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ARCHIV
für
Mikroskopische Anatomie
I. Abteilung
für vergleichende und experimentelle
Histologie und Entwicklungsgeschichte
II. Abteilung
für Zeugungs- und Vererbungslehre
herausgegeben
von
O. Hertwig und W. von Waldeyer-Hartz
in Berlin
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Neunzigster Band
Mit 18 Tafeln und 51 Textfiguren
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Verlag von Friedrich Cohen
1918
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Inhalt.
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Erstes Heft. Ausgegeben am 8. Juni 1917.
Die Wirkung der Radiumstrahlen auf tierische Gewebe. (Experimentell-
histologische Untersuchung an Geweben von Amphibienlarven.)
Von Walter Grasnick, Berlin-Lichtenberg. Hierzu Tafel I
Über Plasmastrukturen in Sinnesorganen und Drüsenzellen des Axolotls.
Von Dr. Cecylia Beigel-Klaften, 2. Assistentin am Zoo-
logischen Institut der Universität Lemberg. (Aus dem Zoologischen
Institut der Universität Lemberg unter der Leitung von Professor
Dr. Joseph Nusbaum-Hilarowiez). Hierzu Tafel II und II.
Neutralviolett extra. Von P. G. Unna und L. Golodetz. Hierzu
Tafel IV te Ve a ee EN Ne
Die Chromatophoren der Reptilienhaut. Ven Privatdozent Dr. W. J.
Schmidt, Bonn, Zoologisches Institut. Hierzu Tafel V-—IX
und 6 Textfiguren .
Zweites Heft. Ausgegeben am 10. August 1917.
Über die bilaterale oder nasotemporale Symmetrie des Wirbeltierauges.
Von Carl Rabl. Hierzu Tafel X—XIII und 5 Textfiguren
Viertes Heft. Ausgegeben am 30. April 1918.
Über Umwandlung von Plastosomen in Sekretkügelchen, nach Beobach-
tungen an Pflanzenzellen. Zugleich eine Fortsetzung meiner Dis-
kussion mit Benda. Von Friedrich Meves in Kiel. Hierzu
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Zur Morphologie der vitalen Granulafärbung. Von Wilhelm von
Moellendorff. (Aus dem Anatomischen Institut zu Greifswald.)
Hierzu Tafel XV und XVI. Mr:
Die Bedeutung von sauren Kolloiden und Lipoiden für die vitale Farb-
stoff bindung in den Zellen. Von Wilhelm von Moellendorff.
(Aus dem Anatomischen Institut zu Greifswald.)
Die Implantationsstelle eines ganz frühzeitig abortiv ausgestossenen
menschlichen Eies. Von Franz Keibel, Strassburg i. Elsass.
Hierzu 7 Textfiguren .
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Seite
39
69
95
445
463
Abteilung I.
Drittes Heft. Ausgegeben am 30. November 1917. Seite
Dokumente zur Geschichte der Zeugungslehre. Eine historische Studie
als Abschluss eigener Forschung. Von Oskar Hertwig. Hierzu
ZOHTERTHBUTENAÄNN. N RE re Dez 1
Viertes Heft. Ausgegeben am 30. April 1918.
Über die Samenkörper der Libellen. I. Die Spermien und Spermiozeugmen
der Aeschniden. Von E. Ballowitz in Münster i. W. Hierzu
Tafel I: und N und, S-Textfiguren . . . » . .%.0.. Voir
ARCHIV
für
Mikroskopische Anatomie
I. Abteilung
für vergleichende und experimentelle
Histologie und Entwicklungsgeschichte
II. Abteilung
für Zeugungs- und Vererbungslehre
herausgegeben
von
O. Hertwig und W. von Waldeyer-Hartz
in Berlin
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Neunzigster Band
I. Abteilung
Mit 16 Tafeln und 18 Textfiguren
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BONN
Verlag von Friedrich Cohen
1918
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Inhalt.
AbteilunglL
Erstes Heft. Ausgegeben am 8. Juni 1917.
Die Wirkung der Radiumstrahlen auf tierische Gewebe. (Experimentell-
histologische Untersuchung an Geweben von Amphibienlarven.)
Von Walter Grasnick, Berlin-Lichtenberg. Hierzu Tafel I
Über Plasmastrukturen in Sinnesorganen und Drüsenzellen des Axolotls.
Von Dr. Cecylia Beigel-Klaften, 2. Assistentin am Zoo-
logischen Institut der Universität Lemberg. (Aus dem Zoologischen
Institut der Universität Lemberg unter der Leitung von Professor
Dr. Joseph Nusbaum-Hilarowiez). Hierzu Tafel II und II.
Neutralviolett extra. Von P. G. Unna und L. Golodetz. Hierzu
Tafel IV a a
Die Chromatophoren der Reptilienhaut. Ven Privatdozent Dr. W. J.
Schmidt, Bonn, Zoologisches Institut. Hierzu Tafel V—IX
und 6 Textfiguren .
Zweites Heft. Ausgegeben am 10. August 1917.
Über die bilaterale oder nasotemporale Symmetrie des Wirbeltierauges.
Von Carl Rabl. Hierzu Tafel X—XIII und 5 Textfiguren
Viertes Heft. Ausgegeben am 30. April 1918.
Über Umwandlung von Plastosomen in Sekretkügelchen, nach Beobach-
tungen an Pflanzenzellen. Zugleich eine Fortsetzung meiner Dis-
kussion mit Benda. Von Friedrich Meves in Kiel. Hierzu
Tafel XIV. 5 SR BRRET ATS.
Zur Morphologie der vitalen Granulafärbung. Von Wilhelm von
Moellendorff. (Aus dem Anatomischen Institut zu Greifswald.)
Hierzu Tafel XV und XVI.
Die Bedeutung von sauren Kolloiden und Lipoiden für die vitale Farb-
stoff bindung in den Zellen. Von Wilhelm von Moellendorff.
(Aus dem Anatomischen Institut zu Greifswald.)
Die Implantationsstelle eines ganz frühzeitig abortiv ausgestossenen
menschlichen Eies. Von Franz Keibel, Strassburg i. Elsass.
Hierzu 7 Textfiguren .
Seite
95
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Die Wirkung der Radiumstrahlen auf tierische
Gewebe.
Experimentell-histologische Untersuchung an Geweben von
Amphibienlarven.
Von
Walter Grasnick.
Hierzu 1 Tafel.
Inhaltsverzeichnis.
Einleitung, Literatur. . . . ER. IH 2 RE We RSEILE
I. Geschichtlicher Rückblick.
1. Morphologische und histologische Ergebnisse . „36
2. Chemisch-physiologische und biologische rn
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II. Material und Methoden der verre Sale „ 11-14
III. Übersicht über die makroskopisch und hikroskopisch beoh.
achteten Veränderungen der bestrahlten Gewebe. .. „ 15-21
IV. Cytologische und histologische Ergebnisse . . . „ 21—28
V. Zusammenfassung der Ergebnisse, Dee ad Ver-
gleiche mit den Ergebnissen und Hypothesen anderer
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Einleitung, Literatur.
Seit in den letzten Jahren des vorigen Jahrhunderts die
Wirkung der Radiumstrahlen auf lebende Gewebe entdeckt wurde,
haben viele Forscher diese eigenartige Wirkung zum Gegenstand
eingehender Untersuchungen gemacht. Ungefähr seit dem Jahre
1904 nahm diese Forschung einen ganz besonderen Aufschwung,
da man die elektive Wirkung der Radiumstrahlen zur Beseitigung
von inoperablen Geschwülsten des menschlichen Körpers hoffte
anwenden zu können.
Die Forscher, welche dieses Ziel vor Augen hatten, benutzten
meist für ihre Versuche die Gewebe des Menschen und höherer
Tiere. Unter Ausschluss der rein klinischen Arbeiten wären auf
Archiv f. mikr. Anat. Bd.90. Abt.1I. 1
2 Walter Grasnick:
diesem Gebiete zu erwähnen Heinecke (1905), Frieben
(1903), Seldin (1904), Thies (1905), Harvey (1908), Guyot
(1909) u. v. a.
Forscher, welche die Radiumwirkung mehr als Zellproblem
auffassten oder nach einer chemisch -physiologischen Erklärung
suchten, experimentierten meist mit isolierten lebenden Zellen
oder jungen Entwicklungsstadien von Tieren und Pflanzen. So
untersuchten Aubertin, Beaujard, Bergonie, Tribondeau,
Delamare u. a. die Einwirkung der Radiumstrahlen auf das
Blut, die Wirkung auf die Samenzellen im Hoden wurde besonders
eingehend untersucht von Albers-Schönberg (1903), Regaud
und Dubreuil (1907), Barratt und Arnold (1908). Die Beein-
tlussung und abweichende Entwicklung bestrahlter Ei- und Samen-
zellen, sowie junger Embryonen beschreiben G. Schwarz (1903),
Bohn (1903), Bergonie et Tribondeau (1904), Perthes
(1904), Schaper (1904), O. Levy (1906), Jan Tur (1906,
1911), Hasebrock (1908), Barlow and Bonney (1909),
Bardeen (1909, 1911), ©. undG. Hertwig (1911, 1912, 1913),
Fräulein P. Hertwig (1911, 1913, 1914), Oppermann (1913),
Stachowitz (1914), Packard (1914, 1915). Auch Botaniker
wie z. B. Koernicke (1905), Guilleminot (1908), Molisch
(1913) benutzten für ihre Bestrahlungsversuche meist pflanzliche
Samen und Keimlinge. Protozoen bestrahlten E. G. Willcock
(1904) und Fräulein M. Zuelzer (1905). Als den biologischen
Problemen der Radiumwirkung nahestehend seien aus der chemisch-
physiologischen Literatur erwähnt die Arbeiten von Wohlgemut
(1904), K. v. Korosy (1911) und Bickel (s. Handb. f. Rad.-
Biol. u. Ther.).
Im folgenden Abschnitt werde ich eine kurze vergleichende
Übersicht über die hauptsächlichen morphologischen und histo-
logischen Ergebnisse der erwähnten Autoren geben, woran sich
in einem weiteren Abschnitt die von ihnen daraus abgeleiteten
Theorien anschliessen werden. Der zweite Teil der Arbeit ent-
hält den Bericht über die von mir angestellten Versuche, ihre
Ergebnisse und deren Deutung.
Ich will nicht verfehlen, Herrn Geheimrat O0. Hertwig an
dieser Stelle zu danken für die Anregung und das Material zu
dieser Arbeit, sowie die dauernde Aufmerksamkeit, die er ihr
entgegenbrachte.
©
Die Wirkung der Radiumstrahlen auf tierische Gewebe.
I. Geschichtlicher Rückblick.
1. Morphologische und histologische Ergebnisse.
Die überwiegende Mehrzalıl der Arbeiten auf dem Gebiet der
Radiumstrahlenwirkung betont als das am meisten in die Augen
fallende Ergebnis eine Schädigung der bestrahlten Zellen und
(sewebe, die bei höher differenzierten Geweben zu verschiedenen
Formen von Degeneration führt. Bei bestrahlten Ei- und Samen-
zellen sowie jungen Embryonen bewirken auch schon geringe
Strahlendosen deutlich eine Verlangsamung des Wachstums und
der Entwicklung. Dass sehr geringe Dosen die Entwicklung an-
zuregen und zu beschleunigen vermöchten, ist zwar von Guille-
minot, Barleyand Bonnev u.a. als wahrscheinlich hingestellt,
aber nie sicher nachgewiesen worden. Dagegen werden von
mehreren Autoren übereinstimmend nach Bestrahlung anormale
Wucherungen der Epidermis und des ontogenetisch von ihr
abstammenden Medullarrohrs beschrieben (Thies, 0. Levy,
OÖ. und G. Hertwig, Stachowitz). Nach Thies (1905) setzen
die Wucherungen offenbar nach längerer Bestrahlung ein, die
unter gewissen Umständen mitotische und amitotische (Guyot)
Zellteilung hervorruft.
Ein charakteristischer Unterschied der %- und y-Strahlen
des Radiums von anderen Reizquellen besteht darin, dass sich
ihre Wirkung auf den Organismus erst nach einer gewissen Zeit
deutlich bemerkbar macht. Nur wenige Angaben widerstreiten
dieser „Latenz“, so legen z. B. Aubertin und Delamare bei
der Beschreibung der Radiumstrahlenwirkung auf das Blut Nach-
druck auf das sofortige Eintreten (pr&coeite) der Veränderungen.
Bedeutend heftiger ist der Streit der Meinungen über einen
andern wichtigen Punkt, nämlich die elektive Wirkung der Radium-
strahlen. Dass gewisse (rewebe, wie Hoden und Eierstöcke, be-
sonders stark geschädigt werden. kann wohl als sicher gelten.
Dass die Strahlen auch auf das Nervensystem eine elektive Wir-
kung ausüben, wird schon von einigen bestritten (Öbersteiner),
und ähnliches gilt vom Blutgefäßsystem. Der Kernpunkt des
Streites liegt aber darin, ob die elektive Wirkung nur in einer
sehr verschieden starken Schädigung der (Gewebe bestehe oder
ob gewisse Gewebe gar nicht oder nur sekundär oder gar direkt
in völlig abweichender Weise beeinflusst werden. Wie ich später
1*
4 Walter Grasnick:
zeigen werde, wirkt die Unklarheit hierüber auch stark auf die
Theorien der Radiumwirkung zurück.
Eine kurze Zusammenfassung der Tatsachen über das Ver-
halten der verschiedenen Gewebearten ergibt ungefähr folgendes:
Radiumgeschädigte Epidermis zeigt im allgemeinen Merkmale
degenerativen Zerfalls (Thies u. a.), unter gewissen Umständen,
die nicht genau bekannt sind, treten dabei die oben erwähnten
Wucherungen auf, die Guyot als Knötchen bezeichnet; O0. Levy
beschreibt sie an Froschlarven als warzenförmige Hervorragungen
der Haut und legt ihnen den — von Roux für ähnliche Ano-
malien gewählten — Namen „Framboisia“ bei. Auf das Binde-
gewebe üben die Strahlen einen zerstörenden Einfluss aus, doch
sind auch hier und bei Knorpel Wucherungen beobachtet worden
(Thies, Seldin). Die elastischen Fasern werden nicht ge-
schädigt (Guyot); widerstandsfähig ist auch das Chordagewebe
(nach Stachowitz, OÖ. Levy). Die Veränderungen bestrahlter
Muskulatur sollen nach manchen Autoren nur gering sein;
stärkere Schädigungen beginnen nach Guyot mit einer klein-
zelligen Infiltration zwischen den Muskelbündeln, wodurch deren
Fasern auseinandergezwängt werden. Später schwindet auch
die Quer- und Längsstreifung und schliesslich tritt an die Stelle
der Fibrillen ein Granulationsgewebe.
Hämolyse durch Radiumbestrahlung von Blut haben Salo-
monson und Dreyer (1904) sowie Henri und Meyer (1904)
nachgewiesen. Die Veränderungen des Gefäßsystems in bestrahlten
Geweben werden übereinstimmend beschrieben als starke Er-
weiterung, hervorgerufen durch pralle Füllung mit Blutzeilen,
unter denen Leukozyten vorwiegen (Danysc, Obersteiner,
Thies, OÖ. Levy, Guyot), Guyot hält die Erweiterung der
Blutgefässe nur für eine sekundäre Wirkung der Radiumstrahlen,
direkt hervorgerufen durch die gleichzeitigen Wucherungen der
Epidermis, welche ein stärkeres Nahrungsbedürfnis besitzen. Die
andern erwähnten Forscher sprechen sich für eine direkte Be-
einflussung des Blutgefäßsystems aus, lassen aber dabei ungewiss,
ob die Gefässwände direkt geschädigt werden, was Guyot völlig
bestreitet.
Was die Schädigung des Nervensystems durch das Radium
betrifft, so scheinen die Widersprüche der Autoren, die hier be-
stehen, sich dadurch aufklären zu lassen, dass das junge, noch
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Die Wirkung der Radiumstrahlen auf tierische Gewebe.
>
in Difterenzierung begriffene Nervensystem stark geschädigt wird
(Schaper, O. Levy, O. Hertwig, Stachowitz, Jan Tur),
während vollentwickelte Ganglienzellen kaum beeinflusst werden
(Obersteiner).
Die grosse Empfindlichkeit der Geschlechtsorgane, insbe-
sondere der Keimzellen von Tieren und Pflanzen gegen Radium-
strahlen ist häufig festgestellt worden und hat wohl niemals Wider-
spruch gefunden.
Die Versuche, welche über die Beeinflussung anderer innerer
Organe durch Radiumstrahlen angestellt worden sind, sind nicht
sehr zahlreich und bieten histologisch nichts grundsätzlich Neues.
Bei der Erforschung der elektiven Wirkung der Radium-
strahlen ist man noch einen Schritt weiter gegangen und hat
festzustellen versucht, ob von den jeder Zelle eigentümlichen
Bestandteilen einzelne stärker und schneller geschädigt werden
als die übrigen. Für die Bearbeitung dieses Problems hat man
aus praktischen Gründen möglichst wenig differenzierte Zellen,
2. B. Eizellen oder junge Embryonen gewählt. Die Zellfunktion,
welche durch die Radiumstrahlen zuerst sichtlich leidet, ist die der
normalen mitotischen Teilung (Perthes, Schaper, Koernicke
Barratt und Arnold, O. und G. Hertwig, Packard). Es
treten unregelmässige Mitosen auf, manchmal ist auch amito-
tische Teilung beobachtet worden (Koernicke, Barratt und
Arnold u.a.). Schliesslich findet meist ein völliges Schwinden
der Teilungsfähigkeit statt. Eine Beschleunigung der Teilungs-
intensität durch Bestrahlung mit geringen Dosen wird von
barlow, Bonney und G. Bohn behauptet, letzterer hält sogar
Anregung zu parthenogenetischer Entwicklung durch Radium-
strahlen für möglich. Die Beeinflussung der Mitosen und das
Auftreten von pyknotischen und sogenannten siegelringförmigen
Kernen erklären viele Autoren (Bohn. Koernicke, O. und
G. Hertwig, Stachowitz, Jan Tur) durch eine Schädigung
des Chromatins (siehe nächsten Abschnitt). Über die andern
Kompönenten der Zelle findet man meist keine Angaben; Koer-
nicke behauptet, dass Kino- und Trophoplasma pflanzlicher Zellen
völlig unbeschädigt bleiben, Packard dagegen sagt, dass bei der
Polzellenbildung bestrahlter Eier die chromatische und achroma-
tische Substanz der Spindel anormal wird und glaubt auch eine
direkte Schädigung des Zellplasmas aus einigen Tatsachen schliessen
6 Walter Grasnick:
zu müssen, z. B. daraus, dass bestrahlte Seeigeleier die Fähigkeit
verlieren, die Eimembran nach der Befruchtung abzuheben.
2. Chemisch-physiologische und biologische Erklärungsversuche.
Der erste Versuch zu einer umfassenden chemisch-physio-
logischen Erklärung der Radiumwirkung rührt von G. Schwarz
her. Schwarz hat festgestellt, dass bei bestrahlten frischen
Hühnereiern eine Veränderung des Dotters an Farbe, Konsistenz
und Geschmack stattfindet, während die Proteine des Eiweisses
unverändert bleiben. Er deutet die Veränderung des Dotters als
eine Spaltung des Leeithins in Stearinsäure, Glvzerinphosphor-
säure und Cholin, welches letztere Trimethylamin (festgestellt
durch Geschmack) abspaltet. Er folgert dann weiter, dass der
Leeithingehalt, der in Eizellen und Zellen wachsender Gewebe
häufig nachgewiesen sei, der Grund für die Empfindlichkeit dieser
(sewebe gegen die Radiumstrahlen sei. Auf Grund dieser Hypo-
these haben in den nächsten Jahren mehrere Forscher, unter
andern auch Schaper, die Ergebnisse ihrer Bestrahlungsver-
suche gedeutet.
Bald haben aber Zweifel und Gegenbeweise zu einer völligen
Ablehnung der Leeithinhypothese geführt. Thies hat die
Sehwarzschen Versuche am Hühnerei wiederholt, hat aber trotz
Anwendung stärkerer Präparate nicht die von Schwarz beob-
achteten Veränderungen feststellen können. Gegen die allgemeine
Geltung der Leeithinhypothese wird ferner von Thies und anderen
der Umstand eingewendet, dass die Radiumstrahlen nur Tiefen-
wirkung, nicht seitliche Ausdehnung der Wirkung zeigen, ferner
dass bei voll entwickelten, in toto bestrahlten Tieren der lecithin-
arme Muskel stärker geschädigt wird als die lecithinhaltigen
(ranglienzellen. Von R. Werner u. a. angestellte Versuche haben
ergeben, dass die Injektion der Abbauprodukte des Leeithins nicht
die charakteristische Wirkung der Radiumstrahlen hervorzubringen
vermag. OÖ. Hertwig endlich hat exakt nachgewiesen, dass
Froschlarven die gleichen Schädigungen aufweisen, wenn vor der
Befruchtung das Sperma oder ihre dotterreiche — also auch
lecithinreiche — Eizelle, aus denen sie sich entwickeln, bestrahlt
worden sind.
Nach Widerlegung der Schwarzschen Leecithinhypothese
haben viele Forscher geglaubt. von chemischen Hypothesen besser
—]
Die Wirkung der Radiumstrahlen auf tierische Gewebe.
ganz absehen und vorläufig eine Deutung der Strahlenwirkung
nur mit biologischen Begriffen unternehmen zu sollen.
O0. Levy, der besonders von der Tatsache ausgeht, dass
das in Bildung begriffene Nervensystem stark geschädigt wird,
ausgebildete Ganglienzellen dagegen relativ unempfindlich sind,
glaubt die Radiumwirkung und besonders deren elektive Eigen-
schaft dadurch allgemein erklären zu können, dass er eine De-
generation der Zellen je nach der Stärke ihrer generativen Selbst-
assimilation annimmt. Er sagt: „Schwere degenerative Schädigung
trifft die Zellen, die nicht nur sich teilen. sondern nach der
Teilung in einem raschen Assimilationsprozess zu der ursprüng-
lichen Grösse heranwachsen müssen.“
(suyot findet den Grund der Radiumwirkung in einem
anormal lebhaften Reiz, der besonders die Epithelzellen zu über-
stürzter Entwicklung und rapider Involution anreizt, neben der
bei intensiver Radiumwirkung eigentlich nekrobiotische Prozesse
erst sekundär oder doch in zweiter Linie einhergehen.
0. Hertwig erklärt die Radiumwirkung als eine direkte
und ausschliessliche oder doch stark überwiegende Schädigung der
Kernsubstanzen. Er sagt (1913): „Namentlich das Chromatin wird
schon durch kleinste Dosen radioaktiver Strahlung in seinen
Lebenseigenschaften verändert und durch grössere Dosen so ge-
schädigt, dass es die Fähigkeit zu wachsen und sich dureh Mitose
in gesetzmässiger Weise zu vermehren verliert, dass es einem
allmählichen Zerfall unterliegt und in denselben allmählich auch
den es einschliessenden Zellkörper hineinzieht.* Hertwig be-
ruft sich dabei auf die Ergebnisse mehrerer Vorgänger und stützt
sich besonders auf die von ihm experimentell festgestellte Tat-
sache, dass Embryonen, die aus normalen, mit radiumbestrahltem
Sperma befruchteten Eiern sich entwickeln, alle typischen Radium-
schädigungen aufweisen. Er führt aus (Arch. f. mikroskop. Anat.,
Bd. 77, S. 133 ff.), dass ein im Spermium entstandenes Gift (z. B.
Abbauprodukte des Lecithins) gegebenenfalls nur in ganz „homöo-
pathischen Dosen“ in das Ei eingeführt werde und, da ein
chemisches Gift sich nicht im Ei vermehren könne, selbst wenn
man eine sehr gleichmässige Verteilung in alle Furchungszellen
annehme, so stark verdünnt werde, dass man ihm die auftretenden
intensiven Schädigungen nicht zuschreiben könne und eigentlich
annehmen müsse, dass es durch den Stoffwechsel ausgeschieden
8 Walter Grasnick:
werden sollte. Hertwigs „biologische Theorie“ nimmt dagegen
an, dass die radiumkranke Kernsubstanz des Spermiums „durch
das Mittel der Zellteilung vermehrt, schliesslich im gesamten Ei-
inhalt verteilt und jeder Embryonalzelle zugeführt wird“. Er fährt
fort: „Wieviel ist in dieser Beziehung die biologische der rein
chemischen Hypothese überlegen! Wie wird es jetzt ohne weiteres
verständlich, dass die im bestrahlten Samenfaden entstandene
kranke Substanz, auch wenn sie anfangs als eine homöopathische
Dosis erscheint, schliesslich die mehr als tausendmal grössere
Masse des Eies im Entwicklungsprozess vergiftet. Denn sie wirkt
wie ein contagium vivum. Der kranke Samenfaden verhält sich
genau wie ein Bakterium, wenn es im tierischen Organismus eine
Infektionskrankheit verursacht.“
Diese Theorie ist etwas abgeändert worden durch ©. und
G. Hertwigs Entdeckung, dass auch solche Froschlarven Sym-
ptome der Radiumkrankheit aufweisen, die mit starkbestrahltem
Sperma befruchtet, sich nach Eliminierung des Spermachromatins
parthenogenetisch entwickeln. G. Hertwig weist durch genaue
eytologische Beobachtung nach, dass die mit Radiumstrahlen ge-
schädigte Kernsubstanz von Seeigelspermien nach der Befruchtung
normaler Eier eine Schädigung in deren Kernsubstanz hervorruft.
Er folgert daraus (Arch. f. mikroskop. Anat. Bd. 79Il, S. 213):
„Diese Schädigung des mütterlichen Chromatins kann aliein durch
den radiumkranken Spermakern hervorgerufen sein, dessen durch
die kadiumstrahlen veränderte Chromatinmasse allein durch die
nahe Berührung die normale Uhromatinsubstanz so tiefgreifend
verändert hat. Wir gehen wohl nicht fehl, wenn wir hier eine
Art chemischer Giftwirkung annehmen, hervorgerufen durch eine
Substanz, die sich im Samenkern unter der Einwirkung der
Radiumstrahlen durch Zerfall gewisser Stoffe gebildet hat.“
Stachowitz (1914) hat versucht, die Hertwigsche
Chromatinhypothese, die aus exakten Versuchen mit Ei- und
Samenzellen abgeleitet worden ist, auch zur Erklärung seiner
an bestrahlten embryonalen Geweben gewonnenen Ergebnisse
heranzuziehen. Um die elektive Wirkung zu erklären, zieht er
die an sich wenig sagende Folgerung: „Wir müssen also eine ver-
schiedenartige Einwirkung auf die Kernsubstanzen der einzelnen
Organe annehmen.“ Und da er OÖ. Levys Hypothese der elek-
tiven Schädigung von Zellen stärkster generativer Selbstassimi-
Die Wirkung der Radiumstrahlen auf tierische Gewebe, 9
lation ablehnt, sieht er sich genötigt. die elektive Schädigung der
Nervenzellen aus „einer im Verhältnis zu anderen Zellen grösseren
Reizbarkeit (!) und deshalb weitgehender Schädigung bei Ver-
änderung der chemischen Struktur“ zu erklären. Eine derartig
vitalistische Anwendung der Chromatinhypothese dürfte jedoch
kaum noch den Wert einer Erklärung besitzen.
Packard dagegen neigt zu der Ansicht, dass die Chromatin-
hypothese im Grunde chemisch (fundamentally chemical in its
nature) sei. Er sieht (1914) mit Hertwig den Beginn der
kadiumwirkung auch in einer Schädigung der Kernsubstanz,
wendet sich aber gegen Hertwigs Begriff „contagium vivum“
und sieht eine wirkliche Lösung des Problems nur in einer
chemischen Erklärung, zu der ja auch G. Hertwig in dem von
mir erwähnten Zitat hinneigt. Packard ist ein eifriger Ver-
teidiger der schon vor ihm mehrfach aufgestellten Hypothese,
die man wohl als die Enzymhypothese der Radiumwirkung be-
zeichnen kann. Er formuliert sie mit den Worten: „The solution
of the problem lies. J believe, in the fact that the protoplasmic
und nuclear elements are not directly affeeted by the radiations
but indirectlvy bv means of enzyms which are activated by the
treatment“ (Journ. of. Exper. Zool., Vol. 16, p. 117).
Packard und schon vor ihm Neuberg, Henri und
Mayer, J. Wohlgemut, Werner, v. Korosy, Barratt und
Arnold u. a. nehmen eine Aktivierung autolytischer Enzyme
oder eine vermehrte Wirksamkeit derselben durch Radium-
schädigung der den Stoffwechsel begünstigenden Enzyme an.
Da die Enzymwirkung als eine fermentative angesehen wird,
vermeidet die Enzymhypothese das von OÖ. Hertwig gegen eine
chemische Erklärung geäusserte Bedenken der „homöopathischen
Dosis“. Die Begriffe mögen erklärt sein durch ein Zitat aus der
Arbeit K. v. Korosys, der chemische Experimente über die
Wirkung der Radiumstrahlen angestellt hat. „Die Fermentwirkung
ist nach Ostwalds Definition eine Art der allgemeinen kata-
Iyvtischen Wirkung. Unter Katalyse verstehen wir unter gewissen
Umständen stattfindende Beschleunigung der Geschwindigkeit
eines chemischen Prozesses; Fermentwirkungen sind jene Spezial-
fälle der Katalyse, in welchen durch gewisse vom Lebewesen
produzierte Agenzien (d. h. Enzyme; d. Verf.) die Beschleunigung
verursacht wird... .. Fermentwirkungen der Radiumstrahlen
10 Walter Grasnick:
sind also als strahlenkatalvtische Beschleunigung solcher Prozesse
aufzufassen, die durch Fermente katalysiert zu werden pflegen.“
v.Korosy u.a. schreiben den Radiumstrahlen ebenso wie ioni-
sierende auch direkte katalytische Wirkungen ohne den Umweg
über die Enzyme zu, was aber Neuberg auf Grund neuerer
Versuche völlig in Abrede stellt.
Packard hat in dem umfangreichen theoretischen Teil
seiner Arbeit den Versuch unternommen. die verschiedenen Eigen-
tümlichkeiten der Radiumwirkung auf Grund der Enzymhypothese
zu erklären. Die Latenz lässt sich ja ohne grosse Schwierigkeit
durch die langsam wachsende Enzymwirkung erklären: wenn aber
Packard, um seine Idee folgerichtig durchzuführen , angibt.
dass Radiumwucherungen und Beschleunigung des Wachstums
durch Radiumstrahlen durch Anregung (stimulation) synthetischer
Prozesse, dagegen Zerstörung der Gewebe durch entgegen-
gesetzte Prozesse zu erklären seien, so sagt dies, solange
nicht exakte Tatsachen zum Beweise vorliegen, nicht viel
mehr als die Stachowitzsche Begründung dieser Erschei-
nungen durch die verschieden starke Reizbarkeit der betreffenden
(xewebe.
Neues Tatsachenmaterial vermag also vor allem für eine
weitere Klärung der Theorien der Radiumwirkung zu sorgen.
Es wird am besten nach der von OÖ. und G. Hertwig, Packard
u. a. angewandten Methode zu gewinnen sein, von der @. Hertwig
in der Einleitung seiner Arbeit „Über das Schieksal des mit
Radium bestrahlten Spermachromatins im Seeigelei* sagt, dass sie
in einer Vereinigung des Experiments mit den altbewährten
Forschungsmethoden der exakten Beobachtung. d. h. der feineren
mikroskopischen Analyse der experimentellen Ergebnisse bestehe.
Unter Benutzung dieser Methode hoffte auch ich in den folgenden
Abschnitten einiges Tatsachenmaterial geliefert zu haben zur
weiteren Klärung unserer theoretischen Anschauung der Radium-
strahlenwirkung auf den lebenden Organismus. Ich habe bei der
Deutung meiner Ergebnisse mein Augenmerk besonders darauf
gerichtet, wieweit sich die aus Versuchen an Fortpflanzungszellen
gewonnene Uhromatinhypothese zwanglos auf die Radiumschädi-
gungen von Gewebezellen anwenden lässt. ferner ob der Charakter
der nach Radiumstrahlen auftretenden Veränderungen primärer
oder sekundärer Art ist.
Die Wirkung der Radiumstrahlen auf tierische Gewebe. 11
II. Material und Methoden der Versuche.
Ich beobachtete die Wirkung der Radiumstrahlen an den
Schwänzen der Larven von Rana fusca und Amblystoma tigrinum
Green (— Siredon piseiformis Shaw). Zuerst untersuchte ich Larven
von Rana fusca, die mir Herr Geheimrat Hertwig zur Ver-
fügung stellte. Fünf davon waren an der Schwanzspitze den
Radiumstrahlen ausgesetzt worden, die beiden übrigen waren
normale Larven, die zur Kontrolle dienten. Als die Larven be-
strahlt wurden, waren sie ungefähr 2—3 em lang und es begannen
sich bei ihnen schon die Hinterextremitäten in die einzelnen
Abschnitte zu gliedern. Um die Tiere während der Bestrahlung
unbeweglich zu machen, wurden sie in eine 0,01°/o Kokainlösung
gebracht, bis sie auf Berührungsreiz nicht mehr reagierten, dies
trat ungefähr nach fünf bis zehn Minuten ein. Dann wurden
sie in reinem Wasser abgespült, in gerade gestreckter Lage auf
eine dünne Glimmerplatte gelegt und mit wenigen Tropfen Wasser
angefeuchtet. Die Glimmerplatte wurde nun in einer feuchten
Kammer so auf der Radiumkaspel orientiert, dass nur das Schwanz-
ende sich ungefähr in der Ausdehnung eines halben Zentimeters
im Strahlenfelde befand. Zur Bestrahlung wurde entweder eine
Kapsel mit 7,4 mg Radiumbromid oder eine zweite mit 55 mg
Mesothorium benutzt. Die Versuchstiere blieben während der
Bestrahlung völlig unbeweglich. Nach Beendigung des Versuchs
wurden sie in grössere Gefässe mit frischem Wasser gebracht,
wo sie sich allmählich von der durch das Kokain hervorgerufenen
Starre und Unempfindlichkeit erholten. Bald begannen sie normal
zu schwimmen und zu fressen und waren durch nichts mehr von
normalen Tieren zu unterscheiden. Aus nachfolgender Tabelle
ist zu ersehen, welches Präparat und welche Bestrahlungsdauer
bei den verschiedenen Larven angewandt wurde, ferner der Tag
der Abtötung und das Fixationsmittel. Die laufende Nummer
bezieht sich auf die Nummer der Photogramme auf der Tafel,
die den Sitzungsberichten der Kgl. Preussischen Akademie der
Wissenschaften 1914 XXXIV beigegeben ist. Dort hat ©. Hertwig
einen vorläufigen Bericht über die soeben erwähnten Experi-
mente sowie die makroskopischen Beobachtungen, die dabei
gemacht wurden, erscheinen lassen mit dem Titel: Die Ver-
wendung radioaktiver Substanzen zur Zerstörung lebender Ge-
webe.
12 Walter Grasnick:
Tabelle Versuchsreihel.
Dauer der |abgetötet,
Nr. Präparat Bestrahlung | nach | fixiert mit
|
|
| |
[
|
|
1?/a Stunden, 7 Tagen
4a| 7,4 mg RaBr, | Pikrin-Sublimat
| Eisessig
5a! 7,4 mg RaBr 2 le) Be
R a, i en ' Chromkali-Sub-
5b 55,0 mg Mesothorium 1 Stunde 10 „1. BE.»
x S ; | "4 Jimat-Eisessig
6b 55,0 mg Mesothorium 1 RE | En Yen
6 7,4 mg RaBr, 2 Stunden 14 „|| 1
4b und 6a sind normale unbestrahlte Kontrollarven, die
jedoch auch in derselben Weise kokainisiert und eine ent-
sprechende Zeit in der feuchten Kammer aufbewahrt waren.
Zur Ergänzung dieser Experimente bestrahlte ich im Winter-
Semester 1915/16 im Anatomisch-Biologischen Institut die Schwänze
Junger Axolotl (Siredon pisciformis). Die Tiere hatte ich aus Eiern
aufgezogen, die mir in dankenswerter Weise Herr Dr. Heinrot,
Kustos des Aquariums am Berliner Zoologischen Garten, zur
Verfügung stellte.
Für die Versuchsreihe II wurden Axolotl von ungefähr
4 cm Länge benutzt, bei denen die vordere Extremität schon
völlig entwickelt war und die hintere gerade hervorzusprossen
begann. Diese Tiere wurden mit einer 0,01°/o wässrigen Kokain-
lösung betäubt, alsdann auf ein Glimmerblättchen gelegt und reich-
lich mit Wasser befeuchtet. Nachdem unter dem Mikroskop die normale
Beschaffenheit des Schwanzes festgestellt worden war, wurde die
Schwanzspitze in der Ausdehnung von ungefähr 1 cm von unten
durch die Glimmerplatte mit einem Präparat von 25 mg Meso-
thorium bestrahlt. Für die bereitwillige Überlassung des Präparats
spreche ich Herrn Dr. Gudzent, Direktor des Instituts für
Radiumforschung an der Universität Berlin, hierdurch meinen
besten Dank aus. Das Präparat, das sonst zu therapeutischen
Zwecken benutzt wurde, befand sich in einer 1 cm langen Silber-
röhre mit 0,2 mm starker Wand und wurde bei der Anwendung in
ein Bleifilter von 2 mm Wandstärke gesteckt, das einen ungefähr
1 cm langen, trapezförmigen Schlitz enthielt, so dass die Strahlen nur
durch diesen Schlitz genau 1 cm der Spitze des Axolotlschwanzes
treffen konnten. Die Strahlen mussten also, ehe sie den Axolotl-
Die Wirkung der Radiumstrahlen auf tierische Gewebe. 13
schwanz trafen, durch 0,2 mm Silber, 4 mm Luft und eine dünne
Glimmerplatte dringen, was für die Beurteilung der Ergebnisse
dieser Versuchsreihe im Auge zu behalten ist. Um die Tiere
dauernd feucht zu halten, fand die Bestrahlung in einer feuchten
Kammer statt, sie dauerte 1'z Stunden. Danach wurden die
Tiere wieder kurz unter dem Mikroskop beobachtet und sofort
in frisches Wasser gebracht, wo sie sich schnell erholten und
bald wieder normal zu schwimmen und zu fressen anfıngen. Die
Tiere wurden in verschiedenen Zeitabständen nach der Bestrahlung
mit Pikrin - Sublimat - Eisessigmischung abgetötet und fixiert und
zwar je eines sofort, nach 17!/2 Stunden, 2, 3, 6, 10 und 15
Tagen. Zur Kontrolle wurden 2 Axolotl ebenso narkotisiert und
dann 1'/s Stunden auf einer Glimmerplatte in die feuchte Kammer
gestellt.
Tabelle Versuchsreihe Ill.
Nr. | Bestrahlungsdauer abgetötet
1 50 Minuten | sofort
2 90 “ ınach 1 Tag
3 50 5 R 5 Tagen
As LO,
See N 0%,
6 50 . I RE NR
1 50 ” 2) 32 7
Bl eh
I 30), m lin
10 75 ; KO:
11 Ta, 0,
12 60 e „ 30 Minuten
1321,.1:60 e B: 3 Tagen
14 60 ” 2) 10 B)
15 60 3 el „
in a0, nen,
Da dieser Versuch wider Erwarten ausfiel (vergl. S. 17),
bestrahlte ich 1 Monat später 5—6 cm lange Axolotl, bei denen
sich auch die hintere Extremität schon deutlich gliederte, mit
einem Mesothoriumpräparat von 50 mg, das sich in einer runden
Messingkapsel befand und durch ein Glimmerblättchen nach aussen
14 Walter Grasnick:
abgeschlossen war (Versuchsreihe III). Auch für die Benutzung
dieses Präparats, das der Kgl. Preussischen Akademie der Wissen-
schaften gehörte, will ich nicht verfehlen, Herrn (Geheimrat
Hertwig meinen Dank auszusprechen.
Es wurde teils die Spitze, teils die Mitte des Schwanzes in
der Ausdehnung von !/s bis 1 cm bestrahlt. Danach wurden die
Versuchstiere, wie die der vorigen Versuchsreihe, jedes einzeln
in ein besonderes Gefäss gebracht und täglich sorgfältig mit
frischem Wasser und Futter (Daphnien) versehen. Die Bestrahlungs-
zeiten und der Tag der Abtötung sind aus der folgenden Tabelle
ersichtlich. Die Exemplare Nr. 1—11 sind an der Schwanzspitze,
Nr. 12—16 an der Schwanzmitte bestrahlt.
Die Bestrahlung wurdein einer feuchten Kammer vorgenommen.
Die Tiere, die durch 15 Minuten langes Verweilen in 0,02—0,03°/o
Kokainlösung betäubt waren, wurden für die Bestrahlung aus-
gestreckt auf eine Glasplatte gelegt und stets mit Wasser benetzt
gehalten. Da die Tiere schon ziemlich schwer waren, liess es sich
trotz grösster Vorsicht nicht völlig vermeiden, dass ein Teil der
die Glasplatte berührenden Cuticula mit daran haftenden Epithel-
zellen an dem Glase kleben blieb; doch wurde es wenigstens er-
reicht, dass die bestrahlten Stellen des Schwanzes vor dieser
mechanischen Schädigung bewahrt blieben. Die Kapsel mit dem
Mesothoriumpräparat wurde so über dem Schwanz auf einem Glas-
rahmen montiert, dass die wirksamen Strahlen ausser der Glimmer-
platte der Kapsel nur einen ungefähr 2 mm starken Luftraum und
das Wasserhäutchen, mit dem das Tier benetzt war, zu durch-
ınessen hatten, ehe sie die Gewebe trafen, an denen ihre Wirkungen
untersucht werden sollten. Als Abtötungs- und Fixierungsmittel
wurde eine Pikrin-Sublimat-Eisessigmischung benutzt. Unmittelbar
vor und nach der Bestrahlung wurden die betreffenden Stellen des
Schwanzes einer kurzen mikroskopischen Besichtigung unterzogen.
Die Durchsichtigkeit der Gewebe des Schwanzes erlaubte
die Zirkulation des Blutes in den Kapillaren und die Veränderung
der Pigmentzellen deutlich am lebenden Objekt zu beobachten.
Dieser Umstand liess die Benutzung der Amphibienlarven für die
betreffenden Versuche günstig erscheinen, und ausserdem riet auch
zur Benutzung von Frosch- und Axolotllarven, dass schon von den
Eizellen und Embryonalstadien dieser Tiere genaue Versuche in
grösserer Zahl vorlagen.
Die Wirkung der Radiumstrahlen auf tierische Gewebe. 15
III. Übersicht über die makroskopisch und mikro-
skopisch beobachtetenV eränderungen.derbestrahlten
Gewebe.
Versuchsreihe I.
Nach der Bestrahlung der Ranalarven ergab eine Besichtigung
unter dem Mikroskop, dass das Blut in dem Netzwerk der
Kapillargefässe noch normal zirkulierte. Nach 1—2 Tagen wurde
dagegen ein Stillstand der Zirkulation in einigen Kapillaren
beobachtet, die mit weissen und roten Blutkörperchen angefüllt
waren, nur in den grösseren (efässen des muskulösen Teils der
Schwanzspitze war die Zirkulation noch im Gange. Nach Ablauf
einiger Tagen begannen atrophische Veränderungen der bestrahlten
Schwanzspitze. Zuerst begann der Flossensaum zu schrumpfen,
während er in der unbestrahlten Region mit dem normalen Wachs-
tum der Larve an Grösse zunahm. Nach zweistündiger Bestrahlung
mit 7,4 mg RaBrs fand sich nach 10—14 Tagen (5a und 6c)
nur noch ein feiner, kaum wahrnehmbarer Saum an dem Teil der
Schwanzspitze, der das Ende des Rückenmarks, der Chorda und
eine Anzahl von Muskelsegmenten enthält. OÖ. Hertwig nimmt
in der zitierten Akademieabhandlung (deren Darstellung ich hier
folge) an, dass sich nur noch die Achsenorgane und wahrscheinlich
auch nur in atrophischem Zustand erhalten haben. Bei den mit
25 mg Mesothorium bestrahlten Tieren soll sich die vollständige
Atrophie auch auf das Ende des Rückenmarks, der Chorda und
auf die letzten Muskelsegmente erstreckt haben. Hertwig sagt:
„Alle diese Teile sind hier mit der gallertigen Flossenplatte
allmählich eingeschmolzen worden.“
Durch genaue mikroskopische Untersuchung der bestrahlten
Schwänze in Frontal-Schnittserien ') konnte ich diese Beobachtung
in wesentlichen Punkten ergänzen. Die durchschnittlich 7,5 « dicken
Schnittte wurden mit Eisenalaun-Hämatoxylin und Pikrofuchsin
oder mit Magentarot und Pikroindigkarmin gefärbt.
Die auffälligsten Erscheinungen, die das mikroskopische
‘ Bild der bestrahlten Schwänze bot, bestand in einer zottenartigen
Hervorstülpung der Epidermis, die in später stärker geschädigten
Stadien einer allgemeinen Verdickung der Epidermis Platz machte,
y) Unter Frontalebene ist entsprechend der menschlichen Anatomie die
durch die Medianlinie und Perlateralachse bestimmte und die ihr parallelen
Ebenen verstanden.
16 Walter Grasnick:
ferner fielen die stark erweiterten, mit Blutzellen voll gepfropften
Gefässe und der starke Austritt von Blutzellen in das Gallert-
gewebe sofort auf. Die Zellkerne zeigten in Versuchsreihe 1 nicht
deutlich die einheitlichen Änderungen wie in den beiden andern
Reihen, was erklärlich wird, wenn man beachtet, dass schon von
den beiden Kontrollarven die eine mehrere Mitosen in der Epidermis
enthielt, während bei der andern solche nur vereinzelt vorkamen.
In den mit 55 mg Mesothorium bestrahlten Larven waren jedoch
überallbald nach der Bestrahlung pyknotische Kernformen an Stelle
der Mitosen zu sehen.
Im Gallertgewebe war ferner bei den stärker geschädigten
Exemplaren eine wesentliche Schrumpfung und starke Ansammlung
von Pigmentballen zu beobachten.
Die Chorda zeigte bei dem Exemplar 4a erst geringe
Schädigungen, die sich jedoch bei den übrigen stärker bemerkbar
machten, besonders durch zahlreiche pyknotische Kerne und
schliesslich völlige Zerstörung des blasigen Zellgewebes und eine
durch Schrumpfung hervorgerufene Faltung der Chordascheide.
Im Rückenmark zeigten :jedoch auch bei den Objekten, die
starke Degeneration und Schrumpfung der Chorda aufwiesen, die
Kerne völlig normales Aussehen.
An der Muskulatur war nur bei der am stärksten geschädigten
Larve 6b eine wesentliche Veränderung zu bemerken, die Muskel-
fibrillen waren hier auseinander getrieben, wahrscheinlich durch
die allgemeine Schrumpfung, die Kerne des Sarkoplasma waren
jedoch normal.
Die makroskopischen Befunde sind also nach einer allgemeinen
mikroskopischen Übersicht dahin zu ergänzen, dass die Epidermis
nicht geschwunden ist, sondern im Gegenteil Zottenbildung und
Verdickung zeigt. dass das geschrumpfte Gallertgewebe mit Blut-
zellen infiltriert ist, die sich auch in den erweiterten Gefässen
anstauen, endlich dass die Chorda wesentlich degenerativem Zerfall
unterliegt, während Rückenmark und Muskulatur sich verhältnis-
mässig wenig und wahrscheinlich nur sekundär im Laufe der
allgemeinen Schrumpfung verändern.
Versuchsreihe 1.
Die 4 cm langen Axolotl, die in der oben beschriebenen
Weise 1'/g Stunden lang mit einem Mesothoriumpräparat von
Die Wirkung der Radiumstrahlen auf tierische Gewebe. 17
25 mg im Silberröhrchen bestrahlt wurden, zeigten danach unter
dem Mikroskop weder an den Pigmentzellen noch in: der Blut-
zirkulation irgend welche Veränderung. Auch nach 15 Tagen
war mit blossem Auge und auch unter dem Mikroskop keine
Abweichung vom normalen Aussehen zu bemerken. Dennoch
wurde die ganze Reihe und zwei Kontrollen in 7—8u dicke
Frontalschnitte zerlegt. Die mit Eisenalaun-Hämatoxylin gefärbten
Schnitte zeigten im allgemeinen alle die gleiche normale (rewebe-
struktur. Doch ergab eine eingehende Untersuchung folgenden durch-
greifenden Unterschied zwischen Kontrollen und bestrahlten Tieren:
In der Epidermis der äussersten Schwanzspitze der ersten
Kontrolle fanden sich durchschnittlich drei bis vier Mitosen in
jedem Schnitt, in dem von der betreffenden Epidermis umgebenen
Gallertgewebe wurde ungefähr in jedem dritten Schnitt eine Mitose
gezählt. Es wurden 56 Schnitte aus den verschiedensten Regionen
des Schwanzes durchmustert. Die zweite Kontrolle zeigte auf 95
gemusterten Schnitten aus den verschiedensten Höhenregionen
in der Epidermis durchschnittlich fünf Mitosen im Hinterende
jedes Schnittes, im zugehörigen Gallertgewebe in jedem vierten
bis fünften Schnitt eine.
Schon in dem sofort nach der Bestrahlung abgetöteten
Exemplar war eine Abweichung in der Zahl und im Aussehen
der Mitosen bemerkbar. Es wurden auf 55 Schnitten aus den
verschiedensten Regionen des Schwanzes in demselben Raume wie
bei den Kontrollen nur 59 Mitosen in der Epidermis und vier
im Gallertgewebe gezählt, und diese Mitosen zeigten meist schon
deutlich ein anormales Aussehen in der Form und Anordnung
der Chromosomen, wie es im nächsten Hauptabschnitt genauer
beschrieben und mit Abbildungen belegt werden soll. Die Schnitte
des Exemplars, das 17!/a Stunden nach der Bestrahlung abgetötet
wurde, zeigten überhaupt keine Mitosen, statt ihrer wurden in der
Epidermis und auch im Rückenmark homogen gefärbte kleine (sog.
pyknotische) Kerne und Häufchen noch kleinerer, ebenso gefärbter
Kugeln beobachtet. Durch Abwesenheit jeglicher Mitosen und
Auftreten von pyknotischen Kernen und Kugelhäufchen waren
ebenfalls die Schnitte der folgenden Exemplare ausgezeichnet.
In den Schnitten des zuletzt, 15 Tage nach der Bestrahlung ab-
getöteten Exemplars, zeigten sich plötzlich neben pyknotischen
Kernen auch wieder einige mehr oder minder normale Mitosen.
Arehiv f. mikr. Anat. Bd. 90. Abt. I. 2
18 Walter Grasnick:
Versuchsreihe III.
Die Reihe III umfasste Axolotl von ungefähr 5—6 cm Länge,
die mit 50 mg Mesothorium 30 bezw. 50, 60 oder 75 Minuten
entweder an der Spitze oder an der Mitte des Schwanzes bestrahlt
wurden (s. Tab. S. 13).
Durch eine kurze Besichtigung unter dem Mikroskop über-
zeugte ich mich jedesmal vor der Bestrahlung von dem normalen
Verhalten der (Gewebe, besonders der Pigmentzellen und der
Blutzirkulation.
Die mikroskopische Besichtigung unmittelbar nach der Be-
strahlung offenbarte eine starke Ausdehnung aller Pigmentzellen,
die den Strahlen ausgesetzt waren. Schon nach halbstündiger
Bestrahlung war diese Veränderung bemerkbar, nach Bestrahlung
von 50 Minuten Dauer waren alle Pigmentzellen bedeutend ver-
grössert und ihre vorher stumpfen Fortsätze in fein verästelte,
baumartige Gebilde umgewandelt. Abbildung 1 zeigt Pigmentzellen
vor und Abbildung 2 nach 50 Minuten Bestrahlung. Es sind für
die Abbildungen Pigmentzellen gewählt worden, die nicht Teilen
der Haut angehören, welche die für Axolotl charakteristischen
grossen, dunklen Flecken zeigen. Durch die Ausdehnung der
Pigmentzellen wurde eine Verdunklung der Haut hervorgerufen,
die schon für das blosse Auge sehr auffällig war und bei den an
der Mitte des Schwanzes bestrahlten Exemplaren sich wie ein
dunkles Band um den Schwanz legte. Nachdem die Tiere wieder
in frisches Wasser gebracht worden waren, hielt die Verdunklung
durch die bestrahlten Pigmentzellen noch ungefähr eine Stunde
an, um dann schnell schwächer zu werden. Nach vier Stunden
waren die den Radiumstrahlen ausgesetzten Pigmentzellen nicht
mehr von normalen zu unterscheiden.
Die Blutzirkulation war nach der Bestrahlung unverändert,
manchmal schien sie ein wenig beschleunigt.
Die Veränderungen des bestrahlten Schwanzteiles wurden
nun täglich am lebenden Tiere mit der Lupe beobachtet. Aus
meinen über jedes einzelne Tier geführten Tagebuchaufzeichnungen
kann ich folgende allgemeine Ergebnisse der makroskopischen
Beobachtung zusammenstellen: Schon nach zwei bis drei Tagen
zeigten sich besonders an den in der Mitte des Schwanzes be-
strahlten Exemplaren in der Höhe der Chorda einige blasenartige
Vorstülpungen der Epidermis und zwar an der bestrahlten Seite.
Die Wirkung der Radiumstrahlen auf tierische Gewebe. 19
Von diesen Blasen nahmen besonders eine oder zwei in den
nächsten Tagen an Grösse zu, um jedoch fünf bis sechs Tage nach
dem ersten Auftreten wieder völlig zu verschwinden. Statt dessen
traten nun mehr und mehr eine schon früher von den Kanten
dorsal und ventral beginnende Schrumpfung des Flossensaumes
und eine seitliche Krümmung des Achsenstranges in Augenschein,
Der allmählich schrumpfende Flossensaum nahm nach und nach
wieder ein dunkleres Aussehen an, das durch das Verhalten der
Pigmentzellen hervorgerufen wurde. Doch zeigte eine mikro-
skopische Besichtigung eines neun Tage nach der Bestrahlung
kokainisierten Exemplars, dass die Verdunklung jetzt nicht auf
einer Ausdehnung der einzelnen Pigmentzelle, sondern auf der
Zusammendrängung der Pigmentzellen beruhte, veranlasst durch
die allgemeine Schrumpfung.
Sowohl bei den an der Spitze wie den an der Mitte des
Schwanzes bestrahlten Exemplaren machte sich ungefähr nach
zehn Tage eine seitliche Krümmung des Achsenstranges (d. h. der
Chorda und Muskulatur) bemerkbar. Diese Krümmung trat manch-
mal schon etwas früher, öfter auch erst nach zwei Wochen auf.
Die konvexe Seite der, Krümmung war stets (9 Fälle) nach der
Seite gewandt, von der aus die Radiumstrahlen eingewirkt hatten
(über die Deutung dieser Verhältnisse s. S. 32).
Die Schrumpfungserscheinungen waren streng auf die bestrahlte
Zone beschränkt, bei ihrem weiteren Fortschreiten nahm das
Gewebe ein opakes Aussehen an, dann fand auch als Folge der
Schrumpfung eine Stockung des Blutkreislaufes statt. Diese
Hemmung war dann wohl wieder der Grund dafür, dass auch der
hinter der bestrahlten Zone liegende Gewebeteil bei den an der
Schwanzmitte bestrahlten Exemplaren zu degenerieren begann.
Diese Degeneration führte bei einem Exemplar (Nr. 13) zum Ab-
brechen des Schwanzes an der bestrahlten Stelle.
Von der Serie III wurden nur die 50 Minuten an der
Schwanzspitze bestrahlten Exemplare und zwei Kontrollen in
7,5—10 « dicke Frontal-Schnitte zerlegt und nach Färbung mit
Eisenalaun-Hämatoxylin und Pikrofuchsin der mikroskopischen
Untersuchung unterworfen. Diese ergab im allgemeinen folgende
fortschreitende Veränderungen nach der Bestrahlung:
Das unmittelbar nach der Bestrahlung abgetötete Exemplar
sah genau wie die Tiere der Reihe II scheinbar ganz normal aus
DE,
20 Walter Grasnick:
in der Struktur seiner Gewebe. Doch.lehrte eine genaue Unter-
suchung der besonders in der Epidermis vorhandenen Mitosen,
dass deren Chromosomen immer anormal verdickt und angeschwollen
sowie miteinander verklebt waren (s. Abbildung im histolog. Teil).
Chorda und Muskulatur sahen völlig normal aus. Mitosen wurden
in diesen beiden (Geweben nicht beobachtet. Die Mitosen des
tückenmarks zeigten sich überall ähnlich verändert wie die der
Epidermis, ebenso schienen die wenigen Mitosen des sonst normalen
(sallertgewebes beeinflusst zu sein. Die BRlutgefässe waren meist
leer oder doch nur mit wenig Erythrozyten erfüllt.
Einen Tag nach der Bestrahlung zeigten sich in allen
(seweben, besonders in Epidermis, Rückenmark und Inter-
vertebralknorpelanlagen an Stelle der Mitosen piknotische Kerne,
deren Aussehen im nächsten Hauptabschnitt näher beschrieben
wird. Dasselbe war bei dem fünf Tage nach der Bestrahlung
abgetöteten Exemplar zu beobachten, wo sich besonders auch in
der Chorda die piknotischen Kerne vermehrt hatten. Ausserdem
war die Epidermis nunmehr verdickt und mehrfach mit Falten
und Ausbuchtungen versehen. Das Gallertgewebe selbst wies
noch keine stärkeren Veränderungen auf, doch waren ausser den
typischen Gallertzellen rundliche Zellen vorhanden ohne Plasma-
fortsätze, mit feinvakuoligem Protoplasma und häufig „scheinbar“
mehreren Kernen (vgl. S. 24). Ich deute diese Zellen als Leu-
kozyten. Die Blutgefässe waren schon am ersten Tage nach der
sestrahlung mit Erythrozyten angefüllt.
Im weiteren Verlauf (nach 10 und 17 Tagen) war immer
eine starke Verdickung mit mehr oder minder feinen Vorbuchtungen
an der Epidermis zu beobachten, auch lösten sich einige Epidermis-
zellen los. Ausser den schon erwähnten Leukozyten wurden im
hintersten Teil des Gallertgewebes auch Erythrozyten ausserhalb
der Blutgefässe bemerkt, letztere selbst waren stark gefüllt und
etwas erweitert. Ausser den erwähnten Veränderungen fanden
sich am 10. Tage und später im Gallertgewebe nicht selten rund-
liche Zellen in normaler Mitose. Normale Mitosen traten auch
am 10. und besonders am 17. Tage wieder neben vielen
pyknotischen Kernen im Ependym und besonders in der Fibrillen-
schicht des Rückenmarks auf. Am 32. Tage fanden sich auch in
der Epidermis wieder Mitosen, ausserdem aber auch viele pykno-
tische, meist von Pigment umgebene Kerne. Die Schädigung der
Die Wirkung der Radiumstrahlen auf tierische Gewebe. 21
Chorda erstreckte sich am 17. und 24. Tage auch schon auf ein
völliges Verschwinden des blasigen Zellgewebes, so dass zwischen
den Chordascheiden nur noch Reste der Zellwände und pyknotische
Kerne vorhanden waren. Jedoch waren diese Verhältnisse teilweise
etwas unklar, weil schon eine normale Verdrängung der Chorda
durch Wirbelanlagen und Intervertebralknorpel einsetzte.
Die Muskulatur wies am 24. und 32. Tage ein etwas ver-
ändertes Aussehen auf durch ein Auseinanderweichen der Fibrillen,
deren Querstreifung aber noch deutlich erhalten war.
IV. Cytologische und histologische Ergebnisse.
Im folgenden werden die Veränderungen, welche die Radium-
strahlen an Zellen und Geweben hervorgerufen haben, gemeinsam
dargestellt. Die in den drei Versuchsreihen gleichartigen Ver-
änderungen sollen immer vorangestellt und dann die Unterschiede
besprochen werden.
1. Epidermis und Cutis.
In den drei Versuchsreihen kommt die Wirkung der Radium-
strahlen auf die Epidermis besonders in zwei Punkten zum Aus-
druck: erstens in einer Vernichtung der normalen Mitosen und
zweitens in einer allmählichen Zottenbildung bezw. allgemeinen
Verdickung. In der Epidermis aller Kontrollexemplare finden sich,
zum Teil sogar recht zahlreich, Kerne in den verschiedensten
Stufen der mitotischen Teilung. Die Chromosomen erscheinen bei
Färbung mit Eisenalaun-Hämatoxylin scharf differenziert (Abb. 3).
Dagegen sind die Mitosen der sofort nach der Bestrahlung abge-
töteten Exemplare schon stark verändert. In Reihe II (Abb. 4)
und Reihe III (Abb. 5) sind in keiner Mitose der bestrahlten
Epidermis mehr die Chromosomen deutlich getrennt, sie haben
teilweise Verdickungen gebildet und sind zu unregelmässigen
Gebilden verschmolzen. Nach 17 bezw. 24 Stunden sind in der
bestrahlten Epidermis überhaupt keine Mitosen mehr wahrzu-
nehmen, statt dessen treten pyknotische Kerne (Abb. 8) und
- Häufchen kleiner Chromatinkugeln (Abb. 6, 7, 13) auf. Ich nehme
an, dass die ersteren aus der Stufe der Pro- und Telophase der
Mitose, letztere aus Monastern und Diastern, also deutlich aus-
gebildeten Chromosomen, hervorgegangen sind. Diese Kernformen
finden sich in allen weiteren Exemplaren der drei Versuchsreihen.
2 Walter Grasnick:
Nur in den längere Zeit nach der Bestrahlung abgetöteten Tieren
(II 15. Tag, III 6, 7, I 6b, 6c) finden sich auch wieder neben
pyknotischen Kernen normale Mitosen oder doch wenigstens solche,
die denen der Abbildungen 4 und 5 ähnlich sind. Das Proto-
plasma der sich mitotisch teilenden Zellen zeigt ein abweichendes
feinvakuoliges Aussehen (Abb. 3). Ebenso sieht auch das die
pyknotischen Kerne umgebende Protoplasma in den wenige Tage
nach der Bestrahlung abgetöteten Tieren aus, später schwindet
es jedoch nach und nach, so dass die Uhromatinkugeln in einer
Höhlung der Epidermis liegen (Abb. 8).
Eine Schwierigkeit erfährt die Beobachtung der pyknotischen
Kernformen besonders in der Reihe I dadurch, dass auch in und
zwischen den Epidermiszellen zu kugelförmigen Ballen vereinigte
Pigmentkörnchen vorkommen, die manchmal mit den gefärbten
pyknotischen Kernen leicht zu verwechseln sind. Die Färbung
mit Magentarot lässt jedoch den Unterschied zwischen Chromatin-
und Pigmentkugeln deutlicher hervortreten, und an ungefärbt
eingeschlossenen Präparaten sind die hier natürlich farblosen
Chromatinkugeln auch durch etwas abweichende Lichtbrechung
kenntlich. Besonders wichtig erweist sich die Beobachtung unge-
färbter Schnitte bei III, sie lehrt, dass den ausser den normalen
Mitosen vorkommenden Pigmentballen in der Epidermis fast stets
pyknotische Kerne eingelagert sind, die bei Färbung mit Häma-
toxylin schwer von dem umgebenden Pigment zu unterscheiden
sind.
Chondriokonten werden sowohl in der Epidermis der Rana-
larven als der Axolotl beobachtet, in letzteren häufig als zier-
liche Netze in den sogenannten Leydigschen Zellen. Ein Einfluss
der Radiumstrahlen auf diese alloplasmatischen Zellbestandteile
ist nicht festgestellt worden.
Zellen mit Protoplasma von dem erwähnten feinvakuoligen
Bau brauchen nicht immer Mitosen oder pyknotische Kerne zu
enthalten. Es werden auch in Versuchsreihe I und Ill (besonders
I 6b, 6c, 5a, III 6, 7) Zellen mit derartigem Protoplasma beobachtet.
welche eine starke Volumenvergrösserung erfahren haben und
zwei bis mehrere normale Kerne enthalten (Abb. 11). Über die
Entstehung dieser nicht sehr häufig vorkommenden Zellen habe
ich nichts Sicheres ermitteln können. Eine vielleicht zu Grunde
liegende amitotische Kernteilung ist deshalb schwer nachweisbar,
Die Wirkung der Radiumstrahlen auf tierische Gewebe. 23
weil auch gewöhnliche Kerne in bestrahlter und unbestrahlter
Epidermis nicht selten tiefe kerbartige Einschnitte aufweisen.
Das zweite Hauptkennzeichen der bestrahlten Epidermis, die
Verdiekung und Zottenbildung, ist nur in den Versuchsreihen I
und III zu beobachten. Die Epidermis der Kontrollen ist in
Reihe I einschichtiges Plattenepithel (Abb. 9), in Reihe III zwei-
bis dreischichtiges Epithel. Sie ist mit einer feinen Cuticula
von alveolärer Struktur bedeckt und liegt einer faserigen Outis-
lamelle auf, der noch keine Zellen eingelagert sind. In Ver-
suchsreihe III ist vom fünften Tage nach der Bestrahlung an
eine Vermehrung der Zellschichten eingetreten, so dass nunmehr
vier bis sechs und mehr Lagen von Zellen übereinander liegen
mit sehr viel Chromatin- und Pigmentkugeln darin und dazwischen
(Abb. 13, Pigment weggelassen). Über diese allgemeine Ver-
diekung erheben sich noch besondere grössere und kleinere Vor-
buchtungen, diese sind am stärksten auf den Frontalschnitten,
auf denen auch die Chorda getroffen ist.
Ein ganz ähnliches Aussehen zeigt die Epidermis in den
stärker geschädigten Exemplaren der Reihe I (5b, 6b). Dagegen
zeigen die mit schwächeren Dosen bestrahlten Exemplare dieser
Reihe (4b, 5a) nur eine geringe Verdickung, dafür aber eine
extreme Ausbildung von Zotten und Zöttchen. Die Zöttchen be-
stehen in 4b meist nur aus einer einzelnen Zelle oder auch nur
aus einem Zellfortsatz, der gewöhnlich feine Pigmentkörnchen
enthält. Diese Epidermis enthält — was besonders betont werden
muss — fast nur gewöhnliche Kerne. Die alveoläre Cutieula ist
auch an den Zotten trotz der Vergrösserung der äusseren Ober-
fläche gut erhalten (Abb. 10). Es scheint mir dies für die Auf-
fassung Studnitkas zu sprechen, der die alveoläre Cuticula nur
als exoplasmatisches, nicht aber alloplasmatisches Gebilde auffasst.
In der Epidermis von 5b und 6b, die wie gesagt —
im allgemeinen stärker verdickt ist, treten ausser pyknotischen
Kernformen auch im Schnitt siegeliingförmige Kerne auf, d. h.
Kerne, deren Chromatin nur als feiner Belag der Kernmembran
erhalten geblieben ist, wie es in besonders auffälliger Weise
Abb. 11 zeigt.
Eine besondere Schädigung der Sinnesorgane der Seitenlinie
in der Haut der Axolotl lässt sich nicht beobachten, durch die
Schrumpfung werden sie natürlich oft wesentlich deformiert.
24 Walter Grasnick:
Die Cutis zeigt sich auf den Frontalschnitten, auch der
Exemplare mit stark veränderter Epidermis, meist ziemlich eben
oder doch im Verhältnis zur Zottenbildung der Epidermis nur
wenig gewellt, dagegen weist sie auf den (uerschnitten von 6c
eine stärkere Faltung auf.
Einen Deutungsversuch für die beschriebenen Veränderungen
in der bestrahlten Epidermis gebe ich nach der Besprechung der
anderen Gewebe im V. Abschnitt dieser Arbeit.
2. Gallertgewebe, Blut und Gefässe.
Der grösste Teil der Schwänze wird vom Gallertgewebe ein-
genommen, das gegen die Epidermis durch die Outislamelle ab-
gegrenzt ist. Es besteht aus vereinzelten Zellen, die nach allen
Seiten Protoplasmafortsätze aussenden. Im Gallertgewebe befinden
sich die Blutgefässe und die Hauptmenge der Pigmentzellen,
welche innen der Cutis und aussen den Gefässen und dem Rücken-
mark aufgelagert sind. Die Pigmentzellen liegen bei dem Exemplar
der Versuchsreihe III, das sofort nach der Bestrahlung abgetötet
worden ist, flach ausgedehnt der Cutis an. Bei den später abge-
töteten erscheinen sie mehr klumpig und bilden schliesslich in
Form von grösseren Ballen den hauptsächlichen Inhalt des ge-
schrumpften Gallertgewebes.
Die Schrumpfung äussert sich in ihrem weiteren Verlaufe
durch Verwirrung und Verklebung der Protoplasmafortsätze. Wenn
die Schrumpfung sehr stark geworden ist (II 5 — 7, I 6b),
finden sich im Gallertgewebe zahlreiche rote und weisse Blut-
körperchen, die aus den Gefässen ausgetreten und zum Teil schon
in Zerfall begriffen sind. Die noch erhaltenen Gefässe sind dicht
gefüllt mit Blutkörperchen und häufig auf das Fünf- bis Sechsfache
ihres ursprünglichen Volumens erweitert (Abb. 14). Jedoch schon
lange vor diesem allgemeinen Austritt von Blutzellen sind im
Galiertgewebe Leukozyten nachzuweisen. Sie haben im Gegensatz
zu den Gallertzellen ein feinvakuoliges Plasma ohne Fortsätze
und den charakteristischen, mehrfach eingeschnürten und ge-
wundenen Kern, der häufig eine Mehrkernigkeit vortäuscht (Abb.15).
Ausser den Leukozyten finden sich in dem veränderten Gallert-
gewebe der Froschlarven im Schnitt kreisrunde Elemente ohne
Kern, von immer gleicher Grösse und äusserst feinem retikulären
Bau (Abb. 14). Auf Grund einiger beobachteter Übergangsformen
Die Wirkung der Radiumstrahlen auf tierische Gewebe. 25
glaube ich sie als das abgekugelte Stroma von Erythrozyten,
deren Kern ausgetreten ist, deuten zu dürfen.
Die Kontrollen zeigen auch einige Zellen des Gallertgewebes
in mitotischer Teilung. Sofort nach der Bestrahlung werden auch
im Gallertgewebe der drei Versuchsreihen die Mitosen vermisst.
Doch finden sich in Versuchsreihe II und III schon wenige Tage
später im Gallertgewebe wieder Mitosen mit völlig normalen
Chromosomen, zu einer Zeit also, wo in sämtlichen andern Ge-
weben die Mitosen fehlen und durch pyknotische und ähnliche
Kernformen vertreten werden. Ich vermag diese Eigentümlichkeit
nur in der Weise zu deuten, dass diese Mitosen von erst nach-
träglich eingedrungenen Leukozyten herrühren, deren Fähigkeit
zu mitotischer Teilung ich durch das Vorkommen von Mitosen
innerhalb der Gefässe für erwiesen halte. Für diese Deutung
spricht auch die Tatsache, dass sie abgekugelt sind und keine
Protoplasmafortsätze besitzen. Da sich aber auch in mitotischer
Teilung befindliche Gallertzellen etwas abzukugeln pflegen, dürfte,
allein auf Grund der Beobachtung, hier keine sichere Entscheidung
zu treffen sein (vgl. Abschnitt V, S. 28).
3. Chorda und Wirbelanlagen.
Die Chorda der Exemplare aus Versuchsreihe II zeigt ein
normales Aussehen. Mitosen werden weder bei bestrahlten Tieren
noch bei den Kontrollen beobachtet, doch finden sich in der
Chorda der bestrahlten Schwänze hier und da pyknotische Kern-
formen. Granz bedeutend ist dagegen die Veränderung der Chorda
durch die Bestrahlung in Versuchsreihe I und Ill. In den Kon-
trollen zu Versuchsreihe III zeigt die Spitze der Chorda noch
ziemlich kompakte Zellen, die erst allmählich kranialwärts in
das typische blasige Chordagewebe übergehen. Mitosen sind
hier sehr selten, können jedoch in einigen Fällen sicher nach-
gewiesen werden.
Die Chorda ist von einer skeletogenen Schicht und Anlagen
der Intervertebralknorpel umgeben; beide Gewebe zeigen häufig
schön ausgebildete Mitosen auf den verschiedensten Stufen.
In den Kontrollen der Versuchsreihe I reicht das blasige
Gewebe bis in die äusserste Spitze der Chorda, Mitosen sind
nicht nachweisbar. In den Exemplaren I 4b, II 1, 2, 3,4
macht sich die Wirkung der Radiumstrahlen auf die Chorda eben-
26 Walter Grasnick:
so wie in Reihe lI nur durch das Auftreten pyknotischer Kerne
bemerkbar. Eine für die bestrahlte Chorda charakteristische
Form stellen die zu perlenschnurähnlichen Gebilden aufgelösten
Kerne dar (Abb. 16 und 17). Der Eindruck einer Perlenschnur
wird natürlich nur auf Schnitten hervorgerufen, in Wirklichkeit
entspricht ihnen eine blasige Chordazelle, deren Wände dicht mit
feinsten Chromatinkügelchen oder Tröpfehen bedeckt sind.
In Versuchsreihe I und Ill tritt zu diesen Kernverände-
rungen bald auch noch eine starke Schrumpfung und anschliessende
vollständige Zerstörung der blasigen Zellen. Die Schrumpfung
beginnt an der Spitze (Abb. 17). Sie erreicht schnell einen
hohen Grad, so dass in I 6b, III 5—7 im bestrahlten Teil eigent-
lich nur noch die Chordascheide erhalten bleibt, die in ihrem
Innern nur Klumpen von pyknotischen Kernen und Reste der
blasigen Zellen und des ÜChordaepithels birgt. Die Chorda-
scheiden selbst scheinen direkt nicht verändert zu werden. Doch
nähern sie sich durch die Schrumpfung einander und falten sich
ein wenig. Hierbei auftretende Zerrungen lassen den faserigen
Bau der inneren Chordascheide häufig viel deutlicher als an
der normalen Chorda erkennbar werden.
Auf die in der Anlage des Intervertebralknorpels und der
skeletogenen Schicht vorkommenden Mitosen wirken die Radium-
strahlen mit derselben Schnelligkeit wie auf die Mitosen in der
Epidermis. Schon die Mitosen in dem sofort nach der Bestrahlung
abgetöteten Exemplar (III 1) zeigen deutliche Veränderungen durch
die Neigung der Chromosomen, zu verkleben und sich abzukugeln.
Bei allen weiteren Exemplaren der Reihe III finden sich im Inter-
vertebralknorpel und der skeletogenen Schicht stets für die
Mitosen pyknotische Kernformen vor.
4. Rückenmark und Spinalganglien.
Die Kontrollen der Versuchsreihen Il und III zeigen im
Rückenmark Mitosen, bei denen häufig die Zentrosomen als mit
Hämatoxylin dunkel gefärbte Punkte und die Spindelfasern deut-
lich zu erkennen sind. In Versuchsreihe I sind weder im Rücken-
mark noch in den Spinalganglien Mitosen zu finden; bei den
bestrahlten Exemplaren dieser Versuchsreihe sind denn auch in
diesen Organen keine pyknotischen Kerne vorhanden. Selbst dort,
wo in Reihe I auch die Chorda die stärksten Schädigungen auf-
Die Wirkung der Radiumstrahlen auf tierische Gewebe. 27
weist (6b, 6c, 5b), sind die Zellen des Rückenmarks und der
Ganglien scheinbar unverändert oder doch nur durch die allgemeine
Schrumpfung indirekt beeinflusst.
Dagegen weisen in Versuchsreihe III die hier im Rücken-
mark vorhandenen Mitosen zum Teil sofort nach der Bestrahlung
eine gewisse Veränderung auf. Centriole und Spindelfasern sind
bei ihnen noch gut sichtbar, doch beginnen die Chromosomen ihre
Deutlichkeit zu verlieren. Nach fünf Tagen sind indessen über-
haupt keine Mitosen mehr vorhanden, dafür kommen im Rücken-
mark und den Spinalganglien zahlreiche pyknotische Kerne vor, die
häufig in Einbuchtungen normaler Kerne liegen, ferner Chromatin-
kugelhäufchen und auch hin und wieder siegelringförmige Kerne
(Abb. 18). Letztere finden sich ausser in der Epidermis einiger
Exemplare der Versuchsreihe I nur hier im Rückenmark der
Versuchsreihe III. Am 10. Tage nach der Bestrahlung sind aber
unter den Kernen der Fibrillenschicht des Rückenmarks auch
schon wieder solche, die deutlich das Stadium mitotischer Teilung
aufweisen. Zwar sind die Chromosomen noch teilweise undeut-
lich, doch treten auch hier, besonders aber im Rückenmark der
später abgetöteten neben pyknotischen und siegelringförmigen
Kernen auch Mitosen mit deutlichen Chromosomen auf.
Die gewöhnlichen Kerne des Rückenmarks ebenso wie die
grossen Zellen der Spinalganglien und die Neurofibrillen lassen
nirgends eine deutliche Beeinflussung durch die Radiumstrahlen
erkennen, nur dass vielleicht auf der Stufe sehr starker allgemeiner
Schrumpfung eine Verschiebung der Zellen und Wellung der
Nervenfibrillen stattfindet. Doch ist auch noch in dem Gewirr
von veränderten Gallertzellen, angestauten Blutkörperchen und
Pıgmentballen das Rückenmark als deutlich strangförmiges Organ
mit Zellen und Fibrillenschicht zu erkennen.
5. Muskulatur.
Die Muskelfasern, die in den untersuchten Schwänzen in
Myomeren gelagert sind, und das sie umgebende Sarkoplasma sind
von allen bestrahlten Geweben am wenigsten der verändernden
Einwirkung der Radiumstrahlen unterworfen. Die Kerne des
Sarkoplasma besitzen in Versuchsreihe I eine ovale Form ohne
die Einkerbungen, wie sie besonders Epidermiszellkerne häufig
zeigen, in Reihe IlI eine langgestreckte, flache Form ebenfalls
IS Walter Grasnick:
ohne Einkerbungen. In keiner Reihe wurde einer von ihnen im
Stadium der Mitose angetroffen, was nach der Arbeit von A. W.
Franz (Arch. f. mikroskop. Anat. 1915) über die Entwicklung
der quergestreiften Muskelfasern als normaler Zustand anzusehen
ist. Bei den bestrahlten Exemplaren sind, wenige zweifelhafte
Fälle abgerechnet. niemals pyknotische Kerne vorhanden. Die
Muskeltfibrillen weisen auch selbst in Fällen sehr starker allgemeiner
Veränderung (z. B. II 7) immer noch deutlich die Querstreifung
auf, jedoch weichen unter dem Einfluss der allgemeinen Schrumpfung
die einzelnen Fibrillen besonders in der Mitte des Bündels aus-
einander, während sie an ihren Enden in der plasmatischen
Bildungsschicht in der ursprünglicheu Lage aneinander haften
bleiben.
V. Zusammenfassung der Ergebnisse, Deutungsver-
such und Vergleich mit den Ergebnissen und
Hypothesen anderer Autoren.
Als eine der Hauptwirkungen der Radiumstrahlen auf die
lebende Zelle ergibt sich aus meinen Versuchen wie denen vieler
Autoren, die im historischen Überblick erwähnt sind, die Verwandlung
von Kernen im Zustand der Mitose in pyknotische Kernformen.
Bei meinen Versuchen macht sich diese Wirkung sofort nach
der Bestrahlung geltend durch eine Verdiekung und Verklebung
der Chromosomen und führt schon nach wenigen Stunden zu einer
völligen Ersetzung der normalerweise vorhandenen Mitosen durch
pvknotische Kernformen. Auf dieses Fehlen der Latenzperiode
bei der Einwirkung der hRadiumstrahlen auf die mitotische
Teilung ist meines Wissens bei experimentell-histologischen Unter-
suchungen bisher nicht hingewiesen worden. Ich glaube mich
ferner zu der Annahme berechtigt, dass im allgemeinen nur
Mitosen oder Kerne, die vom Stadium der Mitose nicht weit
entfernt sind, durch die Radiumstrahlen, und zwar wie gleich
gezeigt werden soll, vornehmlich die y-Strahlen, in pyknotische
IXernformen übergeführt werden, während sogenannte ruhende Kerne
verhältnismässig widerstandsfähig sind. Es sprechen für diese
Annahme folgende Tatsachen: Beim Auftreten der pyknotischen
Kernenach der Bestrahlung sind die Mitosen sämtlich verschwunden,
dagegen normale ruhende Kerne in derselben Menge wie vorher
vorhanden. Ferner treten unter den Kernen des Muskelsarko-
Die Wirkung der Radiumstrahlen auf tierische (Gewebe. 29
plasmas und in Versuchsreihe I auch im Rückenmark, wo die
Kontrollen keine Mitosen aufweisen, im bestrahlten Gewebe keine
pyknotischen Kerne auf. Schliesslich lässt sich noch für eine
grosse Widerstandskraft der ruhenden Kerne geltend machen, dass
nach einer gewissen, für die einzelnen Gewebe verschieden langen
Zeit nach der Bestrahlung wieder Mitosen auftreten, was sich
nur so deuten lässt, dass sich nun alle Kerne, die sich zur Zeit
der Bestrahlung in Mitose oder in Vorbereitung dazu befanden. in
pyknotische Kernformen verwandelt haben, dass dagegen die neu
in das Stadium der mitotischen Teilung eintretenden Kerne wieder
die Fähigkeit zur Bildung und normalen Anordnung der Chromo-
somen besitzen. obwohl inzwischen häufig starke anderweitige
Veränderungen der (Gewebe eingetreten sind.
Der Angriffspunkt der y-Strahlen bei der Veränderung des
Chromatins dürfte also bei meinen Versuchen vorwiegend ein
während der Mitose auftretender Zustand, vielleicht ein Enzym
sein. Damit braucht natürlich nicht gesagt zu sein, dass unter andern
Bedingungen nicht auch ruhende Kerne durch Radiumstrahlen
wesentlich verändert werden können. ‚Jedoch ist zu berücksichtigen,
dass die ruhenden Kerne jüngerer Embryonen sich bei den Ex-
perimenten wahrscheinlich häufig in der — wenn auch noch nicht
sichtbaren — Vorbereitung zur Mitose befunden haben.
Was das Auftreten von siegelringförmigen Kernen an ein-
zelnen Stellen der bestrahlten Epidermis in Versuchsreihe I und
des Rückenmarks in Versuchsreihe III betrifft, so möchte ich ihre
Entstehung (falls sie auf dieselbe Wirkung der y-Strahlen, die
zur Entstehung der pyknotischen Kerne geführt hat, zurückgeführt
werden soll) derartig deuten, dass es sich hier um Kerne in
beginnender Vorbereitung zur Mitose handelt, bei denen die
Kernmembran noch nicht aufgelöst worden ist. Ich halte es aber
für wahrscheinlicher, dass die siegelringförmigen Kerne nur
indirekt der Radiumwirkung, direkt aber den Vorgängen der
Schrumpfung und damit zusammenhängenden Erscheinungen ihre
Entstehung verdanken. Für letztere Ansicht spricht das vornehm-
liche Auftreten von zahlreichen siegelringförmigen Kernen dicht
beieinander in stark abgeschnürten Falten der Epidermis (Abb. 11).
Zu der Annahme, dass die soeben noch einmal betrachteten
Veränderungen des in Mitose befindlichen Kerns im Gegensatz
zu den übrigen (ewebeveränderungen besonders durch die stark
30 Walter Grasnick:
durchdringenden y-Strahlen hervorgerufen werden, veranlasst mich
besonders das Ergebnis meiner Versuchsreihe II. Hier treten
nur Chromatinveränderungen auf, während alle übrigen Erschei-
nungen wie die der Schrumpfung und ihrer Folgen unterbleiben.
Ich kann dies nur durch die Unwirksammachung der £-Strahlen
durch die Filter (0,2 mm Silber + 4 mm Luft + Glimmerplatte)
‚erklären. Im gewissen Sinne wird meine Ansicht auch durch die
neueste Arbeit Packards (1915) unterstützt. Packard hat bei
einigen Versuchen die -Strahlen eliminiert und durch die reinen
y-Strahlen nur eine Beeinflussung der Mitosen, allerdings im
Sinne einer geringen Beschleunigung der Zellteilung, beobachtet,
während die sonst wahrnehmbaren Veränderungen des Protoplasmas
unterbleiben.
Der Umstand, dass die pyknotischen Kerne nicht selten
einige Zeit nach der Bestrahlung mit Pigmentkörnchen und -ballen
zusammen auftreten, hat mich zu einer hypothetischen Betrachtung
veranlasst, die ich trotz ihrer unsicheren Grundlagen hier wieder-
geben möchte. An ungefärbten Präparaten sind Pigmentkörnchen
und Chromatinkügelchen immer deutlich zu unterscheiden (s. 8. 22),
es ergibt sich dabei (besonders deutlich III 7) die Tatsache, dass
längere Zeit nach der Bestrahlung die pyknotischen Kerne von
Pigment häufig reichlich umgeben sind. Es ist ja nun möglich,
dass sich das Pigment in den Hohlräumen der Epidermis,
die sich um pyknotische Kerne nicht selten zu bilden pflegen
(s. Abb. 8 und 11), angesammelt hat. Doch muss auch die
Möglichkeit erwogen werden, dass hier ein direkter Übergang
von Kernsubstanz in Pigment stattfindet. Es ist auch von
kosenstadt (1897)') u. a. eine normale Einwirkung des Kerns
auf die Pigmentbildung angegeben worden. In meinen Versuchen
wäre dann diese Pigmentbildung durch die Wirkung der Radium-
strahlen begünstigt worden. Das Ganze müsste als ein Desoxy-
dationsprozess des Uhromatins in das sehr kohlenstoffreiche ?)
Pigment angesehen werden. Dass derartige Reduktionsprozesse
durch die Radiumstrahlen bewirkt werden, dafür sprechen die
Versuche von M. Zuelzer und Willcock, die unabhängig von-
einander entdeckten, dass chlorophyllhaltige Organismen wie
!) Zitiert von W. Krause im Handb. der Entwicklungslehre der
Wirbeltiere, 2. Bd., 1. Teil, S. 309.
?) An derselben Stelle erwähnt.
Die Wirkung der Radiumstrahlen auf tierische Gewebe. 3l
Paramaecium bursaria, Euglena und Hydra viridis sich widerstands-
fähiger verhalten als ähnliche Protozoen und Hydren ohne Chloro-
phyli, weil sie in ihrem bei der Assimilation Sauerstoff abgebenden
Chlorophyll eine Ausgleichsquelle gegen die reduzierende Wirkung
der Radiumstrahlen besitzen.
Bei der auffallend starken Schädigung des Chordagewebes
durch die Radiumstrahlen in Versuchsreihe I und IIl reicht es
schon nicht mehr aus, diese nur durch die Vermittlung zerstörter
Mitosen, die ja in der Chorda der untersuchten Kontrollen recht
selten sind, zu erklären. Es kommt hierfür wohl die Wirkung
der 5-Strahlen in Betracht, die sich in der Gallerte des Gallert-
gewebes und in dem zelligen Bindegewebe der Chorda durch die
Auslösung einer starken Schrumpfung geltend macht. Bei der
Chorda der Tiere aus Versuchsreihe IlI kann man die Verstärkung
autolytischer Enzyme durch die Radiumstrallen annehmen, da es
sich hier um ein Gewebe handelt, das normalerweise schon in
dem betreffenden Stadium durch die Anlage des stark wuchernden
Intervertebralknorpels und der Wirbelanlagen rückgebildet wird.
Der Schrumpfung des Gallertgewebes steht die Zottenbildung
und Verdickung der Epidermis gegenüber, wobei man zum Teil
erstere als Ursache der Epidermisveränderung betrachten muss.
Es würde sich also um eine Pseudometaplasie eines Epithels
handeln, wie Herxheimer!) eine „Formveränderung von Epithel-
zellen“ nennt. „die durch äussere mechanische Momente hervor-
gerufen werden, während an der spezifisch grundlegenden Struktur
der Zelle nichts geändert wird.“
Doch widerspricht solcher Auffassung der Epidermisverän-
derung nurals reiner Pseudometaplasie, ausgelöst durch Schrumpfung
des darunter liegenden Gallertgewebes, der Umstand, dass die
Cutis auf den Frontalschnitten fast ganz eben und auf den Quer-
schnitten auch nicht in dem Maße gefaltet erscheint, wie die
Oberfläche der Epidermis. Es wird also wahrscheinlich auch noch
eine direkte Wirkung der #-Strahlen auf die Epidermiszellen zur
Zottenbildung und Verdickung beitragen. Eine solche „Verän-
derung der spezifisch grundlegenden Struktur der Zelle“ ist besonders
augenscheinlich in den grossen mehrkernigen Zellen mit vakuoligem
Protoplasma (Abb. 12) gegeben, auch scheinen die übrigen Zellen
2) Die Morphologie der Missbildungen des Menschen und der Tiere,
herausgegeben von E. Schwalbe, 3. Teil, 10. Lieferung, Anhang, 2. Kap.
32 Walter Grasnick:
in den Zotten und Vorbuchtungen besonders der Versuchsreihe I
etwas an Volumen und gleichzeitig besonders an Durchsichtigkeit
zugenommen zu haben, was auf einen Zustand stärkerer Quellung
schliessen lässt. Auch Packard beschreibt (1915), dass die 8-Strahlen
eine Vergrösserung der (uellbarkeit (water holding power) des
Protoplasmas bewirken. Ob zwischen der Schrumpfung des Gallert-
gewebes und der Verdickung (Aufquellung) der Epidermis noch
ein anderer kausaler Zusammenhang (etwa in einer Veränderung
der Permeabilität der Cutislamelle bestehend) vorhanden ist, lässt.
sich auf Grund der histologischen Untersuchung nicht sagen.
Unter diesem Gesichtspunkte würde eine besonders starke Auf-
quellung der dem Mesothoriumpräparat zugewandten Epidermisseite
die (S. 19) beschriebene Krümmung des Schwanzes voraussetzen.
da deren konvexe Seite dem Präparat zugewandt ist.
Jedenfalls ist eins aber ganz sicher. nämlich dass die Ver-
diekung und Zottenbildung nicht durch eine Wucherung hervor-
gerufen wird. die auf mitotischer oder amitotischer Zellteilung
beruht. Zwar erweckt das histologische Bild zuerst durchaus
den Eindruck einer Wucherung, wie sie ja auch von Guvot u.a.
in der bestrahlten Epidermis von Säugetieren beobachtet worden
ist. Doch zeigt eine genaue Analyse deutlich, dass ja sofort nach
der Bestrahlung die mitotische Zellteilung aussetzt. und auf
amitotische Teilung (besser Segmentierung) können allenfalls die
beschriebenen mehrkernigen grossen Zellen (Abb. 12) zurückgeführt
werden, doch liegt ja hier nur eine Kern- nicht aber Zellteilung
vor. Im übrigen kommen noch selten langgestreckte Zellen vor,
die an amitotische Teilungsvorgänge erinnern, sich aber auch in
der Epidermis der Kontrollen finden und die in der Amphibien-
epidermis häufig beschriebenen Wanderkerne sind. Auf ähnlichen
Vorgängen wie den eben gekennzeichneten dürften auch die von
OÖ. Levv als Framboisia beschriebenen Epidermisveränderungen
junger, radiumbestrahlter Kroschlarven, sowie die von Stacho witz
beobachteten gleichen Erscheinungen beruhen.
Eine andere sehr auffällige, bisher noch nicht beschriebene
Wirkung der Radiumstrahlen, wahrscheinlich besonders der
ß-Strahlen, habe ich (Versuchsreihe III) in dem Reiz, den sie auf
die Pigmentzellen ausüben, gefunden. Diese verteilen sich unter
dem Einfluss der Radiumstrahlen nach kurzer Zeit in feinverästelte
Fortsätze (Abb. 1 und 2). Es liegt hierin ein deutliches Beispiel
Die Wirkung der Radiumstrahlen auf tierische Gewebe. 33
von Radiotropismus oder besser, da eine bestimmte Reizrichtung
fehlt, eine durch Radiumstrahlen ausgelöste Nastie ') der Pigment-
zellen, die später wieder vorerst in ihren normalen Zustand zu-
rückkehren, mithin nicht sofort durch die nastische Bewegung
geschädigt werden. KRadiotropismus pflanzlicher Keimlinge ist
von Molisch nachgewiesen worden; Becquerel.d. J. nimmt an,
dass es sich hier nicht um direkten Radiotropismus, sondern um
eine Wirkung des Lumineszenzlichtes auf die in voller Dunkel-
heit gezogenen Keimpflanzen handelt. Eine Wirkung des sehr
schwachen Lumineszenzlichtes ist bei der von mir beobachteten
Radionastie der Pigmentzellen ausgeschlossen, da die bestrahlte
Stelle des Tieres durch die Mesothoriumkapsel verdunkelt wird.
während der übrige Teil des Tieres dem diffusen Tageslicht
ausgesetzt ist. Dass die Verdunkelung nicht etwa Anlass gibt
für die Ausdehnung der Pigmentzellen, ist durch einen
Kontrollversuch nachgewiesen worden. Es dürfte somit die Radio-
nastie der Pigmentzellen, wahrscheinlich besonders als Wirkung
der 5-Strahlen, erwiesen sein.
Was nun die elektive Wirkung der £- und y-Strahlen betriftt,
so muss ich mich auf Grund von Tatsachenmaterial und theoretischen
Betrachtungen gegen die Anschauung von Stacho witz wenden, der
eine spezifische Empfindlichkeit einiger Gewebesysteme, insbesondere
des Nervensystems gegen Radiumstrahlen, annimmt. Seiner Fest-
stellung, dass sowohl aus radiumbestrahlten Ei- und Samenzellen
gezüchtete Embryonen, als auch direkt bestrahlte junge Embryonen
von Rana fusca die gleichen Schädigungen des Nervensystems
aufweisen, habe ich die Tatsache entgegenzustellen, dass ältere
Larven von Rana fusca eine gegen andere Gewebe geringe Ver-
änderung des Nervensystems durch Radiumstrahlen aufweisen. Da-
gegen zeigt die Chorda, dieaufGrund von Bestrahlungsexperimenten
an Jungen Larven von Rana fusca und Siredon pisciformis als ein
sehr dauerhaftes Gewebe geschildert wird (0. Levy, Stachowitz)
starke Veränderung nach Bestrahlung in meinen Versuchen. Es
!) Im Gegensatz zu den tropistischen und taktischen Reizbewegungen,
. bei denen die Richtung des Reizes in einer ganz bestimmten Beziehung zur
Richtung der Bewegung steht, handelt es sich bei den nastischen Bewegungen
um Reaktionen, die entweder durch überhaupt nicht bestimmt gerichtete, also
durch diffuse Reize veranlasst werden, oder bei denen doch eine even-
tuelleReizrichtungohneEinfluss ist. (Strassburger: Lehrbuch
der Botanik für Hochschulen, 11 Auflage, S. 274.)
Archiv f. mikr. Anat. Bd. 90. Abt. I. 3
34 WaailteitiG ra snitechk:
ist also sicher, dass ein Organ in den verschiedenen Stufen seiner
Ausbildung eine verschiedene Empfindlichkeit gegen Radiumstrahlen
besitzt; und ich nehme mit O. Levv an, dass der Grad der
Empfindlichkeit, soweit die Wirkung der y-Strahlen in Betracht
kommt. von dem Grad der Selbstassimilation des betreffenden
(sewebes oder Organs bestimmt wird, dieser zeigt sich histologisch
besonders durch die Zahl der zu beobachtenden Mitosen. Nur
glaube ich im Gegensatz zu OÖ. Levy, dass ein Organ mit starker
Selbstassimilation zwar durch einmalige Bestrahlung sofort stark
beeinflusst wird, sich aber auch am schnellsten wieder erholt,
so Jange die ruhenden Kerne nicht auch schon gelitten haben
(vel. Wiederauftreten von Mitosen in bestrahlten (reweben, 8. 29).
Eine primäre Schädigung der Blutgefässe, wie sie von Guyot,
Danvse. in einigen Fällen auch O. Le vy angegeben wird, habe ich
nicht bemerken können. Die bei meinen Versuchen auftretenden
Blutstauungen sind immer erst eine sekundäre, durch Schrumpfung
des Gallertgewebes ausgelöste Erscheinung. —
Obwohl meine Versuche nicht systematisch nach dieser
Riehtung hin angestellt worden sind, kann ich doch unter Be-
rücksichtigung der Ergebnisse anderer Autoren, besonders O. und
G. Hertwigs, O.Levys und Packards und der in der Radium-
therapie jetzt häufig Anwendung findenden Abfilterung der #-Strahlen
behaupten, dass meine Versuche ebenfalls eine Stütze bilden für
folgende Theorie:
Die y-Strahlen des Radiums und Mesothoriums verändern
(unter Umständen sofort ohne jede Latenz) stark die normale
Struktur der Kerne in mitotischer Teilung oder nicht weit vor
bezw. nach der Teilung, die %-Strahlen dagegen üben auf das
lebende (sewebe einen Reiz aus, der sich z. B. in der Radionastie
der Pigmentzellen, in der Veränderung der (Quellbarkeit von Proto-
plasma und Gallerte und damit zusammenhängenden Schrumpfungs-
erscheinungen kund tut. Durch Zusammenwirkung von ß- und
y-Strahlen entstehen die recht verwickelten, zum Teil sekundären
Erscheinungen, die von den verschiedenen Autoren beschrieben
worden sind. Es tragen zu der Verwicklung natürlich auch noch
sehr stark bei die Beschaffenheit und der physiologische Zustand,
besonders der Grad der Selbstassimilation der benutzten Versuchs-
objekte.
Die Wirkung der Radiumstrahlen auf tierische Gewebe. 39
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DER
a2
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38
DV
0
Walter Grasnick: Die Wirkung der Radiumstrahlen usw.
Erklärung der Abbildungen auf Tafel Il.
. Reihe IIl: unbestrahltes Pigment des Schwanzes, vergr. ungefähr 50 X...
. Reihe IIl: Pigment des Schwanzes nach !/«—1 Stunde Bestrahlung, vergr..
ungefähr 50 x.
. Reihe Il: Mitose in der Epidermis einer Kontrollarve, vergr. 690 X.
. Reihe II: Mitose in der Epidermis sofort nach 1'/» stündiger Bestrahlung,
vergr. 546 X.
. Reihe III: Mitose in der Epidermis sofort nach 50 Minuten Bestrahlung,
vergr. 546 X.
veihe II: Mitose in der Epidermis 17'/s Stunden nach 50 Minuten Be--
strahlung, vergr. 546 X.
. Reihe III: Mitose in der Epidermis 5 Tage nach 50 Minuten Bestrahlung,.
vergr. 546 X.
. Reihe III: Mitose in der Epidermis 1 Tag nach 50 Minuten Bestrahlung,.
vergr. 546 X.
veihe I: Epidermis einer Kontrollarve, vergr. 690 X.
. Reihe 1: Epidermis 7 Tage nach 1?/ı stündiger Bestrahlung mit 7,4 me
RaBr,, vergr. 690 X.
. Reihe I: Epidermis 10 Tage nach 1 stündiger Bestrahlung mit 55 ma
Mesothorium, vergr. 690 X.
. Reihe I: Epidermis 14 Tage nach 1stündiger Bestrahlung mit 55 me
Mesothorium, vergr. 690 X.
veihe III: Verhältnismässig wenig verdickte Stelle der Epidermis 32 Tage-
nach 50 Minuten Bestrahlung, vergr. 690 X.
>)
. Reihe I: Erweitertes Gefäss und Umgebung 10 Tage nach 1 stündiger-
Bestrahlung mit 55 mg Mesothorium, vergr. 546 X.
. Reihe III: Gallertgewebezelle und Leukozyt im Gallertgewebe nach Be-
strahlung, vergr. 546 X.
. Reihe 111: Zelle aus der Chorda 24 Tage nach 50 Minuten Bestrahlung,.
verer. 290 X.
. Reihe I: Ende der Chorda 10 Tage nach 1 stündiger Bestrahlung mit
55 mg Mesothorium, vergr. 146 X.
teihe III: Kerne des Rückenmarks 32 Tage nach 50 Minuten Bestrahlung
mit 50 mg Mesothorium, vergr. 546 X.
Aus dem Zooloeischen Institut der Universität Lemberg unter der Leitung
von Prof. Dr. Joseph Nusbaum-Hilarowiez.
Über Plasmastrukturen in Sinnesorganen und
Drüsenzellen des Axolotls.
Von
Dr. Cecylia Beigel-Klaiten,
2. Assistentin am Zoologischen Institut der Universität Lemberg.
Hierzu Tafel II und IH.
In meiner im Jahre 1915 erschienenen Arbeit über die
liegeneration des Geruchsorgans bei Cypriniden (1. 1915) beschrieb
ich den in sämtlichen Zellen der Riechschleimhaut von Tinca
vulgaris auftretenden Golgi-Kopschschen Apparat. Zugleich
beschrieb ich diese Zellstruktur in demselben Organ beim älteren
Axolotl. Da ich jedoch über kein embryologisches Material ver-
fügte, musste ich damals auf das eingehendere Studium dieser
Struktur verzichten.
Da nun im Frühjahr des Jahres 1914 im hiesigen Zoolo-
gischen Institut eine Axolotlkultur glückte, verwandte ich das
Material zum Studium der Hautsinnesknospen und der Leydigschen
Zellen, sowie auch der vielzelligen Drüsen, ferner der Sinnes-
epithelien der Riechschleimhaut und Maculae acusticae. indem
mich ausser dem Golgi-Kopschschen Apparate das Entstehen
der von Kolmer (15. 1910) in sämtlichen Stützzellen der Sinnes-
organe konstatierten „Stützfibrillen“ beschäftigte. Zum Studium
der Zellstrukturen wurden folgende Konservierunes- und Färbungs-
methoden angewendet. und zwar für:
1. Kontrollbilder: Carnoys Lösung mit nachfolgender Fär-
bung mit Hämatoxylin nach Heidenhain oder Delafield:
— Sublimat, Tinktion nach Biondi-Heidenhain:
2. Mitochondrien: Flemmings starkes Gemisch. Tinktion
nach Benda, — Champys Gemisch (4, 1911) (Kali-
bichromat - Chrom - Ösmiumsäure), Tinktion nach Kulls
(16, 1913) Modifikation der Altmannschen Methode oder
Hämatoxylin nach Heidenhain:; — Kopschs kali-
40 Cecylia Beigel-Klaften:
bichromat - Formol-Methode, Eisenhämatoxylin ; — Sublimat-
Osmiumsäure (3:4), Tinktion: Hämatoxylin nach Heiden-
hain, meistens nach Bleichung in Kalihypermanganicum
und Oxalsäure;
3. @olgi-Kopschschen Apparat: Cajals Silberreduktions-
Methode (ohne Vorfixierung, modifizierte I. Methode 1905),
— UCajal-Golgis Arsennitrat - Methode, — Kopschs
Osmiumsäure-Methode (2°/o Osmiumsäure durch 10—12
Tage bei 25°C), Kopsch-Weigl (32, 1912): Sublimat +
Osmiumsäure (3:1) 3—5 Stunden, Wässerung, nachber
Kopseh:
4. Stützfibrillen: Kolmers Gemisch (Kalibichromat 10°/o
+ Teile, Formol 4°/o 2 Teile, Eisessig 1 Teil), Tinktion
nach Heidenhains Hämatoxylin oder Molybdänhämatoxylin.
I. Genese der Stützfibrillen in Hautsinnesknospen,
Riechepithel und Maculae acusticae.
Die Befunde bezüglich des allgemeinen Baues der Sinnes-
knospen und ihrer Hauptkomponenten beim geschlechtsreifen
Axolotl sind in vollem Einklange mit den Schilderungen dieser
Organe, die Bugnion (2, 1873), Merkel (22, 1880), Malbranc
(20, 1876) und Kolmer (15, 1910) geliefert haben. Auch im
Auftreten und der Verteilung der sog. Stützfibrillen kann ich
der von Kolmer gegebenen Schilderung vollkommen beipflichten.
Zum Nachweis dieser Strukturen bediente ich mich zwar des
Kolmerschen Verfahrens, aber auch die Fixierung in Sublimat-
Osminm ergab besonders schöne Resultate, indem die Schrumpfung
der Zellelemente fast ganz ausblieb, und die Bilder auch an der
Zellperipherie sehr distinkt hervortraten. In Fig. 1, die einen
Längsschnitt durch eine Sinnesknospe aus der Kopfregion eines
etwa ein Jahr alten Axolotls darstellt, ist die starke Ausbildung
der Stützfibrillen wahrzunehmen, und zwar in den äussersten,
zwiebelschalenförmig angeordneten Elementen „nur einzelne, längs-
verlaufende, sehr ungleich die Farbe festhaltende Fäserchen‘,
wie Kolmer schildert. Mehr gegen die Mitte finden wir ein
Gewirre der wellig verlaufenden Fäden, die den ganzen plas-
matischen Teil der Stützzellen ausfüllen und bis zu ihrer freien,
äusseren Oberfläche sich erstrecken. — Die tlaschenförmigen,
Plasmastrukturen in Sinnesorganen und Drüsenzellen des Axolotls. 41
kurzen, zentralen Sinneszellen (sekundäre Sinneszellen) zeigen,
wie auch Kolmer bemerkt. die Fibrillen nur andeutungsweise.
Das Plasma dieser Zellen ist bedeutend dunkler und dichter als
dasjenige der Stützzellen. Der grosse, meist runde Kern der
Sinneszelle tingiert sich sehr intensiv, „oberhalb und unterhalb
desselben finden sich mit grosser Konstanz eine Anzahl grober
“sranulationen. die sich mit Hämatoxylin intensiv färben“. In
unserer Abbildung sind die genannten Granulationen ausser-
ordentlich prägnant. sie liegen besonders zahlreich unterhalb
mancher Zellkerne, hier gleichsam eine Perlenschnur bildend,
in unmittelbarer Nähe des Kernes, oder man sieht sie vereinzelt
in einem kleinen Abstand vom Kern. In bezug auf die Herkunft
dieser dicken Granulationen können Präparate, die nach den ver-
schiedensten Methoden behandelt wurden, Aufschluss geben. So
bemerkt man an Sublimatpräparaten, diemit Ehrlich-Biondischer
l.ösung tingiert worden sind, wie überhaupt nach Tinktionen,
die den Nukleolus vom Kernchromatin unterscheiden lassen, dass
in den Sinneszellen — besonders in sehr jungen Sinnesknospen —
eine Fragmentierung des Nukleolus in dieke Schollen stets vor-
kommt. Nun kann man aber Bilder wahrnehmen, die eine Ab-
schnürung kleiner Nukleolus- Fragmente sehr wahrscheinlich
machen. Die Fig. 2 ist einem Präparate entnommen. das in
Carnoys Flüssigkeit fixiert und mit Eisenhämatoxylin tingiert
wurde: es kommen hier die kleinen lokalen Erhebungen am Kerne
zum Vorschein. in welche sich die Nukleoluskörnchen einlagern.
Dasselbe ist auch in Fig. 3 zu sehen, die eine Sinnesknospe eines
6—S mm langen Axolotls, die nach der Altmannschen Methode
behandelt wurde. darstellt. Auch sind oft am unteren oder
oberen Pole der Sinneszellenkerne ein oder mehrere finger-
förmige, kurze Fortsätze vorhanden, sogar bei ganz tadelloser
Fixierung der Zellelemente, so in Fig. 1 in den an der Peripherie
gelegenen Sinneszellen. Diese Fortsätze und Einkerbungen sind
vielleicht als Schrumpfungen der Stellen des geringeren Wider-
standes in der Kernmembran nach erfolgter Abschnürung der
'Nukleolen-Fragmente zu deuten.
Es liegen die oben erwähnten dicken Granula oft so eng
dem Kerne an, dass man sich der Folgerung, sie wären mit den
ausgestossenen Nukleolus- Fragmenten identisch, nicht ver-
schliessen kann, wenn auch bisweilen das Rot der ausserhalb des
42 Cecylia Beigel-Klaften:
Kernes liegenden Granulationen bei manchen Tingierungen ein
leuchtenderes und helleres ist, als dasjenige der Nukleolarkörnchen
im Kerne, was entweder in einer spezifischen Differenzierung der
Granulationen. oder bloss in der veränderten histo-chemischen
Einwirkung der Umgebung seinen Grund hat.
In sehr jungen Knospen, die bloss aus 2—3 Sinneszellen
und einer geringen Zahl von Stützzellen bestehen, sind diese
Granulationen in bedeutend erösserer Zahl unterhalb und ober-
halb des Kernes vorhanden. Auch sind sie in diesem Stadium
sehr klein (Fig. 2). und da wir sie in etwas älteren (Fig. 3) Sinnes-
knospen in viel geringerer Zahl, aber stärkerer Grösse vorfinden.
ist ein Zusammenfliessen der kleinen Körnchen zu endgültig am
unteren Kernpol funktionierenden anzunehmen, und zwar im Zu-
sammenhange mit einer ähnlichen Verwertung der oberhalb des.
Kernes gelegenen (ranulationen. Dies bezieht sich nämlich auf
die äussere, freie Oberfläche der Sinneszellen. Bei geschlechts-
reifen Exemplaren hat Kolmer an der Oberfläche weder Sinnes-
stifte, noch andere entsprechende Bildungen gesehen. \on jüngeren
Tieren, bei welchen die Knospe in einem Grübchen liegt, sagt
Kolmer: „es tragen alle Sinneszellen kleine Kappen, unterhalb-
derer das Protoplasma der Zelle am dunkelsten gefärbt ist. Auf
dieser Kappe, die durch Kittleisten mit den Stützzellenköpfen.
wie in einer Membrana reticularis verbunden ist. steht der
Sinnesstift. ein feiner Faden. der in die Zelle hineinzieht .... -
/wischen den Sinnesstiften bemerkt man eine strukturlose, nur
mit den Stützzellen zusammenhängende Masse. die schon von
verschiedenen Autoren erwähnte, von anderen Seiten wieder
bestrittene Kupula.“ Die oberflächliche Kappe ist in der von
Kolmer beigefügten Figur sehr schwach tingiert. nur ihre Umrisse
sind sichtbar, was die Folge der von ihm angewandten Methode
ist, da nach Fixierung in Sublimat-Osmium, Flemmings oder
CGhampys Flüssigkeit der periphere Teil der Sinnesknospe sich
intensiv färbt und alle Details recht deutlich erkennen lässt.
CarnoysMischung wirkt ähnlich der Kolmerschen: der verhältnis-
mässig grosse Zusatz von Essigsäure wirkt destruierend auf die
gleichen Elemente.
In Fig. 1ı sind am distalen Ende der Sinneszellen durch
Eisenhämatoxylin stark tingierte Bildungen zu sehen, die der
Kappe entsprechen. Wir glauben diese Bildung ihrer Form nach
Plasmastrukturen in Sinnesorganen und Drüsenzellen des Axolotls. 45
als eine Scheibe (Diskus) auffassen zu dürfen, ähnlich der Kopf-
platte der Haarzellen in den Maculae acusticae: nur sind die
Bildungen in den Hautsinnesknospen bedeutend dicker. Der
unmittelbare Zusammenhang des Sinnesstiftes mit dem in der
Zelle vorhandenen, oft unmittelbar bis zur Scheibe sich ziehenden
zarten Faden ist schwer zu konstatieren. Schneider (29. 1908),
der auch in den Stützzellen der Salamanderlarve Stützfibrillen
gesehen hat. sieht am basalen Teile des Sinnesstabes einen ihn
umfassenden Ring, dessen Bedeutung für ihn unklar ist. Wenn
also der Lage nach dieser Ring der Scheibe entspricht — so
fehlt in ihr das weite Lumen, um sie als Ring ansehen zu können.
An unseren Präparaten war stets ein deutlicher Sinnesstift zu
sehen: die ihn umgebende strukturlose Hülle hatte die Form
eines Konus. ‚Jede Sinneszelle besitzt einen Konus. der mit
der sog. Kupula identisch ist. Kittleisten sind stets zu beobachten.
In sehr jungen Knospen von 6—Smm langen Axolotl-
embryonen findet man schon diese Kappen oder Scheiben als
knopfartige Verdickungen am äussersten Zellende ausgebildet.
In bezug auf Tingierung verhalten sie sich vollkommen analog
den unterhalb und oberhalb des Kernes sich betindenden, bereits
besprochenen, kleinen Granulationen. Man gewahrt oft an solch
jungen Knospen eine Ansammlung der kleinen Körnchen. dicht
am kaum angelegten Diskus, ihm unmittelbar anliegend, wo sie
auch zur Bildung dieser Scheibe verbraucht werden. Nur sehr
wenige erhalten sich noch in erwachsenen Sinnesorganen.
In Fig. 1 sind aber auch die feinen, in Ketten geordneten
Mitochondrien der Sinnesknospe zu sehen, und zwar in einer
für die reife Knospe typischen Weise. Sowohl Stütz- als Sinnes-
zellen enthalten kurze Granulaketten (Chondriomiten) oder auch
ganz vereinzelte im Plasma zerstreute Chondriosomen. In den
Sinneszellen befinden sich die Chondriomiten in grösserer Zahl
und dichterer Anordnung, wasdie Ursache der intensiveren Tinktion
des Plasmas dieser Zellen ist; in den Stützzellen liegen spärliche
Granulaketten zwischen den Fibrillenzügen. Man bemerkt weiter,
dass die Granulationen der Sinnesknospe feiner sind als diejenigen
der umgebenden indifterenten Epithelzellen. Ganz anderen Ver-
hältnissen begegnen wir in sehr jungen Knospen. die nach einer
der eingangs zitierten Mitochondrien-Methoden behandelt wurden.
In Fig. 4 ist eine Sinnesknospe eines etwa 6 mm langen Axolotls
44 GCecylia Beigel-Klaften:
‚abgebildet, in welcher die embryonale Ausbildung des Chondrioms
zum Vorschein kommt. In den flaschenförmigen Sinneszellen
ziehen dichte Reihen von Chondriomiten distal vom Kerne bis zur
knopfartigen Verdickung der Scheibe, auch unterhalb des Kernes
sind Chondriosomen vorhanden: in den die Sinneszellen um-
gebenden Stützzellen ziehen ebensolche Granulaketten von ausser-
ordentlicher Länge, an der äussersten Zellperipherie beginnend,
bisweilen bis an das basale Ende der Zelle reichend. An der
Zellperipherie liegen die Chondriomiten einander parallel, in den
tieferen Plasmapartien ist ihr Verlauf kein regelmässiger, sie
kreuzen einander und bilden Schleifen. Das hier angewandte
Verfahren lässt auch die, obgleich in sehr geringer Zahl, dennoch
schon vorhandenen Stützfibrillen zum Vorschein kommen: sie
liegen nämlich zwischen den Chondriomiten als sehr feine, teils
glatte, teils granulierte Fäden. Deutlicher ist ihr Auftreten in
Fig. 53 zu sehen. Auch hier sind die Fäden an der äussersten
Zellperipherie einander parallel, durchsetzen mit ihren Zügen die
Zelle ihrer ganzen Länge nach. Im basalen Teile sind sie meistens
schon einheitlich und glatt, im distalen. peripheren Teile ist ihr
granulärer Bau noch deutlich. Die Zahl der Chondriomiten-
ketten ist bedeutend vermindert, und es ist evident, dass die
Lage, Form und Anordnung dieser ersten Stützfibrillen voll-
kommen derjenigen der bereits geschilderten, ausserordentlich
langen Chondriomiten entspricht. Die Feststellung der Tatsache,
(dass die Chondriomiten zum Aufbau der sog. Stützfibrillen ver-
braucht werden, ist insofern erleichtert, als der Vergleich reiferer
Sinnesknospen mit sehr jungen, aus einer geringeren Zahl von
Zellen bestehender Knospen sichere Anhaltspunkte bietet.
So müssen wir feststellen, dass das Auftreten von Stütz-
ftbrillen, deren basale Teile glatt, deren periphere dagegen granuliert
sind, eine von den Fixierungstlüssigkeiten unabhängige Erscheinung
ist, da wir dies nach den verschiedensten Mitochondrienverfahren
stets beobachtet haben, und zwar dort, wo sich die Fibrillen
erst differenzierten. Also in jungen Knospen liegen die granulierten
Fäden in Stützzellen, die unmittelbar den flaschenförmigen Sinnes-
zellen anliegen, in reiferen finden wir solche Bilder in den
äussersten, zwiebelschalenförmigen, mit der indifferenten Epidermis
angrenzenden Stützzellen. Da wir in dieser Region am häufigsten
Mitosen begegneten, betrachten wir dieselbe als Wachstumszone
Plasmastrukturen in Sinnesorganen und Drüsenzellen des Axolotls. 45
der Stützzellen und somit auch als Difterenzierungsregion der
Stützfibrillen. Wenn mithin in reiferen Sinnesknospen (Fig. 1)
der periphere Teil der Knospe sich so darstellt, dass in den
flaschenförmigen Sinneszellen sehr zahlreich Chondriomiten auf-
treten und zwischen ihnen nur spärlich Stützfibrillen, in den dem
Zentrum nächstliegenden Stützzellen ein umgekehrtes Verhältnis
vorliegt. indem sehr zahlreiche Züge wellig verlaufender, glatter
Stützfibrillen die Zelle durchziehen und nur spärlich kurze
Chondriomitenketten vorhanden sind, wenn dagegen in den vom
Zentrum am meisten entfernten, in der Wachstumszone der
Stützzellen gelegenen Zellen die Fibrillen einen evident granu-
lären Bau aufweisen und eine geringere Zahl der Chondriomiten
als in den angrenzenden Epithelzellen vorhanden ist, — so können
wir diese Verschiedenheit der Ausgestaltung nicht etwa auf lokale
Mängel der Fixierung zurückführen.
So ist auch die Äusserung Kolmers, dass an der Knospen-
peripherie die Stützfibrillen nur vereinzelt, ungleich die Farbe
festhaltend, auftreten, im Einklange mit unseren Befunden, denn
die jungen Fibrillen sind sehr zart, tingieren sich schwach
und erlangen, wie es scheint, nur allmählich ihre Widerstands-
fähigkeit gegenüber der Essigsäure. In den äussersten Stütz-
zellen sind in der Abbildung, die Kolmer seiner Beschreibung
beifügt (Fig. 1, 1910), überhaupt keine Fibrillen sichtbar,
an analogen Stellen der nach Mitochondrien-Methoden behandelten
Knospen sind gerade die evidentesten Prozesse der Fibrillen-
bildung wahrzunehmen.
Die in jungen Sinnesknospen parallele Anordnung der Fibrillen
stellt ein Entwicklungsstadium dar; wie eingangs erwähnt wurde,
haben die Fibrillen in reiferen Knospen einen welligen Verlauf,
obgleich in den äussersten Stützzellen noch solche von paralleler
Anordnung vorzufinden sind. Das oben angeführte Verhältnis
bestätigen vollkommen die in Carnoys Flüssigkeit fixierten und
mit Eisenhämatoxylin tingierten Präparate. In jungen, 6—S mm
langen Axolotl-Larven, wo die Anlage der Sinnesknospe schon
‘vorhanden ist, sind nach der genannten Fixierung keine Fibrillen
zu sehen, auch die Scheiben am distalen Ende der Sinneszellen
tingieren sich nur sehr schwach, dagegen sind solche junge
Knospen nach der Konservierung in Champys Mischung von
Chondriomiten fast ganz überfüllt.
46 Cecylia Beigel-Klaften:
Beachtenswert ist der Umstand. dass weder in den Sinnes-
knospen der Haut, noch in anderen Sinnesepithelien Chondrio-
konten vorkommen, es sind stets Granulaketten oder vereinzelte
Körner vorhanden. während im Knorpel ausser den genannten
Formen auch sehr lange, einheitlich dicke Chondriokonten zum
Vorschein kommen.
In den Epidermiszellen finden sich beim Axolotl. ähnlich
wie Luna (19, 1913) bei Bufo vulg. konstatiert. zwischen den
Pigmentkörnern die Chondriomiten (neben kurzen Chondriokonten
und Chondriosomen) am häufigsten. und ist die Form der ein-
zelnen Elemente etwas voluminöser als in der Hautsinnesknospe.
Auch liegen die Chondriomiten im indifferenten Epithel beim
Axolotl wie auch bei anderen Tieren immer so, dass ein homo-
gener Kutikularsaum von ihnen frei bleibt, dagegen erstrecken
sie sich sowohl in den Sinneszellen als auch den Stützzellen der
Iinospe bis an die äusserste Oberfläche dieser Zellen — in den
Sinneszellen bis zur Scheibe reichend.
Die Fibrillen der Gaumenknospen differenzieren sich in
gleicher Weise. (Gelegentlich sei bemerkt. dass die Stäbchen-
bildungen, die Kolmer (15, 1910) an der Oberfläche der Gaumen-
knospen beschreibt, überhaupt auf der ganzen Gaumenschleimhaut
sehr junger Axolotlexemplare vorhanden sind.
Instruktiv sind ferner Entwicklungsstadien des Geruchs-
organs. In Fig. 13 ist der zentrale Teil des Organs bei einem
7—s mm langen Axolotl, nach Behandlung mit Champys
Mischung und Kulls Modifikation der Altmannschen Methode,
abgebildet. Die langgestreckten Riechzellen sind von Chondrio-
miten fast vollständig angefüllt; nur kleine vakuolenartige Räume
‚sind von ihnen frei. Auch in diesem Sinnesepithel erstrecken
sich die Chondriosomen in Riech- und Stützzellen an die äusserste
Peripherie, während sie in den angrenzenden Flimmerzeilen sich
nur bis zum homogenen Kutikularsaum erstrecken. Weder in
den Sinnes-, noch in den Stützzellen sind hier Chondriokonten
vorhanden. Dasselbe konnten wir auch in den Maculae acusticae
beobachten, wo übrigens sehr lange Granulaketten, besonders in
den Stützzellen sehr junger Tiere, vorkommen.
Sowohl an Hautsinnesknospen, als auch an den Maculae
‚acusticae kann man wahrnehmen, dass die Kerne der Sinneszellen
resp. Haarzellen sich nach den. beim Mitochondrienverfahren
Plasmastrukturen in Sinnesorganen und Drüsenzellen des Axolotls. 47
üblichen Tingierungen sehr intensiv färben und während der
Differenzierung nur langsam die Farbe abgeben; auch scheint
die Kernmembran von einer Schichte von Chondriosomen um-
geben zu sein, die ihr unmittelbar anliegen, weshalb bei Ober-
flächenschnitten der ganze Kern als dunkle Masse sich darstellt
und durch dieses Verhalten von den Kernen des indifferenten
Epithels. wo die Differenzierung eine bedeutend raschere ist,
sich unterscheidet.
Zwischen den langgestreckten, von Chondriosomen ganz
überfüllten Zellen sind in Fig. 13 hellere Zellen zu sehen, die
ebenfalls Granulaketten enthalten, wenn auch nicht so zahlreich
wie die ersteren. Wir glauben, gestützt auf die bei älteren
Tieren herrschenden Verhältnisse. diese dunklen, von Chondrio-
somen fast ganz überfüllten Zellen als eigentliche Riechzellen,
die helleren, mit geringerer Ausbildung des Chondrioms, als Stütz-
zellen ansehen zu dürfen. Die Umrisse der letzteren sind nicht
so deutlich wie die der ersteren, ein Verhalten. das wir auch bei
um vieles älteren Tieren, so in Fig. 14, die eine entsprechende
Partie aus der Riechschleimhaut eines etwa ein Jahr alten Axolotls
abbildet, feststellen können. Zu diesem Unterschied trägt vor
allem der enorme Gehalt an Chondriosomen bei, der die schmale
Zelle fast ganz ausfüllt, ferner die morphologischen Eigentümlich-
keiten der ganzen Zelle und ihres peripheren, Sinnesfortsätze
tragenden Teiles. Während der Färbung verhalten sich die
Riechzellen charakteristisch, indem sie sehr intensiv durch Säure-
fuchsin oder Eisenhämatoxylin sich tingieren, erst nach längerem
Differenzieren erscheinen die die Zelle ausfüllenden Chondrio-
somen.
Schon in sehr jungen Stadien sieht man in den Stützzellen
die von Kolmer daselbst beschriebenen Stützfibrillen, und zwar
in einer der Entwicklung dieser Elemente in den Hautsinnes-
knospen ganz analogen Weise. Ausser kurzen, glatten Fäden
sind solche von körnigem Bau zu sehen, oder aber sie sind teils
glatt, teils granuliert, indem die granulierten Teile eines
Fadens deutlicher als die glatten Fadenteile zum Vorschein
kommen. Solche Fäden sind sowohl im basalen, als auch im
peripheren Teile der langgestreckten Zellkörper vorhanden, was
gegen die Annahme einer eventuellen schlechten Fixierung der
Peripherie spricht. Es sei erwähnt, dass die von Kolmer an
48 Gecylia Beigel-Klaften:
der Oberfläche der Riechschleimhaut beschriebenen blasigen Ge-
bilde („blasige Sekretion“) stets vorhanden waren.
Betrachten wir noch die Macula acustica eines smm langen
Axolotls, die in Fig. 15 zu sehen ist. Die kurzen Haarzellen
sind von den langgestreckten Stützzellen leicht zu unterscheiden.
In den ersteren sehen wir nur verhältnismässig kurze Chondrio-
miten, die meistens am oberen Zellenpol unterhalb der Deckplatte.
aber in unmittelbarem Kontakte mit ihr, eine Anhäufung bilden.
In den schmalen Stützzellen sind ausserordentlich lange Chon-
driomiten, die sich bis an die äusserste Oberfläche des Epithels
erstrecken. vorhanden. Stützfibrillen waren in diesem Stadium
noch nicht zu sehen, bei älteren Tieren sind sie jedoch sehr schön
ausgebildet, und vermindert sich hier wie in den Stützzellen der
Sinnesknospen und des Riechepithels die Zahl der Uhondriomiten,
jedoch nicht bis zu totalem Schwund. Demgegenüber ist das
Verhalten der Sinneselemente, so der Sinneszellen der Haut-
knospen,. der Riech- und Haarzellen, durch die Persistenz des
Chondrioms bis zu vollkommen reifen Stadien und auch fernerhin
charakteristisch.
Die Ausbildung des Chondrioms im Flimmerepithel, das die
Gruppen der Riechzellen voneinander trennt, ist diejenige für
Epithelien allgemein bekannte. Bemerkenswert ist die Gruppie-
rung der Chondriomiten in zwei Gebiete. Erstens ist eine unmittelbar
unter dem Cutieularsaum beginnende, in parallelen Zügen verlaufende
Chondriomitenansammlung, deren Elemente nur selten den ganzen
peripheren Plasmateil der Zelle durchziehen, und zweitens eine
perinukleäre stärkere Ansammlung von Chondriomiten zu unter-
scheiden (Fig. 14 und 10). Diese zweite Ansammlung sendet
ihre Elemente auch in den sich verjüngenden, basalen Zellabschnitt.
der, obgleich von Kernen der tieferen Epithelschichten umlagert,
sich dennoch sehr gut verfolgen lässt. Zur Annahme solcher
tegionen stärkerer Ansammlung der Chondriomiten verleitet der
Umstand, dass fast in sämtlichen Flimmerzellen der zentrale
Teil des peripheren, flimmertragenden Zellabschnittes nur von
spärlichen Chondriomiten erfüllt ist, zwischen welchen ein
hellerer, vom Chondriom fast völlig freier Teil sich abhebt.
Wie später ausgeführt werden wird, befindet sich in diesem
vom Chondriom fast freien Teile der Golgi-Kopschsche
Apparat.
Plasmastrukturen in Sinnesorganen und Drüsenzellen des Axolotls. 49
Im basalen Teile der Flimmerzellen, in unmittelbarer Nähe
des Kernes, bemerken wir sehr oft anstatt der kleinen Chondrio-
somen dickere Schollen von runder oder ovaler Form, die einzeln
oder auch zu drei bis vier zusammen liegen (Fig. 14 und 19).
Es wird eine Wanderung dieser grossen Schollen beobachtet,
indem man sie bisweilen vom basalen Zellabschnitte in den peri-
pheren aufsteigen sieht, wobei sie, den engen Raum zwischen
Kern und Zellgrenze passierend, sich zu langgestreckten, zylinder-
förmigen Gebilden umformen. In färberischer Hinsicht verhalten
sie sich gleich den Elementen des Chondrioms: Eisenhämatoxylin
tingiert sie dunkelblau, Säurefuchsin rot, wenn auch bisweilen
in einem helleren Ton als die Chondriomiten. Oft sieht man
aber diese Gebilde (Fig. 14) in einer und derselben Zelle teils
gefärbt. teils farblos, als helle kugelige Körper, deren Lage eine
konstante ist. Da sich diese Gebilde jedoch in mikrochemischer
Hinsicht auch gleich dem Golgi-Kopschschen Apparat ver-
halten. werden wir auf sie später noch zurückkommen.
/u den Stützfibrillen der Sinnesepithelien nun zurückkehrend.
können wir mit Rücksicht auf ihr Entstehen sie in die Reihe
jener Differenzierungsprodukte der Plastosomen stellen, die Meves
(24. 1910) und Duesberg (6, 1910, 7, 1912) als „paraplastische
Bildungen“ bezeichnen. Die Vermehrung der Fibrillen scheint
auch hier — wie in den Beobachtungen Firkets (10, 1911) bei
der Bildung des Glaskörpers des Huhnes — auf dem Wege der
Längsspaltung vor sich zu gehen, da in reiferen Knospen, die
Zahl der ein welliges Gewirre bildenden Stützfibrillen diejenige
der recht dicken Chondriomitenketten der Embryonalstadien bei
weitem übertrifft. Hierdurch soll natürlich nicht behauptet werden.
dass die Stützfibrillen das einzige Difterenzierungsprodukt des
embryonalen Chondrioms der Stützzellen sind — es ist hier
lediglich ein Organellum in seiner Entwicklung verfolgt worden.
Auch wird hier im Gegensatz zu den Befunden von Firket
auf die Entwicklung der Fibrillen nicht aus Chondriokonten.
sondern aus Chondriomiten (Granulaketten) aufmerksam gemacht,
als auch auf die teilweise Persistenz des Chondrioms in den
Stützzellen, während es bei der Bildung des Glaskörpers des
Huhnes vollends zum Aufbau der Fibrillen aufgebraucht wird.
Die Färbbarkeit nach anderen Fixierungsweisen wie die Plasto-
somen teilen die Stützfibrillen mit anderen paraplastischen Bil-
Archiv f.mikr. Anat. Bd.90. Abt. I. 4
0 Ceeylia Beigel-Klaften:
dungen, im besonderen mit den Protoplasmafasern der Epidermis,
was auch Duesberg (6, 1910) an der Epidermis der Kaulquappe
betreffs der in ihr vorhandenen dicken Fäden konstatiert.
II. Über den Ursprung der Drüsengranula und der
Langerhansschen Netze der Leydigschen Zellen.
Die Untersuchungen von Regaud (27, 1909) und Mavas
(21. 1909), Schulze (30, 1911) und Hoven (14, 1910) haben
reichliche Beweise für die Verwertung des Chondrioms zur
Granulabildung geliefert. Nichtsdestoweniger bietet die Ent-
wicklung eines jeden Organs gewisse Besonderheiten, die auf den
Prozess als solchen mehr Licht werfen. Umsomehr erwecken
das Interesse Bildungen, über welche die verschiedensten Meinungen
ausgesprochen worden sind, so die Langerhansschen Netze,
denen eine Reihe von Autoren. wie Carriere (3. 1884),
Pfitzner (26, 1884), Cohn (5, 1895), Leydig (18, 1868),
Langerhans (17, 1871), Paulicki (25, 1884), Studnicke
(31, 1909), Heidenhain (12, 1911), Meves (23, 1908) und
Duesberg (7. 1912) ihre Aufmerksamkeit zugewendet haben.
Die meisten Untersuchungen bezogen .sich jedoch auf ältere
Larvenstadien, hauptsächlich der Salamander- und Tritonlarve,
oder auf den erwachsenen Axolotl. Unsere Beobachtungen sind
an sehr jungen, von 4—6 mm langen Axolotl-Exemplaren bis zu
einjährigen und auch älteren Tieren gewonnen, und sind sie
hinsichtlich der Verhältnisse beim erwachsenen Axolotl mit den
überaus eründlichen Befunden Cohns und Heidenhains ın
vollkommenem Einklange. Die Hauptergebnisse rekapitulierend,
erwähnen wir, dass der von den Epidermiszellen umgebene
kleinere Kern der Leydigschen Zelle die charakteristische Ein-
kerbung schon in einem sehr frühen Entwicklungsstadium zeigt,
dass diese Einkerbung ferner als konstante Erscheinung bei
jeglicher Fixierungsweise zum Vorschein kommt. Leydigsche
Zellen mit zwei Kernen finden wir nicht nur bei älteren Axolotl-
Exemplaren: junge Stadien besitzen sie ebenfalls, wie überhaupt
in bezug auf Zellteilungen bemerkt werden muss, dass auch
während der Entwicklung verhältnismässig selten in den Leydig-
schen Zellen Mitosen angetroffen werden. Die Zahl der
Leydigschen Zellen scheint sich eher durch Differenzierung
Plasmastrukturen in Sinnesorganen und Drüsenzellen des Axolotls. 51
neuer Epithelzellen zu Drüsenzellen, als durch die Teilung letzterer
zu vermehren.
Das Verhalten der Drüsengranula gegenüber Eisenhäma-
toxylin ist in Fig. 20 zu sehen, das mit Cohns Befunden völlig
übereinstimmt. Was die Entstehung der Granulationen betrifft,
sagt Cohn, auf Beobachtungen an der Tritonlarve gestützt, dass
sie in den Fäden des im Zelleibe sich ausspannenden protoplas-
matischen Fach- oder Septenwerkes eine spezifische Umwandlung
‘des Protoplasmas selbst darstellen. Heidenhain (12, 1911)
unterscheidet folgende Entwicklungsstadien der Leydigschen
Zellen: „Erstlich treten in dem Zellenprotoplasma tropfenartige
Gebilde in dichter Lagerung auf, durch welche die Zellsubstanz
in ein Fach- oder Wabenwerk umgewandelt wird: die Substanz
der Tropfen ergibt mit Vanadiumhämatoxylin eine Schleim-
reaktion — jedoch möchte die Bezeichnung als Schleimzellen
dadurch noch nicht gerechtfertigt sein. Zweitens bilden sich ın
den Ecken des erwähnten Fachwerkes knotenartige Verdickungen,
welche den serösen Drüsengranulis ähnlich sehen, jedoch aus
einer direkten Metamorphose des Plasmas hervorgehen. Drittens
brechen die erstentstandenen Vakuolen ineinander ein. und es
bildet sich dadurch ein System von Strangwerken, welches die
‚beschriebenen Knoten oder Granula zunächst im sich enthält.
Allein die Strangwerke schwinden und die Körner werden
dadurch frei. Schliesslich enthält die Leydigsche Zelle ım
Innern ausser dem Kern und geringen Plasmaresten als Haupt-
bestandteil eine Unsumme rundlich eckiger Körper, welche un-
verbunden nebeneinander liegen.“
jezüglich des Langerhansschen Netzes, das in Fig. 20
ebenfalls in einem etwas schräg geführten Tangentialschnitte zu
sehen ist. ist seine Ausbildung vollkommen treffend von Cohn
und Heidenhain geschildert worden — die Übereinstimmung
der Bilder ist eine bis in die kleinsten Details vollkommene.
Was die Genese des Netzes betrifit. so stellt es nach Paulicki
und Gohn „rippenartige Verdickungen der Oberflächenschichte“
dar; nach Heidenhain ist es eine Differenzierung in der kinden-
schicht des Plasmas, während Studnicka (31, 1909) das Netz
aus Tonofibrillen. „die mannigfaltig sich vereinigend. an der Ober-
fläche der durch keine wirkliche exoplasmatische Zellmembran
aussen geschützten Drüsenzellen ein vollkommenes Gitter bilden“,
4*
52 Cecylia Beigel-Klaften:
bestehen lässt, was jedoch Heidenhain durchaus ablehnt. Meves-
(23, 1907) hat ferner die Frage aufgeworfen. ob die in der
Weise wie Uhondriokonten sich färbenden Fäden des Langer-
hansschen Netzes der Salamanderlarve mit solchen nicht identisch
wären. Meves glaubt diese Frage bejahen zu können. da er
anderenorts von dem Auftreten des Chondrioms in der Form von
Netzen mit Berufung auf die in Rede stehenden Netze spricht.
Auch sehen Meves und Samsonow (28, 1910) im Innern der
Leydigschen Zelle spärliche Fadenkörner in der den Kern
umgebenden Plasmaanhäufung.
Die Behandlung sehr junger Axolotl-Exemplare nach den
verschiedensten, eingangs erwähnten Methoden ergab folgendes:
4—6 mm lange Tiere besitzen noch keine Leydigschen Drüsen;
die aus zwei Zellschichten bestehende Epidermis lässt in dieser
Hinsicht keine Differenzierungen wahrnehmen. Aber schon bei
6—5 mm langen Individuen sind in beiden Epidermisschichten Zellen:
vorhanden, die durch ihr helleres Plasma und ihre Grösse leicht
auffallen. Der Kern der Zelle ist gross, zeigt aber bereits die
Einschnürung und in reger Fragmentierung begriffenes. reiches
Nukleom. Der plasmatische Teil der Zelle stellt sich je nach
Anwendung verschiedener Reagenzien verschieden dar.
So gewahrt man, nach Fixierung in Carnoysoder Kolmers
Mischung und Tingierung mit Heidenhains Eisenhämatoxylin
(Fig. 6), dass das helle Plasma aus einem dichten Fach- oder
Septenwerk besteht. Weder in den Balken noch in den Maschen
dieses Werkes sind nach obigen Behandlungsweisen irgend
welche Granulationen zu sehen. Das Fachwerk füllt den Zelleib-
bis an seine Peripherie aus, am dichtesten sind die Balken in der
perinukleären Region.
Wird jedoch die Epidermis dieses Stadiums nach Champy-
Kopsch (Bichromat-Formol) oder Sublimat-Osmium fixiert, und
nachher mit üblichen Färbungsmitteln wie Eisenhämatoxylin, Säure-
fuchsin, Kristallviolett behandelt, so ist das Bild vervollkommnet,
indem alle Balken von kleinen, fast einheitlich grossen, intensiv
sich tingierenden Granulaketten durchsetzt sind. Nichtsdeste-
weniger ist das helle Plasma der Balken gut zu sehen, so dass
ein regelmässiges Bild entsteht, indem dieses hyaloplasmatische
Fachwerk die Lagerung der Chondriosomen bestimmt. Dass die
ersten Granulationen das Chondriom der Zelle darstellen, beweisen
Plasmastrukturen in Sinnesorganen und Drüsenzellen des Axolotls. 53
„die vorher erwähnten Bilder nach Carnoys Flüssigkeit — ferner
‚der Umstand, dass in den umgebenden Epithelzellen ebenfalls
nach diesem Verfahren keine Plastosomen, während sie bei den das
Chondriom konservierenden Methoden sehr schön zum Vorschein
kommen (Fig. S und 9), dass schliesslich in der zur Leydigschen
Zelle sich differenzierenden Zelle keine andere Form des Chon-
drioms als die genannten Granulationen auftritt; auch gehört
hierher die von Carriere (3, 1884) beobachtete Tatsache, dass
die ersten während der Entwicklung der Leydigschen Zellen
zum Vorschein kommenden Körnchen durch Überosmiumsäure
fixiert, durch wässerige Lösungen dagegen ganz oder zum Teil
gelöst werden.
In Fig. 9 haben wir einen Längsschnitt durch die junge .
Drüsenzelle vor uns, in Fig. 7 einen Oberflächenschnitt mit regel-
mässigen Balken und in dieselbe eingelagerten Chondriosomen.
Dieses Stadium ist von grosser Wichtigkeit, da es einen gemein-
schaftlichen Ausgangspunkt für die beginnende Differenzierung
der Granula im Innern der Zelle einerseits, und die Bildung des
Langerhansschen Netzes andererseits darstellt.
Die einsetzenden Änderungen in den Chondriosomen äussern
sich bald in den Färbungsunterschieden und dem Wachsen der
Elemente. Die einen Balken füllenden Chondriosomen werden
dicker, fliessen oft zusammen, dass sie kurzen Chondriokonten
ähnlich sind, die jedoch ihre Verbindung mit anderen Balken
lange behalten. (Gewöhnlich geht die Differenzierung an den
Enden der kleinen Balken vor sich, woraus die wohlbekannten
Bilder knotenartiger Verdickungen entstehen. Je grösser die
Elemente werden, desto schwächer ihre Affinität zum Kristall-
violett. Säurefuchsin und Eisenhämatoxylin. Die lose im Zelleibe
herumliegenden Granulationen zeigen alle Abstufungen von
dunkelrot resp. dunkelblau bis braungelb (Fig. 11) bzw. grau.
Natürlich wurden die früheren Protoplasmabalken durch diesen
Vorgang entweder ganz aufgebraucht, oder es sind seine Reste
noch lange zwischen den einzelnen dicken Granulationen vor-
handen. Das Zusammenbrechen des Fachwerkes findet aber
hauptsächlich im mittleren Teile des Zellprotoplasmas statt. In
unmittelbarer Nähe des Kernes, wie auch an der Zellperipherie
bleiben die Balken erhalten. In ersterer Anordnung sind sie
stets zu finden, sogar an bereits entwickelten Drüsenzellen älterer
4 Cecylia Beigel-Klaften:
Tiere (Fig. 20), wo die perinnkleäre Zone von in protoplasmatischen
Balken eingelagerten Chondriosomen oder Chondriomiten ein-
genommen ist. Oft ist diese ihre Anordnung in Balken eines
Fachwerkes eine überaus schöne, manchmal sind die Maschen
des Werkes sehr klein, wodurch unregelmässige Bilder entstehen,
jedenfalls ist das Chondriom noch in reifen Ley digschen Zellen
vorhanden (Meves, Samsonow). Nach Fixierung in Sublimat-
Eisessig oder Kolm erscher Mischung stellt sich das perinukleäre
Plasma als dunkler. homogener Hof dar, in welchem nur grössere
Körner. also schon differenzierte Bildungen vorhanden sind, die
jedoch nach Heidenhains Eisenhämatoxylin oder Säurefuchsin
sich noch tingieren und so Übergangsformen zu den endgiltigen
Granulationen darstellen. Somit ist das Heidenhainsche Schema
der Entwicklung der Leydigschen Zellen dahin ergänzt, dass.
die „knotenartigen Verdickungen“ des Protoplasmafachwerkes.
Stadien der bereits zu Granulationen differenzierten Chon-
driosomen und Chondriokonten darstellt, und glauben auch für
die ersten „tropfenähnlichen Gebilde“ denselben Ursprung, wie
für die anderen Zellgranula annehmen zu dürfen. Wie aus der
Fig. 20 zu ersehen ist, tingieren sich die reifen Körner, resp.
Fäden nicht mehr in der Weise der Mitochondrien; nach Kulls
Modifikation (Fig. 12) sind sie bräunlichgelb, nach Eisenhäma-
toxylin ist die charakteristische Entfärbung von der Peripherie
in der Richtung gegen das Zentrum, wie dies bereits Cohn
beschrieben hat, zu beobachten. Bisweilen ist die Entfärbung
eine totale. Es sei bemerkt, dass die Granula gegenüber Säure-
fuchsin vollkommen analog sich verhalten wie gegenüber Eisen-
hämatoxylin, also rote Zentren mit gelben Randstreifen im Quer-
schnitt oft zum Vorschein kommen. Vielleicht haben wir in
diesem Zentrum ein Residuum des Chondriosoms, dessen Diffe-
renzierung von der Peripherie nach dem Zentrum zuschreitet,
oder es ist eine Folge der Fixierung.
Es wurde oben bemerkt, dass die Protoplasmabalken mit
dem in diese eingelagerten Chondriom an der Peripherie erhalten
bleiben (Fig. 11). Die Änderungen, die sich hier vollziehen, sind
denjenigen bei der Granulabildung auftretenden ganz ähnlich,
mit dem Unterschiede, dass hier der Zusammenhang zwischen
den Balken erhalten bleibt, die Chondriosomen sich mithin in
den von dem protoplasmatischen l’achwerke sozusagen geformten
l
est
Plasmastrukturen in Sinnesorganen und Drüsenzellen des Axolotls. :
Bahnen differenzieren, dieses Fachwerk in sich aufnehmen und
verarbeiten. So entsteht das gitterartige Netz, das in jungen
Drüsen eine ausserordentliche Regelmässigkeit aufweist (Fig. 7
und 16), um erst später durch Wachstum die periphische Gestalt.
wie sie Cohn und Heidenhain geschildert haben, zu erlangen.
In jungen Stadien tingiert sich das Netz tatsächlich gleich dem
Chondriom, wir können es aber keineswegs als eine primäre Form
des Auftretens desselben betrachten: schon das Auftreten seiner
Elemente, der Chondriosomen, in protoplasmatischen Balken des
Fachwerkes, das spätere Schwinden einzelner Chondriosomen und
die Differenzierung zu soliden, einheitlichen Balken, die beim Axolotl
eine enorme Breite und Dicke erlangen, die gleichzeitige Ver-
minderung der Affinität zu Säurefuchsin, Kristallviolett und Eisen-
hämatoxylin (Fig. 12) spricht dagegen. Auf letzteren Umstand
sei ausdrücklich hingewiesen. Wie in Fig. 12 zu sehen ist, färbt
sich das Netz nach dem Mitochondrienverfahren in einem kaum
intensiveren Ton als die reifen Granulationen, und sogar nach Eisen-
hämatoxylin, das die Langerhansschen Netze am intensivsten
tingiert, lässt sich leicht eine Entfärbung des Netzes unter
prägnantem Hervortreten desperinukleären Chondriomiten, erzielen.
Dass wir ferner in diesen Netzen „paraplastische Gebilde“ sehen
müssen, folgt auch aus ihrer Widerstandsfähigkeit gegenüber
das Chondriom schädigenden Reagenzien. was von den sehr jungen,
in Entwicklung begriffienen Leydigschen Zellen (6—8 mm lange
Tiere) nicht behauptet werden kann.
Bei der Salamanderlarve, wo das Langerhanssche Netz
aus schmalen Balken besteht, ist eigentlich die embryonale, regel-
mässige Form des Netzes, die beim Axolotl ein Entwicklungs-
stadium darstellt, zur funktionierenden während des ganzen
Larvenlebens geworden. Nichtsdestoweniger sind auch bei der
Salamanderlarve in frühen Entwicklungsstadien der Netze die in
protoplasmatische Balken eingelagerten Chondriosomen zu sehen.
Dagegen sind gar keine Anhaltspunkte für eine Fibrillärstruktur
im Sinne Studnickas vorhanden.
Ausser den Chondriomiten in der perinukleären Zone der
Leydigschen Zelle finden wir hiermit beim Axolotl an der
Peripherie dieser Zellen keine undifferenzierten Elemente des
Chondrioms. Die von Meves und Samsonow (28, 1910) in
dieser Region gesehenen Fäden gehören zum Langerhansschen
56 Uecylia Beigel-Klaften:
Netze, das eine hochdifferenzierte Bildung des C'hondrioms dar-
stellt. Ausserhalb des Netzes sind wohl Chondriomen vorhanden,
aber sie sind den zwischen den Leydigschen Zellen eingelagerten
Epithelzellen zuzurechnen.
Nach Behandlung der Leydigschen Zellen mit verschie-
denen Fixierungsflüssigkeiten und den verschiedensten Tingie-
rungen gewinnt man den Eindruck, dass zwischen den die Zelle
ausfüllenden Körnern einerseits und dem Langerhansschen
Netze andererseits in substantieller Hinsicht kein wesentlicher
Unterschied vorliegt: das Netz scheint bloss solider, kompakter
als die Granula zu sein, woher die Tönung in der Tinktion
herrührt. Besonders ist das Verhalten nach Einwirken von Osmium-
säure zu beobachten. Nach längerem Einwirken dieses Fixierungs-
mittels stellen sich Körner und Netz als homogene, solide Balken
resp. Granulationen dar, letztere öfters von eckigem, ausgezogenem
“Wuerschnitt. Auch scheinen die Körner sich stark verlängern zu
können, wodurch der dickfädige Habitus des Sekretes zustande
kommt. Das Eindringen von Balken des Netzes zwischen die
Granulationen ist besonders in jungen Drüsenzellen oft beobachtet
worden; bisweilen verursachen diese ins Innere dringenden Balken
eine Kammerung der Zelle, indem zwischen äussere und tiefer
liegende Balken Granulationen eingeschlossen sind. Dieses Ver-
halten stellt mit Rücksicht auf die hier angeführte Entwicklung
der Leydigschen Zellen nichts Widersprechendes dar, indem in
solchen Fällen die Differenzierung sich nicht streng auf die
Rindenteile des protoplasmatischen Fachwerkes beschränkt, aber
zugleich auch die Annahme einer spezifischen, vom embryonalen
protoplasmatischen Fachwerke unabhängig tätigen Rindenschicht
des Plasmas überflüssig macht.
Ein protoplasmatisches Fachwerk mit in dasselbe ein-
gelagerten Ühondriosomen haben wir ebenfalls in der Entwicklung
der vielzelligen Giftdrüsen des Axolotls beobachtet. Sowohl in
Schaltzellen, als auch in den auf verschiedenen Sekretionsstadien
sich befindenden Drüsen sind die Chondriosomen vorhanden. In
Fig. 15 ist eine junge Axolotldrüse abgebildet, die nach der
Altmannschen Methode behandelt worden ist. Das homogene
Plasmafachwerk mit eingelagerten, sehr kleinen fuchsinophilen
Granulationen ist zwischen den grossen Sekretkörnern zu sehen.
Dieses Plasmafachwerk ist zwar in jungen Drüsen auch nach ge-
Plasmastrukturen in Sinnesorganen und Drüsenzellen des Axolotls. 57
wöhnlichen Fixierungsweisen zu sehen, nicht aber das eingelagerte
Chondriom: auch sei bemerkt, dass beim Axolot|l während der
Bildung des Sekretesnie das Auftreten von Mitochondrien (Chondrio-
konten) ausserhalb des Protoplasmafachwerkes beobachtet wurde,
dass mithin die Bildung der Sekretgranula in den vielzelligen
Drüsen wie in den Leydigschen Zellen auf Kosten der in
plasmatischen Balken liegenden Chondriosomen resp. Uhondrio-
konten sich vollzieht.
III. Der Golgi-Kopschsche Apparat in den Sinnes-
epithelien und Drüsenzellen des Axolotls.
Wie erwähnt wurde, beschäftigte mich in den untersuchten
Organen der Golgi-Kopschsche Apparat, den sowohl bei
älteren, als auch sehr jungen Tieren zu studieren die Möglichkeit
sich darbot. Unter den angewandten Methoden ergab Weigls
35. 1912) Modifikation der Kopschschen Methode die weit-
aus besten Resultate: die nach ihr behandelten Objekte geben
für die vorstehenden Befunde das Hauptmaterial ab; während
das Verfahren nach Kopsceh und Cajal (I. Methode) ebenfalls
brauchbare Präparate lieferte, konnten die vermittels der Cajal-
(rolgischen Arsennitrat-Methode erzielten Bilder nur vergleichs-
weise herangezogen werden. Überhaupt wurde eine beträchtliche An-
zahl von Material verbraucht, ehe es gelang, nach der letzt-
genannten Methode gute Präparate aus der Epidermis der jungen
Tiere zu erlangen. ‚Jedenfalls könnte nach den gemachten Er-
fahrungen die Arsennitrat-Methode als einziges Verfahren zu
eingehender Untersuchung durchaus nicht genügen.
Wir beginnen mit der Beschreibung der Befunde in der
Riechschleimhaut eines etwa ein Jahr alten Axolotls.. Wie man
in den Fig. 24 und 26 sieht, ist der Golgi-Kopschsche
Apparat sowohl in den Riechgruben, als auch in dem Falten bildenden
Flimmerepithel in einer ausserordentlich klaren und distinkten
Weise entwickelt. In Riech- und Stützzellen (Fig. 26) bildet er
sehr lange, dünne Fäden, die den schmalen protoplasmatischen
Zellkörper an seiner Peripherie zwischen Kern und äusserer Zell-
obertläche durchziehen. Die Fäden beginnen in unmittelbarer
Nähe des Kernes, ziehen unter mannigfachen Knickungen und Win-
dungen aufwärts, oft Schleifen bildend; die Fäden sind sehr dünn,
98 Cecylia Beigel-Klaften:
tief schwarz und in ihrer nächsten Umgebung oder auch in ihrem
Verlauf eingefügt oder als Varikositäten finden sich oft sehr kleine
(sranulationen. die zu den Fäden in einer Beziehung zu stehen
scheinen. Die Fäden aller Riech- und Stützzellen erstrecken sich
recht weit in den langgestreckten Zellkörpern. einen breiten. von
ihnen immer freien plasmatischen Raum zurücklassend.
(senaue Musterung sämtlicher Zellen einer Riechgrube zeigt.
dass die Ausbildung des Apparates in den Riech- und Stützzellen
die gleiche ist. An isolierten Zellen stellt sich der Apparat so
vor, wie er in Fig. 530 zu sehen ist, wo auch die periphere Lage
der Fäden, besonders im basalen Zellteile. zum Vorschein kommt.
Es ist schwer zu entscheiden. ob hier ein Netz ausgebildet ist.
Anastomosen kommen sehr selten ver, am distalen Zellende, wo
die Apparatfäden verschwinden, sieht man gewöhnlich in jeder
Zelle zwei Fadenenden. An Querschnitten durch die Riech-
schleimhaut ist die periphere Lage der Apparatfäden sehr deutlich
zu sehen; so in Fig. 25, wo die Schnittrichtung etwas schief ver-
läuft. Die Schleifen der Fäden umgeben die Peripherie der
schmalen Zelle, ihr zentraler Teil ist von Fäden fast immer frei.
Anders in den Flimmerzellen: hier stellt der Golgi-Kopschsche
Apparat kurze, geknickte, sehr dünne Fäden dar, so in den
Fig. 24 und 29. Auch hier liegen die Fäden in einem recht
weiten Abstand von der äusseren Zelloberfläche und nehmen vor-
wiegend den mittleren Plasmateil zwischen Kern und Lumen ein.
wie es auch bei anderen Epithelien der Fall ist. In Fig. 27
ist eine Partie des Riechepithels mit den angrenzenden Flimmer-
zellen abgebildet. Die Ausgestaltung der Apparatfäden im Flimmer-
epithel, das mehr in der Richtung gegen die Peripherie als die
Riechzellen zu liegen kommt, beweist, dass das Ausbleiben der
Apparatfäden im breiten, peripheren, protoplasmatischen Zell-
abschnitte des Riechepithels nicht durch schlechte Imprägnierung
hervorgerufen ist, da sonst wenigstens im gleichen Niveau die-
selben Wirkungen sich einstellen müssten, und mithin auch in
den Flimmerzellen jegliche Imprägnierung fehlen müsste, was
nie der Fall ist; denn solche Bilder wie in der zitierten Figur
sind die typischen nach Anwendung aller möglichen Methoden,
welche den Kopschschen Apparat deutlich machen. Dafür, dass
Apparatfäden mit den früher erwähnten Stützfibrillen nicht identisch
sind, spricht zunächst ihre Lage und die eigenartige morpho-
Plasmastrukturen in Sinnesorganen und Drüsenzellen des Axolotls. 39
logische Ausbildung. Die Stützfibrillen sind einheitlich glatt, in den
tieferen, den Kernen nächstliegenden Plasmapartien von welligem
Verlauf, auch sind sie bedeutend dicker als die ausserordentlich
feinen, zwar glatten, aber ihre Richtung oft unter geradem
Winkel und plötzlich ändernden, nie gespannt verlaufenden Fäden.
Die Stützfibrillen erstrecken sich bis an die Peripherie, die Ap-
paratfäden sind dort, wie schon gesagt wurde. niemals anzutreffen.
Auch treten die Stützfibrillen vorwiegend. wenn nicht ausschliess-
lich, nur in Stützzellen auf, der Apparat ist in sämtlichen Zellen
der Riechschleimhaut vorhanden. Auch kann bezüglich des
Chondrioms keine Schwierigkeit im Auseinanderhalten dieser (re-
bilde bestehen. Das Vorkommen derselben, wie früher erwähnt wurde.
als Chondriosomen, die besonders in den Riechzellen die Zelle
bis zur Peripherie ausfüllen, in den Flimmerzellen in typischer
Anordnung und Gruppierung zum Vorschein kommen. hebt jede
Grundlage für die Identifizierung dieser Bildungen auf. Räumlich
kommen die Apparatfäden in den Flimmerzellen in den hellen,
von Chondriomiten freien Raum zu liegen, und sie befinden sich
nur an einem Zellpol, während das Chondriom auch im zentri-
petalen, sich verjüngenden Zellenteil vorhanden ist.
Die Verhältnisse in den Basalzellen des Riechepithels stehen
im Zusammenhange mit den geringen Plasmamengen, die hier
vorhanden sind; sie stellen sich mithin folgendermassen dar:
Kurze Fäden selbständig, oder in Verbindung mit kleinen, trans-
parent schwarzen Kügelchen oder Tropfen, oder aber nur solche
traubenartig angehäufte, mehr oder minder grosse, schwarze
Tropfen, die bisweilen, wo mehr Plasma vorhanden ist, zu grossen
Schollen anwachsen können, sind eine konstante Erscheinung.
Einen Unterschied in der Ausbildung des Apparates in der äusseren
und in der tieferen Zellenschichte kann man auch bei Tinca vulg.
in demselben Organ konstatieren. In Fig. 21 ist ein Längsschnitt
durch die Riechschleimhaut von Tinca vulg. nach Cajals Silber-
nitrat-Methode dargestellt. Auch hier ist in sämtlichen Zellen
der Apparat vorhanden in Form dieker Halbringe, oder bakterien-
förmiger Stäbchen, in regelmässiger Anordnung in allen Zellen
in gleicher Lagerung, auch hier in einem gewissen Abstand von
der äusseren Zelloberfläche. In den Basalzellen sind selten Halb-
ringe oder dicke Stäbe anzutreffen, am meisten sind es unregel-
mässige kleine Schollen oder Körnchen, die in einer Anhäufung
2 Ceeylia Beigel-Klaften:
den Kernen anliegen. Es ist wahrscheinlich, dass die dicken
iinge, die Kolmer (1907) in den Zellen des Riechepithels bei
Fischen nach Anwendungder Ca jalschen Silberreduktions-Methode
gesehen hat, dem hier beschriebenen Golgischen Apparate
angehören. — Wie sich der Apparat der Riechschleimhaut von
Tinca im Flächenschnitt darstellt, ist in Fig. 22 zu sehen.
Auch Fauanas (9, 1912), dessen Arbeit infolge der Kriegs-
zeiten mir unzugänglich ist, sieht, wie Duesberg (8, 1914)
berichtet. im Riechepithel der Taube in den Bipolaren- und Stütz-
zellen einen netzförmigen. an dem gegen die Oberfläche des
Epithels gerichteten Pol des Kernes gelegenen Binnenapparat.
In den Basalzellen findet Fauanas nur Körner und Stäbchen,
‚die regellos im Cytoplasma zerstreut sind.
Es ist bei der Beschreibung des Chondrioms des Flimmer-
‚epithels erwähnt worden, dass im unteren Kernpol dieser Zellen
des öfteren grössere und kleinere Schollen vorkommen, die in
mikrochemischer Hinsicht sich analog den Chondriomiten ver-
halten, bisweilen aber als farblose Körper in konstanter Lagerung
zu finden sind. Ihre Formveränderung und Wanderung vom
unteren zum oberen Zellpol war dort ebenfalls festgestellt. Nun
finden wir an sämtlichen Präparaten aus der Riechschleimhaut
in den Flimmerzellen ganz ähnlich aussehende Bildungen von
‘Osmiumsäure geschwärzt, in einer Ausbildung und Lagerung, die
vollends für die Identität dieser Bildungen spricht.
Sämtliche Fixierungs-Methoden bewiesen zur Genüge, dass
‚die Schollen weder Artefakte noch destruierte. verquollene oder
granulierte Apparatfäden darstellen. Dies geht zunächst schon
daraus hervor. dass bei so tadelloser Fixierung, wie sie nach
Sublimat-Osmium mit folgender Einwirkung von Osmiumsäure
auftritt. und bei der die Fäden des Apparates der Riech-. Stütz-
und Flimmerzellen mit einer ausserordentlichen Präzision zum
Vorschein kommen, in denselben Zellen, in denen am oberen
Pol Fäden vorhanden sind, am unteren Pol Schollen beobachtet
werden, oder auch am oberen Pol nebeneinander Fäden und
Tropfen von variabler Form, sehr oft im Zusammenhang mit den
Fäden, die von ihrer Zartheit nichts eingebüsst haben.
Ferner bestätigen dies die Verhältnisse in den tieferen Zell-
:schichten des Flimmerepithels, wo abwechselnd diskrete Fäden
in den einen Zellen, in den angrenzenden wieder Schollen oder
Plasmastrukturen in Sinnesorganen und Drüsenzellen des Axolotls. 61
Körner ausgebildet sind, wie aus Fig. 24 zu ersehen: ist.
schliesslich aber der Umstand, dass sie nach anderen Fixierungs-
weisen. die das Chondriom zum Vorschein bringen, ebenfalls
vorkommen und sich sogar mit Säurefuchsin und Eisenhäma-
toxylin tingieren lassen, obgleich sie die Affinität zu diesen Farb-
stoffen nicht immer behalten. Dieses Verhalten, verbunden mit
der konstatierten Widerstandsfähigkeit gegenüber der Terpentin-
reaktion und Behandlung mit Sudan II, erlaubt, diese Schollen,,
Körner und Tropfen als Lipoidkörper zu betrachten, die jedoch
vermöge der erwähnten Eigenschaften mehr der Substanz der
Apparatfäden als des Chondrioms sich nähern, wofür auch der
oft vorkommende unmittelbare Zusammenhang zwischen Kern
und Faden zu sprechen scheint, wie auch die Tatsache, dass die
Schwärzung der Schollen nicht gleichzeitig mit der Schwärzung
anderer Teile des Chondrioms zustande kommt.
Den hier beschriebenen ganz ähnlichen Verhältnissen be-
gegnen wir beim Studium des Golgi-Kopschschen Apparates
sehr junger Axolotl-Exemplare und zwar in der Riechschleimhant.
den Haut-Sinnesorganen, der Macula acustica, sowie in den
Leydigschen Zellen und vielzelligen Hautdrüsen. In der Riech-
schleimhaut eines 6—8 mm langen Tieres sind schon die Apparat-
fäden vorhanden, ausser ihnen aber sehr zahlreich die besagten:
Schollen und Körner. Dasselbe ist in den jungen Sinnesknospen
(Fig. 23) zu sehen, wo die Fäden eine derjenigen der Riech-
schleimhaut analoge Ausbildung zeigen, wenn auch die Lagerung
der diekeren Lipoidschollen hier nicht diese Konstanz aufweist,
da sie zwischen den Fäden meist am oberen Zellpol auftreten.
Wenn mithin die Existenz des Golgi-Kopschschen Apparates
bei so jungen Tieren festgestellt werden muss. so ist dennoch
zu bemerken, dass seine Ausgestaltung hier lange hinter der-
jenigen erwachsener Tiere zurücksteht, und wenn wir in den
letzteren das Auftreten von Körnern und Schollen neben einer
überwiegenden Anwesenheit von Fäden beobachteten. so ist bei
sehr jungen Tieren das Verhältnis ein umgekehrtes. So finden
wir z.B. in den vielzelligen Hautdrüsen des S—9 mm langen
Axolotls in sämtlichen Zellen den Golgi-Kopschschen Apparat
ausgebildet in der Form kleiner Fädchen, die mit einem oder
mehreren Körnern im Zusammenhange stehen. Wie in Fig. 36
zu sehen ist, befinden sich diese Anlagen des Apparates an dem
62 Cecylia Beigel-Klaften:
dem Lumen der jungen Drüse zugekehrten Kernpole. In ent-
wickelten Drüsen, besonders in den grossen Riesenzellen, ist der
Apparat in Form eines reich anastomosierenden Netzes, das eine
perinukleäre Lagerung eingenommen hat. vorhanden. Die Balken
dieses Netzes, wie aus Fig. 31 erhellt. können eine bedeutende
Dicke erlangen, die Anastomosen erstrecken sich weithin in den
Zellkörper zwischen die Sekretkörner. in desto dünneren Fäden
endend, je entfernter sie sich vom perinukleären Teil des Apparates
befinden, Die Netze sind intrazelluläre Bildungen, obgleich ihre
Verzweigungen sich im basalen Zellteile oft bis an die Peripherie
erstrecken. In den Knotenpunkten der Balken sind auch hier
Körner und Schollen vorhanden, von denen aus zahlreiche Ver-
zweigungen in den verschiedensten Richtungen ziehen. Die
weitaus grösste Ausbreitung erlangt der Golgi-Kopschsche
Apparat in den grössten Zellen der Drüse und scheint er auch
mit diesen Zellen gleichzeitig zu Grunde zu gehen. Neben
degenerierenden Kernen solcher Zellen sind oft Fragmente des
Dinnenapparates zwischen Sekretkörnern anzutreffen (Fig. 32).
Wie erwähnt wurde. befindet sich der Apparat in sämtlichen
Zellen der Drüse, und wir können mit Rücksicht darauf, dass
nicht alle Zellen in demselben Funktionsstadium sich befinden,
und dass die Drüse auch oft mit jungen Ersatzknospen im Zu-
sammenhang steht (Fig. 31), verschiedene Stadien des sich
entwickelnden Apparates verfolgen. Wir konstatieren also zu-
nächst. dass die Ausbildung des Apparates in den Zellen der
Ersatzdrüse und den Schaltzellen derjenigen der embryonalen
Drüse (Fig. 36) entspricht, indem hier wie dort kurze Fädchen
in Verbindung mit Körnern zum Vorschein kommen. dass in den
zu Drüsenzellen sich ditferenzierenden Zellen der Apparat eine
perinukleäre Lage annimmt, dass er allmählich die Form eines
Netzes erlangt. — Vielleicht geschieht das auf die Weise, dass
die zuerst unabhängig voneinander sich differenzierenden und
wachsenden Fäden und Körner nachher in Verbindung treten;
oder es kommen die ersten Anlagen des Apparates zwischen die
früher erwähnten Balken des die ganze Zelle ausfüllenden
protoplasmatischen Fachwerkes — wo auch die Chondriosomen
sich befinden — zu liegen, so dass ihre Entwicklung in bezug
auf die Form von diesem Fachwerke gleichsam bestimmt wird,
ähnlich wie wir es bei der Bildung der Langerhansschen
Plasmastrukturen in Sinnesorganen und Drüsenzellen des Axolotls. 65
Netze annehmen. — Hierdurch wird jedoch die Frage, ob die
erste sichtbare Anlage des Binnenapparates zugleich die alleinige
und für seine weitere Entwicklung ausreichende ist, nicht
entschieden.
Dassin der Entwicklung des Golgi-Kopschschen Apparates
bisweilen eine Tendenz beobachtet werden kann, den Zonen des
«definitiven Auftretens der Plastosomen in erwachsenen Zellen zu
folgen, ergibt das Studium des Apparates in den Leydigschen
Zellen. In der sich entwickelnden Drüse finden wir hier an
einem Kernpol (Fig. 35) eine kleine Anhäufung von Körnchen,
die mit kurzen Fäden in Verbindung stehen. Die Kenntnis der
morphologischen Ausbildung des Chondrioms in diesen Zellen
ermöglicht die Unterscheidung dieser zwei Bildungen vonein-
ander. In reifen Zellen. wo das Chondriom in den Resten der
protoplasmatischen Balken als Ghondriosomen erhalten bleibt,
finden wir den Golgi-Kopschschen Apparat, wie aus den
Fig.33 und 34 zu ersehen ist, ebenfalls in dieser perinukleären
Zone in der Form von kürzeren oder längeren Fäden, die in
dichten Flechten den Kern allseitig umgeben, wenn auch gewöhn-
lich an einem Kernpol die Anhäufung der Fäden eine grössere
ist. Nichtsdestoweniger stellen diese Bildungen auch hier von-
einander unabhängige Zellstrukturen dar.
Die mit dem Alter und der Differenzierung der Zelle fort-
schreitende Komplikation des Apparates haben mehrere Autoren,
so Golgi, Veratti (32, 1902), Holmgren (13, 1907), Weigl,
Marcora u.a. festgestellt. Fauanas(9, 1912) (nach Duesberg
[8, 1914| zitiert) sieht beim sechstägigen Hühnerembryo in der
Achse der embryonalen Muskelfaser Körner und Stäbchen, die
für ihn dem ersten Entwicklungsstadium entsprechen. und aus
welchen sich das komplizierte Netz der erwachsenen Muskel-
faser bildet.
Aus obigen Beobachtungen folgt zunächst, dass die mor-
phologische Ausbildung des Apparates bei einem und demselhen
Tiere ebenso wie die des Chondrioms eine verschiedene ist. In
den Sinnesepithelien fanden wir vorwiegend lange, der Form der
Zellen in ihrem Verlaufe angepasste Fäden, während in den
vielzelligen Hautdrüsen Netze ausgebildet waren. Dass aber
letzteres Verhalten nicht etwas allgemein für Drüsenzellen Geltendes
ist, beweisen einerseits die Leydigschen Zellen mit ıhrem
64 Ceceylia Beigel-Klaften:
verklumpten Apparat, in welchem die Unterscheidung einzelner
Elemente oft auf Schwierigkeiten stösst, und die vielzelliger
Drüsen der Riechschleimhaut (Fig. 17), in welchen der Apparat
vorhanden ist, aber nur in Form loser Fäden, die bedeutend
dicker als diejenigen der Sinnesepithelien oder der Hautdrüsen sind.
Man könnte ferner in der morphologischen Ausbildung des
Apparates erwachsener Zellen bisweilen den Ausdruck gewisser.
während der Entwicklung herrschender Lokalisationen des Gyto-
plasmas sehen. in dem Sinne. dass z.B. das Auftreten von Fach-
werken im Plasma die Ausbildung des Apparates in der Netzform
beeinflussen kann.
Es ıst schliesslich in sämtlichen hierorts untersuchten Organen
ausser dem Auftreten des Golgi-Kopschschen Apparates in
der Form von feinen geschlängelten und gewundenen Fäden —
sowohl bei erwachsenen, als auch sehr jungen Tieren — das Vor-
handensein von grösseren oder kleineren Lipoidschollen beobachtet
worden. Diese Bildungen, die als gewöhnliche Anhäufung oder
in Form von Rosenkränzen sich gruppieren können, stehen fast
überall in einem unmittelbaren Zusammenhang mit den Fäden
des Golgi-Kopschschen Apparates, besonders in frühen Ent-
wicklungsstadien, was die Vermutung, dass sie die Bildner
dieser Fäden repräsentieren oder Reservestofte für die Bildung
der Fäden abgeben, nahe bringt, obwohl die Art und Weise
wie dies geschieht, nicht konstatiert wurde. Andererseits weist
ihr Verhalten gegenüber Reagentien und Tingierungen, welches
in einem gewissen Stadium dem Chondriom analog ist, auf ihre
Verwandtschaft mit der genannten Zellstruktur hin.
Es ist mir eine angenehme Pflicht, meinem hochverehrten
Lehrer, Herrn Prof. Dr. Jözef Nusbaum-Hilarowicz, wie
auch dem Dozenten Herrn Dr. Rudolf Weig!l für ihre mannig-
fache Unterstützung meinen wärmsten Dank auszusprechen.
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Golgi-Kopschschen Apparat und dessen Verhältnis zu anderen
Strukturen. Bull. de l’Acad. des Sciences de Cracovie.
Fr
OS
Erklärung der Abbildungen auf Tafel II und II.
Sämtliche Abbildungen. die Fig. 27 ausgenommen, wurden mittels
Reicherts Immersionssystem !ıe und Kompensationsokular 6, bei Zuhilfe-
nahme des Abbeschen Zeichenapparats in Objekttischhöhe ausgeführt.
Fig. 1. Längsschnitt durch eine Hautsinnesknospe aus der Kopfregion.
Sublimat — Osmiumsäure, Bleichung mittels Kalihypermangan und
Oxalsäure, nachher Eisenhämatoxylin.
Fig. 2. Sinneszellen einer Knospe eines 6—8 mm langen Axolotls. Carnoy-
Eisenhämatoxylin.
Fig. 3. Peripherer Teil einer Hautsinnesknospe eines 8 mm langen Axolotls.
Altmannsche Methode, Tinktion nach Kull.
Fig. 4. Medianer Längsschnitt durch eine Hautsinnesknospe eines 6—8 mm
langen Axolotls.. Champys Mischung, Tinktion nach Kull.
Medianer Längsschnitt durch eine Hautsinnesknospe eines 8—10 mm
langen Axolotls. Sublimat — Osmiumsäure, Bleichung, Eisenhäma-
es)
=
ot
toxylin.
Fig. 6. Längsschnitte (lateral und median) durch junge Leydigsche
Zellen. Carnoy-—- Eisenhämatoxylin.
Fig. 7. Oberflächenschnitt durch eine junge Ley digsche Zelle. Uhampys
Mischung, Tinktion nach Kull.
Fig. 8. Drei Epithelzellen aus der Haut eines 6—8 mm langen Axolotls.
Fixierung wie in Fig. 7.
Fie.
Fie.
Fig.
Plasmastrukturen in Sinnesorganen und Drüsenzellen des Axolotls. 67
9, 10. 11. Entwicklungsstadien der Leydigschen Zellen. Granula-
18.
19:
bildung und Anlage des Langerhansschen Netzes. Fixierung
und Tinktion wie die frühere Figur.
Erwachsene Leydigsche Zelle. Das Langerhanssche Netz
von Säurefuchsin nicht tineiert. Behandlungesweise wie in den
früheren Figuren.
Embryonale Anlage des Geruchsorgans. Die Sinnesplatte mit zwei
Flimmerzellen. Chondriosomen in Riech- und Stützzellen.
Riechepithel eines etwa ein Jahr alten Axolotls. Champys
Mischung, Eisenhämatoxylin.
Macula acustica eines 7—8 mm langen Axolotls. Champys
Mischung, Tinktion nach Kull. Chondriomiten in Haar- und Stütz-
zellen.
ÖOberflächenschnitt durch eine junge Leydigsche Zelle. Regel-
mässig gebautes Langerhanssches Netz aus dünnen Balken.
Sublimat-Osmium, Bleichung, Eisenhämatoxylin.
Vielzellige Drüse der Riechschleimhaut. Golgi-Kopschscher
Apparat. Sublimat — Osmium — Kopsch.
Junge vielzellige Hautdrüse eines S—10 mm langen Axolotls. Proto-
plasmatisches Netz mit eingelagerten Chondriosomen. Champys
Mischung, Tinktion nach Kull.
Isolierte Flimmerzelle aus der Riechschleimhaut. Chondriomiten
in zwei Regionen. Lipoidscholle am unteren Kernpol. Behandlungs-
weise wie in Fig. 18.
Oberflächenschnitt durch die Haut eines etwa 1 Jahr alten Axolotls.
Champys Mischung, Eisenhämatoxylin.
Längsschnitt durch die Riechschleimhaut bei Tinca vulgaris
Cajals I. Methode modifiziert. Golgi-Kopschscher Apparat.
Flächenschnitt durch dieselbe Riechschleimhaut. Behandlung wie
in Fig. 21.
Junge Sinnesknospe eines S—10 mm langen Axolotls. Golgi-
Kopschscher Apparat. Fäden und Schollen. Sublimat und Osmium-
säure — Kopsch.
Flimmerepithel aus der Riechschleimhaut. Golgi-Kopschscher
Apparat. Fäden und Schollen. die vom unteren Pole des Kernes
dem oberen Pole zuwandern. Zusammenhang zwischen kleinen
Schollen mit Fäden. Behandlungsweise wie oben.
Querschnitt durch das Riechepithel. Periphere Lage der Apparat-
fäden in den einzelnen Zellen. Behandlungsweise wie in Fig. 23.
Riechepithel vom älteren Axolotl. Golei-Kopschscher Apparat
in Riech- und Stützzellen.
Riechepithel mit angrenzenden Flimmerzellen. Golgi-Kopschscher
Apparat. System 6, Okular 4.
Basaler Teil des Riechepithels. Lipoidschollen und Fäden.
Zwei Schichten von Zellen im Flimmerepithel der Riechschleimhaut.
In demselben Niveau abwechselnd Fäden und Schollen.
Isolierte Stützzelle aus dem Riechepithel. Lage der Apparatfäden,
DE
ale
Ueceylia Beigel-Klaften: Plasmastrukturen usw.
Medianer Längsschnitt durch eine vielzellige Drüse eines älteren
Axolotls im Zusammenhang mit einer Ersatzdrüse. Entwicklung
des Golgi-Kopschschen Apparates.
Längsschnitt durch eine Hautdrüse des Axolotls (lateral).
. 34. Medianer Schnitt durch die Leydigschen Zellen. Golgi-
Kopschscher Apparat in älteren, erwachsenen Zellen.
Junge Leydigsche Zelle. Anlage des Golei-Kopschschea
Apparats.
Anlage einer vielzelligen Drüse eines 8-10 mm langen Axolotis.
Lumen der Drüse kaum sichtbar. Lage des Apparates an dem
gegen das Lumen gerichteten Kernpol.
Längsschnitt durch die macula acustica. Golgi-Kopschscher
Apparat in den Haar- und Stützzellen.
Behandlungsweise der Fig. 25 — 37 wie in Fig. 23.
69
Neutralviolett extra.
Von
P. G. Unna und L. Golodetz.
Hierzu Tafel IV.
Inhalt: Seite
Anleitung . . . DE WE Se EL,
I. Die NV- Farbang frischen Keen Gene
IP@MAUSESCHNAUZEN KlS ER an Reh) I RE re Ban cl
DNMauseschwanzei®! Bi DER rl EN Tee tere
SE Kanınchenmieren "Nas. va en TO
4. Mäuselunge . Ä 79
5. Mäuseleber . . . . N A 82
6. Muskel-Sehnen- Ansatz vom Rinde BEE Nahe ER RE TE
IE. Die NV-Färbung gekochten tierischen (rewebes.
Bi Allgemeines. . . BIER N SER RER A TER RS FR ÄNE EL E73)
. Niere des Kaninchen: ee Fan En eh Dark ip DEE HE)
3 Leber des Kaninchens, Denkens. Parotis, Submaxillaris und
Sublinzuslis-des- Pferdes. 1.2 anna une sa at
411. Die NV-Färbung von Gewebsflüssigkeiten.
ISORNEREIWEISST MER, IROL IRB Rn AENERESO Ta EOR RE E . BERIU)
ä Muskel Ba ned een rer)
. Andere Organsäfte . .-. . en TA EBET TI 2
IV. Die “ Färbung fester organischer Stoffe . EN ee
Einleitung.
Die folgenden Mitteilungen haben den Zweck, die Histologen
auf einen neuen Farbstoff, das Neutralviolett extra
(vorrätig bei Dr. Hollborn, Leipzig), aufmerksam zu machen,
welcher mühelos über wichtige chemische Eigenschaften des Ge-
webes orientiert. In der Histologie gehört die Zukunft denjenigen
Karbstoffen und Farbgemischen, welche dem Beschauer die Be-
standteile des (rewebes bereits in bestimmten Richtungen chemisch
analysiert vorführen. Unter diesen darf das Neutralviolett extra
eme der ersten Stellen beanspruchen.
Das Neutralviolett extra hat garnichts zu tun mit dem von
NO. Witt 1880 entdeckten eigentlichen Neutralviolett, welches
das Chlorhydrat des Dimethvldiamidophenazins ist. Nach einer
70 P. G. Unna und L. Golodetz:
uns zugegangenen privaten Mitteilung besteht es aus zwei basischen
Farbstoffen, Neutralrot !) und Neublau ?), imVerhältnis von etwa 1Blau
zu 2 Rot, welche ganz verschiedene Affinitäten zu den (Grewebs-
elementen besitzen und daher den (sewebsschnitt unmittelbar
polvchrom anfärben. Da ja weitaus die meisten Elemente der
(Gewebe aus sauren Eiweissverbindungen bestehen und somit fast
alle eine generelle Verwandtschaft zu allen basischen Farben
besitzen, so wäre die Entstehung einer solchen Polychromie bei
Benutzung eines (remisches von zwei basischen Farben garnicht
verständlich, wenn die Affinität der basischen Farbstoffe sich eben
nur auf ihre Basizität gründete. Wir wissen aber heute, dass
ihre Empfindlichkeit für reduzierende oder oxydierende Eigen-
schaften des Substrats eine weitere und häufig entscheidende
Rolle spielt. So ist z. B. Methylerün ausserstande, stark redu-
zierende Gewebsteile, wie Muskeln, Hornsubstanz ete., anzufärben,
und überlässt daher in einer Mischung mit einer weniger reduktions--
empfindlichen Farbe diese Elemente seinem Begleiter*), z. B. dem
Pyronin.
Dass wir es bei dem Neutralviolett extra mit einer Mischung‘
derartig verschiedener Farben zu tun haben, darauf brachte uns
nach den ersten tastenden Versuchen die Wahrnehmung, dass
frisch dem (rewebe entnommene Gefrierschnitte sich ganz anders
und viel farbkräftiger färbten als Alkohol-Celloidin-Schnitte des-
selben Gewebes. Was dem Gewebe bei dieser Fixation verloren:
geht, ist, abgesehen von bestimmten leichtlöslichen Eiweißstoffen,
Lipoiden usf., in erster Linie aller freie Sauerstoff. Diese Wahr-
nehmung führte mithin zu einem Vergleich des Neutralvioletts.
extra mit den Reagentien des Sauerstoffnachweises in den Ge-
weben, dem Rongalitweiss und Permanganat, und dieser Vergleich
erwies sich als ungemein fruchtbar für das Verständnis des
Neutralviolett extra als eines histochemischen Analysators.
Das „Neutralviolett extra® (im folgenden kurz mit NV be-
zeichnet) wird von uns in !/2°/o wässeriger Lösung angewandt.
Die Gewebsschnitte — und hierzu eignen sich nur frische, mit.
dem Gefriermikrotom gewonnene Schnitte — kommen in die
') Neutralrot gehört zu den Azinen.
”) Neublau gehört zu den Oxazinen.
») Unna: Die Bedeutung des Sauerstoffs in der Füärberei. Derm..
Studien (Erg. zur Derm. Woch.), Bd. 22.
Neutralviolett extra. Tl
Farbe auf etwa 5—10 Minuten. Alsdann bringt man sie in
Leitungswasser zum Abspülen, wo sie zunächst dunkelviolettrot
und überfärbt aussehen, ohne bei längerem Verweilen im Wasser
sich weiter zu entfärben. Erst wenn die Schnitte in Alkohol
kommen, beginnt die Differenzierung, indem alle überschüssige
Farbe — und zwar handelt es sich dabei fast nur um das über-
schüssige Neutralrot in gelber, weil alkoholischer Lösung — aus
dem Schnitt ausgewaschen wird. Dann erst erscheinen die (Gewebs-
elemente in der Färbung, welche ihrer Affinität zu einem der
beiden Farbstoffe entspricht. Auf diese Weise entstehen blaue
und rote „Orte“ im Gewebe. Man hat etwa den gleichen Ein-
druck, wie wenn man eine belichtete photographische Platte in
eine Eintwicklerflüssigkeit bringt und diese so lange einwirken
lässt, bis das Bild sichtbar wird. Auch in unserem Falle „ent-
wickelt“ der Alkohol die blauen und roten „Orte“ und gibt uns
so ein topographisches Bild der Farbatfinitäten. Man könnte nun
denken, dass ein geringerer Zusatz des Neutralrots von vorm-
herein zweckmässiger wäre, wenn doch ein grosser Teil desselben
durch den Alkohol wieder entfernt wird. Das ist jedoch nicht
richtig. Es muss eine grössere (Quantität des Neutralrots gleich-
zeitig mit dem Neublau einwirken, wenn dasselbe mit den „roten“
Orten sich alkoholfest verbinden soll. Andernfalls erhält man
eine violette Mischfarbe an Stelle der „roten“ Orte und keine
einfache und durchsichtige Farbverteilung. Übrigens darf das
Differenzieren in Alkohol auch nicht übertrieben werden, da sonst
das Rot auch an den „roten“ Orten leidet. Meist genügt ein
Hin- und Herbewegen des Schnittes im Alkohol während 10—15
Sekunden. Sieht man, dass keine gelben Farbwolken mehr
abgegeben werden, so bringt man den Schnitt in Bergamottöl
und montiert denselben sogleich auf dem Objektträger in Balsam.
