umwandlung allmählich 
vom Fundus zum Isthmus fortschreitet. Gelegentlich fanden wir 
eine Nichtübereinstimmung der klinischen Daten mit dem mikro- 
skopischen Bilde. So zeigte Material, bei dem wir nach der 
Anamnese das Bild des postmenstruellen oder Frühintervallstadiums 
erwarten durfte, dasjenige des prämenstruellen Typus. Diese 
Abweichungen kamen oft genug vor, um den etwaigen Irrtum in 


Untersuchungen über die Histologie der Uterusschleimhaut. 215 


der Angabe der Patienten auszuschliessen. Man konnte diese 
Persistenz oder das frühzeitige Auftreten der prämenstruellen 
Phase auf eine abnorme oder Hyperfunktion des Ovariums be- 
ziehen, da in diesen Fällen die menstruelle Periode ungewöhnlich 
lange dauernd — 6 bis 8 Tage — war. 

Die Drüsentypen der verschiedenen Stadien entsprachen 
meistenteils den von Hitschmann und Adler beschriebenen. 
Manchmal fanden sich Drüsen vom Intervalltypus während der 
prämenstruellen Phase, jedoch wurde die Diagnose des in Frage 
kommenden Stadiums dadurch nicht beirrt, da die charakteristischen 
sekretorischen Zellen, die Stromaumwandlung, sowie die Majorität 
der Drüsen selbst das Bild klarstellten. 

Gelegentlich konstatierten wir während des menstruellen 
Stadiums auch Drüsen vom prämenstruellen Typus, Sekretions- 
massen im Lumen enthaltend, mit in typischer sekretorischer 
Umwandlung befindlichen Zellen, und zu gleicher Zeit Drüsen, 
deren Sekret bereits ausgestossen, das Lumen kollabiert, und die 
Zellen im Ruhestadium waren. Postmenstruell zeigten die typischen 
restierenden Drüsen zahlreiche Kernteilungsfiguren. 

Die Veränderungen im Stroma, wie Hyperämie, 
Ödem und Scheidung in zwei Schichten konnten wir ebenfalls 
wahrnehmen. Mit Keller und Schickele stimmen wir darin 
überein, dass die sogenannten prämenstruellen Drüsen auch in 
anderen Stadien zu konstatieren sind, nicht aber darin, dass sie 
in vielen Fällen prämenstruell überhaupt nicht vorhanden seien. 

In unseren Fällen zeigte die Mehrzahl der Drüsen während 
des Prämenstruums den charakteristischen prämenstruellen Typus: 

Ferner sind wir mit diesen Autoren einer Meinung, wenn 
sie sagen: „Deciduale Umwandlung, insbesondere in grösseren 
Verbänden, haben wir nur selten antreften können, so dass wir 
diese als typisches Merkmal für die kurz vor der Menstruation 
stehende Schleimhaut nicht anführen können‘. 

Überblicken wir das Gesamtbild, so finden wir, dass die 
Zellelemente eine gewisse Gleichmässigkeit in der normalen Uterus- 
schleimhaut der geschlechtsreifen Frau aufweisen. Die mikro- 
skopische Betrachtung ergibt, dass inallen Phasen des Men- 
struationszyklus Flimmerzellen vorhanden sind. Die 
Zahl und Verteilung der Flimmerzellen schwankt leicht, ist an- 
scheinend im Intervall eine zahlreichere. Sie sind in den 


216 S.H. Geist: 


Drüsen in annähernd gleicher Zahl in allen Phasen vorhanden; 
die leichten Variationen sind zu gering, um ihnen eine Bedeutung 
beimessen zu dürfen. 

Das Epithel enthält ferner zahlreicher als Flimmerzellen 
die sekretorischen Zellen sowohl im Öberflächen- wie 
Drüsenepithel. Sie sind sehr oft charakterisiert durch die Gegen- 
wart eines an der oberen Zellgrenze vorspringenden Knopfes; 
dieser wechselt an Grösse und Gestalt und stellt eine Sekretions- 
masse dar, die von der Zelle ausgestossen wird. In bezug auf 
die verschiedenen Phasen variieren sie insofern, als sie grösser 
und zahlreicher im Spätintervall und prämenstrual 
auftreten. Während dieser Zeit zeigt das Drüsen- und Uterus- 
lumen eine charakteristische Sekretionsmasse, die mit den 
spezifischen Färbemethoden demonstriert werden kann. Die sekre- 
torischen Zellen selbst sind oft mit den entsprechenden Färbe- 
methoden an ihrem oberen Pol leicht tingiert, die charakteristischen 
Knöpfe besonders zeigen Tendenz, sich leicht zu färben. 

Die endgültigen Sekretionsprodukte im Drüsen- und Uterus- 
lumen stellen eine mehr oder weniger homogene Masse mit hier 
und da feinem fibrillärem Netzwerk dar. 

Das Drüsen- und gelegentlich auch das Oberflächenepithel 
zeigt unregelmässig zerstreut die sogenannten „Stiftchen- 
zellen“, deren dunkle gleichmässige Färbung und schmale lang- 
gezogene Gestalt sie deutlich ins Auge fallen lässt. 

Regelmässig weist das Epithel durchwandernde 
Lymphocyten in wechselnder Zahl, mit gelegentlich intaktem, 
gewöhnlich aber blassem, gequollenem Protoplasma und rundem 
pyknotischem Kern auf. 

Uns gilt es als ausgeschlossen, dass das Flimmerepithel 
eine Zellwandlung eingehen und zu sekretorischen Zellen werden 
soll; denn die ihnen eigentümliche Struktur erscheint zu allen 
Zeiten erhalten und wohl unterscheidbar von der der sekretorischen 
Zellen. 

Die Drüsen sind einer mehr oder weniger starken Um- 
wandlung unterworfen, von schmalen, engen, geraden Drüsen- 
formen mit den typischen, im Ruhestadium befindlichen Epithelien 
des Frühintervalls bis zu den grossen, erweiterten, geschlängelten 
Drüsen, gelegentlich mit, gelegentlich ohne papilläre Leisten, 
und mit in deutlicher sekretorischer Aktivität befindlichen Zellen, 


Untersuchungen über die Histologie der Uterusschleimhaut. 217 


das Drüsenlumensekret gefüllt, wie es für das prämenstruelle 
Stadium charakteristisch ist. Menstruell wird das Sekret aus- 
gestossen, die Drüsen collabieren, die Zellen befinden sich wieder 
im Ruhestadium, wie es das Bild der postmenstruellen Phase 
kennzeichnet. 

Auch das Stroma zeigt ein bestimmtes normales Bild: 
Die Stromazellen selbst machen die typischen zyklischen 
Umwandlungen durch von schmalen ovalen oder manchmal 
rundlichen blassen Formen mit dunkel gefärbtem Kern — die 
im Intervall oft zusammengedrängt und dicht stehen — bis zu 
den grösseren blassen Zellformen mit mehr rundlichem und relativ 
kleinem Nucleus — wie sie die prämenstruelle Phase charakte- 
risieren, und die nie sich in Haufen lagern. 

Neutrophile Leukocyten fanden sich im Stroma und 
Epithel nur gelegentlich und vereinzelt vor, und diese waren auf 
Durchwanderung begriffen. 

In allen Phasen zeigen sich hLymphocyten in verschiedener 
Anzahl. Einmal fanden sie sich nur zerstreut periglandulär und 
perivasculär, das andere Mal relativ zahlreich und oft auch in 
scharf begrenzten runden oder ovalen Anhäufungen. Die Lympho- 
cyten in Epithel und Stroma wiesen oft Pyknose auf. 

Auch auf Plasmazellen stiess man nur gelegentlich und 
vereinzelt in sonst anscheinend normaler Schleimhaut; und wir 
müssen gestehen, dass in manchen Fällen wir aus diesem Vor- 
kommen allein die Diagnose Endometritis nicht stellen konnten, 
weil alles übrige normal erschien. So haben wir daraus den 
Schluss ziehen müssen, dass vereinzelte Plasmazellen auch in‘ 
sonst normaler Schleimhaut vorkommen können. Wenn man — 
wie schon früher erwähnt — geneigt ist, sie auf etwaige frühere 
leichte Infektionen oder Traumen zurückzuführen, die ohne sicht- 
bare Gewebsnarbe, Gefässveränderung oder sonstige Zeichen 
vorausgegangener entzündlichen Reaktion völlig ausheilten, kann 
man mit Hitschmann und Adler die Plasmazellen eben als 
Zeichen eines alten entzündlichen Prozesses ansehen. 

Als letztes in der normalen Schleimhaut vorkommendes 
Zellelement mag die Mastzelle erwähnt sein, die jedoch nur 
während der Menstruation und postmenstruell zu beobachten ist. 

Unsere Befunde in der Schleimhaut zur Zeit der Schwanger- 


schaft waren folgende. Bis zur 5. und 7. Woche der Schwanger- 
Archiv f. mikr. Anat. Bd.81. Abt.1l. 15 


218 S. H. Geist: 


schaft war die Uterusschleimhaut nur geringgradig von der 
normalen nichtschwangeren Uterusschleimhaut unterschieden, ab- 
gesehen von den bereits bekannten Unterschieden, wie der Gegen- 
wart der sogenannten Schwangerschaftsdrüsen, die übertrieben 
grossen prämenstruellen Typen entsprechen, und abgesehen natürlich 
von der typischen Decidua. Das Epithel, betrachtet in bezug auf 
seine einzelnen Zellelemente, zeigt dieselben Zellen wie das des 
nichtschwangeren Uterus: Flimmerzellen in Drüsen- und Ober- 
flächenepithel, typische sekretorische Zellen ähnlich den im prä- 
menstruellen Stadium gefundenen, entweder mit den soliden 
vorspringenden Sekretionsmassen oder den verschieden gestalteten, 
zu Zeiten leicht granulär-vesikulären Strukturen. Auch hier 
fanden sich wie prämenstruell dunkelgefärbte Sekretionsmassen 
im Drüsenlumen. Ebenso enthielt die frühschwangere Schleim- 
haut auch Lymphocyten und spärlich Leukocyten, nie aber Mast- 
zellen oder Plasmazellen. Auch Stiftchenzellen fanden sich nicht 
im Epithel. 


Literaturverzeichnis. 


AlbrechtundLogothetopolus: Frankfurter Zeitschr. f. Path., Bd. 7,H.1. 

Barfurth: Anat. Hefte, Bd. 9. 

Büttner: Arch. f. Gynäk., Bd. 92, 1910. 

Gebhard: Path. Anat. der weibl. Sexualorgane. 

Henle: Handbuch der systematischen Anat. des Menschen, Bd. 11, 1866. 

Hitschmann und Adler: Monatsschr. f. Geburtsh. u. Gynäk., Bd. 27. 

Dieselben: Zeitschr. f. Geburtsh., 1907. 

Hoehne: Centralbl. f. Gyn., Nr. 5, 1908. 

Keller und Schickele: Monatsschr. f. Geburtsh. u. Gynäk., Bd. 34, 1911. 

Mandl: Monatsschr. f. Geburtsh. u. Gynäk., Bd. 34, 1911. 

Nagel: v. Bardeleben, Handbuch der systematischen Anat. des Menschen, 
Bd. II. 

Pompe de Meerdewoordt: Inaug.-Diss., Freiburg 1896. 

Wegelin: Centralbl. f. allgem. Path. u. Path. Anat., 1911. 

Wyder‘ Arch. f. Gynäk., Bd. 13. 

Derselbe :% Zeitschr. f. Gynäk., Bd. 9. 


wu 


Untersuchungen über die Histologie der Uterusschleimhaut. 219 


Erklärung der Abbildungen auf Tafel XII. 


Intervalltypus der Uterusschleimhaut. Schleimhautoberfläche. Die 
Flimmerzellen weisen Flimmern und Basalstäbchen auf. Zwischen 
ihnen ruhende Sekretionszellen mit Schlussleisten. (Färbung mit 
Eisenalaun-Hämatoxylin.) 

Schwangerschaftsschleimhaut. Übersichtsbild. (Färbung mit Häma- 
toxylin-Eosin.) 

Schwangerschaftsschleimhaut. Oberflächenepithel mit reichlichen 
Flimmerzellen. (Starke Färbung mit Eisenalaun-Hämatoxylin.) 
Oberflächenepithel im Spätintervall. Typische Sekretionszellen mit 
Sekretknopf und Schlussleisten. (Eisenalaun-Hämatoxylin.) 
Abschnitt einer Drüse im Spätintervall. Sekretionszellen mit Sekret- 
knöpfen und Schlussleisten. (Eisenalaun-Hämatoxylin.) 
Schwangerschaftsschleimhaut. Abschnitt aus einer Drüse. Die 
Sekretionszellen zeigen grosse bläschenförmige Oberenden. Unter- 
halb der Bläschen finden sich im Plasma reichlich schwarz gefärbte 
Körner, die vereinzelt auch in den Bläschen liegen. (Färbung mit 
Eisenalaun-Hämatoxylin.) 


15* 


Aus dem pathologischen Institut der Universität Freiburg i. Br. 


Die senile Involution der Eileiter. 
Von 
Von Dr. S. H. Geist, New York. 


Hierzu Tafel XIII (Fig. 7 und 5). 


Für den pathologischen Anatomen ergibt sich oft die Not- 
wendigkeit, zu entscheiden, ob eine vorhandene Tubenveränderung 
nach der Menopause einem entzündlichen Prozess zuzuschreiben 
ist, oder ob es sich um eine natürliche Folge einer fortschreitenden 
senilen Involution handelt. 

Die über diese Frage handelnde Literatur ist eine ver- 
hältnismässig spärliche. Die meisten Autoren erwähnen die 
Altersveränderungen nur kurz, da sie in ihren Arbeiten die Tube 
meist von einem anderen Standpunkt aus betrachteten. Folgende 
Auszüge einiger Arbeiten zeigen, dass über diese Altersver- 
änderungen die verschiedensten Meinungen herrschen. 

Ballantyne und Williams (1) sagen in einer Arbeit über 
die Histologie und Pathologie der Eileiter folgendes: „The senile 
changes were found to consist in anarrowing and straightening 
of the canal with al loss of the curvatures, atrophy of the mus- 
cular fibers, more especially the longitudinal, conversion of the 
submucosa into fibrous tissue, fibrous changes in the mucosa, and 
obliteration of the tubal folds in the isthmus near the uterine 
end.“ Im Isthmus fanden sie auch das Epithel abgestossen. Die 
subseröse Schicht war fester, mehr fibrös und dicht an die 
Muskulatur angelagert. 

Grusdew (2) erwähnt, dass eine Zunahme des Bindegewebes 
besonders in der Mucosa statt hat, dass die Falten ihre charakte- 
ristische Gestalt verlieren. Das Epithel desquamiert gelegentlich, 
und die Falten verkleben, und die Folge davon ist die Obliteration 
des Lumens. Er gibt weiter kurz an, dass das Epithel mehr 
kubisch wird und sogar endothelähnlich werden kann. Die Mus- 
kulatur atrophiert und soll in einigen Fällen sogar völlig ver- 
schwinden. 


Die senile Involution der Eileiter. 22T 


Schnaper (3) beschreibt ein allmähliches Niedrigerwerden 
des Epithels bis zum schliesslichen endothelialen Typus, Des- 
quamation und Anhäufung zwischen den Falten. Die Falten ver- 
dicken sich, und einem Granulationsgewebe sehr ähnliches junges 
Bindegewebe füllt die Falten aus. Wo das Epithel abgestossen 
ist, wächst das Bindegewebe, eine Brücke bildend, hinüber, die 
Falten verwachsen und so entstehen schliesslich die drüsenähn- 
lichen Bilder in der Schleimhaut, die mit dem noch erhaltenen 
Epithel ausgekleidet sind. Es kommt zu einem allmählichen 
Schwund der Muskulatur und Produktion von Granulationsgewebe, 
dessen Schrumpfung eine Verdünnung der Tubenwand veranlasst. 
Die Adventitia der Gefässe zeigt ebenfalls eine Bindegewebs- 
wucherung. 

Hoermann (4) berichtet in seiner Arbeit über das Binde- 
gewebe der Tube von einem Fall, nämlich einer 7O jährigen Frau, 
über folgende Altersveränderungen: Er beschreibt die Entwicklung 
plumper, geschwollen aussehender Bindegewebsfasern, welche an 
Stelle der feinen Fibrillen, die die fetalen und geschlechtsreifen 
Tuben charakterisieren, treten. Auch die Muscularis weist eine 
Zunahme des Bindegewebes auf. Ein Teil der Muskulatur bleibt 
stetserhalten. Im Isthmus sind die Falten nicht mehr vorhanden, 
während sie sich in der Ampulle als breite und plumpe Gebilde 
repräsentieren. Die feineren Seitenfalten sind verschwunden. 
Das Epithel ist im Isthmus noch hoch, während es im Infundi- 
bulum niedriger geworden ist. Hoermann fand auch Zunahme 
des elastischen Gewebes, sogar in der Mucosa. 

Buchstab (5) untersuchte das elastische Gewebe der 
Tube und fand eine ständige Zunahme vom Kindesalter bis zur 
Menopause, von da an ein allmähliches Abnehmen. In den senilen 
Tuben fand er das elastische Gewebe hauptsächlich in der Serosa. 
Die Fasern sind kurz, wenig und bilden kein Geflecht. Er sah 
sie selten und dann als vereinzelte Fasern in der äusseren Muskel- 
schicht. In der Submucosa und Basis der Schleimhaut fehlen sie 
völlig. Das Vorkommen der elastischen Fasern, auf die ver- 
schiedenen Abschnitte der Tube verteilt, ist ein gleichmässiges. 

Schenk und Austerlitz (6) stimmen in ihrer Arbeit 
über das elastische Gewebe der weiblichen Geschlechtsorgane in 
dem Punkt nicht mit Buchstab überein, als sie das elastische 
(Gewebe bis zur Zeit der Geschlechtsreife beinahe völlig vermissen, 


222 S. H. Geist: 


ausgenommen in den Gefässen. Bei einem 18jährigen Mädchen 
fanden sie feine Fibrillen sowohl in der Serosa, wie Submucosa 
und Muscularis. Bei Frauen, die geboren hatten, konstatierten 
sie eine mässige Zunahme, aber auch hier blieb die Mucosa da- 
von frei. Nach der Menopause fanden sie dickere, stärkere 
Fasern in der Serosa, Submucosa und Muscularis, und vereinzelt 
feine Fasern sogar in der Schleimhaut. Die Fasern erfahren eine 
Zunahme von der Ampulle gegen das uterine Ende zu. 

Schridde (7) beschreibt in seiner Arbeit über die eitrigen 
Tubenentzündungen auch die senile Tube als ein schlankes Organ, 
dessen Lumen gewöhnlich nur noch mikroskopisch erkennbar ist. 
Auch er schildert die vollständige Obliteration der senilen Tube. 
Die feinen Falten im Isthmus sind verschwunden, während die 
Hauptfalten als kurze Stümpfe noch restieren. Das Epithel stellt 
einen mehr indifferenten Typus dar, da die Merkmale, welche die 
Flimmerzellen von den sekretorischen Zellen unterscheiden lassen, 
verschwunden sind. Auf Veranlassung von Herrn Prof. Schridde 
habe ich nun die senile Involution der Eileiter einer weiteren 
histologischen Untersuchung unterzogen. 

Unser Material umfasst 22 Eileiter von Frauen zwischen 
dem 50. und 80. Lebensjahre, 2 Tuben von einem 6monatlichen 
und von einem Smonatlichen Fetus, 2 Tuben von Kindern, einem 
10- und einem 14 jährigen, weitere 2 Tuben von geschlechtsreifen 
Frauen, einer 20 jährigen und einer 31 jährigen Frau. Der eine Teil 
des Materials entstammt dem Sektionsmaterial des Pathologischen 
Institutes, der grössere dem Öperationsmaterial der Freiburger 
Frauenklinik. Das Material wurde entweder in Formalinlösung oder 
Formol-Müller fixiert und in Paraffin eingebettet. Die ange- 
wandten Färbemethoden waren Hämatoxylin-Eosin, Methylgrün- 
Pyronin, van Gieson, Weigerts Elastica-Färbung und Heiden- 
hains Eisen-Alaun-Hämatoxylin. Schnitte aus der Tube eines 
Fetus, einer geschlechtsreifen Frau und einer 62 jährigen Frau 
wurden mit Bielschowskischer Silber-Imprägnation behandeit. 
Von jeder Tube wurden drei verschiedene Abschnitte untersucht, 
das uterine Ende, der mediale Teil des Isthmus und der mediale Teil 


der Ampulle. 
Untersuchungsergebnisse. 


Makroskopisch repräsentiert sich die senile Tube als ein 
schlanker glatter Schlauch in der Länge von 5—20 cm; der 


Die senile Involution der Eileiter. 223 


Durchschnitt betrug ungefähr 11 cm. Die äussere Besichtigung 
ergibt ein gleichmässiges Aussehen. Isthmus und Ampulle sind 
nicht unterscheidbar. In der Dicke variieren die Tuben etwas, 
sind dünner, je älter ihre Trägerin war. Das durchschnittliche 
Maß durch den medialen Teil der Tube ist 2,5 mm. Auf die 
Mucosa entfällt davon ungefähr ein Drittel, während die übrigen 
zwei Drittel von der Muskulatur und dem Bindegewebe einge- 
nommen werden. 

Die Mucosa zeigt bei der mikroskopischen Untersuchung 
vom Alter und der Faltenanordnung abhängige Unterschiede. 
Bekanntlich weist die geschlechtsreife Tube longitudinale Falten 
auf. welche im uterinen Ende und im Anfangsteil des Isthmus 
spärlich, 5—15, an Zahl sind. Sie sind kurz und etwas plump, 
mit schmalen feinen Seitenfalten. Dem abdominellen Ende zu 
werden sie zahlreicher und zarter, besitzen ein dünnes Binde- 
gewebsgerüst und eine einzige Schicht zylindrischer Epithel- 
bekleidung. Zwischen diesen feinen Falten finden sich auch grosse, 
sogenannte „Hauptfalten“, von welchen starke Nebenzweige ab- 
gehen. In der Ampulle gehen von den longitudinalen Falten 
zahlreiche Seitenfalten ab. und diese wiederum senden noch feinere 
Zweige aus. Im interstitiellen Teil seniler Tuben und für eine 
kurze Strecke im Isthmus variieren die Falten in ihrer Form 
zwischen dicken, kurzen, abgestumpften Tubenfalten und eben 
wahrnehmbaren Erhebungen (Frauen zwischen 50 und 60 Jahren); 
oder aber in solchen Tuben, wo das Lumen nur mit der Lupe 
erkennbar ist, ist überhaupt keine Spur einer Faltenbildung zu 
konstatieren. Die dicken Falten im proximalen Abschnitt des. 
Isthmus sind 4—5 an Zahl. Diese Falten sind stets einfache und 
haben keine Seitenzweige, sind einzeln, kürzer, dicker und runder 
als in der geschlechtsreifen Tube. Näher der Ampulle nehmen die 
Falten an Zahl zu, sind hier auch verdickt, abgeplattet, und stellen 
kolbenförmige Erhebungen mit kurzen, plumpen, spärlichen Seiten- 
falten dar. Zwischen diesen Hauptfalten werden feinere, einfache, 
ebenfalls verdickte, abgeplattete Falten gefunden. Je älter 
die Tube ist, um so dicker und kürzer sind die Seitenfalten. Die 
unverzweigten Falten verschwinden wie in dem uterinen Ende, 
so dass die Gesamtzahl vermindert erscheint. In den Tuben von 
Frauen zwischen 70 und 80 Jahren zeigen sich nur die Haupt- 
falten noch, die breit und plump erscheinen, mit höchst seltenen 


224 S. H. Geist: 


kolbenförmigen Seitenfalten. In der Ampulle finden sich dieselben 
Verhältnisse wie in dem eben beschriebenen terminalen Abschnitt 
des Isthmus. 

Die Änderung in der Faltengestaltung hat eine ausgesprochene 
Wirkung auf das Lumen. Im interstitiellen und proximalen Teil 
des Isthmus ist das Lumen sternförmig, während es in den anderen 
Abschnitten eine sehr unregelmässige und individuell verschiedene 
Gestaltung aufweist. Infolge der relativen Grössenzunahme der 
Falten und der allgemeinen Abnahme der Schleimhaut ist es oft 
im ampullären Teil nahezu verschlossen. 

Mikroskopisch ist die Verdiekung und Abrundung 
der Hauptfalten ganz der Zunahme des Bindegewebes in jeder 
einzelnen Falte zuzuschreiben. In den kleineren, breiteren Falten 
des uterinen und des proximalen Abschnitts des Isthmus bildet das 
Bindegewebe ein mehr oder weniger dichtes Netzwerk verschieden 
grosser Fasern, welche die Falten bis auf die Spalten für die 
Gefässe völlig ausfüllen. In den mehr verzweigten Falten 
findet sich ein zentraler Strang dichter Bindegewebszüge, ähnlich 
wie in der geschlechtsreifen Tube, nur viel mächtiger. Von diesem 
zentralen Strang aus ziehen dickere und dünnere Züge, und zwar 
besonders zahlreich um die Gefässe. In den Frühstadien der 
senilen Veränderungen zeigen sich gerade in der perivasculären 
Umgebung die ersten Bindegewebszunahmen. Das Binde- 
gewebe zeigt die Neigung, parallel zur Oberfläche zu verlaufen, 
und gibt somit die Möglichkeit, zu unterscheiden zwischen der 
durch entzündliche Prozesse hervorgerufenen Bindegewebszunahme 
und der senilen (Schridde). Die Fasern bilden gerne eine 
mehr oder weniger dicke Schicht unterhalb des Epithels, jedoch 
ist niemals eine echte Membrana propria zu sehen gewesen. 
Zwischen den einzelnen Epithelzellen ist selbst in den ältesten 
Tuben kein Bindegewebe zu konstatieren. 

Das elastische @ewebe in der geschlechtsreifen Tube 
ist sehr spärlich, wie wir in Übereinstimmung mit Buchstab fest- 
stellen konnten. In den Falten geschlechtsreifer Tuben findet man 
in vielen Fällen keine, gelegentlich jedoch feine, vereinzelte, kleine 
Fasern, die aber nicht dem Bindegewebe, sondern den Gefässen 
angehören. Die von Schenk und Austerlitz in den senilen 
Tuben beschriebene Zunahme dieses Gewebes glauben wir den 
Gefässwänden zugute halten zu dürfen, denn wir fanden sogar in 


Die senile Involution der Eileiter. 225 


den Wänden der kleinsten Arterien eine mässige Zunahme 
elastischen Gewebes, welche den Falten den Anschein gab, als ob 
sie reicher daran wären, denn im geschlechtsreifen Stadium. Wir 
konstatierten in den Falten seniler Tuben ausserhalb der Gefäss- 
bezirke niemals elastisches (sewebe. 

Die Gefässe zeigen in sämtlichen Tubenschichten eine 
Zunahme sowohl an elastischem wie an Bindegewebe mit einem 
gleichzeitigen Schwund der Muskulatur. In der Media fehlt meist 
das Muskelgewebe völlig und ist zum grössten Teil durch Binde- 
gewebe und feine elastische Fasern ersetzt. Die Adventitia zeigt 
eine ringförmig angeordnete starke Zunahme an Bindegewebe und 
elastischen Fasern. Hier findet man in den mittleren grossen 
(efässen Massen von elastischem Gewebe in ununterbrochenen 
Ringen. 

Auch die Intima ist erheblich verdickt, grösstenteils infolge 
Zunahme des elastischen Gewebes. Hier zeigt sich das elastische 
(Gewebe als dicke, ringförmige Lamellen, zwischen welchen mehr 
oder wenige konzentrische, kurze, feine, unverzweigte, gewundene, 
elastische Fasern und Bindegewebsfibrillen eingelagert sind. 

Die Endothelzellen weisen auch eigentümliche Veränderungen 
auf. Hier treten starke Wucherungen der Endothelien auf, wo- 
durch die Intima weiter verdickt wird. Diese Wucherung ist eine 
regelmässige, und es scheint, als ob sie zur Bildung eines neuen 
(Gefässrohres führt. So entsteht gleichsam in dem alten sklero- 
sierten Gefässrohre ein neues, von Endothel ausgekleidetes Gefäss. 

Die ganzen Veränderungen am Gefäßsystem ähneln voll- 
kommen der Schwangerschafts-, Ovulations- und Menstruations- 
sklerose, wie sie in den übrigen Teilen der Genitalorgane auftritt 
(Sohma, Pankow). 

Von besonderen Befunden im Bindegewebe der Schleimhaut 
wäre noch zu erwähnen, dass ich in ihm gelegentlich einzelne 
Mastzellen und Plasmazellen feststellen konnte. Auch vereinzelte 
Lymphocyten wurden hie und da angetroffen. 

Wichtige Veränderungen bietet bei der senilen Involution 
des Eileiters das Epithel dar. Es zeigt vom Alter des Individuums 
abhängige starke Variationen. Die typischen zylindrischen Flimmer- 
zellen mit ihren scharf markierten basalen Knötchen, und wohl- 
erhaltenen Flimmern scheinen besonders in dem distalen Teil des 
Isthmus und in der Ampulle, bei Frauen bis zum 56.—60. Jahre 


226 S-H. Geist: 


normal erhalten zu sein. Mit diesem Zeitpunkt setzt ein all- 
mählicher Schwund der Flimmerzellen ein, aber es finden sich 
sogar in Tuben von Frauen über 80 Jahre noch wohlerhaltene 
Flimmerzellen vereinzelt oder in kleinen Gruppen. Im letzteren 
Falle sind sie gewöhnlich in den Crypten zwischen den Falten, 
selten auf den Faltenhöhen vorhanden. 

Die ersten Veränderungen, die man an den Flimmerzellen 
sieht, bestehen darin, dass die Flimmern allmählich schrumpfen. 
Die resistenteren basalen Stäbchen indessen bleiben noch längere 
Zeit sichtbar, wenn auch die Flimmern bereits vollkommen 
geschwunden sind. Die Zellfärbung ist eine gute, der Kern 
deutlich erkennbar. 

Bei Färbung mit Heidenhain stiess man auf ein eigen- 
tümliches Phänomen, nämlich die Anwesenheit von schwarz- 
gefärbten Körnern in den Flimmerzellen (Fig. 7). Diese Körnchen 
waren von verschiedener Grösse, teils nur feine Körnchen, halb 
so gross wie die basalen Knötchen, teils grösser als letztere, 
rund oder eckig. Sie zeigen Neigung, sich gelegentlich ein- oder 
zweireihig zusammenzulagern, und zwar direkt unterhalb der 
basalen Stäbchen; dann wieder sind sie unregelmässig zerstreut 
im oberen Zellpol zu finden. Sie erstrecken sich nie unterhalb 
des Kernes oder in ihn selbst. Sie sind vorhanden in den 
Flimmerzellen der Tuben über 50 jähriger Frauen, meist in den 
noch wohlerhaltene oder in Rückbildung begriffene Cilien 
tragenden Zellen. Oft fanden sie sich auch in Zellen ohne Cilien, 
aber mit basalen Stäbchen (Fig. 8), welche als Merkmale dafür 
galten, dass man es mit Flimmerzellen zu tun hatte. Nie aber 
waren sie in solchen Zellen, welche die deutlichen Merkmale der 
sekretorischen Zellen trugen, auffindbar. Weiterhin fand man 
diese Granula weder in den Flimmerzellen der Tube eines acht- 
monatlichen Fetus, noch in kindlichen Tuben, noch auch in zwei 
geschlechtsreifen Tuben. 

Die Möglichkeit, dass diese Körnchen der bei der senilen 
Involution des Urogenitalsystems auftretenden lipochromen Pigment- 
‘gruppe angehören, konnten wir ausschliessen. Denn einmal fanden 
wir diese Körner nur in den Flimmerzellen, und dann auch 
konnten sie nie mit den einfachen Färbemethoden oder den 
spezifischen Fettfärbemethoden (Sudan oder Osmiumsäure) demon- 
striert werden. 


- 


Die senile Involution der Eileiter. 227 


Ikeda (8) beschreibt ähnliche Körnchen in den Flimmer- 
zellen des menschlichen Nebenhodens geschlechtsreifer und alter 
Individuen und hält sie für sekretorische Elemente. Wir unter- 
suchten auch den Nebenhoden des Menschen, des Meerschweinchens 
und der Ratte und fanden, dass die ganzen Zellen mehr oder 
weniger stark mit verschieden grossen Granula gefüllt waren, 
im oberen Pol mit gröberen und dickeren. Die Zellen, welche 
diese Granula trugen, sind jedoch von den typischen Flimmer- 
zellen der Tube gänzlich verschieden. 


Ebner (9) macht folgende Angaben: 


„Die Epithelzellen des Nebenhodenganges erinnern an ein- 
fache Geisselzellen mit einer einzigen dicken Wimper, die aber 
eine fibrilläre Zusammensetzung zeigt.“ 


„Auch vermisst Aigner (10) an Schnitten fixierter und ent- 
sprechend gefärbter Präparate an der Basis der Büschel der Zellen 
des Nebenhodenganges die für die Flimmerhaare charakteristischen 
Basalknötchen.“ . 

„Sehr bemerkenswert sind die konstant vorkommenden 
körnigen Einlagerungen im Protoplasma der Büschelzellen des 
Nebenhodenganges, welche OÖ. van der Stricht besonders schön 
im Nebenhoden der Eidechse entwickelt fand und zuerst als Sekret- 
granula erklärte.“ 

Bei unseren Untersuchungen zeigten nun diese Zellen des 
Nebenhodens ausserdem noch typische Schlussleisten, welche aber 
in den Flimmerepithelien der Tube fehlen. Das beweist, dass 
diese Zellen auch morphologisch etwas ganz anderes darstellen . 
als echte Flimmerzellen, und es ist klar, dass kein Vergleich 
zwischen den in jungen und alten Nebenhoden gefundenen Granula 
und den von uns in den senilen Tuben konstatierten Körnern 
gezogen werden darf. 


Die Körner in den Flimmerzellen der senilen Tube sind 
also keine solchen Sekretionsprodukte. 


Ich habe mich nun bemüht festzustellen, als was denn 
sonst man diese Körnchen betrachten könne. Da sie sich bei 
Heidenhain ebenso schwarz tingieren wie die Basalstäbchen, 
so liegt es nahe, sie mit diesen in Beziehung zu bringen. Allein 
für die Ansicht sind keine Beweise beizubringen, denn die 
Körnchen sind sowohl in Zellen vorhanden, die noch Flimmern und 


223 S. H. Geist: 


unveränderte Basalstäbchen haben, wie auch in solchen, in denen 
diese beiden Strukturbestandteile schon völlig geschwunden sind 

So ist es mir nicht möglich gewesen, über die Natur dieser 
Körner etwas zu eruieren, und es lässt sich also nur sagen, dass 
sie bei der senilen Involution des Eileiters in den Flimmerzellen 
erscheinen, und dass sie ein sicheres Zeichen für die Involution 
sind, da sie nur in dieser Zeit gefunden werden. 

Am Epithel sehen wir nun noch weitere Veränderungen 
auftreten. Die Zellen sowohl die Flimmer-, wie die sekretorischen 
Zellen, verlieren nach und nach ihre Merkmale und zeigen 
schliesslich einen indifferenten Typus. Sie werden niedriger und 
werden schliesslich ersetzt von einer kubischen Zellschicht, bei 
der es unmöglich ist herauszulesen, wo ursprünglich Flimmer- 
zellen und wo sekretorische vorhanden waren. Dieser Zustand 
wird erreicht in Tuben von über 60 jährigen Trägerinnen. Diese 
Epithelgleichheit wird allerdings gelegentlich unterbrochen von 
isolierten Flimmerzellen oder von Gruppen derselben. 

Die regressive Umwandlung schreitet nun noch weiter fort, 
und die Zellen werden schliesslich auffallend niedrig, so dass sie 
sogar in sehr alten Tuben (7O jähriger und älterer Frauen) wie 
Endothelzellen erscheinen. Gelegentlich schwinden die Zellen in 
kleinen Bezirken auch ganz, und die entblössten Stellen zeigen 
nur Bindegewebsmassen. Dass diese entblössten Bezirke an 
Grösse zunehmen und verschmelzen können und so eventuell zu 
einer totalen Obliteration des Tubenlumens führen (Schridde), 
ist möglich, wenngleich es in unseren Fällen nicht beobachtet 
wurde. Wir konnten selbst in den ältesten Fällen ein mit 
niedrigem Epithel ausgekleidetes Lumen stets demonstrieren. 

Die von Ballantyne und Williams, wie auch von 
Schnaper beschriebenen mächtigen Epitheldesquamationen mit 
Anhäufung der Epithelien zwischen den Falten sind nach unserer 
Meinung nicht von der senilen Umwandlung abhängig, sondern 
vielmehr das Resultat postmortaler Veränderungen, weil auch 
nicht in einem einzigen Fall unseres Operationsmaterials dies 
Verhalten zu konstatieren war, während im Leichenmaterial sogar 
bei Kindern und geschlechtsreifen Frauen diese Bilder sich boten. 

Auch die von Sehnaper beschriebenen drüsenähnlichen 
Strukturen sind grösstenteils auf entzündliche Prozesse zurück- 
zuführen, da solche Strukturen als charakteristisch für alte 


Die senile Involution der Eileiter. 229 


entzündliche Verwachsungen anzusehen sind. Ich habe sie nie 
in frisch gewonnenem operativem Material, das im übrigen normale 
Verhältnisse bot, gefunden. 

Ausser den sekretorischen und Flimmerzellen fanden sich 
auch — wenngleich nur in sehr geringer Zahl — die sogenannten 
Stiftchenzellen. 

Ich komme jetzt auf die Veränderungen der übrigen 
Tubenwand zu sprechen. Sie erleidet nicht dieselbe Volumen- 
abnahme wie die Mucosa, da die Bindegewebszunahme die Atrophie 
der übrigen Bestandteile ausgleicht. 

Die Muskulatur beginnt vom 50. Jahre an eine rapide 
progressive Atrophie aufzuweisen. Die Muskelbündel beider 
Schichten, besonders aber der Längsmuskulatur werden mehr und 
mehr unterbrochen, die Bündel werden kürzer und kleiner infolge 
der Grössenabnahme der Muskelfasern. An Stelle der atrophischen 
Muskulatur treten dichte Bindegewebsstränge. Von diesen aus ziehen 
feinere Züge zwischen die noch wohlerhaltenen Muskelbündel, und 
es lässt sich weiter verfolgen, wie aus diesen Bindegewebsmassen 
der Wand Fasern zu jenen der Falten hinüber sich erstrecken. 

Die innere zirkuläre Muskelschicht hält sich länger intakt, 
wenngleich sie schon kurz nach dem 50. Jahre Abnahme in 
Grösse und Masse zu zeigen beginnt. Auch hier tritt als all- 
mählicher Ersatz das Bindegewebe. Bei Tuben 65 jähriger und 
älterer Frauen zeigen sich in der Wand dichte Bindegewebsmassen, 
die feinere Fasern nach allen Richtungen hin aussenden, welche 
ein deutliches Netzwerk — besonders um die Gefässe herum — 
bilden, und so die Komplexe, welche die externe Muskulatur und 
diejenigen, welche in die Schleimhautfalten sich fortsetzen, ver- 
binden. Dicht unter der Mucosa sammeln sie sich und bilden eine 
dicke Bindegewebsschicht. In Tuben über 7O jähriger Trägerinnen 
ist die äussere Muskelschicht oft völlig durch Bindegewebe ersetzt, 
aber immer noch sind vereinzelte Muskelbündel, welche die 
ursprüngliche zirkuläre Schicht besonders des interstitiellen Teiles 
und des proximalen Isthmusabschnittes erkennen lassen. 

Über das elastische Gewebe ist zu sagen, dass es 
allmählich verschwindet. Wir stimmen mit Buchstabs Angaben 
soweit überein, als er angibt, dass nur in der Serosa und gelegent- 
lich in den äusseren Muskelschichten elastisches Gewebe vor- 
handen ist. 


230 S.. H. Geist: 


In der inneren Muskelschicht fanden wir nie elastisches 
(Gewebe, ausser in und um die Gefässe, wo es breite, meist 
komplette Ringe bildet. In den äusseren Schichten finden sich 
gelegentlich zwischen dem 50. und 60. Jahre feine, kurze Fibrillen, 
die weit auseinander gelagert zwischen den Muskelbündeln oder 
den Bindegewebssträngen zutage treten. Sie sind aber nicht ver- 
flochten, verzweigt oder überhaupt zusammenhängend, sondern 
nur vereinzelte Fasern. 

Die Serosa war gewöhnlich etwas verdickt, grösstenteils 
infolge der Bindegewebszunahme, welches hier von seinen grossen 
Zügen feine Fasern nach den verschiedensten Richtungen hin wie 
ein Netz aussendet. Dies Netzwerk war weitmaschiger als das- 
jenige der Falten oder der Wand. Hier fand sich das elastische 
Gewebe in kurzen, feinen Fasern, gelegentlich verzweigt und 
einander berührend, so dass ein mehr oder weniger zusammen- 
hängender Ring zustande kam, besonders unterhalb des Peritoneums. 
Dieser Gewebsring wurde hier und da von Bindegewebszügen 
unterbrochen und zeigte, je älter die Tube, eine um so stärkere 
Abnahme. Auch in der Serosa lagerte sich das elastische Gewebe 
mit Vorliebe um die Gefässe. 


Zusammenfassung der Ergebnisse. 


Die Alterstube stellt ein dünnes, schlankes und glattes Rohr 
dar. Die Involution betrifft makroskopisch besonders die Schleim- 
haut, weniger die übrigen Wandschichten. 

Die mikroskopische Untersuchung zeigt, dass in der Schleim- 
haut zuerst die Seitenfalten der Hauptfalten zu schwinden beginnen. 
Auch die Hauptfalten werden kürzer, plumper und kleiner, und 
von den Seitenfalten ist schliesslich nichts mehr zu sehen. 

Der Schwund kann im proximalen Abschnitte der Eileiter 
so weit gehen, dass das Lumen nur mikroskopisch noch sichtbar 
ist und einen einfachen Spalt darstellt. Schliesslich kann es sogar 
zur völligen Öbliteration (Schridde) kommen. 

Bei. der Involution finden wir auch eine mässige. Binde- 
gewebsvermehrung in den Hauptfalten. 

Die Muskulatur, besonders die äussere, zeigt starke Rück- 
bildungserscheinungen. Hier findet eine auffällige Bindegewebs- 
entwicklung statt, so dass die Wand relativ nicht in so hohem 
Maße verdünnt wird wie die Schleimhaut. 


> 
— 


Die senile Involution der Eileiter. 5 


Das elastische Gewebe, das schon in den Tuben geschlechts- 
reifer Frauen nur sehr spärlich vorhanden ist, schwindet völlig. 

Die Gefässe weisen in den Tuben seniler Frauen, die geboren 
haben, genau die Schwangerschaftsveränderungen auf wie die 
(Grefässe im Uterus und Ovarium. 

Besondere Veränderungen erleidet auch das Epithel. Die 
Flimmer- und Sekretionszellen machen mehr und mehr einem 
indifferenten Zelltypus Platz. Endlich kann ein ganz plattes 
Epithel vorliegen, das einen Eindruck wie Endothel macht. 

Eine Desquamation des Epithels, wie sie von verschiedenen 
Autoren beschrieben worden ist, halten wir für Leichenerscheinung. 

Wenn auch die Flimmerzellen, wie gesagt, meist durch 
indifferente Zellen ersetzt werden, so kann man diese Elemente 
doch vereinzelt bis zum 80. Lebensjahre feststellen. 

Die erste Veränderung an den Flimmerzellen zeigt sich 
darin, dass die Flimmern und dann auch die Basalstäbchen all- 
mählich verschwinden. 

Ausserdem finden sich als ein charakteristisches Zeichen der 
Involution im Oberende der Flimmerzellen grössere und kleinere 
Körnchen, über deren Natur sich allerdings nichts Bestimmtes 
aussagen lässt. 


S. H. Geist: Die senile Involution der Eileiter. 


Literaturverzeichnis. 


Ballantyne and Williams: British Med. Journ., No.1, 1891. 
Grusdew: Zentralbl. f. Gynäk. 1897, No. 10. 

Schnaper: Zentralbl. f. Gynäk. 1898, No. 44. 

Hoermann: Arch. f. Gynäk., Bd. 84. 

Buchstab: Zentralbl. f. Gynäk. 1897, No. 28. 

Schenk und Austerlitz: Zeitschr. f. Heilk., Bd. 24, H. 6, 1903. 
Schridde: Die eiterigen Entzündungen des Eileiters, 1910, Jena. 
Ikeda: Anat. Anzeiger, Bd. 29, No. 1. 

Ebner: Koellikers Handbuch der Gewebeiehre. 

Aigner: Sitzber. d.k.k. Akad. in Wien, 3. Abt., 109. Bd. (1900), 8.1. 
Sohma: Arch.f. Gynäk., Bd. 84, H. 2. 


Erklärung der Abbildungen auf Tafel XII. 


‘. Tube einer 60jährigen Frau, Körner im Flimmerepithel aufweisend. 
Tube einer 72jährigen Frau; Körner in Zellen ohne Flimmern aber 
mit basalen Stäbchen. 

(Färbung mit Eisenalaun-Hämatoxylin.) 


Die Intelligenzsphären des Molluskengehirns. 


Ein Beitrag zur stufenweisen Entfaltung dieser bei den 
Achordaten. 


Von 
B. Haller. 


Hierzu Tafel XIV—XIX und 12 Textfiguren. 


In den Zentralnervensystemen der Achordaten finden sich 
zwei Typen vor: Nervensysteme von primär reflektorischem Typus ') 
und solche, die eine darüber psychologisch weiter hinaufragende 
Stufe darstellen. Primär reflektorische Nervensysteme sind die 
der Coelenteraten und Echinodermen, während mit der Heraus- 
bildung eines oberen Schlundganglions, des Urhirns, höhere Zu- 
stände geschaffen wurden. Das Urhirn ist die Errungenschaft 
niederer Helminthen. Von da aus vererbte es sich aber nicht 
auf die Mollusken, da ein ähnlicher urhirnloser Zustand, wie 
jener der Turbellarien ist, noch bei den niedersten unter ihnen, 
den Placophoren, sich vorfindet: ein oberer Schlundring ohne 
gangliöse Verdickung. Jenes Urhirn gelangt dann erst bei den 
Zeugobranchiern zum ersten Male unter den Mollusken zur Ent- 
faltung und somit völlig selbständig von den Wurmahnen. Das 
Urhirn ist aber in beiden Abteilungen geweblich gleich und von 
diesem Zustand aus erfolgte die weitere Differenzierung als. 
Erfordernis schwierigerer Lebensbedingungen. Bei den Anneliden 
gelangt das in dreierlei Weise zur Geltung. Erstens durch das 


!) Mit der Bezeichnung „reflektorisch“ allein käme ich in einen gewissen 
Gegensatz zu Jordan (27), was ich aber nicht beabsichtige. Unter primärem 
Reflex verstehe ich den einfachsten Reflexvorgang, wie denn auch Jordan 
(l. e. S. 116) dem „primären“ Reflex einen „spezialisierten“ entgegenstellt. 
Letzterer setzt schon die Tätigkeit eines konzentrierten Ganglions, des 
Cerebralganglions, voraus. Nur in Ermangelung dieses Einflusses spricht 
dann Jordan von „‚reflexarmen Tieren“, deren Nervensystem ich primär 
reflektorisch nenne. Immerhin möchte.er diese Benennung, die sicherlich 
in seinem Sinne zu Missverständnissen Anlass geben wird, nur provisorisch 
verwendet wissen. Das Auftreten des Urhirns würde dann einen spezialisierten 
Reflex zur Folge haben, während die Gehirne mit Globuli, meine ich, eine 
noch höhere psychologische Stufe bedeuten. 

Archiv f. mikr. Anat. Bd.8S1. Abt.1. 16 


234 | Baar 


Anrücken vorderer Segmente des Bauchmarkes an das Urhirn 
mit der Entfaltung von Gliedmaßen zu Mundteilen, zweitens 
durch die höhere Ausbildung von Hirnzentren der Kopfsinnesorgane 
und endlich durch die Ausbildung einer Intelligenzsphäre am 
oralen Ende des Urhirns. Es erfolgte dies in höherer Weise 
erst bei den Raubpolychaeten. Nicht alles von diesem Neuerwerb 
vererbte sich indessen auf die Ahnen der Articulaten, weil eben 
diese nicht unter den Raubpolychaeten zu suchen sind. Ein Teil 
jenes Neuerwerbes ist älteren Datums und war schon jenen 
Articulatenahnen eigen, von denen Peripatus abzuleiten ist. Es 
ist die Intelligenzsphäre, das Globuluspaar, die Peripatus schon 
besitzt. Von jenem Vorperipatusstadium ererbten sie die Crustaceen, 
von Peripatus die Tracheaten mit Einschluss der Arachnoiden, 
für deren Tracheatenabstammung ich kürzlich eingetreten bin 
(19, 20). In allen Abteilungen der Arthropoden entfaltet sich 
aber die geerbte Intelligenzsphäre, die Globuli oder pilzhut- 
förmigen Körper, mit Übergängen endlich zu hoher Stufe. 

Steht einmal aber die Sache so, so stellt sich von selbst die 
Frage, wie denn die Weichtiere diesbezüglich sich verhalten, denn 
dass anch bei diesen verschiedene Grade von Intelligenz oder 
psychischen Werten sich vorfinden, konnte bei genauer Beobachtung 
nicht entgehen. Dazu kam es, dass ich schon vor sieben Jahren 
gelegentlich bei Oliva (17) am Gehirn einen dorsalen kleinzelligen 
Kern fand, aus dem weder Nerven noch kommissurale Faser- 
verbindungen, die als lange Bahnen gelten könnten, entspringen. 
„Es wäre darum also wohl möglich“, sagte ich, „dass wir in dem 
kleinzelligen frontalen Kern eine Intelligenzsphäre, ähnlich wie 
bei höheren Würmern oder bei den Arthropoden im Globulus 
(pilzhutförmigen Körpern), vor uns haben“ (l. c. S. 658). Wenn 
auch nur ganz nebenbei, hat aber schon 1900 H. Smidt (42) 
den vorderen Abschnitt des Gehirns von Helix als Analogon 
der Globuli oder pilzhutförmigen Körper der Anneliden und Arthro- 
poden angesprochen. 

Ich hatte somit allen Grund dazu, die einmal aufgeworfene 
Frage zu verfolgen und auf Erfolg zu hoffen, wenngleich die 
Literatur dazu auch wenig Anlass gibt. Hat sich so eine Voraus- 
setzung des Vorhandenseins von Globuli bei den Mollusken bestätigt, 
so hat der hohe Entfaltungsgrad dieser bei Pulmonaten immerhin 
doch einigermassen überrascht. 


Die Intelligenzsphären des Molluskengehirns. 235 


Da mir für diese wieder frisches Material zu erwerben leicht 
war, so konnte daran mit den neuen technischen Mitteln heran- 
getreten werden, so mit Methylenblaufärbung von Schnitten, die mit 
Formalin gehärtet waren, mit der Lebendfärbung mit diesem 
technischen Mittel und mit der Golgischwärzung, und so ein- 
sehender die Sache verfolgt werden, als bei den anderen hier be- 
arbeiteten Weichtieren. Darum stelle ich die Behandlung der 
Pulmonaten an die Spitze dieser Schrift, obgleich der richtigere Weg 
sicher nach der phyletischen Richtung hin gewesen wäre. An diese 
(rasteropoden reihe ich dann die anderen Gasteropoden und die 
Öephalopoden. Von Murex brandaris, Eledone und Sepia stand 
mir frisch in Formalin gehärtetes Material zur Verfügung, an dem 
ich auch mit der Golgischen Methode arbeiten konnte. Bei 
allen anderen wurde an alten Schnittserien beobachtet, also nicht 
etwa an altem Alkoholmaterial, das angegriffen gewesen wäre. 
Sonst gute Karminschnittserien lassen sich gut mit Methylenblau 
nachfärben, wobei wegen der leichten Überfärbung nur ganz 
kurze Zeit (1—3 Minuten) gefärbt werden darf. 


A. Pulmonaten. 


Von diesen gelangten zur Untersuchung: Helix pomatia, 
Arion empiricorum und Limax cinereo-niger. 

Obgleich das Zentralnervensystem der Pulmonaten sonst genau 
durchgearbeitet ist, bezieht sich eigentlich nur Böhmigs Arbeit 
von 1883 (2) auf den inneren Bau desselben, denn einfache 
Zellenstudien ohne genauere Berücksichtigung der Topographie . 
haben doch nur einen relativen Wert. 

Nach Böhmig liegt das Supraösophagealganglion, das ich 
nun als Gehirn bezeichnen will, bei Helix in einer mächtigen 
Bindegewebshülle, die äusserlich die Gestalt seiner beiden seitlichen 
(rehirnhälften verdeckt. Diese werden durch eine kurze und 
breite Kommissur zusammengehalten. Am ehesten lässt sich die 
Form jeder Gehirnhälfte mit einer Scheibe von verzerrter Form 
vergleichen, „welcher nach vorne ein Ellipsoid und seitlich am 
Beginn der Querkommissur ein nierenförmiges Gebilde angesetzt 
sind“. Immerhin ist die Grösse und Form der Gehirnhälften 
einigen Schwankungen selbst bei gleich grossen Tieren ausgesetzt. 
In jeder Gehirnhälfte lassen sich drei Abteilungen unterscheiden, 


und zwar eine erste, zweite und dritte. Die erste Abteilung be- 
16* 


236 B. Haller: 


sitzt „einen zentralen Ballen von Punktsubstanz, der an seiner 
Peripherie von einer Ganglienzellschicht bekleidet ist. Dieser 
Zellenbelag variiert aber an Mächtigkeit, Form und Grösse der 
‘ Zellen ausserordentlich.“ In der hinteren Region ist die Zell- 
schicht am mächtigsten und nehmen die Zellen an Grösse von 
aussen nach innen ab, was ein allgemeines Verhalten ist. Aber 
von dieser Region an ist der Zellbelag insofern anders, als er 
meist nur aus kleinen bi- und multipolaren Ganglienzellen zu- 
sammengesetzt ist, unter denen sich nur selten eine grössere Zelle 
vorfindet. Nach vorne und seitwärts zu nehmen diese Zellen an Grösse 
ab und nur ganz vorne werden sie wieder grösser. Auch an der 
unteren Seite der ersten Abteilung des Gehirns sind kleinere Zellen 
vorhanden und obgleich noch zahlreicher als die grösseren, so sind 
diese doch reichlicher vorhanden als an den bisherigen Stellen. 
Aus dem Punktsubstanzballen sammeln sich Nervenwurzeln. 

Die zweite Abteilung ist der medianen Hälfte des vorderen 
(sanglienrandes angefügt, von ellipsoider Form mit kreisrundem 
(Querschnitt. In ihrer Bildung weicht diese Abteilung von den 
beiden anderen ab, denn „während bei diesen eine den ganzen 
Punktsubstanzballen umhüllende Rindenschicht von Zellen vor- 
handen ist, liegt dort das Zellager neben dem Punktsubstanz- 
ballen, und zwar auf der äusseren Seite desselben“. Dieses 
Zellager hat somit sichelförmige Gestalt, wobei aber noch eine 
dünne Lage von Ganglienzellen, allerdings nicht immer, auch auf 
der ventralen Seite der zweiten Hirnabteilung sich vorfinden kann. 
Nie ist eine solche auf der dorsalen Seite vorhanden. Die 
Zellen der Sichel sind klein und den Kern umschliesst nur ein 
geringer Plasmaleib. Aus dieser zweiten Hirnabteilung lässt 
Böhmig den Nervus ommatophorus entstehen. Lacaze- 
Duthiers (28), und vorher schon Walter (46), der diese Gebilde 
Lobules superieures nennt, haben keine Nerven aus ihnen entstehen 
sehen, worauf auch die beiden Sarasin (39) bestehen. Die 
dritte Abteilung der jederseitigen Hirnhälfte ist die kleinste und 
medianwärts gelegene, sie ist den beiden anderen insofern nicht 
gleichwertig, „als sie nur von einem Ganglienzellager ohne Punkt- 
substanzballen gebildet wird“. Diese Abteilung bilden sehr grosse 
Zellen und sie soll keinem Nerven zum Ursprung dienen. 

Aus dem Gehirn treten folgende Nerven und Kommissuren 
ab. Vorne aus der zweiten Abteilung, als deren verjüngtes 


Die Intelligenzsphären des Molluskengehirns. 2241 


vorderes Ende, der starke Nervus ommatophorus, von ihm aus- 
wärts ein zarter Nerv. Median von dem ÖOmmatophorus der 
N. labialis internus und noch zwei andere Nerven. Aus der 
ersten Hirnabteilung der N. labialis externus, der N. facialis und 
die Buccalkommissur, ferner die Pedal- und Visceralkommissur 
(Komm. der Kommissuralganglien), sowie die beide Hirnhälften 
verbindende Üerebralkommissur. 

Nabias untersuchte speziell das Zentralnervensystem von 
Limnaea stagnalis und teilt deren Cerebralganglion jederseits 
ein in ein Protocerebron (III. Abschnitt Böhmigs), ein Deuto- 
cerebron, einen Noyaux accessoire und eine Eminence sensorielle 
esrebrale, welch letztere Lacaze-Duthiers Lobule superieure ist. 

Abgesehen davon, dass die obigen zwei Benennungen an 
Arthropoden vergeben sind, wo Angliederungen von hinteren 
Segmenten einsetzen, wäre auch zu prüfen, wie sich diese Ab- 
schnitte der Basommatophoren zu jenen der Stylommatophoren 
verhalten, bevor ein endgültiges Urteil hier gefällt werden kann. 

Was nun meine eigenen Beobachtungen betrifft, so möchte 
ich zuerst die äussere Form des Gehirns erörtern. 

Wenn wir schon die drei Gehirnabteilungen nach Böhmigs 
Weise mit Zahlen versehen beschreiben wollten, so müssten wir 
mit eins doch die vordere und mit drei die hinterste Abteilung 
bezeichnen, allein ich glaube, es ist geeigneter, die Abteilungen 
nach ihrer Lage zu benennen. Damit würde dann Böhmigs 
II. Abteilung zur vorderen, die III. zur mittleren und die 
Bszur binteren: 

Die vordere Abteilung, Lacaze-Duthiers Lobule 
superieure bei den Basommatophoren (Textfig. 1, gl), verjüngt 
sich nach vorne zu allmählich und geht dann dort in den Nervus 
ommatophorus (2) über, wie dies Böhmig geschildert hat. 
Darnach können wir ihre Form als konisch bezeichnen mit an 
die hintere Abteilung (sg) angewachsener Basis. Ihr Querschnitt 
ist kugelrund, wobei ihre laterale Seite bei manchen Individuen 
etwas aufgebuchtet sein kann, doch allerdings nur kaum merklich. 
Und dies kann auf demselben Präparat der Fall sein, wie eben 
in dem abgebildeten auf der linken Seite. 

Gleich neben dem zweiten Nerven — ich will einstweilen 
die Nerven mit Zahlen benennen — befindet sich ein sehr feiner 
Nerv. den Böhmig nicht nennt. Medianwärts legt er (1) sich 


338 B. Haller: 


dem zweiten Nerven allerdings sehr fest an, weshalb er übersehen 
werden kann. Die zwei nächstfolgenden Nerven drei und vier 
(3, 4) gehen entweder noch vom Stamm des zweiten Nerven 
ab (A), oder der vierte rückt etwas tiefer nach hinten und tritt 


Fig. 1. 
Gehirn von Helix pomatia, A von oben, B von unten. Die Intelligenz- 
sphäre (Globulus) schwarz, das Gebiet der grossen motorischen Zellen 
punktiert. gl = vorderer, sg — hinterer (sensorischer), i — mittlerer (moto- 


rischer) Abschnitt; 1—8 = Kopfnerven; cp = Commissura pedalis; ev — 
Commissura visceralis; ce — Kommissur der vorderen Eingeweideganglien 
(Buecalganglien) ; ac — Nerv. acusticus; cc = Commissura cerebralis. 


dann von der unteren Seite des vorderen Abschnittes (B) ab. 
Der nächstfolgende, fünfte (5, 6) Nerv ist stärker als die beiden 
anderen sind und verlässt hinter dem vierten aus der ventralen 
Seite des Abschnittes in gleicher Reihe mit jenem das Gehirn, 


Die Intelligenzsphären des Molluskengehirns. 239 


um bald darauf sich zu gabeln. Da diese Teiläste öfter selb- 
ständig das Gehirn verlassen, so haben wir es in dem Falle nur 
mit der festen Aneinanderlagerung des fünften und sechsten 
Nerven zu tun. 

Aus dem vorderen Abschnitt tritt weiter kein Nerv ab, 
denn der siebente Nerv (7) gehört schon dem hinteren Ab- 
schnitt (sg) des Gehirns, Böhmigs erstem Abschnitt, an. Der 
Nerv tritt an der ventralen Gehirnseite (B) von einer kleinen 
kugeligen Erhabenheit ab und zwar genauestens an der Grenze 
zwischen dem Vorder- und Hinterabschnitt. Der Hinterabschnitt 
ist breiter als der Vorderabschnitt und setzt sich nach innen zu 
in den mittleren Abschnitt fort (i), indessen aus seiner hinteren 
Seite zu äussert und oberst die Commissura visceralis (cv) zu 
innerst und unterst die Commissura pedalis (cp) und zwischen 
beiden der Nervus acusticus nach hinten zu abgehen. 

Ausser dem siebenten Nerven geht noch ein Büschel von 
drei Nerven vom hinteren Hirnabschnitt ab, den ich als achten 
Nerven bezeichne (8), doch tritt dieser im Gegensatz zu allen 
anderen Hirnnerven nicht von der ventralen, sondern von der 
dorsalen Seite des Gehirns ab, allerdings in gleicher Höhe mit 
den ventral abtretenden Nerven. 

Damit sind die aus dem Gehirn abgehenden Nerven und 
Kommissuren erschöpft. denn die Kommissur zu den vorderen 
Eingeweide- oder den Buccalganglien entspringt aus der Visceral- 
kommissur (e. veig) und zieht dann auf der ventralen Seite des 
Gehirns nach vorne, um sich dem N. ommatophorus anzulagern, , 
was wohl seit Lacaze-Duthiers zu der Annahme Veranlassung 
gab, sie trete vom Üerebralganglion ab, obgleich bei anderen 
Gasteropoden der richtige Sachverhalt von mir schon mehrmals 
betont worden war. 

Es verbindet der mittlere Gehirmabschnitt die beiden seit- 
lichen Teile des Gehirns untereinander, folglich fasst er auch die 
Cerebralkommissur in sich, die hinten gelegen (cc) von Ganglien- 
zellrinde fast völlig verdeckt wird. Dieser Gehirnabschnitt, der dritte 
Böhmigs, gibt, wie dies mein Vorgänger schon feststellte, keine 
Nerven aus sich äusserlich ab, obgleich er der wichtigste Hort 
ist, wie ich hinzufügen möchte, für die motorischen Fasern der 
Hirnnerven. Kennzeichnend an ihm sind zwei kegelförmige Vor- 
sprünge (i), die an der medianen Seite fest aneinander stossen. 


240 B. Haller: 


Betrachten wir neben diesem stark konzentrierten Gehirn 
von Helix, bei dem äusserlich infolge davon die Cerebral- 
kommissur verschwindet, jenes von Arion empiricorum (Text- 
figur 2, C), so fällt uns vor allem der Umstand auf, dass die 


Fig. 2. 
Gehirn von Arion empiricorum. A und B von oben und nur die rechte 
Hälfte von zwei verschiedenen Tieren. Ü von unten. Intelligenzsphäre 


schwarz. gl —= vorderer, i == mittlerer, sg — hinterer Abschnitt; 1—8 — 
Kopfnerven; cp — Commissura pedalis; ev = Commissura visceralis; ac — 
Acusticus; ec —= Commissura cerebralis. 


Uerebralkommissur (cc) noch sehr ansehnlich ist, wodurch die 
beiden Hirnhälften weiter auseinander liegen als bei Helix. Es 
gibt zwar diesbezüglich individuelle Schwankungen bei Arion 
und kann die Kommissur auch auffallend kurz sein (A), doch nie 
so kurz, dass sie äusserlich nicht erkennbar wäre, und stets bleibt 
sie unbedeckt von der Ganglienzellrinde. 


Die Intelligenzsphären des Molluskengehirns. 241 


Infolge der geringeren Konzentration ist am mittleren Ab- 
schnitt (i) die vordere zapfenförmige Erhabenheit nicht vorhanden 
oder bloss angedeutet, denn ihre innere Grenze der Kommissur 
zu bezeichnet genau die Stelle, bis wohin die Ganglienzellrinde 
des mittleren Gehirnabschnittes reicht, und nur im Falle einer 
kurzen Cerebralkommissur, also einer grösseren Konzentration 
(A), wölben sich diese Stellen, wenn auch nicht so stark, so doch 
ähnlich vor wie bei Helix. 

Der erste Abschnitt des Gehirns hat sich in einer Weise 
verändert, dass die primären Zustände von Helix nicht ohne 
weiteres daran erkannt werden können. Vor allem ist es die 
ganze obere Seite, welche infolge einer hypertrophischen Zell- 
rindenvermehrung hühnereiförmig vorspringt (A, B, gl), wobei sie 
mit der unteren und hinteren Seite nur an den hinteren, be- 
ziehentlich mittleren Hirnabschnitt befestigt ist. : Dieser ovale 
Vorsprung kann mit der Längsachse bei konzentrierteren Gehirnen 
nach vorne und aussen (A) oder bloss nach oralwärts gerichtet 
sein (B). Erst unter diesem Lappen lagert jetzt jener Teil des 
vorderen Abschnittes, aus dem die Kopfnerven abgehen. Mit ihm 
ist der ovale Lappen seiner ganzen Länge nach verwachsen. Es 
treten dann die Nerven der Reihenfolge nach so ab wie bei Helix. 
Zu innerst vom N. ommatophorus (2) der zarte erste Nerv (1). 
Der N. ommatophorus anfangs noch konisch, lässt an seiner 
äusseren Seite den dritten (3) und vierten (4) Nerven abtreten, 
indessen der fünfte (5) und sechste (6) stets als selbständige 
Nerven den vorderen Abschnitt an der ventralen Seite verlassen. 
Der siebente Nerv (7) nimmt mit seinem etwas hügelartig vor- 
springenden Beginn so eine Lage ein, dass dadurch dorsal- 
wärts die Grenze zwischen dem vorderen und hinteren Gehirn 
abschnitt verstreicht. Es lässt sich hier kaum eine Grenze ziehen. 
Der siebente Nerv ist oben mehr nach seitwärts zu gerückt. 
Auch ventralwärts ist gerade darum die Grenze nicht mehr ge- 
geben (ce). 

Das achte Nervenpaar (S) geht von einem kleinen Hügel 
und zwar von der dorsalen Hirnseite ab, doch erscheint es gleich- 
zeitig auch etwas nach vorne verschoben. Um so besser erscheint 
der hintere Hirmabschnitt, aus dem ja auch hier nach hinten 
die Visceral- und Pedalkommissur (cv, ep) und der Acusticus (ac) 
abgehen, dem mittleren Abschnitt gegenüber durch eine allerdings 


242 B. Haller: 


geringe Einkerbung begrenzt. Der mittlere Abschnitt ist infolge 
der Länge der Cerebralkommissur (cc) paarig. 

Das Gehirn von Limax ceinereo-niger (Textfig. 3) lässt 
sich wohl aus jenem von Arion empiricorum konstruieren, doch zeigt 
es demgegenüber doch solche Eigenarten, dass man das von so 
nahestehenden Formen kaum vermutet hätte. Es wurde hier in 
der Form eine grosse Veränderung vollzogen durch jenen bereits 
bei Arion einsetzenden Prozess, welcher die Entfaltung jenes 


Fig. 3. 


Gehirn von Limax cinereo-niger. A von oben; B von unten. gl = 
vorderer (Intelligenzsphäre, schwarz) ; i=mittlerer Abschnitt; ce= Commissura 
cerebralis; 1-8 — Kopfnerven:; ac —= Acusticus; cp = Commissura pedalis ; 
cv = Commissura visceralis; c. veig = Kommissur der vorderen Eingeweide- 
ganglien. Die beiden Präparate stammten von zwei verschiedenen Tieren. 
Bei A ist die dicke Umhüllung belassen, der das Befestigungsband v angehört. 


Die Intelligenzsphären des Molluskengehirns. 245 


ovalen dorsalen Lappens am vorderen Gehirnabschnitt verursachte. 
Jener ovale Lappen hat bei Limax an Grösse zugenommen und 
jenes Bestreben, bei manchen Individuen von Arion empiricorum 
den ovalen Lappen aus seiner sagittalen Stellung (Textfig. 2, B) 
in eine quere zu verschieben (A), hat bei Limax sein Ziel erreicht, 
da der Lappen nun ganz quergestellt ist (Textfig. 3, gl). Dadurch 
gewinnt aber das ganze Gehirn eine andere Formung, denn es 
erscheint nun quergestellt und die nach oralwärts zu zugespitzte 
Form der vorderen Seitenhälfte ist verschwunden. Es bildet der 
N. ommatophorus jetzt nicht mehr das Ende eines Konus, sondern 
die ganze Nervenreihe bis auf den siebenten und achten Nerven 
steht in einer fast queren Linie angeordnet an der ventralen 
Hirnseite (B, 1—6). Damit im Zusammenhang steht es, dass 
der dritte und vierte Nerv (3, 4) nicht mehr vom Stamme des 
zweiten (2) abgehen, sondern für sich einzeln das Gehirn ver- 
lassen. Der Abgang des siebenten Nerven (7) bildet auch jetzt 
die Grenzmarke ventralwärts am Gehirn zwischen dem nun 
mächtigen vorderen Abschnitt und dem hinteren, allein dorsal- 
. wärts gelangt die Begrenzung ebensowenig zum Ausdruck wie 
bei Arion. 

