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ARCHIV
für
Mikroskopische Anatomie
I. Abteilung
für vergleichende und experimentelle
Histologie und Entwicklungsgeschichte
II. Abteilung
für Zeugungs- und Vererbungsiehre
herausgegeben
von
O. Hertwig und W. Waldeyer
in Berlin
Siebenundachizigster Band
I. Abteilung
Mit 5 Tafeln und 22 Textfiguren
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BONN
Verlag von Friedrich Cohen
1916
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Abteilung I.
Erstes Heft. Ausgegeben am 12. Mai 1915.
Experimentelle und histologische Studien an Turbellarien. III. Mit-
teilung. Von Dr. Paul Lang, Assistent des Biologischen
Laboratoriums der Universität Bonn. Hierzu 9 Textfiguren .
Über Mitwirkung der Plastosomen bei der Befruchtung des Eies von
Filaria papillosa.. Von Friedrich Meves in Kiel. Hierzu
Tafel I-IV..
Zweites Heft. Ausgegeben am 12. Juli 1915.
Über den Befruchtungsvorgang bei der Miesmuschel (Mytilus edulis L.).
Von Friedrich Meves in Kiel. Hierzu Tafel V.
Viertes Heft. Ausgegeben am 20. Januar 1916.
Durch Radiumbestrahlung verursachte Entwicklung von halbkernigen
Triton- und Fischembryonen. Von Paula Hertwig. (Aus
dem Anatomisch-biologischen Institut zu Berlin.) Hierzu Tafel
VI—VIH und 13 Textfiguren . a
Literarische Rundschau: Die Leistungen der Zeilen hei 1 Brtwieklung
der Metazoen. Von Dr. Julius Schaxel, Jena
I6333
Seite
47
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Experimentelle und histologische Studien
an Turbellarien.
Ill. Mitteilung.
Von
Dr. Paul Lang
Assistent des Biologischen Laboratoriums der Universität Bonn.
Hierzu 9 Texttiguren.
1. Fortgesetzte Untersuchung über den hetero-
morphen Kopf der Planaria polychroa Schm.
a) Ein „heteromorpher“ Kopf II. Ordnung.
Eine wesentliche Frage, die für die Ergründung der Be-
deutung des „heteromorphen“ Kopfes in Betracht kommt, ist
diese: Verhält sich der „heteromorphe“ Kopf der Planarien genau
so wie der normale Kopf, ist er diesem in jeder Beziehung gleich-
wertig? Wie steht es insbesondere mit der Regeneration des
„heteromorphen“ Kopfes? Wird er, wenn man ihn von dem alten
Kopf abtrennt, einen Schwanz regenerieren, oder verhält er sich
wie der normale Kopf und erzeugt wieder einen „heteromorphen“
Kopf?
Das nicht leichte Experiment wurde im August und Sep-
tember 1913 zu Wissen (Sieg) ausgeführt. Die Planarien (Planaria
polychroa Schm.) stammten aus dem Botanischen Garten zu Bonn.
Es folgen die aufgenommenen Protokolle im Auszug.
19. August: 70 Planaria polychroa geköpft (Textfig. 1).
27. August: Einige Köpfe haben feine „heteromorphe“
Augen: wir nennen sie kurz „heteromorphe Köpfe“.
29. August: 7 heteromorphe Köpfe I. Ordnung werden in
der Mitte zwischen den normalen und den heteromorphen Augen
quer halbiert (Textfig. 2); dadurch entsteht je ein „normaler“
und ein „heteromorpher Kopf I. Ordnung“.
30. August: Die heteromorphen Köpfe I. Ordnung bewegen
sich in Richtung des Pfeiles (Fig. 3), also in umgekehrter Richtung
wie der normale Kopf. Weitere „heteromorphe Köpfe“ werden
quer halbiert.
Archiv f.mikr. Anat. Bd.87. Abt. IL 1
IND
Paul Lang:
31. August: Die heteromorphen Augen einiger heteromorpher
Köpfe I. Ordnung sind grösser geworden: an der Schnittfläche,
mit der dieser Kopf an den normalen Kopf anstiess, hat sich ein
Regenerationskegel entwickelt, wie er gewöhnlich bei Regene-
rationen an Planarien auftritt.
Weitere heteromorphe Köpfe auer halbiert. Darunter ist
ein Kopf, an dem überhaupt noch keine heteromorphen Augen
zu sehen sind, der also nur die zwei normalen Augen besitzt.
2. September: Alle heteromorphen Köpfe I. Ordnung be-
wegen sich in der Richtung des Pfeiles (Fig. 3). Auch der hetero-
morphe Kopf I. Ordnung, bei dem noch keine heteromorphen
Augen entwickelt waren, der also überhaupt noch augenlos ist,
bewegt sich schon in dieser Richtung. Die Köpfe haben alle an
der Schnittfläche einen hegenerationskegel entwickelt.
3. September: Die heteromorphen Augen sind grösser ge-
worden und haben einen deutlichen hellen Hof entwickelt.
5. September: Die Bewegungsrichtung der heteromorphen
Köpfe I. Ordnung wird unbestimmter,. wie es sonst bei den ge-
wöhnlichen heteromorphen Doppelköpfen der Fall ist. Die zum
zweiten Male abgeschnittenen normalen Köpfe verhalten sich in
derselben Weise wie nach der ersten Operation.
1 2 6) 4
Fig. 1—4.
6. September: Einer der grösseren heteromorphen Köpfe
I. Ordnung hat in dem hinteren Regenerat zwei Augen entwickelt;
wir wollen sie „heteromorphe Augen II. Ordnung“ nennen (Fig. 4).
Der Regenerationskegel vom 31. August hat sich zu einem Kopf
entwickelt, den wir „heteromorpher Kopf II. Ordnung“ nennen
(Fig. 4 oben). Unter dem Mikroskop kann man beobachten, dass
der Kopf sich nach beiden Richtungen hin bewegt, wie die Pfeile
andeuten.
Der heteromorphe Kopf I. Ordnung verhält sich demnach
in bezug auf die Regeneration in gleicher Weise wie der normale
o
Experimentelle und histologische Studien an Turbellarien.
Kopf. Wiederholen wir kurz den Tatbestand an Hand der Figuren
1-4. Wird der Kopf einer Planarie dicht hinter den Augen
abgeschnitten. so bewegt sich der abgeschnittene Kopf in der
alten Richtung nach vorn (Fig. 1). Es bildet sich hinten an der
Schnittfläche ein hegenerationskegel, der nach und nach grösser
wird und sich zu einem Kopf. dem heteromorphen Kopf I. Ordnung,
entwickelt. In diesem Kopf treten zwei Augen (bezw. noch zwei
Nebenaugen), ein Gehirn (siehe unten) und Darmverästelungen
auf (Fig. 2). Wird dieser heteromorphe Kopf I. Ordnung grösser,
so macht sich neben der alten Bewegung des normalen Kopfes
nach vorn (oberer Pfeil) noch eine Eigenbewegung des hetero-
morphen Kopfes I. Ordnung nach hinten (unterer Pfeil) geltend.
Je mehr der heteromorphe Kopf I. Ordnung wächst. um so be-
deutsamer macht sich diese Eigenbewegung als Komponente der
Gesamtbewegung des Doppelkopfes geltend. Während zunächst
der abgeschnittene Kopf sehr schnell aus dem Greesichtsfelde des
Mikroskopes verschwindet, wird es dem Doppelkopfe um so
schwerer, sich vorwärts zu bewegen, je mehr der heteromorphe
Kopf I. Ordnung wächst, bis sich schliesslich beide Komponenten
die Wage halten.
Schneidet man dann die beiden Köpfe durch einen (Quer-
schnitt auseinander, so regeneriert der normale Kopf in der-
selben Weise wie nach der ersten Operation, d. h. es bildet sich
nach hinten ein heteromorpher Kopf I. Ordnung.
Die andere Hälfte des Doppelkopfes, der heteromorphe Kopf
I. Ordnung, bewegt sich sofort, nachdem er abgeschnitten worden
ist, in umgekehrter Richtung (Fig. 3) wie der normale Kopf. Diese
Tatsache ıst eigentlich der erste zwingende Beweis dafür, dass
der heteromorphe Kopf I. Ordnung wirklich die umgekehrte
Orientierung hat wie der normale Kopf. Bisher stützte sich diese
Annahme wesentlich auf die Lage der heteromorphen Augen, die
derjenigen der normalen Augen entgegengesetzt ist.
Durch diese Tatsache wird aber auch zugleich die Theorie
gestützt, die ich in der I. Mitteilung über den heteromorphen Kopf
(Arch. f. mikr. Anatomie, Bd. 82, S. 257, 1913) angegeben habe.
Dass der heteromorphe Kopf I. Ordnung die umgekehrte Richtung
wie der normale Kopf einhält, erklärt sich lediglich dadurch, dass
tür die Entwicklung dieses Kopfes kein anderer Platz als von
der Schnittwunde nach hinten zu überhaupt übrige ist. Der so-
1*
4 Paul Lang:
genannte heteromorphe Doppelkopf ist nichts anderes als eine
Planarie mit einem Doppelkopf, wie sie zum Beispiel ent-
steht, wenn man den Kopf eines Tieres in der Sagittalrichtung
von vorn spaltet, oder wenn man an einer Seite des Kopfes einen
schrägen Schnitt nach hinten führt. Beim „heteromorphen
Doppelkopt“ fehlt eben der ganze übrige Körper der Planarie
ausser dem Kopf. Der sogenannte heteromorphe Kopf würde
nicht nach hinten, sondern wie bei einer doppelköpfigen Planarie
nach vorn wachsen, wenn nach vorn Platz wäre. Im übrigen
verweise ich auf die oben genannte Arbeit.
Der verletzte heteromorphe Kopf I. Ordnung bekommt all-
mählich einen Regenerationskegel an der Schnittfläche, also an
der jetzigen hinteren, früheren vorderen Seite. In diesem Regene-
rationskegel entwickeln sich nach einiger Zeit zwei Augen (Fig. 4),
und zwar bekommen sie eine Orientierung. die derjenigen des
heteromorphen Kopfes I. Ordnung gerade entgegengesetzt ist. Der
Regenerationskegel bildet sich zu einem 3. Kopfe aus, dem hetero-
morphen Kopf Il. Ordnung. Der normale Kopf der Planarie hat
demnach einen heteromorphen Kopf, den heteromorphen Kopf
I. Ordnung, entwickelt, dieser heteromorphe Kopf wiederum seiner-
seits einen heteromorphen Kopf, den heteromorphen Kopf
Il. Ordnung.
Begreiflicherweise wird bei all diesen Entwicklungsprozessen
die ganze lebendige Masse immer kleiner, weil sie ja keine
Nahrung aufnehmen kann. Es ist nicht zu bezweifeln, . dass der
Prozess der Entwicklung von immer mehr heteromorphen Köpfen
unbegrenzt weiter gehen würde, wenn nicht die Kleinheit der zur
Verfügung stehenden lebendigen Substanz die Operation unmöglich
machte.
b) Die Nebenaugen des heteromorphen Kopfes I. Ordnung.
In einer früheren Arbeit habe ich festgestellt, dass die so-
genannten Nebenaugen der Planaria polychroa Schm. keine ab-
normen Gebilde sind, wie die meisten Forscher annahmen, sondern
dass diese Art von Augen normal bei etwa der Hälfte der Tiere
vorkommen. Es wurde besonders festgestellt, dass die Neben-
augen nicht infolge von Verletzungen der zwei Hauptaugen durch
Abspaltung oder Versprengung entstehen. Auch bei der Regene-
ration eines Kopfes entstehen in etwa 50 Prozent neben den zwei
Experimentelle und histologische Studien an Turbellarien. )
Hauptaugen noch zwei Nebenaugen vollkommen unabhängig von
den Hauptaugen. Diese von mir vertretene Ansicht, dass die
Nebenaugen der Planarien keine zufälligen und abnormen Gebilde
sind, wurde auch dadurch gestützt, dass diese Art von Augen
auch im heteromorphen Kopf vorkommen.
Das Auftreten von Nebenaugen im heteromorphen Kopf
I. Ordnung habe ich nun noch weiter untersucht. Folgende
Notizen seien mitgeteilt:
Am 18. September 1913 wurde eine Planarie mit zwei Haupt-
und zwei Nebenaugen geköpft. Der Kopf regenerierte nach hinten
in gewohnter Weise einen heteromorphen Kopf I. Ordnung mit
zwei Hauptaugen. Am 5. November 1913 waren ausserdem noch
zwei Nebenaugen in diesem heteromorphen Kopf aufgetreten, so
dass ein vollkommen symmetrischer Doppelkopf vorlag (Textfig. 5).
Dadurch wird wieder die Gleichwertigkeit des heteromorphen
Kopfes mit dem normalen Kopf dargetan.
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Eine Planarie ohne Nebenaugen wurde geköpftt. Der Kopf
entwickelte nach hinten einen heteromorphen Kopf I. Ordnung
mit zwei Haupt- und zwei Nebenaugen. Dieser Fall zeigt Ver-
schiedenes: Zunächst, dass die Bildung eines Organes im
heteromorphen Kopf unabhängig war von dem ent-
sprechenden Organ im normalen Kopf; denn hier waren
die Nebenaugen im normalen Kopf ja gar nicht vorhanden. Er
ist weiter ein Beleg dafür, dass die Nebenaugen eine normale
Bildung sind und keine Missbildung.
Ein anderer Fall ist noch erwähnenswert. Einer Planarie,
die zwei Hauptaugen und ein grosses linkes Nebenauge hatte,
wurde der Kopf abgeschnitten. Es entwickelte sich ein hetero-
morpher Kopf mit zwei Hauptaugen und ebenfalls einem grossen
linken Nebenauge, ein Fall, der dem vorigen gerade entgegen-
gesetzt ist, insofern hier im heteromorphen Kopf gerade das
6 Paul Lang:
Organ gut entwickelt wurde, das auch im normalen Kopf vor-
züglich vertreten war (Textfig. 6).
Endlich noch ein Beispiel eines „überzähligen*“ Auges in
einem heteromorphen Kopf. Der normale Kopf hatte ein rechtes
Nebenauge. Im heteromorphen Kopf entwickelten sich keine
Nebenaugen. Dagegen trat ein Auge hinter dem rechten hetero-
morphen Hauptauge auf (Textfig. 7), eine Bildung, die ich auf
zersprengte Augenteile der alten oder der heteromorphen Augen
zurückführe.
c) Drüsenkante, Aurikularorgan und Sinneszellen beim hetero-
morphen Doppelkopf.
Dass der heteromorphe Kopf dem alten Kopf in anatomischer
Hinsicht völlig gleichwertig ist, dafür zeugt auch das Auftreten
einer Drüsenkante, die derjenigen am alten Kopf gleich ist, sowie
der Aurikularsinnesorgane. Textfig. S stellt einen Sagittalschnitt
durch einen heteromorphen Doppelkopf dar. Der heteromorphe
Kopf I. Ordnung dieses Doppelkopfes hatte zwei Augen. Einige
Tage nach ihrem Auftreten begann auch die Entwicklung der
Kopfdrüsen, und es bildeten sich zu beiden Seiten des Kopfes
einige Zellen des Epithels zu Drüsenausführzellen um, so dass
eine Drüsenkante auftrat, die derjenigen des alten Kopfes durch-
aus entsprechend und symmetrisch war.
Noch später trat an demselben heteromorphen Kopf auch
das Aurikularsinnesorgan auf in Form von zwei schmalen, seichten
Längsgruben. Sie hatten dasselbe Aussehen und die nämliche
nD = 8 Fe k ee)
nS -hnS
Sagittalschnitt durch einen heteromorphen Doppelkopf.
D — Darmäste in dem rechts gelegenen Augenpigment.
nD = normale vordere Drüsenkante, nS — „neue“ Sinneszellen.
h.D. = heteromorphe Drüsenkante, h.n.S. = heteromorphe „neue“ Sinneszellen.
Experimentelle und histologische Studien an Turbellarien. /
Lage wie die Aurikularorgane beim normalen Kopf, wie ich sie
an anderer Stelle angegeben habe (Zool. Anzeiger, 41. 12, 1912).
Der in der Textfigur gegebene Sagittalschnitt zeigt ferner,
dass im heteromorphen Kopf auch die von mir so genannten
„neuen“ Sinneszellen auftreten, wie ich sie in einer früheren
Mitteilung (Zeitschr. f. w. Zoologie, Bd. CV, S. 136) für die nor-
male Planaria polychroa Schm. beschrieben habe. Diese Sinnes-
zellen haben genau dasselbe Aussehen wie diejenigen im normalen
Kopfe (wo sie auch in vorliegendem Falle vorkamen). Ihre Lage
dagegen ist nicht dieselbe wie diejenige im normalen Kopf. Das
ist auch kaum zu erwarten, da ja überhaupt Lage. ja sogar Vor-
kommen dieser eigenartigen Zellen sehr unbestimmt und unregel-
mässig ist.
Durch diese hier angegebenen Beobachtungen
sind sämtliche beim normalen Kopf vorkommenden
Organe und Gebilde auch beim heteromorphen Kopf
I. Ordnung nachgewiesen. Es ist damit wiederum
dargetan. dass wir es im sogenannten hetero-
morphen Kopf der Planarien mit einem regelrechten
normalen Planarienkopf zu tun haben, wodurch die
von uns früher entwickelte Ansicht über die Be-
deutung des heteromorphen Kopfes weiter gestützt
wird.
d) Bemerkung über das Gehirn des heteromorphen Kopfes der
Planaria polychroa Schm.
Dem richtigen Verständnis des heteromorphen Kopfes der
Planarien steht noch immer der Mangel einer genauen Dar-
stellung des heteromorphen Gehirns entgegen. Es ist vor allen
Dingen das heteromorphe Gehirn mit dem normalen Gehirn zu
vergleichen. Natürlich müsste zunächst das letztere genau ge-
kannt sein. Die Darstellung Micoletzkys vom Gehirn der
Planaria polychroa Schm. ist nicht ausreichend. da er es nur
nebenbei im Anschluss an eine genaue Beschreibung des Gehirns
von Planaria alpina Dana behandelt hat. Ich hatte mir vorge-
nommen, die Lücken auszufüllen und dann das heteromorphe
Gehirn zu behandeln. Durch den Krieg wurde die Arbeit unter-
brochen. Die bisher vorliegenden Zeichnungen will ich daher
zurückhalten und nur folgendes bemerken: Im allgemeinen ist
zwar die Darstellung Micoletzkys richtig; aber es geht doch
8 Paul Lang:
nicht an, in allen Punkten die Anatomie des Gehirns der Planaria
polychroa auf das von Böhmig gegebene Schema des Planarien-
gehirns zu beziehen. Insbesondere muss bemerkt werden, dass
mehr als drei Commissuren vorhanden sind, ganz abgesehen von
den hinter dem eigentlichen Gehirn vorhandenen zahlreichen
Verbindungsbrücken. Ferner sind mehr „Sinnesnerven“ vor-
handen, als Micoletzky angibt, entsprechend der grösseren
Anzahl von „Sinnesgrübchen“, die unten dargestellt werden.
Das heteromorphe Gehirn ist nicht stets ein genaues Abbild
des normalen. Die Verschiedenheit hängt ab von der ver-
schiedenen Art, in der der Operationsschnitt durch das normale
Gehirn geführt wird. Dieses wird durch jeden Schnitt, der zur
Entwicklung eines heteromorphen Kopfes führt, durchschnitten.
Aus dem übrig bleibenden Stumpf wächst das heteromorphe Ge-
hirn heraus. Es entsteht also nicht neu in dem jungen Regenerat,
sondern stets im Anschluss an das alte Gehirn. Auf eine genaue
Darstellung der Anatomie des alten und heteromorphen Gehirns,
auch nur soweit ich sie bisher festgestellt habe, will ich einst-
weilen verzichten, bis ich, wie ich hoffe, später Gelegenheit habe,
die Untersuchung darüber zu Ende zu führen.
e) Bemerkung über das Darmsystem des heteromorphen Kopfes
der Planaria polychroa Schm.
Vom heteromorphen Darm gilt Ähnliches wie vom hetero-
morphen Gehirn. Auch er ist nicht ein genaues Abbild des alten
Darmes. Das ist ja auch noch weniger zu erwarten wie beim
(rehirn, weil die Operationsschnitte durch das alte Darmsystem
noch verschiedener ausfallen wie beim Gehirn; denn was durch-
schnitten wird, sind die vorderen Darmverzweigungen, und die
sind schon bei den einzelnen Individuen sehr verschieden.
Das Darmsystem eines typischen Doppelkopfes sei im
Folgenden dargestellt. Der alte Darm besteht in der (Gegend
des alten Gehirnstumpfes aus fünf in der Sagittalrichtung ver-
laufenden Darmästen, die sich in der (regend des heteromorphen
Gehirns zu drei Ästen vereinigen. Diese drei Äste sind nur
durch ganz schmale Septen getrennt. Von ihnen aus entspringen
nach hinten wieder fünf bis sieben dünnere Äste, die im hinteren
regenerierten (Gewebe blind enden. Sie zeigen nach hinten ein
genau gleiches Verhalten wie die Äste vor dem alten Gehirn.
Insbesondere ist nichts davon zu sehen, dass sich hinter dem
Experimentelle und histologische Studien an Turbellarien. J
heteromorphen Gehirn zwei Darmäste ausbilden, es laufen viel-
mehr zunächst etwa sieben Äste nebeneinander her. Von diesen
enden nacheinander zwei blind, dann wieder zwei und nochmals
zwei, so dass schliesslich nur ein Ast übrig bleibt: dieser ver-
läuft an einer Seite des Kopfes in sagittaler Richtung und endet
gleichfalls blind.
2. Über die „Sinnesgrübchen“ der Planaria
polychroa Schm.
Während nicht bei allen Individuen von Planaria polvchroa
Schm. die von mir in einer früheren Mitteilung beschriebenen
„neuen“ Sinneszellen vorkommen, finden sich stets die Aurikular-
grübehen und die Sinnesgrübchen.
Eine ausgewachsene, völlig normale Planarie wurde in eine
lückenlose Serie von 5 u dicken Schnitten zerlegt. Jeder Schnitt
wurde genau nach den „neuen“ Sinneszellen durchsucht; es fand
sich keine einzige dieser Zellen. Die Verbreitung dieser Zellen
bleibt somit noch zu erforschen, ebenso ihre Bedeutung.
Ausser den besser bekannten, stets vorkommenden Aurikular-
organen besitzen alle Tiere noch eine Anzahl weniger bekannter
Grübchen. die wir „Sinnesgrübehen“ nennen wollen, da sie
zweifellos die Bedeutung von Sinnesorganen haben. Micoletzky
gibt an, dass sich jederseits am Kopf der Planaria polychroa Schm.
drei (rübchen befinden, zu denen „Sinnesnerven“ hinführen, wie
auch aus dem von ihm gegebenen Grehirnschema zu ersehen ist.
(senauere Angaben macht er nicht.
Ich habe eine Anzahl normaler Tiere speziell in bezug auf
diese Organe hin untersucht. Die allgemeine Lage der Sinnes-
grübchen wird am einfachsten ersichtlich aus Textfig. 9. Das
0
N)
2 %
D- 9
Querschnitt durch eine Planaria polychroa Schm. in Höhe der Augen.
0 — Augen, A — Aurikularorgan, D —= Drüsenkante, S —= Sinnesgrübchen.
10 Paul Lane:
vorliegende Exemplar besitzt jederseits zwölf Sinnesgrübchen. Sie
stehen durch feine Nervenstränge mit dem Gehirn, bezw. dessen
beiden verlängerten Stämmen in Verbindung. Diese Nerven verlaufen
ungefähr parallel miteinander ins Gehirn ein, nur nach aussen ein
wenig divergierend. Die Grübchen liegen auf der Bauchseite,
beiderseits ausserhalb der Drüsenkante. in der Mitte zwischen
Drüsenkante und äusserster Körperkante. Sie stehen in einer
Reihe parallel der Drüsenkante. Die Reihe ist etwa 0,9 mm
lang und reicht vom Ende der Aurikularorgane bis über die
Augen hinaus nahe an das Vorderende des Tieres. Die beiden
Reihen konvergieren gegen das Vorderende ein wenig. Der Ab-
stand der Grübehen voneinander ist nicht überall der nämliche.
Es wurden Abstände von 45, 54, 55, 65 und 105 u gemessen.
Im Durchschnitt betrug der Abstand eines Grübchens vom andern
65 «a. Vorn ist der Abstand etwas kleiner als hinten. Die
Grübchen sind rund und haben einen Durchmesser von etwa 15 wm.
Das Aussehen ist dasselbe wie das der Aurikularorgane; nur sind
letztere etwas breiter und flacher.
Nicht bei allen Individuen sind die Sinnesgrübchen so regel-
mässig angeordnet, wie in Vorgehendem beschrieben. Zunächst
kommt es vor, dass nicht alle Grübchen auf die zwei Reihen
dicht ausserhalb der beiden Drüsenkanten verteilt sind, sondern
dass eine Anzahl von Grübehen noch weiter nach aussen, Ja zum
Teil sogar auf der Rückenseite des Tieres liegen. Sie finden
sich, ebenfalls in zwei Reihen. je eine rechts und links, ange-
ordnet, entweder genau auf den Kanten des Tieres oder etwas
höher nach der Rückenseite zu. Auch die Zahl der Grübchen
ist nicht immer die gleiche. Bei einem Exemplar zählte ich in
den Reihen an der Ventralseite links neun, rechts sieben Grübchen.
Dafür waren die Grübchen grösser als gewöhnlich: sie besassen zum
Teil Durchmesser von 20 und 30 u. Auch waren sie nicht immer
kreisrund. Einige zeichneten sich dadurch aus, dass sie aus zwei
Teilen bestanden, als ob zwei Grübchen dicht nebeneinander lägen.
Dem histologischen Aussehen nach unterscheiden sich die
Sinnesgrübehen in nichts von den Anrikularorganen.
3. Die Regeneration bei Polycelis nigra.
Da meines Wissens das Regenerationsvermögen und die Art
der Regeneration bei Polycelis nigra noch nieht untersucht worden
Experimentelle und histologische Studien an Turbellarien. 11
ist, habe ich im Winter 1913 in Essen (huhr) einige Versuche
darüber angestellt, insbesondere mit Rücksicht auf den Kranz von
kleinen Augen rings um das Vorderende dieses Tieres und zur
Lösung der Frage. ob auch bei dieser Spezies ein „heteromorpher
Kopf“ aufträte.
Es zeigte sich, dass das Regenerationsvermögen der Polv-
celis nigra im allgemeinen dasselbe ist wie bei Planaria polvchroa.
Eine Anzahl Polycelis nigra werden derartig geköpft, dass etwa
der dritte Teil der Augen im Hinterstück bleiben. Nachdem die
Wunde geschlossen ist, bildet sich ein typischer Regenerations-
kegel, zunächst unpigmentiert. In ihm treten in der zweiten
Woche am Rande ganz feine schwarze Punkte, die Anlagen der
Augen, auf und zwar zuerst an der Basis des Kegels. also an
der Grenze des alten Teiles. Nach und nach erscheinen diese
Punkte auch vorn: gleichzeitig werden die hinteren grösser. In
dieser Weise wird der ganze hand des Regenerationskegels von
diesen kleinen Punkten besetzt, die aber zunächst noch viel weiter
auseinanderliegen als beim ausgewachsenen Tier, also weiter als
im alten Teile. Inzwischen hat der Regenerationskegel die
normale, eigenartig zugespitzte Gestalt der Spezies angenommen.
Die Pigmentierung geht vom alten Teile aus strahlenförmig in
das hegenerat.
Histologisch geht die Regeneration genau so vor sich, wie
bei Planaria polychroa.
Die abgeschnittenen Köpfe regenerieren nach hinten einen
hegenerationskegel, in dem nach etwa zwei Wochen eine Pharynx-
anlage auftritt. Heteromorphe Doppelköpfe wurden in keinem
Falle erzielt, obwohl die Köpfe sehr kurz abgeschnitten waren.
Werden die Tiere hinter den Augen durchschnitten, so dass
in den Hinterstücken keine Augen vorhanden sind, so regene-
rieren die Hinterstücke Köpfe. in denen von hinten nach vorn
Augen auftreten. In derselben Reihenfolge, in der sie auftreten.
werden sie mit dem Gehirn durch Nerven verbunden.
Geschrieben im November 1914 in den Schützengräben
östlich Reims.
Die Originalzeichnungen sind von Herrin stud. med. K. Hü-
binger für den Druck umgezeichnet worden.
Über Mitwirkung der Plastosomen bei der
Befruchtung des Eies von Filaria papillosa.
Von
Friedrich Meves in Kiel.
Hierzu Tafel I-IV.
Einteilung.
I. Einleitung . . . a le BET N |
II. Material und Methode a a, .lS
IIT. Die freien Spermien . . . ER 1 Se FE
IV. Die unbefruchteten Eier ma hen utar klang ar Bei Ya Ve
V. Das eben eingedrungene Spermium . .. 2 ERDE
VI. Die Veränderungen am befruchteten Ei bis zur Bildung De beiden
Vorkerne . . . RE A et
VII. Der Beginn der ihrehiing IE ST U ARENA
VEN ESChluss sta ER ee, Be
I. Einleitung.
Wenn Pfeffer in der zweiten Auflage seiner Pflanzen-
physiologie aus dem Jahre 1897 (S. 46) schreibt, dass für das
Dogma, nach welchem der Kern der alleinige Träger der Erbmasse
sei, ein zwingender Beweis überhaupt nicht erbracht worden ist.
so hat dieser Satz noch heute gerade so gut wie damals Gültig-
keit. „Es ist übrigens ganz unverkennbar“, sagt Pfeffer an
der zitierten Stelle weiter, „dass der Kern, welcher zuvor gar
oft nebensächlich behandelt worden war, wesentlich durch die
Beobachtung auffälliger formativer Vorgänge übermässig in den
Vordergrund des Interesses und der Spekulation gerückt wurde.
Die Degradation, welche der Kern nach der Entdeckung der
Zentrosomen mehrfach erfuhr, indem er teilweise sogar nur zum
dienenden Gliede herabgedrückt wurde, lehrt wiederum, in wie
hohem Grade das Sichtbarwerden von Dingen die Deutung beein-
flusst. Aller Wahrscheinlichkeit nach würde es auch
nicht an Theorien fehlen, welche dem Zytoplasma
die Herrscherrolle zuweisen, wenn es fernerhin ge-
lingen sollte, in diesem auffällige Gestaltungen zu
Mitwirkung der Plastosomen bei der Befruchtung des Ries. 15
erspähen, die sich sicherlich im Zytoplasma ab-
spielen, in welchem sich ebenfalls. dies physio-
logischen Einheiten selbsttätig vermehren.“
Solche „auffälligen Gestaltungen“ im Zytoplasma,
welche meines Erachtens Vererbungsträger darstellen, haben wir in-
zwischen in den von mir sogenannten Plastosomen ?) (früher
Chondriosomen) genauer kennen gelernt; und ist es bereits in
zwei Fällen, bei Ascaris (L. und R. Zoja,?) Meves, Romeis,
Held) und Phallusia (Meves) gelungen, eine Beteiligung dieser
Gebilde bei der Befruchtung nachzuweisen. Wir haben aber
bisher niemals den Plastosomen die ganze Vererbung aufbürden
wollen, sondern stets angenommen, dass Kern und Plastosomen
zusammen dabei wirksam sind.
Wenn zahlreiche Autoren an dem Vererbungsmonopol des
Kerns festgehalten haben, solange eine Mitwirkung zytoplas-
matischer Bestandteile des Spermiums bei der Befruchtung nicht
direkt nachgewiesen war, so habe ich diesen Standpunkt völlig
verstanden, wenn ich ihn auch schon vorher nicht geteilt habe.
Dagegen habe ich die zahlreichen weiteren Hypothesen, mit
welchen die OÖ. Hertwig-Strasburgersche Lehre später ver-
quickt worden ist, meinerseits niemals als berechtigt anerkennen
können.
Zu diesen gehört zunächst die Van Beneden-Rabl-
Boverische Individualitätshypothese der Chromosomen, d. i. die
Lehre, dass die Chromosomen selbständige Individuen sind,
welche ihre Selbständigkeit auch im ruhenden Kern
!) Von mir gesperrt.
°) Zu den Plastosomen gehören folgende Strukturelemente, von denen
ich gezeigt habe, dass sie substantiell identisch sind: die Fila Flemmings
von 1882, die Zytomikrosomen von v. Brunn und v. la Valette
St. George, die Archoplasmakörner Boveris, die Bioblasten Altmanns,
die Plastidulen der Gebrüder Zoja, die Mitochondrien Bendas etc. (vergl.
Meves 1914,53 und 1915).
*) Die Gebrüder L. und R. Zoja haben schon 1891 beschrieben, dass
bei der Befruchtung von Ascaris die „Plastidulen“ des Spermiums sich mit
denjenigen des Eies vermischen. Sie haben aber in theoretischer Hinsicht
ihrem Befund keinen Wert beigelegt. Der eine der beiden Brüder, R. Zoja,
hat 6 Jahre später (1897, S. 17) direkt ausgesprochen, dass das Protoplasma
des Spermiums bei der Vererbung keine Rolle zu spielen und, auch bei
Ascaris, vom Eikörper resorbiert zu werden scheine.
14 Friedrich Meves:
bewahren!) Ich habe schon bei mehreren Gelegenheiten (1907:
1908.25; 1911,2) meinen Unglauben daran bekannt, welchen ich
übrigens mit verschiedenen anderen Autoren, OÖ. Hertwig (1590),
Flemming?) (1594), Jost (1904), Fick (1905— 1908), Nuss-
baum (1906), v. Tellyesnicezky (1907), Della Valle (1909)
u. a. teile.
Nach Boveri wird man zu dieser Hypothese in erster
Linie durch die Tatsache genötigt, dass bei der Zellteilung
Chromosomen von konstanter Zahl und Grösse aus dem ruhenden
Kern hervorgehen. Demgegenüber ist folgendes zu bemerken
(vergl. Meves 1911,2 85.296): In den Spermatozyten zahlreicher
wirbelloser Tiere, z. B. denjenigen der eupyrenen Generation von
Paludina, bilden sich im Beginn der ersten Reifungsteilung aus
der Masse der Plastochondrien Stäbe, Plastokonten, von be-
stimmter Länge und sehr wahrscheinlich auch Zahl. In den
Spermatiden derselben Zellgeneration von Paludina entstehen aus
diesen Plastokonten vier gleichgrosse Kügelchen oder
Bläschen, welche sich um die Ansatzstelle des Schwanzes herum
dem Kern anlagern. In den Spermatozyten von Paludina, welche
den oligopyrenen Spermien Entstehung geben, zerfallen die beiden
Zentriolen im Beginn der ersten Reifungsteilung jedes in zwölf
gleichgrosse Körner (Meves 1903). bei den angeführten Bei-
spielen, denen sich leicht noch andere ähnliche anreihen liessen,
handelt es sich um Bildungen, welche ebenso wie die Chromo-
somen völlig selbständig sind und wie diese in konstanter Grösse
und Zahl auftreten, von denen es aber ausgeschlossen ist, dass
sie im individualisierten Zustand vorher existiert haben. Sie ent-
!) Nach Boveri ist das Chromosom im Ruhekern nach Art eines
Rhizopoden in ein Gerüstwerk übergegangen; im Beginn der Mitose zieht
es sich wieder zusammen.
?) Flemming hat sich, so viel ich weiss, öffentlich nur ein
einziges Mal, an einer Stelle, die ich erst kürzlich aufgefunden habe, gegen
die Individualitätshypothese ausgesprochen. In einem 1894 erschienenen
Bericht über Morphologie der Zelle in Bd. 3 der Merkel-Bonnetschen
Ergebnisse der Anatomie und Entwicklungsgeschichte sagt er S. 111, Anm. 1,
dass wir durch die Arbeiten Rückerts, Borns u. a. wüssten, dass bei
manchen Ovarialeiern die Chromosomen schon während der Eireifung indi-
vidualisiert angelegt werden und in diesem Zustand sehr lange bestehen
können. „Allgemeine Geltung für die Eizelle“, fährt er fort, scheint dies
nicht zu haben, geschweige denn für andere Zellarten.“
Mitwirkung der Plastosomen bei der Befruchtung des Eies. 15
stehen vielmehr neu aus einem bestimmten. in der Zelle vorhandenen
Material. Das Bedingtsein ihres Entstehens aber ist uns absolut
dunkel. Das gleiche gilt meines Erachtens für die Chromo-
somen.
Auch von den weiteren Argumenten, welche Boveri zu-
gunsten der Individualitätshypothese anführt, kann ich keinen
als stichhaltig anerkennen (vergl. Meves, 1911.2).
Die Individualitätshypothese macht für die Reifungsteilungen
die weitere Annahme nötig, dass im Beginn derselben je zwei
Chromosomen zusammentreten, erweist sich aber auch dadurch als
unrichtig, dass die zahlreichen, im Glauben an die Individualitäts-
hvpothese unternommenen Versuche. eine solche „Konjugation“
individualisierter Chromosomen zu erweisen, sämtlich gescheitert
sind. Von allen Beobachtungen, welche als Beweis für eine
Konjugation angeführt werden, lässt sich meines Erachtens un-
schwer zeigen, dass sie irrtümlich gedeutet sind (vergl. Meves
1907, 1908,2). Dass diesen Beobachtungen keine Beweiskraft inne-
wohnt. geht auch für den Uneingeweihten daraus hervor, dass die
Anhänger der Konjugation unter sich nicht einmal über die Art
derselben, ob sie eine „endweise“ oder „parallele“ sei, einig sind.
Boveri selbst hat übrigens neuerdings die Bildung der
Chromosomen mit einer Vorstellung vereinbar gefunden. welche
einem Verzicht auf die Individualitätshypothese gleichkommt
(vergl. Meves 1911,2, S. 295).
An die Individualitäts- und Konjugationshypothese schliessen
sich noch verschiedene andere Chromosomenhypothesen an, welche
sogar in noch höherem Maße anfechtbar sind, welche aber nichts-
destoweniger zusammen mit den erstgenannten in zahlreichen
Abhandlungen und sogar in Lehrbüchern als bewiesen ange-
nommen werden und vielfach als Basis für weitgehende Speku-
lationen dienen müssen.
In der vorliegenden Arbeit habe ich ein weiteres Beispiel
für eine Beteiligung der plastosomatischen Substanz des Spermiums
bei der Befruchtung mitzuteilen.
II. Material und Methode.
Als ich im August des Jahres 1913 die Gastfreundschaft
der schwedischen Zoologischen Station Kristineberg genoss,
traf ich eines Tages im Aquarium Herrn Prof. L. Jägerskiöld
16 Friedrich Meves:
damit beschäftigt, eine grössere Anzahl Filarien (Filaria spiro-
cauda Leidy), welche er soeben im rechten Herzen eines von
ihm erbeuteten Seehundes (Phoca vitulina L.) aufgefunden hatte,
zu konservieren. An einem mir freundlichst überlassenen Exemplar.
welches sich als Weibchen erwies, untersuchte ich den Inhalt
der Uterusschläuche in frischem Zustand und gewann dabei auf
(Grund der Kleinheit, Dünnschaligkeit und Durchsichtigkeit der
Eier den Eindruck, dass sie ein für zellulare Studien sehr ge-
eignetes Objekt bilden müssten. Dadurch wurde der Wunsch in
mir rege, den Befruchtungsvorgang bei Filaria mit Hilfe der
Plastosomenmethoden zu untersuchen. Herr Prof. Jägerskiöld
hielt einen Versuch zur Beschaffung von weiterem Material nicht
für aussichtslos und erbot sich liebenswürdigerweise, mir dabei
behülflich zu sein. Jedoch kam die von uns geplante Seehunds-
jagd wegen schlechten Wetters, welches bis zu meiner Abreise
von Kristineberg andauerte, nicht zur Ausführung.
Mein Interesse für die Befruchtung des Filariaeies war auch
nach meiner Rückkehr nach Kiel im September 1915 lebendig
geblieben. Ich nahm daher die Schneidersche „Monographie
der Nematoden“ zur Hand, um mich über das Vorkommen von
Filarien zu orientieren, und fand darin eine in der Bauchhöhle
des Pferdes lebende Filarie, Filaria papillosa R., bei welcher das
Weibchen bis zu 110 mm lang wird, als „leicht zugängliches
Objekt“ bezeichnet. Daraufhin setzte ich mich mit dem hiesigen
Schlachthof in Verbindung, und gelang es mir, in der Zeit von
Anfang Oktober 1913 bis Ende Juli 1914, also innerhalb von
10 Monaten.!) 30—35 Exemplare von Filaria papillosa (in 7—8
Lieferungen) zu bekommen.