I. Die NV-Färbung frischen tierischen Gewebes.
l. Mäuseschnauze. (Fig. 1.)
Das lehrreichste Material liefern Gefrierschnitte von der
Haut der Schnauze von Ratten und Mäusen, da bier auf
einem kleinen Raume Gewebe von verschiedenster chemischer
Zusammensetzung sich dicht zusammendrängen: Haarbälge, Deck-
epithel und Hornschicht, Muskeln, Nervenstämme, Mastzellen und
Knorpel.
—1
[86)
P. G. Unna und L. Golodetz:
Die auftälligste Färbung bieten die glatten und quergestreiften
Muskeln (m), welche von unten in die Cutis einstrahlen und einen
grossen Teil derselben bis zum Papillarkörper in breiten und
feineren Zügen erfüllen. Sie sind im Gegensatz zum hellen,
absolut ungefärbten Bindegewebe grünlichblau gefärbt und diese
Färbung arbeitet so genau, dass auch die feinsten Muskelfasern
(z. B. in den Gefässen) sich deutlich mit blauer Farbe abheben.
In zweiter Linie zeichnen sich durch auffallende Färbung
und besonders reiches Vorkommen die Mastzellen (ma) aus,
welche scharenweise in dunkelbraunroter Färbung die von den
Muskeln freigelassenen Hautstellen durchziehen. Eine genauere
Untersuchung lehrt, dass sie vorzugsweise um die grossen sub-
kutanen und kutanen, schwach bläulich gefärbten Nervenstämme (n)
gelagert sind, die, wie bereits in einer früheren Arbeit mitgeteilt
wurde'), von grossen Mastzellen geradezu begleitet und sogar
durchsetzt werden.
Die Kerne (k) sowohl der blauen Muskeln wie der hell-
violetten Nerven sind ausnahmslos rotviolett gefärbt, ebenso wie
die Kerne des ganz farblosen, weichen oder rötlichen festeren
Bindegewebes.
In bezug auf die Vorliebe für das Blau des Neutralvioletts
schliesst sich an die Muskeln das Protoplasma aller Epithelzellen
an. Die Stachelschicht der Haarbälge ist deshalb bei schwacher
Vergrösserung rein blau gefärbt und ohne den grünlichen Stich
der Muskeln, besonders dunkelblau aber die grosszellige Stachel-
schicht (st) der Tasthaare (Sinushaare). Bei stärkerer Ver-
grösserung gewahrt man in diesen blauen Massen eingeschlossen
erst die rotvioletten bläschenförmigen Epithelkerne. Überall, wo
die Epithelien protoplasmaärmer sind, wie in den Lanugohaar-
bälgen, den unteren Balgteilen der Sinushaare, den Keimschichten
und den Talgdrüsen, tritt die blaue Farbe zurück zugunsten des
Rots und Rotvioletts der Kerne.
Ausser in den voten und rotvioletten Kernen und Mastzellen
findet sich das hot in besonderer Reinheit und Stärke in dem
Knorpel der Schnauze, sodann in der Wurzelscheide (wu)
und in einer oberflächlichen Hornschichtlage (h).
') Unna: Die Sauerstofforte und Reduktionsorte. Eine histochemische
Studie. Arch. f. mikrosk. Anat. 1915, Bd. 87, Abt. I, S. 96.
&)
—
Neutralviolett extra.
Stellt man diese Tatsachen in Form einer Tabelle zusammen
und zugleich die Tatsachen über Reduktion und Oxydation der
Hautelemente daneben, so ergibt sich eine schlagende Analogie
»wischen den Manganbildern und dem Blau der Neutralviolett-
bilder einerseits und den Rongalitweissbildern und dem Rot der
Neutralviolettbilder andererseits. Muskeln, Epithelprotoplasma,
Nerven und rote Blutkörperchen sind auf dem Manganbilde braun,
auf dem Neutralviolettbilde blau; Kerne, Mastzellen und Knorpel
auf dem Rongalitweissbilde blau, auf dem Neutralviolettbilde rot.
Die erstgenannten Elemente färben sich weder mit Rongalitweiss,
noch mit dem Rot des Neutralvioletts, die letztgenannten bleiben
ungefärbt im Manganbilde und ungebläut durch Neutralviolett.
| A |
- || Bild der | x
Reduktions- || reduzierenden | oxydierenden 1 Oxydations-
| bild durch |, sauren Eiweisse | sauren Eiweisse | bild durch
Kali- | durch das ' Rongalit-
'ı Blau | Rot FR
permanganat | des Neutralvioletts weiss
Muskeln Mens An] 0
#ipithelprotoplasma | 4 4 oo [ = 0 |
Rote Blutkörperchen) 4 | Bez 0 0
Nerven — 0) | 0
Kerne 0 | on t + | il
Mastzellen (0) 0° +++ au ge
Knorpel 0 = | A U ee
Wurzelscheide ee | 0 BEE |} 0
Oberflächliche | | a RS |
Hornschicht zn | J air v
Man hat im Neutralviolettbilde also gleichsam die im Mangan-
bilde und Rongalitweissbilde getrennten und sich ergänzenden
Farbreaktionen zu einem Gesamtbilde vereinigt und 'kann in
‚diesem schon allein aus dem Blau die Reduktionsorte, aus dem
Rot die Sauerstofforte erschliessen. Die weitere Analyse anderer
Organbilder wird diese Schlussfolgerung im allgemeinen bestätigen
and dadurch der Neutralviolettfärbung einen hervorragenden Platz
anter den chemisch wertvollen Färbungen sichern. Aber unsere
Tabelle der Hautelemente zeigt auch, dass es bemerkenswerte
74 P. G. Unna und L. Golodetz:
und lehrreiche Ausnahmen gibt. Die Wurzelscheide nämlich und
die oberflächliche Lage der Hornschicht zeigen das paradoxe
Verhalten, dass hier das Manganbraun nicht mit dem Blau,
sondern mit dem Rot des Neutralvioletts Hand in Hand geht
(siehe Tabelle). Es steht über jedem Zweifel erhaben fest, dass
die Wurzelscheide und die Endschieht der Hornschicht Kali-
permanganat stark reduzieren. also zu den hervorragenden Re-
duktionsorten gehören und doch bevorzugen sie in dem Neutralviolett
das hot, das sonst im allgemeinen von den Sauerstofforten fixiert
wird. Die Erklärung für dieses paradoxe Verhalten wird wohl
auf Grund der Tatsache zu suchen sein, dass diejenigen Sauerstoft-
orte der Haut, welche das Rot in besonders hohem Grade speichern.
gleichzeitig die sauersten Eiweisse dieses Gewebes beherbergen.
nämlich die Kerne, die Mastzellen und der Knorpel. Das Rot
wird mithin — im Gegensatz zu dem Blau — gerade von stärksten
Säuren des Gewebes angezogen und fixiert und diese Affinität
scheint so stark zu sein, dass sie das Rot nicht nur an die
Gewebe mit Überschuss von Sauerstoff fixiert, sondern auch an stark
saure Elemente. bei denen die Reduktion vorwaltet. Dann würde
bei der Auslese der Farben im Gewebe allerdings in erster Linie
die Stärke der Säure in demselben massgebend sein und nur
weil dıe stark sauren (sewebe zugleich gewöhnlich Schutzorte des
Sauerstoffs sind, das Rot in den meisten Fällen auch einen Indikator
für die Sauerstofforte abgeben. Wie in allen ähnlichen Fällen
wird die schliessliche Aufklärung dieses paradoxen Verhaltens
auch hier von dem mit tinktorieller Vergleichung einhergehenden
Abbau der betreffenden Gewebselemente zu erwarten sein, d.h.
von ihrer chromolytischen Analyse.
2. Mäuseschwanz. (Fig. 2.)
Eine ähnlich bevorzugte Hautregion wie die Schnauze ist
der Schwanz von Ratten und Mäusen. Hier treffen wir auf jedem:
(Juerschnitt ausser Deckepithel und Haarbälgen. Muskeln, Nerven
und Mastzellen noch zahlreiche Sehnen und im Zentrum des
Sehnittes den durchschnittenen knöchernen Wirbel. Alle diese
Elemente sind hier durch eine feste, ziemlich dicke Hornschicht
zusammengehalten und fest zusammengepresst und finden sich
daher in regelmässigen konzentrischen Kreisen um die knöcherne
Achse angeordnet.
Neutralviolett extra. Ts,
An mit Neutralviolett gefärbten Gefrierschnitten zeigt die
Hornschicht in der oberflächlichen Endschicht (e) eine
rote Färbung, die mittlere Schicht ist farblos, die basale
Schicht (b) dunkelblau. Blau ist auch die darauffolgende, flach
ausgebreitete, ziemlich breite Platte der Stachelschicht, rot-
violett dagegen durch Überwiegen junger Kerne die Keimschicht.
Ein epitheliales Leistennetz und demgemäss ein welliger Papillar-
körper fehlen, wie bei allen unter vertikalem Druck stehenden
Deckepithelien. Derselbe Druck hat zur Folge, dass die Haar-
bälge (h) stark verkürzt sind und in regelmässige Gruppen zu
je drei Haarbälgen eng zusammenrücken, welche dureh mehr oder
minder breite, haarlose Zwischenräume getrennt sind. In den
Haarbälgen gewahrt man trotz ihrer Kleinheit das Blau der
Stachelschicht und zuweilen auch das Rot der Wurzelscheide.
Nach innen auf den Ring der Haarbälge folet eine dünne
Schicht Bindegewebe mit äusserst vielen, rotbraunen, grossen
Mastzellen (ma). Sodann kommt ein für den Schwanz besonders.
charakteristischer Ring, der aus vier getrennten Gruppen von
quergeschnittenen Muskeln (m), Nervenstämmen (n) und Sehnen (s)
besteht. In jeder dieser Gruppen finden sich auf ein Muskel-
bündel und einen oder zwei grössere Nervenstämme etwa 7—1?
und mehr Sehnenbündel von rundem oder ovalem (uerschnitt.
Die Muskeln sind grünlichblau, die Nerven schwach violett. die
Sehnen gelblich gefärbt, alle Kerne dunkelviolett. Hier und da
erscheint zwischen den normalen Sehnenquersehnitten ein Segment
mit Zeichen der beginnenden Verknöcherung der Sehne.
Die genannten vier (Gruppen bilden keinen geschlossenen
Ring, sondern lassen zwischen sich bindegewebige Zwischenräume,
in denen die @uerschnitte grösserer Arterien (a) und Venen
sichtbar werden, die von einer grossen Anzahl Mastzellen (ma)
umgeben sind. Der peripher davon liegende, kontinuierliche
Mastzellenring sendet also gleichsam breite Fortsätze mit vielen
Mastzellen zwischen die Muskel-, Nerv- und Sehnenbündel nach
innen bis zum Periost.
Das Zentrum aller dieser konzentrischen Kreise von Deck-
epithel, Haarbälgen, Mastzellen und Muskel-, Nerv- und Sehnen-
bündeln bildet der Schwanzwirbel, dessen (uerschnitte sehr
rielgestaltig, meistens rundlich, vier- oder fünfeckig und vielfach
mit flachen Einbuchtungen versehen sind, zur Aufnahme der
76 P. G. Unna und L. Golodetz:
ebengenannten breiten Bündel. Die Knochensubstanz (kn)
ist leicht gelblich gefärbt mit tief dunkelroten, massigen Ein-
sprengungenvonKnorpel(kp)undverkalktemKnorpel(kp'),
von denen erstere durchscheinend, letztere undurchsichtig sind.
Auch hier am Schwanze verteilen sich also die Komponenten
des Nentralvioletts derartig im Gewebe, dass das Blau die
Reduktionsorte: Stachelschicht, Muskeln und etwas auch die Nerven
färbt, das Rot die Sauerstofforte: Kerne, Mastzellen und Knorpel.
Die Wurzelscheide und die oberflächliche Hornschicht zeigen wieder
das paradoxe hot, während — deutlicher als an der welligen
Hornschieht der Schnauze — die basale Hornschicht dunkelblau
gefärbt ist und daher mit der ebenfalls blau gefärbten Stachel-
schicht zusammenfliesst.
Es möge hier die Bemerkung gestattet sein, dass diese
tinktorielle Dreiteilung der Hornschickt übereinstimmt mit der
von Unna schon 1875 nach Pikrokarmin- und Osmiumbildern
gegebenen Dreiteilung der Hornschicht in basale, mittlere Horn-
schicht und Endschicht. Die blaue Färbung der basalen Horn-
schicht erklärt sich jetzt aus ihrem Gehalt an Eleidin. welches
ein Albumin darstellt. Denn wie wir noch sehen werden, färbt
sich überall das Albumin mit Neutralviolett blau.
Zu dem ungefärbten Bindegewebe gesellen sich in
Neutralviolettbildern des Schwanzes nunmehr noch die fast farb-
losen Bestandteile: Knochen (kn) und Sehne (s).!) Diese
beiden Elemente stellen auch dem Rongalitweiss und Permanganat
gegenüber ebenso indifferente Gebilde dar.
3. Kaninchenniere. (Fig. 3a und 3b.)
In der Niere unterscheidet man bekanntlich drei Zonen,
welehe sich schon an der Leiche makroskopisch durch ihren ver-
schiedenen (Gefässinhalt unterscheiden. Der Halbierungsschnitt
zeigt die Rinde, das Mark und die zwischen beiden gelegene
‚breite Grenzschicht in verschiedenen Farbtönen. Auch an Giefrier-
schnitten durch den mittleren Teil einer Kaninchenniere, die der
Halbierungsebene parallel geführt werden und die kein Blut mehr
enthalten, erzeugt die NV-Färbung doch einen analogen makro-
') Bindegewebe, Sebne und Knochen nehmen bei dieser Färbung meistens
einen ganz schwach gelblichen Ton an, der die Bedeutung einer ganz
schwachen metachromatischen Neutralrotfärbung hat.
Neutralviolett extra. UT
skopischen Farbenkontrast der Zonen. Die Rinde ist dunkelblau,
Grenzschicht und Mark dunkelviolett; falls man stärker entfärbt
hat, ist die Rinde grünlichblau, die Grenzschicht rotviolett und
das Mark violett oder bei mässiger Vergrösserung blau und rot
gestreift.
Die mikroskopische Analyse ergibt. dass dieser Farben-
kontrast bei NV-Färbung des Nierenschnittes auf dem Blau oder
Grünlichblau des Protoplasmas und dem Rotviolett der Kerne
beruht. Die (rewebselemente, in denen das Protoplasma gegen-
über den Kernen an Masse zurücktritt, erscheinen dadurch rot
oder rotviolett, so die Glomeruli, die Blutkapillaren und die
dünnen Schenkel der Henleschen Schleifen. Wo hingegen das
Protoplasma vorwaltet, wie in den gewundenen Harnkanälchen.
den dicken Schenkeln der Henleschen Schleifen und den Schalt-
stücken, erscheint das Gewebe, je nach Stärke der Entfärbung,
dunkelblau, blaugrün oder grünlich. Wo endlich Kern und Proto-
plasma (bzw. glatte Muskeln) sich die Wage halten, wie in den
Arterien, Venen und grossen Sammelröhren, ist die Färbung
rötlich- oder bläulichviolett.
So erklärt es sich, dass die äusserste Peripherie der Rinde,
welche fast nur aus Schaltstücken besteht und keine Glomeruli
aufweist, ein reines Blau oder Blaugrün aufweist.
Die Hauptmasse der Rinde zeigt bei der NV-Färbung
eine verschiedene Färbung ihrer radiären Sektoren, die wir (nach
Ludwig) Markstrahlen und Labyrinth nennen wollen. Im Labyrinth
waltet wegen der Zusammensetzung aus gewundenen Kanälen (wu)
und Schaltstücken das Blau vor, von dem sich bei schwacher
Vergrösserung nur die Glomeruli (g) als rote, runde Körner und
bei stärkerer Vergrösserung auch die Kapillaren als schmale rote
Streifen abheben. Die Markstrahlen (mk) der Rinde, deren
Hauptmasse aus den dicken Schenkeln der Henleschen Schleifen
besteht, erscheinen wegen der vielfachen Einsprengung roter und
rotviolettgefärbter Elemente, nämlich der dünnen Schenkel der
Henleschen Schleifen und der Blutkapillaren violett ; die grösseren
Blutgefässe und Sammelröhren in den Markstrahlen tragen trotz
ihres Kernreichtums weniger zu dieser roten Nuance des
Violetts bei, da erstere blau gefärbte glatte Muskeln, letztere
ziemlich viel Protoplasma, wenn auch nicht so viel wie die dicken
Schenkel der Henleschen Schleifen, enthalten.
MS P. G. Unna und L. Golodetz:
In der Grenzschicht (Fig. 3b, gr) fehlt das blaugefärbte
Element der gewundenen Kanäle und Schaltstücke; daher die
mehr ins Rote spielende violette Farbe. Das Rot tritt am stärksten
hervor in der peripheren, direkt an die Rinde grenzenden Schicht
weeen ihres Reichtums an grösseren arteriellen und venösen
kKapillaren,. die bekanntlich ihren Ausgangs- und Sammelpunkt
in den mittleren Gefässbögen der Niere besitzen, viel reicher an
Kernen als an Protoplasma sind und nur spärliche Muskeln auf-
weisen. Die übrige Masse der Grenzschicht erscheint bei schwacher
Vergrösserung bläulich- und rötlichviolett gestreift, indem das
Blau von den breiten Schenkeln und Sammelröhren, das Rot von
den dünnen Schenkeln und Blutkapillaren herrührt. Auch in
das Mark und die Papille (pa), m welche die Henleschen
Schleifen nieht mehr hineinreichen, setzt sich die blaue und rote
Streifung fort. Hier liefern nur noch die Sammelröhren allein
‚das Blau, die Kapillarkerne des Bindegewebes dazwischen das
‚Rotviolett.
Die Kontraste im Nierengewebe zwischen der blauen Färbung
einerseits, der rotvioletten andererseits erinnern wiederum sehr
an die gegensätzlichen RKeduktions- und Oxydationsfärbungen der
Niere mittels Kalipermanganat und Rongalitweiss. wie sie in
diesem Archiv Bd. 87. Abt. 1, Taf. XI, Fig. 43—47 durch Abbil-
‚dungen erläutert sind. Dort ist das Protoplasma der Nieren-
‚elemente je nach der Stärke seines Reduktionsvermögens gebräunt,
am tiefsten m den gewundenen Harnkanälen, weniger ın den
geraden (Schleifen und Sammelröhren) und am wenigsten in den
‘lomeruli. Vergleichen wir die entsprechenden Bilder dort und
hier, so sehen wir, dass die Stärke des Blaus bei der Färbung
mit NV der des Manganbrauns ziemlich parallel geht. Das heisst
mit anderen Worten, dass nur das reduzierende Eiweiss der
(sewebsteile in der Niere das Blau aus dem NV der Alkohol-
entfärbung gegenüber zu fixieren vermag. Umgekehrt entsprechen
die durch Rongalitweiss gebläuten Teile den durch NV rot
gefärbten, und zwar die dunkelblau gefärbten Kerne der Glomeruli
und Blutkapillaren dort den dunkelrot gefärbten hier, dann die
blau gefärbten Kerne der geraden Harnkanäle dort den rot-
violetten hier und endlich die blassblau gefärbten der gewundenen
Harnkanäle und Schaltstücke den violetten bei der N\-Färbung.
Auch hier lässt sich der (umgekehrte) Schluss rechtfertigen, dass
Neutralviolett extra. 19
«las Rot des NV von den Sauerstofforten um so kräftiger fixiert
wird, je stärker ihr Oxydationsvermögen für Rongalitweiss ist.
Die NV-Färbungen bilden also in allen bisher betrachteten
Organen eine willkommene Bestätigung der Rongalitweissfärbungen;
ja. sie ergänzen dieselben in mancher Beziehung, insofern sie
vermöge der einzeitigen rotblauen Doppelfärbung noch feinere
Differenzen im Gewebe aufdecken. Während bei der Rongalit-
weissfärbung nur (uantitätsunterschiede des einfachen Blaus das
Oxydationsvermögen der (Gewebselemente bekunden, gibt das NV
für dieses eine Reihe verschiedener Farbentöne vom reinen
Dunkelrot durch Rotviolett bis zum einfachen Violett. Die letzteren
Farbentöne bezeugen nämlich eine zunehmende Fixierung des
Blaus neben der des Rots, also einen zunehmenden Gehalt an
reduzierendem Eiweiss neben dem oxvdierenden.
In dieser Beziehung sind besonders die dünnen Schenkel
der Henleschen Schleifen von Interesse, deren Epithelien in
sehr wenig farbschwachem Protoplasma dunkelrote, alternierende
Kerne aufweisen und dadurch ungewöhnlich deutlich hervortreten.
Offenbar hat diese Färbung eine Bedeutung: sie beweist. dass
selbst die dünnen Schenkel der Henleschen Schleifen. denen
man bisher nur die mechanische Rolle eines verbindenden Kanal-
stücks zuwies, noch eine chemische Rolle bei der Harnabsonderung
spielen. Wenn schon alle geraden Kanäle (Schleifen und Sammel-
röhren) vermöge ihres relativen Kernreichtums neben Protoplasma-
armut auf den vorbeifliessenden Harn oxydierend einwirken, so
sind offenbar die dünnen Schleifenschenkel ganz besonders hierfür
geeignet, da ihr Epithel verschwindend wenig reduzierendes Proto-
plasma führt, während die sich durch NV rot färbenden Kerne
in das Lumen bauchig vorspringen, also mehr als alle anderen
Kerne der geraden Harnkanäle mit dem Harn in unmittelbare
Berührung treten. Die dünnen Schleifenschenkel haben also offenbar
die Funktion, dem Harn nach dem Durchlaufen der stark redu-
zierenden gewundenen Kanäle und vor dem Eintritt in die ebenfalls
stark reduzierenden Schaltstücke frischen Sauerstoff zuzuführen.
4. Mäuselunge. (Fig. 4.)
Nach dem bisher gefundenen Parallelismus zwischen dem
Gegensatz von Blau und Rot des NV einerseits und dem Gegensatz
der Rongalitweiss- und Permanganatfärbung andererseits ist ein
S0 PP. G Unns undE Golodetz:
besonders lehrreiches Kontrastbild auch bei der N\-Färbung des
Lungen-Gefrierschnitts zu erwarten. In der Tat gewähren hierbei
diejenigen Orte des Schnittes, an welchen Bronchien und Lungen-
gefässe getroffen sind, zusammen mit dem umliegenden Alveolar-
gewebe der Lunge prächtige Farbenkontraste.
Als ein dunkelrotviolettes, gefaltetes Band bekleidet das
;ronchialepithel (br) die gesamte Luftröhrenoberfläche. Es ist
in den grösseren Bronchien zunächst umgeben von einer dünnen
hellen Bindegewebsschieht mit rotvioletten Kernen, sodann von
einer dünnen blauen Muskelschicht (mu). Nach aussen von dieser
folgen an einzelnen Stellen der Peripherie kernreiche Lymph-
follikel (I) und Knorpelspangen (kn), beide in tief dunkelroter
Farbe.
Das Alveolargewebe (al) ist monoton violett gefärbt lediglich
durch die rotviolette Färbung der Kerne aller Alveolen und Blut-
kapillaren. Die Zellen sind nahezu farblos, ebenso das Binde-
und elastische Grundgewebe.
An den grossen begleitenden Pulmonalarterien (a) dominiert
völlig die blaue Farbe der Muskulatur; die eingestreuten Kerne
sind rotviolett. An den mit noch etwas grösseren Lichtungen
versehenen, viel dünnwandigeren Pulmonalvenen (v) ist die blaue,
muskuläre Media viel schmächtiger.
Vergleichen wir hiermit die früher erhobenen Befunde der
Sauerstoff- und Reduktionsorte von einer Lunge des Kaninchens
(dieses Archiv Bd. 57, Abt. 1, Taf. XI, Fig. 41 und 42).!) Es
findet sich dort eine Folge von drei Stufen: 1. Bronchialepithel
mit Lymphfollikeln und Knorpeln, 2. Alveolargewebe, 3. Lungen-
arterie. Durch Rongalitweiss färbt sich 1. dunkelblau, 2. blau.
3. hellbläulich ; durch Kalipermanganat: 1. hellbräunlich, 2. braun,
3. dunkelbraun. Mithin entspricht die stufenweise in dieser
Reihenfolge abnehmende Färbung der Sauerstofforte genau der
stufenweise zunehmenden Färbung der Reduktionsorte.
!) Dieser Vergleich ergibt nebenbei, dass die dortigen Querschnitte
eines grossen Lungengefässes solche von Lungenarterien, nicht von Lungen-
venen sind, wofür ich sie wegen der beträchtlichen Weite des Lumens ge-
halten habe. Es sprach übrigens schon damals für die Deutung als Lungen-
arterie die starke Muskularis und die extreme Sauerstoffarmut, Eigenschaften,
die für die Lungenarterie besser passen als für die Lungenvene.
Neutralviolett extra. sl
Dieselben Gegensätze beherrschen nun auch die Verteilung
von Rot und Blau des NV auf die genannten Elemente des Lungen-
sewebes. \om reinen Rot der Kerne und des Knorpels geht es
hier durch das etwas Blau aufweisende Rotviolett des Bronchial-
epithels und des Alveolargewebes bis zum ganz überwiegenden
blau der sauerstoffarmen Lungenarterie, wie die folgende Tabelle
es zeigt.
ebenen] rn kövdlarenain Sauctetoff:
orte ‚sauren Eiweisse ‚sauren Eiweisse | orte
Mangan. | Blau | Rot | BRongalit-
are SRH \\ des Neutralvioletts Il weissbild
Kerne > 0 | 0 | me | In
{ Knorpel a 0 se 0 " — KR j BIEgelaE
Lymphfollikel N | en } UL ae
| Bronchialepithel I E= ’ | - = wm
Alveolargewebe | x "> a In AS ie, 2 Sa
Lungenarterie IN = 4 4 | +++ . Ji
In dieser Tabelle stellen wir wieder das Blau des NV an
die Seite des Manganbildes, das Rot an die Seite des Rongalit-
weissbildes. Man sieht auf den ersten Blick, dass auch hier eine
gleiche Stufenfolge der blauen und der roten Färbung vorhanden
ist, wie bei den Sauerstoff- und Reduktionsfärbungen, und dass
beide Stufenfolgen wiederum die entgegengesetzte Richtung ein-
schlagen, so dass ein vollständiger Parallelismus mit jenen Färbungen
besteht. Nur haben wir bei der NV-Färbung den Vorteil. aus
den Kontrasten von Rot und Blau gleichzeitig Sauerstoflorte
und Reduktionsorte herauszulesen. Wo die blaue Farbe vor-
herrscht, ist Sauerstoffarmut (Lungenarterie), wo die rote dominiert:
Sauerstoffreichtum (Bronchien mit Lymphfollikel und Knorpel).
Im Violett des Alveolargewebes hält sich Sauerstoffbedürfnis und
Sauerstofireserve die Wage.
Soweit herrscht zwischen den verschiedenen Färbungsarten
des frischen Gewebes volle Harmonie. Nur in einem bemerkens-
werten Punkte findet sich auch hier eine Unstimmigkeit. Auf
dem die Reduktionskraft erläuternden Manganbilde (siehe dieses
Archiv Bd. 57, Taf. XI, Fig. 42) ist die elastische Lamelle der Pul-
Archiv f. mikr. Anat. Bd. 90, Abt.1. 6
82 P. G. Unna und L. Golodetz:
monalarterie noch tiefer braun gefärbt als die Muskularis, gerade-
zu braunschwarz; auf dem entsprechenden NV-Bilde ist sie nicht
nur nicht tiefer blau als die aussen anliegende Muskularis, sondern
ganz farblos. Das hängt damit zusammen, dass das elastische
(iewebe von NV überhaupt nicht gefärbt wird. Es geht daraus
der eigentlich selbstverständliche Satz hervor: alles, was durch
NV blau gefärbt wird, beherbergt reduzierende Ei-
weisse; was aber farblos bleibt, ist deswegen noch
nicht als frei von reduzierenden Eiweissen zu be-
trachten. Es ist für die älteren Histologen, welche wissen,
wie lange es gedauert hat. bis man das Elastin spezifisch färben
lernte, nicht überraschend, dass es auf dem NV-Bilde gar nicht
hervortritt: eher schon ist es bemerkenswert, dass das Rali-
permanganat es spezifisch hervorhebt.
5. Mäuseleber.
Das NV-Bild eines Gefrierschnittes der Leber sei auch noch
kurz betrachtet, obwohl bei demselben die grossen Farbkontraste
der Haut, Niere und Lunge fehlen. Aber die Leber bildet wegen.
ihrer homogenen Beschaffenheit das beste Material für alle Ex-
perimente über künstliche Beeinflussung der Zelleiweisse und
deren Deutung auf tinktoriellem Wege, u. a. mittels NV —
Studien, deren Mitteilung wir einer späteren Arbeit vorbehalten
möchten.
Das Protoplasma der Leberzellen färbt sich mit NV blau
und doch ist der (resamteindruck des Netzes der Leberbalken
ein gleichmässig violetter. Das rührt von der bedeutenden Zu-
mischung des Rots der Kerne her: während die Kerne der Leber-
zellen nur blass rotviolett sind, färben sich die der dazwischen
liegenden Blut- und Gallengangskapillaren dunkelrot. Diese Ver-
teilung der Farben auf Protoplasma und Kerne ist. nach dem
Bisherigen zu erwarten; sie ist dieselbe wie bei der Stachel-
schicht des Deckepithels und der Haarbälge und bei dem Nieren-
epithel.e. (Geht man von der Zentralvene eines Leberläppchens
aus, so nimmt die Stärke der Färbungen bei den meisten Läppchen
umso mehr zu. je mehr man sich der Peripherie des Läppchens
nähert. Hier treten die in dem interlobulären Bindegewebe
liegenden Grallengänge durch ihre rein rote Farbe stark hervor,
ebenso die roten Kerne des umgebenden Bindegewebes.
Neutralviolett extra. 35
Bei stärkerer Vergrösserung gewahrt man in den violetten
Leberzellen eine rote Punktierung durch feine Körner, welche
auch je mehr nach der Peripherie der Läppcehen um so stärker
wird. Die rote Färbung dieser Körnchen deutet auf saures
Eiweiss und Sauerstoff, weswegen diese Körnchen der frischen
Leberzelle nicht aus Glykogen oder Fett bestehen können: eher
könnten sie zum Gallenpigment Beziehung haben. Es sind offenbar
dieselben Körnchen, welche durch Rongalitweiss dunkel gebläut
werden.'!) Beobachtungen an hungernden Kaninchen scheinen zu
erweisen, dass ihr Vorkommen von der Verdauung abhängig ist.
6. Muskel-Sehnen-Ansatz vom Rinde. (Fig. >.)
Das in Fig. 5 dargestellte Muskel-Sehnenbild stammt vom
Rinde. Im (Gegensatz zu den in Fig. 2 abgebildeten feinen Sehnen
‚des Mänseschwanzes enthalten die Sehnen (s) von grossen Muskeln (m)
besonders nahe ihrem Ansatzpunkte viel von einer Substanz,
welche sich mit NV dunkelrot färbt und diese Färbung in Alkohol
festhält. Daher geben Schnitte durch diese Insertionsstelle einen
überraschenden Farbenkontrast zu den ganz blau gefärbten
\nuskeln. Dass der Träger des Rots den Sehnen aber nicht im
allgemeinen zukommt, sondern sich nur an vereinzelten Stellen
dem Sehnenbilde beigesellt, bemerkt man schon bei der Färbung
von Schnitten der Sehne. die weiter vom Muskelansatz entfernt
sind. Es besteht hier zwischen Sehne und dem Träger des Rots
ein ähnliches Verhältnis wie zwischen ihm und der Hornschicht,
welche auch nicht überall die rote Färbung festhält.
II. Die NV-Färbung gekochten tierischen Gewebes.
1. Allgemeines.
Bald nachdem wir mit dem NV zu arbeiten anfıngen,
‚machten wir die Beobachtung, dass, wenn die Gefrierschnitte vor
‚dem Färben längere Zeit in Wasser liegen blieben, die Farben-
sättigung geringer war, als wenn sie sofort nach dem Schneiden
gefärbt wurden. Das liess darauf schliessen, dass sich an der
Färbung nicht nur die geformten (Gewebsbestandteile beteiligten,
!\ Siehe Unna: Die Reduktionsorte und Sauerstofforte des tierischen
“iewebes. Arch. f. mikr. Anat. 1911. Bd. 78, Waldeyer-Festschrift, 8. 12,
18 und 22.
2
[0 0)
4 P. @G Unna und L. Golodetz:
sondern auch ungeformte, flüssige, welche bereits durch Wasser
aus dem Gewebe entfernt werden können.
Unsere bisherigen histologischen Methoden nehmen eigentlich
nur auf die Darstellung der geformten Gewebsbestandteile Rück-
sieht, nicht auf den Gewebssaft und die flüssigen Sekrete der
Drüsen, es sei denn, dass dieselben, durch die Art der Fixierung
zur Gerinnung gebracht, ausnahmsweise das histologische Bild
vervollständigen helfen. Nur einzelne Autoren, wie Posner'},
haben zielbewusst durch Kochen der Organe die eiweisshaltigen
Sekrete und (Grewebsflüssigkeiten der Beobachtung zugänglich ge-
macht. Es fehlte uns bisher aber noch eine systematische. tink-
torielle und chromolytische Behandlung der so gewonnenen Bilder‘
flüssiger Eiweissbestandteile.
Hierfür scheint nun das NV uns zum ersten Male eine sehr
einfache Arbeitsmethode zu liefern. Es besitzt nieht nur zu den
Eiweissen des Gewebssaftes und der Sekrete eine starke Affinität,
sondern trifft sogar unter denselben eine Auslese, indem es
einzelne rot, andere blau färbt.
Zur Technik der Methode sei folgendes bemerkt. Um
möglichst alles flüssige Eiweiss in den Organen festzuhalten.
empfiehlt es sich, unmittelbar nach dem Tode die grossen Blut-
gefässe und Ausführungsgänge am Hilus in situ zu unterbinden.
Doch ist diese Vorsicht nicht durchaus notwendig. Dann schneidet
man aus den Organen Stücke von lem Durchmesser und "> cm
Dicke so heraus, dass sie ausser dem Parenchym möglichst viel
Bindegewebe mit Blut- und Lymphgefässen enthalten, und bringt
sie sofort in das bereits kochende Wasser, wo sie zwei Minuten
verweilen. Dann werden sie herausgenommen und auf dem.
(Gefriermikrotom geschnitten.
Diese besondere Eigenschaft des NV erscheint uns so wichtig,
dass wir raten würden, bei dieser Färbung ein für alle Mal neben
(Gefrierschnitten des frischen Gewebes auch immer zum Vergleiche
solche von gekochtem Gewebe zu färben. Dieses lohnt sich um
so mehr, als bekanntlich alle gekochten (rewebe sich besser mit-
dem Gefriermikrotom schneiden lassen als ungekochte und ein-
zelne sogar nur in gekochtem Zustande mit dem Gefriermikrotom
gute Schnitte geben. Ausserdem färben sich die sekochten
!) Posner: Studien über pathologische Exsudatbildungen. Virchows
Archiv, Bd. 79.
Neutralviolett extra. S5
+sefrierschnitte wegen der vollkommenen Zurückhaltung alles
Hlüssigen genuinen Eiweisses im Parenchym viel intensiver als
‚die ungekochten: manche Farbendifterenzen. welche auf letzteren
nur leicht angedeutet sind, treten bei der gesättigteren Färbung
‚am gekochten Präparat klarer und stärker hervor.
Im übrigen unterscheiden sich die gekochten (rewebsstücke
hauptsächlich durch ihren Gehalt an geronnener Lymphe und
Blut und anderen eiweisshaltigen Flüssigkeiten in den Hohl-
räumen und Kanälen. Ein wesentlicher Faktor bei dieser
Polychromie der Schnitte ist ihr Blutgehalt. da sich die gelbe
Eigenfarbe der roten Blutkörperchen der Färbung überall zumischt,
wo diese auftreten. Die Querschnitte geronnenen Blutes erscheinen
‚daher grüniich, weil sich die blaue Farbe des Blutserums mit der
gelben Eigenfarbe der Blutkörperchen mischt.
Weiter ist zu beachten, dass mit dem Gerinnen durch
Kochen eine Volumzunahme der festen Bestandteile einhergeht.
Dies hat zur Folge, dass alle grösseren Kanäle, welche einen gerinn-
baren Inhalt beherbergen, voluminös erscheinen und eng anein-
ander gepresst sind, während die feineren Kanäle, wie die
Blutkapillaren und die engeren Henleschen Schleifen. durch
“lenselben Druck leer und fadenförmig verengt erscheinen.
Im Gegensatz zu den eiweissartigen Flüssigkeiten entziehen
sich die schleimigen beim Kochen leicht der Beobachtung. Um
sie — z.B. die Sekrete der Schleimdrüsen — vollständig im
Schnitte zu erhalten, kocht man diese Organe nicht in destil-
liertem Wasser, sondern in einer wässrigen Lösung von 1 /oo
Prikrinsäure + 1°/oo Trichloressigsäure, durch welche der Schleim
gefällt und seine Färbung gleichzeitig verstärkt wird. Besonders
das Kochen in Pikrinsäure verbessert die Farbenkontraste bei
der NV-Färbung in sehr wirkungsvoller Weise.
2. Niere des Kaninchens. (Fig. 6a und 6b.)
behält man diese vom Kochen unzertrennlichen Vorgänge
im Auge. so versteht man leicht die Färberesultate, welche NV
an einem Gefrierschnitt der gekochten Niere eines Kaninchens
hervorbringt. Die gewundenen Harnkanäle und Schaltstücke (wu)
stellen sich, wie alles reduzierende Protoplasma, rein blau dar.
bis auf die violetten Kerne. Ebenso blau sind bei stärkerer
Vergrösserung die blutleerenGlomeruli, erscheinen aber beischwacher
56 P. G. Unna und L. Golodetz:
Vergrösserung violett wegen ihres Kernreichtums. Die bluthaltigen
Glomeruli (g) dagegen sind dunkelgrün mit violetten Kernen.
Das Dunkelgrün entsteht durch Mischung des Blaus der Kapillar-
‚wandungen und Endothelien mit dem Gelb der Blutkörperchen.
Von den Henleschen Schleifen sind die breiten Schenkel blau
bis auf die violetten Kerne, die engeren Schenkel dagegen scheinen
nur aus einer doppelten rotvioletten Kernreihe zu bestehen ; ebenso
verhält es sich mit den leeren Blutkapillaren, doch ist der —
dort gerade, hier gewundene — Verlauf hinreichend, beide
Elemente zu unterscheiden. Die grossen Sammelröhren sind ganz
blau bis auf die violetten Kerne: auch der Inhalt ist blau.
/usammengefasst, erscheint die Rinde in den Markstrahlen
violett, im Labyrinth blau mit grün und violett gesprenkelten
Glomeruli: die Grenzschicht sieht blau und grüngelb gestreift.
das Mark violett und grüngelb gestreift aus.
Als etwas Neues kommt das Bild des Hilus hinzu, das
Bindegewebe um die ein- und austretenden grossen Gefässe. So
einfach dasselbe bei gewöhnlichen Kernfärbungen, ja selbst bei Proto-
plasmafärbungen (pol. Methylenblau, Methylgrün + Pvronin) er-
scheint, so vielfarbig bunt bei der Färbung mit NV. Die grossen
Venen (v) und Arterien (a) haben einen grünen Blutinhalt innerhalb
der blauen Muskelschicht des Gefässes. Die Adventitia ist dicht
durchsetzt mit violetten Kernen, weist aber hier und da rund-
liche, blau gefärbte Einschlüsse auf, welche sich vermöge ihres
Endothelbelags als Schnitte von Lymphgefässen (l) zu erkennen
geben. Es ist also an den gekochten und mit NV gefärbten
Sehnitten nichts leichter, als Venen und Lymphgefässe schon
durch ihren verschieden gefärbten Inhalt zu unterscheiden.
Ausser diesen Lymphgefässen findet man hier und da biaue Ein-
sprengungen im Bindegewebe, die keinen Endothelbelag aufweisen.
Zudem ist diese blaue Substanz von Hohlräumen dicht durchsetzt.
also schwammartig geronnen, während die blaue Masse in den
ILymphgefässen homogen geronnen ist. Es handelt sich bei
ersteren mithin um freie Anhäufungen von Lymphe oder Serum
im Bindegewebe, also um Lymphspalten (Isp), deren Inhalt uns
sonst fast immer entgeht, der aber auf dem NV-Bilde der blauen
Farbe wegen sofort auffällt. Endlich ist das adventitielle Bindegewebe
vieler grösseren Blutgefässe im Gegensatz zu den blau gefärbten
Lymphspalten rötlich gefärbt (rö), besonders wo es festere Form
Neutralviolett extra. 87
annimmt. Es wird sich hier um eine rotliebende Eiweißsubstanz
handeln, ähnlich derjenigen der Sehnen am Muskelansatz (Fig. 5).
Das NV kann zum Studium der Niere und anderer Organe,
also besonders in solchen Fällen empfohlen werden, wo es auf
die genauere Untersuchung von Transsudaten und Exsudaten im
Gewebe ankommt: das Kochen fixiert sie an dem Ort ihrer Her-
kunft, und das NV erlaubt durch seine Farbenanalyse, auf die
Art des Eiweisses an den verschiedenen Stellen Schlüsse zu ziehen.
3. Leber des Kaninchens, Pankreas, Parotis, Submaxillaris und
Sublingualis des Pferdes.
Eine Darstellung aller von uns mit dieser Methode unter-
suchten Organe erübrigt sich wohl. Es seien nur noch einige
ganz kurz mit wenigen Strichen gezeichnet.
Ein Schnitt durch die Leber des Kaninchens ist dunkel-
blau wegen des Reichtums an (blau gefärbtem) Protoplasma:
die Kerne der Leberzellen aber sind dunkelviolett. Der Hilus
enthält in rosa gefärbtem Bindegewebe die Blutgefässe mit grün
gefärbtem Blut und dunkelblauer Muskulatur, die Gallengänge
mit dunkelviolett gefärbtem Epithel, himmelblau gefärbtem Epithel-
saum und blau gefärbter (Galle, sodann Lymphgefässe mit blau-
erünlichem. homogenem Inhalte und rotviolette Kerne.
Pankreas, Parotis, Submaxillaris und Sublin-
gualis des Pferdes seien sodann erwähnt als Beispiele für solche
Organe, die sich wegen ihrer Weichheit und Zerreisslichkeit mit
dem Gefriermikrotom in frischem Zustande überhaupt nicht
schneiden lassen, während dieses bei den gekochten Organen
mühelos gelingt.
Ein Pankreasschnitt ist dunkelviolett, die einzelne
Drüsenzelle blau mit dunkelviolett gefärbtem Kern. Die Langer-
hansschen Inseln stechen durch ihre helle Farbe stark vom
übrigen Parenchym ab. Die Zellen derselben sind ganz farblos
oder schwach bläulich, ihre Kerne alle rotviolett gefärbt. Einzelne
Zellgruppen heben sich ausserdem ohne ersichtliche Ordnung
durch ihre hellblaue Farbe ab. Die Schaltstücke zeigen nur
diehtgestellte Reihen dunkelvioletter Kerne. Die Ausführungs-
gänge tragen dunkelviolette radiär gestellte Epithelkerne, einen
blauen, breiten Epithelsaum und dunkelblauen Sekretinhalt. Das
Bindegewebe im Hilus ist graurot bis rotviolett gefärbt, das Blut
SS P. G. Unna und L. Golodetz:
grün innerhalb der blauen Media der (refässe, die Lymphe blau
in den weiten und reichlichen Lymphspalten und Lymphgefässen.
Viel monotoner ist die Parotis gefärbt, der Typus einer
einfach serösen Speicheldrüse. Die Zellen ebenso wie ihre Sekrete
sind gleichmässig blau gefärbt, die Kerne rotviolett. Das festere
Bindegewebe im Hilus ist rot, die dazwischen liegenden lockeren,
an Lymphspalten reichen Abschnitte desselben blau gefärbt. Blau
ist der Inhalt der Lymphgefässe, grün der der Arterien und
Venen.
Ein Schnitt durch die Submaxillaris sieht makroskopisch
blauviolett aus. Mikroskopisch sind die Drüsenzellen der Tubuli
deutlich in blaue und mehr oder weniger rote unterschieden. Die
einfachen Drüsenzellen sind blau mit violetten Kernen. Mit der
Ansammlung des Sekretes schwindet die blaue Farbe zugunsten
der roten, die um so stärker wird, je mehr die Zellen dabei
kuglig anschwellen. Der Zellinhalt wird dabei deutlich schaumig
mit Anhäufung von dunkelroten Körnern und Fäden an den
Wabenwänden, während die Kerne an die Wand verschoben werden.
In den grössten Zellen nimmt die rote Farbe wieder ab und der
nun blassrote, blassviolette oder sogar farblose Inhalt entleert
sich in die Schaltstücke und weiter in die grösseren Sekretröhren,
wobei der Inhalt bemerkenswerterweise wieder eine blaue Fär-
bung annimmt. Auch die Wandung aller dieser Ausführungs-
gänge ist dunkelblau gefärbt und mit violetten Kernen reichlich
versehen. Diese stark blau gefärbten Gänge heben sich von dem
diffus rot gefärbten interstitiellen Bindegewebe der Drüsen scharf
ab. Auch das Bindegewebe des Hilus ist graurot gefärbt, in
starkem Kontrast gegen die Lymphgefässe mit blauem Inhalt und
die grossen Ausführungsgänge, die ein dunkelblaues Sekret ent-
halten.
Diese eigentümliche Farbenwandlung der sezernierenden
Zellen und ihres Sekrets, die auf eine zuerst schleimige, dann
seröse Umwandlung hindeutet, fordert zu einer genaueren tink-
toriellen Untersuchung der Submaxillaris heraus.
Besonders lehrreich und klar ist das Sekretbild (siehe Fig. 7a,
7b und 7c) der gekochten Sublingualis des Pferdes. Die
Sublingualis gehört bekanntlich zu den gemischten Drüsen, welche
ein teils mucinöses, teils eiweissartiges Sekret absondern. Be-
trachtet und vergleicht man nun die Querschnitte der Aus-
Neutralviolett extra. 80
führungsgeänge im Hilus und im interstitiellen Gewebe der Drüse
m bezug auf ihren Inhalt, so sieht man folgendes. In den
grösseren Gängen (Fig. 7a. gg) des Hilus ist der Inhalt der
Hauptmasse nach blau, oft aber umschliesst die blaue Masse
zentral oder in der Peripherie einen dünnen (uerschnitt roter
Substanz (Fig. 7a bei x). Zuweilen begrenzt auch ein grösserer
blauer einen seitlich gelegenen kleinen roten Sekretanteil. In
den kleineren Gängen ist die Farbe meist einheitlich, viel öfter
blau (Fig. Tc), seltener rot (Fig. 7b). Aber hin und wieder
treten auch hier im engsten Raume nebeneinander rote und blaue
Sektoren auf. Die blauen Anteile, welche offenbar von serösem
Sekret herrühren, sind stets homogen geronnen, die roten dagegen
häufig. sogar der Mehrzahl nach schaumig oder fädig geronnen,
ähnlich wie Fibrinflocken (siehe Fig. 7b). Diese stellen also das
schleimige Sekret der Sublingualis dar. In Fig. 7a gibt ein
ganzer Drüsenabschnitt (S) ein rein seröses Sekret und ist daher
von bläulichvioletter Färbung.
III. Die NV-Färbung von Gewebsflüssigkeiten.
In den vorigen Kapiteln wurde an (refrierschnitten des
frischen und des gekochten (rewebes gezeigt, dass sowohl die
festen wie die flüssigen Bestandteile des (sewebes sich mittels
NV in Kontrastfarben darstellen lassen. Diese Kontrastbilder
sind zunächst empirische Tatsachen, die ihren eigenen histo-
logischen Wert besitzen. Durch eine konsequent durchgeführte
‚chromolytische Behandlung der verschiedenen Organe und Organ-
flüssigkeiten werden sie aber zu etwas Wertvollerem, zu weiteren
;austeinen der Gewebschemie. Wenn wir vorderhand noch davon
absehen, mittels der Chromolyse die NV-Bilder systematisch
durchzuarbeiten, so geschieht es nur aus rein praktischen Gründen.
Bei der grossen Ausdehnung dieses (rebietes und den besonderen
Schwierigkeiten, welche die flüssigen Eiweisse bisher der exakten
Durchführung dieser Methode bereitet haben, würde der nächste
Zweck dieser Arbeit, das NV in die Histologie einzuführen,
erschwert, wenn nicht gar vereitelt werden. Wir ziehen es daher
vor, zunächst nur die NV-Färbung einiger bekannter Eiweissse
zu besprechen, welche zu den NV-Bildern der Organe und Organ-
tlüssigkeiten bereits so lehrreiche Analogien bieten, dass sich allein
90 P. G. Unna und L. Golodetz:
aus diesen Ergebnissen bereits manche der beschriebenen Kontrast-
färbungen der Organe anstandslos erklären lassen. Anschliessend an
die Erörterung dieser Eiweisse wollen wir dann noch über die
NV-Färbung verschiedener anderer organischer Substrate in bunter
Auswahl berichten. Je vielseitiger unsere Kenntnis der N\V-
Färbung im Ganzen wird, um so weniger leicht werden wir bei
ihrer Deutung in Einseitigkeiten verfallen.
l. Eiereiweiss.
Wenn man sich aus einem gekochten Ei Gefrierschnitte
herstellt und sie mit NV in derselben Weise wie gewöhnliche
(sewebsschnitte färbt, so erscheint der gefärbte Schnitt nach dem
Abspülen in Wasser rotorange. Bringt man den Schnitt aber
aus dem Wasser in Alkohol, so wird die rote Farbe ausgezogen
und der Schnitt erscheint rein blau.
Ebenso wie das gesamte Hühnereiweiss lassen sich auch die
daraus gewonnenen Albumin- und Globulinlösungen zur Gerinnung
bringen. Stellt man aus solchen Coagula der beiden genuinen
Eiweisse (refrierschnitte dar, so zeigen sie bei der Färbung genau
dasselbe Verhalten wie das (sesamteiweiss. Die zunächst roten
Schnitte werden bei der Entwässerung in absolutem Alkohol
rein blau.
(zenau so verhielten sich auch Albumin und Globulin, welche
aus frischem Milzbrei gewonnen wurden. Der Preßsaft wurde
gut filtriert und mit gleichem Volumen gesättigter Ammonsulfat-
lösung versetzt. Das ausgeschiedene Globulin wurde mehrfach
gelöst und ausgesalzen und schliesslich durch Dialyse rein ge-
wonnen. Das in der halbgesättigten Ammonsulfatlösung ver-
bliebene Albumin wurde mit Ammonsulfat in Substanz bis zur
Sättigung versetzt. das ausgeschiedene Albumin filtriert und wie
oben gereinigt. Beide Substanzen, mit einem Tropfen Wasser
auf dem Objektträger verrieben und dann durch Erhitzung zur
Gerinnung gebracht, färbten sich mit NV in schönem gesättigtem
Blau.
2. Muskel.
Fein zerhackte Muskeln wurden längere Zeit mit Wasser
digeriert. Die wässerige Lösung wurde von dem Muskelbrei
durch Filtration getrennt (Filtrat I), während der Muskel in
frisches Wasser kam und wiederum längere Zeit. dieses Mal unter
Neutralviolett extra. 9}
häufigem Wechseln des Wassers behufs besseren Ausziehens dige-
riert wurde.
Der wässerige Auszug (Filtrat 1), der viel Albumin enthielt.
wurde nun gekocht, wobei alles genuine Eiweiss coaguliert und
ausgeschieden wurde. Trennt man das Coagulum von der Flüssig-
keit durch Filtrieren (Filtrat II), streicht etwas davon auf dem
Objektträger aus, erhitzt es etwas über der Flamme, färbt es mit NV
und entfärbt in Alkohol, so erhält man, wie das vom Albumin
zu erwarten ist, eine intensive Blaufärbung des Präparates. Am
schönsten lässt sich diese Färbung demonstrieren, wenn man sie
in Gegensatz bringt zur Färbung von Seidenpapier, das, wie alles
Papier (siehe unten), sich mit NV rot färbt. Man bringt kleine
Streifen Seidenpapier in den wässerigen Muskelextrakt und er-
hitzt das Ganze zum Kochen. Hierbei gerinnt das genuine Ei-
weiss an den Papierfasern. Das Stückchen Papier lässt sich dann
wie ein Gefrierschnitt behandeln, und man erhält mit NV eine
Blaufärbung von Eiweiss auf dem roten Hintergrunde des Papiers.
Das Filtrat II enthielt nur noch Spuren eines organischen
Rückstandes und konnte wegen der geringen Menge der in Lösung
befindlichen organischen Substanz nicht mehr untersucht werden.
Ein auf dem Objektträger eingedampfter Tropfen dieses Filtrates
hinterliess hauptsächlich einen anorganischen Rückstand. her-
rührend von den im Safte des Musikels enthaltenen Salzen und
löste sich beim Versuche, ihn mit NV zu färben, restlos auf.
Hiermit war erwiesen, dass der wässerige Muskelauszug
fast nur aus genuinen Eiweissen besteht und sich wie die Muskel-
substanz selbst rein blau färbt.
Dasselbe Resultat erhält man. wenn man frisches Muskel-
gewebe auspresst. Auch der Preßsaft, welcher von genuinen Ei-
weissen gebildet wird, färbt sich rein blau.
Die durch Pressen oder durch Extraktion von Saft befreite
Muskelsubstanz, zerzupft, auf dem Objektträger angetrocknet
und gefärbt, nimmt bei der NV-Färbung eine grünlichblaue
Färbung an. Es ist sehr schwer, der Muskelsubstanz durch
blosses Auswaschen mit Wasser ihre Affinität zur blauen Kompo-
nente des NV zu nehmen. Selbst nach tagelangem Auswaschen
nimmt sie, mit NV gefärbt, ein allerdings immer schwächer
werdendes Blau an. Man muss schon unter oftmaligem Wechseln
und Schütteln mit zweiprozentiger Kochsalzlösung die Muskel-
93 P. G. Unna und L. Golodetz:
substanz 1 bis 2 Tage behandeln, um die Neigung zur Blau-
färbung vollständig zu vernichten. Diese Extraktionen der Muskel-
substanz gehen leichter und rascher vor sich, wenn man die-
selben an Gefrierschnitten vornimmt; doch geht aus diesen Ver-
suchen hervor, dass der Träger der Blaufärbung, welcher sich zum
grossen Teil in dem Muskelsaft befindet. auch in der festen Muskel-
substanz vorhanden ist und von dieser hartnäckig festgehalten wird.
Die Tatsache, dass sowohl die feste Muskelsubstanz wie der
Muskelsaft sich mit NV blau färben, erklärt nun auch die merk-
würdige Erscheinung, dass die stark gebläuten, quergestreiften
Muskeln niemals auch nur eine Andeutung von (uerstreifung
zeigen. Offenbar sind diese Muskeln derartig mit Albumin ge-
tränkt, dass das NV sie nur als homogene Gebilde darzustellen
vermag.
3. Andere Organsäfte.
Die aus allen saftreichen Organen durch Pressen oder Wasser-
auszug gewonnene Flüssigkeit färbt sich nach Erhitzen bis zur
'Gerinnung und Färbung mit NV ausnahmslos blau, was sich aus
ihrem reichen Gehalt an Albumin und Globulin hinreichend er-
klärt. Andererseits war es nicht leicht, aus solchen Geweben,
die sich auf Gefrierschnitten rein rot färben, einen ähnlichen
Preßsaft zu gewinnen: es sind dieses alle Knorpel und ge-
wisse Sehnen. Besonders die grossen und harten Sehnen, dort,
wo sie sich an grosse Muskeln ansetzen, färben sich gewöhnlich
rein rot, in krassem Gegensatz zum benachbarten Muskel (siehe
Fig. 5). Es gelang aber, von einer etwas weicheren Sehne, indem
wir sie zerhackten und eine Nacht im Brutofen mit Wasser ex-
trahierten, ein wenig Saft zu gewinnen. Derselbe zeigte beim
Kochen eine schwache, übrigens nicht filtrierbare Trübung. Ein
Tropfen eingedampft, und mit Neutralviolett gefärbt, zeigte Rot-
färbung. Mithin handelte es sich wohl um den Träger der Rot-
färbung der Sehne.
Rein blau färbt sich wiederum das geronnene Blutserum
und Blutplasma. Das rein gewaschene Fibrin dagegen färbt
sıch auf dem Gefrierschnitte und beim Zerzupfen und Antrocknen
auf dem Objektträger weder blau noch rot.
Verdaut man kernreiches Gewebe, z. B. Milzbrei mit Salz-
säure-Pepsin, so so färbt sich der Gewebsrückstand, der fast ganz
aus Kernen besteht, nicht mehr blau, sondern rot.
Neutralviolett extra. 95
IV. Die NV-Färbung fester organischer Stoffe.
Eiweisse in Gestalt getrockneter Pulver färbt man am besten
in folgender Weise. Eine kleine Menge wird mit einem Glasstab
auf die Mitte eines Objektträgers gebracht und mit einigen
Tropfen einer Alkohol + Äther-Mischung, in welcher eine Spur
Zelloidin aufgelöst ist, rasch verrieben und dabei auf einer grösseren
Fläche verteilt. Nach Verdunstung des Alkohol-Äthers wird der
Objektträger noch über einer kleinen Flamme hin und her geführt,
um die letzten Spuren von Feuchtigkeit zu entfernen. Die Pulver
haften dann so fest am Glase, dass sie bei der folgenden Färbung
und Entfärbung nicht abfallen.
Dann bringt man die Objektträger in ein Standgefäss mit
der !/2 prozentigen NV-Lösung, wo sie 10 Minuten verbleiben. Sie
werden sodann in Wasser abgespült und in ein Standgefäss mit
absolutem Alkohol gestellt bis zur völligen Entwässerung. Als-
dann kann man sie in Balsam bringen.
Da es im allgemeinen für die Intensität und Schärfe jeder
Färbung mit Mischfarben einen Vorteil bedeutet, wenn auch das
zu färbende Substrat gemischter Natur ist, da dann erst den
Farbkomponenten Gelegenheit geboten wird, ihre Affinitäten zu
verschiedenen Stoffen völlig ungehindert betätigen zu können, so
empfiehlt es sich auch für den hier vorliegenden Zweck, die Ei-
weisse in Mischungen zu färben. Man stellt sich dieselben einfach
dadurch her, dass man auf die Mitte des Objektträgers zwei
verschiedene Pulver nebeneinander in kleinen Mengen aufträgt
und sie gleichzeitig mit dem Alkohol-Äther verreibt. So z. B.
zeigt eine derartige Mischung von Nuklein und Kasein nach der
Färbung mit NV nebeneinander in voller Schärfe blaue Partikel
von Nuklein und violette von Kasein. Aber nicht alle Eiweisse
unterscheiden sich dem NV gegenüber so gut wie Nuklein und
Kasein. Man tut daher am besten, wenn es auf die genaue
Färbung einer bestimmten Eiweissart ankommt, als Gegensatz
Zellulose zu wählen. Denn wie die zweite Hälfte untenstehender
Tabelle zeigt, neigen alle zellulosehaltigen (rebilde zu einer mehr
oder minder starken, reinen Rotfärbung. Da aber Zellulose nicht
gut in Pulverform zu bringen ist, so benutzt man auch hier sehr"
dünnes Seidenpapier, welches, wie oben (S. 91) bereits mitgeteilt,
sich mit NV rot färbt. Man geht in der Weise vor, dass ein
kleines Quadrat von Seidenpapier in eine dünne Zelloidinlösung
“4 P. G. Unna und L. Golodetz:
getaucht wird, worauf man, so lange es noch feucht ist, das Ei-
weisspulver, z. B. Nuklein, aufstreut. Dann lässt man noch einmal
einen Tropfen der dünnen Zelloidinlösung über das Papier laufen,
wodurch das Pulver fixiert wird. Mit NV gefärbt, zeigt nun das
Präparat das Eiweiss blau auf dem roten Grunde des Papiers.
Eine gute Anschauung über die Rotfärbung der Zellulose
im pflanzlichen Gewebe gibt der in Fig. S abgebildete Teil vom
«Juerschnitt eines Radieschens. Das Zentrum des Schnittes (im
bilde oben) ist dunkelrot gefärbt, und von hier gehen dunkelrote
Strahlen nach allen Seiten der Peripherie. Die dunkelrote Farbe
haftet an den Zellwänden und setzt sich in abgeschwächtem
Maße auf die Zellulosewände der helleren Zellenmasse zwischen
«en Strahlen fort. In den Strahlen hebt sich in violetter Farbe
nur die Auskleidung der Gefässquerschnitte ab.
In folgender Tabelle haben wir einige der hauptsächlichsten
festen Bestandteile des tierischen und pflanzlichen Gewebes zu-
sammengestellt. Um ihre Verwandtschaft zum NV besser verstehen
zu lernen, ist es durchaus notwendig, die NV-Färbung derselben
mit der Färbung durch die beiden Komponenten: Neutralrot und
Neublau zu vergleichen. Die Färbung mit NV ist nämlich durch-
aus nicht stets ein Mittel aus diesen beiden Einzelfärbungen.
Wie ein rascher Überblick über die Tabelle lehrt, dominiert in
der ersten Hälfte, bei den Eiweissen tierischen und pflanzlichen
Ursprungs das Blau in der Mischfärbung, in der zweiten, bei den
J/ellulosen, das Rot, obwohl alle Stoffe sich einzeln mit Neublau
blau, mit Neutralrot rot färben. Man muss also annehmen, dass
bei jeder Färbung mit NV eine Konkurrenz der beiden Farbstofie
um den Besitz des Substrates eintritt, welche bei den Eiweissen
meistens zur Vorherrschaft des Blaus, bei den Zellulosen stets
zu der des Rots führt, während bei einigen Eiweissen beide
Farbstotfe von dem Stoffe Besitz ergreifen und die Färbung dann
mehr oder minder violett ausfällt. Man kann demgemäss die
Eiweisse in eine tinktorielle Reihe ordnen, beginnend mit den
Albuminen und Globulinen, die sich mit NV stets rein blau färben,
bis zum Casein und Vitellin, deren Färbung violett ausfällt. Bei
‚len Zellulosen aber ist die Affinität zum Rot so stark, dass eine
tinktorielle Ordnung, etwa nach der mehr oder minder starken
Mitwirkung des Blaus, hier nicht möglich ist.
Am auffallendsten in dieser Tabelle ist wohl die Färbung
Neutralviolett extra.
95
Neublau Neutralrot Neutralviolett
Albumin blau rötlich blau B
Globulin hlau | rötlich blau
Nuklein hellblau ' schwach rötlich | blau
Nukleinsäure schwarzblau |spurweise rötlich blauviolett
Kernsubstanz *) dunkelblau | | rot F dunkelviolett
Sperma, |
mit Alkohol und dunkelblau rot dunkelviolett
Äther extrahiert *)
Nuklein, » IB: | BE
mit H,O, behandelt ‚lau rötlich dunkelviolett
Dein, na ie ee
mit NH, behandelt na dunkelrot Aalen
K ? | teils farblos, teils
eratin A blau rot | eohriolett
Keratin B graublau stark rot rötlich-violett
Hornalbumosen schwach bläulich
reine Wollfaser schwach blau |
Kasein blau
Vitellin bläulich
EBlastin bläulich
Kleber NERR bläulich : i
Baumwollfaser schwach blau
Filtrierpapier dunkelblau
Zellmembran
(Bohne, Mohrrübe.
blau
xadieschen, Kar-
toffel)
ungebleichte a
Holzfaser an
Hollundermark blau
Nitrozellulose
schwach blau
Zelloidin)
fast farblos |
schwach rot |
rot
rötlich
rötlich
rötlich
dunkelrot
dunkelrot
rot
rot
rot
rot
fast farblos
schwach violett
grauviolett
| violett
teils bläulich, teils.
sehr schwach violett
‚sehr schwach violett
dunkelrot
dunkelrot
rot
rot
rot
farblos
*, Die Kernsubstanz aus Gänseblut und die Spermaköpfe des Herings
wurden uns von Herrn Geheimrat Kossel freundlicherweise zur Verfügung
gestellt.
36 P. G Unna und L. Golodetz:
des Nukleins, da bei der konstanten rotvioletten Färbung der
Kerne der Schluss wohl berechtigt erscheinen dürfte, dass gerade
Nuklein zum Rot des NV eine besondere Affinität besässe. Es
ist aber gerade umgekehrt: das Nuklein fixiert aus dem NV das
Blau ebenso stark wie Albumin und Globulin. Es repräsentiert
also keinesfalls allein die Kernsubstanz, was übrigens auch
allgemein abgelehnt wird. Eine grössere Verwandtschaft zum
Rot des NV hat schon die Nukleinsäure, die sich in einem blau-
violetten Ton färbt. Dunkelviolett färbten sich weiter eine aus
(änseblut gewonnene Kernsubstanz und ein mit Alkohol und
Äther extrahiertes Heringssperma aus dem Kosselschen Labo-
ratorium: ebenso ein von uns mit H,; O, sowie ein mit Ammoniak
behandeltes Nuklein. Das im Handel befindliche. nach der gewöhn-
lichen Methode dargestellte Nuklein ist mithin weit entfernt
davon, die rotviolette Substanz der Kerne darzustellen. Die Ver-
schiedenheit dürfte u. a. durch die Behandlung mit Salzsäure und
die Entfernung des Sauerstoffs bedingt sein.
Im übrigen zeigt die Tabelle, was zu erwarten war, dass
alle Eiweisse und alle Zellulosen als saure Körper die beiden
basischen Farben. Neublau sowohl wie Neutralrot, aufzunehmen
imstande sind. Es führen aber diese Aftinitäten bei der NV-
Färbung nur selten zu einer reinen Violettfärbung, wie z. B. beim
Vitellin. Meistens siegt bei den Eiweisskörpern die Affinität zum
Neublau, bei den Zellulosen die zum Neutralrot. Die Erklärung
für das erste Phänomen liegt wohl einfach in der mehr oder
minder starken heduktionskraft der meisten Eiweisskörper. Wir
haben bei den Organfärbungen ja durchweg die Beobachtung
gemacht, dass Neublau „sauerstoffeindlich“ ist, insofern es die
Sauerstofforte dem sauerstoffreundlichen Neutralrot überlässt und
sich auf die Reduktionsorte beschränkt. Sollte vielleicht die hot-
färbung der Zellulosen auf ihren Sauerstoftfgehalt und eine dadurch
bedingte besondere Affinität zu dem sauerstoffreundlichen Neutralrot
zurückzuführen sein ?
Wir verfügen bereits über eine Erfahrung allgemeiner Art,
welche diese Frage zu bejahen scheint. Bei unseren Studien über
das Rongalitweiss war uns die intensive Blaufärbung aufgefallen,
welche alle Arten von Papier bei der sachgemäss ausgeführten
Rongalitweissfärbung annehmen. Dass es sich dabei nicht um
eine bloss mechanische Adhärenz von Luftsauerstoff handeln konnte,
Neutralviolett extra. 97
bewies der einfache Kochversuch. Auch gekochtes Papier besitzt
dieselbe auffällige Affinität für Rongalitweiss. Wir stellten daher
schon vor einigen Jahren eine grössere Untersuchung über diesen
Gegenstand an und gingen bis auf die Samenhaare der Baum-
wollstaude zurück. Auch diese zeigten schon dieselbe bemerkenswerte
Affinität. Wir untersuchten dann eine grosse Reihe vegetabilischer
Fasern; von den zartesten Zellwänden bis zum Holze, alle zellulose-
haltigen Gebilde zeigten dieselbe starke Färbung in Rongalitweiss
im Gegensatz zu tierischen Horngebilden. Das sauerstoffreiche
Zellulose-Molekül muss daher in irgend einer noch näher zu
erforschenden Weise einen Teil seines Sauerstofts in lockerer
Bindung enthalten und an feine Sauerstoftreagentien abzugeben
imstande sein. Dass es sich bei dieser ganz allgemeinen Erschei-
nung nicht etwa um Oxyzellulose handelt, geht aus hier nicht
weiter zu erörternden Erfahrungen hervor.
Eine unerwartete Bestätigung dieser Beobachtungsreihe gibt
nun die NV-Färbung. Denn hier zeichnet die Rotfärbung, welche
wir an den tierischen Geweben fast allein an die sauren Sauer-
stofforte (Kerne, Mastzellen, Knorpel) geknüpft sehen, vor allem
die Zellulose aus. Die Zellulose verschmäht also in der N\V-
Mischung das sauerstoffeindliche Neublau und fixiert das sauer-
stoffreundliche Neutralrot.
Archiv f. mikr. Anat. Bd. 9%. Abt.l.
=]
95
Die Chromatophoren der Reptilienhaut.
Von
Privatdozent Dr. W. J. Schmidt,
Bonn, Zoologisches Institut.
Hierzu Tafel V—IX und 15 Texttiguren.
Inhaltsübersicht. Seite
Einleitung... ® \ I
I. Die ee aa Andale de C onen 101
a) Artenwund Benennung. er. ee Et
b)' Anordnung in deryHaut 1.52 7. Er GN
IE:-DieMelanophoreni: Er RS RT er Ta se
a) Formverhältnisse . . . he ee ee ee Er
b) Funktionelle eher Re; 125
c) Kernverhältnisse . . . NE a, Slah!
d) Sphäre und olesnelneeie rukineen a / Stälil
e) "Eintwicklane 112 RUE AR N TER eN. D
17, Die AT ophor en HER
a) Untersuchunesmethoden er 22 72 EG
b) Allophoren der Lacertiden.. 2... 2... 2.02.20 2002
6) Allophoren von Uroplatus.... .... 20. 1 u. Ce
IV. Die Eirpophoren) .. 2. 20 BE N RER es
a) Historisches .... ee. 5. 117%
b) Umesechanesmethone: am nberichendes Objekt ee NT
c) Vorkommen und Verbreitung bei den Lacertiden .. .... 179
O)4BaUr 22%. 300 3 00a De wa ee ee a ae, van N
e)oHarbstolloez....: a a ae re N [>
f) een En 2 Deo
8) Bewegungserscheinungen ?" 7; U san Sa ne
N+Die/@Guanophonen:.x:..r. nal ee a en)
a) ZEINALNE aa an a ee ehe te Be RES
b) Entwicklung Dre Ä 2
e) Struktur des Eristalliischen Inhalts ana 7y toplasma ld
d) Bewegungserscheinungen? . . . 214
e) Verhalten des kristallinischen ne in polaren Licht 216
Chemische Natur des kristallinischen Inhalts. . . ..... 218
g) Strukturfarben 292
VI Erklärungsversuche der intrazellulären Bewegung
der Pismentrranula ... .....000 5.00
Die Chromatophoren der Reptilienhaut. a)
Einleitung.
Erste Bedingung zur Erklärung von Färbung und
Farbenwechsel bei den Reptilien ist die Kenntnis ihrer
morphologischen Grundlagen. Dank emsiger Forschung kann
man heute wohl sagen, dass das Zustandekommen und der Wechsel
der Hautfärbung in ihrer Abhängigkeit von bestimmten histo-
logischen Elementen im wesentlichen erfasst sind. Doch darf
die morphologische Seite der mit Färbung und Farbenwechsel
verknüpften Probleme noch keineswegs als erschöpfend bearbeitet
gelten.
Nachdem schon frühzeitig beobachtet war, dass sich an
den Melanophoren Pigmentverlagerungen abspielen, blieb es
neuerer Zeit vorbehalten, deren Natur als intrazelluläre Körnchen-
strömungen endgiltig zu sichern. Die Erklärung solcher intra-
zellulären Pigmentverschiebungen aber setzt die Kenntnis ihres
Ablaufes im einzelnen voraus, über den wir bislang so gut
wie gar nicht unterrichtet sind. Schon Brücke (1851) hatte
erkannt, dass bei der Entstehung der grünen Farbe in der Reptilien-
haut das von den Guanophoren erzeugte Strukturblau eine
wichtige Rolle spielt. Wie aber jenes Blau selbst zustande kommt,
darüber konnte noch keine völlige Klarheit und Einigkeit erzielt
werden, nicht zum mindesten deshalb, weil der Bau der Guano-
phoren noch nicht hinreichend erforscht ist; fand doch die eigen-
artige Struktur der Lacertidenguanophoren bisher nur einmal
kurze Erwähnung. Die Lipophoren, deren gelber Farbstoff
die Guanophoren überlagert und so gemeinsam mit ihnen den
Eindruck von Grün hervorruft, sind bislang nur einmal genau
untersucht und mit erhaltenem Pigment überhaupt noch nicht
abgebildet worden. Den Allophoren wurde einstweilen nur sehr
wenig Aufmerksamkeit geschenkt, was ich am besten mit der
Tatsache belege, dass eine hierhin gehörige Chromatophorenform
bei unseren einheimischen Lacertiden bis heute ganz unbekannt
blieb. Die Nervenversorgung der UÜhromatophoren, die gemäss
dem physiologischen Befund vorhanden sein muss, liegt noch im
Dunkel: denn die älteren Angaben Leydigs (1872, S. 7 und 1873,
S. 779) erscheinen im Hinblick auf die Darstellung der gleichen
Verhältnisse bei Knochenfischen durch Ballowitz (1893) wenig
vertrauenerweckend und mit der kurzen Angabe Kellers (1895,
S. 166), dass bei Lacerta viridis deutlich wahrnehmbare Ver-
Tier
100 W.J. Schmidt:
bindungen zwischen Nerven und Chromatophoren bestehen, ist
auch nur wenig gedient. Über die Ontogenese der Melanophoren
sind wir kaum, über diejenige der übrigen Chromatophorenarten
gar nicht unterrichtet. Die Färbungsunterschiede der
Geschlechter sind nur selten, die Veränderungen, die beim
Anlegen des Hochzeitskleides in der Haut vor sich gehen.
der Einfluss von Alter, Klima u. del. auf das Farbenkleid
wohl überhaupt noch nicht in histologischer Beziehung untersucht
worden. Ebenfalls die Färbungsanomalien (Melanismus,
Leukomelanismus, Albinismus, Erythrose) fanden kaum histologische
Würdigung. Leider lassen auch die hochinteressanten Arbeiten
Kammerers (1907, 1910) über künstlich hervorgerufene
Abänderungen des Farbenkleides eine eingehendere mor-
phologische Analyse der erzielten Änderungen vermissen. Unter
solchen Umständen ist es nicht zu verwundern, dass von den
Theorien, die sich mit der Erklärung der Zeichnung ab-
geben. keine allgemeinen Beifall gefunden hat: sie alle fussen
zu wenig auf den morphologischen Grundlagen.
Das Ziel der folgenden Untersuchung ist, durch eine ein-
gehendere Erforschung des Baues der an der Haut-
färbung beteiligten histologischen Elemente dieses
oder jenes der angedeuteten Probleme einen Schritt seiner Lösung
näher zu bringen. Im Vergleich zu den Verhältnissen bei Fischen
(und Amphibien) ist die Kenntnis vom feineren Bau der Reptilien-
chromatophoren zurückgeblieben; man denke nur an die schönen
Untersuchungen von Ballowitz (siehe Literaturverzeichnis)
über die Farbzellen der Fische, die unsere Vorstellungen von
ihrem Bau und ihrer Funktion wesentlich erweitert haben. Die
Ursache hiervon liegt vornehmlich in der Schwierigkeit, feinere
Verhältnisse an der Reptilienhaut im überlebenden Zustand
zu untersuchen. Das Integument wenigstens unserer einheimischen
Reptilien ist zu dick und auch schon durch die massenhafte
Entwicklung der Guanophoren und Melanophoren im allgemeinen
zu undurchsichtig, um einer Beobachtung unter starken Ver-
grösserungen zugänglich zu sein. Es ist daher bis jetzt noch
nicht gelungen, etwa die intrazellulären Körnchenströmungen der
Melanophoren im Leben bei den Reptilien zu beobachten, sondern
die Annahme ihrer Existenz stützt sich auf allerdings unwider-
leeliche Befunde im histologischen Bild des abgetöteten
Die Chromatophoren der Reptilienhaut. 101
Objektes, deren volle Interpretation durch die Analogie mit den
Beobachtungen an Fischmelanophoren erleichtert wird. Dieser
Nachteil wird aber einigermassen wieder wettgemacht durch die
riesige (Grösse mancher Chromatophoren, die sie als hervorragende
Objekte für die Schnittuntersuchung erscheinen lässt, eine Methode,
von der bislang noch nicht ausgiebig genug (rebrauch gemacht
wurde.
I. Die Eintsilung und Anordnung der Chromatophoren.
a) Arten und Benennung.
In dem Maße wie die zunächst beim Chamäleon gewonnenen
Erfahrungen über die Chromatophoren durch die Untersuchung
anderer Formen eine Erweiterung fanden, tauchen immer
neue und nicht stets zweckmässige Namen für die verschiedenen
Arten der Chromatophoren auf. Bei der bisweilen unzu-
reichend genauen Darstellung der älteren Befunde, die zum Teil auf
unvollkommenen Untersuchungsmitteln beruht, besteht hente für
jemanden, der mit den Objekten nicht aus eigener Anschauung
vertraut ist, eine erhebliche Schwierigkeit, die Beobachtungen der
einzelnen Forscher in den richtigen Zusammenhang zu setzen,
selbst bei Beschränkung auf die Gruppe der Reptilien, die hier
allein ins Auge gefasst wird. Es kann nun nicht meine Aufgabe
sein, alle in der Literatur vorgekommenen Irrtümer und Unklar-
heiten zu berichtigen, da schon Brücke (1551) die zu seiner
Zeit vorliegenden Angaben kritisch besprochen hat und die neueren
Arbeiten zuerst bei van Rynberk (1906) und kürzlich durch
Fuchs (1914) eine ebenso eingehende wie treflliche Zusammenfassung
gefunden haben. Insbesondere Fuchs schildert auch die rein morpho-
logischen Daten in solcher Breite, dass kaum eine selbst nur
einigermassen bedeutsame Tatsache dort übersehen wäre. Indem
ich daher für manche literarischen Einzelheiten, die zu meinen
Beobachtungen in nächster Beziehung stehen, auf die späteren
Abschnitte verweise, knüpfe ich hier an die Darstellung von
Fuchs an, der auf den vorliegenden Berichten fussend, sich
seinerseits schon bemüht hat, in der umsichgreifenden Verwirrung
Ordnung zu schaften.
Fuchs (1914, S. 1550f.) ordnet die in der Reptilienhaut
beschriebenen Chromatophoren in folgende Gruppen ein: Melano-
102 W. J. Schmidt:
phoren. Xanthophoren, Phäophoren, Erythrophoren und Porphyro-
phoren, Leukophoren. farblose Zellen und Guanophoren.
Über die Melanophoren brauche ich nicht viel Worte
zu verlieren. Es sind die bekannten schwarzen Ghromato-
phoren, deren kennzeichnender Inhalt aus Melaninkörnchen besteht.
Die Melanine bilden durch das im Mittel konstante Verhältnis von
N:H:0 = 1:5:5 eine chemisch wohl charakterisierte Gruppe
von Verbindungen; von ihren Eigenschaften sei hervorgehoben,
dass sie in Wasser und in den Lösungsmitteln der Fettsubstanzen
(Alkohol, Äther, Chloroform u. dgl.) unlöslich sind und «gegen
Mineralsäuren und auch Alkalien eine ungewöhnliche Beständig-
keit zeigen. Die einzelnen Melaninkörnchen besitzen gelbliche
bis dunkelbraune Farbe und verleihen der Zelle je nach der
Diehte ihrer Übereinanderlagerung hellbräunlichen bis schwärz-
lichen Farbenton. (Gemäss diesen Angaben stellen die Melano-
phoren eine wohl umschriebene und leicht kenntliche Gruppe von
Farbzellen dar.
Unter Nanthophoren will Fuchs die Zellen verstanden
wissen, welche Pouchet beim Chamäleon und bei Eidechsen
(vel. S. 173) als „chromoblastes jaunes“ oder „pigment jaune“
beschrieben hat, Elemente, die durch einen gelben, an Fett
sebundenen Farbstoff, ein Lipochrom, ausgezeichnet
sind. Die Lipochrome Kühnes (Luteine nach Thudıchum).
nahe verwandt den pflanzlichen Uarotinen, bilden eine grosse
Klasse von gelben und roten Farbstoften, die Ü-,. H-, O-haltıg,
aber N-frei sind. deren chemische Natur im übrigen noch unbe-
kannt ist, die aber eine Anzahl von Klassenmerkmalen besitzen.
von denen vor allem die Löslichkeit in Fetten und den
Lösungsmitteln der Fette (Alkohol, Äther und dergl.) und
der Farbenumschlag in Blau bei Zusatz von konzen-
trierter Schwefelsäure zu nennen sind. (Genaueres vgl.
z. B. Biochem. Handlexikon. Bd. 6, 1911, S. 303 f.)
Der Name Xanthophoren stammt von Keller (1895, S. 148),
der diese Elemente bei Chamäleon und Ualotes (S. 165),
allerdings an Schnitten, also nach Schwinden des charakteristischen
Pigments, untersucht hat, sich aber bei Lacerta viridis von
dessen Existenz und der Richtigkeit der Angaben Pouchets
überzeugte und sie als körnige Zellen mit anscheinend diffusem
hellgelbem Farbstoff schildert, der manchmal die Zellen in Tröpfchen-
Die Chromatophoren der Reptilienhaut. 105
form verlässt (S. 165). Fuchs (1914, S. 1585 und 1597) ist im
Unrecht, wenn er glaubt, zwischen den Xanthophoren von Pouchet
und denen von Keller bestehe insofern ein prinzipieller Unter-
schied, als Pouchet ihren Inhalt als Lipochrom bezeichnet,
während die Kellerschen Xanthophoren Guaninkalk enthalten
sollen. Vielmehr knüpft die Definition der Nanthophoren bei
Keller (1595, S. 148) unmittelbar an den Befund bei Pouchet
an mit den Worten: „Aber man darf Pouchet darin vollen
Glauben schenken, dass sie in frischem Zustande gelbe fettähnliche
Tröpfehen und gelbe Körner von über 2!/a u (Grösse enthalten: ich
nenne sie Xantophoren.“ Demnach kann es keinem Zweifel unter-
liegen, dass Pouchet und Keller die gleichen Elemente im
Auge haben. Wahrscheinlich ist Fuchs eine Verwechslung mit
den Ochrophoren Kellers passiert (vel. S. 174).
Es fragt sich nun, ob es sich empfiehlt. die Kellersche
Bezeichnung Nanthophoren für die Zellen mit gelbem Lipo-
chrom beizubehalten. Kurz nach Keller hat Thilenius (1897,
S. 523) bei Uromastix hellbraune Melanophoren als Xantho-
phoren beschrieben. Damit ist schon der Anfang für Irrtümer
gegeben, und ich schlage daher vor, den Namen Xanthophoren
zum wenigsten als Sammelbezeichnung für einen bestimmten, durch
die chemische Beschaffenheit seines Farbstofts scharf umrissenen
Chromatophorentypus aufzugeben und zwar auch noch aus folgendem
Grunde.
Fuchs (1914, S. 1586) möchte jene CUhromatophoren als
Erythrophoren bezeichnen, die ein rotes Lipochrom ent-
halten. Dass rote Lipochrome bei Reptilien vorkommen, schliesst
der Autor daraus, dass die orange bis rote Färbung am Bauch
von Lacerta vivipara in Alkohol sich verliert, dass ebenso
die rote Kehlwamme von Anolis nebulosus in Alkohol gelb
wird. Über das histologische Verhalten der von Fuchs als
Erythrophoren bezeichneten Chromatophoren ist seiner eigenen
Angabe nach nichts bekannt. Wir werden nun im folgenden den
Nachweis erbringen, dass die gelbe Farbe auf der Bauchseite des
Weibchens von Lacerta agilis und die roten Farbtöne auf der
Bauchseite von Lacerta vivipara durch ein und dasselbe
Lipochrom bedingt sind und sich nur dureh die verschiedene
Konzentration des Farbstoffes unterscheiden. Durch die
bisherigen Untersuchungen ist demnach die Annahme eines von
104 W.J. Schmidt:
dem gelben differenten roten Lipochroms nicht gerechtfertigt
und die Bezeichnung Erythrophoren in diesem Sinne hinfällig.
Ich schlage nun vor, alle ein Lipochrom enthalten-
den Chromatophoren als Lipophoren zu bezeichnen,
wobei das Wort, verkürzt aus dem zu schwerfälligen Lipo-
chromophoren, nach Analogie mit Melanophoren und Guano-
phoren gebildet, unmittelbar auf den charakteristischen Inhalt
der Zellen hinweist. Sollte sich später ergeben. dass ausser dem
gelben Lipochrom in seinen verschiedenen zum Rot hinüber-
führenden Konzentrationsstufen noch andere, wesentlich verschie-
dene Lipochrome in Reptilienchromatophoren vorkommen, so*
könnte man diesem neuen Tatsachenbestand leicht durch einen
die spezielle Farbe charakterisierenden Zusatz, wie „gelbe, rote“
Lipophoren, gerecht werden.
An dritter Stelle führt Fuchs (1914, S. 1585) die Phaeo-
phoren auf, Chromatophoren, die von mir (W. J. Schmidt
1913, 5. 388f.) bei Uroplatus beschrieben wurden und sich
vor allem durch die auffallende Grösse der Granula. deren Struktur,
Farbe und Verhalten gegen Reagenzien einerseits scharf von
Melanophoren, andererseits von Lipophoren (und Guanophoren)
unterscheiden lassen. Die Farbe der Granula geht von mattem
gelb durch orange zu braunrot, karminrot und auch blassrot mit
Nuancen nach blau hin (weinhefefarbig) über. Die Zellen mit
karminrotem Farbstoff glaubte ich damals bei ihrer feinkörnigen
Beschaftenheit als eine weitere Chromatophorenform annehmen zu
müssen; doch bestehen sowohl hinsichtlich der Farbe als auch
der Grösse der Körner alle Übergänge. wie in vorliegender Arbeit
genauer gezeigt wird. sodass es sich doch wohl um verschiedene
Abarten ein und derselben Farbzelle handelt. Dass die Zellen keine
Lipophoren sind, geht aus der Unlöslichkeit des Farbstofts in
Alkohol u. dgl. hervor: dass sie auch nicht den Melanophoren
zugerechnet werden können, muss aus der geringeren Widerstands-
fähigkeit des Farbstoffs gegen Alkalien und Säuren geschlossen
werden.
Nun hatte schon früher Keller (1895, S. 145) neben den
Melanophoren in den Lateralflecken beim ÜUhamäleon andere
Chromatophoren von der gleichen Form wie jene, aber meist
geringerer Grösse mit purpurrotem, körnigem, alkohol-
unlöslichem Inhalt beobachtet und als Erythrophoren
Die Chromatophoren der Reptilienhaut. 105
bezeichnet. Auch Pouchet waren sie bekannt, denn er unter-
scheidet (1876, S. 74 und 75) zwei Arten von Chromoblasten, die
einen gross mit Melaninpigment, die anderen klein, näher der
Oberfläche der Haut gelegen. mit einem Pigment von rötlichen
Nmancen. Er sah diese letzten Chromatophoren am besten nach
Behandlung der Haut mit einer schwachen Säure: alsdann erschienen
sie in einer mehr oder weniger ausgesprochen roten oder röt-
lichen Farbe, welche sich durch Imprägnation im benachbarten
(rewebe ausbreitete. Pouchet macht diese Chromatophoren
für die rötlichen Töne im Farbenwechsel des Chamäleons verant-
wortlich, und dass er die gleichen Elemente wie die Ervthrophoren
Kellers vor sich hatte, wird noch erhärtet durch seine Angabe,
dass sie vornehmlich in den Seitenflecken des Rumpfes vorkommen,
am übrigen Körper selten zu sein scheinen. Ich vermute sogar,
dass schon 1834 M ilne-Edwards diese Chromatophoren beobachtet
hat. sie allerdings von den Melanophoren nicht sicher zu unter-
scheiden wusste: denn wenn er (zitiert nach Brücke 1851,
>. |[191]) von einem „pigment rouge violace et noirätre“ spricht,
so ist rot-violette Farbe sicherlich auf die Beimengung der
Kellerschen Erythrophoren zurückzuführen. Brücke (1851,
S. [198 |), der diese Chromatophoren übersah, sucht die Beobach-
tung Milne-Edwards’ so zu erklären, dass durch die Kali-
behandlung. deren sich jener Autor bediente, der Inhalt der
Melanophoren teilweise mit roter und schön violetter Farbe
gelöst würde. Nun verändert zwar die Kalilauge bei längerer
Einwirkung den braunschwarzen Melanophoreninhalt, indem das
Pigment allmählich heller wird und einen bräunlichroten Farbenton
annimmt, niemals aber habe ich gesehen, dass es violett wird,
und so muss ich denn den viel näher liegenden Schluss ziehen, dass
auch Brücke nach Behandlung der Haut mit Alkali, die durch
Auflösen der Guanophoren tatsächlich geeignet ist, die violetten
Zellen ans Licht zu bringen, die Kellerschen Erythrophoren
vor Augen gehabt hat, ohne sie recht zu erkennen.
Bei Phelsuma fand ich (W. J. Schmidt 1912a, S. 1801.)
in grosser Menge Zellen, Porphyrophoren, die den Kellerschen
Ervthrophoren nahe stehen und wie diese rote und violette Farben-
töne zeigen: der Farbstoff ist wie dort in Alkohol unlöslich und
an (rannla gebunden. Keller hat zunächst für seine Ervtliro-
phoren die Ansicht ausgesprochen, ihr Pigment sei dem Melanin
106 W.J. Schmidt:
verwandt, wohl vornehmlich deshalb, weil er Übergänge zwischen
Melano- und Erythrophoren beobachtete. Dieser Meinung schloss
ich mich für die Porphyrophoren von Phelsuma und später
auch die Phaeophoren von Uroplatus an, weil der Farbstoff
dieser Zellen in organischen Lösungsmitteln unlöslich ist und
eine ähnliche, allerdings geringere Widerstandsfähigkeit gegen
Säuren und Alkalien besitzt, wie das Melanin. bestärkt wurde
ich in dieser Auffassung noch dadurch, dass ich, ähnlich wie
Keller bei Chamäleon, bei der Blindschleiche (W. J. Schmidt
1914, 8. 9) Übergänge von roten Chromatophoren mit alko-
holunlöslichem Pigment zu Melanophoren feststellen konnte,
derart, dass Zellen Granula beider Art enthalten. Trotz dieses
aus den morphologischen Tatsachen entspringenden, allerdings
keineswegs zwingenden Beweisgrundes und des ähnlichen Löslich-
keitsverhaltens von Melanin einerseits, den roten und blauroten
Farbstoffen andererseits, muss ich doch die Berechtigung der
Kritik von Fuchs (1914, S. 1601) anerkennen, dass diese Reak-
tionen nicht hinreichen, die genannten Farbstoffe als Melanin
zu erweisen, dass hierzu vielmehr eine Elementaranalvse nötig
ist, die zutreffendenfalls das für die Melanine charakteristische
Verhältnis von N:H:C = 1:5:5 ergeben müsste. Bei diesem
Stand der Sache — und er wird voraussichtlich noch lange
der gleiche bleiben, da es nicht so leicht möglich sein dürfte,
die zu prüfenden Pigmente aus der Haut rein und in hin-
reichender Menge zu isolieren — halte ich es für richtiger, einst-
weilen mit einem Urteil über die chemische Natur der betrettenden
Farbstoffe zurückzuhalten und nur zu betonen, dass sie nicht
Lipochrom und auch nicht das gewöhnliche Melanin sind.
Die morphologischen Charaktere der mit violetten, roten
und orangefarbigen Pigmenten versehenen Zellen, ihre später zu
schildernde übereinstimmende Lage in der Haut und nicht zuletzt
auch die kontinuierliche Farbenreihe, die sich zwischen ihnen
herstellen lässt, unter besonderer Berücksichtigung der Tatsache,
dass schon bei ein und derselben Form (Uroplatus, Phelsuma,
Anguis) verschiedene Nuancen des Farbstoffs auftreten. geben
mir die Sicherheit, dass hier ein wohl umschriebener Chromato-
phorentypus vorliegt. Ich habe schon früher vorgeschlagen
(W.J. Schmidt 1914. S. 7). in einer Arbeit, die während der
Drucklegung der Fuchsschen Darstellung erschien, alle Chro-
Die Chromatophoren der Reptilienhaut. 107
matophoren mit alkohol- und ätherunlöslichen, von
Melaninverschiedenen.anGranula gebundenen, gelben,
roten und violetten Farben und deren Abschattie-
rungen als Allophoren zu bezeichnen. Die Ableitung von
4,408 — anders, wurde gewählt. um den Unterschied dieser Farb-
zellen gegenüber den Melanophoren und Lipophoren zu betonen,
ohne dabei etwas Bestimmtes über die chemische Natur der Farb-
stoffe zu äussern. Zu den Allophoren gehören demnach die
Erythrophoren Kellers, die von mir benannten Phaeo-
phoren mitsamt ihrer karminroten Abart, diePorphyrophoren
in der Begrenzung bei mir und bei Fuchs, die Zellen mit rotem
alkoholunlöslichem Farbstoff bei Anguis, sehr wahrscheinlich auch
dieZellenmitrostrotemPigment, welche Thilenius(1S97.
S. 528) bei Agama inermis beschreibt (vgl. hierüber S. 161)
und ferner die in der folgenden Untersuchung neu beschriebenen
Zellen hei den Lacertiden. Es würde sich empfehlen. die hier
aufgeführten Bezeichnungen fallen zu lassen und zur genaueren
Kennzeichnung der gerade vorliegenden Allophoren die Farben-
nuance besonders anzugeben.
Fuchs möchte den Namen Porphyrophoren (siehe oben)
auf alle kein Lipochrom enthaltenden Zellen ausdehnen, im Gegensatz
zu seinen Erythrophoren (= unseren Lipophoren). Doch
glaube ich, dass der von mir vorgeschlagene Name dadurch, dass
er keinerlei Beziehung mehr zu den alten Bezeichnungen bewahrt,
besser geeignet ist, Verwechslungen und Irrtümern vorzubeugen,
und den Begriff ebensogut umschreibt. Sachlich decken sich
aber die Fuchsschen Porphyrophoren fast völlig mit meinen
Allophoren.
Über die Fuchsschen Erythrophoren ist schon oben
gesprochen worden (8. S. 103).
Den an fünfter Stelle genannten Leukophoren (die Be-
zeichnung geht auf Keller zurück) spricht Fuchs mit Recht
die Daseinsberechtigung ab, da sie sich in keinem Punkt prin-
zipiell von den (rsuanophoreu unterscheiden.
Die farblosen Zellen Fuchs’, die ich bei Voeltzkowia
mira beobachtete (W.J. Schmidt 1910, S. 692), sind wohl
Pigmentzellen und zwar Melanophoren, in denen die Ausfärbung
der Granula unterblieb. Diesem Chromatophorentypus sind sie
daher anzugliedern.
105 W. J. Schmidt:
Unter Guanophoren schliesslich vereinigt Fuchs nach
einem Vorschlag von mir (W.J. Schmidt 1912a, S. 188) alle
(Guanin enthaltenden Färbungselemente, also das helle weisse und
gelbe Pigment Brückes!) (1551, S.1197— 198]), das weisse Pigment
Levdigs (1868, S. 30 und 74), die Leukophoren und Ochrophoren
Kellers (1895, S. 147—148) und Garltons (1903, 3. 261), die
Iridoevten Pouchets (1576. S. 59 und 62) und Blanchards
(1880, S. 11). die weissen Pigmentzellen Osawas (1896).
Gemäss den vorstehenden Erörterungen mache ich also den
Vorschlag, alle in der Reptilienhaut vorkommenden Chromato-
phoren in vier Gruppen einzuteilen: Melanophoren, gekenn-
zeichnet durch den Gehalt an Melaninkörnchen. Lipophoren
mit einem in Fettröpfehen gelösten oder auch in kristallinischer
Form auftretenden Lipochrom, Allophoren mit Pigmentkörnchen
'!) Mit Unrecht aber führt hier Fuchs (1914, S. 1588) die Inter-
ferenzzellen Brückes an, die jener Autor als platte, meist sechseckige,
häufig fünf-, selten vier- und noch seltener dreieckige Gebilde, immer von
ziemlich geraden Seiten begrenzt, beschreibt. Brücke (1851, S. [196j)
hebt von ihnen ausdrücklich hervor, dass sie der Epidermis selbst
angehören und bei der Häutung teilweise mit abgestossen werden. Es
handelt sich hier nicht um Gwuaninzellen, sondern um die sogenannten
äusseren und inneren Häutungszellen der Epidermis und
Brücke vermutete schon ganz richtig, dass sie irgendwie mit dem
Wachstum der Oberhaut zu schaffen haben. Keller (189, S. 149) hat
auch diese Zellen beobachtet und nach Schnitten abgebildet und auf Grund
dieser verbesserten Untersuchungsmethode kann er die Brückesche An-
nahme, die Interferenz werde durch eine dünne Luftschicht erzeugt, dahin
verbessern, dass hier regelmässig geordnete Zähnchen, Körnchen oder Borsten
vorliegen, die polygonalen Zellen aufsitzen (Kellers „Reliefschieht*). Dieser
bürstenartigen Reliefschicht gegenüber verhält sich die sich ablösende Ober-
haut wie ein Negativ („negative Reliefschicht*), indem sie den Stäbchen
entsprechende Einschnitte besitzt. Neuerdings ist Biedermann (1914,
S. 874f.) nochmals in anderem Zusammenhang auf diese Dinge zu sprechen
gekommen; er betrachtet die Borsten beim Chamäleon, deren Homologie mit
den gleichartigen Gebilden bei Geckoniden er richtig erfasst, als Kutikular-
haare gleich den älteren Autoren; doch ist diese Auffassung, wie ich
verschiedentlich gezeigt habe (W. J. Schmidt 1912a, S. 236; 1913, 8. 417),
nicht zulässig; vielmehr stellen diese Borsten intrazelluläre Bildungen,
verhornte Plasmafasern, dar. Eine mechanische Bedeutung für die
Ablösung der oberflächlichen Hornlagen besitzen sie übrigens nicht, wie
Keller (1895, S. 150) und andere ältere Autoren annehmen möchten. — Der
Anteil dieser „Interferenzzellen®* an der Färbung der Haut ist übrigens
gering, wie schon Brücke richtig hervorhebt.
Die Chromatophoren der Reptilienhaut. 109
von gelber, roter, violetter Farbe, die chemisch von Lipochrom
und Melanin verschieden sind, Guanophoren charakterisiert
durch die Einlagerung von (ruaninteilchen. Die Unterscheidung der
verschiedenen Typen beruht auf einem einheitlichen Ein-
teilungsprinzip, nämlich der chemischen Beschaffenheit der
den betreffenden Zellen eigentümlichen Einschlüsse. Die Guano-
phoren nehmen insofern eine Sonderstellung den übrigen
Uhromatophorentypen gegenüber ein. als ihre Farbe keine an die
chemische Beschaffenheit des Guanins geknüpfte. auf selektiver
Absorption beruhende Pigment-, sondern eine Strukturfarbe ist.
so dass ihnen der Name von Chromatophoren nur in bedingtem
Umfang zusteht. Während die Definition von Melanophoren,
Lipophoren und Guanophoren durchaus positiv erfolgt, haftet der
Kennzeichnung der Allophoren bei der nicht gesicherten chemischen
Natur ihres Pigmentes ein negatives Merkmal an. indem ihre
Unterscheidung abgesehen von den charakteristischen Farben ihrer
(Granula und morphologischen Kennzeichen auf dem abweichenden
chemischen Verhalten ihres Farbstofis gegenüber Melanin und
Lipochrom beruht. Da aber die Umschreibung der Allophoren
nicht rein negativ erfolgt. und auch die kommenden Ausführungen
über die Lage der verschiedenen Chromatophoren die Allophoren
wenigstens als morphologisch einheitlichen Zelltypus erscheinen
lassen, so glaube ich. dass dieser Mangel nicht zu hoch zu veran-
schlagen ist. besondersauch, weil die chemische Natur des Allophoren-
inhalts, wenn auch unbekannt, doch überall eine ähnliche zu sein
scheint. Damit fühle ich mich gegen den etwaigen Vorwurf gesichert.
ich habe in der Gruppe der Allophoren ganz heterogene Elemente
vereint, die einzig darin übereinstimmen, dass sie weder Melano-.
noch (mano-, noch Lipophoren seien. Jedenfalls aber gestattet die
von mir vorgeschlagene Unterscheidung der Chromatophoren, alle
bis jetzt beschriebenen Farbzellen der Reptilien leicht und sicher
auseinander zu halten. Schwierigkeiten würden sich nur da ergeben,
wo in ein und derselben Zelle Pigmente verschiedener chemischer
Natur anftreten, wie es tatsächlich bei den Allophoren des Chamä-
leons nach Keller und denjenigen der Blindschleiche nach meinen
Befunden der Fall zu sein scheint, indem gelegentlich auch
Melaninkörnchen in ihnen auftreten (siehe S. 162). Solche Zellen
sind dann mit Doppelnamen, wie etwa Melano-Allophoren ı. del..
zu belegen. Nicht nur für die Reptilien ist die von mir vorge-
110 W. J. Schmidt:
schlagene Einteilung brauchbar, sondern sie lässt sich auch mit
Leichtigkeit auf die Verhältnisse bei Fischen und Amphibien an-
wenden, was ihren Wert gewiss nicht verringert.
Extrazelluläre Pigmente kommen nach meinen Erfahrungen
in der Reptilienhaut nicht vor (siehe S. 193), und einigen dahin-
zielenden Bemerkungen in der Literatur (z. B. Thilenius 1897,
S. 518; vgl. auch Agassiz S. 175) stehe ich nicht mit grossem
Vertrauen gegenüber.
b) Anordnung in der Haut.
Alle Chromatophoren mit Ausnahme der Melanophoren sind in
ihrem Vorkommen (in der Haut) auf die Kutis beschränkt (siehe unten).
In den unteren Schichten der Epidermis finden sich bei zahl-
reichen Arten in wechselnder Menge intraepitheliale Melanophoren.
Es sei hier nur auf die Lacertiden (vgl. Fig. 46—48, Taf. VII),
im übrigen auf die diesbezüglichen Angaben bei Fuchs (1914,
S. 1575f.) verwiesen. Auch in den Epithelzellen selbst können
Melaninkörnchen auftreten (bei Schlangen, Schildkröten, Kroko-
dilen, Eidechsen),. die von intraepidermalen oder aber von Kutis-
melanophoren herrühren, die ihre Ausläufer bis an das oder gar
(interzellular) in das Epithel entsenden. Zwischen Epidermis- und
Kutispigmentierung bestehen zwei interessante Beziehungen. Nach
Werner (zitiertnach Fuchs 1014, S.1576) tritt beiausgewachsenen
und alten Schlangen eine eigene Epidermiszeichnung auf,
die eine Wiederholung der Zeichnung der Kutis an den
stärkst pigmentierten Stellen ist: da, wo in der Kutis kein
Pigment vorhanden ist, fehlt auch die Epidermiszeichnung. Diese
Abhängiekeit der Epidermiszeichnung von dem Kutispigment lässt
sich, was auch ich bestätigen kann, ebenfalls bei Eidechsen fest-
stellen (Thilenius 1897, S. 520 und 525) und kommt wahır-
scheinlich allen Reptiliengruppen zu. Ferner geben Leydig
(1873, S. 775) und Kerbert (1877, S. 257) übereinstimmend an,
dass bei Ringelnatterembryonen die Melanophoren in der Epidermis
früher auftreten als in der Kutis, was auch für andere Formen
zutrifft (siehe S. 154). Beide Tatsachen weisen auf enge Beziehungen
zwischen Epidermis- und Kutispigmentierung hin, die nur genetisch
erklärt werden können.
Guanophoren oder Guaninkörnehen kommen in der
Epidermis der Reptilien nie vor. Fuchs (1914, S. 1576 und
1597— 1598) glaubte ein solches Verhalten nach zwei Angaben bei
Die Chromatophoren der Reptilienhaut. Kr
Leydig zulassen zu müssen: doch handelt es sich bei Leydig')
zweifellos um Keratohyalin oder Eleidin der Epidermiszellen.
!, Die erste Mitteilung Leydigs (1860, 8.68) lautet: Der Inhalt
der Epidermiszellen der Blindschleiche unter der Kutikula „ist entweder von
gewöhnlich granulärem Aussehen, oder er besteht aus einem fettartigen, der
ganzen Lage die erwähnte weissliche Farbe verleihenden Stoff ; die fettige
Masse erfüllt meist in Form erösserer oder kleinerer Körner oder Krümelchen
die Zellen dergestalt, dass kaum mehr die Zellenlinien sich erhalten“. Auch
von der glatten Natter hebt Leydig (1868, S. 81—82) ein gleiches Verhalten
hervor und fügt noch hinzu: „... was ich als Fettinhalt bezeichne, erscheint
unter der Form weicher Klümpchen von unregelmässiger Gestalt und einem
matt glänzenden Aussehen. Nach Einwirkung von Essigsäure verschwinden
die Klümpchen «rossenteils und es bleiben nur Reste in Gestalt kleiner
Stifte zurück. Wird solchen Präparaten noch verdünntes Glyzerin beigesetzt,
so wandeln sich auch die Stifte in Körnchen um: schliesslich werden auch
diese gelöst ... .“ Später kommt Leydig (1875, S. 764—65) unter Berufung
auf letztgenannten Passus nochmals auf diese Dinge zu sprechen und fügt
hinzu, dass ihm auch solcher körniger oder bröckeliger Inhalt der Zellen
unter der „Kutikula“ der Kopfschuppen von Lacerta agilis begegnet
sei. Schon weil Guanin in Essigsäure unlöslich ist, Keratohyalin aber unter
Säurewirkung quillt, scheinen mir Leydigs Angaben im genannten Sinne
zu deuten zu sein, vor allem aber auch aus dem Grunde, dass in der Tat Kerato-
hyalin an lebendfrischen Zellen oft zu beobachten ist und sich durch seine
ganze Erscheinung und den Mangel der Doppelbrechung leicht und sicher
von Guanin unterscheiden lässt. Zum Belege gebe ich in Textfig. 1 drei
Zellen aus den tieferen Epidermisschichten eines Bauchschuppenhinterrandes
von Lacerta muralis wieder, die nach einem überlebenden Totalpräparat
in physiologischer Kochsalzlösung gezeichnet wurden. Die Zellen sind voll-
gepfroptt mit Körnern und schollenartigen Gebilden von Keratohyalin, das nur
die Stelle des Kernes frei lässt. Ein Vergleich dieser Abbildung mit den
Fig. 22 und 23, Tab. III, bei Leydig (1868) tut ohne weiteres dar, dass
Deydig und mir die gleichen Dinge vorgelegen haben.
Fig. 1.
Epidermiszellen von Lacerta agilis mit Keratohyalinmassen: nach
dem überlebenden Objekt gezeichnet. Vergr. 1360:1.
11119 W. J. Schmidt:
Vielleicht kommen bei Schildkröten Lipophoren in der Epidermis
vor (vgl. S. 175 Agassiz): doch müssen darüber erst neuere
Untersuchungen Klarheit schaften.
Wenden wir uns nun den in der Kutis gelegenen Chromato-
phoren zu, so ist hinsichtlich ihrer Verbreitung im allge-
meinen zu sagen. dass nur bei wenigen Formen (Chamäleon,
Phelsuma, Lacerta) das gleichzeitige Vorkommen der
vier oben erwähnten Chromatophorentypen gesichert ist; doch
mögen künftige Untersuchungen ein solches Verhalten häufiger
erscheinen lassen. Wie schon Fuchs (1914.S. 1575) zusammengestellt
hat, fehlen Melanophoren in der Haut keines Reptils, wenn sie
auch bei Albinos und nach meinen Befunden (W. J. Schmidt
1910, S. 656) bei Völtzkowia äusserst spärlich sind. Guano-
phoren finden sich ebenfalls regelmässig und sind nur bei
Völtzkowia und einigen anderen Formen (siehe S. 115) abwesend.
Allerdings ist die Verbreitung und Masse der Melano- und Guano-
phoren bei den einzelnen Arten und je nach den Körperstellen
sehr grossen Schwankungen unterworfen. Lipophoren sind
exakt nur beim Chamäleon und bei den Lacertiden nachgewiesen,
doch ist auch bei Calotes und Phelsuma ihre Gegenwart
so gut wie gewiss (vgl. S. 116f), und wir dürfen sie fast überall
da erwarten, wo grüne Färbung vorliegt. Allerdings kann die
grüne Färbung auch ohne Überlagerung der Guanophoren dureh
Lipophoren zustande kommen, wenn nämlich die Hornschicht
stark gelb gefärbt ist und so die Wirkung der gelben Lipo-
phoren ersetzt: derartiges lässt sich an Baumschlangen beobachten,
die oft auch nach jahrelangem Aufenthalt in Alkohol immer noch
intensiv grün erscheinen: entfernt man aber von ihren Schuppen
die Hornschicht, so kommt der blaue Guanophorenuntergrund
zutage. Auch bei Phelsuma habe ich festgestellt, dass durch
Alkohol die grüne Farbe nicht immer beseitigt wird (W. J. Schmidt
1912a, S. 204). doch finden sich hier allem Anschein nach auch
Lipophoren. Allophoren sind bislang bei Geckoniden (Phel-
suma) und Uroplatus, ferner bei Agamiden, Lacertiden,
Anguiden und beim Chamäleon bekannt geworden (siehe S. 104).
Die für die Färbung und den Farbenwechsel in Betracht
kommenden Chromatophoren liegen in den oberen Schichten der
Kutis unmittelbar unter der Epidermis, in der sog. Subepidermis,
deren Bindegewebsfasern ein Maschenwerk darstellen, in das die
Die Chromatophoren der Reptilienhaut. 113
Chromatophoren eingebettet sind. Auf das Verhalten dieses
Maschenwerks gehe ich hier nicht näher ein: Pouchet (1870)
hat von ihm eine gute Beschreibung gegeben und neben anderen
Autoren habe auch ich es in verschiedenen früheren Arbeiten
eingehend geschildert. Melanophoren und Guanophoren — nie
Lipo- und Allophoren — kommen auch in tieferen Hautschichten
vor, die ersten öfter, die letzten seltener als sog. „erratische*
Guanophoren (Blanchard 1880); unsere Fig.51, Taf. VIII gibt
solche erratische Guanophoren (Gı) in starker Ansammlung wieder.
Da diese Elemente, weil in der Tiefe der Haut gelegen, für
Färbung und Farbenwechsel bedeutungslos sind, sollen sie hier
nicht weiter berücksichtigt werden.
Schon den älteren Beobachtern war nicht entgangen und
wurde durch die späteren vielfach bestätigt (vel. Fuchs 1914,
S. 1577 f.), dass die in der Subepidermis gelegenen Chromatophoren
ein ziemlich streng eingehaltenes gegenseitiges Lage-
verhältnis zeigen. Wenn Lipophoren vorhanden sind, liegen
sie immer unmittelbar unter der Epidermis. Auf sie folgt,
zunächst von Allophoren abgesehen, eine Schicht von Guano-
phoren und unter diesen liegen die Melanophoren. (re-
wöhnlich entsenden die Melanophoren durch die Lagen der über
ihnen befindlichen Farbzellen ihre Ausläufer bis zur Epidermis:
allerdings sind sie nur bei Expansion des Pigments leicht ver-
folgbar. Die Abgrenzung der einzelnen Schichten ist, abgesehen
von kleineren Unregelmässigkeiten, ziemlich geradlinig und schart.
Doch kommen mancherlei Besonderheiten vor, von denen hier
nur die „Guaninkörbe* der Melanophoren (Thilenius 1397)
erwähnt seien: ein allseitiges Umfasstwerden des Melanophoren-
zelleibes durch Guanophoren. Sind Allophoren vorhanden, so
finden sie sich immer über den Melanophoren und, wenn an der
gleichen Stelle Lipophoren vertreten sind, unter diesen; sonst teilen
sie entweder das Niveau mit den Lipophoren oder erscheinen in die
Guaninschicht versenkt. Man vergleiche zu diesen Ausführungen
Textfig. 2a—c, in denen Melanophoren mit M, Guanophoren mit G,
Lipophoren mit L und Allophoren mit A bezeichnet sind: ihre
genauere Besprechung erfolgt unten.
Die Bedeutung der gesetzmässigen Schichtung der Chromato-
phoren bei der Erzeugung des Farbenkleides und beim Farben-
wechsel ist bekanntlich folgende. Nur in Melanophoren und
Archiv f. mikr. Anat. Bd. 90. Abt. 1. )
114 W.J. Schmidt:
Allophoren spielen sich Pigmentverlagerungen ab (siehe S. 123f,
171). Sind die Ausläufer der Melanophoren pigmentfrei, so
kommt die Wirkung der über ihnen gelegenen Pigmente rein
zur Geltung. In diesem Falle erscheinen die Hautstellen je nach
dem Massenverhältnis von Lipophoren und Guanophoren und der
feineren Beschaffenheit der beiden Zellarten weiss oder gelblich
oder blau (reine Guanophorenwirkung), gelblich bis orangerot
(reine Lipophorenwirkung), oder grün (kombinierte Wirkung
gelber Lipophoren über blau erzeugenden Guanophoren). Sind
dagegen die Melanophoren expandiert, so erscheint ihr Pigment
in den Endverästelungen der Ausläufer dicht unter der Epidermis
und es tritt eine Verdunkelung der genannten Farben ein, die
sich bis zu allgemeiner Braun- und Schwarzfärbung der Haut
steigern kann. Reicher noch wird die Farbenskala bei Gegenwart
von Allophoren, die in ähnlicher Weise wie die Melanophoren
sich mit ihren orangefarbigen, roten und violetten Pigmenten
am Farbenwechsel beteiligen können. Doch dürfte die Wirkung
der Allophoren, da sie oberflächlicher gelegen sind, auch bei
Retraktion ihres Pigments wohl nie so vollständig ausgeschaltet
werden können wie jene der Melanophoren. Eine besondere Ver-
wicklung werden die Verhältnisse bei Anwesenheit von Allophoren
dann darbieten, wenn die Zustände der Pigmentverteilung in
Melanophoren einerseits und Allophoren anderseits sowohl gleich-
sinnig als auch entgegengesetzt sein können. Leider haben diese
Dinge noch nicht genügend Aufmerksamkeit gefunden.
Wie schon vorhin bemerkt, sind in verhältnismässig wenigen
Fällen alle vier Chromatophorentypen bei einer Form (und auch
dann nur stellenweise) neben- bezw. übereinander in der Haut
vorhanden: solche Arten werden den mannigfachsten Farben-
wechsel aufweisen können. Sind weniger als vier Chromato-
phorentypen bei einer Form vertreten, so erscheinen sie nicht
wahllos miteinander, sondern nur in Form der vier ersten unter
den folgenden fünf Kombinationen:
1. Melanophoren,
2. Melanophoren — Guanophoren,
3. Melanophoren — Guanophoren — Lipophoren,
4. Melanophoren — Guanophoren — Allophoren,
Melanophoren + Guanophoren -- Allophoren + Lipophoren.
Eine einfache Überlegung zeigt. dass die Zahl der möglichen
oı
Die Chromatophoren der Reptilienhaut. 21:5
1-, 2- und 3eliedrigen Kombinationen der vier Chromatophoren-
typen viel grösser ist als die Anzahl der verwirklichten. Wir
kennen aber keine Formen, die z. B. nur Guanophoren, nur Lipo-
phoren. nur Allophoren besässen, ebensowenig wie Arten einzig
mit den zweigliedrigen Kombinationen Guanophoren + Lipophoren
bzw. Allophoren + Lipophoren, bzw. Guanophoren + Allophoren:
auch die dreigliedrige Kombination Guanophoren + Allophoren +
Lipophoren kommt nicht vor. Warum nun gerade die verwirk-
lichten Kombinationen auftreten, dafür lassen sich aus einer
Analvse der oben stehenden Kombinationen folgende (esichts-
punkte gewinnen.
Erstens kommen in sämtlichen fünf Kombinationen
Melanophoren vor, so dass gewissermassen die Kombinationen 2—5
Kombinationen der Melanophoren mit den übrigen
Uhromatophorenarten darstellen. Diese Tatsache, verbunden
mit der weiten Verbreitung der Melanophoren bei den Wirbel-
tieren und ihrem gegenüber den anderen Chromatophoren früheren
ontogenetischen Auftreten, lässt gewissermassen die Melanophoren
als Urfarbzellen erscheinen.
Zweitens sind die Guanophoren in ihrem Vorkommen
(mit Ausnahme von Fall 1) immer mit den Melanophoren
vereint. Fall 1 wurde bisher nur von Völtzkowia repräsentiert,
deren Farbenkleid allein Melanophoren enthält. Da aber Völtz-
kowia eine (den Seineoiden nahestehende) unterirdisch im Sande
wühlende Form ist, und auch die Melanophoren bei ihr sehr
schwach ausgebildet sind, so hängt der Schwund des Farbenkleides
wohl irgendwie mit der Lebensweise zusammen. In dieser Hin-
sicht war es mir von grossem Interesse festzustellen, dass auch
bei der Anelytropide Feylinia, der nächsten Verwandten von
Völtzkowia, die (Guanophoren fehlen, während die Melano-
phoren allerdings gut entwickelt sind. Auch eine Wühlschlange
(Typhlopide) und eine Warzenschlange (Acrochordus), die ich
untersuchen konnte, wiesen nichts von Guanophoren auf. Die
bisher bekannten Fälle des Fehlens von Guanophoren beziehen
sich alle auf aberrante Formen und lassen somit die Wahrschein-
lichkeit zu, dass der Mangel an Guanin kein ursprüngliches
Merkmal darstellt, sondern die Folge einer Rückbildung der
Guanophoren ist. Demnach dürfen wir auch in den Guanophoren
bei ihrer ausgedehnten Verbreitung in sämtlichen Reptiliengruppen
8*
116 W. J. Schmidt:
(siehe S. 196) altes Erbgut erblicken und das um so mehr, als
ihre Entfaltung bei Amphibien und Fischen hinter derjenigen bei
den Reptilien in keiner Weise zurücksteht.
Wenn somit Melanophoren und Gmanophoren als altüber-
kommene Färbungselemente gewöhnlich gemeinsam erscheinen,
so wird durch diese Tatsache die mögliche Zahl der Kombinationen
zwischen den vier Chromatophorenarten stark eingeschränkt. Man
kann die Vereinigung: Melanophoren — Guanophoren als Grund-
kombination der Chromatophoren bezeichnen.
Weiterhin erweisen sich die Kombinationen 3—5 als Fort-
bildung der Grundkombination (= Melanophoren + Guanophoren)
durch Lipophoren und Allophoren, die sowohl einzeln (3 und 4),
als auch beide zusammen (5) neben den Melanophoren + Guano-
phoren auftreten können.
Beispiele für Kombination 1 (alleiniges Vorkommen
von Melanophoren) sind schon oben gegeben. Die Grundkom-
bination (2) liegt bei dem Gecko Tarentola mauritaniea
vor, der einzig Melanophoren und Guanophoren besitzt und dessen
Farbenwechsel auf ein Heller- und Dunkelwerden beschränkt
ist: auch dürften Varanus und Uromastix (nach Thilenius
1597), ferner die Krokodile und manche Schildkröten (Emyda)
hierhin zu rechnen sein.
Die Vereinigung der Grundkombination mit Lipo-
phoren (35) ist vor allem für viele grünen Formen charakte-
ristisch, obwohl auch hier genauere Untersuchung oft noch Allophoren
ergeben dürfte. Als Beispiel sei die Agamide Calotes angeführt,
über deren Uhromatophoren schon Keller (1895, S. 163.) zu-
treffende Mitteilungen macht, die allerdings einer Unterstützung
durch Abbildung ermangeln. Daher gebe ich in Textfig. 2a
einen Schnitt durch die Haut von Calotes jubatus wieder.
Unter der Epidermis (E), die durch ein charakteristisches, im
Schnitt gesägt erscheinendes Oberhäutchen ausgezeichnet ist, folgt
eine einfache Zellenlage (L), die sich vor allem dadurch gleich
verrät, dass die tiefer gelegenen Guanophoren (G) nicht bis zum
Epithel reichen, sondern scharf abgegrenzt eine schmale Zone
unter ihm frei lassen. Über die feinere Beschaffenheit der Zellen
war am Präparat nichts festzustellen, nur ihre etwas abgeplatteten
Kerne zeigten sich deutlich. Da nun Calotes jubatus im
Leben eine grüne Farbe besitzt, die betreffende Hautstelle amı
Die Chromatophoren der Reptilienhaut. 117
Alkoholmaterial aber prachtvoll blau erscheint, so ist auch gemäss
der Analogie mit den Lacertiden wohl unzweifelhaft, dass die
unmittelbar unter dem Epithel gelegenen Zellen Lipophoren sind
BE !
73 E Da =} >35 = N
\ } me
G 2 REN: =
SG AR
M uw —— = SET
——
en — Zn
—— 7 ge en] Saaen TernnTr Sir —
Fig. 2c.
Anordnung der Chromatophoren in der Haut: a bei Calotes, b bei Uro-
platus, c bei Phelsuma. M Melanophoren, G Guanophoren, L Lipo-
phoren, A Allophoren, E Epidermis, B Bläschenzellen. Vergr. 400 :1.
118 W.J. Schmidt:
und gelbe Fettröpfechen enthielten, wie auch Keller meint:
(Manche Calotesarten besitzen übrigens rote Farben im Leben:
da sie sich meiner Kenntnis nach in Alkohol nicht erhalten.
dürfte auch dieses Rot Lipochrom sein.) Unter der breiten
Schicht der Guanophoren (G) liegen die Melanophoren (M), die an
der betreffenden Hautstelle das Pigment geballt zeigen, so dass
ihre Ausläufer durch die Guanophoren hindurch nieht zu ver-
folgen sind.
Vergleicht man hiermit Textfig. 2b, einen Schnitt durch die
Haut von Uroplatus, einer Form, die den Geckoniden nahe
steht, so fällt zunächst auf, dass die Zone der Lipophoren fehlt,
indem die Guanophoren (G) fast das Epithel erreichen. Die
einzige im Bild sichtbare Melanophore (M) befindet sich im Ex-
pansionszustand und entsendet ihre Ausläufer bis unmittelbar
unter das Epithel, so dass die pigmenterfüllten Endverzweigungen
eine dünne, aber sehr dunkle Zone noch oberhalb der Guano-
phoren bilden. Da ausser Melanophoren und (Guanophoren bei
Uroplatus noch Allophoren anzutreffen sind, kann er als Beispiel
für Kombination 4 gelten. Diese Allophoren (A), deren
genauere Untersuchung Aufgabe eines späteren Kapitels ist
(siehe S. 165), liegen in der Guanophorenschicht derart ein-
gebettet, dass nur ihre kurzen Ausläufer unmittelbar an die
Epidermis reichen.
Kombination 5 endlich ist beim Chamäleon und bei Phel-
suma verwirklicht, von welch letzterer Form Textfig. 2c einen Schnitt
durch die Haut darstellt. Die mächtigen Zellen (B) mit grossen
Vakuolen und spärlichem Plasmanetz, das den Kern enthält. sind
keine Chromatophoren. sondern die vielen Geckoniden eigenen
Bläschenzellen. Unter dem Epithel (E) finden wir wieder die
Lage der Lipophoren (L), von deren Struktur auch hier nichts
Gewisses zu erkennen war. Dann folgen nach innen die Guano-
phoren (G) und Allophoren (A), die sich insofern etwas verschieden
von der Sachlage bei Uroplatus (Textfig. 2c) verhalten, als
die Körper der Allophoren meist unterhalb der Guanophoren liegen,
so dass die Allophoren basal nicht von Guanophoren umgritten
werden. Es scheint auch, als wenn die Allophoren mit ihren
Ausläufern, welche die Guanophorenschicht durchsetzen, nicht wie
dort die Unterseite der Epidermis erreichen, sondern schon
unterhalb der Lipophoren endigen: dafür spricht sehr die scharfe
Die Chromatophoren der Reptilienhaut. E19
obere Grenze der Allophorenschicht, die fast genau mit derjenigen
der Guanophoren übereinstimmt. Bisweilen kann man erkennen,
dass die Allophoren über den Guanophoren — ganz ähnlich wie die
Melanophoren bei Uroplatus — eine dünne, aber wohl abgesetzte
Pigmentzone mittels ihrer Endverzweigungen bilden. Auch die
Melanophoren (M) bieten bei Phelsuma Eigentümlichkeiten
gegenüber den vorher besprochenen Formen. Zunächst sind sie
durch die erwähnten Bläschenzellen von den Guano- und Allo-
phoren getrennt und dann, was mit diesem Verhalten zusammen-
hängen mag, entsenden sie ihre Ausläufer sehr selten der Epi-
dermis entgegen, sondern stellen ziemlich abgeplattete Zellen
dar, die sich in der Ebene der Haut mit ihren Verzweigungen
ausdehnen.
Der Kombination 5 gehören auch in gewissem Sinne unsere
einheimischen Lacertiden an: doch unterscheiden sie sich vom
Chamäleon und Phelsuma dadurch, dass zwar an gewissen Haut-
stellen alle Chromatophorentypen vorhanden sind, aber diese niemals
alle unmittelbar übereinander oder durcheinander geschichtet auf-
treten, sondern anscheinend Allophoren und Lipophoren, die das
gleiche Niveau der Haut einnehmen, für einander eintreten. Die
Anordnung der Allophoren bietet im Vergleich zu den bei Uro-
platus und Phelsuma geschilderten Variationen wieder einen
neuen Befund. Während dort die Allophoren in die Guaninlage
eingebettet sind, bilden sie hier eine eigene Zone über den Guano-
phoren (vgl. A Fig. 46, 47 und 49, Taf. VIII), die im Niveau der
Lipophorenschicht (L) entspricht. An Schuppen, die Allophoren und
Lipophoren enthalten (Fig. 47, Taf. VIII), bilden die einen die
unmittelbare Fortsetzung der anderen, und eine Vermischung von
Allophoren und Lipophoren kommt an der Grenzlinie beider
Chromatophorenarten nur in sehr geringem Umfang zustande.
So bietet die Anordnung der Chromatophoren selbst innerhalb
einer Kombination noch mancherlei Verschiedenheiten, deren
Kenntnis für das volle Verständnis von Farbenkleid und Farben-
wechsel nicht bedeutungslos ist.
Zum Schluss sei noch bemerkt, dass solche organartige Ver-
einigungen verschiedener Chromatophorentypen, wie sie Ballowitz
(1913a, ce und d) bei Fischen als chromatische Organe beschrieben
hat („Melaniridrosome, Erythroiridosome“ u. dgl.), bei Reptilien
nicht vorzukommen scheinen.
120 W. J. Schmidt:
Il. Die Melanophoren.
a) Formverhältnisse.
Die Form der Melanophoren wird in beträchtlichem Maße
von der Umgebung beeinflusst, vielfach sogar geradezu von
dem Verhalten des umhüllenden Gewebes vorgeschrieben. Den
epidermalen Melanophoren stehen nur die schmalen Inter-
zellularräume zwischen den Epithelzellen für die Ausbreitung
zur Verfügung: ihnen müssen sich die entsprechend dünnen und
meist langen Ausläufer anpassen; der eigentliche Zelleib, zwischen
die Epithelzellen eingekeilt, weist immer nur geringe Grösse auf,
und ebenfalls der Kern zeigt in seiner oft langgestreckten. viel-
fach unregelmässig gestalteten Form die Wirkung der Raum-
beengung (vel. Fig. 62a—c, Taf. IX).
(Günstiger liegen die Verhältnisse in der Regel für die bedeutend
grösseren subepidermalen Melanophoren, die, von ausschlag-
gebender Bedeutung für Färbung und Farbenwechsel. in der ober-
tlächlichen Bindegewebslage unter dem Epithel vorkommen. Ihr
Zelleib ist meist kugelig oder ellipsoidisch und entsendet nur nach
einer Seite, zum Epithel hin, Fortsätze, deren Verlauf und gegen-
seitige Divergenz durch die Bindegewebszüge bestimmt sind, die
gegen die Epidermis hin ausstrahlen. So haben denn schon mehrere
Autoren jene Zellen mit den Purkinjeschen Zellen des Klem-
hirns verglichen (vel. Fig. 1. Taf. V). Wird der Raum zur Ent-
faltung der Subepidermis eingeschränkt, etwa durch Gegenwart
von Hautverknöcherungen, so werden die Zellen abgeplattet, und die
Ausläufer gehen allseits vom Rande des mehr oder minder scheiben-
förmigen zentralen Zellteils ab und liegen mit ihm in der gleichen
Ebene. So kommen Melanophoren zustande, die sehr an die
sonnenförmigen Schwarzzellen der Fische erinnern und durch die
geringe Dicke ihres Zelleibes hervorragend geeignet erscheinen,
am Totalpräparat Aufschluss über Kern- und Sphärenverhältnisse
zu liefern. Das schönste mir bekannte derartige Beispiel bieten
die Melanophoren von «eckolepis, dem madagassischen Schuppen-
gecko (vgl. Fig. 65—67, Tat. IX).
Die in den tieferen Hautschichten gelegenen Melanophoren
passen sich gewöhnlich der charakteristischen Anordnung des
Bindegewebes an, das hier mehrere Lagen bildet, in deren jeder
die Bündel sämtlich parallel verlaufen, während sie von Lage zu
Die Uhromatophoren der Reptilienhaut. 121
Lage gekreuzt erscheinen. Bei solchen Zellen erfolgt, wie ich
für die Blindschleiche gezeigt habe (W. J. Schmidt 1914, S. 13f.),
die Ausbildung der Ausläufer überwiegend in zwei zueinander
annähernd senkrechten Richtungen, die mit dem Zug der Binde-
gewebsfasern übereinstimmen.
Sehr eigentümlich geformte Melanophoren beobachtete ich
auf der Unterseite der Knochenschuppen in der Rückenhaut von
Lygosoma smaragdinum, einer Seinecide. Die Zellen sind
hier aussergewöhnlich stark abgeplattet. Da sie gleichzeitig sehr
dicht beieinander liegen, fehlt der Platz zur Entwicklung von
Fortsätzen, und so bieten sich denn jene Elemente als unregel-
mässig vielseitige Scheiben dar, deren Peripherie stellenweise
durch kurze schmale Einschnitte in rundliche Läppchen zerschlitzt
ist, die rudimentäre Ausläufer darstellen (Textfig. 3a). Bemerkens-
wert ist, dass Verschmelzungen von Zellen oder einzelnen ihrer
Fortsätze nicht eintreten, obwohl durch die innige Berührung
vielfach in breiter Strecke die beste Gelegenheit dazu geboten
wäre. Stellenweise rücken diese Melanophoren weiter voneinander
ab. bilden dann kurze plumpe, lappenartige Fortsätze, die öfter
in eine Anzahl meist parallel gerichteter kleinerer Ausläufer zer-
fallen. Die Verästelungen benachbarter Zellen stossen aufein-
ander — ohne zu verschmelzen — und so entsteht ein sehr zier-
liches Netzwerk von Chromatophoren mit unregelmässig rund-
lichen Maschen (Textfig. 3b). Bei ihrer geringen Dicke zeigen
diese Melanophoren von Lygosoma den Kern als hellen rund-
Fie, 3a. Fig. 3
Melanophoren von der Unterseite der knöchernen Rückenschuppen von Lygo-
soma smaragdinum. a Zellen mit kurzen Ausläufern, b netzbildende
Zellen. In a und b Stelle des Kerns, in b auch der Sphäre sichtbar.
Vergr. 400:1.
122 We ESchimiidit:
lichen Fleck und oft auch als eine in seiner Nähe gelegene kreisförmige
körnchenarme Zone die Sphäre (Textfig. 3a und vor allem 3b).
Eehte Anastomosen zwischen den Ausläufern von Melano-
phoren scheinen bei Reptilien äusserst selten zu sein — wie
übrigens auch bei anderen Wirbeltiergruppen. Ich selbst
(W. J. Schmidt 1911, S. 350) habe solche von Uhromatophoren
aus den tieferen Hautschichten von Geckolepis beschrieben,
aber auch hier waren sie bei den netzbildenden Zellen nur ver-
einzelt festzustellen. Seitdem ist mir nur noch ein zweiter der-
artiger Fall und zwar bei den epidermalen Melanophoren
jüngerer Ptychozoonembryonen begegnet. auf den ich später.
nochmals zurückkomme (vel. S. 154). An den Stellen der dunklen
Rückenbinden gewahrt man im Totalpräparat ein äusserst eng-
maschiges, von Melaninkörnchen gebildetes Netz (Texttig. 9a):
seine hellen Lücken entsprechen dem Umfang der basalen Epithel-
zellen, seine Balken den Interzellularlücken, die durch die An-
wesenheit der Melanophoren erheblich erweitert sind. Hier und
da verdicken sich die Balken zu rundlichen Anschwellungen, den
eigentlichen Zellkörpern der Melanophoren. Man kann durch
weite Strecken des Gesichtsfeldes hin diesen Balken nachgehen.
ohne auf freie Enden zu stossen, so dass die Tatsache einer Ver-
schmelzung der Ausläufer verschiedener Chromatophoren
wohl über jeden Zweifel sicher ist. Aus dem weiteren Verhalten
dieser Melanophoren, ihrem später erfolgenden Einwandern in die
Kutis (s. S. 154). muss geschlossen werden, dass diese Anastomose
der Zellen vorübergehend ist und nachträglich wieder aufgehoben
wird. Bei den epidermalen Melanophoren von @eckolepis sah
ich bisweilen. dass verschiedene Ausläufer ein und derselben Zelle
miteinander verschmolzen (Fig. 62e, Taf. IN), eine Tatsache, die
ebenfalls für die Möglichkeit einer echten Anastomosenbildung
verschiedener Melanophoren spricht. Sind die Melanophoren
mesodermale Gebilde, so teilen sie die Fähigkeit, miteinander
durch die Ausläufer zu verschmelzen, mit manchen anderen
Bindegewebszellen, so dass diesem Faktum kein besonderer Wert
beizulegen wäre, wenn dadurch nicht eine Erregungsleitung
von Zelle zu Zelle in den Bereich des Möglichen gerückt
erschiene. Doch würde auch im letzten Falle jede Zelle insofern
eine gewisse Selbständigkeit behalten. als die Pigmentbewegung
auf ihre Sphäre zentriert ist.
Die Chromatophoren der Reptilienhaut. 123
b) Funktionelle Erscheinungsformen.
Die Form der Melanophoren, über die der vorhergehende
Abschnitt einiges brachte, lässt sich in der Regel nur dann
richtig beurteilen, wenn das Pigment den Zelleib bis in die
äussersten Enden der Ausläufer erfüllt. Ist das nicht der Fall,
so entgehen die vom Melanin entleerten Abschnitte der Zelle der
Beobachtung, weil das pigmentfreie Melanophorenplasma nur unter
besonders günstigen Bedingungen sichtbar wird. Da es bisher
bei den Reptilien nicht geglückt ist. an den lebenden Melano-
phoren die Einzelheiten der Pigmentverlagerung festzustellen,
so ist der Nachweis pigmentfreier Ausläufer der Haupt-
beweis dafür, dass bei der Pigmentballung die verästelte
Form der Zelle unverändert erhalten bleibt und die
wechselnden Zustände der Pigmentverteilung auf intrazellu-
lärenKörncehenströmungen beruhen. Schon Brücke (1551,
S.[195]) vertrat diese Anschauung, und von späteren Forschern
haben Keller (1895, S. 144), Thilenius (1897, S. 524), Carlton
(1904, S. 263), Parker (1906. S. 401) an Schnittpräparaten vom
Melanin entleerte Ausläufer festgestellt. Das gleiche konnte ich
(W. J. Schmidt 191], S. 343f., 1913, S. 386) für verschiedene
Formen bestätigen und die Auffassung der Pigmentbewegung bei
Melanophoren als intrazelluläre Körnchenströmung noch dadurch
sichern, dass ich einerseits die Kerne der Melanophoren ausser-
halb der zusammengeballten Melaninmasse liegen sah — somit zum
mindesten der den Kern enthaltende Zellabschnitt bei der Pigment-
ballung nicht eingezogen wird — andererseits aber in recko-
lepis und Uroplatus Objekte auffand, die in unzweideutiger Weise
die Ballungserscheinungen des Pigmentes um die Sphäre
in den verschiedensten Zuständen zur Anschauung brachten. Es
ist mir nunmehr auch geglückt, bei Geckolepisembryonen die
vom Pigment entleerten Ausläufer am Totalpräparat darzu-
stellen und so unvergleichlich eindrucksvollere Bilder zu gewinnen,
als bisher bekannt waren; denn im Schnittpräparat sind natur-
gemäss gleichzeitig immer nur wenige Ausläufer und auch diese
nur selten in ganzer Ausdehnung zu überschauen. Bevor ich
aber darauf eingehe, möchte ich zunächst noch eine Analyse der
verschiedenen Bilder vornehmen, die Melanophoren je nach dem
Verteilungszustand ihres Pigments darbieten und die
man im Gegensatz zu ihrer durch die Gestalt der unveränder-
124 W. J. Schmidt:
lichen Zelle bestimmten wirklichen Form als funktionelle
Erscheinungsformen bezeichnen könnte. Ballowitz(1914a)
hat den praktischen Vorschlag gemacht, die formkonstanten Zell-
fortsätze als Zellarme (auch die Degenersche Bezeichnung
Chromorhizen ist dafür brauchbar) zu benennen, von Pig-
mentarmen dagegen zu sprechen, soweit diese Zellarme durch
die Pigmenterfüllung sichtbar sind. In diesem Sinne treffen die
funktionellen Erscheinungsformen der Melanophoren wesentlich
das Verhalten der Pigmentarme.
Geht man die Literatur über die Reptilienmelanophoren
durch, so macht man die befremdliche Feststellung, dass, abge-
sehen von meinen diesbezüglichen Mitteilungen (W. J. Schmidt
1911, 1912a, 1915), kaum jemals die Melanophoren in ihren
funktionellen Erscheinungsformen bildlich festgehalten wurden —
ich sehe hier von Schnittbildern ab, die nur eine unvollkommene
Vorstellung derselben zu geben vermögen — und doch bietet-
schon eine aufmerksame Betrachtung solcher Figuren einen deut-
lichen Hinweis darauf, dass die funktionellen Erscheinungsformen
durch intrazelluläre Körnchenströmungen hervorgerufen werden.
Diesen eigenartigen Mangel kann ich mir allein dadurch erklären,
dass die meisten Autoren verschmäht haben. Totalpräparate der
Haut anzufertigen, die allerdings nur bei Abwesenheit oder nach
Entfernung der Guanophoren durch Säuren oder Alkalien brauchbare
Bilder geben. Vor allem schön und lehrreich sind solche Prä-
parate von der Haut älterer Embryonen, die bei ihrer geringen
Dicke auch eine kräftige Färbung zur Darstellung von Kernen,
Sphäre und unter Umständen pigmentfreien Ausläufern gestatten,
was bei der Haut erwachsener Tiere in der Regel nicht angeht.
Ein erstes Beispiel einer solchen Reihe funktioneller Er-
scheinungsformen nach dem ungefärbten Totalpräparat mögen die
subepidermalen Melanophoren (der Rückenhaut) von Uroplatus
fimbriatus, einer den (Geckoniden nahestehenden Form, ab-
geben. Im Zustande vollkommener Pigmentballung, den ich in
meinem Material selten beobachten konnte, erscheint das gesamte
Melanin dicht zusammengedränet unter der Form einer im Ver-
gleich zur bedeutenden Grösse der ganzen Zelle sehr kleinen
Kugel (Textfig. 4a). Schon der erstaunlich geringe Raum, den
das Melanin in diesem Zustande einnimmt, lässt es ausgeschlossen
erscheinen, dass diese kugelige Masse den gesamten Zelleib dar-
Die Chromatophoren der Reptilienhaut. 125
Fig. 4f
Funktionelle Erscheinungsformen von subepidermalen Melanophoren, #—e
aus der Rückenhaut, f aus der Bauchhaut von Uroplatus. a Melanin-
körnchen vollkommen geballt, b—d fortschreitende Expansionsstadien, e maxi-
male Ausbreitung des Pigments; f zwei Melanophoren, die eine Bauch-
schuppe versorgen (maximale Pigmentexpansion), Mehrzahl der Ausläufer
bei hoher Einstellung, die beiden durchschimmernden Zellkörper mit den
proximalen‘ Teilen der Fortsätze bei tiefer Einstellung «ezeichnet. Ver-
grösserung: a—e 233:1, f 280:1.
126 W.J. Sehmidt:
stellen könnte, der nach Art von Pseudopodien seine Ausläufer
eingezogen hätte. Beginnt das Pigment sich auszubreiten, so
werden allmählich die proximalen Teile der Ausläufer von ihm
erfüllt und damit sichtbar (Textfig. 4b). Die scheinbaren Enden
dieser Ausläufer sehen oft wie quer abgeschnitten aus, eine
Eigentümlichkeit, auf die ich schon früher hingewiesen habe
(W. J. Schmidt 1912a, S. 231). Ein solches Verhalten wäre
für die Enden von Pseudopodien bei ihrer flüssigen Natur ganz
ausgeschlossen, da der Obertlächenspannung ein Abrundungs-
bestreben innewohnt. Für die beiden folgenden Abbildungen
(Textfig. 4c und d), die weiter fortgeschrittene Expansionsstadien
darstellen. muss ich bemerken. dass die Enden der Ausläufer
nicht etwa so dunkel erscheinen, weil in ihnen das Pigment be-
sonders stark angehäuft wäre, sondern dass diese Teile der Fort-
sätze grossenteils in der Achse des Mikroskops verlaufen und
daher das Pigment in dickerer Schicht färberisch zur Geltung
kommt; ausserdem habe ich mich der dunkleren Tönung bedient,
um die plastischen Verhältnisse der Zellen einigermassen hervor-
treten zu lassen. Nicht immer erfolgt das Ausbreiten des Pig-
ments so gleichmässig wie in den dargestellten Fällen, sondern
bisweilen eilen einzelne Ausläufer mit der Pigmenterfüllung anderen
voraus. Auch erscheinen die Enden der Fortsätze keineswegs
stets scharf abgeschnitten, sondern oft erfolgt der Eintritt der
Melaninkörnchen (bzw. ihre zentripetale Wanderung) zunächst
nur in geringem Umfange, so dass man Ausläufern begegnet, die
allein in ihrem basalen Teil stark mit Pigment erfüllt sind, in
der Peripherie dagegen nur spärliche Melaninkörnchen zeigen,
wobei der pigmentarme Teil manchmal gegenüber dem pigment-
erfüllten verschmälert erscheint. Bei maximaler Expansion (Text-
tig. te) verschwindet der Zellkörper einerseits durch seine Ent-
leerung vom Pigment (s. S. 143), andererseits durch die Über-
lagerung von seiten der melaninerfüllten Enden der Ausläufer
fast oder ganz bei Betrachtung der Totalpräparate von der Ober-
seite der Haut her. Eine Unmenge zartester Endverästelungen
der Zelle ist nunmehr von -den Melaninkörnchen eingenommen,
so dass der Eindruck von Tausenden kleinen schwarzen Tüpfchen
erweckt wird, die (bei Erhaltung der Guanophoren) in den
Lücken zwischen den Guanophoren auftreten und die Dunkel-
färbung der Haut bewirken. In diesem Gewirr von schwarzen
Die Chromatophoren der Reptilienhaut. 12,7
Fleckchen gehen die gröberen Verzweigungen der Zelle vollständig
unter.
Wie bedeutend die Leistung einer einzelnen Zelle hinsichtlich
der Verdunkelung einer Hautstelle ist, mag Textfig. 4f zeigen, die
eine Bauchschuppe von Uroplatus darstellt, welche von zwei
Melanophoren versorgt wird, die bei maximaler Expansion die
gesamte Oberfläche der Schuppe mit einem reichen Netzwerk dunkler
Stränge versehen. Bei aufmerksamer Betrachtung der Figur sind
die Zellkörper der beiden Melanophoren mit ihren gröberen
Verzweigungen sichtbar, die bei tieferer Einstellung gezeichnet
wurden. Gleichzeitig gibt die Abbildung im Vergleich mit
Textfig. te eine Vorstellung davon, wie verschieden die Ver-
zweigungsformen der Melanophoren bei ein und derselben Art
sein können.
Es ist vielleicht nicht unnötig, hervorzuheben, dass sich an
fixiertem Material natürlich nicht unterscheiden lässt, ob eine Zelle
— die Zustände äusserster Expansion und völliger Pigmentballung
ausgeschlossen — in Expansion oder Retraktion des Pigmentes
begriften ist und somit die Zusammenstellung einer Anzahl von
Zellen zu einer kontinuierlichen Reihe funktioneller Erscheinungs-
formen mit einer gewissen Willkür notwendig verbunden sein
muss. Doch wird dieser die mittleren Zustände der Pigment-
verteilung treffende Fehler dadurch wettgemacht, dass tatsächlich
Expansions- und Retraktionsstadien, in einem sehr kurzen Zeit-
abschnitt im Leben beobachtet, keinerlei Unterschiede zeigen
würden.
Wertvoller noch sind die Aufschlüsse an solchen Präparaten,
die gleichzeitig Kerne und Sphäre zu erkennen gestatten.
Als ein vorzügliches Objekt dieser Art erwiesen sich die sub-
epidermalen Melanophoren älterer Embryonen von Gecko verticil-
latus. auf die sich Textfig. 5a—c bezieht. Im Zustande starker
Ballung (Textfig. 5a) erscheint das Pigment als dichte kugelige
Anhäufung, von der nur vereinzelte kurze, spärliche Körnchen
enthaltende Züge ausgehen, welche die Lage einiger Ausläufer
andeuten. Dicht bei dieser Pigmentkugel und zum Teil in sie
eingesenkt, findet sich der Kern. Da nun der Kern niemals frei
von Protoplasma ausserhalb der Zelle liegen kann, so weist schon
dieses Verhalten zwingend darauf hin, dass sich die Ausdehnung
der Zelle über einen grösseren Raum erstrecken muss als den,
m
N
[0 0]
W.J. Schmidt:
Fig. Sc
Funktionelle Erscheinungsformen subepidermaler Melanophoren eines älteren,
etwa 10 cm langen Embryos von Gecko verticillatus aus der Rücken-
haut. a Melaninkörnchen fast völlig geballt; neben der Pigmentkugel, zum
Teil in sie eingesenkt, der Kern: b mittlere Pigmentverteilung, heller
Sphärenfleck, umgeben von stärkerer Pigmentansammlung, und die beiden
Kerne sichtbar; c stärkere Pigmentausbreitung, Sphärenfleck im Winkel
zwischen den beiden Kernen infolge des Abströmens der zentralen Pigment-
masse nur noch undeutlich kenntlich. Vergr. 960:1.
Die Chromatophoren der Reptilienhaut. 129
der durch die Verteilung des Pigments gekennzeichnet ist. In
diesem Zustand starker Ballung verrät sich die Lage der Sphäre
in der Pigmentkugel oft nicht. Wenn aber das Pigment zum Teil
in die Ausläufer abgeströmt ist und nach aussen hin die scharfe
Begrenzung des kugeligen Pigmentballens sich verliert, dann
taucht auch in seinem Innern ein kleiner heller Fieck auf, der
die Lage der Sphäre angibt (Textfig. 5b). Die Kerne, die
vorhin ganz oder zum Teil ausserhalb des Pigments lagen, erweisen
sich nun deutlich als im Innern des Zellkörpers gelegen, der durch
die Erfüllung mit Melaninkörnchen in weiterem Umfange sichtbar
geworden ist. Aus ihrem konstanten Lageverhältnis zur Sphäre
(vgl. auch Textfig. 3b, S. 121) lässt sich erkennen, dass sie während
der Pigmentströmungen ihren Platz im wesentlichen unverändert
einhalten (vgl. auch Ballowitz 1913, f, g). Bei noch stärkerer
Expansion verschwindet die kugelige Pigmentansammlung ganz
und die Stelle der Sphäre ist nur mehr schwer festzustellen als
ein kleiner, rundlicher, körnchenfreier oder -armer Bezirk
(Textfig. 5e). Hinsichtlich der Abbildungen muss ich noch bemerken,
dass der Zellkörper nicht mit den Ausläufern in einer Ebene
gelegen ist, sondern diese von jenem nach der Epidermis hin
emporstreben, was in den Figuren nicht zum Ausdruck kommt. —
Wenden wir uns nunmehr zur Untersuchung der vom
Pigment entleerten Ausläufer bei (eckolepis polylepis.
Schon früher (W. J. Schmidt 1911) habe ich auf die subepider-
malen Melanophoren dieser Form als hervorragend geeignet zum
Studium der wechselnden Zustände der Pigmentballung aufmerksam
gemacht, ein Material, das dem klassischen Objekt zur Beobach-
tung der Sphären, den schwarzen Chromatophoren des Hechtes,
sich würdig anreiht, leider aber schwer erreichbar ist. Damals
beschränkte ich mich auf die Prüfung der Melanophoren des
erwachsenen Tieres, die ich an Schnitten und einzelnen der
sehr platten zu Totalpräparaten verarbeiteten Schuppen untersuchte.
Die letzten sind aber bei starker Färbung trotz ihrer geringen
Dicke immerhin zu undurchsichtig, um den Gebrauch stärkster
Vergrösserungen zu gestatten. Dieses Mal benutzte ich daher
als Objekt die Schuppen älterer Embryonen, die wesentlich
dünner sind. Sie lassen sich leicht aus der Haut lösen und geben,
mit verdünntem Delafieldschem Hämatoxylin gefärbt und in
Balsam eingeschlossen, die prächtigen Bilder, welche auf Taf. IX
Archiv f.mikr. Anat. Bd.90. Abt. I. 9
Ne jESrcihimendig:
m
[6
>)
zu sehen sind. Wie schon erwähnt, gehören die Melanophoren
von Geckolepis zu den stark abgeplatteten Zellen, bei denen
Zelleib und Ausläufer in einer Ebene liegen. Die Ausläufer gehen
meist radiär vom Zellkörper ab und verästeln sich nur spärlich.
Die Zellen gleichen somit durchaus denen des erwachsenen Tieres
und erscheinen im wesentlichen fertig ausgebildet. Doch werde
ich im Abschnitt über die Entwicklung der Melanophoren Ge-
legenheit haben, auf einige hierhin gehörige Dinge nochmals zu
sprechen zu kommen (siehe S. 158).
Im Zustand mittlerer Pigmentexpansion (Fig. 64,
Taf. IN) treten die Ausläufer der Zellen, infolge ihrer Erfüllung
mit hellbräunlichen Melaninkörnchen, schon bei mässigen Ver-
grösserungen in ganzer Ausdehnung leicht erkennbar hervor.
Im Zelleib liegt der (meist in Zweizahl vorhandene) Kern etwas
exzentrisch und mehr der Mitte genähert, oft auch genau in ihr,
die deutlich blau gefärbte, rundliche, grosse, von Melanin freie
Sphäre. Sie wird nicht nur durch ihre gegenüber dem Plasma
stärkere Färbbarkeit, sondern auch dadurch auffällig, dass sie in
ähnlicher Weise, wie das vorhin für die Melanophoren anderer
Formen beschrieben wurde, von einer kreisförmigen dichteren
Ansammlung von Melaninkörnchen umgeben ist, die nach aussen
hin sich allmählich ins umgebende Pigment verliert, dagegen nach
innen, zur Sphäre hin, ziemlich scharf begrenzt aufhört.
Bei stärkerer Ballung des Pigments (Fig.65, Taf. IX)
lassen sich die Melaninkörnchen nur im basalen Teil der Aus-
läufer dicht gedrängt beobachten ; nach der Peripherie zu nehmen
sie allmählich an Masse ab, werden immer vereinzelter und
schwinden schliesslich. So scheinen die Zellen bei schwächerer
Vergrösserung nur kurze (durch die Anwesenheit des Melanins
gekennzeichnete) Ausläufer zu besitzen. Untersucht man aber
derartige Zellen mit Immersionssystemen, so gewahrt man, dass
die Zellfortsätze viel länger sind, dass sie sich, leicht
blau gefärbt, über den pigmenthaltigen basalen Teil
hinaus noch weiter fortsetzen (Fig. 65, Taf. IX); so ent-
spricht der Umfang einer derartigen Melanophore demjenigen
einer Zelle mit vollkommen ausgebreitetem Pigment. Man erkennt
jetzt auch, dass die Abgrenzung der melaninhaltigen Teile der
Chromatophoren peripher keineswegs so scharf erfolgt, als man
nach dem Bild bei schwächeren Vergrösserungen erwarten sollte;
Die Chromatophoren der Reptilienhaut. 151
vielmehr lassen sich fast überall in den blau gefärbten Abschnitten
der Fortsätze vereinzelte bräunliche Pigmentkörnchen feststellen,
die der Beobachtung mit schwächeren Objektiven entgehen. Es
liegt also hier eine Melanophore vor, deren Ausläufer grossen-
teils vom Pigment entleert sind, vermöge ihrer Färb-
barkeit mit Hämatoxylin aber sichtbar bleiben.
Eingehende Betrachtung der pigmentfreien Ausläufer
lehrt. dass sie (auf diesem Stadium) nicht homogen sind, sondern
eine feine Körnung besitzen. Bei der geringen Grösse der
Körnchen hält es sehr schwer, sich ihrer Farbe zu vergewissern
und zu entscheiden, ob die Körnchen blau gefärbt sind und nur
durch ihre Gegenwart der ganze Ausläufer blau erscheint, oder ob
die Körnchen von anderer Farbe sind und ihren blauen Schimmer
einzig der Einbettung in blau gefärbtes Protoplasma verdanken,
das keine weitere Struktur erkennen lässt. Und wenn die Körnchen
nicht blau gefärbt sind, welche Eigenfarbe kommt ihnen zu?
Und weiter, stellt diese Körnung eine Struktur des Ausläufer-
plasmas dar, oder handelt es sich um Granula, die in das
Protoplasma eingelagert sind und gleich den Melaninkörnchen
intrazellulärer Wanderung fähig sind? Diese Fragen lassen sich
auf dem vorliegenden Expansionszustand der Melaninkörnchen nicht
beantworten; zu ihrer Lösung sind Zellen mit stärkerer Ballung
des Pigments geeigneter.
Betrefis des Verhaltens der übrigen Zellteile auf dem letzt-
beschriebenen Stadium sei noch erwähnt, dass mit der zentralen
Anhäufung des Pigments Kerne und Sphäre durch Überlagerung
mit Melaninkörnchen manchmal, aber keineswegs immer unsichtbar
werden. Später bei maximaler Ballung der Melaningranula treten
die Kerne, neben dem Pigmentballen gelegen, mindestens zum Teil
wieder hervor, und oft lässt sich auch in der kuchenförmigen
Pigmentmasse (siehe unten) als helle, zentrale Stelle die Lage der
Sphäre erkennen. —
Nähert das Pigment sich dem Zustand fast völliger
Ballung (Fig. 66, Taf. IX), so beschränkt es sich auf den eigent-
lichen Zelleib und die Ausläufer lassen nichts mehr von bräun-
lichen Melaningranula wahrnehmen. Dagegen treten in ihnen um
so deutlicher die blauen Granula hervor. In die Peripherie der
etwas unregelmässig gestalteten, aber nach aussen hin gut abge-
setzten, zusammengeballten Pigmentmasse tauchen die beiden
9*
133% NS: cihimndite
Kerne ein, die eigentümlich verzerrt sind, indem sie, zum Teil in
die Basen der Ausläufer lıineingepresst, lappige Anhänge erhalten.
Ob es sich hier um eine Schrumpfungserscheinung handelt, oder
ob ein natürliches Verhalten vorliegt, lässt sich nach dem Bild
am Dauerpräparat nicht entscheiden.
Bei völliger Pigmentballung (Fig. 67, Taf. IX) stellt
das gesamte Melanin eine im Vergleich zur ganzen Zelle kleine,
in Flächenansicht kreisförmige, in der Mitte der Melanophore
gelegene Ansammlung dar. Schnitte ergeben, dass dieser Pigment-
ballen nicht kugelig, sondern entsprechend der Abplattung der
Zelle zusammengedrückt ist, so dass er am besten als kuchenförmig
beschrieben wird (vgl. Textfig. 6). In seiner Mitte lässt sich
bisweilen, und zwar sowohl an Schnitten (vgl. W. J. Schmidt
1911, S. 345), als auch am Totalpräparat die Sphäre als kleine,
punktartige Aufhellung erkennen. Die beiden Kerne befinden
sich nunmehr ausserhalb des zusammengeballten Pigments. so dass
auch in dieser Hinsicht Geckolepis ganz mit den früher
beschriebenen Fällen (siehe S. 128) übereinstimmt.
Unser besonderes Interesse erregt das Verhalten der
pigmentfreien Ausläufer auf dem Zustand voll-
kommener Pigmentballung. Während ihre Beobachtung
auf den früher geschilderten Stadien keine besondere Aufmerksam-
keit voraussetzt, erscheinen sie nunmehr in den Präparaten viel
blasser und entgehen daher dem Auge leicht. Forscht man diesem
Unterschied nach, so findet man bald, dass er in dem Fehlen oder
wenigstens dem sehr spärlichen Auftreten der blauen Granula in
den Ausläufern bedingt ist. Die Ausläufer erscheinen jetzt
streckenweise vollkommen homogen. Daraus muss geschlossen
werden, dass bei völliger Pigmentballung auch die blauen
Granula aus den Fortsätzen zur Mitte hin abströmen.
und tatsächlich sieht man den zentralen Melaninkuchen
von einem Ring blauer Granula umgeben (Fig. 67,
Taf. IX), der bei ihrer dichten Lagerung ziemlich kräftigen Farbton
besitzt. Dieser blaue Ring ist bei schwächeren Vergrösserungen
womöglich noch auffallender, da er neben den Kernen und dem
Pigmentballen die ganze Melanophore auszumachen scheint, weil
die pigmentleeren Ausläufer verborgen bleiben.
Mit diesen Feststellungen erledigen sich die vorhin aufge-
worfenen Fragen in folgendem Sinne. Die Körnung, welche in
©
Die Chromatophoren der Reptilienhaut. 13:
den von Melaningranula entleerten Ausläufern sichtbar wird,
beruht auf der Gegenwart von Granula im Protoplasma der Zell-
fortsätze. Diese Granula strömen bei maximaler Ballung des
Pigments gleich den Melaninkörnchen. die ihnen in der zentri-
petalen Wanderung voraufgehen. zur Sphäre und ballen sich dabei
um die schon angehäufte Melaninmasse herum. Wäre die Farbe
der Granula nicht blau, so müsste ihre Eigenfarbe bei dieser Ballung
in gesteigerter Intensität zu sehen sein. Da aber die gehäuft liegenden
(ranula in stärker blauem Ton erscheinen als die in den Ausläufern
verteilten und da ferner auch schon einzeln gelegene Melanin-
körnchen deutl ch bräunliche Farbe aufweisen, so muss den in Rede
stehenden Körnchen eine blaue Farbe zugesprochen werden. Für
die Richtigkeit dieser Auffassung sprechen ferner später mitzu-
teilende histogenetische Tatsachen (siehe S. 159): die blauen Granula
sind nämlich unreife Melaninkörnchen, die noch nicht oder nur
unwesentlich ausgefärbt sind. Eine Erklärung für die Möglichkeit
einer sukzessiven Ballung der beiderlei in den embryonalen Melano-
phoren enthaltenen Granula soll hier nicht versucht werden. Ich
begnüge mich mit dem Hinweis, dass Ballowitz (1915, S. 201)
an den Rotzellen von Hemichronis im Leben feststellte, dass
die Ballung und Ausbreitung der hier vorhandenen groben und
feinen Körnchen nicht isochron erfolgt, vielmehr die grösseren
Körnchen schon zusammengeballt sein können. während die kleineren
sich noch in den Ausläufern befinden. Auch hat der gleiche Autor
(1915e, S. 215) beobachtet, dass die beiden verschiedenartigen
Pigmente in den Xanthoervthrophoren von Xiphophorus,
Betta, Badis eine gewisse Unabhängigkeit hinsichtlich Ihrer
Ballung besitzen. —
Schliesslich gebe ich
zum besseren Verständnis
der Flächenbilder hier noch
einen Querschnitt (Textfig. 6)
einer in vollkommener Pig-
mentballung befindlichen
Melanophore der erwachse- Querschnitt durch eine subepidermale Melano-
m phore von Geckolepis. Zwei pigment-
leere Ausläufer, der rechte in längerer
Strecke getroffen. Pigment zentral zu einer
früher (W. J. Schmidt kuchenförmigen Masse geballt, neben dieser
1911) habe ich derartige der Kern. Vergr. 960:1.
nen Geckolepis nach eine
Schnittpräparat. Schon
154 W. J. Schmidt:
Bilder in verschiedenen Zuständen der Pigmentverteilung in
Zeichnungen wiedergegeben und ausführlich besprochen, so
dass ich mich hier kurz fassen kann. Man sieht den zen-
tralen Zellteil mit zwei vollkommen pigmentleeren Aus-
läufern, von denen nur der rechte eine längere Strecke
in der Schnittebene verläuft. An seiner Basis liegt ausserhalb
der zusammengeballten Melaninmasse ein Kern, der zum Teil
wohl noch in den Ausläufer selbst hineinragt. Der Melanin-
ballen ist entsprechend der Scheibenform der Zelle abgeplattet,
so dass er mit Rücksicht auf sein kreisförmiges Aussehen im
Flächenbild wohl den Namen Melaninkuchen vertragen kann.
Seine Gegenwart bedingt die Anschwellung des eigentlichen Zell-
leibes gegenüber den Ausläufern. An der hier dargestellten,
Melanophore war die Sphäre nicht kenntlich; doch habe ich sie
früher an solchen Schnitten öfter beobachtet und auch abgebildet.
Überschauen wir nochmals die in diesem Abschnitt festge-
stellten Tatsachen, so kann es wohl keinem Zweifel mehr unter-
liegen, dass auch die spezifische Tätigkeit der Reptilien-
melanophoren auf intrazellulären Körnchen-
strömungen beruht.
c) Kernverhältnisse.
Während für die Melanophoren der Fische schon längere
Zeit bekannt war, dass die Zahl der Kerne vielfach zwei,
gelegentlich sogar noch mehr beträgt. ist ein gleiches Verhalten
bei Reptilien erst durch meine Untersuchungen bei Geckolepis
(und den Allophoren von Phelsuma) erbracht worden (W. J.
Schmidt 1911, 5. 345). Hier erwiesen sich die Zellen vielfach
als zweikernig. Später beobachtete ich das gleiche bei Uro-
platus (1913, S. 387), und in der vorliegenden Arbeit habe ich
schon einen dritten derartigen Fall bei Gecko vertieillatus
erwähnt. Auch unter den Melanophoren auf der Unterseite der
Knochenschuppen vonLygosoma (vgl. S. 121) fand ich vereinzelte
zweikernige. Bei all diesen Formen kommen neben den zwei-
kernigen Melanophoren auch einkernige vor. Manchen Arten
scheinen die zweikernigen Melanophoren gänzlich zu fehlen, wie
den einheimischen Lacertiden: überhaupt sind sie ausserhalb der
(sruppe der Eidechsen noch nicht festgestellt und finden sich auch
hier nach den bisherigen Beobachtungen vornehmlich bei den
Die Ohromatophoren der Reptilienhaut. 135
Geckoniden und ihren nächsten Verwandten, den Uroplatiden.
Alle Fälle von Zweikernigkeit bei den Reptilienmelanophoren
betreffen in der Kutis gelegene Chromatophoren; in der Epidermis
sind zweikernige Zellen noch nicht gesehen worden. Mehr als
zweikernige Melanophoren, die auch bei Fischen vereinzelt fest-
gestellt sind, sah ich nur in zwei Fällen bei einem älteren
Embryo von Gecko verticillatus und zwar handelte es sich
beidemal um dreikernige Melanophoren (Textfig. 7a u. b), die
in übereinstimmender Weise einen grossen und zwei wesentlich
kleinere Kerne enthalten, welch letzte untereinander von annähernd
gleicher Grösse sind. Da die beiden Zellen sich ebenfalls darin
gleich verhalten, dass die beiden kleineren Kerne beieinander
liegen, nicht durch den grösseren voneinander getrennt, und da
ferner bei zweikernigen Melanophoren beide Kerne gleich gross
sind, so ist es wohl sicher, dass die dreikernigen Melanophoren
aus zweikernigen dadurch hervorgegangen sind, dass einer der
beiden primären Kerne sich nochmals geteilt hat: aus seiner Zer-
legung sind die beiden kleineren Kerne der dreikernigen Melano-
phoren entstanden. Es fragt sich nun zunächst, wie überhaupt
die Zweikernigkeit der Melanophoren entsteht, ob durch Mitose
oder Amitose
Flemming (1890, S. 276f.) hat zunächst Mitosen an den
Melanophoren des parietalen Bauchfells der Salamanderlarve und
. der Bindesubstanz der Schwanzflosse des gleichen Tieres beobachtet,
Meves (ebendort, S. 255) auch an den intraepithelialen Zellen.
Während nun bei den kleineren Melanophoren der Zellkörper sich
mehr oder weniger ausrundet, aber ohne dass die Ausläufer
eingezogen werden, und mit dem Übergang vom Diaster zum Dispirem
die Abschnürung der beiden Tochterzellen im Äquator des Zelleibes
erfolgt, bleibt bei den grossen Pigmentzellen eine solche Ab-
a Bio® 7 b
Dreikernige Melanophoren aus der Rückenhaut eines älteren Embryos von
Geckovertieillatus. (Ausläufer nur zum Teil gezeichnet.) Vergr. 960:1.
136 W.J. Schmidt:
schnürung während der Mitose aus, so dass die Kernteilung zunächst
zum Zustand einer zweikernigen Zelle führt. Da aber
die Zahl der doppelkernigen Pigmentzellen im Verhältnis zu den
einkernigen bei älteren Salamanderlarven keineswegs vermehrt
erscheint, und sich auch Formen finden, welche deutlich eine
nachträgliche, der abgelaufenen Mitose erst lange nachfolgende
Zertrennung des Zellkörpers dartun, so nimmt Flemming an,
dass eine nachträgliche halbierende Zerlegung des
Zellterritoriums eintritt; allerdings sollen die Tochterzellen
durch eine oder mehrere schmale Brücken (Ausläufer) in Zu-
sammenhang bleiben. Ferner berichtet Flemming (S. 281),
dass während der Kernteilung der grossen Zellen ihre Ausläufer
aus der platten in eine mehr drehrunde Form übergehen, daher
feiner verästelt, aber dunkler gefärbt erscheinen; nach dem Di-
spirem verschwindet die Verschmälerung der Ausläufer wieder und
unterbleibt auch bei der nachträglichen Zerlegung des Zelleibes.
Die Vermutung Solgers, dass Pigmentzellen insbesondere in
späteren Entwicklungsstadien oder im erwachsenen Tier-
körper ihre Kerne auf nicht mitotischem Wege vermehren mögen,
will Flemming (S. 285) nicht ausschliessen. Zimmermann
(1890, S. 404) fand bei Salamanderlarven, die sich durch ihr
rapides Wachstum vor ihren Genossen auszeichneten, sämtliche
Pigmentzellen von Bauchfell und Schwanz schon im Übergang
des Doppelsterns zum Doppelknäuel äquatorial eingeschnürt; doch
blieben auch hier zwischen den Tochterzellen gewöhnlich Ver-
bindungsbrücken bestehen. Der Autor zieht daraus den Schluss,
dass eine verzögerte Zelleibsteilung bei den Pigment-
zellen der Salamanderlarven wohl vorkommt, dass sie aber durch
abnorme Zustände erzeugt sei. Weiter teilt Zimmer-
mann mit, dass bei den intraepithelialen Pigmentzellen im
Beginn der Teilung die Ausläufer eingezogen werden, dass ferner
das Pigment die Peripherie der Zelle einnimmt und insbesondere
an den Stellen. an welchen früher Hauptausläufer abgingen, ge-
häuft erscheint. Sobald aber die Spiremfäden in der Peripherie
zerreissen und der Monaster beginnt, sieht man regelmässig
Pigmentkörnchen zwischen den Chromatinschleifen auftreten. Be-
ginnt aber der Diaster sich auszubilden, so werden die Polfelder
und Umbiegungsstellen der Schleifen völlig frei von Pigment,
dessen Masse sich im AÄquator ansammelt. Die Einschnürung
Div Ohrommbophoren dor Roptilonimi 17
voht buld dureh die Piementmansen Iundureh und halbiert mie,
woher die Teilung eine vollständige int und keine Verbindungen
zurliekbleiben, im Gegensatz zu den Melunophoren der IKutin
Anordnung der Piementkörnehen in Reihen, ontnprechend «der
nehromatisehen Spindel, wurde me boobnehtet, Dehlionlieh wein
Zimmermann (8 400) daran hun, dans die intinepiehehnlen
VMelunophoren, die Terlungsvorgänge zeigten, nur geringen odeı
inittloron Piementeehnlt bonnsnen, Wenn man nun mmeh den Be
riehten von Flemming und Zimmermann geneigt nein nollte,
(die Zweikernigkeit der Melnnophoren auf mitotinche Kornteilung
zurtiekzuführen, no wird die Snehlnge dadurch wenentlich vor
wiekelter, dans Zimmermann (IS03b, 5, 77) bei Knochenfinehen
Verhältminne boobnehtete, «die für eine nmitotinehe Terlung
sprochen bei mehrkernigen Zellen »ollen nämlich die Korne pam
weine oder alle miteinander dureh feinste Faden zunmmmmenhängen,
ein Zustand, den der Autor auf eine unvollständize erlolgte Kern
zerntliekelung infolge mechnnimeher Insulte bei der Piemont
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Mitotischo Kernvermehrung der Melnnophoren nun der Knekenhmut einen
iltoren Kmbryon von Goocko vertieillutun Verardsserune JOWO CI
138 W.J. Schmidt:
ballung zurückführt. Nach dieser letzten Anschauung von
Zimmermann glaubte auch ich die Zweikernigkeit der Melano-
phoren von Geckolepis und der Allophoren von Phelsuma
erklären zu müssen (W. J. Schmidt 1911, S. 348).
Weil schon bei älteren Embryonen von Geckolepis
und Gecko verticillatus zweikernige Melanophoren vor-
kommen (siehe S. 128 u. 130—132), muss ihre Kernvermehrung
bei den Eidechsen wenigstens zum Teil in embryonaler Zeit
vor sich gehen, und da ich unter zahlreichen Schnitten der er-
wachsenen Formen niemals irgendwelche Teilungsvorgänge am
Kern sah, musste ich schliessen, dass die Vermehrungsvorgänge
des Kerns, wenn auch vielleicht nicht ausschliesslich, so doch
überwiegend in den späteren Embryonalstadien sich vollziehen.
Diese Überlegung veranlasste mich, die Totalpräparate der embryo-
nalen Haut von Geckolepis und Gecko verticillatus auf
Kernteilungszustände durchzusehen, und in der Tat glückte es
mir, bei der letztgenannten Form mitotische Teilung der
Melanophorenkerne festzustellen. Alle von mir beobachteten
Fälle betrafen einkernige Melanophoren, die also im Begriff stehen,
zweikernig zu werden; ein Teilungsschritt, der zur Dreikernigkeit
führte begegnete mir nicht. Ich sah alle Stadien der Kern-
teilung von der AÄquatorialplatte bis zur Rekonstruktion der
Tochterkerne (Textfig. Ssa—e), leider nicht die früheren, die viel-
leicht am ehesten Aufschluss über das sonderbare Verhalten der
Sphäre gegeben hätten. Die Mitose selbst bietet keine Besonder-
heiten; in den Präparaten traten nur die chromatischen Elemente
der Teilungsfigur hervor, doch ist dadurch natürlich die Gegen-
wart der achromatischen Bestandteile, Spindel und Polstrahlungen,
keineswegs in Frage gestellt. Auffallend war mir nur die ge-
ringe Entfernung, in der die Tochterplatten (d) und in Rekon-
struktion begriffenen Tochterkerne (e) voneinander liegen. Viel-
leicht hängt dies damit zusammen, dass eine Durchschnürung
des Zelleibes in der Regel wenigstens nicht der Teilung
folgt. Nur in einem Falle schien mir an einer Zelle mit rekon-
struierten Kernen eine Art Querfurchung einzutreten; doch konnte
ich mich dieses Verhaltens nicht mit hinreichender Genauiekeit
vergewissern. Die Tatsache vielmehr, dass an den zahlreichen
zweikernigen Zellen, deren Kerne vollkommen in den Ruhezustand
zurückgekehrt waren, niemals etwas von Zweiteilung des Zelleibes
Die Chromatophoren der Reptilienhaut. 139
zu erkennen war. in Verbindung mit dem weiteren Befund, dass
bei manchen erwachsenen Formen (Uroplatus) die Mehr-
zahl der Melanophoren zweikernig ist, zwingt zur Annahme, dass
der mitotischen Kernteilung der Melanophoren nicht
etwa eine nachträgliche Zweiteilung des Zelleibes
folgt. Auch die dreikernigen Melanophoren sprechen -— mag
die sekundäre Zweiteilung eines der Kerne sich mitotisch oder
am totisch abspielen — für das Ausbleiben einer Durchschnürung
des Zelleibes nach der ersten Kernteilung. Schliesst man sich dieser
Deutung, dass die zweikernigen Melanophoren beim Erwachsenen
aus einkernigen in embryonaler Zeit durch Mitose hervorgehen, nicht
an, so bleibt nur die Annahme übrig, dass die zweikernigen Melano-
phoren sich nachträglich in zwei einkernige Tochterzellen zerlegen
und diese erst und zwar auf amitotischem Wege — denn sonst
kann man sich ja unserer Auffassung anschliessen — die zweikernigen
Zellen des Erwachsenen aus sich hervorgehen lassen. Abgesehen
von ihrer Kompliziertheit lassen sich aber für eine derartige
Lösung der Frage keinerlei Beobachtungstatsachen anführen.
Fasst man die übrigen Zellteile bei der Mitose der Melano-
phoren ins Auge, so bietet die Sphäre ein sonderbares Ver-
halten dar. Wie schon erwähnt, konnte ich die ersten Stadien
der Mitose nicht beobachten; jedenfalls aber war die für die
Sphäre charakteristische Ballung des Pigments auf den
späteren Teilungszuständen niemals zu sehen. Das
legt die Annahme nahe, dass die Sphäre bei der Ausbildung der
Kernspindel in deren Zentrosome überging, eine Auffassung, zu
der man geradezu genötigt wird, wenn man nicht die Annahme
machen will, dass die Sphäre der Melanophoren eine vom Zentrosom
gänzlich verschiedene Bildung sei. Es ergibt sich bei dieser
Sachlage nun die Frage, wie es möglich ist, dass der durch
Mitose entstandenen zweikernigen Melanophore nur ein Zentrosom
(Sphäre) zukommt — wie ja allenthalben zu beobachten ist —
während doch am Ende der Mitose zwei Zentrosome vorhanden
sein müssten. Die Einzahl der Sphäre in zweikernigen Melano-
phoren fände ja bei Annahme einer amitotischen Kernver-
mehrung, die sich ohne Beteiligung des Zentrosoms vollzieht,
eine befriedigende Erklärung; doch muss ich nach obigen Aus-
einandersetzungen, und sie treffen unzweifelhaft für dieembrvo-
nalen zweikernigen Melanophoren zu, eine direkte Kernteilung
140 W.J. Schmidt:
ausschliessen. Man könnte nun denken, dass nach Abschluss der
mitotischen Kernteilung eines der beiden Zentrosome zugrunde
ginge: doch scheint mir eine andere Möglichkeit eher gegeben
zu sein, dass nämlich die Zentrosomen durch eine Zentrodesmose
während der Teilung dauernd verknüpft bleiben und sich nach
ihrem Abschluss wieder vereinigen; vielleicht erscheint eine solche
Deutung bei der geringen Entfernung, welche die Tochterknäuel
voneinander besitzen, nicht ganz verkehrt: da mir indessen
Beobachtungen über das Verhalten der Spindel fehlen. muss ich
diesen Hinweis ausdrücklich als das bezeichnen, was er ist, als
eine Vermutung, deren Bewahrheitung künftigen Untersuchungen
vorbehalten bleiben muss. Doch sei hier daran erinnert. dass
ich früher (W. J. Schmidt 1911. S. 345) bei Geckolepis eine
zweiteilige Sphäre beschrieben habe, ein Befund, der sich
immerhin zur Stütze meiner Annahmen verwerten lassen würde.
Leider konnte ich auch bei den dreikernigen Melanophoren
nichts von einer Sphäre sehen. — Ob übrigens die dreikernigen
Melanophoren durch mitotische Teilung eines Kernes aus den
zweikernigen hervorgehen, muss dahingestellt bleiben. Da die
beiden durch den sekundären Teilungsschritt entstandenen Kerne
wesentlich kleiner sind als der dritte, bei mitotischer Teilung
aber die Tochterkerne auf die ursprüngliche Grösse heranzuwachsen
pflegen, so könnte man hier mit grösserer Wahrscheinlichkeit an
amitotische Kernzerlegung denken.
Die Ausläufer der Melanophoren wurden bei der mito-
tıschen Kernteilung niemals eingezogen, zeigten auch keinerlei
andere Besonderheiten ; vielmehr erschienen die Zellen ebenso reich
verästelt, wie auch sonst. Zusammengehalten mit Zimmer-
manns Beobachtungen bei den intraepithelialen Melanophoren
(8. 0.), die sich im Anschluss an die Kernteilung vollkommen in
zwei Tochterzellen zerlegen, weist dieses Verhalten ebenfalls
darauf hin, dass eine Zerlegung des Zelleibes hier unterbleibt. Wie
Zimmermann (s. 0.), so finde auch ich, dass die Mitosen sich
einzig an Zellen mit mässigem Pigmentgehalt abspielen.
Dieser Umstand ist vielleicht so zu erklären. dass derartige Zellen
jugendlichere Melanophoren darstellen, weil ihre Granula
nur erst zum Teil zur Entwicklung gelangt sind. Da aber die
mitotische Teilungsfähigkeit der meisten Zellen mit zunehmendem
Alter abnimmt, so würde sich in dem erwähnten Umstand äussern,
Die Ohromatophoren der Reptilienhaut. 141
dass die Melanophoren der gleichen allgemeinen Gesetzlichkeit
unterworfen sind. Hinsichtlich der Pigmentverteilung
während der Mitose habe ich nur feststellen können, dass die
Umgebung der chromatischen Figur durchweg pigmentarm ist,
die Hauptmasse der Granula sich dagegen in der Peripherie der
Zelle und ihren Ausläufern befindet.
Über die Lage der Kerne in den Melanophoren lässt sich bei
der sehr verschiedenen Gestalt dieser Chromatophoren allgemein nur
sagen, dass sie exzentrisch ist, da die zentrale Stellung der Sphäre
vorbehalten bleibt. Im übrigen unterliegt sie mancherlei Wechsel;
ich verweise auf die Textfiguren 5a—c, 7a und b und die Figuren
auf Taf. Vu.IX. Zum Teil werden diese Verhältnisse bei den Melano-
phoren von Uroplatus nochmals zu besprechen sein (vgl. S. 144).
Will man der Zwei- oder Mehrkernigkeit der Melanophoren
eine physiologische Bedeutung zuschreiben, so kommt wohl
nichts anderes in Frage als die mit ihr verbundene Ver-
grösserung der Kernoberfläche, die den Stoflwechsel
zwischen Kern und Plasma erleichtert. Für die Richtigkeit dieser
Deutung würde gleichfalls sprechen, dass nur die subepidermalen
Melanophoren, die grössten von allen, mehrkernig sind. Bei der
bedeutenden absoluten Grösse ihres Kernes (und Zelleibes) würde
dessen Verhältnis von Masse zur Oberfläche besonders ungünstig
werden. Auch die Richtigkeit dieses physiologischen Wertes der
Mehrkernigkeit vorausgesetzt, würde er natürlich nicht hinreichen,
das Entstehen der Zweikernigkeit zu erklären; die Gründe
hierfür dürften vielmehr in der Richtung zu suchen sein, dass
den (jugendlichen) Melanophoren wie vielen Zellen das Bestreben
einer Kernvermehrung auf mitotischem Wege einschliesslich Zwei-
teilung des Zelleibes innewohnt, dass aber bei den Melanophoren
infolge gewisser Hemmungen, die uns einstweilen ihrem Wesen
nach völlig unbekannt sind (Anhäufung der Granula ein Hindernis
für die Teilung des Zelleibes wie die Anhäufung des Dotters
die Ursache partieller Furchung von Eizellen ?), die normaler-
weise auf die mitotische Kernteilung folgende Zerlegung des Zell-
leibes in zwei Tochterzellen in der Regel nicht durchgeführt werden
kann.
d) Sphäre und zytoplasmatische Strukturen.
Eine Sphäre, die durch Solgers schöne Entdeckung in den
Melanophoren der Knochenfische längst bekannt geworden ist.
1-62 W.J. Schmidt:
wurde erst durch Keller (1895, S. 142f. u. 164) bei Reptilien,
und zwar bei Chamaeleo und Calotes festgestellt. Er schildert
sie als kleine pigmentfreie Stelle, in deren Mitte ein sich
stärker färbendes und stärker lichtbrechendes Korn liegt, dessen
Identität mit dem Zentrosom Keller dahingestellt sein lässt.
In einigen Schnitten fanden sich radienartig davon aus-
gehende Fasern. Später habe ich den hellen Sphärenfleck
in den Melanophoren von Geckolepis, Phelsuma, Uro-
platus, Anguis und seine Beziehungen zur Pigmentballung
eingehend beschrieben (W. J. Schmidt 1911, S. 345f.; 1912a,
S. 180 u.:1851.; 1913,,8. 387; 1914, 8. 12), und ich verweise
hier nochmals auf die diesbezüglichen neuen Angaben in vor-
liegender Arbeit betreffend Lygosoma (8. 122), Gecko verti-
eillatus (S. 125) und Geckolepis (S. 130 u. 157). Aus diesen An-
gaben geht hervor, das eine Sphäre nicht nur den subepidermalen Me-
lanophoren zukommt, bei denen sie zuerst von Keller gefunden
wurde, sondern dass gleichfalls die intraepithelialen (Anguis,
Geckolepis) und diejenigen der tieferen Hautschichten (Lygo-
soma, (seckolepis) mit einer solchen ausgestattet sind, ein
Befund. der ja ganz natürlich erscheint, wenn zwischen diesen
verschiedenen Arten der Melanophoren genetische Beziehungen
bestehen. Man möchte fast annehmen, dass eine Sphäre alien
Melanophoren zukommt; indessen gelingt es nicht immer, sich
von ihrer Gegenwart zu überzeugen. Zweifellos bestehen bei
den einzelnen Formen sehr grosse Unterschiede hinsichtlich ihrer
Deutlichkeit, wenigstens soweit dies von der Pigmentverteilung
abhängt, selbst unter Berücksichtigung der Tatsache, dass nur
eine bestimmte Pigmentverteilung sie in voller Schönheit hervor-
treten lässt und dass abgeplattete Melanophoren sie leichter
erkennen lassen als solche mit ellipsoidalem Zelleib, wie ja auch
die Sphäre bei den Knochenfischen zuerst an stark abgeplatteten
Zellen erkannt wurde. Bei den einheimischen Lacertiden habe
ich viel Mühe darauf verwandt, sie in den subepidermalen Melano-
phoren aufzufinden: indessen führten selbst chlorgebleichte und
gefärbte Schnittpräparate nicht zum Ziel. So ist es denn wohl kein
Zufall, dass die Sphäre bei solchen Formen am leichtesten sichtbar
ist, die einen lebhaften Farbenwechsel besitzen, wie Chamaeleo,
Uroplatus, Calotes und Geckoniden. Jedenfalls sind Zellen,
in denen die Pigmentverlagerungen die Extreme zeigen können
Die Chromatophoren der Reptilienhaut. 145
— pigmentfreier Zelleib und pigmenterfüllte Ausläufer, bezw.
umgekehrt — am geeignetsten zum Studium der Sphäre und den
von ihr abhängigen protoplasmatischen Strukturen.
