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ARCHIV
für
Mikroskopische Anatomie
I. Abteilung
für vergleichende und experimentelle
Histologie und Entwicklungsgeschichte
Il. Abteilung
für Zeugungs- und Vererhungslehre
herausgegeben
von
O0. Hertwig und W. Waldeyer
in Berlin
— _—_—_____ ge a U
Einundachtzigster Band
I. Abteilung
Mit 30 Tafeln und 17 Textfiguren
BONN
Verlag von Friedrich Cohen
1913
rare Dies,
BP
bi
Inhalt.
Abteilungsl
Erstes Heft. Ausgegeben am 22. Oktober 1912.
Über die Entwicklung des sympathischen Nervensystems beim Frosch.
Von Ren6 Camus. (Aus dem zoologischen Institut der Universität
Strassburg.) Hierzu Tafel I—-IV und 4 Textfiguren
Zur Kenntnis der verzweigten Muskelfasern. Von cand. med. Be za
Glüceksthal, Zenta (Ungarn. (Aus dem vergleich. - anatom.
Institut der Universität Freiburg i. Br.) Hierzu Tafel V
Zweites Heft. Ausgegeben am 15. November 1912.
Über eine neuartige Verwendung des Farbstoffes „Neutralrot‘. Von
+ Prof. Dr. Siegmund Mayer. (Aus dem histologischen Institut
der deutschen Universität zu Prag) Dun i
Über die Darstellung des Glaskörpergerüstes und ne endlosen
Nervenfasern nach S. Mayers Methode Von Dr. J.Kubik,
Assistent. (Aus dem histologischen Institut der deutschen
Universität zu Prae.) Hierzu Tafel VI und VII aa
Azidophile Zellen in der Nebenniere von Rana esculenta. Von V. Patzelt
und Dr. J.Kubik. (Aus dem histologischen Institut der deutschen
Universität zu Prag.) Hierzu Tafel VIII j
Bau, Entwicklung und systematische Stellung der Bintiymphastisen.
Von Siegmundv. Schumacher, a. o. Professor in Wien.
(Histologisches und embryologisches Institut der K. u. K. Tier-
ärztlichen Hochschule in Wien.) Hierzu Tafel IX und X
Die Beziehungen zwischen dem Strukturbilde des Achsenzylinders der
markhaltigen Nerven der Wirbeltiere und den physikalischen
Bedingungen der Fixation. Von Leopold Auerbach, Frank-
furt a. M. Hierzu Tafel XI
(Genese, entwicklungsgeschichtliche und elnirsehe. Bedkuaıne de
Ligamentum rotundum uteri und des Gubernaculum Hunteri.
Von Prof. Dr. Fritz Kermauner, Wien
Drittes Heft. Ausgegeben am 25. Januar 1913.
Die „basal gekörnten Zellen“ des Dünndarmepithels. Von Harry Kull.
(Aus dem Institut für vergleichende Anatomie der Kaiserlichen
Universität Jurjew |Dorpat]. [Direktor Prof. Dr. W.Rubaschkin.])
Hierzu Tafel XII und 1 Textfigur RATEN) AR
en über die Histologie der Uterusschleimhaut. Von
Dr.S. H.Geist, New York. (Aus dem pathologischen Institut
der Universität Freiburg i. Br.) Hierzu Tafel XIII (Fig. 1—6).
Die senile Involution der Eileiter. Von Dr. S.H. Geist, New York.
(Aus dem pathologischen Institut der Universität Freiburg i. Br.)
Hierzu Tafel XIII (Fig. 7 und 8)
Seite
[ST
SY
61
185
196
IN
Seite
Die Intelligenzsphären des Molluskengehirns. Ein Beitrag zur stufen-
weisen Entfaltung dieser bei den Achordaten. Von B. Haller.
Hierzu Tafel XIV-XR und aMeiguren > „U... 2. 9285
Bemerkungen zu der Arbeit Aurel von Szilys: Über die Entstehung
des melanotischen Pigments im Auge der Wirbeltierembryonen
und in Choreoidealsarkomen. Von Dr. med. E.Meirowsky,
Voln ax. Rh... :..2:. ee. 2. ABER
Viertes Heft. Ausgegeben am 20. Februar 1913.
Untersuchungen über die Anatomie und Entwicklung des peripheren
Nervensystems bei den Selachiern. Von Erik Müller. (Aus der
anat. Anstalt des Carolinischen Institutes in Stockholm.) Hierzu
Tafel XX—XXVIO ... Ne DR TE RR (310:
Zur Frage über die Folgen der Unterbindung des Wurmfortsatzes beim
Kaninchen. Von Dr. L.W.Ssobolew aus Petersburg. . . . 377
Über das Auftreten von Dermocystidium pusula (Perez), einem einzelligen
Parasiten der Haut des Molches bei Triton cristatus.. Von
Hans Moral. (Aus dem Biologischen Institut der Königl.
Universität Berlin. [Direktor: Geh. Rat Prof. Dr. OÖ. Hertwig.])
Hierzu. Tafel RAIN N 2 el 2 ee Re
Über das Chondriom der Pankreaszellen. Von Dr.N. Mislawsky aus
Kasan, Russland. (Aus der Anatomischen Anstalt zu Tübingen.)
Hierzu. Tafel XXX 2 N nz a. A
Aus dem zoologischen Institut der Universität Strassburg.
Über die Entwicklung des sympathischen Nerven-
systems beim Frosch.
Von
Rene Camus.
Hierzu Tafel I—-IV und 4 Textfiguren.
Inhalt. Seite
Einleitung 2
Material und Methode, HN 3
I. Entwicklung des sy ich) ande 4
A. Rumpfteil 4
1. Eigene ehr chiineen 3 3 4
a) Sympathische Ganglien 4
b) Rami communicantes 9
c) Längskommissuren 14
d) Grenzstrang 15
2. Historisches 18
3. Kritik 41 RE RR EA TEN
BeSchwanzteili 3. 411.1... A KR RE rt NE EN
= Historisches . .. BERN N At BE
. Eigene aa ann Er RE Fa han JR ae ehe ELF AA LANA SA
C. I U N RER 1a 20T STR 3 FLO RSPEANRERTATERT, es
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2. Eigene Barhocker PB ARE EE Nana en LAN SIR IE BER ENTE FEN Be I
3, Kritikern Sn SE EIER ERR rae KERNE ULRIKE N Fe!
II. Entwicklung des Dortlerrenssetenn Se Te RER BE UE RTANTANT Eau nad A nAkhe kei:
1. Historisches . . BETEN 2 EL RT FALL OU TE 38
Zpbisener Beobachtunzen: bin ua sel Hl, ER LEnn RA 5 139
a) Nervus intestinalis . . . N EHE BL HEN u 21...00689
B) Neryus:vesiealisY hl... 42
3. Anatomische Befunde anderer De hai Kritik de
BERTEHEz nn TE ET EEE lee. 7, AD
Anhana ee ENT; Je. BER Re AL 2 DA ER Alam Co)
Eteradtirverzee ee 3 ot Rn a a ad Ma BE Hei. Hp ER Er Rt RE >)
Erklärung der vBruuremee Bu NT EHE Bl
Archiv f. mikr. Anat. Bd.81. Abt.1. 1
ID
Rene Gamus:
Einleitung.
Das sympathische Nervensystem im weiteren Sinne ist im
wesentlichen das Eingeweide-Nervensystem ; es versorgt besonders
den Tractus intestinalis mit seinen Anhangsorganen, das (refäss-
system und die Harn- und Geschlechtsorgane.
Physiologisch zeichnet es sich dadurch aus, dass es nicht
wie das cerebrospinale Nervensystem die quergestreifte, dem Willen
unterworfene, sondern ausser der besonderen Herzmuskulatur
nur die glatte, sogenannte unwillkürliche Muskulatur beherrscht.
Ausserdem sind die Nervenfasern der sympathischen Elemente
nur von einer Schwannschen Scheide umgeben, und sie ent-
behren der Myelinscheide in ihrer ganzen Ausdehnung.
Als Zentralorgan dieses Nervensystems betrachtet man im
allgemeinen den Grenzstrang; das ist ein linker und ein rechter
unter der Wirbelsäule und zu beiden Seiten der Aorta hin-
ziehender Längsstrang, welcher metamere gangliöse Anschwellungen
besitzt, die mit den entsprechenden Spinalnerven durch dünne
faserige Stränge, die Rami communicantes, verbunden sind.
Was die Entwicklung des sympathischen Nervensystems
anbetriftt, so nahmen die älteren Autoren, Remak und
Goette. für dasselbe einen selbständigen Ursprung
und zwar aus dem mittleren Keimblatt an, während
im Laufe der letzten drei Jahrzehnte sämtliche
Forscher, mit Ausnahme von Paterson und Fusari,
das sympathische Nervensystem mit dem cerebro-
spinalen Nervensystem vom äusseren Keimblatt ab-
leiteten. Waren sich aber die letzteren im allgemeinen über
den Ursprung des Sympathicus einig, so hatten doch ihre Unter-
suchungen in speziellen Punkten Gegensätze hervortreten lassen,
so dass vier Bildungsmodi um Anerkennung gerungen haben.
Die Zellen, die den Sympathicus bilden, stammen:
1. von den Spinalnerven (Balfour, Marshall, Hoff-
mann, van Wyhe, Kohn, Neumayer);
2. von den Spinalganglien (Schenk und Birdsall,
Onodi, W. His, His jun., Mazzarelli, Sedgwick, Jones,
Rabl, Held, Abel);
3. vom Medullarrohr (Froriep, Kuntz);
4. von der Ganglienleiste (Marcus).
Entwicklung des sympathischen Nervensystems beim Frosch. 3
Wie man sieht, sind also noch heute hinsichtlich der Ent-
wicklung des Sympathiecus manche und gerade die interessantesten
Fragen Gegenstand von Kontroversen. Ich werde später, nach
der Mitteilung meiner Beobachtungen, auf die Literatur näher
eingehen.
Als mir Herr Prof. Goette vorliegende Arbeit empfahl,
war er trotz der umfangreichen gegnerischen Literatur von seiner
alten Anschauung über die Selbständigkeit des sympathischen
Nervensystems nicht abgekommen, da seine Befunde über das
getrennte Auftreten des Nervus lateralis bei der Unke, der
Kiemennerven und des Eingeweideastes des Nervus vagus bei
Petromyzon seine 1375 gemachten Angaben durch berechtigte
Analogieschlüsse stützten.
Für den glücklichen Vorschlag und für die mannigfachen
Anregungen, die mir Herr Prof. Goette zuteil werden liess,
gestatte ich mir auch an dieser Stelle, meinem hochverehrten
Lehrer meinen aufrichtigsten und bleibenden Dank auszudrücken.
Material und Methode.
Hoffmann sagt in seiner Schrift vom Jahre 1900, „der
Sympathicus gehöre ohne Zweifel wohl zu einem der schwierigsten
und kompliziertesten Bestandteile des ganzen Nervensystems“.
Dass die Lösung einer so subtilen Aufgabe, wie es die Ent-
wicklungsgeschichte des Sympathicus -ist, bei einem niederen
Wirbeltier am ehesten zu suchen sei, lag auf der Hand. Es
wurde der Frosch gewählt wegen der Grösse der Zellen und
weil er leicht in genügender Menge zu beschaffen ist. Rana
esculenta schien in weit grösserem Maße geeignet als Rana
temporaria, da bei letzterer Art das überall fein verteilte Pigment
störend wirkt, insofern es die frühesten Differenzierungen der
sympathischen Ganglienzellen leicht übersehen lässt.
Die Larven wurden in sandfreien Gefässen mit Plankton
gefüttert, das hauptsächlich aus einzelligen Grünalgen bestand.
Nebenbei wurde ihnen tierische Nahrung verabreicht. meist in
Form von Teilstücken junger Froschlarven. Auf diese Weise
konnte ich ein andauerndes, normales Wachstum konstatieren,
das, wie sich zeigte, durchaus günstig war.
Von den zahlreichen erprobten Fixierungsmitteln erwies sich
Brasils Gemisch als unübertrefflich. Nach kurzer Einwirkungs-
1*
4 Rene Camus:
dauer kamen die Objekte direkt in 80°/o Alkohol. Als Inter-
medium zwischen absolutem Alkohol und Paraffin diente Chloro-
form oder Benzol. Die dotterhaltigen Larven verweilten höchstens
10 Minuten in geschmolzenem Paraffın, wodurch der Dotter sich
in beliebiger Dicke schneiden liess. — Indem die Kerne mit
Heidenhains Hämatoxylin gefärbt wurden, erleichterten sie
das Auffinden junger Nerven- oder Ganglienzellen ungemein. Als
Plasmafärbung diente vorzüglich Pikrinsäure und Säurefuchsin.
So konnten in zweifelhaften Fällen nervöse Fasern von binde-
gewebigen sicher unterschieden werden. — Die älteren Larven,
von denen in vorliegender Arbeit die Rede ist, sind nicht in
ganzer Länge gemessen worden, sondern nur vom Mund bis zum
After. Für die jüngeren schien mir eine Längenbezeichnung
nicht geeignet. Es mögen daher die Angaben über den Grad
der Entwicklung der inneren Organe, z. B. des Gehörorgans, der
Lunge, sowie die grössere oder kleinere Dottermenge Anhalts-
punkte über den Grad der allgemeinen Entwicklung liefern.
I. Die Entwicklung des sympathischen
Grenzstranges.
A. Der Rumpfteil des Sympathicus.
l. Eigene Beobachtungen.
Bei einer sehr jungen Larve von Rana esculenta, die noch
keine Kiemenfalte zeigt, deren (sehörorgan ein einfaches Bläschen
ohne Andeutung einer Faltenbildung darstellt, deren Lungen-
divertikel aber schon deutlich hervortreten, habe ich die ersten
sicheren Anlagen des sympathischen Grenzstranges in dem Mesen-
chym zwischen je einem Rumpfspinalnerven und der Aorta (resp.
den Aortenbögen) gefunden. — In diesem Stadium sind die
Spinalganglien wohl differenziert; die Spinalnerven sind faserig
und erstrecken sich weit über die Stelle hinaus, wo später der
Grenzstrang zu suchen ist. — Die Anlagen des Sympathicus
bestehen aus einzelnen oder gleich aus mehreren,
segmentalangeordnetenZellen, die durch eine dicke
Plasmahülle und durchihrenetwasgrösseren, kuge-
ligenund wenigerchromatinhaltigenKernsich leicht
von den umgebenden noch undifferenzierten Zellen
unterscheiden (Fig. 1—3). Vonihrem homogenen, höchstens
Entwicklung des sympathischen Nervensystems beim Frosch. )
kleine Vakuolen führenden Plasma gehen mehrere äusserst
dünne und verzweigte Fortsätze aus, welche an ihrer
Ansatzstelle oft verbreitert sind und in diejenigen der
benachbarten Mesenchymzellen übergehen. Die be-
schriebenen Elemente, welche sich in der Folge als Nerven-
oder Ganglienzellen ergeben, sind bisweilen dem Spinal-
nerven eng angeschmiegt, oft aber auch von ihm
getrennt durch Mesenchymzellen oder deren verzweigte Aus-
läufer oder durch grössere oder kleinere Dotteranhäufungen.
Gegen die Ableitung der Anlagen der sympathischen
Ganglienzellen vom cerebrospinalen Nervensystem spricht ihr
mesenchymatischer Charakter, ihr vom Spinalnerven gesondertes
Auftreten, ferner die Tatsache, dass weder innerhalb eines Spinal-
nerven noch an dessen Peripherie, von dem Rückenmark und
dem Spinalganglion an ventralwärts bis zur Höhe der Aorta und
darüber hinaus, ausser den als solchen mit Sicherheit erkennbaren
Schwannschen Kernen keine anderen zelligen Gebilde anzu-
treffen sind.
Die obigen Beobachtungen zeigen vielmehr, dass die sym-
pathischen Ganglienzellen an Ort und Stelle aus dem
Mesenchym sich differenziert und mit dem Spinal-
nerven zunächst nichts zu tun haben.
Bevor ich zur Schilderung der weiteren Stadien übergehe,
muss ich erwähnen, dass die sympathischen Ganglien nicht, wie
Hoffmann dies für Selachier beschrieben hat, „in vollkommen
regelmässiger Weise cranio-caudalwärts entstehen, so dass man
Gelegenheit hat, in einer Serie von Querschnitten durch einen
und denselben Embryo verschiedene Entwicklungsstadien studieren
zu können“. Es können vielmehr einige sympathische Ganglien
in ihrer Entwicklung den anderen vorausgehen, auch halten die-
jenigen der einen Seite mit denen der anderen Seite nicht immer
gleichen Schritt. Um eine Vorstellung von der Entwicklung der
sympathischen Ganglien gewinnen zu können, muss man aus vielen
(Wuer- und Längsschnittserien die günstig getroffenen und dann
überhaupt erst erkennbaren einzelnen Ganglienanlagen durch Ver-
gleiche in eine fortlaufende Reihe unterzubringen versuchen.
Ein zweites Stadium in der Entwicklung des
Sympathicus findet man in Larven, deren (rehörorgane die
Anfänge des komplizierten Labyrinths erkennen lassen. Hier treten
6 Rene Camus:
in der vorderen Rumpfhälfte schon kleine sympathische
Ganglien auf.
Die am wenigsten differenzierten bestehen aus Synceytien,
in welchen grosse, für Nervenzellen schon charakteristische Kerne
eingebettet sind. Die diesen Kernen gemeinsame Protoplasmahülle
ist äusserst zart, speichert wenig Farbstoff auf und enthält mehrere
Vacuolen. Sie geht peripher allmählich in sehr feine und ver-
zweigte Ausläufer über, welche mit den umgebenden Zellen oder
Zellprodukten zusammenhängen. Die Fig. 4 und 5, welche das
II. und das IV. sympathische Ganglion zum Teil repräsentieren,
mögen das (resagte illustrieren.
Das III. sympathische Ganglion derselben Larve zeigt schon
vorgeschrittenere Verhältnisse. Dasjenige der rechten
Seite ist vollständig, d.h. mit allen Schnitten, in die es zerlegt
wurde, in den Fig. 6—11 wiedergegeben. Es liest nahe an dem
Spinalnerven, ohne jedoch mit ihm eine Masse zu bilden; es sind
keine das Ganglion mit dem Spinalnerven verbindende Nerven-
fasern zu finden. Das aus zirka zehn Nervenzellen bestehende
Ganglion ist nicht überall scharf abgesondert, denn mehr oder
weniger dünne Fortsätze seiner peripheren gangliösen Elemente
gehören dem Mesenchymnetz noch an. Die median gelegene
Portion des Ganglions setzt sich in mehrere Zellen fort, welche
einen Teil der Anlagen des die Aorta und das von ihr abgehende
(Gefäss begleitenden Plexus aorticus darstellen (Fig. S und 9, P. ao.).
Um mehrere grosse Kerne ist ein bereits dichteres Plasma sichtbar;
an einer Zelle sieht man einen mächtigen Fortsatz von dem kern-
haltigen Pol der Zelle abgehen (Fig. 10), während die Fortsätze
der Mehrzahl der Zellen auch an ihrer Ansatzstelle so aussser-
ordentlich dünn sind, dass sie scheinbar dem Zerreissen nahe
stehen. Um andere grosse Kerne desselben Ganglions ist das
Plasma noch unregelmässig verteilt, es scheint um die Kerne etwas
dichter zu sein als an der Peripherie, wo es ein dünnes und
vacuolenreiches Netzwerk bildet (Fig. 11). Diese letzten, an das
in Fig. 4 dargestellte Stadium erinnernden Verhältnisse lassen
sich an einem peripheren Teil eines Ganglions oft beobachten.
Der mit n in Fig. 11 bezeichnete Kern, der durch seine Grösse
alle anderen Zellkerne übertrifft, stellt also wohl mit dem um-
gebenden, noch nicht abgegrenzten, stellenweise schaumigen Proto-
plasma die jüngste sympathische Ganglienzelle des Ganglions dar. —
Entwicklung des sympathischen Nervensystems beim Frosch. l
In dem Ganglion finden sich aber noch kleinere, von kaum nach-
weisbarem Protoplasma umgebene längliche Kerne R. Sie ähneln
zum grössten Teil denjenigen des Mesenchyms, aber ihre Zu-
gehörigkeit zum sympathischen Ganglion ergibt sich schon daraus,
dass sie tangential in bezug auf die einzelnen Ganglienzellen an-
geordnet sind und bisweilen an der diesen zugekehrten Seite
eine leichte Aushöhlung zeigen. Diese Kerne, von denen ein
jüngeres Stadium in Fig. 14 dargestellt ist, bilden die Anlagen
der Randkerne der Ganglienzellen. Der zwischen den
einzelnen Ganglienzellen bestehende (Grössenunterschied im II.
sympathischen Ganglion rechts ist im entsprechenden Ganglion
der linken Seite schärfer ausgeprägt. Zwei aufeinanderfolgende
Schnitte dieses Ganglions sind in Fig. 12 und 13 wiedergegeben.
In jeder fällt eine Zelle besonders auf, deren umfängliches, mit
dem Mesenchymnetz zusammenhängendes Plasma einen ausser-
ordentlich grossen Kern umgibt. Dieser birgt in seinem Innern
ein grosses Kernkörperchen, im übrigen erscheint er fast ganz
homogen und durchsichtig. Die anderen Ganglienzellen, welche
in den beiden abgebildeten Schnitten sich finden, stehen in einer
späteren Phase der Histiogenese der sympathischen
Zellen als die zuerst beschriebenen. Ich entnehme dies zunächst
aus ihrer fast vollständigen Absonderung aus dem Mesenchym,
dann aus dem Umstand, dass sie eine Ähnlichkeit bekunden mit
solchen Ganglienzellen, die zweifellos difterenzierter sind. Ihre
Kerne sind viel kleiner als diejenigen der zuerst beschriebenen
(ranglienzellen, und deren Chromatin ist auch nicht mehr in dem
Maße zusammengeballt wie bei diesen.
Das I. sympathische Ganglion, welches wie das II. den
folgenden anfangs in der Entwicklung nachsteht, wollen wir in
einer etwas älteren Larve mit einem Kiemendeckel betrachten. —
Das 1. Ganglion links (Fig. 15) besteht aus einer dem Spinal-
nerven dicht anliegenden, medianwärts konvexen dichten Proto-
plasmamasse, in welcher zwei grosse Kerne eingebettet sind.
Auf der Strecke zwischen dem sympathischen Ganglion und
dem Spinalganglion zeigt der Spinalnerv mehrere mehr oder
weniger längliche Kerne mit kaum nachweisbarem Plasma, unter
denen sich solche finden, die nicht die für Schwannsche Kerne
charakteristische Form besitzen (Fig. 15, v.). Ohne die Kenntnis
der vorausgehenden Stadien könnte man daher aus der blossen
8 Rene Camus:
Betrachtung dieses Ganglions zu der Vorstellung gelangen, die
sympathischen Ganglienzellen seien Umbildungsprodukte jener noch
wenig differenzierten, in der Bahn des Spinalnerven „wandernden“
Elemente. — Dagegen lässt die vom sympathischen Ganglion
distal gelegene einzelne Ganglienzelle ihre Herkunft nicht ver-
kennen (Fig. 14, Sy.). Sie zeigt noch ein jugendliches Aussehen,
insofern sie sich noch einseitig, nach der Muskulatur, in dem
Verband der Mesenchymzellen befindet. Durch ibren grossen
charakteristischen Kern und ihren Plasmasaum ist die Richtung
ihrer Differenzierung ausgeprägt.
In der mesenchymatischen Zelle R glaube ich ein Vor-
stadium der in Fig. 6 und S ebenfalls mit R bezeichneten Rand-
zellen erblicken zu können, weil ihr Kern auf der der Ganglien-
zelle zugekehrten Seite eine leichte Aushöhlung besitzt.
Das aus fünf Ganglienzellen nebst mehreren Randzellen
bestehende sympathische Ganglion der anderen Seite ist in
Fig. 16—20 wiedergegeben. Die zentralgelegenen Ganglienzellen
sind abgerundet und zeigen ein etwas dichteres Plasma als die
peripheren, welche mit feinen Ausläufern ihrem Mutterboden noch
angehören. Die Zellen R bekunden ihre Zugehörigkeit zu den
Nervenzellen durch die ihnen zugekehrten konkaven Konturen
ihrer Kerne; es sind dies die Randzellen. Das entsprechende
Spinalganglion ist durch die am meisten ventral gelegene Ganglien-
zelle SpG& in Fig. 19 repräsentiert.
In einem späteren Stadium (Fig. 25) ist das sympa-
thische Ganglion Sy & zellenreicher geworden, aber die einzelnen
Elemente erscheinen in ihren Bestandteilen kleiner. Das Plasma
der sympathischen Zellen ist bei weitem nicht mehr so umfänglich
wie früher, es umgibt den Kern fast gleichmässig. Die Kerne
werden von denjenigen der Spinalganglienzellen an Grösse über-
troffen, und sie lassen sich etwas stärker tingieren als früher.
Fig. 25 zeigt noch über dem Nephrostom und dorsal vom
Spinalnerven eine mächtige sympathische Zelle Sy, welche mit
dem Spinalnerven keinerlei Verbindungen zeigt; nur mit dem
Mesenchym hängt sie noch durch einen sehr dünnen Fortsatz
zusammen. Ein stärkerer Fortsatz geht von dem protoplasma-
reichen Pol der Zelle aus und erstreckt sich bis nahe an den
Spinalnerven; sein weiterer Verlauf konnte nicht festgestellt
werden, weil er sehr dünn und daher auf dem benachbarten
Entwicklung des sympathischen Nervensystems beim Frosch. N)
Schnitt nicht mehr erkennbar wird. Die Zelle stellt offenbar ein
Stadium dar, welches dem in Fig. 14 dargestellten folgt. Sie
scheint wie diese viel jünger zu sein als die Zellen des ent-
sprechenden Grenzstrangganglions.
Solche isolierte sympathische Nervenzellen finden sich meist
einzeln oder, wenn auch weniger häufig, zu mehreren in ver-
schiedener Entfernung vom Grenzstrangganglion. Ältere Stadien
zeigen, dass sie nicht etwa degenerieren, sondern sie liegen dann
dem Spinalnerven eng an, oder sie erscheinen als an seiner
Peripherie zerstreute Ganglienkugeln.
Überblicken wir die verschiedenen Formen, in welchen
sich uns die sympathischen Ganglienzellen in den aufeinander-
folgenden Stadien zeigen, so scheint die erste Diflerenzierung
der sympathischen Ganglienzellen sich folgendermassen abzuspielen:
Die aus dem Mesoderm stammenden Anlagen der sympa-
thischen Ganglienzellen sind als solche zu allererst von den
umgebenden Mesenchymzellen durch ihr etwas umfänglicheres
Plasma und ihren etwas grösseren und chromatinärmeren Kern
unterschieden (Fig. 1 und 2). Diese Anlagen vermehren sich und
nehmen dabei an Grösse beträchtlich zu (Fig. 3). Das bedeutende
und rasche Wachstum des Plasmas und des Kerns scheint zu
erfolgen durch reichliche Nahrungsaufnahme, welche mit der
Verflüssigung des Dotters einhergeht. Indem nicht nur das den
Kern umgebende Protoplasma, sondern auch die Fortsätze der
sympathischen Zellen anschwellen, kommt es zur Bildung von
Syneytien (Fig. 4 und 5). Und dadurch, dass die an Dicke zu-
nehmenden Plasmaanastomosen stellenweise nicht verschmelzen,
entstehen runde Lücken (Fig. 11). Später verdichtet sich das
anfangs zarte Plasma um den Kern herum, rundet sich dabei
mehr oder weniger ab, und die in dem entstehenden Zellterritorium
befindlichen Lücken scheinen als vacuolenähnliche Gebilde in das
Zellinnere einbezogen zu werden. Die Ganglienzellen lösen sich
allmählich aus dem Mesenchymnetz heraus, nehmen unter starker
Vermehrung an Grösse ab, bis sie um ein Geringes kleiner er-
scheinen als die Ganglienzellen der Spinalganglien.
Bald nachdem sich aus den die einzelnen sympathischen
Ganglien darstellenden Syneytien um die Kerne ein dichteres
Plasma abgesondert hat, beginnt die Bildung der Rami commu-
nicantes (Fig. 12 und 13). Ich habe dieselben zuerst als
10 Ren& Camus:
verdiekte Stränge unterschieden, welche aus einem ziem-
lich dichten Protoplasma bestehen und, wie Fig. 13 zeigt,
einige kleine Vacuolen führen können. Sie sind ohne Zweifel
durch Anschwellung einiger fortlaufend zusammen-
hängender, das Mesenchymnetz bildender Fäden ent-
standen. Diese Stränge betrachte ich als Vorstadien der Rami
communicantes, weil sie in späteren Phasen in ihrem
Innern eine Differenzierung erkennen lassen (Fig. 24).
Sie stehen dann noch an vielen Stellen durch dünne
Fäden mit demumgebenden Mesenchym in Verbindung;
aber ihre Grundmasse ist nun vollständig durchsichtig geworden,
und in derselben finden sich der Länge nach mehrere Fasern.
welche nach ihrer Lokalisierung und nach der angenommenen
Farbe nur Nervenfasern sein können.
Wie die Nervenfasern nun zu den Ganglienzellen in Beziehung
treten, habe ich nicht untersucht. Da aber zu der Zeit, wenn
ein zelliger Ram. com. entwickelt ist, die sympathischen Ganglien-
zellen sich noch nicht vollständig aus ihrem Mutterboden ab-
gesondert haben, ihre einzelnen Zellterritorien also noch nicht
abgegrenzt sind, so besteht eine Kontinuität zwischen dem Plasma
der Ganglienzellen, des Mesenchymnetzes und also auch der
zelligen Anlage des Ram. com. Den weiteren Verlauf könnte
man sich dann so denken, dass im Augenblick der Differenzierung
der Nervenfasern die Emanzipation der Ganglienzellen noch keine
vollständige ist, so dass die Verbindung der Nervenfasern mit
den Ganglienzellen von vornherein besteht. — Dass die Vor-
läufer der faserigen Nerven in undifferenzierten
Plasmasträngen zu suchen sind, ergibt sich schon aus
folgender Überlegung: Bekanntlich reagieren junge Frosch-
embryonen schon auf äussere Reize, ehe es zur Bildung differen-
zierter peripherer Nervenbahnen gekommen ist. Daher lässt
sich die Annahme nicht von der Hand weisen, dass während
der Ontogenese die Reizleitung zunächst nach allen
Richtungen hin durch undifferenzierte Plasmastränge
erfolgt. Indem nach und nach nur gewisse Plasmastränge die
Leitung besorgen, während die anderen sich an dieser Funktion
nicht mehr beteiligen, wird durch die Lokalisierung der
Funktion in ersteren eine spezifische Ausbildung be-
dingt.
Entwicklung des sympathischen Nervensystems beim Frosch. kl
Es fragt sich nun, ob die Differenzierung des Nerven gleich
in ganzer Länge erfolgt, oder ob sie von einem und dann von
welchem Ende aus beginnt.
Es ist einleuchtend, dass die Lösung dieser Frage für die
Erkenntnis, als was die Rami com. aufzufassen sind, nicht un-
wichtig erscheint. Dass aber die Bildung der Rami com. der
Beobachtung ziemlich viele Schwierigkeiten bereitet, habe ich
bald erkannt, weil die Entfernung der sympathischen Ganglien
von den Spinalnerven in den betreffenden Stadien zu gering ist,
um den in sehr kurzer Zeit sich abspielenden Prozess der Faser-
bildung einwandsfrei studieren zu können, ferner weil der zellige
Ram. com. vielfach Biegungen aufweist und daher selten in einer
Ebene verläuft. —
Ich ging aus von einer bereits fibrillären, konstant vor-
kommenden peripheren Verzweigung einer Anastomose des X. mit
dem XI. Spinalnerven, wie sie Fig. 23 zeigt. Der Zweig n gabelt
sich in zwei sehr dünne Äste, denen längliche Schwannsche
Kerne sw angelagert sind. In Fig. 22, welche ein jüngeres Stadium
darstellt, gleicht der untere Ast dem korrespondierenden in
Fig. 23, während der obere ein anderes Aussehen hat. Er ist
deutlich breiter als der untere; seine nicht länglichen Kerne
liegen inmitten des protoplasmatischen Astes. Ausserdem gehen
an ihrer Ansatzstelle verbreiterte Ausläufer stellenweise von ılhım
ab, die mit dem Mesenchymnetz zusammenhängen. Dagegen sind
Nervenfasern in ihm nicht nachweisbar, wohl aber sind solche m
dem Zweige bis zu seiner (abelung und im unteren Ast vor-
handen. — Bei einem jüngeren Embryo ergab sich ein ähnliches
Bild (Fig. 21), wie es für den Ram. com. in Fig. 12 und 13
dargestellt ist. Die Mesenchymkerne des peripheren Nerven
liegen noch ganz undifferenziert wenigstens teilweise in dem
angeschwollenen dotter- und vacuolenhaltigen Plasmastrang. Wie
sich dieser dem fibrillären Nervenstrang anschliesst, konnte wegen
der ungünstigen Schnittrichtung und dann wegen der fehlenden
festen Punkte in dem betreffenden und in den angrenzenden
Schnitten durch Projektion nicht sicher ermittelt werden.
Aus den drei beschriebenen Stadien ergibt sich, dass
1. die Bildung des Nerven oder, genauer ausgedrückt, die
faserige Differenzierung der Nervenbahn
zentrifugal vom Zentrum aus erfolgt durch
119 Rene Camus:
vorschreitende Umbildung bereits vorhandener
mesenchymatischer Plasmastränge.
die Schwannschen Kerne aus Kernen mesen-
chymatischer Zellen hervorgehen, deren Plasma,
zum grössten Teil wenigstens, zur Bildung
der Nervenfasern verwandt wird.
Während mein erster Schluss mit dem, welchen Held (1909)
aus seinen Beobachtungen über die Bildung peripherer Nerven
bei Anamniern gezogen hat, übereinstimmt, besteht zwischen
Held und mir eine grundsätzlich verschiedene Auffassung über
die Herkunft der Schwannschen Kerne.
Held hat mittelst der Molybdän-Hämatoxylinfärbung das
Auswachsen eines langen Zellfortsatzes aus den Neuroblasten des
Rückenmarks beobachtet. Er fand bei der Forelle die erste
faserige Differenzierung eines Hautnerven wohl innerhalb der
dünnen Plasmastränge des mesodermalen Reticulums; aber der
Nerv war zuerst in seiner ganzen Länge eine vollständig freie
Faser. Erst nachdem „Bindegewebszellen aus der Cutislamelle
hervorgehen und das vorzeitige und epitheliale zu einem zelligen
Bindegewebe“ umgewandelt haben, rücken Bindegewebszellen an
den „aus einer einzigen und starken Neurofibrille und einer
perifibrillären Plasmahülle mit ansetzenden Fäserchen bestehenden
Hautnerven, ohne aber (was Held besonders hervorhebt) sich
streng seiner Richtung anzupassen und sich eng zu ihrer Ober-
fläche einzustellen“. Weiter heisst es, die Schwannschen Zellen
des primären Hautnerven der Forelle seien ganz andere Bildungen
wie jene Bindegewebszellen. Sie seien vielmehr an der Nerven-
bahn vorgleitende Elemente, die anscheinend aus dem Medullar-
rohr an ihrer dorsalen Austrittsstelle hervorgehen und sich durch
ihren spindelförmigen Leib, durch längsovale Kerne und eine
enge Zusammengehörigkeit mit den Nerven selbst auszeichnen. —
Die Fig. 178 und 180, auf die der Autor hinweist, sind
aber, meines Erachtens, schon vorgerückte Stadien. Dagegen
sind in Fig. 179, „in welcher das sekundäre kernreiche Bild der
Nervenstrecke in das des früheren Entwicklungsstadiums übergeht,
die Schwannschen Zellen auf dem ersten Stadium ihrer peri-
pheren Wanderschaft noch vielfach mit den umgebenden Binde-
gewebszellen und ihren Fortsätzen verbunden“. — Wie diese
primären Schwannschen Zellen nun aus dem Rückenmark an
[S6)
Entwicklung des sympathischen Nervensystems beim Frosch. 13
der Nervenbahn vorgleiten und dabei doch mit dem umgehenden
Bindegewebe vielfach verbunden sein sollen, kann ich mir nicht
vorstellen. Ich betrachte die in Fig. 179 dargestellte grosse
Zelle als eine unverschobene mesenchymatische Zelle, deren Kern
in der Folge wohl zu einem Schwannschen Kern wird.
Nachdem wir in dem wachsenden Nerven eine vom Zentrum
aus peripher vorschreitende Differenzierung mesodermaler Teile
erkannt haben, würde unsere Frage nach der Bildung des Ram.
com. sich folgendermassen präzisieren: Stellt der Ram. com. eine
vom Spinalnerven aus erfolgte Bildung dar, oder ist er vom
sympathischen Ganglion aus entstanden? In letzterem Falle wäre
dann der Ram. com. primär rein sympathischer Natur.
Nach His, Kuntz u.a. soll der Ram. com. dadurch ent-
stehen, dass spinale Nervenfasern in der Höhe der Aorta medial
eine Ablenkung erfahren und durch Wachstum den Sympathicus
erreichen.
Paterson, welcher für einen selbständigen Ursprung des
Sympathicus eintritt, beschreibt genau denselben Vorgang.
Dagegen verdankt nach Fusarı der Ram. com. seine Ent-
stehung einer zelligen Verlängerung der Anlage des sympathischen
(ranglions, die nach dem Spinalnerven zustrebt. Auf den Prozess
der Neurofibrillation geht er nicht ein; er sagt bloss, dass später
in dem Ram. com. einige Nervenfibrillen sich finden, wo dieser
sich mit dem Spinalnerven verbindet.
Nach anderen Autoren, Neumayer u. a., ist die Verbindung
des sympathischen Ganglions mit dem Spinalnerven von Anfang
an vorhanden, und der Ram. com. entsteht in dem Maße wie das
sympathische Ganglion von dem Spinalnerven abrückt.
Nach Kohn endlich ist der Ram. com. zunächst an der
Abgangsstelle vom Spinalnerven fibrillär differenziert, während
er in seinem übrigen Abschnitt protoplasmatisch ist.
Nach meinen nun folgenden Beobachtungen glaube ich für
einen den herrschenden Anschauungen entgegengesetzten Bildungs-
modus des faserigen Ram. com. eintreten zu müssen.
14 Ren& Camus:
Der Kopfteil des Sympathicus entsteht, wie später ausführ-
licher dargestellt wird, aus einem faserigen Auswuchs aus dem
Grenzstrang. Indem im Laufe der Entwicklung die betreffenden
Fasern sich denjenigen der cerebralen Nerven beimischen, ist die
Verbindung des Sympathicus mit dem cerebralen Nervensystem
erreicht.
Einen Hinweis für die gleiche Entstehungsweise einer Ver-
bindung des sympathischen mit dem spinalen Nervensystem glaube
ich in einer Verbindung des Darmnerven mit dem N. ischiadieus
gefunden zu haben. Ich muss aber hier wieder vorgreifen und
Verhältnisse schildern, die erst im II. Teil Platz finden sollten.
Fig. 33 möge das Folgende illustrieren. Von den am Übergang
des Mesenteriums in den Körperstamm gelegenen Ganglienzellen
des Darmnerven geht ein Faserbündel r.c. ab, dessen einzelne
Elemente mit denen des Spinalnerven unter einem „spitzen“
Winkel bei x zusammentreten. Aus dem Verlauf des Ram. com.
und der Art seiner Verbindung mit dem Spinalnerven ist zu
entnehmen, dass er zunächst nur aus sympathischen Fasern zu-
sammengesetzt ist. Eine mit Osmiumsäure fixierte Larve von
14 mm Länge zeigte denn auch noch keine myelinhaltigen Fasern
in einem Ram. com. zwischen dem Darmnerven und dem Spinal-
nerven.
Aus diesen Befunden schliesse ich, dass auch die
Rami com. des Grenzstranges als Bildungen zu be-
trachten sind, die vom Sympathicus aus erfolgen,
zunächstnursympathische, dann auch spinale Fasern
enthalten.
Das Auffinden der Vorstufe einer die sympathischen Ganglien
untereinander verbindenden Längskommissur ist nicht leicht.
Es ist mir dies nur an wenigen Serien gelungen. Den am glück-
lichsten geführten Sagittalschnitt gibt Fig. 26 wieder. Die beiden
sympathischen Ganglien stellen noch Syneytien dar. Zwischen
ihnen treten innerhalb des Mesenchyms einzelne und zu kleineren
Syneytien vereinigte Zellen hervor, die durch ihre Form und
Grösse und durch ihre grosse Ähnlichkeit mit denjenigen der
Ganglien sich bestimmt als sympathische Zellen erweisen. Es
geht meines Erachtens aus der Betrachtung dieses Bildes deutlich
Entwicklung des sympathischen Nervensystems beim Frosch. 15
genug hervor, dass der Grenzstrang nicht, wie allgemein
angenommen wird, ausschliesslich durch konvergentes
Wachstum der einzelnen Ganglien zustande kommt.
Die zwischen den Ganglien gelegenen mit i bezeichneten
gangliösen Anlagen der Längskommissur sind zweifel-
los anOrtundStelleausdem Mesenchym entstanden;
nur haben sie sich später differenziert wie die metamer an-
geordneten Ganglien. Die faserige Ausbildung des Längsstranges
erfolgt später als diejenige der Ram. com. Fig. 27, die einen
Sagittalschnitt einer 6,5 mm langen Rana temporaria wiedergibt,
zeigt vom VIII. sympathischen Ganglion nach hinten sich er-
streckend, einen nahezu gleich breiten plasmatischen mit Kernen
versehenen Strang, welcher noch keine Differenzierungen zeigt,
sondern vollkommen homogen ist. — Einen fast in seiner ganzen
Länge faserigen Grenzstrang konnte ich in seltenen Fällen schon
bei 5—6 mm langen Larven von Rana esculenta erkennen. Die
Ganglienzellen sind noch nicht so zahlreich, dass sie überall eine
geschlossene Reihe bilden; auch finden sie sich in unregelmässiger
Verteilung, so dass nun von gangliösen Anschwellungen nicht
wohl geredet werden kann. In der Folge verwischt sich
die zuerst ausgesprochene Metamerie vollständig. Die
nunmehr stärker tingierbaren Kerne der sympathischen Ganglien-
zellen sind viel kleiner als diejenigen der grösseren Spinalganglien-
zellen; das Plasma umgibt den Kern als spärlicher Saum, so dass
bei schwächerer Vergrösserung der Grenzstrang sehr leicht über-
sehen werden kann. Also nur bei starker Vergrösserung sind
die sympathischen Zellen von den umliegenden Mesodermzellen
zu unterscheiden und die zu wenigen und dünnen Bündeln ver-
einigten Nervenfasern wahrzunehmen.
Ungefähr von diesem Stadium ab dehnen sich die ersten
beiden Spinalganglien ventralwärts bis in die Höhe des Grenz-
stranges aus. Dies hat auch Jones bei Rana und Bufo be-
obachtet und zwar in seinem Anfangsstadium. Er fand nämlich
Zellen inmitten des Spinalnerven, die durch ihre Grösse von den
charakteristischen Spinalganglienzellen differierten, aber denen des
schon vorhandenen Grenzstranges ähnlich sahen; und er schloss
daraus, dass jene Zellen, vom Spinalganglion kommend, in der
Höhe der Aorta aus der Bahn der Spinalnerven heraus nach dem
Standort des Sympathicus „wanderten“. Eine gleiche Entstehung
16 Ren& Camus:
nahm er an für die den Grenzstrang bereits bildenden sympa-
thischen Zellen.
Jones hat, wie aus dem Vorhergehenden ersichtlich ist,
seine Untersuchungen bei Larven begonnen, welche schon einen
kontinuierlichen Grenzstrang besassen, so dass also seine Befunde
schon deshalb einen Schluss über den Ursprung des Sympathicus
keineswegs erlauben.
Seine Untersuchungen kann ich auch nur zum Teil bestätigen.
Ich finde die von ihm geschilderten Verhältnisse, wie schon er-
wähnt, nur bei den beiden ersten Spinalnerven; bei den folgenden
dagegen sind sie nicht anzutreffen. Da der III. und die folgenden
Spinalnerven der kleinen, den sympathischen Nervenzellen ähnlichen
Elemente zwischen den Spinalganglien einerseits und den Ram.
com. andererseits entbehren, und da diese Elemente nur in den
Spinalganglien neben den grossen Ganglienzellen sich finden,
müssen wohl die betreffenden Zellen dem Spinalganglion angehören.
Ich habe beobachten können, dass gelegentlich auch grosse Spinal-
ganglienzellen weit ventral bis nahe an den Sympathicus vor-
geschoben erscheinen. Niemals aber handelte es sich in der
Höhe des Sympathicus um einzelne, ich meine vom Spinalganglion
isolierte Ganglienzellen im Spinalnerven. Also ist es das Spinal-
ganglion selbst, welches in dem vordersten Rumpfabschnitt bis
in die nächste Nähe des Sympathicus hinunterreicht.
Ist somit Jones’ Ableitung des Sympathicus schon durch
die Betrachtung eines weit vorgeschrittenen Stadiums unhaltbar,
so wird sie es um so mehr durch die schon erwähnte Tatsache,
dass in früheren Stadien (Fig. 19) die ersten Spinalganglien ventral
noch nicht bis an die sympathischen Ganglien hinunterreichen.
Bei einer ca. 7 mm langen Larve ist der Grenzstrang
leicht zu verfolgen, er enthält nun viel mehr Ganglienzellen als
in dem zuvor beschriebenen Stadium; auch ist das Gefüge der
Zellen ein dichteres. Sein vorderes Ende liegt zwischen dem
Vagusganglion und dem I. Spinalnerven, sein hinteres am IX. Spinal-
nerven. Zur Bildung eines X. sympathischen Ganglions kommt es
also nicht, wenigstens habe ich ein solches niemals beobachtet.
Der Grenzstrang endigt caudal gewöhnlich kurz, nachdem von
ihm einige Rami com. nach dem IX. abgegangen sind. Nur in
einem Falle ist mir ein anderes Verhältnis in dieser Region
begegnet. Man sieht in der Textfig. 1 von dem Ende des Grenz-
Entwicklung des sympathischen Nervensystems beim Frosch. 17
stranges bei S einen dünnen Nerven ausgehen, welcher der
lateralen Wand der Aorta entlang zieht und sich mit dem
X. Spinalnerven verbindet. Während er aber nur halbwegs bis
zum X. ein gangliöses Band darstellt, entbehrt seine hintere
Hälfte vollständig der Ganglienzellen. Daher ist der zwischen
dem IX. und dem X. Spinalnerven liegende sympathische Abschnitt
wohl nur als ein peripherer Teil des Grenzstranges aufzufassen. —
Was die in der Literatur erwähnten, hinter dem IX. Spinalnerven
S
Milz > An.
Fig. 1.
.Rana temporaria. Rechtes Vorderbein durchgebrochen, linkes Vorder-
bein eben noch unter der Haut. Linke Seite im Sagittalschnitt. s.S. —
Sympath. Grenzstrang:; VIII.—X. — VIIL—X. Spinalnerv; M. — Muskulatur:
Ao. — Aorta; R.c. — Ramus com.; W. — Einmündungsstelle des Wolff-
schen Ganges in den Darm; ch. — Chorda dorsalis.
gelegenen sympathischen Ganglia cocceygea betrifft, so verweise
ich auf Teil II 3, in welchem sie als Teile des Darmnerven
gedeutet sind.
Die schon beim Auftreten des faserigen Grenzstranges ver-
wischte Metamerie prägt sich in derälteren Larven-
periode nach und nach wieder aus, aber nur teilweise:
Während der Grenzstrang im vorderen und im hinteren Teile
durch verjüngte und verdickte Stellen Ganglienknoten absondert,
sind in seinem mittleren Abschnitt keine Ganglien abgegrenzt,
der Grenzstrang bildet hier stellenweise ein Geflecht, welches
mit dem die Aorta seitlich und ventral umgebenden gangliösen
Nervenplexus zusammenhängt.
Ob nun beim erwachsenen Frosch sich wirklich ein gut
definierter Strang überall isolieren lässt, habe ich nicht untersucht.
Archiv f.mikr. Anat. Bd.$1. Abt.1. 2
18 Rene Camus:
2. Historisches.
Der erste Forscher, welcher sich über die Entwicklung des Sympathicus
geäussert hat, ist Remak (1843). Beim Huhn tritt der Sympathicus in
vier Abteilungen auf, die Remak als Grenz-, Darm-, Geschlechts- und
Mittelnervensystem bezeichnet und unter dem Namen „Visceralnervensystem“
zusammenfasst. Zuerst bildet sich der Grenzstrang und zwar aus den
Urwirbeln; diese sondern sich in eine Zentralmasse, die Anlage der Spinal-
sanglien, und in eine Kapsel. Aus dem äusseren Ende einer jeden Kapsel
wachsen kurze, faserige Schenkel hervor, die sich untereinander so zu Bogen
verbinden, dass alle Bogen zusammen den Grenzstrang des Nervus sympathicus
bilden. Nach His (1868) stammen die Zellen, aus welchen die Ganglien des
Grenzstranges entstehen, aus den Urwirbelkernen. Unzweifelhaft sind aber
auch diejenigen sympathischen Ganglien Abkömmlinge der Urwirbelkerne,
welche an der Wurzel des Gekröses und in diesem selbst auftreten.
1875 widmete Goette in seiner „Entwicklungsgeschichte der Unke“
einen Abschnitt der Entstehung des Eingeweidenervensystems. Innerhalb
des Mesoderms entwickelt sich ein Nervensystem, das im Anfang seiner Aus-
bildung eine durchaus selbständige Existenz hat und erst nachträglich mit
den Spinalnerven in Verbindung tritt. Zuerst entsteht der Grenzstrang,
während die weiteren Verzweigungen in den Eingeweiden erst später erscheinen.
Die ersten Andeutungen glaubte er bereits am Ende der ersten Larvenperiode
in kleinen Gruppen von Zellen gefunden zu haben, die, in ihrem Aussehen
mit den Ganglienzellen der Spinalganglien übereinstimmend, zu beiden Seiten
der Aorta, zwischen dieser und den Anlagen der Nieren liegen. Da er sie
nur an einzelnen Querschnitten antraf, schien ihm dieser Umstand darauf
hinzudeuten, dass die gangliösen Anschwellungen die ersten Anlagen bilden.
In der Mitte der zweiten Larvenperiode besteht der Grenzstrang aus spindel-
förmigen Ganglien und deren Verbindungszweigen, doch existieren noch keine
Verbindungen mit den Spinalnerven noch mit dem Vagus. diese erfolgen
erst später.
1575 kam eine neue Auffassung von der Entwicklung des Sympathieus
auf durch Balfour.
Bei Elasmobranchiern fand er die ersten Spuren des Sympathicus in
kleinen, segmental angeordneten Zellmassen am Ende eines kurzen, median
gerichteten Astes je eines Spinalnerven. Diese Beobachtung verleitete ihn
zu der Annahme, der Sympathicus „könne“ als ein Auswuchs (offshoot) aus
dem cerebrospinalen System entstehen. Die Längskommissuren fand er erst
in späteren Stadien.
1550 bemühen sich Schenk und Birdsall, die Angaben Balfours
bei Vögeln und Säugetieren zu bestätigen. Sie finden bei einem fünftägigen
Hühnerembryo, desgleichen bei einem 22 mm langen menschlichen Embryo
die Ganglien des Sympathicus in Zusammenhang mit den Intervertebral-
ganglien; ferner, dass die sympathische Ganglienmasse am ventralen Ende
nicht circumscript aufhört, sondern sich noch weiter mit zarten Ausläufern
von Ganglienmassen anderen Organteilen nähert und an der Wandung der
Aorta die Anlage zum Plexus aorticus, an der Wand des Darms die Anlage
des Plexus Auerbachii bildet. Zu dieser Zeit ist die Differenzierung der
Entwicklung des sympathischen Nervensystems beim Frosch. 19
Gewebe im Darm nicht vollendet, es zeigt sich von diesen nur die Anlage
der Ringfaserhaut. Es ist daher begreiflich, wie die Ganglien im Plexus
Auerbachii zwischen die beiden Muskelschichten des Darms zu liegen kommen:
Hieraus entnehmen sie, „dass die Ganglien, durch die Wachstums- und
Bildungsverhältnisse im Embryo bedingt, in ihren Anlagen verschoben werden,
bis sie ihren bleibenden Standort erreicht haben, wo sie sich erst meta-
morphosieren“. — „Während man im Rumpfteil des Huhns den Intervertebral-
ganglien entsprechend in alternativ angelegten Knoten die sympathischen
Ganglien auftreten sieht, begegnet man am Halsteil einer zusammenhängenden
Ganglienmasse als Anlage des Sympathicus. Die Verbindung der sympathischen
Ganglien untereinander als auch mit den bezüglichen Intervertebralganglien
ist während eines jüngeren Entwicklungsstadiums eine aus Ganglien zusammen-
gesetzte. Die faserigen Verbindungsstränge zwischen den Ganglienknoten
sind ein Produkt späterer Bildung.“
Nachdem durch Schenk und Birdsall die Selbständigkeit des
sympathischen Geflechts, welches „nach seiner Entwicklungsweise mit dem
übrigen Nervensystem in Verbindung steht“, in Frage gestellt und die
sympathischen Ganglien als vorgeschobene Massen aus den Spinalganglien
betrachtet worden waren, hielt Balfour (1881) den ursprünglichen Zusammen-
hang des Sympathicus mit den Spinalnerven für erwiesen, da er nach neueren
Untersuchungen ') die sympathischen Ganglien der Selachier zuerst als blosse
Anschwellungen an den Hauptstämmen der Spinalnerven fand.
1886 dehnte Onodi die Lehre vom epiblastischen Ursprung des Sym-
pathicus auf die ganze Wirbeltierreihe aus. An Scyllium canicula 15 mm
beobachtete er am ventralen Ende des Intervertebralganglions eine dreieckige
Verdiekung. Dieses Produkt eines segmentartigen Zellenproliferationsprozesses
betrachtete er als das erste Stadium des Sympathicus. In derselben Region
fand er an 20 mm langen Embryonen die „erste Erscheinung des sympathischen
Ganglions in Gestalt einer vollständig abgetrennten Ganglienmasse an der
medialen Seite des faserigen Nervenstammes“. Bei 25 mm langen Embryonen
ist im proximalen Teil des Stammes die Verbindung der sympathischen
Ganglien schon hergestellt. Der Autor sagt, der sympathische Grenzstrang
verdanke den in der Richtung gegeneinander wachsenden, separierten sym-
pathischen Ganglien sein Entstehen; ferner der Grenzstrang entwickle anfangs
gangliöse, später faserige periphere Äste, aus denen durch Abschnürung
grössere periphere Ganglien sich bilden. Nach seinen nicht veröffentlichten
Untersuchungen legt Onodi allen grösseren peripheren Ganglien einen durch-
aus sympathischen Charakter bei. — An Mustelus laevis und Myliobatis
aquila findet Onodi jeden Kiemenast mit einer scharf umschriebenen An-
schwellung, einem Ganglion, versehen. Diese Befunde erscheinen ihm als Beweis
für die Selbständigkeit der Kiemenäste; er betrachtet sie wie Gegenbaur
als den Spinalnerven homolog. Dies zieht eine seinem Standpunkt ent-
sprechende Auffassung der Ganglien nach sich. „Da, wie wir gesehen“, so
führt Onodi weiter aus, „die sympathischen Ganglien aus dem distalen Teil
ı) Balfour: Handbuch der vergleichenden Embryologie, übersetzt
von Vetter, 1881.
DES
20 Rene Camus:
der Spinalganglien sich entwickeln, und dieser Prozess bei den Selachiern
nur auf das Gebiet des Rumpfes beschränkt ist, so ergibt sich uns als natür-
liche Konsequenz, dass wir in den isolierten Ganglien der den Spinalnerven
homologen Kiemenäste nicht nur spinale Ganglien, sondern die Summe der
spinalen und der denselben entsprechenden sympathischen Ganglien erkennen
müssen“. — Die in den Eingeweiden eingelagerten Ganglienzellen entwickeln
sich nach Onodi wahrscheinlich separat.
1889 bestätigt van Wyhe die Entdeckung Balfours, dass „jedes
Segment des Suprarenalorgans mit dem zugehörigen sympathischen Ganglion
als eine zellige Verdiekung eines Spinalnerven auftritt und sich allmählich
von diesem entfernt, während es nur durch feine Nervenfäden mit demselben
verbunden bleibt “.
1890 glaubt His, „dass man nach Onodi’s Arbeiten die Herkunft
des Sympathicus aus den spinalen Ganglien nicht mehr bezweifeln darf“,
doch scheint ihm Onodi’s Fassung des Herganges nicht annehmbar. Der
genetische Zusammenhang zwischen den sympathischen und den spinalen
Ganglien liegt seines Erachtens „nicht darin, dass jene von diesen sich ab-
schnüren, sondern es entstehen innerhalb der Spinalganglien unreife, beweg-
liche Elemente, welche von da in das Gebiet des sich bildenden Grenzstranges
überwandern und erst hier zu den eigentlichen Nervenzellen sich umbilden‘“.
Weiter heisst es: „Es fehlt nicht an zahlreichen Anzeichen für diesen Vor-
gang: die Spinalganglien sowohl als die jungen Grenzstrangganglien enthalten
stets eine Anzahl von grösseren, rundlichen oder ovalen Zellen mit Mitosen.
Solchen Zellen begegnet man auch innerhalb der Hauptnerven, und verhältnis-
mässig reichliche Mitosen treten in dem gesamten Gebiete auf zwischen dem
Nervenstamm einerseits, der Chorda dorsalis und der Aorta andererseits.
Ein Teil der in letzterem Bezirk auftretenden Mitosen gehört Bindegewebs-
zellen an; aber dies kann nur für einen Teil gelten, denn in keinem anderen
Bindegewebsbezirk finden sich entfernt ähnliche Verhältnisse. Die Grenz-
strangganglien sind wohl ihrerseits wieder als der Ausgangspunkt der vis-
ceralen Ganglien anzusehen.“ — Es erscheint His sehr bedeutsam, dass die
Geschichte des Nervus sympathicus beim Menschen nicht mit den Ganglien
ihren Anfang nimmt, sondern mit den Rami communicantes.
Durch ihre an höheren Vertebraten ausgeführten Untersuchungen
wurden nun Paterson (1890) und Fusari (1892) veranlasst, wieder für
die alte Auffassung vom mesodermalen Ursprung des Sympathicus einzutreten.
Paterson beschreibt die Anlage des Sympathicus als eine unsegmen-
tierte Zellkolumne, welche erst sehr spät, durch die Verbindung mit den
Spinalnerven und durch ihre Lagebeziehungen zur Wirbelsäule, eine Segmen-
tierung erfährt.
Fusari findet die ersten Spuren des Sympathicus beim Huhn zu
einer Zeit, wo die Spinalganglien die ventralen Wurzeln noch nicht erreicht
haben, wo also ein weiter Abstand sie von den sympathischen Anlagen
trennt. Es sind dies segmentale Bildungen, die, erst nachdem ein kontinuier-
licher Grenzstrang ausgebildet worden ist, Verbindungen mit den Spinalnerven
eingehen. Bei 4 mm langen Mus decumanus-Embryonen findet er einen
Entwicklung des sympathischen Nervensystems beim Frosch. 21
unsegmentierten Strang. Die Anlagen der Rami com. sind in der vorderen
Körperhälfte zellig vorgebildet.
1891 baut His jun. im wesentlichen die Theorie seines Vaters aus.
Die wandernden Zellen, die nach ihm den Sympathicus bilden sollen, be-
schreibt er als rundliche oder ovale, zuweilen polygonale Zellen, die voll-
kommen frei, ohne Hülle in den Zwischenräumen des Mesoblastgewebes
liegen. Der Kern sei relativ gross, meist exzentrisch; das grosse Kern-
körperchen weise ein ungemein chromatinreiches Fadennetz auf. Das fein
sranulierte Plasma zeige eine ausgesprochene Tinktionsfähigkeit gegen Häma-
toxylin und Eosin, wodurch die Nervenzellen im Mesoblast deutlich hervor-
treten. In diesem frühesten Stadium besitzen die Zellen keine Fortsätze:
sie sind also weder untereinander, noch mit dem Zentralorgan in Verbindung.
Nur bei einigen wenigen Zellen konnte His Fortsätze wahrnehmen, die aus
dem Plasma hervorgingen, sich rasch verjüngten und zentripetal gerichtet
waren. Ihre nervöse Natur hält His durch den Nachweis der auswachsenden
Faser für sichergestellt, ihre Abstammung sei durch die bis zur Wurzel-
kreuzung zu verfolgenden Schwärme klar gelegt. Für die Beweglichkeit
schien ihm die Anordnung der Elemente in Stränge und der Umstand, dass
die Stränge sich im Laufe der Entwicklung verlängerten, zu sprechen. His
glaubt die Fähigkeit zu wandern bis in ziemlich späte Stadien der Ent-
wicklung annehmen zu müssen. Einen weiteren Stützpunkt für seine Theorie
sieht His in der auffälligen Ansammlung grösserer Gangliengruppen an
Stellen, wo der Wanderung ein Hindernis entgegentreten konnte, an den
Teilungswinkeln der Gefässe und Nerven, an der Umschlagsstelle des Peri-
cards; ferner in der Beobachtung, dass im Beginn der Herznervenbildung
die Ganglien an der Spitze der eindringenden Faserbündel marschieren. —
Beim Huhn am Ende des 4. Bebrütungstages „entspringt aus dem Winkel,
in dem beide Wurzeln zusammentreffen, ein dünner faseriger Ramus commu-
nicans. Dagegen geht von der Vereinigungsstelle der Wurzeln ein Schwarm
von Zellgruppen aus, der, ohne scharf begrenzte Bahnen einzuhalten, beider-
seits der Bauchseite zustrebt. An einzelnen Stellen staut sich der Schwarm,
und es bilden sich grössere Anhäufungen. — Unterhalb des Zwerchfells ver-
einigen sich die Schwärme beider Seiten zu einer Schlinge, welche die Aorta
ventral umschliesst; aus diesem Ring entstehen weitere Zellschwärme, die
teils gegen das Darmgekröse, teils gegen die Urniere ziehen und sich dort
zu einer zweiten Ansammlung anhäufen.* —
1893 findet Marshall bei Rana und Gallus die Anlage des Grenz-
stranges als „eine Serie von Auswüchsen gewisser Cranial- und aller Spinal-
nerven, die zu gangliösen Anschwellungen werden und später sich unter-
einander verbinden“. (Nach Jones.)
1595 bestätigt Sedgwick bei Selachiern die Angaben Balfours
über die Anlagen des Sympathicus und in demselben Jahr Mazzarelli
diejenigen von His, und zwar an Selachiern und Vögeln.
Nach Rabl (1897) ist der Sympathicus der Selachier nicht eine Bildung
des Spinalnerven, sondern eine solche, welche allein durch die Verlängerung
des Spinalganglions geschieht. {Nach Held.)
22 Rene Camus:
1897 führt His jun. im wesentlichen seine früheren Darstellungen
weiter aus in einer Arbeit über die Entwicklung des Bauchsympathieus beim
Hühnchen und beim Menschen.
Eine Studie über die Entwicklung des Sympathicus bei Selachiern,
welche wieder Balfours Angaben bestätigt, gibt Hoffmann (1900). Erst
nachdem sich beide Spinalwurzeln vereinigt haben und der gemischte Spinal-
nerv entstanden ist, beginnen die sympathischen Ganglien sich anzulegen als
zellige Verdickungen der Spinalnerven unmittelbar unter der Vereinigungs-
stelle beider Äste. In jedem Segment, sagt Hoffmann, dessen dorsale
Nervenwurzel Gelegenheit findet, sich mit der ventralen Nervenwurzel des-
selben Segments zu vereinigen, entsteht ein sympathisches Ganglion. Daher
sind im Kopf von Acanthias, wo sensible und motorische Fasern getrennt
verlaufen, keine sympathischen Ganglien als selbständige Nervenknoten vor-
handen: nur der Nervus ophthalmicus (dorsale Wurzel) hat Gelegenheit, eine
Verbindung einzugehen mit dem Nervus oculomotorius (ventrale Wurzel),
und unter dieser Anastomose entsteht das Ganglion ciliare, welches das
erste sympathische Ganglion repräsentiert. Nach Hoffmann differenziert
sich das junge sympathische Ganglion in einen peripheren Teil, der faserig
wird und die Anlage des Ramus communicans bildet, und in einen zentralen
Teil, aus dem das Ganglion hervorgeht. — Längskommissuren zwischen den
einzelnen Ganglien findet Hoffmann bei Acanthias nicht, während sie
nach Onodi bei Scyllium vorhanden sind. Dagegen gibt Chevrel wieder
an, dass es bei den Elasmobranchiern einen Grenzstrang nicht gibt, die
einzelnen sympathischen Ganglien seien nicht miteinander verbunden.
1902 findet Hoffmann „bei 9—10 mm langen Triton taeniatus die
erste Anlage eines Sympathicus an der Stelle, wo später der Grenzstrang
erscheint, als vereinzelte Zellen, die durch einen langen, aber äusserst dünnen
Ausläufer mit dem Ramus ventralis spinalis zusammenhängen“.
Dem Autor scheint der Schluss berechtigt zu sein, dass besagte Zellen
aus dem Ramus ventralis ausgewandert sind. Bei Salamandra-Embryonen
30—33 mm bildet der Sympathicus einen kontinuierlichen, teils zelligen, teils
faserigen Stamm, der sich kopfwärts bis an die Ursprungsstelle der ventralen
Wurzel des I. Spinalnerven verfolgen lässt und sich caudalwärts in den
Schwanz verlängert. — Weiteres ist über die Entwicklung des Grenzstranges
nicht mitgeteilt.
1905 veröffentlicht Jones seine Beobachtungen über die Entwicklung
des Sympathicus bei der Kröte und beim Frosch. Er findet bei Bufo 9 mm
zwischen dem Vagus und dem II. Spinalnerven den Sympathicus zuerst aus
im Mesoderm zerstreuten Zellen bestehend, die besonders in der Region des
Spinalnerven dichter stehen und so einen Strang bilden, der sehr unregel-
mässig erscheint und in jedem Querschnitt drei bis zwölf Zellen zeigt. Da
er Zellen innerhalb der I. und II. Spinalnerven findet, die mit den Zellen
einerseits der Spinalganglien, andererseits des sympathischen Grenzstranges
in Kontinuität stehen, hält er die sympathischen Zellen für eetodermalen
Ursprungs und neigt dazu, sie von den Spinalganglien abzuleiten. — In der
Region des III. Spinalnerven soll vom Sympathicus nichts zu sehen sein,
dagegen lässt sich ein kontinuierlicher Grenzstrang halbwegs zwischen dem
En]
Entwicklung des sympathischen Nervensystems beim Frosch. 23
III. und IV. Spinalnerven bis zwischen dem IX. und X. verfolgen. In seinem
zweiten Stadium (Bufo 12 mm) stellt der Sympathicus zwischen Vagus und
N. Spin. II einen ununterbrochenen Strang dar. Er ist mit dem dahinter
liegenden Hauptteil verbunden, welcher mit dem VI. Spinalnerven eine faserige
Verbindung zeigt. — Bei Bufo 14 mm findet er auch den IV., V., VII. und
VII. Spinalnerven in Verbindung mit dem Grenzstrang; bei 15 mm langen
Larven ist auch N. Sp. IX verbunden. — Bei 21 mm Länge ist das Vagus-
sanglion mit dem Grenzstrang verbunden. Zu dieser Zeit ist auch der
Grenzstrang von einer wohl entwickelten Membran umgeben.
Auf Grund seiner Bearbeitung der bisherigen Literatur und seiner
eigenen Untersuchungen über die „Histogenese und Morphogenese des peri-
pheren Nervensystems, der Spinalganglien und des Nervus sympathicus“ in
Hertwigs „Handbuch der Entwicklungslehre der Wirbeltiere“ betrachtet
Neumayer (1906) für die Entstehung des Sympathicus das System der
Spinalnerven als Ausgangspunkt. Nach ihm wäre der Sympathicus weder
ein abgeschnürter Teil der Intervertebralganglien im Sinne Onodis, noch
würde es sich um Wanderzellen handeln, wie das His annimmt. Das System
des Sympathicus geht vielmehr aus Elementen hervor, die als Abkömmlinge
der vorderen und hinteren Wurzel zu betrachten sind und sich ebenso in
loco differenzieren wie die Spinalganglien und die Wurzelfasern. In einem
in seiner Fig. 209 wiedergegebenen Querschnitt eines Pristiurus-Embryo,
welcher wohl die Entstehung des Sympathicus veranschaulichen soll, ist das
aus 25—-30 Kernen repräsentierte Ganglion „in ganzer Breite mit dem
Spinalnerven verbunden, und aus ihm herab zieht ein kernreicher Strang an
die Wand der Urniere herab. Der hier noch einheitliche Spinalnerv spaltet
sich später in einen medialen, kernreichen, mit dem Sympathicus zusammen-
hängenden Anteil und in einen lateralen Abschnitt. Der Sympathicus spaltet
sich in der Folge der Länge nach vollständig vom übrigen Teil des Nerven
ab, und zugleich damit erfolgt eine Ablösung des Ganglions von dem Nerven.
Die sympathischen Nerven rücken stetig weiter ab, und in gleichem Mabe
verlängern sich die freien Strecken der Rami com. Da die sympathischen
Ganglien in ihrer Entwicklung im innigsten Konnex mit den gemischten
Spinalnerven stehen, muss auch die Anlage zeitlich mit dem Erscheinen der
Vereinigung der beiden Wurzeln zusammenfallen. Da, wo es zu einer solchen
Vereinigung nicht kommt, fehlen demnach auch sympathische Ganglien
(vgl. Hoffmann). Das früheste Auftreten sympathischer Elemente bei
Knochenfischen hat Neumayer in seiner Fig. 177 bei einem 20 Tage
alten Forellenembryo illustriert. „Von der ersten Anlage des Spinalganglions
setzt sich ein kontinuierlicher Zellstrang bis zur Aorta fort und verbreitert
sich hier zu einer Zellanhäufung“, die er als Anlage des sympathischen
Ganglions betrachtet. Die Zellen dieses Ganglions sind protoplasmaarm,
haben grosse, rundliche Kerne, die zum Teil etwas dunkler tingiert sind als
diejenigen des Spinalganglions und des Ramus communicans. Ein Grenz-
strang existiert zu dieser Zeit noch nicht. „Aus der Untersuchung einiger
Rana-Embryonen ergab sich, dass schon vor dem Auftreten der sympathischen
Ganglien ventro-medial wachsende, von den Spinalnerven auswachsende Zell-
stränge existieren, von denen ausgehend es dann, wie auch Untersuchungen
24 Rene Camus:
an Urodelen ergeben haben, zur Bildung des Grenzstranges kommt.“ Seine
Beobachtungen an Sauropsiden, auf die ich nicht näher eingehen will, stehen
mit denen von Onodi beim Hühnchen nicht im Einklange. Dagegen findet
er bei Hühnerembryonen Bilder, die den Beobachtungen bei Lacerta ent-
sprechen; er stimmt mit den Angaben von His überein, der dem Auftreten
der sympathischen Ganglien die Entwicklung des Grenzstranges voraus-
gehen lässt.')
Nach Froriep (1907) verlassen bei Torpedo und Lepus die Nerven-
zellen der zum autonomen Nervensystem gehörigen vertebralen, prävertebralen
und terminalen Ganglien als indifferente grosskernige Bildungszellen das
Medullarrohr zusammen mit den ventralen Spinalnervenwurzeln und rücken
mit diesen in den Hauptstamm des Spinalnerven. Sie wandern gemeinsam
und vorübergehend innig verschmolzen mit auswachsenden Neuroblasten-
ausläufern, die später wohl zu den präganglionären Fasern des autonomen
Systems werden. Die Zellen biegen vom Spinalnervenstamm medialwärts
ab und rücken an die dorso-laterale Wand der Aorta, wo sie sich zur Bildung
der ventralen Grenzstrangganglien anhäufen. Von hier aus wandern wieder
Zellen in Verbindung mit Neuroblastenausläufern zwischen der Aorta und
der Vena cardinalis ventralwärts in die Wurzel des Mesenteriums und bilden
hier die prävertebralen und noch weiter die terminalen Ganglien. Die Zellen
wandern demnach weder frei noch durch reine mitotische Sprossung, sondern
durch eine Kombination beider Prozesse, gebunden an die in bestimmten
Bahnen wachsenden Neuroblastenfortsätze. (Neapeler zoolog. Jahresbericht.)
1907 findet Kohn die ersten unverkennbaren Ansätze der Sympathicus-
anlage bei 11 Tage 6 Stunden alten Lepus-Embryonen in deutlich verzweigten
Zellen am Ende des sprossenden faserigen Spinalnerven. Während dieser
dem Faserverlauf entsprechend gerichtete und mit länglichen Kernen ver-
sehene Zellen ausgestattet ist, sind die jungen sympathischen Zellen grösser,
protoplasmareicher. Ihre ansehnlichen Kerne sind mehr rundlich und stellen
sich schief bis senkrecht zur Faserrichtung des Spinalnerven und ragen über
dessen seitlich mediane Begrenzung hervor. Ihre Fortsätze sind deutlich
median zu verfolgen und endigen mit freien Spitzen. Diese Zellen deutet
Kohn als Differenzierungen der Neurocyten, welche den embryonalen Zellen
des Medullarrohrs und der Spinalganglien entstammen. — Bei um 9 Stunden
älteren Lepus-Embryonen beschreibt Kohn die sympathischen Zellen als
dunklere, mit breit angesetzten, spitzauslaufenden Fortsätzen versehene
Zellgruppen, die häufig zu einer syneytialen mehrkernigen Protoplasma-
masse vereinigt sind. Selbst wenn Spinalganglienzellen und Neurocyten in-
folge fortschreitender Differenzierung schon recht verschieden geworden sind,
und im Spinalnerven nur die langgestreckten Kerne der Neurocyten vor-
handen sind, findet Kohn „Bilder, die klar für einen noch immer andauernden
Nachschub sympathischer Zellen von dem Spinalnerven her sprechen“. Aus
!) Die Angabe von Neumayer, Goette habe festgestellt, die Ver-
bindungsäste des Grenzstranges mit den Spinalnervenstämmen träten im
Gebiet des Vagus zuerst auf, ist unrichtig.
Entwicklung des sympathischen Nervensystems beim Frosch. 25
den Neurocyten geht das gesamte Nervensystem mit seinen Ganglienzellen,
Randzellen, Nervenfasern und Nervenfaserzellen samt den chromaffinen Zellen
hervor. Der Autor spricht von der merkwürdigen Besonderheit des Hals-
sympathicus, an dem bei 13 Tage alten Embryonen nichts auf die Abstammung
aus den Abzweigungen des Spinalnerven hindeutet; worauf diese beruht,
kann er nicht angeben. — Bis zum 16. Tage ist der Grenzstrang unsegmentiert,
von da ab zeigt er eine Gliederung, aber die Anschwellungen lassen weder
bezüglich ihrer Lage noch ihrer Zahl ein gesetzmässiges Verhältnis zu den
Spinalnerven erkennen. Aufgefallen ist weiterhin dem Autor, dass die Differen-
zierungen in den Geflechten die des Grenzstranges so entschieden überholten. —
Kohns Angaben wurden von Held vollkommen bestätigt.
1909 findet Held die erste Anlage des Sympathicus bei den Selachiern
als eine spindelförmige Anschwellung des verlängerten Spinalganglions. Sie
liegt in der Achse des sensiblen Spinalnerven, nicht der motorischen Wurzel,
die nirgends mit der sensiblen ‚Wurzel durch Zellenzüge verbunden ist. Die
Anlage des Sympathieus erscheint ihm durch eine stärkere Fortsatzbildung
an seinen Zellen ausgezeichnet, die sie mit dem umgebenden Bindegewebe
vereinigt, während der Spinalnerv selber nur schwächere Plasmodesmen seiner
medullogenen Längszellen mit den angrenzenden Mesodermzellen besitzt. —
Von der Forelle bildet Held zwei Zellen ab, die die erste Anlage des
Sympathicus bilden sollen. Diese Zellen besitzen eine kompakte Plasmazone
dicht am Kern, die medialste ist durch mehrere Plasmafäden mit der Wand
der Aorta verbunden, wie diese Zellen auch sonst mit den umgebenden und
locker verteilten Mesodermzellen zusammenhängen. Von dieser „kurzen
Zellenkette“ sagt er, sie sei aus dem Spinalnerven hervorgesprosst. — Die
erste Anlage des Sympathicus beim Frosch, Rana esculenta. findet er in
einer geringen Verdickung des Spinalnerven ungefähr in der Höhe der Aorta.
Da anscheinend keine direkten medullaren Zellen längs der ventralen Wurzel
vorgleiten, so meint er, dass diese erste sympathische Anlage hier eine Zell-
anhäufung ist, die vom Spinalganglion her, aber zum Unterschied von den
Selachiern, längs des motorischen Fibrillenzuges, also innerhalb seiner Bahnen
selbst gebildet worden ist. — Was die weitere Entwicklung, sowie die
Anlagen des Sympathicus bei Emys europaea, bei der Ente und dem Kaninchen
anbelangt, verweise ich auf das Original.
1909 erkennt Marcus bei Gymnophionen die erste Spur des Sympathicus
als eine medianwärts gerichtete Zellanhäufung am Spinalnerven. Diese
metameren Zellklümpchen wachsen rasch heran und verbinden sich mit den
Nachbarhäufchen, wodurch ein zelliger Grenzstrang entsteht. Er konstatiert.
dass der I. Spinalnerv keine dorsale Wurzel und folglich auch kein Spinal-
ganglion besitzt, aber trotzdem kommt in diesem Segment ein sympathisches
Ganglion, das sogar eines der grössten des ganzen Tieres wird, konstant
vor. Marcus bestätigt das Vorhandensein der von Froriep erwähnten
Zellgruppe, die an der Austrittsstelle der ventralen Wurzel liegt, und zwar
hat er „in jungen Stadien stets eine Verbindung dieser Zellgruppe mit der
Ganglienleiste beobachten können“. Dieser Befund stehe in bestem Einklang
zu dem von Harrison experimentell gewonnenen Nachweis, dass Zellen
der Ganglienleiste zu den Neuroblasten werden. Daher glaubt Marcus,
26 Rene Camus:
dass die Ganglienleiste ausser den Spinalganglien und den Neuroblasten aller
Nerven auch die sympathischen Zellen liefert.
1910 endlich erschien die letzte Arbeit über die Entwicklung des
Sympathicus bei Vögeln und Säugetieren. Kuntz beschreibt bei Sus zuerst
einen kontinuierlichen Zellstrang, der anscheinend vom Spinalnerven unab-
hängig ist. Bald findet er die Anfänge der Rami communicantes in Nerven-
fasern, die von den Spinalnerven abgehen, den Grenzstrang jedoch noch
nicht erreichen. Den Spinalnerven und den Rami com. entlang finden sich
„accompanying cells“, die am Ende der Rami com. sich von ihm ablösen
und in die Anlagen des Grenzstranges einzuwandern scheinen. Kuntz
leitet diese Zellen von Medullarzellen ab, die in frühen Stadien vom Neural-
rohr in die ventrale und in die dorsale Wurzel, dann gemeinschaftlich den
gemischten Nerven, dann den Ramus com. entlang an die Stelle wandern,
wo später der Grenzstrang zu liegen kommt. — Was seine Untersuchungen
an Vögeln anbetrifft, so stimmen sie im wesentlichen mit denen von His jr.
überein.
3. Kritik der Literatur.
Viele Angaben, welche über die Beobachtung der ersten
Anlagen des Sympathiceus berichten, sind als Beiträge über bereits
vorgeschrittene Entwicklungsstadien zu betrachten. Dies geht
teils aus der Beschreibung, welche die Autoren gegeben haben,
teils auch aus den die betreffenden Anlagen repräsentierenden
Figuren hervor.
Die sämtlichen Beobachtungen Remaks beziehen sich auf
vorgerückte Entwicklungsstadien, was am klarsten aus seiner
Angabe, die Nerven zeigten überall gleich einen faserigen Bau,
zu entnehmen ist.
Die von Goette yermissten Verbindungen des Sympathieus
mit den Spinalnervenstämmen in der Mitte der zweiten Larven-
periode konnten nachgewiesen werden.
Wenn Balfour allgemein als der Vater von der ecto-
dermalen Abstammung des Sympathieus gilt, so ist dies nicht
gerechtfertigt. Balfour war sehr vorsichtig in der Deutung
seiner Befunde. Obgleich er eine ectodermale Abstammung ver-
mutete, schloss er ausdrücklich eine andere Bildungsweise für
den Sympathicus keineswegs aus. Erst nachträglich, auf Grund
der Arbeit von Schenk und Birdsall, wurde sein Standpunkt
präziser. Seine neuere Angabe, wonach er die sympathischen
Ganglien zuerst als blosse Anschwellungen. an den Hauptstämmen
der Spinalnerven fand, betrifft keine erste Anlage mehr, denn das
sympathische Ganglion erscheint im beigegebenen Schnitt viel zu
zellenreich.
Entwicklung des sympathischen Nervensystems beim Frosch. 27
Von der Arbeit Schenk ’s und Birdsall’s sagt schon
Onodi, sie behandle die Frage nach der Entstehung des
Sympathieus nicht mit eingehender Präzision, und die beigelegten
Abbildungen seien auch keineswegs überzeugender Art. „Die
Schlussfolgerungen, die Schenk und Birdsall aufstellen, sind“,
so meint Kohn, „mehr auf ihren guten Glauben als auf ihre
Untersuchungsergebnisse zurückzuführen. Denn die von ihnen
untersuchten Entwicklungsstadien waren viel zu alt, um über
die erste Anlage des Sympathicus Aufschluss zu bringen. Was
sie tatsächlich feststellen konnten, das ist der frühzeitige Zu-
sammenhang vom sympathischen und cerebrospinalen Nervensystem.
Dass aber ersteres aus letzterem hervorgehe, dafür haben sie
keinen Beweis erbracht.“ — Dass die Arbeiten von Balfour
und Schenk auch nicht imstande waren, der Abstammung der
sympathischen Ganglien aus den spinalen zur allgemeinen Gültig-
keit zu verhelfen, ersieht man, wie Onodi bemerkt, daraus, dass
in Handbüchern, wiein Schwalbe’s Neurologie, die sympathischen
Ganglien entwicklungsgeschichtlich den spinalen Ganglien gegen-
übergestellt wurden.
Die Figuren Patersons können den Leser von der meso-
dermalen Herkunft des Sympathieus nicht überzeugen. Seine erste
Anlage ist ein Strang, der schon eine ansehnliche Stärke besitzt,
wie dies seine Fig. 3 zeigt. Zur Zeit, wenn der Grenzstrang
schon von einer bindegewebigen Scheide umgeben ist und ein
für sich abgeschlossenes Gebilde darstellt, soll nach Paterson
noch keine Verbindung mit den Spinalnerven bestehen. Kohn,
der Lepus untersucht hat, findet die sympathischen Anlagen viel
früher als sie Paterson bei Mus und Rattus angetroffen hat.
Wie schon Held erwähnt, hat Hoffmann viel zu alte
Embryonen untersucht, um über den Ursprung des Sympathicus
Bestimmtes aussagen zu können.
Neumaver beginnt das Studium der Sympathicus-
entwicklung bei Pristiurus mit mächtig ausgebildeten sympa-
thischen Ganglien, von denen ein (Querschnitt nicht weniger wie
25—30 Zellen enthält, wie seine Fig. 209 zeigt. — Das früheste
Auftreten sympathischer Elemente bei der Forelle hat er in
Fig. 177 illustriert. Ich finde aber, dass diese halbschematische
Figur nicht imstande ist, einen Beleg für das Entstehen eines
sympathischen Ganglions aus dem Spinalnerven abzugeben. —
28 Rene Camus:
Was seine an „einigen“ Froschembryonen angestellten Unter-
suchungen betrifft, so kann ich nur mitteilen, dass ich durch
die Untersuchung ‚sehr vieler“ Froschembryonen zu anderen
Resultaten gekommen bin.
Auf die Arbeit von Jones ist, um Wiederholungen möglichst
zu vermeiden, in dem Abschnitt über meine eigenen Beobachtungen
ausführlich eingegangen worden.
Die von Held in Fig. 238, 240 dargestellten, mit den
Spinalnerven verbundenen dotterhaltigen Zellanhäufungen bei
Rana betrachte ich nicht als sympathische Anlagen. Dagegen
erkenne ich die von der Forelle abgebildete Anlage als solche
an. Obgleich „die medialste Zelle durch mehrere Protoplasma-
fäden mit der Aortenwand verbunden ist, wie auch sonst die
ganze Anlage mit den umgebenden und locker verteilten Mesoderm-
zellen zusammenhängt“, glaubt der Autor, diese sympathischen
Zellen doch als eine spinale Zellensprosse betrachten zu müssen. —
Die in Fig. 242 als „peripher verlagerte sensible Neuroblasten“
bezeichneten Zellen muss ich als wirkliche sympathische Ganglien-
zellen ansprechen.
Der in Fig. 240 abgebildete kurze Zellenstrang, welcher
die dotterreiche Plasmamasse mit dem Spinalnerven verbindet,
soll bereits wenige Fibrillen enthalten und daher den Ram. com.
vorstellen. Auf Grund meiner Beobachtungen muss ich aber das
Vorhandensein von Nervenfasern bestreiten, da, wie ich ausgeführt
habe, die erste Differenzierung der sympathischen Ganglienzellen
der Bildung der Nervenfasern vorausgeht und in diesem Stadium
noch keine gangliösen Anlagen erkennbar sind.
Über die dreieckige Verdickung des Intervertebralganglions,
welche Onodi als Anlage des sympathischen Ganglions betrachtet,
kann ich mich nicht äussern. — Kohn sagt, dass es Onodi
nicht gelang, für alle Wirbeltiere den sicheren Nachweis zu
erbringen, wonach die sympathischen Ganglien Abkömmlinge der
spinalen seien. Die untersuchten Säugetierembryonen seien zu
alt gewesen, um über die ersten Entwicklungsvorgänge Aufschluss
zu bringen.
Den aktiv wandernden, leucocytenähnlichen Vorstadien der
sympathischen (Ganglienzellen, welche His beschrieben und ab-
gebildet hat, muss ich auf Grund meiner Beobachtungen jede
Mitwirkung bei der Entwicklung eines Ganglions oder eines
Entwicklung des sympathischen Nervensystems beim Frosch. 29
Nerven absprechen. — Eine auffällige Ansammlung grösserer
Gangliengruppen an Stellen, wo der Wanderung ein Hindernis
entgegentreten konnte, konnte ich nicht beobachten. Den weiteren
Stützpunkt, welchen His für seine Theorie angibt, wonach die
Ganglien an der Spitze der vordringenden Faserbündel marschieren,
kann auch ich nicht annehmen.
Die wandernden Elemente, die nach Kuntz den Sympathicus
und den Remakschen Darmnerven bilden solien, sind wahr-
scheinlich dieselben, die His beschrieben hat. Auch hier können
die halbschematischen Figuren den Leser nicht überzeugen.
Dass Kohn wirklich die Anlagen des Sympathieus bei
Lepus beobachtet hat, unterliegt nach seiner Beschreibung keinem
Zweifel. Die Ableitung derselben von Neurocyten des Spinal-
nerven erscheint mir aber gezwungen. Wie soll man sich vor-
stellen, dass aus den langgestreckten Neurocyten des Spinal-
nerven, welche besonders durch ihre Form vor einer Verwechslung
mit Mesodermzellen geschützt sind, Zellen hervorgehen sollen,
welche einen mesenchymatischen Charakter besitzen, um dann
diesen wieder aufzugeben? — Ich möchte an dieser Stelle wieder
erwähnen, dass der Autor von der merkwürdigen Besonderheit
des Halssympathieus spricht, an dem nichts auf die Abstammung
aus den Abzweigungen des Spinalnerven hindeutet. Worauf diese
aber beruht, kann der Autor nicht angeben.
Zuletzt sei nun noch einmal auf die Angabe von Marcus
hingewiesen, da sie in glänzender Weise die Ableitung des
Sympathicus aus den Spinalganglien als unmöglich erweist. Nach
seiner Entdeckung besitzt nämlich der erste Spinalnerv der
(symnophionen keine hintere Wurzel und folglich auch kein
Spinalganglion; und dennoch kommt es in diesem Segment zur
Bildung eines sympathischen Ganglions.
Dass die Ansichten der einzelnen Forscher hinsichtlich der
Entstehung des Sympathicus zum Teil recht weit auseinander
gehen, kann nicht wundernehmen, da, wie aus dem Angeführten
hervorgeht, der Ursprung desselben mehr diskutiert als beobachtet
worden ist.
30 Rene Camus:
B. Der Schwanzteil des Sympathicus.
Bei den Teleostiern hat Uhevrel einen sympathischen
Grenzstrang bis zur Schwanzspitze verfolgt, aber bei den
Selachiern und speziell bei Seyllium konnte er das Vor-
handensein eines solchen nicht konstatieren. Dagegen findet
Hoffmann bei Acanthias hinter dem letzten Rumpfganglion noch
eine ganze Reihe sympathischer Schwanzganglien, von denen er
das achte in einem (Querschnitt abgebildet hat.
Bei Urodelen ist ein wohl entwickelter Schwanzsympathieus
von Andersson beschrieben worden. Nach Hoffmann bildet
er einen dünnen, teils faserigen, teils gangliösen Strang, welcher
in viel näheren Beziehungen zu den arteriellen als zu den
venösen (refässen steht.
Was die Anuren anbelangt, so habe ich in der Literatur
keine Angaben über einen Schwanzsympathicus gefunden.
Da jedoch bei diesen der Rumpfsympathicus sich erst kurze
Zeit nach der Bildung des Schwanzes anlegt, und da dieses larvale
Organ bis zur Metamorphose erhalten bleibt und funktioniert,
so ist die Frage, ob auch bei den Kaulquappen ein Schwanz-
sympathicus in Anlagen vorhanden ist, wohl berechtigt.
In jüngeren Froschlarven habe ich wiederholt an diesem
oder jenem Schwanzspinalnerven oder an einigen zugleich Nerven-
zellen, einzeln oder zu zweien gefunden, die ich wegen ihrer
lage und dem weiten Abstand von den Spinalganglien als sym-
pathische Zellen betrachte. Obgleich sie meist dicht am Spinal-
nerven lagen, ist es mir doch gelungen, solche auch an einer
unter der Chorda dorsalis verlaufenden Längsanastomose zweier
Spinalnerven zu finden. — In einer sagittalen Serie konnte ich
am X. Spinalnerven eine einzige Zelle als sympathische Zelle sicher
unterscheiden; sie lag genau in der Höhe des VIII. und IX. sym-
pathischen Ganglions. Dafür, dass es nicht mehr zur Bildung
eines X. sympathischen Ganglions kommt, spricht der Umstand,
dass das VIII. und IX. bereits aus (10—15) Zellen bestanden.
Das sporadische Auftreten sympathischer Zellen
im Schwanz der Kaulquappe wird sich wohl, im Hinblick auf
das Vorhandensein eines gut ausgebildeten Schwanzsympathicus
bei den Urodelen, als eine rudimentäre Erscheinung
deuten lassen.
Entwicklung des sympathischen Nervensystems beim Frosch. 51
C. Der Kopfteil des Sympathicus.
Nach der neuesten und eingehendsten Beschreibung des
Sympathicus des Frosches von Gaupp „tritt der vorderste Kopf-
teil aus dem ventralsten Teil des Ganglion prooticum commune
als dünner Nervenstrang heraus, zieht ventral vom Abducens
am Boden der Schädelhöhle caudalwärts und verlässt die Schädel-
höhle durch das Foramen jugulare, medial an dem Vagus-Ganglion
vorbeiziehend. Hier gesellt sich zu ihm ein zweiter Nerv, der
aus dem Ganglion jugulare heraustritt. Beide Nerven ziehen
dann, eng aneinandergelagert, caudalwärts zu dem vordersten
Eigenganglion des Sympathicus, das dem I. Spinalnerven an-
gelagert ist.“
1. Historisches über seine Entwicklung.
Die erste mir bekannte Angabe über die Entwicklung des
cranialen Teiles des Sympathicus stammt von Paterson (1890)
und bezieht sich auf Säugetiere (Mus). Mir scheint, dass der
Autor den terminalen Zustand beschreibt, wenn er sagt: „From
the anterior end of the growing mass of the superior cervical
ganglion a narrow bundle of fibres arises, which is closely applied
to the internal carotid artery in its course beneath the auditory
capsule. This bundle can be followed for a considerable distance
and is gradually lost upon the vessel, forming the carotid plexus.“
Hierauf erklärt Paterson eine Figur, in welcher ein von dem
Ganglion eervicale superius ausgehendes Bündel von Fasern dar-
gestellt ist. Weiterhin aber spricht sich Paterson über die
Entwicklung des eranialen Sympathieus aus; er betrachtet nämlich.
das Ganglion cervicale anterius, den Plexus vertebralis und den
Plexus carotieus internus als zum „collateralen“ Teil des Sym-
pathicus gehörig, weil diese Auswüchse aus dem Hauptstrang
darstellen, und weil keine Rami com. in diesen Teil treten.
Aus den beiden folgenden Jahren datieren die letzten
mir bekannten Angaben über die Entstehung des Kopfteils des
Sympathicus.
1891 sagt His jr. folgendes: „Der durch abwechselnd
zahlreiche und faserige Abschnitte segmentierte Grenzstrang läuft
nach dem Kopfende in einen zellfreien Faden aus, ohne mit dem
Kopfnerven in Verbindung zu treten. Doch senden bereits der
Trigeminus, Glossopharyngeus und Vagus Rami com. faseriger
[8)
Rene Camus:
©
Natur dem Grenzstrang entgegen. die bei Forellen von 12 mm mit
demselben in Verbindung treten. Erst bei Forellen von 20 mm
enthalten diese Verbindungsäste ihrer ganzen Ausdehnung nach
sympathische Ganglienzellen. Dieses Verhalten zeigt, dass auch
bei den Fischen das Auftreten der Rami com. dem der Ganglien-
zellen vorausgeht.*‘ — Zwei Figuren sollen den beschriebenen
Vorgang illustrieren; sie zeigen aber den terminalen Zustand!
1592 unterscheidet His in den Kopfganglien zweierlei Elemente,
die sich durch ihre Grösse und Färbung ebenso unterscheiden,
wie die spinalen und sympathischen Ganglienzellen. Während
Dohrn die kleineren Zellen als nervenbildende Zellen deutet,
meint His, man dürfe dieselben nicht ausschliesslich als Jugend-
formen der grösseren betrachten, denn man findet Mitosen in
beiden Arten. Eine Verminderung der kleineren Elemente zu-
gunsten der grösseren sei im Laufe der Entwicklung nicht zu
bemerken. Dadurch, dass die grossen Zellen bipolar, die kleinen
unipolar sind, hätte man einen Hinweis auf die Zugehörigkeit
der letzteren zum sympathischen Nervensystem, welcher dadurch
verstärkt wird, dass die Rami com. der Kopfganglien aus den
kleinzelligen Abschnitten zum Grenzstrang hervorgehen.
2. Eigene Beobachtungen.
Der Kopfteil ') des Sympathicus entwickelt sich erst sehr spät
beim Frosch. Eine ca. 11 mm lange Larve von Rana esculenta
besitzt schon einen mächtigen Grenzstrang, der in die ebenfalls
stark entwickelten Geflechte der Aorta, der Arteria mesenterica,
der Arteria renalis übergeht; die Verbindungen mit den Spinal-
nerven sind schon mit schwacher Vergrösserung zu finden, aber
von einer Fortsetzung des Grenzstranges nach vorn
ist noch nichts vorhanden. Dieser läuft proximal
in ein oder mehrere Bündel feiner Nervenfasern aus,
die das Vagus-Ganglion jedoch nicht erreichen.
Eine ca. 13 mm lange Larve zeigt vorgeschrittenere Ver-
hältnisse. Vom vorderen Ende des gangliösen Grenz-
stranges geht ein ziemlich dicker faseriger Strang
aus, welcher an dem Vagus-Ganglion vorbeizieht,
ohne mit ihm in Verbindungzu treten, dann nach innen
!, Leider kann ich nur meine Befunde in „einzelnen“ Serien mitteilen ;
dies wegen der Schwierigkeiten, günstige Frontalschnitte zu erhalten.
Entwicklung des sympathischen Nervensystems beim Frosch. >85
umbiegt, durch das Foramen jugulare in die Schädelhöhle eintritt,
um dann annähernd parallel der Längsachse des Gehirns nach
vorn zu verlaufen. Bald nach seinem Eintritt in die
Schädelhöhle verschmälert sich allmählich der Strang,
um ventral vom Ganglion prooticum commune (Gangl.
trigem. oder G. Gasseri) dicht auf der knorpeligen Schädelbasis
zu enden. Kurz vor seinem distalen Ende zeigt der Strang
einen median gerichteten homogenen kernhaltigen Fortsatz, welcher
der letzte Rest einer mesenchymatischen Zelle ist, deren Kern zu
einem Schwannschen Kern wird. Über das histiologische Ver-
halten des distalen Endes könnte ich nur Unsicheres mitteilen;
daher will ich mich jeder Äusserung enthalten. — Bei einer
anderen gleich grossen Larve hat der sympathische craniale
Strang an Ausdehnung gewonnen. Nachdem er den
Nervus abducens gekreuzt hat, zieht er ungefähr in derselben
Richtung wie dieser und läuft dann tangential an dem Trigeminus-
Ganglion vorbei. In seinem vorderen Teil sind deutlich weniger
Fasern als in dem vom gangliösen Rumpfteil abgehenden Ab-
schnitt vorhanden. Auch sind die Sehwannschen Kerne des
ersteren noch nicht charakteristisch ausgebildet, sie sind breiter
und weniger langgestreckt als die des hintersten Abschnittes.
Die Fasern des uns hier interessierenden distalen Teiles
mischen sich am antero-medianen Rand mit denen
des Abducens, dann weiter mit denen des Ramus
ophthalmieus des Trigeminus. Mehr kann ich über
den weiteren Verlauf der sympathischen Nervenfasern nicht
berichten.
Es sei an dieser Stelle erwähnt, dass schon nach Wattwille
und Strong sympathische Fasern aus dem I. sympathischen
Ganglion innerhalb des Ganglion prooticum commune in die
Trigeminus-Äste übergeführt werden.
Bei einer ca. 15 mm langen Larve finde ich, dass von
dem in der Richtung nach dem Ramus ophthalmicus ziehenden
intracraniellen sympathischen Strang ein kleines Bündel von Fasern
nach der hinteren Peripherie des Trigeminus-Ganglions abbiegt, um
dann wahrscheinlich mit den Trigeminusfasern sich zum Ramus
maxillomandibularis zu vereinigen. Mittlerweile erscheinen die
sympathischen Fasern, welche in den Ramus ophthalmicus ein-
treten, teilweise von G@anglienzellen des Trigeminus-
Archiv f.mikr. Anat. Bd.81. Abt.1I. 3
34 Ren& Camus:
Ganglions scheidenartig umhüllt, so dass in noch
älteren Stadien ein Aufgehen des Sympathicus in
dem Ganglion prooticum commune vorgetäuscht wird.
Der vom I. sympathischen Ganglion nach dem
Vagus austretende Strang kommt noch später zur
Ausbildung als der nach dem Trigeminus ziehende.
Ich habe seine Entwicklung nicht verfolgt. Bei einer 15 mm
langen Larve war er noch nicht vorhanden, bei einem 20 mm
langen Tier war er jedoch schon von ansehnlicher Stärke. Seine
Fasern drangen nicht in das Vagus-Ganglion hinein, sondern sie
zogen an dessen ventraler Fläche entlang.
Die beschriebenen Stadien zeigen zur (renüge, dass die
Bildung des Kopfteils des Sympathicus von dem
gangliösen Grenzstrang ausgeht. Periphere, rein faserige
Äste des I. Grenzstrangganglions sind es also, welche in eranialer
Richtung zuerst frei, dann zusammen mit gewissen Kopfnerven
verlaufen.
Daher ist es nicht berechtigt, die von dem I. Grenzstrang-
ganglion des Rumpfes abgehenden und nach dem Ganglion prooticum
commune resp. dem Ganglion jugulare ziehenden sympathischen
Nerven als den vordersten Teil des Grenzstranges zu betrachten.
Die betreffenden Nerven stellen vielmehr sekundär gebildete,
ganglienfreie Äste des Grenzstranges dar.
Die Betrachtung des fertigen Zustandes, in welchem die
sympathischen Äste in die Ganglien von Kopfnerven eindringen,
macht es verständlich, wie sämtliche Autoren, die den Frosch
untersucht haben, den sogenannten Kopfteil des Sympathieus in
dem Gangl. proot. com. resp. im Gangl. jug. enden liessen.
Als dann die aus den genannten Ganglien austretenden
Nerven untersucht und in ihnen sympathische Fasern gefunden
wurden, konnte über ihre Herkunft nichts Bestimmtes ausgesagt
werden; und so war denn die Hypothese, dass in den gangliösen
Anschwellungen gewisser Kopfnerven auch sympathische Ganglien
enthalten seien, zur Erklärung des Vorkommens sympathischer
Fasern in den betreffenden Kopfnerven willkommen.
Die erste Vermutung über die Entwicklung der peripheren
Ganglien ist nach Onodi in einer 1876 von Schenk gelieferten
Arbeit zu finden. Er nimmt an, dass im Ganglion (Grasseri auch
die Elemente der den Trigeminuszweigen entsprechenden peri-
Entwicklung des sympathischen Nervensystems beim Frosch. 35
pheren Ganglien enthalten sind. Seine Annahme stützt sich jedoch,
wie schon Onodi erwähnt, auf gar keine objektiven Befunde.
1879 spricht Kölliker von sympathischen Ganglien im
Trigeminus-Gebiet, die er als zellhaltige Sprösslinge aus dem
Gasserschen Ganglion „deutet“.
Fusari (1592) scheint es wahrscheinlich, dass das Ganglion
ophthalmieum seinen Ursprung dem Ganglion des fünften Segments
verdankt, dies wegen seiner embryonalen Struktur und seiner
nahen Beziehungen zu dem genannten Ganglion; es wäre dem-
nach, ebenso wie das Gangl. sphenopalatin., ein spinales Ganglion.
Höchstens, meint der Autor, könnte man beide Ganglien für
gemischter Natur halten, dann könnte man immer noch annehmen,
dass sich ihnen eine sympathische Anlage während ihrer weiteren
Entwicklung zugefügt hätte.
1901 versucht Hoffmann die Frage zu beantworten, welche
Bedeutung den Ganglien des Kopfes bei den höheren Vertebraten
zukommt, welche man gewohnt ist, als sympathische Ganglien zu
bezeichnen. Er glaubt die Ursachen, dass wir an den meisten
Urwirbeln des Kopfes entweder keine oder nur schwache motorische
Nervenwurzeln finden, nicht darin suchen zu müssen, dass diese
Wurzeln fehlen, sondern darin, dass sie mit dem Abortieren oder
der schwachen Entwicklung ihrer Myotome eine andere Richtung
eingeschlagen haben. Sie treten nicht erst aus dem Zentralorgan,
um sich dann, wie die Spinalnerven, mit den dorsalen Nerven-
wurzeln zu vereinigen; denn das ist für sie unmöglich durch die
veränderte Lage der dorsalen Gehirnwurzeln und ihrer Ganglien
in Beziehung zu den Somiten. Die ventralen Wurzeln vereinigen
sich vielmehr schon in dem Zentralorgan selbst mit ihren korre-
spondierenden dorsalen Wurzeln, und es tritt der dorsale Gehirn-
nerv direkt als gemischter Nerv aus dem Zentralorgan, während
bei den Spinalnerven der gemischte Nervenstamm durch die Ver-
einigung des sensiblen und motorischen Nerven ausserhalb des
Zentralorgans gebildet wird, und erst darnach das sympathische
Ganglion entsteht. — „Diese Auffassung macht“, sagt Hoff-
mann weiter, „das Fehlen besonderer sympathischer Ganglien
im Kopf der Selachier verständlich. Die dorsalen Gehirnnerven,
aus motorischen und sensiblen Nerven zusammengesetzt, besitzen
bei ihrem Ursprung aus dem Zentralorgan schon das Vermögen,
sympathische Nervenfasern bilden zu können. Die grossen peri-
3*
36 Rene Camus:
pheren Ganglien dieser dorsalen Gehirnnerven sind nicht allein
cerebrospinal, sie sind sympathisch zu gleicher Zeit; die Äste,
welche sie abgeben, besitzen nicht allein sensible und motorische,
sondern auch sympathische Elemente. Die Tatsache, dass besagte
Nerven die Glandula thymus etc. innervieren, zeigt in genügender
Weise, dass, wenn auch bei den Selachiern eigene sympathische
Ganglien im Kopf fehlen, sympathische Nervenfasern dagegen
ganz bestimmt vorhanden sind. Erst bei den höheren Wirbel-
tieren sehen wir, dass allmählich besondere sogenannte sympa-
thische Ganglien sich auszubilden anfangen. Die einzige Art,
auf welche dies stattgefunden haben kann, ist durch Abschnürung
oder Abgliederung von den grossen peripheren Ganglien der
dorsalen Gehirnnerven, eine andere Entstehung kann ich mir
nicht vorstellen. Daraus, dass bei allen Wirbeltieren die segmen-
talen Gehirnnerven auch gemischte Nerven sind, folgt, dass die
sogenannten sympathischen Ganglien des Kopfes Ganglien sein
müssen, die sowohl aus cerebrospinalen, als aus sympathischen
Elementen aufgebaut sind, und dass das Ganglion ciliare als das
einzige, wahre sympathische Ganglion des Kopfes zu betrachten ist.“
Wie aus dem Angeführten ersichtlich ist, beruhen die bis-
herigen Angaben, wonach in den Ganglien gewisser Kopfnerven
auch sympathische Ganglien enthalten sind, mehr auf Annahmen,
Deutungen und theoretischen Spekulationen als auf Beobachtungen.
Aus meinen Untersuchungen geht aber hervor, dass es
keine den Kopfnerven entsprechende sympathische
Grenzstrangganglien gibt.
Die Entwicklungsgeschichte des Sympathicus zeigt ausser-
dem, dass die in den Bahnen des Vagus, des Ramus ophthalmieus
und des Ramus maxillo-mandibularis verlaufenden sympathischen
Fasern wenigstens zum Teil aus dem Grenzstrang und zwar wohl
hauptsächlich aus dem I. sympathischen Ganglion entspringen.
Nun wäre zu untersuchen, ob ein Teil der in den genannten
Nerven verlaufenden sympathischen Nervenfasern ihre zugehörigen
Ganglienzellen ausserhalb des Grenzstranges besitzen oder nicht,
oder. was auf dasselbe hinausläuft, ob es im Kopf vielleicht peri-
phere sympathische Ganglien gibt.
- . . 05)
Entwicklung des sympathischen Nervensystems beim Frosch. 6)
Für das Ganglion prooticum com., in dem man sympathische
Ganglien vermuten könnte, will Retzius ihr Nichtvorhandensein
festgestellt haben. Dieser Autor hält die sympathische Natur des
Ganglion ceiliare für wahrscheinlich, während Schwalbe und
Antonelli das Ganglion ciliare für ein dem Oculomotorius
angehöriges Ganglion halten.
Die Entscheidung, ob das Ganglion ciliare als ein cerebrales
oder als ein sympathisches Ganglion zu betrachten ist, wird
meines Erachtens nur seine Entwicklungsgeschichte liefern. —
Ich habe die Entstehung des Ganglion ciliare nicht verfolgt, aber
ich habe keinen Grund, in demselben ein sympathisches Ganglion
anzunehmen, da ich mir „sämtliche“ sympathische Fasern der
Trigeminuszweige, sowie die scheinbar aus dem Ganglion ciliare
austretenden, im Hinblick auf die Dicke des rein faserigen intra-
craniellen sympathischen Stranges sehr wohl als dessen Ver-
zweigungen denken kann. — Dafür, dass diese Annahme vielleicht
Aussicht auf Bestätigung hat. glaube ich folgendes erwähnen zu
können. Nach Gaupp scheint nämlich an der Stelle, wo das
Ganglion ciliare dem ventralen Umfang des Ophthalmicus anliegt,
ein Austausch von Fasern zwischen beiden stattzufinden. Von
hinten her, sagt er weiter, tritt ein kräftiger Ast des Ophthal-
micus oder ein kräftiger und einige schwächere an die laterale
Seite des (ranglions und geht zum Teil in ihm auf.
Mir scheint das teilweise Aufgehen der Ophthalmieus-Aste
in dem Ganglion ciliare ein scheinbares zu sein, da von seiten
des Ganglions eine sekundär erfolgte scheidenartige Umhüllung
der Ophthalmicus-Fasern, unter denen sich wohl auch sympathische
Grenzstrangfasern finden, analog den bei dem Trigeminus ge-
schilderten Verhältnissen nicht ausgeschlossen ist.
y . r
38 Rene Camus:
II. Die Entwicklung des Darmnervensystems.
l. Historisches.
Unsere Kenntnis von dem Vorhandensein eines Darmnervensystems
stammt, wie schon im I. Teil erwähnt, von Remak (1843). In einer aus-
führlichen Arbeit beschrieb er 1847 bei den Reptilien einen symmetrisch
paarigen, bei den Vögeln einen unpaaren Darmnerven, der bei den Säuge-
tieren in dem Nervus haemorrhoidalis sein Homologon fand. Dieses System
war nur bei den Amnioten nachgewiesen; von den Fischen sagt der Autor,
er habe keinen dem Darmnerven vergleichbaren Nerven gefunden; ein gleiches
negatives Resultat habe der Frosch ergeben und zwar auf allen Ent-
wicklungsstufen.
Bei den Vögeln sollte sich nach der Schliessung des Darmrohrs in
dessen ganzer Länge bis zum Magen hin von den Darmnervenplatten aut
Kosten der Dicke der letzteren ein unpaarer, faseriger, später gangliöser
Nervenstrang abschnüren, der, sich allmählich von dem Darmrohr entfernend,
mit demselben durch Nervenzweige in Verbindung bleiben sollte. — Remaks
am Huhn angestellten Untersuchungen begannen an einem Embryo vom
6. Bruttage, wo der Darmnerv schon einen dem hinteren Darmrohr dicht an-
liegenden Strang darstellt, welcher in der Dickdarmgegend zylindrisch ist
und gegen die Einmündungsstelle der Leber- und Pankreasgänge hin ziemlich
rasch sich zuspitzt. Der Diekdarmteil ist schon halb so breit wie der Dick-
darm selbst, wogegen der Dünndarmteil verhältnismässig nur sehr klein ist.
Onodi findet beim Huhn im distalen Teil des Mesenteriums einen
runden Zellstrang, der vom Darmende bis zum distalen Rand der Leber
reicht, aber proximal immer schwächer erscheint. Am 7. Tage findet er den
Darmnerven paarig (also nicht wie Rema’k als eine unpaare Achsenbildung).
Eine nnmittelbare Verbindung der Darm- und Grenzstrangganglien hat er
nicht beobachtet (nach His).
Nach Fusari (1892) differenziert sich der Darmnerv des Hühnchens
aus dem umgebenden Gewebe schon vor Ende des 4. Bebrütungstages. Am
Ende des 5. Bebrütungstages erstreckt er sich von der Cloake bis zum
Ductus vitello-intestinalis. Während er vor dem zuletzt genannten Punkt
umbiegt, sich teilt und sich dem Auge entzieht, verdickt er sich caudalwärts
immer mehr und erscheint in der Höhe der Stelle, wo die Aorta sich spaltet,
durch eine mediane Scheidewand in zwei Bündel aufgelöst. Eine Verbindung
des Darmnerven erfolgt mit dem Plexus, den der Grenzstrang des Sympathicus
über der Aorta caudalis bildet.
1897 findet His inmitten des Gekröses eine Gruppe von Zellen, die
die Charaktere der sympathischen Zellen aufweisen, an welcher Stelle am
folgenden Tag der Darmnerv unzweifelhaft nachgewiesen werden kann. Er
kann keine Zellschwärme erkennen, die den Darmnerven mit dem Grenz-
strang verbinden, ebenso wie er am obersten Kopfteil dieselben nicht mit
Sicherheit nachweisen kann. His glaubt eine Wanderung von Zellen an-
nehmen zu dürfen, da eine solche am 4. und 5. Tage an diesen Stellen
unzweifelhaft beobachtet wird. Der Darmnerv soll neue spinale Elemente
Entwicklung des sympathischen Nervensystems beim Frosch. 39
nur in seinem distalen Teil empfangen, der proximale Teil soll durch Nach-
rücken der im Dickdarmteil liegenden Elemente wachsen. Der Darmnerv
soll an der Versorgung der Darmwand mit Nervenzellen keinen Anteil haben ;
vielmehr sollen aus dem Aortengeflecht Elemente in die Mangenwand ein-
dringen.
Nach Held (1909) „entstehen bei Emys europaea aus den primären
sympathischen Ganglien, die den Rand der Aorta begleiten, unter ihrer Auf-
lösung und Zerklüftung, wodurch sie scheinbar verschwinden, die Einzel-
bildungen des Darmnerven, die späterhin vor der Aorta und im Ansatz des
Mesenteriums als splanchnische Geflechte des Sympathicus gelegen sind“.
1910 verlegt Kuntz das erste Auftreten des Darmnerven beim Huhn
auf die Mitte des 4. Tages; er beschreibt die Anlage als eine ovale Zell-
kolumne im Mesenterium gerade dorsal vom Darm gelegen. Auf dem Wege
von dieser Zellmasse nach dem nächsten Spinalnerven sind Elemente in einer
Figur angedeutet, die „entscheidend beweisen“ sollen, dass das Remaksche
Darmganglion ein Derivat des „hypogastric plexus“ ist.
Endlich sollen nach Abel (1910) von den Spinalganglien sich bei
(rallus Zellen ablösen, die den sympathischen Strang bilden. Von ihm ver-
laufen nun Zellketten um die Aorta herum und wandern durch das Mesen-
terium in die Darmwandung. (Neapeler Jahresbericht.)
Was die Kritik dieser Angaben anbelangt, so verweise ich, um
Wiederholungen zu vermeiden, auf die Kritik des I. Teiles, in welcher sie
schon enthalten ist.
2. Eigene Beobachtungen.
Bei einer etwa 6 mm langen Larve von Rana esculenta,
bei welcher die Hintergliedmassen als nahezu halbkugelige Höcker
hervortreten. ist bereits eine deutliche Differenzierung der den
Anfang des künftigen Darmnervensystems darstellenden Zellen
wahrnehmbar. — Im Mesenteriumepithel des Enddarms
sind in der Höhe kurz vor der Einmündungsstelle der Urnieren-
gänge in den Darm bis hinter die Musculi compressores cloacae
einzelne Zellen (G in Fig. 28) durch ihr umfängliches
Plasma und ihren grossen kugeligen Kern von den
gewöhnlichen flachen Epithelzellen (RE) leicht zu
unterscheiden.
Indem jene Zellen, welche sich in der Folge als
Ganglienzellen ergeben, sich vermehren, dringen sie
sehr bald in die Tiefe, ins Mesenchym ein, so dass sie nun
eine subepitheliale Lage einnehmen (Fig. 29).
In einer 7—S mm langen Larve sind schon die Anlagen
kleiner Ganglien vorhanden (Fig. 30). Diese treten in
wechselnder Zahl und Grösse auf und sind zunächst von-
einander wie auch von den spinalen Nerven isoliert.
40 Rene Camus:
Bei einer ca. 14 mm langen Larve findet man beiderseits
einen ansehnlichen gangliösen Plexus, in welchem die
bei weitem grösste Menge von Ganglienzellen in der Längsachse
des Darms und unmittelbar unter dem dorsalen Mesenterium-
epithel sich vorfindet (Fig. 32). An der dorsalen Befestigung des
Mesenteriums am Rumpf hat sich dieser Plexus ein wenig nach
innen (Fig. 32) und aussen (Fig. 53) von der Berührungslinie des
visceralen mit dem parietalen Mittelblatt ausgebreitet, so dass
der linke und der rechte Plexus einerseits durch gangliöse, quer
über dem Darm verlaufende Anastomosen untereinander, anderer-
seits mit dem linken resp. dem rechten X. Spinalnerven (oder
einer Anastomose desselben mit dem IX.) zusammenhängen. In
Textfig. 2 sieht man vier scharf konturierte Ganglien einer 17 mm
langen Larve, die schon durch faserige Stränge miteinander und
mit dem Spinalnerven verbunden sind, und in Fig. 531 sind zwei
dieser Ganglien vergrössert.
Den Vorgang, durch welchen die Verbindung des Darmnerven
mit dem Spinalnerven hergestellt wird, habe ich nicht verfolgt.
Es wäre dies noch schwieriger gewesen wie die Untersuchung
der Bildung der Rami com. des Grenzstranges, da anfangs der
X. Spinalnerv sehr nahe an den am meisten dorsal im Mesen-
terium gelegenen Nervenzellen vorbeizieht, und daher die Wahr-
Fig. 2
Sagittalschnitt Rana esculenta 17 mm. u. = Urniere: c. — Coelom; b. —
Bindegewebe des Stammes; m. — Mesenterium; G. — Ganglien des Darm-
nerven; Sp. N. — Spinalnerv: m.c.c. — Musculus compressor cloacae.
scheinlichkeit, das richtige Stadium in der günstigen Richtung
zu schneiden, ausserordentlich gering ist. Dennoch glaube ich,
wie im I. Teil ausgeführt worden ist, einen Hinweis auf die
Entwicklung des sympathischen Nervensystems beim Frosch. 41
vom Darmnerv aus erfolgte Verbindung mit dem
Spinalnerven gefunden zu haben.
Dadurch, dass ungefähr zur Zeit der Bildung der Harnblasen-
anlage nach innen von dem nun verstärkten, mehr in die Tiefe
verlegten Darmnervengeflecht eine Ringmuskelschieht, dann nach
aussen von demselben eine Längsmuskelschicht sich ausbildet,
kommt nun das Darmnervengeflecht zwischen beide
Muskellager zu liegen. Da aber auch Längsmuskelfasern
sich in den Maschen des Geflechts aus dem Mesenchym difteren-
zieren, so erscheinen stellenweise Teile des Geflechts mit Längs-
muskelfasern verflochten, was dem gangliösen Darmnerven an den
verschiedenen Stellen ein recht verschiedenes Aussehen verleiht.
Immerhin lässt sich aber jederseits ein starker, wenn auch ungleich
dicker und teilweise in einige Stränge aufgelöster Gangliennerv
unterscheiden (Fig. 34 und Textfig. 3). — Was seine Ausdehnung
Eis:
Sagittaler Längsschnitt durch eine einjährige Rana esculenta. W. — Woltt-
scher Gang; E.D. = Lumen des Enddarms; H.B. = L. der Harnblase;
L.M. — Längsmuskulatur; R.M. — Ringmuskulatur des Enddarms; 0.c. — 08
coccygis; n.i. — Nervus intestinalis; n.v. — Nervus vesicalis; A. — After.
anbelangt, so besitzt er die grösste Mächtigkeit in der Wandung
der Cloake. Sein vorderes, sehr dünnes Ende konnte ich bis
weit vor die Einmündung der Harn- und weiblichen Geschlechts-
wege verfolgen. Bevor diese die Längsmuskulatur des Darms
durchbrechen und mit ihm in einer gemeinsamen Scheide ver-
laufen, ist der Darmnerv als gangliöser Strang wohl erkennbar.
Sein hinterer Teil geht, wie schon erwähnt, eine oder einige
stärkere Anastomosen mit dem Darmnerven der anderen Seite
ein und verliert sich im hinteren Cloakenabschnitt. Die vom
42 Rene Camus:
Darmnerven ausgehenden plexusbildenden Äste umspinnen die
ganze Uloakenwand. Der paarige Darmnerv des Frosches
stellt demnach einen auf den hintersten Darm-
abschnitt beschränkten, dorsal und zu beiden Seiten
in der Längsachse des Körpers bedeutend.ver-
stärkten Plexus myentericeus‘.dar:
Wie die Untersuchung in allen Entwicklungsstadien bis zum
zwei- bis dreijährigen Frosch zeigte, besteht keine direkte Ver-
bindung des Darmnerven mit dem sympathischen
Grenzstrang. In dem im I. Teil erwähnten Fall, wo der
Grenzstrang sich bis zum X. Spinalnerven ausdehnte, ging der
Ram. com. des Darmnerven eine ganze Strecke weiter ventral
von dem Spinalnerven ab als der nach dem Grenzstrang ziehende
Strang.
Hand in Hand mit der Bildung der Harnblase erfährt das
Mesenterium eine Faltung; dadurch kommen nun die in dem
betreffenden Mesenteriumteil betindlichen Nervenelemente in andere
Beziehungen zueinander. Mit der Entwicklung der Harnblase
steht in Zusammenhang eine intensive Vermehrung der in Be-
ziehung zu dem genannten Organ stehenden Nervenelemente ; und
wie dorso - lateral vom Enddarm, so bildet sich auch am dorso-
lateralen Rand der Harnblase im Mesenterium ein starker Strang
aus, der bekannte Nervus vesicalis (Textfig. 3, 4 und Fig. 35, 36).
Dadurch, dass in der ventralen Ausstülpung des Enddarms,
als welche die Harnblase aufzufassen ist, die Ausbildung einer
age
IM, IM IH,
nes!) IN /4 li ZU
; ee
yet ee ——
ves.
Fig. 4.
Sagittalschnitte kombiniert. u. — Urniere; J. — Enddarm; Sp. — Spinal-
nerv; R.M.C. — Ramus zum Musculus compressor cloacae; R.C. — Ramus
communicans; n.ves. — Nervus vesicalis; ves. — Harnblase; A. = After
Entwicklung des sympathischen Nervensystems beim Frosch. 45
Längsmuskellage unterbleibt, werden die Beziehungeu des Nervus
vesicalis zur Harnblase äusserlich keine so intimen wie diejenigen
des Nervus intestinalis zum Enddarm. Während also beim aus-
gebildeten Tier der Darmnerv in seinen topographischen Verhält-
nissen sich als ein Nervus myentericus erweist. haben wir in dem
Blasennerven einen Nervus mesentericus zu erblicken.
Von den vorliegenden Angaben über den groben Verlauf
der Nerven der Harnblase habe ich die von Marcusen so weit
bestätigt:
„Der Blasennerv geht an die Seitenfläche der Blase („geht
an die“ wäre durch „verläuft an der“ zu ersetzen), an den einen
Lappen derselben, bildet auf ihm einen Plexus, aus dem vorn,
hinten und unten feinere Äste ausgehen, die sich auf der übrigen
Oberfläche der einen Seite der Blase ausbreiten. In diesem in
der Seite der Blase liegenden Plexus findet man Ganglienkugeln.
Ein Ästcehen des Blasennerven geht nach hinten zum Blasenhalse ;
in ihm, sowie auch an der Stelle, wo die Blase mit dem Rectum
verwachsen ist, finden sich Ganglien. Überhaupt ist das Verhalten
des Blasennerven eigentümlich, insofern er in einer weiten Strecke
mit Ganglienmassen besetzt ist.“
Dieser Beschreibung möchte ich hinzufügen, dass der rein
vesicale Teil des Blasennerven dorso-lateral von der Blase ver-
läuft (Fig. 35), während der hintere Abschnitt, in dem Maße wie
die Längsmuskulatur der Cloake’ den Halsteil der Blase umfasst,
durch diese mehr und mehr ventral verschoben erscheint (Fig. 36).
Sein hinterster der Cloake angehörender Teil geht in den Plexus
myentericus derselben über. — Der von Marcusen erwähnte,
nach hinten zum Blasenhalse ziehende Ast des Blasennerven stellt,
wie sich durch seine Entwicklungsgeschichte ergibt, keinen Zweig,
sondern vielmehr den hinteren Teil des Hauptstammes selbst dar.
Nach den bisher gemachten Studien über den Nervus vesicalis
des Frosches, die sämtlich rein anatomischer und physiologischer
Natur sind, stellt dieser Nerv einen freien oder eine kurze Strecke
mit dem gemeinsam entspringenden Ramus des Musculus compressor
cloacae verwachsenen Ast des Nervus ischiadicus (oder eines der
ihn bildenden Nerven oder einer Anastomose zwischen ihnen) dar.
Da aber, wie bereits ausgeführt, der Nervus vesicalis eine
selbständige Bildung im Mesenterium ist, so ist, analog dem Ver-
hältnis des spinalen Nervensystems einerseits zum Grenzstrang,
44 Ren& Camus:
andererseits zum Darmnerven, der den Nervus vesicalis
mit dem Spinalnerven verbindende Strang als eine
secundäre Bildung anzusehen. Diese Betrachtungsweise wird
auch durch das rein anatomische Studium des Blasennerven als
die richtige erkannt. Ungefähr da, wo der antero-mediane Rand
des Musculus compressor cloacae und der Stamm des Nervus
vesicalis sich kreuzen, geht von diesem ein Nerv ab (Fig. 35, r. c.)
in einer zu ihm nahezu senkrechten Ebene; und während der in
der Längsachse verlaufende Stamm (Fig. 35, 36, n. ves.) in seiner
ganzen Länge Ganglienzellen enthält, ist der von ihm abgehende
die Verbindung mit dem Spinalnerven herstellende Nerv rein
faserig. — Demnach stellt der Blasennerv früherer Autoren den
wirklichen Nervus vesicalis nebst dem ihn mit dem Spinalnerven
verbindenden Ram. com. dar. — Textfig. 4, welche die Verhält-
nisse in einer Längsschnittserie etwas grob wiedergibt, zeigt die
Verbindung des Nervus vesicalis mit dem Ramus des Musculus
compressor cloacae durch den Ram. com., dessen Fasern proximal
und auch distal sich denen des Ram. des Musc. compr. cl. beimischen.
Was die Angabe von His betrifft. wonach der Plexus
myentericus und der Plexus submucosus aus gemeinsamen Anlagen
hervorgehen, die erst secundär, durch die Bildung der Ring-
muskulatur getrennt werden, so kann ich sie weder bestätigen
noch kann ich ihr widersprechen. Aber ich neige eher zur ent-
gegengesetzten Annahme, der Plexus submucosus stelle eine spätere,
ebenfalls anfangs selbständige Bildung dar.
Die Resultate, zu denen meine Untersuchungen in bezug
auf das Darmnervensystem des Frosches geführt haben, sind
kurz folgende:
Im Epithel des Mesenteriums des Enddarms ent-
wickeln sich die ersten Anlagen sowohl des Darmnerven
wie des Blasennerven. Gleich nach ihrem Auftreten nehmen
sie eine subepitheliale Lage ein. Dadurch, dass sich die
einzelnen Anlagen vermehren, entstehen die Anlagen kleiner
(tanglien, welche zuerst voneinanderisoliert sind. Erst
später bilden sich zwischen ihnen einerseits und zwischen den
Entwicklung des sympathischen Nervensystews beim Frosch. 45
Spinalnerven andererseits faserige Verbindungen, so dass das
Darmnervensystem nun ein mit dem Spinalnervensystem durch
faserige Stränge verbundenes gangliöses Nervengeflecht darstellt.
Indem weiterhin besonders die dorso-lateral vom Darm gelegenen
Nervenelemente sich intensiv vermehren, kommt es jederseits zur
Bildung eines mächtigen gangliösen Nervusintestinalis, und
mit der Entwicklung der Harnblase hält gleichen Schritt die Aus-
bildung des etwas weniger kräftigen gangliösen Nervus vesi-
calis. Durch die Ausbildung der beiden Muskelschichten des
Darms kommt der Darmnerv zwischen diese zu liegen, stellt
also einen Nervus myentericus dar. Der Blase dagegen fehlt die
äussere Längsmuskelschicht, daher erscheint der Blasennerv auch
später als ein Mesenterialnerv.
Vergleicht man den fertigen Darmnerven des Frosches mit
dem fertigen Remakschen Darmnerven des Vogels, so fallen
neben ihrer verschiedenen Ausdehnung folgende Unterschiede auf:
Letzterer verläuft frei im Mesenterium und ziemlich weit
vom Darm entfernt; ausserdem zeigt er sich als ein nahezu ein-
heitlicher Nerv, von welchem schwächere Zweige ausgehen. Ersterer
dagegen ist innerhalb des Darms gelegen und zeichnet sich durch
eine starke plexusartige Ausbildung aus.
Dass aber die angeführten Unterschiede zwischen beiden
Darmnerven keine wesentlichen, vielmehr secundäre sind, zeigt
eben die Entwicklung des Darm- und des Blasennerven beim Frosch.
Letztere sind nämlich, wie wir gesehen haben, anfangs unbedeutende
Teile eines und desselben Nervensystems, welche durch secundäre
Verhältnisse verstärkt und verschieden ausgebildet werden.
Als Konsequenz dieser Ausführung würde sich für den
Remakschen Nerven die gleiche Entstehungsweise ergeben. Ob
aber der Remaksche Nerv dem Darmnerven des Frosches homolog
ist, müssten spätere Untersuchungen zeigen.
3. Anatomische Befunde anderer Autoren und Kritik derselben.
Dass ein so stark entwickelter Nerv, wie es der Darmnerv
ist, nicht vollständig übersehen werden konnte, liegt auf der Hand.
Aber, wie aus nachstehender Literatur zu ersehen ist, ist er nur
fragmentarisch und nicht in seiner ganzen Ausdehnung bekannt.
46 Ren Camus:
Daher erklären sich die verschiedenen Angaben über die Bedeutung
der beobachteten gangliösen Teile.
In seiner vergleichend - anatomischen Studie über Nerven-
centren an ‘den Gebärorganen der Amphibien und Sauropsiden
sagt Weidenbaum 1894: „In der dorsalen Cloakenwand des
Frosches findet sich jederseits ein grösserer Ganglienhaufen, der
in der Nähe der Uterinpapillen etwa seine grösste Ausdehnung
erreicht; weiter nach hinten nehmen die Ganglien wieder an
Grösse ab und verschwinden allmählich, während kleinere Gruppen
von Ganglienzellen und einzelne Zellen sich bis weit nach vorn und
hinten über die Uterinpapille hinaus in der Cloakenwand befinden.“
Hiermit hatte Weidenbaum oftenbar den stärksten Abschnitt
des Darmnerven vor sich. Dass er ihn jedoch nicht als solchen
erkannte, geht aus folgendem hervor: Weidenbaum verfolgte die
Uteri eranialwärts bis sie die Cloakenwand verlassen und noch
weiter nach vorn und fand keine Spur mehr von Ganglien im
Bereich des Genitalschlauches, was den Tatsachen entspricht. Doch
fand er Ganglien „nur“ im Gebiet der Uterinmündung, und deshalb
schrieb er ihnen die Rolle von Centren für die Auslösung der
Uterusmuskulatur zu. Beim Männchen fand er die Homologen
der Uteringanglien an der Ampulle des Harnsamenleiters, die er
mit den Prostataganglien des Menschen für identisch erklärte.
Kurz vor dem Erscheinen der Arbeit Weidenbaums hatte
Disselhorst (1894) den Harnleiter der Wirbeltiere beschrieben
und sich folgendermassen ausgesprochen: „Die Armut an nervösen
Elementen am Urogenitalapparat des Frosches gegenüber dem
Reichtum an Nerven und Ganglien bei Bufo ist ganz auffallend,
auch bei weiblichen Exemplaren. Ebenso besitzt der männliche
Salamander an seinen Harn- und Geschlechtsorganen nur spärliche
nervöse Apparate. Weder an den Nierenvenen noch in der Oloake
habe ich bei Rana und Salamandra Ganglien gefunden; in den
Cloakenwandungen treten einige Bündel gemischter Fasern auf.
Sehr viel grösser war der Nervenreichtum bei der weiblichen
Kröte und dem weiblichen Salamander, und zwar ist die Ver-
teilung der Nerven und Ganglien auch hier so, dass der weitaus
grösste Teil auf die Cloake entfällt; das eigentliche Ureterrohr
und seine Umgebung ist fast frei von Nerven.“
Dieser negative Befund bei Disselhorst, wonach die
Gloake des Frosches Ganglien entbehre, lässt sich nach Weiden-
Entwicklung des sympathischen Nervensystems beim Frosch. 47
baum nicht anders erklären, als dass der Autor beim Heraus-
präparieren der Cloake vielleicht zu wenig von dem umgebenden
(sewebe mitnahm und ihm die Ganglien so verloren gingen.
Schliesslich sei noch auf einige Angaben über den Darm-
nerven in Gaupps „Anatomie des Frosches“ eingegangen.
Gaupp gibt in der Üloake zwischen beiden Muskellagen
„sehr zahlreiche Nerven, denen häufig kleine Ganglien eingelagert
sind“, an.
Ausserdem verdienen folgende Befunde beachtet zu werden:
Den Grenzstrang des Sympathicus lässt Waldeyer mit
zwei Ganglia coceygea endigen, deren jedes sich mit dem X. Spinal-
nerven verbindet.
Wiedersheim hat noch eine grössere Anzahl mit dem
N. spin. X. verbundener Ganglien als hin und wieder vorkommend
beschrieben und gibt als Extrem zwölf Ganglia coceygea an.
Mir scheint, dass beide Autoren bei der makroskopischen
Präparation auf Deutungen gekommen sind, die sie durch auf-
merksame Durchmusterung einer Schnittserie als falsch erkannt
hätten. Ich halte diese überzähligen Ganglien für Teile des
Darmnerven, die besonders an den Verbindungsstellen mit den
Spinalnerven durch die Längsmuskulatur des Darms nach aussen
herausgedrängt und wegen ihrer Lage etwa in der Höhe des
Grenzstranges als dessen Fortsetzung erschienen. — Wieders-
heim versucht seine Befunde so zu erklären: „Diese grossen
Variationen hängen wohl mit der Verwischung der Metamerie der
Wirbelsäule in der Regio coceygea zusammen. Es scheint wohl,
als würde sich das sympathische System der im Skelett zutage
tretenden Reduktion noch nicht anbequemen und versuchte, seine
ursprünglich segmentale Anlage in Form eines Rückschlages bei
diesem oder jenem Froschindividuum wieder zur Geltung zu
bringen.“
Dazu bemerkt Andersson, das Vorhandensein eines wohl
entwickelten, seine metamere Natur gut konservierenden caudalen
Teils des Sympathieus bei Urodelen würde der von Wiedersheim
aufgestellten Hypothese (dass die bei Rana bisweilen am Os cocevygis
entlang auftretenden Ganglien als atavistische Bildungen auf-
zufassen seien) eine gewisse Stütze verleihen.
Den Ausführungen beider Autoren gegenüber muss hervorge-
hoben werden, dass die betreffenden Ganglien alle mit dem \. Spinal-
48 Rene Camus:
nerven verbunden waren, was doch der metameren Natur nicht
entspricht, da ja der X. Spinalnerv des metamorphosierten Tieres
nicht die larvalen Schwanzspinalnerven in sich aufgenommen hat.
Anhang.
Da der Grenzstrang des Sympathicus sowie das Darmnerven-
system aus selbständigen mesodermalen Anlagen hervorgehen,
welche erst secundär mit dem cerebrospinalen Nervensystem in
Verbindung treten, so wird man wohl für das übrige sym-
pathische Nervensystem auf eine gleiche Entstehungsweise
schliessen dürfen.
Die bei seinem ersten Auftreten ausgesprochene Metamerie
des Grenzstranges könnte vielleicht, im Hinblick auf die
unregelmässig verteilten Anlagen des Darmnervensystems und des
Plexus aorticus, als eine secundäre Erscheinung betrachtet
werden, welche durch die Beziehungen des Sympathicus zu dem
Spinalnervensystem bedingt worden wäre.
Herrn Prof. Döderlein spreche ich für das wohlwollende
Entgegenkommen bei der Anfertigung von Mikrophotographieen
meinen herzlichsten Dank aus.