Die Auffindung der Würmer auf dem Schlachthof gestaltete
sich folgendermaßen: Bei Ausführung der Schlachtung wird das
getötete Pferd an den Hinterbeinen aufgehängt und hochgewunden
und dann die Bauchhöhle durch einen Schnitt in der Mittellinie
der Bauchwand eröffnet; darauf werden die Eingeweide aus-
geräumt, wobei sie nach der hier in Kiel (und wohl auch anderswo)
geübten Methode auf einer Karre aufgefangen werden. Vorhandene
Filarien findet man zwischen den Eingeweiden oder am Boden
der Karre umherkriechen.
') Innerhalb dieser Zeit wurden in Kiel ca. 750 Pferde geschlachtet.
Mitwirkung der Plastosomen bei der Befruchtung des Bies. 17
Die aufgefundenen Würmer wurden in ein Thermophor
gebracht, welches vorher (zur Erzeugung einer höheren Temperatur
im Innern) mit warmem Wasser ausgespült und zur Hälfte mit
warmem Pferdemist gefüllt wurde, und dann ohne irgendwelchen
Verzug in das Anatomische Institut transportiert: sie kamen stets
lebend (nach Versicherung des Schlachters in allen Fällen un-
eefähr eine Stunde nach dem Tode des Wirts) in meine Hände.
Sämtliche mir überbrachten Würmer waren Weibchen; ın
einem Fall. in dem nur zwei Würmer gefunden waren, erwiesen
sich diese später als unbefruchtet.
Die weiblichen (Greschlechtsorgane von Filaria papillosa sind
zweiteilig: die beiden Äste des Uterus gehen nach sehr langem
Verlauf an ihrem hinteren Ende mit einem Absatz in die kurzen
feinen Eileiter über, welche sich ihrerseits in die bis etwa 4 cm
langen Ovarien fortsetzen. Filaria papillosa gehört zu den viviparen
Nematoden. Der grösste Teil der Uterusschläuche ist mit ge-
furchten Eiern und jungen Würmern gefüllt. Für das Studium
der Befruchtung und ersten Furchung kommen nur die hintersten,
3—4 cm langen Stücke der Uterusschläuche in Betracht. Um
diese zu gewinnen, verfahre ich folgendermaßen. Ich bringe den
Wurm in eine mit Wachs ausgegossene Schale, deren Boden mit
warmer physiologischer Kochsalzlösung bedeckt ist, stecke Kopf-
und Schwanzende fest, spalte. vom Kopfende anfangend, den
Hautmuskelschlauch in ganzer Länge,') schlage die Spaltränder
nach aussen um und fixiere sie mit Nadeln. Dann entwirre ich
die Uterusschläuche, durchtrenne sie ca. 5—6 em vor dem Über-
gang in die Eileiter und bringe die hinteren Abschnitte mit den
Eileitern und Ovarien in die Fixierungstlüssigkeit hinein.
Für die Fixierung habe ich zuerst Altmannsches Gemisch
gebraucht, habe aber gefunden, dass es bei diesem Objekt eine
nicht unerhebliche Schrumpfung hervorruft. Gute Resultate er-
zielte ich dagegen mit der Flemmingschen Chromosmiumessig-
säure, welche ich in der von mir 1908,1 für Plastosomenstudien
empfohlenen Zusammensetzung anwandte; das auf diese Weise
fixierte Material habe ich hinterher vielfach noch nach Benda
nachbehandelt, indem ich es zunächst auf 24 Stunden in ein
Gemisch von Holzessig und 1proz. Chromsäure und dann auf
') Hierbei bediene ich mich eines Graefeschen gebogenen Zystotoms,
- - - ei . v - ;
wie es in der Augenheilkunde zur Spaltung der Linsenkapsel gebraucht wird.
Archiv f. mikr. Anat. Bd.87. Abt. II. 2
15 Friedrich Meves:
weitere 24 Stunden in eine 2proz. Lösung von Kalium bichromieum
hineinbrachte. Von weiteren Fixierungsmitteln, welche zum Studium
der Plastosomen gebraucht werden, habe ich noch die von Levi
(1913) empfohlene Modifikation des Gemisches von Maximow
geprüft, habe aber gefunden, dass sie bei den Filariaeiern nicht
so gutes wie die modifizierte Flemmingsche Flüssigkeit leistet.
Schliesslich habe ich noch einen allerdings nur kleinen Teil meines
Materials (die hinteren Enden der Geschlechtsröhren von je
zwei Würmern) mit Sublimat-Alkohol-Eisessig!) nach v. Lenhossek
und mit Pikrinsäure-Formol-Eisessig?) nach Bouin fixiert.
Nachdem die (eschlechtsröhren die erforderliche Weiter-
behandlung durchgemacht hatten, wurden sie, vor der Übertragung
in Xylol. in ca. 1 cm lange Stücke zerteilt: diese wurden zu
mehreren in Paraffın eingebettet und der Länge nach in 4 «u oder
5 « dicke Schnitte zerlegt.
Zur Färbung des mit dem modifizierten Flemming schen
(remisch fixierten Materials habe ich in erster Linie die Eisenhäma-
toxylinmethode, meistens mit Vorbehandlung nach Rubaschkin,
angewandt. Auch mit der Bendaschen Eisenalizarin-Kristall-
violettfärbung habe ich eine Reihe von Versuchen angestellt;
jedoch ist mir eine Darstellung der kleinen Eiplastochondrien
auf diese Weise nicht gelungen. Ausserdem habe ich noch eine
Anzahl Färbungen (s. u.) probiert, um die schwer nachweisbare
Kernsubstanz des eingedrungenen Spermiums zu verfolgen; dies
glückte mir an dem mit Sublimat-Alkohol-Eisessig behandelten
Material mit Hülfe der Giemsaschen Azur-Eosinfärbung, welche
ich nach der Vorschrift anwandte, die Giemsa selbst (Deutsche
medizinische Wochenschrift, Jahrg. 36, 1910) für die Sehnitt-
färbung gegeben hat.
III. Die freien Spermien. (Fig. 1—10 und 39—48.)
Die freien Spermien habe ich an Schnitten durch das oberste
Uterusende studiert, welches in den meisten Fällen auf eine
kleinere oder grössere Strecke (häufig auf nicht weniger als
6—S mm) damit erfüllt ist.
!) Konzentrierte wässerige Sublimatlösung 75 cem, Alkohol abs. 25 cem,
Eisessig 5 cem.
2) Gesättigte wässerige Pikrinsäurelösung 75 cem, Formol 25 cem, Eis-
essig 9 CCM.
Mitwirkung der Plastosomen bei der Befruchtung des Eies. 19
Die Spermien sind rundliche oder länglich rundliche Zellen,
welche an Insektenspermatiden erinnern, die auf einem frühen
Stadium der Entwicklung (unmittelbar nach Ablauf der zweiten
Reifungsteilung) stehen geblieben sind. Bei Fixierung mit
Flemmingschem Gemisch und Färbung mit Safranin (Fig. 1—5)
zeigen sie einen Zytoplasmaleib, welcher ausser der Kernsubstanz
einen grossen, plastosomatischen „Nebenkern“ einschliesst, wie
wir ıhn zuerst bei Insektenspermatiden kennen gelernt haben
(vergl. Meves. 1900). Die Kernsubstanz liegt am vorderen Pol
der Samenzelle in einer zytoplasmatischen Kappe, welche den
gleichfalls vorn gelegenen Nebenkern bedeckt. Diese Kappe scheint
resistenter zu sein als das Zytoplasma des Schwanzteils: denn
während letzteres an dem mit Flemmingschem Gemisch fixierten
Material nicht selten zertlossen erscheint, ist die Kopfkappe stets
wohl erhalten. Die Kernsubstanz liegt nicht immer genau am
vorderen Pol des Spermiums vor dem Nebenkern, sondern viel-
fach an der Seite desselben, so dass sie bei stark gefärbtem
Nebenkern von diesem völlig verdeckt wird. Sie bildet keinen
einheitlichen Körper, sondern wird durch eine Gruppe kleiner
Kügelchen repräsentiert, welche mitunter mehr oder weniger
stark miteinander verbacken erscheinen, in den meisten Fällen
aber völlig voneinander isoliert sind; man kann sie dann zählen
und feststellen, dass bald fünf (Fig. 1, 4, 5), bald sechs (Fig. 2. 3)
solcher Kügelchen vorhanden sind.
Der gleiche interessante Befund in bezug auf die Kern-
substanz ist von Mulsow (1911, 1912) bei den Spermien eines
verwandten Nematoden, Aneyracanthus eystidicola, welcher in der
Schwimmblase der Forelle lebt, erhoben worden. Mulsow kommt
durch Untersuchung der Spermatogenese zu dem Resultat. dass
die Kügelchen als die Chromosomen der zweiten Reifungsteilung
aufzufassen sind, welche getrennt nebeneinander liegen bleiben.
Von den sechs Chromosomen, welche bei der Hälfte der
Spermien vorhanden sind, ist eines als Geschlechts- oder
Heterochromosom aufzufassen. In den Prophasen der ersten
Reifungsteilung zählt man sechs Chromosomen, von denen sich
eines durch geringere Grösse auszeichnet. Dieses, das Hetero-
chromosom, gelangt später ungeteilt in eine der Tochterzellen
hinein. Dadurch entstehen zwei Spermatozyten zweiter Ordnung,
von denen der eine fünf, der andere sechs Chromosomen auf-
DES
20 Friedrich Meves:
weist. Bei der zweiten Reifungsteilung gehen dann aus den zwei
Spermatozvten zweiter Ordnung vier Spermatiden hervor, von
denen zwei je fünf und zwei je sechs Chromosomen besitzen.
Während nun bei anderen Objekten die Chromosomen miteinander
verklumpen, bleiben sie bei Aneyracanthus auch weiterhin einzeln
nebeneinander liegen und sind noch an den fertigen Spermien
zu zählen. Die Abbildungen, welche Mulsow gegeben hat, lassen
es in der Tat gerechtfertigt erscheinen, die fünf bezw. sechs
Chromatinkügelchen des Spermiums direkt als Chromosomen an-
zusprechen; an und für sich würde ich mehr dazu geneigt haben.
sie als Partialkernchen aufzufassen.
Der Nebenkern (Plastochondrienkörper) des Filaria-
spermiums stellt ein ziemlich voluminöses (rebilde dar, welches
die ganze Breite des vorderen Spermienendes einnimmt. Er ist
meistens entweder annähernd kugelig oder halbkugelig gestaltet;
im letzteren Fall ist die konvexe Seite nach vorn gekehrt. Zu-
weilen ist er schalenförmig (Fig. 10). Andere Male hat er mehr
die Form eines kurzen Zylinders, dessen Längsachse mit der-
jenigen der Zelle zusammenfällt (Fig. 9). An Präparaten, welche mit
Flemmingschem Gemisch fixiert und mit Safranin gefärbt
sind, ist er in bräunlichem Ton, etwas, aber nur wenig stärker
als das Zytoplasma, gefärbt; im übrigen zeigt er ein homogenes Aus-
sehen. Bei Anwendung der Eisenhämatoxylinmethode (Fig. 6— 10)
nimmt er eine intensiv schwarze Färbung an, lässt aber bei
genügender Ausziehung Strukturverhältnisse erkennen; und zwar
erscheint er entweder vakuolisiert oder grobbalkig (Fig. 6. 7)
oder er weist, und zwar in sehr vielen Fällen, eine körnige oder
körnig-fädige Beschaffenheit auf (Fig. 5).
In Fig. 39—48 habe ich schliesslich noch eine Anzahl Bilder
zusammengestellt. wie man sie nach Fixierung mit Sublimat-
Alkohol-Eisessig und Färbung mit Giemsalösung erhält. Sie
sind untereinander recht verschieden. In einigen Präparaten
treten in den Spermien nur die Chromatinkügelchen hervor, das
ganze übrige Spermium dagegen ist gleichmässig rotviolett oder
auch blauviolett gefärbt. In anderen Fällen dagegen zeigen sich
verschiedene Teile des Spermiums verschieden tingiert; und zwar
können abgesehen von den Chromatinkügelchen sowohl das Zyto-
plasma des Schwanzteils und der Nebenkern als auch die vor
dem Nebenkern gelegene zytoplasmatische Kappe, welche die
Mitwirkung der Plastosomen bei der Befruchtung des Eies. 21
Chromatinkügelchen einschliesst, eine besondere Färbung auf-
weisen.
Da anzunehmen ist, dass die Filariaspermien mit denjenigen
von Aneyracanthus nicht nur in bezug auf ihre Chromatin-
verhältnisse übereinstimmen, interessiert es, auch die übrige
Schilderung zu vergleichen, welche Mulsow von den Ancyracanthus-
spermien gegeben hat. Mulsow, dessen Beobachtungen sich aus-
schliesslich auf das lebende Objekt und auf Totalpräparate der
(reschlechtsorgane beziehen, welche aus den mit Sublimat-Alkohol-
Eisessig fixierten Würmern unter der Lupe herauspräpariert, mit
Boraxkarmin gefärbt, in Nelkenöl aufgehellt und entweder hierin
oder in Kanadabalsam untersucht wurden, sagt, dass die fertigen
Spermien von Ancyracanthus „Kugelform haben“ und dass sie
„zum grössten Teil aus einem Glanzkörper bestehen, dem eine
kleine Kappe von körnigem Protoplasma aufgelagert ist. In diesem
Protoplasma liegen die Chromosomen —.“ Bei den Filariaspermien
muss ich die Existenz eines Glanzkörpers, wie ihn Mulsow bei
Ancyracanthus beschreibt, in Abrede stellen. Der Glanzkörper
von Mulsow bei Ancyracanthus entspricht wahrscheinlich dem
von mir sogenannten zytoplasmatischen Schwanzteil des Filaria-
spermiums, die „Kappe von körnigem Protoplasma“ dagegen dem
Nebenkern, von welchem Mulsow sonst gar nichts gesehen haben
würde; die „Chromosomen“ sind dann aber nicht, wie Mulsow
schreibt, in dem „körnigen Protoplasma“, sondern vor ihm oder
an der Seite desselben gelegen.
IV. Die unbefruchteten Eier und ihre Entwicklung.
(Fig. 11—17.)
Der Ovarialschlauch von Filaria ist, verglichen mit dem-
jenigen von Ascaris, verhältnismässig kurz und bietet daher eine
günstige Gelegenheit, welche ich nicht unbenutzt gelassen habe,
um die Entwicklung der Eizellen zu studieren; jedoch habe ich
mich dabei im wesentlichen auf eine Verfolgung ihrer plasto-
somatischen Strukturen beschränkt.
Das blinde Ende des Ovarialschlauchs ist dicht erfüllt von
kleinen rundlichen Zellen, Oogonien, welche einen kugeligen Kern
aufweisen, der durch den Besitz eines grossen Nukleolus aus-
gezeichnet ist. Das Zytoplasma schliesst zahlreiche, gewundene,
durch FEisenhämatoxylin nach Fixierung mit modifiziertem
22 Friedrich Meves:
Flemmingschem Gemisch schwarz färbbare Fäden, Plastokonten,
ein, welche den Kern gleichmässig auf allen Seiten umgehen.
Indem die Eizellen in die Wachstumsperiode übertreten,
nehmen sie, grösser werdend, eine birnförmige Gestalt an
(Fig. 11, 12). Benachbarte Eizellen hängen an den spitzen Enden,
in welchen man häufig, besonders bei schon etwas stärker heran-
gewachsenen Zellen, einen homogenen Körper erkennt (Fig. 13).
untereinander zusammen. Die im Zytoplasma enthaltenen ge-
wundenen Fäden wachsen gleichfalls und nehmen dabei nicht nur
an Länge, sondern zunächst auch noch an Dicke zu; sehr bald
aber (Fig. 13) wird eine Diekenabnahme an ihnen bemerkbar:
die untere abgerundete Hälfte der birnförmigen Zelle wird
meistens völlig von den Fäden erfüllt.
Noch grösser werdend streben die Eizellen einer ellipsoi-
dischen Gestalt zu (Fig. 14, 15, 16). Die homogenen Körper,
welche früher das zugespitzte Ende der Zelle einnahmen (Fig. 135).
werden dabei, indem dieses sich mehr und mehr abrundet, ins
Innere des Zytoplasmas aufgenommen (Fig. 15, 16). Man kon-
statiert nunmehr deutlich, dass sie sich ausserhalb der Zellen in
einen Strang fortsetzen, welcher die gleiche Beschaffenheit wie
sie selbst hat. Dieser Strang, eine sogenannte Rhachis, ist ver-
ästelt; die Enden der Äste treten mit benachbarten Eizellen in
Verbindung, indem sie sich ein Stück weit in die Zellen hinein-
erstrecken: die in Fig. 15 und 16 gezeichneten „homogenen
Körper“ sind selbst weiter nichts als solche Astenden.
Die Dickenabnahme der Plastokonten, welche schon auf
dem Stadium der Fig. 13 bemerkbar war, setzt sich durch die
folgenden Teile der Wachstumsperiode bis kurz vor ihrem Ab-
schluss weiter fort. Die geschlängelten Plastokonten werden feiner,
zugleich aber immer zahlreicher; dabei bestreben sie sich, eine
ungefähr parallele Anordnung zur Längsachse der Zelle anzu-
nehmen. Auf dem Stadium der Fig. 15 wird das Zytoplasma des
Oozyten der Länge nach von zahlreichen feinen geschlängelten
Fäden dicht durchsetzt. In der Folge werden die Fäden noch
feiner und beginnen dann sich in Körnchen zu zerlegen
(Fig. 16). Wenn die Eier ihre definitive Grösse erreicht und sich
von der Rhachis losgelöst haben (Fig. 17), sind sämtliche Fäden
in kleine Körnchen zerfallen ; zwischen den Körnchen sind Vakuolen
in der Grundsubstanz des Zytoplasmas aufgetreten.
Mitwirkung der Plastosomen bei der Befruchtung des Eies. 23
Der Kern geht im Lauf der Wachstumsperiode aus der
runden in eine ovale Form über, um schliesslich wieder zur
runden zurückzukehren. Den Veränderungen, die sich in seinem
Innern abspielen, habe ich keine weitere Beachtung geschenkt.
Ein in mancher Beziehung ähnliches Verhalten der Plasto-
somen, wie ich es bei der Entwicklung des Filariaeies beobachtet
habe, ist schon 1591 von den Gebrüdern Zoja bei einem anderen
Nematoden. nämlich beim Pferdespulwurm, mit Hilfe der Alt-
mannschen Methode festgestellt worden.
Die „Plastidulen“, wie die beiden italienischen Autoren sagen, prä-
sentieren sich bei Ascaris in den Zellen der Vermehrungsperiode als feine,
mannigfach gewundene Fäden, welche das ganze Protoplasma erfüllen. In
den Zellen der Wachstumszone haben sie die (Gestalt ziemlich langer Fäden,
die in mannigfacher Weise gewunden und verflochten, im allgemeinen jedoch
parallel der Hauptachse der Zelle angeordnet sind; bei starker Vergrösserung
lassen sie sich häufig in Reihen sehr kleiner rundlicher Körner auflösen.
Die Fäden sind zahlreicher in dem schmäleren, der Rhachis zugekehrten
Teil. wo sie zugleich länger sind. Dann finden sie sich, nicht sehr reichlich,
zwischen den spheres hyalines und corpuscules refringents, in weniger langen
Reihen oder auch isoliert. Um den Kern herum sind sie leicht angehäuft;
von ihm gehen Fäden in unregelmässig radiärer Richtung aus. Eine etwas
reichere Zone kommt auch unter der ganzen Zelloberfläche zur Beobachtung.
In etwas weiter herangewachsenen Eiern sind die Fäden weniger lang, die
zerstreuten Granula reichlicher und die Anhäufung gegen die Rhachis zu
geringer. Wenn die Eier sich ablösen, bemerkt man immer noch an dem-
jenigen Ende, mit dem sie angeheftet waren, mehr zusammengruppierte
Plastidulen, welche vorwiegend rund, nicht zu Fäden vereinigt und immer
ziemlich klein sind.
In Eiern, welche die elliptische Form angenommen haben, finden sich
kleine runde Plastidulen, ziemlich viel reichlicher um die „Polplatte“ herum
als im übrigen Ei; sie bilden hier häufig eine Anhäufung, von welcher
strahlige Reihen ausgehen können; im übrigen Ei liegen kleine runde Plasti-
dulen mehr verstreut zwischen den geformten Elementen; an der Peripherie
sind sie reichlicher.
Weitere Beobachtungen über die Plastosomen in den sich
entwickelnden Oozyten von Ascaris stammen von Fräulein
Schoonjans (1909), welcher die Zojasche Abhandlung, die ich
1910 der Vergessenheit entrissen habe, unbekannt geblieben ist.
Duesberg (1912, S. 716) und ich (1911,1, S. 702) haben die
Angaben der Gebrüder Zoja bei gelegentlicher Nachprüfung
bestätigt gefunden. Nachuntersuchungen am gleichen Objekt
haben ferner Faur&-Fremiet (1913, S. 502) und Hirschler
(1913, S. 375) vorgenommen. Letzterer findet in den Oozyten
24 Friedrich Meves:
ausschliesslich Körner (Plastochondrien): augenscheinlich hat er
ein Material bearbeitet, dessen Fixierung zu wünschen übrig liess.
Bei anderen Tieren als Nematoden sind Plastokonten
in heranwachsenden Eizellen mehrfach beschrieben worden, z. B.
von Bluntschli (1904) bei Ascidien (Cynthia), von Schaxel
(1911) bei Echinodermen (Asterias und Holothuria), von Levi
(1912) bei Amphibien (Geotriton). Tsukaguchi (1914) hat ın
grösseren Oozyten einer Meduse (Aurelia) „ziemlich lange Fäden“
beobachtet, welche gegen Ende der Wachstumsperiode „Körnchen
und kurzen Stäbehen“ Platz machen. Nach der Literaturzusammen-
stellung, welche Duesberg (1912) gegeben hat. scheinen aber
die Plastosomen der Eizellen auch während der Wachs-
tumsperiode gewöhnlich Körnerform zu besitzen.
V. Das eben eingedrungene Spermium.
(Fig. 18, 19 und 49—51.)
Die Spermien erfüllen, wie gesagt. das oberste Uterusende
in verschieden grosser Ausdehnung, vermögen aber auch, wie
ich mehrfach konstatiert habe, in den Eileiter einzutreten.
Spermien, welche im Eindringen in die Eizelle begriffen waren.
habe ich nicht mit Sicherheit beobachtet. Möglicherweise erfolgt
die Kopulation meistens schon im Eileiter.
Bei Fig. 18 und 19, denen Präparate zugrunde liegen,
welche mit modifiziertem Flemmingschen (Gemisch fixiert und
mit Eisenhämatoxylin gefärbt worden sind, handelt es sich um
befruchtete Eizellen, welche isoliert mitten in der das oberste
Uterusende erfüllenden Spermienmasse gelegen waren. Solche
Zellen zeigen eine von der ellipsoidischen mehr oder minder
stark abweichende, mit buckelförmigen Vortreibungen besetzte,
unregelmässige Gestalt, die wahrscheinlich der Ausdruck einer
amöboiden Bewegung ist, welche die Eizellen zur Zeit der
Befruchtung oder kurz nach Eintritt derselben ausführen. Die
Spermien sind in Fig. 15 und 19 bereits völlig in die Eizellen
aufgenommen, aber noch unmittelbar unter der Eioberfläche
liegen geblieben; ihre Form ist länglich, der Längsdurchmesser
der Eioberfläche parallel gelegen. Eine Eihaut scheint sich
bereits gebildet und über dem eingedrungenen Spermium in
Form einer Blase abgehoben zu haben.
Mitwirkung der Plastosomen bei der Befruchtung des Eies. 25
Die Eizelle beginnt alsbald zu einer annähernd ellipsoidischen
(restalt zurückzukehren; das Spermium bleibt zunächst noch
unter der Zelloberfläche liegen, geht aber aus der in die Länge
gestreckten Form in eine mehr rundliche über. Es wird nun-
mehr in den meisten Fällen an einem Pol der Eizelle oder in
der Nähe desselben gefunden; sein Eindringen muss also auch
wohl hier erfolgt sein (Fig. 49--51, Fixierung mit Sublimat-
Alkohol-Eisessig, Giemsafärbung).
Von Bestandteilen des Spermiums erkennt man in den
Figuren 18 und 19 den Nebenkern, umgeben von dem Plasma-
körper des Spermiums. welcher sich seinerseits deutlich ' vom
Eiplasma abgrenzt. Der plastosomatische Nebenkern bildet eine
körnig-fädige Masse, welche durch Eisenhämatoxylin intensiv
schwarz gefärbt ist. Dagegen erscheinen die kleinen Eiplasto-
chondrien in Fig. 15 und 19 und ebenso in den folgenden Figuren
nur noch in grauer Farbe, weil die zugrunde liegenden Präparate
stärker differenziert sind als dasjenige, nach welchem Fig. 17
gezeichnet ist: die Folge davon ist, dass die grösseren Körner
des Nebenkerns, welche die Schwarzfärbung energisch festhalten,
um so deutlicher hervortreten.
Von den Uhromatinkügelchen der Samenzelle ist in Fig. 15
und 19 (und auch in den folgenden Figuren 20—32 und in
Fig. 34) nichts wahrzunehmen. Während sie an den freien Spermien
ausserordentlich leicht darzustellen sind, hat mir ihr Nachweis
innerhalb der Eizelle während der ganzen Zeit, welche bis zur
Bildung der ersten Richtungsspindel verläuft, anfangs grosse
Schwierigkeiten bereitet. Van Beneden hat bereits 1883,
S. 179 von den Ascarisspermien angegeben, dass ihre Kerne sich
nach dem Eintritt der Befruchtung viel weniger intensiv färben
lassen als vorher. Dass aber die Kernsubstanz des eingedrungenen
Spermiums eine so starke Abneigung gegen Farbstoffe zeigt.
wie man es bei Filaria beobachtet, hätte ich nicht für möglich
gehalten.
Bei den mit Flemmingschem Gemisch fixierten Eiern
habe ich die Chromatinkügelchen des aufgenommenen Spermiums
nach Färbung mit Eisenhämatoxylin nur in ganz seltenen Fällen
und auch dann fast immer nur zum Teil tingiert gefunden;
Färbungen mit Hämalaun oder mit Anilinfarbstoffen wie Safranin,
Methylenblau u. a. blieben sogar völlig resultatlos.
26 Friedrich Meves:
Ich ging dann zu dem Material über, welches ich mit
Sublimat-Alkohol-Eisessig und mit Pikrinsäure - Formol- Eisessig
behandelt hatte und färbte es zunächst mit Hämatoxylin und
Karmin, dann mit Anilinfarbstoffen und (remischen von solchen.
wie Ehrlich-Biondischer Lösung und Methylgrün - Pyronin
nach Pappenheim. Auch hier war das Resultat mit Bezug auf
die Chromatinkügelchen der eingedrungenen Samenzelle negativ:
nur bei Anwendung der Methvlgrüngemische nahmen sie in
Spermien, welche ihre Lage unter der Zelloberfläche bereits seit
längerer Zeit aufgegeben hatten, einen leicht grünlichen Ton an.
Einige der angewandten Färbungen ergaben jedoch in
anderer Hinsicht ein interessantes Resultat, insofern als sie
zeigten, dass der Plasmakörper des aufgenommenen Spermiums
mit gewissen basischen Anilinfarbstoffen wie Methylenblau und
Pyronin stark färbbar geworden ist. Zum Beispiel zeigten Präparate,
die mit Flemmingschem Gemisch fixiert und mit Methylenblau-
Fuchsin S simultan gefärbt waren, die Chromatinkügelchen der
freien Spermien dunkelblau, die Plasmakörper der eingedrungenen
heller, aber ebenfalls noch tiefblau gefärbt. An Schnitten von
Sublimat - Alkohol - Eisessig - Material, welche einer Doppelfärbung
mit Methylgrün-Pyronin unterworfen waren, erschienen erstere
schön grün, letztere intensiv rot tingiert. Die Chromatinkügelchen
der eingedrungenen Spermien aber waren in beiden Fällen
völlig ungefärbt geblieben.
Erst als ich dann die Giemsafärbung auf die mit
Sublimat-Alkohol-Eisessig fixierten Eier anwandte, gelang es mir
ausser einer starken Blaufärbung des Plasmakörpers der auf-
genommenen Spermien eine sehr schöne und intensive Rotfärbung
ihrer Chromatinkügelchen zu erzielen. Die Blaufärbung des
Plasmakörpers ist allerdings zunächst so kräftig (Fig. 49), dass
dadurch die in ihm eingeschlossenen Chromatinkügelchen meistens
verdeckt werden. Sie beginnt aber gewöhnlich nach einigen
Tagen zu verblassen und nunmehr treten die Chromatinkügelchen
in dem eingedrungenen Spermium mit besonderer Deutlichkeit
hervor (Fig. 50, 51).
Der blau gefärbte Plasmakörper erscheint übrigens bei der
Giemsafärbung in der Regel nicht homogen, sondern undeutlich
körnig. Diese Erscheinung möchte ich auf das Auftreten einer
besonderen Granulation zurückführen, von welcher ich auch an
—
Mitwirkung der Plastosomen bei der Befruchtung des Eies. 27
Sublimat-Alkohol-Eisessig-Präparaten, die mit Eisenhämatoxylin
tingiert worden waren, Andeutungen gesehen habe; es sind dies
Körner, welche mit denjenigen des Nebenkerns auf keinen Fall
identisch sind.
Ansser den rot tingierten Chromatinkügelchen bleibt in
dem abblassenden Spermienplasma noch ein kleiner rundlieher
oder ovaler, stärker blau gefärbter Körper zurück (Fig. 50, 51),
von welchem ich am freien Spermium nichts wahrgenommen habe:
über seine Natur und seine weiteren Schicksale (er ist auch
noch später, z. B. auf den Stadien der Figuren 53 und 55, nach-
weisbar) vermag ich nichts auszusagen.
Das Eiprotoplasma erscheint an den Giemsapräparaten
gleich nach ihrer Anfertigung blauviolett gefärbt, nimmt aber
nach einiger Zeit einen rotvioletten Ton an: es zeigt einen un-
deutlich körnigen oder körnig-fädigen Bau, welchen ich in meinen
Figuren nicht wiedergegeben habe.
VI. Die Veränderungen am befruchteten Ei bis zur
Bildung der beiden Vorkerne. (Fig. 20—34 und 52—74.)
Bevor ich dazu übergehe, die weiteren Erscheinungen zu
beschreiben, die sich an dem eingedrungenen Spermium abspielen,
sei kurz erwähnt, dass der Eikern beim Herannahen der ersten
Reifungsteilung die Mitte der Eizelle verlässt, sich an den einen,
in meinen Figuren unteren Pol derselben begibt und hier die
beiden Richtungsteilungen durchmacht, bei welchen die Chromo-
somenzahl sechs beträgt. Ein Eingehen auf die Reifungsteilungen
lag nicht im Plan meiner Arbeit.
Am entgegengesetzten, in meinen Figuren oberen Pol der
Eizelle oder in seiner Nähe tritt kurz vor Beginn der ersten
Reifungsteilung eine eigentümliche Bildung auf; es differenziert
sich hier unter der Zelloberfläche ein grösserer heller Bezirk
von annähernd ovaler Form, welcher gegen das übrige Eizyto-
plasma deutlich abgegrenzt ist (Fig. 27, 285: über die scheinbar
abweichende Lage des hellen Bezirks in Fig. 26 siehe Anm. auf
folgender Seite). Im Bereich dieses hellen Bezirks liegt direkt
an der Zellobertläche ein linsenförmiger Körper von homogenem
Aussehen, welcher sich in der Folge unter Verkürzung seines
langen Durchmessers zu einem mehr rundlichen Gebilde um-
wandelt: dieses löst sich vielfach, aber nicht immer, von der
28 Friedrich Meves:
Zellobertläche los und gerät mehr in das Innere des hellen
Bezirks hinein (Fig. 30, 32— 34); nicht selten sieht man blasse
Fäden von ihm innerhalb des hellen Bezirks nach verschiedenen
Richtungen ausgehen (besonders an Eiern, welche mit Sublimat-
Alkohol-Eisessig fixiert sind). Über die Entstehung und Bedeutung
dieser gesamten Bildung vermag ich nichts auszusagen, möchte
aber glauben, dass sie ihrer (Genese nach in Beziehung zu dem
intrazellularen Teil des Rhachisstranges (Fig. 15, 16) zu bringen
ist. Wo man, wie in den Fig. 29 und 31, nichts von ihr wahr-
nimmt, könnte sie etwas seitlich vom Zellpol gelegen haben und
weggeschnitten sein: es ist aber auch möglich, dass sie nicht
konstant vorhanden ist. Gegen Ende der ersten Richtungsteilung
rückt sie von dem Pol, an welchem sie bisher gelegen war, weg
an die Seite der Eizelle, ohne aber ihre Lage an der Zellober-
tläche aufzugeben (Fig. 65—67). Auffallender Weise werden von
diesem Zeitpunkt an häufig zwei (Fig. 66) oder sogar drei solcher
Bildungen an verschiedenen Stellen unter der Zelloberfläche auf-
gefunden. Nach Ausstossung des zweiten Richtungskörpers ist
in der Regel nichts mehr von ihnen wahrzunehmen.
Das eingedrungene Spermium haben wir zu einem
Zeitpunkt verlassen, wo es als eine rundliche Masse an der Zell-
oberfläche gelegen war. Bald darauf trennt es sich von der Zell-
oberfläche und lagert sich in der Längsachse der annähernd
ellipsoidischen Zelle auf der einen Seite des Eikerns, zwischen
diesem und demjenigen Pol der Eizelle, welcher dem Richtungs-
körperpol entgegengesetzt ist.')
An Präparaten, welche mit modifiziertem Flemming schen
(Gemisch fixiert und mit Eisenhämatoxylin gefärbt worden sind,
erkennt man auf diesem Stadium (Fig. 20) den Nebenkern im
Zentrum des Spermienplasmas als eine ungefähr kugelige Anhäufung
intensiv schwarz tingierter Plastochondrien. Man sieht nun weiter,
wie einzelne dieser Plastochondrien sich von der zentralen Ansamm-
!) Der dem Richtungskörperpol entgegengesetzte ist derselbe, an
welchem der eben besprochene „helle Bezirk“ auftritt. Das Spermium liegt
also zwischen dem „hellen Bezirk“ und dem Kern. Eine Ausnahme bildet
Fig. 26, in welcher der „helle Bezirk“ nnd das Spermium sich auf entgegen-
gesetzten Seiten des Kerns finden. Diese Fig. 26 steht, verglichen mit den
Figuren 20-25 und 27—36, wahrscheinlich auf dem Kopf: das Spermium
hat ausnahmsweise seine Lage zwischen dem Richtungskörperpol und dem
Kern genommen.
‘Mitwirkung der Plastosomen bei der Befruchtung des Eies. 29
lung ablösen und aus dem Spermienkörper heraus in das Ei-
zytoplasma übertreten, innerhalb dessen sie zunächst durch ihre
Grösse deutlich erkennbar bleiben. Infolge der immer stärker
werdenden Auswanderung wird die Körneranhäufung im Spermien-
körper zusehends kleiner, während die Anzahl der im Eizyto-
plasma nachweisbaren grossen Plastochondrien immer mehr wächst
(Fig. 21 ff.). In späterer Zeit (Fig. 25 ff.) nimmt man an den
ausgewanderten Körnern vielfach Zerfallserscheinungen wahr;
statt eines grösseren Korns findet man zwei oder drei oder vier
kleinere. welche auf einem Haufen zusammenliegen.
In den Figuren 28—31 und besonders in Fig. 32 ist der
Spermienkörper bis auf wenige Körner ausgeräumt. Die Zahl der
im Eiprotoplasma sichtbaren grossen Plastochondrien hat aber
nicht mehr zugenommen, in Fig. 32 sogar entschieden ab-
genommen. Der Grund könnte darin liegen, dass die Körner
in der ganzen Eizelle verstreut sind und daher auf einem Schnitt
nur zum Teil gesehen werden. Wahrscheinlicher ist mir aber,
dass die meisten von ihnen schon in kleinere Körner zerlegt
sind, welehe sich von Eiplastochondrien nicht mehr unterscheiden
lassen.
Nachdem sich die erste Richtungsspindel ausgebildet hat
(Fig. 33, 34). ist der Zytoplasmakörper des Spermiums von Plasto-
chondrien gänzlich frei geworden; auch im Eizytoplasma werden
grössere Körner, welche man als noch unzerlegte männliche Plasto-
chondrien ansprechen könnte, entweder nur vereinzelt (Fig. 33)
oder überhaupt nicht mehr (Fig. 34) angetroffen. Zur Zeit der
Ausstossung des ersten Richtungskörperchens ist das Zytoplasma
der Eizelle jedenfalls ausschliesslich von kleinen Körnern durch-
setzt, welche sämtlich das Kaliber der Eiplastochondrien besitzen.
Muss man nun annehmen, dass die männlichen Plasto-
chondrien nach ihrer Zerlegung im Eizytoplasma resorbiert worden
sind? Ein Blick auf die Plastosomen der Eizelle, besonders der
heranwachsenden (Fig. 11—16) genügt, um zu erkennen, dass
diese Strukturen offenbar eine hervorragende Wichtigkeit be-
sitzen; schon deshalb ist es wenig wahrscheinlich, dass die ent-
sprechenden Strukturen des Spermiums dem Untergang bestimmt
sein sollten. Wir wissen ferner, dass die Plastosomen mit den
Fäden Flemmings von 1882 und den Granulis von Alt-
mann (1890) identisch sind (Meves 1908, 1, 1910, 1914, 3,
30 Friedrich Meves:
1915), dass sie also ganz ursprüngliche Zytoplasmabestandteile
darstellen. Wenn solche durch das Spermium in das Ei hinein-
transportiert werden, so erscheint mir ausgeschlossen, dass sie
dort spurlos verschwinden sollten. Zugunsten der letzteren An-
nahme lässt sich kaum etwas anderes geltend machen, als dass
eine Persistenz der männlichen Plastochondrien im Ei mit der
Monopolstellung unvereinbar ist, welche dem Chromatin der
Samenzelle noch von vielen Seiten bei der Übertragung erblicher
Eigenschaften eingeräumt wird.
Vergleicht man die Aussaat männlicher Plastochondrien.,
wie sie sich bei Filaria abspielt, mit dem gleichen Vorgang bei
Ascaris (Meves 1911, 1), so ergeben sich folgende Unterschiede:
Bei Ascaris wandern die männlichen Plastochondrien aus dem
Spermienkörper erst aus, nachdem sie sich zerlegt haben: bei
Filaria dagegen treten sie unzerlegt in das Eizytoplasma über
und zerfallen erst hinterher. Das Spermium wird ferner im Ei
des Pferdespulwurms zur Zeit, wo die männlichen Plastochondrien
ausgesät werden, dicht von Eiplastochondrien umhüllt, welche
sich von allen Seiten her im Umkreis desselben ansammeln: im
Filariaei dagegen lassen die weiblichen Plastochondrien keine
Lageveränderungen erkennen.
Der aus zytoplasmatischer „Grundsubstanz“ bestehende
Körper der Samenzelle wird im Filariaei besonders, nachdem
die erste Reifungsteilung begonnen hat,') immer kleiner. Diese Ver-
kleinerung ist zum Teil auf die Auswanderung der männlichen
Plastochondrien zurückzuführen: daneben tritt aber eine wirkliche
Abnahme der Grundsubstanz. wahrscheinlich durch Resorption,
ein. An Präparaten, welche mit modifiziertem Flemmingschen
(emisch fixiert und mit Eisenhämatoxylin gefärbt worden sind,
kann man zu der Meinung kommen, dass der Plasmakörper des
Spermiums nach Ablauf der ersten Reifungsteilung völlig ge-
schwunden ist (Fig. 65 ff... Giemsafärbungen der mit Sublimat-
Alkohol-Eisessig fixierten Eier zeigen aber, dass Teile davon noch
längere Zeit persistieren können; man vergleiche Fig. 62, wo ein
strangförmiger Rest am oberen Rand des männlichen Vorkerns er-
halten ist. Wie ich schon früher mit Bezug auf das Ascarisspermium
bemerkt habe (1911, I, S. 709), lässt sich die Möglichkeit nicht
') Inden Prophasen derselben ist er häufig vorübergehend kugelschalen-
förmig umgestaltet (vergl. Fig. 59).