Die Verdiekungen am Abgang der Commissura visceralis 
und pedalis sind besser markiert als bisher, und an der Visceral- 
kommissur (ev) gelangt dahinter das früher äusserlich unkennbare 
Pleuralganglion, aus dem die Kommissur zu den vorderen Ein- 
geweideganglien abgeht (c. veig), gut zum Ausdruck. 

Infolge der Querstreckung des Gehirns gelangen die beiden 
vorderen, die Cerebralkommissur zwischen sich fassenden Enden 
des mittleren Abschnittes (i) nicht einmal so weit zur Geltung 
wie bei der anderen Egelschnecke, doch ist die Cerebralkommissur 
(ce), wenngleich kurz äusserlich, doch erkenntlich, da sie keine 
Ganglienzellrinde deckt. 

Über den starken Querlappen am vorderen Hirnabschnitt (gl) 
möchte ich noch bemerken, dass er zwar völlig rund begrenzt 
sein kann (A), für gewöhnlich aber seitwärts etwas eingedrückt 
ist (B). 

Wie schon Böhmig für Helix mitgeteilt hat, ist die binde- 
gewebige Hülle um das Gehirn herum sehr dick. Dies ist nicht 
der Fall bei Limax und Arion, vielmehr ist hier diese Hülle, die 
äussere Neurogliahülle, dünn. An der oralen Hirnseite gehen aus 


244 B. Haller: 


dieser Hülle vier (A, v) starke Aufhängebänder hervor, die das 
Gehirn an die dorsale Kopfhaut befestigt halten. 

Hier möchte ich noch an der Hand der Textfig. 4 das Ver- 
halten der Kopfnerven kurz erörtern. Der erste und dritte Nerv 
(1, 3), der letzte von unten, den Nervus ommatophorus kreuzend, 
verlaufen miteinander parallel nach oben zur Kopfhaut zwischen 
den beiden oberen Fühlern, den Augenträgern, um sich hier allem 
Anscheine nach als reine Hautnerven zu verästeln. Der vierte 
Nerv (4) zieht mit dem N. ommatophorus bis an die Basis des 


Fig. 4. 
Limax einereo-niger. Das Gehirn (g) sowie der gesamte Schlundring mit 
der Buccalmasse (bm) nach Eröffnung der Kopfhaut von oben und Durchschneiden 
des Ösophagus (oe), wobei die Buccalmasse nach vorne zu aufgehoben ward. 
Bezeichnungen wie zuvor. veig — vordere, heig — hintere Eingeweide- 
ganglien: pg — Pedalganglien. 


Augenfühlers und verzweigt sich da ebenso wie der fünfte (5) Nerv, 
doch dieser an der lateralen Nackengegend. Während nun diese 
Nerven in die obere Kopfgegend gelangen, gelangen die nächsten 
in mehr ventrale Bezirke des Kopfes. Der siebente (7) versieht 
die untere laterale und die ventrale Halsseite und wohl auch den 


Die Intelligenzsphären des Molluskengehirns. 245 


unteren Fühler. Er ist ein motorischer Nerv und gibt rechts 
auch den Penisast ab. Der achte (S) gelangt in die Lippen- 
gegend, unter dem Nervus ommatophorus sowie den Retractoren 
nach unten zu ziehend. Der sechste Nerv ist ein ausschliesslicher 
Muskelnerv (6). indem er in die Buccalmuskulatur eindringt. 


Dass die Kommissur an die vorderen Eingeweideganglien 
nicht vom Cerebralganglion abgeht, habe ich bereits 1594 und 
später für Docoglossen (14) gezeigt '), er schliesst sich aber solchen 
an und täuscht somit dieses Verhalten tatsächlich vor. Doch 
kann das auch anders sein, eben wie in dem abgebildeten Falle, wo 
sie (c.veig). um die vorderen Eingeweideganglien (veig) zu erreichen, 
bei Limax ventralwärts die Kopfnerven sogar kreuzen muss. 

Nebenbei möchte ich noch bemerken, dass Böhmig die 
Kopfnerven von Helix nicht nur unrichtig gedeutet, sondern auch 
ihren Abgang vom Gehirn irrtümlich angibt, denn ausser dem 
ersten Nerven geht keiner medianwärts ab. 


Dass Böhmig von Pleuralganglien nichts erwähnt, liegt 
. daran, dass solche äusserlich bei Helix nicht wahrnehmbar sind 
und der Autor die Struktur flüchtig verfolgt hatte. Wie erwähnt. 
verhält sich die Sache auch bei Arion ähnlich, und nur Limax 
zeigt die Pleuralganglien auch äusserlich, den ursprünglichen Zu- 
stand der opisthopneumonen Lungenschnecken dadurch erhaltend. 
Dies zeigen aber auch Basommatophoren besser als die meisten 
Stylommatophoren. 


!) Noch früher, 1882 (10), habe ich berichtet, dass bei Rhipidoglossen, 
speziell bei den Trochiden unter ihnen, die Kommissur zu den vorderen Ein- 
geweideganglien, den Buccalganglien der Autoren, direkt aus dem pleuralen 
Abschnitt des Zentralnervensystems entspringt, sich dann den beiden langen 
Kommissuren am Kopfe anschliessend das Cerebralganglion erreicht und hier 
selbständig, bei Fisurella und Haliotis jedoch nur dem Cerebralganglion sich 
anschliessend, abgeht. Diese Befunde hätten, meint man doch, genügen sollen, 
um die Angabe Lacaze-Duthiers, eine gewiss richtige Beobachtung, 
wonach bei Pulmonaten vielfach die obige Kommissur vom Cerebralganglion 
abgeht, entweder in diesem Sinne zu deuten oder doch die histologische 
Prüfung davon vorzunehmen. Allein, das geschah nicht, und einige uner- 
fahrene Autoren blieben bei der alten Auffassung. In vorliegender Schritt 
wird ja dafür auch der histologische Nachweis erbracht, dass die Kommissur 
zu den vorderen Eingeweideganglien aus dem den Cerebralganglien von hinten 
sich anschliessenden Pleuralganglion entspringt. sogar bei den Cephalopoden. 


246 B. Haller: 


Den inneren Bau des Gehirns hat, wie schon erwähnt 
wurde, nur Böhmig, und auch er im allgemeinen, verfolgt. Ich 
will auch hier mit Helix beginnen, doch um in der weiteren Be- 
schreibung nicht gestört zu werden, zuvor die Neurogliafrage bei 
den Mollusken besprechen. 

Der Neuroglia im Zentralnervensystem niederer Gastero- 
poden, jener der Placophoren und Zeugobranchier, habe ich von 
Anfang an eine geringe Beteiligung eingeräumt, indem ich ihr 
Vorkommen nur in den Ganglienzellagen zugab, in der Mark- 
masse aber ihr Vorhandensein bestritt. Diesen Standpunkt nehme 
ich auch heute ein. Von da an aber — es verhält sich genauestens 
wie bei niederen Anneliden im Gegenteil zu den höheren (12) — 
gewinnt die Neuroglia an Verbreitung innerhalb des kon- 
zentrierten Zentralnervensystems und überfüllt auch die Mark- 
masse, gleichzeitig auch an dem Orte ihres ersten Auftretens 
zunehmend. Anders innerhalb der peripheren Nerven, wo ihre 
Beteiligung stets dieselbe intensive ist. H. Smidt, der eine 
Abhandlung über die Neuroglia bei Helix schrieb (40), meint, 
dass die grösseren Neurogliazellen der Helix wohl jenen ent- 
sprechen könnten, die ich bei den Rhipidoglossen für zentrale 
(ranglienzellen erklärt habe; er tut dies mit dem nötigen Vor- 
behalt. Und er handelt richtig, denn diese multipolaren Zellen 
sind Ganglienzellen, die zwar im konzentrierten Nervensystem der 
höheren Gasteropoden immer seltener werden, doch selbst noch 
bei Helix (Fig. 27) neben ausgesprochenen Neurogliazellen ab und zu 
sich vorfinden. Er wagt es nicht zu entscheiden, ob diese zentralen 
multipolaren Zellen neuroglial oder gangliös seien, da, die Richtig- 
keit meiner Beobachtungen vorausgesetzt, wie er sagt, das Ver- 
halten der Neuroglia bei den Rhipidoglossen so sehr abweicht von 
dem, „was er bei Helix und anderen Pulmonaten gesehen hat, 
dass bei jenen Mollusken ganz andere Verhältnisse wie bei den 
Pulmonaten vorhanden sein müssen“. Und hierin liegt die Wahr- 
heit. „Sicher scheint“ Smidt „die Umspannung der Ganglien- 
zellen durch multipolare Zellen (Gliazellen, H.), die durch Über- 
gangsformen mit den Nervengliazellen (im peripheren Nerven, H.) 
verknüpft sind, und deren oft zu beobachtende fibrilläre Ver- 
stärkung wieder an die Wirbeltierglia erinnert“. Sicher erscheint 
es ihm ferner, „dass diese Zellen keine Fortsätze in die Ganglien- 
zellen hineinsenden, wie man es nach Rohdes Untersuchungen 


Die Intelligenzsphären des Molluskengehirns. 247 


vermuten könnte. Allerdings umklammern sie die Ganglienzellen 
so fest, dass sehr wohl bei Zupf- und Pinselpräparaten resp. 
Schrumpfungen durch mangelhafte Fixierung Somatoplasmafasern 
an ihnen hängen bleiben können. Eine wirkliche Kontinuität 
lässt sich aber nieht nachweisen. Umspannt eine Gliazelle mehrere 
Ganglienzellen, so kann sie bei mangelhafter färberischer Differen- 
zierung leicht eine nervöse Verbindung derselben vortäuschen.“ 
Eine andere Angabe Smidts bezieht sich auf den vorderen Ab- 
schnitt des Gehirns und lautet: „Bekanntlich trägt die Haupt- 
masse des Oberschlundganglions von Helix nach vorne beiderseits 
einen stumpfen Fortsatz, der dem hutpilzförmigen Hirnteil der 
Arthropoden und Würmer entspricht (nach Smidt, H.). Die 
laterale Hälfte besteht aus dichtgedrängten kleinen Ganglienzellen, 
die ausser dem Kerne nur Spuren von Protoplasma zeigen, die 
mediale Hälfte aus einem höchst feinen Neuropil, in das die 
Tentakelnerven münden. Die Fibrillen derselben durchsetzen zum 
Teil das Neuropil, um sich zu den hinteren Partien des Ober- 
schlundganglions zu begeben, zum Teil dringen sie in das laterale 
Zellager ein. Das Neuropil der Tentakelganglien zeigt eine ganz 
gleiche Struktur, auch die kleinen es umgebenden Ganglienzellen 
scheinen durchaus den eben erwähnten zu entsprechen. 

In dieses Neuropil sind nun eigentümliche Kerne eingestreut. 
Dieselben sind sehr chromatinreich, länglich, oft nur die Längs- 
achse gebogen, wurstförmig, einzeln oder zu mehreren zusammen- 
gedrängt.“ Sie lassen „zahlreiche schmale Fortsätze erkennen, 
die entweder mit anderen gleichartigen Zellen verbunden, oder 
in Fasern endigen, die mehr weniger weit im Neuropil verfolgt 
werden können“. Ob diese Zellen nervöser oder gliöser Natur 
sind, lässt Smidt unentschieden. 

Dafür konnte Smidt mit Sicherheit vermittelst der Weigert- 
Palschen Methode eigenartige Gliazellen im Pedal- und Visceral- 
ganglion von Helix feststellen. Es sind multipolare Gebilde, die 
einzelne grössere Ganglienzellen oder mehrere kleinere umgreifen 
und deren oft blattförmige Fortsätze untereinander durch zarte 
Fädchen verbunden sind. Er weist darauf hin, dass diese Zellen 
bereits Retzius (37) gekannt hatte, der sie auch als die Ganglien- 
zellen mit ihren Fortsätzen ausspinnende Elemente erkannt hatte. 

Sind in diesen Beobachtungen auch wertvolle Funde zu 
sehen, so hat den vollen und kontinuierlichen Zusammenhang der 


248 B. Haller: 


Neuroglia weder Retzius noch Smidt erkannt, und auch der 
Zusammenhang mit dem „Neurilemm“ entging ihnen, warum dieses 
als Neurogliascheide nicht gewürdigt wird. Die Neurogliazellen 
sind für Smidt bindegewebige Stützzellen ohne allgemeinen 
Zusammenhang. 

Demgegenüber soll nach Veratti (45) eine Neuroglia 
überhaupt fehlen. 

Den Zusammenhang der Neuroglia hat A. Jakubski (22) 
bei den Mollusken erkannt. Er sagt darüber: „Das Gliagewebe 
stellt ein parenchymatöses Syneytium von der Gestalt eines Netz- 
werkes dar, dessen Maschen von ungleicher Grösse, teils als 
gröbere Balken, teils als membranöse Gebilde erscheinen. In 
ihrem Inneren verlaufen spärlich vorhandene Fibrillen von ver- 
schiedener Länge und Dicke, die entweder in lockeren Bündeln 
oder einzeln geradlinig, sich schwach verästelnd, dahinlaufen. Auf 
diese Weise tragen die Gliafasern zur Herstellung der Gliahüllen 
rings um die Nervenelemente nur indirekt bei, die letztgenannten 
Gliahüllen werden bloss vom plasmatischen Syneytium, das alle 
Lücken zwischen Nervenelementen, Nervenfaserbündeln ausfüllt. 
bewerkstelligt. 

Im allgemeinen gilt für alle Molluskengruppen, dass im 
Neuropil in den obersten Schichten das Gliagewebe am stärksten 
entwickelt ist; je näher dem Zentrum des Ganglions, tritt die 
Stärke seiner Ausbildung immer mehr zurück; das Maschenwerk 
wird immer diffuser, unregelmässiger, seine einzelnen Balken 
verlieren sich im Neuropil, ohne mit den anderen Balken des 
Gerüstwerkes in die gegenseitige Verbindung zu treten. Ja es'gibt 
sogar in den zentral gelegenen Partien des Neuropils ganze 
Strecken, die von der gliösen Masse unberührt bleiben. Nur an 
einer Stelle, nämlich im Neuropil der beiden seitlichen sensitiven 
Anschwellungen des Cerebralganglions der (rasteropoden ( „Eminence 
sensitive“ de Nabias) ist das Gliagewebe in seiner ganzen Aus- 
dehnung bis in den Bereich der Nervenwurzeln, wie auch der 
Nervenzellen bis auf jede Spur verschwunden.') In diesem Neuropil, 
das von den Ausläufern der äusserst kleinen Nervenzellen gebildet 
ist, kann man keine, geschweige die fibrilläre Struktur nachweisen. 


!) Autor meint hier die Pulmonaten, bei denen aber, wie wir sehen 
werden, in dem angegebenen Hirnteil die Verhältnisse der Neuroglia anders 
sind und Jakubski sich geirrt hat. 


Die Intelligenzsphären des Molluskengehirns. 249 


Die ganze Masse erscheint homogen, es fehlen auch die Neuroglia- 
kerne fast (! H.) vollkommen.“ „Im Gegenteil zur Glia des 
Neuropils nehmen die Gliafasern der Seitennerven, wie auch der 
Konnektive sehr regen Anteil am Bau der Gliascheiden, ringsum 
einzelne Nervenfasern, oder, was in der Nähe der Ganglien häufiger 
vorkommt, ringsum ganze Nervenfaserbündel. Auf diese Weise 
wird in ihrem distalen Verlaufe jede Nervenfaser von einer 
gliösen Membran und von den in ihr verborgen verlaufenden 
Gliafasern umhüllt.“ 

Meiner Erfalrung nach verhält sich die Neuroglia der 
Mollusken genauestens so, wie ich dies für Würmer (12), Hexa- 
poden (15) und Arachnoiden (19) beschrieben habe und auch 
für die Chordaten ähnliches behauptet habe. Die Neuroglia 
beginnt nämlich mit der dünnen Neurogliahülle, die als ein 
äusserst verdichtetes — kompakt gewordenes — Netzwerk auf- 
zufassen ist. Von dieser Hülle aus treten feinste Fortsätze — auch 
stärkere Balken — nach innen, innerhalb der Ganglienzellage mit 
einem weiten Netzwerk zusammenbängend, dessen meiste Knoten- 
punkte durch kleine Neurogliazellen mit chromatinreichem Zellkern 
eingenommen werden. Es bildet dann dieses Netzwerk geradezu 
ein Fachwerk für die Ganglienzellen, die demselben einlagern, 
da sich ja dies Fachwerk nach allen Dimensionen erstreckt. Mit 
der Ganglienzellschicht hört das Neuroglianetz nur bei den jüngeren 
Formen der Mollusken, den Placophoren und Zeugobranchiern auf, 
indessen setzt sie sich überall bei konzentrierten Nervensystemen 
ohne Unterbrechung in die Markmasse fort, deren Grundgewebe 
das zentrale Nervennetz ist. Dieses wird nach allen Seiten durch- 
zogen durch das Neuroglianetz, das hier jetzt stellenweise Ver- 
änderungen erfuhr, denn abgesehen von stärkeren balkenartigen 
Fortsätzen, die von der Neurogliahülle kommend die Ganglien- 
zellschicht durchsetzen — begleitet vielfach durch Blutgefässe 
bei Cephalopoden, — sind es syneycierte Vereinigungen von drei bis 
sechs Zellen oder grössere Neurogliazellen von der mannigfachsten 
Form mit blätterförmig verbreiteten Fortsätzen, welche in vollem 
Zusammenhang mit dem Neuroglianetz an geeigneter Stelle Stütz- 
punkte bilden. Mit dem abtretenden Nerven geht die Neuroglia 
als Nervenhülle auf dieselbe über und steht durch Fortsätze im 
Nerven mit einem Fachwerke im Zusammenhang, das aus dem 


Netze abzuleiten ist, doch jetzt die Nervenfasern umhüllend, 
Archiv f.mikr. Anat. Bd.81i. Abt. I. 17 


250 B. Haller: 


durchbrochene Septen zwischen denselben bildet. Zellkerne fehlen 
auch hier nicht. 

Mich wunderte es, dass mehrere Autoren wegen der geringen 
Färbbarkeit der Zellkerne in der Neuroglia sich beklagen, denn 
durch Methylenblau färbten sich die kleinen ovalen Zellkerne 
der Neuroglia ungemein tief, wodurch sie sich von den weniger 
chromatinreichen Zellkernen der Ganglienzellen, mögen diese 
kugelrunden (Gebilde noch so klein sein, sehr scharf abheben. 
Fig. 20 zeigt auf einem Schnitte durch das Gehirn von Limax 
die innere Neurogliahülle (ih) verbunden mit einer netzigen 
äusseren (ah) — von der ich es aber unentschieden lasse, ob sie der 
dicken äusseren Hülle von Helix entspricht, oder bei dieser auch 
reines Bindegewebe mit Teil nimmt — wobei die ovalen, kleinen 
Kerne der Netzzellen überall gleich tief gefärbt sind. Dabei 
zeigt das Netz einen viel weniger tiefen Farbenton. Von der 
inneren Neurogliahülle aus gehen feine Verbindungsfortsätze an 
das neurogliale Netz in der Ganglienzellrinde (gz), dieses mit 
jenem innig verbindend (Fig. 51, 52, 54). Entsprechend der 
Grösse der Ganglienzellen ist das neurogliale Netz in der Ganglien- 
zellrinde enger oder weiter und es umfasst dann dieses netzartige 
Fachsystem die Ganglienzellen oft von allen Seiten derartig, dass 
diese eine kernhaltige Hülle um sich haben, was besonders von 
den grösseren Zellen gilt (Fig. 6, 20). Allein es können oft genug 
kleinere Zellen, und dies gilt allgemein für die kleineren stern- 
förmigen Zellen, dieser Umhüllung auch ermangeln, wie dies aus 
den zwei Abbildungen zu ersehen ist. Es legt sich dann die 
Neuroglia fest an die Ganglienzellen und es werden die inter- 
zellularen Räume oft von dieser geradezu austapeziert (Fig. 20, 
s, s’). Dabei möchte ich bemerken, dass die Neurogliafäden nicht 
überall gleich breit sind. Manchmal dicker (Fig. 20) können, sie 
anderorts dünner sein (Fig. 6) und erscheinen dann tiefer gefärbt. 
Ob letzteres etwa auf eine Schrumpfung zurückzuführen ist, 
vermag ich indessen nicht zu entscheiden. Jedenfalls färbt sich 
die Neuroglia dort, wo sie als dickes Balkenwerk erscheint, wie 
zwischen zwei gleichen Ganglien an ihrer medianen Berührung, 
wo die innere Neuroglia ein dickes, weitmaschiges Netz bildet, 
stellenweise (Fig. 38, ih) tief blau, etwas violett (s. a. Fig. 54); 
doch verliert, wie gesagt, dann öfters diese tiefe Färbung das 
Netz zwischen den Ganglienzellen. 


Die Intelligenzsphären des Molluskengehirns. Dat 


Von diesem Verhalten des Neuroglianetzes in der Ganglien- 
zellschicht der Gasteropoden weicht jenes bei Gephalopoden insofern 
ab, als dort die Neuroglia (Fig. 54) viel feiner ist und die Zellen 
im Netze stecken. Es liegen dann die Zellen nie in kernreichen 
Hüllen, sondern vielmehr in einer feinnetzigen Masse. 

Mögen die Neurogliazellen den Ganglienzellen noch so fest 
anliegen, so kann man sie sowohl als die Netzfäden mit den 
angewandten Reagentien vom rein nervösen Gewebe unterscheiden, 
besonders wenn die Neuroglia einen tieferen Farbenton annimmt 
(Fig. 6). Es ist dann bei genauem Zusehen kaum möglich, die 
Neuroglia mit Nervenverbindungen zu verwechseln, zumal da 
die Verbindungen der Ganglienzellen untereinander, wenn keine 
wesentliche Schrumpfung vorliegt selbstverständlich, stets breiter 
sind als die Neurogliafäden. Dazu kommt noch die tiefere 
Färbung der Neuroglia. Man sieht dann oft Neurogliafäden 
dünnere (Granglienzell-Verbindungen kreuzen, wann der Unterschied 
auch auffälliger ist. Dass aber auch Vortäuschungen von Ganglien- 
zell-Anastomosen durch Neurogliafäden einmal vorkommen können, 
wie Smidt meint, will ich schon zugeben. Hier heisst es eben 
Vorsicht und Übung in dem Beschauen nervöser Gewebe. 

Dringt die Neuroglia in die Ganglienzellrinde mit sehr 
kleinen Ganglienzellen (Fig. 13, 51), so ist an und für sich eine 
Umhüllung letzterer durch Neurogliazellen ausgeschlossen. Dann 
liegen die beiden Netze, das Neuroglianetz und das Ganglien- 
zellnetz, ineinandergeflochten beisammen (Fig. 51), doch selbst 
für den Fall, dass die beiderlei Zellarten gleich gross sind 
(Fig. 15), wird man sie untereinander nicht verwechseln können, 
wenn man beachtet, dass die Neurogliazellen stets schmale, 
oblonge, äusserst chromatinreiche Zellkerne besitzen, an denen 
man nur bei sehr starker Vergrösserung eine Kernstruktur er- 
kennen kann, indessen die Ganglienzellen kugelrunde Kerne auf- 
weisen, denen selbst in Fällen, falls ein deutliches Kernkörperchen 
fehlen sollte, das netzförmig oder wabig angeordnete Chromatin 
sehr bezeichnend ist. Diesbezüglich verweise ich wohl am besten 
auf die Fig. 13. 

Dort, wo die Neuroglia aus der Ganglienzellrinde in die 
Markmasse eindringt, stellen sich ungemein viel schwierigere 
Zustände dem Beschauer entgegen. Die Feinheit des zentralen 
Nervennetzes einerseits, sowie jene des Glianetzes und des letzteren 


1176 


252 B. Haller: 


weniger tiefe Färbbarkeit andererseits erschweren die Beobachtung. 
Allein, das zentrale Nervennetz ist stets feiner als das neurogliale 
Netz, besonders wo letzteres noch weitere Maschen bildet. Denn 
an solchen Stellen (Fig. 13) hebt sich das zentrale Nervennetz 
infolge seines eigenartigen Glanzes (en) von der Neuroglia (nz') ab. 

Obgleich viele Neurogliazellen ihre frühere Grösse in der 
Markmasse beibehalten, so ‘finden sich neben kleineren Zellen oft 
auch grössere (Fig. 27), doch können auch diese (nz) infolge der 
angegebenen Charaktere nie mit kleinen zentralen Ganglienzellen 
verwechselt werden. 


Diese grösseren Gliazellen haben oft die wunderlichste Form, 
wie dies meine Vorgänger schon dargestellt haben. 

Grössere Neurogliafortsätze von der inneren Gliahülle aus 
(Fig. 54) treten bei den Öephalopoden vielfach in Begleitung von 
Blutgefässen tief in die Markmasse ein und können sich dort mit 
anderen verbinden, auf diese Weise besseren Halt für das Nerven- 
gewebe gewährend. Auch kommt es stellenweise zu Verdichtungen 
der Neuroglia in der Markmasse selbst. So sehe ich dies, aber 
nicht überall, unter der Rinde der Globuli (Fig. 13), wo diese 
Grenzschicht (nz) mit der interzellulären Neuroglia (nz) sowohl 
als mit jener im Marke (nz‘) zusammenhängt. Ferner ist eine 
solche Verdichtung zwischen dem vorderen (Fig. 24, gr) und dem 
hinteren Abschnitt (ce) des Gehirns der Pulmonaten vorhanden. 


Wo die Nerven von den Ganglien abtreten, setzt sich ja die 
innere Neurogliahülle als Nervenscheide auf den Nerven fort. 


Die Neurogliahülle ist damit aber trotzdem nicht in continuo 
unterbrochen, sondern erscheint als siebförmige Platte zwischen 
dem Ganglion und den Nerven. Durch die vielen Öffnungen des 
Siebes treten die Nervenfasern aus, und vom Siebe treten Fort- 
sätze breitester Form zwischen die Fasern. Diese Fortsätze ver- 
einigen sich aber auf dem Querschnitte des Nerven zu einem wie ein 
Scheidenetz aussehendem Ganzen, welches mit der Neurogliahülle 
zusammenhängt. Diese Scheiden der Nervenfasern sind zwar viel- 
fach durchlöchert, doch als solche wenigstens bei Cephalopoden 
auf Längsschnitten von Nerven erkennbar. 


Damit schliesse ich meine;Beobachtungen über die allseitig 


seschlossene Neuroglia der Weichtiere und wende mich dem 
inneren Bau des Gehirns der Pulmonaten zu. 


Die Intelligenzsphären des Molluskengehirns. 298 


Ein Frontalschnitt durch das Gehirn von Helix (Fig. 1) 
belehrt, dass der mediane Hirnabschnitt (i) aus sehr grossen, 
untereinander ziemlich gleich grossen (Fig. 3, i) Ganglienzellen 
gebildet wird und, dass wir es in diesem Abschnitt mit einem 
motorischen Gebiet ersten Ranges zu tun haben. Seine 
Ganglienzellen, fest beisammen liegend, haben alle jene birn- 
förmige Gestalt, wie diese Form für die Pulmonaten seinerzeit in 
den schönen Werken Buchholz’ (3) und Solbrigs (41) so 
genau geschildert wurde. Mit einem schönen grossen Kern und 
ein oder zwei mächtigen Fortsätzen an ihren verjüngten, nach 
innen zu gekehrten Enden.') 


Es werden die beiden medianen Zapfen vollständig ausgefüllt 
von den grossen Ganglienzellen, und erst hinter ihnen an der 
Cerebralkommissur (ce) lassen die Ganglien den medianen Teil 
des Abschnittes für die Kommissur frei, indem sie von oben wie 
von unten diese mit einer Rinde zudecken. Dabei ist dorsalwärts 
das Verhalten nicht gleich dem ventralwärts. Am ersteren Orte 
(Textfig. 1, A, punktiert) bilden die Zellen eine vollständig ge- 
schlossene Rinde über den ganzen mittleren Abschnitt des Gehirns, 
so die Cerebralkommissur völlig verdeckend. Anders ventralwärts, 
denn hier weicht diese Zellage medianwärts auseinander, so zwei 
laterale Schenkel bildend (B, punktiert), und es bleibt somit 
medianwärts die Cerebralkommissur (ce) von Ganglienzellen etwas 
unbedeckt. In der hinteren Seite des medianen Hirnabschnittes 
geht also dieser grosszellige Rindenbelag der dorsalen Seite in 
den der ventralen nicht über (Fig. 1). 

Die hintere Seite des medianen Abschnittes, dort wo dieser 
in den lateralen Abschnitt übergeht, wird begrenzt durch eine 
Einkerbung und wird hier der mediane Abschnitt jederseits durch 
eine Mittelfurche in einen inneren (Fig. 3, a) und einen äusseren 
Lappen (b) abgeteilt. Es setzt sich der grosszellige Rindenbelag auf 
die beiden Lappen fort und hört mit ihnen auf. Es hat sich 
der Charakter der Rinde hier wesentlich geändert, denn neben 


!) Diese Beobachtungen sind dann in neuerer Zeit bestätigt worden 
u.a. durch Veratti (45), der mit richtiger Einsicht auch ein perizelluläres 
Nervennetz erkannte, welches in dem bindegewebigen — nicht neuroglialen 
nach Veratti — Hüllgewebe liegt. Auch die Multipolarität von Ganglien- 
zellen, die schon W alter (46) richtig gesehen, wird für Ganglienzellen 
des zentralen Nervensystems von Limax durch Veratti bestätigt. 


254 B. Era liller: 


grossen Ganglienzellen finden sich bezüglich der Grösse alle Über- 
gänge bis zu kleinen (nicht kleinsten) multipolaren Ganglienzellen 
(Fig. 5, 6), doch wird die Grenze eben durch diese Anordnung den 
der anstossenden Ganglienzellrinden gegenüber behalten. An der 
hinteren Hirnseite zeigt sich dies auch (Fig. 1, a, b). 

Ich will diese motorische Rinde nicht verlassen, bevor ich 
ihre äussere Textur erörtert habe. 

Mögen die grossen Zellen noch so sehr den Eindruck der 
Monopolarität infolge ihrer starken Fortsätze machen, so ist diese 
Annahme doch durch die blosse Isolationstechnik Buchholz’ 
und Solbigs entstanden, bei welcher Methode kleine zarte 
Fortsätze zumeist alle abreissen. Diese Zellen sind im Gegenteil 
multipolar (Fig. 7) und besitzen ausser ihrem grossen Fortsatz 
noch zahlreich kleinere an ihrem übrigen Zellkörper. Oft sind 
diese zahlreich, ein andermal seltener (Fig. 25) und gehen dann die 
Nebenfortsätze zu Beginn des Hauptfortsatzes ab. In letzterem 
Falle handelt es sich zumeist um Randzellen an der Grenze nach 
der Markmasse zu. Es lösen sich solche Fortsätze in dieser Masse 
auf, indessen die anderen am Zelleib ein perizelluläres Netz zu- 
stande bringen, durch dessen Vermittlung die grossen Zellen, 
untereinander zusammenhängend, eine einheitliche Aktion ermög- 
lichen. Aber es können auch direkte Anastomosen ganz kurzer 
Fortsätze unter den grossen Zellen (Fig. 20) den Zusammenhang 
vermitteln. 

An dem lateralen Teil dieser Rinde, dort wo die grossen 
Zellen mit kleinen untermischt sind, besteht mit diesen ein 
innigster Zusammenhang und zwar ebenso genau (Fig. 6), wie 
ich dies vor nunmehr 27 Jahren für die pedale Ganglienzellrinde 
der Zeugobranchier geschildert habe (11). Ich habe freilich damals 
nicht geahnt, dass ich diese innige Verbindung in der Ganglien- 
zellrinde der Pulmonaten wiederfinden werde und dachte später, 
dass der Zusammenhang mehr auf das zentrale Netz hier über- 
tragen wurde. Dem ist aber nicht so. 

Es hängen die grossen Zellen entweder mit einem Neben- 
fortsatz des Hauptfortsatzes oder auch mit anderen kleineren Zellen 
auf die mannigfachste Weise untereinander zusammen und da diese 
untereinander wieder sich verbinden, so besteht der innigste Zell- 
verband (Fig. 6, 20). Die Verbindungsbrücken können manchmal 
sehr breit sein oder sich teilend, die Zelle mit zwei anderen in 


Die Intelligenzsphären des Molluskengehirns. 255 


Verbindung setzen. Dabei kann das soweit gehen, dass diese 
immerhin noch breiten Fortsätze ein Netz von Interzellularbrücken 
darstellen (Fig. 6, n). Zumeist sind diese Verbindungen dicker 
als die Fäden des dieses nervöse (sewebe durchsetzenden neuro- 
glialen Netzes und jene Fäden lagern solchen Verbindungen 
nur zu oft an, einseitig oder von beiden Seiten die nervösen 
Anastomosen umsäumend. Dies kann aber auch fehlen, und zeigt 
sich dann die nervöse Verbindung um so deutlicher. 

Aus den dem Marke angrenzenden Randgebieten geht ein 
Teil der Fortsätze der kleinen Zellen auch in das zentrale Nerven- 
netz über (Fig. 20), aber es kann auch eine dieser kleinen 
Zellen einen Nervenfortsatz längeren Verlaufes abgeben (Fig. 9, f). 
Regel ist es, dass, wo grosse Zellen mit kleinen untermischt vor- 
kommen, und sei es auch wo immer im Zentralnervensystem, 
letztere stets von jenen mehr weniger nach innen zu gelegen sind 
(Fig. 20). Also ein Verhalten, das ich für die Rhipidoglossen 
schon längst festgestellt habe (11). 

Bezüglich der Hauptfortsätze möchte ich bemerken, dass 
sie nach einiger Länge, vom Zellkörper entfernt, sich als lange 
Bahnen oder periphere Achsenzylinder zu verbreitern pflegen 
(Fig. 7, 25, f), eine Tatsache, die ja schon Buchholz festgestellt 
hatte. Neu ist es indes, allerdings nur für die Mollusken, da 
anderwärts schon gleiches durch mich bekannt ist, dass lange 
Bahnen oder periphere Fortsätze untereinander sich mehrfach ver- 
binden können (Fig. 7, f, f‘). Ich verweise hier diesbezüglich auf 
meine Arbeiten über Neochordaten im Morphologischen Jahrbuch 
und in diesem Archiv. 

Der hintere Abschnitt des Gehirns zeigt in seinem Bau 
zwei so ausgesprochene Verschiedenheiten, dass wir auch, ohne 
davon Kenntnis zu haben, dass die Pleuralganglien dem Gehirn 
bei den Stylommatophoren einverleibt wurden, an einen fremden 
/uschuss an das Cerebralganglion denken würden. Auf Textfig. 1A 
habe ich versucht, durch zwei unterbrochene Linien das vordere 
(rebiet (sg) von einem hinteren so abzugrenzen, wie die Textur 
der Ganglienzellrinde es beiläufig erheischt. Was dahinter liegt, 
würde dem angeschlossenen Pleuralganglion, dessen vorderem Teil 
nämlich, gleich sein. 

Dieser ganze pleurale Bezirk führt eine Ganglienzellrinde, 
die aus gleichmässig grossen Ganglienzellen etwa fünfter Grösse 


256 B. Haller: 


besteht, wenn wir die Ganglienzellen des Gehirns ihrer Grösse nach 
in sieben verschieden grosse Gruppen einteilen. Kennzeichnend für 
sie ist die gleichmässige Grösse. Demgegenüber sind die Zellen 
des vorderen Bezirkes untereinander ungleich gross (Fig. 3, sg) 
und finden sich innerhalb dieser Rinde insofern lokale Differen- 
zierungen vor, als vorne und dorsalwärts eine Gruppe mittelgrosser 
Zellen liegen (v), welche durch ihre geringe Färbbarkeit sich 
auszeichnen. Sie senden ein Faserbündel in die Uerebropleural- 
kommissur (cp). Trotzdem diese Rinde sich durch besonders 
erosse Zellen nicht auszeichnet, findet sich in ihr doch an zwei 
bestimmten Stellen je eine grosse Zelle, oben und unten an ihrer 
Grenze an dem vorderen Gehirnabschnitt (Textfig. 1, runder Kreis), 
die alle anderen des Gehirns an Grösse übertreffen (Fig. 2, vz). 
Ich möchte sie die obere und untere Riesenzelle nennen. 

Dieser letztgenannte Abschnitt fasst eine Markmasse in 
sich, die ich aus später anzugebenden Gründen das sensorische 
Vereinsgebiet (Fig. 1, 2, 3, vg) nennen möchte. 

Der erste Abschnitt des Helixgehirns zeigt eine so 
eigenartige Struktur, dass sie sich von allen Teilen des Gehirns 
auf das schärfste unterscheidet. Hierauf haben schon Walter, 
Lacaze-Duthiers, Sarasin, Pelseneer, Böhmig und 
Smidt hingewiesen. Es besitzt dieser Abschnitt dorso- sowie 
ventromedianwärts (Fig. 1, 2, 4) gar keine Zellenrinde und diese 
deckt „halbmondförmig“ im Querschnitte, wie Böhmig sagt. 
nur die dorsolaterale und lateroventrale Seite (gr) zu. Alles 
andere ist Mark (gm) und nur dorsal- und ventralwärts ziehen 
starke Längsbündelsysteme, Nervenwurzeln (Fig. 2, 2‘) entlang des 
ersten Abschnittes. Nur medianwärts, vor der vorderen Riesen- 
zelle (Fig. 2, vz), finden sich einzelne mittelgrosse Ganglienzellen, 
sowie aussen an der Wurzel des zweiten Cerebralnerven. Diese 
gehören dieser Wurzel an und sind somit dem Abschnitte fremd. 

So eigentümlich der Bau des Markes, so eigentümlich ist 
jener der Rinde. Die dicke Rinde (Fig. 1, gr) ist nicht überall 
gleich dick, sondern dadurch, dass die Markmasse mit Fortsätzen, 
die wie etwa die drei am Boden verwachsene Stacheln der Glossu- 
laria sich halten, in sie eindringt, dementsprechende innere Aus- 
schnitte zeigt. Nur von hinten und aussen gelangen einige grössere 
Zellen peripherwärts ein Stück in diese Rinde hinein, sonst 
aber wird sie von nur gleichmässig grossen, wegen ihrer vielen 


Die Intelligenzsphären des Molluskengehirns. 257 


gleichen Fortsätze sternkörperigen, kleinsten Ganglienzellen 
gebildet. Zweierlei Fortsätze lassen sich an diesen unterscheiden. 
Erstens kurze Fortsätze (Fig. 5), vermittelst welcher die Zellen 
untereinander in direkter Verbindung stehen, dann solche, die 
in die Markmasse eindringen. Diese sind nun entweder kräftigere 
Gebilde oder, soweit es sich um an die Markmasse grenzende 
Zellen handelt, feine Fortsätze, die sich sofort in dem zentralen 
Nervennetz (en) auflösen. 

Die grösseren Fortsätze gelangen in die Markmasse und 
von dort in noch zu beschreibende ferne Gegenden, aber nie 
werden sie zu Nervenwurzelfasern, denn diese Zellrinde 
ist eine ausschliesslich zentral wirkende. Der Zellkern dieser 
Zellen ist im Verhältnis zum Zelleib sehr gross, durchaus kugel- 
rund und weist viele Nucleoli auf. Dadurch ist auch die Form 
des Zelleibes selbst, welcher nur als sehr schmaler, aber deutlicher 
Saum den Kern umgibt, gegeben. Durch Kern und Zelleib unter- 
scheiden sich diese (gz) sehr gut von den ihre Schicht gleich- 
mässig durchsetzenden Zellen des neuroglialen Netzes (glz), welche 
ja einen ovalen, äusserst chromatinreichen Kern und dement- 
sprechend gestalteten Zellkörper besitzen. 


Die Markmasse zeichnet sich durch eine ausserordentliche 
Feinheit des zentralen Nervennetzes aus, in welcher Markmasse 
man nie Nervenbündel oder auch nur stärkere Nervenfasern 
sehen kann, vielmehr herrscht eine ausserordentliche Gleich- 
förmigkeit in dieser Markmasse. Diese Gleichförmigkeit wird 
auch durch die Neuroglia nicht gestört. Sie ist weitmaschig, 
allein zellenarm, doch finden sich stellenweise mehrkernige Gebilde, 
kleine neurogliale Syneycien in ihr. 

3ei den anderen zwei Pulmonaten werde ich mich aus- 
führlicher auf die Faserbündel dieser Markmasse einlassen und 
hier nur soviel darüber, dass aus ihrem hinteren Ende feinste 
Bündel hervorgehen, die entweder im Vereinsgebiet') der- 
selben oder der anderseitigen Hirnhälfte sich auflösen, so die 
gesamten Zentren des Hirns und auch die der anderen Ganglien des 
Schlundringes beherrschend. Es ziehen dann diejenigen Fasern, 
welche drüben zu endigen haben, über die Cerebralkommissur, 


') Solch ein Vereinsgebiet beschrieb ich im Gehirn der Arthropoden 
und im Hypothalamus der Neochordaten. 


258 B. Haller: 


mehr deren vorderen Teil einnehmend, bei Helix aber doch nicht 
in von dem anderen Teil der Kommissur abgesonderter Weise. 

Wir haben somit in dem vorderen Hirnabschnitt 
von Helixeine Differenzierung voruns, welche keine 
Nerven entsendet, dafüraber mit dem Vereinsgebiet 
in Beziehung steht, wo alle Zentren des Zentral- 
nervensystems Verbindungen haben, ein Gebilde 
also, das mit den Globuli der Anneliden und Arthro- 
poden, wie Smidtes richtig vermutete, direkt gleich- 
zustellen ist, ein Intelligenzgebiet. Von nun an führe 
ich also den Namen Globulus für dasselbe ein. 

Das Gehirn von Arion empiricorum zeichnet sich, 
wie wir schon gesehen haben, durch geringere Konzentration 
aus als jenes von Helix. Infolgedessen gelangt auch der mittlere 
Abschnitt mit dem der anderen Seitenhälfte nicht in Berührung, 
sondern beide sind voneinander (Fig. 21, 22, i) durch die Cerebral- 
kommissur getrennt wie bei den Basommatophoren. Die beiden 
vorderen Hügel. die ja den Zapfen bei Helix entsprechen, sind 
gleich wie diese durch grosse motorische Zellen ausgefüllt und 
diese setzen sich dann in ähnlicher Weise sowohl auf die untere als 
obere Seite des ersten Abschnittes als Rindenbelag fort. Dabei 
ist die Zellanordnung ziemlich dieselbe. Bemerkenswert wäre 
bloss, dass diese grossen motorischen Zellen nie die Grösse wie 
bei Helix erreichen, obgleich sie jenen darin ziemlich nahe kommen, 
ferner, dass der Grössenunterschied zwischen den Zellen ein 
grösserer ist als bei Helix. Immerhin wird der Charakter der 
Gleichförmigkeit betrefis der Zellengrösse behalten (Fig. 21, 22, 
24, 3). Auch lateralst liegen diese Zellen noch mehrschichtig 
übereinander, dann aber nimmt allmählich die Rinde an Dicke 
ab. Ganz am lateralen Rande, angrenzend an das pleurale 
Gangliengebiet, ist die Lage dann nicht mehr so einförmig, denn 
kleinere und grössere Zellen liegen nebeneinander. Es dehnt 
sich aber hier diese Zellrinde und damit der mittlere Hirn- 
abschnitt um so weiter nach lateralwärts aus, als die Pleural- 
ganglien noch nicht jenen grossen Einbezug in das Gehirn er- 
fuhren, wie bei Helix. Hier an der Grenze finden sich auch 
jederseits zwei Riesenzellen in der Zellschicht (Fig. 23), doch 
können auch drei da liegen, wo dann zwei immer halb so gross 
sind als die dritte. Diese Riesenzellen liegen aber hier dorsal- 


Die Intelligenzsphären des Molluskengehirns. 259 


wärts nicht ventralst wie die hintere bei Helix, die ausserdem 
auch weiter nach vorne zu verschoben ist (Textfig. 1, Kreis). 

Die Pleuralganglien, welche ja äusserlich auch bei Arion 
unkenntlich sind, nehmen an der Commissura visceralis in Form 
einer ausgedehnten Rindenschicht (Fig. 22, plg) eine noch ursprüng- 
lichere Lage ein und ein Einbezogenwerden in das (Gehirn ist hier 
nicht erfolgt. Auch die Zellage ist eben infolgedessen keine 
konzentrierte, sondern mehr diffuse (Fig. 21, plg). 

Wie schon erwähnt wurde, erfuhr die Entfaltung des ersten 
Gehirnabschnittes des Globulus eine höhere Entfaltung als bei 
Helix, denn die Rindenschicht der Zellage nimmt, abgesehen auch 
von der Zunahme der Dicke, eine grössere Ausdehnung ein als 
bei Helix (Textfig. 2, schwarz, wie auch bei Helix auf Textfig. 1) 
und überzieht jetzt dorsalwärts mehr als die halbe Oberfläche 
des ganzen Globulus. Dieser erweist sich ja auch in seinem 
Äusseren mächtiger, da entsprechend der grösseren Entfaltung 
der Zellrinde auch die Markmasse zugenommen hat. Ventral- 
wärts dehnt sich die Rinde indessen noch nicht weiter aus als 
bei Helix. Somit ist dorsolateral entlang seiner grösseren vorderen 
Fläche der ovale Globulus von einer dicken Zellrinde überzogen 
(Fig. 23, gl), unter der aber hier die Markmasse noch geringer 
ist. Von dieser geht ein feinfaseriges Nervenbündel (gb) unter 
der Wurzel des achten Nerven (S) in das Vereinsgebiet, während 
ihre anderen gleichfeinen Fasern sich zu einem mächtigen Quer- 
bündel zusammentun, dies dann unter dem vorigen Bündel sich 
nach innen wendet, um in der schon angegebenen Weise durch 
die Cerebralkommissur hindurch in die anderseitige (Gehirn- 
hälfte zu gelangen. Es ist das die Globularkommissur 
(Fig. 21, 23, eg). Die Dicke der Zellenrinde erhält sich auch 
auf der lateralen Seite (Fig. 21, 22, gr). Nach der medianen 
Grenze der Schicht nimmt dann diese an Dicke fast plötzlich ab 
(Fig. 24, gr). Von da an ist dies Globularmark ein mächtiger 
Ballen (Fig. 21, 24, gm) und ist von gleichovaler Form, ab- 
gegrenzt hinten dem übrigen Gehirn zu durch eine verdichtete 
Neuroglialamelle (Fig. 24). 

An der medianen Seite, wo der Nervus ommatophorus an 
den Globulus herantritt (Textfig. 2) spaltet sich seine Wurzel in 
eine obere und eine untere Hälfte. Die obere gelangt als breite 
kortikal gelegene Faserschicht (Fig. 24, ow) über dem Globulus- 


260 B. Haller: 


mark an den medianen Hirnabschnitt (Fig. 22, 24, i), die untere 
lagert jenem Mark ventralwärts auf (Fig. 24, uw), um gleichfalls 
an jene Stelle zu gelangen. 

Die Zellrinde der Globuli ist, wie gesagt, sehr dick und 
zeigt jene schon für Helix beschriebenen Markhalbinseln (Fig. 23). 

Die Zellen verhalten sich genau so wie bei Helix, sie ver- 
binden sich als kleine multipolare Gebilde untereinander oder 
schicken Fortsätze in das Globularmark, sonst aber, abgesehen 
von ihrer grösseren Zahl, zeigt diese Zellage auch in einem 
anderen Punkte Helix gegenüber bei Arion einen Fortschritt. 

Ich habe nämlich schon bei Helix erwähnt, dass von dem 
hinteren (Gehirnabschnitt aus Ganglienzellen kortikalwärts in die 
Globularrinde eindringen, hier bis etwa zu halber Länge nach 
vorne reichend. Diese einschichtige Zellage fehlt nun bei Arion 
vollständig, denn dort, wo die Globulusrinde (Fig. 26, gr) an die 
Zellrinde des hinteren Gehirnabschnittes anstösst, hören die beiden 
Zellenarten in einer Ebene auf, wodurch eben die Grenze scharf 
hervortritt. Es ist somit die Globulusrinde von Arion der von 
Helix gegenüber von jeder Beimengung anderer Elemente befreit. 
Hierin wie in der starken Zunahme des gesamten 
Globulus zeigt sich somit bei Arion Helix gegenüber 
ein Fortschritt bezüglich der Intelligenzsphäre. 

Bei Limax, wo der vordere Hügel am mittleren Gehirn- 
abschnitt entsprechend den weniger als bei Helix konzentrierten 
Verhältnissen niedrig ist, wie eben auch bei der anderen Egel- 
schnecke (Fig. 10, 11, 14, 15, 16, i) ist gleich wie dort gefüllt 
mit grossen motorischen (Ganglienzellen, die aber bezüglich der 
Grösse sich verhalten wie bei Arion, d.h. die Zellen sind nicht 
gleich gross und auch kleinere finden sich unter ihnen. Besonders 
auffallend ist es, dass wenigstens nach innen zu stellenweise die 
Ganglienzellen immer kleiner werden (Fig. 20), bis innerst an 
der Markmasse nur noch kleine sternförmige Granglienzellen sich 
befinden. Es verbinden sich diese auch vielfach untereinander 
und ich habe nie beobachtet, dass diese kleinen Zellen einen 
peripheren langen Fortsatz abgegeben hätten, mit Ausnahme 
einer lateralsten kleinen Gruppe (Fig. 21, k). Diese geht dann 
über in eine aussen von den grösseren Zellen sich zwischen ihnen 
und dem hier ja eine laterale Lage einnehmenden Globulus 
findenden kleinzelligen Lage (Fig. 10). Diese liegt entlang der 


Die Intelligenzsphären des Molluskengehirns. 261 


Grenze der grossen Zellen, nach aussen sich bis zur hinteren 
Hirnseite erhaltend. Obgleich diese Zellage sich auch bei Helix 
und auch bei Arion vorfindet, so ist sie nicht so auffallend als 
bei Limax. Am hinteren Hirnrande finden sich dann in der 
Rinde zumeist nur kleinere Ganglienzellen vor (Fig. 10, 12, 14, 
15. 16, i‘), unter ihnen eine Riesenzelle genau am Abgange des 
siebenten Nerven (Fig. 14, 15, %). Es ist die hintere Riesenzelle 
des Gehirns (Fig. 18, hz). Mit dieser gemischten, klein- und 
erosszelligen Rinde geht dann der innere Gehirnabschnitt in den 
hinteren über, mit dem aber bei Limax kein Pleuralganglion 
verschmolzen ist. Dieses ist vielmehr von ihm getrennt und 
verbunden durch die kurze Commissura cerebropleuralis (Fig. 17, 
c,cpl). Das Ganglion selbst wird von einer mässig dicken Zell- 
rinde von verschieden grossen, doch nie von ganz grossen Zellen 
gebildet (plg), wobei die Rinde stellenweise in die Markmasse 
sich hineinerstreckt. Diese Zellen sind entweder solche, die (y, y‘) 
ausser ihren Netzfortsätzen in das Mark des Ganglions einen 
längeren Fortsatz als lange Bahn in das Gehirn entsenden oder 
solche, die ihren langen Fortsatz (d) in die Kommissur zu den 
vorderen Eingeweideganglien (c. veig) schicken. Ausserdem gibt 
es aber auch Fasern aus diesem Bündel, die sich angelangt in das 
Pleuralganglion in dessen Markmasse auflösen. Es gelangen ferner 
lange Bahnen aus Ganglienzellen des hinteren Gehirnabschnittes 
(«) in das Pleuralganglion, und einen solchen entsendet auch die 
vordere hiesenzelle (vz), als Verbindungsfasern in das Ganglion. 
Es ist somit auch auf rein histologische Weise der Beweis dafür er- 
bracht, dass die Kommissur zu den vorderen Eingeweide- 
ganglien oder den Buccalganglien der Autoren, aus dem Pleural- 
und nicht Cerebralganglion entspringt.‘) Es besitzt somit Limax 
eine hintere und eine vordere Riesenzelle (Fig. 18, vz, hz), wobei 
statt einer hinteren sich manchmal auch zwei vorfinden können, 
wie eben in dem abgebildeten Falle. Die vordere Riesenzelle 
entsendet zwei lange Fortsätze ausser den kleinen Netzfortsätzen. 
Der eine dieser gelangt in den vierten Nerven (4), der andere 
in die Cerebropleuralkommissur. Die hintere Riesenzelle tritt 

) Dass das Pleuralganglion hier im Gegensatz zu allen bekannten 
Fällen keine weitere Nerven absendet, beruht einfach darauf, dass diese 
sich der Commissura pleurovisceralis anlagernd, erst von dem jederseitigen 


Visceralganglion abgehen, ihre ursprünglichen Wurzelverhältnisse damit ja 
nicht ändernd. 


262 B- Haller: 


indessen mit dem siebenten Nerven in Verbindung (Fig. 14, 15). 
Abgesehen nun davon, dass die hintere Riesenzelle oder Zellen 
von Arion der Lage nach dorsale sind (Fig. 23), im Gegensatz 
zu jenen von Limax, scheint mir auch durch ihr Verhalten zu 
Nervenwurzeln die Gleichheit nicht gesichert. Es zieht bei Arion 
der Hauptfortsatz von dorsal nach ventral und oralwärts, um 
dann unter der Globularkommissur (cg) gelegen die Wurzel des 
zweiten Nerven zu erreichen, zuvor einen Nebenfortsatz in die 
Visceralkommissur entsendend. Es ist also klar, dass sich 
das einemal eine Ganglienzelle von diesem und ein 
andermal von jenem Nerven zu einer Riesenzelle 
entfaltet. 

Wie schon weiter oben mitgeteilt ward, ist der erste Gehirn- 
abschnitt, der Globulus nämlich, mächtiger entfaltet bei Limax 
als bei Arion. Diese hohe Entfaltung verursachte dabei eine Quer- 
stellung des Globulus im Gegensatz zu Arion, was wohl daraus 
zu erklären wäre, dass der Platz im Kopfe nach oralwärts zu 
für diesen nun mächtigen Hirnabschnitt keinen Platz gewähren 
konnte. Auch auf Quer- oder Horizontalschnitten (Fig. 10, 14, 
15, gl) ist ersichtlich, dass der Globulus durch seine mächtige 
Entfaltung das ganze übrige Gehirn beherrscht, wie dies schon 
ganze Präparate deutlich zeigen. Es hat die Ganglienzellrinde an 
Oberflächenausdehnung im Verhältnis zu Arion sehr zugenommen, 
denn es wird jetzt dorsalwärts nicht nur die gesamte Oberfläche 
des Globulus (Textfig. 3, schwarz) überzogen, sondern es schiebt 
sich die Rinde auch weit nach innen vor, nur einen kleinsten 
ventralen Abschnitt (Fig. 10, 14, 15) noch freilassend. Damit im 
Zusammenhang steht dann die mächtige Entfaltung der Markmasse 
(em) und die gewaltige Entwicklung der Globularkommissur. Diese 
sammelt sich innen von der auf Horizontal- und Querschnitten 
etwas halbmondförmigen Markmasse in einem mächtigen Bündel 
(Taf. XV, cg) aus jener und zieht in dorsaler Lage in der Cerebral- 
kommissur auf die anderseitige Hirnhälfte. Ausserdem liegt dieses 
(uerbündel in der Cerebralkommissur oralwärts zu und bildet, infolge 
seiner äusserst feinen Fasern auffallend (Fig. 10, 14, 15), in der sonst 
srobfaserigen Cerebralkommissur (cg) deren vorderen Abschnitt. 

Dies ist bei Arion noch nicht der Fall, geschweige denn 
bei Helix, denn diese Sonderung ist auch eine Folge der höheren 
Entfaltung der Globuli. 


Die Intelligenzsphären des Molluskengehirns. 263 


Es ist die Globuluszellenrinde ebenso frei von anderen 
Ganglienzellen wie bei Arion und an Stellen, wo diese Rinde an 
Nachbarrinden anstösst, lässt sich dies recht gut erkennen. Ich ver- 
weise nur auf die Figuren der Taf. XV. Denn sowohl dorsalwärts, 
wo die Globularrinde an jene des mittleren Gehirnabschnittes an- 
stösst und an welcher Grenze die dorsalen Wurzeln der vordersten 
Kopfnerven gelegen sind (2), als auch seitwärts, wo die Wurzel 
des siebenten Nerven (Fig. 11, 12, °) noch nicht die Grenze 
zwischen den beiden Rinden darstellt, ist dies deutlich zu sehen. 
Die Schichte der grösseren Zelle der Nachbarrinde liegt wie ab- 
geschnitten neben jener der Globularrinde und nicht eine einzige 
dieser grösseren Zellen dringt in die Globularrinde mehr ein. 

Diese besteht vielmehr durchwegs nur aus kleinen stern- 
förmigen Zellen, die etwas kleiner wie Helix (vgl. Fig. 13 mit 5). 
sonst denen aber durchaus gleich sind. Denn gerade wie jene 
besitzen sie einen kugelrunden Zellkern mit vielen Nucleoli und 
einen schmalen Plasmaleib. Zwischen diesen Zellen (Fig. 13, gz) 
lagern die Neurogliazellen mit ihren chromophilen oblongen Zell- 
kernen (ne). 

Wie ich es ja auch schon für Helix und Arion berichtete, be- 
sitzen diese Ganglienzellen ausser ihren kurzen Verbindungsfort- 
sätzen, vermöge welcher sie sich untereinander, gleich wie jene im 
Globulus der Arthropoden (17, 19), zu einem innigen Ganzen 
verbinden, noch solche, die in das äusserst feine Nerven- 
netz der Markmasse gelangen. Von den feineren dieser 
lässt sich dies, da ihre Auflösung gleich nach Eintritt in die 
Markmasse erfolgt (Fig. 5, 13). leicht feststellen, aber schwerer 
von den stärkeren Fortsätzen, denn diese gelangen in weiter Ferne 
nicht nur in die gleichseitige Markmasse, sondern durch die 
Kommissur sogar auf die anderseitige Hirnhälfte, und zwar in 
die Markmasse jenes Globulus. 

Ausserdem hat aber jeder Globulus noch ein Verbindungs- 
bündel (Fig. 15, 16, gb), welches in das Vereinsgebiet (sg) der 
gleichseitigen Hirnhälfte gelangt. Durch die Kommissur hindurch 
gelang es mir leider nie, solche Zellfortsätze im Zusammenhang 
mit den Zellen verfolgen zu können; nur das eine konnte ich 
feststellen, dass die Kommissuralfasern, angelangt in der Mark- 
masse des jenseitigen Globulus, sich dort immer verzweigen. Dies 
geschieht auch mit jenen nun viel kürzeren Zellfortsätzen des 


264 B. Haller: 


Verbindungsbündels mit dem Vereinsgebiet (Fig. 16, gb). Hier 
allerdings gelang es mir zweimal, direkte Ganglienzellfortsätze 
im Vereinsgebiet von der Globularrinde aus zu beobachten. Es 
bleibt somit ein gleiches Verhalten der Fasern der Globular- 
kommissur eine wohlberechtigte Annahme. 

Der Globulus der Pulmonaten ist also eine eigenartige 
Differenzierung zuerst am lateralen Stirnpol des Gehirns (Helix), 
welche geweblich darin beruht, dass eine Art kleiner stern- 
förmiger Ganglienzellen sich aus der übrigen Zellrinde heraus- 
schält und so für sich als besondere Lage einen besonderen 
Platz lateralwärts beansprucht. Diese Zellschichte besitzt auch 
eine besondere, genauestens separierte Markmasse, aus der sich 
ebensowenig eine periphere Nervenfaser bildet, als aus der Zellen- 
rinde eine entspringt. Die Bedeutung dieser Globuli liegt somit 
anderwärts, in dem nur zentralwirkenden Kern nämlich. Durch den 
Zusammenhang der beiderseitigen Teile im Gehirn nicht nur, als auch 
durch die Verbindung mit einem Hirngebiet, dem Vereinsgebiet, 
in das alle Hirnteile und durch Kommissuren auch andere Ganglien 
des zentralen Nervensystems Leitungsfasern entsenden, ist dieser 
Globulus mit jenen der Arthropoden, von denen wir mit Bestimmt- 
heit wissen, dass sie Intelligenzsphären darstellen, ohne Zweifel 
homolog und von gleicher psychologischer Bedeutung. Es stehen 
die Globuli der Pulmonaten, was die Kompliziertheit des Baues 
betrifft, zwar nur mit jenen Globulis auf gleicher Stufe, die die 
Myriapoden erlangt haben, und somit sind wir denn auch nicht 
berechtigt, bei den Pulmonaten gleich hohe Intelligenz vorauszu- 
setzen als bei den Besitzern höchstentfalteter Globuli unter den 
Hexapoden, den Hymenopteren. 

Dabei zeigt es sich aber, dass bei den drei unter- 
suchten Vertretern der Pulmonaten drei verschiedene 
EntwicklungsstufenbezüglichderGlobularentfaltung 
bestehen (vgl. die drei Textfig. 1—3, schwarz), dass die 
sehäusetragende Form auf einer viel niedrigeren 
Stufe steht als die beiden Egelschnecken, dass aber 
auch unter diesen beiden noch ein ansehnlicher Unter- 
schied in der Stufenhöhe besteht. Indem ich wegen dem 
Warum noch auf diesen Punkt im letzten Abschnitt vorliegender 
Schrift zurückkommen werde, will ich hier noch die Nerven- 
und Kommissurenursprünge im Gehirn der Pulmonaten als 


Die Intelligenzsphären des Molluskengehirns. 265 


einen Beweis dafür, dass diese aus keinem Globulus entstehen, 
besprechen. Dabei beabsichtige ich nicht, zu weit in die Einzel- 
heiten zu dringen, da diese hier mir überflüssig erscheinen, auch 
sollen nur einige Nerven Berücksichtigung finden. 

Man kann die Kopfnerven der Pulmonaten in zwei Gruppen 
teilen. Die erste umfasst jene Nerven, welche den oberen Kopf- 
abschnitt versorgen. Es sind das (Textfig. 4) der erste bis fünfte 
Nerv. Ich möchte diese Gruppe, deren mächtigstes Glied der 
Nervus ommatophorus ist, die Ommatophorusgruppe be- 
zeichnen und gleich hinzufügen, dass sie alle gemischte Nerven 
ziemlich in gleicher Weise sind. Die zweite Gruppe umfasst die 
Nerven sechs bis acht und ist dadurch bezeichnend, dass sich in ihr 
ein gewisser Drang zur Sonderung in sensorische und motorische 
kund gibt. Es führt der sechste Nerv dies folgerichtig durch, denn er 
ist ein ausschliesslich motorischer Nerv, jener der Buccalmuskulatur. 
indessen der Nerv acht möglicherweise ausschliesslich sensorisch 
sein dürfte. Der siebente Nerv ist hauptsächlich motorisch. 
Dies erschliesse ich erstens aus seinem Endverhalten. dann aus der 
Dicke seiner Fasern und daraus, ob diese vorwiegend aus grossen 
Ganglienzellen entspringen oder ob seine Fasern im zentralen 
Nervennetz sich auflösen. also indirekten Ursprungs sind. Damit 
möchte ich allerdings den Ursprung sensorischer Fasern im Zentral- 
nervensystem aus Ganglienzellen ebensowenig verneinen, als ich 
dies auch früher nicht tat. Tatsache ist es aber, dass noch 
mancher Nervenstamm, so der Ommatophorus selbst, Ganglien- 
zellen in sich führt, die man als Zubehör der sensorischen Fasern 
deuten könnte. 

Der Ommatophorus zeichnet sich dadurch aus, dass er zu 
Beginn seine feinen und groben Fasern zu zwei Bündeln vereinigt 
(Fig. 12, ?). Wie ich es schon gesagt habe, teilt sich der 
Ommatophorus in eine untere und eine obere Wurzel im Gehirn, 
von denen die obere (Fig. 21, ow) dorsal, die untere (uw) ventral 
am Globulus nach hinten zieht, allein dicke und dünne Fasern 
führen diese Wurzel gemischt, die Sonderung erfolgt erst im 
Nervenstamme. 

Die dorsale Wurzel erreicht dann das Pleuralganglion bei 
Arion und Helix (Fig. 24, 1, ?) gleich hinter dem Globulus, neben 
diesem bei Limax, wo sie infolge der seitlichen Lage ja nicht über 


den Globulus zu liegen kommt (Fig. 10, ?). Daraus eben, dass sie, 
Archiv f. mikr. Anat. Bd.81. Abt. 1. 18 


266 B. Haller: 


je weiter sie nach hinten an den seitlichen Teil des mittleren Gehirn- 
abschnittes gelangt, um so difftuser und weniger wird (Fig. 14—16), 
ist ersichtlich, dass diese Wurzel dieses Gebiet mit seinem Ur- 
sprunge stark in Anspruch nimmt. Sie nimmt von hier Fasern 
aus den grossen Ganglienzellen auf (Fig. 24, ow) und ein hinterstes 
Faserbündel (Fig. 3, ?), erreicht sogar den äusseren hinteren 
Lappen, von wo es wie überall aus kleinen wie grossen Zellen 
Fasern bezieht. Andere Faserbündel gelangen dann in das 
sensorische Vereinsgebiet, wo sie sich, ohne mit Ganglienzellen 
direkte Fühlung zu haben, auflösen. Aber nicht nur durch die 
dorsale Wurzel ziehen aus dem dorsalen Teil des mittleren 
Gehirngebietes Wurzelfasern in den Ommatophorus. Aus diesem 
Grunde gelangen diese Fasern zu Bündeln vereinigt zwischen 
Globulus und Cerebralkommissur dieses kreuzend (Fig. 23, 24, 
uw‘) nach ventralwärts. 

Die untere Wurzel empfängt aber auch noch mächtige Bündel- 
systeme aus allen Teilen des hinteren Hirnabschnittes. Es sind 
hier vier Bündel, die sich zum Stamme vereinigen (Fig. 11, ?). 
Das äusserste gelangt noch aus dem mittleren Gebiet gleich 
hinter der Globularkommissur (cg) zum Ursprung; eines von den 
innerst gelegenen (?‘') entspringt aus der seitwärtigen Seite des 
hinteren Gebietes (l) und ein inneres darauffolgendes (?') aus 
dem Vereinsgebiet. Damit ist aber die Reihe noch nicht ab- 
geschlossen, da noch ein innerstes Bündel (2°) zum Stamme 
tritt. Von der mittleren Wurzel, jener aus dem Vereinsgebiet, 
gelangen welche auch durch die Cerebralkommissur auf die ander- 
seitige Gehirnhälfte (Fig. 2). Ob dies auch Fasern direkt aus 
Ganglienzellen tun, ist mir nicht bekannt, womit ich aber dies 
durchaus nicht bestreiten möchte. Somit bezieht der Ommato- 
phorus aus allen Hirnteilen seine Fasern und so verhält sich seine 
ganze Gruppe. Die hintere Nervengruppe besteht, wie wir 
es schon gesehen haben, entweder aus motorischen, wie der sechste 
Nerv, oder doch hauptsächlich motorische weniger sensorische 
Fasern führenden Nerven. Zu den motorischen gehört der sechste 
und siebente Nerv. 

Es beziehen letztere ihre Fasern hauptsächlich aus dem 
vorderen Ende des mittleren Gehirnabschnittes. Hier (Fig. 10, i) 
gibt es Zellen (y), die ihren langen Fortsatz direkt dem Stamme 
des Nerven (7) derselben Seite beimengen oder ihren langen 


Die Intelligenzsphären der Molluskengehirns. 267 


Fortsatz (3) durch die Cerebralkommissur hindurch auf die ander- 
seitige Hirnhälfte gelangen lassen. Es kann dann diese Faser 
hier entweder zur Nervenwurzelfaser im anderweitigen Nerven 
werden oder sich im zentralen Nervennetz der Markmasse auflösen. 
Dies wieder kann an zwei verschiedenen Orten erfolgen, entweder 
unter und in nächster Nähe der Ganglienzellrinde des mittleren 
(rehirnabschnittes oder in dem Vereinsgebiet. Es kann aber 
dieselbe Nervenzelle (Fig. 10, 11, «) auf derselben Seite den 
einen Gabelast ihres Hauptfortsatzes zur Nervenwurzelfaser der- 
selben Seite werden lassen, indessen der andere Gabelast auf die 
andere Seitenhälfte gelangt, um sich wie zuvor im zentralen Nerven- 
netz aufzulösen. Das Bündel Wurzelfasern, das der jederseitige 
Nerv von derselben Seite bezieht, ist nicht geringer als jenes 
von der anderen Seite. 

Es beziehen diese Nerven aber auch Wurzelfasern aus 
anderen Teilen des mittleren Gehirnabschnittes. So aus der 
hinteren Seite. Da ist ein ganz starkes Bündel (Fig. 1, b), das 
in den Nerv derselben Seite gelangt. Hier habe ich dann Zellen 
beobachtet, die (Fig. 16, «) den ersten (rabelast ihres Haupt- 
fortsatzes als Wurzelfaser in den gleichseitigen Nerven (7) gelangen 
liessen, indessen ein kleiner Ast davon sich im Vereinsgebiet (sg) 
auflöste; der andere Gabelast gelangte in die Verebralkommissur. 
Es kann aber auch der Fall bestehen, dass eine solche Ganglien- 
zelle (#) noch einen Ast (£') in die Pedalkommissur (cp) entsendet 
und so verhält sich dann. wie wir gesehen haben, auch die vordere 
Riesenzelle (Fig. 17, 15) mit dem Unterschiede jedoch, dass hier 
die Commissura cerebropleuralis in Betracht kommt. 

Trotzdem besondere Kerne für die einzelnen Nerven nicht 
bestehen — und ich verweise nur auf Fig. 11, wo fast aus der- 
selben Stelle eine Nervenfaser für den zweiten und eine andere 
für den siebenten Nerven entsteht — so ist das Ursprungsgebiet 
des sechsten und siebenten Nerven doch beschränkter als jenes 
der Ommatophoren-Gruppe, die ja aus allen Teilen des Gehirns 
Wurzelfasern bezieht, indessen die früheren nur aus dem mittleren 
Abschnitte des Gehirns. 