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Entwicklung des sympathischen Nervensystems beim Frosch. >1
Erklärung der Abbildungen auf Tafel I--IV.
Für sämtliche Figuren gelten folgende Bezeichnungen:
Sy. = sympathische Ganglienzelle. Sp N. = Spinalnerv.
Sy. G. = sympathisches Ganglion. sw. — Schwannscher Kern.
m. —= Myotom. R. = Randkern.
ao. — Aorta. r.c. = Ramus communicans.
mes. — undifferenz. Mesenchymzelle. ch. = Chorda dorsalis.
d. = Dotiter. v. = Vacuole.
Tafel I.
Fig.
Fig.
. 1-3. Querschnitte einer Larve von Rana esculenta mit einem einfachen
Gehörbläschen, aber ohne Kiemenfalte. sp. = VII. Spinalnerv.
g. 4—13. Querschnitte einer Larve, deren Gehörorgan die Anfänge des
Labyrinths zeigt.
8.4. Schnitt durch das Il. sympathische Ganglion als Syneytium. p. =
Pigment.
>. Schnitt durch das IV. sympathische Ganglion.
. 6—11. Sechs aufeinander folgende Schnitte, in die das III. sympathische
Ganglion rechts zerlegt ist. P. ao. = Plexus aorticus; n. = Kern
einer jugendlichen Zelle der Ganglienanlage.
. 12 und 15. Zwei aufeinander folgende Schnitte durch das Ill. sympa-
thische Ganglion links. r.c. — protoplasmatischer Ram. com.
. 14—20. Querschnitte einer Larve mit Kiemenfalte.
. 14 und 15. Zwei aufeinander folgende Schnitte. Sy. G. = I. sympa-
thisches Ganglion links; Sy. — eine distal von ihm gelegene
sympathische Ganglienzelle; R. — Randzelle.
Tafel I.
16—20. Fünf aufeinander folgende Schnitte. in die das I. sympathische
Ganglion rechts zerlegt ist. Sp. G. — die am meisten ventral vor-
dringende Nervenzelle des Spinalganglions.
. 21—23. Drei aufeinander folgende Stadien eines peripheren Nerven.
(Sagittalschnitte.) f.f. — faserfreier Teil.
. 24. Querschnitt durch den VII. eben faserig gewordenen Ram. com.
. 25. Querschnitt durch die Region des II. sympathischen Ganglions.
ne. — Nephrostom; Sp.G. — II. Spinalganglion; Sy. — einzelne
sympathische Ganglienzelle.
. 26. Sagittalschnitt durch die Längskommissur zwischen dem VII. und
VIII. sympathischen Ganglion. (1. Stadium.) i. — gangliöse An-
lagen der Kommissur
Tafel III.
27. Rana temporaria 6,5 mm. Sagittalschnitt. 1. — Vorläufer eines
faserigen Längsstranges; Sy. G. — VII. sympathisches Ganglion.
4*
Ren‘ Camus: Entwicklung des sympathischen Nervensystems.
. 28
31. Sagittalschnitte durch die Anlagen des Darmnervensystems.
ig. 28. ca. 6 mm lange Rana esc. E. — Epithelzelle des Mesenteriums;
G. — Anlage einer sympathischen Ganglienzelle: mesent. — Mesen-
terium.
29. Etwas älteres Stadium: subepitheliale Ganglienzellen G.
ie. 30. Anlage eines Ganglions (”—8 mm).
g. 31. Zwei in Textfig. 2 angedeutete und vergrösserte, wohl umschriebene
Ganglien des Darmnerven (17 mm).
. 32 und 33. Zwei Querschnitte einer 20 mm langen Larve.
. 32. Ausdehnung des Darmnerven nach innen, Fig. 33 nach aussen von
der dorsalen Berührungslinie der beiden Mittelblätter. st. = Stamm;
c. — Coelom; b. — Blutgefäss. Bei X mischen sich die Fasern
des Ram. com. des Darmnerven denen des X. Spinalnerven.
Tafel IV.
Coce. —= 08 CoccyEis. n.i. — Nervus ischiadicus.
J. = Enddarmepithel. n. int. — Nervus intestinalis.
R. M. = Ringmuskulatur des Darmes. n. ves. = Nervus vesicalis.
L. M. = Längsmuskulatur desselben. m.c.c. = Musculus compressor
D. M. = Müllerscher Gang. cloacae.
D.W. — Wolffscher Gang. ves. = Harnblasenhals.
Fig. 34. Querschnitt durch eine 2—-3 jährige Rana esculenta. Der Darmnerv
in der Gegend seiner grössten Mächtigkeit.
. 35 und 36. Querschnitte eines metamorphosierten Frosches.
g. 35. Abgangsstelle des Ram. com. des Nervus vesicalis.
. 36. Hinterer Teil des N. vesic. VIII. + IX. = VIU. und IX. Spinalnerv.
Aus dem vergleichend-anatomischen Institut der Universität Freiburg i. Br.
Zur Kenntnis der verzweigten Muskeliasern.
Von
cand. med. Geza Glücksthal, Zenta (Ungarn).
Hierzu Tafel V. .
Die vorliegenden Untersuchungen wurden auf Anregung des
Herrn Professors Gaupp ausgeführt, dem ich an dieser Stelle
meinen aufrichtigsten Dank für die mir durch seinen Rat er-
wiesene Unterstützung aussprechen möchte. Zugleich danke ich
auch Herrn Geheimrat Wiedersheim für die Arbeitsgelegen-
heit in seinem Institut.
In der Anatomie des Frosches (Abtle. 3, 1904, S. 50) be-
merkt Gaupp, dass in der dünnen Schleimhautpartie, die den
Sinus basihyoideus an der Unterfläche der Froschzunge begrenzt,
die verästelten Muskelfasern sehr schön in situ zu erkennen,
und z. B. nach Behandlung mit Pikrinsäure schon bei starker
Lupenvergrösserung sichtbar sind. An einer anderen Stelle (S. 59)
findet sich bezüglich der Muskelfasern dieser dünnen Schleim-
hautpartie noch bemerkt, dass sie dünnkalibrig sind, und sich
zum Teil von den gröberen Stammfasern des Musculus hypo-
glossus als Astfasern ablösen und untereinander vielfach zu-
sammenzuhängen scheinen. Doch meint Gaupp, dass es sich
wohl überall nur um eine vielfache Kreuzung der Fasern
handelt.
Die Leichtigkeit. mit der hier die Muskelfasern in ihrer
normalen Lage erkannt werden können, musste dazu auffordern,
sie einer eingehenderen Untersuchung zu unterziehen, um die
Art ihrer Verästelung, die Frage nach etwaigem Zusammenhang
untereinander, sowie die nach den Beziehungen ihrer Endver-
ästelungen zu klären. Die Ergebnisse dieser Untersuchungen
scheinen mir einer kurzen Mitteilung wert, schon aus dem
Grunde, weil das Objekt, an dem sie gewonnen sind, leicht zu
haben ist und die Möglichkeit bietet, das Verhalten ver-
ästelter Muskelfasern in natürlicher Lage ohne viel Vorbereitung
zu demonstrieren.
54 Geza Glücksthal:
Die dünne Membran, in der sich die Muskelfasern finden,
liegt an der Unterfläche der Froschzunge und begrenzt den hier
gelegenen und rückwärts auf den Zungenbeinkörper sich fort-
setzenden Sinus basihyoideus (Gaupp. Anatomie des Frosches,
Abtle. 2, S. 504, S. 497, Fig. 141). Sie ist gegen die Mund-
höhle mit einschichtigem Zylinderepithel bedeckt.
Die verästelten Muskelfasern der Zungenmuskulatur sind
schon lange bekannt. Herzig und Biesiadeczki haben sie
auch bei anderen Tieren als dem Frosche nachgewiesen, und zwar
in der Weise, dass sie die Zunge kochten und nachträglich die
Muskelfasern zur Isolierung in Glyzerin legten. Rippmann
untersuchte die verästelten Muskelfasern bei dem Huhn, bei
Triton eristatus. Testudo europaea und auch beim Menschen, er
benützte bei der Isolierung, Salzsäure. Margo hat baum-
förmig ramifizierte Muskelfasern in dem Dünndarme des Fluss-
krebses festgestellt. Podwyssozki fand im Lippenrand des
Kaninchens baumförmig verästelte Muskelfasern. Billroth hat
die oberflächliche Schichte der dorsalen Fläche der Froschzunge
untersucht und fand die seitlichen Äste besonders zwischen
den Drüsen. Kölliker sah Verästelungen bei der Raupe von
Sericaria salieis. Fol konnte bei pelagischen Larven (Pteropoden,
Gastropoden) an beiden Enden verästelte Fasern feststellen.
Um die Verästelungen zu studieren, benützte ich zur
Färbung zunächst Violett B., das noch Sigmund Mayer
empfohlen hat für lebende und überlebende Präparate. Der
Farbstoff wird in folgender Weise angewendet: Man breitet das
Objekt auf den Objektträger mit feinen Nadeln aus und benetzt
es mit einem Tropfen der Farbstofflösung (1 Gramm Violett B.
auf 300 cem 31/» proz. Kochsalzlösung). Die Färbung darf nur
sehr kurze Zeit dauern; 10—30 Sekunden genügen schon.
Längere Färbung ist nicht empfehlenswert, weil die Aufhellung
überfärbter Präparate nur mit Läsion des ausserordentlich sub-
tilen Präparates geschehen kann. Nach der Färbung wird das
Präparat mit '/2 proz. Kochsalzlösung abgespült. Das Violett B.
färbt sehr intensiv die Bindegewebszellenkerne, die elastischen
Fasern weniger gut. Auch die Muskelfasern fallen sehr intensiv
auf. Um die Präparate für längere Zeit haltbar zu machen,
habe ich mit Erfolg auf Sigmund Mayers Empfehlung
Kalium aceticum verwendet, was zudem wegen des geringen
Zur Kenntnis der verzweigten Muskelfasern. 99
Brechungsexponenten die feineren Strukturen sichtbarer macht.
In Kanadabalsam gehen die Präparate gleich zugrunde. Sigmund
Mayer hat diese Methode für die Färbung des Kaninchennetzes
angewendet.
bei meinen Untersuchungen achtete ich zunächst auf das
grobe Verhalten der einzelnen Fasern selbst, das immerhin Er-
wähnung verdient (Fig. 1 und 2). Man sieht vielfach, dass
Fasern nach kurzem Verlauf sich teilen, und dass auch ihre
Äste sekundär noch eine Teilung erleiden. Die einzelnen Äste
anastomosieren nach der Teilung mit den Ästen anderer Muskel-
fasern. Manchmal laufen Ästchen eine Zeitlang paralell mit-
einander, biegen dann ab und auf andere zu, die ihnen in
gleicher Weise entgegenkommen:; doch erfolgt keine Ver-
schmelzung, sondern die beiden Fasern gehen einander gegenüber
in ihre Endverzweigungen über. Die freien Enden der Muskel-
fasern zeigten sich nach der Färbung mit Violett B. teils stumpf,
teils spitzig, zum grössten Teil aber verästelt. An einigen Stellen
erschienen die freien Enden treppenförmig abgebrochen; andere
hatten am Ende Einkerbungen. Nach Rollett wären die
schlanken, spitzig endenden Fasern vorübergehende Entwicklungs-
stadien und würden sich später in verästelte umwandeln, eine
Meinung, deren Richtigkeit ich nach meinen Objekten nicht zu
entscheiden vermag. Zu wiederholten Malen sah ich Fasern, die
an beiden Enden verästelt waren, wie sie auch schon von
anderen Autoren beobachtet worden sind. Die betreffenden
Fasern erwiesen sich in der Mitte am dicksten und wurden nach
beiden Richtungen in dem Maße, wie sie sich verästelten, immer
schmäler. Ganz besonders möchte ich noch einmal hervorheben,
dass die Verästelung durchaus nicht immer erst am Ende der
Muskelfaser erfolgt, sondern dass vielfach auch im Verlauf der
Muskelfaser sich längere Seitenäste ablösen, die unter vielfach
wiederholter Teilung miteinander anastomosieren, so dass ein
dichtes Netzwerk zustande kommt.
Meine Untersuchungen stehen in Einklang mit der von Fol
geäusserten Vorstellung, dass diese Verästelung eine allgemeine
Erscheinung ist „bei der Befestigung von Muskeln an weichen
Oberflächen“.
In zweiter Linie richtete ich mein Augenmerk auf das
Verhalten der Muskelfasern und ihrer Endigungen zu dem um-
56 Geza Glücksthal:
gebenden Gewebe. Die Färbung mit Violett B. erwies sich dabei
als unzulänglich, dagegen gab die Färbung mit Örcein aus-
gezeichnete Resultate. Einige literarische Bemerkungen über diese
vielumstrittene Frage seien vorausgeschickt. Schon Mar go (1362)
betont. dass das Muskelgewebe in engerem Zusammenhange mit
dem Bindegewebe stehen muss, und dass überall, wo sich
kontraktile Substanzen entwickeln, man mehr oder minder
entwickelten elastischen Fasern begegnet. Nach Billroth
spitzen sich die Muskelfasern in der Froschzunge in der Nähe
der Papillen zu „feinen dunkeln Fasern“ zu. Meissner er-
wähnt, dass er an den muskulösen Faserzellen der Blasenwand
des Kaninchens einen Übergang in feine elastische Fasern
konstatieren konnte. Holmgren sah im Katzendarm elastische
Fäserchen, die die glatten Muskelzellen ringförmig umfassten.
Martinotti hat sich auch mit dem Zusammenhange von Muskel-
elementen mit elastischen Fasern beschäftigt. Er hat seine
Untersuchungen mit Argentum nitrieum am Dünndarm des Schafes
gemacht. wo er ein merkwürdiges Verhalten der elastischen
Fasern zur glatten Muskulatur beschrieben hat. Er kämpfte auch
auf Grund seiner Untersuchungen für die Ansicht, dass das
Sarcolemma elastisches Gewebe sei. Meine Aufmerksamkeit wurde
auf den Zusammenhang zwischen Muskelgewebe und Bindegewebe
und auf die umstrittene Frage der Zusammensetzung des Sarco-
lemma vor allem gelenkt durch die Arbeit Smirnows: „Über
die Beziehungen zwischen dem Muskel- und elastischen Gewebe
bei den Wirbeltieren“, die sich im Gegensatz zu den Arbeiten
der eben genannten Autoren mit den Beziehungen des elastischen
(rewebes zu quergestreiften Muskelfasern beschäftigt. In dieser
Arbeit äussert sich Smirnow folgenderweise: „In allen Fällen,
in denen die quergestreiften Muskelfasern nicht in direkte Be-
ziehung zum knöchernen oder knorpeligen Skelett treten, in denen
sie sich an andere mehr weiche Formen des Bindegewebes an-
heften, bestehen ihre Sehnen aus rein elastischem Gewebe, oder
es ist ihnen wenigstens eine mehr oder weniger grosse Menge
elastischer Fasern beigemengt.*“ Zu dieser Anschauung wurde
er geführt durch die Untersuchung von Organen, in denen quer-
gestreifte Muskelfasern sich an bindegewebige Teile ansetzen.
Da letzteres auch in der von mir untersuchten Membran der
Fall ist, so erschien mir dieselbe besonders geeignet zu einer
ot
—1
Zur Kenntnis der verzweigten Muskelfasern.
Prüfung der Smirnowschen Anschauung. Ich nahm für meine
Untersuchungen, wie schon erwähnt, Orcein in alkoholischer
Lösung. Die auf den Objektträgern ausgebreiteten Membranen
werden zunächst ungefähr 10— 15 Minuten lang Osmiumdämpfen
ausgesetzt, solange bis die Präparate eine gelbliche Farbe be-
kommen. Dann sind sie fixiert und zur Färbung bereit. Die
Färbung dauert Y/» bis '/s Stunde. Um noch deutlichere Bilder
zu bekommen, ist sehr empfehlenswert nach ÖOrcein auch mit
Boraxcarmin und Fuchsin zu färben, je 10 Minuten lang.
Die Färbung der Präparate nach dieser Methode gab folgende
Resultate (Fig. 3—5). Es war bei schwacher Vergrösserung sehr
auftallend, dass einige Stellen der Präparate besonders stark ge-
färbt erschienen. Diese Stellen sind die verästelten Enden der
quergestreiften Muskelfasern, die bei dieser Färbung pinselartige
(Gebilde zeigten. Bei stärkerer Vergrösserung konnte man sehen,
wie von den Faserästen dünne sehr gut tingierbare Fäden aus-
laufen. Die Querstreifung und die Kerne sind bis an den Ansatz
dieser letzten Fäden gut zu erkennen. Die Fädchen selbst ver-
ästeln sich auch sehr reichlich, so dass ein sehr dichtes Netz
gebildet wird. Diese Netze, in die also die Enden je einer
Muskelfaser übergehen, sind nur besonders verdichtete Teile des
grossen elastischen Netzwerkes, welches die ganze Membran
durchzieht; sie sind zugleich der Grund, weshalb die Membran
in der Umgebung der Muskelenden dunkler gefärbt erscheint.
Merkwürdigerweise erscheint auch das Sarcolemma, oder,
vorsichtig ausgedrückt, die der Muskelfaser anliegende Hülle sehr
stark tingiert, was besonders mit Immersion sehr deutlich wird.
Es scheint mir darnach zweifellos, dass diese Hülle aus elastischem
Gewebe besteht. Aus ihr treten nach allen Seiten kleine Fäserchen
heraus, die nur sehr selten wellenförmig sind, sondern grössten-
teils, gerade verlaufen. Mit Immersion sieht man, dass die ganze
Muskelfaser, nicht nur die baumförmige Verästelung in eine
Hülle von netzförmig verbundenen elastischen Fasern einge-
schlossen ist. Dievon Martinottierwähnten dreicharakteristischen
Merkmale: „Bord nettement dessine, cours ondoyant, contour
fonce et centre plus claire“ sind gut bemerkbar; doch fand ich
den Verlauf der Fasern, wie erwähnt, meist mehr gerade gestreckt
als wellenförmig. Die Fäserchen kreuzen sich und so entsteht
ein sehr kompliziertes Netz um die Muskelfasern herum. Bei
oO
nn
G6eza Glücksthal:
der Kreuzung von zwei elastischen Fasern entstehen kleine
Knotenpunkte, die das Bild dieses Netzes sehr charakteristisch
gestalten. Die elastischen Fasern verlaufen hier meistens quer
zu den Muskelfasern. Nur in der Nähe der baumförmigen Ver-
ästelungen sieht man elastische Fasern aus der Hülle der Faser
austreten, die dann parallel mit der Muskelfaser verlaufen. Es
fiel mir auch auf, dass in dem weniger deutlich tingierten übrigen
Bindegewebe, besonders schön in der Nähe der Verästelungen auf
einmal ein sehr gut gefärbtes dunkleres elastisches Fasernetz auftritt.
Es sind Fäserchen, die von der einen pinselartigen Verästelung zu
der anderen übergehen, und so mit dieser in Verbindung treten.
Die elastische Hülle ist am Ende der Faser nicht geschlossen,
sondern geht unmittelbar in die elastischen Endbüschel über.
Ich habe also hier mit Orceinfärbung gefunden, dass die
Muskelfasern von elastischen Hüllen umgeben werden. Es mag
dahingestellt bleiben, ob diese Hülle das Sarcolemma repräsentiert,
oder ob etwa, was ja denkbar wäre, unter ihr noch eine zweite
Hülle besteht. Dass auch das wirkliche Sarcolemma der quer-
gestreiften Muskelfasern ausserordentlich resistent ist und Säuren
und Alkalien grossen Widerstand leistet, ist ja allgemein bekannt;
ebenso ist durch seine Beziehungen zur Muskelfaser schon eine
grosse Dehnbarkeit von ihm gefordert. Immerhin mag, wie ge-
sagt, in suspenso bleiben, ob es berechtigt ist, die zweifellos aus
elastischem Gewebe bestehende Hülle, die ich an den Muskel-
fasern meines Objektes fand, kurzweg alsSarcolemma zu bezeichnen.
Ob auch die erwähnten elastischen Fäserchen an den verästelten
Enden der quergestreiften Muskelfasern in unmittelbarer Konti-
nuität mit den Muskelfibrillen stehen, wie dies von Schultze
kürzlich für die bindegewebigen Sehnenfibrillen beschrieben worden
ist, muss ich dahingestellt sein lassen.
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Erklärung der Abbildungen auf Tafel V.
Fig. 1. Einige verästelte Muskelfasern und ihre Anastomosen. (Färbung
mit Violett B.)
Fig. 2. Netzförmig zusammenhängende Muskelfasern.
Fig. 3. Einige Endbäumcehen mit den anschliessenden elastischen Fäserchen
in natürlicher Lage. (Das allgemeine elastische Netzwerk ist der
Klarheit wegen weggelassen.)
Fig. 4. Einige elastische Endpinsel bei mittelstarker Vergrösserung.
Fig. 5. Ende einer Muskelfaser mit den Endpinseln. Öl-Immersion !/ı.
61
Aus dem histologischen Institut der deutschen Universität zu Prag.
Über eine neuartige Verwendung des Farbstoffes
„Neutralrot“.
Von
7 Prof. Dr. Siegmund Mayer.')
Da zurzeit die Anwendung von Farbstoffen und Reagentien
in der Histologie leider noch mehr auf einem rein empirischen
Probieren, als auf mehr oder minder sicheren Voraussetzungen
beruht, so ist es leicht begreiflich, dass man bestimmten Verfahrungs-
weisen, wenn sie sich einmal für gewisse Zwecke als sehr brauchbar
erwiesen haben, einen ausgedehnten Wirkungskreis zu gewinnen
bestrebt ist.
Beispiele hierfür lassen sich aus der Geschichte der histo-
logischen Untersuchungsmethodik in grosser Anzahl beibringen.
So wurde die Überosmiumsäure zunächst für den Nachweis fettiger
Substanzen und des Nervenmarkes in Anwendung gezogen, bis
sich bei weiteren Versuchen mit dieser Substanz ihre ausgezeichnete
Verwertbarkeit als Fixationsmittel und spezifisches Farbreagens
für verschiedene Gebilde herausstellte.
Chlorgold und Methylenblau spielten zuerst nur in der
Histologie des Nervensystems eine hervorragende Rolle, während
in der Folge die Anwendung der genannten Stoffe bei der Er-
forschung des feineren Baues der Hornhaut, der quergestreiften
Muskelfasern ‚usw. bemerkenswerte Resultate ergaben. Von den
durch Golgi und seine Nachfolger in die histologische Technik
eingeführten bekannten Methoden machte man zunächst nur für
die Untersuchung des zentralen Nervensystems Gebrauch, und
erst später stellte es sich heraus, dass man hiermit in uner-
warteter Weise auch die feinsten Anfangsteile des Sekretgang-
systemes in vielen Drüsen darstellen kann.
!) Unter den zahlreichen hinterlassenen Manuskripten meines ver-
storbenen Vorgängers und Lehrers befand sich auch diese fast druckfertige
Arbeit. In der Überzeugung, dass Gegenstand und Methodik viele Fach-
genossen interessieren dürften, habe ich mich zu ihrer Veröffentlichung
entschlossen. Alfred Kohn.
Archiv f. mikr. Anat. Bd.81. Abt.l. b)
62 Siegmund Mayer:
Die angeführten Beispiele mögen genügen, um es begreiflich
erscheinen zu lassen, dass es mir sehr nahe lag, mit dem Neutral-
rot, dessen hervorragende Leistungsfähigkeit für die sogenannte
Vitalfärbung heute allgemein anerkannt ist, weitere Versuche,
die zunächst nicht auf diese Vitalfärbung hinzielten, anzustellen.
Und dies um so mehr, als ich glaube, der erste gewesen zu sein,!)
der nach den Publikationen des verdienstvollen Entdeckers der
vitalen Reaktionen des Neutralrot, P. Ehrlich, die Wichtigkeit
dieser Methode für die Biologie erkannte und nach dieser Richtung
zahlreiche, grösstenteils noch nicht veröffentlichte Untersuchungen
anstellte.
In den nachfolgenden Zeilen will ich nun einige Versuche
in Kürze beschreiben, aus denen hervorgeht, dass das Neutralrot
auch noch in anderer als in der bereits bekannten auf die so-
genannte Vitalfärbung gerichteten Weise verwendet werden kann
und dass es möglich ist, hierdurch Präparate in einfacher und
wenig zeitraubender Weise zu erzielen, deren Studium für Forschung
und Lehre, wie ich glaube, nicht ohne Bedeutung sein dürfte.
I. Darstellung des fibrillären Baues des Glaskörpers.
Wer es nicht verschmäht, bei dem Studium der wissen-
schaftlichen Literatur auch den grösseren und kleineren in den
verschiedenen Kultursprachen erscheinenden Lehrbüchern einige
Aufmerksamkeit zuzuwenden, wird hierbei auf eine eigentümliche
Erscheinung stossen, die für die Lehre gerade nicht als förderlich
bezeichnet werden kann. Es zeigt sich nämlich, dass die Dar-
stellung im Texte und die Illustration durch Abbildungen gewöhnlich
nach einem bestimmten Schema, dessen erstmalige Aufstellung
zeitlich zuweilen schon beträchtlich zurückliegt, durchgeführt
werden. So wird von den in Frage kommenden Gegenständen
öfters keine ganz zutrefiende Darlegung gegeben.
Besonders hinsichtlich der den Text illustrierenden Abbildungen
erweist sich der eben berührte starre Schematismus häufig wenig
erspriesslich, insofern Dinge gewohnheitsgemäss zur Abbildung
gelangen, die auch ohne solche, auf Grund von mit Fug und
Recht vorauszusetzenden Kenntnissen und Anschauungen als leicht
verständlich angesehen werden können. Andererseits kommen
1) Über die Wirkungen der Farbstoffe Violett B und Neutralrot.
Lotos.. Prag. 18%.
op}
Sb
Eine neuartige Verwendung des Farbstoffes „Neutralrot“.
bei der lehrbuchmässigen Darstellung in Beschreibung und Ab-
bildung solche Dinge viel zu kurz, die schon bei oberflächlicher
Betrachtung sich als etwas Spezitisches und aus dem Rahmen der
gewöhnlichen und vielfach vorkommenden Strukturen Heraus-
fallendes erweisen.
Nach der eben angedeuteten Richtung hin ist hier der
Glaskörper des Auges zu nennen, von dem in den Lehrbüchern
in Wort und Bild gewöhnlich nur sehr wenig vermeldet wird,
trotzdem aus älterer und neuerer Zeit über die eigentümlichen
Strukturverhältnisse dieses (rebildes zahlreiche Untersuchungen
vorliegen. Schon lange hat man zwar erkannt, dass die An-
schauung der älteren Anatomen, nach welcher der Glaskörper
einen keinerlei geformte Bestandteile enthaltenden Gallertklumpen
darstelle, nicht haltbar sei; darüber aber, in welcher Art und
Weise die geformten Substanzen innerhalb der ungeformten
gallertigen Masse angeordnet seien, waren lange unrichtige, in den
angewendeten Untersuchungsmethoden begründete Vorstellungen
im Schwange. Es kann heutzutage wohl kaum mehr ein Zweifel
darüber bestehen, dass die hauptsächlich an die Namen Brücke
und Hannover geknüpften Lehren von der zwiebelartigen oder
apfelsinenähnlichen Anordnung der geformten Anteile im Glas-
körper nur noch eine historische Bedeutung haben, während
andererseits die zuerst von Ciaccio (sen.) aufgestellte Ansicht
von der filzartigen Disposition der faserigen Bildungen im Glas-
körper später besonders durch die Untersuchungen von Hans
Virchow, G. Retzius u. a. sich allgemeine Anerkennung er-
worben hat.
Wenn heutzutage in Lehr- und Handbüchern überhaupt
Abbildungen von der Glaskörperfaserung vorgeführt werden, dann
werden gewöhnlich die schönen, von G. Retzius herrührenden,
auf Schnittpräparate sich beziehenden Bilder reproduziert. Man
findet jedoch weder in den der Histologie des Glaskörpers ge-
widmeten Abhandlungen, noch in den Schriften über histologische
Technik, selbst nicht in denjenigen, welche speziell der Methodik
der histologischen Untersuchung des Auges gewidmet sind, ge-
nauere Angaben über die Sichtbarmachung des Fibrillenwerkes im
Glaskörper.
Es wird daher nicht ohne Interesse sein, wenn ich in den
nachfolgenden Zeilen ein Verfahren schildere, durch welches es
5*
64 Siegmund Mayer:
ermöglicht wird, sich von den faserigen Elementen des Glaskörpers
zureichende Anschauungen zu verschaffen. Die zu schildernden
Versuche sind einfach und ohne besondere Übung und Geschick-
lichkeit auszuführen, so dass sie in histologischen Kursen auch
den in der Technik nicht sehr weit Vorgeschrittenen zugänglich sind.
Es mag zunächst bemerkt werden, dass sich weitaus die
grösste Anzahl meiner Versuche auf das Auge des Frosches
beziehen; einige Beobachtungen am Glaskörper eines neugeborenen
Kindes und einer Katze haben jedoch ergeben, dass das zu
schildernde Verfahren weit davon entfernt ist, nur auf den Frosch
angewendet werden zu können.
Indem ich nun zur Beschreibung des modus procedendi über-
gehe, so ist vorerst hervorzuheben, dass man nicht die Augen
des eben getöteten Tieres, also das ganz frische Objekt, sondern
dass man die Augen ein- bis dreimal 24 Stunden post mortem
zu unseren Versuchen benutzen muss, wobei selbstverständlich,
bei hinlänglich kühler Aufbewahrung, das Auftreten von Fäulnis-
erscheinungen ausgeschlossen ist. Für die Enucleation des Aug-
apfels mag hier auf den von W. Kühne schon vor vielen Jahren
angegebenen Kunstgriff hingewiesen werden, nach welchem man
mit der Schere nicht sowohl den Bulbus aus dem Schädel, sondern
vielmehr die knöchernen und weichen Umhüllungen des Bulbus
von letzterem wegschneidet.
Die Benutzung des nicht ganz frischen Materials ist geboten,
weil im ganz frischen Auge die Trennung des von einer, bekannt-
lich beim Frosche gut isolierbaren und reichlich vascularisierten
Membrana hyaloidea umschlossenen Glaskörpers von der Netzhaut
nicht reinlich durchführbar ist.
Wenn der isolierte Bulbus nach Ablauf der oben angegebenen
Fristen nicht mehr prall gespannt erscheint, sondern, offenbar
durch eingetretene Verminderung intraocularer Flüssigkeiten,
collabiert und weich geworden ist, dann schreitet man zur weiteren
Bearbeitung in nachfolgender Weise:
Nachdem die Cornea und Iris entfernt worden sind, hebt
man mit einem plattgeschlagenen, vorn in einen stumpfen Winkel
abgebogenen Drahte aus dem zurückgebliebenen Becher der
Sclerotica, der Chorioidea und der Retina den von der Membrana
hyaloidea umhüllten Glaskörper samt Linse vorsichtig heraus;
hängengebliebene Stückchen der Chorioidea und Retina sucht
Eine neuartige Verwendung des Farbstoffes „Neutralrot‘“. 65
man nach Tunlichkeit zu entfernen; ebenso ist die Linse mit
Kapsel vor der weiteren Behandlung in passender Weise aus
ihrer Verbindung mit dem Glaskörper zu lösen.
Nun bringt man den Glaskörper samt seiner Umhüllungs-
membran in ein Uhrglas und befeuchtet das Objekt mit einigen
Tropfen einer Lösung von Neutralrot in "» proz. Kochsalz-
lösung, deren Konzentration genau zu bestimmen kaum erforderlich
ist; es genügt die Neutralrotlösung derart herzustellen, dass sie
die Farbe eines stark gefärbten Rotweins besitzt.
In dieser Lösung braucht der Glaskörper längstens 5 Minuten
zu verweilen, aber auch schon nach Verlauf von 1 bis 5 Minuten
kann man auf befriedigende Resultate rechnen.
Aus dieser Farbstofflösung überträgt man hierauf das Präparat
in !/sproz. Kochsalzlösung, in welcher es ebenfalls nur mehrere
Minuten zu verweilen braucht, um keine merklichen Spuren von
Neutralrot mehr abzugeben. Alsdann wandert das Objekt in ein
Uhrschälchen mit mehreren Tropfen einer konzentrierten Lösung
von pikrinsaurem Ammoniak, in welcher es sofort seine vorher
tief rote Farbe in eine gelbe umändert: nachdem es in dieser
Flüssigkeit etwa 2 Minuten verweilt, wird es, ohne Abspülung
deranhaftenden Lösungvonpikrinsaurem Ammoniak,
auf den Öbjektträger gebracht und mit einem Tropfen konzentrierten
Glycerins definitiv eingedeckt. Derartige mit Lackrahmen ver-
sehene Präparate haben sich monatelang in sehr brauchbarem
Zustande erhalten.
Die nicht sehr ansehnliche Masse des mehr oder minder
vollständig membranumhüllten Glaskörpers breitet sich unter dem
Drucke des aufgelegten Deckgläschens zu einem sehr dünnen
transparenten Häutchen aus; je weniger sich bei der Präparation
nicht zu unserem Versuchsobjekte gehörige Teile, wie Pigment,
von der Retina, der Chorioidea oder der Iris stammend, Retina,
Linse und Linsenkapsel beigemengt haben, die übrigens von
einem geübten Beobachter bei der mikroskopischen Betrachtung
leicht zu erkennen sind, ein desto eleganteres Aussehen bietet
das gefärbte Präparat dar.
Schon bei der Betrachtung mit freiem Auge bemerkt man,
dass für gewöhnlich stark gefärbte mit weniger gefärbten Stellen
abwechseln, was entweder auf Rechnung einer andersartigen Be-
schaffenheit in bezug auf die Zusammensetzung der betr. Stelle
66 Siegmund Mayer:
(Anwesenheit oder Fehlen der Membrana hyaloidea) oder der
verschiedenen Intensität der Einwirkung der Farbstofflösung und
des differenzierenden Reagens zu setzen ist.
Indem wir nunmehr zu einer kurzen Schilderung der nach
der in den vorstehenden Zeilen beschriebenen Weise erhaltenen
Präparate übergehen, soll vorerst bemerkt werden, dass es sich
hierbei keineswegs um eine eingehende Erörterung der für den
Aufbau des Glaskörpers in Betracht kommenden Fragen handelt,
was an dieser Stelle ausserhalb des Bereiches unserer Absichten
liegt, sondern dass wir nur die wesentlichen Resultate unserer
neuen Behandlungsweise schildern wollen, wobei sich selbstver-
ständlich hie und da Bemerkungen über die Histologie des Glas-
körpers ergeben werden.
Unterwirft man zunächst eine der sehrintensivgefärbten
Stellen des Präparates, von denen oben kurz die Rede war, der
mikroskopischen Untersuchung, so wird man sich bald über die
Verhältnisse klar, welche diese starke Färbung der Hauptsache
nach bedingen. Sie hat nämlich ihren Sitz in feineren oder
gröberen Körnern, die einem Niederschlage, welchen die ange-
wendeten Reagentien in der amorphen interfibrillären Zwischen-
substanz des Glaskörpers hervorgebracht haben, ihre Entstehung
verdanken. Allerdings können zur Verstärkung der Färbung
auch noch eine sehr intensive Tinktion der Fibrillenmasse, ge-
legentlich auch eine sehr starke Färbung der dicht mit Blut-
körperchen erfüllten Blutgefässe der Membrana hyaloidea mehr
oder minder beitragen.
Bei sehr starker Ausbildung des eben erwähnten Nieder-
schlages, wobei die niedergeschlagenen Körner die Fibrillen ganz
einhüllen, können letztere fast ganz unsichtbar werden; in ein
und demselben Präparat kann man dann übersehen, wie alle
möglichen Übergänge vorkommen, von sehr dunklen Stellen,
scheinbar ohne Fibrillen, bis zu solchen, wo innerhalb dunkler
Granulamassen die Fibrillen in sehr dunkelbrauner Farbe hervor-
treten oder endlich die störende Nebenwirkung der Niederschlags-
bildung in der amorphen Zwischensubstanz ganz ausgeblieben ist,
wobei die Bedingungen für die Beobachtung der Glaskörper-
fibrillatur weitaus am günstigsten sich gestalten.
An solche Stellen muss man sich denn auch halten, um das
ungemein dichte Filzwerk, feiner, glatter, eine enorme Anzahl
Eine neuartige Verwendung des Farbstoffes „Neutralrot‘. 67
von Hohlräumen begrenzender Fäserchen zu Gesichte zu bekommen,
welche es in ihrer Gesamtheit zuwege bringen, dass der Glas-
körper nach den bekannten Versuchen von H. Virchow') eine
bemerkenswerte Zugfestigkeit zu entwickeln vermag.
G. Retzius?) hat vom Froschglaskörper auf Grund von
Celloidinschnitten nach Fixation in Flemmingscher Lösung und
Rubinfärbung ein System feiner, straff gespannter Fasern be-
schrieben und abgebildet, welche von dem bekannten Ringgefässe
nach vorn von der Ora serrata ausstrahlten. „Von hier aus
radiieren diese eigentümlichen Fasern nach hinten hin und lassen
sich bis zum Augenhintergrunde verfolgen. Sie durchziehen in
dieser Weise den ganzen Glaskörper, in ihm gewissermassen ein
Striekwerk bildend. An der Hyaloidea angelangt, inserieren sie
sich an ihr vermittelst dreieckigen Ansätzen und zwar bald an
Stellen, wo Blutgefässe in der Membran liegen, bald an Stellen
zwischen solchen. Zwischen diesen glasartig und steif erscheinen-
den Fasern findet sich das feinfaserige Glaskörpergewebe. welches
sich auch in den Pettischen Raum hinein zu erstrecken
scheint.“
Über die Art und Weise, in welcher die spezifische Fibrillatur
des Glaskörpers in das histologische System einzureihen ist, können
nur weitere eingehende mikrochemische und ganz besonders
histiogenetische Untersuchungen endgültigen Aufschluss geben.
Immerhin gestatten die von uns erzielten Ergebnisse nach dieser
Richtung hin einige Schlussfolgerungen, die wir hier kurz vor-
führen wollen.
Vielfache von mir mit den beschriebenen Kunstgriffen vor-
genommene Versuche an transparenten Membranen, die nachweislich
typische collagene Bindegewebsfibrillen oder elastische Fasern
enthalten, ergaben die vom Glaskörper geschilderte Reaktion nicht.
Es ist daher der auch schon von anderer Seite geäusserten Ansicht
beizupflichten, dass die Glaskörperfibrillen nicht den genannten
Fasergattungen zuzuzählen sind.
In Anlehnung an zahlreiche wohl begründete Aufstellungen
der letzten Jahre über die ektodermale Herkunft des Glas-
Y) Bericht der Ophthalmolog. Gesellschaft. Heidelberg 1885.
2) G. Hebzuws, Über den Bau des Glaskörpers und der Zonula Zinnii
in dem Auge des Menschen und einiger Tiere. Biologische Untersuchungen.
N.:E:, -BA.NT., 8..67. (1894.
68 Siegmund Mayer:
körpergewebes möchte ich die von V. v. Ebner!) geäusserte
Anschauung, dass die Glaskörperfibrillen eine nahe Verwandtschaft
mit den Neurogliafibrillen besitzen, für sehr plausibel halten.
Wir würden dann vor der bemerkenswerten Tatsache stehen,
dass nicht allein im Bereiche der mesodermalen Fibrillenbildungen,
nach dem Ausweise vieler neueren Untersuchungen, mannigfaltigere
Formationen vorkommen, als nur die schon lange bekannten
collagenen und elastischen Fasern, sondern dass auch auf ecto-
dermalem Boden Fibrillen von verschiedenen Eigenschaften zur
Ausbildung gelangen können.
Wie schon früher erwähnt, erhält man bei der geschilderten
Präparationsmethode die Glaskörpermasse mehr oder minder von
der Membrana hyaloidea umhüllt. In denjenigen Fällen nun, in
denen die genannte Membran auf weite Strecken erhalten und
ausserdem das Blutgefässnetz, eventl. mit Blutkörperchen erfüllt,
gut ausgefärbt ist, erhält man als Nebenprodukt ein sehr schönes
instruktives Bild dieser durch ihr reich entwickeltes Capillarnetz
ausgezeichneten Haut.
Am instruktivsten gestaltet sich die Beobachtung, wenn der
Glaskörper ganz von der Hyaloidea umhüllt ist, indem man dann
beim Wechsel der Einstellung zunächst deren Blutgefässnetz eventl.
auch Faltenbildungen, sodann die Fibrillatur eventl. mit den
Niederschlägen in der interfibrillären Substanz und endlich wiederum
die blutgefässhaltige Membran, glatt oder gefaltet, zu Gesichte
bekommt.
II. Darstellung der Netze feiner markloser peripherer
Nervenfasern.
Wie bekannt, hat man schon lange versucht, das Problem
des Verhaltens der Nerven in den peripheren Bezirken des Körpers
zu lösen. Wir sehen hier von den terminalen Nervenausbreitungen
in den quergestreiften Muskelfasern ab und beschränken die
nachfolgenden Erörterungen auf das Verhalten der feinen mark-
losen Nervenfasern, welche entweder Erregungsvorgänge zentral-
wärts oder peripheriewärts zu glatten Muskelfasern resp. Drüsen-
zellen leiten: die spezifischen Anordnungen der Nervenendigungen
in den Sinnesorganen kommen hier nicht in Betracht.
), Kuelliker-v. Ebner. Handbuch der Gewebelehre, 6. Aufl.,
IT, Bd.,’S. 878.
Eine neuartige Verwendung des Farbstoffes „Neutralrot“. 69
Die Methodik, die für die Darstellung der genannten Be-
standteile des peripherischen Nervensystems in Anwendung ge-
zogen wurde, hat im Laufe der Zeit bereits mannigfache Phasen
durchlaufen. Im Anfange der hierher gehörigen Bestrebungen
erkannte man in der Anwendung der verdünnten Essigsäure ein
brauchbares Mittel, um feinste periphere Nervenausbreitungen
sichtbar zu machen. Eine neue Epoche des Fortschritts auf diesem
Gebiete wurde sodann durch die Einführung des Chlorgolds in
die histologische Technik durch J. Cohnheim herbeigeführt,
bis später die Anwendung der mehr oder minder modifizierten
Methoden von ©. Golgi und seiner Nachfolger, sowie die von
P. Ehrlich entdeckte Methylenblaufärbung weitere beträchtliche
Errungenschaften in der Lehre von den sensiblen, peripheren
Nervenendigungen ermöglichten.
Wenn ich nun in den nachfolgenden Zeilen eine neue
Methode zur Darstellung feiner peripherer markloser Nerven-
fasern beschreiben will, so beabsichtige ich hiermit keineswegs
die älteren bewährten Verfahrungsweisen zu verdrängen. Ich ver-
folge hiermit nur den Zweck, zu zeigen, dass man durch eine
eigenartige Anwendung des Neutralrot in sehr einfacher und
rascher Weise an bestimmten Objekten feine periphere Nerven-
netze zur Darstellung bringen kann, so dass dieses Anschauungs-
gebiet der praktischen Histologie, welches immerhin zu den
schwieriger zugänglichen gehört, selbst Anfängern leicht erschlossen
werden kann.
Die ersten Beobachtungen dieser Art machte ich an Sala-
manderlarven.
Ich hatte Salamanderlarven von etwa drei Zentimeter Länge
mit Neutralrot (Einsetzen in mit Neutralrot gefärbtes Wasser)
intensiv rot gefärbt. In der Absicht, die Wirkung des pikrin-
sauren Ammoniak auf die hierbei neutralrot gefärbten Gewebs-
bestandteile zu prüfen, warf ich eine derartig gefärbte Larve in
eine konzentrierte Lösung des genannten Salzes, in der sie 18
bis 24 Stunden verweilte. In dieser Lösung hatte sich die vorher
rote Farbe der Larve in eine gelbbraune umgewandelt. Unter
leichtem Schütteln in Wasser löste sich die epitheliale Decke
der Haut von ihrer Unterlage ab, so dass man Stücke der letzteren,
(Bauchhaut, Flossensaum etc.) in reinem Glycerin oder in der
von mir angegebenen Mischung von Glycerin und konzentrierter
70 Siegmund Mayer:
Lösung von pikrinsaurem Ammoniak leicht zur Untersuchung
benutzen konnte.
Hierbei zeigte sich nun ein überaus zierliches und reich-
haltiges Netzwerk von Fäden, die nach ihrer Anordnung und
ihrer Verzweigung als marklose Nerven nicht zu verkennen waren.
Diese Nervenfäden aber stellten sich durchaus nicht als
kontinuierliche rotbraun gefärbte Gebilde dar; es war vielmehr
der Verlauf der feinen Nervenfasern nur gleichsam markiert
durch leicht nebeneinander gelagerte, rot- oder schwärzlichbraun
gefärbte Körnchen, deren dichte Anordnung jedoch genügte, um
den Nervenverlauf der betreffenden Körperstelle hinreichend sicht-
bar zu machen.
Als Hauptuntersuchungsobjekt dienten mir späterhin die
Niekhaut von Fröschen und Kröten, sowie die abgeschnittenen
Flossensäume der Larven von Salam. mac. und Rana fusca.
Der nachfolgenden Beschreibung des Verfahrens, das sich
übrigens mit dem für die Glaskörperfaserung angegebenen fast
vollständig deckt, legen wir die Versuche an der für viele
histologische Beobachtungen so hervorragend geeigneten Nickhaut
unserer Batrachier zugrunde.
Die Membran wird in zwei oder drei Stücke zerschnitten,
um das Eindringen der Farbstofilösung von den Schnitträndern
aus zu erleichtern. Wie beim Glaskörper brauchen alsdann stark
weinrote Lösung von Neutralrot, abspülende '/> proz. Kochsalz-
lösung (am besten durch Schütteln in einem Probierröhrchen)
und pikrinsaures Ammoniak im Maximum je 10 Minuten einzu-
wirken, um zum Einschluss in Glycerin taugliche Dauerpräparate
zu erzielen.
Bei der mikroskopischen Betrachtung halte man sich zunächst
an die den Schnitträndern benachbarten Partien und an die dem
vorderen geschichteten Plattenepithel anliegenden Schichten der
bindegewebigen Grundsubstanz der Nickhaut.
Man wird hier dann, in oft überraschendem Reichtum, die
netzbildenden Nervenfädchen des sogenannten subepithelialen
Plexus wahrnehmen, die jedoch nicht glatt, sondern, offenbar infolge
einer Niederschlagsbildung, granuliert erscheinen.
Dass hier in der Tat feine Nervenfasern vorliegen, wird
sowohl durch die direkte Beobachtung, bei der man die Ver-
bindung der geschilderten Fädchen mit zweifellosen feinen mark-
Eine neuartige Verwendung des Farbstoffes „Neutralrot‘. 71
losen Nervenstämmchen sehen kann, als auch durch die Vergleichung
mit der nach anderen Methoden hergestellten Nervatur der Nick-
haut, hinlänglich erhärtet.
Bei der Untersuchung der einschlägigen Präparate stösst
man häufig noch auf andere Befunde an den nervösen Bestand-
teilen der Nickhaut, welche die mitgeteilte Methode als sehr
brauchbar erscheinen lassen.
1. Bekanntlich kommen in der Batrachiernickhaut in die
bindegewebige Grundhaut eingelagerte, einfache, nach dem Typus
eines Kochkolbens gebaute, auf der Vorderfläche der Membran
mit einem kurzen Gange mündende Drüsen vor, welche bereits
mehrfach Gegenstand histologischer und besonders histo-physio-
logischer Untersuchungen gewesen sind. Im Hinblick auf die
Tatsache, dass an diesen Drüsen auch das Verhalten der Nerven
untersucht worden ist (Öpenchowski, Ranvier u. a.), ist es
nun sehr interessant zu sehen, dass unsere Methode auch diese
periphere Nervenverbreitung häufig in sehr zierlicher Weise zu
Gesichte bringt.
Wenn hierbei die Drüsenepithelzellen der Sitz feiner oder
auch stärkerer Granula oder Schollen sind, dann sind die Be-
dingungen für die Sichtbarkeit der feinen Nervenfasern minder
günstige. In denjenigen Fällen jedoch, in denen die Anwesenheit
der Drüsen eben durch eine spärliche Granulierung in den Zellen
der Epitheltapete angedeutet ist, kann man deutlich ein die
Konturen der Drüsen nachahmendes Netzwerk feiner Nerven-
fasern bemerken, in denen diese Organe wie in einem von Lücken
durchbrochenen Körbchen aufgehängt erscheinen. Über die viel-
fach diskutierte Frage, wie sich innerhalb der Membrana propria
die feinsten Nervenfibrillen zu den absondernden Zellen resp.
denjenigen glatter Muskelfasern, welche zwischen Drüsenzellen
und Membrana propria gelegen sind, verhalten, ergaben meine
Präparate vorerst keine Aufschlüsse, die zu gewinnen auch zurzeit
nicht in meiner Absicht lag.
2. Eine weitere in unseren Versuchen hervortretende Wirkung
entfaltete die kombinierte Anwendung des Neutralrot und des
pikrinsauren Ammoniak auf die Nerven der Blutgefässe, deren
gröbere Ausbreitung in den hinteren Schichten, deren feinere in
den vorderen Schichten der Membran stattfindet. Hierbei ist
häufig das Vorhandensein der Blutgefässe nur durch die spezifische
72 Siegmund Mayer:
Anordnung ihrer marklosen Nervenfasernetze angedeutet. Diese
Anordnung ist aber insofern sehr charakteristisch und nicht leicht
misszudeuten, als marklose Nervenfasern auf grösseren Strecken
parallel verlaufen, die häufig durch querverlaufende Brücken
miteinander verbunden sind; bei guter Ausfärbung kommt es
or, dass sich das beschriebene Faserwerk in der für die Blut-
gefässe typischen netzartigen Anordnung zeigt. Die Auffassung,
dass es sich hier um die für die Blutgefässwandungen bestimmten
Nerven handelt, wird, falls man nach dieser Richtung hin etwa
noch Zweifel hegen sollte, zur vollen Gewissheit erhoben, wenn
innerhalb der Nervenstrassen zirkulär angeordnete glatte Muskel-
fasern oder geformte Elemente des Blutes beobachtet werden.
Da die Physiologie mit Sicherheit nachgewiesen hat, dass das
Nervensystem durch zentrifugal gerichtete Erregungen auf die
Drüsen und Blutgefässe einzuwirken vermag, so ist wohl anzu-
nehmen, dass jedenfalls ein Teil der durch die hier beschriebene
und andere schon früher angewendete Methoden nachgewiesenen
Nerven für zentrifugale Leitungen bestimmt ist.
Aus den angeführten Tatsachen wird man leicht entnehmen
können, dass sich die Wirkungen der kombinierten Anwendung
von Neutralrot und pikrinsaurem Ammoniak mit den von Methylen-
blau hervorgebrachten vielfach decken, wie es sich denn in meinen
Versuchen an der Linsenkapsel und den anderen von mir in
diesen Zeilen erwähnten Objekten herausgestellt hat, dass auch
die von A. S. Dogiel und mir schon vor längerer Zeit aufge-
fundene, an die Wirkung des Silbersalpeters erinnernde Reaktion
an den Epithelien, welche durch die Kombination Methylenblau-
pikrinsaures Ammoniak erzielt werden kann, auch bei der Kombi-
nation des letzteren mit Neutralrot hervortritt.
Vom theoretischen Standpunkte aus möchte ich hinsichtlich
der beschriebenen Wirkung der kombinierten Anwendung des
Neutralrot und des pikrinsauren Ammoniak auf marklose Nerven-
fasern die nachfolgenden Bemerkungen machen.
Weder von dem Entdecker der Neutralrotmethode, P.Ehrlich,
noch von seinen Nachfolgern und auch nicht von mir wurde
beobachtet, dass unter die Wirkungen dieser Vitalfärbung
auch die Färbung markloser Nervenfasern gehöre.
Wenn nun unter dem Einflusse des pikrinsauren Ammoniak
innerhalb der marklosen Nervenfädchen eine deren Verlauf
Eine neuartige Verwendung des Farbstoffes „Neutralrot“. 73
markierende Körnelung auftritt, kann man, soviel ich sehe, hier-
für verschiedene Prozesse verantwortlich machen.
Es wäre zunächst denkbar, dass die primär in Granulis von
Epithelzellen lokalisierten Farbstoffmengen unter dem Einflusse
des Absterbevorgänge einleitenden pikrinsauren Ammoniak in die
mit einer besonderen Aufnahmefähigkeit für das Neutralrot be-
gabten, unter demEinflusse des genannten Reagens veränderten
Nervenelemente überwandern und dort alsbald körnig gefällt
werden. Zu einer solchen Auffassung wird man durch die Be-
obachtung hingeleitet, dass der Gehalt der im Präparate vor-
handenen Epithelzellen an primär neutralrot gefärbten Körnchen
nach der Einwirkung des pikrinsauren Ammoniak, nach einge-
tretener sekundärer Umänderung der roten Farbe in eine gelblich-
braune, geringer erscheint, als vorher.
Man könnte aber auch der Vorstellung Raum gehen, dass
die marklosen Nervenfasern in lebendem Zustande das auf-
genommene Neutralrot mit grosser Energie in eine farblose
Substanz verwandeln und in sich festhalten; beim Absterben
könnte dann wieder die gefärbte Substanz auftreten und durch
das pikrinsaure Ammoniak zur Fällung gebracht werden.
Eine sichere Antwort auf die hier auftauchenden Fragen
vermögen wir jedoch vorerst nicht zu geben.
74
Aus dem histologischen Institute der deutschen Universität zu Prag.
Über die Darstellung des Glaskörpergerüstes
und peripherer markloser Nervenfasern
nach S. Mayers Methode.
Von
Dr. J Kubik, Assistent.
Hierzu Tafel VI und VII.
Die rasche und einfache Methode, deren sich S. Mayer
zur Darstellung des Glaskörpergerüstes und der peripheren mark-
losen Nervenfasern bediente, forderte zu einer näheren Prüfung
ihrer Verwendbarkeit auf. Prof. Mayer hatte sich bei der
Ausarbeitung seiner Methode fast ausschliesslich auf die Kaltblüter
beschränkt, so dass Erfahrungen über die mit seiner Methode bei
Warmblütern und speziell beim Menschen erreichbaren Resultate
wünschenswert erschienen.
a) Darstellung des Glaskörpergerüstes.
Es hat sich bald gezeigt, dass die Vorschrift Mayers, das
Auge des Frosches erst 1 bis 3 Tage nach dem Tode zu ver-
wenden, nur insofern Vorteile bietet, als dann der Glaskörper
sich leichter von der Membrana hyaloidea befreien lässt, während
dies beim frischen Froschauge Schwierigkeiten bereitet. Hiervon
abgesehen gelingt auch am frischen Präparate die Darstellung
des Glaskörpergerüstes in einwandfreier Weise. Über die Konzen-
tration des verwendeten Farbstoffes macht Mayer keine genauen
Angaben. Ich stellte mir eine gesättigte Lösung von Neutralrot
in physiologischer Kochsalzlösung her, von welcher ich durch
zehn- bis fünfzehnfache Verdünnung (mit physiologischer Koch-
salzlösung) eine der Mayerschen Forderung entsprechende
Lösung erhielt, mit der zufriedenstellende Resultate erzielt werden
können. Die Zeitdauer der Färbung, die Mayer empfiehlt, be-
währte sich auch in meinen Versuchen; zu langes Färben oder
stärkere Farbstoftlösungen führen zu störenden körnigen Nieder-
schlägen, die die Klarheit des mikroskopischen Bildes beein-
trächtigen.
Über die Darstellung des Glaskörpergerüstes ete. 75
Ausgewaschen wird in physiologischer Kochsalzlösung so-
lange, bis keine Farbstoffwolken mehr abgehen, was im allgemeinen
nach 2 bis 3 Minuten der Fall ist. Sichtbar wird das Glas-
körpergerüst erst, wenn das Präparat in eine Lösung von pikrin-
saurem Ammonium gebracht wird.
Untersucht wird in Glycerin.
Die Mayersche Methode gibt aber niebt nur bei Amphibien
gute Erfolge, sie lässt sich auch ebenso einfach bei Säugetieren
anwenden. Untersucht wurde der Glaskörper von Mensch, Kaninchen,
Meerschweinchen, Katze. Kleine Stücke des Glaskörpers werden
in die Farblösung gebracht und in der angegebenen Weise weiter
behandelt. Das frischeste menschliche Material, das ich unter-
suchen konnte, war einer Leiche 6 Stunden nach dem Tode
entnommen. Zum Vergleich wurde der Glaskörper des einen
Auges sofort, der andere 24 Stunden später untersucht. Der-
artige vergleichende Versuche wurden wiederholt unternommen,
ohne dass sich ein Unterschied in der Deutlichkeit des mikro-
skopischen Bildes des Glaskörpers beider Augen feststellen liess.
Die Resultate, die man mit der Mayerschen Methode bei
Säugetieren erhält, zeigt die beigegebene Abbildung des Glas-
körpergerüstes des Katzenauges (Fig. 5). Man erkennt ein dichtes
Geflecht feiner, durch eng aneinander gereihte Granula gebildeter
Fäden, zwischen denen wiederum ein bedeutend feineres Netz
derselben Art sichtbar wird. Der Reichtum des Glaskörpers an
Fasern, ferner die Stärke der Fasern selbst variiert in den ein-
zelnen Abschnitten des Glaskörpers beträchtlich. Die Deutlichkeit
des Bildes leidet häufig durch einen mehr oder weniger stark
auftretenden Niederschlag feinster und gröberer Körnchen von
rotbrauner Farbe, die ganz diffus zwischen den Fasern verteilt
sind, und deren Auftreten sich trotz verschiedener Abänderungen
des Verfahrens nie vollständig vermeiden lässt.
Mit dieser einfachen Methode lässt sich nicht nur das Glas-
körpergerüst in kürzester Weise darstellen, es treten auch deutliche
Verschiedenheiten in seinem Bau bei verschiedenen Tieren hervor.
Natürlich ist es bei den Untersuchungen kleiner Teilstücke nicht
möglich, Aufschluss über den Faserverlauf, oder über die Archi-
tektonik des Gerüstes zu geben. Doch hat die Methode gegen-
über den Schnitten aus gehärtetem Material den Vorzug, dass
man die Durchflechtuug der Fasern auch nach der Tiefe hin
76 aRubei ke
durch Wechseln der Einstellung verfolgen kann und dass man
von kleinen Glaskörpern leicht ein Totalbild gewinnen kann. Man
sieht ohne weiteres, dass z. B. das Glaskörpergerüst des Kaninchens
verhältnismässig grob, auch leichter darstellbar ist, während das
Glaskörpergerüst von Mensch (Fig. 4) und Katze von grosser
Feinheit, an einzelnen Stellen trotz gelungener Färbung kaum
sichtbar ist. In einigen Präparaten von Katze und Mensch ist
das Flechtwerk stellenweise so fein, dass man gerade noch mit
starken Vergrösserungen das Fadengewirr auflösen kann.
Es ist besonders hervorzuheben, dass die feinen Fäden, die
im Glaskörper auftreten, im allgemeinen, wie auch Retzius
betont, nirgends untereinander netzartig zusammenhängen, sondern
isoliert verlaufen und auf weite Strecken hin zu verfolgen sind.
Doch kommen auch parallel verlaufende Faserzüge vor und an
verhältnismässig spärlichen Stellen sind auch wirkliche Ver-
zweigungen der Fasern nachzuweisen.
Zahlreiche Kontrollversuche und die Übereinstimmung der
so gewonnenen Bilder mit den bestbeglaubigten Darstellungen
des Glaskörpers machen es zur Gewissheit, dass es sich bei den
beschriebenen Strukturen nicht um Kunstprodukte handelt.
Wenn schliesslich ein Urteil über die Verwendbarkeit der
Mayerschen Methode abgegeben werden soll, so liegen ihre
Vorzüge in der ungemein raschen Ausführbarkeit. Nach wenigen
Minuten schon ist man imstande, am frischen Glaskörper das
Vorhandensein eines Gerüstes zu demonstrieren.
b) Darstellung peripherer markloser Nervenfasern.
Prof. Mayer hat nach einer der vorstehenden ähnlichen
Methode auch marklose Nervenfasern, vorwiegend an der Nickhaut
des Frosches, mit Neutralrot dargestellt. Er verwendet wieder
seine bekannte Lösung von Neutralrot in physiologischer Koch-
salzlösung, nur erlaubt er hier ein längeres Verweilen in der
Farblösung, bis zu 10 Minuten, und wäscht auch länger in
physiologischer Kochsalzlösung aus. Es ist von vornherein zu
erwarten, dass die Färbungsdauer bei der Darstellung markloser
Nervenfasern eine längere sein müsse als für den Glaskörper,
weil das Eindringen der Farbe in das dichtere Gewebe, um das
es sich dabei in den meisten Fällen handelt, nicht so rasch vor
sich gehen kann wie bei dem gallertigen Glaskörper.
Über die Darstellung des Glaskörpergerüstes etc. 17
Ein zweiter Punkt, in dem die Methode von der früheren
abweicht, besteht darin, dass Prof. Mayer hier durchwegs frisches
Material verwendet und auf die Erreichung eines gewissen Mace-
rationsgrades verzichtet. Es wurde schon erwähnt, dass diese
Bedingung auch beim Glaskörper nur einem technischen Kunst-
griff dient, der die Isolierung des Glaskörpers beim Frosche
leichter ermöglicht, auf die Färbung selbst dagegen ohne Einfluss
ist. Diese kleinen Abweichungen sind also schon in der Ver-
schiedenheit des angewandten Untersuchungsobjektes begründet.
Die weitere Behandlung ist die gleiche; auch die Nervenfasern
werden erst nach Zusatz von konzentriertem pikrinsauren Ammonium
sichtbar. Die Präparate können dann beliebig lange in dem
von Mayer angegebenen Gemisch (gleiche Teile Glycerin und
konzentriertes Ammoniumpikrat) aufbewahrt werden, wenigstens
zeigen die bereits über ein Jahr alten Präparate gar keine
Veränderung.
Es liegt nahe, hier auf die Ehrlichsche Methylenblau-
methode hinzuweisen, an welche die Mayersche Methode viel-
fach erinnert und die sie, das mag hier gleich betont sein, gewiss
nicht erreicht. Bei beiden Methoden wird meistens frisches
Material mit einem für die Vitalfärbung geeigneten Farbstoff
behandelt. Während aber bei der Methylenblaumethode die
Nervenfasern sehr bald in schöner Blaufärbung sichtbar werden
und das Ammoniumpikrat nur zur Fixierung der Färbung
dient, ist an den Neutralrotpräparaten vor der Einwirkung des
Ammoniumpikrats weder von Nervenfasern noch von Glaskörper-
fibrillen irgend etwas zu sehen. Nervenfasern und Fibrillen treten
erst dann hervor, das unterscheidet die Methode durchaus von
der Methylenblaumethode, wenn das Präparat nach der Einwirkung
des Farbstoffes und nach dem Auswaschen in physiologischer
Kochsalzlösung mit konzentriertem pikrinsauren Ammonium be-
handelt wird. Nach dem Auswaschen allein tritt ebensowenig
wie vorher auch nur eine Andeutung der Nervenzeichnung hervor.
Das Auswaschen verfolgt lediglich den Zweck, das mikroskopische
Bild reiner zu gestalten, da die Präparate sonst zwar auch die
Nervenfasern zeigen, aber ganz verdeckt von einer grossen Zahl
feiner braunroter Körnchen. Dass es sich bei der Neutralrot-
methode nicht wie bei der Methylenblaumethode um eine vitale
Färbung handelt. geht auch daraus hervor, dass man auch längere
Archiv f. mikr. Anat. Bd. 81. Abt.1I. 6
178 J. Kubik:
Zeit post mortem noch deutliche Nervenbilder erhalten kann.
Es dürfte sich hier mehr um eine Fällungsreaktion handeln, wie:
sie sich in ähnlicher Weise bei der Darstellung der Endothel-
grenzen durch Silbernitrat oder der Darstellung der Gitterfasern
der Leber nach Maresch-Bielschowsky abspielt. Dafür
spricht die Tatsache, dass bei der Neutralrotmethode ebenso
wie bei den Silbermethoden immer auch ein feinkörniger Nieder-
schlag ausserhalb der dargestellten Fasern auftritt. Eine weitere
Analogie liegt darin, dass mit Neutralrot in schöner Weise
auch die Endothelgrenzen sichtbar gemacht werden können.
Dies lässt sich in allen Präparaten der Cornea, in denen die
Membrana Descemeti mit dem Endothel der vorderen Kammer
erhalten geblieben ist, leicht feststellen. Interessant ist, dass
auch schon Dogiel und Mayer mit Methylenblau die Kittlinien
der Endothelien darstellen konnten. Auch in dem mehrschichtigen
Fpithel der vorderen Hornhautfläche zeigen sich die Grenzen der
Epithelzellen scharf braunrot gezeichnet. Analog der Methylen-
blaumethode gelingt es auch mit der Neutralrotmethode, die
Saftlücken der Cornea darzustellen; sie treten, von einem fein-
körnigen Niederschlag erfüllt, deutlich hervor. Ein grundsätzlicher
Unterschied gegenüber der Methylenblaumethode aber zeigt sich
darin, das sei noch einmal nachdrücklich hervorgehoben, dass
alle diese Strukturbilder erst nach der Einwirkung des Ammonium-
pikrats sichtbar werden.
In ähnlicher Weise wie beim Glaskörper wurden zuerst die
Resultate Mayers an dem von ihm hauptsächlich untersuchten
Objekte, der Nickhaut des Frosches, nachgeprüft und die Be-
dingungen ausfindig zu machen gesucht, unter denen die Färbung
am besten gelingt. Weiter wurde untersucht, inwieweit auch bei
Säugetieren brauchbare Resultate erhalten werden.
Dieselbe Konzentration des Farbstoffes, die bei der Dar-
stellung des Glaskörpers am meisten befriedigte, gab auch für
die Nervenfasern der Kaltblüter und Warmblüter die besten
Resultate, zehn- bis fünfzehnfache Verdünnung der in der Wärme
hergestellten gesättigten Lösung von Neutralrot in physiologischer
Kochsalzlösung. Die Zeitdauer der Färbung schwankt, je nach
dem es sich um Kalt- oder Warmblüter handelt, und je nach
dem Alter des verwendeten Materials innerhalb geringer Grenzen.
Bei einer frischen Nickhaut oder einer frischen Froschcornea
Über die Darstellung des Glaskörpergerüstes ete. 79
setzt das intakte Epithel dem Eindringen der Farblösung einen
grösseren Widerstand entgegen, so dass eine längere Färbungs-
dauer, bis zu 20 Minuten, erforderlich ist. Das Eindringen der
Farbe wird daher zweckmässig durch einige tief reichende
Scherenschnitte unterstützt, wodurch die Dauer der Färbung
auch bei frischem Material von Kaltblütern um die Hälfte abge-
kürzt wird. Bei älterem Material von Kaltblütern, 24 bis 48
Stunden nach dem Tode, dringt die Farbe durch das macerierte
Epithel leicht und rasch ein, so dass die Nickhaut oder die Cornea
unzerteilt in 10 Minuten gefärbt werden kann. Bei Warmblütern
genügt im allgemeinen eine 5 bis 10 Minuten dauernde Färbung,
zumal wenn genügend dünne Objekte untersucht werden. Bei der
Cornea von Warmblütern, die wegen ihrer Dicke nieht gut im
Ganzen untersucht werden kann, werden zweckmässig vorher
Flachschnitte angefertigt. Man wäscht dann in physiologischer
Kochsalzlösung ungefähr solange aus, als man vorher gefärbt hat.
Im konzentrierten pikrinsauren Ammonium bleiben die Objekte
bis zur vollständigen Durchtränkung, bis die vorher rein rote
Farbe des Präparates durch eine braunrote ersetzt ist. Dieser
ganze Prozess kann auch ganz gut unter dem Mikroskop beobachtet
werden; man sieht dann, wie die Nervenfasern im Präparate
durch feine Körnchen markiert nach und nach aufschiessen in
dem Maße, als das pikrinsaure Ammonium in das Präparat
eindringt.
Die beigegebenen Abbildungen sollen eine annähernde Vor-
stellung von der Leistungsfähigkeit der Mayerschen Methode
geben. Die Froschnickhaut, — es wurden in gleicher Weise
Eskulenten und Temporarien benutzt — die wegen ihrer Durch-
sichtigkeit und ihres Nervenreichtums zum Studium der Neutralrot-
methode hervorragend geeignet ist, wurde inderschon beschriebenen
Weise handelt. Das fertige im konzentrierten pikrinsauren
Ammonium liegende Präparat ist aber für die Durchmusterung
noch ungeeignet, weil das mitgefärbte mehrschichtige Epithel der
äusseren Fläche den Einblick in die tieferen Schichten der Nick-
haut verwehrt. Es empfiehlt sich, deshalb das Epithel mit einer
Nadel oder einem Spatel durch leichtes Darüberstreifen zu
entfernen, was leicht gelingt, da das Ammoniumpikrat tierisches
Gewebe stark auflockert. Das Epithel muss, das gilt besonders
auch für die Cornea, sehr vorsichtig entfernt werden, weil sonst
6*
s0 IRubik:
auch das subepitheliale Nervennetz mit gefährdet wird. Neben
dem subepithelialen Nervennetz und den tiefer gelegenen gröberen
Nervenfasern gelingt in der Nickhaut in sehr schöner Weise
auch die Darstellung der Gefäss- und Drüsennerven (Fig. 5 und 9).
Auch an den anderen Kaltblüterorganen wurden Versuche
zur Darstellung der Nervenfasern gemacht, die ganz befriedigende
Resultate ergaben. So zeigen die beigegebenen Abbildungen
Nervennetze aus dem Darm (Plexus myentericus) des Frosches
(Fig. 7). Die Abbildung der Froschcornea (Fig. 1) zeigt nur das
oberflächliche subepitheliale Nervennetz, das bei hoher Einstellung
sichtbar wird, während die grösseren Nervenstämmchen erst in
der Tiefe auftauchen.
Um die Anwendbarkeit der Neutralrotmethode für Säuge-
tiere zu erproben, wurden zahlreiche Präparate, meist von der
Cornea, hergestellt, weil in ihr die Nervenverteilung gut bekannt
ist und die Resultate daher leicht beurteilt werden können. Das
Material stammte von Mensch, Hund, Katze, Kaninchen, Meer-
schweinchen und Pferd. Da regelmässig Flachschnitte der Öornea
zur Herstellung der Präparate angefertigt wurden, also ein Ein-
dringen der Farbe von der Schnittfläche her leicht möglich war,
so war eine Färbungsdauer von 5 bis 10 Minuten vollständig
ausreichend. Die Cornea wurde teils sofort, nachdem das Tier
getötet war, verwendet, teils in verschiedenen Zeitabständen,
bis 24 Stunden, nach dem Tode; das Ergebnis war immer das
gleiche. Das frischeste menschliche Material, das zur Untersuchung
kam, stammte von einer Leiche 6 Stunden nach dem Tode.
In den Corneapräparaten sind sowohl die tiefen gröberen
Nervenstämmchen als auch die feineren subepithelialen Nerven-
netze und die von den tieferen Nervenbündeln zu dem ober-
flächlichen Nervennetze aufsteigenden Verbindungen deutlich zu
sehen (Fig. 2 und 3). Zur Kontrolle wurde eine ganze Reihe von
Versuchen mit der Methylenblaumethode nach Dogiels Vorschrift
angestellt, die die vollständige Zuverlässigkeit der Neutralrotbilder
dartaten, zu gleicher Zeit aber auch die Überlegenheit der
Methylenblaumethode erwiesen. Es gelingt mit Neutralrot nicht,
die feinsten Nervenverzweigungen so schön und vollständig dar-
zustellen wie mit Methylenblau.
Aber interessant ist die Methode S. Mayers auf jeden
Fall. Dass man mit Neutralrot überhaupt Nervenfasern darstellen
Über die Darstellung des Glaskörpergerüstes etc. 81
kann, ist ganz neu. Besonders merkwürdig ist, dass der Farbstoft
an sich zu ihrer Darstellung nicht genügt, dass es vielmehr noch
der Nachbehandlung mit Ammoniumpikrat bedarf, um sie sichtbar
zu machen.
Erklärung der Abbildungen auf Tafel VI und VII.
Sämtliche Präparate wurden in Neutralrotlösung gefärbt, mit Ammonium-
pikrat nachbehandelt und in Glycerin-Ammoniumpikrat eingeschlossen.
Tafel VI.
Fig. 1. Feinere Nervennetze der Froschcornea. Vergr. 190.
Fig. 2. Verzweigung eines Nervenstämmchens aus den tieferen Schichten
der Cornea des Menschen. Vergr. 80.
Fig. 3. Oberflächliches Nervennetz aus der Cornea des Menschen. Vergr. 120.
Fig. 4. Glaskörpergerüst des Menschenauges. Vergr. 450.
Fig. 5. Glaskörpergerüst des Katzenauges. Vergr. 330.
Tafel VII.
Fig. 6. Nervennetz vom Plexus myentericus des Dünndarms der Ratte.
Vergr. 60.
Q Nervennetz aus dem Plexus myentericus des Froschdarms. Vergr. 60.
Fig. 8. Nervennetz aus der Nickhaut des Frosches mit Drüsennerven.
Vergr. 75.
Fig. 9. Drüsennerven aus der Nickhaut des Frosches. Vergr. 310.
es
5
-]
82
Aus dem histologischen Institut der deutschen Universität zu Prag.
Azidophile Zellen
in der Nebenniere von Rana esculenta.
Von
V. Patzelt und Dr. J. Kubik.
Hierzu Tafel VIII.
H. Stilling?!) machte bei seinen Untersuchungen über die
Nebenniere des Kaninchens die merkwürdige Beobachtung, dass
ihr Gewicht periodischen Schwankungen unterworfen sei. Er
‘glaubt auch Hand in Hand mit diesen Gewichtsänderungen
Änderungen in der Struktur der Nebennieren wahrgenommen zu
haben. Zur genauen Feststellung solcher periodischen Wandlungen
stellte er vergleichende Untersuchungsreihen an frei lebenden
Tieren an. In der oben erwähnten Arbeit teilt er die Resultate
seiner Untersuchungen über die Nebenniere von Rana esculenta mit.
Stilling findet auch hier dem Wechsel der Jahreszeiten
entsprechende periodische Veränderungen, die hauptsächlich den
epithelialen Anteil betreffen. Zwischen den typischen lipoidhaltigen
Zellen treten nämlich zur Sommerzeit ganz neue stark granulierte
Zellen auf, die sich in einer schwachen Eosinlösung leuchtend rot,
im Ehrlich-Biondischen Farbgemisch rotviolett färben. Diese
auffallenden, leicht wahrnehmbaren Zellen treten nach seinen
Beobachtungen in den Nebennieren der in den letzten Tagen des
Mai gefangenen Esculenten auf, sind während des ganzen Sommers
vorhanden und verschwinden im Oktober scheinbar vollständig.
Über die Art ihrer Entstehung im Frühjahr konnte Stilling
ebensowenig Klarheit gewinnen wie über ihr späteres Schicksal
im Herbst. Er hält diese Zellen für spezifische, von den Rinden-
und Markzellen verschiedene Zellen, die im Herbste zum grössten
Teil verschwinden. Nur einige wenige sollten zurückbleiben, die
charakteristischen Granulationen verlieren und deshalb von den
übrigen Zellen nicht mehr zu unterscheiden sein. Erst im folgenden
ı) H. Stilling. Zur Anatomie der Nebennieren. Arch. f. mikr. Anat.,
Bd. 52, 1898.
Azidophile Zellen in der Nebenniere von Rana esculenta. 33
Sommer beginnen diese sich wieder zu vermehren, erzeugen wieder
die charakteristischen Granula und bringen so eine neue Generation
solcher Zellen hervor. Stilling nennt diese Zellen, weil sie
nur im Sommer vorkommen, „Sommerzellen“. Da ihr Auftreten
mit der Paarungszeit der Esculenten zusammenfällt, glaubt er,
dass es in irgend einem noch nicht näher aufgeklärten Zusammen-
hang mit dem Generationscyklus stehe.
Das Schicksal dieser merkwürdigen Zellen, die Stilling
als erster beschrieben hat, suchten wir genauer zu erforschen.
Da aber nach allen vorliegenden Beobachtungen die „Sommer-
zellen“ Stillings ganz unabhängig von der Jahreszeit erscheinen
und auch im Winter nicht verschwinden, so glauben wir die un-
zutreffende Bezeichnung „Sommerzellen“ vermeiden zu sollen und
gebrauchen statt ihrer die allgemeinere Benennung „azidophile
Zellen“ der Nebenniere.
Untersucht wurden im ganzen die Nebennieren von 60
Ranae esculentae, die in den verschiedenen Jahreszeiten getötet
wurden. Dabei wurden auch Alter und Geschlecht, Lebens-
bedingungen und Ernährungszustand stets verzeichnet. Das Unter-
suchungsmaterial wurde im Laufe von 2 Jahren in kurzen
Zeitabständen von 2 bis 3 Wochen zu allen Jahreszeiten beschafft.
Ein Teil der Frösche wurde sofort nach der Einlieferung unter-
sucht — im Winter wurden sie zu diesem Zwecke ausgegraben —
ein anderer Teil verblieb vor der Untersuchung längere Zeit,
bis über 3 Monate, in den Aquarien des Laboratoriums. Der
Ernährungszustand war, wie man nach dem Fettkörper beurteilen
konnte, bei den frisch gefangenen Tieren bedeutend besser als
bei den Laboratoriumstieren. Die kleinste der untersuchten
Esculenten hatte eben ihre Metamorphose vollendet, eine andere
wies die stattliche Stammlänge von 9,4 cm auf.
Untersucht wurden die Nebennieren frisch und fixiert. An
frischen Zupfpräparaten in physiologischer Kochsalzlösung heben
sich die azidophilen Zellen infolge ihrer Granulierung und ihrer
scharfen Konturen dunkel und deutlich von den übrigen Zellen ab,
so dass schon nach der Untersuchung der frischen Zupfpräparate
ihre Anwesenheit zu jeder Jahreszeit leicht festgestellt werden
kann. Zusatz von 1 proz. Essigsäure verändert die Granula der
azidophilen Zellen nicht. Unter der Einwirkung von verdünnter
Kalilauge lösen sich die Granula langsam auf, bei Anwendung
54 V. Patzelt und J. Kubik:
einer stärkeren Kalilauge (30 °/o) stieben die Granula plötzlich
auseinander, werden dann undeutlich und aufgelöst. Im ganzen
Zupfpräparate bleiben nach genügend langer Einwirkung der
Kalilauge nur noch die gelblichen Lipoidtröpfehen der typischen
Nebennierenzellen sichtbar.
Neben dem frischen Material wurden Paraffinpräparate der
fixierten Nebennieren zum Studium herangezogen. Zur Fixierung
wurde vorwiegend Osmiumsäure (!/a °/o), dasZenkersche Gemisch
(Kaliumbichromat-Sublimat-Essigsäure) und Kaliumbichromat-Sub-
limat-Formol (Helly)in der von Prof. Kohn gewöhnlich benutzten
Zusammensetzung (65 ccm einer 3!/s proz. wässerigen Kalium-
bichromatlösung, 25 ccm einer 5 proz. wässerigen Sublimatlösung
und 10 ccm Formol) angewendet. Kaliumbichromat - Sublimat-
Formol bewährte sich besser als das von Stilling hauptsächlich
verwendete Zenkersche Gemisch, da ersteres die azidophilen
Zellen durch stärkere Markierung der Zellgrenzen schon im
ungefärbten Präparate deutlicher hervortreten lässt. Zur Kern-
färbung diente vorwiegend Delafieldsches Hämatoxylin, das
ebenso wie andere Kernfarbstoffe vom Protoplasma der in Rede
stehenden Zellen fast gar nicht angenommen wird, vorausgesetzt
dass die Schnitte nicht zu lange gefärbt und genügend aus-
gewaschen werden. Für die Protoplasmafärbung gaben uns ebenso
wie Stilling die besten Resultate eine stark verdünnte Eosin-
lösung (100- bis 200 fache Verdünnung der konzentrierten wässerigen
Eosinlösung bei 1- bis 6stündiger Färbungsdauer) und in zweiter
Reihe das Ehrlich-Biondische Dreifarbengemisch. Mit Eosin
färben sich die Granula der azidophilen Zellen besonders bei der
angegebenen Verdünnung weit stärker als das Protoplasma der
übrigen Zellen, leuchtend rot, und sie stehen hierin nur den
azidophilen Körnchen der Leukocyten des Blutes und Bindegewebes
ein wenig nach. Nach der Färbung mit dem Ehrlich-
Biondischen Farbstoffgemisch erscheinen sie intensiv rotviolett
(die Granula der Leukocyten dagegen dunkel orangerot), nach
Giemsafärbung hellrot. Auch mit anderen sauren Farbstoffen,
Orange. Erythrosin, Säurefuchsin lassen sie sich leicht darstellen,
so dass die Bezeichnung azidophile Zellen nach dem üblichen
Sprachgebrauch gerechtfertigt erscheint.
Nur die azidophilen Leukoeyten zeigen, wie schon oben
erwähnt, eine noch grössere Affinität zu sauren Farbstoffen als
Azidophile Zellen in der Nebenniere von Rana esculenta. 35
die azidophilen Nebennierenzellen. Das kann man sehr schön
zur Anschauung bringen, wenn man die Schnitte mit verdünnter
Giemsalösung lange färbt (bis zu 24 Stunden) und nur kurze
Zeit in Alkohol differenziert. Da kommt es dahin, dass die
azidophilen Zellen noch dunkelblau, die azidophilen Leukocyten
dagegen schon kräftig rot gefärbt erscheinen. Erst nach längerer
Alkoholdifferenzierung geben die azidophilen Nebennierenzellen
den blauen Farbstoff ab und erscheinen in der charakteristischen
Rotfärbung.
Besonders schöne Resultate ergibt die Behandlung mit
Eisenhämatoxylin nach M. Heidenhain. Je nach dem Grade
der Differenzierung färben sich die azidophilen Zellen ganz intensiv
schwarz, oder ihre Granula allein heben sich dunkelschwarz von
dem schwach graublau getärbten Protoplasma ab, während die
chromaffinen Zellen einen dunkel-blaugrauen Ton annehmen, die
Rindenzellen nur ganz schwach blaugrau gefärbt werden.
Sehr instruktive Bilder geben auch die Osmiumpräparate.
Die Rindenzellen sind ganz dicht mit verschieden grossen Lipoid-
körnchen angefüllt; in den azidophilen Zellen dagegen lässt sich
weder mit Osmium noch mit Sudan eine lipoide Substanz nach-
weisen, so dass sie als helle, kleine Inseln scharf gegen die
intensiv gefärbte Umgebung kontrastieren. Die Färbung der
azidophilen Zellen mit Eosin gelingt auch in Osmiumpräparaten
ganz gut, wenn es in höherer Konzentration verwendet wird
(Eosin !/ı °/o, eine halbe Stunde Färbungsdauer).
Nicht nur durch ihre besondere Färbbarkeit unterscheiden
sich die azidophilen Zellen von den übrigen Nebennierenzellen;
sie machen auch sonst durchaus den Eindruck von eigenartigen,
wohl charakterisierten Elementen, die weder mit den lipoidhaltigen
Rindenzellen noch mit den chromaffinen Zellen verwechselt werden
können. Die Unterschiede sind schon im ungefärbten Präparate
deutlich, im gefärbten treten sie noch schärfer hervor. Die
azidophilen Zellen weisen durchwegs abgerundete, scharf konturierte
Formen auf. Sie zeigen meistens eine rundlich birnförmige
Gestalt und sind von den Nachbarzellen scharf abgegrenzt. Diese
Abgrenzung ist dann besonders deutlich, wenn Kaliumbichromat-
Sublimat-Formol zur Fixierung benutzt wurde, weniger scharf
nach Fixierung in Zenkerschem Gemisch. An Grösse stehen
die azidophilen Zellen den Rindenzellen nach, die chromaffınen
56 V. Patzelt und J. Kubik:
Zellen sind am grössten. Sehr charakteristisch für die azidophilen
Zellen ist auch das dichte, intensiv färbbare Kerngerüst. Ihr
Kern fällt stets gegenüber den Kernen der übrigen Rindenzellen
durch seine dunkle Färbung auf und liegt gewöhnlich wandständig
am schmäleren Pole der Zelle. Das Protoplasma ist dicht granuliert,
doch sind die einzelnen Granula feiner und dichter als die
Granula der eosinophilen Leukocyten.
Unsere Beobachtungen über die azidophilen Zellen stimmen
soweit mit den Angaben Stillings gut überein. Doch konnten
wir im Gegensatze zu Stilling eine Regelmässigkeit in der
Anordnung der azidophilen Zellen nicht nachweisen. Sie liegen
ziemlich gleichmässig in den Zellbalken der Nebenniere zwischen
den lipoidhaltigen Rindenzellen verteilt, bald einzeln, bald in
kleinen Gruppen beisammen, ohne dass sich eine nähere Beziehung
zu einer der beiden anderen Zellarten oder zu den Gefässen
feststellen liesse. Dass die Zellen mit ihrem Längsdurchmesser
gerade immer parallel zur Längsachse der Zellbalken stehen oder
überhaupt eine bestimmte Richtung zeigen sollten, konnten wir
nicht finden.
Wie schon erwähnt, beschrieb Stilling eine merkwürdige
Periodizität der azidophilen Zellen. Sie sollten nämlich erst in
den letzten Tagen des Mai auftreten, dann den ganzen Sommer
über nachweisbar sein und im Oktober wieder verschwinden.
Deshalb nannte sie Stilling, der über die Natur dieser Zellen
nicht ins reine kam, einfach „Sommerzellen“. Er vermutet, dass
ein Teil im Oktober vollständig zugrunde gehe, während ein
anderer Teil durch Verlust seiner charakteristischen Granula
sich der deutlichen Beobachtung entziehe, aber vermehrungsfähig
bleibe. Aus diesen sollte sich im nächsten Jahre die neue
Generation von Sommerzellen entwickeln. Eine sichere Grund-
lage für diese Annahme konnte er aber nicht gewinnen; döch
fand er beim ersten Wiedererscheinen oft Sommerzellen mit zwei
Kernen und andere, deren Kern in Mitose begriffen war.
Gerade die näheren Vorgänge, die sich beim Untergang der
Sommerzellen abspielen, und wie und woher im Frühjahr die
neuen azidophilen Zellen sich entwickeln, wollten wir genauer
untersuchen. Doch das Resultat war ein völlig unerwartetes.
Gleich der erste Frosch, den wir zu diesem Zwecke im Februar 1910
untersuchten, also zu einer Zeit, wo wir Sommerzellen zu finden
Azidophile Zellen in der Nebenniere von Rana esculenta. 87
nicht erwarten durften, zeigte Sommerzellen in schönster Aus-
bildung. Es wurden dann während der folgenden Monate in
kurzen Zeitabständen die Nebennieren zahlreicher Esculenten
untersucht, immer mit dem gleichen Resultate: die azidophilen
Zellen waren stets in gleicher Menge und Färbbarkeit vorhanden,
ohne dass sich irgend eine Änderung nachweisen liess. Auch
Mitosen und Zellen mit zwei Kernen, die nach Stillings Be-
obachtungen im Frühjahr häufig sein müssten, fanden wir zu
selten, als dass man daraus auf eine zeitweilig stärkere Vermehrung
der azidophilen Zellen zu schliessen berechtigt wäre. Im Oktober
und November war von einem Verschwinden oder auch nur von
einer Abnahme der Zellen nichts zu merken.
Wir suchten nach einer Möglichkeit, diesen Widerspruch
aufzuklären. Unsere ersten, Ende des Winters und Anfang des
Frühjahrs mit positivem Erfolg untersuchten Frösche waren
gefangene Laboratoriumstiere, lebten also unter aussergewöhnlichen,
für den Fortbestand der Sommerzellen vielleicht günstigen Um-
ständen und waren daher auch nicht wie die im Freien lebenden
Frösche in einen dem Winterschlaf ähnlichen Zustand verfallen.
Dieser Einwand fällt aber bei jenen Fröschen weg, die dann
während des Winters mehrmals im Freien eigens ausgegraben
wurden und noch ganz erstarrt zur Untersuchung kamen. Auch
diese besassen die azidophilen Zellen in unverminderter Zahl und
Färbbarkeit. Schon deshalb erschien uns der von Stilling
vorgeschlagene Namen „Sommerzellen“ unzweckmässig, abgesehen
davon, dass solche Namen uns nichts über die Natur und
Bedeutung der Elemente sagen.
Wie die widersprechenden Befunde zu erklären seien, ist
uns rätselhaft geblieben. Dass Stilling an seinen Winterfröschen
die azidophilen Zellen stets vermisste, während an unseren
Esculenten keinerlei periodische Schwankungen festzustellen waren,
ist doch höchst merkwürdig. Es ist nicht ganz ausgeschlossen,
wenn auch unwahrscheinlich, dass es sich um verschiedene noch
nicht gekannte Spielarten von R. eseulenta handelt. Wir dachten
auch daran, dass in der Verschiedenheit der benutzten Fixierungs-
flüssigkeit eine Erklärung zu finden wäre, da Stilling Kalıum-
bichromat - Sublimat - Essigsäure benutzte, während nach unseren
vergleichenden Versuchen Kaliumbichromat - Sublimat - Formol
bessere Resultate gibt. In der Tat sind im ungefärbten Zenker-
ss V: Patzelt und J. Kubik:
präparate die azidophilen Zellen viel schwerer zu sehen als im
ungefärbten mit Kaliumbichromat - Sublimat - Formol behandelten
Präparate. Doch konnten wir auch nach Zenkerfixierung bei
Winterfröschen die azidophilen Zellen vollkommen einwandfrei
darstellen. und sie wären wohl auch Stilling nicht entgangen.
Auch irgend eine Abhängigkeit der azidophilen Zellen von
physiologischen Veränderungen des Tieres konnten wir nicht
wahrnehmen. Bei Esculenten, die kurz nach Beendigung der
Metamorphose untersucht wurden, zeigten die azidophilen Zellen
dasselbe Verhalten wie bei völlig erwachsenen Tieren, bei Männchen
das gleiche wie bei Weibchen. Vor allem aber fanden wir nicht
die geringsten periodischen Änderungen, die auf eine Abhängigkeit
von den Jahreszeiten oder dem Geschlechtsleben hätten schliessen
lassen. Ebenso zeigten sich die azidophilen Zellen vollständig
unabhängig vom Ernährungszustande. Bei frisch gefangenen Tieren
im ersten Frühjahr und im Herbst, bei denen der Fettkörper
am besten entwickelt war, waren sie in gleicher Zahl und Färb-
barkeit vorhanden wie bei Tieren, die durch mehrere Monate im
Laboratorium gehungert hatten und deren Fettkörper sehr stark
reduziert war. Wohl schien bei einzelnen Tieren die Zahl der
azidophilen Zellen vermehrt, bei anderen verringert; doch waren
diese Schwankungen gering, so dass es sich vielleicht nur um
individuelle Abweichungen handelt.
Über die funktionelle Rolle der azidophilen Zellen der
Nebenniere können wir nach unseren Untersuchungen nicht einmal
Vermutungen aufstellen. Für Stillings Ansicht, dass vielleicht
ein Zusammenhang mit der Tätigkeit der Geschlechtsorgane
bestehen könnte, findet sich in unseren Beobachtungen kein
Anhaltspunkt. Doch dürfen wir wohl darauf verweisen, dass in
ähnlich gebauten Organen mit innerer Sekretion azidophile Zellen
kein ungewöhnliches Vorkommnis darstellen. Vor allem wäre an
die azidophilen Zellen des drüsigen Anteils der Hypophyse sowohl
des Frosches wie auch höherer Tiere und des Menschen zu
erinnern, wo sie als besondere Spezies der epitbelialen Zellen
des Vorderlappens erscheinen. Die Ähnlichkeit kommt in erster
Linie in der eigenartigen Granulierung des Zelleibes zum Aus-
druck, welcher die Zellen ihre besondere Färbbarkeit verdanken.
In Übereinstimmung mit diesen lange bekannten Tatsachen darf
man die azidophilen Zellen wohl als eine besondere Art der
Azidophile Zellen in der Nebenniere von Rana esculenta. 59
epithelialen Rindenzellen der Nebenniere auffassen. Wir hätten
dann in der Nebenniere von R. esculenta drei Arten von Zellen
zu unterscheiden: epitheliale (Rinden-) Zellen, die erstens
in Form der allgemein verbreiteten lipoidhaltigen Zellen
und zweitens als azidophil gekörnte Zellen auftreten und dann
die chromaffinen Zellen. Es wäre nicht unmöglich, dass auch
eine gewisse funktionelle Beziehung zwischen den azidophilen
Zellen der Nebenniere und denen der Hypophyse besteht. Jeden-
falls aber verlieren sie durch die Einreihung unter die azidophilen
Zellen der epithelialen „Drüsen mit innerer Sekretion“ die ganz
rätselhafte Sonderstellung, die ihnen durch den Namen „Sommer-
zellen“ zugefallen war.
Sehr merkwürdig ist es, dass die azidophilen Zellen, die
sich so reichlich in der Nebenniere von R. esculenta finden, allen
anderen untersuchten Amphibien und Reptilien fehlen. Ein ganzes
Jahr hindurch wurden parallel mit den Nebennieren der Esculenten
die der Temporarien untersucht, ohne dass jemals auch nur eine
Andeutung von azidophilen Zellen gefunden werden konnte. Ebenso
war auch die Nebenniere einer im Sommer untersuchten R. arvalis
frei von diesen Zellen. Bei der nahen systematischen Verwandtschaft
dieser Arten ist diese Tatsache wohl recht auffällig, und wir
gewinnen damit wieder ein neues interessantes inneres Unter-
scheidungsmerkmal für R. esculenta und temporaria.
Angesichts der grossen Ähnlichkeit der azidophilen Zellen
in Nebenniere und Hypophyse war auch daran zu denken, dass
bei den Ranaarten, deren Nebennieren die erwähnten Zellen nicht
aufweisen, diese Zellen möglicherweise in der Hypophyse in
vermehrter Zahl vorkommen oder umgekehrt auch in der Hypophyse
fehlen. Darauf gerichtete Untersuchungen haben gezeigt, dass
die Hypophyse von R. esculenta und R. temporaria keine wesentlichen
Unterschiede im Bau aufweist.
In der Nebenniere der anderen im Sommer untersuchten
Anuren, und zwar Bufo vulgaris, Bufo variabilis, Bombinator igneus,
Pelobates fuscus, Hyla arborea waren keine azidophilen Zellen
aufzufinden. Ebenso negativ war das Resultat bei einigen Urodelen:
Salamandra maculata, Triton taeniatus, Triton eristatus. Auch die
Reptilien, die vergleichsweise untersucht wurden (Lacerta smaragdea,
Tropidonotus natrix, Testudo graeca) zeigten keine azidophilen
Zellen in ihrer Nebenniere.
90 V. Patzelt und J. Kubik:
Am besten stimmen unsere Befunde mit der sehr eingehenden
und zutreffenden Beschreibung Grynfeltts') überein. Auch er
vermisste die Sommerzellen bei den übrigen Anuren und Urodelen,
fana sie dagegen bei Esculenten zu jeder Zeit und ganz un-
abhängig vom Geschlechtsleben. Allerdings ist er geneigt, sie
für leukocytäre Elemente zu halten. Ciaccio”) beschrieb eine
neue Art von sekretorischen Zellen in der Nebenniere von Rana
(esceul.?), die vielleicht mit den „azidophilen Zellen“ identisch
sind. Bonnamour und Policard’°) haben Stillings Sommer-
zellen gleichfalls bei Winterfröschen beobachtet. E.Giacomini‘)
macht die überraschende Angabe, dass er bei R. temporaria,
nicht aber bei R. esculenta, die Sommerzellen aufs deutlichste dar-
stellen konnte. Das ist das zweite grosse Rätsel: Stilling findet
die fraglichen Zellen nur im Sommer, alle anderen Beobachter
das ganze Jahr hindurch. Wir vermissen die „azidophilen Zellen“
bei R. temporaria, und ein so zuverlässiger Forscher wie E. Gia-
comini findet gerade bei dieser Art analoge Zellen.
Das Resultat dieser Untersuchung können wir kurz in
folgenden Sätzen zusammenfassen:
Die Nebenniere von R. esculenta enthält wie die Nebenniere
der Säugetiere, Vögel und Reptilien einen epithelialen und
einen chromaffinen Anteil.
Der epitheliale Anteil enthält zweierlei Zellarten : die
allgemein verbreiteten lipoidhaltigen Zellen und zwischen
ihnen zerstreut azidophil gekörnte Zellen.
Die azidophilen Zellen der Nebenniere von R. esculenta
(„Sommerzellen“ nach Stilling) finden sich das ganze Jahr
hindurch in unveränderter Zahl und Färbbarkeit.
Sie zeigen keine Abhängigkeit von Alter, Geschlechtstätigkeit
und Ernährungszustand.
!) Grynfeltt, Ed. Notes histologiques sur la capsule surrenale des
Amphibiens. Journal de l’Anat. et de la Physiol. norm. et pathol., XLe a. 1904.
2), Ciaccio, Carmelo. Sopra una nuova specie di cellule nelle capsule
surrenali degli Anuri. Anatom. Anzeiger, 23. Bd., 1903.
3) Bonnamour et Policard. Note histologique sur la capsule
surrenale de la Grenouille. Comptes rend. Assoc. d. Anatom., Ve sess.
Liege, 1903.
*) Giacomini, E. Sopra la fine struttura delle capsule surrenali
degli Anfibii e sopra i nidi cellulari del simpatico di questi Vertebrati.
Siena 1902.
Azidophile Zellen in der Nebenniere von Rana esculenta. 9
Sie fehlen in der Nebenniere der anderen untersuchten
Anuren, der Urodelen und Reptilien.
Eine azidophile Spielart epithelialer Zellen findet sich in
den verschiedensten Drüsen mit innerer Sekretion (Epithelkörper
der Säugetiere, Hypophyse der Wirbeltiere, Nebenniere von
R. esculenta).
Erklärung der Abbildungen auf Tafel VIII.
Die gezeichneten Präparate stammen von einer Rana esculenta, die am
6. Februar gefangen, am 9. Februar getötet wurde. Fixierung: Kalium-
bichromat-Sublimat-Formol. Färbung: Hämatoxylin-Eosin.
Allgemeine Bezeichnungen.
az — Azidophile Epithelzellen. chr z — Chromaffine Zellen.
lz — Lipoidhaltige Epithelzellen. blk = Rote Blutkörperchen.
Fig. 1. Zellbalken aus der Nebenniere eines Winterfrosches. Vergr. 260.
Fig. 2. Zellbalken aus der Nebenniere eines Winterfrosches. Vergr. 550.
92
Histologisches und embryologisches Institut der k. u. k. Tierärztlichen
Hochschule in Wien.
Bau, Entwicklung und systematische Stellung der
Blutlymphdrüsen.
Von
Siegmund v. Schumacher, a. o. Professor in Wien.
Hierzu Tafel IX und X.
Einleitung.
Vor ungefähr 15 Jahren hatte ich das Vergnügen, unter
Leitung Hofrat von Ebners und meines Freundes Professor
Schaffers im Wiener histologischen Institute meine wissen-
schaftliche Tätigkeit mit der Untersuchung der Lymphdrüsen
von Macacus rhesus zu beginnen. Es gelang mir damals den
Nachweis zu erbringen, dass die Lymphdrüsen des Macacus
Zerstörungsstätten von roten Blutkörperchen darstellen (26).
Heute übergebe ich die Untersuchungsergebnisse über einen
ähnlichen Gegenstand der Öffentlichkeit, die ich meinem hoch-
verehrten Lehrer und ehemaligen Chef Hofrat von Ebner
anlässlich seines Rücktrittes vom Lehrberufe in tiefer Dankbar-
keit und Verehrung zueigne.
Seit meiner ersten Arbeit sind von vielen Autoren Beobach-
tungen über das Vorkommen von roten Blutkörperchen in den
Sinus der Lymphdrüsen mitgeteilt worden, ja es wurden sogar
derartige Lymphdrüsen als Organe sui generis, als „Haemolymph
glands“ oder „Blutlymphdrüsen“ den gewöhnlichen Lymphdrüsen
gegenübergestellt.
Besonders eingehend hat sich mit dem Aufbau der Blut-
Iymphdrüsen (speziell beim Schafe) Weidenreich (31, 32, 33)
befasst und zum erstenmal betont, dass zwischen Blutlymphdrüsen
und gewöhnlichen bluthaltigen Lymphdrüsen ein prinzipieller
Unterschied bestehe. Nach Weidenreich unterscheiden sich
nämlich die Blutlymphdrüsen von allen anderen Lymphdrüsen
dadurch, dass sie weder zu- noch abführende Lymphgefässe
besitzen und ausserdem ihre Sinus mit Blut gefüllt sind. Durch
diese Eigenschaften, sowie durch ihre Zirkulationsverhältnisse
Die Blutlymphdrüsen. 93
kämen sie der Milz näher zu stehen als den gewöhnlichen
Lymphdrüsen und Weidenreich stellt nach den verwandt-
schaftlichen Beziehungen folgende Formenreihe auf: a) die Milz,
b) die Blutlymphdrüsen, c) die Lymphdrüsen, deren Iymphoides
Gewebe mit Blut- und Lymphbahn im Zusammenhange steht und
d) die gewöhnlichen Lymphdrüsen mit vollständig getrenntem
(refäßsystem.
Helly (13) tritt den Ausführungen Weidenreichs haupt-
sächlich insofern entgegen, als er die Blutlymphdrüsen nicht als
Organe sui generis gelten lässt. Nach Helly steht und fällt
die Behauptung von der besonderen Natur der Hämolymphdrüsen
mit der Frage, „ob zwischen ihnen und den gewöhnlichen
Lymphdrüsen eine zusammenhängende heihe von Zwischenformen
besteht oder nicht. Bestehen solche Formen, dann haben die
fraglichen Gebilde ihre Daseinsberechtigung als Organe sui generis
verloren, da die Möglichkeit des Übergehens der einen in die
andere Form beständig gegeben wäre.“ Tatsächlich findet man
beim Schaf, wo bluthaltige Lymphdrüsen ohne Lymphgefässe
(Blutiymphdrüsen) vorkommen. nach Helly alle Zwischenformen
von diesen zu jenen mit Lymphgefässen und eine gleiche Stufen-
folge leitet aber auch von den mit Lymphgefässen versehenen
bluthaltigen Lymphdrüsen zu den gewöhnlichen „weissen“ Lymph-
drüsen hinüber.
Baum (1) kann die Ansicht Hellys, dass alle „roten“
Lymphknoten nur Sonderformen von echten Lymphknoten sind,
nicht ganz von der Hand weisen, da zwischen den echten Lymph-
knoten und den „roten“ Lymphknoten ohne Lymphgefässe viele
Übergangsformen vorkommen.
Piltz (21) sieht in den Blutlymphdrüsen Organe, die in
ihrer Entwicklung nicht abgeschlossen sind und wahrscheinlich
Entwicklungsstadien gewöhnlicher Lymphdrüsen vorstellen.
Helly schlägt vor, die Blutlymphdrüsen „rote“ Lymphdrüsen
und die gewöhnlichen „weisse“ zu nennen. Nach Weidenreich
wäre eine derartige Bezeichnung unzweckmässig, da unter „patho-
logischen“') Verhältnissen Blut in „weisse“ Lymphdrüsen gelangen
!, Dass Blut auch unter normalen Verhältnissen in den Sinus
gewöhnlicher Lymphdrüsen vorkommen kann, glaube ich, ist wohl einwandfrei
durch meine früheren Untersuchungen (26, 27) und auch die anderer Autoren
bewiesen.
Archiv f.mikr. Anat. Bd.81. Abt.1.
-1
94 Siegmundv. Schumacher:
und diese dann zu „roten“ machen kann, ohne dass sie
aber deswegen „Blutlymphdrüsen“ geworden wären: nach der
Hellyschen Nomenklatur wären das dann „rot-weisse Lymph-
drüsen“. „Die Hellysche Nomenklatur kann also zu Irrtümern
Veranlassung geben, sie ist zudem unnötig, da ja bereits ein
Name besteht, und also abzulehnen.“
Nach Baum (1) gibt es besonders beim Schaf rote Lymph-
knoten, die sicher weder zu- noch abführende Lymphgefässe
besitzen; es gibt andererseits aber auch rote Lymphknoten, die
zu- und abführende oder wenigstens zuführende Lymphgefässe
besitzen, die also ein Mittelding zwischen den ersteren und den
eigentlichen Lymphknoten darstellen; es gibt demnach rote
Lymphknoten ohne Lymphgefässe und solche mit Lymphgefässen.
Die ersteren bezeichnet Baum als „Iymphoide Blutknoten“, die
letzteren als „Lymphblutknoten“, fasst aber beide unter der
Bezeichnung „rote Lymphknoten“ zusammen.
In seinem grossen Werke über „Das Lymphgefäßsystem des
Rindes“ äussert sich Baum (2) über die Diagnose der Blut-
Ivmphdrüsen folgendermassen: „Wenn ein Knoten schon nach
seiner dunklen Farbe als Blutlymphknoten erschien und sich
ausserdem bei der Injektion Venen, nicht aber auch Vasa
efferentia füllten, wurde er für einen Blutlymphknoten gehalten.
Wenn sich bei der Injektion eines Knotens hingegen Vasa efferentia
füllten, wurde er für einen echten Lymphknoten angesehen, selbst
wenn die Farbe eine verdächtig dunkle war. Wenn sich weder
Lymphgefässe noch Venen füllten und auch die Färbung keine
sicheren Anhaltspunkte ergab. wurden die Knoten als zweifelhaft
angesehen.“
Ich möchte die Bezeichnung „rote Lymphdrüsen“ nicht
als identisch mit Blutlymphdrüsen gebrauchen, sondern diesen
Ausdruck für das makroskopische Aussehen von Lymph-
drüsen verwenden, die sich gegenüber den „weissen Lymph-
drüsen“ durch ihre Rotfärbung auszeichnen. Damit soll aber
nicht gesagt sein — und tatsächlich ist es auch nicht der Fall
— dass alle rot aussehenden Lymphdrüsen denselben inneren
Bau aufweisen. Eine Lymphdrüse kann rot erscheinen, wenn sie
in ihren Sinus Blut enthält, sie kann aber ebenfalls rot erscheinen,
wenn die namentlich bei jungen Drüsen sehr weiten und reichlichen
Venen stark mit Blut gefüllt sind, ohne dass in den Sinus rote
Die Blutlymphdrüsen. 95
Blutkörperchen liegen. Diese Rotfärbung, die nur durch stärkere
Füllung der Blutgefässe bedingt ist, tritt um so deutlicher hervor,
je spärlicher das Iymphoide Gewebe entwickelt ist.
Injiziert man die Blutgefässe roter Lymphdrüsen mit
Berlinerblau, so kann man sehen, wie ein Teil der vor der
Injektion rot gewesenen Lymphdrüsen eine intensiv blaue Farbe
annimmt, während bei anderen die Farbe bräunlichgrün wird
oder die Rotfärbung auch noch nach der Injektion vorherrscht.
Im ersten Falle war die Rotfärbung nur durch das in den Blut-
gefässen enthaltene Blut bedingt; wird das Blut durch eine
blaue Flüssigkeit ersetzt, so wandelt sich die rote Lymphdrüse
in eine blaue um. Im 2. und 3. Falle wird die Rosafärbung der
Lymphdrüse nicht ausschliesslich durch das in den Gefässen
enthaltene Blut bedingt gewesen sein, sondern es wird die Füllung
der Sinus, speziell des Mareinalsinus, mit Blut mehr oder
weniger zur Rotfärbung beigetragen haben.
Es ist aus dem Gesagten leicht ersichtlich, dass die Be-
zeichnung „rote Lymphdrüsen“ nur für das makroskopische
Aussehen verwendet werden darf und dass die Rotfärbung nicht
ohne weiteres einen Rückschluss auf den mikroskopischen Bau der
Lymphdrüsen zulässt. Es kann eine rote Lymphdrüse mit Lymph-
gefässen in Verbindung stehen oder nicht und es kann eine rote
Lymphdrüse in ihren Sinus rote Blutkörperchen enthalten oder nicht.
Andererseits gestattet das weisse Aussehen von Lymphdrüsen
ebenfalls keinen sicheren Rückschluss auf ihren mikroskopischen
Bau. Jedenfalls ist an zwei Möglichkeiten zu denken. Es können
Lymphdrüsen mit oder auch solche ohne Lymphgefässe weiss er-
scheinen. Ich möchte vorgreifend gleich jetzt schon erwähnen,
dass tatsächlich beide Arten vorkommen.
Nach dem Gesagten könnte man folgende Einteilung der
Lymphdrüsen treffen:
1. Lymphdrüsen mit Lymphgefässen :
a) ohne rote Blutkörperchen in den Sinus,
b) mit roten Blutkörperchen in den Sinus.
2. Lymphdrüsen ohne Lymphgefässe:
a) ohne rote Blutkörperchen in den Sinus,
b) mit roten Blutkörperchen in den Sinus (= eigent-
liche Blutlymphdrüsen).
7*
96 Siegmundv. Schumacher:
Rote Lymphdrüsen scheinen gelegentlich bei allen Säuge-
tieren vorzukommen und wurden früher schlechtweg insgesamt
als Blutlymphdrüsen bezeichnet. Blutlymphdrüsen nach der von
Weidenreich eingeführten Definition, also Lymphdrüsen ohne
zu- und abführende Lymphgefässe mit bluthaltigen Sinus, sind
bisher einwandfrei nur bei Wiederkäuern nachgewiesen worden.
Nachdem wir wissen, dass bei jeder Lymphdrüse freie rote
Blutkörperchen in den Sinus und im Iymphoiden Gewebe vor-
kommen können, dass also jede Lymphdrüse gelegentiich rot
erscheinen kann, so tritt das für die Blutlymphdrüsen als
charakteristisch angegebene Merkmal — die Füllung der Sinus
mit roten Blutkörperchen — mehr in den Hintergrund gegenüber
dem anderen Hauptkennzeichen der Blutlymphdrüsen, dem Fehlen
der Lymphgefässe. Da aber, wie schon kurz erwähnt und noch
weiterhin zu zeigen sein wird, Lymphdrüsen vorkommen, deren
Sinus nicht mit Blut gefüllt sind und die keine Lymphgefässe
besitzen, so ist auch das Fehlen der Lymphgefässe keineswegs
ausschliesslich für die Blutlymphdrüsen charakteristisch. Sobald
sich in den Sinus einer weissen Lymphdrüse ohne Lymphgefässe
rote Blutkörperchen in grösserer Menge ansammeln, wandelt sich
die weisse Lymphdrüse in eine Blutlymphdrüse um. Sobald
andererseits in einer Blutlymphdrüse die ausserhalb der Blut-
gefässe liegenden roten Blutkörperchen zerstört worden sind,
ohne dass inzwischen neue aus der Blutbahn ausgetreten wären,
können wir nicht mehr von einer Blutlymphdrüse sprechen.
Schon aus den bisherigen Andeutungen geht hervor, dass
die Blutlymphdrüsen keine streng gesonderte Gruppe gegenüber
den anderen Lymphdrüsen bilden; trotzdem soll im folgenden
die eingebürgerte Bezeichnung „Blutlymphdrüsen“ beibehalten
werden, allerdings nur für Lymphdrüsen ohne Lymphgefässe,
die ausserhalb der Blutgefässe gelegene rote Blutkörperchen
beherbergen.
Die bis heute im widersprechenden Sinne beantworteten
Fragen: Wie gelangen die roten Blutkörperchen in die Sinus;
was geschieht weiterhin mit diesen roten Blutkörperchen; können
sich Blutlymphdrüsen in gewöhnliche Lymphdrüsen umwandeln oder
umgekehrt? werden uns im folgenden hauptsächlich beschäftigen.
Als Hauptuntersuchungsobjekt wählte ich die Lymphdrüsen
des Schafes, da diese auch Weidenreich (33) als Grundlage
Die Blutiymphdrüsen. 97
für seine Beschreibung der Blutlymphdrüsen dienten und
Weidenreich mit Recht hervorhebt, dass Nachprüfungen seiner
Angaben nur dann Wert haben können, wenn sie an der gleichen
Tierart gemacht werden. Allerdings scheint nach den letzten
Untersuchungen von Piltz zwischen den Blutlymphdrüsen des
Rindes und Schafes kein prinzipieller Unterschied zu bestehen.
Ich kann es mir ersparen, auf die ganze Literatur über
Blutlymphdrüsen im einzelnen einzugehen, da sich ausführliche
Literaturzusammenstellungen bei Helly, Weidenreich und
Piltz über diesen Gegenstand finden. Eingehender werde ich
mich mit den Ausführungen der letztgenannten Autoren zu
beschäftigen haben.
Material und Technik.
Durch das Entgegenkommen des provisorischen Schlachthaus-
leiters des städtischen Schlachthauses in St. Marx. Tierarzt
Wittek, dem ich auch an dieser Stelle besonders danke, hatte
ich nicht nur Gelegenheit, Material von frisch geschlachteten
Schafen in Hülle und Fülle zu erlangen, sondern auch eine
grosse Menge von Schaffeten zu sammeln, so dass ich meine
Untersuchungen auch auf die Entwicklung der Lymphdrüsen
ausdehnen konnte, was um so wichtiger erschien, da bisher
über die Entwicklung der Blutlymphdrüsen so gut wie nichts
bekannt war.
Ausser den Blutlymphdrüsen des Schafes kamen nebenbei
noch Blutlymphdrüsen vom Halse eines achtmonatlichen Hirsch-
kalbes, die mir mein Freund Professor J. Schafter überliess,
retroperitoneale rote Lymphdrüsen von zwei Rehböcken (zwei-
jähriger und mindestens dreijähriger Bock) und vom Schweine
zur Untersuchung.
Zur Fixierung wurde Zenker- Formol, Pikrinsäure-Sublimat
und Formol-Alkohol angewendet. Einbettung in Celloidin und
nahezu ausnahmslos Anfertigung von durchschnittlich 10 « dicken
lückenlosen Schnittreihen.
Gefärbt wurde in der Regel mit Delafieldschem Hämatoxylin
und Eosin. Um möglichst gut differenzierte Färbungen zu erhalten,
wurden sehr stark verdünnte Farblösungen angewendet. Namentlich
ist eine protrahierte Färbung mit Eosin sehr zu empfehlen, da
hierdurch die roten Blutkörperchen ausserordentlich scharf hervor-
38 Siegmundv. Schumacher:
treten. Die Eosinfärbung wurde meist auf mehr als 12 Stunden
ausgedehnt und nachher ziemlich lange (eventuell mehrere Stunden
lang) in Alkohol differenziert.
Da bei der Untersuchung das grösste Gewicht auf ach
Verhalten der Blutgefässe gelegt wurde, so stellte ich selbst-
verständlich auch Injektionen an und zwar wurde gewöhnlich mit
Berlinerblau injiziert. In einigen Fällen wurde nach dem Vorgange
von Weidenreich und Helly eine Einstichinjektion mit der
Pravazschen Spritze in eine retroperitoneale Blutiymphdrüse
gemacht; es füllt sich hierbei, wie Weidenreich und Helly
angeben, die abführende Vene der Drüse und von dieser aus die
benachbarten Drüsen. Ich möchte aber gleich hier bemerken,
dass sich keineswegs in jedem Falle die abführende Vene füllt;
es scheint dies nur dann der Fall zu sein, wenn durch die
Injektionsnadel eine Vene im Inneren der Drüse angestochen
wurde. An Serienschnitten lässt sich dann gewöhnlich leicht die
Stelle finden, an der die Injektionsnadel in eine der verhältnis-
mässig weiten Venen eingedrungen ist.
Weidenreich injizierte auch von der Aorta abdominalis
aus, die mit dem retroperitonealen Fett und den darin enthaltenen
Lymphdrüsen herausgenommen worden war, nach vorheriger
Unterbindung aller durchschnittenen Arterien, bemerkt aber aus-
drücklich, dass die arterielle Injektion der Blutlymphdrüsen sehr
schwierig ist und nur selten gut gelingt.
Ich nahm ebenfalls Injektionen von Arterien aus vor und
zwar mit vollkommenem Erfolge, so dass diese jedenfalls den
unsicheren Einstichinjektionen in die Drüse vorzuziehen sind.
Eine Injektion wurde bei einem 4 Monate alten Lamm von der
Aorta abdominalis aus ausgeführt, wobei die ganzen Bauch-
eingeweide in situ belassen und nur die Aa. femorales unterbunden
wurden. Ausserdem wurden bei verschiedenalterigen Feten In-
jektionen von der Nabelarterie aus vorgenommen und zwar
ebenfalls mit vollkommenem Erfolge.
Vorkommen und makroskopisches Aussehen
der roten Lymphdrüsen.
Bezüglich der Lage der Blutlymphdrüsen beim Schafe bemerkt
Weidenreich, dass sie sich im retroperitonealen Zellgewebe
abwärts an den Nieren und am Beckeneingang finden; auch im
Die Blutlymphdrüsen. 99
Mediastinalraum hat Weidenreich Blutlymphdrüsen gesehen:
an anderen Körperstellen nicht weiter nach Blutlymphdrüsen
gesucht. Auffallend ist nach Weidenreich die Unregelmässig-
keit ihres Vorkommens: „Man kann oft viele Schafe durchmustern,
ohne an den Prädilektionsstellen irgendwelche zu finden, dann
aber trifft man sie wieder in grossen Mengen. Alter und Ge-
schlecht ist dabei anscheinend ohne jeglichen Einfluss, ebenso
der Nahrungszustand des Tieres; sie finden sich bei jungen und
alten, fetten und mageren Individuen, bei männlichen, weiblichen
und Kastraten, oder sie können überall da fehlen. Auch die
Jahreszeit spielt hierbei keine Rolle.“
Auch Piltz (20, 21) hebt die grosse Veränderlichkeit des
Vorkommens der roten Lymphdrüsen beim Rinde hervor und
macht genaue Angaben über die Örtlichkeiten, an denen die roten
Lymphdrüsen gefunden werden. Im allgemeinen geht aus diesen
Angaben hervor, dass dieselben überall dort vorkommen können,
wo gewöhnliche (weisse) Lymphdrüsen gelegen sind. — „Sucht
man nach ‘den in jedem Interkostalraum in der Nähe der Rippen-
köpfchen liegenden echten Lymphknoten, so trifft man oft statt
der grauen die uns beschäftigenden roten, manchmal die grauen
vertretend, des öfteren auch in demselben Interkostalraum neben
einem grauen liegend.“ Der makroskopische Befund ist nach
Piltz beim Schafe nicht wesentlich verschieden von dem des
undes, ebensowenig wie beim Rinde sind diese Organe beim
Schafe auf die grossen Körperhöhlen beschränkt. Einen Einfluss
des Alters und Geschlechts auf die Häufigkeit des Vorkommens
hat Piltz nicht nachweisen können.
Baum fand die roten Lymphdrüsen ausser an verschiedenen
anderen Örtlichkeiten auch unter der Haut, ebenso Creshenzi (7)
und A. Meyer (19).
Martin (17) erwähnt, dass die Blutlymphdrüsen besonders
häufig bei jungen Tieren zu finden sind und sich in gewöhnliche
Lymphdrüsen verwandeln können.
Alle Autoren geben übereinstimmend an, dass die Farbe
der roten Lymphdrüsen eine ausserordentlich wechselnde ist, dass
alle Übergänge vom tiefen Schwarzrot bis zur Färbung der ge-
wöhnlichen (weissen) Lymphdrüsen gefunden werden und dass
ausserdem Lymphdrüsen vorkommen, die nicht in allen ihren
Teilen gleichmässig rot gefärbt sind, sondern dass dunklere
100 Siegmundv. Schumacher:
Partien mit helleren abwechseln, so dass derartige Lymphdrüsen
ein geflecktes Aussehen bieten.
Ich kann die Angaben sowohl bezüglich der Variabilität
des Vorkommens der roten Lymphdrüsen als auch bezüglich der
Färbung nur bestätigen. Eine Gesetzmässigkeit scheint aber nach
meinen Befunden doch insofern zu bestehen, als bei jüngeren
Tieren unter sonst gleichen Verhältnissen rote Lymphdrüsen in
grösserer Menge gefunden werden als bei älteren.
Fernerhin kann man die Beobachtung machen, dass die
Färbung insofern mit der Grösse der Drüsen in einer gewissen
Beziehung steht, als die kleinsten von ihnen intensiv dunkelrot
sind und dass sie mit zunehmender Grösse im allgemeinen immer
lichter erscheinen. Grosse Lymphdrüsen sind fast nie blutrot,
sondern rötlich oder gelblich - weiss, höchstens mit einzelnen
kleineren und grösseren eingesprengten roten Partien.
Bei einem nahezu ausgetragenen Schaffetus, der genau
daraufhin untersucht wurde, konnte ich überhaupt keine weisse
Lymphdrüse finden; mediastinale, retroperitoneale, mesenteriale,
inguinale, axillare usf. Lymphdrüsen waren ausnahmslos mindestens
lichtrot gefärbt. Die kleinsten erschienen — allerdings mit
einigen Ausnahmen — intensiv dunkelrot, die grössten rötlich.
In Fig. 1 habe ich sämtliche retroperitoneal gefundenen Lymph-
drüsen dieses Fetus abgebildet.
3ei einem viermonatlichen Lamm kamen sowohl rote wie
weisse Lymphdrüsen vor, aber auch hier liess sich nachweisen,
dass alle kleinen Lymphdrüsen rot, während die grössten weiss
erscheinen.
Bei einem 24 cm langen Schaffetus waren die wenigen vor-
handenen axillaren, jugularen und mediastinalen Lymphdrüsen
nur eine Spur rosa gefärbt, alle retroperitonealen erschienen rein
weiss. Dunkelrote Lymphdrüsen waren hier überhaupt nicht zu
finden; man müsste eigentlich alle Lymphdrüsen den weissen
zurechnen. Dieser Befund erscheint auf den ersten Blick über-
raschend, nachdem, wie erwähnt. beim nahezu ausgetragenen
Fetus sämtliche vorhandenen Lymphdrüsen als rote zu bezeichnen
waren und post partum, wenigstens im allgemeinen, bei jüngeren
Tieren mehr rote Lymphdrüsen vorkommen als bei erwachsenen.
Teilweise lässt sich aber dieser Befund schon aus dem bisher
Gesagten erklären. Wie erwähnt, muss die Rotfärbung der
Die Blutlymphdrüsen. 101
Drüsen nicht dadurch bedingt sein, dass die Sinus mit Blut ge-
füllt sind, sondern kann auch darin ihre Ursache haben, dass
die bei jugendlichen Lymphdrüsen gewöhnlich sehr weiten Blut-
gefässe stark mit Blut gefüllt sind, während das Iymphoide Gewebe
schwach ausgebildet ist (Fig. 13). Ist ein Tier verblutet, so
werden weniger rote Lymphdrüsen zu sehen sein, als wenn das-
selbe Tier ohne Blutverlust zugrunde gegangen wäre. Wird also
bei einem Fetus gleich nach dem Tode des Muttertieres die
Nabelschnur einfach (ohne Unterbindung) abgeschnitten, so dass
ein starker Blutaustritt aus den Nabelgefässen erfolgt, oder wird
der Fetus etwa gar gleich nach dem Absterben geöfinet und
weiter verarbeitet, so werden die Venen in den Lymphdrüsen
leer sein und können somit die Farbe derselben nicht beeinflussen.
Wird hingegen die Nabelschnur vor der Durchschneidung unter-
bunden und dann die Bauchhöhle geöffnet, so werden die Venen
mit Blut gefüllt und daher die Lymphdrüsen röter erscheinen
als im ersten Falle.
Immerhin lässt das eventuelle Fehlen von intensiv rot ge-
färbten Lymphdrüsen bei einem Fetus den Schluss zu, dass in diesem
Falle keine Lymphdrüsen mit blutgefüllten Sinus vorhanden sind.
Verhalten der Blut- und Lymphgefässe.
Zunächst konnte ich bei der mikroskopischen Untersuchung
von roten Lymphdrüsen des Schafes in Übereinstimmung mit
Weidenreich, Helly u. a. nachweisen, dass Lymphdrüsen
vorkommen, denen zu- und abführende Lymphgefässe vollkommen
fehlen und deren Sinus mit roten Blutkörperchen vollgepfropft
erscheinen, somit also echte Blutlymphdrüsen nach der Weiden-
reichschen Definition.
Die Grösse dieser Lymphdrüsen ist verschieden. Haupt-
sächlich sind es aber kleinste und kleine Drüsen, denen die
Lymphgefässe fehlen, während bei grösseren fast ausnahmslos
zu- und abführende Lymphgefässe vorhanden sind; trotzdem
können aber ihre Sinus mehr oder weniger mit roten Blut-
körperchen erfüllt sein.
Leider gelang es mir nicht, eine vollkommene Lymphgefäss-
injektion zu erzielen; es sind aber im allgemeinen die zu- und
abführenden Lymphgefässe, wenigstens an den Übergangsstellen
in die Lymphdrüse, weit offen, so dass sie auch ohne Injektion
102 Siegmund v. Schumacher:
in ihrem Verlaufe leicht verfolgt werden können. Freilich sind
lückenlose Serien notwendig, wenn das Vorhandensein von zu-
und abführenden Lymphgefässen in Abrede gestellt werden soll.
Wie schon Weidenreich hervorhebt und Helly und
Piltz bestätigen, ergibt eine Einstichinjektion in eine Blut-
Ivmphdrüse nur Füllung der abführenden Vene, so dass auch
auf diesem Wege keine Lymphgefässe nachzuweisen sind. Ich
habe mit demselben Resultate Einstichinjektionen vorgenommen,
möchte aber nochmals hervorheben, dass keineswegs in jedem
Falle nach einer Einstichinjektion sich die abführende Vene füllt,
sondern dass dies nur dann der Fall zu sein scheint, wenn eine
von den Venen im Inneren der Drüse angestochen wurde.
v. Ebner (9) spricht sich im „Handbuch der Gewerbelehre“
über die Blutlymphdrüsen folgendermassen aus: „Da das Vor-
kommen von Blut in den Lymphbahnen ein sehr häufiger Befund
ist, so ist es wohl kaum gerechtfertigt, solche Drüsen als besondere
Organe hinzustellen. Das wäre nur der Fall, wenn sich ins-
besondere die Angaben von F. Weidenreich bestätigen sollten,
welchen zufolge die Hämolymphdrüsen Organe wären, die nur
in der Kapsel Lymphgefässe besitzen, während die den Lymph-
sinus und Lymphbahnen anderer Lymphdrüsen entsprechenden
täume ausschliesslich mit Blutgefässen im Zusammenhange stehen
sollen. für welche Annahme das Vorhandensein von Blut in den
Lymphbahnen keineswegs ein genügender Beweis ist.“
Dass tatsächlich beim Schafe Lymphdrüsen mit blutgefüllten
Sinus ohne Lymphgefässe vorkommen, steht zweifellos fest. Das-
selbe gilt auch für das Rind, wie aus den eingehenden Unter-
suchungen von Piltz hervorgeht.
Auffallend ist zunächst der Umstand, dass nach überein-
stimmenden Angaben von Weidenreich, Helly und Piltz
in der Kapsel und in der unmittelbaren Nachbarschaft der Blut-
Iymphdrüsen Lymphgefässe vorkommen, ohne aber in die Drüse
selbst einzudringen. Helly äussert sich diesbezüglich: „Es ist
zu erklären, wie es kommt, dass rote Lymphdrüsen an Lymph-
gefässen hängen, diese aber bereits in ihrer Kapsel ein Ende
finden: Es muss also die Entwicklung der genannten Drüsen
erforscht werden.“
Piltz bemerkt bezüglich der Blutlymphdrüsen des Rindes:
„Auffällig war, dass die roten Lymphknoten den Lymphgefässen
Die Blutlymphdrüsen. 103
fast regelmässig anlagen. Die mikroskopische Untersuchung
ergab aber nie einen Beweis für die Einmündung von Lymph-
gefässen aus dem Organ in das dicht daran vorbeilaufende grosse
Lymphgefäss. Es liessen sich demnach durch die Injektion für
die Verbindung der Sinus mit dem Lymphgefäßsystem keine
Anhaltspunkte finden.“
Ich selbst kann diese Befunde bestätigen. Man findet
tatsächlich in der Regel die bluthaltigen Lymphdrüsen in der
Nachbarschaft von grösseren Lymphgefässen ; von letzteren zweigen
häufig Äste ab, die an die Lymphdrüse herantreten und an
Serienschnitten oft auf ziemlich weite Strecken hin in der Kapsel
verfolgt werden können, ohne dass sie die Kapsel durchsetzen
und in den Randsinus der Drüse einmünden. Mitunter sieht
man allerdings, dass sich das eine oder andere Lymphgefäss in
den Randsinus öffnet, eine derartige Drüse dürfen wir aber
nicht mehr als typische Blutlymphdrüse bezeichnen, da für letztere
ja als charakteristisch das Fehlen von zu- und abführenden
Lymphgefässen angegeben wird. Ich möchte aber gleich hier
bemerken, dass man in bezug auf das Verhalten der Lymph-
gefässe alle möglichen Übergangsbilder zwischen gewöhnlichen
und Blutlymphdrüsen nachweisen kann. So kommen Drüsen vor,
bei denen ein oder mehrere Lymphgefässe ohne das Kaliber
wesentlich zu ändern die Kapsel durchsetzen, um in den Rand-
sinus einzumünden. Bei vielen Drüsen sieht man aber, dass ein
zuführendes Lymphgefäss sich unmittelbar vor seiner Einmündung
in den Randsinus ganz wesentlich verengt, so dass nur ein ganz
enger Abschnitt die Verbindung zwischen Lymphgefäss und Sinus
herstellt und schliesslich kann man nachweisen, dass Lymphgefässe
bis knapp an den Sinus heranreichen, ohne die Endothelwand
des letzteren zu durchbrechen. Derartige Übergangsbilder, auf
welche insbesondere Helly hingewiesen hat, legen den Gedanken
nahe, dass entweder die Blutlymphdrüsen seinerzeit mit Lymph-
gefässen in Verbindung gestanden sind und dieser Zusammenhang
im Laufe der Entwicklung verloren gegangen ist, oder aber dass
der umgekehrte Vorgang Platz greift, dass nämlich die Blut-
Iymphdrüsen ursprünglich der Lymphgefässe entbehren, während
ihrer weiteren Ausbildung aber mit Lymphgefässen in Verbindung
treten. Ich werde noch später Gelegenheit haben, auf diese
Fragen näher einzugehen.
104 Siegmundv. Schumacher:
Bezüglich der mit den Blutlymphdrüsen in Verbindung
stehenden Blutgefässe wird allgemein angegeben, dass in jede
Blutlymphdrüse am Hilus eine kleine Arterie ein- und eine
verhältnismässig grosse Vene austritt, was ich bestätigen kann.
Piltz sah (beim Rind) in einigen Fällen den Austritt
zweier grosser Venen an einander gegenüberliegenden Stellen
des Organs. „Ihre Äste anastomosierten innerhalb des Lymph-
knotens, doch standen die Stämme ausserhalb des Organs augen-
scheinlich nicht in Verbindung untereinander. Ebenso sah ich
aus der Kapsel zahlreiche kleine Gefässe kommen, die mit im
Fettgewebe hinziehenden Venen und Arterien in Verbindung
traten.“ Soweit Piltz.
Weidenreich hat gelegentlich beobachtet, wie eine
„Venenlakune“ aus dem Inneren der Blutlymphdrüse sich direkt
in eine in der Kapsel gelegene Vene fortsetzt.
Art. Meyer (18), der die Ergebnisse seiner Untersuchungen
der Blutlymphdrüsen des Schafes nur in Form von einer ganz
kurzen Zusammenfassung wiedergibt, erwähnt, dass kleine Venen
an irgendeinem Punkte der Peripherie die Kapsel von Blut-
Iymphdrüsen durchsetzen können und es sich hierbei um zu-
führende Venen handelt.
Dass Venen mit den Blutlymphdrüsen nicht nur in der
Gegend des Hilus, sondern an ganz verschiedenen Punkten der
Peripherie in Verbindung stehen, habe ich wiederholt gesehen.
Auch die Angabe A. Meyers, dass zuführende Venen vorkommen,
glaube ich nach dem Befunde an einer in Fig. 2 wiedergegebenen
Blutlymphdrüse des Schafes bestätigen zu können. Die betreffende
Drüse wurde nach der Gefässinjektion mit Berlinerblau in toto
aufgehellt und unter dem stereoskopischen Mikroskope untersucht.
Wir sehen hier bei zV eine Vene in das Innere der Lymphdrüse
eintreten, die sich aus Kapillaren des die Lymphdrüse umgebenden
Fettgewebes sammelt. Es kann sich demnach hier nur um eine
zuführende Vene handeln. Diese Drüse wurde nachher in eine
Schnittreihe zerlegt und es liess sich nachweisen, dass das mit
z\ bezeichnete Gefäss tatsächlich eine zuführende Vene ist, die
ihr Wurzelgebiet in dem der Drüse anliegenden Fettgewebe hat.
Gelegentlich kann man auch zwei oder mehrere kleinere
Arterien an verschiedenen Stellen der Peripherie in eine Blut-
Iymphdrüse eintreten sehen.
Die Blutiymphdrüsen. 105
Zunächst bedarf der Bau der aus den Blutlymphdrüsen
austretenden Venen einer Besprechung, wobei gleich erwähnt sein
soll, dass derselbe keineswegs etwa charakteristisch für die Blut-
Iymphdrüsen ist, sondern in gleicher Weise an allen kleineren
Lymphdrüsen gefunden wird.
Nach Weidenreich stellt die aus dem Hilus austretende
ausserordentlich weite Vene nur ein dünnwandiges Rohr dar mit
deutlichem Endothelbelag ohne ausgesprochene Muscularis und
Adventitia. An deren Stelle ist ein umhüllendes Gewebe getreten,
das in seinem Bau mit der Drüsenkapsel übereinstimmt und dem-
nach aus Muskelzellen, fibrillärem und elastischem Bindegewebe,
jedoch ohne bestimmte Anordnung, besteht. Diese Umhüllung
kann somit direkt als Fortsetzung der Kapsel aufgefasst werden.
Weiterhin bemerkt Weidenreich, dass an der injizierten ab-
führenden Vene an manchen Stellen Einschnürungen vorkommen,
die jedoch nicht immer auf Rechnung von Klappen zu setzen sind.
{ Es zeigen somit die aus den Lymphdrüsen austretenden
Venen in ihrem Bau soviel Ähnlichkeit mit Lymphgefässen, dass
man ohne Gefässinjektion leicht verleitet sein könnte, sie für
solche zu halten. Ich muss aufrichtig gestehen, dass ich nach
der Untersuchung der ersten (nicht injizierten) Blutlymphdrüsen
selbst zur Ansicht hinneigte, dass es sich nicht um Venen,
sondern um Lymphgefässe handle. Auch Weidenreich fühlte,
dass der Einwand erhoben werden könnte, dass die von ihm als
Venen bezeichneten Gefässe Lymphgefässe seien. Dagegen spricht
nach Weidenreich nun alles: „erstens würden dann die Drüsen
ableitende Lymphgefässe besitzen und keine Venen, weil das
fragliche Gefäss das einzige ist, das die Drüse verlässt; zweitens
aber lässt sich ohne weiteres nachweisen, dass es schliesslich in
eine der Hauptvenen (Vena cava inf. oder V. iliaca comm.) ein-
mündet, von eben da ist auch leicht eine direkte Injektion
möglich.“
Tatsächlich lässt das Verhalten der Äste dieser Gefässe im
Inneren der Drüse, sowie auch insbesondere das Ergebnis der
Injektion mit absoluter Sicherheit die fraglichen Gefässe als
Venen erkennen.