Mitwirkung der Plastosomen bei der Befruchtung des Eies. al
ausschliessen, dass von der Grundmasse des Spermienzytoplasmas
Wirkungen irgendwelcher Art auf das Ei ausgehen.
Als eine eigentümliche Erscheinung am Spermienzytoplasma
ist noch das Auftreten einer hellen Vakuole zu erwähnen, welche
gewöhnlich am Rande desselben gelegen und von einer Membran
eingeschlossen ist (Fig. 23, 25—27, 29, 31): die letztere ist ın
der Regel mit männlichen Plastochondrien besetzt. Wenn die
erste Richtungsspindel sich ihrer Fertigstellung nähert, scheint
die Vakuole sich vom Zytoplasma der Samenzelle loszulösen und,
indem ihr bisher heller Inhalt sich trübt, in ein homogen aus-
sehendes Kügelchen überzugehen, wie es z. B. in Fig. 33 ober-
halb des (die Chromatinkügelchen einschliessenden) Zytoplasma-
restes des Spermiums gelegen ist. Dieses Kügelchen kann noch
längere Zeit persistieren. nicht nur während der Reifungs-
teilungen (Fig. 65, 69), sondern auch noch auf dem Stadium der
Vorkerne (Fig. 70—72) und sogar noch im Verlauf der ersten
Furchungsteilung.
Es erübrigt schliesslich, die Chromatinkügelchen des
Spermiums in ihrem weiteren Verhalten zu verfolgen. In der
eben eingedrungenen Samenzelle vermochte ich sie, wie gesagt,
nur durch Giemsafärbung an meinem Sublimat-Alkohol-
Eisessig-Material darzustellen und glückte mir eine scharfe
Färbung derselben auch in der späteren Zeit bis zum Auftreten
der ersten Richtungsspindel ausschliesslich auf diese Weise.
Wie die Giemsapräparate zeigen, nehmen die Chromatin-
kügelchen des Spermiums nach dem Eindringen desselben all-
mählich an Grösse zu (Fig. 52 tf.). Dabei bleiben sie auch weiter-
hin völlig voneinander isoliert, wenn sie auch mitunter so eng
zusammen liegen, dass sie untereinander verbacken erscheinen.
Zuweilen liegen sie sämtlich oder zum Teil ausserhalb des
Spermienkörpers im Eizytoplasma:; hier vergrössern sie sich
schneller, als wenn sie im Spermienkörper eingeschlossen bleiben
(Fig. 53).
Nachdem die erste Richtungsspindel die Höhe ihrer Aus-
bildung erreicht hat, kann man die Chromatinkügelchen des
Spermiums auch bei anderer als Giemsafärbung wahrnehmen:
so z. B. in Präparaten, welche mit modifiziertem Flemming schen
(remisch fixiert und mit Eisenhämatoxylin tingiert sind; in diesen
erscheinen sie allerdings zunächst gewöhnlich nur in ganz blassenı
32 Friedrich Meves:
Ton (Fig. 63, 64). Erst nach Ausstossung des ersten Richtungs-
körpers werden sie auch auf die eben genannte Weise stärker
färbbar (Fig. 65) und beginnen nunmehr Formveränderungen zu
zeigen (Fig. 66): jedes einzelne zerfällt in zwei oder mehr kleinere
Körner. Weiter bilden sie sich zu einem Samenkern um. der zunächst
vielfach sehr unregelmässig gestaltet ist (Fig. 67, 69) und erst all-
mählich Bläschenform annimmt (Fig. 72, 73). Häufig aber liegen die
fünf oder sechs Chromatinkügelchen, welche den Samenkern bilden
sollen, nicht sämtlich miteinander vereinigt, sondern sind auf
zwei oder auch drei Häufchen vereinigt, welche durch Zwischen-
räume voneinander getrennt sind (Fig. 68). Dann entsteht nicht
ein einheitlicher Samenkern, sondern deren zwei (Fig. 70, 71)
oder drei, welche heranwachsen und bis zur ersten Furchungs-
teilung isoliert erhalten bleiben (Fig. 74). Die Bildung des
männlichen Vorkerns beginnt gewöhnlich etwas früher als die
des weiblichen. In dem ersteren ist bald gar keine
chromatische Substanz mehr zu erkennen; dagegen bleiben in
dem weiblichen Kern noch längere Zeit Chromatinklumpen sicht-
bar, deren Anzahl derjenigen der Chromosomen entspricht (Fig.
62, 72).
Bei Ancyracanthus hat Mulsow von einer Abneigung der
Uhromatinkügelchen des eingedrungenen Spermiums gegen Farb-
stoffe nichts erwähnt. Bei einer Betrachtung seiner Figuren
komme ich jedoch zu dem Ergebnis, dass die Sache hier wahr-
scheinlich ebenso wie bei Filaria liegt. Mulsow bildet zwei
Spermien ab, welche nach ihm im Eindringen begriffen sind. von
denen das eine fünf, das andere sechs Chromatinkügelchen zeigt:
dann aber führt er das männliche Chromatin innerhalb des Eies erst
wieder vor, nachdem es sich zu einem grossen Samenkern umgebildet
hat. Im Text heisst es: „Das (eingedrungene) Spermatozoon bleibt
zunächst untätig im Protoplasma des Eies an einer beliebigen
Stelle liegen. Während dieser Ruhe verklumpen die Chromosomen
meistens miteinander, so dass ihre Zahl dann nicht mehr fest-
zustellen ist.“ Hierzu ist zu bemerken, dass die Stelle, wo das
Spermium sich lagert, im Filariaei wenigstens durchaus keine
beliebige ist; auch kann von einer meistens erfolgenden Ver-
klumpung der männlichen Chromatinkügelchen bei diesem Wurm
nicht die Rede sein.
©
e8)
Mitwirkung der Plastosomen bei der Befruchtung des Eies.
VI. Der Beginn der Furchung. (Fig. 35 —38 und 75—-77.)
Mit dem Herannahen der ersten Furchungsteilung treten in
den beiden Vorkernen wieder Chromosomen auf (Fig. 75). Die
Eizelle der Fig. 35 zeigt die erste Furchungsspindel auf der Höhe
der Ausbildung. Hat man die in der Äquatorialebene der Spindel
versammelten Chromosomen in Polansicht vor sich, so kann man
feststellen, dass ihre Zahl bald elf (Fig. 76), bald zwölf (Fig. 77)
beträgt. Nach den Ergebnissen neuerer Forschung würde sich die
Eizelle im ersteren Fall zu einem Männchen, im letzteren zu
einem Weibchen entwickelt haben.
Im Zytoplasma ist in Fig. 35 gegen das zuletzt besprochene
Stadium keine Veränderung eingetreten. Die Plastochondrien sind
in der ganzen Zelle gleichmässig verteilt geblieben; von einer
Anhäufung um die Zentrosomen, wie man sie im Ascarisei be-
obachtet, ist keine Spur wahrzunehmen.!)
Auf dem Zweizellenstadium der Fig. 36 sind die Vakuolen
im Zytoplasma, von welchen übrigens an manchen Präparaten-
serien auch vorher wenig oder gar nichts zu erkennen ist, völlig
geschwunden. Dagegen sind eine Anzahl homogen aussehender
Ballen sichtbar geworden, welche sich mit Eisenhämatoxylin
schwarz färben lassen, den Farbstoff aber bei der Differenzierung
ziemlich leicht wieder abgeben. Mitunter trifft man solche Ballen
bereits in den Prophasen der ersten Furchungsteilung an; sie
scheinen auf den späteren Stadien der Teilung wieder zu ver-
schwinden, um dann nach Ablauf derselben von neuem auf-
zutreten.
Auf dem Stadium der Fig. 37, in welcher acht Blastomeren
auf dem Schnitt getroffen sind, ist der Bau des Zytoplasmas
der gleiche wie in Fig. 36. Gehen wir dagegen zu dem in
') In einer früheren Arbeit (1914, 1) habe ich S. 107 gesagt, dass An-
häufungen von Plastochondrien in der nächsten Umgebung der Zentrosomen,
wie wir sie im Ei und in den Blastomeren von Ascaris antreffen, uns bei
anderen Tieren bisher nicht mit Sicherheit bekannt seien. Dieser Satz
bedarf der Berichtigung insofern, als Lams 1910 im Ei von Arion
empiricorum im Umkreis der Zentrosomen analoge Plastochondrienanhäufungen
beschrieben hat, welche hier zuweilen sehr regelmässig in Form zweier, durch
eine homogene Zone getrennter Kugelschalen angeordnet sind (H. Lams,
Recherches sur l’oeuf d’Arion empiricorum. (Accroissement, maturation,
fecondation, segmentation). Me&moires in — 4° publies par la Classe des
Sciences de l’Acad&mie Royale de Belgique, t. II, 1910.)
Archiv f. mikr. Anat. Bd.87. Abt. II. 3
34 Friedrich Meves:
Fig. 35 abgebildeten, bereits weit vorgeschrittenen Furchungs-
stadium über, so ist nunmehr das durch die Anwesenheit zahl-
reicher kleiner Plastochondrien bedingte feinkörnige Aussehen
des Zytoplasmas völlig verschwunden; auch von den eben be-
schriebenen Ballen ist nichts mehr wahrzunehmen. Das Zyto-
plasma der Furchungszellen bietet vielmehr auf diesem Stadium
folgendes Bild: es besteht aus einer homogen aussehenden
Grundsubstanz, in welcher einzelne dicke Plastokonten einge-
bettet sind.
Die Herausbildung dieser dicken Plastokonten habe ich nicht
verfolgt: wie sie aber auch vor sich gegangen sein möge, die
Annahme erscheint mir unabweisbar, dass nicht nur die Ei-
plastochondrien, sondern auch die in der Eizelle ausgesäten und
zerlegten männlichen Plastochondrien an der Entstehung der
Plastokonten Anteil genommen haben. Männliche und weib-
liche Plastochondrien müssen sich also zu einem
Mischprodukt vereinigt haben. Dadurch erfüllen sie eine
Forderung, welche Naegeli (1854) an die elterlichen Idioplasma-
körper stellt: dass sie sich vereinigen, um ein neues Idio-
plasma, dasjenige des Kindes, zu bilden.
Naegeli, welcher das Idioplasma aus Strängen bestehen
lässt, die sich ihrerseits aus parallelen Reihen von Micellen zu-
sammensetzen, hat das Zustandekommen der Vereinigung zwischen
männlichen und weiblichen Idioplasmakörpern vom theoretischen
Standpunkt in eingehendster Weise erörtert. Er nimmt an, dass
sie sich gegenseitig in derselben Weise wie Eizelle und Spermium
anziehen und sich infolge davon aneinanderlegen. Weiter lösen
sich entweder Micellen von dem einen idioplasmatischen System
nach und nach ab und wandern in das andere hinüber; oder
aber männliche und weibliche Idioplasmakörper bleiben intakt
und „wirken bloss gegenseitig auf das Wachstum der einen
und anderen so ein, dass dasselbe zu einer mittleren Bildung
hinstrebt“.
Auch de Vries (1889) und OÖ. Hertwig (1890) sind durch
ihre Betrachtungen zu dem Ergebnis geführt worden, dass bei
der Befruchtung eine „Durchdringung und Vermischung“ der
Erbanlagen stattfindet.
An meinen Präparaten von Ascaris habe ich 1911, 1 beob-
achtet, dass die im Ei vorhandenen Plastochondrien nach
Mitwirkung der Plastosomen bei der Befruchtung des Eies. 35
Beendigung der ersten Reifungsteilung deutlich vergrössert er-
schienen, und habe für möglich erklärt, dass diese Vergrösserung
mit einer Kopulation zwischen männlichen und weiblichen Plasto-
chondrien zusammenhängen könne, habe aber allerdings bemerken
müssen, dass sie vielleicht auch auf Rechnung einer Quellung zu
setzen sei. welche eingetreten sein könnte, weil das fixierende
Reagens die auf diesen Stadien bereits stark verdickte Dotter-
haut erst nach Ablauf einiger Zeit zu durchdringen vermag. Bei
Filaria vollzieht sich die erste Vereinigung zwischen männlichen
und weiblichen Plastochondrien möglicherweise erst im Lauf der
Furchung. Bei Phallusia kann es nach meiner Darstellung (1913)
jedenfalls nicht anders sein, da in der ungefurchten Eizelle die
weiblichen Plastochondrien der Menge nach enorm überwiegen
und vor Eintritt einer Vereinigung mit den entsprechenden
männlichen Gebilden erst die vorhandene Ungleichheit durch
Wachstum der letzteren beseitigt werden muss.
Das, was sich demnach für das Zytoplasma als notwendige
Annahme ergibt, dass sich eine Vereinigung seiner elterlichen
Erbanlagen verschieden lange nach der Kopulation von Ei- und
Samenzelle bis in die Zeit der Furchung hinein verschieben kann,
steht mit Bezug auf den Kern, welcher nach Pfeffer (1897,
S. 43) mit dem Zytoplasma in Symbiose!) lebt, schon lange fest,
wenigstens für jeden, der nicht Anhänger der Chromosomen-
individualität ist. Denn, während im Seeigelei Ei- und Samen-
kern kurze Zeit nach dem Eindringen des Spermiums miteinander
verschmelzen (0. Hertwig, 1875), kann nach den Beobachtungen
Van Benedens (1855) im Ei des Pferdespulwurms eine Ver-
mischung des väterlichen und mütterlichen Chromatins ja frühestens
nach Ablauf der ersten Furchungsteilung stattfinden: im be-
fruchteten Copepodenei bleiben die elterlichen Idioplasmakörper
des Kerns sogar während der ganzen ersten Entwicklung ge-
trennt (Rückert, 1895 und Haecker, 1896).
Meine zuerst 1908 ausgesprochene Forderung, dass die
männlichen und weiblichen Plastochondrien sich bei der Be-
!) Diese Anschauung wird auffallenderweise auch von einem der über-
zeugtesten Anhänger der OÖ. Hertwig-Strasburgerschen Vererbungs-
lehre, nämlich von Boveri (1904, S. 90), akzeptiert; auffallenderweise:
denn die beiden in Symbiose lebenden Organismen vererben doch jeder seine
Eigenschaften selbständig und nicht der eine diejenigen des anderen mit.
3*+
36 Friedrich Meves:
fruchtung vereinigen müssen, ist mehrfach auf Ablehnung ge-
stossen. Demgegenüber möchte ich hier noch zunächst darauf
hinweisen, dass auch Strasburger 1877 (S. 509) vorübergehend
gegenüber O. Hertwig den Satz verteidigt hat, dass nicht bloss
die Zellkerne, sondern überhaupt die gleichwertigen Teile der
kopulierenden Zellen sich im Geschlechtsakt vereinigen und dass
hierin das Wesen der Befruchtung bestehe. Von besonderem
Interesse aber war mir der folgende literarische Fund, welchen
ich kürzlich gemacht habe. Delage hat in seinem 1895 er-
schienenen Werke L’heredite bei einer Besprechung der Alt-
mannschen Granulalehre geprüft, was Altmann selbst unter-
lassen hatte, wie die „Bioblasten“ sich zu dem Vererbungsproblem
stellen, und dabei schon damals eine Vereinigung zwischen
väterlichen und mütterlichen Körnern gefordert; er schreibt
S. 503 folgendes:
„Altmannn apres etre arrive & cette conclusion que ses bioblastes
sont les facteurs des propri6tes de l’organisme, s’arröte brusque-
ment sans chercher & voir si des facteurs ainsi constitu6s permettent d’ex-
pliquer les phenomönes biologiques. Il se contente de presenter sous une
forme concrete les units hypothetiques des autres auteurs; de dire aSpencer
a Haeckel, ä& Darwin, ä Naegeli, ä de Vries, & Hertwig, ä
Wiesner, ete.: Voila vos unit6es physiologiques,vos plastidules,
vos gemmules, vos micelles, vos pangenes, vos idioblastes, vos
plasomes, etc.; ils ne sont point ce que vous avez imagine, ce ne sont
que de petits appareils doues de proprietes chimiques definies. — ÜCela
est fort bien, mais il faudrait montrer qu’ ainsi constitues ils conservent
les proprietes gräce auxquelles ces particules hypothetiques expliquaient
plus ou moins les ph@enomenes de la vie. Altmann ne saurait prötendre
avoir si rigoureusement d“montre que les granules sont les facteurs des
proprietes organiques quwil soit dispense de s’inquieter des consequences
de sa conelusion. IJl devait done montrer comment ses bioblastes s’accom-
moderaient avec les problömes de l’heredite, de l’ontogenese, de la varia-
tion, de l’adaption, ete. Il s’est borne a tracer quelques lineaments de la
phylogenese primitive. Ce n’est point assez, car il ya dans l’application des
bioblastes A certains problömes des diffieultes tres graves.“
In einer Anmerkung zu letzterem Satz heisst es:
„Le nombre de leurs varietes doit &tre tres considerable dans un
organisme complique. Leur taille cependant n’est jamais tr&s petite
puisqu’elle reste toujours dans les limites de la visibilite.
On comprendrait A la rigueur que le nombre necessaire puisse trouver
place dans l’oeuf. Mais dans le spermatozoide, cette difficult€ se complique
d’une autre. C’est surtout, on peut dire c’est exclusivement, dans le cyto-
plasma que l’on trouve des granules. Ceux du noyau sont fortement douteux
Mitwirkung der Plastosomen bei der Befruchtung des Eies. 37
et Altmann lui-möme en parle avec beaucoup moins d’assurance que de
ceux du corps cellulaire. Or le spermatozoide est presque entierement forme
de substance nucleaire. La portion eytoplasmique, que peut-etre il renferme
en lui, est de volume si minime qu’elle ne pourrait donner asile qu’a des
particules de taille extr&mement inferieure ä celle des granules, partant in-
visibles, et par suite hypothetiques, ce qui leur öte le prineipal merite des
granules.
Mais admettons que les bioblastes ultramieroscopiques, admis par une
induction fondee sur les bioblastes visibles, puissent donner au spermatozoide
les proprietes n@cessaires. Admettons que ces bioblastes spermatiques ultra-
microscopiques grossissent ensuite dans l’aeuf fecond@ et deviennent des
granules ordinaires.
Le protoplasma de l’embryon contiendra done deux bioblastes de
chaque esp&ce, un paternel et un maternel, qui pourraient, a la rigueur, ex-
pliquer la forme mixte des caracteres exprim6es. Mais il est &vident que le
nombre des bioblastes ne saurait doubler ainsi a chaque generation et qu’un
phenomene de reduction doit se produire sous une forme quelquonque La
division reductriee ne peut l’expliquer, car elle ne pourrait qu’eliminer une
moitic des bioblastes paternels et maternels, et il arriverait certainement
que ceux de la m@me sorte se trouveraient souvent expulses des deux cötds
Aa la fois et manqueraient dans le produit. On ne peut qu’imaginer,
apres la f&econdation, une fusion de deux bioblastesen un.)
Or Altmann n’a jamais signal de phenomene de ce genre et sl l’ad-
mettait ce ne pourrait &tre qu’hypothetiquement. L’idee quiil se fait de la
nature des bioblastes n’est pas conciliable avec cette hypothese. Deux sphe-
rules formees seulement de substance chimique peuvent se fusionner lors-
qu’elles sont petites et grossir ensuite seulement autant qu’eüt fait une
seule. Mais les bioblastes sont, d’apres lui, des sortes de cristaux organiques,
en tout cas des agregats doues d’une structure qui intervient dans leurs
proprietes. En ce cas, ils ne peuvent que se juxtaposer, et, au bout d’un
nombre suffisant de generations, il n’y a plus place pour le grand nombre
qui doit se trouver dans un seul granule ...
Admettons qu’ Altmann ou quelqgue autre soit en &tat de repondre
a toutes ces objections, il est &vident qu’il ne saurait le faire sans faire
intervenir des hypotheses et c'est la seulement ce que nous voulons d&montrer
pour le moment.“
Ich möchte zu diesen Ausführungen bemerken, dass die
Bioblasten des Spermiums ja durchaus nicht, wie Delage damals
(1595) annahm, ultramikroskopisch sind. Ich halte es ferner
nicht für nötig, mit Delage die Existenz verschiedener Arten
von Bioblasten anzunehmen. Die Hypothesen, deren wir für unsere
Anschauung bedürfen, nach welcher die Bioblasten (Plastochondrien
bezw. Plastosomen) Vererbungsträger darstellen, werden uns teil-
!, Von mir gesperrt.
33 Friedrich Meves:
weise durch die Naegelische Idioplasmatheorie an die Hand ge-
geben (vergl. Meves, 1908, 1).
In den ersten Blastomeren sich furchender Eier hat man bisher, so
viel ich weiss, stets (ebenso wie bei Filaria) Körner, Plastochondrien, ge-
funden; in den Embryonalzellen dagegen sind jedenfalls bei Wirbeltieren
Fäden vorhanden. Bei Amphibien (Triton) wurde eine Umwandlung der
Körner in ausserordentlich dünne schlanke Fäden von Duesberg (1910, 2)
schon in den Zellen der Gastrula beobachtet. Beim Kaninchen dagegen
erfolgt. ebenfalls nach Duesberg (1910, 1), die Bildung von Fäden erst
verhältnismässig spät, am vierten bis fünften Tage der Entwicklung; noch
später nach Rubaschkin (1910) beim Meerschweinchen; während Levi
neuerdings (1914) bei der Fledermaus konstatiert hat, dass die Plasto-
chondrien noch im Laufe der Furchung (vom 22—30-Zellenstadium an) in
Plastokonten übergehen. Levi erklärt, dass „die Verschiedenheiten
in der Form der Chondriosomen in den frühen Stadien der
Ein wieklunge. er sicher von grosser Bedeutung sind.“
VIII. Schluss.
Die vorliegende Untersuchung bildet eine weitere Stütze
für meine Anschauung. nach welcher die plastosomatischen Be-
standteile des Spermiums bei der Übertragung der erblichen
Eigenschaften beteiligt sind.
Der Umstand, dass eine Auswanderung von Plastosomen
aus dem Spermium in das Fizytoplasma sich bereits innerhalb
verhältnismässig kurzer Zeit in zwei Fällen, bei Ascaris und
Filaria, direkt hat nachweisen lassen, bestärkt mich in der Über-
zeugung, dass die Befunde am Säugetier- und Seeigelei, welche
meiner eben genannten Auffassung auf den ersten Blick zu
widersprechen scheinen. sich ihr in der schon früher vermuteten
Weise ebenfalls fügen werden.
Bei Säugetieren ist die von Van der Stricht (1909) und
Lams (1910) entdeckte Tatsache, dass der Spermienschwanz,
dessen Mittel- oder Verbindungsstück mit einer Plastochondrien-
hülle versehen ist, in die eine der beiden ersten Blastomeren über-
geht, kürzlich auch von Levi (1914) bestätigt worden. Van der
Strieht, Lams und Henneguy (Diskussion zu dem Vortrag
von Lams, 1910) hatten an diesen Befund die Hypothese ge-
knüpft, welcher auch Levi (1914) nicht widerspricht, dass die-
jenige Blastomere, welche den Spermienschwanz erhält, den
eigentlichen Embryo. die andere den sogenannten Trophoblasten
(im Sinne von Hubrecht) bildet. Sobotta hat diesen Schluss
Mitwirkung der Plastosomen bei der Befruchtung des Eies. a,
zunächst (1913,1, S. 16) als „sehr voreilig“ bezeichnet, hat aber
noch im selben Jahre (1913, 2) seinerseits ebenfalls eine Ungleich-
wertigkeit der beiden ersten Blastomeren angenommen, ın
demselben Sinne. dass die eine Blastomere den Embryo, die
andere den Trophoblasten oder das „ausserembryonale Material“
bildet, um eine Hypothese über die Entstehung eineiiger Zwillinge
des Menschen und der Polvembryonie bei den Gürteltieren darauf
aufzubauen.
Beim Seeigelei habe ich kürzlich (1914.2) zeigen können,
dass das plastosomatische Mittelstück des Samenfadens, welches
bei der ersten Furchungsteilung in eine der beiden Blastomeren
übergeht (Meves, 1912), auch im weiteren Verlauf der Furchung
erhalten bleibt; ich habe in einer grossen Anzahl von Keimen
verschiedenen Alters bis zum 32-Zellenstadium inkl. Mittelstücke
aufgefunden, welche in ihrer Form völlig unverändert waren.
Die Vermutung, welche ich im Anschluss an diese Beobachtungen
ausgesprochen habe. basiert auf der Tatsache, dass der junge
Seeigel aus dem sogenannten Pluteus nicht direkt oder durch
weitere Umwandlung, sondern als ein Neugebilde aus einer
Ektodermeinstülpung, der sogenannten Seeigelanlage oder Seeigel-
scheibe, entsteht, wobei zahlreiche Teile des Larvenkörpers,
welche zu dem neuen Bau nicht benutzt werden, zu Grunde
gehen. Und zwar glaube ich annehmen zu dürfen, dass die
Substanz des Mittelstücks in die Zellen der „Seeigelanlage“
übergeht, aus welcher sich, soviel ich aus der Literatur zu ent-
nehmen vermag, sämtliche oder fast sämtliche Teile des jungen
Seeigels mit Ausnahme des Darms (oder eines Teils desselben)
und der Vasoperitonealblasen bilden. Die Zellen der zuletzt
genannten Organe würden demnach allerdings keine männlichen
Plastosomen erhalten; die Möglichkeit aber, dass fast der ganze
übrige Leib des jungen Seeigels durch das Mittelstück des Samen-
fadens väterliche Eigenschaften ererbt, bleibt bestehen. Die
spätere Metamorphose des Seeigels ist übrigens ganz ausser-
ordentlich kompliziert und trotz verschiedener auf diesen Punkt
gerichteter ausgezeichneter Untersuchungen noch keineswegs
genügend aufgeklärt.
Die Tatsache, welche sich demnach aus den Befunden am
Säugetier- und Seeigelei zu ergeben scheint, dass die männliche
plastosomatische Substanz nicht an vergängliche embryonale
40 Friedrich Meves:
Bildungen verschwendet, sondern für das definitive Tier auf-
gespart wird, würde nur geeignet sein, unsere Wertschätzung
der Plastosomen in ihrer Eigenschaft als Vererbungsträger zu
steigern.
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42 Friedrich Meves:
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Erklärung der Abbildungen auf Tafel I—-IV.
Die Abbildungen der Tafel I—IV sind, nach Schnitten durch die
hintersten Enden der weiblichen Geschlechtsröhren von Filaria papillosa R.,
mit Zeiss’ Apochromat 1,5 mm und Kompensationsokular 12 unter Be-
nutzung des Abbeschen Zeichenapparates entworfen, wobei der Abstand
der Zeichenebene von der Ebene des Tisches 17!/» cm betrug
Fig.
Tafel 1.
. 1-25. Sämtlich nach Präparaten, welche mit modifiziertem Flem-
mingschem Gemisch fixiert sind.
‚ 1-10. Freie Spermien aus dem obersten Abschnitt des Uterus.
. 1-5. Färbung mit Safranin. Chromatinkügelchen rot, Nebenkern etwas
stärker bräunlich gefärbt als das Uytoplasma. In Fig. 2 und 3
sind sechs, in Fig. 1, 4, 5 fünf Chromatinkügelchen zählbar. Von
den fünf Kügelchen in Fig. 5 ist eines deutlich grösser als die
übrigen, setzt sich also wohl aus zweien zusammen.
6-10. Färbung mit Eisenhämatoxylin. Nebenkern intensiv schwarz
gefärbt. Die gleichfalls schwarz gefärbten Chromatinkügelchen
sind in Fig. 6 durch den Nebenkern verdeckt, in den Figuren 7 10
dagegen sichtbar, aber mehr oder weniger untereinander verklumpt.
. 11-26. Färbung mit Eisenhämatoxylin.
. 11-17. Verschiedene Entwicklungsstadien von Oozyten. Text S. 21—23.
+. 18-26. Befruchtete Eizellen. Eiplastochondrien infolge stärkerer Diffe-
renzierung nicht mehr schwarz wie in Fig. 17. sondern nur noch
grau gefärbt.
g. 18, 19. Spermium eben eingedrungen, unmittelbar unter der Zellober-
fläche gelegen. Text S. 24—25,
. 20—26. Das Spermium liegt zwischen dem Eikern und dem in den
Figuren oberen Pol der Eizelle. Auswanderung der männlichen
Plastochondrien. Text S. 27—29.
Uber die Vakuole,. welche sich in Fig. 23, 25 und 26 am Rand des Spermiums
findet, :s. Text S. 31.
44 Friedrich Meves:
Tafel II.
Sämtliche Figuren nach Präparaten, welche mit modifiziertem Flem-
mingschen Gemisch fixiert und mit Eisenhämatoxylin gefärbt worden sind.
Fig. 27—35. Weitere Entwicklungsstadien befruchteter Eizellen.
Fig. 27—31. Die Auswanderung der männlichen Plastochondrien aus dem
Spermienkörper nimmt ihren Fortgang.
Von Fig. 28 an: Beginn der ersten Reifungsteilung. Der Eikern ver-
lässt den Eimittelpunkt und begibt sich an den in den Figuren unteren
Pol der Zelle. Fig. 31 Eikern verkleinert. Fig. 32 Membran des Eikerns
geschwunden, Uhromosomen zu einem Haufen versammelt. Fig. 33, 34 Erste
Richtungsspindel auf der Höhe der Ausbildung. Fig. 33 Erste Richtungs-
spindel in Seitenansicht. Fig. 34 Chromosomen der ersten Richtungsspindel
in Polansicht.
In Fig. 32 sind im Eieytoplasma noch ca. 15, in Fig. 33 noch ca.
8 Körner vorhanden, welche etwas grösser und stärker gefärbt als die
übrigen sind.
Fig. 34. Das Eicytoplasma ist ausschliesslich von kleinen Körnern von der
Grösse und Färbbarkeit der Eiplastochondrien durchsetzt.
Fig. 35. Erste Furchungsspindel auf der Höhe der Ausbildung. Beschaffen-
heit des Oytoplasmas wie in Fig. 34. Am unteren Pol der Zelle
die beiden Richtungskörper.
Die in den Figuren 27, 29 und 31 am Rande des Spermienkörpers
gelegene Vakuole ist im Text S. 31 besprochen: ebendort das Kügelchen,
welches in Fig. 33 oberhalb des Spermienkörpers liegt: in letzterem vier
Chromatinkügelchen.
Mit Bezug auf den grossen, annähernd ovalen, hellen Bezirk (mit
darin eingeschlossenem Körperchen), welchen man in Fig. 27, 28, 30, 32—34
am obern Pol der Eizelle wahrnimmt, vergl. Text S. 27—28, über den
gleichen Bezirk in Fig. 26, siehe Text 5.28, Anm.
Fig. 36. Zweizellenstadium. Das Cytoplasma enthält ausser den Plastochon-
drien grau gefärbte Ballen von homogenem Aussehen.
Fig. 37. Furchungsstadium, acht Zellen auf dem Schnitt getroffen. Beschaffen-
heit des Cytoplasmas wie in Fig. 36.
Fig. 38. Stark vorgerücktes Furchungsstadium, ca. 70 Zellen auf dem Schnitt
getroffen. Ihr Cytoplasma enthält dicke Plastokonten, welche in
einer homogen aussehenden Grundsubstanz eingebettet sind.
pafel LIT.
Sämtliche Figuren nach Präparaten, welche mit Sublimat-Alkohol-Eis-
essig fixiert und mit Giemsalösung gefärbt worden sind.
Fig. 39-48. Freie Spermien aus dem obersten Abschnitt des Uterus.
Fig. 39-42. Das ganze Spermium mit Ausnahme der Chromatinkügelchen
ist in Fig. 39-41 rotviolett, in Fig. 42 blauviolett gefärbt. Man
zählt in Fig. 39 und 42 sechs, in Fig. 41 fünf, in Fig. 40 dagegen
nur vier Chromatinkügelchen; von den letzteren sind wahrscheinlich
mindestens zwei verklumpt.
Mitwirkung der Plastosomen bei der Befruchtung des Ries. 45
Fig. 43. Kopfkappe rotviolett, das übrige Spermium mit Ausnahme der
(fünf) Chromatinkügelchen blauviolett gefärbt.
Fig. 44. Kopfkappe rotviolett, Nebenkern und Schwanzteil des Spermiums
blauviolett gefärbt. Chromatinkügelchen (fünf?) verbacken.
Fig. 45. Kopfkappe und Schwanzteil des Spermiums rotviolett, Nebenkern
bläulich gefärbt. Man zählt vier Chromatinkügelchen.
Fig. 46—48. Kopfkappe rotviolett, Nebenkern bläulich, Schwanzteil des
Spermiums blauviolett gefärbt. In Fig. 46 sind sechs, in Fig. 47
und 48 je fünf Chromatinkügelchen zählbar. In Fig. 48 erscheint
die Kopfkappe zu einer Spitze ausgezogen; wahrscheinlich handelt
es sich bei dieser Spitze um ein Kunstprodukt.
Fig. 49—62. : Befruchtete Eizellen.
Fig. 49-51. Spermium eben eingedrungen, unmittelbar unter der Zellober-
fläche gelegen. In Fig. 49 sind die Chromatinkügelchen des Sper-
miums bis auf eines durch die intensive Blaufärbung des Spermien-
cytoplasmas verdeckt. In Fig. 50 und 51 ist die Blaufärbung
verblasst; die Chromatinkügelchen, in Fig. 50 fünf, in Fig. 51
sechs, sind deutlich sichtbar geworden. In Fig. 50 und 51 nimmt
man ausserdem noch in dem abgeblassten Spermiencytoplasma ein
stärker blau gefärbtes Körperchen unbekannter Natur wahr.
Fig. 52—58. Spätere Stadien befruchteter Eizellen, vor Beginn der ersten
Reifungsteilung. Das Spermium hat seine oberflächliche Lage auf-
gegeben und seinen Platz zwischen dem Eikern und dem in den
Figuren oberen Pol der Eizelle eingenommen. In Fig. 52, 53, 55
und 56 ist die Blaufärbung des Spermiencytoplasmas abgeblasst,
in Fig. 54, 57 und 58 dagegen erhalten. Fig. 52—56 zeigen das
(srösserwerden der Chromatinkügelchen. In Fig. 52—-55 zählt man
sechs, in Fig. 56 fünf oder sechs, in Fig. 57 drei untereinander
verbackene, in Fig. 58 vier Uhromatinkügelchen.
Fig. 59. Eikern im Beginn der ersten Reifungsteilung. Spermienkörper-
schalenförmig umgestaltet, auf dem optischen Schnitt: fünf Chro-
matinkügelchen.
Fig. 60. Membran des Eikerns geschwunden, Chromosomen der ersten Rich-
tungsspindel. Im Eicytoplasma zwei stärker gefärbte rundliche
Flecke, deren ich im Text keine Erwähnung getan habe: Natur
derselben mir unbekannt. Im Spermienkörper drei Chromatin-
kügelchen sichtbar.
Fig. 61. Eizelle kurz vor Ausstossung des ersten Richtungskörpers. Rest
des Spermiencytoplasmas mit fünf Chromatinkügelchen.
Fig. 62. Beide Richtungskörper ausgestossen. Männlicher und weiblicher
Vorkern. In letzterem vier Chromatinklumpen:; am oberen Rand
des ersteren ein strangförmiger Rest des Spermiencytoplasmas.
Tafel IV.
Sämtliche Figuren nach Präparaten, welche mit modifiziertem Flem-
mingschen Gemisch fixiert und mit Eisenhämatoxylin gefärbt worden sind.
Die Strukturverhältnisse des Eicytoplasmas sind nicht wiedergegeben.
46
Friedrich Meves: Mitwirkung der Plastosomen usw.
65— 77. Spätere Entwicklungsstadien befruchteter Eizellen,
g. 63 und 64. Erste Richtungsspindel: Chromosomen derselben in Fig. 63
wenig, in Fig. 64 weiter auseinandergewichen. Chromatinkügel-
chen des Spermiums blass gefärbt.
65—68. Erster Richtungskörper ausgestossen.
. 65. Uhromatinkügelchen des Spermiums stärker färbbar geworden.
. 66. Chromatinkügelchen des Spermiums zum Teil zerschnürt.
. 67. Kleiner männlicher Vorkern von unregelmässiger Form.
g. 685. Chromatinkügelchen des Spermiums auf drei Häufchen verteilt,
welche durch Zwischenräume voneinander getrennt sind.
g. 69—74. Beide Richtungskörperchen gebildet.
. 69. Männlicher Vorkern grösser als in Fig. 67, aber noch unregel-
mässig in der Form. Die im Ei zurückgebliebenen Ohromosomen
der zweiten Richtungsteilung haben sich noch nicht zum weib-
lichen Vorkern umgebildet.
“0. Zwei männliche und ein weiblicher Vorkern.
71. Ebenso: die Vorkerne etwas grösser geworden.
72, 73. Je ein männlicher und weiblicher Vorkern: in letzterem sind
in Fig. 72 die Chromosomen der zweiten Richtungsteilung noch
in Form von Chromatinklumpen erhalten.
4. Zwei männliche (oben) und ein weiblicher Vorkern (unten).
5. In den Vorkernen sind wieder Chromosomen aufgetreten.
76, 77. Die Chromosomen der ersten Furchungsspindel in Polansicht:
man zählt in Fig. 76 elf, in Fig. 77 zwölf Chromosomen.
Über die annähernd ovalen, hellen Bezirke (mit darin eingeschlossenen
Körperchen), welche man in Fig. 63 und 64 am oberen Pol, in Fig. 65—67
an den Seiten der Eizelle (in Fig. 66 in doppelter Zahl) wahrnimmt, s. Text
S. 28; bezüglich des homogen aussehenden Kügelchens, welches in Fig. 65 in
der Nachbarschaft der Chromatinkügelchen des Spermiums, in Fig. 691
in der Nähe des männlichen Vorkerns. in Fig. 72 links vom weiblichen gelegen
ist, ist Text S. 31 zu vergleichen.
Über den Befruchtungsvorgang bei der Miesmuschel
(Mytilus edulis L.).
Von
Friedrich Meves in Kiel.
Hierzu Tafel V.
Die Auffassung von dem Wesen der Befruchtung hat auch
nach Entdeckung der „Samenkörperchen“ (1677) gemäss dem
jeweiligen Zustand der wissenschaftlichen Erkenntnis stark ge-
wechselt. Nachdem die Theorie Leeuwenhooks, welcher die
Samenkörperchen als die präexistierenden Keime ansah, sich
als irrtümlich herausgestellt hatte, wurden sie lange Zeit von den
„berühmtesten und, was mehr sagt, den berechtigten Autoritäten“
für parasitische Infusorien des Samens gehalten. „Nur
dadurch“, sagt Hensen 1385, S. 739, „dass trotz allen Glaubens
an jene Autoritäten das Studium der Natur fortgesetzt wurde,
sind wir weiter gekommen, denn die Natur fährt fort, ihre
unwandelbaren Tatsachen zu geben, vor denen die
Irrtümer jeder Autorität zerstäuben“. Kölliker (1841)
war der erste, der die Lehre von der selbständigen tierischen
Natur der „Spermatozoiden“ mit Entschiedenheit bekämpfte und
zeigte, dass sie Produkte des väterlichen Organismus sind. Schon
vorher war durch Spallanzani (1785) und Prevost und
Dumas (1824) auf experimentellem Wege nachgewiesen worden,
dass die Samenkörperchen zum Zweck der Befruchtung mit den
Eiern in unmittelbare Berührung kommen müssen. Man sah sie
dann auch (um 1850) den Eizellen äusserlich anhängen, später
aber verloren gehen. Die Frage nach ihrer Wirkungsweise be-
antwortete man damals der Hauptsache nach folgendermaßen:
Nach einer Ansicht sollten sie sich auflösen und ihre Substanz
der Dottermasse zumischen; die Befruchtung sollte also durch
von aussen eindringende gelöste Stoffe erfolgen. Eine andere
Anschauung, welche von Bischoff unter dem Einfluss der
Liebigschen Lehre von den Kontaktwirkungen aufgestellt und
z. B. von Leuckart akzeptiert wurde, lautete dahin, dass es
sich bei der Befruchtung um die Mitteilung einer inneren
Archiv f. mikr. Anat. Bd.87. Abt. II. 4
48 Friedrich Meves:
Molekularbewegung handle, die in dem einen Körper, dem
Spermatozoiden, bereits vorhanden, auf das zu derselben Form
der Bewegung sehr geneigte Ei übergehe.!)