Der achte Nerv, der mit drei fest aneinander lagernden 
Wurzeln die dorsale Seite des Gehirns verlässt, ist dadurch auf- 
fallend (Fig. 12, ®), dass er, soviel ich erkannte, nur Fasern Netz- 
ursprunges besitzt, denn die eintretenden Wurzelfasern lösen sich 

18* 


265 B. Haller: 


im zentralen Nervennetz der Markmasse auf. Ob dieser Nerv. 
was höchst wahrscheinlich, eingestreute Ganglienzellen in seinen 
Stämmen besitzt, habe ich nicht verfolgt. 

In gleicher Weise beginnt im Gehirn der Acusticus (Fig. 19, 
ac), er bezieht Fasern auch aus der anderseitigen Hirnhälfte 
durch die Cerebralkommissur hindurch. Ein besonderer Acustieus- 
kern ist mir nicht bekannt geworden und ich vermag mit Bestimmt- 
heit auch nicht anzugeben, ob nicht auch mit zentralen Ganglien- 
zellen ein Zusammenhang besteht. 

Auch die kommissuralen Verbindungen stehen direkt nicht 
in Beziehung mit den Globulis, bloss durch das Vereinsgebiet. 
Ich unterscheide äussere und innere Kommissuren am Gehirn. 
Die äusseren sind die Commissura pedalis, visceralis, beziehentlich 
cerebropleuralis. Ich kann mich bezüglich dieser hier kurz fassen: 
entweder sind es Fortsätze von Ganglienzellen anderer Ganglien 
(Pedal-, Visceral-, Pleuralganglien) die durch die Kommissur hin- 
durch sich in dem gleichseitigen oder vermittelst der Benutzung 
der cerebralen (Querverbindung in dem anderseitigen Vereins- 
gebiet auflösen (Fig. 16, ep; 11, c.cpl; 2, ev; 22, cv), oder 
es sind Ganglienzellfortsätze aus dem Gehirn, die durch die be- 
treffenden Kommissuren hindurch in das betreffende Ganglion 
geleitet werden, um sich dort im zentralen Nervennetz aufzulösen 
(Fig. 10, 11, 16, 17, @). Auch solche Fasern können aus der 
anderseitigen Hirnhälfte stammen. 

Innere Kommissuren gibt es viele, folgende will ich anführen. 
Aus dem vorderen Rande des mittleren Hirnabschnittes gelangt 
von der bereits genannten kleinen Zellgruppe (Fig. 21, k) ein 
Bündel an die Stelle, wo das Pleuralganglion mit dem Gehirn 
verschmilzt bei Helix und Arion. Doch besitzen auch die Fort- 
sätze der grossen Zellen jener früheren Stelle diese Bahn (Fig. 1, v). 
Ausserdem steht diese Stelle auch mit der hinteren Seite des 
übrigen mittleren Hirnabschnittes in Beziehung durch ein Bündel, 
das die Cerebralkommissur kreuzend nach hinten (Fig. 14, ı‘) 
gelangt. Da gibt es in der hinteren Hirnseite auch Zellen, die 
mit ihren zahlreichen langen Fortsätzen (Fig. 14, vs) diese Ver- 
bindung herstellen. 

Zum Schlusse dieses Abschnittes möchte ich noch darauf hin- 
weisen, dass Globuli bei den Pulmonaten wohl allgemein sich vor- 
finden. Für die Basommatophoren gibt Lacaze-Duthiers (28) 


Die Intelligenzsphären des Molluskengehirns. 269 


das allgemeine Vorkommen seiner „Lobules superieures“ an und 
diese sind die Globuli, wie ich schon darauf hingewiesen habe. Es 
entsteht dieses Gebilde — das Lacaze-Duthiers für ein speziell 
sensibles (rebiet hält, wegen dem Ursprung des Acusticus und 
Optieus in seinem Umkreise — als eine ecetodermale Einstülpung 
nach den Befunden der beiden Sarasin (39), Nabias (31), 
Schmidt (40), Hendschmann (21), Pelseneer (35) u. a. 
und soll erst nachträglich mit dem übrigen Gehirne verwachsen. 
Allein dieses Verwachsen wird wohl nicht wörtlich zu nehmen sein, 
da ein Zusammenhang mit der übrigen Hirnanlage von Anfang 
an vorauszusetzen ist. Nach der Abschnürung der Anlage erhält 
sich dann noch einige Zeit das Lumen, doch nicht für immer, 
wie wir es gesehen haben. Pelseneer, der gleich Böhmig 
keinen Nervenursprung aus dem Globulus feststellen konnte, hält 
dafür, dass „ce lobule ne semble avoir physiologiquement rien 
a fair avec les organes actuels des sens speciales“ und betont dies 
Lacaze-Duthiers gegenüber. Er verfällt aber dann in einen 
doppelten Irrtum, denn erstens will er auch bei den CGephalopoden 
solch einen „Laterallobus“ gefunden haben,') denen, wie wir weiter 
unten sehen werden, dieser doch fehlt und dann will er ihn mit 
dem hinteren Hirnlappen der Polychaeten gleichstellen. Ebenso 
irrig ist die Vorstellung Sarasins ja auch, dass es sich in 
dieser ontogenetischen Anlage das einstige Bestehen von Kopf- 
gruben-Sinnesorganen der Würmer (Nemertinen u. a.) zu erblicken 
wäre. Steht es somit bezüglich des Globulus fest, dass er das- 
selbe (rebilde ist, welches die oben Genannten durch eine Invagi- 
nation des Eetoderms entstehen sahen, und hierfür ist, meine ich, 
am massgebendsten eine Abbildung der Sarasins (l. c. Fig. 28), 
so erscheint eine andere Anlage am frontalen Hirnende für das 
entwickelte Tier als Gehirnteil zweifelhaft. Doch möchte ich 
mich diesbezüglich auf Pelseneer berufen. Es sind dies die 
dorsalen Lobuli Pelseneers, die allerdings im Gegensatz zu 
ihm Nabias (31) mit der Cerebralkommissur in Zusammenhang 
gesehen haben will, sein Protocerebron. Demgegenüber behauptet 
Pelseneer, dass sie mit dem Gehirn nicht zusammenhängen. 


!, Der weisse Körper medianwärts von den Augen würde nach 
Pelseneer als eine ectodermale Einstülpung entstehen. Wegen dieser 
Art der Entstehung — kann ja doch auch drüsiger Natur sein — kann 
ınan aber nicht auf eine Homologie mit den Globuli schliessen. 


270 BSrNanlalere 


Wenn ich allerdings die Abbildungen zweier Querschnitte von 
Pelseneer, eine über das Gehirn von Limnea (l. c. Fig. 57), 
die andere über jenes von Auricula (Fig. 61), betrachte, so kann 
ich den Gedanken nicht abwehren, dass es sich hier bloss um 
einen vorgeschobenen Abschnitt des Globulus handelt, wie ihn 
Paludina und Murex zeigen und wie dies weiter unten noch 
erörtert werden soll. 

Nicht unterrichtet sind wir über die Globuli der räuberischen 
Opithopneumonen und doch lässt es sich vermuten, dass unter 
den Testacelliden noch eine höhere Stufe der Entfaltung erreicht 
sein wird als bei Limax, und zwar wegen der rämbesischen 
Lebensweise, die doch höhere Intelligenz voraussetzt. 


B. Opisthobranchier. 


Eine kleine auf die Art nicht bestimmte Art der Grattung 
Oneidiella diente mir zur Untersuchung neben Siphonaria. Es 
besteht bei den Oncididen, diesen den Pulmonaten nahestehenden 
Nudibranchiern, bekanntlich das Gehirn (Textfig. 5, eg) aus zwei 
seitlichen Hälften, die durch eine längere Cerebralkommissur 
(ce) miteinander verbunden sind. Eine kurze Cerebropedal- 
kommissur (cp) vermittelt den Zusammenhang mit den läng- 
lichen, untereinander durch zwei Kommissuren wie bei Onieidium 
celticum nach Joyeux-Laffuie (25) verbundenen Pedalganglien 
(pg), während eine noch kürzere Visceralkommissur das Gehirn 
mit den jederseitigen Pleuralganglien (plg) verbindet. Die beider- 
seitigen Pleuralganglien, obgleich gut abgegrenzt, sind verschmolzen 
mit dem unpaaren hinteren Eingeweideganglion (heig). 

An dem Gehirn finde ich lateralwärts und hinter den Kopf- 
nerven eine sehr ansehnliche Aufbuchtung, die ähnlich wie der 
Globulus bei Limax etwas seitwärts schaut. Diese Vorwölbung 
am Gehirn erwähnt Joveux-Laffuie bei Oncidium nicht, und 
auch Plate (36), v. Wissel (47) und Stantschinsky (43) 
scheinen sie übersehen zu haben. 

Auf Schnitten zeigt es sich nun, dass dieser Hügel an jedem 
Cerebralganglion anders gebaut ist (Fig. 32, gr + gn) als die 
übrige Gehirnrinde, denn während letztere aus grossen Zellen 
besteht, ist die des Hügels aus kleinen sternförmigen Ganglien- 
zellen gebildet, denen keine anderen Zellen beigemengt sind, sie 
vielmehr der übrigen Rinde gegenüber gerade so scharf abgegrenzt. 


DD 
—ı 
mi 


Die Intelligenzsphären des Molluskengehirns. 


sind, wie bei den Egelschnecken. Es handelt sich somit hier um 
einen für die Mollusken hochentwickelten Globulus, was auch 
daraus hervorgeht, dass die sehr dicke Globulusrinde (gr) mit 
zahnartigen Fortsätzen in das Globulusmark (gm) vorspringt, also 
eine Flächenvergrösserung be- 
sitzt. Dieser Globulus steht so- 
mit genauestens auf derselben 
hohen Stufe wie jener von Limax. 
Seine ansehnliche Kommissur (ge) 
ist denn auch in der Cerebral- 
kommissur (ce) von dem hinteren 
Abschnitt durch ihre feinen 
Fasern ausgezeichnet.') 

Von der Gattung Siphonaria 
habe ich die Art albicans auf 
den Globulus hin untersucht. 
Es lässt sich da, allerdings nur 
auf Schnitten, am äusseren Rande DE  Reig 
des Cerebralganglions zwischen 
den Kopfnerven und der Cere- Die rechte Hälfte des Schlundringes 
bropleuralkommissur ein kleiner von Oncinella. cg — Cerebral-, 


hügeliger Wulst erkennen pg — Pedal-, plg — Mantelganglion. 


(Fig. 34. g), dessen Ganglien- Links ist die Verbindnng zwischen 


rinde bie zur Nzehder Kopf- gesen Ganglion und dem hinteren 
Eingeweideganglion (heig) durch- 


en, = kleineren Zellen 8° schnitten und dieses nach rechts 
bildet ist, als die übrige Rinde seschlagen. Die Intelligenzsphäre 
des Gehirns; auch findet sich (Globulus) schwarz. cp = Commis- 


Fig. 5. 


unter dieser Zellage eine solche Wa pedalis; ev — Commissura vis- 
feine Markmasse (gm) Else ceralis; ce = Commissura cerebralis; 
Ai c » 7 . 
; ac — Acusticus. 


sonst nur den Globulis zukommt. 

Es handelt sich hier somit unbestreitbar um einen sehr primären 
Globulus. Jedenfalls ist die Entfaltung im Gange, denn zwischen 
den kleinen Zellen finden sich auch solche grosse Zellen, die sonst 
der Globulusrinde nicht angehören und die längeren Bahnen und 


!, Eine zweite Kommissur, die Plate bei Oncidium fand, ist nicht 
etwa auf eine Abtrennung der beiden Bündel voneinander zurückzuführen 
bei dem Oncidium, da die zweite Kommissur nach Plate subösophageal 
liegt. Sie hat damit mit den Cerebralganglien nichts zu tun und wird 
wohl nur als eine Anlagerung von nebenher laufenden Nerven zu deuten sein. 


272 B. Haller: 


peripheren Fasern zum Ursprunge dienen. Aus der Globulusrinde 
sind somit diese Elemente noch nicht ausgeschieden worden. 

Andere Opisthobranchier auf ihr Intelligenzgebiet zu unter- 
suchen, hatte ich kein geeignetes Material und so kann ich hier 
bloss die Tatsache feststellen, dass bei ihnen bezüglich der 
Intelligenzsphäre oder Entfaltung der Globuli zwei extreme 
Fälle vorkommen: ein beginnendes Stadium bei den 
lediglich wasserbewohnenden Siphonarien, die 
höchste Entfaltung, die wir bisher kennen, bei den 
amphibischen Onecidien. 


C. Prosobranchier. 


Von Prosobranchiern untersuchte ich auf die Globuli hin 
von Docoglossen Nacella vitrea, von Zeugobranchiern Fissurella, 
die beiden Neotaeniglossen Paludina und Cypraea histrix, von 
Rachiglossen Oliva peruviana und Murex brandaris. 

Bei Fissurella habe ich die Tatsache feststellen können, 
dass von einem Globulus nicht einmal die erste An- 
lage einer Sonderung besteht, denn an der bezüglichen 
Stelle ist die Zellenrinde genauestens noch so gebaut, wie sonst 
am Gehirn. Dieses Stadium hat aber Nacella unter den Doco- 
glossen weit überschritten, denn bei ihr findet sich ein kleiner 
Globulus vor, der auf einem},etwas höheren Stadium stehen dürfte 
wie jenes von Siphonaria. Es liegt dieser genau hinter den Kopf- 
nerven lateralwärts am Ganglion (Textfig. 6, A, gl), also auf der 
bisher üblichen Stelle. Er ist etwas vorgewölbt (Fig. 33, gr + gm), 
besteht aus kleinen Sternzellen und einer deutlich kennzeichnenden 
Markmasse (gm), aus der nur ein kräftiges Bündel als Kommissur 
(cg) sich in die Cerebralkommissur begibt, mit deren gröberen 
Fasern sich dann diese feinen aber vermischen. 

Zwischen den kleinen Sternzellen finden sich aber in der 
(lobulusrinde auch andere grössere Zellen, die noch aus der 
Globulusrinde nicht ausgeschieden wurden und längeren peripheren 
Nervenfasern und anderen langen Bahnen zum Ursprung dienen. 
Es hat sich somit hier der Globulus noch nicht voll 
entfaltet. 

Auf gleichem Stadium der Entfaltung befindet sich der 
Jederseitige Globulus auch bei den Architaennioglossen. Bei Cypraea 
liegt er an gleicher Stelle wie bei Nacella, also hinter den 


Die Intelligenzsphären des Molluskengehirns. 273 


Kopfnerven in lateraler Lage (Textfig. 6, B, gl) und ist von 
geringem Umfang, äusserlich unkenntlich. Er besitzt eine ge- 
mischte Zellenrinde (Fig. 35, gr), d. h. zwischen den kleinen 
Sternzellen befinden sich auch noch andere, der vorgeschrittenen 
(lobulusrinde fremde Elemente und einem schmalen Globulus- 
mark (gm). 

Auf gleicher Stufe der Entfaltung findet sich der jeder- 
seitige Globulus zwar auch bei Paludina, allein mit dem Unter- 


cp R .-cD 


Fig. 6. 
Die rechte Hirnhälfte von oben. A von Nacella vitrea, BvonCypraea 
histrio. y — innerer gangliöser Fortsatz; cc = Commissura cerebralis; 
cp — Commissura pedalis; cv — Commissura visceralis; Gl — Globulus. 


schiede, dass die Globuli ihre frühere Lage verändert haben und 
von lateralwärts nach frontalwärts genau auf die vordere mediane 
Seite des Gehirns verschoben wurden (Fig. 41, er + gm). Es 
kann aber keinem Zweifel unterliegen, dass wir es hier mit den 
Globuli zu tun haben, denn abgesehen von der charakteristischen 
Zellenrinde (gr) befindet sich unter ihm ein ebenso kennzeichnendes 
Globulusmark (gm). aus dem die Globuluskommissur sich entfaltet. 
Die Globulusrinde steht aber doch nur auf jenem 
Stadium der Entfaltung, aufdemwir sie bei Üypraea 
getroffen. Ihr sonst fremde Zellen lagern zwischen den kleinen 
Sternzellen. Von ihnen nach auswärts liegen jetzt somit die 
Kopfnerven, ohne dass einwärts von dem Globulus motorische 
grosse Zellen wären. 


[89] 
—I 
He 


B. Erarlller: 


(renauestens die gleiche Lage wird von den Globulis auch 
bei dem Rachiglossen Murex eingenommen, indessen die nächst- 
verwandte Oliva die laterale ursprünglichere Lage der Globuli 
aufweist. Ich brauche es wohl kaum zu sagen, dass Murex diese 
Lage der Globuli in bloss konvergenter Weise mit Paludina 
erreicht hat. 

Bekanntlich ist der Schlundring der Rachiglossen durch seine 
(sedrungenheit ausgezeichnet (9, 17), was dadurch erreicht ward, 
dass sämtliche Kommissuren, Cerebral, Cerebropedal, Cerebro- 
pleural in den konzentrierten Schlundring einbezogen wurden. 
Es entsteht dadurch ein so innig gangliös abgeschlossener Schlund- 
ring, wie er nur noch von CGoncholepas übertroffen wird. Die 
fest aneinander liegenden ÜCerebralganglien besitzen oralwärts zu 
einen konischen Fortsatz (Textfig. 7, bl), aus welchem die Kopf- 
nerven, sechs an der Zahl, abtreten.) Hinter diesem Bulbus 
verdickt sich dann das Gehirn zu je einem ovalen Ganglion, 
dessen Längsachse bei Oliva (A, cg) sagittal, bei Murex (B, cg) 
aber quergestellt ist. An das Üerebralganglion schliesst sich 
nach hinten zu das in eine untere (v) und obere (h) Hälfte sich 
teilende Pleuralganglion an. Beide Hälften wieder sind in je 
zwei Abschnitte zerlegt, von denen der vordere (Fig. 28, 29, 30, 
plg) mit dem Üerebralganglion (eg), der hintere (plg‘) mit dem 
Pedalganglion (pg) verschmolzen ist. Jeder dieser Abschnitte 
besteht aus einem grosszelligen und einem, im Cerebralganglion 
darauffolgenden, im Pedalganglion ihm vorgelagerten kleinzelligen 
Kern. Letztere der beiden Abschnitte berühren sich dann an 
der Grenze, soweit sie in der Mitte miteinander nicht ver- 
schmolzen sind. Es durchzieht dann die Cerebropedalkommissur 
die (ranglienmasse, um dann mit einem Teil ihrer Fasern in 
der queren Cerebralkommissur (cc) auf die andere Seite sich zu 
begeben. Die vordere Hälfte des Pleuralganglions, also jene mit 
dem Cerebralganglion verschmolzene, wird durch die Acusticus- 
wurzel durchzogen (Fig. 28, ac). Ihre Fasern verästeln sich teils 


') Am dritten Nerven befindet sich eine spindelförmige gangliöse Ver- 
diekung, die ich 1881 bei Murex irrtümlich für die Otocysten hielt. Später 
habe ich für Oliva diesen Fehler eingesehen und möchte heute auch für 
Murex diesen berichtigen. Die Otocysten, deren Nerv der Acusticus aus 
dem Cerebralganglion entspringt, haben ihre normale Lage auf den Pedal- 


ganglien (pg). 


Die Intelligenzsphären des Molluskengehirns. 2 


in dem Vereinsgebiet (sg), teils treten sie in die gleiche Gegend 
der anderseitigen Gehirnhälfte durch die CGerebralkommissur. Den 
weiteren Zusammenhang mit zentralen Ganglienzellen der Acustieus- 
fasern habe ich nicht verfolgt und kann nur berichten, dass ein 
spezialisierter Acusticuskern mir nicht bekannt ist. 

Im Cerebralganglion lassen sich mehrere Abschnitte je nach 
der Art der Zellrinde unterscheiden. Ventralst liegt bei beiden 
Gattungen jener Bulbus (bl), aus dessen grossen Zellen ein Teil 
der Wurzelfasern der Kopfnerven entspringt. Über diesem Bulbus 
befindet sich eine zumeist aus grossen motorischen, birnförmigen 
Zellen, denen kleinere anlagern, gebildete Rinde (Fig. 29, i), und 
die den zapfenförmigen Vorsprüngen des mittleren Abschnittes 
bei den Pulmonaten entspricht. Dies geht schon daraus hervor, 
dass sich aus ihr ein Bündel sammelt (v), dessen einer Teil in 
die Gerebropedal- und Cerebropleural-Kommissur sich begibt. 
der andere aber nach unten und vorne biegend zu Wurzelfasern 


Fig. 7 A. Fig. 7 B. 
Schlundring von oben. A von Murex brandaris, B von Oliva peru- 
viana. cg= Cerebral-, pg — Pedal-, plg = Pleural-, gsb — Subintestinal-, 
gsp — Supraintestinal-Ganglion;, k — Intestinalhalbring; ac = Acusticus; 

bl = Bulbus des Cerebralganglions; gl = Globulus. 


der Kopfnerven wird. Ausser den obigen und diesen Wurzel- 
fasern beziehen die Kopfnerven Fasern aus allen Teilen der 
übrigen Zellenrinde des Gehirns (Fig. 50). Dies zeigt sich un- 


276 B. Haller: 


gemein deutlich auf horizontalen Längsschnitten durch den 
ventralen Cerebralganglienteil, was aus dem zu ersehen ist, dass 
von überall (Fig. 31) und aus allen Zellengrössen Wurzelfasern 
in die Kopfnerven gelangen, ohne dass man für die einzelnen 
dieser einen bestimmten Abschnitt der Rinde als Ursprungsgebiet 
bezeichnen könnte. Diese Zellenrinde zeigt gleichzeitig, dass sie 
aus verschieden grossen Zellen zusammengesetzt ist und dass 
weder grosse noch kleinere Elemente stellenweise die Rinde 
beherrschen. 

Um so auffallender ist es, dass bei der Oliva, wie ich schon 
seinerzeit nebenbei berichtet habe, an der oberen vorderen Seite 
des Gehirns beginnend (Fig. 28, gr) sich eine kleinzellige Rinde 
befindet, die dann von hier seitwärts zu ziehend, tiefer ventral- 
wärts eine ausgesprochen laterale Lage einnimmt (Fig. 30, gr). 
Nach Schnittserien habe ich dann auf Textfig. 7, B, mit Schwarz (g]) 
die Form dieses kleinzelligen Rindenstreifens eingezeichnet. Er 
ist oben und vorne breiter, endet nach innen abgerundet und 
erreicht die sagittale Mittellinie zwischen der beiderseitigen (re- 
hirnhälfte nicht, dort liegt vielmehr auch dorsalst der gross- 
zellige Kern (Fig. 29, i). Dann wird diese kleinzellige Rinde 
schmäler (Textfig. 7, A), um seitwärts sich wieder etwas ver- 
breiternd nach hinten bis an das Pleuralganglion heranzureichen 
(Fig. 30, gr). 

Diese kleinzellige Rinde ist der Globulus. Er besitzt eine 
ansehnliche Entfaltung, eine recht dicke Zellenrinde (gr) und eine 
dementsprechende Markmasse (gm), aus der die Kommissura 
(Fig. 28, eg) durch die Üerebralkommissura hindurch in die 
andere Gehirnhälfte gelangt. Ist aber der Globulus der Oliva 
von ansehnlicher Ausdehnung, so steht er geweblich doch nicht 
auf der hohen Stufe jenes der stylommatophoren Pulmonaten, 
nicht einmal auf jener von Helix. Seine Rinde wird nämlich von 
zweierlei Zellen gebildet (Fig. 36), von kleinen Sternzellen, die 
sich tief färben und von grösseren oder direkt grossen birn- 
förmigen Elementen. 

Die Globuli von Murex haben ihre frühere Lage insofern 
verändert, als zusammengezogen auf eine geringere Fläche sie als 
sehr tiefe Rindenschicht ganz medianst lagern (Textfig. 7, B. gl), 
also so wie bei Paludina. Sie (Fig. 39, gr) verdrängen somit 
dorsalst von dieser Stelle die motorische Rindenschichte (i) seit- 


Die Intelligenzsphären des Molluskengehirns. 277 


wärts und besetzen damit die ganze mediane Dorsalseite des (ie- 
hirns. Dies um so mehr, als hinter ihnen hier noch ihr Faserbündel 
(Fig. 40, gb) in das Vereinsgebiet hinziehend sich befindet, jenes 
Bündel, das bei Oliva (Fig. 25, gb) eine tiefere Lage inne hatte. 
Wie gesagt, ist die Globulusrinde von Murex sehr hoch und die 
beiden Globuli berühren sich medianwärts (Fig. 39), ihre Kommissur 
(eg) auf diese Weise verdeckend. Diese ist nach den feinen Fasern 
gut getrennt von der übrigen Cerebralkommissur (ce). 

Immerhin ist auch die Globulusrinde von Murex 
noch nicht rein von ihr fremden Ganglienzellen 
(Fig. 37), die allerdings bereits in geringerer Zahl als bei Oliva 
zwischen den kleinen Sternzellen lagern. 

Fassen wir somit dasjenige zusammen, was über die In- 
telligenzsphären des Gehirns bei den Prosobranchiern in vor- 
stehendem Abschnitt mitgeteilt ward, so kommen wir zu dem Er- 
gebnis, dass der erste Schritt zueiner Differenzierung 
der Globuli unter den Prosobranchiern nicht bei 
den Zeugobranchiern, sondern bei den Docoglossen 
erfolgte. Diesengegenüber machen die Architaenio- 
glossen keinen Fortschritt, was aber bei den Rachi- 
glossen erreicht wird. Doch ist auch bei diesen die 
höhere Stufe, welche die stylommatophoren Pulmo- 
naten erreicht haben, noch nicht errungen. 

Selbstverständlich sind auf die Globuli hin auch noch 
andere Prosobranchier, brevi- wie longikommissurale Neotaenio- 
glossen und Toxiglossen zu prüfen, was mir leider wegen Material- 
mangel nicht möglich war.!) 


D. Cephalopoda. 

Das ursprünglichere Verhalten des Zentralnervensystems 
der Cephalopoden findet sich naturgemäss bei dem einzigen 
rezenten Vertreter der Tetrabranchiaten, dem Nautilus. Aus- 
führlicher wurde dieses Nervensystem durch Owens (32) und 
Iherings Beschreibungen bekannt. Wie durch diese Forscher 
festgestellt wurde, besteht das Zentralnervensystem dieser Form 
aus einem weiten Schlundring, dem von hinten ein Halbring mit 

') Nur durch die vor zwei Jahren mir gewährte kleine Unterstützung 


der Heinrich Lanz-Stiftung hier, konnte ich auch diese Arbeit ausführen, 
da meine Finanzen dazu nicht genügen. 


9.0) 


278 B. Haller: 


seinen beiden Schenkeln sich anschliesst. Dieser Halbring liegt 
ebenso unter dem Darm, wie der untere Teil des Vollringes und 
nur der andere Teil dieses lagert über dem Schlundrohr. Der 
Halbring ist der Visceralstrang, der über dem Schlundrohr gelegene 
Teil des Vollringes der Cerebral-, der unterhalb desselben gelegene 
der Pedalstrang. Aus letzterem gehen nach Owen die Nerven 
zu der Tentakelkrone oder den Kopffüssen. Dieser Befund war 
dann wohl die Veranlassung dafür, dass bei den Cephalopoden die 
Kopffüsse als von pedalen Zentren innerviert dem Fusse zugerechnet 
wurden. Ihering, der das Zentralnervensystem von Nautilus 
ausführlicher verfolgt hatte (23), tritt dieser Ansicht entgegen, 
indem er die Nerven aus dem oberen Schlundringe für die 
Innervierung der Cirrhen in Anspruch nimmt. Iherings Be- 
schreibung des Zentralnervensystems vermag ich im allgemeinen 
zu bestätigen und möchte meine Beobachtungen hier gleich anfügen. 

Der Cerebralstrang (Textfig. S, A, B, c) ist ein kräftiger 
(Juerstrang von ansehnlicher Länge und gibt an seiner dorsalen 
Seite, entlang einer niedrigen Kante, eine grosse Zahl von feineren 
Nerven ab. Diese sind an der Kante in zwei Reihen, einer 
vorderen und einer hinteren, angeordnet, und zwar so, dass je 
einem vorderen ein hinterer Nerv entspricht. Diese Nerven 
gehen sämtlich an die dorsalwärtigen Kopffüsse 
oder hier Cirrhen. Der äusserste dieser Nerven (nb), es ist ein 
vorderer, ist mächtiger als die anderen und gelangt an die 
Mundeirrhen. Einen Nerv unter diesen Cerebralnerven, der, wie 
Ihering meint, an die Buccal- oder vorderen Eingeweideganglien 
gelangen würde, kenne ich nicht. 

An seinem lateralen Ende geht der Üerebralstrang über 
nach hinten zu in den Pleurovisceralstrang, nach vorne zu in den 
Pedalstrang, und genauestens an der Stelle, wo dies erfolgt, d. h. 
wo alle drei Halbringe aneinanderstossen, geht der mächtige 
Sehnerv (op) ab. ohne, wie bekannt, am Auge ein Ganglion zu 
haben. Von hieraus biegt der Pleurovisceralstrang nach unten 
und innen (pv), um mit der anderseitigen Hälfte unter dem Darm 
einen Halbring zu bilden. Aus jeder Hälfte des Pleurovisceral- 
stranges treten je zwei Gruppen mächtiger Nerven ab. Das 
geringere äussere Bündel, bestehend aus vier Nerven, ist jenes 
des Palliums (np), das innere das vier grosse Stämme enthält 
die eigentlichen Visceralnerven (nv). 


Die Intelligenzsphären des Molluskengehirns. 279 


Fig. 8 B. 
Nautilus pomp. A das Zentralnervensystem von hinten, B die rechte 
Hälfte von der Seite. p — Pedal-, ce — Cerebral-, pv — Pleurovisceral- 
Strang; cp — Üerebropedaler Abschnitt; np — Nervi pleurales; nv = 


Nn. viscerales; op — Nerv. opticus. 


280 B. Haller: 


Das Verhalten der unteren Hälfte des Vollringes zur oberen 
oder zum Üerebraistrange ist bezeichnend, denn während ihr 
oberer an Cerebral- und Pleurovisceralstrang angewachsener Teil, 
wie seit Ihering bekannt, verdickt ist (cp), ist der untere 
Teil, der rein kommissural ist und keinen Nerven abgibt (p), 
ganz einfach und glatt, doch der Mitte zu etwas verbreitert. 
Der obere Teil ist somit gangliös und entsendet bekanntlich die 
Nerven. Fine Grenze zwischen diesem gangliösen Abschnitt und 
dem Cerebralstrang gibt es aber nicht. Besser noch ist die 
Begrenzung dem Pleurovisceralstrang gegenüber gegeben, und 
einen Teil der von hier abgehenden Nerven müssen wir noch 
dem Üerebralstrange anreihen. Gleich unter dem Opticus, diesem 
ganz fest anlagernd, tritt der Acusticus (ac) ab und dieser 
liegt ausserhalb der Reihe der übrigen. Jene niedrige Kante 
nämlich, welche dorsalwärts auf dem Cerebralstrang sich befindet 
und an die sich die Öerebralnerven anreihen, beschreibt vor dem 
Opticus einen Bogen, um auf diese Weise auf den gangliösen Teil 
der unteren Ringhälfte sich fortzusetzen. An dieser Kante nun, 
beginnend in gleicher Höhe mit dem oberen Opticusrande, befindet 
sich eine Reihe von Nerven, die entlang des ganzen gangliösen 
Teils der unteren Ringhälfte (ep) hinzieht und deren unterster 
der Trichternerv (tn) ist. Der oberste Nerv dieser Reihe (ec. veig), 
der mit dem Trichternerv der stärkste der ganzen Reihe ist — 
die anderen sind untereinander gleich stark — ist die Kommissur 
zu den vorderen Eingeweideganglien oder den Buccalganglien. 

Nur diese Reihe von Nerven hatte Ihering gesehen, doch 
sind diese nur ein Teil der Nerven, welche von dem gangliösen 
Abschnitt der unteren Ringhälfte abgehen. Der grössere Teil 
der Nerven geht innen von der oben genannten Kante ab (B). 
Diese Nerven sind in drei nebeneinander herabziehenden Reihen 
angeordnet und zwar alternieren die Nerven der einen Reihe 
mit jenen der anderen, wobei die der äusseren die mächtigsten. 
die der inneren die schwächsten sind. Alle diese Nerven gelangen 
an lateral und ventral angeordnete Kopfeirrhen. 

Während somit die dorsalen Kopfeirrhen des 
Nautilus von Nerven des Cerebralstranges versorgt 
werden, werden die seitwärtigen und unteren von 
Nerven versehen, die aus einem Grenzgebiet zwischen 
Cerebral- und Pedalstrang entspringen, und welche 


Die Intelligenzsphären des Molluskengehirns. 281 


gangliöse Verdickung jederseits darum das Inter- 
cerebropedal-Ganglion genannt werden möge. 

Dieses Verhalten ist aber phyletisch wichtig für die Be- 
urteilung der Kopffüsse der Dibranchen, wie ich dies jetzt schon 
bemerken möchte. 

Der höchst konzentrierte Schlundring der Dibranchen ist 
schon seit altersher wohl bekannt, ich nenne hier in erster Linie die 
Veröffentlichungen Che&rons (4), Owsjanikowsund Kowalewskys 
(33), Stiedas (44), Dietls (5) und Pelseneers (34). 

Owsjanikow und Kowalesky unterscheiden an dem 
Schlundringe: das obere Gehirn oder das obere Schlundganglion, 
das untere Gehirn oder das untere Schlundganglion und die beiden 
Optieusknoten, doch zählen sie auch die „Buccalganglien“ noch 
dazu, obgleich wie sie ja selbst bemerken, dieselben nicht mehr 
in der Knorpelkapsel „der Schädelhöhle“ liegen. Das obere Gehirn, 
„das Analogon des Gehirns der höheren Tiere“, zerfällt in vier, 
durch schwache Furchen voneinander geschiedene Ganglien, nämlich 
in das vordere, mittlere, hintere oder die „Hemisphären des 
grossen Gehirns“ und das untere. Das vordere Ganglion ist unter 
allen das kleinste und besteht aus zwei medianst miteinander 
verbundenen Teilen. Es besteht aus grossen, mehr peripherwärts 
gelegenen und kleineren, fest aneinander lagernden Zellen und steht, 
ohne Nerven zu entsenden, nach drei Richtungen mit anderen 
Ganglien in kommissuraler Verbindung, wobei es auch durch eine 
Verbindung mit dem vorderen unteren Schlundganglion zusammen- 
hängt, und welche Verbindung die „vordere Kommissur“ heisst. 

Das mittlere Ganglion besteht aus zwei nach oben gewölbten 
Hälften und wird seine Rinde durch kleine, untereinander anasto- 
mosierende Zellen, die gleich den kleinen Zellen des vorderen 
Ganglions sind, gebildet. Beide Ganglienhälften stehen nicht nur 
miteinander in Verbindung, sondern auch mit dem hinteren Ganglion 
und dem oberen Schlundganglion. Auch die Rinde des grossen 
hinteren Ganglions besteht nur aus kleinen Zellen, doch ist die 
Rinde ungleich diek. Ihre Oberfläche wird bei Octopus in fünf 
zueinander parallele, nach hinten hinziehende Windungen zerlegt, 
wodurch eine Ähnlichkeit mit dem Grosshirn der Säugetiere 
entsteht. In der Basis der oberen Schlundganglien befindet sich 
die Commissura optica und vor dieser ein „Nervenknoten“ von 


ansehnlicher Grösse, der dorsalwärts eine Zellenlage besitzt. 
Archiv f. mikr. Anat. Bd.81. Abt. I. 19 


282 B. Haller: 


Das untere Schlundganglion steht durch zwei Kommissuren 
mit dem oberen in Verbindung und zerfällt in einen vorderen, 
mittleren und hinteren selbständigen Knoten. Aus dem vorderen 
gehen die Nerven zu Kopffüssen und Kopfmuskeln, aus dem 
mittleren an den Trichter, das Gehörorgan und die Augen- 
muskeln, während der hintere die Mantel- und Eingeweide- 
nerven abgibt. 

Die sechs Jahre später erschienene Arbeit Stiedas bringt 
im wesentlichen nichts Neues gegenüber den Befunden oben 
genannter Forscher und kann somit als eine Bestätigung jener 
Befunde gelten, doch berichtet er am Nervus optieus über ein 
kleines Ganglion, das er Ganglion pedunculi nennt und das ältere 
Autoren für olfaktorisch hielten. Stieda unterscheidet am oberen 
Schlundganglion einen vorderen, mittleren und oberen (den hinteren 
der zwei früheren Autoren) Knoten, ferner einen unteren, hinteren 
und zentralen. Am unteren Schlundganglion führt er gleichfalls 
die drei Abschnitte an. 

Neu wäre also der zentrale Knoten. 

Dietl(5) nennt das vordere Ganglion des supraösophagealen 
Schlundringabschnittes kurz Supraösophagealganglion, das darauf- 
folgende den unteren Frontallappen. Das hintere Ganglion der 
bisherigen Autoren wird in ein vorderes Stück, den oberen Frontal- 
lappen und ein hinteres Stück geschieden. Dieses hintere, welches 
bei den Octopoden die bekannten Längsgyri zeigt, nennt er den 
Scheitellappen. Was unter diesen Teilen liegt, heisst hinterer 
und vorderer Basallappen. Der obere Schlundring steht mit dem 
unteren durch zwei Seitenkommissuren in Verbindung. Der erste 
Abschnitt des Subösophagealabschnittes, der auch den Namen 
Brachialganglion führt, hängt jederseits mit einer vertikalen 
Seitenkommissur mit dem ersten Abschnitt des Supraösophageal- 
teiles zusammen. Eine hintere gleichgestellte Kommissur ver- 
bindet den hinteren Basallappen sowohl mit dem pedalen, als 
auch mit dem pleurovisceralen Teil des unteren Schlundringes. 
Erstere ist die Commissura anterior, letztere die Commissura 
posterior. Ausserdem kommt Dietl als erster aber auch auf eine 
(uerkommissur über den Ösophagus, die die beiden Brachial- 
sanglien untereinander verbindet. Diese Kommissur hat später 
auch Pelseneer erkannt und auf einem (Querschnitte bei Octopus 
abgebildet (34, Fig. 3). 


Die Intelligenzsphären des Molluskengehirns. 2853 


War eine gewisse Einigkeit in den einzelnen Abschnitten 
des Schlundringes vorhanden, so entstand ein Zweifel darüber, 
ob das Brachialganglion, der erste Abschnitt des unteren Schlund- 
ringes cerebraler oder pedaler Abkunft sei und je darnach, 
ob es dorthin oder hierher gerechnet wurde, wurden die Kopf- 
füsse als Abkömmlinge des Kopfes oder des Fusses betrachtet. 
Ihering trat für die erste Ansicht ein und Grobben(S) 
entwickelte sie später ausführlicher. Für Grobben sind mehrere 
Punkte massgebend. Die Dietlsche hintere Schlundkommissur 
wird von aussen von einer Ganglienrinde umgeben, die zweifellos 
dem oberen Schlundringe entstammt und mit dieser sollen auch 
Optikusfasern in Verbindung stehen. Somit setzt sich der obere 
Schlundring, wie auch Ihering annahm, auch nach dem unteren 
Schlundringe zu fort. Es ist somit diese Kommissur, da sie 
sowohl pedale als viscerale Teile nach oben zu verbindet, die 
Vereinigung von Cerebrovisceral- und Cerebropedalkommissur. 
Die vordere Dietlsche Kommissur geht aber nur bis zum 
Brachialganglion, sie führt Nervenbündel von oben in das 
Brachialganglion und von dort in die Brachialnerven, aber aus 
über dem Schlundring gelegenen Teilen und somit ist das 
Brachialganglion seinem Ursprung nach nicht Pedal-, sondern 
Öerebralganglionteil. Die über dem Schlunde gelegene, durch 
Dietl zuerst erkannte Brachialkommissur wäre aber für Grobben 
am ausschlaggebendsten für die cerebrale Natur der Brachial- 
ganglien. 

Dieser Ansicht trat zwei Jahre später Pelseneer (34) 
entgegen, der jene Ansicht vertritt, nach der die Brachial- 
ganglien pedaler Abkunft seien. Seine Beweisgründe sollen um 
so treffender sein, da er seinem wissenschaftlichen Gegner 
gegenüber über eigene Beobachtungen verfügt. Die Deutung 
der cerebrobrachialen. der brachio-supra-ösophagealen und der 
pedio-brachialen Kommissuren soll seiner Ansicht nach unrichtig 
sein. Unrichtig sei es, dass die cerebrobrachiale Kommissur 
eine ursprüngliche Einrichtung sei, welche als solche sie mit 
ihrem Mutterboden, dem Cerebralganglion, verbände. Es sei 
diese Verbindung nicht primär. Auch die Ontogenese spreche 
dafür, dass die Verbindung zwischen den Cerebralganglien mit 
den Pedalganglien sehr früh entstünde, indessen jene der Üerebral- 
ganglien und der Brachialganglien sich viel später entfalte. 

19% 


284 B. Haller: 


Auch die supraösophageale Brachialkommissur wäre als sekundär 
zu betrachten und darum ohne Beweiskraft. Seiner Meinung nach 
sei eben das Brachialganglion pedaler Abkunft. Indem ich diese 
Meinungsverschiedenheiten hier kurz erwähne, will ich weiter unten 
auf dieselben noch einmal eingehen, zuvor die eigenen Beobach- 
tungen mitteilend. 

Meine Beobachtungen beziehen sich lediglich auf Eledone, 
und der Hauptzweck war eben die Feststellung des Verhaltens 
einer möglicherweise sich vorfindenden Intelligenzsphäre, gleich 
wie bei den Gasteropoden. Da aber das Zentralnervensystem der 
Dibranchen eben eine eigenartige Bildung ist, die nicht ohne 
weiteres mit dem in Cerebral-, Pleural- und Pedalganglien ge- 


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Fig. 10. 


Eledone. Das ganze Gehirn von der rechten Seite. Bezeichnungen wie 
auf Textfig. 11. 


sonderten Schlundringe der übrigen Weichtiere verglichen werden 
kann, eben wegen seiner phyletisch anderen Entfaltung, so war 
es im Gegensatz zu den Gasteropoden unvermeidlich, sein gesamtes 
Verhalten zu verfolgen. 

Es zeigt das Zentralnervensystem von Eledone, wenigstens 
von der Seite gesehen, die grösste Ähnlichkeit mit jenem von 


Die Intelligenzsphären des Molluskengehirns. 285 


Octopus, besonders wie dieses Owsjanikow und Kowalewsky 
abgebildet haben (I. c. Fig. 4, Taf. V). 

Ich unterscheide auch zwei Hauptabschnitte, eben den supra- 
und subösophagealen Teil oder den oberen und unteren Schlund- 
ring. An dem oberen sind vier hintereinander gelegene Abschnitte 
zu unterscheiden und zwar der erste (Textfigg. 10, 11, c'), der zweite 
(c?), der dritte (c?) und vierte (c*). Der zweite Abschnitt wird 
dem ersten und dritten gegenüber begrenzt durch je eine Quer- 
furche, welche dann lateralwärts von vorne nach hinten und unten 
gerichtet sind. Es sind die beiden vorderen Abschnitte schmal 


Fig. 11. 
Eledone. Das ganze Gehirn von hinten. oe — Ösophagus; e!—c* — die 
vier Abschnitte des Cerebralgehirns ; rg — Retinalganglion ; &b — Branchial-, 
gp = Pedal-, g.pv = Pleurointestinalganglion; n — dritter Cerebralnerv ; 
nb — Branchialplexus; tn = Trichter-, np — Pallial-, nv — Visceralnerv: 
op — Opticus; ac = Acusticus; g — Opticusganglion. 


der Länge nach, aber breit der Quere nach, indem sie ja den 
ganzen vorderen Abschnitt des oberen Schlundringes ausmachen. 
Die begrenzenden Querfurchen sind tief und der zweite Abschnitt 
wird dem dritten gegenüber dadurch völlig abgegrenzt (Fig. 62), 


ISb B. Haller: 


indessen es sich mit der Furche zwischen dem ersten und zweiten 
Abschnitt (e!, ce?) anders verhält. Diese Furche trennt nämlich 
die beiden Abschnitte oben nur oberflächlich voneinander (A, B, c) 
und nur lateralwärts erfolgt eine völlige Abgrenzung der beiden 
Abschnitte gegeneinander (D). An ihrem Bodenteil sind somit die 
beiden vorderen Abschnitte miteinander verwachsen. 

Der dritte Abschnitt des oberen Schlundringes (ce?) ist allein 
schon so mächtig wie die beiden vorderen zusammen, aber besitzt 
nicht ganz dieselbe Tiefe (Fig. 62). Er zerfällt durch eine Quer- 
furche in ein vorderes und hinteres Stück, doch sind die beiden 
Stücke nur oberflächlich voneinander getrennt, da die Querfurche von 
geringer Tiefe ist. Diese Abgrenzung scheint nur Eledone eigen, 
da Owsjanikow und Kowalewsky es bei Octopus nicht 
erwähnen und den dritten Abschnitt einheitlich darstellen. Es 
wird der ganze Abschnitt in fünf Längswülste zerlegt, indessen 
bei Eledone diese Längswülste, aber acht an der Zahl, nicht 
einmal ganz bis zur Querfurche reichen (Textfig. 11, ec”) und 
somit der vordere Teil des Abschnittes glatt erscheint. Dadurch. 
dass an den Längsfurchen Seitenfurchen sich wenigstens stellen- 
weise finden, wird die Gliederung noch vollkommener, doch dürften 
da individuelle Änderungen bestehen und im grossen und ganzen 
wird die Wulstzahl doch gut gewahrt. Kappenförmig liegen dann 
diese Wülste über dem vierten Abschnitt des oberen Schlundringes 
(Fig. 59, c?). Die Abgrenzung des dritten Abschnittes dem vierten 
gegenüber ist nur hinten eine überall vollständige, denn obgleich 
medianwärts die Abgrenzung auch besteht (Fig. 62, A), so ist 
die Vereinigung lateralwärts doch vorhanden (B, C). Der vierte 
Abschnitt ist der mächtigste unter allen Abschnitten des oberen 
Schlundringes (Textfig. 10, c*). Oben, an dem oberen Rand des 
Pleurovisceralganglions (g.pv), senkt er sich dann allmählich 
nach unten auf den unteren Schlundring am Pedalganglion (gp) 
herunter und endet hinter und unter dem Opticus, begrenzt nach 
vorne vom herunterziehenden Acusticus (ac). Dieses Übergreifen. 
es ist nur eine herabhängende Faltung, ist von meinen 
Vorgängern gesehen und, wie ich eben mitteilte, durch Grobben 
bei seinen Erörterungen zugunsten seiner Ansicht benutzt worden. 

Ist der vierte Abschnitt an und für sich schon gross, so 
wird eine weitere Flächenvergrösserung seiner Zellrinde noch 
dadurch erreicht, dass diese sich vielfach faltend dadurch Fort- 


Die Intelligenzsphären des Molluskengehirns. 287 


sätze in die Markmasse des Abschnittes entsendet, wodurch auf 
Schnitten Zellinseln vorgetäuscht werden (Fig. 62, A, B, C). 

Der Opticus versenkt sich an jener Stelle in den oberen 
Schlundring, wo die verschiedenen Abschnitte des oberen Schlund- 
Yinges aneinanderstossen (Textfig. 11, op) und von wo an nach 
hinten zu der obere Schlundring mit dem unteren verwachsen und 
auch die Zellrinde einen kontinuierlichen Überzug bildet (Fig. 62, 
58, 59). Es tritt der Opticus somit in erster Linie mit dem 
vierten Abschnitt des oberen Schlundringes in Verbindung. Hier 
befindet sich auch die Commissura optica, ein Querbündel 
(Fig. 58, co), das knapp hinter den Acusticuskernen gelegen 
(Fig. 62, na), von ansehnlicher Mächtigkeit (co) ist und von der 
anderseitigen Hinterhälfte Fasern bezieht. Wir finden sie bei 
Owsjanikow und Kowalewsky auf einem (uerschnitte des 
Octopusgehirns (l. ec. Taf. V, Fig. 2) abgebildet. 

Es strömen dann die Öpticusfasern ins Hirn herein und 
gelangen, mit einziger Ausnahme des ersten Abschnittes, der sich 
auch geweblich von den anderen unterscheidet, in alle Ab- 
schnitte und es steht somit mit einziger Ausnahme 
des ersten Abschnittes der ganze obere Schlundring 
im Dienste des Opticus. Der zweite Abschnitt empfängt 
ein starkes Bündel (Fig. 62, D, op) aus den Wülsten des dritten 
Abschnittes. Auch an den vorderen Teil desselben treten viele 
Einzelbündel heran, wie das an der zuletzt angeführten Abbildung 
Owsjanikows und Kowalewskys am besten zu sehen ist. 

Dort, wo der kurze, dicke Opticus das grosse Sehganglion 
mit dem Gehirne verbindet, befindet sich ein kleines lang- 
gestrecktes, bei Eledone wenigstens sogar gefurchtes Ganglion 
(Textfig. 11, g) fest dem Opticus anliegend, doch ausserhalb 
der Knorpelkapsel. Es ist jenes Ganglion, das Stieda als 
Ganglion peduneuli bezeichnet. Wie ich es weiter unten 
zeigen werde, ist dies Ganglion ein Stück abgetrennte Gehirnrinde 
und steht mit dem vierten Abschnitte des oberen Schlundringes 
in Verbindung. Es entsendet Fasern in das grosse Sehganglion, 
das wohl mit Recht Retinaganglion genannt werden darf. 
Lenhossek, der eine ausführliche Arbeit über den Bau dieser 
Ganglien geschrieben (29) und darin gezeigt hat, dass ihr Bau 
mit Abschlag der Sehepithelschichte die grösste Ähnlichkeit mit 
der Retina der Neochordaten hat, sagt über dieses sogenannte 


288 B. Haller: 


Ganglion opticum, welche Bezeichnung eine periphere Abstammung 
wohl voraussetzt, dass „wenn durch diese Bezeichnung, die funk- 
tionell durchaus berechtigt ist, die Vorstellung erweckt werden 
könnte, als sei das Organ ein Bestandteil des peripherischen 
Sehapparates, so muss auf der anderen Seite wieder betont werden, 
dass es seiner ganzen Lage und seinem Aussehen nach in morpho- 
logischer Hinsicht mit ebensoviel Berechtigung als ein Teil des 
Gehirns bezeichnet werden kann“ (l. ec. S. 50). Und wahrlich, 
ein peripheres Ganglion ist es nicht, dagegen sprechen die 
Verhältnisse bei Nautilus. Weder ich (15) noch Merton (30) 
haben periphere Ganglienzellen um das Augen herum bei dem 
Tetrabranchen feststellen können, diese fehlen eben und doch 
müssten sie vorhanden sein, wenn wir das Retinaganglion der 
Dibranchen von solchen ableiten wollten. Das Retinaganglion 
der Dibranchen ist vielmehr ein von dem oberen Schlundring 
abgelöster Teil, der sich dann weiterentfaltet hat infolge der 
hohen receptorischen Ansprüche des Sehepithels, etwas Kongruentes 
somit mit der Retina (ohne Stäbchen- und Zapfenlage) der Neo- 
chordaten. 

An der Stelle, wo der Opticus in das obere Schlundganglion 
sich einsenkt, hinter ihm, gelangt die Gehirnarterie (Fig. 62, D) 
in das Gehirn, einen unteren Ast für den unteren, einen oberen 
für den oberen Schlundring abgebend, und gleich vor dem Opticus 
befindet sich der Aeusticuskern (Fig. 62, ac). Es ist der 
vordere Basallappen Dietls jenes Gebilde, das. auch Owsjanikow 
und Kowalewsky gesehen, aber als Acustieuskern nicht erkannt 
haben. Eine Kommissur befindet sich zwar in ihm (Fig. 62, cd), 
doch gehört: er auch dem Opticus an. 

Der untere Schlundring besteht erstens aus dem 
Brachialganglion (Textfig. 11, A, gb), zweitens dem sog. Pedal- 
ganglion (ep) und letztens dem Pleurovisceralganglion (g. pv). 
Das kleinste unter ihnen ist bei Eledone so ziemlich das Pedal- 
ganglion, obgleich von den Autoren für andere Formen das Gegen- 
teil davon gemeldet wird. Es ist dies, scheint es, eine Eigen- 
tümlichkeit bei Eledone und wird der geringere äussere Umfang 
durch besonders mächtige Entfaltung der Ganglienzellrinde der 
hinteren seitlichen Teile (Fig. 57) ersetzt. 

Das Brachialganglion ist bei Eledone einheitlich (Fig. 55, 
56) und hoch, wird aber dann nach hinten dem Pedalganglion 


Die Intelligenzsphären des Molluskengehirns. 289 


zu immer niedriger. An seinem vorderen Rande treten von jeder 
Seite die acht mächtigen Brachialnervenwurzeln ab, die aber 
sofort nach ihrem Abgange einen jederseitig mächtigen wahren 
Plexus bilden und erst aus diesem Plexus sondern sich 
die Brachialnerven als solche. Dies ist eine Tatsache, 
die auf Schnitten ungemein besser zu erkennen ist, als auf ganzen 
Präparaten. Zu diesem Plexus (Textfig. 10, Fig. 65, nb) gesellen 
sich ausserdem aber je zwei Nerven aus dem ersten Abschnitt 
des oberen Schlundringes (cb, cb‘), die lateralwärts übereinander 
gelegen, jene Stätte verlassen. Sie ziehen nach unten (Fig. 65, 
cb, eb‘) und verflechten sich vollständig im Plexus 
brachialis (nb), deneinzelnen Bündeln dort Zuschüsse 
gewährend. Es sind aber nur die zwei oberen 
Brachialwurzeln, welche dieses Zuschussesteilhaftig 
werden. die zwei unteren sind rein brachiogangliösen Ursprunges. 
Ich werde auf diese, die bisherig strittigen Verhältnisse klärende 
Tatsache weiter unten noch zurückkommen. 

Gleich unter dem äusseren Gerebrobrachialnerven 
zieht aus dem vorderen Abschnitt des oberen Schlundganglions 
ein Nerv nach vorne (Textfig. 11, n), der, einem anderen Nerven 
sich beigesellend, mit diesem (c. veig) zu den vorderen Eingeweide- 
ganglien, den Buccalganglien, gelangt, um sich in diese zu ver- 
senken. Jener aus der oberen Hälfte des Pedalganglions abgehende, 
jedoch innerhalb desselben bis in das Pleurovisceralganglion ver- 
folgbare Nerv ist aber die Kommissur jener peripheren Ganglien. 
Diese erhalten somit nicht nur eine sympathische Kommissur, 
sondern auch einen Cerebralnerven, der wohl mit der Innervierung 
der Buccalmuskulatur zu schaften hat. 

Obgleich die beiden Brachialganglien einheitlich miteinander 
verschmolzen sind, befindet sich ventralwärts in ihnen doch eine 
(uerverbindung, die ich die Commissura anterior (Fig. 62, A, 
ca) nenne, im Gegensatz zur Dietlschen Ü. anterior, die der 
Lage nach als Commissura superior (Fig. 62, cs) vorgeführt 
werden soll. 

Diese Kommissur hat, wie schon erwähnt, Dietl entdeckt 
und Pelseneer den Befund bestätigt. Die C. superior, vor und 
etwas unter dem ersten Abschnitt des oberen Schlundringes gelegen, 
sitzt dem Ösophagus von oben fest auf (Fig. 55, cs) und versenkt 
sich mit ihrem jederseitigen Schenkel in die gleichseitige Hälfte 


290 BeHkranıkeur: 


vom Brachialganglion (gb), ohne in irgend einer weiteren Beziehung 
mit dem oberen Schlundring (ce!) gestanden zu haben, von dem 
es durch die Neurogliahüllen getrennt ist. Die einzelnen der 
jederseitigen vier Wurzeln der Brachialnerven entspringen zum 
grössten Teil ihrer Fasern aus der hinteren Rindenwand des 
Brachialganglions (Fig. 62, D, b) und ziehen durch die Mark- 
masse in gesonderten, untereinander gelegenen Bündeln nach 
vorne, oralwärts zu (Fig. 56, b.. In dem vorderen Abschnitt 
des Brachialganglions befinden sich auf jeder Seite je drei über- 
einander gelegene Zellkerne in der Markmasse (Fig. 55, k), welche 
zwar von der (sanglienzellrinde völlig getrennt sind, ihre Ab- 
stammung von dieser wird aber dadurch bewiesen, dass ein vierter 
gleicher Kern (k‘) ventromedianst mit der Zellenrinde noch 
zusammenhängt. Da die beiderseitigen dieser Kerne miteinander 
verwachsen sind, nur in ihrer Mitte durch einen Blutgefässast 
getrennt, so zeigt sich hier eine Unpaarigkeit. (sewiss eine 
sekundäre Erscheinung. 

In diese Kerne versenken sich nun die acht Wurzelbündel, 


je eines in einen Nerv, zwei in den unpaaren — aber bloss um 
sie zu durchsetzen, — von ihren grossen Zellen!) Verstärkungen 


aufnehmend. Dabei gesellen sich in einemfort von der lateralen 
Zellrinde her Bündel der Wurzel zu. Diese eingeschobenen 
Kerne der Brachialnerven bestehen, wie die Zellrinde überhaupt, 
auf welch letzteres Verhalten Owsjanikow und Kowa- 
lewsky schon hingewiesen haben, aus grossen und kleinen 
Ganglienzellen. Doch liegen in den eingeschobenen Kernen die 
beiden Zellen vermischt untereinander. Die grossen Zellen geben 
die peripheren Fasern ab, doch gibt es unter ihnen auch solche. 
welche einen langen, auf Golgischen Präparaten deutlich 
erkennbaren Fortsatz in die Commissura superior entsenden 
(Fig. 55). Solch eine Faser gelangt dann auf die andere Seiten- 
hälfte des Ganglions und löst sich jedesmal in das den gleich- 
gestellten eingeschobenen Kern der anderen Seite umgebende 
zentrale Nervennetz auf. Es verbindet sich somit eine solche 
Kommissuralfaser aus dem obersten eingeschobenen Kern der 


!) Die Arbeit Garjaeffs über Ganglienzellen der Cephalopoden (7) 
war mir unzugänglich. Es ist wohl im Interesse der Sache zu bedauern, 
dass solche entlegen erscheinende Veröffentlichungen Interessenten nicht zu- 
gesandt werden. 


Die Intelligenzsphären des Molluskengehirns. 29] 


einen Seitenhälfte stets nur mit dem gleichobersten der anderen 
Seitenhälfte usw. 

Die Commissura superior ist also lediglich eine Verbindung 
zwischen den eingeschobenen Kernen der beiden Seiten des 
Brachialganglions. 

Anders verhält es sich mit den Wurzelfasern aus der übrigen 
Zellenrinde. Aus allen Teilen dieser gesellen sich Wurzelfasern — 
Fortsätze der grossen Ganglienzellen — den Wurzelbündeln der 
Brachialnerven zu. Diese begeben sich dann entweder in der 
schon angegebenen Weise in die Wurzeln oder sie ziehen in die 
Commissura anterior (Fig. 57, ca), durchsetzen diese und gelangen 
erst auf der anderseitigen Ganglienhälfte in die betreffende Wurzel. 
Eine Verbindung mit der anderseitigen Markhälfte des Ganglions 
wird aber auch hergestellt dadurch, dass Seitenfasern des Haupt- 
fortsatzes der grossen Ganglienzellen, aus denen eben die peri- 
phere Achsenfaser abgeht, und die sich vielfach in der Markmasse 
derselben Seitenhälfte auflösen, durch die Commissura anterior auf 
die anderseitige Markhälfte gelangen, sich erst dort verzweigend. 

So wird zum grössten Teil die Commissura anterior gebildet. 

In der lateralen Wand der Ganglienzellenrinde findet sich 
jederseits ein kleiner isolierter Kern (k) durch kleinere Zellen 
ausgezeichnet. Dieser Kern gibt auch je eine Wurzel, die aus 
feinen Fasern besteht, in den Plexus brachialis ab. Vielleicht 
handelt es sich hier um sensorische Fasern. 

Es steht, wie bekannt, das Brachialganglion mit dem oberen 
Schlundring jederseits durch eine senkrechte Kommissur, einem 
Konnektiv, in Verbindung, der Dietlschen Commissura anterior. 
Bezeichnender ist aber die Benennung Commissura cerebro- 
brachialis. Diese zieht, ohne einen ganglienzelligen Überzug 
zu haben, von oben nach unten, gleich hinter den Schenkeln der 
Commissura anterior. Sie sammelt ihre Fasern oben aus dem 
ersten und zweiten Abschnitt des oberen Schlundringes (Fig. 62, 
C, e, eb), bezieht aber auch ein Bündel von hinten, welches 
(A, B, e, ch‘) seine Fasern sowohl aus dem dritten, als auch aus 
dem vierten Abschnitt des oberen Schlundringes sammelt. Das 
so sich bildende Hauptbündel (Fig. 56, ce, cb) versenkt sich dann 
in die gleichseitige Hälfte des Brachialganglions, um sich dort 
aufzulösen, denn eine etwaige Kreuzung in der Commissura anterior 
konnte ich nicht beobachten. 


292 B. Haller: 


Bezüglich der Fasern der Commissura cerebrobrachialis be- 
sitze ich Erfahrungen nur von dem ersten Abschnitt des oberen 
Schlundringes. Da treten Hauptfortsätze grosser Ganglienzellen 
(Fig. 56, rechts) in die Kommissur und lösen sich in der Mark- 
masse des Brachialganglions auf. Es wäre aber immerhin möglich, 
dass solche Fortsätze sporadisch, ohne ein Bündel zu bilden, aus 
der anderseitigen cerebralen Hälfte sich auch so verhalten, denn 
solche kreuzen sich wenigstens für die Markmasse des Cerebral- 
ganglions (siehe oben). 

Es gibt aber auch noch andere Fasern in der Commissura 
cerebrobrachialis, solche nämlich, die aus Ganglienzellen des 
Brachialganglions (siehe links) herrühren. Ferner kann ich die 
Angabe meiner Vorgänger bestätigen, dass die Gerebrobrachial- 
kommissur den oberen Schlundring auch mit dem Pedalganglion 
verbindet. Die Commissuracerebrobrachialis ist somit 
eine Verbindung des gesamten oberen Schlundringes 
mit dem Brachial- und Pedalganglion. 

Das Pedalganglion ist gut begrenzt dem Brachial- 
ganglion gegenüber, weniger gut aber gegenüber dem Pleuro- 
visceralganglion. Ersterem gegenüber ist es die starke Zell- 
rindenschichte, welche als quere Einsenkung (Fig. 57, gp) die 
Begrenzung besorgt. Ferner zeigt sich an dem Pedalganglion 
eine gewisse Paarigkeit, die durch eine mediane Längsdelle 
ventralwärts und Einwölbung der Zellenrinde dorsalwärts besteht 
(Fig. 56, pg). Die Zellenrinde ist sehr mächtig mit vorherrschend 
grossen Ganglienzellen. 

Das Pedalganglion besitzt eine Querkommissur, die Com- 
missura media (Fig. 57, 58, 62, em), und dient einem Nerven, 
dem Trichternerven, und einer Nervenwurzel des Pallialnerven 
zum Ursprung. 

Die Kommissur kommt durch @Querfasern insofern ver- 
schiedener Art zustande, als diese nicht nur im Pedalganglion, 
als vielmehr auch im Pleurovisceralganglion ihren Ursprung 
haben. Zuerst sind es Fasern, die als Ganglienzellfortsätze der 
Zellrinde des Ganglions entstammend in der anderseitigen Mark- 
hälfte sich auflösen. Dann sind es solche Nebenfasern des Haupt- 
fortsatzes aus dem Kern des Trichternerven, die den Hauptfortsatz 
als periphere Faser in den gleichseitigen Nerven entsenden. Diese 
Art Netzfortsätze verbinden die beiden Trichternervenkerne unter- 


Die Intelligenzsphären des Molluskengehirns. 295 


einander vermittelst der Markmasse. Aber auch grosse Ganglien- 
zellen, die ihren Hauptfortsatz in die vordere Wurzel des Pallial- 
nerven (Fig. 57, np) entsenden, können einen Netzfortsatz auf die 
anderseitige Hälfte des Ganglions durch die Commissura media 
schicken, wo sich dieser Fortsatz dann gleichfalls in der Mark- 
masse auflöst. 

Noch eine andere Art von Fortsätzen der grossen Granglien- 
zellen habe ich beobachtet und diese sind echte Kommissuralzellen 
im wahren Sinne des Wortes; ihre Fortsätze bilden lange Bahnen. 
Es sind das grosse Ganglienzellen aus der medianen unteren Rinde 
des gleichseitigen Palliovisceralganglions (Fig. 57, gpv). Diese 
ziehen im gemeinsamen Bündel der Commissura longitudinalis 
ventralis (Fig. 57, 58, elv) bis in das Pedalganglion, geben hier 
einen Ast in die Commissura media, welcher sich in der Mark- 
masse der anderseitigen Pedalganglienhälfte auflöst, und ziehen, 
mit dem Endast stets in der Längskommissur verlaufend, bis in 
das Brachialganglion (gb), um sich dort in der Markmasse auf- 
zulösen. Dieser letzte Ast besitzt aber noch Nebenäste für die 
Markmasse des gleichseitigen Pedalganglions. So eine Zelle setzt 
somit durch ihren Fortsatz, eine lange Bahn, alle drei Granglien 
des unteren Schlundringes in vollkommenste Wechselbeziehung. 

Das Pedalganglion verbindet sich ausserdem auch mit dem 
vierten Abschnitt des oberen Schlundringes (Fig. 62, C, e*) durch 
ein seitliches Faserbündel (v). 

Es besitzt der Trichternerv einen besonderen Kern in 
der seitlichen Rinde des Pedalganglions, welcher Kern im hinteren 
Ende des Ganglions liegt (Fig. 62, C, 57, tk). Er besteht aus 
mittelgrossen Zellen und entsendet eine mächtige Wurzel nach 
aussen, die dort dann sich in zwei Äste teilt (Textfig. 11, A, tov). 

Es wird das Pedalganglion durch ein mächtiges Längsbündel 
durchzogen. Es ist dieses Längsbündel, die Commissuralongi- 
tudinalis ventralis, so mächtig, dass ihre Nichtbeachtung 
von seiten meiner Vorgänger mich überraschte. Sie liegt latero- 
ventral in der Kommissur, in die Ganglienzellrinde sich fest hinein- 
pressend (Fig. 58, elv) und reicht vom Brachialganglion bis in 
das Pleurovisceralganglion. Ausser den bereits angeführten Längs- 
bahnen führt sie noch Nervenwurzeln in sich. Diese ziehen aus 
dem Pedalganglion in das Pleurovisceralganglion und in eine 
Wurzel der Pallialnerven (Fig. 57, np). Aus dem Pallialganglion 


294 B. Haller: 


geht diese Bahn, ferner die Wurzel der Kommissur für die vorderen 
Eingeweideganglien der Buccalganglien ab. Diese Wurzel, nach- 
dem die Commissura longitudinalis im Brachialganglion geendet, 
schlägt sich nach oben auf den oberen Rand des Ganglions 
(Fig. 55, 56, e. veig), um dann für gewöhnlich von hier abzutreten. 
Sie kann aber auch schon vorher aus dem Pedalganglion abtreten 
(Textfig. 11, c. veig) sein. 

Das Palleovisceralganglion ist in jeder Beziehung 
das komplizierteste im unteren Schlundringe. Es gliedert sich 
in zwei paarige obere und einen unpaaren ventralen Abschnitt. 
Die beiden ersteren, von kugelrunder Oberfläche, umfassen oben 
den Ösophagus, ohne miteinander über diesem vereinigt zu sein, 
und auch die Vereinigung des Pleurovisceralganglions mit dem 
oberen Schlundring erfolgt erst vor ihnen. Innen und oben von 
jedem dieser kugeligen oberen Abschnitte (Textfig. 11, gpv’) tritt 
die innere und von ihrer oberen Seite die äussere Wurzel des 
Pallialnerven ab (np). 

Diese oberen Abschnitte sind aber, wie wir dies noch sehen 
werden, nicht bloss äusserlich, sondern auch geweblieh unter- 
schieden vom unteren unpaaren Abschnitt. Der unpaare Abschnitt 
(gpv) verjüngt sich nach unten und hinten und aus diesem Ende 
tritt jederseits der mächtige Visceralnerv ab (nv). Zwischen den 
beiden Nerven befindet sich eine kleine kugelförmige Vortreibung 
der Zellenrinde. Es besitzt auch das Pleuralganglion seine allerdings 
diffuse Kommissur, die Commissura posterior (Fig. 62, cp). 

Wie ich schon erwähnt habe, besitzen die paarigen Ab- 
schnitte des Palleovisceralganglions einen eigenartigen Bau. Man 
sieht schon bei schwachen Vergrösserungen diesen Bau deutlich, 
er fällt sofort auf (Fig. 57, gpv‘). Die Eigentümlichkeit besteht 
darin (links und rechts innen), dass grosse, mehr weniger birn- 
förmige Ganglienzellen sich zu gleichgrossen Gruppen zusammen- 
tun und so eine äussere Lage einnehmen. Sie fassen Zellen- 
gruppen zwischen sich, die nur aus ganz kleinen Ganglienzellen 
bestehen. Die Hauptfortsätze jener Gruppe grosser Zellen ver- 
einigen sich zu Bündeln, die dann ins Mark ziehen und vielfach 
zu Nervenwurzeln werden. Durch diesen Bau zeigt der (Quer- 
schnitt der Kugel ein etwa rosettenförmiges Aussehen (links). 