Am Totalpräparat lässt sich hinsichtlich der Sphäre nur
erkennen, dass sie eine in der Mitte des Zelleibes gelegene, meist
rundliche, gelegentlich aber auch anders gestaltete Partie ist, die
sich durch stärkere Färbbarkeit (vgl. S. 130) auszeichnet. Auf die
Sphäre ist die Pigmentbewegung gerichtet, und je nachdem das
Pigment mehr oder minder um sie herum geballt ist, tritt sie
auffälliger oder weniger deutlich hervor, verschwindet aber in
der Regel weder bei maximaler Ballung noch bei maximaler
Ausbreitung (vgl. S. 129 u. 130—131).
Tiefer in den Bau der Sphäre und der zytoplasmatischen
Strukturen der Melanophoren überhaupt einzudringen, gestattet
die Schnittmethode, von der ich schon früher Gebrauch
gemacht habe. Als ein ganz hervorragend geeignetes Objekt
hierfür erwiesen sich die subepidermalen Melanophoren
von Uroplatus, nicht nur ihrer bedeutenden Grösse wegen,
sondern auch wegen ihres mässigen Gehaltes an Pigmentgranula
und der Pigmentleere, welche bei maximaler Expansion
der Körnchen im Zelleib eintritt und einen Einblick ins Zellinnere
gestattet, wie er gewöhnlich nur durch Bleichung des Pigments zu
erzielen ist. Das Material verdanke ich der Güte des Herrn Geheim-
rats Braun in Königsberg: es war mit Sublimat-Eisessig und Sulbi-
mat-Alkohol fixiert und wurde in 7,5 « dicke Schnitte zerlegt, meist
mit Eisenhämatoxylin oder mit Delafields Hämatoxylin und
dem van Giesonschen Pikrinsäure-Säurefuchsin gefärbt. Einige
Beobachtungen, die ich an solchen Präparaten angestellt habe,
sind schon veröffentlicht und mit Abbildungen belegt (W. J.
Schmidt 1913, S. 387); diese Angaben kann ich aber nach
einem erneuten Durcharbeiten der damals auch hinsichtlich anderer
Punkte studierten Präparate (die zum vorliegenden Zweck zum Teil
stärker nachgefärbt wurden) wesentlich erweitern und vertiefen.
Textfig. 2b (S. 117) und Fig. I u. 2, Taf. V geben Aufschluss
über die Formverhältnisse der subepidermalen Melanophoren von
Uroplatus. Sie gehören dem gewöhnlichen Typus dieser Zellen
an, besitzen also einen ellipsoidalen oder mehr kugeligen Zelleib,
von dem nach der Epidermisseite hin weit ausgreifende Ausläufer
abgehen, die sich zunächst nur mässig, erst unmittelbar unter
144 W.J. Schmidt:
der Epidermis stärker verästeln und hier mit zahlreichen, kleinen,
oft etwas angeschwollenen, dem Epidermisrand vielfach parallel
laufenden Zweiglein endigen, die man als Endfüsschen
bezeichnen könnte (vgl. auch Fig. 5, Taf. V).,. Wie schon nach
3ildern von Totalpräparaten auseinandergesetzt wurde, wechselt
die Erscheinungsform der Zellen ganz beträchtlich (vgl. S. 125)
und die genannten Endfüsschen sind nur dann zu erkennen, wenn
die Ausläufer stark und bis in die letzten Endverzweigungen
hinein mit Melaninkörnchen erfüllt sind (Fig. 1, Taf. V).. Um
Raum zu ersparen, sind auf Taf. V die Zellfortsätze nur in
wenigen Fällen alle — soweit sie im Schnitt lagen — oder zum
Teil wiedergegeben worden, selbst wenn sie, mit Pigment erfüllt,
gut und auf eine längere Strecke sichtbar waren.
Diese Melanophoren sind durchweg zweikernig, und wenn
der Zelleib nicht gar zu sehr mit Pigment erfüllt ist, bietet es
keinerlei Schwierigkeit, sich hiervon bei geeigneter Schnittrichtung
zu vergewissern. Wenn manche der Bilder (2. B. Fig. 3, 4, 5, 7, Taf. V)
nur einen Kern aufweisen, so war gewöhnlich der zweite in
dem benachbarten Schnitt enthalten, wie ich mehrfach durch
Nachprüfung feststellte. Die mächtigen Kerne lassen oft einen
oder zwei grosse Nukleolen (Fig. 2. 7, 11, Taf. \V) erkennen,
zeigen im übrigen in ihrem Innern zahlreiche kleinere, zu einem
Netzwerk gruppierte Uhromatinkörnchen und sind nach aussen
durch eine deutliche Kernmembran abgeschlossen. Sie liegen
gewöhnlich der Unterseite des Zelleibes genähert und zwar fassen
sie die Sphäre zwischen sich (Fig. 6, 7, 10, Taf. V), ein Verhalten,
das uns ja schon nach Bildern von Totalpräparaten (S. 125) ge-
läufig ist. Aus dieser Lagebeziehung zur Sphäre erklärt sich ihre
Form, die oft nicht einfach kugelig oder ellipsoidal, sondern gegen
die Sphäre hin abgeplattet oder ausgehöhlt (Fig. 5. Taf. \) ist.
Eine solche Kernform kommt häufiger vor, als man nach den
Abbildungen schliessen könnte: einmal nämlich ist sie nur bei
passender Schnittrichtung erkennbar und zweitens lässt sich selbst
dann oft diese Beschaffenheit der Kerne erst beim Wechsel der
Einstellung wahrnehmen und ist daher vielfach nicht bildlich
wiederzugeben. Hinsichtlich ihres Abstandes von der Sphäre
bieten die Kerne ziemliche Unterschiede; vielleicht darf daraus
geschlossen werden, dass ihre Lage nicht absolut fixiert ist, sondern
auch sie mit dem Strömen der Pigmentmassen etwas hin und her
Die Chromatophoren der Reptilienhaut 145
bewegt werden. Wenn die Beobachtungen von Ballowitz
(1913, f, eg) an den lebenden Knochenfischmelanophoren und
Erythrophoren für eine stets unveränderliche Lage der Kerne
sprechen, so sind sie doch nicht so unvereinbar mit unserer An-
nahme, als es zunächst scheinen möchte: denn diese Mitteilungen
beziehen sich auf sehr stark abgeplattete Zellen, in denen
die Kerne vielleicht schon durch den Druck des umgebenden
(sewebes an ihrem Platz gehalten werden könnten und in denen
jedenfalls eine Verlagerung der Kerne auf grössere Schwierigkeiten
stossen würde als hier in dem geräumigen Zelleibe.
>ekanntlich lassen sich an lebenden Melanophoren keine
Zellwände unterscheiden. Doch gewahrt man öfter an fixierten
Präparaten eine zarte Begrenzung des Melanophorenplasmas nach
aussen, die vielleicht durch seine Schrumpfung und damit ver-
bundene Verdichtung der Aussenzone bedingt ist, Wenn aber
auf Taf. V der Umriss einer Anzahl von Melanophoren durch
einen Kontur wiedergegeben ist, so soll er keineswegs diese Ver-
dichtungszone darstellen; vielmehr war ich bei den pigment-
entleerten Zellkörpern. die im Präparat ihre Begrenzung
durch das umhüllende Bindegewebe zu erkennen geben, zu einer
solchen Darstellung genötigt, wenn ich nicht die Umgebung der
Melanophoren mit abbilden wollte. Übrigens hält es nicht immer
leicht, wenn eine Melanophore nach aussen hin von einem zarten
Kontur begrenzt erscheint, zu entscheiden, ob diese Grenze der
Melanophore selbst oder der oft sehr zarten bindegewebigen Hülle
angehört. —
Nach diesen einleitenden Vorbemerkungen können wir nunmehr
zu unserer Hauptaufgabe, der Untersuchung von Sphäre, zvto-
plasmatischen Strukturen und ihren Beziehungen
zur Pigmentanordnung übergehen. Gewöhnlich treten die
Sphäre und die von ihr abhängigen Differenzierungen des Proto-
plasmas schon in der charakteristischen Anordnung der Pigment-
granula hervor, während die diesen Verhältnissen zu Grunde
liegenden protoplasmatischen Strukturen selbst nur selten ohne
Bleichung des Pigments wahrzunehmen sind. Hinsichtlich der
erstgenannten Präparate kann ich mich kurz fassen. Fig. 4—7,
Taf. V zeigen eine fortschreitende Ballung der Granula
im Bezirk der Sphäre, die einzig durch dieses Phänomen
sichtbar wird. Dabei ist der Zellkörper, abgesehen von der Pigment-
Archiv f. mikr. Anat. Bd.90. Abt. I. 10
146 W.J. Schmidt:
anhäufung um die Sphäre, leer an Granula, die Ausläufer von
ihnen erfüllt. Um nicht zu sehr in Wiederholungen verfallen
zu müssen, verweise ich hinsichtlich der verschiedenen Zustände
der Pigmentverteilung auf die Auseinandersetzungen im Abschnitt
Funktionelle Erscheinungsformen (8. .123). Bei Färbung mit
Delafields Hämatoxylin wird das Plasma der Melanophoren
so schwach tingiert, dass die Pigmentkörnchen gewissermassen
im Leeren zu schweben scheinen. Öfter lassen sich radiäre,
schmälere oder breitere Züge von Pigmentkörnchen
feststellen, die von der Sphäre allseits der Peripherie
der Zelle zustreben (Fig. 6—8, Taf. V); die breiteren
dieser Pigmentbahnen gehen in die Ausläufer der
Zelle über (Fig. S, Taf. V). Es muss hervorgehoben werden,
dass auch in die Sphäre selbst Pigmentkörnchen ein-
zudringen vermögen und sogar gerade hier eine besonders
dichte Anhäufung erfahren können. So erscheint die stark
von Melaningranula erfüllte Sphäre in Fig. 8 (Taf. V) als eine
längliche, räumlich betrachtet, flach ellipsoidale Masse, die tief
dunkel gefärbt ist und sich durch einen schmalen, lichteren, spalt-
artigen Raum von der umgebenden, zum Teil den Kern umhüllenden
Pigmentansammlung absetzt; von dieser gehen dann zahlreiche
breitere und schmälere, längere und kürzere, radiäre Pigmentzüge
aus, die mehr oder weniger weit zur Peripherie reichen und von
denen die mächtigsten in die Zellausläufer eintreten. Diese die
Sphäre unmittelbar umgebende und in der Form ihr entsprechende
Pigmentansammlung scheint bei genauerer Betrachtung überhaupt
in einzelne radiäre Pigmentzüge zu zerfallen, doch ist eine streng
radiäre Anordnung der einzelnen Melaningranula nur immer
auf kürzere Strecken und auch nicht überall zu beobachten. Noch
auffallender ist das Eindringen der Melaninkörnchen in
die Sphäre in Fig. 9, Taf, V: der Zelleib ist fast vollkommen von
den Granula entleert, nur ganz vereinzelte Körnchen sind hier und
da bei der Expansion des Pigments zurückgeblieben ; dagegen ist
die Sphäre über und über von Pigmentkörnchen erfüllt und hebt
sich scharf und allseits gut begrenzt von der Umgebung ab. Diese
Beobachtung lehrt also, dass bei maximaler Ausbreitung
des Pigments unter Umständen Melaninkörnchen, die
in die Sphäre eingedrungen sind, hier verbleiben
und dabei besonders dichte Lagerung zeigen können.
Die Chromatophoren der Reptilienhant. 147
Fig. Ss u. 9 (Taf. V) leiten uns schon zu den zytoplas-
matischen Strukturen selbst über. Zwischen den radiären
Pigmentzügen gewahrt man nämlich in einzelnen Melanophoren
zarte Fäden, welche die gleiche Verlaufsrichtung wie jene ein-
halten (Fig. 8, Taf. V). Gewöhnlich sind sie nur ziemlich spärlich
zu erkennen; doch sah ich in einem Falle (Fig. 9, Taf. V) den
stark von Pigment entleerten Zelleib von einer dichten,
überaus zarten Strahlung erfüllt, die von der Sphäre aus-
ging und sich bis zur Peripherie der Zelle verfolgen liess; ihr
Eintreten in die Ausläufer selbst war nicht zu beobachten. In
einem Präparat konnte ich die plasmatische Sphäre selbst
ohne Bleichung des Pigments wahrnehmen: in einer ziemlich
kleinen Melanophore (Fig. 3. Taf. V) zeigte sich über dem Kern
eine kugelige dichtere Plasmamasse, die ich wohl nur so deuten
kann, obwohl eine Beziehung der Pigmentkörnchen zu ihr nicht
ersichtlich war.
Viel weiter kommt man in dieser Hinsicht an chlorge-
bleichten und später stark mit Eisenhämatoxylin gefärbten Präpa-
raten (Fig. 10—13, Taf. V). An ihnen bietet sich die Sphäre
als eine dichtere und stärker färbbare, zentral gelegene
Plasmamasse von kugeliger oder kuchenartiger Form
dar. Da auch bei langdauernder Bleichung mit Chlor die Melanin-
körnchen die Farbe nicht ganz verlieren und bei starker Tinktion
mit Eisenhämatoxylin diesen Farbstoff etwas speichern, so erscheint
die Plasmamasse der Sphäre mehr oder minder körnig. Zentriolen
in der Sphäre nachzuweisen, gelang mir nie. Die Grösse der
Sphäre ım Vergleich zum Zelleib schwankt innerhalb beträcht-
licher Grenzen, woraus man vielleicht schliessen darf, dass sie
in der lebenden Zelle Veränderungen unterworfen ist. Bisweilen
(Fig. 10, Taf. V) sind die Kerne in die dichtere Plasmamasse der
Sphäre eingesenkt. (Gegen das umgebende, immer schwächer
farbbare Plasma ist die Sphäre bald mehr (Fig. 10, Taf. V), bald
weniger (Fig. 12, 13, Taf. V) scharf abgesetzt, woraus hervorgeht,
dass sie kein besonders strukturiertes Gebilde darstellt, sondern
nur als eine lokale Verdichtung des Plasmas gelten kann,
die nach aussen hin bald rascher, bald langsamer abnimmt. Das
die Sphäre umgebende, den Rest des Zellkörpers erfüllende Plasma
färbt sich selbst bei stärkster Eisenhämatoxylinbehandlung, die
alle Elemente der Präparate mit Ausnahme der Melanophoren
208
145 W.J. Schmidt:
infolge übermässiger Schwärzung zur Beobachtung unbrauchbar
erscheinen lässt, so schwach, dass ihm zweifellos eine sehr lockere,
im Leben wohl flüssige Beschaftenheit zugesprochen werden muss.
Zum mindesten ist sein Dichtigkeitsunterschied gegenüber der
Sphäre ganz beträchtlich. Stellenweise gewinnt man sogar den
Eindruck, als ob zwischen den gleich zu besprechenden fädigen
Bildungen leere Räume beständen (Fig. 10, Taf. V) und die Reste
der ehemals in ihnen enthaltenen Flüssigkeit diesen Proto-
plasmafäden als gerinnselartiger Belag anklebten. Da die
Färbung des Plasmas erst in dickerer Schicht sichtbar wird,
erscheinen die von Pigment freien, dünnen Zellausläufer gewöhn-
lich leer.
Das die Sphäre umhüllende Plasma wird nun von zahlreichen
Fäden durchzogen, deren Bestehen wir schon oben gelegentlich
der Untersuchung nicht gebleichter Präparate festgestellt haben
(Fig. 10—12, Taf. V). Sie nehmen vom Rande der die Sphäre
bildenden Plasmaverdichtung ihren Ausgang, strahlen im allge-
meinen radiär aus, reichen bis zur Peripherie der Zelle und lassen
sich auch ein Stück weit in die Ausläufer hinein verfolgen. An
diesen chlorgebleichten Schnitten zeigen die Fäden ein Verhalten,
das von dem nicht gebleichter Zellen abweicht und daher wohl
zum Teil auf diese immerhin nicht ganz schonende Vorbehandlung
zurückzuführen ist. Sie sind nämlich nicht so geradlinig wie
dort, sondern gelegentlich sogar ziemlich stark gekrümmt, scheinen
sich bisweilen auch zu gabeln (Fig. 10, Taf. V). Da die ganze
Anordnung der Fäden an den Chlorpräparaten nicht so regelmässig
erscheint wie an den anderen, so möchte ich die Krümmung der
Fäden als Kunstprodukt, ihre scheinbare Gabelung als Verklebung
zweier oder mehrerer Fäden auffassen. Ebenfalls das Heraus-
sondern von zahlreichen Fäden zu dickeren, vielfach den Ausläufern
entsprechenden Bündeln (Fig. 12, Taf. V) dürfte in der lebenden
Zelle wohl nicht in dieser ausgeprägten Form vorliegen. Die Fäden
nehmen bei sehr starker Eisenhämatoxylintinktion ziemlich Farbe
an, erscheinen gewöhnlich nicht ganz glatt, sondern mehr körnig
und rauh. Doch hält es schwer, zu unterscheiden, ob diese Be-
schaffenheit den Fäden selbst oder dem ihnen anliegenden Plasma
zukommt was für den Fall. dass zwischen ihnen Lücken vor-
kommen (s. o.), wohl sicher im letzteren Sinne zu entscheiden ist.
Ob die Fäden protoplasmatisch sind oder Umbildungs-
Die Chromatophoren der Reptilienhant. 149
produkte gewöhnlichen Zellplasmas darstellen, vermag ich nicht
mit Sicherheit anzugeben. Dafür sind die morphologischen Merk-
male, die sie darbieten, zu spärlich. das von mir beobachtete
Färbungsverhalten nicht ausschlaggebend, vielmehr chemische
Reaktionen erforderlich: zum mindesten müsste eine vom Plasma
verschiedene Löslichkeit der Fäden nachgewiesen werden. Wir
können diese Frage aber um so mehr auf sich beruhen lassen,
als sie für die von uns angenommene funktionelle Bedeutung
dieser Bildungen gleichgültig ist (siehe S. 240) und auch die Grenze
zwischen protoplasmatisch und metaplasmatisch in vielen Fällen
wohl nieht mit Sicherheit und scharf zu ziehen ist, da metaplas-
matische Gebilde immerhin durch Umwandlung protoplasmatischer
entstehen. Bei der Beziehung der Fäden zur Sphäre scheint es
mir am nächsten zu liegen, die Fäden mit den auch in anderen
ruhenden Zellen um die Sphäre herum häufiger zu beobachtenden
Strahlungen in Vergleich zu setzen und in ihnen eine Proto-
plasmastrahlung zu sehen, die sich von dem umgebenden
Plasma aussergewöhnlich gut abhebt. Daher könnte man denn auch
die Sphäre mitsamt der Strahlung als Astrosphäre bezeichnen.
So deckt sich denn meine Auffassung im wesentlichen mit der
von Zimmermann (1893a). Dass die Fäden mit den in neuerer
Zeit in vielen Zellen beobachteten Stütz- und Zugfibrillen (Tono-
hibrillen) homolog sind, glaube ich nicht; denn jene Bildungen
(z. B. die Plasmafasern der Epidermis des Menschen und die Stütz-
fibrillen in den Muskelzellen von Ascaris) zeichnen sich durch
stärkere Färbbarkeit mit Eisenhämatoxylin aus; ausserdem ist
nicht recht ersichtlich, welche stützenden oder Spannungsfunktionen
die Fibrillen in den Pigmentzellen zu leisten hätten. |
Bisweilen glaubte ich auch im Plasma der Melanophoren
gröbere, röhrenartige Gebilde zu erkennen (Fig. 13, Taf. V,
rechts); doch habe ich mich vergewissert, dass sie durch zwei
stärkere, parallel laufende Fäden vorgetäuscht wurden.
Auf die Angaben über den Bau des Melanophorenplasmas
bei anderen Wirbeltiergruppen soll erst im Schlusskapitel ein-
gegangen werden. Über die Reptilienmelanophoren war bisher so
gut wie nichts bekannt, wenn man von Kellers oben angegebenen
Mitteilungen absieht; diesen ist noch beizufügen, dass jener
Autor (1895, S. 145) erwähnt, dass die fast hyaline Substanz
der Ausläufer der Melanophoren beim Chamäleon eine feine
150 W.J. Schmidt:
Längsstreifung zeige und sich wenig mit den gebräuchlichen
Farbstoffen tingiere, am besten noch mit der Biondi-Heiden-
hain-Drünerschen Methode in gelblichem Farbton. Ferner
erwähnt er (S. 143), dass sich in den Fortsätzen dieser Zellen
die Körnchen mehr oder weniger ausgesprochen in parallelen
Zügen gereiht finden. Auch ich habe, wie schon früher hervor-
gehoben (W.J. Schmidt 1915, S. 3537— 388) und oben dargestellt,
von der Sphäre ausgehende Körnchenreihen gesehen, gleichfalls
in den Ausläufern (vgl. a. a. 0.) eine Reihenanordnung der Melanin-
granula stellenweise bemerkt; doch muss ich ausdrücklich sagen,
dass dieses Phänomen der radiären Reihenanordnung der Körnchen
in Zelleib und Ausläufern nie so imponierend und über grössere
Zellabschnitte kenntlich hervortritt, wie es nach den Abbildungen
von Ballowitz (1914a) für die Knochenfische zutrifft.
Fassen wir unsere Ergebnisse hinsichtlich der zytoplasmatischen
Strukturen der Melanophoren kurz zusammen: DasProtoplasma
der Melanophoren ist durch eine zentral gelegene Ver-
diehtung, die kugelige oder ellipsoidale Sphäre, ausgezeichnet,
die nach aussen hin allmählich oder auch mehr unvermittelt in
lockeres (flüssigeres) Plasma übergeht. Das letztere ist von
zahlreichen Fäden durchzogen, die radiärnachallen Seiten
von der Oberfläche der Sphäre aus abgehen und bis zur
Zellperipherie reichen, gelegentlich sich noch ein Stück weit in die
Ausläufer verfolgen lassen. Bei der Expansion der Pigment-
körnchen können in der Sphäre Melaningranula in dichter
Ballung zurückbleiben.
\ e) Entwicklung.
Über die Ontogenese der Reptilienmelanophoren sind wir
noch sehr schlecht unterrichtet; ihre Erforschung verlangt eine
besonders darauf gerichtete Untersuchung. Um aber erneut die
Aufmerksamkeit auf diese interessante Frage zu lenken und in
der Annahme, dass diese vorläufigen Ergebnisse vielleicht die
Bearbeitung wieder in Fluss bringen, teile ich im folgenden mit,
was mir gelegentlich meiner Studien am Reptilienintegument
hinsichtlich der Melanophorengenese vor Augen kam.
Indem ich in betreff der Literatur im allgemeinen auf
Fuchs’ Zusammenfassung (1914, S. 1603) verweise, hebe ich hier
nur die Angaben rein histologischen Charakters hervor. Leydig
(1873, S. 775) erwähnt von Tropidonotusembryonen, „dass das
Die Chromatophoren der Reptilienhaut. an!
} j
dunkle Pigment in Form verästigter Zellen nicht in der Leder-
haut, sondern in der Schleimschicht der Oberhaut zuerst auftritt“.
Kerbert (1877, S. 237f.) äussert sich über das gleiche Objekt
in folgender Weise: „@uerschnitte durch die Haut von Embryonen
aus der vierten Periode belehren uns auf überzeugende Weise,
dass das Pigment nicht zuerst in der Kutis, sondern in der Epi-
dermis auftritt.... Und zwar ...in Form von verzweigten
Pigmentzellen. .... Im Anfang der zweiten Periode sind
die Pigmentzellen in der Epidermis noch nicht sehr zahlreich und
verhältnismässig wenig pigmenthaltige. An einzelnen Stellen
sah ich zwar die verzweigten Zellen sehr deutlich hervortreten,
aber das Pigment war nur auf den Rand der Zellen beschränkt,
und in den Ausläufern wenig vorhanden. Ausser diesen ver-
zweigten, fast pigmentlosen Zellen sah ich aber in der Epidermis,
und zwar meistens in den unteren Schichten dicht an der
Kutis, noch andere, mehr oder weniger glänzende, aber runde
oder ovale Zellen, die mit einer sehr stark lichtbrechenden Flüssig-
keit gefüllt waren und meistens keinen Kern wahrnehmen liessen.
Dieselben runden oder ovalen Zellen sah ich an anderen Stellen
deutlich mit Pigment gefüllt..... Eine Erscheinung aber war
es, die mir sofort auffiel, nämlich dass direkt unter der Epidermis
in der Kutis ganz ähnliche runde oder ovale Zellen vorhanden
waren, wie ich in der Epidermis gesehen hatte..... Auffallender-
weise waren die meisten dieser runden glänzenden Kutiszellen
an der Spitze der Schuppe angehäuft, wo das Wachstum des
Bindegewebes auch am stärksten erscheint. Hier an der Spitze
sah ich nun ganz deutlich, wie diese hellen runden Zellen zu
einer Hälfte in der Epidermis, zur anderen in der Kutis sich
befanden. Ähnlich verhielten sich einige pigmenthaltende Zellen.
.... Über die Herkunft der .... Pigmentzellen in der Epidermis
kann jetzt .... kein Zweifel mehr obwalten. Wir haben es in
ihnen mit wandernden Bindegewebszellen zu tun, welche
in die Epidermis eindringen, sich hier verzweigen und Pigment-
körnchen bilden. .... Eigentümlich ist die Erscheinung, dass bei
dem ausgewachsenen Tiere von diesen Pigmentzellen in der Epi-
dermis keine mehr zu sehen sind, sondern dass sie hier alle in
die Kutis hinuntergerückt sind. ....“ Braun (1877, S. 233)
schliesst sich der Kerbertschen Anschauung für Platydactylus
facetanus an: Bei einem Embryo von 17 mm Scheitel-After-
152 W.J. Schmidt:
länge seien die Zellen der Kutis unterhalb der Oberhaut wie ein
Epithel angeordnet; diese dichtere Lage von Kutiszellen ver-
wandle sich kurz vor dem Ausschlüpfen des Embryos in Pigment-
zellen und wandere teilweise ins Rete Malpighii der Epidermis ein.
Zenneck (1894, S. 376) fand bei Ringelnatterembryonen.
dass an den Längszonen, in denen später die Fleckenreihen als erste
Zeichnungselemente der Haut entstehen, Längsgefässe unter der
Haut verlaufen, in welche aus dem Innern des Körpers in regel-
mässigen Abständen Gefässe einmünden, so dass die Bevorzugung
gewisser Hautstellen hinsichtlich der Pigmentverteilung
eine Abhängigkeit vom Verlauf der Blutgefässe zeigt.
Das Pigment tritt (abgesehen von der Chorioidea) zuerst in dem
Bindegewebe auf, das den inneren die Leibeshöhle umschliessenden
Teil der Bauchplatten bildet und erscheint in Form von braun-
schwarzen Körnern im Plasma von Bindegewebszellen, wobei es
Zenneck (S. 378) unentschieden lässt, ob es in ihnen entstanden
oder von aussen in sie hineingekommen ist. Auf der II. Stufe
tritt das Pigment auch an anderen Stellen auf, und zwar erscheint
es in dem Bindegewebe, das die Blutgefässe umhüllt, welche aus
dem Innern des Körpers zu den oben erwähnten Hautgefässen
führten, gelegentlich auch in der Kutis, aber nur an den Stellen,
wo von den Längsgefässen (uergefässe zum Innern des Körpers
abzweigen (S. 379). Später (III. Stufe, S. 350) befindet sich auch
im Stratum Malpighii Pigment, aber nur entsprechend den letzt-
genannten Kutisstellen. So bestehen also von denjenigen Gebieten,
in denen Pigment zuerst auftrat (dem die Leibeshöhle umgebenden
Bindegewebe), bis zu jenen Flecken in der Epidermis zusammen-
hängende Pigmentbahnen. Zur Erklärung dieser Beob-
achtungen ergeben sich nach Zenneck (S. 381) nur zwei
Annahmen: Entweder wird das Pigment, welches zuerst im Innern
des Körpers auftritt, von wandernden Bindegewebszellen nach der
Epidermis verschleppt, wobei diese den Bahnen noch tätiger oder
in ÖObliteration begriffener Gefässe folgen, oder das Pigment
entsteht sukzessive von innen nach aussen, in und um Blutge-
fässe, die vom Innern des Körpers ausgehen, und schliesslich auch
in denjenigen Stellen der Kutis und Epidermis, an welche diese
Bahnen herantreten (S. 381). Zenneck schliesst aus seinen
Befunden, dass ein Zusammenhang zwischen Epithel- und Binde-
gewebspigmentierung besteht, doch liege kein zwingender Grund zur
Die Uhromatophoren der Reptilienhaut. 155
Annahme einer Entstehung der einen aus der andern durch Ein-
schleppung vor (S. 388). Das von innen nach aussen fortschreitende
Auftreten pigmentierter Bindegewebszellen würde zwar die beob-
achteten Erscheinungen in diesem Sinne befriedigend erklären, ob-
wohl positive Gründe fehlen. Doch scheint mir Zenneck dieser An-
nahme mehr zuzuneigen als der gegenteiligen (dass das Pigment
an den Stellen, an welchen es beobachtet wird, also auch in der
Epidermis selbst entsteht), wenn er von der letzteren sagt, er habe
nicht nur keine positiven Gründe für sie, sondern sie scheine auch
bei der Erklärung der Tatsache zu versagen, dass das Epidermis-
pigment auf diejenigen Stellen beschränkt ist, an denen auch das
darunter gelegene Bindegewebe pigmentiert ist, und dass erst dann
Pigment im Epithel auftritt, wenn das darunter gelegene Binde-
gewebe pigmentiert ist. So ist denn auch Zenneck eher als
Anhänger, denn als Gegner der Einschleppungstheorie für die
Herkunft des Epithelpigments zu rechnen. Stehli (1910, S. 751)
schliesst sich für die Blindschleiche der Meinung Kerberts an
(s. 0.), insofern beim Embryo Pigment in Form von fein verästelten
hellen Pigmentzellen in die Epidermis hineinreiche, während beim
erwachsenen Tier von diesen Chromatophoren in der Epidermis
nichts mehr zu finden sei, indem sie (S. 753) in die obere Schicht
der Kutis hinabgewandert seien, wo sie grosse Ausdehnung
erreichten. In vollem Umfange trifft die letzte Angabe Stehlis
allerdings nicht zu, da auch bei der erwachsenen Blindschleiche
epidermale Melanophoren vorkommen (vgl. W. J. Schmidt 1914,
S. 14). Fuchs (1914, S. 1605) weist auf die Möglichkeit hin,
dass das Epidermispigment der Reptilien primäres Eipigment im
Sinne Ehrmanns (Amphibien) sein könnte; doch scheint eine
solche Annahme für die einheimischen Reptilien wenigstens
nicht zulässig, da ihre Eier keinerlei schwarzes Pigment be-
sitzen. —
Nehmen wir zunächst Stellung zu den erwähnten Literatur-
angaben, dass das Pigment zuerst in der Epidermis
auftritt. Hierbei sind zwei Unterfälle auseinander zu halten:
Die Melanophoren entwickeln sich aus Epidermiszellen, also
aus epithelialen Elementen, die pigmenthaltig werden, oder
die noch pigmentlosen Jugendstadien der Melanophoren,
die in die Epidermis von dem darunter gelegenen Gewebe aus
eingedrungen und bindegewebigen Charakters sind, beginnen
154 W.J. Schmidt:
in der Epidermis zuerst mit der Ausbildung der Melaningranula.
Die erste der beiden Möglichkeiten muss nach den Befunden von
Zenneck (s. 0.), da das erste Pigment im Innern des Tieres ent-
stehen kann, als hinfällig gelten ; denn man wäre sonst genötigt anzu-
nehmen, dass die epidermalen Melanophoren anderen Ursprungs
seien als die übrigen, eine Voraussetzung, zu der keinerlei Ver-
anlassung vorliegt, da die beiderlei Zellen sich in keinem wesent-
lichen Punkte unterscheiden. Die Angaben Leydigs, Kerberts
u.a. können daher, wie ja auch aus den Äusserungen des letzten
Autors hervorgeht, nur den Sinn haben, dass die in die Epi-
dermis eingewanderten Jugendstadien der Melano-
phoren dort zuerst pigmenthaltig werden.
Das von mir hinsichtlich dieses Punktes geprüfte Material
hat nur in einem Falle. nämlich bei Geckolepis, frühe Ent-
wicklungsstadiender Melanophoreninder Epidermis
auffinden lassen (s. u.), wobei in der Kutis noch nichts von diesen
Zellen nachzuweisen war. In den übrigen Fällen (Anguis,
Gecko verticillatus, Ptychozoon, Calotes) dagegen
beobachtete ich in den mir vorliegenden Stadien immer Melano-
phoren mit dunklen Granula, sowohl in der Epidermis als
auch in der Kutis, oder mindestens Melanophoren die auf der
Epidermis-Kutisgrenze (Lacerta, Draco) lagen. Doch muss ich
hervorheben, dass mir nur verhältnismässig wenige Stadien vor-
lagen, und dass entschieden Anzeichen vorhanden sind, dass die
Angaben von Leydig und Kerbert in manchen Fällen zu Recht
bestehen mögen. Immer nämlich nimmt bei den von mir unter-
suchten Formen im Laufe der Embryonalentwicklung
der gehalt der Epidermis an Melanophoren ab, was
bei der gleichzeitigen Zunahme der subepidermalen Melanophoren
nur im Sinne von Kerbert und späteren Autoren erklärt werden
kann, dass die Mehrzahl der epidermalen Melanophoren
in die Kutis auswandert, somit mindestens ein Teil der sub-
epidermalen aus epidermalen (d. h. aber nicht aus Epithelzellen)
hervorgeht.
Besonders deutlich war dieses Verhalten bei Ptychozoon
festzustellen. Bei Embryonen von 2,5 cm Länge treten die
dunklen Querbinden des Rückens schon klar hervor. Untersucht
man Flächenpräparate der Haut, so ergibt sich, dass die Epi-
dermisinterzellularen reichlich von Melanophoren erfüllt sind,
Die Chromatophoren der Reptilienhaut. 155
die in den dunklen Querbinden zu ausserordentlich dichten Netzen
zusammenfliessen (Textfig. 9a). Ausser diesen Melanophoren
kommen in den tieferen Hautschichten allerdings nur an den
Stellen der dunklen Querbinden weitere schwarze Chromatophoren
vor, die durch ihre eigenartige Form verraten, dass sie den regel-
mässig kreuzschichtigen Lagen der Haut angehören müssen
{vel. S. 120); von den riesigen Melanophoren der Subepidermis
dagegen ist noch nichts zu erkennen. Bei einem Embryo von
5 cm ist das Bild vollkommen umgekehrt (Textfig. 9b). Epidermale
Melanophoren lassen sich nicht mehr mit Sicherheit nachweisen,
dagegen finden sich in der Subepidermis zahlreiche grosse Melano-
phoren.
a Fig. 9 b
Melanophoren, a ein intraepitheliales Netz bildend in der Rückenbinde bei
einem 2.5 cm langen Embryo von Ptychozoon, b subepidermal gelegen
von der gleichen Stelle eines 5 cm langen Embryos. Vergr. 400:1.
Nach den bis jetzt vorliegenden Mitteilungen und meinen
eigenen Beobachtungen scheint es mir fast sicher, dass die
Melanophoren alle mesodermale Elemente und die in
der Epidermis vorkommenden dorthin aus der Kutis eingewandert
sind. Dabei halte ich es aber keineswegs für ausgeschlossen, dass
hinsichtlich des ersten Auftretens von Melaningranula in ihnen
Unterschiede bestehen mögen, derart dass bald das Pigment zuerst
in den in die Epidermis eingedrungenen Jugendstadien der Melano-
phoren erscheint, bald gleichzeitig mit denen in der Kutis, bald
aber auch, wie es nach den Beobachtungen von Zenneck scheint,
zuerst in der Kutis und dann in der Epidermis. Vertritt man
den Standpunkt, dass die Melanophoren aus mesodermalen Wander-
zellen hervorgehen, so stellen diese möglichen Verschiedenheiten
156 W. J. Schmidt:
des ersten Auftretens der Melaningranula in ihnen nur unwesent-
liche Variationen dar, wenigstens von rein morphologischem Ge-
sichtspunkte aus. Dass die Mehrzahl der epidermalen Melanophoren
wieder in die Kutis zurückwandert, lässt sich vielleicht aus den
ungünstigen Ernährungsverhältnissen erklären, die mit der Ver-
hornung und dem Austrocknen der Haut im nachembryonalen
Leben einsetzen; halten doch die Melanophoren immer nur die
untersten Lagen des Stratum Malpighii ein, indem meist ihre
Zellkörper zwischen den basalen Epithelzellen gelegen sind, während
die Ausläufer sich etwas höher gegen die Aussenschicht der Epi-
dermis erstrecken können.
Die einzigen bis jetzt vorliegenden Angaben über Ent-
wicklungsstadien der Melanophoren sind die oben kurz
angeführten Mitteilungen Kerberts, die nicht sehr vertrauen-
erweckend klingen und die auch Fuchs (1914, S. 1605) nicht
für stichhaltig erklärt. Ich hoffe in diesem wichtigen Punkte mit
den folgenden Angaben eine Besserung zu schaffen. Bei 2,5 cm
langen Embryonen von Geckolepis, bei denen die Schuppen eben
angelegt sind, und deren Haut ich an mit Delafields Hämatoxylin
kräftig gefärbten Totalpräparaten untersuchte, fielen mir schon
unter schwächeren Vergrösserungen zahlreiche Zellen auf. die sich
durch stärkere Färbbarkeit ihrer Kerne von allen in der Haut
befindlichen Zellen unterschieden Genauere Betrachtung dieser
Zellen lehrte. dass sie in der basalen Zellschieht der Epidermis
gelegen sind und zwar die Interzellularlücken zwischen den Epithel-
zellen einnehmen. Daraus erklärt sich die eigenartig verdrückte,
bald langgestreckte, bald dreieckige, bald in der Mitte etwas
eingeschnürte Form der Kerne (Fig. 6la—c, Taf. IX), die ihre
Ursache in der Anpassung an den geringen Raum hat, der dem
Kern in den Interzellularen zur Verfügung steht. Bei starken
Vergrösserungen lässt sich auch die Form und Beschaffenheit des
zu den Kernen gehörigen Zelleibes feststellen: er bildet eine
verästelte Protoplasmamasse, deren Hauptansammlung den Kern
umschliesst und in einer etwas grösseren Lücke zwischen den
basalen Epidermiszellen gelegen ist, während die mehr oder weniger
zahlreichen, nicht sehr langen Ausläufer sich in die schmalen Inter-
zellularräume hinein erstrecken. Das Protoplasma enthält deutlich
erkennbare, ziemlich locker gelagerte und gleichmässig über den
Zelleib verstreute, stärker färbbare Granula. Ob sie ausser
Die Chromatophoren der Reptilienhaut. 157
der blauen Hämatoxylinfarbe noch eine Eigenfarbe besitzen, lässt
sich schwer entscheiden, doch sei hier schon darauf hingewiesen,
dass ihre Farbe vollkommen mit derjenigen der blauen Granula
in den subepidermalen Melanophoren (siehe S. 132) und auch mit
den später zu besprechenden Zellen mit noch unreifen Melanin-
granula übereinstimmt. Ich betrachte diese Zellen als jugend-
liche Melanophoren, deren Granula noch nicht ausgefärbt
sind. Für diese Annahme spricht die Form der Zellen, ihre
interzelluläre Lage in der basalen Epidermisschicht, die Granula
in ihrem Protoplasma und schliesslich noch ihre Verbreitung; sie
stellen nämlich in jeder Schuppe eine rundliche Ansammlung dar,
die den Rand derselben frei lässt und nach innen zu an Dichtig-
keit zunimmt, ganz so wie die späteren (subepidermalen) Melano-
phoren. Diese Auffassung bestätigen auch die späteren Ent-
wicklungsstadien.
Bei den älteren Embryonen von Geckolepis. die mir zur
Verfügung stehen, finden sich zahlreiche subepidermale
Melanophoren vor, ausserdem vereinzelte intraepitheliale;
die vorhin beschriebenen jugendlichen’ Melanophoren dagegen sind
in Ihrer alten Form nieht mehr aufzufinden. Die subepidermalen
habe ich schon früher geschildert (siehe S. 129). Sehr wahrschein-
lich sind sie aus intraepithelialen hervorgegangen, die in die
Kutis zurückwandern. Da nämlich auf dem vorhin beschriebenen
Zustand keinerlei jugendliche Melanophoren in der Sube pidermis
festzustellen waren, nunmehr aber fast fertige Zellen zahlreich
und kräftig entwickelt vorliegen, ferner die intraepithelialen an
Häufigkeit abgenommen haben (s. u.), so ist diese Annahme, wie
auch schon oben erläutert, die wahrscheinlichste. Zunächst wenden
wir vor allem unsere Aufmerksamkeit den intraepithelialen
Melanophoren zu (Figur 62a—c, Taf, V). Sie liegen in der basalen
Zellschicht der Epidermis und nehmen die Interzellularräume ein.
Von ihrem kleinen, den Kern umschliessenden. zentralen Teil gehen
in mässiger Zahl Ausläufer ab, die ziemliche Länge erreichen und
entsprechend den Interzellularen hin und her gewunden sind, sich
spärlich verästeln und zum Teil mit ihren eigenen Ausläufern anasto-
mosieren. Der Kern dieser Zellen zeigt in Anpassung an die Raum-
verhältnisse selten rundliche, meist verschiedenartig zusammen-
gedrückte Form. Er nimmt gewöhnlich nicht den mittleren Teil des
eigentlichen Zelleibes ein, sondern überlässt ihn der Sphäre. Das
158 W.J. Schmidt:
Protoplasma dieser Zellen ist nämlich mit hellbräunlichen
Pigmentkörnchen erfüllt, die in den Ausläufern nur ver-
einzelt, im zentralen Zellteil meist eine stärkere Ansammlung
bilden, welche in ihrem Innern die charakteristische helle, kreis-
förmige, bläulich gefärbte Sphärenstelle erkennen lässt.
Obwohl die Zellen grösser sind als die von mir auf den früheren
Entwicklungszustand beschriebenen jungen intraepithelialen Melano-
phoren, glaube ich doch, dass sie aus jenen hervorgehen: in ihrer
Lage, ihrer Form und ihrer Verbreitung stimmen sie mit jenen
überein. Zwar zeigten die jungen Meianophoren keine Sphäre. Doch
ist es auffällig, dass ihr Kern häufig nicht in der Mitte der Proto-
plasmamasse befindlich ist, sondern (Fig. 61b u. c. Taf. IX) seitliche
Lage im Zelleib einhält: das dürfte auf die Gegenwart einer zentral
gelegenen Sphäre hinweisen, die allerdings in meinen Präparaten
nicht zum Vorschein kam. Der (Grössenunterschied der jungen
Melanophoren und dieser intraepithelialen Pigmentzellen fällt noch
weniger ins Gewicht, da ich noch zeigen werde, dass die Melano-
phoren im Laufe ihrer Entwicklung wachsen. Es bliebe noch zur
Identitizierung beider Zellformen der Nachweis übrig, dass die
blauen (Granula der jungen Melanophoren später zu den Melanin-
körnchen werden. Nun beobachtet man regelmässig zwischen den
bräunlichen Granula der epidermalen Melanophoren des älteren
Embryos einen bläulichen Schimmer, der, auch in den Ausläufern
sichtbar, bei deren minimaler Dicke kaum durch das gefärbte
Protoplasma der Chromatophoren bedingt sein kann, das immer
sehr schwache Färbbarkeit zeigt. Ferner begegnet man Zellen
(Fig. 62d, Taf. IX) unter den intraepithelialen Melanophoren, die
durch geringe (Grösse den jungen Melanophoren noch ähnlicher,
durch das mangelnde Hervortreten einer Sphäre und den äusserst
geringen Gehalt an Melaninkörnchen ausgezeichnet sind; offenbar
stellen sie eine Übergangsform zwischen den jungen
Melanophoren des früheren und den epidermalen
Melanophoren des älteren Stadiums dar. In diesen Zellen
glaubte ich auch neben den bräunlichen Granula bläuliche zu er-
kennen. Schliesslich fand ich unter den subepidermalen Melano-
phoren des älteren Embryos vereinzelt solche, die ganz überwiegend
mit blauen, vielleicht auch einigen, vornehmlich zentral gelegenen,
schwach bräunlichen Granula erfüllt waren (Fig. 63, Taf. IX).
Es kann aber wohl keinem Zweifel unterliegen, dass diese
Die Chromatophoren der Reptilienhaut. 159
blauen Körnchen eine Vorstufe der Melaningranuala
darstellen. Bei dieser Gelegenheit sei auch nochmals daran
erinnert, dass in den subepidermalen Melanophoren durchweg
derartige blaue Körnchen in embryonaler Zeit vorkommen (vgl.
S. 133), die demnach als unreife Granula gedeutet werden
müssen. Der allmähliche Farbenübergang von Blau zu Braun,
der den exaktesten Nachweis geben würde, dass die blauen Granula
sich allmählich verfärben, dürfte bei ihrer winzigen Grösse wohl
kaum jemals an einzelnen Körnchen zu erbringen sein ; schon
eine minimale Veränderung der Einstellung lässt selbst bei den
besten optischen Mitteln einen leichten Wechsel der Farbe eines
Körnchens eintreten, so dass manchmal der Entscheid ob blau oder
leicht braun gefärbt, kaum möglich ist (vgl. S. 131). Dass eine
blaue (plasmatische) Vorstufe der Melaningranula sehr wohl vor-
handen sein kann, geht ja auch aus der Tatsache hervor, dass
die ausgereiften Melaningranula künstlich gebleicht und nachträg-
lich mit Farben wieder gefärbt werden können. Dieser Umstand
zeigt, dass die Melaninkörnchen nicht rein aus Melanin bestehen,
sondern eine plasmatische Grundlage besitzen. Nach unseren
Erfahrungen bei den Drüsengranula erscheint es fast sicher, dass
die plasmatische Grundlage der Melaningranula eine spezifische
Körnung des Plasmas darstellt, welche mit der Bildung des
Melanins betraut ist.
Bei der vorstehend geschilderten Sachlage kann es meines
Ermessens keinem ernstlichen Zweifel unterliegen, dass die von
mir bei reckolepis beschriebenen jungen Melanophoren
tatsächlieh solche sind, also zunächst die intraepithelialen Melano-
phoren des späteren Stadiums aus sich hervorgehen lassen. Und
wenn die Vermutung richtig ist, dass die intraepithelialen Melano-
phoren auch hier zum Teil schon in die Kutis rückgewandert sind,
so stellen sie auch die Jugendstadien der subepidermalen dar.
Während der Entwicklung der Melanophoren nimmt ihre
(rösse so beträchtlich zu, dass diese Tatsache auch ohne Messung
augenfällig wird. Um aber eine genauere Vorstellung zu geben,
sei angeführt, dass die subepidermalen Melanophoren des älteren
embrvonalen Stadiums von (reckolepis mitsamt den Ausläufern
höchstens 50 « im Durchmesser aufweisen, während die entsprechen-
den Zellen des erwachsenen Tieres bis 200 « erreichen. Eine solche
Vergrösserung des Zelleibes konnten wir ja auch im Laufe der
160 W.J. Schmidt:
Umwandlung der jungen zu den intraepithelialen Melanophoren
bei veckolepis feststellen. Diese Volumzunahme der Zellen ist
wohl weniger auf eine Vermehrung ihres indifferenten Plasmas als
auf eine längere Zeit andauernde Produktion der Granula zurück-
zuführen, in ähnlicher Weise, wie die Grössenzunahme von Drüsen-
zellen und Oozyten auf der Anhäufung von Sekretgranula bezw.
Nahrungsdotter beruht. Vielleicht könnte es zunächst erstaunlich
erscheineu, dass die subepidermalen Melanophoren durch Rück-
wanderung von intraepithelialen in die Kutis entstehen sollen,
da zwischen den beiden Zellformen ein so bedeutender Volum-
unterschied besteht. Doch dürfte dieser Unterschied durch
stärkeres Wachstum der Melanophoren bei ihrem Übergang in
die Kutis ausgeglichen werden, da ihnen hier besssere Er-
nährungsbedingungen und grössere Möglichkeit zur räumlichen
Entfaltung geboten sind.
Embryonale Melanophoren erscheinen regelmässig
heller als die der erwachsenen Tiere; das beruht nicht
nur auf dem geringeren Gehalt an Melaninkörnchen, sondern
auch auf dem Umstand, dass die Farbe der einzelnen Körnchen
erst allmählich volle Intensität erreicht. Sehr wahrscheinlich
nehmen die Granula im Laufe ihrer Entwicklung etwas an Grösse
zu, obwohl es bei ihrer geringen Dimension schwer hält, sich
durch Messung davon zu überzeugen.
III. Die Allophoren.
a) Untersuchungsmethoden.
Hinsichtlich der Definition der Allophoren und ihres V or-
kommens verweise ich auf die früheren Angaben (siehe S. 107);
es sel nur noch einmal kurz erwähnt, dass Zellen dieser Art bis
jetzt bei Phelsuma, Uroplatus, Anguis, Chamaeleo
sicher bekannt geworden sind, dass auch vielleicht die von
Thilenius (1897, S. 528) bei Agama inermis beschriebenen
Elemente hierhin gehören. Im folgenden bringe ich Beobach-
tungen an den bislang übersehenen Allophoren unserer
einheimischen Lacertiden, ferner eingehende Mitteilungen
über den feineren Bau der Allophoren von Uroplatus, über
die ich schon an anderer Stelle einiges veröffentlicht habe. Ich
bin überzeugt, dass genauere Nachforschungen eine weitere Ver-
breitung dieser Zellen ergeben werden. Daher möchte ich im
Die Chromatophoren der Reptilienhaut. 161
folgenden einige Winke für die Untersuchung dieser Elemente
vorausschicken, die späteren Untersuchern von Nutzen sein dürften.
Bei der geringen Durchsichtigkeit der Reptilienhaut ist eine
3eobachtung der Allophoren im überlebenden Zustand nicht möglich,
zum wenigsten nicht bei unseren einheimischen Lacertiden.
Will man die Haut einer Form auf das Vorkommen von Allo-
phoren prüfen, so fixiert man sie in einer säurefreien Flüssig-
keit, etwa Alkohol, Formol oder Sublimat, auch Flemmingsche
Flüssigkeit ist brauchbar (bei Lacertiden mit Erfolg versucht)
und stelle zunächst Balsamtotalpräparate kleiner Hautstücke
her. An solchen wird man wohl immer Stellen ausfindig machen,
die soweit von Guanin frei sind, dass etwa vorhandene Allophoren
kenntlich werden. Während bei (im Balsampräparat erhaltener)
roter, orange- oder blauroter Farbe dieser Elemente kein Zweifel
an ihrer Eigenart bestehen kann, sind Allophoren von schwächeren
gelblichen Tönen nicht immer leicht von Guanophoren zu unter-
scheiden; in diesem Falle gibt die Untersuchung in polarisiertem
Licht den gewünschten Aufschluss: fehlt die Doppelbrechung, so
liegen Allophoren vor. An solchen Totalpräparaten habe ich die
Allophoren von Phelsuma, Uroplatus, Anguis zuerst auf-
gefunden und an guaninfreien Stellen konnte ich schon so allerlei
Einzelheiten ihres Baues feststellen. Gewöhnlich ist die Be-
ständigkeit des Allophorenpigments gegenüber
Säuren und Alkalien zu gering, um mittels ihrer aus den
fixierten Hautstücken die Guanophoren zu entfernen und so unver-
gleichlich klarere Bilder der zurückgebliebenen Farbzellen, der
Melanophoren und Allophoren, zu gewinnen ; meist verschwindet
der Allophorenfarbstott, ehe der kristallinische Inhalt der Guano-
phoren hinreichend gelöst ist. Bis jetzt gelang es mir nur, von
Phelsuma mittels dieser Methode brauchbare Präparate zu er-
halten; bei den Lacertidenallophoren insbesondere glückte dieses
Verfahren nicht; doch dürfte die Methode immerhin zu versuchen
sein, da sie beim Gelingen sehr hübsche Bilder gibt. Bei massen-
hafter Anhäufung von Guanophoren wird man daher im allge-
meinen auf das Studium von Schnittpräparaten angewiesen
sein, die mit neutralen Mitteln fixiert sind (s. o.). Solche Präparate
untersuche man zunächst, in Balsam montiert, ungefärbt:
denn, da die Allophorengranula verschiedene Farbstoffe stark
speichern, ist im gefärbten Präparat nicht nur ihre Eigenfarbe
Archiv f. mikr. Anat. Bd.90. Abt.I. al
162 W.J. Schmidt:
verdeckt und unbestimmbar, sondern auch die Allophoren selbst
sind dadurch leichter zu übersehen. Dabei empfiehlt es sich auch,
die Schnittdicke nicht zu gering zu wählen (etwa 15—30 «), weil
die Intensität des Farbstoffes in geringer Schichtdicke manchmal
so schwach ist, dass er leicht der Beobachtung entgeht. Hat
man sich aber auf diese Weise des Vorkommens und der Ver-
breitung der Allophoren vergewissert, so untersuche man dünnere,
verschieden fixierte und gefärbte Schnitte. Hält man sich an
diesen vorgeschlagenen, einfachen Untersuchungsgang, so werden
einem die Allophoren kaum verborgen bleiben können. —
Bei dieser Gelegenheit möchte ich noch erwähnen, dass ich
kürzlich wieder Gelegenheit hatte, die roten Allophoren der
Blindschleiche zu untersuchen. Bei der Gegenwart der Knochen-
schuppen ist hier die Untersuchung an Schnittpräparaten wenig
empfehlenswert, und ich habe mich wie früher (W. J. Schmidt
1914, Seite 6f.) darauf beschränkt, Balsamtotalpräparate einzelner
Schuppen vorzunehmen. In der Schwanzgegend waren die Allo-
phoren in Form meist reich verästelter und dieht gelagerter Zellen
zahlreich vertreten. Sie halten sich auf der Oberseite der Knochen-
schuppen und nehmen, soweit sich das nach dem Flächenbild be-
urteilen lässt, mit den Melanophoren und Guanophoren das gleiche
Niveau der Haut ein, halten sich also in der schmalen Binde-
gewebszone zwischen Epidermis und Knochenplättchen. Eigen-
tümlicherweise fehlten diesem Tier die gelblichen und orange-
farbigen Allophoren anscheinend ganz und ebensowenig konnte
ich bei ihm die Übergangsformen zwischen Melanophoren und
Allophoren beobachten, welche ich a. a. ©. beschrieben habe.
b) Allophoren der Lacertiden.
Alle dreiuntersuchten Lacertiden, Lacertaagilis, Lacerta
vivipara und L. muralis, enthalten in ihrer Rückenhaut
und, nach Ausweis meiner Präparate wenigstens, nur in dieser
Allophoren. Die Zellen kommen nicht überall in der Rücken-
haut vor, sondern sind auf bestimmte Lokalitäten beschränkt, an
denen sie gruppenweise auftreten. Da die Allophoren der Lacer-
tiden am Totalpräparat nicht hinreichend sicher festzustellen sind,
so würde eine Untersuchung ihrer genaueren Verbreitung
Schnitte durch zahlreiche Hautstellen, zum mindesten durch die
charakteristischen verschiedenen Teile der Zeichnung voraussetzen,
Die Chromatophoren der Reptilienhaut. 165
die mir aber nicht zur Verfügung stehen. So muss ich die ein-
gehende Klärung der Allophorenverbreitung und auch ihrer etwaigen
sexuellen Differenzen späteren Untersuchungen überlassen und
mich auf die Äusserung der Vermutung beschränken, dass die
Allophoren hauptsächlich in den Flecken (Augenflecken) der
Rückenhaut gelegen sein dürften.
Am mächtigsten entwickelt fand ich die Allophoren bei
Lacerta muralis und auf diese Form beziehen sich daher die
nachfolgenden Untersuchungen in erster Linie. Indessen ver-
halten sich diese Chromatophoren bei den beiden anderen genannten
Eidechsenarten wesentlich in gleicher Weise. Die Allophoren
kommen hauptsächlich der Oberseite der Schuppen zu, doch er-
strecken sie sich bisweilen auch auf ihre Unterseite (vgl. Figur
46—48, Taf. VIII). Wie schon früher erwähnt (vgl. S. 119), liegen
die Allophoren unmittelbar unter der Epidermis in gleichem Niveau
mit den Lipophoren (also über den Guanophoren) ; dabei habe ich nie
eine Untermischung dieser beiden Chromatophorenarten beobachtet,
sondern sie treten gewissermassen füreinander ein. So begegnet
man Schuppen, die keine Lipophoren besitzen, bei denen unter
der gesamten Epidermis der Oberfläche sich eine geschlossene
Allophorenzone (A) herzieht (Fig. 46, Taf. VIII), und wiederum
anderen, bei denen die Lipophorenschicht (L) plötzlich abbricht.
um in einer Allophorenzone (A) ihre Fortsetzung zu erhalten
(Fig. 47, Taf. VIII). Im letzten Falle sah ich stets ein konstantes
Lageverhältnis der Allophoren und Lipophoren, derart, dass diese
den proximalen, jene den distalen Teil der Schuppe einnehmen.
Die Farbe der Lacertidenallophoren zeigt alle Übergänge
von einem lichten Gelb bis zu einem kräftigen Orangerot.
Dabei ist es charakteristisch, dass — wenn überhaupt, wie oft
der Fall, Verschiedenheiten des Farbentones in einer Schuppe
nebeneinander vorkommen — die Farbe zum freien Schuppenrand
hin eine Steigerung von gelb zu orange aufweist und dann auf
der Unterseite der Schuppe allmählich wieder bis zu Gelb herab-
sinkt (vgl. Fig. 46, Taf. VIII). Am. intensivsten erschien mir die
Farbe beiLacerta muralis, am wenigsten kräftig bei Lacerta
vivipara; L. agilis hält in diesem Punkte die Mitte zwischen
beiden genannten Formen. Auch war bei Lacerta muralis
die Allophorenschicht, insgesamt betrachtet, am dicksten und gegen
die darunter befindliche Guanophorenschicht scharf abgesetzt
ale
164 W.J. Schmidt:
(Fig. 46, 47, Taf. VIII), so dass sie schon bei schwachen Vergrösse-
rungen an ungefärbten Schnitten wohl kenntlich ist und im Kon-
trast zu den Guanophoren und Melanophoren einen sehr hübschen
Anblick gewährt. Bei Lacerta agilis und L. vivipara
treten bei der geringen Mächtigkeit der Schicht und ihrer weniger
geradlinigen Abgrenzung nach unten diese Verhältnisse erst bei
stärkeren Vergrösserungen gut hervor (Fig. 48, Taf. VIII). Infolge
der bedeutenderen Abplattung der Schuppen lässt sich bei Lacerta
agılis einwandfrei dartun, dass die Allophoren (übrigens auch
die (Guanophoren) auf die Unterseite der Schuppen übergehen
(vgl. Fig. 48, Taf. VII).
Unter stärkeren Vergrösserungen lassen ungefärbte Prä-
parate, wie sie auch der bisherigen Schilderung zugrunde liegen,
erkennen, dass das Allophorenpigment an Körnchen gebunden
ist (Fig. 49, Taf. VIII, A). Was bei schwächeren Vergrösserungen
sich als eine mehr oder minder einheitliche Schicht darbot. löst
sich nunmehr in Anhäufungen von Granula auf. Die einzelnen
Zellen (A, Fig. 49, Taf. VIII) der Allophorenschicht voneinander
abzugrenzen, hält bei derartigen dickeren Schnitten aber sehr
schwer, gelingt nur stellenweise und auch dann nur bei genauerem
Zuschauen. Man gewinnt dann den Eindruck, dass die dicht bei-
einander gelagerten Zellen von dem basal gelegenen Zelleib nur
wenige und spärlich verästelte Ausläufer annähernd senkrecht
gegen die Epidermis entsenden, längere, stärker divergierende
Zellfortsätze dagegen nicht vorhanden sind. In manchen Zellen
gewahrt man im Zelleib eine hellere, rundliche oder ovale Stelle,
die dem Kern entspricht gemäss dem Vergleich mit gefärbten
Schnittpräparaten (s. u.). Ähnliche Lücken sieht man auch im
oberen Teil der Allophorenschicht unter der Epidermis zwischen
den Zellausläufern; sie dürften im ungefärbten Präparat nicht
deutlich sichtbaren Bindegewebsmassen ihren Ursprung verdanken.
Fig. 49, Taf. VIII stellt einen stark vergrösserten Ausschnitt eines
Präparates dar, wie es etwa in Fig. 46, Taf. VIII wiedergeben
ist, und lässt gut die verschiedenen Dimensionen der an der
Färbung beteiligten Chromatophoren erkennen. Die kleinsten
Elemente (wenn man den Zellleib allein ins Auge fasst) sind die
mit einem Teil ihres Zellkörpers subepithelial gelegenen epider-
malen Melanophoren (M ı), dann folgen die Allophoren (A) und
weitaus die grössten sind die subepidermalen Melanophoren (M).
Die Uhromatophoren der Reptilienhant. 165
In allen bis jetzt bekannten Fällen bleiben die Allophoren
immer wesentlich an Umfang hinter den subepider-
malen Melanophoren zurück.
Die ungefärbten Schnittpräparate finden ihre Ergänzung an
dünneren gefärbten Schnitten (Fig. 50, Taf. VIII). Solche
zeigen zunächst den Kern der Allophoren, der bei der starken
Eisenhämatoxylinfärbung als rundliche, tief schwarze Masse erscheint
(in A). Bei schwächerer Tinktion oder bei Anschnitten solcher Kerne
erkennt man aber, dass die Kerne normalen Bau besitzen und ein
chromatisches Gerüstwerk umschliessen. Alle Lacertidenallophoren
scheinen einkernig zu sein, gleich denen von Uroplatus: doch sei
hier daran erinnert, dass die Allophoren von Phelsuma vielfach
zweikernig sind (W.J. Schmidt 1912a, S. 185). Die Eigenfarbe
der Allophorengranula wird bei der Doppelfärbung Eisenhäma-
toxvlin-Eosin vollkommen verdeckt (nachdem sie auch vielleicht
durch die Beizung mit Eisenalaun gelitten hat), und die Körnchen
erscheinen nunmehr meist rot, von Eosin gefärbt, nur vereinzelte
von Eisenhämatoxylin geschwärzt (vgl. Fig. 50. Taf. VIII). Weiter
sieht man an den gefärbten Präparaten, dass die Allophoren ähn-
lich wie die Guanophoren in ein Fachwerk von Bindegewebe (B)
eingelassen sind, das vornehmlich aus senkrecht emporstrebenden
Fasern besteht, welche die einzelnen Zellen voneinander trennen
und die Verlaufsrichtung ihrer Ausläufer bestimmen.
Sphäre oder Zentrosom vermochte ich in den Lacertiden-
allophoren nicht nachzuweisen; ebensowenig sah ich Verteilungs-
zustände ihrer (rranula, die darauf schliessen liessen. Vielmehr
waren die ziemlich gleich grossen Granula immer geleichmässig
in Zelleib und Ausläufern zerstreut. Wenn diese negativen Fest-
stellungen also zunächst gegen die Anwesenheit einer Sphäre und
gegen die Möglichkeit intrazellulärer Körnchenströmungen zu
sprechen scheinen, so muss ich doch andererseits betonen, dass
bei den Allophoren von Phelsuma (W. J. Schmidt 1912a,
S. 155) und von Uroplatus (siehe S. 168) die Sphäre so gut
ausgebildet ist, dass ihr Fehlen bei den Lacertiden zunächst
befremdlich wirkt und von späteren Untersuchungen in diesem
Punkte weitere Aufklärung zu erwarten ist.
c) Allophoren von Uroplatus.
Die folgenden Angaben über die Allophoren (Phaeophoren)
von Uroplatus beziehen sich auf den feineren Bau, vornehmlich
166 WeJ2r Schmidt:
auf die protoplasmatischen Strukturen dieser Zellen, denen ich
in meiner ersten Mitteilung über diese Elemente (W. J. Schmidt
1913, S. 358f.) keine besondere Aufmerksamkeit schenkte: sie
beruhen auf Beobachtungen an den damals hergestellten Präpa-
raten, dieaber zum Teil kräftiger mit Eisenhämatoxylin nachgefärbt
wurden. Hinsichtlich der Lagerung und Verbreitung dieser Ele-
mente verweise ich auf die dort gegebene Beschreibung und die
Schnittbilder; doch muss ich die Mitteilungen betrefts des Vor-
kommens dieser Zellen dahin ergänzen, dass hierher gehörige
Zellformen auch auf der Bauchseite des Tieres zu finden sind.
Zwar ist es mir nicht gelungen, an Totalpräparaten der Bauch-
haut diese Zellen festzustellen, ich kann daher auch keine An-
gaben über die Eigenfarbe der Granula dieser Elemente machen;
aber auf Schnitten begegnete ich Zellen (Fig. 22—27, Taf. VI),
die gemäss ihrer Lage in der Haut den Allophoren der Rücken-
seite entsprechen, und zwar am meisten an die feinkörnigen
Formen der Rückenseite sich anschliessen, so dass wohl hinsichtlich
ihrer Zugehörigkeit zur Gruppe der Allophoren überhaupt kein
/weifel bestehen kann.
Wie aus Textfig. 2b (S. 117) zu ersehen ist, liegen die Allo-
phoren von Uroplatus in die Schicht der Guanophoren einge-
bettet und nur ihre Ausläufer erreichen die Epidermis. Daher ist
im allgemeinen nicht viel von ihnen an Totalpräparaten zu sehen.
Doch kommen, wie ich schon früher angegeben habe, in der
Hautfalte am Rumpf einzelne Schuppen vor, die nur ganz wenige
Melanophoren und Guanophoren, aber zahlreiche Allophoren
(Phaeophoren) enthalten. Nach einer solchen Stelle ist in Fig. 14.
Taf. VI eine Gruppe von Allophoren wiedergegeben. Was an
diesen Chromatophoren der Rückenseite zunächst auffällt, ist,
abgesehen von ihrer Farbe, die bedeutende Grösse der
Granula. Allerdings kommen hinsichtlich der Dimensionen der
Körnchen beträchtliche Schwankungen sowohl in ein und derselben
Zelle vor, als auch weichen verschiedene Zellen in diesem Punkte
stark voneinander ab. So finden sich in der Rückenhaut alle
Übergänge zwischen mehr grobkörnigen und mehr feinkörnigen
Zellen, wobei zum Teil die Granula ein und derselben Zelle über-
wiegend eine bestimmte Korngrösse zeigen, zum Teil aber auch die-
selben Zellen gleichzeitig sehr grosse und kleinere Körnchen um-
schliessen können. Den Allophoren der Bauchhaut dagegen fehlen
Die Chromatophoren der Reptilienhaut. 167
die gröberen Granula ganz; sie sind gleichmässig mit Granula erfüllt,
bei den kleinsten in den Zellen der Rückenseite entsprechen. Auch
bei den Melanophoren kommen, wie man sich bei genauerer Unter-
suchung vielfach vergewissern kann, Schwankungen in der Grösse
der Granula vor, aber im allgemeinen wird doch eine Durch-
schnittsgrösse eingehalten; solche Unterschiede in der Grösse der
Granula wie bei Uroplatus zeigen weder die Allophoren von
Phelsuma noch die von Anguis und den Lacertiden.
Auch in der Form bestehen Unterschiede zwischen den
Zellen der Rücken- und Bauchhaut. Die dorsalen Allophoren
besitzen durchweg einen kugeligen Zelleib, von dem aus nur
spärliche, kurze und wenig gekrümmte, plumpe, kaum verästelte
Ausläufer zum Epithel hin abgehen. Im Totalpräparat (Fie. 14,
Taf. VI) kommen die Ausläufer, weil in Flächenansicht verkürzt
erscheinend, nur mangelhaft zum Vorschein. Fig. 15, Taf. VI gibt
eine Vorstellung davon, wie derartige Zellen, mit ihren Ausläufern im
Schnitt getroffen, sich darbieten. Bei den meisten Abbildungen
dieser Zellen (Fig. 16—21, Taf. VI) ist auf die Wiedergabe der
Zellfortsätze verzichtet worden. Vereinzelt finden sich in der
Rückenhaut Allophoren mit längeren Fortsätzen, die durch ihren
feinkörnigen, karminroten Inhalt ausgezeichnet sind. Ihnen
schliessen sich hinsichtlich der Form und der feinkörnigen Be-
schaffenheit der Granula (wohl nicht aber hinsichtlich der Farbe)
die ventralen Allophoren an. Sie ähneln in ihrer Gestalt den
subepidermalen Melanophoren, besitzen also einen ellipsoidalen
Zelleib, von dem weit ausgreifend mehrfach verästelte Fortsätze
zur Epidermis emporstreben (Fig. 22—24, Taf. VD.
Wie ich schon früher ausführte (a. a. 0. S. 389) und mit
farbigen Abbildungen belegte, geht die an Granula gebundene
Färbung der Allophoren von Uroplatus von mattgelb über
orangerot bis braunrot und karminrot. Auch trifft man gelegent-
lich Farbtöne mit leichtem Anklang nach Violett hin, an die Farbe
der Allophorengranula von Phelsuma erinnernd, so dass die
ganze Farbenskala, die bisher bei Allophoren gefunden wurde,
ziemlich geschlossen erscheint, indem überall die Reihe Gelb-
Orange-Rot-Violett mehr oder minder vollständig wiederkehrt.
Ebenfalls habe ich schon früher (a. a. O. Seite 390) darauf
aufmerksam gemacht. dass die Granula nicht aus reinem Farb-
stoff bestehen, sondern ein ungefärbtes Substrat als Träger
168 W.J. Schmidt:
des Farbstoffes erscheint, ganz analog dem Verhalten der Melanin-
körnchen. Wie diese können die Körnchen, entpigmentiert. wieder
gefärbt werden, speichern überhaupt verschiedene Farbstoffe so
stark, dass an gefärbten Schnitten ihre Eigenfarbe vollkommen
unterdrückt wird. Die kleineren Körnchen in den Allophoren
erscheinen rundlich, die grösseren lassen öfter (Fig. 16. 17, 21,
Taf. VI) Abweichungen von der Kugelform erkennen, sind entweder
etwas unregelmässig gestaltet oder weisen eine merklich längere
Achse auf. Die grössten Granula zeigen manchmal noch eine
feinere Struktur, der einzige bis jetzt bekannte derartige
Fall: schon am ungefärbten Präparat tritt in ihrer Mitte ein
stärker gefärbtes Körnchen auf, das sich auch an den gefärbten
Schnittpräparaten erhält und in einigen der Abbildungen (vor
allem Fig. 21, Taf. VI) zur Darstellung gekommen ist. Vielleicht
ist, wie ich schon damals äusserte, diese Struktur als Ausdruck
eines appositionellen Wachstums der Körnchen zu deuten.
Die Allophoren von‘ Uroplatus sind anscheinend immer
einkernig. Der grosse Kern, der meist neben spärlichen
Chromatinkörnchen einen mächtigen Nukleolus enthält, liegt
exzentrisch, gewöhnlich dem Unterrand der Zellen genähert, nur
gelegentlich (Fig. 17, Taf. VI) seitlich, nie aber am Oberrand
der Zelle. In den Allophoren der Rückenhaut (Fig. 16—20,
Taf. VI) ist er mehr rundlich, in denen der Bauchseite, entsprechend
der gestreckten Form des Zelleibes, mehr länglich (Fig. 22—26,
Taf. VD. Er ist durch eine gut sichtbare Kernmembran vom
umgebenden Plasma geschieden.
Hinsichtlich der Sphäre konnte ich in meinen ersten Mit-
teillungen (a. a. O. S. 391) nur angeben, dass ein zentraler
körnchenfreier oder körnchenarmer Bezirk, der auch eine bestimmte
Lagebeziehung zum Kern zeige, ihre Stelle verrate; die Sphäre
selbst nachzuweisen, gelang mir damals nicht. In der Tat bleibt
unter allen Umständen eine mitten im Zellkörper gelegene, mehr
oder minder kugelige Partie frei von gröberen Granula (Fig. 15
u. 19, Taf. VI), während kleinere Pigmentkörnchen doch in sie
einzudringen vermögen. Die Grösse dieser Stelle ist gewöhnlich
etwas geringer als der Umfang des Kerns. Bald erscheint
sie sehr scharf gegen ihre Umgebung abgesetzt (Fig. 19, Taf. VI),
indem die Granula in ihrem Umkreis eine wohlumschriebene
Grenze bilden, bald springen die Granula unregelmässiger gegen
Die Chromatophoren der Reptilienhaut. 169
den körnchenfreien Bezirk vor, dringen auch, wenn sie klein sind,
in ihn ein und erschweren dadurch eine sichere Abgrenzung des
Sphärenbezirkes (Fig. 15 u. 20, Taf. VI. An stark gefärbten
Präparaten und zwar an Zellen, die nur spärliche und meist
grössere Granula enthalten, welche die Peripherie des Zelleibes
und die Ausläufer einnehmen, erblickt man die Sphäre selbst.
Zentral im Zellkörper liegt eine kugelige oder auch leicht von
der Kugelform abweichende Protoplasmamasse, die grössere Färb-
barkeit und offenbar auch grössere Dichtigkeit besitzt (Fig. 16— 18.
Taf. VD) als das Zytoplasma. Nur selten hebt sie sich scharf von
ihrer Umgebung ab (Fig. 16, Taf. VI), meist geht sie durch eine
Zone dunkler erscheinenden Protoplasmas allmählich in das hellere
periphere Zellplasma über (Fig. 17, 18, Taf. VI); doch kann man auch
in den letzten Fällen gewöhnlich bei längerem Zusehen im Innern
dieser periplastischen Zone die eigentliche Sphäre einigermassen
optisch herausschälen. Hat man an solchen besonders günstigen Allo-
phoren einige Erfahrung über das Aussehen der Sphären gewonnen,
so gewahrt man auch in anderen Zellen wenigstens Andeutungen
derselben (Fig. 15. 20. 21, Taf. VI) in Form meist kleinerer und
weniger gut abgesetzter dunklerer, kugeliger, plasmatischer Ge-
bilde, die in der Mitte des körnchenfreien Bezirks gelegen sind.
Von der Sphäre oder der sie umgebenden periplasmatischen Zone
geht in manchen Zellen (Fig. 15—18, Taf. VI) deutlich kenntlich
eine feine radiäre Strahlung allseits ab, die sich fast bis an
die Peripherie des Zelleibes verfolgen lässt. Die Strahlung besteht
aus zarteren, aber auch dichter gelagerten Fäden als bei den
Melanophoren und fällt daher nicht so leicht in die Augen. Ihr
Aussehen erinnert vollkommen an die Aster, die an den Polen
der Kernspindel auftreten, und ich trage daher kein Bedenken,
sie gleich diesen als protoplasmatische Strukturen zu betrachten
(vgl. auch S. 149).
Die bisherigen Angaben über die Astrophäre der Allophoren
bezogen sich auf die in der Rückenhaut vorkommenden Zellen ;
die Allophoren der Bauchhaut weichen nicht unwesentlich davon
ab. Zunächst habe ich eine grössere körnchenfreie Stelle, die der
Lage nach den Sphärenbezirk darstellte, nie beobachten können:
doch mag das damit zusammenhängen, dass diese Zellen nur sehr
kleine Granula enthalten, die in die Sphäre selbst einzudringen
pflegen. An stärker gefärbten Präparaten (Fig. 23, Taf. VI) ver-
170 W.J. Schmidt:
decken die Körnchen gewöhnlich die Sphäre ganz; nur einmal
sah ich ich in der Nähe des Kernes einen rundlichen, wenig scharf
begrenzten Fleck, der gemäss seiner Lage wohl nur der Sphäre
entsprechen kann (Fig. 22. Taf. VI). Viel lehrreicher sind die
Allophoren der Bauchhaut an Präparaten, die so schwach gefärbt
sind (Fig. 24—27, Taf. VI), dass die Granula dieser Zellen nur
wie eine undeutliche Punktierung des Zellplasmas erscheinen.
Fast in jeder solchen Allophore erblickt man alsdann bei
günstiger Schnittrichtung eine kleine kugelige, dunklere Stelle,
der Sphäre vergleichbar, von welcher allseits eine ziemlich
weit kenntlich bleibende Strahlung ausgeht. Die Strahlung ist
nicht so zart und dicht wie in den erst beschriebenen Fällen
und ihre Fäden sehen nicht so glatt und gerade aus wie
dort, sondern erscheinen eher leicht gerunzelt, bisweilen auch
streckenweise punktartig verdickt (Fig. 27, Taf. VI). Eine weitere
Eigentümlichkeit ist die, dass die der Sphäre entsprechende zentrale
Struktur beim Gebrauch der Mikrometerschraube sich nicht als
kugelig erweist, sondern in der Regel auch bei stärkerer Ver-
änderung der Einstellung sichtbar bleibt und dabei gelegentlich
seitlich ausweicht, somit mehr eine fadenartige (restalt besitzt.
Demnach liegen hier Verhältnisse vor, die an die „Zentral-
stäbe“ erinnern, wie sie Zimmermann (1893a, S. 374) von
den Melanophoren der Knochenfische beschrieben hat.
Zentriolen in den Sphären nachzuweisen, ist mir im
allgemeinen nicht gelungen, obwohl die Präparate zum Teil ausser-
ordentlich stark mit Heidenhains Eisenhämatoxylin gefärbt
waren. Nur in drei Fällen (Fig. 23—30, Taf. VI) beobachtete
ich etwas Derartiges. Es handelte sich um auffallend kleine
Zellen aus der Augengegend. die sehr arm an Körnchen waren
und sich wohl den feinkörnigen Allophoren der Bauchseite am
nächsten anschliessen. Diesen Elementen fehlte die grosse plas-
matische Sphäre, und an ihrer Stelle erschienen ein oder auch zwei
dicht beieinander gelegene, intensiv färbbare Körnchen, die von
einer kleinen Ansammlung dunkleren Plasmas umgeben sind. von
der Andeutungen einer Protoplasmastrahlung ausgehen. Grösse,
Form und Färbbarkeit dieser winzigen Gebilde sprechen für ihre
Zentriolennatur. Bei dieser Gelegenheit erlaube ich mir, an meine
früheren Mitteilungen über die Allophoren (Porphyrophoren) von
Phelsuma zu erinnern; auch diesen Zellen kommt eine Astro-
Die Chromatophoren der Reptilienhaut. 172
sphäre zu, in der gelegentlich ein Zentriol zu erkennen ist.
Fehlt die grosse protoplasmatische Sphäre, wie bei Phelsuma
lineatum, so ist auch hier nur ein grosses Zentriol sichtbar
(vgl. W. J. Schmidt 1912a, S. 186.f).
Was die Allophoren von Uroplatus besonders interessant
macht, ist das Verhalten ihrer Granula zum Sphären-
apparate. So auffallende Unterschiede in der Verteilung der
Granula wie bei den Melanophoren habe ich hier nie gesehen:
aber auch unter den Allophoren findet man solche, deren Granula
sich mehr zentral befinden (Fig. 21, Taf. VI), und andere, bei
denen der mittlere Teil der Zelle frei von Pigmentkörnchen ist,
während die Granula in der Peripherie gelagert sind (Fig. 17
und 18, Taf. VI). Daraus kann man wohl schliessen, nach Analogie
mit den Melanophoren, dass auch den Allophoren eine intrazel-
luläre Körnchenbewegung zukommt. Zweierlei Tatsachen
springen bei der Beobachtung einer grösseren Anzahl dieser Zellen
in die Augen. Zunächst erscheinen nämlich die Granula öfter
mehr oder minder deutlich in Reihen gestellt, die von der
Sphäre nach allen Seiten hin radıär verlaufen (Fig. 15, 19, 20,
Taf. VI), also mit den Fäden der Protoplasmastrahlung hinsichtlich
der Richtung übereinfallen. Ferner besteht bei der Verteilung
kleiner und grosser Granula, wenn sie in ein und derselben Zelle
nebeneinander vorkommen, in bezug auf die Sphäre eine Gesetz-
mässigkeit derart, dass die kleinsten Körnchen der Sphäre
zunächst liegen, die grösseren sich in weiterem Ab-
stand von ihr halten. Besonders deutlich geht dieses Ver-
halten aus Fig. 21, Taf. VI hervor, die eine schrittweise Zunahme
der Körnchengrösse mit der Entfernung von der Sphäre ohne
weiteres zu erkennen gestattet. Als ein Spezialfall dieser Gesetz-
mässigkeit ist auch wohl die oben erwähnte Eigentümlichkeit zu
betrachten, dass grössere Körnchen nie in die Sphäre
eindringen. Auch findet man in Zellen, die nur grössere Körnchen
besitzen, diese niemals dicht um die Sphäre geschart, sondern immer
in der Peripherie der Zelle verteilt (Fig. 16—18, Taf. VI). Sind
in einer Zelle verschieden grosse Granula enthalten und ist gleich-
zeitig die Reihenanordnung deutlich, so lässt sich verfolgen, dass
jede Reihe im der Nähe der Sphäre mit kleinen Granula beginnt
und allmählich mit der Entfernung von der Sphäre die Grösse der
Pigmentkörner innerhalb der Reihen zunimmt (Fig. 20, Taf. VD).
172 W. J. Schmidt:
Allerdings wird die Gesetzmässigkeit hinsichtlich der Verteilung der
verschieden grossen Granula in ein und derselben Zelle bisweilen
etwas durchbrochen, indem in der Peripherie der Zelle zwischen
sehr grossen auch kleinere Körnchen vorkommen: aber wie aus-
geprägt sie im allgemeinen herrscht, geht daraus hervor, dass
sie schon am Totalpräparat auffällt, wenn man auf den Sphären-
bezirk einstellt. Die Tatsache einer gesetzmässigen Verteilung
der verschieden grossen (sranula war mir auch bei meinen früheren
Beobachtungen nicht entgangen, und unter dem Hinweis auf das
gleiche Verhalten der Dotterkörnchen im Ei in bezug auf die Pole
der Furchungsspindel habe ich ihren Wert für die Erklärung der
intrazellulären Körnchenströmung in den Chromatophoren mit den
Worten hervorgehoben, „dass hier wie dort die Kräfte, welche die
Stellung der Körnchen hervorrufen, die gleichen sind“. Schliesslich
ist noch bemerkenswert, dass die Jlänglich geformten Pig-
mentkörnchen durchweg mit ihrer grösseren Achse radiär
eingestellt sind (vgl. Fig.20, Taf. VI). Wir werden die hier geschilderten
Verhältnisse im Schlusskapitel bei den Erklärungsversuchen der intra-
zellulären Pigmentbewegung im einzelnen zu verwerten suchen.
Das Zytoplasma der Allophoren von Uroplatus scheint
nicht von dieser überaus lockeren, im Leben wahrscheinlich flüssigen
Konsistenz zu sein, wie wir es für den Zelleib der Melanophoren
abgesehen von der Sphäre und ihrer Umgebung aus dem mikro-
skopischen Bild erschliessen zu glauben müssen. Vielmehr kann man
bis zum Rand der Zellen das Protoplasma als eine zartgefärbte
Masse verfolgen, die stellenweise durch Schrumpfung sich etwas
von der grösseren Granula abgehoben hat. Hinsichtlich der
äusseren Abgrenzung der Zellen liegt eine ähnliche Schwierigkeit
vor, wie bei den Melanophoren: Die Zellen erscheinen nach aussen
hin durch eine membranartige Verdichtung ihres Plasmas abge-
schlossen, die besonders dann deutlich und einwandfrei zu sehen ist,
wenn die Allophoren sich durch Schrumpfung etwas von dem normaler-
weise sie eng umhüllenden Bindegewebe abgehoben haben. Ob diese
Grenzzone in dieser Weise auch im Leben besteht, muss ich dahin-
gestellt sein lassen.
IV. Die Lipophoren.
a) Historisches.
Brücke (1851) waren die Lipophoren unbekannt; doch entging ihm
ihr Anteil an der Färbung nicht, da er von Lacerta viridis bemerkt
n
we
Die Chromatophoren der Reptilienhaut. ]
(S. 41 — [199]): „Die Epidermis selbst ist mit weingelber Farbe durch-
scheinend und verwandelt somit das Blau oder Blaugrün in die schöne gras-
grüne Farbe, mit welcher das Tier geziert ist“. Wie auch Keller (189.
S. 165) meint, ist diese Beobachtung auf die Gegenwart der Lipophoren zu
beziehen.
Leydig hat sich über die zellige Natur der Lipophoren nicht bestimmt.
geäussert; jedenfalls war ihm das Lipophorenpigment wohlbekannt; denn 1868
(S. 74) erwähnt er unter den Farbstoffen der Lederhaut bei Lacerta
vivipara ausser den Melanophoren und Guanophoren ein drittes Pigment,
„das orangerote von körnigem und fettigem Aussehen“ und 1872 (S. 214) von
der gleichen Art: „Im Weingeist aufbewahrt, nimmt die Rückenseite unserer
Eidechse gern eine bläuliche Färbung an und das Orangerot des Bauches,
weil aus einer Art Fett bestehend, blasst in Grauweiss ab“.
Als Entdecker der Lipophoren muss demnach Pouchet (1876) gelten,
der sie sowohl bei der grünen Eidechse als auch beim Chamäleon durchaus
kenntlich beschrieben, allerdings nicht abgebildet hat. Wie Blanchard
(1880, S. 11) zur Behauptung kommt, dass Pouchet diese Elemente tab. VI
Fig. 6 dargestellt habe, ist mir nach Durchsicht der Tafeln (I—IV!) und des
Textes bei Pouchet unverständlich. Da die Darstellung Pouchets mehr
bringt als die späteren Angaben über die l,ipophoren, so sei sie im folgenden
ziemlich vollständig wiedergegeben. Pouchet (1876) bezeichnet die Lipo-
phorenals „pigment jaune* oder „chromoblastes jaunes“ und berichtet zunächst
von der grünen Eidechse (S. 59), dass sich unter der dünnen, unmittelbar
aufs Epithel folgenden Bindegewebeschicht („derme“ — kollagene Grenzlamelle)
eine Lage gelben Pigments finde, das offenbar in Zellen eingeschlossen sei,
die aber schwer einzeln zu beobachten seien. Nach Entfernen des Pigments
mittels Alkohol und Äther oder längerer Mazeration mit schwacher Essig-
säure werden alle grünen Hautstellen blau. Pouchet hält es für wenig
wahrscheinlich, dass sich an den Lipophoren der Eidechse Bewegungser-
scheinungen abspielen. Die gelben Chromatophoren des Chamäleons (S. 62)
gleichen nach Pouchet denen der Frösche und ihr Pigment ist wie bei
jenen in einem Gemenge von Alkohol und Äther löslich. In den meisten
Mazerationspräparaten bietet es sich als Tröpfchen dar; indessen hält es
schwer, sich über die Lage der Zellen, die es enthalten, Rechenschaft abzu-
legen. Untersucht man einen mit dem Rasiermesser abgetragenen und mit
Soda aufgehellten grossen Hauttuberkel, so lässt sich aus der Verteilung der
gelben Pigmentgranula, die grösser sind als 2,5 „, erkennen, dass die durch
das Reagenz zerstörten Zellen die Unterseite der eben erwähnten Binde-
gewebslage („derme“) einnehmen. Die Menge der gelben Chromatophoren
wechselt nach den Individuen und Hautstellen. Ihr gegenseitiger Abstand
entspricht etwa dem eigenen Durchmesser. Bisweilen macht die Verteilung
der Granula die Stelle des Kernes kenntlich. Bei der Schwierigkeit, die
Chromatophoren lebend zu beobachten, lässt sich über ihre etwaigen Be-
wegungserscheinungen nichts sicher feststellen, doch glaubt Pouchet ihnen
solche Fähigkeiten zuschreiben zu müssen, da Bert beobachtete, dass derselbe
Tuberkel aus reinem Gelb in mattes Weiss übergehen kann. — Fuchs
(1914, S. 1585) ist eine Verwechslung begegnet, wenn er nach Pouchet
174 W.J. Schmidt:
berichtet, die Lipophoren (Xanthophoren) seien nach Aufhellung des Gewebes
mit Kreosot schlecht zu erkennen, träten aber nach Einwirkung von Alkali
auf vorher mit Säuren behandelten Hautstücken deutlich als rötlichgelbe
Zellen mit nach der Epidermis gerichteten Fortsätzen hervor. Die diesbe-
zügliche Angabe Pouchets (1876, S. 65) betrifft vielmehr Allophoren, die
Erythrophoren Kellers (189), die Pouchet (8. 64) im Gegensatz zu
den Melanophoren als kleine Chromoblasten aufführt, die näher als die
Melanophoren der Oberfläche gelegen und mit einem in roten Tönen gefärbten
Pigment beladen seien. Um diese zu erkennen, ist in der Tat eine Be-
handlung der Haut mit Säuren oder Alkalien vorteilhaft, da der Inhalt der
Guanophoren dadurch gelöst wird und die Haut an Durchsichtigkeit gewinnt:
die sehr empfindlichen Lipophoren aber lassen sich so kaum darstellen.
Ob sich die Angabe von Braun (1877, S. 19), dass bei der jungen
Lacerta Lilfordi über dem schwarzen ein gelbes Pigment in stern-
förmigen Zellen abgelagert sei, auf Lipophoren bezieht, wie Fuchs (1914,
S. 1585) annimmt, lässt sich schwer mit Gewissheit sagen. Mir scheint es
vielmehr, dass es sich hier um Guanophoren handelt, die häufig in durch-
fallendem Licht gelb erscheinen, und das um so mehr, als Braun (S. 18)
bei dererwachsenen LacertaLilfordinur ein Pigment, die Melanophoren,
kennt, es aber kaum zweifelhaft ist, dass allen Lacertiden, sofern sie grüne
Farben besitzen, Guanophoren zukommen. Für diese Auffassung spricht auch,
dass Braun (S. 19) irrtümlich annimmt, dass Blau durch das Fehlen von
braunem Pigment in der Hornschicht bei Gegenwart von Melanophoren in
der Kutis zustande komme, während doch Blau durch eine Guanophoren-
schicht auf schwarzem Hintergrund entsteht. Allerdings nähert sich Braun
wieder der richtigen Auffassung dadurch, dass er das gelbe Pigment beim
jungen Tier für die Entstehung von Grün verantwortlich macht. Auch aus
der Angabe von Braun (S. 19), das gelbe Pigment fehle dem ausgewachsenen
Tier bis auf ganz wenige Stellen, lässt sich nichts Gewisses über seine
Guanin- oder Lipochromnatur sagen. Dass aber Lipophoren bei Lacerta
Lilfordi vorkommen können, soll durch diese Ausführungen keineswegs
bestritten werden, erscheint vielmehr für die Erklärung der bei ihr vor-
handenen Farbe Grün gefordert.
Blanchard (1880, S. 12) bemerkt ausdrücklich, dass bei Lacerta
ocellata die von Pouchet (s. o.) bei der grünen Eidechse und beim
Chamäleon beobachtete Schicht gelben Pigments nicht vorkomme; das dürfte
wenigstens für die in der Mitte grüngelben Augenflecken der Rückenseite
kaum wahrscheinlich sein.
Keller (189, S. 147—148) schildert die Lipophoren vom Chamäleon
als einfache, aber nicht zusammenhängende Schicht kugeliger Zellen mit
schönem grossen Kern, dicht unter der Epidermis, oberhalb der (äusseren)
Guanophorenlage (Ochrophoren), als solche sind sie auch insbesondere in
Fig. 2, tab. IV kenntlich. Da Keller nur Alkoholmaterial untersuchte, kann
er über den Inhalt dieser Elemente keine Angaben machen, schliesst sich
indessen hierin wie auch in der Annahme ihrer Kontraktilität Pouchet
an und nennt sie wegen ihres vermuteten Inhalts von fettähnlichen Tröpfchen
und gelben Körnern „XKantophoren“ (später im Text immer richtiger
Die Chromatophoren der Reptilienhaut. 175
Xanthophoren).. Auch bei Galotes jubatus (S. 165) fand Keller
zwischen Epidermis und Guanophoren (Ochrophoren-)schicht, eine entsprechende
zusammenhängende Zellenlage, die, im Alkoholmaterial farblos, nach Analogie
mit den durchaus ähnlich gestalteten Verhältnissen bei Lacerten, als Xantho-
phoren angesprochen werden. Bei Lacerta viridis sah Keller die
Xanthophoren (S. 165) als körnige Zellen in einfacher Lage von sehr ver-
schiedener Breite dicht unter der Epidermis, deren hellgelber, anscheinend
diffuser Farbstoff manchmal, wohl durch das Untersuchungsmedium veran-
lasst, die Zellen in Tröpfchenform verlässt. Doch gelang Keller eine feinere
histologische Untersuchung der Xanthophoren auf ihren Inhalt nicht, weil
mit dem Einbettungsverfahren das gelbe Pigment verloren geht.
Später hat W.J. Schmidt (1912, S. 218) in den Rückenhöckern von
Phelsumaarten (vgl. Textfig. 2c, S. 117) eine schmale Zone zwischen der
kollagenen Grenzlamelle und dem Oberrand der Guanophorenschicht festge-
stellt, in der abgeplattete Kerne sichtbar waren. Da diese Schicht ihrer
Lage nach ganz den von Keller (1895) beschriebenen Xanthophoren ent-
spricht, wurde sie in diesem Sinne gedeutet, womit auch die intensiv grüne
Färbung der betreffenden Phelsumaarten im Leben im Einklang steht. Ferner
habe ich bei Anguis (W.J.Schmidt 1914, S. 6) Lipophoren mit ziegel-
rotem Pigment beschrieben.
Die bisherigen Angaben über Lipophoren beziehen sich nur auf Saurier
und Öhamäleons; sie sind in diesen Gruppen zweifellos noch weiter ver-
breitet, da für verschiedene Formen bekannt ist, dass ihre orange und rote
Färbung in Alkohol sich verliert (vgl. Fuchs 1914, S. 1586). Auch den
Schlangen dürften Lipochrome keineswegs fehlen; bei den prächtig zinnober-
rot gefärbten Elaps corallinus erblassen die roten Ringe sehr bald,
wenn man die Haut abzieht (Kontraktion der Lipophoren oder Expansion
der Melanophoren ? Sch.), und wirft man sie in Weingeist, so schwindet das
Rot, wenn es dem Licht ausgesetzt wird, auch mehr oder weniger, nach
einigen Jahren aber vollständig. Die Farbstoffe scheinen durch den Wein-
geist aufgelöst und ausgezogen zu werden; denn dieser nimmt von ihnen
eine blassrötliche Färbung an (Werner 1913, S. 423). Dass Lipochrome
auch bei Schildkröten vorkommen, ist bei dem Ablassen der im Leben
schön grün und rot gefärbten Formen in Alkohol (Material der Museen) sehr
wahrscheinlich, und ich möchte hier die Aufmerksamkeit auf folgende Beob-
achtungen von L. Agassiz lenken, vor allem, weil es sich um Formen
handelt, die jetzt auch lebend nach Europa kommen und deren Untersuchung
sicher wertvolle Ergebnisse liefern würde.
Nach Agassiz (1857, S. 261) finden sich die prächtigen Farben der
Schildkröten hauptsächlich in der Malpighischen Schicht der Epi-
dermis eingeschlossen, die er geradezu als Erzeuger des Pigments bezeichnet,
und zwar kommt das Pigment zwischen und unter („between and beneath‘“)
ihren Zellen in zweierlei Form vor, als schwarze oder schwarzbraune Pigment-
zellen mit bräunlichen Pigmentgranula im Zelleib und ferner als gefärbte;
ölige Flüssigkeit, die meist das ganze Stratum Malpighii durchtränkt
und nicht in regelrechten („regular“) Zellen, sondern in Lakunen oder in
kontinuierlicher Lage auftritt. In dieser zweiten Form erscheinen die ver-
176 W.J. Schmidt:
schiedensten Farben wie Gelb, Rot, Braun und gewisse schwarze Farbentöne.
Das sehr verschiedene Farbenspiel beruht auf der Kombination dieser freien,
flüssigen Farben durch ihr Ubereinanderlagern und ihre Trennung durch
Zellen der Malpighischen Schicht. Gewöhnlich ‘finden sich neben dieser
Flüssigkeit die erst genannten schwarzen Pigmentzellen, deren mehr oder
weniger strahlige, plumpe oder schlanke Form auch noch verschiedenartigen
Eindruck hervorbringt. Unter dem Mikroskop betrachtet, erscheint die freie
flüssige Farbe gelblich, wenn ihr Effekt gelb, rötlich, wenn die Wirkung rot
ist. Setzt man Wasser zu der vom lebenden Tier genommenen Flüssigkeit,
so bildet sie grössere oder kleinere Tropfen, deren Ölcharakter durch den
eigenartigen schwärzlichen Rand augenscheinlich wird. Agassiz empfiehlt
zum Studium dieser Farben bei Schildkröten die roten und gelben Ringe auf
den Marginalplatten von Chrysemys picta und Ch. marginata. Die
schöne blaugrüne Färbung des Rückenschildes der letzten Art kommt durch
ein Netzwerk von schwarzem Pigment zustande, das über einer homogenen
Lage von gelbem Ölyliegt.
Wohl unzweifelhaft geht aus Agassiz’ Bericht hervor, dass die
flüssigen Farben Lipochrome sind; sehr erstaunlich und einer Nachprüfung
dringend bedürftig ist seine Angabe von der intraepithelialen und extrazellu-
lären Lage des Pigmentes, ferner der Umstand, dass diese Flüssigkeit nicht
nur gelbe und rote, sondern auch schwärzliche Farben zeigt. —
Über die chemische Natur des gelben Pigments der Lacer-
tiden, dessen Alkohol- und Ätherlöslichkeit schon Leydig und Pouchet
(s. 0.) bekannt war, verdanken wir Krukenberg (1882, S. 50f.) einige Mit-
teilungen. Der Farbstoff, den er Lacertofulvin nennt und bei Lacerta
muralis, L.agilis und einer sehr grossen, nicht näher bestimmten blau-
kehligen Spezies untersuchte, findet sich sowohl in grünen als gelben Haut-
stellen und lässt sich durch Schütteln mit kaltem Alkohol so leicht der Haut
entziehen, dass man nach wenigen Minuten eine Farbstofflösung erhält, an
der sich eine spektroskopische Prüfung erfolgreich ausführen lässt; Erwärmen
beschleunigt das Ausziehen nicht, doch sind nach Vorbehandlung der Haut
mit Alkohol Chloroform oder Äther mit Vorteil als Extraktionsmittel an-
wendbar. Beim spektroskopischen Vergleich einer alkoholischen Lacerto-
fulvinlösung mit einer alkoholischen Lösung des Lipochrins, des gelben
Pigments der Amphibien, erschienen die Absorptionsbänder der ersten Flüssig-
keit um etwa 5 Teilstriche der benutzten Skala dem violetten Ende des
Spektrums mehr genähert als die der Lipochrinlösung. Befanden sich die Farb-
stoffe in Chloroform gelöst, so glich der Unterschied sich etwas aus und
unmerklich wurde er, wenn Schwefelkohlenstoff die Farbstoffe in Lösung
enthielt. Trotz dieser letzten Übereinstimmung, und obwohl Krukenberg
auf die Möglichkeit hinweist, die genannten Abweichungen der Spektren auf
die Gegenwart eines Körpers zurückzuführen, mit dem der Farbstoff verbunden
ist und verbunden bleibt, wenn er in Alkohol, nicht aber, wenn er in Schwetel-
kohlenstoff gelöst ist, glaubt er doch, dass Lacertofulvin von Lipochrin ver-
schieden sei, auch weil das Lipochrin aus der Froschhaut durch warmen
Alkohol rascher als durch kalten ausgezogen wird, was für das Lacertofulvin
nicht zutrift. Da nach Krukenbergs Angaben das Lacertofulvin (für
—1
Die Chromatophoren der Reptilienhaut. 47
diese Versuche aus der Haut der grossen Eidechsenart mit blauer Kehle
dargestellt) mit Jodjodkaliumlösung sich grünblau und mit Schwefel-
und Salpetersäure blaugrün bis dunkelblau färbt, also sich
ebenso verhält wie das Lipochrin, auch in dem Grade der Licht-
empfindlichkeit eine alkoholische Lacertofulvinlösung der des Lipochrins
gleicht, so findet Fuchs (1914, S. 1600) keinen Grund, das Lacertofulvin
als besonderen chemischen Farbstoff von den Amphibienlipochrinen zu trennen,
zumal auch bei diesen die Spektra nicht vollständig übereinstimmen, eine
Anschauung, der man wohl unbedenklich beitreten kann. Nach Fuchs
handelt es sich bei all diesen Farbstoffen um verschiedene, nahe verwandte
Luteine oder um eine Mischung derselben.
In der Haut der Schlangen soll nach Krukenberg (1886, S. 149)
Lipochrom nur in Spuren vorkommen; doch gewann er (1882, 5.50) durch
längeres Digerieren oder Auskochen zerschnittener Hautstücke von Tropi-
donotus natrix, Elaphis quadrilineatus Bonaparte, Callopeltis
quadrilineatus Pallas und einer brasilianischen Pythonart mit Alkohol
gelbe Farbstofflösungen, die sich durch eigentümlich grüne Fluoreszenz aus-
zeichneten, beim Verdampfen zur Trockene einen gelben fettartigen Farb-
körper zurückliessen, der sich auch in Äther und Chloroform mit gelber Farbe
und ausgesprochen grüner Fluoreszenz löste. Leichter als mit Chloroform
gelang die Lösung des Pigmentes mit Schwefelkohlenstoff, dem es eine dunkel-
gelbe, grün fluoreszierende Färbung erteilte. Da sämtliche selben Pigmente
aus den Schlangenhäuten in Alkohol, Äther, Chloroform oder Schwefelkohlen-
stoff gelöst, bei spektroskopischer Untersuchung frei von deutlichen Absorptions-
bändern erschienen und der Farbstoff mit konzentrierter Schwefelsäure nicht
blau oder grün, sondern stets bräunlich wurde, durch Wasserstoffsuperoxyd
nicht zu bleichen war, mit Salpetersäure einen gelbgrünen Farbenton an-
nahm, kann es sich nicht um Lipochrin handeln. Über die histologische
Lokalisation dieses gelben Schlangenfarbstoffes ist nichts bekannt. Kruken-
berg (1882, S. 52) konnte den gleichen Farbstoff in den Muskeln und im
Bindegewebe von abgehäuteten und ausgeweideten Nattern (Tropidonotus
natrix und Elaphis quadrilineatus) nachweisen und schliesst daraus,
dass das gelbe Pigment in der Haut nichts anderes ist, als der Fettfarbstoff,
welcher in den verschiedenartigsten Organen des Schlangenleibes in mehr
oder weniger grosser Menge angetroffen wird. Damit ist, wie Fuchs
(1914, S. 1601) bemerkt, keine chemische Definition des Farbstoffes gegeben.
b) Untersuchungsmethode am überlebenden Objekt.
Aus der Literaturübersicht dürfte wohl zur Genüge hervor-
gegangen sein, dass es für eine genauere Untersuchung der
Lipophoren zunächst darauf ankommt, ein Objekt ausfindig zu
machen, das möglichst ohne schädigende Einwirkung der Präparation
und ohne Anwendung von Reagentien die Beobachtung unter
starken Vergrösserungen gestattet. Ein solches ist der frei vor-
stehende Hinterrand der dachziegelig sich deckenden
Archiv f. mikr. Anat. Bd.90. Abt.I. 12
178 Ne] Stehhimmiditz:
7
Bauchschilder unserer einheimischen Lacertiden Lacerta
muralis, L. agıilıs, I. vıvipara. Er besteht ausw
dünnen und durchsichtigen. oberflächlich verhornten Epithel-
blättern, einem oberen (äusseren) und unteren, die in der freien
Kante ineinander übergehen und eine sehr dünne Bindegewebslage
umschliessen, die ausser Blutgefässen und Nerven die Uhromato-
phoren enthält. Die Gunst dieses Objektes gerade für die Unter-
suchung der Lipophoren wird noch dadurch erhöht, dass die
Melanophoren, welche bei dichter Lagerung die Durchsichtigkeit
herabsetzen oder gar aufheben, nach der freien Kante hin immer
spärlicher werden und schliesslich ganz verschwinden, so dass zu
äusserst eine schmale Zone besteht, die nur von Guanophoren
und Lipophoren erfüllt ist. Biegt man das lebende Tier so, dass
die Bauchseite konvex vorgewölbt ist, so lässt sich mit einer
feinen gekrümmten Schere der 0,5—1 mm breite freie Hinterrand
der Bauchschilder leicht abschneiden, eine Operation, die man
ohne Schädigung des Tieres an zahlreichen Schuppen vornehmen
kann. Bringt man ihn dann in einem Tropfen physiologischer
Kochsalzlösung auf den Objektträger und zwar so, dass die obere
Epithellamelle dem Deckglas zugekehrt ist, die Lipophoren also
unmittelbar unter der Epidermis, nicht verdeckt von den Guano-
phoren, der Untersuchung zugänglich sind (vgl. S. 151), und
umzieht man das Deckglas mit einem Paraffinrahmen, so gewinnt
man Präparate, die sich bequem mit Immersionssystemen unter-
suchen lassen und bis zu mehreren Stunden keine Ver-
änderungen zeigen. Die schädigende Wirkung, die selbst der
physiologischen Kochsalzlösung auf die überlebenden Gewebe
zukommt, macht sich sehr langsam geltend, nicht nur weil der
Paraffinrahmen ihre Verdunstung und damit Konzentrations-
erhöhung verhütet, sondern auch, weil das Objekt, grösstenteils
von Hornlamellen umschlossen, nur an der schmalen Schnittstelle
der Lösung Zutritt zum lebenden Gewebe gestattet und somit
an die zur Untersuchung günstigste Stelle, die oben erwähnte
schmale Aussenzone, erst zuletzt gelangt. Demnach leisten derartige
Präparate die sichere Gewähr, dass bei nicht zu lange ausgedehnter
Beobachtungszeit — alle Abbildungen nach dem überlebenden
Objekt wurden unmittelbar nach seiner Zurichtung in Angrift
genommen — die im Leben vorhandenen Verhältnisse zur An-
schauung kommen. Die höckerartigen Rückenschuppen unserer Ei-
Die Chromatophoren der Reptilienhaut. 179
dechsen sind für feinere Untersuchung der Lipophoren unbrauchbar.
Trägt man einzelne derselben mit einem Scherchen ab und beobachtet
sie, wie oben angegeben, in Kochsalzlösung, so lässt sich immerhin
die (regenwart der Lipophoren, vor allem am Rand der Haut-
stückchen, feststellen: indessen sind die Höcker durch den Gehalt
an Melanophoren zu undurchsichtig, um Einzelheiten erkennen zu
lassen. — Über die Untersuchung der Lipophoren an osmierten
Schnittpräparaten werde ich später berichten (s. S. 184).
c) Vorkommen und Verbreitung bei den Lacertiden.
Zunächst seien einige Angaben über das Vorkommen
der Lipophoren bei den drei von mir untersuchten Eidechsen-
arten gegeben. Am wenigsten geeignet für ihre Untersuchung am
lebenden Objekt fand ich Lacerta muralis. Bei einigen Tieren,
deren Bauchschuppen ich prüfte, zeigten sich nur spärliche Lipo-
phoren in der schmalen Randzone; auch mehr zur Schuppenwurzel
hin bilden sie keine auch nur einigermassen geschlossene Lage.
Reichlich dagegen sind Lipophoren in den grünen Teilen der
Rückenhaut vorhanden und erscheinen dicht gelagert, als gut
wahrnehmbare Schicht unmittelbar unter der (kollagenen Grenz-
lamelle) der Epidermis; Einzelheiten lassen sich aber hier am
Totalpräparat nur schwer feststellen. Dagegen erwies sich dieses
Objekt für die Untersuchung an Schnitten bei weitem brauchbarer.
Eine besondere Prüfung der vor allem beim Männchen gut ent-
wickelten blauen Flecken an den Körperseiten ergab, wie voraus-
zusehen, äusserst spärliches Vorkommen oder vollkommenes Fehlen
der Lipophoren: beruht doch die blaue Farbe auf der alleinigen
Wirkung von Guanophoren über dem dunklen Hintergrund der
Melanophoren. Zu diesem Befund bei Lacerta muralis ist
allerdings zu bemerken, dass die vom Händler bezogenen Tiere
wahrscheinlich schon einige Zeit in Gefangenschaft gehalten und
nicht im besten Ernährungszustand waren, der auf die Entwicklung
des Farbenkleides wohl von Einfluss ist. Denn, wenn Leydig
(1572, 5.226) bemerkt, dass der Bauch beim Männchen häufig
sattere Färbungen zeigt, vom Zitronengelben ins Rotgelbe, so
kann das doch wohl nur auf reichlicheres Vorkommen von Lipo-
phoren zurückgeführt werden.
Viel günstiger für die Betrachtung der Lipophoren am
Totalpräparat sind Lacerta agilis und L. vivipara. Von
12*
180 W.J. Schmidt:
Lacerta agilis untersuchte ich vornehmlich ein kräftiges,
trächtiges Weibchen frisch nach dem Fang; sein Bauch besass
intensive Schwefelfarbe; das Integument erwies sich überreich an
Lipophoren. Auch der Rückenseite des Weibcehens und junger
Tiere fehlten die Lipophoren nicht; doch sind sie hier viel spär-
licher, entsprechend dem graubraunen Kolorit. Beim Männchen,
das ich leider nicht untersuchen konnte, dürften sie der Färbung
des Rückens gemäss dort reichlicher sein. Am meisten studierte ich
die Lipophoren bei Lacerta vivipara. Auch hier bot vor
allem ein Weibchen das Material dar, dessen Bauchseite safran-
gelb erschien. Gegenüber Lacerta agilis bietet L. vivipara
den Vorteil, dass die unten zu schildernden Lacertofulvinkristalle
in ihren Zellen viel häufiger auftreten und daher bequemer zu
untersuchen sind. Aus diesem Grunde beziehen sich alle Ab-
bildungen mit einer einzigen Ausnahme auf letztgenannte Form.
Indessen betone ich schon hier, dass ein wesentlicher Unterschied
zwischen den Lipophoren von Lacerta agilis, L.vivipara und
auch wohl L. muralis nicht besteht: obwohl es mir nicht
gelungen ist, bei der Mauereidechse Lacertofulvinkristalle in den
Lipophoren aufzufinden, glaube ich doch, dass sie hier ebenfalls
vorkommen und bei günstigerem Material sich bemerkbar machen
werden. Schliesslich sei noch erwähnt, dass ich bei Lacerta
vıvipara Lipophoren in der Rückenhaut nicht gesehen habe.
Zusammenfassend lässt sich daher über die Verbreitung der
Lipophoren bei den drei hier untersuchten Lacertiden sagen, dass
sie sowohl in der Rücken- wie in der Bauchhaut vorkommen
(ausgenommen bei Lacerta vivipara die Rückenhaut), dass
sie aber im allgemeinen in der Bauchhaut stärkere Entwicklung
erreichen. Wo gelbe, safrangelbe oder grüne Färbung vorhanden
ist, da sind auch Lipophoren zu erwarten.
d) Bau der Lipophoren.
Untersucht man im überlebenden Zustand den freien
Hinterrand der Bauchschuppen von Lacerta vivipara oder
agılis in der vorhin (S. 178) angegebenen Weise, so bietet sich
unter dem Mikroskop ein überraschend farbenprächtiges Bild dar
(Fig. 51, Taf. VII): Gruppen braunschwarzer Melanophoren und
bläulich oder grünlich schimmernde Guanophoren heben sich von
einem satt gelb gefärbten Untergrund ab; hier und da sind in
Die Chromatophoren der Reptilienhaut. 181
ihm Ansammlungen kleiner rötlicher (Gebilde kenntlich, welche
die Mannigfaltigkeit der Farben noch steigern. Der gelbe Unter-
erund besteht aus einer Anhäufung von Lipophoren. Bei
schwächeren Vergrösserungen lässt er nicht viel Einzelheiten unter-
scheiden. Man beobachtet nur, dass er sich nach dem freien
Schuppenrand hin allmählich auflichtet und hier in eine Menge
unregelmässig verästelter, schwer voneinander abgrenzbarer
Massen zerfällt.
Auch bei stärkeren Vergrösserungen hält esan den intensiv
gelb gefärbten Stellen schwer, die einzelnen Lipophoren
auseinander zu halten: man gewahrt vielmehr (Fig. 32, Taf. VI
sehr verschieden geformte, grössere und kleinere Brocken einer
gelben körnigen Masse, die bei Veränderung der Einstellung hier
und da Zusammenhänge erkennen lassen, ohne dass es gelingt,
eine einzelne Zelle sicher von den benachbarten zu trennen. Leicht
aber vergewissert man sich an solchen Stellen, dass die Lipophoren
unmittelbar unter der Epidermis und über den Guanophoren
gelegen sind. In Fig. 32, Taf. VII ist ein kleiner Bezirk dicht
beieinander liegender Lipophoren wiedergegeben, wie er bei hoher
Einstellung erscheint. Von den unter ihm befindlichen Guanophoren
ist nur eine einzige dargestellt (rechts unten) bei tieferer Ein-
stellung; die über ihr lagernden Lipophoren sind grösstenteils
nicht abgebildet. Vergleicht man die Farbe von Guanophoren.
die nicht von Lipopkoren bedeckt werden, mit solchen, die eine
Lipophorenschicht über sich haben, so überzeugt man sich,
dass die bei schwächeren Vergrösserungen intensiv grün er-
scheinenden Guanophoren ihren Farbenton der Überschichtung
mit Lipophoren verdanken. Das Gesamtbild ist bei Lacerta
vivipara und L. agilis ziemlich gleichartig; nur erscheinen
die gelben Massen bei der erstgenannten Art mehr in orange-
farbigem Ton, auch sind bei ihr die Gruppen roter Körperchen
häufiger.
Um die Lipophoren einzeln zu erkennen, muss man sich
möglichst in der Nähe des freien Schuppenrandes halten: hier
schwinden die Melanophoren. während Guanophoren und Lipophoren,
vielfach ohne sich zu überdecken, immer spärlicher werden und
schliesslich vereinzelt auftreten. An solchen Stellen bieten sich
die Lipophoren als platte, verästelte Zellen von sehr ver-
schiedener Form und etwas wechselnder Grösse dar (Fig. 33— 55,
182 W.J. Schmidt:
auch 35—39, Taf. VII). Im allgemeinen ist der eigentliche Zelleib
gegenüber der (resamtheit der Ausläufer klein. Die Fortsätze gehen
meist nach allen Richtungen vom Zellkörper aus, sind mässig, aber
regellos verästelt und durch wechselnde Krümmung und Breite
ausgezeichnet. Öfter kann man feststellen, dass die Ausläufer
überwiegend nach bestimmten Richtungen ziehen (Fig. 37, Taf. VII),
dabei auch wohl nur einseitig (Fig. 33, Taf. VII) ausgebildet sind,
Eigentümlichkeiten, die sich aus einer Anpassung der Zelltorm
ans umhüllende Bindegewebe ergeben. Diese Erklärung dürfte
gleichfalls für den unvermittelten Wechsel der Breite der Aus-
läufer gelten, die starke Einschnürungen (Fig. 35, 39, Taf. VII),
oft auch kolbig angeschwollene Enden zeigen (Fig. 33, Taf. VID.
Nur selten sind die Ausläufer kurz und lappig, sodass sie gegenüber
dem alsdann massigeren, zentralen Zellteil zurücktreten (Fig. 36,
Taf. VID). Während bei den in der Nähe des freien Schuppen-
randes gelegenen Zellen die Ausläufer annähernd in derselben
Ebene liegen und nur selten übereinander hinwegverlaufen (Fig. 33,
Taf. VII), verhält es sich dort, wo die Lipophoren eine mehr
geschlossene Schicht bilden, wohl anders. Dass hier die einzelnen
Elemente so schwer auseinander zu halten sind, liegt daran, dass
sie nicht so platt sind, sondern sich mehr in die Tiefe der Hant
erstrecken und dabei ihre Fortsätze durcheinander schieben. Doch
geht aus Schnitten hervor (siehe unten), dass selbst an solchen Stellen
die Guanophoren immer nur eine im Vergleich zu den übrigen
Uhromatophorenschichten sehr dünne Lage bilden.
Dass die geschilderten, verästelten Elemente wirklich Zellen
sind, zeigt der von ihnen umschlossene Kern, der im zentralen
Zellteil gelegen, ziemlich gross und meist in der Aufsicht von
ovalem Umriss ist. Manchmal ist seine Anwesenheit schon an einer
entsprechend geformten Auflichtung des gleich zu besprechenden
körnigen Zellinhaltes zu erkennen (Fig. 33, 55, 35, 40, Taf. VII):
doch lässt er sich am überlebenden Material auch leicht mit
Methylenblau oder Methylgrün nachweisen und genauer am Schnitt-
präparat untersuchen (siehe unten). Irgend welche Andeutungen im
Bau der Lipophoren, die auf Vorhandensein von Sphäre oder
Zentriol in diesen Zellen einen Schluss erlaubten, konnte ich nicht
feststellen.
Das Plasma der Lipophoren ist äusserst schwer zu erkennen;
meist nimmt man eigentlich gar nichts davon wahr, und die Aus-
Die Chromatophoren der Reptilienhaut. 183
dehnung der Zellen gibt sich nur durch ihre charakteristisch
geformten und gefärbten Einschlüsse zu erkennen, denen wir
nunmehr unsere Aufmerksamkeit zuwenden. Alle Lipophoren
enthalten in ihrem Zytoplasma kugelige Tröpfehen einer
fettartigen Substanz. Dass diese Einschlüsse flüssig sind,
allerdings von der Konsistenz eines dickflüssigen Öls, geht aus
ihrem Verhalten bei Schädigungen der Zelle mit Sicherheit hervor:
bei stärkerem Pressen oder bei Zusatz von Alkohol oder Schwefel-
säure fliessen die kleinen Tröpfehen zu grösseren und schliesslich
zu ansehnlichen Tropfen zusammen. Eine solche Verschmelzung
der Tröpfehen tritt auch ein, wenn man die Präparate längere
Zeit (1 Tag) sich selbst überlässt, und ist dann augenscheinlich
auf eine Veränderung der zwischen den Tropfen betindlichen Masse,
auf das Absterben des Protoplasmas, zurückzuführen. Während die
Bildung der grösseren Tröpfchen beim Absterben anfangs im Zell-
leib selbst erfolgt, treten sie später aus den Zellen aus, und aus
dem Verhalten solcher grösserer Tropfen muss geschlossen werden,
dass die Flüssigkeit, aus der sie bestehen, ziemlich zäh ist: denn
Formveränderungen, die den kugeligen Tropfen durch Druck
aufgezwungen werden, gehen ziemlich langsam zur Kugelgestalt
zurück. Trotzdem aber die Flüssigkeitsnatur der beschriebenen
Einschlüsse über allem Zweifel steht, glaube ich sie mit demselben
Recht als Granula bezeichnen zu dürfen, wie die charakte-
ristischen Einschlüsse mancher Drüsenzellen, die kurz vor ihrem
Ausstossen aus der Zelle mehr oder minder flüssigen Charakter
besitzen; daher werde ich im folgenden der Kürze und eines
prägnanten Ausdrucks wegen die Tröpfehen als Lipophoren-
granula bezeichnen.
Die Grösse der Lipophorengranula ist meist sehr
gering und gewöhnlich (Fig. 33 und 34, Taf. VIl) sind die Zellen
mit einer Unmenge ziemlich gleichmässig grosser, winziger Granula
erfüllt. Doch begegnet man nicht selten Lipophoren, die einige
oder auch zahlreiche grössere, bis zu mehreren Mikren messende
Tröpfehen neben den kleineren enthalten (Fig. 35 und 36,
Taf. VII). Die grösseren Lipophorengranula weichen oft merklich
von der Kugelform ab. Da wir bei der leichten Verletzbarkeit
der Zellen durch Druck keine Veranlassung haben, ihrem Plasma
besondere Konsistenz und damit die Bestimmung der Form der
grösseren Granula zuzusprechen, muss auch das als Hinweis auf
154 \W. J. Schmidt:
die Zähflüssigkeit der Tropfen gelten. Es liegt nun nahe, anzu-
nehmen, dass die grösseren Lipophorengranula durch Verschmelzen
mehrerer kleiner entstanden sind; doch besteht hier keineswegs
ein Kunstprodukt, denn die grösseren Granula lassen sich un-
mittelbar nach der Herstellung der Präparate beobachten und
treten zum mindesten in beträchtlicherem Ausmass immer nur
an wenigen Zellen hervor, während in der Mehrzahl der Zellen
nur kleinste Granula vorhanden sind. Es schien mir, als wenn
die grösseren Granula in den isoliert liegenden Zellen häufiger
sind als in den dicht gelagerten, und wenn diese Feststellung
richtig ist, dann findet sie wohl ihre Erklärung darin, dass in
den isoliert liegenden. sehr stark abgeplatteten Zellen bei-
reichlicher Entwicklung der Granula eher Gelegenheit zum Zu-
sammentliessen gegeben ist als in den Zellen, die bei stärkerer
Zunahme der Granula mehr Raum zur Entfaltung haben. Die
Menge der Granula ist gewöhnlich so gross, dass sie in mehr-
facher Schicht dicht übereinander liegen, selbst bei ziemlich
platten Zellen: doch kann man bisweilen auch die Granula deutlich
einzeln unterscheiden, indem sie durch grössere Zwischenräume
getrennt werden (Fig. 34, 36. 39, 40, Taf. VII). Im allgemeinen
erscheinen die Lipophorengranula gleichmässig im Zellenraum
verteilt; jedenfalls fehlen auffallende Anhäufungen an bestimmten
Stellen. Wenn die Mitte der Zelle häufig arm oder gar frei von
Granula bleibt, so ist das auf die (regenwart des Kerns zurück-
zuführen.
Dass die Granula aus einer fettartigen Substanz be-
stehen, geht abgesehen von ihrer Unfähigkeit, sich mit Wasser
zu mischen und ihrer Löslichkeit in fettlösenden Flüssigkeiten
(siehe unten) aus ihrer Lichtbrechung hervor, die stärker ist als die
des umgebenden Plamas: bei hoher Einstellung erscheinen sie
hell, bei tiefer dunkel.
Die Fettnatur der Lipophorengranula veranlasste mich, zu
versuchen, diese Gebilde durch Osmierung auch am Schnitt-
präparat zur Darstellung zu bringen. Zu diesem Zweck be-
handelte ich Hautstückchen der drei Eidachsenarten mit starkem
Flemmingschen Gemisch (Chromosmiumessigsäure) 24 Stunden
lang und stellte nach dem üblichen Auswässern des fixierten
Materials und Einbetten in Paraffın diekere Querschnitte her,
die als ungefärbte Balsampräparate zur Beobachtung kamen,
Die Uhromatophoren der Reptilienhaut. 185
und dünnere, die mit Eisenhämatoxylin und Eosin gefärbt
wurden. Totalpräparate osmierter Bauchschuppenränder sind zu
dunkel, um Einzelheiten erkennen zu lassen: um aber die Lipo-
phoren auch in osmiertem Zustand in Flächenansicht betrachten
zu können, fertigte ich ausserdem einige Flachschnitte von den
in Flemmings Gemisch fixierten Hautstücken an.
Unter schwächeren Vergrösserungen gewahrt man an den
uneefärbten Querschnitten dort in der Haut. wo Lipo-
phoren vorkommen, z. B. in der Bauchhaut von Lacertaagilis,
eine dünne, etwas rauh begrenzte Zone (L, Fig. 51, Taf. VIII):
sie liegt unmittelbar unter dem Epithel und oberhalb der Guano-
phoren, so dass die Schnitte die aus der Flächenansicht gewonnene
Anschauung über die Lage der Lipophoren bestätigen (vel. S. 181).
Bei Lacerta muralis sieht man öfter, wie die Lipophoren-
schicht (L), die sich in der Regel über die ganze Oberseite der
Schuppen erstreckt, aber anscheinend niemals auf ihre Unterseite
übergeht, innerhalb einer Schuppe abbricht und durch Allophoren
(A) fortgesetzt wird (vgl. S. 119, Fig. 47, Taf. VIII). Bei stärkeren
Vergrösserungen (Fig. 52, Taf. VIII) erweist sich die dünne schwarze
Zone (L) unter dem Epithel aus zahlreichen, gruppenweise dicht
gelagerten, grünlich schwarzen Körnchen von verschiedener Grösse
zusammengesetzt, die nichts anderes sind als die Lipophoren-
granula. Denn abgesehen von ihrer Lage und von ihrem Fehlen
in nicht osmierten Präparaten zeigen sie genau denselben Farb-
ton wie der Inhalt grosser subkutaner Fettzellen im gleichen
Schnitt, über dessen Deutung kein Zweifel herrschen kann. Die
(Grösse der Lipophorengranula im osmierten Präparat. ist durch-
schnittlich bedeutender als an den überlebenden Zellen, so dass
die Wahrscheinlichkeit nahe liegt, dass die Fixierung mit Chrom-
osmiumessigsäure ein Zusammenfliessen der Fettröpfehen nicht
ganz zu hindern vermag. An solchen dickeren Schnitten stellt
man ferner gelegentlich fest, dass vereinzelte Körnchenhaufen
auch zwischen den Guanophoren (G) auftreten und somit einzelne
Lipophoren in die Guanophorenlage eindringen müssen.
Hier und dort erscheinen in den Körnchenhaufen rundliche
helle Lücken, die sich gemäss dem Vergleich mit gefärbten
Schnittpräparaten als die Stellen der Kerne ergeben. Besonders
schöne Bilder boten die Schnitte durch die Rückenhaut von
Lacerta muralis, weil die Lipophorenschicht eine bedeutendere
156 W.J. Schmidt:
Dicke erreicht (Fig. 53, Taf. VIII). Dicht umlagert von den Granula
tauchen in den Zellen (L) mächtige, rundliche oder längliche Kerne
auf, die einen zentral gelegenen Nukleolus und ein chromatisches
Gerüstwerk mit membranartiger Begrenzung nach aussen um-
schliessen. Diese Lipophoren lassen aus der Form der Körnchen-
ansammlungen auch am Schnitt die verästelte Beschaftenheit der
Zellen erraten, indem von dem massigeren, den Kern enthaltenden,
tiefer gelagerten Zellteil zur Epidermis hin Ausläufer entspringen
(vgl. S. 182). Bei (der Bauchseite von) Lacerta vivipara
(Fig. 55, Taf. VIII) sind die Lipophoren (L) viel weniger kräftig
ausgebildet und die Granula auffallend klein. Lacerta agilis
(Bauchseite, Fig. 54, Taf. VIII) nimmt eine Mittelstellung ein.
Vom Protoplasma der Lipophoren ist auch an den
Schnitten nichts gewisses zu erkennen; Sphären oder Zen-
triole konnte ich in diesen Zellen nicht auffinden. Manchmal
erscheinen die Lipophoren nach aussen hin durch eine zarte
membranartige Linie abgegrenzt (Fig. 53, Taf. VIII): da aber an
den überlebenden Zellen nichts von einer Membran zu sehen
war, nehme ich an, dass eine durch die Fixierung bedingte \Ver-
dichtung oder Schrumpfung der Zytoplasmaoberfläche vorliegt.
e) Farbstoff.
Die Lipophorengranula sind die Träger des Farbstoffes,
/war erscheinen sie in dünner Schicht ausgebreitet (Fig. 34, 37,
38, Taf. VII), fast oder ganz ungefärbt, sofern sie klein sind. Aber
sobald sie in mehrfacher Schicht übereinander liegen (Fig. 32, 35,
35, Taf. VII) oder grösser werden (Fig. 36, Taf. VII), erkennt man,
dass sie gelb gefärbt sind, und die scheinbare Farblosigkeit bei
vereinzelt liegenden kleinen Granula nur eine Folge ihrer geringen
Masse ist. Das Plasma der Zellen ist farblos; wenn es oft einen
gelben Schimmer besitzt, so wird er durch darüber oder darunter
gelegene, nicht in der Einstellungsebene befindliche. Granula
hervorgerufen. Wäre das Plasma selbst gefärbt, so müsste dort,
wo die Granula spärlich sind, seine Farbe um so deutlicher hervor-
treten; das ist aber keineswegs der Fall, vielmehr steigert sich
die Intensität der Farbe mit der zunehmenden Anhäufung oder
Grösse der Granula.
Bei Lacerta agilis erscheint der Farbenton der Lipo-
phoren, dort wo die Granula in dickerer Schicht übereinander
Die Chromatophoren der Reptilienhaut. 157
liegen, kräftig chromgelb, bei Lacerta vivipara unter
gleichen Bedingungen mehr nach Orange hin. Diese Beobach-
tung könnte zunächst veranlassen, bei den beiden Formen zwei
verschiedene Farbstoffe oder wenigtens Modifikationen eines und
desselben Farbstoffes anzunehmen. Doch handelt es sich, wie aus
den folgenden Befunden (siehe S. 188f) hervorgeht, nur um ver-
schiedene Konzentrationen des Farbstoftes, der in der
Fettmasse der Granula gelöst ist. Abgesehen von der Konzen-
tration hängt der Ton der Farbe von der Dicke der Schicht ab,
in der sie vorliegt. ‚Je grösser nämlich die Granula sind, um so
mehr neigt in der Regel ihre Farbe nach Orange hin und grössere
Fettropfen (Fig. 32, 43, 44, Taf. VII) erscheinen fast rein rot.
Dieses Verhalten könnte ja allerdings einzig eine Folge ver-
schiedener Konzentration der fettigen Farblösung sein; aber dass
eine Erhöhung der Schichtdicke ebenso wirkt wie eine Verstärkung
der Konzentration, geht daraus hervor, dass man regelmässig die
Farbe von gelb nach orange steigen sieht, wenn mehrere gelbe
Fettropfen zusammenfliessen. Besonders auffallend wird dieses
Verhalten, wenn man durch Zusatz von heagentien massenhaft
die Granula zum Austritt aus den Zellen und zum Verschmelzen
bringt. Der Farbton der schliesslich entstehenden grossen Tropfen
ist immer deutlich orangefarbig, wenn auch die unverletzten
Lipophoren rein gelb erscheinen.
Dass der Farbstoff der Lipophoren das von Krukenberg
ermittelte Lacertofulvin ist (vgl. 8. 176), zeigt die Überein-
stimmung seines Löslichkeitsverhaltens und seiner Reaktionen mit
den von jenem Autor gegebenen Daten. Ich fand den Farbstoff
in Alkohol, Äther, Xylol, Benzol und Toluol löslich.
Entsprechend der Angabe Krukenbergs schien auch mir
Erwärmung des Alkohols die Lösung nur wenig zu beschleunigen.
Da Äther, Xylol, Benzol und Toluol ins wasserhaltige Gewebe
schlecht eindringen, lassen sie sich mit Vorteil nur als Zusatz
zum Alkohol, besser noch nach kurzer Vorbehandlung des Objektes
mit Alkohol verwenden. Alsdann kann man leicht feststellen, dass
ihre Gegenwart der Lösung des Farbstoftes sehr zugute kommt.
Am geeignetsten zum Ausziehen des Farbstotfes erschien mir ein
Gemenge von absolutem Alkohol und Äther. Bei allen
drei untersuchten Eidechsenarten beobachtete ich unter dem
Mikroskop die Blaufärbung der Lipophorenfettropfen
185 W.J. Schmidt:
bei Zusatz von konzentrierter Schwefelsäure. Da die
Schwefelsäure die (in Kochsalzlösung unter dem Deckglas befindlichen)
Schuppenränder durch Einwirkung auf das Horn der Epidermis und
Bindegewebe der Kutis stark verändert, ist es nicht möglich, die
Reaktion an den Granula innerhalb der Zellen zu konstatieren ;
vielmehr treten bei Zusatz von konzentrierter Schwefelsäure die
Tröpfehen sofort aus den Zellen aus und gelangen schliesslich in
die umgebende Flüssigkeit. Dort werden sie unter der Wirkung
der Schwefelsäure zunächst grünlich, dann prächtig blau. Dabei
treten in ihrem Innern bräunliche, später ebenfalls blau werdende
winzige Körnchen auf. Grün- oder Blaufärbung der Tropfen durch
Zusatz von Salpetersäure konnte ich nicht erzielen; doch mag
daran vielleicht zu geringe Konzentration der Säure schuld gewesen
sein. Dagegen glückte mir (bei Lacerta agilis) die grün-
blaue Verfärbung der Tropfen durch Jodjodkalilösung.
Da nun in der Haut kein ‚anderer gelber Farbstoff enthalten ist,
der die beschriebenen Lipochromreaktionen ergibt, so ist damit
der Nachweis erbracht, dass der von Krukenberg im
alkoholischen usw. Auszug der Haut makrochemisch gekenn-
zeichnete Farbstoff in den Lipophoren lokalisiert ist. Wir können
deshalb den Lipophorenfarbstoff als Lacertofulvin bezw.
Lipochrin bezeichnen (vgl. S. 177).
f) Lacertofulvinkristalle.
Mit Absicht habe ich bis jetzt gewisse, von den Granula
verschiedene Einschlüsse des Lipophorenplasmas noch nicht genauer
beschrieben. Es handelt sich um die Ansammlungen kleiner
rötlicher Gebilde, deren ich kurz bei der Schilderung des Eindruckes
gedachte, den der lebendfrische Hinterrand einer Bauchschuppe
unter schwächerer Vergrösserung darbietet (siehe S. 151), und andere
ihnen verwandte Bildungen.
In zahlreichen Lipophoren gewahrt man bei aufmerksamer
Betrachtung unter starker Vergrösserung eine geringere oder
grössere Anzahl von kleinen, geraden, gewöhnlich ziemlich dünnen,
überall gleichbreiten Stäbchen, die durch eine kräftig
orangerote, manchmal fast rein rote Farbe ausgezeichnet
sind (Taf. VII, Fig. 37— 40). Sie kommen sowohl im Plasma des
zentralen Zellteiles als auch in den Ausläufern vor; dort lagern
sie meist tangential zum Kern (Taf. VIL, Fig. 38), hier fällt ihre
Die Chromatophoren der Reptilienhaut. 189
Längsrichtung in der Regel mit der Verlaufsrichtung des Zell-
fortsatzes zusammen. Nicht selten treten sie zu mehreren dicht
beieinander auf und zeigen dann die Neigung, sich parallel zu
ordnen. Von Struktur ist an den schmäleren nichts zu erkennen;
die breiteren dagegen lassen oft eine Art paralleler Längsstreifung
erkennen, vielleicht der Ausdruck einer Zusammensetzung aus
einzelnen Nadeln. Auch glaubte ich an breiten Stäbchen oft eine Ab-
schrägung der Enden zu sehen. Ganz besonders breite, plättchen-
artige Stäbchen (Taf. VII, Fig. 35 und £1) zeigen regelmässig die
Längsstreifung und Abschrägung ihrer Enden, wobei allerdings die
Enden sägeartig eingeschnitten erscheinen, was wohl ebenfalls
auf einen zusammengesetzten Bau der grösseren Gebilde hindeutet.
Wenn die Längsachse der Stäbchen mit der optischen Achse des
Mikroskops zusammenfällt, müssen sie unter dem Bild von Punkten
auftreten (Taf. VII, Fig. 40), sofern ihre Breite nicht beträchtlich
ist. Die längsten Stäbchen messen etwa S u.
Schon die (restalt der Stäbchen macht wahrscheinlich, dass
sie Mikrokristalle sind und diese Vermutung fand ihre
Bestätigung bei Untersuchung in polarisiertem Licht:') die
Stäbchen sind doppeltbrechend, und zwar erscheinen sie
zwischen gekreuzten Nikols und bei Drehung des Objekttisches
um 360° abwechselnd viermal hell — wenn ihre Längsachse
gekreuzt zu den Polarisationsebenen liegt —, und viermal dunkel —
wenn ihre Längsachse mit ihnen übereinstimmt. Die Auslöschung
erfolgt im ganzen Stäbchen gleichmässig. Die dünneren Stäbchen
‚lassen in polarisiertem Licht ihre Eigenfarbe nicht deutlich
erkennen, die dickeren dagegen zeigen orangerote Farbe. Die
Doppelbrechung der Stäbchen ist so stark, dass die Beobachtung
der Stäbehen in polarisiertem Licht das beste Mittel ist, sich
schnell über ihre Anwesenheit und Verteilung zu unterrichten,
falls man sich im guanophorenfreien Gebiet hält. Betrachtet man
die Stäbchen zwischen gekreuzten Nikols bei eingelegtem Gips-
plättchen Rot I. O., so bieten sie Additionsfarben (Blau II. O.) dar,
wenn ihre Längsrichtung mit der Richtung grösster Elastizität
im Gipsplättchen übereinfällt, Subtraktionsfarben (Gelb 1. O0.) in
dazu senkrechter Lage.
') Hinsichtlich der Untersuchungsmethode in polarisiertem Licht
vgl. S. 200.
190 Wa sSicchmidt:
Die Farbe der kristallinischen Stäbchen, die mit dem gelb-
roten Ton der intensiver gefärbten Fettropfen nahezu überein-
stimmt — sie ist, wenn man die geringe Dimension der (Gebilde
bedenkt, noch leuchtender und kräftiger — lässt von selbst den
(redanken Raum gewinnen, dass in ihnen das Lipochrin in höchster
Konzentration vorliegt. mit anderen Worten, dass die Stäbchen
Lacertofulvinkristalle sind. Diese naheliegende Vermutung
wurde dadurch zur (Gewissheit erhoben. dass sich die kristal-
linischen Stäbchen ebenfalls bei Zusatz von konzen-
trierter Schwefelsäure zunächst bräunlich, dann stark blau
färben. Besonders leicht lässt sich diese Beobachtung machen,
wenn man zu einem (in physiologischer Kochsalzlösung gelegenen)
Bauchschuppenhinterrand reichlich konzentrierte Schwefelsäure
zufliessen lässt. Horn und Bindegewebe der Schuppen werden
dann manchmal so schnell zerstört, dass die Stäbchen aus den
Zellen in Freiheit gesetzt werden und in die Flüssigkeit zu liegen
kommen, bevor ihre Verfärbung beginnt, die immer eine gewisse,
wenn auch kurze Zeit in Anspruch nimmt. Auf solche Weise
ist es auch leicht möglich, sich von der Masse der Lipochrin-
kristalle in einer Schuppe zu überzeugen. Ausser der Blaufärbung
durch konzentrierte Schwefelsäure, die meiner Ansicht nach voli-
kommen hinreicht, unter den obwaltenden Umständen die Identität
der Stäbehensubstanz mit dem Lipochrin darzutun, besitzen die
Stäbchen das gleiche Lösungsverhalten wie der Lipo-
phorenfarbstoff. Direkt habe ich ihre Auflösung nur in Äther
beobachtet; da sie aber im mikroskopischen Dauerpräparat regel-
mässig wie die Lipophorengranula verschwunden sind, so muss ich
schliessen, dass sie auch in Alkohol, Xylol u. dgl. löslich sind.
Somit kann es wohl keinem Zweifel unterliegen, dass die kristal-
linischen Stäbchen reines, kristallisiertes Lacertofulvin darstellen.
Das Kristallisationsvermögen des Lipophorenfarb-
stoffes ist um so bemerkenswerter, als nur wenige Lipochrome
in Kristallisiertem Zustand bekannt sind, wie das Urustaceorubin
und verwandte Farbstoffe bei Krebsen, die „Carotine“ bei gewissen
Insekten (vgl. P. Schulze 1913), das Lutein im gelben Körper
des Säugerovars (vel. z. B. im Biochem. Handlexikon, Bd. 6,
S. 303f.). Reptilien- und Amphibienlipochrome (Lipochrin) sind
bisher nur in amorphem Zustand (und zwar in ihrem natürlichen
Vorkommen in Fett gelöst) beobachtet worden. Die. Kristalle
Die Chromatophoren der Reptilienhaut. 191
des Lipophorenfarbstoffes bieten den Farbstoff rein dar und um-
schreiben innerhalb der grossen Gruppe der Lipochrome seine
chemische Individualität besser durch ihre Form und Farbe als
es durch Löslichkeitsverhalten und Absorptionsspektrum des Farb-
stoffs allein möglich wäre.
Ausser in der Form von Stäbchen, die mit der kristallinischen
Natur wohl vereinbar ist, tritt das reine Lipochrin noch in anderen
Gestalten auf. Gelegentlich beobachtet man in den Lipophoren
und öfter scheinbar extrazellulär — über diese extrazelluläre Lage
siehe unten — unregelmässig geformte Gebilde, die in ihrer Farbe
und, wie sich weiter ergeben wird, auch in optischer und chemischer
Hinsicht mit den kristallinischen Lipochrinstäbchen wesentlich über-
einstimmen. Meist stellen sie (bis 16 « lange) fadenartige
Gebilde dar (Fig. 42, Taf. VII), die sich nach beiden Enden
allmählich verjüngen und spitz auslaufen, dabei nicht gerade,
sondern bogig gekrümmt, öfter auch an einem Ende ösen-
artig oder spiralig eingerollt sind. Auch einseitig ver-
dickte oder zugespitzte, gerade oder gekrümmte Stäbchen kommen
vor (Fig. 36, Taf. VII). Sehr charakteristisch sind die nicht selten
auftretenden ringförmigen Gebilde (Fig. 42, Taf. VII). Ferner
konnte ich etwas unregelmässig geformte kleine oder grössere
Körnchen (Fig. 44a, 45, Taf. VII) von Lacertofulvin feststellen.
Wenn diese (Gebilde ausserhalb der Zellen erscheinen, so treten
sie meist nicht vereinzelt auf, sondern in kleineren Gruppen, die
sich schon bei schwächeren Vergrösserungen verraten (Fig. 31,
Taf. VII); Fig. 42, 43, 45, Taf. VII geben solche Gruppen wieder,
in denen meist verschieden geformte Lipochrin-Gebilde beieinander
liegen.
Löslichkeitsverhalten und Bläuung bei Zusatz von
konzentrierter Schwefelsäure teilen diese unregelmässigen Lipo-
chringebilde mit den regelmässig geformten kristallinischen
Stäbehen in gleicher Weise: auch sind sie doppelbrechend.
Doch zeigt ihr Verhalten in polarisiertem Licht einige aus Ihrer
anderen Form verständliche Abweichungen. Die gekrümmten
Stäbchen verhalten sich so wie etwa eine gekrümmte doppel-
brechende Sehnenfaser, d.h. sie sind, wenn die Krümmung einiger-
massen stark ist, niemals gleichmässig hell zwischen gekreuzten
Nikols und löschen auch nicht in ihrer ganzen Ausdehnung gleich-
mässig aus. Vielmehr erscheinen nur die Abschnitte eines solchen
192 W. J. Schmidt:
gekrümmten Fadens hell, welche annähernd * 45° zu den Polari-
sationsebenen gerichtet sind, und diejenigen dunkel, welche in
die Polarisationsebenen hineinfallen. Dadurch ergeben sich bei
den ringförmigen Lipochringebilden sehr eigenartige
Erscheinungen, die den Ring als einen kreisföürmig zusammen-
gebogenen Faden aufzufassen gestatten. Zwischen gekreuzten
Nikols zeigt nämlich ein solcher Ring ein dunkles Kreuz,
dessen Arme mit den Polarisationsebenen übereinstimmen, weil
die Teile des Ringes unsichtbar werden müssen, die der einen
oder anderen Polarisationsebene annähernd parallel gehen. Legt
man ein Gipsplättchen Rot I. ©. ein, so nehmen die Quadranten,
welche von der Richtung grösster Elastizität im Gipsplättchen
durchschnitten werden, Subtraktionsfarben an — die auf diese
(Juadranten entfallenden Teile des Ringes stehen senkrecht zur
Richtung grösster Elastizität im Gips — die entgegengesetzten
(Juadranten Additionsfarben an — in ihnen laufen die Teile
des Ringes mit der Richtung grösster Elastizität im Gips
parallel. — Dieses Auftreten eines sog. negativen Kreuzes
entspricht also ganz den Verhältnissen am kristallinischen Stäbchen
(siehe oben). Auch dieLipochrinkörnchen erwiesen sich allerdings
in ziemlich ungleichmässiger Weise doppelbrechend.
Nun ist den Mineralogen schon lange bekannt. dass mikro-
skopische Individuen von Kristallen, sog. Mikrolithen, allerhand
Abweichungen in ihrer äusseren Gestalt unterworfen sind: „bald
erscheinen die Nadeln an einem oder an beiden Enden etwas
keulenförmig verdickt, oder pfriemenförmig zugespitzt,“ ... oder
fein eingesägt ...; bald sind sie schwächer oder stärker haken-
ähnlich gekrümmt oder gar geknickt. schleifenförmig verdreht
oder pfropfenzieherartig geringelt ...* (Zirkel 1898, S. 149).
Offenbar stellen die letzt beschriebenen Lipochringebilde derartige
Abweichungen von der regelmässigen Kristallform dar. Ich möchte
nicht unterlassen, darauf hinzuweisen, dass man in den Wurzeln
der Möhre (Daucus carota) neben typischen Carotinkristallen
(vgl. S. 102) ganz ähnliche unregelmässe Kristallgebilde beobachten
kann, wie ich sie hier von den Lacertofulvinkristallen geschildert
habe.
Wie schon angedeutet, fand ich nicht immer die Lipochrin-
kristalle innerhalb der Lipophoren, sondern bisweilen scheinen
sie, in Gruppen beieinander gelegen (vgl. Fig. 32, 41—45, Taf. VII),
Die Chromatophoren der Reptilienhaut. 193
ausserhalb der Zellen frei im Gewebe vorzukommen. Doch
muss ich hervorheben, dass ich solche Beobachtungen vornehmlich
an Stellen machte, an denen infolge der dichten Lagerung der
Lipophoren (Fig. 32, Taf. VII) oder der Anwesenheit von Guano-
phoren oder Melanophoren (Fig. 41, Taf. VII) die einzelnen Lipo-
phoren überhaupt nicht sicher voneinander abgegrenzt werden
konnten, dass also in vielen Fällen doch die Möglichkeit intra-
zellulärer Lage gegeben ist. Wenn aber wirklich die Lacertofulvin-
kristalle auch frei im Gewebe vorkommen, kann dieses Verhalten
wohlnur so erklärt werden, dasssieintrazellulärentstanden,
erst nachträglich aus den Zellen ausgetreten sind.
Denn die Bildung oder mindestens die Speicherung des Lipochrins
muss doch als eine spezifische Tätigkeit der Lipophoren ange-
sehen werden, und es ist nicht etwa anzunehmen, dass das
Lipochrin primär in der interzellulären Lymphe kristallinisch
ausgeschieden wird, da man es doch sonst wohl im ganzen Körper
antreffen müsste.
Ich denke mir, dass das in den Zellen gebildete Lipochrin,
sofern hinreichend Fettgranula vorhanden sind, in den Fettröpfchen
gelöst erscheint. Wenn dagegen die Ablagerung von Fett in den
Lipophoren nachlässt, oder die Bildung des Lacertofulvins überhand-
nimmt, steht dem Farbstoff das Lösungsmittel (Fett) nicht mehr
in hinreichender Menge zur Verfügung und er muss in fester
Form auftreten. Tritt nachträglich wieder mehr Fett auf, so
können die kristallinischen Farbstoftablagerungen wieder in Lösung
gehen. So glaube ich, ist es auch zu erklären, dass man intensiv
gefärbten Massen begegnet, über deren Aggegratzustand, ob flüssig
oder fest, die Beobachtung im gewöhnlichen Licht im Zweifel
lässt, und erst das Polarisationsmikroskop den Entscheid zu fällen
gestattet: sind die betreffenden Gebilde doppelbrechend, so müssen
sie als feste Körper betrachtet werden, im entgegengesetzten Fall
als Hlüssig. Ergibt sich in dieser Weise der flüssige Aggregat-
zustand, während die Farbe und die von der Kugelgestalt manchmal
stark abweichende Form der Gebilde zunächst für feste Körper
sprechen würden, so liegen wahrscheinlich sehr konzentrierte Lipo-
chrinlösungen vor.
Die Konzentration des Lacertofulvins in den Lipophoren und
gegebenenfalls sein Vorkommen in fester Form sind natürlich
auch für das makroskopische Aussehen der Lipophorenmassen aus-
Archiv f. mikr. Anat. Bd.90. Abt.I. 13
194 W. J. Schmidt:
schlaggebend. Bei Lacertaagilis finden sich Lipochrinkristalle
viel seltener als bei Lacerta vivipara, und abgesehen von
der meist intensiven Färbung der Lipophorengranula bei letzterer
Form bewirkt hier vor allem die Untermengung der gelben Massen
mit den fast rein rot gefärbten festen Farbstoffablagerungen, die
mit blossem Auge nicht einzeln kenntlich sind, eine Vertiefung
des Farbentones der Bauchhaut nach orange oder rot hin. Es
ist sehr wohl denkbar, dass gewisse Formen von Erythrose
bei Eidechsen massenhaftem Vorkommen von festem Lipochrin
ihre Entstehung verdanken.
8) Bewegungserscheinungen ?
Obwohl ich öfter besondere Aufmerksamkeit darauf verwandt
habe, etwaige Bewegungserscheinungen an den Eidechsenlipophoren
festzustellen, habe ich doch weder Formveränderungen der ganzen
Zelle, noch intrazelluläre Verlagerungen oder auch nur kleinste
Verschiebungen der (Grranula, Lacertofulvinkristalle und verwandter
Bildungen beobachten können. Darnach muss ich schliessen, dass
den Eidechsenlipophoren eine aktive Bewegungsmöglichkeit nicht
zukommt. Nicht ganz selten sah ich die Lipophorengranula in
kleineren Zellabschnitten in lebhafter Brownscher Molekular-
bewegung begriffen. Doch dürfte es sich in diesen Fällen wohl
um Verletzungen der Zellen handeln, vielleicht schon um Austritt
von Zellinhalt in die Umgebung; es ist ja möglich, dass der Druck,
dem der Bauchschuppenhinterrand im Augenblick des Abschneidens
mit der Schere ausgesetzt ist, hinreicht, die eine oder andere
der augenscheinlich sehr zarten und empfindlichen Lipophoren zu
schädigen.
V. Die Guanophoren.
a) Zellnatur.
Die Zellnatur der (Gwuanophoren wurde zuerst von
Blanchard (1880, S.12) für Lacerta ocellata einwandfrei
sichergestellt. Wenn ältere und auch neuere Autoren (Carlton
1904, S. 262 bei Anolis) in diesem Punkte eine gewisse
Unsicherheit bekunden, so liegt es wohl daran, dass sie die
Guanophoren dort untersucht haben, wo sie gehäuft vorkommen
und in der Tat eine Schwierigkeit besteht, die einzelne Zelle zu
erkennen, da die benachbarten Elemente sich mit ihren Ausläufern
durchflechten. Prüft man die Guanophoren dagegen an Stellen,
Die Chromatophoren der Reptilienhaut. 195
an denen sie vereinzelt auftreten und ihnen geringer Raum zur
Tiefenentwicklung zur Verfügung steht, so dass die Zellen in
einfacher Schicht vorliegen und ihre Ausläufer sich alle in einer
Ebene befinden und leicht zu überschauen sind, so ergibt sich
ihre Zellnatur ohne weiteres aus ihrer Form und der Gegenwart
und Lage des Kernes.
Schon mehrfach habe ich in früheren Arbeiten bei ver-
schiedenen Arten (W. J. Schmidt 1912 a und b, 1914) solche
Zellen beschrieben und abgebildet und möchte hier zunächst auf
einige neue geeignete Untersuchungsobjekte hinweisen. Am freien
Hinterrand der Bauchschuppen unserer einheimischen Eidechsen
lassen sich am überlebenden, in physiologischer Kochsalzlösung
aufgehobenen Totalpräparat ohne weiteres vereinzelte Guanophoren
auffinden (vgl. Taf. VII, Fig. 31 und 32), die in durchfallendem
Licht prächtige Interferenzfarben zeigen. Sie erscheinen als Zellen
mit mässig zahlreichen, lappigen Ausläufern; die Lage des zentral
gelegenen Kerns verrät sich oft durch eine rundliche oder ovale
durehscheinende Stelle. Wenn Pouchet (1876, S. 60) von den
(suanophoren der grünen Eidechse behauptet, dass wenigstens
beim Erwachsenen durchaus kein Kern zu unterscheiden sei,
und wenn Blanchard (1880, S. 12) für Lacerta ocellata
die Ansicht vertritt, der Kern fehle beim erwachsenen Tier häufig,
so kann ich dem nach meinen Befunden bei den verschiedensten
Formen, unter anderen den einheimischen Lacertiden, nicht bei-
stimmen. Abgesehen davon, dass die Stelle des Kernes am über-
lebenden Objekt häufig zu erkennen ist und er auch an ihm durch
Methylenblau gefärbt werden kann, findet man am gefärbten
Schnittpräparat Kerne in den Guanophoren so häufig, dass wohl
auf jede Zelle ein Kern entfallen kann unter Berücksichtigung
der vielen im Schnitt sich darbietenden kernlosen Zellabschnitte.
Ferner besteht die Guanophore ja nicht allein aus einer Anhäufung
der kristallinischen, toten Inhaltsmasse, sondern diese letztere
ist in erheblichen Mengen von Zytoplasma eingebettet (siehe S. 212),
dessen dauernder Bestand ohne Kern nach den herrschenden An-
schauungen vom Leben der Zelle undenkbar ist. Blanchard
(1880, 8. 12) gibt die Grösse der Guanophorenkerne zu 2—3 u
an; ich habe bei Lacerta muralis in der Rückenhaut einige
Kerne gemessen und Grössen bis zu 8 u beobachtet, etwa ent-
sprechend den Kernen der basalen Epidermiszellen. Auch finde
13*
196 W.J. Schmidt:
ich entgegen Blanchard die Kerne der Zellen nicht rundlich,
sondern meist zur Hautoberfläche (wie die ganzen Zellen) ab-
geplattet ; indessen sind sie dabei bisweilen (gemäss dem Bild bei
Veränderung der Einstellung) in einer Richtung in die Länge
gestreckt. Jedenfalls kann aus der Grösse der Kerne nicht auf
ihre beginnende Rückbildung geschlossen werden und auch ihr
Bau zeigt keinerlei Hinweis auf Chromatolyse (Taf. VII, Fig. 56,
59 und 60a—c): ein oder zwei Nukleolen und zahlreiche kleinere,
gleichmässig verteilte Chromatinkörnchen sind bei guter Färbung
im Kerninneren kenntlich. Den Guanophoren scheint im Gegensatz
zu Melanophoren und Allophoren immer nur ein Kern zuzukommen.
Ein weiteres vorzügliches Untersuchungsobjekt für Guano-
phoren bilden die Rückenschuppen von Lygosoma smaragedinum
Less., einzeln, ungefärbt zu Balsampräparaten verarbeitet. Lygo-
soma gehört zu den Sceincoiden und besitzt wie alle Formen
dieser Gruppe in der Kutis gelegene, aus mehreren Plättchen
mosaikartig zusammengefügte Knochenschuppen. Diese reichen
bis nahe an die Epidermis heran und lassen demnach den
(ruanophoren nur einen sehr geringen Raum zur Tiefenentfaltung
übrig. Hier sieht man die Zellen in grosser Menge und dünner
einfacher Schicht ausgebreitet, nebeneinander liegen als verästelte,
kantig umrissene Elemente, die sich mit ihren Ausläufern ineinander
schieben. Fast in jeder Zelle ist bei hinreichender Vergrösserung
die zentrale helle Stelle des Kernes wahrzunehmen. In Texttig. 10
ist eine Gruppe von fünf derartigen Zellen in den Umrissen darge-
stellt. Diese Guanophoren von Lygosoma zeigen bei durch-
fallendem Licht gelbliche Farbe, bei auffallendem makroskopisch
ein prachtvolles Blau, mikro-
skopisch lebhaft glitzernde, blaue
und grüne Töne.
Zumeist wurden die (ru-
anophoren bei Sauriern (ein-
schliesslich Chamäleonen) unter-
sucht, doch fehlen sie keineswegs
Schlangen, Krokodilen und
Schildkröten. BeiSchlangen
beschrieb sie z. B., abgesehen
Fig. 10.
Gruppe von fünf Guanopheren von 3 BEE
Lygosoma smaragdinum. von älteren Mitteilungen Ley-
Vergr. 450:1. digs (vgl. diesen Autor 158),
Die Chromatophoren der Reptilienhaut. 197
Todaro (1878, S. 1100) als „cellule a pigmento giallo“,
Ficalbi (1888, S. 85). unter Betonung ihrer zelligen Natur,
als „cromatofori gialli; eromatofori giallo verdi“. Croco-
dilus niloticus bietet an Schnitten der Rückenhaut, be-
sonders leicht nachweisbar in polarisiertem Licht, eine Zone
von Guanophoren zwischen kollagener Grenzlamelle und Melano-
phoren dar, die aus Elementen mit dünnen, ziemlich langen Aus-
läufern zu bestehen scheint. welche nur spärlichen kristallinischen
Inhalt umschliessen.) Auch Oppenheimer (1895) gibt in
Abbildungen die „Strukturfarbenschicht“ von Crocodilus
vulgaris und porosus wieder. Einige Stichproben, die ich
bei Schildkröten machte, lehrten mich, dass bei Emyda granosa
(— ceylonensis) sehr zierliche, reich verästelte Guanophoren
meist mit schlanken Ausläufern vorkommen (Haut des Halses
eines jungen Tieres von 3,5 cm Länge), deren kristallinischer
Inhalt aus sehr locker gelagerten und daher gut unterscheidbaren
Plättchen besteht (vgl. Textfig. 13), so dass das Objekt in dieser
Hinsicht das beste mir bekannte darstellt (siehe unten). Indessen
steht die feinere histologische Untersuchung der Guanophoren bei
Schlangen, Krokodilen und Schildkröten im allgemeinen noch aus
und würde gewiss mancherlei beachtenswerte Ergebnisse zutage
bringen.
Durchweg stellen die Guanophoren mehr oder minder verästelte
Zellen dar; Grösse, Form und Art der Verweigung unterliegen aber
je nach den Arten und Körperstellen beträchtlichen Unterschieden ;
ich verweise in dieser Hinsicht auf die Textfig. 10— 14, Fig. 31,
Taf. VII und ferner auf meine diesbezüglichen früheren Mitteilungen
(W. J. Schmidt 1912 a und b, 1913, 1914).
b) Entwicklung.
Über die Entwicklung der Guanophoren lagen bisher
keinerlei Angaben vor, und trotz mancher Versuche in dieser
Richtung bin ich nur zu spärlichen Ergebnissen gelangt. Bemerkens-
wert ist zunächst, dass die Guanophoren nach den Melanophoren
!) Eine sehr mächtig entwickelte Guanophorenschicht findet sich unter
dem Epithel der Zungenoberfläche von Crocodilus niloticus, wie über-
haupt die eigentümlich weisse Färbung der Mundhöhle bei Krokodilen auf
die Anwesenheit von Guanophoren zurückzuführen ist; über den chemischen
Nachweis von Guanin in der Haut der Krokodile siehe 8. 220.
198 W. J. Schmidt:
sichtbar werden und daher erst in späteren embryonalen Stadien
zu erwarten sind; so suchte ich sie vergebens in jüngeren Stadien
von Lacertiden und Agamiden (Draco, Calotes), deren Melano-
phoren schon gut kenntlich waren. Die Schwierigkeit, die frühesten
Entwicklungszustände dieser Zellen aufzufinden, beruht darin,
dass irgendwelche in der Kutis gelegene Elemente, die ihrer Form
nach als Guanophoren anzusprechen wären, nicht sicher als solche
gelten können, bevor der für die Guanophoren charakteristische
kristallinische Inhalt erscheint. Da der letzte nun zunächst sehr
spärlich auftritt, sind die Zellen leicht zu übersehen und es
empfiehlt sich, die Präparate in polarisiertem Licht bei gekreuzten
Nikols zu untersuchen; alsdann verraten sich die kleinsten Spuren
des kristallinischen Guanophoreninhaltes durch ihr Aufleuchten
im dunklen Gesichtsfeld. Indem ich in dieser Weise Balsam-
präparate von ungefärbten Hautstücken verschiedener Eidechsen-
embryonen prüfte, stiess ich bei älteren Embryonen von Gecko
verticillatus auf Guanophoren, die bei ihrer geringen (Grösse
und der schwachen Entwicklung der kristallinischen Inhaltsmassen
als jugendliche Guanophoren gelten müssen. Hat man
einmal in polarisiertem Licht diese Elemente aufgefunden, so
bereitet ihre Beobachtung in gewöhnlichem Licht keine besonderen
Schwierigkeiten mehr.
Die Zellen von Gecko verticillatus besitzen einen
grossen zentralen Teil,
ß von dem sehr dünne,
[} . Be
\ ; e leicht gewundene Ausläufer
“N f [4 a
er abgehen (Textfig. 11). Ihr
ee 1 f
I 1 ER Protoplasma ist an den
Sn Y U 3" En Re
R N | Rn ungefärbten Präparaten
= area "co 5
Ne nicht zu erkennen und
LE BEN f . av .
EBENE RN ihre Gestalt demnach im
Ei aD 6 o 1
u T. ja #7 Nu... Mikroskopischen Bild we-
SACHS 8 sentlich durch die Vertei-
Z \ \ RE
' lung des kristallinischen
E Zellinhaltes bestimmt, den
r > x &
? wir kurz als Guanin be-
Fig. 11.
Jugendliche Guanophore aus der Rücken- zeichnen wollen (siehe Seite
haut eines älteren Embryos von Gecko 218). Das Guanin erscheint
verticillatus. Vergr. 1360:1. hier in Form von kürzeren
Die Chromatophoren der Reptilienhaut. 199
oder längeren Stäbchen, die nach ihrem optischen Verhalten
als Kriställchen betrachtet werden müssen (siehe unten); die
grössten Stäbchen messen 3—4 «u in der Länge, die kleinsten er-
scheinen punktförmig, wobei allerdings zu berücksichtigen ist,
dass manche grössere Stäbchen mit ihrer Längsachse der op-
tischen Achse parallel verlaufen mögen und so körnchenartige
Gebilde vortäuschen können. Im mittleren Teil der Zelle sind
die Stäbehen sehr spärlich vorhanden, was wohl auf die Gegen-
wart des Kerns zurückzuführen ist, und ganz unregelmässig ge-
lagert; in den Fortsätzen dagegen fällt die Längsachse der Stäbchen
überwiegend mit der des betreffenden Ausläufers zusammen.
c) Struktur des kristallinischen Inhaltes und Zytoplasma.
Die Beobachtung, dass das Guanin als bestimmt geformte
Gebilde in den Zellen von Gecko vertieillatus auftritt, ver-
anlasste mich, dem Guanophoreninhalt eine erneute Unter-
suchung zu widmen. Bei den von mir bisher vorgenommenen
Formen (Phelsuma, Tarentola, Uroplatus, Gerrhosaurus,
Anguis) hatte ich nichts Derartiges bemerken können, vielmehr
erschien mir der Guanophoreninhalt unter der Form gröberer
und feinerer Körnchen, die nur unter dem Polarisationsmikroskop
ihre kristallinische Natur verrieten (W.J.Schmidt 1912a und b,
1913, 1914). Doch liegen in der Literatur zwei abweichende
Angaben vor, die hier zunächst ihre Erwähnung finden sollen.
Pouchet (1876, S. 60) empfiehlt zur Untersuchung der Guano-
phoren von Lacerta viridis, die oberflächlichen Hautschichten
mehrere Tage in schwacher Essigsäure zu behandeln. Da Guanin
in Essigsäure unlöslich ist, dürfte die Wirkung dieser Vorbe-
handlung wesentlich auf der durch Säure bedingten Quellung und
Aufhellung des Bindegewebes beruhen. Alsdann kann man nach
Pouchet bei starker Vergrösserung feststellen, dass die Massen
der „substance e@rulescente* Andeutungen paralleler Linien
zeigen, die 1—1,5 « von einander entfernt sind und eine
lamellöse Struktur anzuzeigen scheinen. Indessen gelang
es Pouchet in keiner Weise, die Masse in isolierte Lamellen zu
zerlegen. Ferner ist hier vielleicht die Mitteilung Blanchards
(1850, S. 12) zu vergegenwärtigen, dass die Guanophoren von
Lacerta ocellata von kristallinischen Flitterchen
(„pailletes“) erfüllt seien, die in blau, grün, gelb usw. schillern
200 W.J. Schmidt:
und zudem ihre Farbe nach der Stärke der Vergrösserung und
der Art der Beleuchtung wechseln.
Meine diesbezüglichen Untersuchungen erstrecken sich vor-
nehmlich auf die Guanophoren der Lacertiden; daneben
prüfte ich die schon erwähnten Guanophoren von Emyda
granosa, ferner auch diejenigen von Uroplatus, Phelsuma,
Tarentola. Sie wurden sowohl an Totalpräparaten von Haut-
stücken in Balsam, als auch an gefärbten und ungefärbten
Schnitten angestellt, die senkrecht und vereinzelt parallel zur
Fläche der Haut geführt waren. Da Guanin sowohl in Alkalien
als auch Mineralsäuren löslich ist, müssen bei der Herstellung
der Präparate alle derartigen Substanzen vermieden werden, wenn
man auf die Erhaltung des kristallinischen Inhalts rechnen will.
Als Fixierungsflüssigkeiten empfehlen sich also etwa Alkohol und
Formol (säurefrei!), Sublimat;, auch bei Fixierung n Flemmings
(Gemisch bleibt der Guanophoreninhalt anscheinend vollkommen
unverändert. Zur Färbung eignet sich Delafields Häma-
toxylin und Eosin, dagegen nicht Eisenhämatoxylin; denn
längere Beizung der Präparate mit Ferriammoniumsulfat und die
Anwendung der gleichen Substanz zum Ditferenzieren der Farbe
löst (in sehr schonender Weise) das Guanin auf. Solche Eisen-
hämatoxylinpräparate sind aber hervorragend geeignet, über das
Plasma der Guanophoren Aufschluss zu geben, wie später berichtet
werden soll.
Da der Guanophoreninhalt, wie schon mehrfach erwähnt,
doppelbrechend ist, bildet die Untersuchung der Präparate in
polarisiertem Licht bei gekreuzten Nikols ein ausgezeichnetes
Hilfsmittel. Ich bediente mich einer Polarisationseinrichtung von
Zeiss, bestehend aus einem Polarisator, der in den Blenden-
träger des Abböschen Apparates eingehängt, und eines Hutnikols,
der dem Okular aufgesetzt wird. Bei hinreichend starker Beleuchtung
(Glühstrumpf), vor allem, wenn zwischen Kondensorlinse und Unter-
seite des Objektträgers eine Verbindung mittels Wasser hergestellt
wird, welche die Reflexion von Lichtstrahlen an der Unterseite
des Objektträgers verringert und die Apertur (1,4) des Kondensors
fast ganz auszunützen erlaubt, erscheint das Bild bei Anwendung
der Apochromat-Immersion 2 mm N.A. 1,30 und Komp.-Okular 3
in tadelloser Schärfe. So kann man mit Sicherheit das optische
Verhalten der im gewöhnlichen Licht zu erkennenden Strukturen
Die Uhromatophoren der Reptilienhaut. 201
feststellen. Dabei bietet der Hutnikol gegenüber dem in den
Tubus einschiebbaren Analysator der üblichen mineralogischen
Stative (falls er nicht zugleich auch drehbar ist!) die Annehmlichkeit,
dass man durch Drehung des Hutnikols allmählich Aufhellung des
dunklen Gesichtsfeldes herbeiführen kann und so das beobachtete
Objekt beim Übergang vom polarisierten zum gewöhnlichen Licht
(oder umgekehrt), keinen Moment aus dem Auge verliert. Auch
bei schwächeren Vergrösserungen!) gibt die Beobachtung (an
Totalpräparaten) in polarisiertem Licht entzückend schöne Bilder,
die rasch über Gegenwart und Verteilung der Guanophoren in
der Haut aufklären. Besonders hübsch ist der Eindruck beim
Einlegen eines Gipsplättchens Rot I. OÖ. So erscheinen z. B. bei
einem dünneren Totalpräparat (Haut eines älteren Embryo von
Ptychozoon) die Melanophoren bräunlichschwarz, die Guano-
phoren in lebhaften Interferenzfarben auf dem roten Untergrund
des Bindegewebes. Auch vereinzelt liegende Melaninkörnchen
können mittels des Polarisationsmikroskops immer leicht und
sicher von anderen ähnlich geformten Gebilden unterschieden
werden.?)
Der erste, der sich des Polarisationsmikroskopes zum Nachweis
der (Guanophoren bediente und ihren kristallinischen Inhalt als
sehr stark doppelbrechend bezeichnete, ist wohl Kruken-
berg (1582b) gewesen. Er empfiehlt polarisiertes Licht (S. 254)
!) Der Zeisssche Apochromat S mm enthält eine doppelbrechende
Linse und wirkt daher depolarisierend; doch bietet Apochromat 16 mm
vereint mit starkem Kompensationsokular (12) sehr angenehme Beobachtungs-
möglichkeit für solche Verhältnisse.
°) Dunkelfeldbeleuchtung (Paraboloidkondensor von Zeiss
oder Zentralblende mit Immersionskondensor) lässt sich ebenfalls zur Unter-
suchung der Guanophoren gebrauchen, wenn auch nicht mit dem Vorteil wie
polarisiertes Licht, da man auf die Anwendung schwächerer Vergrösserungen
(bei Betrachtung von Balsam-Totalpräparaten) beschränkt ist, weil bei starken
Verschleierung durch die Dicke des Objektes (Übereinanderlegen zahlreicher
Beugungsbildchen) eintritt. Der Eindruck der Präparate bei solcher Be-
obachtungsweise ist ähnlich dem bei auffallendem Licht (Opakilluminator)
und gestattet eine sehr leichte Orientierung über das Verhalten der ver-
schiedenen Uhromatophoren in den obersten Hautlagen, also etwa die
Feststellung, ob Melanophoren oder Allophoren expandiert sind und wie sich
ihre letzten Verzweigungen (pigmenterfüllt) verhalten. Für solche Zwecke
kann ich die Anwendung der Dunkelfeldbeleuchtung nicht nachdrücklich
genug empfehlen.
202 W.J. Schmidt:
hauptsächlich zum Auffinden der Guanophoren an Stellen, die
reich an schwarzem Pigment sind und weist auf die in Balsam
eingeschlossenen Schwanzflossen junger Salamanderlarven als
Demonstrationsobjekt hin, ferner auf die Schwimmhäute der Frösche,
an denen man sich so leicht von der zelligen Natur der die doppel-
brechenden Körperchen enthaltenden histologischen Elemente
überzeugen könne. Schwieriger gelinge das bei Tieren, bei denen
die „weisse Masse“ in grossen Mengen vorkomme, wie in der Haut
vom Chamäleon. Dann scheine bei gekreuzten Nikols das ganze
(zesichtsfeld zu leuchten und einzelne Zellen könnten wenigstens
bei Flächenansicht ganzer Hautstücke nicht mehr erkannt werden.
Später hat Carlton (1903, S. 261) von den Guanophoren von
Anolis erwähnt, dass sie unter dem Polarisationsmikroskop sich
doppelbrechend erweisen. Allerdings zieht er hieraus und aus der
Löslichkeit des Inhalts in Säuren den irrigen Schluss, es handle
sich um eine anorganische kristallinische Ablagerung, eine
Auffassung, der schon Fuchs (1914, S. 1603) mit Recht
entgegengetreten ist, da auch organische Substanzen in Mineral-
säuren löslich und doppelbrechend sein können. Schliesslich habe
ich (W.J. Schmidt 1912a, S. 197) auf die Doppelbrechung
des Guanophoreninhaltes bei Phalsuma hingewiesen, die trotz
nicht kenntlicher Kristallform die kristallinische Natur des Inhalts
dartut.
Kehren wir nach diesen methodologischen und historischen
Erörterungen wieder zum Ausgangspunkt der Untersuchung des
(suanophoreninhaltes, den jugendlichen Guanophoren in der
embryonalen Haut von Gecko verticillatus, zurück. Nachdem
ich dort die Stäbchenform des Guanins aufgefunden hatte, suchte
ich bei anderen Objekten nach und fand in der Tat die gleichen
Verhältnisse zunächst bei Uroplatus, bei dem mir schon früher
(W. J. Schmidt 1913, S. 392) die sehr grobkörnige Be-
schaffenheit des Guanophoreninhalts aufgefallen war. Die Zellen
in der Guanophorenlage unter dem Epithel eignen sich allerdings
für diese Beobachtung nicht, da der kristallinische Inhalt zu dicht
gelagert ist, auch wohl die Ausbildung der Stäbchen an sich
wenig deutlich ist; dagegen lassen manche „erratische* Guano-
phoren im subkutanen Füllgewebe der Schwanzverbreiterung an
Schnitten klar die stäbchenartige Ausbildung des
Guanins erkennen (Textfig. 12). Die Gebilde sind hier kürzer,
Die Chromatophoren der Reptilienhaut. 203
aber meist dicker als bei Gecko vertiecillatus, die längsten
messen etwa nur 2 u. Ihre Anordnung ist aber insofern die gleiche
wie dort, als die Stäbchen im mittleren Teil der Zelle mehr
unregelmässig gelagert, in den Ausläufern, wenigstens an ihren
schmäleren Stellen. längszum Verlauf des betreffenden Zellfortsatzes
gerichtet sind. Besonders gut zu sehen sind die Stäbchen in
dünner Lage über dem Kern und an einem hier befindlichen
grösseren konnte ich Andeutung einer Abschrägung oder
Zuspitzung des Stäbehens wahrnehmen, ein erster Hinweis
darauf, dass die Stäbchen Kriställchen sind.
Fig. 12.
Guanophoren aus der Subkutis von Uroplatus. Vergr. 1360:1.
Viel besser liess sich die letztgenannte Feststellung an den
schon oben erwähnten Guanophoren der Halshaut einer jungen
Emyda granosa machen (Textfig. 13); hier beträgt die Länge
der Stäbchen bis 4 u, ihre Dicke schwankt beträchtlich. An den
dicksten zeigt sich die Abschrägung der Endflächen ganz einwandfrei
und zwar erfolgt sie so, dass sie an beiden Enden parallel geht
(vgl. Textfig. 13, grosse Stäbchen im hellen Kernraum). Ob nicht
an der Endbegrenzung der Stäbchen noch andere kleinere Flächen
beteiligt sind, lässt sich bei der minimalen Grösse der Gebilde
nicht sicher erkennen; manchmal schien es mir so. Dagegen machen
weitere Eigentümlichkeiten gewiss, dass die Stäbchen in Wirklichkeit
längliche Plättchen sind. Dafür spricht ausser optischen Er-
scheinungen in polarisiertem Licht (siehe S. 217), dass die breiteren
Stäbchen weniger stark lichtbrechend erscheinen als die schmäleren,
während doch, falls es sich um gleichgeformte Gebilde von ver-
schiedenem Ausmass handelte, gerade das Gegenteil zu erwarten
wäre. Diese Tatsache weist vielmehr darauf hin, dass die breiten
Stäbchen Plättchen in Flächenansicht, die schmäleren
aber — wenigstens zum Teil — Plättchen in Kantenansicht sind,
204 W.J. Schmidt:
im ersten Falle die Lichtstrahlen eine dünnere Schicht durch-
setzen und weniger abgelenkt werden, im zweiten Fall dagegen
eine dickere Schicht unter beträchtlicherer Brechung (eventuell
Parallelverschiebung bei planparallelen Flächen) durchlaufen. Auch
die sorgsame Handhabung der feinen Bergerschen Mikrometer-
schraube stützt diesen Schluss. Ferner gewahrt man hin und
wieder und meist in kleinen Gruppen beieinander etwas grössere
Fig. 13.
Guanophoren von Emyda granosa. Vergr. 1088:1.
Die Chromatophoren der Reptilienhaut. 205
(Gebilde von unzweifelhaft plättchenartiger Beschaftenheit, die keine
ganz regelmässige Kantenbegrenzung zu besitzen scheinen (vgl.
Textfig. 13, unten, im mittleren der drei Ausläufer) und mit den
breiten Stäbchen schwache Lichtbrechung (und auch gleiches
optisches Verhalten in polarisiertem Licht) gemein haben. Da nun
die Mehrzahl der Stäbchen (auch bei beträchtlicher Länge) schmal
erscheint, sieht man sich zur Annahme gedrängt, dass sie mit
ihrer Schmalseite überwiegend zur optischen Achse des Mikroskops
parallel gestellt sind, also — da die Beobachtungen an Total-
präparaten angestellt sind — mit ihrer Schmalseite senkrecht auf
der Fläche der Haut stehen.
Die Tatsache, dass bei Emyda der (Guanophoreninhalt aus
Plättchen mit abgeschrägten Enden besteht, lässt die Wahrschein-
lichkeit zu, dass die Stäbchen allgemein langgestreckte Plättchen
darstellen und dass auch dort, wo die Inhaltsmasse körnig erscheint
infolge zu geringer Dimension der einzelnen Elemente, in Wirk-
lichkeit sehr winzige Plättchen vorliegen. Und es gelingt auch
manchmal, bei Zellen mit sehr feinkörnigem Inhalt einzelne
stäbchenartige Gebilde, wenn auch nicht Plättchen, zu beobachten.
So konnte ich solche wenigstens in polarisiertem Licht in dünnen
Schnitten der Guanophoren der Rückenhaut von Tarentola
mauritanica erkennen. Bei Phelsuma madagascariense
sind die Guanophoren der Rückenhaut äusserst feinkörnig, in
denen der Bauchseite lassen sich allerdings sehr kurze Stäbchen
feststellen. —
(remäss der erwähnten Bemerkung Blanchards hinsicht-
lich Lacerta ocellata sollte man bei den Lacertiden
L. agilis, muralis und vivipara den geschilderten Befunden
ähnliche erwarten. Doch deren Guanophoren bieten ein ganz
anderes und bisher vereinzelt stehendes Aussehen dar, dessen nur
Pouchet in oben wiedergegebener Weise bei Lacerta viridis
gedenkt (siehe S. 199). An dünnen Querschnitten der Haut zeigen
die Guanophoren der genannten Arten bei Erhaltung des kristal-
linischen Inhalts eine enge, aber deutliche Streifung, die auf
der abwechselnden Aufeinanderfolge schwächer und stärker licht-
brechender Linien beruht (Fig. 56 a—d, Taf. VIII).!) Die Streifung
') Dass die stärker lichtbrechenden, dunkel wiedergegebenen Linien
bei hoher Einstellung heller sind, konnte in den Abbildungen nicht zum Aus-
206 W. J. Schmidt:
ist im wesentlichen eine Parallelstreifung, derart, dass der Ver-
lauf der Linien der Fläche der Haut gleichgerichtet ist; man
könnte sie kurz Horizontalschichtung nennen. Doch sieht man
bei etwas genauerer Beobachtung leicht, dass die Linien zumeist
nicht gerade sind, sondern oft geschwungen verlaufen, indem sie
im allgemeinen den Krümmungen der Ausläufer sich anpassen
und so dem oberen und unteren Kontur der Zellen im Schnitt ent-
sprechen. Ferner lassen sich auch allerlei Störungen der Schichtung
beobachten, derart, dass zwei Streifensysteme unter einem ge-
wissen Winkel gegeneinander gerichtet in einem Schnitt erscheinen.
Das Aussehen der in den Abbildungen dunklen, stärker licht-
brechenden Linien erlaubt schon in gewöhnlichem Licht die
Deutung, dass sie durch die kristallinische Inhaltsmasse
der Guanophoren bedingt werden, eine Auffassung, die durch die
Beobachtung in polarisiertem Licht bekräftigt wird, indem sie
bei gekreuzten Nikols hell aufleuchten, während zwischen ihnen
Dunkelheit herrscht.
Die stärker lichtbrechenden guaninhaltigen Zonen sind etwas
dünner als die zwischen ihnen gelegenen Linien; ihre Dicke ist
so gering, dass sie bei einer einzelnen Linie kaum zu bestimmen
ist. Misst man die Dicke einer Zelle im Querschnitt, zählt dann
ab, wieviel guaninhaltige Zonen auf die betreffende Stelle ent-
fallen und berücksichtigt, dass diese Zonen durch mindestens
ebenso breite guaninfreie Zonen voneinander getrennt sind, so
gelangt man zu Werten von etwa 0,3 « für die Dicke einer
guaninhaltigen Zone. Da diese Werte der Grenze für die mikro-
skopische Abbildung schon sehr nahe liegen, können sie mit einem
ziemlichen Fehler behaftet sein, zumal auch die Entfernung der
guaninhaltigen Zonen voneinander und die Dicke der einzelnen
Zonen selbst etwas wechselt. Immerhin aber mögen sie als an-
nähernd richtig gelten. Pouchet (siehe oben), der offenbar bei
Lacerta viridis die Streifung der Zellen gesehen hat, gibt als
Abstand der Linien 1—1,5 « an, was für die mir vorliegenden
Formen ganz bestimmt zu hoch ist. Ursache dieser Messungs-
unterschiede kann ein tatsächlicher Unterschied im Verhalten der
einzelnen Lacertiden sein oder aber, was mir wahrscheinlicher
dünkt, ein Messungsfehler. Pouchet hat keine Schnitte untersucht,
druck gebracht werden; sie beanspruchen nicht mehr, als eine Vorstellung
der rein strukturellen Verhältnisse zu erwecken.
Die Chromatophoren der Reptilienhaut. 207
sondern Totalpräparate einzelner Schuppen; an diesen ist aber
die Streifung wohl kaum mit einiger Sicherheit zu messen.
. Es fragt sich nun, wie das Streifungsbild zu erklären ist.
Dass die Streifung der Ausdruck übereinander gelagerter Lamellen
ist, wie Pouchet mit einem gewissen Vorbehalt annehmen
möchte, halte ich aus folgenden Gründen für ausgeschlossen. Be-
trachtet man die Linien genau bei starken Vergrösserungen und
exakter Einstellung, so erscheinen sie nicht glattrandig, sondern
immer in einer gewissen Rauhigkeit der Begrenzung. An vielen Stellen
erkennt man ganz einwandfrei (Taf. VIII Fig. 56, insbesondere d),
dass jede Linieauseiner Unsumme kleinster Körnchen
zusammengesetzt ist, so dass sie keinesfalls den Querschnitt
einer einheitlichen Lamelle darstellen kann. Diese Körnchen
lassen sich auch leicht da beobachten, wo ein Teil einer Guano-
phore allmählich aus der Schnittebene abbiegt und an seinem
äussersten, noch im Schnitt gelegenen Ende aussergewöhnlich ge-
ringe Dicke erreicht (Fig. 56 b rechts, Taf. VIII); an solchen Stellen
löst sich der Zug der guaninhaltigen Zonen wahrscheinlich unter
der Schnittwirkung des Mikrotommessers in eine regellose An-
häufung von Körnchen auf. Ferner sollte man bei einer Über-
einanderschichtung von homogenen Lamellen erwarten, dass die
Guanophoren in Aufsicht (von der Fläche der Zelle betrachtet)
keine Struktur erkennen liessen; dem entgegen erscheinen aber
die Zellen in Flächenansicht immer fein punktiert (Fig. 57, Taf. VIII),
und zwar entspricht die Feinheit dieser Punktierung den kleinen
Körnchen, welche die Linien des Querschnittsbildes zusammen-
setzen.’) Somit zwingt die Kombination des Querschnittsbildes
— parallel geordnete, aus Körnchen zusammengesetzte Linien —
mit der Flächenansichtt — ungeordnete Körnchen — zur Auf-
fassung, dass in den Guanophoren der Lacertiden kleinste
Guaninkörnchen in eine Anzahl von Schichten ge-
ordnet sind, die in gleichmässigem Abstand vonein-
?) Eine fadenartige Aufreihung der Körnchen kann dem Querschnitts-
bild nicht zugrunde liegen, weil in allen möglichen Querschnittsrichtungen
immer die Linien, nicht die etwaigen Fadenquerschnitte unter der Form von
Punkten zu sehen sind, und beim Wechsel der Einstellung die Linien ihre
gegenseitige Lage nicht wesentlich ändern, sondern das Bild der Schichtung
dauernd erhalten bleibt, weil ferner auch mit einer solchen Auffassung das
Flächenbild gewöhnlich nicht in Einklang steht.