Später wurden von verschiedenen Seiten Beobachtungen
publiziert, nach welchen die Spermatozoiden in die Eizellen ein-
dringen. Die theoretische Auffassung der Befruchtung änderte sich
aber erst, als OÖ. Hertwig 1875 beim Seeigel fand, dass der Kopf
des eingedrungenen Samenfadens sich zu einem Kern, dem Samen-
kern, umwandelt und dass der letztere mit dem weiblichen oder
Eikern kopuliert. O. Hertwig stellte daraufhin den Satz auf,
dass „die Befruchtung auf der Verschmelzung von geschlecht-
lich differenzierten Zellkernen beruht“. Hensen (1881, S. 126)
bezeichnete diese Auffassung insofern als eine glückliche, als sie
unsere Kenntnisse von dem Befruchtungsvorgang vertiefe, „indem
sie zu den bisher nur in Betracht gezogenen chemischen und
physikalischen Momenten noch hinzufüge das für die Lebens-
erscheinungen (und die Vererbung) so bedeutsame morphologische
Moment, dass nämlich die Materie in bestimmter Formung mit-
wirkt“. Van Beneden erbrachte sodann 1883 bei Ascaris den
Nachweis, dass die Chromosomen der ersten Furchungsspindel
zur einen Hälfte vom Eikern, zur anderen Hälfte vom Samen-
kern abstammen. Das Chromatin steht sich also im Ei- und
Samenkern äquivalent gegenüber und wird auf die aus dem be-
fruchteten Ei hervorgehenden Zellen in gleicher Weise verteilt.
Hierzu kommt, dass es vor der Befruchtung eine Massenreduktion
erfährt. Auf Grund dieser Tatsachen gelangte die OÖ. Hertwig-
Strasburgersche Lehre zur Herrschaft, dass das Chromatin
als der alleinige Träger der erblichen Eigenschaften anzu-
sehen sei.
/war wurde von Anfang an von den verschiedensten Autoren
immer wieder darauf hingewiesen, dass das Spermium auch noch
eine wenn auch nur sehr geringe Menge von Protoplasma mit-
bringt, welches zu vernachlässigen kein Grund vorliege Die
Anhänger der nuklearen Vererbungstheorie konnten sich jedoch
bis vor kurzem mit Recht darauf berufen, dass diesen Hinweisen,
soweit sie von deskriptiver Seite kamen, keine positiven Beob-
v7 ı) Für weiteres und die Literatur bis 1853 verweise ich auf den
Artikel von Leuckart: „Zeugung“ in Wagners Handwörterbuch der
Physiologie, Bd. 4.
Über den Befruchtungsvorgang bei der Miesmuschel. 49
achtungen zugrunde lägen; die Ergebnisse der experimentellen
Forschung aber, welche zu dem Kernmonopol der Vererbung in
Widerspruch stehen, wurden von ihnen nicht als beweiskräftig
anerkannt (vergl. Meves 1908, S. 823).
In den letzten Jahren ist es nun aber mit Hilfe neuerer tech-
nischer Methoden gelungen, den Nachweis zu führen, dass bei
der Befruchtung spezifische protoplasmatische Bestandteile, die
Plastosomen, welche dem Ei und Spermium gemeinsam sind,
von dem letzteren in das Eiprotoplasma übertreten. Angesichts
der grossen Bedeutung, welche diesen Elementen für das zellulare
Leben zugesprochen werden muss, ist es nicht anders glaublich,
als dass sie bei der Übertragung erblicher Eigenschaften mit-
wirken. Die Lehre, nach welcher der Kern der alleinige Ver-
erbungsträger ist, kann daher heute nicht mehr aufrecht erhalten
werden.
Eine Aussaat männlicher Plastosomen im Eiprotoplasma ist
bei Nematoden, bei welchen der Befruchtungsvorgang der Beob-
achtung besonders leicht zugänglich ist, bereits in zwei Fällen,
bei Ascaris (L. und R. Zoja, Meves, Romeis, Held) und
Filaria (Meves), nachgewiesen worden. Bei einer Ascidie,
Phallusia, konnte ich ferner an der röhrenförmigen plastosomati-
schen Scheide, welche bei diesem Tier den Kopf des Spermiums
umgibt, bei der Befruchtung interessante Veränderungen wahr-
nehmen; ich fand, dass der Kopf sich auf einem späteren Stadium
dieser Scheide entledigt hat, ohne dass es mir jedoch gelang,
über ihr Schicksal etwas Bestimmtes festzustellen. Bei den grossen
Schwierigkeiten der Untersuchung wird man sich überhaupt in
vielen Fällen mit, der Konstatierung begnügen müssen, dass bei
der Befruchtung männliche plastosomatische Substanz mit dem
Spermium in das Ei eingeführt wird. Über diesen Nachweis bin
ich auch bei der vorliegenden Untersuchung, welche sich mit
dem Befruchtungsvorgang bei der Miesmuschel (Mytilus edulis L.)
beschäftigt, nicht hinausgelangt.
Material und Methode.
Die reifen Geschlechtsprodukte werden bei den Muscheln
ebenso wie z. B. bei Echinodermen ins Wasser abgegeben. Wenn
man in der geeigneten Jahreszeit eine Anzahl Miesmuscheln in
Gläsern mit Seewasser isoliert, kann man, wie schon O, Hertwig
4*
50 Friedrich Meves:
(1877) mitteilt, bei einigen derselben die Entleerung ihrer
Geschlechtsdrüsen in den nächsten Stunden beobachten und dann
die künstliche Befruchtung ausführen. Auf diese Weise konnte
ich mir in Kiel in der Zeit von Ende April bis Anfang Juni ohne
grosse Schwierigkeit Material verschaffen.
Von den verschiedenen, zum Studium der Plastosomen ge-
eigneten Methoden, welche ich für die Untersuchung in An-
wendung gebracht habe, hat mir die Altmannsche die besten
Resultate gegeben, so dass ich mich schliesslich auf diese be-
schränkt habe. Der Färbung habe ich, wie auch früher, der
Empfehlung von Rubaschkin folgend, eine Beizung nach
Lustgarten-Pal vorausgehen lassen. Nachdem der Kopf des
Samenfadens tiefer in das Ei eingedrungen ist, wird seine Auf-
findung durch zahlreiche im Ei vorhandene Fett- oder Dotter-
kügelchen erschwert, welche durch die in dem Altmannschen
Gemisch enthaltene Osmiumsäure geschwärzt worden sind. Es
empfiehlt sich daher, wenn andere als die allerersten Befruchtungs-
stadien zur Untersuchung kommen sollen, die aufgeklebten Schnitte
zunächst für 6—8 Stunden in Terpentin aufzustellen, welches die
osmierten Kügelchen in Lösung bringt. Man kann sich den Nach-
weis des Spermienkopfes ferner dadurch erleichtern, dass man
der Plastosomenfärbung mit Säurefuchsin-Pikrinsäure eine Kern-
färbung mit Hämalaun vorausschickt. Zu diesem Zweck
habe ich die Schnitte, nachdem ich sie zunächst nach Lust-
garten-Pal gebeizt (eventuell auch noch vorher mit Terpentin
behandelt) hatte, für ca. 12 Stunden in eine Hämalaunlösung
nach P. Mayer hineingebracht, welche im Verhältnis 1:3 mit
destilliertem Wasser verdünnt war.
Die Spermien.
Zu den überaus zahlreichen Spermienformen, deren genaue
Kenntnis wir G. Retzius verdanken, gehören auch diejenigen von
Mytiius. Ich habe zu seiner Schilderung (1904, S. 22) nur weniges
hinzuzusetzen.
„Der Kopf“, sagt Retzius, „ist beinahe kuglig und im
ganzen nicht gross, aber an seinem Vorderende findet sich ein
mit breiter, von der Kopfsubstanz scharf abgesetzter Basis ver-
sehenes, nach vorn hin weit hervorragendes und stark zuge-
.
Über den Befruchtungsvorgang bei der Miesmuschel. 5l
spitztes Perforatorium, welches stärker lichtbrechend, glänzender
als die Kopfsubstanz ist“.
Die Abweichungen, welche der eigentliche Kopf von der
Kugelform aufweist, bestehen nach meinen Beobachtungen darin,
dass er etwas länger als breit und an seinem hinteren Umfang
abgeplattet ist. Das Perforatorium ist in einigen meiner Präparate,
welche nach der Altmannschen Methode hergestellt sind, durch
und durch rot gefärbt. In anderen Präparaten hat es sich infolge
stärkerer Differenzierung in seiner Achse aufgehellt; es erscheint
also röhrenförmig. Die Wand der Röhre zeigt sich an der Basis
etwas verdickt; diese verdickte Stelle hält bei noch weiterer
Differenzierung den Farbstoff am längsten fest. An der Spitze
des Perforatoriums vermag ich eine leichte knopfförmige Ver-
dickung wahrzunehmen.
Am hinteren Umfang des Kopfes sieht man, wie Retzius
geschildert hat, in der Seitenansicht zwei oder auch drei Kügelchen
(siehe meine Fig. 1 a—d), welche sich (Retzius) durch
Behandlung mit Osmiumsäure und Fuchsin (mit nachfolgendem
Einlegen in essigsaures Kali) intensiv rot färben lassen. Hat
man den Spermienkopf in der Ansicht von hinten vor sich
(Fig. 1 e—f), so erkennt man, dass im ganzen fünf solcher
Kügelchen vorhanden sind, welche um den Ansatz des Schwanzes
herum in einem regelmässigen Fünfeck liegen. Ich selbst erhielt
sie bei Anwendung der Altmannschen Methode ebenfalls
intensiv rot gefärbt; sie geben aber den Farbstoff bei diesem
Verfahren sehr leicht wieder ab und erscheinen dann ganz durch-
sichtig und hell. Retzius hat ähnliche Kügelchen, deren Anzahl
bald 4, bald 5. bald 8 beträgt, noch bei zahlreichen anderen
Mollusken (Lamellibranchiern) und besonders bei Würmern
(Polychaeten) aufgefunden.
Was nun die Deutung dieser Kügelchen anlangt, so sind
sie bereits von Retzius (1904) als Homologa des Nebenkerns
von v. la Valette St. George, des „Mitochondrienkörpers“ von
mir (1900) angesprochen worden. Dass diese Deutung zu-
treffend ist, ergibt sich in erster Linie aus den spermatogeneti-
schen Beobachtungen, welche M. v. Brunn (1884) und ich (1900)
bei Paludina gemacht haben. In denjenigen Spermatiden von
Paludina, aus welchen die eupyrenen Spermien entstehen, liegen,
wie v. Brunn gezeigt hat, an der Hinterseite des sich ent-
92 Friedrich Meves:
wickelnden Kopfes vier Kügelchen, welche „die Ecken eines
winzigen Quadrats bilden, aus dessen Mitte der (Schwanz)faden
hervortritt“. Bei Paludina persistieren sie nicht als solche, sondern
schliessen sich im Lauf der Entwicklung eng an den Schwanz-
faden an (wobei sie sich mit ihren Wänden aneinander legen
und verschmelzen) und strecken sich dann zu immer dünner
werdenden Röhren in die Länge. Schliesslich sind sie in eine
zylindrische, auf dem Querschnitt viergeteilte Umhüllung des so-
genannten Mittelstücks des Schwanzfadens umgewandelt. Von
diesen Kügelchen habe ich (1900) zeigen können, dass sie
Deriyate von Mitochondrien oder Plastochondrien und also
Homologa des „Nebenkerns“ bei Insekten sind, welcher nach
meiner Feststellung gleichfalls plastosomatischer Natur ist.
Die Kügelchen bei Mytilus sind nun zweifellos mit denjenigen
bei Paludina identisch und können daher, wie es von Seiten
Retzius’ geschieht, in ihrer Gesamtheit als „Nebenkernorgan“
bezeichnet werden.
Von dem Schwanz der Mytilusspermien sagt Retzius, dass
er verhältnismässig kurz und mit einem Endstück versehen ist,
„welches doppelt so lang ist als der eigentliche Kopf und auch
länger als dieser zusammen mit seinem Perforatorium“.
Die reifen Eier.
O0. Hertwig, welcher 1877 bei Mytilus den Vorgang der
Richtungskörperbildung studiert hat, beschreibt, dass die frisch
gelegten Eier sich auf dem Stadium der ersten Ricbtungsspindel
befinden und dass sie von einer „festen, doppelt konturierten
und glatt aufliegenden Membran“ umschlossen werden. Von dem
Protoplasma der Eier sagt er, dass es im lebenden Zustand
„durch kleine glänzende Körnchen in hohem Grade getrübt“ er-'
scheint. Schnitte von Eiern, welche nach der Altmannschen
Methode behandelt worden sind, zeigen nun, dass zwei ver-
schiedene Sorten von Körnchen existieren (Fig. 2). Ein Teil der
Körnchen werden durch Osmiumsäure geschwärzt, stellen also
Fett- oder Dotterkügelchen dar. Die übrigen erweisen sich durch
ihre Färbungsreaktionen als Plastochondrien ; sie besitzen meistens
in einem und demselben Ei ein etwas verschiedenes Kaliber; die
grössten erreichen beinahe die Grösse der Dotterkügelchen.
Dotterkügelchen und Plastochondrien finden sich im allgemeinen
ot
=
Über den Befruchtungsvorgang bei der Miesmuschel.
bunt durcheinander gemengt: jedoch bildet die eine oder andere
Sorte von Kügelchen vielfach besondere Anhäufungen.
Schon OÖ. Hertwig hat ferner im Mytilusei ein „von der
übrigen Dottersubstanz verschiedenes“ kugeliges Gebilde wahr-
genommen, „das in der Grösse von 3 « zu 5 « variiert.“ „Man
kann schwanken“, sagt O. Hertwig, „ob es ein besonders be-
schaffenes Dotterelement oder ein aus Kernsubstanz bestehender
Teil ist. Da indessen das Kügelchen einige Zeit nach der Be-
fruchtung verschwunden ist und die Befunde auffallend an die
bei Asteracanthion und Nephelis erhaltenen erinnern, so glaube
ich mich für das letztere entscheiden zu müssen.“ ©. Hertwig,
welcher ausschliesslich Totalpräparate von Mytiluseiern unter-
sucht hat, nahm an, dass es sich um einen „in beständiger Ab-
nahme begriffenen kugelförmigen Rest des Keimflecks“ handelt.
Bei Schnittuntersuchung kann man nun aber leicht feststellen.
dass vielmehr die erste der beiden Alternativen, zwischen welchen
0. Hertwig geschwankt hat, zutrefiend ist: es handelt sich
um ein „besonders beschaffenes Dotterelement“, und zwar um
einen sogenannten „Dotterkern“, wie wir ihn zuerst im Spinnenei
besonders durch Balbiani kennen gelernt haben, bestehend
aus einem zentralen protoplasmatischen Körperchen, welches in
der Regel Plastochondrien und mitunter daneben auch noch Dotter-
kügelchen einschliesst, und umgebenden konzentrischen Lamellen,
welche, dachziegelartig zusammengefügt, eine kugelige Kapsel
bilden. Es kommt jedoch in zahlreichen Fällen vor, dass die
Kapsel das zentrale Kügelchen nur einseitig umgibt, indem die
konzentrischen Lamellen auf eine Seite desselben beschränkt sind
(Fig. 2).
Auffallend ist, dass im Mytilusei nicht selten mehrere solcher
Dotterkerne vorkommen. OÖ. Hertwig erwähnt schon. dass das
von ihm aufgefundene Gebilde „zuweilen auch in zwei Hälften
geteilt auftritt“. Ich selbst habe einigemal drei und in einem
Fall sogar vier solcher Dotterkerne gezählt.
Die Befruchtung.
Bei einer Portion Eier, welche ich 2!/g Minuten nach der
Besamung fixiert hatte, waren die Spermienköpfe zum Teil noch im
Eindringen begriffen (Fig. 5), zum Teil aber schon völlig einge-
drungen, jedoch noch unmittelbar unter der Eimembran gelegen
54 Friedrich Meves:
(Fig. 4). Die Eimembran weist an der Eintrittsstelle des Spermiums
ein rundes, scharf umgrenztes Loch auf, welches etwas weiter ist,
als für den Durchtritt des Kopfes notwendig erscheint. Die Ränder
des Loches sind in den meisten Fällen etwas nach aussen umge-
bogen. Merkwürdig ist, dass das Perforatorium nicht nur bei
den völlig aufgenommenen Köpfen, sondern auch schon bei den
noch im Eintritt begriffenen spurlos geschwunden ist; seine Sub-
stanz muss sich also sehr rasch auflösen. Dagegen sind am
hinteren Umfang des durch Hämalaun blau gefärbten Kopfes in
Seitenansicht zwei oder drei Kügelchen des „Nebenkernorgans“
deutlich zu erkennen.
Indem der Kopf mit dem ihm anhaftenden Nebenkernorgan
tiefer in das Ei eindringt, kommt er zwischen den geschwärzten
Dotterkügelchen und Eiplastochondrien zu liegen und wird nun
besonders durch die ersteren den Blicken entzogen. Um ihn
auffinden zu können, empfiehlt es sich, wie gesagt, die ge-
schwärzten Kügelchen vorher durch Behandlung der Schnitte
mit Terpentin zu entfernen, wie dies bei Fig. 5—8 geschehen ist.
Fig. 5 und 6 sind nach Eiern gezeichnet, welche 4'/» Minuten
nach Zusatz des Spermas fixiert worden sind. In Fig. 5 und 8
hat sich von der Oberfläche der doppelt konturierten Eimembran
eine „Dotterhaut“ abgehoben; in Fig. 6 und 7 ist sie entweder
noch nicht gebildet oder liegt der Eimembran noch so dicht an,
dass sie nicht zu erkennen ist.
Der eingedrungene Kopf führt weiterhin eine Drehung aus,
wie sie schon bei zahlreichen Tieren beobachtet wurde, in der
Weise, dass er das vordere Ende gegen die Peripherie, das hintere
gegen den Mittelpunkt des Eies kehrt: Fig. 7 und 8, nach Eiern,
welche 6 Minuten nach der Befruchtung fixiert sind. In Fig.”
liegt der Kopf genau rechts vom Eintrittsloch, aus welchem der
Schwanzfaden hervorragt. Bei Fig. 8 ist das Eintrittsloch nicht
auf dem Schnitt getroffen. In letzterer Figur haben die Kügelchen
des „Nebenkernorgans“ sich bereits von der Hinterseite des
Spermienkopfes abgelöst. Nachdem sie sich weiter von ihm ent-
fernt haben, besteht keine Möglichkeit mehr, sie von gleichgrossen
Eiplastochondrien zu unterscheiden. Damit ist der weiteren Ver-
folgung der männlichen plastosomatischen Substanz (wenigstens
mit Hilfe der von mir angewandten Methode) im Mytilusei ein
Ziel gesetzt.
Über den Befruchtungsvorgang bei der Miesmuschel. 59
Immerhin ist es gelungen, an einem neuen Objekt den
Nachweis zu erbringen, dass ausser dem Kern auch die Plasto-
somen der Samenzelle als geformte Elemente in das Ei ein-
treten. Dass sie dies allgemein tun, lässt sich allerdings, wie
Duesberg (1912, S. 841) bereits bemerkt hat, überhaupt nicht
im mindesten bezweifeln. Zunächst konnte überall, wo die Bildung
des Spermiums mit den geeigneten Methoden untersucht wurde,
gezeigt werden, dass sämtliche Plastosomen der Spermatide da-
bei Verwendung finden. Wir wissen ferner, dass in zahlreichen
Fällen die ganzen Spermien einschliesslich des Schwanzes in
das Ei aufgenommen werden.!) „Andererseits“, sagt Duesberg,
„zeigen die Untersuchungen über den Aufbau des reifen Sper-
matozoids, dass es in vielen Fällen genügt, wenn ein sehr kleiner
Teil des Schwanzes in das Ei eindringt und in einigen Fällen
dieses Eindringen [des Schwanzes| gar nicht nötig ist, um die
Plastosomen des Spermatozoids in das Ei zu bringen.“
Es kann allerdings zunächst befremden, dass die Plasto-
somen des Spermiums denjenigen des Eies in vielen Fällen z. B.
bei Mytilus und Phallusia so ausserordentlich an Masse nach-
stehen ?); aber ein Argument gegen ihre Mitwirkung bei der
Vererbung lässt sich, wie ich schon mehrfach bemerkt habe,
daraus nicht herleiten.?) Die Stammzellen des Spermiums und
der Eizelle, die Spermatogonien und Oogonien, sind bei vielen
Tieren nicht nur an Grösse, sondern auch in bezug auf den Bau
1) Man kann es heute sogar für wahrscheinlich halten, dass alle An-
gaben, nach welchen Schwanzteile abgeworfen werden, auf Irrtum beruhen.
?) Bei Ascaris und Filaria ist dies weniger der Fall.
3) Man vergleiche auch W. Pfeffer, Pflanzenphysiologie, II. Aufl.
1897, Bd. 1, 8.46: „Da mit dem Samenfaden (wie es scheint, in allen Fällen)
bei der Befruchtung der Eizelle auch Zytoplasma zugeführt wird, so kann
schon dieserhalb aus den bezüglichen Erfahrungen die Alleinherrschaft des
Kerns mit Recht nicht gefolgert werden .... “ Weiter heisst es 8. 47:
„In diesen Fragen ist aus der relativ ansehnlichen Grösse des Kernes in
embryonalen Zellen ein entscheidendes Argument nicht abzuleiten, so be-
achtenswert und bedeutungsvoll diese Tatsache auch ist. Denn von der
Körpermasse hängt doch nicht die Bedeutung eines Menschen im Gemein-
wesen ab, und die Bakterien demonstrieren sehr schön, wie eine winzige
lebendige Masse, indem sie zu intensiver Vermehrung befähigt ist, die ge-
waltigsten Leistungen zu vollbringen und selbst die grössten Organismen
zu vernichten vermag. Zudem können gewaltige Reizerfolge durch unglaublich
geringe Mengen ausgelöst werden.“
56 Friedrich Meves:
von Kern und Zytoplasma einander so völlig gleich, dass sie
sich überhaupt nicht unterscheiden lassen. Die Oogonie pflegt
mit ihrem Übertritt in die Wachstumsperiode eine gewaltige
Vergrösserung zu erfahren, an welcher nicht nur das Zytoplasma,
sondern auch der Kern Teil hat, so dass das „Keimbläschen“
den Kern der homologen männlichen Zelle, des Spermatozyten
erster Ordnung, in vielen Fällen um das hundertfache und mehr
übertrifft. Nichtsdestoweniger erweisen sich die Kerne der
beiden kopulierenden Geschlechtszellen als „äquivalent“. Was nun
die Plastosomen anlangt, so könnte die im frisch besamten Ei
vorhandene Ungleichheit in der Zahl der männlichen und weib-
lichen Plastosomen durch ein starkes Wachstum der ersteren‘ be-
seitigt werden. Dabei ist zu betonen, dass ein solcher Ausgleich
sich keineswegs bis zum Beginn der ersten Furchung (Auftreten
der Zelleibsteilung) zu vollziehen braucht: in den Furchungszellen
ist noch Zeit genug dafür. Die Befruchtung vollendet sich meines
Erachtens vielfach erst im Lauf der Keimbildung.
Solange man glauben durfte, dass sämtliche erblichen Eigen-
schaften im Kern vereinigt sind, war die Annahme notwendig,
dass sie von diesem auf das Zytoplasma übertragen werden.
Wenn bei Kreuzung einer rot und einer weiss blühenden Pflanze
die Blumen des Bastards eine intermediäre blassrote Färbung auf-
weisen, so mussten wir uns früher vorstellen (De Vries 1889),
dass die Chromatophoren ihre Eigenschaften vom Kern mitge-
teilt bekommen haben. Man zog zur Erklärung eine dynamische
oder enzymatische Wirkung des Kerns auf das Zytoplasma heran
oder grift zu der Hypothese, dass die im Kern enthaltenen stoff-
lichen Träger der erblichen Anlagen (Pangene, De Vries) vom
Kern an das Zytoplasma abgegeben werden. Mit der Erkenntnis,
dass neben dem Kern auch die Plastosomen bei der Befruchtung
mitwirken, sind alle diese Annahmen überflüssig geworden. Die
Plastosomen sind die Vererbungsträger des Zytoplasmas; sie
stellen nach der Anschauung, welche ich mir von 1907 an auf
Grund meiner Beobachtungen gebildet habe, eine primitive (in-
differente, neutrale) Substanz dar, welche sich selbst im Lauf
der Öntogenese in die verschiedensten Differenzierungen um-
wandelt, wobei sie die elterlichen Eigenschaften in die Er-
scheinung treten lässt. Wenn in dem oben angeführten Beispiel
die Blüten der Bastardpflanze blassrot sind, so erklärt sich dies
Über den Befruchtungsvorgang bei der Miesmuschel. DM
meiner Meinung nach daher, dass im Lauf der Befruchtung
männliche und weibliche Plastosomen sich miteinander vereinigt
haben und dass die Chromatophoren der Pflanzen, wie neuere
Untersuchungen gezeigt haben, (ebenso wie die Pigmentkörner
der Tiere) Umwandlungsprodukte von Plastosomen sind.)
In einer früheren Arbeit (1908) habe ich die Frage unter-
sucht, inwieweit auf die Plastosomen die Vorstellung passt, welche
Naegeli sich von der äusseren Erscheinung und der Struktur
seines Idioplasmas gebildet hat, und bin zu dem Resultat ge-
langt, dass die Plastosomen eine geeignete Grundlage für die
Naegelische Theorie innerhalb des Zytoplasmas abgeben.
Jedoch fand ich, dass die Anschauungen, welche von Naegeli
mit Bezug auf die spezifische Wirksamkeit des Idioplasmas
entwickelt worden sind, durch meine Beobachtungen über
das Verhalten der Plastosomen bei der „Entfaltung der
Anlagen“ keine Bestätigung erhalten. Ich kam nämlich zu dem
Ergebnis, dass die verschiedenen Differenzierungsprodukte der
Zellen nicht, wie es die Theorie Naegelis verlangen würde,
durch Einwirkung der Plastosomen (bezw. der den Plasto-
somen innewohnenden Molekularkräfte) auf das umgebende Zyto-
plasma hervorgebracht werden; sie entstehen vielmehr nach
meiner Ansicht, wie ich schon eben bemerkt habe, aus den
Plastosomen selbst auf dem Wege direkter Metamor-
phose, welche nach den verschiedensten Richtungen vor
sich geht.
In dieser Beziehung stimmt mit meiner Auffassung in viel
höherem Grade die Lehre überein, zu welcher Galton durch
das Studium der Erblichkeitsgesetze geführt worden ist.
Johannsen, dessen „Elementen der exakten Erblichkeitslehre “
') Nach Strasburger (1908) soll ja allerdings bei der Befruchtung
der Phanerogamen ein „nackter Spermakern“ in das Ei hineinschlüpfen ; ein
Erguss von zytoplasmatischem Pollenschlauchinhalt in das Ei ist nach
Strasburger in keinem Fall bisher beobachtet worden. Ich habe aber
hierzu schon 1908, S. 859 folgendes bemerkt: „Da das Zytoplasma des
Pollenschlauchs den Spermakern, wie Strasburger selbst (1908, S. 40) sagt,
an seinen Bestimmungsort befördert, so lässt es sich meines Erachtens nicht
ausschliessen, dass etwas davon mit in das Ei hineingelangt. Ferner ist aber
die Möglichkeit nicht abzuweisen, dass schon ein einziges winziges Mito-
chondrium genügen könnte, um die Eigenschaften des väterlichen Zytoplasmas
auf dasjenige des Eies zu übertragen.“
> We BERND rpm am Treten! SE RATE SEHE ET
58 Friedrich Meves:
(erste deutsche Ausgabe 1909, S. 478 u. folg.) ich meine Kenntnis
dieser Theorie verdanke, gibt davon folgende Darstellung. Galton
(1875), führt er aus, nennt dasjenige im befruchteten Ei, was für
die Vererbungserscheinungen massgebend ist, den Stirp (aus dem
lateinischen stirps, Stamm), ein Wort, welches sich auch durch
die häufig benutzten Ausdrücke Idioplasma (Naegeli 1854) und
Keimplasma (Weismann 1885) ersetzen lässt. Er denkt sich,
dass die Sexualzellen (und ebenso die embryonalen Gewebe) reich
an Stirp sind und dass dieser in den Sexualzellen direkt von
der einen Generation zur folgenden weitergeführt wird, ohne in
den speziellen persönlichen Entwicklungsgang des einzelnen
Individuums hineingezogen zu werden, während die speziali-
sierten Körperzellen im Lauf ihrer Entwicklung
das ihnen überlieferte „Keimplasma“ grösstenteils
„verbrauchen.“'!) Die Sexualzellen der nacheinander folgenden
Generationen bilden ein Kontinuum, eine Fortsetzungsreihe; und
es ist sehr deutlich, dass dadurch der Stirp das eigentlich
bleibende, das eigentlich „feste“ der betreffenden Rasse bildet.
„Die individuellen Körper, die Einzelpersonen, sind — mit einem
nicht ganz adäquaten Bild übrigens — vergänglichen Blättern
oder Trieben an einem unsichtbaren Wurzelstock ähnlich; der
„Wurzelstock“ wird von den Blättern und Trieben ernährt, diese
aber manifestieren nur, was im „Wurzelstock“* gegeben ist —
aber in höchst wechselnder Art je nach den Schwankungen der
Lebenslagefaktoren“.
Diese Lehre kann nach Johannsen (1909, S. 480) in ein-
fachster Weise durch folgendes Schema illustriert werden:
M N 0 RB
| |
Ss
„Hier bezeichnen die Buchstaben M—P vier Generationen
von Individuen, während s den Stirp (das Keimplasma) der Gameten
bezeichnet, welcher alle Generationen zur einheitlichen Entwick-
lungsreihe verbindet. Die langen Striche des Schemas deuten
das Freiwerden, das Ausscheiden von Gameten, z. B. eines Eies,
an; die kurzen Striche bezeichnen die Entwicklung des betreffenden
Individuums aus der grundlegenden Zygote.“
1) Man vergleiche hierzu Johannsen, Elemente der exakten Erb-
lichkeitslehre, zweite deutsche Ausgabe, 1913, S. 408.
Über den Befruchtungsvorgang bei der Miesmuschel. 59
Weiter (S. 4387) unternimmt es Johannsen, das Galton-
sche Schema an die Mendelsche Regel zu adaptieren, wobei er
die beiden zur Kreuzung verwendeten rassenreinen Individuen
(die „homozygotischen P-Formen“) mit AA und aa bezeichnet;
das Schema z. B. der AA-Form würde dann folgendermaßen aus-
zuführen sein:
M N 0 P
| | |
ER a EEE
\A \A) A) ai
Das obere A bezeichnet die „genotypische“ Beschaffenheit
der Eizelle, das untere diejenige der Samenzelle. Hier sind beide
genotypisch gleich und könnten darum auch mit s (wie vorher)
markiert werden.
„Die Berücksichtigung der „Personen“, M, N usw., ist nun
offenbar hier unnötig und macht das Schema für den weiteren
Gebrauch nur schwerfällig. Halten wir uns allein an die geno-
typische Beschaffenheit der Gameten bezw. der Zygoten, dann
können wir hier gleich das derart vereinfachte Schema der beiden
P-Formen sowie des Bastardes beider darstellen. Mit G1—G4
sind die betreffenden vier (Generationen markiert“:
Gi G: @3 G4
2 ee A\ [A\ ATS ERBIES:
\A) A) \A/ 4A
\ la\ \
nn
IA\ [A \ [A \ Er
a IA} \A)
FR | [A \ en ee
BP
a ae ae Tre
[a\ [a\ 'a\ ar
\ a / \a, | a)
Dieses Bastardschema ist, wie Johannsen sagt, „nichts
als eine graphische Transskription des einfachen Mendelschen
60 Friedrich Meves:
Spaltungsschemas bei Selbstbefruchtung des Bastards Fı.“ Um
das Verhalten der Nachkommenschaft eines solchen Bastards zu
erklären, hat Mendel bekanntlich die Hypothese aufgestellt,
dass die in Fı zusammengebrachten Gene oder Erbeinheiten bei
der Bildung der Sexualzellen wieder getrennt würden
oder mit anderen Worten, dass jeder Bastard der Fı-Generation
zweierlei Arten von Sexualzellen (zweierlei männliche und zweierlei
weibliche) bilde. Die zytologische Grundlage der Spaltungsprozesse
glaubt man vielfach in der sogenannten „Reduktionsteilung“ ge-
funden zu haben, welche Weismann, ohne Kenntnis des
Mendelschen Vererbungsmodus, von theoretischen Erwägungen
aus postuliert hatte. Ich darf dazu bemerken, dass ich schon
1902 konstatiert habe (vergl. auch Meves 1896), dass eine solche
Reduktionsteilung als allgemeines Vorkommnis nicht existiert.
Meine weiteren Untersuchungen, zusammen mit der Konfusion,
welche bezüglich des „Reduktionsproblems“ in der zytologischen
Literatur von Anfang an geherrscht und immer stärker um sich
gegriffen hat, haben die Überzeugung in mir immer mehr be-
festigt, dass die Weismannsche Reduktionsteilung das Phantasie-
produkt bleiben wird, als welches sie entstanden ist.
Ferner scheint es mir aber keineswegs erforderlich, anzu-
nehmen, dass die Spaltung und Neukombination der Gene oder
Erbeinheiten schon bei der Bildung der Sexualzellen der Fı-
Generation vor sich geht. Vielmehr möchte ich mit Naegeli
(1884, S. 208) glauben, dass diese Erscheinungen in erster Linie
von dem Verhalten der bei der Selbstbefruchtung des
Bastards Fı (bezw. bei der Befruchtung innerhalb
der Fı-Generation) zusammenkommenden Idio-
plasmen abhängig sind.
Literaturverzeichnis.
Balbiani, E.G., 1879: Lecons sur la generation des Vertebres. Paris.
v. Brunn, M., 1884: Untersuchungen über die doppelte Form der Samen-
körper von Paludina vivipara. Arch. f. mikr. Anat., Bd. 23.
Duesberg, J., 1912: Plastosomen, „apparato reticolare interno“ und
Chromidialapparat. Ergebn. d. Anat. u. Entwicklungsgesch.. Bd. 20.
Held, H., 1912: Über den Vorgang der Befruchtung bei Ascaris megalo-
cephala. Ber. d. Kgl. sächs. Ges. d. Wiss., math.-phys. Kl. und Verhandl.
d. anat. Ges. auf d. 26. Vers. in München. |
Über den Befruchtungsvorgang bei der Miesmuschel. 61
Hensen, V., 1881: Physiologie der Zeugung. Handbuch der Physiologie,
Bd. 6, II. Teil.
Derselbe, 1885: Die Grundlagen der Vererbung nach dem gegenwärtigen
Wissenskreis. Landwirtschaftl. Jahrb., Bd. 14.
Hertwig, OÖ, 1875: Beiträge zur Kenntnis der Bildung, Befruchtung und
Teilung des tierischen Eies. I. Abh. Morpholog. Jahrb., Bd. 1.
Derselbe, 1877: Beiträge zur Kenntnis der Bildung, Befruchtung und Teilung
des tierischen Ries. Dritter Teil. Morpholog. Jahrb., Bd. 4.
Meves, Fr., 1896: Über die Entwicklung der männlichen Geschlechtszeilen
von Salamandra maculosa. Arch. f. mikr. Anat,, Bd. 48, 1897.
Derselbe, 1900: Über den von v. la Valette St. George entdeckten
Nebenkern (Mitochondrienkörper) der Samenzellen. Arch. f. mikr. Anat.,
Bd. 56.
Derselbe, 1902: Über oligopyrene und apyrene Spermien und über ihre Ent-
stehung, nach Beobachtungen an Paludina und Pygaera. Arch. f. mikr.
Anat., Bd. 61.
Derselbe, 1907: Über Mitochondrien bezw. Chondriokenten in den Zellen
junger Embryonen. Anat. Anz., Bd. 31.
Derselbe, 1908: Die Chondriosomen als Träger erblicher Anlagen. Cyto-
logische Studien am Hühnerembryo. Arch. f. mikr. Anat., Bd. 72.
Derselbe, 1911: Über die Beteiligung der Plastochondrien an der Befruchtung
des Eies von Ascaris megalocephala. Arch. f. mikr. Anat., Bd. 76.
Derselbe, 1913: Über das Verhalten des plastosomatischen Bestandteiles des
Spermiums bei der Befruchtung des Eies von Phallusia mammilata.
Arch. f. mikr. Anat., Bd. 82, Abt. 2.
Derselbe, 1915: Über Mitwirkung der Plastosomen bei der Befruchtung des
Eies von Filaria papillosa. Arch. f. mikr. Anat., Bd. 87, Abt. 2.
v. Naegeli, C., 1884: Mechanisch-physiologische Theorie der Abstammungs-
lehre.
Retzius, G., 1904: Biologische Untersuchungen, N. F., Bd. 11.
Romeis, B, 1912: Beobachtungen über Degenerationserscheinungen von
Chondriosomen. Nach Untersuchungen an nicht zur Befruchtung ge-
langten Spermien von Ascaris megalocephala. Arch. f. mikr. Anat.,
Bd. 80, Abt. 2.
Strasburger, E. 1908: Chromosomenzahlen, Plasmastrukturen, Ver-
erbungsträger und Reduktionsteilung. Jahrb. f. wiss. Bot., Bd. 44.
Van Beneden, E., 1883: Recherches sur la maturation de l’oeuf, la fecon-
dation et la division cellulaire. Archives de Biologie, vol. 4.
De Vries, H., 1889: Intrazellulare Pangenesis. Jena.
7oja, L. und R., 1891: Intorno ai plastiduli fuesinifoli (bioblasti dell’ Alt-
mann). Mem. Ist. Lomb. Sec. Lett., Milano, vol. 16.
62 Friedrich Meves: Befruchtungsvorgang bei der Miesmuschel.
Erklärung der Abbildungen auf Tafel V.
Die Abbildungen der Tafel V sind mit Zeiss’ Apochromat 2 mm
(Apertur 1,40) und Kompensationsokular 12 unter Benutzung des Abbeschen
Zeichenapparates bei Projektion auf Objekttischhöhe gezeichnet; und zwar
sämtlich nach Präparaten, welche mit Altmannschem Gemisch fixiert und
mit Hämalaun und Fuchsin-Pikrinsäure gefärbt worden sind.
Fig. 1 a—d. Spermien von Mytilus in Seitenansicht. Näheres siehe Text.
Fig. 1e. Ansicht des Spermienkopfes mit den fünf Kügelchen des Neben-
kernorgans von hinten.
Fig. 1f. Die fünf Kügelchen des Nebenkernorgans von hinten gesehen, mit
einem nach unten links ziehenden Stück des Schwanzfadens.
Fig. 2. Reifes Mytilusei, Dotterkügelchen geschwärzt, Plastochondrien rot
gefärbt. Richtungsspindel und „Dotterkern“. Näheres siehe Text.
Fig.3—8. Teile von Schnitten durch befruchtete Mytiluseier. Bei Fig. 5—8
sind die geschwärzten Dotterkügelchen durch Terpentin weggelöst.
Fig. 3 und 4: 2!/» Min., Fig.5 und 6: 4!/» Min., Fig. 7 und 8: 6 Min. nach
der Besamung fixiert. Im übrigen siehe Text.
Aus dem Anatomisch-biologischen Institut zu Berlin.
Durch Radiumbestrahlung verursachte Entwicklung
von halbkernigen Triton- und Fischembryonen.
Von
Paula Hertwig.
Hierzu Tafel VI-VIII und 13 Textfiguren.