Stärkere Vergrösserungen (Fig. 50) zeigen dann, dass die 
grossen Zellen der äusseren Zellgruppen (b) untereinander nicht 


Die Intelligenzsphären des Molluskengehirns. 295 


gleichgross sind und auch nicht zu den grössten im Schlundringe 
gehören, denn an Grösse werden sie nicht nur von gewissen Granglien- 
zellen, sondern auch von denen des unpaaren Abschnittes im Pleuro- 
visceralganglion übertroffen; aber auch von solchen des Pedal- 
ganglions und auch von manchen im Brachialganglion. Ihrer 
Form nach sind sie hauptsächlich spindelförmig mit zwei kräftigen 
oppositipolen Fortsätzen ausser den vielen kleinen anderen. Doch 
kann diese Form durch Kürze und Breite sich abändern, wodurch 
aber das allgemeine Bild dieser Rinde doch nicht beeinflusst wird. 
Einer, der untere der beiden Hauptfortsätze, gelangt stets in das 
bezügliche, nach dem Mark zu gerichteten Hauptbündel (f”) der 
betreftenden Zellgruppe. indessen der entgegengesetzte sich nach 
auswärts begibt. Es liegen nämlich die Ganglienzellen der Neuro- 
gliahülle nicht an, vielmehr befindet sich zwischen dieser und der 
(anglienzellenlage eine ansehnliche Lage, welche von Ganglien- 
zellen freigelassen wird und in welcher das Neuroglianetz Platz 
hat. In diese Schicht begeben sich die oberen starken Fortsätze 
der grossen Ganglienzellen, um dann hier nach irgend einer 
Richtung horizontal weiter zu gelangen. Der Verlauf dieser Fort- 
sätze der zwei Zellen (zs), auf der Abbildung ist nur ein kurzer 
und reicht bis zur anstossenden anderen grosszelligen Zellgruppe 
(f)), um sich dann um die Zellen dieser herum in ein perizellu- 
läres zentrales Nervennetz aufzulösen. -Es verbinden also diese 
äusseren Fortsätze zwei Zellgruppen untereinander. Doch möchte 
ich gleich bemerken, dass ich auch den Fall beobachtet habe, 
wo eine der grossen Zellen allein insofern zwei Zellgruppen angehört. 
als sie zwei starke innere Fortsätze besitzt, die dann (z‘) in je 
ein anderes benachbartes Faserbündel gelangen. 

Während ihres Verlaufes in jener oberen ganglienzellenfreien 
Schicht (a) geben die Fortsätze noch zahlreiche Seitenfortsätze 
ab, welche sich dann hier im zentralen Nervennetze auflösen. 
Es gelangt auf diese Weise hier zu einem sehr dichten Netzwerk 
(Fig. 54, a), an welchem jedesmal die gröberen Zellfortsätze sich 
in ansehnlicher Weise beteiligen. Sie bilden dann eine horizontale 
Lage, ähnlich wie die markhaltigen Fasern in der plexiformen 
Schichte der Grosshirnrinde der Neochordaten oder im Lobus 
opticus der Ichthyden. Es gelangt somit zum ersten Male 
bei Achordaten auf diese Weise zueiner plexiformen 
Schichte der Gehirnrinde. 


296 B. Haller: 


In dieser plexiformen Schichte beteiligen sich an dem dichten 
Netzwerke nicht nur das Nervennetz, sondern in gleichem Grade 
auch das neurogliale Netz, wodurch aber zwei Netze von ver- 
schiedener physiologischer Dignität ineinander greifen, genau so 
wie bei den Gasteropoden in anderen Stellen des Zentralnerven- 
systems. Immerhin ist das Neuroglianetz weitmaschiger, durch 
Methvlenblau zumeist tiefer gefärbt und birgt stellenweise in den 
Knotenpunkten kleine Neurogliazellen mit auffallend chromatin- 
reichen Zellkernen (Fig. 54). Dieses Netz hängt ja dann mit der 
tieftingierten Neurogliahülle zusammen. Doch beteiligt sich diese 
auch noch in anderer Weise an der Plexiformschichte, insofern 
mächtige Neurogliafortsätze sich durch sie in die Ganglienzellage 
fortsetzen, fortwährend durch feine Äste mit dem Neuroglianetze, 
sei es in der Plexiformschichte oder in der Granglienzellage, sich 
verbindend. Mit solchen starken Fortsätzen der Neurogliahülle, 
die sich stets tief färben, ziehen öfter auch Blutgefässe hinein in 
die Markmasse, die das Endziel der Fortsätze der Neuroglia sind. 

Somit setzt sich das Gewebe der Plexiformschichte auch 
zwischen die Zellage fort und steht das Nervennetz in fort- 
währendem Zusammenhange mit den vielen feinsten Fortsätzen 
der grossen Ganglienzellen (Fig. 54). Hier wird das Netz zu 
einem pericellulären Netze in engstem Sinne des Wortes und die 
Ganglienzellen sind geradezu in das doppelte Netz versenkt. 

Um aber wieder auf die äusseren, starken Fortsätze der 
grossen Granglienzellen zurückzukommen, möchte ich noch be- 
merken, dass diese öfter auch sehr lang sein können und 
dann eine sechste bis siebente Zellgruppe mit jener in Beziehung 
bringen, von der sie ausgehen. Hierdurch wird die Ähnlickeit 
dieser Plexiformschichte mit jener der Neochordaten noch grösser. 

Unter der Lage der grossen Ganglienzellen, zwischen den nach 
dem Marke zu ziehenden Faserbündeln (Fig. 50) befinden sich, wie 
schon mitgeteilt, Gruppen (ec) kleinster Ganglienzellen. Sie bilden 
hier eine dieke Schicht bis zum Marke (m), welche durch die Faser- 
bündel der grossen Zellen (f‘‘) in gleichen Zwischenwällen durch- 
setzt wird. Diese kleinen Ganglienzellen, die vielleicht bis zur Zwölf- 
schichtigkeit übereinander lagern, unterscheiden sich in erster Linie 
von den grossen (Granglienzellen durch ihre ‚geringere Färbbarkeit 
mit Methylenblau und Carmin. Dann sind es noch eine Menge 
anderer Merkmale, die sie den grossen Zellen gegenüber auszeichnen. 


Die Intelligenzsphären des Molluskengehirns. 297 


Sie sind sternförmig mit gleich mächtigen Fortsätzen, von 
denen aber nur einer eine besondere Länge aufweist. Dieser 
eine Fortsatz, ganz gleich, in welcher Lagenhöhe die betreffende 
Zelle sich findet, begibt sich in die Markmasse, um sich dort 
gleich in das zentrale Nervennetz aufzulösen. Eine 
durch Golgi-Schwärzung dargestellte solche Zelle wurde in die 
Abbildung Fig. 50 eingetragen. 

Dass freilich alle diese Sternzellen solch einen Fortsatz be- 
sitzen, möchte ich nicht behaupten. Jedenfalls verbinden sie sich 
mit ihren anderen kurzen Fortsätzen untereinander, wodurch 
unter ihnen ein innigster Zellverband besteht. Sie hängen 
dann durch das perizelluläre Nervennetz mit den 
grossen Ganglienzellen, mit einem Teil der kurzen 
Fortsätze untereinander und mit einem längeren 
Fortsatz mit dem zentralen Nervennetz des Markes 
zusammen, undnur die grossen Zellen entsenden peri- 
phere Fortsätze oder doch solche, die innerhalb des 
Zentralnervensystems als lange Bahnen gelten können. 

Damit hätten wir hier einen Rindenschichtenbau genaustens 
festgestellt, dessen Verhalten dann für die (Gesamtrinde des 
Zentralnervensystems der Cephalopoden mit geringen Unterschieden 
(Geltung hat. Wir unterscheiden somit an der Rinde überhaupt 
eine Plexitormschichte,. eine mittlere grosszellige 
und eine innere kleinzellige Ganglienzellschichte. 

So sammeln sich eben die Bündelchen aus dem jederseitigen 
oberen Abschnitt des Visceropallialganglions zu einem mächtigen 
Bündel (Fig. 61, s), von dem aber der vordere Teil sofort nach 
oralwärts zu biegend zur inneren Wurzel des Pallialnerven 
(Fig. 57. np‘) wird. Eine Nebenwurzel der Hauptwurzel kommt 
noch dadurch zustande, dass von dem Hauptbündel aus aus dem 
oberen Pleurovisceral- Ganglienabschnitt ein Unterbündel weiter 
hinten nach auswärts biegt (Fig. 60, np‘), dann in die Rinde 
gelangt (Fig. 61, np‘) und dann nach vorwärts biegend der 
anderen Wurzel sich anschliesst. 

Die innere Wurzel des Pallialnerven kommt eigentlich aus 
dem Pedalganglion (Fig. 57, np), obgleich sie auch Fasern aus 
dem Palleovisceralganglion bezieht. Während dann in diesem 
Falle die Verbindung der beiderseitigen Ursprungshälften durch 


Nebenfortsätze der bezüglichen Ganglienzellen durch die Com- 
Archiv f. mikr. Anat. Bd.81. Abt.1. 20 


298 B. Haller: 


missura media (cm) erfolgt, geschieht dies für die äussere Wurzel 
durch die Commissura posterior (Fig. 57, cp). Allein wie ich 
schon oben sagte, gelangen zur inneren Wurzel auch Wurzel- 
fasern aus dem Visceropallialganglion und hier gibt es dann 
auch Kreuzungsfasern in der Commissura posterior. Auf einem 
Querschnitte, der aber von oben nach hinten und unten neigt 
(Fig. 59), ist dies Verhalten zusammengestellt. Die innere Wurzel 
des Pallialnerven (np, vergl. auch Fig. 62 und 57, np) bezieht 
hier ihre Wurzelfasern aus dem Längsbündel, das sich hier in 
zwei Unterbündel (p’, p‘‘) teilt, allein denen gesellen sich auch 
Fasern zu (p‘). die aus der ventralen Rinde des Pleurovisceral- 
ganglions herstammen an und zwar aus derselben (p, p‘) oder 
der anderseitigen Ganglienhälfte, letztere kreuzend in der 
Commissura posterior. 

So aber der Pallialnerv auf diese Weise aus dem ganzen 
Pleurovisceralganglion entspringt, so verhält es sich dann auch 
mit dem Visceralnerven und ihre Ursprungsstätten sind oft die- 
selben, denn aus den oberen paarigen Teilen des Ganglions mit 
ihrer eigenartigen modifizierten Rindenbildung (Fig. 60, gpv) 
erhält jeder gleichseitige Visceralnerv ein starkes Bündel (nv). 
Der übrige Ursprung des Visceralnerven erfolgt aus dem un- 
paaren Abschnitt des Ganglions. 

Der unpaare ventrale Teil des Ganglions hat sich bezüglich 
seiner Rinde eigenartig: entfaltet. Zwischen dem ventralen 
Teil des unpaaren Abschnittes und den paarigen oberen Ab- 
schnitten (Fig. 60, 61) befindet sich hinten eine Rindenzone (x), 
welche gleichen Bau zeigt wie die die beiden paarigen Teile 
verbindende (g), doch sind in ihr die Sternzellen weniger und 
die grossen Zellen sind nicht in Gruppen abgegrenzt. Ventral- 
wärts hört in dieser Rinde auf eine ganz kurze Strecke («) die 
Lage der grossen Ganglienzellen ganz auf und auch die der 
Sternzellen nimmt an Höhe ab. Letztere stösst dann direkt auf 
die ansehnliche Plexiformschichte, in deren äussere Hälfte aber 
eine neue Lage von sehr kleinen Zellen sich von ventralwärts 
einschiebt. Bald darauf, im ventralen Abschnitt des Ganglions, 
verdrängt diese kleinzellige Schichte völlig die Plexiformschichte 
und gewinnt dabei an Dicke. In ihrer Mitte sammeln sich aus 
den kleinen Zellen Fasern zu einem sehr feinfaserigen Bündel (2), 
das ein Wurzelteil des Visceralnerven ist. 


Die Intelligenzsphären des Molluskengehirns. 299 


Hier unten liegt unter der kleinzelligen äusseren Schichte 
wieder die grosszellige, doch sind ihre Elemente jetzt ansehnlich 
grösser als ehedem und zu innerst darauf folgt die Sternzellenlage. 
Weiter vorne, dort, wo die Visceralnerven abtreten (Fig. 61, no) 
konzentriert sich die grosszellige Lage jederseits zu einem Kern 
(ck), aus welchem die groben Fasern, mit Ausnahme der schon 
beschriebenen von dem paarigen Abschnitte des (Granglions, sich 
bilden. Inmitten dieser beiden Kerne befindet sich jener unpaare 
Knoten (Fig. 61, 59, kk, siehe auch Textfig. 10, 11), der aber aus 
kleinen Zellen besteht und als solche Bildung mit der äussersten 
kleinzelligen Lage (Fig. 60, d) zusammenhängt. 

Vielleicht ist nach dieser Wahrnehmung die Annahme be- 
rechtigt, dass der ventrale Teil des Pleurovisceralganglions mit 
seiner eigenartigen Rindenentfaltung den eigentlich visceralen 
Teil im physiologischen Sinne darstellt, indessen die oberen 
paarigen Abschnitte rein pallialer Natur sind, und dass sowohl 
der Pallialnery als auch der viscerale dann selbstverständlich 
beiderlei Faserarten führen. 

Das Palleovisceralganglion tritt, wie bekannt, mit dem oberen 
Schlundring in kommissurale Verbindung durch die Dietlsche 
hintere Kommissur, die doch treffender nur die cerebro- 
pleurale Visceralkommissur zu heissen hat. 

Es ist dies ein mächtiges Fasersystem (Fig. 62, D, cev), das 
in der Markmasse gelegen, von Rindenbelag überzogen wird 
(Fig. 59) und mit welchem, doch stets innen von ihm, auch die 
Cerebropedalkommissur (Fig. 62, C, v) nach unten zieht. Ein 
Teil seiner Fasern kreuzt in der Commissura posterior, doch ist 
letztere mit ihm nicht etwa identisch, da dieser auch Kreuzungs- 
fasern des Palleal- und Visceralnerven in grosser Menge führt. 
Ersterer verbindet aber den oberen Schlundring mit dem Pleuro- 
visceralganglion derselben und der anderen Seitenhälfte. 

An Golgischen Präparaten habe ich da zweierlei Fasern 
feststellen können. Erstens solche (Fig. 59 in ce.cv‘), die aus 
Ganglienzellen des oberen Schlundringes kommend, sich in der 
Markmasse des Pleurovisceralganglions auflösen und dann solche, 
die (in c.cv) in der Rinde dieses beginnend, in der Markmasse 
des oberen Schlundringes sich verzweigen. 

Von der Commissura longitudinalis möchte ich noch 
einmal bemerken (Fig. 57, 62, e.Iv), dass sie ein Längsfaser- 

20* 


300 B.=Hkanlteit: 


system in jeder Hälfte des unteren Schlundringes ist, welches 
teils Längsbahnen — d. h. solche Fasern in sich führt, die das 
Zentralnervensystem nicht verlassen und dazu berufen sind, weit 
auseinander gelegene Rindenteile untereinander zu verbinden — 
teils Nervenursprungsfasern in sich führt. Ein Übergreifen beiderlei 
Fasern auch auf die anderseitige Schlundringhälfte durch Collaterale 
vermittelst der Querkommissuren findet dabei auch statt. Durch sie 
werden somit alle drei Teile des unteren Schlundringes, Brachial-, 
Pedal- und Pleurovisceralganglion, in Verbindung gesetzt. 


Zum Schlusse möchte ich hier noch die Rindenstrukturen, 
worauf es ja in vorliegender Arbeit in erster Linie ankommt, 
betrachten. 

Es lässt sich die Ganglienzellrinde des Zentralnervensystems 
der Öephalopoden in zwei Kategorien scheiden: in die gross- 
zellige und die kleinzellige. Erstere kann als die motorische 
Struktur, letztere als die sensorische angesprochen werden, in- 
dessen eine dritte kombinierte Struktur wohl als die sympathische 
gelten wird. Der ganze obere Schlundring mit einziger Ausnahme 
des ersten Abschnittes, der Acusticuskern, das Ganglion pedunculi 
und das Retinaganglion gehört der kleinzelligen Struktur an, der 
erste Abschnitt des oberen Schlundringes, Brachial-, Pedal- und 
ein Teil des Pleurovisceralganglions der grosszelligen, während die 
sympathische Struktur sich auf den unpaaren Abschnitt des Pleuro- 
visceralganglions beschränkt. 

Was zuförderst die motorische Rinde betrifft, so habe 
ich bereits einen Teil davon bei Gelegenheit der Beschreibung 
des Pleurovisceralganglions gewürdigt in dessen paarigen‘ Ab- 
schnitten und bin zu dem Ergebnis gekommen, dass die motorische 
Rinde drei Schichten aufweist. Eine ganglienzellfreie, oberste 
Plexiformschichte, die als Verbindungsschichte zwischen 
näher und weiter gelegenen Bezirken der zweiten Schichte gilt, 
dann die darauffolgende grosszellige Schichte und die 
innerste kleinzellige oder Sternzellenschichte. Es wurde 
auch festgestellt, dass stärkere Nervenfasern, mögen dieselben 
nun periphere Fasern oder Verbindungsbahnen sein, nur von den 
Fortsätzen der grossen Zellen geliefert werden, indessen die 


Die Intelligenzsphären des Molluskengehirns. 301 


längsten Fortsätze der kleinen Zellen in der Markmasse der 
Ganglien sich auflösen. Andererseits stehen diese kleinen Zellen 
untereinander in vielfacher direkter Verbindung durch ihre kurzen 
Fortsätze, insofern diese sich nicht in dem perizellulären Nervenetze 
auflösen, vermöge welchem zwischen den kleinen und grossen 
Zellen die Verbindung erhalten wird. 

Fehlt nun auch diese eigenartige Gruppierung der grossen 
Zellen ausser in den paarigen Abschnitten des Pleurovisceral- 
ganglions durchweg, so Kehrt sie in etwas veränderter Form in 
der motorischen Rinde der bezeichneten Schichten überall wieder. 
Dabei können Modifikationen dadurch bestehen, dass eine der drei 
Schichten — und es ist zumeist die mittlere, nur selten die 
obere — an Breite zunimmt. Eine besondere Zunahme der grossen 
Zellschichte mit gleichzeitiger Zunahme der Zellgrösse findet sich 
im Pedalganglion, besonders in dessen seitlichen Teilen, wodurch 
die kleinzellige Schicht zurückgedrängt wird, ohne aber irgendwo 
vollständig zu verschwinden. Dabei gibt es überall zwischen den 
irgendwie modifizierten Rinden Übergangsrinden. 

Die sympathische Rinde zeichnet sich nicht nur durch 
Zunahme der grosszelligen Schicht, sondern auch der Grösse der 
einzelnen Elemente wegen aus; ferner dadurch, dass in der 
Plexiformschicht kleine Zellen zu einer ansehnlichen Schicht sich 
zusammenfinden, die Nervenfasern zum Ursprunge dient. Doch 
habe ich dies weiter oben erörtert. 

So gelangen wir denn zum dritten Rindentypus, zum klein- 
zelligen. Dieser verrät die Dreischichtigkeit zwar nicht sofort, 
besonders in seinen Modifikationen nicht, doch ist dieselbe vor- 
handen, stellenweise gut, stellenweise aber recht undeutlich. Dabei 
wäre zu bemerken, dass dieser Typus sehr verschiedene Dicke 
aufweist. Ich verweise diesbezüglich auf die beiden Abbildungen 
Fig. 51 und 52. Dabei spielen Modifikationen in der Textur eine 
grosse Rolle. In dem dritten und vierten Abschnitte des oberen 
Schlundringes ist die Rindenlage sehr dick, was noch dadurch 
gehoben wird, dass einzelne Rindenfortsätze weit in die Mark- 
masse hineinragen (Fig. 62). Man findet dann hier auch in der 
Plexifoımschicht einzelne Ganglienzellen (Fig. 51, a), allein so 
zahlreich wie in dem abgebildeten Falle sind sie doch selten. 
Es handelt sich hier immer um kleine Zellen. Die mittlere Schicht 
(b) enthält schon grössere Zellen, doch sind diese weder viel 


302 B. Ha lilem: 


grösser als die anderen dieser Rinde, noch färben sie sich stärker. 
Sie zeigen nur besser ihre Hauptfortsätze. Diese streben nach 
der Markmasse zu und sind oft lang genug dazu, um als lange 
Bahnen zu dienen, ob diese Fortsätze aber auch zu solchen 
Optieusfasern, die als solche in das Retinaganglion sich begeben, 
oder vielmehr solche Fasern von dort kommend im oberen Schlund- 
ganglion, in dessen Markmasse sich auflösen, verzweigend im 
zentralen Nervennetze, diese Frage lasse ich often. 

Die Zellen der dritten Lage (ce) sind etwas kleiner und 
ihre dem Marke zustrebenden Hauptfortsätze reichen nicht weit 
in die Markmasse hinein (m), wobei sie sich dort stets auflösen. 

Im grossen und ganzen wird somit eine gewisse Ähnlichkeit 
mit dem Verhalten der motorischen Rinde auch hier gewahrt, was 
am besten in der Dreischichtigkeit sich ausspricht, und der Haupt- 
unterschied liegt in der geringeren Verschiedenheit der Elemente 
der Mittelschicht zu jenen der unteren Schicht. Ferner sind es 
die vielen Anastomosen, also direkte Verbindungen, die zwischen 
allen diesen Zellen bestehen. Dabei möchte ich bemerken, dass 
die (ranglienzellen auch fester aneinander lagern können als in 
dem abgebildeten Falle. Ungemein reich ist überall die feinere 
Neuroglia, denn im allgemeinen sind starke Faserzüge davon wie 
in der motorischen Rinde hier selten. Die zahlreichen stern- 
förmigen Ganglienzellen, mit stark chromophilen Zellkernen, bilden, 
wie denn auch sonst, ein enges Netz in der Rindenschicht, wobei 
grössere Neurogliazellen mit mehr weniger abenteuerlicher Gestalt 
keine Seltenheiten sind. 

Modifikationen bestehen somit darin in der kleinzelligen 
Rinde, dass erstens die Rindendicke zunimmt, dann die Ganglien- 
zellen dichter lagern oder, und dies Verhalten ist nur lokal, die 
(Grösse der Zellen der Mittelschichte zunimmt. Letzterer Fall 
findet sich auf der ganzen hinteren Seite des vierten Abschnittes 
(Fig. 62, A—Ü, c*), wodurch weiter ventralwärts noch aus- 
gesprochener die Übergangsrinde zur motorischen sich einstellt. 
Es sind diese Zellen grösser in den Pedunkularganglien und in 
den Acustieuskernen. Es soll dies zum Schlusse noch behandelt 
werden. 

Dichter liegen die Zellen im vorderen, nicht gewulsteten 
Teil des dritten Abschnittes (c?) und ganz dicht auf der hinteren 
Seite des zweiten Abschnittes. Hier (Fig. 52) ist die Plexiform- 


Die Intelligenzsphären des Molluskengehirns. 303 


schicht niedrig (a) und die Zellen des zweiten (b) und dritten 
(ec) Abschnittes lagern so fest aneinander, dass ein Auseinander- 
halten fast unmöglich wird. Auch sehe ich stellenweise wenigstens 
die Neurogliazellen dem Marke zu fester aneinander gelagert. 

Gerade an dieser Stelle sah ich öfter die Opticusbündel (f) 
in scharf umschriebener Form bis nahe an die Rinde heranreichen, 
ohne dass es mir gelungen wäre, Fasern davon, mit Zellen sich 
verbindend, zu finden. 

Schon an der dorsalen Seite des zweiten Abschnittes war 
die Rinde dicker, wobei dann an der Stelle, wo diese Rinde in 
die motorische Rinde des ersten Abschnittes (ce!) übergeht, sich 
Übergangsrinde findet. Dort (Fig. 53) werden die grossen Zellen 
der zweiten Schicht der motorischen Rinde immer spärlicher und 
ihre Grösse geringer, bis endlich das Verhalten des kleinzelligen 
Typus erreicht ist. Hierzu gehört auch die fast plötzliche Ver- 
mehrung der Neuroglia und die starke Abnahme der Dicke der 
Plexiformschicht. 

Die zwei anderen Modifikationen der kleinzelligen Rinde 
finden sich wie erwähnt in den Acusticuskernen und in den 
Pedunkularganglien. Frstere sind drei birnförmige Ver- 
diekungen. die mit ihren verjüngten Enden nach unten zu gerichtet 
(Fig. 58, na, na‘) fest beisammen vor der Commissura optica 
gelagert sind (Fig. 62). 

Es sind ein unpaarer mittlerer (Fig. 55, na) und zwei 
paarige laterale Kerne mit Rinde und Markmasse Die klein- 
zellige Zellrinde ist reich an Neuroglia und stösst die Plexiform- 
schichte, die ja hier viele Assoziationsbahnen führt (Fig. 63), 
mit jener der zweiten, beziehentlich dritten Abteilung des oberen 
Schlundringes so zusammen, dass die beiden Lagen miteinander 
verschmelzen. Mit dem weiten Nervennetze der Plexiformschichte 
(a), das ja mit Zellfortsätzen der Rinde (c?, r) zusammenhängt, 
verbinden sich Faserbündel sowohl aus dem unpaaren (na) wie 
auch aus den paarigen (na’) Kernen des Acustieus. Diese Fasern 
sind Hauptfortsätze von solchen Zellen des Acusticuskernes, die 
(z), nach oberst gelegen, mit mittelständigen Sternzellen (z) 
zusammenhängen. Letztere ihrerseits stehen wieder in direktem 
Zusammenhang mit grösseren Zellen (z‘), die ihren Hauptfortsatz 
als Wurzelfortsatz in den Acustieus entsenden. Die Zwischenzellen 
können stellenweise auch ausgeschaltet sein (links). 


304 B.’Hballier: 


Der Acusticus scheint keine gekreuzten Fasern zu führen, 
denn die Hauptbündel (Fig. 58, na) wenden sich gleich nach unten. 
Die Acustieuskerne stehen durch ein Bündelsystem, das mit dem 
Cerebropedalbündel bis zur Stelle gelangt (Fig. 62, v), auch mit 
der hinteren Wand des vierten Oberschlundring-Abschnittes in 
Verbindung. 

Was die Pedunkularganglien betrifft, so stehen diese (Fig. 64, &) 
vermittelst stärkerer Bündelsysteme sowohl mit der gleichseitigen 
Schlundringhälfte (b’) als auch durch die Commissura optica hin- 
durch (b‘) mit der der anderen Seite in Verbindung. 

Die kleinen Ganglien besitzen eine Zellrinde und Markmasse 
und erstere besteht aus allen drei Rindenschichten, doch sind 
die Zellen der Mittelschichte grösser wie in dem des oberen 
Schlundringes. Von diesen Zellen aus sah ich auf Golgischen 
Präparaten Fortsätze in den vierten Oberschlundring - Abschnitt 
(c*) gelangen und sich dort in der Markmasse auflösen (links). 
Gleiches taten solche Fortsätze aus der Rinde des vierten Ab- 
schnittes in der Markmasse des Pedunkularganglions. Es liegt 
das Pedunkularganglion mit seiner unteren Fläche so fest dem 
Retinaganglion (rg) an, dass die Plexiformschicht des Pedunkular- 
ganglions mit ihm verschmilzt. An der hinteren Seite des Pedun- 
kularganglions durchbricht aus seiner Markmasse kommend ein 
Faserbündel (b) die Zellenrinde, sich dann in das Retinaganglion 
versenkend. Dieses Bündel stammt aus dem Pedunkularganglion 
und verbindet es mit dem Retinaganglion. Auch hier kann ich es 
nicht mit Sicherheit angeben, obgleich es den Anschein hat (siehe 
die geschwärzte Einzelzelle), ob es Ganglienzellfortsätze sind, die 
in das Verbindungsbündel geraten oder Fasern, die sich dort in 
dem zentralen Nervennetz des Pedunkularganglions auflösen. 

Das Pedunkularganglion erweist sich somit trotz seiner 
extrakapsulären Lage nicht als ein Teil des Retinaganglions, 
sondern als jenes des oberen Schlundringes, es hat sich aber 
später von dort abgetrennt als das Retinaganglion. 

Trotz der mancherlei Modifikationen innerhalb 
des kleinzelligen Teiles vom oberen Schlundring 
zeigt sich inkeinem seiner Abschnitte somit eine so 
hochgradig lokale Ausbildung, dass diese als ein 
besonderer physiologischer Abschnitt, geradezu als 
(Globulus gleich jenem der Gasteropoden gedeutet 


Die Intelligenzsphären des Molluskengehirns. 305 


werden könnte. Denn alles ist eine allgemeine, mit 
den Sehfasern in erster Linie in Beziehung stehende 
Sehrinde, und zwar im Sinne der Sinnesrinden der 
Neochordaten. 

Verursacht war dieses Verhalten bei den 
dibranchen Oephalopoden durch die hohe Entfaltung 
der Augen, die sogar die Sonderung eines Retina- 
ganglions vom Gehirne forderten. Diese hochgradige 
Entfaltung des Sinnesorganes machteaber jene eines 
Globuluspaares überflüssig oder trat, wenn man gerade 
will, für deren Entfaltung hemmend in den Weg. 


Bevor ich diesen Abschnitt schliesse, möchte ich noch einen 
tückblick auf jene Meinungsverschiedenheit werfen, die zwischen 
v. Ihering und Grobben einerseits und Pelseneer anderer- 
seits entstand. 

Während Grobben an Ihering sich anlehnend für die 
cerebrale Natur des Brachialganglions und damit für die vom 
Kopfe abstammende Natur der Kopffüsse eintritt und hierbei mit 
gutem Recht sich unter anderen auf die Commissura superior 
(anterior Dietls) stützt, widerspricht dem Pelseneer in 
sehr gewandter Weise und hält das Brachialganglion für rein 
pedaler Natur. Grobbens Spekulationen gewinnen indessen 
auch jetzt in Anbetracht des Umstandes an Bedeutung, dass ich 
in folgender Schrift den Nachweis zu erbringen imstande war 
dafür, dass nicht nur die Commissura superior zu ihrem guten 
Rechte besteht, sondern dass ausserdem auch Nerven aus dem 
ersten Abschnitt des oberen Schlundringes mit in den Plexus 
brachialis treten, aus einem Teil des Zentralnervensystems, dessen 
Zugehörigkeit zu dem oberen Schlundganglion niemand und 
somit auch Pelseneer nie bezweifelt hat. Und trotzdem zer- 
schellen Grobbens Spekulationen vollständig an der Tatsache 
des Vorhandenseins einer Commissura anterior (mihi) ventralwärts 
im Brachialganglion. Denn mit demselben Rechte, mit welchem 
man mit der Commissura superior für die cerebrale Natur des 
Branchialganglions, kann man für die pedale mit dem Bestehen 
der Commissura anterior eintreten. Damit ist aber gesagt, dass 
weder diese rein pedale noch rein cerebrale Natur der Brachial- 


306 B. Haller: 


nerven bestehen kann, dass weder die Ihering-Grobbensche 
noch die Pelseneersche Beweisführung zu Recht besteht. Dafür 
liegt der Grund darin, dass Pelseneer sowohl als v. Ihering 
und Grobben bei ihren Beweisführungen einen Zustand voraus- 
setzen an dem Zentralnervensystem der dibranchen Cephalopoden, 
der nie phyletisch bestanden hatte, nämlich die Kon- 
zentrierung des Schlundringes in paarige Cerebral-, Pleural- und 
Pedalganglien, wie wir sie bei Gasteropoden mit Ausnahme der 
Placophoren antreffen. Es sind das die Voraussetzungen solcher 
Ganglien, die abgegrenzte Bezirke des Zentralnervensystems dar- 
stellen und durch rein faserige Kommissuren untereinander ver- 
bunden sind. Pelseneer argumentiert mit Verhältnissen bei 
Clione, Vermetus und Natica, indessen Grobben geradezu die 
Abstammung oder doch grosse Verwandtschaft der Cephalopoden 
mit dem Scaphopoden Dentalium behauptet. Letztere ist aber eine 
Form, bei der die genannte Gangliensonderung am Zentralnerven- 
system schon vollzogene Tatsache ist. 

Ich zu meinem Teil gebe gerne zu, dass zwischen Dentalium 
und den Gephalopoden manche Ähnlichkeit besteht, so die dorsale 
Lage der Gonade, Pro- und Epipodium und die Cirrhen, sowie die 
ventralständige Lage des Afters. Allein dies sind blosse Konvergenz- 
erscheinungen und keine verwandtschaftlichen Verhältnisse. Dafür 
spricht in erster Linie das Zentralnervensystem von ‚Nautilus, seine 
vier Kiemen und manche Leibeshöhlenverhältnisse, welche gleich- 
zeitig nur zu sehr an Beziehungen der Cephalopoden an Placo- 
phoren mahnen, besonders aber das Zentralnervensystem. 

Dieser Ansicht habe ich dann vor achtzehn Jahren auch 
Ausdruck gegeben (14, S. 149—150), indem ich über die Gepha- 
lopoden aussagte, „dass sie auf einem ursprünglichen Stadium des 
Torsionsprozesses stehen gebliebene Mollusken sind und sich nun 
von hier an ganz eigenartig entfaltet haben“. Und vollends der 
Schlundring des Nautilus lässt sich nur mit placaphorenähnlichen 
Zuständen in Einklang bringen, beziehentlich von solchen ab- 
leiten. Dazu habe ich auf Textfig. 9, vorliegender Schrift das 
Zentralnervensystem von Chiton gezeichnet und darau mit Schwarz 
dasjenige von Nautilus angeschlossen. Darnach bleibt vom Chiton- 
nervensystem völlig unberührt bestehen der Cerebralstrang (c) 
oberhalb des Darmes, ebenso vom pedalen Nervensystem die breite 
Querverbindung zu Beginn zwischen dem mit dem grössten Teil 


Die Intelligenzsphären des Molluskengehirns. 307 


des Chitonenfusses verschwindenden Pedalnervensystem (punktiert). 
Diese Querverbindung pedaler Art besitzt somit noch Nautilus 
(Textfig. 10, 11, p) und zu seinem Beginn tritt der Trichternerv 
als Rest der echten Pedalnerven ab. Was dann oberhalb dieser 
pedalen Querverbindung stehen bleibt (cp), aus der die meisten 
aber nicht alle Nerven der Cirrhen abgehen, ist ein Übergangs- 
gebiet, das man mit gleichem Recht zum cephalen Teil wie 
zum pedalen hinstellen kann, ohne dafür auch den geringsten 
Beweis erbringen zu können. 

Es haben sich damit die Cirrhen des Nautilus aus einem 
Übergangsgebiet und einem Kopfgebiet, da ja auch Kopfnerven 
aus dem ÜCerebralstrang (Ce) sie innervieren, entfaltet. Damit 
aber lassen sich die Zustände der dibranchen Cephalopoden viel 


Fig. 9. 
Schematisch das Zentralnervensystem von Chiton gezeichnet — die Pedal- 
stränge punktiert, die Pleurovisceralstränge schraffiert — und daraus mit 


schwarz jenes von Nautilus abgeleitet. 


besser erklären, besonders in Anbetracht dessen, dass es nun 
feststeht, dass auch je zwei Nerven aus jeder Seitenhälfte des 
ersten Abschnittes des oberen Schlundringes an dem Plexus 
brachialis teilnehmen. Dabei ist es aber nur zu sehr wahr- 
scheinlich, dass die oberen vier Tentakel bei dem Oectopoden 
aus verschmolzenen Nautilus-Cirrhen abzuleiten sind, infolge ihrer 
Innervierung und zwar aus Verschmelzung von solchen Cirrhen, 
die rein dorsalständig waren und somit ihre Innervierung aus dem 
oberen Schlundring bezogen, mit je einer solchen, die aus dem 
Übergangsgebiet zwischen Cerebral- und Pedalring innerviert ward. 
Es würde dann bei den Dibranchen das Brachialganglion vom 
Übergangsgebiet des Nautilus (ep) abzuleiten sein und die Com- 
missura anterior als jene von Anfang an gegebene (uerverbindung, 


308 B. Haller: 


die (p) auch vom Placophorenahnen abstammt. Die Commissura 
superior ist eine Querverbindung, die ursprünglich dem oberen 
Schlundring einsass, aber den pedalen Teilen angehört und mit 
der grossen Emanzipation des Brachialganglions sich von ihrem 
Ursprungsorte abgehoben hat. Ich glaube kaum, dass diese An- 
sicht auf irgend einen berechtigten Widerspruch stossen würde. 

Bei der obigen Ableitung des Zentralnervensystems von 
Nautilus von jenem der Placophoren ist nur ein scheinbarer Wider- 
spruch vorhanden, der bei den bekannten Tatsachen bei Placo- 
phoren sich klärt. Es bezieht sich dies auf das Verhalten des 
Palleovisceralstranges, denn während dieser bei Nautilus geradeso 
wie das Palleovisceralganglion bei den Dibranchen subintestinal 
lagert. lagert dieser Strang der Chitonen über dem After. Es 
tindet dies seine Erklärung darin, dass der ganze hintere Teil 
dieses Stranges (Textfig. 10, C, schraffiert) der Chitonen auf die 
Cephalopoden nicht vererbt ward, sondern sich rückbildend nur 
der vordere Teil sich erhielt (pv). Die untere Verbindung unter 
dem Darm findet aber ihre Erklärung in der Konzentration 
jenes subintestinalen Plexus, den ich seinerzeit für Chiton be- 
schrieben habe (16). 


Allgemeine Betrachtungen. 


Wenn wir vom einfachsten Zustande eines oberen Schlund- 
ganglienpaares, dem Urhirn, ausgehen wollen, so gehen wir wohl 
am sichersten, wenn wir bei Lumbricus beginnen, denn was die 
Einfachheit betrifft, wird dieser Zustand nur vom einfachen oberen 
Schlundring der Placophoren und wohl mancher Turbellarien, sonst 
aber diesbezüglich von keiner anderen Form übertroffen. Damit 
will ich durchaus nicht sagen, dass es solche Urhirne nicht genug 
noch gibt und will nur diesen Zustand als zu den primärsten 
gehörig darstellen. 

Ob Lumbricus den primären Zustand geerbt oder darauf 
zurückgekommen ist, indem er spätere Erwerbungen infolge seiner 
Lebensweise eingebüsst hat, kann hier ganz gleichgültig sein, ob- 
gleich ich glaube, dass die Oligochaeten der Stammform von 
denen auch die Polychaeten abgingen, nahe stehen. So ist ein 
Urzustand in so manchen Einrichtungen erhalten, so auch bezüglich 
des Urhirns. Es wird immerhin hierüber nicht ohne weiteres zu 
entscheiden sein. Es geht nun hierin wie in manchen Ein- 


Die Intelligenzsphären des Molluskengehirns. 309 


richtungen von Amphioxus, wo wir es denn auch nicht immer 
sagen können ob primär oder vielleicht wiedererreicht. 

Das obere Schlundganglion von Lumbricus (Textfig. 12) zeigt 
eine Gehirnrinde, in der, abgesehen von der Dicke, keine weiteren 
Differenzierungen auftreten, sie überall von der derselben Zellen- 
vermengung dargestellt ist und nur an der oralen Seite infolge 
des Abganges vom vorderen motorischen Nerven (n) grössere 
motorische Zellen einliegen. Der sensorische Nerv (n‘) übt weiter 


Fig. 12. 
Horizontalschnitt durch die rechte Hälfte des oberen Schlundganglions von 
Lumbricus. n — motorischer, n‘ = sensorischer Kopfnerv; i = frontale, 
h = anale Rindenschicht; g — Pleuralganglion. 


keinen Einfluss aus, er ist mehr für die hinteren Rindenteile (h) 
interessiert und vielleicht ist auch die Entfaltung einer ganglio- 
nalen Anschwellung (g) zu Beginn der Kommissuren von jenem 
Nerven abhängig. 

Dieses primäre Urhirn erhält sich selbst bei den Archianneliden 
nicht. Fraipont als erster (6) berichtete bereits darüber, dass 
das Gehirn von Protodrilus und Polygordius aus zwei Teilen be- 
steht, aus einem vorderen und einem hinteren. Die vorderen am 
Scheitel gelegenen zwei Hügel bestehen aus kleineren Ganglien- 


310 B. Haller: 


zellen als das übrige hintere Gehirn. Aus jedem dieser zwei 
Hügel entsteht ein Tentakelnerv. 

Rohde (38) 1887 hat dann diese Gebilde bei Chaetopoden 
ausführlicher beschrieben, gezeigt, dass sie eine viel höhere Stufe 
der Entfaltung erreichen als bei den Archianneliden, ja die klein- 
zellige Ganglienzellrinde geradezu Faltungen eingeht, eine Mark- 
masse besitzt und nannte sie geradezu hutpilzförmige Körper, 
homolog dem der Arthropoden. Mir war es zwei Jahre später 
gelungen, eingehender über die Verbindungen dieser Globuli zu 
berichten (11) und gleichzeitig einen höheren Grad der Entfaltung 
der Globuli bei Lepidasthenia festzustellen als bei Nereis, wo 
aus den Globuli wie bei Archianneliden noch die Tentakelnerven 
abgehen. 

Es steht somit fest, dass die Globuli bei Anneliden einen 
verschiedenen Grad der Entfaltung aufweisen und zum Teil noch 
auch andere Elemente als die kleineren Sternzellen es sind, 
besitzen. Ob dann innerhalb der Anneliden auch völlige Rück- 
bildung der Globuli eintreten kann, ist zwar nicht direkt erwiesen, 
doch durch die Hirudineen, denen Globuli völlig abgehen, wahr- 
scheinlich gemacht. 

Von Anneliden ererbten die Globuli die Protracheaten, die 
von ihnen auf Myriapoden und von hier aus auf Hexapoden und 
Arachnoiden übereingen. Vom gemeinsamen Ahnen mit den 
Protracheaten ererbten auch die Crustaceen die Globuli in ein- 
fachstem Zustande, welcher Zustand bei den Arthropoden sich 
dann steigert vom Skorpion zur Spinne, vom Myriapoden bis zu 
den Hymenopteren und von niedrigen Vertretern des Urustaceen- 
stammes bis zum hochorganisierten Decapoden und erreicht die 
höchste Stufe bei Arthropoden überhaupt bei dem Limulus. 

Aber auch bei derselben Art kann, soweit Staatenleben 
eine höhere intelligente Aufgabe der betreffenden Form anweist, 
eine verschiedengradige Entfaltung der Globuli bestehen und 
besitzt ja die Arbeitsbiene höher entfaltete Globuli als die Drohne 
wie dies Jonescu (26) gezeigt hat. Verschiedengradig hohe 
Entfaltung zeigen dann auch die Mollusken vom niedrigsten Zu- 
stand bis zu einem höheren. Ja bei diesen kennen wir sogar 
beginnendliche Zustände, wie z. B. die Docoglossen zeigen und 
besitzen auch Formen unter ihnen die noch gar kein Beginn 
verraten. 


Die Intelligenzsphären des Molluskengehirns. 3ll 


Dass höhere Lebensaufgaben höhere Ansprüche an die 
Intelligenzsphären stellen und dies der erste Anstoss zu einer 
beginnenden Entfaltung war, braucht ja nicht erst erörtert zu 
werden, nur fragt es sich jedesmal, worin diese höheren Ansprüche 
gegeben waren. Ich glaube nicht fehl zu gehen, wenn ich in erster 
Richtung die Nahrung dafür verantwortlich mache, nicht die eigent- 
liche Nahrung, sondern die Beute, zu deren Erlangung mehr oder 
weniger Geschicklichkeit und eine gewisse primärste Denkweise be- 
ansprucht wird. Es ist ja doch leichter für das Tier, vegetabilische 
Nahrung zu erlangen als ein anderes Tier als Beute zu bezwingen. 
Und tatsächlich setzt ja ein höherer Zustand der Globuli bei den 
Anneliden mit den Raubpolychaeten schärfer ein, bei den Mollusken 
mit den räuberischen Rachiglossen. Allein auch andere Momente 
spielen eine hohe Rolle bei der weiteren Entfaltung der Globuli und 
bei den Insekten war es eben das Staatenleben, das weitere Anlassıung 
dazu ward, denn schon die zusammenwandernde Blattiden zeigen 
höhere globuläre Entfaltung als ihre einzellebenden Verwandten 
(17). Vollends bei den in Staaten lebenden Hymenopteren, den einzel- 
lebenden gegenüber, hat dies v. Alten (1) deutlich nachgewiesen. 

Aber auch andere, freilich im Staatenleben mit einbegriffene, 
aber auch für sich bestehende Momente spielen eine Rolle und 
für die stylommatophoren Pulmonaten kommt weder die Beute 
noch ein Staatenleben in Betracht. Verfolgen wir nur das Ver- 
halten bei Helix, Arion und Limax. Erstere') hat weniger hoch 
entfaltete Globuli als Arion, diesen wieder übertrifft Limax bezüg- 
lich einer höheren Entfaltung. 

Helix?) besitzt ein Gehäuse und ist imstande, nicht nur 
bei verschiedenen Angriffen durch das Sichzurückziehen in das- 
selbe sich zu schützen, sondern bei für das Tier ungeeigneter 
Witterung, bei Sonnenschein sich irgend an einen festen Gegen- 
stand mit der Fußsohle befestigend zu decken. All dieses ver- 


') Dass es möglicherweise auch schalentragende Stylommatophoren mit 
höherer Globulusentfaltung geben könnte, das würde an der Sache doch 
nichts ändern und müsste jedesmal der spezielle Grund davon zu ver- 
folgen sein. 

”) Die Frage, wie das kommt, dass der Globulus bei den Pulmonaten 
eine eigene Anlage für sich hat, lässt sich wohl so erklären, dass dies erst 
sekundär mit der hohen Entfaltung bei den Pulmonaten erfolgte, denn 
ein so grosses (Gebilde, wie einmal der Globulus der Pulmonaten ist, wird 
auch bei der Anlage zur Geltung gelangen müssen. 


312 B. Haller: 


mögen die Egelschnecken nicht, sie müssen sich an sonnigen 
Tagen in Erdlöcher flüchten und auch sonst bei ihren Wanderungen 
vorsichtiger sein. Es erheischt dies aber eine grössere Aufmerksam- 
keit, ein Plus an Intelligenz. Daraus wohl dürfte sich die 
mächtigere Entfaltung ihrer Globuli erklären lassen. Und nun 
das Verhältnis der Egelschnecken. Da zeigt sich denn, dass Arion 
eine ätzende, jedenfails ekelige Absonderung hat, welche wieder 
dem Schleim von Limax abgeht. Enten nehmen Limax gerne, 
nicht aber Arion. Es hat also Arion gegenüber seinen Feinden 
eine Schutzwatfe, die aber Limax nicht besitzt, diese vielmehr dies 
durch grössere Vorsicht ersetzen muss, was wieder höhere Globuli 
zur Folge hat. 

Dafür zeugt ja auch der Umstand, dass Arion in der Gegend, 
in der er heimisch ist, allgemein vorkommt, indessen Limax cinereo- 
niger in der Gegend seines Vorkommens immer auf kurze Distrikte 
sich beschränkt. Es hängt dies damit zusammen, dass Arion 
keine bestimmten Erdlöcher bewohnt, vielmehr mit jedem einiger- 
maßen geeigneten Erdloche sich zufriedenstellt, indessen Limax 
in sein Bereich immer zurückkehrt, was eine gewisse Orientierung 
der Gegend voraussetzt, so sonderbar dies von einer Schnecke 
auch klingen mag. Neben der bekannten Tatsache möchte ich 
einen von mir gemachten Versuch hier anführen. Eine gewisse 
Gegend im Heidelberger Walde, ein gar nicht grosser Bezirk, 
beherbergt Limax einereo-niger, indessen ich in grossem Kreise 
um diesen heram nur ausnahmsweise ihn vorfand. Einem grossen 
Exemplar schnitt ich, ohne es sonst zu berühren, den einen Om- 
matophor mit der feinen Scheere ab, um es wieder zu erkennen. 
Ich fand dieses Tier viermal im Laufe der Zeit in dem kleinen 
Bezirke wieder und als ich das Tier etwa auf hundert Meter 
wegtrug von dort, war es nach zehn Tagen wieder an seinem 
früheren Orte. Leider hatten kurz nachher Spaziergänger das 
Tier zertreten. 

Ich habe in einer früheren Arbeit (15) darauf aufmerksam 
gemacht, dass die mächtige Entfaltung eines Sinnesorganes bei 
den Insekten die Entfaltung der Globuli hemmt und dafür die 
Libellen angeführt. Spätere Beobachter bestätigten diesen Befund. 

Ich sehe nun auch etwas Ähnliches bei den Opilionen, wo 
eine mächtige Entfaltung der beiden Scheitelaugen mit einer viel 
niedrigeren der Globuli verbunden ist, als dies Spinnen und 


Die Intelligenzsphären des Molluskengehirns. 313 


Skorpion aufweisen (20). Auf Fig. 66 ist ein Sagittalschnitt durch 
das eine Auge (au) und das Zentralnervensystem eines Phalangiden 
abgebildet. Bauchmark (bm) und Gehirn (cg), dem der Spinnen 
fast gleich, hat sich das grosse Sehorgan auf jeder Seite ein 
Optikalganglion (og) errungen, das den Spinnen und Skorpionen 
völlig fehlt und an jenes der Komplexaugen der Hexapoden erinnert. 
In eine äusserste Zellenschicht (a) versenkt sich der in Bündeln 
aufgelöste Opticus (op) und diese Bündel durchsetzen eine äussere 
Markmasse (b), bevor sie in eine innere (c) über der Zellrinde 
des Gehirns gelangen, um dies dann in einzelnen Bündeln durch- 
setzend in der Markmasse des Gehirns zu enden. Diese hohe 
Entfaltung des gesamten optischen Apparates geht aber mit nur 
geringer Entfaltung der unscheinbaren, jederseits paarigen Globuli 
(gl’, gl) einher, mit solchen geringen Globuli, wie sie keine Spinne. 
besitzt und auch ihre Vorfahren, die Skorpione, sie nicht haben. 
Hier ist also der Zusammenhang zwischen der hohen Entfaltung 
eines Sinnesorganes und der Geringheit der Globuli klar. 
Dasselbe sehen wir dann auch bei den Cephalopoden unter 
den Mollusken. Hier hat ein mächtig entfaltetes Auge, ähnlich 
wie bei den Opilionen, sich ein eigenes Ganglion aus der Gehirn- 
masse nicht nur erworben, sondern sogar die fast gesamte Zell- 
rinde zu einer Sehrinde gestaltet, denn Globuli wie bei anderen 
Mollusken konnten dadurch gar nicht zur Entfaltung gelangen. 
Und etwas Ähnliches, sogar in drei Fällen, finden wir bei den 
Neochordaten, den sogenannten Wirbeltieren. Unter diesen besitzen 
sowohl die Cyelostomen als auch die Selachier eine Grosshirnrinde, 
ein nervöses Pallium, indessen dieses bei den Ganoiden und den 
Teleostiern sich nicht nur nicht weiter entfaltete, was man doch 
bei jüngeren Formen wohl erwartet hätte, sondern die nervöse, voT- 
her vorhandene Grosshirnrinde konzentriert sich in die sogenannten 
Basalganglien des Vorhirns. Dafür besitzen die Ganoiden und 
besonders die Knochenfische viel grössere Augen als die Selachier, 
oft, wie viele Scomberoiden, geradezu gewaltige optische Sinnes- 
organe, welche auch im Gehirn höhere Lobi optiei verursachten. 
Das gleiche Bild kehrt bei den ÖOrniden wieder. Bei diesen 
geradezu immensen Sehern — der Aasgeier findet das stinkende 
Aas nicht durch sein verkümmertes Geruchsorgan, ondern durch 
das (Gresichtt — geht der Geruch fast verloren, wobei die Gross- 


hirnrinde den Reptilien gegenüber keine Fortschritte macht und 
Archiv f. mikr. Anat. Bd.81. Abt.I. 21 


314 Baer 


sie zieht sich, wenn auch lange nicht in so hohem Grade wie 
bei den Knochenfischen, in die Basalganglien zurück. 

Aber auch die mächtige Entfaltung des Geruchsorganes 
begünstigt die Entfaltung der Intelligenzsphäre, die Grosshirn- 
rinde der Säugetiere nicht. Erst nachdem das Geruchsorgan sich 
stark rückgebildet, entfaltet sich bei den Simiern der Grosshirn- 
mantel am mächtigsten und anosmatische Tiere haben bekanntlich 
eine hochentfaltete Grosshirnrinde. 

Damit glaube ich denn auf das (Gesetz hingewiesen zu 
haben, nach dem die besonders hohe Entfaltung eines 
Sinnesorganes jene der Intelligenzsphären ungünstig 
beeinflusst oder möglicherweise sogar dafür hindernd 
im Wege steht. 

Fs ist dies auch durchaus leicht verständlich, denn ein 
besonders entfaltetes Sinnesorgan gibt so ungemein klare Ein- 
drücke — dem Menschen unverständliche — dass dann eine 
weitere Kombination für das Gesehene fast unnötig wird. 

Mit dem ersten Auftreten eines (lobulus, und mag sein 
Zustand noch ein so beginnendlicher sein, stellt sich somit jedes 
Zentralnervensystem auf eine höhere Stufe als vorher es der Fall 
war. Es fällt schwer, psychologisch hier Grenzen zu markieren 
und wenn ich jene Zentralnervensysteme zu Beginn dieser Schrift 
als Reflexnervensysteme bezeichnete, so kann das doch nur im 
allgemeinen geschehen, denn diese Nervensysteme, ich nenne 
die der Placophoren, Turbellarien, niederer nicht segmentierten 
Vermiden überhaupt, das der Branchiopoden, sind ihrem Bau 
nach doch viel höher gestellt als ein peripheres Zellnetz einer 
Hydra oder eines anderen Polypen und doch können wir nur bei 
diesen letzteren von einem eigentlichen Reflexnervensystem im 
engeren Sinne sprechen. Schon der Nervenring einer Meduse ist 
ein Schritt weiter vorwärts, und vollends das Nervensystem eines 
Echinodermen auch ohne Gehirn muss auf eine höhere Stufe der 
psychologischen Tätigkeit gestellt werden. Es werden sich also 
unter diesen vielen Nervensystemen ohne Globuli, Reflexnerven- 
systeme im weiteren Sinne des Wortes wohl manche 
Zwischenstufen bis zu jenen mit Globuli vorfinden, was ich ausdrück- 
lich bemerken möchte. Aber auch ein globuläres Nervensystem kann 
bei geeigneter Lebensweise zurückkehren auf ursprünglichere Zu- 
stände. Ich nenne hier nur Trombidium, das wohl noch ein geringes 


Die Intelligenzsphären des Molluskengehirns. a5 


Rudiment von Globuli besitzt, das noch von den gemeinsamen 
Arachnoidahnen ererbt ward, dies aber kaum mehr von Bedeutung 
ist und bei den anderen Milben völlig verschwindet. Parasitismus 
ist immer die Ursache einer solchen Rückbildung, also die An- 
passung an die äusseren Verhältnisse, diesen mächtigsten 
Faktor bei der Entfaltung der Organismen. So mag 
es auch den sonst hochorganisierten Hirudineen unter den Glieder- 
würmern ergangen sein. 

Wir müssen also annehmen, dass die Elemente, 
welche später die Globuli bilden im Zentralnerven- 
system, sobald dieses sich von dem reinen primären 
Reflexzustande der Hydra entfernt hat, sich aus 
früheren Zellenalsderen Teilstücken entfalten. Ihre 
höhere oder geringere Tätigkeit würde dann von ihrer Quantität 
beeinflusst bis dorthin, wo ein Urhirn sich entfaltet. Dann würde 
der Sitz dieser Zellen höherer Funktion sich oralwärts kon- 
zentrieren, wie bei niederen Gasteropoden etwa, und bei höheren 
Forderungen des Lebens, bei komplizierten äusseren Verhältnissen 
zur Globulusbildung hinüberführen. 

Das rein reflektorische Nervensystem, das der festsitzenden 
Polypen, dürfte somit im Tierreiche ein beschränktes sein und 
im allgemeinen einem Retlexnervensystem im höheren Sinne zu- 
meist Platz gemacht haben. Vielleicht schon bei der (ualle 
(H. Jordan) und auch das Stocknervensystem des schwimmenden 
Stockes einer Syphonophore wird vielleicht auf diesem Stadium 
stehen und die rein reflektorischen der Organ-Individuen be- 
herrschen. 

Um Missverständnissen vorzubeugen, möchte ich hier aber noch 
einmal erörtern, was ich unter primärreflektorisch verstehe. Ist 
eine Sinneszelle durch eine Ganglienzelle mit einer motorischen 
Endigung verbunden — dies schematisch gedacht —, so wird 
auf eine Einwirkung von aussen auf die Sinneszelle vermittelst 
der Ganglienzelle durch eine Muskelaktion — könnte ja auch 
eine drüsige sein — geantwortet. Dies nenne ich primär reflek- 
torisch. Dies dürfte bei einem Polypen der Fall sein. Sobald 
aber die Ganglienzelle sich weiter differenziert, teilt sie sich — 
phylogenetisch — in zwei Tochterzellen, die nun beide sich nicht 
nur in die frühere Funktion der Mutterzelle teilen, was eben 


eine Arbeitsteilung bedeutet, sondern eine der Tochterzellen kann 
21* 


316 B. Haller: 


auch höher funktioniert sein. Dabei ist diese Zelle nur mit der 
anderen Ganglienzelle verbunden. Es kann schon diese erstere 
Zelle eine Bewusstseinszelle im primärsten Sinne sein. Nun 
wird damit die reflektorische Funktion dieses schematischen Nerven: 
systems eine kompliziertere. Es kann durch die physiologische 
Ausschaltung der Bewusstseinszelle zwar noch immer eine primär 
reflektorische Tätigkeit einsetzen, doch kann dies auch erst nach 
Eingreifen der Bewusstseinszelle erfolgen. Hier brauchen wir 
aber darum noch keinen spezialisierten Reflex anzunehmen. Dies 
erfolgt vielmehr, wenn zwischen die beiden Granglienzellen nicht 
von der Bewusstseinszelle her, sondern durch Teilung von der 
anderen, zwei andere Zellen sich einschieben. Nun erfolgt erst 
ein spezialisierter Reflex im Sinne Jordans. Es lässt 
sich dieses Bild dann weiter ausbauen, bis zum spezialisiertesten 
Nervensystem, bei dem ja eine unbewusste acceleratorisch-retar- 
dierende Funktion der Willkür nicht unterworfenen Organe von 
bewussten Handlungen sich indes findet. Es wäre dies auch nur 
eine weitere Stufe und die Differenzierung der Bewusstseinszelle 
zu weiteren Einheiten würde das Bild noch komplizierter gestalten. 
Damit glaube ich, wird, um Missverständnissen vorzubeugen, 
das Reflektorische nur im primären Sinne zu verwenden sein. 


Heidelberg, im Herbst 1912. 


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Die Intelligenzsphären des Molluskengehirns. 319 


Erklärung der Abbildungen auf Tafel XIV—-XIX. 


Alleemeine Bezeichnungen. 
c =) 


Öerebralganglion. gb — Brachialganglion. 
Pedalganglion. sp — Pedalganglion. 
Pleuralganglion. na — Nucleus acusticus. 
Supraösophagealganglion. ac — Nervus acusticus, 
Subösophagealganglion. tn — Tentakelnerv. 
hinteres Eingeweide- tk — dessen Kern. 
ganglion. op — Optieus. 
Pleurovisceralganglion. nb — Brachialnerven. 
vorderes Eingeweide- cb — deren cerebrale Wurzeln. 
ganglion. n — cerebrale Kommissur der 
Kommissur der vorderen vorderen Eingeweide- 
Eingeweideganglien. ganglien. 
Cerebralkommissur. np — Nervus pallialis. 
Globularkommissur. nv — Nervus visceralis. 
Pedalkommissur. cs — Gommissura superior. 
Visceralkommissur. ca — Commissura anterior. 
Nervus acusticus. cm — Commissura media. 
Globulus. cp — Commissura posterior. 
Globulusrinde. c.lv — Commissura longitudinalis 
Globulusmark. ventralis. 
Globulusbündel. c.cb = Commissura cerebro-bra- 
Vereinsgebiet. chialis. 
Öerebralnerven. c.cv — Commissura cerebro-visce- 
Ganglienzelle. ralis. 
Gliazelle. g — Ganglion peduneuli. 


— erster bis vierter Abschnitt 


des Öerebralganglions. 


Tafel XIV. 
Helix pomatia L. 


Frontalschnitt durch das Gehirn. i= frontaler Teil des medianen 


motorischen Gebietes; a — innerer, b — äusserer hinterer 
Abschnitt desselben. (Vergr. ?/,, Reichert.) 

Gleicher Schnitt weiter ventralwärts.. vz — vordere mediane 
Riesenzelle. 


Gleicher Schnitt ganz ventralwärts, aber stärker vergrössert. 
(Vergr. ?/s, Reichert.) 

Schräger Querschnitt durch den Globulus. (Vergr. wie zuvor.) 
Stark vergrössertes Stück aus der Globulusrinde. cn — zentrales 
Nervennetz. (Vergr. */s,, Reichert.) 

Horizontalabschnitt durch den äusseren hinteren Abschnitt des 
medianen motorischen Gebietes. (Vergr. %/s, Reichert.) 


ig. 10. 
de 
me 
N 
14. 
ie. 15. 
je. 16. 


all. 


Barbaren 


Grosse Ganglienzelle aus dem vorderen Teil des motorischen 
Mediangebietes, wobei der eine Fortsatz (f.cv) in die Visceral- 
kommissur, der andere in die Cerebralkommissur gerät, sich dort 
mit einem anderen Fortsatz mehrfach verbindend. Vitale Methylen- 
färbung. (Vergr. %s, Reichert.) 
Zwei miteinander sich direkt verbindende kleinere Ganglienzellen. 
Ebenso und dieselbe Vergrösserung. 
Vier miteinander sich direkt verbindende kleine Ganglienzellen 
aus der ventralen Seite des Üerebralganglions,. f = periphere 
Achsenfaser in den ersten Nerven. Ebenso und dieselbe Ver- 
grösserung. 

Tafel XV. 

Limax einereo-niger (maximus, L.). 
Horizontalschnitt durch das Gehirn. (Vergr. ?a, Reichert.) 
Frontalschnitt durch die linke Hirnhälfte. 

Ebenso, doch weiter ventralwärts. 

Schnitt durch den Globulus. (Vergr. */s, Reichert.) 
Frontalschnitt durch die rechte Gehirnhälfte. 

Ebenso, doch mehr ventralwärts. 

Ebenso, doch noch weiter ventralwärts unterhalb des Globulus. 


Tafel XVI. 


. 17-20 Limax cinereo-niger, Fig. 21—26 Arion empir- 


Ticorum.euwsearıc. 27 Helix 
Horizontalschnitt durch die rechte Gehirnhälfte und die hintere 
Hälfte des Pleuralganglions. g&y; c.veig = Kommissur zu den 
vorderen Eingeweideganglien (Buccalganglien). 
Sagittalschnitt durch das Gehirn innen vom Globulus, so, dass 
das Globulusmark (gm) noch getroffen ist. 
Ebenso, doch weiter medianwärts vom vorigen Schnitt, den ganzen 
zweiten Nerven treffend. 
Aus einem Querschnitt des frontalen Teiles vom medianen moto- 
rischen Gebiet. (Vergr. %/s, Reichert.) 
Frontaler Schnitt durch die linke Gehirnhälfte, so, dass der frontale 
Teil des medianen motorischen Gebietes (i) und der Globulus ge- 
troffen ward. 
Ebenso, doch weiter ventralwärts. 
Sagittalschnitt entlang des Globulus und der hinteren Hälfte des 
Gehirns. 
Ebenso, doch weiter medialwärts. ow — obere, und untere Wurzel 
des zweiten Cervikalnerven. 
Grosse Ganglienzelle aus einem vitalgefärbten Methylenpräparat. 
(Vergr. */s, Reichert.) 
Sagittaler Schnitt aus dem Globulus und der nach hinten an- 
grenzenden Rinde. (Vergr. ”s, Reichert.) 
Helix. Multipolare zentrale Ganglienzelle mit zwei anliegenden 
Gliazellen. Schnitt. (Vergr. */s, Reichert.) 


ig. 41. 


oc, 


Die Intelligenzsphären des Molluskengehirns. 321 


Tafel XVII. 
Fig. 283—31 Oliva peruviana Lam. 


Frontaler Schnitt, wobei der obere Teil des Globulus (gr) und die 
Acusticuswurzel (ac) getroffen ward. 

Ebenso, folgt bald auf den obigen Schnitt. 

Ebenso, doch von der linken Hirnhälfte, wobei der laterale Teil 
des Globulus getroffen ward. bl —= Bulbus der Kopfnerven. 
Dieser Schnitt ist von einer anderen Serie mit der horizontalen 
Schnittrichtung von oben nach unten und frontalwärts. 
Oncinella spec.? Querschnitt durch die rechte Gehirnhälfte. 
(2 mal so stark vergrössert wie die obigen Bilder.) 

Nacella vitrea, Philippi. Querschnitt durch das Cerebral- 
ganglion beim Abgang des Opticus (op). Vergrösserung wie zuvor. 
Siphonaria albicans Quoy et Gaimard. Querschnitt 
durch das rechte Cerebralganglion. Vergrösserung wie zuvor. 
Oypraea histrio L. Querschnitt durch das Cerebralganglion. 
nw — Nervenwurzel. Vergrösserung wie zuvor. 
Cypraeahistrio. Ein Stück aus der Globularrinde (Vergr. ?/s, 
Reichert.) 

Murexbrandaris L. Globularrinde. (Vergr. ?s, Reichert.) 
Murexbrandaris L. Aus einem Querschnitt zwischen den 
beiden Üerebralganglien. (Vergr. */,, Reichert.) 

Murex brandaris L. Querschnitt durch das vordere Ende 
der Cerebralganglien. (Vergr. ?/, Reichert.) 
Murexbrandaris L. Schräg nach ventral und hinten, dann 
nach links geneigter Schnitt durch die Gerebralganglien. (Vergr. ?/s, 
Reichert.) 

Paludina vivipara L. Nach links und unten geneigter 
Horizontalschnitt durch die Cerebralganglien. (Vergr.?/s, Reichert.) 


Tafel XVIII. 
Eledone moschata Lam. 


Querschnittstück aus der dorsalen Hälfte des Pleurovisceralganglions. 
a — äussere Faserlage; b — Schicht der grossen, ce — jene der 
kleinen Ganglienzellen; m = Mark. (Vergr. 36, Reichert.) 
Querschnittstück aus dem vierten Cerebralganglion-Abschnitt. a — 
äussere Faserlage; b — Schicht der grossen, c — der der kleinen 
Ganglienzellen; m = Mark. (Vergr. ?js, Reichert.) 

Gleiches Stück aus dem zweiten Abschnitt des Öerebralganglions. 
Bezeichnungen wie zuvor. (Vergr. */s6, Reichert.) 

Aus einem Sagittalschnitte den Übergang der dorsalen Rinde des 
ersten Cerebralabschnittes ce! in den zweiten c? zeigend. ng = 
Neurogliahülle mit eingelagerten Blutgefässen. (Verg.”/s, Reichert.) 
Ein kleines Stück aus dem Präparat auf Fig. 50, stark (?/s Imm., 
Reichert) vergrössert. 


322 B. Haller: Die Intelligenzsphären des Molluskengehirns. 


Tafel XIX. 
Eledone moschata Lam. 


Fig. 55. Querschnitt durch den ersten Cerebralabschnitt c! und das Brachial- 
ganglion. Einige Ganglienzellen sind nach Golgischen Präparaten 
eingetragen. k = Kerne der Brachialnerven. 

Fig. 56. Gleicher Schnitt, doch etwas weiter hinten durch die Commissura 
cerebro-brachialis (c. cb). 

Fig. 57. Horizontalschnitt unterhalb des Ösophagus durch das ganze zentrale 
Nervensystem, doch etwas schief von links nach rechts gesenkt. 

Fig. 58. Querschnitt durch den Acusticuskern (na, na‘) in der Gegend der 
vorderen Opticuskommissur. 

Fig. 59. Querschnitt durch den dritten (c®) und vierten Abschnitt (c*) des 
Cerebralganglions und das Pleurovisceralganglion (gpv). Doch sind 
die Nervenwurzeln nach drei Schnitten kombiniert. 

Fig. 60. Gleicher Schnitt durch das Pleurovisceralganglion weiter hinten 
wie der vorige. 

Fig. 61. Ebenso, doch noch weiter nach hinten. 

Fig. 62. Vier Sagittalschnitte durch das ganze zentrale Nervensystem mit 
A neben dem Ösophagus beginnend nach seitwärts fortschreitend. 
In D — Blutgefäss schwarz. 

Fig. 63. Querschnitt durch den Acusticuskern. na = mittlerer, na’ — rechter 
lateraler Kernteil. 

Fig. 64. Eledone. Auf einem Horizontalschnitte das Verhältnis des Seh- 
ganglions (sg) zum vierten Abschnitt des Cerebralganglions (c *) 
und zum Retinalganglion (rg) zeigend. Einige Zellen sind nach 
Golgipräparaten eingetragen. 

Fig. 65. Aus einem Sagittalschnitt die Vermengung der cerebralen Wurzeln 
(eb, cb‘) des Brachialnerven mit dessen Plexus (nb) zeigend. 

Fig. 66. Trogulus spec.” Auge (au) und Zentralnervensystem cg + bm 
sagittal geschnitten. op = Opticus; og = Opticusganglion; gl = 
Globuli im Cerebralganglion (cg); bm — Bauchmark; oe = Öso- 
phagus. 


323 


Bemerkungen zu der Arbeit Aurel von Sazilys: 
Über die Entstehung des melanotischen Pigments im Auge der 
Wirbeltierembryonen und in Choreoidealsarkomen.') 


Von 
Dr. med. E. Meirowsky, Cöln a. Rh. 