Allerdings könnte das Ergebnis der Einstichinjektion in die
Blutlymphdrüse, wobei nach Weidenreich sich stets die Vene
füllen soll, auch missgedeutet werden; denn bei Lymphdrüsen
106 Siegmundv. Schumacher:
mit Lymphgefässen gelingt es leicht, die Vasa efferentia
durch eine Einstichinjektion zu füllen. So könnte man sich auch
bei Blutlymphdrüsen verleiten lassen, alle Gefässe, die sich nach
einer Einstichinjektion füllen, für Lymphgefässe zu halten. Wie
ich aber schon oben bemerkt habe, erhielt ich keineswegs nach
jeder Einstichinjektion eine Füllung der Vene — in mehreren
Fällen füllten sich nur teilweise die Sinus im Inneren der Drüse,
ohne dass Injektionsmasse in die Vene eintrat. Füllte sich aber
die Vene, so konnte an den Serienschnitten durch die betreffende
Drüse stets nachgewiesen werden, dass im Inneren der Drüse
eine Vene durch die Injektionsnadel angestochen worden war,
so dass also von dieser Stelle aus die Flüssigkeit direkt in die
grosse Sammelvene am Hilus abfliessen konnte.
Einwandfrei ist aber auch der venöse Charakter des frag-
lichen Gefässes durch Injektion von der Arterie aus nachzuweisen.
Nach Injektion von der Aorta abdominalis aus füllte sich neben
der Hilusarterie auch stets das fragliche Gefäss, ohne dass etwa
im Inneren der Lymphdrüse Injektionsmasse in die Sinus aus-
getreten wäre. Genau zu demselben Injektionsergebnis kam auch
Piltz bei den Blutlymphdrüsen des Rindes.
Über das Verhalten der Blutgefässe im Inneren der Blut-
Iymphdrüsen werden verschiedene Angaben gemacht.
Weidenreich tritt der Behauptung einiger früherer Unter-
sucher entgegen, dass sich die Bluträume (= Sinus) im Inneren
der Blutlymphdrüsen direkt in Venen fortsetzen. Dagegen be-
stehen nach Weidenreich zahlreiche indirekte Verbindungen
mit ihnen, indem die Venenwand Lücken besitzt. Die Injektion
von der Vene aus soll diese Befunde bestätigen, indem sich deutlich
die Austrittsstellen der Injektionsmasse aus den Venen in die
Sinus hinein an Schnitten nachweisen lassen. Gegen die Annahme,
dass es sich hierbei um eine Zerreissung der Venenwandung, also
um ein Kunstprodukt handelt, spricht nach Weidenreich das
mikroskopische Bild, indem keine Spur von Zerreissung nach-
zuweisen ist und die völlige Übereinstimmung der Austrittsstellen
der Injektionsmasse mit den an nicht injizierten Präparaten ge-
fundenen.
Bezüglich der Arterien bemerkt Weidenreich, dass er
auf Grund der Injektionspräparate eine direkte Einmündung von
Kapillaren in die Bluträume (Sinus) bis jetzt nicht feststellen hat
Die Blutlymphdrüsen. 107
können. — „Dabei ist allerdings zu bemerken, dass die arterielle
Injektion sehr schwierig ist und nur selten gut gelingt.“ Nach
Weidenreich würde das Blut aus den arteriellen Kapillaren
in die Maschen des Iymphoiden Gewebes gelangen und — ab-
gesehen von der direkten Einmündung in das venöse System —
dort durchsickernd sich einen Weg bahnen, der es entweder in
die Bluträume (Sinus) führt, was die Regel ist, oder aber in die
Venen ableitet.
Nach Weidenreich können die roten Blutkörperchen,
nachdem das Fehlen von Lymphgefässen für die Blutlymphdrüsen
nachgewiesen ist, nur aus der Blutbahn innerhalb der Drüse
stammen. Durch die ausschliessliche Einschaltung der Blut-
Iymphdrüsen in die Blutbahn unterscheiden sich nach der Ansicht
Weidenreichs dieselben prinzipiell von gewöhnlichen Lymph-
drüsen und sind viel eher mit der Milz als mit letzteren zu
vergleichen.
Helly kommt auf Grund seiner Injektionen zu einer
wesentlich anderen Auffassung als Weidenreich. Nach Helly
lehrt die Injektion, dass in den Blutlymphdrüsen des Schafes
und der Ziege mit Sicherheit die Arterien und Venen direkt
miteinander zusammenhängen. Je nach dem gewählten Injektions-
wege (direkte oder indirekte venöse Injektion) ist entweder das
ganze oder nur das venöse Blutgefässgebiet mit Injektionsmasse
gefüllt. Daneben sind aber die Sinus strotzend voll mit roten
Blutkörperchen, hingegen frei von Injektionsmasse. Nur hier
und da finden sich in den Sinus gelegentlich kleine Extravasate.
Es steht also nach Helly in den „roten Lymphdrüsen“ das Blut-
gefäßsystem in keiner regulären Verbindung mit den Sinusräumen.
Helly nımmt an, dass die roten Blutkörperchen durch lokale
Blutungen innerhalb der Lymphdrüse in die Sinus hineingelangt
sind. An Stellen derartiger Blutungen liegen die roten Blut-
körperchen nicht gleichmässig zerstreut, sondern dicht beisammen,
das umliegende Lymphgewebe ist durch sie ersichtlich auseinander-
gedrängt, zertrümmert. Sicher sind nach Helly auch diese
Blutungen kein ausschliessliches Merkmal der „roten Lymph-
drüsen“. Es bleibt nur die Annahme übrig, dass die ausgetretenen
roten Blutkörperchen dem Verfall geweiht sind.
A. Meyer bemerkt, dass die Sinus der Blutlymphdrüsen
des Schafes nur dann von den Venen oder Arterien aus injiziert
108 Siegmund v. Schumacher:
werden können, wenn ‚hoher Druck angewendet wird. Die
Arteriolae öffnen sich direkt in die Venenlakunen.
Piltz nahm an den Blutlymphdrüsen des Rindes Injektionen
sowohl von den Arterien als auch von den Venen aus vor und
kommt auf Grund dieser zu ähnlichen Ergebnissen wie Helly.
An einigen gelungenen arteriellen Injektionspräparaten lässt sich
deutlich die Einmündung der Kapillaren in weite, im Iymphatischen
Gewebe liegende Venen nachweisen. „In diesen Schnitten fand sich
aber keine Spur von Injektionsflüssigkeit in den Sinus. Ich halte
mich demnach für berechtigt, anzunehmen, dass die Arterien
durch die Kapillaren nur mit den Venen in Verbindung stehen
und nicht mit den Sinus.“ Weiterhin bemerkt Piltz: „Im
Sinus zeigte sich aber auch nach der Veneninjektion keine In-
jektionsflüssigkeit, so dass ich für die von Weidenreich für
das Schaf behauptete und abgebildete Verbindung zwischen Venen
und Sinus beim Rind keine Bestätigung gefunden habe. Ich habe
also durch arterielle und venöse Injektion nur nachweisen können,
dass die Sinus in keiner Verbindung stehen mit dem Blutgefäß-
system, sondern dass Arterien und Venen im Iymphatischen Gewebe
ineinander übergehen.“
Nach Baum (2) spricht manches dafür, „dass es physio-
logischerweise zu Blutungen aus den Blutgefässen, namentlich
den arteriellen Kapillaren, in das umgebende Lymphgewebe und
bis in die Sinus hinein kommen könnte, jedoch ohne dass hierbei
ständige und reguläre Verbindungswege geschaffen oder benutzt
würden.“
. Meinen eigenen Untersuchungen über das’Verhalten der
Blutgefässe im ‘Inneren der Blutlymphdrüsen liegen vor allem
vollkommen gelungene Injektionen von der Arterie aus bei
einem 4 Monate alten Lamm zugrunde. Die Injektion ist eine
kapillare, wie sich aus der vollständigen Füllung nicht nur der
(Gefässe innerhalb der Lymphdrüsen, sondern auch der in ihrer
Umgebung (im Fettgewebe usw.) gelegenen Kapillaren und Venen
ergibt. Von den in Serienschnitten untersuchten Blutlymphdrüsen
zeigen verhältnismässig viele an keiner Stelle einen Austritt von
Injektionsmasse in das Iymphoide Gewebe oder in die Sinus hinein
(Fig. 2).
Die eintretende Arterie löst sich schliesslich in Kapillaren auf,
und diese sammeln sich ohne irgendeine Unterbrechung in zahl-
Die Blutlymphdrüsen. 109
reichen meist auffallend weiten Venen. Allerdings fand ich in einigen
Blutlymphdrüsen an einer oder auch an mehreren Stellen einen
Austritt von Injektionsmasse namentlich aus den Venen in das
Iymphoide Gewebe, ähnlich wie das Weidenreich abbildet, und
von hier aus in die Sinus hinein. Ich will aber gleich hier be-
merken, dass diese Austritte von Injektionsmasse aus der (refäss-
bahn keineswegs charakteristisch für Blutlymphdrüsen sind, sondern
dass ich genau dieselben Bilder an gewöhnlichen (weissen) Lymph-
drüsen gelegentlich erhielt. Mehr Wert ist auf jene Fälle zu
legen, in denen es zu keinem Fxtravasat gekommen ist, und
meines Erachtens gestatten vollkommen injizierte Drüsen, in denen
kein Extravasat aufgetreten ist, den sicheren Rückschluss, dass
reguläre Verbindungen zwischen der Blutgefässbahn und den
Sinus fehlen.
Kommt es aber gelegentlich zum Auftreten eines Extra-
vasates, so sind zwei Möglichkeiten im Auge zu behalten. Ent-
weder handelt es sich um präformierte Lücken in der Gefässwand,
durch die die Injektionsmasse austritt, oder um ein Kunstprodukt.
Dass es sich kaum um präformierte Lücken handeln dürfte, geht
aus den gelungenen Injektionen ohne Extravasat hervor, denn
es scheint nicht wahrscheinlich, dass in der einen Drüse prä-
formierte Lücken in der Gefässwand vorkommen, während sie in
der anderen fehlen. Handelt es sich aber um ein Kunstprodukt,
so darf man schliessen, dass gerade an den Stellen, wo derartige
Extravasate auftreten, eine besonders geringe Widerstandsfähigkeit
der Gefässwandung besteht. Wir dürfen also wohl annehmen,
dass es in den Venen (und Kapillaren) der Blutiymphdrüsen bei
höherem Blutdrucke jedenfalls eher zu Blutaustritten kommen
kann als in den Gefässen ausserhalb der Lymphdrüsen. Dass
aber diese Durchlässigkeit der Gefässwandungen keineswegs nur
charakteristisch für die Blutlymphdrüsen ist, geht, wie schon
erwähnt, daraus hervor, dass man auch in gewöhnlichen Lymph-
drüsen (mit zu- und abführenden Lymphgefässen) genau unter
denselben Bedingungen und annähernd ebenso häufig bei der
Injektion Extravasate erhält wie in Blutlymphdrüsen.
Schon seinerzeit habe ich (27) auf die grosse Durchlässig-
keit der Gefässwände in den Lymphdrüsen hingewiesen und auch
eine Stelle abgebildet. an der die Injektionsmasse zwischen die
Endothelzellen und das Bindegewebe der Vene eingedrungen ist.
Archiv f.mikr. Anat. Bd.81. Abt.1. 8
110 Siegmundv. Schumacher:
Ich äusserte mich seinerzeit folgendermassen : „Wahrscheinlich
sind das jene Stellen, an denen früher Leukocyten durchgedrungen
waren und die dadurch weniger widerstandsfähig geworden, auch
bei geringem Drucke der Injektionsmasse den Durchtritt gewähren.“
Dass es leichter zu Extravasaten kommen wird, wenn man
von der Vene als wenn man von der Arterie aus injiziert, scheint
naheliegend. Bei den Arterien der Lymphdrüsen handelt es sich
durchweg um enge Röhren, während die Venen im allgemeinen
recht weit sind. Injiziert man von der Vene aus, so wird der
Druck im Venensystem verhältnismässig gross sein, bis die Masse
in die engen arteriellen Kapillaren eindringt. Infolge dieses
höheren Druckes im Venensystem kann es dann leicht bei der
grossen Durchlässigkeit der Venenwandungen zu Extravasaten
kommen. Injiziert man aber von der Arterie aus, so gelangt
die Masse von den engen arteriellen Kapillaren in die weiten
Venen, und die Masse wird einfach in die Venen abfliessen, ohne
dass es in diesen zu einem nennenswerten Drucke kommen wird.
Es ist ja auch dies die natürliche Stromrichtung des Blutes, und
es werden daher stets die Bilder, die man bei arterieller Injektion
erhält, massgebender für die wirklichen Zirkulationsverhältnisse
sein, als die nach venöser Injektion. So erhielt auch, wie schon
erwähnt, Piltz nach arterieller Injektion der Blutlymphdrüsen
des Rindes eine vollständige Gefässfüllung ohne Extravasate.
Weidenreich, der an den Blutlymphdrüsen des Schafes zu
anderen Ergebnissen kam, stützt sich hauptsächlich auf die Bilder,
die er nach venöser Injektion erhielt.
Nach meinen Injektionsergebnissen komme ich demnach zum
Schluss, dass in Blutlymphdrüsen sowie in gewöhnlichen Lymph-
drüsen das Blut im allgemeinen in geschlossenen Bahnen zirkuliert,
dass keine konstante Verbindung zwischen den Blutgefässen und
den Sinus besteht, dass man daher auch nicht berechtigt ist, die
Sinus etwa als Blutsinus zu bezeichnen. Dass es unter gewissen
Verhältnissen infolge der Dünnwandigkeit der Venenwandungen
zu Blutaustritten kommen kann und dass dann das extravasierte
Blut durch das Iymphoide Gewebe schliesslich in die Sinus ge-
langt, will ich nicht in Abrede stellen; der gewöhnliche Weg,
den das Blut einschlägt, geht aber sicher von den Arterien durch
die Kapillaren direkt in die Venen, ohne dass es zu einem Blut-
austritt aus der Blutbahn kommt. Das gelegentliche Auftreten
Die Blutlymphdrüsen. 111
von Extravasaten bei der Injektion beweist allerdings noch nicht,
dass auch in vivo unter physiologischen Verhältnissen dasselbe
der Fall sein muss. Es sprechen aber auch noch andere Um-
stände für den gelegentlichen Austritt roter Blutkörperchen aus
den Blutgefässen. Keineswegs darf aber das Auftreten von Extra-
vasaten bei der Injektion als charakteristisch für die Blutlymph-
drüsen angesehen werden. Ich konnte auch in gewöhnlichen
Lymphdrüsen unter genau denselben Bedingungen das Auftreten
von Extravasaten beobachten.
Betrachtet man den Verlauf der Blutgefässe im Inneren der
Blutlymphdrüsen, so kann man nachweisen, dass auch hier, wie
in gewöhnlichen Lymphdrüsen, nahezu alle Gefässe (Arterien,
Kapillaren und Venen) im Iymphoiden Gewebe — in den Mark-
strängen und Rindenknoten — verlaufen. Nur in der Gegend
des Hilus treten die Gefässe umgeben von Hilusbindegewebe ein
resp. aus, ohne dass sie von Iymphoidem Gewebe umgeben sind.
Dieses Bindegewebe begleitet die Gefässe auch noch auf eine
kürzere Strecke in das Innere der Drüse hinein und wenn in
der betreffenden Drüse Trabekel ausgebildet sind, verlaufen
Arterien und Venen eine Strecke weit in diesen („Balkenvenen“
nach Weidenreich).
Nur ausnahmsweise tritt eine Vene auch ganz an die
Oberfläche des Iymphoiden Gewebes und liegt dann einem Sinus
direkt an. In Fig. 3 ist eine derartige Stelle abgebildet.
An vollkommenen Injektionspräparaten von Blutlymphdrüsen
überrascht in den meisten Fällen die grosse Menge der Venen
und ihre verhältnismässig beträchtliche Weite („Venenlakunen“
Weidenreichs). Ihre Wandung besteht, wie auch Weiden-
reich hervorhebt nur aus einer einfachen Endothellage: sie
weisen also den Bau von Kapillaren auf und können zutreffend
als „kapillare Venen“ bezeichnet werden.
Auch an Venen, die an anderen Stellen als am Hilus aus-
treten, sieht man deutlich, dass ihre Wandung nur von einem
einfachen Endothel gebildet wird. Dort, wo derartige Venen
den Randsinus durchsetzen, erscheint als Grenze zwischen beiden
sehr deutlich die einfache geschlossene Endothellage der Venen.
An den Kapillaren und kapillaren Venen im Iymphoiden
Gewebe sind die Wandungen stellenweise kaum nachweisbar.
Man erkennt an Injektionspräparaten an manchen Stellen nur
g*+
112 Siegmundv. Schumacher:
daran das Vorhandensein einer Wandung, dass die Injektions-
masse nicht in das benachbarte Iymphoide Gewebe austritt,
sondern sich als Ausguss von mit undurchbrochener Wandung
versehenen Röhren kundgibt.
Ich kann daher die Angabe Weidenreichs, dass die
injizierte Lösung sich zwischen den Leukocyten einen Weg bahnt
und eine Begrenzung nach dem Iymphoiden Gewebe hin voll-
ständig fehlt, nicht bestätigen; die Regel ist sicher, dass die
Kapillaren und Venen gegen das lIymphoide Gewebe hin eine
ganz dünne, aber ununterbrochene endotheliale Wandung besitzen.
An den kapillaren Venen kann man an zahlreichen Stellen
das Eindringen von Lymphocyten durch die Endothelwand nach-
weisen. Ist dies in sehr reichlichem Maße der Fall, so kann die
Gefässwandung wie durchbrochen erscheinen und an derartigen
Stellen kann man gelegentlich auch Injektionsmasse aus den
kapillaren Venen austreten sehen. Auch im Inneren der kapillaren
Venen findet man oft in grosser Menge Lymphocyten, die
zweifellos von dem Iymphoiden Gewebe aus in die Gefässe ein-
gewandert sind. Durchwanderungsbilder von Lymphocyten in die
Venen und Kapillaren konnte ich schon früher an Lymphdrüsen
des Menschen und verschiedener Säugetiere nachweisen und es
konnte auch durch vergleichende Zählung der weissen Blut-
körperchen im Arterien- und Venenblut der Lymphdrüsen gezeigt
werden, dass Leukocyten innerhalb der Lymphdrüsen in die
Blutbahn gelangt sein müssen. Das Ergebnis der diesbezüglichen
Untersuchung fasste ich (27) seinerzeit folgendermassen zusammen:
„Die abführenden Lymphgefässe sind nicht der ein-
zige Abflussweg der neugebildeten Leukocyten,
sondern zahlreiche gelangen durch Durchwanderung
der Venenwand aus den Lymphdrüsen direkt in die
Blutbahn. Wahrscheinlich benutzen die roten Blutkörperchen
denselben Weg, den die Leukocyten zu ihrem Übertritt aus den
Lymphdrüsen in die Gefässe benutzten.“
Wenn Weidenreich sagt, dass die Ableitung der roten
Blutkörperchen nicht die Hauptaufgabe der Venen der Blutlymph-
drüsen ist, sondern dass sie vornehmlich dazu dienen, die in den
Drüsen gebildeten Leukocyten in den Kreislauf zu bringen, so
stimme ich mit ihm insofern überein, als auch nach meiner Ansicht
den Venen neben der Ableitung der roten Blutkörperchen die Ab-
Die Blutlymphdrüsen. 13
leitung der Leukocyten zufällt. Sollen aus den Blutlymphdrüsen,
die ja keine Lymphgefässe besitzen, Leukocyten schliesslich in
die Blutbahn gelangen, so bleibt kein anderer Weg übrig als
durch die dünne Wandung der Blutgefässe hindurch direkt in
die Blutbahn. Das Vorkommen eines derartigen Übertrittes wird,
wie schon gesagt, durch die mikroskopischen Bilder bestätigt.
Keinesfalls darf aber die Dünnwandigkeit der Venen als
charakteristisch für die Blutlymphdrüsen angesehen werden. Wir
finden in jedem Punkte genau dieselben Bilder auch in anderen,
namentlich jungen Lymphdrüsen, ob sie nun Lymphgefässe besitzen
oder nicht.
Auch Piltz fand in den Venen eine überraschend grosse
Anzahl von Lymphocyten und schliesst sich der Ansicht an, dass
die Venen in den Blutlymphdrüsen die Funktion der abführenden
Lymphgefässe mit übernommen haben und die neugebildeten
Lymphocyten aus dem Organ wegführen.
Andererseits findet man namentlich die grösseren Venen
im Iymphoiden Gewebe auffallend häufig ganz inhaltslos, wie dies
auch schon Weidenreich und Piltz aufgefallen ist. Derartige
Venen sehen auf den ersten Blick den Sinus ähnlich, unter-
scheiden sich aber von diesen durch das Fehlen des Retikulum.
Eine weitere Frage ist die, wie gelangen die roten Blut-
körperchen in die Sinus und das Iymphoide Gewebe? Alle
Untersucher, die sich in letzter Zeit eingehend mit dem Aufbau
der Blutlymphdrüsen befasst haben, stimmen darin überein, dass
nirgends innerhalb der Lymphdrüsen eine direkte Einmündung
von Blutgefässen in die Sinus erfolgt. Da bei den typischen
Blutlymphdrüsen zuführende (und abführende) Lymphgefässe
fehlen, so scheint auf den ersten Blick keine andere Möglichkeit
zu bestehen, als dass die roten Blutkörperchen in den Sinus aus
den Blutgefässen innerhalb der Lymphdrüsen stammen.
Man könnte höchstens daran denken, dass Erythrocyten in
den Blutlymphdrüsen in grosser Menge neugebildet werden.
wobertson (23), Clarkson (6) und Retterer (22) betrachten
zwar die Sinus als Brutstellen roter Blutkörperchen und Gütig (11)
hat an Ausstrichpräparaten von „Blutlymphdrüsen“ des Schweines
Erythroblasten gesehen. Alle anderen Autoren halten die Blut-
Iymphdrüsen nicht für Neubildungs-, sondern für Zerstörungs-
stätten roter Blutkörperchen. Bei den ausserordentlich grossen
114 Siegmundv. Schumacher:
Mengen von roten Blutkörperchen in den Sinus müssten doch
auch in grosser Zahl Erythroblasten gefunden werden, wenn es
sich tatsächlich um neugebildete rote Blutkörperchen handeln
sollte. Ich fand in den Blutlymphdrüsen des Schafes keine
Erythroblasten. Da ausserdem, wie später gezeigt werden soll,
nachgewiesen werden kann, dass in grossen Mengen rote Blut-
körperchen in die Sinus während der Entwicklung der Lymph-
drüsen hineingelangen, so kann mit Sicherheit geschlossen werden,
dass wenigstens die überwiegende Anzahl von Erythrocyten nicht
innerhalb der Lymphdrüsen neugebildet wird. Dabei besteht ja
immerhin die Möglichkeit, dass einzelne rote Blutkörperchen in
den Blutlymphdrüsen neugebildet werden, aber jedenfalls müsste
wenigstens beim Schafe die Zahl der letzteren ganz in den Hinter-
grund gegenüber den aus der Blutbahn stammenden treten.
Wie schon erwähnt, nimmt Helly an, dass das blut in
den Sinus der Blutlymphdrüsen aus kleinen lokalen Hämorrhagien
innerhalb der Lymphdrüsen herrührt, während Weidenreich
eine ständige, allerdings indirekte Verbindung des Blutstromes
aus den Blutgefässen durch das Iymphoide (Gewebe hindurch mit
den Sinus annimmt.
Ich stehe auch heute noch auf dem Standpunkt, den ich
schon in einer meiner früheren Arbeiten über die Lymphdrüsen
eingenommen habe, dass rote Blutkörperchen aus den Venen (und
Kapillaren) des Iymphoiden Gewebes austreten können, dass also
gelegentlich jede gewöhnliche Lymphdrüse sowohl im Iymphoiden
Gewebe als auch in ihren Sinus rote Blutkörperchen enthalten
kann. Namentlich dürfte dort ein reichlicherer Austritt von
roten Blutkörperchen aus den Blutgefässen der Lymphdrüsen
statthaben, wo durch reichliche Einwanderung von Lymphoeyten
die Wandungen der Venen und Kapillaren gelockert worden sind.
Allerdings besteht noch ein anderer Weg, auf dem rote
Blutkörperchen in die Sinus der Lymphdrüsen in grösster Menge
gelangen. Darauf werde ich weiter unten bei der Besprechung
der Entwicklung der Lymphdrüsen noch zu sprechen kommen.
Sinus, Ilymphoides Gewebe, Kapsel, Trabekel.
Bezüglich der Anordnung der Sinus in den Blutlymphdrüsen
kann ich die Angaben früherer Autoren in den meisten Punkten
bestätigen. Gewöhnlich findet man den Marginalsinus der Blut-
Die Blutlymphdrüsen. 115
Iymphdrüsen auffallend weit und zwar hauptsächlich dann, wenn
er strotzend mit roten Blutkörperchen gefüllt ist (Fig. 3). Es
kommen aber auch Blutlymphdrüsen vor, wo der Marginalsinus
stellenweise auf einen engen Spalt reduziert erscheint, indem das
Iymphoide Gewebe bis nahezu an die Kapsel heranreicht. In
den Randsinus ragen die buckelförmigen Erhebungen der Rinden-
substanz hinein, und je mehr das Iymphoide Gewebe an Aus-
dehnung zunimmt, um so mehr wird der Rkandsinus eingeengt.
baum erwähnt, dass gelegentlich der subkapsuläre Blut-
raum in Blutlymphdrüsen vollständig fehlen kann. Auch ich habe
kleine Blutlymphdrüsen gesehen, in denen ein kandsinus nicht
nachzuweisen war, während die Intermediärsinus erhalten waren.
Mit Ausnahme der allerkleinsten, jüngsten Blutlymphdrüsen
sieht man, dass der Marginalsinus an vielen Stellen sich mit den
Sinus der Marksubstanz — den Intermediärsinus — in Ver-
bindung setzt. Auch letztere sind im Vergleiche zu Lymph-
drüsen, deren Sinus nicht mit Blut gefüllt sind, gewöhnlich
recht weit.
Die Sinus sind allenthaiben von einem ziemlich spärlichen
Retikulum durchzogen, das im wesentlichen und namentlich bei
den kleinsten Blutlymphdrüsen zellig ist und mit dem Sinus-
endothel zusammenhängt.
Nach Piltz sammeln sich in den Blutlymphdrüsen des
Rindes, wenn auch nicht konstant, so doch häufig, die vom
peripheren Sinus ausgehenden Räume in der Mitte der Lymph-
drüse in einem zentralen Sinus.
Ich möchte dieses Verhalten nicht als typisch für die Blut-
Iymphdrüsen des Schafes hinstellen, denn gewöhnlich haben wir
es hier nicht mit einem einzigen zentralen Sinus zu tun, sondern
mit einem ganzen System von Sinusräumen.
Im grossen und ganzen ist demnach die Anordnung der
Sinus dieselbe wie in gewöhnlichen jugendlichen Lymphdrüsen;
sie unterscheidet sich von letzteren hauptsächlich durch eine
beträchtlichere Weite der einzelnen Sinus. Es erscheinen diese
durch die pralle Füllung mit Blut ausgeweitet und infolgedessen
das Retikulum verhältnismässig spärlich.
Einen strittigen Punkt bildet die Auskleidung der Sinus
mit Endothel. Während eine Reihe von Autoren annimmt, dass
das Iymphoide Gewebe gegen die Sinus hin durch eine ge-
116 Siegmundv. Schumacher:
schlossene Lage von Endothel abgegrenzt wird, stehen andere
auf dem Standpunkt, dass das Endothel keine allenthalben ge-
schlossene Lage bildet, sondern unterbrochen ist, so dass körper-
liche Elemente vom Iymphoiden Gewebe aus stets in die Sinus
gelangen können oder umgekehrt.
Wenn Thome& (28), Weidenreich und andere annehmen,
dass die Endothelzellen in den Lymphdrüsen nichts anderes als
Retikulumzellen sind, die allerdings, wenn sie gegen das lymphoide
Gewebe hin angepresst werden, eine Art Endothelbelag bilden
können, so schliesse ich mich dieser Ansicht insofern an, als auch
ich Endothel- und Retikulumzellen als zusammengehörig betrachte.
Es stammen nämlich die Retikulumzellen der Sinus nach meinen
Befunden von den Endothelzellen der Sinus ab.
Keinesfalls darf von einem geschlossenen, das Iymphoide
Gewebe gegen die Sinus hin allenthalben vollständig abschliessen-
den Endothelbelag gesprochen werden. Wenn auch oft auf
grössere Strecken hin eine durch das Endothel gebildete scharfe
Grenze zwischen Iymphoidem Gewebe besteht, so dass kein regerer
Übertritt der in den Sinus gelegenen Elemente in das Iymphoide
Gewebe hinein oder umgekehrt nachzuweisen ist, so kommen
doch andererseits in jeder Blutlymphdrüse (sowie wahrscheinlich
auch in jeder gewöhnlichen Lymphdrüse) Stellen vor, wo von
einer scharfen Abgrenzung der Sinus nicht die Rede sein kann.
Man sieht an derartigen Stellen die Elemente der Sinus und des
lymphoiden Gewebes sich gegenseitig durchsetzen, indem zwischen
die in den Sinus gelegenen roten Blutkörperchen grosse Mengen
von Lymphocyten und andererseits zwischen die Lymphocyten des
lymphoiden Gewebes zahlreiche rote Blutkörperchen aus den
Sinus eindringen. Ja, es kann die Vermengung der Elemente
der Sinus und des Iymphoiden Gewebes soweit gehen, dass man
auch nicht mehr andeutungsweise eine Abgrenzung zwischen Sinus
und Iymphoidem Gewebe nachweisen kann. Es erscheint dann
eine derartige Partie von ziemlich gleichmässig vermengten roten
Blutkörperchen und Lymphocyten eingenommen (Fig. 3, Ue).
Auch Piltz gibt an, dass es infolge der Vermengung von
Lymphzellen und roten Blutkörperchen oft nicht möglich ist, zu
unterscheiden, ob eine bestimmte Stelle dem Blutraum oder dem
Iymphatischen Gewebe angehört und dass Sinus und Iympha-
tisches Gewebe nicht durch feste Grenzen getrennt sind.
Die Blutlymphdrüsen. 117
Die Kapsel der Blutlymphdrüsen ist im allgemeinen schwach
entwickelt und kann bei Lymphdrüsen ganz junger Tiere nahezu
vollkommen fehlen. Sie enthält, wie von allen Autoren überein-
stimmend angegeben wird, glatte Muskulatur, Bindegewebsfibrillen
und elastische Fasern; allerdings ist die Beteiligung dieser drei
Komponenten in den einzelnen Fällen eine recht verschiedene.
Piltz beschreibt in Übereinstimmung mit anderen Autoren
in den Blutlymphdrüsen des Rindes ein allmähliches Auseinander-
weichen der Gewebsbündel der Kapsel gegen den Marginalsinus
hin, so dass kleinere und grössere Lücken entstehen, die mit
Blut gefüllt sind und mit dem Randsinus in Verbindung stehen.
Auf diese Weise löst sich nach Piltz die Kapsel so allmählich
ins Retikulum des peripheren Sinus auf, dass eine einigermassen
genaue Abgrenzung beider nicht möglich ist. „Dass die in der
Kapsel liegenden Räume mit dem Sinus zusammenhängen, lässt
sich unschwer schon an ihrer Füllung mit roten Blutkörperchen,
ganz sicher aber durch Serienschnitte nachweisen.“ In den Blut-
Iymphdrüsen des Schafes konnte ich ein derartiges Verhalten der
Kapsel ebensowenig wie Weidenreich finden. Hingegen möchte
ich gleich hier bemerken, dass in Blutlymphdrüsen des Hirsch-
kalbes eine allmähliche Auflösung der Kapsel gegen den Marginal-
sinus hin vorkommt, genau in der Weise, wie es von Pıiltz für
das Rind beschrieben wird. In den Blutlymphdrüsen des Schafes
setzt sich die Kapsel stets scharf vom Randsinus ab, ohne
dass Ausbuchtungen des letzteren in die Kapsel hinein zu be-
obachten sind.
Trabekel fehlen in den Blutiymphdrüsen nahezu vollständig.
Nur in der Gegend des Hilus sieht man in manchen Blutlymph-
drüsen das Hilusgewebe die ein- resp. austretenden Gefässe eine
Strecke weit in das Innere der Drüse begleiten. Diese Züge von
Hilusgewebe, die aber nur um die Gefässe herum gelagert er-
scheinen, machen den Eindruck von Trabekeln. An anderen
Stellen der Blutlymphdrüsen sah ich aber nie grössere Züge von
Kapselgewebe nach Art von Trabekeln in das Innere treten, auch
dort nicht, wo grössere Venen — entfernt vom Hilus — aus den
Drüsen kommen und die Kapsel durchsetzen.
Bezüglich des Iymphoiden Gewebes der Blutlymphdrüsen
stimmen meine Befunde mit denen früherer Autoren überein.
Dasselbe lässt nach den Angaben aller Autoren keine Trennung
118 Siegmundv. Schumacher:
in Rinden- und Marksubstanz erkennen. Es bildet eine zusammen-
hängende Masse, die nur von den in der Regel weiten, aber im
Vergleiche zu gut entwickelten gewöhnlichen Lymphdrüsen spär-
lichen Intermediärsinus unterbrochen wird.
Rindenknoten sind im allgemeinen nur insofern angedeutet,
als der äussere Kontur des Iymphoiden (Gewebes stellenweise
buckelförmige Erhebungen gegen den Marginalsinus hin aufweist.
Keimzentren können vollkommen fehlen, was namentlich in
den kleinsten Blutlymphdrüsen gewöhnlich der Fall ist. Wo
Keimzentren vorhanden sind, zeigen sie die für diese charakte-
ristischen epitheloiden Zellen, und man erkennt auch hier, sowie
in gewöhnlichen Lymphdrüsen in der unmittelbaren Umgebung
der Keimzentren häufig eine dichtere Lagerung der Lymphocyten,
so dass sie in Form von konzentrischen Ringen die Keimzentren
umgeben.
Stets findet man im Iymphoiden Gewebe der Blutlymph-
drüsen rote Blutkörperchen, die bald in grösserer Menge bei-
sammenliegend, bald nur vereinzelt zwischen den Lymphocyten
getroffen werden. Während ihre Zahl manchmal eine geringe
ist. können sie sich gelegentlich — wie schon Weidenreich
betont — in solchen Mengen finden, das sie den Lymphocyten.
an Zahl gleichkommen oder sie übertreffen.
In manchen Blutlymphdrüsen fällt der grosse Gehalt des
Iymphoiden Gewebes an eosinophilen Leukocyten auf (Fig. 3),
worauf auch schon Weidenreich (31) hingewiesen hat. Auf-
fallend ist dabei zunächst der Umstand, dass sie innerhalb der
Sinus nur verhältnismässig selten gefunden werden. In manchen
Blutlymphdrüsen scheinen aber eosinophile Leukocyten vollkommen
zu fehlen. Kommen sie in einer Lymphdrüse vor, so sind sie
gewöhnlich in sehr grosser Menge vorhanden und liegen entweder
einzeln oder in grösseren Gruppen beisammen.
Das Vorkommen von Eosinophilen ist durchaus nicht
charakteristisch für die Blutlymphdrüsen. Man findet solche in
den gewöhnlichen Lymphdrüsen des Schafes gelegentlich in noch
grösserer Menge als in Blutlymphdrüsen. Fig. 4 zeigt, in
welch grosser Anzahl eosinophile Leukocyten mitunter in einer
sewöhnlichen Lymphdrüse gefunden werden können. Die Ab-
bildung stammt aus einer Lymphdrüse, in der ähnliche Gruppen
Die Blutlymphdrüsen. 119
von Eosinophilen auch noch an vielen anderen Stellen und
massenhaft einzeln liegende Eosinophile gefunden wurden. Rote
Blutkörperchen waren hingegen in dieser Lymphdrüse weder im
Iymphoiden Gewebe noch in den Sinus zu finden.
Zerstörung der roten Blutkörperchen in den
Blutlymphdrüsen.
Die meisten Autoren stimmen darin überein, dass die in
den Sinus und auch im Iymphoiden Gewebe (ausserhalb der
Blutgefässe) der Blutlymphdrüsen gelegenen roten Blutkörperchen
dem Untergange geweiht sind und zwar, dass sie innerhalb der
Lymphdrüsen zugrunde gehen. Nachdem es feststeht, dass den
eigentlichen Blutlymphdrüsen zu- und abführende Lymphgefässe
fehlen, besteht auch kaum ‚eine andere Möglichkeit, da ein
Zurückgelangen der ausserhalb der Gefässe liegenden roten Blut-
körperchen in die Blutbahn wohl kaum anzunehmen ist. Über
die Art des Unterganges sind allerdings die Meinungen ver-
schieden. Schon in früheren Arbeiten (26, 27) habe ich gezeigt,
dass die Lymphdrüsen ähnlich wie die Milz Zerstörungsstätten
roter Blutkörperchen darstellen und dass die in die Sinus gelangten
Erythrocyten von Phagocyten aufgenommen und zerstört werden.
Letztere sind modifizierte Retikulumzellen. Meine Angaben
wurden zunächst von Thome (28), dann von einer Reihe anderer
Autoren bestätigt.
Weidenreich (31) nimmt an, dass in den Blutlymphdrüsen
des Schafes die roten Blutkörperchen in Körnchen zerfallen, dass
letztere von Leukocyten aufgenommen werden und auf diese
Weise eosinophile Leukocyten entstehen: „Die eosinophilen Leuko-
cyten sind also nichts anderes als sogenannte Lymphocyten,
welche die durch den Zerfall roter Blutkörperchen entstehenden
feinen Trümmer in ihren Plasmaleib aufnehmen, wobei ihr Kern
in die polymorphe Form übergeht.“ Während nach Weiden-
reich ein Teil der eosinophilen Leukocyten durch den Blutstrom
in den Kreislauf gelangt, geht ein anderer Teil innerhalb der
Drüsen selbst zugrunde und zwar indem sie von Retikulumzellen,
die zu Riesenzellen anwachsen, aufgenommen und zerstört
werden — „indirekte Hämophagocytose“. Es kommt daneben
nach Weidenreich aber noch eine zweite Art von Zerstörung
roter Blutkörperchen innerhalb der Blutlymphdrüsen vor, nämlich
120 Siegmundv. Schumacher:
die durch Aufnahme von ganzen roten Blutkörperchen durch
Retikulumzellen —= „direkte Hämophagocytose“.
Die Annahme Weidenreichs, dass die Granula der
eosinophilen Leukocyten nichts anderes als Trümmer roter Blut-
körperchen darstellen, erfuhr in der Folge teils Zustimmung,
teils Ablehnung; ich will hier nicht auf die ganze diesbezügliche
Literatur eingehen, sondern möchte nur bemerken, dass meiner
Meinung nach gegen die Auffassung Weidenreichs haupt-
sächlich der Umstand spricht, dass man in grösster Menge
eosinophile Leukocyten in gewöhnlichen Lymphdrüsen finden kann,
in denen auch nicht ein ausserhalb der Blutbahn liegender
Erythrocyt nachzuweisen ist, dass ferner mindestens ebenso grosse
Mengen Eosinophiler wie in den Blutlymphdrüsen auch in der
Thymus und der Bursa Fabricii vorkommen, also in Organen, in
denen eine Zerstörung roter Blutkörperchen in ausgedehnterem
Umfange nicht angenommen werden kann. Ausserdem sei erwähnt,
dass die eosinophilen Granula bei protrahierter Färbung mit Eosin
einen wesentlich anderen, mehr karminroten Farbenton annehmen
als die roten Blutkörperchen (Fig. 3).
Piltz konnte in den Blutlymphdrüsen des Rindes nur die
Aufnahme ganzer roter Blutkörperchen durch Retikulumzellen
nachweisen, die sich innerhalb der letzteren in Pigmentkörnchen
umwandeln, will aber die Möglichkeit des von Weidenreich
beschriebenen Vorganges der Entstehung eosinophiler Leukocyten
nicht in Abrede stellen.
Nach den Befunden von Piltz überwiegt in den Sinus-
räumen das feingekörnte, im Iymphatischen Gewebe das klumpige
und schollige Pigment. Piltz macht für die Bemerkung anderer
Autoren, dass beim Rind der Prozess der Phagocytose selten
zu beobachten wäre, die äusserst starke Füllung der Sinus
und die Dichte des Retikulums verantwortlich, indem hierdurch
der Nachweis der Phagocyten erschwert wird. Die Aufnahme
roter Blutkörperchen durch Phagocyten konnte Piltz haupt-
sächlich in den Sinus beobachten. In der Nähe der insbesondere
im Iymphoiden Gewebe gelegenen — vorzugsweise auch in den
Keimzentren — groben Pigmentschollen bemühte sich Piltz
vergeblich den Vorgang der Phagocytose zu beobachten.
Nach Helly wird noch zu untersuchen sein, „ob der
Grad der in den roten Lymphdrüsen stattfindenden Zerstörung
Die Blutlymphdrüsen. 121
roter Blutkörperchen im Einklange mit deren Menge in den
Sinus steht“.
Als ich die ersten Blutlymphdrüsen des Schafes untersuchte,
war ich tatsächlich überrascht, trotz der Unmenge roter Blut-
körperchen keine einwandfreien Phagocyten, welche Erythrocyten
aufgenommen hatten, zu finden, um so mehr, als ich Phagocyten
in den bluthaltigen Lymphdrüsen von Macacus in grösster Menge
zu sehen gewöhnt war. Gewiss wird der Nachweis durch die
dichte Lagerung der roten Blutkörperchen in den Sinus wesent-
lich erschwert, wie dies von Piltz angegeben wurde. Um diese
Schwierigkeit zu umgehen, untersuchte ich zwei Blutlymphdrüsen
im frischen Zustande, in Zupfpräparaten, aber ebenfalls mit
negativem Erfolge. Ich fand wohl einige grössere Zellen mit
verschieden grossen Körnchen. Eine einzige von diesen schien
Fragmente von roten Blutkörperchen zu enthalten. Später sah
ich allerdings in mehreren Blutlymphdrüsen an Schnittpräparaten
einwandfreie Phagocyten und zwar hauptsächlich im Iymphoiden
Gewebe gelegen, die zum Teil mit roten Blutkörperchen voll-
gepfropft waren, zum Teil nur deren wenige enthielten. Viele
von den aufgenommenen Erythrocyten sind schwächer färbbar
und nur mehr schwer nachzuweisen. Sicher kommt auch ein
scholliger Zerfall roter Blutkörperchen in Phagocyten vor. Ausser
roten Blutkörperchen sieht man in vielen Phagocyten auch Kerne
resp. Kernreste von verschiedenen Leukocytenformen, so wie ich
das für die Lymphdrüsen von Macacus beschrieben habe.
Die Phagocyten gehören den Retikulumzellen an; sie zeigen
den gleichen Kern wie letztere und gelegentlich — wenn die
Zellen nicht zu dicht aneinandergedrängt liegen — kann man
auch noch den einen oder anderen Fortsatz an einem Phagocyten
sehen. Sind überhaupt mit roten Blutkörperchen beladene Phago-
cyten in einer Blutlymphdrüse vorhanden, so findet man sie ge-
wöhnlich in grosser Menge. Auch in Keimzentren kommen
gelegentlich Phagocyten mit roten Blutkörperchen vor. Ich habe
eine derartige Stelle mit vier Phagocyten in Fig. 5 wiedergegeben.
In einzelnen Phagocyten lässt sich auch ein Zusammentliessen
von roten Blutkörperchen zu einem grossen kugeligen, sich mit
Eosin rot färbenden Tropfen nachweisen.
Pigmentführende Zellen sah ich in den Lymphdrüsen des
Schafes verhältnismässig selten. Es scheint Pigment nur in der
122 Siegmundv. Schumacher:
feinkörnigen, gelbbraunen Form vorzukommen: die groben,
dunklen Pigmentschollen, die Piltz in den Blutlymphdrüsen des
Rindes neben dem feinkörnigen Pigment fand, dürften beim
Schafe fehlen.
Ich glaube somit auf Grund meiner Befunde annehmen zu
dürfen, dass in den Blutlymphdrüsen des Schafes, sowie in anderen
Lymphdrüsen, eine Zerstörung der ausserhalb der Blutbahn ge-
legenen roten Blutkörperchen durch Phagocytose erfolgt, dass
die Phagocyten Retikulumzellen sind, innerhalb welcher sich die
aufgenommenen Erythrocyten wenigstens teilweise in Pigment
umwandeln. Immerhin scheint die Zerstörung von roten Blut-
körperchen in den Blutlymphdrüsen des Schafes keine so lebhafte
zu sein wie z. B. in den Lymphdrüsen der Affen, und ausserdem
scheint sie nicht ununterbrochen abzulaufen, da man auch Blut-
Iymphdrüsen finden kann, in denen keine Anzeichen von Phago-
cytose nachzuweisen sind. In bluthaltigen Lymphdrüsen mit
Lymphgefässen dürfte wenigstens ein grosser Teil der inner-
halb der Sinus freiliegenden roten Blutkörperchen durch die Vasa
efferentia abgeführt werden. da ich in einigen Fällen in diesen
Ervthrocyten nachweisen konnte.
Überblicken wir die bisher erhobenen Befunde, so können
wir sagen, dass die Blutlymphdrüsen des Schafes
Formen darstellen, die im allgemeinen Jugend-
stadien gewöhnlicher Lymphdrüsen entsprechen.
Hierfür spricht die im allgemeinen geringe Grösse, die schwache
Ausbildung der Kapsel, das Fehlen der Trabekel, die mangelhafte
Gliederung des Iymphoiden Gewebes und dementsprechend auch
der Sinus, weshalb eine scharfe Trennung in Rinden- und Mark-
substanz unmöglich ist, das oft vollständige Fehlen oder doch
die spärliche Ausbildung der Keimzentren. Die Weite der Sinus
dürfte zum Teil sicher mit dem Füllungsgrade derselben mit
Blut zusammenhängen. Da das Vorkommen von Blutin
denLymphsinuskeineswegsausschliesslich für Blut-
Iymphdrüsen charakteristisch ist und ebenso die
Lymphgefässe bei nicht bluthaltigen Lymphdrüsen
fehlen können, so bleibt kein charakteristisches
Merkmal für die Blutlymphdrüsen übrig, das es
rechtfertigen würde, dieselben als Organe sui
generis hinzustellen. ;
Die Blutlymphdrüsen. 123
Die Entwicklung der Lymphdrüsen beim Schafe.
Obwohl gerade vom Studium der Entwicklung der Blut-
Iymphdrüsen Aufschlüsse über ihre Beziehungen zu den gewöhn-
lichen Lymphdrüsen zu erwarten sind, so ist hierüber doch so
gut wie nichts bekannt. Es werden von einzelnen Autoren Ver-
mutungen hierüber aufgestellt, die aber alle einer tatsächlichen
Grundlage entbehren.
Vincent und Harrison (29) halten die Blutlymphdrüsen
für modifizierte Lymphdrüsen und glauben, dass sie sich aus
diesen entwickeln. Eigene Untersuchungen über diese Entwicklung
führten sie aber nicht aus.
Nach Drummond (8) sind die Blutlymphdrüsen als Organe
sui generis zu betrachten, obwohl ihre erste Entwicklung gleich
der gewöhnlicher Lymphdrüsen abläuft.
Piltz nimmt an, dass aus Blutlymphdrüsen sich echte Lymph-
drüsen entwickeln. Er stellt sich diese Umwandlung folgender-
massen vor: Die Blutsinus bilden ursprünglich eine Erweiterung
des Kapillarsystems, verlieren dann den freien Zusammenhang
mit den Blutgefässen. Später dringen von aussen her die blinden
Enden der Lymphgefässe vor, so dass eine Verbindung der Sinus
mit den Lymphgefässen hergestellt wird. Hierbei stützt sich
Piltz hauptsächlich auf die Angabe Sabins (24), dass die
Lymphdrüsenanlage um Blutgefässe herum beginnt, und dass ein
Hineinwachsen von Lymphgefässen erst in einem späteren Stadium,
erfolgt.
A. Meyer (18) bemerkt, dass man bei 9,5 cm langen
Schaffeten in der Lendengegend die ersten Unterschiede zwischen
den Anlagen von Lymphdrüsen und Blutlymphdrüsen findet, gibt
aber nur an, dass die Blutlymphdrüsen vom Mesenchym abstammen
und später vaskularisiert werden.
Da nach meinen Untersuchungen in der ersten Entwicklung
zwischen gewöhnlichen und Blutlymphdrüsen keine Unterschiede
bestehen, so möchte ich kurz auf die wichtigsten Literaturangaben
über die für unseren Gegenstand in Betracht kommenden Ver-
hältnisse eingehen und speziell die Untersuchungsergebnisse
Klings (15) über die Entwicklung der menschlichen Lymph-
drüsen in der Achselhöhle anführen.
Kling leitet so wie Chievitz (5), Gulland (12) und
Saxer (25) den Marginalsinus aus primär vorhandenen Lymph-
124 | Siegmundv. Schumacher:
gefässen ab. Kling unterscheidet „allgemeine“ und „spezielle“
Lymphdrüsenanlagen. Im dritten Fetalmonat stellt sich nach
Kling innerhalb der Maschen eines Lymphgefässgeflechtes ein
Differenzierungsprozess ein, der zur Entstehung von zellen- und
blutgefässreichen Partien führt, die wegen ihrer Lokalisation in
den Maschen des Lymphgefässnetzes eine unregelmässig trabekuläre
Anordnung zeigen. Einer jeden späteren Lymphdrüsengruppe
entspricht eine derartige allgemeine Lymphdrüsenanlage. Durch
Teilung der letzteren bilden sich die Anlagen für die einzelnen
Lymphdrüsen, die speziellen Lymphdrüsenanlagen. Die Teilung
scheint durch Einwachsen und Erweiterung benachbarter Lymph-
gefässe vermittelt zu werden. Die spezielle Lymphdrüsenanlage
entbehrt anfänglich innerer Lymphbahnen und bildet also eine
kompakte Zellmasse, die von einem reichlichen korbähnlichen
Lymphgefässplexus — dem Marginalplexus — umsponnen ist,
welch letzterer an mehreren Stellen mit benachbarten Lymph-
gefässen in Verbindung steht. Durch Vergrösserung und Konfluenz
der Lymphgefässe im Marginalplexus entsteht der Marginalsinus.
Aus dem Teile des Marginalsinus, der den Hilus umgibt, dringen
in die Drüsenanlage zahlreiche, netzförmig angeordnete Lymph-
gefässe ein, die erst das Hilusbindegewebe und dann auch das
Drüsenparenchym durchwachsen. An der Grenze zwischen beiden
verbinden sie sich durch zahlreiche Anastomosen zu einem
gewöhnlich plexiformen Terminalsinus. Die in die Drüsensubstanz
eindringenden Lymphgefässe bilden die intermediären Lymphsinus,
von welchen eine geringere Anzahl allmählich dem Marginalsinus
entgegenwächst, um sich von innen her mit diesem zu vereinigen.
Die Lymphsinus in der Drüse sind also anfänglich gewöhnliche
Lymphgefässe. Die Retikulumzellen in ihrem Lumen treten erst
sekundär auf und sind Abkömmlinge des Lymphgefässendothels.
Die speziellen Lymphdrüsenanlagen sind vom Anfange an ver-
schieden gross; sie durchlaufen nicht alle gleichzeitig die ver-
schiedenen Entwicklungsphasen. Einige erreichen während des
intrauterinen Lebens ihren definitiven Bau, während andere auf
einem niedrigen Entwicklungsstadium stehen bleiben. Die kleinen,
oft mikroskopischen Drüsen, die man beim erwachsenen Menschen
neben den grösseren findet, sind als rudimentäre Drüsen zu
betrachten, die unter gewissen Umständen auch beim Erwachsenen
sich weiter entwickeln können.
Die Blutlymphdrüsen. 125
Die Ergebnisse meiner Untersuchungen über die Lymph-
drüsenentwicklung beim Schaf stimmen mit diesen Angaben
Klings in allen wesentlichen Punkten überein.
Für gewöhnlich wählte ich die Prädilektionsstelle der Blut-
Iymphdrüsen — das ist das retroperitoneale (rewebe von den Nieren-
arterien bis kaudal von der Teilungsstelle der Aorta — zur
Untersuchung. Die betreffende Partie wurde im ganzen eingebettet
und in Schnittreihen zerlegt.
3ei einem 14 cm langen Schaffetus treten retroperitoneal
in einem verdichteten zellreichen Gewebe Ansammlungen von
Lymphocyten auf. Diese Ansammlungen sind nicht scharf gegen
die Umgebung abgegrenzt; allenthalben liegen zwischen ihnen
zahlreiche Lymphgefässe und sind — was besonders an injizierten
Präparaten auffällt — ausserordentlich reichlich vaskularisiert.
Die Venen bilden innerhalb der Zellansammlungen Getlechte.
Derartige Bilder würden als „allgemeine Lymphdrüsenanlagen“
im Sinne Klings aufzufassen sein. Daneben sind allerdings
auch schon „spezielle Lymphdrüsenanlagen“ zu unterscheiden, die
kleiner und mehr oder weniger kugelig erscheinen. Lymphgefässe
findet man bei den speziellen Lymphdrüsenanlagen nur der
Peripherie angelagert, Blutgefässplexus nur im Inneren der Anlage.
Diese speziellen Anlagen liegen oft ganz isoliert und weit entfernt
von den allgemeinen Anlagen, so dass man annehmen muss, dass
spezielle Lymphdrüsenanlagen sich auch unabhängig von den
allgemeinen ausbilden können. Es dürften nur dort allgemeine
Anlagen auftreten, wo später Gruppen von eng aneinanderliegenden
Lymphdrüsen vorkommen.
Lymphdrüsen mit ausgebildeten Lymphsinus kommen in
diesem Stadium noch nicht vor.
Bei einem 24 cm langen Schaffetus fand ich keine allgemeine
Lymphdrüsenanlage mehr, hingegen zahlreiche spezielle Anlagen
(Fig. 6) und auch schon ziemlich gut ausgebildete Lymphdrüsen,
Die speziellen Anlagen sind verschieden weit entwickelt.
Weitaus die Mehrzahl führt an der Peripherie Lymphgefässe
(= Marginalplexus), die bei einigen schon zu einem Marginalsinus
verschmolzen sind, der aber noch kein Retikulum enthält.
Während in keiner Lymphdrüsenanlage die lakunenartig an-
geordneten Blutgefässe zu fehlen scheinen, kommen solche vor,
bei welchen von Lymphgefässen weder an ihrer Oberfläche noch
Archiv f.mikr. Anat. Bd. 81. Abt. I. I
126 Siegmund v. Schumacher:
im Inneren etwas zu sehen ist (Fig. 7). Freilich ist der Nachweis
von feineren Lymphgefässen nur dann möglich, wenn sie nicht
kollabiert sind. In den grösseren Lymphdrüsenanlagen hat im
Vergleiche mit den kleineren die Zahl der Lymphocyten zu-
genommen; immerhin sind die epitheloiden Kerne der späteren
Retikulumzellen des Iymphoiden Gewebes sehr reichlich, dazwischen
scheinen einzelne rote Blutkörperchen frei zu liegen. Es lässt
sich hier allerdings nicht sicher nachweisen, ob die roten Blut-
körperchen nicht in Kapillaren liegen, da die Blutgefässe bei
diesem Fetus nicht injiziert wurden und der Nachweis der kleineren
Blutgefässe ohne Injektion innerhalb der kompakten Zellmasse
der Lymphdrüsenanlage kaum möglich ist.
Eine grössere Lymphdrüse zeigt schon ein reichlich ent-
wickeltes Sinussystem. Es lässt sich auch schon eine Rinden- und
Markpartie unterscheiden. Erstere bildet eine zusammenhängende
Masse ohne Keimzentren; von ihr strahlen die Markstränge aus,
die durch reichliche Intermediärsinus voneinander getrennt sind.
Ein Marginalsinus ist ebenfalls deutlich ausgebildet, der mit zu-
und abführenden Lymphgefässen in Verbindung steht. Er zeigt
entsprechend seiner früheren Ausbildung insofern eine höhere
Entwicklung, als in ihm ein deutliches Retikulum aus sternförmig
verzweigten Zellen bestehend vorhanden ist, während ein solches
in den Intermediärsinus noch nahezu vollkommen fehlt. Letztere
gleichen daher noch Lymphgefässen. Sie grenzen sich gegen die
Markstränge durch ein Endothel ab und stellenweise sieht man,
wie von den Endothelzellen einzelne Fortsätze gegen die Lichtung
hin vorragen, oder wie eine mit dem Endothel im Zusammen-
hange stehende Zelle in den Sinus hineinragt. Wir haben es
hier mit Bildern zu tun, die die Abstammung des Sinusretikulums
aus dem Endothel erkennen lassen.
Bei einem 26 cm langen Schaffetus ist neben verschieden
weit ausgebildeten kleineren auch eine verhältnismässig grosse
Lymphdrüse zu sehen, deren Sinus prall mit Blut gefüllt sind.
Der Marginalsinus ist schon deutlich ausgebildet, enthält aber
noch kein Retikulum, so dass er noch den Eindruck eines Lymph-
gefässes macht. Auch einige Intermediärsinus sind schon ent-
wickelt. Eine Trennung in Rinden- und Marksubstanz ist noch
kaum angedeutet. Keimzentren fehlen. In dem Randsinus sieht
man an mehreren Stellen weite Lymphgefässe — Vasa afterentia
Die Blutlymphdrüsen. 127
einmünden, die alle mit Blut strotzend gefüllt sind. Dass es
sich um Vasa afferentia handelt, erkennt man aus der Stellung
der Klappen. Fig. 8 zeigt ein in den Randsinus eintretendes
Lymphgefäss; die Drüse ist hier in ihrer Randpartie getroffen.
In dem auf den hier abgebildeten folgenden Schnitt sieht man,
dass das Vas afferens (Va) mit dem grossen Lymphgefäss im
Zusammenhang steht. Fig. 9 stellt weitere Lymphgefässe der-
selben Lymphdrüse dar, die sich ebenfalls in den Randsinus
öffnen. Ähnliche Bilder sind noch an anderen Stellen dieser
Lymphdrüse zu sehen. Im Hilus erkennt man ausser grossen
Blutgefässen mehrere weite austretende Lymphgefässe, die alle
mehr oder weniger mit Blut gefüllt sind. Würde es sich nicht
um einen von der Nabelarterie aus mit Berlinerblau injizierten
Fetus handeln, so könnte man daran denken, dass die mit Blut
gefüllten weiten Gefässe ganz dünnwandige Venen sind. Da aber
die Injektion vollkommen gelungen ist und alle Kapillaren und
Venen mit Berlinerblau gefüllt sind, so kann es sich in den mit
Blut gefüllten weiten Gefässen nur um Lymphgefässe handeln.
Ausserdem spricht für Lymphgefässe die charakteristische grosse
Menge von Klappen und die Dünnwandigkeit. Die Wandung
scheint nur von einem Endothel gebildet zu werden. Schliesslich
kommt es in keinem Fall vor, dass ein Blutgefäss sich in den
Marginalsinus einer Lymphdrüse öffnet.
Lewis (16) hat allerdings einen Fall von einer Lymph-
drüse der Ratte wiedergegeben, in dem sich eine angebliche
Vene in den Marginalsinus öffnet; aber schon Weidenreich
hat hierzu mit Recht bemerkt, dass es sich zweifellos um ein
Lymphgefäss und nicht um eine Vene handelte.
In derselben Serie liegt eine Lymphdrüsenanlage (Fig. 10),
bei der noch keine Sinus ausgebildet sind, die also ein kompaktes
Knötchen von Iymphoidem Gewebe darstellt. Die Anlage des
Randsinus ist in Form einiger Lymphgefässe an der Peripherie
des Knötchens angedeutet (Marginalplexus); mit diesen Lymph-
gefässen, die sämtlich mit Blut gefüllt sind. steht ein grösseres,
ebenfalls mit Blut gefülltes, wahrscheinlich zuführendes Lymph-
gefäss im Zusammenhange. Auch bei dieser Lymphdrüsenanlage
sind die Blutgefässe vollkommen mit Injektionsmasse gefüllt.
Das gelegentliche Vorkommen von roten Blutkörperchen in
Lymphgefässen ist schon seit langer Zeit bekannt. Schon Herbst
9*
128 Siegmund v. Schumacher:
(14) erwähnt, dass sich an Lymphgefässen und Lymphdrüsen
gelegentlich eine rote Farbe nachweisen lässt.
Forgeot (10) bemerkt, dass den Blutlymphdrüsen der
Wiederkäuer zu- und abführende Lymphgefässe zukommen, und
dass die Betrachtung des frischen Präparates genügt, um diesen
Nachweis zu erbringen. Man sieht nämlich häufig die Lymphe
in den zu- und abführenden Lymphgefässen von Blutlymphdrüsen
durch die Beimengung von roten Blutkörperchen mehr oder
weniger rot gefärbt und kann so den Verlauf der Lymphgefässe
wie an einem Injektionspräparate schon makroskopisch verfolgen.
Nachdem der Nachweis erbracht ist, dass Lymphgefässe
mit roten Blutkörperchen gefüllt sein können und dass, sobald
dies der Fall ist, jene Lymphdrüsen, in welche derartige Lymph-
gefässe als Vasa afferentia einmünden, wenigstens zeitweise als
Lymphdrüsen mit blutgefüllten Sinus erscheinen werden, drängt sich
die Frage auf, wie die Erythrocyten in die Lymphgefässe gelangen.
Durchmustert man die Serien durch das retroperitoneale
(Gewebe von Schaffeten verschiedenen Alters, so kann man nahezu
in jedem Falle Blutextravasate nachweisen. Oft liegen sehr
grosse Ansammlungen roter Blutkörperchen frei im Bindegewebe.
Neben grösseren Ansammlungen kommen auch mehr vereinzelte
Erythrocyten vor (Fig. S und 10). Wurden die Blutgefässe des
Fetus injiziert, so dringt an den Stellen, wo freiliegende rote
Blutkörperchen angesammelt sind, auch Injektionsmasse zwischen
diese ein.
Bei Durchsicht der Schnittreihen lässt sich leicht nach-
weisen, dass mit diesen Blutaustritten degenerierende Blutgefässe
im Zusammenhange stehen. In der Mehrzahl der Fälle handelt es
sich um degenerierende Venen. Im Bereiche des Blutaustrittes
kann man gewöhnlich noch Reste der Blutgefässwandung sehen;
teilweise noch im gegenseitigen Zusammenhange stehende Endothel-
zellen, die aber kein geschlossenes Endothelrohr mehr bilden,
Reste von verquollen aussehenden Muskelzellen mit Andeutung
einer konzentrischen Schichtung. Je weiter man sich vom Blut-
austritte entfernt, um so mehr nähert sich das Aussehen der Gefäss-
wand der Norm, bis schliesslich das Gefäss seine normale Wand-
beschaffenheit annimmt.
Mit Sicherheit ist auszuschliessen, dass es sich um Zer-
reissungen normaler Arterien oder Venen handelt. An keiner
Die Blutlymphdrüsen. 129
Stelle sieht man etwa eine Kontinuitätstrennung eines Blut-
gefässes mit normaler Wandbeschafienheit, sondern stets lässt
sich nachweisen, dass ein Blutgefäss (Arterie oder Vene), das in
einiger Entfernung vom Blutaustritt eine normale Wandung zeigt,
je mehr es sich diesem nähert, um so mehr seine Wandbeschaften-
heit ändert, bis schliesslich die Wandung vollständig aufhört und
das degenerierende (refäss im Extravasat sein Ende findet. Kleine
degenerierende Arterien, die in einem Extravasat enden, können
Bilder darbieten, die an Corpora fibrosa des Eierstocks erinnern.
Im einzelnen sind aber die Bilder der in den Blutaustritten sich
öffnenden Gefässe ausserordentlich variabel, und nur das eine
lässt sich mit Sicherheit für alle Fälle sagen, dass es sich um
degenerative Vorgänge in der Gefässwandung handelt, wobei die
Elemente derselben wie zerworfen aussehen.
Auffallend ist der Umstand, dass man im Bereiche der
Blutaustritte für gewöhnlich kein Pigment findet. Viele von den
roten Blutkörperchen haben ihre normale Färbbarkeit eingebüsst
und erscheinen nur mehr wie Blutschatten. Nur in einem grösseren
Extravasat im retroperitonealen Gewebe eines viermonatlichen
Lammes, das schon Anzeichen einer Organisation erkennen lässt,
fand ich in den Randpartien ziemlich reichliches Pigment.
Es scheint demnach auch noch in der spätesten Fetalperiode
und post partum beim Schafe zu beständigen Umbildungen in
den feineren Blutgefässen zu kommen. Dabei dürften nicht nur
die normalen Wachstumsvorgänge, sondern namentlich für die
Gefässumbildungen im postfetalen Leben, auch der Fettansatz
und -schwund eine ursächliche Rolle spielen.
Die erwähnten Blutaustritte sind sicher die Quellen für die
in den Lymphgefässen gefundenen roten Blutkörperchen. Letztere
gehen zum grossen Teil nicht an Ort und Stelle zugrunde, sondern
gelangen aus den Gewebsspalten in die Lymphgefässe, durch
diese eventuell in Lymphdrüsen, wo sie, wenigstens zum Teil,
zerstört werden, zum Teil — vorausgesetzt, dass die betreffende
Drüse abführende Lymphgefässe besitzt — durch die Vasa
efferentia mit dem Lymphstrom wieder herausbefördert werden
und schliesslich neuerdings in den Blutstrom gelangen können.
Dass die Vasa efferentia von Lymphdrüsen rote Blutkörper-
chen führen können, hat auch schon Herbst beobachtet, indem
er angibt, dass die ausführenden Kanäle der Lymphdrüsen eine
130 Siegmundv. Schumacher:
mehr oder weniger rote Flüssigkeit enthalten können, während
die zuführenden Gefässe blass oder fast farblos sind.
Bei den zwei untersuchten nahezu ausgetragenen Schaffeten
findet man retroperitoneal Lymphdrüsen in der verschiedensten
Ausbildung. Neben kleinsten Lymphdrüsen, in denen noch keine
Intermediärsinus ausgebildet sind, kommen schon hochentwickelte
grosse Lymphdrüsen vor. Der Hauptunterschied gegenüber einem
viermonatlichen Lamm besteht nur darin, dass bei den Feten
eigentliche Blutlymphdrüsen (mit fehlenden zu- und abführenden
Lymphgefässen) nur sehr spärlich vorhanden sind. Weitaus die
Mehrzahl aller Lymphdrüsen mit roten Blutkörperchen in den
Sinus besitzt zu- und abführende Lymphgefässe. Immerhin
kommen auch hier kleine Lymphdrüsen vor, die der zu- und
abführenden Lymphgefässe entbehren, während die Sinus gut
ausgebildet sind. In den Sinus dieser Lymphdrüsen können rote
Blutkörperchen vorhanden sein, dann haben wir es mit eigent-
lichen Blutlymphdrüsen nach der Weidenreichschen Definition
zu tun, oder aber es können die Sinus nahezu oder auch voll-
kommen der roten Blutkörperchen entbehren. In Fig. 11 habe
ich eine derartige kleinste Lymphdrüse abgebildet, die weder
zu- noch abführende Lymphgefässe besitzt. Man sieht wohl eine
Arterie und Vene in der Gegend des Hilus ein- resp. austreten,
von einem Lymphgefäss, das mit dem gut ausgebildeten Rand-
sinus in Verbindung tritt, ist aber weder in den vorhergehenden
noch in den nachfolgenden Schnitten eine Spur zu sehen. Der
Marginalsinus enthält schon ein spärliches Retikulum und stellen-
weise Lymphocyten, aber keine roten Blutkörperchen. Es handelt
sich also in diesem Falle um eine „weisse“ Lymphdrüse ohne
zu- und abführende Lymphgefässe. Derartige Lymphdrüsen konnte
ich wiederholt finden und zwar nicht nur kleinste Formen, sondern
auch solche, bei denen ausser einem Marginalsinus auch schon
Intermediärsinus entwickelt waren.
Fig. 12 zeigt eine ähnliche Lymphdrüse wie die in Fig. 11
abgebildete mit fehlenden zu- und abführenden Lymphgefässen,
aber mit dem Unterschiede, dass hier ein Lymphgefäss (Ve) in
der Gegend des Hilus spitz auslaufend bis an die dünne Kapsel
heranreicht, ohne aber in den Marginalsinus einzutreten. Der
ganzen Lage nach muss es als ehemaliges Vas efferens der Drüse
angesehen werden. Dieser und ähnliche Befunde an Lymphdrüsen
Die Blutlymphdrüsen. 151
verschiedener Grösse und Ausbildung legen den Gedanken nahe,
dass es sich in den bis an die Kapsel oder teilweise noch in
diese hineinragenden Lymphgefässen, die sich aber nicht in den
Marginalsinus öffnen, um Vasa afferentia oder efferentia handelt,
die entweder gegen den Sinus hin vorwachsen, um sich schliess-
lich mit ihm in Verbindung zu setzen, oder aber, dass diese
Lymphgefässe einstmals mit dem Marginalsinus in Verbindung
gestanden sind und diese Verbindung verloren haben.
Ich muss mich entschieden für die letztere Möglichkeit
entscheiden. Nachdem es sich in dem eben angeführten wie auch
in anderen Fällen um Lymphdrüsen handelt, in denen der Mar-
ginalsinus und oft auch ausserdem schon Intermediärsinus gut
ausgebildet sind, und nachdem von Chievitz (5), Gulland (12),
Saxer (25), Sabin (24) und besonders überzeugend von Kling
(15) der Marginalsinus aus primär vorhandenen Lymphgefässen
abgeleitet wird, womit auch meine Befunde übereinstimmen, so
ist nur die Deutung möglich, dass alle Lymphdrüsen mit einem
gut ausgebildeten Marginalsinus einstmals mit Lymphgefässen im
Zusammenhang gestanden sein müssen, da sonst eine Bildung
desselben nicht möglich gewesen wäre.
Die angeführten Befunde sprechen nach meiner Ansicht
dafür, dass Lymphdrüsen in verschiedenen Stadien ihrer Aus-
bildung den Zusammenhang mit den zu- und abführenden Lymph-
gefässen verlieren können, dass die Lymphgefässe gewissermassen
an der Eintrittsstelle in den Marginalsinus abgeschnürt werden.
Dieser Abschnürungsvorgang dürfte mit der stärkeren Ausbildung
der Kapsel im ursächlichen Zusammenhang stehen. Wir würden
dann auch das von verschiedenen Autoren und auch von mir
beobachtete Vorkommen von blind in der Kapsel der Blutlymph-
drüsen endigenden Lymphgefässen verstehen.
Insbesondere möchte ich hier auf die zutreffenden Beobach-
tungen Hellys über das verschiedene Verhalten der Lymph-
gefässe zu den Blutlymphdrüsen und den Übergangsformen zu
gewöhnlichen Lymphdrüsen verweisen. Nach Helly liegen die
„/wischenformen“ in nächster Nähe grosser Lymphgefässe, „stehen
mit einem oder dem anderen derselben nur durch einen sehr
schmalen, in ihren Sinus einmündenden Ast in Verbindung, wäh-
rend das betreffende Lymphgefäss selbst an der Aussenfläche
der Drüsenkapsel blind endigt; oder man findet eine Drüse, welche
132 Siegmundv. Schumacher:
mit zwei Lymphgefässen in enge Beziehung tritt, aber nur eines
derselben mündet in ihren Sinus, während das andere wieder an
der Kapsel blind endigt. In anderen Fällen dringt zwar ein
Lymphgefäss von ansehnlichem Durchmesser in die Kapsel einer
Drüse ein, beginnt aber alsbald sich so sehr zu verkleinern, dass
es sein Ende erreicht, bevor es noch die Kapsel vollständig durch-
setzt hat, bestenfalls aber nur mehr mit einer sehr engen Mün-
dung den Sinusraum erreicht. So liessen sich noch eine Reihe
der verschiedensten Formen aufzählen, unter welchen man die
roten Lymphdrüsen in Verbindung mit Lymphgefässen treten sieht,
angefangen von solchen mit breit in den Sinus einmündenden bis
zu solchen, wo überhaupt keine Lymphgefässe mehr in ihrer
Nähe zu sehen sind.“
Diese Übergangsbilder würden so zu erklären sein, dass die
ursprüngliche Lymphdrüsenform, das ist die, welche mit zu- und
abführenden Lymphgefässen in Verbindung steht, durch immer
weitergehende Verengerung der Lymphgefässe an der Übertritts-
stelle in den Marginalsinus schliesslich den Zusammenhang mit
den Lymphgefässen verliert und sich so von einer Lymphdrüse
mit Lymphgefässen in eine solche ohne Lymphgefässe umwandelt.
Forgeot(10) beschreibt bei Wiederkäuern Blutlymphdrüsen,
die zwar mit Lymphgefässen in Verbindung stehen, bemerkt aber,
dass diese Lymphgefässe ausserhalb der Drüse in verschiedener
Weise blind endigen, also ihren Zusammenhang mit den be-
nachbarten Lymphwegen verloren haben. Das Verhalten dieser
Lymphgefässe kann ein verschiedenes sein. So kommen Fälle
vor, in denen jedes Lymphgefäss einzeln blind endigt, oder wo
mehrere Lymphgefässe mit der Drüse in Verbindung stehen, sich
ausserhalb derselben zu einem stärkeren Stamm vereinigen, der
dann blind endigt. In wieder anderen Fällen vereinigen sich die
aus- resp. eintretenden Lymphgefässe ausserhalb der Lymph-
drüse zu einer Schlinge, wobei aber die Schlinge nur mit der
Lymphdrüse, nicht aber mit benachbarten Lymphgefässen in Ver-
bindung steht.
Auch alle diese Fälle sind nach meiner Ansicht nicht in
dem Sinne von Forgeot, wonach die Lymphgefässe der Blut-
Iymphdrüsen erst sekundär mit benachbarten Lymphgefässen in
Verbindung treten sollen, zu deuten, sondern so, dass es zu einer
Obliteration der Lymphgefässe an verschiedenen Stellen kommen
ww
Die Blutlymphdrüsen. 11838
kann, so dass dann die Blutlymphdrüsen von der Lymphbahn
ausgeschlossen erscheinen.
An einer ganz kleinen Blutlymphdrüse des viermonatlichen
Lammes konnte ich mit Sicherheit nachweisen, dass von den
zwei mit dem Marginalsinus in Verbindung stehenden und mit
roten Blutkörperchen gefüllten Lymphgefässen das eine schon
knapp ausserhalb der Drüse blind endigt, während sich das andere
noch eine Strecke weit fortsetzt, dann aber auch blind zu endigen
scheint. Zwei andere Blutlymphdrüsen desselben Tieres zeigen
je ein rudimentäres Vas efferens, das in der Gegend des Hilus
vom Marginalsinus abzweigt und sich nach kurzem Verlaufe ver-
liert. Auch diese Lymphgefässe sind mit roten Blutkörperchen
gefüllt.
Tritt die Obliteration der zu- und abführenden Lymph-
gefässe an einer Lymphdrüse ein, die in ihren Sinus rote Blut-
körperchen enthält, so entsteht aus einer bluthaltigen Lymphdrüse
mit Lymphgefässen eine solche ohne letztere, das ist eine eigentliche
Blutlymphdrüse. Die roten Blutkörperchen können in die Sinus
entweder durch die zuführenden Lymphgefässe eingeführt worden
sein oder auch aus den Blutgefässen der Lymphdrüse selbst
stammen. Es ist ferner wahrscheinlich, dass eine Lymphdrüse
ohne rote Blutkörperchen in den Sinus, die den Zusammenhang
mit den Lymphgefässen verloren hat, sich nachträglich durch
Austritt von Erythrocyten aus ihren eigenen Blutgefässen in eine
Blutlymphdrüse umwandeln kann.
Bei Feten findet man, wie schon erwähnt, weitaus die Mehr-
zahl der Lymphdrüsen (auch der bluthaltigen) in Verbindung
mit Lymphgefässen stehen, während z. B. beim viermonatlichen
Lamm die Mehrzahl der bluthaltigen Lymphdrüsen keinen Zu-
sammenhang mit Lymphgefässen zeigt, also eigentliche Blut-
Iymphdrüsen darstellt. Auch dieser Umstand spricht dafür, dass
primär ein Zusammenhang der Lymphdrüsen mit Lymphgefässen
besteht und dass dieser erst sekundär verloren gehen kann.
Immerhin wäre auch an die Möglichkeit zu denken, dass
jene Lymphdrüsen, die den Zusammenhang mit dem Lymph-
gefäßsystem verloren haben, gelegentlich wieder in die Lymph-
bahn eingeschaltet werden, dass gelegentlich die in der Kapsel
oder deren unmittelbaren Nachbarschaft befindlichen blinden
Enden der Lymphgefässe wieder zu wachsen beginnen und mit
134 Siegmundv. Schumacher:
dem Marginalsinus in Verbindung treten. Dann wäre allerdings
auch die Möglichkeit gegeben, dass sich eine typische Blutlymph-
drüse in eine gewöhnliche Lymphdrüse mit zu- und abführenden
Lymphgefässen umwandelt.
Dass man bei manchen Feten keine roten Lymphdrüsen, bei
anderen wieder nahezu ausschliesslich solche makroskopisch nach-
weisen kann, lässt sich, wie eingangs erwähnt, wenigstens teil-
weise durch den verschiedenen Füllungsgrad der Eigengefässe
der Lymphdrüsen erklären, andererseits steht dieses wechselnde
Aussehen sicher mit der Tatsache im Zusammenhang, dass bei
Feten weitaus die Mehrzahl der Lymphdrüsen mit zu- und ab-
führenden Lymphgefässen in Verbindung steht. Ist es in der
Nachbarschaft von Lymphdrüsen zu einem grösseren Blutaustritt
gekommen, so wird diesen bluthaltige Lymphe zugeführt, ihre
Sinus werden mit roten Blutkörperchen gefüllt sein, die betreffenden
Lymphdrüsen erscheinen dann schon makroskopisch rot. Dieselben
Lymphdrüsen können aber schon nach kurzer Zeit wieder weiss
erscheinen, sobald nämlich die zuführenden Lymphgefässe eine
von roten Blutkörperchen freie Lymphe führen und durch diese
die roten Blutkörperchen aus den Sinus herausgespült worden sind.
3aum (1) bemerkt, dass es beim Schafe auch Blutlymph-
drüsen gibt, denen die subkapsulären Bluträume fehlen.
Auch ich habe beim nahezu ausgetragenen Schaffetus der-
artige kleine Lymphdrüsen gesehen. Es liegen hier innerhalb
der Kapsel ziemlich gleichmässig gemengt Lymphocyten mit roten
Blutkörperchen und dazwischen Retikulumzellen. In den un-
mittelbar unter der Kapsel gelegenen Anteilen lässt sich eine etwas
weniger dichte Lagerung der Zellen erkennen. Derartige Stellen
könnten vielleicht als Andeutung eines Sinus aufgefasst werden.
Bezüglich der Entwicklung derartiger Lymphdrüsen wären
zwei Möglichkeiten ins Auge zu fassen. Entweder handelt es
sich um Lymphdrüsen, die sich aus einer Anlage entwickelt
haben, zu der keine Lymphgefässe in Beziehung getreten sind,
so dass also keine Gelegenheit zur Bildung eines Marginalsinus
gegeben war, oder es sind Lymphdrüsen, in denen die Sinus durch
ausgiebigste Vermengung der Elemente des Sinus und des
Iymphoiden Gewebes ihre Begrenzung vollkommen verloren haben.
Es wurde schon früher hervorgehoben, dass man bei Feten
gelegentlich Lymphdrüsenanlagen findet, die keine Beziehung zu
Die Blutlymphdrüsen. 11)
Lymphgefässen besitzen. Aus derartigen Anlagen könnten sich
Lymphdrüsen ohne Sinus entwickeln. Bei der Richtigkeit dieser
Annahme müssten die roten Blutkörperchen, welche in derartigen
Lymphdrüsen ohne Sinus zwischen den Lymphoceyten gefunden
werden, aus den Blutgefässen der Lymphdrüsen stammen. Ich
halte aber dem ganzen Bilde nach die zweite Annahme für
zutreffender, da, wie erwähnt, stellenweise durch weniger dichte
Lagerung der Zellen in den Randpartien ein Sinus angedeutet
erscheint. Dass es einerseits zu sehr intensiver Durchsetzung
des Marginalsinus mit Lymphocyten kommen kann, und dass
andererseits auch das Iymphoide Gewebe mit grossen Mengen
von roten Blutkörperchen überschwemmt werden kann, so dass
eine Abgrenzung der Sinus gegen das Iymphoide Gewebe wenigstens
stellenweise nicht mehr möglich erscheint, kommt, wie schon
erwähnt, sehr häufig vor und zwar bei Blutlymphdrüsen ganz
verschiedener Ausbildung. Wir dürften somit in den Blutlymph-
drüsen mit scheinbar fehlenden Sinus Formen vor uns haben,
bei denen es infolge mangelhafter Abgrenzung der Sinus gegen
das Iymphoide Gewebe zu der denkbar ausgiebigsten Vermengung
der beiderseitigen Elemente gekommen ist.
Zusammenfassende Darstellung der Entwicklung
und der Stellung der Blutlymphdrüsen des Schafes.
Überblicken wir die Ergebnisse der Untersuchung von Schaf-
feten, und suchen wir diese mit den Formen der Lymphdrüsen,
die wir im postfetalen Leben finden, in Einklang zu bringen, so
fällt vor allem auf, dass man bei den einzelnen Feten Lymph-
drüsen in den verschiedensten Ausbildungsgraden nebeneinander
findet. Neben schon weit vorgeschrittenen Formen liegen noch
die ersten Anlagen, und auch in bezug auf die Anordnung von
Iymphoidem Gewebe, Ausbildung und Inhalt der Sinus, sowie auf
das Verhältnis der Lymphgefässe zu den Lymphdrüsen herrscht
eine ausserordentlich grosse Variabilität, die ja auch für die
Lvmphdrüsen des erwachsenen Tieres charakteristisch ist.
Sicher geht daraus hervor, dass ein bestimmtes Ent-
wicklungsstadium der Lymphdrüsen nicht an ein
bestimmtes Alter des Fetus gebunden ist, ja es ist
sogar sehr wahrscheinlich, dass auch noch im postfetalen Leben
eine Neubildung von Lymphdrüsen erfolgt.
156 Siegmundv. Schumacher:
Suchen wir die verschiedenen Bilder in eine Reihe zu bringen,
so können wir, wenn wir die „allgemeine“ Lymphdrüsenanlage,
die keineswegs für alle Lymphdrüsen als erstes Entwicklungs-
stadium charakteristisch zu sein scheint, unberücksichtigt lassen,
mit der „speziellen“ Lymphdrüsenanlage als Ausgangspunkt be-
einnen und unter Berücksichtigung der vorliegenden Literatur-
angaben folgenden Entwicklungsgang rekonstruieren:
Die spezielle Lymphdrüsenanlage stellt ein kleines, gegen
die Umgebung nicht scharf abgegrenztes Knötchen dar, das sich
durch die dichte Lagerung der Zellkerne von dem umgebenden
embryonalen Bindegewebe unterscheidet. Neben epitheloiden,
chromatinarmen Kernen sind stets schon, wenn auch in der
Minderzahl, Lymphocyten vorhanden. In jedes dieser Knötchen
dringt eine Arterie ein und daneben eine gewöhnlich bedeutend
weitere Vene aus. Die Gefässe bilden im Inneren der Drüsen-
anlage ein verhältnismässig weites Netz, und namentlich die
dünnwandigen (nur aus einem Endothelrohr bestehenden) Venen
sind im Inneren des Knötchens auffallend weit, anastomosieren
untereinander und können als kapillare Venen bezeichnet werden.
Eine scharfe Grenze zwischen letzteren und Kapillaren lässt sich
nicht ziehen. Niemals erreichen die Gefäßschlingen die Oberfläche
der Drüsenanlage. Die Blutbahn ist nirgends unterbrochen. Diese
reiche Vaskularisation ist ganz charakteristisch; ich konnte in
keinem Falle eine Anlage finden, in der nicht das Gefässnetz
vorhanden gewesen wäre (Fig. 7, 11, 12).
An der Peripherie der Drüsenanlage findet man gewöhnlich
reichliche Lymphgefässe (Fig. 6), die zum Teil untereinander ver-
bunden ein Netz bilden. Dieses Lymphgefässnetz — Marginal-
plexus schmiegt sich der Oberfläche der Lymphdrüsenanlage innig
an, ohne dass aber zunächst Lymphgefässe in das Innere der
Anlage eindringen. Der Marginalplexus steht an mehreren Stellen
mit weiter entfernten Lymphgefässen in Verbindung. An manchen
Lymphdrüsenanlagen konnte ich den Marginalplexus nicht nach-
weisen (Fig. 7), und es muss die Frage offen bleiben, ob später
auch zu derartigen Drüsenanlagen Lymphgefässe in Beziehnng
treten, oder ob sich diese Anlagen ohne das Hinzutreten von
Lymphgefässen weiter entwickeln
Als ein weiterer Schritt in der Entwicklung der Lymph-
drüsen ist die Ausbildung des Marginalsinus zu betrachten. Dieser
Die Blutlymphdrüsen. 137
scheint nach den vorliegenden Literaturangaben und auch nach
meinen Befunden aus dem Marginalplexus hervorzugehen. Er
enthält zunächst noch kein Retikulum (Fig. S, 9). Letzteres
bildet sich aus den Endothelzellen, welche die Wandung des
Sinus bekleiden, und ist zunächst rein zelliger Natur.
Die endotheliale Abgrenzung des Marginalsinus gegen das
Ivmphoide Gewebe scheint schon gleich vom Anfange an keine
ganz vollständige zu sein, da man schon sehr frühzeitig stellen-
weise von einer solchen nichts nachweisen kann und an derartigen
Stellen Lymphoeyten in grosser Menge aus dem Iymphoiden Ge-
webe in den Sinus eindringen.
Die ursprünglichen Verbindungen des Marginalplexus mit
weiter entfernten Lymphgefässen stehen zunächst noch mit dem
Marginalsinus in Verbindung und stellen Vasa afferentia und
efferentia dar.
Vom Marginalsinus dringen Ausbuchtungen in das Innere
der Drüse ein und zwar zunächst, wie es scheint, stets in der
Gegend des Hilus. Diese Ausbuchtungen sind die Anlagen der
Intermediärsinus. Letztere besitzen zunächst kein Retikulum:
dieses bildet sich erst allmählich in derselben Weise aus wie das
Retikulum im Marginalsinus. Durch weiteres Vordringen der
Intermediärsinus können diese schliesslich an verschiedenen Stellen,
also sekundär, mit dem Marginalsinus in Verbindung treten,
wodurch die Gliederung der Rindensubstanz in Rindenknoten
erfolgt.
Der geschilderte Entwicklungsvorgang kann aber insofern
modifiziert werden, als bei vielen Lymphdrüsen nach der
Ausbildung des Marginalsinus der Zusammenhang
mit den zu- und abführenden Lymphgefässen ver-
loren geht. Wahrscheinlich spielt hierbei die stärkere Aus-
bildung der Kapsel eine Rolle, indem durch sie die in den
Marginalsinus eintretenden Lymphgefässe gewissermassen abge-
schnürt werden. Man findet häufig Bilder, die für einen der-
artigen Vorgang sprechen (Fig. 12). So sieht man Lymphgefässe
aus der Umgebung der Drüse kommend in die Kapsel eintreten,
in dieser eine Strecke weit verlaufen und dann unter plötzlicher
hochgradiger Verengerung in den Marginalsinus eintreten, oder
aber Lymphgefässe, die jede Verbindung mit dem Marginalsinus
verloren haben und noch innerhalb der Kapsel blind endigen. Es
135 Siegmundv. Schumacher:
ist aber auch möglich — wie dies aus den Angaben und Ab-
bildungen von Forgeot hervorgeht, und wie auch ich in einigen
Fällen nachweisen konnte — dass Lymphgefässe vorhanden sind,
die ihren Zusammenhang mit Lymphdrüsen bewahrt haben, aber
in einiger Entfernung davon blind endigen, also den Zusammen-
hang mit den benachbarten Lymphwegen verloren haben. Der
Obliterationsprozess an den Lymphgefässen wäre also hier nicht
im Bereiche der Kapsel, sondern in grösserer oder geringerer
Entfernung von dieser ausserhalb der Lymphdrüse erfolgt.
Haben die Lymphdrüsen den Zusammenhang mit den zu-
und abführenden Lymphgefässen verloren, so stellen sie Lymph-
drüsen ohne Lymphgefässe vor. Man findet derartige Lymphdrüsen
in den verschiedensten Ausbildungsstadien. Schon Lymph-
drüsen, die nur aus einem Iymphoiden, mit einem
Marginalplexus umgebenen Knötchen bestehen,
können der Lymphgefässe entbehren (Fig. 11), während
andererseits auch solche gefunden werden, bei denen ausser dem
Marginalsinus auch Intermediärsinus gut ausgebildet sind.
Wir haben also zwei Gruppen von Lymphdrüsen zu unter-
scheiden, solche mit und solche ohne zu- und abführende Lymph-
gefässe. Dazwischen würden als Bindeglieder Formen stehen,
wie sie Forgeot beschrieben hat, mit denen zwar Lymphgefässe
in Verbindung stehen, die aber ihrerseits den Zusammenhang mit
benachbarten Lymphgefässen verloren haben. Die erste Entwicklung
beider Formen scheint aber genau dieselbe zu sein, beide standen
während ihrer ersten Entwicklung mit Lymphgefässen in Ver-
bindung, wofür das Vorhandensein des Marginalsinus, der sich ja
aus Lymphgefässen entwickelt, spricht. Nur für jene Lymphdrüsen,
bei denen die Sinus vollständig zu fehlen scheinen, muss es
unentschieden bleiben. ob ihnen jemals zu- und abführende Lymph-
gefässe zukamen oder nicht.
Dieinden Lymphgefässen zirkulierende Lymphe
kann gelegentlich rote Blutkörperchen in grösserer
oder kleinerer Menge enthalten und erscheint dann
mehr oder weniger rot (Fig. 8, 9, 10).
Die roten Blutkörperchen gelangen wenigstens
zum Teil sicher aus Blutextravasaten in dieLymph-
bahn. Diese Blutaustritte kommen bei der Rück-
bildung von Blutgefässen zustande.
Die Blutlymphdrüsen. 139
Wird nun rote Lympbhe durch die Vasaafferentia
einer Lymphdrüse zugeführt (Fig. 8, 9), so werden
natürlich ihre Sinus mehr oder weniger mit roten
Blutkörperchen erfüllterscheinen; die weisse Lymph-
drüse hat sich in eine rote umgewandelt. Zu einem
anderen Zeitpunkt können aber dieselben Vasa aflerentia Lymphe
ohne rote Blutkörperchen führen, die noch in den Sinus vor-
handenen Erythrocyten werden aus der Lymphdrüse herausgespült,
die Sinus werden blutleer, die ganze Lymphdrüse erscheint weiss.
So ist also die Möglichkeit gegeben, dass ein und
dieselbe Lympbdrüse bald mit Blut gefüllte Sinus
zeigt, bald als gewöhnliche weisse Lymphdrüse
erscheint.
Erfolgt dieObliteration der zu- undabführenden
Lymphgefässe an einerLymphdrüse, deren Sinus mit
roten Blutkörperchen erfüllt sind, so entsteht eine
„Blutlymphdrüse“, enthielten die Sinus keine roten
Blutkörperchen, eine „weisse“ Lymphdrüse ohne
Lymphgefässe.
Ich glaube aber nicht, dass die roten Blutkörperchen aus-
schliesslich auf dem Wege der Vasa afferentia in die Sinus
gelangen; sondern es spricht manches dafür, dass rote Blut-
körperchen auch aus den dünnwandigen kapillaren
Venen der Lymphdrüse austreten können und zunächst
in das die Blutgefässe umgebende Iymphoide Gewebe gelangen, um
dann schliesslich in die Sinus hineinbefördert zu werden, was
infolge der mindestens stellenweise mangelhaften Abgrenzung der
Sinus gegen das Iymphoide (Gewebe möglich ist.
In Lymphdrüsen mit Lymphgefässen könnten die roten
Blutkörperchen durch die Vasa efferentia vollständig abgeführt
werden, es scheint aber doch ein Teil derselben innerhalb der
Drüse durch Phagocytose zugrunde zu gehen. In eigentlichen
Blutlymphdrüsen, wo also die zu- und abführenden Lymphgefässe
fehlen, müssen die roten Blutkörperchen innerhalb der Drüse
zerstört werden. Wenn auch nicht in jeder Blutlymphdrüse
Phagocyten gefunden werden, die rote Blutkörperchen enthalten,
so kann man solche wieder in anderen in reichlicher Menge finden
(Fig. 5). Immerhin scheint beim Schaf die Zerstörung der roten
Blutkörperchen in den Lymphdrüsen bedeutend langsamer abzu-
140 Siegmundv. Schumacher:
laufen, als dies bei vielen anderen Tieren der Fall ist, wo in
den bluthaltigen Lymphdrüsen Phagocyten in grösster Menge
vorhanden sind. Auch das seltene und spärliche Vorkommen von
Pigment in den bluthaltigen Lymphdrüsen des Schafes dürfte in
diesem Sinne zu deuten sein.
Würden in einer Blutlymphdrüse sämtliche roten Blut-
körperchen in den Sinus und im Iymphoiden (Gewebe zerstört,
ohne dass es inzwischen zu einem Nachschub von Erythrocyten
von der Blutbahn aus kommt, so könnte sich eine Blutlymphdrüse
in eine „weisse“ Lymphdrüse ohne Lymphgefässe umwandeln.
Die Frage, ob nicht auch Lymphdrüsen ohne Lymphgefässe
gelegentlich wieder mit Lymphgefässen in Verbindung treten und
sich dadurch in gewöhnliche Lymphdrüsen umwandeln können,
muss ich unbeantwortet lassen; es scheint aber nicht unwahr-
scheinlich, dass auf diese Weise die Blutlymphdrüsen allmählich
verschwinden und als gewöhnliche Lymphdrüsen weiterbestehen.
Jedenfalls erreichen die Lymphdrüsen ohne
Lymphgefässe — wenigstens beim Schaf — niemals
den Ausbildungsgrad, den Lymphdrüsen mit Lymph-
gefässen erreichen können. Die Blutlymphdrüsen bleiben
stets klein, mehr oder weniger kugelig, die Rindensubstanz bildet
meist eine zusammenhängende Masse, so dass es zu keiner Ab-
grenzung von hindenknoten gekommen ist: Keimzentren sind
spärlich ausgebildet oder fehlen ganz; die Marksubstanz erscheint
wenig gegliedert; die Kapsel ist meist schwach entwickelt, Trabekel
fehlen in der Regel ganz oder können höchstens in der Gegend
des Hilus um die grösseren Blutgefässe herum andeutungsweise
vorhanden sein. Es scheint somit die Ausschaltung aus
der Lymphbahn bis zueinem gewissen Grade hemmend
auf die Weiterentwieklung der Lvmphdrüse zu
wirken.
Eine Einteilung der verschiedenen Lymphdrüsen kann man
folgendermassen trefien:
1. Lymphdrüsen mit Lymphgefässen,
2. Lymphdrüsen ohne Lymphgefässe.
Bei beiden Arten können die Sinus und auch das
lIymphoide Gewebe rote Blutkörperchen enthalten.
Ist dies bei der zweiten Art der Fall, dann sind der-
artige Drüsen als Blutlymphdrüsen zu bezeichnen.
Die Blutlymphdrüsen. 141
Fine makroskopische Unterscheidung dieser beiden Arten
ist nicht möglich; ja, wir sind makroskopisch nicht einmal imstande,
mit Sicherheit Lymphdrüsen mit blutgefüllten Sinus von solchen
ohne Blut in den letzteren zu unterscheiden, da als „rote“ Lymph-
drüsen nicht nur die ersteren erscheinen, sondern auch solche
Lymphdrüsen, in denen verhältnismässig spärliches Iymphoides
Gewebe und ein stark ausgebildetes Venennetz vorhanden ist,
vorausgesetzt, dass die Venen mit Blut gefüllt sind (Fig. 13).
Aus den ganzen Untersuchungen ergibt sich, dass die
Blutlymphdrüsen nicht als Organe sui generis auf-
zufassen sind; sie bilden keine scharf abgegrenzte
Gruppe und können nur als rudimentäre Formen
gewöhnlicher Lymphdrüsen angesehen werden.
Anhang.
Blutlymphdrüsen vom Hirsch.
Es standen mir nur Lymphdrüsen vom Halse eines 8 Monate
alten Hirschkalbes zur Verfügung. Unter diesen befanden sich
echte Blutlymphdrüsen (ohne Lymphgefässe), die sich durch ihren
ausserordentlich grossen Reichtum an roten Blutkörperchen in
den Sinus und dem Iymphoiden Gewebe und durch die geringe
Anzahl von Lymphoeyten auszeichnen, so dass die ersteren ın
weitaus grösserer Menge vorhanden sind als die letzteren und
das ganze Bild beherrschen.
Eine Abgrenzung der Sinus gegen das Iymphoide Gewebe
ist kaum angedeutet. Eine Gliederung in Rinden- und Mark-
substanz ist nicht möglich. An der inneren Grenze des weiten
Marginalsinus findet man sehr reichliche, verhältnismässig weite
kapillare Venen (Fig. 14, RV), deren Wandung stellenweise unter-
brochen zu sein scheint; doch will ich die Frage, ob es sich hier
um eine direkte Kommunikation der Venen mit dem Sinus handelt,
oder ob eine solche infolge der Dünnwandigkeit der Venen nur
vorgetäuscht wird, lieber unentschieden lassen, da mir keine
Injektionspräparate zur Verfügung stehen.
Jedenfalls unterscheiden sich die Blutlymphdrüsen des Hirsches
von denen des Schafes nicht unwesentlich durch das Venennetz
an der Innenseite des Marginalsinus, da, wie früher hervorgehoben,
beim Schafe die kapillaren Venen im allgemeinen mitten im
Archiv f. mikr. Anat. Bd.81. Abt. 1. 10
142 Siegmund v. Schumacher:
Iymphoiden (Gewebe verlaufen und nur ausnahmsweise bis un-
mittelbar an den Marginalsinus heranreichen.
Eine weitere Abweichung von den Lymphdrüsen des Schafes
besteht im Bau der Kapsel und des Marginalsinus. Ich finde
diesbezüglich ganz ähnliche Verhältnisse, wie sie von Vincent und
Harrison (29), Drummond (8), Warthin (30), Lewis (16)
und eingehend von Piltz (21) als charakteristisch für die Blut-
Iymphdrüsen des Rindes beschrieben werden.
Piltz äussert sich über die Kapsel der Blutlymphdrüsen
des Rindes folgendermassen: „Die Kapsel bildet dem umgebenden
Fettgewebe gegenüber eine ziemlich scharfe Grenze. Ihre Stärke
scheint von der Grösse des Organs gänzlich unabhängig zu sein,
weist auch in demselben Schnitte nicht im ganzen Umkreis die-
selbe Dicke auf. Bei den wenigsten der uns beschäftigenden
Organe sind die die Kapsel zusammensetzenden Gewebsbündel
eng aneinander geschmiegt und durcheinander geflochten, in der
Regel liegt aussen eine kompakte, geschlossene Gewebsschicht,
dann weichen die Gewebsbündel erst ein wenig, nach dem Inneren
zu immer mehr, auseinander, so dass unregelmässige kleinere
und grössere Lücken entstehen, die in den peripheren Sinus über-
gehen. Auf diese Weise löst sich die Kapsel so allmählich ins
Retikulum des peripheren Sinus auf, dass eine einigermassen
genaue Abgrenzung beider nicht möglich ist. Dass die in der
Kapsel liegenden Räume mit dem Sinus zusammenhängen, lässt
sich unschwer schon an ihrer Füllung mit roten Blutkörperchen,
ganz sicher aber durch Serienschnitte nachweisen“ ... „Die
Kapsel wird gebildet aus Bindegewebe, glatter Muskulatur und
elastischen Fasern. Wie das ja auch für die grauen Lymphknoten
gilt, ist der Reichtum an Muskelzellen in den roten Lymphknoten
des Rindes anderen Tieren gegenüber ein sehr grosser. Eine
besondere Schichtung der einzelnen Elemente lässt sich im all-
gemeinen nicht nachweisen, doch kann ich die Angabe Robert-
sons, dass sich die glatte Muskulatur vornehmlich in der tiefen
Lage der Kapsel fände, für diejenigen Fälle bestätigen, wo die
intrakapsulären Räume nur spärlich auftreten und eine stärkere
Kapsel vorhanden ist. Die elastischen Elemente bilden ein dichtes,
wirres Netz feinster Fasern.“
Diese Angaben treffen vollinhaltlich auch für die Blutlvmph-
drüsen des Hirsches zu. In Fig. 14 ist die Kapsel und der
Die Blutlymphdrüsen. 143
Marginalsinus einer derartigen Lymphdrüse dargestellt. Die Rinden-
substanz ist gegenüber dem Sinus nur durch etwas reichlichere
Einlagerung von Lymphocyten gekennzeichnet. Zwischen beiden
ist eine kapillare Vene sichtbar. Die Kapsel, welche im wesent-
lichen aus glatten Muskelfasern besteht, bildet zunächst ober-
tlächlich eine kompakte Schicht; weiter nach innen treten immer
reichlichere, mit roten Blutkörperchen vollgepfropfte Spalträume
auf, so dass die Kapsel immer mehr und mehr zersplittert wird.
Erst etwa in der Mitte des Marginalsinus hören die Muskelfasern
auf, und hier findet sich nur mehr ein spärliches Retikulum. Der
periphere Teil des Marginalsinus erweckt hierdurch den Eindruck
eines kavernösen Gewebes.
An Präparaten, die nach Mallory gefärbt sind, erkennt
man, dass das Bindegewebe in den äusseren Teilen der Kapsel
etwas reichlicher ist als in den weiter nach innen gelegenen
Abschnitten, wo die Auffaserung beginnt. Hier überwiegen bei
weitem die glatten Muskelfasern, und das Bindegewebe beschränkt
sich auf feinste Häutchen und Fibrillen, die die Muskelfasern
umscheiden. Auch dort, wo das aufgesplitterte Kapselgewebe
schon den Eindruck eines groben Retikulums macht, besteht das-
selbe noch der Hauptmasse nach aus glatten Muskelzellen, die
in verschiedener Richtung verlaufen. In manchen Blutlymphdrüsen
sieht man auch noch vereinzelte Muskelfasern in den innersten
Anteilen des Marginalsinus.
Bei Färbung mit Resorcin-Fuchsin erkennt man feinste
elastische Fasern zwischen den Muskelzellen, die sich soweit in
den Marginalsinus hinein erstrecken, als die glatten Muskel-
fasern reichen.
Blutlymphdrüsen vom Reh.
Beim Reh (zweijähriger Bock) kommen unter den roten
Lymphdrüsen im retroperitonealen Gewebe auch wahre Blutlvmph-
drüsen vor. Andere zeigen zwar rote Blutkörperchen in ver-
schiedener Menge in den Sinus und im Iymphoiden (rewebe, be-
sitzen aber auch Lymphgefässe.
Die Blutlymphdrüsen stehen denen des Schafes näher als
denen des Hirsches. Die an glatten Muskelfasern reiche Kapsel
ist entweder gegen den Marginalsinus hin ganz scharf und glatt-
randig begrenzt wie beim Schaf, oder zeigt in manchen Drüsen
eine leichte Auffaserung, so dass einzelne Muskelbündel in den
10*
144 Siegmundv. Schumacher:
Sinus hinein vorragen; niemals aber erreicht die Auffaserung
den hohen Grad wie beim Hirsch, so dass beim Reh auch nie
der Eindruck eines kavernösen (rewebes erweckt wird.
In manchen Blutlymphdrüsen finde ich ziemlich reichliche
gelbbraunes, scholliges Pigment enthaltende Phagocyten, die vor-
zugsweise in den Keimzentren und im übrigen Iymphoiden Gewebe
gelegen sind, auch Phagocyten mit zahlreichen roten Blutkörper-
chen kommen vor, allerdings in nicht grosser Menge.
Ein Venennetz an der Grenze zwischen Iymphoidem Gewebe
und Marginalsinus ist hier — zum Unterschiede vom Hirsch —
ebensowenig vorhanden wie beim Schafe.
Im retroperitonealen Fettgewebe ziehen weite Blutstrassen,
die keine eigenen Wandungen besitzen und oft unmittelbar der
Kapsel von Blutlymphdrüsen anliegen. Auch hier kann nach-
gewiesen werden, dass diese Extravasate mit sich rückbildenden
(refässen im Zusammenhang stehen.
Rote Lymphdrüsen vom Schwein.
Gütig (11) spricht von „Blutlymphdrüsen“ des Schweines,
scheint aber nur die körperlichen Elemente derselben an Aus-
strichpräparaten und keine Schnitte untersucht zu haben. Seine
Befunde sprechen für eine Neubildung von roten Blutkörperchen
in den bluthaltigen Lymphdrüsen des Schweines.
Weidenreich (32) bezeichnet die bluthaltigen Lymph-
drüsen des Schweines als Übergangsformen. Der Hauptunterschied
gegenüber gewöhnlichen Lymphdrüsen besteht darin, „dass sie
grosse Mengen von Blut enthalten, dieses Blut aber nun nicht in
den Lymphsinus gelegen ist, sondern da, wo man die Lymph-
follikel erwartet; das Blut liegt hier aber keineswegs in (refässen,
sondern frei in den Maschen des Retikulums des adenoiden
(sewebes, wie sonst die Leukocyten, die sich an einzelnen Stellen
auch hier in bekannter Anordnung finden‘.
Zunächst sei festgestellt, dass ich Blutlymphdrüsen beim
Schwein nicht finden konnte; alle roten Lymphdrüsen im retro-
peritonealen Fettgewebe stehen mit zu- und abführenden Lymph-
gefässen in Verbindung. In einigen zuführenden Lymphgefässen
konnten rote Blutkörperchen nachgewiesen werden (Fig. 15, Va).
Eine auch nur halbwegs scharfe Abgrenzung zwischen
Iymphoidem Gewebe und Sinus ist nirgends zu sehen. Wie
Die Blutlymphdrüsen, 145
Weidenreich hervorhebt, liegen massenhafte rote Blutkörperchen
im Iymphoiden Gewebe und: hier kann die Zahl der roten Blut-
körperchen ganz ausserordentlich über die der Lymphocyten
überwiegen: ja auf weite Strecken hin sieht man dort, wo man
Iymphoides Gewebe erwarten sollte, überhaupt nahezu keine
Lymphoeyten, sondern nur rote Blutkörperchen in einem spärlichen
Retikulum (Fig. 15 und 16 R). Der Marginalsinus und auch
die übrigen Sinus, soweit solche kenntlich sind, können verhältnis-
mässig frei von roten Blutkörperchen sein.
Dieses auf dem ersten Blick überraschende Bild dürfte so
zu erklären sein, dass an jenen Stellen, wo hauptsächlich die
Lymphe strömt, also in den Sinus, die roten Blutkörperchen
durch die Lymphe ausgespült wurden, vorausgesetzt dass in der
betreffenden Lymphdrüse die Vasa afferentia einige Zeit hindurch
keine roten Blutkörperchen führten. An jenen Stellen hingegen,
die vom Lymphstrom weniger berührt werden — also im Iymphoiden
Gewebe — können sich rote Blutkörperchen ansammeln und
längere Zeit liegen bleiben. Ähnliche Bilder findet man gelegentlich
auch in bluthaltigen Lymphdrüsen des Schafes. In der unmittel-
baren Nachbarschaft eines zu- oder abführenden Lymphgefässes
sieht man hier gewöhnlich den Marginalsinus ganz frei von roten
Blutkörperchen, während in derselben Drüse Stellen des Marginal-
sinus, die weiter entfernt von Lymphgefässen gelegen sind, mit
roten Blutkörperchen vollgepfropft erscheinen können. Gleichzeitig
scheint in vielen bluthaltigen Lymphdrüsen des Schweines die
Neubildung der Lymphocyten eine wenig lebhafte zu sein; die
vorhandenen sind wahrscheinlich zum grossen Teile abgeführt
worden, so dass an ihrer Stelle vielfach nur mehr rote Blut-
körperchen gelegen sind. Im übrigen zeigen auch beim Schwein,
sowie bei anderen Säugetieren, die Lymphdrüsen eine ausser-
ordentlich variable Anordnung des Iymphoiden Gewebes und
der Sinus.
Noch ein anderer Befund in den bluthaltigen Eymphdrüsen
des Schweines verdient der Erwähnung. Es ist dies das Auf-
treten von Fettgewebe im Bereiche des Marginalsinus. Auf eine
fettige Degeneration von weissen Lymphdrüsen des Schweines
haben zuerst Baum und Hille (4) aufmerksam gemacht.
Baum (3) äussert sich diesbezüglich im „Handbuch der ver-
gleichenden mikroskopischen Anatomie der Haustiere“ mit folgen-
146 Siegmundv. Schumacher:
den Worten: „Bei der Mehrzahl der Lymphknoten des Schweines
tritt mit dem zunehmenden Alter der Tiere eine fettige Degene-
ration der Knoten ein, die. von der Kapsel aus beginnend,
nach dem Zentrum hin fortschreitet und Fettgewebe an Stelle
des Parenchyms treten lässt. Diese fettige Degeneration kann
so hochgradig werden, besonders in den Körperlymphknoten, dass
schliesslich nur noch Inseln Iymphoiden Gewebes vorhanden sind,
in denen sich dann nur ganz verschwommene, undeutliche Keim-
zentren vorfinden. Offenbar handelt es sich um eine fettige
Degeneration bezw. um eine Fettzellenbildung des Retikulums,
die zur Druckatrophie und schliesslich zum Verschwinden der
Lymphocyten führt“.
Dass schon frühzeitig Fettzellen in den roten Lymphdrüsen
des Schweines auftreten können, zeigen Fig. 15 und 16, die von
retroperitonealen Lymphdrüsen eines halbjährigen Schweines
stammen. In Fig. 15 sind nur vereinzelte Fettzellen an der
Grenze zwischen Rindensubstanz und Marginalsinus zu sehen,
die sich wohl nur aus Retikulumzellen gebildet haben können.
Fig. 16 zeigt eine dichtgedrängte Reihe von auffallend grossen
Fettzellen, die an Stelle des Marginalsinus getreten sind, so dass
vom letzteren nur mehr stellenweise spärliche Reste zu sehen sind.
Eine fettige Infiltration resp. Degeneration ist sicher nicht
ausschliesslich für das Schwein charakteristisch; gelegentlich kann
man auch bei anderen Tieren Abschnitte einer Lymphdrüse durch
Fettgewebe ersetzt sehen; nur dürfte dieser Vorgang nicht so
häufig wie beim Schwein auftreten.
Wien, Ende Juni 1912.
> DD
Die Blutlymphdrüsen. 147
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Erklärung der Abbildungen auf Tafel IX und X.
Fig.
Sämtliche Abbildungen sind mit dem Prisma entworfen.
1. Retroperitoneale Lymphdrüsen im frischen Zustande von einem
nahezu ausgetragenen Schaffetus. A — Aorta: Ve = Vena cava
posterior; Vr — Vena renalis. Vergr. 2fach.
Retroperitoneale Blutlymphdrüse von einem viermonatlichen Lamm ;
injiziert mit Berlinerblau von der Aorta aus, in toto aufgehellt.
A — Arterie; V = Vene; zV = zuführende Vene, die das Blut
aus den Kapillaren — K des die Drüse umgebenden Fettgewebes
sammelt; kV = kapillare Venen im Inneren der Lymphdrüse.
Vergr. ca. 40 fach.
3. Randpartie aus einer retroperitonealen Blutlymphdrüse vom Schaf.
Pikrinsäure-Sublimat; Delafields Hämatoxylin, Eosin. E = eosino-
phile Leukocyten; K —= Kapsel; M — Marginalsinus; R = Rinden-
substanz; V — randständige kapillare Vene. Bei Ue besteht keine
scharfe Grenze zwischen Marginalsinus und lymphoidem Gewebe.
Vergr. 300 fach.
DD
Fig. 4.
Fig. 5.
Big; 6.
Kio. "7.
Fig. 8
Fig. 10.
Fig. 11.
Fig. 12.
Fig. 13.
Die Blutlymphdrüsen. 149
Aus der Marksubstanz einer gewöhnlichen retroperitonealen Lymph-
drüse eines nahezu ausgetragenen Schaffetus; Blutgefässe mit
Berlinerblau injiziert. Formol-Alkohol: Delafields Hämatoxylin,
Eosin. E = Gruppe von eosinophilen Leukocyten; kV — kapillare
Venen; S = Sinus. Vergr. 285 fach.
Phagocyten mit roten Blutkörperchen aus einem Keimzentrum einer
retroperitonealen Blutlymphdrüse vom Schaf. Zenker - Formol;
Delafields Hämatoxylin, Eosin. Vergr. 580 fach.
Retroperitoneale, spezielle Lymphdrüsenanlage von einem 24 cm
langen Schaffetus. Pikrinsäure-Sublimat, Delafields Hämatoxylin,
Eosin. L —= Lymphgefässe, den Marginalplexus bildend: V = Vene,
die aus der Anlage austritt. Vergr. 165fach.
Retroperitoneale, spezielle Lymphdrüsenanlage ohne Marginalplexus
von einem 26 cm langen Schaffetus; Blutgefässe mit Berlinerblau
von der Nabelarterie aus injiziert. Formol-Alkohol; Delafields
Hämatoxylin, Eosin. L — Lymphgefäss mit roten Blutkörperchen ;
kV — kapillares Venennetz im Inneren der Anlage. Vergr. 165fach.
und 9. Aus einer retroperitonealen Lymphdrüse eines 26 cm langen
Schaftetus: Blutgefässe mit Berlinerblau von der Nabelarterie aus
injiziert. Formol-Alkohol: Delafields Hämatoxylin, Eosin. Alle
Lymphgefässe und Sinus sind mit roten Blutkörperchen vollgeptroptt.
kV — kapillare Venen; L —= Lymphgefässe; M — Marginalsinus ;
rB = freiliegende rote Blutkörperchen; Va — Vasa afferentia.
Vergr. 85fach.
Retroperitoneale, spezielle Lymphdrüsenanlage mit roten Blutkör-
perchen im Marginalplexus von einem 26 cm langen Schaffetus:;
Blutgefässe mit Berlinerblau von der Nabelarterie aus injiziert.
Formol-Alkohol; Delafields Hämatoxylin. Eosin. M — Marginal-
plexus; rB = freiliegende rote Blutkörperchen. Vergr. 165fach.
Kleine retroperitoneale Lymphdrüse von einem nahezu ausgetragenen
Schaffetus ohne zu- und abführende Lymphgefässe; Blutgefässe
mit Berlinerblau von der Nabelarterie aus injiziert. Formol-Alkohol ;
Delafields Hämatoxylin, Eosin. M = Marginalsinus; A = ein-
tretende Arterie; V — austretende Vene; kV — kapillare Venen.
Vergr. 100fach.
Kleine retroperitoneale Lymphdrüse von einem nahezu ausgetragenen
Schaftetus; Blutgefässe mit Berlinerblau von der Nabelarterie aus
injiziert. Formol-Alkohol; Delafields Hämatoxylin, Eosin. Das
Vas efferens — Ve steht nicht mehr in Verbindung mit dem Marginal-
sinus = M; V —= abführende Vene: kV = kapillare Venen; F —
Fettgewebe in der Umgebung der Lymphdrüse. Vergr. 165fach.
„Rote“ retroperitoneale Lymphdrüse mit sehr spärlichem Iymphoiden
Gewebe von einem nahezu ausgetragenen Schaffetus; Blutgefässe
mit Berlinerblau injiziert. Formol-Alkohol: Delatfields Hämatoxylin,
Eosin. Vergr. 25fach.
150 Siegmundv. Schumacher: Die Blutlymphdrüsen.
Fig. 14. Randpartie aus einer Blutlymphdrüse vom Halse eines achtmonat-
lichen Hirschkalbes. Formol-Alkohol; Delafields Hämatoxylin,
Eosin. Die hauptsächlich aus glatten Muskelfasern bestehende
Kapsel — K fasert sich gegen den Marginalsinus — M hin auf.
RV — randständige Vene an der Grenze zwischen Marginalsinus
und Rindensubstanz —= R. Vergr. 300fach.
Fig. 15 und 16. Randpartien aus bluthaltigen, retroperitonealen Lymphdrüsen
von einem halbjährigen Schwein. Pikrinsäure-Sublimat; Delafields
Hämatoxylin, Eosin. K — Kapsel; F = Fettzellen im Bereiche
des Marginalsinus; M = Marginalsinus; L — Lymphgefäss; Va —
zuführendes Lymphgefäss, das sich in den Marginalsinus öffnet;
R — Rindensubstanz, die zum grössten Teil von roten Blut-
körperchen eingenommen wird. Vergr. 85fach.
Die Beziehungen zwischen dem Strukturbilde des
Achsenzylinders der markhaltigen Nerven der
Wirbeltiere und den physikalischen Bedingungen
der Fixation.
Von
Leopold Auerbach, Frankfurt a. M.
Hierzu Tafel X1.
Die zunächst wohl auffällige Tatsache, dass sich die ana-
tomische Literatur des letzten Jahrzehntes mit dem in biologischer
Hinsicht bedeutsamsten, der Reizleitung unmittelbar dienenden
Bestandteile der markhaltigen Nervenfaser der Wirbeltiere, dem
Achsenzylinder, weniger beschäftigt als mit dem mehr accessorischen
(rebilde der Markscheide, erklärt sich daraus, dass einerseits der
axiale Teil des Nerven infolge seiner Einbettung im Inneren der
stark lichtbrechenden Hülle der direkten Beobachtung im lebens-
frischen Zustande so gut wie entzogen ist, andererseits das Schema
seiner Struktur, soweit das Studium des fixierten Objektes darüber
Aufschluss zu geben vermag, in den wesentlichen Zügen festgelegt
scheint. Nachdem noch bis in den Anfang der neunziger Jahre
die Angaben von Remak, Max und Hans Schultze sowie
Engelmann, welche schon an dem unfixierten Präparate einen
fibrillären Bau gesehen haben wollten, und sogar die am osmierten
Nerven gewonnenen Resultate Kupffers und Boveris von
kompetentester Seite (Schiefferdecker, Held) angezweifelt
worden waren, erfolgte hierin mit dem Bekanntwerden der
Forschungen Apathys und Bethes ein völliger Umschwung.
Als die weiteren eminenten Fortschritte in der Methodik kurz
darauf es einem jedem ermöglichten, sich an den-Ganglien-
zellen der Vertebraten mit leichter Mühe über die Existenz
und die allgemeinen Eigenschaften jener Kupffer-Betheschen
Fibrillen zu unterrichten, konnte es fürderhin kaum als dankbare
Aufgabe gelten, genau in Bethes und Mönckebergs Spuren
zu wandeln und bestenfalls etliche kümmerliche Früchte bei einer
Nachlese auf diesem Felde einzuheimsen.
152 Leopold Auerbach:
So blieb hinsichtlich der Struktur des Achsenzylinders zwar
etwa ein untergeordnetes Detail wie die Reduktion der Neuro-
fibrillen an den Ranvierschen Einschnürungen (Schieffer-
decker, Retzius kontra Bethe und Mönckeberg) der
endgültigen Entscheidung vorbehalten, doch herrschte fast absolute
Einstimmigkeit darüber, dass der Achsenzylinder sich aus eben
diesen Neurofibrillen und einer perifibrillären Substanz zusammen-
setze. Letztere wurde entweder für eine sehr wasserreiche, seröse
Flüssigkeit (Kupffer, Schiefferdecker, v. Lenhossek)
oder eine zähflüssige, viscide Substanz (Neumann), oder einen
festweichen, elastischen Kitt (v. Kölliker)') erklärt oder endlich
mit einer gerüstartigen Stützsubstanz ausgestattet (Joseph).
Namhafte Autoren halten diese Frage nach dem Wesen der
Z/wischensubstanz noch nicht für spruchreif (Kaplan, Warncke);
ähnlich lehnen Bethe und Mönckeberg die netzförmige Gerüst-
substanz Josephs ab und neigen der Annahme eines homogenen
Körpers zu, ohne hiermit zukünftigen, auf bessere Hülfsmittel
gegründeten Erfahrungen mit Bestimmtheit vorgreifen zu wollen.
In der allerjüngsten Zeit hat Nageotte das übliche Schema
insofern etwas modifiziert, als er dem Achsenzylinder, abgesehen
von zahlreichen, in regelmässigen Reihen eingelagerten, stäbchen-
förmigen Mitochondrien, noch besondere protoplasmatische Bahnen,
die von den Schwannschen Zellen ihren Ursprung nehmen und
von der Markscheide aus auf den Achsenzylinder übergehen sollen,
neben einer die Neurofibrillen auseinander drängenden serösen
Flüssigkeit zuerkennt. Im Einklang mit den oben genannten
Autoren leitet er aus dem Verhalten einer derartigen den axialen
Raum erfüllenden, gewissermassen ödematösen Durchtränkung die
Vulnerabilität des Achsenzylinders und die Neigung der Neuro-
fibrillen, zu einem Strang zusammen zu schnurren, in ungezwungener
Weise ab.
Im Gegensatz zu den Ansichten über die Natur der peri-
fibrillären Substanz, welche hauptsächlich Folgerungen aus dem
physikalischen Verhalten der Nervenfaser im lebensfrischen Zu-
stande darstellen, gründen sich die heutigen Anschauungen von
dem Wesen der Neurofibrillen so gut wie ausschliesslich auf
Befunde am osmierten Nerven. Zwar hat Bethe der Osmium-
1) Schon 1863 hatte Waldeyer dem Achsenzylinder in seiner Ge-
samtheit eine „festweiche“ Konsistenz zugeschrieben.
Beziehungen zwischen dem Strukturbilde des Achsenzylinders. 153
säurehärtung ein einfaches Verfahren an die Seite gestellt, indem
er in Alkohol von — 9 bis — 15° © fixierte und danach seine
Primärfärbung in Anwendung brachte. Jedoch scheint er persönlich
davon nur in beschränktem Umfange Gebrauch gemacht zu haben,
und in weiteren Kreisen hat sich die Methode meines Wissens
nicht eingebürgert.
Für eine Aufgabe nun, die ich mir seinerzeit stellte, nämlich
in die funktionellen Veränderungen der Nervenfaser einen Ein-
blick zu gewinnen und zu diesem Zwecke zunächst die Einwirkung
von iso- und anisotonischen indifterenten Medien, Elektrolyten,
narkotischen Stoffen usw. auf den Froschnerven zu studieren, bot
das Verfahren hauptsächlich den einen Vorteil, dass der Alkohol
wegen seiner raschen Diffusion eine gleichmässigere Fixation des
Objektes verbürgt. In dieser Erwartung übernahm ich es, aller-
dines mit der Abänderung, dass ich den Alkohol zunächst
> Stunden lang mittels Kohlensäureschnees kühlte und hernach für
20 bis 22 Stunden im Eisschrank beliess, sodass ich demnach im
Beginn zu weit tieferen Kältegraden — schätzungsweise auf
— 60 — bis 70°C — herabging. Es leitete mich dabei die
Hoffnung, dass diese extremen Temperaturen der Erhaltung einer
vitalen Struktur zugute kommen möchten, weil das Gewebe von
dem Gefrierprozess so schnell ereilt wird, dass zur Ausbildung von
Artefakten kaum Zeit bleibt, und weil die durch das Gefrieren
verursachten Formänderungen, wenn sie selbst nicht völlig auszu-
schalten wären, doch den Temperaturgraden umgekehrt proportional
sein dürften.') Freilich bleibt es zweifelhaft, inwieweit die Tempe-
ratur des Gefrierens mit derjenigen der Fixation zu identifizieren
ist, da wir gar nichts darüber wissen, innerhalb welcher Zeit resp.
ob überhaupt sich bei diesen äussersten Kältegraden die Gewebs-
kolloide zum Alkoholgel umwandeln, und die Härtung möglicher-
weise erst in späteren Stadien einsetzt, nachdem sich der Alkohol
vorher wieder erwärmt hat. Im übrigen wählte ich den Ischiadicus
des Frosches, welchen ich nach der Decapitation und Zerstörung
des Rückenmarks blosslegte und behutsam exstirpierte.
Während nun bei Nerven, die nicht sofort nach der Heraus-
nahme zur Untersuchung gelangten, sich etwa erst vorübergehend
in einem indifferenten Medium befunden hatten, nach dieser
') Vergl. hierzu Liesegangs Kritik der Mellgaardschen vitalen
Fixation (Anat. Anz., Band 39) und meine Erwiderung (ebenda, Band 40).
154 Leopold Auerbach:
Alkoholhärtung und einer exakt nach Bethes Anweisung vor-
genommenen Primärfärbung mit Toluidinblau die erwarteten
Fibrillenbilder oder leicht verständliche Varianten von solchen
zur Darstellung kamen, ergab eine Reihe von Kontrollunter-
suchungen, bei welchen zur Feststellung des absolut normalen
Strukturbildes auf besonders schonende Präparation sowie auf
schleunigste Fixation Bedacht genommen wurde, eine überraschende
Tatsache. Die Achsenzylinder mit den typischen Fibrillenbildern
werden zur kleinen Minderheit oder fehlen vollkommen, und an
ihrer Stelle erscheinen andere Formen von eigenartigem Gepräge.
In manchen Achsenzylindern nimmt die Zahl der Fibrillen derart
zu, dass der axiale Raum mit Fäserchen bis auf das äusserste
vollgepfropft erscheint und die perifibrilläre Masse demgegenüber
geradezu verschwindet. Nun ist es auch für das normale Struktur-
bild kaum angängig, bezüglich des Verhältnisses zwischen Fibrillen
und Perifibrillärsubstanz eine ganz unabänderliche Proportion
festzustellen, weil der Reichtum der einzelnen Achsenzylinder an
beiden Bestandteilen nach meinen eigenen Erfahrungen stets in
ziemlich weiten Grenzen schwankt. Aber alle Autoren (Bethe,
Schiefferdecker, Retzius) stimmen doch darin überein, dass
die Perifibrillärsubstanz über die Fibrillen bedeutend überwiegt.
Hier dagegen wird das Verhältnis zwischen fibrillären Gebilden
und Perifibrillärsubstanz geradezu auf den Kopf gestellt, denn die
dichte Menge der ersteren überschreitet unter den gedachten
Bedingungen bei weitem das Maß dessen, was man sonst zu
sehen bekommt. Auch unterscheiden sich diese fibrillären Elemente
von den typischen Formen in ihrem gesamten Habitus, sie lassen
den zartwelligen Verlauf vermissen, erscheinen vielfach winklig
geknickt, mit kleinen Ästchen ausgestattet, bisweilen kurz ab-
gebrochen, sind ungleich in ihrem Kaliber, mit Knötchen und
kleinen Anschwellungen besetzt. So präsentiert sich selbst auf
2—3 cu dicken Schnitten an Stelle der Regelmässigkeit des
gewöhnlichen neurofibrillären Baues eine unentwirrbare Fülle
solcher teils paralleler, teils sich kreuzender und durchflechtender
Fäserchen, zwischen denen nur ein minimaler Platz für eine
Kittsubstanz übrig bleibt (Fig. 1). In einer anderen Kategorie
von Achsenzylindern tritt die lineare Zeichnung nicht mehr so
scharf zutage, wird vielmehr durch eine mehr oder weniger
verschwommene, bisweilen gerade eben noch erkennbare, ungemein
ou
Beziehungen zwischen dem Strukturbilde des Achsenzylinders. 1
zarte und dichte Streifung ersetzt (Fig. 2). Zwischen dieser
verwaschenen Masse tauchen ab und zu einmal schärfer konturierte
Fädchen auf, so dass man es direkt mit dem Auge verfolgen zu
können glaubt, wie die fibrillären Gebilde aus einer geronnenen
Substanz ihren Ursprung nehmen. Wenn hiermit etwa in die
rein deskripte Darlegung der Befunde eine bestimmte Deutung
des (Gesehenen hineingetragen wird, so geschieht dies, weil jene
Auffassung sich dem Beobachter unwillkürlich und zwingend auf-
drängt. Vielerorts wird man eben aus dem ganzen Charakter
der Masse, ob sie sich nun im verschwommenen Bilde zeigt oder
sich in die zahllosen Fäserchen zerlegt, auf den ersten Blick die
Überzeugung von dem Vorhandensein eines Gerinnsels gewinnen.
Nach den in vorstehendem skizzierten Erfahrungen erschien
es natürlich wünschenswert, den Alkohol mit einem anderen
Fixationsmittel zu vertauschen, um die experimentellen Bedingungen
tunlichst abzuändern und sich über sämtliche Faktoren, welchen
bei diesem Ergebnis eine Rolle zufallen könnte, zu orientieren.
Somit musste ich wieder zur Osmiumsäure zurückgreifen, weil
bei den sonst üblichen, leicht gefrierenden Fixationsmitteln nicht
der Ausweg blieb, durch den nach Bethe das Schrumpfen der
Achsenzylinder vermieden wird. Freilich ist man bei der Osmium-
säure, sofern die Konservierung bei intensiver Kälte beibehalten
werden soll, auf deren Dampf angewiesen, wobei die Abkühlung
derart geschieht, dass das Gläschen mit dem Froschnerven in
den Kohlensäureschnee eingebettet wird. Trotz dieser Vorkehrung
hat man es nicht in der Hand, sogleich eine sehr niedrige
Temperatur zu erhalten, weil jedesmal beim Einbringen des
Präparates frische, nicht vorgekühlte Luft in das Gläschen ein-
strömt. Um diesen Mißstand auszugleichen, habe ich die Versuche
bei strenger Winterkälte (— 6 bis — 5°C) ausgeführt, so dass
man auch bei dieser Versuchsanordnung ein hinreichend schnelles
Gefrieren des Nerven erwarten durfte. Ein anderer Übelstand
ist in der Sache selbst begründet und nicht auszumerzen. Bei
stark sinkender Temperatur verflüchtigt sich die Osmiumsäure
nicht mehr in dem erforderlichen Maße, um als Dampf noch eine
Wirkung zu entfalten. Schliesslich ist die Austrocknung, welcher
vorwiegend die langsamer erhärtenden Fasern mehr im Inneren
des Nerven unterliegen, recht störend, so dass leider zuletzt stets
nur kleine Partien an der Peripherie allen Anforderungen genügen.
156 Leopold Auerbach:
Im weiteren Vorgehen hielt ich mich. strenge an die von
Bethe ausgearbeitete Technik:
Vor der Einbettung Reduktion durch 2°/o Natriumbisulfit,
dem auf je 10 ccm direkt vor dem Einlegen des Nerven 2—4
Tropfen konzentrierter Salzsäure zugesetzt sind, später Färbung
der Schnitte entweder direkt mit Toluidinblau, welches durch
Ammoniummolybdat fixiert wird, oder indirekt zuerst Beizung
mit Ammoniummolybdat und nachherige Tinktion mit Toluidinblau
(vergl. Bethe-Mönckeberg).
Bethes Methodik ist nicht allzu kompliziert, man gewinnt
sehr schnell die gewünschte Sicherheit, und die Resultate sind
bei einiger Routine äusserst zuverlässig.
An dem Nerven, den man in der obenerwähnten Weise
mit Osmiumdampf fixiert hat, finden sich in der Nachbarschaft
von Stellen, welche eine intensive Austrocknung erlitten haben
und diese Schädigung durch die voluminöse Aufblähung der
Markscheide sowie den körnigen Zerfall der färbbaren Substanz
des Achsenzylinders offenbaren, solche Fasern, deren Markscheide
sich bereits ziemlich normal verhält und deren Achsenzylinder
jedenfalls eine fibrilläre Struktur besitzen. Ihre Neurofibrillen
sind ungefähr so gelagert, wie es dem Betheschen Typus ent-
spricht, aber sie wechseln auffällig im Kaliber, streckenweise von
unmessbarer Dünne, verdicken sie sich plötzlich zu kurzen Knoten
oder auf etwas längere Strecken, verlaufen oft ziekzackförmig
und verästeln sich (Fig. 3). Dass bei diesem Verhalten Ver-
klebungen mitspielen, dass sich auch das Eintrocknen in höherem
Maße geltend machen könnte, als man es nach dem kaum mehr
geblähten Aussehen der Markscheide zunächst meinen sollte, ist
zuzugeben.
Die in Fig. 4 dargestellten Achsenzylinder umsäumt eine
Markscheide, die annähernd so schmal ist wie im lebensfrischen
Zustande und ganz glatte Konturen zeigt. Von dem bläulich
tingierten Grunde heben sich Fäserchen ab, die, statt in gleich-
förmigen, hübsch welligen Linien dahin zu ziehen, einen unregel-
mässigen Durchmesser zeigen, wiederum stark winklig geknickt
sınd, sich überkreuzen, ab und zu auch sich netzförmig zu ver-
knüpfen oder zu verzweigen scheinen. Bei diesen Fäserchen tritt
desgleichen schon die dichtere Lagerung hervor, welche in Formen,
wie sie Fig. 5 wiedergibt, eine weitere Steigerung erfährt und
Beziehungen zwischen dem Strukturbilde des Achsenzylinders. 157
mit einer entsprechenden Verfeinerung der Fädchen parallel geht.
Am Endpunkt dieser kontinuierlichen Folge stehen Achsenzylinder,
welche auf ganz lichtem Untergrunde eine äusserst dichte und höchst
zarte Schraffierung zeigen, die sich aus engen Reihen unmessbar
feiner und nur wegen ihrer guten Tinktion scharf wahrnehmbarer
Fädchen und stellenweise auch aus Körnchenreihen zusammensetzt,
derart, dass schliesslich die Struktur mit dem typischen Bilde
bloss noch die lineare Anordnung gemein hat (Fig. 6)
Will man das Verfahren Bethes vollkommen getreu kopieren.
womit auch die Mängel der Fixation durch die dampfförmige
Osmiumsäure vermieden werden, so bietet sich die 0,25 proz.
wässerige Lösung der Substanz, nur muss man alsdann von den
extrem niedrigen Temperaturen begreiflicherweise absehen. Wenn
der schon vorher durch den Kohlensäurestrahl steif gefrorene
Nerv für 24 Stunden in eine Lösung gebracht wird, die gerade
den (Gefrierpunkt erreicht, so wird ein Auftauen verhütet und
die Fixierung im gefrorenen Zustande garantiert. Alsdann er-
scheinen die Achsenzylinder in ihrer überwiegenden Mehrzahl als
tiefblau gefärbte Bahnen, in denen bei sehr starker Vergrösserung
oft zahlreiche aneinandergereihte, blauschwarze Körnchen oder
feinste Strichelungen auftauchen. Diese breiten Bahnen füllen
den axialen Hohlraum derart aus, dass nirgends ein Spalt klafft,
wie auch andererseits die Markscheide durchgängig ihre linearen
Konturen und geringe Dicke bewahrt hat (Fig. 7). Nichts be-
kundet eine artefizielle Schädigung, und insbesondere fehlt jede
Schrumpfung, wie sie sonst stets den Achsenzylinder des peripheren
Nerven kennzeichnet, sobald er sich als ein gleichmässig tingierter
Strang darstellt (Bethe, Warncke).
Bei anderen, desgleichen von intakter Markscheide umgebenen
Achsenzylindern, die durchweg den Randpartien angehören, lichtet
sich der Grund, und man ist imstande, in ihnen eine aus zahllosen,
nicht weit verfolgbaren, im grossen und ganzen längsverlaufenden,
subtilen Fädchen gebildete Schraffierung zur Auflösung zu bringen.