208 W.J. Schmidt:
ander im wesentlichen zur Fläche der Haut parallel
verlaufen und regelmässig mit guaninfreien Lagen
abwechseln. Diese Deutung. die den Guanophoren eine höchst
bemerkenswerte Struktur zuspricht, findet auch in folgenden
Überlegungen weitere Stützen. Würde die Streifung auf dem
(Juerschnitt durch Lamellen hervorgerufen, so könnten diese
Lamellen wohl nichts anderes sein als kristallinische Plättchen
von Guanin. Mit dieser Annahme der Kristallnatur der Plättchen
lassen sich aber die Krümmungen der Linien, die manchmal recht
beträchtlich sein können — ich sah bisweilen eine Art konzen-
trischer Schichtung derselben um den Kern herum — nicht ver-
einen; noch weniger geht das an für das Zusammenfliessen zweier
Linien zu einer einzigen oder Gabelung einer Linie in zwei, wie
ich sie einige Male beobachten zu können glaubte. Auch das
Verhalten der Linien zumKern ist bei der Gegenwart von
plättchenartigen Kristallen kaum zu erklären. Während nämlich
bisweilen die Linien dem Kern gewissermaßen ausweichen, sich
bei Annäherung an denselben entsprechend dem Kernumfang all-
mählich voneinander entfernen, ihn dicht angelagert umziehen
und auf der anderen Seite wieder zusammenschliessen (Fig. 56e,
Taf. VIII), und so die beiden den Kern unmittelbar umgreifenden
Linien kleine zwickelartige, an den Kern anstossende Räume um-
schliessen, hören in anderen Fällen dieLinien, dicehtan den Kern heran-
getreten, wie abgeschnitten auf, um sich jenseits in gleicher Weise
fortzusetzen (Fig. 56a, Taf. VIII). Im letzten Falle müsste man
zulassen, dass etwaige Kristallplättchen lochartig durchbohrt sind,
um dem Kern Raum zu geben. Wie man sieht, führt die An-
nahme von übereinander geschichteten, kristallinischen Guanin-
lamellen zu grösseren Schwierigkeiten wie unsere Deutung, die
eine komplizierte Struktur der Zelle voraussetzt. Ich würde diese
Schwierigkeiten nicht ausdrücklich hervorgehoben haben, wenn
nicht das später zu besprechende Verhalten der Guaninzonen im
polarisiertem Licht nicht auch zunächst einer Annahme von
Kristallplättchen zur einfacheren Erklärung der zu beobachtenden
Erscheinungen das Wort zu reden schiene (siehe S. 218): denn
schon allein der Vergleich von @uerschnitts- und Flächenbild
zwingt meiner Auffassung nach notwendig zur Annahme einer
regelmässigen Schichtung kleinster Guaninkörnchen im Zelleib.
Obwohl ich die Entwicklung der Lacertidenguanophoren nicht
Die Uhromatophoren der Reptilienhaut. 209
verfolgen konnte, dürfte doch das nächstliegende sein, anzu-
nehmen, dass vom Beginn des Auftretens des Guanins an seine
Teilchen in der regelmässigen Weise geordnet abgelagert werden,
wie sie in der fertigen Zelle zu beobachten ist, nicht etwa nach-
träglich eine Schichtung der zunächst ungeordneten (uaninmassen
eintritt. Welche Kräfte diese Schichtung bedingen. lässt sich
ohne Kenntnis der Ontogenese gar nicht und auch vielleicht nicht
einmal mit ihr entscheiden. Doch möchte ich nicht die Meinung
unterdrücken, dass eine solche regelmässige Ablagerung des
Guanins in der Zelle keineswegs unbedingt voraussetzt, dass das
Zellplasma von vorneherein einen Schichtenbau besitzt, der die
(uaninablagerung in der geschilderten Weise vorausbestimmt,
sondern dass ein solches Verhalten wohl durch die Art der Aus-
füllung des doch zunächst in gelöster Form im Plasma enthaltenen
(suanins rein chemisch-physikalisch bedingt sein kann. Für die
Möglichkeit derartiger Entstehung einer regelmässigen Schichtung
von ausgefüllten Substanzen in kolloidalen Medien bietet ja das
Liesegangsche Phänomen den Beweis.
Nicht an allen Guanophoren der Lacertiden lässt sich die
beschriebene Schichtung der Guaninkörnchen gleich gut beob-
achten. Zum Teil ist das auf eine ungünstige Schnittführung
zurückzuführen; denn wenn die Schrittrichtung einigermassen
schräg zur Ebene der guaninhaltigen Zonen verläuft, können sich
die einzelnen Schichten nicht deutlich von einander abheben,
sondern eine unregelmässige Verteilung der Guaninkörnchen wird
vorgetäuscht. Es scheint aber auch manchen Zellen die regel-
mässige Schichtung des kristallinischen Inhalts ganz zu fehlen.
Die von mir an den Lacertidenguanophoren beobachteten
Strukturen erinnern am meisten an die von Siedlecki (1909,
S. 711) beschriebenen Xantholeukophoren des javanischen Flug-
frosches. Diese erscheinen halbkugelig, derart, dass der flache
Teil dicht ans Epithel angeschmiegt ist, wo sie dichter liegen,
mehr prismatisch. Ihr Protoplasma ist charakteristisch geschichtet,
indem dichte Protoplasmazonen mit Lagen von Guaninkörnchen
abwechseln. Zwischen den Schichten, vorwiegend im unteren
Teil der Zellen, findet sich gelbes Lipochrom. Dicht bei der Ober-
fläche und in der Mitte des abgeflachten Zellteiles liegt der Kern,
dessen Umrisse immer den Schichten des Protoplasmas, sowie
den äusseren Umrissen der Zelle parallel gehen. Diese Gestalt
Archiv f. mikr. Anat. Bd. 90. Abt. I. 14
20 W. J. Schmidt:
besitzen die Xantholeukophoren in den dunklen Hautstellen,
an den sehr hell gefärbten Stellen sind sie in ellipsoide Ge-
bilde umgewandelt und haben ihren Kern tief im Protoplasma
eingelagert. Da zwischen diesen beiden Extremen alle Übergänge
bestehen, schliesst Siedlecki, dass die Xantholeukophoren ihre
Gestalt verändern können und dabei der Kern von ihrer Ober-
tläche in die Tiefe des Plasmas wandern kann. Bei dieser Wanderung
werden die Lamellen stark umgebogen und so untereinander ver-
mengt, dass sie in einer Zelle, deren Kern sich schon ganz unten
befindet, einige Anhäufungen bilden, an denen nur noch Spuren der
konzentrischen Schichtung sichtbar sind. Da die glitzernden
Guaninkörnchen sich vornehmlich in der Umgebung des Kernes
befinden, der gelbe Farbstoff vorwiegend unter den Interferenz-
körnern ausgebreitet ist, muss bei dieser Lage die blaue Färbung
überwiegen und eine intensiv dunkle, bläulich grüne Hautfarbe
daraus resultieren. Sobald aber die Kerne in die Tiefe wandern,
werden die Guaninkörnchen infolge der Verschiebung des Proto-
plasmas von den gelbes Pigment führenden Schichten überdeckt;
es muss also die gelbe Farbe der Zelle überhandnehmen. Ich
kann mich eines gewissen Zweifels bei der Deutung der Sied-
leckischen Befunde nicht erwehren, da sie anscheinend nur auf
Schnittpräparaten fussen und zwar auf solchen, bei denen das
Lipochrom nicht dargestellt war. Als besonderen Unterschied
gegenüber den Beobachtungen Siedleckis möchte ich noch
hervorheben, dass bei den Lacertidenguanophoren die Schiehtung
des Plasmas im allgemeinen in keiner Beziehung zum Umrisse
des Kernes steht und die starke Abplattung der Lacertidenguano-
phoren Kernverlagerungen ganz ausschliesst.
Wie schon erwähnt, bieten die Lacertidenguanophoren in
Aufsicht gleich denen anderer Formen gewöhnlich das Bild einer
verworrenen Punktierung. Doch machen gewisse Zellen davon
Ausnahmen, sei es, dass man ihre Flächenansicht am Total-
präparat oder an Flachschnitten durch die Haut untersucht.
Man beobachtet nämlich in gewissen Teilen solcher Zellen eine
Streifung, die ganz an diejenige des Querschnittsbildes erinnert
(Fig. 58, Taf. VIII). Die Erklärung hierfür könnte eine zweifache
sein: entweder sind an gewissen Stellen die Guaninkörnchen
innerhalb einer horizontalen Schicht in Reihen angeordnet oder
aber es besteht hier eine andere und zwar vertikale Örientie-
Die Chromatophoren der Reptilienhaut. 211
rung der guaninführenden Schichten. Da es nicht möglich ist,
die gleiche Zelle in Aufsicht und im Querschnitt zu untersuchen,
kann die Entscheidung nur auf indirektem Weg gefällt werden.
Weil sich aus den Querschnitten ergibt, dass die Schichten der
Guaninkörnchen bogigen Verlauf besitzen können, indem sie sich
der Krümmung der Ausläufer anpassen, erhellt es ohne weiteres,
dass an scharfen Biegungsstellen der Ausläufer (falls die Biegung
nicht parallel der Hautoberfläche erfolgt!) die Lamellen auch in
Aufsicht kenntlich sein müssen. Zu solchen Biegungen der Aus-
läufer ist aber dort reichlich Gelegenheit geboten, wo die Guano-
phoren in dickerer Schicht gehäuft sind und mit ihren Ausläufern
sich gegenseitig durchflechten (vgl. Fig. 49, Taf. VIII). Unter solchen
3edingungen muss also ein Teil der Zellen auch in Flächenansicht
die Schichtung zeigen. Mit der Richtigkeit dieser Annahme
stimmt auch überein, dass die Streifung in Flächenansicht gewöhn-
lich an den Ausläufern, die ja stärkere Krümmungen machen,
zu sehen ist, nicht aber am zentralen Zellteil, und dass in gleicher
Weise wie am Querschnittsbild der Verlauf der Linien dem Kontur
der Ausläufer sich anpasst. Schliesslich verhält sich auch das
Streifungsbild in Flächenansicht im polarisierten Licht — das
übrigens die beste Methode darstellt, sich von seinem relativ
häufigen Vorkommen zu überzeugen — ganz so wie dasjenige
des Querschnitts. Somit müssen wir die Streifung im Flächenbild
auf eine von der horizontalen abweichende Orientierung der
guaninhaltigen Schichten der Zellen zurückführen.
In betreff einer weiteren Eigentümlichkeit des Flächenbildes
bin ich nicht zu klarer Deutung gekommen. An vereinzelt liegenden
und mit ihren Ausläufern ziemlich in ein und derselben Ebene
befindlichen Guanophoren (Totalpräparat vom Hinterrand der
Bauchschuppen) fielen mir helle, ziemlich breite, spaltartig
erscheinende Linien auf, die am deutlichsten bei tiefer Ein-
stellung sichtbar waren, also dem vom Epithel abgekehrten Teil
der Zelle anzugehören scheinen (Fig. 57, Taf. VIII). Das letzterwähnte
Verhalten führte mich zunächst zur Auffassung, dass diese Linien
Furchen auf der Unterseite der Zelle darstellen, hervorgerufen
durch in den Zelleib einschneidende Bindegewebsfasern. Da diese
Linien aber eine regelmässige Beziehung zur Zellform erkennen
liessen, indem sie nämlich meist in der Länge der Ausläufer,
insgesamt also einigermassen radiär zur Zellmitte verlaufen, glaubte
14*
2% W.J. Schmidt:
ich diese Annahme fallen lassen zu müssen. Weil aber die Form
der Guanophoren und die Verlaufsrichtung ihrer Ausläufer vom
umhüllenden Bindegewebe mitbestimmt wird, so wäre doch denkbar,
dass aus diesem Grunde spaltartige Linien und Ausläufer zusammen-
fallen. Dafür würde auch sprechen, dass ich bisweilen festzustellen
glaubte, dass ein solcher Spalt ohne Richtungsänderung, aber durch
einen freien Zwischenraum unterbrochen, von einem Ausläufer auf
einen nicht unmittelbar mit ihm zusammenhängenden benachbarten
überging. Vielleicht sind diese Spalten aber auch das Negativ
gewisser gleich zu besprechender plasmatischer Strukturen. —
Lacertidenguanophoren, deren kristallinischer Inhalt im Ver-
lauf der Eisenhämatoxylinfärbung aufgelöst wurde (vgl. S. 200),
zeigen eine von der besprochenen Guaninschichtung bedingte
Streifung ihres Plasmas (Fig. 59 und 60a—c, Taf.VIII). Bei
starker Färbung nimmt ihr Zelleib einen blaugrauen Ton an, bei
weitergehender Extraktion des Eisenhämatoxylins und nachheriger
Tinktion mit Eosin speichert er den letzten Farbstoff ziemlich
kräftig. Trotz der bedeutenden Menge von Guanin, welche die
Zellen enthalten, sind aber, wie ich auch schon früher betont
habe (W.J. Schmidt 1912a, S. 197), keinerlei Lücken im Zyto-
plasma wahrzunehmen, die den aufgelösten Körnchen entsprechen
würden. Dieser zunächst verblüffende Befund dürfte wohl so
zu erklären sein, dass doch an Stelle der Körnchen Hohlräume
im Plasma vorhanden sind, diese aber infolge ihrer geringen (Grösse
der Beobachtung entgehen, weil sie natürlich viel schwieriger
sichtbar sind als die Guaninkörnchen, die einen grossen Brechungs-
unterschied gegenüber ihrer Umgebung besassen. Nimmt man
an, dass keine Hohlräume durch das Auflösen der Körnchen
entstehen, so muss man voraussetzen, dass sie nicht rein aus
säure- oder alkalilöslicher Substanz (Guanin) bestehen, sondern
noch andere Beimengungen enthalten: eine solche Annahme ent-
behrt aber zunächst der Berechtigung. Jedenfalls zeigen die
Lacertidenguanophoren, dass auch nach der Entfernung der Guanin-
körnchen ihre ehemalige Anordnung im Plasma sichtbar bleibt,
und dass gegenüber den körnchenfreien Schichten das guaninent-
haltende Plasma durch die Anwesenheit der Körnchen eine Ver-
änderung seiner Struktur (Vakuolisierung) erfahren hat. Wenn
sich ein derartiges Verhalten bei den Guanophoren mit regellos
gelagerten Guanineinschlüssen nicht nachweisen lässt, so liegt es
Die Chromatophoren der Reptilienhaut. 213
eben daran, dass die Veränderung so gering ist, dass sie, über
die ganze Zelle gleichmässig verteilt, nicht zum Ausdruck kommt
und erst bei einer gesetzmässigen Lagerung der Guaninkörnchen
wahrnehmbar wird.
Wie bei derZelle, deren kristallinischer Inhalt erhalten ist, lässt
sich nach Entfernung des Guanins eine zarte Horizontal-
streifung feststellen, die aus abwechselnd dünneren, in den
Abbildungen etwas dunkler wiedergegebenen, und dickeren, helleren
Zonen besteht. Die ersten dürften den ehemaligen Guaninlagen
entsprechen, wenigstens zeugt dafür das gegenseitige Dickenver-
hältnis der Streifen, obwohl allerdings die Deutung schwierig ist,
da ein so unzweifelhaftes Entscheidungsmerkmal wie das Verhalten
in polarisiertem Licht hier natürlich fehlt.
Im ganzen ist es erstaunlich, wie viel Zytoplasma die Zellen
enthalten, da sie doch mit Guanin dicht vollgepfropft sind. Ausser
dem beschriebenen gestreiften Protoplasma zeigt der Zelleib hier
und da (Fig. 59, Taf. VIII) fädige Bildungen, die auf längere
oder kürzere Strecken zu verfolgen sind, sich mit Eisenhäma-
toxylin kräftig schwärzen und etwas körnig erscheinen. Sie halten
wohl meist einen Verlauf entsprechend der Richtung der Ausläufer
ein und ziehen demnach zum Kern hin. So sah ich denn auch
Zellen, in denen unmittelbar vom Kern solche stark färbbare Massen
ausgingen (Fig. 60b, Taf. VIII). Vielleicht bedingen diese strang-
artigen (Gebilde, über deren Natur ich mir kein weiteres Urteil
erlauben kann, die vorhin erwähnten Spalten an den Guanophoren
mit erhaltenem kristallinischen Inhalt. Ferner beobachtete ich
zweimal in der Nähe des Kernes eine Unterbrechung der streifigen
Plasmastruktur, bedingt durch eine rundliche Ansammlung kör-
nigen Plasmas, in deren Inneren ein oder auch mehrere winzige,
stark von Eisenhämatoxylin gefärbte Körnchen sich befanden
(Fig.59. Taf. VIII). Lage und gesamtesVerhalten dieser Bildung liessen
siewohlalsSphäre undZentriolansprechen, wenn nicht die Richtig-
keit dieser Deutung durch die wenigen Beobachtungsfälle ge-
fährdet wäre. Für das Vorhandensein eines zellulären Zentrums lässt
sich aber doch vielleicht die Tatsache ins Feld führen, dass manchmal
bei Guanophoren, deren kristallinischer Inhalt erhalten ist, ausser
der hellen, den Kern andeutenden Stelle, und zwar in deren Nähe,
eine zweite derartige Auflichtung im Zelleib bemerkbar ist, die
frei oder arm an Guanin erscheint und um die herum eine gewisse
214 W.J. Schmidt:
radiäre Anordnung der kristallinischen Stäbchen sich gelegentlich
zu erkennen gibt.
d) Bewegungserscheinungen der Guanophoren ?
Die etwaige Anwesenheit eines zellulären Zentrums in den
(suanophoren, das bei anderen Chromatophoren der Reptilienhaut,
den Melanophoren und Allophoren, den Richtpunkt der intrazellu-
lären Körnchenströmung abgibt, veranlasst mich, hier schon die
Frage aufzuwerfen, ob den Guanophoren Bewegungserscheinungen,
seien es nun intrazelluläre Pigmentverschiebungen bei Erhaltung
der Zellform oder amöboide Beweglichkeit unter Formveränderung
der Zelle, zukommen. Da positive Beobachtungen am lebenden
Material mir nie gelangen, muss sich die Beantwortung auf eine
Erörterung der morphologischen Tatsachen, die hier Aufschluss
geben könnten, beschränken. Während nun die Melanophoren durch
die charakteristischen und gesetzmässigen Unterschiede in der Ver-
teilung ihres granulären Inhaltes schon allein aus der Betrachtung
der im fixierten Präparat festgehaltenen Zustände mit Sicherheit
auf intrazelluläre Bewegungserscheinungen schliessen lassen, führt
eine solche Erwägung hinsichtlich der Guanophoren zu einem
negativen Ergebnis. Gegen intrazelluläre Körnchenströmungen
in den Guanophoren spricht vor allem die stets gleichmässige
Verteilung des kristallinischen Inhalts im Zelleib; nie gewahrt man
an den Guanophoren eine Anhäufung des Guanins im Zentrum
der Zelle oder umgekehrt bei Entleerung des Zentrums in den Aus-
läufern. Und wenn auch, trotz dieser mangelnden Beobachtungen,
eine intrazelluläre Körnchenströmung immer noch bei Guanophoren
mit regellos gelagerten Guaninkriställchen denkbar bliebe, so
erscheint sie doch vollkommen ausgeschlossen bei den Lacertiden-
guanophoren; deren besondere Schichtung könnte natürlich bei
intrazellulären Strömungen des schichtenbildenden Materials nicht
erhalten bleiben. Aus dem gleichen Grunde sind auch amöboide
Bewegungen bei den Lacertidenguanophoren vollkommen ausge-
schlossen und dass sie ebenfalls den Guanophoren mit regellos
gelagertem kristallinischen Inhalt fehlen, zeigt die Tatsache, dass
nie abgekugelte Guanophoren beobachtet wurden, sondern immer
stellen sie verästelte Zellen dar.
Schon früher hatte ich mich aus ähnlichen Gründen gegen
irgendwelche Bewegungserscheinungen an den Guanophoren aus-
Die Chromatophoren der Reptilienhaut. 215
gesprochen (W.J.Schmidt 1912a, S. 194, 1913, S. 393). Doch
veranlassten mich gewisse Feststellungen bei den Guanophoren
von Teratoscineus, für diese Form die Möglichkeit einer
Ausnahme, also Bewegungsfähigkeit, zuzulassen (W.J.Schmidt1913,
S. 393). Die Guanophoren von Teratoscincus sind sehr stark
und unregelmässig verästelte Zellen mit dünnen Ausläufern
(Textfig. 14a) und schwach ausgeprägtem zentralen Zellteil. Bei
zahlreichen dieser Zellen erscheinen die Ausläufer nicht kontinuier-
lich, sondern in eine Reihe tropfenartiger Stücke zerfallen, wie
ich es a. a. O. mit einer Abbildung belegte und auch hier nochmals
von einer anderen Zelle zur Darstellung bringe (Textfig. 14b).
Da ein solcher Zustand bei Melanophoren durch Pigmentmassen
verursacht gilt, die bei der Pigmentballung in den Ausläufern
zurückblieben, so wies ich auf diese Deutung zur Erklärung des
eigentümlichen Bildes hin. Wenn nun auch, da die geschilderten
Beobachtungen an Totalpräparaten der platten, sehr dünnen
Schuppen von Teratoscincus angestellt wurden, der Einwand
von Fuchs (1914, S. 1592) hinfällig wird, es könne ein solches
Bild dadurch entstehen, dass die Fortsätze geschlängelt seien und
nicht ganz in die Ebene des Schnittes fielen, so stimme ich
doch diesem Autor darin bei, dass „unsere bisherigen Kennt-
nisse nicht dazu berechtigen, „eine Beweglichkeit“
des Inhalts der Guanophoren bei den Reptilien an-
zunehmen, solange nicht neue eindeutigere Beobachtungen
bekannt werden“. Das eigenartige Bild bei Teratoscincus
ist dann vielleicht so zu erklären, dass Teile der Guaninmassen
in den Ausläufern nachträglich gelöst wurden — es stand mir
nur konserviertes Material zur Verfügung — oder dass tat-
a Fig. 14 b
Guanophoren von Teratoscincus. Vergr. 230:1.
216 W. J. Schmidt:
sächlich hier eine solch ungleichmässige Verteilung des Guanins
in den Ausläufern besteht. Schliesslich sei nochmals bemerkt,
dass ich an den Lacertidenguanophoren bei stundenlanger Kontrolle
überlebenden Materials niemals irgendwelche Verlagerungen des
kristallinischen Inhalts oder überhaupt Bewegungserscheinungen
wahrnehmen konnte.
e) Verhalten des kristallinischen Inhaltes in polarisiertem Licht.
Was bisher über das Verhalten des kristallinischen Guano-
phoreninhaltes in polarisiertem Licht bekannt war, ist schon früher
(s. 5. 201) zusammengestellt und beschränkt sich auf die Tatsache,
dass die Guaninmassen doppelbrechend sind. Zunächst ist
also die Untersuchung in polarisiertem Licht bei gekreuzten
Nikols geeignet, leichter und sicherer die Verbreitung der Guano-
phoren, die Lagerung und Formverhältnisse ihrer kristallinischen
Einschlüsse festzustellen, im Zweifelsfall überhaupt Guanin von
in gewöhnlichem Licht ähnlich erscheinenden granulären Massen
zu unterscheiden und somit für die voraufgegangenen rein morpho-
logischen Betrachtungen von nicht zu hoch veranschlagbarem
Nutzen. Weiterhin aber gibt erst die eingehendere Beobachtung
des Verhaltens in polarisiertem Licht die volle Sicherheit, dass
die Guaninmassen Mikrokriställchen sind, wenn mir auch
bei der winzigen Ausdehnung der Gebilde die genaue Erkennung der
Kristallform, d.h. der Zugehörigkeit zu einem bestimmten Kristall-
system, nicht gelang. Ferner weisen die Beobachtungen in polari-
siertem Licht darauf hin, dass in den Lacertidenguanophoren
streckenweise eine gewisse gleichmässige Orientierung der einzelnen
Guaninteilchen hinsichtlich ihrer optischen Achse besteht.
Guanophoren mit regellos gelagerten stäbchen- oder
plättchenförmigen Guaninteilchen, wie die von Gecko
verticillatus, Emyda granosa und Uroplatus zeigen
zwischen gekreuzten Nikols immer eine grössere Anzahl von
Stäbehen hell. Dreht man den Objekttisch, so verdunkeln sich all-
mählich die zunächst sichtbar gewesenen Stäbchen bis zum schliess-
lichen Verschwinden, und neue Stäbchen tauchen auf. Genaueres
Verfolgen dieser Erscheinung lehrt, dass die Stäbchen dann sicht-
bar sind, wenn ihre Längsrichtung = 45° zu den Polarisations-
ebenen steht, dass sie dagegen ausgelöscht werden, wenn die Längs-
richtung mit den Polarisationsebenen der Nikols zusammenfällt. Die
Die Chromatophoren der Reptilienhaut. 217
Auslöschung ist also, soweit sich das ohne Anwendung weiterer
Hiltsmittel feststellen lässt, gerade. Da nun bei einer Gesamt-
betrachtung des Bildes diejenigen Stäbchen am meisten auffallen,
die gemäss ihrer Lage zu den Polarisationsebenen gerade das
Maximum der Helligkeit besitzen, so scheinen die Stäbchen eine
sehr regelmässige Anordnung in zwei aufeinander senkrechten
Riehtungen zu besitzen. Dieses Verhalten erklärt sich eben daraus,
dass in polarisiertem Licht immer nur ein Teil der Stäbchen je-
weils sichtbar ist, wie Ja auch die Betrachtung der gleichen Zelle
in gewöhnlichem Licht erkennen lässt, dass keinerlei bestimmte
Anordnung der Guaninteilchen besteht. Da bei Längsansicht des
Stäbchens Aufhellung und Verdunkelung gleichmässig das ganze
Stäbchen betrifft und zwar viermal bei einer Drehung des Objekt-
tisches um 360° eintritt, müssen die Stäbchen, unter Berück-
sichtigung der früher geschilderten Form, als Kriställchen
betrachtet werden. Bei Emyda granosa konnte ich ein von
dem vorher beschriebenen abweichendes Verhalten an den „breiten
Stäbchen“, richtiger an den Plättchen in Flächenansicht
feststellen: sie blieben bei Drehung des Objekttisches um 360°
stets dunkel, woraus geschlossen werden muss, dass in dieser
Lage der Plättchen ihre optische Achse (die Richtung, in der
keine Doppelbrechung stattfindet) mit der optischen Achse des
Mikroskops zusammenfällt. Achsenbilder waren bei der geringen
Grösse der Kriställehen nicht zu erhalten.
Die Farbe der Guaninkriställchen in polarisiertem Licht ist
weisslich, vielleicht mit leichtem Schimmer ins Gelbliche; deutlich
ausgesprochene Interferenzfarben zeigen sich jedenfalls bei den
genannten Formen mit unregelmässiger Lagerung der Einzel-
teilchen nicht. Untersucht man mit eingelegtem Gipsplättchen
Rot I. ©., so erscheinen die Stäbchen in Additionsfarben (Blau I. O.),
wenn ihre Längsachse mit der Richtung grösster Elastizität im
Gipsplättchen zusammenfällt, in Subtraktionsfarben (Gelb I. ©.)
senkrecht dazu; in den dazwischen gelegenen Lagen nehmen sie
die Übergangsfarben zwischen Blau Il. O. und Gelb I. O. an.
Bei den Lacertidenguanophoren sind wegen ihrer geringen
Grösse an den einzelnen Guaninteilchen keine Beobachtungen
anzustellen. Doch zeigen die Zellen im ganzen oder wenigstens
in grösseren Zellabschnitten verschiedene bemerkenswerte Eigen-
tümlichkeiten. Untersucht man die Zellen in Flächenansicht
218 W. J. Sehmidt:
unter starken Vergrösserungen zwischen gekreuzten Nikols, so
erscheinen sie nur teilweise und meist in geringem Grade hell:
selbst bei Drehung des Objekttisches gelingt es nicht, alle Teile
einer Zelle einmal zum Aufleuchten zu bringen. Daraus ist zu
schliessen, dass die einzelnen Guaninteilchen in den Lacertiden-
guanophoren meist so gelagert sind, als wären sie Plättchen
(siehe oben) in Flächenansicht. Dagegen leuchten die Quer-
schnitte der Zellen, welche die Guaninschichten zeigen, im
dunkeln Gesichtsfeld bei gewissen Stellungen stark auf, und hier-
mit in Übereinstimmung lässt sich umgekehrt auch meist an
Zellen, die in Flächenansicht stark hell erscheinen, die Lamel-
lierung der Zellen unterscheiden. Ferner zeigen die Querschnitte
in gewisser Ausdehnung bei Drehung des Objekttisches merklich,
wenn auch nicht vollkommen gleichmässiges Hell- und Dunkel-
werden. Diese Übereinstimmung der Auslöschungsrichtung in ge-
wisser Ausdehnung innerhalb der Zelle setzt voraus, dass strecken-
weise eine hinsichtlich der optischen Verhältnisse gleichsinnige
Anordnung der Guaninteilchen besteht, vergleichbar parallel ge-
lagerten Guaninstäbchen.
f) Chemische Natur des kristallinischen Inhaltes.
Hier seien einige Mitteilungen über die chemische Natur
des kristallinischen Guanophoreninhalts gegeben, den wir im
vorigen kurzweg als Guanin bezeichnet haben. Der erste, der
sich hierüber geäussert hat, war Leydig (1868, 8. 31); er ver-
mutete in dem „weissen, nicht irisierenden“ Pigment, wie es bei
der Blindschleiche und den Nattern in grosser Ausdehnung über
den Körper vorkomme (auch bei Crotolus horridus, S. 92),
harnsaure Verbindungen und vergleicht das ihm verwandte
„metallisch glänzende“ Pigment bei Amphibien, dessen Körnchen
mitunter kristallinische Zuschärfung erkennen liessen, mit den
irisierenden Plättchen des Metallglanzes bei Fischen, die eine
Fortbildung dieser Elemente ins Grosse darstellten und nach
Barreswil aus Guanin beständen. Diesen Mutmassungen gingen
Ewald und Krukenberg (1882b, S. 254) nach und fanden
zunächst dieDoppelbrechung der bald kleineren, bald gröberen
(bei der Salamanderlarve) länglichen, sehr stark lichtbrechenden,
nicht deutlich kristallinischen Körperchen, weiterhin ihre Lös-
lichkeit in Säuren und Alkalien, die gegen Kalk und
Die Chromatophoren der Reptilienhaut. 219
Harnsäure spricht und den Verdacht auf Guanin erweckt. Bei
Platydactylus guttatus war das Guanin unschwer durch
die unten geschilderte Reaktion direkt nachzuweisen; auch ein
Stück Chamäleonenhaut gab eine deutliche Reaktion auf Guanin.
Im allgemeinen wurde die kreidige Masse durch Verdauen der
umschliessenden (Gewebsteile mit neutraler oder sehr schwach
alkalischer Trypsinlösung isoliert, eventuell noch durch Schlämmen
gereinigt, der mit Wasser ausgewaschene Rückstand mit verdünnter
Salzsäure gekocht, die Lösung filtriert und das noch heisse Filtrat
mit Ammoniak genau neutralisiert. Enthielt das Filtrat fast
reines Guanin, so bildete sich in der verdünnten Fiüssigkeit erst
nach einiger Zeit ein Niederschlag; ein sofort entstehender wurde
durch Filtration entfernt; er enthielt nıemals nachweisbare Mengen
von Guanin (bei Elaphis, Tropidonotus). Nach 1—2 Tagen
hatte sich fast alles Guanin in mehr oder weniger deutlich aus-
gebildeten Drusen von stark doppelbrechenden Kristallprismen ausge-
schieden. Wurden hiervon Proben mit konzentrierter Salpetersäure
zur Trockne verdampft und der Verdampfungsrückstand mit einem
Tropfen Natronlauge benetzt, so färbte er sich rot und darauf,
mit etwa 1 ccm Wasser übergossen und nochmals zum Sieden
erhitzt, purpurrot, bisweilen blauviolett. Krukenbergs Guanin-
nachweis stützt sich also vornehmlich auf die Murexidprobe.
Reich an Guanin erwies sich unter den Reptilien die Haut von
Chamaeleo vulgaris, Scincus officinalis, weniger fand
sich bei Tropidonotus natrix und einer brasilianischen
Pythonart, gering war die Ausbeute bei Elaphis; bei Cal-
lopeltis quadrilineatus und bei verschiedenen Lacertiden-
arten blieben die Befunde völlig negativ, obwohl die mikroskopische
Untersuchung Zellen mit kreidigem doppelbrechenden Inhalt er-
kennen liess; und es gelang dann auch später bei Lacerta
agılis (S. 265) eine schwache, aber vollkommen deutliche Guanin-
reaktion, so dass mikroskopischer und chemischer Befund in
Übereinklang stehen. Bei Pseudopus gelang Krukenberg
der Nachweis nicht, doch muss ich dazu bemerken, dass auch
dieser Form Guanophoren zukommen. Ferner wies Krukenberg
das Guanin noch bei einigen Schlangen, Coluber Aesculapii,
Platyurusfasciatus und Leptophis liocerus mit Sicher-
heit nach und zwar durch direktes Erwärmen der Hautstücke mit
konzentrierter Salpetersäure bis zum Durchsichtigwerden der
220 W.J. Schmidt:
weissen, kreidigen Stellen; wurden dann die Hautstücke entfernt,
die Salpetersäure bis zur Trockne verdampft und die Probe mit
Natronlauge angestellt, so fiel bei Gegenwart von Guanin die
Farbenreaktion immer vollkommen rein aus. Später (1883, S. 154)
gelang Krukenberg auch noch der Guaninnachweis bei Coro-
nella laevis. ferner in der Kehlhaut bei Emys europaea
und an den schuppenlosen Hautstellen, am Ober- und Unterkiefer
eines jungen Alligators, was mit unserem mikroskopischen
(suanophorennachweis bei Tieren dieser Gruppen (siehe S. 197)
gut vereinbar ist.
Auch Keller (1895, S. 146) und ich (W.J.Schmidt’'1912a,
S. 197) haben den Inhalt der Guanophoren bei Uhamaeleo bzw.
Phelsuma nach dem positiven Ausfall der Murexidprobe als
(suanin angesprochen, doch hebt Fuchs (1914, S. 1602) hervor,
dass diese Reaktion für Guanin nicht charakteristisch ist, weil das
X\anthin das gleiche Verhalten zeigt. Allerdings bemerkt schon
Krukenberg (1882b, S. 260), dass die Leichtigkeit, mit der
sich namentlich der gelbe Nitrokörper bildet, gegen Xanthin
und Hypoxanthin spricht. Auch liess sich mit speziellen Methoden
(bei Lacerta und Gallopeltis, wo allerdings weder Guanin
noch Harnsäure nachzuweisen war. aber nach dem mikrosko-
pischen Befund sicher im ersten Fall Guanophoren vorliegen),
kein Hypoxanthin feststellen. Da nun ein Unterschied des Guanins
gegenüber Xanthin und Hypoxanthin in der Schwerlöslichkeit
des Guanins in konzentriertem überschüssigem Ammoniak besteht
(Biochem. Handlexik., Bd. IV, 5. 1029 u. 1042), so habe ich die
Löslichkeit des kristallinischen Guanophoreninhalts unter diesen
Bedingungen einer erneuten Prüfung unterzogen. Es ergab sich,
dass konzentriertes Ammoniak in sieben Stunden den kristal-
linischen Inhalt der Guanophoren nicht ganz und überall zu lösen
vermochte, während Kalilauge die in Rede stehende Substanz
sehr rasch löste (Hautstücke vonPhelsuma madagascariense).
Ferner habe ich aus der Haut von Phelsuma einen Auszug mit
verdünnter Salzsäure unter gelindem Erwärmen hergestellt, der,
zur Trockene verdampft, einen gelblichen Rückstand hinterliess,
von dem Proben intensive Murexidreaktion gaben. Dieser Rück-
stand zeigte, mit verdünnter Salzsäure aufgelöst, bei Zusatz von
konzentrierter Pikrinsäure sofort einen Niederschlag, der mikro-
skopisch ausser anderen Kristallen (wohl von Pikrinsäure und
Die Chromatophoren der Reptilienhaut. 221
(wuanin), die pinselförmigen Büschel feiner Nadeln
erkennen liess, die dem Guaninpikrat zukommen (Biochem. Hand-
lexikon). Somit scheint doch hinsichtlich der Möglichkeit, dass
Guanin oder Xanthin im Guanophoreninhalt enthalten ist, für
den letzten Körper nur wenig Wahrscheinlichkeit vorzuliegen.
Krukenberg (1882b,S. 261) hat auch der Frage Aufmerk-
samkeit geschenkt, ob eventuell ans Guanin Kalk gebunden ist.
Bei dem durch Verdauung gewonnenen, ziemlich reinen Präparat
vom Chamäleon wurde der Verdauungsrückstand verascht, die
Asche mit starker Schwefelsäure längere Zeit stehen gelassen
und alsdann mikroskopisch auf Gipskristalle geprüft. Diese sehr
empfindliche Methode lieferte ein völlig negatives Ergebnis
und Krukenberg zieht daraus den Schluss, dass wenigstens
in der Haut des Chamäleons das Guanin als solches und nicht
als Guaninkalk präformiert vorkommt. Keller dagegen
(1895, S. 146) sprach den Guanophoreninhalt des Chamäleons als
(uaninkalk an, ohne hierfür besondere Beweise zu erbringen,
sondern einzig nach Analogie mit den irisierenden Plättchen der
Fische; auch Thilenius (1897, S. 518) bezeichnet das „weisse
Pigment“ als Guaninkalk. Nun geht aber aus der Darstellung
der einschlägigen Beobachtungen bei Fuchs (1914, S. 1414)
hervor, dass auch für die Fische der sichere Nachweis von Guanin-
kalk nicht erbracht ist; vielmehr kommt dieser Autor zum End-
ergebnis, dass der Kalk wahrscheinlich eine zufällige Beimengung
darstellt. Unter solchen Umständen kann ich auch meiner Beob-
achtung (W. J. Schmidt, 1912a, S. 197), dass beim Zusatz von
Schwefelsäure zu Hautstückchen von Phelsuma Kristalle auf-
treten, die ich damals als Gips deutete, keinen Wert mehr bei-
messen; wäre es doch möglich, dass diese Kristalle Guaninsulfat
sind, und auch wenn es sich um Gips handelte, könnte das Cal-
cium, wie Fuchs mit Recht betont (1914, S. 1602), aus anderen
Verbindungen herstammen, da ganze Hautstücke zur Reaktion
verwendet wurden.
Keller (1895, 8. 146) berichtet von den Guanophoren des
Chamäleons, ihre Körnchen seien in Säuren unter Gasbildung
löslich, was immerhin für einen Kalkgehalt sprechen würde. Bei
Phelsuma konnte ich (W. J.Schmidt 1912a, S. 197) keine
Entwicklung von Gasbläschen beim Lösen des Inhalts beobachten.
In gleicher Richtung zielende, neuere Versuche bei Lacerta
222 WSchmidt:
muralis blieben ebenfalls ohne Erfolg. Beim Zusatz von Salz-
säure zu (in Alkohol konservierten) Stückchen des Hinterrandes
von Bauchschuppen, die genau die Guanophoren zu beobachten
gestatten, schmilzt der kristallinische Inhalt alsbald unter Dunkel-
werden zu kugeligen oder mehr unregelmässigen, kleinen Massen
zusammen, die bei stärkeren Vergrösserungen, vor allem, wenn die
Säurewirkung langsam erfolgte, deutlich eine Zusammen-
setzungausKristallen erkennen lassen (Textfig. 15), diemanchmal
beträchtliche Grösse erreichen
(Guaninchlorid ?). Dieses inter-
mediäre Produkt geht bei längerer
Einwirkung der Säure in Lösung.
Ähnliches lässt sich auch bei An-
wendung von Schwefelsäure beob-
achten. Neumann (1909, S. 571),
der den Inhalt von Amphibienguano-
phoren (vor allem im Bauchfell des Fig. 15.
Frosches) als scharfeckige, rhom- Kristalldrusen, entstanden aus
bische Täfelchen, von mehr qua- dem Guanophoreninhalt einer
dratischer oder gewöhnlich läng- Pauchschuppe von Lacerta
licher Form mit stärker abge- Yivipara wauL AurzER zus
stutzten Enden nachwies, sah ihn lung ne Salzsäure.
ergr. 400:1.
bei Zusatz von Salzsäure ver- n
schwinden „oft unter Auftreten grösserer prismatischer Kristalle
und Kristallbündel“. Schliesslich sei noch bemerkt, dass Essig-
säure, die den Inhalt der Guanophoren nicht zu lösen vermag, auch
keine Gasbildung hervorruft.
Unsere bisherigen Kenntnisse von der chemischen Natur des
kristallinischen Guanophoreninhaltes weisen demnach darauf hin,
dass er aus Guanin — nicht aus Xanthin — besteht und auch
keinen Kalk enthält.
g) Strukturfarben.
Wie schon mehrfach hervorgehoben, spielen die Guanophoren
eine wichtige Rolle bei der Erzeugung der blauen und im Verein
mit den Lipophoren auch der grünen Farbe der Haut. Wie dieses
Strukturblau der Guanophoren bei auffallendem Licht zustande
kommt, darüber herrscht noch keine volle Einigkeit, indem sich
die einen Autoren für Interferenzerscheinungen, die
Die Chromatophoren der Reptilienhaut. 223
anderen für die Farbenentstehung nach dem Prinzip
trüber Medien entschieden haben. Da die einschlägigen Ver-
hältnisse in neuerer Zeit bei Keller (1895, S. 152f), mir
(W. J. Schmidt 19123, 8.1971.) und Fuchs (1914, ‚8.1593
und 1598) schon eine eingehende Darstellung erfahren haben,
möchte ich mich hier auf die Besprechung einiger Punkte be-
schränken, die in meiner früheren Darstellung nicht scharf genug
hervortreten oder mit den in dieser Arbeit dargelegten neueren
beobachtungen zusammenhängen.
Dass die Guanophoren fähig sind, bei auffallendem Licht
und Anwesenheit eines schwarzen Hintergrundes Blau als
Interferenzfarbe zu erzeugen, scheint mir aus folgenden
Beobachtungen mit Sicherheit hervorzugehen. Erstens hängt bei
manchen Formen die Nuance der blauen Farbe vom Einfalls-
winkeldes Lichtes ab. DeGrijs(Werner1913,S.27) berichtet
von Phelsuma madagascariense, dass in der Richtung des
einfallenden Lichtstrahls gesehen, die Farbe rein gelbgrün ist,
gegen das Licht gesehen blaugrün, der Schwanz leuchtend hell-
blau. Diese Beobachtung kann ich für Alkoholmaterial der gleichen
Art, ferner für Balsampräparate von Hautstücken von Calotes
jubatus und Lygosoma smaragdinum bestätigen: in der
Richtung des einfallenden Lichtes gesehen ist der Farbenton mehr
oder minder deutlich grün, gegen das Licht betrachtet, blau.
Eine solche Erscheinung weist doch wohl auf Schillerfarben hin.
Zweitens sieht man bei der Betrachtung solcher Präparate unter
dem Mikroskop, wie ich auch schon früher (W.J. Schmidt 1912a,
S. 202) betont habe, einzelne Teilchen des Guanophoren-
inhaltes in goldig grünen Lichtfünkchen geradezu aufblitzen; die
Intensität dieser Farben spricht von vornherein gegen ihre
Entstehung nach dem Prinzip der Farben trüber Medien; auch
geht ja bei Farben trüber Medien die Farbe mit dem (bei mikro-
skopischer Betrachtung) Kenntlichwerden der Strukturteile ver-
loren, weil sie eine Gesamtwirkung zahlreicher Teilchen
darstellt. Drittens zeigen die Guanophoren auch bei durch-
fallendem Licht verschiedene Interferenzfarben ; wenn solche aber
auftreten, sind sie de Komplementärfarben zu den im auf-
fallenden Licht sichtbaren (W.J. Schmidt 1912a, S.196). Eine
solche Beziehung ist aber für die Farben dünner Blättchen
typisch. Wenn Keller (1895, S. 156) betont, dass die Inter-
224 W.J. Schmidt:
ferenzanschauung sich auf den Fall zurückziehen müsse, dass die
Teilchen parellelflächig seien, so bedeutet das nach unserer
Feststellung (siehe S. 205) von der plättchenartigen Form der
(auaninteilchen keinen Einwand mehr, und wenn er weiter fordert,
dass die Dicke der Teilchen 0,1 « nicht überschreite, so dürfte
auch dieser Bedingung in vielen Fällen Genüge geleistet sein;
denn gerade die sehr feinkörnigen (suanophoren, die selbst bei
den stärksten Vergrösserungen fast homogen erscheinen, erzeugen
die schönsten blauen Farben (W. J. Schmidt 1912a, S. 195).
Wenn ich somit der Interferenz bei der Erzeugung der
blauen Farbe eine wichtige Rolle zusprechen möchte. so soll damit
die Wirkung der Guaninteilchen alstrübender Partikelchen
voreinemdunklen Hintergrund nicht unterschätzt werden
(solche Teilchen reflektieren überwiegend kurzwelliges, blaues Licht
und lassen langwelliges hindurchtreten, das dann von dem dunklen
Hintergrund absorbiert wird); denn man begegnet auch blauen
Hautstellen, die nicht die aufblitzenden Farbenfünkchen unter
dem Mikroskop erkennen lassen, sondern matter und gleichmässig
blau gefärbt erscheinen. So glaube ich denn, dass die beiden
Faktoren an der Erzeugung der blauen Farbe beteiligt sind und
es darauf ankommt, in jedem einzelnen Fall ihren Anteil an der
Farbengebung festzustellen.
Werden die (ruaninteilehen grösser, so vermögen sie nicht
mehr Blau zu erzeugen. wie ich denn niemals an Zellen mit leicht
kenntlichen kristallinischen Einschlüssen diese Farbe in auffallendem
Licht beobachtete: vielmehr bieten solche Zellen insgesamt weiss-
liches Aussehen dar.
Die grüne Farbe kommt in der Regel dadurch zustande.
dass Lipophoren über blau erscheinenden Guanophoren gelagert
sind. Doch sah ich bei Alkoholmaterial von Phelsuma mada-
gascariense (W.J.Schmidt 1912a, S. 204) eine grasgrüne
Farbe erhalten, die in diesem Falle nicht der Beteiligung von
Lipophoren zugeschrieben werden kann. Damals war ich geneigt,
dieses Verhalten als durch die Guanophoren allein verursacht zu
betrachten, was bei der Auffassung der Farbe als Interferenz-
farbe wohl möglich ist; indessen halte ich doch nicht für ausge-.
schlossen, dass hier die gelb gefärbte Epidermis die Lipophoren
vertrat (vgl. auch S. 112). Immerhin sei in diesem Zusammen-
hang erwähnt, dass Pouchet (1576, S.58) bei Fröschen ähnliches
Die Chromatophoren der Reptilienhaut. 225
beobachtete: les iridoeytes .... qui sont bleus ou violets a la
lumiere transmise, offrent tres souvent par eux meömes et en dehors
de toute combinaison de pigment, un reflet nettement vert.
VI. Erklärungsversuche der intrazellulären
Bewegung der Pigmentgranula.
CS rm
Obwohl schon Leydig (1868, S. 74) bei Lacerta vivipara
beobachtete, dass Melanophoren, die in der vom lebenden Tier
genommenen Haut als kugelige, schwarze Flecken erschienen,
beim Übertragen in Glyzerin’ zu weit und zierlich verästelten
Gebilden wurden, ist es bis jetzt noch niemanden geglückt. die
Einzelheiten der Pigmentverlagerung in Melanophoren (und Allo-
phoren) der Reptilien am lebenden Objekt zu verfolgen.
Doch kann es nach Befunden am fixierten Material keinem Zweifel
unterliegen, dass gerade so wie bei den Melanophoren der Fische,
Amphibien und den Farbzellen der Krebse auch bei den Reptilien
Ausbreitung und Ballung des Pigments auf intra-
zellulärer Körnchenströmung beruht. Der Nachweis
pigmentfreier Zellausläufer, das Hervorragen von Kernen aus der
Pigmentmasse, das Zurückbleiben von Pigmentmassen im Umkreis
des zentral geballten Pigments ohne direkte Verbindung mit
diesem, zwingt auch bei Reptilien zur Annahme der Unver-
änderlichkeit der Zellform und der wechselnden Ver-
teilung der Pigmentgranula im Zelleib. Die letzte
lässt sich ja in manchen Fällen ohne weiteres aus dem Verhalten
des Pigments im Umkreis der Sphäre ablesen (vgl. S. 125). So
haben denn schon Brücke (1851 [S. 198]) und von späteren
Autoren Keller (1895), Thilenius (1897), Carlton (1904),
Parker (1906) und Schmidt (1911) sich gegen amöboide Be-
weglichkeit der Zelle), also gegen Einziehen und Ausstrecken der
!) Bei Geckolepis (W.J.Schmidt 1911, S. 346) hatte ich beobachtet,
dass der zentrale Zellteil bei der Ballung des Pigments mehr kugelig, bei
der Ausbreitung flacher erscheint. Fuchs (1914, S. 1596) scheint mich aber
missverstanden zu haben, wenn er sagt: „Allerdings muss ich gegenüber
Schmidt betonen, dass die von ihm beobachteten Formveränderungen der
Zellen keinen Beweis dafür bieten, dass sie als aktive Kontraktions-
erscheinungen zu betrachten sind.“ Eine solche Deutung lag mir fern; vielmehr
habe ich (a. a. 0. S. 346—347) diese Formveränderung der Zellen rein volu-
metrisch aus der jeweiligen Lage der Pigmentmassen erklärt und sogar
Archiv f, mikr. Anat. Bd.90. Abt. I. 15
226 W.J. Schmidt:
Ausläufer bei den Reptilienmelanophoren ausgesprochen und eine
intrazelluläre Körnchenströmung angenommen. Auch die vor-
liegende Untersuchung bot ja reichlich Gelegenheit, sich von
der Richtigkeit dieser Auffassung zu überzeugen. Wenn so das
(Gesamtresultat dieser Beobachtungen zweifellos zeigt, „dass
für das Zustandekommen des Farbenwechsels die Pigment-
strömungen in der Zelle selbst die Hauptsache sind“
(Fuchs 1914, S. 1596), so schliesst das nicht aus, dass unter
Umständen die Ausläufer eingezogen werden können, wie bei der
Mitose der intrapithelialen Melanophoren der Salamanderlarven
(Zimmermann 1890,$.604f.), oder Formveränderungen an ihnen
eintreten (Flemming 1890, S. 281); setzt doch auch das von
uns angenommene Einwandern der Melanophoren in die
Epidermis und ihre teilweise Rückwanderung in die Kutis
(vgl. S. 154) zum mindesten für die Jugendstadien der Melano-
phoren amöboide Beweglichkeit voraus. Auch scheinen Winklers
Befunde (1910, S. 260) für die Möglichkeit einer Neubildung von
Zellausläufern zu sprechen.
Bei der eingehenden Analyse, welche die Mechanik der
Pseudopodienbewegung (vor allem durch Rhumbler) erfahren
hat, möchte man fast bedauern, dass diese Erklärungsmöglichkeit
für die Pigmentverlagerungen ausgeschlossen ist. Die Beant-
wortung der Frage: Wie kommen die intrazellulären
Körnchenströmungen zustande, ist in sehr verschiedener
Weise erfolgt. Von einer Theorie der intrazellulären Körnchen-
bewegung muss man billigerweise verlangen, dass sie zum
mindestens auf die Melanophoren sämtlicher hier in Frage
kommender Wirbeltierklassen anwendbar ist, da es sich bei allen
offenbar um die gleiche Zellform mit gleicher Verrichtung handelt.
Der Äusserung Parkers (1906), die Körnchenbewegung in
den Melanophoren beruhe auf positivem intrazellulärem
Phototropismus, hält Fuchs (1914, S. 1596) mit Recht ent-
gegen, dass sie keine Vorstellung über das Wesen der Bewegungs-
erscheinung verschafft und nur für Pigmentverschiebung infolge
Lichtreizen verantwortlich gemacht werden könne.
die gleiche Deutung auf eine Beobachtung Zimmermanns (189, 3. 77)
ausgedehnt, der die Verschmälerung der Ausläufer an pigmentfreien Stellen
vielleicht auf ihre „Kontraktion“ der Quere nach zurückgeführt wissen möchte.
DD
DD
—
Die Chromatophoren der Reptilienhaut.
Auch wird man sich wenig mit Theorien befreunden können,
welche den Pigmentkörnchen selbst die Fähigkeit
aktiver Bewegung zusprechen (Kahn und Lieben 1907,
S. 110, für die Melanophoren der Amphibien, Degner 1912,
S. 32, für die Farbzellen der Krebse); denn eine „aktive“ Be-
wegung setzt immer Bewegungsmechanismen voraus und Eigen-
bewegungen kleiner Körnchen, die für die Erklärung der beob-
achteten Phänomene in Frage kämen, sind uns völlig unbekannt
(vgl. hierzu Rhumbler 1900a, S. 35—38). Um Brownsche
Molekularbewegung kann es sich bei der Bewegung der Pigment-
körnchen nicht handeln: Ballowitz (1914, S. 196) hebt aus-
drücklich die Unterschiede der Pigmentströmung gegenüber dieser
hervor. So lehnen denn auch Biedermann (1909, S. 95) und
Ballowitz (1914, S. 197) eine aktive Bewegungsfähigkeit der
Pigmentkörnchen ab. Wenn ich den gleichen Standpunkt teile,
soll damit aber keineswegs gesagt sein, dass Form, Grösse und
Substanz der Körnchen für die Art ihrer Bewegung ganz gleich-
gültig wären (siehe S. 244).
Heidenhain (1911), der die „Kontraktilität“ amöboider
Plasmen durch die Entstehung „kleinster Kontraktions-
wellen“ erklären möchte (S. 671), wendet das gleiche Prinzip
auf die Melanophoren an. Er betrachtet (8. 1038f.) die zarte
Längsstreifung, die an den pigmentfrei gewordenen Aus-
läufern von Fischmelanophoren zuerst von Solger und
Zimmermann beobachtet wurde, als aktiv wirksames
Element bei der Körnchenbewegung. An diesen Fasern einer
Sphärenstrahlung, vergleichbar jener in den Leukozyten des Sala-
manders, sollen bei der Innervierung der Chromatophoren massen-
haft kleinste Kontraktionswellen auftreten, ähnlich wie man über
ausgeschnittene Käfermuskeln kurze Kontraktionswellen hinweg-
laufen sieht. Diese Wellen treiben die Granula vor sich her, sei
es, dass die Granula in den Fasern selbst liegen, sei es, dass sie
zwischen ihnen liegen und durch die Verengerung der Interstitien
bei der Wellenbildung vorwärts geschoben werden. Laufen die
kleinsten Kontraktionswellen zentralwärts ab, so erfolgt Ballung,
verlaufen sie entgegengesetzt, Ausbreitung des Pigments.
Die Theorie Heidenhains ist mit den Begriffen dieses
Autors über Bau und Aggregatzustand des Plamas derart verquickt,
dass ihre eingehende Kritik auch hiermit sich befassen müsste, was
15*
228 Jh Selnmalglins
an dieser Stelle nicht angeht. Ich muss mich daher auf einige Hin-
weise beschränken. Heidenhain hataugenscheinlich das Bestreben,
den mobilen Plasmen eine fibrilläre Struktur zuzusprechen und
so setzt er diean Plasmafäden (Zellen der Kürbishaare) beob-
achteten Verdickungswellen in Parallele mit den
Kontraktionswellen der Myofibrillen. Meiner Auffassung
nach sind aber Plasmafäden flüssig und die an ihnen auftretenden
und ablaufenden Verdickungen stärkere Ansammlungen leichter
flüssigen Plasmas, physikalisch etwa vergleichbar den tropfen-
artigen Anschwellungen, die über einen dünnen Speichelfaden
hinweglaufen können. Solche Verdickungswellen sind also mit
einem Massentransport den Faden entlang verbunden, im
Gegensatz zu den Kontraktionswellen einer (festen) Myofibrille.
Während ein an beiden Enden fixierter Plasmafaden
derartige Verdiekungen bilden kann, ohne sichzu ver-
kürzen (wobei, wenn keine neue Plasmamasse zugeführt wird,
die Dicke des Fadens entsprechend der zur Bildung der „Welle“
nötigen Substanzmenge an gewissen Strecken abnehmen muss),
geht bei Myofibrillen Diekenzunahme und Verkürzung
stets Hand in Hand. Plasmafäden und Myofibrillen bieten also
meiner Ansicht nach in diesem Punkte ganz verschiedenes Ver-
halten dar. Nehmen wir nun an, dass die Fasern echte Plasma-
fäden sind, deren Verdickungen durch einen Transport von
Plasma bedingt sind, so müsste bei der Pigmentballung im Extrem
Plasma aus den Ausläufern abströmen, was einer Einziehung
oder wenigstens Verkürzung der Ausläufer gleichkäme;
andererseits würde das massenhafte Auftreten von Kontraktions-
wellen an einem myofibrillenartigen Faden nur mit einer
Verkürzung desselben vereinbar sein, die ebenfalls ein Kürzer-
werden der Ausläufer hervorrufen müsste. Das widerspricht aber
Heidenhains Voraussetzungen und den Tatsachen.
Mit der Heidenhainschen Theorie besitzt die von Ballo-
witz manche Berührungspunkte; allerdings ist sie nicht aus
Erwägungen theoretischer Art erwachsen, sondern schmiegt sich
eng den hochinteressanten Beobachtungen dieses Autors an den
lebenden Farbzellen der Knochenfische an.
Auf Grund von Beobachtungen am lebenden Objekt (Hirn-
haut der Gobiiden |Melanophoren]) hat Ballowitz (zunächst
1913a, S. 114f.) die Überzeugung gewonnen, „dass das Chro-
Die Chromatophoren der Reptilienhaut. 229
matophorenprotoplasma von vielen, vielen feinsten
radiär verlaufenden Kanälchen durchzogenist, welche
unter sich anastomosieren. In diesen Kanälchen
strömt mit wenig plasmatischer Flüssigkeit das
Pigment. Die überaus zarte Wandung dieser Kanäl-
chen ist protoplasmatisch und lebhaft kontraktil.
Be. Durch die Kontraktionen dieses Wandungs-
protoplasmas werden die Pigmentströmungen er-
met ee “ Hinsichtlich des Bildes der Pigmentströmung
hebt Ballowitz (a. a. ©.) zunächst hervor, „dass sich das Pig-
ment nur indem völlig zusammengeballten Zustand
in Ruhe!) befindet. Ist es dagegen ausgeströmt. so zeigt es
in allen diesen Phasen die lebhafteste Bewegung, auch in der
Endphase des maximal ausgebreiteten Pigments“ (siehe dagegen
S. 231). Die Pigmentbewegung findet instrengradiären
Körnchenreihen innerhalb der feinen Radiärkanälchen statt,
die Bewegung ist eine eigenartig zuckende, absatzweise erfolgende.
Dabei strömen die einen Pigmentreihen zentrifugal,
die anderen dieht daneben befindlichen genau entgegen-
gesetzt zentripetal; auch kann die Richtung sich ändern.
„Dies erkläre ich mir dadurch“, sagt Ballowitz, „dass das
Wandungsprotoplasma der einzelnen röhrenartigen Kanälchen selb-
ständig kontraktil ist. Befindet sich das Pigment in den Übergangs-
phasen zwischen den beiden Extremen, so tritt an den jetzt gekürzten
Enden der Pigmentfortsätze?) ein ganz merkwürdiges, einzig
dastehendes Phänomen auf, welches ich als Kugelspiel oder
Körnchentanz der Pigmentkörnchen bezeichnet habe.
Nuranden Enden der verkürzten Pigmentfortsätze, niemals an ihren
Rändern, schnellen nämlich überall Körnchen und kurze Stückchen
der Körnerreihen hervor, fliessen wieder zurück, kommen wieder,
halten auch etwas inne ..... Alle diese Körnchen bewegen
sich aber streng radiär und kehren immer wieder zum Aus-
gangspunkt oder doch in dessen Nähe zurück. Dieses radiäre
Jonglieren der Pigmentkörnchen ist meiner Ansicht nach nur
dadurch zu erklären, dass sich radiäre Kanälchen in dem Proto-
plasma vorfinden, in welche die Körnchen hineinschnellen, wenn
!) Der gesperrte Druck innerhalb des Zitates ist von mir veranlasst. Sch.
?) Uber den Sinn der Bezeichnung Pigmentfortsätze — Pigmentarme
vgl. S. 124.
230 W.J. Schmidt:
die Kanälchenwandungen teilweise erschlaffen, und aus welchen
sie herausgetrieben werden, wenn die Wandungen sich auch nur
minimal und zuckend kontrahieren. Ausser diesen strömenden,
durch partielle, überall stattfindende Kontraktionen des Wandungs-
protoplasmas verursachten Bewegungen ist das Chromatophoren-
protoplasma noch einer anderen totalen Kontraktion fähig.
Das gesamte Protoplasma der Fortsätze kann sich
nämlich von der Peripherie gegen den Zentralteil
derChromatophorenhinder Quere nach kontrahieren
und so die gesamte Pigmentmasse vor sich hertreiben und gegen
das Zentrum zusammenballen. Dabei erschlafft der zentrale, die
Sphäre beherbergende Teil des Chromatophors und füllt sich in
seinen sich erweiternden Kanälchen mit den Pigmentkörnchen.
Andererseits, wenn das Pigment zentralwärts zusammengeballt
ist, kann das Protoplasma dieses Zentralteils sich kon-
trahieren, während das Protoplasma der Fortsätze erschlaftt.
Dadurch wird alsdann die Pigmentmasse aus dem Zentralteil
wieder in die Radiärkanälchen der Fortsätze hineingetrieben, das
Pigment breitet sich aus. Beide Bewegungen können äusserst
schnell, momentan oder fast momentan, erfolgen..... 5
Später hat Ballowitz (1913b, 1914a, b, c) die Tatsachen
und ihre theoretische Ausdeutung eingehender dargestellt, ferner
sich über das morphologische Bild der Kanälchen geäussert, von
denen er in der ersten Mitteilung (1913a, S. 114) nur kurz
erwähnt, es sei ihm gelungen, auch die Wandungen optisch nach-
zuweisen. Um nicht gar zu viel Raum in Anspruch zu nehmen,
kann aus diesen späteren Arbeiten nur folgendes hervorgehoben
werden. Bei der Untersuchung der Erythrophoren (= Lipo-
phoren mit rotem Pigment) von Mullus fand Ballowitz (1915b,
S. 296) im allgemeinen dieselben Bewegungserscheinungen wie an
den Melanophoren, nur dass die Totalkontraktionen des Proto-
plasmas, die zur Ausbreitung und Ballung der Pigmentkörnchen
führten, noch weit schneller und lebhafter erfolgen als bei den
Schwarzzellen, so dass (S. 298) sich auf das genaueste feststellen
lässt, dass die Form der Zelle bei jedesmaliger Pigmentausbreitung
stets dieselbe bleibt. Der Kern (8. 299) wird nicht ım
geringsten durch die schnellen Pigmentverschie-
bungen in Lage und Form beeinflusst. Die Bewegung
der Pigmentkörnchen findet auch hier in streng radiären Reihen
Die Chromatophoren der Reptilienhaut. 231
statt durch zentrifugale und zentripetale Bewegung der Körnchen
(S. 300—301) und zwar ist sie am lebhaftesten bei der beginnenden
Ausbreitung. Ebenfalls der „Körnchentanz“ zeigt sich bei nicht
maximal ausgebreitetem Pigment wie bei den Melanophoren. Alle
diese Bewegungsphänomene führt Ballowitz (S. 302) auf die
Kontraktilität der protoplasmatischen Kanälchen zurück, deren
erschlaffte Wandung dehnbar ist, da auch gröbere Körnchen die
Kanälchen passieren. Hinsichtlich des Körnchentanzes sagt
Ballowitz (S. 302) etwas eingehender: „Bleiben die peripherischen
Enden der Fortsätze kontrahiert oder genügt bei erlahmender
bewegung der zentrale Druck nicht mehr, um die
Körnchen ganz an die Peripherie zu treiben, so entsteht an den
peripherischen Enden der „Körnchentanz“, das radiäre Jonglieren
der Körnchen in den Radiärkanälchen. Bei völlig ausge-
breitetem Pigment muss dagegen der Körnchentanz
fehlen, wie es in der Tat der Fall ist, da alsdann die Kanälchen
erfüllt sind und kein Platz zum Hervorschnellen mehr in ihnen
vorhanden ist“. An dem frischen Objekt sah Ballowitz (8.303)
alsbald nach der Zusammenballung und dem Absterben der Zellen
des öfteren einige derbe, schmale, radiäre Streifen, die
in der Richtung der Fortsätze von der Pigmentscheibe ausstrahlten
und der Begrenzung der Fortsätze zu entsprechen schienen;
ferner erhielt er bei genauer Einstellung der meist nur spärlichen
Pigmentreihen, welche an der oberen und unteren Fläche des
Kernes über letzteren in radiärer Richtung hinweggleiten, oft den
bestimmten Eindruck, dass äusserst feine Linien radiär
über den Kern hinwegziehen und schmale helle
Räume begrenzen, die etwa die Breite der Pigment-
körnchen haben und in denen die Körnchen strömen.
Dies schien Ballowitz der optische Ausdruck der
Kanälchenstruktur des Protoplasmas zu sein.
Weitere Einzelheiten finden sich bei Ballowitz (1914a),
neben der Wiederholung des vorstehend Mitgeteilten. „Kontra-
hiert sich das Wandungsplasma (der Kanälchen) in der Quere
nach verlaufenden Kontraktionswellen von der Peri-
pherie gegen das Zentrum, so strömt das Pigment zentralwärts:
alsdann erschlafft das Kanälchenprotoplasma der zentralen Scheibe
und wird durch das einströmende Pigment ausgedehnt“ (S. 155).
Da nach aussen an den Zellfortsätzen eine wesentlich keilförmige
D
32 W.J. Schmidt:
Verbreiterung eintritt, müssen hier auch mehr Kanälchen vor-
handen sein als an den schmalen inneren Teilen, was Ballowitz
(S. 187) zur Annahme einer reichlicheren Verästelung
und Anastomose der Kanälchen veranlasst. Für Anasto-
mose der Kanälchen soll weiter sprechen, dass strömende Körnchen-
reihen stets an ein und derselben Stelle ineinander übergingen.
„Auch in der Scheibe selbst bis in die unmittelbare Nähe
des hellen Sphärenfleckes besteht bei expandiertem Pigment
eine reguläre Körnchenströmung .... Sogar in die Sphäre
selbst können sich Körnchen hineinbewegen und von der einen
zur anderen Seite vordringen. Hier schien mir eine mehr netz-
artige Kanalisierung vorzuliegen“ (S. 188). Ferner (S. 190) bemerkt
Ballowitz in betreff der Totalkontraktion an den Chro-
matophoren, dass eine peristaltische Zusammenschnürung der
Zellarme der Quere nach stattfinden soll: „Geschieht die Zu-
sammenschnürung der Arme von der Peripherie gegen das Zentrum
hin, so wird aus sämtlichen Kanälchen eines resp. aller Arme das
gesamte oder doch das meiste Melanin zentralwärts gepresst.
Dabei erschlatit das kanalisierte Protoplasma der zentralen Scheibe,
seine ausgedehnten Kanäle füllen sich dicht mit den
Pigmentkörnchen, und es tritt so Ballung des Pigmentes
ein. Kontrahiert sich umgekehrt bei Beginn der Ausbreitung
des Pigmentes das Protoplasma der Scheibe, so wird die vorher
zusammengeballte Körnchenmasse in die zunächst erschlatfenden
Zellarme hineingedrückt und oft so gewaltsam hineingeworfen,
dass sie sich an der äussersten Peripherie besonders anhäuft und
diese ganz dunkel färbt, während das Zentrum heller erscheint. ...“
Die Kontraktion der mit Pigmentkörnchen vollgestopften Chro-
matophorenscheibe im Ballungszustand des Pigments stellt sich
Ballowitz (8.191) in der Weise vor, dass die radiären Proto-
plasmafäden, die von der im Zentrum der Scheibe
befindlichen Sphäre ausgehen und sich von innen an
die obere und untere Fläche der Scheibe ansetzen,
sich kräftig zusammenziehen, so dass die Pigment-
körnchen in die Kanälchen der Arme gepresst werden
müssen. Dass solche Protoplasmafäden vorhanden sind, davon
überzeugte sich Ballowitz bei den Erythrophoren von Mullus
(1913b, S. 293—294). Ballowitz (1914a, S. 192) betont, dass,
falls es sich um die Kontraktion eines Plasmas
Die Chromatophoren der Reptilienhaut. 233
handelt, in welchem die Pigmentkörnchen ohne
besondere Anordnung eingelagert wären, nie auf
jede Phase der Kontraktion und Erschlaffung die
radiären Körnchenreihen soprägnantin Erscheinung
treten könnten. Auch glaubte Ballowitz (S. 192) beobachtet
zu haben, dass beim Zentralwärtswandern des Pigmentes die
vorher mehr rundlichen Pigmentkörnchen sich abplatteten und
in Form von Scheiben reihenweise dicht aneinander lagen, eine
Formveränderung, die sich seiner Ansicht nach nur so erklären
lässt, dass die etwas nachgiebigen Körnchen in den Kanälchen
nicht seitlich ausweichen können und so durch den Druck in
radiärer Richtung abgeplattet werden. -—-
Fassen wir die Haupttatsachen dieser wichtigen Beob-
achtungen von Ballowitz zusammen, so schliesst der Autor
vor allem aus dem in radiären Reihen erfolgenden Verlauf der
Körnchenströmungen, ihrer Unabhängigkeit in be-
nachbarten Körnchenreihen, und ihrem bisweilen lokali-
sierten Auftreten in einzelnen Reihen auf die Gegenwart
kontraktiler Kanälchen im Zellplasma.
An den Erythrophoren (roten Lipophoren) von Gobius sah
Ballowitz (1914a, S. 204f.) ganz ähnliche Bewegungserschei-
nungen wie bei den Melanophoren: ebenfalls hier zeigen die von
Pigment erfüllten Fortsätze am lebendfrischen Objekt eine aus-
gesprochene radiäre Streifung (vgl. Ballowitz 1913e).
Die zwischen den Körnchenreihen zu beobachtenden hellen Streifen
(1914a, S. 206) deutet Ballowitz als Wandungen der Kanälchen.
Grössere, längliche Körnchen in den Erythrophoren
erschienen mit ihrer Längsachse parallel den Ästen
gerichtet (S.205); bisweilen bleiben solche grösserenKörnchen
beiderBallung zunächst in den Ausläufern zurück,
treten plötzlich und mehrfach absetzend in langsame Bewegung,
wobei die Längsachse in der Bewegungsrichtung steht.
Aueh an den Iridocyten konnte Ballowitz (1914a, S. 207)
langsam gleitende Bewegung der Guaninkristalle in radiärer
Richtung wahrnehmen, die er ebenfalls auf Kanalisierung des
Plasmas zurückführtt. An Xanthophoren (Lipophoren mit
gelbem Pigment) beobachtete Ballowitz (1914a, S. 209) nur
ein träges Strömen der Körnchen; auch war hier die radiäre
Anordnung der Körnchen nicht so ausgesprochen.
234 WaJeSchmidt:
Später hat sich Ballowitz (1914c) bemüht, die aus den
3ewegungserscheinungen der Chromatophoren erschlossenen Proto-
plasmakanälchen mit kontraktiler Wandung auch besser optisch
nachzuweisen. Pigmentfrei gewordenes Chromatorenplasma ist
im allgemeinen im frischen Präparat ganz unsichtbar (S. 561).
Doch gelang es Ballowitz (8. 562f.) gelegentlich folgendes am
überlebenden Objekt zu beobachten. In der Nachbarschaft des
Pigmentklumpens einer in maximaler Ballung begriffenen Melano-
phore von Mullus barbatus fanden sich feine lineare
Streifen von verschiedener Dicke, die von der Pig-
mentmasse radiär ausstrahlen, der Lage nach im Bereich
der ursprünglichen Pigmentfortsätze, aber nicht diese selbst,
sondern wegen ihrer geringen Dieke nur Strukturbestandteile
derselben. Bei Gobius wurden auch Teilungen dieser
Streifen beobachtet. Ähnlich erscheint bei Blennius ocel-
laris die Scheibe einer Melanophore mit völlig zusammenge-
balltem Melanin von einem Kranz sehr zahlreicher linearer
Strahlen umgeben, die verschiedene Länge und Dicke
besitzen; den deutlicheren diekeren kommt die grösste Länge zu.
Die dünneren sind ausserordentlich fein, wenig scharf begrenzt
und erscheinen wie aus körnigem Protoplasma bestehend, ein
leicht vergängliches Strukturelement, da sie meist nur kurze Zeit
(anscheinend bei oder kurz nach dem Absterben der Zelle) auf-
treten: ihre Körnung ist vielleicht schon ein Zerfallsprodukt. Die
feinen radiären Linien hält Ballowitz für den optischen
Ausdruck der protoplasmatischen, feinsten, kon-
traktilen Wandung der radiären Kanälchen, in denen
die Pigmentkörnchen gleiten. In dieser Auffassung wird der
Autor bestärkt durch das optische (@uerschnittsbild, das die
Linien bei Faltung des (Gewebes oder Abknieckung darbieten ; sie
erscheinen alsdann nicht als Punkte, sondern in Form eines äusserst
zarten Maschenwerkes mit rundlichen Maschen. Die Netzlücken
hatten denselben Durchmesser wie die mit den Körnchen erfüllten
hellen Räume zwischen den zarten Streifen, so dass der Eindruck
eines (Juerschnittes eines kanalisierten Gewebes mit sehr zarter,
dünner Kanälchenwandung vorlag. Die gröberen Linien
fasst Ballowitz als stärkere Anhäufungen des Chromatophoren-
protoplasmas auf, und es schien ihm, dass sie den Begrenzungen
und Randpartien der Zellfortsätze entsprechen. Sogar bei völlig
Die Chromatophoren der Reptilienhaut. 255
ausgebreitetem Pigment vermochte Ballowitz häufig zwischen
den radiär strömenden Körnchenreihen die zarten Streifen unzweifel-
haft festzustellen, besonders deutlich über oder unter der Kern-
gegend.
Schliesslich finden sich noch in der neuesten Arbeit von
3allowitz (1915) verschiedene für uns wichtige Bemerkungen.
Bei Hemichronis bimaculatus besitzen die Rotzellen
(Lipophoren) grobe und feine Körnchen, deren Ballung
und Ausbreitung nicht isochron erfolgt (S. 201f.).
Ballowitz lässt es dahingestellt, ob die beiden Körnchen-
arten in eigenen, besonderen Kanälchen strömen.
Wenn die groben Körnchen zusammengeballt sind, erscheint der
der Scheibe benachbarte Teil gelblich rot, durch
feinste, blasse rötliche Körnchen, die in radiären Reihen
der Scheibe zuströmen. Die vollkommen vom Pigment ent-
leerten Ausläufer bieten sich als äusserst zarte, farblose oder
nahezu farblose, radiäre, schattenhafte Streifen, bisweilen mit
radiärer Streifung in ihrem Innern, dar. (Auf die grosse Ähnlich-
keit im Verhalten der beiderlei Körnchen dieser Rotzellen mit
den bräunlichen und bläulichen Granula der embryonalen Melano-
phoren von Geckolepis habe ich schon früher hingewiesen
[siehe S. 133]). —
Man wird der Ballowitzschen Theorie der intrazellulären
Pigmentbewegung nicht absprechen können, dass sie ein anschau-
liches und bis in die Einzelheiten getreues Bild der beobachteten
Vorgänge wiedergibt; doch birgt sie bei genauerer Analyse manche
Schwierigkeiten. Zunächst arbeitet sie mit einem ausserordentlich
komplizierten und minutiösen Bau des Zellplasmas und zwar einer
Struktur, die mehr erschlossen als wirklich beobachtet ist. Wenn
auch ein komplizierter, spezifischer Bau des Chromatophoren-
plasmas an sich kein absolutes Hindernis wäre, die Theorie anzu-
nehmen, so reichen die von Ballowitz angeführten morpho-
logischen Daten doch wohl nicht für den sicheren Nachweis der
Röhrchenstruktur des Protoplasmas aus. Ein solcher Nachweis wäre
aber in dem vorliegenden Falle um so mehr zu fordern, als eine
derartige Röhrchenstruktur bislang von keiner anderen Zellform
bekannt geworden ist.
Auch wenn man einmal kontraktile Röhrchen im Plasma
annimmt, so ergeben sich noch allerlei Schwierigkeiten bei der
236 W.J. Schmidt:
Erklärung der beobachteten Vorgänge. So stellt sich Ballo-
witz vor, dass bei der Ballung des Pigments die kontrak-
tilen Röhrchen in der Scheibe erschlaften und sich erweitern,
um das zentripetal strömende Pigment aufnehmen zu können (vgl.
oben S.230.u. 232), eine Annahme, der man vom Boden dieser Theorie
aus wohl nicht entraten kann. Andererseits gibt Ballowitz
(z. B. 1913b, S. 296) an, dass auch in dem zusammen-
geballten Pigment noch eine radiäre Struktur nach-
weisbar ist. Wenn aber die Röhrchen sich ausweiten (und das
müsste ja zweifellos um ein vielfaches ihres ursprünglichen
Durchmessers bei der Ballung eintreten), so muss die strenge
radiäre Reihenanordnung der in ihnen enthaltenen Körnchen ver-
loren gehen. Somit kann die Anordnung des Pigments in radıären
Körnchenreihen bei der Ballung nicht seiner Einlagerung
in radiär verlaufende Kanälchen zugeschrieben werden, und damit
fragt es sich, ob nicht auch die radiäre Reihenordnung bei der
Expansion anderen Gründen als der angeblichen Gegenwart
von Kanälchen zuzuschreiben ist.
Die Verhältnisse bei Hemichronis, wo Ballung und Aus-
breitung der groben und feinen Körnchen nicht isochron erfolgen,
stellen eine weitere Schwierigkeit für die Ballowitzsche Theorie
dar; denn mit der Annahme, dass hier gar zweierlei Kanälchen
im Protoplasma vorliegen, (die im Sinne der Ballowitzschen
Deutung gemacht werden müsste [siehe oben), würde die Proto-
plasmastruktur noch verwickelter, und der Autor selbst scheint
nicht recht einer solchen Voraussetzung zuneigen zu wollen.
Ballowitz hat sich an keiner Stelle darüber bestimmt
geäussert, ob die „Kontraktilität“ der Protoplasmakanälchen
ein den Protoplasmaströmungen einzureihendes Phänomen
sei, oder ein fibrillärer Kontraktionsvorgang. Eine solche
Scheidung muss aber heutigentags durchgeführt werden, selbst
wenn sich herausstellen sollte, dass beide Erscheinungen genetisch
und kausal einer gemeinsamen Wurzel entspringen, derart z. B.,
dass die sog. kontraktilen Fibrillen in Wirklichkeit elastische
Bildungen darstellen, die einzig die Betätigung des sie umhüllenden,
beim Verkürzungsvorgang eigentlich aktiven Plasmas in festge-
legte Bahnen lenken (Pütter u.a.). Wenn nun auch Ballowitz
mehrfach von einem Strömen der Pigmentkörnchen spricht, so ist
dieses Wort ihm doch nur Bild für den Bewegungsvorgang der
Die Chromatophoren der Reptilienhaut. 237
Körnchen; da vielmehr das Wesen der Ballowitzschen Theorie
in dr Annahme von kontraktilen Kanälchen beruht,
die durch eine Art peristaltischer Bewegung die Körnchen vorwärts-
treiben, so hat dem Autor anscheinend die Analogie mit musku-
lösen Röhren (Darmschlauch und ähnliches) vorgeschwebt. Wie
solche Muskelröhren, so würden aber auch die kontraktilen
Kanälchen eine bestimmte Orientierung der letzten kon-
traktilen Elemente besitzen müssen, damit derartige peristaltische
3jeweeungen möglich sind. Jedenfalls bleibt die Vorstellung kon-
traktiler Protoplasmakanälchen äussert unklar, und schon Fick
hat im Anschluss an Ballo witz’ Vortrag (1913a, S. 116) Fragen
gestellt, die eine genauere Darlegung der Art der Kontraktions-
erscheinungen an den Kanälchen bezweckten.
Weiter möchte ich glauben, dass die Ballo witzsche Theorie
eine unnötige Komplikation enthält; denn wenn der Zellkörper
einerseits und die Ausläufer andererseits einer von den kontrak-
tilen Kanälchen unabhängigen Gesamtkontraktion fähig sind (siehe
oben S. 230 u. 232), dann dürfte dieses Verhalten auch bei der
(Gegenwart von nicht kontraktilen Kanälchen ausreichen, die
Mehrzahl der Erscheinungen zu erklären. wenn man annimmt,
dass die Stärke dieser Gesamtkontraktionen wechselt.
Vor allem aber scheint mir Ballowitz’ Theorie in ein-
seitiger Weise dadurch beeinflusst zu sein, dass sie sich einzig
an die Erscheinungen bei den stark abgeplatteten Knochen-
ftischmelanophoren (und anderen = farbzellen)hält: zweifellos
muss aber eine solche Theorie zum mindesten auf die Melano-
phoren der Amphibien und Reptilien ausdehnbar sein. Nur diese
platten Farbzellen der Fische zeigen aber so ausgeprägt die
radıäre Reihenanordnung der Körnchen, auf die Ballo-
witz im Rahmen seiner Anschauungen solchen Wert legen muss.
Franz (1908, S. 545), der auch Zellen anderer Form untersuchte,
misst der Reihengruppierung der Körnchen verhältnismässig
geringe Bedeutung zu, und Kahn und Lieben (1907, S. 110)
berichten geradezu im Gegensatz zu Ballowitz, dass bei der
Ballung der Körnchen in den Melanophoren des Frosches jedes
Körnchen seineeigene Richtung einschlage, dieauch
senkrecht zur Achse des Fortsatzes gerichtet sein
kann und nur der Gesamteffekt ein langsames Fortschreiten gegen
das Zentrum der Zelle ist. Auch aus Hertels (1907, S. 45)
238 W. J. Schmidt:
Angaben über die Pigmentbewegung in den Melanophoren der
Larven von Triton taeniatus bei Anwendung von ultraviolettem
Licht lässt sich nichts über ein Strömen der Körnchen in radi-
ären Reihen entnehmen; ebensowenig aus den Mitteilungen
Winklers (1910, S. 258) betreffend die Melanophoren des
Frosches.
In diesem Punkte scheinen mir die Beobachtungen von
Degner (1912) bei Krusterchromatophoren wertvollen Aufschluss
zu geben, indem sie Übergänge von streng radiärer
Reihenströmung zu ungeordneter Körnchenbewegung
bei derselben Zelle zeigen. Nach Degner (8. 16) diffe-
renziert sich während der Ausbreitung des Pigments in den
Chromatophoren ein eigentümliches System von hellen, stark licht-
brechenden Strängen, den Achsensträngen, die in ziemlich
geringer Zahl an der Abgangsstelle der Ausläufer von dem zen-
tralen Pigmentklumpen entspringen und in deren Längsrichtung
verlaufen. Mit der Stärke der Ausläufer nimmt die Zahl der
Achsenstränge ab; sie verzweigen sich häufig, zumal an den Ver-
ästelungen der Ausläufer. Bei Expansion oder Ballung des Pig-
ments marschieren nun die Pigmentkörnchen, sich streng an
die Achsenstränge haltend (S. 25). Dabei herrscht, ähnlich
wie Ballowitz für die Knochenfischmelanophoren schildert,
eine Verschiedenheit im Tempo der Strömungsgeschwindigkeit
bei den einzelnen Reihen, wobei vereinzelte Körnchen und
kleinere Verbände sich zuweilen mit grosser Geschwindigkeit
gegen den Strom bewegen. Degner berichtet (S. 26), dass die
Körnchen, sobald sie an einen Achsenstrang geraten, lebhaftere
Bewegung zeigen, andererseits aber durchaus nicht an den
Achsenstrang gebunden sind: so können die Körnchen
senkrechte Bewegungsrichtung zum Verlauf eines
Stranges einnehmen (was Ballowitz nie beobachten
konnte!). In den Endverzweigungen der Ausläufer, in denen
die spärlichen Achsenstränge in breiten schwimmhautförmigen
Plasmamassen aufhören, folgen die Körnchen den Achsensträngen
nur zeitweilig; ihre Bewegung wird ganz ungerichtet
(S. 27): sie gehen geradeaus, im Bogen zurück, beschreiben
kleine Kreise und dgl. m.; benachbarte Körnchen überholen sich
gegenseitig, kreisen umeinander, liegen gemeinsam fest, trennen
sich nach ganz verschiedenen Richtungen. Alle diese letztge-
Die Chromatophoren der Reptilienhaut. 239
nannten Erscheinungen stehen in schroffem Gegensatz zur
Annahme eines Strömens der Körnchen in radiären Kanälchen, und
es ist mir unverständlich, wie Ballowitz (1914a, S. 196) seine
Deutung auf die Beobachtungen Degners ausdehnen möchte.
Weiter erwähnt Degner (S. 26), dass der Querschnitt der strö-
menden Pigmentmasse viel bedeutender ist, wie derjenige der
Achsenstränge, somit zahlreiche Pigmentkörnchen sich ohne Kon-
takt mit den Achsensträngen bewegen und dass bei etwas anders
gebauten Krebschromatophoren (S. 30) die Körnchen nicht
so streng in Reihen geordnet sind, sondern ganz
dicht gedrängt erscheinen, dass ferner die Ausläufer mit
zunehmender Pigmenterfüllung sich verbreitern. Will man sich
nicht zu der ungerechtfertigten Annahme versteigen, dass die
bewegende Ursache bei den Chromatophoren mit ungeordneter Be-
wegung einerseits und mit Reihenbewegung der Körnchen anderer-
seits eine gänzlich verschiedene ist, so zeigt ein Vergleich der
abweichenden intrazellulären Bewegungsformen, dass es nicht
zulässig ist, aus der Reihen bewegung der Körnchen als solcher
einen Schluss auf die treibenden Kräfte zu ziehen.
Dieser Vergleich der Körnchenströmung bei verschiedenen
Chromatophoren führt uns zur Besprechung der Bedeutung
der Achsenstränge und der in den Chromatophoren der
Wirbeltiere beobachteten Streifungen, Faserstrukturen,
radiären Strahlungen u. dgl. Wie schon erwähnt, sieht
Heidenhain (siehe oben) in der zarten Parallelfaserung
der Ausläufer von Knochenfischmelanophoren kon-
traktile Plasmafäden, Ballowitz (siehe oben) kon-
traktile Röhrchen. Schon Solger, dem Entdecker der
Sphäre in den Knochenfischmelanophoren, waren diese Strukturen
nicht entgangen und Zimmermann deutete sie als Sphären-
strahlung des Archoplasmas. Franz (1908, S. 541) dagegen
glaubt, dass sie weder mit den sonstigen radiärstrahligen Attrak-
tionssphären, noch mit der Anziehung der Pigmentkörnchen zum
Zentrum hin unmittelbar etwas zu tun haben, vielmehr ausstarren
skelettartigen Stäbchen bestehen, welche die Form der
ganzen Zelle gewährleisteten und zugleich diejenige
Anordnung besässen, welche am besten die bald zentral, bald
peripher gerichteten Verschiebungen der Pigmentkörn-
chen ermöglichten. Auch Doflein (zitiert nach Degner 1912,
240 W.J. Schmidt:
S. 35) betrachtet sie bei den Krebschromatophoren als „axiales
Zellskelett“ und beschreibt sie als vollkommen glashelle, aber
stark lichtbrechende Stäbe, die sich in der Mitte der Chromorhiza
hinziehen und an welche der Farbstoff sich anschmiegt. Degner
(1912, S. 33) lässt unentschieden, ob die Stäbe bei den Krustazeen
ausser ihrer Stützfunktion, die wegen der geringen Tiefe der
Uhromorhizen nicht sehr hoch zu veranschlagen sei, noch andere
Aufgaben, z. B. in bezug auf die Bewegung des Pigments,
hätten.
Unseren Standpunkt gegenüber den Anschauungen von
Heidenhain und Ballowitz haben wir schon oben dargelegt.
Auch den Vorstellungen von Franz, Doflein und Degner
können wir uns nicht vollkommen anschliessen, insofern nämlich,
als die Stützfunktion die wesentliche Verrichtung der in Rede
stehenden Gebilde sein soll. Dagegen scheint uns die bei Franz
hervorgehobene und bei Degner angedeutete Möglichkeit, die
faserigen oder stabartigen Strukturen hätten etwas
mit der Verschiebung des Pigments zu tun, ohne aber
(im Sinne von Heidenhain und Ballowitz) die Bewegungs-
ursache selbst darzustellen, das Richtige zu treften. Ich
stelle mir vor, dass die Radiärstrahlungen. faserigen Strukturen,
Achsenstäbe usw. (von denen die bei den Krebsen übrigens anderen
morphologischen Wertes sein mögen wie jene bei den Wirbel-
tieren), Leitlinien für die zentripetale und zentri-
fugale Bewegung der Pigmentkörnchen darstellen,
und dass an ihre Gegenwart die mehr oder minder
ausgesprochene Reihenanordnung der Körnchen
geknüpft ist. Im einzelnen nehme ich an, dass die Pigment-
körnchen in einem mehr oder weniger flüssigen Plasma schwimmen
und durch Veränderungen in diesem bewegt werden (genaueres
darüber siehe unten); dass sie ferner zu diesem Plasma
geringe, dagegen zu den Achsenstäben bezw. anderen
faserigen Bildungen grössere Adhäsion besitzen. Gelangen
daher die Pigmentkörnchen in Berührung mit den Achsenfäden,
so haben sie das Bestreben, diesen Kontakt aufrecht zu erhalten.
Da die radiären Strahlungen von der Sphäre ausgehen, wird bei
beginnender Expansion des Pigmentes zahlreichen Körnchen die
Gelegenheit geboten, diesen Kontakt zu gewinnen. Man könnte
nun zunächst glauben, dass bei grösserer Adhäsion der Pigment-
Die Chromatophoren der Reptilienhaut. 241
eranula zu den Stäben ihre Bewegung auf denselben (= denselben
entlang) erschwert würde. Doch ist zu bedenken, dass die Adhäsions-
kräfte senkrecht zur Berührungsebene von Körnchen und
Stäben wirken, und bei einer Verschiebung längs den Stäben nicht
oder nur unwesentlich alteriert werden. Zur Erläuterung mag
darauf hingewiesen werden, dass es leicht ist, ein Glasplättchen
auf einer grösseren, reichlich mit Wasser benetzten Glasscheibe
hin und her zu schieben, dass dagegen sein Abheben, das die
Adhäsion überwinden muss, viel bedeutendere Kraft erfordert.
Unter den vorstehend gemachten Annahmen erklärt sich
ohne weiteres, weshalb gemäss den Beobachtungen Degners
(siehe oben) die Reihenbewegung der Körnchen in eine
ungeordnete Bewegung übergeht, sobald sie den
Kontakt mit den Achsensträngen verlieren, weshalb
dort, wo die Körnchen dicht aneinander gedrängt liegen (siehe
oben). also die Achsenstränge offenbar fehlen, die Reihenanord-
nung undeutlich ist. Es ergibt sich ferner ungezwungen, warum
die Reihenbewegung der Körnchen um so merklicher
wird, je besser die radiären Leitlinien ausgebildet sind:
in den Melanophoren der Amphibien, in denen bislang nichts
von Radiärstrahlung u. dgl. bekannt ist, vollzieht sich die Be-
wegung der Körnchen ganz ungeordnet (vgl. oben Kahn, Lieben
und Hertel); in den entsprechenden Chromatophoren der Rep-
tilien ist zwar eine radiäre Strahlung vorhanden, aber sie lässt
sich im allgemeinen nicht bis in die Ausläufer verfolgen und
demnach ist die Reihenanordnung in den Ausläufern bei Reptilien
fast völlig unbekannt; nur im Umkreis der Sphäre, im Zelleib selbst,
macht sich die Reihenanordnung bemerkbar, und zwar entsprechend
der im allgemeinen lockeren Lage der radiären Fasern nur ange-
deutet. Bei den platten Farbzellen der Fische dagegen sind die
Bedingungen für eine streng radiäre Reihenanordnung der Körn-
chen am günstigsten; denn die Faserung der Zellausläufer
erweist sich als ausserordentlich dicht (vgl. Fig. 636 bei
Heidenhain 1911, S. 1041). Dabei ist auch die platte Form
der Zellen von ziemlicher Bedeutung: durch die radiär ver-
laufenden Fasern wird gewissermassen die platte Zelle in eine
grosse Anzahl sehr schmaler, radiär verlaufender Fächer zerlegt,
die bei der geringen Dicke der Zellen nur mit wenigen darüber
und darunter gelegenen gleichartigen Spalträumen in Verbindung
Archiv f.mikr. Anat. Bd. 90. Abt. 1. 16
PER W, J, Behmidt
ntehen, »o dann die Bahnen der Piementkörnehen »trene vadıar
vorgezelehnet sind, Bei Zellen mit kugeligem Zelleib und Anten
von rundhehem Querschnitt, die vielleicht noch viellnch unregel
männie hin und her gewunden sind, int dagegen die ntreng vadıäre
Anordnung der Piementkörnehen nieht »o leicht möglich, da ja
die zwisehen den lAden befindlichen Räume viellneh miteinander
in Verbindung »tehen münnen,
Sehlienslich nel noch mul die gromme Ahnlichkeit der
Piementbewegung in den Chrommtophoren der Krebse
und Kinche mit der Körnchenntrömung in den Pseudo»
podien der NForaminiferen hingewiesen, die sowohl
Deener (112, 8 82) als auch Ballowitz (1dl4a, 8 190)
hetonen, Nun kann on aber innbenondere naeh neuen Unter
nuchungen von Dofleın (1016) keinem Zweilel mehr unter
open, «lunn «le Körnehen neh in einem leichtilünnigen „Rheo
planma" bowegen, dan einen Tenteren, „pBterooplanma
binechen" Achneninden Aberzieht, nomit ganz Ahnliche Ver
hiltninse vorigen, wie Jeh Für die Olwommtophoren annehme,!)
Auch noch in dem Tolgenden Punkte weint die Körnehenntrömung
dor Ithizopoden eine bemerkenswerte Übereinstimmung mit den
Beworungen dev Piementerunula auf, indem nämlich hier an «dem
elsichen Achsentaden die Unternehlede in dev Richtung und Ge
nchwindieken der Körnehen aultweten, «die Für die Piementkörnehen
einer mudiäven Reihe nach Ballowitz zu beobnehten sinds wohl
nemand aber wird nie er an der Anwesenheit Kkontraktiler
kundlehen erklären wollen!
Wir müssen uns nun fragen, welche Kräfte die Be
werunge der Körnchen veranlassen, die sich in mehr
oder minder vorgeschriebenen Bahnen vollzieht; Inerfür scheinen
\ WC, Bohneideor (105, 8 Id), glaubt, dann Ider die Körnchen
ktrömung aut olner Wieonhbowenung der Körnchen beruhe, well die Be
worin von Inn Planma auleonommeoner (oblonen) Karminkörnohlen von
derjenigen dor Ilanmakdener vernohleden ol, Dooh weht aus dev auch von
Nehmoldenr alblorton Nohllderung Max Behultzen (1804, 8, 261,) hervor,
dam kolnerlaoi wenentliche Umternehlede In der Dowogung von
anna. und Karmminkörnor bontohen Sollten die Achnenabrlinge don
Keuntaooon, wie Dogner anılımmb, wirklioh nur voribergeohende, bei der
Kulluns don Ilumentn mioht vorhandene Strukturen damtellen, so würden nie
darin mio dem ntorooplanmatischen Achnontaden der Riiaopodenpseudopodien
Iborelmsblmmeon
Div Ohrommbophoren dor Koptillonham PER)
mir gowinne Untersuehungen von Khumbler wertvolle Hinweise
zu enthalten,
Rhumbler (1805, 8, 5801.) hat ala erster ausgeführt,
dass bei einer Verdichtung den Protoplanman um dam
Zentrosom herum »leh seine Kinlapgerungen (wie
Dotterkörnehen u, del) aun der Nähe der Sphäre perl
pheriewärts zurtekziehen Die Rhumblernchen Ab
leitungen beziehen neh zundehnt auf den Will, dann dan P’rotoplanmm
wiabie gebnut int und die Winlagerungen in den Wabenwänden
eingebettet wind, Doch Iunnt nich die Beweinführung, dann Terlehen
nleh in einem Druckgelälle, das um einen Verdichtung
punkt herum bostoht, von Orten höheren Druckon
nach den nledrigeron Druckos begeben müHnseon,
augenscheinlich ul jede Manne anwenden, in der ein volchen Druck
golälle überhaupt mögheh int, Dabei bleibt on auch gleichgültig,
wie die Verdiehtung der dan Zentronom umgebenden Planmmmamnne
zustande kommt, ob dureh Wanserentzug oder andernwie, „bei
dienen Vernehlebungen inünnen «die Iunlagerungen, wenn mieht
noeh andere Kintlünse hommend einwirken, die Lagerung georingnten
Widerntandes einnehmen, Iungeliche Dotternchollen otbe
müsson #slch daher mit Ihrer Längnnchse In die
Richtung der Strahlen einordnen ..,. Benltzen Kin
lagerungen gronne Adhänon zu dem Hyaloplanma, no werden nie
an der Sphärennähe nieht verdrängt werden und können neh
dann an der Sphärenbildung beteiligen," Später hat Rhumbleı
(19004, 5,301, 1 57 6,) dan gleiche Problem nochmals eingehenden
behandelt, Wenn in einer Wlünsigkeit ein Druckgelälle ent
steht, dan von dem Verdiehtungnzentrum nun nneh allen beiten hin
eleichmännige abiallt, #o münnen Kinlagerungen in «diener lung
keit vom Verdiehtungnzentrum abwandern; denn jeden "Teilchen
int an dem der Verdiehtung zugekehrten Pole einem höheren
Kkohänionndruck der Umgebung nungenetzt, alu an neinem dei
Verdiehtung abgekehrten Vole, und diene Druckdifferenz mn
sieh in der Weine auszugleichen vernuehen, dans die Kanlagerung
sich von dem »tärker gedrückten Pole nneh dem weniger stark
redrüieckten versehtebt, „Die Grönne der Druckdillerenzen an dem
druckwärtigen und distalen Teil der Kinlagerung ,,, wird nieht
nur von dem Druckgelälle nelbat, sondern auch von der Grönne der Kan
lagerung abhängen, Je grönner die Kinlagerung int, dento welter wird
u"
244 WER] SStchhamadet:
sie natürlich in die Gegend des höheren Drucks auf der einen und
in die des niederen Drucks auf der entgegengesetzten Seite hinein-
ragen. Im gleiehen Druckgefälle werden sich daher
grössere Einlagerungen schneller und weiter von
dem Verdichtungszentrum fortbewegen, als kleinere
Einlagerungen ‚derselben Art‘“. Auch weil für grössere
Einlagerungen die Reibung relativ geringer ist als für kleinere,
werden grössere Einlagerungen leichter verschoben als kleinere.
„Das wird aufs deutlichste dadurch für die Zelle
belegt, dass oftmals kleinere Dotterkörperchen bei
der Eiteilung in der Nähe der Sphäre verharren,
während alle grösseren peripherwärts verlagert
werden.“ Bei der Fortbewegung einer Einlagerung vom Ver-
dichtungszentrum muss ihre Reibung mit der umgebenden Flüssig-
keit geringer sein als das durch die Druckdifferenzen bedingte
Verlagerungsbestreben der Einlagerungen. Die Reibung hängt
aber ausser von der Schwerkraft in hervorragendem Grade
von hder 'Grösse, vonder "Gestalt und "yon? denke
häsions- und Adhäsionsverhältnissen von Einlagerung
und Umgebung ab. Bei gleicher Gestalt und sonst gleichen Ver-
hältnissen werden grössere Einlagerungen immer leichter
abwandern als kleinere, weil sie eine im Vergleich zu ihrem
Volumen „relativ“ (natürlich nicht „absolut“) kleinere Ober-
fläche besitzen, also relativ geringere Reibung erfahren
werden als kleinere Einlagerungen. Bei festen Einlagerungen
wird die Leichtigkeit ihrer Verschiebung sehr von ihrer Adhäsion
zur umgebenden Flüssigkeit abhängen. Je nach dem Adhäsions-
verhalten können gewisse Kategorien von Einlagerungen dem
verdichteten Plasma folgen, andere von ihm zurück-
gestossen werden (S. 58). Werden Einlagerungen infolge ihrer
Kleinheit und genügender Adhäsion nicht von der Verdichtung
weggestossen, während Flüssigkeiten und andere grössere Ein-
lagerungen von geringerer Adhäsion gleichzeitig aus der Ver-
dichtung fortgestossen werden, so müssen die nicht verstossenen
Einlagerungen in dem Verdichtungsgebiet natürlich dichter
zusammengeschoben werden als an den nicht verdichteten Stellen,
an denen sich die verstossenen Einlagerungen ansammeln werden
(S. 59). So erklärt Rhumbler (S. 44), dass der Kern, obwohl
grosse Einlagerung nicht aus der Verdichtung der Muttersphäre
Die Chromatophoren der Reptilienhaut. 245
bei der Zellteilung entweicht, weil bei den Austauschgeschäften,
die zwischen ihm und dem Plasma bestehen müssen, eine grosse
Adhäsion von Kern und Plasma Voraussetzung sei. Auf dieser
Grundlage fussend hat Rhumbler (1900a) zunächst die Beob-
achtungen Fischels über die Umlagerung von mit Neutralrot
gefärbten Körnchen in lebenden Echinodermeneiern, ferner (1900 b)
die Pigmentstrasse, welche das Spermatozoon in pigmentierten
Amphibieneiern hinter sich herzieht, und sonstige Pigment-
anhäufungen in Verdichtungsstellen des Protoplasmas erklärt. Alle
diese Fälle hatten das (remeinsame, dass die Körnchen offenbar
zum Plasma starke Adhäsion besitzen und daher mit ihm nach
dem Verdichtungsherd zusammengezogen werden.
Während Rhumbler nicht ausdrücklich auf die Anwend-
barkeit der von ihm entwickelten Grundsätze (für die Abrückung
von Einlagerungen aus Verdichtungszentren des Plasmas) hin-
sichtlich der intrazellulären Pigmentbewegung verwiesen hat,
äusserte sich Fischel (1906, S. 533 Anmerkung), dass die Balung
des Pigments vielleicht auf Druckdifferenzen in den Chro-
matophoren beruhe. „Der Reiz führt .... dazu, dass in
den Fortsätzen der Pigmentzelle ein höherer Druck entsteht.
Infolgedessen wandern die Pigmentkörnchen aus den Fortsätzen
gegen das Zentrum der Zelle. um nach Ausgleich der Druck-
ditferenz wieder in die Fortsätze zurückzuströmen.“ Kahn und
Lieben (1907, S. 109) haben dem widersprochen ; doch hat Fischel
(1907, S. 427) die gegen ihn erhobenen Einwände nicht anerkannt
und, wie mir scheint, widerlegt. Jedenfalls aber war die knappe
Fischelsche Darstellung nicht ganz gegen missverständliche Aus-
legung gefeit. Von weiteren Forschern, die sich im Sinne der
Rhumblerschen Anschauungen ausgesprochen haben, ist mir
nur noch Biedermann (1909, S. 91) bekannt geworden, der die
Körnchenbewegung in den Chromatophoren und die vonRhumbler
analysierten Fischelschen Beobachtungen an den Granula im
Echinodermenei nebeneinander stellt.
Dass eine derartige Fıklärung zulässig ist, dafür scheinen
mir vor allem gewisse Eigentümlichkeiten der Granulaver-
teilung in den Allophoren von Uroplatus zu sprechen,
die ohne weiteres verständlich werden unter der Annahme, dass
die Körnchen sich in einem die Sphäre umgebenden Druck-
gefälle befinden. Ich meine erstens die Tatsache, dass die
>46 W.J. Schmidt:
Granula um so grösser sind, je weiter sıe vonder
Sphäre entfernt liegen, zweitens den Umstand, dass
länglich geformte Pigmentkörner sich mit ihrer
grösseren Achse radial zur Sphäre einstellen. Ein
derartiges Verhalten verlangen ja die von Rhumbler ent-
wickelten Grundsätze für die Abrückung von Einlagerungen aus
Verdichtungszentren des Plasmas. Auch entspricht wohl das
morphologische Bild der Sphäre, als einer Plasmaverdichtung
hinreichend den von uns zugrunde gelegten Anschauungen: ihr
zentraler Teil ist offenbar am dichtesten und nach aussen hin
nimmt ihre Dichte schrittweise ab gemäss dem färberischen Ver-
halten (siehe S. 147 u. 169.)
Wie man sich die Verlagerung der Pigmentmassen
unter der Wirkung eines Druckgefälles im einzelnen
vorstellt, wird zunächst davon abhängen, ob die Pigmentgranula
zum umhüllenden Plasma grosse oder geringe Adhäsion
besitzen. Im ersten Falle werden sie sich gleich den Fischel-
schen Granula verhalten, also im Verdicehtungsgebiet der Sphäre
sich ansammeln, solange das Druckgefälle bestehen bleibt, beim
Ausgleich des Druckgefälles dagegen sich in der ganzen Zelle
zerstreuen (vgl. Rhumbler 1900a, S. 59). Im entgegengesetzten
Falle aber, wenn nämlich die Granula geringe Adhäsion zum
Plasma besitzen, müssen sie mit der Steigerung des Druckgefälles
vom Verdichtungszentrum abrücken und wiederum bei seinem
Ausgleich sich überall in der Zelle verteilen. (Es ist denkbar,
dass die verschiedenen Arten von Chromatophoren gemäss der
verschiedenen Grösse und stofflichen Beschaffenheit ihrer Granula
sich in diesem Punkte abweichend verhalten können, z. B. die
grossen Granula der Allophoren bei der Sphärenverdichtung zentri-
fugal wandern, während die winzigen Granula der Melanophoren
unter den gleichen Umständen in der Sphäre dichter zusammen-
geschoben werden.!) Es ist nicht leicht, in dieser Frage zu einem
!) Wenn sich die Melaninkörnchen in den Amphibieneiern gemäss
Rhumblers Untersuchungen in der letztgenannten Weise verhalten, also
grosse Adhäsion zum Plasma besitzen, so braucht dieses Verhalten keines-
wegs auch von vornherein für die Melaningranula in den Melanophoren
gültig zu sein; denn das Verhalten ein und derselben Einlagerung hängt ja
auch von der Beschaffenheit des umgebenden Plasmas und der Stärke
des Druckgefälles ab, was beides in Amphibieneiern und Chromato-
phoren durchaus anders sein kann.
Die Chromatophoren der Reptilienhaut. 247
sicheren Entscheid zu kommen, da wir nicht wissen, ob die Allo-
phoren und Melanophoren immer gleichsinnig reagieren ; sollten
sie sich aber bei reflektorischer Reizung verschieden verhalten,
so würde dieser Umstand wohl nicht in abweichender Innervation,
sondern in der angedeuteten Weise zu erklären sein.) Zunächst
scheint mir hinsichtlich des Adhäsionsverhaltens der Granula zum
Plasma die Annahme näher zu liegen, dass sie geringe Adhäsion
zu ihm besitzen, da wir ein solches Verhalten auch für ihre
Kontakterhaltung mit den Radiärstrahlen voraussetzen mussten.
In diesem Falle würden also bei zunehmender Verdichtung der
Sphäre die Körnchen von ihr abgestossen.
Die Kraft, welche die Pigmentbewegung verur-
sacht, ist also nach unserer Anschauung das Druckgefälle,
welches’ dureh dierzentrale"Plasmaverdichtung
bedingt ist. Die Dichte der Sphäre muss natürlich bei
dem Ausbreiten und der Ballung des Pigments einem Wechsel
unterliegen; ob er durch osmotische Kräfte veranlasst
wird, oder ob es sich hier um eine reversible Gelbildung
des Plasmas handelt, lasse ich dahingestellt; im letzten Falle
könnte der wirksame Druck auch als Gelatinierungsdruck
bezeichnet werden. Immer aber wird es sich in letzter Instanz
um chemisches Geschehen handeln, das uns heute noch völlig
verborgen ist.
Ich will nicht verhehlen, dass die Theorie in dieser Form eine
Schwäche besitzt: sie vermag einerseits die Ballung der Pigment-
granula (bei grosser Adhäsion zum Plasma) oder ihre Abstossung
von der Sphäre (bei geringer Adhäsion zum Plasma, vgl. oben),
andererseits ihre gleichmässige Verteilung im Plasma
zu erklären. Sie wird daher nicht den bei der Pigmentverlage-
rung zu beobachtenden Extremen gerecht, die von einer zen-
tralen Ballung der Granula, über ihre gleichmässige Verteilung
im Zelleib bis zur Entleerung des eigentlichen Zell-
leibes von Körnchen und Pigmenterfüllung der
Ausläufer reichen; sie vermag vielmehr nur das Intervall von
der vollkommenen Ballung bis zu gleichmässiger Verteilung der
Körnchen im ganzen Zelleib (einschliesslich Ausläufer) oder aber
das Intervall von einer äussersten Abstossung der Granula von der
Sphäre (also von der Pigmenterfüllung der Ausläufer) bis zur
gleichmässigen Verteilung der Granula im Plasma zu erklären.
248 W. J. Schmidt:
Nehmen wir etwa an, die Granula besässen geringe Adhäsion
zum umgebenden Plasma und seien gleichmässig in ihm verteilt
(oder auch um die Sphäre geballt), so werden sie in dem Maße,
wie das Druckgefälle wächst, immer weiter von der Sphäre abge-
drängt werden, bis der eigentliche Zelleib von ihnen frei und
die Ausläufer pigmenterfüllt sind. Nimmt dagegen die Verdichtung
der Sphäre ab, gleicht sich somit das Druckgefälle aus, so werden
die Körnchen aus den Ausläufern in den Zelleib zurückströmen,
und zwar können sie, wenn die Verdichtung der Sphäre vollständig
aufgehoben ist, sich gleichmässig im Plasma der gesamten Zelle
verteilen. Kahn und Lieben (1907, S. 109) halten es für
ausgeschlossen, dass ein solches Rückströmen der Körnchen nach
Ausgleich der Druckdifferenzen (im Sinne von Fischel aus der
Zelle in die Fortsätze, also in umgekehrter Richtung wie in dem
gerade von uns diskutierten Falle, was aber prinzipiell gleich-
gültig ist) stattfinden könne. Doch scheint mir eine derartige
rückläufige Bewegung der Körnchen bis zu ihrer gleich-
mässigen Verteilung im Plasma sich aus dem Wesen
des Druckgefälles ohne weiteres zu ergeben. Denn eine Einlage-
rung hält in einem Druckgefälle nur dann eine Ruhestellung
ein, wenn dem auf ein Körnchen wirkenden zentrifugalen Ver-
drängungsbestreben der Sphäre durch gleich grosse, aber entgegen-
gesetzt gerichtete Kräfte das Gleichgewicht gehalten wird. Nimmt
das Gefälle ab, so werden die Einlagerungen sich unter dem
Einfluss dieses Gegendruckes wieder in ihre Ausgangsstellung
zurückbewegen müssen. Jedenfalls zeigen die Beobachtungen von
Ballowitz über den Körnchentanz, dass die Verschiebung der
Granula gegen elastische Widerstände erfolgt. Ein voll-
kommener Ausgleich des Druckgefälles liegt aber offenbar dann vor,
wenn alle Körnchen gleichmässig in der Zelle verteilt sind; denn
beständen noch irgendwelche Druckdifferenzen, so müssten sie ein
Abströmen der Körnchen von Orten höheren Drucks zu solchen
niederen Drucks veranlassen. Dagegen besteht der Einwand von
Kahn und Lieben zu Recht, wenn nun weiter in dem disku-
tierten Fall die Ballung der Körnchen in der Sphäre zustande
kommen soll. Dafür ist eine Umkehr des Druckgefälles
nötig, derart, dass in der Peripherie der Zelle höherer, in ihrem
Zentrum niedrigerer Druck besteht. Eine solche Umkehr des
Druckgefälles wäre noch am leichtesten verständlich, wenn man
Die Chromatophoren der Reptilienhaut. 249
annimmt, das Chromatophorenplasma im allgemeinen
befinde sich in einem Zustand leichter Gelatinierung,
die Sphäre dagegen könne alle Stufen des Aggregatzustandes
durchlaufen, die bei einer kolloidalen Substanz vom festeren
Gel zum vollkommenen Sol überleiten. Geht alsdann die
Sphäre bei gleichmässiger Verteilung der Körnchen aus einem
Zustand gleicher Kohäsion mit dem des übrigen Plasmas in den
Zustand geringerer Kohäsion des Sols über, so tritt damit eine
Umkehr des ursprünglichen zentrifugalen Druckgefälles ein und
die Körnchen müssen sich in die Sphäre hineinbewegen.
Das Jonglieren der Körnchen erkläre ich mir aus
kurz andauernden Schwankungen des Sphärendrucks. Auch glaube
ich nicht, dass die unabhängige und stückweise oder
entgegengesetzte bewegung von einzelnen Körnchen-
reihen oder Abschnitten von solchen ganz unvereinbar mit der
entwickelten Theorie sei. Diese Erscheinungen betrachte ich als
durch lokale Widerstände (Reibung, Gewebedruck und
vielleicht noch andere nicht leicht auffindbare Faktoren) bedingt
(vgl. Foraminiferen S. 243).
Auch scheint mir das eigentümlicke Verhalten der
Chromatophoren mit grossen und kleinen Granula
(siehe S. 235) durch die hier vertretenen Auffassungen einer Er-
klärung näher gerückt. Da grössere Einlagerungen schneller
und weiter von der Sphäre abrücken als kleinere, und bei der
Umkehr des Druckgefälles auch schneller zur Sphäre zurück-
kehren müssen, so wäre die Tatsache, dass die kleinen Granula
am längsten in den Ausläufern zurückbleiben, eine unmittelbare
Folge dieser Gesetzmässigkeiten.
Die eigentümliche Erscheinung, dass die Hauptmassen des
Pigments sich bisweilen auf Bahnen bewegen, die von dem geballten
Pigment gerade zu den Ausläufern hinführen (Fig. 8, Taf. V),
während im übrigen die Ausbreitung des Pigments weniger weit
gediehen ist, könnte darauf zurückgeführt werden, dass längs der
grossen Strecke von der Sphäre bis zu den Enden der Ausläufer
das Druckgefälle beträchtlicher ist, als auf dem kürzeren
Weg von der Sphäre bis zur Peripherie des eigentlichen Zell-
leibes, daher die erstgenannten Richtungen für die Pigment-
bewegung bevorzugt sein müssen. —
Ich bin mir wohl bewusst, dass auch diese Theorie, welche
250 WeJSS[chmnldit:
die Ursache der intrazellulären Pigmentverlage-
rungin Veränderungen des um die Sphäre herum
bestehenden Druckgefälles sucht und eine Be-
wegung der Pigmentgranula in mehr oder minder
streng radiären Reihen auf die richtende Wirkung
radiär von der Sphäre ausgehender fädiger Struk-
turen zurückführt, nicht die letzten Fragen beantwortet.
Aber solange ein Problem nicht gelöst ist, müssen alle Wege
eingeschlagen werden, die zum Ziel hinweisen; als einem solchen,
wie mir dünkt, nicht ganz ungangbaren Weg, sei diesem Erklärungs-
versuch hier ein Platz gegönnt.
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03
Die Chromatophoren der Reptilienhaut. 25
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254 Ve Steshemirdit:
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Zirkel, F., 1898: Elemente der Mineralogie. 13. Auflage, Leipzig.
Erklärung der Abbildungen auf Tafel V—IX.
Tafel V.
Alle Abbildungen beziehen sich auf Melanophoren von Uroplatus
timbriatus Schneid. und sind mittels des Ab beschen Zeichenapparates
in der Höhe des Objekttisches nach 7,5 „ dicken Schnittpräparaten der mit
Apathys Alkohol-Sublimat fixierten Haut entworfen, sofern nicht anders
vermerkt, unter Benutzung von Zeiss’ Apochromat 2 mm N. A. 1,5 und
Kompensations-Okular 8.
Fig. 1. Übersichtsbild einer Melanophore der Rückenhaut; stärkere
Pigmentansammlung in den Endfüsschen der Ausläufer. Zeiss’
Apochromat 4 mm und Komp.-Ok. 8. Vergr. 600:1.
Fig. 2. Zellkörper einer Melanophore, der bei spärlichem Pigmentgehalt
einen Kern zeigt: Ausläufer stark mit Melaninkörnchen erfüllt.
Färbung Delafields Hämatoxylin. Vergr. 1360:1.
Fig. 3. Kleinere Melanophore, in deren pigmentarmem Zellkörper einKern
und die Sphäre sichtbar sind. Färbung Eisenhämatoxylin.
Vergr. 1360 :1.
Fig. 4 Fast pigmentleerer Zellkörper einer Melanophore;
Sphäre durch leichte Ballung der Granula ange-
deutet. Kern gegen die Sphäre hin schüsselartig aus-
gehöhlt. Färbung Delafields Hämatoxylin. Vergr. 1360:1.
Zellkörper einer Melanophore mit einem im Schnitt gelegenen Aus-
läufer. Zelleib fast pigmentleer, Ausläufer, beson-
ders Endfüsschen pigmenterfüllt; Sphäre durch leichte
Ballung der Granula angedeutet; Kern gegen die Sphäre
hin ausgehöhlt. Färbung Delafields Hämatoxylin. Vergr.1360:1.
Fig. 6. Zellkörper einer Melanophore; die beiden Kerne im Schnitt
getroffen; starke Pigmentansammlung in der Sphäre,
die nach aussen hin allmählich abnimmt und sich zum Teil
in radiären Zügen in die Ausläufer fortsetzt. Färbung
Delafields Hämatoxylin. Vergr. 1360:1.
Fig. 7. Zellkörper einer Melanophore; die beiden Kerne, mächtige zen-
trale Pigmentansammlung und radiäre Zügevon
Pigmentkörnchen sichtbar. Färbung Delafields Häma-
toxylin. Vergr. 1360:1.
Fig. 8. Melanophore mit zentraler Pigmentansammlung, ın
deren Inneren ein elliptischer Bezirk sich besonders ab-
[Sit
Fig.
Be.) 9.
Fig. 10.
Kiosk
Rig. 12.
Die Chromatophoren der Reptilienhaut. 255
hebt; radiäre Züge von Melaningranula, die breiteren in die
Ausläufer übergehend, zwischen ihnen vereinzelteradiäreFäden;
Kern zum Teil in die zentrale Pigmentanhäufung eingebettet.
Färbung Delafields Hämatoxylin. Vergr. 1360:1.
Zellkörper einer Melanophore. Sphäre sehr dicht mit Pig-
mentkörnchen erfüllt; im übrigen Zelleib nur ver-
einzelte Granula; sehr zarte radiäre Strahlung von
der Sphäre aus. Färbung Eisenhämatoxylin. Vergr. 1360:1.
Zellkörper einer Melanaphore, mit Chlor gebleicht; von der
dichteren zentralen, elliptisshn Plasmamasse
(— Sphäre), in der die entfärbten Granula noch als undeutliche
Körnung sichtbar sind und welche die beiden Kerne grössten-
teils umschliesst, gehen radiäre Fäden aus, mit plasmatischem
Belag, in dem die Granula hier und da noch kenntlich sind;
zwischen diesen Fasern Schrumpfungslücken. Färbung Eisen-
hämatoxylin. Vergr. 1360 ::1.
Zellkörper einer Melanophore mit Chlor gebleicht; em Kern
und Sphäre sichtbar; von der letzteren gehen allseits radiäre,
in Plasma eingebettete Fäden aus; zwischen ihnen vereinzelte
Schrumpfungslücken. Sehr stark mit Eisenhämatoxylin gefärbt.
Vergr. 1360:1.
Zellkörper einer Melanophore mit Chlor gebleicht; die beiden
Kerne, sehr langgestreckte Sphäre und radiäre Fäden
sichtbar, die zum Teil in die Ausläufer hineinreichen. Sehr
stark mit Eisenhämatoxylin gefärbt. Vergr. 1360:1.
Zellkörper einer Melanophore mit Chlor gebleicht: grosse,
kugelige Sphäre, gegen diese hin ausgehöhlte Kerne und undeut-
liche radiäre Strahlung sichtbar; stärkere Fäden
ziehen in zwei der Ausläufer hinein. Färbung Eisenhämatoxylin.
Vergr. 1360:1.
Tafel VI.
Alle Abbildungen beziehen sich auf Allophoren von Uroplatus
fimbriatus Schn. und sind mit Ausnahme von Fig. 14 nach 7,5 „ dicken
Schnittpräparaten der mit Alkohol-Sublimat nach Apäthy fixierten Haut
unter Benutzung des Abbe schen Zeichenapparates und Zeiss’ Apochromat
2 mm N. A. 1,3 und Komp.-Ok. 8 in der Höhe des Objekttisches entworfen.
Fig. 14.
Gruppe von Allophoren in Flächenansicht nach einem unge-
färbten Totalpräparat der Rückenhaut (seitliche Hautfalte)
gezeichnet; man beachte die wechselnde Grösse der
Granula in verschiedenen und auch in der gleichen Zelle. Zeiss
Apochromat 4mm und Komp.-Ok. 8. Vergr. 600:1.
Allophore mit Granula mittlerer Grösse, die den
Sphärenbezirk frei lassen, im letzten einekleine zentrale
Verdichtung und undeutliche radiäreStrahlung;
stellenweise radiäre Reihenanordnung der Granula.
Lage des Kernes angedeutet. Färbung Eisenhämatoxylin.
Vergr. 1360:1.
256
Fig. 16.
Fig. 17.
Fig. 19.
Fig. 20.
1aıan, Zulk
Fig. 22 —
Fig. 24—
W2I2Sichmidt:
Zellkörper einer Allophore mit spärlichen meist grossen,
peripher gelagerten Granula; gut abgesetzte, zentral
gelegene Sphäre mit dichter radiärer Strahlung; Kern
neben der Sphäre. Färbung Eisenhämatoxylin. Vergr. 1360:1.
Zellkörper einer Allophore mit spärlichen, verschieden grossen,
meist in der Peripherie befindlichen Granula. Sphäre
mässig deutlich gegen die wenig ausgeprägte Strahlung ahge-
setzt; Kern. Färbung Eisenhämatoxylin. Vergr. 1360:1.
Zellkörper einer Allophore mit peripher gelagerten, mittel-
grossen Granula; Sphäre geht allmählich in die Strahlung
über. Färbung Eisenhämatoxylin. Vergr. 1360: 1.
Zellkörper einer Allophore mit mittelgrossen Granula in
deutlicher Reihenstellung;: Sphärenbezirk scharf ab-
gesetzt, körnchenfrei; Kern. Färbung Delafields Häma-
toxylin. Vergr. 1360:1.
Zellkörper einer Allophore mit Granula verschiedener
Grösse, die derart in radiäre Reihen gestellt sind, dass
im allgemeinen die Grösse der Körnchen mit dem Abstand
vom undeutlich abgesetzten Sphärenbezirk an Grösse zu-
nehmen; längere Achse länglicher Körnchen radiär zur Sphäre
eingestellt; Kern. Färbung Eisenhämatoxylin. Vergr. 1360:1.
Zellkörper einer Allophore mit sehr verschieden grossen
Granula, deren Umfang im allgemeinen mit dem Abstand
von der wenig ausgeprägten Sphäre zunimmt; die länglichen
grösseren Granula mit Radiärstellung der längeren
Achse. Färbung Eisenhämatoxylin. Vergr. 1360:1.
23. Feinkörnige Allophoren mit gleichmässiger Verteilung der
Granula; in beiden Kern, in 22 auch Sphäre sichtbar. Stark
mit Eisenhämatoxylin gefärbt. Vergr. 1360 :1.
27. Feinkörnige Allophoren,;, Granula kaum gefärbt: kleine
zentrosomartige Sphäre mit radiärer Strahlung und Kern
sichtbar. Schwach mit Eisenhämatoxylin gefärbt. Vergr. 1360:1.
Fig. 25—30. Zellkörper von kleinen Allophoren aus der Haut der
Augengegend!; Zentriol in Form eines einfachen oder
doppelten Körnchens stark gefärbt; Sphäre schwach, nur in
Abbildung 30 mit radiären Zügen ausgebildet; Kern. Färbung
Eisenhämatoxylin. Vergr. 1360:1.
Tafel VII.
Alle Abbildungen sind nach überlebendem Material, dem in physio-
logischer Kochsalzlösung untersuchten freien Rand der Bauchschuppen von
Lacerta vivipara (und L. agilis, Fig. 35), unter Benutzung des Abbe&schen
Zeichenapparates und, soweit nicht anders vermerkt, des Zeiss- Apochro-
maten 2 mm N. A. 1,30 und des Komp.-Ok. 8 in Objekttischhöhe entworfen
und betreffen vornehmlich die Lipophoren.
Fig. 31.
Ausschnitt des Hinterrandes einer Bauchschuppe mit blauen und
grünlichen Guanophoren, gelben Lipophoren, schwarzen
Die Chromatophoren der Reptilienhaut. 257
Melanophoren und vereinzelten Anhäufungen rötlicher Lipochrin-
massen. Zeiss’ Apochromat 16 mm und Komp.-Ok. 8. Vergr.164:1.
Fig. 32. Teil der Lipophorenschicht bei starker Vergrösserung ;
grössere orangefarbige Tropfen und rötliche Lipochrin-
massen zwischen den gelben Schollen ; unten rechts eine Guano-
phore. Vergr. 1360:1.
Fig. 33. Lipophore von der äusseren Zone des Schuppenrandes mit
kleineren, annähernd gleich grossen Granula; im Zelleibe die
Stelle des Kernes sichtbar. Vergr. 1360:1.
Fig. 34. Kleine, nur ganz schwach gelblich erscheinende Lipophore.
Vergr. 1360:1.
Fig. 35. Lipophore von Lacerta agilis mit zahlreichen kleineren
und vereinzelten grösseren Granula. Vergr. 1360:1.
Fig. 36. Lipophore mit sehr verschieden grossen Granula und un-
regelmässig geformten Lipochrineinlagerungen. Vergr. 1360:1.
Fig. 37—40. Lipophoren mit stäbehenförmigen, zum Teilkörnchen-
artigen Lipochrinkristallen; in Abbildung 38 und 40 Lage
des Kernes gut kenntlich. Vergr. 1360:1.
Fig. 41. Gruppe von Lipochrinkristallen zwischen den Ästen der
Melanophoren scheinbar extrazellulär gelegen. Vergr. 1360:1.
Fig. 42. Gruppe durcheinander geschlungener Fäden und Ringe von
Lipochrin. Vergr. 1360:1.
Fig. 43-45. Gruppenvonverschiedenartig geformtenLipochrin-
teilchen (in Fig. 44 ausserdem ein grosser gelber Fettropfen).
Vergr. 1360 ::1.
Tafel VIII.
Die Abbildungen beziehen sich auf Allophoren, Lipophoren und Guano-
phoren von Lacerta muralis, L. agilis und L. vivipara und sind,
soweit nicht anders bemerkt, nach Schnittpräparaten mit Hilfe des A bb&schen
Zeichenapparates in Objekttischhöhe entworfen.
Fig. 46. Lacerta muralis. Rückenschuppe längs. E — Epidermis;
Mı = epidermale, M = subepidermale Melanophoren; A =
Allophoren; G= Guanophoren. Fixierung Formol; Schnitt-
dicke 224; ungefärbt; Zeiss’ Apochromat8 mm und Komp.-Ok. 4.
Vergr. 158:1.
Fig. 47. Lacerta muralis. Rückenschuppe längs. L = Lipophoren
(osmiert), die übrigen Bezeichnungen wie in Fig. 46. Fixierung
Chrom-Osmium-Essigsäure ungefärbt; Schnittdicke 22 u. Zeiss’
Aprochrom. 8 mm und Komp.-Ok. 4. Vergr. 158:1.
Fig. 48. Lacerta agilis. Hinterrand einer Rückenschuppe. Bezeich-
nungen wie in Fig. 46. Fixierung Formol; Schnittdicke 22 u
ungefärbt. Zeiss’ Aprochromat 8 mm und Komp.-Ok. 8.
Vergr. 350:1.
Fig. 49. Lacertamuralis. Schichtung der verschiedenen Chromatophoren
an einer Stelle der Rückenhaut entsprechend Fig. 46. Bezeichnung wie
dort. Fixierung Formol; Schnittdicke 22 u; ungefärbt. Ze ss’
Apochromat 2 mm. N. A. 1,30 und Komp.-Ok. 8. Vergr. 1360:1.
Archir f. mikr. Anat. Bd.90. Abt. I. 17
258
Fig. 5
Fig.
Fig.
Fig.
Fig.
Fig. :
Fig. :
51.
54.
55.
WERE Srchhimsndite:
Lacerta muralis. Teil eines Längsschnittes einer Rücken-
schuppe, umfassend die basalen Epidermiszellen (E) und den oberen
Teil der Subepidermis. Bezeichnungen wie in Fig. 46. Fixierung
Formol; Schnittdicke 7,5 „: Färbung Eisenhämatoxylin - Eosin.
Zeiss’ Aprochromat 2mm N. A. 1,3 und Komp.-Ok.8. Vergr. 1360:1.
Lacerta agilis. Kehlschuppe längs. Gı erratische Guanophoren ;
die übrigen Bezeichnungen wie in Fig. 46 und 47. Fixierung Chrom-
Osmium -Essigsäure; Schnittdicke 15 „; ungefärbt. Zeiss’
Apochromat 16mm und Komp.-Ok. 4. Vergr. 78:1.
Lacerta agilis. Teil eines Längsschnittes einer Kehlschuppe,
entsprechend Fig. 5l, umfassend die basalen Epidermiszellen (E)
und den oberen Teil der Subepidermis. Bezeichnungen wie Fig. 46
und 47. Fixierung Chrom-Osmium-Essigsäure Schnittdicke 15.4;
ungefärbt. Zeiss’ Apochromat 2 mm N. A. 1,30 und Komp -Ok. 8.
Vergl. 1360:1.
Lacerta muralis. Teil eines Längsschnittes einer Rücken-
schuppe, umfassend die basalen Epidermiszellen (E) und den oberen
Teil der Subepidermis; Bezeichnungen wie in Fig. 46 und 47.
K = Blutkapillare. Fixierung Chrom-Osmium-Essigsäure. Schnitt-
dicke 7,5 w. Färbung Eisenhämatoxylin-Eosin. Zeiss’ Apochromat
2mm N. A. 1,3 und Komp.-Ok. 8. Vergr. 1360:1.
Lacerta agilis. Lipophoren (L)unter den basalen Epidermis-
zellen (BE). Fixierung Chrom-Osmium-Essigsäure. Schnittdicke 7,5 +.
Färbung Eisenhämatoxylin. Zeiss’ Apochromat 2mm N. A. 1,3 und
Komp.-Ok. 8. Vergr. 1360:1.
Lacerta vivipara Lipophoren aus einer Bauchschuppe. Be-
zeichnung, Fixierung, Färbung, Optik wie in Fig. 54. Vergr. 1360:1.
56a—d. Lacerta muralis. Guanophoren aus 7,5 „ dicken Quer-
schnitten der Rückenhaut, in a, b, ce der Kern getroffen, d= ein
kernfreier Zellabschnitt. Anordnung des kristallinischen
Guanophoreninhalts in Schichten, deren Zusammen-
setzung aus winzigen Körnern vor allem in d kenntlich ist.
Fixierung Formol; Färbung Delafields Hämatoxylin. Zeiss’
Apochromat 2mm N. A. 1,3 und Komp.-Ok. 8. Vergr. 1360:1.
Lacerta agilis. Stück einer Guanophore in Flächenansicht
nach einem Totalpräparat vom Hinterrand einer Bauchschuppe ;
in einigen Ausläufern helle, kanalartige Spalten. Fixierung
Alkohol; ungefärbt. Zeiss’ Apochromat 2 mm N. A. 1,3 und
Komp.-Ok. 8. Vergr. 1360:1.
Lacerta agilis. Stück einer Guanophore im Flächenschnitt
der Bauchhaut. Schichtung des kristallinischen Inhalts
stellenweise kenntlich. Fixierung Formol; Schnittdicke 15 „; unge-
färbt. Zeiss’ Apochromat 2 mm N. A. 13 Komp.-Ok. 8.
Vergr. 1360: 1.
Lacerta agilis. Guanophore aus einem 7,5 „ dicken Querschnitt
der Bauchhaut; kristallinischer Guanophoreninhalt
entfernt, Streifung des Zelleibes erhalten; Kern,
Die Chromatophoren der Reptilienhaut. 259
ihm anliegend körnige Plasmaanhäufungmit Zentriol (?),
links stark färbbares strangartiges Gebilde. Fixierung Formol ;
Schnittdicke 7,5 a. Färbung Eisenhämatoxylin-Eosin. Zeiss’
Apochromat 2mm N. A. 1,3 und Komp.-Ok. 8. Vergr. 1360:1.
Fig. 60 a—c. Lacerta muralis. Guanophoren aus 7,5 u dicken Schnitten
Fig.
Fig.
Fig.
Fig.
der Rückenhaut; kristallinischer Guanophoreninhalt
entfernt, Streifung des Zelleibes erhalten; Kern
sichtbar ; in b ausserdem vom Kern ausgehende stark färbbare
Masse kenntlich. Fixierung, Färbung, Optik wie in Fig. 59,
Vergr. 1360::1.
Tafel IX.
Alle Abbildungen beziehen sich auf embryonale Melanophoren von
'Geckolepis polylepis Bttgr. und sind nach Totalpräparaten der Haut
oder einzelner Schuppen, gefärbt mit Delafields Hämatoxylin, mit Hilfe
des Abb&schen Zeichenapparates unter Benutzung von Zeiss’ Apochromat
2mm N. A. 1,30 und Komp.-Ok. in Objekttischhöhe entworfen.
Fig. 61 a—c. Jugendstadien intraepithelialer Melanophoren
62
ig. 68.
64.
65.
66.
BRUT E
eines 2,5 cm langen Embryos mit blauen Granula im Plasma.
Kern iin b und ce exzentrisch gelegen. Vergr. 1360:1.
a—d. Intraepitheliale Melanophoren eines älteren
Embryos: in a und b neben dem Kern die Sphäre sichtbar;
in c Anastomosen der Ausläufer; in allen Zellen bräunliche
Melaningranula entwickelt; in d daneben noch deutlich blaue
Granula sichtbar. Vergr. 1360:1.
Subepidermale Melanophore eines älteren Embryos.
Zentralekörnchenfreie Sphäre, exzentrischer Kern sichtbar ;
Zelleib mit zahlreichen blauen Granula und vereinzelten
dunklen im Umkreis der Sphäre. Vergr. 1360:1.
Subepidermale Melanophore eines älteren Embryos im
Zustand mittlerer Pigmentexpansion. Ausläufer von bräunlichen
Melaninkörnchen erfüllt, die um die blau gefärbte Sphäre
dichter geballt sind; neben dieser Pigmentanhäufung, zum Teil
in ihr, der Kern. Vergr. 1360:1.
Subepidermale Melanophore eines älteren Embryos.
Ausläufer zum Teil von Pigment entleert; nur ein
Kern zum Teil sichtbar. Vergr. 1360: 1.
Subepidermale Melanophore eines älteren Embryos.
Ausläufer von den Melaningranula entleert, lassen
blaue Körnung erkennen; aus der zentral geballten Melaninmasse
ragen die Kerne zum Teil hervor. Vergr. 1360 :1.
Subepidermale Melanophore eines älteren Embryos.
Ausläufer vollkommen entleert; ohne jede Körnung.
Bräunliche Melaningranula zu einem zentralen Pig-
mentkuchen geballt, der von einerZoneblauerGranula
umgeben ist, in der die Kerne liegen. Vergr. 1360:1.
17%
261
Über die bilaterale oder nasotemporale Symmetrie
des Wirbeltierauges.
Von
Carl Rabl.
Hierzu Tafel X— XIII und 5 Textfiguren.
In der Diskussion zu dem Vortrage M. v. Lenhosseks
über „Die Entwicklung und Bedeutung der Zonula ciliaris“ auf
der Anatomen-Versammlung in Leipzig im April 1911 sagte ich:
„Meine Auffassung der Entwicklung des Glaskörpers und der Zonula
steht zu derjenigen v. Lenhosseks in diametralem (Gegensatz.
Nach meinen Untersuchungen halte ich, wie jetzt wohl die Mehrzahl
der Anatomen, den Glaskörper und die Zonula für Produkte der
Augenblase, also für (Grebilde, die genetisch und anatomisch aufs
innigste mit der Retina zusammengehören. Damit hängt aber
zugleich meine morphologische Auffassung des ganzen Auges
zusammen.
Ich halte das Auge der Wirbeltiere, auch in seinem ent-
wickelten Zustande, für einen zu einem Sinnesorgan
umgebildeten Hirnlappen, in den von aussen her die
Linse eingesenkt ist. Dass das Auge junger Embryonen —
die primäre Augenblase oder auch noch die daraus hervorgehende
sekundäre Augenblase oder der Augenbecher — einen Hirnlappen
vorstellt, ist allgemein bekannt. Bonnet spricht daher in seinem
Lehrbuch der Entwicklungsgeschichte mit Recht von einem
„Sehlappen oder Ophthalmencephalon* und einem „Sehventrikel“*
junger Embryonen. Während man aber früher den Glaskörper
von aussen her in den Augenbecher einwachsen und also meso-
dermalen Ursprungs sein liess und über die Entstehung der Zonula
überhaupt nichts auszusagen wusste, haben die neueren Unter-
suchungen (von denen v. Lenhosseks abgesehen) gezeigt, dass
(Glaskörper und Zonula aus der Augenblase stammen und genetisch
und anatomisch zur Retina gehören. In der Tat ist der Glas-
körper nichts anderes als eine in bestimmter Weise
differenzierte Glia; er gehört so innig zu der Pars optica
Archiv f.mikr. Anat. Bd.90. Abt.I. 18
262 CarlRabl:
retinae, dass man sagen kann, beide — Pars optica retinae und
Glaskörper — bilden eine anatomische und genetische Einheit.
Und in ähnlicher Weise sind die Zonulafasern als Glia-
fasern aufzufassen, hervorgegangen aus basalen Ausläufern der
Zellen der inneren Lamelle der Pars ciliaris retinae. Auch sie
sind also Differenzierungsprodukte der Augenblase.
Mit der Auffassung, dass Retina, Glaskörper und Zonula
und selbstverständlich auch das gleichfalls aus der Augenblase
entstehende Pigmentepithel Teile eines spezifisch umgebildeten
Hirnlappens sind, stimmen auch der Bau und die Entwicklung
des N. opticus überein. Der Opticus ist kein Nerv, wenigstens
kein Nerv im gewöhnlichen Sinne des Wortes, sondern eine
Leitungsbahn, eine Bahn, die den zum Auge umgebildeten Hirn-
lappen mit den anderen Teilen des Gehirns in Verbindung setzt.
Genau so wie sonst den markhaltigen Nervenfasern und den aus
ihnen bestehenden Leitungsbahnen der nervösen Zentralorgane
fehlt auch den Fasern des Opticus das Neurilemm, und es finden
sich statt der Schwannschen Scheiden Gliazellen, die mit ihren
Fortsätzen die Nervenfasern umspinnen. Der Opticus verhält sich
also auch histologisch genau so wie eine Leitungsbahn des Zentral-
nervensystems und stellt sich in scharfen Gegensatz zu den
peripherischen Nerven.
Aber auch in Beziehung auf ihre Hüllen stimmen Auge und
Optieus mit dem Gehirn überein. Bekanntlich setzt sich die Dura als
Duralscheide auf den Opticus und von da als Sklera aufs Auge
fort. Und ebenso müssen Arachnoideal- und Pialscheide des Opticus
und Tunica vasculosa des Auges als Fortsetzungen der Leptomeningen
des Gehirns betrachtet werden. — Endlich darf vielleicht auch in
der Gefässversorgung des Auges eine Übereinstimmung mit dem
Gehirn erblickt werden. Die Carotis interna ist bekanntlich
Carotis cerebralis und nun versorgt ihr erster nennenswerter Ast,
die A. ophthalmica, einen zu einem Sinnesorgan umgebildeten
Hirnlappen.“
Ich wiederhole diese Worte aus jener Diskussion, weil die
Erfahrung lehrt, dass das, was im Anschluss an den Vortrag eines
anderen gesagt wird, bald vergessen ist und von niemandem
gelesen wird. — Ich weiss nicht, ob mich v. Lenhossek richtig
verstanden hat: jedenfalls ging dies aus seiner Antwort nicht
hervor. Er hielt es für notwendig, mich darauf aufmerksam zu
Bilaterale oder nasotemporale Symmetrie des Wirbeltierauges.. 263
machen, dass „die Auffassung der Augenblase und der daraus
hervorgehenden Netzhaut als eines an die Peripherie verlagerten
Hirnteiles und ebenso des Sehnerven als einer Hirnkommissur
sich wohl mit der allgemein herrschenden, von niemandem
angefochtenen Anschauung decke“. Ich will diese Liebenswürdigkeit
gern erwidern, indem ich Herrn v. Lenhossek und wer sich
sonst etwa noch für die Geschichte unserer Wissenschaft interessieren
sollte. darauf aufmerksam mache, dass schon C. E. v. Baer gewusst
hat, dass sich das Auge aus dem Vorderhirnbläschen entwickelt;
der daraus zu ziehende Schluss war selbstverständlich. Im ersten
Teil seines Hauptwerkes, der bekanntlich im Jahre 1828 erschienen
ist, heisst es auf S. 23 und 24: „Die vorderste dieser Zellen
(sc. der Hirnzellen), oder diejenige, welche die vorderste war,
umschliesst in späterer Zeit die Schenkel des Grosshirns und die
Sehhügel. Die enge runde (Grestalt, welche sie im ersten Erscheinen
hat, verändert sie schon um die 30. Stunde, indem sie im hinteren
Teile ihres Umfanges sich erweitert hat und nach vorn sich etwas
zuspitzt. Diese seitliche Ausdehnung des hinteren Teiles nimmt
ziemlich rasch zu und treibt zu beiden Seiten rundliche Erhöhungen
hervor, die ersten Anfänge der Augen.“ Es dürfte wohl
überflüssig sein, auch noch Belegstellen aus Rathke, Remak,
Bischoff, Reichert usw. anzuführen, welche zeigen würden,
dass sie alle über die Beziehungen der Augenblasen zum Gehirn
schon gut unterrichtet waren. Ich bin übrigens v. Lenhossek
für seine Belehrung sehr dankbar, wenn sie auch vielleicht seinen
Schülern gegenüber besser angebracht gewesen wäre.
v. Lenhoss&k spricht von der Auffassung der Augenblase
und der daraus hervorgehenden Netzhaut als eines an die Peripherie
verlagerten Hirnteiles; darum allein handelt es sich aber nicht.
Es handelt sich vielmehr darum, dass die Netzhaut mit Inbegriff
des Tapetum nigrum, des Glaskörpers und der Zonula eine
morphologische und genetische Einheit bildet, dass der Glaskörper
und die Zonula als Glia mit der Retina zusammengehören und
ebenso Produkte der Augenblase sind, wie die Retina selbst.
v. Lenhossck meint ferner, es gehe nicht an, spezielle
Fragen, wie die Entwicklung des Glaskörpers und der Zonula,
„aus allgemeinen Prinzipien heraus“, wie den Beziehungen zwischen
Augenblase und Hirn, „deduktiv entscheiden zu wollen“. In diesen
Worten liegt eine Entstellung des tatsächlichen Sachverhaltes.
kr
264 Carl Rabl:
Meine Auffassung des Glaskörpers und der Zonula gründet sich
nicht auf eine „Deduktion aus allgemeinen Prinzipien“, sondern
auf beobachtete Tatsachen. Übrigens brauche ich sie wohl nicht
noch eingehend zu rechtfertigen, nachdem ich mich schon an
anderem Orte (Anat. Anz. 1903) darüber geäussert habe.
v. Lenhossek hat die Ansicht aufgestellt, dass der Glaskörper
ein Produkt der Linse sei; ob diese Auffassung ausser etwa von
seinem Schüler v. Szily auch sonst noch von jemand geteilt
wird, ist mir nicht bekannt. —
Die vorliegende Abhandlung führt den Gedanken, den ich in
der erwähnten Diskussion zum Ausdruck brachte und der eigentlich
schon in meiner Monographie über den Bau und die Entwicklung
der Linse, sowie in dem kleinen Aufsatz über die Entwicklung
des Glaskörpers enthalten war, noch weiter aus. Die hier mit-
geteilten Tatsachen kenne ich zum grössten Teile schon, seitdem
ich in den Jahren 1900 und 1901 die Figuren zu meiner Arbeit
über die Entwicklung des Gesichtes (1902) zusammengestellt habe:
ich sah mich damals veranlasst, einen grossen Teil der dort abge-
bildeten Köpfe von Säugetierembryonen in Sagittalserien zu zer-
legen. Genauer aber habe ich den Gegenstand erst seit etwa
10 Jahren verfolgt.
I. Säugetiere.
Ich habe die Entwicklung der Retina, soweit die Säugetiere
in Betracht kommen, beim Kaninchen, Schaf, Hund, Schwein und
Menschen untersucht. Am vollständigsten sind meine Unter-
suchungen in Beziehung aufs Kaninchen; ich werde mich daher
zunächst an diese halten.
l. Kaninchen. Die erste Andeutung einer Augenanlage
ist vielleicht schon bei Kaninchenembryonen mit zwei bis drei
Urwirbeln vorhanden. Solche Embryonen pflegen S bis S!/s Tage
alt zu sein; wie sie im Flächenbilde aussehen, ist aus den Figuren
12 bis 15 der 4. Tafel meines Buches über „Ed. v. Beneden und
den gegenwärtigen Stand der wichtigsten von ihm behandelten
Probleme 1915“ dargestellt. Sicher fühle ich mich übrigens in
der Deutung der von solchen Embryonen erhaltenen Querschnitts-
bilder, soweit die Anlage der Augen in Betracht kommt, nicht.
Auch bei einem Embryo mit vier vorn und hinten scharf begrenzten
Urwirbeln, wie ein solcher in Fig. 16 jener Arbeit abgebildet
Bilaterale oder nasotemporale Symmetrie des Wirbeltierauges. 265
ist, kann man vielleicht noch nicht von Augenanlagen sprechen.
Solehe sind aber bei einem Embryo von sechs bis sieben Urwirbeln,
der 5 Tage 22 Stunden alt war, ganz sicher vorhanden. Hier kann
an der richtigen Deutung nicht gezweifelt werden. Hirn- und
tückenmarksrohr sind noch in der ganzen Ausdehnung offen,
wenn auch der Verschluss auf den (uerschnitten, welche das
Herz und weiter hinten die vordere Hälfte der Urwirbelregion
treffen, durch die Annäherung der beiden Medullarplatten schon
vorbereitet ist. Die Vorderhirnplatten sind zu dieser Zeit noch
flächenhaft ausgebreitet: sie sind stark dorsalwärts vorgewölbt
und in der Mitte durch eine breite Furche getrennt; lateral von
der Vorwölbung senkt sich eine ungefähr trichterförmige Grube
ein — eben die erste Anlage der Augenblase. Die
laterale Wand dieser Grube ist etwas dünner als die direkt in
die Vorwölbung übergehende mediale. Die Bilder erinnern an die
von Keibel vom Schwein beschriebenen und ausserdem an einem
Plattenmodell zur Darstellung gebrachten; nach Keibel sind aber
die aruben beim Schwein erst im Stadium von neun bis zehn Ur-
wirbeln zu sehen: ein Embrvo von sieben Urwirbeln zeigte davon
noch keine Spur. Demnach tritt die Augenblase. vorausgesetzt, dass
die Beobachtung Keibels richtig ist, beim Kaninchen etwas
früher auf als beim Schwein; wenigstens soweit bei der Bestimmung
des Alters die Zahl der Urwirbel in Betracht kommt. Auch war
bei dem Keibelschen Embryo das Medullarrohr schon in grosser
Ausdehnung geschlossen und nur vorn und hinten noch often:
also auch in dieser Hinsicht war der Embryo weiter entwickelt,
als Kaninchenembrvonen von sechs bis sieben Urwirbeln.
In den von Charles Minot und Ewing Tavlor bear-
beiteten Normentafeln zur Entwicklungsgeschichte des Kaninchens
1905) heisst es von einem Kaninchenembryo von 8!/» Tagen:
„Externallv 5 fully formed segments visible.“ Ein 2. Embryo
solchen Alters hatte sechs bis sieben und ein dritter ungefähr neun
Urwirbel. Bei der Beschreibung eines Embryo dieses Alters, dessen
Urwirbelzahl aber leider nicht angegeben ist. werden die Augen-
anlagen erwähnt, wobei aber der Bemerkung ein Fragezeichen an-
gehängt wird; die Stelle lautet: „Anlagen of optic vesicles in lateral
parts of cephalic end of raised medullary plate?“ Erst von einem
Embryo von 9 Tagen heisst es: „Primary optic vesicles distinct,
thoush small; open widelv into medullarv tube, which is open
266 CamlaRraıpE
dorsally. They form the entire lateral boundary of medullary
tube at point of connection. Ventral wall of vesicle thicker,
than dorsal.“ Diese Bemerkungen stimmen nur zum Teil mit
meinen Beobachtungen jüngster Augenanlagen überein; anderen
Teiles, und dies gilt namentlich von der letzten Angabe, lassen
sie sich aber nur mit meinen Beobachtungen an erheblich älteren
Embryonen in Einklang bringen.
Nachdem einmal die ersten Anlagen der Augen gebildet
sind, schreitet ihre weitere Entwicklung sehr rasch fort. Bei einem
Embryo mit sieben vorn und hinten scharf begrenzten Urwirbeln,
also in einem dem vorigen sehr nahe stehenden Stadium, haben
sich die Randteile der Vorderhirnplatten, die zu den Augengruben
eingesenkt sind, erhoben, so dass die Wand der Grube, die früher
die laterale war, nunmehr zur oberen geworden ist. Immerhin
sind aber die Ränder der beiden Hirnfalten noch sehr weit von-
einander getrennt. die Spalte zwischen ihnen also noch sehr gross.
Das Nervenrohr war übrigens bei diesem Embryo schon eine
Strecke weit geschlossen; der Verschluss begann in der Gegend
der hinteren Hälfte des noch paarigen Herzschlauches und er-
streckte sich über die vordersten Urwirbel. Weiter hinten war
das Rohr noch offen.
‘ Bei einem Embryo mit neun scharf begrenzten Urwirbeln, zu
welchen noch ein vorderster, kranialwärts nicht scharf begrenzter,
sondern hier ins unsegmentierte Mesoderm übergehender zehnter
kam, ist das Hirnrohr mit Ausnahme des vorn und unten zwischen
den Augenblasen gelegenen, sogenannten vorderen Neuroporus
geschlossen. Während die beiden Herzanlagen eines Embryo mit
acht scharf begrenzten Urwirbeln sich im Zusammenhang mit der
fortschreitenden Abhebung des Kopfes vom Dottersack zwar schon
einander genähert haben, aber noch nicht verschmolzen sind,
haben sich bei einem Embryo mit zehn scharf begrenzten Urwirbeln
nur die äusseren Herzhäutchen vereinigt, wogegen die inneren,
wenn auch nur in geringer Ausdehnung, noch voneinander ge-
trennt sind. Diese beginnen sich erst bei Embryonen mit zwölf
Urwirbeln zu vereinigen, indem das Septum, welches die Lumina
der beiden Endothelröhren voneinander trennt, an mehreren,
aber nicht an vielen Stellen, durchbrochen wird. Die Vereinigung
der beiden Lumina ist auch bei einem Embryo mit 13 Urwirbeln
noch von geringer Ausdehnung.
Bilaterale oder nasotemporale Symmetrie des Wirbeltierauges. 267
An Sagittalschnittserien durch Embryonen dieses Alters kann
man sehen, dass die Augenblasen mit der rasch fortschreitenden
Abhebung des Kopfes vom Dottersack eine Stellungsänderung
erfahren, die natürlich mit der sich ausbildenden Kopfkrümmung
Hand in Hand geht. Bei einem Embryo mit neun Urwirbeln stellen
sie auf solchen Schnitten plattgedrückte Blasen mit einer vorderen,
oberen, dünneren und einer hinteren, unteren, dickeren Wand
dar. Die ganze Blase ist schief von hinten oben nach vorn unten
gerichtet und in derselben Richtung zieht natürlich auch das
sehr enge, spaltförmige Lumen.
Bei einem Embryo mit zwölf Urwirbeln steht die Blase nahezu
senkrecht, mit dem oberen Ende etwas nach vorn, mit dem unteren
etwas nach hinten gerichtet. Die vordere Wand der Blase ist
noch etwas dünner als die hintere, das Lumen beträchtlich weiter.
bei einem Embryo mit 15 Urwirbeln hat sich der Kopf noch
mehr nach unten gebogen und in den Dottersack hineingesenkt
und infolgedessen stehen die Augenblasen, auf die späteren Ver-
hältnisse bezogen, mit ihrem längsten Durchmesser fast senkrecht;
ihre beiden Wände, die vordere und hintere, sind gleich dick
und das Lumen beginnt oval zu werden.
Embryonen mit 12—13 Urwirbeln sind ungefähr 9 Tage alt.
Die Anlage des Gehörorganes stellt bei ihnen noch eine seichte,
aber schon deutlich erkennbare Grube dar. Bei etwas älteren
Embryonen, solchen mit 15—16 Urwirbeln, ist das Gehörgrübchen
schon tiefer, aber immer noch sehr weit offen. Es sieht ungefähr
so aus wie beim Embrvo des Stadiums I. Taf. X, in meiner
Arbeit über „die Entwicklung des Gesichtes* 1902. Der dort
abgebildete Embryo war 9 Tage 3 Stunden alt; ich besitze drei
Serien von Embryonen dieses Stadiums. — Von den jüngsten. im
vorhergehenden kurz notierten Stadien der Augenentwicklung habe
ich keine Zeichnungen angefertigt und zwar einerseits deshalb
nicht, weil ich die ohnedies schon grosse Zahl derselben nicht
noch vermehren wollte, andererseits, weil der Hauptgegenstand
der vorliegenden Arbeit nicht die frühesten Stadien der Augen-
entwicklung betrifft.
Der jüngste Embryo, von dem ich auf Taf. X, Fig. 1 aus
einer Sagittalschnittserie einen Schnitt durch das Auge der linken
Seite abgebildet habe, war 9 Tage 7 Stunden alt, hatte noch
ein weit offenes Gehörbläschen und stand ungefähr auf der Stufe
265 CarlRabl:
des Embryo II des angeführten Tafelwerkes. Schnitte aus Sagittal-
schnittserien treffen bei jungen Embryonen die Augen, da diese
rein seitlich liegen, fast genau äquatorial: erst bei älteren
Embryonen, bei denen die Augen etwas nach vorn rücken und
deren Augenachsen daher einen nach vorn offenen stumpfen Winkel
miteinander einschliessen, ändert sich dieses Verhältnis, und Sagittal-
schnitte durch den Kopf treffen die Augen in schiefer Richtung.
Bei Embryonen von sechs bis zehn Urwirbeln liegt das Ektoderm
der Augenblase direkt an, bei ganz jungen Embryonen, solchen mit
sechs und sieben Urwirbeln, stossen die Augengruben nach unten
oder nach unten und aussen mit ihrem Boden an das Ektoderm an.
Aber schon bei Embryonen mit zwölf Urwirbeln schiebt sich zwischen
die Augenblasen und das ganz dünne, über sie hinwegziehende
Ektoderm Mesodermgewebe ein und mit diesem dringen zugleich
auch (refässe ein. Dieses Verhalten ändert sich erst später wieder,
sobald sich die Linsenplatte zu bilden beginnt. Bei den jüngsten
Embryonen mit eben bemerkbarer Linsenplatte sind nur einige
wenige, zerstreute, spindelförmig ausgezogene Mesodermzellen,
aber keine Gefässe mehr zwischen Ektoderm und Aussenwand der
Augenblase vorhanden und noch später sind auch diese Zellen
verschwunden. Ich habe darüber in dem 3. Teil meiner Arbeit
über den Bau und die Entwicklung der Linse (Zeitsch. f. w. Zool..
Bd. 67, 1900) ausführlich berichtet und die betreffenden Quer-
schnittsbilder mitgeteilt. An einem Embryo, der gleich weit ent-
wickelt war, wie der Embryo des Stadiums II des Tafelwerkes
oder der Embryo. dem der Schnitt entnommen ist, den ich auf
Taf. X, Fig. 1 abgebildet habe, zählte ich 17 scharf begrenzte
Urwirbel, wozu noch als 18. oder vorderster in der Reihe der
erste, nach vorn offene metaotische Urwirbel kam. Die Augen-
blase zeigt auf Sagittalschnitten eine etwas unregelmässige ovale
Form, hat ein weites Lumen und ihre Wände sind überall von
nahezu derselben Dicke. Ich orientiere sie so, dass ihr längster
Durchmesser senkrecht steht oder nur sehr wenig nach unten
und vorn abweicht. Die Innenfläche der Blase ist glatt, die
Aussenfläche dagegen ganz unregelmässig höckerig, ja geradezu wie
aufgefranst, was dadurch zustande kommt, dass die Zellen zahl-
reiche pseudopodienartige Fortsätze ausschicken, die mit den
Fortsätzen der umgebenden Mesodermzellen in Verbindung zu
treten scheinen. Dasselbe habe ich auch an Querschnittserien
Silaterale oder nasotemporale Symmetrie des Wirbeltierauges. 269
durch zwei gleichalterige und gleich weit entwickelte Embryonen
gesehen. Unmittelbar dem Lumen der Blase genähert, beobachtet
man eine grosse Zahl von Teilungsfiguren, wie solche auch sonst
an der Innenfläche des Hirnrohres, wenn auch nicht überall in
gleicher Menge, zu sehen sind. Es verdient erwähnt zu werden.
dass schon jetzt, geradeso wie in späteren Stadien, im Hirn- und
Medullarrohr die Mitosen sehr viel häufiger sind und dichter
nebeneinanderstehen, als in irgend einem anderen Organ oder
einem anderen (Gewebe: wir müssen darin den Ausdruck pro-
spektiver Entwicklung erblicken. Bekanntlich ist die Teilungs-
fähigkeit der Zellen des Zentralnervensystems eine beschränkte:
sie findet relativ bald ihren Abschluss, während sie bei anderen
(Geweben und Organen, wie Zz. B. beim Epithelgewebe, zum Teil
bis ans Lebensende erhalten bleibt.
Einen Aquatorialschnitt durch eine erheblich weiter ent-
wickelte Augenblase zeigt uns die Fig. 2 der Taf. X. Der Schnitt
stammt aus einer Sagittalschnittserie durch einen Embryo, der
dem des Stadiums IV meines Tafelwerkes über das Gesicht
entsprach. Ich habe daselbst auch eine sehr eingehende Be-
schreibung des Baues solcher Embryonen gegeben, aus der ich
nur einige wenige Angaben heraushebe. Embryonen dieses Sta-
diums besitzen 25>—26 Urwirbel und 3 Kiemenbogen. Die Riech-
platte ist eben angedeutet, das ungefähr birnförmige (Gehör-
bläschen hat sich bis auf eine kleine punktförmige Öffnung an
seiner dorso-lateralen Wand geschlossen. Während es früher,
solange es noch weit offen war, über dem hinteren Ende der
Basis des zweiten Kiemenbogens oder Hyoidbogens gelegen war,
liegt es jetzt genau in der dorsalen Verlängerung der zweiten
äusseren Furche, eine Lage, die es von jetzt an durch lange
Zeit beibehält. Querschnittserien durch Embryonen dieses Alters
zeigen, dass die Augenblasen das Ektoderm nicht berühren, son-
dern dass sich, wie dies oben beschrieben wurde, zwischen sie
und die äussere Haut lockeres Mesodermgewebe mit Grefässen
einschiebt. Eine Linsenplatte ist noch nicht vorhanden. Der
abgebildete Äquatorialschnitt durch die Augenblase zeigt vor
allem, dass diese sehr viel grösser und nach aussen hin fast
überall scharf begrenzt ist. Nur hie und da, namentlich an der
dorsalen Wand, treibt noch eine Zelle einen pseudopodienartigen
Fortsatz nach aussen. Die Wand der Blase ist jetzt nicht überall
270 ÖUarlRabl:
mehr gleich dick; die dorsale Wand ist am dünnsten, die ventrale
am dieksten. Ich orientiere wieder die Blase so, dass ihr längster
Durchmesser senkrecht steht. Es entspricht dies ungefähr der
definitiven Stellung des Auges. In dieser verschiedenen Dicke
der Wand ist wieder der Ausdruck prospektiver Entwicklung zu
erblieken. Denn durch sie gibt sich schon jetzt ein Unterschied
zwischen dem Teil der Augenblase, der zum Tapetum nigrum
wird und dem, der die eigentliche Retina mit dem Glaskörper
und der Zonula hervorgehen lässt, zu erkennen. Die obere, vordere
und hintere Wand der. Blase stellen nämlich die Anlage des
Tapetum vor und nur die verhältnismässig wenig ausgedehnte
untere Wand ist die Anlage der eigentlichen Retina. An der
der weiten Höhle der Blase, dem „Sehventrikel“, zugewendeten
lläche sieht man wieder zahlreiche Mitosen, die zahlreichsten in
der unteren Wand. Hier stehen sie überall dieht nebeneinander
und zwar nehmen die Teilungsachsen, deren Stellung man am besten
an Mutter- oder 'Tochtersternen beurteilen kann, jede mögliche
Riehtung ein.
Das nächste Bild (Fig. 5, Taf. X) zeigt uns ein sehr wich-
tiges Stadium der Entwicklung des Auges des Kaninchens. Ich
habe lange gesucht, bis ich Embryonen fand, welche dieses Bild
zeigten, bis ich endlich zwei fand; sie waren 10 Tage und einige
Stunden alt und ungefähr so weit entwickelt wie der Embryo V
meines Tafelwerkes. Zur Orientierung über die allgemeine Ent-
wieklungshöhe dieser Embryonen teile ich mit, dass sie, wenn auch
äusserlich nur drei Kiemenfurchen zeigend, doch noch eine vierte
auffallend grosse Kiementasche besitzen, die auf Saegittalschnitten
eine ungefähr quadratische Form hat und zweifellos die Anlagen
einer vierten und fünften inneren Kiemenfurche repräsentiert. Die
iechplatte dieser Embryonen ist dieker als im früheren Stadium ;
(das Gehörbläschen vollständig von der Oberfläche getrennt, wenn-
gleich die Stelle, an der es ausmündete, noch deutlich zu er-
kennen ist. Was nun die Augenblase betrifft, so liessen die
obere, vordere und hintere oder, wie wir auch sagen können, die
dorsale, nasale und temporale Wand auf dem Aquatorialschnitt
im Vergleich mit dem früheren Stadium keinen besonders auf-
fallenden Unterschied erkennen ; höchstens wäre darauf aufmerksam
zu machen, dass die Wände von oben nach unten ganz allmählich
dicker werden, dass sich aber sowohl die nasale als die temporale
Bilaterale oder nasotemporale Symmetrie des Wirbeltierauges. 271
Wand sehr scharf von der ventralen oder retinalen absetzen.
So wenige verändert sich aber der pigmentale Teil der Wandung
erweist, so auffallend ist die Veränderung des retinalen, unteren
Teiles. Dieser ist zwar nach aussen geradeso wie früher
halbkugelig vorgewölbt, nach innen aber, gegen
den „Sehventrikel“, springen zwei mächtige Wülste
vor, die durch eine ziemlich tiefe l’urche voneinander getrennt
sind. Demnach ist die retinale Wand der Augenblase
zweilappig und zwar schon in einem Stadium, in welchem an
ihr noch nicht die geringste Spur einer Einstülpung vorhanden
ist. Die Bildung dieser zwei Lappen ist also, was von grosser
Wichtigkeit für die Auffassung derselben ist, durchaus nicht die
Folge der Einstülpung der Augenblase, sondern sie ist von dieser
völlig unabhängig und tritt schon auf, bevor sich die erste Spur
derselben bemerkbar macht. Die beiden Lappen sind der Aus-
druck mächtiger Wucherungen der retinalen Wand der Blase,
was sich vor allem in den zahlreichen Teilungsfiguren der beiden
Wülste zu erkennen gibt. Oft sind diese an der in den „Seh-
ventrikel*“ vorspringenden Seite so dicht gestellt, dass die Wülste
von ihnen geradezu übersät sind. Wie mir scheint, kann man
höchstens zur Zeit der Bildung der Neuromeren des Diencephalon
und Rhombencephalon eine ähnliche Menge von Mitosen auf engstem
waume nebeneinander sehen.
Fig. 4, Taf. X zeigt uns das Bild eines Äquatorialschnittes
durch das linke Auge des auf Taf. X, Stadium VI meines Tafel-
werkes abgebildeten Embryo. Das Bild unterscheidet sich in
zweifacher Beziehung von dem vorigen. Erstens ist der dorso-
ventrale Durchmesser der Blase auffallend kurz, kürzer als man
nach den Bildern, die man sonst von jüngeren oder älteren
Embryonen erhält (man vgl. z. B. die Fig. 2, 3, 5 und 6 mit der
Fig. 4) erwarten sollte; indessen dürfte dieses Verhalten wohl rein
individuell sein und ihm daher keine grössere Bedeutung zukommen.
Viel wichtiger aber ist die zweite Eigentümlichkeit, durch die sich
diese Augenblase von der nächst jüngeren unterscheidet. Während
früher die Aussenfläche der retinalen Wand der Blase kugelförmig
nach unten vorsprang, ist sie jetzt ganz abgeflacht. Die Innen-
fläche dieser Wand zeigt wieder die zwei mächtigen Wülste, auf
die bereits beim vorigen Stadium aufmerksam gemacht wurde.
Auch jetzt sieht man wieder, dem „Sehventrikel“ zugekehrt, in
DD CarlBabl:
den Wülsten eine überaus grosse Zahl von Mitosen, als Ausdruck
des lebhaften Wachstums der retinalen Wand. Ich habe in dieses
Bild auch die die Augenblase umgebenden Gefässe eingezeichnet.
um zu zeigen, wie ungemein reich sie mit Blut versorgt wird.
Man dürfte kaum fehlgehen, das rasche und lebhafte Wachstum
der Augenblasen mit diesem grossen (Gefässreichtum in ursäch-
lichen Zusammenhang zu bringen. Während, wie die Figur zeigt,
die ventrale Wand der Augenblase abgeflacht ist, lassen Quer-
schnittsserien durch solche Embryonen erkennen, dass die laterale
Wand die allererste Spur einer Einsenkung zeigt. Diese ist
übrigens auch, wie ich schon in meinem l'afelwerk beschrieb, an
der Sagittalschnittserie eben zu erkennen. Die Einsenkung er-
folgt gleichmässig mit der Bildung der Linsengrube. In diesem
Stadium beginnt sieh nämlich, allerdings zunächst noch kaum
merkbar, die Linsenplatte zur Grube zu vertiefen. Die Einsenkung
oder Einstülpung der Augenblase beginnt also, wie dies auch an
den Figuren 2 und 3 meiner Linsenarbeit zu sehen ist, an der
lateralen Wand und schreitet von hier erst auf die ventrale fort.
Ventrale und laterale Wand zusammen lassen aber die Retina
hervorgehen: sie beide zusammen bilden die retinale Wand der
Augenblase. Von der lateralen Wand der Augenblase gilt dies
aber nur mit der Einschränkung, dass für die Bildung der Retina
(im engeren Sinn, vgl. weiter unten) nur derjenige Bezirk in Frage
kommt, der an die Linsenanlage stösst. Der dorsalwärts davon,
ausserhalb der Linsenanlage gelegene. dünnere Bezirk. nimmt an
der Bildung der Retina keinen Anteil; er gehört bereits der
pigmentalen Wand an. Man wird dies erst verstehen, wenn man
die (@uerschnittsbilder meiner Linsenarbeit mit zum Vergleiche
heranzieht.
Das nächste Bild (Fig. 5, Taf. X) zeigt uns einen Äquatorial-
schnitt durch das linke Auge des in meinem Tafelwerk als
Stadium VII bezeichneten und abgebildeten Embryo. Wie die
früheren Schnitte wurde auch er durch die Mitte der Blase geführt,
d. h. er trifft diese dort, wo ihr Lumen am weitesten ist. Auf
den vorhergehenden und den folgenden Schnitten wird das Lumen
enger. Man kann sich an dieser Serie zunächst überzeugen, dass
die Linsenplatte schon ein wenig tiefer eingesenkt ist und dass
auch die laterale Wand der Augenblase, damit im Zusammenhang,
eine deutlichere Vertiefung zeigt als früher. Nach unten setzt
Bilaterale oder nasotemporale Symmetrie des Wirbeltierauges. 273
sich aber, wie der abgebildete Schnitt zeigt, die Vertiefung noch
nicht fort; höchstens kann eine ganz geringe Vertiefung in der
Mitte der ventralen Fläche auf eine solche Einsenkung bezogen
werden.
Was die beiden Wülste betrifft, so sind sie beträchtlich
höher geworden und ragen ziemlich weit in den „Sehventrikel*
vor. Von den Mitosen in denselben gilt das früher Gesagte.
Verfolgt man die Serie nach aussen, so überzeugt man sich, dass
sich die Wülste auch auf den retinalen Teil der äusseren Wand
der Blase, oder doch wenigstens auf die unteren Abschnitte
derselben fortsetzen. Dagegen hören sie nach innen zu, gegen
das Gehirn, schon vor dem Übergang der Blase in den Augen-
blasenstiel auf. Die Blase ist bei diesem Embryo höher, der
vertikale Durchmesser länger als bei dem Embrvo des Stadiums VI.
Von anderen Eigentümlichkeiten hebe ich nur hervor, dass die
Riechplatte verdickt und abgeflacht war.
Das nächste Bild (Fig. 6, Taf. X) zeigt uns einen Äquatorial-
schnitt durch das Auge des auf Tafel II Stadium VIII meines
Tafelwerkes abgebildeten Embryo. Wie jenes Bild zeigt, ist das
Linsenbläschen bis auf eine nicht sehr grosse, kreisrunde Stelle,
an der es sich nach aussen öfinet, von der Haut abgelöst. Aus
der Linsengrube ist also ein Linsenbläschen geworden. Die Ränder
der Öffnung, die in das Bläschen führt, sind, wie ich in jener
Arbeit hervorhob, ungemein scharf und ganz glatt. Die Ent-
wicklung des Auges hat im Vergleich mit dem vorigen Stadium
grosse Fortschritte gemacht. Es ist jetzt die ganze retinale
Wand der Blase, also sowohl die ventrale als der grösste Teil
der lateralen, tief in den „Sehventrikel“ eingestülpt. Ich habe
aus der Serie absichtlich einen Schnitt ausgewählt, der das Auge
ziemlich weit medial trifft. Die Schnitte, welche weiter nach
aussen, also gegen die Haut zu, durchs Auge gehen und also
das Linsenbläschen treffen, zeigen eine grosse Ähnlichkeit mit dem
in Fig. 7 abgebildeten des nächst älteren Stadiums, den ich gleich
später beschreiben werde. Der Schnitt trifft also die mediale
Wand der sekundären Augenblase; er ist der vierte nach ein-
wärts von dem letzten, der noch etwas von der Linse zeigt
(Schnittdicke 10 «). Schon zwei Schnitte weiter nach der Median-
ebene zu verschwindet auch der letzte Rest der Anlage der
Retina und etwa drei oder vier Schnitte darauf folgt der zu dieser
274 CamlaRTanpıEe
Zeit noch sehr mächtige und dicke Augenblasenstiel. Dieser
enthält eine sehr geräumige Höhle von dreieckiger Form mit
schmaler ventraler Basis, hohen Seitenflächen und abgerundeten
Winkeln. Die Einstülpung der retinalen Wand der Augenblase
setzt sich auf den Augenblasenstiel zu dieser Zeit noch nicht
fort. Sie hört auf demselben Schnitte auf, auf welchem von der
Retina nichts mehr zu sehen ist. Dem Gesagten zufolge beginnt
die Einstülpung an der lateralen Wand der Blase, schreitet von
da rasch auf die untere oder ventrale Wand fort und erstreckt
sich erst verhältnismässig spät auch auf den Augenblasenstiel. —
An dem abgebildeten Schnitte nun bemerkt man bei e an der
ventralen Seite der Augenblase eine ziemlich seichte, einfache
Grube als letzten, medialsten Rest der auf den vorhergehenden
Schnitten sichtbaren, sehr tiefen fötalen Augenspalte. Diese selbst
führt bekanntlich von unten her in den Hohlraum der sekundären
Augenblase, der zu dieser Zeit beim Kaninchen fast ganz von
der Linse ausgefüllt wird. An dem abgebildeten Schnitte ist der
ursprünglich, und auch noch nach Ausbildung der beiden retinalen
Lappen (vgl. die Fig. 3—5) sehr weite „Sehventrikel* sehr ein-
geengt und zeigt nur drei weitere Stellen: eine dorsale, die sich
zwischen die beiden Lappen der Retina einsenkt, und zwei seitlich
und ventral gelegene, eine nasale und eine temporale. Die zwei
Lappen der Retina, der nasale und der temporale, desgleichen
auch die sie trennende Furche sind auf nicht weniger als zwölf
Schnitten der Serie durch das Auge, das in 19—20 Schnitte
zerlegt ist, sehr deutlich zu sehen; nur die ersten und letzten
Schnitte der Serie zeigen naturgemäss von der Lappung nichts.
Dicht unter der dem „Sehventrikel“ zugekehrten Fläche der
beiden Lappen der Retina findet man wieder zahlreiche Mitosen.
Bekanntlich ist diese Fläche entwicklungsgeschichtlich von der
freien Fläche des zur Augenblase umgewandelten Ektoderms ab-
zuleiten, was selbstverständlich auch von der dem „Sehventrikel“
zugewendeten Fläche der Anlage des Tapetum nigrum und ebenso
von der Ventrikelfläche des Hirn- und Rückenmarksrohres gilt.
Es haben also in der Anlage des ganzen Zentralnervensystems
und demgemäss auch in der Anlage des Auges die Mitosen die-
selbe Lage, die sie in einschichtigen Epithelien, mag es sich um
einreihige oder mehrreihige handeln, einnehmen. Diese Lage
bleibt auch später, wenn die Anlagen der nervösen Zentralorgane
Bilaterale oder nasotemporale Symmetrie des Wirbeltierauges. 275
längst durch Umbildung ihrer Elemente den Charakter wahrer
Epithelien verloren haben, die typische. Indessen soll nicht uner-
wähnt bleiben, dass man in späteren Stadien, allerdings nur ganz
ausnahmsweise und bei längerem Suchen, auch wohl eine weiter
vom Lumen entfernte Mitose antreffen kann.
Eine weitere Eigentümlichkeit der retinalen Wand der
Augenblase besteht darin, dass in ihr sehr zahlreiche, zwischen
‚den Zellkernen zerstreute, sich mit Karmin, Cochenillealaun und
Hämatoxylin intensiv tingierende, kleine runde, homogene Körner
enthalten sind, ähnlich denen, die ich in den Rändern der Öffnung
des Linsenbläschens und später an der Verschlußstelle dieser
Öffnung bei der Ente und dem Kaninchen seinerzeit gefunden
und beschrieben habe. Seither sind solche Körner auch von
anderen und an anderen Orten gesehen worden. Es wird davon
später noch ausführlich gesprochen werden.
Über das Pigmentblatt der Augenblase ist in diesem Stadium
wenig neues zu sagen. Auf dem abgebildeten Schnitte ist es
natürlich nicht mehr senkrecht auf seine Oberfläche getroffen,
woraus seine scheinbare Dicke und sein grosser Zellenreichtum
erklärt werden. Nichtsdestoweniger zeigen alle Mitosen die
erwähnte charakteristische Lage. Von einem Glaskörperraum kann
man in diesem Stadium nur mit einiger Einschränkung sprechen,
da die Linse den Hohlraum der Augenblase fast vollständig aus-
füllt. In dem engen Spaltraume, der dabei noch frei bleibt, liegt
nur hinten, also zwischen der medialen Wand des Linsenbläschens
und dem Grund der Augenblase, eine grössere Zahl von Mesoderm-
zellen, die aber wohl sicher weitaus zum grössten Teil mit den
«sefässen von unten her eingedrungen sind. Wenn überhaupt, so
dürften nur wenige von den in früheren Stadien zwischen Augen-
blase und Ektoderm gelegenen Mesodermzellen abzuleiten sein.
Besser noch als an Sagittalschnitten durch die Embryonen, die
die Augenblasen äquatorial treffen, kann man diese Eigentümlich-
keiten des Glaskörperraumes und der in ihm gelegenen Gefässe
und Mesodermzellen an Querschnitten erkennen. Solche Bilder
habe ich in meiner Linsenarbeit in grösserer Zahl mitgeteilt.
Gerade wegen dieser Enge des Glaskörperraumes in den frühen
Stadien der Augenentwicklung eignen sich Kaninchenembryonen
viel weniger gut zur Untersuchung der ersten Entwicklung des
Glaskörpers, als alle anderen von mir daraufhin untersuchten
276 CarlRabl:
Säugetiere (Schaf, Hund, Schwein und Mensch). Was endlich noch
das Linsenbläschen in dem vorliegenden Stadium betrifft, so ver-
weise ich auch hier wieder auf meine Monographie über die Linse
und bemerke nur, dass dasselbe auf Äquatorialschnitten ungefähr
kreisrund. aber mit sehr unregelmässiger, höckeriger, äusserer
Oberfläche erscheint, während es auf Querschnitten, kurz vor dem
Verschluss der Öffnung, mehr oder weniger viereckig, unmittelbar
nach demselben aber dreieckig ist; auch dafür möge man zum
Vergleich die angeführte Arbeit heranziehen. Schliesslich brauche
ich kaum noch hinzuzufügen, dass geradeso, wie schon in früheren
Stadien. auch zu dieser Zeit von der Aussenfläche der Linsenanlage
die namentlich durch v. Lenhossek bekannt gewordenen, aber
fälschlich als Glaskörperfasern gedeuteten Fortsätze ausgehen.
Die nächsten zwei Bilder (Fig. 7 und 5, Taf. X) zeigen uns
Schnitte durch den Embryo des Stadiums IX meines Tafelwerkes
über Gesichtsentwicklung. Ich habe daselbst bereits eine allgemeine
Charakteristik dieses Stadiums gegeben und hebe aus derselben
hier nur heraus, dass zu dieser Zeit das Linsenbläschen mit Aus-
nahme einer ganz kleinen Stelle von der Haut losgelöst ist. Der
abgebildete Schnitt Fig. 7 ist der neunte, von aussen gerechnet, der
das Auge trifft. Der obere Rand der Eingangsöffnung des Linsen-
bläschens ist schon auf dem ersten Schnitte, der etwas von der
Augenanlage zeigt, zu sehen: ebenso auch der obere Rand der
Augenblase. Vom dritten Schnitte an erkennt man schon die
zwei Lappen der Retina. In der Höhle des Linsenbläschens er-
scheint alsbald auch die Zellmasse, die vom Boden des Bläschens
hervorgewuchert ist; und zwar erscheint zuerst der Detritus,
welcher beim Zerfall dev Zellen entsteht, und sodann, auf den
folgenden Sehnitten, die noch nicht in Zerfall begritfenen Zellen
selbst. Alles das wird viel verständlicher, wenn man meine
Linsenarbeit, auf die ich immer wieder verweisen muss, zum
Vergleich heranzieht.
Der in Fig. 7 abgebildete Schnitt nun ist, wie gesagt, der neunte,
der, von aussen gerechnet (bei einer Schnittdicke von 10 «), das Auge
trifft. Das Linsenbläschen ist viereckig, die ventrale und zugleich
laterale Wand schmäler als die dorsale. Von dieser, oder genauer
gesagt, von der dorsomedialen Wand, wuchert die Zellmasse hervor,
die gegen das verengte Lumen des Bläschens zu zerfällt. Auf
einem durch den Kopf eines genau ebensoweit entwickelten Embryo
Bilaterale oder nasotemporale Symmetrie des Wirbeltierauges. 27
geführten Schnitte, an dem Auge und Gehörbläschen gleichzeitig
zu sehen sind, der also ungefähr frontal durch den Kopf geführt
ist, hat das nach aussen eben noch offene Linsenbläschen eine
fast genau quadratische Form, ganz ähnlich wie an dem in Fig. 7
meiner Linsenarbeit abgebildeten Querschnitt eines dritten gleich-
alterigen Embryo. Wie der abgebildete und ebenso auch die
vorhergehenden Schnitte zeigen, ist der „Sehventrikel“ noch sehr
weit und zugleich von sichelförmiger Gestalt. Die grösste Höhe
besitzt er oberhalb der Furche zwischen beiden Lappen der Retina.
Dieselbe Form hat er auch auf den vorhergehenden und den
folgenden Schnitten. Das Tapetum oder das Pigmentblatt der
Augenblase ist auf dem Schnitt senkrecht getroffen, so dass man
erkennt, dass es einschichtig ist. Die Zellkerne stehen zumeist
an der Basis, die Mitosen durchwegs an der freien Seite des
Epithels. Die Lappung der Retina ist ganz deutlich und unver-
kennbar. An ihrer äusseren, dem „Sehventrikel“ zugewendeten
Fläche sind. wie schon früher, zahlreiche Mitosen zu sehen. An
ihre, der Linse zugewendeten konkaven, inneren Fläche beginnt
sich bereits eine helle Zone als erste Anlage eines „Randschleiers“
bemerkbar zu machen. Ein solcher ist aber bloss rechts und
links, nicht auch in der Mitte vorhanden. Es weist dies auf eine
gewisse Selbständigkeit der beiden Lappen der Retina voneinander
hin: Jeder bringt für sich, unabhängig von dem anderen, eine
Sehnervenfaserschicht zur Ausbildung. Die fötale Augenspalte
ist an dem abgebildeten Schnitte sehr weit und mit Bindegewebe
und Gefässen erfüllt. Sie erweitert sich nach aussen gegen die
Haut zu ziemlich rasch, während sie sich nach innen zu ver-
schmälert, ohne aber schon auf den Augenblasenstiel überzugehen.
In dem Glaskörperraume finden sich einige wenige zerstreute
Mesodermzellen.
Der zweite, in Fig. S, Taf. X abgebildete Schnitt aus der-
selben Serie ist der fünfte nach einwärts von dem der Fig. 7.
Die letzte Spur der Linse ist auf dem Schnitte vorher zu sehen.