In der obengenannten Arbeit hat von Szily S. 21 (des 
Sonderabdrucks) meine Beweise für die Entstehung des Melanins 
im Pigmentepithel als „recht armselig“ und meine technischen 
Leistungen „als wenig vertrauenerweckend“ bezeichnet. Eine 
solche Behauptung ist imstande, den Wert und die Bedeutung 
meiner Arbeiten zur Pigmentfrage in den Augen der engeren und 
weiteren Fachkollegen, denen meine Originalarbeiten unbekannt 
sind. herabzusetzen. Es ist deshalb am Platz, gegen ein solches 
Vorgehen Verwahrung einzulegen. Ist es an und für sich in 
Deutschland nicht üblich, in wissenschaftlichen Publikationen eine 
die persönliche Ehre herabsetzende Bemerkung zu machen, so ist 
das in diesem speziellen Falle um so verwunderlicher, als von Szilv 
nicht etwa gegen meine Resultate polemisiert, sondern 
sie bis auf geringfügige Abweichungen bezüglich 
der Benennung der nukleogenen Muttersubstanz des 
Pigments vollinhaltlich bestätigt. Es setzt den Wert 
seiner Arbeit gewiss nicht herunter, dass ich meine Befunde über 
die nukleogene Bildung des Pigments der Haut schon im Jahre 
1906, also fünf Jahre vor ihm, bezüglich der Entwicklung des 
Pigments des Auges drei Jahre vor ihm (nicht 1910, wie er be- 
hauptet, sondern 1908) festgelegt habe. Was nun die beanstandeten 
Beweise bezüglich des Retinapigments betrifft, so zeigen die 
Fig. 277—281 meiner Monographie auf Taf. VIII die vorzüglich 
gelungene Fixierung der Retina und die nukleogene Entwicklung 
des Retinapigments am Rinderembryo. 

An diesem Objekt ist mir die Fixierung und Färbung der 
Retina in ausgezeichneter Weise gelungen und deshalb wurde 
es zur Lösung unseres Problems allein von mir benutzt. Wenn 
man bedenkt. dass ich meine Arbeit nicht wie v. Szily in staat- 


!) Archiv für mikroskopische Anatomie, 77. Band, 1911. 


324 E. Meirowsky: Bemerkungen zu der Arbeit Aurel v. Szilys. 


lichen Universitätsinstituten, sondern in Graudenz (Westpreussen) 
neben dem Getriebe einer grossen Praxis ausgeführt habe, so wird 
man mein offenes Geständnis, dass meine Versuche am bebrüteten 
Hühnerei misslangen, anerkennen und es bedauerlich finden müssen, 
dass es zu einem meine wissenschaftliche Ehre herabsetzenden 
Angriff benutzt wird. Ausdrücklich sei noch darauf aufmerksam 
gemacht, dass v. Szily in seiner Arbeit mit keinem Worte 
meine Beobachtung an der Choreoidea des Rindes 
erwähnt, obwohl ich hier im exakter Weise an vorzüglichen 
Präparaten in 38 Bildern die Entwicklung des Pigments aus 
der farblosen, aus dem Kern stammenden „pyrenoiden“ (= pyrenin- 
ähnlichen) Substanz bewiesen habe (nicht pyronoide = pyronin- 
ähnliche (!) Substanz, wie v. Szily in Verkennung der Bedeutung 
des Wortes Pyrenin und der Endsilbe „oid“ sagt). Auch die 
276 übrigen Abbildungen meiner Monographie, die ich grössten- 
teils auf Grund eigener Untersuchungen erbracht habe, beweisen, 
dass v. Szily kein Recht hat, meine Technik als „wenig ver- 
trauenerweckend“ zu bezeichnen. Ich überlasse die Beurteilung 
der Handlungsweise des Herrn v. Szily den Fachkollegen. 


325 


Aus der anatomischen Anstalt des Carolinischen Institutes in Stockholm. 


Untersuchungen über die Anatomie und 
Entwicklung des peripheren Nervensystems bei den 
Selachiern. 


Von 
Erik Müller. 


Hierzu Tafel XX—XXVIIH. 


Die folgenden Blätter beabsichtigen, einen Beitrag zu der 
Morphologie des Nervensystems zu liefern. Das periphere Nerven- 
system. welches hier behandelt wird, dasjenige eines Selachiers, 
ist in vielen Beziehungen einfacher gebaut als dieselben Organe 
bei den höheren Wirbeltieren. Andererseits bietet es schon die 
Rätsel, deren Lösung die Forschung auf diesem Gebiete gegen- 
wärtig beschäftigt: die Plexusbildungen, das Verhältnis zwischen 
Muskel und Nerv, alles Fragen, welche mit dem viel debattierten 
Probleme über die Entstehung des peripheren Nervensystems zu- 
sammenhängen. Ein Umstand, welcher ganz besonders geeignet 
ist, die Untersuchung der berührten Fragen zu erleichtern und 
einen grossen Vorzug gegenüber den Verhältnissen bei den 
höheren Vertebraten darstellt, ist der, dass die Muskelanlagen 
während der ersten Entwicklung von epithelialem Baue sind. 
Hierdurch sowohl wie durch die Klarheit und Einfachheit der 
histologischen Bilder von den Selachierkeimen wird die allerdings 
auch hier schwierig zu beurteilende Frage über die Beziehungen 
zwischen den Muskelanlagen und den embryonalen Nerven leichter 
in Angriff genommen als bei den höheren Tieren. 

Die Aufgabe, eine Anatomie des Nervensystems der Selachier 
im erwachsenen und embryonalen Zustande klarzulegen, wird 
wesentlich dadurch erschwert, dass die Nerven in beiden Fällen 
schwierig darzustellen sind. Das periphere Nervensystem des 
erwachsenen Haies bildet ein Zwischending zwischen dem makro- 
und mikroskopischen Gebiete, welches sich weder durch einfache 
Messerzergliederung noch durch die gewöhnlichen histologischen 


Methoden darstellen lässt. Hier sind andere Methoden notwendig. 
Archiv f.mikr. Anat. Bd. 81. Abt. 1. 22 


326 Erik Muller: 


Ich habe wie bei früheren Gelegenheiten die Essigsäure-Osmium- 
Methode gebraucht und bin überzeugt, dass man durch diese 
Methode einen genügenden Einblick in die gröberen Verhältnisse 
gewinnt. Noch wichtiger ist es aber, dass wir durch die vor- 
zügliche Methode von Bielschowsky die Möglichkeit erhalten 
haben, die embryonalen Nerven von ihrem ersten Anfange bis 
zum fertigen Zustande verfolgen zu können. Hierdurch kann man 
nicht nur die Entwicklung studieren, sondern auch die Befunde 
mit der Essigsäure-Osmium-Methode, von dem erwachsenen Zu- 
stande gewonnen, wesentlich vervollständigen. 

Die Bielschowsky-Methode ist für das Studium der Ent- 
wicklung der Nerven bei den Selachiern schon von Paton mit 
gutem Erfolge gebraucht worden. Dieser Forscher hat aber nur 
die frühesten Stadien der Nerven bei Embryonen von 5—14 mm 
Länge untersucht. Meine Untersuchungen fangen an, wo diejenigen 
von Paton endigen, und beschäftigen sich dann mit den späteren 
bis zu den erwachsenen Zuständen. Ich habe die Untersuchungen 
mit den Nerven der paarigen Flossen angefangen und bin von 
hier aus zu den Nerven der Körperwand und der unpaarigen 
Flossen übergegangen. Die Gesamtheit dieser Nerven bildet den 
Gegenstand des folgenden Berichtes. Die Gehirnnerven, die 
occipitalen und cervicalen Nerven habe ich nicht berücksichtigt. 

Das Material der vorliegenden Untersuchung stammt von 
unserer zoologischen Station Kristineberg in Bohuslän. Ich benutze 
die Gelegenheit, dem Direktor der Station, Herrn Prof. Dr. Hj. Theel, 
sowie dem Vorstand der Station, Herrn Dr. Hj. Östergren, meinen 
herzlichsten Dank auszusprechen für all das Wohlwollen und die 
Dienste, die mir bei der Materialsammlung und der Bearbeitung 
auf der Station geleistet worden sind. 


Die Myomeren und Nerven der Körperwand. 


Ehe ich zu meinem eigentlichen Thema, der Entwicklung 
der Nerven, übergehe, wird es notwendig sein, eine Übersicht 
über das Verhältnis der Myomeren und Nerven im ausgewachsenen 
Zustande zu geben. Um die Entwicklung zu verstehen, ist es 
nämlich notwendig, im Gedächtnis zu haben: 1. den komplizierten 
Verlauf der Myomeren und ihre Einteilung in Unterabteilungen 
durch längs verlaufende Septa, 2. den Verlauf der Nerven im 
Verhältnis zu diesen. 


Das periphere Nervensystem bei den Selachiern. 327 


Die Einteilung des Seitenmuskels wird von verschiedenen 
Autoren verschieden gemacht. Joh. Müller unterscheidet eine 
dorsale und eine ventrale Abteilung, welche durch ein Septum 
von der Seitenlinie nach der Wirbelsäule voneinander geschieden 
werden. Zu dieser Auffassung bekennen sich Fürbringer, 
Maurer, Rabl, Göppert und Kaestner. 

Nach Humphry besteht der Seitenrumpfmuskel aus vier 
Längsstreifen: dem medio-dorsalen, dem latero-dorsalen, dem 
latero-ventralen und dem medio-ventralen. Sie sind voneinander 
durch längslaufende Septa getrennt und unterscheiden sich weiter 
durch den verschiedenen Verlauf der geknickten Myomeren. Inner- 
halb der medio-dorsalen Abteilung bilden die Myomeren sehr 
spitzige, kaudalwärts offene Winkel, in der latero-dorsalen Zone 
verlaufen sie ventral- und kranialwärts, um dann an der Seiten- 
linie umzubiegen und in der latero-ventralen Abteilung ventral- 
und kaudalwärts zu verlaufen. Innerhalb der medio-ventralen 
Abteilung verlaufen sie wieder kranialwärts, um in den am meisten 
medialwärts belegenen Teilen wieder kaudalwärts umzubiegen. 

Gestützt auf die Innervationsverhältnisse teilt Wikström 
den Seitenmuskel in eine dorsale, eine laterale und eine ventrale 
Abteilung. Die Teilung des lateralen Muskels in einen ventralen 
und einen dorsalen Teil ist nebensächlich. 

Meine Erfahrungen über die Nerven des ausgewachsenen 
Tieres wie deren Entwicklung haben mich gelehrt, dass die 
Innervationsverhältnisse für die Einteilung nicht zu brauchen sind. 
Ausschlaggebend sind nur die rein anatomischen Verhältnisse. 
Wie Joh. Müller teile ich zuerst den Muskel in zwei Haupt- 
abteilungen, eine ventrale und eine dorsale, welche durch das 
mächtige horizontale Septum von der Seitenlinie nach der Wirbel- 
säule getrennt sind. Diese Teile müssen dann in Unterabteilungen 
getrennt werden, und in bezug auf diese folge ich der Einteilung 
vonHumphry und unterscheide also den medio-dorsalen, den latero- 
dorsalen, den latero-ventralen und den medio-ventralen Abschnitt 
des Seitenmuskels. Für die nähere Beschreibung weise ich auf 
meine Abhandlung „Muskeln und Nerven der Brustflosse etc.“ 
hin. Die latero-ventrale und die latero-dorsale Abteilung fasse 
ich unter der Benennung des lateralen Muskels zusammen. 

Über den Verlauf und die Verästelung der dorsalen Spinal- 
nervenäste sind die Angaben spärlich und unvollständig. Nach 


22* 


325 Erik Müller: 


Stannius verlaufen die dorsalen Äste der Spinalnerven bei den 
Fischen längs der oberen Bogen der Wirbel und später auf den an 
den Flossenträgern befestigten tiefen Flossenmuskeln aufwärts zum 
Rücken. Während dieses Verlaufes gibt jeder Ast feine Zweige 
ab, sowohl für den Rückenteil des Seitenmuskels, wie für die tiefen 
Flossenmuskeln. Von besonderem Interesse ist seine Angabe, dass 
alle dorsalen Äste durch einen Längsstamm verbunden werden, 
welcher auf den tiefen Muskeln gelegen ist. 

Nach Fürbringer besteht ein Unterschied in der Inner- 
vation der dorsalen Rumpfmuskulatur zwischen den Selachiern 
und den höheren Wirbeltieren darin, dass bei den ersteren die 
betreffenden Nervenzweige teils von den dorsalen, teils von den 
ventralen Ästen der Spinalnerven abgehen, während bei den 
höheren Wirbeltieren alle diese Äste auf die Rami dorsales der 
Spinalnerven konzentriert sind. 

Wikström liefert keine besondere Beschreibung der dorsalen 
Äste trotz seiner Angabe, dass die von ihm vorgeschlagene Muskel- 
einteilung auf den Innervationsverhältnissen basiert. 

Nach P. Mayer, welcher die dorsalen Nerven im aus- 
gewachsenen Zustande bei Zygaena, Scyllium, Mustelus und Centrina 
untersuchte, verbinden sich die dorsalen Äste durch Anastomosen 
miteinander in einer Weise, welche nach den verschiedenen Regionen 
und Ästen ziemlich viel variiert. Die dorsalen Äste sind weiter 
durch längslaufende Sammelstämme, die Colleetoren, miteinander 
verbunden. Ein solcher Längsstamm liegt dicht an der Medianlinie 
und verbindet sämtliche dorsalen Äste miteinander. Im Gebiete 
der Flossen werden zwei solche Colleetoren gefunden ; der eine von 
diesen liegt ausserhalb der Flosse, während der andere, in der Flosse 
selbst gelegen, über die Basalstücke der Knorpel hin verläuft. Inner- 
halb der Flosse weisen die Nerven reichliche Plexusbildungen auf. 

Der allgemeine Verlauf der ventralen Äste der Spinalnerven 
ist gut bekannt. Die Nerven verlaufen erst im Gebiete des latero- 
ventralen Muskels innerhalb seines Myomers, dann ziehen sie, 
in die medio-ventralen Muskelgebiete gelangt, schräg über die 
Myomere, in der Weise, dass sie erst nur über einen Myomer, 
dann aber, je weiter kaudalwärts, über zwei, drei oder mehrere 
ziehen. In dem medialsten Teile des medio-ventralen Muskels 
folgen sie wieder den Myomerengrenzen, verbinden sich aber hier 
durch mehrere Anastomosen miteinander. 


Das periphere Nervensystem bei den Selachiern. 329 


Zu dem ventralen Gebiete gehört auch der Nervenstamm, 
welcher von v. Davidoff zuerst entdeckt und N. collector genannt 
ist. v. Davidoff beschreibt ihn in folgender Weise. Der erste 
Nerv der Bauchflosse nimmt vor seiner Teilung in einen ventralen 
und dorsalen Ast einen längslaufenden Stamm auf, welcher so 
zustande kommt, dass er als Ast eines achten vor dem ersten 
Flossennery gelegenen Spinalnerven beginnt und dann eine Anzahl 
von sieben solchen in sich aufnimmt, während er feine Zweige 
medialwärts zu den Bauchmuskeln absendet. 

Bei einer Untersuchung über die Entwicklung der Spinal- 
nerven bei den Selachiern sind vor allem folgende Punkte zu 
berücksichtigen: 1. die Entstehung der Dysmetamerie in dem 
ventralen Teile, 2. das Wesen der Sammelstämme sowohl in dem 
dorsalen wie in dem ventralen Gebiete der Spinalnerven. 


Die Entwicklung der Myotome und Nerven in der 
Körperwand des Acanthias vulgaris. 


Man hat seine Aufmerksamkeit beim Studium der Entwicklung 
der Myotome vor allem auf die muskelbildenden Teile gerichtet. 
Das Wachsen ventral- und dorsalwärts ist auch genügend durch- 
studiert. Für die Entstehung der Längsstreifen und im Zusammen- 
hang hiermit für die Entstehung der ziekzackförmigen Biegungen 
hat man aber weniger Interesse gehabt.- Es wird sich aber zeigen, 
dass für das Verstehen der Nervenentwicklung diese Biegungen 
von grosser Bedeutung sind. 

Das Material meiner Untersuchung bilden Embryonen von 
Acanthias vulgaris von einer Länge zwischen 12 und 50 mm. 
Bei den jüngsten Embryonen von 12 bis 15 mm Länge verlaufen 
die Myotome -ungefähr sagittal. Das dorsale Ende reicht zu einer 
Ebene durch die dorsale Fläche des Medullarrohres, das ventrale 
Ende bis zu einer Ebene durch die ventrale Fläche der Aorta. 
Sie zeigen schon eine winkelförmige Biegung mit kaudalwärts 
geöffnetem Winkel. Die Nerven sind gut entwickelt, verlaufen 
lateral und etwas ventralwärts und verbinden sich mit den Myotomen, 
auf deren medialer Fläche, entsprechend der Winkelspitze des- 
selben (Fig. 6). Von hier zerstreuen sich die Nervenfasern sowohl 
dorsal- wie ventralwärts eine kleine Strecke längs der medialen 
Wand des Myotoms ohne die Enden zu erreichen. Gewisse Nerven- 
fasern scheinen sich direkt mit den Myotomzellen zu verbinden. 


330 Erik Müller: 


Bei einem Embryo von 18 mm sind die Myotome stumpf- 
winklige Gebilde. Die dorsalen und ventralen Teile sind breite 
Platten mit parallelen Rändern. Sie sind ungefähr symmetrisch 
angeordnet und gleich stark im Umfange. Die dorsalen und 
ventralen Nerven sind gut ausgebildet, verlaufen ganz wie ihre 
Myotomanteile ventral- resp. dorsalwärts und etwas kaudalwärts, 
reichen jedoch nicht bis zu den Enden der Myotome. Die Teilungs- 
stellen der motorischen und sensiblen Wurzeln der Nerven ent- 
sprechen den Biegungswinkeln der Myotome. Jeder Nerv ent- 
spricht also genau jeder Myotomhälfte. 

Mit der weiteren Entwicklung bei Embryonen von 23 mm 
Länge findet nun die charakteristische ziekzackförmige Biegung 
der Myotome ganz symmetrisch in dem ventralen und dem dorsalen 
Teile statt. Auf beiden Stellen machen nämlich die Myotome 
eine Biegung kranialwärts. Von der Seitenlinie ab verläuft also 
das Myotom zuerst kaudalwärts, dann kranialwärts, sowohl in der 
ventralen wie in der dorsalen Hälfte. 

Von der kranialwärts abgebogenen Abteilung des ventralen 
Teiles gehen die Dohrnschen Knospen ab. Die Nerven haben sich 
gleichzeitig längs der Myotome weiterentwickelt. Eine ins Auge 
fallende Eigentümlichkeit ist die, dass der ventrale Nerv bedeutend 
stärker als der dorsale ist. Dies steht im Zusammenhang damit, 
dass die Muskulatur im Verhältnis zu den Nerven ihren Platz 
verändert hat. In den früheren Stadien entsprach die Teilungs- 
stelle der Nerven derjenigen des Myotoms. Jetzt liegt die Nerven- 
teilungsstelle mehr dorsalwärts innerhalb des dorsalen Teiles des 
Myotoms. Die Muskulatur ist ventralwärts verschoben, die Nerven 
dorsalwärts. Diese halten sich fortwährend streng innerhalb der 
Myvotomgrenzen. Dies sieht man zum Beispiel in den Fig. 1 und 7, 
wo der Nerv längs seines Myotoms nach der kranialen Knospe 
im Gebiete zwischen der Brust- und der Bauchflosse verläuft. 
Hier löst er sich in eine Menge feiner Endäste auf. Während 
seines Verlaufes gibt er einen kurzen aber starken Stamm ab, 
welcher sich weiter zu dem Ramus medius von Stannius ent- 
wickelt. Dieser entspringt bald nach der Vereinigung der moto- 
rischen und sensiblen Portionen und läuft eine kurze Strecke 
kaudalwärts nach dem Raume zwischen den Myomeren. Mit Aus- 
nahme des beschriebenen Stärkeunterschiedes zwischen den dorsalen 
und ventralen Nerven zeigen sie beide ein symmetrisches Verhältnis. 


Das periphere Nervensystem bei den Selachiern. 331 


Ich werde nun die Entwicklung der dorsalen und der ventralen 
Nerven jede für sich besonders beschreiben. 

Die Entwicklung der ventralen Äste wird ohne weiteres 
durch eine Betrachtung der Fig. 1—5, 7 und 8 klar. Bei einem 
Embryo von 23 mm Länge (Fig. 1 und 7) halten die Nerven sich 
noch innerhalb seiner Myotomgrenze. Proximal verlaufen sie 
längs des kaudalen Randes des Myomers, weiter distal entfernen 
sie sich von jenem und laufen mehr in dessen Mitte. Schliesslich 
kreuzen sie über dem kranialwärts abgebogenen Endteile und 
endigen in der kranialen Dohrnschen Myotomknospe (Fig. 7). 
In Fig. 1, welche ein etwas mehr fortgeschrittenes Stadium dar- 
stellt, scheint im Zusammenhang mit der stärkeren Biegung der 
Myotome kranialwärts eine Verschiebung der Knospen kaudalwärts 
stattgefunden zu haben. Dies hat einen deutlichen Einfluss auf 
die Nerven gehabt; sie verlaufen jetzt im allgemeinen über die 
umgebogenen Myotome nach dem Myocomma oder gar im Gebiete 
des nächsten Myomer. 

In dem nächsten Stadium (Fig. 2), bei einem Embryo von 
26 mm Länge, haben die Knospen eine Rückbildung erlitten. 
Nach einigen Autoren werden sie aufgelöst, nach anderen sollen 
sie eine Wanderung nach der Bauchflosse ausführen und in deren 
Radialmuskel übergehen. Nach meinen Präparaten findet weder 
das eine noch das andere statt. Die Knospen bleiben in der 
Entwicklung stehen und verschmelzen mit den weiter auswachsenden 
Enden der Myotome. Dies sieht man deutlich in Fig. 2, K; die 
Äste, welche zu den Knospen verlaufen, sind gerade noch zu 
beobachten, trotzdem sie auch in der Entwicklung stehen geblieben 
sind. Die Lage der Nerven zu den Myotomen ist nun verändert. 
Sie halten sich nicht innerhalb ihrer Myotomgrenzen, sondern 
verlassen diese und laufen, je mehr kaudalwärts sie gelegen sind, 
über ein, zwei oder drei kaudalwärts gelegene Myotome. Im 
Zusammenhang mit dieser veränderten Lage zwischen Nerven und 
Muskeln steht auch noch eine andere Erscheinung: Die Endteile 
der Nerven splittern sich in eine Menge von Ästen, welche sich 
untereinander verbinden und ein schön entwickeltes Geflecht inner- 
halb der ventralen Abteilungen der Myomeren bilden. Von diesen 
Ästen kann man folgende besonders unterscheiden: 1. die End- 
äste, welche zwischen den Myomeren nach der Haut verlaufen, 
2. die kleinen, im Verschwinden begriffenen Äste, welche sich 


332 Erik Müller: 


nach den Knospen begeben und lateral von den Myotomen gelegen 
sind, und 3. die Mehrzahl der Äste, welche medialwärts von den 
Myomeren liegen und das obengenannte Flechtwerk bilden. Alle 
diese zahlreichen Endäste sind nun von besonderem Interesse, 
weil die Äste der Nerven sonst sehr sparsam sind. Die R. medii 
haben sich freilich stark entwickelt, haben den kranialen Rand 
des nächst unten liegenden Myotoms erreicht und sich längs dieses 
weiterentwickelt. In der Strecke zwischen diesem und den End- 
ästen findet man nur spärliche, unter rechtem Winkel abgehende 
Äste, welche eine kurze, gerade Strecke innerhalb des zugehörenden 
Myotoms verlaufen. 

Die Fig. 3 und 4 zeigen ein weiter fortgeschrittenes Stadium 
in der Entwicklung der ventralen Äste der Spinalnerven. Sie 
stammen von Embryonen von 30—32 mm Länge. Die ventralen 
Teile der Myotome sind nun weiter kranialwärts ausgewachsen, 
und die kleine kaudalwärts gerichtete Abbiegung ist sogar an- 
gedeutet. Die Nerven haben nun die bleibende Lage zu den 
Myomeren angenommen. Proximal von der Bauchflosse laufen sie 
über vier Segmente. Am weitesten kranialwärts laufen sie nur 
über zwei und in der zwischenliegenden Strecke über drei solche. 
In bezug auf die Äste, welche an den Nerven entspringen, muss 
bemerkt werden, dass der R. medius sich in einen ventralen und 
einen dorsalen Ast aufgeteilt hat, dieser dorsal, jener ventral von 
der Seitenlinie. Beide ziehen längs des kranialen Randes des 
folgenden Myomers und senden feinere Äste in diesen hinein. 
Die feinen, gerade verlaufenden Äste haben sich auch stärker 
entfaltet und ziehen nun über das Myocomma zu dem am nächsten 
kaudalwärts gelegenen Myotom. Am meisten Interesse wecken aber 
die starken und kräftigen Nervenäste, welche innerhalb der ventralen 
Abteilung der Muskulatur gelegen sind. Man findet nämlich hier 
eine longitudinal angeordnete Kette von Anastomosen, welche 
kranialwärts von der Flosse liegt und mit dem ersten Bauch- 
flossennerv zusammenhängt. In dieser Kette gehen bei der einen 
Spezies sechs (Fig. 4), bei der anderen (Fig. 3) bis zehn Nerven- 
segmente hinein. Die Anastomosen werden schwächer, je mehr 
kranialwärts sie liegen. Die meisten Anastomosen charakterisieren 
sich dadurch, dass sie aus einem Ast von einem oberen Nerv 
und aus einem Ast von einem unteren Nerv bestehen, diese laufen 
gegeneinander, verbinden sich mit dem Muskel und gehen bogen- 


Das periphere Nervensystem bei den Selachiern. 333 


förmig ineinander über. Die Anastomosenkette liegt auf der inneren 
Fläche der Myotome, ein wenig lateralwärts von den nach der 
Mittellinie umgebogenen, ventralen Enden der Myotome, in un- 
mittelbarer Nähe der in diesem Stadium entwickelten Vena 
parietalis. 

Bei den Embryonen von 35 mm Länge (Fig. 5) ist nun eine 
wichtige Veränderung eingetreten. Statt der eben beschriebenen 
Anastomosenkette findet man nun einen schön und kräftig ent- 
wickelten Längsstamm, welcher rechtwinklig gegen die Spinal- 
nerven gerichtet ist, aus gerade verlaufenden Nervenfasern, die 
die Nervensegmente kranialwärts von der Bauchflosse verbinden, 
besteht und kaudalwärts in die freie Bauchflosse verläuft. Er liegt 
ganz an der V. parietalis und entspricht in allen Einzelheiten 
dem vollentwickelten v. Davidoffschen Collector der Bauchtlosse. 

Zu der Beschreibung der Entwieklung der dorsalen Äste 
übergehend, kann ich mich kurz fassen, weil die Erscheinungen 
prinzipiell mit denjenigen der ventralen Äste übereinstimmen. 
Die Fig. 9-11 illustrieren die Vorgänge bei der Entwicklung 
der dorsalen Äste. Wie schon oben berichtet ist, herrschen 
symmetrische Verhältnisse bei einem Embryo von 23 mm Länge 
in bezug auf die dorsalen und ventralen Äste. Jene liegen zuerst 
innerhalb seines Myomers (Fig. 9). Da nun die dorsalen Myotome 
anfangen, kranialwärts auszuwachsen, splittern sich die Nerven in 
mehrere Äste. Während dieser Zeit wachsen die Nerven von 
dem einen Myotom zum anderen hinüber (Fig. 10) und kommen 
allmählich, je mehr das Auswachsen der Myotome kranialwärts 
stattfindet, über mehrere Myotome zu laufen (Fig. 11). Gleich- 
zeitig bildet sich eine longitudinale Anastomosenkette aus, welche 
ursprünglich aus einfachen, bogenförmigen Verbindungen zwischen 
den Nerven gebildet, später zu einem langen Nervenstrang um- 
gebildet wird, in dem die Fasern über längere Strecken verfolgt 
werden können (Fig. 11). 

In die proximalen Teile der dorsalen Myotome senden die 
Nerven kurze Äste aus, welche direkt in die Myotome eindringen. 
Sie sind stärker entwickelt als auf der ventralen Seite und dringen 
früher als diese in den nächsten kaudalwärts gelegenen Myomer 
hinein (Fig. 11). Dadurch, dass diese Anastomosen in einer Linie 
sich anordnen, kommen im Gebiete des latero-dorsalen Teiles des 
Muskels feine Längsstämme zustande. 


334 Erik Müller: 


Innerhalb des Schwanzes verhalten sich die Nerven wie im 
tumpf. Die Symmetrie zwischen den dorsalen und ventralen 
Ästen tritt hier noch stärker hervor. Innerhalb der medio-dorsalen 
und medio-ventralen Streifen kommen stattliche Collectoren zur 
Ausbildung. 


In der Einleitung habe ich hervorgehoben, dass die dorsalen 
Äste in ihrer Verästelung, Anordnung und Ausbreitung nicht voll- 
ständig bekannt waren. Durch die nun mitgeteilten Untersuchungen 
lässt sich diese kleine Lücke leicht ausfüllen. Die dorsalen Äste 
verlaufen zwischen den Neuralbogen und der tiefen Fläche des 
dorsalen Muskels bis an dessen medialen Rand. Hier zieht er 
um diesen Rand und wird subkutan. Gleich nach seinem Ursprunge 
geht ein starker Ast ab, der durch den latero-dorsalen Muskel zu 
der subkutanen Schicht verläuft und hierbei Äste an diesen abgibt. 
Der Ramus medius von Stannius innerviert sowohl den latero- 
dorsalen wie den latero-ventralen Muskelstreifen. Der medio- 
dorsale Muskel wird also nur von dem dorsalen Spinalnervenast, 
der latero-dorsale sowohl von dem dorsalen wie von dem ventralen 
Spinalnervenaste, der latero-ventrale und medio-ventrale Muskel 
werden nur von dem ventralen Spinalnervenaste innerviert. 

Von den beschriebenen Vorgängen in bezug auf die Ent- 
stehung der Spinalnerven hebe ich als besonders wichtig hervor: 
1. die Symmetrie zwischen den ventralen und dorsalen Spinal- 
nervenästen, 2. die deutliche bineure Innervation des lateralen 
Muskels, 3. die Erkenntnis, wie die Dysmetamerie im Gebiete des 
medio-ventralen und medio-dorsalen Muskels zustande kommt, und 
4. die Bildung der Colleetoren an beiden Stellen. 

Ursprünglich ist die Symmetrie zwischen den ventralen und 
dorsalen Nerven ebenso vollständig, wie die beiden Hälften des 
stumpfwinklig gebogenen Myotoms gleich sind; später findet aber 
eine Verschiebung so statt, dass ein Teil des dorsalen Myotoms 
innerhalb des (Gebietes des ventralen Spinalnervenastes zu liegen 
kommt, wonach der dorsale Ast schwächer wird. In diesem Ver- 
laufe herrscht aber immer insoweit eine Symmetrie, als sich so- 
wohl der ventrale wie der dorsale Spinalnervenast im Gebiete 
des latero-ventralen resp. latero-dorsalen Teiles des Seitenmuskels 
innerhalb der Myotomgrenze halten, während mehr peripherie- 


co 
SE 
co 
ot 


Das periphere Nervensystem bei den Selachiern. 


wärts, d. h. in den Gebieten des medio-dorsalen und des medio- 
ventralen Gebietes, die Nerven über mehrere Myotome verlaufen. 

Die bineure Innervation der latero-dorsalen und latero- 
ventralen Abteilungen des Seitenmuskels kommt zustande teils 
durch den R. medius, teils durch die kurzen geraden Äste des 
Spinalnerven. Jener ist für den der Wirbelsäule am nächsten 
gelegenen Teil der Myomere bestimmt und entspringt aus dem 
Spinalnerv des nächstvorliegenden Segmentes. Die kurzen Äste 
halten sich zuerst innerhalb ihres Myotoms, wachsen dann in das 
kaudalwärts gelegene Nachbarsegment. Das Innervationsgebiet 
eines Spinalnerven umfasst also teils das Myotom, innerhalb dessen 
der Nerv liegt, teils das am nächsten kaudalwärts belegene 
Nachbarmyotom. 

Das Zustandekommen der Dysmetamerie in den peripheren 
Teilen der Körperwand und die Bildung der Üollectoren sind 
Erscheinungen, welche nahe verwandt sind. Beide haben ihren 
Grund in der veränderten Wachstumsrichtung der Myotome, welche 
zu der Ausbildung der medio-ventralen und medio-dorsalen Ab- 
teilungen des Seitenmuskels führen. Während die Myotome und 
die Spinalnervenäste bisher dieselbe Richtung bei ihrem Wachstum 
eingeschlagen haben, findet nun eine Veränderung statt: die 
Myotome biegen kranialwärts um, die Nerven jedoch wachsen 
dabei medio-kaudalwärts aus und nehmen darum ihren Weg von 
dem einen Segment zum anderen. Die Dysmetamerie ist eine 
Funktion von der kranialwärts gerichteten Biegung der Myotome. 

Der N. colleetor bildet bei den erwachsenen Haien einen 
gerade verlaufenden Nervenstamm, welcher Fasern von ca. zehn 
kranialwärts von der Bauchflosse gelegenen Nervensegmenten ins 
Gebiet dieser letzteren überführt. Durch die mitgeteilten Unter- 
suchungen sind wir nun über die Bildungsweise des N. collector 
informiert. Frühere Untersucher (Braus, Mollier) hatten 
gelernt, dass er im Zusammenhange mit den Abortivknospen ent- 
stehen sollte, insoweit als diese eine Wanderung nach der Bauch- 
tlosse ausführen und hierbei die Fasern mitführen würden. Nach 
meinen Präparaten zu beurteilen, ist die Entstehung wesentlich 
anders. Im Zusammenhang mit dem Hervorwachsen der Nerven 
über mehrere Myotome treiben die Nerven eine Menge von Ästen, 
welche untereinander anastomosieren. Innerhalb dieses Gebietes 
entsteht eine longitudinale Kette von bogenförmigen Anastomosen. 


336 Erik Müller: 


In dem kaudalen Teile dieser Anastomosenkette gehen ein paar 
oder mehr von den Nervenästen, welche zu den Abortivknospen 
verlaufen, hinein. Die grösste Mehrzahl der Abortivknospen und 
ihrer Nerven gehen zugrunde und haben also mit der Collector- 
bildung nichts zu tun. Aus der Anastomosenkette entsteht der 
Collector in solcher Weise, dass jede bogenförmige Verbindung 
allmählich von kranialwärts nach kaudalwärts an Mächtigkeit zu- 
nimmt und einen geraderen Verlauf erhält. Im Zusammen- 
hang mit dieser Formveränderung von einer Reihe 
Kettenanastomosenbiszueinem geradeverlaufenden 
Nervenstamm geht eine innere Umbildung des Faserverlaufes 
insofern vor sich, als die Fasern zuerst von dem einen Nerven 
zu dem anderen oder unter Durchflechtung zu dem Myotome 
gehen, während sie später einen bestimmten Längsverlauf nehmen, 
indem sie von kranialwärts höher gelegenen Segmenten nach der 
Bauchflosse ziehen. 

Insofern als diese ontogenetischen Befunde etwas über die 
Phylogenie des Collectors aussagen, ist es klar, dass er gar nichts 
mit einer hypothetischen Wanderung der Bauchflosse zu tun hat. 
Es ist nämlich sehr bemerkenswert, dass der dorsale Üollector 
von ganz derselben Beschaffenheit ist und in ganz derselben Weise 
entsteht, wie der ventrale Collector. Die Bildung des einen wie 
des anderen steht im Zusammenhang mit den starken, zickzack- 
förmigen Biegungen derjenigen Myotomabschnitte, welche am 
weitesten peripheriewärts von der Wirbelsäule gelegen sind. Vom 
phylogenetischen Gesichtspunkte aus lässt sich also nur so viel 
aussagen, dass die Collectorbildung im Zusammenhang mit der 
Bildung des spulförmigen Körpers der Haie steht. 

Die feineren Vorgänge bei der Entwicklung der Nerven 
gestalten sich ähnlich in allen Teilen des Selachierkeimes. Um 
Wiederholungen zu vermeiden, behandle ich dieses Thema nur 
an einer Stelle, nämlich bei der Beschreibung der Entwicklung 
der Brustflossennerven, wo ich die histologischen Verhältnisse am 
gründlichsten durchstudiert habe. 


Die Nerven der paarigen Flossen. 
Die älteren Angaben sind ziemlich dürftig. Man begnügte 
sich mit der Angabe, dass die Nerven innerhalb der Flossen 
Geflechte bildeten. Weitere Untersuchungen wurden dann von 


Das periphere Nervensystem bei den Selachiern. 331 
Braus und mir ausgeführt. In bezug auf das Verhältnis dieser 
Untersuchungen zueinander muss ich auf meine vorige Abhand- 
lung (29) hinweisen. Hier brauche ich nur an folgendes zu erinnern. 
Das Hauptergebnis der ersten Arbeit (2) von Braus bestand 
darin, dass er glaubte nachweisen zu können, dass die zu der 
Flosse hinlaufenden, vorher metameren Nerven sich innerhalb 
dieser in Geflechte auflösen, wodurch sie ihren metameren 
Charakter verlieren. Unter diesen Geflechten wurde ein prä- 
und ein postaxiales Geflecht als morphologisch besonders wichtig 
unterschieden, weil sie mit ähnlichen Geflechten bei Cerätodus 
homolog sein sollten. Im Gegensatz hierzu zeigte ich, dass die 
Nerven in der Brustflosse ihre metamere Natur in der Anordnung 
und Lage ebensogut wie diejenigen in der Körperwand behielten. 
In zwei späteren Arbeiten (3, 4) hat Braus dann seine ursprüng- 
liche Ansicht wesentlich geändert. Die regelmässige Anordnung 
der Nerven wird nun im Gegensatz zu der früheren Auffassung 
anerkannt, daneben soll ein mehr diffuses Nervengetlecht vor- 
handen sein, das die eigentliche motorische Innervation besorgen 
soll. Nach dem Berichte über meine eigenen neueren Unter- 
suchungen werde ich diese Angaben von Braus näher beleuchten. 

Wenn ich nun wieder die Untersuchung der Brustflossen- 
nerven aufnehme, so geschieht es hauptsächlich, um eine Basis 
für die entwicklungsgeschichtliche Darstellung zu legen. Wie ich 
vorher ausführlich hervorgehoben habe, ist die Anatomie der 
grossen Hauptnerven der Brustflosse durch meine vorigen Unter- 
suchungen vollständig erledigt. Die feineren inter- und intra- 
muskulären Nerven dagegen habe ich früher nur nebensächlich 
behandelt. Hier hat Braus schon eine gute Vorarbeit geliefert. 
aber nach meiner Meinung in nicht genügender Weise. Bei meinen 
fortgesetzten Untersuchungen habe ich vor allem meine Auf- 
merksamkeit auf den Faserverlauf in den Plexusbildungen gerichtet. 

Die Fig. 12—15 stellen die Nerven der Brustflosse bei 
Acanthias vulgaris dar, von der tiefen Fläche des ventralen 
Flossenmuskels nach der Wegnahme des Skeletts präpariert. 
Man findet hier die Hauptnerven mit derselben Anordnung zu den 
Muskeln, wie ich sie vorher mit Hinsicht auf die Lageverhältnisse 
zu den Strahlen beschrieben habe. Zwischen den Hauptnerven 
verlaufen dünnere Nerven, die von mir sogenannten Nn. inter- 
mittentes, welche Anastomosen von den beiden naheliegenden 


338 Erik Müller: 


Hauptnerven aufnehmen. In solcher Weise kommt ein zusammen- 
hängendes Nervengeflecht, das tiefe Grundgeflecht der Flosse, 
zustande. Innerhalb dieses Geflechtes lassen sich die Ausbreitung 
und Verteilung der Nervenfasern gut verfolgen. 

Ich fange die Beschreibung mit Fig. 12 an. Sie zeigt das 
vollständigste Bild an, welches man mit der betreffenden Methode 
erhalten kann. Das Präparat enthält 10 Flossennerven und die 
20 dazu gehörenden Radialmuskeln. Die proximalen Teile der 
Flossennerven sind in ihrem Verlauf über dem Basale des Meta- 
pterygium nicht dargestellt; wie die Nerven sich hier verhalten, 
kann man aus den Fig. 33—37 in meiner Abhandlung „Die 
Brustflosse der Selachier“ ersehen. Der 1. Flossennerv ist nicht 
dargestellt. Der 2. ist unvollständig. Der 3. bis 7. sind in ihrem 
peripheren Teile vollständig dargestellt. Der S. bis 11. sind un- 
vollständig. Der allgemeine Verlauf ist so, wie ich in meiner 
zitierten Abhandlung beschrieben habe. Die Hauptnerven ver- 
laufen parallel miteinander längs jedes zweiten Radialmuskels. 
Während ihres Verlaufes geben sie zahlreiche Äste ab, welche 
sich miteinander zu feineren längsgehenden Nerven verbinden. 
Auf diese Weise bilden die Nerven in ihrer Gesamtheit ein 
(eflecht von sehr charakteristischem Aussehen. Das Haupt- 
merkmal dieses Geflechtes besteht darin, dass die überwiegende 
Anzahl der Nervenfasern sich längs der Radialmuskeln verteilt. 

Es lässt sich auch zeigen, wie sich die Nerven zu den 
Muskeln verhalten. Ich berücksichtige dann nur diejenigen, welche 
vollständig dargestellt sind. Die Muskeln werden nach ihrem 
Vorhandensein in dem Präparate numeriert. Der 3. Flossennerv 
verteilt seine Äste hauptsächlich innerhalb der 3. und 4. Radial- 
muskeln und sendet dazu feinere Äste an den 2. und 5. Radial- 
muskel. Der 4. Flossennerv innerviert den 5., 6. und 7. Radial- 
muskel. Der 5. Flossennerv sendet Äste an den 7., 8. und 9. 
Radialmuskel. Der 6. Flossennerv innerviert den 9. und 10. Radial- 
muskel. Der 7. Flossennerv verteilt seine Äste hauptsächlich 
innerhalb der Dreimuskelgruppe 11, 12 und 13. 

Fig. 13 zeigt ein Bild von demselben Aussehen. Man sieht 
hier acht Flossennerven mit ihren zugehörigen Muskeln. Auch hier 
verteilen sich die Nervenfasern längs der Muskeln, wodurch eine 
Innervation der Dreimuskelgruppen zustande kommt. Nur kaudal- 
wärts sieht man Anastomosen über mehrere Segmente sich verteilen. 


Das periphere Nervensystem bei den Selachiern. 339 


Fig. 14 ist nach einem Präparat gezeichnet, welches in 
dem peripheren Teile der Flossennerven eine sehr reiche Geflechts- 
bildung zeigt. Ein näheres Studium lehrt aber auch hier, dass 
die Verteilung der Fasern der oberen Nerven in der Figur, welche 
den mittleren der Flosse entsprechen, sich innerhalb eines ziemlich 
kleinen Gebietes, entsprechend zwei bis vier Radialmuskeln, hält. 
In dem kaudalen Teile der Flosse herrschen dagegen wesentlich 
andere Verhältnisse. Hier sieht man, wie die zwei kaudalsten 
Nerven über ein viel beträchtlicheres Gebiet sich ausbreiten. 

Fig. 15 ist auch von Interesse. Sie zeigt die Verteilung 
der kaudalen Nerven. Der 7. und 8. Flossennerv verästeln sich 
in gewöhnlicher Weise. Die Fortsetzung des 9. Nerven hat auch 
den gewöhnlichen Verlauf. Von dessen proximalem Teil geht 
indessen ein starker Ast an dem 8. Nerven vorbei, um sich dann 
in dessen kraniale Muskelgebiete zu verteilen. In derselben 
Weise verhält sich der 10. Nerv. 

Wenn man nun die mitgeteilten Beschreibungen und die 
beschriebenen Präparate mit meinen früheren Mitteilungen über 
dasselbe Thema vergleicht, so wird man leicht eine vollständige 
Übereinstimmung konstatieren können. Freilich sind die nun 
mitgeteilten Bilder etwas reicher an Details. In der Hauptsache 
findet man eine Uebereinstimmung darin, dass die Nerveniin 
der Mitte der Flosse drei (ausnähmsweise vier oder 
zwei) Radialmuskeln innervieren, während sich an 
den kranialen und kaudalen Rändern der Flosse die 
Nerven über mehrere Segmente verteilen. 

Ich komme nun zu der Beschreibung der feineren inter- 
und intramuskulären Nerven der Brustflosse bei Acanthias. Diese 
habe ich in meiner vorigen Untersuchung mehr oberflächlich be- 
handelt, weil sie im Verhältnis zu den groben Hauptstämmen 
quantitativ und qualitativ zu wenig bedeuten. Ich habe dies 
bereits hervorgehoben. Ebenso verkehrt, wie es wäre, wenn ein 
Untersucher der Nerven des menschlichen Armes damit anfınge, 
die feineren intramuskulären Nerven zu beschreiben und die grossen 
Stämme ganz vernachlässigte, ebenso verkehrt ist es, wenn man 
den inter- und intramuskulären Nerven der Selachierflossen seine 
Hauptaufmerksamkeit zuwendet und die groben Hauptnerven ver- 
nachlässigt. Dies hat Braus gemacht. Die kleineren inter- 
muskulären Nerven hat er in seiner Ceratodus-Abhandlung (1900) 


340 Erik Müller: 


gut abgebildet und beschrieben, während die Hauptnerven nicht 
oder sehr wenig berücksichtigt wurden. 

Man kann in der Brustflosse zwei Systeme von Nerven unter- 
scheiden. Das eine bildet den Hauptteil der Flossennerven und 
breitet sich horizontal zwischen der tiefen Fläche des Haupt- 
muskels und dem Skelette aus, das Grundgetlecht bildend, welches 
soeben beschrieben ist. Das andere System von Nerven fängt 
mit Ästen an, welche unter rechten oder schrägen Winkeln von 
den vorigen entspringen und sich dann innerhalb der Muskeln 
verteilen. 

Die Nerven, welche im Kaliber denjenigen des Grundgeflechtes 
am nächsten kommen, sind die intermuskulären Nerven (Nn. inter- 
musculares). Sie laufen in den Interstitien zwischen den Radial- 
muskeln und sind in den Fig. 16—18 dargestellt. Jeder Flossen- 
muskel hat ungefähr die Form eines rechteckigen Dreiecks. 
Die kürzere Kathete ist gegen die Körperwand gerichtet. Die 
längere entspricht der Befestigung an dem Flossenskelett. Die 
Hypotenuse entspricht der freien Fläche des ganzen Flossenmuskels. 
Jeder Radialmuskel ist deutlich gefiedert. Die Insertionssehne 
setzt sich nämlich teils als Sehnenspiegel auf der freien Fläche 
des Muskels, teils im Inneren des platten Dreiecks fort. Die 
oberflächlichen, vom Schulterbogen kommenden Fasern setzen sich 
an der oberflächlichen Sehne fest. Die so aussehenden Muskeln 
liegen nun mit ihren Flächen dicht aneinander. Zwischen den 
Flächen kommen dadurch feine Spalten zustande, welche die inter- 
muskulären Nerven enthalten. Diese entspringen aus dem Grund- 
geflecht im allgemeinen von den grossen Hauptnerven und bilden 
dann durch Verästelung und Anastomosenbildung reiche Flecht- 
werke um die besonderen Radialmuskeln. Ihre Endäste verlaufen 
gegen die Oberfläche, biegen hier um und verbinden sich mit- 
einander (Fig. 19 und 20). Jeder Radialmuskel wird in dieser 
Weise von einem zusammenhängenden Geflecht umsponnen. Im 
allgemeinen werden die intermuskulären Nerven während des 
ganzen Verlaufes eines Hauptnerven entsandt. In diesem Falle 
sind die proximalen Nerven die mächtigsten; in distaler Richtung 
nehmen sie an Grösse immer mehr ab. Oft kann man in dem 
Muskelinterstitium nur einen starken intermuskulären Nerven 
finden. Dieser entspringt dann proximal, bald nachdem der Haupt- 
nerv in den Flossenmuskel hineingedrungen ist, und verläuft dann 


Das periphere Nervensystem bei den Selachiern. 341 


distal in kurzer Entfernung nicht weit von dem Hauptnerv, um 
erst nach Abgabe einer Menge feiner Äste auf dem schmalen 
distalen Teil des Radialmuskels zu enden. In diesem Falle erhält 
man oft den Eindruck, als ob der Hauptnerv sich in eine motorische 
(den intermuskulären Nerv) und eine hauptsächlich sensible Portion 
aufgespaltet habe. 

Die streng regelmässige Anordnung der intermuskulären 
Nerven der Selachier-Brustflosse ist auffallend. Alle die inter- 
muskulären Nerven sind voneinander durch die Radialmuskeln 
getrennt. Die in einem Zwischenraume gelegenen Äste hängen 
nur mit denjenigen in dem nächst kranialen und kaudalen Spalten- 
raume belegenen Nerven zusammen. Dies geschieht durch die 
Anastomosen, welche über der freien Fläche der Radialmuskeln 
verlaufen. Denkt man sich, dass die Radialmuskeln unter Bei- 
behaltung der an diesen Flächen sitzenden Nerven voneinander 
entfernt werden könnten und dass die Muskeln in der Mitte von 
der tiefen Fläche gespalten werden könnten ohne Beschädigung 
der feinen, auf der freien Fläche befindlichen Nerven. und dann aus- 
gebreitet werden könnten, bekäme man ein zusammenhängendes, 
in einer Ebene ausgebreitetes, sehr regelmässiges, nur von den 
intermuskulären Nerven gebildetes Geflechtwerk. In diesem kann 
der Nervenreiz nicht nach Belieben verlaufen. Sowohl in morpho- 
logischer wie in funktioneller Hinsicht muss das Geflecht in kleinere 
Gebiete aufgeteilt werden, welche nach der obenbeschriebenen 
Verteilung zwei Radialmuskeln umfassen müssen. 

Im Zusammenhang mit den beschriebenen Befunden über 
die intermuskulären Nerven müssen auch einige Bilder über die 
Nerven auf der medialen Fläche des Hauptmuskels beurteilt werden 
(Fig. 21). Bevor die ventralen Flossennerven in den Muskel ein- 
dringen, geben sie, wie Braus richtig beschrieben hat, jeder 
einen feinen Ast ab, welcher zu den oberflächlichen Schichten der 
Flosse hinzieht. Während des Verlaufes auf der medialen Fläche 
des Hauptmuskels gehen feinere Äste ab, welche sich weiter ver- 
ästeln und verbinden, so dass ein reiches Geflecht gebildet wird 
(Fig. 21). Es liegt hier vielleicht die Bildung vor, die Braus 
unter dem Namen Plexus präaxialis beschrieben hat. Es muss 
aber hervorgehoben werden, dass dies Geflecht gar nicht von 
den groben metameren Nerven gebildet wird, wie Braus es in 


seiner Textfigur (Fig. 15, S. 196) gezeichnet hat. Morphologisch 
Archiv ft. mikr. Anat. Bd.$1. Abt.1I. 23 


342 Erik Müller: 


wie funktionell gehört es zu den oberflächlichen Geflechten, welche 
die intermuskulären Nerven um die Muskeln bilden. 

Sowohl von den Stämmen des Grundgeflechtes wie von den 
intermuskulären Nerven entspringen nun feinere Äste, welche 
nach dem Inneren der Muskeln ziehen. Hier teilen sie sich wieder 
auf unter abnehmendem Kaliber, die Teiläste verbinden sich mit- 
einander, und so kommen die intramuskulären Geflechte zustande, 
von denen die feinsten Nerven, welche für die Muskeln bestimmt 
sind, entspringen. Diese Geflechte sind mit der Essigsäure-Osmium- 
Methode schwierig darzustellen. Doch ist es ziemlich gut 
gelungen, wie Fig. 22 zeigt. Hier sieht man, wie die Radial- 
muskeln eine Menge feiner Nervengeflechte enthalten. Die Ge- 
flechte bieten ein regelmässiges Aussehen, indem sie aus Nerven 
bestehen, welche teils in der Richtung der Muskelbündel, teils 
senkrecht gegen diese verlaufen. In dieser Weise werden die 
Geflechte von rechtwinkligen Maschen gebildet, deren Längs- 
richtung parallel mit den Muskelfasern gestellt ist. 

Wenn ich nun das Vorhergehende rekapituliere, so will ich 
zuerst hervorheben, dass man die Innervation der Muskeln sehr 
gut aus den anatomischen Bildern ablesen kann. Man kann direkt 
an den Bildern beobachten, wie gross „the overlapping“ der 
motorischen Nervengebiete ist. Die Bilder lehren auch, dass dies 
Übergreifen ganz und gar vermittels der Nerven des tiefen Grund- 
geflechtes stattfindet. Eine Verteilung der feinen intermuskulären 
oder intramuskulären Nerven üher mehrere Segmente ist absolut 
unmöglich und ausgeschlossen. Schon der Kaliberunterschied 
zwischen den Nerven beweist dies. Das grösste Kaliber besitzen 
die Nerven des Grundgeflechtes, dann folgen die intermuskulären 
Nerven, die dünnsten Nerven sind die intramuskulären Nerven. 
Nun ist es a priori gegeben und wird von den tatsächlichen Be- 
funden bestätigt, dass die Nervenverteilung direkt pro- 
portional dem Kaliber der Nerven ist. Die groben 
Hauptnerven der Flossen, in dem tiefen Grund- 
geflechte belegen, senden die Fasernimallgemeinen 
nach drei Muskeln, in geringer Zahl (an den Enden 
der Flossen) nach mehr Muskeln, die intermusku- 
lären Nerven innervieren zwei, dieintramuskulären 
Nerven haltensichinnerhalb des Gebietesvoneinem 
Muskel. Diese Regel von der Innervation der Flossenmuskeln 


» 
8%) 


Das periphere Nervensystem bei den Selachiern. 


findet ihre Erklärung aus der Entwicklung der Flossennerven, 
wie unten näher mitgeteilt werden soll. 

Ich habe in meiner Abhandlung „Die Brustflosse der Selachier“ 
ausführlich die sehr regelmässige Verteilung der Brustflossennerven 
bei Raja beschrieben. Auf jedem ungeraden Strahl resp. in jedem 
ungeraden Radialmuskel lief ein Hauptnerv, welcher drei Radial- 
muskeln innervierte. Die feinen, von zwei Nachbar-Hauptnerven 
kommenden Äste traten oft zusammen zur Bildung eines feinen, 
längs der tiefen Fläche jedes geraden Muskels verlaufenden Nerven, 
des N. intermittens. Solche Nn. intermittentes wurden besonders 
auf der dorsalen Seite der Brustflosse gefunden. 

Ich habe nun, wie bei Acanthias, Kontrolluntersuchungen 
ausgeführt, um meine Befunde zu bestätigen oder eventuell zu 
erweitern und zu korrigieren. Ich habe dabei meine Aufmerksam- 
keit vor allem auf die vorhandenen Anastomosen und den Faser- 
verlauf innerhalb dieser gerichtet. Es ist dabei auffallend, dass 
die Anastomosenbildung in den verschiedenen Teilen der Flossen 
sehr verschieden ist. Dies geht sehr deutlich aus Fig. 52 meiner 
zitierten Abhandlung hervor. In den beiden Fig. 23 und 24 
habe ich zwei Präparate abgezeichnet, welche durch Präparation 
von der tiefen Fläche gewonnen sind. Man sieht hier die sehr 
regelmässige Lage der Nerven zu jedem zweiten Muskel, man 
beobachtet weiter, wie von diesen Nerven feinere Äste abgehen, 
die sich teils in die Muskeln, teils zwischen diese einsenken Trotz 
der sorgfältigsten Untersuchungen ist es mir nun nicht gelungen, 
eine einzige Anastomose zu finden, welche über das Gebiet von 
zwei Nerven verlief. 

Ein wesentlich anderes Bild erhält man in dem peripheren 
Teile der Flosse. Die Fig. 25 und 26 illustrieren die dort 
waltenden Verhältnisse. Hier fällt ja die Anastomosenbildung 
sofort ins Auge. Fig. 25 ist bei 9maliger Vergrösserung und 
Fig. 26 bei 18maliger Vergrösserung gezeichnet. Die Präparate 
sind jedoch so beschaffen, dass man sie sehr leicht mittels Zeiss’ 
Apochr. 16 mm untersuchen kann, und dann kann man den Faser- 
verlauf gut verfolgen. Fig. 26 zeigt einen Abschnitt der Flosse, 
wo die Nn. intermittentes sehr schön ausgebildet sind. Es folgen 
in regelmässiger Folge von links nach rechts ein Hauptnerv (n), 
ein N. intermittens (n.i.), ein Hauptnerv usw. Die Anastomosen 
sind nun sehr einfach gebaut. Kompakt in der Mitte, splittern 

23* 


344 Erik Müller: 


sie sich, an dem Nerv angekommen, in zwei Bündel, von denen 
eines proximal, das andere distal seinen Weg fortsetzt. In dem 
unteren Teile der Figur sieht man eine ganze Reihe von solchen 
Anastomosen, welche die Nerven untereinander verbinden. Sie 
passieren auch über die feinen Nerven. Es lässt sich nun zeigen, 
dass in diesen Kreuzungspunkten kein Austausch von Fasern statt- 
findet, die Anastomosen ziehen einfach über die Nerven. Man 
sieht weiter an den Stellen, wo die Anastomosen in die Haupt- 
nerven oder in die Nn. intermittentes übergehen, dass keine einzige 
Faser von der einen Anastomose in die andere übergeht, d. h., 
dass die abgebildeten Geflechte so gebildet sind, dass alle Fasern 
von den Hauptnerven zu den Nn. intermittentes oder vice versa 
übergehen. Fasern von dem einen Hauptnerven nach dem anderen 
überziehend sind nicht zu finden, also noch weniger Fasern, welche 
über mehrere solche verlaufen. 

Figur 25 liefert das Bild einer anderen vollständigen Färbung 
des tiefen Grundgeflechtes in der Brustflosse von Raja. Das Bild 
entspricht einer Stelle, wo sich die Flossennerven in ihre Endäste 
aufgeteilt haben. Diese laufen parallel miteinander. Zwischen 
diesen gröberen Ästen findet man feinere, auch längsverlaufende 
Äste, welche von den gröberen entspringen und mit diesen durch 
schräg- oder quergehende Anastomosen zusammenhängen. Mit 
stärkeren Vergrösserungen untersucht, zeigt es sich, dass die 
feinen Fasern nicht über grössere Strecken verlaufen; sie halten 
sich innerhalb der Räume, welche von den gröberen Nerven be- 
grenzt sind, oder verlaufen allerhöchstens von einem Zwischen- 
raume nach dem nächstliegenden. 

Wenn man nun die Muskeln in Fig. 25 und 26 entsprechend 
den Strahlen einsetzt, so findet man, dass das Innervations- 
gebiet eines Hauptnerven in der Brustflosse von 
Raja drei Radialmuskeln entspricht, ein Befund, der 
durch die physiologischen Reizversuche bestätigt worden ist. 

Die Beckenflossen bei Raja sind wegen der Dünneihrer Muskeln 
ganz besonders geeignet für die Essigsäure-Osmium-Methode. Ich 
teile zwei Bilder über deren Nerven mit. In Fig. 27 sieht man 
die Hauptnerven mit ihren charakteristischen Endteilungen längs 
jedes zweiten Muskels, zwischen diesen liegen die ungeraden 
Muskeln, welche von zwei Nachbarnerven innerviert werden. Die 
Innervationsgebiete lassen sich also direkt aus dem anatomischen 


Das periphere Nervensystem bei den Selachiern. 345 


Präparate ablesen und entsprechen mit aller Deutlichkeit drei 
oder vier Radialmuskeln. Fig. 28 stammt von einem anderen 
Präparate. Neben den grossen Nerven sieht man hier ein reiches, 
über die sechs dargestellten Radialmuskeln verteiltes Nerven- 
geflecht. Eine nähere Untersuchung lehrt aber, dass dieses Gre- 
flecht nicht in den Muskeln, sondern oberhalb dieser gelegen und 
in der Fascie eingelagert ist. Dieses hat also mit der Innervation 
der Muskeln nichts zu tun. 

Wenn ich nun diese Befunde von der Brust- und Bauch- 
flosse bei Raja überblicke, so finde ich eine vollständige Überein- 
stimmung mit meinen früheren Untersuchungen. Die Nerven 
verteilen sich innerhalb einer Gruppe von drei, 
ausnahmsweise vier Muskeln. Diese Innervationsgebiete 
decken einander innerhalb des Gebietes von einem Muskel. 

Nach dieser Darstellung der Nerven der Brustflossen bei 
Acanthias und der paarigen Flossen bei Raja drängt sich die 
Frage auf, wie sich die Bauchflossennerven bei Acanthias ver- 
halten. Es wird sich dann zeigen, dass ein Vergleich zwischen 
diesen Nervengebieten von grossem Interesse ist. Die Nerven 
der Bauchflosse sind viel leichter darzustellen als diejenigen der 
Brustflosse. Die Essigsäure-Osmium-Methode liefert hier (Fig. 27) 
ausgezeichnete Bilder über die Nervengeflechte, die hier zu finden 
sind und die ich von meinen ersten Untersuchungen wohl kenne. 
In der Bauchtflosse liegen prinzipiell andere Verhältnisse der Nerven 
vor als in der Brustflosse. 

Die Nerven der Bauchıflosse wurden zuerst von M. v. Davidoff 
näher beschrieben. Sämtliche Extremitätennerven teilen sich in 
ventrale und dorsale Äste. Die ventralen Äste der beiden vordersten 
treten durch die knorpelige Beckenplatte. „Sowohl auf der dor- 
salen als auch auf der ventralen Fläche der Flosse besteht in 
den Verzweigungen und Verbindungen der bezüglichen Äste der 
Extremitätennerven unter sich eine gleichsam metamerenartige, 
zwischen zwei Nerven sich regelmässig wiederholende Anordnung, 
welche übrigens in untergeordneten Dingen zahlreiche Variationen 
bietet. Die drei ersten, zuweilen auch nur die beiden ersten oder 
nur der erste Extremitätennerv weichen von dieser allgemeinen 
Verzweigungsart etwas ab, lassen sich aber dennoch, wie wir 
sehen werden, auch den übrigen Nerven anreihen.*“ Die drei 
ersten Äste teilen sich in Äste, welche unter reichlicher Anasto- 


346 Erik Müller: 


mosierung miteinander und mit dem folgenden längs der Radien 
weiter verlaufen. Von dem fünften ab verhalten sich alle Nerven 
gleichmässig, insoweit als jeder eine starke Anastomose von dem 
proximalen Nachbar aufnimmt, dann gewöhnlich mehrere längs 
der Radien verlaufende Zweige abgibt, um dann zu dem folgenden 
zu ziehen und mit diesem zu verschmelzen. „Auf diese Weise 
hängen alle ventralen Äste der Extremitätennerven unter sich 
zusammen und bilden vom vierten Aste angefangen einen lateral- 
wärts, am Basale metapterygii und diesem parallel verlaufenden 
Längsstamm, welcher zwischen je zwei in ihn eingehenden Nerven 
lateralwärts verlaufende Zweige abgibt.“ Die von dem Längs- 
stamme abgehenden Äste liegen zwischen zwei Muskeln und ent- 
sprechen diesen in ihrer Anzahl. Wegen ihrer bedeutenden Fein- 
heit lässt sich nichts Näheres über ihre Verteilung aussagen. 
Der erste Flossennerv nimmt vor seiner Teilung in einen ventralen 
und einen dorsalen Ast den vorher besprochenen Sammelstamm 
(den N. colleetor) auf. Die dorsalen Äste der Extremitätennerven 
bilden auch Längsstämme in der prinzipiell gleichen Weise wie 
ventralwärts. Kranialwärts bilden die fünf ersten Nerven zwei 
solehe: einen medialen und einen lateralen, im Gebiete der vier 
letzten Nerven wird nur ein solcher gebildet. 

Braus beschreibt am ventralen Hauptmuskel der Becken- 
flosse von Acanthias einen Plexus postaxialis und präaxialis von 
derselben Art wie an der Brustflosse. ‚Jener liegt als ein feiner 
Plexus auf den Mm. zonopterygiales und hat die Form einer 
Längsstammbildung, ähnlich wie bei der vorderen Extremität von 
Laemargus. Der Plexus präaxialis wird in folgender Weise be- 
schrieben. „Am lateralen Rande des Metapterygium der 
Bauchflosse liegt ein kräftig entwickelter Plexus mit mehreren 
Längsstämmen, welche parallel miteinander verlaufen. Von 
diesen hat v. Davidoff einen gesehen und als Längsstamm be- 
schrieben. Aus dem Geflecht der durch zahlreiche Anastomosen 
miteinander verbundenen Längsstämme setzen sich dann lateral- 
wärts die Endäste fort, welche wie die Längsstämme selbst zwischen 
der Unterfläche des Muskels und dem Skelett liegen. Sie sind sehr 
zahlreich und verhalten sich zu den Mm. radiales gerade so wie 
die Nerven der Brustflosse zu diesen.“ Die innige Geflechtbildung 
der Nerven machte es für Braus unmöglich, die metameren 
Nerven bis zu ihren Enden zu verfolgen. 


Das periphere Nervensystem bei den Selachiern. 347 


Ich gehe jetzt zu meinen eigenen Untersuchungen über. 

Der Collector, von Fasern aus 11 bis 12 Segmenten gebildet, 
läuft nach der dorsalen Fläche des Beckens. Hier teilt er sich in 
einen ventralen stärkeren und einen dorsalen schwächeren Stamm. 
Jener läuft durch ein Loch nach der ventralen Flossenfläche. Die 
diazonalen Nerven varlieren in meinen Präparaten zwischen eins 
und zwei. Die neun metazonalen Nerven teilen sich innerhalb der 
jauchwand in ihre ventralen und dorsalen Äste. Jene laufen 
durch das Interstitium zwischen der Bauchwand und der Flosse, 
ziehen dann quer über dem Metapterygium durch den trunco- 
basialen Muskel und setzen sich dann in der freien Flosse zwischen 
dem Skelette und den Radialmuskeln fort. Bevor sie durch die 
trunco-basialen Muskeln verlaufen, geben sie Äste ab, welche sich 
nach der tiefen Fläche des trunco-basialen Muskels begeben. 
Diese Äste verbinden sich hier durch quere Anastomosen, welche 
in einer längsverlaufenden Linie parallel mit dem Metapterygium 
belegen sind. Diese Anastomosen bilden den Plexus postaxialis 
von braus. 

Nachdem der Collector das Loch des Beckens passiert hat, 
teilt er-sich in mediale Äste, welche eine quere Anastomose um 
den kranialen Teil des Metapterygiums bilden. Die lateralen Äste 
laufen nach den zwei ersten Radien. Die Hauptfortsetzung des 
Collectors läuft schräg nach hinten und verbindet sich mit den 
diazonalen Nerven zu dem eigentümlichen, schon von v. Davidoff 
gesehenen Flossenplexus. Durch die Essigsäure-Osmium-Methode 
tritt dieser Plexus ausgezeichnet schön hervor, und ich habe ihn 
schon bei meinen ersten Untersuchungen dargestellt. Das Charakte- 
ristische dieses Plexus, wie aus Fig. 23 hervorgeht, besteht darin, 
dass sich die Flossennerven (inkl. des den ersten begleitenden 
Colleetors) am lateralen Rande des Basale metapterygii in zwei 
oder mehrere Portionen von sehr verschiedener Mächtigkeit teilen. 
Von diesen setzt sich ein dünnerer Teil als Fortsetzung der Haupt- 
nerven längs jedes zweiten Strahles fort. Der oder die anderen 
dickeren Teiläste schlagen dagegen eine ganz andere Richtung 
ein, indem sie kaudalwärts parallel dem Basale verlaufen, um sich 
mit den nächstfolgenden Ästen zu verbinden. So kommen ein, 
zwei oder drei Längsstämme zustande, je nach der grösseren oder 
kleineren Aufsplitterung der Hauptäste. Von den Längsstämmen 
gehen in den Zwischenräumen zwischen den Hauptfortsetzungen 


345 Erik Müller: 


der Flossennerven neue Äste ab, welche längs der ungeraden 
Strahlen verlaufen, sich hierbei verästeln und sich durch Anasto- 
mosen mit den nächsten Hauptnerven verbinden. In der Becken- 
flosse von Acanthias kommt also ein sehr regelmässiges Flechtwerk 
zustande. Medial im Gebiete des Basale verlaufen die Flossen- 
nerven sehr regelmässig im allgemeinen parallel miteinander. Dann 
folgt eine Mittelzone, welche durch die Anwesenheit der Längs- 
stämme charakterisiert ist, lateralwärts folgt endlich eine Zone, 
wo die Nerven parallel mit den Strahlen verlaufen. 

Was die Nerven der Beckenflosse also besonders charakte- 
risiert, sind die mächtigen, parallel mit dem Basale metapterygi 
verlaufenden Anastomosen. Eine nähere Untersuchung, besonders 
von aufgeklärten Präparaten, lehrt nun, dass eine solche Anasto- 
mose mit Leichtigkeit über drei oder vier Nervengebiete verfolgt 
werden kann, d. h. sich mindestens über sechs oder acht Radial- 
muskeln verteilt. Eine Ausnahme hiervon machen nur die letzten 
Flossennerven, welche sehr schwach ausgebildet sind. 

Wie aus dem Vorhergehenden deutlich wird, stimmen meine 
Befunde mit denjenigen von v. Davidoff und Braus überein. 
Zu dem, was besonders Braus gesehen hat, habe ich nichts 
hinzuzufügen. Auf die Einzelheiten werde ich nicht weiter 
eingehen. 

Ich komme nun aber zu dem wichtigsten Punkte in bezug 
auf die Nerven der Bauchflosse, nämlich dem Vergleiche mit den 
Nerven der Brustflosse. Eben um diesen Vergleich ausführen zu 
können, habe ich mich mit der Bauchflosse beschäftigt. v. Davidoff 
hat nichts über die Nervenverhältnisse der Brustflosse mitgeteilt 
und also keinen Vergleich ausführen können. Braus dagegen 
äussert sich ausführlich über den Vergleich der Nerven in der 
Brust- und Bauchflosse. „Der Nervenbefund an der Beckentlosse“, 
so schreibt er, „erinnert inallen Einzelheiten!) an die Befunde 
bei der Brustflosse, zeigt aber überall, dass eine höhere Stufe 
der Entwicklung erreicht ist. Die Nervengeflechte haben sich 
allenthalben zu Längsstämmen verdichtet, auch an Stellen, an 
welchen bei der Brustflosse solche nicht vorkommen, und sind 
da, wo sie auch bei der Brustflosse vorhanden sind, den extremen 
Fällen an Ausdehnung gleich. Ausserdem ist die Teilung in 
ventrale und dorsale Äste für die beiden Hauptmuskeln bei der 


!) Gesperrt von mir. 