Doch entsteht selbst bei starker Vergrösserung infolge der Häufung,
matten Färbung und Diskontinuität dieser Elemente an manchen
Stellen wiederum der Eindruck jener diffusen und undefinierbaren
Masse, der wir schon anderwärts begegneten. Die Fädchen selbst
sind hie und da mit Körnchen untermischt, tragen des öfteren
minimale Anschwellungen oder Knötchen und sind unter allen
Archiv f. mikr. Anat. Bd.81. Abt.I. 11
158 Leopold Auerbach:
Umständen unvergleichlich zarter als die echten Neurofibrillen
(Fig. 8).
Die in Rede stehenden Befunde leiten zu der letzten und
instruktivsten Versuchsreihe hinüber, bei welcher das vorherige
Gefrieren des Nerven in Wegfall kommt und auch
die Osmiumsäure nicht unter + I bis 2° © gekühlt wird.
Man erhält dann unter den einfachsten Bedingungen in den von
unversehrter Markscheide umgebenen Achsenzylindern den vorigen
analoge Bilder, höchstens, dass die Struktur durchschnittlich häufiger
jenen etwas ausgeprägteren Charakter annimmt. Entweder findet
sich innerhalb der blauen Bahnen eine an der Grenze der Auf-
lösbarkeit stehende ganz verwaschene Schraffierung (Fig. 9), oder
die färbbare Substanz verteilt sich vorwiegend auf eine reiche
Zahl überaus zarter Fädchen, die sich von dem lichteren Grunde
als ungemein subtile, einigermassen individuelle Gebilde gesondert
abheben. Sie verlaufen im allgemeinen in longitudinaler Richtung.
bilden aber keine scharfen Linien und sind selten über weitere
Strecken klar zu verfolgen, so dass sie mit den eigentlichen Neuro-
fibrillen nur eine entfernte Ähnlichkeit aufweisen (Fig. 10).
Die Kupffer-Betheschen Neurofibrillen der Wirbeltiere
sind als „selbständige morphologische Elemente“ durch ihre
„körperliche Individualität“ gekennzeichnet, besitzen scharfe und
glatte Konturen sowie einen bestimmten, im Querschnittsbild stets
deutlichen Durchmesser, treten im Areal des Achsenzylinders
gegenüber der Interfibrillärsubstanz quantitativ erheblich zurück.
Nun ist es zwar nicht immer leicht, sie im peripheren mark-
haltigen Nerven in der geschilderten idealen Form zur Darstellung
zu bringen; so hat z. B. Schiefferdecker, der nach Kupffer
in toto mit Fuchsin färbte, geraume Zeit gebraucht, bis er über-
haupt ihre Existenz zugestand, und für Warncke, welcher sich
auf das strengste an die Betheschen Vorschriften hielt, „musste
doch stets ein gewisser Zweifel bleiben, ob in den an und für
sich sehr gut gelungenen Präparaten vom Froschischiadicus diese
zarten Fäden nicht doch vielleicht nur Gerinnungsprodukte seien“.
Ich selbst habe aber, namentlich soweit ich den mit Kohlen-
säureschnee gekühlten Alkohol zur Fixation anwandte, meist schöne,
Beziehungen zwischen dem Strukturbilde des Achsenzylinders. 159
klare Fibrillenbilder erzielt, vorausgesetzt, dass der Nerv nicht
allzu frisch eingelegt ward. ')
In dem letzteren, wie man denken sollte, eigentlich optimalen
Falle zeigen sich merkwürdigerweise die oben beschriebenen
atypischen Bilder, deren Bedeutung demnach nunmehr zu erörtern
wäre. Dabei dürfte es sich für die Erledigung der gedachten Auf-
gabe der grösseren Übersichtlichkeit halber wohl empfehlen, nicht
sämtliche irregulären Formen zusammenfassend zu behandeln,
sondern zunächst die im ganzen homogenen Bahnen zum Aus-
gangspunkt der weiteren Betrachtungen zu wählen. Es liegt
dies ausserdem darum am nächsten, weil es sich bei denselben
um kein vollständiges Novum handelt, sondern man sich hier auf
bereits halbwegs bekanntem Boden bewegt. Völlig neu allerdings
ist die Tatsache, dass sie sich nicht auf die zentralen Fasern be-
schränken, sondern unter besonderen Verhältnissen imperipheren
Nerven zu finden sind, so dass von jetzt ab die Erklärung ihrer
Entstehung dem doppelten Vorkommen gleichmässig gerecht werden
muss. Man wird dieser Forderung um so leichter zu genügen
imstande sein, als ihre Lagerung innerhalb des Präparates in
beiden Fällen rücksichtlich ihrer Genese auf ein und dieselben
äusseren Faktoren hinweist.
Warncke hatte nämlich bei strenger Befolgung der Bethe-
schen Vorschriften am Fischrückenmark in inneren Schichten, zu
denen die Osmiumsäure langsamer vordringt, regelmässig eine
ganze Anzahl von Achsenzylindern gefunden, die, ohne geschrumpft
zu sein, eine diffuse Färbung zeigten, und mir selbst war am
osmierten Rückenmark der Taube, wiederum mit Ausschluss der
Randzone, die nämliche Anomalie seinerzeit aufgefallen. Wie sich
Warnckes Abbildungen vollkommen mit meinen eigenen Fest-
stellungen decken, ebenso akzeptiere ich Wort für Wort dessen
!) Nebenbei bemerkt, habe ich in derartigen Alkoholpräparaten, deren
ich eine sehr beträchtliche Anzahl durchmusterte, nie den von Bethe und
Mönckeberg behaupteten, vonSchiefferdeckerund Retzius energisch
bestrittenen isolierten Verlauf der einzelnen Neurofibrillen konstatiert, viel-
mehr an den Ranvierschen Einschnürungen eine beträchtliche Reduktion,
die sich bereits vor der Einschnürung deutlich einleitet, beobachtet. Auch
an Zupfpräparaten konnte ich mich hiervon überzeugen. Dass von meinem
Standpunkte aus die ganze Streitfrage in nichts zerfällt, wird aus dem
folgenden erhellen; ich nehme an, dass die wechselnden äusseren Bedingungen
bei der Fixation den Widerspruch verschuldelt haben.
NY r
160 Leopold Auerbach:
Behauptung, dass „bei vielen noch nicht geschrumpften Rücken-
marksfasern der fibrilläre Bau durch eine feine gleichmässige
Gerinnung verdeckt resp. ersetzt“ wird. In bezug auf die zen-
tralen Fasern erschien sonach seit langem Bethes Ansicht,
es speicherten bei seinem Verfahren die Neurofibrillen den Farb-
stoff in spezifischer Weise und würden hierdurch gegenüber der
Grundsubstanz in elektiver Weise dargestellt, einer Korrektur
bedürftig. Hinsichtlich des peripheren Nerven durfte man
bis zu meinen Studien den Betheschen Standpunkt teilen, indem
hier wirklich unter gewöhnlichen Verhältnissen die Darstellung
der Neurofibrillen ausschliesslich an geschrumpften Achsen-
zylindern zu versagen pflegt.
Heute, wo wir wissen, dass es auch bei der peripheren Faser
nicht auf die Schrumpfung ankommt, und die Meinung, dass allein
die Masse der zusammengeschnurrten, zentralwärts gerückten
Fibrillen die Farbe aufnehme, von den Tatsachen unzweideutig
widerlegt wird, benötigt die Bethesche Lehre, welcher die
Prämisse entzogen ist, dringend einer Revision. So einfach, wie
man im allgemeinen denkt, liegt die Sache nicht, und man muss
die Frage. warum sich in gewissen Fällen die Gesamtmasse des
Achsenzylinders färbt und nicht bloss eine mittlere Lage, in der
man allenfalls die untereinander verklebten Achsenzylinder zu
suchen hätte, unter anderen Voraussetzungen und von einem
anderen Gesichtspunkte aus in Angriff nehmen. Was für eine
Bewandtnis hat es denn in solchem Falle mit den Neurofibrillen ?
Oder, um die Alternative, welche Warncke nicht mit der
wünschenswerten Schärfe herausarbeitet, in der Fragestellung hin-
reichend zu präzisieren: Werden denn jetzt die Neurofibrillen
durch die Masse des Färbbaren verdeckt, oder sind sie tat-
sächlich darin aufgegangen, nachdem sie zuvor der Zer-
störung bezw. Auflösung anheim fielen. Ein Drittes
ist noch denkbar: ihre Präexistenz wäre überhaupt zu
leugnen, und man hätte statt dessen die verschiedenen Struktur-
bilder auf die verschiedenen Modifikationen kolloidaler Entmischung
zu beziehen, wodurch das eine Mal individuelle Gebilde zur Ab-
scheidung gelangten, das andere Mal eine mehr oder weniger
homogene Koagulation entstünde.
Dass die an erster Stelle ins Auge gefasste Eventualität
nicht zutrifft, ergibt von vornherein die mikroskopische Prüfung
Beziehungen zwischen dem Strukturbilde des Achsenzylinders. 161
des Objektes. Man entdeckt bei Vorbehandlung mit einer bis
zum Gefrierpunkt gekühlten Osmiumsäurelösung nirgends die Spur
von einer die Neurofibrillen in sich bergenden Einbettung, man
hat es vielmehr bei Bildern, wie sie Fig. 7 zeigt, mit einer gleich-
mässigen Masse zu tun, aus der hie und da einige stark tingierte
Punkte, Punktreihen oder Strichelungen auftauchen, die mit Neuro-
fibrillen nichts gemein haben. In Fasern, welche nur Temperaturen
von + 1-—2° C ausgesetzt waren, fehlen sogar diese schwachen
Andeutungen einer Struktur, und die geringfügige Schraffierung,
die bei stärkster Vergrösserung noch hervortritt, ist viel zu zart
und vor allem viel zu dicht, als dass sie etwas mit den Neurofibrillen
zu tun haben könnte (Fig. 9). Ohne vorzugreifen, möchte ich ferner
an die Übergangsformen erinnern, welche auf der einen Seite der
soeben besprochenen Kategorie noch recht nahe stehen, bei denen
andererseits die Sonderung in individuelle Elemente, jedoch derart,
dass man diese nicht als Neurofibrilien ansprechen darf, bereits
etwas weiter vorgeschritten erscheint (Fig. 3 u. 10). Dem mit
Osmiumsäurelösung fixierten Nerven sind die Alkoholpräparate an
die Seite zu stellen, worin sich der Achsenzylinder in Gestalt
einer verwaschenen, lockeren Masse präsentiert, die gar nicht das
erforderliche kompakte Gefüge besitzt, um irgend welche indivi-
duellen Elemente zu verdecken und in ihrer Sonderexistenz aus-
zulöschen; auch da, wo ab und zu ein Fädchen aus dem diffusen
Grunde auftaucht, ähnelt es selbst dieser Masse in seinem un-
scharfen gerinnselähnlichen Aussehen (Fig. 2).
Überhaupt könnten die Neurofibrillen in dem gesamten
Achsenzylinderinhalt bloss unter der Bedingung verschwinden,
dass zuvor der sie trennenden perifibrillären Substanz, die sich
normalerweise der Farbe gegenüber total refraktär zeigt, eine
ausgesprochene Chromatophilie zuteil würde. Wenn es nun beim
Rückenmark darauf ankommt, dass die betreffenden Achsenzylinder
innerhalb des Gesamtareals keine ganz periphere Lage einnehmen,
oder, was dasselbe bedeutet, von der Fixation erst allmählich
erreicht werden, so wird auch in unserem Falle die Herabsetzung
der Temperatur kaum in direkter Weise, sondern indirekt
durch die Verzögerung der Fixation ihre Wirkung
ausüben.
Da nun nicht recht abzusehen ist, wieso der zeitliche Ablauf
der Fixation auf physikalischem Wege die färberischen Affinitäten
162 Leopold Auerbach:
bezw. die Adsorption des Farbstoffes zu beeinflussen vermag, wäre
man genötigt, auf chemische Vorgänge zurückzugreifen, welche
ihrerseits mit der Verlangsamung der Fixation in ursächlichem
Zusammenhange stünden.
Man würde somit von der Voraussetzung aus, dass die Neuro-
tibrillen in der Gesamtmasse noch vorhanden sind, zu der nämlichen
Betrachtung gedrängt, welche mit der Annahme einer Zerstörung
resp. Auflösung der Neurofibrillen in den Vordergrund tritt: sind
chemische Kräfte im Spiele, die, in offenbarer Abhängigkeit von
der verspäteten Fixation, sowohl in der Tiefe des in üblicher Weise
osmierten Rückenmarkes wie im Gesamtareal des bei niedriger
Temperatur fixierten Ischiadieus das histologische Substrat um-
zuwandeln vermögen? Denn dass für eine etwaige Destruktion
der Neurofibrillen ausschliesslich chemische Agentien in
Frage kommen, liegt auf der Hand, weil das einzige, allenfalls
damit konkurrierende Moment der Kältewirkung einerseits für die
entsprechenden Befunde am Rückenmark überhaupt nicht zutrifft,
andererseits nicht einmal geeignet ist, für die eigentümlichen
Resultate bei der Osmierung des Ischiadicus eine stichhaltige
Begründung zu liefern. —
Eine kritische Besprechung des Faktors des Gefrierens findet
sich in meinem Aufsatz: Mollgaards vitale Fixation und meine
Kritik der Neurofibrillenlehre (Anatom. Anz., Bd. 40, S. 182—189),
und ich möchte darauf, um Wiederholungen zu vermeiden, nicht
nochmals zurückkommen. Dagegen ist es wohl ratsam, sich in
Kürze einem damit einigermassen verwandten Einwurf zuzuwenden,
der darauf hinausliefe, dass auch in meinen Versuchen mit Osmium-
säurelösung bei + 1 bis 2°C ein Einfluss der Kälte insofern nicht
ganz ausgeschaltet scheine, als unter Umständen in einem oder
dem anderen Gel bereits bei Temperaturen oberhalb des Null-
punktes eine Wasserentziehung stattfinden könnte. Da nicht ein-
mal die ausgezeichnete Publikation W.H. Fischers, welche die
einschlägige, überaus reiche Literatur auf das eingehendste be-
rücksichtigt, eine destruierende Wirkung von Temperaturen über
0° erwähnt, so dürfte ich wohl den gedachten Einwand von vorn-
herein als hinfällig beiseite schieben, wenn ich nicht doch bei
einem einzigen Autor auf eine hierher gehörige Bemerkung ge-
stossen wäre. Hardy hat beobachtet, dass in einem Gel, welches
etwa 1,5°/o reine Gelatine enthält, bei 1° Ü unter dem Mikroskop
Beziehungen zwischen dem Strukturbilde des Achsenzylinders.. 163
ausserordentlich winzige Tröpfchen (exceedingly minute droplets)
auftauchen. Es wäre also vielleicht theoretisch nicht absolut
undenkbar, dass sich in der Osmiumsäurelösung von + 1 bis 2° C
innerhalb der Substanz etwaiger präformierter Fibrillen eine ana-
loge Entmischung abspielte und sich deren inneres Gefüge aus
diesem Grunde bis zu einem gewissen Grade lockerte. Es wird
dies durch das folgende widerlegt. Man »trifit in den fraglichen
Präparaten keine distinkten Neurofibrillen, die sich dement-
sprechend verändert zeigten, minder kompakt erschienen, den
Farbstoff schlechter speicherten oder verwaschene Umrisse be-
sässen, sondern man gewahrt ein von Grund auf verschiedenes
Bild. Soweit dabei eine diffuse Färbung resultiert, wäre mindestens
die Hilfshypothese heranzuziehen, dass bei jener Temperatur,
welche die Neurofibrillen eines Teils des in ihnen enthaltenen
Wassers beraubt, auch die perifibrilläre Kittmasse ihr refraktäres
Verhalten gegenüber der Farbe dadurch verliert, dass sie in
sich eine Änderung erleidet, etwa jenes aus den Neurofibrillen
frei werdende Wasser ihrerseits wieder chemisch bindet. Es
bedarf wohl keiner Ausführung, dass eine solche Kombination
vollständig in der Luft schwebt und allzu gekünstelt ist, um
ernstlich mit ihr zu rechnen. Ferner erweckt das histologische
Substrat keineswegs den Eindruck, als ob hier Primitivfibrillen und
Perifibrillärsubstanz einfach zusammengesintert wären. Schliesslich
figurieren neben den diffus gefärbten Bahnen die Zeichnungen mit
den atypischen fädigen Strukturen, die weder auf diesem Wege
noch durch den — übrigens mit der Wasserabgabe nicht genügend
zu erklärenden — mechanischen Vorgang einer Aufsplitterung aus
den typischen Neurofibrillen herzuleiten sind. (Vergl. hierzu weiter
unten.) Kurz, selbst wenn man die Analogie mit Warnckes
und meinen Befunden an dem bei mittlerer Temperatur osmierten
rückenmark ausser acht lässt und Erfahrungen, die einer einheit-
lichen Auffassung unterliegen sollten, gewaltsam auseinanderreisst,
verirrt man sich in einem Labyrinthe, ohne den Tatsachen irgend-
wie gerecht zu werden.
Sobald wir das physikalische oder physikochemische Moment
der Kältewirkung verwerfen und uns auf streng chemischem Ge-
biete bewegen, werden wir vor ein ähnliches Dilemma gestellt
wie Warncke, der bei verwandter Fragestellung seinen Stand-
punkt folgendermassen klarlegt: „Entweder die Fasern . haben
164 Leopold Auerbach:
an dem Zeitpunkt, wo die Osmiumsäure zu ihnen gelangt, ihre
vitale chemische Struktur infolge Absterbens nicht mehr besessen,
oder aber die Einwirkung der Osmiumsäure in der Peripherie
hat aktiv in der Tiefe chemische Prozesse zur Folge gehabt, welche
die Fasern verändert haben.“ Was die an zweiter Stelle versuchte
Deutung anbelangt, so wäre sie für unseren Fall in dem Punkte
zu modifizieren, dass kein erheblicher Unterschied aus der jeweiligen
Lage der Fasern im Präparate erwächst. Es kommt darauf nicht
viel an; denn erstens wird man der Osmiumsäure bei den äusserst
niedrigen Temperaturen kaum eine solche energische Einwirkung —
sei sie nun direkter, sei sie indirekter Natur — zuschreiben wollen,
und zweitens darf man nicht das gleichsinnige Verhalten der
Alkoholpräparate vergessen, bei denen eine nennenswerte chemische
Aktivität des indifferenten Fixationsmittels schon an und für sich
ausgeschlossen ist.
Bestechender klingt für den ersten Augenblick die Meinung,
dass vielleicht die Änderung der färberischen Eigenschaften oder
die Schädigung der präexistenten Struktur auf eine spontane Ein-
busse an Vitalität zurückzuführen sei. Aber auch diese Auffassung
hält nicht stand gegenüber dem Einwand, dass weder im 96proz.
Alkohol bei solch extremen Kältegraden noch in der 0,25 proz.
Ösmiumsäurelösung bei Temperaturen um den Nullpunkt eine
Autolyse zu erwarten ist.) Wenn man gar mit der Zerstörung
und Auflösung der Neurofibrillen rechnete, wodurch freilich der
totale Umschlag in den färberischen Eigenschaften gut zu erklären
wäre, so müssten die direkten chemischen Wirkungen des Fixations-
mittels oder die autolytischen Prozesse eine geradezu erstaunliche
Intensität erreichen, um diese als besonders widerstandsfähig
bekannten Gebilde zu vernichten. Ich erinnere daran, wie lange
die Neurofibrillen der Ganglienzellen schweren pathologischen
Prozessen Trotz bieten, und weise vor allem auf den schreienden
Widerspruch hin, dass Bielschowsky für seine Silberimprägnation
sogar ausdrücklich empfiehlt, die Sektion nicht früher als 24 Stunden
post exitum vorzunehmen, dass also in der menschlichen Leiche,
!) Hinsichtlich der Osmiumsäure bliebe allenfalls der Ausweg, dass
man von ihr bloss die Abtötung des Gewebes abhängig machte, dagegen die
Autolyse während des nachfolgenden Stadiums des Auswässerns stattfinden
liesse; doch spricht schon das gleichsinnige Verhalten der Alkoholpräparate
dafür, dass die Prozedur des Auswässerns für den Erfolg nicht in Frage kommt.
Beziehungen zwischen dem Strukturbilde des Achsenzylinders. 165
d. h. unter den allergünstigsten inneren und äusseren Bedingungen
die Neurofibrillen so überaus lange Zeit nach dem Tode keiner
Autolyse unterliegen.
Um einen klaren Überblick über das Tatsachenmaterial zu
gewinnen, wurde bisher ausschliesslich jener Bahnen gedacht, bei
welchen man am ehesten versucht sein könnte, die mehr oder
minder homogenen, stellenweise gerinnselartigen Massen aus dem
scheinbaren Verschwinden oder dem wirklichen Untergang etwaiger
präexistenter Neurofibrillen herzuleiten. Es ergab sich dabei, dass
sowohl der unmittelbare Augenschein wie zwingende Schluss-
folgerungen einer derartigen Annahme entgegenstehen. Es bleibt
uns jetzt noch übrig, die ausgebildeten Strukturen, welche sich
als mehr oder minder scharfe Strichelungen, Liniensysteme oder
unter der Form regelmässiger, paralleler, in vieler Hinsicht den
typischen Neurofibrillen verwandter, individueller Gebilde zu zeigen
pflegen (Fig. 3—6, S und 10), in unsere Erörterung einzubeziehen.
Um diese eine ausgeprägtere Struktur aufweisenden Achsenzylinder
unter den alten Voraussetzungen zu deuten, wäre es natürlich
notwendig, sowohl die Zerstörung der vorhandenen, typisch neuro-
fibrillären Struktur als das primäre, wie auch die Umwandlung
in den atypischen Bau als sekundäre Erscheinung dem Verständnis
zu erschliessen. Hinsichtlich der Osmiumsäure könnte man viel-
leicht versucht sein, die zwei verschiedenen Akte der Auflösung
und der Neuentstehung auf die zwei Hauptabschnitte der Fixierung
zu verteilen. indem man der ÖOsmiumsäure die destruierende
und verflüssigende Wirkung zuschriebe, die spätere Entmischung
der so gebildeten homogenen kolloidalen Masse, d.h. die Neu-
bildung von Strukturen in den Alkohol verlegte. Doch ist damit,
dass man in Rücksicht auf die sehr niedrigen Temperaturen der
Osmiumsäure das Fixationsvermögen absprechen wollte, die bereits
oben berührte Schwierigkeit nicht beseitigt, die aktive Vernichtung
der bestehenden Struktur, die Verflüssigung der organisierten Ge-
bilde unter den gleichen Aussenbedingungen plausibel zu machen.
Die künstliche Konstruktion stürzt vollends in sich zusammen, so-
bald man sich vergegenwärtigt, dass nicht minder in denjenigen Präpa-
raten, die einzig und allein der Alkoholwirkung ausgesetzt wurden,
bei welchen also von einer vorherigen Auflösung der ursprünglich
vorhandenen Neurofibrillen gar nicht die Rede sein kann, fibrilläre
Strukturen in ähnlich atypischer Form (Fig. 1) zu beobachten sind.
166 Leopold Auerbach:
Aus alledem ergibt sich die unabweisbare Notwendigkeit,
eine Deutung der überraschenden Tatsachen auf gänzlich neuer
Basis aufzubauen, nämlich die ursprüngliche Existenz histologisch
differenzierter Gebilde vollständig zu leugnen und dem Achsen-
zylinder ein mehr oder minder homogenes Plasma zuzuerkennen,
dessen kolloidale Entmischung unter bestimmten äusseren Be-
dingungen zu recht regelmässigen Pseudostrukturen (typischen
und atypischen Fibrillenbildern) führt. Eine solche Behauptung,
die freilich dem Dogma von dem auch für die Wirbeltierreihe
gültigen neurofibrillären Aufbau des Nervensystems ein Ende
bereitete, widerspricht, soweit meine Überlegungen reichen, in
keinem Punkte irgendwelchen bekannten Tatsachen. Ein Analogie-
schluss daraus, dass gute Gründe für das Vorhandensein von
Neurofibrillen bei Wirbellosen in das Feld zu führen sind, wäre
gänzlich verfehlt, um so mehr, als jene vielleicht auch prinzipiell
als ganz abweichend zu beurteilende, besonderen Verhältnissen
und Zwecken angepasste Stützapparate anzusprechen sind (Gold-
schmidt).
Ein gewichtigerer Einwand könnte etwa darin gefunden
werden, dass Nemiloff mittels vitaler Methylenblaufärbung an
Hirnnerven von Fischen (Lota fluviatilis) eine neurofibrilläre
Struktur zur Darstellung brachte, wenn nicht die Abbildungen
des Forschers die an und für sich schon bedingte Beweiskraft
seiner Beobachtungen noch weiter erschütterten. Denn es ist
nicht zu verkennen, dass auf Fig. 28 sowie 29 der Achsenzylinder
kaum ein Drittel des Kalibers der gesamten Faser einnimmt, so
dass man hierbei an eine postmortale Schwellung der Myelinhülle
denken und diese Bilder nicht auf die lebensfrische, ungeschädigte
Faser beziehen wird. Aus der Literatur zitiere ich die Messungen
von Hans Schultze, der an isolierten Achsenzylindern
des Trigeminus sowie aus Spinalwurzeln von Gadus morrhua
Breitendurchmesser bis zu 0,012 mm und sogar 0,024 mm (!)')
bestimmte, während die höchste Breite der (Gresamtfaser von ihm
zu 0,027 mm und 0,03 mm angegeben wird. Bezüglich der Fig. 29
ist ausserdem eine Schrumpfung des Achsenzylinders aus der tief
!) 0,006 mm ist nach dem ganzen Zusammenhang offenbar nur als ein
Grenzfall nach unten zu verstehen und nicht auf die breiteren Fasern zu
beziehen.
Beziehungen zwischen dem Strukturbilde des Achsenzylinders. 167
gesättigten Färbung der perifibrillären Substanz zu entnehmen.
Man wird demnach nicht berechtigt sein, sich auf Nemiloff zu
berufen, und meines Wissens ist es sonst niemanden geglückt,
durch Methylenblau einen neurofibrillären Bau am lebensfrischen
Objekte aufzudecken.
In meinen eigenen, sehr zahlreichen Versuchen von vitaler
Methylenblaufärbung am Froschischiadieus folgte auf die erste
Phase einer mässig intensiven, leicht metachromatischen diffusen
Tinktion die Abscheidung feinster Körnchen, welche sich all-
mählich zu vergrössern pflegten, worauf der Farbstoff schliesslich
in Gestalt massiger, annähernd ovaler Klümpchen nach aussen
in die sogenannte (Grerinnselscheide befördert zu werden schien.
Versuche mit Neutralrot, das überhaupt bloss supravital färben
soll, habe ich in beschränkterem Maße angestellt, und es gelang
mir bis jetzt nicht, damit eine hinreichend scharfe und genügend
gesättigte Färbung zu erzielen, weil sich die gedachten Körnchen
hier noch schneller abschieden, um sich bald darauf in ähnlicher
Weise zusammen zu ballen. Macdonald, der mit dem gleichen
Farbstoff arbeitete und anscheinend bessere Resultate erhielt, hat
ebenfalls niemals eine neurofibrilläre Struktur zu Gesicht bekommen
und hält die letztere aus diesem Grunde auch nicht für präformiert.
Es spricht also kein einziges positives Faktum für die Möglichkeit
einer Vitalfärbung von Achsenzylinderfibrillen, und ich kann für meine
Zwecke die allgemeine Streitfrage hinsichtlich der prinzipiellen
Bedeutunge der Vitalfärbungen, zu welcher bekanntlich in letzter
Zeit Rost und Schulemann wertvolle Beiträge lieferten, ganz
auf sich beruhen lassen. Was unser eigenes Objekt anbelangt,
so vergeht jedenfalls bei mittlerer Aussentemperatur eine recht
geraume Zeit, bis das Methylenblau in den Nerven eindringt;
unterdessen verraten wohl stets einzelne benachbarte Fasern in
den veränderten Konturen ihrer Markscheiden den Beginn einer
Schädigung, und zugleich mit der diffusen Färbung oder sehr
bald danach hebt sich in der Regel auch der betreffende Achsen-
zylinder von seiner Markscheide ab und verliert sein normales
Kaliber.
Die Angaben aus der älteren Literatur, wonach Neurofibrillen
an lebensfrischen Nerven ohne alle weitere Vorbehandlung gesehen
wurden, wird man mit Fug und Recht anzweifeln, nachdem der-
artiges ausgezeichneten neueren Forschern (Held, Nageotte)
168 Leopold Auerbach:
nicht glückte.!) Dass die Bemühungen, noch innerhalb des lebenden
Organismus eine Achsenzylinderstruktur wahrzunehmen, erst recht
fehlschlagen, das wird durch die Misserfolge von Held, der die
Schwänze von Froschlarven, Triton, Pelobates und Salamandra
zum Untersuchungsobjekte wählte, deutlich bewiesen.
Wenn man sich diesen negativen Resultaten gegenüber zu-
künftig noch auf die seit Max Schultze in das Feld geführten
Befunde am lebensfrischen N. olfactorius berufen wollte, so genügt
der Hinweis darauf, dass in Wahrheit die scheinbaren Fibrillen
des fraglichen Nerven bloss ebenso vielen, in gemeinschaftlicher
Scheide liegenden Nervenfasern entsprechen (Tuckett). Nach
Tuckett lässt sich auch an den Remakschen Fasern keine
fibrilläre Struktur zur Anschauung bringen.
Schliesslich möchte ich mit ein paar Worten auf die von mir
seinerzeit beschriebenen ultramikroskopischen Bilder eingehen, aus
denen ich selbst anfänglich auf eine bestimmte lineare Anordnung
elementarer Strukturteile innerhalb des Achsenzylinders schliessen
zu dürfen glaubte. Ich habe meine damaligen Versuche jüngst
nochmals aufgenommen, um den Gründen für den auffälligen
Widerspruch zwischen meinen positiven Ergebnissen und den ver-
geblichen Bestrebungen Höbers nachzuspüren. Dabei überzeugte
ich mich zunächst neuerdings von der Richtigkeit meiner Be-
obachtungen und stellte wiederum fest, dass nicht irgendwelche
accidentellen Umstände die Beugeerscheinungen im Inneren der
Fasern verursachen.
(rerade bei den von mir im Anschluss an Gaidukow ge-
wählten ultramikroskopischen Einrichtungen (Dunkelfeldbeleuchtung
durch Abblendung im Objektiv mit Wechselkondensor nach Sieden-
topf) treten die von mir seinerzeit geschilderten Strukturen un-
gemein scharf hervor, während auch ich bei Anwendung der von
Höber bevorzugten Dunkelfeldbeleuchtung mit Paraboloidkondensor
keine hinreichend ausgiebige Belichtung zu erreichen imstande
war. Eine wesentliche Bedingung für das Gelingen bildet neben
a 2) Übrigens verdient es volle Beachtung, dass unter den früheren
Autoren ein Beobachter vom Range Waldeyers, trotz aller Mühe und im
Gegensatz zu seinen Feststellungen bei Wirbellosen, bei Vertebraten keine
Parallelfaserung im Achsenzylinder nachzuweisen imstande war und daher
den Achsenzylinder der gewöhnlichen cerebrospinalen Fasern als ein homo-
genes Gebilde ansah, das mit den bis dahin zu Gebote stehenden Hilfsmitteln
keine feineren Strukturverhältnisse erkennen liess.
Beziehungen zwischen dem Strukturbilde des Achsenzylinders. 169
der Benutzung einer äusserst intensiven Lichtquelle das peinlich
korrekte Festhalten an der Zeissschen Apparatur. Schaltet man
z. B. eine Sammellinse ein, so misslingt der Versuch, d.h. es
leuchtet alsdann der Achsenzylinder in einem ziemlich matten
Schimmer, ohne dass sich Einzelheiten als Beugescheibehen oder
Liniensysteme darin abheben. Leider bringen nur gerade bei
dem gedachten Verfahren die Vorzüge einer weitgehenden Sicht-
barmachung allerkleinster Teilchen den Nachteil mit sich, dass
man wirklich vor lauter Bäumen den Wald nicht sieht, indem eben
die in das ungemessene gesteigerte Diffraktion die Deutung der
Erscheinungen unendlich erschwert.
Der Achsenzylinder wird von einem leuchtenden Band um-
grenzt, das man wohl mit Recht auf die Markscheide beziehen
wird. Dieser helle Streifen geht nach aussen über in zahlreiche
Reihen lichter Linien, die ihrerseits des öfteren wiederum von
Systemen reihenweise angeordneter kürzerer Striche umsäumt
werden. Da nun auch nach innen die Hülle meist von ähnlichen
zusammenhängenden Linien umgrenzt wird, kann ich nach meinen
letzten Beobachtungen, wobei ich gerade diesen Punkt sorgfältig
zu prüfen suchte, mich des Verdachtes nicht ganz erwehren, ob
nicht am Ende doch jene Strukturen, welche ich bisher auf den
Achsenzylinder bezog, gleichfalls durch Beugung an den ausserhalb
desselben gelegenen Gebilden vorgetäuscht werden. Wenn man
sich über dieses Bedenken hinwegsetzt, wird man trotzdem aus
dem ultramikroskopischen Bilde nicht die reale Existenz von
kontinuierlichen Neurofibrillen entnehmen, vielmehr bloss das
Vorhandensein kleinster Partikelchen, die zumeist in der Längs-
richtung reihenweise angeordnet sind und auch häufig zu kleinen
Strichen oder selbst etwas längeren, mit leichten Anschwellungen
versehenen Linien zusammenfliessen. Einheitliche, aus gleich-
mässig dichter Substanz bestehende Primitivfibrillen werden nirgends
gefunden, wogegen allerdings die Längslagerung allerfeinster
Strukturteilchen beim Absterben die Bildung paralleler, fädiger
Gerinnsel zu begünstigen vermöchte.
Dass es der letzteren Bedingung für die Einleitung einer
fibrillären Koagulation nicht bedarf, lehren die Experimente
Hardys, auf dessen sehr lesenswerte, die prinzipiellen Fragen
der Beurteilung histologischer Strukturen kritisch würdigende
Arbeit ich am Schlusse dieser Erörterungen ausdrücklich verweisen
170 Leopold Auerbach:
will. Was gerade die Entstehung der fibrillären Strukturen an-
belangt, so zeigt der genannte Autor im Einklang mit Bütschli,
wie sich fädige Gebilde bei der Entmischung kolloidaler Substanzen
dann bilden, wenn ein Zug nach irgend einer Richtung auf die
koagulierende Masse ausgeübt wird. Es gelingt dies leicht an
gespannten Häutchen von Eieralbumin oder an Seifenlamellen
oder besonders schön, wenn man eine kleine (Quantität eines
Sols entlang einer geneigten Fläche mit der Spitze einer Nadel
oder eines Glasstäbchens nach abwärts zieht und ohne Verzug zur
Fixation schreitet.
Nach alledem kann behauptet werden:
I. dass die Gerinnung eines ursprünglich homogenen Plasmas
nach den für die Entmischung kolloidaler Lösungen gültigen
Gesetzen unter bestimmten Verhältnissen eine fädige Struktur
zu erzeugen vermag,
II. dass das Vorkommen präformierter Primitivfibrillen im Achsen-
zylinder des markhaltigen Nerven der Wirbeltiere durch
keine einzige bisherige Beobachtung erwiesen ist,
Ill. dass die Abhängigkeit des Strukturbildes von den physi-
kalischen Bedingungen der Fixation mit der Präexistenz dieser
Kupffer-Betheschen Neurofibrillen nicht zu vereinigen ist.
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Beziehungen zwischen dem Strukturbilde des Achsenzylinders. 175
Erklärung der Abbildungen auf Tafel XI.
Sämtliche Abbildungen sind nach Präparaten vom Ischiadicus des Frosches
gezeichnet. Fig. 1—8: Seibert, Apochromat 2 mm homog. Immersion,
Compens.-Ocular 8. Fig. 9 u. 10: Leitz, Apochromat 2 mm homog. Imm.,
Fig.
Fig.
Fig.
Compens.-Ocular 12.
1 und 2. Fixation in 96proz. Alkohol, der mit Kohlensäureschnee auf
— 60 bis — 70°C gekühlt worden. Primäre Nervenfärbung durch
Toluidinblau nach Bethe.
3, 4 5, und 6. Fixation durch Osmiumsäuredampf, der mit Kohlensäure-
schnee gekühlt worden. Reduktion durch Natriumbisulfit und direkte
Toluidinfärbung bei + 50 bis 60°C nach Bethe.
“ und 8. Fixation des vorher gefrorenen Nerven in 0,25proz. Osmium-
säurelösung von 0° Reduktion durch Natriumbisulfit und direkte
Toluidinblaufärbung bei + 50 bis 60°C nach Bethe.
9 und 10. Fixation des Nerven in 0,25 proz. Osmiumsäurelösung von
—-1 bis 2° C, direkt nach der Herausnahme ohne vorhergehendes
Getrieren. Reduktion in Natriumbisulfit und indirekte Toluidinblau-
färbung nach Bethe.
Archiv f. mikr. Anat. Bd. 81. Abt. I. 12
174
Genese, entwicklungsgeschichtliche und terato-
logische Bedeutung des Ligamentum rotundum
uteri und des Gubernaculum Hunteri.
Von
Prof. Dr. Fritz Kermauner, Wien.
Das runde Mutterband und sein Gegenstück beim Manne,
das Gubernaculum Hunteri, hat in der operativen Praxis viel mehr
Bedeutung erlangt als in der Entwicklungsgeschichte, obwohl es
auch hier, namentlich in Verbindung mit dem Processus vaginalis
peritonei, schon lange die Aufmerksamkeit auf sich gelenkt hat.
Die heute geltende Anschauung über seine Entstehung führt
auf Klaatsch u.a. zurück und wurde in neuerer Zeit besonders
von OÖ. Frankl wiederholt vertreten. In Kürze stellt sie sich
folgendermassen dar.
Ursprünglich reicht der Wolffsche Körper bis an das
kaudale Körperende. Frankl hat bei einem 12,5 mm langen
Embryo einen derartigen Befund erhoben. Sehr bald kommt es
nun zur Reduktion des W olffschen Körpers, sowohl vom kranialen
als vom kaudalen Ende; es bildet sich kranial das Zwerchfell-
ligament, kaudal das Inguinalligament der Urniere, welch letzteres
zunächst mit dem Wolffschen Gang in Verbindung tritt und
beim Weibe durch diesen sekundär schliesslich inden Müllerschen
Gang, den Uterus, übergeht.
Demgegenüber hat Felix eine ganz neue Ansicht geäussert.
Er nimmt auf Grund des Querschnittsbildes eines 22,5 mm langen
Fetus an, dass das runde Mutterband, bezw. das Inguinalligament
der Urniere als knopfförmige Wucherung auf der Uro-Genitalfalte
entsteht, als eine wirkliche Wucherung, welche sehr bald die
laterale Bauchwand erreicht und dort mit einer Leiste verschmilzt
(Crista inguinalis), die ebenfalls anscheinend selbständig entstanden
ist. — Als Beleg führt Felix, wie gesagt, nur das Querschnitts-
bild dieses einen Fetus an. Er exemplifiziert zwar auf einen
13 mm langen; allein bei diesem Bild (Fig. 552, 1. c.) kann ich
nur ein bereits fertiges Ligament, keine getrennten knopfförmigen
Wucherungen finden. Ich glaube daher auch für das spätere
Stadium nur Vortäuschung von getrennten Wucherungen durch
Das Ligamentum rotundum uteri und das Gubernaculum Hunteri. 175
die Schnittriehtung annehmen zu müssen. und kann mich mit der
Darstellung von Felix nicht befreunden.
Allein auch die Auffassung von Klaatsch-Frankl hat
meines Erachtens manche schwache Seite.
Vor allem will es mir nicht einleuchten, dass bei der
supponierten Reduktion der Urniere die Falten immer so typisch
an derselben Stelle auftreten, dass das Ligament einen so ausser-
ordentlich konstanten Verlauf hat. Wenn es nur eine mehr oder
weniger dem Zufall überlassene Faltenbildung ist, so müssten
doch Abweichungen zu konstatieren sein. In unserer ganzen
Missbildungsliteratur sind jedoch besondere Variationen nicht zu
finden. Wir kennen wohl geringe Abweichungen in der Art der
Insertion des Ligamentum rotundum am Uterus. kennen beträcht-
liche Veränderungen seiner Länge und Dicke; aber der Verlauf
ist mit einer merkwürdigen Konsequenz festgehalten, und im
präinguinalen Abschnitt gibt es wohl verschieden starke Ausbildung,
aber keine prinzipiellen Konstruktionsfehler.
Ausserdem fehlt mir bei dieser Erklärung ein wichtiges
Moment.
Wenn wir Faltenbildung annehmen, so kann diese sich
nur auf das Peritoneum und die innersten Teile des retro-
peritonealen Gewebes erstrecken. Der ganze gefaltete Abschnitt
müsste durch die nach vorne wachsende Muskulatur von der
Haut abgehoben und intraabdominal verlagert werden; oder es
muss irgend ein Moment hinzukommen, welches diese doch nur
passiv entstandenen Falten an die Haut fixiert und so die Ent-
stehung des Leistenkanals erklärt. Ein derartiges Moment ist
jedoch bisher noch nicht gesucht worden. Ich kann mir auch
keines denken.
Ich glaube, wir müssen für einen so konstanten Befund
eine andere Erklärung suchen, die uns zugleich die Konstanz
der Erscheinung plausibel macht.
Gegen die Theorie der Faltenbildung infolge von Reduktion
der Urniere habe ich noch einen weiteren Einwand zu erheben.
Frankls Fall, welcher das Herabreichen der Urniere bis
an die vordere Bauchwand beweisen soll, ist gerade in den in
Betracht kommenden untersten Abschnitten nur sehr kurz
beschrieben. Eine Modellrekonstruktion wird nicht erwähnt. Er
scheint dem von Felix (Fig. 552) abgebildeten Fetus sehr
12*
176 Fritz Kermauner:
ähnlich zu sein. Auch hier reicht die Urniere sehr weit herunter,
besitzt jedoch ein ganz deutliches Ligament.
Felix, der über die Entwicklung der Urniere ein sehr
reiches Detailmaterial bringt, erwähnt von einer kaudalen Reduktion
der Urniere in so früher Zeit nichts; ebensowenig Broman
und Bonnet. Der kaudale Poi der Urniere bleibt immer in
der Höhe des 2. Lumbalsegmentes liegen, reicht später sogar
eher noch etwas tiefer herab.
Eine frühzeitige Reduktion der Urniere existiert also nicht.
Damit muss wohl auch die Theorie, der Faltenbildung auf-
gegeben werden.
Nun muss ich noch hinzufügen, dass mir ausserdem der
schon in sehr frühen Perioden ganz auffallende Mesenchymreichtum
der Plica inguinalis in dieser Hinsicht recht bedenklich erscheint.
Wir kennen doch noch andere peritoneale Falten; allein keine
ist so mesenchymreich. Sieht man sich ein Ligamentum rotundum
vom Ende des 2. Embryonalmonats an, so ist man überrascht,
eine ganz mächtige Gewebslage zu finden, welche der Dicke des
ganzen (Genitalstranges an Mächtigkeit nicht viel nachsteht,
beim männlichen Geschlecht genau so wie beim weiblichen. Was
soll die Ursache dieser enormen Mesenchymwucherung in einer
ganz zufällig entstandenen Peritonealfalte sein ?
Ich meine, alles dies muss uns darauf führen, eine andere
Quelle für das Inguinalligament zu suchen. Und ich glaube, auf
eine Quelle hinweisen zu können, welche zugleich auch die bisher
noch ganz rätselhaften Relationen zwischen der Entwicklung des
inneren und des äusseren Genitales unserem Verständnis etwas
näher bringt.
Die Urniere ist ein Teil des nephrogenen Gewebsstranges,
der sich aus den Ursegmentstielen zusammensetzt; diese sind
Abkömmlinge der Urwirbel.
Sie ist aber nicht das ganze Produkt dieses nephrogenen
(sewebsstranges.
Im Maximum reicht sie vom 3. Zervikalsegment bis zum
2.—3. Lumbalsegment. Hier, am 30. und 31. Körpersegment
(3., 4., 5.? Lumbalsegment), entsteht in derselben Flucht des
nephrogenen Stranges die Nachniere.
Das Ligamentum rotundum uteri und das Gubernaculum Hunteri. 1
Was aus den restlichen kaudalen Ursegmentstielen des
5. Lumbal-, der fünf sakralen und der kokzygealen Segmente wird,
das sagt uns bisher keine Entwicklungsgeschichte, obwohl z. B.
der nephrogene Strang im Embryo Ingalls deutlich bis ans
2. Sakralsegment herunterreicht. Es ist nicht wahrscheinlich,
dass diese Urwirbel. wenn sie auch stark vernachlässigt sind, nicht
ebenso ihre Ursegmentstiele, eine, freilich nur rudimentär bleibende.
sagen wir zirrhotische Form, aber doch eben eine Fortsetzung des
nephrogenen Stranges bilden. Und dieser kaudale Rest des
nephrogenen Gewebsstranges wird meiner Ansicht
nach zum Gubernaculum Hunteri und zum Liga-
mentum rotundum. Irgend eine Differenzierung in ein be-
stimmtes spezifisches Parenchyhm kommt gewöhnlich nicht
mehr zustande, nur dichtes mesodermales (Gewebe findet sich in
diesem Strang.
Unter Umständen können ‚jedoch auch Kanälchen, selbst
Glomerulusanlagen in diesem Gewebe vorkommen, welche dauernd
persistieren, vielleicht sogar wuchern können. Es würden sich so
die Adenomyome des Ligamentum rotundum deuten lassen, nicht
als abnorme Versprengung, sondern als in loco entstanden, ihren
eigentlichen Mutterboden beibehaltend, als eine Art Überproduktion.
Bei ihrer ursprünglichen Nachbarschaft zur Nachniere darf es auch
nicht wundern, wenn sie gelegentlich den Typus von Nachnieren-
kanälchen deutlich wiedergeben (R. Meyer).
Dass übrigens die primären Grenzen innerhalb des nephro-
genen (rewebsstranges zwischen dem zu funktionierendem Nieren-
parenchym, zur Urniere und zum Inguinalligament werdenden Teil
nicht immer ganz streng eingehalten werden, dafür haben wir
bei Missbildungen gelegentlich Anhaltspunkte. So fand Schwing
bei einer Sirene in der Nähe der Keimdrüse ein abgesprengtes
Nierenstück mit Ureter. Wiederholt sind Teilungen der Niere
in mehrere gesonderte Abschnitte beschrieben worden. Auch auf
die so mannigfach verschiedenen Fälle von doppeltem Ureter,
wobei die kranial gelegene Niere häufig überhaupt kein richtig
funktionierendes Nierenparenchym besitzt, sei hingewiesen.
178 Fritz Kermauner:
Man wird dieser Auffassung vielleicht entgegenhalten, dass
der nephrogene Strang in der Nähe der Wirbelsäule gegen das
Körperende hin gesucht werden müsste. Dieser Einwand ist jedoch
gewiss nicht berechtigt.
Der ganze nephrogene (sewebsstrang gibt seine Verbindung
mit den Ursegmenten schon sehr früh auf. Anders wären auch
die reichlichen Ortsverschiebungen innerhalb desselben, namentlich
die Dislokation der Niere dorsalwärts und kranialwärts gar nicht
verständlich. Ich glaube die Sache so deuten zu dürfen, dass in
frühen Stadien, sagen wir, vor 7 mm Körperlänge, die Ver-
bindung der Ursegmentstiele mit den Myotomen in der kaudalen
Region vielleicht noch bestanden hatte, dass sie aber bald zu-
srunde ging und der kaudale Abschnitt des nephrogenen Stranges
nunmehr zum Wolffschen Gang, welcher bereits in die Kloake
einmündet, nähere Beziehungen gesucht hat. Der Strang bleibt
in seinem ganzen Verlauf in einer gewissen Verbindung mit ihm,
nicht nur an der Kreuzungsstelle. Er erreicht die Membrana
reuniens anterior, in welche die Myotome noch lange nicht ein-
gewachsen sind, und — darin erweist sich eine gewisse Selb-
ständigkeit seiner Funktion — verbindet sich mit ihr.
Ich möchte diese Verbindung in eine sehr frühe Zeit ver-
legen, jedenfalls bald nachdem der Wolffsche Gang die Kloake
erreicht hat; wenn nicht schon früher.
Alles andere ist sekundär.
Der nephrogene Strang bleibt lateral. Der Wolffsche
Gang, der unterwegs noch den Ureter abspaltet und lateral liegen
lässt, hat seine Hauptfunktion, auf die ich an anderer Stelle noch
eingehen will, in einem medial-kaudal gerichteten Wachstum.
Die weiteren Veränderungen im kranialen Abschnitt dieses
untersten Teiles des nephrogenen Stranges will ich nur kurz andeuten.
Die Nachniere entwickelt sich dorsalwärts, sie tritt aus der
Front des nephrogenen Stranges heraus und unterbricht seine
Kontinuität. Dadurch gewinnt der kaudale Rest des Stranges
Beziehungen zum Wolffschen Gang, dem einzigen Organ, das
jetzt in der Nähe ist: das heisst, sein Mesenchym verschmilzt
mit dem Mesenchym des Ganges, oder besser gesagt, die Ver-
bindung tritt ganz passiv deutlicher hervor. Der Müllersche
Das Ligamentum rotundum uteri und das Gubernaculum Hunteri. 17%
Gang ist ja um diese Zeit noch gar nicht angelegt; es handelt
sich um Embryonen von 5—7 mm Körperlänge.
Es wird uns daraus verständlich, dass bei blossen Nieren-
defekten und Fehlen des Müllerschen Ganges der einen Seite
bei Vorhandensein der Keimdrüse das Ligamentum inguinale
stets vorhanden ist. Das Verschwinden der Nachniere kann nur
sekundär sein.
Wenn Winkler bei einem „Pseudohermaphroditen“ mit Uterus
bicornis angibt, dass rechts kein Ligamentum rotundum vorhanden
war und die Tube mit blindem abdominalem Ende in der Nähe
des Leistenringes dicht neben dem dort liegenden Hoden endete,
so ist das ähnlich wie in den ganz analogen Fällen von Langer
u. a. so aufzufassen, dass sich statt des Ligamentum rotundum
ein Gubernaculum Hunteri ausgebildet hat, dass der Strang in der
Hauptsache mit dem Wolffschen Gang in Verbindung geblieben
ist und zu dem recht kümmerlichen Müllerschen Gang kaum
Beziehungen gewonnen hat. Auch Siegenbeck findet nur eine
Spur eines Ligamentum rotundum. Den angeblichen Defekt des
Ligamentum rotundum, den einige Autoren (z.B. Rudolphi,
1909) bei Uterus bicornis erwähnen, darf man wohl so verstehen,
dass das Ligament zu kurz, der eine Semiuterus zu straff an
den Leistenring herangezogen war, als dass es hätte isoliert
werden können.
Alle Fälle von Pseudothelie, in welchen der Hoden in den
Leistenkanal tritt, haben ein Gubernaculum Hunteri und kein
Ligamentum rotundum: oder die beiden scheinbar verschiedenen
Gebilde sind so zu einem geworden, dass das Uterushorn dicht
am Hoden sitzt (z. B. Pozzi). Als besonders deutliche Belege
dafür möchte ich noch jene Fälle hervorheben, in welchen die
eine Keimdrüse im Leistenkanal oder im Skrotum, die andere im
Becken an Stelle des Ovarium gelegen war (Hengge, Schmorl
u. a.). Hier ist immer nur auf jener Seite ein Ligamentum
rotundum vorhanden, auf welcher die Keimdrüse nach Art des
Ovariums sitzt, gleichgültig, ob der Uterus ein- oder zweihörnig
oder einfach ist.
Wenn wir eine primäre Verschmelzung des kaudalen Endes
des nephrogenen Stranges mit der Membrana reuniens anterior
annehmen (worauf ich noch zurückkomme), so erklärt sich die
180 Fritz Kermauner:
Entstehung des Leistenkanals von selbst. Die Ausläufer der
Myotome umwachsen den ihnen im Wege stehenden Strang von
allen Seiten; der Strang reserviert sich so den Kanal. Er zerfällt
jetzt schematisch in einen intraperitonealen, intrakanalikulären
und einen präinguinalen Abschnitt. Letzterer, das Ligamentum
scroti, ist also nicht eine eigene, selbständige Bildung, kann auch
tatsächlich in keiner Zeitperiode des fetalen Lebens gesondert für
sich nachgewiesen werden.
Der nephrogene Strang wird zuerst von der dorsalen Seite
her vom Mesoderm umfasst; hier treten die Myotome zuerst
an ihn heran. Daher die konstante dorsale Lage im Leisten-
kanal. — Als ein Gewebe, dem eine gewisse aktive Selbständigkeit
innewohnt, geht der Strang mit der Nachbarschaft Verbindungen
ein: Verbindungen, die jedoch vielleicht zum Teil nur auf Ver-
zögerungen im Wachstum zurückzuführen sind.
Eine Folge solcher früher Verbindung mit dem Peritoneum ist
der Processus vaginalis peritonej, das Diverticulum Nucki. Ich
möchte es nicht als durch aktives Wachstum des Peritoneums
entstanden auffassen, sondern als Stillstand, als Rückständigkeit.
Dafür spricht, was z. B. schon Zuckerkandl und Strauss
aufgefallen ist, dass bei Vorhandensein einer angeborenen Bruch-
pforte beim weiblichen Geschlecht auch die Adnexe stets in Nähe
dieser Bruchpforte liegen und sehr häufig verkümmert sind. —
Die peritoneale Ausstülpung entsteht dadurch, dass ein mit dem
Strang fester verbundener Teil hängen bleibt, obwohl die Bauch-
decken immer dicker werden und das übrige Peritoneum ab-
schieben. Mit der Zunahme der Bauchwanddicke wird dieses
Divertikel immer tiefer.
Wenn bei Adnexhernien des weiblichen Geschlechts ein
Ligamentum rotundum vorhanden ist, so ist es stets sehr kurz
(und dick), der Uterus dicht an den inneren Leistenring heran-
gezogen. So erwähnt z. B. Fischer, dass die Torsionsstelle —
es lag Stieldrehung der im Bruchsack befindlichen Adnexe vor —
dicht am Uterus liege, das Ligamentum rotundum auffallend dick sei.
Eine weitere Folge der Verbindung mit der Bauchwand-
muskulatur ist wohl das Eindringen von quergestreifter Muskulatur
in das Ligament, die bei 27 cm langen Embryonen nach O. Frankl
bereits bis in den intraabdominalen Abschnitt des Bandes, bei
Neugeborenen bis fast zum Uterus reicht.
Das Ligamentum rotundum uteri und das Gubernaculum Hunteri. 181
Ein weiteres Argument für die Auffassung, dass das Liga-
mentum rotundum nicht eine einfache Falte, sondern der noch
in gewissem Sinne differenzierungsfähige nephrogene Gewebsstrang
selbst ist, sehe ich in den innigen Beziehungen einerseits zum
Deszensus testiculorum und andererseits zur Ausbildung
des äusseren Genitales.
Bisher ist ja eine Korrelation zwischen der Entwicklung
des inneren und des äusseren Genitales nur in dem Sinne denk-
bar, dass gewisse allgemeine Wuchsstofte oder Wachstumstendenzen
lokal in spezifischer Weise einwirken, Stoffe oder Tendenzen, die
bis zu einem gewissen Grade von der Keimdrüse protektiv
beeinflusst werden.
Der folgende Erklärungsversuch soll nun nicht etwa einen
durchaus eindeutigen Zusammenhang konstruieren: er will nur
auf gewisse Wechselbeziehungen hinweisen, welche durch das
Ligamentum inguinale vermittelt werden.
Der Deszensus testiculi ist verbunden mit einer Reduktion
des Grubernaculum Hunteri. Es ist ja schon oft ausgesprochen
worden, dass das Band den Hoden herunterzieht; auch sein Name
deutet darauf; und ebenso oft ist die Behauptung bestritten
worden. Ich glaube doch, dass ein Körnchen Wahres daran ist.
Mit der Reduktion des (ubernaculum ist stets verbunden
eine sehr früh auffällige, nach meinen eigenen Beobachtungen
Anfang des 3. Monats bereits ganz ausgesprochene Umwandlung
des (sewebes in der Tiefe der Genitalwülste, die Vorbereitung
für den Deszensus.
Was finden wir anatomisch bei Erwachsenen? Beim Weibe
im Labium einen wohl abgegrenzten Fettkörper, in welchen
makroskopisch nachweisbar das Ligamentum rotundum übergeht,
abgesehen davon, dass Fasern auch bis an die Basis des Phallus
(Klitoris) selbst reichen. Und beim Manne direkten Übergang
des Gubernaculum Hunteri in das mächtig aufgelockerte Gewebe
des Skrotum.
Ich entnehme daraus, dass sowohl der Fettkörper als das
skrotale Bindegewebe direkt ein Produkt des nephrogenen Stranges
ist; vielleicht steht. auch der Schwellkörper des Genitalhöckers
irgend in direkter Beziehung zu dem Strang.
Kräftige Ausbildung des kaudalen Endes des nephrogenen
Stranges geht mit einer Verkürzung, einer Reduktion der übrigen
182 Fritz Kermauner:
Teile, infolge davon mit Deszensus der Keimdrüse einher; die
beiden Vorgänge hängen so zusammen, dass man sie eigentlich
nicht recht in ein genetisches, kausales Nacheinander auflösen
kann. Gleichzeitig damit kräftige Ausbildung der übrigen Teile
des äusseren Genitales, Verschmelzung der (renitalfalten und
Genitalwülste, dadurch gewissermassen Behinderung in der Aus-
breitung des Sinus urogenitalis, Vorschieben desselben in Röhren-
form bis auf den Genitalhöcker; kurz: Ausbildung des männlichen
Genitales.
Es ist naheliegend, dabei zugleich auch schon an die Keim-
drüse selbst zu denken, deren primäre Mesenchymwucherung mit
diesen Prozessen in Zusammenhang stehen dürfte. An anderer
Stelle habe ich es schon hervorgehoben, dass Überwiegen des
Bindegewebes zur Zersprengung der Sexualzellen in Einzelelemente
führt, während die Zellen sonst in längeren Verbänden bleiben bezw.
in solche eintreten. Geringe Bindegewebswucherung: Hoden; dabei
auch schwache Entwicklung des Ligamentum inguinale am kranialen,
stärkere am kaudalen Ende; und umgekehrt beim Eierstock.
Geringere Wucherung des kaudalen Endes des nephrogenen
Stranges bedingt keine Verkürzung der übrigen Teile; der Strang
bleibt lang, kann sogar durch Aufnahme von Gewebe aus der
Nachbarschaft verstärkt werden. Dabei bleiben die Genitalwülste
klein, der Genitalhöcker, dem noch dazu der zweite Wachstums-
impuls von seiten des Sinus urogenitalis nur teilweise, in abge-
schwächter Form zukommt, wird zur Klitoris. Eine Verschmelzung
der beiden Seiten findet nicht statt, das Sinusepithel kann sich
ausbreiten und bildet den Vorhof der Vulva.
Vielleicht lässt sich sogar die Auffassung stützen, dass das
ganze Mesenchym des Genitalstranges von der Stelle der Ver-
bindung mit dem Inguinalligament kaudalwärts, also des Uterus
einerseits, des im kaudalen Abschnitt eine dickere Wand auf-
weisenden Vas deferens andererseits auf diese Weise vom nephro-
genen Strang abstammt, und nur zum geringsten Teil von den
Müllerschen und Wolffschen Gängen selbst. Es wäre das
jedenfalls eine formal-genetische Deutung der Wandunterschiede
zwischen Tube und Uterus, die sich z. B. mit den Angaben
H. Bayers über die Uterusmuskulatur sehr gut deckt.
Ja, man kann die Hypothese noch weiter ausspinnen. Der
Übergang des Inguinalligaments der Urniere vom Wolffschen auf
Das Ligamentum rotundum uteri und das Gubernaculum Hunteri. 153
den Müllerschen Gang ist nur dann möglich, wenn das Ligament
hier, in seinem kranialen Teil, eine bestimmte Proliferations- und
Differenzierungsfähigkeit besitzt. Und mit dem Übergang ent-
scheidet es sich, ob der Müllersche oder der Wolffsche Gang
sich definitiv ausbildet, oder ob beide bestehen bleiben, eventuell
beide rudimentär.
Unter Umständen können nämlich am kranialen oder am
kaudalen Ende des nephrogenen Stranges Störungen eintreten.
Verlängerung des kranialen Teiles bei normaler Entwicklung
des kaudalen: Kryptorchis. Keimdrüse selbst fast immer zurück-
geblieben, ihr Bindegewebsanteil vermehrt. Reduktion des
kranialen Teiles bei geringer Entwicklung des kaudalen, also all-
gemeine Hemmung im nephrogenen Strang: Descensus der Eier-
stöcke. Keimdrüse auch zurückgeblieben, fetales Ovarium, Eiballen-
follikel, weil der Bindegewebsanteil zu gering ist.
Stehenbleiben des kaudalen Endes auf halbem Wege bedingt
alle verschiedenen Formen von Sexus anzeps (Kermauner)
am äusseren Genitale, meist verbunden mit verschiedenen Störungen
im Deszensus ete., meist auch in der Ausbildung der Keimdrüse
selbst, der Müllerschen und der Wolffschen Gänge; letzteres
ein Beweis, dass die Störung nicht auf das Inguinalligament be-
schränkt ist, sondern die weitere Umgebung mit einbezieht.
Ich habe damit durchaus nur formale Momente besprochen,
und glaube für die formale Genese im Deszensus der Keimdrüse,
in der Ausbildung des Genitales und in gewissen Missbildungen
(Kryptorchis, Ovarialhernien, Sexus anzeps) wenigstens einen Weg
der Erklärung gezeigt zu haben.
Die kausale (Genese bleibt dabei vollständig unberührt.
Allein auch die formale Genese ist wichtig genug. Sie zeigt
uns ausser den besprochenen Störungen auch noch Verwandtschaft
mit anderen Störungen im nephrogenen Gewebsstrang, in der
Entwicklung der Niere, der Urniere, der mannigfachsten Art.
Ich behalte mir vor, an anderer Stelle auf diese Beziehungen
einzugehen. Auch die Genese des Uterus bicornis (Thiersch,
v. Winckel, ©. Frankl) soll dort erörtert werden.
1S4 Fritz Kermauner: Das Ligamentum rotundum uteri etc.
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Hierzu Tafel XII und 1 Textfigur.
Unter der Bezeichnung „basal gekörnte Zellen“ versteht
man gegenwärtig besondere, von Nicolas, Kultschitzky,
Möller und Schmidt beschriebene Epithelzellen der Darm-
schleimhaut, die sich von den benachbarten Zellen durch die
Anwesenheit feinster Körnchen in ihrem basalen Teile unter-
scheiden.
Da die Angaben der genannten Forscher durchaus nicht
übereinstimmen, sei mir, bevor ich über die Resultate meiner
eigenen Untersuchungen berichten werde, eine kurze Literatur-
übersicht gestattet.
Nicolas (4) fand im Darm der Eidechse flaschenförmige Zellen,
welche bis zur Oberfläche der benachbarten Zylinderepithelzellen reichen und
mit äusserst feinen safraninophilen Körnchen dicht gefüllt sind. Sie unter-
scheiden sich deutlich von den Becherzellen und den Panethschen Zellen,
können aber auch keine eingewanderten Leucocyten sein.
Ähnliche Zellen beschreibt Kultschitzky (2) im Darm des Hundes.
Hier liegen die Körnchen stets in der unteren Hälfte der Zelle, welche sich
sonst nicht von den gewöhnlichen Zellen der Schleimhaut unterscheidet. Färbt
man kurze Zeit (24 Stdn.) mit Ehrlich-Biondi, so tingieren sich die
Körnchen gelb, während sie bei langer Einwirkung des Gemisches (einige
Tage) eine rote Farbe annehmen. Diese Eigenschaft der Körnchen, saure
Farben (Orange und Säurefuchsin) aufzunehmen, weist unzweifelhaft auf ihre
acidophile Natur hin.
Dieselben Zellen fand Möller (3) nicht nur bei dem Hunde, sondern
auch bei der Katze, dem Rinde, dem Schaf und dem Schwein.
Im allgemeinen bestätigt er die Angaben Kultschitzkys, findet
aber, dass die Dauer der Färbung im Gemisch von Ehrlich-Biondi nicht
immer die Farbe bestimme, welche ‘die Körnchen annehmen. Oft färbten
sie sich schon nach 24 Stunden mit Säurefuchsin, gewöhnlich aber blieben
sie in solchen Fällen gelb. Ausserdem können die Körnchen auch im oberen
Teil der Zelle liegen,
Archiv f. mikr. Anat. Bd. 81. Abt. I. 13
156 Harry Ku:
Die ‚gelben Zellen“, welche Schmidt (6) beschreibt, unterscheiden
sich von den früher bekannten basal gekörnten Zellen hauptsächlich dadurch,
dass ihre Körnchen beim Fixieren in Müller-Formol eine gelbe Farbe an-
nehmen, welche auch in Präparaten, die mit Alaunkarmin oder Hämatoxylin
gefärbt sind, sichtbar bleibt. Diese Zellen kommen beim Menschen und auch
beim Hunde im ganzen Darmtractus mehr oder weniger häufig vor.
Die Möglichkeit, dass die „gelben Zellen‘ Ähnliches darstellen könnten.
wie die von den vorhin genannten Forschern beschriebenen Zellen, kann
Schmidt nicht ausschliessen; der Abbildung nach seien sie aber doch recht
verschieden.
Die Schwierigkeit, sich aus diesen Angaben eine klare Vorstellung
von den basal gekörnten Zellen zu bilden, erkennt man am besten im Referat
A. Oppels (5), welcher sich dahin ausspricht, dass selbst Schmidt seine
Zellen nicht mit den von Nicolas, Kultschitzky und Möller be-
schriebenen sicher identifizieren konnte.
Schliesslich erwähnt M. Kaufmann-Wolf (1) die basal gekörnten
Zellen des Menschen in einer vor kurzem erschienenen Arbeit und meint, sie
hätten bis jetzt nicht die gebührende Würdigung gefunden.
Eigene Untersuchungen.
Zum Fixieren der basal gekörnten Zellen eignet sich vorzüglich
das von Kopsch angegebene Gemisch aus doppelchromsaurem
Kalium und Formol. Beim Färben der dünnen Paraffinschnitte
(2—5 u) gebrauchte ich ausser der Kontrollfärbung nach Ehrlich-
Biondi hauptsächlich meine Färbung mit Hämatoxylin, Vietoriablau
und Eosin, welche ich in Bd. 77 dieses Archivs schon beschrieben
habe. Hier möchte ich noch eine kleine Verbesserung anführen,
die der ganzen Methode eine wesentlich grössere Sicherheit gibt.
Das Gelingen der Färbung hängt hauptsächlich vom Vietoria-
blau ab; je besser dieses färbt, um so besser werden auch die
Präparate; das Vietoriablau hängt aber seinerseits vom Jod ab.
Wenn man nun mit Jod zu stark gebeizt hat oder auch das Jod
ungenügend ausgewaschen ist, bildet das Vietoriablau Nieder-
schläge, die sich in Alkohol nieht mehr lösen und dem Präparat
ein scheckiges Aussehen geben. Beizt man aber zu schwach, so
wird die ganze Färbung unbefriedigend. Meine Verbesserung
besteht darin, dass ich die Schnitte mit Nelkenöl aufhelle, welches
alles überflüssige Vietoriablau auflöst. Der Vorteil besteht also
darin, dass man jetzt ruhig mit Jod beizen kann, ohne eine Über-
färbung mit Vietoriablau fürchten zu müssen. Der Verlauf der
Färbung ist folgender: zuerst werden die Kerne mit Alaun-
hämatoxylin gefärbt und darauf wird der Schleim mit Delafield-
Die „basal gekörnten Zellen“ des Dünndarmepithels. 157
schem Hämatoxylin tingiert. Nun kommen die Schnitte in Jod-
tinktur,: welche mit 50° Alkohol abgespült wird. Darauf wird
erst mit Vietoriablau und dann mit Eosin gefärbt, mit Alkohol
differenziert, in Nelkenöl aufgehellt, mit Xylol ausgewaschen und
in Balsam eingeschlossen.
Im Resultat erhält man eine tief himbeerrote Färbung der
acidophilen Granulationen (Abb. 7 u. 15), während das Plasma
blassrosa bleibt. Die Schmidtschen „gelben Zellen“, welche ich
Fig. 1. (Erklärung S. 194.)
bei Mensch, Katze, Igel und Fledermaus gesehen habe, bleiben
ungefärbt, das heisst, sie behalten ihre gelbe Farbe, die sie bei
der Fixierung mit doppelchromsaurem Kalium angenommen haben.
Dass dieses wirklich der Fall ist, sieht man am besten in Präparaten,
welche mit Formol fixiert waren.
Es sind also Zellen mit „chromaffinen“ Granulationen, welche
deshalb eben eine gewisse Ähnlichkeit mit den „chromaffinen“
Elementen der Paraganglien haben.
13*
158 Harry Kult:
Da die Bezeichnung „chromaffin“ auf die chemische Be-
schaffenheit hindeutet und nicht, wie es Schmidt anzunehmen
scheint, unzertrennlich mit dem Begriff vom sympathischen Nerven-
system verbunden ist, möchte ich die Schmidtschen „gelben
Zellen“ lieber „chromaffine Zellen“ nennen. Es geschieht dieses
hauptsächlich aus dem Grunde, weil in der Literatur schon acidophile
Zellen beschrieben sind, welche sich nach Ehrlich-Biondi auch
gelb färben können (Kultschitzky, Möller). Wie aber meine
Untersuchungen zeigen werden, sind die Zellen Kultschitzkys
von den chromaffinen Zellen ganz verschieden.
Bezüglich der basal gekörnten chromaffınen Zellen im Darm-
epithel des Menschen kann ich noch einige Angaben machen,
welche die Untersuchungen Schmidts ergänzen. Schmidt
kann nicht entscheiden, ob diese Zellen mit ihrem freien Ende
das Darmlumen erreichen.
In meinen Präparaten sieht man fast überall die Zellkonturen ;
daher kann man auch feststellen, dass die chromaffınen Zellen
ebenso die freie Oberfläche erreichen, wie das mit den
gewöhnlichen Zellen der Fall ist (Abb. 1, 2, 3, S). Bisweilen färbt
sich die obere Hälfte einer chromaffinen Zelle heller, und in solchen
Fällen tritt die Grösse und die Form der Zelle besonders deutlich
hervor, wie das auf der Mikrophotographie zu sehen ist. Auf
derselben Abbildung sieht man auch deutlich den charakte-
ristischen hellen und bläschenförmigen Kern einer
solchen Zelle; ausserdem ist die ganze Zelle bedeutend breiter
als die Nachbarzellen. Die letzte Eigenschaft ist aber nicht so
beständig wie die ersten; vielmehr hängt die Breite der Zelle
von der Zahl der chromaffinen Körnchen ab. Die Körnchen füllen
in allen Fällen den ganzen Raum zwischen Zellbasis und Kern
und umringen den letzteren halbmondförmig (Abb. 1, 2,8). In
den meisten Fällen ist die Basis einer chromaffinen Zelle nicht
viel breiter als die Basis der benachbarten Zellen; immer aber
ist die Zelle selbst kegelförmig (Abb. 1 u. 8). In einigen Zellen
sind die Körnchen aber zahlreicher und füllen die untere Hälfte
der Zelle so vollkommen, dass ihre Seitenwände vorgewölbt werden
(Abb. 2). Endlich findet man in ganz seltenen Fällen die Körnchen
auch in der oberen Hälfte der Zelle, über dem Kern (Abb. 3).
Die chromaffınen Zellen kommen beim Menschen recht
spärlich vor, liegen aber nicht nur in den Lieberkühnschen
Die „basal gekörnten Zellen“ des Dünndarmepithels. 189
Drüsen, wie Schmidt angibt, sondern ebenso oft auch auf den
Zotten. Über die durchsehnittliche Häufigkeit dieser Zellen lassen
sich begreiflicherweise nur annähernde Angaben machen. Es
scheint mir, dass ich mich nicht zu sehr täusche, wenn ich ihre
Zahl auf 3—5 Zellen in einem Längsschnitt (5 «) einer Zotte angebe.
Ausser den chromaffinen Zellen kommen im Dünndarmepithel
des Menschen noch andere basal gekörnte Zellen vor, welche ich mit
den von Kultschitzky und Möller beschriebenen acidophilen
Zellen identifizieren kann. Der Unterschied zwischen beiden Zell-
arten besteht hauptsächlich in der Färbbarkeit der Körnchen.
Während die chromaffinen Zellen in meinen Präparaten gelb bleiben,
nehmen die Granula der acidophilen Zellen eine tief himbeerrote
Färbung an, welche mit der Farbe der benachbarten eosinophilen
Leucoceyten vollkommen übereinstimmt (Abb. 7). Färbt man mit
Ehrlich-Biondi, so bleiben die chromaffinen Zellen auch gelb,
die acidophilen aber tingieren sich mit dem Säurefuchsin schmutzig
rot. Der Beschreibung Kultschitzkys entspricht nicht nur die
Farbreaktion der Körnchen, sondern auch ihre Lage zwischen der
Basis der Zelle und ihrem Kern (Abb. 6, 7, S und 9). Selten wird
die Zelle von den Körnchen so stark gefüllt, dass ihre Seiten-
wände vorgewölbt werden (Abb. 5), und noch seltener liegen die
Körnchen auch über dem Kern (Abb. 9).
Nur darin kann ich die Angaben Kultschitzkys nicht
bestätigen, dass manchmal in den Zellen sehr wenig Körnchen
sein könnten. Nach meinen Beobachtungen ist der basale Teil der
Zelle immer gefüllt. Vergleicht man jedoch sehr viele acidophile
Zellen untereinander, so sieht man, dass die Granula durchaus
nicht überall gleich deutlich ausgeprägt und gleich intensiv gefärbt
sind (Abb. 4, 5, 6, 7, S und 9). Ja, man findet sogar Zellen,
welche in ihrem basalen Teile eine anscheinend strukturlose, mehr
oder weniger rot gefärbte Masse enthalten (Abb. 5). Einige Zellen
sogar unterscheiden sich von den gewöhnlichen Zylinderzellen nur
dadurch, dass ihr basaler Teil etwas dunkler gefärbt ist (Abb. 4).
Man könnte beinahe annehmen, dass es hier Übergangsstadien
zwischen Zylinderzellen und acidophil gekörnten Zellen gäbe. Dafür
spricht der Umstand, dass die Färbbarkeit der Granula genau mit
ihrer Deutlichkeit übereinstimmt, denn die hellsten Granula sind
die undeutlichsten (Abb. 6), und die intensiv gefärbten sind am
besten ausgeprägt (Abb. 7, 8, 9). Ausserdem füllen die helleren
190 HH artyKull:t
Granula die Zelle nie so stark, wie es bei den intensiv gefärbten
oft vorkommt (Abb. 6, 7, 8, 9). Die grosse Seltenheit der aller-
jüngsten Übergangsstadien (Abb. 4, 5) spricht aber gegen diese
Annahme.
Die basal gekörnten Zellen mit acidophilen Granulationen
kommen auf den Zotten und auch in den Lieberkühnschen
Drüsen vor. Häufiger findet man sie im Ileum, spärlicher
im Jejunum, im Duodenum jedoch scheinen sie vollständig zu
fehlen. Im grossen Ganzen sieht man sie ebenso oft wie die
chromaffinen Zellen.
Vergleicht man nun die acidophilen Zellen mit den chromaf-
finen, so fällt sofort ihre sehr grosse Ähnlichkeit auf (Abb. 1 und 7,
2 und 5, 3 und 9). Der wichtigste Unterschied ist ja die Färbbar-
keit der Granula: ausserdem sind die Kerne der chromaffınen
Zellen meistens kugelförmig (Abb. 1—3), während die acidophilen
Zellen gewöhnliche Kerne haben (Abb. 7—9). Schliesslich kann
man noch konstatieren, dass die acidophilen Granula ein wenig
kleiner sind als die chromaffinen. Sonst sind alle übrigen Merk-
male der Zellen, namentlich ihre Grösse und Form und auch die
Anzahl und Lagerung der Körnchen, einander vollkommen identisch.
Diese merkwürdige Ähnlichkeit will geradezu zur Annahme zwingen,
dass die beiden Zellarten verwandt seien, und dass die eine Zell-
art aus der anderen entstanden sein könnte.
(Gegen diese Annahme spricht jedoch der Umstand, dass
zwischen beiden Zellarten überhaupt keine Übergangsstadien vor-
handen sind, denn überall unterscheiden sich die gelben chromaf-
finen Körnchen scharf von den tief himbeerroten acidophilen.
Ausserdem sah ich im Duodenum menschlicher Föten (7 und
S Monate) reichliche chromaffine Zellen, die acidophilen Zellen
dagegen fehlten hier ganz und traten erst im Jejunum auf. End-
lich kann man bei beiden Zellarten jüngere und ältere Formen
unterscheiden. Die jüngeren Stadien enthalten noch wenig Körnchen,
so dass die Zelle nicht viel breiter als eine gewöhnliche Epithel-
zelle ist; die älteren sind schon reichlicher gefüllt, werden daher
auch bedeutend breiter und bisweilen enthalten sie so viel Körnchen,
dass die letzteren sogar über dem Kern liegen können (Abb. 1, 2, 3,
7, 8 und 9). Ja, bei den acidophilen Zellen scheinen Übergangs-
stadien zwischen ihnen und den gewöhnlichen Zylinderepithelzellen
vorzukommen. Gerade dieser Umstand, dass beide Zell-
Die „‚basal gekörnten Zellen‘ des Dünndarmepithels. 191
arten unabhängig voneinander junge undältere
Formen bilden, spricht, meiner Meinung nach, am
besten gegen ihre Verwandtschaft. Denn, wenn man
annehmen sollte, dass die eine Zellart durch ihre allmähliche
Umbildung die Zellen der anderen Art gäbe, könnte doch die
erstere nicht auch so vollkommen entwickelte Formen bilden, wie
es mit der letzteren der Fall ist.
Auf Grund dieser Beobachtungen muss ich annehmen, dass
die chromaffinen und die acidophilen Zellen zwei
voneinander unabhängige Zellarten sind, welche
nur eine gewisse äussere Ähnlichkeit haben.
Ebenso liegen die Verhältnisse bei der Katze, bei der Fleder-
maus und beim Igel. wo auch chromaffine und acidophile basal
sekörnte Zellen vorkommen. Diese Zellen der genannten Tiere
unterscheiden sich von den homologen Zellen des Menschen nur
durch ihre äussere Gestalt, welche jedoch von der schmäleren und
höheren Form der Dünndarmepithelzellen dieser Tiere abhängt.
Aus demselben Grunde haben die chromaffinen Zellen auf den
/otten keinen kugelförmigen Kern (Abb. 10), während solche
Kerne in den Lieberkühnschen Drüsen gar nicht so selten
sind (Abb. 11).
(regen die Verwandtschaft der chromaffinen und acidophilen
Zellen sprechen besonders auch die Befunde beim Meerschwein-
chen. Hier gibt es überhaupt keine acidophilen Zellen, und
dennoch sind hier sehr schöne chromaffıne Zellen vorhanden. Die
chromaffinen Zellen des Meerschweinchens unter-
scheiden sichaber so beträchtlich von den homologen
Zellen des Menschen und der anderen genannten Tiere,
dass ich ihnen meine besondere Aufmerksamkeit zuwenden muss.
Ausserdem konnte ich in der Literatur überhaupt
keine Angaben über diese Zellen finden.
Von den chromaffinen Eigenschaften der Körnchen kann
man sich leicht überzeugen, wenn man mit doppelchromsaurem
Kalium fixierte Schnitte nur mit Alaunkarmin färbt (Abb. 12).
In solchen Präparaten findet man die chromaffinen Zellen leicht
und kann deutlich sehen, wie sich die gelbe Farbe der Körnchen
von der grünlich-gelben Farbe der roten Blutkörperchen unter-
scheidet. Beim Färben nach meiner Methode mit Hämatoxylin,
Vietoriablau und Eosin bleiben die Körnchen auch gelb, werden
192 Harry Kull:
aber vom Eosin auch ein wenig tingiert, so dass sie eine leuchtendere
und dunklere Farbe erhalten (Abb. 13). Dieselbe Erscheinung
kommt auch bei den chromaffinen Zellen des Menschen beständig vor.
Die eigentümliche Besonderheit der chromaffinen Zellen des
Meerschweinchens besteht darin, dass die chromaffinen
Körnchen immer fast die ganze Zelle ausfüllen und
nie auf den Raum zwischen Zellbasis und Kern
beschränkt sind, wie es beim Menschen der Fall ist.
Aus diesem Grunde befindet sich die Hauptmasse der Körnchen
im oberen Teil der Zelle, über dem Kern (Abb. 12, 13, 14), welcher
gewöhnlich ganz an der Zellbasis liegt. Nur in seltenen Fällen,
wo die Anzahl der Körnchen eine besonders grosse ist. drängen
sie sich reichlich auch zwischen Kern und Zellbasis, so dass ersterer
fast in der Mitte der Zelle liegt (Abb. 13, ce).
Weiter besitzen alle chromaffinen Zellen des Meerschweinchens
noch eine Besonderheit, welche ein wenig an die Verhältnisse
beim Menschen erinnert. Es ist nämlich nie die ganze Zelle
mit den Körnchen gefüllt, sondern immer ist ihre äusserste Spitze
leer (Abb. 13, 14). Dieser leere Raum ist gewöhnlich sehr klein
und ragt keilfürmig in die Zelle hinein. Seine Grenzen sind
nicht immer scharf, da die Körnchen an seinen Rändern nicht
so dicht liegen, wie in der übrigen Zelle.
Die Beständigkeit dieser Erscheinung weist unzweifelhaft
darauf hin, dass sie eng mit der physiologischen Funktion der
Zelle verbunden ist. Demnach kann man die chromaffinen Zellen
des Meerschweinchens auch als basal gekörnte bezeichnen, da auch
bei ihnen der basale Raum mit Körnchen gefüllt ist, die Spitze
aber leer bleibt (Abb. 14).
Dieses trifft aber nur bei den Exemplaren zu, welche in den
Lieberkühnschen Drüsen liegen, denn es ist eine weitere
Besonderheit der chromaffınen Zellen des Meerschweinchens, dass
ihre charakteristischen Eigenschaften davon abhängig sind, an
welcher Stelle der Darmschleimhaut die betreffende Zelle liegt.
Man kann sogar eine vollkommene Gesetzmässigkeit feststellen,
welche sich darin äussert, dass die tief liegenden Zellen alle
positiven Eigenschaften in bedeutend grösserem Maße besitzen
als die höher liegenden. Deshalb lassen sich zwei Typen auf-
stellen, welche durch Übergangsstadien verbunden werden. Der
erste Typus liegt in den Lieberkühnschen Drüsen und zeichnet
Die „‚basal gekörnten Zellen“ des Dünndarmepithels. 193
sich aus durch die Grösse seiner Zellen, durch ihren Körner-
reichtum und durch ihren grossen, kugelförmigen Kern. Sogar
innerhalb dieses Typus lässt sich die genannte (resetzmässigkeit
verfolgen (Abb. 13a, b, ec).
Die Zellen des zweiten Typus befinden sich auf den Zotten.
wo sie sich von den gewöhnlichen Epithelzellen fast nur durch
die Körnehen unterscheiden (Abb. 15). Ihr Kern liegt annähernd
in einer Höhe mit den benachbarten Kernen und unterscheidet
sich kaum von ihnen. Die Breite der Zelle ist sehr gering und
hängt gewiss von der kleinen Zahl der Körnchen ab. Dennoch
sammelt sich auch in diesen Zellen die Hauptmasse der Körnchen
über dem Kern, so dass der basale Teil nicht einmal ganz gefüllt
wird (Abb. 15). Ebenso bleibt auch hier die Spitze der Zelle leer,
so dass der keilförmige Raum besonders tief in die Zelle hineinragt.
Diese Gesetzmässigkeit weist darauf hin, dass die physio-
logische Tätigkeit der chromaffinen Zellen des Meerschweinchens
hauptsächlich auf die Lieberkühnschen Drüsen beschränkt ist.
Deshalb findet man sie hier auch viel häufiger als auf den Zotten.
Beim Menschen und bei den anderen von mir untersuchten
Tieren lässt sich überhaupt keine Abhängigkeit der Zellen von
ihrer Lage nachweisen. Deshalb glaube ich annehmen zu können,
dass die betreffenden Zellen des Meerschweinchens sich nicht nur
äusserlich, sondern auch funktionell von den homologen Zellen des
Menschen unterscheiden.
Über die Funktion der basal gekörnten Zellen habe ich
keine Aufschlüsse erhalten. Es lässt sich aber die Vermutung
aussprechen, dass sie mit der Nahrungsaufnahme, wie es Kult-
schitzky annimmt, in keinem innigen Verhältnis steht, da die
Zahl solcher Zellen bei hungrigen und gefütterten Tieren ungefähr
die gleiche ist.
Mit den Panethschen Zellen haben die basal gekörnten
keinen Zusammenhang, da sie auch bei der Katze vorkommen,
welche ja keine ausgesprochenen Panethschen Zellen besitzt,
andererseits aber bei der Maus vollkommen fehlen.
Zusammenfassung.
1. Im Dünndarmepithel des Menschen, der Katze, des Igels
und der Fledermaus gibt es besondere Zellen, welche in ihrem
basalen Ende sehr feine chromaffine Körnchen enthalten.
194 GC Harry’ Kult
2. Ausser den chromaffinen Zellen gibt es hier noch Zellen
mit feinsten acidophilen Granulationen in ihrem basalen Ende.
3. Die chromaffinen und acidophilen Zellen sind
zwei verschiedene, von einander unabhängige Zell-
arten.
4. Im Dünndarmepithel des Meerschweinchens
gibt es besondere, in der Literatur bisher noch
nicht beschriebene, chromaffine Zellen, welche sich
von den homologen Zellen des Menschen bedeutend
unterscheiden; acidophile Zellen fehlen beim Meerschweinchen.
Literaturverzeichnis.
1. Kaufmann-Wolf, M.: Kurze Notiz über Belegzellen, Panethsche
Zellen und basal gekörnte Zellen im Darm des Menschen. Anat. Anz.,
Bd. 39, 1911.
2. Kultschitzky, N.: Zur Frage über den Bau des Darmkanals. Archiv
f. mikr. Anat., Bd. 49, 1897.
Möller, W.: Anatomische Beiträge zur Frage von der Sekretion und
Resorption in der Darmschleimhaut. Zeitschr. f. wiss. Zoologie, Bd. 66, 1899.
4. Nicolas, A.: Recherches sur l’epithelium de l’intestin grele. Internat.
Monatsschr. f. Anat. u. Physiologie, Bd. 8, 1891.
5. Oppel, A.: Verdauungs-Apparat. Ergebnisse der Anatomie und Ent-
wicklungsgeschichte, Bd. 14, 1904.
6. Schmidt, J. E.: Beiträge zur normalen und pathologischen Histologie
einiger Zellarten der Schleimhaut des menschlichen Darmkanals. Arch.
f. mikr. Anat., Bd. 66, 1905.
os
Das Mikrophotogramm ist vom Verfasser aufgenommen worden und
zeigt eine Lieberkühnsche Drüse eines 8 Monate alten menschlichen Fötus.
Man sieht deutlich eine chromaffine Zelle, welche das Drüsenlumen
erreicht. (Es scheint, dass die chromaffine Zelle sich plötzlich verjüngt und
erst dann das Lumen erreicht. Dieses ist aber eine Täuschung, da die
eigentliche Eintrittsstelle ein wenig tiefer liegt und das Objektiv auf ihren
oberen Rand eingestellt ist.)
Obj. Zeiss homog. Immers. 3 mm; Apert. 1,30, Projektions-Okular 4
und Cameralänge 75 cm. Vergrösserung 1000 fach.
Abb.
Abb.
Abb.
Abb.
Abb.
Abb.
Abb.
Abb.
Abb.
Abb.
Abb.
Abb.
Abb.
Abb.
Abb.
Die „basal gekörnten Zellen‘ des Dünndarmepithels. 195
Die Abbildungen 1—13 und 15 sind bei 1000facher Vergrösserung
gezeichnet (Zeiss Apochromat 1,5 mm; Komp.-Okular 6).
Die Abbildung 14 ist bei 2000 facher Vergrösserung gezeichnet (Apochr.
1,5 mm, Komp.-Okular 12).
Färbung der Präparate, nach welchen Abb. 1—11 und 13—15 hergestellt
wurden, mit Hämatoxylin, Vietoriablau und Eosin.
1-9. Zottenepithel eines 8 Monate alten menschlichen Fötus.
12
Gewöhnliche chromaffine Zelle.
Körnchenreiche chromaffine Zelle.
Seltene Form einer chromaffinen Zelle.
und 5. Übergangsstädien von gewöhnlichen Zellen zu den acido-
philen Zellen.
Acidophile Zelle mit undeutlichen, schwach gefärbten Körnchen.
Gewöhnliche acidophile Zelle; unten zwei eosinophile Leucocyten.
Chromaffine und acidophile Zelle mit vielen Körnchen.
Seltene Form einer acidophilen Zelle.
Chromaffine und acidophile Zellen im Zottenepithel der Katze.
Chromaffine und acidophile Zellen in einer Lieberkühnschen
Drüse der Katze.
Lieberkühnsche Drüse des Meerschweinchens mit chromaffinen
Zellen. Alaunkarmin.
Verschiedene chromaffine Zellen und Panethsche Zellen des Meer-
schweinchens in einer Lieberkühnschen Drüse.
Chromaffine Zelle des Meerschweinchens.
Chromaffine Zellen im Zottenepithel des Meerschweinchens. Unten
ein eosinophiler Leucocyt.
196
Aus dem pathologischen Institut der Universität Freiburg i. Br.
Untersuchungen über die Histologie der
Uterusschleimhaut.
Von
Dr. S.H. Geist, New York.
Hierzu Tafel XIII (Fig. 1—6).
Die verschiedenen Ansichten, die heutzutage über die normale
Histologie der Uterusschleimhaut herrschen, haben Herrn Professor
Schridde veranlasst, mich mit Untersuchungen auf diesem Ge-
biete zu betrauen. Bevor ich auf meine eigenen Befunde eingehe,
will ich in kurzen Strichen die einzelnen Anschauungen anderer
Autoren über den Aufbau der Uterusschleimhaut hier anführen.
Seit dem Erscheinen der Arbeit von Hitschmann und
Adler beschäftigten sich eine Anzahl Autoren mit der Frage der
zyklischen Umwandlungen der Uterusschleimhaut der geschlechts-
reifen Frau, sowohl unter normalen wie pathologischen Verhält-
nissen, um eine bestimmte Norm feststellen zu können.
Hitschmann und Adler untersuchten ein grosses Material
und kamen zu dem Schlusse, dass die Uterusschleimhaut bestimmten
zyklischen Umwandlungen unterworfen sei, die normalerweise —
abhängig vom Menstruationstypus — zeitlich schwanken, und zwar
zwischen drei oder vier Wochen. Sie zerlegten diese Periode in
vier scharf voneinander getrennte Phasen, das prämenstruelle,
menstruelle, postmenstruelle und das Intervallstadium. Unter der
prämenstruellen Phase verstehen sie die Zeit vom 6. bis 7. Tage
vor und bis zum Tage des Menstruationseintrittes.
In diesem Stadium beschreiben sie eine Scheidung der
Schleimhaut in einen kompakten und einen spongiösen Teil. Die
Drüsen sind vergrössert, erweitert, mit ausgedehnten Buchten
versehen und mit Sekret gefüllt. Die Epithelzellen selbst sind
vergrössert, blass, gequollen; die Kerne sind nur schlecht gefärbt,
und der Zelleib zeigt granuliertes Aussehen. Diese Vorgänge
halten sie für den Ausdruck sekretorischer Tätigkeit.
Ihrer Angabe nach fanden sich keine ausgesprochenen
Flimmerzellen, sondern nur gruppenweise angeordnete oder auch
Untersuchungen über die Histologie der Uterusschleimhaut. 197
vereinzelte Zellen mit ziemlich hohem Aufsatz, in denen sie zwar
keine deutlichen Cilien unterscheiden konnten, diese Zellen aber
dennoch als Flimmerzellen ansprachen.
Auch in den übrigen Phasen vermissten Hitschmann und
Adler die Flimmerzellen oder fanden sehr selten und spärlich
cilientragende Zellen.
Im Stroma beschreiben diese Untersucher eine decidua-
ähnliche Reaktion, hauptsächlich im Obertlächenbindegewebe.
Während der menstruellen Phase werden die Drüsen
wieder kleiner, die Schlängelung viel geringer, das Lumen wird
enger und das Epithel kleiner und niedriger. Hitschmann und
Adler nehmen an, dass das Epithel teilweise — sowohl an der
Oberfläche wie in den Drüsen — ausgestossen wird. Die Schleim-
haut wird mit Blut überschwemmt, und in ihr treten zahlreiche
Lymphocyten und Leukocyten auf. Die Flimmerzellen erwähnen
sie in diesem Stadium überhaupt nicht.
Postmenstruell nehmen die Drüsen wieder schmale und
gerade Formen an. Das Epithel ist niedrig, die Kerne sind oval,
verhältnismässig gross und gut gefärbt. Im Epithel fehlt jedes
Zeichen der Sekretionstätigkeit, in den Drüsen dagegen findet
man gelegentlich noch Reste von Schleim. Während des post-
menstruellen Stadiums finden sich zahlreiche Kernteilungsfiguren
im Epithel und Bindegewebe. Die Stromazellen sind lang und
spindlig, besitzen ovalen, gutgefärbten Kern und sehr wenig Proto-
plasma. Dies Stadium dehnen sie vom 1. bis 5. Tage nach der
Menstruation aus. Auch hier sind die Flimmerzellen nicht be-
sonders beschrieben.
Sodann folgt das Intervallstadium, wo das Epithel
wieder höher als postmenstruell ist, die Drüsen anfangs leicht,
allmählich immer stärker geschlängelt sind, bis sie endlich wieder
den prämenstruellen Typus erreicht haben. In der ersten Hälfte
dieses Stadiums finden sich ebenfalls ziemlich reichlich Kern-
teilungsfiguren. Flimmerzellenbefunde sind auch hier nicht hervor-
gehoben.
Die meisten Autoren stimmen in bezug auf die zyklischen
Umwandlungen mit Hitschmann und Adler überein, nur über
manche Zellarten gehen die Meinungen auseinander. Eine scharfe
Unterscheidung von vier Phasen wurde von den Beobachtern ver-
neint, welche die einzelnen Phasen weniger deutlich ausgesprochen
198 S. H. Geist:
fanden und Übergang der einen in die andere beschrieben. Am
weitesten ging Büttner, der das sogenannte Intervall in noch
zwei weitere Unterabteilungen zerlegt, das Frühintervall, wo viele
Drüsen noch denen des postmenstruellen Stadiums gleichen, und
das Spätintervall, wo eine Anzahl Drüsen vom Typus des prä-
menstruellen zutage treten.
In einer neuerdings erschienenen Arbeit von Keller und
Schickele kommen die Autoren dazu, die zyklische Umwandlung
der Drüsen, wie Hitschmann und Adler sie als typisch und
normal annehmen, zu verneinen. Sie beschreiben den Befund der
angeblich prämenstruellen Drüsen auch in den übrigen Stadien
und das Fehlen dieser typischen Drüsen während der prämen-
struellen Phase in vielen Fällen. Ihrer Annahme nach nehmen
nicht alle Drüsen an dieser Umwandlung teil, und die daran be-
teiligt sind, sind es doch nicht in gleichem Maß und in gleicher
Weise. Sie beschreiben, ähnlich wie Hitschmann und Adler,
eine Zelländerung dahin, dass prämenstruell das Epithel hohe,
blasse Zellformen aufweist, die keulenförmige Vortreibungen nach
dem Lumen und das Auftreten feiner Körnchen und Krümeln
innerhalb des Protoplasmas erkennen lassen.
Im Stroma erwähnen sie den Befund charakteristischer Ver-
änderungen, die vom 9. Tage vor bis zum 4. Tage nach der
Menstruation nachweisbar sind; es sind dies die Hyperämie, Gefäss-
erweiterung, Quellung und deciduaähnliche Umwandlung der
Stromazellen mit Austritt von Flüssigkeit. Sie halten diese Ver-
änderungen wie auch diejenigen am Epithel für die charakte-
ristischen, nicht aber die Drüsenveränderungen.
In der Beschreibung von Hitschmann und Adler findet
sich keine Unterscheidung der verschiedenen epithelialen Zelltypen,
mit Ausnahme der erwähnten eigenartigen Zellen mit hohem Auf-
satz, die sie für Flimmerzellen hielten. Lott erwähnt ebenfalls
einen solchen Zelltyp und sprach sie ebenso als Wimperzellen an.
Die Frage der Flimmerzellen wurde von vielen Autoren
erörtert, aber alle scheinen mit Hitschmann und Adler darin
übereinzustimmen, wenn sie sagen, dass in Fällen, wo Flimmer-
zellen als regelmässiger Befund in fixierten Präparaten beschrieben
sind, „die Wahrheit der Konvention zum Opfer gebracht wurde“.
Mandl sagt: „dass das Epithel der Uterusschleimhaut nicht
immer ein flimmerndes ist. Aber wenn es auch flimmernd vor-
Untersuchungen über die Histologie der Uterusschleimhaut. 199
gefunden wird, können sich doch streckenweise Partien finden,
in denen die Zellen der Cilien entbehren. Das Flimmerepithel
des Uterus zeigt zur Zeit, wo es nicht flimmernd ist, Bilder
sekretorischer Tätigkeit.“
Ferner behauptet er, dass während der Menstruation und
kurz nachher — oder mit anderen Worten: während des post-
menstruellen und menstruellen Stadiums — die Flimmern ver-
schwinden und im Intervall regenerieren.
Hoehne hat die Flimmerzellen „diskontinuierlich, herd-
förmig, insulärer Weise“ gefunden, und er nimmt an, dass diese
insuläre Anordnung und der Cilienschwund durch einen Funktions-
wechsel der Flimmerzellen erklärt werde. Er glaubt weiter, dass
wenn Flimmerepithel während der Menstruationszeit gefunden
werde, dies durch abnorme Erscheinungen erklärt werden müsse.
Bayer beschreibt, dass bis wenige Tage vor der Menstruation
regelmässig Flimmerepithel nachweisbar sei, postmenstruell jedoch
fehle. Er schliesst daraus, dass während der Menstruation das
Flimmerepithel geschwunden sein müsse.
Henle erwähnt in seinem Handbuch der systematischen
Anatomie des Menschen die Tatsache, dass das Drüsenepithel sich
vom Oberflächenepithel dadurch unterscheide, dass letzteres be-
deutend mehr Flimmerzellen aufweise.
Heimmerdinger beschreibt Flimmerzellenbefunde in
einem graviden Uterus der 5. bis 6. Woche.
Hitschmann und Adler glauben an die oben erwähnte
Möglichkeit eines Funktionswechsels der Flimmerzellen und finden
Beziehungen zwischen dieser Rückbildung und der sekretorischen
Tätigkeit der Schleimhaut.
Über die sekretorischen Vorgänge herrschen noch ver-
schiedene Anschauungen. Fine Anzahl Autoren erwähnen sie
überhaupt nicht. Andere hingegen, wie Chrobak, Rosthorn,
geben an, dass nur die Cervix der schleimproduzierende Teil sei,
und dass das Corpus ein mehr seröses Produkt liefere.. Waldeyer
und Gebhardt führen nur an, dass das Sekretionsprodukt des
Uterus ein minimales sei.
Hitschmann und Adler beschäftigten sich ebenfalls mit
dieser Frage und beschreiben Veränderungen in den Zellen, welche
ihren Höhepunkt prämenstruell erreichen und gekennzeichnet sind
200 S. H. Geist:
durch Quellen der Zelle, Anwesenheit von Granula im Zellkörper
und der Existenz typisch gefärbter Sekretionsmassen im Lumen.
Wegelin konstatierte bei seinen Untersuchungen über den
Glykogengehalt der Uterusschleimhaut ebenfalls eine regelmässige
(Glykogenzunahme in den Zellen, welche ihren Höhepunkt prä-
menstruell und in der Schwangerschaft erreichte. Das Glykogen
fand sich in grosser Quantität entweder im oberen Pol oder in
geringerer im unteren Pol des Zelleibes, nie aber im Kern.
Neben anderen im Epithel vorhandenen Zellarten ist eine
eigentümliche, die sogenannte „Stiftchenzelle“ zu nennen, die von
Barfurth zuerst beschrieben und von ihm als degenerierte Form
angesprochen wurde.
Auch Albrecht und Logothetopolus hielten sie für
einen degenerativen Typus, und diese Zellen machten ihnen den
Eindruck sekretorischer Zellen, die ihrer Sekretionsfähigkeit ver-
lustig gegangen, von den umgebenden Zellen zusammengepresst
und degeneriert waren, wenngleich in den Drüsenlumina solche
Zellen niemals gefunden wurden.
Büttner beschreibt Pyknose im Epithel und nimmt an,
dass sie in bestimmten Beziehungen zur Menstruation stehe und
den Untergang einzelner Zellen anzeige.
Auch Keller und Schiekele erwähnen ähnliche Befunde,
die sie in der Mehrzahl der Fälle erhoben, und hielten sie eben-
falls für Untergangsformen.
Die im Stroma vorkommenden Bindegewebszellen sind
in ihren zyklischen Umwandlungen genau von Hitschmann und
Adler beschrieben; diese erwähnen eine Ähnlichkeit der Binde-
gewebszellen im prämenstruellen Stadium mit denen der Schwanger-
schaftsdecidua. Andere Autoren, wie Wyder und Christ, ver-
neinen eine solche Ähnlichkeit.
Über die kleinen Rundzellen, die unabhängig von den
Bindegewebszellen selbst im Stroma vorkommen, liegen die Be-
schreibungen vieler Autoren vor. Manche nennen sie Lymphoid-
zellen, wie Nagel und Waldeyer, und vergleichen die
Uterusschleimhaut dem Iymphatischen Gewebe der Dünndarm
schleimhaut.
Jacoby, Hitschmann und Adler, wie auch Pompe
de Meerdewoordt beschreiben ebenfalls das Vorhandensein
solcher Lymphoidzellen-Anhäufungen verschiedenster Grösse.
Untersuchungen über die Histologie der Uterusschleimhaut. 201
Albrecht und Logothetopolus beschrieben schon diese
Zellgruppen und hielten sie für entzündlichen Ursprungs.
Ein weiterer strittiger Punkt ist das Vorkommen von Plasma-
zellen. Hitschmann und Adler sehen in ihrer Gegenwart das
sichere Zeichen einer früheren Endometritis, wohingegen andere
Autoren sie in ganz normaler Uterusschleimhaut beschreiben.
Büttner fand die Plasmazellen in Polypen- und Adenom-
fällen vereinzelt vor.
Aus den obigen Meinungen und Beschreibungen ist leicht
ersichtlich, dass noch manche Untersuchungen nötig sind, um ein
genaues Bild zu gewinnen. Wir gingen bei unserer Arbeit auf
das Ziel zu, wenn möglich, festzustellen, welche Zellarten in der
Schleimhaut, sowohl im Epithel wie im Stroma, vorkommen, und
innerhalb welcher Grenzen man diese als normal bezeichnen dürfe.
Wir hofften, so bestimmte Bilder zu gewinnen, die es ermöglichen
sollten, die normalen Verhältnisse in den verschiedenen Phasen
festzustellen und von ihnen aus die Grenze zum Pathologischen
ziehen zu können.
Mein Material, das aus 75 Fällen besteht, entstammt der
Frauenklinik in Freiburg 1. Br. Die Ausschabungen wurden lebens-
warm in Formalinlösung oder Formalin-Müller fixiert. Die
exstirpierten Uteri konnten erst einige Zeit nach der Operation
fixiert werden.
Die Einbettung geschah in Paraffin. Zur Untersuchung
wurden 5 « dicke Schnitte verwandt. Als Färbungsmethoden habe
ich benutzt: Hämatoxylin-Eosin, Methylerün-Pyronin, Kresylviolett
und Heidenhains Eisenalaun-Hämatoxylin. Die Flimmerzellen
wurden am besten dargestellt, wenn mit dieser letzten Methode
überfärbt wurde.
Eigene Untersuchungen.
Das Epithel.
Die Epithelbekleidung der Oberfläche besteht aus einem
einreihigen Zylinderepithel, das aus etwas niedrigen und dicht
nebeneinander stehenden Zellen gebildet wird. Die Kerne sind
oval, meist ausgesprochen basal gelagert und sind in allen Stadien
sehr chromatinreich.
Die Oberflächenzellen scheiden sich nun in zwei Haupt-
gruppen: die Flimmerzellen und die sezernierenden
Archiv f. mikr. Anat. Bd.Si. Abt.I. 14
202 S. H.-Geist:
Zellen. Dazwischen sind noch die Stiftchenzellen und Zellen
mit pyknotischen Kernen vorhanden.
Ausserdem sieht man im Oberflächenepithel stets Lymphocyten
und unter gewissen Verhältnissen auch neutrophile Leukocyten.
Das Epithel in den Drüsen ist im wesentlichen genau so
aufgebaut. Nur sind hier die Zellen höher und nicht so dicht
aneinander gedrängt als an der Oberfläche der Schleimhaut.
Die sekretorischen Zellen.
Die Hauptmasse der Zellen bilden die von mir als sekre-
torische Zellen bezeichneten Elemente, die sowohl an der Ober-
tläche wie in den Drüsen vorhanden sind. Ihre genaue Beschreibung
sollen die folgenden Zeilen bringen.
Ein Teil dieser zylindrischen Zellen zeigt einen geraden,
scharfen oberen Zellrand. Der Kern ist oval, chromatin-
reich und meist in der Mitte oder basal gelagert. Bei Hämatoxylin-
Eosin zeigt das Protoplasma einen gleichmässig rötlichen Farbenton,
bei Kresylviolett erweist es sich als blassblau, so dass also von
einer Schleimbildung nicht die Rede sein kann. Bei dieser Färbung
konnte man gelegentlich im oberen Zellpole kleine purpurn
gefärbte Körnchen nachweisen, die bei Eisenalaun-Hämatoxylin
schwarz erschienen.
An sämtlichen Zellen dieser Art, sowohl an der Oberfläche
wie in den Drüsen, liessen sich mit dieser letztgenannten Färbung
distinkt tingierte Schlussleisten nachweisen (Fig. 1). Das
Schlussleistennetz trat vor allem bei Flachschnitten in Erscheinung
und zeigte, dass die Zellen sechseckige Prismen darstellen.
Ausser diesen sekretorischen Zellen mit geradem Oberende
fanden sich, bald in geringer, bald in reichlicher Anzahl, Elemente,
die einen knopfförmigen Vorsprung an der Oberfläche auf-
wiesen (Fig. 4). Dass diese Zellen hierher zu rechnen sind, zeigt
einmal der sonst ganz gleiche Aufbau des Plasmas, ferner der
gleichgeformte Kern, vor allem aber der Umstand, dass auch sie
die gleichen Schlussleisten besitzen.
Der erwähnte Protoplasmapfropf springt mehr oder weniger
vor. Dadurch, dass sich immer ganze Gruppen solcher Zellen
finden, sieht es so aus, als ob eine Art Perlenschnur den Zellen
aufgelagert sei. Zwischen den Pfröpfen erkennt man jedesmal
Untersuchungen über die Histologie der Uterusschleimhaut. 205
das eigentliche Oberende an den Schlussleisten. Die Grösse dieser
Knöpfe ist verschieden. Manchmal sieht man nur Andeutungen.
Ausser den Schlussleisten waren an diesen Zellen sonst keine
besonderen Formationen am Oberende wahrzunehmen.
Bemerkenswert bei diesen Pfropfzellen oder Knopf-
zellen, wie ich sie kurz bezeichnen will, ist, dass die Kerne
chromatinärmer sind als bei den anderen sezernierenden Zellen,
dass ferner das Plasma blasser erscheint und vielfach hellere
Partien aufweist.
Die Pfröpfe zeigen besonders im prämenstruellen
Stadium bei der Färbung mit Kresylviolett eine mehr oder
minder deutliche Purpurfarbe. Gelegentlich habe ich in ihnen
und im Oberende der betreftenden Zellen purpurne Körnchen
gesehen. Bei der Heidenhainschen Tinktion waren in ihnen
stets dunkle bis schwarz gefärbte Körner enthalten. Bei dieser
Methode treten die Knöpfe überhaupt am besten hervor.
In anderen Zellen wieder waren diese Knöpfe mehr
bläschenförmig gestaltet oder mehr wabig. Auch in ihnen
konnten mit Eisenalaun-Hämatoxylin Körnchen dargestellt werden,
die sich um die Bläschen herum gruppierten. Hin und wieder
waren auch bei Kresylviolett hier einzelne purpurne Kerne zu sehen.
Aber die Zellknöpfe wiesen auch andere Beschaffenheit auf.
Manchmal erschienen sie bei Heidenhain-Färbung als gleich-
mässig schwarz gefärbte Ballen, oder aber zeigten auch eine un-
regelmässige faserige Beschaffenheit. Dass es sich hier nicht um
degenerierte Flimmerzellen handelte, wurde dadurch erwiesen,
dass Schlussleisten nachgewiesen werden konnten, und dass
keine Basalknötchen vorhanden waren.
Bezüglich des Vorkommens dieser, hinsichtlich der vor-
springenden Plasmaknöpfe verschiedenen Zellen sei bemerkt, dass
sie sowohl an der Oberfläche der Schleimhaut wie in den
Drüsen vorkommen, dass aber die Zellen mit bläschen-
förmigen oder wabigen Knöpfen nur in den Drüsen
zu finden sind.
Die Untersuchungen haben weiter gezeigt, dass die ge-
schilderten verschiedenenFormen derSekretionszellen
zu verschiedenen Zeiten auftreten. So sind die Zellen
mit dem geraden, scharf abgegrenzten OÖberende
und gleichmässig gefärbtem Protoplasma regelmässig post-
14*
204 S. H. Geist:
menstruell und im Frühintervall vorhanden (Fig. 1). Die
anderen Formen von Knopfzellen fanden sich in allen
Phasen, ausgenommen in den eben erwähnten
Perioden. Hin und wieder waren allerdings postmenstruell
Zellen mit ganz kleinen Knöpfchen nachzuweisen.
Es konnten ferner hinsichtlich der Grösse der knopf-
törmigen Plasmavorstülpungen Unterschiede festgestellt
werden. Sie nehmen während des Intervallstadiums zu
und erreichen ihre grösste Ausbildung im Spätintervall
und prämenstruell. Während der Menstruation fanden sie
sich ebenfalls in einzelnen Drüsen, die aber stets den prämen-
struellen Typ darboten.
Die Schwangerschaftsschleimhaut zeigt ein ähn-
liches Bild wie die prämenstruelle. Hier treten vor allem
die Zellen mit den bläschenförmigen Strukturen (Fig. 6) in
den Vordergrund, während die mehr: soliden Knopfbildungen nur
gelegentlich angetroffen wurden. Bemerkenswert war, dass hier
diese knopfartigen Vorsprünge besondersgross waren.
Ich habe nun besonders darauf geachtet, ob diese eben
beschriebenen Veränderungen an den Zellen mit dem Auftreten,
der Masse und der Art des Sekretes, das man in den Drüsen
findet, in Zusammenhang gebracht werden können. Es scheint
mir dieses in ausgesprochenem Maße der Fall zu sein, und
deshalb habe ich von vornherein die in Frage stehenden Zellen
von vornherein als sekretorische Zellen bezeichnet. Dafür sprach
ja auch direkt die ganze Morphologie der Zellen mit ihren knopf-
artigen Vorsprüngen und den im Oberende und in den Knöpfen
hervortretenden Körnern, die sich beiHeidenhain schwarz und
bei Kresylviolett purpurn färbten.
Im Spätintervall (Fig.5) und in der prämenstruellen
Periode erkennt man bei Kresylviolett im Lumen der Drüsen
Massen, die sich tiefrot färben. Sie sind zum Teil homogen,
zum Teil unregelmässig faserig, hie und da enthalten sie auch
kleine rote Körnchen. In den Zellen stellt man nun die oben
beschriebenen purpurnen Granula fest, die bis an den Kern
im Protoplasma sich ausdehnen können. Vor allen Dingen sind
die Knöpfe purpurn gefärbt, während die bläschenförmigen
Strukturen hell erscheinen. Es besteht also ein augenscheinlicher
Zusammenhang zwischen den roten Massen im Lumen, die ohne
Untersuchungen über die Histologie der Uterusschleimhaut. 205
Zweifel als Sekretionsprodukt aufgefasst werden müssen, und den
genannten Zellveränderungen.
Bezüglich der anderen Stadien sei bemerkt, dass in der
menstruellen Phase nur gelegentlich Sekret in den
Drüsen gefunden wurde. Die Drüsen, die hier Sekret ent-
hielten, waren von prämenstruellem Typus. Im postmen-
struellen Stadium und im Frühintervall war fast durchweg
kein Sekret wahrzunehmen. Hier zeigten auch die Zellen
keine purpurnen Körner bei Kresylviolettfärbung. In der Schwanger-
schaft sah ich die gleichen Verhältnisse wie im Prämenstruum.
Die Sekretionsmassen im Drüsenlumen waren von tiefroter Farbe.
Es zeigt sich also, dass die Sekretionstätigkeit der
Korpusdrüsen eine Kurve beschreibt, die prämenstruell
ihren Höhepunkt erreicht und in der Menstruation ab-
sinkt. Wenn dieMenstruationinfolge vonSchwanger-
schaft nicht eintritt, bleibt diesekretorische Tätig-
keit weiter bestehen.
Die Flimmerzellen.
Im eigentlichen Aufbau zeigen diese Zellen so gut wie keine
Unterschiede. Nur die Gestalt wechselte. Einmal finden sich
Zellen, die hochzylindrisch sind und sich nach der Basis zu ver-
jüngen. Auf der anderen Seite sieht man Zellen, die mehr kubisch
sind, und deren Oberende sich flachkugelig vorwölbt.
Der Kern der Flimmerzellen ist oval und ziemlich gross.
Er kann bis zu drei Viertel der Zelle ganz einnehmen. Sein
Chromatingehalt ist ganz besonders gross.
Das Protoplasma zeigt bei den angewandten Methoden
eine homogene Beschaffenheit.
Das Oberende der Zellen wird durch die sog. Basal-
knötchen, die in einer Reihe stehen, eingenommen. Sie färben
sich am besten mit Eisenalaun-Hämatoxylin. Bemerkenswert ist,
dass sie fast stets eine Stäbchenform besitzen. Deshalb wäre
es richtiger, von Basalstäbchen zu sprechen (Fig. 1).
Jedem dieser Stäbchen sitzt ein Fliimmerhaar auf. Auch
diese Gebilde sind nur bei der Heidenhainschen Färbung gut
zu studieren.
Die Cilien sind in manchen Fällen gerade und lang. Ihre
Länge beträgt oft zwei Drittel der Zellenhöhe. Ihre Zahl ist
206 S. H.:@eist:
eine. verschiedene.‘ Es gibt Zellen, die im Schnitte fünf, und
andere, die bis zu zehn aufweisen. In anderen Zellen sind sie
kürzer und neigen an ihrem Ende zur Verklebung.
Einen charakteristischen Unterschied gegenüber den Sekre-
tionszellen weisen die Flimmerzellen darin auf, dass sie bei
Eisenalaun-Hämatoxylin keine Schlussleisten erkennen lassen
(Fig. 1). An diesem Merkmal kann man die beiden Zellsorten ohne
weiteres bestimmen, auch wenn bei den Flimmerzellen die Cilien
nicht mehr vorhanden sind, oder wenn man sich bei den Sekretions-
zellen nicht ganz klar ist, ob zusammengebackene Flimmern oder
Sekretionsknöpfe vorliegen.
Die Flimmerzellen kommen sowohl an der Oberfläche
wie inden Drüsen vor. Sie sind allerdings an der Oberfläche
bedeutend reichlicher (Fig. 1). Hier stehen sie stets in
Gruppen, die oft sehr ausgedehnt sein können. Ich habe im
Schnitte 10—30 und noch mehr Flimmerzellen beobachtet, die neben-
einander standen und keine Sekretionszelle zwischen sich zeigten.
In den Drüsen sind diese Zellen meist seltener und in
geringerer Anzahl vorhanden. Mehr wie vier nebeneinander
stehende habe ich so gut wie niemals gesehen. In manchen Fällen
waren in den Drüsen überhaupt keine Flimmerzellen vorhanden.
Bezüglich ihrer Lokalisation war festzustellen, dass sie so-
wohl inden oberflächlichen wieindentiefen Abschnitten,
ja auch in den Gabelungen der Drüsen zu finden sind. Hier
sind sie allerdings stets vereinzelt.
In einigen Fällen, in denen die Drüsen vermehrt, vergrössert
und erweitert waren, und die Diagnose glanduläre Hyper-
trophie gestellt war, konnten Flimmerzelleninsehr reich-
licher Anzahl in allen Abschnitten der Drüsen nach-
gewiesen werden. In zweiadenomatösen Polypen konnte ich
ebenfalls das massenhafte Auftreten dieser Zellen feststellen.
Wie bei den Sekretionszellen war auch das Verhalten
der Flimmerzellen hinsichtlich ihrer Menge in den
einzelnen Zyklen der Schleimhautveränderung ein
verschiedenes. Ich will dieses Verhalten im einzelnen in den
folgenden Zeilen schildern.
Von den Stadien, die das histologische Bild der prämen-
struellen Schwellung zeigten, habe ich 15 Fälle untersucht.
Das Material war 2—10 Tage vor der Menstruation gewonnen.
Untersuchungen über die Histologie der Uterusschleimhaut. 207
In diesen 15 Fällen habe ich Flimmerzellen elfmal gefunden.
In dreien waren sie sowohl an der Oberfläche wie in den Drüsen
festzustellen, in sechs Beobachtungen nur an der Oberfläche, wäh-
rend sie in zwei Fällen nur in den Drüsen vorhanden waren.
Der Grund, dass sie in einigen Beobachtungen nicht nachgewiesen
werden konnten, liegt vielleicht darin, dass das Schabsel mehrfach
gar kein Oberflächenepithel aufwies.
Schleimhaut aus der Menstruationszeit habe ich drei-
mal untersucht. In allen drei Fällen waren Flimmer-
zellen vorhanden. In einem Falle fanden sie sich sowohl an
der Oberfläche wie in den Drüsen, in den beiden anderen nur ın
den Drüsen. Hier ist zu bemerken, dass sich in den letztgenannten
Beobachtungen überhaupt kein Oberflächenepithel in den Präparaten
fand, und dass damit wohl der Befund zu erklären ist.
Aus der Zeit des Intervalls (Fig. 1) standen mir 33 Fälle
zur Verfügung, unter denen ich 26mal Flimmerzellen fand. Dass
sie hier und auch in anderen Stadien manchmal nicht festgestellt
werden können, liegt daran, dass bei der Ausschabung eben nur
kleine Partien der Schleimhaut erhalten werden. Diese können
zufällig tlimmerlos sein. Man darf also aus dem negativen Er-
gebnis bei Untersuchungen an Uterusausschabungen nicht schliessen,
dass Flimmerzellen in den bestimmten Stadien fehlen. Allein ver-
wertbar ‚ist nur der positive Befund.
Unter diesen Beobachtungen des Intervalls habe ich 15 mal
Flimmerzellen sowohl an der Oberfläche wie in den Drüsen ge-
sehen. Einigemal waren wenige an der Oberfläche und in den
Drüsen, dann wieder zahlreiche an beiden Orten. Des öfteren
konnte man auch sehr reichlich Flimmerzellen an der Oberfläche
sehen und nur vereinzelte in den Drüsen. Das scheint ganz will-
kürlich zu schwanken. In zehn Fällen waren sie nur an der
Oberfläche, in dreien nur in den Drüsen vorhanden.
In acht Fällen aus der postmenstruellen Phase habe
ich fünfmal Flimmerzellen konstatiert, viermal sowohl an der
Oberfläche wie in den Drüsen. An der Oberfläche waren sie meist
in grossen Gruppen vorhanden.
In sechs Fällen von Frühschwangerschaft (Fig. 2 u. 5)
— nach den klinischen Angaben 4. bis 7. Woche — wurden viermal
Flimmerzellen gefunden. In einer Beobachtung waren sie ganz
besonders reichlich an der Oberfläche und in den Drüsen.
208 S.H. Geist:
Weiter habe ich noch zehn Fälle von Schleimhaut in
myomatösen Uteris untersucht und sie hier neunmal fest-
gestellt. Die Frauen hatten ein Alter bis zu 58 Jahren. In
sechs Beobachtungen zeigten die Flimmerzellen sich sowohl an
der Oberfläche wie in den Drüsen, in dreien nur an der Oberfläche.
Die Schleimhaut erschien in allen Fällen histologisch normal.
Bemerkenswert ist, dass bei vier Frauen bereits seit 4+— 10 Jahren
Menopause eingetreten war.
Überblicken wir die obigen Befunde, so sind als besonders
wichtig folgende Ergebnisse hervorzuheben.
Die Flimmerzellen stehen stets in Gruppen und
sind durch Flächen nicht flimmernder Elemente, der Sekretions-
zellen, voneinander getrennt, wie das auch schon Mandl und
Hoehne betont haben.
Das wichtigste Ergebnis meiner Untersuchung aber scheint
mir zu sein, dass ich in allen Phasen Flimmerzellen nach-
weisen konnte, dass sie sowohl in der Menstruation wie in
der Schwangerschaft vorhanden sind. Wenn in einigen Fällen
ihre Anwesenheit nicht nachgewiesen werden konnte, so liegt das,
wie schon hervorgehoben, an der Art des Materiales. Aber dieses
gelegentliche negative Ergebnis sagt nichts gegen die Tatsache,
dass eben in allen Stadien der Schleimhautumwandelungen diese
Zellen konstatiert werden konnten.
Schliesslich ist noch hervorzuheben, dass die Untersuchungen
gezeigt haben, dass die Zahl der Zellen in den verschiedenen
Stadien Schwankungen unterworfen ist. ImIntervallund prä-
menstruellsind siereichlicher zugegen alsim Menstruum.
Auch im Frühstadium der Schwangerschaft habe
ich Flimmerzellen festgestellt. Über ihr Vorkommen im
weiteren Verlaufe der Schwangerschaft kann ich nichts aussagen
Die sog. Stiftchenzellen.
Die Gebilde zeichnen sich dadurch aus, dass sie bei allen
Färbungen als schmale, dunkel tingierte Stifte zwischen den
anderen Epithelzellen erscheinen. Ein Kern ist in ihnen meist
nicht mehr festzustellen. Manchmal sieht man noch eine An-
deutung von ihm.
Bei den Heidenhainschen Färbungen konnten niemals
Basalstäbchen oder Reste von ihnen nachgewiesen werden.
Untersuchungen über die Histologie der Uterusschleimhaut. 209
Bemerkenswert ist, dass diese Stiftchenzellen stets
zwischen den Sekretionszellen gelegen sind.
Alles dieses macht es in hohem Grade wahrscheinlich, dass wir
es mit zugrunde gehenden Sekretionszellen zu tun haben.
Über ihre Lokalisation ist zu sagen, dass sie sowohl im
Oberflächenepithel wie in den Drüsen vorkommen. Sie
sind jedoch immer nur vereinzelt vorhanden.
Hauptsächlich treffen wir sie im Spätintervall, wo
ich sie in 40°/o der Fälle feststellen konnte, während sie prä-
menstruell in 25°/o zu sehen waren.
Besonders hervorzuheben ist, dass sieniemalsimEpithel
schwangerer Uteri konstatiert werden konnten.
Die Zellen mit „pyKnotischen‘“ Kernen.
Auf diese Zellen hat vor kurzem Büttner aufmerksam
gemacht und sie mit dem Menstruationszyklus und dem Untergang
einzelner Zellen in Zusammenhang gebracht. Auch Keller und
Schickele haben sie als eine Folge der Zelldegeneration an-
gesehen.
Auch in meinen Präparaten habe ich solche Zellen mit tief
dunkel tingierten Kernen, die keine Struktur mehr aufwiesen,
beobachtet. Auffällig war es von vornherein, dass ich sie in
jedem Stadium sah, sowohl an der Oberfläche wie in den Drüsen.
Und ferner zeigte sich — und das trat am klarsten bei der
Heidenhainschen Färbung zutage —, dass diese Zellen einmal
sekretorische Zellen waren, das andere Mal aber auch Flimmer-
zellen, wenn die Cilien auch oft schwer geschädigt waren. Dass
es sich aber um solche Elemente handelte, wurde durch das Vor-
handensein der Basalstäbchen bewiesen.
Bei weiterer Untersuchung konnte ich weiter feststellen,
dass diese „pyknotischen“ Kerne nicht nur in einzelnen Zellen
vorhanden waren, sondern dass alle Epithelien der Oberfläche
und der Drüsen und auch die Stromazellen eines Bezirkes in der
gleichen Weise betroffen waren. Diese Bezirke lagen aber immer
an den Rändern der Schnitte.
Als ganz besonders eigentümlich erschien es ferner, dass
diese BefundenurindenPräparatenvonAusschabungen,
nie aber in der Schleimhaut ganzer exstirpierter
Uteri gesehen wurden.
210 I S: H. Geist:
Nach allen diesen Befunden kann ich mich daher der Meinung
Büttners nicht anschliessen, dass es sich um zugrunde gehende
Zellen mit pyknotischen Kernen handele. Ich bin vielmehr der
Ansicht, dass hier Kunstprodukte vorliegen, die durch den
bei der Ausschabung erfolgten Druck auf die Gewebe entstanden
sind. Ganz die gleichen Veränderungen beobachtet man auch an
anderen gequetschten Organen, so z. B. am Wurmfortsatze an den
Stellen, die mit der Pinzette gefasst sind.
Zu den Epithelzellen mit pyknotischen Kernen mögen aber
ferner auch durch das Epithel wandernde Lymphocyten ge-
rechnet worden sein. Diese Durchwanderung des Epithels bildet
nach den Untersuchungen Schriddes einen normalen Vorgang.
Ich habe nun unter diesen Lymphocyten auch hin und wieder
Zellen mit Pyknose und Karyorrhexis gesehen. Ausserdem zeigen
die Lymphocvten an sich schon einen sehr dunkel tingierten Kern, so
dass eine Verwechselung mit pyknotischen Kernen um so möglicher
erscheint.
Die Kernteilungen im Epithel.
Nach Hitschmann und Adler sind Mitosen mit grösster
Regelmässigkeit postmenstruell und im Frühintervall vorhanden.
Ich habe sie in 45°/o meiner Fälle postmenstruell und im
Intervall bis zum 14. Tage nach der letzten Periode festgestellt.
Im Oberflächenepithel habe ich sie nur zweimal feststellen
können. Dagegen zeigten sie sich ziemlich zahlreich in den
Drüsen. Bemerkenswert erscheint mir, dass ich in Flimmerzellen
niemals Kernteilungsfiguren gesehen habe. Sie scheinen hier sehr
schnell abzulaufen.
Wenn ich meine Erfahrungen zusammenfassen soll, so bin
ich zu der Ansicht gekommen, dass das zugrunde gegangene
Oberflächenepithel hauptsächlich durch Vermehrung
der Drüsenzellen ersetzt wird. Darauf hin weisen die hier
reichlichen Mitosen, während sie im Oberflächenepithel so gut
wie ganz fehlen.
Zum Schlusse dieses Abschnittes möchte ich noch auf die
Frage zu sprechen kommen, ob es eine Umwandlung von
sekretorischen Zellen in Flimmerzellen oder um-
gekehrt gibt, wie das Schaffer für die Eileiterschleimhaut
behauptet hat. Diese Meinung ist vor allem deshalb aufgestellt
Untersuchungen über die Histologie der Uterusschleimhaut. 211
worden, weil einige Autoren, wie beispielsweise Mandl, das
Vorkommen von Flimmerzellen in der Menstruation leugnen. Wie
nun aber meine Untersuchungen gezeigt haben, sind zu allen
Zeiten, auch während des Menstruums, Flimmerzellen vorhanden.
Aus ihnen können natürlich wieder neue hervorgehen, und es
braucht schon deshalb gar nicht der Hypothese, dass diese Zellen
sich aus Sekretionszellen bilden sollen. Auch die Annahme, dass
in diesen Stadien die Flimmerzellen ihre Flimmern verlieren und
sich zu Sekretionszellen umbilden — weil nach der Angabe der
Autoren im Menstruum keine Flimmerzellen vorkommen sollen —
ist ebenfalls aus dem Grunde schon hinfällig, weil auch in dieser
Zeit, wie gesagt, stets Flimmerzellen vorhanden sind.
Ich muss an dieser Stelle auch gleich bemerken, dass die
Meinung von Mandl irrig ist, dass in fixierten Präparaten die
Flimmerzellen gar nicht oder schlecht nachzuweisen seien. In
meinen Präparaten, die mit Heidenhain tingiert waren, waren
sie stets tadellos zu sehen. Dass es Flimmerzellen waren, wurde
vor allem durch das Vorhandensein der Basalstäbehen bewiesen.
Auf der anderen Seite lassen sich, wie das ebenfalls meine Unter-
suchungen zeigen, die Sekretionszellen durch ihre Schlussleisten
auf das schärfste von den Flimmerzellen trennen.
Ich habe nun niemals irgendwelche Übergänge zwischen
diesen beiden Zellsorten feststellen können und muss mich daher
ganz der Meinung Schriddes, die er hinsichtlich des Tuben-
epithels ausgesprochen hat, anschliessen. Schridde sagt über
die behauptete Metaplasie der Flimmerzellen zu sekretorischen
Zellen: „Es wäre dieses das einzige Beispiel in der gesamten
Biologie, dass aus einer nur physikalischen Zwecken dienenden
und nur für sie besonders strukturierten Zelle nun also eine
sekretorische, d. h. rein chemischen Vorgängen angepasste Zelle
würde. Das wäre eine derartige Umwälzung des ganzen Zell-
aufbaues, wie sie ganz einzig dastände. Wir hätten hier eine
derartige direkte Metaplasie vor uns, wie sie selbst der fanatischste
Anhänger der unhaltbaren direkten Epithelmetaplasie bisher auch
nur zu träumen nicht gewagt hätte.“
Das Stroma der Uterusschleimhaut.
Das Stroma bot im ganzen ein bestimmtes Bild, natürlich
mit einzelnen Variationen.
212 S. H. Geist:
Die Bindegewebszellen erschienen manchmal als schmale
ovale oder rundliche Gebilde, etwas grösser als die Lymphocvten,
die an einer und der anderen Stelle dichter gelagert sind.
Manchmal auch lagen sie dicht über die ganze Schleimhaut aus-
gebreitet. Dies war die gewöhnliche Anordnung im Ruhestadium.
Nur prämenstruell waren sie leicht vergrössert und mehr oder
weniger stark auseinandergedrängt, behielten aber immer ihre
charakteristische ovale Gestalt. Die Kerne waren gut gefärbt,
der Zelleib aber blasser als in den übrigen Stadien.
Freilich fanden wir prämenstruell vereinzelte grosse,
platte, blassgefärbte Strukturen mit.etwas kleinem Kern, die mit
isolierten Deciduazellen Ähnlichkeit besassen, aber sie
fanden sich nur gelegentlich und konnten das Gesamtbild des
Stromas nicht mit der wahren Decidua verwechseln lassen.
Die Stromazellen weisen postmenstruell und im Intervall
ziemlich häufig Kernteilungsfiguren auf und — wie schon
von anderen Autoren angenommen — erleidet auch das Stroma wäh-
rend der Menstruation einen regelmässigen Verlust an Stromazellen.
Im Stroma finden sich nun ferner die von Jakoby, Hitsch-
mann und Adler, Pompe de Meerdewoordt beschriebenen
Iymphocytären Zellen regelmässig in allen Stadien des
Menstruationszyklus. Sie wiesen starke Variationen in Zahl und
Verteilung auf. Manchmal waren sie spärlich über die ganze
Schleimhaut zerstreut. In anderen Fällen zeigten sie sich in grösserer
Zahl und zwar zerstreut uud gruppenweise. Bald reichlicher, bald
in geringerer Anzahl wurden sie auch stets auf der Durch-
wanderung durch das Epithel, sowohl in Oberfläche wie
Drüsen angetroffen. Sie zeigten im Epithel regelmässig einen
grösseren, runden, blassen Zelleib und einen gleichmässig dunkel
gefärbten Kern; oft blieb der Zelleib sogar ungefärbt und erschien
wie ein helles bläschenförmiges Gebilde, welches die dunklen Kerne
in sich schloss. Sowohl im Drüsenepithel wie im Stroma fanden
sich auch Lymphocyten mit deutlicher Karvorrhexis.
In manchen Fällen traf man auf kleine, scharf begrenzte
Anhäufungen von Lymphocyten. Sie lagen mit Vorliebe
in der Nähe der Drüsen oder Blutgefässe. Albrecht
und Logothetopolus beschrieben schon diese Zellgruppen
und hielten sie für entzündlichen Ursprungs. Dass es sich um
einfache runde Zellzusammenlagerung und nicht etwa um echte
Untersuchungen über die Histologie der Uterusschleimhaut. 213
Lymphknötchen handelte, war aus der Tatsache ersichtlich,
dass sich weder Mitosen noch Keimzentren nachweisen liessen.
Über ihre Bedeutung liess sich nichts Bestimmtes sagen, da die
Schleimhaut keine ungewöhnlichen Verhältnisse aufwies, und diese
Lymphoeytenanhäufungen ein häufiger Befund in allen Menstruations-
phasen waren. Gelegentlich fanden sich in einem Präparat zwei
oder drei solcher Zellenhaufen, manchmal auch noch mehr. In
Fällen, wo diese Zellanhäufungen sich zeigten, waren auch
die Lymphocyten im allgemeinen zahlreicher.
Neutrophile Leukocyten fanden sich nur in einer
geringen Zahl der Fälle mit anscheinend normaler Schleimhaut.
In 25°/o der Intervallfälle zeigten sich vereinzelte Leukocyten,
gewöhnlich in der Umgebung der Blutgefässe oder nahe dem
Oberflächenepithel. In nur einem einzigen prämenstruellen Falle
waren Leukocyten vorhanden und ebenso nur in drei Schwanger-
schaftsfällen. Die übrigen Befunde in den Schnitten erlaubten
keine Schlüsse in bezug auf pathologische Verhältnisse. In einer
Anzahl von Fällen, wo grosse (Juantitäten freien Blutes im Stroma
zu finden waren, wurden auch Leukocyten in geringerer Zahl
beobachtet, und es lässt sich daraus schliessen, dass bei Ruptur
der Blutgefässe und Blutergüssen die Leukocyten in das Stroma
überwandern. In den drei Menstruationsfällen waren Leukocyten
in mässiger Zahl vorhanden, was auf die Tatsache der eben
erwähnten Blutüberschwemmung der Schleimhaut zurückgeführt
werden kann.
Plasmazellen, auf deren Vorhandensein für die Diagnose
der Endometritis Hitschmann und Adler so viel Gewicht
legen, fanden wir auch in sonst normaler Schleimhaut. In diesen
Fällen waren nur vereinzelte Plasmazellen vorhanden. Wir nehmen
an, dass sie die Reste einer ganz leichten entzündlichen Reaktion
darstellen, welche im übrigen ganz ausgeheilt ist. Es ist wohl
verständlich, dass die Uterusschleimhaut sehr häufig eine leichte
Infektion oder geringfügige Schädigungen erleidet. was, wenn-
gleich die Einwirkung leicht ist, dennoch stark genug erscheint,
eine zelluläre Reaktion auszulösen, als deren Reste wir diesen
vereinzelten Plasmazellenbefunden begegnen. Von diesem Stand-
punkte aus deuten sie eine frühere Entzündung an und da keine
anderen Zeichen früherer Entzündung zurückgeblieben sind, sind
wir aus diesem Befunde berechtigt anzunehmen, dass vereinzelte
214 S. H. Geist:
Plasmazellen auch in einer anscheinend normalen Schleimhaut
vorkommen, in Fällen, wo klinische Erscheinungen subjektiver
oder objektiver Art mangelten.