In dem auf dem vorhergehenden Schnitte von der Linse einge-
nommenen Raum, dem Glaskörperraum, liegt gefässreiches Binde-
gewebe. Die obere Wand der Retina ist von der Seite des
„Sehventrikels*“ her durch eine tiefe Furche in zwei mächtige
Lappen, einen nasalen und einen temporalen, geteilt. Der Furche
an der Aussenfläche entspricht eine in den Glaskörperraum von
Archiv f. mikr. Anat. Bd.90. Abt. I. 19
278 CarlRabl:
der Innenseite vorspringende Leiste. Ein Vergleich der Fig. 7
und 8 lehrt, dass die die beiden Lappen der Retina trennende
Furche innen, d. h. medial, viel tiefer als aussen ist. Deshalb
erscheint auch an Frontalschnitten durch den Kopf, wie ein solcher
früher erwähnt wurde, die Furche viel tiefer, als an Äquatorial-
schnitten durch die laterale Hälfte des Auges, wie ein solcher in
Fig. 7 abgebildet ist. Auf Frontalschnitten sieht man auch ent-
sprechend der tiefen Furche an der Aussenfläche der Retina eine
mächtige Leiste nach innen gegen die Linse vorspringen. Zugleich
kann man hier sehen, dass die Retina im Bereich der die beiden
Lappen trennenden Furche, beziehungsweise der ihr entsprechenden
Leiste, dünner ist als sonst und noch keine Spur einer Differenzierung,
wie eine solche an den beiden Lappen in der Ausbildung des
„Randschleiers* zum Ausdruck kommt, zeigt. Die Retina oder
das retinale Blatt der Augenblase ist von diesem Schnitt an nach
einwärts noch etwa durch sechs oder sieben Schnitte weit zu
verfolgen, um sodann in die untere Wand des ungefähr drei-
eckigen Augenblasenstiels überzugehen. In die vordere und hintere
Wand, die beide ebenso dick sind wie die untere, geht das
Pigmentblatt der Augenblase, also deren äussere Lamelle, über.
Die untere, retinale Wand des Augenblasenstiels ist abgeflacht,
aber noch nicht vertieft. Das Pigmentblatt der Augenblase ist
auf dem in Fig. S abgebildeten Schnitte nicht mehr senkrecht
getroffen; dies gilt in erster Linie von der dorsalen Wand, wes-
halb hier ein mehrschichtiges Epithel vorgetäuscht wird. In der
dorsalen Wand der Pigmentschicht sieht man dunkel gefärbte
Körner derselben Art, wie sie früher (vgl. Fig. 6) von der hinteren
Wand der Retina beschrieben worden sind. Einzelne derartige
Körner sind auch in der Retina zu sehen; in dieser werden sie
in den folgenden Schnitten etwas häufiger.
Der in der „Entwicklung des Gesichtes“ auf Taf. I
unter der Bezeichnung Stadium \ abgebildete Embryo, dessen
Kopf ich gleichfalls in Sagittalschnitte zerlegt habe, unter-
scheidet sich von dem vorigen, was das Auge betrifft, nament-
lich in zwei Punkten: erstens ist das Linsenbläschen voll-
ständig von der äusseren Haut getrennt, und zweitens
zeigt der Umschlagsrand der mehr und mehr vorwachsenden
Augenblase an zwei sehr charakteristischen und konstanten
Stellen Einkerbungen. Die eine dieser Einkerbungen ist vorn
Bilaterale oder nasotemporale Symmetrie des Wirbeltierauges. 279
oben, die andere hinten oben gelegen. Ich will die beiden
als vordere dorsale und hintere dorsale Randkerbe
bezeichnen. Zu diesen beiden dorsalen Randkerben kommen später,
beim weiteren Wachstum des Umschlagsrandes, wie ich schon
jetzt vorwegnehme, noch zwei ventrale, und zwar gleichfalls eine
vordere und eine hintere, so dass man also dann im ganzen zwei
vordere und zwei hintere Randkerben an der Augenblase unter-
scheiden kann. Die zwei vorderen gehören der nasalen, die zwei
hinteren der temporalen Hälfte der Retina an. Zwischen die
beiden Hälften senkt sich ventral, wie wir gesehen haben, die
anfangs sehr breite und sich nach aussen ungemein erweiternde
fötale Augenspalte ein ; diese nimmt bald an Breite sehr bedeutend
ab. Durch die vier Randkerben und die fötale Augenspalte wird
der Augenblasenrand in fünf Abschnitte geteilt: einen ungefähr
horizontalen oberen oder dorsalen, dann, in fast rechtem Winkel
davon abgesetzt, zwei vertikale, einen vorderen nasalen und
einen hinteren temporalen, und endlich zwei von den vertikalen
abermals unter ungefähr rechtem Winkel abgesetzten hori-
zontalen Abschnitt. Zwischen die beiden unteren horizontalen
Randlappen, von denen der eine der nasalen, der andere der
temporalen Hälfte der Retina angehört, senkt sich, dem Gesagten
zutolge, die fötale Augenspalte ein. Ich werde auf diesen Gegen-
stand später, bei der Beschreibung der Entwicklung der Retina
des Schafes, Schweines und Menschen, wieder zurückkommen und
stelle hier nur fest, dass sich beim Kaninchen die erste Scheidung
des Randes der Augenblase in mehrere Abschnitte in dem der
völligen Ablösung des Linsenbläschens unmittelbar folgenden
Stadium bemerkbar macht. Zum genaueren Verständnis des Ge-
sagten aber will ich etwas vorgreifen und auf einige Figuren
der Taf. X] und XII verweisen. Zunächst bemerke ich, dass auf
dem Schnitte der Fig. 2, Taf. XI, der das Auge eines Schaf-
embryo äquatorial trifft, alle fünf Randlappen der Augenblase zu
sehen sind: zunächst der dorsale, etwas nach hinten zu abfallend,
dann die beiden seitlichen, der nasale und temporale, und endlich
die horizontalen ventralen. Der Schnitt ist so orientiert, dass
die fötale Augenspalte nach unten gerichtet ist. Von den vier
Randkerben sind noch sehr deutlich die obere nasale und untere
nasale, vielleicht etwas weniger deutlich die obere temporale zu
sehen, während die untere temporale kaum mehr angedeutet ist.
195
280 CarlRabl:
Ferner verweise ich auf Fig. 13 derselben Tafel. welche
einen Schnitt durch den lateralen, der Oberfläche benachbarten
Teil des Auges eines Schweineembryo zeigt. Der Schnitt geht zu
weit medial durch das Auge, also zu nahe dem Äquator, als dass
man noch etwas von den Randkerben sehen könnte. Wohl aber
kann man erkennen, dass die Retina hier drei Abschnitte, einen
grossen dorsalen, der eine geräumige Höhle — einen Teil des
ursprünglichen „Sehventrikels“ — umschliesst, sowie einen nasalen
und temporalen unterscheiden lässt. An den weiter nach aussen,
der Körperoberfläche zu, gelegenen Schnitten sind die oberen
Randkerben sichtbar, von denen namentlich die nasale sehr schön
und deutlich ist. An den mehr gegen die Mittelebene folgenden
Schnitten sieht man zwar die beiden ventralen, horizontal ge-
stellten Abschnitte der Retina, aber, wenigstens an dieser Serie,
nichts von den ventralen Randkerben. Endlich verweise ich noch
auf Fig. 1, Taf. XII, die einen Schnitt durch das Auge eines
menschlichen Embryo zeigt, an dem am Rande der Augenblase
sehr deutlich die obere temporale, sodann die obere und untere
nasale Kerbe zu erkennen sind, während die untere temporale
hier nicht sichtbar ist. Zweifellos sind aber auch hier Lage und
Zahl der Randkerben und dementsprechend auch Lage und Zahl
der Randlappen der Retina genau bestimmt.
Ich kehre nun wieder zur Beschreibung der Entwicklung
der Retina des Kaninchens zurück und wende mich zu der Fig. 9,
Taf. X. Sie stellt einen Schnitt durch das linke Auge des in
meinem Tafelwerk mit Stadium XI bezeichneten Embryo ‚ar.
Daselbst findet man auch eine allgemeine Charakteristik dieses
Stadiums. Die Linse steht zu dieser Zeit in ihrer Entwicklung
in der Mitte zwischen den in den Fig. S und 9, Taf. \, meiner
Linsenarbeit abgebildeten Stadien. Sie stellt also auf dem Quer-
schnitt ein dreieckiges Bläschen dar, dessen eine Seite nach aussen
gegen das Ektoderm gewendet ist, dessen zweite Seite nach unten
gewendet ist und ungefähr horizontal steht, während die dritte,
welche gewissermassen die Hypothenuse des rechtwinkeligen Drei-
ecks bildet, schief von aussen und oben nach innen und unten
zieht. Diese Wand allein ist Linsenfaserwand; äussere und untere
Wand liefern das Linsenepithel. Alles dies macht ein Blick in
meine zitierte Arbeit verständlich. Der Linsenfaserwand liegt
noch ein Rest des erwähnten Zellhaufens an und weiter nach innen.
Bilaterale oder nasotemporale Symmetrie des Wirbeltierauges. 251
gegen das Lumen des Bläschens folgt dann der aus diesen Zellen
hervorgegangene Detritus. Die Zellen der Linsenfaserwand sind im
Stadium XI schon zu beträchtlicher Länge ausgewachsen. Ob aber
diese Wand bereits in Form eines Polsters ins Lumen des Bläschens
vorspringt, wie dies die Fig. 9 der Linsenarbeit zeigt, vermag ich
nach der Sagittalschnittserie, auf der, wie gesagt, das Auge
äquatorial durchschnitten ist, nicht zu entscheiden. Was die Augen-
blase selbst in diesem Stadium betrifft, so fällt, wenn man die
Serie von aussen nach innen verfolgt, vor allem die Lappung ihres
Randes auf, die eine Folge der Einkerbungen ist, welche in den-
selben einschneiden. Von solchen Einkerbungen sind jetzt nur
zwei, und zwar die zwei oberen, vorhanden; von diesen selbst ist
wieder die nasale Kerbe die tiefere und deutlichere. Verfolgt
man die Serie weiter medianwärts, so sieht man in der dorsalen
Wand der Augenblase, also gegenüber der auf solchen Schnitten
noch sehr breiten fötalen Augenspalte zwischen den beiden Blättern
der Blase eine enge Höhle auftreten, die natürlich ein Rest des
„Sehventrikels“ ist. Die äussere, vom Pigmentblatt der Augen-
blase gebildete Wand der Höhle ist über dieser etwas dicker als
sonst und dieser breite, nach den Seiten in keiner Weise scharf
begrenzte, verdickte Epithelstreifen zieht, wie die Serie lehrt,
über eine ziemlich grosse Strecke des vertikalen Meridians nach
hinten. Er ist auch an dem in Fig. 9 dieser Abhandlung abge-
bildeten Schnitte zu sehen, der die Augenblase dicht hinter dem
Aquator trifft. Er bildet hier die Mitte des Daches des auf diesem
und ähnlichen Schnitten ungefähr dreieckigen Restes des „Seh-
ventrikels.“
Nun tritt in der Serie auch alsbald die Lappung der Retina
in die Erscheinung. Die Furche, die die beiden Lappen voneinander
trennt und die von dem „Sehventrikel“ aus zwischen sie einschneidet,
wird nach innen zu, also in der Richtung gegen den Augenblasen-
stiel, immer tiefer und sieht an der medialen Wand in der Tat
einer tiefen Spalte gleich. Sie ist auch an der Fig. 9, deren Schnitt
eben noch die mediale Wand des Linsenbläschens getroffen hat,
sehr gut sichtbar, wenn sie auch hier nicht halb so tief ist, wie
auf den medianwärts folgenden Schnitten. Wie früher, entspricht
der Furche an der Aussenfläche der Retina wieder eine Leiste
an ihrer inneren, der Linse und dem Glaskörperraum zuge-
wendeten Fläche. Und geradeso, wie dies schon bei den jungen
282 CarlRabl:
Embryonen der Fall ist, zeigt auch jetzt die Retina im Bereiche
dieser Leiste oder Falte keine Differenzierung, während eine
solche in ihren beiden Lappen, dem nasalen und temporalen, an
dem Auftreten eines Randschleiers bereits deutlich erkennbar ist.
Wie schon früher gesagt wurde, beginnt also die Differenzierung
der Retina, wenigstens soweit der Randschleier in Betracht
kommt, in den beiden Lappen zuerst, früher als an der sie
trennenden, in ihrem Verlauf ungefähr dem vertikalen Meridian
folgenden Leiste.
Der Glaskörperraum zeigt eine für dieses und die ähnlichen
Stadien sehr typische Form: er wiederholt genau die Form der
Retina. Wie diese aus zwei Lappen besteht, zeigt jener zwei
Buchten: eine vordere nasale und eine hintere temporale. In
diese beiden Buchten springen von der Retina feine Glaskörperfasern
vor, die sich aber alsbald in dem Faserwerk verlieren, das den
srössten Teil des Raumes erfüllt. Wiewohl diese Fasern nur bei
sehr starker Vergrösserung gut sichtbar sind, so habe ich sie
doch in die Figur eingetragen. Im übrigen enthält der Glas-
körperraum nur Blutgefässe und einige Mesodermzellen, die beide
von unten her durch die auf diesem Schnitte sehr enge fötale
Augenspalte eindringen. (Wie schon erwähnt, nimmt die Breite
der Spalte von innen nach aussen sehr rasch zu.) Die Blut-
gefässe führen sehr zahlreiche Blutkörperchen. Auf den Schnitten,
die etwas weiter nach aussen durch das Auge gehen und also
auch noch die Linse voll treffen, sieht man um diese herum den
von mir schon früher in einer kleinen Abhandlung über die
Entwicklung des Glaskörpers erwähnten „perilentikulären Fasertilz“,
durch welchen die Äste der Art. hyaloidea, die zur Ernährung
der Linse dienen, an dieser festgehalten werden. Die Gefässe
liegen also in einem die Linse umgebenden, von ihr und dem
Faserfilz begrenzten Raume, der als perilentikulärer Raum be-
zeichnet werden kann.
Einen Schnitt durch den in meinem Tafelwerk unter
der Bezeichnung Stadium XII abgebildeten Embryo, den ich
gleichfalls in Sagittalschnitte zerlegt habe, habe ich, um Figuren
zu sparen, nicht abgebildet. Was sein Auge betrifit, er-
wähne ich folgendes. Die ersten Schnitte der Sagittalschnitt-
serie, die etwas vom Auge zeigen, treffen nur die Linse. Erst
der vierte zeigt die erste Spur der Augenblase und zwar die
Bilaterale oder nasotemporale Symmetrie des Wirbeltierauges. 283
Anschnitte des dorsalen, nasalen und temporalen Abschnittes des
Randes. Die drei Anschnitte sind durch breite, mit gefäss-
reichem Bindegewebe erfüllte Lücken voneinander getrennt. Der
erwähnte Schnitt geht also gerade durch die beiden oberen Rand-
kerben der Augenblase. Am folgenden Schnitte beginnen sich die
drei Abschnitte miteinander zu vereinigen, indessen sind die Rand-
kerben zwischen ihnen noch deutlich erkennbar. Die nächst-
folgenden Schnitte erinnern an den auf Taf. XI, Fig. 13 abge-
bildeten Schnitt durch das Auge eines Schweineembryo, von dem
schon die Rede war. Erst vom neunten oder zehnten Schnitt an
beginnen sich an den nasalen und temporalen Abschnitt der
Augenblase auch die beiden, durch die fötale Augenspalte von-
einander getrennten ventralen Abschnitte anzusetzen. Diese gehen,
ohne durch eine deutliche Randkerbe von ihnen getrennt zu sein,
aus den ventralen Enden des nasalen und temporalen Abschnittes
des Randes hervor. So können wir dann wieder an einem der
Äquatorialebene parallel geführten Durchschnitt durch die Augen-
blase eine dorsale, ventrale, nasale oder vordere und temporale
oder hintere Wand unterscheiden, wobei zu bemerken ist, dass
die ventrale Wand durch die fötale Augenspalte in zwei Hälften
geteilt ist und dass die obere Wand den Rest des „Sehventrikels“
enthält, ähnlich wie dies auf Taf. XI, Fig. 13 auf dem Schnitt
durch das Auge des Schweineembryo zu sehen ist. Der „Seh-
ventrikel“ stellt auf den am meisten lateral geführten Schnitten
die Form einer unregelmässigen Spalte dar, wird aber bald regel-
mässig dreieckig, mit dorsaler, vom Pigmentblatt der Augenblase
gebildeter und vorderer und hinterer, von den beiden Lappen
der Retina beigestellter Wand. Der „Sehventrikel“ hat also
schon auf diesen lateralen Schnitten die Gestalt, die er auf
Taf. XI, Fig. 9 des Stadiums XI zeigte. Auch jetzt ist das Dach
des „Sehventrikels“ in der Mitte etwas verdickt, behält aber
überall deutlich den Charakter eines einschichtigen Epithels. Die
Furche, die sich zwischen die beiden Lappen der Retina einsenkt,
hat sich beträchtlich vertieft und die Lappen sind infolgedessen
noch schärfer voneinander geschieden. Die der Furche ent-
sprechende an der Glaskörperseite vorspringende Leiste oder
Falte der Retina ist nur durch einige wenige Mesodermzellen
oder enge (iefässe von der Linsenfaserwand des Linsenbläschens
getrennt und lässt ebensowenig wie früher irgend eine Spur
284 CarlRabl:
einer Differenzierung erkennen. Der Randschleier, der immer
schärfer und deutlicher wird, hört seitlich von der Leiste voll-
ständig auf. Im Bereiche der Leiste selbst, also auch der ihr
an der Aussenfläche entsprechenden Furche, ist die Wand der
Retina am dünnsten.
Der Glaskörperraum zeigt wieder die zwei mächtigen seit-
lichen Buchten, die er schon in den vorhergehenden Stadien sehen
liess. Die fötale Augenspalte ist, wie früher, aussen sehr weit,
um aber sehr rasch sich zu verschmälern. Sie ist nirgends
völlig geschlossen, wenn auch im medialen Drittel des Auges,
auf den Schnitten, welche nichts mehr von einer Linse zeigen,
die Ränder der Spalte bis zur Berührung einander genähert
sind. Von da setzt sich die Spalte, wieder breiter werdend, jetzt
auch schon auf den Augenblasenstiel fort. Dieser hat, wie früher,
die Form eines.sehr hohen gleichschenkeligen Dreieckes, nur ist
jetzt die schmale nach unten gekehrte Basis durch die Fort-
setzung der fötalen Augenspalte in das Lumen des Augenstiels
hineingestülpt. Wie früher, geht auch jetzt die untere Wand
des Augenblasenstiels in die Retina über, während seine beiden
hohen Seitenwände sich in das Pigmentblatt der Augenblase fort-
setzen. Noch weiter nach innen gegen das Hirn zu verschwindet
die Furche des Augenblasenstiels, seine untere Wand wird dünner,
die Seitenwände dicker und schliesslich geht sein Lumen in den
dritten Ventrikel über.
Fassen wir alles über die Retina dieses Stadiums Gesagte
in ein paar Worte zusammen, so können wir sagen, dass sie jetzt
aus zwei, bis zu einem gewissen Grade selbständigen Lappen,
einem nasalen und einem temporalen, besteht.
In Beziehung auf den Glaskörperraum gilt im wesentlichen
das schon früher Gesagte. Die Linse ist beträchtlich weiter ent-
wickelt; die Zellen ihrer medialen Wand sind sehr in die Länge
gewachsen und bilden nunmehr ein ins Lumen des Linsen-
bläschens vorspringendes Polster, wie ein solches auf dem (@uer-
schnittsbilde der Fig. 9, Taf. I meiner Linsenarbeit zu sehen ist.
In der Höhle des Bläschens finden sich von dem mächtigen Zell-
haufen früherer Stadien nur mehr ganz unscheinbare Detritus-
massen. Die Epithelwand des Bläschens lässt schon deutlich die
Einschichtigkeit, die sie zeitlebens charakterisiert, erkennen,
während diese, so lange die Wand sehr dick war, höchstens aus
Bilaterale oder nasotemporale Symmetrie des Wirbeltierauges. 285
der Stellung der Mitosen erschlossen werden konnte. Das Auge
als Ganzes zeigt jetzt auf Äquatorialschnitten die Form eines
Rechtecks; obere und untere Wand sind länger als vordere und
hintere oder nasale und temporale.
Ich komme nun zu dem in meinem Tafelwerk als Stadium XIII
bezeichneten Embryo. Ich habe auch den Kopf dieses Embryo
in Sagittalschnitte zerlegt. Die ersten Schnitte, die das Auge
treten, zeigen wieder nur die Linse. Der erste, der etwas von
der Augenblase zeigt, lässt den Anschnitt des vorderen oder
nasalen Abschnittes ihres Randes erkennen: der folgende zeigt
auch den oberen Abschnitt; dabei sind vorderer und oberer Ab-
schnitt durch eine breite, von Bindegewebe erfüllte Lücke ge-
trennt. Der nächstfolgende Schnitt lässt auch schon etwas vom
hinteren. temporalen Abschnitt des Randes sehen; derselbe ist
wieder durch eine breite Lücke vom oberen Abschnitt getrennt,
während sich dieser mit dem vorderen oder nasalen zu ver-
binden begonnen hat. Die Randkerbe zwischen beiden ist aber
noch gut erkennbar. Es folgt sodann ein Schnitt, auf dem der
temporale Abschnitt des Umschlagsrandes mächtiger, aber noch
durch eine Kerbe vom dorsalen Abschnitte geschieden ist. Auf
den zwei nun folgenden Schnitten zeigt die Augenblase wieder
die schon früher vom Schwein beschriebene Form: sie lässt einen
horizontalen dorsalen und zwei vertikale seitliche, einen nasalen
und temporalen, Abschnitt unterscheiden. Die drei Abschnitte
eines solchen Schnittes durch die Augenblase stossen unter rechten
Winkeln zusammen. Nun setzt sich allmählich an die unteren
Enden der beiden Seitenwände auch die untere, durch die fötale
Augenspalte in der Mitte geteilte Wand an. Sie geht beim
Kaninchen zu dieser Zeit ziemlich allmählich, ohne Einkerbung des
vandes, aus den zwei vertikalen Abschnitten hervor. Gleichzeitig be-
ginnt wieder in der dorsalen Wand der Augenblase zwischen Pig-
mentblatt und Retina der zunächst spaltförmige, dann dreieckige
„Sehventrikel“ aufzutreten, während diesem gegenüber an der
ventralen Wand der Augenblase sich die Ränder der fötalen
Augenspalte sehr rasch bis zur Berührung einander nähern. Das
Pigmentblatt zeigt jetzt über dem „Sehventrikel“ nichts mehr von
der früheren, auch in Fig. 9 zur Darstellung gebrachten Ver-
dickung. An keinem der Schnitte, welche eine weite fötale Augen-
spalte zeigen, ist etwas von einer Differenzierung einer Nerven-
256 CarlRabl:
faserschicht in der Retina wahrzunehmen. Diese beginnt also erst
in beträchtlicher Entfernung vom Umschlagsrand der Augenblase.
Mit anderen Worten, es hat bereits in diesem und ebenso auch
in den vorhergehenden Stadien die Differenzierung der Retina in
eine Pars optica und Pars caeca begonnen.
Einen Schnitt dicht hinter der Linse, durch den perilenti-
kulären Raum, zeigt uns die Fig. 10 der Taf. X. Noch deutlicher
als früher trägt ein solcher Äquatorialschnitt eine rechteckige
Form zur Schau. Die Längsseiten des Rechteckes stehen horizontal
oder nahezu horizontal, die Schmalseiten vertikal. Die Ecken sind
abgerundet und die untere Seite ist durch die fötale Augenspalte
in der Mitte geteilt und zugleich eingebuchtet. In der Mitte der
oberen Wand sieht man wieder den dreieckigen Rest des „Seh-
ventrikels“, sowie die tiefe Furche, die zwischen die beiden
Lappen der Retina von oben her einschneidet. Ihr gegenüber
springt in den Glaskörperraum und gegen die Linse, beziehungs-
weise gegen den perilentikulären Raum mit seinen zahlreichen
(refässen, die Leiste oder Falte vor, welche den Glaskörperraum
in die zwei Hälften scheidet, die den beiden Lappen der Retina
entsprechen. Die Leiste selbst lässt auch jetzt noch nichts von
einem Randschleier erkennen.
Was die fötale Augenspalte betrifft, so legen sich an den
abgebildeten und den benachbarten Schnitten die Umschlagsränder
der Augenblase oft so dicht und unmittelbar aneinander, dass
zwischen ihnen nicht eine einzige Mesodermzelle Platz findet.
An anderen Schnitten sind nur einige wenige derartige Zellen
in dem engen Spaltraum gelegen. Nach aussen von dem abge-
bildeten Schnitte bleibt die Augenspalte noch ziemlich lange sehr
eng, ungefähr solange, als an den Schnitten noch etwas von einer
Differenzierung der Nervenfaserschicht wahrnehmbar ist. Auf den
Schnitten, auf denen diese aufhört, beginnt sich die Spalte zu
erweitern, um schliesslich wieder weit zu klaffen. Die fötale
Augenspalte ist also zu dieser Zeit im Bereiche der Pars caeca
retinae weit, im Bereiche der Pars optica dagegen eng. Vertolgt
man die Serie von dem abgebildeten Schnitt an noch weiter
gegen den Augenblasenstiel zu, so überzeugt man sich, dass die
Augenspalte sich allmählich schliesst. An den Schnitten, welche
noch die Hinterwand der Retina treffen, ist diese mit dem Pig-
mentblatt der Augenblase, das hier eine vorspringende Leiste
Bilaterale oder nasotemporale Symmetrie des Wirbeltierauges. 287
bildet, oft nur durch eine dünne, nicht einmal mehr vollständige
Zellbrücke verbunden. Noch weiter nach innen, also schon im
Bereiche des Opticus selbst, öffnet sich die Spalte wieder, um
Bindegewebe und Gefässe aufzunehmen, und erst noch weiter
gegen das Gehirn zu schwindet die Spalte und schliesslich die
Furche vollständig. — Der Vollständigkeit halber erwähne ich
noch, dass in den Umschlagsrändern der Retina, welche auf dem
Schnitt der Fig. 10 die fötale Augenspalte begrenzen, eine kleine
Höhle, die natürlich nichts anderes als ein Rest des „Sehventrikels“
ist, enthalten ist.
Aus der Schnittserie des Embryo des Stadiuns XIV meines
Tafelwerkes habe ich keinen Schnitt abgebildet. Aus der da-
selbst gegebenen Charakteristik des Stadiums hebe ich nur
hervor, dass jetzt auch die letzte Spur der Halsbucht oder des
Sinus cervicalis verschwunden ist. Was das Auge betrifft, so
unterscheidet es sich hauptsächlich in drei Punkten von dem der
vorhergehenden Stadien: erstens ist die fötale Augenspalte bereits
in der ganzen Ausdehnung der Pars optica retinae geschlossen
und Pigmentblatt und Retina haben sich hier überall voneinander
getrennt; zweitens ist es im Pigmentblatt zur Bildung von Pig-
ment gekommen und drittens (und dies wurde schon in den
vorhergehenden Stadien eingeleitet) ist der Stiel der Augen-
blase in höchst eigentümlicher, bei keinem zweiten Säugetier
bisher beobachteter Weise in die Augenblase hineingestülpt,
wodurch überaus merkwürdige und auf den ersten Blick schwer
verständliche Bilder zustande kommen. Die Anfertigung eines
Plattenmodells von dem Auge eines solchen oder eines etwas
weiter entwickelten Embryo hat mich aber überzeugt, dass es
sich in der Tat lediglich darum handelt, dass der Optikus hier
viel tiefer in die Augenblase hineingestülpt ist, als
es sonst zu geschehen pflegt. Um ein prinzipiell anderes Ver-
halten des Optikus zur Augenblase und speziell zur Retina handelt
es sich aber nicht, und ich habe daher nach einiger Überlegung
davon abgesehen, Bilder von Äquatorialschnitten durch den Augen-
hintergrund mit dem Optikuseintritt zu zeichnen. Allerdings sind
diese Bilder, wie erwähnt, oft merkwürdig genug. So sieht man
z. B. einmal auf einem Schnitte den in der Mitte liegenden,
seitlich platt gedrückten, in seinem engen Lumen eine spärliche
Menge gefässführenden Bindegewebes enthaltenden Optikus, dann
288 CanrlRan!:
rechts und links oder nasal- und temporalwärts davon die ovalen,
vollständig voneinander getrennten hinteren Anschnitte der beiden
Lappen der Retina und um das ganze herum als Gesamthülle
das Tapetum nigrum. Die Anschnitte der beiden Lappen sind
eiförmig, die lange Achse senkrecht gestellt, das schmale Ende
nach oben, das breite, stumpfe nach unten gerichtet. Der zwischen
‚diesen beiden Anschnitten der Lappen gelegene Optikus ist dabei
der dorsalen Fläche des Auges näher gelegen als der ventralen,
eine Eigentümlichkeit, die den definitiven Verhältnissen beim
Kaninchen, von denen noch die Rede sein wird, entspricht. Medial
von den Schnitten, welche noch etwas von den beiden Lappen
der Retina erkennen lassen, also auf Schnitten, die bereits die
Verbindung des Optikus mit dem Tapetum zeigen, ist die fötale
Augenspalte wieder geöffnet. Die Spalte ist aber viel länger,
als es behufs Eintritts des gefässreichen Bindegewebes in ihn
nötig wäre.
Was das Tapetum nigrum betrifft, so erwähne ich, dass die
Pigmentkörnchen in der Pars caeca etwas zahlreicher sind als in
der Pars optica. Daraus dürfte wohl der auch aus anderen
Beobachtungen sich ergebende Schluss folgen, dass die Entwick-
lung des Pigments von der Pars caeca auf die Pars optica fort-
schreitet. Wie schon längst bekannt und ich schon in meinem
Vortrage über die „Prinzipien der Histologie“ (1889), sowie ın
meinem Buch „Über den Bau und die Entwicklung der Linse‘‘ (1900)
hervorgehoben habe, liegen die Pigmentkörnchen an der freien,
d. h. der ursprünglichen Ventrikelfläche zugewendeten Seite des
Tapetum nigrum. Wie sonst in ptgmentierten Epithelien ist also
die Bildungsstätte des Pigments, gewissermassen die Fabrik, in
«ler dieses erzeugt wird, in der retinalwärts vom Kern gelegenen
Hälfte der Zellen gelegen. Umgekehrt entsteht später das Pigment
in der inneren Epithelschicht der Pars iridica und des vordersten
Teiles der Pars eiliaris retinae, soweit hier überhaupt Pigment
auftritt, an der nach aussen, dem Tapetum nigrum zugewendeten
Seite der Zellen. Die äussere Seite ist aber hier wiederum die
ursprünglich freie. dem „Sehventrikel“ zugewendete Seite. So
wird es ohne weiteres aus den Achsenverhältnissen oder dem
architektonischen Bau der Zellen verständlich, weshalb in den
Zellen des Tapetum das Pigment innen, in den aus der eigent-
lichen Retina fortgesetzten Zellen dagegen aussen entsteht. —
Bilaterale oder nasotemporale Symmetrie des Wirbeltierauges. 28%
Das Pigment fehlt zu dieser Zeit nur in der Leiste, welche an
der ventralen Seite der Augenblase an der Verschlußstelle der
fötalen Augenspalte zurückbleibt und, was wichtiger ist, am Um-
schlagsrand der Augenblase neben der fötalen Augenspalte. In
ganz besonders grossem Umfang fehlt das Pigment ganz vorn
am späteren Pupillarrande der Pars caeca. Zum Schluss erwähne
ich noch, dass die Lappung und Einkerbung des Randes der
Augenblase in diesem Stadium überaus schön zu sehen ist. Wie
früher, kann man aber auch jetzt nur die zwei oberen Randkerben
deutlich erkennen.
Ich gehe nun zur Beschreibung des Auges des unter der
3ezeichnung Stadium XV in meinem Tafelwerk abgebildeten Embryo
über. Embryonen dieses Stadiums sind ungefähr 13 Tage alt.
Wieweit die Entwicklung des Auges im Vergleich mit dem Sta-
dium XIII (Embryo ca. 12!/ Tage alt) fortgeschritten ist, lehrt
ein Blick auf die Fig. 10 und 11. Die Schnitte entsprechen der
Lage nach einander ziemlich genau, indem beide durch den Bulbus
dicht oder doch nicht weit hinter der Linse geführt sind. Schon
die sehr verschiedene Grösse der Schnitte weist darauf hin, dass-
das Wachstum des- Auges zu dieser Zeit ein sehr lebhaftes ist.
was übrigens für den Embryo überhaupt gilt. Die ersten zwer
Schnitte der Sagittalschnittserie, die etwas vom Auge zeigen,
treffen nur die Linse im Anschnitt. Der dritte zeigt bereits den
hinteren oder temporalen Lappen des Umschlagsrandes der Augen-
blase; hier ist noch in keiner ihrer beiden Lamellen etwas vom
Pigment zu sehen. Der vierte Schnitt zeigt wesentlich dasselbe,
nur im Pigmentblatt vielleicht schon eine Spur von Pigment. Das
aus der eigentlichen Retina fortgesetzte innere Blatt der Augen-
blase. also die innere Lamelle der Pars caeca retinae im weiteren
Sinne des Wortes, zu der wir Pigment- und Retinalblatt
rechnen, stellt auf diesem Schnitt ein sehr schönes, regelmässiges
hohes Zylinderepithel mit zahlreichen, dem hier gut sichtbaren
spaltförmigen Rest des „Sehventrikels“ zugewendeten Mitosen
dar. Diese liegen also wieder, wie sonst in Epithelien, an der
genetisch freien Seite des Epithels. Der nächste, also fünfte
Sehnitt durchs Auge zeigt bereits einen Anschnitt des dorsalen
Lappens des Umschlagsrandes der Augenblase; er ist durch eine
mit Blutgefässen und Bindegewebe gefüllte Lücke vom oberen
hand des temporalen Lappens getrennt. Der Schnitt geht also
290 VarlaRarbl:
durch die hintere obere Randkerbe der Augenblase. Die nächst-
folgenden Schnitte zeigen einerseits die Verbindung des dorsalen
und temporalen Lappens, andererseits auch schon den Anschnitt
des vorderen oder nasalen Lappens, der aber noch durch eine
Lücke vom oberen Lappen getrennt ist. Auf den folgenden
Schnitten tritt alsbald der untere hintere und zuletzt der untere
vordere Lappen des Augenblasenrandes in die Erscheinung. Der
untere vordere Lappen ist dabei in dieser Serie deutlich durch
eine Randkerbe vom vorderen oder nasalen Lappen getrennt
während der untere hintere Lappen direkt, also ohne Randkerbe,
aus dem ventralen Ende des temporalen Lappens fortgesetzt ist.
/wischen die beiden unteren Lappen schneidet, wie früher, die
fötale Augenspalte ein, Ich hebe dies alles mit Absicht hervor,
weil es so gut wie unbekannt ist, aber andererseits für die ganze
morphologische Auffassung des Auges, sowie auch für die Deutung
gewisser Missbildungen, also in klinischer und pathologischer
Beziehung, von Wichtigkeit ist. Dem Gesagten zufolge ist also
zu beachten, dass wir am Pupillarrande der Iris — die
Augenblase bildet ja bekanntlich die Grundlage, auf der sich Iris
und Chorioidea entwickeln und ohne die sie sieh nicht bilden
können — ausser der in seiner Mitte einschneidenden fötalen
Augenspalte noch vier handkerben zu unterscheiden haben. Die
eine oder andere dieser Randkerben kann unscheinbar sein oder
vielleicht überhaupt nicht zur Ausbildung kommen. Stets sind
die Randkerben an ganz bestimmten Stellen des Augenblasenrandes
gelegen und wir können nach dieser ihrer Lage zwei obere oder
dorsale, nämlich eine nasale und eine temporale und zwei untere
oder ventrale, und zwar wieder eine nasale und eine temporale,
unterscheiden. Zwischen den beiden ventralen Randkerben, also
in der Mitte des unteren Randes, schneidet die fötale Augenspalte
ein. Diese zieht, wie wir gesehen haben, über die ganze untere
Fläche der Augenblase und über den lateralen Teil des Optikus,
während die Randkerben nur sehr seichte Einbuchtungen des
Pupillarrandes der Pars iridica retinae darstellen. h
So wie wir am ganzen Auge zu dieser Zeit (vgl. den Aqua-
torialschnitt der Fig. 11) und ebenso auch an den nächst Jüngeren
und nächst älteren Embryonen vier Wände unterscheiden können,
die unter abgerundeten rechten Winkeln aneinander stossen, so
können wir auch am Pupillarrande der Augenblase vier Ränder
Bilaterale oder nasotemporale Symmetrie des Wirbeltierauges, 291
unterscheiden. An der Pars caeca retinae im weitesten Sinne des
Wortes (vgl. oben sowie das weiter unten Gesagte) unterscheidet
man schon jetzt zwei Teile: der dem Pupillarrande zunächst
liegende, also sicher die Grundlage der Iris liefernde Teil, stellt
zwei einschichtige Epithelien dar; er ist sehr schmal und reicht
nur über einige wenige Schnitte (bei einer Schnittdicke von 10 1).
Sein inneres oder retinales Blatt wird alsbald dieker und mehr-
reihig, behält aber, wie ich glaube, die Binschichtigkeit bei.
Dieser Teil stellt die Anlage der retinalen Lamelle der Pars
eiliaris retinae dar und bildet zu dieser Zeit in seinem Bau Inso-
fern einen Übergang zwischen Pars iridiea und Pars optiea retinae,
als er zwar sehr viel dicker als jene ist, aber keine Spur einer
Differenzierung einer Nervenfaserschicht erkennen lässt. Während
die fötale Augenspalte an der Pars iridiea der Augenblase noch
offen ist, beginnt sie sich beim Übergang in die Pars eiliaris zu
schliessen. An der Verschlußstelle tritt ein, wohl aus der Kon-
flnenz der beiden in den Umschlagsrändern enthaltenen >palt-
räume entstandener dreieckiger Raum auf, den man nun bis zur
medialen Wand des Bulbus verfolgen kann. Schon an diesem
dreieckigen Raume ist die Verschlußstelle der Augenspalte überall
deutlich erkennbar, Von der eigentümlichen Art des Sehnerven-
eintritts war schon die Rede; das früher Gesagte gilt auch für
dieses Stadium. Dicht medial vom Bulbus öffnet sieh die fötale
Augenspalte wieder, um nebst einer geringen Menge Bindegewebes
eineinfaches Gefäss, die Art. hyaloidea, von der aus sich bekannt-
lich später die A, centralis retinae entwickelt, eintreten zu lassen.
Eine die Arterie begleitende Vene fehlt. Ich hebe diese übrigens
seit langem bekannte Tatsache hervor und bemerke, dass das Gleiche
für alle von mir untersuchten Säugetiere gilt. Das Blut muss
also aus dem die Linse umgebenden Gefässnetz über den Pupillar-
rand dureh die vier Kerben abfliessen. Davon wird am Schluss
der Abhandlung noch die Rede sein.
Von der Linse bemerke ich, dass die Fasermasse schon sehr
mächtig gewuchert ist und die Höhle des Linsenbläschens fast
vollständig ausfüllt. Im übrigen verweise ich auf meine Linsen-
arbeit (Fig. 11, Taf. I und Fig. 1, Taf. II). Dort sieht man
auch, dass die Zellmasse, die ursprünglich in so grosser Mächtig-
keit den Hohlraum des Linsenbläschens erfüllt hat, jetzt bis auf
einige wenige unscheinbare Reste geschwunden ist.
292 CarlRrabl:
Was nun den Schnitt der Fig. 11, Taf. X der vorliegenden
Abhandlung betrifft, so ist er der dritte, medial vom letzten Rest
der Linse durchs Auge geführte. Der erste dieser drei Schnitte,
der unmittelbar neben der Linse durchs Auge gelegt ist, zeigt
in Beziehung auf die Gefässe und das sie begleitende Bindegewebe
dasselbe Verhalten, wie der in Fig. 10 abgebildete Schnitt aus
dem Stadium XIII. Der abgebildete Schnitt zeigt zunächst wieder
die ungefähr rechteckige Form des Bulbus und damit im Zu-
sammenhang die Teilung der Retina in zwei Lappen. Zwischen
diese schneidet von oben her wieder die schon erwähnte
Leiste oder Falte ein, während zugleich an der ventralen Seite
von der Verschlußstelle der fötalen Augenspalte eine zweite Falte
vorspringt, die indessen ganz anders aussieht als die dorsale.
Diese ventrale Falte enthält eine dreieckige Höhle, deren Boden
von dem auffallenderweise hier nicht pigmentierten Tapetum nigrum
gebildet wird. Dem Boden des dreieckigen Raumes liegen auf
diesem Schnitt drei Zellen auf, die wohl während des Verschlusses
der fötalen Augenspalte aus den Rändern der Blase ausgetreten
sind. Über die Kante der von unten her in den Glaskörperraum
vorspringenden Falte setzt sich die Nervenfaserschicht oder der
Rkandschleier der Retina kontinuierlich von dem einen Lappen
auf den anderen fort. Dadurch unterscheidet sich diese Falte
sehr wesentlich von der dorsalen, die auf diesem und den nach
innen zu folgenden Schnitten auch jetzt noch keinerlei Differenzie-
rung erkennen lässt, so dass also durch sie die Nervenfaser-
schichten oder Randschleier der beiden Lappen sehr scharf aus-
einander gehalten werden. Der frei vorspringende Teil der Falte
zeigt sogar auf diesem und den nächst vorhergehenden Schnitten
noch insofern eine Eigentümlichkeit,. als er von dem basalen Teil
der Falte durch eine Furche geschieden ist (auf dem abgebildeten
Schnitte nur auf der rechten Seite zu sehen). So sieht, was ich
mit grossem Nachdruck betone, die Falte jetzt nur auf Schnitten
aus, welche das Auge medial von der Linse, also schon in
der Nähe des Augenhintergrundes treffen. An allen
mehr nach aussen geführten Äquatorialschnitten, also an allen,
welche noch die Linse treffen, ist die Falte sehr viel niedriger
als an dem abgebildeten Schnitt, und die beiden Hälften oder
Lappen der Retina gehen hier in flachem, sanftem Bogen inein-
ander über. Die Falte hat also in dem äusseren, der
. < - r. . ‘ 9
Bilaterale oder nasotemporale Symmetrie des Wirbeltierauges.. 293
Haut benachbarten Teil des Bulbus zu schwinden
begonnen, so dass die Retina hier allmählich ein glatteres
Aussehen bekommt. Vom Augenhintergrund aber springt die Falte
noch ungemein scharf in den Glaskörperraum vor. In der grösseren
äusseren Hälfte des Bulbus, wo die Falte nur mehr ganz wenig
vorspringt und die beiden Lappen der Retina dadurch allmählicher
ineinander übergehen, hat sich bereits eine Verbindung der Nerven-
faserschicht oder des Randschleiers der beiden Lappen herzu-
stellen begonnen. Freilich ist sie noch recht dünn und unschein-
bar, aber sie ist zweifellos vorhanden.
So hat also in diesem Stadium die Entwicklung der Retina
bedeutende Fortschritte gemacht, Fortschritte, die sich vor allem
darin kundgeben, dass die, ihre beiden Lappen voneinander
trennende Falte in der grösseren äusseren Hälfte des Bulbus sich
abzuflachen begonnen hat und nur mehr im Augenhintergrund
noch so scharf wie in früheren Stadien nach innen vorspringt.
Die Falte schwindet also in der Richtung von aussen nach innen.
Von den Stadien XVI und XVII meines Tafelwerkes über
(Gesichtsentwicklung habe ich wieder, um Figuren und Kosten zu
sparen, keine Schnitte gezeichnet. Ich will aber kurz das Wich-
tigste beschreiben, was an ihnen zu sehen ist. Embryonen aus
dem Stadium XVI sind ungefähr 13’/2 Tage alt. Genau habe ich
ihr Alter nicht bestimmt. — Die Augen solcher Embryonen stehen
schon etwas schief, d. h. ihre Achsen konvergieren nach hinten,
so dass also Sagittalschnitte durch die Embryonen nicht mehr
reine Äquatorialschnitte durch das Auge geben. Die temporale
Seite wird demnach früher getroffen als die nasale. Dies war
auch schon beim Embryo aus dem Stadium XV der Fall, indessen
ist jetzt die Schiefstellung des Auges merklicher. Zu dieser Zeit
sind die beiden dorsalen und die untere nasale Randkerbe noch
sehr schön zu sehen. Dagegen ist die fötale Augenspalte bis
an den Pupillarrand geschlossen. Die Verschlußstelle ist an einer
kleinen spaltförmigen Höhle zu erkennen, die medianwärts zu
mehr dreieckig wird, aber immer sehr viel kleiner bleibt, als sie
z. B. auf dem Schnitt der Fig 11 des vorigen Stadiums ist. An
der Pars iridica retinae kann man wieder das äussere, aus mehr
kubischen Zellen bestehende Pigmentblatt und das innere, aus
Zylinderzellen bestehende, aus der eigentlichen Retina fortgesetzte
Blatt unterscheiden. Letzteres ist überall, ersteres am Pupillar-
Archiv f. mikr. Anat. Bd. 90. Abt.I. 20
294 CarlRabl:
rande frei von Pigment. Die Pars ciliaris retinae unterscheidet
sich, wie im vorigen Stadium, durch die Dicke und Mehrreihigkeit
ihres retinalen Blattes von der Pars iridica, dagegen von der
Pars optica durch den gänzlichen Mangel einer Nervenfaserschicht.
Weder an der Pars iridica noch an der Pars ciliaris ist jetzt an
der dorsalen Wand der Augenblase etwas von einer nach unten
vorspringenden Falte zu sehen. Eine solche tritt erst auf den
Schnitten auf, welche durch den Übergang zwischen Pars caeca
und Pars optica führen. Zunächst aber gibt sie sich nur als eine ganz
geringfügige Hervorwölbung der dorsalen Augenblasenwand in den
Glaskörperraum, an der sich jetzt auch das Tapetum nigrum be-
teiligt, zu erkennen. Zwischen Tapetum und Retina ist hier
keine Spur eines „Sehventrikels“, wie er noch im vorigen Stadium
hier zu sehen war, mehr vorhanden. Die Nervenfaserschicht der
einen Hälfte der Retina geht hier kontinuierlich in die der anderen
Hälfte über, ist aber in der Mitte noch ausserordentlich dünn
und je weiter nach aussen zu um so weniger sicher erkennbar.
Weiter medianwärts aber wird sie sehr deutlich. Gegenüber dem
letzten Rest der dorsalen Falte der Retina springt auch von der
ventralen Wand eine ganz unansehnliche Falte ins Innere des
Auges vor. Sie entspricht der Stelle. an der die Ränder der
fötalen Augenspalte zur Verwachsung gekommen sind. Hier, aber
nur an einer sehr beschränkten Stelle, ist die Nervenfaserschicht
etwas dünner als weiter nasal- und temporalwärts und ausserdem
springt von unten her die an der Verwachsungsstelle eben noch
erhalten gebliebene dreieckige Höhle vor. Die Retina ist infolge-
dessen an der Verwachsungsstelle der fötalen Augenspalte ein
wenig dünner als sonst. Schnitte, die das Auge in diesem Stadium
in denselben Ebenen treffen, wie die, welche in den Fig. 10 und 11
zur Darstellung gekommen sind, zeigen nichts von einer so scharf
vorspringenden dorsalen Falte oder Leiste der Retina, wie sie an
diesen Figuren zu sehen ist. Erst wenn man sich in der Unter-
suchung der Serie noch mehr dem Augengrund nähert, sieht man
zunächst dicht unter der dorsalen Wand der Augenblase, aber
von dieser vollkommen getrennt, innerhalb des Glaskörperraumes
eine rundliche Zellmasse, die sich schon auf dem nächsten Schnitt
mit der Retina verbindet und alsbald auf den folgenden Schnitten
mächtiger wird. Die die beiden Lappen der Retina und damit
zugleich die beiden Buchten des Glaskörperraumes voneinander
Bilaterale oder nasotemporale Symmetrie des Wirbeltierauges. 295
trennende Falte schickt also jetzt einen kleinen, auf dem Quer-
schnitt rundlichen Fortsatz nach vorn. Die Falte nimmt sehr
rasch gegen den hinteren Augengrund an Höhe zu und erstreckt
sich hier bis zur Eintrittsstelle des Optikus, die auch jetzt noch
die schon früher beschriebene Eigentümlichkeit zeigt. Der Optikus
ist also wieder in die dorsale Hälfte des Bulbus hineingestülpt.
Im Bereiche der Falte zeigt die Retina auch in diesem Stadium
noch keine Differenzierung; es ist also auch jetzt noch im Augen-
hintergrund dorsal vom Optikus die Nervenfaserschicht des nasalen
Lappens der Retina von der des temporalen getrennt. Ventral
vom Optikus aber geht die Nervenfaserschicht des einen Lappens
kontinuierlich in die des anderen über. Auch jetzt ist sicher nur
ein einziges Gefäss im Optikus enthalten.
Endlich bemerke ich, dass man zu dieser Zeit das Auge
schon mit voller Sicherheit orientieren kann, indem die Augen-
muskeln bereits deutlich auf den Schnitten kenntlich sind. Der
Rectus superior liegt unmittelbar über der Mitte
der dorsalen Wand der Augenblase, genau an der
Stelle, an welcher die die beiden Lappen derRetina
trennende Falte in den Glaskörperraum vorspringt.
Auch Rectus medialis und lateralis sind schon deutlich erkennbar,
dagegen ist der Rectus inferior jetzt noch undeutlich. Hat man
die Anlagen der Augenmuskeln bei Embryonen dieses Stadiums
einmal erkannt, so gelingt es leicht, sie auch in frühere Stadien,
etwa bis in das Stadium XII, zurückzuverfolgen. Dadurch
rechtfertigtsich also auch die Orientierung, welche
ich meinen Figuren gegeben habe.
Der letzte in meinem Tafelwerk gezeichnete Kaninchen-
embryo (Stadium XVII) war ungefähr 14 Tage alt. Er zeigte
schon die Anlagen von ein paar Schnurrhaaren an der Oberlippe,
die Ohrmuschel trat mit ihrer Spitze vom Vorderrande des zweiten
Kiemenbogens oder Hyoidbogens scharf hervor und auch sonst
entsprach dieser Embryo dem von Minot und Taylor auf Taf. II,
Fig. 30 abgebildeten Embryo. Die Augen stehen zu dieser Zeit
noch mehr schief als früher und im Zusammenhang damit er-
scheint auf der Sagitalschnittserie der temporale Rand der Augen-
blase viel früher (8—9 Schnitte bei einer Schnittdicke von 10 u)
als der nasale. Die Randkerben der Augenblase oder die Incisuren
des Pupillarrandes beginnen zu schwinden; am deutlichsten ist
20*
296 CarlRabl:
jetzt noch die vordere ventrale. Wie schon im früheren Stadium
ist auch jetzt die fötale Augenspalte bis zum Pupillarrande ge-
schlossen; höchstens der erste Schnitt durch den unteren Rand
der Augenblase lässt vielleicht noch eine Spur davon erkennen.
Die Verwachsungsstelle der Spalte ist aber in der nächsten Nähe
des Pupillarrandes noch deutlich an einer kleinen Höhle zwischen
den beiden Lamellen der Augenblase erkennbar. Weiter nach innen
zu schwindet diese Höhle, so dass also Pigmentblatt und eigent-
liche Retina an der ventralen Wand der Augenblase von nun an
bis zum Optikuseintritt aneinander liegen. Anders ist dies an
der dorsalen Wand. Hier liegen zwar auch in den zwei äusseren
Dritteln des Auges die beiden Blätter der Augenblase unmittelbar
aneinander, im medialen Drittel aber, also auch entsprechend dem
Augengrund, sind sie voneinander durch einen ungefähr dreieckigen
Raum getrennt. Hier bleibt also ein letzter Rest des „Sehven-
trikels“ noch sehr lange Zeit erhalten. Dieser Rest erweitert
sich nach hinten zu beträchtlich und hat die grösste Ausdehnung
in der Nähe des Optikuseintritts. Die Wand dieses dreieckigen Restes
des „Sehventrikels“ wird oben vom Tapetum gebildet (man vel. zum
Verständnis des Gesagten die Fig. 11, Taf. X), das aber hier
etwas anders beschaffen ist als überall sonst. Zunächst ist es
dorsalwärts etwas ausgebuchtet: sodann stehen seine Zellen viel
dichter nebeneinander und die Zellkerne färben sich ungemein
intensiv. Dadurch hebt sich dieser Teil des Tapetum schon bei
schwacher Vergrösserung sehr scharf von der Umgebung ab. Was
die Retina selbst und die von ihr vorspringende Falte betrifft,
so erscheint zunächst die Augenblase als Ganzes an der dorsalen
und ventralen Wand in der Mitte etwas eingesunken, wodurch
die schon früher auffallende Lappung der Retina und die damit
zusammenhängende Scheidung des Glaskörpers in zwei Buchten
sehr deutlich zum Ausdruck kommt. Aber eine eigentliche Falte
der. Retina, wie sie früher überall bestand, fehlt sicher jetzt in
den zwei äusseren Dritteln des Auges; erst im medialen Drittel,
also schon in der Nähe des Augenhintergrundes, tritt die Falte
wieder auf. Wie im vorigen Stadium schickt sie von ihrem Vorder-
ende einen kleinen Fortsatz nach vorn, der auf dem Äquatorial-
schnitt unmittelbar zwischen Retina und dem Stamm der Art.
hyaloidea liegt. An dieser Stelle und von hier an noch etwas
nach aussen zu, also an den Schnitten, welche noch die Linse
Bilaterale oder nasotemporale Symmetrie des Wirbeltierauges. 297
treffen, ist die Retina in der Mitte der dorsalen Wand des Auges
auffallend dünn. Von aussen schneidet hier der Rest des „Seh-
ventrikels“ ein und von innen eine sehr schmale Furche, auf
deren Grund die Retina, wie auch früher, solange eine Falte
vorhanden war, noch keine Differenzierung zeigt. Im Bereiche
dieser Furche ist also auch jetzt noch eine Strecke weit die
Nervenfaserschicht der beiden Lappen der Retina geteilt. Die
Falte, die im medialen Drittel der Augenblase in den Glaskörper-
raum vorspringt, verhält sich wie in dem vorigen Stadium, zeigt
also auch jetzt noch keine Differenzierung.
Ich besitze noch einige weitere Sagittalschnittserien durch
Embryonen desselben oder ähnlichen Alters und Entwieklungs-
grades, wie die soeben beschriebenen. Sie stimmen alle mitein-
ander überein und zeigen alle dasselbe. Auf allen sieht man
ohne weiteres die Lappung der Retina und die Scheidung des
Glaskörperraumes in eine nasale und eine temporale Bucht. Ein
besonderes Interesse bietet dann noch die Untersuchung der
Augen solcher Embryonen auf @uer- und Horizontalschnitten.
Ich habe eine ganze Reihe solcher Serien untersucht und teile
nach meinen Beobachtungen zur Ergänzung und Vervollständigung
des Gesagten noch folgendes mit. Ich brauche nach dem bereits
Gesagten kaum noch zu erwähnen, dass es, wenn man sich einmal
durch die Untersuchung von Sagittalschnittserien, die, wie er-
wähnt, das Auge parallel zur Äquatorialebene treffen, davon über-
zeugt hat, dass die Retina von der frühesten Zeit der Entwick-
lung an aus zwei Lappen besteht, mit leichter Mühe gelingt,
sich auch an Schnitten, die das Auge in irgend einer anderen
Richtung treffen, von dieser Tatsache zu überzeugen. Man staunt,
dass diese Beobachtung nicht längst gemacht wurde. Auch davon,
dass die. die beiden Lappen trennende Falte zu einer Zeit, wo
die Lappen selbst bereits eine deutliche Nervenfaserschicht er-
kennen lassen, noch keine Differenzierung aufweist, kann man
sich leicht überzeugen. Ebenso davon, dass der Optikus in eigen-
tümlicher Weise in das Auge hineingestülpt ist und dass sich die
Eintrittsstelle mehr und mehr dorsalwärts verschiebt. Was das
Tapetum nigrum betrifft, so sieht man, dass es vorn, also im
Bereiche der Pars caeca, beträchtlich dicker ist als hinten am
Augenhintergrund. Dieser Diekenunterschied beruht auf der Ver-
schiedenheit des Epithels der Pars caeca und Pars optica. Es
29
[o 6)
GamaBrsanıl:
ist zwar überall einschichtig, aber in der Pars caeca sind die
Zellen hoch, zylindrisch, im Bereich der Pars optica niedrig,
mehr oder weniger kubisch. Die Kerne sind in der Pars caeca
tief bodenständig und zugleich oval, in der Pars optica stehen
sie, wenn sie auch der basalen Seite etwas näher stehen als der
freien, doch nicht so weit von dieser entfernt, als in der Pars
caeca. In dieser sind die Pigmentkörnchen viel zahlreicher und
dichter gestellt als in jener, wo sie in jüngeren Stadien ganz
zerstreut und vereinzelt liegen können. Stets kann man sich
überzeugen, dass die Bildungsstufe der Pigmentkörnchen die
innere, der Retina zugewendete, also genetisch freie Seite der
Zellen ist. Über den vertikalen Meridian des Bulbus verläuft,
wie es scheint, in gewissen Stadien ein pigmentloser oder wenig
pigmentierter Streifen (vgl. dazu die Fig. 11, Taf. X). Unter
meinen Serien befindet sich eine durch einen Embryo von etwa
14!/.s Tagen, bei dem im äusseren Blatt der Retina überhaupt
kein Pigment vorhanden ist; es handelte sich also um einen
albinotischen Embryo. Enalich bemerke ich, dass man häufig
auch später noch im Pupillarrande einen kleinen Rest des „Seh-
ventrikels“ findet.
Das Wachstum der Embryonen und damit zugleich die
weitere Ausbildung und Differenzierung ihrer Organe schreitet
nun sehr rasch fort. Was das Längenwachstum betrifft, so führe ich
einige Zahlen von Minot und Taylor an, wozu ich bemerke,
dass dieselben mit meinen Erfahrungen gut übereinstimmen. Die
Maße sind nach Fixierung in Zenkerscher Flüssigkeit genommen
und das Alter nach dem Zeitpunkt der Kohabitation bestimmt.
Letzteres ist natürlich zu hoch angegeben, da die Befruchtung
des Eies nicht unmittelbar auf die Kohabitation folgt, worüber
man namentlich in van Benedens Arbeiten nachlesen mag (vel.
auch meine Monographie über E. van Beneden etc.). Wenn aber
auch nach dieser Art der Bestimmung das Alter zu hoch ange-
geben ist, so lässt sich doch keine andere brauchbare Methode
der Altersbestimmung finden. Die nach den genannten Autoren
für die Zeit von 10—20 Tagen zusammengestellten Werte sind
folgende:
10 Tage alt 3,3 mm grösste Länge
10'Ja » » 4,8 2 2 ”
11 TE 5,4
II
” n ”
Bilaterale oder nasotemporale Symmetrie des Wirbeltierauges. 299
11!/z Tage alt 6,0 mm grösste Länge
1 2 ” 2 — 6,0 P2] Pr] 7]
1 2 !la )) 7 — 7,6 ”» P)] P)]
15 ” ” == 9,8 P)) P)] 2
14 nn i10,6 ” »
15 ] ” — 12,4 ” ” „
1 6 ” P7] = 16,2 pP] >] ”
16'/2 aa. 116,,., ” D)
1 7 ” P)] — 2 1 ‚0 P)] r)} 2
18 P)] ” —— 24,4 „ P)] ”
20 ” » = 29,0 7 2] ”
Die angeführten Zahlen sind keine Mittelwerte, sondern
beziehen sich auf spezielle Fälle. Es sind daher natürlich auch
Abweichungen davon zu erwarten und man darf keineswegs
glauben, dass ein Embryo von 14 Tagen auch immer 10,6 mm
in der grössten Länge messen müsse. Dies erhellt schon aus
der Tabelle selbst; so heisst es, dass ein Embryo von 11'/s Tagen
6,0 mm lang war und dasselbe Maß wird für einen Embryo von
12 Tagen angegeben. Unter meinen Serien befindet sich eine,
welche ich vor 25—30 Jahren angefertigt habe, auf der notiert
ist, dass der Embryo 16 Tage alt war, bei einer grössten Länge
von 16.0 mm; eine andere Serie aus derselben Zeit trägt den
Vermerk: Alter 16 Tage, grösste Länge 17 mm. Beide Angaben
können richtig sein und ich habe keinen Grund, daran zu zweifeln,
dass sie es in der Tat sind. — Von 15 und 16 Tage alten Em-
bryonen besitze ich mehrere Quer- und Sagittalschnittserien.
(sanz besonders schön sind zwei Sagittal- und eine Querschnitt-
serie von 15 Tage alten Embryonen. Die grösste Länge habe
ich bei ihnen leider unmittelbar nach der Fixierung, vor dem
Einbetten, nicht gemessen. An der einen der beiden Sagittal-
schnittserien, auf der der Embryo in seiner ganzen Länge ge-
schnitten ist, beträgt sie auf dem Medianschnitt 11,2 mm. Nun
geben Minot und Taylor für einen Embryo von 14 Tagen eine
grösste Länge von 10,6 mm und für einen solchen von 15 Tagen
eine solche von 12,4 mm an; dagegen hatte ein Embryo von
16 Tagen eine solche von 16,2 mm. Wenn man nun die Schrumpfung
in Rechnung zieht, die die Embryonen beim Einbetten in Paraffin
erfahren, so wird man finden, dass das Längenmaß von 11,2 mm
ganz gut zu dem notierten Alter von 15 Tagen stimmt. Wie wir
300 CarlRabl:
gesehen haben, geben Äquatorialschnitte durch das Auge von
Embryonen aus dem Stadium XV, also von Embryonen von unge-
fähr 15 Tagen, Bilder, wie ein solches auf Taf. X, Fig. 11 zur
Darstellung gebracht ist. Hier scheiden zwei Falten, eine dor-
sale und eine ventrale, den Glaskörperraum unvollständig in eine
nasale und eine temporale Hälfte. Nach hinten, also median-
wärts, reichen die beiden Falten bis zum Sehnerveneintritt. Die
dorsale Falte, die, wie die Untersuchung gelehrt hat, zuerst
auftritt, also die ursprünglichere ist, können wir als primäre,
die ventrale, die erst während und nach dem Verschluss der
fötalen Augenspalte entsteht (man vgl. das Stadium der Fig. 11
mit den Stadien der Fig. 10, 9 und 8), als sekundäre
bezeichnen. Die dorsale Falte hat sich im Stadium der Fig. 11
in der grösseren äusseren Hälfte des Auges schon rückgebildet:
an ihrer Stelle ist hier nur eine unansehnliche Erhebung zurück-
geblieben. Denkt man sich an der Figur den von der dorsalen
Falte nach unten vorspringenden Zapfen weg, so erhält man
ungefähr das Bild, das die weiter nach aussen durch das Auge
gelegten Schnitte geben. Während also in der grösseren äusseren
Hälfte des Auges die dorsale Falte bis auf eine mässig hohe
Vorragung oder Erhebung geschwunden ist, ist sie im medialen
Drittel des Auges bis zum Optikuseintritt im Stadium der Fig. 11
noch mächtig entwickelt. Die ventrale oder sekundäre: Falte, die
der Lage und Entstehung nach der fötalen Augenspalte entspricht,
reicht ihrerseits auch bis zum Augenhintergrund, also bis zum
Optikuseintritt. Dieser befindet sich aber, wie schon erwähnt
wurde, zu dieser Zeit und auch schon bei etwas jüngeren Em-
bryonen bereits dorsal vom hinteren Augenpol oder dorsal vom
horizontalen Meridian. Die ventrale Falte zieht also auch über
die tiefste Stelle des Augengrundes bis zu dem dorsal vom
horizontalen Meridian gelegenen Sehnerveneintritt. Im horizon-
talen Meridian selbst aber befindet sich später die von Kühne
und anderen beschriebene Sehleiste, eine horizontal verlaufende
Area centralis, über deren Mitte die Papilla nervi optici liegt.
Die Area gehört also (beim Kaninchen) dem ventral
vom Optikus liegenden Teil der Retina an, mit
welchem die primäre Falte der Retina nichts zu tun
hat. — Denkt man sich nun an der Fig. 11, Taf. X den Zapfen,
der sich ventralwärts an die dorsale Falte anschliesst, weg, und
Bilaterale oder nasotemporale Symmetrie des Wirbeltierauges. 301
die Falte selbst etwas flacher und stellt man sich weiter vor,
dass auch die ventrale, von der Verschlusslinie der fötalen Augen-
spalte vortretende Falte flacher ist, so bekommt man das Bild,
das Äquatorialschnitte durch das Auge eines Embryo von 15 oder
16 Tagen geben. Wie früher, ist das Auge noch rechteckig mit
abgerundeten Winkeln: wie früher, lässt es noch eine nasale und
eine temporale Hälfte der Retina und eine nasale und eine
temporale Bucht des Glaskörperraumes erkennen, aber die Schei-
dung ist bei weitem nicht mehr so scharf, als sie in früheren
Stadien war. Am Augenhintergrund hat die Differenzierung der
Retina, die, wie wir gesehen haben, mit der Bildung der Nerven-
faserschicht bezw. des „Randschleiers“ beginnt, weitere Fort-
schritte gemacht, indem hier bereits eine Ganglienzellenschicht
und mit ihr zugleich eine innere retikuläre Schicht deutlich zu
unterscheiden sind. Davon wird übrigens gleich noch bei Be-
sprechung eines älteren Embryo die Rede sein. Der Optikus ist
bei Embryonen von 15 und 16 Tagen bei weitem nicht mehr so
tief in das Auge hineingestülpt als dies bisher in einer grösseren
Reihe von Stadien der Fall war. Infolgedessen sind auch die
Bilder, welche AÄquatorialschnittserien durch den Bulbus, also
Sagittalschnittserien durch den Embryo geben, sehr viel leichter
verständlich. Begreiflicherweise bieten daher auch Horizontal-
schnitte durch den Optikuseintritt dem Verständnis keinerlei
Schwierigkeiten. Wie früher, ist auch jetzt im Optikus nur ein
einziges (efäss, die Art. hyaloidea, eingeschlossen.
Die Pars caeca retinae setzt sich jetzt etwas deutlicher und
schärfer von der Pars optica ab als früher. Die letztere lässt
auf Schnitten in der Richtung des horizontalen Meridians, wie
schon aus dem Gesagten geschlossen werden kann, zwei Strecken
erkennen: eine hintere, bei weitem grössere, die sich vom Augen-
hintergrund bis zum Aequator bulbi oder selbst noch etwas darüber
hinaus nach vorn erstreckt und eine vordere kleinere, an welche
sich schliesslich die Pars caeca anschliesst. Im hinteren, grösseren
Bereich ist die Pars optica höher differenziert, indem sie hier
schon eine Ganglienzellen- und innere retikuläre Schicht erkennen
lässt: im vorderen Bereich aber ist, wie früher, nur eine Nerven-
faserschicht vorhanden und diese wird gegen die Pars caeca zu
allmählich dünner, um hier ganz zu verschwinden. Wie früher,
kann man auch jetzt die Pars caeca wieder in zwei Teile teilen:
302 CarlRabl:
in die mächtigere, breitere und dickere Pars ciliaris und die
sehr schmale und viel dünnere Pars iridica; im Bereiche der
letzteren ein einfaches, einreihiges Zylinderepithel. Von den
Kerben des Pupillarrandes sind die vorderen vielleicht eben noch
angedeutet. Von einem Rest der fötalen Augenspalte ist nirgends
etwas zu sehen. Die Stelle, an der sie sich geschlossen hat, ist
nur an der schon erwähnten Einbuchtung der ventralen Wand
der Retina zu erkennen. Der „Sehventrikel“ ist gänzlich ge-
schwunden.
Der nächste Embryo, dessen beide Augen ich in Äquatorial-
schnitte zerlegt habe, war 20mm lang. Minot und Taylor geben
von einem Embryo von 17 Tagen an, dass er 21,0 mm lang war.
Dagegen hatte, wie aus der obigen Tabelle hervorgeht, ein Em-
bryo von 16!/e Tagen nur eine Länge von 17,6 mm. Die Grössen-
differenz ist also eine sehr beträchtliche. Dem raschen Wachstum
des ganzen Embryo entspricht nun natürlich auch ein rasches
Wachstum seiner Organe. Einen Schnitt durch das linke Auge
dieses Embryo habe ich bei schwächerer Vergrösserung auf Taf. X,
Fig. 12 abgebildet. Der Schnitt ist nicht ganz genau äquatorial
geführt, sondern ein klein wenig schief; indessen tut dies der
Klarheit des Bildes keinen Eintrag. Zur Orientierung habe ich
auch einen Teil der Umgebung eingetragen: den Rectus sup: (T. 8.),
inferior (r. 1.) und lat. (r. 1.); ebenso den hier bereits mit der
Sklera in Verbindung getretenen Rect. medialis (r. m.); ausser-
dem sieht man den Öbliquus sup. (ob. s.) und lateralwärts neben
ihm den Levator palpebrae sup. (l. p.), endlich unter dem Rect.
inf. den Obl. inf. (ob. i.); natürlich wird dieser auf den vorhergehen-
den und nachfolgenden Schnitten der Serie in anderer Lage zum Rect.
inf. angetroffen als hier. — Das, was zunächst an dem Bild in die
Augen fällt, ist, dass der Aquatorialschnitt durchs Auge nicht
kreisrund, sondern elliptisch ist mit horizontal gestellter langer
Achse. Wir werden sehen, dass dies auch für das menschliche
Auge in einem korrespondierenden Entwicklungsstadium gilt. So
auffallend diese Erscheinung ist, so wird sie uns vielleicht einiger-
massen verständlich, wenn wir bedenken, dass während einer
langen Zeit der Entwicklung Äquatorialschnitte durchs Auge eine
viereckige Form hatten, wobei die langen Seiten horizontal, die
kurzen vertikal standen; man erinnere sich nur an die Fig. 11,
10 und 9. Diese Form aber selbst wird vielleicht wieder dadurch
Bilaterale oder nasotemporale Symmetrie des Wirbeltierauges. 303
etwas verständlich, dass das Auge, oder vielmehr sein wesent-
licher Bestandteil, die Retina, zu dieser Zeit aus zwei Lappen,
einem nasalen und einem temporalen, besteht. Die Frage dreht
sich also vielleicht in letzter Linie doch wieder darum: Warum
besitzt das Auge anfangs zwei Lappen, wie ist diese Bildung zu
verstehen und zu erklären? Darauf werde ich am Schluss der
Arbeit zurückkommen. — An dem abgebildeten Schnitt, der hinter
der Linse durch den Bulbus geht, ist weder oben noch unten
etwas von einer Falte der Retina oder auch nur von dem Rest
einer solchen Falte zu sehen; höchstens könnte man vielleicht
eine etwas dünnere Stelle der dorsalen Wand der Retina, unter-
halb der Mitte des Querschnittes des Rectus sup., als eine Re-
miniszenz der ursprünglichen Scheidung der Retina in eine nasale
und temporale Hälfte betrachten. Während an den Schnitten, die
noch die Linse treffen, der Glaskörper fast überall der Innen-
fläche der Retina anliegt, hat er sich an dem abgebildeten
Schnitte und ebenso an den folgenden weit von ihr abgehoben;
mit anderen Worten, er hat sich, was auch Frontalschnitte zeigen,
von der Innenfläche der Retina gegen die Linse zusammengezogen.
In der dorsalen Hälfte des geschrumpften Glaskörpers sieht man
den Querschnitt der Arteria hyaloidea; zerstreut sehr zahlreiche
Gefässe und lockeres, diese begleitendes Bindegewebe. Eine Vena
hyaloidea gibt es ebensowenig wie früher; das Blut fliesst
offenbar auch jetzt noch um den Pupillarrand durch die äusseren
Gefässe des Bulbus ab. Wenn man sich die Art. hyaloidea, so
wie sie auf dem abgebildeten Schnitte zu sehen ist, auf den
Augenhintergrund projiziert denkt, so würde man ziemlich genau
zur Eintrittsstelle des Optikus kommen. Wie schon erwähnt, tritt
dieser ja beim Kaninchen nicht, wie beim Menschen, medial vom
hinteren Pol des Augapfels ein, sondern dorsal davon.
Zwischen Glaskörperrest und Innenfläche der Retina findet
sich an dem abgebildeten Schnitte und ebenso an den benach-
barten reichliches, flockiges Gerinnsel, das sich zweifellos aus der
bei der postmortalen Ablösung des Glaskörpers ausgetretenen
Flüssigkeit niedergeschlagen hat und selbstverständlich mit dem
Gewebe des Glaskörpers nicht das geringste zu tun hat. — Ich
habe es daher auch nicht in die Zeichnung eingetragen. — Die
Differenzierung der Pars optica retinae hat weitere Fortschritte
gemacht. Schon bei ganz schwacher Vergrösserung kann man an
304 CarlRabl:
einem AÄquatorialschnitt, der den Bulbus hinter der Linse trifft,
von innen nach aussen folgende Schichten unterscheiden: zu
innerst die Nervenfaserschicht, ihr zunächst die Ganglienzellen-
schicht, dann einen weder nach aussen noch nach innen irgend-
wie begrenzten helleren Streifen, der bei sehr schwacher
Vergrösserung deutlicher in die Erscheinung tritt als bei
starker. die innere retikuläre oder piexiforme Schicht, dann
eine reichlich die Hälfte der Dicke der ganzen Retina ein-
nehmende, ungemein kernreiche Schicht, von deren Bedeutung
gleich noch gesprochen werden soll, endlich nach aussen zu einen
hellen Streifen, in welchem oder in dessen unmittelbarer Nähe
fast sämtliche Mitosen der Retina liegen. Auf diese, die eigent-
liche Retina zusammensetzenden Schichten folgt dann das Tapetum
nigrum als einfache Lage pigmentierter kubischer Epithelzellen.
Das ganze Auge, soweit es aus der sekundären Augenblase ent-
steht, ist von einer mässig dicken Schicht sehr derben Binde-
gewebes eingehüllt, die nach aussen etwas lockerer wird und sehr
zahlreiche parallel zur Oberfläche der Retina gestellte, lang-
gestreckte und sich sehr stark färbende Kerne enthält. In dieser
Schicht haben wir die gemeinsame Anlage der Chorioidea und
Sklera zu erblicken. In ihr sind, dem Tapetum benachbart, zahl-
reiche Blutgefässquerschnitte zu sehen. Die meisten davon sind
vom Tapetum nur durch eine einfache Kernreihe getrennt oder
liegen ihm wohl auch direkt an: nur wenige sind etwas weiter
von ihm entfernt. Es ist wohl klar, dass diese Blutgefässe dem
zur Chorioidea sich entwickelnden Anteil der gemeinsamen Binde-
sewebshülle angehören.
in Fig. 13 nun ist ein Stück des abgebildeten Schnittes
aus der temporalen Seite (t in Fig. 12) bei starker Vergrösserung
abgebildet. In der Nervenfaserschicht treten aus dem Gewirr
von Fasern solche zweierlei Art besonders deutlich hervor: Zu-
nächst senkrecht zur Oberfläche verlaufende, von denen einzelne
noch die Oberfläche überschreiten; diese erscheint übrigens in-
folge der gewaltsamen Ablösung der Limitans hyaloidea, die dem
Glaskörper bei dessen Schrumpfung gefolgt ist, rauh und flockig.
Die zweite Art von Fasern verläuft schief von oben und innen
nach unten und aussen. Hier und da kann man eine dieser
Fasern in einen nach oben und innen verlaufenden Fortsatz einer
Zelle der Ganglienzellenschicht übergehen sehen. Der schiefe
Bilaterale oder nasotemporale Symmetrie des Wirbeltierauges. 30»
Verlauf der Fasern erklärt sich sehr einfach, wenn man die Serie
bis zum Eintritt des Optikus verfolgt. Von hier treten nämlich
die Fasern, wie längst bekannt ist, in den nasalen und temporalen
Abschnitt der Retina ein; sie liegen dabei anfangs so dicht bei-
sammen, dass Krause geradezu ein nasales und ein temporales
Bündel von Optikusfasern unterschieden hat. Unterhalb des
Optikuseintrittes liegt, wie erwähnt, im horizontalen Meridian
die Sehleiste, die Stelle des schärfsten Sehens. Die Fasern ziehen
natürlich nicht bloss zu dieser, sondern auch darüber hinaus nach
unten und oben. Da nun das abgebildete Stück des Äquatorial-
schnittes (Fig. 13) aus der temporalen Hälfte, aber ventral von
der Sehleiste genommen ist, müssen die Fasern den geschilderten
schiefen Verlauf nehmen. Die Ganglienzellenschicht lässt zwei
Arten von Kernen und dementsprechend natürlich zwei Arten von
Zellen unterscheiden: erstens grosse, rundliche, blasse mit relativ
wenig chromatischer Substanz: einige Zellen, die solche Kerne
führen, oder wohl auch die Kerne der Zellen selbst sind in der
Richtung der schief verlaufenden Optikusfasern abgebogen. Zweitens
finden sich langgestreckte, dunkler gefärbte, häufig unregelmässig
geformte und wie geschrumpft aussehende Kerne, die sich intensiv
färben und deren Längsachsen senkrecht gestellt sind. — Die
innere retikuläre Schicht ist, wie erwähnt, eben nur angedeutet.
Auf sie folgt dann die ungemein mächtige, verhältnismässig kleine
Kerne führende Schicht, die wohl sicher später die innere Körner-
schicht, die äussere retikuläre und die äussere Körnerschicht
hervorgehen lässt. Eine Differenzierung ist in dieser Schicht zu
dieser Zeit nur insofern angedeutet, als geradeso, wie in der
Ganglienzellenschicht, zwei Arten von Kernen wahrzunehmen sind:
rundliche oder ovale, blasse, chromatinarme und längliche, dunkle,
chromatinreiche. Die letzteren dürften wohl — wenigstens zum
Teil — Stützfasern angehören. Die rundlichen oder ovalen Kerne
bilden weitaus die Mehrzahl. Irgend etwas, was auf eine Diffe-
renzierung von Stäbchen- und Zapfenzellen bezogen werden könnte,
ist nicht zu sehen. An der Aussenseite dieser kernreichen Haupt-
schicht der Retina liegen, wie schon erwähnt, die sehr zahlreichen
Mitosen. Solche fehlen in grösserer Tiefe nicht vollständig, sind
aber hier nur äusserst seltene Ausnahmen. Nach aussen von den
Kernen folgt eine helle Zone, die eine senkrechte Streifung er-
kennen lässt, ohne dass ich aber an meinen Präparaten etwas
306 CarlRabl:
(renaueres daran zu erkennen vermochte. Zur genaueren Analyse
dieser Zone wären andere Methoden notwendig. Von der Pigment-
schicht ist nichts weiter zu vermerken.
Ein zweiter Embryo, der eine Scheitelsteisslänge von 20 mm
und eine Nackensteisslänge von 17 mm hatte, zeigte wesentlich
dasselbe, wie der eben beschriebene. Nur war an ihm eine deut-
liche Limitans externa zu sehen und die körnerreiche Haupt-
schicht der Retina zeigte nur wenige schmale, dunkle, lang-
gestreckte Kerne, dagegen fast nur rundliche oder ovale.
Endlich besitze ich noch eine Quer- und eine Äquatorial-
schnittserie durch die Augen eines 47 mm langen, also der
völligen Reife schon ziemlich nahen Embryo. Ich bemerke zunächst,
dass zu dieser Zeit die Scheidung der Retina in eine Pars optica
und eine Pars caeca schon eine ganz scharfe ist. —
Da nun in der Definition dessen, was man als P. optica und
P. caeca zu bezeichnen hat, keine Übereinstimmung herrscht und
der Ausdruck Pars caeca zuerst von mir in meiner Monographie
„Über den Bau und die Entwicklung der Linse“ gebraucht wurde,
darf ich wohl ein paar Worte über die hier in Frage kommenden
Begriffe und den Gebrauch der erwähnten Bezeichnungen ein-
schalten. Dabei erhebe ich natürlich nicht den geringsten An-
spruch, in historischer Beziehung vollständig zu sein; ich verfolge
nur denZweck, zu zeigen, dass der jetzt herrschende Zustand völliger
Verwirrung in der Nomenklatur unhaltbar ist. — Gegenbaur
hat seinerzeit in seinem Lehrbuch der Anatomie zwar eine Pars
ciliaris, aber keine Pars iridica retinae unterschieden. Dagegen
hat er allerdings, wie dies übrigens schon längst geschehen war,
eine Pigmentschicht an der hinteren Fläche der Iris („Uvea“ bei
Henle) unterschieden. Die Pars ciliaris retinae liess er nur aus
einer einzigen Lage von Zylinderzellen bestehen; er bezeichnete
also mit diesem Namen nur die Fortsetzung desinneren Blattes
der sekundären Augenblase. Anders Schwalbe in seinem „Lehr-
buch der Anatomie der Sinnesorgane“ aus dem Jahre 1887; er
rechnete das Pigmentepithel oder Tapetum nigrum zur Retina
und bezeichnete es direkt als deren Epithel („Epithel der Retina“).
Demnach liess er beide Lamellen oder Blätter der sekundären
Augenblase zur Retina werden. Ausserdem unterschied er eine
Pars ciliaris und eine Pars iridica retinae und liess beide folge-
richtig aus zwei Epithelschichten bestehen, die er von den beiden
Bilaterale oder nasotemporale Symmetrie des Wirbeltierauges. 307
Blättern der sekundären Augenblase ableitete; die eine liess er
also eine Fortsetzung des Tapetum nigrum, die andere eine solche
der Retina nach Abrechnung ihres Epithels sein. Ähnlich lautete
auch die Darstellung in der noch von Rauber selbst heraus-
gegebenen 5. Auflage seines Lehrbuches der Anatomie aus dem
‚Jahr 1898. Hier unterschied Rauber ein Aussen- und ein
Innenblatt der Retina und an dem Aussenblatt ein Stratum
pigmenti retinae, Stratum pigmenti corporis ciliaris und Stratum
pigmenti iridis. Ebenso an dem Innenblatt eine Pars optica, Pars
eiliaris und Pars iridiea. — Während aber Rauber ganz richtig
das Stratum pigmenti oder Pigmentepithel als Aussenblatt der
Retina bezeichnete, also zu dieser selbst rechnete, führt Kopsch
in der Bearbeitung des Lehrbuches (10. Auflage 1916) das Pigment-
epithel als durchaus selbständige Schicht des Auges neben der
Retina an. Die Bezeichnungen und Unterscheidungen von „Aussen-
und Innenblatt“ der Retina sind geschwunden. — In dem weit ver-
breiteten Lehrbuch der Histologie von Stöhr endlich werden die
Pars ciliaris und Pars iridica retinae als einschichtige Epithelien
beschrieben, es wird also, wie beiGegenbaur, nur das „Innen-
blatt der Retina“ Raubers unter dieser Bezeichnung verstanden.
Das (resagte dürfte genügen, um die Differenzen zu zeigen, die
hinsichtlich der Definition der Abschnitte der Retina bestehen.
Es kann daher von weiteren Beispielen abgesehen werden. Was
sollen wir nun Retina nennen ?
Wie Hyrtl (Onomatologia anatomica 1880) gezeigt hat.
ist das Wort Retina geradezu „absurd“, „zweifach barbarisch“
und „unbarmherzig zu verurteilen“. Es stammt weder aus
‚dem Lateinischen, noch aus dem Griechischen, sondern leitet
sich aus dem Arabischen her und bedeutet ursprünglich
Hülle oder Überwurf. Es soll damit die Umhüllung des Glas-
körpers, die schon Galen kannte und mit einem passenden
griechischen Worte, das aber keinen Anklang an das Wort Retina
hatte. bezeichnete, dieselbe Hülle, die Vesal „Jnvolucrum corporis
vitrei“ nannte, verstanden werden; jeder weiss, dass diese Hülle
nicht im entferntesten eine Ähnlichkeit mit einem Netz hat.
Diese Bedeutung einer Hülle des Glaskörpers soll der Retina,
wie ich denke, bleiben; abschaffen lässt sich das Wort ja doch
nicht. Aber man kann ganz gut den entwicklungsgeschichtlichen
Erfahrungen Rechnung tragen und — vom Glaskörper und der
308 CarlRabl:
Zonula abgesehen — alles Retina nennen, was aus der sekun-
dären Augenblase entsteht. Die Retina als Ganzes aber teilen
wir wieder in eine Pars optica und Pars caeca,a Namen, die
sich selbst erklären und rechtfertigen. An jedem dieser beiden
Abschnitte aber können wir, wie dies schon Rauber getan
hat, ein Aussen- und ein Innenblatt, entsprechend seiner Ent-
stehung aus den beiden Lamellen der Augenblase, unterscheiden.
Wie an der ganzen Pars caeca unterscheiden wir selbstverständ-
lich auch an ihren beiden Abschnitten, der Pars ciliaris und Pars
iridica, wieder zwei Blätter, wie Rauber, und nicht eines, wie
Gegenbaur, Kopsch und andere. Will man dann noch weiter-
gehen, so kann man eventuell noch das Innenblatt der Pars optica
retinae, also den eigentlichen lichtempfindlichen Apparat, als
Retina im engeren Sinne bezeichnen.
Nach dieser Abschweifung gehe ich zur Beschreibung der
Augen des 47 mm langen Kaninchenembryo über. Ich habe gesagt,
dass an diesem die Scheidung der Retina in eine Pars caeca und
Pars optica schon ganz scharf war. An der Grenze zwischen
beiden, oder vielleicht schon etwas hinter derselben, wird das
Tapetum nigrum retinae rasch höher, bleibt aber immer ein ein-
schichtiges Zylinderepithel. Die Kerne der Zellen, die weiter
hinten, also näher dem hinteren Augenpol, kugelig sind, werden
oval, die Zellen selbst, die in der Nähe des hinteren Augenpoles
kaum mehr als kubisch bezeichnet werden können, werden hoch-
zylindrisch, wobei die Kerne der basalen Seite sehr viel näher
als der freien stehen. Wie schon wiederholt bemerkt, ist als
freie Seite die dem Innenblatt der Augenblase zugewendete zu
bezeichnen. Reichlich die Hälfte dieser Zylinderzellen ist mit
Pigmentkörnchen dicht gefüllt; namentlich unmittelbar über dem
Kern häufen sich diese in grosser Menge an; dann folgt zuweilen
nach innen zu ein etwas hellerer, weniger Körnchen enthaltender
Streifen (von dem ich übrigens nicht vollkommen sicher bin, ob er
nicht ein Kunstprodukt ist) und zuletzt wieder eine dunklere, d.h.
dichter mit Körnchen erfüllte Zone. Die Pigmentkörnchen sind
kugelig, von verschiedener Grösse, die grösseren in der Mehrzahl,
die kleineren in der Minderzahl. An der nach aussen gerichteten,
also genetisch basalen Seite finden sich zwar auch Pigment-
körnchen oder Pigmentkügelchen, aber in viel geringerer Zahl.
Die Pars ciliaris zerfällt schon jetzt in zwei Zonen: eine
Bilaterale oder nasotemporale Symmetrie des Wirbeltierauges. 909
hintere, d. h. dem hinteren Augenpol nähere, die sich unmittelbar
an die Pars optica anschliesst, und eine vordere, die in die Iris
übergeht. ‚Jene ist der Orbiculus ciliaris (Henle) oder die Pars
non plicata, diese der epitheliale Überzug der Processus eiliares.
Im Bereiche des Orbieulus ist das Innenblatt ein sehr hohes mehr-
reihiges Zylinderepithel, das ziemlich unvermittelt aus dem Innen-
blatt der Pars optica retinae hervorgeht und sich durch seine
ausserordentlich langen, schmalen, fast stabförmigen, oft sehr dunkel
gefärbten Kerne auszeichnet. Nach vorn setzt sich dieses Epithel
auf die Ciliarfortsätze fort, aber nicht, ohne dass es gewisse Ver-
änderungen erfährt. Ciliarfortsätze zähle ich im ganzen unge-
fähr 70; ihre Zahl genau anzugeben, ist schwer, da zwischen
den hohen Falten zuweilen noch niedrige stehen oder auch wohl
zuweilen eine Falte sich teilt. Das Epithel ist nur in den Tälern
zwischen den Falten so hochzylindrisch und die Kerne so schmal
und stabförmig, wie in der Zona orbicularis; an den Seitenflächen
der Falten wird es niedriger und die Kerne mehr oval, und auf
der Höhe der Falten ist das Epithel, wenn es auch noch ein
Zylinderepithel genannt werden kann, doch deutlich niedriger und
die Kerne nähern sich mehr der Kugelform. Zugleich treten die
letzteren mehr und mehr an die Oberfläche der Falten, also,
wenn man die Genese des Innenblattes bedenkt, ebenso wie die der
Pigmentschicht der basalen Seite der Zellen näher, als der freien.
Z/uweilen sieht man in der inneren Lamelle der Pars eiliaris
Mitosen und dann liegen diese stets in der Nähe der Pigment-
schicht; also auch in dieser Hinsicht bleibt der Charakter der
Epithelzellen, der Unterschied zwischen genetisch freier und basaler
Seite, erhalten, indem, wie wir gesehen haben, die Mitosen in
Epithelien immer in der Nähe der freien Seite gefunden werden.
Das Innenblatt der Pars eiliaris ist pigmentfrei.
Was die topographischen Beziehungen zwischen Corpus ciliare
und Linse betrifft, so bemerke ich, dass der Orbiculus unmittelbar
nach aussen vom Äquator der Linse, also nach aussen von der
Übergangsstelle des Linsenepithels in die Linsenfasermasse liegt,
während die Processus ciliares unmittelbar nach vorn davon, also
schon vor der Vorderfläche der Linse gelegen sind. Sie berühren
diese nicht, sondern sind von ihr durch eine sehr dünne Lage
gefässführenden Bindegewebes getrennt.
Die Pars iridica retinae bildet zu dieser Zeit noch die Haupt-
Archiv f. mikr. Anat. Bd. 9. Abt. 1. 21
310 CarlRabl:
masse der Iris; sie ist ja, wie gesagt, die Grundlage, auf der
sich das Stroma iridis bildet und ausbreitet. Bleibt die Bildung
der Pars iridica aus, mit anderen Worten, wächst die sekundäre
Augenblase nicht über die Linse vor, so fehlt die Grundlage, auf
der sich das bindegewebige Stroma der Iris mit dem vorderen
Epithel — einem „Bindegewebsepithel“, wie ich solche Epithelien
in meinem Vortrage „über die Prinzipien der Histologie“ in Berlin
im Jahre 1889 genannt habe, — bilden und ausbreiten könnte
und die Folge davon muss eine Aniridie oder Irideremie sein.
Die Aniridie ist also, wie ich schon seit fast 30 Jahren meinen
Hörern auf Grund meiner Erfahrungen vorzutragen pflege, eine
Hemmungsbildung der Retina. Ich freue mich, zu sehen, dass
diese Auffassung auch von anderer Seite übernommen und akzeptiert
worden ist. Auf einem Meridionalschnitt durchs Auge zeigt die
Pars iridica retinae eine S-förmige Biegung, wobei der Umschlags-
rand oder Pupillarrand nach vorn gewendet ist. Hier ist das
Aussenblatt ein wenig verdickt und ausnahmsweise an der vorderen
Fläche mit Pigmentkörnchen stärker durchsetzt als hinten. Ob
in dieser Verdickung eine erste Spur einer Sphinkterbildung zu
erblicken ist, kann ich, da ich die späteren Stadien nicht mehr
untersucht habe, nicht sagen. Während die innere Lamelle der
Pars ciliaris retinae frei von Pigment ist, zeigt sie in der Pars
iridica zu dieser Zeit schon eine Pigmentierung. Diese ist am
Pupillarrand am stärksten und nimmt gegen den Ciliarkörper
allmählich ab. In der Nähe des Pupillarrandes sind die Pigment-
körnchen in der Aussenhälfte der Zellen stärker angehäuft als
innen, verhalten sich also so, wie im äusseren Blatt der Pars
iridica. Das noch mässig dicke bindegewebige Stroma der Iris
führt zahlreiche Gefässe und setzt sich als eine sehr dünne, gleich-
falls gefässführende Membran (Pupillarmembran) über die Linse
fort. Eine vordere Augenkammer ist nur in der Peripherie als
ringförmiger Raum entwickelt, dagegen fehlt sie hinter der Mitte
der Cornea noch vollständig.
Was nun die Pars optica retinae betrifft, so beginne ich
mit der Beschreibung des Sehnerveneintrittes, der, wie erwähnt,
beim Kaninchen in einiger Entfernung dorsal vom horizontalen
Meridian, über dem hinteren Pol der Augenachse liegt. Desgleichen
wurde erwähnt, dass vom Sehnerveneintritte nach der nasalen
und temporalen Seite zwei geschlossene Bündel von Nervenfasern
Bilaterale oder nasotemporale Symmetrie des Wirbeltierauges. 311
verlaufen, und dass ventral von der Eintrittsstelle und von diesen
beiden Bündeln die Sehleiste oder Area centralis, dem horizon-
talen Meridian entsprechend, über den Augenhintergrund zieht.
Ein sehr instruktives vergrössertes Bild des Sehnerveneintrittes
und seiner Umgebung beim lebenden Tiere hat schon vor einer
langen Reihe von Jahren (1882) M. W. af Schulten in Helsingfors
gegeben. („Über die Beobachtung des Augenhintergrundes unter
hochgradiger Vergrösserung“, Archiv für Anatomie und Physiologie,
Physiologische Abteilung 1882). In demselben Bande des erwähnten
Archivs findet sich auch eine Beschreibung des Augenhintergrundes
von J. Hirschberg („Zur vergleichenden Ophthalmoskopie“ ), in
der es u. a. heisst, dass man hier „die querovale, zart rötliche,
zum grossen Teil exkavierte Sehnervenscheibe sieht, von der nach
rechts und links je ein kreideweisser, flügelförmiger Fortsatz
ausgeht oder ausstrebt“. Die horizontal verlaufende Sehleiste tritt
bekanntlich als stärker gefärbter Purpurstreif (Kühne) hervor.
Mit dieser Beschreibung Hirschbergs und der Abbildung af
Schult&@ns stimmen nun die Bilder, welche man auf einer parallel
zum vertikalen Meridian durch den Bulbus geführten Schnittserie
sieht, vortrefflich überein. Die Exkavation des Optikus ist zu
dieser Zeit, wenigstens an meinen Präparaten, sehr tief. Aus
ihrem Grunde tritt die Art. hyaloidea hervor, die in gestrecktem
Verlauf nach einer etwas dorsal vom hinteren Linsenpol gelegenen
Stelle zieht. Noch bevor sie die Linse erreicht, teilt sie sich in
ihre Äste, die dann auch sofort in das die Linse einhüllende
Gefässnetz übergehen. Verfolgt man die Serie von dieser, die
tiefste Stelle der Exkavation treffenden Stelle nach der medialen
oder nasalen und nach der lateralen oder temporalen Seite, SO
kann man sehr gut die beiden erwähnten Sehnervenbündel eine
ziemlich grosse Strecke weit verfolgen. Untersucht man einen
vertikalen Schnitt, der den Optikuseintritt trifft, genauer, so kann
man schon bei relativ schwacher Vergrösserung erkennen, dass
der dorsal von der Eintrittsstelle gelegene Abschnitt der Pars
optica retinae einen anderen Bau besitzt, als der grössere ven-
trale, dem nach dem Gesagten auch die Sehleiste angehört. Die
dorsale kleinere Hälfte der Retina zeichnet sich vor allem dadurch
aus, dass die, jetzt sowohl nach innen als nach aussen gut be-
grenzte Ganglienzellenschicht sehr dünn ist, viel dünner als in
der ganzen ventralen Hälfte der Retina, mit einziger Ausnahme
21*
312 CarlRabl:
eines horizontal, unmittelbar unterhalb des Optikuseintrittes
verlaufenden Streifens, in dessen Bereich die Ganglienzellenschicht
gleichfalls sehr dünn ist. Auffallend und vorderhand nicht ver-
ständlich ist, dass die Ganglienzellenschicht der dorsalen Netz-
hauthälfte kurz vor dem Übergang in die Pars ciliaris wieder
etwas dicker wird. In der ventral vom Optikuseintritt und den
beiden Nervenbündeln gelegenen Hälfte der Retina ist die Gang-
lienzellenschicht im Bereiche der Sehleiste weitaus am dicksten.
Hier kann man fünf oder selbst sechs Zellkerne übereinander
zählen. Dieser horizontale Streifen ist aber keineswegs scharf
begrenzt. Er geht namentlich ventralwärts ohne scharfe Grenze
in den dünneren Teil der Ganglienzellschicht über. In der Ganglien-
zellenschicht kann man zwei Arten von Zellen und Zellkernen
uuterscheiden. Die einen Zellen, die weitaus in überwiegender
Zahl vorhanden sind, zeichnen sich durch die kugelige oder, wenn
auch seltener, ovale Form ihrer Kerne aus, die am gefärbten
Präparate heller erscheinen, also relativ chromatinarm sind; die
anderen Zellen, die nur in spärlicher Menge zwischen den genannten
zerstreut sind, haben längere, dunklere Kerne. Häufig kann man
das Protoplasma der Zellen nach aussen und innen in Fortsätze
auslaufen sehen. — Die innere retikuläre Schicht ist keineswegs
frei von Kernen, hebt sich aber trotzdem sowohl nach aussen als
nach innen ziemlich scharf von der Umgebung ab. Die Kerne
der retikulären Schicht sind ebenso gross, rund und blass, ja
vielleicht noch blasser, also chromatinärmer, als die Hauptart der
Kerne der Ganglienzellenschicht. Sehr auffallend ist, dass dunkel
gefärbte, also chromatinreiche Kerne hier vollständig fehlen.
Dieser Umstand mag auch dazu beitragen, die retikuläre Schicht
schon bei schwacher Vergrösserung als etwas Besonderes in die
Erscheinung treten zu lassen. — Auf diese Schicht folgt nach
aussen eine ungemein mächtige und überaus kernreiche Schicht,
die die Hauptmasse der ganzen Dicke der Retina einnimmt. In
dieser dicksten Schicht haben wir wohl sicher den Inbegrift der
inneren Körnerschicht, der äusseren retikulären und der äusseren
Körnerschicht zu erblicken. Sie setzt sich also sowohl aus Be-
standteilen der sogenannten Hirnschicht, als der Neuroepithel-
schicht zusammen. Diese Hauptschicht der Retina, die erst in
späterer Zeit eine Sonderung in drei weitere Schichten erfährt,
ist dieselbe, die wir schon beim Embryo von 20 mm grösster
Bilaterale oder nasotemporale Symmetrie des Wirbeltierauges. 313
Länge (vgl. die Fig. 12 und 13, Taf. X) gesehen haben. Indessen
hat sie doch eine merkliche Weiterbildung erfahren. Vor allem
macht sich an ihrer der inneren retikulären Schicht zugewendeten -
Seite eine Lage besonders gestalteter Zellen bemerkbar. Diese
Lage stellt zweifellos die Spongioblastenschicht Max Schultzes
oder die jetzt sogenannte Lage der amakrinen Zellen vor. Die
Zellkerne sind in dieser Lage beträchtlich grösser als sonst in
der Hauptschicht, oval, mit senkrecht gestellter langer Achse, und
unterscheiden sich, abgesehen von ihrer Grösse, auch durch ihre
ausserordentliche Blässe und ihr überaus feines Kernnetz von
allen übrigen Zellen dieser Schicht. In dieser Lage der amakrinen
Zellen schieben sich zwei oder höchstens drei Zellkerne übereinander.
Die Lage nimmt an Dicke und Deutlichkeit gegen den Äquator
ab und ist über diesen hinaus geschwunden. Alle übrigen Zellen
der Hauptschicht der Retina haben kleinere und sehr viel dunkler
gefärbte Kerne. Wie schon bei dem Embryo von 20 mm grösster
Länge, kann man auch hier zwei Hauptarten von Kernen und
demnach wohl auch von Zellen unterscheiden : kleine, mehr rund-
liche oder ovale, weniger chromatinreiche und grössere, langge-
streckte, schmale, die sich sehr intensiv färben und durch diese
Eigenschaften ohne weiteres von den etwas kleineren runden
Kernen zu unterscheiden sind. Unter diesen runden Kernen gibt
es wieder zwei Abstufungen: grosse und kleine. Je grösser ein
Kern ist, um so blasser erscheint er, je kleiner, umso dunkler.
Vielleicht enthalten beide Kernarten gleiche Mengen chroma-
tischer Substanz, die sich nur das eine Mal auf einen grösseren,
das andere Mal auf einen kleineren Raum verteilt. Möglicherweise
stellen die langgestreckten dunklen Kerne die Kerne von Stütz-
fasern, die kleineren helleren solche von bipolaren Ganglienzellen,
sowie von Stäbchen- und Zapfenzellen dar. Etwas Bestimmtes
kann ich darüber nicht sagen; die Literaturangaben hierüber sind
mangelhaft und anfechtbar. Endlich erwähne ich, dass die Kerne,
die unter der äusseren Oberfläche der Hauptschicht liegen, etwas
dichter angeordnet sind, als die übrigen. Infolgedessen sieht man
aussen einen, übrigens keineswegs scharf begrenzten, dunkleren
Saum. Dass darin eine Andeutung einer äusseren Körnerschicht
zu erblicken ist, dürfte wohl kaum zu bestreiten sein. Im Be-
reiche der Area tritt nach innen von dieser dichteren Lage von
Kernen eine hellere, eben merkliche Zone auf, die etwas ärmer
314 CarlRabl:
an Kernen und reicher an Fasern ist, und in der wohl die erste
Anlage der äusseren retikulären Schicht zu erblicken ist. Wie
früher sind auch jetzt noch, bei dem sehr viel älteren Embryo,
in der Nähe der äusseren Fläche der Retina im engeren Sinne
sehr zahlreiche Mitosen sichtbar. Dass, wie unlängst behauptet
worden ist, die oberflächlichsten Kerne der Retina, die zu Zapfen-
körnern werden sollen, an der äusseren Seite „eine tiefe Ein-
dellung“ besitzen, habe ich nie gesehen und möchte glauben,
dass es sich hier um geschrumpfte Kerne gehandelt habe. Zu
dieser Zeit dürften wohl auch die ersten Spuren von Stäbchen
und Zapfen vorhanden sein, nur sind diese Gebilde noch ausser-
ordentlich hinfällig. Gewöhnlich sieht man an der Aussenfläche
der zelligen Retina, welche eine scharfe Kontur (Limitans externa ?)
erkennen lässt, flockige Fortsätze, die vielleicht Reste von Stäb-
chen und Zapfen sind. Etwas Sicheres kann ich darüber nicht
aussagen. — Zum Schlusse teile ich noch einige Dickenmaße der
Retina in diesem Stadium mit. Dicht über und unter dem Optikus-
eintritt beträgt die Dicke ungefähr 0,140 mm. In der dorsalen
Hälfte eines vertikalen Schnittes durch das Auge, der die Exka-
vation des Optikus in der Mitte trifft, misst die Retina im Äquator
0,180 mm und dicht vor dem Übergang in die Pars caeca 0,160 mın.
In der grösseren ventralen Hälfte beträgt die Dicke der Retina
in der Area centr. 0,230, im Äquator 0,184 und dicht vor dem
Übergang in die Pars caeca 0,128 mm. Sie ist also, wie beim
erwachsenen Tier, in der Area centralis am dicksten und wird
gegen die Pars caeca zu allmählich dünner. —
v. Szily hat gemeint, die oft in grosser Menge im Augenblasenstiel
und der Augenblase auftretenden färbbaren Körner aus degenerierenden
Zellkernen ableiten und zur Entwicklung der Nervenfasern in Beziehung
bringen zu sollen. Ich will daher im Folgenden kurz und im Zusammen-
hang meine Notizen über diese Körner in den aufeinander folgenden Stadien
mitteilen. Ich schicke voraus, dass die Beobachtungen v. Szilys erst mit
zwölf Tage alten Kaninchenembryonen beginnen, dass sich also meine
Beobachtungen über einen sehr viel grösseren Zeitraum erstrecken. Auch
beschränken sich die Beobachtungen v. Szilys, wie es scheint, aus-
schliesslich auf den Augenstiel. Da aber die Bildung der Nervenfasern,
wie man weiss, sicher von der Retina ausgeht, hätte er mit dieser beginnen
MUSSEN.
Ich habe notiert:
Fig. 1. Ganz vereinzelte Körnchen in der ventralen Wand der Augen-
blase, dagegen keine Spur von Kernzerfall. Dieselben Körnchen trifft man
Bilaterale oder nasotemporale Symmetrie des Wirbeltierauges. 315
auch sonst in der Wand des Hirnrohres; an einzelnen Stellen finden sie
sich in grosser Menge.
Fig. 2. Gleichfalls nur vereinzelte Körnchen; desgleichen im Hirnrohr.
Wie es scheint, sind sie besonders häufig dort zu finden, wo es zahlreiche
Mitosen gibt, also gerade dort, wo von Kernzerfall oder Kerndegeneration
keine Rede ist.
Fig. 3. Bei zehn Tage und einige Stunden alten Embryonen sind die
Körnchen gleichfalls nur in geringer Zahl vorhanden, und zwar sowohl in
der Nähe der freien, als der basalen Seite der Augenblasenwand. Sie sind
auch dort vorhanden, wo später keine Nervenfasern entstehen.
Fig. 5. Es finden sich bei diesem Embryo, aber nicht gerade in dem
abgebildeten Schnitt, vereinzelte Körner auch im Pigmentbilatt. Nirgends
aber sind Spuren von Kernzerfall oder Degeneration zu sehen.
Fig. 6. Die Körner sind sehr zahlreich und zwar auch im dorsalen
Teil des Pigmentblattes, also dort, wo überhaupt nie Nervenfasern auftreten.
Nirgends Kernzerfall. Die Körner im Pigmentepithel sind sehr viel grösser
als die erst später auftretenden Pigmentkörnchen, können also direkt mit
ihnen gar nichts zu tun haben.
Fig. 7 und 8. Sehr zahlreiche Körner in der dorsalen Wand des
Pigmentblattes, wenige im retinalen Blatt. Ausserdem auch Körner in der
Wand der Linse. Die aus Kernzerfall hervorgehenden Körner in der Linse
haben ein anderes Aussehen als die Körner v. Szilys. Vor allem färben
sie sich stärker als diese. Die grösseren v. Szilyschen Körner haben oft
Bläschenform.
Fig. 9. Verhältnismässig wenig Körner, und zwar in der dorsalen
Falte der Retina, ausserdem wieder im Pigmentepithel; hier ziemlich weit
auf die nasale und temporale Wand übergreifend.
Fig. 10. Die Körnchen sind in der dorsalen Falte etwas zahlreicher als
in der ventralen, woselbst jetzt auch Körnchen aufzutreten beginnen. Dagegen
finden sich im Pigmentblatt keine Körnchen mehr, wohl aber Pigment, und
zwar durchaus an der freien Seite. Auch jetzt ist in der Retina nirgends
etwas von Kernzerfall zu sehen.
Fig. 11. In der dorsalen Falte kommen nur äusserst spärliche Körnchen
vor; auf dem Kamm der ventralen Falte dagegen, also dort, wo sich kurz
zuvor die fötale Augenspalte geschlossen hat, kommen sehr zahlreiche
Körnchen vor.
Aus dem Gesagten erhellt ohne weitere Erläuterung die völlige Halt-
losigkeit der Theorie v. Szilys. Später wird noch von den Beziehungen
der Körner zu den Nervenfasern des Optikus bei den Selachiern und im
Bereich des Optikus die Rede sein.
Meine Auffassung geht dahin, dass die Körnchen nicht die Produkte
eines Kernzerfalles oder einer Kerndegeneration sind, sondern Stoffwechsel-
produkte der Zellen, die hauptsächlich dort zur Ausbildung kommen, wo die
Proliferation der Zellen eine besonders lebhafte ist.
3116 CarlRabl:
Meine Beobachtungen über die Entwicklung anderer Säuge-
tiere sind bei weitem nicht so vollständig wie diejenigen über
das Kaninchen.
II. Schaf. Der jüngste Schafembryo, den ich bisher zu
untersuchen Gelegenheit hatte, mass in der Nackensteisslinie 8,6 mm
und in der Scheitelsteisslinie 6,3mm. Seine Kopflänge betrug
5,8 mm. Embryonen dieser Grösse sind noch sehr stark zu-
sammengebogen und daraus erklärt es sich, dass ihre Nacken-
steisslinie länger ist als der Abstand des Scheitels vom Steiss.
Die beiden ersten Kiemenbogen, Mandibular- und Hyoidbogen,
waren mächtig ausgebildet, dritter und vierter am Boden einer
gut entwickelten Halsbucht (Sinus cervicalis) gelegen. Dorsal
davon war eine deutliche Retrobranchialleiste (His) zu sehen und
eine ähnliche, breite Leiste befand sich vor der Herzwölbung.
Ich habe notiert, dass bei dem Embryo schon im auffallenden
Licht bei schwacher Vergrösserung zu erkennen war, dass das
Auge eine bilateral-symmetrische Form hatte, mit anderen Worten
einen vorderen nasalen und hinteren temporalen Lappen unter-
scheiden liess. An der oberen Seite liess das Auge schon bei
der Untersuchung des Embryo in toto eine leichte Einsenkung
erkennen, welche die beiden Lappen voneinander trennte. Die
Schnittserie zeigte, dass die Nasengrube schon zu einem Blindsack
vertieft war, dass aber dieser Sack mit seinem Grunde den Gaumen
noch nicht erreichte. Linse und Gehörbläschen waren vom Ekto-
derm abgeschnürt. Die Anlage der Thyreoidea war auf dem
medianen Sagittalschnitt dreieckig, etwas gelappt, mit einer kleinen
Höhle versehen und vom Boden der Mundhöhle schon weit ent-
fernt. Ein Ductus thyreoglossus bestand also nicht. Das Organ
sass der Teilungsstelle des Truncus arteriosus unmittelbar auf.
Die Hypophysis stellte einen langgestreckten Schlauch dar, dessen
vordere Wand dicker als die hintere war, und der mit seinem
Grund den Infundibularfortsatz der Hirnbasisberührte. Er mündete
noch mit enger Öffnung in den Pharynx. Hinter der Einmündungs-
stelle war eine deutliche Seesselsche Tasche vorhanden. — Das
Gesagte möge genügen, um die Entwicklungsstufe des Embryo
zu charakterisieren. Der Embryo war also in der Entwicklung
schon ziemlich weit fortgeschritten. — Der erste Schnitt der
Sagittalschnittserie, der etwas vom Auge zeigte, enthielt bloss
einen Anschnitt der Aussenwand der Linse; aber schon der zweite
Bilaterale oder nasotemporale Symmetrie des Wirbeltierauges. 317
liess etwas vom hinteren Rand der Augenblase erkennen; der
dritte zeigte bereits fast den ganzen Rand. Aber dieser und der
nächstfolgende liessen deutlich erkennen, dass der Augenblasen-
rand, abgesehen von der, ihn in der Mitte in zwei Hälften teilenden
fötalen Augenspalte, wie beim Kaninchen, vier Randkerben,
zwei dorsale und zwei ventrale, besitzt. Die Kerben haben dieselbe
typische Lage wie beim Kaninchen. Am deutlichsten sind die
beiden vorderen oder nasalen, dann folgt, was die Deutlichkeit
angeht, die obere temporale und am undeutlichsten ist wieder
die untere temporale. Alsbald tritt sodann in der Serie am Um-
schlagsrande eine kleine, ungefähr spindelförmige Höhle, ein Rest
des Sehventrikels, auf. Sie entspricht der Höhle, die auf den
Fig. 9, 10 und 11 vom Hund und 13 Taf. XI vom Schwein in der
dorsalen Wand der Augenblase zwischen deren beiden Blättern
zu sehen ist. Sie liegt direkt gegenüber der fötalen Augenspalte.
Sie verschwindet beim Schaf alsbald wieder, ja sie ist, bei einer
Schnittdicke von 15 u, nur auf einem einzigen Schnitte gut sichtbar.
Der auf Taf. XI, Fig. 1 abgebildete Schnitt ist der neunte
der Serie, der das Auge trifft. Er zeigt vor allem die zwei Blätter
‚der Augenblase, die an der ventralen Seite gelegene fötale Augen-
spalte, durch welche Bindegewebe und, an den weiter nach innen
zu folgenden Schnitten, auf denen die Spalte breiter wird, auch
“Gefässe in den Glaskörperraum eindringen, und endlich, an der
dorsalen Wand, die schon im auffallenden Licht sichtbare, mässig
tiefe Einbuchtung, durch die eben die ganze Augenblase in einen
nasalen und temporalen Lappen geteilt wird. Zwischen den
beiden Blättern der Augenblase ist hier kein Hohlraum vorhanden,
‚dagegen findet sich ein solcher jederseits neben der fötalen Augen-
spalte im Umschlagsrand der Augenblase. Er ist hier sogar
auffallend gross und erinnert an die Verhältnisse, die wir beim
Hund und Menschen kennen lernen werden. Das äussere Blatt
‚der Augenblase zeigt keine Differenzierung. Seine runden oder
auch ovalen Kerne liegen nur selten in einfacher Reihe, gewöhnlich
zu zweien oder dreien übereinander. Man muss also wohl das
Epithel als ein mehrreihiges bezeichnen. Alle Kerne liegen näher
an der genetisch basalen, also an der der Aussenfläche der Augen-
blase zugewendeten Seite, als an der freien, dem Innenblatt
zugekehrten. Sie lassen gegen das Innenblatt zu einen hellen
Saum frei. Die Mitosen finden sich stets an der genetisch freien
318 CarlRabl:
Seite. Das Innenblatt der Augenblase zeigt bereits den Beginn
einer Differenzierung. Zunächst ist zu bemerken, dass sich an
seiner Glaskörper- und Linsenseite, die genetisch, wie erinnerlich,
die basale ist, bereits eine helle Zone, ein Randschleier (His),
als erste Anlage der Nervenfaserschicht zu bilden begonnen hat.
Diese reicht indessen nicht bis zur Umschlagsstelle der Augenblase,
also auch nicht bis zum Pupillarrand, wenn sie auch nur in
geringer Entfernung davon aufhört. Man kann also vielleicht
jetzt schon von einer beginnenden Scheidung in eine Pars optica
und Pars caeca sprechen. Ganz besonders schön sind die von
der Glaskörperseite ausgehenden Gliafasern. Die Innenfläche der
tetina ist nicht flach und eben, sondern trägt eine Unmasse
kleiner Zacken und Spitzen, die sich in Gliafasern fortsetzen.
Von den von mir untersuchten Säugetieren eignet sich ausser
dem Schwein keines so vortrefflich zur Untersuchung der ersten
Entwicklung des Glaskörpers, als das Schaf. Am wenigsten
geeignet von allen ist das Kaninchen, etwas, aber nicht viel besser
ist in dieser Beziehung der Hund, sehr gut, wenn auch vielleicht
nicht in demselben Grade, wie das Schaf und Schwein, ist der
Mensch. Die Gliafasern sind natürlich zu dieser Zeit noch sehr
kurz, aber sie lassen sich schon deutlich in einen Faserfilz ver-
folgen, der mit einer Membran abschliesst, die in einigem Ab-
stand die Linse umgibt und die Gefässe an dieser festhält.
Dadurch, dass die Augenblasenwand an der dorsalen Wand
eingebuchtet ist und auf Schnitten, wie dem der Fig. 1, Taf. XI,
bis an die Linse heranreicht, ja deren dorso-mediale Wand sogar
etwas eindrückt, wird der Glaskörperraum in zwei Hälften, eine
nasale und eine temporale, geteilt, wodurch die Lappung des
Auges auf dem Schnitt noch deutlicher hervortritt. Diese Lappung
der Augenblase tritt an den Schnitten, welche die Linse nicht
mehr treffen, noch schärfer hervor, als an dem abgebildeten.
Namentlich schön ist sie auf den Schnitten, welche den Rand-
schleier oder die erste Anlage der Nervenfaserschicht treffen.
An solchen Schnitten ist das Innenblatt der Augenblase mit dem
Aussenblatt wie durch einen Stiel verbunden, zu welchem der
Umschlagsrand in die Länge gezogen erscheint. Ein ähnliches,
nur nicht so auffallendes Bild eines solchen Stieles des Innen-
blattes zeigt die Fig. 8, Taf. XI, vom Hund; allerdings geht der
Schnitt hier viel weiter nach aussen durch das Auge.
Bilaterale oder nasotemporale Symmetrie des Wirbeltierauges.. 319
Was endlich noch die Linse betrifft, so ist sie auf dem
Schnitt der Fig. 1 so getroffen, dass auch ihre dorso-mediale Wand
zu sehen ist. Diese ist viel dicker als die laterale, und zugleich,
wie schon erwähnt, durch die Retina eingedrückt. Die Wand des
Linsenbläschens ist ungemein kernreich, die Kerne liegen in vielen
Reihen übereinander, die Mitosen sind alle der Höhle des Bläs-
chens zugewendet. Im Lumen findet sich ein Rest eines Zell-
detritus, aus dem zu schliessen ist, dass hier ebenso wie beim
Kaninchen zahlreiche Zellen aus der Linsenfaserwand austreten.
Der nächste Embryo, von dem ich eine Sagittalschnittserie an-
gefertigt habe, hatte eine Nackensteisslänge von 9,2 mm und eine
Scheitelsteisslänge von 8,2 mm; die Kopflänge betrug 6,0 mm.
Auch er war noch stark zusammengebogen. Obwohl der Embryo
in allen seinen Maßen grösser war als der vorige, zeigte er sich
doch, wie die Schnittserie lehrte, nicht weiter, ja kaum so weit
entwickelt, wie dieser. Ich habe schon wiederholt in meinen
Arbeiten darauf hingewiesen, dass die Grösse eines Embryo kein
sicherer Maßstab für seinen Entwicklungsgrad ist, dass kleinere
Embryonen weiter entwickelt sein können als grössere und um-
gekehrt. Trotzdem die Entwicklung bei diesem Embryo ungefähr
ebensoweit fortgeschritten war, wie beim vorigen, habe ich doch
aus der Sagittalschnittserie zwei Schnitte abgebildet, weil sie
manches von dem früher Gesagten überaus deutlich vor Augen
zu führen vermögen. — Bevor ich darauf eingehe, bemerke ich,
dass ich mir über diesen Embryo nach der Untersuchung in toto
bei auffallendem Licht notiert habe, dass der dritte Kiemenbogen
viel oberflächlicher gelegen war, als der vierte, welch letzterer
den Boden des tiefen Sinus cervicalis einnahm. Ferner war die
kräftige Ausbildung des Operkularfortsatzes auffallend; bekannt-
lich ist das ein Fortsatz des hinteren Randes des zweiten Kiemen-
bogens oder Hyoidbogens, den Dursy zuerst beschrieb und mit
dem Operkulum oder Kiemendeckel der Knochenfische verglich.
Er hat ihn daher als Operkular- oder Kiemendeckelfortsatz
bezeichnet. Ich besitze nun eine Anzahl gut ausgeführter Zeich-
nungen von Schafembryonen, die ich vor 25—30 Jahren ange-
fertigt habe und die über die Verhältnisse des zweiten Kiemen-
bogens und seines Operkularfortsatzes gute Auskunft geben. Die
Embryonen, deren Gesichter ich gezeichnet habe, hatten eine
Nackensteisslänge von 10,0, 11,0, 11,5 und 13,0 mm, schlossen
320 CarlRabl:
sich also gut aneinander an. Beim jüngsten war der Operkular-
fortsatz nur angedeutet, der dritte Kiemenbogen lag erheblich
tiefer als die beiden ersten, und der vierte wieder tiefer als der
dritte; der letztere am Boden eines dreieckigen Sinus cervicalis.
Ich bemerke dazu, dass beim Schaf, ähnlich wie auch beim
Schwein, der Sinus cervicalis ein etwas anderes Aussehen hat
als beim Kaninchen (vgl. mein Tafelwerk) und beim Hund. Die
Bilder, welche Schafembryonen geben, sehen denen von Schweine-
embryonen viel ähnlicher, als denen von Kaninchen-, Hunde- oder
menschlichen Embryonen. Beim zweiten und dritten der genannten
Schafembryonen war der Operkularfortsatz ausserordentlich schön
und deutlich. Beim zweiten schob er sich schon reichlich bis
zur Hälfte über den dritten Kiemenbogen hinweg, beim dritten
war hinter dem zweiten Kiemenbogen nur mehr ein schmaler
Streifen des dritten Bogens zu sehen und beim vierten war auch
dieser verschwunden. Der Sinus cervicalis stellte beim zweiten
und dritten Embryo eine tiefe Bucht dicht hinter dem dritten
Kiemenbogen dar. Der erste Embryo stand auf dem Stadium
des Schweineembryo I meines Tafelwerkes, der zweite auf dem des
Embryo III, der dritte auf dem des Embryo IV und der vierte
auf dem des Embryos V. Beim vierten Embryo zeigte der Hinter-
rand des zweiten Kiemenbogens, dort, wo beim ersten und zweiten
ein sehr schöner Operkularfortsatz zu sehen war, nur eine leichte
Vorwölbung. Ganz ähnliche Bilder wie der zweite und dritte
Schafembryo gab ein Damhirschembryo, den ich einmal zu
untersuchen Gelegenheit hatte. — Es ist nun sehr merkwürdig,
‚ass beim Kaninchen und Schwein so gar nichts oder fast gar
nichts von einem Operkularfortsatz zu sehen ist. Beim Hund und
der Katze, von denen ich gleichfalls Zeichnungen besitze, ist der
Fortsatz nur angedeutet, und wenn man ihn nicht kennte, würde
man ihn sicher übersehen. Beim Menschen ist er nur ausnahms-
weise gut entwickelt (vgl. mein Tafelwerk Taf. VII. Hier war
€! beim Embryo der Figuren 6 und 7 sehr deutlich zu sehen,
während er bei dem nur um eine Spur älteren Embryo der Fig. 11
fehlte. Bei Eidechsenembryonen ist er, wie ich an meinen Zeich-
nungen sehe, eben noch zu erkennen, bei Hühner- und Iinnten-
embryonen dagegen ungemein deutlich Ja, hier bildet er sich
später noch deutlicher aus und kann bei älteren Embryonen
schon ohne weiteres mit freiem Auge gesehen werden. Er schiebt
Bilaterale oder nasotemporale Symmetrie des Wirbeltierauges.. 321
sich bei der weiteren Entwicklung des Halses mehr und mehr
distalwärts vor und bezeichnet ziemlich genau die jeweilige distale
Grenze des Halses. Diese Tatsachen scheinen darauf hinzuweisen,
dass der Operkularfortsatz, wie überhaupt der ganze Hyoidbogen
in ihrer Ausbildung der Entwicklung des Halses parallel gehen
und dass bei Tieren mit langem Hals der Fortsatz sehr gut ent-
wickelt und der Hyoidbogen sehr breit ist, während bei Tieren
ohne oder mit kurzem Hals das Gegenteil zutrifft. Dabei kommt,
wenigstens soweit es die Säugetiere betrifft, die Zahl der Wirbel
nicht in Betracht, sondern vielmehr der ganze Habitus des Tieres.
Bekanntlich besitzen Giraffe, Schaf und Schwein sehr verschieden
lange Hälse und doch die gleiche Zahl von Halswirbeln: der
Habitus ist also von der Zahl der Wirbel unabhängig. So mag
also der Umstand, dass bei Schaf- und Hirschembryonen der
Operkularfortsatz so gut entwickelt ist, mit der Länge des Halses
der erwachsenen Tiere in einem gewissen Zusammenhang stehen:
wir haben es hier wieder. wie so oft oder, genau genommen,
immer, mit prospektiver Entwicklung zu tun. Nebenbei bemerke
ich bei dieser Gelegenheit, dass die Troddeln der Schafe und
Schweine und wohl auch anderer Tiere, die solche besitzen, wohl
sicher Produkte des zweiten Kiemenbogens sind. Ich verweise
übrigens mit Beziehung auf das Gesagte auf meinen Vortrag
„Über die Entwicklungsgeschichte des Halses“ aus dem Jahre 1885.
Nach dieser Abschweifung, die ich damit zu .entschuldigen
bitte, dass ich nicht so leicht wieder Gelegenheit haben werde,
auf diesen Gegenstand zurückzukommen, kehre ich zur Beschreibung
des Auges zurück. Der erste Schnitt der Sagittalschnittserie
durch den Schafembryo von 9,2 mm Nackensteisslänge, den ich
auf Taf. XI, Fig. 2 abgebildet habe, ist der vierte, der überhaupt
das Auge triftt. Er lässt ganz prachtvoll von den vier erwähnten
Incisuren des Augenblasenrandes drei erkennen: die beiden vorderen
oder nasalen, die ja immer am deutlichsten zu sehen sind und
die obere temporale. Eine untere temporale ist nicht zu sehen.
Ausser den drei genannten Incisuren ist selbstverständlich noch
die tiefe und breite fötale Augenspalte, die ungefähr die Mitte
des unteren Randes einnimmt, vorhanden. Diese lässt reichliches
Bindegewebe mit weiten blutstrotzenden Gefässen durchtreten.
Zwischen den beiden Blättern der Augenblase sind an mehreren
Stellen Spalträume, Reste des Sehventrikels, wahrzunehmen. Der
DD Gall Rabt;:
grösste und deutlichste gehört der dorsalen Wand an und ent-
spricht dem schon früher erwähnten und auch auf den Figuren
9 und 10 vom Hund und 13 vom Schwein abgebildeten Raume.
Weder das dünnere äussere, noch das diekere innere Blatt
der Augenblase lassen etwas von Differenzierung auf diesem
Schnitte erkennen. Das innere Blatt wölbt sich an der dorsalen
Seite etwas gegen die Linse vor und drückt sie ein wenig ein.
Dieses Verhalten wird auf den folgenden Schnitten noch deutlicher:
diese geben ein Bild ganz ähnlich dem der Fig. 1 derselben Tafel.
Auf solchen Schnitten ist der Glaskörperraum vollständig in eine
nasale und temporale Hälfte geteilt. Die Linse umschliesst auf
dem Schnitte der Fig. 2 ein sehr weites Lumen; der Innenfläche
der vorderen Wand liegt ein Rest des von mir in meiner Linsen-
arbeit beschriebenen Zellhaufens auf. In seiner Nähe, aber auch
sonst im Lumen zerstreut, findet sich ein Detritus, der durch .
Zerfall der oberflächlichen Zellen dieses Haufens entstanden ist.
Der zweite Schnitt aus dieser Serie, den ich in Fig. 3, Taf. XI
abgebildet habe, trifft bereits den Augenhintergrund. Er schneidet
das innere Blatt der Augenblase gerade so, dass die Nervenfaser-
schicht, die dem Randschleier des Zentralnervensystems von His
entspricht, getroffen ist. Die bilaterale Symmetrie der Augenblase
springt an diesem Schnitt ohne weiteres in die Augen; der Schnitt
kann durch eine von der Mitte der fötalen Augenspalte bis zur
Mitte der dorsalen Wand ziehende Ebene in zwei symmetrische
Hälften, eine nasale und eine temporale, zerlegt werden. Es
besteht also auch beim Schaf, wie beim Kaninchen, die Retina
aus zwei Lappen. Zwischen den beiden Blättern der Augenblase
findet sich nur zu beiden Seiten der fötalen Augenspalte, inner-
halb der Umschlagsränder, eine Höhle. Sie ist auffallend gross,
ähnlich wie beim Schnitt der Fig. 1, der weiter nach aussen durch
das Auge gelegt ist. Die Nervenfaserschicht, oder besser, der
Randschleier, der dem Gesagten zufolge der Fläche nach getroffen
ist, zeigt folgendes Bild. Er lässt ein überaus feines Netzwerk
von Linien erkennen, das sehr verschieden grosse und verschieden
gestaltete Maschenräume umschliesst, die offenbar mit Flüssigkeit
gefüllt waren. Am Präparate zeigen sie keinen Inhalt. Inner-
halb der Linien des Netzes, nie innerhalb der
Maschenräume, gewahrt man stark lichtbrechende, glänzende,
bei Färbung mit alkoholischem Boraxkarmin intensiv tingierbare
Bilaterale oder nasotemporale Symmetrie des Wirbeltierauges. 323
Körner. Durch Höher- und Tieferstellen des Tubus überzeugt
man sich leicht, dass die glänzenden Körner die Querschnitte von
senkrecht gegen die Oberfläche ziehenden Fasern sind. Nun
sieht man, wie schon die Fig, 1, dann aber noch sehr zahlreiche
andere Figuren dieser und der anderen Tafeln zeigen, auf Schnitten,
welche senkrecht durch die Retina geführt sind, in der Nerven-
faserschicht oder dem Randschleier eine grosse Menge senkrecht
zur Innenfläche ziehender Streifen oder Fäden, wodurch der Rand-
schleier eine senkrechte Streifung annimmt. Es ergänzen und
erklären sich also die Flach- und Querschnitte gegenseitig.
Innerhalb der Linien des Netzwerkes, das man an einem
Flachschnitt durch die Nervenfaserschicht sieht, bemerkt man,
was gleichfalls an dem Schnitte der Fig. 3 zu sehen ist, vereinzelte
Zellkerne, wie solche ja auch auf senkrechten Schnitten durch
die Retina zerstreut vorkommen.
Der dritte Schafembryo, dessen Kopf ich in Sagittalschnitte
zerlegt habe und dessen Auge ich schildern will, hatte eine
Nackensteisslänge von 10,3 mm und eine Scheitelsteisslänge von
8,3 mm; seine Kopflänge betrug 6,6 mm. Er entsprach ungefähr
der als Stadium II bezeichneten Entwicklungsstufe des Schweines
in meiner Arbeit über Gesichtsentwicklung. Nach der Unter-
suchung in toto, im auffallenden Licht. habe ich notiert, dass der
dritte Kiemenbogen tiefer lag als der erste und zweite, was
übrigens auch bei den vorigen Embryonen der Fall war, dass
hinter ihm der Sinus cervicalis folgte, auf dessen Grund der vierte
Kiemenbogen lag, und dass der Sinus cervicalis von der Herz-
wölbung durch eine schmale Leiste getrennt war. — Die Serie
zeigt zunächst wieder den gelappten Pupillarrand der Augenblase
mit den zwei dorsalen und der vorderen ventralen Randkerbe,
während die hintere ventrale Randkerbe, wenn man überhaupt
von einer solchen hier sprechen kann, nur ganz undeutlich ist.
Der obere Randlappen umschliesst wieder eine ganz kleine spalt-
förmige Höhle, die alsbald schwindet. Die obere Wand der Augen-
blase senkt sich, wie früher, in die dorso-mediale Wand des
Linsenbläschens ein und drückt diese etwas ein. Es ist dies auch
an dem auf Taf. XI, Fig. 4 abgebildeten Schnitte aus .dieser Serie
zu sehen. Infolge dieser Einbuchtung der dorsalen Wand erscheint
erstens das ganze Auge auf dem Äquatorialschnitt wieder in einen
nasalen und temporalen Lappen geteilt und zweitens wird durch
324 CarlRabl:
sie der Glaskörperraum in der Mitte bis auf einen ganz minimalen
Spaltraum, in welchem nur ein paar flache Bindegewebszellen
Platz finden, verdrängt. Wie früher, ist also auch jetzt auf solchen
Schnitten der Glaskörperraum in zwei Hälften geteilt, entsprechend:
den beiden Lappen, in die das ganze Auge geteilt erscheint.
Nach innen zu werden die beiden Räume etwas grösser, als sie
auf dem abgebildeten Schnitte zu sehen sind. Bezüglich der
Differenzierung der Retina gilt im wesentlichen das schon früher
(resagte. — Die fötale Augenspalte ist aussen sehr weit und lässt
hier reichliche Mengen gefässführenden Bindegewebes eintreten;
sodann wird sie, wie dies auch der abgebildete Schnitt zeigt,
sehr schmal, um sich schliesslich weiter nach innen gegen den
Augenblasenstiel zu, aber noch am Bulbus selbst, wieder etwas.
zu erweitern und hier die ziemlich weite Arteria hyaloidea in Be-
gleitung von einer geringen Menge Bindegewebes eintreten zu
lassen. Der Augenblasenstiel zeigt zu dieser Zeit noch recht
einfache Verhältnisse; er ist lange nicht so kompliziert wie beim
Kaninchen, wo er in die mediale Wand der Augenblase hinein-
gestülpt ist, woraus, wie erwähnt, sehr merkwürdige Bilder von
Äquatorialschnitten resultieren. — Die fötale Augenspalte erstreckt
sich bei diesem Embryo kaum zwei Schnitte weit (bei einer
Schnittdicke von 15 «) auf den Augenblasenstiel. Dann nimmt
dieser auf dem Schnitte alsbald die Form eines gleichschenkeligen
Dreieckes mit kurzer ventraler Basis und hohen Seitenflächen an,
um schliesslich mit dem Hirn in Verbindung zu treten.
Der vierte Embryo, dessen Auge ich beschreiben will und
dessen Kopf ich in Sagittalschnitte zerlegt habe, entsprach in
der Ausbildung und Konfiguration des Kopfes dem von mir in
meinem Tafelwerk abgebildeten und als Stadium IV bezeichneten
Schweineembryo. Er hatte eine Nackensteisslänge von 12,4 mm
und eine Scheiteisteisslänge von 12,0 mm. Nach der Untersuchung
ın toto habe ich notiert, dass der dritte Kiemenbogen schon vom
zweiten bedeckt war und dass sich hinter diesem eine kleine
Grube als letzter Rest des Sinus cervicalis einsenkte. Im Grunde
dieser Grube steckte wohl sicher, wie früher, der vierte Kiemen-
bogen. Die Grube war kleiner als beim dritten hier beschriebenen
Schafembryo. Wie schon die Tatsache, dass das Auge dieses
Embryo schon reichliches Pigment enthält, beweist, hat die
Differenzierung im Vergieich mit dem vorigen Stadium beträcht-
Bilaterale oder nasotemporale Symmetrie des Wirbeltierauges. 325
liche Fortschritte gemacht. Die Inceisuren des Augenblasenrandes
sind wieder sehr gut sichtbar, vor allem die beiden oberen;
weniger deutlich ist die vordere untere; eine hintere untere ist
nur angedeutet. Im oberen Randlappen ist, wie im vorigen
Stadium, wieder ein allerdings nur auf einigen wenigen Schnitten
sichtbarer Spaltraum zwischen den beiden Blättern der Augen-
blase zu sehen. Die Pigmentierung des Innenblattes beginnt
schon bald hinter dem Umschlagsrand: vom Rande der fötalen
Augenspalte hält sie sich aber noch zunächst sehr weit fern.
Erst auf Schnitten, auf denen die Augenspalte enger wird, tritt
sie näher an diese heran. Die Pigmentkörnchen sind ausschliess-
lich auf die genetisch freie Seite des Blattes beschränkt. Das
Blatt wird nach aussen, gegen den Augenblasenrand zu, dicker
und hier liegen die Kerne mehrreihig übereinander. Auf dem
Schnitt durch den Äquator bulbi aber liegen sie in einfacher
Reihe, sind- rundlich und nehmen die genetisch basale Seite der
Zellen in Anspruch. Alles dieses entspricht den Verhältnissen
beim Kaninchen. Neben der fötalen Augenspalte treten in den
Umschlagsrändern alsbald enge Hohlräume auf. Die Spalte wird
ungefähr in der Äquatorialebene des Bulbus so eng, dass sich
kein Bindegewebe mehr zwischen die Ränder eindrängen kann.
Auf den Schnitten, welche dicht hinter der Linse durch das Auge
gehen, zeigt die Scheidewand, welche die beiden in den Umschlags-
rändern gelegenen Spalträume trennt, die Neigung zu schwinden.
Darin ist die erste Spur des völligen Schwindens der fötalen Augen-
spalte zu erblicken. Erst weit hinten, beim Übergang in den Augen-
blasenstiel, erweitert sich die Spalte wieder, um die Arteria hyaloidea
eintreten zu lassen. Die Spalte setzt sich dann eine Strecke weit
auf den Augenblasenstiel fort. Dieser erscheint, nachdem der
letzte Rest der fötalen Augenspalte an ihm geschwunden ist.
ungefähr kreisrund mit eben solcher Höhle, wird dann oval mit
senkrecht gestellter längerer Achse, das Lumen wird lanzettförmig
und schliesslich setzt sich der Stiel mit dem Hirn in Verbindung. —
Der auf Taf. XI, Fig. 5 abgebildete Schnitt geht ziemlich genau
durch den Äquator des Auges. Er trifft noch die Linse, zeigt
an ihr die in Entwicklung begriffene Linsenfasermasse und an
der Innenfläche ihrer ventralwärts gekehrten Wand den uns schon
bekannten Zellhaufen, der eigentümlicherweise hier mit der Wand
direkt in Verbindung steht. Die Symmetrie des ganzen Auges,
Archiv f. mikr. Anat. Bd.90. Abt.I. 99
326 CarlRabl:
der Retina sowohl, als des Glaskörperraumes, tritt ganz unver-
kennbar zu Tage. Ganz prachtvoll sind an Äquatorialschnitten
durch das Auge in diesem Stadium die von den kegelförmigen
Fortsätzen der Innenfläche der Retina auslaufenden Gliafasern zu
sehen. Diese gehen radiär verlaufend und zahlreiche seitliche
Äste abgebend in den ungemein dichten und feinen Faserfilz über,
der den Glaskörperraum erfüllt. — Was das Pigmentblatt der
Retina betrifft, so beachte man an dem abgebildeten Schnitt, dass
das Pigment erst in einiger Entfernung von der fötalen Augen-
spalte aufzutreten beginnt, dass die Pigmentkörnchen alsbald in
grosser Menge in den Zellen erscheinen, dann aber, gegen die
dorsale Wand zu, immer spärlicher werden. Ebenso sind sie,
wie man sich bei der Verfolgung der Serie überzeugen kann, an
der medialen Wand, also dem Augenhintergrund entsprechend,
nur in geringer Menge vorhanden. Besonders wichtig für die
Orientierung des Auges ist, dass jetzt schon die Anlagen der
Augenmuskeln mit Sicherheit zu erkennen sind. Der Querschnitt
durch die Anlage des Rectus superior liegt über der Mitte der
dorsalen Wand der Augenblase, direkt gegenüber der fötalen
Augenspalte; die Anlage des Rectus inferior, etwas nasal von
der fötalen Augenspalte. Diese Angaben gelten für den Äquatorial-
schnitt durch das Auge.
Der letzte Schafembryo, dessen Augen ich untersuchte, war
schon bedeutend älter. Er mass in der Scheitelsteisslinie 17,6 mm
und in der Nackensteisslinie 15,0 mm. Die Augen waren schon
ziemlich stark schief gestellt, so dass die Augenachsen nach hinten
und zugleich etwas nach oben konvergierten. Infolgedessen gaben
natürlich die Sagittalschnitte durch den Kopf keine reinen Äqua-
torialschnitte mehr durch die Augen; diese waren vielmehr schief
getroffen und es musste die obere temporale Wand in der Schnitt-
serie früher erscheinen, als die untere nasale. Wie die ganze
Augenblase war natürlich auch die Linse nicht rein äquatorial,
sondern gleichfalls schief getroffen. Zufälliger-, und ich muss
in diesem Falle sagen, glücklicherweise war nun die Serie nicht
ganz genau sagittal, sondern ein klein wenig schief geführt und
infolgedessen gingen die Schnitte durch das rechte Auge der
Äquatorialebene mehr parallel, als die durch das linke, wenngleich
auch sie keine reinen Äquatorialschnitte waren. Ich habe daher
von diesem Embryo einen Schnitt durch das rechte, nicht, wie
Bilaterale oder nasotemporale Symmetrie des Wirbeltierauges.. 327
bisher und auch sonst in fast allen Fällen, durch das linke Auge
abgebildet (Fig. 6, Taf. XD). Der Kopf war, wie die anderen
Köpfe, von der linken zur rechten Seite geschnitten; der abge-
bildete Schnitt ist also von der medialen Seite gesehen, zeigt
daher die gleiche Orientierung, wie der eines linken Auges, das
von aussen nach innen geschnitten ist. Die mit n bezeichnete
Wand ist also wieder die nasale, die mit t bezeichnete die tem-
porale. Das Querschnittsbild der Retina und das der Linse zeigen
sofort, dass die Schnittebene schief zur Äquatorialebene verläuft.
Die obere temporale Wand ist näher dem hinteren Pol der Augen-
achse getroffen, als die vordere nasale. Da nun der Grad der
Differenzierung vom hinteren Augenpol nach vorn allmählich
abnimmt, muss die Retina auf einem solchen Schnitt im hinteren
temporalen Quadranten am höchsten, im vorderen nasalen am
wenigsten entwickelt sein. Das, was zunächst an dem abgebildeten
Schnitt in die Augen fällt, ist die eigentümliche viereckige Form
des Schnittes; sie war, wenn auch weniger ausgeprägt, schon in
den früheren Stadien (vgl. namentlich die Figuren 5 und 4) zu
erkennen. Wie beim Kaninchen, erscheint also der Bulbus von
oben nach unten zusammengedrückt.
Die Retina zeigt im oberen temporalen Quadranten, also
dort, wo der Schnitt den höchsten Grad der Differenzierung
erkennen lässt, im wesentlichen denselben Bau, den wir schon
von dem allerdings relativ beträchtlich älteren Stadium der Retina-
entwicklung des Kaninchens kennen, von dem die Fig. 12, Taf. XI
eine Vorstellung gegeben hat. Sie lässt also von innen nach
aussen folgende Schichten erkennen: 1. die Nervenfaserschicht,
die aus dem „Randschleier“ hervorgegangen ist; 2. die Ganglien-
zellenschicht, die dort, wo sie am dicksten ist, mehrere Reihen
von Kernen erkennen lässt; 3. die Anlage der inneren retikulären
Schicht, die aber noch zahlreiche Kerne enthält und weder nach
innen gegen die Ganglienzellenschicht, noch nach aussen gegen
diejenige Schicht, die ich wieder, da sie die mächtigste ist, als
Hauptschicht der Retina bezeichnen will, eine scharfe Grenze zeigt;
endlich 4. die eben genannte Hauptschicht, die mehr als die halbe
Dicke des ganzen Schnittes durch die Retina einnimmt. Sie ist
aussen von einem hellen Saum begrenzt, der senkrecht gestreift
ist und in dem zahlreiche Mitosen, die fast ausnahmslos dicht
unter der äusseren Oberfläche des Innenblattes der Retina, also
22*
os
t
5
F GamsleRabl::
dem Tapetum nigrum zugekehrt, liegen, wahrzunehmen sind.
Die Kerne dieser Hauptschicht sind wieder, wie beim Kaninchen,
zweierlei Art: ovale, blasse und langgestreckte, dunkle: gross ist
übrigens der Unterschied zwischen beiden Arten jetzt noch nicht.
Man kann nun an der Figur ganz gut sehen, dass die Differenzie-
rung der Retina von hinten nach vorn allmählich abnimmt. wenn
man von rechts oben, d.h. von einer dorsal und temporal gelegenen
Stelle, nach links unten, also nach einer ventral und zugleich
nasal gelegenen Stelle des Schnittes weiter schreitet. An der
letztgenannten Stelle ist die Differenzierung noch am weitesten
zurück, hier ist sie nicht weiter fortgeschritten, als im vorigen
Stadium, dem die Fig. 5 entnommen ist. Die Retina lässt also
hier nur die dünne, in der Anlage begriffene Nervenfaserschicht
oder den Randschleier und eine mächtige zellige Schicht, die fast
die ganze Dicke des Querschnittes einnimmt, erkennen. Die Gang-
lienzellenschicht schwindet allmählich von der dorsalen zur ven-
tralen Wand dieses Schnittes, also in Wirklichkeit von
nach vorn, und es macht namentlich an der rechten Seite des
Auges den Eindruck, als ob sie sich mit der Hauptschicht ver-
einigte.
Das äussere oder Pigmentblatt der Retina ist an der dorsalen
Wand, also näher dem hinteren Augenpol, sehr viel dünner und
ärmer an Pigment, als an der dem vorderen Augenpol näheren
ventralen. Am dicksten, gleichzeitig aber auffallend pigmentarm,
erscheint sie an einer ganz kleinen Stelle’ungefähr in der Mitte
der unteren Wand (vgl. die Figur). Es kann keinem Zwe fe]
unterliegen, dass diese Stelle der Verschlußstelle der fötalen
Augenspalte entspricht. Als letzter Rest der Spalte ist jetzt nur die
Eintrittsstelle der Arteria hyaloidea an derUinterfläche des Optikus
zurückgeblieben. Während aber an der Pars optica retinae die
fötale Augenspalte jetzt völlig geschwunden ist, ist sie am vorderen
Teil der Pars caeca, aus dem die Pars iridica hervorgeht, noch
erhalten. Der untere Pupillarrand zeigt an diesem Embryo ein
eigentümliches Verhalten, das ich nicht unerwähnt lassen will.
Man findet nämlich in beiden Augen nasalwärts von der hier
schon im Verschluss begriffenen Augenspalte eine Randkerbe,
Ganz dasselbe sehe ich an einer Sagittalschnittserie durch einen
Embryo von 14,5 mm SS und 13 mm NS, also bei einem etwa®
jüngeren Embryo als dem vorliegenden. Bei einem Embryo von
Bilaterale oder nasotemporale Symmetrie des Wirbeltierauges.. 329
20 mm SS und 17 mm NS kann ich aber von dieser Randkerbe
nichts mehr wahrnehmen. Die beiden zuletzt erwähnten Serien
gehören zu denen, die ich schon vor 25—50 Jahren angefertigt
habe. Namentlich die erste davon zeigt den Embryo in tadel-
loser Fixierung.
Im Glaskörperraum liegt die Linse, umgeben von einem
dichten Gefässnetz und von Glaskörperresten. Die Linse ist nur
mehr im Anschnitt oder wenigstens nahe dem Ende getroffen.
Ventral und zugleich nasal sind zahlreiche Kerne von Linsenfasern
zu sehen. Zwei Schnitte weiter nach innen ist auch dieser Rest
der Linse verschwunden.
Ich habe in die Figur auch die Kontur des (Querschnittes
des Rectus superior eingetragen. Er liegt wieder ziemlich genau
gegenüber der Stelle, wo an der ventralen Wand das Pigment-
blatt der Retina weniger pigmentiert ist, einer Stelle, die, wie
gesagt, der Verschlußstelle der fötalen Augenblase entspricht.
Ill. Hund. Der jüngste Hundeembryo, dessen Kopf ich
in Sagittalschnitte zerlegt habe, stand ungefähr in der Mitte
zwischen den Stadien IX und X des Kaninchens, die ich in meinem
Tafelwerk über die Entwicklung des Gesichtes abgebildet habe.
Die Kopflänge des Embryo betrug 5,5 mm, die anderen Maße
habe ich leider nicht notiert; aber ich habe den Kopf eines Embryo
von genau derselben Kopflänge in drei Ansichten gezeichnet und
auf den Zeichnungen angegeben, dass die NS-Linie des Embryo
7,‘ mm betragen habe. Es ist auffallend, dass Hundeembryonen
dieser Entwicklungsstufe Kaninchenembryonen korrespondierenden
Alters sehr viel ähnlicher sehen, als Schaf- oder Schweine-
embryonen. Kaninchen-, Hunde- und, wie ich hinzufügen kann,
Katzenembryonen haben, wenn ich mich so ausdrücken darf, ein
viel feiner ausgearbeitetes Gesicht, als Schaf- und Schweine-
embryonen. Dies gilt von den jungen Embryonen geradeso wie
von älteren. Auf die Verschiedenheit der Physiognomien junger
Säugetierembryonen habe ich übrigens schon in dem erwähnten
Tafelwerk hingewiesen.
Der Hundeembryo, dessen Auge ich zunächst beschreiben
will, zeigte noch eine weit offene Halsbucht, in deren Grund der
dritte und vierte Kiemenbogen sehr deutlich sichtbar waren. Die
Bucht war nach der dorsalen Seite von der Retrobranchialleiste
330 CarlRabl:
(His) begrenzt, die sich um das Hinterende der Halsbucht ventral-
wärts in einen vor der Herzwölbung gelegenen Streifen fortsetzte.
Wie überall, ist die Retrobranchialleiste nicht in der proximalen
Verlängerung der Extremitätenleiste gelegen, wie His einmal
meinte, sondern ventral davon. Retrobranchial- und Extremitäten-
leiste haben also nichts mit einander zu tun. Ich habe mich
darüber schon vor 30 Jahren („Zur Entwicklungsgeschichte des
Halses“ 1886) geäussert. Das Auge dieses Embryo nun zeigte
folgendes. Von den Randkerben war merkwürdigerweise nur die
untere temporale deutlich zu sehen, also diejenige, welche bei
allen bisher untersuchten Embryonen vom Kaninchen und Schaf
am undeutlichsten war. Der aus dieser Serie auf Taf. XI, Fig. 7
abgebildete Schnitt dürfte das Auge noch etwas nach aussen von
der Äquatorialebene treffen. Das Linsenbläschen ist noch ziemlich
voll getroffen ; es schwindet aber schon am dritten Schnitt hinter
diesem. In der Höhle des Bläschens, und zwar auf diesem Schnitt
an der Linsenfaserwand, liegt etwas Zelldetritus, wie er aus der
hier ausgeschiedenen Zellmasse hervorzugehen pflegt. Solcher
Detritus findet sich auch in den älteren, noch zu beschreibenden
Entwicklungsstadien, sowie auch bei einem jüngeren Embryo,
dessen Nackensteisslänge ungefähr 5,0 mm betrug und von dessen
einem Auge ich eine Frontal-, von dessen anderem ich eine
Horizontalschnittserie besitze, nur in verhältnismässig geringer
Menge vor. Es treten also wohl beim Hund während der Ent-
wicklung der Linse aus der Wand des Linsenbläschens sehr viel
weniger Zellen aus als beim Kaninchen (vgl. meine Monographie
über den Bau und die Entwicklung der Linse). Das, was in erster
Linie an Äquatorialschnitten von Augen junger Hundeembryonen
auffällt, und was auch schon an der Fig. 7, namentlich, wenn man
sie mit den Figuren 1 und 4 vom Schaf vergleicht, unverkennbar
ist, ist ihre beträchtliche Höhe. Namentlich in den folgenden
Stadien (vgl. Fig. 8 und 9 derselben Tafel) übertrifft der vertikale
Durchmesser des Auges den horizontalen oder naso-temporalen
ganz beträchtlich. Diese Eigentümlichkeit habe ich in dieser
starken Ausprägung bei keinem zweiten Säugetier bisher gesehen.
Die fötale Augenspalte ist an dem abgebildeten Schnitte
noch ziemlich breit: sie wird nach innen zu alsbald ganz eng,
um sich erst ganz hinten in der Nähe des Augenblasenstieles
wieder etwas zu verbreitern. Auf den Stiel aber setzt sie sich
Bilaterale oder nasotemporale Symmetrie des Wirbeltierauges. 331
nicht fort. — Der Glaskörperraum ist auf diesem und den benach-
barten Schnitten noch recht eng; der Form nach ist er vielleicht,
namentlich auch im Hinblick auf das nächst folgende Stadium,
als fünfeckig zu bezeichnen, mit nach oben gerichteter Basis und
nach unten, der fötalen Augenblasenspalte zu gewendeter Spitze.
Die bilaterale Symmetrie ist am ehesten noch in der Nähe des
Augenhintergrundes ausgesprochen; sehr deutlich ist sie aber
auch hier zu dieser Zeit nicht. Die Bildung des Randschleiers
hat bereits begonnen. Am meisten ist sie an der dorsalen Wand
und am Augenhintergrund vorgeschritten. Vorn und hinten ist
sie eben erst angedeutet.
Der nächste Embryo hatte eine Kopflänge von 6,0 mm.
Nach der Untersuchung im auffallenden Licht in toto habe ich
notiert, dass er dem Kaninchenembryo des Stadium XI (vgl.
Gesichtsentwicklung) entsprach. Von den Randkerben der Augen-
blase waren die beiden oberen und die vordere untere deutlich;
die hintere obere schien in die hintere untere überzugehen. Der
aus dieser Serie abgebildete Schnitt (Fig. 8) trifft noch das Lumen
des Linsenbläschens; aber schon der nächste geht durch die
mediale Wand desselben. Der zweitnächste Schnitt zeigt an ihrer
Stelle eine sehr weite Arteria hyaloidea. Die Fig. S ist in mehr-
facher Hinsicht von Interesse: erstens übertrifft hier der Höhen-
durchmesser des Auges ganz ausserordentlich den horizontalen;
zweitens ist das Innenblatt der Augenblase unten, an der fötalen
Augenspalte, wie mittels eines Stieles mit dem äusseren Blatt
verbunden, und drittens ist die Form des Glaskörperraumes jetzt
deutlich bilateral-symmetrisch, indem er eine obere nasale und
obere temporale Ecke unterscheiden lässt. Am äusseren Blatt
ist noch auffallend, dass es sowohl im Bereiche des Stieles, wenn
wir diesen noch zu ihm rechnen wollen, als auch rechts und links
davon auffallend dick ist. Im übrigen stellt das äussere Blatt
ein schönes, einreihiges und einschichtiges kubisches Epithel mit
bodenständigen, runden Kernen dar. Die Differenzierung des
inneren Blattes hat nur geringe Fortschritte gemacht. Die Augen-
blasenspalte erweitert sich nach innen etwas, geht aber ebenso-
wenig, wie früher, auf den Augenblasenstiel über. Die Schnitte,
die gerade noch das äussere Blatt der Augenblase treffen, geben
hier Bilder, wie ich sie später von einem menschlichen Embryo
beschreiben werde.
332 CarlRabl:
Der dritte Embryo, dessen Auge ich auf Sagittalschnitten
untersucht habe, hatte eine Kopflänge von 7,6 mm. Die Scheitel-
steisslänge betrug 10,0 mm, die Nackensteisslänge 10,5 mm. Die
Halsbucht war vollständig geschwunden; der vordere Extremitäten-
stummel noch rund. Schon bei der Untersuchung des Embryo
im auffallenden Licht konnte man die bilaterale Symmetrie des
Auges, d.h. seine Teilung in eine vordere oder nasale und hintere
oder temporale Hälfte sehr deutlich und sicher erkennen. Im Grad
seiner Ausbildung entsprach dieser Embryo, wenigstens was den
Kopf betraf, dem Embryo des Stadiums XIV des Kaninchens
(siehe (Gesichtsentwicklung). Schon die ersten Schnitte, die die
Augenblase treffen, zeigen eine tiefe Einbuchtung ihrer dorsalen
Wand. Alsbald nimmt dann die Augenblase eine Form an, die
an den Schnitt der Fig. 13, Taf. XI, vom Schwein erinnert; man
kann also an ihr eine dorsale, vordere und hintere Wand unter-
scheiden. Die drei Wände gehen zwar mit abgerundeten Winkeln
ineinander über, stehen aber doch entschieden senkrecht aufeinander.
An den unteren Rand der beiden Seitenwände setzt sich dann
an den nächsten Schnitten die ventrale Wand an, die in der
Mitte durch die fötale Augenspalte geteilt ist. Der Äquatorial-
schnitt bekommt dann die typische viereckige, beim Hund fast
quadratische Form, wie sie auf der Fig. 9, Taf. XI in die Augen
springt. In der dorsalen Wand tritt jetzt eine Höhle auf, ähn-
lich wie eine solche auch beim Schwein zu sehen ist und wie
sie uns besonders schön auf den Fig. 8$—10, Taf. XI vom Kaninchen
entgegengetreten ist. Der Schnitt der Fig. 9, Taf. XI geht
knapp vor dem Äquator, der zweite, in Fig. 10 aus dieser Serie
abgebildete, etwas weiter nach innen von ihm durch das Auge.
Jener trifft noch die Linse, zeigt deren Lumen und die sehr
schöne Linsenfaserwand mit ihren dicht gedrängten, der basalen
Seite näher als der freien stehenden Kernen. Die Differenzierung
der Retina hat weitere Fortschritte gemacht. Ihre Nervenfaser-
schicht ist namentlich an der oberen Wand sehr dick, nimmt
dann an den Seitenwänden allmählich ab und schwindet an der
ventralen Wand in ziemlicher Entfernung von der fötalen Augen-
spalte vollständig. Das Innenblatt der Augenblase wölbt sich
schon an den vorhergehenden Schnitten etwas gegen die Linse
vor, ähnlich wie dies auch an dem abgebildeten Schnitte zu sehen
ist, aber sie drückt die Linsenwand nicht, wie beim Schaf, ein
Bilaterale oder nasotemporale Symmetrie des Wirbeltierauges.. 333
(vgl. damit die Fig. 1 und 4). Gegen den Augengrund zu wird
die Vorwölbung stärker, so dass man schliesslich fast von einer
flachen, in den Glaskörperraum vorspringenden Falte sprechen
kann. Eine solche ist auch auf dem Schnitt der Fig. 10 zu sehen,
der der sechste hinter dem der Fig. 9 ist und zugleich der erste,
der keine Spur von der Linse mehr erkennen lässt, sondern an
ihrer Stelle lockeres, gefässführendes Bindegewebe. Noch weiter
nach hinten gegen den Augenhintergrund zu wird diese Falte
noch höher und springt schliesslich soweit vor, dass der Glas-
körperraum so niedrig wird, dass der horizontale Durchmesser
mehr als fünfmal so lang wird, als sein vertikaler. Gleichzeitig
vertieft sich auch die von oben und aussen her in das innere
Blatt der Augenblase einschneidende Furche, so dass also in der
Tat die obere Wand des Innenblattes der Retina zwei recht
scharf voneinander geschiedene Lappen erkennen lässt. Die
Scheidung in zwei Lappen wird am Auge noch dadurch deutlicher
und schärfer, dass geradeso, wie beim Kaninchen. von unten her
und zwar von der Stelle, an der sich die fötale Augenspalte
geschlossen hat, eine Falte gegen die Linse und den Glaskörper
vorspringt.
Auf dem Schnitt der Fig. 9, der, wie gesagt, das Auge
dicht vor dem Äquator trifft, ist die Augenspalte noch offen.
aber schon auf dem nächsten Schnitt zeigt sie die Tendenz, sich
zu schliessen und auf dem zweitnächsten ist die Verbindung der
beiden Blätter der Augenblase gelöst und der Zustand erreicht,
den dann auch die Fig. 10 vor Augen führt, wo die beiden
Blätter der Augenblase überall weit voneinander abstehen und
zwischen ihnen in der Mitte der oberen und der unteren Wand
der Augenblase ein grösserer dreieckiger Raum vorhanden ist.
So wird also hier im Prinzip genau so, wie auf dem Schnitt der
Fig. 11, Taf. X vom Kaninchen, durch zwei von der Mitte der
dorsalen und der ventralen Wand vorspringende Falten der Glas-
körperraum in zwei symmetrische, ungefähr gleichgrosse Hälften,
eine nasale und eine temporale, geteilt. Auf der Fig. 10, Taf. XI,
erscheint der Glaskörperraum und natürlich auch der ganze Bulbus
als ein verschobenes Viereck mit etwas eingedrückten Wänden;
die dorsale und ventrale Wand sind dabei tiefer eingedrückt als
die nasale und temporale. — Die Augenspalte ist also jetzt
ungefähr vom Äquator bulbi an bis zum Augenhintergrund ge-
334 OarlRabl:
schlossen; erst hier, wo der Stiel der Augenblase an das Auge
herantritt, öffnet sie sich wieder und lässt drei oder vier Schnitte
weiter nach innen (bei einer Schnittdicke von 15 «) die Arteria
hyaloidea eintreten. Sie bleibt im ganzen ungefähr auf zwölf
Schnitten offen, um nach innen zu allmählich breiter zu werden
und sich schliesslich ganz zu verflachen. Dem Gesagten zufolge
lässt also das Auge des Hundes in diesem Stadium ganz unver-
kennbar eine Teilung in eine nasale und eine temporale Hälfte
erkennen, eine Teilung, die auf einer Lappung des Innenblattes
der Retina beruht und von dieser erzeugt wird.
Der nächste Hundeembryo, dessen Kopf ich in Sagittalschnitte
zerlegt habe, hatte eine Scheitelsteisslänge von 14,0 mm und eine
Nackensteisslänge von 13,3 mm. Er war also schon beträchtlich
grösser als der vorige. Auch standen die Augen nicht mehr so
rein seitlich wie bisher, sondern hatten schon begonnen, sich
nach vorn zu drehen. Daher wurden sie von der Sagittalschnitt-
serie nicht mehr rein äquatorial, sondern etwas schief ge-
troffen. Die bilaterale Symmetrie der Augen war schon bei der
Betrachtung des unzerschnittenen Embryo im auffallenden Licht
deutlich erkennbar. Die vorderen Extremitätenstummel zeigen zu
dieser Zeit schon die ersten Spuren der Zehen, die hinteren noch
nicht. — Was das Auge dieses Embryo betrifft, so bemerke ich
zunächst, dass ich am Pupillarrand, natürlich abgesehen von der
fötalen Augenspalte, keine Inzisuren mehr sehen kann. Die Augen-
blase selbst ist, abgesehen vom Pupillarrand, am ganzen Bulbus
seschlossen, die beiden Blätter der Augenblase haben sich von-
einander getrennt und an der Verschlußstelle ist eine kleine
Höhle aufgetreten, die sich in der Serie bis zum Augenhinter-
grund verfolgen lässt. Eine ähnliche Höhle tritt auch in der
dorsalen Wand der Augenblase direkt gegenüber dieser unteren
Höhle auf; diese beiden Höhlen sind uns schon in früheren
Stadien begegnet. Die obere oder dorsale tritt in der Serie
früher auf als die untere oder ventrale, schwindet aber früher,
während diese, wie erwähnt, bis zum Augenhintergrund reicht.
Die Art. hyaloidea tritt dicht am Auge in den Optikus ein. Auch
beim Hund ist, wie beim Kaninchen und Schaf, im Optikus nur
ein einziges Gefäss enthalten. Auffallend ist die ausserordentlich
geringe Grösse des (uerschnittes des Nervs auf allen nun folgen-
den Schnitten der Serie; man hat in der Tat oft Mühe, den Nerv
Bilaterale oder nasotemporale Symmetrie des Wirbeltierauges.. 33%
zwischen den vielen anderen Gebilden in dieser Gegend — den
Nerven, Gefässen und Muskelquerschnitten — herauszufinden.
Der Schnitt der Fig. 11 geht ungefähr durch den Äquator
bulbi; er ist aber, wie gesagt, kein reiner AÄquatorialschnitt;
damit hängt es zusammen, dass die Wand des Auges oben und
rechts weiter nach innen gegen den Augenhintergrund zu ge-
troffen ist, als unten und links. Demnach erscheint auch die Retina
dort höher differenziert als hier. Wenn auch die Differenzierung
noch nicht so weit gediehen ist als bei dem ältesten Schafembryo,
dessen Auge ich oben beschrieben habe (vgl. Fig. 6), so erinnert
doch das Bild, welches man auf Schnitten erhält, sehr an das
von jenem Embryo. Vor allem sieht man, dass die Retina im
grössten Teil der Pars optica ausser einer Nervenfaserschicht
schon eine Ganglienzellen- und eine innere retikuläre Schicht
unterscheiden lässt. Darauf folgt dann wieder die ungemein
mächtige Hauptschicht, die sich im weiteren Verlauf der Ent-
wicklung zur inneren Körnerschicht, äusseren retikulären, äusseren
Körnerschicht, sowie zur Stäbchen-Zapfenschicht weiter differenziert.
Dort, wo die Ganglienzellenschicht undeutlich zu werden beginnt,
kann man sie auf diesem und den benachbarten Schnitten in die
Hauptschicht übergehen sehen.
Das äussere Blatt der Augenblase ist noch nicht im eigent-
lichen Sinne des Wortes pigmentiert. Wohl aber kann man bei
genauer Untersuchung mit sehr starker Vergrösserung an der
genetisch freien Seite des Pigmentepithels bei Färbung mit Borax-
karmin blassrosarot tingierte Körnchen sehen, die wohl zweifellos
als Vorstufen der Pigmentkörnchen zu betrachten sind. Wie diese
in früheren Stadien der Pigmentierung, fehlen sie unmittelbar
am Umschlagsrand der beiden Blätter, sind in der Pars caeca
viel zahlreicher als in der Pars optica und schwinden hinter dem
Äquator.
Die Linse sowie der Glaskörper mit den Gefässen geben
dasselbe Bild wie beim Schaf.
Im Anschluss an das über das Auge des Hundes Gesagte will
ich noch erwähnen, dass ich aus alter Zeit eine Anzahl von Serien von
Katzenembryonen aufbewahre, von denen für die vorliegende
Arbeit besonders eine Sagittalschnittserie in Betracht kommt,
weil sie zeigt, dass hier das Auge die bilaterale Symmetrie, die
wir an den bisher betrachteten Augen kennen gelernt haben,
336 Carl Rahl:
unzweideutig zur Schau trägt. Ich habe leider damals versäumt
(es sind etwa 30 Jahre verflossen), im frischen Zustand oder
doch nach der Fixierung vor dem Einbetten die Masse abzu-
nehmen. An den sehr schönen Medianschnitten durch den Embryo
beträgt nun die Scheitelsteisslänge 9,0 mm, die Nackensteiss-
länge 9,5 mm und die Kopflänge ungefähr 7,5 mm. Es kommt
aber natürlich in Betracht, dass beim Einbetten in Paraffin die
Objekte schrumpfen. Die Maße müssen also ursprünglich durch-
wegs grösser gewesen sein als die angegebenen. Vor der Ein-
bettung dürfte der Embryo vielleicht noch ein klein wenig grösser
gewesen sein als der Hundeembryo Nr. III, dessen Auge ich oben
beschrieben habe. Jedenfalls stand er diesem Embryo in seiner
Entwicklung näher als dem zuletzt beschriebenen. Die Sagittal-
schnittserie zeigt, dass das Auge, geradeso wie beim Hund, einen
fast quadratischen Querschnitt hat. Der Glaskörperraum lässt
also ebenfalls zwei Buchten, eine nasale und eine temporale,
unterscheiden. Die fötale Augenspalte ist in der ganzen Aus-
dehnung des Bulbus geschwunden, die beiden Blätter der Augen-
blase haben sich voneinander getrennt und zwischen ihnen ist
an der Verschlußstelle ein kleiner dreieckiger Raum aufgetreten.
Das, was am Auge dieses Embryo ganz besonders auflällt, ist
die ausserordentlich starke Pigmentierung der vorderen Bulbus-
hälfte. Namentlich im Bereich der Pars caeca, und hier umso-
mehr, je weiter nach vorn, ist die Pigmentanhäufung an der
genetisch freien Seite des äusseren Blattes der Augenblase sehr
stark. Im Bereiche des Äquators ist sie viel geringer, und noch
weiter nach hinten scheint sie allmählich ganz zu schwinden.
Während also selbst bei dem zuletzt beschriebenen Hundeembryo,
der doch entschieden relativ älter und weiter entwickelt war als
dieser Katzenembryo, die Pigmentierung erst gewissermassen in
Vorbereitung war, war sie bei der Katze schon sehr weit fort-
geschritten.
IV. Schwein. Vom Schwein habe ich eine ziemlich grosse
Zahl von Embryonen in Sagittal-, Quer- und Frontalschnitte zer-
legt. Zur Untersuchung der Lappung der Retina und überhaupt
der Symmetrie des Bulbus sind, wie schon erwähnt, die Sagittal-
schnittserien, die das Auge bei jüngeren Embryonen, bei denen
es noch eine rein seitliche Lage hat, äquatorial treffen, weitaus
Bilaterale oder nasotemporale Symmetrie des Wirbeltierauges. 337
am geeignetsten. Von den in meinem Tafelwerk über die Ent-
wicklung des Gesichtes in je drei Ansichten gezeichneten Schweine-
embryonen habe ich die ersten fünf in Sagittalschnitte zerlegt.
Der jüngste dort gezeichnete Embryo hatte eine Nackensteisslänge
(NS) von 8,8 mm und eine Scheitelsteisslänge (SS) von 7,7 mm
Länge; er war also noch stark zusammengebogen. Ausserdem
habe ich den Kopf eines genau gleichweit entwickelten zweiten
Embryo in Querschnitte zerlegt. Solche Schnitte durch den Kopf,
welche ventral die stärkste Vorwölbung des Vorderhirnes und
dorsal die dem Isthmus rhombencephali entsprechende Einsenkung
treffen, müssen, wovon man sich bei der Betrachtung meiner
Figuren leicht überzeugen kann, das Auge zu dieser Zeit ungefähr
in der Richtung seines horizontalen Meridians schneiden. Später,
wenn das Öbergesicht, vor allem die Rüsselregion, sich stärker
ausbildet, nimmt das Auge eine etwas andere Stellung ein, so dass
Schnitte in der oben angegebenen Richtung nicht mehr dem
horizontalen Meridian entsprechen, sondern diesen in spitzem
Winkel schneiden. In meiner Gesichtsentwicklung habe ich eine
sehr ausführliche Charakteristik von Embryonen dieses Entwick-
lungsstadiums gegeben. Über die Entwicklung des Auges habe
ich folgendes gesagt: „In Beziehung auf die Ausbildung des
Auges, der Nase, des (sehörbläschens und der Kiemenbogen ent-
spricht der Embryo am meisten dem Kaninchenembryo des
Stadiums IX ...... Über der Wölbung, welche vom Auge vor-
getrieben wird, bemerkt man im auffallenden Lichte eine kleine
trichterförmige Grube, so dass man den Eindruck bekommt, dass
das Linsenbläschen noch nach aussen offen ist. Dies ist aber
nicht der Fall. Auf Querschnitten sieht man, dass die Öffnung,
wie schon Keibel richtig bemerkt hat, durch einen Zellpfropf
verschlossen wird. Dieser Pfropf ragt ziemlich weit in die Höhle
des Bläschens hinein. Er ist von zahlreichen Körnchen durchsetzt,
wie sie sich auch sonst in den Rändern der Einstülpungsöffnung
finden. Eine andere Eigentümlichkeit des Linsenbläschens besteht
darin, dass sein Boden ganz frei von jener Zellwucherung ist,
welche ich für das Kaninchen beschrieben habe. Bei meiner Be-
arbeitung des Baues und der Entwicklung der Linse hatte ich
vom Schwein kein so junges Stadium untersucht, und wir lernen
also jetzt eine neue, sehr interessante Modifikation kennen, eine
Modifikation, welche zeigt, dass die Entwicklung der Organe
338 CarlRabl:
je nach den einzelnen Tierarten spezifische Unterschiede auf-
weist.“
In Beziehung auf die Retina lehrt die Sagittalschnittserie, dass
der Rand der Augenblase ausser der fötalen Augenspalte noch die
erwähnten Randkerben zeigt; und zwar ist hier auch die temporale
untere Kerbe deutlicher als gewöhnlich zu erkennen. Von einer
Lappung lässt das Innenblatt der Augenblase nur insofern etwas
wahrnehmen, als die dorsale Wand ganz deutlich in den Glas-
körperraum vorgewölbt ist und diesem dadurch die schon wieder-
holt bemerkte Scheidung in eine nasale und eine temporale Bucht
aufzwingt. Die äussere Kontur des Innenblattes der Augenblase
aber, die der Pigmentschicht zugekehrt ist, ist vollkommen rund,
wie diese selbst. Die Differenzierung der Retina in eine Pars
optica und Pars caeca hat insofern schon begonnen, als sich an
jener bereits ein Randschleier als erstes Entwicklungsstadium
der Nervenfaserschicht gebildet hat. Dieser Randschleier ist an
dem in den Glaskörperraum vorspringenden Wulst der oberen
Wand am dicksten. — Vielleicht eignet sich, etwa vom Schaf ab-
gesehen, kein anderes Säugetier so vortreftllich zum Studium der
Entwicklung des Glaskörpers, wie das Schwein, das noch den
Vorzug hat, dass Schweineembryonen in normalen Zeiten stets in
grosser Menge zu haben sind. Schon in diesem Stadium sieht
man (und zwar besser auf Horizontal- als auf Sagittalschnitten
durch das Auge) von den jetzt schon oft und von vielen Unter-
suchern beschriebenen kegelförmigen Erhebungen der Innenfläche
der Retina die Gliafasern ausgehen und bis in den von mir be-
schriebenen perilentikulären Faserfilz ziehen, in welchen anderer-
seits auch die von den kegelförmig ausgezogenen basalen Enden
der Linsenzellen auslaufenden Fortsätze übergehen, auf die be-
kanntlich v. Lenhossck bei seiner Ableitung des Glaskörpers von
der Linse so grosses Gewicht gelegt hat. Zuweilen sieht man
einen ganz besonders kräftigen und stark vorspringenden Retina-
kegel und einen basalen Linsenkegel durch eine Brücke miteinander
verbunden. — Die fötale Augenspalte ist zu dieser Zeit in ganzer
Ausdehnung offen und ziemlich weit.
Der nächste Embryo, den ich in der Arbeit über Gesichtsent-
wicklung auf Taf. V, Fig. 2 abgebildet habe, war in der Nacken-
steisslinie (NS) 10,0 mm, in der Scheitelsteisslinie (SS) 9,0 mm
lang. Ich habe damals bemerkt, dass der Embryo dem Embryo
Bilaterale oder nasotemporale Symmetrie des Wirbeltierauges. 339
der Fig. 17 der Keibelschen Normentafeln, dessen Alter auf
21 Tage angegeben ist, am nächsten kommen dürfte. Gegenüber
dem vorigen hat er nur geringe Fortschritte in der Entwicklung
gemacht. Diesen Embryo habe ich in Sagittalschnitte zerlegt,
einen zweiten von derselben Grösse in Querschnitte, auf denen
also wieder das Auge parallel dem horizontalen Meridian getroffen
ist. Endlich bewahre ich noch zwei weitere Serien durch je ein
Auge gleichweit entwickelter Embryonen auf, von denen die eine
frontal, die andere horizontal durch den Kopf geführt ist. Auch
in diesem Stadium sind die Einkerbungen des Pupillarrandes, vor
allem der zwei dorsalen, deutlich erkennbar. In der dorsalen
Wand der Augenblase tritt alsbald eine Höhle auf, die sich rasch
vergrössert und bis zum Augenhintergrund reicht. Der auf Taf. XI
Fig. 12 abgebildete Schnitt aus dieser Serie zeigt das dicke innere
und das dünne einschichtige und grösstenteils einreihige, äussere
Blatt der Augenblase und zwischen beiden, nach links oben weit
‚ausgedehnt, einen mächtigen Hohlraum. Auf den weiter nach
innen gegen die mediale Wand der Augenblase zu folgenden
Sehnitten setzt sich dieser Hohlraum auch in die rechte, d.h.
temporale Wand der Augenblase fort. Wie die erwähnte, parallel
zur Ebene des horizontalen Meridians geführte Serie zeigt, beruht
‚die asymmetrische Ausdehnung des Hohlraumes bei dem Embryo,
dem der Schnitt der Fig. 12 angehört, sicher auf einseitiger
Schrumpfung; denn an dieser Horizontalschnittserie, die nicht
die leiseste Spur einer Schrumpfung zeigt, ist der Raum im ver-
tikalen Meridian am grössten und schwindet von hier aus ganz
gleichmässig nach vorn und hinten, so dass also an der nasalen
oder vorderen und temporalen oder hinteren Wand die beiden
Blätter der Augenblase unmittelbar aneinander liegen. Es ist dies
ganz gewiss das typische und normale Verhalten dieses Hohlraumes
zu dieser Zeit der Entwicklung: ein in der Nähe des Pupillar-
vandes der Augenblase beginnender Spaltraum zieht im vertikalen
Meridian an der dorsalen Wand der Augenblase nach hinten bis
zum Optikuseintritt. Dieser Raum zeigt auf dem Schnitt unge-
fähr mondsichelförmige Gestalt; er ist natürlich auf den Seh-
ventrikel zurückzuführen; steht er doch zu dieser Zeit noch
durch den Augenstiel mit dem dritten Ventrikel in Verbindung.
Im innigsten Zusammenhang mit der Bildung dieses Spaltraumes
steht die Vorwölbung der dorsalen und medialen Wand des Innen-
340 CarlRabl:
blattes der Augenblase in den Glaskörperraum und gegen die
mediale Fläche der Linse. Von dieser Vorwölbung ist an dem
abgebildeten Schnitt nur insofern etwas zu merken, als die Innen-
fläche des retinalen Blattes der Augenblase einen flachen, in den
(Glaskörperraum vorspringenden Wulst bildet, während an der
Aussenfläche nur eine Abflachung wahrnehmbar ist. Instruktiver
ist in dieser Beziehung die erwähnte Horizontalschnittserie. die
den im vertikalen Meridian verlaufenden, vom Innenblatt der
Augenblase vorgetriebenen Wulst ungemein deutlich erkennen lässt.
Demnach ist die Retina und im Zusammenhang da-
mitder Glaskörperraum in zwei Hälften geteilt,eine
nasale und eine temporale; ja auf den genau dem horizon-
talen Meridian folgenden Schnitten erscheint der Glaskörperraum
vollständig in zwei voneinander getrennte Räume getrennt, indem
sich in der Mitte zwischen die mediale Wand der Linse und den
vertikalen Wulst der Retina das gefässreiche Bindegewebe ein-
schiebt, das durch die fötale Augenspalte eindringt. Wenn also
auch an dem abgebildeten Schnitt, der das Auge etwas medial vom
Äquator trifft und die hintere Wand der Linse anschneidet, von
einer bilateralen Symmetrie wenig zu merken ist, so ist sie doch
in diesem Stadium schon ganz zweifellos vorhanden.
Von weiteren Eigentümlichkeiten erwähne ich, dass, wie
schon Keibel richtig angegeben hat, bei Embryonen dieses
Stadiums die Pigmentierung der Retina bereits begonnen hat:
sie beginnt in geringer Entfernung vom Pupillarrand und in
etwas grösserer von der fötalen Augenspalte (vergl. die Figur)
und nimmt gegen den Augenhintergrund rasch ab, so dass dieser
in der Mitte kaum etwas von Pigmentierung erkennen lässt. In
der vorderen oder äusseren Hälfte des Auges ist das Pigment-
blatt der Retina viel dicker als in der hinteren, aber überall ein-
schichtig, wenn auch vorn stellenweise zweireihig.
An den mit Delafield und Eosin gefärbten Horizontal-
schnitten ist zu sehen, dass sich die Aussenseite des reti-
nalen Blattes der Augenblase im Bereiche der vorderen Hälfte
des Auges ziemlich stark rot färbt. Dieser rote Saum beginnt
dicht hinter dem Pupillarrand und hört, indem er allmählich
schmäler wird, in geringer Entfernung hinter dem Äquator
auf. An der hinteren Wand, also am Augenhintergrund, rücken
die Zellkerne bis an die Aussenfläche der Retina heran und hier
Bilaterale oder nasotemporale Symmetrie des Wirbeltierauges. 341
fehlt auch der rote Saum. An einer Frontalschnittserie durch
einen gleich grossen Embryo reicht der Saum noch ziemlich weit
über den Äquator hinaus, lässt aber gleichfalls die Mitte des
Augenhintergrundes frei.
Über die Linse habe ich schon in der zitierten Arbeit
bemerkt, dass ihre Höhle nur noch wenige unbedeutende Zell-
reste enthält. An zwei der erwähnten Serien kann ich in jedem
Auge höchstens noch zwei Zellen oder Zellreste im Lumen der
Linse sehen.
Den nächsten Embryo, den ich in Sagittalschnitte zerlegt
habe, habe ich in der Arbeit über Gesichtsentwicklung auf Taf. V
als Stad. III in drei Ansichten abgebildet. Seine Nackensteisslänge
(NS) betrug 11.6 mm, seine Scheitelsteisslänge (SS) 12.5 mm.
Ausser dieser Serie besitze ich noch sieben andere durch unge-
fähr gleichaltrige Embryonen, die zum grössten Teil frontal, eine
davon auch horizontal durch das Auge geführt und in verschie-
dener Art gefärbt sind; sie haben mir seinerzeit, sowie zahlreiche
andere Serien, zum Studium der Entwicklung des Glaskörpers und
der Linse gedient. Die Grösse der betreffenden Embryonen habe
ich mit 11, ca. 11, 12, und ca. 12 mm NS notiert. Ich fasse
alle diese Embryonen mit dem zuerst erwähnten, in Sagittal-
schnitte zerlegten, als ein Stadium zusammen. Wie aus den für
den ersten Embryo angegebenen Maßen (NS = 11,6, SS = 12,5 mm)
hervorgeht, war der Abstand zwischen Scheitel- und Steiss-
krümmung zu dieser Zeit schon etwas grösser, als der zwischen
Nacken- und Steisskrümmung; es hatte sich also der Kopf des
Embryo etwas aufgerichtet. Ich habe in meiner Arbeit über
Gesichtsentwicklung bemerkt, dass es sehr schwer hält, zu be-
stimmen, welchem der Keibelschen Embryonen dieser Embryo
(Stad. III) entspricht: vielleicht steht er in der Mitte zwischen
den Embryonen 19 und 20, die beide 22 Tage nach der
Bbegattung dem Uterus des Muttertieres entnommen sind. Eine
genaue Charakteristik des Embryo habe ich schon damals gegeben.
Wie aus der Abbildung Illa in jener Arbeit ohne weiteres zu
ersehen ist, kann man die bilaterale Symmetrie des Auges, d. h.
die Teilung in eine nasale und temporale Hälfte, jetzt schon bei
auffallendem Licht am unzerschnittenen Embryo gut erkennen.
Die Sagittalschnittserie, an die ich mich bei der Beschrei-
bung halte, gibt ganz prächtige Bilder. Von den Inzisuren des
Archiv f. mikr. Anat. Bd. 90. Abt. I. 23
342 CarlRabl:
Pupillarrandes ist die obere nasale weitaus die deutlichste. Bei
der Verfolgung der Serie von aussen nach innen sieht man als-
bald die Schnitte eine viereckige Form annehmen, wie sie für
die parallel zur Äquatorialebene geführten Schnitte solcher Säuge-
tieraugen ganz charakteristisch und typisch ist. Das Rechteck
ist mit den längeren Seiten horizontal gestellt. Wir können
also, wie beim Kaninchen, Schaf und Hund, wieder eine dorsale,
nasale, temporale und ventrale Wand unterscheiden. Letztere
ist in der Mitte durch die fötale Augenspalte geteilt, die dorsale
dagegen enthält eine Höhle, die in der Richtung des vertikalen
Meridians nach hinten läuft, aber bei diesem Embryo den Augen-
hintergrund nicht erreicht. Die Höhle ist etwas kleiner als im
früheren Stadium. Trotzdem aber in der dorsalen Wand dieser
Spaltraum zwischen den beiden Blättern der Augenblase vorhanden
ist, läuft doch auch noch über die äussere Oberfläche des Auges
im vertikalen Meridian eine flache Furche, welcher innen eine
ziemlich mächtige, in den Glaskörperraum vorspringende Falte
des retinalen Blattes der Augenblase entspricht. Man kann jetzt
die Lappung der Retina sowie des ganzen Auges mit grosser
Leichtigkeit sehen.
Die fötale Augenspalte ist noch nirgends geschlossen, wenn
sie auch an einer beschränkten Stelle der Pars optica schon die
Neigung dazu erkennen lässt. Sie erstreckt sich über die ganze
ventrale Wand des Auges und setzt sich auch noch ein wenig
auf den Optikus fort. In den die fötale Augenspalte begrenzenden
Umschlagsrändern der Augenblase ist, wie beim Kaninchen und
Hund, eine kleine Höhle enthalten. Die Pigmentierung beginnt
erst in ziemlich grosser Entfernung von der Spalte; sie verhält
sich im allgemeinen so wie im vorhergehenden Stadium.
Die Nervenfaserschicht oder der Randschleier der Retina
hat an Dicke beträchtlich gewonnen. Was die sieben anderen
Schnittserien durch Augen gleichaltriger oder ungefähr gleich-
altriger Embryonen betrifft, von denen ich oben gesprochen
habe, so bestätigen sie, wie zu erwarten war, die an Sagittal-
schnittserien angestellten Beobachtungen. Die Serien waren
durchwegs recht dünn (5 bis höchstens 7,5 «) geschnitten und
in verschiedener Weise gefärbt (Hämatoxylin nach Delafield,
alk. Boraxkarmin, Cochenille-Alaun und Nachfärbung mit Eosin,
Säurefuchsin, Methylgrün, Bismarckbraun). Für den Nachweis
Bilaterale oder nasotemporale Symmetrie des Wirbeltierauges. 343
der Gliafasern des Glaskörpers ist es wichtig, die Präparate
möglichst stark zu färben; ich habe daher die Grundfarbe (Häma-
toxylin ete.) möglichst stark angewendet und dann entweder nur mit
destillierttem Wasser ausgewaschen oder, bei Boraxkarminfärbung,
nur sehr wenig mit salzsaurem Alkohol differenziert. Treibt man die
Differenzierung zu weit, so kommt es leicht zur Entfärbung der
Gliafasern. Wer sich an so behandelten, gut gefärbten Präpa-
raten von der Entwicklung des Glaskörpers und seiner Fasern
aus der Retina nicht überzeugen kann, ist überhaupt nicht zu
überzeugen. Dass an dem Aufbau des Glaskörpers später auch
das mit den Blutgefässen einwuchernde und eingewucherte Binde-
gewebe teilnimmt, ist nicht zu leugnen ; deshalb aber den Glas-
körper als eine Mischung echter, also ektodermaler, Glia und
mesodermalen Bindegewebes anzusehen, liegt kein Grund vor,
ebensowenig wie man das Zentralnervensystem deshalb, weil in
dasselbe mit den Gefässen auch Bindegewebe eindringt, als eine
Mischbildung aus Ektoderm und Mesoderm bezeichnen wird.