Das periphere Nervensystem bei den Selachiern. 349 


Beckentlosse eine gleichmässige bei allen Nerven, wie es nur bei 
wenigen an der Brustflosse der Fall ist.“ 

Der Vergleich, den ich mit meinen Präparaten ausgeführt 
habe, ist ganz anders ausgefallen als der obenstehende. Zuerst 
muss bemerkt werden, dass sich alle Brustnerven regelmässig in 
ventrale und dorsale Äste teilen. Hierin besteht eine vollständige 
Übereinstimmung zwischen den Nerven der Brust- und Bauch- 
flosse. Weiter ist es nicht abzuleugnen, dass eine allgemeine 
Ähnlichkeit zwischen der Nervenanordnung in den beiden ver- 
schiedenen Flossen vorhanden ist. Diese besteht in dem regel- 
mässigen Verlaufe der ventralen und dorsalen Nerven über dem 
Basale metapterygii, sowie in der regelmässigen Verteilung ihrer 
Endäste an den Radien. Es existiert aber ein bedeutender und 
prinzipieller Unterschied zwischen den Brustflossennerven und den 
Beckenflossennerven, welcher Braus ganz entgangen zu sein 
scheint. Dieser Unterschied besteht darin, dass die für die Bauch- 
tlosse charakteristische Längskette von Anastomosen, welche lateral 
von dem Basale metapterygii gelegen und von Braus Plexus 
präaxialis genannt worden ist, absolut nichts Entsprechendes in 
der Brustflosse besitzt. Es findet sich hier keine Spur von einer 
solchen Anastomosenkette. Um davon überzeugt zu werden, 
braucht man nur Fig. 33—37 meiner Arbeit über die Brustflosse 
der Selachier oder Fig. 12 dieser Arbeit, welche alle die Brust- 
tlossennerven darstellen, mit Fig. 27 dieser Arbeit, welche die 
Bauchflossennerven darstellt, zu vergleichen. Man kann auch den 
oben erwähnten Unterschied so ausdrücken: Anastomosen, welche 
sich über drei oder vier Nerven ausbreiten, sind nicht in der 
Brustflosse zu finden, während sie konstant in der Beckentlosse 
vorhanden sind und eine ganz konstante Lage zu den Skelett- 
teilen einnehmen, wodurch die zuerst von v. Davidoff entdeckte 
Längsstammbildung zustande kommt. Natürlich resultiert hieraus 
eine ganz verschiedene Innervationsweise der Muskeln in der 
Bauchflosse. 

Der genannte Unterschied zwischen den Nerven der Brust- 
und Bauchflosse wird noch mehr hervortreten, wenn man die 
Entwicklung der Nerven kennen gelernt hat. Dann wird es auch 
verständlich werden, worin der bedeutende Unterschied näher 
begründet ist. 


350 Erik Müller: 


Im vorhergehenden habe ich eine vollständig anatomische 
Beschreibung der Flossennerven bei Acanthias und Raja gegeben, 
aus der sich die Grösse der Innervationsgebiete auch feststellen 
lässt. Ich komme nun auf eine Beurteilung der neuesten Unter- 
suchungen von Braus zurück. Auf die zahlreichen Meinungs- 
verschiedenheiten, zu denen unsere Untersuchungen geführt haben, 
werde ich hier nicht eingehen, da Braus in seiner letzten Mit- 
teilung auf die meisten von meinen gegen ihn gerichteten Be- 
merkungen nicht eingegangen ist. Ich will nur hervorheben, dass 
die ursprüngliche „Kontroverse“ gar nicht nur die Frage über 
die Polyneurie der Muskeln betraf. Über diese Frage hatte ich 
mich in meiner ersten Mitteilung sehr wenig und nur nebenbei 
geäussert. Meine Hauptbemerkung gegen die Arbeit von Braus 
galt seiner Darstellung über die Anatomie der grossen Flossen- 
nerven und richtete sich gegen seine vollständig irrtümlichen und 
missverständlichen Darstellungen von der Auflösung der Haupt- 
nerven in unregelmässige Geflechte und von dem Vorhandensein 
eines prä- und postaxialen Plexus in der Brustflosse, welche 
homolog mit den v. Davidoffschen Längsstämmen in der Bauch- 
flosse wären. Braus hat nicht einmal versucht, diese Kritik zu 
widerlegen. 

In seiner letzten Abhandlung über diesen Gegenstand schreibt 
nun Braus: „Während Goodrich die Nervengeflechte der 
Squaliden nicht bestritt, sondern den motorischen Charakter dieser 
Nerven leugnete, hat E. Müller (1909) überhaupt die Existenz 
der von mir früher (1892—1900) gefundenen Nerven in Abrede 
gestellt. Er hat sie weder bei Acanthias noch bei Raja entdecken 
können. Ich habe sie aber bei Raja geradeso einwandfrei gefunden 
wie früher bei Acanthias.“ Hiergegen muss ich folgendes be- 
merken. Dass die Nerven innerhalb der Brustflosse bei Acanthias 
überhaupt Geflechte bilden, habe ich niemals bestritten. Was ich 
aber fortwährend auf das kräftigste bestreite, ist, dass die Geflechte 
so aussehen, wie sie Braus in seiner Ceratodus-Arbeit beschrieben 
und abgebildet hat. Die Nervengeflechte, die ich in Abrede ge- 
stellt habe, sind von Braus in Textfig. 15b auf der Seite 196 
des oben erwähnten Werkes abgebildet. Ich stelle nun folgende 
direkte Frage an Braus: „Entsprechen die in der genannten 
Figur gezeichneten Plexus prä- und postaxialis dem wirklichen 
Zustande der Nerven in der Brustflosse bei Acanthias vulgaris?“ — 


Das periphere Nervensystem bei den Selachiern. 351 


Die Antwort hierauf kann nur ein absolutes Nein werden. Denn 
für jeden unbefangenen Forscher, der diese Nerven untersuchen 
will, — und ich stelle meine Präparate sofort zu seiner Ver- 
fügung — wird es klar sein, dass das oben erwähnte Bild der 
Brustflossennerven von Acanthias — und dieses Bild enthält die 
Hauptsumme der Brausschen Beobachtungen — ein Phantasie- 
produkt von ihm ist, welches gerade eine Umkehrung der faktisch 
bestehenden Verhältnisse bei den Nerven darstellt. 

Was nun die Polyneurie der Muskeln betrifft, so halte ich 
auch die neuesten Untersuchungen von Braus für unrichtig. Die 
Innervationsgebiete in der Brustflosse sind nicht so gross, wie sie 
Braus nach seinen Reizungsversuchen darstellt. Es besteht ein 
bestimmter Unterschied zwischen den Innervationsgebieten an den 
Enden und in der Mitte der Brustflosse. Es besteht weiter ein 
bedeutender Unterschied zwischen den Nerven der Brust- und 
denjenigen der Bauchflosse. Alles dies sind fundamentale Ein- 
richtungen; und doch scheint es Braus nicht beobachtet zu haben. 
Kommende Untersuchungen müssen entscheiden, wer von uns recht 
hat. Nur so viel muss gesagt werden, dass ich auch nach seinen 
letzten Untersuchungen an der Richtigkeit meiner Reizversuche 
bei Acanthias wie bei Raja festhalte. 

Indessen kann ich nicht unterlassen, auf die letzten ana- 
tomischen Untersuchungen von Braus ‘etwas näher einzugehen. 
In seiner Ceratodus-Arbeit von 1901 lässt Braus die grossen 
vorher metameren Nerven in der Flosse ihre Metamerie verlieren 
und sich in unregelmässige Geflechte auflösen. In seiner letzten 
Schrift hegt er eine ganz andere Auffassung, teilt aber kein Wort 
über seinen veränderten Standpunkt mit. Die grossen Haupt- 
nerven werden nun in ihrer richtigen Lage und Anordnung be- 
schrieben und lösen sich nicht in unregelmässige Geflechte auf. 
Die bedeutende Polyneurie der Muskeln, die nach seiner Meinung 
besteht, soll nun zustande kommen durch feinere Geflechte, welche 
basal innerhalb der Muskeln, mehr distalwärts in derselben Höhe 
wie die Hauptflossennerven gelegen sein sollen. Durch diese 
Geflechte sollte ein Spinalnerv seine Fasern über sieben Radial- 
muskeln verteilen. Leider kann ich auch dieser neuen Brausschen 
Auffassung der betreffenden Nerven nicht zustimmen. 

Es muss zuerst bemerkt werden, dass Braus selbst zu- 
gesteht, dass er bei Raja durch Präparation nicht feststellen 


352 Erik Müller: 


konnte, wie weit sich die letzten Verästelungen eines Spinal- 
nerven durch die Geflechte verbreiten. Einen anatomischen Be- 
weis, dass ein Flossennerv bei Raja sich über sechs oder sieben 
Muskeln verteile, hat er also nicht bringen können. Nun lässt 
es sich durch meine Untersuchungen direkt zeigen, dass eine 
solche Verteilung der Nervenfasern eines Flossennerven nicht 
existiert. 

Die Textfig. 6A in Braus’ letzter Arbeit enthält drei 
Hauptflossennerven nebst einigen von diesen abgehenden Ästen 
und einem innerhalb der Muskeln gelegenen, feinen Nervengeflechte, 
durch welches die Polyneurie zustande kommen soll. Dieses letztere 
Geflecht dokumentiert sich nun als das typische intramuskuläre 
Nervengeflecht der Radialmuskeln. Ihre Lage innerhalb der 
Muskeln, ihr Bau von regelmässigen, rektangulären Maschen be- 
weist dies. Nun lehrt aber besonders die entwicklungsgeschichtliche 
Untersuchung, dass diese intramuskulären Geflechte die Grenzen 
der besonderen Radialmuskeln nicht überschreiten, während das 
Ausbreiten eines Flossennerven über mehrere Muskeln immer durch 
das tiefe Grundgeflecht stattfindet. Eine Verteilung der Nerven- 
fasern eines Flossennerven über sechs bis sieben Radialmuskeln 
durch die von Braus in seiner Textfig. 6 A gezeichneten Ge- 
flechte ist also vollständig ausgeschlossen. 

Das zweite Geflecht von Raja, welches nach der Meinung 
von Braus die Verteilung eines Flossennerven über sechs oder 
sieben Muskeln bewirken soll, ist in seiner Textfig. 7 dargestellt. 
Dies Geflecht entspricht nun ganz den von mir in den Fig. 25 
und 26 dargestellten Bildern von den Nerven in der Raja-Brust- 
flosse. Nun lässt sich aus diesen Bildern direkt ablesen, dass 
sich die Fasern eines Flossennerven nicht über mehr als drei 
Muskeln verteilen. Zwar sind die Muskeln nicht in die Figuren 
eingezeichnet. Die Strahlen sind aber deutlich, und jeder Strahl 
trägt einen Radialmuskel. Man betrachte nun Fig. 25. Diese 
Figur enthält acht Strahlen und entspricht also ebenso vielen 
Muskeln. Nun sollte der dritte, mit N? bezeichnete, in zwei Äste 
gespaltene Nerv seine Äste über sechs oder sieben Strahlen ver- 
teilen. Dies ist jedoch, schon nach der Natur des Geflechtes zu 
urteilen, nicht möglich. Wenn man sich aber die Mühe macht, 
mit stärkeren Vergrösserungen die Fasern des in Kanadabalsam 
eingeschlossenen Präparates zu verfolgen, so kann man direkt 


Das periphere Nervensystem bei den Selachiern. 355 


beobachten, dass sich die Fasern eines Flossennerven nur über 
drei oder höchstens vier Radialmuskeln verteilen. 

Ich konstatiere also, dass die anatomischen Untersuchungen, 
welche Braus selbst ausgeführt hat, nicht die Resultate seiner 
physiologischen Reizversuche bestätigt haben. Dagegen stimmen 
die Resultate der anatomischen Untersuchungen sehr gut mit den 
von Goodrich und mir erhaltenen Befunden überein, nach denen 
sich bei Raja im allgemeinen drei Muskeln bei der Reizung eines 
Flossennerven zusammenziehen. 


Wenn wir nun die dargestellten Befunde übersehen, so haben 
wir verschiedene Geflechtbildungen der Nerven gefunden, welche 
im einzelnen einander ziemlich unähnlich sind. Am einfachsten 
ist die Anordnung der Flossennerven bei Raja. Sowohl in der 
Brustflosse wie in der Bauchflosse verlaufen die Flossennerven 
sehr regelmässig. Die metameren Nerven tauschen nur wenig 
Fasern untereinander aus. Der Geflechtcharakter kommt vor 
allem zustande dadurch, dass die grösseren Flossennerven zu den 
zwischenliegenden Radialmuskeln Nervenäste absenden, welche sich 
miteinander zu den Nn. intermittentes verbinden.- Der grössere 
mittlere Teil der Brustflosse bei Acanthias zeigt dieselbe regel- 
mässige Anordnung, Verlauf und Verteilung der Nerven wie bei 
Raja. Nach dem kranialen und kaudalen Ende wird das Ver- 
hältnis etwas anders, insoweit als sich hier die Nerven über grössere 
Strecken verteilen. Die Nerven-Anordnung in der Bauchtlosse von 
Acanthias zeigt wieder einen ganz anderen Typus. Hier kommt 
Jateral von dem Basale eine mächtige Anastomosenbildung zustande, 
deren eigentliches Wesen darin besteht, dass nur eine kleinere An- 
zahl der Fasern der metameren Flossennerven auf ihrem Platze 
längs ihres Radialmuskels zurückbleibt, während der grösste Teil 
der Fasern längs der oben genannten Anastomosenbrücke sich in die 
kaudalwärts folgenden Muskeln verteilt. Schliesslich verdient es 
unter Hinweisung auf Fig. 58, welche die Nerven der ersten 
Rückentlosse bei Acanthias darstellt, hervorgehoben zu werden, dass 
in den unpaarigen Flossen Geflechte vorhanden sind, welche ganz 
unregelmässig und verschieden von den vorher beschriebenen sind. 

Wie nun die verschiedenen Zustände zueinander sich ver- 
halten, wird aus deren Entwicklung hervorgehen. 


354 Erik Müller: 


Die Entwicklung der Nerven der paarigen Flossen. 


Eine atısführliche Besprechung der Literatur über die Ent- 
wicklung der Flossenmuskeln habe ich in meiner vorigen Ab- 
handlung geliefert, auf welche ich deswegen hinweise. Die 
wichtigste Angabe über die Entwicklung der Flossennerven stammt 
von Mollier, der gezeigt hat, dass sich die Hauptnerven längs 
der proximalen Knospen entwickeln. Die distalen Knospen jedes 
Paares sind am Anfang ohne Nerven; wie deren Innervation zu- 
stande kommt, lässt Mollier unentschieden. Ich habe dann 
vermittels Rekonstruktionen der Flossenmuskeln und -nerven die 
Mollierschen Befunde bestätigt und erweitert. Es wurde ge- 
zeigt, dass die Regelmässigkeit, die bei den entwickelten Brust- 
tlossen vorhanden ist, eben darum zustande kommt, weil sich bei 
den Embryonen von 18—27 mm Länge die Nerven längs der 
tiefen Fläche der kranialen oder ungeraden Knospen jedes Paares 
entwickeln. Die geraden Myotomknospen, entsprechend den kau- 
dalen Knospen jedes Paares, bekommen ihre Nerven erst bei den 
Embryonen von 27—30 mm Länge, indem in diesen Stadien feine 
Nervenäste gefunden werden, welche unter spitzen Winkeln von 
den groben Hauptstämmen ausgingen und sich in den nächst- 
liegenden kranialen und kaudalen Knospen resp. Radialmuskeln 
verteilten. 

Die Präparate, mit der Bielschowskyschen Methode 
gewonnen, bestätigen nun auf die deutlichste Weise die so ge- 
wonnenen Erfahrungen. Dies sieht man aus den Fig. 30, 31, 
32 und 33, welche vier verschiedene Stadien der Flossennerven von 
vier Embryonen von resp. 20, 23, 27 und 40 mm Länge darstellen. 
Dazu kommt, dass die Bielschowsky-Präparate viel schärfer 
und vollständiger die Nerven darstellen, wodurch es möglich wird, 
ihre Entstehung zu erforschen. 

In dem ersten Stadium (Embryo 20 mm, Fig. 30), wo die 
Myotomknospen entweder noch mit den Myotomen zusammen- 
hängen oder soeben von diesen abgeschnürt sind, sieht man fünf 
Flossennerven, die von den Spinalnerven entspringen und kranial- 
wärts von seinem zugehörigen Myotom zu den proximalen von 
den beiden Myotomknospen verlaufen. Hier endigen sie als feine, 
spitzig auslaufende Äste an der Basis der betreffenden Knospe. 
In dem folgenden Stadium (Embryo 23 mm, Fig. 31) sind die 
Knospen vollständig abgeschnürt und strecken sich als lange, 


Das periphere Nervensystem bei den Selachiern. 355 


keulenförmige Bildungen bis zu dem Rande der Flosse. Die 
Nerven sind als feine, schmale Stämme bis zu der Mitte der 
Knospen zu verfolgen. In dem folgenden Stadium (Embryo 27 mm, 
Fig. 32) sind gewisse von den Nerven bis zu den Knospenenden 
verfolgbar, andere endigen in den äusseren Teilen der Knospen. 
Bei einem Embryo von 30 mm reichen die Stämme alle bis zu 
dem Flossenrande. 

Es ist durch den Vergleich dieser Bilder deutlich, dass ein 
wirkliches Heranwachsen der Hauptnerven in der Flosse zusammen 
mit den Muskelanlagen stattfindet. Ursprünglich, wenn die Knospen 
eben gebildet sind, ist die Flosse nervenfrei oder besitzt wenigstens 
keine durch die Bielschowsky-Methode darstellbaren Nerven. 
Dann schreitet die Nervenbildung von der Basis der Extremität 
nach der Peripherie, wie die demonstrierten Bilder ja sofort zeigen. 
Man könnte denken, dass der Vorgang so vor sich geht, dass ein 
ursprünglicher Zusammenhang zwischen den Nerven und den 
Myotomknospen vorhanden ist, und dass die Nerven im Zusammen- 
hange mit dem Auswachsen der Myotome gleichzeitig passiv in 
die Länge gezogen würden. Dies ist aber nicht der Fall. Es 
gibt ein Anfangsstadium, wo die Flossenanlagen keine Nerven 
enthalten, und schliesslich ein Endstadium, wo die Nerven sich 
frei über die Myotome hinaus erstrecken und sich in dem Flossen- 
saume verästeln. Folglich müssen die Nerven wirklich hervor- 
wachsen. In welcher Art und Weise dieses Hervorwachsen 
geschieht, ist eben der springende Punkt der Lehre von der 
Nervenentwicklung. Um dies vom histologischen Gesichtspunkte 
aus beantworten zu können, ist ein Eingehen auf die feineren 
Strukturverhältnisse notwendig. 

Das Aussehen der Nerven variiert. Man findet Bilder (Fig. 34 
und 35), wo der Nerv kompakt und homogen schwarz ist, nur 
hier und da beobachtet man eine fibrilläre Streifung. An einer 
anderen Stelle des Präparates besteht der Nerv aus streifigen 
Bündeln, welche sich peripheriewärts wieder zu einem kompakten 
Stamm verbinden (Fig. 36 und 37). Von dem Stamme gehen 
Äste ab von gröberem und feinerem Kaliber. Dünnere Schnitte 
durch den Nerv lehren nun, dass ein solcher aus einer Menge 
feiner Fasern besteht von derselben Art, wie die eben genannten 
feineren Äste. Ihr gegenseitiges Verhalten innerhalb eines Nerven- 
stammes ist nicht leicht klarzulegen. Dass sie sich teilen und 


356 Erik Müller: 


verflechten, ist deutlich, ob sie sich gegen die Peripherie wieder 
miteinander netzförmig verbinden, ist sehr schwierig darzulegen, 
weil die Verbindungen dadurch hervorgerufen werden können, 
dass sich die Fasern sehr dicht aneinanderlegen und vielleicht 
agglutinieren, ohne direkt zusammenzuschmelzen. 

Von grösstem Interesse ist nun, zu erfahren, wie die Nerven 
endigen. Die Enden lassen sich in dicken Schnitten (15 «) leicht 
beobachten, wenn man Stellen aufsucht, wo man durch verschiedene 
Einstellung konstatieren kann, dass die Nervenenden innerhalb 
des Schnittes gelegen sind (Fig. 34—40). Man findet nun ziemlich 
wechselnde Bilder. Die groben Nerven resp. deren gröbere Äste 
endigen, wie die Fig. 35 und 36 zeigen, mit keulenförmigen 
Anschwellungen, mit allmählich auslaufenden Spitzen (Fig 34, 38) 
oder mit geweihartigen Verästelungen (Fig. 38, 39) von knoten- 
artig aussehenden Ästen. Die feineren Fäden endigen mit runden 
oder langgestreckten Keulen, von denen oft noch feinere Fäserchen 
abgehen (Fig. 39, 40). Sehr oft findet man eine kleine dreieckige, 
langgestreckte Anschwellung, von deren kurzer Seite feine Fäser- 
chen ausgehen. Es muss bemerkt werden, dass diese Endkeulen 
mit der Bielschowskyschen Methode schwieriger darstelibar sind 
als die gewöhnlichen Nervenfasern. Sie fordern eine energischere 
Silberbehandlung durch Wärme oder stärkere Konzentration der 
Lösung als die Fasern. Man kann, darum leicht beobachten, wie 
sich eine schwarze Faser in eine solche ungefärbte fortsetzt, und 
hier und da kann man direkt sehen, wie sich eine gefärbte Faser 
in eine ungefärbte Keule fortsetzt. Es ist ohne weiteres klar, 
dass die eben beschriebenen Nervenenden die Wachstumskeulen 
sind, welche zuerst von Cajal entdeckt, später von Harrison 
im überlebenden Zustande beobachtet worden sind. 

Dass Paton die Wachstumskeulen in seinen Präparaten 
nicht gefärbt bekommen hat, beruht nach meiner Meinung darauf, 
dass er bei seiner Anwendung der Bielschowskyschen Methode 
eine zu schwache Silberlösung gebraucht hat. 

An anderen Stellen ist das Bild sehr verschieden (Fig. 41, 42). 
Man sieht hier, wie sich die Flossennerven in ausserordentlich 
feine, körnige Fäserchen fortsetzen, welche direkt in der Peripherie 
der Myotome gelegen sind. Diese Bilder, welche gar nicht spärlich 
sind, sind von grossem Interesse. Sie sind sehr schwierig zu 
deuten. Ob diese Nervenfäserchen in loco entstanden oder ob 


Das periphere Nervensystem bei den Selachiern. 557 


sie durch Hervorwachsen gebildet sind, lässt sich nicht entscheiden. 
Gründe sowohl für die eine wie für die andere Entstehungsweise 
können angeführt werden. Für eine bestimmte Entscheidung 
ist also die Methode nicht zureichend. 

Man fragt sich nun, von welcher Art die feinen Fasern oder 
Fäserchen sind, welche teils die Nerven zusammensetzen, teils 
als freie Äste von ihnen abgehen. Haben sie den Wert von 
Nervenfasern oder Neurofibrillen? In der Literatur ist diese Frage 
faktisch verschieden beantwortet. Nach Cajal bestehen die aus- 
wachsenden Nerven aus deutlich voneinander geschiedenen Axonen. 
„Au debut, c’est a dire du deuxieme au troisieme jour de l’inculation 
chez le poulet, les eylindres-axes sont d’une minceur extr&me: ils 
sont tres rapproches les uns des autres en faisceaux.“ In den 
meisten Figuren des Hauptwerkes (8) von Cajal sieht man auch die 
Axonen als distinkte, homogene, schwarz gefärbte Fasern. Nach 
Vergleichung meiner Bilder mit denjenigen von Cajal nehme ich 
an, dass Cajaldie schwarzen Fasern, welche in meinen Präparaten 
teils für sich durch die Gewebe verlaufen, teils in den Nerven- 
stämmen vorhanden sind, als Axonen beurteilen sollte. 

Eine wesentlich andere Auffassung und Nomenklatur hat 
Held. Die sich entwickelnden Nerven bestehen aus Zügen von 
Neurofibrillen. Dieselbe Ansicht hegt Paton. Die schwarz 
gefärbten Fasern resp. Fäserchen in seinen Präparaten, welche 
vollständig identisch mit den von mir soeben beschriebenen Fasern 
sind, werden als Neurofibrillen aufgefasst und beschrieben. Gegen 
Helds Auffassung hat M. Heidenhain einen wichtigen Ein- 
wand gerichtet. Unter Hervorhebung, dass die Neurofibrillen 
ausnahmslos „Teile oder Differenzierungen innerhalb von Achsen- 
fasern“ sind, und dass die letzteren so fein sein können, dass sie 
an der Grenze der Wahrnehmbarkeit stehen, wozu weiter kommt, 
dass Held nicht gezeigt hat, wie die definitiven Achsenfasern 
aus diesen Neurofibrillen entstehen, meint Heidenhain, dass 
jede Neurofibrille in den Heldschen Präparaten einer Achsen- 
faser entspricht und als solche erkannt und benannt werden soll. 

Wenn man zu dem Hauptwerke über die Neurofibrillen von 
Apathy geht, so findet man aus seinen Darlegungen, dass die 
Neurofibrillen weder in dem Kaliber noch in ihrer Verästelung 
etwas Charakteristisches zeigen. Sie können von sehr verschiedenem 


Kaliber sein, sie können sich aufspalten in Elementarfibrillen, und 
Archiv f. mikr. Anat. Bd.8i. Abt.l. 24 


358 Erik Müller: 


diese können sich wieder zu Primitivfibrillen verbinden. In bezug 
auf das Kaliber und die Verästelungsweise ist es also nicht möglich, 
Nervenfasern und Neurofibrillen zu unterscheiden. Der einzige 
wirkliche Unterschied zwischen Nervenfaser und Neurofibrille ist 
der, dass die Neurofibrille, wenn sie allein oder zu mehreren auf- 
tritt, stets in eine Interfibrillärsubstanz eingebettet ist. Da nun 
in meinen Präparaten die schwarz gefärbten Fäserchen in den 
meisten Fällen nicht in eine solchen Substanz eingebettet sind, 
so halte ich es nicht für richtig, sie für Neurofibrillen zu be- 
urteilen und so zu benennen. Zu demselben Resultate kommt 
man, wenn man das Verhältnis der oben beschriebenen Fasern 
zu den Nervenzellen im Rückenmarke untersucht. Dann findet 
man innerhalb der Zellkörper ein Gerüstwerk von feinen schwarz 
gefärbten Fibrillen, welche zusammenlaufend die Faser bilden, 
die von der Zelle kommend nach der Peripherie verläuft. Hieraus 
folgt ja ohne weiteres, dass die oben beschriebenen Fasern, auch 
wenn sie sehr dünn sind, nicht mit den interzellulären Neuro- 
fibrillen identisch sind. 

Andererseits finde ich es nicht berechtigt, diese Fasern als 
Achsenzylinder oder Achsenfasern zu bezeichnen. Diese sind 
nämlich von wesentlich anderem Aussehen, wie die wohlgelungenen 
Bielschowsky-Präparate in späteren Stadien zeigen (Fig. 53, 54). 
Hier besteht der Nerv aus allerdings im Kaliber wechselnden, aber 
im Durchschnitte viel mächtigeren Fasern, welche sich freilich 
aufteilen und verflechten, aber niemals so verbinden oder agglu- 
tinieren, wie die Fasern in den früheren Stadien. Aus diesen 
Gründen fasse ich die erwähnten schwarzen Fasern der früheren 
Stadien als embryonale Nervenfasern auf, welche sich 
später durch Zuwachs und innere Differenzierung zu den Achsen- 
fasern umwandeln. 

Es ist nun zu untersuchen, wie sich die Nerven zu der 
Umgebung verhalten. Die Nerven folgen den Myotomen, dicht 
an sie angelagert. Die keulenförmigen Enden sowie die ihnen 
zunächst gelegenen Teile des Nerven liegen oft innerhalb des 
Myotoms (Fig. 36). Dies kann man teils durch verschiedene Ein- 
stellung, teils in Sagittalschnitten bestimmt entscheiden. Von 
den Nerven gehen oft knopf- oder keulenförmige Bildungen ab, 
welche sich in das Plasma der Myotome direkt einsenken. (Gewisse 
Nerven sind nackt und unbekleidet und liegen ganz ausserhalb 


Das periphere Nervensystem bei den Selachiern. 359 


des Myotoms (Fig. 34), wenn sie sich auch dicht an dieses an- 
schmiegen. Andere wieder sind von einer plasmatischen Hülle 
umgeben (Fig. 36 und 41), welche sich direkt in das Plasma des 
Myotoms fortsetzt. In derselben Weise verhalten sich die feinen 
Nervenfasern. Die meisten verlaufen frei zwischen den Mesen- 
chymzellen. Andere liegen in sehr intimem Connex mit den 
Mesenchymzellen, wobei es nicht immer so leicht zu entscheiden 
ist, ob die Nervenfasern nur dicht an den Mesenchymzügen oder 
innerhalb dieser selbst gelegen sind. Dass dieser letztere Fall 
inzwischen wirklich vorhanden ist, scheint mir ausser Zweifel. 
Auf Grund der später zu berichtenden experimentellen Unter- 
suchungen deute ich die Bilder so, dass die nackten Nerven und 
Fasern den Primärzustand darstellen, und dass die Nerven später 
eine plasmatische Hülle von der Umgebung erhalten. 

Während in der beschriebenen Weise die grossen Flossen- 
nerven entstanden sind, haben die feineren Äste schon angefangen, 
sich zu entwickeln. Ziemlich früh entstehen die starken kranialen 
und kaudalen Anastomosen in der Basis der Flosse. Dann folgen 
die feineren Anastomosen und die Äste zu den geraden, ur- 
sprünglich nervenfreien Knospen. Von den groben Flossennerven 
gehen unter rechtem oder schrägem Winkel feine Äste ab, welche 
in kürzerer oder weiterer Entfernung mit den charakteristischen 
Keulen endigen (Fig. 39). Neben diesen kann man ähnliche feine 
Fasern zu einer Knospe verfolgen. Hier teilen sie sich, und die 
so entstandene Teilungsgabel umfasst einen von den von mir vorher 
beschriebenen Basalkegeln, welche in der Peripherie des Myotoms 
gelegen sind (Fig. 43, 44 und 45). Die auswachsenden feinen 
Fasern, welche sehr oft eine deutliche, körnige Struktur (Fig. 46) 
zeigen, legen sich bald dicht aneinander (Fig. 46 und 47), so dass 
es unmöglich ist, zu entscheiden, ob ein wirkliches Netz oder nur 
ein Geflecht vorhanden ist. Die weiteren Veränderungen bestehen 
darin, dass eine ursprünglich einfache Faser (Fig. 44 und 45) 
sich zu einem Nervenbündel von mehreren solchen entwickelt 
(Fig. 48 und 49). Der Übergang eines solchen in den Radial- 
muskel vermittelt immer eine kegelförmige Bildung mit der Basis 
nach dem Muskel und der Spitze in dem Bündel (Fig. 48, 49, K). 
Innerhalb dieser kegelförmigen Ansatzstelle verteilen sich die 
Nervenfasern längs der Peripherie des Radialmuskels. Von den 


besonderen Ansatzkegeln kommend, begegnen sich die Fasern 
24° 


360 Erik Müller: 


und verflechten sich untereinander in der kompliziertesten Weise. 
So kommen die perimuskulären Nervengeflechte zustande, von 
denen Bruchstücke in den Fig. 50, 51, 52 dargestellt sind. Es gilt 
hier dasselbe, was für die Struktur der groben Nerven gesagt ist. 
Man kann nicht die besonderen Fasern individuell verfolgen. Sie 
teilen sich, und die Teiläste legen sich so dicht aneinander, dass es 
nicht möglich ist, zu entscheiden, ob eine wirkliche Verschmelzung, 
d. h. Netzbildung, oder nur eine Agglutination zustande kommt. 

Der soeben beschriebene Entwicklungsprozess, welcher mit 
dem Auswachsen der feinen Fäserchen anfängt und mit der Aus- 
bildung der perimuskulären Geflechte endigt, nimmt eine lange 
Zeit in Anspruch. Er fängt bei Embryonen von ca. 23 mm an 
und ist fertig bei solchen von 40 mm Länge. Es ist nun ein 
Zustand erreicht, wie er in Fig. 33 dargestellt ist, und welcher 
die Flossennerven und -muskeln, von der tiefen Fläche gesehen, 
bei einem Embryo von 40 mm Länge zeigt. Die Radialmuskeln 
haben die Form von langen, schmalen, von Seite zu Seite ab- 
geplatteten Streifen. Die Hauptnerven zeigen die typische, von 
mir vorher beschriebene Anordnung. Die starken Flossennerven, 
welche eine direkte Fortsetzung der metameren Spinalnerven 
bilden, folgen ganz regelmässig der tiefen Fläche der ungeraden 
Flossenradialmuskeln und laufen dann in dem Flossensaume unter 
reichlicher, spitzwinkliger Verästelung aus. Unter spitzen oder 
rechten Winkeln gehen von diesen Hauptstämmen eine Menge 
von feinen Ästen ab, welche zu den nächstliegenden geraden 
Radialmuskeln verlaufen. Hier verbinden sie sich und bilden die 
perimuskulären Geflechte. In diesen treten die von mir so- 
genannten Rami intermittentes hervor. Sie sind vorhanden in 
der Form von sehr dünnen Nerven, welche den tiefen Flächen 
der geraden Radialmuskeln folgen. Weiter sind die groben 
kranialen und kaudalen Basalanastomosen vorhanden. Daneben 
auch die einfachen Kettenanastomosen, welche von dem einen 
Hauptnerv nach dem anderen verlaufen. Eine nähere Unter- 
suchung mit stärkerer Vergrösserung lässt auch eine Menge feinerer 
Geflechte erkennen, welche teils in derselben Höhe wie die vorher 
beschriebenen Nerven, teils um die Radialmuskeln als perimus- 
kuläre Nervengeflechte gelegen sind. 

Der Zustand, welcher in Fig. 33 dargestellt ist, entspricht 
nun der bleibenden Anordnung. Es handelt sich hier um eine 


Das periphere Nervensystem bei den Selachiern. 561 


typische metamere Geflechtbildung, wie ich sie vorher 
im entwickelten Zustande beschrieben habe. Die Bielschowsky- 
Präparate haben den Vorteil, dass man die verschiedenen Fasern 
wohl verfolgen kann. Ich habe mich nun durch genaue Unter- 
suchung einer Menge von Präparaten überzeugt, dass in der Mitte 
der Flosse nur einfache Kettenanastomosen zu finden sind, d.h. 
Fasern, welche nur von dem einen Nerven nach einem anderen 
verlaufen, während sich die Nerven nach den beiden Enden über 
mehrere Segmente verteilen. Hier finden wir also eine voll- 
ständige Bestätigung der Befunde, welche mit der Essigsäure- 
Osmium-Methode gewonnen sind. 

Die nächsten Entwicklungsprozesse bestehen teils in einem 
Zuwachs der gebildeten Organe, teils in einer Entstehung der 
intramuskulären Nervengeflechte.e In Fig. 53 sieht man den 
kranialen Teil des Grundgeflechtes der Brustflosse bei einem 
Fötus von 9 cm Länge. Man sieht hier Teile vom 2., 3., 4. und 
5. Flossennerven. Ihre Fasern laufen in der Richtung der Nerven, 
nur feinere Äste werden abgegeben. Eine Ausnahme bildet der 
3. Flossennerv, welcher in bedeutender Ausstreckung seine Fasern 
innerhalb des Gebietes des 4. Flossennerven verteilt. Das Bild 
stimmt vollkommen mit Fig. 33 meiner Abhandlung „Die Brust- 
flosse der Selachier“ überein, wo dieselbe Nervenverteilung bei 
einem Essigsäure-Osmium-Präparat dargestellt ist. 

Während dieser Zeit, d. h. der Entwicklungsperiode von 
4 cm bis 9 em, entwickeln sich nun auch die intramuskulären 
Nerven (Fig. 54, 55). Die vorher kompakten Radialmuskeln 
spalten sich in Bündel auf, von Maurer Muskelbänder genannt. 
Von den perimuskulären Geflechten gehen nun feine Fasern unter 
rechtem Winkel ab. Ursprünglich (bei 40 mm-Embryonen) einzeln 
vorhanden, vermehren sie sich, verbinden sich miteinander und 
bilden Geflechte zwischen den Bündeln, wie die Fig. 54 und 55 
zeigen. Auf die Einzelheiten der Bildung dieser intramuskulären 
Geflechte werde ich nicht eingehen, da diese sich wie bei der 
Bildung der vorher beschriebenen Nerven gestalten. 


Der Prozess, durch den sich eine motorische Nervenfaser 
von ihrer oder ihren Ursprungszellen im Zentralorgan bis zum 
Ende in der Muskelfaser entwickelt, ist also sowohl in zeitlicher 


362 Erik’Müller: 


wie in räumlicher Hinsicht sehr kompliziert. Wenn wir z. B. die 
Entwicklungsgeschichte einer solchen Faser, welche in einem 
Flossen-Radialmuskel endigt, betrachten, so fängt die Erscheinung 
wohl ungefähr bei einem Embryo von 5 mm an, wenn die ersten 
Neuroblasten auszuwachsen beginnen. Der bleibende Zustand ist 
erst bei einem Fötus von mehr als 10 cm Körperlänge erreicht. 
Wann der definitive Zustand erreicht wird, kann ich nicht be- 
stimmt entscheiden, weil mein Material nicht vollständig ist. Bei 
Acanthias-Föten von 10 cm (Fig. 53 und 54), von denen ich aus- 
gezeichnete Färbungen besitze, sind die einfachen Muskelfasern 
noch nicht entstanden. Die Muskeln bestehen aus Bündeln, 
zwischen denen sich die in Bildung befindlichen intramuskulären 
(reflechte befinden. Bei Föten von 15—20 cm finde ich die aus- 
gebildeten Muskelfasern und die Nervenfasern mit Verästelungen 
endigend, wie sie von Retzius beschrieben worden sind. Für 
Acanthias entsprechen diese Entwicklungsprozesse einer Zeit von 
über 4 Monaten. In räumlicher Beziehung kann man den Prozess 
in verschiedene Abschnitte einteilen. So finden wir erst den 
motorischen Nerv an das Myotom angegliedert, ohne andere Äste 
abzugeben. Dann folgt ein Zustand, in dem die Knospen aus- 
gebildet sind und jede unpaarige von diesen ihren Nerv besitzt. 
In diesen Zuständen verhalten sich das Myotom und die Knospe 
zu ihren Nerven, wie die vollentwickelte Nervenfaser sich zu der 
Muskelfaser verhält. Nun folgt die Ausbildung der perimuskulären 
(seflechte, welche eine lange Zeit in Anspruch nimmt, und erst 
wenn jene eine reiche Entfaltung erhalten haben, dringen die 
Nerven in das Innere des Muskels, um die intramuskulären Ge- 
flechte zu bilden, aus denen schliesslich die Nervenfasern hervor- 
gehen. Es ist wohl deutlich, dass wir in diesem Entwicklungs- 
gang eine lange, historische Entwicklung sehen können. 

Die ersten Entwicklungsvorgänge in der Bauchflosse gestalten 
sich ganz wie bei der Brustflosse. Jeder Flossennerv entwickelt 
sich längs der ungeraden Myotomknospen, wie es die Fig. 1 und 2 
zeigen. Man findet hier neun bis zehn Fortsetzungen der Spinal- 
nerven, welche sich in die Flossenanlage hineinstrecken; diesen 
entsprechend sind neun bis zehn Paar Myotomknospen da; längs 
der kranialen in jedem Paare verläuft der Nerv. Jene ist mit 
einem Nerv verbunden, diese hat keinen solchen Zusammenhang. 
Es finden dann Anastomosenbildungen und Entwicklung von Nerven- 


Das periphere Nervensystem bei den Selachiern. 365 


ästen nach den ungeraden Knospen hin statt. Die grössten Ver- 
änderungen stehen aber im Zusammenhang mit der Colleetor- 
bildung. Dieser setzt sich nämlich in die Flosse fort und wächst 
gleichsam kaudalwärts, wobei er eine Portion von den Flossen- 
nerven mitnimmt, so dass eine lange, geradlinige und mächtige 
Anastomose entsteht, welche fortschreitend allmählich weiter 
kaudalwärts reicht. So kommt ein Bild zustande, wie es in den 
Fig. 56 und 57 dargestellt ist. Diese lockert sich später auf und 
nimmt das bleibende Aussehen an. Auf die Einzelheiten will ich 
nicht eingehen, hier ebensowenig wie bei der Anatomie der Bauch- 
flossennerven. Ich bitte aber, dass der Leser die Fig. 56 und 57, 
welche die Bauchflossennerven bei einem Acanthias von 4 cm 
Länge darstellen, mit Fig. 33 vergleicht, welche die Brustflossen- 
nerven in demselben Stadium darstellt. Man wird dann den- 
bedeutenden Unterschied leicht konstatieren, welcher in der An- 
ordnung und Verteilung der Nerven bei den verschiedenen Flossen 
besteht. Dazu findet man auch die Ursache der Verschiedenheit. 
Die von Braus mit den Namen Plexus prä- und postaxialis be- 
nannten Nervengeflechte sind direkte Fortsetzungen des N. collector. 
Der Hauptunterschied zwischen den Nerven der Brust- und der 
Bauchflossen besteht also darin, dass die Brustflosse dem Gebiete 
des latero-ventralen Muskels entspricht, während die Bauchtflosse 
dem Gebiete des medio-ventralen Muskels angehört. 


Die unpaarigen Flossen. 


Es liegt ausserhalb des Zieles der vorliegenden Arbeit, eine 
ausführliche Schilderung der Entstehung der Muskeln und Nerven 
dieser Körperanhänge zu geben. Nur so viel muss mitgeteilt 
werden, dass man niemals in dem Selachierkörper so unregel- 
mässige Nervengeflechte findet wie eben hier. Schon Fig. 58, 
welche die Rückentlosse von einem 4 cm langen Acanthias-Fötus 
darstellt, zeigt dies. Man sieht hier die schon von P. Mayer 
beschriebenen Längsstämme, und von diesen ziehen die Nerven 
ohne irgend welche Regelmässigkeit in die Flosse hinein. Ich 
besitze noch schönere Färbungen von älteren Föten, wo die un- 
regelmässigen Geflechtbildungen noch stärker ausgebildet sind. 
Ohne auf Einzelheiten einzugehen, will ich nur hervorheben, dass 
die Nerven gar keine Regelmässigkeit zu den Muskeln oder 
Strahlen zeigen, und weiter, dass die Nervenverteilung in dieser 


364 Erik Müller: 


Flosse absolut verschieden von derjenigen der Brust- und Bauch- 
flosse ist. Dies stimmt nun gut mit den allgemeinen Resultaten 
dieser Untersuchung überein. Je weiter man sich von dem 
Zentrum des Nervensystems entfernt, desto unregelmässiger er- 
scheinen die Anordnung und Verteilung der Nerven. Die Muskeln 
der unpaarigen Flossen entwickeln sich nun von den am meisten 
peripher gelegenen Teilen der dorsalen Muskulatur, also viel 
weiter von dem Zentrum als die paarigen Flossen. In diesem 
Verhältnis sehe ich den vornehmsten Grund zu der unregelmässigen 
Geflechtbildung der genannten Flossen. 


Allgemeiner Teil. 


Die Untersuchung des ausgewachsenen Nervensystems bei 
den Selachiern hat eine Reihe verschiedener Zustände kennen 
gelernt. Am einfachsten gestalten sich die Verhältnisse in dem 
Teil der Körperwand, welcher, entsprechend dem lateralen Muskel, 
am nächsten der Wirbelsäule gelegen ist. Hier findet man ein 
aus groben segmental angeordneten Stämmen und feinen diese 
verbindenden Queranastomosen aufgebautes Geflecht. Die grösste 
Übereinstimmung hiermit bietet das Grundgeflecht der Brustflosse 
in seinem mittleren, allergrössten Teile. Hier findet man nämlich 
auch die Nerven segmental angeordnet durch quere Anastomosen 
verbunden. Wesentlich anders gestalten sich die Verhältnisse in 
dem kranialen und kaudalen Teile der Flosse, indem sich die 
Nerven hier auf Grund der stärkeren Anastomosenbildung über 
zwei oder mehrere Segmente ausbreiten. Der medio-ventrale und 
der medio-dorsale Teil der Körperwand bieten auch wesentlich 
andere Verhältnisse, indem an den beiden Stellen die Nerven über 
mehrere Myomere verlaufen, im Zusammenhang mit welchen die 
Sammelstämme oder Üollectoren der Nerven entstehen und auch 
die Geflechtbildung komplizierter wird. Die Bauchflossen sowie 
die unpaarigen Flossen, welche alle zu diesen Teilen der Körper- 
wand gehören, zeigen in Übereinstimmung hiermit auch eine ent- 
sprechende Kompliziertheit ihrer Nervengeflechte. Die Längs- 
stämme z. B., welche für die Bauchflosse im Gegensatze zu der 
Brusttlosse charakteristisch sind, sind nämlich die direkte Fort- 
setzung des Teiles des N. collectors, welcher in der Körperwand 
gelegen ist. Der bedeutende Unterschied in der Anordnung der 
Nerven bei der Brust- und Bauchflosse des Acanthias besteht also 


Das periphere Nervensystem bei den Selachiern. 365 


darin, dass sie ihren Ursprung von verschiedenen Teilen der 
Körperwand nehmen. Die Brustflosse entsteht aus dem Gebiete, 
das dem latero-ventralen Muskel entspricht. Die Bauchflosse 
gehört dagegen dem medio-ventralen Muskelgebiete an. 

Die Kenntnis der embryonalen Entwicklung der Muskeln 
und Nerven ist nun imstande, diese fertigen Zustände wesentlich 
zu beleuchten und zu erklären. Sie lehrt nämlich, dass sich in 
den früheren Stadien die Muskel- und Nervenanlagen in nahester 
Verbindung und Übereinstimmung miteinander entwickeln. Die 
Myotome der Körperwand und die kranıalen Knospen der Flossen 
entwickeln sich in dem engsten Verbande mit den entstehenden 
Nerven. Solange sich die Myotome resp. Knospen in derselben 
Richtung wie die Nerven entwickeln, zeigen die Nerven eine mit 
den Muskeln übereinstimmende Metamerie. Dies findet sowohl 
innerhalb des lateralen Muskels wie in der Mitte der Brustflosse 
statt. Wenn nun aber die Myotome der Körperwand beginnen, 
sich zickzackförmig zu biegen, so ändert sich die Übereinstimmung 
zwischen der Muskel- und Nervenentwicklung. Die Nerven wachsen 
weiter in gerader Richtung fort und beginnen dadurch über die 
naheliegenden Nachbarmyomeren zu verlaufen. Gleichzeitig ent- 
stehen hiermit zahlreiche neue Äste, die komplizierte Geflechte 
bilden, und innerhalb dieser bilden sich die Sammelstämme oder 
Collecetoren. Die starke Anastomosenbildüng, welche die kranialen 
und kaudalen Enden der Brustflosse kennzeichnet, scheint in einer 
ähnlichen Weise zustande zu kommen. Durch den von Mollier 
näher beschriebenen Konzentrationsvorgang konvergieren sowohl 
die kranialen wie die kaudalen Nerven auf ihren Wegen nach der 
Flosse. Während in der Mitte der Flosse die Wachstumsrichtung 
der Muskeln und Nerven dieselbe ist, bilden die Muskeln und die 
Nerven an den genannten Stellen Winkel gegeneinander; die 
Wachstumsrichtung der Nerven entspricht nicht länger derjenigen 
der Muskeln, und in Übereinstimmung hiermit verbinden sich die 
Nerven mit starken Anastomosen. Die Bildung der Anastomosen 
scheint also eine direkte Funktion des Winkels zu sein, mit 
welchem die Muskeln von ihrer früheren Wachstumsrichtung 
abbiegen. 

Die Ansichten, welche gegenwärtig in bezug auf die Frage 
von der Entstehung der peripheren Nerven diskutiert werden, 
sind die folgenden: 


366 Erik Müller: 


1. Die Nerven entstehen in loco durch direkte Umwandlung 
von ursprünglichen Plasmaverbindungen zwischen den Zellen 
(Hensen). 

2. Die Nerven entstehen durch das Auswachsen einer neuro- 
fibrillären Substanz innerhalb der vorgebildeten Plasmodesmen 
(Held). 

3. Die Nerven entstehen durch freien Auswuchs von den 
Neuroblasten (His, Cajal, Harrison). 

In einem früheren Aufsatz über dieses Thema habe ich mich 
an die Ansicht von Hensen angeschlossen. Die Gründe hierzu 
waren doppelter Art. Zuerst fand ich die Nerven der Selachier- 
keime in den Präparaten, welche nach gewöhnlichen Färbungen 
dargestellt wurden, sowohl in die Fortsätze der Myotomzellen 
wie auch in ein Geflechtwerk von feinen, zwischen den Myotomen 
beiegenen Fäserchen direkt übergehen. Zweitens war es bei den 
damaligen Sachverhältnissen deutlich, dass die Hypothese von 
Hensen vom theoretischen Gesichtspunkte aus die Entstehung 
der Nerven viel besser als die Auswachsungslehre erklärte. Nach 
den Erfahrungen, die ich mit der Bielschowsky-Methode ge- 
wonnen habe, lässt sich diese Ansicht nicht mehr aufrechthalten. 
Die Bielschowsky-Methode hat mich nämlich instand gesetzt, 
die wirklich auswachsenden Enden der Nerven kennen zu lernen 
und auch deren Verhältnis zu den Myotomen und dem Mesen- 
chym erklärt. 

Die Bilder, welche mit der Bielschowsky-Methode ge- 
wonnen sind, können doch nicht, so ausgezeichnet lehrreich sie 
auch sind, eine vollständige, einwandfreie Antwort auf die Frage 
geben, wie die Nerven entstehen. Man findet nämlich Bilder in 
den nach dieser Methode dargestellten Präparaten, welche ebenso- 
gut für in loco entstandene wie für ausgewachsene Nervenfasern 
gedeutet werden können. Ich meine die vorher beschriebenen 
Bilder, wo die Nervenenden innerhalb des Plasmas der Zellen 
gelegen sind, und besonders diejenigen, welche den direkten Über- 
gang der Nervenfasern in die Basalkegel der Myotome zeigen. Um 
zu einer einwandfreien Deutung der Bielschowsky-Präparate 
zu gelangen, ist es darum notwendig, dieselben mit jenen Bildern 
der auswachsenden Nerven, welche Harrison durch Züchtung 
der embryonalen Nerven ausserhalb des Körpers entdeckt hat, 
zu vergleichen. 


Das periphere Nervensystem bei den Selachiern. 367 


Die ausgezeichneten Untersuchungen von Harrison und 
seinen Nachfolgern Burrows und W. H. und M. R. Lewis sind 
wohl bekannt und brauchen darum hier nicht näher referiert zu 
werden. Ich erinnere nur an folgende Punkte, welche für die 
Vergleichung mit meinen Präparaten von besonderem Gewicht 
sind. Neben den ersten grundlegenden Berichten, dass Nerven- 
fasern von den Neuroblasten in koagulierten Lympha auswachsen 
und mit den charakteristischen Endkeulen versehen sind, findet 
man in den Arbeiten von Harrison die wichtigen Angaben, 
dass sich eine ursprünglich einheitliche Nervenfaser während der 
weiteren Entwicklung in mehrere solche aufsplittert und dass die 
neugebildeten Fasern miteinander anastomosieren. 

Nach Burrows variieren die auswachsenden Nerven im 
Aussehen zwischen sehr feinen Fasern und dicken, strangähnlichen 
„strands“ mit einer feinen longitudinalen Streifung. Diese Bündel 
splittern sich entweder in den Enden oder längs ihrer Peripherie 
in feinere Fasern auf. 

In der Arbeit von W. H. und M. R. Lewis finde ich als 
besonders beachtenswert die Angabe, dass die neugebildeten 
Nervenfasern durch reichliche Anastomosen wirkliche Netze bilden. 
In den fixierten und gefärbten Präparaten von den ausgewachsenen 
Nerven sind die Fasern von Körnern gebildet; ob diese einer 
vitalen Struktur entsprechen oder nicht, lassen die Autoren un- 
entschieden. 

Wenn ich nun meine mit der Bielschowsky- Methode 
gewonnenen Bilder mit denjenigen, welche die amerikanischen 
Forscher von den lebenden Nerven beschrieben haben, vergleiche, 
so finde ich eine ins Detail gehende Übereinstimmung. Die Nerven 
in meinen Präparaten sind, gleichwie Burrows beschreibt und 
zeichnet, teils feine Fäserchen, teils dickere Bündel von längs- 
streifiger Beschaffenheit. Die dreieckigen, ovalen, strangförmigen 
und geweihartigen Wachstumskeulen in meinen Präparaten sind 
von ganz demselben Aussehen wie entsprechende Bildungen von 
Harrison. Die Aufsplitterung einer Faser in mehrere solche 
und die Verbindung der Fasern zu Netzen sind weitere Überein- 
stimmungen zwischen den auf verschiedene Weise gewonnenen 
Präparaten. Auf Grund dieser identischen Verhältnisse wird es 
notwendig, zu schliessen, dass die Nerven in den Bielschowsky- 
Präparaten durch ein freies Auswachsen entstanden sind. Nur 


368 Erik Müller: 


über die besondere Art und Weise, wie dies Auswachsen zugeht, 
könnte man verschiedener Meinung sein. Harrison verlegt das 
Wachstumsvermögen hauptsächlich in die Endkeulen, welche nach 
Art deramöboiden Bewegung durch Ausschiessen von Pseudopodien 
die Verlängerung der Nerven bewirken sollen. Man könnte aber 
ebensogut berechtigt sein, anzunehmen, dass die ganze Faser 
durch Vermehrung ihrer kleinsten Teilchen, z. B. in Form von 
Granula, an Länge und Breite zunimmt. Dieser Gedanke ist auch 
in der Arbeit von W.H. und M. R. Lewis ausgesprochen. Weiter 
sprechen die Bilder von den Bielschowsky-Präparaten in hohem 
Grade dafür, dass bei der Entwicklung der peripheren Nerven 
die Entstehung neuer Fasern durch Längsspaltung schon aus- 
gewachsener solcher eine grosse Rolle spielt. Dies stimmt ja 
auch mit den Erfahrungen von den Züchtungen der Nerven ausser- 
halb des Organismus. 

Die Präparate, die nach der Bielschowsky-Methode ge- 
wonnen werden, sind nun sehr lehrreich, wenn es gilt, festzustellen, 
wie sich die auswachsenden Nervenfasern zu der Umgebung ver- 
halten. Aus meinen speziellen Beschreibungen geht es nämlich 
zur (senüge hervor, dass die embryonalen Nervenfasern in dieser 
Hinsicht sich verschieden verhalten. Die groben Nerven können 
mit ihren Endkeulen oder Geweihen frei in den Zellinterstitien 
liegen oder diese Teile können direkt in dem Plasma der Myotome 
eingeschlossen sein. In solchem Falle ist der Nerv in seinem 
proximalen Teile von einer dicken Plasmahülle umgeben, welche 
direkt in das Myotomplasma übergeht. Dasselbe gilt von den 
feineren Nervenfasern. Sie können frei zwischen den Mesenchym- 
zellen verlaufen, sie können sich dicht an diese oder ihre Aus- 
läufer anschmiegen oder direkt von deren Zellplasma umgeben 
sein. Die letzten Bilder sind es, welche der Heldschen Lehre 
von einem Auswachsen der neurofibrillären Substanz in den Plasmo- 
desmen zugrunde gelegen haben. 

Wenn es nun gilt, diese verschiedenen Bilder zu deuten, so 
scheint mir, der Harrisonschen Versuche zufolge, die einfachste 
Erklärung die zu sein, dass die frei hervorwachsenden Nerven- 
fasern den primären Zustand darstellen. Sekundär treten 
die ausgewachsenen Nervenfasern in Verbindung mit den Myotomen 
und den mit diesen zusammenhängenden Mesenchymzellen, wobei 
es vorläufig unentschieden bleiben mag, ob die Nervenfasern aktiv 


Das periphere Nervensystem bei den Selachiern. 369 


in die Zellen hineindringen oder passiv von diesen umhüllt werden. 
Diese sekundäre Verbindung der Nervenfasern mit den Myotomen 
findet nun während der ganzen Entwicklung der Nerven statt, 
von dem ersten Anfange, wenn der kurze Nerv das Myotom eben 
erreicht hat, bis zu dem Endstadium, wo die einfachen Muskel- 
fasern mit ihren Nervenendigungen ausgebildet sind. So finde 
ich schon in dem frühen Stadium, welches in Fig. 6 abgezeichnet 
ist, dass gewisse Fasern direkt mit kegelförmigen Ansätzen ın 
das Myotomplasma übergehen, während andere ebenso deutliche 
freie Endkeulen zeigen. Die schönen Befunde von Kerr bei 
Lepidosiren sind nach meiner Meinung so zu deuten, dass hier 
eine sehr deutlich hervortretende sekundäre Verbindung zwischen 
einem vorher frei ausgewachsenen Nerv und dem Myotom vor- 
liegt. Die genannte sekundäre Verbindung zwischen den aus- 
wachsenden Nerven und den Myotomen ist sicher von der grössten 
Bedeutung für die Entstehung der Nervenbahnen. Hierdurch 
erhalten die embryonalen Nerven eine gewisse Stabilität im Ver- 
hältnis zu den Muskelanlagen. Durch die Angliederungen der 
Nerven an die auswachsenden Myotome oder an die Myotom- 
knospen erhalten die Nerven die fixen Punkte, von denen das 
weitere Auswachsen gesetzmässig stattfinden kann 

Die Lehre von His, dass die Nervenfasern durch freies Aus- 
wachsen entstehen, muss also durch die neueren Untersuchungen 
als bewiesen angesehen werden. Dasselbe gilt aber nicht von 
seiner Ansicht über die Bildung des peripheren Nervensystems. 
Nach His würde die Entstehung der peripheren Nerven aus 
einigen einfachen Prinzipien erklärt werden können. Die Nerven- 
fasern wachsen geradlinig nach ihren Endgebieten. Knorpel, 
Gefässe oder andere embryonale Organe können hierbei ein 
Hindernis für ihr Hervorwachsen bilden und die Nerven zwingen, 
in andere Bahnen einzulenken. Dadurch, dass sich die von ver- 
schiedenen Orten kommenden, gerade hervorwachsenden Nerven- 
fasern durchkreuzen, entstehen die Nervengeflechte. 

Dass die Nervenbahnen auf diese einfache Weise nicht 
entstehen, lässt sich an vielen Beispielen aus der vorigen, speziellen 
Darstellung über die Entstehung des peripheren Nervensystems 
bei Acanthias vulgaris direkt zeigen. Ich wähle als Beispiel die 
Entstehung des N. collectors in der ventralen Bauchwand. Dieser 
Sammelstamm hat bei dem erwachsenen Tiere die Form von 


370 Erik Müller: 


einem langen und geraden Nervenstrang, welcher Fasern von 
zehn Segmenten, kranialwärts von der Bauchtlosse gelegen, nach 
den Muskeln derselben hinführt. Nach der Betrachtungsweise 
von His sollte die Bildung dieses Stammes ziemlich einfach sein. 
Die auswachsenden Nervenfasern sollten in der Nähe von der 
V. parietalis einem Hindernis begegnen, wodurch sie gezwungen 
werden, ihre Wachstumsrichtung zu verändern und einen Weg 
gegen die Bauchflosse einzuschlagen. Nun lehrt aber die direkte 
Beobachtung, dass so etwas nicht stattfindet. Die Colleetor- 
bildung ist viel komplizierter und lässt verschiedene Stufen er- 
kennen. Den ersten Anlass zu einer Komplikation der früher so 
einfachen Nervenanordnung bildet die Umbiegung der vorher 
gerade auswachsenden Myomere und das Auswachsen derselben 
kranialwärts. Die Nerven setzen ihr Wachstum in der ursprüng- 
lichen Richtung fort, bekommen aber nun Gelegenheit, sich mit 
den Nachbarmyomeren zu verbinden, wodurch eine reiche Ver- 
ästelung und Anastomosenbildung stattfindet. Hierdurch wird 
zuerst eine longitudinale Kette von einfachen Anastomosen ge- 
bildet. Aus dieser entsteht schliesslich durch innere Umbildung 
der langgestreckte gerade Sammelstamm, welcher die Nerven- 
fasern nach der Bauchflosse leitet. Die Abortivknospen kranial- 
wärts von der Bauchflosse spielen bei der Üollectorbildung nur 
insofern eine Rolle, als die Nerven der letzten Knospen unmittel- 
bar kranialwärts von der Bauchflosse in der Collectorbildung ein- 
gehen, wodurch vielleicht der Anlass für das Übertreten des 
Collectors ins Gebiet der Bauchflosse gegeben wird. 

Betrachten wir schliesslich den Entwicklungsprozess, wodurch 
eine motorische Faser von ihrem Ursprung im Rückenmark bis 
zu ihrem Ende in einer Muskelfaser eines Flossenmuskels ent- 
steht. Zuerst ist hierbei die lange Zeit zu erwägen, während 
der die Entwicklung stattfindet. Das erste Auswachsen der Fasern 
aus dem Rückenmarke findet wohl bei Embryonen von 5 mm 
Länge statt. Die Bildung der feinsten intramuskulären Muskel- 
nerven ist erst bei Acanthias-Föten von einer Länge von mehr 
als 10 cm abgeschlossen. Diese Periode entspricht einer Zeit 
von mehreren Monaten. Zuerst wachsen die Nerven nach den 
Myotomen und verbinden sich mit diesen. Dann setzen sie ihren 
Weg ventralwärts längs der Myotome fort. Nachdem die Knospen- 
bildung in der Flossenanlage stattgefunden hat, folgen die Äste 


— 
— 


Das periphere Nervensystem bei den Selachiern. 31 


der auswachsenden Nerven den ungeraden Knospen jedes Knospen- 
paares und setzen sich an diese fest. Nun folgt im Zusammen- 
hang mit der Bildung der Nerven, welche zu den geraden Knospen 
gehören, die Entstehung der perimuskulären Nervengeflechte, 
welche eine geraume Zeit in Anspruch nimmt. Durch eine Art 
von Knospung werden nun feine Äste an der tiefen Fläche des 
perimuskulären Geflechtes gebildet, und diese dringen in das 
Innere des Radialmuskels hinein. Dieser teilt sich dann in immer 
feinere Muskelbündel auf, zwischen denen sich die intramuskulären 
Nerven ausbreiten, und mit denen sie sich verbinden. Schliesslich 
haben sich die Bündel in die einfachen Muskelfasern aufgespaltet, 
und jede von diesen enthält ihre Nervenfaser. 

Es ist deutlich, dass der Inhalt dieses in zeitlicher und 
räumlicher Beziehung so komplizierten Prozesses nicht dadurch 
ausgedrückt werden kann, dass die Nervenfaser einfach aus einem 
Neuroblast nach der Muskelfaser frei hinauswachse. Wir müssen 
vielmehr den ganzen Vorgang, durch welchen eine motorische 
Faser entsteht, in verschiedene Stufen einteilen, von denen jede 
vorhergehende die Bedingung für die nächstfolgende ist. Die 
Einteilung in Stufen gibt die allmählich vom Zentrum nach der 
Peripherie fortschreitende Angliederung der auswachsenden Nerven- 
fasern an die allmählich sich differenzierenden Muskelanlagen. In 
dieser Weise betrachtet, gibt die Lehre von der Entwicklung des 
peripheren Nervensystems durch freies Hervorwachsen der Nerven- 
fasern nicht mehr den Eindruck eines „Wunders“, den sie vorher 
besessen hat. Die Bildung der Flossennerven in der beschriebenen 
Weise ist ebenso leicht zu verstehen als die Bildung der Radıal- 
muskeln durch das Auswachsen der Myotome. 


©) 
1 


DD 


or 


9. 


10. 


DE 


12. 


[06) 


Erik Müller: 


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Erklärung der Abbildungen auf Tafel XX—XXVIIL 


Tafel XX. 


Fig. 1, 2, 3, 4 und 5. Ventrale Muskeln und Nerven in der Körperwand 


Archiv f. mikr. Anat. Bd.81. Abt.|. 


und in der Bauchflosse bei Acanthiasembryonen von 23, 26, 30 
(3 und 4) resp. 35 mm Länge, Jedes Bild ist durch Kombination 
mehrerer Schnitte entstanden. © —= N. collector ventralis. K — 
Knospe. 50mal vergrössert. 


19} 
or. 


374 


B18.6! 
Hier. 
Rewe: 
Inn, 9). 
Fig. 10. 
Bie.all: 
Fig. 12. 
Fig 


Fig. 


ig. 23. 


Erik Müller: 


Tafel XXI. 
Acanthias 12 mm. Querschnitt. E — Ectoderm; M — Myotom; 
N = Spinalnerv; R — Medulla spinalis. 500mal vergrössert. 


Ventrale Nerven und Myotome von der Körperwand eines Acanthias- 
embryo von 23 mm Länge. 62 mal vergrössert. 

Ventrale Nerven und Myotome von der Körperwand eines Acanthias- 
embryo von 26 mm Länge. 62 mal vergrössert. 

Dorsale Nerven und Myotome von der Körperwand eines Acanthias- 
embryo von 23 mm Länge. 50mal vergrössert. 

Dorsale Nerven und Myotome von der Körperwand eines Acanthias- 
embryo von 30 mm Länge. 50mal vergrössert. 

Dorsale Nerven und Myotome von der Körperwand eines Acanthias- 
fötus von 33 mm Länge. © —= N. collector dorsalis. 50 mal ver- 
grössert. 

Die Nerven der Brustflosse bei Acanthias vulgaris von der tiefen 
Fläche präpariert. Essigsäure-Osmium-Färbung. II—XI = 2.—11. 
Flossennerv. 5mal vergrössert. 


Tafel XXI. 


ie. 13, 14 und 15. Die Brustflossennerven bei Acanthias vulgaris von der 


tiefen Fläche präpariert. Essigsäure-Osmium-Färbung. 6mal ver- 
grössert. 


Tafel XXIII. 


Alle Bilder stammen von Präparaten mit Essigsäure-Osmium gefärbt 


Jaler 


DR. 


Zwei Radialmuskeln von der Acanthias-Brustflosse mit den gegen- 
einander gerichteten Flächen in einer Ebene ausgebreitet. H = 
Hauptflossennerv; I = intermuskuläre Nerven. 2 mal vergrössert. 


g. 17 und 18. Radialmuskeln von der Fläche gesehen. H — Hauptflossen- 


nerv; I —= intermuskulärer Nerv. 6 resp. 2!/2mal vergrössert. 


19 und 20. Die Radialmuskeln der Brustflosse von der äusseren Fläche 


gesehen. Man sieht, wie die feinen Endäste der intermuskulären 
Nerven aus der Tiefe zwischen den Radialmuskeln hervortauchen, 
um dann ein Geflecht für jeden Muskel zu bilden. Nach dem 
kaudalen Ende laufen dagegen die Nerven über mehrere Muskeln. 
61/2 mal vergrössert. 

Die mediale Fläche der Brustflosse mit dem Plexus postaxialis 
(P.p.) von Braus. 2mal vergrössert. 

Die feinen intramuskulären Nerven der Radialmuskeln. 3!/smal 
vergrössert. 

Brustflossennerven von Raja von der tiefen Fläche dargestellt. 
2 mal vergrössert. 


Tafel XXIV. 


Alle Präparate nach der Essigsäure-Osmiummethode dargestellt. 


ig. 24. 


Die Nerven der Brustflosse bei Raja von der tiefen Fläche dar- 
gestellt. 2 mal vergrössert. 


Fig. 


Fig. 


Fie. 


Fig. 


Fie. 


Das periphere Nervensystem bei den Selachiern. 375 


25. Die Nerven der Brustflosse bei Raja von der tiefen Fläche dar- 
gestellt. Die Hauptnerven haben sich geteilt. Jedes Paar von 
Nerven (n) gehört zu einem Hauptnerv. 5mal vergrössert. 

26. Die Nerven der Brustflosse bei Raja von der tiefen Fläche gesehen. 
N. = Hauptnerv; N.i. = N. intermittens. 10mal vergrössert. 


. 27. Die Nerven der Brustflosse von Acanthias auf dem Skelette liegend 


dargestellt. 2 mal vergrössert. 
28. Die Nerven der Bauchflosse bei Raja von der tiefen Fläche dar- 
gestellt. 2 mal vergrössert. 


. 29. Die Nerven der Bauchflosse bei Raja von der tiefen Fläche gesehen. 


Man sieht die Hauptnerven und die davon ausgehenden Aste nebst 
einem diffusen, in der Fascia belegenen Netz. 12mal vergrössert 


Tafel XXV. 


Alle Figuren stellen Bielschowsky- Präparate dar. 


30, 31, 32 und 33 stellen die Nerven der Brustflosse dar bei Acanthias 
embryonen von resp. 20, 23, 27 und 40 mm Länge. 

34 und 35. Muskelknospen mit ihren Hauptnerven in den Brustflossen 
von Acanthiasembryonen von 27 mm Länge. 


Tafel XXV1. 


. 86, 37 und 38. Die Brustflossennerven mit ihren verschiedenen Enden 


bei Acanthiasembryonen von 27 mm Länge. 


. 39 und 40. Brustflossennerv vom Acanthiasembryo von 27 mm Länge. 


K = Endkeulen. 


41 und 42. Muskelknospen und Nerven in der Brustflosse beim Acanthias- 
embryo von 20 mm Länge. 