Inhalt. Seite
Einleitung. . . - a
I. Teil: Über die Enbneklaung adiurahereahlier Trtonkier et Be-
Kruchtungsmitinormalem’ Sameny32.1 1.042: .3789. 22.2 a RI Teen
A. Experimenteller Teil.
a) Erste Versuchsreihe. Bestrahlungder Eier während5 Minuten 69
b) Zweite Versuchsreihe. Bestrahlung der Eier während 10
BALORMITUDENE ee TD
c) Dritte Versuchsreihe. Bestrahlung der Eier während 18
und 20B Nanntendt WERT Ben ee
d) Vierte Versuchsreihe. Bestrahlung der Eier während 25
und2 Sr Minuten wre sw an ne el areeg een seese C
e) Fünfte Versuchsreihe. Bestrahlung der Eier von Triton
taeniatus während 18 Minuten und en derselben
mit Samen von Triton eristatus . . . . 79
B. Mikroskopische Untersuchung der on am Bent a ven-
systemaatr. . 80
C. BE enlane En Beste) der. nern Veh
ERDEDDISSEHg RE ee 182)
D. Kernuntersuchungen.
a) Chromosomenzählungen . . . . 85
b) Messungen der Kerngrössen. 2 lm. en and
diploider Kerne verhalten sich bei Amphibienlarven wie1:2 87
E. Die Entwicklungsweise hemikaryotischer Larven und Unter-
suchung der Larve Fig.35. ..... Bahnen hair le:
F. Untersuchung der frühzeitig a ernenden en a: 101
II. Teil: Über die Entwicklung von Fischeiern, die mit adrambeseaklen
Samentbetrochtei wurdenrse LT a NR as 10
A. Beschreibung der Experimente.
a)lVorversucher ser a oa Bulls
b) Radiumexperiment und So neh RT ERE 2 107
c) Befruchtung von Crenilabrus-Eiern mit ale
Gobius-Samen . . . BL TSIOS
B. Zytologische ne von a weiekteillen er ee 0)
C. Zytologische Untersuchung polysperm befruchteter Eier... . 112
Archiv f. mikr. Anat. Bd. 87. Abt. I. 5
64 Paula Hertwie:
Einleitung.
In den letzten Jahren wurden aus dem Anatomisch-bio-
logischen Institut zu Berlin eine Reihe von Arbeiten veröffent-
licht. die sich mit der Einwirkung von Radium und Mesothorium
auf tierische Zellen, insbesondere auf die Keimzellen verschiedener
Tierarten (Amphibien, Fischen, Echinodermen) befassten. Da die
Resultate dieser Arbeiten ein Licht auf zahlreiche biologische
Fragen werfen, so z. B. auch einen wichtigen Beitrag zu dem
Problem der Vererbung liefern, darf dieses neue Forschungsgebiet
Anspruch auf besonderes Interesse erheben, zumal da weitere
Untersuchungen auf den beschrittenen Wegen noch reiche Aus-
beute verheissen.
Nachdem 0. Hertwig im Frühjahr 1909 durch einige
Vorversuche an Frosch- und Axolotllarven, die auf verschiedenen
embryonalen Stadien als Morulae, Blastulae, Gastrulae, sowie als
junge Embryonen der Einwirkung von Radium ausgesetzt wurden,
festgestellt hatte, dass durch die Bestrahlung eine deutliche Be-
einflussung der embryonalen Entwicklung hervorgerufen werden
konnte, brachte er im darauf folgenden Sommer die Experimente
in Beziehung zu dem Problem der Vererbung. Von der Voraus-
setzung ausgehend, dass Ei und Samenfaden als Träger gleicher
Idioplasmamengen gleichwertig auch schon frühe embryonale
Stadien beeinflussen, vermutete er, dass eine Schädigung der
Samenfäden einen störenden Einfluss auf die Entwicklung des mit
bestrahltem Sperma befruchteten Eies haben müsste. Um diese
Hypothese durch das Experiment zu stützen, bestrahlte O. Hertwig
die Spermatozoen verschiedener Seeigelarten mit Radium und, da
es sich herausstellte, dass selbst eine Einwirkungsdauer von 20
Stunden die Beweglichkeit der Spermien nicht erheblich herab-
setzte, befruchtete er mit dem so behandelten Samen normale
Eier. Der Erfolg entsprach den Erwartungen, die Eier schlugen
eine abnorme Entwicklung ein, als ob sie selbst unmittelbar ge-
schädigt worden wären, und gingen, je nach der Einwirkungs-
dauer des Radiums auf die Spermatozoen, früher oder später
zugrunde. Es wird also der Samenfaden „durch die Radium-
bestrahlung in irgend einer Weise in seiner Konstitution nicht
unerheblich verändert. Durch die Befruchtung wird sein Neu-
erwerb auch auf das Ei übertragen.“ (0. Hertwig.)
ar
Durch Radiumbestrahlung verursachte Entwicklung usw. 65
Es handelte sich nun noch um die Feststellung: Welcher
Bestandteil des Samenfadens ist der Träger der neu erworbenen
Eigenschaft? Es lag nahe, das Chromatin als diejenige Substanz
anzusehen, die in erster Linie durch die Radiumstrahlen verändert
wird, einmal. da die Kernsubstanz den hauptsächlichsten Bestand-
teil der Samenfäden bildet und dann auch, weil die Beweglichkeit
der Spermatozoen, eine Funktion des Plasma, durch die Radium-
einwirkung fast vollständig unbeeinflusst geblieben war. Mit der
Lösung dieser Frage beschäftigen sich zwei Arbeiten. Bei der
zytologischen Untersuchung von mit Radium bestrahlten Ascaris-
Eiern konnte ich eine direkte Veränderung des Chromatins fest-
stellen, die Bestrahlung führte zu Störungen in der Uhromosomen-
bildung, und bei besonderer Intensität der Radiumeinwirkung
gingen die Kerne unter den Erscheinungen des Chromatinzerfalls
zugrunde. Plasma und Zentrosomen hingegen liessen keine
Anomalien erkennen. — Eingehender noch untersuchte G. Hert-
wig diese Frage in seiner Arbeit über „das Schicksal des mit
hadıum bestrahlten Spermachromatins im Seeigelei.“ Es gelang
ihm, zytologisch nachzuweisen, dass die schlechte Entwicklung der
Seeigellarven allein auf den Einfluss des geschädigten Sperma-
chromatins zurückzuführen ist. Dieses „Radiumchromatin“ hat die
Fähigkeit, Chromosomen zu bilden, verloren und verursacht die
pathologischen Teilungen des gesunden Eikerns, mit dem es
spätestens während der Zweiteilung verschmilzt.
Neue Gesichtspunkte tauchten auf, als im Frühjahr 1910
G. und O. Hertwig die Radiumversuche auf die Geschlechts-
produkte von Amphibien (Rana fusca) ausdehnten. Die Ergeb-
nisse dieser Experimente sind in den Abhandlungen: „Die Radium-
krankheit tierischer Keimzellen“ (0. Hertwig) und „Radium-
bestrahlung unbefruchteter Froscheier und ihre Entwicklung nach
Befruchtung mit normalem Samen“ (G. Hertwig) niedergelegt.
Beide Arbeiten bestätigten die schon bei den Seeigeln gemachten
Erfahrungen, dass die durch Bestrahlung erworbene Radium-
krankheit der einen Kern-Komponente, sei es der männlichen
oder der weiblichen, auf den gesamten Kopulationskern über-
tragen wird. Bei diesen Versuchen trat aber noch eine Erscheinung
auf, die bei oberflächlicher Betrachtung die ganzen bisher ge-
wonnenen Resultate in Frage zu stellen schien. Während bei
kürzeren Bestrahlungszeiten, und zwar sowohl bei Bestrahlung
Hr
66 Paula Hertwig:
der Eier als der Samenfäden, die Entwicklungsschädigung pro-
portional der Einwirkungsdauer des Radiums ist, ändert sich von
einem bestimmten Zeitpunkt ab das Verhältnis. Wir haben jetzt
eine merkwürdige Erscheinung: je länger wir die eine Gamete
der Radiumwirkung aussetzen, desto besser verläuft die Ent-
wicklung der Zygote.
G. Hertwig stellt dieses Ergebnis in Form einer Kurve
dar, die graphisch veranschaulicht, welches Durchschnittsalter die
Embryonen bei Eibestrahlung von 5 Minuten, einer Viertelstunde
oder 2 Stunden erreichen. Die Zeitdauer der Bestrahlung ist
dabei als Abseisse, das Alter der Larven als Ordinate genommen.
Die Kurve zerfällt in einen absteigenden und einen aufsteigenden
Teil. Ihren tiefsten Punkt, der einem Durchschnittsalter von
4 Tagen entspricht, erreicht sie bei einer Bestrahlungsdauer von
30 Minuten. Der aufsteigende Ast zeigt an, dass bei verlängerter
Radiumwirkung das Alter der Embryonen proportional der Be-
strahlung wächst. Es erreichen z. B. 1 Stunde bestrahlte Eier
das Durchschnittsalter von 8 Tagen. — Eine ähnliche Kurve
erhält man, wenn man auf der Abscisse die Zeitdauer der Be-
strahlung von Samenfäden einträgt und auf der Ordinate die
Lebensalter der Embryonen, die sich aus Eiern, welche mit be-
strahltem Samen befruchtet wurden, entwickelten. Der Tiefpunkt
dieser Kurve liegt bei OÖ. Hertwigs Versuchen bei einer Be-
strahlung von ca. 1 Stunde.
Um diese merkwürdige Tatsache zu erklären, nahmen die
Autoren an, dass die Schädigung des Ei- oder Samenkerns stets
proportional der Bestrahlungsdauer wächst. Während nun aber
geringfügig geschädigtes Uhromatin noch die Fähigkeit zur Ver-
mehrung besitzt und somit alle embryonalen Zellen mit erkranktem
Chromatin infiziert, wird die Kernsubstanz bei längerer Bestrahlung
mehr und mehr vermehrungsunfähig. Infolgedessen beteiligt sich
der geschädigte Halbkern überhaupt nicht mehr an den mitotischen
Vorgängen, er wird ausgeschaltet. Die Entwicklung wird also
im extremsten Fall allein von dem gesunden männlichen, resp.
weiblichen Kern geleitet. Diese Entwicklungsart bezeichnet
O0. Hertwig, wenn sie allein vom Eikern verursacht wird, als
eine experimentell parthenogenetische; G. Hertwig spricht von
einer merogonen oder arrhenokaryotischen Entwicklung seiner
entkernten Eier.
Durch Radiumbestrahlung verursachte Entwicklung usw. 67
Diese Hypothese bedurfte zu ihrer Bestätigung und Er-
weiterung erneuter Untersuchungen. Es galt, die Experimente
auf neue Versuchsobjekte auszudehnen und die gewonnenen Resul-
tate nachzuprüfen. Dieser Aufgabe unterzog sich K. Opper-
mann, indem er einen Parallelversuch zu OÖ. Hertwigs Frosch-
untersuchung bei Fischen ausführte.
In seiner Arbeit: „Die Entwicklung von Forelleneiern nach
Befruchtung mit radiumbestrahlten Samenfäden“ bestätigte er das
(resetz der Kurvenbildung und versuchte ferner, die haploide
Natur der Forellenembryonen durch Kernmessungen festzustellen. —
Gleichzeitig gelang es mir, einen zytologischen Beweis für die
Ausschaltungs-Theorie des intensiv bestrahlten Spermakerns zu
bringen, indem ich das Verhalten des Radiumchromatins im
Froschei während der ersten Teilungen verfolgte. Ich fand das
tadiumehromatin vermehrungsunfähig als Klumpen oder Bläschen
abseits vom mütterlichen Furchungskern liegen, dessen normale
Teilung in keiner Weise beeinflusst wurde — ein Resultat, das
im wesentlichen von Oppermann durch spätere Untersuchung
an Forelleneiern bestätigt wurde.
Einen weiteren Ausbau und zugleich einen experimentellen
Beweis fand die Theorie in der Arbeit G. Hertwigs: „Partheno-
genesis bei Wirbeltieren, hervorgerufen durch artfremden radium-
bestrahlten Samen.“ Nach Pflüger und Born sterben die
Kreuzungsprodukte von Bufo vulgaris 2 X Rana fusca & , sowie von
Rana eseulenta 2 X Rana fusca $ nach normaler Zweiteilung und
Furchung auf dem Keimblasenstadium ab. G. Hertwig bestätigt
durch Kontrollversuche diese Resultate und erklärt die schlechte
Entwicklung der Bastarde aus der Entstehung einer disharmonischen
Idioplasmaverbindung, die durch die Kopulation zweier artfremder
Kerne zustande kommt. Er bestrahlte nun die Spermatozoen von
Rana fusca 4'/s Stunden mit Mesothorium und erreichte hierdurch,
dass sich die Larven über das Keimblasenstadium hinaus zu kleinen
Embryonen entwickelten: denn „die Ursache zu der Erkrankung,
die Vereinigung der beiden Bastardidioplasmen zu einer dis-
harmonischen Verbindung, ist ja bei den Radiumexperimenten
durch die frühzeitige Elimination des artfremden radiumkranken
Spermachromatins beseitigt.“ Er bezeichnet die Entwicklung dieser
„falschen Bastarde“, da nur der haploide Eikern sie leitet, als
eine haploid parthenogenetische und stützt diese Behauptung
68 Paula Hertwig:
durch Kernmessungen, die die reduzierte Chromatinmenge der
Kerne der Radiumlarven dartun.
Einen zwingenden Beweis für die haploide Natur der Larven,
die mit intensiv radiumbestrahltem Samen befruchtet worden
waren, führte Oscar Hertwig, indem er seine Froschexperi-
mente bei Tritonen wiederholte und an diesem Material, das
einer zytologischen Untersuchung besser zugänglich ist, durch
Kernmessung und Zählung der Chromosomen die halbe Zahl der-
selben mit absoluter Sicherheit feststellen konnte.
Trotz der nun schon recht ansehnlichen Zahl von Arbeiten,
die sich mit der Bestätigung und dem weiteren Ausbau der eben
dargestellten Ergebnisse befassen, stehen doch noch immer einige
Fragen offen, deren Beantwortung zur Sicherstellung der bisherigen
Resultate erforderlich ist.
Hierzu gehört der exakte Nachweis, dass Eier durch Radium-
bestrahlung vollkommen entkernt werden können, dass also Larven,
die sich aus solchen Eiern nach Befruchtung mit gesundem Sperma
entwickeln, hemikaryotisch sind. — Die vorliegende Aufgabe soll
in dieser Arbeit durch Untersuchung von Tritonlarven gelöst
werden, demselben Objekt, an dem O0. Hertwig die haploide
Beschaffenheit der Kerne seiner „Radiumlarven“ durch Ausschaltung
der Samenkernes hervorrief.
Im zweiten Teil meiner Abhandlung will ich noch einen
Beitrag zu einem interessanten (Gebiet der Radiumexperimente
geben, dessen Erforschung noch manche Resultate verspricht,
nämlich eine Darstellung von kombinierten Radium- und Kreuzungs-
versuchen hei Fischen.
I. Teil.
Über die Entwicklung radiumbestrahlter Tritoneier
nach Befruchtung mit normalem Samen.
Die Versuche wurden im Mai und Juni 1914 ausgeführt.
Die frisch eingefangenen Weibchen wurden getötet, die Eier aus
den Ovidukten herauspräpariert und unter möglichster Schonung in
einer Gruppe von 10—12 Stück auf einen Objektträger angeordnet
und in der feuchten Kammer der Bestrahlung ausgesetzt. Der
Abstand zwischen dem Objektträger und der Kapsel, die mit
Mesothorium in der Stärke von 51 Miligramm reinem Radıum-
bromid gefüllt war, betrug etwa 3 mm. Es wurde sorgfältig
Durch Radiumbestrahlung verursachte Entwicklung usw. 64
darauf geachtet, dass die Eier sich genau unter dem Mesothorium-
präparat befanden, und ich darf wohl sicher annehmen, dass alle
Eier gleichmässig der Einwirkung der Strahlen ausgesetzt waren.
In dieselbe feuchte Kammer stellte ich für die gleiche Dauer eine
Anzahl frei präparierter unbefruchteter Eier, die mir zu einer
Kontrollzucht dienen sollten, um festzustellen, ob nicht etwa die
Eier schon allein durch längeres Liegen in ihrer Entwicklung
ungünstig beeinflusst würden. Die Zeitdauer der Bestrahlung
schwankte zwischen 5 Minuten und !/s Stunde. Nach Ablauf
dieser Zeit wurden Versuchs- und Kontrolleier nacheinander durch
Bespritzen mit ziemlich konzentrierter, den vasa deferentia ent-
nommener Samenflüssigkeit befruchtet und zur weiteren Entwick-
lung ins Wasser gebracht.
Da immer nur eine kleine Zahl von Eiern auf einmal be-
strahlt werden konnte, musste jeder Versuch mehrmals wiederholt
werden. Leider gelingt die künstliche Befruchtung nie bei allen
Eiern, und so verringert sich auch aus diesem Grunde die Zahl
der sich entwickelnden Embryonen um ein beträchtliches, ein
Nachteil, der durch sorgfältige Beobachtung und Durcharbeitung
des vorhandenen Materials ausgeglichen werden musste.
Zwecks mikroskopischer Untersuchung wurden die Embryonen
kurz vor ihrem Absterben in Zenkerscher Flüssigkeit oder in
einem Pikrin-Essig-Sublimat-Gemisch fixiert. Zur Färbung der
Schnitte verwandte ich Boraxkarmin-Pikrinsäure oder Magentarot,
Pikroindigkarmin.
A. Experimenteller Teil.
a) Erste Versuchsreihe. Bestrahlungsdauer 5 Minuten.
Der Versuch (Nr. C) wurde am 5. Juni ausgeführt. Nach-
dem die Eier nach der vorher angegebenen Methode während
5 Minuten im Abstand von 4 mm der Einwirkung von Meso-
thorium ausgesetzt waren, befruchtete ich sie mit normalem
Sperma. Die erste Teilung wurde um 1 Uhr nachts beobachtet.
Von den 10 bestrahlten Eiern hatten sich nur 4 normal zwei-
geteilt und waren um 5 Uhr 10 Minuten in 4, resp. S Embryonal-
zellen zerlegt, während die Kontrollen zu dieser Zeit schon aus
Ss und 16 Zellen bestanden. 3 andere bestrahlte Eier boten un-
regelmässige Furchungen dar und starben auch frühzeitig ab.
70 Paula Hertwig:
Es blieben daher zur weiteren Aufzucht nur die zuerst
erwähnten vier Eier übrig. Beachtenswert ist die Verzögerung
der ersten Teilungen, die bei Ö. Hert wigs Versuchen an Triton-
eiern ebenfalls zu bemerken war. Am 19. Juni hatten sich die
Kontrolleier zu kleinen gestreckten Embryonen entwickelt, die
bereits einen Flossensaum, vier deutliche Kiemenfäden und den
dahinter sitzenden Kopftentakel, sowie Augen mit einer kleinen
Linse besitzen (Fig. 8, Taf. VI). Die vier Versuchseier hingegen
entwickelten sich sehr ungleichmässig, doch blieben sie alle hinter
der Kontrolle zurück. Der am meisten verkümmerte Embryo
wurde in Zenker fixiert und ist in Fig. 9, Taf. VI dargestellt.
Er besitzt einen sehr kleinen Kopf, die Augen fehlen vollkommen,
drei kurze Kiemenfäden, ein sehr schmaler Flossensaum sind aus-
gebildet. Von den sonst in diesem Alter bereits deutlich hervor-
tretenden vier Pigmentreihen sind nur die beiden Rückenlinien
erkennbar. Auch ist der Embryo nur etwa zwei Drittel so lang
wie die Kontrolle. Die mikroskopische Untersuchung zeigte noch
deutlicher den pathologischen Charakter des Embryos. Zwar hat
sich in Hirn und Medulla ein feiner Schleier von Nervenfibrillen
gebildet. doch sind noch alle Zellen mit Dotterplättchen reichlich
gefüllt. Die Ausstülpung des Prosencephalon zu den Augen-
bläschen ist unterblieben, die Anlage der Kiemenbogen rudimentär,
der Herzschlauch, der bei der Kontrolle bereits Blutkörperchen
enthält. fehlt vollkommen. Zahlreiche degenerierende Kerne, die
in das Lumen des Nervenrohres ausgestossen werden, bestätigen
die Annahme, dass der Embryo kurz vor dem Absterben stand.
Am 22. Juni schien mir ein zweiter Embryo in der Ent-
wicklung keine Fortschritte mehr zu machen, und ich tötete ihn
daher mit Pikrin-Essig-Sublimat ab. Fig. 10, Taf. VI, zeigt, dass
er erheblich besser entwickelt ist, als wie Fig. 9, ein Unterschied,
den man sicherlich nicht allein auf die Altersdifferenz von 3 Tagen
zurückführen kann. Trotzdem zeigt er im Vergleich mit der Kontrolle
(Fig. 22) deutliche pathologische Charaktere. Vor allen Dingen
bemerkt man die Kleinheit der Augen, eine Auftreibung der Herz-
und Bauchgegend, sowie eine Abbiegung des Schwanzes. Schnitt-
serien zeigen besonders eine zurückgebliebene Linsenanlage. Da
frontale Längsschnitte angefertigt wurden, ist auch eine spärliche
Entwieklung der Muskelfasern und ihre lockere, unregelmässige
Anordnung in den Rückensegmenten deutlich zu erkennen.
Durch Radiumbestrahlung verursachte Entwicklung usw. 71
Zu einem zwar etwas verkürzten, doch gestreckten Embryo
mit nur leichter Bauchwassersucht war ein am nächsten Tag
fixiertes Tier entwickelt. Er ähnelte im wesentlichen der eben
beschriebenen Fig. 10. Aus diesem Grunde verzichte ich auf eine
Abbildung.
Am 1. Juli wurde schliesslich der letzte der vier Embryonen
dieses Versuches abgetötet. Er erreichte das Alter von 22 Tagen
und hatte bereits die Eihüllen selbständig verlassen. Er unter-
scheidet sich äusserlich von den Kontrolltieren (vergl. Fig. 33,
Taf. VI, mit Fig. 34) hauptsächlich durch seine geringere Grösse
und erscheint überhaupt nur in der Entwicklung etwas zurück-
geblieben zu sein. Nur das verbreiterte Kopfende, der etwas
verdickte Leib, machen einen leicht pathologischen Eindruck. Die in
Fig. 34 gegebene Abbildung erinnert sehr an die von O. Hertwig
auf Taf. I, Fig. 31 dargestellte 27 Tage alte Larve. Diese ent-
wickelte sich aus einem Tritonei, das mit stark bestrahlten
(2!'; Stunden zwischen zwei Mesothoriumkapseln) Samenfäden von
Salamandra maculata bastardiert worden war. Diese Larve be-
zeichnete O0. Hertwig als eine experimentell parthenogenetische,
da sie, wie er nachweisen konnte, nur die haploide Chromo-
somenzahl besass. Die Vermutung lag nahe, dass auch Fig. 34
eine derartige Haploid-Larve ist, eine Vermutung, die, wie ich
in der weiteren Untersuchung ausführen werde, sich auch be-
stätigte.
Embryonen, deren äussere Körperformen so gut ausgebildet
sind, weisen auch in ihrer inneren Organentwicklung meist nur
eine Verzögerung, aber keine oder nur geringfügige pathologische
Veränderungen auf. Diese Erfahrung bestätigt auch unser Embryo.
Um das Gehirn ist bereits das knorpelige Primordialkranium ge-
bildet, die Retinaschicht des Auges weist bereits eine Differen-
zierung in Nervenfibrillen und Körnerschichten auf, das Ohr-
bläschen hat sich in Sacculus und Utrieulus geschieden, das Herz
mit Blutkörperchen ist angelegt. Zwar ist die Organdifferenzierung
in allen diesen Punkten nicht so weit fortgeschritten wie bei der
Kontrolle, deren Knorpel z. B. schon zu verknöchern beginnt,
doch würde der Embryo einen fast normalen Eindruck machen,
wenn nicht die Kleinheit fast aller Organe auffiele und das Auf-
treten von degenerierenden Kernen und Zellen anzeigte, dass wir
es mit keinem lebensfähigen Individuum zu tun haben.
—I
[66)
Paula Hertwig:
Noch zweimal wurden Versuche mit einer Bestrahlungs-
dauer von 5 Minuten angesetzt, der eine am 20. Mai (Nr. IV).
der andere am 13, Juni (Nr.K). Leider war bei beiden Experimenten
das Befruchtungsresultat ein recht ungünstiges. Da noch dazu
Eier, die sich geteilt hatten, in den ersten drei Tagen bereits
abstarben. blieb jedesmal nur ein Embryo übrig, den ich in beiden
Versuchen am 7. Tage nach der Befruchtung fixierte. Für dieses
schlechte Versuchsresultat ist wohl zum Teil das FEimaterial
verantwortlich zu machen, da sich auch bei der Kontrolle nur
eine geringere Anzahl von Eiern normal entwickelte. Immerhin
ist der Unterschied zwischen Kontroll- und Versuchstieren deutlich.
Erstere lassen eine Gliederung in Kopf-, Rumpf- und Schwanz-
anlage erkennen, etwa wie Fig. 7 in der bereits vorhin angeführten
Arbeit von OÖ. Hertwig.
Die beiden bestrahlten Eier hingegen befinden sich noch
auf dem Stadium der (Gastrulation. Die Schnittserien liefern
ähnliche Bilder, wie sie O. Hertwig in den Fig. 1—3, Taf. II
seiner Tritonarbeit dargestellt hat. Eine nur undeutlich ausgeprägte
Anlage der Medullarplatte ist zu erkennen, die bei dem einen
Embryo verdoppelt zu sein scheint. In der Gastrulahöhle befinden
sich einige kugelige Zellen, die Dotterplättchen und einen meist
pyknotischen Kern enthalten. Das die Wandungen. der Keimblase
bildende Zell- und Kernmaterial ist jedoch noch vorwiegend
gesund, wie auch zahlreiche Mitosen anzeigen.
b) Zweite Versuchsreihe.
Bestrahlungsdauer von 10 und 15 Minuten.
Ein einziges Mal, am 8. Mai, bestrahlte ich eine Portion
Eier während 10 Minuten (Nr. I). Nur ein einziger Embryo
entwickelte sich und wurde am 12. Mai konserviert. Bei der
Betrachtung mit der Lupe war die erste Anlage der Medullarwülste
zu erkennen, während die Kontrollen schon einen deutlich
abgegliederten Kopf mit den Augenanlagen, sowie einen Schwanz-
höcker zeigten. Die mikroskopische Untersuchung ergab ähnliche
Bilder wie bei den vorhin erwähnten 5 Minuten bestrahlten 7 Tage
alten Objekten.
Bei zwei Versuchen mit einer Bestrahlungsdauer von
15 Minuten, die beide am 12, Juni ausgeführt wurden (Nr. @&
und H), war das Entwicklungsresultat nicht erheblich günstiger.
o
Durch Radiumbestrahlung verursachte Entwicklung usw l
An fixiertem Material lieferten sie mir einen 6 Tage alten und
drei 7 Tage alte Embryonen. Diese vier Larven sind sich sehr
ähnlich. Sie sind halb so gross wie die Kontrollen, man erkennt
an ihnen Kopf und Schwanzhöcker. An Schnittserien durch dieselben
findet man häufig eine Verdoppelung des Medullarrohrs, etwa wie
bei Fig.5, Taf. VII. Nur in der Kopfgegend ist das Hirnrohr
stets einfach, lässt aber durch einen verdoppelten Ventrikel
seinen Ursprung aus zwei getrennten Anlagen noch deutlich
erkennen. Zahlreiche degenerierende Kerne vervollständigen den
pathologischen Eindruck, den man von diesen Larven erhält.
Dass jedoch aus Eiern, die 15 Minuten mit Mesothorium
bestrahlt wurden, Embryonen entstehen können, die sich in ihrer
Entwicklung mehr den normalen Kontrollen anschliessen, lehrte
mich ein Versuch vom 8. Mai (Nr.Il). Die zwei ältesten Embryonen
dieser Serie. die am 22. Mai in Pikrin-Essig-Sublimat eingelegt
wurden, sind mit einer gleich alten Kontrolle auf Taf. VI, Fig. 14
und 15 abgebildet worden. Die beiden Embryonen hatten, ım
Gegensatz zur Kontrolle, Fig. 13, am Tage der Fixierung noch
nicht die Eihüllen verlassen, auf welchen Umstand die Krümmung
des Schwanzes zurückzuführen ist. Aber abgesehen von diesem
verspäteten Ausschlüpfen und der damit verbundenen Beeinflussung
der äusseren Körperform, zeigen die beiden Mesothoriumembryonen
bei näherer Betrachtung verschiedene pathologische Merkmale.
Während sich bei der Kontrolle die Augen mit einer grossen
Cornea deutlich hervorwölben, lassen Fig. 14 und 15 nicht die
geringste Augenanlage erkennen. Schnitte durch die Augengegend
der Kontrolle und einer Mesothoriumlarve sind in den Fig.
und 9, Taf. VII, dargestellt. Der Querschnitt durch die Kontroll-
larve ist fast doppelt so breit wie durch den Versuchsembryo.
Die Grössendifterenz ist hauptsächlich auf die Ausbildung der
Augen zurückzuführen. Bei der Kontrolle sind sie etwa viermal
grösser, die Retina ist in Körnerschicht, Nervenfibrillen, Stäbchen
und Zapfen differenziert. Sie besitzen eine grosse Linse, die dem
Mesothoriumembryo vollkommen fehlt. Der in Fig. 9 abgebildete
Schnitt trifft auf der rechten Seite etwa die Mitte des Auges,
wie wir an dem median getroffenen Augenblasenstiel erkennen.
Auf der linken Seite haben wir mehr den Anschnitt des Augen-
bechers. Auf beiden Seiten fehlt, wie schon hervorgehoben, jede
Spur einer Linsenanlage. Im Zusammenhang damit ist auch die
14 Paula Hertwig:
Ausbildung der Cornea unterblieben. Ich hebe das Fehlen der
Linse bei diesem Embryo besonders hervor, da ich bei allen
anderen Larven mit verkümmerten Augen stets eine kleine Linse
fand, wie auck O. und G. Hertwig das Fehlen derselben noch
nicht beobachtet haben.
c) Dritte Versuchsreihe.
Bestrahlungsdauer von 18 und 20 Minuten.
G. Hertwig gibt in seiner Arbeit: „Radiumbestrahlung
unbefruchteter Froscheier und ihre Entwicklung nach Befruchtung
mit normalem Samen“ an, dass er die Froscheier während zwei
Stunden der Einwirkung von Radiumpräparaten (Radium II = 5,3 mg
und Radium III —= 2,0 mg) ausgesetzt hatte, und dass es ihm
gelang, nach Befruchtung mit normalem Samen aus diesen Eiern
Ss Tage alte Embryonen zu ziehen. Auf diesen Erfahrungen
fussend, bestrahlte ich zu mehreren Malen Tritoneier während
18 und 20 Minuten, Versuche, deren Ergebnis ich hier an der
Hand der Protokolle darstellen will.
Von der ersten Serie (Nr. B), die am 9. Juni um 6 Uhr 50 Min.
nach einer Bestrahlungsdauer von 18 Minuten befruchtet wurde,
entwickelten sich neun Eier, deren Teilungen bereits gegenüber
den Kontrollen verzögert waren,
Am 7. Tage nach der Befruchtung mussten zwei Embryonen
abgetötet werden, die in ihrer Entwicklung erheblich zurück-
geblieben waren. Sie sind in Fig. 6 und 7 dargestellt. Ein Vergleich
mit einer gleich alten Kontrolle Fig. 5 zeigt deutlich ihren
pathologischen Charakter. Schnitte lieferten mir ähnliche Bilder
wie die 7 Tage alten Embryonen der Versuche K und J. Die
noch lebenden Larven wurden im Alter von 13 Tagen fixiert. Sie
sind von ungleicher Grösse und zeigen schon hierdurch ihren
anormalen Charakter im Vergleich zu den Kontrollzuchten, deren
Larven alle gleich gross sind. Von den Mesothoriumlarven ist
die grösste in Fig. 23 dargestellt. Sie ist fast ebenso lang wie
die Kontrolle Fig. 22 und besitzt im Gegensatz zu den anderen
Mesothoriumlarven einen Flossensaum. Augen, Kiemen, Ex-
tremitätenknospen sind nur wenig schlechter als wie bei dem
normalen Tier ausgebildet. Der Bauch ist durch Wassersucht
sehr aufgetrieben, was der ganzen Larve ein etwas unförmliches
Aussehen verleiht. In ihrer inneren Organisation erwies sich
Durch Radiumbestrahlung verursachte Entwicklung usw. 75
Fig.23 als fast normal. Hirn und Augen sind ebensoweit wie
bei der Kontrolle differenziert; wir finden ein knorpeliges
Primordialkranium, und in der Kiemenregion beginnt sogar bereits
die Verknöcherung. Einzig durch die riesig aufgetriebene Bauch-
gegend, durch eine Armut des Herzschlauches an Blutkörperchen,
sowie durch eine schlechtere Entwicklung der Rumpfmuskulatur
unterscheidet sich diese Larve von der Kontrolle. Weniger gut
sind die anderen Larven dieses Versuches ausgebildet. Zwei von
ihnen sind schlanke Tiere, die auch annähernd die normale
(srösse erreichen. Die drei anderen, von denen eine in Fig. 24
dargestellt ist, sind erheblich kürzer mit kleinem abgebogenem
Schwanz, kurzen Kiemenfäden und äusserlich nicht erkennbaren
Augen. Dementsprechend ist auch ihre innere Organisation wenig
fortgeschritten. Die Augen mit ihren Linsen sind auffallend klein.
Hirn und Medulla zeigen pathologische Bildungen, das Herz fehlt
vollkommen. Extremitätenknospen sind noch nicht hervorgesprosst,
zwei von ihnen leiden an Wassersucht in der Herzgegend.
Bei einem am 12. Juni ausgeführten Versuch (Nr. F) mit
einer Bestrahlungsdauer von 20 Minuten gelang es mir, sechs
Embryonen zu züchten. Der eine erreichte nur das Alter von
4 Tagen und hat das Stadium der Gastrulation noch nicht über-
schritten,. Zwischen den beiden Urmundlippen ragt ein abnorm
grosser Dotterpfropf hervor. Das Innere der Keimblasenhöhle ist
erfüllt mit einer Unzahl verschieden grosser Zellen, die eine
kugelige (restalt angenommen haben und meist auch einen
chromatinarmen oder pyknotischen Kern besitzen. Diese Kugel-
zellen befinden sich zweifelsohne schon seit längerer Zeit in der
Keimblasenhöhle. Denn sie haben sich polar differenziert, das
Plasma hat sich im oberen Drittel gesammelt, die schwereren
Dotterplättehen nehmen den unteren Teil der Zelle ein. Die
Wand der Gastrula wird nur an einigen Stellen von einer festen
Grenzschicht von zu einem Epithel vereinigten Zellen gebildet.
Die kugeligen Dotterzellen grenzen häufig frei an die Dotterhaut
und geben so der Oberfläche ein höckeriges Aussehen.
Nicht sehr viel weiter ist die Entwicklung bei einem 7 Tage
alten Embryo fortgeschritten. Zwei Querschnitte durch denselben
sind auf Taf. VII, Fig.5 und 6, abgebildet, um die Verdoppelung
des Medullarrohrs zu zeigen, eine Erscheinung, die ich später
noch im Zusammenhang behandeln werde. — Zu kleinen Embryonen
76 Paula Hertwie:
mit Flossensaum, Augen und kurzen Kiemenfäden haben sich
Fig. 29 und Fig. 11—12 entwickelt, von denen besonders der
10 Tage alte Embryo Fig. 29 interessant ist. Er fällt durch einen
sehr dicken Kopf auf, besonders im Vergleich mit der schlanken
Kontrolle Fig. 23. Die mikroskopischen Befunde dazu illustrieren
Fig.3 und 4, Taf. VII. Fig. 4 stellt einen Schnitt durch das
Prosencephalon in der (regend der Augenblasenstiele dar. Wir
erkennen, dass die auffallende Vergrösserung des Kopfes nicht
etwa von einer Geschwulst, wie sie OÖ. Hertwig öfters bei mit
vadium bestrahlten Amphibienlarven gefunden hat, herrührt,
sondern durch eine ungeheure Vergrösserung des Ventrikels
bedingt ist. Wir können diese Missbildung als einen Hydrocephalus
internus bezeichnen. Diese Wassersucht hat noch eine interessante
Erscheinung zur Folge. Das Zellmaterial des Prosencephalon
reicht nicht zur Begrenzung des abnorm grossen Ventrikels aus.
Infolgedessen werden seine Wandungen in der unteren Hälfte
von den Blättern des Augenbechers gebildet. Es wird also bei
dieser pathologischen Form ein Hirnteil, der sich bei normaler
Entwicklung durch die Differenzierung zum Augenbecher von
seinem Mutterboden ganz abtrennt, in diesen wieder zur Begrenzung
mit hineingezogen.
Einige Schnitte weiter nach hinten sehen wir auf Fig. 3
die Medulla in der Ohrgegend getroffen. Auch der 4. Ventrikel
ist sehr stark vergrössert. Da infolgedessen das Medullarrohr
ungewöhnlich viel Raum beansprucht, wirkt diese Missbildung
entwicklungshemmend auf andere Organe. So sind z. B. die Hör-
bläschen auffallend klein, wie unsere Abbildung zeigt, auf der
das linke genau median getroffen ist.
Die weitere Durchmusterung der Schnittserie zeigt, dass
nach dem hinteren Ende des Embryos die Erweiterung des
Medullarkanals allmählich abnimmt, bis er etwa in der Gegend
der Vornierenanlage seine gewöhnliche Gestalt und Grösse
erreicht. — Weitere erwähnenswerte Entwicklungsanomalien zeigt
dieser Embryo nicht, nur sind die einzelnen Organe kleiner nnd
weniger weit differenziert als wie bei der Kontrolle. Wir finden
noch keinen Knorpel, weder um das Gehirn noch in den Kiemen-
bögen, die Extremitätenknospen sind noch nicht angelegt, die
Blutbildung hat noch nicht stattgefunden.
Zwei Embryonen desselben Versuches im Alter von 11 Tagen
|
Durch Radiumbestrahlung verursachte Entwicklung usw. 7
sind in ihrer Entwicklung nicht erheblich weiter fortgeschritten.
Sie sind auf Taf. VI in Fig. 11 und 12 dargestellt. Der eine
(Fig. 12) zeichnet sich durch die wassersüchtige Auftreibung der
Herzgegend aus. Er zeigt ausserdem eine Verdoppelung des
Medullarrohres, die nach Schnitten in Fig. 11 und 13, Taf. VII,
dargestellt ist und auf deren vermutliche Entstehung ich später
noch zu sprechen komme.
Am besten entwickelte sich die 13 Tage alte Larve, Taf. VI,
Fig. 30. Zum Vergleich mag die gleichalte Kontrolle Fig. 22
dienen. Wie schon bei anderen Mesothoriumlarven beobachtet
wurde, ist auch diese kürzer wie die Kontrolle und leicht
gekrümmt. Ihre innere Organisation ist normal, doch ist, wie
gewöhnlich bei den Mesothoriumlarven, die Differenzierung der
einzelnen Organe weniger weit als wie bei der Kontrolle fort-
geschritten.
d) Vierte Versuchsreihe.
Bestrahlungsdauer von 25 und 30 Minuten.
Nachdem ich durch die eben beschriebenen Versuche fest-
gestellt hatte, dass die Tritoneier einer Bestrahlung von 20 Minuten
ausgesetzt werden konnten, ohne entwicklungsunfähig zu werden,
schritt ich zu einer Erhöhung der Bestrahlungszeit auf 25 und
30 Minuten.
Von dem einen am 12. Juni angestellten Versuch (Versuch-
nummer E) entwickelten sich drei Eier, von denen zwei am
16. Juni in Zenkerscher Flüssigkeit fixiert wurden. Diese
zeigten einen riesigen noch nicht vollständig abgegrenzten Dotter-
pfropf, wie er als pathologische Bildung bei gestörter Entwicklung
der Amphibieneier häufig gefunden wird.
Ich verweise auf die Beschreibung derartiger Monstrositäten
in der Abhandlung „Die Radiumkrankheit tierischer Keimzellen“
von OÖ. Hertwig, und auf seine Abbildungen Taf, I, Fig. 1—10.
Die Oberfläche der beiden Eier ist mit Faltungen und Wülsten
besetzt, die, wie Schnitte lehren, von Epidermiszellen gebildet
werden, die als Höcker oder Leisten vorspringen. (Vergl.
OÖ. Hertwig, Taf.IV, Fig. 1, 5—6.) — Der dritte Embryo
erreichte ein Alter von 15 Tagen und ist in Fig. 32, Taf. VI, mit
Kontrolle (Fig. 31) dargestellt. Es ist eine der am besten
entwickelten Mesothoriumlarven, die in der Entwicklung zwar
etwas zurückgeblieben zu sein scheint, im übrigen aber einen
18 Paula Hertwig:
normalen Eindruck macht. Bei der mikroskopischen Untersuchung
erkennen wir jedoch, dass sie sich abgesehen von der weniger
weiten Organdifferenzierung auch noch durch zahlreiche pyknotische
Kerne, die besonders in Hirn und Medulla zu finden sind, von
der Kontrolle unterscheidet. Hierdurch wird die Annahme, dass
die Larve bei längerer Lebensdauer den Entwicklungsunterschied
ausgeglichen hätte, hinfällig. Die absterbenden Kerne zeigen an,
dass wir es mit keiner entwicklungsfähigen Larve zu tun haben.