Die wesentlichen Bestandteile sind doch die Derivate des Ekto-
derms.
An den mit Eosin nachgefärbten Präparaten sieht man
wieder den hellen Saum an der Aussenfläche des Innenblattes
der Augenblase. Auch jetzt erreicht er den Augenhintergrund
noch nicht. Dagegen zeigt die Mehrzahl der Serien hier schon
eine Pigmentierung des Aussenblattes; an zwei Serien ist sie
sogar ganz besonders stark, während an einer anderen die Pig-
mentierung überhaupt, also auch vorn, fast völlig fehlt. Immer
nimmt sie, wie schon geschildert wurde, von vorn nach hinten
ab. In Beziehung auf die Stärke zeigt sie eine beträchtliche
Variabilität.
Vom nächsten Stadium (Tafelwerk Taf. VI, Stad. IV) besitze
ich wieder eine Sagittal-, eine Frontal- und eine Horizontal-
schnittserie; in die Sagittalschnittserie wurde wieder der abge-
bildete Embryo zerlegt. Dieser mass in der Nackensteisslinie (NS)
12,4 mm, in der Scheitelsteisslinie (SS) 12,9 mm. Er dürfte
dem Embryo der Fig. 21 der Keibelschen Normentafeln ent-
sprochen haben. Der Fortschritt, den er gegenüber dem früheren
zeigt, ist nicht sehr gross. Wie die Figuren IVa und IV b (Tafel-
werk) sehr deutlich zeigen, war die bilaterale Symmetrie des
Auges schon ohne weiteres am unzerschnittenen Embryo zu sehen.
23*
344 CarlRabl:
Sie gibt sich hier vor allem durch die eigentümliche Form des
Pupillarrandes zu erkennen. Ich habe auf Taf. XI, Fig. 15 den
vierten Schnitt der Serie gezeichnet, der die Augenblase trifft.
Der erste dieser vier Schnitte enthält nur den Anschnitt der
dorsalen Wand; am nächstfolgenden tritt in dieser schon die
Höhle auf, die auch an dem abgebildeten Schnitte zu sehen ist.
Zugleich sind der vordere und hintere Randlappen im Anschnitt
getroffen und man erkennt die beiden dorsalen Inzisuren des Pupil-
larrandes. Auf dem dritten Schnitt beginnt im oberen Randlappen
die Pigmentierung aufzutreten, um dann auf dem vierten, dem
abgebildeten, stärker zu werden. Man sieht an der Figur, wie
weit vom Umschlagsrand entfernt die Pigmentierung beginnt.
Der Schnitt geht durch die Pars caeca, weshalb noch keine Nerven-
faserschicht am inneren Blatt zu sehen ist. Eine solche tritt
erst an den weiter nach innen zu folgenden Schnitten auf.
Auf den nächstfolgenden Schnitten setzt sich allmählich an
den unteren Rand der nasalen und temporalen Wand auch die
ventrale, durch die Augenblasenspalte geteilte Wand an. Von den
ventralen Inzisuren des Umschlagsrandes ist nur die vordere zu
erkennen. Dadurch erhält der Schnitt endlich das Aussehen der
Fig .14, Taf. XI, der der sechste medianwärts vom vorigen (Fig. 13)
ist. Es ist das wieder ein typisches Bild eines ziemlich genau
durch den Äquator geführten Schnittes durch ein Auge aus diesem
Entwicklungsstadium. Die Form des Schnittes ist ein Viereck
mit abgerundeten Ecken und einer dorsalen, nasalen, temporalen
und ventralen Wand; die erstere enthält eine Höhle, die letztere
ist in der Mitte durch die Augenspalte geteilt. In ziemlich
grosser Entfernung von dieser und zwar auffallenderweise nasal-
wärts in grösserer, als temporalwärts, beginnt die Pigmentierung.
In den Umschlagsrändern sind kleine Hohlräume enthalten, im
nasalen ein grösserer als im temporalen; jedoch wird auch dieser
schon auf dem nächsten Schnitt grösser und ist dann fast ebenso
weit, wie der im nasalen Rande. Die Spalträume in den Um-
schlagsrändern sind natürlich dort, wo sich diese an der Augen-
spalte aneinander legen, durch eine aus zwei Lamellen bestehende
Wand voneinander getrennt. Diese Wand setzt sich aus dem
äusseren, hier nicht pigmentierten Blatt der Augenblase fort. Das
dadurch gebildete Septum zwischen den beiden Spalträumen zeigt
schon auf dem zweitnächsten Schnitt die Tendenz zu schwinden
Bilaterale oder nasotemporale Symmetrie des Wirbeltierauges.. 345
und ist auf dem drittnächsten nicht mehr ganz vollständig. Die
Fig. 15 zeigt die Mitte der unteren Wand des fünften Schnittes der
Serie, nach einwärts von dem in Fig. 14 abgebildeten. Die Höhlen
der beiden Umschlagsränder sind miteinander zu einem grossen,
auf dem Schnitt dreieckigen Raum zusammengeflossen, wie wir
ihn schon beim Hund (Taf. XI, Fig. 11) und Kaninchen (Taf. X,
Fig. 11) kennen gelernt haben. Die Spalte bleibt an diesem
Auge im ganzen an sieben Schnitten der Serie geschlossen. Auf
dem Schnitt, dem die Fig. 15 entnommen ist, ist nichts mehr
von der Linse zu sehen; der letzte Schnitt, der noch etwas von
ihr zeigt, ist der zweitvordere. — Nun geht es in der Serie rasch
zum Augenhintergrund. Der in Fig. 16 abgebildete Schnitt ist
der zehnte medianwärts von dem in Fig. 14 abgebildeten (bei
einer Schnittdicke von 15 «). Er trifft das Innenblatt der
Augenblase am Augenhintergrund und zeigt die Lappung mit einer
Deutlichkeit, die kaum übertroffen werden könnte. Die Furche,
die dem vertikalen Meridian entlang läuft und uns schon an dem
Schnitt der Fig. 14, ja selbst an dem der Fig. 13 begegnet ist,
schneidet also in die dorsale Wand des Innenblattes der Augen-
blase bis zum Augenhintergrund ein. Schnitte, die etwas weiter
lateral durch den Augenhintergrund geführt sind und die Nerven-
faserscbicht der Retina treffen, geben Bilder, ähnlich dem in
Fig. 3, Taf. XI vom Schaf abgebildeten; nur fehlt an ihnen die
fötale Augenspalte. Diese ist zwar auf dem Schnitt der Fig. 16
wieder vorhanden; sie hat aber erst auf dem unmittelbar vorher-
gehenden Schnitte begonnen, sich wieder bemerkbar zu machen.
Sie ist sehr eng und enthält eine Bindegewebslamelle, die oben
und unten je einen Gefässquerschnitt umschliesst. Der Schnitt
der Fig. 17 ist der dritte Schnitt medianwärts von dem der Fig. 16.
Er zeigt das Tapetum nigrum schräg geschnitten, daher scheinbar
mehrreihig, obwohl es, wie Frontal- und Horizontalschnitte lehren,
fast überall sehr deutlich einschichtig und einreihig ist. Die
Augenspalte ist hier bedeutend erweitert. Sie setzt sich auch
noch, wie die Fig. 18 zeigt, die den dritten Schnitt nach innen vom
vorigen zeigt, auf den Optikus fort. Der Schnitt der Fig. 18 ist
übrigens der erste, der keine Spur des Tapetum mehr zeigt; er
trifft also den Optikus unmittelbar vor seinem Eintritt in die Retina.
Die Rinne an seiner Unterfläche dringt sehr wenig tief ein. Sie
verflacht sich bald, um nicht sehr weit von hier entfernt zu
346 CarlRabl:
schwinden. Sodann zeigt der Optikus im weiteren Verlauf zunächst
einen elliptischen Querschnitt mit horizontal gestellter langer Achse
und horizontalem schmalem Lumen. Diese Form des Querschnittes
ändert sich erst in der Nähe des Gehirns.
Endlich bemerke ich, dass am rechten Auge desselben Embryo
die Augenspalte zwar gleichfalls geschlossen ist, dass aber das
Septum, das die Spalträume der beiden Umschlagsränder von-
einander trennt und zugleich die beiden Blätter der Augenblase
miteinander verbindet, nur auf einem einzigen Schnitt und auch
da nur in ganz minimaler Ausdehnung durchbrochen ist.
Die Frontal- und Horizontalschnitte durch das Auge gleich-
altriger Embryonen, die mit Boraxkarmin und Delafieldschem
Hämatoxylin vorgefärbt und mit Eosin nachgefärbt sind und die
eine Dicke von 7,5 u besitzen, bestätigen in allen Punkten das
(resagte. Der helle rosarote Saum an der Aussenfläche des Innen-
blattes reicht jetzt bis zum Augenhintergrund, ebenso die Pigmen-
tierung des äusseren Blattes. Auch an diesen Schnitten sind die
Gliafasern ganz wunderbar klar und deutlich zu sehen. —
Was ältere Schweineembryonen betrifft, so habe ich aus den
zahlreichen Schnittserien, die ich von ihnen besitze, keine Schnitte
mehr abgebildet, da ich die Hauptaufgabe der vorliegenden Arbeit
in dem Nachweis der primären Scheidung der Retina in einen
vorderen nasalen und hinteren temporalen Lappen erblicke. Ich
kann aber doch nicht ganz mit Stillschweigen über die zahlreichen
interessanten Tatsachen hinweggehen, die meine Präparate zeigen.
Das Auge des unter der Bezeichnung Stad. V in meinem Tafel-
werk abgebildeten Embryo, der eine NS von 13,4 mm und eine
SS von 14,8 mm hatte, gibt auf Schnitten, die dicht hinter der
Linse geführt sind, Bilder, die sehr an das der Fig. 11, Taf. X
vom Kaninchen erinnern, mit dorsaler und ventraler Falte, nur
dass die dorsale Falte mehr der Falte der Fig. 14, Taf. XI vom
Schwein ähnlich sieht. Wie auf dem Schnitt durch das Kaninchen-
auge sind in den beiden Falten zwischen den Blättern der Augen-
blase dreieckige Hohlräume enthalten, die über den vertikalen
Meridian ziehen, wie die Falte selbst. Von den Falten ist die
dorsale die primäre, ursprüngliche, die ventrale ist erst gleich-
zeitig mit und infolge des Verschlusses der Augenblasenspalte
entstanden. Wie beim Kaninchen ist das Tapetum nigrum unter-
halb des dreieckigen Raumes der ventralen Falte ganz unpig-
Bilaterale oder nasotemporale Symmetrie des Wirbeltierauges. 347
mentierte — Die Differenzierung der Retina hat noch keine merk-
lichen Fortschritte gemacht; sie lässt also, wie bisher, am Innen-
blatt nur den Randschleier oder die Nervenfaserschicht und die
Hauptschicht unterscheiden, wenn ich die mächtige, fast die ganze
Dicke der Retina bildende Schicht, welche die Kerne führt, wieder
so nennen darf. Aber schon bei einem Embryo, dessen NS-Länge
15,0 mm und dessen SS-Länge 16,5 mm betrug, war es in der
hinteren Bulbushälfte bereits zur Differenzierung einer Ganglien-
zellen- und inneren retikulären Schicht gekommen. Die Bildung
und Differenzierung dieser beiden Schichten geht Hand in Hand.
Sowie sich die Ganglienzellenschicht von der Hauptschicht der
Retina abhebt, zeigt sich auch sofort zwischen ihr und dieser
ein hellerer, weil zellenärmerer Streifen. Diese Differenzierung
der Retina ist am Augenhintergrund am weitesten fortgeschritten.
Hier ist auch die Ganglienzellenschicht am dicksten. Nach der
Peripherie wird sie dünner und hört zu dieser Zeit schon vor
dem Äquator auf, indem ihre Zellen sich mit den Zellen der
Hauptschicht vermischen, also die Ganglienzellenschicht gewisser-
massen in die Hauptschicht übergeht. Mitosen habe ich, so sehr
ich darnach suchte, in der Ganglienzellenschicht nie gefunden;
ebensowenig in den inneren Lagen der Hauptschicht, während
sie an der Aussenfläche des Innenblattes noch in ausserordent-
licher Menge vorhanden sind. Gleichzeitig mit dem Auftreten
der Ganglienzellenschicht machen sich auch am Randschleier, wie
wir die erste Entwicklungsstufe, oder, wenn man lieber will, die
Vorstufe der Nervenfaserschicht im Anschluss an His genannt
haben, horizontal verlaufende, ausserordentlich feine, zum Optikus-
eintritt hinziehende Fasern bemerkbar. Die oberflächlichsten dieser
horizontalen Fasern liegen ziemlich tief unter der Innenfläche
der Retina. Wie schon wiederholt bei anderen Gelegenheiten
erwähnt wurde, liess der Randschleier in den früheren Stadien
der Entwicklung nur vertikale, nicht aber horizontale Fasern er-
kennen. Vielleicht wäre es daher richtiger, erst von dem Stadium
an, in welchem diese horizontalen Fasern auftreten,. von einer
Nervenfaserschicht zu sprechen. Man kann also jetzt sehr deut-
lich nach innen von der Ganglienzellenschicht zwei in rechtem
Winkel sich kreuzende Fasersysteme erkennen: Das primäre,
vertikale, das in die Erscheinung tritt, sowie sich ein heller Saum
an der Innenseite der Retina bemerkbar macht, ein Fasersystem,
348 CarlRabl:
das sicher mit der Bildung der Gliafasern in Beziehung steht,
und ein zweites sekundäres, horizontales Fasersystem, das erst
jetzt gleichzeitig mit der Differenzierung der Ganglienzellenschicht
selbst erscheint und das aus Fasern besteht, die wohl sicher als
Achsenzylinderfortsätze der Ganglienzellen, also als, genetisch ge-
sprochen, basale Ausläufer derselben entstehen und in den Optikus
eintreten.
Bei diesem Embryo von 16,5 mm grösster Länge erfüllt
die Linsenfasermasse, abgesehen von einem ganz unbedeutenden
Spaltraum, schon die ganze Höhle des ursprünglichen Linsen-
bläschens.
3ei einem Embryo von 19,0 mm SSund 16,5 mm NS, der in
Platinchlorid-Sublimat fixiert und mit Delafieldschem Häma-
toxylin und Safranin gefärbt war, hat die Bildung der Ganglien-
zellen-, Nervenfaser- und inneren retikulären Schicht schon weitere
Fortschritte gemacht. Die Ganglienzellenschicht reicht jetzt schon
bis an den Äquator, ist aber hier, also in der Peripherie, noch sehr
dünn: am dicksten ist sie in der Mitte des Augenhintergrundes.
Unmittelbar nach innen liegt ihr die Schicht der horizontal ver-
laufenden Fasern auf, die von den primären Fäden in rechten
Winkeln gekreuzt werden. Die horizontalen Fasern bilden eine
geschlossene Schicht, die sich von der inneren Oberfläche der
Retina ziemlich fern hält. Sie ist am Optikuseintritt am dicksten,
dagegen am Äquator zu dieser Zeit kaum nachweisbar.
Bei einem Embryo von 28 mm grösster Länge zeigt die
tetina ungefähr den Grad der Differenzierung, den sie bei dem
ältesten von mir früher beschriebenen Kaninchenembryo von
20 mm grösster Länge aufwies (vergleiche die Figuren 12 und 13
der Taf. X). Die Zahl der Schichten ist zwar dieselbe wie bei
der Retina der zuletzt beschriebenen Embryonen, aber ihre
Differenzierung hat beträchtliche Fortschritte gemacht. Zunächst
erscheint schon bei schwacher Vergrösserung die Ganglienzellen-
schicht nach Färbung mit Delafieldschem Hämatoxylin und
Nachfärbung mit Safranin heller als die äussere, die ich als
Hauptschicht bezeichnet habe. Man überzeugt sich, namentlich
wenn man stärkere Vergrösserungen zu Hilfe nimmt, leicht, dass
diese verschiedene Helligkeit in erster Linie von der Verschieden-
heit der Zellkerne in beiden Schichten herrührt. In der Ganglien-
zellenschicht sind weitaus die meisten Kerne rund, kugelig, mit
Bilaterale oder nasotemporale Symmetrie des Wirbeltierauges. 349
einem lockeren Kernnetz und relativ wenig chromatischer Substanz ;
dazwischen finden sich vereinzelte, mehr langgestreckte, etwas
chromatinreichere und daher dunklere Kerne. In der Hauptschicht
bilden die länglichen, dunkleren, chromatinreichen Kerne die
Mehrzahl, die mehr kugeligen, hellen, chromatinärmeren die
Minderzahl. Aber auch die letzteren sind noch immer erheblich
dunkler, d. h. sie enthalten relativ mehr chromatische Substanz
als die runden Kerne der Ganglienzellenschicht. Die chromatin-
reichen, langen, schmalen Kerne sind zuweilen pfriemenförmig
nach aussen zugespitzt. Die Nervenfaserschicht zeigt wieder die
zwei schon in früheren Stadien, seit dem Auftreten der Nerven-
fasern, unterscheidbaren Lagen: eine innere, im allgemeinen
senkrecht gestreifte, und eine äussere, der Ganglienzellenschicht
unmittelbar aufliegende, horizontal gestreifte. Die vertikalen
Streifen sind leicht durch die Lage der horizontalen Streifen, also
der Nervenfasern, hindurch in die Ganglienzellenschicht zu ver-
folgen und setzen sich wohl zweifellos von da auch noch weiter
nach aussen fort. — Wie schon früher, ist auch jetzt die Nerven-
faserschicht in der Umgebung des Optikuseintrittes am dicksten,
während die Ganglienzellenschicht die grösste Dicke in der Mitte
des Augenhintergrundes zeigt; diese dickste Stelle wird ganz
unmerklich nach der Peripherie zu dünner. Die innere‘ retiku-
kuläre Schicht lässt ein dichtes Netzwerk von Fasern erkennen.
Abgesehen von den durchziehenden vertikalen Fasern kann man
bei der von mir angewendeten Färbung keine bestimmte Richtung
des Faserverlaufes nachweisen. Die Schicht ist weder nach aussen,
noch nach innen scharf begrenzt und enthält noch zahlreiche
Kerne. Die äusserste Oberfläche des Innenblattes der Retina st
frei von Kernen; davon machen nur die zu dieser Zeit noch sehr
zahlreichen Mitosen eine Ausnahme, die zum Teil sogar bis ganz
dicht an die Oberfläche herantreten. Die Teilungsachsen stehen
zumeist horizontal oder ein klein wenig schief, also im Sinne des
Flächenwachstums der Retina. Der helle Aussensaum der Schicht,
in welchem zumeist die Mitosen liegen, nimmt mit Safranin eine
blassrote Färbung an, die nach aussen an Intensität zunimmt.
Schliesslich folgt dann noch die an solchen Präparaten dunkelrot
gefärbte, bei starker Vergrösserung gekörnt aussehende (von den
Schlussleisten herrührend) Limitans externa. Dieser sitzen dann
nach aussen die Reste der zu dieser Zeit noch äusserst vergäng-
350 CarlRabl:
lichen Stäbchen und Zapfen auf. Die Grenze zwischen Pars optica und
’ars caeca retinae ist schon recht scharf. Wie in der Hauptschicht
der Pars optica, mit der sich in der Peripherie die Ganglienzellen-
schicht vereinigt, sind auch am Innenblatt der Pars caeca zwei Arten
von Zellkernen zu unterscheiden : lange, sehr dunkle, in dieser Gegend
fast stabförmige und ovale, sehr blasse, mit sehr zartem Kernnetz, das
dunkler gefärbte Netzknoten (nukleolenartige Bildungen) aufweist.
Ein in Platinchlorid-Sublimat fixiertes, mit Delafieldschem
Hämatoxylin und Safranin gefärbtes, frontal geschnittenes Auge
eines Embryo von 4 cm grösster Länge (vom Scheitel zum Steiss)
zeigt folgendes: Die Schichtung ist im wesentlichen noch dieselbe
wie bisher, zeigt aber doch gegenüber dem früheren Embryo
einige bemerkenswerte Fortschritte. Zunächst ist die innere
retikuläre Schicht dadurch, dass sie viel weniger Kerne enthält
als früher, nach innen und aussen von den anderen Schichten
schärfer abgegrenzt. Gegen die Peripherie der Pars optica
wird sie undeutlich, um schliesslich dort, wo sich die Ganglien-
zellenschicht mit der Hauptschicht vereinigt, zu verschwinden.
Sodann ist die Ganglienzellenschicht am Augenhintergrunde, der
späteren streifenförmigen Area entsprechend, also im Bereiche
des schärfsten Sehens, weitaus am dicksten und nimmt von da
auf dem Frontalschnitt nach oben und unten rasch ab. Um-
gekehrt ist die Hauptschicht dort. wo die Ganglienzellenschicht
am dicksten ist, merklich dünner als weiter nach der Peripherie,
Hinsichtlich der Kerne in der Ganglienzellenschicht, sowie auch
in der Hauptschicht gilt im wesentlichen das früher Gesagte.
Mitosen finden sich auch jetzt noch in grosser Menge. Ich habe
von der Pars optica retinae folgende Dickenmaße genommen:
in der Mitte der Area betrug die ganze Dicke der Retina 220,
die Dicke der Hauptschicht 108 und die Dicke der Ganglien-
zellenschicht 60 u. Am Äquator dagegen betrug die ganze Dicke
172, die Dicke der Hauptschicht 120 und die Dicke der Gang-
lienzellenschicht 18 «u. Die Ganglienzellenschicht war also in
der Mitte der Area mehr als dreimal so dick als am Äquator,
während die Hauptschicht am Äquator nicht unerheblich dicker
war als in der Mitte der Area. Es sind dies Tatsachen, die
gewiss in physiologischer Beziehung interessant sind. Die Area
bildet, wovon später noch die Rede sein wird, einen horizontalen
Streifen, wie beim Kaninchen.
Bilaterale oder nasotemporale Symmetrie des Wirbeltierauges. 351
Was die Pars caeca retinae betrifft, so nimmt an ihr die
Dicke des inneren Blattes bis zum Pupillarrand rasch ab; im
übrigen ist sie wesentlich so gebaut wie im vorigen Stadium.
Pigment ist in ihr noch nicht zur Ausbildung gekommen. An
der dem Aussenblatt oder Tapetum nigrum zugewendeten Fläche
finden sich wieder Mitosen. Da mir nur Frontal-, nicht auch
Äquatorialschnitte durch ein solches Auge zu (Gebote stehen,
wage ich nicht die Frage zu entscheiden, ob nicht vielleicht schon
die ersten Spuren der Processus ciliares vorhanden sind. Zonula-
fasern sind zu dieser Zeit schon zweifellos gebildet; sie sehen
genau so aus wie die Gliafasern des Glaskörpers in früheren
Stadien und gehen, wie diese, von kegelförmigen Fortsätzen der
dem Äquator der Linse zugekehrten Enden der Zellen des inneren
Blattes der Pars ciliaris retinae aus. Sie sind also, wie ich wieder-
holt betont habe, basale Ausläufer der Epithelzellen, die das
innere Blatt der Retina ursprünglich zusammensetzen. —
Die folgenden Bemerkungen, die mit der Entwicklung der
Retina nichts zu tun haben, möge man damit entschuldigen, dass
sie ein gewisses allgemeines Interesse besitzen und vielleicht zu
weiteren Untersuchungen Veranlassung geben können. Bei dem
zuletzt erwähnten Embryo von 4 cm Länge waren die Augenlider
bereits über das Auge vorgewachsen und miteinander zur Ver-
lötung gekommen. Ich besitze nun eine Serie durch die vordere
Bulbushälfte eines Embryo von 3,6 cm grösster Länge, also eines
nur sehr wenig jüngeren Embryo, bei dem die Lider noch nicht
über das Auge vorgewachsen waren, sondern sich nur eine Strecke
weit über den Rand der Cornea vorgeschoben hatten. Ähnlich
verhielten sich die Lider auch an dem Auge des früher erwähnten
Embryo von 25 mm grösster Länge. Bei diesen beiden Embryonen
nun, deren Uornea noch nicht von den Lidern bedeckt war, war
diese in der Mitte ausserordentlich dick und wölbte sich polster-
artig zwischen den Lidrändern vor. Dabei war das Gewebe der
Substantia propria corneae in der nicht bedeckten Mitte der
Cornea ausserordentlich sukkulent und aufgelockert. Nur in der
Tiefe war es dichter gefügt. Zugleich war bei dem Embryo von
3,6 em Länge unter dem Epithel eine sehr deutliche vordere
Basalmembran mit ganz bestimmter Struktur zu sehen. Diese
Basalmembren war am Hornhautscheitel am dicksten und wurde
nach der Peripherie dünner. Bei solchen und auch jüngeren
352 CarlRabl:
Embryonen ist das Corneaepithel stets sehr schön zweischichtig
und lässt eine innere Schicht von kubischen und eine äussere von
sehr flachen Zellen unterscheiden. Sobald sich nun die Augen-
lider über die Cornea vorgeschoben haben, also bei einem Embryo
von 4 cm Länge, ist die polsterartige Vorwölbung, die bis dahin
zu sehen war, geschwunden, das Gewebe der Cornea ist auch in
der Mitte nur von mässiger Sukkulenz und zugleich, und das ist
das merkwürdigste, kann man von der vorderen Basalmembran
nur mehr mit Mühe etwas sehen.
Während bei Embryonen von 28 und 40 mm grösster Länge
noch nichts von Augenkammern zu erkennen ist, — man müsste
denn die Spalträume im Bindegewebe, die sich nach innen vom
Pupillarrand in sehr beschränkter Ausdehnung finden, für Vor-
stufen der Augenkammern halten, — sind sie bei einem Embryo
von 5,7 em Länge schon deutlich erkennbar; dies gilt namentlich
von der vorderen Kammer. Die beiden Augenkammern werden
durch die Pars iridica retinae, sowie durch das dieser vorn auf-
liegende bindegewebige Stroma der Iris und die vom Pupillarrand
auf die Vorderfläche der Linse fortgesetzte Pupillarmembran
voneinander getrennt. Die beiden Kammern zeigen nicht das
gleiche Verhalten. Die vordere ist schon jetzt weitaus grösser
als die hintere, ist aber ausschliesslich auf die Peripherie be-
schränkt und stellt einen auf dem Meridionalschnitt schlitz-
förmigen Spalt dar, der vorn von der Hinterfläche der Cornea
und hinten von dem bindegewebigen Stroma der Iris und der
Pupillarmembram begrenzt wird. Dieser ringföürmige kaum liegt
also nur hinter der Peripherie der Hornhaut, während er zwischen
dem grösseren mittleren Teil der Hornhaut und der Linse noch
fehlt. Hier liegen Hornhaut und Linse noch direkt aufeinander.
Die vordere, von der Hornhaut gebildete Wand der vorderen
Kammer wird von dem sogenannten Hornhautendothel überkleidet,
das sich durch die lockere Beschaffenheit des chromatischen
Netzes seiner Kerne von den dunkel gefärbten, ungemein flachen
Kernen der Hornhautkörperchen sehr wohl unterscheidet. Die
hintere Wand der vorderen Augenkammer wird vom Irisstroma
und der davon ausgehenden Pupillarmembran gebildet, die beide
an der der Augenkammer zugewendeten Seite gleichfalls von
einer Art Endothel überkleidet sind. Dass es sich dabei nicht
um wirklich reine Epithelien handelt, sondern um „Bindegewebs-
Bilaterale oder nasotemporale Symmetrie des Wirbeltierauges. 355
epithelien“, wie ich sie in meinem Vortrag „über die Prinzipien
der Histologie‘ genannt habe, brauche ich kaum zu sagen. Die
hintere Kammer ist viel weniger geräumig und wird hinten von
der vorderen Linsenkapsel und dem ihr aufliegenden Gefässnetz
begrenzt. Beide Kammern sind am Präparate mit Gerinnsel ge-
füllt, das in der vorderen Kammer viel feiner ist als in der
hinteren.
Aber nicht bloss durch die Bildung der Augenkammern
zeichnet sich das Auge eines 5,7 cm langen Embryo vor den
jüngeren, bisher betrachteten aus, sondern auch durch die Bildung
der Ciliarfortsätze. Diese springen schon gegen den Aquator
der Linse etwas vor und sind von den beiden Lamellen der Pars
eiliaris retinae überzogen. Wenn auch beide Lamellen aus sehr
hohem Zylinderepithel bestehen, von denen das äussere pigmen-
tiert ist, so sind doch die Zellen des inneren Epithels auch jetzt
noch sehr viel höher als die des äusseren. Das Innenblatt der
Pars iridica retinae ist vom Pupillarrand an eine Strecke weit
schon pigmentiert; die Pigmentierung nimmt vom Pupillarrand
an nach aussen rasch ab. Die Pigmentkörnchen liegen durchwegs
an der, der äusseren Lamelle zugewendeten, also genetisch freien
Seite. In den Zellen des äusseren Blattes der ganzen Pars caeca
sind jetzt auch an der genetisch basalen Seite Pigmentkörnchen
in ziemlicher Menge vorhanden.
Höchst eigentümlich ist — und das muss mit Nachdruck
betont werden — dass zu dieser Zeit auch von der basalen
eite der sicher schon zum Irisepithel zu rechnen-
den Zellen Zonulafasern ausgehen, um sich an dem
perilentikulären Faserfilz, der die Gefässe an der Linsenkapsel
festhält, anzusetzen.
Bei einem 6,5 cm langen Embryo war wesentlich das gleiche
zu sehen. Da ich von diesem wie auch vom vorigen Embryo
nur die vorderen zwei Drittel des Auges geschnitten habe (ich
hatte die Serien seinerzeit zu meiner Monographie über die Linse
angefertigt), kann ich leider nichts über den Augenhintergrund,
also auch nichts über die Area centralis mitteilen. Soviel aber darf
ich sagen, dass sich zu dieser Zeit von der Hauptschicht bereits die
äussere Körnerschicht als etwas Besonderes abzuheben beginnt:
damit zugleich machen sich auch die allerersten, freilich noch kaum
merkbaren Spuren einer äusseren retikulären Schicht bemerkbar.
394 Carl Rabl:
Die übrigen Schichten zeigen dasselbe Bild wie früher. Auch
die Pars caeca hat keine bemerkenswerten Fortschritte gemacht.
Auffallend ist, wie kurz zu dieser Zeit noch die Iris ist, d.h.
wie wenig weit sie über die vordere Linsenfläche hinüberreicht.
Äquatorialschnitte lassen die Ciliarfortsätze gut sehen und be-
stätigen im übrigen das Gesagte.
Bei einem Embryo von 7 cm Länge haben sich die Ciliar-
fortsätze dort, wo sie am höchsten sind, durch quere Brücken
miteinander verbunden, so dass sie hier Buchten umschliessen.
Das Innenblatt der Pars ciliaris retinae, das wie früher ein hohes
Zylinderepithel darstellt, ist auch jetzt noch ganz frei von Pigment.
Ähnlich wie bei diesem Embryo verhält sich die Pars caeca retinae
auch bei einem Embryo von 8 cm Länge. Von einem Embryo
von 10 cm Länge habe ich ausser der Linse nur noch die Cornea,
die Iris und das Corpus ciliare, nicht aber die Pars optica retinae
untersucht. Ich hebe hervor, dass das bindegewebige Stroma
der Iris an Dicke jetzt schon ungefähr um das Doppelte die
epitheliale, von der Pars iridica beigestellte Grundlage der Iris
übertrifft. Wie früher, geht auch jetzt vom Bindegewebe die
sehr zarte Pupillarmembran aus.
V. Mensch. Was ich über die Entwicklung der Retina
des Menschen zu bringen habe, ist nicht viel, aber es reicht aus,
um zu zeigen, dass in den Punkten, auf die es mir in dieser Arbeit
besonders ankommt, zwischen dem Menschen und den anderen bisher
betrachteten Säugetieren in Beziehung auf die Entwicklung der
Retina volle Übereinstimmung herrscht. Diese Punkte sind vor
allem die bilaterale Symmetrie der Retina, mit anderen Worten,
ihre Teilung in einen nasalen und temporalen Lappen, zweitens
die Randkerbenbildung und drittens die Art der ersten Differen-
zierung der Schichten. Ich beginne mit der Beschreibung des
Auges des auf Taf. VII, Fig. 6—10 meines wiederholt erwähnten
Tafelwerkes über die Entwicklung des Gesichtes in fünf ver-
schiedenen Ansichten abgebildeten Embryo. Er war einer der
schönsten jungen menschlichen Embryonen meiner Sammlung;
trotzdem aber war er nicht mehr so gut erhalten, als ich gern
gewünscht hätte. Er war zwar, wie ich schon seinerzeit bei der
Beschreibung desselben gesagt habe, als er in meine Hand kam,
noch durchscheinend und also anscheinend ganz frisch, aber das
genaue Studium der Serie lehrte doch, dass er bereits einige
Bilaterale oder nasotemporale Symmetrie des Wirbeltierauges.. 355
Zeit, vielleicht ein paar Stunden abgestorben gewesen sein musste.
Ich schliesse dies daraus, dass die Mitosen, die man sonst bei
Säugetierembryonen dieser Entwicklungsstadien in allen Organen,
namentlich aber im Zentralnervensystem in grösster Menge findet,
fast vollständig geschwunden waren. Nur ab und zu waren noch
spärliche, unscheinbare Reste davon vorhanden. Es lag dies sicher
nicht an der Fixierung, an der nichts auszusetzen war, sondern
zweifellos daran, dass der Embryo, so frisch er auch aussah,
doch schon abgestorben war. Trotzdem aber gab er noch ganz
gute Bilder, wie man aus einem Vergleich der Schnittserie mit
denen anderer Säugetierembryonen ohne weiteres feststellen kann.
Hochstetter hat einmal mit Recht hervorgehoben, dass zu den
Organen, die sich zu allererst postmortal zu verändern pflegen,
die Augen gehören, indem das innere Blatt des Augenbechers
sich in Falten zu legen beginne. Bei dem vorliegenden Embryo
war von einer derartigen postmortalen Veränderung des Augen-
bechers nicht das Geringste zu sehen, und ich würde auch kaum auf
den (Gedanken gekommen sein, dass er nicht mehr ganz lebensfrisch
war, wenn mich nicht der Mangel an Mitosen darauf aufmerksam
gemacht hätte. Ich glaubte das vorausschicken zu müssen, um
zugleich meine Bemerkung in der erwähnten Arbeit, der Embryo
sei „noch ganz frisch und durchscheinend“ gewesen, als er in
meine Hand kam, zu mildern; gewiss war der Embryo noch
durchscheinend, aber er war nur anscheinend frisch, während
die genaue Untersuchung der Serie lehrte, dass er schon abge-
storben war.
Aus dieser Serie hat schon Seefelder auf Taf. VII seines
Atlas mehrere Schnitte abbilden lassen. Nichtsdestoweniger habe
ich gemeint, noch dreiZeichnungen davon geben zu müssen, ja, eines
der schon im Atlas abgebildeten Präparate noch einmal zeichnen
zu sollen. Der Embryo mass im konservierten Zustande in der
Nackensteisslinie (NS) 8,5 mm. Sein Kopf wurde sagittal ge-
schnitten, das Auge also äquatorial getroffen. Über dem Auge
war das Ektoderm ein wenig eingesunken, wie das auch, nach
dem Atlas Seefelders zu schliessen, bei dem im Besitz
wobert Meyers in Berlin befindlichen Embryo der Fall war,
dessen Alter und Entwicklungsstufe genau dieselbe gewesen sein
dürfte. Seefelder gibt die Länge dieses Embryo auf 8,5 mm an.
Ich beginne mit der Beschreibung des linken Auges (der
356 CarlRabl:
Embryo war von links nach rechts geschnitten, die Schnittdicke
betrug 10 «), gehe aber dann alsbald zu der des rechten, von
dem die Zeichnungen genommen sind, über. Der erste Schnitt,
der das linke Auge trifft, zeigt ausser dem Anschnitt der Linse den
Anschnitt einesTeilesdes Augenbecherrandes, und zwar den dorsalen,
den oberen nasalen und eine eben erkennbare Spur des unteren
nasalen Randlappens; demnach waren auch die beiden nasalen
Randkerben des Becherrandes zu sehen. — Auf dem nächsten
Schnitt waren dorsaler und nasaler oberer Randlappen miteinander
verbunden, aber die Stelle der Randkerbe noch deutlich. Oberer
und unterer nasaler Randlappen hatten sich aneinander gelegt,
die Randkerbe zwischen ihnen war aber noch gut erhalten.
Von den anderen Randlappen war nur eine Spur des unteren
temporalen zu sehen. Diese war auf dem nächsten Schnitt
viel deutlicher. Der folgende Schnitt zeigte diesen unteren
temporalen Lappen dorsalwärts in den oberen temporalen fort-
gesetzt, aber an der Übergangsstelle dieser beiden kaum etwas, was
mit Sicherheit als untere temporale Randkerbe hätte in Anspruch
genommen werden können. Auch der nächste Schnitt zeigt von
einer solchen nichts. Dagegen zeigt er im dorsalen handlappen
eine Höhle und ausserdem in den beiden nasalen Lappen einen
schmalen Spaltraum. — Die nunmehr folgenden Schnitte zeigen den
Becherrand schon in ganzer Ausdehnung. Ich brauche kaum zu er-
wähnen, dass an allen die fötale Augenspalte deutlich sichtbar ist.
Ich will nun, da es von Wichtigkeit ist, die Randkerben,
die uns auch sonst noch in vergleichend-entwicklungsgeschichtlicher
Beziehung beschäftigen werden, genauer kennen zu lernen, auch
die Schnitte durch das rechte Auge beschreiben, zumal die Bilder
Seefelders dem rechten Auge entnommen sind und auch ich
drei Schnite durch dieses abgebildet habe. Der erste Schnitt
durch die Augengegend — von der Körperoberfläche an gerechnet —
zeigt wieder die grubige Vertiefung des Ektoderms, von der
schon die Rede war; der zweite den Anschnitt der äusseren Wand
des Linsenbläschens; der dritte schon etwas vom Lumen desselben,
ferner aber auch den oberen Randlappen und, eben bemerklich,
einen dünnen Anschnitt des unteren temporalen. Den vierten
Schnitt hat Seefelder auf Taf. VII, Fig. 4 abbilden lassen.')
!) Einen Schnitt, ähnlich dem der Fig. 3 bei Seefelder, kann
ich weder unter den Schnitten durch das rechte, noch durch das linke
Bilaterale oder nasotemporale Symmetrie des Wirbeltierauges. 357
Im Lumen des Linsenbläschens gewahrt man an dem abgebildeten
Schnitte ein paar Zellreste. Um das Bläschen herum liegen die
Anschnitte der Randlappen des Augenbechers und zwischen ihnen
die Randkerben. Vor allem gewahrt man die breite, die Mitte
der ventralen Wand einnehmende fötale Augenspalte, ferner die
beiden dorsalen und die vordere ventrale Randkerbe. Eine hintere
ventrale Randkerbe ist also auch an den Schnitten durch dieses
Auge nicht zu sehen. Den fünften Schnitt durchs rechte Auge
hat Seefelder auf Taf. VII, Fig. 5 abbilden lassen. Ich selbst
habe davon ein Bild auf Taf. XII, Fig. 1 gegeben. Der Zeichner
Seefelders hat, abgesehen von anderen Ungenauigkeiten, zu
wenig Zellen, beziehungsweise zu wenig Zellkerne und diese zu
gross gezeichnet. Seefelder selbst möchte ich das nicht allzusehr
zur Last legen. Wer die Zeichnungen zu seinen Arbeiten nicht
selbst anfertigt, ist vor Ungenauigkeiten nie sicher; das weiss ich
aus eigener Erfahrung und dieselbe Erfahrung hat gewiss schon
mancher gemacht, der sich einem Zeichner anvertraut hat. Selbst
bei der genauesten Kontrolle können noch Fehler mit unterlaufen.
Gewisse Zeichnungen erfordern übrigens auch die Beachtung von
allerhand Kautelen, die die wenigsten Beobachter und vor allem auch
die wenigsten Zeichner kennen. Will man, um nur ein einziges
Beispiel anzuführen, in eine Figur, die bei relativ schwacher Ver-
grösserung gezeichnet ist, die Zellkerne in einigermassen richtiger
Grösse eintragen, so muss man diese zuerst bei sehr starker, genau
bestimmter Vergrösserung mit dem Zeichenapparat entwerfen und
dann die Grösse aufs richtige Maß reduzieren. So habe ich z. B.
in meinem Entwurf der Figuren 1, 2 und 3 der Taf. XII, die bei
150facher Vergrösserung gezeichnet sind, die Zellkerne bei
600facher Vergrösserung gezeichnet und dann auf Viertelgrösse
reduziert. Es ist ganz unmöglich (wenigstens bin ich dazu nicht
imstande), in anderer Weise bei schwacher Vergrösserung die
richtige Grösse kleiner und kleinster Objekte zu treffen. Nebenbei
bemerkt, beträgt die Vergrösserung der Zeichnungen bei
Seefelder nicht 100:1, sondern etwa 130 oder 140:1, wie man
daraus ersehen kann, dass meine Zeichnungen 1, 2 und 3, Taf. XII
bei 150facher Vergrösserung angefertigt sind. Das Gesagte ist
Auge finden, es müsste denn sein, dass der Zeichner ein mit Blutkörperchen
vollgepfropftes Gefäss für den Anschnitt des. oberen temporalen Lappens
gehalten hat.
Archiv f. mikr. Anat. Bd.90. Abt.I. 24
358 CarlRabl:
nicht ganz unwichtig und gleichgültig, denn, wenn die Zeichnungen
Seefelders in Beziehung auf Zellenzahl und Zellengrösse richtig
wären, müsste der Mensch grössere und weniger zahlreiche Zellen
in seiner Retina haben als ein Kaninchen von korrespondierendem
Alter, während doch das gerade Gegenteil der Fall ist. Es ist
in physiologischer Beziehung von grossem Interesse, dass das
Auge des Menschen schon in einem so frühen Stadium der Entwick-
lung sehr viel zellenreicher ist als das eines Kaninchens
derselben Entwicklungsstufe.
Was nun den abgebildeten Schnitt (Fig. 1, Taf. XII) betrifft,
so sind an ihm ausser der breiten fötalen Augenspalte, in welcher
ein weites mit Blutkörperchen gefülltes Gefäss liegt, noch sehr
deutlich drei Randkerben zu sehen: die zwei dorsalen und die
vordere ventrale; von einer hinteren ventralen ist nichts zu
sehen. Der dorsale Lappen enthält eine Höhle, genau so wie
beim Schaf oder Schwein (vergleiche die Figuren 2 und 13 der
Taf XI: eine kleinere Höhle findet sich auch im vorderen
ventralen Lappen. Die beiden hinteren Lappen gehen ineinander
über. — Die Linse enthält hier schon eine ziemlich grosse Höhle.
An ihrer Aussenfläche finden sich die bekannten, in feine Fäden aus-
laufenden Linsenkegel, denen v. Lenhossek so grosse Bedeutung
für die Bildung des Glaskörpers zugeschrieben hat. Im Glas-
körperraum, wo in der Zeichnung des erwähnten Atlas ein dichtes,
grobes Fasergewirr zu sehen ist, kann ich nur sehr feine Fäserchen
sehen, die zum Teil vom Innenblatt der Retina, zum Teil von
der Aussenfläche der Linse kommen. Im Text des Atlas heisst
es: „Ausser der ventral gelegenen grossen Becherspalte kann man
manchmal an beliebigen anderen Stellen (nur hier durch-
schossen) des Becherrandes eine Einkerbung beobachten
(Rabl, v.Szily, Wolfrum, Seefelder).“ Als Seefelder dies
schrieb, wusste ich allerdings noch nicht, dass die Randkerben an
Zahl und Lage konstante Erscheinungen sind. — Auf den nächsten
Schnitten schwinden die Randkerben allmählich; einen dieser
Schnitte hat Seefelder in Fig. 6 abbilden lassen. Auch die
Höhle in der Mitte der dorsalen Wand der Augenblase, die auf
dieser Figur zu sehen ist, schwindet bald bis auf einen ganz
engen unbedeutenden Spaltraum. Überaus schön ist auf
den folgenden Schnitten der Faserfilz im Glaskörperraum zu
sehen; sehr oft kann man von den Kegeln der Retina feine
Bilaterale oder nasotemporale Symmetrie des Wirbeltierauges.. 359
Fäden auslaufen und sich direkt mit den Kegeln der Linse ver-
binden sehen.
Der nächste auf Taf. XII, Fig. 2 abgebildete Schnitt ist
der 13., der etwas vom Auge zeigt, zugleich der 10. nach ein-
wärts von dem Schnitt der Fig. 1. Er zeigt von der Linse nur
mehr eine eben noch merkbare Spur der medialen Wand. Die
letzten Schnitte, die noch etwas vom Lumen der Linse zeigen
und diesem vorangehen, lassen am Boden des Linsenbläschens
einen Zellhaufen erkennen, während sonst, wie auch auf dem
Schnitt der Fig. 1, nur ganz vereinzelte, zerstreute Zellen oder
Zellreste zu sehen sind. Der Schnitt der Fig. 2 bietet in mehr-
facher Beziehung Interesse: vor allem wegen der ausserordent-
lichen Breite des Randschleiers, der mehr als die Hälfte der
Dieke des Innenblattes der Augenblase einnimmt. Der Rand-
schleier zeigt die schon erwähnte senkrechte Streifung, aber noch
keine horizontalen, parallel zur Oberfläche der Retina verlaufen-
den Fasern. Er stellt also nach der früher gegebenen Schilderung
noch eine Vorstufe, oder, wenn man lieber will, das erste, der
eigentlichen Faserbildung vorausgehende Stadium der Entwicklung
der Nervenfaserschicht der Retina dar. Eine zweite Eigentüm-
lichkeit, die uns an diesem Schnitt auffällt und die uns an die
beim Hund zu einer bestimmten Zeit beobachteten Verhältnisse
erinnert (vgl. Taf. XI, Fig. 8), besteht darin, dass das Innenblatt
der Augenblase gewissermassen mittels eines Stieles dem Aussen-
blatt aufsitzt oder dass, mit anderen Worten, der Umschlagsrand
der beiden Blätter sehr stark in die Länge gezogen ist. Merk-
würdigerweise aber ist weder an diesem noch an einem der vor-
hergehenden Schnitte etwas von einer Lappung des Innenblattes
der Augenblase wahrzunehmen, und doch entspricht der Embryo
in Beziehung auf den Grad seiner Differenzierung ungefähr dem
Stad. IX des Kaninchens, also dem Stadium, dem die Schnitte
der Figuren 7 und 8, Taf. X entnommen sind. Erst noch viel
weiter nach innen, und zwar nur an einigen wenigen Schnitten,
die die Hinterwand des Innenblattes treffen, ist eine sichere
Andeutung einer Lappung zu erkennen. — Der dritte aus dieser
Serie auf Taf. XII, Fig. 3 abgebildete Schnitt bietet ein sehr merk-
würdiges Bild. Vom Innenblatt der Augenblase ist nur mehr ein
Anschnitt seiner kernhaltigen Hauptschicht zu sehen; um diesen
Rest des Innenblattes herum, durch einen weiten Abstand davon
24*
360 CarlRabl:
getrennt, sieht man das Aussenblatt und an diesem ventral den
peripherischen Teil des Optikus, schon nach seiner Verbindung
mit dem Auge. Beide Abschnitte des Schnittes, der dorsale, der
dem dünnen Aussenblatt der Augenblase angehört, und der ventrale,
dickwandige, der sich, wie die Verfolgung der Serie zeigt, nach
aussen ins Innenblatt der Augenblase fortsetzt, sind durch eine
ins Lumen einspringende niedrige Falte voneinander getrennt,
welche zwei Schnitte weiter nach innen zu einer die beiden
Höhlen voneinander trennenden Brücke wird und schliesslich noch
weiter nach dem Gehirn zu in die dorsale Wand des hier auf
dem Querschnitt kreisrunden Optikus wird. Weder an dem ab-
gebildeten Schnitte, noch weiter nach innen zu, ist etwas von einer
fötalen Augenspalte zu sehen; diese reicht also zu dieser Zeit
nicht über den Bulbus hinaus. Dagegen springt der Boden des
Optikus auf dem abgebildeten und den zwei vorhergehenden
Schnitten in Form zweier eben erkennbarer Lappen oder Wülste
ins Lumen vor.
Die beiden Embryonen, deren Augen ich nunmehr kurz
beschreiben will, maßen in der Nackensteisslinie (NS) nach
Fixierung in Platinchlorid-Sublimat 11,3 mm. Es waren Zwillinge,
die ich im Oktober 1894 von Kollegen Piering in Prag erhielt.
Ich habe schon in meiner Arbeit über Gesichtsentwicklung über
die beiden Embryonen berichtet und den einen von ihnen auf
Taf. VIII, Fig. 1—4 in vier verschiedenen Ansichten abgebildet.
Die Embryonen stimmen am besten mit dem Embryo 14 der
Hisschen Normentafeln überein, der auf Taf. XII, Fig. 6 der
„Anatomie menschlicher Embryonen“ bei 12facher Vergrösserung
noch ein zweites Mal abgebildet ist. Nach dieser Zeichnung
berechnet sich die Nackensteisslinie des Hisschen Embryo auf
1l mm. Das Alter der Pieringschen Zwillinge habe ich nach
den sehr wertvollen, von mir seinerzeit mitgeteilten anamnesti-
schen Daten auf 30--31 Tage berechnet. Leider war, wie die
Untersuchung der beiden Serien lehrte, der eine der Embryonen
als er in meine Hände kam, nicht mehr frisch; er zeigte schon
deutliche Kennzeichen von Mazeration. Immerhin war er noch
soweit erhalten, dass ich die Serie aufbewahren zu müssen glaubte.
Seefelder hat nach ihr die Taf. XII seines Atlas zeichnen
lassen. Man braucht nicht viel Erfahrung zu haben, um den
Figuren anzusehen, dass der Embryo nicht mehr frisch war.
Bilaterale oder nasotemporale Symmetrie des Wirbeltierauges. 361
Zu histogenetischen Untersuchungen war er daher ganz ungeeignet.
Trotzdem hat die Serie und haben auch die Zeichnungen doch
insofern einen, wenn auch geringen, Wert, als sie, wenn man
einmal die Lappung der Retina und die Faltenbildungen im
vertikalen Meridian des Auges von anderen Säugetieren her kennt,
sofort erkennen lassen, dass auch bei menschlichen Embryonen
des angegebenen Alters die gleichen Erscheinungen zu beobachten
sind. Die Figuren lassen die dorsale und die ventrale Falte der
retina sicher erkennen: die dorsale ist die primäre, tritt, wie uns
die übrigen bisher untersuchten Säugetiere gelehrt haben, zuerst auf
und teilt die Retina von oben her in zwei Lappen, die ventrale
ist die sekundäre und bildet sich erst mit und nach dem Ver-
schluss der fötalen Augenspalte. In der Tat ist, wie auch die
Fig. 3 der Taf. XiI des Seefelderschen Atlas zeigt, die
Augenspalte schon zum Teil geschlossen. Der Verschluss beginnt
an den letzten AÄquatorialschnitten, die noch die Linse treffen.
Die Spalte bleibt dann bis zum Augenhintergrund geschlossen
und öffnet sich erst wieder am Optikus. An den Schnitten, die
das Auge nahe an dem Augenhintergrund treffen, aber noch das
Innenblatt der Augenblase zeigen, trägt dieses die Teilung in
zwei Lappen ganz deutlich zur Schau. Solche Schnitte hat
Seefelder nicht mehr abbilden lassen. — Viel wichtiger aber,
weil noch frisch, war der zweite der Zwillinge. Den Kopf habe
ich in Schnitte zerlegt, die so geführt sind, dass sie parallel
einer Ebene lagen, die vorn die Stirnwölbung, hinten die dem
Isthmus rhombencephali entsprechende Einsenkung trafen. Da-
durch wurde das Auge in Horizontalschnitte zerlegt. Seefelder
hat nach dieser Serie die Taf. XIII seines Atlas zeichnen lassen.
Die Figuren 2 und 3 lassen die bilaterale Symmetrie, die Lappung
der Retina und die zwei Buchten des Glaskörperraumes mit aller
nur wünschenswerten Deutlichkeit erkennen. Ich bemerke zu
diesen Figuren, dass die nach links unten gerichtete Seite der
Fig. 2 die nasale, die nach rechts oben gekehrte die temporale
ist. In Fig. 3 ist die nach links oben gerichtete Wand die
nasale, die nach rechts unten gekehrte die temporale. Es ist
dies zum Verständnis, namentlich des letzteren Schnittes, nicht
ganz unwichtig. Die primäre oder dorsale Falte der Retina, die
diese in zwei Lappen und den Glaskörper in zwei Buchten teilt,
ist an den beiden Augen der Seefelderschen Fig. 2 ausser-
362 GramaleRrranbıe
ordentlich klar zu sehen. Sie ist nicht sehr hoch, lange nicht
so hoch wie etwa beim Kaninchen. Kennt man sie aber einmal
von da her, so wird man sie auch am menschlichen Embryo leicht
finden. Auch die ventrale, mit dem Verschluss der Augenspalte
verknüpfte Falte ist auf den betreffenden Schnitten, also Schnitten,
die weiter ventralwärts durchs Auge geführt sind, gut zu sehen.
An der Fig. 3 (bei Seefelder), die einen Horizontalschnitt durch
das Lumen des Augenblasenstiels zeigt, ist von der Lappung
selbstverständlich nichts zu sehen, da die beiden Falten, die
dorsale und die ventrale, nur bis zur oberen, beziehungsweise
unteren Wand des Augenblasenstiels reichen, an einem Schnitt
aber, der das Lumen des Stieles trifft, selbstverständlich nicht
mehr zu sehen sein können. Der Schnitt der Fig. 5 ist noch
deshalb interessant, weil er, temporalwärts vom Eintritt des Optikus,
in der Mitte des Augenhintergrundes, den Beginn der Bildung
einer Ganglienzellen- und einer inneren retikulären Schicht erkennen
lässt. Wie bei den Amphibien — ich habe dies schon im Jahre
1395 sehr ausführlich vom Axolotl beschrieben — beginnt also
auch beim Menschen die Differenzierung der Retina in der Mitte
des Augenhintergrundes, d. h. an der Stelle des schärfsten Sehens.
Wir können darin wieder, wie in so vielen anderen Erscheinungen,
ein Beispiel prospektiver Entwicklung — U. E.v. Baer würde
gesagt haben von „Zielstrebigkeit“ — erblicken.
Ich möchte diese Gelegenheit benutzen, um einen Irrtum
richtig zu stellen, der sich in meine Arbeit über Gesichtsentwick-
lung eingeschlichen hat. Die Berichtigung kann zugleich dazu
dienen, andere vor ähnlichen, sehr nahe liegenden Irrtümern zu
bewahren. Ich hatte damals als letzten menschlichen Embryo
einen mir im Jahre 1895 von Prof. von Weltrubsky geschenkten
Embryo abgebildet, in der Meinung, er sei noch durchaus lebens-
frisch gewesen. Ich hatte ihn, da er nur sehr wenig weiter-
entwickelt zu sein schien als die beiden Pieringschen Zwillinge,
nicht in eine Serie zerlegt. Dies ist erst kürzlich geschehen aus
Anlass der vorliegenden Arbeit, und dabei hat sich zu meinem
Ertsaunen herausgestellt, dass der Embryo schon recht stark
mazeriert war. Nicht bloss die beiden Augen, sondern auch das
(rehirn zeigte eine Unmenge von Falten, und wenn auch im Auge
die primäre Falte der Retina besonders scharf hervortrat, so
konnten die Schnitte selbstverständlich doch nicht weiter verwertet
Bilaterale oder nasotemporale Symmetrie des Wirbeltierauges. 369
werden. Damals hatte ich notiert, dass der Embryo, als er in
meine Hand kam, „noch ziemlich durchscheinend“ war. Daraus
und aus dem ganzen sonstigen Aussehen glaubte ich schliessen zu
dürfen, dass er frisch war. Nun hatte mir, wie aus meiner
damaligen Schilderung deutlich zu entnehmen ist, in diesem
Fall die Altersbestimmung des Embryo sehr grosse Schwierigkeiten
gemacht, aus denen ich mich durch allerhand mehr oder weniger
gewagte Annahmen herauszufinden suchte, was mir freilich, wie ich
selbst und jedermann merken musste, nur schlecht gelang. Nachdem
ich nun aber jetzt den Embryo in eine Serie zerlegt habe, ist die
Ursache dieser Schwierigkeiten sofort klar; der Embryo war eben
bereits in Verwesung als ich ihn konservierte. Seit jener Zeit,
also seit mehr als 20 Jahren, ist es mir übrigens wiederholt
aufgefallen, dass menschliche Embryonen, die nicht mehr ganz
frisch sind, die oberen Extremitäten sinken lassen. Und nun
vergleiche man einmal die Embryonen 1 und 5 meiner letzten
Embryonentafel. So ähnlich sie im übrigen einander sehen, so
sind sie doch in Beziehung auf die Haltung der oberen Extremi-
täten auffallend voneinander verschieden: der frische Embryo
(Fig. 1) hält sie horizontal, parallel der Querebene des Körpers,
der faule lässt sie nach unten sinken. Man hat also auch hierin
wieder ein Erkennungsmittel des Erhaltungsgrades junger mensch-
licher Embryonen. —
Ich habe nun vor langer Zeit aus der Klinik Zweifel
zwei prächtige Embryonen aus dem zweiten Schwangerschafts-
monat bekommen, die mir bei der vorliegenden Arbeit vorzügliche
Dienste geleistet haben. Beide waren, wie auch die Schnittserien
lehrten, ausgezeichnet erhalten und namentlich der eine von ihnen,
dessen Augen ich genauer beschreiben werde, zeigte noch tadellos
erhaltene Mitosen. Ich will den einen der beiden Embryonen
mit Z, den anderen mit F bezeichnen. Der Embryo 7 hatte eine
Scheitelsteisslänge (SS) von 14,0 und eine Nackensteisslänge (NS)
von 15,5 mm; die Länge des Kopfes betrug 10,0 mm. Der
Embryo F zeigte folgende Maße: SS = 18,0 mm, NS= 15,0 mm
und Kopflänge 11,0 mm. Die Augen waren bei beiden ziemlich
gleichweit entwickelt, jedenfalls bestand kein irgendwie in Be-
tracht kommender Unterschied, so dassich mich auf die Beschreibung
des einen der beiden Embryonen beschränken darf. Der Embryo
(Z) zeigte noch Spuren von den früher erwähnten Randkerben.
364 ee reile
Die fötale Augenspalte war höchstens noch auf zwei Schnitten
often; sie schloss sich also fast sofort, nachdem die Ränder der
Augenblase aneinander getreten waren. Sofort traten dann auch
die beiden Falten der Retina auf; beide Falten zogen wieder
über den vertikalen Meridian nach hinten bis in die Nähe des
Optikuseintrittes. Ein Schnitt, der eben noch die Linse im
medialen Anschnitt traf, gab das in Fig. 4, Taf. XII wieder-
gegebene Bild. Mitn und t sind die nasale und temporale Seite
des Auges bezeichnet. Der Schnitt ist nicht ganz genau parallel
der Äquatorialebene geführt; trotz vieler Mühe wollte es mir nicht
gelingen, das Auge vollkommen genau zu orientieren. — Zunächst
fällt uns wieder die eigentümliche Form des Äquatorialschnittes auf.
In noch höherem Grade als beim Kaninchen, Schaf, Hund und
Schwein ist beim Menschen der Bulbus von oben nach unten
zusammengedrückt. An dem abgebildeten Schnitt beträgt der
horizontale Durchmesser ungefähr um ein Drittel mehr als der
vertikale. Dabei ist wie bei den genannten Tieren der Äquator-
schnitt mehr oder weniger viereckig. Es sind dies Eigentüm-
lichkeiten, die ganz gewiss zum grössten Teil mit der Lappung
der Retina und der damit verbundenen Lappung des Glaskörpers
verbunden sind. Das äussere Blatt der Augenblase ist zu dieser
Zeit ein der Hauptsache nach zweireihiges, aber einschichtiges
kubisches Epithel, dessen runde Kerne grösstenteils in der basalen,
nach aussen gerichteten Hälfte des Epithels sitzen, während die
freie Seite von den übrigens nicht sehr zahlreichen und auch
nicht sehr dunkel gefärbten Pigmentkörnchen eingenommen wird.
Solche finden sich jetzt schon, aber nur in verhältnismässig ge-
ringer Zahl, auch an der basalen Seite. Das innere Blatt ist
sehr dick und ausserordentlich zellenreich. Von den beiden
Falten, die gegen die Linse und an den folgenden Schnitten in
den Glaskörper vorspringen, ist die ventrale, die später entsteht
und deren Bildung, wie wir gesehen haben, mit dem Verschluss der
fötalen Augenspalte zusammenhängt, die grössere, die dorsale,
die wir, da sie selbständig und früher auftritt, als primäre bezeichnet
haben. die kleinere. Die dreieckigen Höhlen zwischen den
Falten und dem Tapetum nigrum lassen sich bis zum Augen-
hintergrund verfolgen, wo !sie konfluieren. Das Innenblatt der
Augenblase lässt auf Äquatorialschnitten, wie dem abgebildeten,
nur zwei Schichten, eine äussere, an Zellkernen überaus reiche
Bilaterale oder nasotemporale Symmetrie des Wirbeltierauges. 365
und eine innere, wie früher, senkrecht gestreifte unterscheiden.
Während jene auf dem Schnitt der Fig. 2 dünner war als diese,
ist jetzt das umgekehrte der Fall; die Zellen haben sich also
absolut und relativ (d.h. im Verhältnis zur Dicke der Wand)
vermehrt. Horizontal, d. h. parallel mit der inneren Oberfläche
der Retina verlaufende Fasern sind, wenigstens auf solchen
Schnitten, nicht zu sehen. Während aber im Äquator bulbi zu
dieser Zeit noch keine Ganglien- und innere retikuläre Schicht
zu sehen sind, treten beide gegen den Augenhintergrund zu
alsbald auf den Schnitten in die Erscheinung, ja, es sind beide
schon von recht ansehnlicher Dicke. Der Glaskörper enthält
ausser den Gefässen — den Ästen der Arteria hyaloidea —
ziemlich zahlreiche Bindegewebszellen mit verästelten Fortsätzen
und ein ausserordentlich zartes Netzwerk feinster Fasern, über
deren Anordnung und Verlauf ich an diesen Schnitten nicht ins
Klare kommen konnte. Ausser diesem Fasernetz finden sich auch
noch kleine, runde, stark lichtbrechende, mit Boraxkarmin sich leicht
rosa tingierende Körner, die stets in den Fasern, nie zwischen
ihnen oder in den von ihnen umschlossenen Maschenräumen ge-
legen sind. Was diese Körner zu bedeuten haben, dürfte schwer
zu sagen sein. Wie Gerinnungsprodukte sehen sie nicht aus. —
An den Schnitten durch den Augenhintergrund, an denen noch,
wie gesagt, die Ganglienzellenschicht und innere Körnerschicht zu
sehen sind, ist die Lappung der Retina ungemein deutlich.
Der Optikus zeigt in einiger Entfernung vom Bulbus das
sehr typische in Fig. 5 wiedergegebene (uerschnittsbild. Seine
beiden Lamellen sind hier nahezu gleich dick und stehen an den
einander zugewendeten Seiten durch Interzellularbrücken mit-
einander in Verbindung. Die Rinne an seiner Unterseite stellt
zu dieser Zeit einen langgezogenen, über viele Schnitte sich er-
streckenden Schlitz dar, der überall von Bindegewebe erfüllt ist
und sich an der ventralen und zugleich etwas medialen Seite
öffnet. Eine die Arteria hyaloidea begleitende Vene ist auch hier
nicht vorhanden. In der Retina selbst gibt esnoch keine Gefässe.
Zum Schluss will ich noch ein paar Worte über das Auge
eines 31 mm langen Embryo sagen. Ich will mich dabei auf die
Punkte beschränken, die für uns in erster Linie in Betracht
kommen. Ich beginne gleich mit der Beschreibung des auf Taf. XII,
Fig. 6 abgebildeten Äquatorialschnittes. Das erste, was uns
366 CarlRabl:
an diesem Schnitt, der den Bulbus schon medial von der Linse
trifft, auffällt, ist seine eigentümliche Form. Die Falten der
Retina haben sich vollkommen ausgeglichen, die Retina ist ganz
glatt geworden, aber der Bulbus weicht in seiner Form noch sehr
von der definitiven Form ab. Er ist so stark in vertikaler Richtung
zusammengedrückt, dass der AÄquatorialschnitt keinen Kreis,
sondern eine sehr lange Ellipse mit horizontal gestellter langer
Achse darstellt. Es kann keinem Zweifel unterliegen, dass diese
Form durchaus normal und für dieses Stadium charakteristisch
ist. Der in Zenkerscher Flüssigkeit fixierte Embryo zeigte
nicht die geringste Spur einer Schrumpfung oder einer Veränderung
durch Druck oder dergleichen. Er war auch noch vollkommen
frisch, wie die tadellose Erhaltung der zahlreichen Mitosen beweist.
Ich verweise übrigens auch darauf, dass auf einer diesem Stadium
ungefähr entsprechenden Entwicklungsstufe des Kaninchens der
Äquatorialschnitt durch den Bulbus ebenso elliptisch ist, wie der
des Menschen (vergl. Fig. 12, Taf. X). Ich glaube nicht fehlzu-
gehen, wenn ich die Form des Äquatorialschnittes, die der Bulbus
jetzt zeigt, mit der, die er früher (vergleiche Fig. 4, Taf. XII)
zeigte, in Zusammenhang bringe. Früher stellte er ein langge-
strecktes, horizontal gestelltes Viereck mit abgerundeten Ecken
dar, jetzt eine Ellipse mit horizontal gestellter langer Achse.
Die Zeichnung ist so orientiert, dass die nasale Seite des Bulbus
nach rechts, die temporale nach links sieht. Bei rs, ri und rm sind
die Querschnitte des Rectus superior, inferior und medialis ein-
getragen. Der Rectus lateralis ist gerade an seiner Insertion
getroffen, konnte aber bei der schwachen Vergrösserung nicht
eingetragen werden (Vergrösserung = 46). Am Präparat ist ausser-
dem unterhalb des Rectus inferior der etwas schräg geschnittene
Obliquus inferior zu sehen. Auch der Querschnitt durch den
Obliquus superior ist schon in seiner definitiven Lage aufzufinden
und endlich auch der Levator palpebrae superioris. Von einer
Wiedergabe aller dieser Muskeln habe ich aber, da das Bild sehr viel
grösser hätte werden müssen, abgesehen. Das, was uns besonders
interessiert. ist das Querschnittsbild der Retina. Vor allem sind
ihre Dicke und ihr ganz ausserordentlicher Zellenreichtum auf-
fallend. Die Schichtenbildung hat sehr interessante Fortschritte
gemacht. Die relative Dicke der aus dem Randschleier hervor-
gegangenen Nervenfaserschicht hat ausserordentlich abgenommen.
Bilaterale oder nasotemporale Symmetrie des Wirbeltierauges. 367
Während bei dem Embryo von 14 mm Scheitelsteisslänge an der
temporalen Seite des auf Taf. XII, Fig. 4 abgebildeten Schnittes,
wo die Retina voll getroffen ist, voller als an der nasalen, das Ver-
hältnis der Dicke des Randschleiers zur Dicke der ganzen Retina
(ohne Pigmentschicht) 20:84 u beträgt, der Randschleier oder
die Vorstufe der Nervenfaserschicht also nur etwa den vierten
Teil der ganzen Dicke der Retina einnimmt, beträgt dieses
Verhältnis bei dem 31 mm langen Embryo an der auf dem Schnitt
der Fig. 6, Taf. XII voller getroffenen nasalen Seite 20:148 u,
mit anderen Worten, die Nervenfaserschicht bildet kaum den
siebenten Teil der ganzen Dicke der Retina. Wenn auch diese
Zahlen auf absolute Genauigkeit keinen Anspruch erheben können,
so sind doch die unvermeidlichen Fehler der Messung sicher nur
sehr gering und ohne grosse Bedeutung und ändern nichts an
der Hauptsache. In der Nervenfaserschicht sieht man jetzt auch
schon eine ungeheuere Menge von feinen Nervenfasern, die natürlich
je nach der Gegend des Schnittes einen verschiedenen Verlauf
zeigen. An dem abgebildeten Schnitt ist in der Mitte der nasalen
Seite die übergrosse Mehrzahl der Fasern quer getroffen, die
Fasern erscheinen daher als feine Punkte, als welche sie auch in
der Fig. S, Taf. XII zu sehen sind. An anderen Stellen, so vor
allem in der dorsalen und ventralen Wand der temporalen Hälfte,
verlaufen sie schief und zwar an der dorsalen Seite schief von
rechts unten nach links oben und an der ventralen schief von
rechts oben nach links unten. Verfolgt man die Serie nach dem
Augenhintergrund zu, so kommt man schliesslich zum Eintritt des
Optikus, der ganz an die nasale Seite der betreffenden Schnitte
gerückt erscheint und von wo aus die Fasern zum Teil direkt
nach aussen, also nach der Stelle der späteren Macula lutea,
zum grösseren Teil aber nach aussen und oben sowie nach aussen
und unten ziehen. Der Faserverlauf ist also jetzt, was eigentlich
selbstverständlich ist, schon genau derselbe wie im voll entwickelten
Auge.
An den nun folgenden Schichten der Retina (der Ganglien-
zellen-, inneren retikulären und Hauptschicht) fällt schon bei
der Untersuchung mit ganz schwachen Vergrösserungen auf,
dass die Zellkerne beziehungsweise die Zellen, denen sie angehören,
eine ganz bestimmte hichtung einhalten. Sie bilden
Reihen, die senkrecht von der inneren zur äusseren
368 VaraRRipE
Oberfläche derketina ziehen, also senkrecht gegen die Fläche
orientiert sind, die ursprünglich an den Sehventrikel grenzte. An
dem abgebildeten Schnitt (Fig. 6) hat sich das Innenblatt der
vetina, die Retina im engeren Sinne des Wortes, vom Aussenblatt,
dem Tapetum nigrum, abgehoben, und so ist zwischen beiden
ein Spaltraum entstanden, der dem ursprünglichen Hohlraum des
Sehventrikels, wie er z.B. auf dem Schnitt der Fig: 2, TAI
zu sehen ist, entspricht. Ich habe schon vor langer Zeit, vor
mindestens 20 Jahren, auf einem Neurologenkongress in Prag
eine grosse Zahl von Präparaten des Zentralnervensystems
der Amphibien und Säugetiere demonstriert, welche zeigten, dass
ganz allgemein während der Zeit der lebhaftesten Zellvermehrung
die Neuroblasten und wohl auch die Spongioblasten
eine ganz bestimmte Stellung oder Richtungin der
Wand des Zentralnervensystems einhalten. Die Zellen
bilden Reihen, die senkrecht gegen den betreffenden
Ventrikel, beziehungsweise gegen den Zentralkanal des
Rückenmarks gestellt sind. Jede Reihe bildet gewissermassen
eine Zellfamilie; die ältesten Glieder der Familie liegen am
tiefsten, der inneren Oberfläche der Wand des Zentralnerven-
systems am weitesten abgekehrt, die jüngsten liegen am weitesten
nach innen, dicht unter der Ventrikelfläche. Hier findet auch
die Zellvermehrung statt. Von je zwei aus einer Teilung hervor-
gehenden Tochterzellen rückt die eine weiter nach aussen, die
andere bleibt dicht unter der Ventrikelfläche liegen und wächst
wieder zu einer Mutterzelle heran. Diese Art der Verschiebung
der neugebildeten Zellen führt natürlich zu einem Dickenwachstum.
Andererseits erfolgen aber auch selbstverständlich Teilungen im
Sinne des Flächenwachstums, also Teilungen mit parallel zur
Ventrikeltläche gestellter Achse. Oft sieht man die Ventrikel-
oberfläche des Gehirns eines Embryo mit Mitosen geradezu über-
schwemmt. Sicher hat dabei jede einzelne dieser unzähligen
Mitosen ihre ganz bestimmte Bedeutung und bei jeder Mitose
ist die Stellung der Teilungsachse von allem Anfang an bestimmt;
die eine dient dem Flächenwachstum, die andere dem Dicken-
wachstum und alles ist gesetzmässig festgelegt. Eine Zelle teilt
sich nicht, wann es ihr beliebt und auch nicht, so oft es ihr
beliebt, sondern Zeit und Zahl der Teilungen sind genau geregelt;
wären sie es nicht, so müsste Missbildung auf Missbildung folgen.
Bilaterale oder nasotemporale Symmetrie des Wirbeltierauges. 369
Alles dies gehört in das grosse, ungemein wichtige und höchst
interessante Kapitel des allgemeinen Gerichtetseins der
zelligen Elemente des Organismus und ihrer Derivate, ein Thema,
über das ich demnächst eine kurze Abhandlung zu veröffentlichen
gedenke, um in ihr zugleich einigen Angriften aus älterer und
neuerer Zeit entgegenzutreten.
Zu solchen senkrecht zur inneren und äusseren Oberfläche
gestellten Reihen sind nun auch, wie gesagt, die Zellen der Gang-
lienzellen- und der Hauptschicht angeordnet. In der Ganglien-
zellenschicht sind die Kerne zu mehrreihigen Streifen geordnet,
die durch eben merkbare, hellere, d.h. an Zellkernen ärmere
Zwischenräume undeutlich voneinander geschieden sind. In der
Hauptschicht dagegen stehen die Kerne viel dichter und die
Reihenordnung kommt fast nur darin zum Ausdruck, dass nahezu
sämtliche Kerne mit ihrer Längsachse, die die Querachse bedeutend
übertrifft, senkrecht gestellt sind. Die Ganglienzellenschicht
ist gegen die innere retikuläre Schicht zu dieser Zeit noch in
keiner Weise scharf abgesetzt. Diese enthält überall reichlich
Kerne, aber trotzdem macht sie sich, und zwar vor allem bei
schwacher Vergrösserung, als hellerer Streifen sofort bemerkbar. Die
Kerne der Ganglienzellenschicht sind rundlich (Fig. 8, Taf. XII),
und wenn sie auch keineswegs durchaus die gleiche Grösse be-
sitzen, so macht sich der Grössenunterschied doch erst bemerkbar.
wenn man die Aufmerksamkeit direkt darauf richtet. Sie sind
verhältnismässig blass, d. h. chromatinarm, das Kernnetz zart und
die nukleolenartigen Anschwellungen desselben nicht von beson-
derer Grösse. Zwischen den runden Kernen kommen nur einige
wenige langgestreckte, senkrechtstehende zur Beobachtung.
Zwischen den Kernen bemerkt man feine, fast durchwegs senkrecht
verlaufende Fäden. Die Hauptschicht lässt an der Aussenfläche (a)
einen helleren Saum frei. Die an diesen anstossenden Kerne
sind etwas dichter angeordnet und häufig auch mehr in die Länge
gestreckt, so dass sich hier die Bildung einer neuen Schicht, der
äusseren Körnerschicht, einzuleiten beginnt. Irgend eine scharfe
Grenze gegenüber den mehr im Inneren der Hauptschicht gelegenen
Zellen oder Zellkernen aber ist nicht vorhanden. Während
nun die Kerne, die unmittelbar oder in geringer Entfernung von
dem hellen Saum liegen, nach aussen zu abgerundet sind, er-
scheinen die tiefer liegenden, also die der inneren retikulären
370 CarlRabl:
Schicht genäherten, die sich später zu den Kernen der inneren
Körnerschicht entwickeln, sehr häufig nach aussen etwas zuge-
spitzt und der dünne, sie umschliessende Zelleib ist nicht selten
in einen senkrecht nach aussen verlaufenden Fortsatz zu ver-
folgen. Die Hauptschicht, in der die Kerne viel dichter stehen
als in der Ganglienzellenschicht, wird nach aussen durch eine
sehr deutliche, mit Körnchen versehene Limitans externa abge-
schlossen, der stellenweise längliche, gekrümmte oder unregel-
mässig gebogene, flockige Gebilde aufsitzen, die wohl Reste der zu
dieser Zeit noch sehr hinfälligen Stäbchen und Zapfen sein dürften.
Das Tapetum nigrum zeichnet sich jetzt schon durch grossen
Pigmentreichtum aus. Die Pigmentkörner bilden eine geschlossene
Schicht, die ziemlich genau die innere Hälfte der Dicke des
Epithels einnimmt, also in der genetisch freien Seite der Zellen
liegt; die äussere Hälfte wird von den runden Zellkernen ein-
genommen. Zwischen ihnen, vor allem auch an der basalen Seite
der Zellen, finden sich nur einzelne zerstreute Pigmentkörner;
wenn aber solche Körner auch in geringer Zahl an der basalen
Seite der Zellen angetroffen werden, so sind sie doch sicher nicht
hier entstanden. Weitaus die Hauptmasse findet sich an der
freien Seite.
Der Glaskörper enthält vor allem zahlreiche Fasern, die in
den verschiedensten Richtungen getroffen erscheinen; ausserdem
enthält er ein sehr dichtes und zartes Retikulum mit zahlreichen
feinsten auf- und eingelagerten Körnchen, von denen man, ebenso
wie vom Retikulum selbst, schwer sagen kann, wieviel davon
vorgebildete, feste Struktur, wieviel Gerinnungsprodukt ist. Die
(serüstbalken des Netzes sind fast stets gegen die (refässe zentriert;
vor allem gilt dies von den Netzbalken in der Nähe der grösseren
“refässäste, die einen ganz entschiedenen Einfluss auf die Anord-
nung der Netzbalken haben. Am Optikuseintritt ist sicher nur
ein Gefäss, die Arteria hyaloidea, vorhanden, keine Vene; und
ebenso wie früher ist auch jetzt die Netzhaut selbst noch ganz
und gar gefässlos. Es scheint, dass sich die Vena centralis retinae
erst entwickelt, wenn von der Arteria hyaloidea Äste in die Retina
hineinwachsen und diese dadurch zur Arteria centralis retinae
wird, während sich die Äste der Arteria hyaloidea zurückbilden.
Indessen stehen mir über die Bildung der Gefässe der Retina
selbst keine Erfahrungen zu Gebote. —
Bilaterale oder nasotemporale Symmetrie des Wirbeltierauges. 371
Ich habe endlich noch auf Taf. XII, Fig. 7 einen Querschnitt
durch den Optikus dieses Embryo abgebildet. Ein paar Worte
werden genügen, um das Bild zu erläutern. Der Optikus ist von
einer derben Hülle umgeben, die eine Trennung in die bekannten
späteren „Scheiden“ noch nicht erkennen lässt. An einzelnen
Stellen der Hülle sieht man platte Gefässlumina. Der abgebildete
Schnitt trifft gerade den Bindegewebszug, der die Arteria hyaloidea,
den Vorläufer der Arteria centralis retinae, auf ihrem Verlauf
ins Innere des Optikus begleitet. Dieser Bindegewebszug hat
ganz wie beim Erwachsenen eine etwas schiefe Lage, indem er
nicht genau senkrecht von unten nach oben zieht, sondern so,
dass sein unteres Ende ein wenig nasalwärts abgelenkt ist.
Der Bindegewebszug erreicht die Mitte des Optikus nicht.
Auf dem abgebildeten Schnitt ist der Optikus kreisrund.
Diese Form ändert sich erst unmittelbar vor dem Eintritt in den
Bulbus. Der Querschnitt wird nämlich zuletzt elliptisch mit
senkrecht gestellter langer Achse. In dieser letzten Strecke
liegt die Arterie rein nasal von der Achse des Nervs, nicht
zugleich nach der ventralen Seite verschoben. Andererseits
nimmt auch die Querschnittsfigur des Nervs von der Eintrittsstelle
der Arterie, also von dem abgebildeten Schnitt an nach hinten
gegen das Chiasma eine andere Form an. Sie wird gleichfalls
elliptisch, wobei aber zugleich die Ellipse schief gestellt ist.
Merkwürdigerweise nimmt dabei die Dicke des Optikus von vorn
nach hinten recht beträchtlich ab. Beim Eintritt der Arterie,
also an dem abgebildeten Schnitt, beträgt sowohl der vertikale,
als der horizontale Durchmesser ungefähr 360 «u, 15 Schnitte
weiter nach innen gegen das Chiasma (Schnittdicke 15 u) beträgt
der längere Durchmesser der Ellipse 330 «, der kürzere aber
nur 277 u. Kurz vor dem Eintritt in den Bulbus endlich, also
an seinem Vorderende, beträgt der vertikale Durchmesser der
Ellipse 435, der horizontale 375 «u. Der Optikus wird also,
wie gesagt, entschieden nach hinten dünner. Nun
ist zu bedenken, dass das Wachstum seiner Fasern von der Gang-
lienzellenschicht der Retina nach hinten zum Gehirn gerichtet
ist, und man wird wohl nicht fehlgehen, wenn man annimmt, dass
der Nerv vorn weiter entwickelt ist als hinten; möglicherweise
sind die Nervenfasern vorn etwas dicker als hinten, woraus sich
die Abnahme der Grösse des Querschnittes ungezwungen erklären
312 CarlRabl:
würde. (Unmittelbar vor dem Eintritt in den Bulbus enthält
der Optikus zwar etwas mehr Gliazellen als weiter hinten, aber
der Unterschied ist nicht so bedeutend, dass sich daraus die
Abnahme der Grösse des Querschnittes erklären liesse.)
Die Nervenfasern sind zu Bündeln von sehr verschiedener
(Wuerschnittsgrösse vereinigt, ohne dass sich eine bestimmte Art
der Verteilung dieser Bündel feststellen liesse. Nur ganz im
allgemeinen kann man vielleicht sagen, dass sich an der Oberfläche
auffallend viele dünne, dagegen neben dem Bindegewebszug, der die
Arterie in den Nerv hineinbegleitet, auffallend dicke Bündel
finden. Dies gilt zunächst für den abgebildeten Schnitt, auf
anderen Schnitten ist die Verteilung eine etwas andere. Die
Bündel geben zu dieser Zeit auf dem Querschnitt genau dasselbe
Bild, wie die Bündel anderer Nerven. In den Räumen zwischen
den Bündeln finden sich zahlreiche Zellen mit verzweigten Fort-
sätzen. Ich halte sie alle für Gliazellen und glaube, dass echtes,
mesodermales Bindegewebe erst mit der Ausbildung von Gefässen
in die Retina und den Optikus hineingelangt. Die Gliazellen
treten bis unmittelbar an die Wand der Arterie heran, um sich
mit ihr zu verbinden. (regen diese Gliazellen, die sich zu einer
Limitans gliae verbinden, besitzt das die Arterie begleitende
echte Bindegewebe eine sehr scharfe Grenze. — Wenn man mit
einem solchen embryonalen Optikus den Optikus eines Erwachsenen
vergleicht, so erkennt ‘man sofort, dass auch hier das echte,
mesodermale, Bindegewebe die Gefässe begleitet. Dieses Binde-
zewebe fasst stets eine grössere Zahl von embryonalen Bündeln,
wie wir sie auf dem Bilde (Fig. 7) sehen, samt den zwischen
ihnen gelegenen Gliazellen zu Bündeln von grösserem
(Juerschnitt zusammen. Man kann die embryonalen Bündel, die
durch Glia voneinander getrennt sind, als primäre Optikus-
bündel und die späteren grösseren, die aus einer grösseren Zahl
solcher embryonaler oder primärer Bündel bestehen und von
echtem mesodermalem Bindegewebe umschlossen werden, als
sekundäre Optikusbündel bezeichnen. —
Welche Bedeutung mögen nun die mitgeteilten Tatsachen,
vor allem die Bildung der Randkerben und die Teilung der
Retina in einen nasalen und temporalen Lappen haben? Wie
mögen sie zu erklären sein? Eine Reihe minder auffallender,
hier mitgeteilter und bisher unbekannter Tatsachen ist ohne
Bilaterale oder nasotemporale Symmetrie des Wirbeltierauges. 575
weiteres verständlich, oder bietet doch wenigstens dem Verständnis
keine grossen Schwierigkeiten. Hierher gehört vor allem die
Tatsache, dass der Querschnitt des Optikus oder des Stieles der
Augenblase nach dem Auftreten der Fasern, aber noch vor der
Ausbildung der Markscheiden, in der Nähe des Bulbus grösser
ist, als in der Nähe des Gehirns. Wir wissen, dass die Optikus-
fasern von den Zellen der Ganglienzellenschicht der Retina aus-
wachsen und dass sie von ihrer Ursprungsstätte an nach der
Peripherie an Dicke abnehmen; in derselben Richtung muss also
auch der ganze Optikus an Dicke abnehmen.
Auch die Tatsache, dass ursprünglich nur ein einziges (Grefäss,
die Arteria hyaloidea, im Optikus eingeschlossen ist, während dieser
doch, wie jedermann weiss, beim Erwachsenen stets ausser einer
Arterie auch eine Vene umschliesst, sowie die weitere, damit
einhergehende Tatsache, dass der junge, embryonale Optikus
ausser dem spärlichen, die Arteria hyaloidea begleitenden Binde-
gewebe, das sich streng an die Arterie hält und über die Mitte
des Querschnittes nicht hinausgreift, kein Bindegewebe mesoder-
maler Abkunft enthält und dass seine Nervenfaserbündel nur
durch Glia miteinander verbunden, beziehungsweise voneinander
getrennt werden, wird einigermassen verständlich, wenn wir be-
denken, dass in diesen frühen Stadien der Entwicklung die Retina
noch ganz ohne Gefässe ist. Diese bilden sich zweifellos aus der
Arteria hyaloidea in sie hinein, die kleinen Arterien gehen in
Kapillaren und die Kapillaren in Venen über, die sich schliesslich
zur Vena centralis verbinden, die nun in Begleitung der aus der
Arteria hyaloidea entstandenen Arteria centralis retinae nach
rückwärts läuft. Mit den Gefässen wächst aber auch Binde-
gewebe mesodermaler Abkunft in die Retina hinein und ebenso
gelangt auch Bindegewebe in den Optikus. Dieses Gewebe fasst
eine grössere oder geringere Zahl primärer, nur durch Glia ver-
bundener Nervenfaserbündel zu Komplexen höherer Ordnung, zu
sekundären Bündeln, wie ich sie genannt habe, zusammen.
Während der embryonale marklose Optikus noch kein mesoder-
males Gewebe und im Zusammenhange damit keine Blutgefässe
führt, sind solche im entwickelten Nerv in grosser Menge ent-
halten. Der Nerv wird also vaskularisiert gleichzeitig mit der
Vaskularisation der Retina.
Andere Erscheinungen hat man schon vor längerer Zeit
Archiv f.mikr. Anat. Bd.90. Abt.I. 25
374 CameRtarhıl:
erklären zu können vermeint; man denke nur an die sehr wohl-
feile, aber als geistreich gerühmte Theorie Boveris über die
phylogenetische Entwicklung des Wirbeltierauges, die durch die
Einstülpung der primären Augenblase in ihrer kausalen Bedeutung
völlig klargestellt sein sollte. — Ebenso leicht hat man es sich mit der
fötalen Augenspalte machen zu dürfen geglaubt. Man hatte ge-
funden, dass die Arteria hyaloidea, die Vorläuferin der Arteria
centralis retinae, mit etwas Bindegewebe in die Spalte und durch
sie in den Glaskörperraum eindringt; und nun war man sofort
mit dem Schlusse fertig, dass der ganze Glaskörper aus diesem
Bindegewebe den Ursprung nehme. Nichts war selbstverständ-
licher, als dass dem „Bildungsgewebe“ des Glaskörpers der Weg
zu seinem Bestimmungsort offen stehen müsse, und diesen Weg
glaubte man denn in der fötalen Augenspalte gefunden zu haben.
So war denn, um eine alte, einst sehr beliebte, von Zöllner in
seiner „Natur der Kometen“ geprägte Phrase zu gebrauchen,
das „Kausalitätsbedürfnis der menschlichen Vernunft“ in der
einfachsten Weise befriedigt. — Später fand man, dass bei den
Vögeln der Fächer, bei den Fischen der Processus faleiformis (die
Leiste nach H. Virchow) diese Pforte benutzen, um in den
(Glaskörperraum einzutreten, und so hatte man denn allen Grund,
mit der Erklärung, die man sich ausgedacht hatte, zufrieden zu
sein. Als man dann aber vor etwa 14 Jahren fand, dass der
Glaskörper nicht aus jenem Bindegewebe den Ursprung nimmt,
sondern dass er der Hauptsache nach aus der Augenblase selbst
entsteht, hätte man sich doch wohl die Frage vorlegen sollen, ob
nicht eine viel kleinere Öffnung für den Eintritt der Arteria
hyaloidea, die doch anfangs nur zur Ernährung der Linse dient,
auch genügend wäre. Warum musste denn die ganze ventrale Seite
des Augenbechers und noch ein Teil des Optikus sozusagen aufge-
schlitzt werden, wenn der Nutzen der Einrichtung nur darin zu suchen
ist, ein so unbedeutendes Gefäss eintreten zu lassen ? Konnte nicht
vielleicht die ganze, denn doch sehr merkwürdige Bildung mit der
bisher immer übersehenen bilateralen oder nasotemporalen Symme-
trie des Auges im Zusammenhang stehen? Wir werden auf diese
Fragen noch am Schlusse unserer Betrachtungen zurückkommen. Zu-
nächst wollen wir noch die Frage zu beantworten suchen, ob und unter
welchem Bild auch beianderenWirbeltieren eine bilaterale Symmetrie
in der Anlage der Retina zu erkennen ist, wie bei den Säugetieren.
Bilaterale oder nasotemporale Symmetrie des Wirbeltierauges. »
Bemerkungen über die Entwicklung der Retina der
Sauropsiden, Amphibien und Fische.
A. Vögel. Es ist mir schon seit mehr als 25 Jahren be-
kannt, dass am Auge von Hühnerembryonen eines gewissen Alters
gegenüber der fötalen Augenspalte im vertikalen Meridian ein
senkrechter, am konservierten Material heller Streifen zu sehen
ist. Ich habe auf Taf. XIII, Fig. 10 und 11 zwei solche Embryonen
abgebildet. Die Zeichnungen stammen noch aus meiner Prager
Zeit; ich habe sie vor etwa 14 Jahren, zusammen mit zahlreichen
anderen, die ich noch aufbewahre und die bestimmt waren, in
ein zweites Heft meines Tafelwerkes über die Entwicklung des
Gesichtes aufgenommen zu werden, angefertigt. Der Embryo der
Fig. 10 war 3 Tage 22 Stunden, der der Fig. 11 war 4 Tage
6 Stunden alt. Beide Embryonen zeigen den erwähnten Streifen
mit aller nur wünschenswerten Deutlichkeit.
Ich will indessen, bevor ich näher darauf eingehe, noch ein
paar Worte über das Gesicht junger Hühnerembryonen überhaupt
sagen, wobei ich mich aber lediglich auf das Auge und die Kiemen-
gegend beschränke. Zu diesem Exkurs bestimmt mich der Umstand,
dass die bisher vorliegenden Abbildungen und Beschreibungen
von Hühnerembryonen recht viel zu wünschen übrig lassen. Der
bekannte Atlas der Embryologie von Duval ist ganz ungenügend,
und auch die Darstellung in den Normentafeln von Keibel und
Abraham reicht weder textlich noch bildlich aus. Ich erwähne
zunächst, dass schon bei Hühnerembryonen von 13 und 15 Urwirbeln
wenigstens insofern andeutungsweise eine bilaterale Symmetrie
der primären Augenblasen ausgesprochen ist, als dieselben von
vorn nach hinten zusammengedrückt sind, also eine nasale und
temporale Wand unterscheiden lassen, die dorsal und ventral im
Bogen meinander übergehen; der naso-temporale Durchmesser ist
also kürzer als der dorso-ventrale, ganz wie dies auch für Säuge-
tiere korrespondierenden Alters gilt. Diese Verkürzung des
horizontalen Durchmessers ist bei Embryonen mit 15 Urwirbeln
grösser als bei solehen mit 13. Bekanntlich stehen Hühner-
embryonen dieser Entwicklungsstufe am Ende des zweiten oder
Anfang des dritten Tages. Die gleiche Verkürzung des horizon-
talen Durchmessers der primären Augenblase kann man übrigens
auch bei Entenembryonen konstatieren. Bei Embryonen von 8
35*
376 CarlRabl:
und 9 Urwirbeln ist die Augenblase von oben betrachtet ungefähr
kugelig, bei einem Embryo von 10 Urwirbeln beginnt sich schon
eine Verkürzung des horizontalen Durchmessers bemerkbar zu
machen und bei Embryonen von 11, 12, 13 und 14 Urwirbeln
tritt diese ebenso deutlich hervor wie bei den erwähnten Hühner-
embryonen. — Viel schärfer aber ist die bilaterale oder naso-
temporale Symmetrie des Auges bei Embryonen aus der zweiten
Hälfte des dritten Tages ausgeprägt. An einer Sagittalschnittserie
durch einen Embryo von 2 Tagen 16 Stunden, bei dem natürlich
schon längst eine sekundäre Augenblase vorhanden ist und das
Linsenbläschen nur mehr mit ganz enger, ovaler, senkrecht ge-
stellter Öffnung nach aussen mündet, ist die Augenblase stark
von vorn nach hinten zusammengedrückt, so dass sich der hori-
zontale Durchmesser zum vertikalen wie 23:32 verhält. Zieht
man von der fötalen Augenspalte eine Linie senkrecht nach oben,
so teilt man den Augenbecher in zwei symmetrische Hälften.
Die Symmetrie wird noch dadurch erhöht, dass der Glaskörper-
raum eine leichte nasale und temporale Ausbuchtung besitzt, dass
in der oberen Wand des Augenbechers eine Höhle auftritt, etwa
ähnlich wie bei einem Schweineembryo korrespondierenden Alters,
dass auch vorn und hinten in den Umschlagsrändern des Bechers
Höhlen erscheinen, dass vom Augenhintergrund in der Mitte ein
flacher Wulst vorspringt und dass endlich auf den Schnitten, die
das Augenbläschen gerade in der Mitte treffen, also sein Lumen
in der grössten Ausdehnung zeigen, der Augenbecher ganz deut-
lich eine dorsale, nasale und temporale Wand unterscheiden lässt;
die drei Wände gehen in ungefähr rechten, abgerundeten Winkeln
ineinander über. Dabei sind ausserdem vordere und hintere
Wand noch deutlich in zwei Abschnitte geteilt, so dass man an
der Wand der Augenblase dieselben Abschnitte unterscheiden
kann wie etwa bei einem Schaf oder Schwein. Zwischen die
ventralen, gegeneinander gebogenen Hälften der vorderen und
hinteren Wand schneidet die fötale Augenspalte ein.
Bei ein wenig älteren Embryonen kann man schon bei der
Untersuchung in toto die Symmetrie ohne weiteres erkennen. So
liegen mir drei Ansichten eines Hühnerembryo von 2 Tagen
21 Stunden vor, von denen die Seitenansicht nicht bloss die Kom-
pression des Auges in der Richtung von vorn nach hinten, sondern
vor allem auch die Lappung des Becherrandes sehr deutlich
Bilaterale oder nasotemporale Symmetrie des Wirbeltierauges. 377
erkennen lässt. Man bemerkt deutlich eine vordere und hintere
dorsale Randkerbe, genau in derselben Lage, wie etwa bei einem
Schafembryo. Und wenn nun auch eigentliche ventrale Kerben
nicht vorhanden sind, so weist doch der flache Bogen, den vorderer
und hinterer Rand beschreiben, auf solche Kerben hin.
Am deutlichsten aber, so klar, dass sich selbst der Un-
gläubigste überzeugen muss, ist die bilaterale oder nasotemporale
Symmetrie des Auges wohl bei Embryonen vom Ende des vierten,
oder Anfang des fünften Tages, also zur Zeit, wo schon äusser-
lich die Symmetrie durch einen hellen vertikalen Streifen gegen-
über der fötalen Augenspalte angezeigt ist (Fig. 10 und 11 der
Taf. XIII). Natürlich liegt der Gedanke nahe, dass der helle
Streifen in einem Pigmentmangel des äusseren Blattes der Augen-
blase seine Ursache haben möge. Nun kann ich aber auf
Schnitten von einer pigmentfreien Stelle in der Mitte der dorsalen
Wand nichts finden. Nichtsdestoweniger halte ich diese Erklärung
für wahrscheinlich. Wenn auf einem Schnitte eine oder zwei
Zellen des äusseren Blattes der Augenblase nicht pigmentiert
sind, so fällt dies nicht ohne weiteres auf, ja, es kann selbst,
wie mir scheint, bei speziell darauf gerichteter Aufmerksamkeit
schwer festzustellen sein. Jedenfalls ist der Gegenstand noch
einer weiteren Untersuchung bedürftig. Dass aber an der Sym-
metrie des ganzen Auges nicht zu zweifeln ist, zeigen die unten-
stehenden Skizzen (Textfiguren 1—3) von drei Äquatorialschnitten
1 2 3
Textfig. 1-3. Äquatorialschnitte durch das Auge eines Hühnerembryo mit
ca. 40 Urwirbeln. 80 x vergrössert. n nasal, t temporal.
©
18 CarlRabl:
durch ein Auge eines Hühnerembryo mit ca. 40 Urwirbeln.
Embryonen dieser Entwicklungsstufe stehen ungefähr am Ende
des vierten Tages, sind also beiläufig so alt wie der in Fig. 10
abgebildete Embryo. Freilich ist bei solchen Altersangaben immer
zu bedenken, dass der Ausbildungsgrad gleichalter Embryonen
ein sehr verschiedener sein kann. Daher halte ich im allgemeinen
Angaben nach der Zahl der Urwirbel für zweckmässiger als solche
nach der Bebrütungsdauer. — Die erste der drei Skizzen (A)
zeigt einen Schnitt, der ungefähr durch die Mitte des Auges geht.
Die Linse ist noch eben getroffen. Der Augenbecher ist
deutlich bilateral-symmetrisch: eine Ebene, welche senkrecht
von der fötalen Augenspalte zur Mitte der dorsalen Wand
zieht, teilt ihn in eine nasale (n) und temporale (t) Hälfte. —
Ebenso ist auch auf der nächsten Skizze (B) die Symmetrie
deutlich zu erkennen. Der Schnitt trifft das Auge schon näher
dem Hintergrund und zeigt einen von der dorsalen Wand in den
Glaskörperraum vorspringenden Wulst des inneren Blattes der
Augenblase; der Wulst erinnert an die Falte, die wir bei allen
untersuchten Säugetieren kennen gelernt haben. Durch die fötale
Augenspalte dringt hier ein Gefäss ein, das wohl sicher später zur
Arterie des Fächers wird. — Die dritte Skizze (U) zeigt einen
Schnitt ganz weit innen. Hier springt in der Tat die dorsale
Wand deutlich in Form einer sehr flachen Falte nach unten vor. —
Der hier nur mehr sehr enge Glaskörperraum wird fast ganz von
einer Arterie eingenommen. Ausser den beiden engen Räumen
in den Umschlagsrändern der Augenblase ist noch ein sehr grosser
taum in der dorsalen Wand derselben enthalten. Alle diese
Eigentümlichkeiten tragen dazu bei, die Symmetrie des Auges
deutlich hervortreten zu lassen.
Was nun die Kiemenbogenregion, die fast an allen bisher
vorliegenden Abbildungen von Hühnerembryonen sehr mangelhaft
wiedergegeben ist, betrifft, so bemerke ich folgendes: Bei einem
Embryo von 2 Tagen 21 Stunden, demselben, von dem ich schon
gesprochen habe, übertrifft bereits der zweite Kiemenbogen
oder Hyoidbogen alle anderen an Grösse ; auch lässt er bereits die
Andeutung einer Teilung in einen dorsalen und ventralen Abschnitt
erkennen. Das dorsale Ende der ersten äusseren Kiemenfurche
ist deutlich vertieft. Die zweite Kiemenfurche trifft in ihrer
dorsalen Verlängerung eben noch die hintere Wand des Gehör-
Bilaterale oder nasotemporale Symmetrie des Wirbeltierauges.. 379
bläschens. Der dritte Kiemenbogen ist nach hinten gut begrenzt,
der vierte dagegen noch nicht; von einem fünften ist noch keine
Spur zu sehen. Bei zwei Embryonen von 3 Tagen 6 Stunden,
von denen mir je drei Ansichten vorliegen, sind fünf Kiemenbogen
in guter Begrenzung sichtbar. Wie früher, ist auch jetzt der zweite
der grösste, sein Operkularfortsatz (Dursy), der bei der Entwick-
lung des Halses eine wichtige Rolle spielt, tritt deutlich hervor. Der
dritte Kiemenbogen ist sehr viel kleiner als der zweite, aber ebenso
viel grösser als der vierte, der tiefer liegt und keine weitere
Gliederung aufweist. Der vierte Kiemenbogen ist kaum halb so
breit als der dritte und zugleich recht unansehnlich. Der fünfte
ist weitaus der kleinste, kaum halb so breit als der vierte, weshalb
es begreiflich ist, dass er so lange übersehen werden konnte.
Bekanntlich hat ihn Kastschenko entdeckt. Weder bei Duval
noch bei Keibel findet sich aber eine Abbildung, die diesen
Kiemenbogen zeigt. Dorsal vom dritten, vierten und fünften
Kiemenbogen findet sich auch beim Huhn die von His beschriebene
tetrobranchialleiste, die genau so wie bei den Säugetieren dorsal
hinter der Kiemenbogenregion ventralwärts umbiegt und zur
Herzwölbung zieht. Wie ich schon in meinem Vortrag „über
die Entwicklung des Halses“ (1886) gesagt habe, hat die Retro-
branchialleiste mit der Extremitätenleiste, die man fälschlich als
W olffsche Leiste zu bezeichnen pflegt, gar nichts zu tun: denkt
man sich die Extremitätenleiste proximalwärts verlängert, so
würde sie nicht die Retrobranchialleiste treffen, sondern dorsal-
wärts von ihr zu liegen kommen. Die Angabe von His, dass
die erstere eine Fortsetzung der letzteren sei, ist also unrichtig,
wie ich schon vor langer Zeit bemerkt habe. — ‘Der nächste
Embryo, von dem ich gleichfalls drei Bilder besitze, war 3 Tage
8 Stunden alt. Obwohl er ein wenig älter war als die beiden
vorigen, schien er doch etwas weniger weit entwickelt gewesen zu
sein; jedenfalls war an ihm nichts von einem fünften Kiemenbogen
zu sehen. Dieser ist übrigens nur eine ganz vorübergehende Er-
scheinung. Er rückt sehr bald in die Tiefe und verschwindet.
Dies ist schon bei einem Embryo von 3 Tagen 16 Stunden der Fall.
Dann kommen die zwei Embryonen, die ich in Seitenansicht
auf Taf. XIII abgebildet habe; daran sind die Kiemenbogen gut
zu sehen. Vor allem sieht man, wie der dritte Kiemenbogen
vom mächtigen zweiten überwachsen und in die Tiefe gedrängt
550 CarlRabl:
wird. Auch von diesen Embryonen besitze ich noch je zwei
andere Ansichten, muss es mir aber, wenigstens für dieses Mal,
versagen, sie reproduzieren zu lassen. Bekanntlich wächst später
der zweite Kiemenbogen auch über den vierten hinweg, wie er
denn überhaupt einen sehr wesentlichen Anteil an der Bildung
der oberflächlichen ventralen Gebilde des Halses nimmt.
Ausser an Hühnerembryonen habe ich auch an Enten-
embryonen die bilaterale Symmetrie des Auges untersucht. Von
Sagittalschnittserien, die hier besonders in Frage kommen, besitze
ich solche von Embryonen von 4, 5 und 6 Tagen. Die drei
Embrvonen von 5 Tagen waren sehr verschieden weit entwickelt.
3ei den zwei weiter entwickelten von ihnen war ohne weiteres
die Ähnlichkeit mit den Verhältnissen bei Hühnerembryonen zu
erkennen. Hierbei fiel mir aber noch eine andere Eigentümlichkeit
auf. Das äussere Blatt der Augenblase war an der nasalen und tempo-
ralen Wand mindestens doppelt so dick als in der Mitte der dorsalen.
Die Pigmentierung hatte bereits begonnen, war aber noch nicht
sehr kräftig. Und nun machte ich an diesen beiden Embryonen
eine Beobachtung, die mit allen bisherigen Angaben über Pigment-
bildung im Vogelauge im Widerspruch steht. Ich hatte schon
vor langer Zeit (1889 in meinem Berliner Vortrag „über die
Prinzipien der Histologie“) hervorgehoben, dass das Pigment in
einem Epithel stets nur an der freien Seite der Zellen zur Aus-
bildung komme; später, wenn die Pigmentkörnchen sich häufen,
können sie allerdings an der Seite des Kerns nach der Basis
verschoben werden; die eigentliche Bildungsstätte oder gewisser-
massen die Fabrik des Pigments sei aber stets an der freien
Seite der Zelle zu suchen. Diese Angabe trifft, wie ich schon da-
mals hervorhob, auch für das Pigmentepithel der Retina vollkommen
zu, und wir haben gesehen, wie streng sich die Pigmentbildung
der Säugetiere an dieses Gesetz hält. Nun wurde aber diese
Angabe bestritten ; es wurde gesagt, sie gelte zwar für die meisten
Säugetiere, aber nicht für die Vögel. Ich muss gestehen, dass
ich anfangs selbst in Zweifel geriet; ich hatte ältere Vogel-
embryonen (Hühner und Enten) untersucht und glaubte bestätigen
zu müssen, dass hier das erste Pigment an der basalen Seite der
Zellen erscheine. Nun stellte sich später heraus, dass ich in den-
selben Irrtum verfallen war, wie meine Kritiker: ich hatte zu
alte Embryonen untersucht. Untersucht man Entenembryonen
Bilaterale oder nasotemporale Symmetrie des Wirbeltierauges.. 381
von 5 Tagen, so kann man unmöglich darüber im Zweifel bleiben,
dass auch hier, genau so wie bei den Säugetieren und bei allen
anderen Wirbeltieren, das Pigment an der freien Seite der Zellen
entsteht. Die Zellen des Pigmentepithels werden aber bei den
Vögeln bald sehr niedrig und dann rückt das alte Pigment nach
der basalen Seite und nur die neu entstehenden Körnchen
bleiben, wenigstens zunächst, an der freien Seite liegen, um dann
der Mehrzahl nach gleichfalls nach der basalen zu rücken. Die
Bildungsstätte des Pigmentes ist also auch hier,
genau so wie bei den Säugetieren, die freie, nicht
die basale Seite.
Nach dem Gesagten kann es also nicht im geringsten
zweifelhaft sein, dass das Auge der Vögel, geradeso wie
das der Säugetiere, eine strenge bilaterale Sym-
metrie in Beziehung auf die nasale und temporale Hälfte erkennen
lässt. Der vertikale Meridian teilt das Auge in zwei symmetrische
Hälften. —
Was die Literatur betrifft, so konnte ich ebensowenig
wie hinsichtlich der Säugetiere irgend eine Andeutung finden,
die darauf hätte schliessen lassen, dass man von der seitlichen
Symmetrie des Vogelauges schon früher Notiz genommen hat.
Nur in den Normentafeln von Keibel und Abraham finde
ich auf Taf. I, Fig. 24, 25 und 26 drei Embryonen mit hellem
Streifen im dorsalen Meridian abgebildet. Im Text konnte ich
aber keinen Hinweis auf diese Eigentümlichkeit finden. Sollte
der ungenannte Zeichner der Tafeln den Streifen gesehen, Keibel
ihn aber weder an den Embryonen, noch auch, was kaum glaublich
wäre, an den Zeichnungen bemerkt haben? Einer der drei
Embryonen war 3 Tage 16 Stunden alt, die beiden anderen 4 Tage
S Stunden. Keibels Zeichner hat also den Streifen genau
zur selben Zeit oder in demselben Alter der Embryonen gesehen,
wie ich. — Nun aber sind noch drei etwas ältere Embryonen
abgebildet, die ausser dem vertikalen noch einen nasalen und
temporalen horizontalen Streifen besitzen. Die Embryonen
waren 4 Tage 18!/, 5 Tage 1!/g und 5 Tage 15 Stunden alt. Bei
älteren Embryonen war davon nichts mehr zu sehen. Was
für eine Bewandtnis es mit diesen zwei horizontalen Streifen hat,
muss ich vorderhand dahingestellt sein lassen. Ihre Existenz
zu leugnen, halte ich angesichts der sehr klaren Zeichnungen
382 CarlRabl:
nicht für möglich. Mir fehlt aber bisher jede Erfahrung darüber.
Seitdem ich die Streifen an den Keibelschen Zeichnungen be-
merkte, hatte ich keine (Grelegenheit, die Richtigkeit der Angabe
zu kontrollieren. Jedenfalls wird hier noch eine weitere Unter-
suchung notwendig sein. Natürlich müssten die Streifen eine
andere Bedeutung haben, wie der vertikale. Das Auge würde
also dann in vier Quadranten zerfallen.
B. Reptilien. Nachdem es mir gelungen war, bei den
Vögeln, vor allem beim Huhn, die bilaterale Symmetrie des Auges
festzustellen, hielt ich es natürlich für sehr wahrscheinlich, dass
derselbe Nachweis auch für Reptilien gelingen müsse. Ich wandte
mich zuerst an das nächstliegende Objekt, die Eidechse, und fand
sowohl bei Lacerta agilis als viridis meine Erwartung vollkommen
erfüllt. Schon bei Embryonen von etwa 17 Urwirbeln und weit
offenem Gehörbläschen, dann bei solchen mit 23 Urwirbeln und
fast abgeschnürtem (rehörbläschen, ist auf Sagittalschnitten durch
die Embryonen, also Äquatorialschnitten durchs Auge, die bila-
terale Symmetrie ohne weiteres erkennbar. Wie bei jüngeren
Hühnerembryonen gibt sie sich auch hier zunächst durch eine
Verkürzung der Augenblase im naso-temporalen und eine Ver-
längerung im dorso-ventralen Durchmesser zu erkennen. Wie sich die
bilaterale Symmetrie bei einem Embryo von L. viridis mit 33 Ur-
wirbeln auf dem Äquatorialschnitt ausnimmt, zeigt die Textfig.4. Die
Augenblase ist sehr stark von vorn nach
hinten zusammengedrückt und eine senk-
recht von der Mitte der sehr weiten fötalen
Augenspalte zur Mitte der dorsalen Wand
gezogene Ebene teilt den Bulbus in zwei
einander spiegelbildlich vollkommen gleiche
Hälften. In der oberen Wand findet sich
zwischen den beiden Blättern der Augen-
blase eine ansehnliche, sichelförmige Höhle,
ein Rest des „Sehventrikels“. Die innere
Textfig. 4. Kontur des inneren Blattes der Augen-
Äquatorialschnitt durch blase bildet über der Linse einen Spitz-
das Auge eines Embryo pogen und die Wand der Blase erscheint
ne en Bo NR im Bereiche dieses Bogens, also in der Mitte
arössert. der dorsalen Wand, beträchtlich dünner als
n nasal, t temporal. vorn und hinten, alles Eigentümlichkeiten,
3ilaterale oder nasotemporale Symmetrie des Wirbeltierauges.. 383
die keinen Zweifel daran lassen, dass auch hier das Auge bi-
lateral-symmetrisch gebaut ist.
Wesentlich die gleichen Verhältnisse, wenn auch etwas
weniger schön, zeigte ein Embryo von Lacerta agilis von der
gleichen Urwirbelzahl. Nebenbei bemerke ich, dass Embryonen
der Smaragdeidechse im allgemeinen für embryologische Unter-
suchungen günstiger sind, als solche der Zauneidechse. —
Ein Embryo von Lacerta viridis mit 35—36 Urwirbeln liess
zwar auch die bilaterale Symmetrie des Auges erkennen, jedoch
war dieses von vorn nach hinten nicht so stark zusammengedrückt,
sondern näherte sich bereits mehr der Kugelform. Sehr eigentüm-
lich war in diesem Fall, und ebenso auch bei einem Embryo von
Lacerta agilis mit 40 Urwirbeln, das Verhalten des Augenblasen-
stiels zur Augenblase. Es erinnerte einigermassen an das Ver-
halten beim jungen menschlichen Embryo, von dem ein diese
Eigentümlichkeit zeigender Schnitt auf Taf. XII, Fig. 3 abge-
bildet ist. Der Stiel der Augenblase tritt nämlich bei Lacerta-
embryonen des erwähnten Alters von unten her an die Augenblase
heran, so dass man auf einem und demselben Sagittalschnitt durch
den Kopf noch etwas vom Augenhintergrund und zugleich bereits
den Augenblasenstiel zu Gesicht bekommen kann. Natürlich ist
diesem Verhalten keinerlei prinzipielle Bedeutung beizumessen.
Endlich war ich noch in der glücklichen Lage, ein paar
Hatteria-Embryonen auf die Symmetrie des Auges hin zu unter-
suchen. Das Material stammte aus der von Thilenius im
Jahre 1898 mitgebrachten Sammlung von Hatteria-Embryonen,
von denen mir Waldeyer einen Teil zur Untersuchung überliess.
wofür ich ihm zu grossem Dank verpflichtet bin. Über dieses
Material vergleiche man meine Mitteilung in der Monographie über
van bBeneden 1915, S. 344. Allerdings ist das für die vor-
liegende Frage in Betracht kommende Material nur auf zwei
Sagittalschnittserien älterer Embryonen beschränkt; der eine
von Ihnen hatte 40—45, der andere ungefähr 48 Urwirbel. Bei
beiden war der vertikale Durchmesser der Augenblase grösser
als der horizontale, in beiden Fällen waren also die Augen von
der nasalen zur temporalen Seite etwas zusammengedrückt. Bei
dem jüngeren der beiden Embryonen betrug das Verhältnis
zwischen vertikalem und horizontalem Durchmesser auf einem
Aquatorialschnitt, der eben noch die Linse an der hinteren
384 CamFRramıl:
Fläche streifte, 32:25. Zugleich sprang bei diesem Embryo,
ähnlich wie bei Hühnerembryonen korrespondierenden Alters, von
oben und hinten in den Glaskörperraum ein Wulst vor, der mit
der dorsalen vertikalen Falte des Innenblattes der Augenblase
eines Säugetieres zu vergleichen ist. Bei dem älteren der beiden
Hatteria-Embryonen war das Verhältnis zwischen vertikalem und
horizontalem Durchmesser auf einem Äquatorialschnitt durch die
hintere Fläche der Linse 35:32; das Auge hatte sich also schon
der Kugelform genähert. Weiter lateralwärts, auf Schnitten,
welche die Linse in ihrer äusseren Hälfte trafen, betrug das
Verhältnis 30:27 und hinter dem Äquator, in der Nähe des
Augengrundes, 37:31. Übrigens gleicht sich das Verhältnis
zwischen Höhen- und (Querdurchmesser auch bei Lacerta später
aus. — Ich besitze noch Sagittalschnittserien durch den Kopf von
Embryonen von Lacerta agilis vom 1,6, 2,0, 2,4, 2,9, 3,3—3,4,
4,6 und 5,6 em Länge, ferner von Lac. vivipara-Embryonen von
2,0 und 3,5 em und eine von Anguis fragilis von 5,5—6,0 cm
Länge; aus den Schnittbildern geht hervor, dass überall das
ursprüngliche Höhen-Breitenverhältnis verloren geht und dass
sich das Auge mehr der Kugelform nähert; ja es scheint sogar,
als ob später der Höhendurchmesser geringer würde als der
Breitendurchmesser. In letzterer Hinsicht ist es aber schwer, nach
den Sagittalschnittserien ein sicheres Urteil abzugeben, da die
Augen sich allmählich schief stellen und die Sagittalschnitte durch
den Kopf die Augen nicht mehr senkrecht auf ihre Achse treffen.
C. Anamnier. a) Amphibien. Über die bilaterale
Symmetrie des Amphibienauges kann ich wenig mitteilen, obwohl
ich eine sehr grosse Zahl von Serien durch die Köpfe von Urodelen
besitze. Es stehen mir Schnittserien vom Axolotl, Triton, Salamander
und Necturus in grosser Zahl zur Verfügung: aber es handelt
sich grösstenteils um Querschnittserien und solche sind zur Lösung
unserer Frage ungeeignet. Viel weniger zahlreich sind meine
Sagittal- und Horizontalschnittserien, ja von Necturus fehlen mir
solche ganz. Dazu kommt noch als erschwerender Umstand, dass
die Augen anfangs nach aussen und unten, dann kurze Zeit zwar
direkt nach aussen, zuletzt aber nach aussen und oben sehen
und dass die Augenachsen nach hinten konvergieren. Es ist
daher in jedem einzelnen Fall schwer, die beste Schnittrichtung
zu treffen. In der Tat hat mir eine Serie, die nach jeder Richtung
Bilaterale oder nasotemporale Symmetrie des Wirbeltierauges. 3355
etwas schief geraten war und die ich nur durch einen Zufall
aufbewahrt habe, die besten Dienste geleistet. Hätte ich nicht
schon durch meine Untersuchungen an Sauropsiden und vor allem
an Säugetieren Kenntnis von der bilateralen Symmetrie des
Auges gehabt. so würde ich kaum bei den Amphibien so hartnäckig
darnach gesucht haben; ja ich glaube fast, dass ich sie übersehen
hätte. Nun aber habe ich doch einiges gefunden, was mich
nicht daran zweifeln lässt, dass auch die Amphibien hinsichtlich
der bilateralen oder naso-temporalen Symmetrie des Auges keine
Ausnahme machen.
Dass schon in sehr frühen Stadien der Entwicklung. zur
Zeit, als die erste Spur einer Linsenplatte bemerkbar wird, ein
auffallender Unterschied zwischen den beiden Blättern der Augen-
blase wahrnehmbar ist, habe ich schon in meiner ersten Ab-
handlung über den Bau und die Entwicklung der Linse (1895)
mitgeteilt. In einem Stadium, in welchem ein Axolotl-Embryo
ungefähr 24 Urwirbel besitzt und die Linsenanlage eine dicke,
aus Zylinderzellen zusammengesetzte Platte bildet, sind die beiden
Wände der Augenblase schon ganz typisch voneinander verschieden.
„Die mediale Wand“, so schrieb ich damals, „ist ungemein dünn
und aus sehr flachen Zellen zusammengesetzt, die laterale,
äussere, dick und schon deutlich von aussen her an der Stelle,
wo sich die Linsenplatte findet, eingebuchtet.*“ Ebenso teilte ich
damals mit, dass „der typische Unterschied zwischen den beiden
Wänden der Augenblase sich beim Axolotl schon lange vor dem
ersten Auftreten der Linse zu erkennen gibt. Ja sogar bei
Embryonen mit 13 Urwirbeln erscheint die laterale Wand der
primären Augenblase dicker als die mediale“. Von Embryonen
dieser Stadien besitze ich leider keine Sagittalschnittserien. Die
ersten besitze ich von Stadien, in welchen die Linsenplatte bereits
zu einem tiefen Säckchen, etwa wie es auf Taf. XXX, Fig. 3
meiner Linsenarbeit abgebildet ist, eingesenkt war. Eine sichere
bilaterale Symmetrie lässt sich an den Schnitten allerdings nicht
erkennen, abgesehen von der fötalen Augenspalte; andererseits
war aber auch nichts zu sehen, was gegen das Vorhandensein
einer solchen Symmetrie gesprochen hätte. — Der Schnitt, den ich
auf Taf. XIII, Fig. 9 dieser Abhandlung abgebildet habe, gehört
der erwähnten, etwas schief geratenen Sagittalschnittserie an.
Das Auge des Embryo war ungefähr so weit entwickelt wie das
386 Gamer abi:
auf Taf. XXX, Fig. 5 meiner Linsenarbeit abgebildete; die Linsen-
tfasermasse füllte also die Höhle des Linsenbläschens bis auf einen
ganz engen spaltförmigen Raum vollständig aus. Die Achsen der
beiden Augen konvergierten etwas nach innen und unten; die
Augen sahen also ein wenig nach oben. Am Schnitt fällt ohne
weiteres die bilaterale Symmetrie auf; die Augenblase besteht
aus zwei Lappen, die an der ventralen Seite durch eine breite
Lücke getrennt, dorsalwärts aber durch eine mächtige Brücke
verbunden sind. Bevor ich auf dieses Bild genauer eingehe, will
ich über die weiter lateralwärts gelegenen Schnitte der Serie
ein paar Worte sagen. Der abgebildete Schnitt ist bei einer
Schnittdicke von 7,5 « der vierte, von aussen gerechnet, der
etwas vom Auge zeigt; der erste zeigt bloss einen Anschnitt der
äusseren Linsenwand; der zweite trifft die Linse voller und
enthält auch bereits die Anschnitte eines nasalen und temporalen
vandlappens der Augenblase. Der nasale ist weniger voll getroffen
und daher kleiner als der temporale. Die beiden Lappen sind
durch eine Brücke dorsalwärts miteinander verbunden, die erheblich
schmäler ist als sie selbst. Die beiden Lappen und die sie ver-
bindende Brücke bestehen zunächst aus dem ungemein flachen
Pigmentepithel, das über den beiden Lappen auch noch die An-
schnitte des inneren Blattes der Augenblase bedeckt. Der dritte
Schnitt zeigt die Linse wesentlich so, wie der abgebildete Schnitt;
von der Augenblase lässt der Schnitt wieder einen etwas kleineren
nasalen und grösseren temporalen Lappen unterscheiden, die durch
eine dorsale Brücke miteinander verbunden sind. Am temporalen
Lappen ist das innere Blatt völlig freigelegt, das äussere oder
Pigmentblatt ist also mit dem zweiten Schnitt vollständig entfernt;
natürlich wird aber das Innenblatt lateralwärts vom Pigmentblatt
bedeckt. Der nasale Lappen ist, wie gesagt, kleiner, also weniger
voll getroffen, und an ihm ist bloss in der Mitte das Pigmentblatt
entfernt, so dass man nur hier, nicht am ganzen Lappen, das
innere Blatt sieht. Die die beiden Lappen verbindende Brücke
besteht fast nur aus dem Pigmentblatt; nur unmittelbar dorsal
von der Linse ist das innere Blatt, also die innere Lamelle der
Pars caeca retinae, angeschnitten. — Der nun folgende vierte Schnitt
ist, wie gesagt, in Fig. 9 abgebildet. Auch er zeigt noch den
nasalen, dünneren und den temporalen, dickeren Lappen, beide
an der ventralen Seite durch eine breite Lücke getrennt, die sich
jilaterale oder nasotemporale Symmetrie des Wirbeltierauges. 357
schon am zweitnächsten Schnitt zur fötalen Augenspalte verengt,
und dorsalwärts durch eine jetzt schon recht breite Brücke ver-
bunden. Der nasale Lappen ist in seinem unteren Drittel noch
vom Pigmentblatt bedeckt, das aber schon den Anschnitt des
inneren Blattes durchschimmern lässt; in seinen beiden oberen
Dritteln besteht der Lappen aus dem inneren dicken Blatt der
Pars optica retinae und dem ihm aufliegenden, dünnen, aber
jedenfalls noch schief geschnittenen, äusseren oder Pigmentblatt.
Der hintere oder temporale Lappen zeigt wesentlich dieselben
Verhältnisse, nur ist das Innenblatt an ihm dicker, weil es
bereits um eine Spur weiter medial getroffen ist, und zugleich
das Pigmentblatt dünner, und zwar aus dem gleichen Grund.
Die die beiden Lappen dorsal verbindende Brücke, die auf dem
vorigen Schnitt in ihren zwei dorsalen Dritteln aus dem Pigment-
blatt, in ihrem unteren Drittel aus der inneren Lamelle der Pars
caeca bestand, besteht jetzt umgekehrt in ihrem dorsalen Drittel
aus dem noch ziemlich flach angeschnittenen Pigmentblatt, in
ihren zwei ventralen Dritteln aber schon aus dem vordersten Teil
der inneren Lamelle der Pars optica retinae. — Zwei Schnitte
weiter medianwärts treten die unteren Ränder der beiden Lappen
zur Begrenzung der fötalen Augenspalte aneinander. Nun ist es
in hohem Grad auffallend, dass auf diesem Schnitt, der die Linse
ziemlich genau in der Mitte trifft, diese die dorsale und ventrale Wand
der Augenblase berührt, dagegen nasal und temporal ein sehr
ansehnlicher Glaskörperraum übrig bleibt. Ein Glaskörperraum
findet sich also auf diesem Schnitt nur im nasalen und temporalen
Lappen der Augenblase, nicht auch dorsal und ventral von der
Linse. Dies ist erst auf dem nächstfolgenden, aber auch einzig
und allein auf diesem Schnitt der Fall. Nur hier also stehen
der vordere und hintere Glaskörperraum dorsal von der Linse
in Verbindung. Schon am zweitfolgenden Schnitt legt sich die
Linse dicht an die dorsale Wand der Augenblase an, löst sich
aber von der ventralen Wand los, so dass die beiden Hälften
des Glaskörperraumes nur ventral, nicht dorsal miteinander in
Verbindung stehen. Zugleich zeigt dieser Raum auf diesem und
allen folgenden Schnitten, soweit er zu sehen ist, also auch an
den Schnitten medial von der Linse, eine ausgesprochene bilaterale
oder naso-temporale Symmetrie. An den ersten Schnitten hinter
der Linse hat er die Form eines hohen gleichschenkeligen
388 CarlRab!:
Dreiecks mit ventraler Basis und dorsaler Spitze. — Es kann
also keinem Zweifel unterliegen, dass bei diesem Embryo die
Augenblase ganz in demselben Sinne eine bilaterale
oder naso-temporale Symmetrie aufweist, wie bei
den Embryonen der Sauropsiden und Säugetiere.
Desgleichen konnte ich mich an einer Sagittalschnittserie
eines etwas jüngeren Embryo — ich hatte notiert, dass er 36
bis 37 Urwirbel besass — von der bilateralen Symmetrie der
Augenblase überzeugen. Auch diese Serie wich etwas von der
Medianebene ab, aber sie ging doch mehr sagittal durch den
Kopf als die vorige. Der erste Schnitt, der die Augenblase
traf, zeigte den nasalen und temporalen Lappen, beide sowohl
dorsal als ventral voneinander vollständig getrennt; erst auf
dem zweiten Schnitt trat die Verbindung der beiden Lappen an
der dorsalen Seite ein. An den Augen dieses Embryo war auch
ganz deutlich eine allerdings nur sehr niedrige, flache Falte
sichtbar, die von der dorsalen Wand der Augenblase gegen die
Linse und den Glaskörperraum vorsprang, und wenn sie auch
nur wenig entwickelt war, so erinnerte sie doch sofort an die
dorsale Retinafalte der Säugetierembryonen. Sie unterschied
sich aber andererseits doch wieder von dieser insofern, als die
Augenblase in ihrem Bereiche dünner war, als im Bereiche der
beiden Lappen. Der Glaskörperraum wies also auch hier eine
bilaterale Symmetrie auf. In beiden Fällen war die fötale
Augenspalte bis auf einen kleinen lateralen Rest geschlossen.
Aber auch in späteren Stadien kann man manche Erschei-
nung beobachten, die wohl sicher im Sinne einer bilateralen oder
naso-temporalen Symmetrie zu deuten ist. Dies gilt namentlich
von der Form der Retina und des Glaskörpers auf Horizontal-
schnitten. Die Bilder von Horizontalschnitten durch die Augen
junger Tritonlarven, deren vordere Extremitäten erst zwei Finger-
stummel aufweisen, erinnern in hohem Grad an die Bilder von
Horizontalschnitten junger, eben aus dem Ei geschlüpfter Stör-
larven, wie ich ein solches auf Taf. XIII, Fig. 5 wiedergegeben
habe und von denen später die Rede sein wird. Die Scheidung
in eine Pars optica und Pars caeca retinae ist schon ganz
deutlich, deutlicher und schärfer bei Triton als bei Acipenser,
und in beiden Fällen sind die Schichten der Retina schon mit
voller Sicherheit und in voller Zahl zu erkennen. Allerdings ist
Bilaterale oder nasotemporale Symmetrie des Wirbeltierauges.. 389
auch in dieser Beziehung die Differenzierung beim Triton schon
etwas weiter fortgeschritten als beim Stör. So wie man nun einen
Horizontalschnitt durch das Auge eines Störs, wie er in Fig. 5,
Taf. XIII abgebildet ist, durch einen senkrechten Schnitt in zwei
symmetrische Hälften, eine nasale und eine temporale, zerlegen
kann, so ist dies auch bei einem Horizontalschnitt durch das
Auge eines Triton der erwähnten Entwicklungsstufe möglich:
eine vertikale Ebene scheidet die Retina und das ganze Auge in
eine nasale und eine temporale Hälfte; die nasale ist das Spiegel-
bild der temporalen. Der Glaskörperraum ist auf dem Horizontal-
schnitt in der nasalen Hälfte von derselben Grösse und Form
wie in der temporalen, genau so wie beim Stör. Während aber
hier der vordere und hintere Winkel abgerundet sind, also Pars
caeca und Pars optica im Bogen ineinander übergehen, sind sie
bei Triton scharf zugespitzt. Dadurch, dass dies für die nasale
und temporale Seite in gleicher Weise zutrifft, wird der Eindruck
der nasotemporalen Symmetrie noch erhöht.
Ich bin überzeugt, dass weiter fortgesetzte und namentlich
auch auf die anuren Amphibien ausgedehnte Untersuchungen über
die bilaterale Symmetrie des Auges noch manche neue, vielleicht
überraschende Tatsache bringen werden.
b) Fische. Ich beginne mit den Selachiern, denen manche
bekanntlich, vor allem seit den Untersuchungen Gegenbaurs,
eine besonders tiefe Stellung und damit im Zusammenhang eine
besonders grosse Bedeutung in phylogenetischer Beziehung zu-
schreiben. Ich habe sowohl Squaliden als Rajiden untersucht und bei
beiden die bilaterale Symmetrie des Auges mit aller nur wünschens-
werten Sicherheit nachweisen können. Die Fig. 1 und 2 der
Taf. XII zeigen zwei aufeinander folgende Schnitte durch das linke
Auge eines Embryo von Pristiurus melanostomus von ca. 83 Ur-
wirbeln. Der erste Schnitt (Fig. 1) ist der zweite, der den Rand
der Augenblase trifft; die ersten vier Schnitte der Serie, welche
etwas vom Auge zeigen, haben bloss die Linse getroffen (Schnitt-
dieke=104). Der zweite Schnitt (Fig. 2) ist der nächstfolgende.
Beide Schnitte zeigen nun ungemein schön und deutlich ausser
der breiten, ventral gelegenen fötalen Augenspalte noch die
vier Randkerben der Augenblase, die wir schon von den Säuge-
tieren her kennen. Geradeso wie dort, können wir auch hier zwei
dorsale und zwei ventrale Randkerben unterscheiden. Zwei
Archiv f. mikr. Anat. Bd. 90. Abt.I. 26
390 Carl Rabl:
Randkerben gehören der nasalen, zwei der temporalen Hälfte
der Augenblase an. Wir zählen also wieder, wie beim Schaf,
Schwein oder Menschen eine dorsale und ventrale nasale und
eine dorsale und ventrale temporale Randkerbe. Demnach sind
auch wieder, wie dort, fünf Randlappen zu unterscheiden. Nur
sind die beiden ventralen, durch die fötale Augenspalte von-
einander getrennten, nicht horizontal, sondern schief oder doch
sehr steil gestellt. Auf dem Schnitt der Fig. 2 und ebenso auch
auf den sich unmittelbar daran anschliessenden Schnitten der
Serie kann man also eine dorsale, nasale und temporale Wand
der Augenblase unterscheiden und sehen, dass nasale und temporale
Wand nach unten gegen die Augenspalte sich einander nähern.
Die Seitenwände sind also an den Stellen der ventralen Rand-
kerben etwas abgebogen. Bei Säugetierembrvonen war an der
korrespondierenden Stelle eine förmliche Abknickung zu sehen.
Schon die beiden abgebildeten Schnitte lassen erkennen, dass die
Augenblase sehr stark von der nasalen zur temporalen Seite
zusammengedrückt ist. An dem ersten Schnitt, der die Linse
nicht mehr trifft, und der mit der Äquatorialebene ziemlich genau
zusammentretfen dürfte, beträgt das Verhältnis des vertikalen
zum horizontalen Durchmesser 25:20. — An einer Sagittalschnitt-
serie durch einen Embryo mit 66 Urwirbeln, bei dem die sechste
Kiemenfurche in Bildung begriffen war, waren zwei dorsale Rand-
kerben sicher zu konstatieren, ebenso die Kompression des Auges
in naso-temporaler Richtung. Sehr deutlich waren sowohl die vier
Randkerben, als auch die fünf Randlappen an einer Sagittalschnitt-
serie durch einen Embryo von 96—97 Urwirbeln zu sehen.
Dabei war aber noch folgendes festzustellen: Der dorsale Rand-
lappen, der sich medianwärts in die dorsale Wand der Augenblase
fortsetzt, war grösser geworden, die dorsale Wand war also dem-
entsprechend breiter als früher; auch die oberen Hälften der
beiden Seitenwände, also die Wände, soweit sie zwischen der
dorsalen und ventralen Randkerbe liegen, waren. in die
Länge gewachsen; dagegen hatten sich die unteren Hälften der
Seitenwände, die in der Mitte durch die fötale Augenspalte
getrennt sind und bis zu den ventralen Randkerben reichen,
verkürzt und zugleich mehr horizontal gestellt. — Bei einem
etwas älteren Embryo ist dies noch mehr ausgeprägt und noch
deutlicher ist es bei einem Embryo von 18 mm Länge. Hier
Bilaterale oder nasotemporale Symmetrie des Wirbeltierauges. 391
besitzt ein Äquatorialschnitt durch das Auge geradezu die Form
eines Trapezes, dessen untere, ventrale Wand am kürzesten ist
und durch die fötale Augenspalte in zwei gleiche Hälften geteilt
wird. Dass das Auge auch in diesem Stadium durch eine im
vertikalen Meridian gezogene Ebene in zwei spiegelbildlich gleiche
Hälften geteilt werden kann, braucht nicht erst gesagt zu werden.
Bei dem letzterwähnten Embryo erscheint auf den Schnitten durch
die laterale Hälfte des Auges die dorsale Wand der Augenblase
ein wenig dünner als die übrigen Wände, wodurch schon auf
die späteren Verhältnisse hingewiesen wird. Ich werde darauf
bei der Besprechung der Schnittbilder von Rochen wieder zurück-
kommen.
Die Fig. 3, Taf. XIII zeigt uns einen Schnitt durch das
Auge eines Embryo von Torpedo ocellata von 21 mm Länge.
Der Schnitt gehört wieder einer Sagittalschnittserie an, trifft
also das Auge parallel dem Äquator. Die Linse ist auf sechzehn
Schnitten getroffen; der abgebildete Schnitt ist der 13., der sie
trifft. Sie ist also schon sehr nahe dem medialen Pol durchschnitten.
Das Auge ist im ganzen in 48 Schnitte zerlegt. Da aber nur
39 davon das innere Blatt der Augenblase treffen und der abge-
bildete Schnitt der 13. von diesen 39 ist, so dürfte es wohl das
Richtigste sein, zu sagen, dass der Schnitt genau an der Grenze
zwischen äusserem und mittlerem Drittel des Auges durchgeht.
Dahinter kommt allerdings noch der zwischen den beiden Blättern
der Augenblase liegende, am Augengrund besonders grosse
Zwischenraum, der einen Rest des „Sehventrikels“ darstellt. Der
abgebildete Schnitt lässt ohne weiteres die bilaterale Symmetrie
des Auges erkennen. Zieht man von der fötalen Augenspalte eine
Linie senkrecht zur Mitte der dünnen dorsalen Wand der Augen-
blase, so teilt man das Auge in zwei symmetrische Hälften, eine nasale
oder vordere (n) oder eine temporale oder hintere (t); erstere
ist auf den Schnitten etwas grösser als letztere, was darin den
Grund hat, dass das Auge ein wenig schief stand, so dass die
nasale Hälfte der Augenblase um zwei Schnitte früher getroffen
wurde als die temporale. Die leichte Asymmetrie, die der
Schnitt aufweist, ist also lediglich die Folge der Schiefstellung
des Auges und beruht nicht auf einer wirklichen Asymmetrie.
Zur Erläuterung dieses Bildes, sowie zum Verständnis der Form
des Auges überhaupt, muss ich ein wenig weiter ausholen. Der
26 *
392 Carl Rabl:
erste Schnitt der Serie, der etwas vom Auge zeigt, trifft bloss
das Epithel der äusseren Linsenfläche. Der zweite enthält schon
den Anschnitt des vorderen Randes oder des nasalen Lappens der
Augenblase. Noch voller ist dieser Lappen auf dem dritten Schnitt
getroffen. Der vierte enthält den Anfang der dorsalen und
ventralen Wand, jene aus zwei Epithellamellen bestehend, diese
schon mit der fötalen Augenspalte. Der Umstand, dass dorsale
und ventrale Wand der Augenblase gleichzeitig auf dem
Schnitt erscheinen, ist meiner Ansicht nach wichtig. Der fünfte
Schnitt zeigt auch schon die temporale Wand und demnach die
ganze Augenblase. Abgesehen von der fötalen Augenspalte, die
gleich auf dem ersten Schnitt, der sie enthält, ganz schmal ist,
bildet diese ein einheitliches geschlossenes Ganzes. Von hier an
bis zu dem abgebildeten 15. Schnitt der Serie ändert sich das
Bild im wesentlichen nicht.
Was nun zunächst das Bild der Linse auf der Figur betrifft,
so sieht man die Kerne der Linsenfasern in zwei Felder, ein
dorsales und ein ventrales, verteilt; es entspricht dies der be-
kannten, auch von mir genau beschriebenen Tatsache, dass sich
an der hinteren Fläche der Linse der Selachier eine horizontale
Spalte ausbildet, die sich später zur horizontalen hinteren Linsen-
naht schliesst. Auch die Tatsache, dass die hintere Linsennaht
horizontal, die vordere senkrecht steht, worüber man in meiner
Linsenarbeit nachlesen mag, spricht im Sinne einer bilateralen
oder naso-temporalen Symmetrie des Auges. An der Augenblase
können wir an dem Schnitt eine dorsale, eine vordere und hintere
oder nasale und temporale und eine ventrale Wand unterscheiden.
Als dorsal will ich bloss die dünne Strecke bezeichnen, als vordere
und hintere die beiden dicken, etwas oberhalb der Mitte im
stumpfen, abgerundeten Winkel abgebogenen Wände und als
untere die sehr schmale und dünne Strecke, welche in der Mitte
die fötale Augenspalte enthält: diese untere oder ventrale Wand
reicht von der Abknickungsstelle der vorderen bis zur Abknickungs-
stelle der hinteren Wand. Diese Abknickungsstellen entsprechen,
wie ich nach meinen Befunden an Pristiurusembryonen sagen
kann, den Stellen, an welchen am Rande der Augenblase die
ventralen Randkerben gelegen hatten (vergl. die Fig. 2 von
Pristiurus). Ich habe schon oben erwähnt, dass die ventral von
diesen Randkerben gelegenen Teile der Augenblasenwand später
Bilaterale oder nasotemporale Symmetrie des Wirbeltierauges. 395
im Wachstum relativ gegenüber den dorsalen Abschnitten zurück-
bleiben und sich ventralwärts umbiegen. bis sie schliesslich dieselbe
Stellung zur fötalen Augenspalte einnehmen wie bei Torpedo.
Da kein Zweifel besteht, dass die breitere dorsale und die
schmälere ventrale Wand dieses Schnittes später zu Teilen der
Pars caeca retinae werden, muss man sagen, dass die nasale
und temporale Wand der Pars optica der Augenblase
weiter nach vorn reichen, also grösser sind, als die
dorsale und ventrale Wand. Die dorsale und ebenso die
ventrale Wand bestehen, wie die ganze Augenblase, aus zwei
Lamellen. Davon ist die äussere oder das äussere Blatt ein Teil
des Pigmentepithels, die innere oder das innere Blatt eine Fort-
setzung der Pars optica im engeren Sinne des Wortes, d. h. der
Pars optica schlechtweg nach Abzug des Pigmentepithels. Da
der Schnitt die obere Wand schief trifft, erscheinen die Kerne
des Pigmentblattes in mehreren Reihen übereinander; am nasalen
und temporalen Lappen der Augenblase dagegen erscheint dieses
Blatt als ein schönes regelmässiges kubisches Epithel. Es ist dies
namentlich dort der Fall, wo das Epithel senkrecht getroffen ist.
Das innere Blatt der dorsalen Wand ist ein mehrreihiges Zylinder-
epithel, dessen Kerne senkrecht gegen die Oberfläche in die Länge
gestreckt und sehr schmal sind. Ähnliches gilt von den beiden
Lamellen der unteren schmalen Wand, die in der Mitte durch
die fötale Augenspalte geteilt ist; nur ist die äussere Lamelle
etwas dicker und ihre Zellen höher, die innere etwas dünner
und ihre Kerne stehen nicht so zahlreich und dicht übereinander
als in der oberen Wand. Das innere Blatt der vorderen und
hinteren Wand der Augenblase macht den Eindruck eines sehr
hohen, dieken, mehrreihigen Zylinderepithels mit sehr langen,
schmalen, fast stabförmigen Kernen, die nur die Innenfläche der
Lamelle frei lassen, ohne dass aber von einem eigentlichen Rand-
schleier gesprochen werden könnte. An der Aussenfläche der
Lamelle, also dem Pigmentblatt zugewendet, stehen wieder sehr
zahlreiche Mitosen. Wie bei den Säugetieren und sonst geht
also auch hier die Vermehrung der Zellen lediglich an der Aussen-
fläche des inneren Blattes der Augenblase vor sich. Endlich
erwähne ich, dass im Glaskörperraum sehr viele kleine Zellen
zerstreut sind. Franz hat einmal bemerkt, dass er einer Zeich-
nung von mir in meiner ersten Linsenarbeit, die im Glaskörper
394 Carl Rabl:
von Pristiurus einige Zellen zeigt, nicht trauen könne. Er meinte,
wenn ich meine Präparate noch einmal daraufhin untersuchte,
würde ich mich überzeugen, dass es solche Zellen nicht gibt.
Ich hoffe, dass ihn die Fig. 3, Taf. NIII davon überzeugen wird,
wie unbegründet sein Verdacht war.
Für die richtige Beurteilung der Lappung der Augenblase
ist es von einiger Bedeutung, die Ausdehnung der dünnen Partie
der dorsalen Wand zu beachten. In dieser Hinsicht bemerke ich,
dass das innere Blatt, wenigstens in seiner nasalen, dorsalen und
ventralen Wand (die temporale Wand tritt, wie gesagt um einen
Schnitt später auf), auf 39 Schnitten zu sehen ist, und dass auf
14 von ihnen, also auf mehr als auf einem Drittel, die dorsale
Wand in der Mitte so dünn ist, wie dies der abgebildete Schnitt
zeigt. Erst mehrere Schnitte hinter der Linse wird diese Strecke
dicker und schmäler, um allmählich so diek zu werden wie die
nasale und temporale Wand. Aber auch dann ist die bilaterale
Symmetrie der Augenblase noch deutlich erkennbar. Ich erwähne
alles dies deshalb, weil es zeigt, dass die Ursache des eigentüm-
lichen Schnittbildes der Fig. 3, Taf. XIII nicht etwa darin zu
suchen ist, dass das Auge schief steht und infolgedessen dorsale
und ventrale Wand nicht in gleichem Abstande vom Augengrund
getroffen sind. Dagegen spricht schon die früher erwähnte Tatsache,
dass in der Schnittserie dorsale und ventrale Wand gleichzeitig
auf einem und demselben Schnitt getroffen sind. Die Erfahrungen,
die ich an Knochenfischen, Ganoiden und Amphibien gemacht
hatte, hatten auch bei mir anfangs den Verdacht wachgerufen,
es könnte die Form des Äquatorialschnittes mit der Schiefstellung
des Auges zusammenhängen; aber die erwähnten Tatsachen haben
mich doch davon überzeugt, dass die Schiefstellung, wenn über-
haupt zu dieser Zeit der Entwicklung von einer solchen gesprochen
werden könnte, nicht oder wenigstens nicht die wichtigste Ursache
des eigentümlichen Schnittbildes sein kann. Übrigens ist bei den
Haifischen, und zwar sowohl bei den Squaliden als den Rajiden,
eine ganz ähnliche Stellungsänderung der Augen während der
Entwicklung zu konstatieren wie bei den übrigen Wirbeltieren.
Anfangs, bei jungen Embryonen, sind die Augen mit ihrer Achse
nach aussen unten gerichtet; dann stellen sie sich mit ihrer
Achse horizontal und schliesslich drehen sie sich ein wenig nach
oben, sodass die Achse von innen unten nach aussen oben
Bilaterale oder nasotemporale Symmetrie des Wirbeltierauges. 395
gerichtet ist. In dem Stadium, in welchem das in Fig. 1 und 2
abgebildete Auge von Pristiurus und ebenso auch in dem, in
welchem das Auge von Torpedo (Fig. 3) getroffen ist, steht die
Achse genau oder fast genau horizontal. Bei einem jüngeren
Torpedoembryo, einem solchen von 17 mm Länge, ist die
Augenachse vielleicht ein ganz klein wenig nach aussen unten
geneigt, die dünne Strecke der dorsalen Wand ist viel weniger
ausgedehnt, aber auch hier tritt an allen Schnitten der Serie
die bilaterale Symmetrie des Auges ganz deutlich in die Erscheinung.
Nebenbei bemerkt, sind an dieser Serie die beiden dorsalen Rand-
kerben der Augenblase sehr schön zu sehen. Bei einem Embryo
von 24 mm Länge ist die Achse eben merklich nach aussen oben
gerichtet; die Symmetrie des Auges ist auch hier sehr klar
zu sehen. Die Schnittbilder sind ähnlich dem in Fig. 3 wieder-
gegebenen.
Noch will ich ein paar Worte über den Processus faleiformis
(die Leiste nach H. Virchow) und den N. opticus sagen. Auf
dem Schnitt der Fig. 3 ist von dieser Bildung nichts zu sehen;
sie tritt erst zwei Schnitte weiter medial, also näher dem Optikus-
eintritt, auf; wie schon aus meiner ersten Linsenarbeit aus dem
Jahre 1895 zu ersehen ist, besteht sie in einer Einwucherung
gefässhaltigen Mesodermgewebes durch die fötale Augenspalte.
Sie ragt wie ein Pilz aus der überall ganz schmalen Augenspalte in
den Glaskörperraum hinein. In ihrem distalen, der Linse be-
nachbarten Ende bemerkt man auf der Serie ein einziges sehr
weites Gefäss, weiter nach innen, also näher dem Optikuseintritt
zwei, dann drei und vier und schliesslich beim Optikuseintritt
selbst wieder nur zwei (Gefässquerschnitte. Aus der Reihe der
Schnitte ergibt sich, dass beim Optikuseintritt ein Gefäss in die
Leiste eintritt, nach vorn läuft, hier sich etwas erweitert und
dann nach hinten läuft; es handelt sich also im wesentlichen um
eine Gefäßschlinge, an der wir einen zuführenden und abführenden
Schenkel und den im vordersten Ende der Leiste gelegenen
Scheitel unterscheiden können. Ob der zuführende oder der
abführende Schenkel oder beide sich während ihres Verlaufes
durch die Leiste teilen, vermag ich nicht zu entscheiden ; jedenfalls
findet eine Teilung statt; sonst liesse sich die Vermehrung der
(Gefässquerschnitte in der Leiste nicht erklären. Von den Binde-
gewebszellen an der Oberfläche der Leiste strahlen in radiärer
396 CarlRabl:
Riehtung zahlreiche feine Fäden oder Fasern in den Glaskörper-
raum aus.
Bei dem nächst jüngeren Embryo von 17 mm Länge ist
die Leiste viel kleiner, unansehnlicher und springt viel weniger
weit in den Glaskörperraum vor. Bei dem Embryo von 24 mm
Länge dagegen ist die Leiste nicht bloss grösser, sondern reicht
auch etwas weiter nach vorn, so dass Schnitte, welche noch die
Linse trefien, auch das vordere Ende der Leiste zeigen. Der
Querschnitt der Leiste ist bei diesem Embryo mehr rund als
pilzförmig, und da die fötale Augenspalte in der Nähe des Optikus-
eintrittes schon geschlossen ist, so müssen wohl die Gefässe jetzt
etwas weiter vorn eintreten. Von den in den Glaskörper radiär
ausstrahlenden Faserzügen gilt dasselbe wie von dem zuerst er-
wähnten Stadium.
Was den Optikus betrifft, so möchte ich Folgendes bemerken.
Ich habe früher gesagt, dass auf dem Schnitt der Fig. 3 zwar
noch kein eigentlicher Randschleier, wohl aber eine kernfreie
Zone an der Innenfläche der Retina zu sehen ist. Verfolgt man
aber die Serie weiter gegen den Augenhintergrund, so sieht man
in der kernfreien Zone ganz zweifellos Nervenfasern auftreten,
welche deutlich gegen den Optikuseintritt konvergieren. Sie liegen
dann zu mehreren, dicht aneinander angeschlossenen Bündeln
vereinigt an der Aussenseite der Augenblase. Am Augenblasen-
stiel beschränken sie sich ausschliesslich auf seine dickere, ventrale
Wand und sind vom Lumen durch eine Lage von Gliakernen
getrennt. Dass der Augenblasenstiel noch im Wachstum begriften
ist, beweisen die Mitosen in ihm. Der Querschnitt durch die
Faserbündel des Optikus wird allmählich kleiner und kleiner,
ist aber doch mit Sicherheit bis zur Hinterwand des Recessus
opticus an der Hirnbasis zu verfolgen. Die Grösse des Querschnittes
beträgt hier allerdings ein Drittel von der in der Nähe des Auges.
Der Recessus opticus läuft bekanntlich nach vorn und unten in
eine scharfe Spitze aus und das Bündel von Optikusfasern liegt
unmittelbar hinter der Spitze an der Aussenfläche der Wand des
Recessus.
Bei dem nächst jüngeren Torpedo-Embryo von 17mm Länge
sind am Augenhintergrund gleichfalls schon Nervenfasern nachweis-
bar; allerdings nur in geringer Menge. Sie laufen in der Richtung
gegen den Augenblasenstiel, sind aber nicht weit zu verfolgen.
Bilaterale oder nasotemporale Symmetrie des Wirbeltierauges. 397
Bei dem älteren, erwähnten Embryo von 24mm Länge ist
der Optikus schon sehr mächtig; seine Bündel strömen am Augen-
hintergrund gegen die Eintrittsstelle des Nervs zu und sammeln
sich jetzt keineswegs bloss vom Augenhintergrund und seiner
nächsten Umgebung, wie bei dem Embryo von 21 mm Länge,
sondern wohl schon von der ganzen Pars optica retinae. An der
Eintrittsstelle des Optikus und ihrer Umgebung sind die radiär
zusammenlaufenden Bündel durch reihenweise geordnete Zellen der
Ganglienzellenschicht voneinander getrennt, wodurch ein äusserst
elegantes Bild von sich abwechselnden radiären Zelireihen und
dazwischen liegenden Nervenfaserbündeln zustande kommt. Die
Bündel des Optikus sind durch gliöse Septa voneinander getrennt.
Der Augenblasenstiel ist zu dieser Zeit noch in der ganzen Aus-
dehnung offen, d. h. er enthält noch, wie früher, ein Lumen.
Dieses ist allerdings in der Mitte seines Verlaufes ausserordentlich
eng. sein Durchmesser kaum halb oder ein Drittel so gross als
ein Zellkern. Trotzdem ist der Kanal leicht zentralwärts bis in
den Recessus opticus zu verfolgen. Die Wand des Kanals ist an
der dorsalen Seite sehr dünn und besteht hier aus einer einfachen
Lage kubischer Zellen; diese sind leicht zentralwärts bis zum
Ependym des Recessus zu verfolgen. Das Lumen des Augen-
blasenstiels hat also eine ganz exzentrische Lage. Auch an der
ventralen Seite ist das Lumen von Zellen begrenzt, die zweifellos
als Gliazellen zu bezeichnen sind und dem Optikus zugerechnet
werden müssen; unterhalb dieser Gliazellen des Optikus folgt
dann die mächtige Masse von Optikusfaserbündeln. Die erwähnten
gliösen Septen, welche, wie gesagt, die Bündel voneinander trennen,
ziehen im allgemeinen von der dorsalen Seite, also von der Gegend,
in der ım Augenblasenstiel das Lumen liegt, divergierend ventral-
wärts. Die Anordnung ist also eine andere als im Optikus der
Säugetiere, was in letzter Linie darin den Grund hat, dass sich
bei den Selachiern, wie überhaupt bei den niederen Wirbeltieren,
die fötale Augenspalte nicht auf den Augenblasenstiel zentral-
wärts fortsetzt. Es bildet sich also auch nie im Optikus ein
Kanal aus, der demjenigen zu vergleichen wäre, der die Arteria
und Vena centralis retinae, beziehungsweise in früheren Stadien
die Arteria hyaloidea aufnimmt. Genau, wie ich dies für den
Embryo von 21 mm Länge feststellen konnte, nimmt auch bei
diesem Embryo die Grösse des Optikusquerschnittes in zentripetaler
398 Carl Rabl:
Richtung sehr erheblich ab. So bestätigen also meine Beobachtungen
durchaus die Angaben Frorieps, die sich gleichfalls auf einen
Embryo von Torpedo (die Art nennt Froriep nicht) beziehen.
Bekanntlich war Froriep der erste, der den einwandfreien Nach-
weis für das zentripetale Wachstum der Optikusfasern bei Selachier-
embryonen erbrachte. Meine Beobachtungen bestätigen dagegen
nicht die sehr merkwürdigen, bereits früher erwähnten Angaben
von v. Szily über die Bildung und das Wachstum der Optikus-
fasern. Geradeso wie bei Säugetier-, speziell bei Kaninchen-
embryonen, finden sich auch bei Selachierembryonen im Augen-
blasenstiel die bekannten mit alkoholischem Boraxkarmin oder
Cochenille-Alaun gut färbbaren Körner, die nach v. Szily aus
dem Zerfall von Zellkernen entstehen und beim Wachstum der
Optikusfasern eine wichtige Rolle spielen sollen. Aber diese
Körner sind gerade dort in ganz besonders grosser Zahl vor-
handen, wo sich nie eine Optikusfaser bildet, nämlich in der
dorsalen Wand des Augenblasenstiels. von der mitgeteilt wurde,
dass sie in das Ependym des Recessus opticus verfolgt werden kann.
Dasselbe wie Torpedoembryonen lehren auch solche von
Raja. Ich besitze eine Sagittalschnittserie von Raja alba mit
116—118 Urwirbeln, eine ebensolche Serie von Raja clavata
mit ca. 127 Urwirbeln, eine dritte Serie von Raja clavata mit
156 Urwirbeln und eine vierte Serie, wieder von Raja alba, bei
der ich die Zahl der Urwirbel nicht sicher feststellen konnte;
ich habe nur die Länge des Embryo notiert, die 4 cm betrug.
Nebenbei bemerkt, darf man aus der Zahl der Urwirbel ver-
schiedener Arten oder gar Familien und Ordnungen keinen Schluss
auf die Entwicklungshöhe ziehen. Obwohl die Rajiden oder
Batoiden bekanntlich einen sehr gedrungenen Habitus besitzen,
während sich die Squaliden durch einen schlanken Körperbau
auszeichnen, zeigen doch beide in korrespondierenden Entwick-
lungsstadien sehr verschieden grosse Zahlen von Urwirbeln. Bei
Pristiurusembryonen von 66—68 Urwirbeln z. B. ist die Linse
bereits vom Ektoderm abgeschnürt, bei dem erwähnten Embryo
von Raja alba mit 116—118 Urwirbeln dagegen noch nicht: hier
senkt sich noch in die solide Linsenmasse eine trichterförmige
Grube ein, ähnlich wie bei Pristiurusembryonen von 63 Urwirbeln.
Rajidenembryonen sind bekanntlich anfangs ebenso schlank und
schmächtig wie Squalidenembryonen, wie jeder, der nicht selbst
Bilaterale oder nasotemporale Symmetrie des Wirbeltierauges.. 399
solche Embryonen gesehen hat, durch die schönen Wachsmodelle
von Ziegler bestätigt sehen kann. Erst mit der Verbreiterung
der Brustflossen ändert sich der Habitus. Wir beobachten hier
dasselbe wie unter den Reptilien bei den Schildkröten. Junge
Schildkrötenembryonen sind so schlank wie Eidechsenembryonen:
freilich wird sie niemand, der einige Erfahrung hat, mit solchen
verwechseln; haben sie doch von — ich möchte fast sagen —
allem Anfang an eine ganz andere Physiognomie als die Eidechsen
oder auch als die Krokodile.
Was nun die Augen des jüngsten der vier genannten haja-
embryonen betrifft, so sind sie sehr deutlich in naso-temporaler
Richtung zusammengedrückt, ihr senkrechter Durchmesser also
grösser als ihr horizontaler. Die fötale Augenspalte, die auch
hier nicht auf den Augenblasenstiel übergreift, ist noch sehr
weit. Das Auge ist also nicht bloss in Beziehung auf die Linse,
sondern auch in Beziehung auf die Retina weniger weit entwickelt
-als bei dem Pristinrusembryo von 83 Urwirbeln, dem die beiden
Schnitte der Fig. 1 und 2 Taf. XIII angehörten. Der zweite
der genannten Embryonen zeigt wesentlich dieselben Verhältnisse.
Vor allem ist bemerkenswert, dass an der Serie vom Auge zuerst
die Anschnitte der vorderen und hinteren Wand erscheinen, zu
denen erst auf dem nächstfolgenden Schnitt der Anschnitt der
oberen Wand kommt. Ferner ist bemerkenswert, dass an der
Augenblase die zwei dorsalen Randkerben zu sehen sind. 3. Ist
der Glaskörperraum im grossen und ganzen dreieckig mit oberer
Basis und unterer, in der fötalen Augenspalte gelegener Spitze:
diese Form tritt vor allem an den Schnitten zu Tage, die die
Linse nicht mehr treffen; an den ersten von diesen Schnitten ist
die dorsale Wand des inneren Blattes der Augenblase etwas nach
unten vorgewölbt. 4. Sieht es fast aus, als ob am Augengrund
von oben und hinten ein Wulst in den Glaskörperraum vorspringe,
ähnlich, wie wir dies beim Huhn gesehen haben. Und endlich
5. ist mir die beträchtliche Grösse der Linse dieses Embryo auf-
gefallen. Ebensowenig, wie früher, setzt sich auch jetzt die
nunmehr schon enger gewordene Augenblasenspalte auf den Stiel
der Augenblase fort. Von der Anlage eines Processus faleiformis
oder einer Leiste ist nur an ein paar Schnitten ganz hinten in
der Nähe des Augenhintergrundes etwas zu sehen.
Was nun endlich den letzten Embryo von 4 cm Länge
400 Carl Rabl:
betrifft, so kann ich über ihn folgendes berichten: Die ersten
Schnitte treffen wieder nur die Linse: dann folgen Schnitte durch
die hintere und sehr bald darauf auch solche durch die vordere Wand
der Augenblase. Vordere und hintere Wand biegen sich sodann
ventralwärts gegeneinander, um hier die fötale Augenspalte zu
begrenzen. Zuletzt folgt die dorsale Wand, die geradeso wie
bei Torpedo viel dünner ist als die vordere und hintere. Das
Bild wird dann alsbald dem in Taf. XIII, Fig. 3 von Torpedo mit-
geteilten sehr ähnlich. Es kann wohl kaum einem Zweifel unter-
liegen, dass zu dieser Zeit bei Raja die Augen ein klein wenig
schief stehen, d. h. nach aussen und oben gerichtet sind; die
Form des Schnittbildes mag also zum Teil auf diese schiefe
Stellung zu beziehen sein. Mir erscheint auch weniger der Umstand
von Wichtigkeit, dass die dorsale Wand im Vergleich mit der
vorderen und hinteren so dünn ist, als vielmehr die ganze Form
des Querschnittes; diese ist, wie schon gesagt und wie man auch
an der Fig. 3 sieht, im ganzen und grossen ein Dreieck mit nach
oben gerichteter Basis, nach unten gegen die fötale Augenspalte
gerichteter abgestutzter Spitze.
Was den Optikus dieses Raja-Embryo betrifft, so gilt von
ihm ungefähr dasselbe wie von dem des Torpedo-Embryo von
2] mm Länge Ja, vielleicht ist er noch nicht einmal so weit
entwickelt. Die Grösse des Querschnittes der Faserbündel nimmt
auch hier von der Retina gegen das Gehirn ab. —
Zum Schlusse will ich, gewissermassen nebenbei, erwähnen,
dass ich ausser den früher erwähnten Sagittalschnittserien von
Pristiurus-Embryonen und zahlreichen anderen durch Jüngere
Embryonen, die für unsere Frage nicht näher in Betracht kommen,
noch Sagittalschnittserien von älteren Pristiurus - Embryonen
folgender Grösse besitze: 18, 22, 24, 27, 28 und 30 mm; ausserdem
besitze ich noch ein paar Sagittalschnittserien von älteren Embryonen
von Seyllium eanieula. Über die Pristiurus-Embryonen habe ich
folgende Notizen gemacht. Embryo von 18 mm Länge: Bilaterale
Symmetrie des Auges unverkennbar, ähnlich wie bei den nächst
jüngeren, früher besprochenen Embryonen; von Optikusfasern ist
noch nichts zu sehen. Embryo von 22 mm Länge: Auf der Serie
ist zuerst nasale und temporale Wand getroffen, darauf erscheinen
nahezu gleichzeitig dorsale und ventrale. Der erstere Umstand
steht wieder im Einklang mit der naso-temporalen Symmetrie.
Bilaterale oder nasotemporale Symmetrie des Wirbeltierauges.. 401
Einige der folgenden Schnitte zeigen sodann eine gewisse
Ähnlichkeit mit dem abgebildeten Schnitt von Torpedo. Es
sind schon ein paar sehr zarte, aus einigen wenigen Fasern
bestehende Optikusbündel zu sehen; sie sind aber nur am Ansatz
des Augenblasenstiels, nicht in diesem selbst, zu finden. Im
äusseren Blatt der Augenblase ist Pigment aufgetreten, allerdings
nur in Form einiger weniger Körnchen, und auch diese sind nur
in der Nähe des Augenblasenrandes innerhalb der nasalen und
temporalen Wand der Augenblase zu sehen. Embryo von 24 mm
Länge: Auch hier ist zunächst nur die nasale und temporale Wand
getroffen, dann folgt die ventrale, die durch die fötale Augen-
spalte in zwei Hälften geteilt ist, und den Schluss macht die
dorsale, die zunächst ähnlich wie bei Torpedo dünn ist, dann
aber bald, früher als hier, dicker wird. Die bilaterale Symmetrie
des ganzen Auges tritt auf den Äquatorialschnitten unverkennbar
hervor. Pigment findet sich etwas reichlicher als bei dem früheren
Embryo, aber nur wieder im peripherischen äusseren Teil der
Augenblase und auch da nur in der nasalen und temporalen Wand.
Die Optikusfaserbündel bilden bei diesem Embryo ausnahmsweise
keine geschlossene Masse, sondern sind durch grössere Zwischen-
räume voneinander getrennt. Immerhin liegen sie aber alle, wie
auch sonst, an der Aussenseite der ventralen Wand des Augen-
blasenstiels. Eines der Bündel lässt sich bis in die Nähe des
Recessus opticus verfolgen, die übrigen verschwinden früher.
Embryo von 27 mm Länge: Zuerst erscheint in der Sagittalschnitt-
serie wieder vordere und hintere, dann ventrale und zuletzt dorsale
Wand. Vom Pigment gilt im wesentlichen das früher Gesagte.
Was den Optikus betrifft, so sieht man in der Nähe der Retina
zwei mächtige Bündel von ungleicher Grösse. Üerebralwärts
werden sie schwächer und scheinen sich dann aneinanderzulegen.
Jedenfalls ist weiter nach innen nur ein einziges Bündel zu
sehen, das sich auch bis in die hintere Wand des Recessus optieus
verfolgen lässt. Der Embryo von 283 mm Länge zeigt ähnliche
Verhältnisse, nur ist er ein wenig schief geschnitten, so dass auf
der linken Seite die ventrale Wand der Augenblase früher
erscheint als die dorsale, während auf der rechten Seite das
Umgekehrte der Fall ist. Beim Embryo von 30 mm Länge trifft
man wieder das gewöhnliche Verhalten, indem zuerst nasale und
temporale, dann dorsale und zuletzt ventrale Wand auf den
402 Carl Rabl:
Schnitten erscheinen. Alles in allem kann man sagen, dass die
bilaterale Symmetrie des Auges in der ganzen Form des Auges,
vor allem auf Schnitten, welche der Aquatorialebene parallel gehen,
zum Ausdruck kommt.
Was die Ganoiden betrifft, so besitze ich einige Sagittal-,
(Juer- und Horizontalschnittserien von jüngeren Larven von
Acipenser sturio, die ich vor 25 Jahren in Glückstadt, nördlich
von Hamburg, gesammelt habe. Leider beschränkt sich das
Material auf zwei Stadien. Als ich nach Glückstadt kam, wollte
es nicht mehr gelingen, gleichzeitig je ein geschlechtsreifes Männchen
und Weibchen zu bekommen, um die künstliche Befruchtung aus-
führen zu können. So war ich also auf das Material angewiesen,
das aus Eiern stammte, an denen einige Tage vor meiner Ankunft
der freundliche Gastwirt Mohr, der mich damals in jeder Weise
unterstützte, die künstliche Befruchtung ausgeführt hatte. Die
jüngeren Larven waren eben aus dem Ei geschlüpft, die älteren
waren sechs Tage alt. Was zunächst die jungen Larven betrifft,
so habe ich von ihnen eine grössere Zahl von Schnittserien in
den drei erwähnten Richtungen angefertigt. Ich beginne mit der
Beschreibung des Bildes, welches man auf einem Querschnitt
durch die Mitte des Auges erhält. Ein solcher Schnitt ist auf
Yaf. XIII, Fig. 4 abgebildet. Das, worauf ich zunächst die Auf-
merksamkeit lenken möchte, ist die Schiefstellung des Auges.
Die Augenachse ist schief von aussen und oben nach innen und
unten gerichtet. Es ist dies um so auffallender, als die Haifische
andere Verhältnisse bieten, indem die Augenachsen bei ihnen rein
oder fast rein horizontal stehen; es gilt dies sowohl für die
Squaliden als für die Rajiden. Bei letzteren scheinen im er-
wachsenen Zustand die Augen ein klein wenig nach aussen und
oben gerichtet zu sein.
Ferner besitze ich drei Querschnittserien von Embryonen von
Lepidosteus osseus: der jüngste der Embryonen war 8,3 mm lang,
der zweite 12,6 mm und der dritte 16,5 mm. Bei allen dreien
stehen die Augenachsen rein horizontal. Dagegen muss ich be-
merken, dass bei zwei jungen Amien meiner Sammlung (Amia calva)
die Augen etwas schief nach oben gerichtet zu sein scheinen.
Bei der Forelle sehen die Augenachsen anfangs (11 mm Länge)
schief nach unten, dann (17 mm) ziemlich genau nach aussen
und schliesslich (30, 40 und 50 mm) vielleicht um eine Spur
Bilaterale oder nasotemporale Symmetrie des Wirbeltierauges.. 403
nach oben. Sicher bin ich aber letzterer Angabe nicht. Bei
unseren Störlarven stehen also die Augen sehr schief, was jedenfalls
unter den Fischen eine Ausnahme bildet. Die Beachtung dieser
Eigentümlichkeit ist natürlich für die Beurteilung der Bilder,
welche Sagittal- und Horizontalschnitte geben, von Wichtigkeit.
Die Linse bietet genau dasselbe Bild wie die Linse eines
Axolotl (vergl. meine erste Linsenarbeit). Die Retina ist bereits
ziemlich weit differenziert. Nicht bloss, dass sie eine Scheidung
in eine Pars optiea und Pars caeca erkennen lässt, zeigt jene
auch bereits eine Sonderung in mehrere Schichten. Diese ist in
der Mitte des Augenhintergrundes am deutlichsten und am meisten
fortgeschritten — man betrachte nur die Stäbchen und Zapfen —
and nimmt nach der Peripherie mehr und mehr ab. Der Optikus
besitzt schon sehr gut entwickelte Fasern. Er tritt tief ventral
am Augengrund ein und mit ihm dringt zugleich Bindegewebe
in den Glaskörperraum, das nur aus einer geringen Zahl von
Zellen besteht und gegen die Linse zieht. Es kann keinem
Zweifel unterliegen, dass wir es hier mit dem Processus falciformis
(Leiste nach H. Virchow) zu tun haben. Das Bindegewebe
führt ein Gefäss.
Sehr eigentümlich sind die betreffenden Verhältnisse bei
Lepidosteus. Auch hier entspringt der Optikus tief ventral von
der Mitte des Augenlintergrundes und mit und unter ihm tritt
wieder gefässführendes Bindegewebe in den Glaskörperraum ein.
Ein Gefäss zieht von hier im vertikalen Meridian nach oben an
der Aussenseite des Glaskörpers, zwischen ihm und der Limitans,
ein zweites zieht nach vorn gegen die Linse; diese Gefässe sind
auch schon bei dem jüngsten der drei von mir untersuchten
Lepidosteusembryonen vorhanden. Für unsere Frage sind sie
deshalb von Wichtigkeit, weil die (Grefäßstämme im vertikalen
Meridian, der hier wieder der Grenze zwischen nasaler und
temporaler Hälfte der Retina entspricht, verlaufen. Ebenso gehört
ja auch der durch die fötale Augenspalte eindringende Processus
faleiformis, geradeso wie die fötale Augenspalte selbst, der Grenze
zwischen nasaler und temporaler Bulbushälfte an.
Wie die Fig. 4 zeigt, erscheint der Glaskörperraum auf
dem Vertikalschnitt dreieckig. Eine Seite des Dreieckes wird
von der Linse, die zweite vom Augenhintergrund und die dritte
von der ventralen Wand der Augenblase gebildet. Diese Ver-
404 Carl Rabl:
hältnisse eines Vertikalschnittes sind für die Beurteilung der
Bilder von Sagittal- und Horizontalschnitten von Wichtigkeit.
Zunächst habe ich auf Taf. XII, Fig. 6 und 7 zwei Schnitte
aus einer Sagittalschnittserie einer gleich weit entwickelten Stör-
larve abgebildet. Der erste Schnitt der Serie, der etwas vom
Auge sehen lässt, zeigt den Anschnitt der Linse und des tempo-
ralen Lappens. Der nächstfolgende zeigt auch schon den An-
schnitt des nasalen Lappens, diesen natürlich jetzt entsprechend
kleiner als den temporalen. Beide Lappen sind schief gegen-
einander gestellt und fassen die Linse zwischen sich. Dorsal
sind sie sehr weit voneinander getrennt, ventral scheidet sie bloss
die sehr schmale fötale Augenspalte. Dritter, vierter und fünfter
Schnitt geben wesentlich dasselbe Bild, nur erscheinen die Lappen
grösser und ebenso natürlich auch die Linse. Den sechsten
Schnitt der Serie zeigt uns die Fig. 6. Auch hier sehen wir
die beiden Lappen der Augenblase, wobei der nasale kleiner ist
als der ein klein wenig weiter zentralwärts getroffene temporale.
Oben sind auch hier wie an den vorhergehenden Schnitten die
Lappen durch eine breite Lücke voneinander getrennt, während
unten die ausserordentlich enge fötale Augenspalte zu sehen ist.
Über ihr liegt das Bindegewebe des Processus faleiformis mit
einem Gefässquerschnitt. Von dem Bindegewebe strahlen radiär
Fäden in den nasalen und temporalen Glaskörperraum, Auf den
nun folgenden Schnitten treten die beiden Lappen dorsalwärts
miteinander in Verbindung und den zweitfolgenden habe ich in
Fig. 7 abgebildet. Man sieht hier die beiden Lappen durch eine
dünne, breite Brücke miteinander in Verbindung stehen. Diese
Brücke besteht natürlich aus den beiden Lamellen der Augen-
blase. Die innere Lamelle besteht aus zylindrischen, die äussere
aus kubischen Zellen. Diese letzteren werden in nasaler und
temporaler Richtung, also nach links und rechts auf der Figur,
niedriger und gehen in das ungemein flache Pigmentepithel der
Retina über. An der Brücke selbst weisen die Zellen kein Pigment
auf. Vom Processus faleiformis strahlen wieder Fäden in den
Glaskörperraum. Ähnliche Fäden entspringen augenschein-
lich auch direkt von den Zellen der inneren Lamelle
der Augenblase neben der fötalen Augenspalte. Der
Glaskörperraum wird nur oben durch die Linse in eine temporale
und eine nasale Hälfte geteilt. Die Differenzierung ist an dem
Bilaterale oder nasotemporale Symmetrie des Wirbeltierauges. 405
weiter medial getroffenen temporalen Lappen deutlicher als an
dem nasalen. — Zwei Schnitte weiter nach der Mittelebene zu
schwindet die Linse und noch zwei Schnitte weiter auch der
Glaskörperraum.
Der Optikus enthält schon sehr schöne Fasern, die zu
Bündeln vereinigt sind und sich leicht bis in die hintere Wand
des Recessus optieus verfolgen lassen. Auf Querschnitten kann
man die Optikusfasern der beiden Seiten sich schon kreuzen
sehen. Dasselbe gilt auch von den korrespondierenden Embryonen
von Lepidosteus.
Und nun betrachten wir noch den in Fig. 5 abgebildeten
Horizontalschnitt durch das rechte Auge eines Störembryo des
gleichen Stadiums. Ich bemerke, dass die beiden Augen so zu-
einander stehen, dass ihre Axen sich in einem nach vorn offenen,
äusserst stumpfen Winkel schneiden würden. Die Schief-
stellung ist zu dieser Zeit so gering, dass ich sie vielleicht
übersehen hätte, wenn mir nicht aufgefallen wäre, dass auf allen
meinen Sagittalschnittserien zuerst der temporale und erst einen
Schnitt später der nasale Lappen zur Ansicht kommt. — Das
Bild der Fig. 5 ist sehr lehrreich, denn es lässt, wie mir scheint,
keinen Zweifel darüber zu, dass auch beim Stör das Auge eine
nasotemporale Symmetrie aufweist. Im vertikalen Meridian ist
der Glaskörperraum ungemein seicht, vorn und hinten aber, im
nasalen und temporalen Lappen, erweitert er sich zu einer an-
sehnlichen Höhle. Wie auf dem Vertikalschnitt ist auch hier
die Teilung der Retina in eine Pars optica und Pars caeca ohne
weiteres zu erkennen. Beide gehen im Bogen ineinander über. Wie
ich früher erwähnt habe, sind beide Abschnitte der Retina in einem,
diesem Stadium des Störs korrespondierenden Stadium bei Triton
in spitzem Winkel gegeneinander abgesetzt. Hier, wie dort, weist
aber der Glaskörperraum eine deutliche naso-temporale Symmetrie
auf. Der Eindruck dieser Symmetrie wird noch dadurch erhöht,
dass der Abstand der Linse von der Mitte des Augenhintergrundes
geringer ist als nach vorn oder hinten zu. Übrigens fällt die
naso-temporale Symmetrie des Auges, die Teilung in eine vordere
und hintere Hälfte, sofort in die Augen, wenn man die Horizontal-
schnitte nach der ventralen Seite zu, also gegen die Augenblasen-
spalte hin, verfolgt. Man sieht dann, dass diese, beziehungsweise
der durch sie eintretende Processus faleiformis, eine scharfe Grenze
Archiv f mikr. Anat. Bd. %. Abt. I. 97
406 Carl Rabl:
zwischen nasalem und temporalem Lappen der Retina bildet. Die
Verlaufsrichtung der Spalte ist zu dieser Zeit eine fast rein quere.
Vom älteren Stadium von Acipenser besitze ich je eine
Sagittal-, Quer- und Horizontalschnittserie. Die Querschnittserie
lehrt, dass die Augen auch jetzt noch etwas nach oben blicken,
wenn auch vielleicht nicht mehr so stark als bei den eben aus-
geschlüpften Larven. Die Horizontalschnittserie lehrt, dass die
Augen stärker nach vorn gedreht sind als früher. Die Augen
sehen also nach aussen, oben und vorn. Die Schnitte, welche
das Auge in halber Höhe, also in der Höhe des horizontalen
Meridians treften, lassen die bilaterale oder naso-temporale Sym-
metrie ohne weiteres erkennen, obwohl jetzt der Abstand der
Linse von der Mitte des Augenhintergrundes, also die Länge der
Augenachse, zugenommen hat. Die beiden Augenachsen würden sich
also, nach hinten verlängert, in einem nach vorn offenen, stumpfen
Winkel schneiden. Der Optikus aber verläuft, wie die Horizontal-
schnittserie zeigt, wie man sich aber natürlich auch an der Quer-
schnittserie überzeugen kann, nicht in der Richtung der Augen-
achsen zum Gehirn, sondern biegt vom Auge an nach vorn und
innen um; er beschreibt also mit der Augenachse einen sehr flachen,
mit der Konkavität nach vorn gerichteten Bogen. Verfolgt man
die Horizontalschnittserie nach der ventralen Seite, so sieht man
wieder, wie die fötale Augenspalte und der durch sie in den
Glaskörperraum eindringende Processus faleiformis das Auge in
seiner ventralen Hälfte in einen nasalen und temporalen Lappen
teilt. Solche Bilder lassen keinen Zweifel darüber zu, dass der
Verlauf oder die Richtung der fötalen Augenspalte durch die
bilaterale Symmetrie des Auges bedingt ist, ja vielleicht hängt
sogar ihre Existenz damit zusammen. Denn um ein Gefäss in
den Glaskörperraum treten zu lassen und mit dem Gefäss etwas
Sindegewebe, ist die Spalte denn doch zu lang. Eine kleine
Einkerbung des Umschlagsrandes würde dazu vollkommen aus-
reichen. Ich werde darauf gleich weiter unten noch zurückkommen.
Die Sagittalschnittserie, aus der ich einen Schnitt auf Taf. XIII,
Fig. 5 abgebildet habe, lehrt folgendes: Der lateralste Schnitt
durchs linke Auge trifft nur das Pigmentepithel des temporalen
Lappens. Der nächste trifft den Lappen schon etwas voller und
legt auch schon sein inneres Blatt bloss. Auch das Epithel der
Linse ist gestreift. Der dritte Schnitt trifft temporalen Lappen
Bilaterale oder nasotemporale Symmetrie des Wirbeltierauges.. 407
und Linse voller und legt auch schon das Pigmentepithel des
nasalen Lappens bloss. Dass der nasale Lappen erst zwei Schnitte
nach einwärts vom temporalen getroffen wird, erklärt sich natürlich
aus der Schiefstellung des Auges. Auch die Schnitte durch das
rechte Auge lehren das Gleiche. Der vierte Schnitt zeigt alle
drei genannten Teile, die beiden Lappen und die Linse, in
grösserem Umfang. Desgleichen der fünfte, an dem die beiden
Lappen bereits zur Begrenzung der fötalen Augenspalte aneinander
getreten sind. Hier schlagen sie sich nach oben um und
erreichen die Linse. Dieser nach oben umgeschlagene Teil
der Lappen gehört der Pars caeca an und besteht, wie der
ganze Lappen. aus den bekannten zwei Blättern. Beide sind
hier epithelial. Das aus dem Pigmentepithel fortgesetzte Blatt
ist dünn und pigmentiert, das aus dem Innenblatt fortgesetzte
ist dicker und besteht aus einer einfachen Lage von Zylinder-
zellen; Pigment fehlt in ihm. Zwischen den beiden Lappen
ist nur ganz oben, dicht unter der Linse, eine Mesodermzelle zu
sehen. — Der nächste Schnitt, also der sechste, der das Auge
trifft, zeigt in der fötalen Augenspalte etwas pigmentiertes Binde-
gewebe und zugleich ein weites Gefässlumen. Desgleichen ist
auch unterhalb der fötalen Augenspalte ein weiteres Gefässlumen
zu sehen. Die oberen Ränder der beiden Lappen wenden sich
nach innen und nehmen den Charakter der Pars caeca an. Auf
dem nächsten Schnitt erscheint das Gefässlumen innerhalb der
Augenspalte enger, während das Lumen an der ventralen Seite
dieselbe Weite hat wie früher. Die Pars caeca am oberen Ende
der beiden Lappen schiebt sich über die Linse vor. — Der achte
Schnitt zeigt wesentlich dasselbe wie der siebente, nur ist die
Pars caeca an der dorsalen Seite des Auges etwas grösser. Der
neunte Schnitt zeigt die Teilung des oberen, nunmehr aus der
fütalen Augenspalte heraustretenden Gefässes. Der zehnte zeigt
die Schiefschnitte der aus dieser Teilung hervorgegangenen Äste,
den einen in der nasalen, den anderen in der temporalen Hälfte
des Glaskörperraumes. Die Linse lässt die hintere, horizontal
gestellte Linsennaht erkennen. Dorsal von der Linse treten
nasaler und temporaler Lappen der Augenblase aufeinander zu,
um sich miteinander zu verbinden. Auf dem nächsten, dem
elften Schnitt hat diese Verbindung schon stattgefunden. Dies
ist der Schnitt, der auf Taf. XIII, Fig. S abgebildet ist. Er
27*
408 Carl Rabl:
entspricht dem Schnitt der Fig. 7 aus dem jüngeren Stadium.
Man sieht, wie kolossal das Auge in den sechs Tagen seit dem Aus-
schlüpfen der Larven gewachsen und wie weit die Differenzierung
fortgeschritten ist. Einer ins einzelne gehenden Erläuterung
bedarf das Bild nach dem bereits Gesagten wohl nicht. Wenn
auch die naso-temporale Symmetrie, welche das Auge auf einem
solchen Schnitte zeigt, zum Teil durch die Schiefstellung des
Auges vorgetäuscht wird, indem die dorsale Hälfte der Pars caeca
später getroffen wird, als die ventrale, die schon auf früheren
Schnitten erscheint, so ist doch an der Tatsache der Symmetrie
an sich nicht zu zweifeln. Diese ist auch auf den folgenden
Schnitten ohne weiteres erkennbar, auch nachdem die dünne
dorsale Wand der dicken Pars optica Platz gemacht hat. Ich
erwähne,. dass schon auf dem nächsten Schnitt die Linse nur
mehr im hinteren Anschnitt getroffen ist und dass auf dem
darauffolgenden der Glaskörperraum herzförmig erscheint, wobei
die Spitze des Herzens nach der fötalen Augenspalte sieht und
die beiden Lappen den beiden Lappen der Retina angehören.
Diese Form des Glaskörperraumes lässt also auch nicht den ge-
ringsten Zweifel an der naso-temporalen Symmetrie des Auges. —
Der Optikus sammelt seine Bündel am ventralen Rande des Augen-
hintergrundes, wo er das Auge verlässt, um, wie schon erwähnt,
in flachem Bogen nach innen und zugleich etwas nach vorn zur
Hirnbasis zu ziehen.