45. Muskelknospe und Nerv in der Brustflosse vom Acanthiasembryo 
von 23 mm Länge. Die feinen auswachsenden Nerven in ihren 
Verhältnissen zu den Knospen und dem Mesenchym. 


44. Muskelknospen und Nerv in der Brustflosse vom Acanthiasembryo 
von 26 mm Länge. Die Bildung der ersten Nerven (N) zu den 
geraden Knospen. 


Tafel XXVIl. 

Alle Figuren sind nach Bielschowsky- Präparaten gezeichnet. 

45, 46 und 47. Muskelknospen und Nerven vom Acanthiasembryo von 
26—30 mm Länge. Die Bildung der Nerven zu den geraden 
Knospen und das tiefe Grundgeflecht. K — Basalkegel. 

48, 49 und 50. Nerven und Radialmuskeln in der Brustflosse bei 
Acanthiasembryonen von 35—40 mm Länge Die Bildung der 
perimuskulären Geflechte. K — Basalkegel. 

5l und 52. Teile der perimuskulären Geflechte in der Brustfiosse bei 
Acanthiasembryonen von 40 mm Länge. 


376 Erik Müller: Das periphere Nervensystem bei den Selachiern. 


Fig. : 


Fig. 


58. 


Tafel XXVII. 


Ein Teil des tiefen Grundgeflechtes der Brustflosse beim Acanthias- 
fötus von 9 cm Länge. II, III, IV und V = der zweite, dritte, 
vierte und fünfte Flossennerv. 

Ein Teil des tiefen Grundgeflechtes der Brustflosse beim Acanthias- 
fötus von 9 cm Länge. N — Flossennerven; im N — intramuskuläre 
Nerven. 

Längsschnitt durch Radialmuskeln von der PBrustflosse eines 
Acanthiasfötus von 9 cm Länge. Bildung der intramuskulären 
Nerven (imn): iN = intermuskuläre Nerven. 
und 57. Radialmuskeln und Nerven von den PBauchflossen der 
Acanthiasembryonen von 40 mm Länge. 

Die Muskeln und Nerven der ersten Dorsalflosse bei einem 
Acanthiasembryo von 40 mm Länge. 


377 


Zur Frage über die Folgen der Unterbindung des 
Wurmfortsatzes beim Kaninchen. 


Von 
Dr. L. W. Ssobolew aus Petersburg. 


Zur Fortsetzung meiner früheren Arbeit über dasselbe Thema 
habe ich noch einige Experimente nach einer schon damals aus- 
gesprochenen Idee (Archiv f. mikr. Anat., Bd. 62, 1903) ausgeführt. 
Um den Einfluss der Unterbindung und der funktionellen Aus- 
schliessung des Wurmfortsatzes auf die übrigen Gedärme zu 
prüfen, hielt ich jetzt die Tiere noch längere Zeit am Leben. 

Die Resultate der nicht zahlreichen Experimente gestatte ich 
mir doch zu veröffentlichen, da ich nichts über ähnliche Versuche 
kenne und da die Ausführung dieser Experimente überaus schwierig 
ist. Wenn man z. B. die Operation an den neugeborenen Tieren 
zu spät vornimmt, so haben schon die Jungen viel Milch gesogen 
und diese Milch befindet sich im Coecum. Wenn ich dann die 
Ligatur an der Übergangsstelle vom Coecum in den Wurmfort- 
satz anlegte, entwickelte sich eine diffuse oder circumscripte 
Peritonitis, an welcher die Tiere starben. Es ist auch schwer 
ein Kaninchenweibehen zu bekommen, welches immer sorgfältig 
seinen Wurf, auch die operierten Jungen, pflegt. 

Ich verfügte über fünf Paar Tiere: fünf operierte und fünf 
Kontrolltiere vom selben Wurf. Vom ersten Paare lebten die Tiere 
29 Tage. Das operierte starb an einer narbigen Darmstriktur. 
Seine Gedärme unterschieden sich nur wenig von denen des Kontroll- 
tieres und zwar waren sie um 24 cm kürzer als bei diesem. 

Das operierte Tier des zweiten Paares starb aus einer un- 
bekannten Ursache nach 50 Tagen während der Ferien. Das zu 
ihm gehörige Kontrolltier wurde gleichzeitig getötet und die 
(redärme von beiden gemessen und konserviert. Jetzt fanden 
sich folgende Verhältnisse: 


Operiertes Tier Kontrolltier 
Dünndarm . . 189 175 
Coecum 7 15 
Appendix . . . 12 (mit ein. Teil d. Coecum) 7!/s 
Dickdarm . 12 72 


Gesamtlänge 280 9721) 


378 L.W.Ssobolew: 


Das dritte Paar wurde nach 343 Tagen getötet. Das 
operierte Tier wog 100 gr mehr, hatte aber augenscheinlich eine 
schlechtere Ernährung; sein Bauch war evident grösser. Bei der 
Sektion fand sich der Wurmfortsatz durch die Ligatur abgetrennt. 
Der Magen und die Gedärme fielen durch ihre weit stärkere 
Füllung auf. Auch die leeren kontrahierten Strecken des Dick- 
darms zwischen den Kotkugeln waren dicker als beim Kontroll- 
tiere. Die Länge der einzelnen Darmabschnitte war bei dem 
operierten Tiere ebenfalls grösser, wie es aus der Tabelle er- 
sichtlich ist. 


Operiertes Tier Kontrolltier 
Dünndarm... 48 283,5 
Coecum 2 7P1 7: 33,5 30 
Appendix! 2a N SSR 4 9 
Diekdarm "2 Er 35 1265 
Gesamtlänge 518,5 443,5 


Das vierte Paar lebte 427 Tage. Beide Tiere waren gut 
ernährt und hatten dasselbe Gewicht. Die Ligatur trennte den 
unteren Teil des Fortsatzes ab; dieser Teil stellte eine Blase 
dar mit dünnen durchsichtigen Wänden und einem dünnflüssigen 
schleimigen Inhalt; oberhalb der Ligatur blieb noch ein 1,5 cm 
langes Stück des unveränderten Wurmfortsatzes. In der Dicke 
und Füllung der Gedärme bemerkte ich keine Unterschiede. Die 
Länge war aber wieder beim operierten Tier grösser. 


Operiertes Tier K.ontrolltier 
Dünndarm... wemrnser 244 209 
Boseum- .. me 2] 3555 
Appendis- .. 1. geeer: 15-3 6 
Dickdarm... 2 22 Fre 1-15 62 
Gesamtlänge 344,5 302,5 


Das fünfte Paar lebte 572 Tage. Das operierte Kaninchen 
hatte wieder dasselbe Gewicht und eine etwas schlechtere Er- 
nährung bei etwas grösserem Bauche als das Kontrolltier. Die 
Wand des Wurmfortsatzes oberhalb und unterhalb der Ligatur- 
stelle ist beinahe gleichdick. Diese Stelle erkennt man an einer 
kleinen Einschnürung; die Ligatur selbst fehlt. Die Füllung der 
Därme, besonders des Coecum, und die Dicke der kontrahierten 
Bezirke des Dickdarms war auch grösser; die Dicke der auf- 
geschnittenen Darmwand ist aber bei beiden Tieren gleich. Dem- 


Die Folgen der Unterbindung des Wurmfortsatzes. 379 


zufolge ist diese Verdickung der kontrahierten Bezirke nur der 
Ausdruck der grösseren Flächenausdehnung des Darmrohres. 


Öperiertes Tier Kontrolltier 


Dünndarm Alla. van: 928 311 
Coceuma ll. Yraın "40 35 
APDENIISER EMDEN: 1 10 
Diektamn mE NER T36 136 
(Gesamtlänge 505 492 

Die Längenverhältnisse sind wieder derselben Art, — bei 


dem operierten Tiere ist der Darm länger. 

Auch in diesem Falle wie in den übrigen konnte ich keinen 
mit blossem Auge sichtbaren Unterschied im Bau der Darmwand 
bemerken. Ebenfalls sah ich keinen Unterschied in der Zahl und 
Grösse der Iymphatischen Bildungen. Mikroskopisch sah ich auch 
keine Abweichungen im Bau der Darmwand sowie der Lymphkörper. 

In der Literatur fand ich keine Erwähnung über ähnliche 
Versuche. Die Länge des Darmkanals bei den normalen Kaninchen 
ist bei Krause und Tarenetzky, in einer Arbeit von Crampe 
und im Lehrbuch der vergleichenden Anatomie von Cuvier an- 
gegeben. Nach diesen Angaben soll diese Länge in weiten Grenzen 
wechseln: der Dünndarm von 1,970 bis 3,192 em; der Dickdarm 
von 0,920 bis 1,215 em; das Coecum von 0,324 bis 0,510 cm.') 
Es variiert also die Darmlänge bei den Tieren derselben Species 
in hohem Maße wie die übrigen körperlichen Eigenschaften; nach 
Crampe kann sie sogar das Doppelte erreichen. Crampe sagt 
weiter, dass die Nachkommen derselben Eltern nur selten gleich 
langen Darmkanal haben. „Es ist hierbei zu unterscheiden die 
absolute und die relative Darmlänge. Absolute Gleichheit wird 
häufiger gefunden, als relative. In den meisten Fällen besitzen 
einige Nachkommen desselben Wurfs absolut oder relativ gleich 
lange Eingeweide; die übrigen zeigen bald grössere, bald geringere 
Unterschiede und zwar sind solche von 1:1,5 bis 1:1,7 nicht so 
selten, als man vielleicht anzunehmen geneigt sein würde.“ Diese 
Beobachtungen könnten scheinbar die Bedeutung meiner Mit- 
teilung vollständig vernichten. Die Unterschiede, welche ich 
beobachtete, liegen nicht ausserhalb der Grenzen der individuellen 
Schwankungen und könnten einfach als solche erklärt werden. 


!) Meine Zahlen sind oft grösser. 


380 L. W.Ssobolew: Die Folgen der Unterbindung etc. 


Aber in meinen Fällen waren sämtliche Abweichungen nur ein- 
seitig, — der Darmkanal hatte bei den operierten Tieren eine 
grössere Flächenausdehnung. Nur beim ersten Paare, welches 
nach der Operation nur 29 Tage lebte, war der Darmkanal des 
Kontrolltieres um 24 cm länger und eher breiter als beim 
Öperierten. Man kann es dadurch erklären, dass der Einfluss 
der Operation sich in dieser kurzen Zeit noch geltend machte in 
einer die Entwicklung des Darmes hemmenden Wirkung. Diese 
Wirkung übte vermutlich denselben Einfluss auf die Entwicklung 
des Darmes auch bei den übrigen Tieren, und wenn die Ver- 
längerung doch beobachtet wird, so ist sie durch diesen hemmenden 
Einfluss noch beschränkt. 

Da bei den übrigen Tieren die Länge des Darmkanals mit 
der Zeit zunimmt, so ist es doch nach den Angaben desselben 
Forschers Crampe leicht erklärlich, wenn man zugibt, dass die 
verdauende Kraft des Darmkanals herabgesetzt ist. Das Tier 
versucht diese Herabsetzung durch das Fressen einer grösseren 
Menge von Nahrung zu kompensieren. Dies führt aber zur Ver- 
grösserung der Darmschleimhautfläcke.e. CGrampe schreibt auf 
S. 723: „Ein Tier, welches sich bei gehaltlosem Futter in einem 
mageren Zustande befindet, verfügt über eine weit grössere Darm- 
schleimhautfläche, als ein Tier im Mastzustande. Die Darm- 
schleimhautfläche verringert sich in ganz demselben Maße, als 
das Tier bei Mastfutter an Gewicht zunimmt.“ Die geringe 
Anzahl der Versuche erlaubt mir freilich nicht, diese Schlüsse 
als völlig bindend hinzustellen. 


Literaturverzeichnis. 


.Crampe, H.: Vergleichende Untersuchungen über das Variieren der Darm- 
länge und der Grösse der Darmschleimhautfläche bei Tieren einer Art, 
Archiv f. Anat., Physiol. und wissensch. Med., 1872. 

Custor, J.: Über die relative Grösse des Darmkanales und der haupt- 
sächlichsten Körpersysteme beim Menschen und bei Wirbeltieren. 
Arch. f. Anat. u. Physiol., Reichert und Du Bois-Reymond, 1873. 

Cuvier, G.: Lecons d’anatomie compar6e, T. IV, Paris 1835. 

Krause, W.: Die Anatomie des Kaninchens. Leipzig 1884. 

Tarenetzky, A.: Beiträge zur Anatomie des Darmkanals. Me&moires de 
l’Acad. imper. des sciences St. Petersbourg, T. 25, 1881. 


381 


Aus dem Biologischen Institut der Königl. Universität Berlin. 
(Direktor: Geh. Rat Prof. Dr. Ö. Hertwig.) 


Über das Auftreten von Dermocystidium pusula 
(Perez), einem einzelligen Parasiten der Haut des 
Molches bei Triton cristatus. 

Von 
Hans Moral. 

Hierzu Tafel XXIX. 


Durch die Liebenswürdigkeit des Herrn Dr. Weissenberg, 
dem ich an dieser Stelle meinen Dank auszusprechen gerne (re- 
legenheit nehme, bin ich in den Besitz eines Triton gekommen 
der auf seiner Haut einen Parasiten besass. Es handelt sich um ein 
ziemlich kräftiges Exemplar unseres gewöhnlichen Triton eristatus, 
der allerdings zur Zeit, als ich ihn zuerst sah, bereits einen 
ziemlich matten Eindruck machte, seine Bewegungen waren un- 
geschickt und auffallend langsam und träge. Nahrung nahm das 
Tier nicht mehr an und bot überhaupt das Bild eines in seiner 
Gesundheit schwer geschädigten Individuums. Sobald erkannt 
war, dass der Triton eine Veränderung seiner Haut zeigte, die 
nur als pathologische Bildung aufgefasst werden konnte, wurde 
er sofort von den anderen Tieren isoliert aufbewahrt und mehrere 
Tage lang beobachtet. 

Auf der Haut des Tieres sah man eine Reihe grösserer und 
kleinerer Warzen und Erhebungen (cf. Fig. 1), die bedeutend 
grösser waren als die normalen Drüsenwarzen. Diese kleinen 
Knötchen waren annähernd gleichmässig über die ganze Haut des 
Tieres verbreitet, standen aber da, wo sie sich fanden, immer in 
kleinen Haufen beieinander. Der Rücken liess am meisten der- 
artiger Knötchen erkennen, die etwa die drei- bis vierfache Grösse 
einer normalen Drüsenwarze besassen. Die Farbe der Knötchen 
schwankte zwischen braun, schwarz und weisslich. Die Extremitäten 
zeigten vorwiegend braune Knötchen, und hier fanden sie sich 
besonders an den Seiten und den dorsalen Teilen. Die Bauchseite 
des Tieres war bei Lupenvergrösserung betrachtet ziemlich frei 
von derartigen Neubildungen. Gleich am ersten Tage wurde eines 


382 Hans Moral: 


der Knötchen geöffnet und an dem angefertigten Ausstrichpräparat 
konnte man bereits erkennen, dass es sich um einen kleinen 
offenbar einzelligen Parasiten handeln müsse. 

Von P&rez ist im Jahre 1907 ein solcher Parasit gefunden 
und auch kurz beschrieben worden. Die Ähnlichkeit zwischen 
dem Befund von Perez und dem meinigen war eine so grosse, 
dass ich vermutete, es handele sich um denselben Parasiten. 
Dies wurde mir dann auch von Herrn Prof. Dr. Perez, der so 
freundlich war, meine Präparate anzusehen, bestätigt, wofür ich 
ihm auch an dieser Stelle bestens danke. Perez’ Untersuchungen 
erstrecken sich auf den Marmormolch: meine Beobachtungen auf 
den Triton eristatus. Perez gab dem Parasiten zuerst einen 
Namen und nannte ihn Dermocystis pusula, änderte ihn dann 
aber und nannte ihn Dermocystidium pusula. Die von 
Perez untersuchten Tiere litten nicht sehr in ihrem Allgemein- 
zustand, denn nachdem sich der Inhalt der Cysten entleert hatte 
und vorübergehend eine kraterförmige Vertiefung der Haut an 
jener Stelle entstanden war, heilte alles ab und bald konnte man 
den Tieren die überstandene Infektion nicht mehr anmerken. In 
der Zeit, da die Uysten sich entleerten, fand P&ärez eine nicht 
unbedeutende Phagocytose, speziell beobachtete er polynucleäre 
Leukoeyten. Das erkrankte Tier wurde sofort gesondert auf- 
bewahrt, um alles das, was sich von der Haut ablöste, sorgfältig 
untersuchen zu können. Man fand morgens in dem Glase bald 
grössere, bald kleinere Epidermisfetzen, bald braune, bald grün- 
liche und graue Klümpchen, die sich teils als abgestossene Para- 
siten, teils einfach als abgelöste Epidermis erkennen liessen. 
Zunächst erschien auffallend, dass. je älter das Tier wurde, die 
Zahl der weissen Knötchen zunahm, die der braunen jedoch von 
Tag zu Tag geringer wurde. Später stellte es sich dann heraus, 
dass die braunen Knötchen noch von einer mehr oder weniger 
dünnen Lage von Epithelzellen überdeckt waren, während in den 
weissen Knötchen die Parasiten direkt zutage lagen. Dadurch, 
dass der Parasit ziemlich klein ist, eine runde Gestalt hat und 
ausserdem in seinem Innern einen stark glänzenden Körper ent- 
hält, erklärt es sich auch, dass die Knötchen dann, wenn eine 
schützende Decke fehlt, das Licht an den nach Tausenden zählenden 
kleinen Parasiten unregelmässig reflektieren und dadurch das 
Ganze eine weisse Farbe erhält. 


Über das Auftreten von Dermoeystidium pusula. 383 


Nach einigen Tagen der Beobachtung wurde dem Tiere das 
linke Hinterbein amputiert, um Material aus diesem Zeitabschnitt 
noch vom lebenden Tiere gewinnen zu können. Die nun folgende 
äusserst langsame Heilung der Wunde tat auch wieder von neuem 
dar, dass das gesamte Tier durch den Parasiten in seinem Allgemein- 
zustand in sehr schwerer Weise geschädigt war. Von Zeit zu 
Zeit wurden einige der Cysten eröffnet und in frischem und 
konserviertem Zustande untersucht, immer zeigte sich dasselbe 
Bild. Daraus entsprang der Wunsch, künstlich andere Stadien 
des Parasiten zu erhalten, aber Versuche durch Fütterung jüngerer 
Tiere, speziell Larven, hatten nicht den gewünschten Erfolg, 
ebenso wurde durch Überimpfung keine Infektion bei einem anderen 
Tiere erzielt. Als Versuchsobjekte dienten Tritonen und Axolotl. 
Es wurde ferner versucht, den Parasiten ausserhalb des tierischen 
Körpers auf Nährböden zu züchten, und zwar wurde Trauben- 
zuckergelatine und ein pflaumensafthaltiger Nährboden benutzt, 
die Herr Prof. Hartmann die Liebenswürdigkeit hatte, zur Ver- 
fügung zu stellen, wofür ich ihm an dieser Stelle bestens danke. 
Auch diese Versuche endigten mit einem negativen Resultate. 
Möglicherweise hätte man den Parasiten erst eintrocknen lassen 
müssen, um ihn erfolgreich weiter verimpfen zu können. 

Perez beobachtete nur ein Stadium seines Parasiten, und 
auch er hatte mit der Verfütterung kein Glück, denn er fand 
die Parasiten in den Exkrementen der Versuchstiere noch intakt 
vor, auch ein Züchtungsversuch in der feuchten Kammer ergab 
kein positives Resultat. 

Nach einiger Zeit wurde dann das Tier getötet und nun 
die einzelnen Teile in verschiedenen Fixierungsmitteln konser- 
viert (Fixierungsflüssigkeit nach Flemming. Schuberg, 
Schaudin etec.). 

Frisch in Wasser aufbewahrt, hielt sich der Parasit nur 
relativ kurze Zeit, denn nach einigen Wochen zeigte er ein solches 
Aussehen, dass man ihn wohl für untergegangen halten musste. 

Was nun die Organe angeht, in denen der Parasit gefunden 
wurde, so kann man wohl, ohne zu weit zu gehen, sagen, dass 
es sich hier um einen typischen Hautparasiten handelt, wenigstens 
habe ich ihn in den inneren Organen nicht beobachten können. 

An dieser Stelle möchte ich mir erlauben, auf eine Arbeit 
von Alexejeff näher einzugehen, in der er einen Parasiten 


354 Hans Moral: 


behandelt, der eine gewisse Ähnlichkeit mit dem vorliegenden 
hat. Allerdings fand Alexejeff das von ihm beschriebene Tier 
nicht in der Haut, sondern im Darm des Triton cristatus und 
verwandter Tiere. Ob es sich hier um denselben Parasiten handelt, 
ist schwer zu sagen, die Schilderungen sind äusserst ähnlich und 
in einer zweiten Publikation, in der die ursprünglich angenommene 
Verwandtschaft mit den Flagellaten aufgegeben wird, tritt dies 
noch mehr zutage. 

Wenn man nun zunächst ein Präparat ansieht, das mittel- 
grosse Knötchen im Durchschnitt zeigt, dann sieht man, dass 
das ganze Gebilde von vornherein einen in sich abgeschlossenen 
Eindruck macht, indem es sich nach allen Seiten gut und deut- 
lich gegen die Umgebung abgrenzen lässt (Fig. 2). Das ganze 
(Gebilde, das in seinem Innern eine Unmenge kleinster Parasiten 
birgt, zeigt auf seiner dem Wirtsgewebe zugewandten Fläche eine 
deutliche Membran, die offenbar ziemlich stark gespannt sein 
muss, da sie beinahe kreisförmig erscheint und Einkerbungen 
und Faltenbildungen nicht zu sehen sind. Diese Membran macht 
den Eindruck einer sekundären Bildung und scheint nicht direkt 
zum Parasiten zu gehören. Es ruft den Eindruck hervor, als ob 
es sich hier um eine Bildung von seiten des Wirtes handelt, indem 
dieser sich durch die Schaffung einer solchen Wand gegen den 
Eindringling zu schützen sucht, dazu kommt dann noch, dass man 
bei genauer Untersuchung finden kann, dass die Hülle nicht ganz 
einheitlich gebaut ist, sondern aus einzelnen ganz dicht gelagerten, 
parallel verlaufenden Fasern besteht und dass feinste Fäserchen 
vom Bindegewebe der Umgebung zu dieser Hülle ziehen und sich 
mit ihr verflechten. Für diese Auffassung spricht auch noch das 
Verhalten der Bindegewebskerne, denn man beobachtet, dass 
allenthalben an die Membran Zellen angelagert sind, und zwar 
so, dass sie mit ihrer Längsachse parallel zur Kapseloberfläche 
liegen. Diese Zellen sind fraglos Bindegewebszellen und auch als 
solche leicht zu erkennen. 

Mikrochemisch ist über diese Membran etwa folgendes zu 
sagen: Tingiert man das Präparat mit Hämatoxylin-Eosin, so zeigt 
die Membran eine deutliche Rotfärbung, die sich in nichts unter- 
scheidet von der roten Farbe, die das Bindegewebe der Umgebung 
angenommen hat. Einen weiteren Einblick gibt dann die van 
Gieson-Färbung, mit der sich diese auch rot färbt, wodurch be- 


Über das Auftreten von Dermoecystidium pusula. 385 


wiesen ist, dass es sich in der Tat um Bindegewebe handelt; die 
Membran nimmt freilich eine etwas dunklere Farbe an, als das 
Bindegewebe der Umgebung, ja stellenweise erscheint die Membran 
sogar mehr braun. Daher glaube ich mich berechtigt, annehmen 
zu können, dass es sich hier um ein Bindegewebe handelt, aber 
um ein solches, das zum mindesten in färberischer Beziehung 
ein wenig modifiziert ist. 

Perez fand auch bestimmte Beziehungen zum Bindegewebe, 
ist jedoch der Meinung, dass jene Membran nicht hierzu, sondern 
zum Parasiten zu rechnen ist. 

Untersucht man nun einen jener kleineren Knoten, so findet 
man, dass er überall von Epithel bedeckt ist und dass unter 
diesem sich Bindegewebe befindet, in wechselnder Menge, an den 
dem Körper abgewandten Teilen immer am wenigsten; an dieser 
Stelle sieht man mitunter nur ganz vereinzelte Bindegewebsfasern, 
mitunter auch gar keine mehr. 

Die Kapsel selbst muss eine ziemliche Festigkeit besitzen. 
denn selbst dann, wenn sie bereits gesprungen war und der grösste 
Teil des Inhalts entleert ist, auch dann hatte sie beinahe noch 
ganz ihre Form behalten. Diese Fähigkeit erklärt sich wohl 
unschwer aus dem Umstande, dass die Kapsel aus einer grossen 
Menge feinster Fasern zusammengesetzt ist. Sonstige Ver- 
änderungen im Bindegewebe habe ich nicht gefunden, auch die 
Muskeln, an die die Knoten manchmal anstossen, zeigten keine 
Veränderungen gegenüber der Norm. Diese Beziehungen zum 
Bindegewebe gaben leider gar keinen Aufschluss über den Infektions- 
modus, denn der Umstand, dass man Teile des Knötchens ganz 
von Bindegewebe umgeben findet, spricht nicht gegen die oben- 
gemachte Anschauung, insofern dies hier sekundär entstanden 
sein kann. 

Der von der Membran umschlossene Raum ist prall angefüllt 
mit lauter kleinen, einzelnen Mikroorganismen; ihre Zahl an- 
nähernd zu schätzen, ist ganz unmöglich, einmal, weil sie sehr 
dicht liegen und sich dadurch zum Teil gegenseitig verdecken; 
denn selbst in 10 « dicken Schnitten muss man durch mehrere 
Lagen einander wenigstens zum Teil sich deckender Parasiten 
hindurchsehen, dann aber ist auch die Grösse der Knoten eine 
so wechselnde, dass man selbst aus der Berechnung der Schnitt- 
zahl nur zu einem ganz ungenauen Mittelwert kommen kann. 


386 Hans Moral: 


Dazu kommt dann noch eine rein technische Schwierigkeit: man 
findet nicht selten, dass ausserhalb des Präparates einzelne 
Parasiten liegen, und es entzieht sich nun vollständig der Be- 
urteilung, wieviel beim Schneiden, Übertragen und Färben auf 
diese Weise verloren gegangen sind. 

Dass der Parasit ein einzelliges Individuum ist, kann man 
am besten aus gefärbten Präparaten erkennen. Gewöhnliche 
Hämatoxylinpräparate geben hier schon einigen Aufschluss, Ge- 
naueres kann man aber erst dann sagen, wenn mehrere ver- 
schiedene Färbungen gemacht sind und man die einzelnen Resultate 
miteinander vergleichen kann. In dieser Beziehung gibt von den 
angewandten Färbungen die Saffranin-Lichtgrünfärbung die besten 
Bilder. 

Der einzelne Parasit zeigt im optischen Bilde eine runde 
Gestalt, und er muss wohl in der Tat diese Form haben, denn 
überall weist er dasselbe Bild auf, ganz gleich, in welcher Richtung 
man auf ihn blickt. Die meisten Bilder zeigten den Parasiten so, 
wie es etwa den Fig. 3 und 4 entspricht. Der Parasit hat überall 
die gleiche Grösse, denn an mehreren Stellen, an denen ich ihn 
gemessen habe, konnte ich feststellen, dass sein Durchmesser ca. 
6 u beträgt, und die grössten und kleinsten nur ganz unerheblich 
von dieser Zahl abweichen. Nur die nach Flemming fixierten 
Objekte zeigten zwischen den Parasiten kleine Körperchen, die 
ich aber aus weiter unten zu erörternden Gründen als zugrunde 
gegangene Parasiten ansehen möchte. 

Betrachtet man den Parasiten bei starker Vergrösserung, 
so ist das Auffallendste, dass beinahe die ganze Zelle angefüllt 
ist mit einem Körper, der so gross ist, dass er alles andere an 
den hand drückt und der so sehr das ganze Bild beherrscht, 
dass man ihn anfänglich für den wichtigsten Teil hält. Erst bei 
genauerer Untersuchung findet man dann alle die Teile, die man 
in einem einzelligen Individuum vermutet, und erkennt dann 
auch, dass dem Innenkörper trotz seiner imponierenden Grösse 
doch nur eine geringe Bedeutung beizumessen ist. Die Membran, 
die den Parasiten gegen die Aussenwelt abgrenzt, ist nicht überall 
deutlich zu sehen. Zwischen dieser Membran und dem zuvor 
genannten Innenkörper findet sich nur ein schmaler Raum von 
Protoplasma, in das eine Reihe kleiner Gebilde eingeschlossen ist. 
Der Protoplasmasaum ist nicht an allen Stellen gleich breit, viel- 


Über das Auftreten von Dermocystidium pusula. 387 


mehr ist er dort, wo der Kern sich findet, von mehr als der 
doppelten Stärke wie am entgegengesetzten Pole der Zelle. 
7/wischen diesen beiden Extremen findet in den Seitenteilen ein 
ganz allmählicher Übergang statt. Das Protoplasma scheint mir 
eine ganz feinmaschige Struktur zu haben, sofern man die er- 
haltenen Bilder nicht als Kunstprodukte ansehen muss. Den ver- 
schiedenen Färbemethoden gegenüber verhält es sich einigermaßen 
verschieden, im allgemeinen kann man sagen, dass eine besondere 
Affinität zu den Farben nicht besteht, denn in fast allen Bildern 
zeigt der Protoplasmasaum einen blassen Ton. 

An der Stelle, an der das Protoplasma seine grösste Dicke 
hat, findet sich ein Gebilde, das sich mit der Safranin-Lichtgrün- 
färbung rot tingiert hat und ganz deutlich gegen seine Umgebung 
abzugrenzen ist. Dieses Gebilde ist in nicht seltenen Fällen um- 
geben von einem hellen Hofe. Man kann wohl, ohne zu weit zu 
gehen, dieses sich rot färbende Körperchen als den Kern des 
(sanzen ansehen und muss dann den hellen Hof (da für eine 
Deutung als Kunstprodukt infolge Schrumpfung keine Gründe 
vorliegen) wohl für eine Art Saftraum erklären. Neben dem 
sich rot färbenden Kern findet man wohl in allen Präparaten — 
mitunter aber äusserst schwer zu sehen — einige viel kleinere 
Körperchen, die gleichfalls eine rote Farbe zeigen und die um 
so kleiner werden, je weiter sie von dem Kern entfernt sind: ihre 
Zahl ist schwankend, man findet meist zwei bis vier auf jeder 
Seite. Die Deutung dieser (Gebilde macht nun schon bedeutendere 
Schwierigkeiten als die des Kernes selbst: denn wenn man auch 
aus der Gleichheit der Färbung mit einiger Sicherheit schliessen 
darf, dass diese Körperchen mit dem Kerne in chemischer Be- 
ziehung einige Verwandtschaft besitzen, dann kann man daraus 
absolut keine Schlüsse ziehen über die biologische Bedeutung 
des Gebildes und über den Wert, den sie für den Parasiten 
haben. Man muss es zunächst dahingestellt sein lassen, ob diese 
Körper dem eigentlichen Kerne gleich erachtet werden müssen 
oder ob es Einschlüsse ganz anderer Art sind. Wenn ersteres 
zuträfe, dann würde man sich das ganze als Vorstufe für die Ver- 
mehrung des Parasiten denken können und das nächste Stadium 
wäre das, wo der Parasit in so viel Tochterzellen zerfällt, als er 
zurzeit Kerne besitzt. Für diese Auffassung spricht ziemlich 
wenig, denn die ganze Zelle macht nicht den Eindruck, als wenn 


388 Hans Moral: 


sie sich zur Vermehrung anschicken wollte, auch wird man in 
diesem Falle eher eine Gleichheit der einzelnen Kerne erwarten 
müssen, als eine Ungleichheit. Gegen diese Auffassung spricht 
auch der Innenkörper, der offenbar einen Reservekörper darstellt: 
dies würde eher mit einem Zustand der Ruhe, nicht aber mit 
einem der Zellvermehrung in Einklang zu bringen sein. In 
ähnlicher Weise äussert sich auch Perez: „Il s’agit done la, 
semble-t-il d’une sorte de spore durable marquand la fin d’une 
evolution inconnue.“ 

Die Biondi-Färbung hat nicht vermocht, in diese Frage 
Klarheit zu bringen, denn damit färbt sich der eigentliche Kern 
dunkelrot, daneben findet man aber auch jene kleinen Gebilde 
in ähnlicher oder gleicher Weise tingiert. Auch die Eisen- 
hämatoxylin-Färbung nach Heidenhain hat kein neues Licht 
in die Frage gebracht. Mit dieser Färbung nun findet sich der 
Kern des Parasiten ganz dunkelschwarz gefärbt, aber auch die 
kleinen Körperchen kann man bei deutlichem Zusehen beobachten, 
meist sind sie freilich nur schwer zu sehen, mitunter aber be- 
obachtet man eine ganz bedeutende Zahl ziemlich gleichmässig 
im Protoplasmastreifen verteilt, oft liegen sie der äusseren Membran 
ganz dicht an. 

Ausser diesen Gebilden findet sich nun noch ganz besonders 
jener grosse, schon zu Anfang genannte, ein wenig exzentrisch 
gelegene Körper, der weitaus den grössten Teil der Zelle für 
sich in Anspruch nimmt und sich mit einer gewöhnlichen Häma- 
toxylin-Färbung ein wenig dunkler tingiert als der Protoplasma- 
saum, heller aber als der Kern. Dieser Körper erscheint beinahe 
ganz und gar rund, mitunter an der Stelle. wo er in die Nähe 
des Kernes kommt, ein wenig abgeflacht. Anfänglich machte es 
den Eindruck, als ob sich in diesem Körper noch einmal ein 
kernartiges Gebilde findet, denn man sah in der Mitte einen 
runden Teil, der sich ein wenig anders tingierte als seine Um- 
gebung. Das stellte sich dann aber doch als nicht ganz zutreffend 
heraus, weil diese dunkle Stelle ihre Grösse änderte, je nachdem 
man die Mikrometerschraube bewegte, also wechselte mit der 
optischen Ebene, die jeweils eingestellt war. Das erinnerte nun 
sehr an das Verhalten der roten Blutkörperchen der Säuger, nur 
war das optische Phänomen hier ein umgekehrtes, daher muss 
man den Gedanken mit in Erwägung ziehen, ob es sich hier 


Über das Auftreten von Dermocystidium pusula. 389 


doch vielleicht ganz ähnlich wie bei den Blutkörperchen nur um 
eine verschiedene Dicke eines sonst ganz gleichmässig gebauten 
Körpers handeln könnte. Da dieser Innenkörper als ein Ein- 
schluss in der Zelle angesehen werden muss, so kann das ja 
auch sehr wohl möglich sein. 

Über die chemischen Verhältnisse dieses Körpers konnte 
ich keinen genauen Aufschluss erhalten, und ich kann daher nur 
das sagen, was sich aus den verschiedenen Färbungen ergeben 
hat. Es sei erwähnt, dass auch P&rez an ein pflanzliches Gebilde 
gedacht haben muss, denn er stellte die üblichen Reaktionen auf 
Cellulose an, allerdings mit negativem Erfolge. Er fügt hinzu, 
dass man daraus keinerlei Schlüsse ziehen dürfe, denn auch bei 
Pilzen finde man nicht selten, dass die Reaktion nicht positiv 
ausfiele. Auch ich konnte Cellulose nicht nachweisen. 

Die van Gieson-Färbung zeigt den Innenkörper ähnlich 
gefärbt wie das umliegende Protoplasma, auch hier zeigt er sich 
etwas dunkler als dieses. Die Farbe, die der Parasit hierbei als 
(ranzes angenommen hat, ist eine rötliche, und erinnert bis zu 
einem gewissen Grade an den Farbton, den das Bindegewebe bei 
dieser Färbung zeigt, allerdings fehlt das Leuchtende, die Farbe 
ist eine mehr stumpfe. Die obengenannten physikalischen Ver- 
hältnisse des Innenkörpers treten bei .dieser Färbung weniger 
deutlich hervor. 

Ganz andere und auf den ersten Blick sehr überraschende 
Bilder gibt die Eisenhämatoxylin-Färbung nach Heidenhain, 
denn hier sieht man den ganzen Innenkörper mattgrau gefärbt, 
während der innerste Teil dunkelschwarz erscheint und dieselbe 
Farbe zeigt wie der Kern. Die Gestalt dieses innersten Körpers 
ist bei dieser Färbung eine mehr längliche, manchmal auch ein 
wenig mehr rund; mitunter erscheint die Figur eingekerbt und 
bietet dann ein noch komplizierteres Bild (Fig. 4). Dieser dunkle 
Fleck ist grösser als der eigentliche Kern der Zelle. 

Der innenkörper färbt sich mit Saffranin-Lichtgrün bei 
einigen Parasiten schmutzig rötlich und nicht so schön leuchtend 
wie der Kern; bei anderen Parasiten hat er einen mehr grau- 
grünen Ton angenommen, in diesem Falle zeigt auch der Parasit 
als Ganzes eine ähnliche Tinktion. Übergänge aller Art von der 
einen Farbe zur anderen finden sich reichlich und sind wohl am 


leichtesten durch die Technik der Färbung zu erklären. In den 
Archiv f. mikr. Anat. Bd.81. Abt. I. 26 


390 Hans Moral: 


Fällen, in denen der Innenkörper rot gefärbt ist, erscheint wieder 
der innerste Teil von ihnen dunkler. Hier macht es häufig den 
Eindruck, als wenn dieser Teil grösser ist als es zuvor auf Grund 
der Eisenhämatoxylin-Färbung schien. Auch mit anderen Methoden 
gefärbte Präparate geben da keine neuen Gesichtspunkte. 

Es erhebt sich nun sofort die Frage, was das für ein Körper 
sein mag und welche Bedeutung ihm beizumessen ist. Nach der 
hier gegebenen Beschreibung scheint es mir kaum zweifelhaft, 
dass es sich um einen Reservekörper handelt, der vielleicht dazu 
bestimmt ist, um in Zeiten schlechter Ernährung als Reservefonds 
zu dienen; auch die Möglichkeit einer Concrement-Ablagerung in 
das Innere der Zelle darf man nicht aus dem Auge lassen, doch 
scheint mir das in Anbetracht der Grösse des Körpers und seiner 
runden Gestalt nicht gerade wahrscheinlich. Schliesslich muss 
man auch noch daran denken, dass es möglichenfalls Abfall- 
produkte des Stoffwechsels der Zelle sein könnten, die hier nicht 
nach aussen entleert, sondern im Innern angehäuft wurden. 

Wenn es sich wirklich, wie es am wahrscheinlichsten ist, 
um einen Nährkörper handelt, so entsteht natürlich sofort die 
Frage: woraus mag dieser Nährkörper bestehen? Wie mag er 
chemisch zusammengesetzt sein? So viel kann man aus dem 
bislang Geschilderten schon sagen, dass es zum mindesten chemisch 
kein ganz einheitlicher Körper sein kann, wofür eben das ge- 
schilderte Verhalten bei den einzelnen Färbungen spricht. Zu- 
nächst muss man daran denken, dass hier ein Fettkörper vorliegen 
könnte, was man aber aus dem negativen Ausfall der Flemming- 
schen Fixierung und ebenso der Färbung mit Kongorot als aus- 
geschlossen ansehen kann. Dass auch Glykogen nicht in Frage 
kommt, geht aus dem Verhalten nach der Fixation in wässerigen 
Mitteln hervor, denn Glykogen als ein in Wasser äusserst leicht 
löslicher Körper wäre unbedingt ausgelaugt worden, statt dessen 
findet sich der Innenkörper auch in den so behandelten Präparaten 
deutlich vor. Versuche mit Jod, resp. mit Jod und Schwefelsäure 
auf Stärke und Cellulose fielen gleichfalls negativ aus. Es bleibt 
noch die Möglichkeit, dass es sich um einen Eiweisskörper handelt, 
wenngleich auch die Xanthoprotheinreaktion und die Millonsche 
Reaktion kein positives Resultat ergaben. Dies will jedoch nicht 
viel bedeuten. Denn bei der Dünne des Objektes kann man 
geringe Veränderungen in der Farbe leicht übersehen. Der Um- 


Über das Auftreten von Dermoeystidium pusula. al 


stand, dass es sich in der Tat um einen Eiweisskörper handelt, 
findet vor allem eine Stütze in dem Verhalten gegen die einzelnen 
Farbstoffe. Wenn man dies nun als zu Recht bestehend annehmen 
will, dann muss man auch einen weiteren Schritt gehen und sagen, 
dass es sich hier offenbar um zwei verschiedene Eiweißstoffe 
handelt, von denen der eine den anderen schalenartig umgibt. 
Dieser innerste Eiweisskörper hat offenbar eine runde, kugel- 
förmige Gestalt, wie aus den Präparaten hervorgeht. Dies erklärt 
nun mit einem Male das eigentümliche Verhalten, das zu Anfang 
beschrieben werden konnte. Man stellt sich die Sache nun wohl 
am einfachsten so vor: Der innerste dunkelgefärbte Körper hat 
eine Kugelgestalt und wölbt dadurch den ihn schalenartig um- 
gebenden zweiten Eiweisskörper in der Mitte vor. Hierdurch 
kommt es dann, dass man, wenn gerade die Stelle im optischen 
Bilde eingestellt ist, an der der höchste Teil jenes kugeligen 
Innenkörpers liegt, zunächst nur ganz wenig von dem innersten 
Eiweisskörper erkennen kann, in dem das andere zum Teil durch 
den äusseren Fiweisskörper, der auch eine graue Farbe ange- 
nommen hat, verdeckt wird. In dem Maße nun, wie man die 
Bildebene senkt, wird mehr und mehr von dem inneren Eiweiss- 
körper sichtbar und es hat dies das oben beschriebene Verhalten 
von der Veränderung der Grösse des innersten Teiles bedingt. 
Dies alles ist natürlich nur möglich, solange innerer und äusserer 
Eiweisskörper Farben angenommen haben, die durch ihre Intensität 
und den Ton nicht alle Konturen verwischen. In dieser Beziehung 
muss man auch eine gewisse Vorsicht bei der Aburteilung der 
Eisenhämatoxylin-Färbung walten lassen, indem man nicht ohne 
weiteres einen Schluss auf die wirkliche Grösse des sich dunkel 
färbenden Innenkörpers machen darf. 

Hiermit ist im wesentlichen die Beschreibung zu Ende, die 
ich von dem Parasiten in gefärbtem und fixiertem Zustande zu 
geben habe, und es sind nur noch einige Worte zu sagen über 
den Einfluss der auf die Epithelzellen der Haut erkennbar ist. 
Dass die Epithelzellen über den Knoten einfach durch Raum- 
mangel mechanisch fest aneinander gepresst sind, darf nicht 
weiter wundernehmen. Anders hingegen sieht es mit dem Ver- 
halten einiger Kerne von Drüsenzellen aus, die in der Nachbar- 
schaft des Parasiten gelegen sind; hier macht es mitunter den 


Eindruck, als ob die Kerne ein wenig grösser seien als es der 
26* 


392 Hans Moral: 


Norm entspricht, doch wage ich darüber kein definitives Urteil 
zu fällen. } 

Wenn schliesslich noch Präparate in den Kreis der Unter- 
suchung mit hineingezogen werden sollen, in denen der Parasit 
angetrocknet auf Glimmerplättchen aufbewahrt wurde, so ist 
darüber eigentlich nicht viel zu sagen. Bei der Untersuchung 
der ungefärbten Präparate ergeben sich keine neuen Gesichts- 
punkte, und auch gefärbt lassen sie nicht mehr erkennen, als 
die in Serien geschnittenen Hautstücke. 

In Wasser aufbewahrt, halten sich die Parasiten nur sehr 
schlecht, sie zeigen unter dem Deckglase, in dem Maße, wie das 
Wasser eintrocknet, ebenfalls Eintrocknungserscheinungen und 
sind schliesslich kaum mehr in ihrer Form zu erkennen. Nach 
der Eintrocknung sind keinerlei feinere Strukturen mehr an ihnen 
zu erkennen. Durch Hintanhaltung des Wasserverlustes kann 
man die einzelnen Parasiten länger am Leben erhalten. 

Bei dieser Gelegenheit muss ich auch noch jener Reihe 
von kleinen Körpern Erwähnung tun, die zuerst in Flemming- 
Präparaten gefunden sind und die dann später auch in anders 
behandelten Objekten gesehen wurden. Diese Körperchen sind 
ganz klein, viel kleiner noch als der Parasit und etwa von der- 
selben Grösse wie der Kern der Zelle. Sie sind fetthaltig, denn 
mit Osmiumsäure färben sie sich ganz dunkelschwarz, müssen 
aber auch sonst noch einen die Farbstoffe aufnehmenden Bestand- 
teil enthalten, da sie sich mit den meisten Farbstoffen blass 
tingieren. Mit Eisenhämatoxylin färben sie sich nicht. Diese 
kleinen Körperchen möchte ich eben in Rücksicht auf ihren Fett- 
gehalt als zugrunde gegangene Parasiten ansehen; irgend eine 
feinere Struktur konnte ich an ihnen nicht finden. Ihre Zahl 
ist sehr schwankend. 

Wenn nun noch einige Worte über den Platz gesagt werden 
sollen, der dem Parasiten in der Systematik zukommt, so muss 
zunächst die Frage aufgeworfen werden, ob es sich hier um ein 
pflanzliches oder um ein tierisches Individuum handelt. Dies ist 
nicht ganz leicht zu entscheiden, denn wenn auch P@rez oftenbar 
an ein pflanzliches Gebilde gedacht hat, so entscheidet er sich 
doch nicht ganz und lässt die Frage der Systematik ungelöst. 
Alexejeff nahm anfänglich an, dass es sich um encystierte 
Flaggelaten handele, sah also in dem Parasiten ein tierisches 


Über das Auftreten von Dermoeystidium pusula. 333 


Individuum. Er änderte dann seine Meinung und sieht in ihm 
ein den parasitischen Hefen nabestehendes Gebilde, dem er den 
Namen Blastocystis interocola (Alexejeff) gibt. 


Erklärung der Abbildungen auf Tafel XXIX. 


Fig. 2. a = Cyste mit Parasiten, b = Hautdrüsen, c — kraterförmige 
Vertiefung nach Abstossung der Cyste (Lupen - Objektiv, Ok. 12). 

Fig. 3a. Saffranin-Liehtgrün (!/ıs Öl-Imm., Ok. 12). 

Fig. 3b. Saffranin-Lichtgrün (!/ıs Öl-Imm., Ok. 12). 

Fig.3 und 4 k = Kern, p = Protoplasmasaum, i = Innenkörper. Eisen- 
hämatoxylin (!/1s Öl-Imm., Ok. 12). 


DIA 


Aus der Anatomischen Anstalt zu Tübingen. 


Über das Chondriom der Pankreaszellen.') 
Von 
Dr. N. Mislawsky aus Kazan, Russland. 


Hierzu Tafel XXX. 


I. 


Die Entdeckung der Pankreasgranula durch Glaude 
Bernard (1856) bezeichnet den Ausgang aller Untersuchungen 
über die geformten Sekretmaterialien. Anfangs zwar waren die 
Befunde auf diesem Gebiete mehr zufälliger Natur und nicht 
allgemein bekannt, so lange, bis R. Heidenhain in der zweiten 
Hälfte der sechziger Jahre dem Gegenstande systematische Studien 
widmete und die Schicksale der in den Drüsenzellen sichtbar auf- 
gestapelten Stoffe in ein festes Verhältnis zur Sekretionsperiode 
zu setzen suchte. Diese Untersuchungen erregten seinerzeit 
grosses Aufsehen, weil man zum ersten Male die Veränderungen 
der Zellen, welche mit ihrer physiologischen Tätigkeit Hand in 
Hand gehen, an einem ausgezeichneten Beispiele kennen lernte, 
und es entstand daher in den folgenden zwei Jahrzehnten eine 
‘reiche Literatur, an welcher neben den Schülern Heidenhains 
(Lavdowsky, Grützner etc.) viele andere Autoren beteiligt 
waren (Pflüger, Schwalbe, von Ebner, Langerhans, 
Nussbaum, Biedermann und besonders Langley). Jedoch 
erst Altmann (1890, erste Auflage der „Blementarorganismen“ 
gab der Sache eine neue Wendung; denn während die älteren 
Autoren angenommen hatten, dass die in den Drüsenzellen auf- 
tretenden körnigen Materialien tote Reservestoffe seien, bestimmt 
zum Aufbrauch während des Verlaufs der äusseren Sekretion, 
suchte Altmann darzulegen, dass die Drüsengranula lebendige 
Gebilde, Bioblasten, seien, welche an der Hervorbildung der 
spezifischen Drüsenprodukte mitarbeiten und sich durch Selbst- 


!) Herr Dr. Mislawsky hatte die russische Niederschrift der vor- 
liegenden Arbeit im April 1912 vollendet. Die Übertragung ins Deutsche 
hat sich indessen verzögert, und so konnte das Manuskript erst zu Beginn 
des Winters der Redaktion übergeben werden. M. Heidenhain. 


Über das Chondriom der Pankreaszellen. 395 


teilung (auf direktem Wege oder vermittelst der „vegetativen“ 
Fädchen) regenerieren. 

Es ist bekannt, dass die weitschichtigen Arbeiten Altmanns 
auf dem Gebiete der Drüsenliteratur eine nachhaltige Wirkung 
gehabt haben, und dass infolge der von diesem Autor gegebenen 
Anregungen besonders die Frage der lebendigen Natur der Drüsen- 
eranula, ebenso das Problem ihrer Herkunft eifrig diskutiert 
worden ist. M. Heidenhain hat über die Resultate der in Rede 
stehenden Arbeitsperiode, zum Teil fussend auf seinen eigenen 
Untersuchungen (Beckendrüse, Giftdrüsen etec.), in seinem Werke 
über „Plasma und Zelle“ ein ausführliches Referat gegeben und 
als Summe der damaligen Erfahrungen festgelegt (1906), dass 
die Geschichte der Granula in zwei Perioden zu gliedern ist, eine 
erste, während der sie assimilieren und wachsen und demgemäss 
als lebendige Organellen der Zelle sich verhalten, und eine zweite 
der Auflösung und des Zerfalls, in deren Verlauf ihre stofflichen 
Bestandteile in das flüssige Sekret übergeführt werden. 

Jedoch die intimste Seite der Geschichte der Granula, nämlich 
ihre Herkunft, konnte bis zum heutigen Tage nicht genügend 
aufgeklärt werden, und so sind besonders im Anschlusse an die 
Untersuchungen über die Chondriosomen in den letzten Jahren 
abermals eine grössere Reihe von Untersuchungen erschienen, 
welche sich mit diesem Gegenstande befassen. Diese Frage hat 
mein Interesse erregt, und ich will mit der vorliegenden Arbeit 
versuchen, der neueren Entwicklung der Dinge zu folgen. 

Es ist klar, dass, wenn die Drüsengranula zunächst lebendige 
Örganellen der Zelle sind, zu ihnen Muttergebilde gesucht werden 
müssen, von denen sie abstammen. In dieser Richtung bemühen 
sich die Anstrengungen der neueren Autoren. Ich kann nun für 
meinen Teil darauf verzichten, eine ausführliche referierende 
Übersicht über die Abstammungsfrage im allgemeinen zu geben, 
da sich meine Arbeit im wesentlichen auf das problematische 
Verwandtschaftsverhältnis zwischen Chondriosomen und Drüsen- 
eranula bezieht. Es mag uns vielmehr genügen, festzustellen, 
dass a priori betrachtet eigentlich nur drei Möglichkeiten der 
Auflösung der Abstammungsfrage gegeben sind, welche ich wie 
folgt aufrechne. 

1. Die kleinsten Anlagen der Granula könnten ein 
konstantes histologisch sichtbares Element der Zellstruktur 


396 N. Mislawsky: 


sein, indem sie sich nach dem Altmannschen Prinzip „omne 
granulum ex granulo“ vermehren; sie würden alsdann, um einen 
neueren Ausdruck zu gebrauchen, dem Kreise der Teilkörper oder 
Histomeren (M. Heidenhain) zugerechnet werden können. 

2. Diese Anlagen könnten eventuell auch als das Resultat 
einer besonderen Differenzierung innerhalb der optisch gleich- 
artigen, jedoch lebenden Grundmasse der Zelle zur Erscheinung 
kommen, eine Eventualität, welche schon Altmann (vergl. 
M. Heidenhain, Plasma und Zelle, Bd. 1, S. 395) ins Auge 
gefasst hatte, nachdem er schliesslich zu der Ansicht gekommen 
war, dass die homogene Grundsubstanz der Zelle (das „intakte 
Protoplasma“) aus unsichtbaren Granulis oder Bioblasten sich 
zusammensetze. Diese Auffassung würde mithin dem Sinne nach 
eventuell mit der These unter 1. zur Deckung gebracht werden 
können. 

3. Die kleinsten sichtbaren Anlagen der Granula könnten 
sich schliesslich auch von besonderen präexistenten histo- 
logisch bestimmt geformten Strukturteilen der Zelle ab- 
leiten. In diesem Falle kommnn den Umständen nach nur die 
verschiedenartigen Formen der Plasmafilamente in näheren Betracht. 

Diese letztere Vermutung ist es, welche in den jüngst ver- 
gangenen Jahren wiederum im Vordergrunde der Diskussion ge- 
standen hat, und zwar waren es die fadenförmigen Chondriosomen 
oder Chondriokonten von Meves, denen zuerst die franzö- 
sischen Autoren, später andere, eine hervorragende Rolle in der 
Bildung des geformten Sekretmateriales zugeschrieben haben. 
Über die Untersuchungen, welche in dieser Richtung sich be- 
wegen, erlaube ich mir im folgenden eingehend zu referieren, 
da es mein hauptsächliches Bestreben gewesen ist, die ein- 
schlägigen Angaben der Autoren an einem günstigen Objekte, 
dem Pankreas, zu kontrollieren. 

Alle Bemühungen auf dem in Frage stehenden Felde gehen 
schliesslich auf die älteren Arbeiten Bendas zurück. Benda 
war der erste Autor, der in den Zellen eines Drüsenorgans, 
nämlich der Niere, Strukturen von mitochondrialem Charakter 
auffand (1903). Nach seiner Meinung bestehen nämlich die be- 
kannten von R. Heidenhain entdeckten Stäbchen des Nieren- 
epithels aus mitochondrialer Substanz. Ihm folgend, haben M. und 
P. Bouin (1905) das Vorkommen der Chondriosomen in den 


Uber das Chondriom der Pankreaszellen. 397 


serösen Zellen der Speicheldrüsen festgestellt und den Versuch 
gemacht, diese Bildungen mit dem „Ergastoplasma“ von Garnier, 
bezw. den „Basalfilamenten“ von Solger zu identifizieren. 

Nachdem dieser Anfang gemacht war, erschienen in schnellerer 
Folge eine ganze Anzahl von Mitteilungen, durch welche die all- 
gemeine Verbreitung der teils körnchen-, teils fadenförmigen 
Chondriosomen in den Drüsenzellen festgestellt und der Versuch 
gemacht wurde, die spezifischen Granula der Genese nach von 
jenen abzuleiten. 

So haben Regaud und Mawas (1909, I, II, III) bei einer 
ganzen Reihe von Säugetieren (Mensch, Hund, Katze, Esel) in 
den serösen Zellen der Speicheldrüsen das Vorhandensein eines 
mitochondrialen Apparates nachweisen können. Dieser besteht 
hier nach den Mitteilungen der Autoren aus einer Summe von 
Fäserchen, welche nach ihrer morphologischen Beschaffenheit zu 
den Chondriokonten von Meves gehören und mit den vegetativen 
Fäserchen von Altmann identisch sind. Weiterhin haben diese 
Autoren ganz richtig dargetan, dass die gedachten Fädchen mit 
den Basalfilamenten von Solger oder dem Ergastoplasma von 
(Garnier gar nichts zu tun haben, sondern mit letzteren 
Strukturen koexistent und demgemäss im Verhältnis zu ihnen 
interstitiell gelagert sind. Es gelang ferner den erwähnten 
Autoren, Veränderungen in der Form und in der Verteilung der 
Uhondriokonten im Verlaufe der verschiedenen Stadien der Tätig- 
keit der sezernierenden Zelle zu beobachten. „Ces elements“, 
sagen Regaud und Mawas zum Schluss ihrer letzten Arbeit, 
„presentent des varlations connexes aux variations des grains de 
segregation; ces varlations sont cycliques: elles traduisent les 
phases et l’alternances fonctionnelles des cellules. En passant 
du minimum au maximum d’accumulation du mat£riel elabore et 
inversement, les phönomenes secretoires se succedent ainsi: for- 
mation de plastes le long des filaments (sc. mitochondriaux), trans- 
formation des plastes en grains de segregation independants des 
filaments, et maturation des grains; dissociation, au moment de 
lexeretion, de la substance a exereter et du substratum plastique, 
qui est probablement r&ecoupere“ (1909, III). Auch O. Schultze 
(1911) kam auf Grund seiner Beobachtungen über die Zellen der 
Glandula parotis bei der Maus zu dem Schluss, dass die faden- 
förmigen Elemente des Chondrioma fähig sind, auf dem Wege der 


398 N. Mislawsky: 


Segmentierung und der weiteren Umwandlung der entstehenden 
Fragmente die serösen Drüsengranula zu liefern. 

Weiterhin gelang es Guieyesse-Pelissier (1911) mito- 
chondriale Bildungen bei der Submaxillaris der Maus nachzuweisen. 
Eine wirkliche Umwandlung der Elemente des Chondrioms in 
Sekretgranula beobachtete er jedoch nicht, denn er war ausser 
stande, bei der Differenzialfärbung der Chondriosomen und der 
Sekretgranula mittels der kombinierten Methode von Sjövall 
und Altmann das Vorhandensein von Übergangsformen fest- 
zustellen. Obwohl nun der Autor im Prinzip den genetischen 
Zusammenhang zwischen beiden Körperklassen für durchaus mög- 
lich hält, entschliesst er sich doch nicht, sich positiv dafür aus- 
zusprechen. 

In den Epithelzellen der Pflügerschen Tubuli der Speichel- 
drüsen wurde die Existenz des mitochondrialen Apparates zuerst 
von Regaud und Mawas (1909, III) festgestellt. Diese Autoren 
kamen zu dem Schlusse, dass an dem genannten Orte die seit 
Pflüger bekannte basale Streifung durch die Gegenwart der 
Chondriosomen bedingt wird, eine Ansicht, welcher OÖ. Schultze 
später beitrat. 

Das Chondrioma der Pankreaszelle, welches zuerst von Hoven 
(1910) beim Kaninchen beschrieben wurde, ist späterhin in den 
Arbeiten von Champy (1911, Batrachier, Hund) und OÖ. Schultze 
(l.e., Frosch) näher besprochen worden. Ich nehme davon Ab- 
stand, auf die von diesen Autoren erzielten Resultate schon jetzt 
näher einzugehen, da das Pankreas der Gegenstand meiner vor- 
liegenden Arbeit ist und ich mich mit den genannten Autoren 
weiter unten im einzelnen auseinandersetzen werde. Einstweilen 
begnüge ich mich damit, zu erwähnen, dass diese Autoren die 
Anlagen der Granula von Olaude Bernard aus den Öhondrio- 
konten durch deren körnige Metamorphose hervorgehen lassen. 

Die Chondriosomen der Leberzellen wurden besonders eifrig 
von den französischen Autoren studiert: man untersuchte nicht 
nur ihre morphologische Erscheinungsweise, sondern auch ihre 
Veränderungen unter verschiedenen biologischen Bedingungen 
ebenso wie ihre chemische Zusammensetzung. Policard (Frosch 
und Säugetiere, 1909, I und II) fand, dass das Chondriom der 
Leberzelle aus einer Summe kurzer Fädchen oder Chondriokonten 
besteht, die mit den Elementarfädchen von Altmann beim Frosch 


Über das Chondriom der Pankreaszellen. 399 


und den von Landsteiner (zitiert nach Policard) bei Säugern 
beobachteten analogen Bildungen identisch sind. Beim Frosch 
konnte Policard irgendwelche besonderen Veränderungen des 
Chondrioms, welche etwa mit der Sekretbildung in Zusammenhang 
gebracht werden könnten, nicht konstatieren; bei den Säugetieren 
jedoch fand er, dass die Uhondriokonten durch Fragmıentierung 
und weitere Veränderung in schwach färbbare grosse Granula 
spezifischer Art übergehen. In einigen späteren Mitteilungen 
(1909, III, 1910, 1912, I) berichtet Policard unter anderem 
über das Verhalten des Chondrioms der Leberzelle bei Intoxi- 
kationen und bei hohen Temperaturen, ebenso bei der Autolyse 
nach dem Tode. Als besonders bemerkenswert hebe ich hervor, 
dass unter den erwähnten Bedingungen die Degeneration, bezw. 
rückläufige Veränderung des Chondrioms der Regel nach zu einer 
körnigen Verwandlung desselben führt, welche jedoch nicht durch 
Zerfall, sondern durch Zusammenziehung und entsprechende Ab- 
änderung der Elementarfädchen zustande kommt. Mit diesen Ver- 
änderungen der äusseren Form sollen auch solche der chemischen 
Zusammensetzung Hand in Hand gehen, welche an einer Abnahme 
der Färbbarkeit in den zentralen Teilen der Chondriosomen 
kenntlich werden. Gelegentlich kam es unter den gleichen Be- 
dingungen zu einer völligen Auflösung des Chondrioms:; hierbei 
nahm das ganze Protoplasma die charakteristische Färbbarkeit 
der mitochondrialen Substanz an. 

In diesen seinen letzten Mitteilungen (1912, II und III) be- 
richtet Policard noch einmal ergänzend und zusammenfassend 
über die zahlreichen Verwandlungen der Chondriosomen, welche 
im normalen Verlauf der Dinge zustande kommen. Nach seiner 
Meinung können sie durch die besondere Mittelform der „plastes“ 
(Plastiden) in Sekretgranula oder in Fettröpfchen übergehen, ja 
sogar kristallinische Blutpigmente in sich speichern. 

N. Fittinger und Lyon-Caen (1910) kamen auf Grund 
ihrer eigenen Beobachtungen zu dem Schluss, dass die Sekret- 
granula und die Fettröpfchen sich in der Leberzelle auf Kosten 
der Elemente des Chondrioma hervorbilden. Auch Prenant sah 
die Fettröpfehen der Leberzelle bei Batrachiern auf die gleiche 
Weise entstehen, wofür er folgendes Verwandlungsschema fest- 
stellt: Chondriokonten — Chondriomiten — Mitochondrien — 
Plastiden („plastes“) — Fettröpfchen. 


400 N. Mislawsky: 


Was die Niere betrifft, so hat Policard (1905, I und H), 
anknüpfend an die älteren Untersuchungen Bendas, bestätigt, 
dass die sezernierenden Zellen dieses Organs mitochondriale 
Bildungen enthalten, welche nach der Auffassung der genannten 
Autoren den von R. Heidenhain entdeckten Stäbchenformationen 
zugrunde liegen sollen. Auch hat Policard einige Variationen 
in der Verteilung und in der Form der Chondriosomen bei den 
Epithelien identischer Drüsenabschnitte nachweisen können und 
hält demnach diese Varianten für solche, welche mit der funk- 
tionellen Tätigkeit des Organs in Zusammenhang stehen, obgleich 
er dies im einzelnen nicht genauer feststellen konnte. Jedenfalls 
lehnt der Autor es ab, den mitochondrialen Stäbchen mit Benda 
motorische Funktionen zuzuschreiben. » Ihre Beteiligung am 
Sekretionsprozesse sucht Regaud bei der Schlangenniere in 
genauerer Weise zu ermitteln. Hier enthalten die Drüsenzellen, 
wie vielfach bei niederen Wirbeltieren, charakterische Granula, 
welche nach Regaud einer formativen Tätigkeit des Chondrioms 
ihre Entstehung verdanken. Nach seiner Vorstellung bilden sich 
die Granula längs dem Chondriokonten in Form sehr feiner 
Körperchen, die später, nachdem sie den ganzen Zyklus der Aus- 
reifung durchgemacht haben, während der sekretorischen Phase 
der Zelltätigkeit, nahezu verschwinden, indem sie nur ein blasses, 
sich schwach färbendes Substrat hinterlassen.') Endlich hat auch 
O0. Schultze die Nierenepithelien von neuem untersucht und 
bezieht mit den vorgenannten Autoren die R. Heidenhainsche 
Plasmastreifung der Zellen auf die Gegenwart der mitochondrialen 
Substanz. 

H. Hoven (1911) beschäftigt sich in einer neueren Arbeit 
mit dem Chondriom der Milchdrüse und sucht dessen Beteiligung 
am Sekretionsprozesse nachzuweisen. Entsprechend der Dar- 
stellung, welche der Autor schon früher vom Pankreas gegeben 
hatte, sollen auch hier die Chondriokonten durch Fragmentierung 
zerfallen. Die auf diese Weise entstehenden feinen Körperchen 
verwandeln sich fernerhin einesteils in Sekretgranula, andernteils 
in Fettröpfehen. Von ersteren leitet der Autor das Kasein der 
Milch ab. 

Auch die Hauptzellen der Magendrüsen enthalten nach 
Regaud (1908, I) die Elemente des Chondrioms; diese sollen 


1) Siehe die oben referierte Arbeit vonRegaud undMawas (1909, III). 


Über das Chondriom der Pankreaszellen. 401 


nach einer Untersuchung von O. Schultze an der Sekretbildung 
teilnehmen, und zwar wiederum in der Art, wie dies zuerst von 
Hoven für die Drüsenelemente des Pankreas dargelegt wurde. 
Es sollen also die Chondriokonten sich fragmentieren und alle 
Übergangsstadien zwischen den Fragmenten und den wahren 
Drüsengranula auffindbar sein. O. Schultze hat auch in der 
Glandula thyreoidea die Anwesenheit des Chondrioms festgestellt. 

Weiterhin hat Mulon (1910, I und I, i912) die Gegen- 
wart der Chondriosomen in den Nebenvierenzellen festgestellt 
und sich dafür ausgesprochen, dass sie im ganzen Bereiche des 
Organs bei der Ausarbeitung der spezifischen Drüsenprodukte 
beteiligt sind. 

Endlieh sind in der Glandula parathyreoidea die Chondrio- 
somen von G. Bobeau (1911) beschrieben worden; hier sollen 
nach des Autors Meinung die lipoiden Einschlüsse der Drüsen- 
zellen aus der mitochondrialen Substanz sich hervorbilden. 


Anschliessend an die vorstehende Darlegung betreffend die 
Beteiligung der Ohondriosomen am Sekretionsprozesse möchte ich 
hervorheben, dass nach der Ansicht einiger neuerer Autoren ihnen 
auch noch andere Stoffwechselfunktionen zukommen. So z. B. 
kann jetzt in der Literatur eine Richtung beobachtet werden, 
nach welcher den Uhondriosomen auch eine Absorptionsfunktion 
bei der Assimilation verschiedener in der Umgebung der Zelle 
befindlicher Stoffe zugeschrieben wird. Diese Funktion hat Regaud 
(1909, 1911) mit dem angeblichen Lipoidgehalt der Chondriosomen 
in Verbindung gebracht. 

Der Autor stützt sich zunächst auf den Umstand, dass 
mancherlei Stoffe, deren die Zelle für ihren Haushalt bedarf, in 
Lipoidsubstanzen lösbar sind. Andererseits glaubt er in genügendem 
Maße nachgewiesen zu haben, dass die mitochondrialen Bildungen 
mikrochemisch eine Kombination von Eiweiss- und Lipoidstoffen 
darstellen. Daher ergibt sich für den Autor unter Berück- 
sichtigung der grossen Verbreitung der Chondriosomen in Zellen 
aller Arten, ferner unter besonderer Berücksichtigung ihrer 
zyklischen Veränderungen während des Sekretionsprozesses der 
Schluss, dass „les formations mitochondriales sous les organites 
intracellulaires, charges de l’extraction et de la fixation dleetives“. 


402 N. Mislawsky: 


Zu demselben Resultate kam auch Dubreuil (1911) auf 
(Grund seiner Untersuchungen an Fettzellen. Ferner macht Champy 
(1911) den interessanten Versuch, die Resorption im Darmkanale 
mit der physiologischen Leistung der Uhondriosomen in Zusammen- 
hang zu bringen, wobei ihn der Gedanke leitet, dass nach einer 
alten Vorstellung die wesentlichen Vorgänge bei der Sekretion 
und Resorption die nämlichen sind. Die Rolle des Chondrioms 
der Darmepithelien ist auch von Arnold (1911) behandelt worden, 
und zwar auf Grund von Untersuchungen über die Resorption der 
Kohlehydrate. 


In der vorliegenden Abhandlung veröffentliche ich einen 
Teil: der Resultate, die ich am Pankreas der Nager erzielte; meine 
Beobachtungen erstreckten sich jedoch vergleichsweise auch auf 
die Speicheldrüsen, die Niere, die Leber, die Nervenzellen und 
-fasern, sowie einige andere Grewebsarten. 

Es ist mir eine angenehme Pflicht, an dieser Stelle Herrn 
Prof. M. Heidenhain für die Stellung des Themas und die 
Leitung der Arbeit meinen tiefgefühlten Dank auszusprechen. 
Ich bitte auch Herrn Prof. Dr. von Froriep für die liebens- 
würdige Erlaubnis, in seinem Institut arbeiten zu dürfen, meinen 
herzlichsten Dank entgegenzunehmen. 