Auch in Polypenfällen und in einem Fall mit Adenom
konstatierten wir vereinzelte Plasmazellen, wie dies auch schon
Büttner beschrieb, aber wir sahen in ihrer Gegenwart den
Ausdruck oben erwähnter Tatsache, da bei solchen Neubildungen
leicht Schädigungen oder Infektion zustande kommen.
Mastzellen fanden wir in mit Kresylviolett gefärbten
Präparaten zehnmal, und zwar während des menstruellen und
postmenstruellen Stadiums. Sie waren während der
Menstruation und in den ersten 2 Tagen nach derselben in
mässiger, am 5. bis 7. Tage danach nur in sehr geringer Zahl
nachweisbar. In den Präparaten, die Mastzellen enthielten, traten
auch die Lymphocyten reichlicher auf.
Allgemeine Betrachtungen.
In den vorliegenden Untersuchungen haben wir die zykli-
schen Umwandlungen der Uterusschleimhaut geschildert
und konnten, wenn auch im allgemeinen, so doch nicht in allen
Punkten mit Hitschmann und Adler übereinstimmen. Die
Unterscheidung der vier Phasen stellte sich uns nicht so scharf
dar, denn wir fanden allmähliche Übergänge der einen in die
andere. Die Einteilung Büttners in Früh-, Mittel- und Spät-
intervall scheint uns eine günstige zu sein, da sie die Übergangs-
formen gut charakterisiert. In verschiedenen Fällen schienen
zwei verschiedene Stadien zu gleicher Zeit gegenwärtig zu sein,
da ein Schnitt das Intervallstadium, ein anderer aus demselben
Uterus mehr das typisch prämenstruelle Stadium repräsentierte.
Diese Vorgänge sind bereits beschrieben und haben zu der An-
nahme geführt, dass die Umwandlung der Uterusschleim-
haut sich in mehr oder weniger stufenartiger Weise
vollzieht, erst eine Partie ergreift, und die Umwandlung allmählich
vom Fundus zum Isthmus fortschreitet. Gelegentlich fanden wir
eine Nichtübereinstimmung der klinischen Daten mit dem mikro-
skopischen Bilde. So zeigte Material, bei dem wir nach der
Anamnese das Bild des postmenstruellen oder Frühintervallstadiums
erwarten durfte, dasjenige des prämenstruellen Typus. Diese
Abweichungen kamen oft genug vor, um den etwaigen Irrtum in
Untersuchungen über die Histologie der Uterusschleimhaut. 215
der Angabe der Patienten auszuschliessen. Man konnte diese
Persistenz oder das frühzeitige Auftreten der prämenstruellen
Phase auf eine abnorme oder Hyperfunktion des Ovariums be-
ziehen, da in diesen Fällen die menstruelle Periode ungewöhnlich
lange dauernd — 6 bis 8 Tage — war.
Die Drüsentypen der verschiedenen Stadien entsprachen
meistenteils den von Hitschmann und Adler beschriebenen.
Manchmal fanden sich Drüsen vom Intervalltypus während der
prämenstruellen Phase, jedoch wurde die Diagnose des in Frage
kommenden Stadiums dadurch nicht beirrt, da die charakteristischen
sekretorischen Zellen, die Stromaumwandlung, sowie die Majorität
der Drüsen selbst das Bild klarstellten.
Gelegentlich konstatierten wir während des menstruellen
Stadiums auch Drüsen vom prämenstruellen Typus, Sekretions-
massen im Lumen enthaltend, mit in typischer sekretorischer
Umwandlung befindlichen Zellen, und zu gleicher Zeit Drüsen,
deren Sekret bereits ausgestossen, das Lumen kollabiert, und die
Zellen im Ruhestadium waren. Postmenstruell zeigten die typischen
restierenden Drüsen zahlreiche Kernteilungsfiguren.
Die Veränderungen im Stroma, wie Hyperämie,
Ödem und Scheidung in zwei Schichten konnten wir ebenfalls
wahrnehmen. Mit Keller und Schickele stimmen wir darin
überein, dass die sogenannten prämenstruellen Drüsen auch in
anderen Stadien zu konstatieren sind, nicht aber darin, dass sie
in vielen Fällen prämenstruell überhaupt nicht vorhanden seien.
In unseren Fällen zeigte die Mehrzahl der Drüsen während
des Prämenstruums den charakteristischen prämenstruellen Typus:
Ferner sind wir mit diesen Autoren einer Meinung, wenn
sie sagen: „Deciduale Umwandlung, insbesondere in grösseren
Verbänden, haben wir nur selten antreften können, so dass wir
diese als typisches Merkmal für die kurz vor der Menstruation
stehende Schleimhaut nicht anführen können‘.
Überblicken wir das Gesamtbild, so finden wir, dass die
Zellelemente eine gewisse Gleichmässigkeit in der normalen Uterus-
schleimhaut der geschlechtsreifen Frau aufweisen. Die mikro-
skopische Betrachtung ergibt, dass inallen Phasen des Men-
struationszyklus Flimmerzellen vorhanden sind. Die
Zahl und Verteilung der Flimmerzellen schwankt leicht, ist an-
scheinend im Intervall eine zahlreichere. Sie sind in den
216 S.H. Geist:
Drüsen in annähernd gleicher Zahl in allen Phasen vorhanden;
die leichten Variationen sind zu gering, um ihnen eine Bedeutung
beimessen zu dürfen.
Das Epithel enthält ferner zahlreicher als Flimmerzellen
die sekretorischen Zellen sowohl im Öberflächen- wie
Drüsenepithel. Sie sind sehr oft charakterisiert durch die Gegen-
wart eines an der oberen Zellgrenze vorspringenden Knopfes;
dieser wechselt an Grösse und Gestalt und stellt eine Sekretions-
masse dar, die von der Zelle ausgestossen wird. In bezug auf
die verschiedenen Phasen variieren sie insofern, als sie grösser
und zahlreicher im Spätintervall und prämenstrual
auftreten. Während dieser Zeit zeigt das Drüsen- und Uterus-
lumen eine charakteristische Sekretionsmasse, die mit den
spezifischen Färbemethoden demonstriert werden kann. Die sekre-
torischen Zellen selbst sind oft mit den entsprechenden Färbe-
methoden an ihrem oberen Pol leicht tingiert, die charakteristischen
Knöpfe besonders zeigen Tendenz, sich leicht zu färben.
Die endgültigen Sekretionsprodukte im Drüsen- und Uterus-
lumen stellen eine mehr oder weniger homogene Masse mit hier
und da feinem fibrillärem Netzwerk dar.
Das Drüsen- und gelegentlich auch das Oberflächenepithel
zeigt unregelmässig zerstreut die sogenannten „Stiftchen-
zellen“, deren dunkle gleichmässige Färbung und schmale lang-
gezogene Gestalt sie deutlich ins Auge fallen lässt.
Regelmässig weist das Epithel durchwandernde
Lymphocyten in wechselnder Zahl, mit gelegentlich intaktem,
gewöhnlich aber blassem, gequollenem Protoplasma und rundem
pyknotischem Kern auf.
Uns gilt es als ausgeschlossen, dass das Flimmerepithel
eine Zellwandlung eingehen und zu sekretorischen Zellen werden
soll; denn die ihnen eigentümliche Struktur erscheint zu allen
Zeiten erhalten und wohl unterscheidbar von der der sekretorischen
Zellen.
Die Drüsen sind einer mehr oder weniger starken Um-
wandlung unterworfen, von schmalen, engen, geraden Drüsen-
formen mit den typischen, im Ruhestadium befindlichen Epithelien
des Frühintervalls bis zu den grossen, erweiterten, geschlängelten
Drüsen, gelegentlich mit, gelegentlich ohne papilläre Leisten,
und mit in deutlicher sekretorischer Aktivität befindlichen Zellen,
Untersuchungen über die Histologie der Uterusschleimhaut. 217
das Drüsenlumensekret gefüllt, wie es für das prämenstruelle
Stadium charakteristisch ist. Menstruell wird das Sekret aus-
gestossen, die Drüsen collabieren, die Zellen befinden sich wieder
im Ruhestadium, wie es das Bild der postmenstruellen Phase
kennzeichnet.
Auch das Stroma zeigt ein bestimmtes normales Bild:
Die Stromazellen selbst machen die typischen zyklischen
Umwandlungen durch von schmalen ovalen oder manchmal
rundlichen blassen Formen mit dunkel gefärbtem Kern — die
im Intervall oft zusammengedrängt und dicht stehen — bis zu
den grösseren blassen Zellformen mit mehr rundlichem und relativ
kleinem Nucleus — wie sie die prämenstruelle Phase charakte-
risieren, und die nie sich in Haufen lagern.
Neutrophile Leukocyten fanden sich im Stroma und
Epithel nur gelegentlich und vereinzelt vor, und diese waren auf
Durchwanderung begriffen.
In allen Phasen zeigen sich hLymphocyten in verschiedener
Anzahl. Einmal fanden sie sich nur zerstreut periglandulär und
perivasculär, das andere Mal relativ zahlreich und oft auch in
scharf begrenzten runden oder ovalen Anhäufungen. Die Lympho-
cyten in Epithel und Stroma wiesen oft Pyknose auf.
Auch auf Plasmazellen stiess man nur gelegentlich und
vereinzelt in sonst anscheinend normaler Schleimhaut; und wir
müssen gestehen, dass in manchen Fällen wir aus diesem Vor-
kommen allein die Diagnose Endometritis nicht stellen konnten,
weil alles übrige normal erschien. So haben wir daraus den
Schluss ziehen müssen, dass vereinzelte Plasmazellen auch in‘
sonst normaler Schleimhaut vorkommen können. Wenn man —
wie schon früher erwähnt — geneigt ist, sie auf etwaige frühere
leichte Infektionen oder Traumen zurückzuführen, die ohne sicht-
bare Gewebsnarbe, Gefässveränderung oder sonstige Zeichen
vorausgegangener entzündlichen Reaktion völlig ausheilten, kann
man mit Hitschmann und Adler die Plasmazellen eben als
Zeichen eines alten entzündlichen Prozesses ansehen.
Als letztes in der normalen Schleimhaut vorkommendes
Zellelement mag die Mastzelle erwähnt sein, die jedoch nur
während der Menstruation und postmenstruell zu beobachten ist.
Unsere Befunde in der Schleimhaut zur Zeit der Schwanger-
schaft waren folgende. Bis zur 5. und 7. Woche der Schwanger-
Archiv f. mikr. Anat. Bd.81. Abt.1l. 15
218 S. H. Geist:
schaft war die Uterusschleimhaut nur geringgradig von der
normalen nichtschwangeren Uterusschleimhaut unterschieden, ab-
gesehen von den bereits bekannten Unterschieden, wie der Gegen-
wart der sogenannten Schwangerschaftsdrüsen, die übertrieben
grossen prämenstruellen Typen entsprechen, und abgesehen natürlich
von der typischen Decidua. Das Epithel, betrachtet in bezug auf
seine einzelnen Zellelemente, zeigt dieselben Zellen wie das des
nichtschwangeren Uterus: Flimmerzellen in Drüsen- und Ober-
flächenepithel, typische sekretorische Zellen ähnlich den im prä-
menstruellen Stadium gefundenen, entweder mit den soliden
vorspringenden Sekretionsmassen oder den verschieden gestalteten,
zu Zeiten leicht granulär-vesikulären Strukturen. Auch hier
fanden sich wie prämenstruell dunkelgefärbte Sekretionsmassen
im Drüsenlumen. Ebenso enthielt die frühschwangere Schleim-
haut auch Lymphocyten und spärlich Leukocyten, nie aber Mast-
zellen oder Plasmazellen. Auch Stiftchenzellen fanden sich nicht
im Epithel.
Literaturverzeichnis.
AlbrechtundLogothetopolus: Frankfurter Zeitschr. f. Path., Bd. 7,H.1.
Barfurth: Anat. Hefte, Bd. 9.
Büttner: Arch. f. Gynäk., Bd. 92, 1910.
Gebhard: Path. Anat. der weibl. Sexualorgane.
Henle: Handbuch der systematischen Anat. des Menschen, Bd. 11, 1866.
Hitschmann und Adler: Monatsschr. f. Geburtsh. u. Gynäk., Bd. 27.
Dieselben: Zeitschr. f. Geburtsh., 1907.
Hoehne: Centralbl. f. Gyn., Nr. 5, 1908.
Keller und Schickele: Monatsschr. f. Geburtsh. u. Gynäk., Bd. 34, 1911.
Mandl: Monatsschr. f. Geburtsh. u. Gynäk., Bd. 34, 1911.
Nagel: v. Bardeleben, Handbuch der systematischen Anat. des Menschen,
Bd. II.
Pompe de Meerdewoordt: Inaug.-Diss., Freiburg 1896.
Wegelin: Centralbl. f. allgem. Path. u. Path. Anat., 1911.
Wyder‘ Arch. f. Gynäk., Bd. 13.
Derselbe :% Zeitschr. f. Gynäk., Bd. 9.
wu
Untersuchungen über die Histologie der Uterusschleimhaut. 219
Erklärung der Abbildungen auf Tafel XII.
Intervalltypus der Uterusschleimhaut. Schleimhautoberfläche. Die
Flimmerzellen weisen Flimmern und Basalstäbchen auf. Zwischen
ihnen ruhende Sekretionszellen mit Schlussleisten. (Färbung mit
Eisenalaun-Hämatoxylin.)
Schwangerschaftsschleimhaut. Übersichtsbild. (Färbung mit Häma-
toxylin-Eosin.)
Schwangerschaftsschleimhaut. Oberflächenepithel mit reichlichen
Flimmerzellen. (Starke Färbung mit Eisenalaun-Hämatoxylin.)
Oberflächenepithel im Spätintervall. Typische Sekretionszellen mit
Sekretknopf und Schlussleisten. (Eisenalaun-Hämatoxylin.)
Abschnitt einer Drüse im Spätintervall. Sekretionszellen mit Sekret-
knöpfen und Schlussleisten. (Eisenalaun-Hämatoxylin.)
Schwangerschaftsschleimhaut. Abschnitt aus einer Drüse. Die
Sekretionszellen zeigen grosse bläschenförmige Oberenden. Unter-
halb der Bläschen finden sich im Plasma reichlich schwarz gefärbte
Körner, die vereinzelt auch in den Bläschen liegen. (Färbung mit
Eisenalaun-Hämatoxylin.)
15*
Aus dem pathologischen Institut der Universität Freiburg i. Br.
Die senile Involution der Eileiter.
Von
Von Dr. S. H. Geist, New York.
Hierzu Tafel XIII (Fig. 7 und 5).
Für den pathologischen Anatomen ergibt sich oft die Not-
wendigkeit, zu entscheiden, ob eine vorhandene Tubenveränderung
nach der Menopause einem entzündlichen Prozess zuzuschreiben
ist, oder ob es sich um eine natürliche Folge einer fortschreitenden
senilen Involution handelt.
Die über diese Frage handelnde Literatur ist eine ver-
hältnismässig spärliche. Die meisten Autoren erwähnen die
Altersveränderungen nur kurz, da sie in ihren Arbeiten die Tube
meist von einem anderen Standpunkt aus betrachteten. Folgende
Auszüge einiger Arbeiten zeigen, dass über diese Altersver-
änderungen die verschiedensten Meinungen herrschen.
Ballantyne und Williams (1) sagen in einer Arbeit über
die Histologie und Pathologie der Eileiter folgendes: „The senile
changes were found to consist in anarrowing and straightening
of the canal with al loss of the curvatures, atrophy of the mus-
cular fibers, more especially the longitudinal, conversion of the
submucosa into fibrous tissue, fibrous changes in the mucosa, and
obliteration of the tubal folds in the isthmus near the uterine
end.“ Im Isthmus fanden sie auch das Epithel abgestossen. Die
subseröse Schicht war fester, mehr fibrös und dicht an die
Muskulatur angelagert.
Grusdew (2) erwähnt, dass eine Zunahme des Bindegewebes
besonders in der Mucosa statt hat, dass die Falten ihre charakte-
ristische Gestalt verlieren. Das Epithel desquamiert gelegentlich,
und die Falten verkleben, und die Folge davon ist die Obliteration
des Lumens. Er gibt weiter kurz an, dass das Epithel mehr
kubisch wird und sogar endothelähnlich werden kann. Die Mus-
kulatur atrophiert und soll in einigen Fällen sogar völlig ver-
schwinden.
Die senile Involution der Eileiter. 22T
Schnaper (3) beschreibt ein allmähliches Niedrigerwerden
des Epithels bis zum schliesslichen endothelialen Typus, Des-
quamation und Anhäufung zwischen den Falten. Die Falten ver-
dicken sich, und einem Granulationsgewebe sehr ähnliches junges
Bindegewebe füllt die Falten aus. Wo das Epithel abgestossen
ist, wächst das Bindegewebe, eine Brücke bildend, hinüber, die
Falten verwachsen und so entstehen schliesslich die drüsenähn-
lichen Bilder in der Schleimhaut, die mit dem noch erhaltenen
Epithel ausgekleidet sind. Es kommt zu einem allmählichen
Schwund der Muskulatur und Produktion von Granulationsgewebe,
dessen Schrumpfung eine Verdünnung der Tubenwand veranlasst.
Die Adventitia der Gefässe zeigt ebenfalls eine Bindegewebs-
wucherung.
Hoermann (4) berichtet in seiner Arbeit über das Binde-
gewebe der Tube von einem Fall, nämlich einer 7O jährigen Frau,
über folgende Altersveränderungen: Er beschreibt die Entwicklung
plumper, geschwollen aussehender Bindegewebsfasern, welche an
Stelle der feinen Fibrillen, die die fetalen und geschlechtsreifen
Tuben charakterisieren, treten. Auch die Muscularis weist eine
Zunahme des Bindegewebes auf. Ein Teil der Muskulatur bleibt
stetserhalten. Im Isthmus sind die Falten nicht mehr vorhanden,
während sie sich in der Ampulle als breite und plumpe Gebilde
repräsentieren. Die feineren Seitenfalten sind verschwunden.
Das Epithel ist im Isthmus noch hoch, während es im Infundi-
bulum niedriger geworden ist. Hoermann fand auch Zunahme
des elastischen Gewebes, sogar in der Mucosa.
Buchstab (5) untersuchte das elastische Gewebe der
Tube und fand eine ständige Zunahme vom Kindesalter bis zur
Menopause, von da an ein allmähliches Abnehmen. In den senilen
Tuben fand er das elastische Gewebe hauptsächlich in der Serosa.
Die Fasern sind kurz, wenig und bilden kein Geflecht. Er sah
sie selten und dann als vereinzelte Fasern in der äusseren Muskel-
schicht. In der Submucosa und Basis der Schleimhaut fehlen sie
völlig. Das Vorkommen der elastischen Fasern, auf die ver-
schiedenen Abschnitte der Tube verteilt, ist ein gleichmässiges.
Schenk und Austerlitz (6) stimmen in ihrer Arbeit
über das elastische Gewebe der weiblichen Geschlechtsorgane in
dem Punkt nicht mit Buchstab überein, als sie das elastische
(Gewebe bis zur Zeit der Geschlechtsreife beinahe völlig vermissen,
222 S. H. Geist:
ausgenommen in den Gefässen. Bei einem 18jährigen Mädchen
fanden sie feine Fibrillen sowohl in der Serosa, wie Submucosa
und Muscularis. Bei Frauen, die geboren hatten, konstatierten
sie eine mässige Zunahme, aber auch hier blieb die Mucosa da-
von frei. Nach der Menopause fanden sie dickere, stärkere
Fasern in der Serosa, Submucosa und Muscularis, und vereinzelt
feine Fasern sogar in der Schleimhaut. Die Fasern erfahren eine
Zunahme von der Ampulle gegen das uterine Ende zu.
Schridde (7) beschreibt in seiner Arbeit über die eitrigen
Tubenentzündungen auch die senile Tube als ein schlankes Organ,
dessen Lumen gewöhnlich nur noch mikroskopisch erkennbar ist.
Auch er schildert die vollständige Obliteration der senilen Tube.
Die feinen Falten im Isthmus sind verschwunden, während die
Hauptfalten als kurze Stümpfe noch restieren. Das Epithel stellt
einen mehr indifferenten Typus dar, da die Merkmale, welche die
Flimmerzellen von den sekretorischen Zellen unterscheiden lassen,
verschwunden sind. Auf Veranlassung von Herrn Prof. Schridde
habe ich nun die senile Involution der Eileiter einer weiteren
histologischen Untersuchung unterzogen.
Unser Material umfasst 22 Eileiter von Frauen zwischen
dem 50. und 80. Lebensjahre, 2 Tuben von einem 6monatlichen
und von einem Smonatlichen Fetus, 2 Tuben von Kindern, einem
10- und einem 14 jährigen, weitere 2 Tuben von geschlechtsreifen
Frauen, einer 20 jährigen und einer 31 jährigen Frau. Der eine Teil
des Materials entstammt dem Sektionsmaterial des Pathologischen
Institutes, der grössere dem Öperationsmaterial der Freiburger
Frauenklinik. Das Material wurde entweder in Formalinlösung oder
Formol-Müller fixiert und in Paraffin eingebettet. Die ange-
wandten Färbemethoden waren Hämatoxylin-Eosin, Methylgrün-
Pyronin, van Gieson, Weigerts Elastica-Färbung und Heiden-
hains Eisen-Alaun-Hämatoxylin. Schnitte aus der Tube eines
Fetus, einer geschlechtsreifen Frau und einer 62 jährigen Frau
wurden mit Bielschowskischer Silber-Imprägnation behandeit.
Von jeder Tube wurden drei verschiedene Abschnitte untersucht,
das uterine Ende, der mediale Teil des Isthmus und der mediale Teil
der Ampulle.
Untersuchungsergebnisse.
Makroskopisch repräsentiert sich die senile Tube als ein
schlanker glatter Schlauch in der Länge von 5—20 cm; der
Die senile Involution der Eileiter. 223
Durchschnitt betrug ungefähr 11 cm. Die äussere Besichtigung
ergibt ein gleichmässiges Aussehen. Isthmus und Ampulle sind
nicht unterscheidbar. In der Dicke variieren die Tuben etwas,
sind dünner, je älter ihre Trägerin war. Das durchschnittliche
Maß durch den medialen Teil der Tube ist 2,5 mm. Auf die
Mucosa entfällt davon ungefähr ein Drittel, während die übrigen
zwei Drittel von der Muskulatur und dem Bindegewebe einge-
nommen werden.
Die Mucosa zeigt bei der mikroskopischen Untersuchung
vom Alter und der Faltenanordnung abhängige Unterschiede.
Bekanntlich weist die geschlechtsreife Tube longitudinale Falten
auf. welche im uterinen Ende und im Anfangsteil des Isthmus
spärlich, 5—15, an Zahl sind. Sie sind kurz und etwas plump,
mit schmalen feinen Seitenfalten. Dem abdominellen Ende zu
werden sie zahlreicher und zarter, besitzen ein dünnes Binde-
gewebsgerüst und eine einzige Schicht zylindrischer Epithel-
bekleidung. Zwischen diesen feinen Falten finden sich auch grosse,
sogenannte „Hauptfalten“, von welchen starke Nebenzweige ab-
gehen. In der Ampulle gehen von den longitudinalen Falten
zahlreiche Seitenfalten ab. und diese wiederum senden noch feinere
Zweige aus. Im interstitiellen Teil seniler Tuben und für eine
kurze Strecke im Isthmus variieren die Falten in ihrer Form
zwischen dicken, kurzen, abgestumpften Tubenfalten und eben
wahrnehmbaren Erhebungen (Frauen zwischen 50 und 60 Jahren);
oder aber in solchen Tuben, wo das Lumen nur mit der Lupe
erkennbar ist, ist überhaupt keine Spur einer Faltenbildung zu
konstatieren. Die dicken Falten im proximalen Abschnitt des.
Isthmus sind 4—5 an Zahl. Diese Falten sind stets einfache und
haben keine Seitenzweige, sind einzeln, kürzer, dicker und runder
als in der geschlechtsreifen Tube. Näher der Ampulle nehmen die
Falten an Zahl zu, sind hier auch verdickt, abgeplattet, und stellen
kolbenförmige Erhebungen mit kurzen, plumpen, spärlichen Seiten-
falten dar. Zwischen diesen Hauptfalten werden feinere, einfache,
ebenfalls verdickte, abgeplattete Falten gefunden. Je älter
die Tube ist, um so dicker und kürzer sind die Seitenfalten. Die
unverzweigten Falten verschwinden wie in dem uterinen Ende,
so dass die Gesamtzahl vermindert erscheint. In den Tuben von
Frauen zwischen 70 und 80 Jahren zeigen sich nur die Haupt-
falten noch, die breit und plump erscheinen, mit höchst seltenen
224 S. H. Geist:
kolbenförmigen Seitenfalten. In der Ampulle finden sich dieselben
Verhältnisse wie in dem eben beschriebenen terminalen Abschnitt
des Isthmus.
Die Änderung in der Faltengestaltung hat eine ausgesprochene
Wirkung auf das Lumen. Im interstitiellen und proximalen Teil
des Isthmus ist das Lumen sternförmig, während es in den anderen
Abschnitten eine sehr unregelmässige und individuell verschiedene
Gestaltung aufweist. Infolge der relativen Grössenzunahme der
Falten und der allgemeinen Abnahme der Schleimhaut ist es oft
im ampullären Teil nahezu verschlossen.
Mikroskopisch ist die Verdiekung und Abrundung
der Hauptfalten ganz der Zunahme des Bindegewebes in jeder
einzelnen Falte zuzuschreiben. In den kleineren, breiteren Falten
des uterinen und des proximalen Abschnitts des Isthmus bildet das
Bindegewebe ein mehr oder weniger dichtes Netzwerk verschieden
grosser Fasern, welche die Falten bis auf die Spalten für die
Gefässe völlig ausfüllen. In den mehr verzweigten Falten
findet sich ein zentraler Strang dichter Bindegewebszüge, ähnlich
wie in der geschlechtsreifen Tube, nur viel mächtiger. Von diesem
zentralen Strang aus ziehen dickere und dünnere Züge, und zwar
besonders zahlreich um die Gefässe. In den Frühstadien der
senilen Veränderungen zeigen sich gerade in der perivasculären
Umgebung die ersten Bindegewebszunahmen. Das Binde-
gewebe zeigt die Neigung, parallel zur Oberfläche zu verlaufen,
und gibt somit die Möglichkeit, zu unterscheiden zwischen der
durch entzündliche Prozesse hervorgerufenen Bindegewebszunahme
und der senilen (Schridde). Die Fasern bilden gerne eine
mehr oder weniger dicke Schicht unterhalb des Epithels, jedoch
ist niemals eine echte Membrana propria zu sehen gewesen.
Zwischen den einzelnen Epithelzellen ist selbst in den ältesten
Tuben kein Bindegewebe zu konstatieren.
Das elastische @ewebe in der geschlechtsreifen Tube
ist sehr spärlich, wie wir in Übereinstimmung mit Buchstab fest-
stellen konnten. In den Falten geschlechtsreifer Tuben findet man
in vielen Fällen keine, gelegentlich jedoch feine, vereinzelte, kleine
Fasern, die aber nicht dem Bindegewebe, sondern den Gefässen
angehören. Die von Schenk und Austerlitz in den senilen
Tuben beschriebene Zunahme dieses Gewebes glauben wir den
Gefässwänden zugute halten zu dürfen, denn wir fanden sogar in
Die senile Involution der Eileiter. 225
den Wänden der kleinsten Arterien eine mässige Zunahme
elastischen Gewebes, welche den Falten den Anschein gab, als ob
sie reicher daran wären, denn im geschlechtsreifen Stadium. Wir
konstatierten in den Falten seniler Tuben ausserhalb der Gefäss-
bezirke niemals elastisches (sewebe.
Die Gefässe zeigen in sämtlichen Tubenschichten eine
Zunahme sowohl an elastischem wie an Bindegewebe mit einem
gleichzeitigen Schwund der Muskulatur. In der Media fehlt meist
das Muskelgewebe völlig und ist zum grössten Teil durch Binde-
gewebe und feine elastische Fasern ersetzt. Die Adventitia zeigt
eine ringförmig angeordnete starke Zunahme an Bindegewebe und
elastischen Fasern. Hier findet man in den mittleren grossen
(efässen Massen von elastischem Gewebe in ununterbrochenen
Ringen.
Auch die Intima ist erheblich verdickt, grösstenteils infolge
Zunahme des elastischen Gewebes. Hier zeigt sich das elastische
(Gewebe als dicke, ringförmige Lamellen, zwischen welchen mehr
oder wenige konzentrische, kurze, feine, unverzweigte, gewundene,
elastische Fasern und Bindegewebsfibrillen eingelagert sind.
Die Endothelzellen weisen auch eigentümliche Veränderungen
auf. Hier treten starke Wucherungen der Endothelien auf, wo-
durch die Intima weiter verdickt wird. Diese Wucherung ist eine
regelmässige, und es scheint, als ob sie zur Bildung eines neuen
(Gefässrohres führt. So entsteht gleichsam in dem alten sklero-
sierten Gefässrohre ein neues, von Endothel ausgekleidetes Gefäss.
Die ganzen Veränderungen am Gefäßsystem ähneln voll-
kommen der Schwangerschafts-, Ovulations- und Menstruations-
sklerose, wie sie in den übrigen Teilen der Genitalorgane auftritt
(Sohma, Pankow).
Von besonderen Befunden im Bindegewebe der Schleimhaut
wäre noch zu erwähnen, dass ich in ihm gelegentlich einzelne
Mastzellen und Plasmazellen feststellen konnte. Auch vereinzelte
Lymphocyten wurden hie und da angetroffen.
Wichtige Veränderungen bietet bei der senilen Involution
des Eileiters das Epithel dar. Es zeigt vom Alter des Individuums
abhängige starke Variationen. Die typischen zylindrischen Flimmer-
zellen mit ihren scharf markierten basalen Knötchen, und wohl-
erhaltenen Flimmern scheinen besonders in dem distalen Teil des
Isthmus und in der Ampulle, bei Frauen bis zum 56.—60. Jahre
226 S-H. Geist:
normal erhalten zu sein. Mit diesem Zeitpunkt setzt ein all-
mählicher Schwund der Flimmerzellen ein, aber es finden sich
sogar in Tuben von Frauen über 80 Jahre noch wohlerhaltene
Flimmerzellen vereinzelt oder in kleinen Gruppen. Im letzteren
Falle sind sie gewöhnlich in den Crypten zwischen den Falten,
selten auf den Faltenhöhen vorhanden.
Die ersten Veränderungen, die man an den Flimmerzellen
sieht, bestehen darin, dass die Flimmern allmählich schrumpfen.
Die resistenteren basalen Stäbchen indessen bleiben noch längere
Zeit sichtbar, wenn auch die Flimmern bereits vollkommen
geschwunden sind. Die Zellfärbung ist eine gute, der Kern
deutlich erkennbar.
Bei Färbung mit Heidenhain stiess man auf ein eigen-
tümliches Phänomen, nämlich die Anwesenheit von schwarz-
gefärbten Körnern in den Flimmerzellen (Fig. 7). Diese Körnchen
waren von verschiedener Grösse, teils nur feine Körnchen, halb
so gross wie die basalen Knötchen, teils grösser als letztere,
rund oder eckig. Sie zeigen Neigung, sich gelegentlich ein- oder
zweireihig zusammenzulagern, und zwar direkt unterhalb der
basalen Stäbchen; dann wieder sind sie unregelmässig zerstreut
im oberen Zellpol zu finden. Sie erstrecken sich nie unterhalb
des Kernes oder in ihn selbst. Sie sind vorhanden in den
Flimmerzellen der Tuben über 50 jähriger Frauen, meist in den
noch wohlerhaltene oder in Rückbildung begriffene Cilien
tragenden Zellen. Oft fanden sie sich auch in Zellen ohne Cilien,
aber mit basalen Stäbchen (Fig. 8), welche als Merkmale dafür
galten, dass man es mit Flimmerzellen zu tun hatte. Nie aber
waren sie in solchen Zellen, welche die deutlichen Merkmale der
sekretorischen Zellen trugen, auffindbar. Weiterhin fand man
diese Granula weder in den Flimmerzellen der Tube eines acht-
monatlichen Fetus, noch in kindlichen Tuben, noch auch in zwei
geschlechtsreifen Tuben.
Die Möglichkeit, dass diese Körnchen der bei der senilen
Involution des Urogenitalsystems auftretenden lipochromen Pigment-
‘gruppe angehören, konnten wir ausschliessen. Denn einmal fanden
wir diese Körner nur in den Flimmerzellen, und dann auch
konnten sie nie mit den einfachen Färbemethoden oder den
spezifischen Fettfärbemethoden (Sudan oder Osmiumsäure) demon-
striert werden.
-
Die senile Involution der Eileiter. 227
Ikeda (8) beschreibt ähnliche Körnchen in den Flimmer-
zellen des menschlichen Nebenhodens geschlechtsreifer und alter
Individuen und hält sie für sekretorische Elemente. Wir unter-
suchten auch den Nebenhoden des Menschen, des Meerschweinchens
und der Ratte und fanden, dass die ganzen Zellen mehr oder
weniger stark mit verschieden grossen Granula gefüllt waren,
im oberen Pol mit gröberen und dickeren. Die Zellen, welche
diese Granula trugen, sind jedoch von den typischen Flimmer-
zellen der Tube gänzlich verschieden.
Ebner (9) macht folgende Angaben:
„Die Epithelzellen des Nebenhodenganges erinnern an ein-
fache Geisselzellen mit einer einzigen dicken Wimper, die aber
eine fibrilläre Zusammensetzung zeigt.“
„Auch vermisst Aigner (10) an Schnitten fixierter und ent-
sprechend gefärbter Präparate an der Basis der Büschel der Zellen
des Nebenhodenganges die für die Flimmerhaare charakteristischen
Basalknötchen.“ .
„Sehr bemerkenswert sind die konstant vorkommenden
körnigen Einlagerungen im Protoplasma der Büschelzellen des
Nebenhodenganges, welche OÖ. van der Stricht besonders schön
im Nebenhoden der Eidechse entwickelt fand und zuerst als Sekret-
granula erklärte.“
Bei unseren Untersuchungen zeigten nun diese Zellen des
Nebenhodens ausserdem noch typische Schlussleisten, welche aber
in den Flimmerepithelien der Tube fehlen. Das beweist, dass
diese Zellen auch morphologisch etwas ganz anderes darstellen .
als echte Flimmerzellen, und es ist klar, dass kein Vergleich
zwischen den in jungen und alten Nebenhoden gefundenen Granula
und den von uns in den senilen Tuben konstatierten Körnern
gezogen werden darf.
Die Körner in den Flimmerzellen der senilen Tube sind
also keine solchen Sekretionsprodukte.
Ich habe mich nun bemüht festzustellen, als was denn
sonst man diese Körnchen betrachten könne. Da sie sich bei
Heidenhain ebenso schwarz tingieren wie die Basalstäbchen,
so liegt es nahe, sie mit diesen in Beziehung zu bringen. Allein
für die Ansicht sind keine Beweise beizubringen, denn die
Körnchen sind sowohl in Zellen vorhanden, die noch Flimmern und
223 S. H. Geist:
unveränderte Basalstäbchen haben, wie auch in solchen, in denen
diese beiden Strukturbestandteile schon völlig geschwunden sind
So ist es mir nicht möglich gewesen, über die Natur dieser
Körner etwas zu eruieren, und es lässt sich also nur sagen, dass
sie bei der senilen Involution des Eileiters in den Flimmerzellen
erscheinen, und dass sie ein sicheres Zeichen für die Involution
sind, da sie nur in dieser Zeit gefunden werden.
Am Epithel sehen wir nun noch weitere Veränderungen
auftreten. Die Zellen sowohl die Flimmer-, wie die sekretorischen
Zellen, verlieren nach und nach ihre Merkmale und zeigen
schliesslich einen indifferenten Typus. Sie werden niedriger und
werden schliesslich ersetzt von einer kubischen Zellschicht, bei
der es unmöglich ist herauszulesen, wo ursprünglich Flimmer-
zellen und wo sekretorische vorhanden waren. Dieser Zustand
wird erreicht in Tuben von über 60 jährigen Trägerinnen. Diese
Epithelgleichheit wird allerdings gelegentlich unterbrochen von
isolierten Flimmerzellen oder von Gruppen derselben.
Die regressive Umwandlung schreitet nun noch weiter fort,
und die Zellen werden schliesslich auffallend niedrig, so dass sie
sogar in sehr alten Tuben (7O jähriger und älterer Frauen) wie
Endothelzellen erscheinen. Gelegentlich schwinden die Zellen in
kleinen Bezirken auch ganz, und die entblössten Stellen zeigen
nur Bindegewebsmassen. Dass diese entblössten Bezirke an
Grösse zunehmen und verschmelzen können und so eventuell zu
einer totalen Obliteration des Tubenlumens führen (Schridde),
ist möglich, wenngleich es in unseren Fällen nicht beobachtet
wurde. Wir konnten selbst in den ältesten Fällen ein mit
niedrigem Epithel ausgekleidetes Lumen stets demonstrieren.
Die von Ballantyne und Williams, wie auch von
Schnaper beschriebenen mächtigen Epitheldesquamationen mit
Anhäufung der Epithelien zwischen den Falten sind nach unserer
Meinung nicht von der senilen Umwandlung abhängig, sondern
vielmehr das Resultat postmortaler Veränderungen, weil auch
nicht in einem einzigen Fall unseres Operationsmaterials dies
Verhalten zu konstatieren war, während im Leichenmaterial sogar
bei Kindern und geschlechtsreifen Frauen diese Bilder sich boten.
Auch die von Sehnaper beschriebenen drüsenähnlichen
Strukturen sind grösstenteils auf entzündliche Prozesse zurück-
zuführen, da solche Strukturen als charakteristisch für alte
Die senile Involution der Eileiter. 229
entzündliche Verwachsungen anzusehen sind. Ich habe sie nie
in frisch gewonnenem operativem Material, das im übrigen normale
Verhältnisse bot, gefunden.
Ausser den sekretorischen und Flimmerzellen fanden sich
auch — wenngleich nur in sehr geringer Zahl — die sogenannten
Stiftchenzellen.
Ich komme jetzt auf die Veränderungen der übrigen
Tubenwand zu sprechen. Sie erleidet nicht dieselbe Volumen-
abnahme wie die Mucosa, da die Bindegewebszunahme die Atrophie
der übrigen Bestandteile ausgleicht.
Die Muskulatur beginnt vom 50. Jahre an eine rapide
progressive Atrophie aufzuweisen. Die Muskelbündel beider
Schichten, besonders aber der Längsmuskulatur werden mehr und
mehr unterbrochen, die Bündel werden kürzer und kleiner infolge
der Grössenabnahme der Muskelfasern. An Stelle der atrophischen
Muskulatur treten dichte Bindegewebsstränge. Von diesen aus ziehen
feinere Züge zwischen die noch wohlerhaltenen Muskelbündel, und
es lässt sich weiter verfolgen, wie aus diesen Bindegewebsmassen
der Wand Fasern zu jenen der Falten hinüber sich erstrecken.
Die innere zirkuläre Muskelschicht hält sich länger intakt,
wenngleich sie schon kurz nach dem 50. Jahre Abnahme in
Grösse und Masse zu zeigen beginnt. Auch hier tritt als all-
mählicher Ersatz das Bindegewebe. Bei Tuben 65 jähriger und
älterer Frauen zeigen sich in der Wand dichte Bindegewebsmassen,
die feinere Fasern nach allen Richtungen hin aussenden, welche
ein deutliches Netzwerk — besonders um die Gefässe herum —
bilden, und so die Komplexe, welche die externe Muskulatur und
diejenigen, welche in die Schleimhautfalten sich fortsetzen, ver-
binden. Dicht unter der Mucosa sammeln sie sich und bilden eine
dicke Bindegewebsschicht. In Tuben über 7O jähriger Trägerinnen
ist die äussere Muskelschicht oft völlig durch Bindegewebe ersetzt,
aber immer noch sind vereinzelte Muskelbündel, welche die
ursprüngliche zirkuläre Schicht besonders des interstitiellen Teiles
und des proximalen Isthmusabschnittes erkennen lassen.
Über das elastische Gewebe ist zu sagen, dass es
allmählich verschwindet. Wir stimmen mit Buchstabs Angaben
soweit überein, als er angibt, dass nur in der Serosa und gelegent-
lich in den äusseren Muskelschichten elastisches Gewebe vor-
handen ist.
230 S.. H. Geist:
In der inneren Muskelschicht fanden wir nie elastisches
(Gewebe, ausser in und um die Gefässe, wo es breite, meist
komplette Ringe bildet. In den äusseren Schichten finden sich
gelegentlich zwischen dem 50. und 60. Jahre feine, kurze Fibrillen,
die weit auseinander gelagert zwischen den Muskelbündeln oder
den Bindegewebssträngen zutage treten. Sie sind aber nicht ver-
flochten, verzweigt oder überhaupt zusammenhängend, sondern
nur vereinzelte Fasern.
Die Serosa war gewöhnlich etwas verdickt, grösstenteils
infolge der Bindegewebszunahme, welches hier von seinen grossen
Zügen feine Fasern nach den verschiedensten Richtungen hin wie
ein Netz aussendet. Dies Netzwerk war weitmaschiger als das-
jenige der Falten oder der Wand. Hier fand sich das elastische
Gewebe in kurzen, feinen Fasern, gelegentlich verzweigt und
einander berührend, so dass ein mehr oder weniger zusammen-
hängender Ring zustande kam, besonders unterhalb des Peritoneums.
Dieser Gewebsring wurde hier und da von Bindegewebszügen
unterbrochen und zeigte, je älter die Tube, eine um so stärkere
Abnahme. Auch in der Serosa lagerte sich das elastische Gewebe
mit Vorliebe um die Gefässe.
Zusammenfassung der Ergebnisse.
Die Alterstube stellt ein dünnes, schlankes und glattes Rohr
dar. Die Involution betrifft makroskopisch besonders die Schleim-
haut, weniger die übrigen Wandschichten.
Die mikroskopische Untersuchung zeigt, dass in der Schleim-
haut zuerst die Seitenfalten der Hauptfalten zu schwinden beginnen.
Auch die Hauptfalten werden kürzer, plumper und kleiner, und
von den Seitenfalten ist schliesslich nichts mehr zu sehen.
Der Schwund kann im proximalen Abschnitte der Eileiter
so weit gehen, dass das Lumen nur mikroskopisch noch sichtbar
ist und einen einfachen Spalt darstellt. Schliesslich kann es sogar
zur völligen Öbliteration (Schridde) kommen.
Bei. der Involution finden wir auch eine mässige. Binde-
gewebsvermehrung in den Hauptfalten.
Die Muskulatur, besonders die äussere, zeigt starke Rück-
bildungserscheinungen. Hier findet eine auffällige Bindegewebs-
entwicklung statt, so dass die Wand relativ nicht in so hohem
Maße verdünnt wird wie die Schleimhaut.
>
—
Die senile Involution der Eileiter. 5
Das elastische Gewebe, das schon in den Tuben geschlechts-
reifer Frauen nur sehr spärlich vorhanden ist, schwindet völlig.
Die Gefässe weisen in den Tuben seniler Frauen, die geboren
haben, genau die Schwangerschaftsveränderungen auf wie die
(Grefässe im Uterus und Ovarium.
Besondere Veränderungen erleidet auch das Epithel. Die
Flimmer- und Sekretionszellen machen mehr und mehr einem
indifferenten Zelltypus Platz. Endlich kann ein ganz plattes
Epithel vorliegen, das einen Eindruck wie Endothel macht.
Eine Desquamation des Epithels, wie sie von verschiedenen
Autoren beschrieben worden ist, halten wir für Leichenerscheinung.
Wenn auch die Flimmerzellen, wie gesagt, meist durch
indifferente Zellen ersetzt werden, so kann man diese Elemente
doch vereinzelt bis zum 80. Lebensjahre feststellen.
Die erste Veränderung an den Flimmerzellen zeigt sich
darin, dass die Flimmern und dann auch die Basalstäbchen all-
mählich verschwinden.
Ausserdem finden sich als ein charakteristisches Zeichen der
Involution im Oberende der Flimmerzellen grössere und kleinere
Körnchen, über deren Natur sich allerdings nichts Bestimmtes
aussagen lässt.
S. H. Geist: Die senile Involution der Eileiter.
Literaturverzeichnis.
Ballantyne and Williams: British Med. Journ., No.1, 1891.
Grusdew: Zentralbl. f. Gynäk. 1897, No. 10.
Schnaper: Zentralbl. f. Gynäk. 1898, No. 44.
Hoermann: Arch. f. Gynäk., Bd. 84.
Buchstab: Zentralbl. f. Gynäk. 1897, No. 28.
Schenk und Austerlitz: Zeitschr. f. Heilk., Bd. 24, H. 6, 1903.
Schridde: Die eiterigen Entzündungen des Eileiters, 1910, Jena.
Ikeda: Anat. Anzeiger, Bd. 29, No. 1.
Ebner: Koellikers Handbuch der Gewebeiehre.
Aigner: Sitzber. d.k.k. Akad. in Wien, 3. Abt., 109. Bd. (1900), 8.1.
Sohma: Arch.f. Gynäk., Bd. 84, H. 2.
Erklärung der Abbildungen auf Tafel XII.
‘. Tube einer 60jährigen Frau, Körner im Flimmerepithel aufweisend.
Tube einer 72jährigen Frau; Körner in Zellen ohne Flimmern aber
mit basalen Stäbchen.
(Färbung mit Eisenalaun-Hämatoxylin.)
Die Intelligenzsphären des Molluskengehirns.
Ein Beitrag zur stufenweisen Entfaltung dieser bei den
Achordaten.
Von
B. Haller.
Hierzu Tafel XIV—XIX und 12 Textfiguren.
In den Zentralnervensystemen der Achordaten finden sich
zwei Typen vor: Nervensysteme von primär reflektorischem Typus ')
und solche, die eine darüber psychologisch weiter hinaufragende
Stufe darstellen. Primär reflektorische Nervensysteme sind die
der Coelenteraten und Echinodermen, während mit der Heraus-
bildung eines oberen Schlundganglions, des Urhirns, höhere Zu-
stände geschaffen wurden. Das Urhirn ist die Errungenschaft
niederer Helminthen. Von da aus vererbte es sich aber nicht
auf die Mollusken, da ein ähnlicher urhirnloser Zustand, wie
jener der Turbellarien ist, noch bei den niedersten unter ihnen,
den Placophoren, sich vorfindet: ein oberer Schlundring ohne
gangliöse Verdickung. Jenes Urhirn gelangt dann erst bei den
Zeugobranchiern zum ersten Male unter den Mollusken zur Ent-
faltung und somit völlig selbständig von den Wurmahnen. Das
Urhirn ist aber in beiden Abteilungen geweblich gleich und von
diesem Zustand aus erfolgte die weitere Differenzierung als.
Erfordernis schwierigerer Lebensbedingungen. Bei den Anneliden
gelangt das in dreierlei Weise zur Geltung. Erstens durch das
!) Mit der Bezeichnung „reflektorisch“ allein käme ich in einen gewissen
Gegensatz zu Jordan (27), was ich aber nicht beabsichtige. Unter primärem
Reflex verstehe ich den einfachsten Reflexvorgang, wie denn auch Jordan
(l. e. S. 116) dem „primären“ Reflex einen „spezialisierten“ entgegenstellt.
Letzterer setzt schon die Tätigkeit eines konzentrierten Ganglions, des
Cerebralganglions, voraus. Nur in Ermangelung dieses Einflusses spricht
dann Jordan von „‚reflexarmen Tieren“, deren Nervensystem ich primär
reflektorisch nenne. Immerhin möchte.er diese Benennung, die sicherlich
in seinem Sinne zu Missverständnissen Anlass geben wird, nur provisorisch
verwendet wissen. Das Auftreten des Urhirns würde dann einen spezialisierten
Reflex zur Folge haben, während die Gehirne mit Globuli, meine ich, eine
noch höhere psychologische Stufe bedeuten.
Archiv f. mikr. Anat. Bd.8S1. Abt.1. 16
234 | Baar
Anrücken vorderer Segmente des Bauchmarkes an das Urhirn
mit der Entfaltung von Gliedmaßen zu Mundteilen, zweitens
durch die höhere Ausbildung von Hirnzentren der Kopfsinnesorgane
und endlich durch die Ausbildung einer Intelligenzsphäre am
oralen Ende des Urhirns. Es erfolgte dies in höherer Weise
erst bei den Raubpolychaeten. Nicht alles von diesem Neuerwerb
vererbte sich indessen auf die Ahnen der Articulaten, weil eben
diese nicht unter den Raubpolychaeten zu suchen sind. Ein Teil
jenes Neuerwerbes ist älteren Datums und war schon jenen
Articulatenahnen eigen, von denen Peripatus abzuleiten ist. Es
ist die Intelligenzsphäre, das Globuluspaar, die Peripatus schon
besitzt. Von jenem Vorperipatusstadium ererbten sie die Crustaceen,
von Peripatus die Tracheaten mit Einschluss der Arachnoiden,
für deren Tracheatenabstammung ich kürzlich eingetreten bin
(19, 20). In allen Abteilungen der Arthropoden entfaltet sich
aber die geerbte Intelligenzsphäre, die Globuli oder pilzhut-
förmigen Körper, mit Übergängen endlich zu hoher Stufe.
Steht einmal aber die Sache so, so stellt sich von selbst die
Frage, wie denn die Weichtiere diesbezüglich sich verhalten, denn
dass anch bei diesen verschiedene Grade von Intelligenz oder
psychischen Werten sich vorfinden, konnte bei genauer Beobachtung
nicht entgehen. Dazu kam es, dass ich schon vor sieben Jahren
gelegentlich bei Oliva (17) am Gehirn einen dorsalen kleinzelligen
Kern fand, aus dem weder Nerven noch kommissurale Faser-
verbindungen, die als lange Bahnen gelten könnten, entspringen.
„Es wäre darum also wohl möglich“, sagte ich, „dass wir in dem
kleinzelligen frontalen Kern eine Intelligenzsphäre, ähnlich wie
bei höheren Würmern oder bei den Arthropoden im Globulus
(pilzhutförmigen Körpern), vor uns haben“ (l. c. S. 658). Wenn
auch nur ganz nebenbei, hat aber schon 1900 H. Smidt (42)
den vorderen Abschnitt des Gehirns von Helix als Analogon
der Globuli oder pilzhutförmigen Körper der Anneliden und Arthro-
poden angesprochen.
Ich hatte somit allen Grund dazu, die einmal aufgeworfene
Frage zu verfolgen und auf Erfolg zu hoffen, wenngleich die
Literatur dazu auch wenig Anlass gibt. Hat sich so eine Voraus-
setzung des Vorhandenseins von Globuli bei den Mollusken bestätigt,
so hat der hohe Entfaltungsgrad dieser bei Pulmonaten immerhin
doch einigermassen überrascht.
Die Intelligenzsphären des Molluskengehirns. 235
Da mir für diese wieder frisches Material zu erwerben leicht
war, so konnte daran mit den neuen technischen Mitteln heran-
getreten werden, so mit Methylenblaufärbung von Schnitten, die mit
Formalin gehärtet waren, mit der Lebendfärbung mit diesem
technischen Mittel und mit der Golgischwärzung, und so ein-
sehender die Sache verfolgt werden, als bei den anderen hier be-
arbeiteten Weichtieren. Darum stelle ich die Behandlung der
Pulmonaten an die Spitze dieser Schrift, obgleich der richtigere Weg
sicher nach der phyletischen Richtung hin gewesen wäre. An diese
(rasteropoden reihe ich dann die anderen Gasteropoden und die
Öephalopoden. Von Murex brandaris, Eledone und Sepia stand
mir frisch in Formalin gehärtetes Material zur Verfügung, an dem
ich auch mit der Golgischen Methode arbeiten konnte. Bei
allen anderen wurde an alten Schnittserien beobachtet, also nicht
etwa an altem Alkoholmaterial, das angegriffen gewesen wäre.
Sonst gute Karminschnittserien lassen sich gut mit Methylenblau
nachfärben, wobei wegen der leichten Überfärbung nur ganz
kurze Zeit (1—3 Minuten) gefärbt werden darf.
A. Pulmonaten.
Von diesen gelangten zur Untersuchung: Helix pomatia,
Arion empiricorum und Limax cinereo-niger.
Obgleich das Zentralnervensystem der Pulmonaten sonst genau
durchgearbeitet ist, bezieht sich eigentlich nur Böhmigs Arbeit
von 1883 (2) auf den inneren Bau desselben, denn einfache
Zellenstudien ohne genauere Berücksichtigung der Topographie .
haben doch nur einen relativen Wert.
Nach Böhmig liegt das Supraösophagealganglion, das ich
nun als Gehirn bezeichnen will, bei Helix in einer mächtigen
Bindegewebshülle, die äusserlich die Gestalt seiner beiden seitlichen
(rehirnhälften verdeckt. Diese werden durch eine kurze und
breite Kommissur zusammengehalten. Am ehesten lässt sich die
Form jeder Gehirnhälfte mit einer Scheibe von verzerrter Form
vergleichen, „welcher nach vorne ein Ellipsoid und seitlich am
Beginn der Querkommissur ein nierenförmiges Gebilde angesetzt
sind“. Immerhin ist die Grösse und Form der Gehirnhälften
einigen Schwankungen selbst bei gleich grossen Tieren ausgesetzt.
In jeder Gehirnhälfte lassen sich drei Abteilungen unterscheiden,
und zwar eine erste, zweite und dritte. Die erste Abteilung be-
16*
236 B. Haller:
sitzt „einen zentralen Ballen von Punktsubstanz, der an seiner
Peripherie von einer Ganglienzellschicht bekleidet ist. Dieser
Zellenbelag variiert aber an Mächtigkeit, Form und Grösse der
‘ Zellen ausserordentlich.“ In der hinteren Region ist die Zell-
schicht am mächtigsten und nehmen die Zellen an Grösse von
aussen nach innen ab, was ein allgemeines Verhalten ist. Aber
von dieser Region an ist der Zellbelag insofern anders, als er
meist nur aus kleinen bi- und multipolaren Ganglienzellen zu-
sammengesetzt ist, unter denen sich nur selten eine grössere Zelle
vorfindet. Nach vorne und seitwärts zu nehmen diese Zellen an Grösse
ab und nur ganz vorne werden sie wieder grösser. Auch an der
unteren Seite der ersten Abteilung des Gehirns sind kleinere Zellen
vorhanden und obgleich noch zahlreicher als die grösseren, so sind
diese doch reichlicher vorhanden als an den bisherigen Stellen.
Aus dem Punktsubstanzballen sammeln sich Nervenwurzeln.
Die zweite Abteilung ist der medianen Hälfte des vorderen
(sanglienrandes angefügt, von ellipsoider Form mit kreisrundem
(Querschnitt. In ihrer Bildung weicht diese Abteilung von den
beiden anderen ab, denn „während bei diesen eine den ganzen
Punktsubstanzballen umhüllende Rindenschicht von Zellen vor-
handen ist, liegt dort das Zellager neben dem Punktsubstanz-
ballen, und zwar auf der äusseren Seite desselben“. Dieses
Zellager hat somit sichelförmige Gestalt, wobei aber noch eine
dünne Lage von Ganglienzellen, allerdings nicht immer, auch auf
der ventralen Seite der zweiten Hirnabteilung sich vorfinden kann.
Nie ist eine solche auf der dorsalen Seite vorhanden. Die
Zellen der Sichel sind klein und den Kern umschliesst nur ein
geringer Plasmaleib. Aus dieser zweiten Hirnabteilung lässt
Böhmig den Nervus ommatophorus entstehen. Lacaze-
Duthiers (28), und vorher schon Walter (46), der diese Gebilde
Lobules superieures nennt, haben keine Nerven aus ihnen entstehen
sehen, worauf auch die beiden Sarasin (39) bestehen. Die
dritte Abteilung der jederseitigen Hirnhälfte ist die kleinste und
medianwärts gelegene, sie ist den beiden anderen insofern nicht
gleichwertig, „als sie nur von einem Ganglienzellager ohne Punkt-
substanzballen gebildet wird“. Diese Abteilung bilden sehr grosse
Zellen und sie soll keinem Nerven zum Ursprung dienen.
Aus dem Gehirn treten folgende Nerven und Kommissuren
ab. Vorne aus der zweiten Abteilung, als deren verjüngtes
Die Intelligenzsphären des Molluskengehirns. 2241
vorderes Ende, der starke Nervus ommatophorus, von ihm aus-
wärts ein zarter Nerv. Median von dem ÖOmmatophorus der
N. labialis internus und noch zwei andere Nerven. Aus der
ersten Hirnabteilung der N. labialis externus, der N. facialis und
die Buccalkommissur, ferner die Pedal- und Visceralkommissur
(Komm. der Kommissuralganglien), sowie die beide Hirnhälften
verbindende Üerebralkommissur.
Nabias untersuchte speziell das Zentralnervensystem von
Limnaea stagnalis und teilt deren Cerebralganglion jederseits
ein in ein Protocerebron (III. Abschnitt Böhmigs), ein Deuto-
cerebron, einen Noyaux accessoire und eine Eminence sensorielle
esrebrale, welch letztere Lacaze-Duthiers Lobule superieure ist.
Abgesehen davon, dass die obigen zwei Benennungen an
Arthropoden vergeben sind, wo Angliederungen von hinteren
Segmenten einsetzen, wäre auch zu prüfen, wie sich diese Ab-
schnitte der Basommatophoren zu jenen der Stylommatophoren
verhalten, bevor ein endgültiges Urteil hier gefällt werden kann.
Was nun meine eigenen Beobachtungen betrifft, so möchte
ich zuerst die äussere Form des Gehirns erörtern.
Wenn wir schon die drei Gehirnabteilungen nach Böhmigs
Weise mit Zahlen versehen beschreiben wollten, so müssten wir
mit eins doch die vordere und mit drei die hinterste Abteilung
bezeichnen, allein ich glaube, es ist geeigneter, die Abteilungen
nach ihrer Lage zu benennen. Damit würde dann Böhmigs
II. Abteilung zur vorderen, die III. zur mittleren und die
Bszur binteren:
Die vordere Abteilung, Lacaze-Duthiers Lobule
superieure bei den Basommatophoren (Textfig. 1, gl), verjüngt
sich nach vorne zu allmählich und geht dann dort in den Nervus
ommatophorus (2) über, wie dies Böhmig geschildert hat.
Darnach können wir ihre Form als konisch bezeichnen mit an
die hintere Abteilung (sg) angewachsener Basis. Ihr Querschnitt
ist kugelrund, wobei ihre laterale Seite bei manchen Individuen
etwas aufgebuchtet sein kann, doch allerdings nur kaum merklich.
Und dies kann auf demselben Präparat der Fall sein, wie eben
in dem abgebildeten auf der linken Seite.
Gleich neben dem zweiten Nerven — ich will einstweilen
die Nerven mit Zahlen benennen — befindet sich ein sehr feiner
Nerv. den Böhmig nicht nennt. Medianwärts legt er (1) sich
338 B. Haller:
dem zweiten Nerven allerdings sehr fest an, weshalb er übersehen
werden kann. Die zwei nächstfolgenden Nerven drei und vier
(3, 4) gehen entweder noch vom Stamm des zweiten Nerven
ab (A), oder der vierte rückt etwas tiefer nach hinten und tritt
Fig. 1.
Gehirn von Helix pomatia, A von oben, B von unten. Die Intelligenz-
sphäre (Globulus) schwarz, das Gebiet der grossen motorischen Zellen
punktiert. gl = vorderer, sg — hinterer (sensorischer), i — mittlerer (moto-
rischer) Abschnitt; 1—8 = Kopfnerven; cp = Commissura pedalis; ev —
Commissura visceralis; ce — Kommissur der vorderen Eingeweideganglien
(Buecalganglien) ; ac — Nerv. acusticus; cc = Commissura cerebralis.
dann von der unteren Seite des vorderen Abschnittes (B) ab.
Der nächstfolgende, fünfte (5, 6) Nerv ist stärker als die beiden
anderen sind und verlässt hinter dem vierten aus der ventralen
Seite des Abschnittes in gleicher Reihe mit jenem das Gehirn,
Die Intelligenzsphären des Molluskengehirns. 239
um bald darauf sich zu gabeln. Da diese Teiläste öfter selb-
ständig das Gehirn verlassen, so haben wir es in dem Falle nur
mit der festen Aneinanderlagerung des fünften und sechsten
Nerven zu tun.
Aus dem vorderen Abschnitt tritt weiter kein Nerv ab,
denn der siebente Nerv (7) gehört schon dem hinteren Ab-
schnitt (sg) des Gehirns, Böhmigs erstem Abschnitt, an. Der
Nerv tritt an der ventralen Gehirnseite (B) von einer kleinen
kugeligen Erhabenheit ab und zwar genauestens an der Grenze
zwischen dem Vorder- und Hinterabschnitt. Der Hinterabschnitt
ist breiter als der Vorderabschnitt und setzt sich nach innen zu
in den mittleren Abschnitt fort (i), indessen aus seiner hinteren
Seite zu äussert und oberst die Commissura visceralis (cv) zu
innerst und unterst die Commissura pedalis (cp) und zwischen
beiden der Nervus acusticus nach hinten zu abgehen.
Ausser dem siebenten Nerven geht noch ein Büschel von
drei Nerven vom hinteren Hirnabschnitt ab, den ich als achten
Nerven bezeichne (8), doch tritt dieser im Gegensatz zu allen
anderen Hirnnerven nicht von der ventralen, sondern von der
dorsalen Seite des Gehirns ab, allerdings in gleicher Höhe mit
den ventral abtretenden Nerven.
Damit sind die aus dem Gehirn abgehenden Nerven und
Kommissuren erschöpft. denn die Kommissur zu den vorderen
Eingeweide- oder den Buccalganglien entspringt aus der Visceral-
kommissur (e. veig) und zieht dann auf der ventralen Seite des
Gehirns nach vorne, um sich dem N. ommatophorus anzulagern, ,
was wohl seit Lacaze-Duthiers zu der Annahme Veranlassung
gab, sie trete vom Üerebralganglion ab, obgleich bei anderen
Gasteropoden der richtige Sachverhalt von mir schon mehrmals
betont worden war.
Es verbindet der mittlere Gehirmabschnitt die beiden seit-
lichen Teile des Gehirns untereinander, folglich fasst er auch die
Cerebralkommissur in sich, die hinten gelegen (cc) von Ganglien-
zellrinde fast völlig verdeckt wird. Dieser Gehirnabschnitt, der dritte
Böhmigs, gibt, wie dies mein Vorgänger schon feststellte, keine
Nerven aus sich äusserlich ab, obgleich er der wichtigste Hort
ist, wie ich hinzufügen möchte, für die motorischen Fasern der
Hirnnerven. Kennzeichnend an ihm sind zwei kegelförmige Vor-
sprünge (i), die an der medianen Seite fest aneinander stossen.
240 B. Haller:
Betrachten wir neben diesem stark konzentrierten Gehirn
von Helix, bei dem äusserlich infolge davon die Cerebral-
kommissur verschwindet, jenes von Arion empiricorum (Text-
figur 2, C), so fällt uns vor allem der Umstand auf, dass die
Fig. 2.
Gehirn von Arion empiricorum. A und B von oben und nur die rechte
Hälfte von zwei verschiedenen Tieren. Ü von unten. Intelligenzsphäre
schwarz. gl —= vorderer, i == mittlerer, sg — hinterer Abschnitt; 1—8 —
Kopfnerven; cp — Commissura pedalis; ev = Commissura visceralis; ac —
Acusticus; ec —= Commissura cerebralis.
Uerebralkommissur (cc) noch sehr ansehnlich ist, wodurch die
beiden Hirnhälften weiter auseinander liegen als bei Helix. Es
gibt zwar diesbezüglich individuelle Schwankungen bei Arion
und kann die Kommissur auch auffallend kurz sein (A), doch nie
so kurz, dass sie äusserlich nicht erkennbar wäre, und stets bleibt
sie unbedeckt von der Ganglienzellrinde.
Die Intelligenzsphären des Molluskengehirns. 241
Infolge der geringeren Konzentration ist am mittleren Ab-
schnitt (i) die vordere zapfenförmige Erhabenheit nicht vorhanden
oder bloss angedeutet, denn ihre innere Grenze der Kommissur
zu bezeichnet genau die Stelle, bis wohin die Ganglienzellrinde
des mittleren Gehirnabschnittes reicht, und nur im Falle einer
kurzen Cerebralkommissur, also einer grösseren Konzentration
(A), wölben sich diese Stellen, wenn auch nicht so stark, so doch
ähnlich vor wie bei Helix.
Der erste Abschnitt des Gehirns hat sich in einer Weise
verändert, dass die primären Zustände von Helix nicht ohne
weiteres daran erkannt werden können. Vor allem ist es die
ganze obere Seite, welche infolge einer hypertrophischen Zell-
rindenvermehrung hühnereiförmig vorspringt (A, B, gl), wobei sie
mit der unteren und hinteren Seite nur an den hinteren, be-
ziehentlich mittleren Hirnabschnitt befestigt ist. : Dieser ovale
Vorsprung kann mit der Längsachse bei konzentrierteren Gehirnen
nach vorne und aussen (A) oder bloss nach oralwärts gerichtet
sein (B). Erst unter diesem Lappen lagert jetzt jener Teil des
vorderen Abschnittes, aus dem die Kopfnerven abgehen. Mit ihm
ist der ovale Lappen seiner ganzen Länge nach verwachsen. Es
treten dann die Nerven der Reihenfolge nach so ab wie bei Helix.
Zu innerst vom N. ommatophorus (2) der zarte erste Nerv (1).
Der N. ommatophorus anfangs noch konisch, lässt an seiner
äusseren Seite den dritten (3) und vierten (4) Nerven abtreten,
indessen der fünfte (5) und sechste (6) stets als selbständige
Nerven den vorderen Abschnitt an der ventralen Seite verlassen.
Der siebente Nerv (7) nimmt mit seinem etwas hügelartig vor-
springenden Beginn so eine Lage ein, dass dadurch dorsal-
wärts die Grenze zwischen dem vorderen und hinteren Gehirn
abschnitt verstreicht. Es lässt sich hier kaum eine Grenze ziehen.
Der siebente Nerv ist oben mehr nach seitwärts zu gerückt.
Auch ventralwärts ist gerade darum die Grenze nicht mehr ge-
geben (ce).
Das achte Nervenpaar (S) geht von einem kleinen Hügel
und zwar von der dorsalen Hirnseite ab, doch erscheint es gleich-
zeitig auch etwas nach vorne verschoben. Um so besser erscheint
der hintere Hirmabschnitt, aus dem ja auch hier nach hinten
die Visceral- und Pedalkommissur (cv, ep) und der Acusticus (ac)
abgehen, dem mittleren Abschnitt gegenüber durch eine allerdings
242 B. Haller:
geringe Einkerbung begrenzt. Der mittlere Abschnitt ist infolge
der Länge der Cerebralkommissur (cc) paarig.
Das Gehirn von Limax ceinereo-niger (Textfig. 3) lässt
sich wohl aus jenem von Arion empiricorum konstruieren, doch zeigt
es demgegenüber doch solche Eigenarten, dass man das von so
nahestehenden Formen kaum vermutet hätte. Es wurde hier in
der Form eine grosse Veränderung vollzogen durch jenen bereits
bei Arion einsetzenden Prozess, welcher die Entfaltung jenes
Fig. 3.
Gehirn von Limax cinereo-niger. A von oben; B von unten. gl =
vorderer (Intelligenzsphäre, schwarz) ; i=mittlerer Abschnitt; ce= Commissura
cerebralis; 1-8 — Kopfnerven:; ac —= Acusticus; cp = Commissura pedalis ;
cv = Commissura visceralis; c. veig = Kommissur der vorderen Eingeweide-
ganglien. Die beiden Präparate stammten von zwei verschiedenen Tieren.
Bei A ist die dicke Umhüllung belassen, der das Befestigungsband v angehört.
Die Intelligenzsphären des Molluskengehirns. 245
ovalen dorsalen Lappens am vorderen Gehirnabschnitt verursachte.
Jener ovale Lappen hat bei Limax an Grösse zugenommen und
jenes Bestreben, bei manchen Individuen von Arion empiricorum
den ovalen Lappen aus seiner sagittalen Stellung (Textfig. 2, B)
in eine quere zu verschieben (A), hat bei Limax sein Ziel erreicht,
da der Lappen nun ganz quergestellt ist (Textfig. 3, gl). Dadurch
gewinnt aber das ganze Gehirn eine andere Formung, denn es
erscheint nun quergestellt und die nach oralwärts zu zugespitzte
Form der vorderen Seitenhälfte ist verschwunden. Es bildet der
N. ommatophorus jetzt nicht mehr das Ende eines Konus, sondern
die ganze Nervenreihe bis auf den siebenten und achten Nerven
steht in einer fast queren Linie angeordnet an der ventralen
Hirnseite (B, 1—6). Damit im Zusammenhang steht es, dass
der dritte und vierte Nerv (3, 4) nicht mehr vom Stamme des
zweiten (2) abgehen, sondern für sich einzeln das Gehirn ver-
lassen. Der Abgang des siebenten Nerven (7) bildet auch jetzt
die Grenzmarke ventralwärts am Gehirn zwischen dem nun
mächtigen vorderen Abschnitt und dem hinteren, allein dorsal-
. wärts gelangt die Begrenzung ebensowenig zum Ausdruck wie
bei Arion.
Die Verdiekungen am Abgang der Commissura visceralis
und pedalis sind besser markiert als bisher, und an der Visceral-
kommissur (ev) gelangt dahinter das früher äusserlich unkennbare
Pleuralganglion, aus dem die Kommissur zu den vorderen Ein-
geweideganglien abgeht (c. veig), gut zum Ausdruck.
Infolge der Querstreckung des Gehirns gelangen die beiden
vorderen, die Cerebralkommissur zwischen sich fassenden Enden
des mittleren Abschnittes (i) nicht einmal so weit zur Geltung
wie bei der anderen Egelschnecke, doch ist die Cerebralkommissur
(ce), wenngleich kurz äusserlich, doch erkenntlich, da sie keine
Ganglienzellrinde deckt.
Über den starken Querlappen am vorderen Hirnabschnitt (gl)
möchte ich noch bemerken, dass er zwar völlig rund begrenzt
sein kann (A), für gewöhnlich aber seitwärts etwas eingedrückt
ist (B).
Wie schon Böhmig für Helix mitgeteilt hat, ist die binde-
gewebige Hülle um das Gehirn herum sehr dick. Dies ist nicht
der Fall bei Limax und Arion, vielmehr ist hier diese Hülle, die
äussere Neurogliahülle, dünn. An der oralen Hirnseite gehen aus
244 B. Haller:
dieser Hülle vier (A, v) starke Aufhängebänder hervor, die das
Gehirn an die dorsale Kopfhaut befestigt halten.
Hier möchte ich noch an der Hand der Textfig. 4 das Ver-
halten der Kopfnerven kurz erörtern. Der erste und dritte Nerv
(1, 3), der letzte von unten, den Nervus ommatophorus kreuzend,
verlaufen miteinander parallel nach oben zur Kopfhaut zwischen
den beiden oberen Fühlern, den Augenträgern, um sich hier allem
Anscheine nach als reine Hautnerven zu verästeln. Der vierte
Nerv (4) zieht mit dem N. ommatophorus bis an die Basis des
Fig. 4.
Limax einereo-niger. Das Gehirn (g) sowie der gesamte Schlundring mit
der Buccalmasse (bm) nach Eröffnung der Kopfhaut von oben und Durchschneiden
des Ösophagus (oe), wobei die Buccalmasse nach vorne zu aufgehoben ward.
Bezeichnungen wie zuvor. veig — vordere, heig — hintere Eingeweide-
ganglien: pg — Pedalganglien.
Augenfühlers und verzweigt sich da ebenso wie der fünfte (5) Nerv,
doch dieser an der lateralen Nackengegend. Während nun diese
Nerven in die obere Kopfgegend gelangen, gelangen die nächsten
in mehr ventrale Bezirke des Kopfes. Der siebente (7) versieht
die untere laterale und die ventrale Halsseite und wohl auch den
Die Intelligenzsphären des Molluskengehirns. 245
unteren Fühler. Er ist ein motorischer Nerv und gibt rechts
auch den Penisast ab. Der achte (S) gelangt in die Lippen-
gegend, unter dem Nervus ommatophorus sowie den Retractoren
nach unten zu ziehend. Der sechste Nerv ist ein ausschliesslicher
Muskelnerv (6). indem er in die Buccalmuskulatur eindringt.
Dass die Kommissur an die vorderen Eingeweideganglien
nicht vom Cerebralganglion abgeht, habe ich bereits 1594 und
später für Docoglossen (14) gezeigt '), er schliesst sich aber solchen
an und täuscht somit dieses Verhalten tatsächlich vor. Doch
kann das auch anders sein, eben wie in dem abgebildeten Falle, wo
sie (c.veig). um die vorderen Eingeweideganglien (veig) zu erreichen,
bei Limax ventralwärts die Kopfnerven sogar kreuzen muss.
Nebenbei möchte ich noch bemerken, dass Böhmig die
Kopfnerven von Helix nicht nur unrichtig gedeutet, sondern auch
ihren Abgang vom Gehirn irrtümlich angibt, denn ausser dem
ersten Nerven geht keiner medianwärts ab.
Dass Böhmig von Pleuralganglien nichts erwähnt, liegt
. daran, dass solche äusserlich bei Helix nicht wahrnehmbar sind
und der Autor die Struktur flüchtig verfolgt hatte. Wie erwähnt.
verhält sich die Sache auch bei Arion ähnlich, und nur Limax
zeigt die Pleuralganglien auch äusserlich, den ursprünglichen Zu-
stand der opisthopneumonen Lungenschnecken dadurch erhaltend.
Dies zeigen aber auch Basommatophoren besser als die meisten
Stylommatophoren.
!) Noch früher, 1882 (10), habe ich berichtet, dass bei Rhipidoglossen,
speziell bei den Trochiden unter ihnen, die Kommissur zu den vorderen Ein-
geweideganglien, den Buccalganglien der Autoren, direkt aus dem pleuralen
Abschnitt des Zentralnervensystems entspringt, sich dann den beiden langen
Kommissuren am Kopfe anschliessend das Cerebralganglion erreicht und hier
selbständig, bei Fisurella und Haliotis jedoch nur dem Cerebralganglion sich
anschliessend, abgeht. Diese Befunde hätten, meint man doch, genügen sollen,
um die Angabe Lacaze-Duthiers, eine gewiss richtige Beobachtung,
wonach bei Pulmonaten vielfach die obige Kommissur vom Cerebralganglion
abgeht, entweder in diesem Sinne zu deuten oder doch die histologische
Prüfung davon vorzunehmen. Allein, das geschah nicht, und einige uner-
fahrene Autoren blieben bei der alten Auffassung. In vorliegender Schritt
wird ja dafür auch der histologische Nachweis erbracht, dass die Kommissur
zu den vorderen Eingeweideganglien aus dem den Cerebralganglien von hinten
sich anschliessenden Pleuralganglion entspringt. sogar bei den Cephalopoden.
246 B. Haller:
Den inneren Bau des Gehirns hat, wie schon erwähnt
wurde, nur Böhmig, und auch er im allgemeinen, verfolgt. Ich
will auch hier mit Helix beginnen, doch um in der weiteren Be-
schreibung nicht gestört zu werden, zuvor die Neurogliafrage bei
den Mollusken besprechen.
Der Neuroglia im Zentralnervensystem niederer Gastero-
poden, jener der Placophoren und Zeugobranchier, habe ich von
Anfang an eine geringe Beteiligung eingeräumt, indem ich ihr
Vorkommen nur in den Ganglienzellagen zugab, in der Mark-
masse aber ihr Vorhandensein bestritt. Diesen Standpunkt nehme
ich auch heute ein. Von da an aber — es verhält sich genauestens
wie bei niederen Anneliden im Gegenteil zu den höheren (12) —
gewinnt die Neuroglia an Verbreitung innerhalb des kon-
zentrierten Zentralnervensystems und überfüllt auch die Mark-
masse, gleichzeitig auch an dem Orte ihres ersten Auftretens
zunehmend. Anders innerhalb der peripheren Nerven, wo ihre
Beteiligung stets dieselbe intensive ist. H. Smidt, der eine
Abhandlung über die Neuroglia bei Helix schrieb (40), meint,
dass die grösseren Neurogliazellen der Helix wohl jenen ent-
sprechen könnten, die ich bei den Rhipidoglossen für zentrale
(ranglienzellen erklärt habe; er tut dies mit dem nötigen Vor-
behalt. Und er handelt richtig, denn diese multipolaren Zellen
sind Ganglienzellen, die zwar im konzentrierten Nervensystem der
höheren Gasteropoden immer seltener werden, doch selbst noch
bei Helix (Fig. 27) neben ausgesprochenen Neurogliazellen ab und zu
sich vorfinden. Er wagt es nicht zu entscheiden, ob diese zentralen
multipolaren Zellen neuroglial oder gangliös seien, da, die Richtig-
keit meiner Beobachtungen vorausgesetzt, wie er sagt, das Ver-
halten der Neuroglia bei den Rhipidoglossen so sehr abweicht von
dem, „was er bei Helix und anderen Pulmonaten gesehen hat,
dass bei jenen Mollusken ganz andere Verhältnisse wie bei den
Pulmonaten vorhanden sein müssen“. Und hierin liegt die Wahr-
heit. „Sicher scheint“ Smidt „die Umspannung der Ganglien-
zellen durch multipolare Zellen (Gliazellen, H.), die durch Über-
gangsformen mit den Nervengliazellen (im peripheren Nerven, H.)
verknüpft sind, und deren oft zu beobachtende fibrilläre Ver-
stärkung wieder an die Wirbeltierglia erinnert“. Sicher erscheint
es ihm ferner, „dass diese Zellen keine Fortsätze in die Ganglien-
zellen hineinsenden, wie man es nach Rohdes Untersuchungen
Die Intelligenzsphären des Molluskengehirns. 247
vermuten könnte. Allerdings umklammern sie die Ganglienzellen
so fest, dass sehr wohl bei Zupf- und Pinselpräparaten resp.
Schrumpfungen durch mangelhafte Fixierung Somatoplasmafasern
an ihnen hängen bleiben können. Eine wirkliche Kontinuität
lässt sich aber nieht nachweisen. Umspannt eine Gliazelle mehrere
Ganglienzellen, so kann sie bei mangelhafter färberischer Differen-
zierung leicht eine nervöse Verbindung derselben vortäuschen.“
Eine andere Angabe Smidts bezieht sich auf den vorderen Ab-
schnitt des Gehirns und lautet: „Bekanntlich trägt die Haupt-
masse des Oberschlundganglions von Helix nach vorne beiderseits
einen stumpfen Fortsatz, der dem hutpilzförmigen Hirnteil der
Arthropoden und Würmer entspricht (nach Smidt, H.). Die
laterale Hälfte besteht aus dichtgedrängten kleinen Ganglienzellen,
die ausser dem Kerne nur Spuren von Protoplasma zeigen, die
mediale Hälfte aus einem höchst feinen Neuropil, in das die
Tentakelnerven münden. Die Fibrillen derselben durchsetzen zum
Teil das Neuropil, um sich zu den hinteren Partien des Ober-
schlundganglions zu begeben, zum Teil dringen sie in das laterale
Zellager ein. Das Neuropil der Tentakelganglien zeigt eine ganz
gleiche Struktur, auch die kleinen es umgebenden Ganglienzellen
scheinen durchaus den eben erwähnten zu entsprechen.
In dieses Neuropil sind nun eigentümliche Kerne eingestreut.
Dieselben sind sehr chromatinreich, länglich, oft nur die Längs-
achse gebogen, wurstförmig, einzeln oder zu mehreren zusammen-
gedrängt.“ Sie lassen „zahlreiche schmale Fortsätze erkennen,
die entweder mit anderen gleichartigen Zellen verbunden, oder
in Fasern endigen, die mehr weniger weit im Neuropil verfolgt
werden können“. Ob diese Zellen nervöser oder gliöser Natur
sind, lässt Smidt unentschieden.
Dafür konnte Smidt mit Sicherheit vermittelst der Weigert-
Palschen Methode eigenartige Gliazellen im Pedal- und Visceral-
ganglion von Helix feststellen. Es sind multipolare Gebilde, die
einzelne grössere Ganglienzellen oder mehrere kleinere umgreifen
und deren oft blattförmige Fortsätze untereinander durch zarte
Fädchen verbunden sind. Er weist darauf hin, dass diese Zellen
bereits Retzius (37) gekannt hatte, der sie auch als die Ganglien-
zellen mit ihren Fortsätzen ausspinnende Elemente erkannt hatte.
Sind in diesen Beobachtungen auch wertvolle Funde zu
sehen, so hat den vollen und kontinuierlichen Zusammenhang der
248 B. Haller:
Neuroglia weder Retzius noch Smidt erkannt, und auch der
Zusammenhang mit dem „Neurilemm“ entging ihnen, warum dieses
als Neurogliascheide nicht gewürdigt wird. Die Neurogliazellen
sind für Smidt bindegewebige Stützzellen ohne allgemeinen
Zusammenhang.
Demgegenüber soll nach Veratti (45) eine Neuroglia
überhaupt fehlen.
Den Zusammenhang der Neuroglia hat A. Jakubski (22)
bei den Mollusken erkannt. Er sagt darüber: „Das Gliagewebe
stellt ein parenchymatöses Syneytium von der Gestalt eines Netz-
werkes dar, dessen Maschen von ungleicher Grösse, teils als
gröbere Balken, teils als membranöse Gebilde erscheinen. In
ihrem Inneren verlaufen spärlich vorhandene Fibrillen von ver-
schiedener Länge und Dicke, die entweder in lockeren Bündeln
oder einzeln geradlinig, sich schwach verästelnd, dahinlaufen. Auf
diese Weise tragen die Gliafasern zur Herstellung der Gliahüllen
rings um die Nervenelemente nur indirekt bei, die letztgenannten
Gliahüllen werden bloss vom plasmatischen Syneytium, das alle
Lücken zwischen Nervenelementen, Nervenfaserbündeln ausfüllt.
bewerkstelligt.
Im allgemeinen gilt für alle Molluskengruppen, dass im
Neuropil in den obersten Schichten das Gliagewebe am stärksten
entwickelt ist; je näher dem Zentrum des Ganglions, tritt die
Stärke seiner Ausbildung immer mehr zurück; das Maschenwerk
wird immer diffuser, unregelmässiger, seine einzelnen Balken
verlieren sich im Neuropil, ohne mit den anderen Balken des
Gerüstwerkes in die gegenseitige Verbindung zu treten. Ja es'gibt
sogar in den zentral gelegenen Partien des Neuropils ganze
Strecken, die von der gliösen Masse unberührt bleiben. Nur an
einer Stelle, nämlich im Neuropil der beiden seitlichen sensitiven
Anschwellungen des Cerebralganglions der (rasteropoden ( „Eminence
sensitive“ de Nabias) ist das Gliagewebe in seiner ganzen Aus-
dehnung bis in den Bereich der Nervenwurzeln, wie auch der
Nervenzellen bis auf jede Spur verschwunden.') In diesem Neuropil,
das von den Ausläufern der äusserst kleinen Nervenzellen gebildet
ist, kann man keine, geschweige die fibrilläre Struktur nachweisen.
!) Autor meint hier die Pulmonaten, bei denen aber, wie wir sehen
werden, in dem angegebenen Hirnteil die Verhältnisse der Neuroglia anders
sind und Jakubski sich geirrt hat.
Die Intelligenzsphären des Molluskengehirns. 249
Die ganze Masse erscheint homogen, es fehlen auch die Neuroglia-
kerne fast (! H.) vollkommen.“ „Im Gegenteil zur Glia des
Neuropils nehmen die Gliafasern der Seitennerven, wie auch der
Konnektive sehr regen Anteil am Bau der Gliascheiden, ringsum
einzelne Nervenfasern, oder, was in der Nähe der Ganglien häufiger
vorkommt, ringsum ganze Nervenfaserbündel. Auf diese Weise
wird in ihrem distalen Verlaufe jede Nervenfaser von einer
gliösen Membran und von den in ihr verborgen verlaufenden
Gliafasern umhüllt.“
Meiner Erfalrung nach verhält sich die Neuroglia der
Mollusken genauestens so, wie ich dies für Würmer (12), Hexa-
poden (15) und Arachnoiden (19) beschrieben habe und auch
für die Chordaten ähnliches behauptet habe. Die Neuroglia
beginnt nämlich mit der dünnen Neurogliahülle, die als ein
äusserst verdichtetes — kompakt gewordenes — Netzwerk auf-
zufassen ist. Von dieser Hülle aus treten feinste Fortsätze — auch
stärkere Balken — nach innen, innerhalb der Ganglienzellage mit
einem weiten Netzwerk zusammenbängend, dessen meiste Knoten-
punkte durch kleine Neurogliazellen mit chromatinreichem Zellkern
eingenommen werden. Es bildet dann dieses Netzwerk geradezu
ein Fachwerk für die Ganglienzellen, die demselben einlagern,
da sich ja dies Fachwerk nach allen Dimensionen erstreckt. Mit
der Ganglienzellschicht hört das Neuroglianetz nur bei den jüngeren
Formen der Mollusken, den Placophoren und Zeugobranchiern auf,
indessen setzt sie sich überall bei konzentrierten Nervensystemen
ohne Unterbrechung in die Markmasse fort, deren Grundgewebe
das zentrale Nervennetz ist. Dieses wird nach allen Seiten durch-
zogen durch das Neuroglianetz, das hier jetzt stellenweise Ver-
änderungen erfuhr, denn abgesehen von stärkeren balkenartigen
Fortsätzen, die von der Neurogliahülle kommend die Ganglien-
zellschicht durchsetzen — begleitet vielfach durch Blutgefässe
bei Cephalopoden, — sind es syneycierte Vereinigungen von drei bis
sechs Zellen oder grössere Neurogliazellen von der mannigfachsten
Form mit blätterförmig verbreiteten Fortsätzen, welche in vollem
Zusammenhang mit dem Neuroglianetz an geeigneter Stelle Stütz-
punkte bilden. Mit dem abtretenden Nerven geht die Neuroglia
als Nervenhülle auf dieselbe über und steht durch Fortsätze im
Nerven mit einem Fachwerke im Zusammenhang, das aus dem
Netze abzuleiten ist, doch jetzt die Nervenfasern umhüllend,
Archiv f.mikr. Anat. Bd.81i. Abt. I. 17
250 B. Haller:
durchbrochene Septen zwischen denselben bildet. Zellkerne fehlen
auch hier nicht.
Mich wunderte es, dass mehrere Autoren wegen der geringen
Färbbarkeit der Zellkerne in der Neuroglia sich beklagen, denn
durch Methylenblau färbten sich die kleinen ovalen Zellkerne
der Neuroglia ungemein tief, wodurch sie sich von den weniger
chromatinreichen Zellkernen der Ganglienzellen, mögen diese
kugelrunden (Gebilde noch so klein sein, sehr scharf abheben.
Fig. 20 zeigt auf einem Schnitte durch das Gehirn von Limax
die innere Neurogliahülle (ih) verbunden mit einer netzigen
äusseren (ah) — von der ich es aber unentschieden lasse, ob sie der
dicken äusseren Hülle von Helix entspricht, oder bei dieser auch
reines Bindegewebe mit Teil nimmt — wobei die ovalen, kleinen
Kerne der Netzzellen überall gleich tief gefärbt sind. Dabei
zeigt das Netz einen viel weniger tiefen Farbenton. Von der
inneren Neurogliahülle aus gehen feine Verbindungsfortsätze an
das neurogliale Netz in der Ganglienzellrinde (gz), dieses mit
jenem innig verbindend (Fig. 51, 52, 54). Entsprechend der
Grösse der Ganglienzellen ist das neurogliale Netz in der Ganglien-
zellrinde enger oder weiter und es umfasst dann dieses netzartige
Fachsystem die Ganglienzellen oft von allen Seiten derartig, dass
diese eine kernhaltige Hülle um sich haben, was besonders von
den grösseren Zellen gilt (Fig. 6, 20). Allein es können oft genug
kleinere Zellen, und dies gilt allgemein für die kleineren stern-
förmigen Zellen, dieser Umhüllung auch ermangeln, wie dies aus
den zwei Abbildungen zu ersehen ist. Es legt sich dann die
Neuroglia fest an die Ganglienzellen und es werden die inter-
zellularen Räume oft von dieser geradezu austapeziert (Fig. 20,
s, s’). Dabei möchte ich bemerken, dass die Neurogliafäden nicht
überall gleich breit sind. Manchmal dicker (Fig. 20) können, sie
anderorts dünner sein (Fig. 6) und erscheinen dann tiefer gefärbt.
Ob letzteres etwa auf eine Schrumpfung zurückzuführen ist,
vermag ich indessen nicht zu entscheiden. Jedenfalls färbt sich
die Neuroglia dort, wo sie als dickes Balkenwerk erscheint, wie
zwischen zwei gleichen Ganglien an ihrer medianen Berührung,
wo die innere Neuroglia ein dickes, weitmaschiges Netz bildet,
stellenweise (Fig. 38, ih) tief blau, etwas violett (s. a. Fig. 54);
doch verliert, wie gesagt, dann öfters diese tiefe Färbung das
Netz zwischen den Ganglienzellen.
Die Intelligenzsphären des Molluskengehirns. Dat
Von diesem Verhalten des Neuroglianetzes in der Ganglien-
zellschicht der Gasteropoden weicht jenes bei Gephalopoden insofern
ab, als dort die Neuroglia (Fig. 54) viel feiner ist und die Zellen
im Netze stecken. Es liegen dann die Zellen nie in kernreichen
Hüllen, sondern vielmehr in einer feinnetzigen Masse.
Mögen die Neurogliazellen den Ganglienzellen noch so fest
anliegen, so kann man sie sowohl als die Netzfäden mit den
angewandten Reagentien vom rein nervösen Gewebe unterscheiden,
besonders wenn die Neuroglia einen tieferen Farbenton annimmt
(Fig. 6). Es ist dann bei genauem Zusehen kaum möglich, die
Neuroglia mit Nervenverbindungen zu verwechseln, zumal da
die Verbindungen der Ganglienzellen untereinander, wenn keine
wesentliche Schrumpfung vorliegt selbstverständlich, stets breiter
sind als die Neurogliafäden. Dazu kommt noch die tiefere
Färbung der Neuroglia. Man sieht dann oft Neurogliafäden
dünnere (Granglienzell-Verbindungen kreuzen, wann der Unterschied
auch auffälliger ist. Dass aber auch Vortäuschungen von Ganglien-
zell-Anastomosen durch Neurogliafäden einmal vorkommen können,
wie Smidt meint, will ich schon zugeben. Hier heisst es eben
Vorsicht und Übung in dem Beschauen nervöser Gewebe.
Dringt die Neuroglia in die Ganglienzellrinde mit sehr
kleinen Ganglienzellen (Fig. 13, 51), so ist an und für sich eine
Umhüllung letzterer durch Neurogliazellen ausgeschlossen. Dann
liegen die beiden Netze, das Neuroglianetz und das Ganglien-
zellnetz, ineinandergeflochten beisammen (Fig. 51), doch selbst
für den Fall, dass die beiderlei Zellarten gleich gross sind
(Fig. 15), wird man sie untereinander nicht verwechseln können,
wenn man beachtet, dass die Neurogliazellen stets schmale,
oblonge, äusserst chromatinreiche Zellkerne besitzen, an denen
man nur bei sehr starker Vergrösserung eine Kernstruktur er-
kennen kann, indessen die Ganglienzellen kugelrunde Kerne auf-
weisen, denen selbst in Fällen, falls ein deutliches Kernkörperchen
fehlen sollte, das netzförmig oder wabig angeordnete Chromatin
sehr bezeichnend ist. Diesbezüglich verweise ich wohl am besten
auf die Fig. 13.
Dort, wo die Neuroglia aus der Ganglienzellrinde in die
Markmasse eindringt, stellen sich ungemein viel schwierigere
Zustände dem Beschauer entgegen. Die Feinheit des zentralen
Nervennetzes einerseits, sowie jene des Glianetzes und des letzteren
1176
252 B. Haller:
weniger tiefe Färbbarkeit andererseits erschweren die Beobachtung.
Allein, das zentrale Nervennetz ist stets feiner als das neurogliale
Netz, besonders wo letzteres noch weitere Maschen bildet. Denn
an solchen Stellen (Fig. 13) hebt sich das zentrale Nervennetz
infolge seines eigenartigen Glanzes (en) von der Neuroglia (nz') ab.
Obgleich viele Neurogliazellen ihre frühere Grösse in der
Markmasse beibehalten, so ‘finden sich neben kleineren Zellen oft
auch grössere (Fig. 27), doch können auch diese (nz) infolge der
angegebenen Charaktere nie mit kleinen zentralen Ganglienzellen
verwechselt werden.
Diese grösseren Gliazellen haben oft die wunderlichste Form,
wie dies meine Vorgänger schon dargestellt haben.
Grössere Neurogliafortsätze von der inneren Gliahülle aus
(Fig. 54) treten bei den Öephalopoden vielfach in Begleitung von
Blutgefässen tief in die Markmasse ein und können sich dort mit
anderen verbinden, auf diese Weise besseren Halt für das Nerven-
gewebe gewährend. Auch kommt es stellenweise zu Verdichtungen
der Neuroglia in der Markmasse selbst. So sehe ich dies, aber
nicht überall, unter der Rinde der Globuli (Fig. 13), wo diese
Grenzschicht (nz) mit der interzellulären Neuroglia (nz) sowohl
als mit jener im Marke (nz‘) zusammenhängt. Ferner ist eine
solche Verdichtung zwischen dem vorderen (Fig. 24, gr) und dem
hinteren Abschnitt (ce) des Gehirns der Pulmonaten vorhanden.
Wo die Nerven von den Ganglien abtreten, setzt sich ja die
innere Neurogliahülle als Nervenscheide auf den Nerven fort.
Die Neurogliahülle ist damit aber trotzdem nicht in continuo
unterbrochen, sondern erscheint als siebförmige Platte zwischen
dem Ganglion und den Nerven. Durch die vielen Öffnungen des
Siebes treten die Nervenfasern aus, und vom Siebe treten Fort-
sätze breitester Form zwischen die Fasern. Diese Fortsätze ver-
einigen sich aber auf dem Querschnitte des Nerven zu einem wie ein
Scheidenetz aussehendem Ganzen, welches mit der Neurogliahülle
zusammenhängt. Diese Scheiden der Nervenfasern sind zwar viel-
fach durchlöchert, doch als solche wenigstens bei Cephalopoden
auf Längsschnitten von Nerven erkennbar.
Damit schliesse ich meine;Beobachtungen über die allseitig
seschlossene Neuroglia der Weichtiere und wende mich dem
inneren Bau des Gehirns der Pulmonaten zu.
Die Intelligenzsphären des Molluskengehirns. 298
Ein Frontalschnitt durch das Gehirn von Helix (Fig. 1)
belehrt, dass der mediane Hirnabschnitt (i) aus sehr grossen,
untereinander ziemlich gleich grossen (Fig. 3, i) Ganglienzellen
gebildet wird und, dass wir es in diesem Abschnitt mit einem
motorischen Gebiet ersten Ranges zu tun haben. Seine
Ganglienzellen, fest beisammen liegend, haben alle jene birn-
förmige Gestalt, wie diese Form für die Pulmonaten seinerzeit in
den schönen Werken Buchholz’ (3) und Solbrigs (41) so
genau geschildert wurde. Mit einem schönen grossen Kern und
ein oder zwei mächtigen Fortsätzen an ihren verjüngten, nach
innen zu gekehrten Enden.')
Es werden die beiden medianen Zapfen vollständig ausgefüllt
von den grossen Ganglienzellen, und erst hinter ihnen an der
Cerebralkommissur (ce) lassen die Ganglien den medianen Teil
des Abschnittes für die Kommissur frei, indem sie von oben wie
von unten diese mit einer Rinde zudecken. Dabei ist dorsalwärts
das Verhalten nicht gleich dem ventralwärts. Am ersteren Orte
(Textfig. 1, A, punktiert) bilden die Zellen eine vollständig ge-
schlossene Rinde über den ganzen mittleren Abschnitt des Gehirns,
so die Cerebralkommissur völlig verdeckend. Anders ventralwärts,
denn hier weicht diese Zellage medianwärts auseinander, so zwei
laterale Schenkel bildend (B, punktiert), und es bleibt somit
medianwärts die Cerebralkommissur (ce) von Ganglienzellen etwas
unbedeckt. In der hinteren Seite des medianen Hirnabschnittes
geht also dieser grosszellige Rindenbelag der dorsalen Seite in
den der ventralen nicht über (Fig. 1).
Die hintere Seite des medianen Abschnittes, dort wo dieser
in den lateralen Abschnitt übergeht, wird begrenzt durch eine
Einkerbung und wird hier der mediane Abschnitt jederseits durch
eine Mittelfurche in einen inneren (Fig. 3, a) und einen äusseren
Lappen (b) abgeteilt. Es setzt sich der grosszellige Rindenbelag auf
die beiden Lappen fort und hört mit ihnen auf. Es hat sich
der Charakter der Rinde hier wesentlich geändert, denn neben
!) Diese Beobachtungen sind dann in neuerer Zeit bestätigt worden
u.a. durch Veratti (45), der mit richtiger Einsicht auch ein perizelluläres
Nervennetz erkannte, welches in dem bindegewebigen — nicht neuroglialen
nach Veratti — Hüllgewebe liegt. Auch die Multipolarität von Ganglien-
zellen, die schon W alter (46) richtig gesehen, wird für Ganglienzellen
des zentralen Nervensystems von Limax durch Veratti bestätigt.
254 B. Era liller:
grossen Ganglienzellen finden sich bezüglich der Grösse alle Über-
gänge bis zu kleinen (nicht kleinsten) multipolaren Ganglienzellen
(Fig. 5, 6), doch wird die Grenze eben durch diese Anordnung den
der anstossenden Ganglienzellrinden gegenüber behalten. An der
hinteren Hirnseite zeigt sich dies auch (Fig. 1, a, b).
Ich will diese motorische Rinde nicht verlassen, bevor ich
ihre äussere Textur erörtert habe.
Mögen die grossen Zellen noch so sehr den Eindruck der
Monopolarität infolge ihrer starken Fortsätze machen, so ist diese
Annahme doch durch die blosse Isolationstechnik Buchholz’
und Solbigs entstanden, bei welcher Methode kleine zarte
Fortsätze zumeist alle abreissen. Diese Zellen sind im Gegenteil
multipolar (Fig. 7) und besitzen ausser ihrem grossen Fortsatz
noch zahlreich kleinere an ihrem übrigen Zellkörper. Oft sind
diese zahlreich, ein andermal seltener (Fig. 25) und gehen dann die
Nebenfortsätze zu Beginn des Hauptfortsatzes ab. In letzterem
Falle handelt es sich zumeist um Randzellen an der Grenze nach
der Markmasse zu. Es lösen sich solche Fortsätze in dieser Masse
auf, indessen die anderen am Zelleib ein perizelluläres Netz zu-
stande bringen, durch dessen Vermittlung die grossen Zellen,
untereinander zusammenhängend, eine einheitliche Aktion ermög-
lichen. Aber es können auch direkte Anastomosen ganz kurzer
Fortsätze unter den grossen Zellen (Fig. 20) den Zusammenhang
vermitteln.
An dem lateralen Teil dieser Rinde, dort wo die grossen
Zellen mit kleinen untermischt sind, besteht mit diesen ein
innigster Zusammenhang und zwar ebenso genau (Fig. 6), wie
ich dies vor nunmehr 27 Jahren für die pedale Ganglienzellrinde
der Zeugobranchier geschildert habe (11). Ich habe freilich damals
nicht geahnt, dass ich diese innige Verbindung in der Ganglien-
zellrinde der Pulmonaten wiederfinden werde und dachte später,
dass der Zusammenhang mehr auf das zentrale Netz hier über-
tragen wurde. Dem ist aber nicht so.
Es hängen die grossen Zellen entweder mit einem Neben-
fortsatz des Hauptfortsatzes oder auch mit anderen kleineren Zellen
auf die mannigfachste Weise untereinander zusammen und da diese
untereinander wieder sich verbinden, so besteht der innigste Zell-
verband (Fig. 6, 20). Die Verbindungsbrücken können manchmal
sehr breit sein oder sich teilend, die Zelle mit zwei anderen in
Die Intelligenzsphären des Molluskengehirns. 255
Verbindung setzen. Dabei kann das soweit gehen, dass diese
immerhin noch breiten Fortsätze ein Netz von Interzellularbrücken
darstellen (Fig. 6, n). Zumeist sind diese Verbindungen dicker
als die Fäden des dieses nervöse (sewebe durchsetzenden neuro-
glialen Netzes und jene Fäden lagern solchen Verbindungen
nur zu oft an, einseitig oder von beiden Seiten die nervösen
Anastomosen umsäumend. Dies kann aber auch fehlen, und zeigt
sich dann die nervöse Verbindung um so deutlicher.
Aus den dem Marke angrenzenden Randgebieten geht ein
Teil der Fortsätze der kleinen Zellen auch in das zentrale Nerven-
netz über (Fig. 20), aber es kann auch eine dieser kleinen
Zellen einen Nervenfortsatz längeren Verlaufes abgeben (Fig. 9, f).
Regel ist es, dass, wo grosse Zellen mit kleinen untermischt vor-
kommen, und sei es auch wo immer im Zentralnervensystem,
letztere stets von jenen mehr weniger nach innen zu gelegen sind
(Fig. 20). Also ein Verhalten, das ich für die Rhipidoglossen
schon längst festgestellt habe (11).
Bezüglich der Hauptfortsätze möchte ich bemerken, dass
sie nach einiger Länge, vom Zellkörper entfernt, sich als lange
Bahnen oder periphere Achsenzylinder zu verbreitern pflegen
(Fig. 7, 25, f), eine Tatsache, die ja schon Buchholz festgestellt
hatte. Neu ist es indes, allerdings nur für die Mollusken, da
anderwärts schon gleiches durch mich bekannt ist, dass lange
Bahnen oder periphere Fortsätze untereinander sich mehrfach ver-
binden können (Fig. 7, f, f‘). Ich verweise hier diesbezüglich auf
meine Arbeiten über Neochordaten im Morphologischen Jahrbuch
und in diesem Archiv.
Der hintere Abschnitt des Gehirns zeigt in seinem Bau
zwei so ausgesprochene Verschiedenheiten, dass wir auch, ohne
davon Kenntnis zu haben, dass die Pleuralganglien dem Gehirn
bei den Stylommatophoren einverleibt wurden, an einen fremden
/uschuss an das Cerebralganglion denken würden. Auf Textfig. 1A
habe ich versucht, durch zwei unterbrochene Linien das vordere
(rebiet (sg) von einem hinteren so abzugrenzen, wie die Textur
der Ganglienzellrinde es beiläufig erheischt. Was dahinter liegt,
würde dem angeschlossenen Pleuralganglion, dessen vorderem Teil
nämlich, gleich sein.
Dieser ganze pleurale Bezirk führt eine Ganglienzellrinde,
die aus gleichmässig grossen Ganglienzellen etwa fünfter Grösse
256 B. Haller:
besteht, wenn wir die Ganglienzellen des Gehirns ihrer Grösse nach
in sieben verschieden grosse Gruppen einteilen. Kennzeichnend für
sie ist die gleichmässige Grösse. Demgegenüber sind die Zellen
des vorderen Bezirkes untereinander ungleich gross (Fig. 3, sg)
und finden sich innerhalb dieser Rinde insofern lokale Differen-
zierungen vor, als vorne und dorsalwärts eine Gruppe mittelgrosser
Zellen liegen (v), welche durch ihre geringe Färbbarkeit sich
auszeichnen. Sie senden ein Faserbündel in die Uerebropleural-
kommissur (cp). Trotzdem diese Rinde sich durch besonders
erosse Zellen nicht auszeichnet, findet sich in ihr doch an zwei
bestimmten Stellen je eine grosse Zelle, oben und unten an ihrer
Grenze an dem vorderen Gehirnabschnitt (Textfig. 1, runder Kreis),
die alle anderen des Gehirns an Grösse übertreffen (Fig. 2, vz).
Ich möchte sie die obere und untere Riesenzelle nennen.
Dieser letztgenannte Abschnitt fasst eine Markmasse in
sich, die ich aus später anzugebenden Gründen das sensorische
Vereinsgebiet (Fig. 1, 2, 3, vg) nennen möchte.
Der erste Abschnitt des Helixgehirns zeigt eine so
eigenartige Struktur, dass sie sich von allen Teilen des Gehirns
auf das schärfste unterscheidet. Hierauf haben schon Walter,
Lacaze-Duthiers, Sarasin, Pelseneer, Böhmig und
Smidt hingewiesen. Es besitzt dieser Abschnitt dorso- sowie
ventromedianwärts (Fig. 1, 2, 4) gar keine Zellenrinde und diese
deckt „halbmondförmig“ im Querschnitte, wie Böhmig sagt.
nur die dorsolaterale und lateroventrale Seite (gr) zu. Alles
andere ist Mark (gm) und nur dorsal- und ventralwärts ziehen
starke Längsbündelsysteme, Nervenwurzeln (Fig. 2, 2‘) entlang des
ersten Abschnittes. Nur medianwärts, vor der vorderen Riesen-
zelle (Fig. 2, vz), finden sich einzelne mittelgrosse Ganglienzellen,
sowie aussen an der Wurzel des zweiten Cerebralnerven. Diese
gehören dieser Wurzel an und sind somit dem Abschnitte fremd.
So eigentümlich der Bau des Markes, so eigentümlich ist
jener der Rinde. Die dicke Rinde (Fig. 1, gr) ist nicht überall
gleich dick, sondern dadurch, dass die Markmasse mit Fortsätzen,
die wie etwa die drei am Boden verwachsene Stacheln der Glossu-
laria sich halten, in sie eindringt, dementsprechende innere Aus-
schnitte zeigt. Nur von hinten und aussen gelangen einige grössere
Zellen peripherwärts ein Stück in diese Rinde hinein, sonst
aber wird sie von nur gleichmässig grossen, wegen ihrer vielen
Die Intelligenzsphären des Molluskengehirns. 257
gleichen Fortsätze sternkörperigen, kleinsten Ganglienzellen
gebildet. Zweierlei Fortsätze lassen sich an diesen unterscheiden.
Erstens kurze Fortsätze (Fig. 5), vermittelst welcher die Zellen
untereinander in direkter Verbindung stehen, dann solche, die
in die Markmasse eindringen. Diese sind nun entweder kräftigere
Gebilde oder, soweit es sich um an die Markmasse grenzende
Zellen handelt, feine Fortsätze, die sich sofort in dem zentralen
Nervennetz (en) auflösen.
Die grösseren Fortsätze gelangen in die Markmasse und
von dort in noch zu beschreibende ferne Gegenden, aber nie
werden sie zu Nervenwurzelfasern, denn diese Zellrinde
ist eine ausschliesslich zentral wirkende. Der Zellkern dieser
Zellen ist im Verhältnis zum Zelleib sehr gross, durchaus kugel-
rund und weist viele Nucleoli auf. Dadurch ist auch die Form
des Zelleibes selbst, welcher nur als sehr schmaler, aber deutlicher
Saum den Kern umgibt, gegeben. Durch Kern und Zelleib unter-
scheiden sich diese (gz) sehr gut von den ihre Schicht gleich-
mässig durchsetzenden Zellen des neuroglialen Netzes (glz), welche
ja einen ovalen, äusserst chromatinreichen Kern und dement-
sprechend gestalteten Zellkörper besitzen.
Die Markmasse zeichnet sich durch eine ausserordentliche
Feinheit des zentralen Nervennetzes aus, in welcher Markmasse
man nie Nervenbündel oder auch nur stärkere Nervenfasern
sehen kann, vielmehr herrscht eine ausserordentliche Gleich-
förmigkeit in dieser Markmasse. Diese Gleichförmigkeit wird
auch durch die Neuroglia nicht gestört. Sie ist weitmaschig,
allein zellenarm, doch finden sich stellenweise mehrkernige Gebilde,
kleine neurogliale Syneycien in ihr.
3ei den anderen zwei Pulmonaten werde ich mich aus-
führlicher auf die Faserbündel dieser Markmasse einlassen und
hier nur soviel darüber, dass aus ihrem hinteren Ende feinste
Bündel hervorgehen, die entweder im Vereinsgebiet') der-
selben oder der anderseitigen Hirnhälfte sich auflösen, so die
gesamten Zentren des Hirns und auch die der anderen Ganglien des
Schlundringes beherrschend. Es ziehen dann diejenigen Fasern,
welche drüben zu endigen haben, über die Cerebralkommissur,
') Solch ein Vereinsgebiet beschrieb ich im Gehirn der Arthropoden
und im Hypothalamus der Neochordaten.
258 B. Haller:
mehr deren vorderen Teil einnehmend, bei Helix aber doch nicht
in von dem anderen Teil der Kommissur abgesonderter Weise.
Wir haben somit in dem vorderen Hirnabschnitt
von Helixeine Differenzierung voruns, welche keine
Nerven entsendet, dafüraber mit dem Vereinsgebiet
in Beziehung steht, wo alle Zentren des Zentral-
nervensystems Verbindungen haben, ein Gebilde
also, das mit den Globuli der Anneliden und Arthro-
poden, wie Smidtes richtig vermutete, direkt gleich-
zustellen ist, ein Intelligenzgebiet. Von nun an führe
ich also den Namen Globulus für dasselbe ein.
Das Gehirn von Arion empiricorum zeichnet sich,
wie wir schon gesehen haben, durch geringere Konzentration
aus als jenes von Helix. Infolgedessen gelangt auch der mittlere
Abschnitt mit dem der anderen Seitenhälfte nicht in Berührung,
sondern beide sind voneinander (Fig. 21, 22, i) durch die Cerebral-
kommissur getrennt wie bei den Basommatophoren. Die beiden
vorderen Hügel. die ja den Zapfen bei Helix entsprechen, sind
gleich wie diese durch grosse motorische Zellen ausgefüllt und
diese setzen sich dann in ähnlicher Weise sowohl auf die untere als
obere Seite des ersten Abschnittes als Rindenbelag fort. Dabei
ist die Zellanordnung ziemlich dieselbe. Bemerkenswert wäre
bloss, dass diese grossen motorischen Zellen nie die Grösse wie
bei Helix erreichen, obgleich sie jenen darin ziemlich nahe kommen,
ferner, dass der Grössenunterschied zwischen den Zellen ein
grösserer ist als bei Helix. Immerhin wird der Charakter der
Gleichförmigkeit betrefis der Zellengrösse behalten (Fig. 21, 22,
24, 3). Auch lateralst liegen diese Zellen noch mehrschichtig
übereinander, dann aber nimmt allmählich die Rinde an Dicke
ab. Ganz am lateralen Rande, angrenzend an das pleurale
Gangliengebiet, ist die Lage dann nicht mehr so einförmig, denn
kleinere und grössere Zellen liegen nebeneinander. Es dehnt
sich aber hier diese Zellrinde und damit der mittlere Hirn-
abschnitt um so weiter nach lateralwärts aus, als die Pleural-
ganglien noch nicht jenen grossen Einbezug in das Gehirn er-
fuhren, wie bei Helix. Hier an der Grenze finden sich auch
jederseits zwei Riesenzellen in der Zellschicht (Fig. 23), doch
können auch drei da liegen, wo dann zwei immer halb so gross
sind als die dritte. Diese Riesenzellen liegen aber hier dorsal-
Die Intelligenzsphären des Molluskengehirns. 259
wärts nicht ventralst wie die hintere bei Helix, die ausserdem
auch weiter nach vorne zu verschoben ist (Textfig. 1, Kreis).
Die Pleuralganglien, welche ja äusserlich auch bei Arion
unkenntlich sind, nehmen an der Commissura visceralis in Form
einer ausgedehnten Rindenschicht (Fig. 22, plg) eine noch ursprüng-
lichere Lage ein und ein Einbezogenwerden in das (Gehirn ist hier
nicht erfolgt. Auch die Zellage ist eben infolgedessen keine
konzentrierte, sondern mehr diffuse (Fig. 21, plg).
Wie schon erwähnt wurde, erfuhr die Entfaltung des ersten
Gehirnabschnittes des Globulus eine höhere Entfaltung als bei
Helix, denn die Rindenschicht der Zellage nimmt, abgesehen auch
von der Zunahme der Dicke, eine grössere Ausdehnung ein als
bei Helix (Textfig. 2, schwarz, wie auch bei Helix auf Textfig. 1)
und überzieht jetzt dorsalwärts mehr als die halbe Oberfläche
des ganzen Globulus. Dieser erweist sich ja auch in seinem
Äusseren mächtiger, da entsprechend der grösseren Entfaltung
der Zellrinde auch die Markmasse zugenommen hat. Ventral-
wärts dehnt sich die Rinde indessen noch nicht weiter aus als
bei Helix. Somit ist dorsolateral entlang seiner grösseren vorderen
Fläche der ovale Globulus von einer dicken Zellrinde überzogen
(Fig. 23, gl), unter der aber hier die Markmasse noch geringer
ist. Von dieser geht ein feinfaseriges Nervenbündel (gb) unter
der Wurzel des achten Nerven (S) in das Vereinsgebiet, während
ihre anderen gleichfeinen Fasern sich zu einem mächtigen Quer-
bündel zusammentun, dies dann unter dem vorigen Bündel sich
nach innen wendet, um in der schon angegebenen Weise durch
die Cerebralkommissur hindurch in die anderseitige (Gehirn-
hälfte zu gelangen. Es ist das die Globularkommissur
(Fig. 21, 23, eg). Die Dicke der Zellenrinde erhält sich auch
auf der lateralen Seite (Fig. 21, 22, gr). Nach der medianen
Grenze der Schicht nimmt dann diese an Dicke fast plötzlich ab
(Fig. 24, gr). Von da an ist dies Globularmark ein mächtiger
Ballen (Fig. 21, 24, gm) und ist von gleichovaler Form, ab-
gegrenzt hinten dem übrigen Gehirn zu durch eine verdichtete
Neuroglialamelle (Fig. 24).
An der medianen Seite, wo der Nervus ommatophorus an
den Globulus herantritt (Textfig. 2) spaltet sich seine Wurzel in
eine obere und eine untere Hälfte. Die obere gelangt als breite
kortikal gelegene Faserschicht (Fig. 24, ow) über dem Globulus-
260 B. Haller:
mark an den medianen Hirnabschnitt (Fig. 22, 24, i), die untere
lagert jenem Mark ventralwärts auf (Fig. 24, uw), um gleichfalls
an jene Stelle zu gelangen.
Die Zellrinde der Globuli ist, wie gesagt, sehr dick und
zeigt jene schon für Helix beschriebenen Markhalbinseln (Fig. 23).
Die Zellen verhalten sich genau so wie bei Helix, sie ver-
binden sich als kleine multipolare Gebilde untereinander oder
schicken Fortsätze in das Globularmark, sonst aber, abgesehen
von ihrer grösseren Zahl, zeigt diese Zellage auch in einem
anderen Punkte Helix gegenüber bei Arion einen Fortschritt.
Ich habe nämlich schon bei Helix erwähnt, dass von dem
hinteren (Gehirnabschnitt aus Ganglienzellen kortikalwärts in die
Globularrinde eindringen, hier bis etwa zu halber Länge nach
vorne reichend. Diese einschichtige Zellage fehlt nun bei Arion
vollständig, denn dort, wo die Globulusrinde (Fig. 26, gr) an die
Zellrinde des hinteren Gehirnabschnittes anstösst, hören die beiden
Zellenarten in einer Ebene auf, wodurch eben die Grenze scharf
hervortritt. Es ist somit die Globulusrinde von Arion der von
Helix gegenüber von jeder Beimengung anderer Elemente befreit.
Hierin wie in der starken Zunahme des gesamten
Globulus zeigt sich somit bei Arion Helix gegenüber
ein Fortschritt bezüglich der Intelligenzsphäre.
Bei Limax, wo der vordere Hügel am mittleren Gehirn-
abschnitt entsprechend den weniger als bei Helix konzentrierten
Verhältnissen niedrig ist, wie eben auch bei der anderen Egel-
schnecke (Fig. 10, 11, 14, 15, 16, i) ist gleich wie dort gefüllt
mit grossen motorischen (Ganglienzellen, die aber bezüglich der
Grösse sich verhalten wie bei Arion, d.h. die Zellen sind nicht
gleich gross und auch kleinere finden sich unter ihnen. Besonders
auffallend ist es, dass wenigstens nach innen zu stellenweise die
Ganglienzellen immer kleiner werden (Fig. 20), bis innerst an
der Markmasse nur noch kleine sternförmige Granglienzellen sich
befinden. Es verbinden sich diese auch vielfach untereinander
und ich habe nie beobachtet, dass diese kleinen Zellen einen
peripheren langen Fortsatz abgegeben hätten, mit Ausnahme
einer lateralsten kleinen Gruppe (Fig. 21, k). Diese geht dann
über in eine aussen von den grösseren Zellen sich zwischen ihnen
und dem hier ja eine laterale Lage einnehmenden Globulus
findenden kleinzelligen Lage (Fig. 10). Diese liegt entlang der
Die Intelligenzsphären des Molluskengehirns. 261
Grenze der grossen Zellen, nach aussen sich bis zur hinteren
Hirnseite erhaltend. Obgleich diese Zellage sich auch bei Helix
und auch bei Arion vorfindet, so ist sie nicht so auffallend als
bei Limax. Am hinteren Hirnrande finden sich dann in der
Rinde zumeist nur kleinere Ganglienzellen vor (Fig. 10, 12, 14,
15. 16, i‘), unter ihnen eine Riesenzelle genau am Abgange des
siebenten Nerven (Fig. 14, 15, %). Es ist die hintere Riesenzelle
des Gehirns (Fig. 18, hz). Mit dieser gemischten, klein- und
erosszelligen Rinde geht dann der innere Gehirnabschnitt in den
hinteren über, mit dem aber bei Limax kein Pleuralganglion
verschmolzen ist. Dieses ist vielmehr von ihm getrennt und
verbunden durch die kurze Commissura cerebropleuralis (Fig. 17,
c,cpl). Das Ganglion selbst wird von einer mässig dicken Zell-
rinde von verschieden grossen, doch nie von ganz grossen Zellen
gebildet (plg), wobei die Rinde stellenweise in die Markmasse
sich hineinerstreckt. Diese Zellen sind entweder solche, die (y, y‘)
ausser ihren Netzfortsätzen in das Mark des Ganglions einen
längeren Fortsatz als lange Bahn in das Gehirn entsenden oder
solche, die ihren langen Fortsatz (d) in die Kommissur zu den
vorderen Eingeweideganglien (c. veig) schicken. Ausserdem gibt
es aber auch Fasern aus diesem Bündel, die sich angelangt in das
Pleuralganglion in dessen Markmasse auflösen. Es gelangen ferner
lange Bahnen aus Ganglienzellen des hinteren Gehirnabschnittes
(«) in das Pleuralganglion, und einen solchen entsendet auch die
vordere hiesenzelle (vz), als Verbindungsfasern in das Ganglion.
Es ist somit auch auf rein histologische Weise der Beweis dafür er-
bracht, dass die Kommissur zu den vorderen Eingeweide-
ganglien oder den Buccalganglien der Autoren, aus dem Pleural-
und nicht Cerebralganglion entspringt.‘) Es besitzt somit Limax
eine hintere und eine vordere Riesenzelle (Fig. 18, vz, hz), wobei
statt einer hinteren sich manchmal auch zwei vorfinden können,
wie eben in dem abgebildeten Falle. Die vordere Riesenzelle
entsendet zwei lange Fortsätze ausser den kleinen Netzfortsätzen.
Der eine dieser gelangt in den vierten Nerven (4), der andere
in die Cerebropleuralkommissur. Die hintere Riesenzelle tritt
) Dass das Pleuralganglion hier im Gegensatz zu allen bekannten
Fällen keine weitere Nerven absendet, beruht einfach darauf, dass diese
sich der Commissura pleurovisceralis anlagernd, erst von dem jederseitigen
Visceralganglion abgehen, ihre ursprünglichen Wurzelverhältnisse damit ja
nicht ändernd.
262 B- Haller:
indessen mit dem siebenten Nerven in Verbindung (Fig. 14, 15).
Abgesehen nun davon, dass die hintere Riesenzelle oder Zellen
von Arion der Lage nach dorsale sind (Fig. 23), im Gegensatz
zu jenen von Limax, scheint mir auch durch ihr Verhalten zu
Nervenwurzeln die Gleichheit nicht gesichert. Es zieht bei Arion
der Hauptfortsatz von dorsal nach ventral und oralwärts, um
dann unter der Globularkommissur (cg) gelegen die Wurzel des
zweiten Nerven zu erreichen, zuvor einen Nebenfortsatz in die
Visceralkommissur entsendend. Es ist also klar, dass sich
das einemal eine Ganglienzelle von diesem und ein
andermal von jenem Nerven zu einer Riesenzelle
entfaltet.
Wie schon weiter oben mitgeteilt ward, ist der erste Gehirn-
abschnitt, der Globulus nämlich, mächtiger entfaltet bei Limax
als bei Arion. Diese hohe Entfaltung verursachte dabei eine Quer-
stellung des Globulus im Gegensatz zu Arion, was wohl daraus
zu erklären wäre, dass der Platz im Kopfe nach oralwärts zu
für diesen nun mächtigen Hirnabschnitt keinen Platz gewähren
konnte. Auch auf Quer- oder Horizontalschnitten (Fig. 10, 14,
15, gl) ist ersichtlich, dass der Globulus durch seine mächtige
Entfaltung das ganze übrige Gehirn beherrscht, wie dies schon
ganze Präparate deutlich zeigen. Es hat die Ganglienzellrinde an
Oberflächenausdehnung im Verhältnis zu Arion sehr zugenommen,
denn es wird jetzt dorsalwärts nicht nur die gesamte Oberfläche
des Globulus (Textfig. 3, schwarz) überzogen, sondern es schiebt
sich die Rinde auch weit nach innen vor, nur einen kleinsten
ventralen Abschnitt (Fig. 10, 14, 15) noch freilassend. Damit im
Zusammenhang steht dann die mächtige Entfaltung der Markmasse
(em) und die gewaltige Entwicklung der Globularkommissur. Diese
sammelt sich innen von der auf Horizontal- und Querschnitten
etwas halbmondförmigen Markmasse in einem mächtigen Bündel
(Taf. XV, cg) aus jener und zieht in dorsaler Lage in der Cerebral-
kommissur auf die anderseitige Hirnhälfte. Ausserdem liegt dieses
(uerbündel in der Cerebralkommissur oralwärts zu und bildet, infolge
seiner äusserst feinen Fasern auffallend (Fig. 10, 14, 15), in der sonst
srobfaserigen Cerebralkommissur (cg) deren vorderen Abschnitt.
Dies ist bei Arion noch nicht der Fall, geschweige denn
bei Helix, denn diese Sonderung ist auch eine Folge der höheren
Entfaltung der Globuli.
Die Intelligenzsphären des Molluskengehirns. 263
Es ist die Globuluszellenrinde ebenso frei von anderen
Ganglienzellen wie bei Arion und an Stellen, wo diese Rinde an
Nachbarrinden anstösst, lässt sich dies recht gut erkennen. Ich ver-
weise nur auf die Figuren der Taf. XV. Denn sowohl dorsalwärts,
wo die Globularrinde an jene des mittleren Gehirnabschnittes an-
stösst und an welcher Grenze die dorsalen Wurzeln der vordersten
Kopfnerven gelegen sind (2), als auch seitwärts, wo die Wurzel
des siebenten Nerven (Fig. 11, 12, °) noch nicht die Grenze
zwischen den beiden Rinden darstellt, ist dies deutlich zu sehen.
Die Schichte der grösseren Zelle der Nachbarrinde liegt wie ab-
geschnitten neben jener der Globularrinde und nicht eine einzige
dieser grösseren Zellen dringt in die Globularrinde mehr ein.
Diese besteht vielmehr durchwegs nur aus kleinen stern-
förmigen Zellen, die etwas kleiner wie Helix (vgl. Fig. 13 mit 5).
sonst denen aber durchaus gleich sind. Denn gerade wie jene
besitzen sie einen kugelrunden Zellkern mit vielen Nucleoli und
einen schmalen Plasmaleib. Zwischen diesen Zellen (Fig. 13, gz)
lagern die Neurogliazellen mit ihren chromophilen oblongen Zell-
kernen (ne).
Wie ich es ja auch schon für Helix und Arion berichtete, be-
sitzen diese Ganglienzellen ausser ihren kurzen Verbindungsfort-
sätzen, vermöge welcher sie sich untereinander, gleich wie jene im
Globulus der Arthropoden (17, 19), zu einem innigen Ganzen
verbinden, noch solche, die in das äusserst feine Nerven-
netz der Markmasse gelangen. Von den feineren dieser
lässt sich dies, da ihre Auflösung gleich nach Eintritt in die
Markmasse erfolgt (Fig. 5, 13). leicht feststellen, aber schwerer
von den stärkeren Fortsätzen, denn diese gelangen in weiter Ferne
nicht nur in die gleichseitige Markmasse, sondern durch die
Kommissur sogar auf die anderseitige Hirnhälfte, und zwar in
die Markmasse jenes Globulus.
Ausserdem hat aber jeder Globulus noch ein Verbindungs-
bündel (Fig. 15, 16, gb), welches in das Vereinsgebiet (sg) der
gleichseitigen Hirnhälfte gelangt. Durch die Kommissur hindurch
gelang es mir leider nie, solche Zellfortsätze im Zusammenhang
mit den Zellen verfolgen zu können; nur das eine konnte ich
feststellen, dass die Kommissuralfasern, angelangt in der Mark-
masse des jenseitigen Globulus, sich dort immer verzweigen. Dies
geschieht auch mit jenen nun viel kürzeren Zellfortsätzen des
264 B. Haller:
Verbindungsbündels mit dem Vereinsgebiet (Fig. 16, gb). Hier
allerdings gelang es mir zweimal, direkte Ganglienzellfortsätze
im Vereinsgebiet von der Globularrinde aus zu beobachten. Es
bleibt somit ein gleiches Verhalten der Fasern der Globular-
kommissur eine wohlberechtigte Annahme.
Der Globulus der Pulmonaten ist also eine eigenartige
Differenzierung zuerst am lateralen Stirnpol des Gehirns (Helix),
welche geweblich darin beruht, dass eine Art kleiner stern-
förmiger Ganglienzellen sich aus der übrigen Zellrinde heraus-
schält und so für sich als besondere Lage einen besonderen
Platz lateralwärts beansprucht. Diese Zellschichte besitzt auch
eine besondere, genauestens separierte Markmasse, aus der sich
ebensowenig eine periphere Nervenfaser bildet, als aus der Zellen-
rinde eine entspringt. Die Bedeutung dieser Globuli liegt somit
anderwärts, in dem nur zentralwirkenden Kern nämlich. Durch den
Zusammenhang der beiderseitigen Teile im Gehirn nicht nur, als auch
durch die Verbindung mit einem Hirngebiet, dem Vereinsgebiet,
in das alle Hirnteile und durch Kommissuren auch andere Ganglien
des zentralen Nervensystems Leitungsfasern entsenden, ist dieser
Globulus mit jenen der Arthropoden, von denen wir mit Bestimmt-
heit wissen, dass sie Intelligenzsphären darstellen, ohne Zweifel
homolog und von gleicher psychologischer Bedeutung. Es stehen
die Globuli der Pulmonaten, was die Kompliziertheit des Baues
betrifft, zwar nur mit jenen Globulis auf gleicher Stufe, die die
Myriapoden erlangt haben, und somit sind wir denn auch nicht
berechtigt, bei den Pulmonaten gleich hohe Intelligenz vorauszu-
setzen als bei den Besitzern höchstentfalteter Globuli unter den
Hexapoden, den Hymenopteren.
Dabei zeigt es sich aber, dass bei den drei unter-
suchten Vertretern der Pulmonaten drei verschiedene
EntwicklungsstufenbezüglichderGlobularentfaltung
bestehen (vgl. die drei Textfig. 1—3, schwarz), dass die
sehäusetragende Form auf einer viel niedrigeren
Stufe steht als die beiden Egelschnecken, dass aber
auch unter diesen beiden noch ein ansehnlicher Unter-
schied in der Stufenhöhe besteht. Indem ich wegen dem
Warum noch auf diesen Punkt im letzten Abschnitt vorliegender
Schrift zurückkommen werde, will ich hier noch die Nerven-
und Kommissurenursprünge im Gehirn der Pulmonaten als
Die Intelligenzsphären des Molluskengehirns. 265
einen Beweis dafür, dass diese aus keinem Globulus entstehen,
besprechen. Dabei beabsichtige ich nicht, zu weit in die Einzel-
heiten zu dringen, da diese hier mir überflüssig erscheinen, auch
sollen nur einige Nerven Berücksichtigung finden.
Man kann die Kopfnerven der Pulmonaten in zwei Gruppen
teilen. Die erste umfasst jene Nerven, welche den oberen Kopf-
abschnitt versorgen. Es sind das (Textfig. 4) der erste bis fünfte
Nerv. Ich möchte diese Gruppe, deren mächtigstes Glied der
Nervus ommatophorus ist, die Ommatophorusgruppe be-
zeichnen und gleich hinzufügen, dass sie alle gemischte Nerven
ziemlich in gleicher Weise sind. Die zweite Gruppe umfasst die
Nerven sechs bis acht und ist dadurch bezeichnend, dass sich in ihr
ein gewisser Drang zur Sonderung in sensorische und motorische
kund gibt. Es führt der sechste Nerv dies folgerichtig durch, denn er
ist ein ausschliesslich motorischer Nerv, jener der Buccalmuskulatur.
indessen der Nerv acht möglicherweise ausschliesslich sensorisch
sein dürfte. Der siebente Nerv ist hauptsächlich motorisch.
Dies erschliesse ich erstens aus seinem Endverhalten. dann aus der
Dicke seiner Fasern und daraus, ob diese vorwiegend aus grossen
Ganglienzellen entspringen oder ob seine Fasern im zentralen
Nervennetz sich auflösen. also indirekten Ursprungs sind. Damit
möchte ich allerdings den Ursprung sensorischer Fasern im Zentral-
nervensystem aus Ganglienzellen ebensowenig verneinen, als ich
dies auch früher nicht tat. Tatsache ist es aber, dass noch
mancher Nervenstamm, so der Ommatophorus selbst, Ganglien-
zellen in sich führt, die man als Zubehör der sensorischen Fasern
deuten könnte.
Der Ommatophorus zeichnet sich dadurch aus, dass er zu
Beginn seine feinen und groben Fasern zu zwei Bündeln vereinigt
(Fig. 12, ?). Wie ich es schon gesagt habe, teilt sich der
Ommatophorus in eine untere und eine obere Wurzel im Gehirn,
von denen die obere (Fig. 21, ow) dorsal, die untere (uw) ventral
am Globulus nach hinten zieht, allein dicke und dünne Fasern
führen diese Wurzel gemischt, die Sonderung erfolgt erst im
Nervenstamme.
Die dorsale Wurzel erreicht dann das Pleuralganglion bei
Arion und Helix (Fig. 24, 1, ?) gleich hinter dem Globulus, neben
diesem bei Limax, wo sie infolge der seitlichen Lage ja nicht über
den Globulus zu liegen kommt (Fig. 10, ?). Daraus eben, dass sie,
Archiv f. mikr. Anat. Bd.81. Abt. 1. 18
266 B. Haller:
je weiter sie nach hinten an den seitlichen Teil des mittleren Gehirn-
abschnittes gelangt, um so difftuser und weniger wird (Fig. 14—16),
ist ersichtlich, dass diese Wurzel dieses Gebiet mit seinem Ur-
sprunge stark in Anspruch nimmt. Sie nimmt von hier Fasern
aus den grossen Ganglienzellen auf (Fig. 24, ow) und ein hinterstes
Faserbündel (Fig. 3, ?), erreicht sogar den äusseren hinteren
Lappen, von wo es wie überall aus kleinen wie grossen Zellen
Fasern bezieht. Andere Faserbündel gelangen dann in das
sensorische Vereinsgebiet, wo sie sich, ohne mit Ganglienzellen
direkte Fühlung zu haben, auflösen. Aber nicht nur durch die
dorsale Wurzel ziehen aus dem dorsalen Teil des mittleren
Gehirngebietes Wurzelfasern in den Ommatophorus. Aus diesem
Grunde gelangen diese Fasern zu Bündeln vereinigt zwischen
Globulus und Cerebralkommissur dieses kreuzend (Fig. 23, 24,
uw‘) nach ventralwärts.
Die untere Wurzel empfängt aber auch noch mächtige Bündel-
systeme aus allen Teilen des hinteren Hirnabschnittes. Es sind
hier vier Bündel, die sich zum Stamme vereinigen (Fig. 11, ?).
Das äusserste gelangt noch aus dem mittleren Gebiet gleich
hinter der Globularkommissur (cg) zum Ursprung; eines von den
innerst gelegenen (?‘') entspringt aus der seitwärtigen Seite des
hinteren Gebietes (l) und ein inneres darauffolgendes (?') aus
dem Vereinsgebiet. Damit ist aber die Reihe noch nicht ab-
geschlossen, da noch ein innerstes Bündel (2°) zum Stamme
tritt. Von der mittleren Wurzel, jener aus dem Vereinsgebiet,
gelangen welche auch durch die Cerebralkommissur auf die ander-
seitige Gehirnhälfte (Fig. 2). Ob dies auch Fasern direkt aus
Ganglienzellen tun, ist mir nicht bekannt, womit ich aber dies
durchaus nicht bestreiten möchte. Somit bezieht der Ommato-
phorus aus allen Hirnteilen seine Fasern und so verhält sich seine
ganze Gruppe. Die hintere Nervengruppe besteht, wie wir
es schon gesehen haben, entweder aus motorischen, wie der sechste
Nerv, oder doch hauptsächlich motorische weniger sensorische
Fasern führenden Nerven. Zu den motorischen gehört der sechste
und siebente Nerv.
Es beziehen letztere ihre Fasern hauptsächlich aus dem
vorderen Ende des mittleren Gehirnabschnittes. Hier (Fig. 10, i)
gibt es Zellen (y), die ihren langen Fortsatz direkt dem Stamme
des Nerven (7) derselben Seite beimengen oder ihren langen
Die Intelligenzsphären der Molluskengehirns. 267
Fortsatz (3) durch die Cerebralkommissur hindurch auf die ander-
seitige Hirnhälfte gelangen lassen. Es kann dann diese Faser
hier entweder zur Nervenwurzelfaser im anderweitigen Nerven
werden oder sich im zentralen Nervennetz der Markmasse auflösen.
Dies wieder kann an zwei verschiedenen Orten erfolgen, entweder
unter und in nächster Nähe der Ganglienzellrinde des mittleren
(rehirnabschnittes oder in dem Vereinsgebiet. Es kann aber
dieselbe Nervenzelle (Fig. 10, 11, «) auf derselben Seite den
einen Gabelast ihres Hauptfortsatzes zur Nervenwurzelfaser der-
selben Seite werden lassen, indessen der andere Gabelast auf die
andere Seitenhälfte gelangt, um sich wie zuvor im zentralen Nerven-
netz aufzulösen. Das Bündel Wurzelfasern, das der jederseitige
Nerv von derselben Seite bezieht, ist nicht geringer als jenes
von der anderen Seite.