Nach einer Bestrahlungsdauer von "/a Stunde (Nr. III und IV)
entwickelten sich nebst einigen früh absterbenden stark patho-
logischen Formen vier Larven. Zwei 17 Tage alte (Fig. 17 und 18,
Kontrolle Fig. 19) und zwei, die das Alter von 19 Tagen erreichten.
Von den beiden 17 Tage alten Larven fällt die eine (Fig. 18)
durch ihre starke Bauchwassersucht auf. Der Leib ist zu einer
riesigen Trommel aufgetrieben, deren Breite fast der Länge der
Larve entspricht. Verkleinerte und verspätete Anlage der Organe,
Missbildungen in Nachhirn und Rückenmark, wie ich sie schon
häufig bei der Schilderung der Mesothoriumlarven erwähnte,
vervollständigen das Entwicklungsbild.
Zeigen die oben beschriebenen Larven eine oftenbar patho-
logische Ausbildung infolge der langen Mesothoriumbestrahlung,
so haben wir in den zwei 19 Tage alten Larven (Versuchs-
nummer VI), die sich aus Eiern entwickelten, welche ebenfalls
!/s Stunde der Einwirkung der Strahlen ausgesetzt waren, zwei
gut ausgebildete Tiere, Die eine ist in Fig. 25 mit einer Kontrolle
(Fig. 26) abgebildet, die zweite ist der ersten in jeder Beziehung
ähnlich. Sie haben sich nicht schlechter entwickelt wie etwa
die 22 Tage alte Larve Fig. 34 aus dem 5 Minuten-Versuch,
oder wie Fig. 30 (13 Tage alt), die sich aus einem 18 Minuten
bestrahlten Ei entwickelte.
Fig. 2, Taf. VII stellt einen Längsschnitt durch die Larve,
Fig. 11 einen solchen durch die gleichalte Kontrolle Fig. 26 dar.
Die meisten Organe, z.B. Hirn, Medulla, Augen mit Linsen sind
bei der Mesothoriumlarve erheblich kleiner als wie bei der Kontrolle
und auch dementsprechend weniger weit differenziert. Dies ist
besonders deutlich an der Ausbildung der Retinaschichten des
Auges zu erkennen. Doch fehlt auch bei Fig. 2 noch fast voll-
ständig das knorpelige Primordialkranium ebenso wie die Ausbildung
mehrerer Kiemenbögen. Die Hörbläschen dagegen übertrefien an
Durch Radiumbestrahlung verursachte Entwicklung usw. 79
Grösse bei weitem diejenigen der Kontrolle. Ihre Ausdehnung
verursacht sogar eine Deformation des Kopfes. Während normaler-
weise die grösste Breitenausdehnung in der Augengegend
anzutreffen ist, liegt diese bei Fig. 2 in der Ohrgegend. Diese
starke Vergrösserung des Ohrbläschens zeigt auch wieder, dass
die Radiumembryonen zu wassersüchtigen Erkrankungen neigen,
Diese tritt meist als Wassersucht in der Bauch- oder Herzgegend,
wie bei Fig. 12, 15, 20 und 23, Taf. VI, seltener als Hydrocephalie
(Fig. 29) oder als Wassersucht der Ohrbläschen zutage.
Schon mehrmals habe ich die pathologische Ausbildung der
Rumpfmuskulatur bei den Mesothoriumlarven erwähnt. Auch bei
Fig. 2, Taf. VII, sind die Muskelsegmente nur undeutlich vonein-
ander abgegrenzt. Die einzelnen Muskelprimitivbündel sind von
reichlich entwickeltem Bindegewebe umgeben, liegen daher locker
nebeneinander und beanspruchen mehr Raum wie bei der Kon-
trolle Fig. 1.
e) Fünfte Versuchsreihe.
Bestrahlung der Eier von Triton taeniatus während 18 Minuten
und Befruchtung derselben mit Samen von Triton cristatus.
Am Schluss des experimentellen Teiles möchte ich noch einen
Versuch anführen, den ich am 17. Juni ausführte. Ich verwendete
zur Befruchtung der 18 Minuten bestrahlten Eier nicht, wie bei
den anderen Versuchen, die Spermatozoen von Triton taeniatus,
sondern die Samenflüssigkeit des grossen Wassermolches Triton
eristatus. Die Bastarde Triton taeniatus 9 X Triton ceristatus &
entwickeln sich zu normalen kleinen Mischlingen, die sich während
der ersten Embryonalperiode nicht von einfachen Triton taeniatus-
Embryonen unterscheiden.
Bei meinem Versuch hatten sich 11 Stunden nach der
Befruchtung sechs Eier 8 und 16 geteilt. Von diesen starb das eine
in den ersten Tagen ab, von den fünf anderen entwickelte sich
von Anfang an ein Embryo bedeutend besser wie die übrigen.
Er hielt dasselbe Tempo wie die Kontrollen ein. Am 17. Juni
wurden zwei Embryonen in Zenker scher Flüssigkeit fixiert, die
etwa dem 7 Tage alten Embryo aus dem 18 Minuten-Versuch
(Nr. B) entsprachen. Fig. 7, Taf. VII, stellt einen Durchschnitt
durch die Rückengegend des einen Embryos dar. Die Chorda
ist normal entwickelt, aber an Stelle des Medullarrohres sind zwei
Zellhaufen angelegt, die einen Spalt zwischen sich lassen und von
Archiv f.mikr. Anat. Bd.87. Abt. II. 6
s0 Paula Hertwig:
denen jeder für sich allein einen kleinen Hohlraum einschliesst.
Es ist hier als Folge einer gestörten Gastrulation — ich beobachtete
häufig einen abnorm grossen Dotterpfropf — die Verwachsung
des äusseren Keimblattes in der Urmundnaht nicht erfolgt. Wir
finden daher eine verdoppelte Anlage des Medullarrohres, die ich
bei älteren Embryonen ebenfalls häufig beobachtete.
/ wei weitere Embryonen wurden 10 und 11 Tage alt
(Fig. 27, dazu gehörige Kontrolle Fig. S, Taf. VI). Auch diese
beiden sind pathologisch entwickelt, namentlich in betreff der Aus-
bildung des Zentralnervensystems und der Augen.
Es blieb also nach Ablauf von 11 Tagen nur noch der eine
Embryo übrig, der sich, wie vorhin erwähnt, von Anfang an
normal entwickelte. Er wurde im Alter von 20 Tagen konserviert,
da ich glaubte, ihn nicht weiter züchten zu können. Diese Larve
(Fig. 35) ist nun im Gegensatz zu allen anderen, die sich aus
bestrahlten Eiern entwickelten, ebenso gross und ebenso weit ent-
wickelt wie die Kontrollarven. Auch ihre innere Organisation ist in
nichts hinter den Kontrollen zurückgeblieben. Die einzig anormale
Erscheinung besteht, wie Fig. 35 zeigt, in einer leichten Krümmung,
die aber auch zuweilen bei Kontrollarven auftritt. Es ist die
einzige von allen Larven, die ich aus bestrahlten Eiern züchtete,
der man ihre Abstammung aus einem bestrahlten Ei nicht
ansieht. Alle anderen, auch die bestentwickelten, sind durch
Zwergwuchs und zurückgebliebene Organdifterenzierung von den
Kontrollen leicht zu unterscheiden.
B. Mikroskopische Untersuchung der Missbildungen
am Zentralnervensystem.
Von den abnormen Befunden, welche die mikroskopische
Untersuchung ergab und die ich bereits in den vorangegangenen
Abschnitten beschrieben habe, möchte ich eine Erscheinung noch
einmal im Zusammenhang besprechen. Es handelt sich um eine
Missbildung des Zentralnervensystems, die in ähnlicher Weise
bereits von O. Hertwig beschrieben wurde und die wegen der
Häufigkeit ihres Auftretens Anspruch auf besondere Beachtung
erheben kann.
Die Fig. 11 und 12 geben uns ein Bild des Zentralnerven-
systems, wie es bei einer grossen Anzahl von sonst fast normal
Durch Radiumbestrahlung verursachte Entwicklung usw. Sl
entwickelten Embryonen in der Gegend der Medulla oblongata
und an ihrem Übergang in das Rückenmark zu finden ist. Die
Decke des Nervenrohres, die normalerweise nur von einer ein-
fachen Lage von Ependymzellen gebildet wird, besteht hier aus
mehreren Schichten von Nervenzellen, so dass sie die gleiche
Dicke wie die Seitenwandungen erreicht. Dorsalwärts hat sich
sogar, ebenso wie an den Seiten, eine feine Schicht von Nerven-
fibrillen gebildet. Infolge dieser Verdickung der Decke ist der
Ventrikel nicht einfach spaltförmig, sondern er hat eine Y-fürmige
(Gestalt angenommen. Bei den meisten Embryonen schwindet nach
einigen Schnitten die Verdickung der Medullardecke, und es sind
keine anderen pathologischen Veränderungen im Zentralnerven-
system zu erkennen. Glücklicherweise geben uns zwei Embryonen
(Nr. F* und III), nach denen die Fig. 10—13 angefertigt sind,
näheren Aufschluss über die Entstehung dieser Missbildung.
Bei der Durchmusterung einer Schnittserie durch den
Embryo J* sehen wir, dass das Nervenrohr dicht hinter der
Orbitalregion vollständig in zwei Hälften getrennt ist. Jede
derselben enthält einen eigenen Ventrikel, wie auf Fig. 10 zu
sehen ist. Die beiden Medullaranlagen sind durch embryonales
Bindegewebe vollkommen getrennt. In den nächsten Schnitten
wird diese trennende Schicht schmaler, bis sich schliesslich die
beiden Anlagen in der Medianebene berühren. Die inneren
Seitenwandungen eines jeden Rohres verdünnen sich und reissen
ein, so dass die beiden ursprünglich getrennten Hohlräume zu
einem gemeinsamen Ventrikel zusammenfliessen. Dieses Stadium
ist auf Fig. 13 abgebildet. Der Schnitt lässt noch ziemlich deutlich
(die Entstehung des Medullarrohres aus zwei getrennten Anlagen
erkennen: an der Stelle. wo die Verschmelzung der beiden
Ventrikel stattgefunden hat, sind noch abgelöste Zellinseln zu
finden, die auf das Einreissen der trennenden Zellschichten
hinweisen. Auch die Differenzierung von Nervenfibrillen an der
Dorsalseite der Medulla zeigt an, dass die jetzige Decke ursprünglich
die Seitenwandungen bildete. Ähnliche Verhältnisse zeigt Fig.11.
Wir sehen, dass die jetzt seitlich gelegenen Dorsalwände der
beiden getrennten Medullaranlagen wie bei normalen Embryonen
aus einer einfachen Lage von Ependymzellen gebildet sind uud
dass die Zellen der inneren Seitenwände die normale Begrenzung
des jetzt einheitlichen Ventrikels bilden.
6*
82 Paula Hertwig:
Durch diese an zwei Embryonen erhaltenen Befunde lassen
sich also Missbildungen, wie sie in Fig. 12 abgebildet sind. leicht
als eine in Rückbildung begriftene Verdoppelung des Zentral-
nervensystem deuten, eine Erklärung, die OÖ. Hertwig ebenfalls
den auf Taf. VII, Fig. 4—6 zusammengestellten Medullarrohr-
Missbildungen zugrunde legt.
Eine weitere Stütze dieser Annahme finden wir in Fig.5—17.
Fig. 7 stellt einen Schnitt durch den S Tage alten Embryo A!
dar. Die Chorda ist in der Mitte deutlich zu erkennen. Rechts
und links oben befinden sich zwei zellige Anlagen, die je einen
kleinen Hohlraum einschliessen. Man sieht unschwer, dass wir es
mit zwei Medullarrohr-Anlagen zu tun haben, die durch einen
breiten Spalt. in dem einige Zellen locker zerstreut liegen,
getrennt sind. Die beiden Anlagen sind wohl auf eine infolge
mangelhaften Urmundschlusses verzögerte Verwachsung des
äusseren Keimblattes zurückzuführen. — Bei dem etwas älteren
Embryo F?! erkennen wir auf Fig. 5 wiederum eine Verdoppelung
des Nervenrohres: die beiden Teile liegen bereits dicht neben-
einander, doch sind die Ventrikel noch vollkommen voneinander
durch eine dicke Schicht von Nervenzellen getrennt. Einige
Schnitte weiter erfolgt (Fig. 6) aber bereits die Vereinigung der
beiden Hohlräume durch Einreissen der trennenden Scheidewand.
In diesen beiden Abbildungen sind also die Verhältnisse bei einem
jungen Embryo genau dieselben wie bei den Embryonen Fig. 10 — 13.
C. Zusammenfassung der Versuchsresultate.
Überblieken wir nun noch einmal die Ergebnisse aller
Experimente, so fällt uns auf, dass zwischen den Zuchten der
5 Minuten-Versuche und den Eiern, die 20 Minuten oder sogar
!/, Stunde bestrahlt wurden, kein nennenswerter Unterschied
besteht. Bei allen Versuchen hat sich ein Teil der Eier sehr
schlecht entwickelt, indem er bereits pathologisch gastrulierte
und bald abstarb. Ein anderer Teil dagegen hat das Alter von
13, 17, 19 oder sogar von 22 Tagen erreicht. Es entwickelten
sich so z. B. bei einem Versuch mit 5 Minuten Bestrahlungsdauer
vier Larven, die ich am 10., 13., 14. und 22. Tage konservierte.
Da die Larven immer erst dann abgetötet wurden, wenn sich
deutliche Erkrankungserscheinungen zeigten, sie also dicht vor
dem Absterben standen, können wir diese Zahlen zur Berechnung
Durch Radiumbestrahlung verursachte Entwicklung usw. 33
der durchschnittlichen Lebensdauer benutzen. Sie erreichten also
ein tresamtalter von 59 Tagen. Es fällt daher auf eine Larve eine
Lebenszeit von 14,75 Tagen. Vergleichen wir hiermit das Durch-
schnittsalter der Larven, die aus 18 Minuten bestrahlten Eiern
entstanden. Bei dem Versuch am 9. Juni entwickelten sich sieben
Eier im Gesamtalter von 85 Tagen, mithin beträgt das Durch-
schnittsalter pro Larve 12,14 Tage. Nach einer Bestrahlung von
!/s Stunde erlangten die Tiere ein Durchschnittsalter von
17,67 Tagen. — Diese Zahlen illustrieren auf das Deutlichste
meine vorhin gemachte Bemerkung: Eine Bestrahlungsdauer von
'/& Stunde beeinflusst die Entwicklung der Eier nicht anders als
wie eine solche von 5 Minuten.
‘ Dieses Versuchsergebnis stimmt nun nieht überein mit den
Resultaten, die O. und G. Hertwig bei ihren Amphibien-
Experimenten erhielten, Resultate, die ich in der Einleitung als
das „Gesetz der Kurvenbildung* beschrieben habe. Ich zitiere
hier nochmals G. Hertwigs Zusammenfassung seiner Versuchs-
ergebnisse in der Arbeit: „Radiumbestrahlung unbefruchteter
Froscheier“. Er schreibt: „Wenn unbefruchtete Eier mit Radium
bestrahlt und dann mit normalem Samen befruchtet werden, so
wächst zuerst die Schädigung der Embryonen mit der Dauer
der Bestrahlung, nimmt aber alsdann bei noch längerer
Bestrahlung ab und zwar wieder entsprechend der Dauer der
Bestrahlung“. Dieses Ergebnis wird, wie schon anfangs erwähnt,
auf eine mehr und mehr vollkommene Ausschaltung des mütter-
lichen Chromatins zurückgeführt.
Da ich in meinen Versuchen eine Kurvenbildung nicht
konstatieren kann, bleiben nur zwei Annahmen möglich. Entweder
habe ich mit einer Bestrahlungsdauer von '/2 Stunde noch nicht
die maximale Schädigung, die eine vollkommene Ausschaltung des
Eikerns hervorruft, erreicht, oder aber der weibliche Kern ist
bei einer Mesothoriumwirkung von 5 Minuten bereits vermehrungs-
unfähig geworden. Die erstere Annahme wird gestützt durch
einen Vergleich mit den Bestrahlungszeiten, die 0. Hertwig
anwandte, um den Spermakern vermehrungsunfähig zu machen.
Er konnte erst bei einem einstündigen Versuch ein Ansteigen
der Kurve, d.h. eine bessere Durchschnittsentwicklung feststellen. —
Wichtigere Gründe dagegen sprechen für die zweite Annahme.
So die Beobachtung G. Hertwigs, dass die Schädigung des
54 Paula Hertwige:
Eikerns pro Zeiteinheit grösser sei als die des Samenkerns.
Diese Erscheinung fand er sehr begreiflich, da das Eichromatin,
welches sich zur Zeit der Bestrahlung im Spindelstadium befindet,
dem Radium eine grössere Angriffsfläche bietet, als wie die auf
einen kleinen Raum konzentrierte Kernsubstanz des Samenfadens.
Es liesse sich dann der Unterschied zwischen meinen und
G. Hertwigs Eibestrahlungen aus der Anwendung verschieden
starker Radiumpräparate erklären. — Nehmen wir also eine
maximale Schädigung des Eikerns zum mindesten bei den best-
entwickelten Embryonen auch bei den Versuchen mit kurzer
Bestrahlungsdauer an, so müssten die Larven, da die Entwicklung
nur von dem männlichen Halbkern geleitet wird, hemikaryotisch sein.
Wie unterscheiden sich nun solche halbkernigen Embryonen
von solchen mit diploider Chromosomenzahl? Über diese Frage
geben uns die Beobachtungen an den bisher gezüchteten haploiden
Amphibien und Fischlarven Aufschluss. Das Charakteristikum
aller dieser Embryonen besteht in ihrem „Zwergenwuchs“, d.h.
bei nur gering verzögerter Organdifferenzierung sind die haploiden
Embryonen erheblich, etwa um ein Viertel bis ein Drittel, kürzer
als wie die normalen Kontrollen. Ähnliche Proportionen ergeben
sich auch beim Vergleich einzelner Organe. — Ferner sind diese
haploiden Tiere nicht lebensfähig; viele sterben schon innerhalb
der Eihüllen ab, andere, die noch ausschlüpfen, zeichnen sich
durch langsame, matte Bewegungen aus, liegen häufig unbeweglich
auf einer Seite auf dem Grunde des Gefässes und erkranken oft
an Wassersucht. Man sieht, dass diese Beschreibung durchaus
auch auf die von mir gezüchteten Larven anwendbar ist. Als
einzige Ausnahme erwähne ich den Embryo A* (Fig. 35). dessen
Kernverhältnisse eine besondere Besprechung erfordern. Zur
weiteren Illustration des Gesagten diene ein Vergleich meiner
Figuren mit den Abbildungen, die OÖ. Hertwig auf Taf. I
und II in seiner Tritonarbeit gibt. Hierbei ist Folgendes zu
berücksichtigen: Die Versuche O0, Hertwigs wurden Ende April
und Anfang Mai ausgeführt, die Entwicklung der Embryonen
fand also bei niedrigeren Temperaturen statt als wie bei meinen
Anfang Juni begonnenen Versuchen. Die Folge davon ist eine
langsamere Entwicklung von ©. Hertwigs Embryonen. Es
entspricht etwa die Abbildung einer 27 Tage alten Kontrollarve,
Taf.I, Fig. 27, meiner 22 Tage alten Fig. 33. Eine zu dieser
Durch Radiumbestrahlung verursachte Entwicklung usw. 59
Kontrolle gehörige und, wie er nachwies, haploide Radiumlarve
stellt OÖ. Hertwig in Fig. 26 dar. Diese ähnelt nun in auffallender
Weise meiner Larve Fig. 34, die sich aus einem 5 Minuten
bestrahlten Ei entwickelte. Die Länge beider Larven ist genau
dieselbe, der Flossensaum, die Extremitätenknospen sind ungefähr
gleich weit entwickelt. Eben denselben Vergleich kann man
zwischen Fig. 33—33 O. Hertwigs und Fig. 25, 26 meiner
Arbeit durchführen und anderen mehr.
Sprechen nun schon wichtige Gründe dafür, dass meine
besser entwickelten Mesothoriumlarven haploid, arrhenokaryotisch
sind, so kann der exakte Beweis doch nur durch Unter-
suchung der Kernverhältnisse gebracht werden, ebenso wie
hierdurch allein ein Aufschluss über die Natur der früh
absterbenden stark pathologischen Larven gegeben werden kann.
Bei diesen Untersuchungen habe ich auf den Nachweis des
ausgeschalteten Radiumchromatins bei den ersten Teilungen wegen
der Knappheit des Materials verzichten müssen. Ich habe mich
also nur mit dem Studium der Kerne bei schon älteren Larven
befasst, deren haploide Natur ich durch Feststellung der
Chromosomenzahl und durch Messungen an den ruhenden Kernen
festzustellen suchte.
D. Kernuntersuchungen.
a) Chromosomenzählungen.
Dem Beispiele O0. Hertwigs folgend, benutzte ich zur
Chromosomenzählung in erster Linie die Kernteilungsfiguren der
Epithelzellen aus dem Flossensaum der jungen Larven. Diese
gewähren den Vorteil, dass man die Untersuchung an Total-
präparaten ausführen kann und nicht befürchten muss, dass etwa
nur ein Teil der Mitose im Schnitt enthalten ist. — Bereits die
10 Tage alten Mesothoriumlarven hatten einen kleinen Flossen-
saum, der sich natürlich, wie meine Abbildungen zeigen, mit
zunehmendem Alter immer besser entwickelte, so dass man an
den ältesten Embryonen die besten Studien machen kann. Die
Präparate wurden auf die Weise hergestellt, dass den in Zenker
oder Pikrin-Essig-Sublimat fixierten Embryonen mit einer Scheere
die Schwanzenden kurz vor der Aftermündung abgeschnitten
wurden. Gefärbt wurde mit Böhmers Hämatoxylin und falls
nötig, in stark verdünnter Salzsäure differenziert und mit Ammoniak-
sb Paula Hertwie:
wasser neutralisiert, wodurch die Kerne wieder eine tiefblaue
Färbung annahmen. Nach Entwässerung und Aufhellung wurden
die Schwänze in Kanadabalsam eingeschlossen.
In sämtlichen Flossensäumen sowohl der Mesothoriumlarven
als auch der Kontrollen konnte ich zahlreiche Kernteilungsfiguren
der Epithelzellen auffinden, und der Unterschied zwischen den
normalen Mitosen und denjenigen der Versuchsembryonen ist auf
den ersten Blick deutlich. Bei sämtlichen Mitosen der
Mesothoriumschwänze ist es ein Leichtes zu
erkennen, dass die normale Zahl von 24 Chromo-
somen nichterreicht wird. Bei Zählungen unter Anwendung
von starken Vergrösserungen (Zeiss Öl-Immersion !/ı2, Compens.-
Okular 5) konnte man nur im Ungewissen sein, ob 10, 11, 12
oder 13 Chromosomen vorhanden waren. Diese Unsicherheit in
Bezug auf die Bestimmung der exakten Chromosomenzahl erklärt
sich leicht aus der langen gewundenen Gestalt der Kernsegmente,
die sich bei ungünstiger Lagerung häufig kreuzen und gegenseitig
decken. So ist man für eine absolut sichere Bestimmung auf die
genauere Untersuchung einer geringeren Zahl günstig gelegener
Muttersterne angewiesen, deren Auffindung eine recht genaue
Durchmusterung der Flossensäume verlangt. Immerhin konnte
ich in den meisten Präparaten solche günstigen Mitosen finden
und die Anzahl der Kernsegmente mit Gewissheit auf zwölf
bestimmen.
Zwei der übersichtlichsten Muttersterne sind in Fig. 14
und 15 bei tausendfacher Vergrösserung wiedergegeben. Die
Abbildungen Fig. 14 und 15 sind nach photographischen Auf-
nahmen reproduziert, die ich bei der Firma Leitz anfertigen
liess. Die Chromosomen von Fig. 15 sind alle in einer Ebene
angeordnet und geben daher ein besonders übersichtliches Bild,
das zur Ergänzung kaum der in Fig. 15a reproduzierten Zeichnung
bedarf, die ich auf der photographischen Grundlage anfertigte.
Nicht ganz so gut für die Anfertigung einer Photographie war
Fig. 14 geeignet. Hier muss die Zeichnung manche Einzelheit,
die bei der Einstellung auf eine einzige optische Ebene verloren
geht, ergänzen. Die Chromosomen beider Muttersterne sind
gerade in der Längsspaltung begriffen, an den Enden weichen
die Tochterchromosomen bereits häufig auseinander. — Die
Kernsegmente sind, wie es bereits Meves bei Kernteilungsfiguren
Durch Radiumbestrahlung verursachte Entwicklung usw. 857
«des Erdsalamanders durch sorgfältige Messungen feststellte. nicht
alle von der gleichen Grösse. In beiden Mitosen fallen zwei
Chromesome durch ihre besondere Kürze auf.
b) Messungen der Kerngrössen bei Mesothorium- und
Kontrollarven.
Als zweites Mittel, die haploide Natur der Mesothorium-
larven nachzuweisen, bediente ich mich eines Vergleiches der
Kerngrössen bei Mesothorium- und Kontrollarven. Der erste, der
auf die Beziehung von Chromosomenzahl und Kerngrösse auf-
merksam machte, war Boveri, der bei haploiden Seeigellarven,
die sich aus einem befruchteten, kernlosen Eifragment entwickelten,
eine Grössendifferenz der Kerne dieser Larven und der normalen
Kontrollen feststellte. Er konstatierte, dass sich die Oberflächen
der Kerne wie 1:2 verhielten. Andere Autoren, wie Baltzer,
Godlewski, Herbst und Kupelwieser bestätigten die
Befunde Boveris am Seeigelmaterial. Auf andere Tierklassen
und auf botanische Objekte ausgedehnt, wurde in weiteren
Untersuchungen festgestellt, dass meistens das Verhältnis 1:2
nicht den Kernoberflächen. sondern den Volumina entspricht.
Diese Regel wurde von Gerassimow für Spirogyra, von
El. und Em. Marchal für di- und tetraploide Mose, von
Gates bei Oenathera gigas, von Tischler bei Musa-Rassen
festgestellt und ebenfalls durch die Untersuchungen über die
Kerngrössen di- und haploider Amphibienlarven von 0. und
G. Hertwig bestätigt. Die Volumina der Kerne von partheno-
genetischen und normalen Kontrollarven verhielten sich wie 1:2:
nur bei den Epithelzellen des Flossensaumes errechnete G. Hertwig
das Oberflächenverhältnis wie 1:2. Auf diese Angabe
werde ich später noch zu sprechen kommen.
Meine Messungen wurden an Kernzeichnungen gemacht, die
ich mit Hilfe des Leitzschen Zeichenapparates bei tausendfacher
Vergrösserung ausführte. Zur Vermeidung von Fehlerquellen
wurden folgende Vorsichtsmassregeln beachtet:
Es wurden nur die Kerne von Larven miteinander ver-
elichen, die dasselbe Alter hatten. Die zum Vergleich kommenden
Mesothorium- und Kontrollarven waren auf genau dieselbe Weise
vorbereitet und in gleich dicke (10 «) Schnitte zerlegt. Die
Messungen wurden an beiden Objekten unmittelbar nacheinander,
38 Paula Hertwig:
also bei absolut gleicher Einstellung des Apparates vorgenommen.
Gezeichnet wurden etwa 15—20 Kerne, alsdann ihr grösster und
kleinster Durchmesser auf eine gerade Linie mittels des Zirkels
übertragen. Die Länge dieser Linie entspricht dem zweifachen
Durchmesser aller Kerne. Aus dieser (Grösse lässt sich dann leicht
der mittlere Wert für den Radius eines einzelnen Kerns errechnen.
Das Verhältnis der 2. und 3. Potenzen der Radien ergibt dann
die Beziehungen der Oberflächen und Volumina.
Im Folgenden will ich nun in Tabellenform die Grössen
angeben, die ich bei den Messungen der verschiedenen Kerne
einer grösseren Anzahl von Larven erhielt. Es bedeutet hierbei:
r— mittlerer Radius der Mesothoriumlarvenkerne, rCo = mittlerer
Radius der Kontrollkerne. Die wiedergegebenen Zahlen müssen
durch 1000 dividiert werden, um die wirklichen Grössen zu erhalten.
Tabelle I.
Kerne der Medulla in der Gegend des Ohrbläschens.
Ken Era | in: F Co: T.r-Co4 7 re =;
Bestrahlung | | nummer | | | |
Z | 5Min. |10Tg.| C! |5,47|4,48/29,92/20,07| 163,70 | 89,83
PES 18Min. | 13 Tg..BUTb | 5,53| 4,30/30,58) 18,49! 169,00 | 81,37
PES 18 Min. |13 Te. Ba) 5,53) 4,40 30,58 19,18| 169,00 85,74
z |20 Min.| 7Tg. FT |5,50| 4,37 30,26|19,10| 166,50 | 83,47
PES 20 Min. |13 Te.| FV |5,43| 4,10 29,48| 16,81 160,10 | 68,93
z |25 Min.|is Tg.) E? | 4,90) 3,80/24,01|14,44| 117,64 | 54,87
PES 30 Min. |17 Tg.| IIl’a 5,40 4,20 29,16 17,64 160,82 | 74,68
PES |30 Min. | 17 Tg. III'b | 5,50 4,20 30,26) 17,64 166,40 | 74,68
7 30 Min. |19 Te. III? |4,65 3,52 21,13 12,39| 98,28 | 43,60
z |30 Min. |19 Tg.| VI |5,31| 4,23/28,20| 17,89| 149,72 | 75,68
z 18Min E Te.| A® | 5,07! 4,23|25,70 17,88) 130,30 | 75,68
| X 1651,46 |808,53
Wir erkennen aus dieser Tabelle, dass sich die Kernradien
in der 3ten Potenz bei allen elf Embryonen annähernd gleich 1
verhalten, in einem Fall (F!') wird dieses Verhältnis mit 166,50
und 83,47 fast genau erreicht.
.9)
Dass die Zahlen in den übrigen
Fällen nicht genau der Theorie entsprechen, darf uns nicht
dass die Kerngrössen der
wundernehmen,
denn
wir wissen,
Durch Radiumbestrahlung verursachte Entwicklung usw. 8%
normalen Individuen ebenfalls innerhalb gewisser Grenzen
schwanken, zumal wenn die Eier, wie bei unseren Versuchen,
von verschiedenen Weibchen stammen. So differieren die Werte
für rCo zwischen 5,07 und 5,53.'!) Desgleichen die Werte für r
zwischen 4,10 und 4,48. Es besitzen also die einzelnen Individuen
verschieden grosse Kerne. Trifft nun eine Kontrolle mit auffallend
grossen Kernen, wie z. B. Nr. S, mit einer Radiumlarve mit kleinen
Kernen zusammen, so verschiebt sich das Verhältnis zu ungunsten
des Versuchsembryos. Ebenso häufig wird natürlich das umgekehrte
Verhältnis der Fall sein, und wir müssten schliesslich, wenn wir
von einer grossen Anzahl von Embryonen die Kern-Volumina
berechnen und dann den Mittelwert nehmen, das exakte Ver-
hältnis 1:2 erhalten. Aus diesem Grunde habe ich am Schluss
der Tabellen die Summen r?Co und r? gebildet und erhalte aus
diesen durch Division mit 11 die Durchschnittswerte 150,1 für
r?Co und 73,52 für r?, also Zahlen, die als befriedigend angesehen
werden können.
In den Textfiguren la und 1b sind einige Zeichnungen wieder-
gegeben, die den Grössenunterschied sehr gut veranschaulichen.
200 08
In der 2. Tabelle gebe ich die Maße der Leberzellenkerne
wieder, deren Grösse ich bei drei Larven untersuchte.
Tabelle II. Kerne der Leberzellen.
Fixierungs- Zeit der Ver-
flüssigkeit | Bestrahlung me |
|
Ater | suchs- ro) r Ze Te T>Co er’
Z |25 Min. |18 Tg.| E” |4,98| 3,87| 24,79] 14,97| 123,5| 57,95
Z 30 Min. |19 Tg.| II? |5,12| 4,15|26,22) 17,22] 134,3| 71,45
Z |30 Min. |19 Tg.) VI |5,53| 4,57|30,58!20,ss| 169,0] 95,43
!, Ich sehe bei dieser Angabe von den Zahlen für Nr.6 und Nr.9 ab,
da zwischen diesen beiden und den übrigen Messungen längere Zeit verstrich
und eine erneute Einstellung des Apparates nötig wurde.
90 Paula Hertwig:
Auch bei den Leberzellenkernen ist also das Verhältnis
von:T7%Co.; 7°? fast genau’ —='2:1.
Aus einem Vergleich von Tabelle I und II erkennen wir,
dass die Leberzellenkerne etwas grösser sind wie diejenigen der
Nervenzellen. Dies ist ein typisches Verhalten, denn dieser
Unterschied tritt sowohl bei den Kontrollen als auch bei den
Mesothoriumlarven deutlich hervor. Abbildungen der Leberzellen-
kerne sind in den Textfiguren 2a und 2b gegeben und zwar von
der Larve III?.
Neben den Kernen der Nerven- und Leberzellen sind die
Extremitätenknospenkerne zu Messungen sehr geeignet, da sie
eine regelmässig kugelige Gestalt besitzen. Leider konnte ich
diese Messung nur bei wenigen Objekten ausführen. da meistens
zu der Zeit, in der bei den Mesothoriumlarven die Extremitäten-
knospen hervorsprossen, die Gliedmaßen der Kontrolle schon in
Knorpel und Bindegewebe differenziert sind. Die vergleichbaren
(Grössen sind in folgender Tabelle zusammengestellt.
Tabelle II.
Kerne von Zellen aus den Extremitätenknospen.
RR ä ı Ver- |
ee ann] Alter MaIB: | PWONFIT RS Co Te S r?
PES 18 Min. |13 Tg. BITh | 6,05| 4,77| 36,61|22,75|221,5| 108,50
PES 18 Min. 13 Tg. Bla 6,05) 4,81/36,61 23,13) 221,5) 111,30
PES 20 Min. |13 Tg., FY | 5,58| 4,47 30,42) 19,98|169,7| 89,32
Z 30 Min. 19 Tg. VI | 5,58) 4,77\34,23|22,75| 203,0) 108,50
X 815,7 417,62
Hieraus wurden die Durchschnittswerte r?Co — 203,9 und
r? — 104,4 berechnet, die also wieder im Verhältnis 2:1 stehen.
Durch Radiumbestrahlung verursachte Entwicklung usw. 31
Fig. 3 stellt die Extremitätenknospenkerne dar.
Das eben von den Kernen von Tabelle III Gesagte gilt
auch von Knorpelzellenkernen. Auch diese eignen sich vorzüglich
für Messungen.
Fig. 3a. Kieraib:
Tabelle IV.
Kerne der Knorpelzellen.
ER EREREREN Ver
Fixierungs- Zeit der | a N ea
ae | Aller | suchs- !rCo| r |r°Co| ı 7260. 7
flüssigkeit ı Bestrahlung | a
Z 25 Min.\18 Tg.) E” |4,90| 3,87|24,01|14,97| 1r7,7|57,95
Z _\30 Min.|19 Tg. III |\4,78| 3,57) 22,84| 12,75| 109,1|45,57
Z |830 Min. |19 Tg.) VI |5,03| 4,30|25,30| 18,49! 127,3| 79,50
Hieraus folgt das Verhältnis von r?Co zu r? = 2:1.
Einige Abbildungen der Knorpelzellenkerne sind in Textfigur 4
gegeben.
9) @)
666 ©
Fig. 4a. Fig. 4b.
Kerne der roten Blutkörperchen.
Auch die Kerne der roten Blutkörperchen sind bei den
vadıumlarven deutlich kleiner wie diejenigen der Kontrollen. Da
sie jedoch nicht kugelförmig, sondern von stark abgeplatteter
Gestalt sind, verzichte ich aus weiter unten angegebenen Gründen
auf die Berechnung der Volumina.
Ich zeichnete Blutzellen aus dem Herzen der Embryonen
und zwar nicht nur die Kerne der Ervthrozyten, sondern auch
g2 Paula Hertwig:
die ganzen Blutkörperchen, nach Möglichkeit solche auswählend,
die ganz im Schnitte enthalten waren. Zwei zusammenliegende
Gruppen der roten Blutkörperchen sind in Textfigur 5a und 5b
wiedergegeben. Sie lassen deutlich erkennen, dass die „Kern-
plasmarelation“ gewahrt wurde, denn die roten Blutzellen der
Mesothoriumlarven sind, den Kernen entsprechend, erheblich
kleiner als diejenigen
© | an der Kontrollen. Fig. 5b
/) ii D Vergleichen wir
= nochmals die Zahlen
sämtlicher Tabellen, so
IR ) finden wir, dass das
u Verhältnis r?Co.7 —
2:1 bei allen Larven
fast genau eingehalten
wird. Kommen
Abweichungen
von dieser Pro-
A! portion vor, so
sind diesenur zum
/ geringeren Teil in
Ungenauigkeiten
der Messungen zu
Fig. 5b. suchen. Sie sind
in der verschie-
denen Kerngrösse, die den einzelnen Individuen eigen ist,
begründet. Zum Beweis mögen die hier nochmals zusammen-
gestellten Werte, die ich bei den Larven VI und Co VI erhielt,
dienen.
Fig. 5a.
Tabelle V.
Kerngrössen der Larve VI.
| 2 | Extremitäten-
Medulla Leber Knorpe onen
Tr ee 4,57 4,3 | 4,77
rCo 3,31 DB 5.03.04 5,85
r3 75,68 | 95,48 79,50 108,5
r3 Co 11979. ,|0169 127,30 203,5
Durch Radiumbestrahlung verursachte Entwicklung usw. 95
Bei allen vier Messungen ist 2r? > als r?Co. Vergleicht
man die Werte von rV! mit denen der auf den Tabellen angegebenen
sonstigen Zahlen, so sieht man, dass rY! in allen Fällen eine
höhere Zahl entspricht als wie die r--Werte der übrigen Mesothorium-
larven. Die Larve VI hat also relativ grosse Kerne, die Kontrolle
hingegen besitzt, wie die Tabellen ebenfalls lehren, Kerne von
Durchschnittsgrösse. Infolgedessen fällt das Verhältnis von
ı?: Cor? zugunsten von r? aus. — Vielleicht ist in dem Umstand,
dass wir es bei Larve VI mit einem Tier mit besonders grossen
Kernen zu tun haben, auch die Erklärung für die relativ gute
Entwicklung zu suchen. Wie Fig. 25 lehrt, gehört sie zu den am
besten ausgebildeten Larven.
Bisher wurden bei den Messungen nur Kerne berücksichtigt,
die annähernd kugelige Gestalt besassen. Ich will jetzt noch die
Maße von den Kernen der embryonalen quergestreiften Muskulatur
geben. Sie besitzen etwa die Gestalt eines Ellipsoids mit der
Rotation um die grösste Achse, und ihr Volumenverhältnis lässt
T rk. ver
\C0 Gork®. Gorsr
den kleinen, r&" den grossen Radius bezeichnet.
Es wurden die Kerne von Muskelsegmenten aus Frontal-
schnitten durch die Embryonen gezeichnet. Diese veranschaulichen,
wie Textfigur 6a und 6b zeigen, ebenfalls auf das deutlichste die
Grössenunterschiede zwischen den Kernen normaler und haploider
Embryonen.
sich aus der Formel: berechnen, wobei rE&
Fig. 6b.
34 Paula Hertwig:
Tabelle VI.