I: 


Als Untersuchungsobjekt diente das Pankreas vom Kaninchen 
und der Ratte, welches im Hinblick auf die Konservierung bei 
diesen Tieren einige Vorzüge vor dem Pankreas der Fleischfresser 
an die Hand gibt. Denn letzteres ist (etwa bei Hund und Katze) 
voluminöser und muss daher beim Einlegen in die Fixierungs- 
flüssigkeit in stärkerem Grade zerstückelt werden. Dies kann 
nicht vorteilhaft sein, weil wir mit gutem Grunde annehmen 
dürfen, dass die künstlichen Schnittflächen der Stücke einem zer- 
störenden Trauma unterlegen haben, während es doch darauf an- 
kommt, die äussersten Oberflächen in möglichst gutem Zustande 
zu erhalten, da die für die Uhondriosomen bisher angegebenen 
Fixierungsmittel nur die äusserste Gewebsschichte in genügendem 
Grade erhalten. Das Pankreas von Kaninchen und Ratte stellt 
sich jedoch als eine relativ dünne, aus locker miteinander ver- 


Über das Chondriom der Pankreaszellen. 405 


bundenen Drüsenläppchen bestehende Platte dar, welche in das 
Mesoduodenum eingeschlossen ist und in kleinen Abschnitten ohne 
Abhebung des Bauchfelles konserviert werden kann. 

Indem ich jetzt zur Beschreibung der von mir angewandten 
Konservierungsmethoden übergehe, möchte ich auf eine 
vergleichende Kritik einiger am häufigsten zur Anwendung 
kommenden Verfahrungsweisen etwas näher eingehen. Es handelt 
sich nämlich darum, dass, obgleich, wie schon Prenant gezeigt 
hatte, die Chondriosomen zuweilen zufälligerweise bei Anwendung 
eines beliebigen das Protoplasma fixierenden Mittels erhalten 
bleiben, wir dennoch bis jetzt noch kein einziges Verfahren be- 
sitzen, welches uns die vollkommene Sicherheit einer tadellosen 
Fixierung der Chondriosomen gewährt. In der Tat ist es un- 
geheuer schwierig, brauchbare Bilder zu erhalten, weil einerseits 
die Substanz der Chondriosomen in vielen der üblichen Fixierungs- 
mittel in hohem Grade löslich ist, und weil andererseits die faden- 
förmigen Elemente des Chondrioms eine ausserordentliche 
Neigung zeigen, in feinere körnchenartige Bruch- 
stücke zu zeriallen. 

Die zahlreichen Vorschriften für Konservierung der Chondrio- 
somen, welche gegenwärtig in der Literatur verbreitet sind, lassen 
sich auf drei Grundverfahren zurückleiten, welche obligatorisch 
sind für jeden, der sich mit dem in Frage kommenden Gebiete 
näher beschäftigen will. Dies sind die Verfahrungsweisen von 
Benda, Altmann und Regaud. 

Benda (1901) härtet sehr kleine Stückchen des zu unter- 
suchenden Organs im Laufe einiger Tage in starker Flemming- 
Lösung, welche jedoch nur Spuren von Essigsäure enthalten darf 
(3—4 Tropfen an Stelle von 1 cem in der ursprünglichen Formel). 
Nach der Fixierung wird das Präparat zuerst mit einem Gemisch 
von Ac. chrom. 1°/o und Ac. pyrolignosum ana im Laufe von 
24 Stunden bearbeitet und alsdann für weitere 24 Stunden in 
eine 2proz. Lösung von Kal. bichrom. gebracht, eine Prozedur, 
die der Autor Postchromierung nennt. Nach Hoven jedoch ist 
letztere entbehrlich, was ich bestätigen kann. Meves (1908, II) 
modifizierte diese Bendasche Flüssigkeit dadurch, dass er erstens 
in dieselbe NaCl im Verhältnis der physiologischen Kochsalzlösung 
einführte und zweitens den Gehalt an Chromsäure auf '/a Jo 
herunterdrückte. 


404 N. Mislawsky: 


Zweitens haben wir die klassische Methode von Alt- 
mann, welche von ihm zur Darstellung der Bioblasten aus- 
gearbeitet wurde: Fixierung in einem Gemisch von 5°/o Sol. Kal. 
bichrom. + 2°/o Sol. Ac. osmici ana (Chromosmiumgemisch), und 
endlich drittens stammt aus neuerer Zeit das von Regaud 
(1908, II) vorgeschlagene Verfahren, bei welchem das Objekt 
zunächst in einem Gemisch von Kal. bichrom. + Formalin (Sol. Kal- 
bichr. 3°/o — 80 Vol., Formalini — 20 Vol.) fixiert und dann weiter- 
hin in einer 3proz. Lösung von Kal. bichr. bis zu 8 Tagen be- 
lassen wird. 

Von diesen drei Methoden, von denen eine jede bedeutende 
Mängel aufweist, erwies sich für die Konservierung des Chon- 
drioms der Drüsenzellen die erste als die am wenigsten geeignete, 
das ist also die Fixierung des Objektes in einer modifizierten 
Flemmingschen Lösung. Dabei war es gleichgültig, ob die 
Prozedur der Postcehromierung vollzogen wurde oder nicht. Bei 
Anwendung des in Rede stehenden Mittels erscheint wegen des 
unregelmässigen und nicht gleichzeitigen Eindringens der ver- 
schiedenen Bestandteile der Mischung das Chondriosom sogar in 
den glücklichsten Fällen nur längs einer schmalen Zone, ganz an 
der Oberfläche, mehr oder weniger gut fixiert; dabei sind selbst 
an diesem beschränkten Orte .nicht alle Zellen in gleichartiger 
Weise erhalten, was selbstverständlich die Interpretation der 
histologischen Bilder im höchsten Grade erschwert. Aus diesem 
Grunde musste ich nach einer Reihe missglückter Versuche von 
dieser Methode gänzlich Abstand nehmen. Auch Rubaschkin 
(1909) hat, wie er dieses selbst angibt, mit Hilfe der Meves- 
schen Modifikation der Fixierungsmethode von Benda nur bei 
Jüngeren Vogelembryonen gute Resultate gehabt ; bei grösseren 
Embryonen in den späteren Stadien (über 11-—- 12 mm Länge) konnte 
er eine genügende Konservierung der Chondriosomen nicht erzielen. 

Bedeutend besser waren die Resultate nach Anwendung des 
Chromosmiumgemisches von Altmann, welches mir in einigen 
Fällen eine geradezu ideale Konservierung der Form der Chondrio- 
somen ergab. Wenn auch dieses Gemisch bis zu einem gewissen 
Grade dieselben Nachteile hat wie die Flemmingsche Lösung, 
indem es bei weitem nicht die ganze Dicke des Objektes gleich- 
mässig durchdringt, so ist doch die Zone des nutzbaren Effektes 
viel breiter als bei den nach Benda fixierten Präparaten. 


Über das Chondriom der Pankreaszellen. 405 


Die Altmannsche Lösung gibt besonders befriedigende 
Resultate beim Pankreas des Kaninchens, weil, wie ich schon 
erwähnte, hier die Drüsenläppchen vermöge eines lockeren inter- 
stitiellen Gewebes miteinander verbunden sind, wodurch das Ein- 
dringen erheblich erleichtert wird. Wenn jedoch, wie bei der 
Ratte, das Drüsenparenchym in kompakterer Form auftritt, sind 
die Resultate schon bei weitem schlechter. Bei letzterem Objekte 
zeigt sich deutlich der Hauptnachteil der Altmannschen Methode. 
In den nicht vollkommen fixierten Teilen zerlegen sich die Chondrio- 
konten in einzelne Fragmente. Daher treten in den Zellen eine 
grosse Menge von körnigen Formen der Chondriosomen auf, 
welche ohne allen Zweifel artifizieller Natur sind, da sie in der 
Richtung nach der Tiefe des Stückes an Zahl zunehmen. Ich 
will damit nicht gesagt haben, dass überhaupt alle körnigen 
Formen der Chondriosomen in den Pankreaszellen der Ratte 
Artefakte sind; ich will nur darauf hinweisen, wie schwierig die 
Deutung der histologischen Bilder sein würde, wenn vielleicht im 
Verlaufe der Sekretionsperiode normalerweise ein körniger Zer- 
fall der Chondriokonten zustande kommen sollte. 

Beim Kaninchen erhält man nach der Fixierung des Pankreas 
vermittelst des Altmannschen Gemisches noch eine sehr an- 
nehmbare Nebenwirkung. Denn die Untersuchung der Präparate 
ergibt häufig, wenigstens in den peripheren Schichten des Objektes, 
eine vollständige Auflösung der Claude Bernardschen Körnchen, 
wodurch deren Verwechslung mit den granulaartigen Chondrio- 
somenformen vermieden werden kann. Diese Lösungserscheinung 
führe ich auf die 24stündige Einwirkung des fliessenden Wassers 
nach der Fixierung zurück; eventuell kommt auch noch das Ver- 
fahren der Härtung in steigendem Alkohol dabei in näheren 
Betracht (vgl. Held, 1899). 

Was endlich das Konservierungsverfahren von Regaud 
anbelangt, so dringt dessen Fixierungsflüssigkeit in das Innere 
des Gewebes gut durch und fixiert ziemlich gleichmässig sogar 
Stücke von etwas grösserem Umfang, hat aber den grossen Nach- 
teil, dass man bei ihrer Anwendung eine gewisse Quellung sowohl 
der Pankreaszellen selbst als auch besonders der Chondriosomen 
erhält. Letztere zeigen zuweilen in den Präparaten die merk- 
würdigsten Formen, beispielsweise die von Perlenketten oder von 


Gebilden, die sich nur auf Einschnürung bezw. Zerschnürung der 
Archiv ft. mikr. Anat. Bd.S1. Abt.I. 27 


406 N. Mislawsky: 


Chondriokonten zurückführen lassen. Dabei tritt fast immer an 
der Peripherie des Gebildes eine besondere im Vergleich zur 
ganzen Masse intensiver gefärbte Schicht zutage. Weiter unten 
bei der Beschreibung der morphologischen Formen der Chondrio- 
somen werde ich auf diese Deformationen näher eingehen. 


Um die eben erwähnte Quellung zu vermeiden, habe ich 
(1911) das Regaudsche Gemisch etwas modifiziert, indem ich 
eine kleine Menge Osmiumsäure hinzusetzte. Diese Maßnahme 
hat sich vollkommen bewährt und ich darf die Kombination Kal. 
bichr. + Formalin + Osmiumsäure als die relativ beste in Ansehung 
der Konservierung des Chondrioms der Drüsenzellen empfehlen. 
Offenbar verhindert die Osmiumsäure die Quellung, welche man 
nach der Einwirkung des Regaudschen Originalgemisches be- 
obachtet, während andererseits die gute Penetrationsfähigkeit 
desselben unverändert bleibt. Diese Mischung gestattet ferner, 
die Präparate sowohl nach Benda als auch mit Eisenhämatoxylin 
nach M. Heidenhain in gleich guter Weise zu färben. 


Ich erlaube mir im folgenden die genauere Formel meiner 
Modifikation zu geben, von deren tadelloser Wirkung ich mich 
auch bei der Fixierung einer ganzen Reihe anderer Organe über- 
zeugen konnte; so ergaben die Spinalganglien, der Hoden, die 
quergestreiften Muskelfasern, die Leber, die Speicheldrüsen usw. 
gute Resultate. Die Formel lautet: 


Sol. Kal. bichrom. 3° . . 80 
Eormalmnremernı) ». a0 
Sol. Acidinosmier 21.0 - . 28 


Fixierung 48 Stunden, darauf Bearbeitung der Stücke nach 
Regaud mit 3°/o Sol. Kal. bichr. —8 Tage lang, Auswaschen 
24 Stunden in fliessendem Wasser, Härtung in steigendem Alkohol 
und endlich Einbetten in Paraffin nach Passage durch Chloroform 
oder Schwefelkohlenstoff (Xylol ist zu vermeiden). 


Bei der Färbung meiner Schnitte benutzte ich hauptsächlich 
die Methode von Benda in der Modifikation von Meves und 
Duesberg, ferner das Eisenhämatoxylin nach M. Heidenhain. 
Ich benutzte ebenfalls und sogar ziemlich oft die von mir an- 
gegebene modifizierte Methode der Färbung mit saurem Fuchsin 
nach Altmann, halte jedoch dieses Verfahren für weniger sicher 
und besonders für weniger dauerhaft als die beiden ersten, da 


Über das Chondriom der Pankreaszellen. 407 


meine 1907 nach dieser Methode gefärbten Präparate ihre Prägnanz 
in bedeutendem Maße eingebüsst haben. 

Die schärfste Darstellung der Chondriosomen ergibt die 
Kristallviolettfärbung, welche übrigens auch nach der Altmann- 
schen Fixierung angewendet werden kann, besonders wenn die 
Schnitte vorher mit 10°/o Perhydrollösung (Merck) behandelt 
wurden. Diese letztere Prozedur hat hinsichtlich der elektiven 
Verschärfung der Chondriosomenfärbung denselben Effekt wie die 
von Rubaschkin (1909) und Tschaschin (1910) empfohlene 
Bearbeitung der Schnitte nach Pal, doch ist sie bedeutend ein- 
facher und deshalb auch bequemer zu handhaben. Auf die mit 
Perhydrol vorbehandelten Schnitte lässt sich auch die Eisen- 
hämatoxylinfärbung erfolgreich anwenden 

Schliesslich müssen wir hinzufügen, dass die besprochenen 
Färbungsmethoden in bezug auf die Chondriosomen keineswegs 
von absolut elektiver Natur sind; vielmehr pflegen sich die 
Drüsengranula mitzufärben, daher sind dann die körnigen Formen 
der Chondriosomen und die Drüsengranula oft kaum voneinander 
zu unterscheiden. Unter solchen Umständen ist ohne besondere 
Übung und Erfahrung in der Detailkritik ein wissenschaftliches 


Urteil nicht zu erzielen. 
Ja 

Bis jetzt haben nur zwei Autoren (von meiner vorläufigen 
Mitteilung [1911] abgesehen) Beobachtungen über den mitochon- 
drialen Apparat der Pankreaszelle veröffentlicht: Hoven und 
Champy.') Ersterer untersuchte das Pankreas vom Kaninchen, 
letzterer das vom Hunde. Weiter unten werde ich Champys 
Befunde vergleichsweise berücksichtigen; an dieser Stelle jedoch 
möchte ich zunächst eine Übersicht der von Hoven erzielten 
tesultate vorausschicken, da dieser Autor dasselbe Objekt benutzt 
hat wie auch ich und da die Beschreibung und die Schlüsse von 
Hoven in vielem sich von dem unterscheiden, was ich bei meinen 
eigenen Untersuchungen als Resultat erhalten habe. 

Hoven teilt in seiner Arbeit den Bericht über das Chon- 
driom der Pankreaszellen in drei Abschnitte ein, entsprechend 
dem Wechsel der physiologischen Zustände, welche sich morpho- 


!) Ausserdem sind zweifellos Chondriokonten in den Pankreaszellen 
bei Katzen und Mäusen von Altmann (1890, 1594) unter dem Namen 
Elementarfädchen beschrieben worden, was aus den wunderbar ausgeführten 


Zeichnungen des Autors sofort zu ersehen ist. 
27F 


408 N. Mislawsky: 


logisch durch die Anwesenheit einer mehr oder minder grossen 
Anzahl der Drüsengranula charakterisieren lassen. Diese häufen 
sich bekanntlich in demjenigen Teile der Zelle an, welcher dem 
Drüsenlumen zugewendet ist, und treten je nach den Umständen 
in sehr verschiederen Mengenverhältnissen auf. 

In einem ersten Stadium, welches durch einen minimalen 
Gehalt an Drüsengranula ausgezeichnet ist, findet man in den 
Zellen eine grosse Anzahl von einzelnen langen, wellenförmigen, 
sich spezifisch färbenden Fäden, welche der Richtung nach gegen 
das obere freie Ende des Zelleibes verlaufen. Längs der Aus- 
dehnung einiger dieser Fäden, welche nach der Nomenklatur von 
Meves als Chondriokonten bezeichnet werden müssen, bemerkt 
man in diesem Stadium einige eben nicht sehr zahlreiche Auf- 
treibungen, welche sich mit Eisenhämatoxylin etwas intensiver 
färben, und welche Hoven für die ersten Anlagen der Sekret- 
granula hält. Was die fertigen, zweifellos schon als Pankreas- 
granula anzusprechenden Gebilde anlangt, so trefien sie sich im 
oberen Teil der Zelle und zwar zunächst in spärlicher Menge. 
Diese typischen Drüsengranula sind jedoch von sehr verschiedener 
Grösse; die kleinsten erinnern an die eben erwähnten Auftreibungen 
der Chondriokonten und von da ab finden sich alle Übergänge 
bis zu den grossen typischen, völlig ausgereiften Granula von 
Claude Bernard. 

In den weiteren Stadien verändern die Chondriokonten stark 
ihr Aussehen, da die Anzahl der Auftreibungen sich bedeutend 
vergrössert, aus welchem Grunde viele Fäden in Form von Körner- 
ketten erscheinen. Die Gestalt der Körner tritt um so besser 
hervor, je blasser die sie verbindenden Fäden sind. Wiederum 
andere Chondriokonten erscheinen entweder in ihrer ganzen 
Längenrichtung gespalten oder aber sie zeigen nur vereinzelte 
lokale Spaltungen in Form von Schleifen oder endlich sie weisen 
gabelförmige Teilungen an ihren Enden auf. Parallel mit den 
beschriebenen Veränderungen des Chondrioms geht eine Ver- 
mehrung der Pankreasgranula vor sich, die wiederum, ihrer 
Grösse nach, alle Übergangsformen zwischen den Auftreibungen 
des Chondriokonten einerseits bis zum reifen Claude Bernard- 
schen Granulum andererseits erkennen lassen. 

Schliesslich im Stadium der Erschöpfung, welches nach 
besonders stürmischer Tätigkeit eintritt (Pilocarpin), gruppieren 


Über das Chondriom der Pankreaszellen. 409 


sich die immer noch zahlreichen Chondriokonten wieder in Form 
von wellenförmigen Fäden im basalen Teil der Zelle, während 
der distale obere Abschnitt derselben nur einzelne Sekretgranula 
enthält und im übrigen eine alveoläre Struktur aufweist: Spuren 
der eliminierten Granula. In allen Stadien der Tätigkeit 
färbten sich die Claude Bernardschen Granula, nach 
den Beobachtungen von Hoven ebenso wie die Ele- 
mente des Chondrioms. 

Auf Grund der referierten Beobachtungen kommt Hoven 
zu dem Schluss, dass die Claude Bernardschen Granula auf 
Kosten des Chondrioms gebildet werden und zwar auf dem Wege 
der Fragmentierung der einzelnen Chondriokonten, wodurch die 
ersten Anlagen der Granula zur Isolation kommen. 

Nunmehr kann ich meine eigenen Beobachtungen am 
Kaninchenpankreas zur Darstellung bringen. 

An Schnitten aus Altmannscher Flüssigkeit und nach 
Bendascher Färbung kann man, wenn zuvor die Drüsengranula 
durch langes Spülen der Stücke vollständig entfernt wurden 
(siehe oben S. 405), sowohl die Form der Chondriosomen als auch 
ihre Verteilung im Zelleibe in ausserordentlich genauer Weise 
beobachten (Fig. 1—11). Wie Hoven schon feststellte, tritt das 
Chondriom bei diesem Objekte in Form langer wellenförmiger 
Fäden auf, die jedoch nach meinen Beobachtungen durch 
Anastomosen miteinander verbunden sind. Im ganzen 
bilden sie daher ein Netz, welches den granulafreien Teil des Zell- 
leibes nach allen Raumesrichtungen hin durchsetzt (Fig. 1, 2, 6). 
Im basalen Abschnitt der Zelle, in unmittelbarer Nähe der 
Membrana propria des Drüsenkanälchens, kommen diese Anasto- 
mosen bedeutend häufiger vor, weshalb hier das Netz dichter 
wird; seine Schlingen nehmen eine mehr rundliche Form an und 
erscheinen parallel zur Basisfläche der Zelle gelagert (Fig. Sb, 7). 
Von diesem basalen System nehmen lange wellenförmige oder 
geschlängelte Fäden ihren Anfang, die der Längsachse des Zelleibes 
ungefähr parallel laufen. Auch diese Fäden sind durch schräge 
Anastomosen miteinander verbunden, jedoch nicht so häufig wie 
an der Basis der Zelle, weshalb die Schlingen hier sehr gross 
und parallel der Längsachse der Zelle ausgedehnt erscheinen 
(Fig. 2). An der Peripherie des Zelleibes bemerkt man zuweilen 
eine gewisse Verdichtung des Chondriomanetzes; in diesem Falle 


410 N. Mislawsky: 


erinnert das ganze periphere Fadensystem an ein Flechtwerk, 
welches in die äussersten Schichten des Zellprotoplasmas ein- 
gelagert ist (Fig. 1). 

Was die Veränderungen des Chondrioms während des 
Sekretionsprozesses anlangt, so stehen dieselben in einer gewissen 
Beziehung zu der Anzahl der Pankreasgranula, die im Bereiche 
der apikalen Zone des Zelleibes angehäuft sind. 

Im Stadium der grössten Erschöpfung der Drüsenzelle, in 
welchem die Summe der Granula auf ein Minimum reduziert ist, 
durchziehen die langen Fäden des Uhondrioma den ganzen Zell- 
leib und reichen mit ihren freien Enden fast bis zum Lumen des 
Drüsenkanälchens (Fig. 1). Da nun die Chondriokonten den von 
Granulis erfüllten Teil der Zelle immer freilassen, so nehmen sie, 
wenn die dem Lumen zugewandte Körnerzone allmählich wächst, 
in entsprechendem Maße an Höhenausdehnung ab. Dadurch 
kommen bemerkenswerte Bilder zustande. Hat man die im 
Stadium der Speicherung befindliche Drüse nach Altmann fixiert 
und, wie oben besprochen, die Granula durch energische Wasser- 
spülung zum Verschwinden gebracht (Fig. 3, 4), so scheiden 
sich an der Pankreaszelle ganz deutlich zwei Zonen, eine hellere 
distale, welche trotz der meist nicht differenten Färbung der 
Plasmamassen zuweilen eine ausgesprochen alveoläre Struktur 
erkennen lässt, und eine basale, welche kompakter erscheint und 
das Chondriomanetz enthält. An der Grenze beider Zonen bemerkt 
man bei günstiger Schnittrichtung häufig, dass die freien Enden 
der Chondriomafäden sich in der Richtung zur Zellbasis umbiegen, 
wodurch hier eine Reihe von Schlingen oder Bogen entsteht, die 
mit ihrer Konvexität zur Spitze des Drüsenelementes gekehrt 
sind, wie dieses z. B. aus der Fig. 2 zu ersehen ist. Hier hat esam 
Objekt selbst den Eindruck gemacht, als ob die Chondriokonten 
durch‘ die successive Ansammlung der Granulamasse in einer ge- 
wissen Ausdehnung gegen die Zellbasis hin zurückgedrängt weraden, 
woraus sich die besprochene Umbiegung der Fäden erklären würde. 

Nur ausnahmsweise konnte ich das Eindringen einzelner 
Chondriomafädchen auch in den oberen Teil des Zelleibes be- 
obachten, welcher von den Claude Bernardschen Granula 
erfüllt ist; jedoch meine ich, dass das mikroskopische Bild eventuell 
auf das oben beschriebene periphere System des Chondriomanetzes 
zurückgeführt werden kann. 


Über das Chondriom der Pankreaszellen. 411 


In meinen Präparaten erscheinen, eine gute Fixierung voraus- 
gesetzt, die Chondriokonten immer nur in Form homogener 
Fäden mit glatten Konturen, wobei keinerlei Auf- 
treibungen an ihnen wahrnehmbar sind. Gewisse nicht 
sehr zahlreiche, in den Verlauf der Fäden eingeschaltete, intensiv 
gefärbte, scheinbar granulaartige Gebilde erwiesen sich ausnahms- 
los bei genauester Betrachtung (Zeiss’ Obj. 3 mm, Ap. 1,40, Komp.- 
Oe. 15) als wirkliche oder optische Schnitte dieser Fäden. Körnige 
Uhondriosomen, Mitochondrien oder Chondriomiten 
konnte ich bei diesen reinausgefärbten Präparaten, 
bei welchen die Pankreasgranula durch Wasserspülung entfernt 
waren, niemals beobachten. Ebenso gelang es mir nicht, auf 
gut fixierten und scharf gefärbten Präparaten die von Hoven be- 
schriebene Längsspaltung einzelner Chondriokonten wahrzunehmen. 

An den erwähnten Präparaten. die im Altmannschen 
(remisch fixiert waren, erscheint die Hauptmasse des Protoplasmas 
der Pankreaszelle fast vollkommen homogen, und nur im oberen 
Abschnitte kann man, wie erwähnt, eventuell eine undeutlich aus- 
geprägte alveoläre Struktur wahrnehmen, welche der Einlagerung 
der Granula ihren Ursprung verdankt. Wenn jedoch kleine Drüsen- 
teilchen in dem von mir modifizierten Regaudschen Gemisch 
fixiert werden, lassen sich in dieser scheinbar homogenen Masse 
deutlich faserige Strukturen erkennen, die vom mitochondrialen 
Apparate der Drüsenzelle vollkommen verschieden sind (Fig. 12 
bis 15). An dünnen Schnitten, welche nach M. Heidenhain mit 
Eisenhämatoxylin gefärbt werden, beobachtet man neben einzelnen 
Teilen des Chondriomanetzes, welche nunmehr völlig geschwärzt 
sind, auch nach Lage und Form den vorhin beschriebenen Bildern 
vollkommen entsprechen, eine Zerfällung des gesamten Zellplasmas 
in zahlreiche blasse, wellenförmige Fäserchen, die im basalen 
Abschnitt des Zelleibes einander parallel gelagert sind und im 
distalen Teile desselben in ein unregelmässiges dichtes Netz über- 
gehen. Diese parallelfaserige Struktur ist bemerkenswerterweise 
auf Längs- und Querschnitten des Zelleibes, besonders der basalen 
Zone, in gleichem Maße deutlich ausgesprochen. Daraus lässt 
sich schliessen, dass es sich in dieser Faserstruktur zugleich auch 
um einen lamellösen Bau des Plasmas handelt (Fig. 13 und 16). 

Auf die lamellöse Struktur des basalen Abschnittes der 
Pankreaszelle beim Menschen hat schon Zimmermann (1898) 


412 N. Mislawsky: 


hingewiesen; er beobachtete an den Längsschnitten der Zellen eine 
zarte parallele Streifung im basalen Teile, während an Tangential- 
schnitten sich diese Streifung in Form mehrfacher paralleier Linien- 
systeme präsentierte, die gegeneinander in wechselnden Richtungen 
orientiert waren. An meinen Präparaten vom Kaninchen habe ich 
eine derartige regellose Nebeneinanderlagerung der Lamellen nicht 
beobachten können, und die tangentialen Bilder von Zimmer- 
mann decken sich demzufolge im einzelnen nicht mit den meinigen, 
welche eher schon den Eindruck einer konzentrischen Lagerung 
jener lamellären Schichten ergeben. Dabei wird das supponierte 
Zentrum der Struktur augenscheinlich durch einen homogenen, 
sich schwach färbenden, neben dem Kern gelegenen Körper von 
unregelmässig rundlicher Form gebildet. Derartige Körper, in 
denen man unschwer den Nebenkern der Autoren erkennt, und 
die sozusagen eine Verdichtung der Strukturmasse des Proto- 
plasmas darstellen, sind an den Fig. 13 und 15 zu erkennen; hier 
scheinen sie mit der von uns beschriebenen Faserstruktur intim 
verbunden zu sein, indem sie gleichsam als Zentrum der Faserung 
auftreten. Die fraglichen Körper sahen in meinen Präparaten 
entweder homogen aus, oder aber sie erschienen undeutlich kon- 
zentrisch strukturiert (vgl. Champy [1911], Laguesse [1899]); 
mit Eisenhämatoxylin färbten sie sich etwas intensiver als die 
anderen Teile des Zellprotoplasmas. Ob diese Gebilde in irgend- 
einer besonderen Beziehung zu den Elementen des Chondriomas 
stehen, konnte ich nicht feststellen (vgl. dagegen Champy.l. c.). 

Die von Garnier (unter anderem auch in der Pankreas- 
zelle) als Ergastoplasma beschriebene faserige Masse setzt sich 
meiner Meinung nach aus zwei Komponenten zusammen, welche 
von dem genannten Autor nicht in genügender Weise getrennt 
wurden, nämlich aus der eben beschriebenen Faserstruktur des 
Plasmas plus den Resten des mangelhaft tixierten Chondrioms. 
Dass dem so ist, davon kann man sich leicht überzeugen, wenn 
man tadellos fixierte Präparate etwa mit solchen vergleicht, welche 
in der Zenkerschen Flüssigkeit fixiert wurden. Ich verfüge 
eben jetzt über eine ganze Serie von Pankreaspräparaten vom 
Hunde, wo die von Garnier beobachteten Bilder im höchsten 
(Grade deutlich hervortreten (Fig. 19 und 20). Diese Präparate 
bestätigen meines Frachtens in vollem Maße das eben Gesagte. 


Über das Chondriom der Pankreaszellen. 415 

Wie ich schon früher erwähnte, erscheint beim Kaninchen 
an gut fixierten Abschnitten der Pankreasdrüse das Chondrioma 
ausschliesslich in Form homogener Fäden, die miteinander durch 
mehr oder weniger seltene Anastomosen in Form eines Netzes 
verbunden sind. Nun habe ich schon in einem voranstehenden 
Kapitel darauf hingewiesen, dass die Erhaltung dieser normalen 
äusseren Form nicht so leicht zu erzielen ist, und dass die faden- 
artigen Elemente des Chondriomas in ungemeinem Grade dazu 
neigen, sich unter dem Einfluss der Konservierungsflüssigkeiten 
zu deformieren. An dieser Stelle nun möchte ich auf die Be- 
schreibung der in Rede stehenden Artefakte näher eingehen, da 
diejenigen Forscher, welche darauf verzichten, die Formen der 
freiwilligen, postmortalen Veränderungen der Chondriokonten 
näher zu verfolgen, sich mannigfachen Täuschungen aussetzen. 

Als Beweis dafür, dass die von mir unten beschriebenen 
Chondriosomenformen wirkliche Artefakte sind und nicht durch 
den funktionellen Zustand der Zellen bedingt werden, dient 
(übrigens unabhängig von der eben durchgeführten Beschreibung 
der wirklichen äusseren Form des Chondrioms) vor allem die 
Tatsache, dass die Häufigkeit bezw. die Intensität der Ver- 
änderungen in der Richtung der Tiefe der Gewebestücke ständig 
wächst. Weiterhin liegt die Möglichkeit vor, die nämlichen Ver- 
änderungen willkürlich zum Vorschein zu bringen, wie man das 
z. B. durch die Anwendung stark verdünnter Fixierungsflüssig- 
keiten erreichen kann (Altmannsches Chromosmiumgemisch mit 
dem fünffachen Volumen destillierten Wassers versetzt). 

Die gewöhnlich vorkommenden artifiziellen Veränderungen 
der Chondriokonten bestehen wesentlich in folgendem. Es lösen 
sich die Zusammenhänge des mitochondrialen Netzes, so dass 
eine Mehrzahl isolierter Fäden entsteht, welche jedoch schon in 
sich selbst wiederum artifiziell verändert sind. An ihnen er- 
scheinen zunächst einige nicht sehr zahlreiche Auftreibungen, 
welche bei wachsender Intensität des Prozesses an Zahl und 
Grösse zunehmen. An den vergrösserten, scheinbar gequollenen 
Körperchen wird eine sich intensiver färbende periphere Schicht 
und ein hellerer Inhalt kenntlich. .Die anfangs noch bestehenden 
Verbindungsfädchen blassen allmählich ab und verdünnen sich, 
bis schliesslich der Chondriokont in mehrere Bruchteile zerfällt. 
Die auf die Weise entstandenen Fragmente behalten im weiteren 


414 N. Mislawsky: 


einige Zeitlang noch ihre anfangs ovale Gestalt bei; bald aber 
nehmen sie die Form runder Granula an, die sich immer schwächer 
und schwächer färben, um schliesslich ganz zu verschwinden. 

Was die Wirkung der einzelnen Fixierungsmittel anlangt, 
so habe ich darüber folgendes ermittelt. Der Prozess der 
Fragmentierung ist die Haupterscheinung in den nach Benda 
fixierten Präparaten; er verheert dieselben bis zu dem Grade, 
dass sie kaum brauchbar sind. Die Fragmentierung mit mässiger 
(Quellung wird ebenfalls häufig bei unvorsichtiger Anwendung des 
Altmannschen Gemisches beobachtet. Schliesslich beim Ver- 
fahren von Regaud treten neben der Fragmentierung vor allen 
Dingen die Quellungserscheinungen in sehr typischer Weise auf. 

Ich gebe hier in Fig. 9 eine Abbildung von Zellen aus den 
ungenügend fixierten tiefen Abschnitten eben derselben Präparate, 
von deren tadellos fixierter Oberfläche die Musterbeispiele der 
Fig. 1—8 entnommen worden sind. Ferner gebe ich zum Ver- 
gleich einige Zellen aus absichtlich schlecht fixierten Drüsen- 
teilchen (Fig. 11). 

Wenn auch aus dem Vergleich der angezogenen Abbildungen 
(Fig. 9 und 11) sich ergibt, dass die artifiziellen Veränderungen 
des Chondriomanetzes in beiden Fällen vielleicht nicht absolut 
identisch sind, so zeigt sich doch, dass es sich bei den Fixierungen 
wesentlich um dieselbe Art von Deformationen handelt, welche 
auf künstlichem Wege (Fig. 11) in sehr typischer Weise zum Vor- 
schein gebracht werden können. Fig. 10 stellt ferner ein Maximum 
der artefiziellen Veränderungen dar, welchem gelegentlich die voll- 
ständige Auflösung der mitochondrialen Substanz nachfolgen kann. 
Diesen letzteren Vorgang beobachtete ich öfters auch an Objekten, 
welche im allgemeinen gut fixiert waren, und zwar an denjenigen 
Stellen, wo die Drüsensubstanz vor der Fixierung ein Trauma, z. B. 
durch unvorsichtige Berührung mit der Pinzette, erlitten hatte 
welrpolieandahre)): 

Meine Beobachtungen an den typisch konservierten und an 
den willkürlich geschädigten Präparaten zeigen somit deutlich, 
dass das durchaus fädige Chondriom der Pankreaszelle des 
Kaninchens sich durch artifizielle Veränderungen in körnchen- 
artige Gebilde zerlegen kann, welche bei starker Färbung nach 
Benda oder in Eisenhämatoxylin den Pankreasgranula ähnlich 
sehen. Jedoch beweisen genauere Untersuchungen, dass die 


Über das Chondriom der Pankreaszellen. 415 


mitochondriale Substanz und die Substanzen der echten Granula 
sich durchaus verschiedenartig verhalten. Denn die Granula 
lösen sich nach langer Spülung bezw. durch die nachfolgende 
Behandlung mit steigendem Alkohol, während in denselben 
Präparaten die Chondriokonten vollkommen erhalten bleiben. 
Ferner besitzen letztere die Fähigkeit der Quellung, während 
an den Granulis niemals Quellungserscheinungen nachweisbar 
sind. Auch erhält man bei Ausübung der Bendaschen Methode 
gewisse Farbendifferenzen zwischen dem Chondriom und der 
Granulamasse. Schliesslich sind die normalen Chondriosomen 
immer von homogener Beschaffenheit, während die Pankreas- 
granula von geringen Anfängen an eine feine membranöse Hülle 
und eine innere etwas weniger färbbare Substanz erkennen lassen. 
Ich bin daher der Meinung, dass in richtig behandelten Präparaten 
die Chondriosomen und die Granula nicht verwechselt werden 
können, während jedoch Hoven behauptet, dass letztere von 
ersteren sich ableiten. Dies ist nur dadurch möglich geworden, 
dass der genannte Autor den artifiziellen Veränderungen der 
Chondriokonten nicht in genügendem Grade nachgegangen ist. 

Es ist klar, dass Hoven sich in seinen Schlussfolgerungen 
hauptsächlich auf die in Flemmingscher Flüssigkeit nach 
Benda fixierten Präparate stützt, während ich, wie oben schon 
erwähnt, diese Methode ganz verwerfen musste, weil sie bei 
unserem Objekte die schwächsten Resultate ergab. Und in der 
Tat kann man sich bei Betrachtung der Bilder, welche Hoven 
von den angeblich normalen Formänderungen der Chondriokonten 
gibt, leicht davon überzeugen, dass letztere sicherlich grössten- 
teils den von uns beschriebenen artifiziellen Deformationen zu- 
gehören. So z. B. erinnern seine Fig. 1 und 2 an die initialen 
Stadien der freiwilligen Deformation, bei welchen das Netz in 
isolierte Fäden zerfällt, die ihrerseits eben nicht zahlreiche, sich 
intensiver färbende Auftreibungen enthalten. Auf den Fig. 3 und 4 
ist der typische Prozess der Deformation etwas stärker aus- 
geprägt, wobei das histologische Bild noch durch die Anwesenheit 
zahlreicher Pankreasgranula verschlechtert wird. Letztere sind 
von verschiedener Grösse und dabei unglücklicherweise ebenso 
gefärbt wie die Uhondriosomen, aus welchem Grunde man leicht 
Gefahr läuft, die kleineren dieser Granula mit den ebenso kleinen 
Bauchteilen und Auftreibungen des deformierten Chondriomas zu 


416 N. Mislawsky: 


identifizieren. Es ist selbstverständlich, dass man auf Grund 
derartiger Bilder leicht den Eindruck eines genetischen Zusammen- 
hanges zwischen den Chondriokonten und den Granulis gewinnen 
wird, obgleich in Wahrheit diese Bilder für die Ableitung des 
fraglichen Verwandtschaftsverhältnisses gänzlich untauglich sind. —- 
Endlich können jene eigenartigen bläschenförmigen Verdickungen 
der Chondriokonten, welche auf Fig. 5 von Hoven sofort ins 
Auge fallen, ihrem Aussehen nach, soweit man nach der Abbildung 
urteilen kann. auf die von mir wiederholt gesehene Quellung der 
artefiziellen Auftreibungen der Chondriokonten bezogen werden. 


IV. 

Indem wir jetzt zur Beschreibung des mitochondrialen 
Apparates in der Pankreaszelle der Ratte (Fig. 21—26) 
übergehen, müssen wir vorerst auf den scharf ausgesprochenen 
Polymorphismus der Chondriosomen bei diesem Objekte hinweisen. 
Dieser ist um so auffallender, weil beim Kaninchen die ausser- 
ordentlich konstante Form des Chondriomanetzes unsere Auf- 
merksamkeit in besonderem Grade erregte. 

. Offenbar ist auch bei der Ratte die Grundform des Chondriosoms 
die Fadenform, nur dass hier die Anastomosen und mit ihnen 
die Netzbildungen gänzlich fehlen. Die Grösse und Form der 
Fädchen ist selbst in der nämlichen Zelle ausserordentlich variabel. 
So finden wir neben ziemlich langen wellenförmigen Fäserchen, 
die zuweilen Abzweigungen aufweisen, eine enorme Menge von 
kürzeren Gebilden, welche gerade oder etwas gekrümmt sind, 
oder endlich ausnahmsweise in Form von fast geschlossenen 
Ringen auftreten. Ausserdem finden sich auch körnerartige 
Uhondriosomen, die jedoch grösstenteils keine typische Granula- 
form besitzen, vielmehr wie kleine unregelmässige, in Kristall- 
violett spezifisch färbbare Fragmente oder Schollen sich darstellen. 
Offenbar wird das normale histologische Bild in bedeutendem 
Maße durch die Anwesenheit solcher Formen verschlechtert, 
welche als Artefakte der Fixierung angesehen werden müssen. 
Eine ganze Reihe von Stadien der Alteration, welche in ganz 
allmählicher, fast unmerklicher Stufenfolge die untadelhaft kon- 
servierten mit den zweifellos verunstalteten Formen verbinden, 
erschweren in hohem Grade die Interpretation der Präparate. 
Wie ich schon in meiner vorläufigen Mitteilung hervorgehoben 


Über das Chondriom der Pankreaszellen. 417 


habe, halte ich für Kunstprodukte vor allem diejenigen Chondrio- 
somenformen, bei denen es gelingt, eine intensiver gefärbte 
Membran und einen hellen Inhalt zu differenzieren, da ich der 
Meinung bin, dass das Auftreten dieser Form durch Quellung 
unter dem Einfluss einer mangelhaften Fixierung bedingt ist. 
Wenn wir zu dem Gesagten noch hinzufügen, dass es uns niemals 
gelungen ist, unter normalen Verhältnissen der Zelltätigkeit die 
vollständige Konservierung des Chondrioms mit der ebenso voll- 
ständigen Auflösung der Drüsengranula zu kombinieren, was beim 
Kaninchen so gut gelungen war, so erhellt, dass bei der Ratte 
die Unterscheidung der wahren Granula und der körnerartigen 
CUhondriosomen, ebenso wie die Feststellung ihrer etwaigen gene- 
tischen Beziehungen, ausserordentlich erschwert ist. Aus diesem 
(runde halte ich es für nötig, auf diejenigen besonderen Merk- 
male zurückzukommen, welche uns bei erhöhter Aufmerksamkeit 
dennoch befähigen, selbst die kleinsten Formen der Claude 
Bernardschen Körnchen von den körnigen Chondriosomen zu 
trennen. 

Von diesen unterscheidenden Merkmalen war schon oben 
die Rede, als über das Kaninchen verhandelt wurde. Hier bei 
der Ratte fällt die Eigenschaft der Löslichkeit der Granula in 
tliessendem Wasser fort; dagegen treffen die Merkmale der stofi- 
lichen Homogeneität und der Quellbarkeit für die Chondriosomen 
auch hier zu, welche sich dadurch von den Drüsengranula 
unterscheiden. Letztere zeigten in unseren Präparaten niemals 
(uellungserscheinungen und liessen immer die schon beim 
Kaninchen erwähnte äussere Hülle erkennen. Was schliesslich 
die Differenzialfärbungen anlangt, so hebe ich für die Ratte 
folgendes hervor. Wird bei der Bendaschen Färbung in ge- 
nügendem Grade extrahiert, so nehmen die Granula einen gelblich- 
roten Ton an, während die Chrondriosomen die prächtige Farbe 
des Kristallvioletts zurückbehalten. Bei Eisenhämatoxylinfärbung 
nach Altmannfixierung lassen sich ebenso die Granula total 
entfärben, während die Chondriosomen geschwärzt bleiben. Ferner 
gelingt es häufig mit Hilfe der Altmannschen Fuchsinmethode 
die Chondriosomen leuchtend himbeerrot zu erhalten, während 
die Granula mehr gelblichrot erscheinen. Tingiert man endlich 
die Präparate, welche mit dem Altmannschen Chromosmium- 
gemisch oder nach Regaud mit einem Zusatz von Osmiumsäure 


418 N. Mislawsky: 


fixiert wurden, mit Safranin, wendet darauf die Nachfärbung mit 
Cajalscher Flüssigkeit an (Indigocarmin 0,25, Ac. pieronitriei 
100) und, differenziert mit Kreosot, so kommt eine isolierte 
Tinktion der Claude Bernardschen Körnchen zustande, 
während die Chondriosomen ganz und gar ungefärbt bleiben. 

Wenn also auch, wie oben dargestellt wurde, die Formen 
der Chondriosomen bei der Ratte ungemein wechselnd und wenig 
charakteristisch sind, so ist es doch andererseits möglich, sie 
durch Färbung kenntlich zu machen, und es ist auch, worüber 
wir nunmehr handeln wollen, die Art ihrer Verteilung innerhalb 
des Zeilenterritoriums durchaus typisch und recht konstant. Wir 
finden in allen Stadien des Sekretionsprozesses eine deutlich aus- 
gesprochene Tendenz der Körperchen, sich vorzugsweise in den 
peripheren Schichten des Zellprotoplasmas anzuordnen. Dabei 
lagern sich die Chondriokonten an der Zellbasis parallel der 
Grundfläche, während sie an den Seitenflächen in der Richtung 
der Höhenausdehnung der Zelle verlaufen. Dank diesem Umstande 
zeigt sich die Zellgrenze meist an Quer- und Längsschnitten durch 
die intensiv gefärbte Zone des Chondrioms deutlich markiert 
(Fig. 21—26). In der Tiefe der Zelle finden wir unter normalen 
Verhältnissen der Tätigkeit nur vereinzelte Chondriosomen, und 
zwar vorzugsweise in der Umgebung des Kerns oder auf 
der Grenze gegen die Körnerzone hin. Mitunter bilden diese 
Chondriosomen um den Kern ein quasi isoliertes System, welches 
von der oben beschriebenen peripheren Mantelschichte durch eine 
chondriosomenfreie Zone getrennt ist. 

Da ich unter normalen Verhältnissen der Sekretion Ände- 
rungen in der Form. und in der Verteilung der Chondriosomen 
niemals wahrnehmen konnte, so wandte ich Pilocarpininjektionen __ 
an, um die Drüsengranula, wenn möglich, vollständig aus der 
Zelle zu eliminieren. Die Elimination gelang jedoch nur bis zu 
einem gewissen Grade und auch nur dann, wenn wir nach dem 
Rate von Herrn Prof. Grützner, um eine maximale Wirkung 
zu erzielen, wiederholte subkutane Injektionen kleiner Dosen in 
Anwendung brachten. An Präparaten von Drüsen, welche auf 
diese Weise bis zur völligen Erschöpfung gebracht wurden, konnte 
ich folgendes feststellen (Fig. 27, 28, 29). 

In der Mehrzahl der Zellen verringerte sich die Menge der 
Drüsengranula ad minimum; jedoch dieselben schwanden nicht 


Über das Chondriom der Pankreaszellen. 419 


ganz, und die zurückgebliebenen gruppierten sich in einer sehr 
schmalen Zone des Zelleibes, die unmittelbar an das Lumen des 
Drüsenkanälchens grenzte. Diese restierenden Granula von Claude 
Bernard unterscheiden sich von den gewöhnlichen in dem Ratten- 
pankreas vorkommenden durch ihre sehr kleinen Dimensionen und 
durch ihre ungemein dichte Lagerung (Fig. 29).') 

Die periphere Schicht der Chondriosomen bleibt ziemlich 
gut erkennbar, wobei sie zuweilen bis an die Spitze der Zelle 
verfolgbar ist (Fig. 25). In der Masse des Zellplasmas zeigen 
sich ferner helle Zwischenräume, die den Eindruck von Abschnitten 
intrazellulärer Kanälchen machen, von der Art, wie sie Holm- 
gren beschrieben hat (Fig. 27). 

Die Form der Chondriosomen hat sich auf dem ganzen 
Zellenterritorium in deutlicher Weise verändert. Die Anzahl der 
langen Chondriokonten ist geringer geworden, und umgekehrt, 
die kurzen, besonders die ringförmig zusammengebogenen, haben 
bedeutend an Zahl zugenommen (Fig. 29). Ausserdem sind zahl- 
reiche körnige Formen zutage getreten, die den Eindruck von 
Bruchteilen zerfallener Fäserchen machen. Äusserst charak- 
teristisch für dieses Stadium ist ferner die Anwesenheit einer 
gewissen Anzahl sehr kleiner Chondriosomen im distalen Ab- 
schnitte der Zelle in der Nähe der Körnerzone. Die Rolle und 
das weitere Schicksal dieser kleinen Fragmente blieben mir un- 
aufgeklärt: nirgends fand ich Beweise für die direkte 
Umwandlung derselben in Drüsengranula. Im Gegen- 
teil, meine negativen Erfahrungen an der Pankreaszelle des 
Kaninchens widersprechen sogar in bedeutendem Grade dieser 
Voraussetzung. So möchte ich lieber fürs erste zwei Möglich- 
keiten in Rechung ziehen: entweder die Fragmente werden von 
der Zelle als Material für die Sekretbildung resorbiert, oder wir 
haben hier eine pathologische Erscheinung der Frag- 
mentation des Chondrioma vor uns, welche auf die Giftwirkung 
des Pilocarpins bei der Methode der mehrfach wiederholten In- 
jektionen zurückzuführen ist. Ist mir doch eins der Tiere unter 
der Giftwirkung gestorben. Die ausserordentliche Vermehrung 
der ringförmig zusammengebogenen Fäserchen scheint mir in 


'!) Dies war sehr gut am Objekte selbst zu beobachten, ist aber bei 
der Wiedergabe der Abbildungen durch die Lithographie nicht deutlich zum 
Ausdruck gekommen. 


420 N. Mislawsky: 


besonderem Grade auf den pathologischen Charakter der Frag- 
mentierung hinzudeuten. Im übrigen kann ich für ein abnormes 
Verhalten der Zellen auch anführen, dass nach maximaler Pilo- 
carpinwirkung in ihrem basalen Abschnitte Ansammlungen feinster 
Fettröpfchen entstehen, welche normalerweise nicht vorkommen 
und jedenfalls auf Degeneration zu beziehen sind. 


Y. 

Altmann war der erste, dem es gelang, die jetzt soge- 
nannten Chondriosomen resp. Chondriokonten in den Drüsenzellen 
zu konservieren und zu färben. Er beschrieb dieselben unter den 
Namen von Elementarfädchen (vegetative Fäden) unter anderem 
auch in der Pankreasdrüse einiger Säugetiere, speziell bei Katzen 
und Mäusen. Und in der Tat kann man sich schon beim ersten 
Blick auf die von Altmann gegebenen Tafeln VIII und XXX 
leicht davon überzeugen, dass die vom Autor reproduzierten 
Fädchen mit gewissen Formen der Chondriosomen identisch sind, 
und zwar gerade mit denjenigen Formen, welche wir bei der 
Bearbeitung des Pankreas an der Hand unserer anderen Methoden 
zu beobachten gewohnt sind. Diese Identität wird unbestreitbar, 
wenn wir uns dessen erinnern, dass auch in der gegenwärtigen 
Technik die von Altmann ausgearbeitete Fixierungs- und 
Färbungsmethode der Bioblasten eine der sichersten Methoden 
in bezug auf die Darstellung der Ühondriosomen bleibt (vgl. 
Meves, 1910, Samsonow, 1910). 

Altmann hielt auf Grund seiner Versuche an pilocarpini- 
sierten Drüsen diese Elementarfädchen für vegetative Formen 
seiner Bioblasten und glaubte, dass sie durch Zerfall in schneller 
Folge eine grosse Zahl typischer Abkömmlinge liefern, von denen 
ein Teil in Drüsengranula sich verwandelt, während der hinter- 
bleibende Rest dem weiteren Ersatze dient. Wie aber schon 
M. Heidenhain (1907, S. 387) ganz richtig hervorgehoben hat, 
finden wir in der Arbeit von Altmann nirgends einen direkten 
und überzeugenden Beweis für die Entstehung seiner primären 
Granula aus dem körnigen Zerfall der oben erwähnten Fädchen. 
Im Gegenteil sprechen einige der Abbildungen Altmanns direkt 
gegen die in Rede stehende Behauptung des Autors. In dieser 
Beziehung ist für uns die Tafel VIII von Altmann von be- 
sonderem Interesse, auf welcher Abbildungen nach verschieden- 


Über das Chondriom der Pankreaszellen. 421 


artig fixierten Präparaten von ein und derselben Pankreasdrüse 
der Maus reproduziert werden. Dank dem Wechsel der Fixierungs- 
methode sieht man auf Fig. 1 ausschliesslich nur Granula, während 
auf Fig. 2, wo diese vollständig zur Lösung gekommen sind, aus- 
schliesslich nur spezifisch geformte Fädchen hervortreten. In 
diesem Falle kommen Übergangsformen zwischen seinen Bioblasten 
und den Granula nicht vor; und doch hätten diese gefunden werden 
müssen, wenn ein genetischer Zusammenhang zwischen den in 
Rede stehenden Strukturelementen der Zelle vorhanden wäre. 

In diesem Zusammenhange war es mir von besonderem Inter- 
esse, davon Kenntnis zu nehmen, dass in letzter ZeitB. P.Babkin, 
W.J.Rubaschkin undW.W.Sawitsch (1909) im Verlaufe ihrer 
Arbeit, welche der Untersuchung des Zustandes der Pankreaszellen 
bei Hunden in Beziehung auf die Variationen der physiologischen 
Eigenschaften des Pankreassaftes gewidmet ist, irgendwelche ent- 
sprechenden Veränderungen in dem faserigen, sich nach Galeotti 
spezifisch färbenden Apparate (Chondrioma) zu keiner Zeit finden 
konnten. Leider geben die Autoren dieser interessanten Arbeit 
viel zu wenig Angaben über die Morphologie des mitochondrialen 
Apparates, als dass man auf Grund derselben sich genauer 
orientieren könnte. 

Oben haben wir schon gesehen, dass die Schlussfolgerungen 
in der speziell dem Studium des Chondrioma der Pankreaszelle 
gewidmeten Arbeit von Hoven wegen der Angreifbarkeit der 
sachlichen Unterlagen ebensowenig überzeugend sind, wie die 
früheren Darlegungen Altmanns. Aus diesem Grunde möchte 
ich bei der Mitteilung von Hoven nicht länger stehen bleiben 
und erlaube mir, unmittelbar sofort auf die Untersuchung von 
UOhampy (1911) überzugehen, mit welcher ich die kurze Literatur- 
übersicht über das Pankreas abschliesse. 

Champy beschäftigt sich in seiner Arbeit, welche in erster 
Linie der Resorption im Darmkanal und den dabei auftretenden 
Veränderungen des Ohondrioms der Darmepithelzellen gewidmet 
ist, aus Gründen der physiologischen Analogie auch mit der Rolle 
des Chondrioms in den Drüsen und wählt zu letzterem Zwecke 
als paradigmatisches Beispiel das Pankreas. Seine Versuche be- 
ziehen sich auf den Hund und einige Batrachier (Bombinatus 
igneus u. a... Bei Hunden benutzte der Autor, da er das Pilo- 


carpin wegen seiner toxischen Wirkung nicht anwenden wollte, 
Archiv f. mikr. Anat. Bd.$1. Abt. I. 28 


422 N. Mislawsky: 


intravenöse Injektionen des Sekretins von Bayliss und Starling, 
das, wie bekannt, eine ausgiebige Absonderung des Pankreassaftes 
hervorruft. 

Im ruhenden Zustand erscheint das Chondrioma der Pankreas- 
zelle beim Hunde in Form langer wellenförmiger Fädchen resp. 
Chondriokonten, die sich vorzugsweise im basalen Abschnitte des 
Zelleibes vorfinden. Der Autor geht nun in der Weise vor, dass 
er die Drüse zunächst im Beginn der Absonderung nach 
dem Eintritt der Sekretinwirkung untersucht und glaubt aus den 
gefundenen Bildern herleiten zu können, dass während der Sekretion 
ein körniger Zerfall der Chondriokonten stattfindet, wobei seiner 
Meinung nach sich zuerst die „plastes“ von Prenant bilden, die 
im weiteren als Entstehungsquelle der echten Granula dienen. 
Ferner weist Champy darauf hin, dass in den Pankreaszellen 
der Batrachier die Chondriokonten nach der Nahrungsaufnahme 
kürzer und körniger erscheinen als im hungernden Zustande. Auf 
Grund dieser Beobachtungen hält der Autor die Anwesenheit der 
körnigen Chondriosomen für ein Merkmal des tätigen Zustandes, 
während die glatten Fäden den statischen Zustand des Chondrioms 
darstellen sollen. Somit muss Champy ebenso wie auch Hoven 
zu den Anhängern jener Theorie der Entstehung der Drüsen- 
granula gezählt werden, welche mit einer körnigen Veränderung 
der fädigen Elemente des Chondrioms glaubt rechnen zu können. 

Die Resultate der interessanten Arbeit von Champy scheinen 
mir jedoch nicht überzeugender zu sein als diejenigen von Hoven. 
Es handelt sich nämlich darum, dass einzelne Versuche der 
Fixierung von Fragmenten der Drüse, welche unter der Sekretin- 
wirkung gestanden haben, für mich noch lange nicht massgebend 
sind, da bei den besonderen Schwierigkeiten. welche sich einer 
genügenden Konservierung der äusseren Form der Chondriokonten 
entgegenstellen, die Gefahr nahe liegt, dass die Effekte der künst- 
lichen Deformation des Chondrioms für funktionelle Veränderungen 
gehalten werden; so z. B. scheint mir die Fig. XXXV, S. 121 der 
Arbeit von Uhaämpy nicht vertrauenswert zu sein. Andererseits 
Sieht es so aus, als ob sogar das angebliche Faktum der Neu- 
bildung der Pankreasgranula unter dem Einfluss der Sekretin- 
wirkung recht zweifelhaft ist; denn in denjenigen Fällen, in denen 
der Autor die Drüse nicht wie vorher im Beginn der Sekretin- 
wirkung, sondern unmittelbar nach einer ausgiebigen Ab- 


oO 


Über das Chondriom der Pankreaszellen. 423 
sonderung fixierte, fand er keinerlei Veränderung, weder in der 
Zahl der Granula, noch in der Form der Chondriosomen. Obgleich 
Champy sich bemüht, diese Erscheinung durch die Schnelligkeit 
des Regenerationsprozesses zu erklären, scheint mir doch die von 
ihm bestrittene Meinung von Wertheimer und Laguesse 
viel überzeugender zu sein, welche sich auf die physiologischen 
Eigentümlichkeiten des bei der Erregung der Drüse durch das 
Sekretin gewonnenen Pankreassaftes stützen und die Beteiligung 
der Claude Bernardschen Granula bei dieser Form der 
Sekretion in Abrede stellen. Diese Erklärung deckt sich voll- 
kommen auch mit den Resultaten der von uns zitierten Arbeit 
dreier russischer Autoren, denen es nicht gelungen war, bei der 
Sekretion des Pankreas unter dem Einfluss von Eingiessungen 
von Säuren ins Duodenum irgendwelche Veränderungen im Gehalt 
an Zymogengranula zu konstatieren, trotz ausgiebiger Sekret- 
absonderung; hingegen bei der Reizung des N. vagus beobachteten 
diese Autoren immer eine bedeutende Erschöpfung der Zelle mit 
folgender Neubildung der Granula. Ausserdem ist die vonChampy 
verzeichnete Verringerung der Pankreasgranula auf Abb. 2 der 
Fig. XXXV dermassen gering im Vergleich zur ruhenden Zelle 
auf Abb. 1, dass man dieselbe durch die individuellen Eigen- 
schaften der betreffenden Zellindividuen erklären kann. 

.Zum Gesagten könnte ich noch folgendes hinzufügen: In 
meinen Laboratoriumsprotokollen ist ein Fall notiert, wo bei der 
Sektion eines jungen Kaninchens zwecks Fixierung des Pankreas 
das ganze Duodenum mit Chymus angefüllt war. d. h., es musste 
sich die Pankreasdrüse im Zustande der lebhaftesten Funktion 
befunden haben; und trotzdem gab mir gerade dieser Fall die 
demonstrativsten Präparate mit voller Erhaltung der charakte- 
ristischen Form der Chondriomfäden unabhängig von dem Stadium 
der Granulaspeicherung in den einzelnen Zellen. 

Endlich finden wir noch einige Zeilen, die sich auf die uns 
interessierende Frage beziehen, bei O. Schultze, welcher in 
seiner bereits mehrfach zitierten Arbeit (1911) unter anderem 
auch eine Beschreibung der Resultate seiner Osmiumhämatoxylin- 
methode beim Pankreas des Frosches gibt. Der Autor fand dünne 
Chondriokonten, die parallel der Längsachse des Zelleibes gelagert 
waren. Es gelang ihm nicht, irgendeine konstante Gesetzmässig- 


heit der Verteilung der Fädchen wahrzunehmen, doch erwähnt 
28* 


424 N. Mislawsky: 


O0. Schultze, dass sie in grosser Zahl sichtbar wurden, wenn 
der Kern nicht im Schnitt oder nur tangential berührt war. 
Danach muss also auch beim Frosch eine mehr periphere Lagerung 
der Chondriokonten statt haben, ähnlich wie in dem Fall der 
Ratte. Einige der Chondriokonten reichten fast bis zur Drüsen- 
lichtung, andere liessen sich bis in die Körnerzone hinein ver- 
folgen, ein Verhalten, welches in unseren Präparaten nur äusserst 
selten einmal zur Beobachtung kam. 

Obwohl nun O. Schultze die Anschauung von Hoven über 
die Entstehung der Drüsengranula von den Chondriokonten aus 
teilt, gelang es ihm hier beim Pankreas doch nicht, den ver- 
muteten genetischen Zusammenhang wirklich nachzuweisen. Der 
Autor war gezwungen, das Fehlen von Übergangsformen dem 
betreffenden Stadium der Tätigkeit zur Last zu legen, in welchem 
die Drüsenzellen zufälligerweise zur Konservierung gelangten.') 

Ziehen wir das Gresamtresultat, so können wir nicht anders, 
als auf Grund eines Vergleichs der Literaturangaben mit den 
eigenen Beobachtungen unsere gegenwärtigen Kenntnisse über 
die etwaige funktionelle Bedeutung des Chondrioms im Pankreas 
wie folgt zusammenzufassen. 

Obgleich die Chondriosomen der Pankreaszelle 
vielleicht eine sehr wichtige Rolle im Prozess der 
Sekretbildung spielen, wofür ihr reichliches Vor- 
kommen im allgemeinen, sowie eventuell auch ihre 
reziproke Abnahme während des Prozesses der 
Speicherung der Granula ins Feld geführt werden 
können, so ist doch die Möglichkeit der Entstehung 
der ersten Anlagen der Drüsengranula aufdem Wege 
des körnigen Zerfalls der Chondriokonten bisher in 
gar keiner Weise erwiesen worden. Ja ein solcher 
Vorgang ist nach meinen klaren und einwandfreien 
Beobachtungen am Pankreas des Kaninchens in das 
Bereich des Unwahrscheinlichen gerückt worden. 

Durch den Vergleich vieler Gewebeformen, welche ich auf 
die Chondriosomen hin genauer untersucht habe (Leber, Hirn, 


‘) Die letzten Mitteilungen von Laguesse über das Pankreas, in 
welchen der Autor seine früheren Resultate mit den neueren Untersuchungen 
über die Chondriosomen in Übereinstimmung zu bringen sucht, sind mir 
leider nicht zugängig gewesen. 


Über das Chondriom der Pankreaszellen. \ 425 


seröse Zellen und Pflügersche Tubuli der Speicheldrüsen, 
Muskeln, Nervenzellen und -fasern etc.), bin ich einstweilen, wie 
M. Heidenhain (Plasma und Zelle II, 1911), zu der Auffassung 
gelangt, dass es sich in ihnen im allgemeinen um vegetative 
Organellen handelt, welche dem intermediären Stoffwechsel dienen. 

In histologischer Beziehung ist mein Hauptresultat, 
dass dieChondriosomenim Verhältniszu deneigent- 
lich so zunennenden Plasmastruktureninterstitiell 
gelagert sind. Die Anordnung der Teile, wie ich sie in der 
Pankreaszelle, der Muskelfaser, und besonders in der Nierenzelle 
gefunden habe, beweist dies in unwiderleglicher Weise. Von 
besonderem Interesse sind die Verhältnisse in den Stäbchen- 
epithelien der Tubuli contorti der Nieren, über welche ich eine 
weitere Mitteilung veröffentlichen werde. Hier lässt sich sehr 
schön zeigen, dass innerhalb der streifigen Zone der Epithelien 
die eigentlich so zu nennenden Plasmafilamente und die Chondrio- 
konten in paralleler Lagerung befindlich sind. 


Altmann: Die Elementarorganismen. 1890 und 1894, 2. Auflage. 

Arnold: Über feinere Strukturen und die -Anordnung des Glykogens im 
Magen und Darmkanal. Arch. f. mikr. Anat., 1911. 

Babkin, Rubaschkin und Sawitsch: Über die morphologischen 
Veränderungen der Pankreaszelle unter der Einwirkung verschieden- 
artiger Reize. Arch. f. mikr. Anat., 1909. 

Benda: Die Mitochondriafärbung und andere Methoden zur Untersuchung 
der Zellsubstanz. Verh. d. Anat. Ges., 1901. 

Derselbe: Die Mitochondria des Nierenepithels. Verh. d. Anat. Ges., 1903. 

Bobeau, @.: Recherches cytologiques sur les glandules parathyreoides 
du cheval. Journ. d’An. et de la Phys., 1911. 

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428 N. Mislawsky: 
Erklärung der Abbildungen auf Tafel XXX. 


Fig. 1—4, 13 und 14 Zeiss’ Apochr. 2 mm, Ap. 1,50, Oc.18. Proj, 
auf den Objekttisch. Fig. 10, 11, 21—23, 27—29 Zeiss’ Apochr. 2 mm, 
Ap. 1,30, Oc. 12. Proj. auf den Öbjekttisch. Fig. 5, 9, 12, 15—20, 24—26 
Zeiss’ Apochr. 3 mm, Ap. 1,40, Oc. 18. Proj. auf den Objekttisch. 

Fig. 1—9. Drüsenzellen vom Pankreas des Kaninchens. Chromosmium- 
gemisch von Altmann. Die Zellen der Fig. 34 sind mit Eisenhämatoxylin 
nach M. Heidenhain, alle anderen nach Benda-Meves-Dues- 
berg (1907) gefärbt. Bei der Spülung mit Wasser und nach der Fixierung 
haben sich die Pankreasgranula aufgelöst, so dass nur das Chondrioma 
erhalten geblieben ist. 

Fig. 1. Pankreaszelle nach einer Periode lebhafter Sekretion. Die Fäden 
des Chondrioms, welche ein Netz bilden. durchziehen den Zellkörper 
in allen Raumesrichtungen und erreichen fast das Lumen des 
Drüsenschlauches. 

Fig. 2—4 zeigen jene Veränderungen in der Verteilung des Chondrioms, 
welche durch die successive Speicherung der Granula bedingt sind. 

Fig. 5 und 6. Diese Abbildungen zeigen sehr deutlich, dass die Fäden des 
Chondrioms in Form eines Netzes unter sich zusammenhängen. 

Fig. 7 und Sb. Querschnitte durch den basalen Teil der Pankreaszellen: 
man sieht das „Basalsystem“ des Chondrioms, welches der Grund- 
fläche der Zellen parallel gelagert ist. 

Fig. Sa. Dieselbe Zelle wie bei 8b, aber bei Einstellung in der Höhe des 

Kernes; die Fäden des Chondrioms erscheinen im optischen Quer- 

schnitte als Punkte. In allen Zeichnungen sehen die Chondrioma- 

fäden vollkommen glatt und homogen aus, wie dies der Natur der 

Dinge entspricht. 

Eine Zelle aus dem unvollkommen fixierten tiefen Teile desselben 

Präparates, aus welchem Fig. 6 und 7 entnommen wurden. Hier 

zeigen sich die ersten Anzeichen der artefiziellen Deformation des 

Chondrioms; es treten im Verlauf der Fäden dunkel gefärbte An- 

schwellungen auf und gleichzeitig bemerkt man die beginnende 

Fragmentierung des Netzes. 

Fig. 10—11. Verschiedene Stadien der Veränderung des Chondrioms der 
Pankreaszellen des Kaninchens unter dem Einfluss einer 5mal 
verdünnten Altmannschen Lösung. Fig. 10 zeigt die höchste 
Stufe der vorhin erwähnten Deformation. 

Fig. 12—18. Pankreaszellen des Kaninchens. Fixierung mit Kaliumbichromat- 
Formol-Osmiumsäure, Postehromierung nach Regaud. Fig. 12—15 
Eisenhämatoxylin nach M. Heidenhain. Fig. 16 und 17 Häma- 
toxylin nach Delafield, also ohne Färbung des Chondrioms und 
der Granula. Deutlich ausgeprägte wellig-faserige Struktur des 
Protoplasmas, der mitochondriale Apparat befindet sich in inter- 
stitieller Lagerung. Fig. 13 und 16 Querschnitte der Zellen in der 
Höhe der Kerne; die anderen Figuren stellen Längsschnitte des 


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Über das Chondriom der Pankreaszellen. 429 


Zellkörpers vor. Auf Fig. 13 und 15 sind gewisse dunkle Plasma- 
körper — die Nebenkerne der Autoren — deutlich zu sehen. 


. 19 und 20. Längs- und Querschnitt der Pankreaszelle des Hundes mit 


deutlich ausgeprägtem faserigen Bau des Protoplasmas. Diese 
Faserungen färben sich nach einer allgemeinen Erfahrung im 
basalen Teil der Zelle leicht mit basischen Farbstoffen — Basal- 
filamente von Solger oder Ergastoplasma von Garnier. Technik: 
Zenkersche Flüssigkeit, Hämatoxylin plus Kongorot. 

Querschnitt eines Drüsenschlauches des Pankreas der Ratte. Kalium- 
bichromat-Formol-Osmiumsäure, Eisenhämatoxylin nach M.Heiden- 
hain. Periphere Lage der Elemente des Chondrioms. 


26. Pankreaszellen der Ratte. Fixierung wie vorher. Fig. 22—24 


Eisenhämatoxylin. Fig. 25 und 26 Färbung nach Benda-Meves- 
Duesberg. Verteilung des Chondrioms und der Drüsengranula 
im Zellenterritorium bei normaler Tätigkeit der Drüse. Fig. 23 
die Zelle auf der Höhe ihres Kernes quer geschnitten. Fig. 24 
eine andere Zelle bei verschiedener Einstellung, nämlich in a Längs- 
schnitt auf der Höhe des Kernes, in b Tangentialschnitt durch die 
Mantelschichte der Zelle. 


27—29. Pankreaszellen nach wiederholter Pilocarpinisierung des Tieres. 


Die Zellen sind ad maximum erschöpft und enthalten eine nur 
sehr geringe Menge rötlich gefärbter Drüsengranula, deren Grösse 
im Vergleich mit den normal bei der Ratte vorkommenden sehr gering 
ist. Diese Granula gruppieren sich in einer schmalen, an das Drüsen- 
lumen angrenzenden Zone des Zelleibes. Die Chondriosomen, der 
Form und den Konturen nach von grosser Mannigfaltigkeit, sind in 
der ganzen Zelle verteilt; die periphere Mantelschichte bleibt gut 
erhalten. Im oberen Teile der Zelle, zwischen den Drüsengranulis, 
welche gelblichrot gefärbt sind, sieht man kleine Bruchteile der 
Chondriosomen, die wegen ihrer Violettfärbung von den ersteren 
gut unterschieden werden können. NB.: Fixierung wie vorher, 
Färbung nach Benda-Meves-Duesberg. 


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