Es beziehen diese Nerven aber auch Wurzelfasern aus
anderen Teilen des mittleren Gehirnabschnittes. So aus der
hinteren Seite. Da ist ein ganz starkes Bündel (Fig. 1, b), das
in den Nerv derselben Seite gelangt. Hier habe ich dann Zellen
beobachtet, die (Fig. 16, «) den ersten (rabelast ihres Haupt-
fortsatzes als Wurzelfaser in den gleichseitigen Nerven (7) gelangen
liessen, indessen ein kleiner Ast davon sich im Vereinsgebiet (sg)
auflöste; der andere Gabelast gelangte in die Verebralkommissur.
Es kann aber auch der Fall bestehen, dass eine solche Ganglien-
zelle (#) noch einen Ast (£') in die Pedalkommissur (cp) entsendet
und so verhält sich dann. wie wir gesehen haben, auch die vordere
Riesenzelle (Fig. 17, 15) mit dem Unterschiede jedoch, dass hier
die Commissura cerebropleuralis in Betracht kommt.
Trotzdem besondere Kerne für die einzelnen Nerven nicht
bestehen — und ich verweise nur auf Fig. 11, wo fast aus der-
selben Stelle eine Nervenfaser für den zweiten und eine andere
für den siebenten Nerven entsteht — so ist das Ursprungsgebiet
des sechsten und siebenten Nerven doch beschränkter als jenes
der Ommatophoren-Gruppe, die ja aus allen Teilen des Gehirns
Wurzelfasern bezieht, indessen die früheren nur aus dem mittleren
Abschnitte des Gehirns.
Der achte Nerv, der mit drei fest aneinander lagernden
Wurzeln die dorsale Seite des Gehirns verlässt, ist dadurch auf-
fallend (Fig. 12, ®), dass er, soviel ich erkannte, nur Fasern Netz-
ursprunges besitzt, denn die eintretenden Wurzelfasern lösen sich
18*
265 B. Haller:
im zentralen Nervennetz der Markmasse auf. Ob dieser Nerv.
was höchst wahrscheinlich, eingestreute Ganglienzellen in seinen
Stämmen besitzt, habe ich nicht verfolgt.
In gleicher Weise beginnt im Gehirn der Acusticus (Fig. 19,
ac), er bezieht Fasern auch aus der anderseitigen Hirnhälfte
durch die Cerebralkommissur hindurch. Ein besonderer Acustieus-
kern ist mir nicht bekannt geworden und ich vermag mit Bestimmt-
heit auch nicht anzugeben, ob nicht auch mit zentralen Ganglien-
zellen ein Zusammenhang besteht.
Auch die kommissuralen Verbindungen stehen direkt nicht
in Beziehung mit den Globulis, bloss durch das Vereinsgebiet.
Ich unterscheide äussere und innere Kommissuren am Gehirn.
Die äusseren sind die Commissura pedalis, visceralis, beziehentlich
cerebropleuralis. Ich kann mich bezüglich dieser hier kurz fassen:
entweder sind es Fortsätze von Ganglienzellen anderer Ganglien
(Pedal-, Visceral-, Pleuralganglien) die durch die Kommissur hin-
durch sich in dem gleichseitigen oder vermittelst der Benutzung
der cerebralen (Querverbindung in dem anderseitigen Vereins-
gebiet auflösen (Fig. 16, ep; 11, c.cpl; 2, ev; 22, cv), oder
es sind Ganglienzellfortsätze aus dem Gehirn, die durch die be-
treffenden Kommissuren hindurch in das betreffende Ganglion
geleitet werden, um sich dort im zentralen Nervennetz aufzulösen
(Fig. 10, 11, 16, 17, @). Auch solche Fasern können aus der
anderseitigen Hirnhälfte stammen.
Innere Kommissuren gibt es viele, folgende will ich anführen.
Aus dem vorderen Rande des mittleren Hirnabschnittes gelangt
von der bereits genannten kleinen Zellgruppe (Fig. 21, k) ein
Bündel an die Stelle, wo das Pleuralganglion mit dem Gehirn
verschmilzt bei Helix und Arion. Doch besitzen auch die Fort-
sätze der grossen Zellen jener früheren Stelle diese Bahn (Fig. 1, v).
Ausserdem steht diese Stelle auch mit der hinteren Seite des
übrigen mittleren Hirnabschnittes in Beziehung durch ein Bündel,
das die Cerebralkommissur kreuzend nach hinten (Fig. 14, ı‘)
gelangt. Da gibt es in der hinteren Hirnseite auch Zellen, die
mit ihren zahlreichen langen Fortsätzen (Fig. 14, vs) diese Ver-
bindung herstellen.
Zum Schlusse dieses Abschnittes möchte ich noch darauf hin-
weisen, dass Globuli bei den Pulmonaten wohl allgemein sich vor-
finden. Für die Basommatophoren gibt Lacaze-Duthiers (28)
Die Intelligenzsphären des Molluskengehirns. 269
das allgemeine Vorkommen seiner „Lobules superieures“ an und
diese sind die Globuli, wie ich schon darauf hingewiesen habe. Es
entsteht dieses Gebilde — das Lacaze-Duthiers für ein speziell
sensibles (rebiet hält, wegen dem Ursprung des Acusticus und
Optieus in seinem Umkreise — als eine ecetodermale Einstülpung
nach den Befunden der beiden Sarasin (39), Nabias (31),
Schmidt (40), Hendschmann (21), Pelseneer (35) u. a.
und soll erst nachträglich mit dem übrigen Gehirne verwachsen.
Allein dieses Verwachsen wird wohl nicht wörtlich zu nehmen sein,
da ein Zusammenhang mit der übrigen Hirnanlage von Anfang
an vorauszusetzen ist. Nach der Abschnürung der Anlage erhält
sich dann noch einige Zeit das Lumen, doch nicht für immer,
wie wir es gesehen haben. Pelseneer, der gleich Böhmig
keinen Nervenursprung aus dem Globulus feststellen konnte, hält
dafür, dass „ce lobule ne semble avoir physiologiquement rien
a fair avec les organes actuels des sens speciales“ und betont dies
Lacaze-Duthiers gegenüber. Er verfällt aber dann in einen
doppelten Irrtum, denn erstens will er auch bei den CGephalopoden
solch einen „Laterallobus“ gefunden haben,') denen, wie wir weiter
unten sehen werden, dieser doch fehlt und dann will er ihn mit
dem hinteren Hirnlappen der Polychaeten gleichstellen. Ebenso
irrig ist die Vorstellung Sarasins ja auch, dass es sich in
dieser ontogenetischen Anlage das einstige Bestehen von Kopf-
gruben-Sinnesorganen der Würmer (Nemertinen u. a.) zu erblicken
wäre. Steht es somit bezüglich des Globulus fest, dass er das-
selbe (rebilde ist, welches die oben Genannten durch eine Invagi-
nation des Eetoderms entstehen sahen, und hierfür ist, meine ich,
am massgebendsten eine Abbildung der Sarasins (l. c. Fig. 28),
so erscheint eine andere Anlage am frontalen Hirnende für das
entwickelte Tier als Gehirnteil zweifelhaft. Doch möchte ich
mich diesbezüglich auf Pelseneer berufen. Es sind dies die
dorsalen Lobuli Pelseneers, die allerdings im Gegensatz zu
ihm Nabias (31) mit der Cerebralkommissur in Zusammenhang
gesehen haben will, sein Protocerebron. Demgegenüber behauptet
Pelseneer, dass sie mit dem Gehirn nicht zusammenhängen.
!, Der weisse Körper medianwärts von den Augen würde nach
Pelseneer als eine ectodermale Einstülpung entstehen. Wegen dieser
Art der Entstehung — kann ja doch auch drüsiger Natur sein — kann
ınan aber nicht auf eine Homologie mit den Globuli schliessen.
270 BSrNanlalere
Wenn ich allerdings die Abbildungen zweier Querschnitte von
Pelseneer, eine über das Gehirn von Limnea (l. c. Fig. 57),
die andere über jenes von Auricula (Fig. 61), betrachte, so kann
ich den Gedanken nicht abwehren, dass es sich hier bloss um
einen vorgeschobenen Abschnitt des Globulus handelt, wie ihn
Paludina und Murex zeigen und wie dies weiter unten noch
erörtert werden soll.
Nicht unterrichtet sind wir über die Globuli der räuberischen
Opithopneumonen und doch lässt es sich vermuten, dass unter
den Testacelliden noch eine höhere Stufe der Entfaltung erreicht
sein wird als bei Limax, und zwar wegen der rämbesischen
Lebensweise, die doch höhere Intelligenz voraussetzt.
B. Opisthobranchier.
Eine kleine auf die Art nicht bestimmte Art der Grattung
Oneidiella diente mir zur Untersuchung neben Siphonaria. Es
besteht bei den Oncididen, diesen den Pulmonaten nahestehenden
Nudibranchiern, bekanntlich das Gehirn (Textfig. 5, eg) aus zwei
seitlichen Hälften, die durch eine längere Cerebralkommissur
(ce) miteinander verbunden sind. Eine kurze Cerebropedal-
kommissur (cp) vermittelt den Zusammenhang mit den läng-
lichen, untereinander durch zwei Kommissuren wie bei Onieidium
celticum nach Joyeux-Laffuie (25) verbundenen Pedalganglien
(pg), während eine noch kürzere Visceralkommissur das Gehirn
mit den jederseitigen Pleuralganglien (plg) verbindet. Die beider-
seitigen Pleuralganglien, obgleich gut abgegrenzt, sind verschmolzen
mit dem unpaaren hinteren Eingeweideganglion (heig).
An dem Gehirn finde ich lateralwärts und hinter den Kopf-
nerven eine sehr ansehnliche Aufbuchtung, die ähnlich wie der
Globulus bei Limax etwas seitwärts schaut. Diese Vorwölbung
am Gehirn erwähnt Joveux-Laffuie bei Oncidium nicht, und
auch Plate (36), v. Wissel (47) und Stantschinsky (43)
scheinen sie übersehen zu haben.
Auf Schnitten zeigt es sich nun, dass dieser Hügel an jedem
Cerebralganglion anders gebaut ist (Fig. 32, gr + gn) als die
übrige Gehirnrinde, denn während letztere aus grossen Zellen
besteht, ist die des Hügels aus kleinen sternförmigen Ganglien-
zellen gebildet, denen keine anderen Zellen beigemengt sind, sie
vielmehr der übrigen Rinde gegenüber gerade so scharf abgegrenzt.
DD
—ı
mi
Die Intelligenzsphären des Molluskengehirns.
sind, wie bei den Egelschnecken. Es handelt sich somit hier um
einen für die Mollusken hochentwickelten Globulus, was auch
daraus hervorgeht, dass die sehr dicke Globulusrinde (gr) mit
zahnartigen Fortsätzen in das Globulusmark (gm) vorspringt, also
eine Flächenvergrösserung be-
sitzt. Dieser Globulus steht so-
mit genauestens auf derselben
hohen Stufe wie jener von Limax.
Seine ansehnliche Kommissur (ge)
ist denn auch in der Cerebral-
kommissur (ce) von dem hinteren
Abschnitt durch ihre feinen
Fasern ausgezeichnet.')
Von der Gattung Siphonaria
habe ich die Art albicans auf
den Globulus hin untersucht.
Es lässt sich da, allerdings nur
auf Schnitten, am äusseren Rande DE Reig
des Cerebralganglions zwischen
den Kopfnerven und der Cere- Die rechte Hälfte des Schlundringes
bropleuralkommissur ein kleiner von Oncinella. cg — Cerebral-,
hügeliger Wulst erkennen pg — Pedal-, plg — Mantelganglion.
(Fig. 34. g), dessen Ganglien- Links ist die Verbindnng zwischen
rinde bie zur Nzehder Kopf- gesen Ganglion und dem hinteren
Eingeweideganglion (heig) durch-
en, = kleineren Zellen 8° schnitten und dieses nach rechts
bildet ist, als die übrige Rinde seschlagen. Die Intelligenzsphäre
des Gehirns; auch findet sich (Globulus) schwarz. cp = Commis-
Fig. 5.
unter dieser Zellage eine solche Wa pedalis; ev — Commissura vis-
feine Markmasse (gm) Else ceralis; ce = Commissura cerebralis;
Ai c » 7 .
; ac — Acusticus.
sonst nur den Globulis zukommt.
Es handelt sich hier somit unbestreitbar um einen sehr primären
Globulus. Jedenfalls ist die Entfaltung im Gange, denn zwischen
den kleinen Zellen finden sich auch solche grosse Zellen, die sonst
der Globulusrinde nicht angehören und die längeren Bahnen und
!, Eine zweite Kommissur, die Plate bei Oncidium fand, ist nicht
etwa auf eine Abtrennung der beiden Bündel voneinander zurückzuführen
bei dem Oncidium, da die zweite Kommissur nach Plate subösophageal
liegt. Sie hat damit mit den Cerebralganglien nichts zu tun und wird
wohl nur als eine Anlagerung von nebenher laufenden Nerven zu deuten sein.
272 B. Haller:
peripheren Fasern zum Ursprunge dienen. Aus der Globulusrinde
sind somit diese Elemente noch nicht ausgeschieden worden.
Andere Opisthobranchier auf ihr Intelligenzgebiet zu unter-
suchen, hatte ich kein geeignetes Material und so kann ich hier
bloss die Tatsache feststellen, dass bei ihnen bezüglich der
Intelligenzsphäre oder Entfaltung der Globuli zwei extreme
Fälle vorkommen: ein beginnendes Stadium bei den
lediglich wasserbewohnenden Siphonarien, die
höchste Entfaltung, die wir bisher kennen, bei den
amphibischen Onecidien.
C. Prosobranchier.
Von Prosobranchiern untersuchte ich auf die Globuli hin
von Docoglossen Nacella vitrea, von Zeugobranchiern Fissurella,
die beiden Neotaeniglossen Paludina und Cypraea histrix, von
Rachiglossen Oliva peruviana und Murex brandaris.
Bei Fissurella habe ich die Tatsache feststellen können,
dass von einem Globulus nicht einmal die erste An-
lage einer Sonderung besteht, denn an der bezüglichen
Stelle ist die Zellenrinde genauestens noch so gebaut, wie sonst
am Gehirn. Dieses Stadium hat aber Nacella unter den Doco-
glossen weit überschritten, denn bei ihr findet sich ein kleiner
Globulus vor, der auf einem},etwas höheren Stadium stehen dürfte
wie jenes von Siphonaria. Es liegt dieser genau hinter den Kopf-
nerven lateralwärts am Ganglion (Textfig. 6, A, gl), also auf der
bisher üblichen Stelle. Er ist etwas vorgewölbt (Fig. 33, gr + gm),
besteht aus kleinen Sternzellen und einer deutlich kennzeichnenden
Markmasse (gm), aus der nur ein kräftiges Bündel als Kommissur
(cg) sich in die Cerebralkommissur begibt, mit deren gröberen
Fasern sich dann diese feinen aber vermischen.
Zwischen den kleinen Sternzellen finden sich aber in der
(lobulusrinde auch andere grössere Zellen, die noch aus der
Globulusrinde nicht ausgeschieden wurden und längeren peripheren
Nervenfasern und anderen langen Bahnen zum Ursprung dienen.
Es hat sich somit hier der Globulus noch nicht voll
entfaltet.
Auf gleichem Stadium der Entfaltung befindet sich der
Jederseitige Globulus auch bei den Architaennioglossen. Bei Cypraea
liegt er an gleicher Stelle wie bei Nacella, also hinter den
Die Intelligenzsphären des Molluskengehirns. 273
Kopfnerven in lateraler Lage (Textfig. 6, B, gl) und ist von
geringem Umfang, äusserlich unkenntlich. Er besitzt eine ge-
mischte Zellenrinde (Fig. 35, gr), d. h. zwischen den kleinen
Sternzellen befinden sich auch noch andere, der vorgeschrittenen
(lobulusrinde fremde Elemente und einem schmalen Globulus-
mark (gm).
Auf gleicher Stufe der Entfaltung findet sich der jeder-
seitige Globulus zwar auch bei Paludina, allein mit dem Unter-
cp R .-cD
Fig. 6.
Die rechte Hirnhälfte von oben. A von Nacella vitrea, BvonCypraea
histrio. y — innerer gangliöser Fortsatz; cc = Commissura cerebralis;
cp — Commissura pedalis; cv — Commissura visceralis; Gl — Globulus.
schiede, dass die Globuli ihre frühere Lage verändert haben und
von lateralwärts nach frontalwärts genau auf die vordere mediane
Seite des Gehirns verschoben wurden (Fig. 41, er + gm). Es
kann aber keinem Zweifel unterliegen, dass wir es hier mit den
Globuli zu tun haben, denn abgesehen von der charakteristischen
Zellenrinde (gr) befindet sich unter ihm ein ebenso kennzeichnendes
Globulusmark (gm). aus dem die Globuluskommissur sich entfaltet.
Die Globulusrinde steht aber doch nur auf jenem
Stadium der Entfaltung, aufdemwir sie bei Üypraea
getroffen. Ihr sonst fremde Zellen lagern zwischen den kleinen
Sternzellen. Von ihnen nach auswärts liegen jetzt somit die
Kopfnerven, ohne dass einwärts von dem Globulus motorische
grosse Zellen wären.
[89]
—I
He
B. Erarlller:
(renauestens die gleiche Lage wird von den Globulis auch
bei dem Rachiglossen Murex eingenommen, indessen die nächst-
verwandte Oliva die laterale ursprünglichere Lage der Globuli
aufweist. Ich brauche es wohl kaum zu sagen, dass Murex diese
Lage der Globuli in bloss konvergenter Weise mit Paludina
erreicht hat.
Bekanntlich ist der Schlundring der Rachiglossen durch seine
(sedrungenheit ausgezeichnet (9, 17), was dadurch erreicht ward,
dass sämtliche Kommissuren, Cerebral, Cerebropedal, Cerebro-
pleural in den konzentrierten Schlundring einbezogen wurden.
Es entsteht dadurch ein so innig gangliös abgeschlossener Schlund-
ring, wie er nur noch von CGoncholepas übertroffen wird. Die
fest aneinander liegenden ÜCerebralganglien besitzen oralwärts zu
einen konischen Fortsatz (Textfig. 7, bl), aus welchem die Kopf-
nerven, sechs an der Zahl, abtreten.) Hinter diesem Bulbus
verdickt sich dann das Gehirn zu je einem ovalen Ganglion,
dessen Längsachse bei Oliva (A, cg) sagittal, bei Murex (B, cg)
aber quergestellt ist. An das Üerebralganglion schliesst sich
nach hinten zu das in eine untere (v) und obere (h) Hälfte sich
teilende Pleuralganglion an. Beide Hälften wieder sind in je
zwei Abschnitte zerlegt, von denen der vordere (Fig. 28, 29, 30,
plg) mit dem Üerebralganglion (eg), der hintere (plg‘) mit dem
Pedalganglion (pg) verschmolzen ist. Jeder dieser Abschnitte
besteht aus einem grosszelligen und einem, im Cerebralganglion
darauffolgenden, im Pedalganglion ihm vorgelagerten kleinzelligen
Kern. Letztere der beiden Abschnitte berühren sich dann an
der Grenze, soweit sie in der Mitte miteinander nicht ver-
schmolzen sind. Es durchzieht dann die Cerebropedalkommissur
die (ranglienmasse, um dann mit einem Teil ihrer Fasern in
der queren Cerebralkommissur (cc) auf die andere Seite sich zu
begeben. Die vordere Hälfte des Pleuralganglions, also jene mit
dem Cerebralganglion verschmolzene, wird durch die Acusticus-
wurzel durchzogen (Fig. 28, ac). Ihre Fasern verästeln sich teils
') Am dritten Nerven befindet sich eine spindelförmige gangliöse Ver-
diekung, die ich 1881 bei Murex irrtümlich für die Otocysten hielt. Später
habe ich für Oliva diesen Fehler eingesehen und möchte heute auch für
Murex diesen berichtigen. Die Otocysten, deren Nerv der Acusticus aus
dem Cerebralganglion entspringt, haben ihre normale Lage auf den Pedal-
ganglien (pg).
Die Intelligenzsphären des Molluskengehirns. 2
in dem Vereinsgebiet (sg), teils treten sie in die gleiche Gegend
der anderseitigen Gehirnhälfte durch die CGerebralkommissur. Den
weiteren Zusammenhang mit zentralen Ganglienzellen der Acustieus-
fasern habe ich nicht verfolgt und kann nur berichten, dass ein
spezialisierter Acusticuskern mir nicht bekannt ist.
Im Cerebralganglion lassen sich mehrere Abschnitte je nach
der Art der Zellrinde unterscheiden. Ventralst liegt bei beiden
Gattungen jener Bulbus (bl), aus dessen grossen Zellen ein Teil
der Wurzelfasern der Kopfnerven entspringt. Über diesem Bulbus
befindet sich eine zumeist aus grossen motorischen, birnförmigen
Zellen, denen kleinere anlagern, gebildete Rinde (Fig. 29, i), und
die den zapfenförmigen Vorsprüngen des mittleren Abschnittes
bei den Pulmonaten entspricht. Dies geht schon daraus hervor,
dass sich aus ihr ein Bündel sammelt (v), dessen einer Teil in
die Gerebropedal- und Cerebropleural-Kommissur sich begibt.
der andere aber nach unten und vorne biegend zu Wurzelfasern
Fig. 7 A. Fig. 7 B.
Schlundring von oben. A von Murex brandaris, B von Oliva peru-
viana. cg= Cerebral-, pg — Pedal-, plg = Pleural-, gsb — Subintestinal-,
gsp — Supraintestinal-Ganglion;, k — Intestinalhalbring; ac = Acusticus;
bl = Bulbus des Cerebralganglions; gl = Globulus.
der Kopfnerven wird. Ausser den obigen und diesen Wurzel-
fasern beziehen die Kopfnerven Fasern aus allen Teilen der
übrigen Zellenrinde des Gehirns (Fig. 50). Dies zeigt sich un-
276 B. Haller:
gemein deutlich auf horizontalen Längsschnitten durch den
ventralen Cerebralganglienteil, was aus dem zu ersehen ist, dass
von überall (Fig. 31) und aus allen Zellengrössen Wurzelfasern
in die Kopfnerven gelangen, ohne dass man für die einzelnen
dieser einen bestimmten Abschnitt der Rinde als Ursprungsgebiet
bezeichnen könnte. Diese Zellenrinde zeigt gleichzeitig, dass sie
aus verschieden grossen Zellen zusammengesetzt ist und dass
weder grosse noch kleinere Elemente stellenweise die Rinde
beherrschen.
Um so auffallender ist es, dass bei der Oliva, wie ich schon
seinerzeit nebenbei berichtet habe, an der oberen vorderen Seite
des Gehirns beginnend (Fig. 28, gr) sich eine kleinzellige Rinde
befindet, die dann von hier seitwärts zu ziehend, tiefer ventral-
wärts eine ausgesprochen laterale Lage einnimmt (Fig. 30, gr).
Nach Schnittserien habe ich dann auf Textfig. 7, B, mit Schwarz (g])
die Form dieses kleinzelligen Rindenstreifens eingezeichnet. Er
ist oben und vorne breiter, endet nach innen abgerundet und
erreicht die sagittale Mittellinie zwischen der beiderseitigen (re-
hirnhälfte nicht, dort liegt vielmehr auch dorsalst der gross-
zellige Kern (Fig. 29, i). Dann wird diese kleinzellige Rinde
schmäler (Textfig. 7, A), um seitwärts sich wieder etwas ver-
breiternd nach hinten bis an das Pleuralganglion heranzureichen
(Fig. 30, gr).
Diese kleinzellige Rinde ist der Globulus. Er besitzt eine
ansehnliche Entfaltung, eine recht dicke Zellenrinde (gr) und eine
dementsprechende Markmasse (gm), aus der die Kommissura
(Fig. 28, eg) durch die Üerebralkommissura hindurch in die
andere Gehirnhälfte gelangt. Ist aber der Globulus der Oliva
von ansehnlicher Ausdehnung, so steht er geweblich doch nicht
auf der hohen Stufe jenes der stylommatophoren Pulmonaten,
nicht einmal auf jener von Helix. Seine Rinde wird nämlich von
zweierlei Zellen gebildet (Fig. 36), von kleinen Sternzellen, die
sich tief färben und von grösseren oder direkt grossen birn-
förmigen Elementen.
Die Globuli von Murex haben ihre frühere Lage insofern
verändert, als zusammengezogen auf eine geringere Fläche sie als
sehr tiefe Rindenschicht ganz medianst lagern (Textfig. 7, B. gl),
also so wie bei Paludina. Sie (Fig. 39, gr) verdrängen somit
dorsalst von dieser Stelle die motorische Rindenschichte (i) seit-
Die Intelligenzsphären des Molluskengehirns. 277
wärts und besetzen damit die ganze mediane Dorsalseite des (ie-
hirns. Dies um so mehr, als hinter ihnen hier noch ihr Faserbündel
(Fig. 40, gb) in das Vereinsgebiet hinziehend sich befindet, jenes
Bündel, das bei Oliva (Fig. 25, gb) eine tiefere Lage inne hatte.
Wie gesagt, ist die Globulusrinde von Murex sehr hoch und die
beiden Globuli berühren sich medianwärts (Fig. 39), ihre Kommissur
(eg) auf diese Weise verdeckend. Diese ist nach den feinen Fasern
gut getrennt von der übrigen Cerebralkommissur (ce).
Immerhin ist auch die Globulusrinde von Murex
noch nicht rein von ihr fremden Ganglienzellen
(Fig. 37), die allerdings bereits in geringerer Zahl als bei Oliva
zwischen den kleinen Sternzellen lagern.
Fassen wir somit dasjenige zusammen, was über die In-
telligenzsphären des Gehirns bei den Prosobranchiern in vor-
stehendem Abschnitt mitgeteilt ward, so kommen wir zu dem Er-
gebnis, dass der erste Schritt zueiner Differenzierung
der Globuli unter den Prosobranchiern nicht bei
den Zeugobranchiern, sondern bei den Docoglossen
erfolgte. Diesengegenüber machen die Architaenio-
glossen keinen Fortschritt, was aber bei den Rachi-
glossen erreicht wird. Doch ist auch bei diesen die
höhere Stufe, welche die stylommatophoren Pulmo-
naten erreicht haben, noch nicht errungen.
Selbstverständlich sind auf die Globuli hin auch noch
andere Prosobranchier, brevi- wie longikommissurale Neotaenio-
glossen und Toxiglossen zu prüfen, was mir leider wegen Material-
mangel nicht möglich war.!)
D. Cephalopoda.
Das ursprünglichere Verhalten des Zentralnervensystems
der Cephalopoden findet sich naturgemäss bei dem einzigen
rezenten Vertreter der Tetrabranchiaten, dem Nautilus. Aus-
führlicher wurde dieses Nervensystem durch Owens (32) und
Iherings Beschreibungen bekannt. Wie durch diese Forscher
festgestellt wurde, besteht das Zentralnervensystem dieser Form
aus einem weiten Schlundring, dem von hinten ein Halbring mit
') Nur durch die vor zwei Jahren mir gewährte kleine Unterstützung
der Heinrich Lanz-Stiftung hier, konnte ich auch diese Arbeit ausführen,
da meine Finanzen dazu nicht genügen.
9.0)
278 B. Haller:
seinen beiden Schenkeln sich anschliesst. Dieser Halbring liegt
ebenso unter dem Darm, wie der untere Teil des Vollringes und
nur der andere Teil dieses lagert über dem Schlundrohr. Der
Halbring ist der Visceralstrang, der über dem Schlundrohr gelegene
Teil des Vollringes der Cerebral-, der unterhalb desselben gelegene
der Pedalstrang. Aus letzterem gehen nach Owen die Nerven
zu der Tentakelkrone oder den Kopffüssen. Dieser Befund war
dann wohl die Veranlassung dafür, dass bei den Cephalopoden die
Kopffüsse als von pedalen Zentren innerviert dem Fusse zugerechnet
wurden. Ihering, der das Zentralnervensystem von Nautilus
ausführlicher verfolgt hatte (23), tritt dieser Ansicht entgegen,
indem er die Nerven aus dem oberen Schlundringe für die
Innervierung der Cirrhen in Anspruch nimmt. Iherings Be-
schreibung des Zentralnervensystems vermag ich im allgemeinen
zu bestätigen und möchte meine Beobachtungen hier gleich anfügen.
Der Cerebralstrang (Textfig. S, A, B, c) ist ein kräftiger
(Juerstrang von ansehnlicher Länge und gibt an seiner dorsalen
Seite, entlang einer niedrigen Kante, eine grosse Zahl von feineren
Nerven ab. Diese sind an der Kante in zwei Reihen, einer
vorderen und einer hinteren, angeordnet, und zwar so, dass je
einem vorderen ein hinterer Nerv entspricht. Diese Nerven
gehen sämtlich an die dorsalwärtigen Kopffüsse
oder hier Cirrhen. Der äusserste dieser Nerven (nb), es ist ein
vorderer, ist mächtiger als die anderen und gelangt an die
Mundeirrhen. Einen Nerv unter diesen Cerebralnerven, der, wie
Ihering meint, an die Buccal- oder vorderen Eingeweideganglien
gelangen würde, kenne ich nicht.
An seinem lateralen Ende geht der Üerebralstrang über
nach hinten zu in den Pleurovisceralstrang, nach vorne zu in den
Pedalstrang, und genauestens an der Stelle, wo dies erfolgt, d. h.
wo alle drei Halbringe aneinanderstossen, geht der mächtige
Sehnerv (op) ab. ohne, wie bekannt, am Auge ein Ganglion zu
haben. Von hieraus biegt der Pleurovisceralstrang nach unten
und innen (pv), um mit der anderseitigen Hälfte unter dem Darm
einen Halbring zu bilden. Aus jeder Hälfte des Pleurovisceral-
stranges treten je zwei Gruppen mächtiger Nerven ab. Das
geringere äussere Bündel, bestehend aus vier Nerven, ist jenes
des Palliums (np), das innere das vier grosse Stämme enthält
die eigentlichen Visceralnerven (nv).
Die Intelligenzsphären des Molluskengehirns. 279
Fig. 8 B.
Nautilus pomp. A das Zentralnervensystem von hinten, B die rechte
Hälfte von der Seite. p — Pedal-, ce — Cerebral-, pv — Pleurovisceral-
Strang; cp — Üerebropedaler Abschnitt; np — Nervi pleurales; nv =
Nn. viscerales; op — Nerv. opticus.
280 B. Haller:
Das Verhalten der unteren Hälfte des Vollringes zur oberen
oder zum Üerebraistrange ist bezeichnend, denn während ihr
oberer an Cerebral- und Pleurovisceralstrang angewachsener Teil,
wie seit Ihering bekannt, verdickt ist (cp), ist der untere
Teil, der rein kommissural ist und keinen Nerven abgibt (p),
ganz einfach und glatt, doch der Mitte zu etwas verbreitert.
Der obere Teil ist somit gangliös und entsendet bekanntlich die
Nerven. Fine Grenze zwischen diesem gangliösen Abschnitt und
dem Cerebralstrang gibt es aber nicht. Besser noch ist die
Begrenzung dem Pleurovisceralstrang gegenüber gegeben, und
einen Teil der von hier abgehenden Nerven müssen wir noch
dem Üerebralstrange anreihen. Gleich unter dem Opticus, diesem
ganz fest anlagernd, tritt der Acusticus (ac) ab und dieser
liegt ausserhalb der Reihe der übrigen. Jene niedrige Kante
nämlich, welche dorsalwärts auf dem Cerebralstrang sich befindet
und an die sich die Öerebralnerven anreihen, beschreibt vor dem
Opticus einen Bogen, um auf diese Weise auf den gangliösen Teil
der unteren Ringhälfte sich fortzusetzen. An dieser Kante nun,
beginnend in gleicher Höhe mit dem oberen Opticusrande, befindet
sich eine Reihe von Nerven, die entlang des ganzen gangliösen
Teils der unteren Ringhälfte (ep) hinzieht und deren unterster
der Trichternerv (tn) ist. Der oberste Nerv dieser Reihe (ec. veig),
der mit dem Trichternerv der stärkste der ganzen Reihe ist —
die anderen sind untereinander gleich stark — ist die Kommissur
zu den vorderen Eingeweideganglien oder den Buccalganglien.
Nur diese Reihe von Nerven hatte Ihering gesehen, doch
sind diese nur ein Teil der Nerven, welche von dem gangliösen
Abschnitt der unteren Ringhälfte abgehen. Der grössere Teil
der Nerven geht innen von der oben genannten Kante ab (B).
Diese Nerven sind in drei nebeneinander herabziehenden Reihen
angeordnet und zwar alternieren die Nerven der einen Reihe
mit jenen der anderen, wobei die der äusseren die mächtigsten.
die der inneren die schwächsten sind. Alle diese Nerven gelangen
an lateral und ventral angeordnete Kopfeirrhen.
Während somit die dorsalen Kopfeirrhen des
Nautilus von Nerven des Cerebralstranges versorgt
werden, werden die seitwärtigen und unteren von
Nerven versehen, die aus einem Grenzgebiet zwischen
Cerebral- und Pedalstrang entspringen, und welche
Die Intelligenzsphären des Molluskengehirns. 281
gangliöse Verdickung jederseits darum das Inter-
cerebropedal-Ganglion genannt werden möge.
Dieses Verhalten ist aber phyletisch wichtig für die Be-
urteilung der Kopffüsse der Dibranchen, wie ich dies jetzt schon
bemerken möchte.
Der höchst konzentrierte Schlundring der Dibranchen ist
schon seit altersher wohl bekannt, ich nenne hier in erster Linie die
Veröffentlichungen Che&rons (4), Owsjanikowsund Kowalewskys
(33), Stiedas (44), Dietls (5) und Pelseneers (34).
Owsjanikow und Kowalesky unterscheiden an dem
Schlundringe: das obere Gehirn oder das obere Schlundganglion,
das untere Gehirn oder das untere Schlundganglion und die beiden
Optieusknoten, doch zählen sie auch die „Buccalganglien“ noch
dazu, obgleich wie sie ja selbst bemerken, dieselben nicht mehr
in der Knorpelkapsel „der Schädelhöhle“ liegen. Das obere Gehirn,
„das Analogon des Gehirns der höheren Tiere“, zerfällt in vier,
durch schwache Furchen voneinander geschiedene Ganglien, nämlich
in das vordere, mittlere, hintere oder die „Hemisphären des
grossen Gehirns“ und das untere. Das vordere Ganglion ist unter
allen das kleinste und besteht aus zwei medianst miteinander
verbundenen Teilen. Es besteht aus grossen, mehr peripherwärts
gelegenen und kleineren, fest aneinander lagernden Zellen und steht,
ohne Nerven zu entsenden, nach drei Richtungen mit anderen
Ganglien in kommissuraler Verbindung, wobei es auch durch eine
Verbindung mit dem vorderen unteren Schlundganglion zusammen-
hängt, und welche Verbindung die „vordere Kommissur“ heisst.
Das mittlere Ganglion besteht aus zwei nach oben gewölbten
Hälften und wird seine Rinde durch kleine, untereinander anasto-
mosierende Zellen, die gleich den kleinen Zellen des vorderen
Ganglions sind, gebildet. Beide Ganglienhälften stehen nicht nur
miteinander in Verbindung, sondern auch mit dem hinteren Ganglion
und dem oberen Schlundganglion. Auch die Rinde des grossen
hinteren Ganglions besteht nur aus kleinen Zellen, doch ist die
Rinde ungleich diek. Ihre Oberfläche wird bei Octopus in fünf
zueinander parallele, nach hinten hinziehende Windungen zerlegt,
wodurch eine Ähnlichkeit mit dem Grosshirn der Säugetiere
entsteht. In der Basis der oberen Schlundganglien befindet sich
die Commissura optica und vor dieser ein „Nervenknoten“ von
ansehnlicher Grösse, der dorsalwärts eine Zellenlage besitzt.
Archiv f. mikr. Anat. Bd.81. Abt. I. 19
282 B. Haller:
Das untere Schlundganglion steht durch zwei Kommissuren
mit dem oberen in Verbindung und zerfällt in einen vorderen,
mittleren und hinteren selbständigen Knoten. Aus dem vorderen
gehen die Nerven zu Kopffüssen und Kopfmuskeln, aus dem
mittleren an den Trichter, das Gehörorgan und die Augen-
muskeln, während der hintere die Mantel- und Eingeweide-
nerven abgibt.
Die sechs Jahre später erschienene Arbeit Stiedas bringt
im wesentlichen nichts Neues gegenüber den Befunden oben
genannter Forscher und kann somit als eine Bestätigung jener
Befunde gelten, doch berichtet er am Nervus optieus über ein
kleines Ganglion, das er Ganglion pedunculi nennt und das ältere
Autoren für olfaktorisch hielten. Stieda unterscheidet am oberen
Schlundganglion einen vorderen, mittleren und oberen (den hinteren
der zwei früheren Autoren) Knoten, ferner einen unteren, hinteren
und zentralen. Am unteren Schlundganglion führt er gleichfalls
die drei Abschnitte an.
Neu wäre also der zentrale Knoten.
Dietl(5) nennt das vordere Ganglion des supraösophagealen
Schlundringabschnittes kurz Supraösophagealganglion, das darauf-
folgende den unteren Frontallappen. Das hintere Ganglion der
bisherigen Autoren wird in ein vorderes Stück, den oberen Frontal-
lappen und ein hinteres Stück geschieden. Dieses hintere, welches
bei den Octopoden die bekannten Längsgyri zeigt, nennt er den
Scheitellappen. Was unter diesen Teilen liegt, heisst hinterer
und vorderer Basallappen. Der obere Schlundring steht mit dem
unteren durch zwei Seitenkommissuren in Verbindung. Der erste
Abschnitt des Subösophagealabschnittes, der auch den Namen
Brachialganglion führt, hängt jederseits mit einer vertikalen
Seitenkommissur mit dem ersten Abschnitt des Supraösophageal-
teiles zusammen. Eine hintere gleichgestellte Kommissur ver-
bindet den hinteren Basallappen sowohl mit dem pedalen, als
auch mit dem pleurovisceralen Teil des unteren Schlundringes.
Erstere ist die Commissura anterior, letztere die Commissura
posterior. Ausserdem kommt Dietl als erster aber auch auf eine
(uerkommissur über den Ösophagus, die die beiden Brachial-
sanglien untereinander verbindet. Diese Kommissur hat später
auch Pelseneer erkannt und auf einem (Querschnitte bei Octopus
abgebildet (34, Fig. 3).
Die Intelligenzsphären des Molluskengehirns. 2853
War eine gewisse Einigkeit in den einzelnen Abschnitten
des Schlundringes vorhanden, so entstand ein Zweifel darüber,
ob das Brachialganglion, der erste Abschnitt des unteren Schlund-
ringes cerebraler oder pedaler Abkunft sei und je darnach,
ob es dorthin oder hierher gerechnet wurde, wurden die Kopf-
füsse als Abkömmlinge des Kopfes oder des Fusses betrachtet.
Ihering trat für die erste Ansicht ein und Grobben(S)
entwickelte sie später ausführlicher. Für Grobben sind mehrere
Punkte massgebend. Die Dietlsche hintere Schlundkommissur
wird von aussen von einer Ganglienrinde umgeben, die zweifellos
dem oberen Schlundringe entstammt und mit dieser sollen auch
Optikusfasern in Verbindung stehen. Somit setzt sich der obere
Schlundring, wie auch Ihering annahm, auch nach dem unteren
Schlundringe zu fort. Es ist somit diese Kommissur, da sie
sowohl pedale als viscerale Teile nach oben zu verbindet, die
Vereinigung von Cerebrovisceral- und Cerebropedalkommissur.
Die vordere Dietlsche Kommissur geht aber nur bis zum
Brachialganglion, sie führt Nervenbündel von oben in das
Brachialganglion und von dort in die Brachialnerven, aber aus
über dem Schlundring gelegenen Teilen und somit ist das
Brachialganglion seinem Ursprung nach nicht Pedal-, sondern
Öerebralganglionteil. Die über dem Schlunde gelegene, durch
Dietl zuerst erkannte Brachialkommissur wäre aber für Grobben
am ausschlaggebendsten für die cerebrale Natur der Brachial-
ganglien.
Dieser Ansicht trat zwei Jahre später Pelseneer (34)
entgegen, der jene Ansicht vertritt, nach der die Brachial-
ganglien pedaler Abkunft seien. Seine Beweisgründe sollen um
so treffender sein, da er seinem wissenschaftlichen Gegner
gegenüber über eigene Beobachtungen verfügt. Die Deutung
der cerebrobrachialen. der brachio-supra-ösophagealen und der
pedio-brachialen Kommissuren soll seiner Ansicht nach unrichtig
sein. Unrichtig sei es, dass die cerebrobrachiale Kommissur
eine ursprüngliche Einrichtung sei, welche als solche sie mit
ihrem Mutterboden, dem Cerebralganglion, verbände. Es sei
diese Verbindung nicht primär. Auch die Ontogenese spreche
dafür, dass die Verbindung zwischen den Cerebralganglien mit
den Pedalganglien sehr früh entstünde, indessen jene der Üerebral-
ganglien und der Brachialganglien sich viel später entfalte.
19%
284 B. Haller:
Auch die supraösophageale Brachialkommissur wäre als sekundär
zu betrachten und darum ohne Beweiskraft. Seiner Meinung nach
sei eben das Brachialganglion pedaler Abkunft. Indem ich diese
Meinungsverschiedenheiten hier kurz erwähne, will ich weiter unten
auf dieselben noch einmal eingehen, zuvor die eigenen Beobach-
tungen mitteilend.
Meine Beobachtungen beziehen sich lediglich auf Eledone,
und der Hauptzweck war eben die Feststellung des Verhaltens
einer möglicherweise sich vorfindenden Intelligenzsphäre, gleich
wie bei den Gasteropoden. Da aber das Zentralnervensystem der
Dibranchen eben eine eigenartige Bildung ist, die nicht ohne
weiteres mit dem in Cerebral-, Pleural- und Pedalganglien ge-
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Fig. 10.
Eledone. Das ganze Gehirn von der rechten Seite. Bezeichnungen wie
auf Textfig. 11.
sonderten Schlundringe der übrigen Weichtiere verglichen werden
kann, eben wegen seiner phyletisch anderen Entfaltung, so war
es im Gegensatz zu den Gasteropoden unvermeidlich, sein gesamtes
Verhalten zu verfolgen.
Es zeigt das Zentralnervensystem von Eledone, wenigstens
von der Seite gesehen, die grösste Ähnlichkeit mit jenem von
Die Intelligenzsphären des Molluskengehirns. 285
Octopus, besonders wie dieses Owsjanikow und Kowalewsky
abgebildet haben (I. c. Fig. 4, Taf. V).
Ich unterscheide auch zwei Hauptabschnitte, eben den supra-
und subösophagealen Teil oder den oberen und unteren Schlund-
ring. An dem oberen sind vier hintereinander gelegene Abschnitte
zu unterscheiden und zwar der erste (Textfigg. 10, 11, c'), der zweite
(c?), der dritte (c?) und vierte (c*). Der zweite Abschnitt wird
dem ersten und dritten gegenüber begrenzt durch je eine Quer-
furche, welche dann lateralwärts von vorne nach hinten und unten
gerichtet sind. Es sind die beiden vorderen Abschnitte schmal
Fig. 11.
Eledone. Das ganze Gehirn von hinten. oe — Ösophagus; e!—c* — die
vier Abschnitte des Cerebralgehirns ; rg — Retinalganglion ; &b — Branchial-,
gp = Pedal-, g.pv = Pleurointestinalganglion; n — dritter Cerebralnerv ;
nb — Branchialplexus; tn = Trichter-, np — Pallial-, nv — Visceralnerv:
op — Opticus; ac = Acusticus; g — Opticusganglion.
der Länge nach, aber breit der Quere nach, indem sie ja den
ganzen vorderen Abschnitt des oberen Schlundringes ausmachen.
Die begrenzenden Querfurchen sind tief und der zweite Abschnitt
wird dem dritten gegenüber dadurch völlig abgegrenzt (Fig. 62),
ISb B. Haller:
indessen es sich mit der Furche zwischen dem ersten und zweiten
Abschnitt (e!, ce?) anders verhält. Diese Furche trennt nämlich
die beiden Abschnitte oben nur oberflächlich voneinander (A, B, c)
und nur lateralwärts erfolgt eine völlige Abgrenzung der beiden
Abschnitte gegeneinander (D). An ihrem Bodenteil sind somit die
beiden vorderen Abschnitte miteinander verwachsen.
Der dritte Abschnitt des oberen Schlundringes (ce?) ist allein
schon so mächtig wie die beiden vorderen zusammen, aber besitzt
nicht ganz dieselbe Tiefe (Fig. 62). Er zerfällt durch eine Quer-
furche in ein vorderes und hinteres Stück, doch sind die beiden
Stücke nur oberflächlich voneinander getrennt, da die Querfurche von
geringer Tiefe ist. Diese Abgrenzung scheint nur Eledone eigen,
da Owsjanikow und Kowalewsky es bei Octopus nicht
erwähnen und den dritten Abschnitt einheitlich darstellen. Es
wird der ganze Abschnitt in fünf Längswülste zerlegt, indessen
bei Eledone diese Längswülste, aber acht an der Zahl, nicht
einmal ganz bis zur Querfurche reichen (Textfig. 11, ec”) und
somit der vordere Teil des Abschnittes glatt erscheint. Dadurch.
dass an den Längsfurchen Seitenfurchen sich wenigstens stellen-
weise finden, wird die Gliederung noch vollkommener, doch dürften
da individuelle Änderungen bestehen und im grossen und ganzen
wird die Wulstzahl doch gut gewahrt. Kappenförmig liegen dann
diese Wülste über dem vierten Abschnitt des oberen Schlundringes
(Fig. 59, c?). Die Abgrenzung des dritten Abschnittes dem vierten
gegenüber ist nur hinten eine überall vollständige, denn obgleich
medianwärts die Abgrenzung auch besteht (Fig. 62, A), so ist
die Vereinigung lateralwärts doch vorhanden (B, C). Der vierte
Abschnitt ist der mächtigste unter allen Abschnitten des oberen
Schlundringes (Textfig. 10, c*). Oben, an dem oberen Rand des
Pleurovisceralganglions (g.pv), senkt er sich dann allmählich
nach unten auf den unteren Schlundring am Pedalganglion (gp)
herunter und endet hinter und unter dem Opticus, begrenzt nach
vorne vom herunterziehenden Acusticus (ac). Dieses Übergreifen.
es ist nur eine herabhängende Faltung, ist von meinen
Vorgängern gesehen und, wie ich eben mitteilte, durch Grobben
bei seinen Erörterungen zugunsten seiner Ansicht benutzt worden.
Ist der vierte Abschnitt an und für sich schon gross, so
wird eine weitere Flächenvergrösserung seiner Zellrinde noch
dadurch erreicht, dass diese sich vielfach faltend dadurch Fort-
Die Intelligenzsphären des Molluskengehirns. 287
sätze in die Markmasse des Abschnittes entsendet, wodurch auf
Schnitten Zellinseln vorgetäuscht werden (Fig. 62, A, B, C).
Der Opticus versenkt sich an jener Stelle in den oberen
Schlundring, wo die verschiedenen Abschnitte des oberen Schlund-
Yinges aneinanderstossen (Textfig. 11, op) und von wo an nach
hinten zu der obere Schlundring mit dem unteren verwachsen und
auch die Zellrinde einen kontinuierlichen Überzug bildet (Fig. 62,
58, 59). Es tritt der Opticus somit in erster Linie mit dem
vierten Abschnitt des oberen Schlundringes in Verbindung. Hier
befindet sich auch die Commissura optica, ein Querbündel
(Fig. 58, co), das knapp hinter den Acusticuskernen gelegen
(Fig. 62, na), von ansehnlicher Mächtigkeit (co) ist und von der
anderseitigen Hinterhälfte Fasern bezieht. Wir finden sie bei
Owsjanikow und Kowalewsky auf einem (uerschnitte des
Octopusgehirns (l. ec. Taf. V, Fig. 2) abgebildet.
Es strömen dann die Öpticusfasern ins Hirn herein und
gelangen, mit einziger Ausnahme des ersten Abschnittes, der sich
auch geweblich von den anderen unterscheidet, in alle Ab-
schnitte und es steht somit mit einziger Ausnahme
des ersten Abschnittes der ganze obere Schlundring
im Dienste des Opticus. Der zweite Abschnitt empfängt
ein starkes Bündel (Fig. 62, D, op) aus den Wülsten des dritten
Abschnittes. Auch an den vorderen Teil desselben treten viele
Einzelbündel heran, wie das an der zuletzt angeführten Abbildung
Owsjanikows und Kowalewskys am besten zu sehen ist.
Dort, wo der kurze, dicke Opticus das grosse Sehganglion
mit dem Gehirne verbindet, befindet sich ein kleines lang-
gestrecktes, bei Eledone wenigstens sogar gefurchtes Ganglion
(Textfig. 11, g) fest dem Opticus anliegend, doch ausserhalb
der Knorpelkapsel. Es ist jenes Ganglion, das Stieda als
Ganglion peduneuli bezeichnet. Wie ich es weiter unten
zeigen werde, ist dies Ganglion ein Stück abgetrennte Gehirnrinde
und steht mit dem vierten Abschnitte des oberen Schlundringes
in Verbindung. Es entsendet Fasern in das grosse Sehganglion,
das wohl mit Recht Retinaganglion genannt werden darf.
Lenhossek, der eine ausführliche Arbeit über den Bau dieser
Ganglien geschrieben (29) und darin gezeigt hat, dass ihr Bau
mit Abschlag der Sehepithelschichte die grösste Ähnlichkeit mit
der Retina der Neochordaten hat, sagt über dieses sogenannte
288 B. Haller:
Ganglion opticum, welche Bezeichnung eine periphere Abstammung
wohl voraussetzt, dass „wenn durch diese Bezeichnung, die funk-
tionell durchaus berechtigt ist, die Vorstellung erweckt werden
könnte, als sei das Organ ein Bestandteil des peripherischen
Sehapparates, so muss auf der anderen Seite wieder betont werden,
dass es seiner ganzen Lage und seinem Aussehen nach in morpho-
logischer Hinsicht mit ebensoviel Berechtigung als ein Teil des
Gehirns bezeichnet werden kann“ (l. ec. S. 50). Und wahrlich,
ein peripheres Ganglion ist es nicht, dagegen sprechen die
Verhältnisse bei Nautilus. Weder ich (15) noch Merton (30)
haben periphere Ganglienzellen um das Augen herum bei dem
Tetrabranchen feststellen können, diese fehlen eben und doch
müssten sie vorhanden sein, wenn wir das Retinaganglion der
Dibranchen von solchen ableiten wollten. Das Retinaganglion
der Dibranchen ist vielmehr ein von dem oberen Schlundring
abgelöster Teil, der sich dann weiterentfaltet hat infolge der
hohen receptorischen Ansprüche des Sehepithels, etwas Kongruentes
somit mit der Retina (ohne Stäbchen- und Zapfenlage) der Neo-
chordaten.
An der Stelle, wo der Opticus in das obere Schlundganglion
sich einsenkt, hinter ihm, gelangt die Gehirnarterie (Fig. 62, D)
in das Gehirn, einen unteren Ast für den unteren, einen oberen
für den oberen Schlundring abgebend, und gleich vor dem Opticus
befindet sich der Aeusticuskern (Fig. 62, ac). Es ist der
vordere Basallappen Dietls jenes Gebilde, das. auch Owsjanikow
und Kowalewsky gesehen, aber als Acustieuskern nicht erkannt
haben. Eine Kommissur befindet sich zwar in ihm (Fig. 62, cd),
doch gehört: er auch dem Opticus an.
Der untere Schlundring besteht erstens aus dem
Brachialganglion (Textfig. 11, A, gb), zweitens dem sog. Pedal-
ganglion (ep) und letztens dem Pleurovisceralganglion (g. pv).
Das kleinste unter ihnen ist bei Eledone so ziemlich das Pedal-
ganglion, obgleich von den Autoren für andere Formen das Gegen-
teil davon gemeldet wird. Es ist dies, scheint es, eine Eigen-
tümlichkeit bei Eledone und wird der geringere äussere Umfang
durch besonders mächtige Entfaltung der Ganglienzellrinde der
hinteren seitlichen Teile (Fig. 57) ersetzt.
Das Brachialganglion ist bei Eledone einheitlich (Fig. 55,
56) und hoch, wird aber dann nach hinten dem Pedalganglion
Die Intelligenzsphären des Molluskengehirns. 289
zu immer niedriger. An seinem vorderen Rande treten von jeder
Seite die acht mächtigen Brachialnervenwurzeln ab, die aber
sofort nach ihrem Abgange einen jederseitig mächtigen wahren
Plexus bilden und erst aus diesem Plexus sondern sich
die Brachialnerven als solche. Dies ist eine Tatsache,
die auf Schnitten ungemein besser zu erkennen ist, als auf ganzen
Präparaten. Zu diesem Plexus (Textfig. 10, Fig. 65, nb) gesellen
sich ausserdem aber je zwei Nerven aus dem ersten Abschnitt
des oberen Schlundringes (cb, cb‘), die lateralwärts übereinander
gelegen, jene Stätte verlassen. Sie ziehen nach unten (Fig. 65,
cb, eb‘) und verflechten sich vollständig im Plexus
brachialis (nb), deneinzelnen Bündeln dort Zuschüsse
gewährend. Es sind aber nur die zwei oberen
Brachialwurzeln, welche dieses Zuschussesteilhaftig
werden. die zwei unteren sind rein brachiogangliösen Ursprunges.
Ich werde auf diese, die bisherig strittigen Verhältnisse klärende
Tatsache weiter unten noch zurückkommen.
Gleich unter dem äusseren Gerebrobrachialnerven
zieht aus dem vorderen Abschnitt des oberen Schlundganglions
ein Nerv nach vorne (Textfig. 11, n), der, einem anderen Nerven
sich beigesellend, mit diesem (c. veig) zu den vorderen Eingeweide-
ganglien, den Buccalganglien, gelangt, um sich in diese zu ver-
senken. Jener aus der oberen Hälfte des Pedalganglions abgehende,
jedoch innerhalb desselben bis in das Pleurovisceralganglion ver-
folgbare Nerv ist aber die Kommissur jener peripheren Ganglien.
Diese erhalten somit nicht nur eine sympathische Kommissur,
sondern auch einen Cerebralnerven, der wohl mit der Innervierung
der Buccalmuskulatur zu schaften hat.
Obgleich die beiden Brachialganglien einheitlich miteinander
verschmolzen sind, befindet sich ventralwärts in ihnen doch eine
(uerverbindung, die ich die Commissura anterior (Fig. 62, A,
ca) nenne, im Gegensatz zur Dietlschen Ü. anterior, die der
Lage nach als Commissura superior (Fig. 62, cs) vorgeführt
werden soll.
Diese Kommissur hat, wie schon erwähnt, Dietl entdeckt
und Pelseneer den Befund bestätigt. Die C. superior, vor und
etwas unter dem ersten Abschnitt des oberen Schlundringes gelegen,
sitzt dem Ösophagus von oben fest auf (Fig. 55, cs) und versenkt
sich mit ihrem jederseitigen Schenkel in die gleichseitige Hälfte
290 BeHkranıkeur:
vom Brachialganglion (gb), ohne in irgend einer weiteren Beziehung
mit dem oberen Schlundring (ce!) gestanden zu haben, von dem
es durch die Neurogliahüllen getrennt ist. Die einzelnen der
jederseitigen vier Wurzeln der Brachialnerven entspringen zum
grössten Teil ihrer Fasern aus der hinteren Rindenwand des
Brachialganglions (Fig. 62, D, b) und ziehen durch die Mark-
masse in gesonderten, untereinander gelegenen Bündeln nach
vorne, oralwärts zu (Fig. 56, b.. In dem vorderen Abschnitt
des Brachialganglions befinden sich auf jeder Seite je drei über-
einander gelegene Zellkerne in der Markmasse (Fig. 55, k), welche
zwar von der (sanglienzellrinde völlig getrennt sind, ihre Ab-
stammung von dieser wird aber dadurch bewiesen, dass ein vierter
gleicher Kern (k‘) ventromedianst mit der Zellenrinde noch
zusammenhängt. Da die beiderseitigen dieser Kerne miteinander
verwachsen sind, nur in ihrer Mitte durch einen Blutgefässast
getrennt, so zeigt sich hier eine Unpaarigkeit. (sewiss eine
sekundäre Erscheinung.
In diese Kerne versenken sich nun die acht Wurzelbündel,
je eines in einen Nerv, zwei in den unpaaren — aber bloss um
sie zu durchsetzen, — von ihren grossen Zellen!) Verstärkungen
aufnehmend. Dabei gesellen sich in einemfort von der lateralen
Zellrinde her Bündel der Wurzel zu. Diese eingeschobenen
Kerne der Brachialnerven bestehen, wie die Zellrinde überhaupt,
auf welch letzteres Verhalten Owsjanikow und Kowa-
lewsky schon hingewiesen haben, aus grossen und kleinen
Ganglienzellen. Doch liegen in den eingeschobenen Kernen die
beiden Zellen vermischt untereinander. Die grossen Zellen geben
die peripheren Fasern ab, doch gibt es unter ihnen auch solche.
welche einen langen, auf Golgischen Präparaten deutlich
erkennbaren Fortsatz in die Commissura superior entsenden
(Fig. 55). Solch eine Faser gelangt dann auf die andere Seiten-
hälfte des Ganglions und löst sich jedesmal in das den gleich-
gestellten eingeschobenen Kern der anderen Seite umgebende
zentrale Nervennetz auf. Es verbindet sich somit eine solche
Kommissuralfaser aus dem obersten eingeschobenen Kern der
!) Die Arbeit Garjaeffs über Ganglienzellen der Cephalopoden (7)
war mir unzugänglich. Es ist wohl im Interesse der Sache zu bedauern,
dass solche entlegen erscheinende Veröffentlichungen Interessenten nicht zu-
gesandt werden.
Die Intelligenzsphären des Molluskengehirns. 29]
einen Seitenhälfte stets nur mit dem gleichobersten der anderen
Seitenhälfte usw.
Die Commissura superior ist also lediglich eine Verbindung
zwischen den eingeschobenen Kernen der beiden Seiten des
Brachialganglions.
Anders verhält es sich mit den Wurzelfasern aus der übrigen
Zellenrinde. Aus allen Teilen dieser gesellen sich Wurzelfasern —
Fortsätze der grossen Ganglienzellen — den Wurzelbündeln der
Brachialnerven zu. Diese begeben sich dann entweder in der
schon angegebenen Weise in die Wurzeln oder sie ziehen in die
Commissura anterior (Fig. 57, ca), durchsetzen diese und gelangen
erst auf der anderseitigen Ganglienhälfte in die betreffende Wurzel.
Eine Verbindung mit der anderseitigen Markhälfte des Ganglions
wird aber auch hergestellt dadurch, dass Seitenfasern des Haupt-
fortsatzes der grossen Ganglienzellen, aus denen eben die peri-
phere Achsenfaser abgeht, und die sich vielfach in der Markmasse
derselben Seitenhälfte auflösen, durch die Commissura anterior auf
die anderseitige Markhälfte gelangen, sich erst dort verzweigend.
So wird zum grössten Teil die Commissura anterior gebildet.
In der lateralen Wand der Ganglienzellenrinde findet sich
jederseits ein kleiner isolierter Kern (k) durch kleinere Zellen
ausgezeichnet. Dieser Kern gibt auch je eine Wurzel, die aus
feinen Fasern besteht, in den Plexus brachialis ab. Vielleicht
handelt es sich hier um sensorische Fasern.
Es steht, wie bekannt, das Brachialganglion mit dem oberen
Schlundring jederseits durch eine senkrechte Kommissur, einem
Konnektiv, in Verbindung, der Dietlschen Commissura anterior.
Bezeichnender ist aber die Benennung Commissura cerebro-
brachialis. Diese zieht, ohne einen ganglienzelligen Überzug
zu haben, von oben nach unten, gleich hinter den Schenkeln der
Commissura anterior. Sie sammelt ihre Fasern oben aus dem
ersten und zweiten Abschnitt des oberen Schlundringes (Fig. 62,
C, e, eb), bezieht aber auch ein Bündel von hinten, welches
(A, B, e, ch‘) seine Fasern sowohl aus dem dritten, als auch aus
dem vierten Abschnitt des oberen Schlundringes sammelt. Das
so sich bildende Hauptbündel (Fig. 56, ce, cb) versenkt sich dann
in die gleichseitige Hälfte des Brachialganglions, um sich dort
aufzulösen, denn eine etwaige Kreuzung in der Commissura anterior
konnte ich nicht beobachten.
292 B. Haller:
Bezüglich der Fasern der Commissura cerebrobrachialis be-
sitze ich Erfahrungen nur von dem ersten Abschnitt des oberen
Schlundringes. Da treten Hauptfortsätze grosser Ganglienzellen
(Fig. 56, rechts) in die Kommissur und lösen sich in der Mark-
masse des Brachialganglions auf. Es wäre aber immerhin möglich,
dass solche Fortsätze sporadisch, ohne ein Bündel zu bilden, aus
der anderseitigen cerebralen Hälfte sich auch so verhalten, denn
solche kreuzen sich wenigstens für die Markmasse des Cerebral-
ganglions (siehe oben).
Es gibt aber auch noch andere Fasern in der Commissura
cerebrobrachialis, solche nämlich, die aus Ganglienzellen des
Brachialganglions (siehe links) herrühren. Ferner kann ich die
Angabe meiner Vorgänger bestätigen, dass die Gerebrobrachial-
kommissur den oberen Schlundring auch mit dem Pedalganglion
verbindet. Die Commissuracerebrobrachialis ist somit
eine Verbindung des gesamten oberen Schlundringes
mit dem Brachial- und Pedalganglion.
Das Pedalganglion ist gut begrenzt dem Brachial-
ganglion gegenüber, weniger gut aber gegenüber dem Pleuro-
visceralganglion. Ersterem gegenüber ist es die starke Zell-
rindenschichte, welche als quere Einsenkung (Fig. 57, gp) die
Begrenzung besorgt. Ferner zeigt sich an dem Pedalganglion
eine gewisse Paarigkeit, die durch eine mediane Längsdelle
ventralwärts und Einwölbung der Zellenrinde dorsalwärts besteht
(Fig. 56, pg). Die Zellenrinde ist sehr mächtig mit vorherrschend
grossen Ganglienzellen.
Das Pedalganglion besitzt eine Querkommissur, die Com-
missura media (Fig. 57, 58, 62, em), und dient einem Nerven,
dem Trichternerven, und einer Nervenwurzel des Pallialnerven
zum Ursprung.
Die Kommissur kommt durch @Querfasern insofern ver-
schiedener Art zustande, als diese nicht nur im Pedalganglion,
als vielmehr auch im Pleurovisceralganglion ihren Ursprung
haben. Zuerst sind es Fasern, die als Ganglienzellfortsätze der
Zellrinde des Ganglions entstammend in der anderseitigen Mark-
hälfte sich auflösen. Dann sind es solche Nebenfasern des Haupt-
fortsatzes aus dem Kern des Trichternerven, die den Hauptfortsatz
als periphere Faser in den gleichseitigen Nerven entsenden. Diese
Art Netzfortsätze verbinden die beiden Trichternervenkerne unter-
Die Intelligenzsphären des Molluskengehirns. 295
einander vermittelst der Markmasse. Aber auch grosse Ganglien-
zellen, die ihren Hauptfortsatz in die vordere Wurzel des Pallial-
nerven (Fig. 57, np) entsenden, können einen Netzfortsatz auf die
anderseitige Hälfte des Ganglions durch die Commissura media
schicken, wo sich dieser Fortsatz dann gleichfalls in der Mark-
masse auflöst.
Noch eine andere Art von Fortsätzen der grossen Granglien-
zellen habe ich beobachtet und diese sind echte Kommissuralzellen
im wahren Sinne des Wortes; ihre Fortsätze bilden lange Bahnen.
Es sind das grosse Ganglienzellen aus der medianen unteren Rinde
des gleichseitigen Palliovisceralganglions (Fig. 57, gpv). Diese
ziehen im gemeinsamen Bündel der Commissura longitudinalis
ventralis (Fig. 57, 58, elv) bis in das Pedalganglion, geben hier
einen Ast in die Commissura media, welcher sich in der Mark-
masse der anderseitigen Pedalganglienhälfte auflöst, und ziehen,
mit dem Endast stets in der Längskommissur verlaufend, bis in
das Brachialganglion (gb), um sich dort in der Markmasse auf-
zulösen. Dieser letzte Ast besitzt aber noch Nebenäste für die
Markmasse des gleichseitigen Pedalganglions. So eine Zelle setzt
somit durch ihren Fortsatz, eine lange Bahn, alle drei Granglien
des unteren Schlundringes in vollkommenste Wechselbeziehung.
Das Pedalganglion verbindet sich ausserdem auch mit dem
vierten Abschnitt des oberen Schlundringes (Fig. 62, C, e*) durch
ein seitliches Faserbündel (v).
Es besitzt der Trichternerv einen besonderen Kern in
der seitlichen Rinde des Pedalganglions, welcher Kern im hinteren
Ende des Ganglions liegt (Fig. 62, C, 57, tk). Er besteht aus
mittelgrossen Zellen und entsendet eine mächtige Wurzel nach
aussen, die dort dann sich in zwei Äste teilt (Textfig. 11, A, tov).
Es wird das Pedalganglion durch ein mächtiges Längsbündel
durchzogen. Es ist dieses Längsbündel, die Commissuralongi-
tudinalis ventralis, so mächtig, dass ihre Nichtbeachtung
von seiten meiner Vorgänger mich überraschte. Sie liegt latero-
ventral in der Kommissur, in die Ganglienzellrinde sich fest hinein-
pressend (Fig. 58, elv) und reicht vom Brachialganglion bis in
das Pleurovisceralganglion. Ausser den bereits angeführten Längs-
bahnen führt sie noch Nervenwurzeln in sich. Diese ziehen aus
dem Pedalganglion in das Pleurovisceralganglion und in eine
Wurzel der Pallialnerven (Fig. 57, np). Aus dem Pallialganglion
294 B. Haller:
geht diese Bahn, ferner die Wurzel der Kommissur für die vorderen
Eingeweideganglien der Buccalganglien ab. Diese Wurzel, nach-
dem die Commissura longitudinalis im Brachialganglion geendet,
schlägt sich nach oben auf den oberen Rand des Ganglions
(Fig. 55, 56, e. veig), um dann für gewöhnlich von hier abzutreten.
Sie kann aber auch schon vorher aus dem Pedalganglion abtreten
(Textfig. 11, c. veig) sein.
Das Palleovisceralganglion ist in jeder Beziehung
das komplizierteste im unteren Schlundringe. Es gliedert sich
in zwei paarige obere und einen unpaaren ventralen Abschnitt.
Die beiden ersteren, von kugelrunder Oberfläche, umfassen oben
den Ösophagus, ohne miteinander über diesem vereinigt zu sein,
und auch die Vereinigung des Pleurovisceralganglions mit dem
oberen Schlundring erfolgt erst vor ihnen. Innen und oben von
jedem dieser kugeligen oberen Abschnitte (Textfig. 11, gpv’) tritt
die innere und von ihrer oberen Seite die äussere Wurzel des
Pallialnerven ab (np).
Diese oberen Abschnitte sind aber, wie wir dies noch sehen
werden, nicht bloss äusserlich, sondern auch geweblieh unter-
schieden vom unteren unpaaren Abschnitt. Der unpaare Abschnitt
(gpv) verjüngt sich nach unten und hinten und aus diesem Ende
tritt jederseits der mächtige Visceralnerv ab (nv). Zwischen den
beiden Nerven befindet sich eine kleine kugelförmige Vortreibung
der Zellenrinde. Es besitzt auch das Pleuralganglion seine allerdings
diffuse Kommissur, die Commissura posterior (Fig. 62, cp).
Wie ich schon erwähnt habe, besitzen die paarigen Ab-
schnitte des Palleovisceralganglions einen eigenartigen Bau. Man
sieht schon bei schwachen Vergrösserungen diesen Bau deutlich,
er fällt sofort auf (Fig. 57, gpv‘). Die Eigentümlichkeit besteht
darin (links und rechts innen), dass grosse, mehr weniger birn-
förmige Ganglienzellen sich zu gleichgrossen Gruppen zusammen-
tun und so eine äussere Lage einnehmen. Sie fassen Zellen-
gruppen zwischen sich, die nur aus ganz kleinen Ganglienzellen
bestehen. Die Hauptfortsätze jener Gruppe grosser Zellen ver-
einigen sich zu Bündeln, die dann ins Mark ziehen und vielfach
zu Nervenwurzeln werden. Durch diesen Bau zeigt der (Quer-
schnitt der Kugel ein etwa rosettenförmiges Aussehen (links).
Stärkere Vergrösserungen (Fig. 50) zeigen dann, dass die
grossen Zellen der äusseren Zellgruppen (b) untereinander nicht
Die Intelligenzsphären des Molluskengehirns. 295
gleichgross sind und auch nicht zu den grössten im Schlundringe
gehören, denn an Grösse werden sie nicht nur von gewissen Granglien-
zellen, sondern auch von denen des unpaaren Abschnittes im Pleuro-
visceralganglion übertroffen; aber auch von solchen des Pedal-
ganglions und auch von manchen im Brachialganglion. Ihrer
Form nach sind sie hauptsächlich spindelförmig mit zwei kräftigen
oppositipolen Fortsätzen ausser den vielen kleinen anderen. Doch
kann diese Form durch Kürze und Breite sich abändern, wodurch
aber das allgemeine Bild dieser Rinde doch nicht beeinflusst wird.
Einer, der untere der beiden Hauptfortsätze, gelangt stets in das
bezügliche, nach dem Mark zu gerichteten Hauptbündel (f”) der
betreftenden Zellgruppe. indessen der entgegengesetzte sich nach
auswärts begibt. Es liegen nämlich die Ganglienzellen der Neuro-
gliahülle nicht an, vielmehr befindet sich zwischen dieser und der
(anglienzellenlage eine ansehnliche Lage, welche von Ganglien-
zellen freigelassen wird und in welcher das Neuroglianetz Platz
hat. In diese Schicht begeben sich die oberen starken Fortsätze
der grossen Ganglienzellen, um dann hier nach irgend einer
Richtung horizontal weiter zu gelangen. Der Verlauf dieser Fort-
sätze der zwei Zellen (zs), auf der Abbildung ist nur ein kurzer
und reicht bis zur anstossenden anderen grosszelligen Zellgruppe
(f)), um sich dann um die Zellen dieser herum in ein perizellu-
läres zentrales Nervennetz aufzulösen. -Es verbinden also diese
äusseren Fortsätze zwei Zellgruppen untereinander. Doch möchte
ich gleich bemerken, dass ich auch den Fall beobachtet habe,
wo eine der grossen Zellen allein insofern zwei Zellgruppen angehört.
als sie zwei starke innere Fortsätze besitzt, die dann (z‘) in je
ein anderes benachbartes Faserbündel gelangen.
Während ihres Verlaufes in jener oberen ganglienzellenfreien
Schicht (a) geben die Fortsätze noch zahlreiche Seitenfortsätze
ab, welche sich dann hier im zentralen Nervennetze auflösen.
Es gelangt auf diese Weise hier zu einem sehr dichten Netzwerk
(Fig. 54, a), an welchem jedesmal die gröberen Zellfortsätze sich
in ansehnlicher Weise beteiligen. Sie bilden dann eine horizontale
Lage, ähnlich wie die markhaltigen Fasern in der plexiformen
Schichte der Grosshirnrinde der Neochordaten oder im Lobus
opticus der Ichthyden. Es gelangt somit zum ersten Male
bei Achordaten auf diese Weise zueiner plexiformen
Schichte der Gehirnrinde.
296 B. Haller:
In dieser plexiformen Schichte beteiligen sich an dem dichten
Netzwerke nicht nur das Nervennetz, sondern in gleichem Grade
auch das neurogliale Netz, wodurch aber zwei Netze von ver-
schiedener physiologischer Dignität ineinander greifen, genau so
wie bei den Gasteropoden in anderen Stellen des Zentralnerven-
systems. Immerhin ist das Neuroglianetz weitmaschiger, durch
Methvlenblau zumeist tiefer gefärbt und birgt stellenweise in den
Knotenpunkten kleine Neurogliazellen mit auffallend chromatin-
reichen Zellkernen (Fig. 54). Dieses Netz hängt ja dann mit der
tieftingierten Neurogliahülle zusammen. Doch beteiligt sich diese
auch noch in anderer Weise an der Plexiformschichte, insofern
mächtige Neurogliafortsätze sich durch sie in die Ganglienzellage
fortsetzen, fortwährend durch feine Äste mit dem Neuroglianetze,
sei es in der Plexiformschichte oder in der Granglienzellage, sich
verbindend. Mit solchen starken Fortsätzen der Neurogliahülle,
die sich stets tief färben, ziehen öfter auch Blutgefässe hinein in
die Markmasse, die das Endziel der Fortsätze der Neuroglia sind.
Somit setzt sich das Gewebe der Plexiformschichte auch
zwischen die Zellage fort und steht das Nervennetz in fort-
währendem Zusammenhange mit den vielen feinsten Fortsätzen
der grossen Ganglienzellen (Fig. 54). Hier wird das Netz zu
einem pericellulären Netze in engstem Sinne des Wortes und die
Ganglienzellen sind geradezu in das doppelte Netz versenkt.
Um aber wieder auf die äusseren, starken Fortsätze der
grossen Granglienzellen zurückzukommen, möchte ich noch be-
merken, dass diese öfter auch sehr lang sein können und
dann eine sechste bis siebente Zellgruppe mit jener in Beziehung
bringen, von der sie ausgehen. Hierdurch wird die Ähnlickeit
dieser Plexiformschichte mit jener der Neochordaten noch grösser.
Unter der Lage der grossen Ganglienzellen, zwischen den nach
dem Marke zu ziehenden Faserbündeln (Fig. 50) befinden sich, wie
schon mitgeteilt, Gruppen (ec) kleinster Ganglienzellen. Sie bilden
hier eine dieke Schicht bis zum Marke (m), welche durch die Faser-
bündel der grossen Zellen (f‘‘) in gleichen Zwischenwällen durch-
setzt wird. Diese kleinen Ganglienzellen, die vielleicht bis zur Zwölf-
schichtigkeit übereinander lagern, unterscheiden sich in erster Linie
von den grossen (Granglienzellen durch ihre ‚geringere Färbbarkeit
mit Methylenblau und Carmin. Dann sind es noch eine Menge
anderer Merkmale, die sie den grossen Zellen gegenüber auszeichnen.
Die Intelligenzsphären des Molluskengehirns. 297
Sie sind sternförmig mit gleich mächtigen Fortsätzen, von
denen aber nur einer eine besondere Länge aufweist. Dieser
eine Fortsatz, ganz gleich, in welcher Lagenhöhe die betreffende
Zelle sich findet, begibt sich in die Markmasse, um sich dort
gleich in das zentrale Nervennetz aufzulösen. Eine
durch Golgi-Schwärzung dargestellte solche Zelle wurde in die
Abbildung Fig. 50 eingetragen.
Dass freilich alle diese Sternzellen solch einen Fortsatz be-
sitzen, möchte ich nicht behaupten. Jedenfalls verbinden sie sich
mit ihren anderen kurzen Fortsätzen untereinander, wodurch
unter ihnen ein innigster Zellverband besteht. Sie hängen
dann durch das perizelluläre Nervennetz mit den
grossen Ganglienzellen, mit einem Teil der kurzen
Fortsätze untereinander und mit einem längeren
Fortsatz mit dem zentralen Nervennetz des Markes
zusammen, undnur die grossen Zellen entsenden peri-
phere Fortsätze oder doch solche, die innerhalb des
Zentralnervensystems als lange Bahnen gelten können.
Damit hätten wir hier einen Rindenschichtenbau genaustens
festgestellt, dessen Verhalten dann für die (Gesamtrinde des
Zentralnervensystems der Cephalopoden mit geringen Unterschieden
(Geltung hat. Wir unterscheiden somit an der Rinde überhaupt
eine Plexitormschichte,. eine mittlere grosszellige
und eine innere kleinzellige Ganglienzellschichte.
So sammeln sich eben die Bündelchen aus dem jederseitigen
oberen Abschnitt des Visceropallialganglions zu einem mächtigen
Bündel (Fig. 61, s), von dem aber der vordere Teil sofort nach
oralwärts zu biegend zur inneren Wurzel des Pallialnerven
(Fig. 57. np‘) wird. Eine Nebenwurzel der Hauptwurzel kommt
noch dadurch zustande, dass von dem Hauptbündel aus aus dem
oberen Pleurovisceral- Ganglienabschnitt ein Unterbündel weiter
hinten nach auswärts biegt (Fig. 60, np‘), dann in die Rinde
gelangt (Fig. 61, np‘) und dann nach vorwärts biegend der
anderen Wurzel sich anschliesst.
Die innere Wurzel des Pallialnerven kommt eigentlich aus
dem Pedalganglion (Fig. 57, np), obgleich sie auch Fasern aus
dem Palleovisceralganglion bezieht. Während dann in diesem
Falle die Verbindung der beiderseitigen Ursprungshälften durch
Nebenfortsätze der bezüglichen Ganglienzellen durch die Com-
Archiv f. mikr. Anat. Bd.81. Abt.1. 20
298 B. Haller:
missura media (cm) erfolgt, geschieht dies für die äussere Wurzel
durch die Commissura posterior (Fig. 57, cp). Allein wie ich
schon oben sagte, gelangen zur inneren Wurzel auch Wurzel-
fasern aus dem Visceropallialganglion und hier gibt es dann
auch Kreuzungsfasern in der Commissura posterior. Auf einem
Querschnitte, der aber von oben nach hinten und unten neigt
(Fig. 59), ist dies Verhalten zusammengestellt. Die innere Wurzel
des Pallialnerven (np, vergl. auch Fig. 62 und 57, np) bezieht
hier ihre Wurzelfasern aus dem Längsbündel, das sich hier in
zwei Unterbündel (p’, p‘‘) teilt, allein denen gesellen sich auch
Fasern zu (p‘). die aus der ventralen Rinde des Pleurovisceral-
ganglions herstammen an und zwar aus derselben (p, p‘) oder
der anderseitigen Ganglienhälfte, letztere kreuzend in der
Commissura posterior.
So aber der Pallialnerv auf diese Weise aus dem ganzen
Pleurovisceralganglion entspringt, so verhält es sich dann auch
mit dem Visceralnerven und ihre Ursprungsstätten sind oft die-
selben, denn aus den oberen paarigen Teilen des Ganglions mit
ihrer eigenartigen modifizierten Rindenbildung (Fig. 60, gpv)
erhält jeder gleichseitige Visceralnerv ein starkes Bündel (nv).
Der übrige Ursprung des Visceralnerven erfolgt aus dem un-
paaren Abschnitt des Ganglions.
Der unpaare ventrale Teil des Ganglions hat sich bezüglich
seiner Rinde eigenartig: entfaltet. Zwischen dem ventralen
Teil des unpaaren Abschnittes und den paarigen oberen Ab-
schnitten (Fig. 60, 61) befindet sich hinten eine Rindenzone (x),
welche gleichen Bau zeigt wie die die beiden paarigen Teile
verbindende (g), doch sind in ihr die Sternzellen weniger und
die grossen Zellen sind nicht in Gruppen abgegrenzt. Ventral-
wärts hört in dieser Rinde auf eine ganz kurze Strecke («) die
Lage der grossen Ganglienzellen ganz auf und auch die der
Sternzellen nimmt an Höhe ab. Letztere stösst dann direkt auf
die ansehnliche Plexiformschichte, in deren äussere Hälfte aber
eine neue Lage von sehr kleinen Zellen sich von ventralwärts
einschiebt. Bald darauf, im ventralen Abschnitt des Ganglions,
verdrängt diese kleinzellige Schichte völlig die Plexiformschichte
und gewinnt dabei an Dicke. In ihrer Mitte sammeln sich aus
den kleinen Zellen Fasern zu einem sehr feinfaserigen Bündel (2),
das ein Wurzelteil des Visceralnerven ist.
Die Intelligenzsphären des Molluskengehirns. 299
Hier unten liegt unter der kleinzelligen äusseren Schichte
wieder die grosszellige, doch sind ihre Elemente jetzt ansehnlich
grösser als ehedem und zu innerst darauf folgt die Sternzellenlage.
Weiter vorne, dort, wo die Visceralnerven abtreten (Fig. 61, no)
konzentriert sich die grosszellige Lage jederseits zu einem Kern
(ck), aus welchem die groben Fasern, mit Ausnahme der schon
beschriebenen von dem paarigen Abschnitte des (Granglions, sich
bilden. Inmitten dieser beiden Kerne befindet sich jener unpaare
Knoten (Fig. 61, 59, kk, siehe auch Textfig. 10, 11), der aber aus
kleinen Zellen besteht und als solche Bildung mit der äussersten
kleinzelligen Lage (Fig. 60, d) zusammenhängt.
Vielleicht ist nach dieser Wahrnehmung die Annahme be-
rechtigt, dass der ventrale Teil des Pleurovisceralganglions mit
seiner eigenartigen Rindenentfaltung den eigentlich visceralen
Teil im physiologischen Sinne darstellt, indessen die oberen
paarigen Abschnitte rein pallialer Natur sind, und dass sowohl
der Pallialnery als auch der viscerale dann selbstverständlich
beiderlei Faserarten führen.
Das Palleovisceralganglion tritt, wie bekannt, mit dem oberen
Schlundring in kommissurale Verbindung durch die Dietlsche
hintere Kommissur, die doch treffender nur die cerebro-
pleurale Visceralkommissur zu heissen hat.
Es ist dies ein mächtiges Fasersystem (Fig. 62, D, cev), das
in der Markmasse gelegen, von Rindenbelag überzogen wird
(Fig. 59) und mit welchem, doch stets innen von ihm, auch die
Cerebropedalkommissur (Fig. 62, C, v) nach unten zieht. Ein
Teil seiner Fasern kreuzt in der Commissura posterior, doch ist
letztere mit ihm nicht etwa identisch, da dieser auch Kreuzungs-
fasern des Palleal- und Visceralnerven in grosser Menge führt.
Ersterer verbindet aber den oberen Schlundring mit dem Pleuro-
visceralganglion derselben und der anderen Seitenhälfte.
An Golgischen Präparaten habe ich da zweierlei Fasern
feststellen können. Erstens solche (Fig. 59 in ce.cv‘), die aus
Ganglienzellen des oberen Schlundringes kommend, sich in der
Markmasse des Pleurovisceralganglions auflösen und dann solche,
die (in c.cv) in der Rinde dieses beginnend, in der Markmasse
des oberen Schlundringes sich verzweigen.
Von der Commissura longitudinalis möchte ich noch
einmal bemerken (Fig. 57, 62, e.Iv), dass sie ein Längsfaser-
20*
300 B.=Hkanlteit:
system in jeder Hälfte des unteren Schlundringes ist, welches
teils Längsbahnen — d. h. solche Fasern in sich führt, die das
Zentralnervensystem nicht verlassen und dazu berufen sind, weit
auseinander gelegene Rindenteile untereinander zu verbinden —
teils Nervenursprungsfasern in sich führt. Ein Übergreifen beiderlei
Fasern auch auf die anderseitige Schlundringhälfte durch Collaterale
vermittelst der Querkommissuren findet dabei auch statt. Durch sie
werden somit alle drei Teile des unteren Schlundringes, Brachial-,
Pedal- und Pleurovisceralganglion, in Verbindung gesetzt.
Zum Schlusse möchte ich hier noch die Rindenstrukturen,
worauf es ja in vorliegender Arbeit in erster Linie ankommt,
betrachten.
Es lässt sich die Ganglienzellrinde des Zentralnervensystems
der Öephalopoden in zwei Kategorien scheiden: in die gross-
zellige und die kleinzellige. Erstere kann als die motorische
Struktur, letztere als die sensorische angesprochen werden, in-
dessen eine dritte kombinierte Struktur wohl als die sympathische
gelten wird. Der ganze obere Schlundring mit einziger Ausnahme
des ersten Abschnittes, der Acusticuskern, das Ganglion pedunculi
und das Retinaganglion gehört der kleinzelligen Struktur an, der
erste Abschnitt des oberen Schlundringes, Brachial-, Pedal- und
ein Teil des Pleurovisceralganglions der grosszelligen, während die
sympathische Struktur sich auf den unpaaren Abschnitt des Pleuro-
visceralganglions beschränkt.
Was zuförderst die motorische Rinde betrifft, so habe
ich bereits einen Teil davon bei Gelegenheit der Beschreibung
des Pleurovisceralganglions gewürdigt in dessen paarigen‘ Ab-
schnitten und bin zu dem Ergebnis gekommen, dass die motorische
Rinde drei Schichten aufweist. Eine ganglienzellfreie, oberste
Plexiformschichte, die als Verbindungsschichte zwischen
näher und weiter gelegenen Bezirken der zweiten Schichte gilt,
dann die darauffolgende grosszellige Schichte und die
innerste kleinzellige oder Sternzellenschichte. Es wurde
auch festgestellt, dass stärkere Nervenfasern, mögen dieselben
nun periphere Fasern oder Verbindungsbahnen sein, nur von den
Fortsätzen der grossen Zellen geliefert werden, indessen die
Die Intelligenzsphären des Molluskengehirns. 301
längsten Fortsätze der kleinen Zellen in der Markmasse der
Ganglien sich auflösen. Andererseits stehen diese kleinen Zellen
untereinander in vielfacher direkter Verbindung durch ihre kurzen
Fortsätze, insofern diese sich nicht in dem perizellulären Nervenetze
auflösen, vermöge welchem zwischen den kleinen und grossen
Zellen die Verbindung erhalten wird.
Fehlt nun auch diese eigenartige Gruppierung der grossen
Zellen ausser in den paarigen Abschnitten des Pleurovisceral-
ganglions durchweg, so Kehrt sie in etwas veränderter Form in
der motorischen Rinde der bezeichneten Schichten überall wieder.
Dabei können Modifikationen dadurch bestehen, dass eine der drei
Schichten — und es ist zumeist die mittlere, nur selten die
obere — an Breite zunimmt. Eine besondere Zunahme der grossen
Zellschichte mit gleichzeitiger Zunahme der Zellgrösse findet sich
im Pedalganglion, besonders in dessen seitlichen Teilen, wodurch
die kleinzellige Schicht zurückgedrängt wird, ohne aber irgendwo
vollständig zu verschwinden. Dabei gibt es überall zwischen den
irgendwie modifizierten Rinden Übergangsrinden.
Die sympathische Rinde zeichnet sich nicht nur durch
Zunahme der grosszelligen Schicht, sondern auch der Grösse der
einzelnen Elemente wegen aus; ferner dadurch, dass in der
Plexiformschicht kleine Zellen zu einer ansehnlichen Schicht sich
zusammenfinden, die Nervenfasern zum Ursprunge dient. Doch
habe ich dies weiter oben erörtert.
So gelangen wir denn zum dritten Rindentypus, zum klein-
zelligen. Dieser verrät die Dreischichtigkeit zwar nicht sofort,
besonders in seinen Modifikationen nicht, doch ist dieselbe vor-
handen, stellenweise gut, stellenweise aber recht undeutlich. Dabei
wäre zu bemerken, dass dieser Typus sehr verschiedene Dicke
aufweist. Ich verweise diesbezüglich auf die beiden Abbildungen
Fig. 51 und 52. Dabei spielen Modifikationen in der Textur eine
grosse Rolle. In dem dritten und vierten Abschnitte des oberen
Schlundringes ist die Rindenlage sehr dick, was noch dadurch
gehoben wird, dass einzelne Rindenfortsätze weit in die Mark-
masse hineinragen (Fig. 62). Man findet dann hier auch in der
Plexifoımschicht einzelne Ganglienzellen (Fig. 51, a), allein so
zahlreich wie in dem abgebildeten Falle sind sie doch selten.
Es handelt sich hier immer um kleine Zellen. Die mittlere Schicht
(b) enthält schon grössere Zellen, doch sind diese weder viel
302 B. Ha lilem:
grösser als die anderen dieser Rinde, noch färben sie sich stärker.
Sie zeigen nur besser ihre Hauptfortsätze. Diese streben nach
der Markmasse zu und sind oft lang genug dazu, um als lange
Bahnen zu dienen, ob diese Fortsätze aber auch zu solchen
Optieusfasern, die als solche in das Retinaganglion sich begeben,
oder vielmehr solche Fasern von dort kommend im oberen Schlund-
ganglion, in dessen Markmasse sich auflösen, verzweigend im
zentralen Nervennetze, diese Frage lasse ich often.
Die Zellen der dritten Lage (ce) sind etwas kleiner und
ihre dem Marke zustrebenden Hauptfortsätze reichen nicht weit
in die Markmasse hinein (m), wobei sie sich dort stets auflösen.
Im grossen und ganzen wird somit eine gewisse Ähnlichkeit
mit dem Verhalten der motorischen Rinde auch hier gewahrt, was
am besten in der Dreischichtigkeit sich ausspricht, und der Haupt-
unterschied liegt in der geringeren Verschiedenheit der Elemente
der Mittelschicht zu jenen der unteren Schicht. Ferner sind es
die vielen Anastomosen, also direkte Verbindungen, die zwischen
allen diesen Zellen bestehen. Dabei möchte ich bemerken, dass
die (ranglienzellen auch fester aneinander lagern können als in
dem abgebildeten Falle. Ungemein reich ist überall die feinere
Neuroglia, denn im allgemeinen sind starke Faserzüge davon wie
in der motorischen Rinde hier selten. Die zahlreichen stern-
förmigen Ganglienzellen, mit stark chromophilen Zellkernen, bilden,
wie denn auch sonst, ein enges Netz in der Rindenschicht, wobei
grössere Neurogliazellen mit mehr weniger abenteuerlicher Gestalt
keine Seltenheiten sind.
Modifikationen bestehen somit darin in der kleinzelligen
Rinde, dass erstens die Rindendicke zunimmt, dann die Ganglien-
zellen dichter lagern oder, und dies Verhalten ist nur lokal, die
(Grösse der Zellen der Mittelschichte zunimmt. Letzterer Fall
findet sich auf der ganzen hinteren Seite des vierten Abschnittes
(Fig. 62, A—Ü, c*), wodurch weiter ventralwärts noch aus-
gesprochener die Übergangsrinde zur motorischen sich einstellt.
Es sind diese Zellen grösser in den Pedunkularganglien und in
den Acustieuskernen. Es soll dies zum Schlusse noch behandelt
werden.
Dichter liegen die Zellen im vorderen, nicht gewulsteten
Teil des dritten Abschnittes (c?) und ganz dicht auf der hinteren
Seite des zweiten Abschnittes. Hier (Fig. 52) ist die Plexiform-
Die Intelligenzsphären des Molluskengehirns. 303
schicht niedrig (a) und die Zellen des zweiten (b) und dritten
(ec) Abschnittes lagern so fest aneinander, dass ein Auseinander-
halten fast unmöglich wird. Auch sehe ich stellenweise wenigstens
die Neurogliazellen dem Marke zu fester aneinander gelagert.
Gerade an dieser Stelle sah ich öfter die Opticusbündel (f)
in scharf umschriebener Form bis nahe an die Rinde heranreichen,
ohne dass es mir gelungen wäre, Fasern davon, mit Zellen sich
verbindend, zu finden.
Schon an der dorsalen Seite des zweiten Abschnittes war
die Rinde dicker, wobei dann an der Stelle, wo diese Rinde in
die motorische Rinde des ersten Abschnittes (ce!) übergeht, sich
Übergangsrinde findet. Dort (Fig. 53) werden die grossen Zellen
der zweiten Schicht der motorischen Rinde immer spärlicher und
ihre Grösse geringer, bis endlich das Verhalten des kleinzelligen
Typus erreicht ist. Hierzu gehört auch die fast plötzliche Ver-
mehrung der Neuroglia und die starke Abnahme der Dicke der
Plexiformschicht.
Die zwei anderen Modifikationen der kleinzelligen Rinde
finden sich wie erwähnt in den Acusticuskernen und in den
Pedunkularganglien. Frstere sind drei birnförmige Ver-
diekungen. die mit ihren verjüngten Enden nach unten zu gerichtet
(Fig. 58, na, na‘) fest beisammen vor der Commissura optica
gelagert sind (Fig. 62).
Es sind ein unpaarer mittlerer (Fig. 55, na) und zwei
paarige laterale Kerne mit Rinde und Markmasse Die klein-
zellige Zellrinde ist reich an Neuroglia und stösst die Plexiform-
schichte, die ja hier viele Assoziationsbahnen führt (Fig. 63),
mit jener der zweiten, beziehentlich dritten Abteilung des oberen
Schlundringes so zusammen, dass die beiden Lagen miteinander
verschmelzen. Mit dem weiten Nervennetze der Plexiformschichte
(a), das ja mit Zellfortsätzen der Rinde (c?, r) zusammenhängt,
verbinden sich Faserbündel sowohl aus dem unpaaren (na) wie
auch aus den paarigen (na’) Kernen des Acustieus. Diese Fasern
sind Hauptfortsätze von solchen Zellen des Acusticuskernes, die
(z), nach oberst gelegen, mit mittelständigen Sternzellen (z)
zusammenhängen. Letztere ihrerseits stehen wieder in direktem
Zusammenhang mit grösseren Zellen (z‘), die ihren Hauptfortsatz
als Wurzelfortsatz in den Acustieus entsenden. Die Zwischenzellen
können stellenweise auch ausgeschaltet sein (links).
304 B.’Hballier:
Der Acusticus scheint keine gekreuzten Fasern zu führen,
denn die Hauptbündel (Fig. 58, na) wenden sich gleich nach unten.
Die Acustieuskerne stehen durch ein Bündelsystem, das mit dem
Cerebropedalbündel bis zur Stelle gelangt (Fig. 62, v), auch mit
der hinteren Wand des vierten Oberschlundring-Abschnittes in
Verbindung.
Was die Pedunkularganglien betrifft, so stehen diese (Fig. 64, &)
vermittelst stärkerer Bündelsysteme sowohl mit der gleichseitigen
Schlundringhälfte (b’) als auch durch die Commissura optica hin-
durch (b‘) mit der der anderen Seite in Verbindung.
Die kleinen Ganglien besitzen eine Zellrinde und Markmasse
und erstere besteht aus allen drei Rindenschichten, doch sind
die Zellen der Mittelschichte grösser wie in dem des oberen
Schlundringes. Von diesen Zellen aus sah ich auf Golgischen
Präparaten Fortsätze in den vierten Oberschlundring - Abschnitt
(c*) gelangen und sich dort in der Markmasse auflösen (links).
Gleiches taten solche Fortsätze aus der Rinde des vierten Ab-
schnittes in der Markmasse des Pedunkularganglions. Es liegt
das Pedunkularganglion mit seiner unteren Fläche so fest dem
Retinaganglion (rg) an, dass die Plexiformschicht des Pedunkular-
ganglions mit ihm verschmilzt. An der hinteren Seite des Pedun-
kularganglions durchbricht aus seiner Markmasse kommend ein
Faserbündel (b) die Zellenrinde, sich dann in das Retinaganglion
versenkend. Dieses Bündel stammt aus dem Pedunkularganglion
und verbindet es mit dem Retinaganglion. Auch hier kann ich es
nicht mit Sicherheit angeben, obgleich es den Anschein hat (siehe
die geschwärzte Einzelzelle), ob es Ganglienzellfortsätze sind, die
in das Verbindungsbündel geraten oder Fasern, die sich dort in
dem zentralen Nervennetz des Pedunkularganglions auflösen.
Das Pedunkularganglion erweist sich somit trotz seiner
extrakapsulären Lage nicht als ein Teil des Retinaganglions,
sondern als jenes des oberen Schlundringes, es hat sich aber
später von dort abgetrennt als das Retinaganglion.
Trotz der mancherlei Modifikationen innerhalb
des kleinzelligen Teiles vom oberen Schlundring
zeigt sich inkeinem seiner Abschnitte somit eine so
hochgradig lokale Ausbildung, dass diese als ein
besonderer physiologischer Abschnitt, geradezu als
(Globulus gleich jenem der Gasteropoden gedeutet
Die Intelligenzsphären des Molluskengehirns. 305
werden könnte. Denn alles ist eine allgemeine, mit
den Sehfasern in erster Linie in Beziehung stehende
Sehrinde, und zwar im Sinne der Sinnesrinden der
Neochordaten.
Verursacht war dieses Verhalten bei den
dibranchen Oephalopoden durch die hohe Entfaltung
der Augen, die sogar die Sonderung eines Retina-
ganglions vom Gehirne forderten. Diese hochgradige
Entfaltung des Sinnesorganes machteaber jene eines
Globuluspaares überflüssig oder trat, wenn man gerade
will, für deren Entfaltung hemmend in den Weg.
Bevor ich diesen Abschnitt schliesse, möchte ich noch einen
tückblick auf jene Meinungsverschiedenheit werfen, die zwischen
v. Ihering und Grobben einerseits und Pelseneer anderer-
seits entstand.
Während Grobben an Ihering sich anlehnend für die
cerebrale Natur des Brachialganglions und damit für die vom
Kopfe abstammende Natur der Kopffüsse eintritt und hierbei mit
gutem Recht sich unter anderen auf die Commissura superior
(anterior Dietls) stützt, widerspricht dem Pelseneer in
sehr gewandter Weise und hält das Brachialganglion für rein
pedaler Natur. Grobbens Spekulationen gewinnen indessen
auch jetzt in Anbetracht des Umstandes an Bedeutung, dass ich
in folgender Schrift den Nachweis zu erbringen imstande war
dafür, dass nicht nur die Commissura superior zu ihrem guten
Rechte besteht, sondern dass ausserdem auch Nerven aus dem
ersten Abschnitt des oberen Schlundringes mit in den Plexus
brachialis treten, aus einem Teil des Zentralnervensystems, dessen
Zugehörigkeit zu dem oberen Schlundganglion niemand und
somit auch Pelseneer nie bezweifelt hat. Und trotzdem zer-
schellen Grobbens Spekulationen vollständig an der Tatsache
des Vorhandenseins einer Commissura anterior (mihi) ventralwärts
im Brachialganglion. Denn mit demselben Rechte, mit welchem
man mit der Commissura superior für die cerebrale Natur des
Branchialganglions, kann man für die pedale mit dem Bestehen
der Commissura anterior eintreten. Damit ist aber gesagt, dass
weder diese rein pedale noch rein cerebrale Natur der Brachial-
306 B. Haller:
nerven bestehen kann, dass weder die Ihering-Grobbensche
noch die Pelseneersche Beweisführung zu Recht besteht. Dafür
liegt der Grund darin, dass Pelseneer sowohl als v. Ihering
und Grobben bei ihren Beweisführungen einen Zustand voraus-
setzen an dem Zentralnervensystem der dibranchen Cephalopoden,
der nie phyletisch bestanden hatte, nämlich die Kon-
zentrierung des Schlundringes in paarige Cerebral-, Pleural- und
Pedalganglien, wie wir sie bei Gasteropoden mit Ausnahme der
Placophoren antreffen. Es sind das die Voraussetzungen solcher
Ganglien, die abgegrenzte Bezirke des Zentralnervensystems dar-
stellen und durch rein faserige Kommissuren untereinander ver-
bunden sind. Pelseneer argumentiert mit Verhältnissen bei
Clione, Vermetus und Natica, indessen Grobben geradezu die
Abstammung oder doch grosse Verwandtschaft der Cephalopoden
mit dem Scaphopoden Dentalium behauptet. Letztere ist aber eine
Form, bei der die genannte Gangliensonderung am Zentralnerven-
system schon vollzogene Tatsache ist.
Ich zu meinem Teil gebe gerne zu, dass zwischen Dentalium
und den Gephalopoden manche Ähnlichkeit besteht, so die dorsale
Lage der Gonade, Pro- und Epipodium und die Cirrhen, sowie die
ventralständige Lage des Afters. Allein dies sind blosse Konvergenz-
erscheinungen und keine verwandtschaftlichen Verhältnisse. Dafür
spricht in erster Linie das Zentralnervensystem von ‚Nautilus, seine
vier Kiemen und manche Leibeshöhlenverhältnisse, welche gleich-
zeitig nur zu sehr an Beziehungen der Cephalopoden an Placo-
phoren mahnen, besonders aber das Zentralnervensystem.
Dieser Ansicht habe ich dann vor achtzehn Jahren auch
Ausdruck gegeben (14, S. 149—150), indem ich über die Gepha-
lopoden aussagte, „dass sie auf einem ursprünglichen Stadium des
Torsionsprozesses stehen gebliebene Mollusken sind und sich nun
von hier an ganz eigenartig entfaltet haben“. Und vollends der
Schlundring des Nautilus lässt sich nur mit placaphorenähnlichen
Zuständen in Einklang bringen, beziehentlich von solchen ab-
leiten. Dazu habe ich auf Textfig. 9, vorliegender Schrift das
Zentralnervensystem von Chiton gezeichnet und darau mit Schwarz
dasjenige von Nautilus angeschlossen. Darnach bleibt vom Chiton-
nervensystem völlig unberührt bestehen der Cerebralstrang (c)
oberhalb des Darmes, ebenso vom pedalen Nervensystem die breite
Querverbindung zu Beginn zwischen dem mit dem grössten Teil
Die Intelligenzsphären des Molluskengehirns. 307
des Chitonenfusses verschwindenden Pedalnervensystem (punktiert).
Diese Querverbindung pedaler Art besitzt somit noch Nautilus
(Textfig. 10, 11, p) und zu seinem Beginn tritt der Trichternerv
als Rest der echten Pedalnerven ab. Was dann oberhalb dieser
pedalen Querverbindung stehen bleibt (cp), aus der die meisten
aber nicht alle Nerven der Cirrhen abgehen, ist ein Übergangs-
gebiet, das man mit gleichem Recht zum cephalen Teil wie
zum pedalen hinstellen kann, ohne dafür auch den geringsten
Beweis erbringen zu können.
Es haben sich damit die Cirrhen des Nautilus aus einem
Übergangsgebiet und einem Kopfgebiet, da ja auch Kopfnerven
aus dem ÜCerebralstrang (Ce) sie innervieren, entfaltet. Damit
aber lassen sich die Zustände der dibranchen Cephalopoden viel
Fig. 9.
Schematisch das Zentralnervensystem von Chiton gezeichnet — die Pedal-
stränge punktiert, die Pleurovisceralstränge schraffiert — und daraus mit
schwarz jenes von Nautilus abgeleitet.
besser erklären, besonders in Anbetracht dessen, dass es nun
feststeht, dass auch je zwei Nerven aus jeder Seitenhälfte des
ersten Abschnittes des oberen Schlundringes an dem Plexus
brachialis teilnehmen. Dabei ist es aber nur zu sehr wahr-
scheinlich, dass die oberen vier Tentakel bei dem Oectopoden
aus verschmolzenen Nautilus-Cirrhen abzuleiten sind, infolge ihrer
Innervierung und zwar aus Verschmelzung von solchen Cirrhen,
die rein dorsalständig waren und somit ihre Innervierung aus dem
oberen Schlundring bezogen, mit je einer solchen, die aus dem
Übergangsgebiet zwischen Cerebral- und Pedalring innerviert ward.
Es würde dann bei den Dibranchen das Brachialganglion vom
Übergangsgebiet des Nautilus (ep) abzuleiten sein und die Com-
missura anterior als jene von Anfang an gegebene (uerverbindung,
308 B. Haller:
die (p) auch vom Placophorenahnen abstammt. Die Commissura
superior ist eine Querverbindung, die ursprünglich dem oberen
Schlundring einsass, aber den pedalen Teilen angehört und mit
der grossen Emanzipation des Brachialganglions sich von ihrem
Ursprungsorte abgehoben hat. Ich glaube kaum, dass diese An-
sicht auf irgend einen berechtigten Widerspruch stossen würde.
Bei der obigen Ableitung des Zentralnervensystems von
Nautilus von jenem der Placophoren ist nur ein scheinbarer Wider-
spruch vorhanden, der bei den bekannten Tatsachen bei Placo-
phoren sich klärt. Es bezieht sich dies auf das Verhalten des
Palleovisceralstranges, denn während dieser bei Nautilus geradeso
wie das Palleovisceralganglion bei den Dibranchen subintestinal
lagert. lagert dieser Strang der Chitonen über dem After. Es
tindet dies seine Erklärung darin, dass der ganze hintere Teil
dieses Stranges (Textfig. 10, C, schraffiert) der Chitonen auf die
Cephalopoden nicht vererbt ward, sondern sich rückbildend nur
der vordere Teil sich erhielt (pv). Die untere Verbindung unter
dem Darm findet aber ihre Erklärung in der Konzentration
jenes subintestinalen Plexus, den ich seinerzeit für Chiton be-
schrieben habe (16).
Allgemeine Betrachtungen.
Wenn wir vom einfachsten Zustande eines oberen Schlund-
ganglienpaares, dem Urhirn, ausgehen wollen, so gehen wir wohl
am sichersten, wenn wir bei Lumbricus beginnen, denn was die
Einfachheit betrifft, wird dieser Zustand nur vom einfachen oberen
Schlundring der Placophoren und wohl mancher Turbellarien, sonst
aber diesbezüglich von keiner anderen Form übertroffen. Damit
will ich durchaus nicht sagen, dass es solche Urhirne nicht genug
noch gibt und will nur diesen Zustand als zu den primärsten
gehörig darstellen.
Ob Lumbricus den primären Zustand geerbt oder darauf
zurückgekommen ist, indem er spätere Erwerbungen infolge seiner
Lebensweise eingebüsst hat, kann hier ganz gleichgültig sein, ob-
gleich ich glaube, dass die Oligochaeten der Stammform von
denen auch die Polychaeten abgingen, nahe stehen. So ist ein
Urzustand in so manchen Einrichtungen erhalten, so auch bezüglich
des Urhirns. Es wird immerhin hierüber nicht ohne weiteres zu
entscheiden sein. Es geht nun hierin wie in manchen Ein-
Die Intelligenzsphären des Molluskengehirns. 309
richtungen von Amphioxus, wo wir es denn auch nicht immer
sagen können ob primär oder vielleicht wiedererreicht.
Das obere Schlundganglion von Lumbricus (Textfig. 12) zeigt
eine Gehirnrinde, in der, abgesehen von der Dicke, keine weiteren
Differenzierungen auftreten, sie überall von der derselben Zellen-
vermengung dargestellt ist und nur an der oralen Seite infolge
des Abganges vom vorderen motorischen Nerven (n) grössere
motorische Zellen einliegen. Der sensorische Nerv (n‘) übt weiter
Fig. 12.
Horizontalschnitt durch die rechte Hälfte des oberen Schlundganglions von
Lumbricus. n — motorischer, n‘ = sensorischer Kopfnerv; i = frontale,
h = anale Rindenschicht; g — Pleuralganglion.
keinen Einfluss aus, er ist mehr für die hinteren Rindenteile (h)
interessiert und vielleicht ist auch die Entfaltung einer ganglio-
nalen Anschwellung (g) zu Beginn der Kommissuren von jenem
Nerven abhängig.
Dieses primäre Urhirn erhält sich selbst bei den Archianneliden
nicht. Fraipont als erster (6) berichtete bereits darüber, dass
das Gehirn von Protodrilus und Polygordius aus zwei Teilen be-
steht, aus einem vorderen und einem hinteren. Die vorderen am
Scheitel gelegenen zwei Hügel bestehen aus kleineren Ganglien-
310 B. Haller:
zellen als das übrige hintere Gehirn. Aus jedem dieser zwei
Hügel entsteht ein Tentakelnerv.
Rohde (38) 1887 hat dann diese Gebilde bei Chaetopoden
ausführlicher beschrieben, gezeigt, dass sie eine viel höhere Stufe
der Entfaltung erreichen als bei den Archianneliden, ja die klein-
zellige Ganglienzellrinde geradezu Faltungen eingeht, eine Mark-
masse besitzt und nannte sie geradezu hutpilzförmige Körper,
homolog dem der Arthropoden. Mir war es zwei Jahre später
gelungen, eingehender über die Verbindungen dieser Globuli zu
berichten (11) und gleichzeitig einen höheren Grad der Entfaltung
der Globuli bei Lepidasthenia festzustellen als bei Nereis, wo
aus den Globuli wie bei Archianneliden noch die Tentakelnerven
abgehen.
Es steht somit fest, dass die Globuli bei Anneliden einen
verschiedenen Grad der Entfaltung aufweisen und zum Teil noch
auch andere Elemente als die kleineren Sternzellen es sind,
besitzen. Ob dann innerhalb der Anneliden auch völlige Rück-
bildung der Globuli eintreten kann, ist zwar nicht direkt erwiesen,
doch durch die Hirudineen, denen Globuli völlig abgehen, wahr-
scheinlich gemacht.
Von Anneliden ererbten die Globuli die Protracheaten, die
von ihnen auf Myriapoden und von hier aus auf Hexapoden und
Arachnoiden übereingen. Vom gemeinsamen Ahnen mit den
Protracheaten ererbten auch die Crustaceen die Globuli in ein-
fachstem Zustande, welcher Zustand bei den Arthropoden sich
dann steigert vom Skorpion zur Spinne, vom Myriapoden bis zu
den Hymenopteren und von niedrigen Vertretern des Urustaceen-
stammes bis zum hochorganisierten Decapoden und erreicht die
höchste Stufe bei Arthropoden überhaupt bei dem Limulus.
Aber auch bei derselben Art kann, soweit Staatenleben
eine höhere intelligente Aufgabe der betreffenden Form anweist,
eine verschiedengradige Entfaltung der Globuli bestehen und
besitzt ja die Arbeitsbiene höher entfaltete Globuli als die Drohne
wie dies Jonescu (26) gezeigt hat. Verschiedengradig hohe
Entfaltung zeigen dann auch die Mollusken vom niedrigsten Zu-
stand bis zu einem höheren. Ja bei diesen kennen wir sogar
beginnendliche Zustände, wie z. B. die Docoglossen zeigen und
besitzen auch Formen unter ihnen die noch gar kein Beginn
verraten.
Die Intelligenzsphären des Molluskengehirns. 3ll
Dass höhere Lebensaufgaben höhere Ansprüche an die
Intelligenzsphären stellen und dies der erste Anstoss zu einer
beginnenden Entfaltung war, braucht ja nicht erst erörtert zu
werden, nur fragt es sich jedesmal, worin diese höheren Ansprüche
gegeben waren. Ich glaube nicht fehl zu gehen, wenn ich in erster
Richtung die Nahrung dafür verantwortlich mache, nicht die eigent-
liche Nahrung, sondern die Beute, zu deren Erlangung mehr oder
weniger Geschicklichkeit und eine gewisse primärste Denkweise be-
ansprucht wird. Es ist ja doch leichter für das Tier, vegetabilische
Nahrung zu erlangen als ein anderes Tier als Beute zu bezwingen.
Und tatsächlich setzt ja ein höherer Zustand der Globuli bei den
Anneliden mit den Raubpolychaeten schärfer ein, bei den Mollusken
mit den räuberischen Rachiglossen. Allein auch andere Momente
spielen eine hohe Rolle bei der weiteren Entfaltung der Globuli und
bei den Insekten war es eben das Staatenleben, das weitere Anlassıung
dazu ward, denn schon die zusammenwandernde Blattiden zeigen
höhere globuläre Entfaltung als ihre einzellebenden Verwandten
(17). Vollends bei den in Staaten lebenden Hymenopteren, den einzel-
lebenden gegenüber, hat dies v. Alten (1) deutlich nachgewiesen.
Aber auch andere, freilich im Staatenleben mit einbegriffene,
aber auch für sich bestehende Momente spielen eine Rolle und
für die stylommatophoren Pulmonaten kommt weder die Beute
noch ein Staatenleben in Betracht. Verfolgen wir nur das Ver-
halten bei Helix, Arion und Limax. Erstere') hat weniger hoch
entfaltete Globuli als Arion, diesen wieder übertrifft Limax bezüg-
lich einer höheren Entfaltung.
Helix?) besitzt ein Gehäuse und ist imstande, nicht nur
bei verschiedenen Angriffen durch das Sichzurückziehen in das-
selbe sich zu schützen, sondern bei für das Tier ungeeigneter
Witterung, bei Sonnenschein sich irgend an einen festen Gegen-
stand mit der Fußsohle befestigend zu decken. All dieses ver-
') Dass es möglicherweise auch schalentragende Stylommatophoren mit
höherer Globulusentfaltung geben könnte, das würde an der Sache doch
nichts ändern und müsste jedesmal der spezielle Grund davon zu ver-
folgen sein.
”) Die Frage, wie das kommt, dass der Globulus bei den Pulmonaten
eine eigene Anlage für sich hat, lässt sich wohl so erklären, dass dies erst
sekundär mit der hohen Entfaltung bei den Pulmonaten erfolgte, denn
ein so grosses (Gebilde, wie einmal der Globulus der Pulmonaten ist, wird
auch bei der Anlage zur Geltung gelangen müssen.
312 B. Haller:
mögen die Egelschnecken nicht, sie müssen sich an sonnigen
Tagen in Erdlöcher flüchten und auch sonst bei ihren Wanderungen
vorsichtiger sein. Es erheischt dies aber eine grössere Aufmerksam-
keit, ein Plus an Intelligenz. Daraus wohl dürfte sich die
mächtigere Entfaltung ihrer Globuli erklären lassen. Und nun
das Verhältnis der Egelschnecken. Da zeigt sich denn, dass Arion
eine ätzende, jedenfails ekelige Absonderung hat, welche wieder
dem Schleim von Limax abgeht. Enten nehmen Limax gerne,
nicht aber Arion. Es hat also Arion gegenüber seinen Feinden
eine Schutzwatfe, die aber Limax nicht besitzt, diese vielmehr dies
durch grössere Vorsicht ersetzen muss, was wieder höhere Globuli
zur Folge hat.
Dafür zeugt ja auch der Umstand, dass Arion in der Gegend,
in der er heimisch ist, allgemein vorkommt, indessen Limax cinereo-
niger in der Gegend seines Vorkommens immer auf kurze Distrikte
sich beschränkt. Es hängt dies damit zusammen, dass Arion
keine bestimmten Erdlöcher bewohnt, vielmehr mit jedem einiger-
maßen geeigneten Erdloche sich zufriedenstellt, indessen Limax
in sein Bereich immer zurückkehrt, was eine gewisse Orientierung
der Gegend voraussetzt, so sonderbar dies von einer Schnecke
auch klingen mag. Neben der bekannten Tatsache möchte ich
einen von mir gemachten Versuch hier anführen. Eine gewisse
Gegend im Heidelberger Walde, ein gar nicht grosser Bezirk,
beherbergt Limax einereo-niger, indessen ich in grossem Kreise
um diesen heram nur ausnahmsweise ihn vorfand. Einem grossen
Exemplar schnitt ich, ohne es sonst zu berühren, den einen Om-
matophor mit der feinen Scheere ab, um es wieder zu erkennen.
Ich fand dieses Tier viermal im Laufe der Zeit in dem kleinen
Bezirke wieder und als ich das Tier etwa auf hundert Meter
wegtrug von dort, war es nach zehn Tagen wieder an seinem
früheren Orte. Leider hatten kurz nachher Spaziergänger das
Tier zertreten.
Ich habe in einer früheren Arbeit (15) darauf aufmerksam
gemacht, dass die mächtige Entfaltung eines Sinnesorganes bei
den Insekten die Entfaltung der Globuli hemmt und dafür die
Libellen angeführt. Spätere Beobachter bestätigten diesen Befund.
Ich sehe nun auch etwas Ähnliches bei den Opilionen, wo
eine mächtige Entfaltung der beiden Scheitelaugen mit einer viel
niedrigeren der Globuli verbunden ist, als dies Spinnen und
Die Intelligenzsphären des Molluskengehirns. 313
Skorpion aufweisen (20). Auf Fig. 66 ist ein Sagittalschnitt durch
das eine Auge (au) und das Zentralnervensystem eines Phalangiden
abgebildet. Bauchmark (bm) und Gehirn (cg), dem der Spinnen
fast gleich, hat sich das grosse Sehorgan auf jeder Seite ein
Optikalganglion (og) errungen, das den Spinnen und Skorpionen
völlig fehlt und an jenes der Komplexaugen der Hexapoden erinnert.
In eine äusserste Zellenschicht (a) versenkt sich der in Bündeln
aufgelöste Opticus (op) und diese Bündel durchsetzen eine äussere
Markmasse (b), bevor sie in eine innere (c) über der Zellrinde
des Gehirns gelangen, um dies dann in einzelnen Bündeln durch-
setzend in der Markmasse des Gehirns zu enden. Diese hohe
Entfaltung des gesamten optischen Apparates geht aber mit nur
geringer Entfaltung der unscheinbaren, jederseits paarigen Globuli
(gl’, gl) einher, mit solchen geringen Globuli, wie sie keine Spinne.
besitzt und auch ihre Vorfahren, die Skorpione, sie nicht haben.
Hier ist also der Zusammenhang zwischen der hohen Entfaltung
eines Sinnesorganes und der Geringheit der Globuli klar.
Dasselbe sehen wir dann auch bei den Cephalopoden unter
den Mollusken. Hier hat ein mächtig entfaltetes Auge, ähnlich
wie bei den Opilionen, sich ein eigenes Ganglion aus der Gehirn-
masse nicht nur erworben, sondern sogar die fast gesamte Zell-
rinde zu einer Sehrinde gestaltet, denn Globuli wie bei anderen
Mollusken konnten dadurch gar nicht zur Entfaltung gelangen.
Und etwas Ähnliches, sogar in drei Fällen, finden wir bei den
Neochordaten, den sogenannten Wirbeltieren. Unter diesen besitzen
sowohl die Cyelostomen als auch die Selachier eine Grosshirnrinde,
ein nervöses Pallium, indessen dieses bei den Ganoiden und den
Teleostiern sich nicht nur nicht weiter entfaltete, was man doch
bei jüngeren Formen wohl erwartet hätte, sondern die nervöse, voT-
her vorhandene Grosshirnrinde konzentriert sich in die sogenannten
Basalganglien des Vorhirns. Dafür besitzen die Ganoiden und
besonders die Knochenfische viel grössere Augen als die Selachier,
oft, wie viele Scomberoiden, geradezu gewaltige optische Sinnes-
organe, welche auch im Gehirn höhere Lobi optiei verursachten.
Das gleiche Bild kehrt bei den ÖOrniden wieder. Bei diesen
geradezu immensen Sehern — der Aasgeier findet das stinkende
Aas nicht durch sein verkümmertes Geruchsorgan, ondern durch
das (Gresichtt — geht der Geruch fast verloren, wobei die Gross-
hirnrinde den Reptilien gegenüber keine Fortschritte macht und
Archiv f. mikr. Anat. Bd.81. Abt.I. 21
314 Baer
sie zieht sich, wenn auch lange nicht in so hohem Grade wie
bei den Knochenfischen, in die Basalganglien zurück.
Aber auch die mächtige Entfaltung des Geruchsorganes
begünstigt die Entfaltung der Intelligenzsphäre, die Grosshirn-
rinde der Säugetiere nicht. Erst nachdem das Geruchsorgan sich
stark rückgebildet, entfaltet sich bei den Simiern der Grosshirn-
mantel am mächtigsten und anosmatische Tiere haben bekanntlich
eine hochentfaltete Grosshirnrinde.
Damit glaube ich denn auf das (Gesetz hingewiesen zu
haben, nach dem die besonders hohe Entfaltung eines
Sinnesorganes jene der Intelligenzsphären ungünstig
beeinflusst oder möglicherweise sogar dafür hindernd
im Wege steht.
Fs ist dies auch durchaus leicht verständlich, denn ein
besonders entfaltetes Sinnesorgan gibt so ungemein klare Ein-
drücke — dem Menschen unverständliche — dass dann eine
weitere Kombination für das Gesehene fast unnötig wird.
Mit dem ersten Auftreten eines (lobulus, und mag sein
Zustand noch ein so beginnendlicher sein, stellt sich somit jedes
Zentralnervensystem auf eine höhere Stufe als vorher es der Fall
war. Es fällt schwer, psychologisch hier Grenzen zu markieren
und wenn ich jene Zentralnervensysteme zu Beginn dieser Schrift
als Reflexnervensysteme bezeichnete, so kann das doch nur im
allgemeinen geschehen, denn diese Nervensysteme, ich nenne
die der Placophoren, Turbellarien, niederer nicht segmentierten
Vermiden überhaupt, das der Branchiopoden, sind ihrem Bau
nach doch viel höher gestellt als ein peripheres Zellnetz einer
Hydra oder eines anderen Polypen und doch können wir nur bei
diesen letzteren von einem eigentlichen Reflexnervensystem im
engeren Sinne sprechen. Schon der Nervenring einer Meduse ist
ein Schritt weiter vorwärts, und vollends das Nervensystem eines
Echinodermen auch ohne Gehirn muss auf eine höhere Stufe der
psychologischen Tätigkeit gestellt werden. Es werden sich also
unter diesen vielen Nervensystemen ohne Globuli, Reflexnerven-
systeme im weiteren Sinne des Wortes wohl manche
Zwischenstufen bis zu jenen mit Globuli vorfinden, was ich ausdrück-
lich bemerken möchte. Aber auch ein globuläres Nervensystem kann
bei geeigneter Lebensweise zurückkehren auf ursprünglichere Zu-
stände. Ich nenne hier nur Trombidium, das wohl noch ein geringes
Die Intelligenzsphären des Molluskengehirns. a5
Rudiment von Globuli besitzt, das noch von den gemeinsamen
Arachnoidahnen ererbt ward, dies aber kaum mehr von Bedeutung
ist und bei den anderen Milben völlig verschwindet. Parasitismus
ist immer die Ursache einer solchen Rückbildung, also die An-
passung an die äusseren Verhältnisse, diesen mächtigsten
Faktor bei der Entfaltung der Organismen. So mag
es auch den sonst hochorganisierten Hirudineen unter den Glieder-
würmern ergangen sein.
Wir müssen also annehmen, dass die Elemente,
welche später die Globuli bilden im Zentralnerven-
system, sobald dieses sich von dem reinen primären
Reflexzustande der Hydra entfernt hat, sich aus
früheren Zellenalsderen Teilstücken entfalten. Ihre
höhere oder geringere Tätigkeit würde dann von ihrer Quantität
beeinflusst bis dorthin, wo ein Urhirn sich entfaltet. Dann würde
der Sitz dieser Zellen höherer Funktion sich oralwärts kon-
zentrieren, wie bei niederen Gasteropoden etwa, und bei höheren
Forderungen des Lebens, bei komplizierten äusseren Verhältnissen
zur Globulusbildung hinüberführen.
Das rein reflektorische Nervensystem, das der festsitzenden
Polypen, dürfte somit im Tierreiche ein beschränktes sein und
im allgemeinen einem Retlexnervensystem im höheren Sinne zu-
meist Platz gemacht haben. Vielleicht schon bei der (ualle
(H. Jordan) und auch das Stocknervensystem des schwimmenden
Stockes einer Syphonophore wird vielleicht auf diesem Stadium
stehen und die rein reflektorischen der Organ-Individuen be-
herrschen.
Um Missverständnissen vorzubeugen, möchte ich hier aber noch
einmal erörtern, was ich unter primärreflektorisch verstehe. Ist
eine Sinneszelle durch eine Ganglienzelle mit einer motorischen
Endigung verbunden — dies schematisch gedacht —, so wird
auf eine Einwirkung von aussen auf die Sinneszelle vermittelst
der Ganglienzelle durch eine Muskelaktion — könnte ja auch
eine drüsige sein — geantwortet. Dies nenne ich primär reflek-
torisch. Dies dürfte bei einem Polypen der Fall sein. Sobald
aber die Ganglienzelle sich weiter differenziert, teilt sie sich —
phylogenetisch — in zwei Tochterzellen, die nun beide sich nicht
nur in die frühere Funktion der Mutterzelle teilen, was eben
eine Arbeitsteilung bedeutet, sondern eine der Tochterzellen kann
21*
316 B. Haller:
auch höher funktioniert sein. Dabei ist diese Zelle nur mit der
anderen Ganglienzelle verbunden. Es kann schon diese erstere
Zelle eine Bewusstseinszelle im primärsten Sinne sein. Nun
wird damit die reflektorische Funktion dieses schematischen Nerven:
systems eine kompliziertere. Es kann durch die physiologische
Ausschaltung der Bewusstseinszelle zwar noch immer eine primär
reflektorische Tätigkeit einsetzen, doch kann dies auch erst nach
Eingreifen der Bewusstseinszelle erfolgen. Hier brauchen wir
aber darum noch keinen spezialisierten Reflex anzunehmen. Dies
erfolgt vielmehr, wenn zwischen die beiden Granglienzellen nicht
von der Bewusstseinszelle her, sondern durch Teilung von der
anderen, zwei andere Zellen sich einschieben. Nun erfolgt erst
ein spezialisierter Reflex im Sinne Jordans. Es lässt
sich dieses Bild dann weiter ausbauen, bis zum spezialisiertesten
Nervensystem, bei dem ja eine unbewusste acceleratorisch-retar-
dierende Funktion der Willkür nicht unterworfenen Organe von
bewussten Handlungen sich indes findet. Es wäre dies auch nur
eine weitere Stufe und die Differenzierung der Bewusstseinszelle
zu weiteren Einheiten würde das Bild noch komplizierter gestalten.
Damit glaube ich, wird, um Missverständnissen vorzubeugen,
das Reflektorische nur im primären Sinne zu verwenden sein.
Heidelberg, im Herbst 1912.
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Die Intelligenzsphären des Molluskengehirns. 319
Erklärung der Abbildungen auf Tafel XIV—-XIX.
Alleemeine Bezeichnungen.
c =)
Öerebralganglion. gb — Brachialganglion.
Pedalganglion. sp — Pedalganglion.
Pleuralganglion. na — Nucleus acusticus.
Supraösophagealganglion. ac — Nervus acusticus,
Subösophagealganglion. tn — Tentakelnerv.
hinteres Eingeweide- tk — dessen Kern.
ganglion. op — Optieus.
Pleurovisceralganglion. nb — Brachialnerven.
vorderes Eingeweide- cb — deren cerebrale Wurzeln.
ganglion. n — cerebrale Kommissur der
Kommissur der vorderen vorderen Eingeweide-
Eingeweideganglien. ganglien.
Cerebralkommissur. np — Nervus pallialis.
Globularkommissur. nv — Nervus visceralis.
Pedalkommissur. cs — Gommissura superior.
Visceralkommissur. ca — Commissura anterior.
Nervus acusticus. cm — Commissura media.
Globulus. cp — Commissura posterior.
Globulusrinde. c.lv — Commissura longitudinalis
Globulusmark. ventralis.
Globulusbündel. c.cb = Commissura cerebro-bra-
Vereinsgebiet. chialis.
Öerebralnerven. c.cv — Commissura cerebro-visce-
Ganglienzelle. ralis.
Gliazelle. g — Ganglion peduneuli.
— erster bis vierter Abschnitt
des Öerebralganglions.
Tafel XIV.
Helix pomatia L.
Frontalschnitt durch das Gehirn. i= frontaler Teil des medianen
motorischen Gebietes; a — innerer, b — äusserer hinterer
Abschnitt desselben. (Vergr. ?/,, Reichert.)
Gleicher Schnitt weiter ventralwärts.. vz — vordere mediane
Riesenzelle.
Gleicher Schnitt ganz ventralwärts, aber stärker vergrössert.
(Vergr. ?/s, Reichert.)
Schräger Querschnitt durch den Globulus. (Vergr. wie zuvor.)
Stark vergrössertes Stück aus der Globulusrinde. cn — zentrales
Nervennetz. (Vergr. */s,, Reichert.)
Horizontalabschnitt durch den äusseren hinteren Abschnitt des
medianen motorischen Gebietes. (Vergr. %/s, Reichert.)
ig. 10.
de
me
N
14.
ie. 15.
je. 16.
all.
Barbaren
Grosse Ganglienzelle aus dem vorderen Teil des motorischen
Mediangebietes, wobei der eine Fortsatz (f.cv) in die Visceral-
kommissur, der andere in die Cerebralkommissur gerät, sich dort
mit einem anderen Fortsatz mehrfach verbindend. Vitale Methylen-
färbung. (Vergr. %s, Reichert.)
Zwei miteinander sich direkt verbindende kleinere Ganglienzellen.
Ebenso und dieselbe Vergrösserung.
Vier miteinander sich direkt verbindende kleine Ganglienzellen
aus der ventralen Seite des Üerebralganglions,. f = periphere
Achsenfaser in den ersten Nerven. Ebenso und dieselbe Ver-
grösserung.
Tafel XV.
Limax einereo-niger (maximus, L.).
Horizontalschnitt durch das Gehirn. (Vergr. ?a, Reichert.)
Frontalschnitt durch die linke Hirnhälfte.
Ebenso, doch weiter ventralwärts.
Schnitt durch den Globulus. (Vergr. */s, Reichert.)
Frontalschnitt durch die rechte Gehirnhälfte.
Ebenso, doch mehr ventralwärts.
Ebenso, doch noch weiter ventralwärts unterhalb des Globulus.
Tafel XVI.
. 17-20 Limax cinereo-niger, Fig. 21—26 Arion empir-
Ticorum.euwsearıc. 27 Helix
Horizontalschnitt durch die rechte Gehirnhälfte und die hintere
Hälfte des Pleuralganglions. g&y; c.veig = Kommissur zu den
vorderen Eingeweideganglien (Buccalganglien).
Sagittalschnitt durch das Gehirn innen vom Globulus, so, dass
das Globulusmark (gm) noch getroffen ist.
Ebenso, doch weiter medianwärts vom vorigen Schnitt, den ganzen
zweiten Nerven treffend.
Aus einem Querschnitt des frontalen Teiles vom medianen moto-
rischen Gebiet. (Vergr. %/s, Reichert.)
Frontaler Schnitt durch die linke Gehirnhälfte, so, dass der frontale
Teil des medianen motorischen Gebietes (i) und der Globulus ge-
troffen ward.
Ebenso, doch weiter ventralwärts.
Sagittalschnitt entlang des Globulus und der hinteren Hälfte des
Gehirns.
Ebenso, doch weiter medialwärts. ow — obere, und untere Wurzel
des zweiten Cervikalnerven.
Grosse Ganglienzelle aus einem vitalgefärbten Methylenpräparat.
(Vergr. */s, Reichert.)
Sagittaler Schnitt aus dem Globulus und der nach hinten an-
grenzenden Rinde. (Vergr. ”s, Reichert.)
Helix. Multipolare zentrale Ganglienzelle mit zwei anliegenden
Gliazellen. Schnitt. (Vergr. */s, Reichert.)
ig. 41.
oc,
Die Intelligenzsphären des Molluskengehirns. 321
Tafel XVII.
Fig. 283—31 Oliva peruviana Lam.
Frontaler Schnitt, wobei der obere Teil des Globulus (gr) und die
Acusticuswurzel (ac) getroffen ward.
Ebenso, folgt bald auf den obigen Schnitt.
Ebenso, doch von der linken Hirnhälfte, wobei der laterale Teil
des Globulus getroffen ward. bl —= Bulbus der Kopfnerven.
Dieser Schnitt ist von einer anderen Serie mit der horizontalen
Schnittrichtung von oben nach unten und frontalwärts.
Oncinella spec.? Querschnitt durch die rechte Gehirnhälfte.
(2 mal so stark vergrössert wie die obigen Bilder.)
Nacella vitrea, Philippi. Querschnitt durch das Cerebral-
ganglion beim Abgang des Opticus (op). Vergrösserung wie zuvor.
Siphonaria albicans Quoy et Gaimard. Querschnitt
durch das rechte Cerebralganglion. Vergrösserung wie zuvor.
Oypraea histrio L. Querschnitt durch das Cerebralganglion.
nw — Nervenwurzel. Vergrösserung wie zuvor.
Cypraeahistrio. Ein Stück aus der Globularrinde (Vergr. ?/s,
Reichert.)
Murexbrandaris L. Globularrinde. (Vergr. ?s, Reichert.)
Murexbrandaris L. Aus einem Querschnitt zwischen den
beiden Üerebralganglien. (Vergr. */,, Reichert.)
Murex brandaris L. Querschnitt durch das vordere Ende
der Cerebralganglien. (Vergr. ?/, Reichert.)
Murexbrandaris L. Schräg nach ventral und hinten, dann
nach links geneigter Schnitt durch die Gerebralganglien. (Vergr. ?/s,
Reichert.)
Paludina vivipara L. Nach links und unten geneigter
Horizontalschnitt durch die Cerebralganglien. (Vergr.?/s, Reichert.)
Tafel XVIII.
Eledone moschata Lam.
Querschnittstück aus der dorsalen Hälfte des Pleurovisceralganglions.
a — äussere Faserlage; b — Schicht der grossen, ce — jene der
kleinen Ganglienzellen; m = Mark. (Vergr. 36, Reichert.)
Querschnittstück aus dem vierten Cerebralganglion-Abschnitt. a —
äussere Faserlage; b — Schicht der grossen, c — der der kleinen
Ganglienzellen; m = Mark. (Vergr. ?js, Reichert.)
Gleiches Stück aus dem zweiten Abschnitt des Öerebralganglions.
Bezeichnungen wie zuvor. (Vergr. */s6, Reichert.)
Aus einem Sagittalschnitte den Übergang der dorsalen Rinde des
ersten Cerebralabschnittes ce! in den zweiten c? zeigend. ng =
Neurogliahülle mit eingelagerten Blutgefässen. (Verg.”/s, Reichert.)
Ein kleines Stück aus dem Präparat auf Fig. 50, stark (?/s Imm.,
Reichert) vergrössert.
322 B. Haller: Die Intelligenzsphären des Molluskengehirns.
Tafel XIX.
Eledone moschata Lam.
Fig. 55. Querschnitt durch den ersten Cerebralabschnitt c! und das Brachial-
ganglion. Einige Ganglienzellen sind nach Golgischen Präparaten
eingetragen. k = Kerne der Brachialnerven.
Fig. 56. Gleicher Schnitt, doch etwas weiter hinten durch die Commissura
cerebro-brachialis (c. cb).
Fig. 57. Horizontalschnitt unterhalb des Ösophagus durch das ganze zentrale
Nervensystem, doch etwas schief von links nach rechts gesenkt.
Fig. 58. Querschnitt durch den Acusticuskern (na, na‘) in der Gegend der
vorderen Opticuskommissur.
Fig. 59. Querschnitt durch den dritten (c®) und vierten Abschnitt (c*) des
Cerebralganglions und das Pleurovisceralganglion (gpv). Doch sind
die Nervenwurzeln nach drei Schnitten kombiniert.
Fig. 60. Gleicher Schnitt durch das Pleurovisceralganglion weiter hinten
wie der vorige.
Fig. 61. Ebenso, doch noch weiter nach hinten.
Fig. 62. Vier Sagittalschnitte durch das ganze zentrale Nervensystem mit
A neben dem Ösophagus beginnend nach seitwärts fortschreitend.
In D — Blutgefäss schwarz.
Fig. 63. Querschnitt durch den Acusticuskern. na = mittlerer, na’ — rechter
lateraler Kernteil.
Fig. 64. Eledone. Auf einem Horizontalschnitte das Verhältnis des Seh-
ganglions (sg) zum vierten Abschnitt des Cerebralganglions (c *)
und zum Retinalganglion (rg) zeigend. Einige Zellen sind nach
Golgipräparaten eingetragen.
Fig. 65. Aus einem Sagittalschnitt die Vermengung der cerebralen Wurzeln
(eb, cb‘) des Brachialnerven mit dessen Plexus (nb) zeigend.
Fig. 66. Trogulus spec.” Auge (au) und Zentralnervensystem cg + bm
sagittal geschnitten. op = Opticus; og = Opticusganglion; gl =
Globuli im Cerebralganglion (cg); bm — Bauchmark; oe = Öso-
phagus.
323
Bemerkungen zu der Arbeit Aurel von Sazilys:
Über die Entstehung des melanotischen Pigments im Auge der
Wirbeltierembryonen und in Choreoidealsarkomen.')
Von
Dr. med. E. Meirowsky, Cöln a. Rh.