Kerne der embryonalen Muskelzellen.
el j Ver- |
Fixierungs- | Zeit der k ‚gr ange | pl Mal
fnsnlokeit | Bestrahlung | er >| aREhe- SreLOEr
2.418 Mn- As Tat U | 7,35) 10,730
PES 18Min. | 13 Tg.;):BTa.| 8,2. 11,23.) 3,7... 453
PES 18Min. 13 Tg.| BI | 8,53 | 11.23 | 3,63 | 4,53
24,08. | 33,23 |11,00 |12,83
Aus den am Schluss der Tabelle gebildeten Summen sind
durch Division mit 3 die Durchschnittswerte für r#®" und rK zu
berechnen. Es ergibt sich:
Kontrollarve Mesothoriumlarve
752, 1.1403 rer 8 NL
KL 094,98 5
GLEN OT
FON 79099023:
Wir haben nun bisher gefunden, dass Kerne, die bei
diploiden Larven kugelförmig sind, dieselbe (Gestalt auch bei
haploiden Larven besitzen, oder anders ausgedrückt, bei kugel-
föürmigen Kernen verkürzen sich die Radien im gleichen Ver-
hältnis. Von dieser Tatsache, die allen Messungen zu Grunde
gelegt wurde, kann man sich leicht an Längs- und (Querschnitten
überzeugen. Wie verhalten sich nun aber diejenigen Kerne, deren
Durchmesser, wie z. B. bei den Muskelzellen, verschieden gross
sind? Um deren Verkürzungsverhältnis zu ermitteln, sind die
Es verhält sieh also
Kl gr
1 l 4 An
Proportionen Cork und Co yar Aufzustellen. Nach meiner Tabelle
or [0
ergibt sich D 1
= ———
Cork! 1.17
el
Corse 7 1,38:
Aus diesen Zahlen ist zu ersehen: die in Folge von Chromo-
somenreduktion auftretende Verkleinerung ellipsoider Kerne erfolgt
in erster Linie durch Verkürzung der längsten Achse, in weit
geringerem Maße durch eine solche des kleineren Durchmessers.
Um nicht allein bei der Begründung dieses Satzes auf
meine eigenen Messungen angewiesen zu sein, stellte ich dieselben
Durch Radiumbestrahlung verursachte Entwicklung usw. 35
Proportionen für die von OÖ. Hertwig gemessenen Muskelkerne
mit Hilfe seiner Tabellen auf. Ich erhielt
ET a9 ee
Or 7-496 WE Cor= 719357149
Auch Gerassimows Messungen an den ellipsoiden
Spirogyra-Kernen bestätigen meine Beobachtung. Die grössten
Durchmesser gewöhnlicher und primär vergrösserter Kerne ver-
halten sich, an der Hand der Tabelle I aus der 1904 erschienenen
Abhandlung berechnet, wie 1:1,33, die kleinsten Durchmesser
wie 1:1,13. Diese Zahlen zeigen ebenfalls, dass sich die längeren
Durchmesser stärker verkürzen als wie die kleineren.
Aus diesem Satze folgt nun aber, dass es zur Berechnung
der Oberflächen oder Volumina von ellipsoiden oder abgeplatteten
Kernen nicht genügt, zwei Durchmesser zu kennen, sondern
dass vielmehr die drei Hauptradien zu berücksichtigen sind,
wenn man gültige Resultate erhalten will. Den Fehler, den
3. Radius nicht ermittelt zu haben, beging G. Hertwig bei
seinen Messungen der Epithelzellenkerne von Krötenlarven.
Hieraus erklärt sich seine Angabe, dass bei den Epithelzellen-
kernen sich die Oberflächen — und nicht wie bei allen übrigen
Kernen der Amphibienlaren die Volumina — wie 1:2 verhalten.
Durch das Verhalten der Muskelkerne auf diese mögliche
Fehlerquelle aufmerksam gemacht, wiederholte ich G. Hertwigs
Messungen an dem von ihm benutzten Material. Ich zeichnete
aber nicht nur die Kerne der Epithelzellen bei Totalpräparaten,
sondern auch bei Querschnitten durch dieselben Larven, von denen
das Flossensaumepithel stammte. Meine Erwartungen bestätigten
sich. Die Epithelzellen-
kerne besitzen eine v En
stark abgeplattete Ge- IQ Sam)
stalt, etwa die Form N) D % N Ca
eines sehr niedrigen Ver
Zylinders oder die eines > e Ne
Ellipsoids mit Rotation Fig. 7a. Fig. 7b.
um die kleinste Achse.
Zeichnungen nach Totalpräparaten geben eine Flächenbetrachtung,
Zeichnungen nach Querschnitten eine Profilansicht der Kerne (Text-
figur 7a und 7b).
Archiv f. mikr. Anat. Bd.87. Abt. II. 7
96 Paula Hertwig:
Wenn ich wieder die Bezeichnungen rk! und r8" benutze,
so ist 121 — 3,85 Cors!'=. 5,72
ee er, Gortl.-—==1],85
und die Proportionen re! 3,85 1
Cor= "5723 1,49
EEE LTT. KEN Mi
CorEuee 5 7205
Die Volumenverkleinerung der abgeplatteten Epithelzellen-
kerne erfolgte also ebenfalls fast ausschliesslich durch Verkürzung
der beiden grösseren Durchmesser, wie die in Textfig. 7a und 7b
gegebenen Kernzeichnungen ebenfalls anschaulich bestätigen. —
Berechnet man nun das Volumverhältnis der diploiden und haploiden
Kerne unter Berücksichtigung des kleinen Durchmessers, so
Vi I a BD Bo
CoV. .(Co.re" . Cor&! 7 .(5,73)2. 1,85 2,6053
innerhalb der Fehlergrenze wie 1:2. Ebenso erhalte ich, wenn
ich meine Werte für rK! und Cor! zur Richtigstellung von
TS TE
CoV., loess
also
verhält sich
G. Hertwigs Messungsresultaten benutze:
14,33
99,60°
Das Resultat der Kernmessung können wir also dahin
zusammenfassen. dass bei Amphibienlarven stets die Kernvolumina
von haploiden Larven zu denjenigen von diploiden Embryonen
sich wie 1:2 verhalten.
Nach Aufklärung dieses Irrtums besteht also nur noch für
Seeigellarven die Ansicht, dass die Chromosomenzahl durch eine
Beziehung der Kernoberflächen und nicht der Volumina aus-
zudrücken ist. Dieses von Boveri aufgestellte, von Baltzer.,
Kupelwieser, Erdmann und anderen mehr bestätigte Ver-
hältnis wird von Boveri auch in seiner 1914 erschienenen
Abhandlung gegenüber den Ergebnissen Hinderers aufrecht
erhalten. Dieser errechnete für hemi- und amphikaryotische
Ei- und Blastulakerne das Verhältnis der Volumina = 1:2.
Boveri sieht sein Messungsresultat in Übereinstimmung mit
der Annahme, dass ein jedes Chromosom bestrebt ist, einen
bestimmten, seiner Grösse entsprechenden Teil der Kernmembran
mit Beschlag zu belegen.
also ebenfalls fast genau = 1:2.
Durch Radiumbestrahlung verursachte Entwicklung usw. 97
Es ist selbstverständlich, dass meine bei Amphibien
gewonnenen Resultate keine Entscheidung in der Streitfrage
zwischen Boveri und Hinderer geben können. Es ist jedoch
zu beachten, dass wohl alle Kernmessungen bei Seeigellarven an
Totalpräparaten ausgeführt wurden. Der Tiefendurchmesser der
Kerne scheint mir, soweit aus den nicht immer genauen Angaben
hervorgeht, nicht berücksichtigt worden zu sein. Zwar berechnen
Baltzer die Oberflächen, Köhler die Volumina von Pluteus-
kernen nach der Formel für ein Rotationsellipsoid, die Auffassung
der Kerne als Kugel oder Ellipsoid scheint sich jedoch nur auf
die Gleichheit oder Ungleichheit derjenigen Durchmesser zu
beziehen, die bei einer Flächenbetrachtung der Kerne messbar
sind. Die einzigen Zeichnungen, die über die hier aufgeworfene
Frage in Beziehung zu bringen sind, gibt Boveri in den Zellen-
studien, Heft V, Taf. I, Fig. le und 2c. Er bildet je einen
optischen Schnitt durch die Scheitelwand eines amphi- und eines
hemikaryotischen Pluteus ab. Nach dieser Zeichnung scheinen die
Kerne kugelförmige Gestalt zu haben und Boveris Berechnungs-
weise zu bestätigen. Doch lässt sich wohl, da nur zwei resp. vier
Kerne abgebildet sind, kein sicherer Schluss ziehen, auch deutet
das von Boveri berechnete Verhalten der Zellvolumina auf ein
anderes Verhältnis hin. — Er stellt fest, dass das äussere Epithel
von diploiden und haploiden Larven die gleiche Dicke besitzt.
Die vorhin erwähnten Figuren sind zur Illustration dieses Ver-
hältnisses gegeben. Daraus schliesst er, „dass die geometrische
Form homologer Zellen je nach dem Chromatingehalt und der
davon abhängigen Zellgrösse eine verschiedene ist. In der Richtung
der Zellachse haben die Zellen gleiches Maß, die transversalen
Durchmesser sind je nach der Zellgrösse verschieden“. Diese
Zellen zeigen also dasselbe Verhalten wie die von mir gemessenen
Kerne der Muskel- und Epithelzellen von Amphibienlarven. Es
wäre doch wohl auch möglich, dass die Kerne in den Wänden
der Echinuslarven denselben Verkürzungsverhältnissen gehorchten
wie die Zellen, zu denen sie gehören.
In Hinsicht auf diese Betrachtungen und die von Hinderer
nach Schnittpräparaten berechneten Resultate scheint mir eine
nochmalige Prüfung der Kerngrössen von Echinidenlarven
wünschenswert.
98 Paula Hertwig:
E. Die Entwicklungsweise hemikaryotischer Larven
und Kernuntersuchung der Larve Fig. 35.
Mit Hilfe der Chromosomenzählungen und der Kernmessungen
ist es mir, wie ich eben ausgeführt habe, gelungen, die Frage,
die am Beginn des vorigen Abschnittes gestellt wurde, zu lösen.
Ich habe nachgewiesen, dass alle Embryonen, die das Alter von
7 Tagen und mehr erreichten, haploide Kerne besitzen, gleichviel.
ob die Eier, aus denen sie sich entwickelten, 5 Minuten oder
länger mit Mesothorium bestrahlt worden waren. Ich bezeichne
daher die Entwicklung dieser Embryonen nach Boveri als eine
arrhenokaryotische oder, da man ein entkerntes Fi auch als
Teilstück eines gesunden Eies auffassen kann, als eine „merogone*,
Ein Vergleich meiner Abbildungen mit den von O. Hertwig
als haploid-parthenogenetisch bezeichneten Larven lehrt, dass die
Entwicklung dieser beiden Typen, der haploid männlichen und
haploid weiblichen Embryonen, im wesentlichen gleich verläuft,
dass also, wie schon G. Hertwig hervorgehoben hat, Plasma
und Dotter des Eies wenig oder fast gar nicht von Mesothorium-
strahlen geschädigt wird. Möglich, dass eine stärkere Neigung
meiner Embryonen, an Wassersucht zu erkranken — O0. Hertwig
hebt besonders hervor, dass er bei Tritonen das Auftreten von
Wassersucht kaum beobachtete —, auf eine geringere Widerstands-
fähigkeit des bestrahlten Eiplasmas schliessen lässt.
Ich kann ferner die bisher bei den Radiumversuchen gemachte
Beobachtung bestätigen, dass Larven mit haploiden Kernen
lebensunfähig sind. Was die Erklärung dieser Tatsache betrifft,
schliesse ich mich der Anschauung G. Hertwigs an, dass sich
„die pathologischen Störungen mit Notwendigkeit aus dem Miss-
verhältnis erklären, das zwischen der verringerten Wachstums-
energie der Embryonalzellen infolge ihrer reduzierten Kern- und
Plasmamenge und dem im Ei vorhandenen Dottermaterial besteht“.
Diese Hypothese hat seither noch eine Stütze durch unsere
Beobachtung über die Entwicklung von Fischbastarden erhalten.
Wir konnten feststellen, dass in einigen Fällen nicht die Dis-
harmonie der durch die Bastardierung entstandenen Idioplasma-
verbindung die Entwicklung der Kreuzungsprodukte hemmte,
sondern allein das Missverhältnis zwischen Dotter und Bastard-
embryo.
Durch Radiumbestrahlung verursachte Entwicklung usw. 33
Wie ich bereits hervorhob, besitzt eine einzige Larve, die
in Fig. 35 abgebildet ist und sich aus einem 18 Minuten bestrahlten
Ei entwickelte, nicht die Merkmale eines haploiden Embryos.
Grösse und Entwicklungsgrad unterscheiden sich nicht von den
egleichalten Tieren der Kontrollzuchten. Als die Ursache dieser
guten Entwicklung konnte ich feststellen, dass diese Larve einen
diploiden Kernapparat besitzt. Die Grössen der Radien der
Medullakerne bei Embryo A? und Co sind r=5, rlo = 4,9,
‘
mithin verhalten sich die Volumina wie — oder wie 1:1.
117,25
Wie ist nun die Entstehung dieses Embryos zu erklären? Von
vornherein ist die Annahme eines Versuchsfehlers von der Hand
zu weisen. Mag es allenfalls noch möglich sein, dass bei Befruchtung
von Eiern mit radiumbestrahltem Samen trotz aller Vorsichts-
maßregeln ein oder das andere Ei mit normalen Spermatozoen
in Berührung kommt. ein unbefruchtetes, Ei kann unmöglich
durch einen Versuchsfehler unter die bestrahlten Eier gekommen
sein. Auch die Annahme, dass ein Ei überhaupt nicht von den
Mesothoriumstrahlen getroffen worden sei, ist der Versuchs-
anordnung nach als ausgeschlossen zu betrachten. Die Eier
lagen innerhalb eines Ringes auf einem kleinen Bezirk zusammen,
so dass sie unbedingt gleichmässig der Mesothoriumwirkung
ausgesetzt waren. — Da es nun durch diese und frühere Arbeiten
als bewiesen anzusehen ist, dass der Eikern durch eine Bestrahlung
von 18 Minuten vermehrungsunfähig wird, muss sich der diploide
Kern dieses Embryos nur aus väterlichen Kernbestandteilen
zusammensetzen. Wir müssen also eine Verdoppelung der väter-
lichen Chromosomenzahl annehmen. Da die Kerne sämtlicher
Organe von gleicher Grösse sind, ist es das Wahrscheinlichste,
dass diese Verdoppelung vor der ersten Teilung stattgefunden hat.
Eine derartige Verdoppelung der haploiden Chromosomenzahl
scheint, wenn auch selten, so doch in mehreren schon beobachteten
Fällen aufgetreten zu sein.
In einem Versuch O. Hertwigs, den er in der „Radium-
krankheit tierischer Keimzellen“ S. 68 ausführlich beschreibt,
bestrablte er Samenflüssigkeit während 6 Stunden 40 Minuten
(zugleich von oben und unten mit den Radiumpräparaten I und II).
Aus den mit diesen Spermatozoen befruchteten Eiern entwickelten
sich neben pathologischen und kurzlebigen Zwerglarven drei
100 Paula Hertwie:
Embryonen, die sich in nichts von den Kontrolltieren unter-
schieden. Auf Tafel III, Fig. 10 ist einer dieser Embryonen
abgebildet, einige andere Larven desselben Versuches sind in
Fig. 7—9 dargestellt. Sämtliche Tiere dieses Versuches bezeichnet
0. Hertwig als „parthenogenetische Larven“, da sie ohne
Beteiligung des väterlichen Chromatins allein aus dem Eikern
ihren Ursprung genommen haben. Während nun aber die Larven
Fig. 7—9 hemikaryotisch sind, haben die Kerne der drei Radium-
embryonen, deren Entwicklung wie diejenige der Kontrollen verlief,
normale Grösse, wie G. Hertwig durch bisher nicht veröffentlichte
Messungen nachwies. — Auch in diesem Falle scheint mir das
Auftreten von normalen Kernen wie bei meinem Embryo nur
durch Verdoppelung des väterlichen Chromatins vor der ersten
Teilung zu erklären zu sein.
Noch ein anderer derartiger Fall ist in der Literatur bisher
beschrieben worden. Brachet berichtet darüber in seiner 1913
erschienenen Arbeit „Etudes sur les localisations germinales et
leur potentialit& r&elle dans l’oeuf parthenogendtique*. Brachet
regte. wie Bataillon und Henneguy, Froscheier zur partheno-
genetischen Entwicklung durch Anstich mit einer feinen Nadel
an. Von den sich teilenden Eiern gastrulierte nur ein Teil: von
diesen entwickelte sich nur eine geringere Anzahl zu kleinen,
früh absterbenden Larven, und nur ganz wenige „bien peu ont
pu, jusqu’ici, commencer leur m&tamorphose“. Diese Beschreibung
Brachets stimmt nun durchaus mit unseren Beobachtungen
überein. Die Mehrzahl der parthenogenetischen Larven ist nicht
lebensfähig, nur ganz vereinzelte Ausnahmen entwickeln sich
normal. Glücklicherweise hat Brachet eine dieser Ausnahmen
auf ihre Chromosomenzahl untersucht. Es ist der einzige Embryo
von einem Versuch. bei dem 180 Eier angestochen wurden und
27 sich weiter entwickelten, der das Alter von 15 Tagen erreichte.
Er unterscheidet sich nicht nur von den anderen Versuchslarven
dadurch, dass er ein höheres Alter erreicht. sondern auch durch
den normalen Verlauf der Entwicklung. „Peut-etre, comme
Henneguy l’a constate, etait-il un peu plus petit que les
temoins, mais je ne pourrais l’affirmer.“
Als Resultat der histologischen Untersuchung versichert
Brachet, dass er ihm in anatomischer und histologischer Hinsicht
absolut normal erschien.
Durch Radiumbestrahlung verursachte Entwicklung usw. 101
Bei diesem Embryo versuchte nun Brachet an Schnitt-
präparaten die Chromosomenzahl zu bestimmen. Er berichtet
darüber: „Je suis arrive a douter que le nombre des chromosomes
soit le möme dans toutes les cellules, mais il est certain que dans
des nombreus cas il est de beaucoup superieur a 12. J’ai vu des
plaques &quatoriales et des spiremes composes d’au moins 20 segments
chromatiques.“ — Brachet vermag dieses Resultat nicht in
Einklang mit den Chromosomenzählungen Bataillons zu bringen,
der bei seinen ebenfalls durch die Anstichsmethode erzeugten
parthenogenetischen Embryonen nur zwölf Chromosomen fest-
stellen konnte.
Nach den Resultaten der Radiumarbeiten scheint mir die
Erklärung dieser beiden sich widersprechenden Angaben möglich
zu sein. — Die Mehrzahl der Larven, die sich parthenogenetisch
entwickeln, sind hemikaryotisch. Diese Embryonen sind infolge
ihres haploiden Kernapparates lebensunfähig. Bei einer sehr
geringen Anzahl findet eine Verdoppelung der Chromosomenzahl,
eventuell durch Monasterbildung, statt. Diese Embryonen besitzen
also diploide Kerne und entwickeln sich normal wie die Kontrollen.
Diese Hypothese wird von G. Hertwig durch Untersuchungen,
die noch nicht veröffentlicht sind, in völlig einwandfreier Weise
bestätigt werden.
Es mag von Interesse sein, darauf hinzuweisen, dass auch
Delage im Gegensatz zu Wilson, Morgan u.a. bei
Seeigeln eine Regulation auf die normale Chromosomenzahl nach-
gewiesen zu haben glaubt. Möglich, dass auch hier dieselben Ver-
hältnisse wie bei den Amphibien vorliegen.
F. Untersuchung der frühzeitig absterbenden
Embryonen.
Es bleibt nun noch die Frage zu erledigen, auf welchen
Ursachen das frühe Absterben und die schlechte Entwicklung
von einem Teil der Eier eines jeden Versuches beruht. Auch
hier sind wieder zwei Annahmen möglich. Es wäre denkbar, dass
bei manchen Eiern keine vollkommene Ausschaltung des Radium-
chromatins stattgefunden hat, dass es noch vermehrungsfähig
geblieben ist und dadurch die Entwicklung schädlich beeinflusst.
Bei dieser Erklärungsweise müssten wir eine ungleiche Empfind-
lichkeit der Eikerne gegen die Mesothoriumwirkung annehmen,
102 Paula Hertwiege:
da es der Versuchsanordnung nach als unwahrscheinlich anzusehen
ist, dass die einzelnen Eier mit ungleicher Intensität von den
Strahlen getroffen wurden. Oder aber der Eikern ist auch in
diesen Fällen ausgeschaltet. Die pathologische Entwicklung liesse
sich dann erklären, entweder durch eine besondere Empfindlichkeit
mancher Eier gegenüber den Schädigungen der haploiden
Entwicklung, eine Empfindlichkeit, die z. B. in Überreife des
Eimaterials zu suchen wäre. Es wäre aber auch möglich, dass
die ersten Teilungen des Samenkerns unregelmässig erfolgten.
Eine Störung der Mitosen durch das vermehrungsunfähige, nach
den bisherigen Erfahrungen verklumpte Eichromatin ist durchaus
möglich, wie z. B. die Abbildungen Oppermanns erkennen
lassen. Sie zeigen, wie das klumpige Radiumchromatin, wenn es
in der Nähe der Spindel lagert, die Strahlung derselben beeinflusst.
Die Tatsache, dass ich öfters sich unregelmässig furchende Eier
beobachtete, unterstützt diese Annahme.
Eine sichere Entscheidung in diesen Fragen könnte nur eine
Untersuchung der Eier während der ersten Entwicklungsstadien
geben. Da diese wegen der Knappheit des Materials leider nicht
möglich war, muss die Frage ungelöst bleiben, denn auch eine
Untersuchung der Kernverhältnisse bei den Morulae, Gastrulae
und sehr jungen Embryonen gibt nicht den gewünschten Auf-
schluss. Die beiden Mittel, die ich anwendete, um die haploide
Natur älterer Embryonen festzustellen, Kernmessungen und
Chromosomenzählungen, versagen bei den frühen Entwicklungs-
stadien. Die Kerne sind sehr ungleich gross, dazu häufig von
unregelmässiger (restalt, so dass an Volumenbestimmung nicht zu
denken ist. Die Feststellung der Chromosomenzahl stösst eben-
falls auf grosse Schwierigkeiten. Denn erstens ist man auf
Zählungen an Schnittpräparaten angewiesen, was immer sehr
misslich ist, da man nur sehr wenige Mitosen findet, von denen
anzunehmen ist, dass sie ganz im Schnitt enthalten sind. Dazu
macht der Dotterreichtum der Zellen, die Länge der Schleifen,
die Bilder noch unübersichtlicher. Angesichts dieser Schwierig-
keiten ist es wohl begreiflich, dass ich zu keinem endgültigen
Resultat gekommen bin. Ich kann nur mit Bestimmtheit an-
geben, dass bei einigen Embryonen Mitosen zu finden sind, deren
Chromosomenzahl weit unter 24 ist. Meine Zählung ergab 11
bis 12 Kernsegmente. Solche Kernteilungsfiguren fand ich in den
Durch Radiumbestrahlung verursachte Entwicklung usw. 103
Embryonen B” (Bestrahlungsdauer 18 Minuten, Alter 7 Tage)
und E’a (Bestrahlungsdauer 25 Minuten, Alter 4 Tage). Ob nun
aber sämtliche Mitosen dieser Embryonen haploid sind oder zum
Teil eine grössere Chromosomenzahl enthalten, vermag ich nicht
zu sagen. Bei der 7 Tage alten Larve IV (5 Minuten bestrahlt)
und bei dem ebenfalls 7 Tage alten 15 Minuten bestrahlten
Embryo H J” schienen mir die Kernteilungsfiguren eine ungleiche
Anzahl von Chromosomen zu besitzen. Bei einigen Mitosen waren
die zahlreichen (über 12) Kernsegmente anormal, anscheinend um
mehrere Strahlungszentren gruppiert.
Fie. 5.
Auf ungleichen Chromatingehalt lässt sich auch aus dem
Bild der ruhenden Kerne schliessen. Es wurden Radiumembryonen
im Alter von 6 Tagen untersucht. Kerne aus dem Medullarrohr
sind in Textfig. 8 dargestellt. Sie sind ungleich gross und zeigen
häufig eine gelappte Form, als ob sie aus mehreren Karyomeren
zusammengesetzt wären. Manchmal findet man auch Riesenkerne,
drei bis vier zusammenliegende Bläschen, die miteinander ver-
schmolzen sind. Die Kerne normaler Kontrollen zeigen auf
gleichem Entwicklungsstadium nie derartige Verhältnisse, sondern
sind kugelförmig mit glatter Oberfläche. Anormal grosse, lappige
Kerne beobachteten mein Bruder und ich auch bei Fischbastarden
und zwar bei solchen, deren erste Teilungen unregelmässig unter
Auftreten von pluripolaren Mitosen verliefen.
Angesichts dieser Befunde möchte ich der Hypothese, dass
die pathologische Entwicklung wenigstens bei einem Teil der Eier
auf Unregelmässigkeiten der karyokinetischen Vorgänge während
der ersten Teilungen zurückzuführen ist, den Vorzug geben.
Beobachtete pathologische Furchungen und einige Erscheinungen
an den Kernen älterer Larven sprechen für diese Annahme.
104 Paula Hertwig:
Il. Teil.
Über die Entwicklung von Fischeiern, die mit radium-
bestrahltem Samen befruchtet wurden.
Die Versuche führte ich zusammen mit meinem Bruder im
Frühjahr 1913 gelegentlich eines Aufenthaltes an der zoologischen
Station zu Neapel aus. Das Untersuchungsmaterial wurde mir
von meinem Bruder zur Bearbeitung überlassen. Es wurden die
(reschlechtsprodukte von Gobius capito, Gobius jozo und Creni-
labrus pavo benutzt. Nähere Angaben über dieses Versuchs-
material, sowie über die Befruchtungs- und Konservierungs-
methoden haben mein Bruder und ich bereits in einer 1914
erschienenen Arbeit „Kreuzungsversuche an Knochenfischen“ ge-
macht, so dass ich hier auf den bezüglichen Abschnitt verweisen
kann.
Zur Bestrahlung diente dasselbe Mesothoriumpräparat wie
bei den Tritonversuchen.
Den Experimenten liegt ein von G. Hertwig in seiner
Abhandlung „Parthenogenesis bei Wirbeltieren“ geäusserter (re-
danke zugrunde. Er meint, dass Radiumexperimente wohl ge-
eignet sind, näheren Aufschluss über die Ursachen zu geben, die
eine gute oder schlechte Entwicklung von Bastarden bedingen.
Ehe ich daher zur Beschreibung der Radiumexperimente
übergehe, will ich eine kurze Übersicht über die Resultate der
Kreuzungsversuche an Knochenfischen geben, die mein Bruder
und ich in unserer 1914 erschienenen Abhandlung veröffentlicht
haben. — Bei allen Kreuzungen, die wir ausführten, erhielten
wir, auch bei Bastardierungen nahe verwandter Arten, keine
lebensfähigen Mischlinge. Das frühe Absterben der artfremden
Bastarde, die meistens, wie z. B. die Crenilabrus pavo 2 Gobius
j]ozo 8 Embryonen bereits vor der Gastrulation zugrunde gingen,
sahen wir in einer durch den Befruchtungsakt entstandenen „dis-
harmonischen Idioplasmaverbindung“ begründet. Die Disharmonie
beruht auf der verschiedenen materiellen Beschaffenheit der
mütterlichen und väterlichen Kernsubstanzen; die nicht miteinander
harmonierenden Entwicklungstendenzen verursachen das Absterben
der Bastarde. Diese Annahme suchten wir durch zytologische
Untersuchungen zu stützen. Eine zweite Möglichkeit, die Richtig-
keit der Hypothese zu prüfen, haben wir nun im Radiumexperi_
Durch Radiumbestrahlung verursachte Entwicklung usw. 105
ment. Wird durch Bestrahlung die eine Komponente des Bastard-
kernes, z. B. die männliche, geschädigt, so werden die Entwicklungs-
tendenzen des gesunden Eikerns einen grösseren Einfluss gewinnen.
Beteiligt sich schliesslich der Samenkern infolge von lang an-
dauernder Bestrahlung gar nicht mehr an der Entwicklung, so
wird dieselbe allein vom Eikern geleitet, und wir erhalten „partheno-
genetische“ Larven mit rein mütterlichen Kernen. Es muss also,
wenn unsere Hypothese zu Recht besteht, die Bestrahlung des
Samens die Lebensdauer der Bastarde proportional der hadium-
wirkung verlängern.
Soll uns nun in diesem Fall das Radiumexperiment einen
Beweis für die bei der Bastardierung aufgetretene Disharmonie
der Idioplasmen liefern, so werden wir in einem zweiten Beispiel
ebenfalls durch ein Radiumexperiment zu beweisen versuchen,
dass es auch lebensunfähige Bastarde gibt, deren frühes Absterben
nicht in einer idioplasmatischen Disharmonie begründet ist.
Bei den Kreuzungen Gobius jozo @ X Gobius capito & und
Gobius capito @ X Gobius jozo & erhielten wir kleine Larven, die
in dem ersten Fall als schwächliche, wenn vielleicht auch lebens-
fähige Embryonen aus den Hüllen schlüpften. Bei der reziproken
Kreuzung starben die Bastardembryonen nach anfänglich guter,
ja der Kontrolle gegenüber beschleunigter Entwicklung am 9. bis
11. Tage ab. 17 Tage bevor die Kontrolltiere die Eihülle verliessen.
Wir erklärten diese Erscheinung durch die Annahme, dass bei
der Bastardierung zweier so nah verwandter Spezies die ent-
stehende Idioplasmaverbindung nur einen geringen Grad von Dis-
harmonie besitzt und eine gute Entwicklung der Kreuzungs-
produkte durchaus ermöglicht. Erst im weiteren Verlauf des
embryonalen Lebens traten Störungen auf, deren Ursache wir ın
dem Missverhältnis zwischen der Dottermenge, die der weiblichen
Art zukommt. und dem Bastardembryo sahen.
Ein Radiumexperiment muss hier nun ganz anders wirken
als bei den vorhin erwähnten artfremden Kreuzungen. Dort ver-
stärkt die Radiumbestrahlung die schon bestehende, entwieklungs-
hemmende Disharmonie. Diese Summierung, die schon von einer
kurzen Bestrahlung hervorgerufen wird, führt zur Ausschaltung
des männlichen Kerns und zur Parthenogenese, die besser ver-
läuft wie die Bastardentwicklung. — Durch die Kreuzung der
beiden Gobiusarten entsteht aber unserer Annahme nach keine
106 Paula Hertwig:
idioplasmatische Disharmonie. Diese wird vielmehr erst durch
die Befruchtung mit radiumbestahltem Samen hervorgerufen.
Nach unseren bisherigen Erfahrungen wird sich ein geringer Grad
der Disharmonie in einer verschlechterten Entwicklung der Radium-
bastarde bemerkbar machen und erst eine Verstärkung derselben
durch längere Bestrahlung zur Ausschaltung der männlichen Kern-
bestandteile, d. h. zur Parthenogenese. führen.
A. Beschreibung der Experimente.
a) Vorversuche.
Vor der Kombination von Kreuzungs- und Radiumexperiment
wurden einige Versuche mit Samenbestrahlung und normaler
Befruchtung ausgeführt, um festzustellen, ob die bisher bei den
Bestrahlungsversuchen gemachten Erfahrungen auch auf die
(reschlechtsprodukte von (Gobiiden und COrenilabrus ihre Anwendung
finden können. Zu diesem Zweck wurden die Spermatozoen von
Gobius j0zo, die sich dadurch auszeichnen, dass sie im Meer-
wasser ihre Beweglichkeit während mehrerer Stunden beibehalten,
in einigen Versuchsreihen mit Mesothorium bestrahlt. Die Ein-
wirkungszeiten betrugen 10 Minuten, 2°/ı Stunden und 4'/ı Stunden.
Die Eier, die mit 10 Minuten bestrahlten Spermatozoen
befruchtet wurden, teilten sich normal wie die Kontrollen. Aber
schon 2 Tage später zeigten sich Störungen, viele Eier gastrulierten
nicht normal, nur etwa ein Drittel hatte Embryonen geliefert,
die aber zum Teil pathologisch aussahen. Am nächsten Tage
zeigten viele Tiere Zeichen des Zerfalls, und auch noch die besten
der kleinen Embryonen unterschieden sich erheblich von den
langgestreckten Kontrolltieren. Nach 4 Tagen waren alle Radium-
larven abgestorben.
Etwas besser entwickelten sich die Embryonen des 2?/4-Stunden-
Versuches. Nebst vielen frühzeitig absterbenden Larven befanden
sich einige Tiere in den Zuchten, die eine deutlichere Gliederung
in Kopf und Schwanz zeigten, aber gegenüber den Kontrollen
stark pathologisch erschienen und 6 Tage nach der Befruchtung
abstarben. — Dasselbe Resultat hatten die Versuche mit 4/4 Stunden
Bestrahlungsdauer. Auch hier starben die Embryonen am 6. Tage
der Entwicklung ab. — Da die Versuche mit 2°/ı und 4!/ı Stunden
tadıumwirkung dasselbe Resultat ergaben, ist anzunehmen, dass
bereits nach 2°/ı Stunden das Spermachromatin so stark geschädigt
Durch Radiumbestrahlung verursachte Entwicklung usw. 107
ist, dass es von der Entwicklung ausgeschaltet wird. Die das Alter
von 6 Tagen erreichenden Embryonen wären also thelykaryotische
Larven, deren geringe Lebensfähigkeit auf ihre halbkernige
Beschaffenheit zurückzuführen ist.
b) Radiumexperiment und Gobiusbastarde.
Nach dieser Übersicht über die Resultate der Vorversuche,
die in vollkommener Übereinstimmung mit den bisherigen
Erfahrungen stehen, gehe ich zur Besprechung der Bastardierungs-
versuche über, und zwar will ich zuerst die Ergebnisse schildern,
die die Verbindung von Radiumversuch und Kreuzung der beiden
Gobiiden, G. capito und G. jozo, ergaben.
Am 22. März wurde der Samen von Gobius jozo 15 Minuten
mit Radium bestrahlt und alsdann zur Befruchtung normaler
G. ecapito-Eier verwandt. Gleichzeitig wurden Eier von G. capito
mit normalem Samen von G. jozo und eine 3. Partie mit @. capito-
Spermatozoen besamt. Am 4. Tage nach der Befruchtung hatten
sich die Bastarde und Kontrollen zu kurzen Embryonen, an denen
die Augenanlage bereits zu erkennen war, entwickelt, die Radium-
larven hingegen hatten erst den Dotter umwachsen und liessen
noch keinen Kopf und Schwanzhöcker erkennen. Am nächsten
Tage war ein Teil der Eier bereits zerfallen, einige stark missbildete
Embryonen lebten noch bis zum 28. März. Die Bastarde und
Kontrollen waren zu langgestreckten Embryonen mit pigmentierten
Augen geworden. Ein Stillstand der Entwicklung und baldiges
Absterben der Bastarde erfolgte erst am 30. und 31. März, wie
wir in der Bastardierungsarbeit beschrieben haben, also zu einem
Zeitpunkt, an dem die Radiumembryonen bereits abgestorben waren.
Bei der reziproken Kreuzung Gobius jozo 9 X Gobius capito &
wurde der Samen von Gobius capito während 2/4 Stunden bestrahlt.
Die mit diesen Spermatozoen befruchteten Eier teilten sich normal.
2 Tage später, als die Eier der Kontroll- und Bastardzuchten zu
kleinen Embryonen mit Kopf- und Schwanzhöcker sich entwickelt
hatten, zeigten die Radiumtiere deutliche Merkmale einer
Schädigung. Kopf und Schwanzhöcker war nirgends zu erkennen.
Am 4. Tage nach der Befruchtung hatten sich nebst vielen
Missbildungen einige Embryonen so weit entwickelt, dass man
den Kopf und einen kleinen Schwanz erkennen konnte, aber auch
diese zeigten Spuren des Zerfall, Am nächsten Tage war kein
108 Paula Hertwig:
x
einziger Embryo mehr am Leben. Die unbestrahlten Bastarde
entwickelten sich zu kleinen, die Eihüllen zwar verlassenden, aber
im Vergleich zu den Kontrollen schwächlichen Individuen.
Das Ergebnis der Versuche, welches mit den auf S. 106
gestellten Forderungen übereinstimmt, lässt sich dahin zusammen-
fassen, dass erst die Bestrahlung eine Disharmonie der Idioplasmen
hervorruft, die bei den mit unbestrahltem Samen befruchteten
Bastarden nicht besteht, denn letztere zeigen zu dem Zeitpunkt,
da das Absterben der Radiummischlinge erfolgt, keinerlei
Störungen in der Entwicklung. Diese treten vielmehr erst einige
Tage später auf und haben ihren Grund wahrscheinlich in derselben
Ursache, die das frühe Absterben der haploiden Embryonen
veranlasst, nämlich in dem Missverhältnis zwischen Dotter und
Bastard- oder Haploidembryo.
c) Befruchtung von Crenilabrus-Eiern mit radiumbestrahltem
Gobius-Samen.
Bei der Kreuzung Crenilabrus pavo $ X Gobius jozo &
entwickeln sich, wie mein Bruder und ich in den „Kreuzungs-
versuchen an Knochenfischen“ beschrieben haben, keine Embryonen
mehr, sondern die Eier sterben 24—48 Stunden nach der
Befruchtung auf dem Blastulastadium ab. Dei den Radium-
versuchen wurde der Gobiussamen teils 15 Minuten, teils länger,
bis zu 4!/» Stunden, der Strahlenwirkung ausgesetzt. Bereits die
Eier, die mit 15 Minuten bestrahltem Samen befruchtet wurden,
entwickelten sich etwas besser wie die reinen Bastarde. Die
Gastrulation fand statt, und die Embryonen erreichten das Alter
von 3 Tagen. Der Umstand, dass die Entwicklungstendenzen des
weiblichen Kerns durch die Schädigung des Spermachromatins
die Oberhand erhalten haben, macht sich also bereits bei einer
Radiumbestrahlung von 15 Minuten deutlich bemerkbar. Eine
längere Bestrahlung der Spermatozoen erhöhte, den Erwartungen
entsprechend, die Lebensfähigkeit der Embryonen. Denn die
Ursache zu der Erkrankung, die Vereinigung der beiden Bastard-
idioplasmen zu einer disharmonischen Verbindung, wird ja bei
den Radiumexperimenten durch frühzeitige Elimination des
Spermachromatins beseitigt. Es gelang, nach Befruchtung mit
9!/, Stunden bestrahlten Spermatozoen einige kleine Embryonen
zu züchten, die etwa der von List gelieferten Abbildung (Fig. 27)
Durch Radiumbestrahlung verursachte Entwicklung usw. 109
entsprechen. Sie sind 5 Tage alt geworden, haben zu zwei Dritteln
den Dotter umwachsen und lassen, wenn auch undeutlich, Augen
und Ursegmente erkennen. Die normal befruchteten Kontrollen
sind weit besser entwickelt. Kopf und Schwanz berühren sich
bereits, sie ähneln dem von List in Fig. 31 abgebildeten Embryo.
Ein Alter von S Tagen erreichten die Embryonen, die sich
aus den Zuchten der 3!/a Stunden- und 4!/s Stunden-Versuche
entwickelten. Da die längere Bestrahlungsdauer keine Verbesserung
der Entwicklung mehr zur Folge hat, ist anzunehmen, dass bereits
eine Radiumwirkung von 3!/ı Stunde eine vollkommene Aus-
schaltung des Spermachromatins zur Folge hat und dass daher
schon die Entwicklung der Embryonen dieses Versuches eine
„parthenogenetische“ ist.
Zwei derartige Embryonen mit den dazu gehörigen Kontrollen
sind in Fig. 1—4, Taf. VI abgebildet. Fig. 2 stellt einen 6 Tage
alten Embryo dar, der sich aus einem Ei, das mit 4!/s Stunden
bestrahltem Samen befruchtet wurde, entwickelte. Das Schwanzende
hat noch nicht den Kopf erreicht; Pigmentablagerung ist zu
erkennen. Am lebenden Objekt war die Augenanlage bemerkbar,
auch konnte man eine Herzpulsation beobachten, die jedoch im
Vergleich mit der in Fig. 1 abgebildeten Kontrolle verlangsamt
war. Ich zählte 75 Schläge in der Minute, bei den Kontrollen
dagegen 84. — Der 1 Tag ältere Embryo Fig. 4 hat keine
erheblichen Fortschritte gemacht. Die Pigmentierung, die auch
in den Augen begonnen hat, ist etwas deutlicher geworden,
andere Unterschiede sind nicht zu bemerken. Eine gleich alte
Kontrolle ist in Fig. 3 dargestellt, um den Unterschied zwischen
normalen und Versuchstieren deutlich zu veranschaulichen. Eine
bessere Ausbildung zeigten auch die 8 Tage alten Embryonen
in keiner Beziehung, und nach 9 Tagen waren sämtliche Versuchs-
tiere abgestorben.
Fig. 9.