Dass auch die Knochenfische keine Ausnahme machen
und also gleichfalls eine bilaterale Symmetrie des Bulbus aufweisen
werden, ist nach dem bisher Gesagten wohl schon von vornherein
wahrscheinlich. Indessen stört hier die schiefe Stellung der Augen,
so unauffällig sie sein mag, doch die Untersuchung in hohem
(Grade. Am besten scheinen mir noch Horziontalschnittserien
geeignet zu sein, um an Forellenembryonen und eben aus-
geschlüpften jungen Forellen die naso-temporale Symmetrie zu
erweisen. Bei den Knochenfischen, wenigstens bei der Forelle,
sind die Umschlagsränder der Augenblase an der fötalen Augen-
spalte weit ins Innere des Glaskörperraumes hineingeschlagen,
so dass durch die hier gebildete Doppelfalte der ganze ventrale
Bulbusraum in eine nasale und eine temporale Hälfte geteilt ist.
Dies tritt, wie begreiflich, namentlich an Horizontalschnitten durch
die ventralen Bulbushälften sehr deutlich hervor; hier erscheint
Bilaterale oder nasotemporale Symmetrie des Wirbeltierauges. 409
auf den Schnitten der Raum durch ein im vertikalen Meridian
des Auges parallel zur Augenachse verlaufendes Septum in zwei
Hälften geteilt. Das Septum wird gegen die Linse zu höher und
tritt an deren ventrale Seite heran. Dieser vorderste, an die
Linse herantretende, wulstförmig verdickte Teil des Septum ist
wohl sicher die Anlage des Linsenmuskels (Retractor lentis nach
Th. Beer), der demnach, wie schon von mehreren Seiten angegeben
ist. ektodermalen Ursprungs sein dürfte. Auch das Pigmentblatt
der Retina, das bis zur Anlage des Linsenmuskels nach vorn
reicht, zeigt hier gewisse Eigentümlichkeiten. Indessen würde es
mich zu weit von meinem Gegenstand ablenken, wenn ich darauf
näher eingehen wollte. Auf alle Fälle scheint mir eine eingehende
Untersuchung der Entwicklung des Auges der Knochenfische,
namentlich auch mit Rücksicht auf die Entwicklung des Linsen-
muskels, viele schöne Resultate zu versprechen.
Rückblick und Schluss.
Die wichtigsten Ergebnisse der vorliegenden Arbeit sind:
erstens der Nachweis einer bilateralen oder naso-tempo-
ralen Symmetrie der primären und in noch höherem Grad
der sekundären Augenblase oder des Augenbechers und zweitens
der vielleicht auch in pathologischer und klinischer Beziehung
nicht ganz unwichtige Nachweis von Inzisuren am Um-
schlagsrand des Augenbechers, die eine ganz bestimmte
und typische Lage haben. Dazu kommen noch Ergebnisse von,
wenigstens vorderhand, geringerer Bedeutung, welche sich auf
die Differenzierung der Retina, auf die Bildung des Optikus usw.
beziehen. Dass namentlich die erste Tatsache, die bilaterale
Symmetrie der Retina und damit zugleich der Grundlage des
ganzen Auges ein hohes physiologisches und pathologisches Interesse
in Anspruch nimmt, brauche ich kaum zu betonen. Indessen
will ich zuerst ein paar Worte über die Randkerben des
Augenbechers sagen. In seinem bekannten Atlas zur Entwicklungs-
geschichte des menschlichen Auges (1914, S. 13) führt Seefelder
mich als ersten an, der diese Randkerben gesehen hat. In der
Tat sind sie mir seit mindestens 17 Jahren bekannt. Seefelder
leitet, wie schon früher erwähnt, seine Beschreibung mit den
Worten ein: „Ausser der ventral gelegenen grossen Becherspalte
kann man manchmal an beliebigen anderen Stellen des Becher-
410 Carl Rabl:
randes eine Einkerbung beobachten.“ Als ich mit Seefelder
über diese Randkerben sprach und auch noch später, als er sie
mit meinem Einverständnis nach meinen Präparaten in seinem
Atlas zeichnen liess, wusste ich allerdings noch nicht. dass Zahl
und Lage der Kerben ganz bestimmt sind, aber ich erinnere mich
andererseits auch nicht, dass ich mich dahin geäussert hätte, sie
könnten an „beliebigen“ Stellen des Randes vorkommen. Auch
darüber. dass man sie nur „manchmal“ finde, habe ich, soweit
ich mich erinnere, nichts gesagt. Dass sie regelmässig, in be-
stimmter Zahl und in bestimmter Lage vorkommen, und dass
nicht bloss die Säugetiere, sondern auch die tieferstehenden
Wirbeltiere, ja sogar die Haifische zu einer bestimmten Zeit der
Entwicklung durch solche Randkerben ausgezeichnet sind, dass
sie endlich sogar bei den Haifischen in der gleichen Lage und
Zahl wie beim Schaf oder Mensch vorkommen, wusste ich damals
freilich noch nicht. Aber gerade diese Regelmässigkeit der Zahl
und Lage und die Allgemeinheit des Auftretens sind Momente,
die der Erscheinung eine grössere Bedeutung verleihen. Dass
das eine Mal an einem Embryo eines Säugetieres statt der
typischen vier nur drei oder selbst nur zwei Randkerben mit
voller Sicherheit nachzuweisen sind, hat gegenüber der höchst
interessanten Tatsache, dass sie bei einem Pristiurus genau ebenso
zur Entwicklung kommen wie beim Schaf oder Menschen, gar
nichts zu sagen. So zweifellos aber das allgemeine und regel-
mässige Vorkommen dieser Randkerben in der ganzen Wirbel-
tierreihe ist, so lässt sich doch über die physiologische Bedeutung
derselben zur Zeit nur wenig sagen. Auffallend ist allerdings,
dass man bei den Säugetieren, vor allem bei dem menschlichen
Embryo von 8,3 mm NS Länge (vergl. Taf. XII, Fig. 1) und
auch sonst in den Randkerben Gefässe findet, wodurch es wahr-
scheinlich gemacht wird, dass diese Gefässe mit der Art der
Zirkulation des Auges selbst im Zusammenhang stehen. In der
Tat ist ja, wie ich schon im beschreibenden Teil hervorgehoben
habe, keine die Arterie begleitende Vena hyaloidea vorhanden.
Das durch die fötale Augenspalte in der Arteria hyaloidea ein-
tretende Blut kann wohl nicht anders als über den Becherrand
den Abfluss finden. Und so liegt denn, wie mir scheint, die An-
nahme nahe, dass die primäre, erste und ursprüngliche Zirkulation
im Wirbeltierauge die ist, dass die Arteria hyaloidea oder, wie man
Bilaterale oder nasotemporale Symmetrie des Wirbeltierauges.. 411
vielleicht besser sagen könnte, die Art. optica, durch die fötale
Augenspalte das Blut zum Auge bringt, und dass dieses durch
vier Venen, welche sich in die Kerben des Augenrandes einlegen,
das Auge wieder verlässt. Dies würde aber schon auf eine
bilaterale oder naso-temporale Symmetrie des Auges
hinweisen. Wir hätten dann eine Arterie, die in der vertikalen
oder gewissermassen’in der entwicklungsgeschichtlichen Hauptebene
des Auges einträte und vier Venen, die auf die vier Quadranten
des Auges verteilt wären. Zwei davon würden der nasalen, die
beiden anderen der temporalen Hälfte des Auges angehören und
diese vier Venen wären genau bilateral symmetrisch verteilt.
Dieser Annahme bin ich bereits im beschreibenden Teile gefolgt. So
würden denn auch die Erwägungen Seefelders bis zu einem
gewissen, allerdings nur sehr beschränkten Grade eine Bestätigung
erfahren. Diese Erwägungen lauten: „Die Einkerbung des Becher-
randes ist genetisch ganz unabhängig von der Bildung der
ventralen Becherspalte. (Nach dem Gesagten würde dies nicht richtig
sein, insofern die „ventrale Becherspalte* zum Eintritt für die
Arterie, die Randkerben zum Austritt für Venen zu dienen hätten,
beide also in einem gewissen kausalen Zusammenhang miteinander
stünden.) „Ihr Zustandekommen (augenscheinlich sind hier die
Randkerben gemeint) wird einzig und allein durch Hindernisse
verursacht, die ihren Sitz ausserhalb der Augenanlage haben,
und zwar sind es Gefässverbindungen der Arteria hyaloidea mit
der Ringarterie, sowie letztere selbst, die sich dem Auswachsen
des Becherrandes entgegenstellen. (Hier werden drei nach
meinen Präparaten angefertigte Zeichnungen zitiert.) Mit dem
Wegfallen des Hindernisses durch Rückbildung der Gefässverbin-
dungen bestehen diese Einkerbungen nur mehr kurze Zeit weiter
und es erfolgt mit ihrem allmählichen Verschwinden eine Abrun-
dung des Becherrandes. In den Fällen, wo die Ursache der Spalt-
bildung des Becherrandes dauernd bleibt, wird die Ausbildung des
retinalen Anteils der Iris, event. auch desZylinderkörpers, gehemmt
und es kommt zur Bildung sogenannter atypischer Kolobome.“
Bevor die Gefässverhältnisse des Auges in so jungen Stadien
nicht ganz klargestellt sind, möchte ich mich nicht weiter darüber
äussern. Das oben Gesagte soll auch bloss eine Vermutung zum
Ausdruck bringen. Ich kann nur sagen, dass ich fast stets,
wenn ich an den vier typischen Stellen nach einem Gefäss gesucht
412 CarlRabl:
habe, es auch finden konnte. Auch Teile eines „Ringgefässes“ —
ob es sich um eine Arterie handelt, wie Seefelder meint, weiss
ich nicht — kann ich gewöhnlich sehen. Aber in diesen Fragen
lassen uns gerade die Selachier im Stich. Bei dem Pristiurus-
embryo mit 83 Urwirbeln, bei welchem die Randkerben so überaus
klar und deutlich zu sehen sind (vgl. die Fig. 1 und 2, Taf. XIID,
ist in der Nähe des Augenblasenrandes noch kein Gefäss zu
finden; dasselbe gilt von einem Embryo mit 96—97 Urwirbeln.
Freilich gebe ich dazu folgendes zu bedenken. Es könnten die
Inzisuren ganz wohl schon auftreten, lange bevor die Gefässe
gebildet sind, zu deren Einlagerung sie dienen. So findet man
z.B. — ich teile hier eine Beobachtung mit, die ich schon vor
langer Zeit gemacht habe — bei Schweineembryonen die tiefen
Einschnitte an der Oberlippe schon ausgebildet, lange bevor die
Hauer, denen sie später zur Einlagerung dienen, zum Durchbruch
durch die Schleimhaut gekommen sind. Es ist das ein Fall von
prospektiver Entwicklung, oder — wie ich mich in meinen „Bau-
steinen zu einer Theorie der Extremitäten der Wirbeltiere“ 1911
ausgedrückt habe, von prospektiver funktioneller Anpassung,
wie es deren so ungemein viele in der Entwicklung der Tiere gibt.
Seefelder nennt die Randkerben „Colobome des Becher-
randes“ und meint, dass es, wenn sie bestehen bleiben, zur Bil-
dung von „atypischen Golobomen“ kommen könne. Es will mir
scheinen, dass man die Bezeichnung Colobome auf angeborene
Spaltbildungen des Auges (der Iris, Chorioidea, des Optikus etc.)
beschränken sollte, die auf das Ausbleiben oder auf Unregel-
mässigkeiten das Verschlusses der fötalen Augenspalte zurück-
zuführen sind. Alle anderen sogenannten Colobome (z. B. Colobom
der Macula oder das Coloboma traumaticum) haben mit der
fötalen Augenspalte nichts zu tun. Der Name Colobom selbst
drückt bekanntlich keinerlei Beziehung zur Augenspalte aus; denn
er bedeutet einfach „Verstümmelung“.
Wichtiger und interessanter ist die bilaterale oder
naso-temporale Symmetrie der Anlage der Retina. Dass es
sich dabei nicht etwa um Artefakte handelt, beweist schon die
tadellose übrige Erhaltung der betreffenden Objekte. Nirgends
ist an ihnen die Spur einer Schrumpfung oder abnormen Faltung
zu sehen. Ürigens würden schon die Fig. 3, 4 und 5 der Taf. X,
Bilaterale oder nasotemporale Symmetrie des Wirbeltierauges. 413
welche die primäre Augenblase des Kaninchens mit den zwei
Netzhautwülsten zeigen, genügen, um jeden Zweifel daran
auszuschliessen, dass die Retina schon von den frühesten Stadien
an in einen nasalen und temporalen Lappen geteilt ist. Diese
Scheidung geht später allerdings scheinbar wieder verloren, aber
eben nur scheinbar; in Wirklichkeit bleibt, wie wir sehen werden,
die bilaterale Symmetrie stets erhalten und zwar nicht bloss an
der Retina, sondern am ganzen Auge.
Sehr auffallend ist, dass von den hier mitgeteilten Tat-
sachen so gut wie gar nichts bekannt ist. Zum Teil mag dies
daher rühren, dass man bisher fast nur Querschnittsserien unter-
sucht hat; schon Horizontalschnitte durchs Auge von Embryonen
findet man relativ selten abgebildet und Bilder von Sagittal-
schnitten, also von Schnitten, welche das Auge parallel der
Äquatorialebene treffen, sind ungeheuere Raritäten. Ich will
das Wichtigste, was ich darüber gefunden habe, mitteilen. Die
meisten derartigen Abbildungen finden sich bei Kölliker in der
„Entwicklungsgeschichte des Menschen und der höheren Tiere“
aus dem Jahre 1879. Hier ist auf Seite 629, Fig. 392, ein
Horizontalschnitt durch den Kopf eines Schafembryo von 15 mm
Länge abgebildet, der am linken Auge eine eben merkliche An-
deutung der vertikalen Falte der Retina zeigt; das rechte Auge
ist tiefer unten getroffen und der Schnitt hat die fötale Augen-
spalte blossgelegt. Ferner sind auf Seite 634, Fig. 394 und 395,
zwei Horizontalschnitte durch die Augen von Kaninchenembryonen
abgebildet; der eine Embryo war 12 Tage 6 Stunden, der andere
14 Tage alt. An beiden Figuren ist die vertikale Falte der
Retina, wenn auch lange nicht so gut, wie es sein könnte, zu
sehen. Endlich ist auf Seite 651, Fig. 410 ein Horizontalschnitt
durch das Auge eines Rindsembryo von 23 mm Länge abgebildet,
der die Falte gleichfalls zeigt. Merkwürdigerweise wird aber
diese Eigentümlichkeit, die doch zum mindesten dem Zeichner
aufgefallen ist, im Text nicht mit einem Worte erwähnt. Einen
Äquatorialschnitt durch das Auge eines Schweineembryo von 12 mm
Scheitelsteisslänge finde ich bei Bonnet in seinem „Lehrbuch
der Entwicklungsgeschichte“ (2. Auflage 1912), abgebildet (Seite 304,
Fig. 241). Das Bild zeigt eine geringe, eben merkbare Andeutung
einer Faltung des Innenblattes der Augenblase und über der Falte
die Höhle, welche z. B. an meinen Fig. 13 und 14 der Taf. XI
414 Carl Rabl:
zu sehen ist. Damit bin ich eigentlich mit der Literatur zu
Ende. Weder bei Kessler (1877), noch bei O. Hertwig
(Lehrbuch, 10. Auflage, 1915), noch in der Bearbeitung des
Kapitels „Auge“ von Froriep im Handbuch der Entwicklungs-
lehre OÖ. Hertwigs, noch in dem von Keibel bearbeiteten
Kapitel über die Entwicklung der Sinnesorgane in Keibel und
Malls Handbuch der Entwicklungsgeschichte des Menschen“ 1911,
noch bei Broman in seiner „normalen und anormalen Entwicklung
des Menschen“ 1911, noch endlich im Lehrbuch (1895) und Hand-
atlas (1907) der Entwicklungsgeschichte des Menschen von
Kollmann findet sich etwas, was man darauf beziehen könnte.
Höchstens käme vielleicht ein „kombiniertes Bild“ eines Schnittes
durch das Auge und den Augenstiel eines menschlichen Embrvo
von 10,2 mm Länge in Betracht, das in den beiden letztgenannten
Werken wiedergegeben ist und möglicherweise einem Hori-
zontalschnitte entspricht; der Augengrund zeigt auf diesem Bild
eine leichte Vorwölbung; von einer Falte der Retina ist aber
keine Rede. Davon erwähnt auch der Text nichts.
Das Interesse, das der Nachweis einer nasotemporalen Sym-
metrie der Retina in pathologischer Beziehung bietet, scheint
mir darin zu liegen, dass durch ihn vielleicht ein neues Licht
auf jene Sehstörung geworfen wird. die man als Hemianospie
(Hemiopsie oder Hemiopie) zu bezeichnen pflegt. Ich sage aus-
drücklich „vielleicht“: denn die Ergebnisse der entwicklungs-
geschichtlichen Untersuchungen decken sich nicht mit den
klinischen Erfahrungen. Meine Untersuchungen haben gezeigt,
dass die Retina entwicklungsgeschichtlich durch eine
Ebene, die senkrecht durch den Optikuseintritt zieht,
in eine nasale und temporale Hälfte zerlegt wird. Beim Kaninchen
sind es zunächst zwei Wülste, ein nasaler und ein temporaler,
an der ventralen Wand der primären Augenblase, die später zum
inneren Blatt der Augenblase wird, welche diese Symmetrie zum
Ausdruck bringen. Später tritt dann eine Falte auf, welche in
der dorsalen Hälfte der Augenblase die aus den beiden Wülsten
hervorgegangenen Lappen voneinander scheidet, während gleich-
zeitig an der ventralen Seite die fötale Augenspalte entsteht,
die zunächst nur bis zum Augenblasenstiel reicht, dann aber,
wenigstens bei den Säugetieren, — dagegen nicht bei den anderen
Tieren — auf diesen übergreift. Die dorsale Falte und
Bilaterale oder nasotemporale Symmetrie des Wirbeltierauses. 415
>
die ventrale Spalte bilden also eine vertikale Grenze
zwischen nasalem und temporalem Lappen. Später
(vel. z.B. ‘die Rie. 11, Vaf. X und die' Fig.’6, 10, 11’ und
Taf. XD), wenn sich die fötale Augenspalte schliesst, — und in
offensichtlichem Zusammenhang mit diesem Vorgang —, bildet
sich an deren Stelle auch ventralwärts eine Falte, so dass nun-
mehr in den Glaskörperraum in einer vertikal durch den Optikus-
eintritt gelegten Ebene zwei Falten vorspringen: eine dorsale,
die wir als primäre bezeichnet haben und eine ventrale, die
später und im Zusammenhang mit dem Verschluss der fötalen
Augenspalte entstanden ist, und die als sekundäre bezeichnet
werden kann. Die Ebene dagegen, welche bei der Hemianopsie
nasale und temporale Gesichtsfeldhälfte voneinander scheidet, ist
die Ebene, die durch den physiologischen vertikalen Meridian
gelegt wird, nicht die Ebene, die senkrecht durch den Optikus-
eintritt zieht. Die entwicklungsgeschichtliche Trennungsebene
zwischen den beiden Netzhauthälften fällt also mit der physio-
logischen, die zugleich die hemianoptische ist, nicht zusammen.
Übrigens spielt doch hierbei vielleicht noch die Frage nach
der „überschüssigen Gesichtsfeldpartie“ und der Doppelversorgung
der Macula lutea eine Rolle. Auf Seite 301—302 des 3. Bandes
der 1. Abteilung der „Neurologie des Auges“ (1905) von Wilbrand
und Saenger lese ich: „Wenn nun auch diese, also nur
unter bestimmten pathologischen Bedingungen, manitest werdende
Trennungslinie der Gesichtsfeldhälften mit dem vertikalen Meridian
der Netzhaut zusammenfällt und den Fixierpunkt durchschneidet,
so ist dies doch eigentlich die Ausnahme, denn meist verläuft
‘die Trennungslinie mehr oder weniger weit jenseits des vertikalen
Meridians am Fixierpunkte vorbei innerhalb des Gebietes der
vom anderen Faszikel versorgten anderen Netzhaut — resp.
Gesichtsfeldhälfte.“ Weil damit die so verlaufende Trennungslinie
der Gesichtsfeldhälften ein Gebiet umgrenzt, das, soweit es vom
vertikalen Meridian ab in die andere Gesichtsfeldhälfte hinein-
ragt, eigentlich überschüssig ist, wurde diese Partie von Wilbrand
mit der Bezeichnung „überschüssige Gesichtsfeldpartie*
belegt.
Wahrscheinlich aber ist ein Zusammenhang zwischen
Hemianopsie und bilateraler Symmetrie in anatomischem und ent-
wicklungsgeschichtlichem Sinne nicht. Vielmehr dürfte die In-
416 Carl Rabl:
kongruenz zwischen der entwicklungsgeschichtlichen Grenz- oder
Trennungslinie der beiden Netzhauthälften und der hemianoptischen,
die zugleich die physiologische Trennungslinie der beiden Gesichts-
feldhälften ist, auf die Lageveränderung des Auges zurück-
zuführen sein. Diese musste natürlich störend auf die ursprüngliche
Symmetrie des Auges einwirken.
Wir wollen nun untersuchen, ob die Retina auch beim er-
wachsenen Tier, also auch nach ihrer vollen Entwicklung, eine
naso-temporale Symmetrie, d. h. eine Symmetrie, bei welcher die
Symmetrieebene senkrecht durch den Optikuseintritt gezogen wird,
aufweist. Zu diesem Zweck wollen wir zuerst die Art der Gefäss-
verteilung in der Retina untersuchen. Hierbei kommen
bekanntlich nur die Säugetiere in Betracht, da bei den übrigen
Wirbeltieren die Netzhaut fast durchweg gefässlos ist. Hyrtl
hat diese Netzhäute daher als anangische bezeichnet (1861). Wie
H. Virchow gezeigt hat, kommen aber doch unter den Fischen
sehr merkwürdige Ausnahmen vor; so ist z. B. beim Aal die Netz-
haut ausserordentlich gefässreich, ja sie übertrifft in der „Aus-
giebigkeit der Vaskularisation“ sogar die Netzhaut der Säuge-
tiere. In anderen Fällen, wie z. B. bei den Knochenganoiden (für
ältere Lepidosteusembryonen kann ich dies aus eigener Erfahrung
bestätigen), bestehen zwar Geefässe der Hyaloidea, aber sie schicken
keine Aste in die Retina selbst hinein. — Was nun die Säuge-
tiere betrifft, so wird ein Urteil über die Art der Gefässverteilung
dadurch erschwert, dass es nicht immer mit Sicherheit festzu-
stellen ist, ob die Arterien, die man gesehen und beschrieben
hat, auch wirklich Äste einer Arteria centralis retinae sind, oder:
aber hintere Ciliararterien. Am wichtigsten für unsere Frage
ist aber zweifellos die Verästlungsweise der A. centralis retinae,
womit freilich nicht gesagt sein soll, dass dem Verästlungsmodus
der cilioretinalen Gefässe keine Bedeutung zukommt. Es wäre
sehr zu wünschen, dass diese Frage nach der Versorgung der
vetina noch genauer untersucht würde. Das meiste, was wir dar-
über wissen, gründet sich auf ophthalmoskopische Befunde und
diese reichen für anatomische Zwecke nicht aus. So sind z. B. die
Mitteilungen von Lindsay Johnson ausschliesslich auf ophthal-
moskopische Untersuchungen basiert und in den meisten Fällen
ist den kostspieligen und farbenprächtigen Bildern nicht anzusehen,
Bilaterale oder nasotemporale Symmetrie des Wirbeltierauges. 417
ob die Gefässe, um die es sich dabei handelt, Äste der A. centralis
retinae oder hintere Ciliararterien sind. Es ist dies aber durch-
aus nicht gleichgültig; wir wissen, dass selbst nahe verwandte
Familien, wie Hund und Katze, hierin voneinander abweichen
können. Beim Hund wird z. B. die Retina von einer Art. centr. ret.
versorgt, während bei der Katze nach OÖ. Schultze die Netzhaut-
gefässe Äste der hinteren Ciliararterien sind; „die Art. centr. ret.
hat hier für die Ernährung der Retina keine wesentliche Bedeutung:
sie wird durch cilioretinale Gefässe ersetzt“ (Leber).
Nachdem schon Lindsay Johnson versucht hatte, mehrere
Typen der „Netzhautvaskularisation“ aufzustellen, hat Leber
folgende Einteilung getroffen: er unterschied holangische,
merangische, paurangische und anangische Netzhäute. Der Ein-
teilung ist die Ausbreitung der Gefässe zu Grunde gelegt; je
nachdem die Netzhäute in ganzer Ausdehnung oder nur zum
grösseren Teil, oder drittens nur sehr wenig oder endlich gar
nicht vaskularisiert sind, werden sie in die vier genannten Gruppen
gebracht. Eine solche Einteilung ist, so wertvoll sie in ophthal-
moskopischer Hinsicht sein mag, in vergleichend-anatomischer und
entwicklungsgeschichtlicher doch kaum verwendbar. Dasselbe gilt
von der Einteilung Lindsay Johnsons; der lange Titel. den
er seinem in der Gesellschaft naturforschender Freunde in Berlin
gehaltenen Vortrage gegeben hat, lässt zwar ganz grossartige
Aufschlüsse erwarten, der Inhalt aber rechtfertigt diese Erwartungen,
wenn er auch in anderer Beziehung alle Anerkennung verdient,
in keiner Weise. Was die Abbildungen Lindsay Johnsons
betrifft, so sind sie, da sie nur die Gefässe auf und in unmittel-
barer Nähe der Eintrittsstelle des Optikus zeigen und keine voll-
ständige Übersicht über die ganze Art und Weise der Gefäss-
verteilung geben, nur in beschränktem Maße für unsere Zwecke
verwendbar.
(Ganz gefässlos — anangisch nach der Bezeichnung Hyrtls —
ist die Netzhaut beim Rhinozeros, dem Stachelschwein (Hvstrix),
dem Armadill(Dasypus), dem Faultier (Bradypus) und dem Ameisen-
igel (Echidna); diese Formen kommen daher für uns nicht in
Betracht. Das gleiche gilt von den Formen mit „paurangischer“
Netzhaut nach Leber. Diesen Typus zeigen die Fledermäuse,
das Pferd, der Tapir, der Elefant, der Ameisenbär (Myrmecophaga)
und Hyrax, dann ein Teil der Nager, wie der Biber und das
A418 Carl Rabl:
Meerschweinchen und endlich noch die meisten Beuteltiere.
Hinsichtlich des genaueren Verhaltens der Netzhautgefässe des
Pferdes sind aber die Angaben noch geteilt. (Man vergleiche
darüber, sowie über andere, hier erwähnte Punkte die Zusammen-
stellung Lebers.)
Wichtig für uns sind eigentlich nur die „merangischen“
und „holangischen“ Netzhäute. Was die Netzhautgefässe des
Kaninchens und des Hasen betriftt, so weiss man seit langem,
dass ihr Verbreitungsgebiet ein sehr beschränktes ist. Vom Augen-
hintergrund des Kaninchens gibt es begreiflicherweise eine sehr
grosse Zahl von Abbildungen, wie bereits oben erwähnt wurde.
Eine der lehrreichsten ist die von Lindsay Johnson. Das
Kaninchen besitzt eine horizontal gestellte, ovale oder lang-
gestreckte (Lindsay Johnson) Papille, von der die Äste der
Art. centralis nach der nasalen und temporalen Seite ausstrahlen.
Die Papille und die grösseren Grefäßstämme der Retina stehen
also genau senkrecht auf der vertikalen Grenzlinie zwischen
den beiden entwicklungsgeschichtlich so scharf unterscheidbaren
Lappen. Was die holangischen Netzhäute betrifft, so halte ich
mich lieber als an die ophthalmoskopischen Bilder, die nur aus-
nahmsweise eine beschränkte Übersicht über die Verbreitungsweise
geben, an die, wenn auch weniger eleganten und zum Teil wohl
sehr schematischen Abbildungen Chievitzs und Slonakers;
namentlich die Skizzen Slonakers geben nur eine ungefähre
Vorstellung der grösseren Arterienstämme. Zu diesen Abbildungen
kommen dann noch einige andere, wie das schöne Bild des Augen-
hintergrundes des Rindes in Zürns Arbeit über die Retina und
die Area centralis der Haussäugetiere und dergleichen.
Ich beginne mit der Besprechung der Gefässverteilung in
der Retina der Primaten. Das Schema der Gefässverteilung von
E. v. Jäger, das auch Leber in seine Darstellung aufge-
nommen hat, ist allgemein bekannt; weniger bekannt ist das
Bild Langenbachers, das das Gefässnetz der Retina bis zur
Ora serrata zeigt; es ist gleichfalls von Leber in seine grosse,
höchst dankenswerte Darstellung der Zirkulationsverhältnisse des
Auges aufgenommen (S. 8). Für unsere Zwecke ist die Figur
Langenbachers vielleicht noch instruktiver als die v. Jägers.
Eine senkrechte Linie, die genau der entwicklungsgeschichtlichen
Grenze der beiden Hälften der Retina entspricht, trennt die nasalen
Bilaterale oder nasotemporale Symmetrie des Wirbeltierauges. 419
und temporalen Gefässgebiete. Das nasale wird bekanntlich von
der Arteria nasalis sup. et inf., das temporale von der Arteria
temporalis sup. et inf. versorgt. Kleinere Arterien wie die Arteria
macularıs an der temporalen und die A. mediana an der nasalen
Seite stören diese nasotemporale Symmetrie in keiner Weise.
Ein eigenartiges Interesse bietet dann noch die Tatsache, dass
„der mittlere Teil der Fovea eine gefässlose Insel“ darstellt;
diese Insel ist, wie die von O. B. Becker nach einem Präparat
von H. Müller gegebene Abbildung (vergleiche Leber, S. 11)
zeigt, im horizontalen Durchmesser länger als im vertikalen.
Der Längsdurchmesser der Insel steht also, nasalwärts verlängert,
senkrecht auf der entwicklungsgeschichtlichen Grenzlinie. Wie
aus den Untersuchungen Slonakers (Gorilla) und namentlich
Lindsay Johnsons (zahlreiche niedere Affen) hervorgeht,
zeigen alle Primaten denselben Verästelungstypus wie der Mensch.
Aber auch sonst lässt sich bei allen holangischen Netzhäuten
durch eine, der entwicklungsgeschichtlichen Grenzlinie zwischen
temporaler und nasaler Hälfte der Retina entsprechende senkrechte
Linie das (Gefässgebiet der Retina in zwei symmetrische Hälften
zerlegen. Wenn wir den Teilungsmodus der Primaten
als den ersten Typus der Gefässverteilung bezeichnen
wollen, so können wir den der Karnivoren als einen
zweiten anführen. Aus den Skizzen Slonakers geht
klar hervor, dass wir hier (Hund, Fuchs, Katze) eine dorsale, in
der entwicklungsgeschichtlichen Grenzlinie senkrecht nach oben
ziehende Arterie unterscheiden können, die symmetrisch nach der
temporalen und nasalen Seite ihre Äste abgibt, und zwei ventrale,
die einen nach unten offenen rechten oder stumpfen Winkel
einschliessen, und von denen die eine an der nasalen, die andere
an der temporalen Seite gelegen ist. Auch einige Bilder von
Lindsay Johnson (ich erwähne das von Procyon lotor und
Ursus americanus) lassen eine nasotemporale Symmetrie der
Gefässyerteilung vermuten. Andere Bilder, wie das der Ge-
fässverteilung beim Serval, geben das umgekehrte Bild, wie
die vom Hund oder Fuchs, zeigen aber gleichfalls eine nasotemporal-
symmetrische Verteilung. Ein dritter Verbreitungsmodus
ist der der Ungulaten, soweit diese überhaupt gefässhaltige
Netzhäute besitzen. Die Abbildungen der Gefässverteilung des
Rindes, Schafes, Hirsches, Schweines, Kamels usw. lassen keinen
420 Carl Rabl:
/weifel an der nasotemporalen Symmetrie der Gefässverteilung
zu. Der Verbreitungsmodus ist nur wenig von dem der Karni-
voren verschieden. Auch hier haben wir eine von der Optikus-
papille senkrecht nach oben ziehende, also dorsale Arterie, die
symmetrisch nach der temporalen und nasalen Seite Zweige abgibt
und zwei oder drei ventrale Gefässe, die man, wie namentlich
die genauesten darüber vorliegenden Abbildungen zeigen, als
eine horizontale nasale, eine horizontale temporale und eventuell
noch als eine vertikale ventrale bezeichnen kann. Die vertikale
ventrale kann, wie es scheint, rückgebildet sein. Alsein vierter
Verbreitungsmodus ist vielleicht der der Nager, so-
weit diese überhaupt gefässhaltige Netzhäute besitzen, zu unter-
scheiden. Wenigstens lassen die Abbildungen einer Eichhörnchen-
netzhaut bei Chievitz und zwei ophthalmoskopische Bilder des
Augenhintergrundes der Ratte und des Eichhörnchens bei Lindsay
Johnson die Annahme einer nasotemporalen Symmetrie der
(sefässverteilung auch in diesen Fällen nicht unwahrscheinlich
erscheinen. Dabei ist es sehr eigentümlich, dass beim Eichhörnchen
die Papille ein langes, horizontales Band darstellt, aus dem nach
der dorsalen, ventralen, temporalen und nasalen Seite die Gefässe
hervortreten. Die Bilder sowohl bei Lindsay Johnson als bei
Chievitz sind ohne die geringste Schwierigkeit mit der naso-
temporalen Symmetrie in Einklang zu bringen. Die Verhältnisse
des Eichhörnchens erinnern zugleich ein wenig an die oben
geschilderten des Kaninchens. —
Aber nicht bloss die Art der Gefässverteilung in der Retina
steht in vollem Einklang mit der nasotemporalen Symmetrie, wie sie
sich in der Entwicklung des Auges kundgibt, sondern auch die
Konfiguration der Regionen des schärfsten, oder vielleicht besser
gesagt, des scharfen Sehens. Die entwicklungsgeschichtliche
Trennungslinie der beiden Hälften der Retina steht, wie wir gesehen
haben, vertikal; es ist nun gewiss nicht ohne tiefere Bedeutung,
dass die Region des scharfen Sehens, die man als Area centralis
zu bezeichnen pflegt, in weitaus der Mehrzahl der Fälle, wo sie
bisher genauer untersucht ist, dem horizontalen Meridian
entspricht, also genau senkrecht auf der ent-
wicklungsgeschichtlichen Grenzlinie der beiden
Retinahälften steht. Es ist dies ein Gegenstand, der
namentlich, was die niederen Wirbeltiere betrifft, noch nicht seit
Bilaterale oder nasotemporale Symmetrie des Wirbeltierauges. 421
sehr langer Zeit bearbeitet ist und dessen weitere Verfolgung
sicher noch schöne Resultate zeitigen wird. Wir werden sehen, dass
die Tatsache, dass eine band- oder streifenförmige Area centralis
retinae gerade in den ursprünglichsten Fällen senkrecht auf jene
Grenzlinie zieht und im horizontalen Meridian verläuft, ein Licht
auf die physiologische Bedeutung und zugleich auf die phylo-
genetische Entstehung der nasotemporalen Symmetrie zu werfen
geeignet ist. Ich hebe zunächst einige Angaben hervor, die für
unsere Frage von Wichtigkeit sind. Dabei beginne ich mit den
Selachiern und steige allmählich zu den Säugetieren auf. Über
die Retina der Selachier hat Franz mitgeteilt, dass sie „zentral
dicker und reicher an den verschiedenen Elementen“ ist, als in
der Peripherie. Er fährt dann fort — und darauf möchte ich
ganz besonders die Aufmerksamkeit lenken —: „Derhorizontale
MeridiandesSelachierauges dürfte als Gebiet des schärfsten
Sehens insofern wirken, als er und nur er den hierfür geeigneten
Abstand von der Linse hat, während dorsal und ventral die Netz-
haut der Linse näher liegt. Dies kommt physiologisch auf das-
selbe wie eine streifenförmige Area hinaus, doch sind histiologische
Unterschiede, die damit einhergingen, bis jetzt nicht bekannt,
ausser, dass bei manchen Arten das Tapetum der ÜUhorioidea in
diesem Gebiete bevorzugt entwickelt ist“ (1905 und 1913). Mit
den Angaben Franz’ stimmen diejenigen Slonakers im all-
gemeinen überein. Er schreibt: „Fishes seem to be characterized,
as a rule, by the absence of both a fovea and a well-defined
area. Nothing is visible to the naked eye excepting in a few
cases, which will receive special mention. If sections of the eye
however, are subject to the microscopical measurement, an oblong
or oval region, slightly thicker than the rest of the retina, is
found located on the temporal side and a little above the center.
In fact, the whole upper half of the retina is somewhat thicker
than the lower half in all fishes which J have examined. That
region indicated above, however is the thickest, and .J have
designated it the area centralis“. (S. 482.) Dementsprechend führt
Slonaker auch in der Übersicht Acanthias, Torpedo und einige
andere Fische als Formen mit „oval area“ an. In der Tat lässt
sich dagegen kaum etwas einwenden.
Was die Ganoiden betrifit, so hat Dogiel einen Unterschied
im feineren Bau der Retina des Störs zwischen der Mitte des
Archiv f.mikr. Anat. Bd.90. Abt.I. 28
4223 Carl Rabl:
Augengrundes und der Peripherie konstatieren können. — An
einer Querschnittsserie durch den Kopf eines jungen Lepidosteus
von 16,5 mm Länge finde ich die Retina in der Mitte etwas dicker
als in der Peripherie; aber das will deshalb nicht viel sagen, weil
geradeso wie ich dies schon im Jahre 1398 vom Axolotl gezeigt
habe, die Differenzierung der Retina auch bei den Fischen in der
Mitte des Augenhintergrundes beginnt und von hier nach der
Peripherie weiterschreitet. Es könnte also immerhin später die
Retina in der Peripherie ebenso dick werden als im Zentrum.
Dagegen ist die Tatsache, dass hier, also gerade in der Gegend
des scharfen oder schärfsten Sehens, die Differenzierung ihren
Anfang nimmt, sowohl in physiologischer als phylogenetischer
Hinsicht von grossem Interesse. Ich habe darauf schon in meiner
ersten Linsenarbeit hingewiesen. — Was die Knochenfische betrifft,
so liegen hier augenscheinlich sehr verschiedene Verhältnisse vor.
Beim Seepferdchen (Hippocampus) glaubte Carriere (1885) eine
runde Area mit kleiner Fovea gefunden zu haben; die Abbildung
ist oft reproduziert worden, so erst unlängst wieder von Franz,
obwohl schon vor langer Zeit H. Virchow, wohl mit Recht,
sehr scharfe Kritik an sie gelegt hat (allerdings in Beziehung auf
einen anderen Punkt; indessen macht die ganze Zeichnung keinen
sehr vertrauenswürdigen Eindruck). Nach Krause (1889) soll
auch bei der Seenadel (Syngnathus) eine runde Area mit kleiner
Fovea vorhanden sein und Slonaker hat (1897) dasselbe für
Siphonostoma behauptet, so dass also, wenn man den Angaben
Vertrauen schenken dürfte, bei allen Lophobranchiern eine Area
mit Fovea vorhanden wäre. Ausserdem haben Schiefferdecker
(1554) für Pleuronectes und Gulliver (1868) für Pagellus eine
Fovea beschrieben. In den meisten Fällen dürfte aber wohl bei
den Knochenfischen eine längliche, horizontal gestellte Area in
dem von Slonaker erwähnten Sinne vorhanden sein; dabei bleibt
aber doch immer noch die Frage offen, ob nicht auch eine Area
in Form eines horizontalen Bandes oder Streifens vorkommt. Die
Untersuchungen reichen bisher noch nicht weit. Ich finde auf
einer (uerschnittsserie durch den Kopf einer jungen 5 cm langen
Forelle folgendes: Die Retina hat auf den Schnitten, welche den
Optikuseintritt, die Leiste (Processus faleiformis) und den Linsen-
muskel (Campanula Halleri) zeigen, in der Mitte des Augen-
hintergrundes eine Dicke von 0,195 mm; in einiger, aber geringer
Bilaterale oder nasotemporale Symmetrie des Wirbeltierauges. 423
Entfernung dorsal davon messe ich dagegen nur 0,157—0,165 mm.
Die dickere Mitte geht ganz allmählich in die dünnere Umgebung
über. Es scheint, dass auch hier die dickere Region die Form
einer horizontal gestellten Ellipse oder vielleicht sogar eines hori-
zontalen Bandes hat, worüber ich allerdings nichts Sicheres sagen
kann. — Ein von dem gewöhnlichen abweichendes Verhalten findet
man bei den Tiefseefischen, jedoch soll davon, da es für die
Frage nach der Entstehung und Bedeutung der nasotemporalen
Symmetrie ohne Belang ist. hier nicht die Rede sein.
Was die urodelen Amphibien betrifft, so liegen unsere
Kenntnisse hinsichtlich regionärer Verschiedenheiten der Retina
noch sehr im Argen. Nach Hulke (1367) soll bei Salamandra
atra und Triton cristatus eine kleine Area vorhanden sein (nach
Slonaker zitiert, bei Hulke selbst konnte ich die Angabe
nicht finden) ; Chievitz hat eine solche bei Salamandra maculosa
und Triton punctatus nicht finden können ; ebensowenig Slonaker
bei Diemycetylus. Dazu kann ich folgendes mitteilen. Es kann
keinem Zweifel unterliegen, dass Salamandra maculosa eine
sehr schöne bandförmige, im horizontalen Meridian
verlaufende Area centralis besitzt. Sie zieht über den
Augengrund namentlich nach der temporalen Hälfte zu, liegt
unmittelbar dorsal vom Optikuseintritt und springt sehr deutlich
gegen den Glaskörper vor. Ich kann sie an Sagittal- und Quer-
schnittserien von jungen Salamandern von 5,5 und 6,2 cm Länge
sehr deutlich schon mit freiem Auge sehen. Auf den Sagittal-
schnitten, welche den Augengrund treffen, wird dieser durch den
Streifen geradezu in eine dorsale und ventrale Hälfte geteilt.
Ich bemerke ausdrücklich, dass von einer Schrumpfung und einer
dadurch entstandenen Faltung keine Rede sein kann. Ich bin
nach dieser Erfahrung überzeugt, dass bei allen Urodelen eine
horizontale bandförmige Area nachzuweisen sein wird, wenn man
nur mit Geduld und mit den geeigneten Methoden darnach sucht.
Was die Anuren betrifft, so kennt man sie vom Frosch seit
langer Zeit. Dass Rana esculenta eine bandförmige Area besitzt,
hat Chievitz im Jahre 1891 gefunden. Sie wurde seither oft
gesehen und abgebildet. Das schönste Bild von ihr, sowie des
ganzen Augenhintergrundes, gibt Gaupp in der Bearbeitung der
Anatomie des Frosches (begründet von A. Ecker undR. Wieders-
heim, III. Abteilung, 1904, S. 808). Er schreibt über sie und
28*
424 Carl Rabl:
die Area anderer anurer Amphibien: „.. Die Area centralis
retinae ist schon makroskopisch zu erkennen. Sie erscheint an
der mit Salpetersäure behandelten Netzhaut von Rana esculenta
in Form eines ca. 1—1,5 mm breiten horizontalen Streifens von
gesättigt weisser Farbe, der in einer Entfernung von etwa 1 mm
oberhalb des Optikuseintrittes quer durch die ganze Retina geht.
Nasal wie temporal reicht er bis fast an die Ora optica: seine
Grenzen gegen die übrige Netzhaut sind nicht scharf. Dieser
von J. K. Chievitz entdeckten und beschriebenen Partie kommt
ein besonders modifizierter Bau und wahrscheinlich ein besonders
scharfes Sehvermögen zu. Bei Rana fusca ist sie ebenfalls vor-
handen, jedoch nur schwach ausgebildet. Eine besondere Ver-
tiefung, wie sie bei höheren Wirbeltieren (als Fovea centralis
retinae) vielfach vorkommt, fehlt bei den Fröschen (Bufo calamita
und B. vulgaris besitzen nach Chievitz eine Andeutung davon).“
An dem Bilde des Augenhintergrundes des Frosches ist auch die
Form der Papilla nervi optiei von Wichtigkeit. Diese liegt etwas
temporal vom proximalen Pol, ist makroskopisch gut erkennbar
und besitzt die Form eines länglichen schmalen Ovales, dessen
Längsachse vertikal steht. Wen das Bild des Augenhintergrundes
des Frosches, wie es bei Gaupp zu sehen ist, von der naso-
temporalen Symmetrie der Retina nicht zu überzeugen vermag,
ist überhaupt nicht zu überzeugen.
Was die Reptilien betrifft, so ist in allen Fällen, die daraufhin
untersucht worden sind, eine Area, in vielen ausserdem auch eine
Fovea gefunden worden. Schon im Jahre 1839 hat Chievitz die
„streifenförmige Area mit der seichten rinnenförmigen Fovea“
des Alligators (A. mississipiensis) beschrieben. Eine ebensolche
Area besitzt nach demselben Forscher auch das Krokodil. Nach
Slonaker ist bei Phrynosoma cornutum die Area bandförmig.
bei allen anderen Lacertiliern, ferner allen Schlangen und Schild-
kröten soll sie rund sein. Ich sage ausdrücklich „soll“, denn ich
halte es durchaus nicht für ausgeschlossen, dass eine erneute
daraufhin gerichtete Untersuchung die Area als bandförmig er-
weisen wird, wobei allerdings eine Stelle besonders ausgezeichnet
und höher differenziert sein mag. Die Fovea wird bald als seicht,
bald als tief bezeichnet. Eine auffallend tiefe Fovea besitzt nach
Kallius Hatteria, was in Anbetracht der tiefen systematischen
Stellung dieser Form ein besonderes Interesse bietet. Sehr tief
Bilaterale oder nasotemporale Symmetrie des Wirbeltierauges. 425
ist auch die Fovea der Uhamaeleons, die schon Soemmering
kannte und später H. Müller, Hulke und Ramön y Cajal
beschrieben.
Was die Vögel betrifft, so verdanken wir auch hier das
meiste, was wir über die Areae und Foveae derselben wissen,
Chievitz (1891) und Slonaker (1597). Eine gute Zusammen-
stellung hat kürzlich Franz gegeben. Wir wissen durch Chievitz,
dass bei den Vögeln meistens zum mindesten eine runde Area mit
Fovea vorhanden ist: letztere ist beim Huhn und Perlhuhn allerdings
sehr fraglich. Wie zuerst H. Müller gezeigt hat, kommt bei
gewissen Vögeln ausser dieser einen, zentralen, noch eine zweite,
laterale Fovea vor. Dies ist vor allem bei den Tagraubvögeln
(die Eulen besitzen nur eine laterale Fovea) und einem Teil der
Singvögel, vor allem den Schwalben, der Fall. Schon H. Müller
hat die eine Fovea mit dem monokulären, die andere mit dem
binokulären Sehen in Beziehung gebracht. Ausser der runden
Area mit ihrer Fovea findet sich häufig eine streifenförmige, auf
welcher dann stets die zentrale Fovea sitzt. Die streifenförmige
Area liegt stets im horizontalen Meridian, wie bei den Amphibien
und Reptilien, soweit eine solche vorhanden ist. Sie soll sich
hauptsächlich bei solchen Vögeln finden, die ihre Nahrung am
Erdboden suchen, und ausserdem bei Schwimmvögeln. In seltenen
Fällen soll der streifenförmigen Area die Fovea fehlen. Bei den
schnellsten aller Vögel, den Schwalben (dem Cypselus oder Segler
und der Hirundo oder Schwalbe), sowie bei einer Möwe, Sterna
(Seeschwalbe), findet sich sogar ausser den zwei Foveae, die
denen der Tagraubvögel entsprechen, noch eine streifenförmige
horizontale Area, die nach der Zeichnung Chievitz’ mit einer
unne versehen ist und die eine der beiden runden Foveae trägt.
Wahrscheinlich mit Rücksicht auf die rinnenförmige Vertiefung
der streifenförmigen Area spricht man auch von drei Foveae bei
den genannten Vögeln, nämlich zwei runden und einer streifen-
förmigen. — Auf die anderen regionären Verschiedenheiten der
Netzhaut der Vögel, so interessant sie namentlich in physiologischer
und biologischer Hinsicht sind, gehe ich hier nicht ein, ich lasse
daher auch die ungleiche Verteilung der farbigen Ölkugelarten
der Zapfen ausser Betracht. Nur eine Tatsache will ich noch
erwähnen, da sie auch für uns mit Rücksicht auf unsere späteren
Erörterungen von Interesse ist. Hess hat gefunden, dass die
426 Carl Rabl:
Netzhaut bei der Schwalbe in der ventralen Hälfte dünner ist
als in der dorsalen, welch letztere beim Fliegen vorwiegend ge-
braucht wird. Wie ich in meiner Linsenarbeit gezeigt habe,
zeigen die Schwalben den höchsten Grad der Differenzierung im
3au der Linse unter allen Vögeln; mit dieser Tatsache stimmt
es ganz vorzüglich, dass auch ihre Retina den höchsten Grad der
Differenzierung zeigt. —
Die ersten genauen Angaben über die Area der Säugetiere
verdanken wir Chievitz. Nachdem schon im Jahre 1881
H. Müller ein paar kurze Angaben gemacht hatte, aus denen zu
entnehmen war, dass bei den Säugetieren eine Area centralis vor-
kommt, und nachdem im Jahre darauf Ganser und 1857 Schwalbe
die Area der Katze und die des Schafes entdeckt hatten. nahmen
durch die schönen Arbeiten Chievitz’ aus den Jahren 1359—1891
unsere Kenntnisse rasch einen grossen Aufschwung. In zweiter
Linie ist die schon oft genannte Arbeit Slonakers (1897)
hervorzuheben und endlich die im Jahre 1902 erschienene
Abhandlung Zürns über die Retina und die Area centralis
retinae der Haussäugetiere. So weit unsere bisherigen Kennt-
nisse reichen, dürften die Säugetiere der Mehrzahl nach eine
streifen- oder bandförmige, horizontal verlaufende Area be-
sitzen, also eine Area, die die entwicklungsgeschichtliche Grenz-
linie zwischen den beiden Lappen der Retina in rechtem Winkel
kreuzt. Eine geringe Zahl besitzt eine ovale oder rundliche
Area wie der Mensch; ist sie oval, so steht wohl ausnahmslos
der längere Durchmesser horizontal; nur eine verhältnismässig
geringe Zahl scheint überhaupt keine Area zu besitzen. Es sind
dies durchaus Tiere mit wenig scharfem Sehvermögen, vor allem
nächtliche und Dämmerungstiere; so hat schon Chievitz ange-
geben, dass der Maus, der Ratte, der Feldmaus (Arvicola) und
dem Igel die Area fehle; nach Slonaker fehlt sie auch den
Fledermäusen. Dass der Maulwurf keine Area besitzt, ist wohl
selbstverständlich. Ausser den genannten Tieren sollen auch
der Dachs, das Meerschweinchen und die Spitzmaus (Sorex), die
doch kaum zu den nächtlichen oder Dämmerungstieren zu rechnen
sein dürften, keine Area besitzen. In manchen Fällen, in welchen
ursprünglich eine runde Area, ähnlich der Macula lutea des
Menschen, beschrieben wurde, wurde später eine bandförmige
gefunden. So hatte schon Schwalbe die Area des Schafes als
Bilaterale oder nasotemporale Symmetrie des Wirbeltierauges. 427
einen runden Fleck beschrieben und ihm war auch Chievitz
gefolgt; Slonaker dagegen beschreibt beim Schaf die Area als
„a white band-like region, about 1—2 mm broad, extending hori-
zontally across the retina“. Auch die Abbildung, die er gibt,
lässt keinen Zweifel an der Existenz einer bandförmigen Area zu.
Merkwürdigerweise aber sagt der letzte Untersucher Zürn, dass
den „kleinen Wiederkäuern“ (darunter sind Schaf und Ziege
gemeint), eine streifenförmige Area fehle (l. c. S. 124). Er be-
schreibt nur die schon von Schwalbe gesehene „runde“ Area;
es handelt sich aber zweifellos auch bei dieser „runden“ Area
um eine ovale, wie aus der Angabe hervorgeht, dass sowohl beim
Schaf als bei der Ziege der „sagittale Durchmesser“ — darunter
ist der vertikale gemeint — um ein weniges geringer sei als
der grösste horizontale. Beim Fuchs soll die Area nach Chievitz
rund sein, nach Slonaker stellt sie ein horizontales Band un-
mittelbar über dem Optikuseintritt dar. Beim Hund, wo Chievitz
gleichfalls eine runde Area beschrieben hat, eine Angabe, die
von Zürn bestätigt wird, soll nach Slonaker die Verteilung
der Blutgefässe der Retina eine streifenförmige Area andeuten.
Bei der Katze hat Ganser eine runde Area beschrieben und ihm war
Chievitz gefolgt; Slonaker beschreibt eine „area-like region“
von ungefähr länglicher Form: indesssen ist seine ganze Be-
schreibung recht unbestimmt und unsicher. Sicher und unbestritten
band- oder streifenförmig ist die Area beim Kaninchen und
der Feldmaus, beim Rind, Kameel, Schwein und Pferd; die instruk-
tivsten Abbildungen finden sich bei Chievitz. Von der Area
oder „Sehleiste“ des Kaninchens liegen, wie schon früher erwähnt,
zahlreiche Abbildungen vor. Eine sehr sorgfältige Abbildung
des Augenhintergrundes des Rindes gibt Zürn. Diese ist noch
deshalb von grossem allgemeinen Interesse, weil sie ausser der
schon lange bekannten horizontalen Area auch noch die „runde
oder laterale“ Area zeigt. Diese liegt, wie aus der Figur zu
entnehmen ist, innerhalb des horizontalen Bandes, als welches
die horizontale Area erscheint und stellt allem Anschein nach
eine besonders difterenzierte Stelle derselben dar. Zürn sagt
von der streifenförmigen Area, sie liege „dicht oberhalb der
Tapetgrenze, etwa in der Mitte zwischen den beiden von der
Papille ausgehenden, horizontal verlaufenden Gefässen und den
beiden ersten in horizontaler Richtung abtretenden Zweigen des
428 CarlRabl:
dorsalen Gefäßstammes. Sie erstreckt sich als ein etwa 1 mm
hoher Streifen quer durch die ganze Retina. Ihre Richtung ist
eine solche, dass sie, wenn man den ganzen Kopf von der Seite
her betrachtet, einen nach hinten offenen Winkel von 50° mit
der vorderen Profillinie des Gesichtes bildet. Dieselbe Richtung
hat der längste Durchmesser der elliptischen Pupille, sowie der
ebenfalls oblongen Cornea (Chievitz)* (S. 221). Diese Stellung
der streifenförmigen Area, sowie der Cornea und Pupille ist, wie
wir noch sehen werden, in physiologischer und biologischer Hinsicht
wichtig. Von der „runden“ Area sagt er, dass sie „lateral und
etwas nach oben von der Mitte der Papille und 6,5 bis 7 mm
medial des Übergangssaumes“ liege. „Ihr horizontaler Durch-
messer beträgt 2—2,5 mm, ihr sagittaler 1,3 bis 1,5 mm“; die
„runde Area“ ist also ebensowenig wie die des Schafes rund,
sondern gleichfalls oval. Aber nicht bloss beim Rind, sondern
auch bei allen anderen untersuchten Haussäugetieren (dem Pferd,
Schwein, Schaf, der Ziege, dem Hund und der Katze) konnte
Zürn „eine runde Area centralis für binokulares Sehen“ finden.
Es darf also wohl daraus geschlossen werden, dass überall eine
bestimmte Stelle des horizontalen Streifens einen höheren Grad
von Differenzierung aufweist. „Ein, analog der Fovea centralis
der menschlichen Netzhaut, stäbchenfreies Gebiet findet sich nur
innerhalb der Area centralis einiger, erfahrungsgemäss besonders
scharfsichtiger Hunderassen (Rattler, Jagdhunde), während andere
Hunderassen (insbesondere die Erdhunde) nur eine geringgradig
ausgebildete Area centralis aufweisen. Im Bereiche des Zapfen-
gebietes der genannten Hunderassen ist die Membrana limitans
externa eingebuchtet, Desgleichen fand ich eine Fovea centralis
externa in der Mitte der Area centralis der Katze, woselbst die
Zahl der Sehzellen nahezu auf die Hälfte reduziert ist.“
Endlich erwähne ich, dass eine längliche (oblonge) Area
beim Murmeltier, mehreren Eichhörnchenarten, dem Backenhörn-
chen, lauter Nagern, und bei dem zu den Musteliden, also den
Karnivoren, gehörenden Stinktier (Mephitis) beobachtet wurde.
Eine runde Area endlich zeichnet alle Primaten aus und wurde
ausserdem auch bei einer Anzahl von Karnivoren, darunter dem
Hermelin und dem Seehunde, gefunden. —
Wenn nun auch die regionale Differenzierung der Retina
auf den ersten Blick mit unserer Frage nach der bilateralen oder
Bilaterale oder nasotemporale Symmetrie des Wirbeltierauges. 429
nasotemporalen Symmetrie der Retina nichts zu tun zu haben scheint,
so hat sie doch zweifellos einen physiologischen oder biologischen
Grund, und da, wie wir sehen werden, auch die nasotemporale
Symmetrie auf bestimmte biologische Momente zurückzuführen
ist, so besteht zwischen beiden, wenn auch indirekt, ein ganz
bestimmter Zusammenhang.
Wir haben bisher nur die Pars optica retinae in Betracht
gezogen. Die Konfiguration der Pars caeca ist natürlich ganz
und gar von der Art der Differenzierung des Ciliarringes und
der Iris abhängig und kann nur im Zusammenhang mit diesen
beurteilt werden. Nun hat uns vor allem Hess eine Reihe ganz
prachtvoller Bilder des Ciliarringes und der Iris von Wirbeltieren
aller Klassen mitgeteilt. Mag man den vorderen Augenabschnitt
eines Haifisches (Sceyllium catulus, Katzenhai), oder eines Knochen-
fisches (Zeus faber, Petersfisch) oder eines Salamanders (Sala-
mandra maculosa) oder einer Kröte (bufo agua), oder eines
Alligators oder endlich sogar einer Taube betrachten, stets
fällt uns auf den ersten Blick die bilaterale oder nasotemporale
Symmetrie des Bildes ins Auge. Die Art der Anordnung und
Verteilung der Ciliarfortsätze, die Leiste bei den Hai- und Knochen-
fischen, die Form der Iris und der Pupille der Amphibien, die
Knötchen am unteren und oberen Rand der Pupille, sowie manche
an die früher bestandene fötale Augenspalte erinnernde Erschei-
nung am Auge der Fische und Amphibien legen Zeugnis für die
naso-temporale Symmetrie ab. Hierher gehören z. B. die „Papille“
des Ciliarringes der Haifische, die den rudimentären Linsenmuskel
trägt, und der ventrale Pupillarknoten der Amphibien; der dorsale
Knoten der Anuren kann natürlich mit der fötalen Augenspalte
nichts zu tun haben. Zwei sehr schöne Bilder des vorderen
Bulbussegmentes des Frosches teilt Gaupp mit (l. c. S. 794
und 795); beide betreffen hana esculenta; das eine zeigt das
vordere Bulbussegment eines „sehr grossen“, das andere das
eines „mittelgrossen“ (8 cm langen) Tieres. Über das Corpus ciliare
schreibt Gaupp u. a.: „Seine proximale Begrenzungslinie, die
durch die Ora optica retinae gebildet wird, verläuft zirkulär und
im wesentlichen parallel zum Äquator, weicht jedoch dadurch
von der genauen Kreisform ab, dass sie in ihrem temporalen
und nasalen Abschnitt mehr geradlinig von oben nach unten ver-
430 Carl Rabl:
läuft. (Dadurch schon wird die Form bilateral symmetrisch, wie
ein Blick auf die Figuren Gaupps zeigt. R.) Auch kann die
Begrenzungslinie in ihrer unteren Hälfte etwas stärker nach unten
ausladen, als der Kreisform entspricht. Dadurch wird die Breite
der Oberfläche des Corpus eiliare (d. h. der Abstand zwischen der
Ora optica und dem ciliaren Irisrand) sehr ungleich: oben und
unten in der Mitte ist die Breite am bedeutendsten, temporal
ist sie erheblich geringer und nasal wird sie ganz klein“. Die
Asymmetrie zwischen temporaler und nasaler Seite ist so gering,
dass sie beim ersten Blick auf die Bilder gar nicht in die Augen
fällt. Das gilt auch von der Verschiedenheit in Beziehung auf
die Länge der Ciliarfortsätze, die Gaupp sehr genau beschreibt.
Interessant ist ferner auch die verschiedene Verlaufsrichtung der
Ciliarfortsätze an der dorsalen und ventralen Seite: auch sie weist
auf eine bilaterale Symmetrie hin. Kleine Unregelmässigkeiten in
der Länge der Falten an der nasalen und temporalen Seite sind
nicht imstande, dieses Bild der Symmetrie zu stören. — Ganz
besonders lehrreich sind auch die Bilder, die Tretjakoff (1906)
von der vorderen Bulbushälfte einer 60 mm langen, kurz vor der
Metamorphose stehenden Larve einer Rana esculenta und anderer-
seits von derjenigen eines erwachsenen Frosches gegeben hat.
Beide zeigen deutlich eine bilaterale oder naso-temporale Sym-
metrie und doch sind beide voneinander so verschieden als nur
möglich ; die Verschiedenheit kommt sowohl in der Form der Pupille
als in dem Verlauf und in der Anordnung der Ciliarfalten zum
Ausdruck. Beide Bilder zeigen die Pupillarknoten. Tretjakoff,
der die Entwicklung der beiden Knoten genau verfolgt hat, sagt
ausdrücklich, dass der ventrale Pupillarknoten ein „Derivat der
Augenblasenspalte“ sei.
Gegenüber dieser ganz zweifellosen Symmetrie kommen die
Abweichungen kaum ernstlich in Betracht. Es gibt keine
bilaterale Symmetrie oder Eudipleurie im Sinne
Haeckels (vgl. die „Generelle Morphologie“), die nicht‘eine
Störung erleiden könnte. Nicht bloss ein Organismus als
Ganzes, sondern auch jedes einzelne eudipleure Organ kann mehr
oder weniger asymmetrisch werden. Man denke nur an die
Pleuronektiden, bei denen die ursprüngliche Symmetrie einer höchst
merkwürdigen Asymmetrie Platz gemacht hat. Niemand wird
behaupten wollen, dass die Pleuronektiden ursprüngliche Formen
Bilaterale oder nasotemporale Symmetrie des Wirbeltierauges. 451
seien und dass ihre Dysdipleurie der Eudipleurie der übrigen
Knochenfische vorausgegangen sei; geradeso, wie niemand be-
haupten wird, dass die Dysdipleurie des Schneckenkörpers eine
primäre, ursprüngliche Erscheinung sei. Ich wollte dies voraus-
schicken, weil mir scheint, als habe sich M. Nussbaum durch
gewisse Störungen der Symmetrie der Pars ciliaris retinae ver-
leiten lassen, die Asymmetrie als etwas Primäres anzusehen und
ihr eine grössere Bedeutung einzuräumen, als ihr zukommt. Wenn
z. B. beim Huhn das Corpus ciliare an der temporalen Seite um
32 mm breiter ist als an der nasalen, und etwas Ähnliches. wenn
auch in geringerem Grad an der Taube zu beobachten ist, so
liegt darin kein Grund vor, an der Symmetrie des ganzen Auges
zu zweifeln. Ganz ähnliche Beobachtungen, wie sie Nussbaum
hinsichtlich der Vögel mitteilt, hat Hess, abgesehen von zahl-
reichen anderen hierher gehörigen Tatsachen, auch hinsichtlich
der Säugetiere mitgeteilt. So bildet er die vordere Bulbushälfte
einer Fischotter (Lutra) ab, die dieselbe Asymmetrie des Ciliarkörpers
aufweist, die Nussbaum beim Huhn und der Taube gefunden
hat. Übrigens erzählt Nussbaum selbst, dass O. Schultze beim
Menschen eine entschiedene Asymmetrie des Ciliarkörpers nach-
gewiesen habe, indem er darauf hinwies, dass hier die Ora serrata
auf der nasalen Seite ungefähr I mm weiter nach vorn reicht,
als auf der temporalen. Und kommt schliesslich nicht auch in
der nicht genau zentralen Stellung der Pupille des Menschen eine
Asymmetrie zum Ausdruck? Wie mir scheint, ist auf die naso-
temporale oder bilaterale Symmetrie der vorderen Bulbushälfte,
die im vollen Einklang mit der früher betrachteten Symmetrie
der Pars optica retinae steht, um so grösseres Gewicht zu legen, als
die Untersuchungen Hess’ gezeigt haben, dass genau dieselbe
Symmetrie auch dem Cephalopodenauge zukommt. Das
Bild des vorderen Abschnittes eines Octopus-Auges, von rückwärts
gesehen, das er auf Seite 276 seiner vergleichenden Physiologie des
(resichtssinnes (1912) nach einer früher von ihm gegebenen Darstel-
lung reproduziert, lässt ohne weiteres erkennen, dass dieselben
Bildungsgesetze, die dem Auge der Wirbeltiere zu
Grunde liegen, diees zudem gemacht haben, was es
ist, auch dem höchstentwickelten Auge der Wirbel-
losen, soweit dieseAugen den Typus der Wirbeltier-
augen besitzen, Form und Bau aufgeprägt haben.
432 Carl Rabl:
Zum Schluss will ich noch ein paar Worte über die Gefässe
des Auges sagen. Von der Arteria centralis retinae der Säuge-
tiere war bereits die Rede; es hat sich gezeigt, dass die Art
ihrer Verästelung, mag sie was immer für einem Typus (dem der
Primaten, der Ungulaten, der Karnivoren oder sonst einem) folgen,
mit der naso-temporalen Symmetrie des Auges in vollem Einklang
steht. Nun ist die A. centralis retinae, wie man seit langem
weiss (vgl. darüber Leber) und auch oben erwähnt wurde, ein
ziemlich spät entstehender Ast der A. hyaloidea. Bei den anderen
Wirbeltieren kommt, wie schon erwähnt wurde, eine der A. centr.
retinae genau entsprechende Arterie nicht vor, auch dann nicht,
wenn die Retina, wie beim Aal, sehr reich vaskularisiert ist.
Dagegen zeigt die A. hyaloidea zuweilen eine sehr reichhaltige
Verzweigung und lässt in dieser eine naso-temporale Symmetrie
ganz unverkennbar zur Schau treten, geradeso wie eine solche
auch in den Venen der Membrana hyaloidea zum Ausdruck
kommt. Das Meiste und Beste, was wir über die Glaskörper-
getässe der niederen Wirbeltiere wissen, verdanken wir bekanntlich
H. Virchow. Es kann natürlich nicht meine Aufgabe und Absicht
sein, hier im einzelnen auf diese Untersuchungen, die sich über
viele Jahre, ja über mehrere Jahrzehnte erstrecken, einzugehen,
sondern ich muss mich begnügen, einige für unsere Frage besonders
wichtigen Ergebnisse kurz hervorzuheben. In seiner grossen zu-
sammenfassenden Arbeit über „Fächer, Zapfen, Leiste, Polster,
(refässe im Glaskörperraum von Wirbeltieren, sowie damit in Ver-
bindung stehende Fragen“ in Merkel-Bonnets „Ergebnissen der
Anatomie und Entwicklungsgeschichte“ (X. Bd. 1900—1901) sagt
er bei Besprechung der inneren Augengefässe der Knochenfische:
„Häufig ist in der Anordnung der oberflächlichen
(Glaskörpergefässe von Fischen, obwohl dieselben
eine sphärische Oberfläche zu bedecken haben, die
bilaterale Symmetrie sehr deutlich ausgeprägt, d.h.
Symmetrie zwischen der nasalen und temporalen
Seite, z. B. beim Aal und einigen Cyprinoiden; in
anderen Fällen ist eine sehr ausgesprochene Asym-
metrie, d. h. nicht Regellosigkeit, sondern Abände-
rung einer Symmetrie, die zu Grunde liegt, vor-
handen, wie bei CGonger“ (S. 779—780; im Original nur
zum Teil gesperrt gedruckt). Aber auch bei den Amphibien liegen
Bilaterale oder nasotemporale Symmetrie des Wirbeltierauges.. 433
Verhältnisse vor, die nicht ganz ohne Beziehung zur naso-tempo-
ralen Symmetrie des Auges zu sein scheinen. Bekanntlich fehlen
bei den Urodelen innere Augengefässe vollständig. Dagegen sind
sie bei den Anuren sehr wohl entwickelt; hier wurden sie durch
Hyrtl (1861) bekannt. Seither wurden sie oft beschrieben und
sind, wie H. Virchow sagt, „ein besonders beliebtes Objekt für
ophthalmoskopische Untersuchungen“ geworden. Die genaueste
Darstellung der Gefässe der Hyaloidea des Frosches hat H. Virchow
gegeben. Seine sehr übersichtliche Abbildung ist u. A. auch in
die „Anatomie des Frosches“ von Gaupp übergegangen. Wenn
nun auch die Ringgefässe der Hyaloidea eine sehr auffallende
Asymmetrie zur Schau tragen, so scheint sich mir doch in der
ganzen Konfiguration des Wurzelgebietes des dritten „Astes“ der
Vena hyaloidea, „welcher in der Gegend des hinteren Poles ent-
steht und an der ventralen Seite nach vorn fliesst“, eine ent-
schiedene naso-temporale Symmetrie auszuprägen. Die Störung
der Symmetrie und die daraus hervorgehende Asymmetrie der
beiden vorderen Venen, sowie der beiden Äste der Arterie mag
in, uns in ihren ursächlichen Momenten noch nicht bekannten
Wachstumsverhältnissen des Auges oder seiner Umgebung den
(rund haben. So sagt z. B. der jüngste Untersucher der Gefässe,
Tretjakoff, in seiner Arbeit über die vordere Augenhälfte des
Frosches: „Die unsymmetrische Entwicklung der Irisarterien, der
Arterien und Venen des Glaskörpers (im Original nicht ge-
sperrt gedruckt) erfolgt infolge eines ungleichmässigen Wachstums
der verschiedenen Augenquadranten in der Embryonalperiode“.
Die Frage geht eben dahin, was die Ursache dieses ungleich-
mässigen Wachstums sei.
Was endlich noch die Gefässe der Chorioidea betrifft, so
will ich nur die zusammenfassenden Schlussworte H. Virchows
aus seiner in den „Ergebnissen“ enthaltenen grossen Arbeit hierher
setzen. Sie lauten: „Das Ergebnis aller dieser Untersuchungen
scheint mir das zu sein, dass die Chorioides der Wirbel-
tiere zwei Arterien im horizontalen Meridian, eine
nasale und eine temporale, und zwei Venen im senk-
rechten Meridian, eine dorsale und eine ventrale
besitzt.“ Er hebt dann hervor, dass dieses „typische Bild“
Abänderungen von mehr sekundärer Bedeutung erfahren kann.
In der Tat kann ja auch das Gefässgebiet der Chorioidea des
434 Carl Rabl:
Menschen sehr leicht durch eine der entwicklungsgeschichtlichen
Grenze der beiden Hälften des Auges entsprechende Vertikal-
ebene in eine nasale und temporale Hälfte geteilt werden. Die
zwei primären Venen, von denen die eine an der dorsalen, die andere
an der ventralen Seite verlief, sind nur beim Menschen in je
zwei Venen aufgelöst. Die zwei aus dieser Auflösung entstandenen
dorsalen Venen gehören den dorsalen, die zwei ventralen den
ventralen Quadranten des Bulbus an. Dieses für den Menschen
typische Bild kann dann freilich noch eine leichte Störung
durch die Auflösung einer oder zweier Venen erleiden, wie dies
beim Menschen bekanntlich oft beobachtet wird. Es verdient
hier ganz besonders hervorgehoben zu werden, dass H. Virchow
der erste und bisher auch der einzige war, der voll-
kommen klar die bilaterale oder nasotemporale Sym-
metrie des Wirbeltierauges, allerdings nur, soweit die
Blutgefässe in Betracht kommen, erkannt hat. Ganz
allgemein bekannt ist das höchst instruktive „Schema der Gefäss-
verbreitung in der Chorioidea vom proximalen Pol aus gesehen“,
das er in seiner Arbeit über die Gefässe im Auge und in der
Umgebung des Auges beim Frosch vor 35 Jahren gegeben hat
und das auch in die Darstellungen Gaupps und Franz’ über-
nommen worden ist. Hier teilt eine Symmetrieebene, die die
Eintrittsstelle des Optikus nur ein klein wenig seitlich lässt, das
(efässgebiet der Chorioidea in zwei spiegelbildlich gleiche Hälften:
eine nasale und eine temporale.
(rewiss ist auch manchem anderen Beobachter schon früher
etwas von der nasotemporalen Symmetrie des Wirbeltierauges
aufgefallen; es ist auch kaum denkbar, dass sie bei der Untersuchung
der vorderen Bulbushälfte nicht hätte bemerkt werden sollen.
Aber man hat sich, wie mir scheint, allzusehr an solche Dinge
gehalten, welche die Symmetrie zu stören geeignet sind, als
dass man das Gesamtbild auf sich hätte einwirken lassen: auch
stand der vollen Erkenntnis der nasotemporalen Symmetrie im
Wege, dass man nicht die Gesamtheit der Erscheinungen kannte,
dass vor allem anderen nichts von der embryonalen Lappung der
Retina, die doch die Grundlage des ganzen Auges bildet, bekannt war.
Und nun erhebt sich die Frage: Wenn, wie es jetzt feststeht,
das Wirbeltierauge bilateral symmetrich gebaut ist, wenn es,
Bilaterale oder nasotemporale Symmetrie des Wirbeltierauges. 435
mit anderen Worten, durch eine vertikale Symmetrieebene in
zwei spiegelbildlich gleiche Hälften, eine nasale und eine temporale,
zerlegt werden Kann, wie ist diese Symmetrie entstanden, was
hat sie für eine Bedeutung? Dass die Ursache eine physiologische
sein muss, dass sie begründet sein muss in der Lebensweise und
den Lebensbedingungen der Wirbeltiere überhaupt und der tiefst-
stehenden unter ihnen, die die Verhältnisse der Vorfahren der
Wirbeltiere am reinsten widerspiegeln, im besonderen, braucht
wohl kaum näher erörtert zu werden.
Bevor wir aber an die Beantwortung dieser Frage herantreten,
ist es wichtig, uns über die Stellung der Augen im Körper
der Fische, vor allem der tiefststehenden unter ihnen, Rechen-
schaft zu geben. Bekanntlich hat Gegenbaur die Selachier
für die tiefststehenden gnathostomen Wirbeltiere gehalten, ja
er scheint der Ansicht gewesen zu sein, dass die Cyklostomen
durchweg rückgebildete Formen darstellen. Mag nun die Ansicht
Gegenbaurs richtig sein oder nicht, daran, dass den
Selachiern eine sehr tiefe Stellung im Stamme der Wirbeltiere,
vor allem der Gmnathostomen, zukommt, kann wohl kein
Zweifel sein. Nun sagt Franz in einer grossen Arbeit
„Zur Anatomie, Histologie und funktionellen Stellung des Selachier-
auges“ unter der Überschrift: „Lage des Auges im Kopf“:
„Die Lage des Auges im Kopf ist stets eine ausgesprochen
seitliche, die Augenachse ist meist gar nicht oder nur sehr
wenig nach vorn und oben gerichtet. Eine Ausnahme bildet
Squatina mit einer Augenachse, die im Winkel von 45° gegen
die Horizontale seitlich aufwärts gerichtet ist. Die seitliche Lage
des Auges ist bei Fischen im allgemeinen überall zu finden, sie
schützt das Auge vor dem Druck des beim Schwimmen zu durch-
teilenden Wassers. Trotz dieser Lage erlaubt die Wölbung der
Cornea im Verein mit der periskopischen Eigenschaft der Linse
in allen Fällen das Blicken in der Vorwärtsrichtung, wenn das
Auge nur ein wenig entweder durch seine natürliche Lage oder
durch einen geringen Muskelzug nach vorwärts gerichtet ist.“
(S. 829.) Ich habe früher von der Stellung der Augen bei
eben ausgeschlüpften und bei 6 Tage alten Störlarven gesprochen.
Wir haben gesehen, dass die Augenachsen etwas schief nach
aussen vorn und oben gerichtet sind; die Richtung nach oben
ist auffallender als die nach vorn. Leider bin ich gegenwärtig
436 CarlRabl:
ausserstande, zu erfahren, wie die Augen bei älteren oder
erwachsenen Tieren stehen. In Anbetracht des Umstandes, dass
die Störe zweifellos gleichfalls eine sehr tiefe Stellung unter den
Fischen einnehmen, wäre es nicht unwichtig, dies zu wissen.
Nun sind die Acipenseriden, wie unter anderem Günther inseinem
„Handbuch der Ichthyologie* 1886 mitteilt, entweder gänzlich
auf das Süsswasser beschränkt, oder sie bringen, um zu laichen,
nur einen Teil des Jahres in Flüssen zu. Zu den letzteren
gehört auch Acipenser sturio, der zur Zeit der Fortpflanzung
unter anderem in die Elbe und die Flüsse Holsteins, von denen
einer von sehr kurzem Lauf, aber grosser Breite und Tiefe
geradezu den Namen Stör führt, hinaufsteigt. Der Stör besitzt
an der Unterseite der Schnauze vier in einer Querreihe ange-
ordnete, sehr mächtige Bartfäden. Anlagen davon findet man
schon bei den eben ausgeschlüpften. jungen Larven; sie stellen hier
vier plumpe, relativ grosse papillenartige Zapfen dar, die zusammen
einen flachen, mit der Höhlung nach hinten sehenden Bogen
bilden. Schlanker und länger sind diese Barteln bei den 6 Tage
alten Larven. Sie sind hier schon mit sehr zahlreichen Haut-
sinnesorganen übersät; allererste Spuren von solchen sieht man
übrigens auch schon an den jungen Larven. Ausserdem sind schon bei
diesen sehr dicke Nerven in den Anlagen der Bartfäden vorhanden.
Barteln scheinen auf gründelnde Lebensweise zu deuten,
wie denn auch unter den Physostomen die Welse, bei denen die
Bartfäden ganz besonders gut entwickelt sind, fast durchwegs
Süsswasserformen sind, oder aber, wenn sie, was selten ist, im Meere
leben, sich sehr nahe an der Küste aufhalten (vgl. darüber Günther).
Die Störe können sicher das, was sie mit ihren Bartfäden tasten,
nicht sehen. Die Bartfäden dienen eben zum Tasten auf dem
Boden. Die Störe sehen sicher nur wenig, wenn überhaupt, in der
tichtung nach unten; am besten sehen sie nach vorn, aussen und
oben. Schon bei der Untersuchung meiner Schnittserien von Jungen
Haifischen und Knochenfischembryonen ist mir der Gedanke ge-
kommen, dass die Fische besser nach oben als nach unten sehen
dürften. Dies ist auch nach ihrer Lebensweise sehr begreiflich und
verständlich. Wie erwähnt, hat Hess gefunden. dass bei den
Schwalben die Netzhaut in der dorsalen Hälfte dicker ist als in der
ventralen. Er hat daraus den Schluss gezogen, dass sie nach unten
besser sehen als nach oben ; auch das wird aus der Lebensweise ohne
Bilaterale oder nasotemporale Symmetrie des Wirbeltierauges. 437
weiteres verständlich. Wie sehr auch bei den Fischen die Lebens-
weise die Stellung und Bewegung der Augen beherrscht, zeigt
kaum ein Tier besser als der Schlammspringer, Periophthalmus,
mit seinen weit nach oben aus dem Kopf hervortretenden Augen.
Sein Sehvermögen, vor allem mit Rücksicht auf das Verhalten
der Refraktion und Akkommodation, hat Hess zum Gegenstand
sehr sorgfältiger und interessanter Untersuchungen gemacht. Über
die Lebensweise von Periophthalmus schreibt Hess u. a.: „Der
merkwürdige Fisch lauert meist in der Weise auf Beute, dass
der Körper unter der Wasseroberfläche verborgen bleibt, während
die weit nach oben aus dem Kopf hervorstehenden Augen wie die
Periskope der Unterseeboote allein über den Wasserspiegel her-
vorragen“. Die Abbildung, die Hess beigegeben hat, „lässt
erkennen, wie beträchtlich der binokulare Gesichtsraum bei diesen
Fischen ist“. „Die Vorderflossen“, heisst es dann weiter, „sind
zu fussartigen (rebilden verwandelt, die dem Tier ermöglichen,
bei Ebbe auf dem feuchten Schlamm mit überraschender Schnellig-
keit Käfern ete. nachzujagen.“ Diese Lebensweise, die Art und
Weise, die Beute zu erjagen, sowie auch die Abbildung bei Hess
lassen keinen Zweifel darüber zu, dass auch bei Periophthalmus,
wie wohl bei den meisten Fischen, ja den meisten Tieren über-
haupt, das Sehen innerhalb der Horizontalebene weit-
aus das Wichtigste ist. Daher hat denn auch die Stellung
der Augen, wie sie junge Störe zeigen, so interessant und lehrreich
sie für den speziellen Fall sein mag, doch nur eine mehr neben-
sächliche Bedeutung.
Ein Fisch erjagt seine Beute hauptsächlich in horizontaler
Riehtung, jedenfalls nicht vertikal nach oben oder unten
und dementsprechend sind denn auch seine Augen für die
Horizontalebene eingestellt und in dieser am empfindlichsten. Es
ist für unsere Betrachtung ganz gleichgültig, ob wir annehmen,
der Fisch schwimme der Beute entgegen, oder die Beute werde
von der Strömung gegen ihn getrieben. Nehmen wir letzteres
an und denken wir uns, es würde von der rechten Seite her die
Beute angeschwommen kommen (Textfig. 5). Das Bild der Beute
wird auf der Retina einen ganz bestimmten Weg beschreiben :
Es wird zunächst weit hinten und aussen in der Nähe der Grenze
der Pars optica auf der temporalen Seite erscheinen, dann, je
näher die Beute herankommt, mehr und mehr gegen die Mitte
Archiv f. mikr. Anat. Bd. 90. Abt.I. 29
438 Carl Rabl:
des Augengrundes rücken, dabei immer grösser und grösser
werden, bis es endlich, in der Mitte des Augengrundes an-
gekommen, seine maximale (Grösse erreicht. Von hier an
wird das Bild über die nasale Hälfte nach vorn wandern,
bis es weit vorn und aussen,
an der Grenze der Pars
optica angekommen, ver-
schwindet. Wir können also
durch die Mitte des Augen-
grundes mitten zwischen
nasaler und temporaler
Hälfte der Retina eine senk-
rechte Ebene durch das
Auge legen. Diese Ebene
ist die Grenzebene
zwischen: ‚steigender
und abfallender oder
wachsender und sin-
kender Bildgrösse (vgl.
die Figur) und zugleich
die Grenze zwischen
nasalem und tempo-
ralem Sehlappen, na-
saler und temporaler
Augenhälfte. So scheint
sich uns also die ganze naso-
temporale oder bilaterale
Textfig. 5. Symmetrie in überaus ein-
facher Weise zu erklären.
Ebenso erklärt sich aber auch die Tatsache, dass überall,
wo eine Sehleiste, eine streifen- oder bandförmige Area centralis
vorkommt, beim Salamander und Frosch ebenso wie beim
Schwein, Kaninchen oder Rind, diese horizontal, also zugleich
senkrecht auf die Trennungsebene zwischen nasaler und tempo-
raler Hälfte der Retina, verläuft. Erst, wenn der Blick so-
zusagen freier wird, wie bei den Primaten mit Inbegriff des
Menschen unter den Säugetieren und den Raubvögeln und Schwalben
unter den Vögeln tritt an die Stelle eines horizontalen Streifens
ein einfacher runder oder ovaler Fleck mit besonders differenzierter
Bilaterale oder nasotemporale Symmetrie des Wirbeltierauges.. 439
Stelle des schärfsten Sehens. Ja, bei höchst entwickeltem Seh-
vermögen können sogar zwei derartige Stellen zur Ausbildung
kommen, von denen die eine vielleicht dem monokularen, die
andere dem binokularen Sehen zu dienen hat.
In meiner Monographie über den Bau und die Entwicklung
der Linse habe ich gezeigt, welch tiefgehenden Einfluss die
Lebensweise eines Tieres, vor allem die Art, Richtung und
Schnelligkeit seiner Bewegung, auf den Bau und die Entwicklung
der Linse ausübt. Hier zeigt sich das gleiche für den Bau
und die Entwicklung der Retina, wie des ganzen Auges.
Leipzig, Mitte Juli 1916.
Literaturverzeichnis.
(Ausser den hier angeführten Arbeiten kommen noch mehrere bereits im Text
mit Titelangabe und Angabe der Zeit und des Ortes ihres Erscheinens erwähnte
in Betracht.)
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29*
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Bilaterale oder nasotemporale Symmetrie des Wirbeltierauges.. 441
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Aurel von Szily: Zur Glaskörperfrage. Eine vorl. Mitteilung. Anat. Anz.,
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Derselbe: Über die Entstehung des melanotischen Pigmentes im Auge der
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Derselbe: Über die einleitenden Vorgänge bei der ersten Entstehung der
Nervenfasern im Nervus opticus. Graefes Archiv f. Ophthalmologie,
81.Bd., 1912.
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Hans Virchow: Über die Gefässe im Auge und in der Umgebung des:
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Derselbe: Über die Glaskörper- und Netzhautgefässe des Aales. Morph.
Jahrb., 7. Band, 1882.
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schrift, Berlin 1882.
Derselbe: Fächer, Zapfen, Leiste, Polster, Gefässe im Glaskörperraum von
Wirbeltieren, sowie damit in Verbindung stehende Fragen. Merkel-
Bonnet: Ergebnisse der Anatomie und Entwicklungsgeschichte, X. Bd.,
1900. Wiesbaden 1901.
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wicklungsgeschichte, Jahrg. 1902, Supplement-Band.
Erklärung der Abbildungen auf Tafel X—XIII.
Tafel X.
Kaninchen: Äquatorialschnitte durch das linke Auge. Fig. 1—11 bei 155-
facher Vergrösserung, Fig. 12 46 mal vergr., Fig. 13 360 mal vergr.
Für alle Figuren gültige Bezeichnungen: o, u, n, t = oben, unten,
nasal, temporal.
Fig. 1. Kaninchen von 9 Tagen 7 Stunden. Stadium I meines Atlas zur
Entwicklung des Gesichtes.
Fig. 2 5 Etwas älterer Embryo. Stadium IV des Atlas.
Rio, .@, 5 10 Tage und einige Stunden alt. Stadium V des Atlas.
Fig. 4. R Stadium VI des Atlas.
Fig. 5 s Stadium VII des Atlas.
Fig. 6 ) Stadium VIII des Atlas. Embryo 11 Tage 2 Stunden alt.
e — Einstülpung der unteren Wand der Augenblase.
Rio. 7. e Stadium IX des Atlas.
Big. =8. 5 Schnitt aus derselben Serie wie Fig. 7.
Fig. 9. 2 Stadium XI des Atlas. Embryo ca. 12 Tage alt.
Fig. 10. e Stadium XIII des Atlas. Embryo ca. 12!/s Tage alt.
Fig,./11. 2 Stadium XV des Atlas. Embryo ca. 13 Tage alt.
Fig. 12 R Embryo ca. 17 Tage alt. Scheitelsteisslänge (SS) =
20 mm. Ip Levator palpebrae sup.: ob. i. M. obliquus
inf.; ob. s. Obliquus sup.; ri Rect. inf.; rl Rect. late-
ralis; rm Rect. medialis; rs Rect. sup.
lan 1la% 2 Aus dem Schnitt der Fig. 12; ein kleines Stück von der
temporalen Seite, dicht unter dem horizontalen Meridian.
a = aussen, i = innen.
Bilaterale oder nasotemporale Symmetrie des Wirbeltierauges. 443
Tafel XI.
Schaf, Hund und Schwein.
Figuren 1—6, Schaf. Fig. 1—5 linkes Auge, 104 fache Vergr. Fig. 6 rechtes
Auge, 8Ofache Vergr.
rt!
Fig. 2
EI0273
Fig. 4
Fig. 5
Fig. 6
Figuren
Fiea7
Fig. 8
Fig. 9
Fig. 10.
wg. 11.
Figuren
Fig. 12.
Fig. 13.
Fig. 14.
Fig. 15.
Fig. 16.
Schaf.
n
7—11.
Hund.
„
1218.
NS —= 8,6 mm, SS = 6,8 mm, Kopflänge = 5,8 mm.
NS = 9,2 mm, SS = 8,2 mm, Kopflänge = 6,0 mm. Rand-
kerben.
Aus derselben Serie. Augenhintergrund.
NS = 10,3 mm, SS = 8,8 mm, Kopflänge = 6,6 mm.
NS = 12,4 mm, SS = 12,0 mm.
NS = 15,0 mm, SS = 17,6 mm. Rechtes Auge. Da aber
der Kopf von der linken zur rechten Seite geschnitten
ist, erscheint die Zeichnung gleich orientiert, wie von
einem linken Auge, das von aussen nach innen ge-
schnitten ist.
Hund. Fig. 7—10. Linkes Auge von der lateralen zur
medialen Seite geschnitten; Fig. 11 rechtes Auge von
der medialen zur lateralen Seite geschnitten. Vergr.
bei allen Figuren 104 mal.
Kopflänge des Embryo = 5,5 mm. Der Embryo steht in
Beziehung auf seine Entwicklung zwischen Stadium IX
und X des Kaninchens (Atlas zur Gesichtsentwicklung).
Kopflänge = 6,0 mm. Der Embryo entspricht einem
Kaninchenembryo vom Stadium XI (Atlas zur Gesichts-
entwicklung).
Kopflänge = 7,6 mm. Der Embryo entspricht einem
Kaninchenembryo vom Stadium XIV. (Die SS des
Hundeembryo betrug 10,0 mm, die NS 10,5 mm.)
Aus derselben Serie wie der vorige Schnitt, nur mehr medial.
S9r— 14.0 mm, NS = 133. mm:
Schwein. Vergr. = 104 fach.
Schwein. Ca. 21 Tage alter Embryo aus dem Stadium II des Atlas
zur Gesichtsentwicklung. NS — 10,0 mm, SS= 9,0 mm.
Aus dem Stadium IV des Atlas zur Gesichtsentwicklung.
NS = 124 mm, SS = 12,9 mm. Vierter Schnitt,
der die Augenblase trifft. Am weitesten nach aussen
liegt der mittlere Teil, der die grosse Höhle enthält.
Der Schnitt geht durch die Pars caeca retinae.
Aus derselben Serie. Der sechste Schnitt medial vom
vorigen (Fig. 13).
Aus derselben Serie. Der fünfte Schnitt medial vom
vorigen. Die Spalte schliesst sich auf dem dritten
Schnitt medial von dem der Fig. 14 und bleibt auf
sieben Schnitten geschlossen.
Aus derselben Serie, etwas weiter medial. Augenhinter-
grund.
Aus derselben Serie. Nahe dem hinteren Pol der Augenblase.
444
Carl Rabl: Bilaterale oder nasotemporale Symmetrie usw.
Fig. 18. Schwein. Aus derselben Serie. Der dritte Schnitt nach einwärts
Mensch.
nike, IL
von dem vorigen (Fig. 17). Unmittelbar nach innen
von der Augenblase, durch den Augenblasenstiel.
Tafel XII.
Schnitt durch das Auge eines menschlichen Embryo aus dem Ende
der vierten oder Anfang der fünften Woche. NS —= 8,3 mm. Ab-
gebildet im Atlas zur Entwicklungsgeschichte des Gesichtes auf
Tafel VII, Fig. 6—10. Der Embryo steht ungefähr auf derselben
Entwicklungsstufe wie der Kaninchenembryo des Stadiums IX, dem
die Schnitte der Figuren 7 und S auf Taf. X entnommen sind. —
Derselbe Schnitt ist bei Bach und Seefelder (siehe Literatur-
verzeichnis) auf Taf. VII, Fig. 5 abgebildet. Vergr. 150.
Aus derselben Serie, weiter einwärts. Vergr. 150.
Aus derselben Serie, noch weiter einwärts. Vergr. 150. Erklärung
des Bildes im Text.
Schnitt durch das Auge eines menschlichen Embryo von ca. 34—35
Tagen. SS = 14,0 mm, NS —= 13,5 mm, Kopflänge = 10,0 mm.
Vergr. 104.
Durch den Augenblasenstiel desselben Embryo. Vergr. 104.
Menschlicher Embryo von 31 mm SS. Ziemlich genau in der Ebene
des Äquators. Vergr. 46.
Nervus opticus desselben Auges. Vergr. 155.
Stück aus der nasalen Hälfte (n) des Schnittes der Fig. 6. Vergr.
300. (1 — innen, a = aussen.)
Tafel XIII.
Pristiurus, Torpedo, Acipenser, Axolotl, Huhn.
Fig. 1 und 2. Zwei aufeinanderfolgende Schnitte aus einer Sagittalschnitt-
Fig. 3.
Fig. 4.
Big, 38.
Fig.
Fig. 8.
Bio.
Fig. 10.
Bio,
serie durch einen Embryo von Pristiurus melanostomus mit
ungefähr 83 Urwirbeln. Die Schnitte zeigen die Randkerben.
Vergr. 155.
Aus einer Sagittalschnittserie durch einen Embryo von Torpedo
ocellata von 21 mm Länge. Vergr. 80.
Aus einer Querschnittserie durch eine eben ausgeschlüpfte Larve
von Acipenser sturio. Vergr. 155.
Aus einer Horizontalschnittserie durch eine eben ausgeschlüpfte
Larve von Acipenser sturio. Vergr. 155.
6 und 7. Aus einer Sagittalschnittserie durch eine eben ausgeschlüpfte
Larve von Acipenser sturio. Vergr. 155, Fig. 7 zeigt den zweiten
Schnitt medianwärts von dem der Fig. 6.
Aus einer Sagittalschnittserie durch eine sechs Tage alte Larve
von Acipenser sturio. Verer, 155.
Aus einer etwas schief geführten Sagittalschnittserie durch den
Kopf einer jungen Axolotllarve. Vergr. 155.
Huhn, 3 Tage 22 Stunden alt. Verer. 15.
Huhn, 4 Tage 6 Stunden alt. Vergr. 15.
445
Über Umwandlung von Plastosomen in Sekret-
kügelchen, nach Beobachtungen an Pilanzenzellen.
Zugleich eine Fortsetzung meiner Diskussion mit Benda.
Von Friedrich Meves in Kiel.
Hierzu Tafel XIV.
Die Plastosomenstudien auf pflanzlichem Gebiet haben Resul-
tate ergeben, welche auch für die tierische Zytologie von grösster
Wichtigkeit sind.
Pensa, Lewitsky, Guilliermond u. a. haben zunächst
gefunden, dass die Plastosomen denjenigen (sebilden, welche man
als Chromatophoren zusammenfasst, den Chlorophyll-, Stärke- und
Farbkörpern, Entstehung geben. In der Botanik war man seit
den Arbeiten von Schimper und A. Meyer (1883) von einem
gemeinsamen Ursprung der Chromatophoren überzeugt; die Körner,
welche Schimper und A. Meyer als Chromatophorenanlagen
beschrieben haben, sind aber, wie ich (1917)gegenüber Guillier-
mond (1914) nachgewiesen habe, keine Plastochondrien, sondern
teils metaplasmatische Elemente, teils junge Chlorophylikörper
gewesen. Die Bildungsweise der Chromatophoren bei den höheren
Pflanzen ist erst durch die neueren Arbeiten, welche mit Hilfe
der Plastosomenmethoden ausgeführt worden sind, aufgeklärt.
Besonders von Guilliermond ist ferner gezeigt worden, dass
die Stärke auch direkt aus den Plastosomen entstehen kann.
Durch weitere Untersuchungen konnte der Beweis erbracht
werden, dass die Rolle der Plastosomen „sich keineswegs auf die
Herstellung von Chlorophyll, Stärke und von Xantophyll- und
Carotinpigmenten beschränkt“,sondern dass noch verschiedene andere
Zellbestandteile aus den Plastosomen hervorgehen. Nach den
Beobachtungen von Guilliermond (1912, 2) sind auch die
- „Phenolkörper und Anthocyanpigmente, die man in den Vakuolen
vieler höheren Pflanzen findet“, das Produkt einer Lebenstätigkeit
der Plastosomen. Derselbe Autor (1913) hat gezeigt, dass bei
den Pilzen die „metachromatischen Körperchen“, welche Reserve-
stoffe darstellen, in Plastochondrien gebildet werden. Lewitsky
Archiv f. mikr. Anat. Bd.20. Abt.I. 30
446 Friedrich Meves:
(1913) ist bei seinen Studien über die Plastosomen der Pilze
„beinahe zu denselben Schlüssen über ihre Rolle wie Guillier-
mond gekommen“; er beschreibt ausserdem, dass die Plasto-
chondrien bei einem niederen Pilz, Albugo Bliti, zu „gelben
Körnern“, deren chemische Beschaffenheit nicht aufgeklärt ist,
umgewandelt werden.
Ich selbst (1917) bin zu dem Ergebnis gelangt, dass die
„Mikrosomen“, welche sich nach zahlreichen, zum Teil schon
alten Beobachtungen (Crüger, Dippel, Schmitz, Stras-
burger! u. a.) am Aufbau der Verdickungsleisten der Zell-
membran beteiligen, mit Plastochondrien identisch sind. In der-
selben Abhandlung habe ich ferner bereits vorläufig mitgeteilt,
dass ich in der Luftwurzel einer monokotylen Pflanze, Chloro-
phytum Sternbergianum (Liliaceae), in denjenigen Meristemzellen
des Zentralzylinders, aus denen die Siebröhren hervorgehen, eine
Umwandlung von Plastosomen in Sekretkügelchen beobachtet
habe. Über diesen letzteren Befund möchte ich nunmehr wegen
des prinzipiellen Interesses, welches er darbietet, Genaueres mit-
teilen.
Die Siebröhren sind Bestandteile des Leitungssystems, und
zwar sind sie nach der verbreitetsten Ansicht in erster Linie für
den Transport der Eiweibßstoffe bestimmt. Sie gehen (de Bary
1577, S. 180), ähnlich wie die Gefässe, aus Längsreihen gestreckter
Meristemzellen hervor, welche noch späterhin als „Röhrenglieder“
deutlich unterscheidbar sind. Die Glieder treten an den Quer-
wänden, mit denen sie aneinander grenzen, in offene Kommuni-
kation durch die „Siebplatten“, weiche von zahlreichen Poren
durchsetzt werden und sich früher oder später mit einer eigen-
tümlichen, stark lichtbrechenden Substanz, dem sogenannten
Callus, bedecken.”) Der Kern der Siebröhrenglieder geht früh-
zeitig unter. Ihr Inhalt besteht aus einem protoplasmatischen
Wandbeleg, dem „Hüllschlauch“, welcher „nichts anderes ist als
der bekannte Primordialschlauch“*, und aus einer wässerigen
Flüssigkeit, dem sogenannten Siebröhrensaft. Speziell bei den
') Zitiert: bei Meves 1917.
:) In den Siebröhren der Monokotylen im Vergleich mit denjenigen
der Dikotylen und Gymnospermen ist die Callusbildung nach Russow
(1883, S. 315) „eine geringe, meist sehr geringe‘.
Über Umwandlung von Plastosomen in Sekretkügelchen. 447
Monokotylen hat Russow (1853, S. 315—316) grössere An-
sammlungen von Schleim an den Siebplatten und Schleimstränge,
wie man sie bei Dikotylen in der Mehrzahl der Fälle beobachtet,
stets vermisst. Stärkekörner, welche in den Siebröhren der
meisten Dikotylen vorhanden sind, konnten in der Abteilung der
Monokotylen nur bei den Scitamineen (Musa, Strelitzia und Canea)
und in den Wurzeln einiger Palmen (Cocos chilensis und Coper-
nicia sp.?) nachgewiesen werden (Russow, S. 300). „Dafür
ist aber der Inhalt meistenteilsausgezeichnet durch
die Anwesenheit zahlreicher kleiner durch Chlor-
zink-Jodjodkalium-Lösung sich gelb bis gelbbraun
färbender glänzender Kügelchen‘, die dem Hüllen-
schlauch besonders reichlich in der Nähe der Siebplatten dicht
anliegen. „Die dünnen Callusbelege der Siebplatten sind oft dicht
bedeckt mit diesen Kügelchen, woher es den Anschein gewinnt,
als seien die Platten von geknüpften Verbindungssträngen dureh-
setzt“. Die Kügelchen sind nach Russow (S. 327) „protein-
haltig“. Sie kommen ebenfalls bei den Pteridophyten vor, wo
sie auch von Janczewsky (1882) gesehen worden sind; unter
den Dikotylen wurden sie von Russow bei Hippuris vulgaris
beobachtet (S. 327).
Ebenfalls Lecomte (1889, S. 236— 287) beschreibt in Sieb-
röhren von Monokotylen „globules de matiere albuminoide“,
„assez r&egulierement arrondis, tres refringents et toujours doues
d’un &clat qui les fait reconnaitre facilement“. Er findet sie auch
bei den Dikotylen, aber weniger reichlich als bei den Monoko-
tylen und besonders den Pteridophyten.
Strasburger (1901, S. 349) erwähnt, dass man in dem
zarten protoplasmatischen Wandbeleg der Siebröhren von Zea
Mavs unschwer „Leukoplasten“ als stark lichtbrechende Körner
erkennen könne, fügt aber hinzu, dass mit Jodkalium, selbst
bei Zuhilfenahme von Chloralhydrat, Stärke in diesen Körnern
nicht nachzuweisen sei. Unter diesen Umständen darf man füg-
lich bezweifeln, dass es sich tatsächlich um Leukoplasten ge-
handelt hat.
Ich selbst habe Kügelchen, wie sie Russow zuerst be-
schrieben hat, in den Siebröhren aller von mir untersuchten Mono-
kotylen angetroffen (ausser bei Chlorophytum z. B. bei Trades-
cantia in der Stengelspitze, bei Elodea ebendort, in jungen Blättern
30*
445 Friedrich Meves:
und in der Wurzel, bei Phragmites in jungen Internodien)
und an ihnen überall eine feinere Zusammensetzung aus einer
Grundmasse und darin eingebetteten kleinen Körnchen nachweisen
können. Wenn man mit modifiziertem Flemmingschen (Gemisch
fixiert und mit Eisenhämatoxylin oder auch, wie ich es bei Phrag-
mites getan habe, mit Kristallviolett nach Benda färbt, gibt
die Grundmasse den Farbstoff bei der Differenzierung grössten-
teils ab, während die kleinen Körnchen ihn energisch festhalten
(Fig. 9). Schon aus diesem Grunde können die letzteren keine
Stärke darstellen; die Stärkekörner zeigen in denselben Präpa-
raten ein ganz helles Aussehen. Die ganzen Kügelchen aber
können keine Leukoplasten oder Stärkebildner sein, weil diese
letzteren dieselben Färbungsreaktionen wie die Plastosomen geben
(vgl. Guillermond 1914, 5. 297—298).
Die in der beschriebenen Weise zusammengesetzten Kügelchen
in den Siebröhren der Luftwurzel von Chlorophytum Sternbergianum
sind es nun, auf deren Entstehung sich meine nunmehr zu
schildernden Beobachtungen beziehen. Die Präparate, welche
meiner Darstellung zugrunde liegen, sind mit modifiziertem
Flemmingschen Gemisch fixiert und mit Eisenhämatoxylin ge-
färbt; sie haben mir schon früher gedient, um die Chloroplasten-
bildung und die direkte Entstehung von Stärke in den Plasto-
somen bei dieser Pflanze zu beschreiben.
Von den Zellreihen in der Luftwurzel von Chlorophytum,
welche sich zu Siebröhren entwickeln, setzen sich einige aus
kleineren, d. h. kürzeren und schmäleren (Fig. 5 und 6), andere aus
grösseren Zellen zusammen. Die in Fig. 1 wiedergegebene, läng-
liche Zelle, aus dem Anfangsteil einer aus grösseren Zellen ge-
bildeten Reihe, zeigt einen zentral gelegenen Kern und ein Proto-
plasma, in welchem neben Zellsaftvakuolen eine Anzahl zum Teil
gewundener und geknickter Plastokonten verstreut liegen. Geht
man in einer solchen Reihe nach rückwärts, so findet man, dass
die Zellen stark an Länge zunehmen und dass alsbald an
den Plastokonten charakteristische Veränderungen auftreten,
welche von Zelle zu Zelle weiter fortschreiten. Die in den
Fig. 2—8 abgebildeten Zellen stammen aus verschiedenen Reihen
und sind ihrer Grösse nach nicht abgestuft. Wäre letzteres
Über Umwandlung von Plastosomen in Sekretkügelchen. 449
der Fall, so könnten sie einer einzigen Reihe angehört haben, in
welcher sie sich unmittelbar aneinander anschliessen würden.
Die Veränderungen, welche sich an den Plastokonten ab-
spielen, sind nun folgende. Die Plastokonten verdicken sich zu-
nächst in ganzer Länge und schwellen an ihrem einen Ende leicht
keulen- oder knopfförmig an (Fig. 2). In der nächsten Zelle
(Fig. 3) sind die Endanschwellungen grösser geworden; die Fäden
haben sich verkürzt, wobei mitunter auch an ihrem anderen Ende
oder in ihrem Verlauf Knoten aufgetreten sind. Betrachtet man
die darauf folgende Zelle (Fig. 4), so sind die zuerst sichtbar
gewordenen Endanschwellungen der Plastokonten wiederum ge-
wachsen, und zwar augenscheinlich auf Kosten der Plastokonten
selbst, deren Substanz sie in sich einbezogen haben. Die Zellsaft-
vakuolen haben sich vergrössert und zeigen das Bestreben, an
dem Kern entlang zu einer einzigen zusammenzufliessen, welche
sich durch die ganze Länge der Zelle erstreckt. In der Folge
(Fig. 5 und 6) formen sich die Plastokonten mehr und mehr zu
kleinen Kügelchen um, denen vielfach noch längere Zeit hindurch
ein dünnes schwanzartiges Fädchen ansitzt. Die Kügelchen nehmen
weiter an Durchmesser zu (Fig. 7); sie erscheinen zunächst noch
durch und durch schwarz gefärbt, beginnen aber auf einem
nächsten Stadium (Fig. 8), auf welchem der Kern plötzlich und
anscheinend, ohne eine Spur zu hinterlassen, verschwindet, die
oben beschriebene Scheidung in eine Grundmasse und darin ein-
gelagerte kleine Körnchen zu zeigen. Die Grundmasse erscheint
in meinen Präparaten anfangs in dunkelgrauem, später in hell-
grauem Ton, während die Körnchen sich in derselben Weise wie
die ganzen Kügelchen vorher bezw. die Plastokonten, d.h. also
intensiv schwarz färben.
Bei den fertigen Siebröhrengliedern von Chlorophytum ist
die Wand des Protoplasmaschlauchs stark verdünnt (Fig. 9). Die
Kügelchen, deren Entstehung wir verfolgt haben, liegen der Innen-
seite des Protoplasmaschlauchs an oder auch ganz frei im Zell-
saft (Siebröhrensaft) vorwiegend in den Schlauchenden. Daneben
findet man in verschieden grosser Anzahl kleine Körnchen von
dem Kaliber und der Färbbarkeit derjenigen, welche in der
Grundmasse der grossen Kügelchen eingelagert sind; wie ich
glauben möchte, sind sie mit diesen identisch und durch Auf-
lösung der Grundmasse frei geworden.
450 Friedrich Meves:
In jungen Internodien von Phragmites waren die grossen
Kügelchen in einem Teil der Siebröhren sämtlich verschwunden;
dagegen war der Siebröhrensaft hier von zahlreichen
kleinen Körnchen durchsetzt, welche sich nach Fixierung mit
modifiziertem Flemmingschen Gemisch sowohl mit Eisen-
hämatoxylin als auch mit Eisenalizarin -Kristallviolett färben
liessen. Meines Erachtens können diese Körnchen nur von zer-
fallenen grossen Kügelchen übrig geblieben sein. In anderen
Siebröhren meiner Phragmitespräparate haben sie sich an den Sieb-
platten einseitig zu einem dicken Belag angehäuft, welcher sich aber
wahrscheinlich erst infolge der durch das Ab- und Zerschneiden der
Pflanze herbeigeführten Entleerungsströmungen gebildet hat und
somit ein Kunstprodukt darstellt (vgl. Alfr. Fischer, 1884).
Über die Beschaffenheit und Bedeutung der geschilderten
Kügelchen vermag ich nichts auszusagen; von Russow werden sie,
wie gesagt, als „proteinhaltig“ und in gleicher Weise von Lecomte
als „globules de matiere albuminoide“ bezeichnet. Keinesfalls
sind es „Leukoplasten“ (siehe oben). Bei der Grundmasse, welche
den Hauptbestandteil der Kügelchen ausmacht, dürfte es sich um
einen Sekretstoff handeln, welcher dem Siebröhrensaft beigemischt
wird. Ob die in der Grundmasse eingelagerten Körnchen, die
sich ebenso wie Plastosomen färben, tatsächlich noch aus plasto-
somatischer Substanz bestehen, möchte ich dahin gestellt sein
lassen; möglich ist, dass sie trotz der Färbungsreaktionen, welche
mit denjenigen der Plastosomen übereinstimmen, eine „para-
plastische“ oder metaplasmatische Beschaffenheit besitzen.
Als Nebenbefund erwähne ich noch, dass die sogenannten
(releitzellen der Siebröhren bei Phragmites!) mit Plastosomen
vollgepfropft sind. Der von verschiedenen Untersuchern hervor-
gehobene Reichtum der Geleitzellen an protoplasmatischem Inhalt
beruht auf ihrem Gehalt an Plastosomen. Auch die Zellen des
„Vasalparenchyms“ (Strasburger), besonders diejenigen, welche
die (refässe unmittelbar umgeben („Gefässbelegzellen“, Stras-
burger 1902, S. 195), schliessen bei Phragmites ausserordent-
lich zahlreiche Plastosomen ein.
Die mitgeteilten Beobachtungen liefern eine neue Bestätigung
zu dem von Altmann (1890) aufgestellten Satz, dass die Plasto-
1) In der Luftwurzel von Chlorophytum fehlen sie.
Über Umwandlung von Plastosomen in Sekretkügelchen. 451
somen (Bioblasten) durch morphologische Beobachtung als „Ort
der Sekretbildung“ erkannt werden können.
Diese Ansicht ist kürzlich (1914) von Benda in einem
Vortrag bekämpft worden, zu dessen Inhalt ich (1915) teilweise
bereits Stellung genommen habe. Das Verhältnis der „Mito-
chondrien“ zu den Sekretgranulationen, dem Benda seit 1899
sein Interesse zugewendet hat, bildet nach ihm „den schwierigsten
Punkt des ganzen Gebietes“. In direktem Gegensatz dazu erklärt
Guilliermond, derjenige Botaniker, der sich bisher am ein-
gehendsten mit den Plastosomen beschäftigt hat (1914, S. 293),
dass „die hauptsächliche und einzig bewiesene Funktion der Mito-
chondrien die der Sekretion ist!“ Hieran ist jedenfalls richtig,
dass man sich bei den Pflanzenzellen leicht davon überzeugen
kann, dass Sekrete und Reservestoffe entweder direkt durch die
Plastosomen oder indirekt durch besondere Organe, Plasten oder
Plastiden, gebildet werden, welche von den Plastosomen ab-
stammen. In dem Vortrag von Benda haben die botanischen
Befunde keine Berücksichtigung erfahren.
Benda, dem seine Untersuchungen „von Anfang an das
Gegenteil der üblichen Ansicht zu beweisen schienen“, glaubt für
seine abweichende Auffassung selbst an den eigenen Bildern
Altmanns Beweise erbringen zu können. „Wenn man“, sagt
er, „wie nach heutiger Kenntnis nicht schwer, in den ‚vegetativen
Fäden‘ Altmanns die besten Darstellungen von Mitochondrien
und Chondriomiten!) wiedererkennt“ (z. B. auf Taf. XX seiner
zweiten Auflage), „so kann man eigentlich an keiner Stelle den
von ihm behaupteten Übergang von kleinen Körnchen der vege-
tativen Fäden in Sekretgranula erkennen, sondern sieht die wunder-
bar scharfe Abgrenzung der Fädenzone gegen die Körnerzone, die auch
Mislawski beschreibt und [die] in meinen gelungenen Präparaten
stets hervortritt.“ „Ich meine auch zu sehen,“ fährt er fort, „dass
man selbst bei den ungeeigneten Färbungen mit Säurefuchsin und
ebenso mit Eisenhämatoxylin, die prinzipiell Mitochondrien und
Sekretgranula gleichartig färben, bei guter Härtung beinahe jedes
einzelne Sekretkorn durch sein viel grösseres Kaliber von den
Mitochondrien unterscheidet. Bei meiner spezifischen Färbung
besteht an gelungenen Präparaten ausser durch das Kaliber auch
') Unter Chondriomiten versteht Benda diejenigen Gebilde, welche
wir heute gewöhnlich als Chondriokonten oder Plastokonten bezeichnen.
452 Friedrich Meves:
durch den Ton der Violettfärbung ein deutlicher Unterschied,
wenn ich auch nicht in Abrede stellen kann, dass hin und wieder
bei geringerer Differenzierung auch die Sekretgranula ähnlich
gefärbt sind.“
Derartige Bilder, wie ich sie hier bei Chlorophytum habe
beschreiben können, sind nun allerdings bei Tieren bisher wohl
nicht zur Beobachtung gekommen. In tierischen Drüsenzellen,
in denen die Plastosomen in Form von Fäden vorhanden sind,
verläuft der Sekretionsprozess, wie es auch der Vorstellung von
Altmann entspricht, wohl meistens in der Weise, dass aus diesen
Fäden durch Zerfall oder Abschnürung Granula hervorgehen,
welche sich ihrerseits in Sekretkügelchen umwandeln.
Dass zwischen Plastosomen und Sekretkügelchen in Bezug
auf Kaliber und Färbbarkeit Unterschiede bestehen, wie Benda
hervorhebt, kann ich durchaus nicht wunderbar finden. Die
Frage kann meines Erachtens nur sein, ob sich Übergänge
zwischen den beiden Strukturen nachweisen lassen. Diese Über-
gänge scheinen allerdings in vielen Fällen zu fehlen, was aber
nicht beweist, dass sie in Wirklichkeit nicht vorhanden sind.
Hoven (1912, S. 598) sagt mit Recht: „On peut supposer que,
dans certaines glandes ...... les chondriosomes presentent au
cours de la secr&tion des modifications chimiques complexes, d’oü
formation d’elements de transition entre les chondriocontes et les
grains de secretion, que nos moyens d’investigations actuels ne
nous permettent pas d’observer.“ Wissen wir doch in der Tat, dass
auch die Sekretgranula selbst zum Teil ausserordentlich leicht lös-
lich und schwer zu fixieren sind! Zum Beispiel kann man die
Mucigenkörner der Schleimdrüsen nur in Osmiumsäurelösungen
konservieren, „bei denen nicht Wasser, sondern Kochsalzlösung
verschiedener Konzentration als Lösungsmittel benutzt wurden“
(vgl. Metzner 1907, 8. 915).
„Die eigentlichen sogenannten Übergangsbilder der Mito-
chondrien in Sekretgranula“ erklärt Benda „sämtlich für Kon-
servierungsfehler, über deren Zustandekommen man sich leicht
unterrichten kann.“ „Bei der geringen Tiefenwirkung der Osmium-
gemische, die zur Konservierung der Mitochondrien nötig sind,
kann man in jedem Präparat eine Grenzzone zwischen richtig
und ungenügend konservierten Mitochondrien feststellen. Es zeigt
sich, dass an allen Stellen, wo die intensive Osmiumwirkung auf-
Über Umwandlung von Plastosomen in Sekretkügelchen. 455
hört. die feinen intensiv gefärbten Mitochondrien und selbst die
Faden- und Stäbchenstrukturen in runde grössere Körner und
Bläschen zerfallen und verquellen, die alle Stadien der Sekretion
konstruieren lassen, und das ist in jedem Organ, auch in solchen,
die gar keine Sekrete liefern, zu erkennen.“
Veränderungen, welche an den Plastosomen infolge unge-
nügender Fixierung aufgetreten waren, haben nun allerdings be-
sonders in der ersten Zeit der Plastosomenforschung wohl zweifellos
Veranlassung zu wirtümlichen Darstellungen gegeben. Auch
Duesberg (1912, S. 777) sagt von Altmann, dass er nicht
immer absolut richtige Bilder von Plastokonten vor Augen ge-
habt, sondern oft Körner und kurze Fäden gesehen habe, die nur
Zerfallsprodukte von längeren schlecht konservierten Fäden ge-
wesen sind; z. B. habe er in Nierenzellen nur Körner abgebildet.
Hoven (1912, S. 568) führt einen Fall (Laguesse) an, in
welchem nach seiner Meinung bläschenförmig aufgequollene Plasto-
chondrien für Sekretionsstadien gehalten worden sind. Die zahl-
reichen neueren Autoren aber, welche für eine Beteiligung der
Plastosomen bei der Sekretbildung eintreten, haben die Veränder-
lichkeit der Plastosomen durch meine Beschreibung (1910, S. 151)
sowie durch diejenige von Duesberg (1910, S. 605—606) ge-
kannt und Bilder, wie man sie bei ungenügender Konservierung
der Plastosomen antrifft, für ihre Schlussfolgerungen nicht ver-
wertet. Für Regaud, Mawas, Hoven, O.Schultze, Eklöf u.a.
trifit sicher nicht zu, dass sie „artefizielle Verunstaltungen der
Mitochöndrien, die mit gleicher Deutlichkeit auch in denjenigen
Zellen auftreten, in denen mit keiner anderen Methode vegetative
Strukturen nachweisbar sind und die da fehlen, wo eine typische
Konservierung der Mitochondrien vorliegt“, für „Übergänge der
Mitochondrien in jene vegetativen Strukturen“ gehalten hätten.
Besonders starke Formänderungen der Plastosomen sind von
Pensa, Lewitsky, Guilliermond, mir selbst bei der
Entstehung der pflanzlichen Sekrete, Reservestoffe und Plasten
beschrieben worden; es ist aber völlig ausgeschlossen, dass diese
auf fehlerhafter Fixierung beruhen.
„Auch andere Bilder“, fährt Benda fort, „die zuerst von
Altmann, dann auch von mehreren Mitochondrienforschern
herangezogen sind, beweisen gar nichts, nämlich der angebliche
Schwund der „vegetativen Fäden (Altmann)“ oder der Chondrio-
454 Friedrich Meves:
miten. Hierfür gibt es mehrere sehr einfache Erklärungen: erstens,
dass die schwer konservierbaren Körnerfäden in den sekretreichen
(und ebenso in den fettreichen) Zellen nicht genügend Härtungs-
tlüssigkeit erhalten haben und nur in den Randpartien der Zellen
konserviert sind und zweitens, dass sie tatsächlich gar nicht ver-
mindert, sondern nur durch die Sekretkörner auseinandergedrängt
oder in bestimmte Zellabschnitte verschoben sind, so dass man
sie bei sorgfältiger Musterung sehr wohl findet.“ Es gibt nun
zweifellos Darstellungen, für welche dieser Einwand von Benda
zutrifft. Nach Altmann z. B. (1894, S. 124 und Taf. XXIV,
Fig. 1) zieht sich in den Zellen der Katzenparotis, welche mit
Sekretkörnern vollgestopft sind, zwischen den Sekretkörnern eine
durch Fuchsin rot färbbare Substanz netzförmig hin, in der eine
Differenzierung von Granulis angeblich nicht gelingen soll.
Hoven (1912, S. 584) hat aber gezeigt, dass die Protoplasma-
balken immer noch einige Plastochondrien und Plastokonten ent-
halten; er meint, dass der erwähnten Figur von Altmann ein
Präparat zugrunde gelegen hat, welches überfärbt oder unge-
nügend fixiert war.
In den Meristemzellen der Luftwurzel von Chlorophytum,
welche sich zu Siebröhrengliedern entwickeln, werden dagegen
tatsächlich alle Plastokonten zu Sekretkügelchen umgewandelt.
Das gleiche dürfte in solchen tierischen Drüsenzellen der Fall
sein, welche bei der Sekretion untergehen. In den übrigen bleiben
auch auf der Höhe der Sekretbildung immer noch Plastosomen
zurück, welche, wie Benda sagt, durch die Sekrete zusammen-
gedrängt und verdrängt werden. Nach verschiedenen Autoren
(z. B. Regaud und Mawas, Hoven u.a.) ist die Menge der
Sekretkügelchen derjenigen der Plastosomen umgekehrt pro-
portional.
Die gleichen Einwände, wie die angeführten, und noch einige
weitere erklärt Benda „gegen die Beziehung zwischen Mitochon-
drien und Fettspeicherung oder -resorption“ machen zu müssen.
Zunächst hält er „Altmanns Bilder von Ringkörnern ebenfalls
für Trugbilder von mangelhaft konservierten Stellen.“ „An gut
osmierten Stellen gibt es keine Ringkörner. Das Ringkorn kommt
dadurch zustande, dass an einem grossen Fettropfen nur eine
dünne Schale osmiert und gehärtet ist und das flüssig gebliebene
Zentrum durch die Präparatbehandlung (Alkohol, ätherische Öle)
Über Umwandlung von Plastosomen in Sekretkügelchen. 455
aufgelöst wird. Wenn in der Höhle ein Farbstoffpartikelchen
bleibt, so ist das Granulum im Ringkorn fertig, öfter bleibt ein
ungefärbtes Zentrum, wie es Altmann auch abbildet. Mit einer
so elektiven Färbung wie der Kristallviolettmethode ist nun und
nimmermehr ein Mitochondrium innerhalb eines Fettropfens
sichtbar.“
Diese Kritik erscheint mir berechtigt, soweit sie sich gegen
die Einzelheiten der Altmannschen Darstellung richtet. Nach
Altmann sollen die „Ringkörner“ an der Peripherie Fett, im
Innern aber plastosomatische Substanz enthalten. Nach Dubreuil
(1911, 1912) dagegen entsteht das Fett in den Fettzellen des
Bindegewebes von Schafembryonen in Form einer „Lipoidvakuole“
im Innern von Plastochondrien oder Plastokonten; diese wird
immer grösser, wobei ihre plastosomatische Rinde sich mehr und
mehr verdünnt und schliesslich ganz schwindet; gleichzeitig wandelt
sich der Inhalt der Vakuole in Fett um. Nach Dubreuil (1912
S. 105) und Guilliermond (1914 S. 294) ist diese Bildungs-
weise des Fettes derjenigen der Stärke bei den Pflanzen vergleichbar
(Guilliermond 1912 u. a. a.St.; siehe auch Meves 1917).
Die Altmannsche Anschauung, dass die Plastosomen der Ort
der Fettbildung sind, wird ausser von Dubreuilauch von Hoven
(1912) und neuerdings für Pflanzenzellen von Guilliermond
(1915) aufrecht erhalten.
Neben diesen „negierenden Betrachtungen“ haben wir nach
Benda noch folgende „positive Anhaltspunkte“ für eine Unab-
hängigkeit der Mitochondrien und Sekretgranulationen.
Zunächst soll die grosse Verschiedenheit der Darstellungs-
methoden beider Strukturen in gewissem Grade beweisend sein.
Benda hat auf diesen Punkt schon 1899 hinsichtlich der Leuko-
zytengranulationen aufmerksam gemacht und kann die gleiche
Betrachtung, wie er sagt, auf die meisten Sekretgranulationen
ausdehnen. Als besonders wichtig sieht er das Verhalten der
Leukozytengranulationen an. „In den Mitochondrienpräparaten sind
zugleich nur die eosinophilen Granulationen sichtbar.“ Wenn man
dagegen die spezifischen Darstellungsmethoden der Leukozyten-
granula anwendet, so ist von Mitochondrien nichts zu sehen.
Benda kommt jedoch selbst zu dem Resultat, dass dieser „Be-
weis“ insofern nicht stichhaltig ist, „weil es Strukturen gibt, die
456 Friedrich Meves:
aus Mitochondrien hervorgegangen sind und die ebenfalls eine
derartige erweiterte Darstellungsfähigkeit besitzen“; er denkt
dabei, wie er sagt, besonders an die Muskelstruktur.
Einwandfreier sind nach Benda die Ergebnisse, wenn man
Leukozytengranula-Präparate „und ebenso die Fett-, Glykogen-
und Vitalfärbungen mit Mitochondrien-Präparaten hinsichtlich der
Örtlichkeit der verschiedenen Körnungen vergleicht“. Hierbei
sind aber nach ihm zunächst diejenigen Organzellen von der Be-
trachtung auszuscheiden, bei denen sehr umfangreiche und stark aus-
geprägte Mitochondrienstrukturen vorliegen, obgleich gerade diese
Zellen natürlich mit Vorliebe von den Vertretern der entgegenge-
setzten Anschauung gewählt worden seien Benda hat hierbei be-
sonders „Muskel-, Nieren- und Darmepithelien“ im Auge. „Es ist
einleuchtend, dass in diesen Zellen die gesamte Architektur der
Zelle derartig von den genannten Strukturen beherrscht wird,
dass alle anderen Strukturen sich notwendig den Mitochondrien
anpassen.“ Wählt man dagegen Zellen mit spärlichen Mitochon-
drienformationen, so erhält man nach Benda einen völlig anderen
Eindruck. „Schon bei den viel bearbeiteten Zellen der Verdauungs-
drüsen sollte jeder unbefangene Untersucher auf den ersten Blick
erkennen, dass in den Anfangsstadien der Sekretion weder die
Örtlichkeit noch die Anordnung der primären Sekretablagerungen
den bekannten Mitochondrienstrukturen entspricht. Die Sekret-
körner nehmen die Zelloberfläche, die Mitochondrien die Basis
ein“ ..... Den Hauptbeweis bilden aber für Benda die Leukozyten.
„Ob wir... . die genuinen Max Schultze-Ehrlichschen
(Granulationen im Ausstrich oder Schnitt färben, ob wir Vitalfärbung,
Farbstoffspeicherung, Oxydase-, Fettfärbung anwenden, überall tritt
uns das gleiche Bild der gleichmässigen Ausbreitung dieser vege-
tativen Strukturen im Zelleib entgegen, die nur den Kern und
den kleinen Fleck um Mikrozentrum und Zentrotheka freilassen.
(Gerade hier ist aber die Gegend, in der die äussert spärlichen
Mitochondrien etwas reichlicher liegen, während sie sonst ganz
vereinzelte Fäden im Zelleib bilden.“
Auf diese „prinzipiellen Abweichungen in der Lage der
Mitochondrien und der Sekretgranulationen in einigen Zellarten
mit charakteristischen Anordnungen beider Gebilde wie den
Leukozyten“ erklärtt Benda das grösste Gewicht legen zu
müssen.
Über Umwandlung von Plastosomen in Sekretkügelchen. 457
Darin kann ich mich ihm nun meinerseits durchaus nicht
anschliessen. Ich kann keine Schwierigkeit darin finden, mir
vorzustellen, dass die Plastosomen oder Plastosomenteilchen, indem
sie sich zu Sekretkügelchen umwandeln, von dem basalen in den
oberen Teil der Zelle verlagert werden. Die Tatsache, dass die
gröberen Körner in einem granulierten Leukozyten einen „kleinen
Fleck um Mikrozentrum und Zentrotheka freilassen“, ist von anderer
Seite dahin gedeutet worden, dass sie durch die Existenz der von
dem Zytozentrum ausgehenden Strahlen in die grösseren interfilaren
Räume verdrängt werden.
Benda gibt übrigens weiterhin selbst zu, dass der „Einwand
bliebe, ob etwa bei der Entstehung die Mitochondrienformation
besteht und sich erst dann in die Granulationen umwandelt“.
„Hier ermöglicht aber“, sagt er, „unser Objekt [die granu-
lierten Leukozyten] eine Feststellung, die jeden Einwand völlig
ausschliesst und zugleich ein besonderes Licht auf den Charakter
der vegetativen Struktur wirft: die Tatsache, dass der mit
(Granulationen beladene Leukozyt teilungsfähig ist
unddassdiegenuinen Granulationen auf die Tochter-
zellen übergehen. Hieraus folgt in erster Linie, dass die
granuläre Struktur nicht etwa bei der Teilung in eine differente
Mitochondrienstruktur zurückkehrt, sondern dass auch bei der
Mitose beide Strukturen nebeneinander persistieren. In zweiter
Linie gibt diese Tatsache einen gewissen, ganz bescheidenen Anhalt
dafür, dass die genuine Granulation des Leukozyten eine eigene,
von den Mitochondrien unabhängige primitive Zellstruktur darstellt
oder mit einer solchen in Zusammenhang steht.“ In gleichem
Sinne lassen sich nach Benda die dotterhaltigen Zellen der ersten
Embryonalperiode verwerten, deren Dotterkugeln nach einer ver-
breiteten Ansicht durch Umbildung von Mitochondrien entstehen.
„Bei der Furchung und noch eine ganze Zeit länger, bis in die
Keimblattbildung hinein, teilen sich dotterhaltige Zellen, ohne dass
die Dotterelemente etwa wieder in Mitochondrien ,.. . . zurück-
gebildet werden oder in den Tochterzellen aus diesen Struktur-
elementen neu gebildet werden. Es wäre für unsere Frage von
Wichtigkeit. genauer festzustellen, ob das nur die alten vom Ei
überkommenen Dotterelemente sind, die als Nährmaterial über-
tragen werden oder ob vielleicht noch weiter eine Neubildung
derselben stattfindet.“ Wäre letzteres der Fall, so würde nach
458 Friedrich Meves:
Benda auch dieser Vorgang dafür sprechen, dass neben Mitochon-
drien im Zelleib ein weiteres unabhängiges Strukturelement besteht,
von dem diese Bildung ausgeht.
Ich kann nun aber nicht finden, dass die Tatsachen, welche
Benda anführt, zu den Schlüssen, welche er daraus ziehen möchte,
irgendwie berechtigen. In jungen Blättern, z. B. von Tradescantia
albiflora, kann man leicht feststellen, dass Zellen mit jungen
Chloroplasten sich durch Teilung vermehren. Die Chloroplasten
gehen in die Tochterzellen über. Es kann aber (trotz A.Meyer 1916)
nicht der geringste Zweifel darüber bestehen, dass die Chloro-
plasten bei den höheren Pflanzen von Plastosomen abstammen.
Die angeführten Gründe veranlassen Benda nun, „prinzipiell“
zu bezweifeln, dass die Funktionen der „Stoffspeicherung, Assi-
milation und Ausscheidung“ „durch die sicher schon mit anderen
Aufgaben überlasteten Mitochondrien“ übernommen werden. „An-
dererseits ist sicher eine so weitgehende Verwandtschaft dieser
Funktionen vorauszusetzen, dass ihre Ausübung durch ein gemein-
sames Organ verständlich wäre.“ Nach Benda wäre daher „vor-
läufig die Hypothese zulässig, dass Dotterkugeln, genuine Leuko-
zytengranulationen und Sekretgranula dasselbe Strukturelement
zum Substrat haben, welches dann in gleicher Weise für Fett-
und Glykogenablagerungen und vitale Färbung in Frage käme“.
„Für seine histologische Darstellung im ursprünglichen Zustand
besitzen wir jedenfalls noch keine beweisenden Methoden. Es ist
aber anzunehmen, dass es dieses Strukturelement ist, welches den
langjährigen und sorgfältigen Beobachtungen J. Arnolds vorge-
legen hat.“ Benda hält es deshalb für angemessen, es vorläufig
auch mit dem von Arnold gebrauchten Namen als Plasmo-
somen zu bezeichnen. Die Identität der Plasmosomen mit den
Mitochondrien, der er früher zugestimmt habe, würde dann fallen
müssen.
„Für die Frage, ob die Plasmosomen in demselben Sinne
wie die früher besprochenen Strukturelemente ein eigenes primi-
tives Zellorgan sind, sind die Daten noch zu lückenhaft. Immerhin
wird dieser Gesichtspunkt diskutabel* .... „Die wesentliche Be-
dingung für die Bewertung der Plasmosomen als Zellorgan wäre,
dass sich Methoden finden, die ihren Nachweis in den Embryonal-
und Fetalzellen ermöglichen und gestatten, ihre Kontinuität in der
Über Umwandlung von Plastosomen in Sekretkügelchen. 459
somatischen Zellbahn bis zu den Drüsenzellen und den Leukozyten
des entwickelten Organismus zu verfolgen. Bis dahin bleibt es
noch eine „Metastruktur“, wie es Heidenhain nennt, das
heisst auf deutsch unsichtbar und hypothetisch.“
Hierzu möchte ich mir folgende Bemerkungen erlauben.
Wenn Benda die „Mitochondrien“ als „sicher schon mit anderen
Aufgaben überlastet“ bezeichnet, so setzt mich dieser Ausspruch
in Erstaunen, da doch Benda selbst über die funktionelle Be-
deutung der „Mitochondrien“ in seinem Vortrag nicht allzuviel
anzugeben weiss. Er kann auch heute noch, wie er sagt, „daran
festhalten, dass ihre Verwendung zu motorischen Strukturen
(Muskelfibrillen, Spermienhüllen, Wimperwurzeln) am sichersten
feststeht und dass auch in den Zellen, in denen die motorische
Funktion bisher nicht beachtet ist, die reichlichen Mitochondrien-
strukturen darauf hinweisen könnten.“ Im übrigen meint er, dass
wir uns vorerst dabei beruhigen müssten, „dass wir über die spe-
zielle funktionelle Bedeutung dieses Organs [der „Mitochondrien“ ]
noch ebensowenig aussagen können, wie über die der anderen
Zellorgane, und dass sein konstantes Vorhandensein beweist, dass
es zu den fundamentalen Strukturen der Zelle gehört.“
Ich selbst habe auf Grund meiner hier und a. a. 0. mitge-
teilten Beobachtungen erkannt, dass bestimmte Sekrete und Reserve-
stoffe in den Pflanzenzellen durch die Umwandlung oder durch die
Tätigkeit der Chondriosomen oder Plastosomen gebildet werden.
Unter diesen Umständen sehe ich nicht ein, warum ich in anderen
Fällen an der Beteiligung der Plastosomen bei der Sekretbildung
zweifeln und mit Benda nach einem besonderen „Assimilations-
organ“ suchen sollte. Gesetzt aber, dass neben den Chondriosomen
oder Plastosomen noch andere bisher unbekannte Elemente des Proto-
plasmas zu der Sekretion beitrügen, so würde es jedenfalls sehr
unzweckmässig sein, für diese die Arnoldsche Bezeichnung
Plasmosomen anzuwenden. In erster Linie spricht dagegen, dass
die Plasmosomen Arnolds, wie ich schon wiederholt bemerkt
habe. der Mehrzahl nach überhaupt Kunstprodukte sind, welche
durch die von Arnold angewandte Technik in den Zellen erzeugt
worden sind. Was speziell die Körnchen und kürzeren oder längeren
körnigen Fädchen anlangt, welche durch „Vitalfärbung“ mit
Neutralrot oder Methylenblau sichtbar gemacht werden können,
so glaube ich seit 1905 guten Grund zu der Annahme zu haben,
460 Friedrich Meves:
dass sie in zahlreichen Fällen weiter nichts als Farbstoffnieder-
schläge darstellen. Diejenigen „Plasmosomen“ aber, welche als
präformierte Strukturelemente anerkannt werden müssen, sind
weit davon entfernt, einheitlicher Natur zu sein. Duesberg
(1912 S. 823) hat den Eindruck, dass die von Arnold gesehenen
Bilder, welche die Umwandlung der „Plasmosomen“ zu Sekret-
körnern in Schleim- und serösen Drüsen der Froschhaut beweisen
sollen, „ganz einfach die Vorgänge der Färbbarkeitsänderungen
darstellen, welche die Sekretkörner bei der Reifung zeigen“; dass
also die Plasmosomen Arnolds in diesem Fall junge Sekret-
körner sind.
Arnold selbst hat ausserdem zuletzt (ebenso wie früher
benda) die Meinung vertreten, dass die als „Plasmosomen“ be-
zeichneten Gebilde mit Chondriosomen oder Plastosomen identisch
seien; was allerdings sicher unzutreffend ist, und zwar schon des-
halb, weil Chondriosomen oder Plastosomen durch Neutralrot oder
Methylenblau nicht vital gefärbt werden können.!) Immerhin ist
es auch wegen dieser von Arnold (und noch heute von ver-
schiedenen anderen) behaupteten Identität kein glücklicher Ge-
danke, wenn Benda seinem noch zu entdeckenden „Assimilations-
organ“ die Benennung „Plasmosomen“ beilegen möchte.
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Erklärung der Abbildungen auf Tafel XIV.
Die Abbildungen der Tafel XIV sind mit Zeiss’ Apochromat 2 mm
(Apertur 1,40) und Kompensationsokular 12 unter Benutzung des Abbeschen
Zeichenapparates bei Projektion auf Objekttischhöhe entworfen. Die zu
Grunde liegenden Präparate der Luftwurzel von Chlorophytum Stern-
bergianum sind mit modifiziertem Flemmingschem Gemisch fixiert und
mit Eisenhämatoxylin gefärbt.
Die Figuren 1-6 betreffen Meristemzellen des Zentralzylinders, Fig. 7
und 8 Teile von solchen, welche sich zu Siebröhrengliedern entwickeln. Über
die dargestellten Veränderungen, welche sich an den Plastokonten abspielen,
siehe Text S. 448449,
Fig. 9. Aneinanderstossende Enden zweier ausgebildeter Siebröhren-
glieder. Text S. 447 u. 449.
463
Aus dem Anatomischen Institut zu Greifswald.
Zur Morphologie der vitalen Granulafärbung.
Von
Wilhelm von Moellendorff.
Hierzu Tafel XV und XVI.
Enhatlt: Seite
I. Einleitung . . . 0 2 Ab3
II. Morphologie der anulären Färbung art sauren Karbenoiien . 465
III. Morphologie der vitalen Färbung mit basischen Farbstoffen . . 470
a) Die vitale Färbung der Dotterplättchen . . . . ......472
b) Die vitale Färbung der Zellgranula . . . . . 415
IV. Die Färbung saurer Farbstoffgranula durch he Farbstoffe 477
a) Vitale Versuche an Kaulquappen. . . . : { . 478
b) Supravitale Versuche an Kaulquappen: die Granhlkfärkungs ist
ein reaktiver Vorgang . . . BR a RE ALON
V. Supravitale Färbungen an Manserkganen: die Färbbarkeit der
sauren Farbstoffgranula und normaler Zellgranula durch basische
Farbstoffe sind analoge Vorgänge . . . 485
VI. Schluss: Für die vitale Färbung mit hasıschen Farbstoffen in nur
die chemische oder kolloidehemische Struktur der Granula mass-
gebend, keine besondere vitale Tätigkeit derselben . . . . . 490
Literaturverzeichnis See RE RATEN AT aa AIG
Erklärung der eelabhildungen NEN Ra ns se de NE te |
I. Einleitung.
Die Färbung unfixierter Gewebe hat seit den achtziger
Jahren des vorigen Jahrhunderts eine Fülle von Beobachtungen
gefördert, die für die mannigfachsten Fragen der Morphologie
und der Physiologie verwertet worden sind. Die Durchsicht der
unzähligen Arbeiten, in denen mit wechselndem Erfolge Färbungen
in unfixierten Geweben von verschiedenstem Grade des Lebens-
zustandes mitgeteilt sind, liefert das auffallende Ergebnis, dass
die Geschichte dieses Gebietes unserer Färbetechnik in tech-
nischer Beziehung kaum einen Fortschritt zu verzeichnen hat.
Seitdem besonders durch Ehrlich Farbstoffe eingeführt worden
waren, deren Anwendung auf lebende Gewebe in ihrer Klarheit
31*
464 Wilhelm von Moellendorff:
fast unübertreffliche Färbungen gestattete, ist mit diesen Farb-
stoffen an allen möglichen Objekten experimentiert worden; die
dabei gewonnenen Bilder waren in den meisten Fällen ähnlich.
Nur von der Fragestellung, von der jeweils gegebenen Deutung
hing es ab, welche Bedeutung diesen Bildern zugesprochen wurde.
Durch Erweiterung der Versuche auf eine grosse Anzahl
von Farbstoffen ist mehrfach versucht worden, in den Mechanismus
der Färbung einzudringen. Überblicken wir aber das bisher er-
reichte Ergebnis, so muss gesagt werden, dass wir erst in den
allerersten Anfängen eines Verständnisses der Farbstoffwirkung
stehen. Es ist in erster Linie die Histophysiologie, die bisher
wirklichen Nutzen aus den Farbstofiversuchen gezogen hat, nach-
dem es den Bemühungen R. Hoebers, W. Ruhlands,
W. Schulemanns, W. von Moellendorffs u. a. gelungen
ist, den Wirkungsmechanismus einer ganzen Gruppe von Farb-
stoffen einigermassen aufzuklären: durch die Erkenntnis, dass
für die Wirkung fast aller sauren Farbstoffe in erster Linie ihr
Lösungszustand massgebend ist, wurden die Probleme der Zell-
permeabilität, der Phagozytose, der Nieren- und Leberphysiologie
nicht unwesentlich gefördert. Die Zytomorphologie ist dabei bis
zu einem gewissen Grade leer ausgegangen, da theoretische
Erwägungen und experimentelle Beobachtungen den Schluss nahe
legten, dass die granulären Abscheidungen der sauren Farbstoffe
Neubildungen im Zellenbau seien, dass präformierte, dem Zell-
forscher auch sonst zugängliche granuläre Bildungen mit der
Speicherung saurer Farbstoffe nicht betraut seien (W. Schule-
mann und H. M. Evans, von Moellendorff).
Über die Auffassung der Wirkung basischer Farbstoffe
herrscht dagegen noch eine grosse Unsicherheit, diese kommt
besonders gut zum Ausdruck in dem grossen Werke von
J. Arnold (1914). Hier wogt der Streit, ob präformierte
(ranula gefärbt werden, oder ob die bei der Wirkung gewisser
basischer Farbstoffe auftretenden Granulabilder Kunstprodukte
sind, ob lebenswichtige Organellen die Farbspeicherung besorgen,
ob Abfallsprodukte des Stoffwechsels gefärbt werden. Man weiss
auch nicht, ob die Farbspeicherung als chemischer Vorgang
einer Reaktion zwischen Granulumsubstanz und Farbstoff aufge-
fasst werden soll, oder ob eine Lösung der Farbstoffe in einem
als spezifisches Lösungsmittel bezeichneten Substrate stattfindet.
Zur Morphologie der vitalen Granulafärbung. 465
Wenn ich angesichts dieser Sachlage mit einigen Arbeiten
die grosse Literatur über diesen Gegenstand vermehre, so tue
ich dies in der Hoffnung, gerade die Wirkungsweise der basischen
Farbstoffe von einem umfassenden Standpunkt aus beleuchten zu
können. Alle Spekulationen, ob eine wirkliche Vitalfärbung, d.h.
eine Farbspeicherung in zweifellos funktionierenden Elementen
der Zelle ohne Beeinträchtigung ihrer Leistung möglich ist, ob
ferner die Färbung als Leistung der Granula oder anderer Zell-
gebilde aufzufassen ist, können ja doch erst erörtert werden,
wenn wir die Bedingungen kennen, unter denen eine Färbung
möglich ist.
Zu diesem Zwecke war es notwendig, zunächst an geeig-
neten Objekten den Vorgang der Granulafärbung genauer zu
verfolgen, wobei Beobachtungen gemacht wurden, die schon vielfach
auch von anderer Seite beschrieben sind, deren Deutung aber
erst möglich wurde, als es gelang, die gleichen Bilder an experi-
mentell erzeugten Granulis von bekannter Zusammensetzung zu
machen. Dadurch konnte ich zu einer befriedigenden Deutung
der Morphologie der Granulafärbung gelangen, die den Vorgang
auf Phänomene zurückführt, die im Reagenzglas nachgeahmt
werden können. Einige Ergebnisse dieser Forschungen hat schon
meine Schülerin E. Herzfeld (1917) veröffentlicht.
In dieser ersten Mitteilung ist es meine Aufgabe, den Vor-
gang der basischen Granulafärbung klarzulegen; eine kurze Zu-
sammenstellung unserer Auffassung der sauren Granulabildung
stelle ich voran, weil sie zum Verständnis der weiteren Aus-
einandersetzungen notwendig ist und durch einige neue Ergebnisse
ergänzt werden konnte.
In einer zweiten Mitteilung werden sodann die allgemeinen
Grundlagen aufgedeckt, die zu der vitalen Farbstoftwirkung
notwendig sind; durch die Beachtung der physikalischen und
chemischen Eigenschaften der Farbstoffe konnte auch hier ein
befriedigendes Ergebnis gewonnen werden.
II. Morphologie der granulären Färbung mit sauren
Farbstoffen.
In einer Reihe von Untersuchungen habe ich meine Ansicht
begründet, dass saure Farben in den Zellen, in denen sie ab-
466 Wilhelm von Moellendorff:
gelagert werden, meist neue Granula bilden. Diese Ansicht
widerspricht der der meisten älteren Untersucher, die entweder
in der Ablagerungsart saurer und basischer Farben keinen
prinzipiellen morphologischen Unterschied annahmen (so Arnold,
Goldmann u.a.) oder sogar ausdrücklich angeben, dass saure
Farbstoffe an präformierte, zum Teil plastosomale Bestandteile
der Zellen gebunden werden (Gross, Aschoff und seine Schule
u. v.a.). Eine erfreuliche Übereinstimmnng mit meiner An-
sicht geben die Untersuchungen von botanischer Seite (Ruhland)
und die Schulemanns und seiner Mitarbeiter.
Neuere Untersuchungen lehren mich, dass auch saure Farb-
stoffe unter gewissen Umständen an präformierte Zellgranula
herangehen.
Ein Fall, der allerdings aus meinem jetzigen Thema heraus-
fällt, ist die sog. „postvitale“ Färbung mit sauren Farben; er ist
schon aus einer Reihe früherer Untersuchungen bekannt. Ihrer
Natur nach bedürfen diese Vorgänge allerdings noch einer
Klärung. Zu dieser Gruppe von Färbungen rechne ich die Färbung
der eosinophilen Leukozytengranula durch saure Farbstofte
(Trypanblau nach Schulemann, Pappenheim, Nakano).
Diese Färbung kommt wohl nur an abgetötetem, z.B. formolisiertem
Material vor, ist aber weitgehend different. Hierhin gehört auch
die von mir (1913) seinerzeit als vital beschriebene, aber wahr-
scheinlich auch nur postvital in der Fixierungstlüssigkeit oder
ohne dieselbe nach dem Absterben auftretende Färbung der
eosinophilen Zellen der Darmwand mit Trypanblau, Natronkarmin,
Nigrosin und anderen sauren Farbstoffen. Auch die damals
beschriebene Färbung der Granula in Becherzellen und Paneth-
schen Zellen dürfte zu diesen Vorgängen zu rechnen sein.
Neuerdings habe ich an Kaulquappen und erwachsenen
Fröschen mit zahlreichen sauren Farbstoffen supravitale Färbungen
an unfixiertem Material erzielt. Hier sind es stark lichtbrechende
Granula in sehr formvariablen Bindegewebszellen, die besonders
mit Eosin und verwandten Farbstoffen nach dem Tode des Tieres
rasch und intensiv reagieren.
In allen diesen Fällen werden also saure Farbstoffe, besonders
nach Ausschaltung des Lebenszustandes, an zweifellos präformierte
Granula rasch und intensiv abgelagert. Ob dieser Färbung physi-
kalische oder chemische Vorgänge zugrunde liegen, ist unbekannt.
Zur Morphologie der vitalen Granulafärbung. 467
Jedenfalls ist das Gebiet dieser postvitalen Färbungen
mit sauren Farbstoffen streng abzusondern von der Granula-
bildung saurer Farben, die nur im lebenden Gewebe vor-
kommt, also ein spezifisch vitaler Vorgang ist.
Es darf geradezu als ein Beweis für die Erhaltung des
Zellenlebens im Carrelschen Präparat angesehen werden,
dass Hofmann (1914) zeigen konnte, dass im Plasma wachsende
embryonale Lebersternzellen Trypanblau aus dem Plasma granulär
abzulagern vermögen.
Die Granulabildung ist charakterisiert durch die Art ihres
Werdens; die allmähliche Zunahme der Grösse, der Dichte. sowie
der Zahl der Granula in der Zelle lassen bei genauer Unter-
suchung den Vorgang relativ leicht beobachten. Dass jedoch
nicht stets neue Granula von einem in die Zelle eintretenden Farb-
stoffe gebildet zu werden brauchen, lehren folgende Beobach-
tungen.
Bei gleichzeitiger Anwendung zweier saurer Farbstoffe
erhält man vielfach neben getrennten Granulis auch Misch-
granula; nur handelt es sich hier um eine richtige
Mischung, nicht um ein gelöstes Reaktionsprodukt. wie es
bei der Kombination eines sauren mit einem basischen Farb-
stoffe entsteht.
Die oft zu beobachtende Entstehung von Mischgranula bei
der Anwendung eines Gemisches zweier saurer Farbstoffe lehrt,
dass nicht unbedingt der saure Farbstoff neue Granula bei
seinem Eintritt in die Zelle zu bilden braucht. Die Konzentration,
bis zu der ein Granulum mit einem oder mehreren Stoffen be-
laden ist, dürfte dafür ausschlaggebend sein, ob ein neu in
die Zelle eintretender Stoff sich in ein „präformiertes“ Granulum
zumischen kann, oder ob für ihn ein neues Granulum gebildet
werden soll. Zu der gleichen Vorstellung führen Beobachtungen
an Tieren, deren Nierenzellen mit reichlichem gelbem, wohl einem
dem Leberstoffwechsel entstammenden, auf dem Ausscheidungs-
wege befindlichen Pigmente angefüllt waren; dies Pigment ist
granulär angeordnet und hindert das Zustandekommen einer
sranulären Ablagerung saurer Farbstoffe empfindlich. Ein Teil der
Pigmenttropfen nimmt jedoch spärliche Mengen sauren Farbstoftes
auf, wodurch bei blauen Farbstoffen eine verschieden intensive
Grünfärbung der Pigmenttropfen hervorgerufen wird (Siehe Fig. 2
468 Wilhelm von Moellendorff:
und 3, Taf. XV). Dies ist also ein Fall, in dem mit Sicherheit
saure Farbstoffe in Granula eintreten, die vorher schon in der Zelle
vorhanden waren. Hier sind aber trotzdem ganz andere Vor-
gänge beobachtet, als bei der Färbung mit basischen Farbstoffen.
Es handelt sich hier um das Konkurrieren zweier in gleicher
Weise zur Granulabildung befähigter Substanzen um den Sitz in
einem Granulum, nicht um die Reaktion des einen Stoffes mit
dem anderen.
Fig. 1 zeigt dagegen zwei Vornierenzellen einer Kaulquappe
aus einer Trypanblaukultur; das Tier, das schon reichlich Trypan-
blau abgelagert hatte, wurde vor der Untersuchung zwei Tage
in einer Lösung von Vitalneurot (1:5000) belassen. Hier sind
beide sauren Farbstoffe in getrennten Granulis abgelagert. So
klare Resultate erhält man nur, wenn der eine Farbstoff (Trypan-
blau) schon lange abgelagert ist, so dass die von ihm gebildeten
Granula „fertig“ (Schulemann) sind.
Die genannten Beobachtungen lehren einmal, dass, wie auch
besonders für die Säugetiere schon seit längerer Zeit bekannt
ist, unter bestimmten Umständen dem Körper entstammende
Substanzen in den Nierenzellen in ähnlicher Form granulär ab-
gelagert werden können wie saure Farbstoffe. Aus dem Umstande,
dass in solche Pigmentgranula ein Teil des sauren Farbstoffes
einzudringen vermag, ist weiterhin zu schliessen, dass Pigment-
granula und Farbstoffgranula in weitem Umfange analoge
Bildungen sind. Es ist anzunehmen, dass auch ungefärbte Sub-
stanzen des Körpers zur Granulabildung befähigt sind, dass ein
Teil der zahlreichen Granula in Nierenzellen solche durch
Konzentration in den Zellen abgelagerte Substanzen, vielleicht
Eiweisskörper sind.
Ich bin trotzdem weit davon entfernt, etwa anzunehmen,
alle granulären Bildungen in den Zellen seien in dieser Weise
entstanden, eine Vermutung, die in einem Satze der Arbeit von
Schulemann und Evans (1915) enthalten ist. Sie sagen
S. 208: „Seine (Tschaschins) Arbeiten aber geben uns den
Anlass, mit allem Vorbehalt darauf hinzudeuten, ob nicht die
echten Chondriosomen gleichwertig (nicht identisch!) den
durch die Vitalfärbung (sc. mit sauren Farbstofien. D. Verf.) ent-
stehenden Farbstoffgranula seien.“ Die Veranlassung zu. diesem
Satze gaben die Arbeiten Tschaschins, der auf Grund blosser
Zur Morphologie der vitalen Granulafärbung. 461)
Ähnlichkeit von Mitochondrienpräparaten und Vitalfärbungsbildern
die Behauptung aufgestellt hatte, die Chondriosomen seien die
Farbstoffträger, die Begründung des Schulemannschen Satzes
erfolgte aus ähnlichen Gesichtspunkten, wie sie von mir oben
angedeutet wurden. In einer ganzen Reihe von Fällen können
aber Mitochondrien sicherlich von den einer Vitalfärbung mit
basischen Farbstoffen im allgemeinen zugänglichen Gebilden ab-
gesondert werden, während die sauren Farbstofigranula sowohl,
wie andere der Zelle eigene Granula den basischen Farb-
stoffen zugänglich sind. Ich möchte die fast ausnahmslose
Regel, dass typische Plastosomen einer vitalen Färbung schwer
zugänglich sind (s. Duesbergs Referat), geradezu als grund-
legend für die Abtrennung dieser Granula von Plastosomen be-
trachten.
Der Vorgang der Granulabildung bei sauren Farbstoften
ist durch eine langsame, allmählich eintretende Verminderung
der Dispersität charakterisiert. Dieselbe ist begleitet und vor-
wiegend wohl verursacht durch die zunehmende Konzentrierung
des Farbstoffes in den Granulis. Morphologisch sind diese Stufen
in der Granulaentwicklung hauptsächlich an dem Dunklerwerden
der Granula zu erkennen. Einen besonders schönen Fall, gleich-
zeitig einen guten Beweis für unsere Auffassung, entdeckte
Schulemann (1914) in dem Verhalten verschiedener Farbstoffe
(Bordeaux extra usw.), bei deren Konzentrierung Metachromasie
eintritt. Vorher rot gefärbte Granula enthielten eine zunehmende
Zahl blauer Körnchen — der Farbstoff flockt in den Granulis blau
aus. Durch diese Beobachtungen werden auch Bilder verständlich,
die man bei nicht metachromasierenden Farbstofien erhält. Auch
bier ist bei zunehmender Konzentrierung vielfach in vorher
homogen durchgefärbten Granulis (s. Fig. 2) das Auftreten
kleinster Substanzkörnchen zu beobachten (Fig. 3, Taf. XV). Dass
es sich hier um das Ausflocken des Farbstoffes handelt, darin ist
wohl Schulemann unbedingt beizustimmen.
Durch diese und andere, in früheren eigenen Arbeiten und
den Veröffentlichungen Schulemanns niedergelegte Beobach-
tungen halte ich die Frage der Granulabildung saurer Farbstofie
nach der morphologischen Seite hin für im wesentlichen geklärt.
Anders steht es mit der Morphologie der Granula, die mit
basischen Farbstoflen färbbar sind.
470 Wilhelm von Moellendorff:
III. Morphologie der vitalen Färbung mit basischen
Farbstoffen.
Bezüglich der älteren Literatur verweise ich auf die über-
sichtliche Zusammenstellung Fischels in dem Abschnitt „Vitale
Färbung“ in der Enzyklopädie f. mikr. Techn. Eine wesentliche
Förderung über die dort referierten Angaben hinaus hat unsere
Kenntnis über die Wirkung der basischen Farbstoffe nicht erfahren.
Fischel, dem neben Arnold u.a. ein grosses Verdienst
an dem Ausbau unserer Kenntnisse auf diesem schwierigen Gebiete
zukommt, gibt zu. dass in vielen Fällen eine vitale Färbung mit
basischen Farbstoffen auch „tote“ Zellbestandteile, wie durch
Phagozytose aufgenommene Fremdkörper, Abfallsprodukte des
Stoffwechsels usw. darstellt. Über diese hinaus färben sich aber
nach seiner Ansicht zweifellos auch integrierende Bestandteile
der Zellen, die er deswegen als integrierend betrachtet, weil sie
sich konstant und in „anscheinend unveränderlicher Form im Zell-
leib“ vorfinden; „sie weisen den Farbstoffen gegenüber eine viel
hochgradigere Elektivität auf, als die anderen (Gebilde und finden
sich schliesslich in einzelnen Zellarten in typischer Form und
Anordnung vor“. Sie „bilden zum Teil vielleicht auch einen
lebenden Anteil des Protoplasmas“. Was die Konstanz der Granula
angeht, so ist auf die Erörterung im 2. Abschnitt dieser Arbeit
zu verweisen. Auch dauerndem Wechsel unterworfene Granula
müssen eine annähernd konstante Anordnung in der Zelle ein-
nehmen, da sie an den Bau des Protoplasmas gebunden sind.
Die schwer zu beweisende Konstanz ist also jedenfalls kein Be-
weis für die funktionelle Wichtigkeit eines Strukturelements.
Fischel, der im wesentlichen Vitalfärbung nur mit
basischen Farbstoffen beobachtet zu haben scheint, hebt ferner
mit aller Schärfe hervor, dass auch die letztere Art von granu-
lären Einschlüssen jedenfalls präformiert sei; wir können bei der
eingehenden Kenntnis des Ausfalls der vitalen Färbung mit sauren
Farbstoffen mit aller Bestimmtheit den Satz an den Anfang
unserer Betrachtungen stellen:
Basische Farbstoffe, im Gegensatz zu sauren,
färben, d.h. die Farbstoffe lagern sich an vorher in den Zellen
sichtbare, meist granuläre Bildungen an, während saure Farb-
stoffe im allgemeinen abgelagert werden an Stellen, die vorher
von sichtbaren Strukturelementen nicht eingenommen wurden.
Zur Morphologie der vitalen Granulafärbung. 471
Von diesem Satze ist eine Ausnahme in den Fällen zu sehen,
in denen es nach Fischel zu einem Auskristallisieren der Farb-
stoffsubstanz kommt; bei Anwendung von Bismarckbraun Nilblau-
sulfat und -chlorhydrat scheiden sich in wechselnder Menge in
und zwischen den Zellen Kristallnadeln aus, die nach dem Autor
die normale Funktion in keiner ersichtlichen Weise beeinträch-
tigen. Ob und in welchem Umfange ein Teil der gefärbten
Granula erst durch die Farbeinwirkung entstehen, ist eine ebenfalls
noch nicht entschiedene Frage. Wir werden im Verlaufe der nach-
stehenden Mitteilung die Entstehung derartiger „Kunstprodukte“
teilweise kennen lernen.
Dass eine Färbung präformierter Zellbestandteile vorkommt,
darf heute als so gesichert angesehen werden, dass es eines näheren
Eingehens auf diese Vorgänge nicht bedürfte, wenn wir nicht
an unserem Material eine Reihe von Beobachtungen gemacht
hätten, die meines Erachtens den Mechanismus der Granula-
färbung genauer beleuchten.
Die nachfolgenden, in Kürze mitgeteilten Ergebnisse ent-
stammen Versuchen meiner Frau (Sommer 1915), die auch die
Zeichnungen sämtlich frisch nach dem überlebenden Präparat
anfertigte. Wir arbeiteten mit Quappen von Rana fusca und
esceulenta, die im wesentlichen die gleichen Resultate ergaben;
Verschiedenheiten z. T. interessantester Natur ergaben sich nur
bezüglich des Alters der Larven, worauf öfters eingegangen
werden wird.
Folgende Farbstoffe wurden verwandt:
Neuralrot, Diazingrün,
Nilblausulfat, Naphtholblau,
Bismarckbraun, Nilblauchlorhydrat,
Janusgrün, Methylenblau rectif.,
Toluidinblau, Methylenblau BX,
sämtlich von Grübler in Leipzig bezogen.
Von diesen Farbstoffen ergaben Nilblauchlorhydrat, Diazin-
grün, Toluidinblau, Janusgrün bezüglich der Nieren in unseren
Versuchen ein völlig negatives Resultat bei starker Giftwirkung.
Deshalb wurde von ihrer Anwendung bald abgesehen. Die
stärkere Giftwirkung der basischen Farbstoffe verlangt ganz
allgemein, wie auch Fischel hervorhebt, eine vorsichtige
Dosierung. Wird z. B. Neutralrot in so verdünnter Lösung
472 Wilhelm von Moellendorff:
(ca. 1:300000) angewandt, dass das Wasser noch eben einen
rötlichen Schimmer besitzt, so wird der Farbstoff gut vertragen.
Will man dagegen rasch eine kräftige Färbung erzielen, so ver-
wendet man Lösungen 1:10000 bis 1:50000. In solchen Lösungen
aber werden die Quappen schon nach zwei Stunden sehr matt,
so dass sie nach dieser Zeit spätestens in reines Wasser über-
tragen werden müssen.
In ähnlicher Geschwindigkeit tritt die Farbreaktion mit Nilblau-
sulfat ein. Lösungen 1:300 000 genügen bei jungen Larven schon,
um innerhalb einer halben bis zwei Stunden eine kräftige Granula-
färbung in der Niere hervorzurufen. Bei älteren Individuen scheint
die Reaktion nicht mehr so stürmisch zu verlaufen ; hier konnten
wir erst mit Lösungen 1:30000 kräftigere Färbungen erzielen.
Auch Bismarckbraun färbt in Lösungen 1:10000 bis
1:60000 rasch und kräftig. Dagegen waren unsere Resultate
mit Methylenblau nicht so befriedigend. Hier fand sich an der
Niere nur Pigmentfärbung. In anderen Organen (Darm, Leber
usw.) reagieren auch unpigmentierte, granuläre Einschlüsse mit
dem Methylenblau. An der Niere erzielten wir in unseren aller-
dings mit diesem Farbstoffe nicht sehr zahlreichen Versuchen
keine schönen Färbungen (siehe dagegen Schultze 1888).
Entgegen den Angaben Fischels konnten wir uns nicht
von der langen Haltbarkeit der basischen Färbungen nach Über-
tragung der Versuchstiere in reines Wasser überzeugen. Aller-
dings behält die Haut auffallend lange eine gewisse Färbung,
aber vor allem die Niere zeigt sehr bald (schon nach 24 Stunden)
eine erhebliche Abnahme der zuerst sehr kräftigen Färbungen.
Eine gewisse Menge von Farbe bleibt dann allerdings längere
Zeit in den Zellen erhalten.
Hauptuntersuchungsobjekt war zumeist die Vorniere mit
ihren grossen granulareichen Zellen, besonders deshalb, weil an
ihr auch die sauren Farbstoffe eingelagert werden. Unsere Ver-
suche erstreckten sich vornehmlich auch auf die jüngsten Ent-
wicklungszustände dieses Organs, ohne dass dabei die Ergebnisse
an den übrigen Körperzellen vernachlässigt worden wären.
a) Die vitale Färbung der Dotterplättchen.
Bei Larven, die soeben ihre Gallerthülle verlassen haben,
enthalten die Vornierenzellen ebenso wie alle übrigen Körper-
Zur Morphologie der vitalen Granulafärbung. 4753
zellen reichlich Dotterplättchen. Diese nehmen basische Farb-
stoffe (Neutralrot, Nilblausulfat) mit grosser Avidität auf. Dabei
ist anfangs das ganze Dotterplättchen durchgefärbt und erscheint
gelbrot (die Bilder wiederholen sich in allen Körperzellen, siehe
Bio, A, Ta AV).
Bei etwas älteren Larven (mit sichtbaren äusseren Kiemen)
ändert sich das Bild in auffallender Weise. Trotz gleichartiger
Behandlung (diese Versuche wurden mit ganz dünnen Neutral-
rotlösungen gemacht) ist nur ein geringer Prozentsatz von
Dotterplättchen noch intensiv homogen färbbar. Viel häufiger
erhält man das Bild der Fig. 5: den blass gefärbten Dotter-
plättchen sitzen flache, stark gefärbte Kappen auf, die wohl meist
kreisförmig rund, aber flach gestaltet sind und deshalb bei
Flächen- und Kantenansicht recht verschieden aussehen. Solche
Bilder wurden sowohl dann erhalten, wenn die Quappen in ver-
dünnten Farbstofflösungen bis zum Auftreten dieser Zerfalls-
erscheinungen gehalten wurden, wie dann, wenn entsprechende
Stadien frisch in die Farbstofflösung gebracht wurden. Zu gleicher
Zeit treten in den Zellen neben den Dotterplättchen, die anfangs
neben Pigmentkörnchen die einzigen auffälligen Zelleinschlüsse
darstellen, mit Neutralrot färbbare kleine Granula auf (siehe
Fig. 6, Taf. XV). Auch ungefärbte kleine Granula werden jetzt
sichtbar. Zunächst könnte daran gedacht werden, dass diese eigent-
artigen Zerfallsbilder auf die Farbstoffwirkung zurückzuführen
seien. Die relative Grösse dieser Zelleinschlüsse gestattet aber
mit Sicherheit diese Möglichkeit auszuschliessen. Auch an
ungefärbten. frisch zerzupften Quappen lassen sich alle diese
Bilder erkennen.
Danach zeigt die basische Färbung in diesem Falle einige
bemerkenswerte Punkte: 1. Mit Sicherheit handelt es sich um
eine Färbung präformierter, wohl charakterisierter Zelleinschlüsse.
Die Dotterplättehen — das wird wohl allgemein angenommen —
sind schon der Eizelle in dieser Form beigegebenes Deutoplasma.
das bei dem Zellstoffwechsel als Nährmaterial zu dienen hat,
also eine im wesentlichen passive Rolle spielt.
2. In den physikalischen oder chemischen Eigenschaften der
Dotterplättchen muss es begründet sein, dass sie sich mit Neutral-
rot und anderen basischen Farbstoffen färben — auf diesen
Punkt einzugehen ist hier nicht der Ort.
474 Wilhelm von Moellendorff:
3. Aus den Dotterplättchen tritt eine die basischen Farb-
stoffe besonders kräftig an sich reissende Substanz aus, die offen-
bar als Granulum noch eine Zeitlang erkennbar bleibt (s. Fig. 6
und 7). Diese Tatsache muss besonders bedeutsam erscheinen.
Sie kann in zweierlei Weise verwertet werden. Entweder es
entstehen wirklich aus den Dotterplättchen aktive Orte des
Zellenstoffwechsels, eine Annahme, die mir wenig Wahrschein-
liches für sich zu haben scheint, oder vielmehr: die beobachteten
Umbildungs-- und Übergangsformen aus Dotterplättchen in
typische „Granula“ sind geeignet, der Auffassung eine kräftige
Stütze zu geben, die die mit basischen Farbstoffen in den Zellen
darstellbaren Granula als passive Bestandteile der Zellen ganz
allgemein betrachtet. Mit einer solchen Vorstellung ist die
Anschauung Pfeffersund Ruhlands vereinbar, dass in Pflanzen-
zellen die vitale Reaktion mit basischen Farbstoffen auf dem
Gehalt an Gerbsäure beruhe. Für diese Ansicht sprechen auch
die Resultate meiner unten mitzuteilenden Versuche mit Kombi-
nationsfärbungen. Es darf dabei nicht überraschen, dass bei
älteren Larven in fast allen Zellen Granula in relativ gleich-
förmiger Beschaffenheit angetroffen werden, die zu basischen
Farbstoffen Verwandtschaft besitzen. Denn je weiter der Zerfall
der Dotterplättchen fortschreitet, um so mehr tritt die aktive
Nahrungsaufnahme der Kaulquappe in den Vordergrund; es ist
durchaus vorstellbar, dass nunmehr aus anderen Quellen stammende
Substanzen bei der Verarbeitung in den Zellen in ähnlicher
Form und Verteilung auftreten, wie dies von den Granulis gilt,
die beim Dotterplättchenzerfall in Erscheinung treten. Diese
Auffassung liegt nach den oben beschriebenen Ergebnissen der
Ablagerungsart saurer Farben um so näher, als wir an ihnen
die Fähigkeit des Zellenprotoplasmas erkannt haben, gelöste,
in die Zelle eindringende Substanzen in Granulaform abzu-
lagern.
Die Ergebnisse der Dotterplättchenfärbung betrachte ich
deshalb als wichtig, weil sie uns ein Beispiel geben, wie aus
anerkannt passiven Nahrungseinschlüssen sich Granula ablösen,
die bezüglich ihrer Färbbarkeit die Verwandtschaft mit ihren
Ursprungssubstanzen dartun, bezüglich ihrer Form und Verteilung
aber auffallend ähnlich sind den Granulis, die in allen späteren
Stadien der Entwicklung mit basischen Farbstoffen reagieren
Zur Morphologie der vitalen Granulafärbung. 475
und von anderer Seite (besonders Fischel, Arnold) als aktive
Zellorte aufgefasst werden.
A. Fischel erwähnt ausdrücklich, dass die Dotterplättchen
in Epithelzellen des Schwanzes von Rana-Larven sich mit Methylen-
blau, Bismarckbraun und Neutralrot nicht färben: Methylenblau
färbte nur Pigmentkörnchen, Bismarckbraun einen Teil der in
den Zellen sichtbaren, verschieden grossen Granula hellgelb, mit
Neutralrot liessen sich zwei Arten von Granulis färben: 1. solche,
die offenbar den Bismarckbraungranulis entsprechen, daneben
2. ganz feine Granula. Die Dotterplättchen blieben gänzlich
ungefärbt.
Die Ergebnisse Fischels stehen aber nur scheinbar im
Gegensatz zu den meinigen: denn seine Quappen waren, nach
der Grösse zu schliessen, die er auf S—10 mm angibt schon
wesentlich älter als das von mir erfolgreich verwandte Material.
Auch ich konnte zeigen, dass mit dem durch das Wachstum und
die weitere Entwicklung bedingten Zerfall der Dotterplättchen
ihre Färbbarkeit aufhört und an die teilweise offenbar aus ihnen
entstandenen kleinen Zelleranula übergeht.
Hinzufügen möchte ich noch, dass es auch sehr gut gelingt,
noch in der Gallerthülle befindlichen Laich mit Neutralrot,
Nilblausulfat usw. zu färben, und dass es hier ausschliesslich
die Dotterplättchen sind, die eine intensive Färbung annehmen.
b) Die vitale Färbung der Zellgranula.
Nach Verlust des Dotters in den Zellen ist die Färbung
wesentlich verschieden von der anfangs geschilderten. Am
wenigsten unterscheidet sich die Geschwindigkeit des Färbungs-
eintrittes. Nach zahlreichen Vorversuchen wurde für Neutralrot
die Konzentration 1:50000, Nilblausulfat 1:300000, Bismarck-
braun 1:15000 gewählt; die genauesten Beobachtungen wurden
mit Neutralrot gewonnen.
Um zahlreiche präformierte, schön runde, verschieden stark
lichtbrechende Granula ordnen sich ganz kleine, scharf abgegrenzte,
intensiv gefärbte Granula an. Die eigenartige kranzförmige
Anordnung dieser ersten Granula findet eine Analogie in der
Anordnung, die vielfach die Pigmentgranula besitzen (vgl. Fig. 8
und 9).
Diese Analogie in der Lagerung soll hier nur erwähnt werden,
476 Wilhelm von Moellendorff:
ohne dass damit zwischen beiden Bildungen eine möglicherweise
in Betracht kommende Identität behauptet werden soll. Die
Pigmentfrage ist zu verwickelt, um hier nebenher aufgerollt zu
werden.
Die beobachtete ringförmige Anordnung feinster Granula
ist aber, wo sie beobachtet wird, stets eine vorübergehende
Erscheinung. Kurze Zeit später tritt unter allmählicher Durch-
färbung der präformierten, anfänglich noch ungefärbten Granula
der Farbstoff aus den zuerst beobachteten Umstellungsgranulis aus.
Typische, in diesem Stadium angetroffene Granulabilder zeigt
Fig. 9. Im weiteren Verlaufe der Färbung mit Neutralrot
ändert sich das Bild immer mehr zugunsten der homogen durch-
gefärbten Granula, die anfänglich beobachteten Umstellungsbilder
verschwinden völlig. Die zuerst nur hell durchgefärbten prä-
formierten Granula werden mit weiterem Zutritt basischen Farb-
stoffes immer dunkler und bekommen damit das Aussehen von
schwarzroten, ungelösten Farbstoffmassen.
Diese von uns vielfach beobachtete Reihenfolge in der
Ausbildung der Granulafärbung ergänzt in manchen Punkten
die von A. Fischel (1900) und anderen Autoren gegebene
Darstellung. Eine anfängliche Anhäufung der Farbstoffe am
Rande der Granula beschreibt Fischel sehr eingehend bei den
Granulis der Leydigschen Zellen, wo er mit Bismarckbraun
und Nilblauchlorhydrat im Anfange der Färbung intensive, ring-
förmig die Granula umgebende Farbstoffanhäufungen beobachtete,
die im weiteren Verlaufe der Färbung bei Bismarckbraun wieder
verschwinden, indem an ihre Stelle eine hellere Durchfärbung
der Granulasubstanz tritt. Bei Nilblauchlorhydrat haben die
Ringe einen violetten Farbenton.
Bis zu diesem Stadium geht bei der Neutralrotfärbung die
Ablagerung von statten. ohne dass die Zellen wesentliche Ver-
änderungen in Form und Lagerung ihrer Granula erkennen
liessen. Im weiteren Verlaufe, bei noch längerer Einwirkung
des Farbstoffes oder bei Anwendung zu hoher Konzentrationen
verstärkt sich die Färbung natürlich sehr, nicht jedoch ohne
gleichzeitig intensiv eingreifende Veränderung in dem ganzen
Aussehen der Zellen hervorzubringen. Die vorher einzeln liegenden
Granula klumpen sich mit benachbarten zu traubenförmigen
Bildungen zusammen, um die herum sich Vakuolen bilden, die
Zur Morphologie der vitalen Granulafärbung. 477
schliesslich beträchtliche Dimensionen erreichen können. Von
solchen Bildungen wird hier ganz abgesehen, sie gehören sicherlich
schon in den Bereich grober pathologischer Veränderungen.
Von vielen Einzelheiten in der Färbung, besonders von den
vielfach beobachteten Schwankungen soll hier nicht die Rede
sein; nur kurz soll erwähnt werden, dass der Pigmentgehalt der
Zellen von grossem Einfluss auf den Färbungsvorgang ist, indem
die Pigmentgranula selbst einer intensiven Farbstofispeicherung
fähig sind, wie schon Fischel sicher beobachtet hat.
Die geschilderten feineren Vorgänge bei der vitalen Granula-
färbung mit basischen Farben hätten nun nur geringes Interesse,
wenn es nicht gelungen wäre, die Bedeutung dieser Erscheinungen
zu erkennen.
IV. Die Färbung saurer Farbstoffgranula durch
basische Farbstoffe.
Schon in der Arbeit von E. Herztfeld (1916) ist eingehend
dargelegt worden, dass basische Farbstoffe dann erheblich anders
wirken, wenn dem Versuchstiere vorher ein saurer Farbstoff, der
zur Granulabildung befähigt ist, eingegeben worden war. Sie
konnte die eigenartigen Angaben von R. Hoeber und E.Königs-
berg (1905) aufklären und durch mannigfach abgeänderte Ver-
suchsbedingungen zeigen, dass in diesen Fällen der basische
Farbstoff an die Granula des sauren angelagert wird. Der basische
Farbstoff wird von den ihm sonst zugänglichen Granulis durch
die Anwesenheit der den sauren Farbstoff enthaltenden Granula
abgelenkt.
Dies Ergebnis wird nur erhalten, wenn der saure Farbstoff
während der Zufuhr des basischen schon in der Zelle abgelagert
ist; bei den Versuchen am erwachsenen Tiere ist deshalb ein
reines Versuchsergebnis schwer zu erzielen, sofern man auf die
Injektion der Farbstoffe angewiesen ist. Lässt man z. B. Wasser-
blau, einen sauren Farbstoff, eine bestimmte Zeit einwirken. bis
es sicher zu Granulabildung gekommen ist, und injiziert darauf
Neutralrot, so werden zunächst alle Wasserblaugranula von Neutral-
rot überfärbt ; allmählich macht sich aber der Überschuss des
basischen Farbstoffes geltend, es kommt zur Farbstoffablagerung
auch an ungefärbten Zellgranulis. Diese Färbung der genuinen
Archiv f.mikr. Anat. Bd.90. Abt. 1. 32
478 Wilhelm von Moellendorff:
Zellgranula tritt aber erst nach Absättigung sämtlicher in der
Zelle enthaltenen Wasserblaugranula auf.
Eigenartig und bei näherer Überlegung für die Auffassung
der Granulafärbung von höchstem Interesse war das Ergebnis der
umgekehrten Versuchsanordnung; nach Ausschaltung aller, der
Natur der Versuche entspringenden Mängel, konnte gezeigt werden,
dass ein saurer Farbstoff, der einem mit Neutralrot gefärbten
Versuchstiere subkutan injiziert wurde, nicht von seiner gewohnten
Wirkungsweise abgelenkt wurde.
Der Erhebung dieses Ergebnisses standen erheblich grössere
Schwierigkeiten im Wege; um noch eine genügend starke basische
Färbung bei Versuchsende beobachten zu können, war es erforder-
lich, die Injektion des sauren Farbstoffes schon zu einer Zeit
folgen zu lassen, wo noch beträchtliche Mengen des basischen
Farbstoffes im Blute kreisten. Es war also vorauszusehen, dass
die sich neu bildenden Granula des sauren Farbstoffes zu einem
Teile von dem ständig noch die Zellen durchsetzenden basischen
Farbstoffe überfärbt werden würden. Dieser Vorstellung ent-
sprachen auch die Ergebnisse der Versuche Herzfelds, in denen
nur unter günstigen Verhältnissen neben rein basisch gefärbten
und Mischgranulis auch solche Granula beobachtet wurden, die
den sauren Farbstoff rein enthielten. Näheres über die damaligen
Ergebnisse muss in der Originalarbeit nachgesehen werden.
a) Vitale Versuche an Kaulquappen.
Zur Ergänzung dieser Versuche teile ich hier noch eine
ähnliche Fragen behandelnde Versuchsreihe besonders deshalb mit,
weil es uns gelungen ist, in die feinere Morphologie auch dieser
Vorgänge einzudringen. Die erwähnten Schwierigkeiten, die einer
Beurteilung der Kombinationsversuche mit basischen und sauren
Farbstoffen besonders in den Fällen entgegenstanden, wo der
basische Farbstoff dem sauren vorangeschickt wurde, mussten weg-
fallen, wenn es gelang, eine Versuchsanordnung zu erzielen, bei
der einerseits die basische Färbung dauerhaft genug ist, um
die beträchtliche Zeit in Anspruch nehmende Färbung mit sauren
Farbstoffen zu überstehen, bei der andererseits die Zufuhr des
basischen Farbstoffes dann wirklich abgeschnitten ist, wenn die
Einwirkung des sauren Farbstoffes beginnt. Solche Bedingungen
herzustellen, ermöglichten Versuche mit Kaulquappen.
Zur Morphologie der vitalen Granulafärbung. 479
Ich habe schon a. a. ©. (1916,1) ausgeführt, dass entgegen
früheren Ansichten (Fischel) eine vitale Färbung mit sauren
Farbstoffen auch an diesem für Versuche so bequemen Materiale
gelinet; man muss nur darauf achten, dass die Farblösung nicht
zu schwach ist und dass der durch Diffusionsversuche zu ermit-
telnde Dispersitätsgrad der Lösung den geeigneten Wert besitzt.
Die Technik ist im übrigen denkbar einfach: man bringt die
(Juappen in Lösungen der Farbstoffe in gut abgestandenem
Brunnenwasser (in Konzentrationen von 1:1000—10000), wo die
für saure Farbstoffe charakteristische Ablagerung in Sternzellen,
Hauptstücken der Vor- und Urniere, Histiozyten nach 2—5—8
Tagen, je nach dem angewandten Farbstoffe beginnt. Die Ab-
lagerung erreicht im Verlaufe von Monaten ganz beträchtliche
(Grade, ohne dass die Tiere erkennbare Schädigungen davontrügen ;
eine nennenswerte Verzögerung in der Entwicklung der Quappen
gegenüber normalen Tieren wird durch die Farbstoffeinwirkung
nicht verursacht.
Bei der frischen Untersuchung ist besonders auf die Kon-
zentration der als Zusatzmedium zu verwendenden Kochsalzlösung
zu achten; je nach dem Alter der Quappen muss dieselbe variiert
werden. In jedem Falle ist bei diesem Material die für die
erwachsenen Froschgewebe isotonische Konzentration von 0,65°/o
hypertonisch. Nach zahlreichen Versuchen verwandte ich bei
(Quappen mittleren Entwicklungsgrades eine 0,32°/sige Kochsalz-
lösung. Bei noch jüngeren Tieren muss noch eine schwächere
Konzentration genommen werden.
Ein Blick auf Fig. 10—12 genügt, um schlagend die Richtig-
keit der in der Herzfeldschen Arbeit gezogenen Schlüsse zu
erweisen. Fig. 10 zeigt zwei Zellen der Vorniere eines Tieres,
das lange Zeit in einer starken Trypanblaulösung gelebt hatte.
Im Protoplasma liegen meist schön runde, von kleinsten Pigment-
körnchen umstellte Trypanblaugranula.. Nach einstündiger Ein-
wirkung von Neutralrot auf ein Tier der gleichen Kultur erhält
man das Bild der Fig. 11; sämtliche Trypanblaugranula sind violett
umgefärbt, reine Neutralrotgranula sind noch nicht zu erkennen.
Sie kommen dagegen nach vierstündiger Neutralroteinwirkung in
reichlicher Menge zum Vorschein (Fig. 12). Unter den unge-
färbten Trypanblaugranulis finden sich teilweise solche, diedie Neu-
tralfarbe in einem helleren Mischton enthalten; sie sind als
32*
450 Wilhelm von Moellendorff:
einfache Mischgranula aufzufassen im Gegensatz zu den fast
schwarzen, opaken Granulis, die den Mischfarbstoff ausgefällt ent-
halten. Die gleichen Möglichkeiten der Mischfärbung fand Herzfeld
in ihren Versuchen an erwachsenen Fröschen und Mäusen.
Sehr viel klarer und beweisender als an erwachsenen Tieren,
bei denen man zur direkten Einverleibung der Farbstoffe in den
Tierkörper gezwungen ist, sind an unserem Material die Ergeb-
nisse bei umgekehrter Anwendung beider Farbstoffarten. Fig. 13
zeigt neben rein blauen Granulis, die das saure Wasserblau
unvermischt enthalten, rein rote mit Neutralrot gefärbte Granula.
Die letzteren sind der Überrest einer ursprünglich sehr starken,
der Kaulquappe zuerst beigebrachten Neutralrotfärbung. Die später
in der Zelle abgelagerten Wasserblaugranula sind keine Bindung
mit dem Neutralrot, das an die Zellgranula gebunden war, einge-
gangen.
Die Versuche waren in folgender Weise angestellt worden:
nach zweistündigem Aufenthalt in einer Neutralrotlösung 1:30000
kamen die Quappen in Wasser für einen Tag; in der Wasser-
blaulösung (1:5000) ist nach 4 Tagen eine deutliche Bildung
von blauen Granulis zu erkennen: zu keiner Zeit wurde ein
Mischgranulum beobachtet.
Für diese Farbstoffkombinationen ergibt sich also folgende
Auffassung, die auch von Herzfeld vertreten wurde:
1. Der in einer Zelle abgelagerte saure Farb-
stoff behält seine Reaktionsfähigkeit mit basischen
Farbstoffen innerhalb der Granula bei.
2. Der an Zellgranula gebundene basische
Farbstoff besitzt innerhalb des Granulums nicht
mehr die Fähigkeit, mit sauren Farbstoffen zu rea-
gieren, er muss demnach an die Granulasubstanz
verankert sein.