In der obengenannten Arbeit hat von Szily S. 21 (des
Sonderabdrucks) meine Beweise für die Entstehung des Melanins
im Pigmentepithel als „recht armselig“ und meine technischen
Leistungen „als wenig vertrauenerweckend“ bezeichnet. Eine
solche Behauptung ist imstande, den Wert und die Bedeutung
meiner Arbeiten zur Pigmentfrage in den Augen der engeren und
weiteren Fachkollegen, denen meine Originalarbeiten unbekannt
sind. herabzusetzen. Es ist deshalb am Platz, gegen ein solches
Vorgehen Verwahrung einzulegen. Ist es an und für sich in
Deutschland nicht üblich, in wissenschaftlichen Publikationen eine
die persönliche Ehre herabsetzende Bemerkung zu machen, so ist
das in diesem speziellen Falle um so verwunderlicher, als von Szilv
nicht etwa gegen meine Resultate polemisiert, sondern
sie bis auf geringfügige Abweichungen bezüglich
der Benennung der nukleogenen Muttersubstanz des
Pigments vollinhaltlich bestätigt. Es setzt den Wert
seiner Arbeit gewiss nicht herunter, dass ich meine Befunde über
die nukleogene Bildung des Pigments der Haut schon im Jahre
1906, also fünf Jahre vor ihm, bezüglich der Entwicklung des
Pigments des Auges drei Jahre vor ihm (nicht 1910, wie er be-
hauptet, sondern 1908) festgelegt habe. Was nun die beanstandeten
Beweise bezüglich des Retinapigments betrifft, so zeigen die
Fig. 277—281 meiner Monographie auf Taf. VIII die vorzüglich
gelungene Fixierung der Retina und die nukleogene Entwicklung
des Retinapigments am Rinderembryo.
An diesem Objekt ist mir die Fixierung und Färbung der
Retina in ausgezeichneter Weise gelungen und deshalb wurde
es zur Lösung unseres Problems allein von mir benutzt. Wenn
man bedenkt. dass ich meine Arbeit nicht wie v. Szily in staat-
!) Archiv für mikroskopische Anatomie, 77. Band, 1911.
324 E. Meirowsky: Bemerkungen zu der Arbeit Aurel v. Szilys.
lichen Universitätsinstituten, sondern in Graudenz (Westpreussen)
neben dem Getriebe einer grossen Praxis ausgeführt habe, so wird
man mein offenes Geständnis, dass meine Versuche am bebrüteten
Hühnerei misslangen, anerkennen und es bedauerlich finden müssen,
dass es zu einem meine wissenschaftliche Ehre herabsetzenden
Angriff benutzt wird. Ausdrücklich sei noch darauf aufmerksam
gemacht, dass v. Szily in seiner Arbeit mit keinem Worte
meine Beobachtung an der Choreoidea des Rindes
erwähnt, obwohl ich hier im exakter Weise an vorzüglichen
Präparaten in 38 Bildern die Entwicklung des Pigments aus
der farblosen, aus dem Kern stammenden „pyrenoiden“ (= pyrenin-
ähnlichen) Substanz bewiesen habe (nicht pyronoide = pyronin-
ähnliche (!) Substanz, wie v. Szily in Verkennung der Bedeutung
des Wortes Pyrenin und der Endsilbe „oid“ sagt). Auch die
276 übrigen Abbildungen meiner Monographie, die ich grössten-
teils auf Grund eigener Untersuchungen erbracht habe, beweisen,
dass v. Szily kein Recht hat, meine Technik als „wenig ver-
trauenerweckend“ zu bezeichnen. Ich überlasse die Beurteilung
der Handlungsweise des Herrn v. Szily den Fachkollegen.
325
Aus der anatomischen Anstalt des Carolinischen Institutes in Stockholm.
Untersuchungen über die Anatomie und
Entwicklung des peripheren Nervensystems bei den
Selachiern.
Von
Erik Müller.
Hierzu Tafel XX—XXVIIH.
Die folgenden Blätter beabsichtigen, einen Beitrag zu der
Morphologie des Nervensystems zu liefern. Das periphere Nerven-
system. welches hier behandelt wird, dasjenige eines Selachiers,
ist in vielen Beziehungen einfacher gebaut als dieselben Organe
bei den höheren Wirbeltieren. Andererseits bietet es schon die
Rätsel, deren Lösung die Forschung auf diesem Gebiete gegen-
wärtig beschäftigt: die Plexusbildungen, das Verhältnis zwischen
Muskel und Nerv, alles Fragen, welche mit dem viel debattierten
Probleme über die Entstehung des peripheren Nervensystems zu-
sammenhängen. Ein Umstand, welcher ganz besonders geeignet
ist, die Untersuchung der berührten Fragen zu erleichtern und
einen grossen Vorzug gegenüber den Verhältnissen bei den
höheren Vertebraten darstellt, ist der, dass die Muskelanlagen
während der ersten Entwicklung von epithelialem Baue sind.
Hierdurch sowohl wie durch die Klarheit und Einfachheit der
histologischen Bilder von den Selachierkeimen wird die allerdings
auch hier schwierig zu beurteilende Frage über die Beziehungen
zwischen den Muskelanlagen und den embryonalen Nerven leichter
in Angriff genommen als bei den höheren Tieren.
Die Aufgabe, eine Anatomie des Nervensystems der Selachier
im erwachsenen und embryonalen Zustande klarzulegen, wird
wesentlich dadurch erschwert, dass die Nerven in beiden Fällen
schwierig darzustellen sind. Das periphere Nervensystem des
erwachsenen Haies bildet ein Zwischending zwischen dem makro-
und mikroskopischen Gebiete, welches sich weder durch einfache
Messerzergliederung noch durch die gewöhnlichen histologischen
Methoden darstellen lässt. Hier sind andere Methoden notwendig.
Archiv f.mikr. Anat. Bd. 81. Abt. 1. 22
326 Erik Muller:
Ich habe wie bei früheren Gelegenheiten die Essigsäure-Osmium-
Methode gebraucht und bin überzeugt, dass man durch diese
Methode einen genügenden Einblick in die gröberen Verhältnisse
gewinnt. Noch wichtiger ist es aber, dass wir durch die vor-
zügliche Methode von Bielschowsky die Möglichkeit erhalten
haben, die embryonalen Nerven von ihrem ersten Anfange bis
zum fertigen Zustande verfolgen zu können. Hierdurch kann man
nicht nur die Entwicklung studieren, sondern auch die Befunde
mit der Essigsäure-Osmium-Methode, von dem erwachsenen Zu-
stande gewonnen, wesentlich vervollständigen.
Die Bielschowsky-Methode ist für das Studium der Ent-
wicklung der Nerven bei den Selachiern schon von Paton mit
gutem Erfolge gebraucht worden. Dieser Forscher hat aber nur
die frühesten Stadien der Nerven bei Embryonen von 5—14 mm
Länge untersucht. Meine Untersuchungen fangen an, wo diejenigen
von Paton endigen, und beschäftigen sich dann mit den späteren
bis zu den erwachsenen Zuständen. Ich habe die Untersuchungen
mit den Nerven der paarigen Flossen angefangen und bin von
hier aus zu den Nerven der Körperwand und der unpaarigen
Flossen übergegangen. Die Gesamtheit dieser Nerven bildet den
Gegenstand des folgenden Berichtes. Die Gehirnnerven, die
occipitalen und cervicalen Nerven habe ich nicht berücksichtigt.
Das Material der vorliegenden Untersuchung stammt von
unserer zoologischen Station Kristineberg in Bohuslän. Ich benutze
die Gelegenheit, dem Direktor der Station, Herrn Prof. Dr. Hj. Theel,
sowie dem Vorstand der Station, Herrn Dr. Hj. Östergren, meinen
herzlichsten Dank auszusprechen für all das Wohlwollen und die
Dienste, die mir bei der Materialsammlung und der Bearbeitung
auf der Station geleistet worden sind.
Die Myomeren und Nerven der Körperwand.
Ehe ich zu meinem eigentlichen Thema, der Entwicklung
der Nerven, übergehe, wird es notwendig sein, eine Übersicht
über das Verhältnis der Myomeren und Nerven im ausgewachsenen
Zustande zu geben. Um die Entwicklung zu verstehen, ist es
nämlich notwendig, im Gedächtnis zu haben: 1. den komplizierten
Verlauf der Myomeren und ihre Einteilung in Unterabteilungen
durch längs verlaufende Septa, 2. den Verlauf der Nerven im
Verhältnis zu diesen.
Das periphere Nervensystem bei den Selachiern. 327
Die Einteilung des Seitenmuskels wird von verschiedenen
Autoren verschieden gemacht. Joh. Müller unterscheidet eine
dorsale und eine ventrale Abteilung, welche durch ein Septum
von der Seitenlinie nach der Wirbelsäule voneinander geschieden
werden. Zu dieser Auffassung bekennen sich Fürbringer,
Maurer, Rabl, Göppert und Kaestner.
Nach Humphry besteht der Seitenrumpfmuskel aus vier
Längsstreifen: dem medio-dorsalen, dem latero-dorsalen, dem
latero-ventralen und dem medio-ventralen. Sie sind voneinander
durch längslaufende Septa getrennt und unterscheiden sich weiter
durch den verschiedenen Verlauf der geknickten Myomeren. Inner-
halb der medio-dorsalen Abteilung bilden die Myomeren sehr
spitzige, kaudalwärts offene Winkel, in der latero-dorsalen Zone
verlaufen sie ventral- und kranialwärts, um dann an der Seiten-
linie umzubiegen und in der latero-ventralen Abteilung ventral-
und kaudalwärts zu verlaufen. Innerhalb der medio-ventralen
Abteilung verlaufen sie wieder kranialwärts, um in den am meisten
medialwärts belegenen Teilen wieder kaudalwärts umzubiegen.
Gestützt auf die Innervationsverhältnisse teilt Wikström
den Seitenmuskel in eine dorsale, eine laterale und eine ventrale
Abteilung. Die Teilung des lateralen Muskels in einen ventralen
und einen dorsalen Teil ist nebensächlich.
Meine Erfahrungen über die Nerven des ausgewachsenen
Tieres wie deren Entwicklung haben mich gelehrt, dass die
Innervationsverhältnisse für die Einteilung nicht zu brauchen sind.
Ausschlaggebend sind nur die rein anatomischen Verhältnisse.
Wie Joh. Müller teile ich zuerst den Muskel in zwei Haupt-
abteilungen, eine ventrale und eine dorsale, welche durch das
mächtige horizontale Septum von der Seitenlinie nach der Wirbel-
säule getrennt sind. Diese Teile müssen dann in Unterabteilungen
getrennt werden, und in bezug auf diese folge ich der Einteilung
vonHumphry und unterscheide also den medio-dorsalen, den latero-
dorsalen, den latero-ventralen und den medio-ventralen Abschnitt
des Seitenmuskels. Für die nähere Beschreibung weise ich auf
meine Abhandlung „Muskeln und Nerven der Brustflosse etc.“
hin. Die latero-ventrale und die latero-dorsale Abteilung fasse
ich unter der Benennung des lateralen Muskels zusammen.
Über den Verlauf und die Verästelung der dorsalen Spinal-
nervenäste sind die Angaben spärlich und unvollständig. Nach
22*
325 Erik Müller:
Stannius verlaufen die dorsalen Äste der Spinalnerven bei den
Fischen längs der oberen Bogen der Wirbel und später auf den an
den Flossenträgern befestigten tiefen Flossenmuskeln aufwärts zum
Rücken. Während dieses Verlaufes gibt jeder Ast feine Zweige
ab, sowohl für den Rückenteil des Seitenmuskels, wie für die tiefen
Flossenmuskeln. Von besonderem Interesse ist seine Angabe, dass
alle dorsalen Äste durch einen Längsstamm verbunden werden,
welcher auf den tiefen Muskeln gelegen ist.
Nach Fürbringer besteht ein Unterschied in der Inner-
vation der dorsalen Rumpfmuskulatur zwischen den Selachiern
und den höheren Wirbeltieren darin, dass bei den ersteren die
betreffenden Nervenzweige teils von den dorsalen, teils von den
ventralen Ästen der Spinalnerven abgehen, während bei den
höheren Wirbeltieren alle diese Äste auf die Rami dorsales der
Spinalnerven konzentriert sind.
Wikström liefert keine besondere Beschreibung der dorsalen
Äste trotz seiner Angabe, dass die von ihm vorgeschlagene Muskel-
einteilung auf den Innervationsverhältnissen basiert.
Nach P. Mayer, welcher die dorsalen Nerven im aus-
gewachsenen Zustande bei Zygaena, Scyllium, Mustelus und Centrina
untersuchte, verbinden sich die dorsalen Äste durch Anastomosen
miteinander in einer Weise, welche nach den verschiedenen Regionen
und Ästen ziemlich viel variiert. Die dorsalen Äste sind weiter
durch längslaufende Sammelstämme, die Colleetoren, miteinander
verbunden. Ein solcher Längsstamm liegt dicht an der Medianlinie
und verbindet sämtliche dorsalen Äste miteinander. Im Gebiete
der Flossen werden zwei solche Colleetoren gefunden ; der eine von
diesen liegt ausserhalb der Flosse, während der andere, in der Flosse
selbst gelegen, über die Basalstücke der Knorpel hin verläuft. Inner-
halb der Flosse weisen die Nerven reichliche Plexusbildungen auf.
Der allgemeine Verlauf der ventralen Äste der Spinalnerven
ist gut bekannt. Die Nerven verlaufen erst im Gebiete des latero-
ventralen Muskels innerhalb seines Myomers, dann ziehen sie,
in die medio-ventralen Muskelgebiete gelangt, schräg über die
Myomere, in der Weise, dass sie erst nur über einen Myomer,
dann aber, je weiter kaudalwärts, über zwei, drei oder mehrere
ziehen. In dem medialsten Teile des medio-ventralen Muskels
folgen sie wieder den Myomerengrenzen, verbinden sich aber hier
durch mehrere Anastomosen miteinander.
Das periphere Nervensystem bei den Selachiern. 329
Zu dem ventralen Gebiete gehört auch der Nervenstamm,
welcher von v. Davidoff zuerst entdeckt und N. collector genannt
ist. v. Davidoff beschreibt ihn in folgender Weise. Der erste
Nerv der Bauchflosse nimmt vor seiner Teilung in einen ventralen
und dorsalen Ast einen längslaufenden Stamm auf, welcher so
zustande kommt, dass er als Ast eines achten vor dem ersten
Flossennery gelegenen Spinalnerven beginnt und dann eine Anzahl
von sieben solchen in sich aufnimmt, während er feine Zweige
medialwärts zu den Bauchmuskeln absendet.
Bei einer Untersuchung über die Entwicklung der Spinal-
nerven bei den Selachiern sind vor allem folgende Punkte zu
berücksichtigen: 1. die Entstehung der Dysmetamerie in dem
ventralen Teile, 2. das Wesen der Sammelstämme sowohl in dem
dorsalen wie in dem ventralen Gebiete der Spinalnerven.
Die Entwicklung der Myotome und Nerven in der
Körperwand des Acanthias vulgaris.
Man hat seine Aufmerksamkeit beim Studium der Entwicklung
der Myotome vor allem auf die muskelbildenden Teile gerichtet.
Das Wachsen ventral- und dorsalwärts ist auch genügend durch-
studiert. Für die Entstehung der Längsstreifen und im Zusammen-
hang hiermit für die Entstehung der ziekzackförmigen Biegungen
hat man aber weniger Interesse gehabt.- Es wird sich aber zeigen,
dass für das Verstehen der Nervenentwicklung diese Biegungen
von grosser Bedeutung sind.
Das Material meiner Untersuchung bilden Embryonen von
Acanthias vulgaris von einer Länge zwischen 12 und 50 mm.
Bei den jüngsten Embryonen von 12 bis 15 mm Länge verlaufen
die Myotome -ungefähr sagittal. Das dorsale Ende reicht zu einer
Ebene durch die dorsale Fläche des Medullarrohres, das ventrale
Ende bis zu einer Ebene durch die ventrale Fläche der Aorta.
Sie zeigen schon eine winkelförmige Biegung mit kaudalwärts
geöffnetem Winkel. Die Nerven sind gut entwickelt, verlaufen
lateral und etwas ventralwärts und verbinden sich mit den Myotomen,
auf deren medialer Fläche, entsprechend der Winkelspitze des-
selben (Fig. 6). Von hier zerstreuen sich die Nervenfasern sowohl
dorsal- wie ventralwärts eine kleine Strecke längs der medialen
Wand des Myotoms ohne die Enden zu erreichen. Gewisse Nerven-
fasern scheinen sich direkt mit den Myotomzellen zu verbinden.
330 Erik Müller:
Bei einem Embryo von 18 mm sind die Myotome stumpf-
winklige Gebilde. Die dorsalen und ventralen Teile sind breite
Platten mit parallelen Rändern. Sie sind ungefähr symmetrisch
angeordnet und gleich stark im Umfange. Die dorsalen und
ventralen Nerven sind gut ausgebildet, verlaufen ganz wie ihre
Myotomanteile ventral- resp. dorsalwärts und etwas kaudalwärts,
reichen jedoch nicht bis zu den Enden der Myotome. Die Teilungs-
stellen der motorischen und sensiblen Wurzeln der Nerven ent-
sprechen den Biegungswinkeln der Myotome. Jeder Nerv ent-
spricht also genau jeder Myotomhälfte.
Mit der weiteren Entwicklung bei Embryonen von 23 mm
Länge findet nun die charakteristische ziekzackförmige Biegung
der Myotome ganz symmetrisch in dem ventralen und dem dorsalen
Teile statt. Auf beiden Stellen machen nämlich die Myotome
eine Biegung kranialwärts. Von der Seitenlinie ab verläuft also
das Myotom zuerst kaudalwärts, dann kranialwärts, sowohl in der
ventralen wie in der dorsalen Hälfte.
Von der kranialwärts abgebogenen Abteilung des ventralen
Teiles gehen die Dohrnschen Knospen ab. Die Nerven haben sich
gleichzeitig längs der Myotome weiterentwickelt. Eine ins Auge
fallende Eigentümlichkeit ist die, dass der ventrale Nerv bedeutend
stärker als der dorsale ist. Dies steht im Zusammenhang damit,
dass die Muskulatur im Verhältnis zu den Nerven ihren Platz
verändert hat. In den früheren Stadien entsprach die Teilungs-
stelle der Nerven derjenigen des Myotoms. Jetzt liegt die Nerven-
teilungsstelle mehr dorsalwärts innerhalb des dorsalen Teiles des
Myotoms. Die Muskulatur ist ventralwärts verschoben, die Nerven
dorsalwärts. Diese halten sich fortwährend streng innerhalb der
Myvotomgrenzen. Dies sieht man zum Beispiel in den Fig. 1 und 7,
wo der Nerv längs seines Myotoms nach der kranialen Knospe
im Gebiete zwischen der Brust- und der Bauchflosse verläuft.
Hier löst er sich in eine Menge feiner Endäste auf. Während
seines Verlaufes gibt er einen kurzen aber starken Stamm ab,
welcher sich weiter zu dem Ramus medius von Stannius ent-
wickelt. Dieser entspringt bald nach der Vereinigung der moto-
rischen und sensiblen Portionen und läuft eine kurze Strecke
kaudalwärts nach dem Raume zwischen den Myomeren. Mit Aus-
nahme des beschriebenen Stärkeunterschiedes zwischen den dorsalen
und ventralen Nerven zeigen sie beide ein symmetrisches Verhältnis.
Das periphere Nervensystem bei den Selachiern. 331
Ich werde nun die Entwicklung der dorsalen und der ventralen
Nerven jede für sich besonders beschreiben.
Die Entwicklung der ventralen Äste wird ohne weiteres
durch eine Betrachtung der Fig. 1—5, 7 und 8 klar. Bei einem
Embryo von 23 mm Länge (Fig. 1 und 7) halten die Nerven sich
noch innerhalb seiner Myotomgrenze. Proximal verlaufen sie
längs des kaudalen Randes des Myomers, weiter distal entfernen
sie sich von jenem und laufen mehr in dessen Mitte. Schliesslich
kreuzen sie über dem kranialwärts abgebogenen Endteile und
endigen in der kranialen Dohrnschen Myotomknospe (Fig. 7).
In Fig. 1, welche ein etwas mehr fortgeschrittenes Stadium dar-
stellt, scheint im Zusammenhang mit der stärkeren Biegung der
Myotome kranialwärts eine Verschiebung der Knospen kaudalwärts
stattgefunden zu haben. Dies hat einen deutlichen Einfluss auf
die Nerven gehabt; sie verlaufen jetzt im allgemeinen über die
umgebogenen Myotome nach dem Myocomma oder gar im Gebiete
des nächsten Myomer.
In dem nächsten Stadium (Fig. 2), bei einem Embryo von
26 mm Länge, haben die Knospen eine Rückbildung erlitten.
Nach einigen Autoren werden sie aufgelöst, nach anderen sollen
sie eine Wanderung nach der Bauchflosse ausführen und in deren
Radialmuskel übergehen. Nach meinen Präparaten findet weder
das eine noch das andere statt. Die Knospen bleiben in der
Entwicklung stehen und verschmelzen mit den weiter auswachsenden
Enden der Myotome. Dies sieht man deutlich in Fig. 2, K; die
Äste, welche zu den Knospen verlaufen, sind gerade noch zu
beobachten, trotzdem sie auch in der Entwicklung stehen geblieben
sind. Die Lage der Nerven zu den Myotomen ist nun verändert.
Sie halten sich nicht innerhalb ihrer Myotomgrenzen, sondern
verlassen diese und laufen, je mehr kaudalwärts sie gelegen sind,
über ein, zwei oder drei kaudalwärts gelegene Myotome. Im
Zusammenhang mit dieser veränderten Lage zwischen Nerven und
Muskeln steht auch noch eine andere Erscheinung: Die Endteile
der Nerven splittern sich in eine Menge von Ästen, welche sich
untereinander verbinden und ein schön entwickeltes Geflecht inner-
halb der ventralen Abteilungen der Myomeren bilden. Von diesen
Ästen kann man folgende besonders unterscheiden: 1. die End-
äste, welche zwischen den Myomeren nach der Haut verlaufen,
2. die kleinen, im Verschwinden begriffenen Äste, welche sich
332 Erik Müller:
nach den Knospen begeben und lateral von den Myotomen gelegen
sind, und 3. die Mehrzahl der Äste, welche medialwärts von den
Myomeren liegen und das obengenannte Flechtwerk bilden. Alle
diese zahlreichen Endäste sind nun von besonderem Interesse,
weil die Äste der Nerven sonst sehr sparsam sind. Die R. medii
haben sich freilich stark entwickelt, haben den kranialen Rand
des nächst unten liegenden Myotoms erreicht und sich längs dieses
weiterentwickelt. In der Strecke zwischen diesem und den End-
ästen findet man nur spärliche, unter rechtem Winkel abgehende
Äste, welche eine kurze, gerade Strecke innerhalb des zugehörenden
Myotoms verlaufen.
Die Fig. 3 und 4 zeigen ein weiter fortgeschrittenes Stadium
in der Entwicklung der ventralen Äste der Spinalnerven. Sie
stammen von Embryonen von 30—32 mm Länge. Die ventralen
Teile der Myotome sind nun weiter kranialwärts ausgewachsen,
und die kleine kaudalwärts gerichtete Abbiegung ist sogar an-
gedeutet. Die Nerven haben nun die bleibende Lage zu den
Myomeren angenommen. Proximal von der Bauchflosse laufen sie
über vier Segmente. Am weitesten kranialwärts laufen sie nur
über zwei und in der zwischenliegenden Strecke über drei solche.
In bezug auf die Äste, welche an den Nerven entspringen, muss
bemerkt werden, dass der R. medius sich in einen ventralen und
einen dorsalen Ast aufgeteilt hat, dieser dorsal, jener ventral von
der Seitenlinie. Beide ziehen längs des kranialen Randes des
folgenden Myomers und senden feinere Äste in diesen hinein.
Die feinen, gerade verlaufenden Äste haben sich auch stärker
entfaltet und ziehen nun über das Myocomma zu dem am nächsten
kaudalwärts gelegenen Myotom. Am meisten Interesse wecken aber
die starken und kräftigen Nervenäste, welche innerhalb der ventralen
Abteilung der Muskulatur gelegen sind. Man findet nämlich hier
eine longitudinal angeordnete Kette von Anastomosen, welche
kranialwärts von der Flosse liegt und mit dem ersten Bauch-
flossennerv zusammenhängt. In dieser Kette gehen bei der einen
Spezies sechs (Fig. 4), bei der anderen (Fig. 3) bis zehn Nerven-
segmente hinein. Die Anastomosen werden schwächer, je mehr
kranialwärts sie liegen. Die meisten Anastomosen charakterisieren
sich dadurch, dass sie aus einem Ast von einem oberen Nerv
und aus einem Ast von einem unteren Nerv bestehen, diese laufen
gegeneinander, verbinden sich mit dem Muskel und gehen bogen-
Das periphere Nervensystem bei den Selachiern. 333
förmig ineinander über. Die Anastomosenkette liegt auf der inneren
Fläche der Myotome, ein wenig lateralwärts von den nach der
Mittellinie umgebogenen, ventralen Enden der Myotome, in un-
mittelbarer Nähe der in diesem Stadium entwickelten Vena
parietalis.
Bei den Embryonen von 35 mm Länge (Fig. 5) ist nun eine
wichtige Veränderung eingetreten. Statt der eben beschriebenen
Anastomosenkette findet man nun einen schön und kräftig ent-
wickelten Längsstamm, welcher rechtwinklig gegen die Spinal-
nerven gerichtet ist, aus gerade verlaufenden Nervenfasern, die
die Nervensegmente kranialwärts von der Bauchflosse verbinden,
besteht und kaudalwärts in die freie Bauchflosse verläuft. Er liegt
ganz an der V. parietalis und entspricht in allen Einzelheiten
dem vollentwickelten v. Davidoffschen Collector der Bauchtlosse.
Zu der Beschreibung der Entwieklung der dorsalen Äste
übergehend, kann ich mich kurz fassen, weil die Erscheinungen
prinzipiell mit denjenigen der ventralen Äste übereinstimmen.
Die Fig. 9-11 illustrieren die Vorgänge bei der Entwicklung
der dorsalen Äste. Wie schon oben berichtet ist, herrschen
symmetrische Verhältnisse bei einem Embryo von 23 mm Länge
in bezug auf die dorsalen und ventralen Äste. Jene liegen zuerst
innerhalb seines Myomers (Fig. 9). Da nun die dorsalen Myotome
anfangen, kranialwärts auszuwachsen, splittern sich die Nerven in
mehrere Äste. Während dieser Zeit wachsen die Nerven von
dem einen Myotom zum anderen hinüber (Fig. 10) und kommen
allmählich, je mehr das Auswachsen der Myotome kranialwärts
stattfindet, über mehrere Myotome zu laufen (Fig. 11). Gleich-
zeitig bildet sich eine longitudinale Anastomosenkette aus, welche
ursprünglich aus einfachen, bogenförmigen Verbindungen zwischen
den Nerven gebildet, später zu einem langen Nervenstrang um-
gebildet wird, in dem die Fasern über längere Strecken verfolgt
werden können (Fig. 11).
In die proximalen Teile der dorsalen Myotome senden die
Nerven kurze Äste aus, welche direkt in die Myotome eindringen.
Sie sind stärker entwickelt als auf der ventralen Seite und dringen
früher als diese in den nächsten kaudalwärts gelegenen Myomer
hinein (Fig. 11). Dadurch, dass diese Anastomosen in einer Linie
sich anordnen, kommen im Gebiete des latero-dorsalen Teiles des
Muskels feine Längsstämme zustande.
334 Erik Müller:
Innerhalb des Schwanzes verhalten sich die Nerven wie im
tumpf. Die Symmetrie zwischen den dorsalen und ventralen
Ästen tritt hier noch stärker hervor. Innerhalb der medio-dorsalen
und medio-ventralen Streifen kommen stattliche Collectoren zur
Ausbildung.
In der Einleitung habe ich hervorgehoben, dass die dorsalen
Äste in ihrer Verästelung, Anordnung und Ausbreitung nicht voll-
ständig bekannt waren. Durch die nun mitgeteilten Untersuchungen
lässt sich diese kleine Lücke leicht ausfüllen. Die dorsalen Äste
verlaufen zwischen den Neuralbogen und der tiefen Fläche des
dorsalen Muskels bis an dessen medialen Rand. Hier zieht er
um diesen Rand und wird subkutan. Gleich nach seinem Ursprunge
geht ein starker Ast ab, der durch den latero-dorsalen Muskel zu
der subkutanen Schicht verläuft und hierbei Äste an diesen abgibt.
Der Ramus medius von Stannius innerviert sowohl den latero-
dorsalen wie den latero-ventralen Muskelstreifen. Der medio-
dorsale Muskel wird also nur von dem dorsalen Spinalnervenast,
der latero-dorsale sowohl von dem dorsalen wie von dem ventralen
Spinalnervenaste, der latero-ventrale und medio-ventrale Muskel
werden nur von dem ventralen Spinalnervenaste innerviert.
Von den beschriebenen Vorgängen in bezug auf die Ent-
stehung der Spinalnerven hebe ich als besonders wichtig hervor:
1. die Symmetrie zwischen den ventralen und dorsalen Spinal-
nervenästen, 2. die deutliche bineure Innervation des lateralen
Muskels, 3. die Erkenntnis, wie die Dysmetamerie im Gebiete des
medio-ventralen und medio-dorsalen Muskels zustande kommt, und
4. die Bildung der Colleetoren an beiden Stellen.
Ursprünglich ist die Symmetrie zwischen den ventralen und
dorsalen Nerven ebenso vollständig, wie die beiden Hälften des
stumpfwinklig gebogenen Myotoms gleich sind; später findet aber
eine Verschiebung so statt, dass ein Teil des dorsalen Myotoms
innerhalb des (Gebietes des ventralen Spinalnervenastes zu liegen
kommt, wonach der dorsale Ast schwächer wird. In diesem Ver-
laufe herrscht aber immer insoweit eine Symmetrie, als sich so-
wohl der ventrale wie der dorsale Spinalnervenast im Gebiete
des latero-ventralen resp. latero-dorsalen Teiles des Seitenmuskels
innerhalb der Myotomgrenze halten, während mehr peripherie-
co
SE
co
ot
Das periphere Nervensystem bei den Selachiern.
wärts, d. h. in den Gebieten des medio-dorsalen und des medio-
ventralen Gebietes, die Nerven über mehrere Myotome verlaufen.
Die bineure Innervation der latero-dorsalen und latero-
ventralen Abteilungen des Seitenmuskels kommt zustande teils
durch den R. medius, teils durch die kurzen geraden Äste des
Spinalnerven. Jener ist für den der Wirbelsäule am nächsten
gelegenen Teil der Myomere bestimmt und entspringt aus dem
Spinalnerv des nächstvorliegenden Segmentes. Die kurzen Äste
halten sich zuerst innerhalb ihres Myotoms, wachsen dann in das
kaudalwärts gelegene Nachbarsegment. Das Innervationsgebiet
eines Spinalnerven umfasst also teils das Myotom, innerhalb dessen
der Nerv liegt, teils das am nächsten kaudalwärts belegene
Nachbarmyotom.
Das Zustandekommen der Dysmetamerie in den peripheren
Teilen der Körperwand und die Bildung der Üollectoren sind
Erscheinungen, welche nahe verwandt sind. Beide haben ihren
Grund in der veränderten Wachstumsrichtung der Myotome, welche
zu der Ausbildung der medio-ventralen und medio-dorsalen Ab-
teilungen des Seitenmuskels führen. Während die Myotome und
die Spinalnervenäste bisher dieselbe Richtung bei ihrem Wachstum
eingeschlagen haben, findet nun eine Veränderung statt: die
Myotome biegen kranialwärts um, die Nerven jedoch wachsen
dabei medio-kaudalwärts aus und nehmen darum ihren Weg von
dem einen Segment zum anderen. Die Dysmetamerie ist eine
Funktion von der kranialwärts gerichteten Biegung der Myotome.
Der N. colleetor bildet bei den erwachsenen Haien einen
gerade verlaufenden Nervenstamm, welcher Fasern von ca. zehn
kranialwärts von der Bauchflosse gelegenen Nervensegmenten ins
Gebiet dieser letzteren überführt. Durch die mitgeteilten Unter-
suchungen sind wir nun über die Bildungsweise des N. collector
informiert. Frühere Untersucher (Braus, Mollier) hatten
gelernt, dass er im Zusammenhange mit den Abortivknospen ent-
stehen sollte, insoweit als diese eine Wanderung nach der Bauch-
tlosse ausführen und hierbei die Fasern mitführen würden. Nach
meinen Präparaten zu beurteilen, ist die Entstehung wesentlich
anders. Im Zusammenhang mit dem Hervorwachsen der Nerven
über mehrere Myotome treiben die Nerven eine Menge von Ästen,
welche untereinander anastomosieren. Innerhalb dieses Gebietes
entsteht eine longitudinale Kette von bogenförmigen Anastomosen.
336 Erik Müller:
In dem kaudalen Teile dieser Anastomosenkette gehen ein paar
oder mehr von den Nervenästen, welche zu den Abortivknospen
verlaufen, hinein. Die grösste Mehrzahl der Abortivknospen und
ihrer Nerven gehen zugrunde und haben also mit der Collector-
bildung nichts zu tun. Aus der Anastomosenkette entsteht der
Collector in solcher Weise, dass jede bogenförmige Verbindung
allmählich von kranialwärts nach kaudalwärts an Mächtigkeit zu-
nimmt und einen geraderen Verlauf erhält. Im Zusammen-
hang mit dieser Formveränderung von einer Reihe
Kettenanastomosenbiszueinem geradeverlaufenden
Nervenstamm geht eine innere Umbildung des Faserverlaufes
insofern vor sich, als die Fasern zuerst von dem einen Nerven
zu dem anderen oder unter Durchflechtung zu dem Myotome
gehen, während sie später einen bestimmten Längsverlauf nehmen,
indem sie von kranialwärts höher gelegenen Segmenten nach der
Bauchflosse ziehen.
Insofern als diese ontogenetischen Befunde etwas über die
Phylogenie des Collectors aussagen, ist es klar, dass er gar nichts
mit einer hypothetischen Wanderung der Bauchflosse zu tun hat.
Es ist nämlich sehr bemerkenswert, dass der dorsale Üollector
von ganz derselben Beschaffenheit ist und in ganz derselben Weise
entsteht, wie der ventrale Collector. Die Bildung des einen wie
des anderen steht im Zusammenhang mit den starken, zickzack-
förmigen Biegungen derjenigen Myotomabschnitte, welche am
weitesten peripheriewärts von der Wirbelsäule gelegen sind. Vom
phylogenetischen Gesichtspunkte aus lässt sich also nur so viel
aussagen, dass die Collectorbildung im Zusammenhang mit der
Bildung des spulförmigen Körpers der Haie steht.
Die feineren Vorgänge bei der Entwicklung der Nerven
gestalten sich ähnlich in allen Teilen des Selachierkeimes. Um
Wiederholungen zu vermeiden, behandle ich dieses Thema nur
an einer Stelle, nämlich bei der Beschreibung der Entwicklung
der Brustflossennerven, wo ich die histologischen Verhältnisse am
gründlichsten durchstudiert habe.
Die Nerven der paarigen Flossen.
Die älteren Angaben sind ziemlich dürftig. Man begnügte
sich mit der Angabe, dass die Nerven innerhalb der Flossen
Geflechte bildeten. Weitere Untersuchungen wurden dann von
Das periphere Nervensystem bei den Selachiern. 331
Braus und mir ausgeführt. In bezug auf das Verhältnis dieser
Untersuchungen zueinander muss ich auf meine vorige Abhand-
lung (29) hinweisen. Hier brauche ich nur an folgendes zu erinnern.
Das Hauptergebnis der ersten Arbeit (2) von Braus bestand
darin, dass er glaubte nachweisen zu können, dass die zu der
Flosse hinlaufenden, vorher metameren Nerven sich innerhalb
dieser in Geflechte auflösen, wodurch sie ihren metameren
Charakter verlieren. Unter diesen Geflechten wurde ein prä-
und ein postaxiales Geflecht als morphologisch besonders wichtig
unterschieden, weil sie mit ähnlichen Geflechten bei Cerätodus
homolog sein sollten. Im Gegensatz hierzu zeigte ich, dass die
Nerven in der Brustflosse ihre metamere Natur in der Anordnung
und Lage ebensogut wie diejenigen in der Körperwand behielten.
In zwei späteren Arbeiten (3, 4) hat Braus dann seine ursprüng-
liche Ansicht wesentlich geändert. Die regelmässige Anordnung
der Nerven wird nun im Gegensatz zu der früheren Auffassung
anerkannt, daneben soll ein mehr diffuses Nervengetlecht vor-
handen sein, das die eigentliche motorische Innervation besorgen
soll. Nach dem Berichte über meine eigenen neueren Unter-
suchungen werde ich diese Angaben von Braus näher beleuchten.
Wenn ich nun wieder die Untersuchung der Brustflossen-
nerven aufnehme, so geschieht es hauptsächlich, um eine Basis
für die entwicklungsgeschichtliche Darstellung zu legen. Wie ich
vorher ausführlich hervorgehoben habe, ist die Anatomie der
grossen Hauptnerven der Brustflosse durch meine vorigen Unter-
suchungen vollständig erledigt. Die feineren inter- und intra-
muskulären Nerven dagegen habe ich früher nur nebensächlich
behandelt. Hier hat Braus schon eine gute Vorarbeit geliefert.
aber nach meiner Meinung in nicht genügender Weise. Bei meinen
fortgesetzten Untersuchungen habe ich vor allem meine Auf-
merksamkeit auf den Faserverlauf in den Plexusbildungen gerichtet.
Die Fig. 12—15 stellen die Nerven der Brustflosse bei
Acanthias vulgaris dar, von der tiefen Fläche des ventralen
Flossenmuskels nach der Wegnahme des Skeletts präpariert.
Man findet hier die Hauptnerven mit derselben Anordnung zu den
Muskeln, wie ich sie vorher mit Hinsicht auf die Lageverhältnisse
zu den Strahlen beschrieben habe. Zwischen den Hauptnerven
verlaufen dünnere Nerven, die von mir sogenannten Nn. inter-
mittentes, welche Anastomosen von den beiden naheliegenden
338 Erik Müller:
Hauptnerven aufnehmen. In solcher Weise kommt ein zusammen-
hängendes Nervengeflecht, das tiefe Grundgeflecht der Flosse,
zustande. Innerhalb dieses Geflechtes lassen sich die Ausbreitung
und Verteilung der Nervenfasern gut verfolgen.
Ich fange die Beschreibung mit Fig. 12 an. Sie zeigt das
vollständigste Bild an, welches man mit der betreffenden Methode
erhalten kann. Das Präparat enthält 10 Flossennerven und die
20 dazu gehörenden Radialmuskeln. Die proximalen Teile der
Flossennerven sind in ihrem Verlauf über dem Basale des Meta-
pterygium nicht dargestellt; wie die Nerven sich hier verhalten,
kann man aus den Fig. 33—37 in meiner Abhandlung „Die
Brustflosse der Selachier“ ersehen. Der 1. Flossennerv ist nicht
dargestellt. Der 2. ist unvollständig. Der 3. bis 7. sind in ihrem
peripheren Teile vollständig dargestellt. Der S. bis 11. sind un-
vollständig. Der allgemeine Verlauf ist so, wie ich in meiner
zitierten Abhandlung beschrieben habe. Die Hauptnerven ver-
laufen parallel miteinander längs jedes zweiten Radialmuskels.
Während ihres Verlaufes geben sie zahlreiche Äste ab, welche
sich miteinander zu feineren längsgehenden Nerven verbinden.
Auf diese Weise bilden die Nerven in ihrer Gesamtheit ein
(eflecht von sehr charakteristischem Aussehen. Das Haupt-
merkmal dieses Geflechtes besteht darin, dass die überwiegende
Anzahl der Nervenfasern sich längs der Radialmuskeln verteilt.
Es lässt sich auch zeigen, wie sich die Nerven zu den
Muskeln verhalten. Ich berücksichtige dann nur diejenigen, welche
vollständig dargestellt sind. Die Muskeln werden nach ihrem
Vorhandensein in dem Präparate numeriert. Der 3. Flossennerv
verteilt seine Äste hauptsächlich innerhalb der 3. und 4. Radial-
muskeln und sendet dazu feinere Äste an den 2. und 5. Radial-
muskel. Der 4. Flossennerv innerviert den 5., 6. und 7. Radial-
muskel. Der 5. Flossennerv sendet Äste an den 7., 8. und 9.
Radialmuskel. Der 6. Flossennerv innerviert den 9. und 10. Radial-
muskel. Der 7. Flossennerv verteilt seine Äste hauptsächlich
innerhalb der Dreimuskelgruppe 11, 12 und 13.
Fig. 13 zeigt ein Bild von demselben Aussehen. Man sieht
hier acht Flossennerven mit ihren zugehörigen Muskeln. Auch hier
verteilen sich die Nervenfasern längs der Muskeln, wodurch eine
Innervation der Dreimuskelgruppen zustande kommt. Nur kaudal-
wärts sieht man Anastomosen über mehrere Segmente sich verteilen.
Das periphere Nervensystem bei den Selachiern. 339
Fig. 14 ist nach einem Präparat gezeichnet, welches in
dem peripheren Teile der Flossennerven eine sehr reiche Geflechts-
bildung zeigt. Ein näheres Studium lehrt aber auch hier, dass
die Verteilung der Fasern der oberen Nerven in der Figur, welche
den mittleren der Flosse entsprechen, sich innerhalb eines ziemlich
kleinen Gebietes, entsprechend zwei bis vier Radialmuskeln, hält.
In dem kaudalen Teile der Flosse herrschen dagegen wesentlich
andere Verhältnisse. Hier sieht man, wie die zwei kaudalsten
Nerven über ein viel beträchtlicheres Gebiet sich ausbreiten.
Fig. 15 ist auch von Interesse. Sie zeigt die Verteilung
der kaudalen Nerven. Der 7. und 8. Flossennerv verästeln sich
in gewöhnlicher Weise. Die Fortsetzung des 9. Nerven hat auch
den gewöhnlichen Verlauf. Von dessen proximalem Teil geht
indessen ein starker Ast an dem 8. Nerven vorbei, um sich dann
in dessen kraniale Muskelgebiete zu verteilen. In derselben
Weise verhält sich der 10. Nerv.
Wenn man nun die mitgeteilten Beschreibungen und die
beschriebenen Präparate mit meinen früheren Mitteilungen über
dasselbe Thema vergleicht, so wird man leicht eine vollständige
Übereinstimmung konstatieren können. Freilich sind die nun
mitgeteilten Bilder etwas reicher an Details. In der Hauptsache
findet man eine Uebereinstimmung darin, dass die Nerveniin
der Mitte der Flosse drei (ausnähmsweise vier oder
zwei) Radialmuskeln innervieren, während sich an
den kranialen und kaudalen Rändern der Flosse die
Nerven über mehrere Segmente verteilen.
Ich komme nun zu der Beschreibung der feineren inter-
und intramuskulären Nerven der Brustflosse bei Acanthias. Diese
habe ich in meiner vorigen Untersuchung mehr oberflächlich be-
handelt, weil sie im Verhältnis zu den groben Hauptstämmen
quantitativ und qualitativ zu wenig bedeuten. Ich habe dies
bereits hervorgehoben. Ebenso verkehrt, wie es wäre, wenn ein
Untersucher der Nerven des menschlichen Armes damit anfınge,
die feineren intramuskulären Nerven zu beschreiben und die grossen
Stämme ganz vernachlässigte, ebenso verkehrt ist es, wenn man
den inter- und intramuskulären Nerven der Selachierflossen seine
Hauptaufmerksamkeit zuwendet und die groben Hauptnerven ver-
nachlässigt. Dies hat Braus gemacht. Die kleineren inter-
muskulären Nerven hat er in seiner Ceratodus-Abhandlung (1900)
340 Erik Müller:
gut abgebildet und beschrieben, während die Hauptnerven nicht
oder sehr wenig berücksichtigt wurden.
Man kann in der Brustflosse zwei Systeme von Nerven unter-
scheiden. Das eine bildet den Hauptteil der Flossennerven und
breitet sich horizontal zwischen der tiefen Fläche des Haupt-
muskels und dem Skelette aus, das Grundgetlecht bildend, welches
soeben beschrieben ist. Das andere System von Nerven fängt
mit Ästen an, welche unter rechten oder schrägen Winkeln von
den vorigen entspringen und sich dann innerhalb der Muskeln
verteilen.
Die Nerven, welche im Kaliber denjenigen des Grundgeflechtes
am nächsten kommen, sind die intermuskulären Nerven (Nn. inter-
musculares). Sie laufen in den Interstitien zwischen den Radial-
muskeln und sind in den Fig. 16—18 dargestellt. Jeder Flossen-
muskel hat ungefähr die Form eines rechteckigen Dreiecks.
Die kürzere Kathete ist gegen die Körperwand gerichtet. Die
längere entspricht der Befestigung an dem Flossenskelett. Die
Hypotenuse entspricht der freien Fläche des ganzen Flossenmuskels.
Jeder Radialmuskel ist deutlich gefiedert. Die Insertionssehne
setzt sich nämlich teils als Sehnenspiegel auf der freien Fläche
des Muskels, teils im Inneren des platten Dreiecks fort. Die
oberflächlichen, vom Schulterbogen kommenden Fasern setzen sich
an der oberflächlichen Sehne fest. Die so aussehenden Muskeln
liegen nun mit ihren Flächen dicht aneinander. Zwischen den
Flächen kommen dadurch feine Spalten zustande, welche die inter-
muskulären Nerven enthalten. Diese entspringen aus dem Grund-
geflecht im allgemeinen von den grossen Hauptnerven und bilden
dann durch Verästelung und Anastomosenbildung reiche Flecht-
werke um die besonderen Radialmuskeln. Ihre Endäste verlaufen
gegen die Oberfläche, biegen hier um und verbinden sich mit-
einander (Fig. 19 und 20). Jeder Radialmuskel wird in dieser
Weise von einem zusammenhängenden Geflecht umsponnen. Im
allgemeinen werden die intermuskulären Nerven während des
ganzen Verlaufes eines Hauptnerven entsandt. In diesem Falle
sind die proximalen Nerven die mächtigsten; in distaler Richtung
nehmen sie an Grösse immer mehr ab. Oft kann man in dem
Muskelinterstitium nur einen starken intermuskulären Nerven
finden. Dieser entspringt dann proximal, bald nachdem der Haupt-
nerv in den Flossenmuskel hineingedrungen ist, und verläuft dann
Das periphere Nervensystem bei den Selachiern. 341
distal in kurzer Entfernung nicht weit von dem Hauptnerv, um
erst nach Abgabe einer Menge feiner Äste auf dem schmalen
distalen Teil des Radialmuskels zu enden. In diesem Falle erhält
man oft den Eindruck, als ob der Hauptnerv sich in eine motorische
(den intermuskulären Nerv) und eine hauptsächlich sensible Portion
aufgespaltet habe.
Die streng regelmässige Anordnung der intermuskulären
Nerven der Selachier-Brustflosse ist auffallend. Alle die inter-
muskulären Nerven sind voneinander durch die Radialmuskeln
getrennt. Die in einem Zwischenraume gelegenen Äste hängen
nur mit denjenigen in dem nächst kranialen und kaudalen Spalten-
raume belegenen Nerven zusammen. Dies geschieht durch die
Anastomosen, welche über der freien Fläche der Radialmuskeln
verlaufen. Denkt man sich, dass die Radialmuskeln unter Bei-
behaltung der an diesen Flächen sitzenden Nerven voneinander
entfernt werden könnten und dass die Muskeln in der Mitte von
der tiefen Fläche gespalten werden könnten ohne Beschädigung
der feinen, auf der freien Fläche befindlichen Nerven. und dann aus-
gebreitet werden könnten, bekäme man ein zusammenhängendes,
in einer Ebene ausgebreitetes, sehr regelmässiges, nur von den
intermuskulären Nerven gebildetes Geflechtwerk. In diesem kann
der Nervenreiz nicht nach Belieben verlaufen. Sowohl in morpho-
logischer wie in funktioneller Hinsicht muss das Geflecht in kleinere
Gebiete aufgeteilt werden, welche nach der obenbeschriebenen
Verteilung zwei Radialmuskeln umfassen müssen.
Im Zusammenhang mit den beschriebenen Befunden über
die intermuskulären Nerven müssen auch einige Bilder über die
Nerven auf der medialen Fläche des Hauptmuskels beurteilt werden
(Fig. 21). Bevor die ventralen Flossennerven in den Muskel ein-
dringen, geben sie, wie Braus richtig beschrieben hat, jeder
einen feinen Ast ab, welcher zu den oberflächlichen Schichten der
Flosse hinzieht. Während des Verlaufes auf der medialen Fläche
des Hauptmuskels gehen feinere Äste ab, welche sich weiter ver-
ästeln und verbinden, so dass ein reiches Geflecht gebildet wird
(Fig. 21). Es liegt hier vielleicht die Bildung vor, die Braus
unter dem Namen Plexus präaxialis beschrieben hat. Es muss
aber hervorgehoben werden, dass dies Geflecht gar nicht von
den groben metameren Nerven gebildet wird, wie Braus es in
seiner Textfigur (Fig. 15, S. 196) gezeichnet hat. Morphologisch
Archiv ft. mikr. Anat. Bd.$1. Abt.1I. 23
342 Erik Müller:
wie funktionell gehört es zu den oberflächlichen Geflechten, welche
die intermuskulären Nerven um die Muskeln bilden.
Sowohl von den Stämmen des Grundgeflechtes wie von den
intermuskulären Nerven entspringen nun feinere Äste, welche
nach dem Inneren der Muskeln ziehen. Hier teilen sie sich wieder
auf unter abnehmendem Kaliber, die Teiläste verbinden sich mit-
einander, und so kommen die intramuskulären Geflechte zustande,
von denen die feinsten Nerven, welche für die Muskeln bestimmt
sind, entspringen. Diese Geflechte sind mit der Essigsäure-Osmium-
Methode schwierig darzustellen. Doch ist es ziemlich gut
gelungen, wie Fig. 22 zeigt. Hier sieht man, wie die Radial-
muskeln eine Menge feiner Nervengeflechte enthalten. Die Ge-
flechte bieten ein regelmässiges Aussehen, indem sie aus Nerven
bestehen, welche teils in der Richtung der Muskelbündel, teils
senkrecht gegen diese verlaufen. In dieser Weise werden die
Geflechte von rechtwinkligen Maschen gebildet, deren Längs-
richtung parallel mit den Muskelfasern gestellt ist.
Wenn ich nun das Vorhergehende rekapituliere, so will ich
zuerst hervorheben, dass man die Innervation der Muskeln sehr
gut aus den anatomischen Bildern ablesen kann. Man kann direkt
an den Bildern beobachten, wie gross „the overlapping“ der
motorischen Nervengebiete ist. Die Bilder lehren auch, dass dies
Übergreifen ganz und gar vermittels der Nerven des tiefen Grund-
geflechtes stattfindet. Eine Verteilung der feinen intermuskulären
oder intramuskulären Nerven üher mehrere Segmente ist absolut
unmöglich und ausgeschlossen. Schon der Kaliberunterschied
zwischen den Nerven beweist dies. Das grösste Kaliber besitzen
die Nerven des Grundgeflechtes, dann folgen die intermuskulären
Nerven, die dünnsten Nerven sind die intramuskulären Nerven.
Nun ist es a priori gegeben und wird von den tatsächlichen Be-
funden bestätigt, dass die Nervenverteilung direkt pro-
portional dem Kaliber der Nerven ist. Die groben
Hauptnerven der Flossen, in dem tiefen Grund-
geflechte belegen, senden die Fasernimallgemeinen
nach drei Muskeln, in geringer Zahl (an den Enden
der Flossen) nach mehr Muskeln, die intermusku-
lären Nerven innervieren zwei, dieintramuskulären
Nerven haltensichinnerhalb des Gebietesvoneinem
Muskel. Diese Regel von der Innervation der Flossenmuskeln
»
8%)
Das periphere Nervensystem bei den Selachiern.
findet ihre Erklärung aus der Entwicklung der Flossennerven,
wie unten näher mitgeteilt werden soll.
Ich habe in meiner Abhandlung „Die Brustflosse der Selachier“
ausführlich die sehr regelmässige Verteilung der Brustflossennerven
bei Raja beschrieben. Auf jedem ungeraden Strahl resp. in jedem
ungeraden Radialmuskel lief ein Hauptnerv, welcher drei Radial-
muskeln innervierte. Die feinen, von zwei Nachbar-Hauptnerven
kommenden Äste traten oft zusammen zur Bildung eines feinen,
längs der tiefen Fläche jedes geraden Muskels verlaufenden Nerven,
des N. intermittens. Solche Nn. intermittentes wurden besonders
auf der dorsalen Seite der Brustflosse gefunden.
Ich habe nun, wie bei Acanthias, Kontrolluntersuchungen
ausgeführt, um meine Befunde zu bestätigen oder eventuell zu
erweitern und zu korrigieren. Ich habe dabei meine Aufmerksam-
keit vor allem auf die vorhandenen Anastomosen und den Faser-
verlauf innerhalb dieser gerichtet. Es ist dabei auffallend, dass
die Anastomosenbildung in den verschiedenen Teilen der Flossen
sehr verschieden ist. Dies geht sehr deutlich aus Fig. 52 meiner
zitierten Abhandlung hervor. In den beiden Fig. 23 und 24
habe ich zwei Präparate abgezeichnet, welche durch Präparation
von der tiefen Fläche gewonnen sind. Man sieht hier die sehr
regelmässige Lage der Nerven zu jedem zweiten Muskel, man
beobachtet weiter, wie von diesen Nerven feinere Äste abgehen,
die sich teils in die Muskeln, teils zwischen diese einsenken Trotz
der sorgfältigsten Untersuchungen ist es mir nun nicht gelungen,
eine einzige Anastomose zu finden, welche über das Gebiet von
zwei Nerven verlief.
Ein wesentlich anderes Bild erhält man in dem peripheren
Teile der Flosse. Die Fig. 25 und 26 illustrieren die dort
waltenden Verhältnisse. Hier fällt ja die Anastomosenbildung
sofort ins Auge. Fig. 25 ist bei 9maliger Vergrösserung und
Fig. 26 bei 18maliger Vergrösserung gezeichnet. Die Präparate
sind jedoch so beschaffen, dass man sie sehr leicht mittels Zeiss’
Apochr. 16 mm untersuchen kann, und dann kann man den Faser-
verlauf gut verfolgen. Fig. 26 zeigt einen Abschnitt der Flosse,
wo die Nn. intermittentes sehr schön ausgebildet sind. Es folgen
in regelmässiger Folge von links nach rechts ein Hauptnerv (n),
ein N. intermittens (n.i.), ein Hauptnerv usw. Die Anastomosen
sind nun sehr einfach gebaut. Kompakt in der Mitte, splittern
23*
344 Erik Müller:
sie sich, an dem Nerv angekommen, in zwei Bündel, von denen
eines proximal, das andere distal seinen Weg fortsetzt. In dem
unteren Teile der Figur sieht man eine ganze Reihe von solchen
Anastomosen, welche die Nerven untereinander verbinden. Sie
passieren auch über die feinen Nerven. Es lässt sich nun zeigen,
dass in diesen Kreuzungspunkten kein Austausch von Fasern statt-
findet, die Anastomosen ziehen einfach über die Nerven. Man
sieht weiter an den Stellen, wo die Anastomosen in die Haupt-
nerven oder in die Nn. intermittentes übergehen, dass keine einzige
Faser von der einen Anastomose in die andere übergeht, d. h.,
dass die abgebildeten Geflechte so gebildet sind, dass alle Fasern
von den Hauptnerven zu den Nn. intermittentes oder vice versa
übergehen. Fasern von dem einen Hauptnerven nach dem anderen
überziehend sind nicht zu finden, also noch weniger Fasern, welche
über mehrere solche verlaufen.
Figur 25 liefert das Bild einer anderen vollständigen Färbung
des tiefen Grundgeflechtes in der Brustflosse von Raja. Das Bild
entspricht einer Stelle, wo sich die Flossennerven in ihre Endäste
aufgeteilt haben. Diese laufen parallel miteinander. Zwischen
diesen gröberen Ästen findet man feinere, auch längsverlaufende
Äste, welche von den gröberen entspringen und mit diesen durch
schräg- oder quergehende Anastomosen zusammenhängen. Mit
stärkeren Vergrösserungen untersucht, zeigt es sich, dass die
feinen Fasern nicht über grössere Strecken verlaufen; sie halten
sich innerhalb der Räume, welche von den gröberen Nerven be-
grenzt sind, oder verlaufen allerhöchstens von einem Zwischen-
raume nach dem nächstliegenden.
Wenn man nun die Muskeln in Fig. 25 und 26 entsprechend
den Strahlen einsetzt, so findet man, dass das Innervations-
gebiet eines Hauptnerven in der Brustflosse von
Raja drei Radialmuskeln entspricht, ein Befund, der
durch die physiologischen Reizversuche bestätigt worden ist.
Die Beckenflossen bei Raja sind wegen der Dünneihrer Muskeln
ganz besonders geeignet für die Essigsäure-Osmium-Methode. Ich
teile zwei Bilder über deren Nerven mit. In Fig. 27 sieht man
die Hauptnerven mit ihren charakteristischen Endteilungen längs
jedes zweiten Muskels, zwischen diesen liegen die ungeraden
Muskeln, welche von zwei Nachbarnerven innerviert werden. Die
Innervationsgebiete lassen sich also direkt aus dem anatomischen
Das periphere Nervensystem bei den Selachiern. 345
Präparate ablesen und entsprechen mit aller Deutlichkeit drei
oder vier Radialmuskeln. Fig. 28 stammt von einem anderen
Präparate. Neben den grossen Nerven sieht man hier ein reiches,
über die sechs dargestellten Radialmuskeln verteiltes Nerven-
geflecht. Eine nähere Untersuchung lehrt aber, dass dieses Gre-
flecht nicht in den Muskeln, sondern oberhalb dieser gelegen und
in der Fascie eingelagert ist. Dieses hat also mit der Innervation
der Muskeln nichts zu tun.
Wenn ich nun diese Befunde von der Brust- und Bauch-
flosse bei Raja überblicke, so finde ich eine vollständige Überein-
stimmung mit meinen früheren Untersuchungen. Die Nerven
verteilen sich innerhalb einer Gruppe von drei,
ausnahmsweise vier Muskeln. Diese Innervationsgebiete
decken einander innerhalb des Gebietes von einem Muskel.
Nach dieser Darstellung der Nerven der Brustflossen bei
Acanthias und der paarigen Flossen bei Raja drängt sich die
Frage auf, wie sich die Bauchflossennerven bei Acanthias ver-
halten. Es wird sich dann zeigen, dass ein Vergleich zwischen
diesen Nervengebieten von grossem Interesse ist. Die Nerven
der Bauchflosse sind viel leichter darzustellen als diejenigen der
Brustflosse. Die Essigsäure-Osmium-Methode liefert hier (Fig. 27)
ausgezeichnete Bilder über die Nervengeflechte, die hier zu finden
sind und die ich von meinen ersten Untersuchungen wohl kenne.
In der Bauchtflosse liegen prinzipiell andere Verhältnisse der Nerven
vor als in der Brustflosse.
Die Nerven der Bauchıflosse wurden zuerst von M. v. Davidoff
näher beschrieben. Sämtliche Extremitätennerven teilen sich in
ventrale und dorsale Äste. Die ventralen Äste der beiden vordersten
treten durch die knorpelige Beckenplatte. „Sowohl auf der dor-
salen als auch auf der ventralen Fläche der Flosse besteht in
den Verzweigungen und Verbindungen der bezüglichen Äste der
Extremitätennerven unter sich eine gleichsam metamerenartige,
zwischen zwei Nerven sich regelmässig wiederholende Anordnung,
welche übrigens in untergeordneten Dingen zahlreiche Variationen
bietet. Die drei ersten, zuweilen auch nur die beiden ersten oder
nur der erste Extremitätennerv weichen von dieser allgemeinen
Verzweigungsart etwas ab, lassen sich aber dennoch, wie wir
sehen werden, auch den übrigen Nerven anreihen.*“ Die drei
ersten Äste teilen sich in Äste, welche unter reichlicher Anasto-
346 Erik Müller:
mosierung miteinander und mit dem folgenden längs der Radien
weiter verlaufen. Von dem fünften ab verhalten sich alle Nerven
gleichmässig, insoweit als jeder eine starke Anastomose von dem
proximalen Nachbar aufnimmt, dann gewöhnlich mehrere längs
der Radien verlaufende Zweige abgibt, um dann zu dem folgenden
zu ziehen und mit diesem zu verschmelzen. „Auf diese Weise
hängen alle ventralen Äste der Extremitätennerven unter sich
zusammen und bilden vom vierten Aste angefangen einen lateral-
wärts, am Basale metapterygii und diesem parallel verlaufenden
Längsstamm, welcher zwischen je zwei in ihn eingehenden Nerven
lateralwärts verlaufende Zweige abgibt.“ Die von dem Längs-
stamme abgehenden Äste liegen zwischen zwei Muskeln und ent-
sprechen diesen in ihrer Anzahl. Wegen ihrer bedeutenden Fein-
heit lässt sich nichts Näheres über ihre Verteilung aussagen.
Der erste Flossennerv nimmt vor seiner Teilung in einen ventralen
und einen dorsalen Ast den vorher besprochenen Sammelstamm
(den N. colleetor) auf. Die dorsalen Äste der Extremitätennerven
bilden auch Längsstämme in der prinzipiell gleichen Weise wie
ventralwärts. Kranialwärts bilden die fünf ersten Nerven zwei
solehe: einen medialen und einen lateralen, im Gebiete der vier
letzten Nerven wird nur ein solcher gebildet.
Braus beschreibt am ventralen Hauptmuskel der Becken-
flosse von Acanthias einen Plexus postaxialis und präaxialis von
derselben Art wie an der Brustflosse. ‚Jener liegt als ein feiner
Plexus auf den Mm. zonopterygiales und hat die Form einer
Längsstammbildung, ähnlich wie bei der vorderen Extremität von
Laemargus. Der Plexus präaxialis wird in folgender Weise be-
schrieben. „Am lateralen Rande des Metapterygium der
Bauchflosse liegt ein kräftig entwickelter Plexus mit mehreren
Längsstämmen, welche parallel miteinander verlaufen. Von
diesen hat v. Davidoff einen gesehen und als Längsstamm be-
schrieben. Aus dem Geflecht der durch zahlreiche Anastomosen
miteinander verbundenen Längsstämme setzen sich dann lateral-
wärts die Endäste fort, welche wie die Längsstämme selbst zwischen
der Unterfläche des Muskels und dem Skelett liegen. Sie sind sehr
zahlreich und verhalten sich zu den Mm. radiales gerade so wie
die Nerven der Brustflosse zu diesen.“ Die innige Geflechtbildung
der Nerven machte es für Braus unmöglich, die metameren
Nerven bis zu ihren Enden zu verfolgen.
Das periphere Nervensystem bei den Selachiern. 347
Ich gehe jetzt zu meinen eigenen Untersuchungen über.
Der Collector, von Fasern aus 11 bis 12 Segmenten gebildet,
läuft nach der dorsalen Fläche des Beckens. Hier teilt er sich in
einen ventralen stärkeren und einen dorsalen schwächeren Stamm.
Jener läuft durch ein Loch nach der ventralen Flossenfläche. Die
diazonalen Nerven varlieren in meinen Präparaten zwischen eins
und zwei. Die neun metazonalen Nerven teilen sich innerhalb der
jauchwand in ihre ventralen und dorsalen Äste. Jene laufen
durch das Interstitium zwischen der Bauchwand und der Flosse,
ziehen dann quer über dem Metapterygium durch den trunco-
basialen Muskel und setzen sich dann in der freien Flosse zwischen
dem Skelette und den Radialmuskeln fort. Bevor sie durch die
trunco-basialen Muskeln verlaufen, geben sie Äste ab, welche sich
nach der tiefen Fläche des trunco-basialen Muskels begeben.
Diese Äste verbinden sich hier durch quere Anastomosen, welche
in einer längsverlaufenden Linie parallel mit dem Metapterygium
belegen sind. Diese Anastomosen bilden den Plexus postaxialis
von braus.
Nachdem der Collector das Loch des Beckens passiert hat,
teilt er-sich in mediale Äste, welche eine quere Anastomose um
den kranialen Teil des Metapterygiums bilden. Die lateralen Äste
laufen nach den zwei ersten Radien. Die Hauptfortsetzung des
Collectors läuft schräg nach hinten und verbindet sich mit den
diazonalen Nerven zu dem eigentümlichen, schon von v. Davidoff
gesehenen Flossenplexus. Durch die Essigsäure-Osmium-Methode
tritt dieser Plexus ausgezeichnet schön hervor, und ich habe ihn
schon bei meinen ersten Untersuchungen dargestellt. Das Charakte-
ristische dieses Plexus, wie aus Fig. 23 hervorgeht, besteht darin,
dass sich die Flossennerven (inkl. des den ersten begleitenden
Colleetors) am lateralen Rande des Basale metapterygii in zwei
oder mehrere Portionen von sehr verschiedener Mächtigkeit teilen.
Von diesen setzt sich ein dünnerer Teil als Fortsetzung der Haupt-
nerven längs jedes zweiten Strahles fort. Der oder die anderen
dickeren Teiläste schlagen dagegen eine ganz andere Richtung
ein, indem sie kaudalwärts parallel dem Basale verlaufen, um sich
mit den nächstfolgenden Ästen zu verbinden. So kommen ein,
zwei oder drei Längsstämme zustande, je nach der grösseren oder
kleineren Aufsplitterung der Hauptäste. Von den Längsstämmen
gehen in den Zwischenräumen zwischen den Hauptfortsetzungen
345 Erik Müller:
der Flossennerven neue Äste ab, welche längs der ungeraden
Strahlen verlaufen, sich hierbei verästeln und sich durch Anasto-
mosen mit den nächsten Hauptnerven verbinden. In der Becken-
flosse von Acanthias kommt also ein sehr regelmässiges Flechtwerk
zustande. Medial im Gebiete des Basale verlaufen die Flossen-
nerven sehr regelmässig im allgemeinen parallel miteinander. Dann
folgt eine Mittelzone, welche durch die Anwesenheit der Längs-
stämme charakterisiert ist, lateralwärts folgt endlich eine Zone,
wo die Nerven parallel mit den Strahlen verlaufen.
Was die Nerven der Beckenflosse also besonders charakte-
risiert, sind die mächtigen, parallel mit dem Basale metapterygi
verlaufenden Anastomosen. Eine nähere Untersuchung, besonders
von aufgeklärten Präparaten, lehrt nun, dass eine solche Anasto-
mose mit Leichtigkeit über drei oder vier Nervengebiete verfolgt
werden kann, d. h. sich mindestens über sechs oder acht Radial-
muskeln verteilt. Eine Ausnahme hiervon machen nur die letzten
Flossennerven, welche sehr schwach ausgebildet sind.
Wie aus dem Vorhergehenden deutlich wird, stimmen meine
Befunde mit denjenigen von v. Davidoff und Braus überein.
Zu dem, was besonders Braus gesehen hat, habe ich nichts
hinzuzufügen. Auf die Einzelheiten werde ich nicht weiter
eingehen.
Ich komme nun aber zu dem wichtigsten Punkte in bezug
auf die Nerven der Bauchflosse, nämlich dem Vergleiche mit den
Nerven der Brustflosse. Eben um diesen Vergleich ausführen zu
können, habe ich mich mit der Bauchflosse beschäftigt. v. Davidoff
hat nichts über die Nervenverhältnisse der Brustflosse mitgeteilt
und also keinen Vergleich ausführen können. Braus dagegen
äussert sich ausführlich über den Vergleich der Nerven in der
Brust- und Bauchflosse. „Der Nervenbefund an der Beckentlosse“,
so schreibt er, „erinnert inallen Einzelheiten!) an die Befunde
bei der Brustflosse, zeigt aber überall, dass eine höhere Stufe
der Entwicklung erreicht ist. Die Nervengeflechte haben sich
allenthalben zu Längsstämmen verdichtet, auch an Stellen, an
welchen bei der Brustflosse solche nicht vorkommen, und sind
da, wo sie auch bei der Brustflosse vorhanden sind, den extremen
Fällen an Ausdehnung gleich. Ausserdem ist die Teilung in
ventrale und dorsale Äste für die beiden Hauptmuskeln bei der
!) Gesperrt von mir.
Das periphere Nervensystem bei den Selachiern. 349
Beckentlosse eine gleichmässige bei allen Nerven, wie es nur bei
wenigen an der Brustflosse der Fall ist.“
Der Vergleich, den ich mit meinen Präparaten ausgeführt
habe, ist ganz anders ausgefallen als der obenstehende. Zuerst
muss bemerkt werden, dass sich alle Brustnerven regelmässig in
ventrale und dorsale Äste teilen. Hierin besteht eine vollständige
Übereinstimmung zwischen den Nerven der Brust- und Bauch-
flosse. Weiter ist es nicht abzuleugnen, dass eine allgemeine
Ähnlichkeit zwischen der Nervenanordnung in den beiden ver-
schiedenen Flossen vorhanden ist. Diese besteht in dem regel-
mässigen Verlaufe der ventralen und dorsalen Nerven über dem
Basale metapterygii, sowie in der regelmässigen Verteilung ihrer
Endäste an den Radien. Es existiert aber ein bedeutender und
prinzipieller Unterschied zwischen den Brustflossennerven und den
Beckenflossennerven, welcher Braus ganz entgangen zu sein
scheint. Dieser Unterschied besteht darin, dass die für die Bauch-
tlosse charakteristische Längskette von Anastomosen, welche lateral
von dem Basale metapterygii gelegen und von Braus Plexus
präaxialis genannt worden ist, absolut nichts Entsprechendes in
der Brustflosse besitzt. Es findet sich hier keine Spur von einer
solchen Anastomosenkette. Um davon überzeugt zu werden,
braucht man nur Fig. 33—37 meiner Arbeit über die Brustflosse
der Selachier oder Fig. 12 dieser Arbeit, welche alle die Brust-
tlossennerven darstellen, mit Fig. 27 dieser Arbeit, welche die
Bauchflossennerven darstellt, zu vergleichen. Man kann auch den
oben erwähnten Unterschied so ausdrücken: Anastomosen, welche
sich über drei oder vier Nerven ausbreiten, sind nicht in der
Brustflosse zu finden, während sie konstant in der Beckentlosse
vorhanden sind und eine ganz konstante Lage zu den Skelett-
teilen einnehmen, wodurch die zuerst von v. Davidoff entdeckte
Längsstammbildung zustande kommt. Natürlich resultiert hieraus
eine ganz verschiedene Innervationsweise der Muskeln in der
Bauchflosse.
Der genannte Unterschied zwischen den Nerven der Brust-
und Bauchflosse wird noch mehr hervortreten, wenn man die
Entwicklung der Nerven kennen gelernt hat. Dann wird es auch
verständlich werden, worin der bedeutende Unterschied näher
begründet ist.
350 Erik Müller:
Im vorhergehenden habe ich eine vollständig anatomische
Beschreibung der Flossennerven bei Acanthias und Raja gegeben,
aus der sich die Grösse der Innervationsgebiete auch feststellen
lässt. Ich komme nun auf eine Beurteilung der neuesten Unter-
suchungen von Braus zurück. Auf die zahlreichen Meinungs-
verschiedenheiten, zu denen unsere Untersuchungen geführt haben,
werde ich hier nicht eingehen, da Braus in seiner letzten Mit-
teilung auf die meisten von meinen gegen ihn gerichteten Be-
merkungen nicht eingegangen ist. Ich will nur hervorheben, dass
die ursprüngliche „Kontroverse“ gar nicht nur die Frage über
die Polyneurie der Muskeln betraf. Über diese Frage hatte ich
mich in meiner ersten Mitteilung sehr wenig und nur nebenbei
geäussert. Meine Hauptbemerkung gegen die Arbeit von Braus
galt seiner Darstellung über die Anatomie der grossen Flossen-
nerven und richtete sich gegen seine vollständig irrtümlichen und
missverständlichen Darstellungen von der Auflösung der Haupt-
nerven in unregelmässige Geflechte und von dem Vorhandensein
eines prä- und postaxialen Plexus in der Brustflosse, welche
homolog mit den v. Davidoffschen Längsstämmen in der Bauch-
flosse wären. Braus hat nicht einmal versucht, diese Kritik zu
widerlegen.
In seiner letzten Abhandlung über diesen Gegenstand schreibt
nun Braus: „Während Goodrich die Nervengeflechte der
Squaliden nicht bestritt, sondern den motorischen Charakter dieser
Nerven leugnete, hat E. Müller (1909) überhaupt die Existenz
der von mir früher (1892—1900) gefundenen Nerven in Abrede
gestellt. Er hat sie weder bei Acanthias noch bei Raja entdecken
können. Ich habe sie aber bei Raja geradeso einwandfrei gefunden
wie früher bei Acanthias.“ Hiergegen muss ich folgendes be-
merken. Dass die Nerven innerhalb der Brustflosse bei Acanthias
überhaupt Geflechte bilden, habe ich niemals bestritten. Was ich
aber fortwährend auf das kräftigste bestreite, ist, dass die Geflechte
so aussehen, wie sie Braus in seiner Ceratodus-Arbeit beschrieben
und abgebildet hat. Die Nervengeflechte, die ich in Abrede ge-
stellt habe, sind von Braus in Textfig. 15b auf der Seite 196
des oben erwähnten Werkes abgebildet. Ich stelle nun folgende
direkte Frage an Braus: „Entsprechen die in der genannten
Figur gezeichneten Plexus prä- und postaxialis dem wirklichen
Zustande der Nerven in der Brustflosse bei Acanthias vulgaris?“ —
Das periphere Nervensystem bei den Selachiern. 351
Die Antwort hierauf kann nur ein absolutes Nein werden. Denn
für jeden unbefangenen Forscher, der diese Nerven untersuchen
will, — und ich stelle meine Präparate sofort zu seiner Ver-
fügung — wird es klar sein, dass das oben erwähnte Bild der
Brustflossennerven von Acanthias — und dieses Bild enthält die
Hauptsumme der Brausschen Beobachtungen — ein Phantasie-
produkt von ihm ist, welches gerade eine Umkehrung der faktisch
bestehenden Verhältnisse bei den Nerven darstellt.
Was nun die Polyneurie der Muskeln betrifft, so halte ich
auch die neuesten Untersuchungen von Braus für unrichtig. Die
Innervationsgebiete in der Brustflosse sind nicht so gross, wie sie
Braus nach seinen Reizungsversuchen darstellt. Es besteht ein
bestimmter Unterschied zwischen den Innervationsgebieten an den
Enden und in der Mitte der Brustflosse. Es besteht weiter ein
bedeutender Unterschied zwischen den Nerven der Brust- und
denjenigen der Bauchflosse. Alles dies sind fundamentale Ein-
richtungen; und doch scheint es Braus nicht beobachtet zu haben.
Kommende Untersuchungen müssen entscheiden, wer von uns recht
hat. Nur so viel muss gesagt werden, dass ich auch nach seinen
letzten Untersuchungen an der Richtigkeit meiner Reizversuche
bei Acanthias wie bei Raja festhalte.
Indessen kann ich nicht unterlassen, auf die letzten ana-
tomischen Untersuchungen von Braus ‘etwas näher einzugehen.
In seiner Ceratodus-Arbeit von 1901 lässt Braus die grossen
vorher metameren Nerven in der Flosse ihre Metamerie verlieren
und sich in unregelmässige Geflechte auflösen. In seiner letzten
Schrift hegt er eine ganz andere Auffassung, teilt aber kein Wort
über seinen veränderten Standpunkt mit. Die grossen Haupt-
nerven werden nun in ihrer richtigen Lage und Anordnung be-
schrieben und lösen sich nicht in unregelmässige Geflechte auf.
Die bedeutende Polyneurie der Muskeln, die nach seiner Meinung
besteht, soll nun zustande kommen durch feinere Geflechte, welche
basal innerhalb der Muskeln, mehr distalwärts in derselben Höhe
wie die Hauptflossennerven gelegen sein sollen. Durch diese
Geflechte sollte ein Spinalnerv seine Fasern über sieben Radial-
muskeln verteilen. Leider kann ich auch dieser neuen Brausschen
Auffassung der betreffenden Nerven nicht zustimmen.
Es muss zuerst bemerkt werden, dass Braus selbst zu-
gesteht, dass er bei Raja durch Präparation nicht feststellen
352 Erik Müller:
konnte, wie weit sich die letzten Verästelungen eines Spinal-
nerven durch die Geflechte verbreiten. Einen anatomischen Be-
weis, dass ein Flossennerv bei Raja sich über sechs oder sieben
Muskeln verteile, hat er also nicht bringen können. Nun lässt
es sich durch meine Untersuchungen direkt zeigen, dass eine
solche Verteilung der Nervenfasern eines Flossennerven nicht
existiert.
Die Textfig. 6A in Braus’ letzter Arbeit enthält drei
Hauptflossennerven nebst einigen von diesen abgehenden Ästen
und einem innerhalb der Muskeln gelegenen, feinen Nervengeflechte,
durch welches die Polyneurie zustande kommen soll. Dieses letztere
Geflecht dokumentiert sich nun als das typische intramuskuläre
Nervengeflecht der Radialmuskeln. Ihre Lage innerhalb der
Muskeln, ihr Bau von regelmässigen, rektangulären Maschen be-
weist dies. Nun lehrt aber besonders die entwicklungsgeschichtliche
Untersuchung, dass diese intramuskulären Geflechte die Grenzen
der besonderen Radialmuskeln nicht überschreiten, während das
Ausbreiten eines Flossennerven über mehrere Muskeln immer durch
das tiefe Grundgeflecht stattfindet. Eine Verteilung der Nerven-
fasern eines Flossennerven über sechs bis sieben Radialmuskeln
durch die von Braus in seiner Textfig. 6 A gezeichneten Ge-
flechte ist also vollständig ausgeschlossen.
Das zweite Geflecht von Raja, welches nach der Meinung
von Braus die Verteilung eines Flossennerven über sechs oder
sieben Muskeln bewirken soll, ist in seiner Textfig. 7 dargestellt.
Dies Geflecht entspricht nun ganz den von mir in den Fig. 25
und 26 dargestellten Bildern von den Nerven in der Raja-Brust-
flosse. Nun lässt sich aus diesen Bildern direkt ablesen, dass
sich die Fasern eines Flossennerven nicht über mehr als drei
Muskeln verteilen. Zwar sind die Muskeln nicht in die Figuren
eingezeichnet. Die Strahlen sind aber deutlich, und jeder Strahl
trägt einen Radialmuskel. Man betrachte nun Fig. 25. Diese
Figur enthält acht Strahlen und entspricht also ebenso vielen
Muskeln. Nun sollte der dritte, mit N? bezeichnete, in zwei Äste
gespaltene Nerv seine Äste über sechs oder sieben Strahlen ver-
teilen. Dies ist jedoch, schon nach der Natur des Geflechtes zu
urteilen, nicht möglich. Wenn man sich aber die Mühe macht,
mit stärkeren Vergrösserungen die Fasern des in Kanadabalsam
eingeschlossenen Präparates zu verfolgen, so kann man direkt
Das periphere Nervensystem bei den Selachiern. 355
beobachten, dass sich die Fasern eines Flossennerven nur über
drei oder höchstens vier Radialmuskeln verteilen.
Ich konstatiere also, dass die anatomischen Untersuchungen,
welche Braus selbst ausgeführt hat, nicht die Resultate seiner
physiologischen Reizversuche bestätigt haben. Dagegen stimmen
die Resultate der anatomischen Untersuchungen sehr gut mit den
von Goodrich und mir erhaltenen Befunden überein, nach denen
sich bei Raja im allgemeinen drei Muskeln bei der Reizung eines
Flossennerven zusammenziehen.
Wenn wir nun die dargestellten Befunde übersehen, so haben
wir verschiedene Geflechtbildungen der Nerven gefunden, welche
im einzelnen einander ziemlich unähnlich sind. Am einfachsten
ist die Anordnung der Flossennerven bei Raja. Sowohl in der
Brustflosse wie in der Bauchflosse verlaufen die Flossennerven
sehr regelmässig. Die metameren Nerven tauschen nur wenig
Fasern untereinander aus. Der Geflechtcharakter kommt vor
allem zustande dadurch, dass die grösseren Flossennerven zu den
zwischenliegenden Radialmuskeln Nervenäste absenden, welche sich
miteinander zu den Nn. intermittentes verbinden.- Der grössere
mittlere Teil der Brustflosse bei Acanthias zeigt dieselbe regel-
mässige Anordnung, Verlauf und Verteilung der Nerven wie bei
Raja. Nach dem kranialen und kaudalen Ende wird das Ver-
hältnis etwas anders, insoweit als sich hier die Nerven über grössere
Strecken verteilen. Die Nerven-Anordnung in der Bauchtlosse von
Acanthias zeigt wieder einen ganz anderen Typus. Hier kommt
Jateral von dem Basale eine mächtige Anastomosenbildung zustande,
deren eigentliches Wesen darin besteht, dass nur eine kleinere An-
zahl der Fasern der metameren Flossennerven auf ihrem Platze
längs ihres Radialmuskels zurückbleibt, während der grösste Teil
der Fasern längs der oben genannten Anastomosenbrücke sich in die
kaudalwärts folgenden Muskeln verteilt. Schliesslich verdient es
unter Hinweisung auf Fig. 58, welche die Nerven der ersten
Rückentlosse bei Acanthias darstellt, hervorgehoben zu werden, dass
in den unpaarigen Flossen Geflechte vorhanden sind, welche ganz
unregelmässig und verschieden von den vorher beschriebenen sind.
Wie nun die verschiedenen Zustände zueinander sich ver-
halten, wird aus deren Entwicklung hervorgehen.
354 Erik Müller:
Die Entwicklung der Nerven der paarigen Flossen.
Eine atısführliche Besprechung der Literatur über die Ent-
wicklung der Flossenmuskeln habe ich in meiner vorigen Ab-
handlung geliefert, auf welche ich deswegen hinweise. Die
wichtigste Angabe über die Entwicklung der Flossennerven stammt
von Mollier, der gezeigt hat, dass sich die Hauptnerven längs
der proximalen Knospen entwickeln. Die distalen Knospen jedes
Paares sind am Anfang ohne Nerven; wie deren Innervation zu-
stande kommt, lässt Mollier unentschieden. Ich habe dann
vermittels Rekonstruktionen der Flossenmuskeln und -nerven die
Mollierschen Befunde bestätigt und erweitert. Es wurde ge-
zeigt, dass die Regelmässigkeit, die bei den entwickelten Brust-
tlossen vorhanden ist, eben darum zustande kommt, weil sich bei
den Embryonen von 18—27 mm Länge die Nerven längs der
tiefen Fläche der kranialen oder ungeraden Knospen jedes Paares
entwickeln. Die geraden Myotomknospen, entsprechend den kau-
dalen Knospen jedes Paares, bekommen ihre Nerven erst bei den
Embryonen von 27—30 mm Länge, indem in diesen Stadien feine
Nervenäste gefunden werden, welche unter spitzen Winkeln von
den groben Hauptstämmen ausgingen und sich in den nächst-
liegenden kranialen und kaudalen Knospen resp. Radialmuskeln
verteilten.
Die Präparate, mit der Bielschowskyschen Methode
gewonnen, bestätigen nun auf die deutlichste Weise die so ge-
wonnenen Erfahrungen. Dies sieht man aus den Fig. 30, 31,
32 und 33, welche vier verschiedene Stadien der Flossennerven von
vier Embryonen von resp. 20, 23, 27 und 40 mm Länge darstellen.
Dazu kommt, dass die Bielschowsky-Präparate viel schärfer
und vollständiger die Nerven darstellen, wodurch es möglich wird,
ihre Entstehung zu erforschen.
In dem ersten Stadium (Embryo 20 mm, Fig. 30), wo die
Myotomknospen entweder noch mit den Myotomen zusammen-
hängen oder soeben von diesen abgeschnürt sind, sieht man fünf
Flossennerven, die von den Spinalnerven entspringen und kranial-
wärts von seinem zugehörigen Myotom zu den proximalen von
den beiden Myotomknospen verlaufen. Hier endigen sie als feine,
spitzig auslaufende Äste an der Basis der betreffenden Knospe.
In dem folgenden Stadium (Embryo 23 mm, Fig. 31) sind die
Knospen vollständig abgeschnürt und strecken sich als lange,
Das periphere Nervensystem bei den Selachiern. 355
keulenförmige Bildungen bis zu dem Rande der Flosse. Die
Nerven sind als feine, schmale Stämme bis zu der Mitte der
Knospen zu verfolgen. In dem folgenden Stadium (Embryo 27 mm,
Fig. 32) sind gewisse von den Nerven bis zu den Knospenenden
verfolgbar, andere endigen in den äusseren Teilen der Knospen.
Bei einem Embryo von 30 mm reichen die Stämme alle bis zu
dem Flossenrande.
Es ist durch den Vergleich dieser Bilder deutlich, dass ein
wirkliches Heranwachsen der Hauptnerven in der Flosse zusammen
mit den Muskelanlagen stattfindet. Ursprünglich, wenn die Knospen
eben gebildet sind, ist die Flosse nervenfrei oder besitzt wenigstens
keine durch die Bielschowsky-Methode darstellbaren Nerven.
Dann schreitet die Nervenbildung von der Basis der Extremität
nach der Peripherie, wie die demonstrierten Bilder ja sofort zeigen.
Man könnte denken, dass der Vorgang so vor sich geht, dass ein
ursprünglicher Zusammenhang zwischen den Nerven und den
Myotomknospen vorhanden ist, und dass die Nerven im Zusammen-
hange mit dem Auswachsen der Myotome gleichzeitig passiv in
die Länge gezogen würden. Dies ist aber nicht der Fall. Es
gibt ein Anfangsstadium, wo die Flossenanlagen keine Nerven
enthalten, und schliesslich ein Endstadium, wo die Nerven sich
frei über die Myotome hinaus erstrecken und sich in dem Flossen-
saume verästeln. Folglich müssen die Nerven wirklich hervor-
wachsen. In welcher Art und Weise dieses Hervorwachsen
geschieht, ist eben der springende Punkt der Lehre von der
Nervenentwicklung. Um dies vom histologischen Gesichtspunkte
aus beantworten zu können, ist ein Eingehen auf die feineren
Strukturverhältnisse notwendig.
Das Aussehen der Nerven variiert. Man findet Bilder (Fig. 34
und 35), wo der Nerv kompakt und homogen schwarz ist, nur
hier und da beobachtet man eine fibrilläre Streifung. An einer
anderen Stelle des Präparates besteht der Nerv aus streifigen
Bündeln, welche sich peripheriewärts wieder zu einem kompakten
Stamm verbinden (Fig. 36 und 37). Von dem Stamme gehen
Äste ab von gröberem und feinerem Kaliber. Dünnere Schnitte
durch den Nerv lehren nun, dass ein solcher aus einer Menge
feiner Fasern besteht von derselben Art, wie die eben genannten
feineren Äste. Ihr gegenseitiges Verhalten innerhalb eines Nerven-
stammes ist nicht leicht klarzulegen. Dass sie sich teilen und
356 Erik Müller:
verflechten, ist deutlich, ob sie sich gegen die Peripherie wieder
miteinander netzförmig verbinden, ist sehr schwierig darzulegen,
weil die Verbindungen dadurch hervorgerufen werden können,
dass sich die Fasern sehr dicht aneinanderlegen und vielleicht
agglutinieren, ohne direkt zusammenzuschmelzen.
Von grösstem Interesse ist nun, zu erfahren, wie die Nerven
endigen. Die Enden lassen sich in dicken Schnitten (15 «) leicht
beobachten, wenn man Stellen aufsucht, wo man durch verschiedene
Einstellung konstatieren kann, dass die Nervenenden innerhalb
des Schnittes gelegen sind (Fig. 34—40). Man findet nun ziemlich
wechselnde Bilder. Die groben Nerven resp. deren gröbere Äste
endigen, wie die Fig. 35 und 36 zeigen, mit keulenförmigen
Anschwellungen, mit allmählich auslaufenden Spitzen (Fig 34, 38)
oder mit geweihartigen Verästelungen (Fig. 38, 39) von knoten-
artig aussehenden Ästen. Die feineren Fäden endigen mit runden
oder langgestreckten Keulen, von denen oft noch feinere Fäserchen
abgehen (Fig. 39, 40). Sehr oft findet man eine kleine dreieckige,
langgestreckte Anschwellung, von deren kurzer Seite feine Fäser-
chen ausgehen. Es muss bemerkt werden, dass diese Endkeulen
mit der Bielschowskyschen Methode schwieriger darstelibar sind
als die gewöhnlichen Nervenfasern. Sie fordern eine energischere
Silberbehandlung durch Wärme oder stärkere Konzentration der
Lösung als die Fasern. Man kann, darum leicht beobachten, wie
sich eine schwarze Faser in eine solche ungefärbte fortsetzt, und
hier und da kann man direkt sehen, wie sich eine gefärbte Faser
in eine ungefärbte Keule fortsetzt. Es ist ohne weiteres klar,
dass die eben beschriebenen Nervenenden die Wachstumskeulen
sind, welche zuerst von Cajal entdeckt, später von Harrison
im überlebenden Zustande beobachtet worden sind.
Dass Paton die Wachstumskeulen in seinen Präparaten
nicht gefärbt bekommen hat, beruht nach meiner Meinung darauf,
dass er bei seiner Anwendung der Bielschowskyschen Methode
eine zu schwache Silberlösung gebraucht hat.
An anderen Stellen ist das Bild sehr verschieden (Fig. 41, 42).
Man sieht hier, wie sich die Flossennerven in ausserordentlich
feine, körnige Fäserchen fortsetzen, welche direkt in der Peripherie
der Myotome gelegen sind. Diese Bilder, welche gar nicht spärlich
sind, sind von grossem Interesse. Sie sind sehr schwierig zu
deuten. Ob diese Nervenfäserchen in loco entstanden oder ob
Das periphere Nervensystem bei den Selachiern. 557
sie durch Hervorwachsen gebildet sind, lässt sich nicht entscheiden.
Gründe sowohl für die eine wie für die andere Entstehungsweise
können angeführt werden. Für eine bestimmte Entscheidung
ist also die Methode nicht zureichend.
Man fragt sich nun, von welcher Art die feinen Fasern oder
Fäserchen sind, welche teils die Nerven zusammensetzen, teils
als freie Äste von ihnen abgehen. Haben sie den Wert von
Nervenfasern oder Neurofibrillen? In der Literatur ist diese Frage
faktisch verschieden beantwortet. Nach Cajal bestehen die aus-
wachsenden Nerven aus deutlich voneinander geschiedenen Axonen.
„Au debut, c’est a dire du deuxieme au troisieme jour de l’inculation
chez le poulet, les eylindres-axes sont d’une minceur extr&me: ils
sont tres rapproches les uns des autres en faisceaux.“ In den
meisten Figuren des Hauptwerkes (8) von Cajal sieht man auch die
Axonen als distinkte, homogene, schwarz gefärbte Fasern. Nach
Vergleichung meiner Bilder mit denjenigen von Cajal nehme ich
an, dass Cajaldie schwarzen Fasern, welche in meinen Präparaten
teils für sich durch die Gewebe verlaufen, teils in den Nerven-
stämmen vorhanden sind, als Axonen beurteilen sollte.
Eine wesentlich andere Auffassung und Nomenklatur hat
Held. Die sich entwickelnden Nerven bestehen aus Zügen von
Neurofibrillen. Dieselbe Ansicht hegt Paton. Die schwarz
gefärbten Fasern resp. Fäserchen in seinen Präparaten, welche
vollständig identisch mit den von mir soeben beschriebenen Fasern
sind, werden als Neurofibrillen aufgefasst und beschrieben. Gegen
Helds Auffassung hat M. Heidenhain einen wichtigen Ein-
wand gerichtet. Unter Hervorhebung, dass die Neurofibrillen
ausnahmslos „Teile oder Differenzierungen innerhalb von Achsen-
fasern“ sind, und dass die letzteren so fein sein können, dass sie
an der Grenze der Wahrnehmbarkeit stehen, wozu weiter kommt,
dass Held nicht gezeigt hat, wie die definitiven Achsenfasern
aus diesen Neurofibrillen entstehen, meint Heidenhain, dass
jede Neurofibrille in den Heldschen Präparaten einer Achsen-
faser entspricht und als solche erkannt und benannt werden soll.
Wenn man zu dem Hauptwerke über die Neurofibrillen von
Apathy geht, so findet man aus seinen Darlegungen, dass die
Neurofibrillen weder in dem Kaliber noch in ihrer Verästelung
etwas Charakteristisches zeigen. Sie können von sehr verschiedenem
Kaliber sein, sie können sich aufspalten in Elementarfibrillen, und
Archiv f. mikr. Anat. Bd.8i. Abt.l. 24
358 Erik Müller:
diese können sich wieder zu Primitivfibrillen verbinden. In bezug
auf das Kaliber und die Verästelungsweise ist es also nicht möglich,
Nervenfasern und Neurofibrillen zu unterscheiden. Der einzige
wirkliche Unterschied zwischen Nervenfaser und Neurofibrille ist
der, dass die Neurofibrille, wenn sie allein oder zu mehreren auf-
tritt, stets in eine Interfibrillärsubstanz eingebettet ist. Da nun
in meinen Präparaten die schwarz gefärbten Fäserchen in den
meisten Fällen nicht in eine solchen Substanz eingebettet sind,
so halte ich es nicht für richtig, sie für Neurofibrillen zu be-
urteilen und so zu benennen. Zu demselben Resultate kommt
man, wenn man das Verhältnis der oben beschriebenen Fasern
zu den Nervenzellen im Rückenmarke untersucht. Dann findet
man innerhalb der Zellkörper ein Gerüstwerk von feinen schwarz
gefärbten Fibrillen, welche zusammenlaufend die Faser bilden,
die von der Zelle kommend nach der Peripherie verläuft. Hieraus
folgt ja ohne weiteres, dass die oben beschriebenen Fasern, auch
wenn sie sehr dünn sind, nicht mit den interzellulären Neuro-
fibrillen identisch sind.
Andererseits finde ich es nicht berechtigt, diese Fasern als
Achsenzylinder oder Achsenfasern zu bezeichnen. Diese sind
nämlich von wesentlich anderem Aussehen, wie die wohlgelungenen
Bielschowsky-Präparate in späteren Stadien zeigen (Fig. 53, 54).
Hier besteht der Nerv aus allerdings im Kaliber wechselnden, aber
im Durchschnitte viel mächtigeren Fasern, welche sich freilich
aufteilen und verflechten, aber niemals so verbinden oder agglu-
tinieren, wie die Fasern in den früheren Stadien. Aus diesen
Gründen fasse ich die erwähnten schwarzen Fasern der früheren
Stadien als embryonale Nervenfasern auf, welche sich
später durch Zuwachs und innere Differenzierung zu den Achsen-
fasern umwandeln.
Es ist nun zu untersuchen, wie sich die Nerven zu der
Umgebung verhalten. Die Nerven folgen den Myotomen, dicht
an sie angelagert. Die keulenförmigen Enden sowie die ihnen
zunächst gelegenen Teile des Nerven liegen oft innerhalb des
Myotoms (Fig. 36). Dies kann man teils durch verschiedene Ein-
stellung, teils in Sagittalschnitten bestimmt entscheiden. Von
den Nerven gehen oft knopf- oder keulenförmige Bildungen ab,
welche sich in das Plasma der Myotome direkt einsenken. (Gewisse
Nerven sind nackt und unbekleidet und liegen ganz ausserhalb
Das periphere Nervensystem bei den Selachiern. 359
des Myotoms (Fig. 34), wenn sie sich auch dicht an dieses an-
schmiegen. Andere wieder sind von einer plasmatischen Hülle
umgeben (Fig. 36 und 41), welche sich direkt in das Plasma des
Myotoms fortsetzt. In derselben Weise verhalten sich die feinen
Nervenfasern. Die meisten verlaufen frei zwischen den Mesen-
chymzellen. Andere liegen in sehr intimem Connex mit den
Mesenchymzellen, wobei es nicht immer so leicht zu entscheiden
ist, ob die Nervenfasern nur dicht an den Mesenchymzügen oder
innerhalb dieser selbst gelegen sind. Dass dieser letztere Fall
inzwischen wirklich vorhanden ist, scheint mir ausser Zweifel.
Auf Grund der später zu berichtenden experimentellen Unter-
suchungen deute ich die Bilder so, dass die nackten Nerven und
Fasern den Primärzustand darstellen, und dass die Nerven später
eine plasmatische Hülle von der Umgebung erhalten.
Während in der beschriebenen Weise die grossen Flossen-
nerven entstanden sind, haben die feineren Äste schon angefangen,
sich zu entwickeln. Ziemlich früh entstehen die starken kranialen
und kaudalen Anastomosen in der Basis der Flosse. Dann folgen
die feineren Anastomosen und die Äste zu den geraden, ur-
sprünglich nervenfreien Knospen. Von den groben Flossennerven
gehen unter rechtem oder schrägem Winkel feine Äste ab, welche
in kürzerer oder weiterer Entfernung mit den charakteristischen
Keulen endigen (Fig. 39). Neben diesen kann man ähnliche feine
Fasern zu einer Knospe verfolgen. Hier teilen sie sich, und die
so entstandene Teilungsgabel umfasst einen von den von mir vorher
beschriebenen Basalkegeln, welche in der Peripherie des Myotoms
gelegen sind (Fig. 43, 44 und 45). Die auswachsenden feinen
Fasern, welche sehr oft eine deutliche, körnige Struktur (Fig. 46)
zeigen, legen sich bald dicht aneinander (Fig. 46 und 47), so dass
es unmöglich ist, zu entscheiden, ob ein wirkliches Netz oder nur
ein Geflecht vorhanden ist. Die weiteren Veränderungen bestehen
darin, dass eine ursprünglich einfache Faser (Fig. 44 und 45)
sich zu einem Nervenbündel von mehreren solchen entwickelt
(Fig. 48 und 49). Der Übergang eines solchen in den Radial-
muskel vermittelt immer eine kegelförmige Bildung mit der Basis
nach dem Muskel und der Spitze in dem Bündel (Fig. 48, 49, K).
Innerhalb dieser kegelförmigen Ansatzstelle verteilen sich die
Nervenfasern längs der Peripherie des Radialmuskels. Von den
besonderen Ansatzkegeln kommend, begegnen sich die Fasern
24°
360 Erik Müller:
und verflechten sich untereinander in der kompliziertesten Weise.
So kommen die perimuskulären Nervengeflechte zustande, von
denen Bruchstücke in den Fig. 50, 51, 52 dargestellt sind. Es gilt
hier dasselbe, was für die Struktur der groben Nerven gesagt ist.
Man kann nicht die besonderen Fasern individuell verfolgen. Sie
teilen sich, und die Teiläste legen sich so dicht aneinander, dass es
nicht möglich ist, zu entscheiden, ob eine wirkliche Verschmelzung,
d. h. Netzbildung, oder nur eine Agglutination zustande kommt.
Der soeben beschriebene Entwicklungsprozess, welcher mit
dem Auswachsen der feinen Fäserchen anfängt und mit der Aus-
bildung der perimuskulären Geflechte endigt, nimmt eine lange
Zeit in Anspruch. Er fängt bei Embryonen von ca. 23 mm an
und ist fertig bei solchen von 40 mm Länge. Es ist nun ein
Zustand erreicht, wie er in Fig. 33 dargestellt ist, und welcher
die Flossennerven und -muskeln, von der tiefen Fläche gesehen,
bei einem Embryo von 40 mm Länge zeigt. Die Radialmuskeln
haben die Form von langen, schmalen, von Seite zu Seite ab-
geplatteten Streifen. Die Hauptnerven zeigen die typische, von
mir vorher beschriebene Anordnung. Die starken Flossennerven,
welche eine direkte Fortsetzung der metameren Spinalnerven
bilden, folgen ganz regelmässig der tiefen Fläche der ungeraden
Flossenradialmuskeln und laufen dann in dem Flossensaume unter
reichlicher, spitzwinkliger Verästelung aus. Unter spitzen oder
rechten Winkeln gehen von diesen Hauptstämmen eine Menge
von feinen Ästen ab, welche zu den nächstliegenden geraden
Radialmuskeln verlaufen. Hier verbinden sie sich und bilden die
perimuskulären Geflechte. In diesen treten die von mir so-
genannten Rami intermittentes hervor. Sie sind vorhanden in
der Form von sehr dünnen Nerven, welche den tiefen Flächen
der geraden Radialmuskeln folgen. Weiter sind die groben
kranialen und kaudalen Basalanastomosen vorhanden. Daneben
auch die einfachen Kettenanastomosen, welche von dem einen
Hauptnerv nach dem anderen verlaufen. Eine nähere Unter-
suchung mit stärkerer Vergrösserung lässt auch eine Menge feinerer
Geflechte erkennen, welche teils in derselben Höhe wie die vorher
beschriebenen Nerven, teils um die Radialmuskeln als perimus-
kuläre Nervengeflechte gelegen sind.
Der Zustand, welcher in Fig. 33 dargestellt ist, entspricht
nun der bleibenden Anordnung. Es handelt sich hier um eine
Das periphere Nervensystem bei den Selachiern. 561
typische metamere Geflechtbildung, wie ich sie vorher
im entwickelten Zustande beschrieben habe. Die Bielschowsky-
Präparate haben den Vorteil, dass man die verschiedenen Fasern
wohl verfolgen kann. Ich habe mich nun durch genaue Unter-
suchung einer Menge von Präparaten überzeugt, dass in der Mitte
der Flosse nur einfache Kettenanastomosen zu finden sind, d.h.
Fasern, welche nur von dem einen Nerven nach einem anderen
verlaufen, während sich die Nerven nach den beiden Enden über
mehrere Segmente verteilen. Hier finden wir also eine voll-
ständige Bestätigung der Befunde, welche mit der Essigsäure-
Osmium-Methode gewonnen sind.
Die nächsten Entwicklungsprozesse bestehen teils in einem
Zuwachs der gebildeten Organe, teils in einer Entstehung der
intramuskulären Nervengeflechte.e In Fig. 53 sieht man den
kranialen Teil des Grundgeflechtes der Brustflosse bei einem
Fötus von 9 cm Länge. Man sieht hier Teile vom 2., 3., 4. und
5. Flossennerven. Ihre Fasern laufen in der Richtung der Nerven,
nur feinere Äste werden abgegeben. Eine Ausnahme bildet der
3. Flossennerv, welcher in bedeutender Ausstreckung seine Fasern
innerhalb des Gebietes des 4. Flossennerven verteilt. Das Bild
stimmt vollkommen mit Fig. 33 meiner Abhandlung „Die Brust-
flosse der Selachier“ überein, wo dieselbe Nervenverteilung bei
einem Essigsäure-Osmium-Präparat dargestellt ist.
Während dieser Zeit, d. h. der Entwicklungsperiode von
4 cm bis 9 em, entwickeln sich nun auch die intramuskulären
Nerven (Fig. 54, 55). Die vorher kompakten Radialmuskeln
spalten sich in Bündel auf, von Maurer Muskelbänder genannt.
Von den perimuskulären Geflechten gehen nun feine Fasern unter
rechtem Winkel ab. Ursprünglich (bei 40 mm-Embryonen) einzeln
vorhanden, vermehren sie sich, verbinden sich miteinander und
bilden Geflechte zwischen den Bündeln, wie die Fig. 54 und 55
zeigen. Auf die Einzelheiten der Bildung dieser intramuskulären
Geflechte werde ich nicht eingehen, da diese sich wie bei der
Bildung der vorher beschriebenen Nerven gestalten.
Der Prozess, durch den sich eine motorische Nervenfaser
von ihrer oder ihren Ursprungszellen im Zentralorgan bis zum
Ende in der Muskelfaser entwickelt, ist also sowohl in zeitlicher
362 Erik’Müller:
wie in räumlicher Hinsicht sehr kompliziert. Wenn wir z. B. die
Entwicklungsgeschichte einer solchen Faser, welche in einem
Flossen-Radialmuskel endigt, betrachten, so fängt die Erscheinung
wohl ungefähr bei einem Embryo von 5 mm an, wenn die ersten
Neuroblasten auszuwachsen beginnen. Der bleibende Zustand ist
erst bei einem Fötus von mehr als 10 cm Körperlänge erreicht.
Wann der definitive Zustand erreicht wird, kann ich nicht be-
stimmt entscheiden, weil mein Material nicht vollständig ist. Bei
Acanthias-Föten von 10 cm (Fig. 53 und 54), von denen ich aus-
gezeichnete Färbungen besitze, sind die einfachen Muskelfasern
noch nicht entstanden. Die Muskeln bestehen aus Bündeln,
zwischen denen sich die in Bildung befindlichen intramuskulären
(reflechte befinden. Bei Föten von 15—20 cm finde ich die aus-
gebildeten Muskelfasern und die Nervenfasern mit Verästelungen
endigend, wie sie von Retzius beschrieben worden sind. Für
Acanthias entsprechen diese Entwicklungsprozesse einer Zeit von
über 4 Monaten. In räumlicher Beziehung kann man den Prozess
in verschiedene Abschnitte einteilen. So finden wir erst den
motorischen Nerv an das Myotom angegliedert, ohne andere Äste
abzugeben. Dann folgt ein Zustand, in dem die Knospen aus-
gebildet sind und jede unpaarige von diesen ihren Nerv besitzt.
In diesen Zuständen verhalten sich das Myotom und die Knospe
zu ihren Nerven, wie die vollentwickelte Nervenfaser sich zu der
Muskelfaser verhält. Nun folgt die Ausbildung der perimuskulären
(seflechte, welche eine lange Zeit in Anspruch nimmt, und erst
wenn jene eine reiche Entfaltung erhalten haben, dringen die
Nerven in das Innere des Muskels, um die intramuskulären Ge-
flechte zu bilden, aus denen schliesslich die Nervenfasern hervor-
gehen. Es ist wohl deutlich, dass wir in diesem Entwicklungs-
gang eine lange, historische Entwicklung sehen können.
Die ersten Entwicklungsvorgänge in der Bauchflosse gestalten
sich ganz wie bei der Brustflosse. Jeder Flossennerv entwickelt
sich längs der ungeraden Myotomknospen, wie es die Fig. 1 und 2
zeigen. Man findet hier neun bis zehn Fortsetzungen der Spinal-
nerven, welche sich in die Flossenanlage hineinstrecken; diesen
entsprechend sind neun bis zehn Paar Myotomknospen da; längs
der kranialen in jedem Paare verläuft der Nerv. Jene ist mit
einem Nerv verbunden, diese hat keinen solchen Zusammenhang.
Es finden dann Anastomosenbildungen und Entwicklung von Nerven-
Das periphere Nervensystem bei den Selachiern. 365
ästen nach den ungeraden Knospen hin statt. Die grössten Ver-
änderungen stehen aber im Zusammenhang mit der Colleetor-
bildung. Dieser setzt sich nämlich in die Flosse fort und wächst
gleichsam kaudalwärts, wobei er eine Portion von den Flossen-
nerven mitnimmt, so dass eine lange, geradlinige und mächtige
Anastomose entsteht, welche fortschreitend allmählich weiter
kaudalwärts reicht. So kommt ein Bild zustande, wie es in den
Fig. 56 und 57 dargestellt ist. Diese lockert sich später auf und
nimmt das bleibende Aussehen an. Auf die Einzelheiten will ich
nicht eingehen, hier ebensowenig wie bei der Anatomie der Bauch-
flossennerven. Ich bitte aber, dass der Leser die Fig. 56 und 57,
welche die Bauchflossennerven bei einem Acanthias von 4 cm
Länge darstellen, mit Fig. 33 vergleicht, welche die Brustflossen-
nerven in demselben Stadium darstellt. Man wird dann den-
bedeutenden Unterschied leicht konstatieren, welcher in der An-
ordnung und Verteilung der Nerven bei den verschiedenen Flossen
besteht. Dazu findet man auch die Ursache der Verschiedenheit.
Die von Braus mit den Namen Plexus prä- und postaxialis be-
nannten Nervengeflechte sind direkte Fortsetzungen des N. collector.
Der Hauptunterschied zwischen den Nerven der Brust- und der
Bauchflossen besteht also darin, dass die Brustflosse dem Gebiete
des latero-ventralen Muskels entspricht, während die Bauchtflosse
dem Gebiete des medio-ventralen Muskels angehört.
Die unpaarigen Flossen.
Es liegt ausserhalb des Zieles der vorliegenden Arbeit, eine
ausführliche Schilderung der Entstehung der Muskeln und Nerven
dieser Körperanhänge zu geben. Nur so viel muss mitgeteilt
werden, dass man niemals in dem Selachierkörper so unregel-
mässige Nervengeflechte findet wie eben hier. Schon Fig. 58,
welche die Rückentlosse von einem 4 cm langen Acanthias-Fötus
darstellt, zeigt dies. Man sieht hier die schon von P. Mayer
beschriebenen Längsstämme, und von diesen ziehen die Nerven
ohne irgend welche Regelmässigkeit in die Flosse hinein. Ich
besitze noch schönere Färbungen von älteren Föten, wo die un-
regelmässigen Geflechtbildungen noch stärker ausgebildet sind.
Ohne auf Einzelheiten einzugehen, will ich nur hervorheben, dass
die Nerven gar keine Regelmässigkeit zu den Muskeln oder
Strahlen zeigen, und weiter, dass die Nervenverteilung in dieser
364 Erik Müller:
Flosse absolut verschieden von derjenigen der Brust- und Bauch-
flosse ist. Dies stimmt nun gut mit den allgemeinen Resultaten
dieser Untersuchung überein. Je weiter man sich von dem
Zentrum des Nervensystems entfernt, desto unregelmässiger er-
scheinen die Anordnung und Verteilung der Nerven. Die Muskeln
der unpaarigen Flossen entwickeln sich nun von den am meisten
peripher gelegenen Teilen der dorsalen Muskulatur, also viel
weiter von dem Zentrum als die paarigen Flossen. In diesem
Verhältnis sehe ich den vornehmsten Grund zu der unregelmässigen
Geflechtbildung der genannten Flossen.
Allgemeiner Teil.
Die Untersuchung des ausgewachsenen Nervensystems bei
den Selachiern hat eine Reihe verschiedener Zustände kennen
gelernt. Am einfachsten gestalten sich die Verhältnisse in dem
Teil der Körperwand, welcher, entsprechend dem lateralen Muskel,
am nächsten der Wirbelsäule gelegen ist. Hier findet man ein
aus groben segmental angeordneten Stämmen und feinen diese
verbindenden Queranastomosen aufgebautes Geflecht. Die grösste
Übereinstimmung hiermit bietet das Grundgeflecht der Brustflosse
in seinem mittleren, allergrössten Teile. Hier findet man nämlich
auch die Nerven segmental angeordnet durch quere Anastomosen
verbunden. Wesentlich anders gestalten sich die Verhältnisse in
dem kranialen und kaudalen Teile der Flosse, indem sich die
Nerven hier auf Grund der stärkeren Anastomosenbildung über
zwei oder mehrere Segmente ausbreiten. Der medio-ventrale und
der medio-dorsale Teil der Körperwand bieten auch wesentlich
andere Verhältnisse, indem an den beiden Stellen die Nerven über
mehrere Myomere verlaufen, im Zusammenhang mit welchen die
Sammelstämme oder Üollectoren der Nerven entstehen und auch
die Geflechtbildung komplizierter wird. Die Bauchflossen sowie
die unpaarigen Flossen, welche alle zu diesen Teilen der Körper-
wand gehören, zeigen in Übereinstimmung hiermit auch eine ent-
sprechende Kompliziertheit ihrer Nervengeflechte. Die Längs-
stämme z. B., welche für die Bauchflosse im Gegensatze zu der
Brusttlosse charakteristisch sind, sind nämlich die direkte Fort-
setzung des Teiles des N. collectors, welcher in der Körperwand
gelegen ist. Der bedeutende Unterschied in der Anordnung der
Nerven bei der Brust- und Bauchflosse des Acanthias besteht also
Das periphere Nervensystem bei den Selachiern. 365
darin, dass sie ihren Ursprung von verschiedenen Teilen der
Körperwand nehmen. Die Brustflosse entsteht aus dem Gebiete,
das dem latero-ventralen Muskel entspricht. Die Bauchflosse
gehört dagegen dem medio-ventralen Muskelgebiete an.
Die Kenntnis der embryonalen Entwicklung der Muskeln
und Nerven ist nun imstande, diese fertigen Zustände wesentlich
zu beleuchten und zu erklären. Sie lehrt nämlich, dass sich in
den früheren Stadien die Muskel- und Nervenanlagen in nahester
Verbindung und Übereinstimmung miteinander entwickeln. Die
Myotome der Körperwand und die kranıalen Knospen der Flossen
entwickeln sich in dem engsten Verbande mit den entstehenden
Nerven. Solange sich die Myotome resp. Knospen in derselben
Richtung wie die Nerven entwickeln, zeigen die Nerven eine mit
den Muskeln übereinstimmende Metamerie. Dies findet sowohl
innerhalb des lateralen Muskels wie in der Mitte der Brustflosse
statt. Wenn nun aber die Myotome der Körperwand beginnen,
sich zickzackförmig zu biegen, so ändert sich die Übereinstimmung
zwischen der Muskel- und Nervenentwicklung. Die Nerven wachsen
weiter in gerader Richtung fort und beginnen dadurch über die
naheliegenden Nachbarmyomeren zu verlaufen. Gleichzeitig ent-
stehen hiermit zahlreiche neue Äste, die komplizierte Geflechte
bilden, und innerhalb dieser bilden sich die Sammelstämme oder
Collecetoren. Die starke Anastomosenbildüng, welche die kranialen
und kaudalen Enden der Brustflosse kennzeichnet, scheint in einer
ähnlichen Weise zustande zu kommen. Durch den von Mollier
näher beschriebenen Konzentrationsvorgang konvergieren sowohl
die kranialen wie die kaudalen Nerven auf ihren Wegen nach der
Flosse. Während in der Mitte der Flosse die Wachstumsrichtung
der Muskeln und Nerven dieselbe ist, bilden die Muskeln und die
Nerven an den genannten Stellen Winkel gegeneinander; die
Wachstumsrichtung der Nerven entspricht nicht länger derjenigen
der Muskeln, und in Übereinstimmung hiermit verbinden sich die
Nerven mit starken Anastomosen. Die Bildung der Anastomosen
scheint also eine direkte Funktion des Winkels zu sein, mit
welchem die Muskeln von ihrer früheren Wachstumsrichtung
abbiegen.
Die Ansichten, welche gegenwärtig in bezug auf die Frage
von der Entstehung der peripheren Nerven diskutiert werden,
sind die folgenden:
366 Erik Müller:
1. Die Nerven entstehen in loco durch direkte Umwandlung
von ursprünglichen Plasmaverbindungen zwischen den Zellen
(Hensen).
2. Die Nerven entstehen durch das Auswachsen einer neuro-
fibrillären Substanz innerhalb der vorgebildeten Plasmodesmen
(Held).
3. Die Nerven entstehen durch freien Auswuchs von den
Neuroblasten (His, Cajal, Harrison).
In einem früheren Aufsatz über dieses Thema habe ich mich
an die Ansicht von Hensen angeschlossen. Die Gründe hierzu
waren doppelter Art. Zuerst fand ich die Nerven der Selachier-
keime in den Präparaten, welche nach gewöhnlichen Färbungen
dargestellt wurden, sowohl in die Fortsätze der Myotomzellen
wie auch in ein Geflechtwerk von feinen, zwischen den Myotomen
beiegenen Fäserchen direkt übergehen. Zweitens war es bei den
damaligen Sachverhältnissen deutlich, dass die Hypothese von
Hensen vom theoretischen Gesichtspunkte aus die Entstehung
der Nerven viel besser als die Auswachsungslehre erklärte. Nach
den Erfahrungen, die ich mit der Bielschowsky-Methode ge-
wonnen habe, lässt sich diese Ansicht nicht mehr aufrechthalten.
Die Bielschowsky-Methode hat mich nämlich instand gesetzt,
die wirklich auswachsenden Enden der Nerven kennen zu lernen
und auch deren Verhältnis zu den Myotomen und dem Mesen-
chym erklärt.
Die Bilder, welche mit der Bielschowsky-Methode ge-
wonnen sind, können doch nicht, so ausgezeichnet lehrreich sie
auch sind, eine vollständige, einwandfreie Antwort auf die Frage
geben, wie die Nerven entstehen. Man findet nämlich Bilder in
den nach dieser Methode dargestellten Präparaten, welche ebenso-
gut für in loco entstandene wie für ausgewachsene Nervenfasern
gedeutet werden können. Ich meine die vorher beschriebenen
Bilder, wo die Nervenenden innerhalb des Plasmas der Zellen
gelegen sind, und besonders diejenigen, welche den direkten Über-
gang der Nervenfasern in die Basalkegel der Myotome zeigen. Um
zu einer einwandfreien Deutung der Bielschowsky-Präparate
zu gelangen, ist es darum notwendig, dieselben mit jenen Bildern
der auswachsenden Nerven, welche Harrison durch Züchtung
der embryonalen Nerven ausserhalb des Körpers entdeckt hat,
zu vergleichen.
Das periphere Nervensystem bei den Selachiern. 367
Die ausgezeichneten Untersuchungen von Harrison und
seinen Nachfolgern Burrows und W. H. und M. R. Lewis sind
wohl bekannt und brauchen darum hier nicht näher referiert zu
werden. Ich erinnere nur an folgende Punkte, welche für die
Vergleichung mit meinen Präparaten von besonderem Gewicht
sind. Neben den ersten grundlegenden Berichten, dass Nerven-
fasern von den Neuroblasten in koagulierten Lympha auswachsen
und mit den charakteristischen Endkeulen versehen sind, findet
man in den Arbeiten von Harrison die wichtigen Angaben,
dass sich eine ursprünglich einheitliche Nervenfaser während der
weiteren Entwicklung in mehrere solche aufsplittert und dass die
neugebildeten Fasern miteinander anastomosieren.
Nach Burrows variieren die auswachsenden Nerven im
Aussehen zwischen sehr feinen Fasern und dicken, strangähnlichen
„strands“ mit einer feinen longitudinalen Streifung. Diese Bündel
splittern sich entweder in den Enden oder längs ihrer Peripherie
in feinere Fasern auf.
In der Arbeit von W. H. und M. R. Lewis finde ich als
besonders beachtenswert die Angabe, dass die neugebildeten
Nervenfasern durch reichliche Anastomosen wirkliche Netze bilden.
In den fixierten und gefärbten Präparaten von den ausgewachsenen
Nerven sind die Fasern von Körnern gebildet; ob diese einer
vitalen Struktur entsprechen oder nicht, lassen die Autoren un-
entschieden.
Wenn ich nun meine mit der Bielschowsky- Methode
gewonnenen Bilder mit denjenigen, welche die amerikanischen
Forscher von den lebenden Nerven beschrieben haben, vergleiche,
so finde ich eine ins Detail gehende Übereinstimmung. Die Nerven
in meinen Präparaten sind, gleichwie Burrows beschreibt und
zeichnet, teils feine Fäserchen, teils dickere Bündel von längs-
streifiger Beschaffenheit. Die dreieckigen, ovalen, strangförmigen
und geweihartigen Wachstumskeulen in meinen Präparaten sind
von ganz demselben Aussehen wie entsprechende Bildungen von
Harrison. Die Aufsplitterung einer Faser in mehrere solche
und die Verbindung der Fasern zu Netzen sind weitere Überein-
stimmungen zwischen den auf verschiedene Weise gewonnenen
Präparaten. Auf Grund dieser identischen Verhältnisse wird es
notwendig, zu schliessen, dass die Nerven in den Bielschowsky-
Präparaten durch ein freies Auswachsen entstanden sind. Nur
368 Erik Müller:
über die besondere Art und Weise, wie dies Auswachsen zugeht,
könnte man verschiedener Meinung sein. Harrison verlegt das
Wachstumsvermögen hauptsächlich in die Endkeulen, welche nach
Art deramöboiden Bewegung durch Ausschiessen von Pseudopodien
die Verlängerung der Nerven bewirken sollen. Man könnte aber
ebensogut berechtigt sein, anzunehmen, dass die ganze Faser
durch Vermehrung ihrer kleinsten Teilchen, z. B. in Form von
Granula, an Länge und Breite zunimmt. Dieser Gedanke ist auch
in der Arbeit von W.H. und M. R. Lewis ausgesprochen. Weiter
sprechen die Bilder von den Bielschowsky-Präparaten in hohem
Grade dafür, dass bei der Entwicklung der peripheren Nerven
die Entstehung neuer Fasern durch Längsspaltung schon aus-
gewachsener solcher eine grosse Rolle spielt. Dies stimmt ja
auch mit den Erfahrungen von den Züchtungen der Nerven ausser-
halb des Organismus.
Die Präparate, die nach der Bielschowsky-Methode ge-
wonnen werden, sind nun sehr lehrreich, wenn es gilt, festzustellen,
wie sich die auswachsenden Nervenfasern zu der Umgebung ver-
halten. Aus meinen speziellen Beschreibungen geht es nämlich
zur (senüge hervor, dass die embryonalen Nervenfasern in dieser
Hinsicht sich verschieden verhalten. Die groben Nerven können
mit ihren Endkeulen oder Geweihen frei in den Zellinterstitien
liegen oder diese Teile können direkt in dem Plasma der Myotome
eingeschlossen sein. In solchem Falle ist der Nerv in seinem
proximalen Teile von einer dicken Plasmahülle umgeben, welche
direkt in das Myotomplasma übergeht. Dasselbe gilt von den
feineren Nervenfasern. Sie können frei zwischen den Mesenchym-
zellen verlaufen, sie können sich dicht an diese oder ihre Aus-
läufer anschmiegen oder direkt von deren Zellplasma umgeben
sein. Die letzten Bilder sind es, welche der Heldschen Lehre
von einem Auswachsen der neurofibrillären Substanz in den Plasmo-
desmen zugrunde gelegen haben.
Wenn es nun gilt, diese verschiedenen Bilder zu deuten, so
scheint mir, der Harrisonschen Versuche zufolge, die einfachste
Erklärung die zu sein, dass die frei hervorwachsenden Nerven-
fasern den primären Zustand darstellen. Sekundär treten
die ausgewachsenen Nervenfasern in Verbindung mit den Myotomen
und den mit diesen zusammenhängenden Mesenchymzellen, wobei
es vorläufig unentschieden bleiben mag, ob die Nervenfasern aktiv
Das periphere Nervensystem bei den Selachiern. 369
in die Zellen hineindringen oder passiv von diesen umhüllt werden.
Diese sekundäre Verbindung der Nervenfasern mit den Myotomen
findet nun während der ganzen Entwicklung der Nerven statt,
von dem ersten Anfange, wenn der kurze Nerv das Myotom eben
erreicht hat, bis zu dem Endstadium, wo die einfachen Muskel-
fasern mit ihren Nervenendigungen ausgebildet sind. So finde
ich schon in dem frühen Stadium, welches in Fig. 6 abgezeichnet
ist, dass gewisse Fasern direkt mit kegelförmigen Ansätzen ın
das Myotomplasma übergehen, während andere ebenso deutliche
freie Endkeulen zeigen. Die schönen Befunde von Kerr bei
Lepidosiren sind nach meiner Meinung so zu deuten, dass hier
eine sehr deutlich hervortretende sekundäre Verbindung zwischen
einem vorher frei ausgewachsenen Nerv und dem Myotom vor-
liegt. Die genannte sekundäre Verbindung zwischen den aus-
wachsenden Nerven und den Myotomen ist sicher von der grössten
Bedeutung für die Entstehung der Nervenbahnen. Hierdurch
erhalten die embryonalen Nerven eine gewisse Stabilität im Ver-
hältnis zu den Muskelanlagen. Durch die Angliederungen der
Nerven an die auswachsenden Myotome oder an die Myotom-
knospen erhalten die Nerven die fixen Punkte, von denen das
weitere Auswachsen gesetzmässig stattfinden kann
Die Lehre von His, dass die Nervenfasern durch freies Aus-
wachsen entstehen, muss also durch die neueren Untersuchungen
als bewiesen angesehen werden. Dasselbe gilt aber nicht von
seiner Ansicht über die Bildung des peripheren Nervensystems.
Nach His würde die Entstehung der peripheren Nerven aus
einigen einfachen Prinzipien erklärt werden können. Die Nerven-
fasern wachsen geradlinig nach ihren Endgebieten. Knorpel,
Gefässe oder andere embryonale Organe können hierbei ein
Hindernis für ihr Hervorwachsen bilden und die Nerven zwingen,
in andere Bahnen einzulenken. Dadurch, dass sich die von ver-
schiedenen Orten kommenden, gerade hervorwachsenden Nerven-
fasern durchkreuzen, entstehen die Nervengeflechte.
Dass die Nervenbahnen auf diese einfache Weise nicht
entstehen, lässt sich an vielen Beispielen aus der vorigen, speziellen
Darstellung über die Entstehung des peripheren Nervensystems
bei Acanthias vulgaris direkt zeigen. Ich wähle als Beispiel die
Entstehung des N. collectors in der ventralen Bauchwand. Dieser
Sammelstamm hat bei dem erwachsenen Tiere die Form von
370 Erik Müller:
einem langen und geraden Nervenstrang, welcher Fasern von
zehn Segmenten, kranialwärts von der Bauchtlosse gelegen, nach
den Muskeln derselben hinführt. Nach der Betrachtungsweise
von His sollte die Bildung dieses Stammes ziemlich einfach sein.
Die auswachsenden Nervenfasern sollten in der Nähe von der
V. parietalis einem Hindernis begegnen, wodurch sie gezwungen
werden, ihre Wachstumsrichtung zu verändern und einen Weg
gegen die Bauchflosse einzuschlagen. Nun lehrt aber die direkte
Beobachtung, dass so etwas nicht stattfindet. Die Colleetor-
bildung ist viel komplizierter und lässt verschiedene Stufen er-
kennen. Den ersten Anlass zu einer Komplikation der früher so
einfachen Nervenanordnung bildet die Umbiegung der vorher
gerade auswachsenden Myomere und das Auswachsen derselben
kranialwärts. Die Nerven setzen ihr Wachstum in der ursprüng-
lichen Richtung fort, bekommen aber nun Gelegenheit, sich mit
den Nachbarmyomeren zu verbinden, wodurch eine reiche Ver-
ästelung und Anastomosenbildung stattfindet. Hierdurch wird
zuerst eine longitudinale Kette von einfachen Anastomosen ge-
bildet. Aus dieser entsteht schliesslich durch innere Umbildung
der langgestreckte gerade Sammelstamm, welcher die Nerven-
fasern nach der Bauchflosse leitet. Die Abortivknospen kranial-
wärts von der Bauchflosse spielen bei der Üollectorbildung nur
insofern eine Rolle, als die Nerven der letzten Knospen unmittel-
bar kranialwärts von der Bauchflosse in der Collectorbildung ein-
gehen, wodurch vielleicht der Anlass für das Übertreten des
Collectors ins Gebiet der Bauchflosse gegeben wird.
Betrachten wir schliesslich den Entwicklungsprozess, wodurch
eine motorische Faser von ihrem Ursprung im Rückenmark bis
zu ihrem Ende in einer Muskelfaser eines Flossenmuskels ent-
steht. Zuerst ist hierbei die lange Zeit zu erwägen, während
der die Entwicklung stattfindet. Das erste Auswachsen der Fasern
aus dem Rückenmarke findet wohl bei Embryonen von 5 mm
Länge statt. Die Bildung der feinsten intramuskulären Muskel-
nerven ist erst bei Acanthias-Föten von einer Länge von mehr
als 10 cm abgeschlossen. Diese Periode entspricht einer Zeit
von mehreren Monaten. Zuerst wachsen die Nerven nach den
Myotomen und verbinden sich mit diesen. Dann setzen sie ihren
Weg ventralwärts längs der Myotome fort. Nachdem die Knospen-
bildung in der Flossenanlage stattgefunden hat, folgen die Äste
—
—
Das periphere Nervensystem bei den Selachiern. 31
der auswachsenden Nerven den ungeraden Knospen jedes Knospen-
paares und setzen sich an diese fest. Nun folgt im Zusammen-
hang mit der Bildung der Nerven, welche zu den geraden Knospen
gehören, die Entstehung der perimuskulären Nervengeflechte,
welche eine geraume Zeit in Anspruch nimmt. Durch eine Art
von Knospung werden nun feine Äste an der tiefen Fläche des
perimuskulären Geflechtes gebildet, und diese dringen in das
Innere des Radialmuskels hinein. Dieser teilt sich dann in immer
feinere Muskelbündel auf, zwischen denen sich die intramuskulären
Nerven ausbreiten, und mit denen sie sich verbinden. Schliesslich
haben sich die Bündel in die einfachen Muskelfasern aufgespaltet,
und jede von diesen enthält ihre Nervenfaser.
Es ist deutlich, dass der Inhalt dieses in zeitlicher und
räumlicher Beziehung so komplizierten Prozesses nicht dadurch
ausgedrückt werden kann, dass die Nervenfaser einfach aus einem
Neuroblast nach der Muskelfaser frei hinauswachse. Wir müssen
vielmehr den ganzen Vorgang, durch welchen eine motorische
Faser entsteht, in verschiedene Stufen einteilen, von denen jede
vorhergehende die Bedingung für die nächstfolgende ist. Die
Einteilung in Stufen gibt die allmählich vom Zentrum nach der
Peripherie fortschreitende Angliederung der auswachsenden Nerven-
fasern an die allmählich sich differenzierenden Muskelanlagen. In
dieser Weise betrachtet, gibt die Lehre von der Entwicklung des
peripheren Nervensystems durch freies Hervorwachsen der Nerven-
fasern nicht mehr den Eindruck eines „Wunders“, den sie vorher
besessen hat. Die Bildung der Flossennerven in der beschriebenen
Weise ist ebenso leicht zu verstehen als die Bildung der Radıal-
muskeln durch das Auswachsen der Myotome.
©)
1
DD
or
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der Selachier. Arch. f. Anat., 16, 1892.
Kerr, J. G.: On some points in the early development of motor nerve
trunks and myotomes in Lepidosiren paradoxa. Transact. Royal Soc.
Edinburgh, Vol. 41, P. 1, 1904.
Derselbe: The development of the peripheral nerves of vertebrates.
Proc. Royal Physical Soc. Edinburgh, Vol. 18, 1910.
Lewis, WarrenH. and Margaret Reed: The cultivation of
sympathetic nerves from the intestine of chick embryos in saline
solutions. Anat. Record., Vol. 6, 1912.
Maurer, F.: Der Aufbau und die Entwicklung der ventralen Rumpf-
muskulatur bei den urodelen Amphibien und deren Beziehung zu den
gleichen Muskeln der Selachier und Teleostier. Morph. Jahrb., Bd. 18, 1892.
., Mayer, P.: Die unpaaren Flossen der Selachier. Mitteil. d. zoolog.
Station zu Neapel. Bd. VI, 1885.
Mollier, S.: Die paarigen Extremitäten der Wirbeltiere.. I. Das
Ichthyopterygium. Anat. Hefte, Bd. I, 1894.
Müller, E.: Die Brustflosse der Selachier. Anat. Hefte, H. 118,
Bd. 39; 190%
Derselbe: Untersuchungen über die Muskeln und Nerven der Brustflosse
und der Körperwand bei Acanthias vulgaris. Anat. Hefte, H. 129,
Bd. 43, 1911. ;
Müller, Joh.: Vergleichende Anatomie der Myxinoiden. T.1, Berlin 1835.
Paton, S.: The reactions of the vertebrate embryo to stimulation
and the associated changes in the nervous system. Mitteil. d. zoolog.
Station zu Neapel, Bd. 18, 1907.
Rabl, C.: Theorie des Mesoderms. 1.u.2.T. Morph. Jahrb., Bd. 15
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Stannius, H.: Das periphere Nervensystem der Fische. Rostock 1849.
Wikström, D.A.: Über die Innervation und den Bau der Myomeren
der Rumpfmuskulatur einiger Fische. Anat. Anz., Bd. 13, 1897,
Erklärung der Abbildungen auf Tafel XX—XXVIIL
Tafel XX.
Fig. 1, 2, 3, 4 und 5. Ventrale Muskeln und Nerven in der Körperwand
Archiv f. mikr. Anat. Bd.81. Abt.|.
und in der Bauchflosse bei Acanthiasembryonen von 23, 26, 30
(3 und 4) resp. 35 mm Länge, Jedes Bild ist durch Kombination
mehrerer Schnitte entstanden. © —= N. collector ventralis. K —
Knospe. 50mal vergrössert.
19}
or.
374
B18.6!
Hier.
Rewe:
Inn, 9).
Fig. 10.
Bie.all:
Fig. 12.
Fig
Fig.
ig. 23.
Erik Müller:
Tafel XXI.
Acanthias 12 mm. Querschnitt. E — Ectoderm; M — Myotom;
N = Spinalnerv; R — Medulla spinalis. 500mal vergrössert.
Ventrale Nerven und Myotome von der Körperwand eines Acanthias-
embryo von 23 mm Länge. 62 mal vergrössert.
Ventrale Nerven und Myotome von der Körperwand eines Acanthias-
embryo von 26 mm Länge. 62 mal vergrössert.
Dorsale Nerven und Myotome von der Körperwand eines Acanthias-
embryo von 23 mm Länge. 50mal vergrössert.
Dorsale Nerven und Myotome von der Körperwand eines Acanthias-
embryo von 30 mm Länge. 50mal vergrössert.
Dorsale Nerven und Myotome von der Körperwand eines Acanthias-
fötus von 33 mm Länge. © —= N. collector dorsalis. 50 mal ver-
grössert.
Die Nerven der Brustflosse bei Acanthias vulgaris von der tiefen
Fläche präpariert. Essigsäure-Osmium-Färbung. II—XI = 2.—11.
Flossennerv. 5mal vergrössert.
Tafel XXI.
ie. 13, 14 und 15. Die Brustflossennerven bei Acanthias vulgaris von der
tiefen Fläche präpariert. Essigsäure-Osmium-Färbung. 6mal ver-
grössert.
Tafel XXIII.
Alle Bilder stammen von Präparaten mit Essigsäure-Osmium gefärbt
Jaler
DR.
Zwei Radialmuskeln von der Acanthias-Brustflosse mit den gegen-
einander gerichteten Flächen in einer Ebene ausgebreitet. H =
Hauptflossennerv; I = intermuskuläre Nerven. 2 mal vergrössert.
g. 17 und 18. Radialmuskeln von der Fläche gesehen. H — Hauptflossen-
nerv; I —= intermuskulärer Nerv. 6 resp. 2!/2mal vergrössert.
19 und 20. Die Radialmuskeln der Brustflosse von der äusseren Fläche
gesehen. Man sieht, wie die feinen Endäste der intermuskulären
Nerven aus der Tiefe zwischen den Radialmuskeln hervortauchen,
um dann ein Geflecht für jeden Muskel zu bilden. Nach dem
kaudalen Ende laufen dagegen die Nerven über mehrere Muskeln.
61/2 mal vergrössert.
Die mediale Fläche der Brustflosse mit dem Plexus postaxialis
(P.p.) von Braus. 2mal vergrössert.
Die feinen intramuskulären Nerven der Radialmuskeln. 3!/smal
vergrössert.
Brustflossennerven von Raja von der tiefen Fläche dargestellt.
2 mal vergrössert.
Tafel XXIV.
Alle Präparate nach der Essigsäure-Osmiummethode dargestellt.
ig. 24.
Die Nerven der Brustflosse bei Raja von der tiefen Fläche dar-
gestellt. 2 mal vergrössert.
Fig.
Fig.
Fie.
Fig.
Fie.