110 Paula Hertwig:
Den 6 Tage alten Embryo Fig.2 benutzte ich zu Kern-
messungen. Ich zeichnete bei 1500 facher Vergrösserung Kerne
der Nervenzellen des Rückenmarks. Textfig. 9, und fand, dass
sich die Radien verhielten wie 3,2:2,53. Hieraus folgt das
N TETIRPIN
ann ar
bestätigt also auf das beste die Annahme, dass die Embryonen
der Radiumversuche haploid sind, ihre Entwicklung also nur vom
Eikern geleitet wurde. Dass diese hemikaryotischen Larven nur
das Alter von 8 Tagen erreichen, ist wieder ein Beweis, dass
eine normale Entwicklung mit haploidem Kernapparat eine
Unmöglichkeit ist.
Verhältnis der Kernvolumina Diese Messung
B. Zytologische Untersuchung von zweigeteilten
Eiern.
Die in der vorliegenden Arbeit oft erwähnte Ausschaltung
des Spermachromatins aus der Entwicklung, die durch Radium-
bestrahlung und dadurch herbeigeführte Vermehrungsunfähigkeit
des Samenkerns verursacht wird, wurde bisher bei zwei Tierarten
zytologisch beobachtet. In zwei- und viergeteilten Froscheiern,
die mit intensiv bestrahltem Samen befruchtet worden waren,
fand ich in der Nähe der bläschenförmigen Kerne Chromatin-
klumpen, die nur von dem erkrankten Spermachromatin abstammen
konnten. Dieses „Radiumchromatin“ beeinflusste in keiner Hinsicht
die von dem Eikern geleitete Entwicklung der Froschembryonen.
Ähnliche Verhältnisse fand Oppermann bei Forelleneiern, nur
dass bei seinem Material die Spermakerne teilweise durch die
Bestrahlung nicht ganz vermehrungsunfähig geworden waren und
daher in einigen Fällen störend die Teilungen des mütterlichen
Chromatins beeinflussten.
Es schien mir wünschenswert, diese Untersuchungen an
neuen Objekten zu wiederholen. Zu diesem Zweck fixierte ich
zweigeteilte Urenilabruseier, die mit 4!/s Stunden bestrahltem
Gobiussamen befruchtet waren, die also demselben Versuch an-
gehören, dem die Embryonen Fig. 2 und 4, Taf. VI, entstammen.
Die Eier wurden 1'/az Stunden nach der Befruchtung fixiert, zu
einer Zeit, in der, wie bei den Kontrollen, die erste Furchung die
Eier durchschnürte. — Die mikroskopische Untersuchung zeigte,
dass sich die Kerne sämtlicher Eier zu dieser Zeit bereits in
Durch Radiumbestrahlung verursachte Entwicklung usw. 111
Vorbereitung zur Vierteilung befanden. Ich fand also in jedem
Ei zwei einander parallele Mitosen. Die Chromosomen dieser
Kernteilungsfiguren sind zur AÄquatorialplatte angeordnet und
zeigen keinerlei pathologische Veränderungen. In der Nähe dieser
Mitosen liegt stets ein mit Kernfarbstoffen intensiv sich färbender
Körper, zweifelsohne der durch Radiumbestrahlung geschädigte
Spermakern. Dieses Radiumchromatin, das eine verklumpte, etwas
gestreckte Form angenommen hat, liegt meistens seitlich von
der Spindel noch im Bereich der Strahlungen (Fig. 1—3, Taf. VIII),
doch stets so. dass die normale Verteilung der Chromosomen auf
die Tochterblastomeren nicht beeinflusst wird. In einigen Fällen
wird vielleicht eine kleine Krümmung der Spindel durch das
Radiumehromatin veranlasst, wie z. B. bei Fig. 3. Manchmal finden
wir auch das Spermachromatin in der Verlängerung der Spindel-
achse, eine Lage, in der es noch weniger die Teilung stören
kann (Fig. 2).
Ich konnte das Radiumchromatin bei einem Teil der Eier
nur in der einen Eihälfte auffinden, so bei den Eiern Fig. 1
und 4. In anderen Fällen war es ziemlich gleichmässig auf beide
Blastomeren verteilt, wie in Fig. 5. Hier ist es zu einem langen
Strang ausgezogen, der in der Mitte stark verdünnt, an den
beiden Enden kolbenförmig angeschwollen ist. Ähnliche Abbildungen
habe ich bereits bei der Untersuchung des Froscheies gegeben,
wie auch Oppermann von den Forellen (Fig. 5, Taf. XII).
Ich versuchte auch an der Hand meiner Präparate die Zahl
der an der Mitose beteiligten Chromosomen zu bestimmen, doch
stiess diese Untersuchung wegen der ausserordentlichen Kleinheit
der Kernsegmente auf grosse Schwierigkeiten. Nur bei einem
einzigen Ei, bei dem die Schnitte senkrecht zur Spindelachse
geführt waren, ist es möglich, eine annähernde Übersicht über
die Chromosomenzahl zu bekommen. In beiden Blastomeren dieses
Eies ist die Äquatorialplatte vollständig im Schnitte enthalten.
Das Radiumehromatin ist nur in der einen Eihälfte vorhanden
und liegt hier in der Nähe des Muttersternes, wie Fig. 4 zeigt.
Die Ghromosomenzahl beträgt zehn oder zwölf. In der anderen
Blastomere desselben Eies zählte ich 12—14 Chromosomen.
Leider ist die normale Chromosomenzahl der Urenilabriden
unbekannt, an meinen Kontrollpräparaten war eine Zählung voll-
kommen unmöglich, doch ist anzunehmen, dass die Chromosomenzahl
Archiv f. mikr. Anat. Bd. 87. Abt. II. 8
142 Paula Hertwig:
wie bei anderen Teleostiern, z. B. Salmo, sich auf 24 beläuft.
Wenn meine Zählungen auch keinen Anspruch auf absolute
Genauigkeit machen können, so scheint mir doch eine Verminderung
auf dem Stadium der Zweiteilung bewiesen zu sein.
C. Zytologische Untersuchung polysperm
befruchteter Eier.
In den „Kreuzungsversuchen an Knochenfischen“ wurde
erwähnt, dass bei der Befruchtung von Urenilabrus-Eiern mit
Gobius-Samen ein kleiner Prozentsatz der Eier sich simultan in
drei und vier Blastomeren teilt, eine Erscheinung, die nach
analogen Beobachtungen auf Polyspermie zurückzuführen ist. —
Polyspermie wurde bei normaler Befruchtung meines Wissens nach
bei Teleostiern nie beobachtet. Bastardierung hingegen scheint
sie zu begünstigen, denn auch Moenkhaus erhielt bei der
Kreuzung Menidia notata $ X Fundulus heteroclitus $ disperme
Befruchtung bei 50 Prozent der Eier.
Auch bei dem Radiumversuch, dem die eben beschriebenen
normal zweigeteilten Eier entstammen, zerfielen mehrere Eier
simultan in drei oder vier Blastomeren. Diese wurden in Zenker
fixiert und zur zytologischen Untersuchung in Schnitte zerlegt.
Die Textfig. 1O—12 erläutern die Resultate dieser Untersuchung.
Fig. 10.
Durch Radiumbestrahlung verursachte Entwicklung usw. 115
Die Abbildungen sind etwas schematisiert, indem Kerne und
Radiumehromatin. die sich in verschiedenen Sehnitten befinden,
in einer Ebene gezeichnet sind. Textfig. 10 stellt ein simultan
viergeteiltes Ei dar. Drei Blastomeren enthalten Mitosen mit
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Fig. 12
+
114 Paula Hertwig:
Chromosomen, in der vierten fehlen die letzteren. obgleich zwei
Zentrosomen vorhanden sind. Auf die zwei sich gegenüberliegenden
Eiviertel ist das Radiumchromatin ziemlich gleichmässig verteilt.
Zwei dreigeteilte Eier sind in den Textfig. 11 und 12
abgebildet. Bei Fig. 11 enthält jedes Eidrittel eine Spindel, von
denen die eine ohne Chromosomen ist. In dieser Blastomere
befindet sich auch Radiumehromatin, dessen eines Ende bläschen-
förmig verdickt und von Strahlung umgeben ist. Diese Spindel
und das Radiumehromatin liegen nicht in derselben Ebene. —
Das Ei Fig. 12 besitzt zwei Spindeln mit und zwei ohne
Chromosomen. Es befinden sich also in der einen Blastomere
eine chromatinhaltige und eine chromatinfreie Spindel. In diesem
Eidrittel liegt auch der grösste Teil des Radiumehromatins. Die
chromosomenhaltigen Spindeln liegen in einer Ebene, Radium-
chromatin und chromatinlose Spindeln in einer zweiten.
Boveri unterscheidet in seinen Untersuchungen dispermer
Seeigeleier verschiedene Typen der Dispermie, je nach der Art,
nach der sich die Kopulation, der Vorkern und die erste Teilung
vollzieht. Am häufigsten beobachtete er bei Seeigeln den „ebenen
Tetraster“. In diesem Fall verschmelzen beide eingedrungenen
Samenkerne mit dem Eikern, es bildet sich eine tetrazentrische
Mitose, und das Ei teilt sich simultan in vier Blastomeren. Einen
solchen Teilungsvorgang nimmt Moenkhaus auch für seine
polyspermen Fischeier an. Ich glaube, dass auch die Teilung des
Eies Fig. 10 auf ähnliche Weise zu erklären ist, nur dass die
Chromosomen, die nur halb so zahlreich sind als wie bei normaler
Befruchtung, ungleichmässig auf den Tetraster verteilt wurden
und zwar so, dass zwei Spindeln ganz chromatinfrei geblieben sind.
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I
Fig. 13b.
Durch Radiumbestrahlung verursachte Entwicklung usw. 115
Ich gebe das Schema Textfig. 13a zur Erläuterung der
Kernverhältnisse vor der ersten Teilung. Ich nehme an, dass sich
vier Strahlungen gebildet haben. Zwei benachbarte Spindeln
enthalten die vom Eikern gelieferten Chromosomen, während sich
das Radiumehromatin als vermehrungsunfähiger Klumpen in der
Mitte des Eies befindet. Die Teilung erfolgt dann senkrecht zu
den Spindelachsen (Schema Textfig. 13b), und es werden drei
Blastomeren kernhaltig, die vierte bleibt chromatinfrei. Das
Radiumehromatin hingegen wird durch die Einschnürung der
Teilebenen passiv auf zwei gegenüberliegende Zellen verteilt.
Anders ist die Dreiteilung der beiden anderen Eier zu
erklären. Es werden wohl disperme Eier sein, in denen sich
„Spermaspindeln“ gebildet haben. Nach Boveri verschmilzt
bisweilen nur der eine Spermakern mit dem Eikern, der zweite
bleibt isoliert im Dotter und bildet unabhängig vom Kopulationskern
eine Spindel mit nur männlichen Chromosomen. Es erfolgt dann
bei Dispermie eine Teilung in zwei Blastomeren. Dieser Doppel-
spindeltypus findet sich relativ selten beim Seeigel, tritt jedoch
konstant bei Polyspermie von Froscheiern auf, wie Herlant
durch ausgedehnte Untersuchungen feststellte. Dieser Forscher
beobachtete auch trisperme Eier, bei denen ebenfalls nur ein
Samenkern kopulierte, die beiden anderen jedoch „Spermaspindeln“
bildeten und eine Simultanteilung des Eies in drei Blastomeren
hervorriefen. — Nehmen wir nun an, dass sich bei den Eiern
Fig. 11 und 12 eine Mitose mit gesundem Eichromatin und zwei
Spermaspindeln, die also nur „Radiumchromatin“ enthalten,
zebildet haben. Ein solches Ei würde in drei Blastomeren zerfallen.
Von diesen werden zwei kernhaltig sein, da sie die Tochter-
chromosomen der gesunden Eispindel enthalten, die dritte
Blastomere wird kernlos sein, aber mit mehreren Zentrosomen.
Meine beiden Eier erfüllen diese Bedingungen, zwei Blastomeren
besitzen etwa gleiche Chromatinmenge, die dritte enthält eine
Spindel ohne Chromosomen. Das Radiumcehromatin könnte theoretisch
auf alle drei Blastomeren verteilt sein, wir wissen aber schon von
den zweigeteilten Eiern, dass es häufig nur in der einen Blastomere
zu finden ist. Das Auftreten von doppelten Strahlungen in einem
Eidrittel wäre auch auf diese Weise zu erklären, da ja jeder
Eiteil zwei Zentrosomen erhalten hat.
Die Beobachtungen an polyspermen Fischeiern veranlassen
116 Paula Hertwig:
mich, noch einige Worte über die Bezeichnung der Radium-
embryonen als „parthenogenetische“ Larven zu sagen. God-
lewski wendet sich in der „Physiologie der Zeugung* gegen
diese von O. und G. Hertwig gebrauchte Benennung. Er sagt.
dass die „Feststellung der Chromatinelimination dazu nicht aus-
reicht, die Bedeutung des Spermatozoons dem Anstich mit einer
Platin- oder Glasnadel gleichzusetzen.“ Die Samenfäden ent-
halten noch andere Bestandteile ausser dem Uhromatin, und es
ist „bisher nicht nachgewiesen, dass diese nicht nicht vor dem
Zugrundegehen eine entwicklungserregende Tätigkeit entfalten.“
Die polyspermen Fischeier zeigen nun. dass die radiumbestrahlten
Spermatozoen, deren entwicklungserregende Tätigkeit übrigens
nie bestritten wurde, die Embryogenese störend beeinflussen
können, wenn auch ihr Chromatin vermehrungsunfähig geworden
ist. Die unregelmässig drei- und viergeteilten Eier sind sicherlich
einem frühen Absterben verfallen. Wir gehen wohl nicht fehl,
wenn wir in diesen Ausnahmefällen dem Spermazentrosom einen
bestimmenden Einfluss zuschreiben. Man kann also die Ent-
wicklung der Radiumlarven sicher nicht als „parthenogenetisch“
bezeichnen, wenn man dies unvereinbar hält mit einer nur die
Entwicklung anregenden Tätigkeit der Spermatozoen.
Ich habe nun trotzdem diese Bezeichnung beibehalten und
zwar aus folgendem Grunde: Durch die Benennung „partheno-
genetischer Embryo“ soll ausgedrückt werden, dass die Embryonen
sich ohne Anteilnahme des väterlichen Erbgutes entwickelt haben.
Diese Definition bezeichnet das Wesentliche des Vorgangs, den
wir „Parthenogenese“ nennen: denn eine Entwicklung nur mit der
mütterlichen Erbmasse ist auch das Charakteristische sowohl der
natürlichen als auch der experimentellen Parthenogenese von
Loeb, Bataillon u. a., gleichviel ob diese als eine „somatische*
oder „generative* zu bezeichnen ist. Dem gegenüber ist die
Entwicklungserregung, die auf die verschiedenste Weise hervor-
gerufen werden kann, von untergeordneter Bedeutung. Dass aber
den radiumbestrahlten Spermatozoen keine andere Tätigkeit als
nur eine die Entwicklung auslösende zukommt, halte ich für ein-
wandsfrei bewiesen. Der eigentliche Zweck der Befruchtung, die
Vereinigung der mütterlichen und väterlichen Idioplasmen, wird
bei unseren Radiumversuchen nicht erreicht, da das Sperma-
chromatin von der Entwicklung ausgeschaltet ist. Die Kernsub-
Durch Radiumbestrahlung verursachte Entwicklung usw. 117
stanz betrachte ich aber mit OÖ. Hertwig und Strassburger
als den Hauptträger der Vererbung, eine Theorie, die auch durch
die vorliegende Arbeit neue Stützpunkte gefunden hat.
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Erklärung der Abbildungen auf den Tafeln VI—VIII.
Über die Herstellung der Abbildungen auf Tafel VI und VII ist zu
bemerken, dass von den Embryonen und den Durchschnitten zuerst mikro-
photographische Aufnahmen gemacht und auf den Kopien derselben noch das
feinere Detail mit Tusche und Bleistift eingezeichnet wurde. Die Figuren
auf Tafel VIII wurden mit Hilfe des Abbeschen Zeichenapparates in der
Höhe des ÖObjekttisches gezeichnet.
Tafel VI.
Die Fig. 1—4 sind 5Ö0mal, die Fig. 5—7 12mal, die übrigen Smal
vergrössert.
Die in den Fig. 1—4 abgebildeten Embryonen gehören dem Versuch
mit den Geschlechtsprodukten von Crenilabrus pavo und Gobius jozo an.
Die in den Fig. 6—7, 9—12, 14—18, 20, 23—25, 27, 29—32, 34—35
abgebildeten Embryonen haben sich aus Tritoneiern entwickelt, die vor der
Befruchtung mit normalem Samen, mit Mesothorium bestrahlt wurden.
Die Embryonen Fig. 5, 8, 13, 19, 21—22, 26, 28, 31 und 33 sind
normale Tritonembryonen.
DV
ig. 28.
Paula Hertwig:
Normaler, 6 Tage alter Embryo von Ürenilabrus pavo.
Orenilabrus-Embryo, der sich aus einem Ei entwickelte, das mit
Samen von Gobius jozo befruchtet wurde. Die Spermatozoen
wurden vor der Verwendung während 4!/» Stunden mit Mesothorium
bestrahlt. Alter: 6 Tage.
Normaler, 7 Tage alter Örenilabrus-Embryo.
Crenilabrus-Embryo aus demselben Versuch wie Fig. 2. Alter
7 Tage.
7 Tage alter normaler Tritonembryo. Dient als Kontrolle zu
Fig. 6— 1.
. 7. Zwei Tritonembryonen, die sich aus Eiern entwickelten, die
18 Minuten vor der Befruchtung bestrahlt wurden. Alter: 7 Tage.
Versuchsnummer B?.
11 Tage alte normale Tritonlarve. Dient als Kontrolle zu Fig. 9,
11,27:
10 Tage alter Tritonembryo, der sich aus einem 5 Minuten be-
strahlten Ei entwickelte. Versuchsnummer C!.
Ein 13 Tage alter Embryo desselben Versuches. Hierzu Kontrolle
Fig. 22. Versuchsnummer (2.
u. 12. Tritonembryonen, die sich aus 20 Minuten bestrahlten Eiern
entwickelten. Alter: 11 Tage. Hierzu Kontrolle Fig. 8. Versuchs-
nummer F*.
Normale Tritonlarve. Alter: 14 Tage. Kontrolle zu Fig. 14—15.
. 14 u. 15. Zwei Embryonen, die sich aus 15 Minuten bestrahlten Eiern
entwickelten. Alter: 14 Tage. Versuchsnummer II.
Entwickelte sich aus einem 18 Minuten bestrahlten Ei. Alter:
9 Tage. Versuchsnummer D.
. 17 u. 18. Die beiden Embryonen entwickelten sich aus 30 Minuten mit
Mesothorium bestrahlten Eiern. Alter: 17 Tage. Versuchsnummer III.
Zu Fig. 17 und 18 gehörige normale Kontrollarve.
Der Embryo entwickelte sich aus einem 20 Minuten bestrahlten
Ei. Alter: 17 Tage. Versuchsnummer V.
Dazu gehörige gleichalte normale Kontrollarve.
13 Tage alte normale Kontrollarve, zu den Fig. 23—24 und 10,
30 gehörig.
und 24. Zwei Larven, die sich aus 18 Minuten bestrahlten Eiern
entwickelten. Alter: 13 Tage. Versuchsnummer BI. Gehören
zu demselben Versuch wie Fig. 6—7.
19 Tage alte Larve, die sich aus einem 30 Minuten bestrahlten
Ei entwickelte. Versuchsnummer VI.
Dazu gehörige normale Kontrollarve.
Embryo, der sich aus einem 18 Minuten bestrahlten Ei von Triton
taeniatus entwickelte, das mit Samen von Triton cristatus be-
fruchtet wurde. Alter: 11 Tage. Versuchsnummer A°. Hierzu
gehört als Kontrolle Fig. 8.
10 Tage alter normaler Embryo, als Kontrolle zu Fig. 29.
Fig.
29.
. 80.
Bl,
13.
Durch Radiumbestrahlung verursachte Entwicklung usw. 121
Der Embryo entwickelte sich aus einem 18 Minuten bestrahlten
Ei. Alter: 11 Tage. Gehört zu demselben Versuch wie Fig. 11.
Versuchsnummer F*.
Embryo aus demselben Versuch, 13 Tage alt. Hierzu Kontrolle
Fig. 22. Versuchsnummer F°.
18 Tage alte normale Kontrollarve, zu Fig. 32 gehörig.
Larve, die sich aus einem 25 Minuten bestrahlten Ei entwickelte.
Alter: 18 Tage. Versuchsnummer E’.
22 Tage alte normale Larve, dient als Kontrolle zu Fig. 34.
Die Larve gehört demselben Versuch wie Fig. 9 und 10 an. Be-
strahlungsdauer: 5 Minuten. Alter: 22 Tage. Versuchsnummer CIV.
20 Tage alte Larve, aus demselben Versuch wie Fig. 27. Bestrahlungs-
dauer 18 Minuten. Versuchsnummer At.
Tafel VII
Frontalschnitt durch den Kopf und Rumpf einer 19 Tage alten
normalen Tritonlarve. Vergr. 35 mal.
Desgleichen durch eine 19 Tage alte Larve, die sich aus einem Ej
entwickelte, das vor der Befruchtung 30 Minuten mit Mesothorium
bestrahlt wurde. Versuchsnummer III. Vergr. 43 mal.
Querschnitt durch den auf Tafel I Fig. 29 abgebildeten Embryo.
Der Schnitt trifft die Ohrgegend. Vergr. 50 mal.
Querschnitt durch die Augengegend desselben Embryos. Vergrösse-
rung 50 mal.
Querschnitt durch den vorderen Teil der Medulla eines 7 Tage
alten Tritonembryos. Das Ei wurde vor der Befruchtung 20
Minuten mit Mesothorium bestrahlt. Versuchsnummer F’”. Ver-
grösserung 100 mal.
Querschnitt durch denselben Embryo, einige Schnitte weiter nach
hinten. Vergr. 100 mal.
Querschnitt durch ein 8 Tage altes Tritonei. Der Schnitt zeigt
eine Verdoppelung der Medulla. Das Ei wurde vor der Befruchtung
während 18 Minuten bestrahlt. Versuchsnummer A'. Vergr. 100 mal.
Querschnitt durch eine 14 Tage alte normale Tritonlarve. Dient
als Kontrolle zu Fig. 9. Vergr. 50 mal.
Querschnitt durch den in Fig. 14 Taf. VI abgebildeten Embryo; der
Schnitt trifft die Augengegend. Vergr. 50 mal.
Schnitt durch das Kopfende von dem auf Taf. VI Fig. 11 abgebildeten
Embryo. Versuchsnummer F*. Vergr. 7O mal.
Schnitt durch die Ohrgegend von dem auf Taf. VI Fig. 17 abgebildeten
Embryo Ill. Vergr. 100mal.
Schnitt durch das Rückenmark desselben Embryos. Vergr. 100 mal.
Schnitt durch die Öhrgegend von Embryo F*. Der Schnitt ist
einige Schnitte weiter nach hinten geführt als der in Fig. 10 ab-
gebildete. — Die Schnittserien Fig. 10—13 zeigen eine Trennung
der Medulla und des Anfangs des Rückenmarks in zwei Hälften.
122 Paula Hertwig: Durch Radiumbestrahlung verursachte Entwicklung.
Fig. 14 u. 15. Unveränderte Photographien zweier Muttersterne bei 1000-
facher Vergrösserung von Epidermiszellen der Schwanzflosse. Die
mit Hämatoxylin gefärbten Totalpräparate entstammen einer 13 Tage
alten Radiumlarve BHI (Fig. 14) und einer 18 Tage alten Radium-
larve E” (siehe Fig. 32 Taf. VI). Erstere entwickelte sich aus einem
18 Minuten, letztere aus einem 25 Minuten bestrahlten Ei.
Fig. 14a u. 15a wurden erhalten, indem die einzelnen Ühromosomen auf
Grund des genaueren Studiums der Kanadabalsampräparate genauer
ausgezeichnet und mit Tusche übermalt wurden, worauf auf
chemischem Wege das photographische Bild entfernt wurde.
Tafel VIII.
Die Figuren wurden nach Schnitten durch Crenilabruseier gezeichnet.
Die Eier wurden mit Samen von Gobius jozo befruchtet, der vorher 4!/ı Stunden
mit Mesothorium bestrahlt worden war. Sie wurden 1 Stunde 35 Minuten
nach der Befruchtung in Zenkerscher Flüssigkeit fixiert. Die Eier sind be-
reits zweigeteilt, jede Blastomere enthält die zweite Furchungsspindel.
Fig. 1—3. Die Schnitte gehen parallel zur Spindelachse. Der durch die Be-
strahlung beschädigte Spermakern befindet sich nur in einer Blasto-
mere. Vergr. 550 mal.
Fig. 4. Der Schnitt ist senkrecht zur Spindelachse geführt. Der Mutter-
stern mit ungefähr 12 Chromosomen und daneben liegendem Radium-
chromatin ist dargestellt. Vergr. 650 mal.
Fig. 5. Zweigeteiltes Ei in Vorbereitung zur Vierteilung. In beiden
Blastomeren befindet sich lang ausgezogenes Radiumchromatin.
Vergr. 270 mal.
Literarische Rundschau.
Die Leistungen der Zellen bei der Entwicklung der Metazoen. Von Dr. Julius
Schaxel, Privatdozenten für Zoologie an der Universität Jena. VII, 336
Seiten gr. 8°, 49 Abbildungen. Jena, G. Fischer, 1915.
Mit der vorliegenden Veröffentlichung ist weder eine lehrbuchartige
noch eine referierende Darstellung aller den Gegenstand betreffenden Tat-
sachen und Probleme beabsichtigt, sondern der Verfasser berichtet lediglich
über die Ergebnisse seiner eigenen Untersuchungen, die zu den Fragen der
allgemeinen Biologie in Beziehung gebracht werden.
Der theoretischen Verwertung der ermittelten Tatsachen geht eine
methodologische Erörterung der Üytomorphologie voraus, deren Beschränkung
auf bestimmte Forschungsmittel Grenzen des Erreichbaren bedingen. Die
Methode der Cytomorphologie besteht darin, durch Vergleichung
sukzessiv fixierter Phasen Prozesse zu ermitteln. Sie ist Morphologie, soweit
sie Formgebilde vergleicht, und Physiologie, sobald sie dadurch Vorgänge
verfolgt. In Bezug auf die Biochemie nimmt sie eine vermittelnde Stellung
ein, indem sie deren Ergebnisse dem Rahmen der Zellvorgänge einordnet.
also dem Chemischen biologischen Sinn verleiht. Auf die aus dieser Grenz-
stellung sich ergebenden Prinzipien wird aufmerksam gemacht.
Die Eibildung wird unter der besonderen Berücksichtigung der-
jenigen Momente untersucht, die zu den Entwicklungsvorgängen in Beziehung
stehen.
Lassen wir das Zusammenwirken der in Kern und Zelleib lokalisierten
Substanzen maßgebend sein, so ergibt sich folgendes Schema für den Gang
der Eibildung: In der Oozyte erster Ordnung nehmen die Vorgänge im Kern
ihren Anfang (intrachromatische Prozesse, Nukleolenbildung, Chromatin-
anreicherung), greifen auf den Zelleib über (Chromatinemission) und erfahren
hier ihre Fortsetzung. Dieser letzte und längste Abschnitt der sogenannten
Wachstumsphase ist gekennzeichnet durch den Parallelismus der Vorgänge
in Kern und Zelleib. Im Keimbläschen vollzieht sich die Rekonstruktion
der chromosomatischen Lagerung, womit der Kern wieder teilungsfähig wird.
Im Zelleib kommt es gleichzeitig zur Ausbildung der an der späteren Ent-
wicklung Anteil nehmenden Substanzen. Die Eibildungszelle wird in den
Zustand der Vorreife gebracht, von dem sie durch die Ausreifungsvorgänge
in den Zustand des reifen Eies übergeführt wird.
Bereits die vorreife Oozyte lässt in aller Deutlichkeit eine bestimmte
Konstitution erkennen. Mit diesem neutralen Ausdruck umschreiben wir die
Tatsache, dass die Zelle weder isotrop ist, noch eine für die folgenden
Ereignisse unwesentliche Anisotropie aufweist, sondern dass differente Kompo-
nenten in bestimmter räumlicher Zuordnung sie zusammensetzen. Sie ist
weder eine gleichartige Masse, noch ein Gemisch beliebig verteilter Stoffe,
124 Literarische Rundschau :
sondern besitzt einen mit der Tierart wechselnden typischen Bau, in dem
jeder Bestandteil seinen nur ihm zukommenden Ort einnimmt.
Die heteropolar konstituierte Oozyte enthält bereits alle von seiten
des Eies an der Entwicklung teilnehmenden Substanzen. Ihre Konstitution
ist aber nicht die endgültige, sondern erweist sich als das determinierende,
d. h. die Art des Folgegeschehens bestimmende Vorstadium der im reifen Ei
herrschenden Verhältnisse. Die Richtungskörperbildung führt das Keim-
bläschen in den weiblichen Vorkern von halbem typischen Chromatinbestand
über. Die nach Ort und Zeit gesetzmässig verlaufenden Ausreifungs-
umlagerungen ordnen den Inhalt der Zelle zu der für das reife Ei typischen
Konstitution um.
Die Determination der Ausreifung der Eizelle begreift zugleich die an
bestimmter Stelle (Besamungsregion) und zu bestimmter Zeit (Besamungs-
optimum) erfolgende Aufnahme eines Spermatozoons (Besamung) und die
Vereinigung der Vorkerne (Befruchtung) in sich. Der Besamung kommt
daher nur die Bedeutung eines auslösenden Realisationsfaktors zu, indem das
von der weiblichen Zelle mit dem männlichen Vorkern aufgenommene Sperma-
plasma als Entwicklungserreger wirkt, d. h. den Fortgang der auf einem
bestimmten Stadium gehemmten, nach eigener Determination geschehenden
Entwicklung ermöglicht. Als ein substantieller Beitrag zu dem Aufbau des
Keimes darf das bei der Besamung in das Ei gebrachte Spermaplasma nicht
betrachtet werden, da es weder in seiner ursprünglichen Beschaffenheit noch
in irgendwelchen Derivaten sich weiterhin bemerkbar macht. Dauernd erhalten
bleibt von dem Spermatozoon im Ei nur der männliche Vorkern, der durch
ooplasmatische Strömungen dem weiblichen Vorkern genähert und mit diesem
in bestimmter Weise zusammengelagert wird. Die vereinigten Halbkerne
gehen ohne substantielle Mischung die erste Teilung gemeinsam ein.
Die Furchung besteht in der Aufteilung des Eies, durch die an
die Stelle des typisch konstituierten Eies das typisch geordnete Zellenaggregat
tritt. Sie ist dem Zusammenwirken der Zellbestandteile nach reines Teilungs-
geschehen. Die Determination der ersten Teilung ist in der Konstitution des
Eies, die jeder weiteren in der der teilungsbereiten Blastomeren gegeben.
Die Konstitution jeder Blastomere ergibt sich primär aus der vom Ei über-
nommenen Substanzlokalisation, die sekundär ihre Besonderheit durch die
Nachbarschaftswirkungen erhält. Indem die Einzeldeterminationen von Zell-
teilung zu Zellteilurg in sukzessiven Akten zustandekommen, stellt sich die
Furchung als die Resultante der Einzelereignisse dar. Infolgedessen sind
typische Stadien nur bei typischem Ausgang und typischen Vorstadien möglich.
Es wird ausführlich an der Hand eigens zu diesem Zweck angestellter Ex-
perimente gezeigt, dass man den typischen Furchungsmodus einer Art nicht
ändern und doch eine typische Endbildung erhalten kann, sondern jede atypische
Entwicklung endet mit einer atypischen Bildung. Die isolierten Keimteile
ergeben nicht durchaus, sondern nur dann typisch proportionierte Ganz-
bildungen, wenn sie selbst in allen Proportionen typisch konstituiert sind.
Die typisch proportionierten Einheitsbildungen aus mehr als einem Ei haben
die Zusammenfügung typisch konstituierter Eier zu einem proportionierten
Die Leistungen der Zellen bei der Entwicklung der Metazoen. 125
Stadium der typischen Entwicklung zur Voraussetzung. Die Möglichkeiten
an typischen Effekten sind in der jeweiligen typischen Entwicklung gegeben
und erkennbar.
Die Zurückführung der typisch-differenten Furchungsmodi der Arten
auf die typisch-differenten Eikonstitutionen und die zugleich gewonnene
Kennzeichnung der Furchung als Resultante aus Einzelereignissen erweist
prinzipiell die Auflösbarkeit der Faktorenkomplexe in Einzelfaktoren. Die
Analysis der Faktoren der Teilungsakte geschieht durch die Erforschung der
Leistungen der Zelle. Das während der Furchung vor sich gehende Zusammen-
wirken der Zellbestandteile wird in der besonderen Bewirkung der Teilbar-
keit, der Veranlassung der Teilung, der Teilungsweise, der Bestimmung der
Teilung nach Zeit, Ort, Richtung und Grösse, endlich der Gestalt der Zellen
als Keimkonstituenten und des Zellverbandes im Keime untersucht.
Die Betrachtung der Furchung als durch die Konstitution des Eies
und der Blastomeren in sukzessiven Akten determinierte Aufteilung lehnt
zwei Ansichten ab, die an der Entwicklung beteiligte Geschehensweisen ein-
seitig betonen und ihren extremen Ausdruck in dem alten Gegensatz von
Epigenesis und Evolution finden.
Die Entstehung der Mannigfaltigkeit des typischen Zellenaggregates
als Leistung der Entelechie, für die die zellularen Faktoren nur formbildende,
der zielstrebigen Richtkraft unterstellte Mittel sind, wird auf Grund des
Irrtums behauptet, dass typische Bildungen durch finale Regulationen auf
atypischem Wege zustande kommen können. Die Aufdeckung dieses Irrtums
bewahrt davor, dass die wesentlichen Entwicklungsvorgänge ins Unerforsch-
liche verlegt werden.
Die Entstehung der Mannigfaltigkeit des gefurchten Keimes als Um-
bildung der im entwicklungsbereiten Ei befindlichen Vorbildungen wird ent-
weder als Prädetermination durch die im Kern lokalisierte, sich selbst in
bestimmter Weise zerlegende Determinationsmaschine oder als Präformation
organbildender Substanzen erklärt. Beiden Auffassungen liegt die Retrojektion
des Entwickelten auf das Ausgangsstadium der Entwicklung zugrunde, und
sie sind- zu der Annahme einer im voraus in allen Einzelheiten festgelegten
Entwicklung gezwungen. Sie verweisen die Vorgänge der Determination ins
Unvorstellbare, indem sie die Leistungen der Vielheit von Zellen dem be-
fruchteten Ei in einer nicht näher durchschauten Weise aufbürden.
In der zweiten Phase der Ontogenesis geht die Bildung der OÖrgan-
anlagen vor sich, d.h. typisch im Raume geordneter Gruppen gleichartiger
und ungleichartiger Zellen von typischer Konstitution, die noch der geweb-
lichen Differenzierung ermangeln. Die wirksamen Geschehensweisen sind
Wachstums- und Bewegungsvorgänge. Die Beendigung der Aufteilung
(Furchung) bedingt, dass bei den Weiterteilungen die Zellen zu einer kon-
stant bleibenden Grösse nachwachsen. Die Weiterteilungen sind ebenso wie
die Aufteilung zellular determiniert; wir entbehren aber noch der Einsicht
in das die jeweilige Anzahl der Teilungen bestimmende Moment. Zellular
determiniert ist ferner das Volumenwachstum von Zellen umschlossener Hohl-
räume durch Flüssigkeitsaufnahme durch die umschliessenden Zellen und die
126 Literarische Rundschau :
dimensionalen Veränderungen der Zellen durch sie selbst und die Nachbar-
schaftswirkungen. Die sachlich noch wenig erforschten und der zytomorpho-
logischen Methode unzugänglichen Zellbewegungen haben ihre Klarstellung
von Explantationsversuchen zu erwarten. Vermutlich handelt es sich um
Veränderungen in der Oberflächenbeschaffenheit der Zellen, um durch Diffusion
per distantiam betätigte Wechselwirkungen.
Die histogenetische Differenzierung besteht in der Her-
stellung von spezifischen Dauerstrukturen durch die Zellen der Urgewebe
der Organanlagen, die dadurch zu funktionsfähigen Organgeweben werden.
Sie nimmt ihren Ausgang von den typisch konstituierten Zellen. die in den
Organanlagen typisch räumlich geordnet sind. Die räumliche Zuordnung der
Teile ist also bereits vor der (fewebsdifferenzierung festgelegt. Die Qualität
der spezifischen Bildung ist in jeder Einzelzelle determiniert. Die Vorgänge
beginnen mit einer Ohromatinanreicherung im Kern. Dann greifen sie auf
den Zelleib über, was sich in für die Untersuchung günstigen Fällen als
Chromatinemission manifestiert. Erst jetzt beginnen im Zytoplasma des
Zelleibes die Umbildungen, die die im Zelleib verbleibenden oder aus ihm
ausgeschiedenen Dauerstrukturen herstellen. Die Produktion geht in ihrem
Beginne als reine Selbstdifferenzierung der Zellen vor sich. Erst im Verlaufe
des Vorganges ergeben sich Wechselwirkungen unter den Gewebskomponenten,
die für die späteren Stadien abhängige Differenzierungen der von den Zellen
angelegten Gebilde bedingen. Es besteht für die Zelle eine strenge Ein-
sinnigkeit ihrer Lebensgeschichte, die sie für immer an die erstmalig von
ihr geleistete Differenzierung bindet und jede Entdifferenzierung oder Um-
differenzierung ausschliesst. Die zellulare Determination gipfelt nach Er-
ledigung der Teilungs- und Bewegungsvorgänge in der Produktion einer
spezifischen Dauerstruktur.
Wie die produktive Fähigkeit der Zellen ist auch die funktionelle
Leistungsfähigkeit der Zellabkömmlinge eine begrenzte, und nach längerer
oder kürzerer Beanspruchung führt die mit der Funktion einhergehende
Abnutzung zu degenerativen Umbildungen (Senescenz). Die zellulare
Determination führt dem Zellentode entgegen, indem weder die ursprüng-
lichen Bildnerinnen noch die abgenutzten Differentiationen von sich aus zu
einer Erneuerung fähig sind. Der Tod des gesamten Zellenkomplexes (der
personelle Tod) wird dadurch hinausgeschoben, dass die nach der Erschöpfung
ihrer Möglichkeiten oder früher ausscheidenden Zellen aus Reserven ersetzt
werden. Die Restitution geschieht nie als Erneuerung bereits differen-
zierter oder in Rückbildung begriffener Gewebe, sondern immer als voll-
ständige Neubildung. In der typischen ÖOntogenesis reservierte undifferen-
zierte Anlagen führen auf typischem Wege die Restitutionen aus. Es fällt
somit nicht nur der präfunktionelle Aufbau der Organisation des Metazoen-
körpers in den Bereich der zellularen Determination, sondern auch der Zellen-
tod und die den personellen Tod verzögernden Restitutionen. Desgleichen
ist das Keimlager nichts anderes als ein Reservat totipotenter Zellen. Es
schliesst somit die personelle, von Zellen geleistete Determination zugleich
die transpersonelle in sich, und die Vererbung stellt in dieser entwicklungs-
Die Leistungen der Zellen bei der Entwicklung der Metazoen. 127
physiologischen Betrachtungsweise ein besonderes Problem nicht dar. Die
Erforschung des Vererbungsmechanismus fällt zusammen mit der der Onto-
genesis.
In aller Kürze lassen sich die die Ontogenesis bewirkenden Vorgänge
folgendermaßen anführen: Aus bestehender, typischer räumlicher Ordnung
schaffen die Zellen durch Teilung und Bewegung neue typische räumliche
Ordnung. Auf Grund der neuen räumlichen Ordnung erzeugen sie durch
Produktion in ihrer Qualität differierende, spezifische Dauerstrukturen.
Der Organismus wird aus gleichwertigen, in sich bestimmten Einheiten auf-
gebaut, und seine harmonische Zusammensetzung resultiert aus der Wechsel-
wirkung der Teile.
Nur die allgemeinsten Resultate konnten im Vorstehenden angedeutet
werden. Wegen ihrer Belegung mit Einzeltatsachen zytologischer und ent-
wicklungsphysiologischer Art und der Besprechung der einschlägigen Literatur,
besonders der über Entwicklungstheorien, muss auf das Original verwiesen
werden, in dem zum Schluss auf Grund der gewonnenen Ergebnisse eine
Präzisierung der traditionellen Zellentheorie versucht wird.
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