Das periphere Nervensystem bei den Selachiern. 375
25. Die Nerven der Brustflosse bei Raja von der tiefen Fläche dar-
gestellt. Die Hauptnerven haben sich geteilt. Jedes Paar von
Nerven (n) gehört zu einem Hauptnerv. 5mal vergrössert.
26. Die Nerven der Brustflosse bei Raja von der tiefen Fläche gesehen.
N. = Hauptnerv; N.i. = N. intermittens. 10mal vergrössert.
. 27. Die Nerven der Brustflosse von Acanthias auf dem Skelette liegend
dargestellt. 2 mal vergrössert.
28. Die Nerven der Bauchflosse bei Raja von der tiefen Fläche dar-
gestellt. 2 mal vergrössert.
. 29. Die Nerven der Bauchflosse bei Raja von der tiefen Fläche gesehen.
Man sieht die Hauptnerven und die davon ausgehenden Aste nebst
einem diffusen, in der Fascia belegenen Netz. 12mal vergrössert
Tafel XXV.
Alle Figuren stellen Bielschowsky- Präparate dar.
30, 31, 32 und 33 stellen die Nerven der Brustflosse dar bei Acanthias
embryonen von resp. 20, 23, 27 und 40 mm Länge.
34 und 35. Muskelknospen mit ihren Hauptnerven in den Brustflossen
von Acanthiasembryonen von 27 mm Länge.
Tafel XXV1.
. 86, 37 und 38. Die Brustflossennerven mit ihren verschiedenen Enden
bei Acanthiasembryonen von 27 mm Länge.
. 39 und 40. Brustflossennerv vom Acanthiasembryo von 27 mm Länge.
K = Endkeulen.
41 und 42. Muskelknospen und Nerven in der Brustflosse beim Acanthias-
embryo von 20 mm Länge.
45. Muskelknospe und Nerv in der Brustflosse vom Acanthiasembryo
von 23 mm Länge. Die feinen auswachsenden Nerven in ihren
Verhältnissen zu den Knospen und dem Mesenchym.
44. Muskelknospen und Nerv in der Brustflosse vom Acanthiasembryo
von 26 mm Länge. Die Bildung der ersten Nerven (N) zu den
geraden Knospen.
Tafel XXVIl.
Alle Figuren sind nach Bielschowsky- Präparaten gezeichnet.
45, 46 und 47. Muskelknospen und Nerven vom Acanthiasembryo von
26—30 mm Länge. Die Bildung der Nerven zu den geraden
Knospen und das tiefe Grundgeflecht. K — Basalkegel.
48, 49 und 50. Nerven und Radialmuskeln in der Brustflosse bei
Acanthiasembryonen von 35—40 mm Länge Die Bildung der
perimuskulären Geflechte. K — Basalkegel.
5l und 52. Teile der perimuskulären Geflechte in der Brustfiosse bei
Acanthiasembryonen von 40 mm Länge.
376 Erik Müller: Das periphere Nervensystem bei den Selachiern.
Fig. :
Fig.
58.
Tafel XXVII.
Ein Teil des tiefen Grundgeflechtes der Brustflosse beim Acanthias-
fötus von 9 cm Länge. II, III, IV und V = der zweite, dritte,
vierte und fünfte Flossennerv.
Ein Teil des tiefen Grundgeflechtes der Brustflosse beim Acanthias-
fötus von 9 cm Länge. N — Flossennerven; im N — intramuskuläre
Nerven.
Längsschnitt durch Radialmuskeln von der PBrustflosse eines
Acanthiasfötus von 9 cm Länge. Bildung der intramuskulären
Nerven (imn): iN = intermuskuläre Nerven.
und 57. Radialmuskeln und Nerven von den PBauchflossen der
Acanthiasembryonen von 40 mm Länge.
Die Muskeln und Nerven der ersten Dorsalflosse bei einem
Acanthiasembryo von 40 mm Länge.
377
Zur Frage über die Folgen der Unterbindung des
Wurmfortsatzes beim Kaninchen.
Von
Dr. L. W. Ssobolew aus Petersburg.
Zur Fortsetzung meiner früheren Arbeit über dasselbe Thema
habe ich noch einige Experimente nach einer schon damals aus-
gesprochenen Idee (Archiv f. mikr. Anat., Bd. 62, 1903) ausgeführt.
Um den Einfluss der Unterbindung und der funktionellen Aus-
schliessung des Wurmfortsatzes auf die übrigen Gedärme zu
prüfen, hielt ich jetzt die Tiere noch längere Zeit am Leben.
Die Resultate der nicht zahlreichen Experimente gestatte ich
mir doch zu veröffentlichen, da ich nichts über ähnliche Versuche
kenne und da die Ausführung dieser Experimente überaus schwierig
ist. Wenn man z. B. die Operation an den neugeborenen Tieren
zu spät vornimmt, so haben schon die Jungen viel Milch gesogen
und diese Milch befindet sich im Coecum. Wenn ich dann die
Ligatur an der Übergangsstelle vom Coecum in den Wurmfort-
satz anlegte, entwickelte sich eine diffuse oder circumscripte
Peritonitis, an welcher die Tiere starben. Es ist auch schwer
ein Kaninchenweibehen zu bekommen, welches immer sorgfältig
seinen Wurf, auch die operierten Jungen, pflegt.
Ich verfügte über fünf Paar Tiere: fünf operierte und fünf
Kontrolltiere vom selben Wurf. Vom ersten Paare lebten die Tiere
29 Tage. Das operierte starb an einer narbigen Darmstriktur.
Seine Gedärme unterschieden sich nur wenig von denen des Kontroll-
tieres und zwar waren sie um 24 cm kürzer als bei diesem.
Das operierte Tier des zweiten Paares starb aus einer un-
bekannten Ursache nach 50 Tagen während der Ferien. Das zu
ihm gehörige Kontrolltier wurde gleichzeitig getötet und die
(redärme von beiden gemessen und konserviert. Jetzt fanden
sich folgende Verhältnisse:
Operiertes Tier Kontrolltier
Dünndarm . . 189 175
Coecum 7 15
Appendix . . . 12 (mit ein. Teil d. Coecum) 7!/s
Dickdarm . 12 72
Gesamtlänge 280 9721)
378 L.W.Ssobolew:
Das dritte Paar wurde nach 343 Tagen getötet. Das
operierte Tier wog 100 gr mehr, hatte aber augenscheinlich eine
schlechtere Ernährung; sein Bauch war evident grösser. Bei der
Sektion fand sich der Wurmfortsatz durch die Ligatur abgetrennt.
Der Magen und die Gedärme fielen durch ihre weit stärkere
Füllung auf. Auch die leeren kontrahierten Strecken des Dick-
darms zwischen den Kotkugeln waren dicker als beim Kontroll-
tiere. Die Länge der einzelnen Darmabschnitte war bei dem
operierten Tiere ebenfalls grösser, wie es aus der Tabelle er-
sichtlich ist.
Operiertes Tier Kontrolltier
Dünndarm... 48 283,5
Coecum 2 7P1 7: 33,5 30
Appendix! 2a N SSR 4 9
Diekdarm "2 Er 35 1265
Gesamtlänge 518,5 443,5
Das vierte Paar lebte 427 Tage. Beide Tiere waren gut
ernährt und hatten dasselbe Gewicht. Die Ligatur trennte den
unteren Teil des Fortsatzes ab; dieser Teil stellte eine Blase
dar mit dünnen durchsichtigen Wänden und einem dünnflüssigen
schleimigen Inhalt; oberhalb der Ligatur blieb noch ein 1,5 cm
langes Stück des unveränderten Wurmfortsatzes. In der Dicke
und Füllung der Gedärme bemerkte ich keine Unterschiede. Die
Länge war aber wieder beim operierten Tier grösser.
Operiertes Tier K.ontrolltier
Dünndarm... wemrnser 244 209
Boseum- .. me 2] 3555
Appendis- .. 1. geeer: 15-3 6
Dickdarm... 2 22 Fre 1-15 62
Gesamtlänge 344,5 302,5
Das fünfte Paar lebte 572 Tage. Das operierte Kaninchen
hatte wieder dasselbe Gewicht und eine etwas schlechtere Er-
nährung bei etwas grösserem Bauche als das Kontrolltier. Die
Wand des Wurmfortsatzes oberhalb und unterhalb der Ligatur-
stelle ist beinahe gleichdick. Diese Stelle erkennt man an einer
kleinen Einschnürung; die Ligatur selbst fehlt. Die Füllung der
Därme, besonders des Coecum, und die Dicke der kontrahierten
Bezirke des Dickdarms war auch grösser; die Dicke der auf-
geschnittenen Darmwand ist aber bei beiden Tieren gleich. Dem-
Die Folgen der Unterbindung des Wurmfortsatzes. 379
zufolge ist diese Verdickung der kontrahierten Bezirke nur der
Ausdruck der grösseren Flächenausdehnung des Darmrohres.
Öperiertes Tier Kontrolltier
Dünndarm Alla. van: 928 311
Coceuma ll. Yraın "40 35
APDENIISER EMDEN: 1 10
Diektamn mE NER T36 136
(Gesamtlänge 505 492
Die Längenverhältnisse sind wieder derselben Art, — bei
dem operierten Tiere ist der Darm länger.
Auch in diesem Falle wie in den übrigen konnte ich keinen
mit blossem Auge sichtbaren Unterschied im Bau der Darmwand
bemerken. Ebenfalls sah ich keinen Unterschied in der Zahl und
Grösse der Iymphatischen Bildungen. Mikroskopisch sah ich auch
keine Abweichungen im Bau der Darmwand sowie der Lymphkörper.
In der Literatur fand ich keine Erwähnung über ähnliche
Versuche. Die Länge des Darmkanals bei den normalen Kaninchen
ist bei Krause und Tarenetzky, in einer Arbeit von Crampe
und im Lehrbuch der vergleichenden Anatomie von Cuvier an-
gegeben. Nach diesen Angaben soll diese Länge in weiten Grenzen
wechseln: der Dünndarm von 1,970 bis 3,192 em; der Dickdarm
von 0,920 bis 1,215 em; das Coecum von 0,324 bis 0,510 cm.')
Es variiert also die Darmlänge bei den Tieren derselben Species
in hohem Maße wie die übrigen körperlichen Eigenschaften; nach
Crampe kann sie sogar das Doppelte erreichen. Crampe sagt
weiter, dass die Nachkommen derselben Eltern nur selten gleich
langen Darmkanal haben. „Es ist hierbei zu unterscheiden die
absolute und die relative Darmlänge. Absolute Gleichheit wird
häufiger gefunden, als relative. In den meisten Fällen besitzen
einige Nachkommen desselben Wurfs absolut oder relativ gleich
lange Eingeweide; die übrigen zeigen bald grössere, bald geringere
Unterschiede und zwar sind solche von 1:1,5 bis 1:1,7 nicht so
selten, als man vielleicht anzunehmen geneigt sein würde.“ Diese
Beobachtungen könnten scheinbar die Bedeutung meiner Mit-
teilung vollständig vernichten. Die Unterschiede, welche ich
beobachtete, liegen nicht ausserhalb der Grenzen der individuellen
Schwankungen und könnten einfach als solche erklärt werden.
!) Meine Zahlen sind oft grösser.
380 L. W.Ssobolew: Die Folgen der Unterbindung etc.
Aber in meinen Fällen waren sämtliche Abweichungen nur ein-
seitig, — der Darmkanal hatte bei den operierten Tieren eine
grössere Flächenausdehnung. Nur beim ersten Paare, welches
nach der Operation nur 29 Tage lebte, war der Darmkanal des
Kontrolltieres um 24 cm länger und eher breiter als beim
Öperierten. Man kann es dadurch erklären, dass der Einfluss
der Operation sich in dieser kurzen Zeit noch geltend machte in
einer die Entwicklung des Darmes hemmenden Wirkung. Diese
Wirkung übte vermutlich denselben Einfluss auf die Entwicklung
des Darmes auch bei den übrigen Tieren, und wenn die Ver-
längerung doch beobachtet wird, so ist sie durch diesen hemmenden
Einfluss noch beschränkt.
Da bei den übrigen Tieren die Länge des Darmkanals mit
der Zeit zunimmt, so ist es doch nach den Angaben desselben
Forschers Crampe leicht erklärlich, wenn man zugibt, dass die
verdauende Kraft des Darmkanals herabgesetzt ist. Das Tier
versucht diese Herabsetzung durch das Fressen einer grösseren
Menge von Nahrung zu kompensieren. Dies führt aber zur Ver-
grösserung der Darmschleimhautfläcke.e. CGrampe schreibt auf
S. 723: „Ein Tier, welches sich bei gehaltlosem Futter in einem
mageren Zustande befindet, verfügt über eine weit grössere Darm-
schleimhautfläche, als ein Tier im Mastzustande. Die Darm-
schleimhautfläche verringert sich in ganz demselben Maße, als
das Tier bei Mastfutter an Gewicht zunimmt.“ Die geringe
Anzahl der Versuche erlaubt mir freilich nicht, diese Schlüsse
als völlig bindend hinzustellen.
Literaturverzeichnis.
.Crampe, H.: Vergleichende Untersuchungen über das Variieren der Darm-
länge und der Grösse der Darmschleimhautfläche bei Tieren einer Art,
Archiv f. Anat., Physiol. und wissensch. Med., 1872.
Custor, J.: Über die relative Grösse des Darmkanales und der haupt-
sächlichsten Körpersysteme beim Menschen und bei Wirbeltieren.
Arch. f. Anat. u. Physiol., Reichert und Du Bois-Reymond, 1873.
Cuvier, G.: Lecons d’anatomie compar6e, T. IV, Paris 1835.
Krause, W.: Die Anatomie des Kaninchens. Leipzig 1884.
Tarenetzky, A.: Beiträge zur Anatomie des Darmkanals. Me&moires de
l’Acad. imper. des sciences St. Petersbourg, T. 25, 1881.
381
Aus dem Biologischen Institut der Königl. Universität Berlin.
(Direktor: Geh. Rat Prof. Dr. Ö. Hertwig.)
Über das Auftreten von Dermocystidium pusula
(Perez), einem einzelligen Parasiten der Haut des
Molches bei Triton cristatus.
Von
Hans Moral.
Hierzu Tafel XXIX.
Durch die Liebenswürdigkeit des Herrn Dr. Weissenberg,
dem ich an dieser Stelle meinen Dank auszusprechen gerne (re-
legenheit nehme, bin ich in den Besitz eines Triton gekommen
der auf seiner Haut einen Parasiten besass. Es handelt sich um ein
ziemlich kräftiges Exemplar unseres gewöhnlichen Triton eristatus,
der allerdings zur Zeit, als ich ihn zuerst sah, bereits einen
ziemlich matten Eindruck machte, seine Bewegungen waren un-
geschickt und auffallend langsam und träge. Nahrung nahm das
Tier nicht mehr an und bot überhaupt das Bild eines in seiner
Gesundheit schwer geschädigten Individuums. Sobald erkannt
war, dass der Triton eine Veränderung seiner Haut zeigte, die
nur als pathologische Bildung aufgefasst werden konnte, wurde
er sofort von den anderen Tieren isoliert aufbewahrt und mehrere
Tage lang beobachtet.
Auf der Haut des Tieres sah man eine Reihe grösserer und
kleinerer Warzen und Erhebungen (cf. Fig. 1), die bedeutend
grösser waren als die normalen Drüsenwarzen. Diese kleinen
Knötchen waren annähernd gleichmässig über die ganze Haut des
Tieres verbreitet, standen aber da, wo sie sich fanden, immer in
kleinen Haufen beieinander. Der Rücken liess am meisten der-
artiger Knötchen erkennen, die etwa die drei- bis vierfache Grösse
einer normalen Drüsenwarze besassen. Die Farbe der Knötchen
schwankte zwischen braun, schwarz und weisslich. Die Extremitäten
zeigten vorwiegend braune Knötchen, und hier fanden sie sich
besonders an den Seiten und den dorsalen Teilen. Die Bauchseite
des Tieres war bei Lupenvergrösserung betrachtet ziemlich frei
von derartigen Neubildungen. Gleich am ersten Tage wurde eines
382 Hans Moral:
der Knötchen geöffnet und an dem angefertigten Ausstrichpräparat
konnte man bereits erkennen, dass es sich um einen kleinen
offenbar einzelligen Parasiten handeln müsse.
Von P&rez ist im Jahre 1907 ein solcher Parasit gefunden
und auch kurz beschrieben worden. Die Ähnlichkeit zwischen
dem Befund von Perez und dem meinigen war eine so grosse,
dass ich vermutete, es handele sich um denselben Parasiten.
Dies wurde mir dann auch von Herrn Prof. Dr. Perez, der so
freundlich war, meine Präparate anzusehen, bestätigt, wofür ich
ihm auch an dieser Stelle bestens danke. Perez’ Untersuchungen
erstrecken sich auf den Marmormolch: meine Beobachtungen auf
den Triton eristatus. Perez gab dem Parasiten zuerst einen
Namen und nannte ihn Dermocystis pusula, änderte ihn dann
aber und nannte ihn Dermocystidium pusula. Die von
Perez untersuchten Tiere litten nicht sehr in ihrem Allgemein-
zustand, denn nachdem sich der Inhalt der Cysten entleert hatte
und vorübergehend eine kraterförmige Vertiefung der Haut an
jener Stelle entstanden war, heilte alles ab und bald konnte man
den Tieren die überstandene Infektion nicht mehr anmerken. In
der Zeit, da die Uysten sich entleerten, fand P&ärez eine nicht
unbedeutende Phagocytose, speziell beobachtete er polynucleäre
Leukoeyten. Das erkrankte Tier wurde sofort gesondert auf-
bewahrt, um alles das, was sich von der Haut ablöste, sorgfältig
untersuchen zu können. Man fand morgens in dem Glase bald
grössere, bald kleinere Epidermisfetzen, bald braune, bald grün-
liche und graue Klümpchen, die sich teils als abgestossene Para-
siten, teils einfach als abgelöste Epidermis erkennen liessen.
Zunächst erschien auffallend, dass. je älter das Tier wurde, die
Zahl der weissen Knötchen zunahm, die der braunen jedoch von
Tag zu Tag geringer wurde. Später stellte es sich dann heraus,
dass die braunen Knötchen noch von einer mehr oder weniger
dünnen Lage von Epithelzellen überdeckt waren, während in den
weissen Knötchen die Parasiten direkt zutage lagen. Dadurch,
dass der Parasit ziemlich klein ist, eine runde Gestalt hat und
ausserdem in seinem Innern einen stark glänzenden Körper ent-
hält, erklärt es sich auch, dass die Knötchen dann, wenn eine
schützende Decke fehlt, das Licht an den nach Tausenden zählenden
kleinen Parasiten unregelmässig reflektieren und dadurch das
Ganze eine weisse Farbe erhält.
Über das Auftreten von Dermoeystidium pusula. 383
Nach einigen Tagen der Beobachtung wurde dem Tiere das
linke Hinterbein amputiert, um Material aus diesem Zeitabschnitt
noch vom lebenden Tiere gewinnen zu können. Die nun folgende
äusserst langsame Heilung der Wunde tat auch wieder von neuem
dar, dass das gesamte Tier durch den Parasiten in seinem Allgemein-
zustand in sehr schwerer Weise geschädigt war. Von Zeit zu
Zeit wurden einige der Cysten eröffnet und in frischem und
konserviertem Zustande untersucht, immer zeigte sich dasselbe
Bild. Daraus entsprang der Wunsch, künstlich andere Stadien
des Parasiten zu erhalten, aber Versuche durch Fütterung jüngerer
Tiere, speziell Larven, hatten nicht den gewünschten Erfolg,
ebenso wurde durch Überimpfung keine Infektion bei einem anderen
Tiere erzielt. Als Versuchsobjekte dienten Tritonen und Axolotl.
Es wurde ferner versucht, den Parasiten ausserhalb des tierischen
Körpers auf Nährböden zu züchten, und zwar wurde Trauben-
zuckergelatine und ein pflaumensafthaltiger Nährboden benutzt,
die Herr Prof. Hartmann die Liebenswürdigkeit hatte, zur Ver-
fügung zu stellen, wofür ich ihm an dieser Stelle bestens danke.
Auch diese Versuche endigten mit einem negativen Resultate.
Möglicherweise hätte man den Parasiten erst eintrocknen lassen
müssen, um ihn erfolgreich weiter verimpfen zu können.
Perez beobachtete nur ein Stadium seines Parasiten, und
auch er hatte mit der Verfütterung kein Glück, denn er fand
die Parasiten in den Exkrementen der Versuchstiere noch intakt
vor, auch ein Züchtungsversuch in der feuchten Kammer ergab
kein positives Resultat.
Nach einiger Zeit wurde dann das Tier getötet und nun
die einzelnen Teile in verschiedenen Fixierungsmitteln konser-
viert (Fixierungsflüssigkeit nach Flemming. Schuberg,
Schaudin etec.).
Frisch in Wasser aufbewahrt, hielt sich der Parasit nur
relativ kurze Zeit, denn nach einigen Wochen zeigte er ein solches
Aussehen, dass man ihn wohl für untergegangen halten musste.
Was nun die Organe angeht, in denen der Parasit gefunden
wurde, so kann man wohl, ohne zu weit zu gehen, sagen, dass
es sich hier um einen typischen Hautparasiten handelt, wenigstens
habe ich ihn in den inneren Organen nicht beobachten können.
An dieser Stelle möchte ich mir erlauben, auf eine Arbeit
von Alexejeff näher einzugehen, in der er einen Parasiten
354 Hans Moral:
behandelt, der eine gewisse Ähnlichkeit mit dem vorliegenden
hat. Allerdings fand Alexejeff das von ihm beschriebene Tier
nicht in der Haut, sondern im Darm des Triton cristatus und
verwandter Tiere. Ob es sich hier um denselben Parasiten handelt,
ist schwer zu sagen, die Schilderungen sind äusserst ähnlich und
in einer zweiten Publikation, in der die ursprünglich angenommene
Verwandtschaft mit den Flagellaten aufgegeben wird, tritt dies
noch mehr zutage.
Wenn man nun zunächst ein Präparat ansieht, das mittel-
grosse Knötchen im Durchschnitt zeigt, dann sieht man, dass
das ganze Gebilde von vornherein einen in sich abgeschlossenen
Eindruck macht, indem es sich nach allen Seiten gut und deut-
lich gegen die Umgebung abgrenzen lässt (Fig. 2). Das ganze
(Gebilde, das in seinem Innern eine Unmenge kleinster Parasiten
birgt, zeigt auf seiner dem Wirtsgewebe zugewandten Fläche eine
deutliche Membran, die offenbar ziemlich stark gespannt sein
muss, da sie beinahe kreisförmig erscheint und Einkerbungen
und Faltenbildungen nicht zu sehen sind. Diese Membran macht
den Eindruck einer sekundären Bildung und scheint nicht direkt
zum Parasiten zu gehören. Es ruft den Eindruck hervor, als ob
es sich hier um eine Bildung von seiten des Wirtes handelt, indem
dieser sich durch die Schaffung einer solchen Wand gegen den
Eindringling zu schützen sucht, dazu kommt dann noch, dass man
bei genauer Untersuchung finden kann, dass die Hülle nicht ganz
einheitlich gebaut ist, sondern aus einzelnen ganz dicht gelagerten,
parallel verlaufenden Fasern besteht und dass feinste Fäserchen
vom Bindegewebe der Umgebung zu dieser Hülle ziehen und sich
mit ihr verflechten. Für diese Auffassung spricht auch noch das
Verhalten der Bindegewebskerne, denn man beobachtet, dass
allenthalben an die Membran Zellen angelagert sind, und zwar
so, dass sie mit ihrer Längsachse parallel zur Kapseloberfläche
liegen. Diese Zellen sind fraglos Bindegewebszellen und auch als
solche leicht zu erkennen.
Mikrochemisch ist über diese Membran etwa folgendes zu
sagen: Tingiert man das Präparat mit Hämatoxylin-Eosin, so zeigt
die Membran eine deutliche Rotfärbung, die sich in nichts unter-
scheidet von der roten Farbe, die das Bindegewebe der Umgebung
angenommen hat. Einen weiteren Einblick gibt dann die van
Gieson-Färbung, mit der sich diese auch rot färbt, wodurch be-
Über das Auftreten von Dermoecystidium pusula. 385
wiesen ist, dass es sich in der Tat um Bindegewebe handelt; die
Membran nimmt freilich eine etwas dunklere Farbe an, als das
Bindegewebe der Umgebung, ja stellenweise erscheint die Membran
sogar mehr braun. Daher glaube ich mich berechtigt, annehmen
zu können, dass es sich hier um ein Bindegewebe handelt, aber
um ein solches, das zum mindesten in färberischer Beziehung
ein wenig modifiziert ist.
Perez fand auch bestimmte Beziehungen zum Bindegewebe,
ist jedoch der Meinung, dass jene Membran nicht hierzu, sondern
zum Parasiten zu rechnen ist.
Untersucht man nun einen jener kleineren Knoten, so findet
man, dass er überall von Epithel bedeckt ist und dass unter
diesem sich Bindegewebe befindet, in wechselnder Menge, an den
dem Körper abgewandten Teilen immer am wenigsten; an dieser
Stelle sieht man mitunter nur ganz vereinzelte Bindegewebsfasern,
mitunter auch gar keine mehr.
Die Kapsel selbst muss eine ziemliche Festigkeit besitzen.
denn selbst dann, wenn sie bereits gesprungen war und der grösste
Teil des Inhalts entleert ist, auch dann hatte sie beinahe noch
ganz ihre Form behalten. Diese Fähigkeit erklärt sich wohl
unschwer aus dem Umstande, dass die Kapsel aus einer grossen
Menge feinster Fasern zusammengesetzt ist. Sonstige Ver-
änderungen im Bindegewebe habe ich nicht gefunden, auch die
Muskeln, an die die Knoten manchmal anstossen, zeigten keine
Veränderungen gegenüber der Norm. Diese Beziehungen zum
Bindegewebe gaben leider gar keinen Aufschluss über den Infektions-
modus, denn der Umstand, dass man Teile des Knötchens ganz
von Bindegewebe umgeben findet, spricht nicht gegen die oben-
gemachte Anschauung, insofern dies hier sekundär entstanden
sein kann.
Der von der Membran umschlossene Raum ist prall angefüllt
mit lauter kleinen, einzelnen Mikroorganismen; ihre Zahl an-
nähernd zu schätzen, ist ganz unmöglich, einmal, weil sie sehr
dicht liegen und sich dadurch zum Teil gegenseitig verdecken;
denn selbst in 10 « dicken Schnitten muss man durch mehrere
Lagen einander wenigstens zum Teil sich deckender Parasiten
hindurchsehen, dann aber ist auch die Grösse der Knoten eine
so wechselnde, dass man selbst aus der Berechnung der Schnitt-
zahl nur zu einem ganz ungenauen Mittelwert kommen kann.
386 Hans Moral:
Dazu kommt dann noch eine rein technische Schwierigkeit: man
findet nicht selten, dass ausserhalb des Präparates einzelne
Parasiten liegen, und es entzieht sich nun vollständig der Be-
urteilung, wieviel beim Schneiden, Übertragen und Färben auf
diese Weise verloren gegangen sind.
Dass der Parasit ein einzelliges Individuum ist, kann man
am besten aus gefärbten Präparaten erkennen. Gewöhnliche
Hämatoxylinpräparate geben hier schon einigen Aufschluss, Ge-
naueres kann man aber erst dann sagen, wenn mehrere ver-
schiedene Färbungen gemacht sind und man die einzelnen Resultate
miteinander vergleichen kann. In dieser Beziehung gibt von den
angewandten Färbungen die Saffranin-Lichtgrünfärbung die besten
Bilder.
Der einzelne Parasit zeigt im optischen Bilde eine runde
Gestalt, und er muss wohl in der Tat diese Form haben, denn
überall weist er dasselbe Bild auf, ganz gleich, in welcher Richtung
man auf ihn blickt. Die meisten Bilder zeigten den Parasiten so,
wie es etwa den Fig. 3 und 4 entspricht. Der Parasit hat überall
die gleiche Grösse, denn an mehreren Stellen, an denen ich ihn
gemessen habe, konnte ich feststellen, dass sein Durchmesser ca.
6 u beträgt, und die grössten und kleinsten nur ganz unerheblich
von dieser Zahl abweichen. Nur die nach Flemming fixierten
Objekte zeigten zwischen den Parasiten kleine Körperchen, die
ich aber aus weiter unten zu erörternden Gründen als zugrunde
gegangene Parasiten ansehen möchte.
Betrachtet man den Parasiten bei starker Vergrösserung,
so ist das Auffallendste, dass beinahe die ganze Zelle angefüllt
ist mit einem Körper, der so gross ist, dass er alles andere an
den hand drückt und der so sehr das ganze Bild beherrscht,
dass man ihn anfänglich für den wichtigsten Teil hält. Erst bei
genauerer Untersuchung findet man dann alle die Teile, die man
in einem einzelligen Individuum vermutet, und erkennt dann
auch, dass dem Innenkörper trotz seiner imponierenden Grösse
doch nur eine geringe Bedeutung beizumessen ist. Die Membran,
die den Parasiten gegen die Aussenwelt abgrenzt, ist nicht überall
deutlich zu sehen. Zwischen dieser Membran und dem zuvor
genannten Innenkörper findet sich nur ein schmaler Raum von
Protoplasma, in das eine Reihe kleiner Gebilde eingeschlossen ist.
Der Protoplasmasaum ist nicht an allen Stellen gleich breit, viel-
Über das Auftreten von Dermocystidium pusula. 387
mehr ist er dort, wo der Kern sich findet, von mehr als der
doppelten Stärke wie am entgegengesetzten Pole der Zelle.
7/wischen diesen beiden Extremen findet in den Seitenteilen ein
ganz allmählicher Übergang statt. Das Protoplasma scheint mir
eine ganz feinmaschige Struktur zu haben, sofern man die er-
haltenen Bilder nicht als Kunstprodukte ansehen muss. Den ver-
schiedenen Färbemethoden gegenüber verhält es sich einigermaßen
verschieden, im allgemeinen kann man sagen, dass eine besondere
Affinität zu den Farben nicht besteht, denn in fast allen Bildern
zeigt der Protoplasmasaum einen blassen Ton.
An der Stelle, an der das Protoplasma seine grösste Dicke
hat, findet sich ein Gebilde, das sich mit der Safranin-Lichtgrün-
färbung rot tingiert hat und ganz deutlich gegen seine Umgebung
abzugrenzen ist. Dieses Gebilde ist in nicht seltenen Fällen um-
geben von einem hellen Hofe. Man kann wohl, ohne zu weit zu
gehen, dieses sich rot färbende Körperchen als den Kern des
(sanzen ansehen und muss dann den hellen Hof (da für eine
Deutung als Kunstprodukt infolge Schrumpfung keine Gründe
vorliegen) wohl für eine Art Saftraum erklären. Neben dem
sich rot färbenden Kern findet man wohl in allen Präparaten —
mitunter aber äusserst schwer zu sehen — einige viel kleinere
Körperchen, die gleichfalls eine rote Farbe zeigen und die um
so kleiner werden, je weiter sie von dem Kern entfernt sind: ihre
Zahl ist schwankend, man findet meist zwei bis vier auf jeder
Seite. Die Deutung dieser (Gebilde macht nun schon bedeutendere
Schwierigkeiten als die des Kernes selbst: denn wenn man auch
aus der Gleichheit der Färbung mit einiger Sicherheit schliessen
darf, dass diese Körperchen mit dem Kerne in chemischer Be-
ziehung einige Verwandtschaft besitzen, dann kann man daraus
absolut keine Schlüsse ziehen über die biologische Bedeutung
des Gebildes und über den Wert, den sie für den Parasiten
haben. Man muss es zunächst dahingestellt sein lassen, ob diese
Körper dem eigentlichen Kerne gleich erachtet werden müssen
oder ob es Einschlüsse ganz anderer Art sind. Wenn ersteres
zuträfe, dann würde man sich das ganze als Vorstufe für die Ver-
mehrung des Parasiten denken können und das nächste Stadium
wäre das, wo der Parasit in so viel Tochterzellen zerfällt, als er
zurzeit Kerne besitzt. Für diese Auffassung spricht ziemlich
wenig, denn die ganze Zelle macht nicht den Eindruck, als wenn
388 Hans Moral:
sie sich zur Vermehrung anschicken wollte, auch wird man in
diesem Falle eher eine Gleichheit der einzelnen Kerne erwarten
müssen, als eine Ungleichheit. Gegen diese Auffassung spricht
auch der Innenkörper, der offenbar einen Reservekörper darstellt:
dies würde eher mit einem Zustand der Ruhe, nicht aber mit
einem der Zellvermehrung in Einklang zu bringen sein. In
ähnlicher Weise äussert sich auch Perez: „Il s’agit done la,
semble-t-il d’une sorte de spore durable marquand la fin d’une
evolution inconnue.“
Die Biondi-Färbung hat nicht vermocht, in diese Frage
Klarheit zu bringen, denn damit färbt sich der eigentliche Kern
dunkelrot, daneben findet man aber auch jene kleinen Gebilde
in ähnlicher oder gleicher Weise tingiert. Auch die Eisen-
hämatoxylin-Färbung nach Heidenhain hat kein neues Licht
in die Frage gebracht. Mit dieser Färbung nun findet sich der
Kern des Parasiten ganz dunkelschwarz gefärbt, aber auch die
kleinen Körperchen kann man bei deutlichem Zusehen beobachten,
meist sind sie freilich nur schwer zu sehen, mitunter aber be-
obachtet man eine ganz bedeutende Zahl ziemlich gleichmässig
im Protoplasmastreifen verteilt, oft liegen sie der äusseren Membran
ganz dicht an.
Ausser diesen Gebilden findet sich nun noch ganz besonders
jener grosse, schon zu Anfang genannte, ein wenig exzentrisch
gelegene Körper, der weitaus den grössten Teil der Zelle für
sich in Anspruch nimmt und sich mit einer gewöhnlichen Häma-
toxylin-Färbung ein wenig dunkler tingiert als der Protoplasma-
saum, heller aber als der Kern. Dieser Körper erscheint beinahe
ganz und gar rund, mitunter an der Stelle. wo er in die Nähe
des Kernes kommt, ein wenig abgeflacht. Anfänglich machte es
den Eindruck, als ob sich in diesem Körper noch einmal ein
kernartiges Gebilde findet, denn man sah in der Mitte einen
runden Teil, der sich ein wenig anders tingierte als seine Um-
gebung. Das stellte sich dann aber doch als nicht ganz zutreffend
heraus, weil diese dunkle Stelle ihre Grösse änderte, je nachdem
man die Mikrometerschraube bewegte, also wechselte mit der
optischen Ebene, die jeweils eingestellt war. Das erinnerte nun
sehr an das Verhalten der roten Blutkörperchen der Säuger, nur
war das optische Phänomen hier ein umgekehrtes, daher muss
man den Gedanken mit in Erwägung ziehen, ob es sich hier
Über das Auftreten von Dermocystidium pusula. 389
doch vielleicht ganz ähnlich wie bei den Blutkörperchen nur um
eine verschiedene Dicke eines sonst ganz gleichmässig gebauten
Körpers handeln könnte. Da dieser Innenkörper als ein Ein-
schluss in der Zelle angesehen werden muss, so kann das ja
auch sehr wohl möglich sein.
Über die chemischen Verhältnisse dieses Körpers konnte
ich keinen genauen Aufschluss erhalten, und ich kann daher nur
das sagen, was sich aus den verschiedenen Färbungen ergeben
hat. Es sei erwähnt, dass auch P&rez an ein pflanzliches Gebilde
gedacht haben muss, denn er stellte die üblichen Reaktionen auf
Cellulose an, allerdings mit negativem Erfolge. Er fügt hinzu,
dass man daraus keinerlei Schlüsse ziehen dürfe, denn auch bei
Pilzen finde man nicht selten, dass die Reaktion nicht positiv
ausfiele. Auch ich konnte Cellulose nicht nachweisen.
Die van Gieson-Färbung zeigt den Innenkörper ähnlich
gefärbt wie das umliegende Protoplasma, auch hier zeigt er sich
etwas dunkler als dieses. Die Farbe, die der Parasit hierbei als
(ranzes angenommen hat, ist eine rötliche, und erinnert bis zu
einem gewissen Grade an den Farbton, den das Bindegewebe bei
dieser Färbung zeigt, allerdings fehlt das Leuchtende, die Farbe
ist eine mehr stumpfe. Die obengenannten physikalischen Ver-
hältnisse des Innenkörpers treten bei .dieser Färbung weniger
deutlich hervor.
Ganz andere und auf den ersten Blick sehr überraschende
Bilder gibt die Eisenhämatoxylin-Färbung nach Heidenhain,
denn hier sieht man den ganzen Innenkörper mattgrau gefärbt,
während der innerste Teil dunkelschwarz erscheint und dieselbe
Farbe zeigt wie der Kern. Die Gestalt dieses innersten Körpers
ist bei dieser Färbung eine mehr längliche, manchmal auch ein
wenig mehr rund; mitunter erscheint die Figur eingekerbt und
bietet dann ein noch komplizierteres Bild (Fig. 4). Dieser dunkle
Fleck ist grösser als der eigentliche Kern der Zelle.
Der innenkörper färbt sich mit Saffranin-Lichtgrün bei
einigen Parasiten schmutzig rötlich und nicht so schön leuchtend
wie der Kern; bei anderen Parasiten hat er einen mehr grau-
grünen Ton angenommen, in diesem Falle zeigt auch der Parasit
als Ganzes eine ähnliche Tinktion. Übergänge aller Art von der
einen Farbe zur anderen finden sich reichlich und sind wohl am
leichtesten durch die Technik der Färbung zu erklären. In den
Archiv f. mikr. Anat. Bd.81. Abt. I. 26
390 Hans Moral:
Fällen, in denen der Innenkörper rot gefärbt ist, erscheint wieder
der innerste Teil von ihnen dunkler. Hier macht es häufig den
Eindruck, als wenn dieser Teil grösser ist als es zuvor auf Grund
der Eisenhämatoxylin-Färbung schien. Auch mit anderen Methoden
gefärbte Präparate geben da keine neuen Gesichtspunkte.
Es erhebt sich nun sofort die Frage, was das für ein Körper
sein mag und welche Bedeutung ihm beizumessen ist. Nach der
hier gegebenen Beschreibung scheint es mir kaum zweifelhaft,
dass es sich um einen Reservekörper handelt, der vielleicht dazu
bestimmt ist, um in Zeiten schlechter Ernährung als Reservefonds
zu dienen; auch die Möglichkeit einer Concrement-Ablagerung in
das Innere der Zelle darf man nicht aus dem Auge lassen, doch
scheint mir das in Anbetracht der Grösse des Körpers und seiner
runden Gestalt nicht gerade wahrscheinlich. Schliesslich muss
man auch noch daran denken, dass es möglichenfalls Abfall-
produkte des Stoffwechsels der Zelle sein könnten, die hier nicht
nach aussen entleert, sondern im Innern angehäuft wurden.
Wenn es sich wirklich, wie es am wahrscheinlichsten ist,
um einen Nährkörper handelt, so entsteht natürlich sofort die
Frage: woraus mag dieser Nährkörper bestehen? Wie mag er
chemisch zusammengesetzt sein? So viel kann man aus dem
bislang Geschilderten schon sagen, dass es zum mindesten chemisch
kein ganz einheitlicher Körper sein kann, wofür eben das ge-
schilderte Verhalten bei den einzelnen Färbungen spricht. Zu-
nächst muss man daran denken, dass hier ein Fettkörper vorliegen
könnte, was man aber aus dem negativen Ausfall der Flemming-
schen Fixierung und ebenso der Färbung mit Kongorot als aus-
geschlossen ansehen kann. Dass auch Glykogen nicht in Frage
kommt, geht aus dem Verhalten nach der Fixation in wässerigen
Mitteln hervor, denn Glykogen als ein in Wasser äusserst leicht
löslicher Körper wäre unbedingt ausgelaugt worden, statt dessen
findet sich der Innenkörper auch in den so behandelten Präparaten
deutlich vor. Versuche mit Jod, resp. mit Jod und Schwefelsäure
auf Stärke und Cellulose fielen gleichfalls negativ aus. Es bleibt
noch die Möglichkeit, dass es sich um einen Eiweisskörper handelt,
wenngleich auch die Xanthoprotheinreaktion und die Millonsche
Reaktion kein positives Resultat ergaben. Dies will jedoch nicht
viel bedeuten. Denn bei der Dünne des Objektes kann man
geringe Veränderungen in der Farbe leicht übersehen. Der Um-
Über das Auftreten von Dermoeystidium pusula. al
stand, dass es sich in der Tat um einen Eiweisskörper handelt,
findet vor allem eine Stütze in dem Verhalten gegen die einzelnen
Farbstoffe. Wenn man dies nun als zu Recht bestehend annehmen
will, dann muss man auch einen weiteren Schritt gehen und sagen,
dass es sich hier offenbar um zwei verschiedene Eiweißstoffe
handelt, von denen der eine den anderen schalenartig umgibt.
Dieser innerste Eiweisskörper hat offenbar eine runde, kugel-
förmige Gestalt, wie aus den Präparaten hervorgeht. Dies erklärt
nun mit einem Male das eigentümliche Verhalten, das zu Anfang
beschrieben werden konnte. Man stellt sich die Sache nun wohl
am einfachsten so vor: Der innerste dunkelgefärbte Körper hat
eine Kugelgestalt und wölbt dadurch den ihn schalenartig um-
gebenden zweiten Eiweisskörper in der Mitte vor. Hierdurch
kommt es dann, dass man, wenn gerade die Stelle im optischen
Bilde eingestellt ist, an der der höchste Teil jenes kugeligen
Innenkörpers liegt, zunächst nur ganz wenig von dem innersten
Eiweisskörper erkennen kann, in dem das andere zum Teil durch
den äusseren Fiweisskörper, der auch eine graue Farbe ange-
nommen hat, verdeckt wird. In dem Maße nun, wie man die
Bildebene senkt, wird mehr und mehr von dem inneren Eiweiss-
körper sichtbar und es hat dies das oben beschriebene Verhalten
von der Veränderung der Grösse des innersten Teiles bedingt.
Dies alles ist natürlich nur möglich, solange innerer und äusserer
Eiweisskörper Farben angenommen haben, die durch ihre Intensität
und den Ton nicht alle Konturen verwischen. In dieser Beziehung
muss man auch eine gewisse Vorsicht bei der Aburteilung der
Eisenhämatoxylin-Färbung walten lassen, indem man nicht ohne
weiteres einen Schluss auf die wirkliche Grösse des sich dunkel
färbenden Innenkörpers machen darf.
Hiermit ist im wesentlichen die Beschreibung zu Ende, die
ich von dem Parasiten in gefärbtem und fixiertem Zustande zu
geben habe, und es sind nur noch einige Worte zu sagen über
den Einfluss der auf die Epithelzellen der Haut erkennbar ist.
Dass die Epithelzellen über den Knoten einfach durch Raum-
mangel mechanisch fest aneinander gepresst sind, darf nicht
weiter wundernehmen. Anders hingegen sieht es mit dem Ver-
halten einiger Kerne von Drüsenzellen aus, die in der Nachbar-
schaft des Parasiten gelegen sind; hier macht es mitunter den
Eindruck, als ob die Kerne ein wenig grösser seien als es der
26*
392 Hans Moral:
Norm entspricht, doch wage ich darüber kein definitives Urteil
zu fällen. }
Wenn schliesslich noch Präparate in den Kreis der Unter-
suchung mit hineingezogen werden sollen, in denen der Parasit
angetrocknet auf Glimmerplättchen aufbewahrt wurde, so ist
darüber eigentlich nicht viel zu sagen. Bei der Untersuchung
der ungefärbten Präparate ergeben sich keine neuen Gesichts-
punkte, und auch gefärbt lassen sie nicht mehr erkennen, als
die in Serien geschnittenen Hautstücke.
In Wasser aufbewahrt, halten sich die Parasiten nur sehr
schlecht, sie zeigen unter dem Deckglase, in dem Maße, wie das
Wasser eintrocknet, ebenfalls Eintrocknungserscheinungen und
sind schliesslich kaum mehr in ihrer Form zu erkennen. Nach
der Eintrocknung sind keinerlei feinere Strukturen mehr an ihnen
zu erkennen. Durch Hintanhaltung des Wasserverlustes kann
man die einzelnen Parasiten länger am Leben erhalten.
Bei dieser Gelegenheit muss ich auch noch jener Reihe
von kleinen Körpern Erwähnung tun, die zuerst in Flemming-
Präparaten gefunden sind und die dann später auch in anders
behandelten Objekten gesehen wurden. Diese Körperchen sind
ganz klein, viel kleiner noch als der Parasit und etwa von der-
selben Grösse wie der Kern der Zelle. Sie sind fetthaltig, denn
mit Osmiumsäure färben sie sich ganz dunkelschwarz, müssen
aber auch sonst noch einen die Farbstoffe aufnehmenden Bestand-
teil enthalten, da sie sich mit den meisten Farbstoffen blass
tingieren. Mit Eisenhämatoxylin färben sie sich nicht. Diese
kleinen Körperchen möchte ich eben in Rücksicht auf ihren Fett-
gehalt als zugrunde gegangene Parasiten ansehen; irgend eine
feinere Struktur konnte ich an ihnen nicht finden. Ihre Zahl
ist sehr schwankend.
Wenn nun noch einige Worte über den Platz gesagt werden
sollen, der dem Parasiten in der Systematik zukommt, so muss
zunächst die Frage aufgeworfen werden, ob es sich hier um ein
pflanzliches oder um ein tierisches Individuum handelt. Dies ist
nicht ganz leicht zu entscheiden, denn wenn auch P@rez oftenbar
an ein pflanzliches Gebilde gedacht hat, so entscheidet er sich
doch nicht ganz und lässt die Frage der Systematik ungelöst.
Alexejeff nahm anfänglich an, dass es sich um encystierte
Flaggelaten handele, sah also in dem Parasiten ein tierisches
Über das Auftreten von Dermoeystidium pusula. 333
Individuum. Er änderte dann seine Meinung und sieht in ihm
ein den parasitischen Hefen nabestehendes Gebilde, dem er den
Namen Blastocystis interocola (Alexejeff) gibt.
Erklärung der Abbildungen auf Tafel XXIX.
Fig. 2. a = Cyste mit Parasiten, b = Hautdrüsen, c — kraterförmige
Vertiefung nach Abstossung der Cyste (Lupen - Objektiv, Ok. 12).
Fig. 3a. Saffranin-Liehtgrün (!/ıs Öl-Imm., Ok. 12).
Fig. 3b. Saffranin-Lichtgrün (!/ıs Öl-Imm., Ok. 12).
Fig.3 und 4 k = Kern, p = Protoplasmasaum, i = Innenkörper. Eisen-
hämatoxylin (!/1s Öl-Imm., Ok. 12).
DIA
Aus der Anatomischen Anstalt zu Tübingen.
Über das Chondriom der Pankreaszellen.')
Von
Dr. N. Mislawsky aus Kazan, Russland.
Hierzu Tafel XXX.
I.
Die Entdeckung der Pankreasgranula durch Glaude
Bernard (1856) bezeichnet den Ausgang aller Untersuchungen
über die geformten Sekretmaterialien. Anfangs zwar waren die
Befunde auf diesem Gebiete mehr zufälliger Natur und nicht
allgemein bekannt, so lange, bis R. Heidenhain in der zweiten
Hälfte der sechziger Jahre dem Gegenstande systematische Studien
widmete und die Schicksale der in den Drüsenzellen sichtbar auf-
gestapelten Stoffe in ein festes Verhältnis zur Sekretionsperiode
zu setzen suchte. Diese Untersuchungen erregten seinerzeit
grosses Aufsehen, weil man zum ersten Male die Veränderungen
der Zellen, welche mit ihrer physiologischen Tätigkeit Hand in
Hand gehen, an einem ausgezeichneten Beispiele kennen lernte,
und es entstand daher in den folgenden zwei Jahrzehnten eine
‘reiche Literatur, an welcher neben den Schülern Heidenhains
(Lavdowsky, Grützner etc.) viele andere Autoren beteiligt
waren (Pflüger, Schwalbe, von Ebner, Langerhans,
Nussbaum, Biedermann und besonders Langley). Jedoch
erst Altmann (1890, erste Auflage der „Blementarorganismen“
gab der Sache eine neue Wendung; denn während die älteren
Autoren angenommen hatten, dass die in den Drüsenzellen auf-
tretenden körnigen Materialien tote Reservestoffe seien, bestimmt
zum Aufbrauch während des Verlaufs der äusseren Sekretion,
suchte Altmann darzulegen, dass die Drüsengranula lebendige
Gebilde, Bioblasten, seien, welche an der Hervorbildung der
spezifischen Drüsenprodukte mitarbeiten und sich durch Selbst-
!) Herr Dr. Mislawsky hatte die russische Niederschrift der vor-
liegenden Arbeit im April 1912 vollendet. Die Übertragung ins Deutsche
hat sich indessen verzögert, und so konnte das Manuskript erst zu Beginn
des Winters der Redaktion übergeben werden. M. Heidenhain.
Über das Chondriom der Pankreaszellen. 395
teilung (auf direktem Wege oder vermittelst der „vegetativen“
Fädchen) regenerieren.
Es ist bekannt, dass die weitschichtigen Arbeiten Altmanns
auf dem Gebiete der Drüsenliteratur eine nachhaltige Wirkung
gehabt haben, und dass infolge der von diesem Autor gegebenen
Anregungen besonders die Frage der lebendigen Natur der Drüsen-
eranula, ebenso das Problem ihrer Herkunft eifrig diskutiert
worden ist. M. Heidenhain hat über die Resultate der in Rede
stehenden Arbeitsperiode, zum Teil fussend auf seinen eigenen
Untersuchungen (Beckendrüse, Giftdrüsen etec.), in seinem Werke
über „Plasma und Zelle“ ein ausführliches Referat gegeben und
als Summe der damaligen Erfahrungen festgelegt (1906), dass
die Geschichte der Granula in zwei Perioden zu gliedern ist, eine
erste, während der sie assimilieren und wachsen und demgemäss
als lebendige Organellen der Zelle sich verhalten, und eine zweite
der Auflösung und des Zerfalls, in deren Verlauf ihre stofflichen
Bestandteile in das flüssige Sekret übergeführt werden.
Jedoch die intimste Seite der Geschichte der Granula, nämlich
ihre Herkunft, konnte bis zum heutigen Tage nicht genügend
aufgeklärt werden, und so sind besonders im Anschlusse an die
Untersuchungen über die Chondriosomen in den letzten Jahren
abermals eine grössere Reihe von Untersuchungen erschienen,
welche sich mit diesem Gegenstande befassen. Diese Frage hat
mein Interesse erregt, und ich will mit der vorliegenden Arbeit
versuchen, der neueren Entwicklung der Dinge zu folgen.
Es ist klar, dass, wenn die Drüsengranula zunächst lebendige
Örganellen der Zelle sind, zu ihnen Muttergebilde gesucht werden
müssen, von denen sie abstammen. In dieser Richtung bemühen
sich die Anstrengungen der neueren Autoren. Ich kann nun für
meinen Teil darauf verzichten, eine ausführliche referierende
Übersicht über die Abstammungsfrage im allgemeinen zu geben,
da sich meine Arbeit im wesentlichen auf das problematische
Verwandtschaftsverhältnis zwischen Chondriosomen und Drüsen-
eranula bezieht. Es mag uns vielmehr genügen, festzustellen,
dass a priori betrachtet eigentlich nur drei Möglichkeiten der
Auflösung der Abstammungsfrage gegeben sind, welche ich wie
folgt aufrechne.
1. Die kleinsten Anlagen der Granula könnten ein
konstantes histologisch sichtbares Element der Zellstruktur
396 N. Mislawsky:
sein, indem sie sich nach dem Altmannschen Prinzip „omne
granulum ex granulo“ vermehren; sie würden alsdann, um einen
neueren Ausdruck zu gebrauchen, dem Kreise der Teilkörper oder
Histomeren (M. Heidenhain) zugerechnet werden können.
2. Diese Anlagen könnten eventuell auch als das Resultat
einer besonderen Differenzierung innerhalb der optisch gleich-
artigen, jedoch lebenden Grundmasse der Zelle zur Erscheinung
kommen, eine Eventualität, welche schon Altmann (vergl.
M. Heidenhain, Plasma und Zelle, Bd. 1, S. 395) ins Auge
gefasst hatte, nachdem er schliesslich zu der Ansicht gekommen
war, dass die homogene Grundsubstanz der Zelle (das „intakte
Protoplasma“) aus unsichtbaren Granulis oder Bioblasten sich
zusammensetze. Diese Auffassung würde mithin dem Sinne nach
eventuell mit der These unter 1. zur Deckung gebracht werden
können.
3. Die kleinsten sichtbaren Anlagen der Granula könnten
sich schliesslich auch von besonderen präexistenten histo-
logisch bestimmt geformten Strukturteilen der Zelle ab-
leiten. In diesem Falle kommnn den Umständen nach nur die
verschiedenartigen Formen der Plasmafilamente in näheren Betracht.
Diese letztere Vermutung ist es, welche in den jüngst ver-
gangenen Jahren wiederum im Vordergrunde der Diskussion ge-
standen hat, und zwar waren es die fadenförmigen Chondriosomen
oder Chondriokonten von Meves, denen zuerst die franzö-
sischen Autoren, später andere, eine hervorragende Rolle in der
Bildung des geformten Sekretmateriales zugeschrieben haben.
Über die Untersuchungen, welche in dieser Richtung sich be-
wegen, erlaube ich mir im folgenden eingehend zu referieren,
da es mein hauptsächliches Bestreben gewesen ist, die ein-
schlägigen Angaben der Autoren an einem günstigen Objekte,
dem Pankreas, zu kontrollieren.
Alle Bemühungen auf dem in Frage stehenden Felde gehen
schliesslich auf die älteren Arbeiten Bendas zurück. Benda
war der erste Autor, der in den Zellen eines Drüsenorgans,
nämlich der Niere, Strukturen von mitochondrialem Charakter
auffand (1903). Nach seiner Meinung bestehen nämlich die be-
kannten von R. Heidenhain entdeckten Stäbchen des Nieren-
epithels aus mitochondrialer Substanz. Ihm folgend, haben M. und
P. Bouin (1905) das Vorkommen der Chondriosomen in den
Uber das Chondriom der Pankreaszellen. 397
serösen Zellen der Speicheldrüsen festgestellt und den Versuch
gemacht, diese Bildungen mit dem „Ergastoplasma“ von Garnier,
bezw. den „Basalfilamenten“ von Solger zu identifizieren.
Nachdem dieser Anfang gemacht war, erschienen in schnellerer
Folge eine ganze Anzahl von Mitteilungen, durch welche die all-
gemeine Verbreitung der teils körnchen-, teils fadenförmigen
Chondriosomen in den Drüsenzellen festgestellt und der Versuch
gemacht wurde, die spezifischen Granula der Genese nach von
jenen abzuleiten.
So haben Regaud und Mawas (1909, I, II, III) bei einer
ganzen Reihe von Säugetieren (Mensch, Hund, Katze, Esel) in
den serösen Zellen der Speicheldrüsen das Vorhandensein eines
mitochondrialen Apparates nachweisen können. Dieser besteht
hier nach den Mitteilungen der Autoren aus einer Summe von
Fäserchen, welche nach ihrer morphologischen Beschaffenheit zu
den Chondriokonten von Meves gehören und mit den vegetativen
Fäserchen von Altmann identisch sind. Weiterhin haben diese
Autoren ganz richtig dargetan, dass die gedachten Fädchen mit
den Basalfilamenten von Solger oder dem Ergastoplasma von
(Garnier gar nichts zu tun haben, sondern mit letzteren
Strukturen koexistent und demgemäss im Verhältnis zu ihnen
interstitiell gelagert sind. Es gelang ferner den erwähnten
Autoren, Veränderungen in der Form und in der Verteilung der
Uhondriokonten im Verlaufe der verschiedenen Stadien der Tätig-
keit der sezernierenden Zelle zu beobachten. „Ces elements“,
sagen Regaud und Mawas zum Schluss ihrer letzten Arbeit,
„presentent des varlations connexes aux variations des grains de
segregation; ces varlations sont cycliques: elles traduisent les
phases et l’alternances fonctionnelles des cellules. En passant
du minimum au maximum d’accumulation du mat£riel elabore et
inversement, les phönomenes secretoires se succedent ainsi: for-
mation de plastes le long des filaments (sc. mitochondriaux), trans-
formation des plastes en grains de segregation independants des
filaments, et maturation des grains; dissociation, au moment de
lexeretion, de la substance a exereter et du substratum plastique,
qui est probablement r&ecoupere“ (1909, III). Auch O. Schultze
(1911) kam auf Grund seiner Beobachtungen über die Zellen der
Glandula parotis bei der Maus zu dem Schluss, dass die faden-
förmigen Elemente des Chondrioma fähig sind, auf dem Wege der
398 N. Mislawsky:
Segmentierung und der weiteren Umwandlung der entstehenden
Fragmente die serösen Drüsengranula zu liefern.
Weiterhin gelang es Guieyesse-Pelissier (1911) mito-
chondriale Bildungen bei der Submaxillaris der Maus nachzuweisen.
Eine wirkliche Umwandlung der Elemente des Chondrioms in
Sekretgranula beobachtete er jedoch nicht, denn er war ausser
stande, bei der Differenzialfärbung der Chondriosomen und der
Sekretgranula mittels der kombinierten Methode von Sjövall
und Altmann das Vorhandensein von Übergangsformen fest-
zustellen. Obwohl nun der Autor im Prinzip den genetischen
Zusammenhang zwischen beiden Körperklassen für durchaus mög-
lich hält, entschliesst er sich doch nicht, sich positiv dafür aus-
zusprechen.
In den Epithelzellen der Pflügerschen Tubuli der Speichel-
drüsen wurde die Existenz des mitochondrialen Apparates zuerst
von Regaud und Mawas (1909, III) festgestellt. Diese Autoren
kamen zu dem Schlusse, dass an dem genannten Orte die seit
Pflüger bekannte basale Streifung durch die Gegenwart der
Chondriosomen bedingt wird, eine Ansicht, welcher OÖ. Schultze
später beitrat.
Das Chondrioma der Pankreaszelle, welches zuerst von Hoven
(1910) beim Kaninchen beschrieben wurde, ist späterhin in den
Arbeiten von Champy (1911, Batrachier, Hund) und OÖ. Schultze
(l.e., Frosch) näher besprochen worden. Ich nehme davon Ab-
stand, auf die von diesen Autoren erzielten Resultate schon jetzt
näher einzugehen, da das Pankreas der Gegenstand meiner vor-
liegenden Arbeit ist und ich mich mit den genannten Autoren
weiter unten im einzelnen auseinandersetzen werde. Einstweilen
begnüge ich mich damit, zu erwähnen, dass diese Autoren die
Anlagen der Granula von Olaude Bernard aus den Öhondrio-
konten durch deren körnige Metamorphose hervorgehen lassen.
Die Chondriosomen der Leberzellen wurden besonders eifrig
von den französischen Autoren studiert: man untersuchte nicht
nur ihre morphologische Erscheinungsweise, sondern auch ihre
Veränderungen unter verschiedenen biologischen Bedingungen
ebenso wie ihre chemische Zusammensetzung. Policard (Frosch
und Säugetiere, 1909, I und II) fand, dass das Chondriom der
Leberzelle aus einer Summe kurzer Fädchen oder Chondriokonten
besteht, die mit den Elementarfädchen von Altmann beim Frosch
Über das Chondriom der Pankreaszellen. 399
und den von Landsteiner (zitiert nach Policard) bei Säugern
beobachteten analogen Bildungen identisch sind. Beim Frosch
konnte Policard irgendwelche besonderen Veränderungen des
Chondrioms, welche etwa mit der Sekretbildung in Zusammenhang
gebracht werden könnten, nicht konstatieren; bei den Säugetieren
jedoch fand er, dass die Uhondriokonten durch Fragmıentierung
und weitere Veränderung in schwach färbbare grosse Granula
spezifischer Art übergehen. In einigen späteren Mitteilungen
(1909, III, 1910, 1912, I) berichtet Policard unter anderem
über das Verhalten des Chondrioms der Leberzelle bei Intoxi-
kationen und bei hohen Temperaturen, ebenso bei der Autolyse
nach dem Tode. Als besonders bemerkenswert hebe ich hervor,
dass unter den erwähnten Bedingungen die Degeneration, bezw.
rückläufige Veränderung des Chondrioms der Regel nach zu einer
körnigen Verwandlung desselben führt, welche jedoch nicht durch
Zerfall, sondern durch Zusammenziehung und entsprechende Ab-
änderung der Elementarfädchen zustande kommt. Mit diesen Ver-
änderungen der äusseren Form sollen auch solche der chemischen
Zusammensetzung Hand in Hand gehen, welche an einer Abnahme
der Färbbarkeit in den zentralen Teilen der Chondriosomen
kenntlich werden. Gelegentlich kam es unter den gleichen Be-
dingungen zu einer völligen Auflösung des Chondrioms:; hierbei
nahm das ganze Protoplasma die charakteristische Färbbarkeit
der mitochondrialen Substanz an.
In diesen seinen letzten Mitteilungen (1912, II und III) be-
richtet Policard noch einmal ergänzend und zusammenfassend
über die zahlreichen Verwandlungen der Chondriosomen, welche
im normalen Verlauf der Dinge zustande kommen. Nach seiner
Meinung können sie durch die besondere Mittelform der „plastes“
(Plastiden) in Sekretgranula oder in Fettröpfchen übergehen, ja
sogar kristallinische Blutpigmente in sich speichern.
N. Fittinger und Lyon-Caen (1910) kamen auf Grund
ihrer eigenen Beobachtungen zu dem Schluss, dass die Sekret-
granula und die Fettröpfchen sich in der Leberzelle auf Kosten
der Elemente des Chondrioma hervorbilden. Auch Prenant sah
die Fettröpfehen der Leberzelle bei Batrachiern auf die gleiche
Weise entstehen, wofür er folgendes Verwandlungsschema fest-
stellt: Chondriokonten — Chondriomiten — Mitochondrien —
Plastiden („plastes“) — Fettröpfchen.
400 N. Mislawsky:
Was die Niere betrifft, so hat Policard (1905, I und H),
anknüpfend an die älteren Untersuchungen Bendas, bestätigt,
dass die sezernierenden Zellen dieses Organs mitochondriale
Bildungen enthalten, welche nach der Auffassung der genannten
Autoren den von R. Heidenhain entdeckten Stäbchenformationen
zugrunde liegen sollen. Auch hat Policard einige Variationen
in der Verteilung und in der Form der Chondriosomen bei den
Epithelien identischer Drüsenabschnitte nachweisen können und
hält demnach diese Varianten für solche, welche mit der funk-
tionellen Tätigkeit des Organs in Zusammenhang stehen, obgleich
er dies im einzelnen nicht genauer feststellen konnte. Jedenfalls
lehnt der Autor es ab, den mitochondrialen Stäbchen mit Benda
motorische Funktionen zuzuschreiben. » Ihre Beteiligung am
Sekretionsprozesse sucht Regaud bei der Schlangenniere in
genauerer Weise zu ermitteln. Hier enthalten die Drüsenzellen,
wie vielfach bei niederen Wirbeltieren, charakterische Granula,
welche nach Regaud einer formativen Tätigkeit des Chondrioms
ihre Entstehung verdanken. Nach seiner Vorstellung bilden sich
die Granula längs dem Chondriokonten in Form sehr feiner
Körperchen, die später, nachdem sie den ganzen Zyklus der Aus-
reifung durchgemacht haben, während der sekretorischen Phase
der Zelltätigkeit, nahezu verschwinden, indem sie nur ein blasses,
sich schwach färbendes Substrat hinterlassen.') Endlich hat auch
O0. Schultze die Nierenepithelien von neuem untersucht und
bezieht mit den vorgenannten Autoren die R. Heidenhainsche
Plasmastreifung der Zellen auf die Gegenwart der mitochondrialen
Substanz.
H. Hoven (1911) beschäftigt sich in einer neueren Arbeit
mit dem Chondriom der Milchdrüse und sucht dessen Beteiligung
am Sekretionsprozesse nachzuweisen. Entsprechend der Dar-
stellung, welche der Autor schon früher vom Pankreas gegeben
hatte, sollen auch hier die Chondriokonten durch Fragmentierung
zerfallen. Die auf diese Weise entstehenden feinen Körperchen
verwandeln sich fernerhin einesteils in Sekretgranula, andernteils
in Fettröpfehen. Von ersteren leitet der Autor das Kasein der
Milch ab.
Auch die Hauptzellen der Magendrüsen enthalten nach
Regaud (1908, I) die Elemente des Chondrioms; diese sollen
1) Siehe die oben referierte Arbeit vonRegaud undMawas (1909, III).
Über das Chondriom der Pankreaszellen. 401
nach einer Untersuchung von O. Schultze an der Sekretbildung
teilnehmen, und zwar wiederum in der Art, wie dies zuerst von
Hoven für die Drüsenelemente des Pankreas dargelegt wurde.
Es sollen also die Chondriokonten sich fragmentieren und alle
Übergangsstadien zwischen den Fragmenten und den wahren
Drüsengranula auffindbar sein. O. Schultze hat auch in der
Glandula thyreoidea die Anwesenheit des Chondrioms festgestellt.
Weiterhin hat Mulon (1910, I und I, i912) die Gegen-
wart der Chondriosomen in den Nebenvierenzellen festgestellt
und sich dafür ausgesprochen, dass sie im ganzen Bereiche des
Organs bei der Ausarbeitung der spezifischen Drüsenprodukte
beteiligt sind.
Endlieh sind in der Glandula parathyreoidea die Chondrio-
somen von G. Bobeau (1911) beschrieben worden; hier sollen
nach des Autors Meinung die lipoiden Einschlüsse der Drüsen-
zellen aus der mitochondrialen Substanz sich hervorbilden.
Anschliessend an die vorstehende Darlegung betreffend die
Beteiligung der Ohondriosomen am Sekretionsprozesse möchte ich
hervorheben, dass nach der Ansicht einiger neuerer Autoren ihnen
auch noch andere Stoffwechselfunktionen zukommen. So z. B.
kann jetzt in der Literatur eine Richtung beobachtet werden,
nach welcher den Uhondriosomen auch eine Absorptionsfunktion
bei der Assimilation verschiedener in der Umgebung der Zelle
befindlicher Stoffe zugeschrieben wird. Diese Funktion hat Regaud
(1909, 1911) mit dem angeblichen Lipoidgehalt der Chondriosomen
in Verbindung gebracht.
Der Autor stützt sich zunächst auf den Umstand, dass
mancherlei Stoffe, deren die Zelle für ihren Haushalt bedarf, in
Lipoidsubstanzen lösbar sind. Andererseits glaubt er in genügendem
Maße nachgewiesen zu haben, dass die mitochondrialen Bildungen
mikrochemisch eine Kombination von Eiweiss- und Lipoidstoffen
darstellen. Daher ergibt sich für den Autor unter Berück-
sichtigung der grossen Verbreitung der Chondriosomen in Zellen
aller Arten, ferner unter besonderer Berücksichtigung ihrer
zyklischen Veränderungen während des Sekretionsprozesses der
Schluss, dass „les formations mitochondriales sous les organites
intracellulaires, charges de l’extraction et de la fixation dleetives“.
402 N. Mislawsky:
Zu demselben Resultate kam auch Dubreuil (1911) auf
(Grund seiner Untersuchungen an Fettzellen. Ferner macht Champy
(1911) den interessanten Versuch, die Resorption im Darmkanale
mit der physiologischen Leistung der Uhondriosomen in Zusammen-
hang zu bringen, wobei ihn der Gedanke leitet, dass nach einer
alten Vorstellung die wesentlichen Vorgänge bei der Sekretion
und Resorption die nämlichen sind. Die Rolle des Chondrioms
der Darmepithelien ist auch von Arnold (1911) behandelt worden,
und zwar auf Grund von Untersuchungen über die Resorption der
Kohlehydrate.
In der vorliegenden Abhandlung veröffentliche ich einen
Teil: der Resultate, die ich am Pankreas der Nager erzielte; meine
Beobachtungen erstreckten sich jedoch vergleichsweise auch auf
die Speicheldrüsen, die Niere, die Leber, die Nervenzellen und
-fasern, sowie einige andere Grewebsarten.
Es ist mir eine angenehme Pflicht, an dieser Stelle Herrn
Prof. M. Heidenhain für die Stellung des Themas und die
Leitung der Arbeit meinen tiefgefühlten Dank auszusprechen.
Ich bitte auch Herrn Prof. Dr. von Froriep für die liebens-
würdige Erlaubnis, in seinem Institut arbeiten zu dürfen, meinen
herzlichsten Dank entgegenzunehmen.
I:
Als Untersuchungsobjekt diente das Pankreas vom Kaninchen
und der Ratte, welches im Hinblick auf die Konservierung bei
diesen Tieren einige Vorzüge vor dem Pankreas der Fleischfresser
an die Hand gibt. Denn letzteres ist (etwa bei Hund und Katze)
voluminöser und muss daher beim Einlegen in die Fixierungs-
flüssigkeit in stärkerem Grade zerstückelt werden. Dies kann
nicht vorteilhaft sein, weil wir mit gutem Grunde annehmen
dürfen, dass die künstlichen Schnittflächen der Stücke einem zer-
störenden Trauma unterlegen haben, während es doch darauf an-
kommt, die äussersten Oberflächen in möglichst gutem Zustande
zu erhalten, da die für die Uhondriosomen bisher angegebenen
Fixierungsmittel nur die äusserste Gewebsschichte in genügendem
Grade erhalten. Das Pankreas von Kaninchen und Ratte stellt
sich jedoch als eine relativ dünne, aus locker miteinander ver-
Über das Chondriom der Pankreaszellen. 405
bundenen Drüsenläppchen bestehende Platte dar, welche in das
Mesoduodenum eingeschlossen ist und in kleinen Abschnitten ohne
Abhebung des Bauchfelles konserviert werden kann.
Indem ich jetzt zur Beschreibung der von mir angewandten
Konservierungsmethoden übergehe, möchte ich auf eine
vergleichende Kritik einiger am häufigsten zur Anwendung
kommenden Verfahrungsweisen etwas näher eingehen. Es handelt
sich nämlich darum, dass, obgleich, wie schon Prenant gezeigt
hatte, die Chondriosomen zuweilen zufälligerweise bei Anwendung
eines beliebigen das Protoplasma fixierenden Mittels erhalten
bleiben, wir dennoch bis jetzt noch kein einziges Verfahren be-
sitzen, welches uns die vollkommene Sicherheit einer tadellosen
Fixierung der Chondriosomen gewährt. In der Tat ist es un-
geheuer schwierig, brauchbare Bilder zu erhalten, weil einerseits
die Substanz der Chondriosomen in vielen der üblichen Fixierungs-
mittel in hohem Grade löslich ist, und weil andererseits die faden-
förmigen Elemente des Chondrioms eine ausserordentliche
Neigung zeigen, in feinere körnchenartige Bruch-
stücke zu zeriallen.
Die zahlreichen Vorschriften für Konservierung der Chondrio-
somen, welche gegenwärtig in der Literatur verbreitet sind, lassen
sich auf drei Grundverfahren zurückleiten, welche obligatorisch
sind für jeden, der sich mit dem in Frage kommenden Gebiete
näher beschäftigen will. Dies sind die Verfahrungsweisen von
Benda, Altmann und Regaud.
Benda (1901) härtet sehr kleine Stückchen des zu unter-
suchenden Organs im Laufe einiger Tage in starker Flemming-
Lösung, welche jedoch nur Spuren von Essigsäure enthalten darf
(3—4 Tropfen an Stelle von 1 cem in der ursprünglichen Formel).
Nach der Fixierung wird das Präparat zuerst mit einem Gemisch
von Ac. chrom. 1°/o und Ac. pyrolignosum ana im Laufe von
24 Stunden bearbeitet und alsdann für weitere 24 Stunden in
eine 2proz. Lösung von Kal. bichrom. gebracht, eine Prozedur,
die der Autor Postchromierung nennt. Nach Hoven jedoch ist
letztere entbehrlich, was ich bestätigen kann. Meves (1908, II)
modifizierte diese Bendasche Flüssigkeit dadurch, dass er erstens
in dieselbe NaCl im Verhältnis der physiologischen Kochsalzlösung
einführte und zweitens den Gehalt an Chromsäure auf '/a Jo
herunterdrückte.
404 N. Mislawsky:
Zweitens haben wir die klassische Methode von Alt-
mann, welche von ihm zur Darstellung der Bioblasten aus-
gearbeitet wurde: Fixierung in einem Gemisch von 5°/o Sol. Kal.
bichrom. + 2°/o Sol. Ac. osmici ana (Chromosmiumgemisch), und
endlich drittens stammt aus neuerer Zeit das von Regaud
(1908, II) vorgeschlagene Verfahren, bei welchem das Objekt
zunächst in einem Gemisch von Kal. bichrom. + Formalin (Sol. Kal-
bichr. 3°/o — 80 Vol., Formalini — 20 Vol.) fixiert und dann weiter-
hin in einer 3proz. Lösung von Kal. bichr. bis zu 8 Tagen be-
lassen wird.
Von diesen drei Methoden, von denen eine jede bedeutende
Mängel aufweist, erwies sich für die Konservierung des Chon-
drioms der Drüsenzellen die erste als die am wenigsten geeignete,
das ist also die Fixierung des Objektes in einer modifizierten
Flemmingschen Lösung. Dabei war es gleichgültig, ob die
Prozedur der Postcehromierung vollzogen wurde oder nicht. Bei
Anwendung des in Rede stehenden Mittels erscheint wegen des
unregelmässigen und nicht gleichzeitigen Eindringens der ver-
schiedenen Bestandteile der Mischung das Chondriosom sogar in
den glücklichsten Fällen nur längs einer schmalen Zone, ganz an
der Oberfläche, mehr oder weniger gut fixiert; dabei sind selbst
an diesem beschränkten Orte .nicht alle Zellen in gleichartiger
Weise erhalten, was selbstverständlich die Interpretation der
histologischen Bilder im höchsten Grade erschwert. Aus diesem
Grunde musste ich nach einer Reihe missglückter Versuche von
dieser Methode gänzlich Abstand nehmen. Auch Rubaschkin
(1909) hat, wie er dieses selbst angibt, mit Hilfe der Meves-
schen Modifikation der Fixierungsmethode von Benda nur bei
Jüngeren Vogelembryonen gute Resultate gehabt ; bei grösseren
Embryonen in den späteren Stadien (über 11-—- 12 mm Länge) konnte
er eine genügende Konservierung der Chondriosomen nicht erzielen.
Bedeutend besser waren die Resultate nach Anwendung des
Chromosmiumgemisches von Altmann, welches mir in einigen
Fällen eine geradezu ideale Konservierung der Form der Chondrio-
somen ergab. Wenn auch dieses Gemisch bis zu einem gewissen
Grade dieselben Nachteile hat wie die Flemmingsche Lösung,
indem es bei weitem nicht die ganze Dicke des Objektes gleich-
mässig durchdringt, so ist doch die Zone des nutzbaren Effektes
viel breiter als bei den nach Benda fixierten Präparaten.
Über das Chondriom der Pankreaszellen. 405
Die Altmannsche Lösung gibt besonders befriedigende
Resultate beim Pankreas des Kaninchens, weil, wie ich schon
erwähnte, hier die Drüsenläppchen vermöge eines lockeren inter-
stitiellen Gewebes miteinander verbunden sind, wodurch das Ein-
dringen erheblich erleichtert wird. Wenn jedoch, wie bei der
Ratte, das Drüsenparenchym in kompakterer Form auftritt, sind
die Resultate schon bei weitem schlechter. Bei letzterem Objekte
zeigt sich deutlich der Hauptnachteil der Altmannschen Methode.
In den nicht vollkommen fixierten Teilen zerlegen sich die Chondrio-
konten in einzelne Fragmente. Daher treten in den Zellen eine
grosse Menge von körnigen Formen der Chondriosomen auf,
welche ohne allen Zweifel artifizieller Natur sind, da sie in der
Richtung nach der Tiefe des Stückes an Zahl zunehmen. Ich
will damit nicht gesagt haben, dass überhaupt alle körnigen
Formen der Chondriosomen in den Pankreaszellen der Ratte
Artefakte sind; ich will nur darauf hinweisen, wie schwierig die
Deutung der histologischen Bilder sein würde, wenn vielleicht im
Verlaufe der Sekretionsperiode normalerweise ein körniger Zer-
fall der Chondriokonten zustande kommen sollte.
Beim Kaninchen erhält man nach der Fixierung des Pankreas
vermittelst des Altmannschen Gemisches noch eine sehr an-
nehmbare Nebenwirkung. Denn die Untersuchung der Präparate
ergibt häufig, wenigstens in den peripheren Schichten des Objektes,
eine vollständige Auflösung der Claude Bernardschen Körnchen,
wodurch deren Verwechslung mit den granulaartigen Chondrio-
somenformen vermieden werden kann. Diese Lösungserscheinung
führe ich auf die 24stündige Einwirkung des fliessenden Wassers
nach der Fixierung zurück; eventuell kommt auch noch das Ver-
fahren der Härtung in steigendem Alkohol dabei in näheren
Betracht (vgl. Held, 1899).
Was endlich das Konservierungsverfahren von Regaud
anbelangt, so dringt dessen Fixierungsflüssigkeit in das Innere
des Gewebes gut durch und fixiert ziemlich gleichmässig sogar
Stücke von etwas grösserem Umfang, hat aber den grossen Nach-
teil, dass man bei ihrer Anwendung eine gewisse Quellung sowohl
der Pankreaszellen selbst als auch besonders der Chondriosomen
erhält. Letztere zeigen zuweilen in den Präparaten die merk-
würdigsten Formen, beispielsweise die von Perlenketten oder von
Gebilden, die sich nur auf Einschnürung bezw. Zerschnürung der
Archiv ft. mikr. Anat. Bd.S1. Abt.I. 27
406 N. Mislawsky:
Chondriokonten zurückführen lassen. Dabei tritt fast immer an
der Peripherie des Gebildes eine besondere im Vergleich zur
ganzen Masse intensiver gefärbte Schicht zutage. Weiter unten
bei der Beschreibung der morphologischen Formen der Chondrio-
somen werde ich auf diese Deformationen näher eingehen.
Um die eben erwähnte Quellung zu vermeiden, habe ich
(1911) das Regaudsche Gemisch etwas modifiziert, indem ich
eine kleine Menge Osmiumsäure hinzusetzte. Diese Maßnahme
hat sich vollkommen bewährt und ich darf die Kombination Kal.
bichr. + Formalin + Osmiumsäure als die relativ beste in Ansehung
der Konservierung des Chondrioms der Drüsenzellen empfehlen.
Offenbar verhindert die Osmiumsäure die Quellung, welche man
nach der Einwirkung des Regaudschen Originalgemisches be-
obachtet, während andererseits die gute Penetrationsfähigkeit
desselben unverändert bleibt. Diese Mischung gestattet ferner,
die Präparate sowohl nach Benda als auch mit Eisenhämatoxylin
nach M. Heidenhain in gleich guter Weise zu färben.
Ich erlaube mir im folgenden die genauere Formel meiner
Modifikation zu geben, von deren tadelloser Wirkung ich mich
auch bei der Fixierung einer ganzen Reihe anderer Organe über-
zeugen konnte; so ergaben die Spinalganglien, der Hoden, die
quergestreiften Muskelfasern, die Leber, die Speicheldrüsen usw.
gute Resultate. Die Formel lautet:
Sol. Kal. bichrom. 3° . . 80
Eormalmnremernı) ». a0
Sol. Acidinosmier 21.0 - . 28
Fixierung 48 Stunden, darauf Bearbeitung der Stücke nach
Regaud mit 3°/o Sol. Kal. bichr. —8 Tage lang, Auswaschen
24 Stunden in fliessendem Wasser, Härtung in steigendem Alkohol
und endlich Einbetten in Paraffin nach Passage durch Chloroform
oder Schwefelkohlenstoff (Xylol ist zu vermeiden).
Bei der Färbung meiner Schnitte benutzte ich hauptsächlich
die Methode von Benda in der Modifikation von Meves und
Duesberg, ferner das Eisenhämatoxylin nach M. Heidenhain.
Ich benutzte ebenfalls und sogar ziemlich oft die von mir an-
gegebene modifizierte Methode der Färbung mit saurem Fuchsin
nach Altmann, halte jedoch dieses Verfahren für weniger sicher
und besonders für weniger dauerhaft als die beiden ersten, da
Über das Chondriom der Pankreaszellen. 407
meine 1907 nach dieser Methode gefärbten Präparate ihre Prägnanz
in bedeutendem Maße eingebüsst haben.
Die schärfste Darstellung der Chondriosomen ergibt die
Kristallviolettfärbung, welche übrigens auch nach der Altmann-
schen Fixierung angewendet werden kann, besonders wenn die
Schnitte vorher mit 10°/o Perhydrollösung (Merck) behandelt
wurden. Diese letztere Prozedur hat hinsichtlich der elektiven
Verschärfung der Chondriosomenfärbung denselben Effekt wie die
von Rubaschkin (1909) und Tschaschin (1910) empfohlene
Bearbeitung der Schnitte nach Pal, doch ist sie bedeutend ein-
facher und deshalb auch bequemer zu handhaben. Auf die mit
Perhydrol vorbehandelten Schnitte lässt sich auch die Eisen-
hämatoxylinfärbung erfolgreich anwenden
Schliesslich müssen wir hinzufügen, dass die besprochenen
Färbungsmethoden in bezug auf die Chondriosomen keineswegs
von absolut elektiver Natur sind; vielmehr pflegen sich die
Drüsengranula mitzufärben, daher sind dann die körnigen Formen
der Chondriosomen und die Drüsengranula oft kaum voneinander
zu unterscheiden. Unter solchen Umständen ist ohne besondere
Übung und Erfahrung in der Detailkritik ein wissenschaftliches
Urteil nicht zu erzielen.
Ja
Bis jetzt haben nur zwei Autoren (von meiner vorläufigen
Mitteilung [1911] abgesehen) Beobachtungen über den mitochon-
drialen Apparat der Pankreaszelle veröffentlicht: Hoven und
Champy.') Ersterer untersuchte das Pankreas vom Kaninchen,
letzterer das vom Hunde. Weiter unten werde ich Champys
Befunde vergleichsweise berücksichtigen; an dieser Stelle jedoch
möchte ich zunächst eine Übersicht der von Hoven erzielten
tesultate vorausschicken, da dieser Autor dasselbe Objekt benutzt
hat wie auch ich und da die Beschreibung und die Schlüsse von
Hoven in vielem sich von dem unterscheiden, was ich bei meinen
eigenen Untersuchungen als Resultat erhalten habe.
Hoven teilt in seiner Arbeit den Bericht über das Chon-
driom der Pankreaszellen in drei Abschnitte ein, entsprechend
dem Wechsel der physiologischen Zustände, welche sich morpho-
!) Ausserdem sind zweifellos Chondriokonten in den Pankreaszellen
bei Katzen und Mäusen von Altmann (1890, 1594) unter dem Namen
Elementarfädchen beschrieben worden, was aus den wunderbar ausgeführten
Zeichnungen des Autors sofort zu ersehen ist.
27F
408 N. Mislawsky:
logisch durch die Anwesenheit einer mehr oder minder grossen
Anzahl der Drüsengranula charakterisieren lassen. Diese häufen
sich bekanntlich in demjenigen Teile der Zelle an, welcher dem
Drüsenlumen zugewendet ist, und treten je nach den Umständen
in sehr verschiederen Mengenverhältnissen auf.
In einem ersten Stadium, welches durch einen minimalen
Gehalt an Drüsengranula ausgezeichnet ist, findet man in den
Zellen eine grosse Anzahl von einzelnen langen, wellenförmigen,
sich spezifisch färbenden Fäden, welche der Richtung nach gegen
das obere freie Ende des Zelleibes verlaufen. Längs der Aus-
dehnung einiger dieser Fäden, welche nach der Nomenklatur von
Meves als Chondriokonten bezeichnet werden müssen, bemerkt
man in diesem Stadium einige eben nicht sehr zahlreiche Auf-
treibungen, welche sich mit Eisenhämatoxylin etwas intensiver
färben, und welche Hoven für die ersten Anlagen der Sekret-
granula hält. Was die fertigen, zweifellos schon als Pankreas-
granula anzusprechenden Gebilde anlangt, so trefien sie sich im
oberen Teil der Zelle und zwar zunächst in spärlicher Menge.
Diese typischen Drüsengranula sind jedoch von sehr verschiedener
Grösse; die kleinsten erinnern an die eben erwähnten Auftreibungen
der Chondriokonten und von da ab finden sich alle Übergänge
bis zu den grossen typischen, völlig ausgereiften Granula von
Claude Bernard.
In den weiteren Stadien verändern die Chondriokonten stark
ihr Aussehen, da die Anzahl der Auftreibungen sich bedeutend
vergrössert, aus welchem Grunde viele Fäden in Form von Körner-
ketten erscheinen. Die Gestalt der Körner tritt um so besser
hervor, je blasser die sie verbindenden Fäden sind. Wiederum
andere Chondriokonten erscheinen entweder in ihrer ganzen
Längenrichtung gespalten oder aber sie zeigen nur vereinzelte
lokale Spaltungen in Form von Schleifen oder endlich sie weisen
gabelförmige Teilungen an ihren Enden auf. Parallel mit den
beschriebenen Veränderungen des Chondrioms geht eine Ver-
mehrung der Pankreasgranula vor sich, die wiederum, ihrer
Grösse nach, alle Übergangsformen zwischen den Auftreibungen
des Chondriokonten einerseits bis zum reifen Claude Bernard-
schen Granulum andererseits erkennen lassen.
Schliesslich im Stadium der Erschöpfung, welches nach
besonders stürmischer Tätigkeit eintritt (Pilocarpin), gruppieren
Über das Chondriom der Pankreaszellen. 409
sich die immer noch zahlreichen Chondriokonten wieder in Form
von wellenförmigen Fäden im basalen Teil der Zelle, während
der distale obere Abschnitt derselben nur einzelne Sekretgranula
enthält und im übrigen eine alveoläre Struktur aufweist: Spuren
der eliminierten Granula. In allen Stadien der Tätigkeit
färbten sich die Claude Bernardschen Granula, nach
den Beobachtungen von Hoven ebenso wie die Ele-
mente des Chondrioms.
Auf Grund der referierten Beobachtungen kommt Hoven
zu dem Schluss, dass die Claude Bernardschen Granula auf
Kosten des Chondrioms gebildet werden und zwar auf dem Wege
der Fragmentierung der einzelnen Chondriokonten, wodurch die
ersten Anlagen der Granula zur Isolation kommen.
Nunmehr kann ich meine eigenen Beobachtungen am
Kaninchenpankreas zur Darstellung bringen.
An Schnitten aus Altmannscher Flüssigkeit und nach
Bendascher Färbung kann man, wenn zuvor die Drüsengranula
durch langes Spülen der Stücke vollständig entfernt wurden
(siehe oben S. 405), sowohl die Form der Chondriosomen als auch
ihre Verteilung im Zelleibe in ausserordentlich genauer Weise
beobachten (Fig. 1—11). Wie Hoven schon feststellte, tritt das
Chondriom bei diesem Objekte in Form langer wellenförmiger
Fäden auf, die jedoch nach meinen Beobachtungen durch
Anastomosen miteinander verbunden sind. Im ganzen
bilden sie daher ein Netz, welches den granulafreien Teil des Zell-
leibes nach allen Raumesrichtungen hin durchsetzt (Fig. 1, 2, 6).
Im basalen Abschnitt der Zelle, in unmittelbarer Nähe der
Membrana propria des Drüsenkanälchens, kommen diese Anasto-
mosen bedeutend häufiger vor, weshalb hier das Netz dichter
wird; seine Schlingen nehmen eine mehr rundliche Form an und
erscheinen parallel zur Basisfläche der Zelle gelagert (Fig. Sb, 7).
Von diesem basalen System nehmen lange wellenförmige oder
geschlängelte Fäden ihren Anfang, die der Längsachse des Zelleibes
ungefähr parallel laufen. Auch diese Fäden sind durch schräge
Anastomosen miteinander verbunden, jedoch nicht so häufig wie
an der Basis der Zelle, weshalb die Schlingen hier sehr gross
und parallel der Längsachse der Zelle ausgedehnt erscheinen
(Fig. 2). An der Peripherie des Zelleibes bemerkt man zuweilen
eine gewisse Verdichtung des Chondriomanetzes; in diesem Falle
410 N. Mislawsky:
erinnert das ganze periphere Fadensystem an ein Flechtwerk,
welches in die äussersten Schichten des Zellprotoplasmas ein-
gelagert ist (Fig. 1).
Was die Veränderungen des Chondrioms während des
Sekretionsprozesses anlangt, so stehen dieselben in einer gewissen
Beziehung zu der Anzahl der Pankreasgranula, die im Bereiche
der apikalen Zone des Zelleibes angehäuft sind.
Im Stadium der grössten Erschöpfung der Drüsenzelle, in
welchem die Summe der Granula auf ein Minimum reduziert ist,
durchziehen die langen Fäden des Uhondrioma den ganzen Zell-
leib und reichen mit ihren freien Enden fast bis zum Lumen des
Drüsenkanälchens (Fig. 1). Da nun die Chondriokonten den von
Granulis erfüllten Teil der Zelle immer freilassen, so nehmen sie,
wenn die dem Lumen zugewandte Körnerzone allmählich wächst,
in entsprechendem Maße an Höhenausdehnung ab. Dadurch
kommen bemerkenswerte Bilder zustande. Hat man die im
Stadium der Speicherung befindliche Drüse nach Altmann fixiert
und, wie oben besprochen, die Granula durch energische Wasser-
spülung zum Verschwinden gebracht (Fig. 3, 4), so scheiden
sich an der Pankreaszelle ganz deutlich zwei Zonen, eine hellere
distale, welche trotz der meist nicht differenten Färbung der
Plasmamassen zuweilen eine ausgesprochen alveoläre Struktur
erkennen lässt, und eine basale, welche kompakter erscheint und
das Chondriomanetz enthält. An der Grenze beider Zonen bemerkt
man bei günstiger Schnittrichtung häufig, dass die freien Enden
der Chondriomafäden sich in der Richtung zur Zellbasis umbiegen,
wodurch hier eine Reihe von Schlingen oder Bogen entsteht, die
mit ihrer Konvexität zur Spitze des Drüsenelementes gekehrt
sind, wie dieses z. B. aus der Fig. 2 zu ersehen ist. Hier hat esam
Objekt selbst den Eindruck gemacht, als ob die Chondriokonten
durch‘ die successive Ansammlung der Granulamasse in einer ge-
wissen Ausdehnung gegen die Zellbasis hin zurückgedrängt weraden,
woraus sich die besprochene Umbiegung der Fäden erklären würde.
Nur ausnahmsweise konnte ich das Eindringen einzelner
Chondriomafädchen auch in den oberen Teil des Zelleibes be-
obachten, welcher von den Claude Bernardschen Granula
erfüllt ist; jedoch meine ich, dass das mikroskopische Bild eventuell
auf das oben beschriebene periphere System des Chondriomanetzes
zurückgeführt werden kann.
Über das Chondriom der Pankreaszellen. 411
In meinen Präparaten erscheinen, eine gute Fixierung voraus-
gesetzt, die Chondriokonten immer nur in Form homogener
Fäden mit glatten Konturen, wobei keinerlei Auf-
treibungen an ihnen wahrnehmbar sind. Gewisse nicht
sehr zahlreiche, in den Verlauf der Fäden eingeschaltete, intensiv
gefärbte, scheinbar granulaartige Gebilde erwiesen sich ausnahms-
los bei genauester Betrachtung (Zeiss’ Obj. 3 mm, Ap. 1,40, Komp.-
Oe. 15) als wirkliche oder optische Schnitte dieser Fäden. Körnige
Uhondriosomen, Mitochondrien oder Chondriomiten
konnte ich bei diesen reinausgefärbten Präparaten,
bei welchen die Pankreasgranula durch Wasserspülung entfernt
waren, niemals beobachten. Ebenso gelang es mir nicht, auf
gut fixierten und scharf gefärbten Präparaten die von Hoven be-
schriebene Längsspaltung einzelner Chondriokonten wahrzunehmen.
An den erwähnten Präparaten. die im Altmannschen
(remisch fixiert waren, erscheint die Hauptmasse des Protoplasmas
der Pankreaszelle fast vollkommen homogen, und nur im oberen
Abschnitte kann man, wie erwähnt, eventuell eine undeutlich aus-
geprägte alveoläre Struktur wahrnehmen, welche der Einlagerung
der Granula ihren Ursprung verdankt. Wenn jedoch kleine Drüsen-
teilchen in dem von mir modifizierten Regaudschen Gemisch
fixiert werden, lassen sich in dieser scheinbar homogenen Masse
deutlich faserige Strukturen erkennen, die vom mitochondrialen
Apparate der Drüsenzelle vollkommen verschieden sind (Fig. 12
bis 15). An dünnen Schnitten, welche nach M. Heidenhain mit
Eisenhämatoxylin gefärbt werden, beobachtet man neben einzelnen
Teilen des Chondriomanetzes, welche nunmehr völlig geschwärzt
sind, auch nach Lage und Form den vorhin beschriebenen Bildern
vollkommen entsprechen, eine Zerfällung des gesamten Zellplasmas
in zahlreiche blasse, wellenförmige Fäserchen, die im basalen
Abschnitt des Zelleibes einander parallel gelagert sind und im
distalen Teile desselben in ein unregelmässiges dichtes Netz über-
gehen. Diese parallelfaserige Struktur ist bemerkenswerterweise
auf Längs- und Querschnitten des Zelleibes, besonders der basalen
Zone, in gleichem Maße deutlich ausgesprochen. Daraus lässt
sich schliessen, dass es sich in dieser Faserstruktur zugleich auch
um einen lamellösen Bau des Plasmas handelt (Fig. 13 und 16).
Auf die lamellöse Struktur des basalen Abschnittes der
Pankreaszelle beim Menschen hat schon Zimmermann (1898)
412 N. Mislawsky:
hingewiesen; er beobachtete an den Längsschnitten der Zellen eine
zarte parallele Streifung im basalen Teile, während an Tangential-
schnitten sich diese Streifung in Form mehrfacher paralleier Linien-
systeme präsentierte, die gegeneinander in wechselnden Richtungen
orientiert waren. An meinen Präparaten vom Kaninchen habe ich
eine derartige regellose Nebeneinanderlagerung der Lamellen nicht
beobachten können, und die tangentialen Bilder von Zimmer-
mann decken sich demzufolge im einzelnen nicht mit den meinigen,
welche eher schon den Eindruck einer konzentrischen Lagerung
jener lamellären Schichten ergeben. Dabei wird das supponierte
Zentrum der Struktur augenscheinlich durch einen homogenen,
sich schwach färbenden, neben dem Kern gelegenen Körper von
unregelmässig rundlicher Form gebildet. Derartige Körper, in
denen man unschwer den Nebenkern der Autoren erkennt, und
die sozusagen eine Verdichtung der Strukturmasse des Proto-
plasmas darstellen, sind an den Fig. 13 und 15 zu erkennen; hier
scheinen sie mit der von uns beschriebenen Faserstruktur intim
verbunden zu sein, indem sie gleichsam als Zentrum der Faserung
auftreten. Die fraglichen Körper sahen in meinen Präparaten
entweder homogen aus, oder aber sie erschienen undeutlich kon-
zentrisch strukturiert (vgl. Champy [1911], Laguesse [1899]);
mit Eisenhämatoxylin färbten sie sich etwas intensiver als die
anderen Teile des Zellprotoplasmas. Ob diese Gebilde in irgend-
einer besonderen Beziehung zu den Elementen des Chondriomas
stehen, konnte ich nicht feststellen (vgl. dagegen Champy.l. c.).
Die von Garnier (unter anderem auch in der Pankreas-
zelle) als Ergastoplasma beschriebene faserige Masse setzt sich
meiner Meinung nach aus zwei Komponenten zusammen, welche
von dem genannten Autor nicht in genügender Weise getrennt
wurden, nämlich aus der eben beschriebenen Faserstruktur des
Plasmas plus den Resten des mangelhaft tixierten Chondrioms.
Dass dem so ist, davon kann man sich leicht überzeugen, wenn
man tadellos fixierte Präparate etwa mit solchen vergleicht, welche
in der Zenkerschen Flüssigkeit fixiert wurden. Ich verfüge
eben jetzt über eine ganze Serie von Pankreaspräparaten vom
Hunde, wo die von Garnier beobachteten Bilder im höchsten
(Grade deutlich hervortreten (Fig. 19 und 20). Diese Präparate
bestätigen meines Frachtens in vollem Maße das eben Gesagte.
Über das Chondriom der Pankreaszellen. 415
Wie ich schon früher erwähnte, erscheint beim Kaninchen
an gut fixierten Abschnitten der Pankreasdrüse das Chondrioma
ausschliesslich in Form homogener Fäden, die miteinander durch
mehr oder weniger seltene Anastomosen in Form eines Netzes
verbunden sind. Nun habe ich schon in einem voranstehenden
Kapitel darauf hingewiesen, dass die Erhaltung dieser normalen
äusseren Form nicht so leicht zu erzielen ist, und dass die faden-
artigen Elemente des Chondriomas in ungemeinem Grade dazu
neigen, sich unter dem Einfluss der Konservierungsflüssigkeiten
zu deformieren. An dieser Stelle nun möchte ich auf die Be-
schreibung der in Rede stehenden Artefakte näher eingehen, da
diejenigen Forscher, welche darauf verzichten, die Formen der
freiwilligen, postmortalen Veränderungen der Chondriokonten
näher zu verfolgen, sich mannigfachen Täuschungen aussetzen.
Als Beweis dafür, dass die von mir unten beschriebenen
Chondriosomenformen wirkliche Artefakte sind und nicht durch
den funktionellen Zustand der Zellen bedingt werden, dient
(übrigens unabhängig von der eben durchgeführten Beschreibung
der wirklichen äusseren Form des Chondrioms) vor allem die
Tatsache, dass die Häufigkeit bezw. die Intensität der Ver-
änderungen in der Richtung der Tiefe der Gewebestücke ständig
wächst. Weiterhin liegt die Möglichkeit vor, die nämlichen Ver-
änderungen willkürlich zum Vorschein zu bringen, wie man das
z. B. durch die Anwendung stark verdünnter Fixierungsflüssig-
keiten erreichen kann (Altmannsches Chromosmiumgemisch mit
dem fünffachen Volumen destillierten Wassers versetzt).
Die gewöhnlich vorkommenden artifiziellen Veränderungen
der Chondriokonten bestehen wesentlich in folgendem. Es lösen
sich die Zusammenhänge des mitochondrialen Netzes, so dass
eine Mehrzahl isolierter Fäden entsteht, welche jedoch schon in
sich selbst wiederum artifiziell verändert sind. An ihnen er-
scheinen zunächst einige nicht sehr zahlreiche Auftreibungen,
welche bei wachsender Intensität des Prozesses an Zahl und
Grösse zunehmen. An den vergrösserten, scheinbar gequollenen
Körperchen wird eine sich intensiver färbende periphere Schicht
und ein hellerer Inhalt kenntlich. .Die anfangs noch bestehenden
Verbindungsfädchen blassen allmählich ab und verdünnen sich,
bis schliesslich der Chondriokont in mehrere Bruchteile zerfällt.
Die auf die Weise entstandenen Fragmente behalten im weiteren
414 N. Mislawsky:
einige Zeitlang noch ihre anfangs ovale Gestalt bei; bald aber
nehmen sie die Form runder Granula an, die sich immer schwächer
und schwächer färben, um schliesslich ganz zu verschwinden.
Was die Wirkung der einzelnen Fixierungsmittel anlangt,
so habe ich darüber folgendes ermittelt. Der Prozess der
Fragmentierung ist die Haupterscheinung in den nach Benda
fixierten Präparaten; er verheert dieselben bis zu dem Grade,
dass sie kaum brauchbar sind. Die Fragmentierung mit mässiger
(Quellung wird ebenfalls häufig bei unvorsichtiger Anwendung des
Altmannschen Gemisches beobachtet. Schliesslich beim Ver-
fahren von Regaud treten neben der Fragmentierung vor allen
Dingen die Quellungserscheinungen in sehr typischer Weise auf.
Ich gebe hier in Fig. 9 eine Abbildung von Zellen aus den
ungenügend fixierten tiefen Abschnitten eben derselben Präparate,
von deren tadellos fixierter Oberfläche die Musterbeispiele der
Fig. 1—8 entnommen worden sind. Ferner gebe ich zum Ver-
gleich einige Zellen aus absichtlich schlecht fixierten Drüsen-
teilchen (Fig. 11).
Wenn auch aus dem Vergleich der angezogenen Abbildungen
(Fig. 9 und 11) sich ergibt, dass die artifiziellen Veränderungen
des Chondriomanetzes in beiden Fällen vielleicht nicht absolut
identisch sind, so zeigt sich doch, dass es sich bei den Fixierungen
wesentlich um dieselbe Art von Deformationen handelt, welche
auf künstlichem Wege (Fig. 11) in sehr typischer Weise zum Vor-
schein gebracht werden können. Fig. 10 stellt ferner ein Maximum
der artefiziellen Veränderungen dar, welchem gelegentlich die voll-
ständige Auflösung der mitochondrialen Substanz nachfolgen kann.
Diesen letzteren Vorgang beobachtete ich öfters auch an Objekten,
welche im allgemeinen gut fixiert waren, und zwar an denjenigen
Stellen, wo die Drüsensubstanz vor der Fixierung ein Trauma, z. B.
durch unvorsichtige Berührung mit der Pinzette, erlitten hatte
welrpolieandahre)):
Meine Beobachtungen an den typisch konservierten und an
den willkürlich geschädigten Präparaten zeigen somit deutlich,
dass das durchaus fädige Chondriom der Pankreaszelle des
Kaninchens sich durch artifizielle Veränderungen in körnchen-
artige Gebilde zerlegen kann, welche bei starker Färbung nach
Benda oder in Eisenhämatoxylin den Pankreasgranula ähnlich
sehen. Jedoch beweisen genauere Untersuchungen, dass die
Über das Chondriom der Pankreaszellen. 415
mitochondriale Substanz und die Substanzen der echten Granula
sich durchaus verschiedenartig verhalten. Denn die Granula
lösen sich nach langer Spülung bezw. durch die nachfolgende
Behandlung mit steigendem Alkohol, während in denselben
Präparaten die Chondriokonten vollkommen erhalten bleiben.
Ferner besitzen letztere die Fähigkeit der Quellung, während
an den Granulis niemals Quellungserscheinungen nachweisbar
sind. Auch erhält man bei Ausübung der Bendaschen Methode
gewisse Farbendifferenzen zwischen dem Chondriom und der
Granulamasse. Schliesslich sind die normalen Chondriosomen
immer von homogener Beschaffenheit, während die Pankreas-
granula von geringen Anfängen an eine feine membranöse Hülle
und eine innere etwas weniger färbbare Substanz erkennen lassen.
Ich bin daher der Meinung, dass in richtig behandelten Präparaten
die Chondriosomen und die Granula nicht verwechselt werden
können, während jedoch Hoven behauptet, dass letztere von
ersteren sich ableiten. Dies ist nur dadurch möglich geworden,
dass der genannte Autor den artifiziellen Veränderungen der
Chondriokonten nicht in genügendem Grade nachgegangen ist.
Es ist klar, dass Hoven sich in seinen Schlussfolgerungen
hauptsächlich auf die in Flemmingscher Flüssigkeit nach
Benda fixierten Präparate stützt, während ich, wie oben schon
erwähnt, diese Methode ganz verwerfen musste, weil sie bei
unserem Objekte die schwächsten Resultate ergab. Und in der
Tat kann man sich bei Betrachtung der Bilder, welche Hoven
von den angeblich normalen Formänderungen der Chondriokonten
gibt, leicht davon überzeugen, dass letztere sicherlich grössten-
teils den von uns beschriebenen artifiziellen Deformationen zu-
gehören. So z. B. erinnern seine Fig. 1 und 2 an die initialen
Stadien der freiwilligen Deformation, bei welchen das Netz in
isolierte Fäden zerfällt, die ihrerseits eben nicht zahlreiche, sich
intensiver färbende Auftreibungen enthalten. Auf den Fig. 3 und 4
ist der typische Prozess der Deformation etwas stärker aus-
geprägt, wobei das histologische Bild noch durch die Anwesenheit
zahlreicher Pankreasgranula verschlechtert wird. Letztere sind
von verschiedener Grösse und dabei unglücklicherweise ebenso
gefärbt wie die Uhondriosomen, aus welchem Grunde man leicht
Gefahr läuft, die kleineren dieser Granula mit den ebenso kleinen
Bauchteilen und Auftreibungen des deformierten Chondriomas zu
416 N. Mislawsky:
identifizieren. Es ist selbstverständlich, dass man auf Grund
derartiger Bilder leicht den Eindruck eines genetischen Zusammen-
hanges zwischen den Chondriokonten und den Granulis gewinnen
wird, obgleich in Wahrheit diese Bilder für die Ableitung des
fraglichen Verwandtschaftsverhältnisses gänzlich untauglich sind. —-
Endlich können jene eigenartigen bläschenförmigen Verdickungen
der Chondriokonten, welche auf Fig. 5 von Hoven sofort ins
Auge fallen, ihrem Aussehen nach, soweit man nach der Abbildung
urteilen kann. auf die von mir wiederholt gesehene Quellung der
artefiziellen Auftreibungen der Chondriokonten bezogen werden.
IV.
Indem wir jetzt zur Beschreibung des mitochondrialen
Apparates in der Pankreaszelle der Ratte (Fig. 21—26)
übergehen, müssen wir vorerst auf den scharf ausgesprochenen
Polymorphismus der Chondriosomen bei diesem Objekte hinweisen.
Dieser ist um so auffallender, weil beim Kaninchen die ausser-
ordentlich konstante Form des Chondriomanetzes unsere Auf-
merksamkeit in besonderem Grade erregte.
. Offenbar ist auch bei der Ratte die Grundform des Chondriosoms
die Fadenform, nur dass hier die Anastomosen und mit ihnen
die Netzbildungen gänzlich fehlen. Die Grösse und Form der
Fädchen ist selbst in der nämlichen Zelle ausserordentlich variabel.
So finden wir neben ziemlich langen wellenförmigen Fäserchen,
die zuweilen Abzweigungen aufweisen, eine enorme Menge von
kürzeren Gebilden, welche gerade oder etwas gekrümmt sind,
oder endlich ausnahmsweise in Form von fast geschlossenen
Ringen auftreten. Ausserdem finden sich auch körnerartige
Uhondriosomen, die jedoch grösstenteils keine typische Granula-
form besitzen, vielmehr wie kleine unregelmässige, in Kristall-
violett spezifisch färbbare Fragmente oder Schollen sich darstellen.
Offenbar wird das normale histologische Bild in bedeutendem
Maße durch die Anwesenheit solcher Formen verschlechtert,
welche als Artefakte der Fixierung angesehen werden müssen.
Eine ganze Reihe von Stadien der Alteration, welche in ganz
allmählicher, fast unmerklicher Stufenfolge die untadelhaft kon-
servierten mit den zweifellos verunstalteten Formen verbinden,
erschweren in hohem Grade die Interpretation der Präparate.
Wie ich schon in meiner vorläufigen Mitteilung hervorgehoben
Über das Chondriom der Pankreaszellen. 417
habe, halte ich für Kunstprodukte vor allem diejenigen Chondrio-
somenformen, bei denen es gelingt, eine intensiver gefärbte
Membran und einen hellen Inhalt zu differenzieren, da ich der
Meinung bin, dass das Auftreten dieser Form durch Quellung
unter dem Einfluss einer mangelhaften Fixierung bedingt ist.
Wenn wir zu dem Gesagten noch hinzufügen, dass es uns niemals
gelungen ist, unter normalen Verhältnissen der Zelltätigkeit die
vollständige Konservierung des Chondrioms mit der ebenso voll-
ständigen Auflösung der Drüsengranula zu kombinieren, was beim
Kaninchen so gut gelungen war, so erhellt, dass bei der Ratte
die Unterscheidung der wahren Granula und der körnerartigen
CUhondriosomen, ebenso wie die Feststellung ihrer etwaigen gene-
tischen Beziehungen, ausserordentlich erschwert ist. Aus diesem
(runde halte ich es für nötig, auf diejenigen besonderen Merk-
male zurückzukommen, welche uns bei erhöhter Aufmerksamkeit
dennoch befähigen, selbst die kleinsten Formen der Claude
Bernardschen Körnchen von den körnigen Chondriosomen zu
trennen.
Von diesen unterscheidenden Merkmalen war schon oben
die Rede, als über das Kaninchen verhandelt wurde. Hier bei
der Ratte fällt die Eigenschaft der Löslichkeit der Granula in
tliessendem Wasser fort; dagegen treffen die Merkmale der stofi-
lichen Homogeneität und der Quellbarkeit für die Chondriosomen
auch hier zu, welche sich dadurch von den Drüsengranula
unterscheiden. Letztere zeigten in unseren Präparaten niemals
(uellungserscheinungen und liessen immer die schon beim
Kaninchen erwähnte äussere Hülle erkennen. Was schliesslich
die Differenzialfärbungen anlangt, so hebe ich für die Ratte
folgendes hervor. Wird bei der Bendaschen Färbung in ge-
nügendem Grade extrahiert, so nehmen die Granula einen gelblich-
roten Ton an, während die Chrondriosomen die prächtige Farbe
des Kristallvioletts zurückbehalten. Bei Eisenhämatoxylinfärbung
nach Altmannfixierung lassen sich ebenso die Granula total
entfärben, während die Chondriosomen geschwärzt bleiben. Ferner
gelingt es häufig mit Hilfe der Altmannschen Fuchsinmethode
die Chondriosomen leuchtend himbeerrot zu erhalten, während
die Granula mehr gelblichrot erscheinen. Tingiert man endlich
die Präparate, welche mit dem Altmannschen Chromosmium-
gemisch oder nach Regaud mit einem Zusatz von Osmiumsäure
418 N. Mislawsky:
fixiert wurden, mit Safranin, wendet darauf die Nachfärbung mit
Cajalscher Flüssigkeit an (Indigocarmin 0,25, Ac. pieronitriei
100) und, differenziert mit Kreosot, so kommt eine isolierte
Tinktion der Claude Bernardschen Körnchen zustande,
während die Chondriosomen ganz und gar ungefärbt bleiben.
Wenn also auch, wie oben dargestellt wurde, die Formen
der Chondriosomen bei der Ratte ungemein wechselnd und wenig
charakteristisch sind, so ist es doch andererseits möglich, sie
durch Färbung kenntlich zu machen, und es ist auch, worüber
wir nunmehr handeln wollen, die Art ihrer Verteilung innerhalb
des Zeilenterritoriums durchaus typisch und recht konstant. Wir
finden in allen Stadien des Sekretionsprozesses eine deutlich aus-
gesprochene Tendenz der Körperchen, sich vorzugsweise in den
peripheren Schichten des Zellprotoplasmas anzuordnen. Dabei
lagern sich die Chondriokonten an der Zellbasis parallel der
Grundfläche, während sie an den Seitenflächen in der Richtung
der Höhenausdehnung der Zelle verlaufen. Dank diesem Umstande
zeigt sich die Zellgrenze meist an Quer- und Längsschnitten durch
die intensiv gefärbte Zone des Chondrioms deutlich markiert
(Fig. 21—26). In der Tiefe der Zelle finden wir unter normalen
Verhältnissen der Tätigkeit nur vereinzelte Chondriosomen, und
zwar vorzugsweise in der Umgebung des Kerns oder auf
der Grenze gegen die Körnerzone hin. Mitunter bilden diese
Chondriosomen um den Kern ein quasi isoliertes System, welches
von der oben beschriebenen peripheren Mantelschichte durch eine
chondriosomenfreie Zone getrennt ist.
Da ich unter normalen Verhältnissen der Sekretion Ände-
rungen in der Form. und in der Verteilung der Chondriosomen
niemals wahrnehmen konnte, so wandte ich Pilocarpininjektionen __
an, um die Drüsengranula, wenn möglich, vollständig aus der
Zelle zu eliminieren. Die Elimination gelang jedoch nur bis zu
einem gewissen Grade und auch nur dann, wenn wir nach dem
Rate von Herrn Prof. Grützner, um eine maximale Wirkung
zu erzielen, wiederholte subkutane Injektionen kleiner Dosen in
Anwendung brachten. An Präparaten von Drüsen, welche auf
diese Weise bis zur völligen Erschöpfung gebracht wurden, konnte
ich folgendes feststellen (Fig. 27, 28, 29).
In der Mehrzahl der Zellen verringerte sich die Menge der
Drüsengranula ad minimum; jedoch dieselben schwanden nicht
Über das Chondriom der Pankreaszellen. 419
ganz, und die zurückgebliebenen gruppierten sich in einer sehr
schmalen Zone des Zelleibes, die unmittelbar an das Lumen des
Drüsenkanälchens grenzte. Diese restierenden Granula von Claude
Bernard unterscheiden sich von den gewöhnlichen in dem Ratten-
pankreas vorkommenden durch ihre sehr kleinen Dimensionen und
durch ihre ungemein dichte Lagerung (Fig. 29).')
Die periphere Schicht der Chondriosomen bleibt ziemlich
gut erkennbar, wobei sie zuweilen bis an die Spitze der Zelle
verfolgbar ist (Fig. 25). In der Masse des Zellplasmas zeigen
sich ferner helle Zwischenräume, die den Eindruck von Abschnitten
intrazellulärer Kanälchen machen, von der Art, wie sie Holm-
gren beschrieben hat (Fig. 27).
Die Form der Chondriosomen hat sich auf dem ganzen
Zellenterritorium in deutlicher Weise verändert. Die Anzahl der
langen Chondriokonten ist geringer geworden, und umgekehrt,
die kurzen, besonders die ringförmig zusammengebogenen, haben
bedeutend an Zahl zugenommen (Fig. 29). Ausserdem sind zahl-
reiche körnige Formen zutage getreten, die den Eindruck von
Bruchteilen zerfallener Fäserchen machen. Äusserst charak-
teristisch für dieses Stadium ist ferner die Anwesenheit einer
gewissen Anzahl sehr kleiner Chondriosomen im distalen Ab-
schnitte der Zelle in der Nähe der Körnerzone. Die Rolle und
das weitere Schicksal dieser kleinen Fragmente blieben mir un-
aufgeklärt: nirgends fand ich Beweise für die direkte
Umwandlung derselben in Drüsengranula. Im Gegen-
teil, meine negativen Erfahrungen an der Pankreaszelle des
Kaninchens widersprechen sogar in bedeutendem Grade dieser
Voraussetzung. So möchte ich lieber fürs erste zwei Möglich-
keiten in Rechung ziehen: entweder die Fragmente werden von
der Zelle als Material für die Sekretbildung resorbiert, oder wir
haben hier eine pathologische Erscheinung der Frag-
mentation des Chondrioma vor uns, welche auf die Giftwirkung
des Pilocarpins bei der Methode der mehrfach wiederholten In-
jektionen zurückzuführen ist. Ist mir doch eins der Tiere unter
der Giftwirkung gestorben. Die ausserordentliche Vermehrung
der ringförmig zusammengebogenen Fäserchen scheint mir in
'!) Dies war sehr gut am Objekte selbst zu beobachten, ist aber bei
der Wiedergabe der Abbildungen durch die Lithographie nicht deutlich zum
Ausdruck gekommen.
420 N. Mislawsky:
besonderem Grade auf den pathologischen Charakter der Frag-
mentierung hinzudeuten. Im übrigen kann ich für ein abnormes
Verhalten der Zellen auch anführen, dass nach maximaler Pilo-
carpinwirkung in ihrem basalen Abschnitte Ansammlungen feinster
Fettröpfchen entstehen, welche normalerweise nicht vorkommen
und jedenfalls auf Degeneration zu beziehen sind.
Y.
Altmann war der erste, dem es gelang, die jetzt soge-
nannten Chondriosomen resp. Chondriokonten in den Drüsenzellen
zu konservieren und zu färben. Er beschrieb dieselben unter den
Namen von Elementarfädchen (vegetative Fäden) unter anderem
auch in der Pankreasdrüse einiger Säugetiere, speziell bei Katzen
und Mäusen. Und in der Tat kann man sich schon beim ersten
Blick auf die von Altmann gegebenen Tafeln VIII und XXX
leicht davon überzeugen, dass die vom Autor reproduzierten
Fädchen mit gewissen Formen der Chondriosomen identisch sind,
und zwar gerade mit denjenigen Formen, welche wir bei der
Bearbeitung des Pankreas an der Hand unserer anderen Methoden
zu beobachten gewohnt sind. Diese Identität wird unbestreitbar,
wenn wir uns dessen erinnern, dass auch in der gegenwärtigen
Technik die von Altmann ausgearbeitete Fixierungs- und
Färbungsmethode der Bioblasten eine der sichersten Methoden
in bezug auf die Darstellung der Ühondriosomen bleibt (vgl.
Meves, 1910, Samsonow, 1910).
Altmann hielt auf Grund seiner Versuche an pilocarpini-
sierten Drüsen diese Elementarfädchen für vegetative Formen
seiner Bioblasten und glaubte, dass sie durch Zerfall in schneller
Folge eine grosse Zahl typischer Abkömmlinge liefern, von denen
ein Teil in Drüsengranula sich verwandelt, während der hinter-
bleibende Rest dem weiteren Ersatze dient. Wie aber schon
M. Heidenhain (1907, S. 387) ganz richtig hervorgehoben hat,
finden wir in der Arbeit von Altmann nirgends einen direkten
und überzeugenden Beweis für die Entstehung seiner primären
Granula aus dem körnigen Zerfall der oben erwähnten Fädchen.
Im Gegenteil sprechen einige der Abbildungen Altmanns direkt
gegen die in Rede stehende Behauptung des Autors. In dieser
Beziehung ist für uns die Tafel VIII von Altmann von be-
sonderem Interesse, auf welcher Abbildungen nach verschieden-
Über das Chondriom der Pankreaszellen. 421
artig fixierten Präparaten von ein und derselben Pankreasdrüse
der Maus reproduziert werden. Dank dem Wechsel der Fixierungs-
methode sieht man auf Fig. 1 ausschliesslich nur Granula, während
auf Fig. 2, wo diese vollständig zur Lösung gekommen sind, aus-
schliesslich nur spezifisch geformte Fädchen hervortreten. In
diesem Falle kommen Übergangsformen zwischen seinen Bioblasten
und den Granula nicht vor; und doch hätten diese gefunden werden
müssen, wenn ein genetischer Zusammenhang zwischen den in
Rede stehenden Strukturelementen der Zelle vorhanden wäre.
In diesem Zusammenhange war es mir von besonderem Inter-
esse, davon Kenntnis zu nehmen, dass in letzter ZeitB. P.Babkin,
W.J.Rubaschkin undW.W.Sawitsch (1909) im Verlaufe ihrer
Arbeit, welche der Untersuchung des Zustandes der Pankreaszellen
bei Hunden in Beziehung auf die Variationen der physiologischen
Eigenschaften des Pankreassaftes gewidmet ist, irgendwelche ent-
sprechenden Veränderungen in dem faserigen, sich nach Galeotti
spezifisch färbenden Apparate (Chondrioma) zu keiner Zeit finden
konnten. Leider geben die Autoren dieser interessanten Arbeit
viel zu wenig Angaben über die Morphologie des mitochondrialen
Apparates, als dass man auf Grund derselben sich genauer
orientieren könnte.
Oben haben wir schon gesehen, dass die Schlussfolgerungen
in der speziell dem Studium des Chondrioma der Pankreaszelle
gewidmeten Arbeit von Hoven wegen der Angreifbarkeit der
sachlichen Unterlagen ebensowenig überzeugend sind, wie die
früheren Darlegungen Altmanns. Aus diesem Grunde möchte
ich bei der Mitteilung von Hoven nicht länger stehen bleiben
und erlaube mir, unmittelbar sofort auf die Untersuchung von
UOhampy (1911) überzugehen, mit welcher ich die kurze Literatur-
übersicht über das Pankreas abschliesse.
Champy beschäftigt sich in seiner Arbeit, welche in erster
Linie der Resorption im Darmkanal und den dabei auftretenden
Veränderungen des Ohondrioms der Darmepithelzellen gewidmet
ist, aus Gründen der physiologischen Analogie auch mit der Rolle
des Chondrioms in den Drüsen und wählt zu letzterem Zwecke
als paradigmatisches Beispiel das Pankreas. Seine Versuche be-
ziehen sich auf den Hund und einige Batrachier (Bombinatus
igneus u. a... Bei Hunden benutzte der Autor, da er das Pilo-
carpin wegen seiner toxischen Wirkung nicht anwenden wollte,
Archiv f. mikr. Anat. Bd.$1. Abt. I. 28
422 N. Mislawsky:
intravenöse Injektionen des Sekretins von Bayliss und Starling,
das, wie bekannt, eine ausgiebige Absonderung des Pankreassaftes
hervorruft.
Im ruhenden Zustand erscheint das Chondrioma der Pankreas-
zelle beim Hunde in Form langer wellenförmiger Fädchen resp.
Chondriokonten, die sich vorzugsweise im basalen Abschnitte des
Zelleibes vorfinden. Der Autor geht nun in der Weise vor, dass
er die Drüse zunächst im Beginn der Absonderung nach
dem Eintritt der Sekretinwirkung untersucht und glaubt aus den
gefundenen Bildern herleiten zu können, dass während der Sekretion
ein körniger Zerfall der Chondriokonten stattfindet, wobei seiner
Meinung nach sich zuerst die „plastes“ von Prenant bilden, die
im weiteren als Entstehungsquelle der echten Granula dienen.
Ferner weist Champy darauf hin, dass in den Pankreaszellen
der Batrachier die Chondriokonten nach der Nahrungsaufnahme
kürzer und körniger erscheinen als im hungernden Zustande. Auf
Grund dieser Beobachtungen hält der Autor die Anwesenheit der
körnigen Chondriosomen für ein Merkmal des tätigen Zustandes,
während die glatten Fäden den statischen Zustand des Chondrioms
darstellen sollen. Somit muss Champy ebenso wie auch Hoven
zu den Anhängern jener Theorie der Entstehung der Drüsen-
granula gezählt werden, welche mit einer körnigen Veränderung
der fädigen Elemente des Chondrioms glaubt rechnen zu können.
Die Resultate der interessanten Arbeit von Champy scheinen
mir jedoch nicht überzeugender zu sein als diejenigen von Hoven.
Es handelt sich nämlich darum, dass einzelne Versuche der
Fixierung von Fragmenten der Drüse, welche unter der Sekretin-
wirkung gestanden haben, für mich noch lange nicht massgebend
sind, da bei den besonderen Schwierigkeiten. welche sich einer
genügenden Konservierung der äusseren Form der Chondriokonten
entgegenstellen, die Gefahr nahe liegt, dass die Effekte der künst-
lichen Deformation des Chondrioms für funktionelle Veränderungen
gehalten werden; so z. B. scheint mir die Fig. XXXV, S. 121 der
Arbeit von Uhaämpy nicht vertrauenswert zu sein. Andererseits
Sieht es so aus, als ob sogar das angebliche Faktum der Neu-
bildung der Pankreasgranula unter dem Einfluss der Sekretin-
wirkung recht zweifelhaft ist; denn in denjenigen Fällen, in denen
der Autor die Drüse nicht wie vorher im Beginn der Sekretin-
wirkung, sondern unmittelbar nach einer ausgiebigen Ab-
oO
Über das Chondriom der Pankreaszellen. 423
sonderung fixierte, fand er keinerlei Veränderung, weder in der
Zahl der Granula, noch in der Form der Chondriosomen. Obgleich
Champy sich bemüht, diese Erscheinung durch die Schnelligkeit
des Regenerationsprozesses zu erklären, scheint mir doch die von
ihm bestrittene Meinung von Wertheimer und Laguesse
viel überzeugender zu sein, welche sich auf die physiologischen
Eigentümlichkeiten des bei der Erregung der Drüse durch das
Sekretin gewonnenen Pankreassaftes stützen und die Beteiligung
der Claude Bernardschen Granula bei dieser Form der
Sekretion in Abrede stellen. Diese Erklärung deckt sich voll-
kommen auch mit den Resultaten der von uns zitierten Arbeit
dreier russischer Autoren, denen es nicht gelungen war, bei der
Sekretion des Pankreas unter dem Einfluss von Eingiessungen
von Säuren ins Duodenum irgendwelche Veränderungen im Gehalt
an Zymogengranula zu konstatieren, trotz ausgiebiger Sekret-
absonderung; hingegen bei der Reizung des N. vagus beobachteten
diese Autoren immer eine bedeutende Erschöpfung der Zelle mit
folgender Neubildung der Granula. Ausserdem ist die vonChampy
verzeichnete Verringerung der Pankreasgranula auf Abb. 2 der
Fig. XXXV dermassen gering im Vergleich zur ruhenden Zelle
auf Abb. 1, dass man dieselbe durch die individuellen Eigen-
schaften der betreffenden Zellindividuen erklären kann.
.Zum Gesagten könnte ich noch folgendes hinzufügen: In
meinen Laboratoriumsprotokollen ist ein Fall notiert, wo bei der
Sektion eines jungen Kaninchens zwecks Fixierung des Pankreas
das ganze Duodenum mit Chymus angefüllt war. d. h., es musste
sich die Pankreasdrüse im Zustande der lebhaftesten Funktion
befunden haben; und trotzdem gab mir gerade dieser Fall die
demonstrativsten Präparate mit voller Erhaltung der charakte-
ristischen Form der Chondriomfäden unabhängig von dem Stadium
der Granulaspeicherung in den einzelnen Zellen.
Endlich finden wir noch einige Zeilen, die sich auf die uns
interessierende Frage beziehen, bei O. Schultze, welcher in
seiner bereits mehrfach zitierten Arbeit (1911) unter anderem
auch eine Beschreibung der Resultate seiner Osmiumhämatoxylin-
methode beim Pankreas des Frosches gibt. Der Autor fand dünne
Chondriokonten, die parallel der Längsachse des Zelleibes gelagert
waren. Es gelang ihm nicht, irgendeine konstante Gesetzmässig-
heit der Verteilung der Fädchen wahrzunehmen, doch erwähnt
28*
424 N. Mislawsky:
O0. Schultze, dass sie in grosser Zahl sichtbar wurden, wenn
der Kern nicht im Schnitt oder nur tangential berührt war.
Danach muss also auch beim Frosch eine mehr periphere Lagerung
der Chondriokonten statt haben, ähnlich wie in dem Fall der
Ratte. Einige der Chondriokonten reichten fast bis zur Drüsen-
lichtung, andere liessen sich bis in die Körnerzone hinein ver-
folgen, ein Verhalten, welches in unseren Präparaten nur äusserst
selten einmal zur Beobachtung kam.
Obwohl nun O. Schultze die Anschauung von Hoven über
die Entstehung der Drüsengranula von den Chondriokonten aus
teilt, gelang es ihm hier beim Pankreas doch nicht, den ver-
muteten genetischen Zusammenhang wirklich nachzuweisen. Der
Autor war gezwungen, das Fehlen von Übergangsformen dem
betreffenden Stadium der Tätigkeit zur Last zu legen, in welchem
die Drüsenzellen zufälligerweise zur Konservierung gelangten.')
Ziehen wir das Gresamtresultat, so können wir nicht anders,
als auf Grund eines Vergleichs der Literaturangaben mit den
eigenen Beobachtungen unsere gegenwärtigen Kenntnisse über
die etwaige funktionelle Bedeutung des Chondrioms im Pankreas
wie folgt zusammenzufassen.
Obgleich die Chondriosomen der Pankreaszelle
vielleicht eine sehr wichtige Rolle im Prozess der
Sekretbildung spielen, wofür ihr reichliches Vor-
kommen im allgemeinen, sowie eventuell auch ihre
reziproke Abnahme während des Prozesses der
Speicherung der Granula ins Feld geführt werden
können, so ist doch die Möglichkeit der Entstehung
der ersten Anlagen der Drüsengranula aufdem Wege
des körnigen Zerfalls der Chondriokonten bisher in
gar keiner Weise erwiesen worden. Ja ein solcher
Vorgang ist nach meinen klaren und einwandfreien
Beobachtungen am Pankreas des Kaninchens in das
Bereich des Unwahrscheinlichen gerückt worden.
Durch den Vergleich vieler Gewebeformen, welche ich auf
die Chondriosomen hin genauer untersucht habe (Leber, Hirn,
‘) Die letzten Mitteilungen von Laguesse über das Pankreas, in
welchen der Autor seine früheren Resultate mit den neueren Untersuchungen
über die Chondriosomen in Übereinstimmung zu bringen sucht, sind mir
leider nicht zugängig gewesen.
Über das Chondriom der Pankreaszellen. \ 425
seröse Zellen und Pflügersche Tubuli der Speicheldrüsen,
Muskeln, Nervenzellen und -fasern etc.), bin ich einstweilen, wie
M. Heidenhain (Plasma und Zelle II, 1911), zu der Auffassung
gelangt, dass es sich in ihnen im allgemeinen um vegetative
Organellen handelt, welche dem intermediären Stoffwechsel dienen.
In histologischer Beziehung ist mein Hauptresultat,
dass dieChondriosomenim Verhältniszu deneigent-
lich so zunennenden Plasmastruktureninterstitiell
gelagert sind. Die Anordnung der Teile, wie ich sie in der
Pankreaszelle, der Muskelfaser, und besonders in der Nierenzelle
gefunden habe, beweist dies in unwiderleglicher Weise. Von
besonderem Interesse sind die Verhältnisse in den Stäbchen-
epithelien der Tubuli contorti der Nieren, über welche ich eine
weitere Mitteilung veröffentlichen werde. Hier lässt sich sehr
schön zeigen, dass innerhalb der streifigen Zone der Epithelien
die eigentlich so zu nennenden Plasmafilamente und die Chondrio-
konten in paralleler Lagerung befindlich sind.
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428 N. Mislawsky:
Erklärung der Abbildungen auf Tafel XXX.
Fig. 1—4, 13 und 14 Zeiss’ Apochr. 2 mm, Ap. 1,50, Oc.18. Proj,
auf den Objekttisch. Fig. 10, 11, 21—23, 27—29 Zeiss’ Apochr. 2 mm,
Ap. 1,30, Oc. 12. Proj. auf den Öbjekttisch. Fig. 5, 9, 12, 15—20, 24—26
Zeiss’ Apochr. 3 mm, Ap. 1,40, Oc. 18. Proj. auf den Objekttisch.
Fig. 1—9. Drüsenzellen vom Pankreas des Kaninchens. Chromosmium-
gemisch von Altmann. Die Zellen der Fig. 34 sind mit Eisenhämatoxylin
nach M. Heidenhain, alle anderen nach Benda-Meves-Dues-
berg (1907) gefärbt. Bei der Spülung mit Wasser und nach der Fixierung
haben sich die Pankreasgranula aufgelöst, so dass nur das Chondrioma
erhalten geblieben ist.
Fig. 1. Pankreaszelle nach einer Periode lebhafter Sekretion. Die Fäden
des Chondrioms, welche ein Netz bilden. durchziehen den Zellkörper
in allen Raumesrichtungen und erreichen fast das Lumen des
Drüsenschlauches.
Fig. 2—4 zeigen jene Veränderungen in der Verteilung des Chondrioms,
welche durch die successive Speicherung der Granula bedingt sind.
Fig. 5 und 6. Diese Abbildungen zeigen sehr deutlich, dass die Fäden des
Chondrioms in Form eines Netzes unter sich zusammenhängen.
Fig. 7 und Sb. Querschnitte durch den basalen Teil der Pankreaszellen:
man sieht das „Basalsystem“ des Chondrioms, welches der Grund-
fläche der Zellen parallel gelagert ist.
Fig. Sa. Dieselbe Zelle wie bei 8b, aber bei Einstellung in der Höhe des
Kernes; die Fäden des Chondrioms erscheinen im optischen Quer-
schnitte als Punkte. In allen Zeichnungen sehen die Chondrioma-
fäden vollkommen glatt und homogen aus, wie dies der Natur der
Dinge entspricht.
Eine Zelle aus dem unvollkommen fixierten tiefen Teile desselben
Präparates, aus welchem Fig. 6 und 7 entnommen wurden. Hier
zeigen sich die ersten Anzeichen der artefiziellen Deformation des
Chondrioms; es treten im Verlauf der Fäden dunkel gefärbte An-
schwellungen auf und gleichzeitig bemerkt man die beginnende
Fragmentierung des Netzes.
Fig. 10—11. Verschiedene Stadien der Veränderung des Chondrioms der
Pankreaszellen des Kaninchens unter dem Einfluss einer 5mal
verdünnten Altmannschen Lösung. Fig. 10 zeigt die höchste
Stufe der vorhin erwähnten Deformation.
Fig. 12—18. Pankreaszellen des Kaninchens. Fixierung mit Kaliumbichromat-
Formol-Osmiumsäure, Postehromierung nach Regaud. Fig. 12—15
Eisenhämatoxylin nach M. Heidenhain. Fig. 16 und 17 Häma-
toxylin nach Delafield, also ohne Färbung des Chondrioms und
der Granula. Deutlich ausgeprägte wellig-faserige Struktur des
Protoplasmas, der mitochondriale Apparat befindet sich in inter-
stitieller Lagerung. Fig. 13 und 16 Querschnitte der Zellen in der
Höhe der Kerne; die anderen Figuren stellen Längsschnitte des
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Fig.
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Über das Chondriom der Pankreaszellen. 429
Zellkörpers vor. Auf Fig. 13 und 15 sind gewisse dunkle Plasma-
körper — die Nebenkerne der Autoren — deutlich zu sehen.
. 19 und 20. Längs- und Querschnitt der Pankreaszelle des Hundes mit
deutlich ausgeprägtem faserigen Bau des Protoplasmas. Diese
Faserungen färben sich nach einer allgemeinen Erfahrung im
basalen Teil der Zelle leicht mit basischen Farbstoffen — Basal-
filamente von Solger oder Ergastoplasma von Garnier. Technik:
Zenkersche Flüssigkeit, Hämatoxylin plus Kongorot.
Querschnitt eines Drüsenschlauches des Pankreas der Ratte. Kalium-
bichromat-Formol-Osmiumsäure, Eisenhämatoxylin nach M.Heiden-
hain. Periphere Lage der Elemente des Chondrioms.
26. Pankreaszellen der Ratte. Fixierung wie vorher. Fig. 22—24
Eisenhämatoxylin. Fig. 25 und 26 Färbung nach Benda-Meves-
Duesberg. Verteilung des Chondrioms und der Drüsengranula
im Zellenterritorium bei normaler Tätigkeit der Drüse. Fig. 23
die Zelle auf der Höhe ihres Kernes quer geschnitten. Fig. 24
eine andere Zelle bei verschiedener Einstellung, nämlich in a Längs-
schnitt auf der Höhe des Kernes, in b Tangentialschnitt durch die
Mantelschichte der Zelle.
27—29. Pankreaszellen nach wiederholter Pilocarpinisierung des Tieres.
Die Zellen sind ad maximum erschöpft und enthalten eine nur
sehr geringe Menge rötlich gefärbter Drüsengranula, deren Grösse
im Vergleich mit den normal bei der Ratte vorkommenden sehr gering
ist. Diese Granula gruppieren sich in einer schmalen, an das Drüsen-
lumen angrenzenden Zone des Zelleibes. Die Chondriosomen, der
Form und den Konturen nach von grosser Mannigfaltigkeit, sind in
der ganzen Zelle verteilt; die periphere Mantelschichte bleibt gut
erhalten. Im oberen Teile der Zelle, zwischen den Drüsengranulis,
welche gelblichrot gefärbt sind, sieht man kleine Bruchteile der
Chondriosomen, die wegen ihrer Violettfärbung von den ersteren
gut unterschieden werden können. NB.: Fixierung wie vorher,
Färbung nach Benda-Meves-Duesberg.
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