Man darf nun nicht erwarten, mit beliebigen basischen und
sauren Farbstoffen in den Zellen eine Reaktion erzielen zu können.
An dem Kaulquappenmaterial gelang uns die Reaktion bei folgenden
Farbstoffkombinationen ausnahmslos: Trypanblaumit nachfolgender
Färbung durch Neutralrot und Bismarckbraun, Wasserblau-Neu-
tralrot, Vitalneurot-Nilblausulfat. Dabei ist es für den Ausfall
der Reaktion gleichgültig, ob der basische Farbstoff vital oder
supravital angewandt wird. Im einzelnen ergeben sich natürlich
Zur Morphologie der vitalen Granulafärbung. 481
für die einzelnen Farbstoffe charakteristische Verschiedenheiten,
die aber für unsere Frage nicht von Belang sind. Später zu
berichtende Versuche an Mäusen mit einem ausgedehnten Farb-
stoffmaterial werden die Bedingungen genauer kennen lehren,
die für die Wirkungsweise der verschiedenen Farbstoffe in Be-
tracht kommen.
Niemals ist es mir gelungen, an mit Neutralrot oder Bismarck-
braun gefärbten Tieren durch nachträgliche Behandlung mit
Wasserblau oder Trypanblau eine Umfärbung der einmal ge-
färbten Neutralrotgranula zu erzielen. Auch wenn Trypanblau
supravital, also in bedeutend stärkerer Konzentration als im
vitalen Versuche an die mit Neutralrot gefärbten Zellen heran-
gebracht wird, wird niemals auch nur eine Spur des blauen,
sauren Farbstoffes in das mit basischem Farbstoff beschickte
Granulum hineingezogen, Im Gegenteil scheint die durch die
Anwesenheit des Trypanblau in dem Aussenmedium hervor-
gerufene stark saure Reaktion das Neutralrot schneller aus
seinen Granulis herauszuziehen, als dies unter normalen Um-
ständen beim Absterben der Zellen geschieht, es bildet sich in
solchen Versuchen sehr rasch eine rötliche Diflusfärbung unter
Verschwinden der granulären Neutralrotfärbung aus.
b) Supravitale Versuche an Kaulquappen: die Granulafärbung
ist ein reaktiver Vorgang.
Um die feineren Vorgänge bei der Wirkung basischen
Farbstoffes auf abgelagerten sauren Farbstoff zu beobachten,
ist es zweckmässig, den basischen Farbstoff supravital anzu-
wenden, weil die Reaktion die ersten Stadien sehr rasch durcheilt;
am besten nimmt man die Vorniere aus dem Tiere und setzt
den basischen Farbstoff erst zu, wenn man eine zur Untersuchung
geeignete Stelle mit Ölimmersion eingestellt hat. Die Unter-
suchungen haben uns im wesentlichen zwei Arten des Reaktions-
ablaufes kennen gelehrt, die allerdings zu dem gleichen Ziel,
der Ausflockung eines Reaktionsgemisches zwischen saurem und
basischem Farbstoff führten.
In dem einen Falle verursacht der Zutritt des basischen
Farbstoffes eine Fällung am Rande der sauren Granula. Fig. 14,
Taf. XVI zeigt den Ablauf der Reaktion in den Zellen einer mit
Wasserblau vital beladenen Urniere, der supravital Neutralrot
452 Wilhelm von Moellendorff:
zugesetzt wurde. Bei a ein reines Wasserblaugranulum, bei b
erste Neutralrotwirkung: Randfällung; die Stelle c zeigt die
durch Hineindiffundieren des basischen Farbstoffes immer mehr
zunehmende Umfärbung des sauren Granulums, die schliesslich
bei d zur völligen Rotfärbung der Granula geführt hat.
Eine Abweichung von diesem Typus, der, wie man sieht,
eine völlige Übereinstimmung mit den Stadien einer einfachen
vitalen Granulafärbung mit Neutralrot aufweist, zeigt die Reaktion
des Oxydasefarbstoffes auf Granula von Bordeaux (Weiler ter Meer).
Fig. 15 zeigt bei a die roten Granula von feinsten Fällungs-
granula umstellt ; durch völlige Erreichung des Neutralpunktes (b)
ändert sich das Bild, indem unter vollständigem Abblassen des
Granuluminhaltes die Ausflockung des Neutralproduktes voll-
ständig wird.
Ganz ähnliche Bilder bekommt man bei Verwendung stark
verdünnter Oxydasereagenzien auch an normalen Zellen, wie auch
z.B. S. Graeff (1912) beobachtet und beschrieben hat. Auch
er zeigte, dass der Farbstoff an der Oberfläche präformierter
Granula in feinsten Körnchen abgelagert wird. Er glaubt trotz-
dem, dass die Oxydasewirkung eine Eigenschaft der Granula sei,
wenn er sich auch nicht unbedingt für diese Ansicht entscheiden
kann. Die Möglichkeit, die Oxydasewirkung auch an sauren Farb-
stoffgranulis zu erzielen, dürfte erweisen, dass der Vorgang der
Farbstoffbildung unter der Einwirkung der Oxydase abzutrennen
ist von der Fixation des fertigen Farbstoffes an die Granula.
Beide Vorgänge sind offenbar an verschiedene Substrate der
Zelle geknüpft.
Ähnlich sind die Vorgänge in Fig. 16 und 17, Taf. XV1.
Besonders lehrreich ist Fig. 16, die die Neutralrotwirkung auf
ein mit Trypanblaugranulis versehenes Vornierenkanälchen
darstellt. Von links nach rechts sind hier fast schematisch die
verschiedenen Stadien der Wirkung des basischen Farbstoffes
zu erkennen. Bei a, wo noch kein Neutralrot hingekommen
war, sind noch unvermischte Trypanblaugranula erhalten; das
erste Stadium der Neutralrotwirkung lässt hier aber Randfällungen
vermissen; der ganze Inhalt des Granulums wird violett und
etwas opak,ohne dass eine deutliche Substanzausflockung zunächst
zu erkennen wäre. Unter immer stärkerem Überwiegen des
roten Farbstoffes wird bei c der Granulainhalt immer deutlicher
Zur Morphologie der vitalen Granulafärbung. 4853
inhomogen, um bei d endlich unter Entfärbung der Lösung aus
einzelnen rotbraun gefärbten Körnchen zu bestehen. Hier hatte
der basische Farbstoff schon am längsten Zeit, seine Wirkung zu
entfalten.
Ganz ähnlich ist Fig. 17 zu verstehen, die die Wirkung
von Nilblausulfat auf Neuvitalrotgranula zeigt. Hier ist der
Vorgang besonders gut zu verfolgen durch die Stadien a, b, c,
weil die Granula des sauren Farbstoffes in dieser Urniere eine
bedeutende Grösse erreicht hatten.
Die beiden geschilderten Typen des Reaktionsverlaufes sind,
wie mich einige Beobachtungen lehren, nicht prinzipiell ver-
schieden ; ob die Reaktion nach dem ersten oder dem zweiten
Typus verläuft, hängt wesentlich von der Konzentration ab, in
der der basische Farbstoff an den sauren herantritt. Setzten
wir z.B. dem Präparate einer Wasserblauvorniere vorsichtig
vom Rande aus Neutralrot zu, so blieb die anfängliche Rand-
fällung aus, es kam gleich zu einer diffusen Durchfärbung des
Granuluminhaltes, worauf erst nachträglich der Granulainhalt in
der Gesamtheit ausflockte. Beschleunigten wir dagen den Farb-
zutritt durch leichtes Anheben des Deckglases, so traten momentan
die typischen Randfällungsbilder auf. Die Erklärung für diesen
Einfluss der Konzentration geben Reagenzglasversuche ab. Nur
am Neutralpunkt tritt völlige Ausfällung des Neutralproduktes ein.
Geringer Überschuss des sauren oder des basischen Farbstoffes
bringt das Neutralprodukt in Lösung; besonders trifft dies zu,
wenn der eine der Farbstoffe hochkolloidal ist; in unserem Falle ist
Wasserblau ein grobdisperser Farbstoff.
Tritt nun an ein Granulum, in dem Wasserblau in relativ
hoher Konzentration enthalten ist, Neutralrot in schwacher
Konzentration heran, so wird die geringe Menge des jeweils
gebildeten Neutralproduktes stets rasch von dem Überschuss des
sauren Farbstoftes gelöst; erst wenn durch genügenden Zutritt
des basischen Farbstoffes der Neutralpunkt erreicht ist, wird das
ganze (sranulum inhomogen, das Neutralprodukt flockt aus.
Zutritt des basischen Fabstoffes in starker Konzentration
dagegen verursacht handfällung, wobei nun eine Umfärbung des
Granuluminhaltes vor vollständiger Ausflockung desselben anzeigt,
dass die anfängliche Menge des zugetretenen basischen Farb-
stoffes noch nicht genügt hat, um die ganze Menge des sauren
484 Wilhelm von Moellendorff:
Farbstoffes zu kompensieren. Vollständige Randausfällung spricht
entweder für starke Konzentration des basischen Farbstoftes oder
für schwache Konzentration des sauren Farbstofies in den Granulis.
Endlich zeigen die basischen Farbstoffe auch eine verschieden
starke Fällungskraft.
Besonders hinweisen möchte ich noch auf das prinzipiell
gleichartige Verhalten des Oxydasefarbstoffes.
Die Reaktion wurde nach der v. Gierckeschen Vorschrift
für die supravitale Methode angestellt.. Ich muss mir versagen,
an dieser Stelle genauer auf den Ablauf der Oxydasereaktion
einzugehen, da mich dies zu weit von dem hier behandelten
Thema abführen würde.
Die Tatsache, dass die Oxydasereaktion auch an Granulis
erhalten wird, die sicherlich nicht zu dem normalen Inhalt der
Zellen gehören, sondern die Lösung eines Fremdstoffes enthalten,
lehrt. dass wohl zum Zustandekommen der Oxydasefärbung eine
aktive Granulatätigkeit nicht notwendig ist. In der Färbe-
wirkung gleicht die Oxydasefärbung einer basischen Vital- oder
Supravitalfärbung fast völlig. Ich bin mir aber bewusst, dass
zur Bildung des Farbstoffes gleichwohl eine aktive Tätigkeit des
(sewebes angenommen werden muss: wird ja doch durch das
Vorhandensein von Gewebsstücken die Bildung des Farbstofies
aus seinen Komponenten gegenüber einer einfachen Mischung
beider Komponenten, die man an der freien Luft stehen lässt,
erheblich beschleunigt! Die Oxydasewirkung, die zur Bildung
des Farbstoffes notwendig ist, scheint jedoch, das lehren meine
Ergebnisse, nicht eine Funktion der färbbaren Granula zu sein,
sondern vielmehr des aktiven, zwischen den Granulis gelegenen
Protoplasmas der Zellen.
Die hier genauer geschilderten Einzelvorgänge bei der
Reaktion eines basischen Farbstoffes mit granulär im lebenden
Organismus abgelagertem sauren Farbstoff stimmen so auffallend
mit den oben insbesondere für Neutralrot genau beobachteten
Bildern überein, dass ich gleich anfangs geneigt war, aus diesen
Versuchen auf das Wesen der vitalen Granulafärbung mit
basischen Farbstoffen Rückschlüsse zu ziehen. Die Reaktion des
basischen Farbstoffes mit den in der normalen Zelle vorkommenden
Granulis einerseits, den in der gleichen Zellart erzeugten künst-
lichen Granulis aus saurem Farbstoff andererseits, hat morpho-
Zur Morphologie der vitalen Granulafärbung. 485
logisch betrachtet so viel Übereinstimmendes, dass der Schluss sehr
nahe liegt, es handle sich in beiden Fällen um identische Vorgänge.
Die weitere auffallende Übereinstimmung der Kombinations-
wirkung saurer und basischer Farbstoffe auf die Granula mit
dem Ausfall der Reagenzglasversuche, in denen saurer mit basi-
schem Farbstoff zusammengebracht wurde, eine Übereinstimmung,
auf dieE. Herzfeld zuerst eingehend hingewiesen hat, lassen
es als sehr wahrscheinlich gelten, dass wir in der Auflagerung des
basischen Farbstoffes auf den granulär abgelagerten sauren Farb-
stoff eine Reaktion beider Farbstoffe miteinander zu sehen
haben, wobei ein „Lebendzustand“ des Granulums oder eine
besondere vitale Tätigkeit desselben nicht notwendig ist. Der
ganze Vorgang würde also lediglich die Möglichkeit erweisen,
dass man innerhalb der lebenden Zelle das Reaktionsprodukt
zwischen einem sauren und einem basischen Farbstoffe gerade
so gut wie im Reagenzglase erzeugen kann.
Die im vorigen Absatze erwähnte Übereinstimmung dieses
Reaktionsvorganges mit dem Verlaufe der basischen vitalen und
supravitalen Färbung würde aber unseren Kombinationsversuchen
bezüglich der Auffassung der Granulasubstanz, wenigstens der-
jenigen Granula, die der supravitalen und vitalen basischen
Färbung zugänglich sind, eine grössere Tragweite verleihen.
Man könnte zum mindesten aus der erwähnten Parallele schliessen,
dass zum Zustandekommen der Granulafärbung eine besondere
vitale Tätigkeit der Granula nicht notwendig ist; dass also
die Möglichkeit der Farbstofispeicherung keineswegs als ein
spezifisch vitaler Vorgang aufgefasst werden kann, wenigstens nicht
von seiten der Granula.
Ehe ich aber mit Sicherheit aus den oben erwähnten Ver-
suchen diese Schlüsse zog, mussten noch weitere Versuche an-
gestellt werden, die, wie ich hoffe, den Weg zur Lösung dieser
vielfach bearbeiteten schwierigen Probleme zeigen.
V. Supravitale Färbungen an Mäuseorganen: Die
Färbbarkeit der sauren Farbstofigranula und nor-
maler Zellgranula durch basische Farbstoffe sind
analoge Vorgänge.
Wie oben schon ausgeführt wurde, war besonders in
den Versuchen mit Kaulquappen nur mit einer Auswahl von
486 Wilhelm von Moellendorff:
basischen Farbstoffen eine Granulafärbung zu erzielen; der vitale
Versuch ist zwar zweifellos für viele Fragen, besonders für die
Frage der Vitalität des Färbungsbildes, entscheidend; andererseits
stören, wenn man möglichst rein die Reaktion der Zellgranula
auf basische Farbstoffe prüfen will, die vitalen Eigenschaften
der Zelle, an der Spitze die Oxydations- und Reduktionskraft der
Zellen empfindlich die Beurteilung der Versuche. In viel ge-
ringerem Maße ist diese Schwierigkeit den supravitalen Ver-
suchen eigen. Andererseits lehren die zahlreichen Versuche
früherer Autoren, insbesondere die sorgfältigen Arbeiten Arnolds,
dass bei den vital wirkenden Farbstoffen durchweg ein ent-
sprechendes Färbeergebnis auch supravital entstehen kann,
vorausgesetzt, dass die richtigen Bedingungen hergestellt werden.
Bei allen diesen Versuchen handelt es sich in erster Linie darum, die
richtige Konzentration des Farbstoffes anzuwenden, die einerseits
genügt, um in nicht zu langer Zeit die Granula zu färben,
andererseits nicht zu stark ist, so dass eine zerstörende Wirkung
auf das Protoplasma ausgeübt wird.
Für mich kam es in erster Linie darauf an. zu untersuchen,
ob bei einer grösseren Reihe von Farbstoffen tatsächlich eine
Parallele besteht zwischen der Fähigkeit, in der normalen Zelle
Granula zu färben, und der Fähigkeit, mit saurem Farbstoffe,
der während des Lebens in den Zellen in granulärer Form ab-
gelagert worden war, in Reaktion zu treten. Hierzu bedurfte
es nur der supravitalen Methode, die vor allem beträchtlich viel
weniger mit Mühe verknüpft ist; so konnte ich zur Erreichung
ausreichender Ergebnisse mit einer viel kleineren Anzahl von
Versuchstieren auskommen.
Zu den Versuchen verwandte ich weisse Mäuse, die ent-
weder ohne Vorbehandlung sofort nach der Tötung durch Chloroform
zu supravitalen Färbeversuchen genommen wurden; in anderen
Fällen wurde der Untersuchung eine ausgiebige Behandlung mit
sauren Farbstoften vorangeschickt. Die Beobachtungen erstreckten
sich auf Leber und Niere, beides Organe, in denen erfahrungs-
gemäss saure Farbstoffe intensiv abgelagert werden.
Abgesehen von der Untersuchung normaler Mäuse, wurde
die Färbungstendenz basischer Farbstoffe an Mäusen beobachtet,
die mit folgenden sauren Farbstoffen vorbehandelt waren: Trypan-
blau, Wasserblau, Pyrrholblau, Neuvitalrot, Brillantkongo.
Zur Morphologie der vitalen Granulafärbung. 487
Von allen gut löslichen basischen Farbstoffen wurde eine
n/10000-Lösung angewandt ; eine Reihe von Farbstoffen löst sich aber
in Wasser so schlecht, dass sich nicht einmal eine n/1000-Lösung
herstellen lässt. In diesen Fällen wurde darauf geachtet, dass
die Farblösung etwa so intensiv gefärbt erschien, wie die übrigen
Farbstofflösungen. Als Ausgangslösung diente in der Regel eine
n/100-Lösung, von welcher durch Verdünnen mit 0,96 °/o iger
Kochsalzlösung die geeignete Versuchskonzentration hergestellt
wurde.
Von den verwandten basischen Farbstoffen lieferte
die Aktien-Gesellschaft für Anilin-Fabrikation,
Berlin: Kristallviolett 6B Pulver,
die Badische Anilin- und Soda-Fabrik, Ludwigshafen:
Irisamin G extra, Rhodamin B extra, 3B extra, S extra,
Safranin B extra, Viktoriablau B, R, 4 RS,
die Höchster Farbwerke: Auramin conz., Malachitgrün
Krist. chem. rein, Rhodamin O, Vesuvin 4BG conz., Methylen-
grün extra gelbl. O,
die Farbwerke Durand & Huguenin A.-G.. Basel: Basler
Blau BB, Chrysoidin R, Muskarin,
die Farbenfabriken vorm. Fr. Bayer, Leverkusen: Capriblau
GON, Diamantfuchsin kl. Krist.. Methylenblau BB, Methyl-
violett 5B,
die Firma L. Cassella, Frankfurt a. M.: Indazin M,
die Firma R. Geigy, Basel: Neublau R,
die Firma Sandoz, Basel: Prune pure,
die Firma Kalle & Co.. Biebrich a. Rhein: Rosanilin Base,
die Firma Fr. Merck, Darmstadt: Thionin (Ehrlich),
die Firma Leonhardt, Frankfurt a. M.: Acridinrot 3B.
Den genannten Firmen sage ich auch an dieser Stelle für
die bereitwillige Überlassung von Proben dieser und vieler anderer
Farbstoffe zu meinen Versuchen aufrichtigen Dank. Durch
' Überlassung von Farbstoffproben haben mich ferner folgende
Firmen zu grossem Danke verpflichtet: die Basler chem.
Fabriken, Weiler-ter-Meer, Ürdingen.
Ausserdem wurden von Grübler in Leipzig bezogen:
Bismarckbraun, Methylenblau rectif.. BX, Neutralrot, Nilblau-
chlorhydrat, Nilblausulfat, Toluidinblau,
von Kahlbaum, Berlin: Rhodamin B, Rhodamin G extra.
488 Wilhelm von Moellendorff:
Aus der Tabelle auf S. 489, in der die Ergebnisse der
Versuche bezgl. der Granulafärbung zusammengestellt sind,
ergibt sich zunächst die bekannte Tatsache, dass nicht alle
basischen Farbstoffe in gleicher Weise zur Granulafärbung ge-
eignet sind; die Farbstoffe sind in der Tabelle annähernd nach
der Güte der Granulafärbung geordnet. Welche Eigenschaften
der basischen Farbstoffe dieselben zur Granulafärbung befähigen
näher zu umschreiben, soll Gegenstand einer besonderen Mitteilung
sein.
Hier möge nur zum Verständnis der Tabelle auf die Be-
grifte eingegangen werden, die zur Bezeichnung der Färbeergeb-
nisse bei den einzelnen Farbstoffen gewählt wurden.
Die Bezeichnung „fehlt“ wurde dann erteilt, wenn nur
eine starke Diffusfärbung der Zellen eintrat, die, wenn es über-
haupt zu einer Granulafärbung kam, jedenfalls so stark war, dass
die Granulafärbung nicht zum Ausdruck kam. Waren saure
Farbstoffgranula in den Zellen eingelagert, so war oft zu be-
obachten, dass der basische Farbstoff die Granula ganz frei liess.
„Schlecht“ ist die Granulafärbung dann, wenn gleichzeitig
mit einer Granulafärbung eine beträchtliche Diftusfärbune des
Protoplasmas eintrat.
„Mittel“ soll bedeuten, dass wohl gleichzeitig mit der
Granulafärbung eine diffuse Farbstoffverbreitung auch im übrigen
Protoplasma sich ausbildete, dass aber die Ditfusfärbung in ihrer
Stärke gegen die Granulafärbung bedeutend zurücktrat.
„aute“* Granulafärber sind alle Farbstoffe, die sich in erster
Linie an Granula anlagern, während eine Diftusfärbung entweder
längere Zeit ganz ausbleibt, oder nur sehr schwach zum Aus-
druck kommt.
Die Einteilung der Farbstoffe ist hier also im wesentlichen
nach dem Grade der Elektivität einer Granulafärbung erfolgt.
Als wichtigstes hier in Betracht kommendes Ergebnis der Ver-
suche betrachte ich, dass in keinem Versuche, in dem statt normaler
Granula die Granula eines sauren Farbstoffes den Zellen ein-
gelagert waren, die granulafärbende Eigenschaft eines Farbstoftes
verschlechtert worden wäre. Ganz ausnahmslos gilt die Regel,
dass in allen Fällen, wo saure Farbstoffe granulär den Zellen
eingelagert sind, der basische Farbstoff, sofern er beim normalen
Tiere granulär färbt, an die Granula des sauren Farbstoffes
Zur Morphologie der vitalen Granulafärbung.
489
Granulafärbung bei
Basischer
Farbstoff |normalem| Brillant- | Neuvital- | Trypan- Wasser- | Pyrrhol-
Tier kongo rot blau blau blau
|
Rhodamin © fehlt | fraglich |
Safranin B |
extra| fehlt schlecht | ' fraglich
Rosanilin
Base| fehlt schlecht | schlecht
Diamant- |
fuchsin | fehlt schlecht | schlecht fehlt
Acridinrot 3B| fehlt schlecht | schlecht | schlecht
Irisamin G | |
extra| fraglich | schlecht schlecht | schlecht
Rhodamin G | |
extra] fraglich |
Rhodamin B | schlecht schlecht | schlecht |
Rhodamin B |
extra | schlecht | | schlecht |
Rhodamin 3B |
extra | schlecht | |
Chrysoidin R| schlecht | mittel mittel mittel
Malachitgrün | mittel gut gut gut gut
Viktoriablau
4RS| mittel mittel |
Capriblau G0N| mittel gut
Indazin M mittel gut gut |
Auraminconz.| mittel gut eut | gut
Vesuavin 4BG| mittel gut |
Methylviolett
5B| mittel gut gut gut
Kristallviolt. mittel gut gut gut |
Viktoriablau |
B| mittel gut |
Bismarck-
braun | mittel gut gut gut
Neublau R gut gut gut gut
Muskarin gut gut gut
Viktoriablau
R gut gut
Nilblausulfat gut gut gut
Methylenblau
BX gut gut |
Basler Blau
BB 1 gut
Neutralrot gut gut gut gut gut
Methylenblau
BB gut gut gut
Methylengrün
extra gelbl.O gut gut gut gut |
Toluidinblau gut gut gut gut
Nilblauchlor- |
hydrat gut gut
Methylenblau
rectif. gut gut gut
Thionin gut
490 Wilhelm von Moellendorff:
gezogen wird. Diese Beobachtung bestätigt also die Befunde
Herzfelds und erhebt diese wohl zur allgemeinen Regel.
Sofern also saure Farbstoffe in einer Gewebszelle Granula
gebildet haben, wird ein Granula färbender basischer Farbstoff
zuerst so lange an diesen sauren Farbstoffgranulis verankert,
bis diese letzteren abgesättigt sind. Erst dann, nach intensiver
Umfärbung der sauren Farbstoffgranula, kommt es zu einer
Färbung zelleigner Granula. Auch diese bei anderem Material
genauer beobachtete Erscheinung bestätigte sich in diesen Ver-
suchen ausnahmslos.
Auch bei diesen Versuchen sah ich die mannigfaltigsten
Bilder während der Reaktion der basischen mit den sauren
Farbstoffen; teils werden homogen erscheinende Mischgranula
beobachtet, teils kommt es zu typischen Randfällungen, endlich
auch zu vollkommener Ausfällung, erkennbar an fast schwarzer
undurchsichtiger Färbung der Granula.
Die genaue Betrachtung der Tabelle lehrt noch weiter, dass
die basischen Farbstoffe in ihrer Tendenz, sich an Zellgranula
zu lagern, zumeist verstärkt werden, wenn die Zellgranula aus
saurer Farbstoftlösung bestehen. Besonders kommt diese Tatsache
zum Ausdruck bei den schlechten Granulafärbern (Rhodamin OÖ
bis Chrysoidin R in der Tabelle S. 489). Auch die Farbstoffe
Malachitgrün bis Bismarckbraun, beim normalen Tiere mittelgute
Granulafärber, sind für saure Farbstoffgranula ausgezeichnete
Färber: die Granulafärbung eilt in diesen Fällen der Diftusfärbung
viel rascher voraus als bei den zelleigenen Granulis eines mit
sauren Farbstoften nicht behandelten Tieres.
VI Schluss:
Für die vitale Färbung mit basischen Farbstoffen
ist nur die chemische oder kolloidchemische Struktur
der Granula massgebend, keine besondere vitale
Tätigkeit derselben.
Fasse ich kurz das mir wesentlich Erscheinende an diesen
Versuchen zusammen, so komme ich zu folgenden Schlüssen :
1. Es besteht eine ausnahmslose Parallelität zwischen
der Färbbarkeit normaler, in tierischen Zellen vorkommender
Granula mit solchen, die durch den Eintritt saurer Farb-
Zur Morphologie der vitalen Granulafärbung. 491
stoffe in die Zellen gebildet werden, wenn man zur Färbung
basische Farbstoffe anwendet. 2. Die feineren Vorgänge zur
Zeit der Färbung sind bei zelleigenen und sauren Farbstoff-
granulis identisch und bestehen in allmählicher Zumischung des
basischen Farbstoffes zu der Granulumsubstanz bis zur Absätti-
gung, wobei je nach der angewandten Konzentration der Farb-
stoffe mehr oder weniger deutliche Fällungsbilder erhalten werden.
3. Vergleicht man die Färbungsergebnisse, die man mit einer
grösseren Reihe basischer Farbstoffe an zelleigenen Granulis
einerseits, an sauren Farbstoffgranulis andererseits erhält, so
ordnen sich die Farbstoffe in gleicher Reihenfolge.
Es ergibt sich also, dass die durch basische Farbstoffe vital
und supravital färbbaren Granula den künstlich durch Eingabe
saurer Farbstoffe erzeugbaren Granulis analoge Bildungen sind.
Nimmt man weiter an, dass die sauren Farbstoffe abgelagert
werden, ohne dass hierzu besondere präformierte Granula in
Betracht kommen, eine Annahme, die m. E. so gut wie sicher
ist —, so muss notgedrungen nach den Ergebnissen meiner neuen
Versuche zugegeben werden, dass die durch die basische
Vital- und Supravitalfärbung dargestellten Granula
passive eingelagerte Substanzen sind, denen beson-
dere aktive Eigenschaften für die Funktionen der
Zellen nicht zugesprochen werden können.
Dieses Ergebnis deckt sich dem Sinne nach fast vollständig
mit der von Evans und Schulemann (1915) ausgesprochenen
Vermutung, dass die sauren Farbstoffgranula gewissen Zell-
granulationen analog zu betrachten seien. Nur halte ich diese
Vermutung nunmehr für experimentell erwiesen. Gleichzeitig
muss ich aber, um Verwirrungen von vornherein vorzubeugen,
mit aller Entschiedenheit darauf hinweisen, dass von Chondrio-
somen (d. i. plastosomalen Substanzen) in diesem Zusammenhang
keine Rede sein kann. Die Plastosomen halte ich mit der Mehr-
zahl der Autoren (siehe Duesbergs Referat) für der Zelle wesent-
liche konstante Bildungen, die die Fähigkeit einer Farbstoff-
speicherung nur ausnahmsweise zu besitzen scheinen.
Wenigstens kann dies mit Bestimmtheit für die hier ge-
nauer untersuchten Zellen der Leber und der Niere gesagt
werden. In den Hauptstücken der Niere, in denen typische
Chondriokonten (die Heidenhainschen Stäbchen) schon im
492 Wilhelm von Moellendorff:
frischen Präparate leicht zu erkennen sind, geht der basische
Farbstoff nie an diese Bildungen, so lange wenigstens eine
postmortale Veränderung auszuschliessen ist; Arnold beschreibt
allerdings eine stäbchenartige blasse Färbung mit Methylenblau,
die aber der Granulafärbung erst langsam nachfolgte. Dass auch
die sauren Farbstoffe trotz der bestimmten Versicherung von
Gross, Aschoff und seiner Schule nicht von den Stäbchen
gespeichert werden, glaube ich in meiner Nierenarbeit ausreichend
nachgewiesen zu haben, besonders durch die gleichzeitige Dar-
stellung der Farbstoffgranula und der Stäbchen im Altmann-
präparat. Eine Kontrolle der durch Vitalfärbung erhaltenen
Bilder durch gleichzeitige typische Darstellung der plastosomalen
Gebilde sollte in allen den Fällen unternommen werden, wo eine
Identität der vitalfärbbaren Granula mit Plastosomen ausge-
sprochen werden soll.
Worauf die Färbungen der Stäbchen in den Nierenzellen
und anderer Plastosomen mit Januserün (Laguesse 1912u.a.)
beruht, vermag ich mangels eigener Erfahrungen nicht anzugeben.
Es ist eine mich ausreichend befriedigende Anschauung,
anzunehmen, dass im normalen Zellenleben, als Begleiterscheinung
des Stoffwechsels, eine wechselnde Ablagerung von Substanzen
in granulärer Form statthat: wir können nach den Farbstoff-
versuchen darauf schliessen, dass diese Substanzen offenbar einen
Dispersitätsgrad besitzen müssen, der dem der zur Ablagerung
befähigten sauren Farbstoffe annähernd entspricht. Ferner
können wir nach dem Verhalten dieser granulär abge-
lagerten Substanzen zu basischen Farbstoffen annehmen. dass
es sich um saure Substanzen handelt. Die ihnen eigentüm-
liche Azidität kann nicht sehr gross sein, jedenfalls ist sie wohl
geringer als die der zu meinen Versuchen verwandten sauren
Farbstoffe, da die Granulafärbung bei allen diesen sauren Farb-
stoffen gegenüber der normalen Granulafärbung durch basische
Farbstoffe wesentlich verstärkt wurde.
In der Tabelle S. 489 sind bzgl. der Granulafärbung nur
graduelle Unterschiede, nicht prinzipielle Besonderheiten
der Färbung vermerkt. In der Tat konnte ich bei meinem Material
prinzipielle Verschiedenheiten (Färbung verschiedener Granulaarten
durch verschiedene Farbstoffe usw.) nicht beobachten. Im lebenden
Organismus scheinen dagegen solche spezifische Affinitäten vor-
Zur Morphologie der vitalen Granulafärbung. 495
zukommen. Ich erinnere z. B. daran, dass Amphibienlarven aus
einem Gemische von Neutralrot und Methylenblau den ersten
Farbstoff in Granulis fast sämtlicher Hautzellen speichern,
während Methylenblau von den Granulis einer bestimmten Zellart
immer wieder bevorzugt wird (A. Fischel 1901). Dies Ver-
halten scheint ohne weiteres nicht erklärlich, ausser wenn man
chemische besondere Affinitäten anzunehmen geneigt ist. Solchen
müsste aber genauer nachgegangen werden. Unmöglich wäre
diese Auffassung nicht, wenn auch meine weiteren Arbeiten,
über die in dem folgenden Artikel berichtet werden soll, gezeigt
haben, dass anscheinend nur der Grad der Fällungskraft des
basischen Farbstoffes für den Ausfall der Granulafärbung be-
deutungsvoll ist. Es wäre jedenfalls nunmehr, nachdem ein ge-
nügender Anhalt für die Auffassung der Granulafärbung als
eines Reaktionsvorganges gewonnen ist, systematisch den „spezi-
fischen Affinitäten“ nachzugehen. Nach den Anschauungen, die
ich mir nach den später zu schildernden Versuchen zu bilden
gezwungen war, neige ich dazu, die „spezifischen Affinitäten“
auf den Einfluss des Milieus zurückzuführen, das die Granula
umgibt. Es ist sehr wohl denkbar, dass Methylenblau vital nur
da färbt, wo dieser sehr leicht entfärbbare Farbstoff sich halten
kann; es ist weiter gut vorstellbar, dass verschiedene Zellproto-
plasmen in verschiedenem Grade befähigt sind, den eindringenden
Farbstoff zu entfärben. Der Farbstoff könnte also sehr wohl an
und für sich eine stärkere Affinität zu sämtlichen Zellgranulis
besitzen als Neutralrot, lässt nur die Granula der meisten Zellen
ungefärbt, weil er beim Eintritt in diese Zellen sofort entfärbt
wird. Neutralrot, der viel beständigere Farbstoff entfaltet da-
gegen ungestört seine Granulafärbung, ohne in nennenswerter
Weise reduziert zu werden. Es wäre also immerhin denkbar,
dass die Erklärung für scheinbare Spezifitäten in der an-
gedeuteten Weise ausfallen müsste. Diese Besonderheiten be-
dürfen aber noch genauer Untersuchung.
Ganz kurz hindeuten möchte ich an dieser Stelle auch auf
das vielfach erörterte Verhalten der oft metachromatisch färbenden
Substanzen. Ein konkretes Beispiel bietet Neutralrot, das wie
schon oft hervorgehoben worden ist, die Granula in allen Tönen
von gelbrot bis violettrot färbt. Zweifellos lässt dies Verhalten,
wie auch schon Ehrlich hervorhob, einen Schluss auf den
Archiv f. mikr. Anat. Bd.%. Abt.I. 33
494 Wilhelm von Moellendorff:
wechselnden Reaktionszustand der färbbaren Zellorte zu. Das
erwähnte Verhalten des Neutralrot steht aber nicht im Wider-
spruch zu der Ansicht, dass bei der Granulafärbung ein Reaktions-
vorgang abläuft.
Ich habe schon angedeutet, dass die Vereinigung des
basischen mit dem sauren Farbstoff im Reagenzglas vollständig
nachgeahmt werden kann. Es ist noch nicht entschieden, ob bei
dieser Verbindung eine Salzbildung statthat, oder ob eine kolloid-
chemische gegenseitige Fällung der ganzen Farbstoffe anzunehmen
ist. Von dem Ergebnis der Erforschung der Reaktionsweise von
Farbstoffen entgegengesetzter Ladung untereinander wird es
abhängen, welche Vorstellung wir uns von dem Vorgang
der Granulafärbung machen sollen. Tritt Lackbildung ein
(M. Heidenhain), so müsste die freie Farbstoffbase mit der
Granulasubstanz eine neue Verbindung eingehen, die dann in
der Regel die gleiche Farbe aufweist, wie das zum Versuche
verwandte Farbstoftsalz. Die z. B. bei Neutralrot so wechselnde
Tönung der gefärbten Granula würde in diesem Falle einem
wechselnden Grade von Ionisation der neuen Verbindung innerhalb
des Granulums entsprechen; durch Anwesenheit von Alkali
würde die Dissoziation unter Freiwerden der Farbstoffbase be-
günstigt werden, wodurch der Farbton nach Gelbbraun ver-
schoben würde. Die Blaurotfärbung würde einer geringeren
Dissoziation entsprechen, die in schwach saurer Lösung der
Granulafarbverbindung anzunehmen wäre. Zu dieser Erklärung
stimmen die Ergebnisse meiner Versuche sehr gut. Aber auch
bei Annahme einer Kolloidfällung würden sich der Erklärung
keine nennenswerten Schwierigkeiten in den Weg stellen.
Man muss sich vorstellen, daß die Reaktion. d.h. ein
stärkerer oder schwächerer Grad der Dissoziation des Farbsalzes,
bei der Färbung eine grosse Rolle spielen wird. Darauf lassen
besonders auch schon vorhandene Untersuchungen (Brodersen
1914, A.Bethe 1906 u.a.) schliessen, die den grossen Einfluss
eines minimalen Säure- oder Alkalizusatzes auf Färbungen dar-
taten. Diese Untersuchungen müssten systematisch fortgeführt
werden und würden einen guten Prüfstein für die Richtigkeit
meiner Anschauungen abgeben.
Aus der Tatsache, dass es mit allen untersuchten basischen
Farbstoffen, die für sich allein gewisse Granula in den Nieren-
Zur Morphologie der vitalen Granulafärbung. 495
zellen färben, gelang, vital in den Zellen eingelagerte saure
Farbstoffgranula zu überfärben, dass weiterhin eine ausnahms-
lose Parallelität zwischen der Fähigkeit, normale Granula und
saure Farbstoffgranula zu färben, bei allen untersuchten basischen
Farbstoften verschiedenartigster Konstitution gefunden wurde,
halte ich mich für berechtigt, diese Kategorie von Granula für
inaktive Elemente der Zelle zn halten.
Ob diese Auffassung für alle wirklich vital, d.h. ohne
wesentliche Beeinträchtigung des Zellenlebens färbbaren Granula
durchgeführt werden kann, ist noch nicht klar zu entscheiden.
Dass die von Fischel (1900) angeführten Gründe für eine
aktive Bedeutung der von ihm bei Amphibienlarven gefärbten
Granula nicht ausreichen, habe ich bereits oben (S. 470) dar-
gelegt und ist auch schon von anderer Seite hervorgehoben worden
(s. M. Heidenhain 1911). Ich kann es mir hier umso mehr ver-
sagen, auf alle so sehr verschiedenartigen Deutungen, die die ba-
sisch färbbaren Granula von den verschiedenen Untersuchern er-
fahren haben, einzugehen, als ich demnächst in einem umfassenden
Referat über das gesamte Gebiet der vitalen Färbung (Merkel
und Bonnets Ergebnisse) ausführlich auf diese Fragen eingehe.
Von der Mehrzahl der heutigen Forscher als funktionell
wichtig angesehene Strukturelemente der Zelle, Zellkern, Zentro-
soma, Baselkörperchen der Zilien, Plastosomen färben sich nicht vital.
Beobachtungen über vitale Zellkernfärbungen sind zahlreich
in der Literatur zu finden, ich halte es für möglich, dass bei
Protozoen (Brandt, Przesmycki, Prowazek u.a.) und bei
manchen Pflanzen (Campbell u.a.) mit einer Reihe von Farb-
stoffen Kernfärbungen zu erzielen sind, ohne dass komplizierte
Verrichtungen der Zellen (Kernteilung, Körnchenströmung usw.)
sofort unmöglich gemacht werden. In diesen Fällen aber handelt
es sich, wie Fischel sehr richtig hervorhebt, stets nur um
eine difiuse Durchtränkung, also Lösung des Farbstoffes im
Kernsaft in schwacher Konzentration. Ausserdem ist nicht aus-
zuschliesen, ob trotz scheinbar normalen Ablaufes der Lebens-
erscheinungen nicht doch Störungen, für uns nur unsichtbar, in
der Zelle Platz gegriffen haben.
Die bei höheren Organismen gefundenen Kernfärbungen im
lebenden Tiere betreffen dagegen stets, wie man heute sicher
weiss, grob geschädigte oder gar abgestorbene Zellen.
33*
496 Wilhelm von Moellendorff:
Über eine vitale Färbung von Zentrosomen habe ich in der
Literatur bisher keine Angabe gefunden.
Vitale Färbungen der Basalkörnchen der Zilien sind an
Protozoen (Puetter u. a.) und an den Wimperzelien von
Metazoen (R. Krause) beobachtet worden. Über die Bedeutung
des ersteren Befundes steht mir kein Urteil zu, in den Versuchen
an Metazoenzellen handelt es sich aber sicherlich um eine Färbung
absterbender Zellen, bei denen allerdings der Geisselschlag noch
eine Zeitlang erhalten bleibt.
Was endlich die Plastosomen anlangt, so scheint mir aus
den vorhandenen Mitteilungen tatsächlich hervorzugehen, dass
besonders mit Janusgrün solche Gebilde in der unfixierten Zelle
dargestellt worden sind. Seit Michaelis, der zuerst mit diesem
Farbstoff die Plastosomen in Speicheldrüsenzellen darstellte. sind
bis in die neueste Zeit an den verschiedensten Zellen (Knorpel-.
Samen-, Drüsenzellen usw., worüber genauere Angaben in meinem
Referat) Strukturen mit Janusgrün gefärbt worden, die mit den
Plastosomen in Gestalt und Anordnung so grosse Ähnlichkeit
haben, dass man kaum umhin kann, die Identität beider Bildungen
zuzugeben. So viel mir bekannt, ist diese Färbung bisher noch
nicht im lebenden Organismus erzielt worden ; Michaelis zeigte
ja auch, dass Janusgrün im lebenden Organismus zum grossen
Teil zerstört wird. Auffällig ist auch die lange Dauer bis
zum Eintritt der Plastosomenfärbung im supravitalen Versuche
(30—40 Minuten). Da ich selbst bisher über ausgedehntere
Erfahrungen mit diesem Farbstoffe nicht verfüge, vermag ich
ein bindendes Urteil über diese Vorgänge nicht abzugeben. Ich
glaube aber, dass die Färbung in jedem Falle die absterbende
Zelle betrifft und vermutlich auf anderen Vorgängen beruht
als die in Rede stehenden Färbungen mit dem von mir ver-
wandten basischen Farbstoffe.
Einige kurze Bemerkungen noch zu dem Arnoldschen
Begriffe Plasmosomen: Arnold glaubt, dass die mit Neutralrot
und Methylenblau von ihm vital gefärbten Granula umgewandelte
Plasmosomen seien, also kleinste Strukturelemente der Zellen zur
Grundlage haben, die besonders deutlich durch ihre Verbindung
mit Stoffwechselprodukten der Zellen, auch von aussen den Zellen
zugeführten Substanzen wie Fett, Eisen usw. in Erscheinung
treten. Ob tatsächlich für diese Strukturen eine solche Grund-
Zur Morphologie der vitalen Granulafärbung. 497
lage angenommen werden muss, ist äusserst schwer zu ent-
scheiden. Was aber die für die Arnoldschen Gebilde charak-
teristischen Erscheinungen anlangt, aus denen gerade auf Ihre
Bedeutung als eines für das Zellenleben wichtigen und unent-
behrlichen Strukturelementes geschlossen wurde, so geht aus
meinen Untersuchungen wohl mit Sicherheit hervor, dass zum
Zustandekommen der vitalen Färbbarkeit eine aktive Tätigkeit
der Granula nicht angenommen zu werden braucht. Denn erstens
laufen die gleichen Erscheinungen wie an diesen Granulis auch
an Tröpfehen einer sauren Farbstofflösung ab, die vital in die
Zellen eingelagert wurde; und zweitens kann man die Erschei-
nungen, die sich zwischen saurem und basischem Farbstoff
innerhalb der Zellen abspielen, im Reagenzglas völlig nachahmen
und aus physikalisch-chemischen Beziehungen zwischen diesen
beiden Substanzen erklären. Der weitere Schluss, dass zum
Zustandekommen der basischen Vitalfärbung nur die Existenz
eines reaktionsfähigen Stoffes in den Granulis erforderlich sei,
ist demnach wohl berechtigt.
Nach diesen Darlegungen könnte es scheinen, als wenn die
Vitalität der Zellen bei dem Zustandekommen der besagten
Färbungsserscheinungen überhaupt keine Rolle spielte. Dies
wäre aber ein Schluss, der mit den allgemeinen Erfahrungen
in keiner Weise in Einklang zu bringen wäre. Diese Art der
Granulafärbung ist zweifellos für die lebende Zelle charakte-
ristisch und ist nicht mehr zu beobachten, wenn die Zelle ab-
gestorben ist. Die Grenze, wo für diesen Fall das Leben der Zelle
aufhört, ihr Tod beginnt, ist naturgemäss sehr schwer zu defi-
nieren.
Ich finde ein gutes Beispiel, wie man sich den Einfluss des
Lebenszustandes der Zellen auf den Ausfall der Granulafärbung
vorstellen kann, in den Versuchen über die Färbbarkeit phago-
zytierter Massen, die zuerst von Hofer (1890) mit Erfolg be-
gonnen, später von Plato weiter ausgebaut wurden. Ersterer
beobachtete, dass abgestorbene Infusorien sich mit Bismarck-
braun nur ganz hellgelb färben, nach ihrer Aufnahme in den
Amöbenkörper aber intensiv färbbar werden ; aus diesen Be-
funden geht deutlich hervor, dass das lebende Protoplasma es
ist, das durch die Produktion einer den Nahrungskörper durch-
dringenden (nach unseren jetzigen Erfahrungen sauren) Substanz
498 Wilhelm von Moellendorff:
dem Infusor die Färbbarkeit verleiht. Der gleiche Schluss lässt
sich aus Platos Versuchen über die Färbbarkeit intra- und
extrazellulärer Gonococcen mit Neutralrot ziehen.
Ebenso wie hier die Fähigkeit des Protoplasmas erwiesen
ist, intrazellulär saure Substanzen abzuscheiden, so liegt die
Annahme nahe, dass auch ohne das Vorhandensein eines phago-
zytierten Fremdkörpers eine intrazelluläre Abscheidung saurer
Substanzen (Eiweisse, Fettsäuren) möglich ist. Dass alle färb-
baren Granula phagozytierte Massen seien, braucht und kann
man nicht annehmen.
Noch in vielen anderen Beziehungen wirkt der Lebens-
zustand der Zelle auf das Ergebnis der Farbstoffreaktion ein. Die
vielfach beobachteten Anzeichen von reduzierenden und oxydieren-
den Eigenschaften des Zellenprotoplasmas stehen unter diesen
Eigenschaften ebenan; sie stören am meisten die Beurteilung der für
einen Farbstoff typischen Reaktionsweise mit bestimmten Zell-
bestandteilen. In einer weiteren, fast abgeschlossenen Mitteilung
werde ich darzulegen haben, dass neben diesen zum Teil noch
kaum exakt fassbaren Eigentümlichkeiten des lebenden Proto-
plasmas, auch bestimmte physikalische Zustände des zwischen
den Granulis gelegenen Protoplasmas von bestimmendem Einfluss
auf das Ergebnis der Granulafärbung sind. Besonders der Gehalt
an Lipoiden in demselben ist von grosser Bedeutung. Diese
später genauer zu erörternden Beziehungen und die in der vor-
liegenden Mitteilung niedergelegten Beobachtungen über den
Mechanismus der Granulafärbung lassen es schon heute als sicher
erscheinen, dass die Granulafärbung mit basischen Farbstoften von
seiten der Granula ein passiver Vorgang ist. Nur die chemische
Struktur der Granula ist von ausschlaggebender Bedeutung.
Aktiv eingreifen kann in den physikalisch-chemischen Vor-
gang der Färbung nur das intergranuläre Protoplasma dadurch,
dass es den Farbstoff zerstört. Daneben machen sich von seiten des
intergranulären Protoplasmas Einflüsse geltend, die ihre Ursache
in der physikalischen Zusammensetzung des Protoplasmas haben.
Nicht die Granula also sind es, die als Träger des Stoff-
wechsels in der Zelle zu betrachten sind, sondern das inter-
granuläre Protoplasma. In diesem spielen sich alle wichtigen
Vorgänge des Zellenlebens ab. Welche Rolle hierbei den Plasto-
somen zukommt, muss unentschieden bleiben.
10.
11.
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13.
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Zur Morphologie der vitalen Granulafärbung. 501
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Erklärung der Abbildungen auf Tafel XV und XVl.
Sämtliche Abbildungen sind nach frischen, unfixierten Präparaten mit
Zeiss Apochr. Imm. 2 mm und Komp.-Ok. 4 gezeichnet; die Vergrösserung
betrug 920. Material: verschieden alte Quappen von Rana temporaria und
esculenta.
Fig. 1. Zwei Zellen eines Vornierenkanälchens; die Quappe hat ca. 4 Wochen
in einer Trypanblaulösung (1:10000), darauf 2 Tage in einer
Vitalneurotlösung (1:5000) gelebt. Ablagerung rein hellroter
Granula neben den alten, dunklen Trypanblaugranulis.
Fig. 2 und 3. Zellen aus der Wand eines Urnierenkanälchens ; Fig. 2 mit
homogenen Granulis nach viertägigem, Fig. 3 nach sechstägigem
Aufenthalt in einer Lösung von Wasserblau (1:5000); bei Fig. 3
Kolloidausflockung.
Fig. 4 Zwei Zellen einer frisch aus der Gallerthülle geschlüpften Quappe,
die sich in Neutralrotlösung entwickelt hatte; neben feinen Pigment-
körnchen verschieden stark homogen durchgefärbte Dotterplättchen.
Fig. 5. Zelle aus dem 2. Abschnitt eines Vornierenkanälchens einer etwas
älteren Quappe (mit eben sichtbaren äusseren Kiemen), die sich
in verdünnter Neutralrotlösung entwickelt hatte. Dotterplättchen
mit Randkappen, die viel intensiver gefärbt sind als die übrige
Masse des Plättchens; Zerfallserscheinungen an den Dotterplättchen.
Fig. 6 und 7. Zellen aus dem Glaskörper aus demselben Tier wie Fig. 5;
Fig. 6 zeigt neben zerfallenden Dotterplättchen Granula, Fig. 7
nur noch Granula.
Fig. 8. Vorniere einer ca. 12 mm langen Kaulquappe, Neutralrot 1: 300000,
24 Std.; kranzförmige Anordnung der Neutralrotgranula um präfor-
mierte Granula der Zellen; bei b eine Granulagruppe stärker ver-
grössert.
Fig. 9. Vorniere einer Kaulquappe gleichen Alters wie Fig. 8, Neutralrot
1:30000, */s Std.; neben Bildungen wie in Fig.8 beginnende
Durchfärbung der präformierten Granula.
Fig. 10. Vorniere einer älteren Kaulquappe nach ca. vierwöchentlichem
5 Aufenthalt in einer Trypanblaulösung 1:10000; Kranzförmige An-
ordnung von Pigmentgranula um die Trypanblaugranula.
Fig. 11. Vorniere einer Trypanblaukaulguappe wie in Fig. 10 nach ein-
stündigem Aufenthalt des Tieres in einer Lösung von Neutralrot
1:30000; sämtliche Trypanblaugranula sind zu violetten Massen
ausgefällt.
502
Fig.
Fig.
Fig.
Fig.
Fig.
Fig.
12.
13.
14.
16.
Wilhelm von Moellendorff:
Vorniere einer Trypanblauquappe wie in Fig. 10 nach vierstündigem
Aufenthalt in einer Lösung von Neutralrot 1:30000; nach Aus-
fällung sämtlicher Trypanblaugranula sind zahlreiche andere Zell-
granula durch Neutralrot gefärbt.
Urniere einer älteren Kaulquappe ; dieselbe war nach zweistündigem
Aufenthalt in Neutralrot (1:30000) in reines Wasser für 24 Stunden
übertragen worden, worauf sie noch 4 Tage in Wasserblau (1 :5000)
lebend gehalten wurde. Neben den Überresten der anfänglich
starken Neutralrotfärbung sind die Wasserblaugranula entstanden,
ohne dass beide Farbstoffe in den Granulis miteinander reagiert
hätten.
Zellen“aus einer mit Wasserblau vital beladenen Urniere; bei a
reines Wasserblau-Granulum; b bis d verschiedene Stadien der
Umfärbung nach Zusatz von Neutralrot (supravital); bei b erste
Wirkung-Randfällung, bei ce beginnende Umfärbung des Granulum-
inhaltes, bei d vollkommene Rotfärbung der Wasserblaugranula.
Alle Stadien der Farbwirkung rühren von der gleichen Urniere her.
Urnierenzellen mit vitaler Ablagerung von Bordeaux (Weiler-ter-
Mer), nach Zusatz des Oxydasegemisches nach v. Giercke:
a zeigt die anfänglichen Stadien der Reaktion: Fällungsgranula
an der Oberfläche der sauren roten Granula; durch weitere Ein-
wirkung des Oxydasefarbstoffes wird der saure Farbstoff an der
Oberfläche seines Granulums vollständig ausgeflockt. so dass das
Granulum selbst farblos wird (b).
Vornierenkanälchen mit Einlagerung von Trypanblaugranula ; supra-
vitale Neutralrotwirkung. Durch allmähliches Eindringen des
basischen Farbstoffes sind alle Stadien der Umfärbung nebeneinander
ausgebildet. a zeigt unveränderte Trypanblaugranula, b Umfärbung
derselben durch den ersten zudringenden basischen Farbstoff; bei
c beginnende, bei d vollständige Ausflockung des Neutralproduktes.
x Zellkerne.
Urnierenkanälchenzellen mit vitaler Ablagerung von Neuvitalrot,
supravitale Einwirkung von Nilblausulfat; die über Kerngrösse
angewachsenen Granula werden bei a durch den ersten hinzu-
getretenen basischen Farbstoff ausgeflockt, bei b werden die Flocken
durch reichlicher hinzuströmenden basischen Farbstoff dunkler;
nach der völligen Ausflockung sammeln sich die Flocken an der
Oberfläche des im übrigen farblos gewordenen Granulums an.
x— Zellkerne.
503
Aus dem Anatomischen Institut zu Greifswald.
Die Bedeutung von sauren Kolloiden und Lipoiden
für die vitale Farbstofibindung in den Zellen.
Von
Wilhelm von Moellendorff.
(Abgeschlossen Oktober 1916.)
Inhalt: Seite
r. Einleitung NEBEET . 503
. Über die Granuläfärbung berdet de Fällungskraft nl lem. 505
a) Der Einfluss der Farbstoffkonstitution auf die Granulafärbung 505
b) Direkte Messung der Fällungskraft basischer sauren
DD
Farbstoffen . . . . . 508
3. Die Diffusfärbung der nisse as Proialaemas in len
Versuchen. .... .. DIR ee in EL ei)
Die Batsachen?. . . . ‚910
> Der Grad der Diftuefkrhing ae von ee Dispereitäs der Farb-
stoffe nicht abhängig ; das Problem der Zellpermeabilitätt . . 515
c) Die Diffusfärbung ist von den Zellipoiden abhängig . . . . 921
4. Die Lipoidlöslichkeit verschlechtert die Elektivität der Ghnulafärheng
durch: basische Karbstoley ar ey. 2 303 ls aa as DER
5. ZusammenfassungsundeAuBäbze . ..... irn une ae 6
6. Literaturverzeichnis . . . . . EP a AL Ra RE ER |
I. Einleitung.
In der vorangehenden Arbeit in dieser Zeitschrift habe ich
zu begründen versucht, dass die vitale und supravitale Färbung
mit basischen Farbstoffen als Reaktion des basischen Farbstoffes
mit sauren, granulär in den Zellen abgelagerten Substanzen auf-
zufassen sei. Die Gründe, die ich in der erwähnten Mitteilung
anführte, waren morphologischer und experimenteller Art. Mor-
phologisch verläuft der Vorgang der Granulafärbung unter Fällungs-
erscheinungen, die besonders gut an den grossen Granulis embryo-
naler Amphibienzellen beobachtet werden können, aber auch z. B.
an den Granulis von Zellen der Mäuseniere deutlich werden. Es
504 Wilhelm von Moellendorff:
konnte ferner gezeigt werden, dass die Anfärbung saurer Farb-
stoffgranula unter den gleichen Erscheinungen abläuft, wie die
der zelleigenen Granula, dass somit die sauren Farbstoffgranula
geradezu als analoge Bildungen mit den basisch färbbaren Zell-
granulis aufzufassen sind. Es wurde daraus geschlossen, dass
zum Zustandekommen der basischen Granulafärbung besondere
vitale Eigenschaften der Granula nicht erforderlich sind, dass
vielmehr nur das Vorhandensein eines sauren reaktionsfähigen
Körpers in den Granulis Voraussetzung für die Vereinigung mit
dem basischen Farbstoff ist. In einem Falle ist dieser Körper
(als saurer experimentell eingelagerter Farbstoff) bekannt, seine
Beziehungen zu dem zur Färbung gewählten basischen Farbstoff
also in vitro erforschbar; die Eigenschaften der zelleigenen Granula
dagegen lassen sich aus der gleichartigen Reaktionsweise auf
denselben basischen Farbstoff bis zu einem gewissen Grade er-
schliessen. Die vitale Ablagerung saurer Farbstoffe in den Zellen
ist daher geeignet, ein sehr brauchbares Mittel zur Erforschung
der Zellgranula zu werden.
Zweifellos ist die Parallele zwischen der Färbbarkeit der
Zellgranula und der künstlich in den Zellen abgelagerten sauren
Farbstoffe überraschend vollkommen; das lehrt die in der erwähnten
Mitteilung auf Seite 489 abgedruckte Tabelle. Es war damit die
Möglichkeit gegeben, die Art der Reaktionsweise der basischen
Farbstoffe mit den Zellgranulis näher zu erforschen.
Eine kurze Überlegung und die Betrachtung der bereits
bekannten Tatsachen über die Wirkungsweise der Farbstoffe zeigt,
dass abgesehen von den Eigenschaften der beiden miteinander
reagierenden Substanzen (basischer Farbstoff und saurer Farbstoff,
resp. saure Granulasubstanz) noch mindestens ein besonderer
Faktor zum Zustandekommen der vitalen Granulafärbung not-
wendig ist. Denn eine der eigenartigsten Seiten dieses Vorganges
ist es ja, dass unter einer grossen Zahl bisher versuchter Farb-
stoffe sich nur relativ wenige als geeignet herausgestellt haben.
Ehe also nicht gefunden ist, wovon die Reaktionsweise der basi-
schen Farbstoffe mit den Zellgranulis in so vielen Fällen ungünstig
beeinflusst wird, kann die bisher hauptsächlich morphologisch
erschlossene Ansicht von der Bedeutung kolloidchemischer Re-
aktionen bei dem Zustandekommen der vitalen Granulafärbung
nicht als bewiesen gelten.
Die Bedeutung von sauren Kolloiden und Lipoiden. 505
Es ist also die schon vielfach aufgeworfene, bislang aber
nicht befriedigend gelöste Frage, welchen Eigenschaften unsere
guten vitalen Granulafarbstoffe diese ihre Eignung verdanken, die
ich durch meine Versuche einer Lösung näher zu bringen hoffe.
II. Über die Granulafärbung entscheidet die Fällungs-
kraft nicht allein.
a) DerEinfluss der Farbstoffkonstitution auf die Granulafärbung.
Nachstehend sind die von mir verwandten basischen Farb-
stoffe mit den Molekulargewichten aufgeführt, die nach den
Angaben in den Farbstofitabellen von Schulz und Julius be-
rechnet wurden.
Triphenylmethanfarbstoffe
Diamantfuehsin kl.'Krist.: (Bayer) . . . us „and .91D 03,409
Rosasılma Base, (Kalle i& Op.) Kıle..aın Yeah nal: cha
Auramınakonz. (HochstersHarbw.) a ner IE EIIRS
Methylviolett 5B (Bayer) . NEE A LA HA De IE EEE
Kristallviolett 6B Pulver (Akt.-Ges. f. Anil.-Fabr.) . .. . . . 407
Malachitgrün Krist. chem. rein (Höchst. Farbw.) . . . . .. .. 363
Xanthoniarbstofie
Irisamın2G. extra (B34> Anl. =Kahr.) er an en end
Acridinrot 3B (Leonhardt) . ....... ne a ee a
Rıhodamms SzexanBadssAnıl- Babe) and:
G extra (Kahlbaum) . . . Er AR PRORLT 25 Pa
B C » Ds a TREE
B ‚extra (Bad. Anil.-Fabr.) .. ...,, a el
„. .3b,exirat 5 En N Rn RENTE FR 00
10) (Höchster Warbw.l ..4..0c: d. . 2. 202. .Au8
Azine
Imdazın M’(Casselarea@oN EN RE At
Neutralrot (Gruebler') Br Bar he ve de a EHRT
Safranin G extra (Bad. Anil.-Fabr.) . .. . EN CE BTSHY:
Basler’ Blau/R /(Durand’& Hugaenm) Le N ar LINE, 482
Basler. Blau BB/(Durand & Humuenin) .. 2 un. 205 22. 70BAgA.
Azoiarbstoife
Bismarckbrauns (Gruebler) nass us, = aaen..: Ki YES N334
Vesuyın 2356 ‚(Höchster Harhw. aan en 4,9007
Chrysoidın R'(Durand & Hououenin) ya. 0m v9
Oxazine
Nulblausultan, (Grueblena! 2, Sana nen... 2,340
Nilblauchlorhydrams (Gruebler)" 2 RN N... 0... 487
Bapıiblau ı GONI(Bayer) 113.112] DU HMIERZIN ER N URS
506 Wilhelm von Moellendorff:
Thiazine
Tolnidinblan: (Grucblen) es 7 2, 24.115. ml ee 306
Methylengrün extra gelbl. © (Höchster Farbw.). . . .».... 409
Methylenblau/ BBr(Bayene 2... >...» acer ee 393
Methylenblaurectit» (Gruebler) . . . . . „00 2 2 re 393
Methylenblau BX7(Gzuebler) . ... . „une 2 ee 393
Diphenylinaphthylmethaniarbstoffe
ViktoriablauB. (Bade Anıl.Fahr.). . 2... Seen, een 505
N Ba 2 ee ec. : 447
3 4RS ( e IE en 519
Den hier genannten Firmen bin ich für die freundliche
Überlassung von Proben dieser sowie vieler anderer Farbstoffe
den grössten Dank schuldig.
Die Untersuchung der Konstitution der genannten Farbstoffe
führte zu keinem befriedigenden Ergebnis; ich konnte im wesent-
lichen die Angaben von Fischel bestätigen. Besonders ergibt
sich die Verstärkung der granulafärbenden Eigenschaften durch
Substitution des Wasserstoffrestes in der Ammoniakgruppe durch
Alkoholradikale; unter den Triphenylmethanfarbstoffen liegen die
Verhältnisse folgendermassen:
Farbstoff auxochrome Gruppen | Art der Färbung
Diamantfuchsin 3 NH,-Gruppen \ Keine bis schlechte
Rosanilin Base N | Granulafärbung
Auramin Konz. 1HN,, 2N (CH,), mässiger Granulafärber
Methylviolett 1NH (CH,), 2N (CH,), |
Kristallviolett 3N (CH,), . gute Granulafärber
Malachitgrün 2N (CH;),
Ebenso ist wohl in der Reihe der Thiazine die Verbesserung
der Granulafärbung mit zunehmender Substitution aufzufassen.
Thionin (mit 2 NH,) färbt schlecht, Toluidinblau (NHCH,, N(CH,),)
und Methylenblau, Methylengrün (2N(CH,), sind gute Granula-
färber.
Die Wirkung der auxochromen Gruppen darf aber nicht
verallgemeinert werden. Zahlreiche Farbstoffe, die eine gute
Substitution ihrer Ammoniakgruppen zeigen, sind trotzdem nur
schlechte Granulafärber. Hierher gehören z. B. sämtliche Rhoda-
mine. Die Feststellung von Fischel, dass die Substitution eines
H durch einen Anilinrest das Färbevermögen aufhebe, könnte
vielleicht für Basler Blau R und BB zur Erklärung ihrer schlechten
Die Bedeutung von sauren Kolloiden und Lipoiden. 507
Färbeergebnisse herangezogen werden; doch lässt vor allem die
schlechte Wasserlöslichkeit die Färbung dieser Stoffe schwer
beurteilen. Andererseits ist Indazin M ein Granulafärber, trotzdem
es ein Gemenge aus
NN
(CH,). N eV Eee -GH,-HC und
C el
N=/\—NH-C.H, N (CH,).
(CH,), N AS N GH-376
a
darstellt, ebenso wissen wir ja aus den Untersuchungen von
Michaelis, Laguesse u. a., dass Janusgrün trotz der safranin-
artigen Konstitution als Granulafärber zu betrachten ist. Endlich
sei darauf hingewiesen, dass Viktoriablau, wie schon Hoeber
zeigte, Granula zu färben imstande ist. Viktoriablau B besitzt
ebenfalls, wie auch Fischel hervorhebt, ein durch den Anilin-
rest substitutiertes Ammoniakradikal. Damit muss man wohl die
von Fischel an seinem Material erhobene Feststellung, dass die
Substitution durch den Anilinrest das Färbevermögen verhindert,
fallen lassen.
Weiter ist hervorzuheben, dass auch Farbstoffe, die nur
einfache NH,-Gruppen enthalten, als Granulafarbstoffe zu be-
zeichnen sind; so besonders die Azofarbstoffe Chrysoidin R mit 2,
Vesuvin 4BG mit 3 und Bismarckbraun mit 4 NH,-Gruppen.
Aus diesen Betrachtungen geht nur soviel hervor, dass bei
gewissen Farbstoffgruppen, die in ihrem Molekül den gleichen
Grundstock besitzen, das Hinzutreten bestimmter auxochromer
Gruppen, so besonders der wachsenden Substitution der Ammoniak-
reste durch Alkoholradikale, die Tendenz zur Granulafärbung in
bestimmter Weise beeinflusst. Darüber hinaus spielen aber andere,
noch nicht zu übersehende Einflüsse der Konstitution des Farb-
stoffmoleküls eine Rolle. Sie zu übersehen, muss immer noch
"künftiger Forschung vorbehalten bleiben. Vor allem erscheint es
notwendig, Versuchsreihen, wie die hier mitgeteilten, mit reinen
Farbstoffen anzustellen, da ja sicherlich die vielfachen Zusätze
und Verunreinigungen der hier ausschliesslich verwandten tech-
nischen Farbstoffe für die Beurteilung sehr störend sein müssen.
508 Wilhelm von Moellendorff:
b) Direkte Messung der Fällungskraft basischer gegenüber
sauren Farbstoffen.
Da also durch die Betrachtung der Strukturformeln ein Zu-
sammenhang zwischen einer Struktureigenart und dem Vermögen
der Farbstoffe. mit den Granulis zu reagieren, nicht erkannt
werden konnte, wählte ich den direkteren Weg, indem ich die
Reagierfähigkeit der basischen Farbstoffe mit den verschiedenen
zu den Versuchen verwandten sauren Farbstoffen im Reagenzglas
prüfte.
Alle sauren Farbstoffe lassen sich in vitro durch basische
Farbstoffe fällen; bei der Bildung der Neutralfarbe tritt eine
messbare Wärmeentwicklung auf (Seyewetz). Im allgemeinen
reagieren die basischen Farbstoffe mit sauren im Mengenver-
hältnis 3:1,2: l’oder 1:1 (Vaubel und Bartlet). Ich habe
allerdings bei meinen zahlreichen Versuchen auch ganz andere
Mengenverhältnisse angetroffen.
So reagiert Trypanblau mit 9 Molekülen Akridinrot
3B, mit 15 Mol. Rhodamin 0.
Vaubel und Bartlet fanden, dass die Zahl der Sulfo-
säuregruppen in sauren Farbstoffen eine gewisse Bedeutung für
die Reaktion mit basischen Farbstoffen besitzt. Ist nur eine
Sulfogruppe vorhanden, so fixiert sich nur ein Methylenblaumole-
kül, bei Anwesenheit mehrerer Sulfogruppen zwei.
„Aus der Gesamtheit dieser Tatsachen ist zu schliessen,
dass die sauren Farbstoffe sich mit den basischen verbinden.
indem sie Salze bilden, die übrigens wenig beständig und leicht
spaltbar sind.“ (Pelet-Jolivet, Theorie des Färbeprozesses
Seite 43, dessen Darstellung ich auch sonst hier folge.)
Auf die Ausfällung des Reaktionsproduktes ist der Kolloid-
zustand der miteinander reagierenden Farbstoffe von bedeutendem
Einflusse (Teague und Buxton, 1907).
Ich habe nach der Methodik von Pelet-Jolivet eine
grosse Anzahl von Farbstoffpaaren untersucht.
Zu den Versuchen wurden "/ıoo Normallösungen der Farbstoffe ver-
wandt; von der Lösung des basischen Farbstoffes wurde zu der des sauren
vorsichtig so lange hinzugemischt, bis eine möglichst vollständige Ausfällung
des Neutralproduktes erreicht war. Bei manchen Farbstoffkombinationen
wurde ein scharfer Neutralpunkt nicht erreicht, besonders, wenn der basische
Farbstoff sehr diffusibel war. Zur Kontrolle wurde jeweils ein Tropfen der
Mischung auf Fliesspapier aufgetropft; der Überschuss eines der beiden Farb-
Die Bedeutung von sauren Kolloiden und Lipoiden. 509
stoffe kommt dann durch Ringbildung der betreffenden Farbe um den durch
das Fällungsprodukt gebildeten Fleck herum zum Ausdruck. Hält, wie es
z. B. beim Überschuss eines hochkolloidalen Farbstoffes die Regel ist, der
Uberschuss dieses Farbstoffes einen Teil des Fällungsproduktes in Lösung,
so entstehen häufig drei Zonen: in der Mitte das ausgefallene Produkt, das
gelöste Fällungsprodukt als Ring in der Mischfarbe und aussen die reine
Farbe des im Überschuss befindlichen Farbstoffes.
Für Trypanblau erhielt ich auf diese Weise folgende Er-
gebnisse:
1 Mol Trypanblau wird gefällt durch
1 Mol von Neutralrot, Diamantfuchsin, Chrysoidin, Malachit-
erün, Toluidinblau, 1
2 Mol von Auramin, Rhodamin S extra, Safranın B extra,
Methylviolett,
3 Mol von Bismarckbraun, Kristallviolett, Methylengrün,
Rhodamin B extra.
Schon dieses eine Beispiel zeigt, dass die Erwartung, dass
etwa die Fällungskraft der basischen Farbstoffe die Erklärung
für ihre verschiedenartige Eignung zu einer Anfärbung saurer
Substanzen im biologischen Versuche abgeben könnte, nicht zutrifft.
Man hätte ja denken können, dass Farbstoffe, bei denen schon
1 Mol genügt, um eine entsprechende Menge sauren Farbstoffes
auszufällen, bessere Grannlafärber sein müssten, als solche basische
Farbstoffe, von denen hierzu 2 oder 3 Mol notwendig sind.
Dagegen lehrt der Vergleich der obigen Zahlen mit dem Er-
gebnis der supravitalen Färbungsversuche, dass in allen drei
Gruppen sowohl gute als auffallend schlechte Granulafärber ent-
halten sind.
Gute Granulafärber sind: Neutralrot, Malachitgrün, Toluidinblau,
Auramin, Methylviolett, Bismarckbraun, Kristallviolett, Methylengrün, ganz
schlecht färben dagegen Granula: A nn Rhodamin S extra, Safranin
B extra, Rhodamin B extra
Es war daher von vornherein kiar, dass zur Erklärung der
verschiedenartigen Ergebnisse der biologischen Versuche bei den
einzelnen basischen Farbstoffen noch andere Gesichtspunkte an-
“gewandt werden mussten. Ich will hier nur darauf hinweisen,
dass auch für andere saure Farbstoffe ihre Fällbarkeit durch
basische Farbstoffe untersucht wurde, mit dem gleichen Ergebnis,
dass Fällbarkeit im Reagenzglas und im biologischen Versuche
nicht miteinander übereinstimmten.
Archiv f.mikr. Anat. Bd.90. Abt.]I. 34
510 Wilhelm von Moellendorff:
3. Die Diffusfärbung der Grundmasse des Proto-
plasmas in supravitalen Versuchen.
a) Die Tatsachen.
Trotzdem also die morphologische Betrachtung der granulären
Färbung in ihrem Zustandekommen und die Möglichkeit, dieselben
Färbungseffekte mit basischen Farbstoffen auch dann zu erzielen,
wenn saure Farbstoffe den wesentlichen Bestandteil des Granulums
bilden, trotzdem also diese Tatsachen durchaus für das reaktive
Zustandekommen der basischen Granulafärbung sprachen, erweist
sich die rein chemische Beurteilung der Frage nach der Elek-
tivität gewisser Farbstoffe, nach deren Ursachen als völlig un-
zureichend.
Sollte trotzdem an der Deutung der Granulafärbung als
eines Reaktionsvorganges festgehalten werden, so musste nach
den Gründen geforscht werden, die für die Behinderung eines
an sich gut reaktionsfähigen basischen Farbstoftes, die Granula
zu färben, verantwortlich sein können.
Wo diese Gründe zu suchen seien, war nur auf dem Wege
des Experiments zu ergründen. Es war naheliegend anzunehmen,
dass vor allem andere Teile der Zelle einen solchen hindernden
Eintluss auf bestimmte Farbstoffe auszuüben imstande sind. Diese
Annahme war um so naheliegender, als ein Einfluss und eine rege
Anteilnahme des lebenden und überlebenden Protoplasmas an dem
Vorgang der vitalen Granulafärbung für bestimmte Fälle sogar
schon einigermassen analysiert ist. Ich erinnere hier an die
schon lange zurückliegenden Beobachtungen über die Färbbarkeit
(phagozytierter Massen) Br. Hofer 1891, A. Plato 1900); hier
ergab sich, dass Infusorien, Bakterien und andere phagozytable
Massen, die im freien Zustande nur schlecht oder garnicht färb-
bar waren, nach der Aufnahme in den Protoplasmaleib von Proto-
zoen oder Leukozyten intensiv durch basische Farbstoffe gefärbt
werden konnten. Plato konnte sogar zeigen, dass eine solche
Färbung nur im Endoplasma eintritt, während Gonokokken im
Exoplasma die Farbe wieder abgaben. E. Nirenstein konnte
nachweisen, dass die Färbung der Nahrungsmassen von der Pro-
duktion von Säure seitens des Protoplasmas abhängig ist.
Wie sich in diesen Fällen ein Einfluss der Protoplasmatätig-
keit auf die vitale Färbbarkeit beobachten lässt, so sind die Ein-
flüsse des lebenden Protoplasmas zum Teil sicher in ihrer Trag-
Die Bedeutung von sauren Kolloiden und Lipoiden. a
weite noch gar nicht zu übersehen. Ich will hier nur an die
Möglichkeit erinnern, dass das Protoplasma eine reduzierende
oder oxydierende Wirkung auf Farbstoffe ausüben kann.
Wenig beachtet ist dagegen bisher die Tatsache, dass eine
ganze Reihe von Farbstoffen, denen offenbar die Fähigkeit, Gra-
nula zu färben, abgeht, trotzdem eine Färbung in den Zellen
hervorbringen, die anscheinend diffus den ganzen Zelleib durch-
tränkt, ohne dass einzelne Gebilde stärker gefärbt würden.
Dass wir es hier mit einer für die Farbstoffwirkung
charakteristischen Tatsache zu tun haben, lehrt ein kurzer Über-
blick über meine Ergebnisse an supravitalen Versuchen.
Über die Technik dieser Versuche siehe die vorhergehende
Arbeit Seite 486.
Die folgende Tabelle führt die untersuchten Farbstoffe auf;
sie sind geordnet nach ihrer Fähigkeit, das Zellenprotoplasma
ditfus zu färben; gleichzeitig sind in einer dritten Kolumne die
Angaben aus meiner eingangs erwähnten Arbeit über die Güte
der Granulafärbung wiedergegeben. Die Tabelle ist das Ergebnis
zahireicher Versuche; die Diffusfärbung bildet sich bei jedem
basischen Farbstoff in allen Versuchen in der gleichen, ange-
gebenen charakteristischen Weise aus, ganz gleich, ob das Ver-
suchstier vor dem Versuch unbehandelt war, oder ob vorher durch
saure Farbstoffe eine Granulabildung in den beobachteten Zellen
hervorgerufen worden war.
Das Ergebnis der Tabelle stimmt mit den allgemeinen Er-
fahrungen gut überein; die Tendenz zur Diffusfärbung ist im
allgemeinen um so stärker, je weniger gut eine Granulafärbung
zu erzielen ist. Der Begriff „Diffusfärbung“ ist morphologisch
schwer exakt zu definieren. Er kann nur ausdrücken, dass im
(egensatz zu anderen Färbungen, bei denen wohl charakterisierte
Zellelemente gefärbt werden, hier eine mehr allgemeine Färbung
des Zellprotoplasmas gefunden wird. Es ist dabei möglich,
dass entweder eine Lösung des Farbstoffes in der Grundsubstanz
des Protoplasmas (dem Dispersionsmittel, wenn man das Proto-
"plasma im Sinne Lepeschkins 1913 als eine emulsionskolloide
Lösung betrachtet) stattfindet, oder dass der Farbstoff sich durch
Adsorption oder chemische Affinität an kleine Körperchen von
ultramikroskopischen Dimensionen anlagert. Über die Art der
Farbstoffbindung an das Protoplasma gibt eben die Betrachtung
34*
512 Wilhelm von Moellendorff:
Tg
"Grad der ‚färbt Granula | ' I.cem 2°/0 Lezi-
Farbstoff | Diffus- | beim | Konzen- Wasser- ' thinxylol absorbiert
| Färbung aan tration | lösliehkeit | aus ID ccm
| ier | ‚ der n/I0 000 Lsg.
SafraninGextra | stark | nieht | n,10000 | gut | n/4000
Rhodamin G | |
extra ä | fraglich |; n/10000 z | n/5000
Rhodamin B E ‚ schlecht | n/10000 > | n/10000
Rosanilin Base : nicht | n 1000 | schlecht n/ 10000
Kristallviolett F ‘ mittel n/10000 | gut | n/10000
Methylviolett - ı mittel | n/10000 2 n/10000
Irisamin G extra 5 fraglich | n, 10000 x | n/15000
Chrysoidin R . ' schlecht | n/10000 R n/17500
Rhodamin B | |
extra i ' schlecht | n/10000 R | n/30000
Viktoriablau | | | |
4 RS Ss mittel | n/10000 | e n/40000:
Rhodamin O nicht.) 0n/10000. 14.8; ' .n/10000
Rhodamin 3B | | |
extra | 5 ‚ schlecht | n/10000 4 | n/5000
Diamantfuchsin | | |
kl. Krist. che n000O n/15000
Viktoriablau R mittel gut n/5000 mittel | n/20000
Auramin konz. = mittel n/10000 gut | n/20000
Toluidinblau 5 gut n/10000 & n/25000
Malachitgrün ji mittel | n/10000 e | n/10000
Vesuvin 4BG : mittel | n/10000 | s n/30000
Rhodamin S
extra | „ fehlt | n/10000 | , n'40000
Indazin M II | mittel@r 61700009 n/40000
Acridinrot 3B 3 | fehlt | .n/10000 B Spur
Viktoriablau B n ı mittel n/5000 | schlecht n/3000
Nilblauchlor- |
hydrat | schwach gut n/’1000 | schlecht n/25000
Capriblau GON s mittel | n/10000 gut n/50000
Nilblausulfat RN Fu n/10000 1.2.0 "soo
Neutralrot ; | gut n10000 | y n/50000-
Bismarckbraun 2 | mittel n/10000 ä Spur”
Methylenblau BB E |. gut n’10000 5 | Spur
Methylenblau BX > | gut n’10000 5 | Spur
Methylenblau | | | |
rectif. au) 2 Spur
Methylengrün | |
extra gelb O S | gut ı n,10000 2 Spur
Die Bedeutung von sauren Kolloiden und Lipoiden. 08
des mikroskopischen Bildes keinen Aufschluss. Diftuse Färbungen
in Zellen sind jedem Beobachter vitaler und supravitaler Färbungs-
vorgänge geläufig. Im allgemeinen werden sie als Zeichen der
verlöschenden Vitalität des Protoplasmas aufgefasst; in der Tat
wissen wir ja, dass stark geschädigtes oder abgestorbenes Proto-
plasma sowohl saure wie basische Farbstoffe stark anzureichern
imstande ist.
Ich erinnere hier an die wiederholten Beobachtungen in
experimentell geschädigten Organen, in denen bis zu einem ge-
wissen Grade geschädigte Zellen nicht imstande sind, saure Farb-
stoffe granulär zu speichern, was an einer diffusen Protoplasma-
färbung, verbunden mit Kernfärbung, zum Ausdruck kommt.
In meinen Versuchen aber handelt es sich nicht um geschä-
diete oder gar abgestorbene Zellen, an die die Farbstoffe heran-
treten; das völlig gesunde Organ wird sorgfältig dem Tierkörper
entnommen, die selbstverständlich durch die Herausnahme aus
dem Organismus verursachte Schädigung ist für alle Versuche
annähernd gleich. Wenn also in vielen Fällen eine starke, bald
nach dem Versuche einsetzende diffuse Durchtränkung des Proto-
plasmas mit dem Farbstoff beobachtet wird, bei anderen Farb-
stoffen dagegen sich immer wieder nur ganz schwache Diffus-
fürbung einstellt, so kann aus diesem Ergebnis geschlossen werden,
‚dass der Grad der Diffusfärbung von der Eigenart der verwandten
Farbstoffe abhängt.
Unabhängig von dem von mir hier hauptsächlich behandelten
Problem der Möglichkeit, Farbstoffe im unfixierten Protoplasma
zur Speicherung zu bringen, ist die Frage, inwieweit das Proto-
plasma unzweifelhaft lebender, d. h. im Verbande des lebenden
Tieres befindlicher Zellen diffus gefärbt werden kann. Hierfür
sind in der Literatur die Angaben R. Hoebers (1909), der diffuse
Färbungen mit Rhodaminen beobachtete, vor allem aber von
A. Garmus (1912), der nach Eingabe von Rhodamin B bei
Fröschen interessante Beobachtungen machte, zu verwerten.
Nach Garmus bleibt eine Granulafärbung bei diesem Farbstoffe stets
- aus; bei vollkommenem Wohlbefinden des Frosches zeigen dagegen besonders
die Zellen der Nickhautdrüsen, die er bei dem lebenden Tiere durch eine
sinnreiche Versuchsanordnung beobachten konnte, eine deutliche diffuse Fär-
bung, die nach 24 Stunden wieder verschwindet. Gleichzeitig injiziertes
Methylenblau färbt in den durch Rhodamin rot gefärbten Zellen die
Granula.
514 Wilhelm von Moellendorff:
Aus den Beobachtungen von Garmus geht also hervor,
dass auch im lebenden Organismus eine reparable Diffusfärbung-
vorkommt. und ich möchte annehmen, dass bei allen Farbstoften
mit geeigneten physikalisch-chemischen Eigenschaften (siehe
darüber unten Seite 521 ff.) auch im lebenden Organismus eine diffuse
Färbung erreicht werden müsste, wenn nicht manche Faktoren
dieser Diffusfärbung hinderlich wären, Faktoren, die in meinen
supravitalen Versuchen teils nicht, teils in geringerem Masse in
Betracht kommen. Vor allem spielt die Giftigkeit der Farbstoffe
eine grosse Rolle.
Aus noch unveröffentlichten Versuchen meiner Schülerin L. Kummer
geht hervor, dass bei einer Reihe nicht granulär sich ablagernder saurer
Farbstoffe nur dann ein erheblicher Grad von Diffusfärbung in den Zellen
der Körperparenchyme gefunden wird, wenn die Tiere auch äusserlich schwer
erkrankt erscheinen. Es muss also, besonders, da mit denselben Farbstoffen
im supravitalen Versuche stets starke Diffusfärbung zu erzielen ist (so bei
Rose bengale, Erythrosin, Eosin usw.), angenommen werden, dass das lebende
Protoplasma bis zu einem gewissen Grade die Fähigkeit besitzt, sich gegen
die Farbstoffinvasion zu schützen, indem entweder durch Reduktion und
Oxydation oder durch andere Mechanismen der Farbstoff zerstört wird.
Ausserdem lassen diese Versuche den Schluss zu, dass die Farbstoffwirkung
möglicherweise eben durch die diffuse Einlagerung in das Zellenprotoplasma
zur vollen Geltung kommt und die in diesem sich abspielenden wichtigen
Lebensvoreänge zu stören vermag.
Dass aber Diffusfärbung und Giftwirkung nicht identisch
sind, zeigt schon die oben erwähnte Beobachtung von Garmus;
es muss jedenfalls für jeden Farbstoff im vitalen Versuche erst
sorgfältig sein Schicksal verfolgt werden, ehe sich ein Urteil
gewinnen lässt, wie sich der Farbstoff physikalisch-chemisch zu
der speichernden Substanz des Protoplasmas verhält.
Für Protozoen hat E. Nirenstein (1913) eine offenbar
sehr eingehende Untersuchung dieser Fragen angestellt, die mir
leider erst bei der Niederschrift dieser Arbeit zu Gesicht kam.
Er untersuchte an Paramäcien im ganzen 119 Farbstoffe und teilt
diejenigen, die eine sichtbare Färbung hervorriefen, ein in Granula-
farbstoffe und diftusfärbende Substanzen.
Unter bestimmten nicht näher charakterisierten Bedingungen sollen
sich die kleinen Granula des Paramäcienendoplasmas vergrössern und dann
viel besser färbbar werden; sie werden von Granulafarbstoffen auch in
Konzentrationen gefärbt. die die kleinen Granula ungefärbt lassen, und ein
Teil der diffusfärbenden Farbstoffe färbt nun ausser dem Endoplasma auch
die grossen Granula solcher Paramäcien. Es ist aus den kurzen Mit-
Die Bedeutung von sauren Kolloiden und Lipoiden. 515
teilungen Nirensteins nicht ersichtlich, warum die grossen Granula aus
den kleinen Granulis hervorgegangen sein sollen ; ich kann daher auch nicht
übersehen, warum der Autor den Granulis eine endoplasmatische Natur
zuschreibt.
Jedenfalls geht aus diesen Angaben hervor, dass auch bei
den Versuchen Nirensteins der Unterschied der beiden Farb-
stoffgruppen nur graduell, nicht prinzipiell besteht. Diese Be-
stätigung meiner Befunde ist mir um so wertvoller, weil diese an
gänzlich andersartigem Material erhoben wurden. Allerdings
bin ich nicht in der Lage, unsere Ergebnisse im einzelnen zu
vergleichen, da genaue Angaben in der kurzen Mitteilung Niren-
steins fehlen.
Ich glaube aber nicht, dass Nirenstein mit der Behauptung
recht hat, dass alle diffus färbenden Substanzen nur die Granula
nicht stärker färben als das Protoplasma. Ich konnte bei
den Versuchen, in denen saure Farbstoffgranula die Stelle von
zelleigenen Granulis vertraten, bei allen rein diffus färbenden
Stoffen die reine Farbe des sauren Farbstoffes auf dem diffus
gefärbten Grunde deutlich erkennen. In diesen Fällen ist eben
seradezu weniger Farbstoff in die Granula gezogen, als sich in
deren Umgebung ansammelte. Es ergibt sich daraus, dass es
auch reine Diffusfärber gibt, die die Granula gänzlich verschmähen.
Aus der Konstanz, mit der bei den einzelnen Farbstoffen
in allen Versuchen annähernd der gleiche, in der Tabelle zum
Ausdruck gebrachte Grad von Diffusfärbung auftrat, ist zu schliessen,
dass wir es jedenfalls mit einer den einzelnen Farbstoffen eigen-
artigen Funktion zu tun haben. Die auffallende Beziehung, dass
die diffusfärbenden Stoffe im allgemeinen die Granula schlecht
färben, lässt vermuten, dass eine engere Beziehung zwischen den
beiden unterschiedenen Arten der Färbung besteht. Ehe jedoch
dieser Schluss gezogen werden kann, muss untersucht werden,
ob nicht für die Difiusfärbung Momente in Betracht zu ziehen
sind, die für die Granulafärbung gänzlich ohne Belang sind.
b) Der Grad der Diffusfärbung ist von der Dispersität der Farb-
stoffe nicht abhängig; das Problem der Zellpermeabilität.
Es könnte ja zunächst die naheliegende Vermutung auf-
kommen, dass ein Farbstoff um so leichter diffus färben wird, je
leichter er in das Zellenprotoplasma einzudringen befähigt ist.
Es müssten demnach eben die Faktoren, die die Permeierfähig-
516 Wilhelm von Moellendorff:
keit der Farbstoffe bestimmen, auch für den Grad der Diffus-
färbung ausschlaggebend sein.
Das Problem der Zellpermeabilität kommt für meine Unter-
suchungen nur sekundär in Betracht. Bekanntlich hat E. Over-
ton zum ersten Male nach ausgedehnten Studien den Satz auf-
gestellt, dass über den Eintritt in das Zellenprotoplasma
eine Lipoidhaut entscheide, so dass auch nur solche Farbstoffe
in das Zellinnere eintreten, die sich in Lipoiden lösen. Gegen
diese Art der Auffassung sind im wesentlichen zwei Arten von
Einwänden gemacht worden: es ist nachgewiesen, dass eine grosse
Zahl von Farbstoffen in das Zellinnere eindringt, ohne lipoid-
löslich zu sein, und andererseits sehr stark lipoidlösliche Farb-
stoffe in manche Zellen gar nicht, in andere nur schwer permeieren.
(W. Ruhland, R. Hoeber 1914 u. a.) Welche Hilfshypothesen
man auch hierbei aufstellen will, die Bedeutung der Lipoide für
das Problem der Permeabilität ist dadurchsehr zweifelhaft geworden.
Die andere Gruppe von Einwänden basiert auf der Meinung, dass
wohl Lipoide für die Stoffaufnahme und Verarbeitung eine grosse
Bedeutung besitzen können, dass ihre Bedeutung jedoch nicht in
ihrem Sitze an einer Oberflächenschicht zu suchen sei, sondern
in ihrer Anwesenheit im Zellenprotoplasma überhaupt. S. Loewe
zeigte, dass Methylenblau aus verdünnten wässrigen Lösungen
relativ am meisten, aus konzentrierteren Lösungen dagegen relativ
wenigerausgezogen wird. Ein kurzer Blick auf meine Tabelle S. 524
zeigt, dass fast alle lipoidlösliche Farbstoffe diese Eigentümlich-
keit besitzen. Eine Ausnahme machen hier die extrem lipoid-
löslichen Farbstoffe, wie die Rhodamine und andere. Jedenfalls
haben wir es hier mit einer unter Farbstoffen weitverbreiteten
Eigenschaft zu tun, wie auch E. Herzfeld schon zeigte.
S. Loewe denkt sich demnach den Vorgang der Lipoidiöslichkeit
als eine Adsorption des Farbstoffess an die im organischen
Lösungsmittel kolloidgelöste Lezithinphase. Er zieht aus dieser
Vorstellung den von R. Hoeber nicht akzeptierten Schluss,
dass eine Lipoidhaut eher als Speicherungsmedium dienen müsste,
jedenfalls also ein Hindernis für ein Eindringen lipoidlöslicher
Farbstoffe in das Zellinnere bilden müsste. Ich kann nicht umhin
diesen Einwand S. Loewes gegen das Bestehen einer Lipoid-
haut als berechtigt anzusehen. Denkt man sich nämlich die
Zellipoide an der Oberfläche der Zelle angeordnet, so würden
—I
Die Bedeutung von sauren Kolloiden und Lipoiden. 51
sie in der Tat als Speicherungsmedium gerade einem in ver-
dünnter wässriger Lösung dargebotenen Farbstoffe gegenüber
dienen und nur schwer an ein lipoidfreies Zellinnere den Farb-
stoff abgeben. Denn wenn man zum Beispiel eine intensiv ge-
färbte Lezithinxylollösung über reines Wasser schichtet, so werden
bei den meisten Farbstoffen nur minimale Mengen an das Wasser
abgegeben: Der Farbstoff haftet fest am Lipoid. Nur die Gegen-
wart von besonderen Substanzen in der wässrigen Phase ermög-
licht einen stärkeren Austritt des zum Beispiel basischen Farb-
stoffes aus der Lipoidphase (Beeinflussung durch sauren Farbstoff,
s. S. 555). Man müsste also schon im Protoplasmainneren der-
artige, den Austritt aus der Oberflächenlipoidhaut bewirkende
Faktoren annehmen, wenn man sich an das Bestehen einer solchen
halten will. Schon von früheren Autoren (W. Ruhland, W.Le-
peschkin) ist hervorgehoben worden, dass eine Anreicherung
lipoidlöslicher Farbstoffe in den Öbertlächenschichten der Zellen
nicht beobachtet wurde. Lepeschkin äussert sich auf Grund
anderer Experimente: „Alles spricht also dafür, dass die chemische
Beschaffenheit der oberflächlichen Protoplasmaschicht von der-
jenigen des inneren Protoplasmas qualitativ nicht verschieden ist,
und dass das Protoplasma keine wässrige Lösung darstellt (S. 189).“
Es ist also zum mindesten fraglich, ob mit einer besonderen
Oberflächenschicht des Protoplasmas, die für das Permeabilitäts-
problem im Sinne Overtons Bedeutung hätte, zu rechnen ist.
Die Farbstoffexperimente haben in ihrer Gesamtheit keinen Be-
weis für das Bestehen einer Lipoidhaut erbracht. Damit ist aber
die grosse Reihe von Experimenten, die Overton und viele
andere Forscher angestellt haben und die die Bedeutung der
Lipoidbeziehungen für den Stoffwechsel der Zelle meines Er-
achtens ausser Zweifel setzen, nicht so hinfällig geworden, wie
das wohl von vielen Seiten angenommen wird. Gesetzt den Fall,
dass wirklich nicht die Lipoide über den Eintritt der Sub-
stanzen in die Zelle entscheiden, so können und müssen sie durch
ihre gleichmässige Verteilung in der Zelle eine grosse Rolle für
alle Fragen des Stoffaustausches spielen. Da solche Beziehungen
zweifellos festgestellt sind, so muss nun morphologisch versucht
werden, den Sitz und die Verteilung der Lipoide in der Zelle zu
ergründen, um das physiologisch gefundene Tatsachenmaterial für
die Lehre von der Zellfunktion zu verwerten.
518 Wilhelm von Moellendorff:
Ich sehe an dieser Stelle von den mannigfachen Versuchen, die Ver-
teilung und Anordnung der Lipoidsubstanzen in fixierten Präparaten zu er-
gründen, ab. Um deren Ergebnisse für die wirkliche Anordnung in lebenden
Zellen zu verwerten, ist wie bei allen Fixationsbildern, die Untersuchung
der Fixationsmittelwirkung auf die lipoide Substanz erforderlich. Bisher
sind einheitliche Resultate nicht erzielt.
Wenn nun die Lipoidhypothese zweifellos dem Verhalten
der Farbstoffe nicht gerecht wird, so ist doch zu betonen, dass
auch die anderen bisher aufgestellten Theorien nicht völlig be-
friedigen. Ohne hier genauere Angaben zu machen, möchte ich
auf die Schriften W. Ruhlands (1912, 1914) und auf
R. Hoebers „Physikalische Chemie der Zelle und der Gewebe“
verweisen, in denen das Tatsachenmaterial von verschiedenem
Standpunkt aus kritisch beleuchtet ist.
Ob die „Ultrafilterregel“ W.Ruhlands wirklich für alle Zell-
kategorien gültig ist, ist noch heute nicht zu sagen. Bei
Pflanzenzellen scheinen ja die Verhältnisse einfacher zu liegen
als im tierischen Organismus, wo wir mit so vielen für ganz
spezielle Zwecke angepassten Zellarten zu rechnen haben. Es
ist in der Tat schwer möglich, anzunehmen, dass zum Beispiel in
dem resorbierenden Dünndarmepithel die so einfachen, für andere
Zellarten physikalisch gut deutbaren Speicherungsbedingungen
für saure Farbstoffe fehlen, und nur deshalb bei der ganz
überwiegenden Mehrzahl derselben keine sichtbare Speicherung
von Farbstoff zustande komme. Ich glaube viel eher, dass wir
aus den für verschiedene Zellkategorien gefundenen Tatsachen
bisher nur den Schluss ziehen können,. dass Farbstoffexperimente
wenigstens im tierischen Organismus für die Erforschung des
Permeabilitätsproblems einen engbegrenzten Anwendungsbereich
haben.
Wir müssen uns vorläufig damit bescheiden, festgestellt zu
haben, dass in den Zellarten, in denen bisher saure Farbstoffe
während des Lebens gespeichert aufgefunden wurden, für das
Eindringen und für die Speicherung anscheinend lediglich der
Lösungszustand, die Dispersität, entscheidend ist. Es ist wahr-
scheinlich, dass diese Zellarten hinsichtlich ihrer Oberflächen-
beschaffenheit eine gewisse primitive Stufe bewahrt haben und
zwar aus dem Grunde, weil bei Pflanzen diese Abhängigkeit von
dem Dispersitätsgrade der zugeführten Substanz viel allgemeiner
verbreitet zu sein scheint. Bei vielen anderen Zellarten, in
Die Bedeutung von sauren Kolloiden und Lipoiden. 51%
denen Speicherung saurer Farbstoffe bisher nicht, oder doch in
von dem gewöhnlichen Typus abweichender Weise gefunden
wurde, kann es für das Verhalten drei Gründe geben: 1. der Farb-
stoff dringt ein, wird aber zerstört; 2. der Farbstoff dringt ein,
wird aber nicht sichtbar, weil er nicht gespeichert wird: 3. der
Farbstoff dringt nicht ein. ;
Unter diesen Möglichkeiten ist bisher noch nicht entschieden,
und es ist zweifelhaft, ob die Farbstoffe berufen sind, in diesen
Fragen eine Entscheidung herbeizuführen.
Meine Untersuchungen wurden nun aber an einer Zellart
ausgeführt, der Nierenzelle, für die die Bedeutung der Disper-
sität wenigstens saurer Farbstoffe für die Permeierfähigkeit in
diese Zellen festgestellt ist, und auch für basische Farbstoffe sind
genügend Anhaltspunkte vorhanden (E. Herzfeld 1916), um
anzunehmen, dass bei dieser Zellart nur die Dispersität der
Farbstoffe über den Grad der Permeierfähigkeit entscheidet. Es
war daher möglich, an dieser Zellart zu entscheiden, ob die Diffus-
färbung nur von dem Grade des Eindringungsvermögens, das
heisst von der Dispersität der Farbstoftlösung, abhängt.
Umstehende Tabelle bringt für die verwandten Farbstoffe
die Diffusionswerte nach 24, 48 und 120 Stunden, wie sie durch
Ablesung nach dem Traubeschen Verfahren in einem 10°/oigen
(relatinegel gefunden werden. Es wurde reinste Handelsgelatine
in der genannten Konzentration aufgelöst, sorgfältig bis zu
neutraler Reaktion mit Sodalösung versetzt, davon je 10 cem in
Reagensröhrchen gebracht und nach dem Erkalten mit 1 ccm
einer n/100 Farbstofflösung überschichtet.
Es ergibt sich ohne weiteres, dass unter den ausgesprochenen
Granulafärbern sowohl wie unter den stark diffus färbenden Stoffen
Substanzen von ganz verschiedener Diffusionsgeschwindigkeit ent-
halten sind. Es lässt sich wohl sagen, dass die Intensität der
sich ausbildenden Färbung sehr gering ist wenn die Diffusions-
geschwindigkeit gering ist. (Basler Blau R und BB, Indazin
M). im übrigen aber enthalten sowohl die ausgesprochen
diffus färbenden wie die ausgesprochenen Granulafärber Farb-
stoffe verschiedenster Diffusionsgeschwindigkeit.
Die Werte in der obigen Tabelle stimmen im allgemeinen gut mit
denvonTraube und Koehler angegebenen überein; gewisse Abweichungen
(Methylgrün, Malachitgrün) mögen aus der Verschiedenheit des Farbstoff-
520
Wilhelm von Moellendorftf:
Diffusionsfortschritt in mm Gradder | Grad der
Farbstoff ı nach nach nach Granula- Diffus-
' 24Std. | 48Std. 5 Tagen | färbung färbung
Malachitgrün 18m I (10) 38 (15) mittel mittel
Safranin G extra | 18 (3)* | 25 (18) 37 (29) stark stark
Rhodamin G extra | 17 (7)* | 22 (13) | 40 (22) | fraglich stark
Methylengrün 17 23 32 | gut schwach
Methylenblau BB IE 25 (14) 38 (17) gut schwach
Irisamin G extra | 18 24 | 38 fraglich | stark
Auramin konz. 15 28 4 mittel mittel
Capriblau GON 16 23 40 mittel | schwach
Rhodamin 3B |
extra | 16 (10)*| 21 (12) , 35 (19) | schlecht | stark
Rhodamin B |
(Kahlb.) | 15 (8)* 20 (8) 34 (13) | schlecht | stark
Rhodamin S extra | 15 (5)* 20 (13) 34 (20) nicht mittel
Rhodamin OÖ SEM) 2DELLO)T 23013) nicht stark
Bismarckbraun 15 | 23 40 mittel schwach
Methylgrün 15 25 37 gut fehlt
Methylenblau |
rectif. | 14 | 21 | gut schwach
Rhodamin B extra | 14 (5)* 21 (11) 35 (19) | schlecht stark
Methylenblau BX 13 17 28 gut schwach
Diamantfuchsin 13 | 23 28 nicht stark
Akridinrot 3B 13 20 22 nicht mittel
Chrysoidin R 12 25 31 schlecht stark
Kristallviolett 6 B 11 16 25 mittel stark
Rosanilin Base Bl 18 23 nicht stark
Methylviolett 5 B 10 16 27 mittel mittel
Neutralrot 10 (4)* 15 (6) 22 (8) gut schwach
Vesuvin 4 BG 10 17 mittel mittel
Nilblauchlor-
hydrat 8 (2)* 15 (3) 20 (4) gut schwach
Nilblausulfat 7 13 17 gut schwach
Indazin M 7 13 19 mittel mittel
Toluidinblau 4 21 (11)*) 24 (13) gut mittel
Viktoriablau R 4 6 8 gut mittel
Viktoriablau 4RS | 1,5 5 7 mittel stark
Viktoriablau B 2 2 3 mittel mittel
Basler Blau R eb (2) (3)
Basler Blau BB (4)** (5) (7)
* Die Klammerzahl bezieht sich auf die Zone dunkelster Färbung.
** Die Klammerzahl bedeutet eine anders gefärbte Vorzone.
Die Bedeutung von sauren Kolloiden und Lipoiden. 521
bezuges herrühren. Es ist aber vor allem immer wieder darauf hinzuweisen,
dass das Alter der Farbstofflösungen einen grossen Einfluss auf den Dispersi-
tätsgrad besitzt, so dass man eigentlich vor jedem Versuch mit einer längere
Zeit nicht benutzten Lösung sich von dem Dispersitätsgrad derselben über-
zeugen muss.
Kurz zusammengefasst mag man die Bedeutung der Dis-
persität, des Lösungszustandes der Farbstoffe für die Permeabilität
darin erblicken, dass ein gewisses Maß von Dispersität zweifel-
los Erfordernis ist, falls ein Farbstoff in das Zellenprotoplasma
eindringen soll. Im übrigen lässt sich aus der Beobachtung
des Färbungsbildes nicht ohne weiteres ein Rückschiuss auf den
Grad der Permeierfähigkeit eines basischen Farbstoffes ziehen.
da offenbar noch andere Einflüsse die Anreicherung dieser Farb-
stoffe in den Zellen hervorrufen.
Nach den Angaben, die ich oben über die Lipoidtheorie
Overtons gemacht habe, lag es nahe, der Lipoidlöslichkeit der
Farbstoffe Beachtung zu schenken und zu untersuchen, ob nicht
diese Eigenschaft vielleicht für die Diftusfärbung verantwortlich
gemacht werden könnte. Aus den bisherigen Angaben über die
Lipoidlöslichkeit von Farbstoffen, die ich in der Literatur gefunden
habe, liess sich ein befriedigendes Bild nicht gewinnen, besonders
deshalb, weil im allgemeinen nur bemerkt ist, ob ein Farbstoft
lipoidlöslich ist oder nicht; zahlenmässige Vergleiche zwischen
einer grösseren Reihe von Farbstoffen sind bisher nicht gemacht
worden. Deshalb und weil die Farbstoffe vielfach trotz Ver-
wendung gleicher Fabrikmarken wechselnde Eigenschaften zeigen,
habe ich die Lipoidlöslichkeit der von mir verwandten Farbstoffe
untersucht.
ce) Die Diffusfärbung ist von den Zellpoiden abhängig.
Nach anfänglichen Vorversuchen habe ich schliesslich alle Unter-
suchungen auf Lipoidlöslichkeit mit einer 2%/oigen Lösung von Lezithin in
Xylol angestellt. Das Lezithinpräparat wurde von Merck {Darmstadt)
bezogen und ist eine wachsartige gelbbraune Masse. In Xylol löst es sich
leicht und gibt eine klare gelbe Lösung. Wegen seiner Quellbarkeit ist
Lezithin für derartige Versuche in letzter Zeit verpönt; die Löslichkeits-
werte, die für die Farbstoffe gefunden wurden, sollen nicht für das Lipoid
allein charakteristisch sein, sondern zum Teil auf dem Wassergehalt beruhen.
Ich vermag mangels eigener Erfahrungen die Berechtigung dieses Ein-
wandes nicht zu beurteilen. Zweifellos trübt für die physikalisch-chemische
Ausdeutung der Versuche die Tatsache das Bild erheblich, dass das käufliche
Lezithin keine reine Substanz ist, sondern (nach Nirenstein) durch Zer-
522 Wilhelm von Moellendorff:
setzung sowohl Fettsäure als organische Base gelöst enthält. Es ist nach
den Ergebnissen dieses Autors sowohl, wie nach denjenigen Faure-
Fremiets (1910) wohl möglich, dass ein gewisser Gehalt an sauren und
basischen freien Bestandteilen die Lezithinlöslichkeit für basische und saure
Farbstoffe beeinflusst.
Weiterhin halte ich es nicht für wahrscheinlich, dass sämtliche zu
den lipoiden Substanzen gerechneten Körper ein dem Lezithin analoges Ver-
halten zeigen werden.
Die Berechtigung, das Lezithin als Untersuchungsmittel für die von
mir bearbeiteten Probleme zu verwenden, ergibt sich einerseits aus der
Erwägung, dass wir mit lezithinartigen Substanzen wohl in allen Zellen zu
rechnen haben. Ferner werden, so hoffe ich, die Versuchsergebnisse die
Wahl dieses Körpers rechtfertigen.
Um ein Urteil über das Verhalten der zur Untersuchung
dienenden Farben zu Lezithinxylol zu bekommen, untersuchte
ich zunächst die sogenannte maximale Löslichkeit.
Hierbei kommt folgendes in Betracht:
1. Die gefundenen Zahlen können nicht als absolute Zahlen aufgefasst
werden. Sie stellen das Ergebnis von Versuchen dar, in denen in Lezithin-
xylol die Farbstoffsubstanz bis zur Sättigung in der Kälte aufgelöst wurde.
Bei stärkerer Erwärmung liess sich bei allen lezithinlöslichen Farbstoffen
eine beträchtlich höher konzentrierte Lösung herstellen. Die gefundenen
Zahlen haben ihren Wert nur in der Vergleichung der für die verschiedenen
Farbstoffe gefundenen Werte.
2. Bei einer Reihe von Farbstoffen waren die Endkonzentrationen
in der Lezithinlösung beträchtlich grösser, wenn der Farbstoff der Lezithin-
lösung in Wasser gelöst dargeboten wurde gegenüber der direkten Auflösung
der Farbstoffsubstanz in Lezithinxylol. Besonders waren es kristallisierte
Farbstoffe, bei denen dieses Phänomen beobachtet wurde. Eine Verbesserung
der Löslichkeit in Lezithinxylol aus Substanz wurde oft schon durch feines
Zerreiben der Farbstoffkristalle erreicht.
Die untersuchten Farbstoffe zeigten sehr erhebliche
Differenzen in ihrer Löslichkeit in Lezithinxylol; um einen zahlen-
mässigen Anhalt für diese Differenzen zu bekommen, wurde
grundsätzlich mit äquimolekularen Lösungen gearbeitet. Soweit
die Farbstoffe sich gut lösten, wurde eine n/100-Lösung als
Ausgangslösung gewählt. Die Konzentration der Lezithinlösung
wurde durch Auftropfen auf Fliesspapier und Vergleich dieses
getrockneten Fleckes mit einer Skala ermittelt, die durch Auf-
tropfen verschiedener Verdünnungen der wässrigen Lösung
gewonnen worden war.
Der Umstand, dass hier die Farbtönung der Lipoidlösung mit der
Farbtönung einer wässrigen Lösung verglichen wurde, ist zunächst nicht
unbedenklich. Tatsächlich spricht vieles dafür, dass möglicherweise gleich-
Die Bedeutung von sauren Kolloiden und Lipoiden. 523
stark gefärbte Lösungen eines Farbstoffes in Wasser einerseits, in Lezithin-
xylol andererseits keineswegs die gleiche Farbstoffkonzentration besitzen.
Für unsere Fragen aber, bei denen es sich nur um die Möglichkeit des Ver-
gleiches handelt, kann dieser möglicherweise den Versuchen anhaftende
Fehler ausser Betracht bleiben, da einerseits die Wertverschiedenheit bei
den untersuchten Farben sehr gross ist, andererseits angenommen werden
kann, dass der aus dem oben erwähnten Umstand sich ergebende Fehler
bei allen Farbstoffen annähernd gleich gross ist.
Die Art der Untersuchung ist andererseits so bequem, dass sie jeder-
zeit leicht durchführbar ist. Aus kolorimetrischen Bestimmungen gewonnene
Zahlen können ja ohnehin nur bis zu einem gewissen Grade als zuverlässig
gelten.
Hier, wo es sich, wie gesagt, darum handelt, in erster Linie Ver-
gleichswerte zu bekommen, ist die Methode ausgezeichnet brauchbar.
Ausser diesen direkten Messungen der Löslichkeit der
Farbstoffe in der Lezithinxylollösung wurde auch die Fähigkeit
der Lezithinlösung geprüft, die Farbstoffe aus wässrigen Lösungen
herauszuziehen: es wurde zu diesem Zwecke 1 ccm der Lezithin-
lösung über 10 ccm einer n/l00 resp. n/10000 wässrigen Lösung
geschichtet. Lässt man die Versuche eine genügend lange Zeit
stehen, so erübrigt sich das Umschütteln. In meinen Versuchen
liess ich die Lösungen stets 5 Tage aufeinander wirken. Die
Ergebnisse der drei Versuchsreihen zur Prüfung der Farbstoffe auf
ihr Verhalten zur Lezithinxylollösung zeigt die umstehende
Tabelle.
Da in den mir bekannten Arbeiten die Angaben über den
Grad der Löslichkeit der Farbstoffe in Lipoiden nur allgemein
gehalten sind, lässt sich nur sagen, dass im grossen und ganzen
die Ergebnisse mit denen der früheren Untersucher überein-
stimmen. Nur zu einigen Farbstoffen müssen einige Bemerkungen
angefügt werden.
Malachitgrün ist nach Ruhland und Overton sehr
wenig löslich in Cholesterin-Öllösung, wo es sich erst bei 70°
ein wenig löst. In Benzol-Lezithinlösung dagegen (OÖverton)
ist es leicht löslich, wie ich auch bestätigen konnte. In starken
Benzol-Cholesterinlösungen (40 Teile auf 100 Benzol) löst sich der
Farbstoff auch in der Kälte leicht (OÖverton).
Nilblausulfat und Nilblauchlorhydrat lösen sich
aus n/100 wässriger Lösung recht gut in Lezitbinxylol, zu einem
grossen Teil aber, wie auch schon andere Beobachter fanden. als
freie Base mit rötlicher Farbe. Tropft man von solcher Lezithin-
524 Wilhelm von Moellendorff:
xylollösung auf Fliesspapier, so wird der Fleck beim Antrocknen
blau, wahrscheinlich durch die Kohlensäure der Luft. Die so
schwache Konzentration bei Nilblauchlorhydrat, wenn die Farb-
Löslichkeit basischer Farbstoffe in 2’, igem
Lezithinxylol.
Konzentration
Farbstoff bei direkter Dei Adsorption aus wässeriger Be-
Lösung Lösung von der Konzentration merkungen
n 100 n/10000
Rhodamin B (Kahlb.) n 110 n’100 | n'10000 |
Rhodamin O | n/125 | 2100 n,10000
Rhodamin B extra .n/200 n/100 n/30000
Irisamin G extra | 200 n 1000 n/’15000
Safranin G extra | n.200 | .n!250 n’4000
Rhodamin G extra | .n/300 | .n.100 n 5000 a
£ MILE | 5 stärker
Rhodamin 3 B extra | n500 \ .n/200 n.5000 f als 1/1100
Rosanilin Base | .n/600 | ! von der
Malachitgrün | n/700 n/700 n.10000 | konz. w.
Viktoriablau 4 RS | n/1000 | n/300 n 40000 | Lösung
Chrysoidin R n 2000 n/500 n 17500
Capriblau GON n,2000 ' .n/20000 n/50000
Diamantfuchsin kl. Kr. ' 2/2000 |. n/5000 n 15000
Indazin M. | .n/2000 0/5000 n/40000
Auramin konz. n 2000 n/1500 n/20000
Vesuvin 4 BG | n.3000 n/3000 n/30000
Methylviolett 5 B n/3000 ' .n.1000 n/’10000
Kristallviolett 6 B n,3000 | n/2000 n 10000
Viktoriablau R n 4500 | n/400 n 20000
Viktoriablau B | 0/5000 n/3000
Nilblausulfat | .n/5000 . .n/30000 n 50000
Methylenblau BX n/5000 | n/15000 | Spur
Neutralrot n/10000 | n/25000 | n/50000 ||
Methylenblau BB n/20000 n/20000 | Spur
Rhodamin S extra ' m/20000 n/15000 \ n/40000
Methylengrün ' n/20000 n/20000 Spur
Toluidinblau .n/30000 | 210000 1n/25000
Bismarckbraun n/50000 n/50000 | Spur
Nilblauchlorhydrat ' n/80000 \ n.2000 n/25000
Methylenblau rect. | Spur | Spur | Spur
Methylgrün O0 0 Spur violett 0
|
Acridinrot 3 B 0 ' n10000 | Spur
|
Die Bedeutung von sauren Kolloiden und Lipoiden. 525
stoffsubstanz in Lezithinxylol aufgelöst wird, findet sich nur in
Versuchen bei Zimmertemperatur. Schon durch mässiges Er-
wärmen lassen sich relativ stabile Lösungen bis zu n/4000 in
Lezithinxylol herstellen; die relativ hohe absolute Löslichkeit
dieses Farbstoffes in Lezithinxylol zeigt zudem der Versuch aus
n/100 wässriger Lösung, wo die Konzentration n/2000 in Lezithin-
xylol erreicht wird.
Neutralrot war in meinen Versuchen stets mit roter
Farbe in Lezithinxylol gelöst; mit Ruhlands (08) Angaben
stimmt die relativ schwache Löslichkeit dieses Farbstoffes
gegenüber vielen anderen basischen Farbstoffen überein.
Methylenblau zeigt in den verschiedenen verwandten
Marken ein recht verschiedenartiges Verhalten. Methylen-
blau recetif. von Ehrlich ist in Lezithinxylol fast unlöslich:
während M BBund BX etwamit Nilblausulfat und Nentral-
rot auf einer Stufe stehen.
Methylengrün ist nach Overton in Benzol-Cholesterin
und Lezithin gut löslich. Ruhland, der die Höchster Marke
extra gelblich verwandte, erklärt den Farbstoff für vollkommen
lipoidunlöslich. Ich bekam von den Höchster Farbwerken die
Marke extra gelblich O, die in Lezithinxylol etwa die gleiche
Löslichkeit besitzt, wie Methylenblau BB. Bismarckbraun, das
nach Ruhland (08) praktisch lipoidunlöslich, nach Hoeber in
Terpentin-Cholesterin eine deutlich gegen reines Terpentin ver-
grösserte Löslichkeit zeigt, was Rost (11) auch für Lezithin-
xylol bestätigt, ist in meinen Versuchen zwar sehr schwach,
aber deutlich lezithinlöslich. In Xylol ist es nur in geringer
Konzentration löslich.
Methylgrün OO (Grübler) ist mit Methylviolett
verunreinigt; dies ist der einzige Bestandteil, der sich im Lipoid
löst. Der grüne Farbstoff wird im Lezithinxylol nicht sichtbar.
Dies Ergebnis stimmt überein mit der Angabe Rosts (1911),
während Ruhland (v8), der offenbar auch mit einem von
Grübler bezogenen Präparat arbeitete, angibt, dass der Farb-
stoff in Cholesterin löslich sei, auch Overtons Angaben lauten so.
Aus diesen kurzen Mitteilungen erhellt, dass die Angaben
schwankend sind. Im allgemeinen kann bestätigt werden, dass
Cholesterin, wie auch andere Autoren stets betonen, ein schlechteres
Lösungsmittel für Farbstoffe ist, als Lezithin. Daraus wird ein
Archiv f. mikr. Anat. Bd.90. Abt.I. 35
526 Wilhelm von Moellendorff:
Teil der unterschiedlichen Angaben erklärlich. Zum Teil handelt
es sich aber wohl um die Verwendung verschiedener Präparate.
Das lehren zum Beispiel die hier mitgeteilten Ergebnisse
mit verschiedenen Marken von Rhodamin. Im Gegensatz zu
den Marken B (Kahlbaum), O, 3 B extra, G extra, B extra,
die sämtlich zu den am besten in Lezithinxylol löslichen Farb-
stoften gehören, ist Rhodamin S extra auffallend wenig lipoidlös-
lich. Besonders seine maximale absolute Löslichkeit scheint gering
zu sein, während aus verdünnten wässrigen Lösungen eine relativ
bedeutende Speicherung in der lipoiden Phase stattfindet. Rhoda-
min S extra verhält sich auch, wie gezeigt werden soll, biologisch
etwas abweichend.
Trotzdem auf den ersten Blick die Verhältnisse nicht ganz
übersichtlich sind, so ist doch unverkennbar, dass eine auffallende
Beziehung zwischen der Fähigkeit der Farbstoffe, diffus das
Protoplasma zu färben, und ihrer Löslichkeit in Lezi-
thinxylol besteht. Man betrachte hierzu die Tabelle auf S. 512,
in deren letzter Reihe die Zahlen verzeichnet sind, die die
Konzentration angeben, in der sich die Farbstoffe in 1 ccm
2/0 Lezithinxylol bei Überschichtung über eine n/10 000-Farb-
stofflösung anreichern.
Diese Zahlen wurden gewählt, weil diese Reihe der Reagenzglas-
versuche am ehesten als Modell für die biologischen Versuche angesehen
werden kann, in denen ja auch eine n/10000-Farbstoftlösung jeweils ver-
wandt wurde. Selbstverständlich sind die im Reagenzglasversuche gewonnenen
Werte infolge der schwachen Lezithinkonzentration sehr viel kleiner, als sie
ausfallen würden, wenn etwa reines Lezithin zu den Versuchen verwandt
worden wäre. Bei den verdünnteren Lösungen hat man jedoch den Vorteil,
die Abstufung verschieden starker Löslichkeit bei verschiedenen Farbstoffen
leichter prüfen zu können. Ich wollte diesen Punkt nur hervorheben, weil
die Zellfärbungen in der Tat beträchtlich stärker ausfallen als die im
Reagenzglas gefundenen Konzentrationswerte. Entscheidend für die folgenden
Besprechungen ist nur die charakteristische, mit den Reagenzglasversuchen
übereinstimmende Abstufung der Farbstoffe.
Man beachte: 1. von den stark diffusfärbenden Substanzen,
Safranin G extra, Rosanilin Base, Kristallviolett, Irisamin G extra,
Chrysoidin R, Viktoriablau 4 RS, Diamantfuchsin kl. Krist., sämt-
lichen untersuchten Rhodaminen, mit Ausnahme der Marke S extra,
sind nur Rhodamin B extra (n/30000) und Viktoriablau 4 RS
(n/40000) etwas weniger stark löslich in Lezithinxylol. Diese
Die Bedeutung von sauren Kolloiden und Lipoiden. 527
beiden Farbstoffe haben aber eine sehr hohe absolute Löslichkeit
in Lezithinxylol (n/100 resp. n/300 sind die höchsten gefundenen
Werte). Die starken Diffusfärber sind also sämtlich
auffallend stark in Lezithin löslich.
2. In der Gruppe der mittleren Diffusfärber sind die Werte
schwankend. Die Werte für die Lezithinlöslichkeit sind bei der
Mehrzahl der Farbstoffe (Viktoriablau R, Toluidinblau, Vesuvin
4 BG, Rhodamin S extra, Indazin M) n/20000—n/40000. Der
für diese Gruppe auffallend hohe Wert bei Viktoriablau B er-
klärt sich daraus, dass die Löslichkeit dieses Farbstoffes in Wasser
bei kaltem Ansetzen der Lösung sehr begrenzt ist. In dem
Reagenzglasversuch wurde die Lösung durch Erwärmen herge-
stellt. Aus dieser Lösung nimmt das Lezithinxylol reichlich
Farbstoff auf. Auch Viktoriablau R gehört zu den lipoidlös-
lichsten Farbstoffen (s. auch Ruhland).
Ich war gleich bei den ersten Versuchen mit diesen Farbstoffen über-
rascht, dass sie im supravitalen Versuch so rasch und intensiv färben, nach-
dem Ruhland für Pflanzen ein Eindringen dieser Farbstoffe in Abrede
gestellt hatte, und auch Hoeber zugegeben hatte, dass mit diesen hoch
hochkolloidalen Farbstoffen eine relativ schwach ausgedehnte Granulafärbung
eintritt.
In meinen Versuchen war regelmässig schon nach 10—15 Minuten
eine ausgedehnte mittelstarke Diffusfärbung, mit gleichzeitig sich ausbilden-
der Granulafärbung, zu beobachten. Diese Diskrepanz mit vitalen Versuchen
liegt zweifellos an der Methodik. Die dem Organismus entnommenen Zellen
vermögen nicht mehr die dem lebenden Organismus eigenen Schutzkräfte
auszuüben. Würde sich im lebenden Tiere in lebenswichtigen Organen eine
so intensive diffuse Protoplasmafärbung ausbilden, so würde in kürzester
Zeit eine so enorme Schädigung Platz greifen, dass das Tier an der Gift-
wirkung einginge. Nach meiner Erfahrung gibt es nur ganz ausnahms-
weise im lebenden Organismus eine Diffusfärbung. Nur, wenn schon äusser-
lich das Versuchstier schwer geschädigt ist, ist eine ausgeprägte Diffusfärbung
in vivo zu erkennen. Im supravitalen Versuche fällt diese Lebensfrage
weg. Wir sehen hier nur die physikalisch-chemische Fähigkeit des Proto-
plasmas, Farbstoffe aufzunehmen oder nicht. Die Funktion der Zelle,
über die wir in solchen Versuchen Näheres nicht aussagen können, bleibt
in diesen Versuchen ausser Betracht.
In diesem Sinne ist für mich das Resultat mit ViktoriablauB und
R um so charakteristischer, als für die schlechte Löslichkeit der Farbstoffe
in Wasser das Zustandekommen einer mittelstarken Diffusfärbung erstaun-
lich ist. Bekanntlich sind die Farbstoffe sehr grobdispers (Ruhland 1912),
als solche sind sie zweifellos zum Eindringen in das Protoplasma weniger
befähigt als die grosse Mehrzahl der Farbstoffe, die zur Gruppe der starken
35*
528 Wilhelm von Moellendorff:
Diffusfärber gehören. Die Lösungen beider Farbstoffe sind aber ausserdem
recht instabil, besonders in physiologischer Kochsalzlösung, auf deren Ver-
wendung man natürlich angewiesen ist.
Nach diesen Erwägungen halte ich es für gerechtfertigt,
die Viktoriablaufarbstoffe der Gruppe der starken Diffusfärber
einzureihen, ihre revera relativ schwächere Diffusfärbung dagegen
auf Rechnung der hohen Kolloidität und der schlechten Löslich-
keit zu setzen.
Die umgekehrte Erwägung ist bei Acridinrot 3 B am
Platze: dieser Farbstoff ist sehr gut wasserlöslich, leicht diffusibel,
aber von begrenzter Lezithinlöslichkeit. Die Bezeichnung „Spur“
soll heissen, dass die Konzentration nicht zu bestimmen war, das
Ergebnis des Versuches einer Speicherung in Lezithinxylol aus
einer n/lUÖ-Lösung zeigt aber, dass seine Löslichkeit in der Tat
nicht gross ist. Die mit diesem Farbstoff gesehene Diffusfärbung
ist besonders auffallend, weil eine Granulafärbung in diesen Ver-
suchen nicht zu erzielen war. Wir werden unten darauf zurück-
kommen.
3. Sehr klar liegen die Verhältnisse endlich bei der Gruppe
der schwachen Diftfusfärber. Mit Ausnahme von Nilblauchlor-
hydrat erreichen diese Farbstoffe keine grössere Konzentration
in Lezithinxylol (bei Überschiehtung des Lezithinxylol über
n/1LOOOV-Lösung) als n/5V000. Nilblauchlorhydrat gehört
möglicherweise aus denselben Erwägungen wie bei Viktoriablau
B und R zu der Gruppe der mittleren Diffusfärber: seine wässrige
Lösung ist äusserst instabil, so dass es schwer ist, einwandfreie,
mit den andern Farbstotffen vergleichbare Ergebnisse zu be-
kommen. Die Farbstoffe also (Capriblau GON, Nilblau-
sulfat, Neutralrot, Bismarckbraun, Methylenblau BB, BX und
rectif., Methylengrün extra gelbl. O), sämtlich ausgezeichnete
Granulafärber, sind auffallend wenig in Lezithin löslich.
Einige andere in der Tabelle nicht mit aufgeführte Farbstoffe wurden
nicht so genau untersucht, ergaben aber keine dem Ergebnis widersprechen-
den Resultate. Basler Blau R und BB eignen sich zu diesen Versuchen
schlecht wegen ihrer schlechten Wasserlöslichkeit, Methylgrün OO (Grübler)
ist gar nicht lezithinlöslich in meinen Versuchen. Das Ergebnis ist dem-
gemäss besonders interessant.
Methylgrün OO, aus dessen wässriger Lösung sich nur ein
violetter Farbstoft ausschütteln lässt (in schwacher Konzentration,
schon von A. Fischer (1399) für eine Beimengung von Methyl-
Die Bedeutung von sauren Kolloiden und Lipoiden. 529
violett erklärt), gibt wohl granuläre Zellfärbung, auch färbt sich
der Kernsaft hellgrün ; dass Protoplasma nimmt jedoch nur einen
sehr langsam zunehmenden violetten Farbenton an. Dement-
sprechend ist ja auch Methylviolett ein guter Diffusfärber.
Dies Ergebnis, die völlige Abhängigkeit der supravitalen
Ditfusfärbung von der Löslichkeit der Farbstoffe in Lezithin, er-
scheint mir wichtig, besonders deshalb, weil, wie mir scheint,
die Bedeutung der Lipoide für die Anreicherung von Substanzen
wieder in das rechte Licht gerückt wird. Seitdem mit Sicher-
heit erwiesen war, dass für die Farbstoffe, mithin wohl auch für
ungefärbte Substanzen, die Lipoidlöslichkeit nicht die einzige
Bedingung für den Eintritt in die Zelle ist, dass also jedenfalls
nicht an der Oberfläche der Zelle eine Lipoidhaut vorhanden
sein kann, die ganz allgemein lipoidunlöslichen Substanzen den
Eintritt verwehrt, war man vielfach in das andere Extrem ver-
fallen und hatte die Lipoide der Zelle für völlig bedeutungslos
für den Stoffaustausch der Zellen angesehen.
Aus meinen Versuchen geht nun zwar nichts hervor, das
für eine solche Bedeutung der Lipoide im normalen Zellenleben
sprechen würde. Esist nur, so scheint mir, bestätigt, was von
anderer Seite auf Grund ganz andersartiger Überlegungen be-
hauptet worden ist, dass im Zellenprotoplasma in jedenfalls ultra-
mikroskopischer Weise verteilte Lipoide einen wichtigen Anteil
an der Zusammensetzung dieses bislang noch unbekanntesten
Zellenteiles nehmen.
Ich erinnere hier kurz an die Vorstellungen, die uns
E. Albrecht über den Bau des Zellenprotoplasmas übermittelt
hat. In seinem Vortrag auf dem Anatomentag zu Halle (1902)
äusserte er sich zusammenfassend folgendermassen: „l. Es existiert
in den Zelleibern aller untersuchten Zellen eine Substanz in
diffuser Verteilung, welche a) sehr leicht abspaltbar ist, b) schon
durch Aufbewahrung bei Körpertemperatur (Diffusion von Plasma?)
zu Ausbreitungserscheinungen (Myelintropfenbildung) gebracht
werden kann, und welche c) bei Unterbindung und Wiederlösung
von Nierenarterienligaturen eine diffuse und massenhafte Myelin-
tropfenbildung (Pseudo -Fettdegeneration) in den Nierenzellen
erzeugt. 2. Diese Substanz oder Substanzkategorie (Myelin —
Lezithin?) erscheint demnach geeignet, die Leichtigkeit zu er-
klären, mit welcher sich durch einfache Salzlösungen, ja auch
530 Wilhelm von Moellendorff:
durch Wasser das Zytoplasma entmischen lässt. Wahrscheinlich:
handelt es sich bei der tropfigen Entmischung um eine Bildung
minimaler Mengen von Seifen, welche alsdann die entweder nur
in Eiweiss gelösten (Quincke) oder mit diesem in äusserst
lockerer Verbindung stehenden Myelinsubstanzen zu einer ex-
plosionsartigen Ausbreitung an der Oberfläche kleinster dadurch
gebildeter Tropfen bringt. Die auffällige Gleichmässigkeit dieser
Tropfen weist auf eine ziemlich eleichmässige Verteilung der
betreffenden Substanzen in der Zelle hin. (1902.)*
In neuester Zeit fübrten kolloidehemische Experimente und
Überlegungen W. W. Lepeschkins (1913) zu der Auffassung,
dass „die Hauptmasse des Protoplasmas eine emulsionskolloide
Lösung mit flüssigem Dispersionsmittel darstelle, welche wahr-
scheinlich zugleich molekular und mehrphasig ist.“ Das Auftreten
von Granulis, Fibrillen und anderen Strukturelementen fasst er
als durch eine Dispersionsverringerung bedingt auf. Da Lepesch-
kin, wie auch schon andere vor ihm, zu einer strikten Ablehnung
der Hypothese kommt, es gäbe eine besonders differenzierte
Oberflächenschicht des Protoplasmas, so sucht er den Grund
dafür, dass eine Vermischung des Protoplasmas mit der umgeben-
den Flüssigkeit nicht eintritt, in dem Umstande, dass das Disper-
sionsmittel des Protoplasmas eine ölartige Substanz sei.
Diese Flüssigkeit muss aber Wasser, und zwar molekular, lösen
können, weil bei der Plasmolyse und Deplasmolyse Wasser durch
das Protoplasma bekanntlich sehr schnell durchdringt; hätte sich
aber Wasser dabei im Protoplasma kolloid gelöst, das heisst, wäre
es nur in ultramikroskopisch kleine Teilchen zerteilt, so würden
sich die im Zellsaft molekular gelösten Stoffe auch in diesen
kolloiden Wasserteilchen gelöst erhalten und mit denselben durch.
das Protoplasma hindurchgehen, was nicht der Fall ist. (S. 189.)
Lepeschkin stützt sich für diese Auffassung unter anderem
auch auf das Verhalten von Farbstoffen. Bei den Farbstoffen, welche
gleich schnell durch die Zellenwand diffundieren, hat die Löslich-
keit ın ölartigen Substanzen eine grosse Bedeutung: die öllös-
lichen Farben diftundieren viel schneller durch das Protoplasma, als
die in Öl unlöslichen. (S. 190).
Mit den Lipoiden innig verbunden sind die Eisweisskörper,,
die das Wasser in Lösung enthalten: „diese Verbindung (der
Lipoide mit den Eiweisskörpern) muss flüssig sein und nach
Die Bedeutung von sauren Kolloiden und Lipoiden. 531
ihrer Zersetzung Eiweisskörper in fester Form und in ihnen
gelöstes Wasser ausscheiden, so dass die homogene flüssige
Grundmasse der lebenden Substanz nach dem Absterben und der
stattgefundenen Koagulation als eine porige, schwammartige Masse
erscheint, deren Kanäle mit Wasser erfüllt sind und die infolge-
dessen für alle in Wasser löslichen Stoffe gleich permeabel
wird.“
An den Ausführungen Lepeschkins interessiert für jetzt
besonders, dass sie die diffuse Verteilung lipoider Substanzen in
der Grundmasse des Protoplasmas sehr wahrscheinlich machen.
Es ergibt sich demnach, dass die Beziehung der Farbstoffe
zur Grundmasse des Protoplasmas, die meine Experimente dar-
leeren, sehr wohl so erklärt werden kann, dass wir es in diesem
Falle tatsächlich mit einem Lösungsvorgange zu tun haben.
Die Diffusfärbung wäre demnach nichts weiter als der Ausdruck
für die Lösungsfähigkeit eines Farbstoffes in der kolloiden Lösung
der Protoplasmagrundmasse.
Hierbei ist allerdings die Einschränkung zu machen, dass bisher noch
keine befriedigende Erklärung für die Tatsache der Lipoidlöslichkeit gegeben
wurde; welcher Art die Lösungsvorgänge in Lipoiden sind, ob es sich dabei
um Adsorptionserscheinungen handelt, ob andere chemische oder physikalische
Vorgänge hierbei mitspielen, ist noch nicht genügend erklärt. So lange wir
jedenfalls die Aufnahme der Farbstoffe in die Lipoide als eine Lösung be-
trachten, so lange sind wir auch berechtigt, von einer Lösung der Farbstoffe
im Protoplasma zu sprechen.
Wie eigene noch unveröffentlichte Versuche und solche
meiner Schülerin L. Kummer zeigen, ist das Parallelgehen von
Lezithinlöslichkeit und Ditfusfärbungsgrad nicht auf die basischen
Farbstoffe beschränkt. In einer Reihe von zirka 40 sauren
Farbstoffen, die eine mehr oder weniger starke Löslichkeit
in Lezithinxylol besitzen, stufte sich ebenfalls die im supravitalen
Versuche gefundene Diffusfärbung nach dem Grade der Lezithin-
löslichkeit ab.
Ich halte es für noch nicht an der Zeit, in ausgedehnte
Erörterungen über das Problem der Farbstoffbindung an Bestand-
teile des Protoplasmas einzutreten, da bisher wirklich brauch-
bares ausführlich bearbeitetes Material für diese Fragen noch
spärlich vorliegt. Auch hier sind es, so viel ich sehe, nur die
Untersuchungen von E. Nirenstein, die zu dem gleichen
Problem Stellung nehmen.
532 Wilhelm von Moellendorff:
Die Diffusfärbung des Protoplasmas ist nach Nirenstein
gebunden an ein Lipoid, das sich wie ein Gemisch von Öl und
etwas fettlöslicher Säure (Ölsäure) und Base (Diamylamin) ver-
hält. Das käufliche Lezithin hat eine grosse Übereinstimmung
mit dem oben bezeichneten Gemisch, soll diese aber einer durch
teilweise Zersetzung bewirkten Verunreinigung durch Säuren
und Basen verdanken. Die Übereinstimmung mit meinen Er-
gebnissen ist evident; mir lieferte die Verwendung von Lezi-
thin die gleiche Beziehung wie Nirenstein das Öl-Ölsäure-
gemisch.
Die wesentliche Übereinstimmung mit den mir bei Auf-
findung der Beziehungen zwischen Lipoidlöslichkeit und Diffus-
färbungsvermögen der Farbstoffe gänzlich unbekannten Versuchen
Nirensteins gibt meinem Schlusse eine erhebliche Sicherheit.
Es ergibt sich also, dass in dem Protoplasma in erheblichen
Mengen ein Lipoid, vermutlich lezithinartiger Natur, vorhanden
sein muss. Dieses Lipoid beeinflusst in supravitalen Versuchen
in ausschlaggebender Weise die Farbstoffspeicherung. Aus der
Art dieser Farbstoffspeicherung lässt sich schliessen, dass das
Lipoid im Protoplasma gleichmässig verteilt ist und nicht etwa
seinen Sitz in Teilen der vital färbbaren Granula hat.
Diese Tatsache hat meines Erachtens eine weittragende
Bedeutung für die Auffassung des Zellenbaues. Es muss dabei
besonders hervorgehoben werden, dass von den zu beobachtenden
Färbungserscheinungen ausschliesslich die Diffusfärbung mit dem
Grade der Lipoidlöslichkeit parallel geht. Die Tendenz zur
Granulafärbung verhält sich geradezu umgekehrt, wie die An-
gaben der Tabelle auf S. 512 deutlich zeigen. Im wesentlichen
lässt sich das so ausdrücken, dass geradezu ein relativ geringer
Grad von Lipoidlöslichkeit nötig ist, um eine Granulafärbung in
den Zellen zu ermöglichen; vielleicht würde die Granulafärbung
bei einem vollständig lipoidunlöslichen Farbstoff, sofern er nur
basisch ist, die höchste Elektivität erreichen.
Aus dieser Tatsache schliesse ich, dass Lipoide für das
Zustandekommen der Granulafärbung nicht in Betracht kommen,
wodurch also auch die Schlüsse ihre Bestätigung finden, die wir
aus dem morphologischen Bilde und der Entstehung desselben
bei der basischen Granulafärbung zogen. Wie ich weiter unten
erörtern werde, befinde ich mich mit dieser Auffassung im
Die Bedeutung von sauren Kolloiden und Lipoiden. 533
Gegensatz zu Nirenstein, der sich die Granula ebenfalls aus
Lipoiden aufgebaut denkt.
Ich glaube, dass die Ergebnisse meiner supravitalen Ver-
suche, die Beachtung der Diffusfärbung und ihrer Abhängigkeit
von der Lipoidlöslichkeit wohl geeignet sind, zu einer Revision
der bisherigen Ergebnisse der Lipoidhypothese von Overton
anzuregen. Viele Tatsachen, die früher auf den Lipoidgehalt
einer Oberftlächenschicht bezogen wurden und so wohl fälschlicher-
weise für das Permeabilitätsproblem verwertet wurden, dürften
durch den Nachweis der Beziehungen der lipoidlöslichen Farb-
stoffe zum intergranulären Protoplasma in ein neues Licht ge-
rückt werden.
4. Die Lipoidlöslichkeit verschlechtert die Elektivi-
tät der Granulafärbung durch basische Farbstoffe.
Die Angaben des vorigen Kapitels haben abgesehen von der
Bedeutung der Zellipoide für die Diffusfärbung auch schon das
bemerkenswerte Ergebnis gefördert, dass der Grad der Lipoid-
löslichkeit der basischen Farbstoffe gerade im umgekehrten Ver-
hältnis steht zu der Güte der Granulafärbung, die mit den Farb-
stoften erzielt werden kann (vergleiche dazu die Tabelle S. 512).
Dies Ergebnis ist deshalb wichtig, weil es die erste Feststellung
einer allgemeinen Eigenschaft der Farbstoffe ist, die mit dem
wechselnden Wert dieser Farbstoffe für eine vitale Granula-
färbung parallel geht.
Fast alle guten Granulafarbstofte sind relativ wenig lipoid-
löslich; unter den sehr stark lipoidlöslichen Farbstoffen zeigen
nur die Viktoriablaufarbstoffe eine, allerdings mit beträchtlicher
Diffusfärbung verknüpfte deutlich ausgeprägte Granulafärbung.
Unter den Farbstoffen von mittlerer Lezithinlöslichkeit fallen
durch das Fehlen der Befähigung, Granula zu färben, zwei Farb-
stoffe auf: Rhodamin S extra, Acridinrot 3B.
Die Beziehungen sind so auffallend, dass man schon durch
sie zu dem Schlusse gedrängt wird, dass die Lezithinlöslichkeit
der basischen Farbstoffe dadurch auf die Granulafärbung hindernd
einwirkt, dass die Farbstoffe sich zum grössten Teile in dem
intergranulären, lipoidhaltigen Protoplasma einlagern. Dieser
naheliegende Schluss liesse aber den Einwand zu, dass Färbung
des Protoplasmas und Granulafärbung keineswegs so innig mit-
534 Wilhelm von Moellendorff:
einander verknüpft seien, sondern dass beide Erscheinungen nur
nebeneinanderhergehen. Ausserdem mussten die auffallenden, oben
erwähnten Ausnahmen noch erklärt werden.
Ich suchte daher die nach den bisherigen Feststellungen
vermuteten Zusammenhänge zwischen den Lipoiden des Proto-
plasmas und den Granulasubstanzen im Reagenzglas nachzuahmen
und ging dabei von folgender Überlegung aus: Der Farbstoff,
der in dem Aussenmedium enthalten ist, muss jedenfalls. ehe er
an die Zellgranula kommt, die Grundmasse des Protoplasmas
durchdringen. Hierbei kommt er in innige Berührung mit den
gleichmässig in der Zelle verteilten Lipoiden. Ist er in diesen
sehr gut löslich, so wird er, bevor er die Zellgranula erreichen
kann, im Protoplasma haften bleiben: er wird diffus färben. Auf
die Lokalisation des basischen Farbstoffes wirkt aber anderer-
seits ohne Zweifel der Zug der sauren Substanzen ein, die in den
Zellgranulis ihren Sitz haben. Ist dieser Zug stark, haftet
andererseits der Farbstoff nicht zu stark an den Zellipoiden, so
wird es zu einer vorwiegend granulären Färbung kommen.
Besteht wirklich dieser Widerstreit zwischen dem Einfluss
der Lipoide und den sauren (rranulasubstanzen, so kommt es
darauf an, zu untersuchen, wie der in Lezithinxylol gelöste basische
Farbstoff sich zu einer mit Lezithin nicht mischbaren Säure ver-
hält. An Stelle der unbekannten Säuren in den normalen Zell-
granulis konnte ich in die wässrige Phase gewisse Mengen
saurer Farbstoffe geben, da ja die Übereinstimmung saurer
Farbstoffgranula mit den normalen Zellgranulis bei Färbung durch
basische Farbstoffe erwiesen ist.
Demnach schichtete ich Lezithinlösungen basischer Farb-
stoffe von bekannter Konzentration über bestimmte Quantitäten
in Wasser gelöster saurer Farbstoffe; bemerkenswerterweise
wird ein Teil der basischen Farbstoffe durch die Anwesenheit
des sauren Farbstoffes in der wässerigen Phase aus dem Lipoid
ausgezogen, während andere viel weniger oder gar nicht beein-
flusst werden.
Für die Art meiner Versuche mag folgendes Beispiel angeführt
werden:
Auramin, das mit Wasserblau im Verhältnis 2:1 ausgeflockt wird,
wurde durch Erwärmen in Lezithinxylol bis zur Konzentration n/500 gelöst;
von dieser Lösung wurden je 1 cem über a) 1 ccm Ag. dest., ;b) 1 ccm
n/1000 Wasserblaulösung geschichtet. Nach gleichmässigem Umschütteln
Die Bedeutung von sauren Kolloiden und Lipoiden. 535
beider Gläschen war die Endkonzentration der Lipoidphase bei a) auf n/600.
bei b) dagegen auf n/1100 gesunken. Die wässerige Phase im Gläschen a
hatte einen hellgelben Ton angenommen; im Gläschen b dagegen war die
Wasserblaulösung vollständig ausgefällt. Auramin war also durch das
Vorhandensein des Wasserblau in der wässrigen Phase stark aus der lipoiden
Phase herausgezogen worden.
Rhodamin S extra, das mit Trypanblau, dem gegenüber sich Auramin
ebenso verhält wie gegenüber Wasserblau, sich auch im Verhältnis 2:1 gut
ausflockt, wird aus einer n’2000-Lösung in Lezithinxylol durch einen Gehalt
von n’2000 Trypanblau in der wässerigen Phase aus dem Lezithin nicht
stärker ausgezogen als durch die reine wässrige Phase. In beiden Fällen
stellt sich die Endkonzentration n’3000 ein.
In dieser Weise fand ich, dass alle guten Granula-
färber aus der Lezithinlösung durch Trypanblau
ausgezogen werden, dass dagegen die ausgesprochenen Diffus-
färber durch die Anwesenheit von Trypanblau nicht be-
einflusst werden.
Von Farbstoffen, die mit Trypanblau bei Vermischung beider Farb-
stoffe in wässriger Lösung im Verhältnis 1:1 reagieren, werden durch Trypan-
blau aus dem Lipoid herausgezogen: am stärksten Neutralrot, gut,
aber weniger reichlich Toluidinblau und Malachitgrün, gar nicht
Diamantfuchsin.
Dies Verhalten entspricht vollständig der Tatsache, dass Neutralrot
der beste Granulafärber, Toluidenblau und Malachitgrün neben mittelstarker
Diffusfärbung gute Granulafärbung, Diamantfuchsin bei starker Diffusfärbung
sehr schlechte Granulafärbung ergibt.
2:1 fällen sich mit Trypanblau Auramin, Rhodamin 9 extra,
Safranin G extra, Methylviolett; Auramin und Methylviolett werden
etwa so stark durch Trypanblau dem Lipoid entzogen, wie Malachitgrün,
Safranin in kaum eben erkennbarer Menge, Rhodamin S extra gar nicht.
3:1 fällen sich mit Trypanblau Kristallviolett, Methylen-
grün, Rhodamin B extra. Kristallviolett und Methylengrün werden
wieder mittelstark durch Trypanblau der Lezithinlösung entzogen, während
Rhodamin B extra durch dieselbe vollkommen unbeeinflusst bleibt.
Von der Mitteilung weiterer Versuche, die die hier gemachten Angaben
bestätigen, sehe ich ab. Auch die zahlenmässig von mir bestimmten Werte
glaube ich nicht mitteilen zu müssen, weil sie nur für den Untersucher
Wert haben. Ich will hier nur zur Orientierung angeben, dass die Kon-
zentrationsabnahme der lipoiden Phase in dem günstigsten Fall (Neutralrot)
von n.3000 nach n/10000 lag, Werte, die beim Auftropfen auf Fliesspapier
und Vergleich mit einer Fleckenskala sehr leicht annähernd genau bestimmt
werden können. Bei den mittelstark abnehmenden Farbstoffen (Malachit-
grün, Methylviolett usw.) betrug die Konzentrationsdifferenz etwa n/2000 bis
n.4000, also einen Abfall auf die !» Konzentration, was auch noch sehr
scharf bestimmt werden kann.
536 Wilhelm von Moellendorff:
Die mitgeteilten Versuche haben mich überzeugt, dass die
in dem Modellversuch untersuchte Beziehung zwischen einer
lipoiden Phase und einer wässrigen sauren Phase in der Tat die
Verhältnisse wiedergibt. die in der Zelle zwischen Grundmasse
des Protoplasmas und den durch basische Farbstoffe färbbaren
Zellgranulis hergestellt sind.
Damit ist der Weg angebahnt, um zu einem befriedigenden
Verständnis der Tatsache zu kommen, warum unter einer grossen
Reihe basischer Farbstoffe die einen Granula färben, andere diffus
färben, noch andere endlich sowohl Granula wie diffus färben.
Ehe ich aber dazu übergehe, zusammenfassend darzulegen, wie
der ganze Vorgang dervitalen Färbung nach diesen Untersuchungen
aufzufassen ist, muss ich noch auf einige Punkte hinweisen, die
möglicherweise der Beweiskraft meiner Versuche entgegengehalten
werden könnten.
Ich habe zunächst nur gezeigt, dass bei basischen Farb-
stoffen von gleicher Fällungskraft ein stärkeres Haften an der
lipoiden Phase die Reaktion mit dem sauren Farbstoffe behindert,
dass es also darauf ankommt, ob die Zugkraft des Lipoids oder
die Zugkraft der Säure grösser ist, um eine Granulafärbung zu
befördern oder zu verhindern.
Es könnte ja aber auch sein, dass an und für sich die
stärkere Lipoidlöslichkeit ein Grund wäre für das Versagen der
Granulafärbung. Demgegenüber ist aber auf die Farbstoffe hin-
zuweisen, die trotz relativ geringer Lipoidlöslichkeit schlecht
oder gar nicht zu einer Granulafärbung zu bringen sind. Hierhin
gehört Rhodamin S extra. Ebenso ist das Ergebnis bei
Acridinrot 3 B zu erklären: dieser Farbstoff reagiert ganz
auffallend wenig mit sauren Farbstoffen (mit Trypanblau z. B. 1:9).
Es ist klar, dass nach dem oben Gesagten eine so geringe
Fällungskraft selbst bei geringerer Lipoidlöslichkeit keine er-
kennbare Anreicherung des Farbstoffes in den Zellgranulis be-
wirken wird.
Es zeigt sich aber auch weiter, dass unter Farbstoffen, die
sich annähernd gleich gut in Lezithinxylol lösen, gute Granulafärber
und schlechte Granulafärber vorkommen. In diesen Fällen werden
die guten Granulafärber durch Trypanblau aus der lipoiden Phase
herausgezogen, die schlechten dagegen kaum erkennbar oder gar
nicht: Auramin, Methylviolett, Kristallviolett, Malachitgrün werden
Die Bedeutung von sauren Kolloiden und Lipoiden. 9a
gut aus der lipoiden Phase herausgezogen, sind demgemäss trotz
hoher Lipoidlöslichkeit gute Granulafärber, das heisst, die Granula,
besonders wenn sie sauren Farbstoff enthalten, werden zuerst ge-
färbt, während Diamantfuchsin weder aus der lipoiden Phase
extrahiert wird, noch Granula färbt.
Das Ergebnis der supravitalen Färbung mit basischen Farb-
stoffen wird also bestimmt durch das Konkurrieren der diffus im
Zellenprotoplasma verteilten Lipoide mit den granulär abgelagerten
sauren Substanzen (vermutlich Eiweisse) um den Farbstoff.
An dieser Deutung, die sich mir aus den Versuchen mit
allen daraufhin geprüften basischen Farbstoffen ergeben hat, halte
ich auch fest angesichts der mir erst nachträglich bekannt
gewordenen Mitteilungen E. Nirensteins(1913). Dieser Autor,
der bezüglich der Diffusfärbung und ihrer Abhängigkeit von der
Lipoidlöslichkeit zu ganz ähnlichen Ergebnissen kam wie ich,
dehnt seine Theorie der vitalen Färbung auch auf die Färbung
der Granula aus. Fr nimmt an, dass die Färbung der Granula
ebenfalls auf einem Lösungsvorgange der Farbstoffe beruht. Diese
Annahme ist aber, wenigstens in dem Bericht über den Vortrag,
der mir vorliegt, in keiner Weise gestützt. Im Gegenteil hatte
schon Nirenstein (1905) ebenso wie schon viele andere Forscher
vor ihm gezeigt, dass die Färbung der Nahrungsvakuolen bei
Protozoen von dem Säuregehalt abhängig ist, dass der Inhalt der
Nahrungsvakuolen nur so lange mit basischen Farbstoffen färbbar
ist, so lange in der Vakuole saure Reaktion herrscht, ein Ergebnis
also, das vielmehr für die Deutung der Färbung als einer Reaktion
des Farbstoffes mit dem Vakuoleninhalt spricht, als für die An-
nahme eines Lösungsvorganges. Ich möchte zudem noch einmal
darauf hinweisen, dass die genaue morphologische Betrachtung die
Frage zu Gunsten einer kolloidehemischen Reaktion entschieden hat.
Nirenstein fand nun, dass Farbstoffe nur dann imstande
sind, die Granula stärker zu färben als das übrige Protoplasma,
wenn ihre Löslichkeit in Öl durch den Zusatz einer fettlöslichen
Säure (Ölsäure) verstärkt wird. Dies ist der Fall nur bei
basischen Farbstoffen, während saure und indifferente Farbstoffe
nur durch den Zusatz einer fettlöslichen Base (Diamylamin) zu
Öl in ihrer Löslichkeit beeinflusst werden. Ich halte es durch-
aus für richtig, dass die von Nirenstein gefundene Parallelität
besteht, sehe aber nicht, wie durch diese Auffassung die Besonder-
538 Wilhelm von Moellendorff:
heit der Granulafärbung gegenüber der diffusen Protoplasma-
färbung erklärt wird.
Die Beeinflussung der Granulafärbung durch den Säure-
gehalt der Granula halte ich mit Nirenstein für erwiesen.
Nirenstein musste aber zu Fehlschlüssen kommen dadurch,
dass er die Eigenschaften der Lipoidlöslichkeit und der Säure-
beeintlussung nicht getrennt prüfte; er verwischte das Bild
geradezu dadurch, dass er eine fettlösliche Säure zu seinen
Experimenten wählte. Er musste darum zu der Vorstellung
gelangen, dass auch in den Granulis stark saure Lipoide die
stärkere Färbung bedingen. Nachdem aber erwiesen ist, dass
auch an sicher nicht lipoiden (sauren Farbstofi-) Granulis die
basische Vitalfärbung gelingt, ist die ganze Vorstellung Niren-
steins bezüglich der Granula hinfällig.
In der Tat glaube ich, dass bisher einzig das oben S. 554
beschriebene Modell den tatsächlichen Verhältnissen nahe kommt.
Der Farbstoff, der in die Zelle eingetreten ist, sieht sich einem
Milieu gegenüber, das zu einem grossen Teil aus Lipoiden auf-
gebaut ist. Diese Lipoide sind im Zelleib diffus, möglicherweise
als Dispersionsmittel für die emulsionsartige Masse des Proto-
plasmas (Lepeschkin 1913), verteilt. In ihm lösen sich die
Farbstoffe nach Massgabe ihrer Lipoidlöslichkeit (nach Niren-
stein gemessen in einem Öl, dem etwas Ölsäure und etwas
Diamylamin zugesetzt ist, nach mir in Lezithinxylol). Ob ein Farb-
stoff fähig ist, sich in stärkerem Masse an die im Zelleib
suspendierten sauren Granula anzulagern hängt ab: 1. von der
Fällungskraft des basischen Farbstoffes (basische Farbstoffe mit
minimaler Affinität wie Acridinrot 3 B färben schlecht) oder
2. bei gleicher Fällungskraft zweier basischer Farbstoffe davon,
ob die Fällungskraft die Lipoidlöslichkeit überwiegt oder nicht.
Die Granulafärbung einerseits, die diffuse Protoplasma-
färbung andererseits sind also nicht etwa graduell voneinander
verschieden, wie E. Nirenstein meint, sondern sind zwei
prinzipiell voneinander streng zu sondernde Vorgänge, die sich
gegenseitig beeinflussen. Die diffuse Färbung ist das Ergebnis
einer physikalischen Lösung der Farbstoffe in den Lipoiden des
Zelleibs, die Granulafärbung kommt durch die Reaktion ent-
gegengesetzt geladener Kolloide zustande und wird durch einen
stärkeren Grad von Lipoidlöslichkeit behindert.
Die Bedeutung von sauren Kolloiden und Lipoiden. 539
Zusammenfassung und Zusätze.
a) Morphologische Bewertung der Granula auf Grund vor-
stehender Versuche.
1. Die Granula, die mit basischen Farbstoffen vital und
supravital färbbar sind, sind in der Regel präformierte, aber
nicht integrierende Bestandteile des Zelleibs.
Es ist wohl möglich, aber nicht sicher erwiesen, dass im Protoplasma
gelöst gehaltene Eiweissstoffe durch die Einwirkung basischen Farbstoffes
ausgefällt werden, wodurch neue Granula entstehen könnten. Prinzipiell
unterschiede sich diese Möglichkeit nicht von der Fällung saurer Inhalts-
massen an der Oberfläche der Granula oder im Inneren derselben. ein Vor-
sang, der von mir genau beobachtet wurde.
Trotz der vielfach (A. Fischel 1901, E. Goldmann 1909, 1912)
betonten Tatsache. dass die Granula lange Zeit unverändert im Zelleib
erhalten bleiben. sind die Granula keine unveränderlichen, zur Zelleibs-
struktur zugehörigen Bildungen. Ihre lange Lebensdauer hängt mit der Art
ihres Zustandekommens zusammen. Als anodische Substanzen werden sie
durch Dispersitätsverminderung solange in den Zellen deponiert, bis die
zuströmende Flüssigkeit keine neue Zufuhr solcher Substanzen mehr bringt.
Das dürfte im normalen Zelleben niemals eintreten. Deswegen sind stets
derartige Granula aufzufmden. Dass sie aber nicht konstant sind, lehrt die
Granulabildung, die experimentell durch die Zufuhr saurer Farbstoffe her-
vorgerufen werden kann. Solche Granula entstehen und werden um so
stärker konzentriert, je länger eine gewisse Konzentration des Farbstoffes
der speichernden Zelle zuströmt. Hört die weitere Zufuhr auf, so wird
durch Dispersitätserhöhung der grösste Teil der Granula zum Abblassen
und zu allmählichem Schwunde gebracht. Hier haben wir also den Beweis
für die Vergänglichkeit und Veränderlichkeit des Granulainhaltes.
2. Es ist bisher noch nicht aufgeklärt, unter welchen
Bedingungen sich Plastosomen, das heisst integrierende Be-
standteile des Zelleibes, färben.
Bisher fehlt eine systematische Erforschung dieser Fragen so gut wie
vollständig. Die zur Plastosomenfärbung angewandten Farbstoffe sind stark
lipoidlöslich (Janusgrün, Methylviolett, Dahlia). Die Färbung geht,
soviel aus der Literatur ersichtlich, langsam vor sich im Gegensatz zu der
schnellen Granulafärbung. Dass tiefgreifende postmortale Veränderungen
notwendig sind, um Plastosomen zu färben, ist noch nicht auszuschliessen.
b) Physiologische Bewertung der Granula.
1. Die Granula haben an der Farbstoffaufnahme keinen
aktiven Anteil.
Die Granulafärbung ist zurückzuführen auf den Gehalt der Granula
an sauren Substanzen. Darüber hinaus haben die Granula keinen Anteil an
der Färbung.
540 Wilhelm von Moellendorff:
Dieser Auffassung bereitet auch die Möglichkeit der Oxydasefärbung
an diesen Zellgranulis keine Schwierigkeit. Die Oxydasereaktion verläuft
vollständig ebenso wie die supravitale Granulafärbung, wie auch schon von
anderer Seite hervorgehoben wurde. Der Oxydasefarbstoff wird sicherlich
im intergranulären Protoplasma gebildet; den Granulis gegenüber zeigt er
das Verhalten eines gewöhnlichen basischen Farbstoffes.. Auch an sauren
Farbstoffgranulis gelingt die Oxydasereaktion ! Die Oxydase hat also in den
Zellgranulis ihren Sitz nicht.
2. Die Granula sind einer ständigen Veränderung unter-
worfene kuglige Einschlüsse des Protoplasmas mit einem flüssigen
Inhalt, der vermutlich eine wässrige Lösung kolloid gelöster
Stoffe (Eiweisse, Kohlehydrate, vielleicht auch Fettsäuren) darstellt.
In die Granula können sich Pigmente einlagern, ebenso wie kolloide
saure Farbstoffe. Die Zahl der Granula kann vermehrt werden je nach der
Zufuhr „granulafähiger“ Substanzen.
Dass der Inhalt der Granula in der Regel flüssig ist, zeigt die
Beobachtung Brownscher Molekularbewegung, feiner Körnchen in „aus-
geflockten“ Granulis. Nur bei extremer Konzentration, vollständiger Aus-
flockung, kann der Inhalt des Granulums fest werden.
Über die Natur der Inhaltsstoffe ist bisher nichts Bindendes auszu-
sagen. Er ist jedenfalls sehr veränderlich. Dass Fettsäuren (Nirenstein)
sich an dem Aufbau der Granula beteiligen, ist nicht völlig auszuschliessen ;
jedenfalls ist die Anwesenheit von lipoiden Substanzen für die Färbbarkeit
unwesentlich, die Anwesenheit von Säuren notwendig.
Das Bestehen der Granula in der vermutlich wesentlich aus Lipoiden
zusammengesetzten Lösung des Protoplasmas spricht für den Aufbau der
Granula aus einer mit Lipoiden nicht mischbaren Flüssigkeit. Wahrschein-
lich sind die Granula also Tröpfchen einer wässerigen Lösung.
3. Die Granula können wahrscheinlich entgiftend wirken
durch Bindung basischer Gifte. Möglicherweise kommt dieses
Verhalten bei der Einwirkung der Alkaloidbasen in Betracht.
Alle wesentlichen Lebensprozesse spielen sich wahrscheinlich in der
Grundmasse des Protoplasmas ab; hier hat zum Beispiel die Oxydase ihren
Sitz usw. Die Granula verhalten sich bei der vitalen Färbung passiv.
Die Giftwirkung eines Farbstoffes entfaltet sich vermutlich um so stärker,
je mehr der Farbstoff entweder infolge starker Lipoidbeziehungen oder nach
Absättigung der Granula sich in die Grundmasse des Protoplasmas einlagert.
Vermehrt man die Menge der sauren Zellorte im Körper durch granuläre
Ablagerung saurer Farbstoffe, so wird die Giftwirkung basischer Farbstoffe
abgeschwächt (s. E. Herzfeld 1916).
c) Die Färbung der Granula.
1. Die Färbung der Granula ist bewirkt durch eine Reaktion
des basischen Farbstoffes mit der in den Granulis vorhandenen
kolloidalen Säure.
Die Bedeutung von sauren Kolloiden und Lipoiden. 54l
Ob die Reaktion unter Salzbildung verläuft oder eine kolloidehemische
Fällung darstellt, ist nicht entschieden. Die Vorgänge bestätigen jedenfalls
die Heidenhainsche Ansicht von der Umsetzung zwischen Eiweisskörpern
und Anilinfarben. Nur muss auch in diesen Fällen die physikalisch-chemische
Forschung noch entscheiden, ob es sich um Kolloidfällung oder typische Salz-
bildung handelt.
Ein Lösungsvorgang kommt nicht in Betracht; jedenfalls ist er stets
sekundär beteiligt und analog der Lösung des Fällungsproduktes im Über-
schuss einer der beiden reagierenden Komponenten (saurer und basischer
kolloidaler Farbstoff). Eine spezifische Löslichkeit der Farbstoffe in einer
lipoiden Substanz (A. Pappenheim, R. Hoeber, E. Nirenstein u. a.)
kommt für die Granula nicht in Betracht.
2. Die Färbung der Granula wird beinflusst durch die im
intergranulären Protoplasma (Grundmasse) vorhandenen Lipoide.
Entscheidend ist das Verhältnis zwischen Lipoidbeziehung und
Fällungskraft jedes basischen Farbstoffes. Ist bei zwei gegebenen basischen
Farbstoffen die Lipoidlöslichkeit gleich gross, wird derjenige die Granula
besser färben, dessen Fällungskraft die Lipoidlöslichkeit überwindet. Wenig
lipoidlösliche Farbstoffe mit starker Fällungskraft sind gute Granulafärber,
stark lipoidlösliche Farbstoffe mit schlechter Fällungskraft sind vorwiegend
Diffusfärber.
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So
-]
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Die Implantationsstelle eines ganz frühzeitig
abortiv ausgestossenen menschlichen Eies.
Von
Franz Keibel, Strassburg i. Els.
Mit 7 Figuren im Text.
Durch meinen Freund, Herrn Professor Sellheim in
Tübingen, erhielt ich einen Uterus. der hatte entfernt werden
müssen. weil sich in ihm ein über kindskopigrosses Myom und
mehrere hühnerei- bis billardkugelgrosse Myome befanden und
schwere Erscheinungen hervorriefen.
Aus der Anamnese ist folgendes hervorzuheben.
Die Frau O., von welcher der Uterus stammt, war 33 Jahre
alt und seit 6 Jahren kinderlos verheiratet. Die Periode war
früher ganz regelmässig alle 4 Wochen, zuletzt war sie 6 Wochen
vor der Operation aufgetreten. So wurde eine „ganz beginnende
Gravidität“ vermutet ; „jedenfalls konnte sie nicht älter als
einige Wochen sein.“
Bei Eröffnung des Uterus, der in Formol fixiert und dann
mit Zenker-Formol nachbehandelt worden war, erschien die
Oberfläche der Schleimhaut gefurcht und gewulstet, ein Ei aber
konnte ich nicht finden. Es musste sich also, nahm man Gravi-
dität an, um eine „ganz beginnende“ Gravidität handeln. Es
wurden nun zunächst einige besonders hervorragende Wülste aus
der Schleimhaut ausgeschnitten und in Serienschnitte zerlegt.
Bei der Untersuchung dieser Schnitte fand sich nun freilich kein
Ei. wohl aber ergab es sich, dass die Schleimhaut, nach dem
Charakter ihrer Drüsen beurteilt, durchaus den Charakter einer
graviden Schleimhaut aufwies. Auffällig war dabei die Über-
schwemmung der gesamten Schleimhaut mit Leukozyten. So
wurde die Hoffnung genährt, ein ganz junges Ei zu finden.
Ich zerlegte daher den Uterus zunächst in Scheiben von 1 mm
Dicke, aber es fand sich bei der sorgfältigsten Durchmusterung
dieser Schnitte mit der stereoskopischen Lupe kein Ei. Der eigen-
tümliche Charakter der Schleimhaut veranlasste mich aber noch
36*
544 Franz Keibel:
weiter zu gehen. Die einzelnen Scheiben des Uterus wurden in
Serien von 10 « Dicke zerlegt und zunächst jeder zehnte Schnitt
untersucht: an Stellen, die irgendwie anuffielen, dann jeder Schnitt,
und so ergab sich denn, freilich erst nach der Untersuchung sehr
vieler Schnitte und nachdem meine Geduid nahezu erschöpft war,
des Rätsels Lösung. Es fand sich eine kleine, im grössten Durch-
messer 3— 4 mm messende Stelle. die von einer Fibrinplatte
gebildet wurde, auf der sich, der Uteruslichtung zugekehrt, auch
synzytiale Riesenzellen und vereinzelte Reste von Chorionzotten
nachweisen liessen. Ich sage „Fibrin“platte, denn die Platte
sieht nicht nur bei Hämatoxylin-Eosinfärbung wie Fibrin aus,
sondern gibt auch nach der Kokkelschen Methode Fibrin-
reaktion. Die Weigertsche Methode wurde in der von Schmorl
(Die pathologisch -histologischen Untersuchungsmethoden, 5. Aufl.,
1909, S. 126) für mit chromsauren Salzen behandelte Präparate
angewandt. Auch sie gab ein positives Resultat. Man dürfte
sonach berechtigt sein, von Fibrin zu sprechen.
Es handelte sich also in dem vorliegenden Falle sicher um
eine frühe Gravidität, aber diese Gravidität war kurz vor der
Operation unterbrochen worden. Dass der Abort schon vor der
Operation, vielleicht veranlasst durch die der Operation voran-
gehenden Untersuchungen und die Vorbereitungen zur Operation,
erfolgte, dafür scheint mir die Anamnese zu sprechen.
Ob auch die überaus starke Durchsetzung der Schleimhaut
mit Leukozyten im gleichen Sinne zu verwerten ist, muss zweifelhaft
bleiben, da ja diese Überschwemmung mit Leukozyten vielleicht
auch auf die myomatöse Erkrankung zu beziehen ist.
Die genaue Altersbestimmung des Eies, welche natürlich
von grösstem Interesse wäre, stösst auf Schwierigkeiten. Aus
der (Grösse der Implantationsstelle auf die Grösse des Eies zu
schliessen, dürfte deshalb nicht angehen, weil ja die Muskulatur
des Uterus sich bei der Operation und beim Einlegen in Formol
stark zusammengezogen und daher die Insertionsstelle verkleinert
hat. Wir werden also zunächst nur schliessen dürfen. dass die
Insertionsstelle einen Durchmesser gehabt hat, der grösser war
als 3—4 mm. Ein Vielfaches dieser Grösse wird man freilich
kaum anzunehmen haben, da bei der stark ausgebildeten und
überaus lockeren Spongiosa der Schleimhaut die Uteruszusammen-
ziehung sich auf die Kompakta, in der das Ei implantiert war,
Die Implantationsstelle eines menschlichen Eies. 545
nicht unvermittelt geltend machen konnte. Auch machen die Zellen
dieser Schicht durchaus nicht den Eindruck, als wären sie zusammen-
gepresst, und der Uterus war noch wenig vergrössert, seine
Wand nur wenig gedehnt. So kommen wir vielleicht der Wahrheit
nahe, wenn wir annehmen, dass der grösste äussere Durchmesser
des Eies nicht grösser war als 6—S mm, jedenfalls nicht grösser
als 10 mm. Man würde dann auf ein Alter des Eies von
3—4 Wochen schliessen können. Die Reste der Chorionzotten
sind zu spärlich, um aus ihnen sich ein auch nur einigermassen
gesichertes Urteil über das Entwicklungsstadium des Bies bilden
zu können. Jedenfalls widerspricht ihr Bau der oben gemachten
Annahme nicht. Man kann in ihnen nur ganz kleine Blutgefässe
in geringer Zahl nachweisen, wobei ja zu beachten ist, dass
ganz kleine Blutgefässe sich unter den obwaltenden Verhältnissen
der Beobachtung leicht entziehen können. Es bleiben nun für
die Altersbestimmung noch die Verhältnisse der Menstruation
zu erwägen, um so mehr, als die Periode stets einen regelmässigen
vierwöchentlichen Typus gezeigt hat. Die letzte Menstruation
hat 6 Wochen vor der Operation stattgefunden, der Abort, meiner
Ansicht nach, unmittelbar vor der Operation. Dass das Ei von
einer Ovulation herstammt, welche vor der letzten Menstruation
liegt, halte ich für ausgeschlossen; das Ei kann keinesfalls älter
546 Franz Keibel:
als 6 Wochen sein. Das Ei stammt demnach von einer Ovulation.
welche zwischen der letzten Periode und der ersten ausgebliebenen.
stattgefunden hat, und sein Alter würde sich auch auf 3—4 Wochen
berechnen lassen, was mit meiner vorher ausgesprochenen An-
nahme übereinstimmt.
Wenn es nun ja auch bedauerlich ist, dass man das Alter
der vorliegenden Gravidität doch nur annähernd bestimmen kann.
so bietet das in seiner Art bis jetzt einzig dastehende Präparat
doch so viel Interessantes, dass es auf jeden Fall eine sorgfältige
Beschreibung verdient.
Die Uterusschleimhaut zeigt an Stellen, welche von der
Implantationsstelle entfernt liegen. also bestimmt waren, später
Decidua vera zu bilden, noch keine deutlichen Deziduazellen.
dagegen ist in der Nähe der Implantationsstelle eine Umbildung
der Bindegewebszellen in Deziduazellen im Gange, und an der
Implantationsstelle und in ihrer unmittelbaren Umgebung sind
die Deziduazellen in der Substantia compacta gut entwickelt.
Fig. 1 gibt diese Verhältnisse wieder.
Hier eine Einschaltung über die Nomenklatur. Schlagen-
haufer und Verocay haben jüngst bei der Beschreibung
eines jungen menschlichen Eies (Archiv für Gynäkologie,
Band 105. Heft 2, 1916) betont, dass man von Dezidua. z. B.
von Decidua basalis oder von Decidua capsularis, nicht sprechen
dürfe. wenn in den besprochenen Geweben noch keine Dezi-
duazellen gebildet wären. Sie sagen, es erscheine ihnen besser,
in jungen Stadien von Dezidua überhaupt nicht zu sprechen,
denn wo „keine Deziduazellen, da auch keine Dezidua“. Das ist
doch wohl nicht richtig. Membrana decidua heisst hinfällige Haut,
und diese Namengebung bezieht sich auf das spätere‘ Schicksal
der Bildungen, welche man als Deziduae bezeichnet. Die Dezidua-
zellen haben ihren Namen bekommen, weil sie sich in den Deziduen
ausbilden, nicht umgekehrt hat man von membranae deciduae
gesprochen, weil diese besonderen Zellen in ihnen entstehen.
Die gleiche Überlegung gilt, wenn die Autoren sagen: „Von einer
decidua compacta oder spongiosa kann wohl nicht die Rede sein,
da noch keine wirklichen Deziduazellen vorhanden sind, dagegen
von einem stratum compactum und spongiosum.“
Kehren wir jetzt nach dieser Abschweifung zu der Schilderung
des Präparates zurück, so finden wir, dass sich an den Schnitten
Die Implantationsstelle eines menschlichen Eies. 547
feststellen lässt, dass überall im Uterus, soweit ich ihn untersucht
habe, und das ist an den verschiedensten Stellen geschehen, in
der Schleimhaut eine kompakte und eine spongiöse Schicht nach-
zuweisen ist. Die weiten Räume der spongiösen Schicht werden
durch die mächtig ausgedehnten tiefer gelegenen Teile der Uterus-
drüsen gebildet, deren Wände gegen die Lichtungen hin gefaltet
vorspringen und mit dem eigenartigen garbenartigen Epithel
bekleidet sind, wie wir es bei Hitschmann und Adler schon
für die Drüsen in der prämenstruellen Zeit beschrieben finden
(vergl. Grosser, Vergl. Anatomie und Entwicklungsgeschichte der
Placenta (1909), Fig. 143, 147 u. 149 und denselben im Hand-
buch der Entwicklungsgeschichte des Menschen (1910), Bd. I,
Fig. S5 und 87).
In beiden Schichten der Schleimhaut lässt sich durch die
Methode von Bielschowsky-Maresch ein feines Binde-
gewebsgerüst nachweisen. Die Figuren 2 und 5 geben Schnitte
durch die Drüsen der spongiösen Schicht der Uterusschleimhaut
wieder.
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548 Franz Keibel:
Wenden wir uns jetzt zur Implantationsstelle. Sie ist in
Fig. 4 bei schwacher Vergrösserung dargestellt: die Fig. 5, 6 und 7
seben Teile der Implantationsstelle bei stärkerer Vergrösserung.
Wir finden an ihrer dem Uteruslumen zugekehrten Seite spär-
liche Reste von Zotten, Zellsäulen und Synzytium mit Riesenzellen.
In den Zotten kann man kleine Blutgefässe vereinzelt nach-
weisen. Das Bindegewebe der Zotten zeigt mit der Methode von
Bielschowsky-Maresch behandelt ein reiches Gerüstwerk
von Bindegewebsfasern, es ist von einer Langhans’schen Zell-
schicht und von einer Synzytialschicht umgeben.
Die Implantationsstelle eines menschlichen Eies. 549
Peripher von den Resten der Zellsäulen und der Zotten,
wo solche vorhanden sind, lässt sich eine Lage nachweisen, die
mit der Kokkelschen Methode und der Schmorlschen Modi-
fikation der Weigertschen Fibrinmethode (angewandt nach
den Vorschriften von Sechmorl: Die pathologisch-histologischen
Untersuchungsmethoden, fünfte Auflage, 1909) die Fibrinreaktion
gibt. Diese Schicht färbt sich, wie schon bemerkt, auch mit Eosin
wie Fibrin und erscheint dabei basalwärts gegen die Deziduazellen
nicht scharf abgegrenzt. In ihr finden wir eingebacken Kernreste,
die zum Teil auf die Kerne von Leukozyten und Deziduazellen
zurückzuführen sind; ob auch Kernreste des fetalen Synzytiums hier
zu Grunde gehen, konnte ich nicht feststellen. Es ist nicht
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550 Franz Keibel:
wahrscheinlich, da sie sich, wie später noch genauer geschildert
werden soll, sonst überaus aktiv und lebenskräftig erweisen.
Jetzt folgt die kompakte Schicht der Decidua basalis. In ihr
können wir drei Arten von Zellen unterscheiden, zunächst typische
Deziduazellen. dann Leukozyten, deren Kerne vielfach mehr oder
weniger hochgradige Zerfallserscheinungen aufweisen und schliess-
lich ganz eigentümliche grosse Zellen, deren Protoplasma bei
Hämatoxylin-Eosin Färbung, aber auch bei anderer Färbung
dunkel erscheint. wie das Protoplasma des Synzytiums.
Die Implantationsstelle eines menschlichen Eies. 551
Was die Deziduazellen anlangt, so stehen diese in engsten
Beziehungen zu dem PBindegewebsnetz, welches die Kompakta
durchzieht. Vielfach gewinnt man den Eindruck, als wenn die
Fasern dieses Gerüstwerkes geradezu in der äusseren Schicht der
Deziduazellen liegen (vergleiche Fig. 1).
Die Leukozyten liegen vereinzelt oder auch zu mehreren in
Lücken, welche im Gewebe ausgespart sind. Das meiste Interesse
erwecken die grossen Zeilen mit dunkelm Protoplasma. Betrachtet
man die Schnitte, so scheint es sich da meist um grosse Einzel-
zellen von rundlicher Gestalt zu handeln. In manchen Fällen
sieht man aber auch zwei oder mehrere Kerne und kann Über-
gänge zu synzytialen Riesenzellen nachweisen. Vielfach findet
man die Zellen in Reihen angeordnet, oder auch nur zu zweien,
aber nicht rundlich, sondern lang ausgezogen. Das Protoplasma
solcher Zellreihen kann zusammenhängen. Gegen die Umgebung
20 mm Fig. 6.
552 Franz Keibel:
sind die Zellen, um die es sich hier handelt, meist durch einen
mehr oder weniger ausgeprägten Spaltraum abgegrenzt. Zu dem
Bindegewebsgerüst der Dezidua haben sie offenbar keine Be-
ziehungen. In manchen Fällen erscheinen sie längs der Blut-
gefässe, doch wohl in Lymphspalten angeordnet. In Blutgefässen
selbst findet man sie nur ganz vereinzelt; auch überschreiten
die Zellen das Gebiet der Kompakta kaum.
Wie entlang mancher Blutgefässe, mögen die Zellen auch,
sonst in den Lymphgefässen und den Lymphspalten stecken, doch
lässt sich durchaus nicht sagen, dass sie überall in präformierten
Räumen liegen. ‚Jedenfalls haben sie im Gegensatz zu den Dezidua-
zellen keinerlei Beziehungen mit dem durch die Silberimprägnation
so reich zur Anschauung zu bringenden Bindegewebsgerüst der
Kompakta.
Wir kommen so zur Frage nach der Natur und der Genese
dieser auffallenden Zellen. Es kann meiner Meinung nach kein
Zweifel darüber bestehen, dass es sich um Zellen handelt, die
Die Implantationsstelle eines menschlichen Eies. 553
fetaler Natur sind und zwar um Abkömmlinge von den Zellen der
Zellsäulen und des Synzytiums des Eies. Dafür spricht nicht nur
ihr ganzes Aussehen, man kann auch Stellen in den Schnitten
finden. an denen man den Zusammenhang erkennen kann. Die
Fig. 5, 6 und 7 geben dafür Beispiele.
Auf den Schnitten erscheinen die meisten der Zellen als
isolierte einkernige Bildungen. Andere Zellen sind aber mehr-
kernig und neben den isolierten rundlichen Bildungen erscheinen,
wie schon erwähnt, Ketten von Zellen. deren Protoplasma mitein-
ander in Zusammenbang steht, die also als synzytiale Bildungen
aufzufassen sind. Von den Bildungen, die in den Schnitten sich
als einkernige isolierte Zellen darstellen, kann man nun natürlich
auch nicht sagen, dass es sich bei ihnen sicher um einkernige
Zellen handelt. Es könnten quer durchschnittene Zellketten sein.
Immerhin sind die isolierten Gebilde so zahlreich, dass man wohl
annehmen darf, dass es sich nicht bei allen um Querschnitte durch
solche Zellketten handelt.
Nieht unwichtig erscheint mir das Präparat für die Ab-
grenzung des fetalen und des mütterlichen Gebietes. Die Grenze
des mütterlichen Gebietes wird einwandfrei durch die dem Lumen
des Uterus zugekehrte Abgrenzung des Bindegewebsgerüstes und
durch den Fibrinstreifen gegeben. Dagegen ist das fetale Gewebe
nicht in gleicher Weise scharf abzugrenzen. Wir finden durch
die ganze Kompakta verteilt fetale Elemente, welche, da sie nicht
in den Blutgefässen liegen, nicht durch den Blutstrom einge-
schleppt sein können, sondern selbständig in das mütterliche
Gewebe eingewandert sein müssen, ja deren Einwanderung man
an günstigen Stellen direkt beobachten kann. Dass sich in den
Venen des Präparates nur ganz vereinzelt fetale Zellen nachweisen
lassen, kann natürlich nicht dafür angeführt werden, dass solche
nicht doch auch durch den Blutstrom in grösserer Zahl ein-
seschleppt werden. Bei der Kontraktion des Uterus während der
Operation und in Formol können solche Zellen mit dem Blute
entleert worden sein.
Erklärung der Textfiguren.
Fig.1. Nach Bielschowsky-Maresch mit Silber imprägniert. Vergr. 300:1.
Fig.1 stelltein Stück der kompakten Schicht der Uterusschleimhaut
in der Nähe der Implantationsstelle dar. Nach oben liegt das einschich-
954
Fig. 2.
Franz Keibel:
tige Uterusepithel. Die Zellen der Kompakta sind durchweg in Dezidua-
zellen umgebildet, zwischen denen durch die Silberimprägnation nach
Bielschowsky-Maresch das reiche Gerüstwerk der Bindegewebs-
fasern zur Darstellung gebracht ist. Gegen das Uterusepithel hört
dieses Gerüstwerk, gelegentlich etwas verdichtet, mit scharfer Grenze
auf. Es steht in inniger Beziehung zu den Deziduazellen und scheint
teilweise in ihrem Protoplasma zu liegen. In zahlreichen kleinen
Lücken, immer deutlich getrennt von dem Gerüstwerk, wie von dem
Protoplasmaleibe der Deziduazellen, liegen Leukozyten, deren Kerne
vielfach in Zerfall begriffen sind.
Färbung: Hämatoxylin-Eosin. Vergr. 200:1.
Schnitt durch die gewucherten Drüsen der Spongiosa an der
Implantationsstelle. Das Protoplasma der Epithelzellen zeigt An-
deutungen von Granula, wohl die Andeutung von Sekretionsvorgängen.
Zottenförmige Wucherungen ragen in das Drüsenlumen hinein. Diese
Wucherungen bestehen nicht nur aus Epithelzellen, ihr Grundstock
wird von Bindegewebszellen des Gerüstwerks gebildet. Das binde-
sewebige Gerüstwerk zwischen den Drüsen ist kernreich. Gegen die
untere Grenze der Figur sind zwei kleine Gefässe quer getroffen.
g. 3. Imprägnation mit Silber nach Bielschowsky-Maresch. Vergr. 200:1.
Fig. 4.
Schnitt durch die gewucherten Drüsen der Spongiosa an der
Implantationsstelle. Das Epithel und die zottenförmigen Wucherungen
verhalten sich wie in Figur 2. In den bindegewebigen Septen ist
das reiche Gerüstwerk zur Darstellung gebracht, das sich auch in
die zottenförmigen, in die Drüsenlichtungen hineinragendenWucherungen
fortsetzt. Die Kerne der Bindegewebszellen sind nicht zur Darstellung
gebracht.
Färbung mit Hämatoxylin-Eosin. Vergr. 75:1.
Schnitt durch die ganze Dicke der Uterusschleimhaut an der Im-
plantationsstelle, unten in der Figur ist auch noch ein kleiner Teil
der Muskelschicht dargestellt. Man erkennt, dass die Schleimhaut
in einen kompakten, dem Uteruslumen zugekehrten Teil, — in der Figur
oben — und in einen spongiösen Teil — unten in der Figur — zerfällt.
Die basalen, der Uterusmuskulatur benachbarten Drüsen zeigen keine
so hochgradigen Veränderungen als die anderen, vor allem fällt auf,
dass ihr Epithel einen anderen Uharakter hat.
Der dem Uteruslumen zugekehrten Fläche der Schleimhaut sehen
wir links ein Paar Zotten anlagern. Man kann an ihnen den binde-
gewebigen Kern, die Langhanssche Zellschicht und die Synzytium-
schicht unterscheiden. Auch sonst erkennt man synzytiale Wucherungen.
Links sehen wir unter der Zotte und dem Synzytium eine Endothel-
schicht, die wohl einem arrodierten Blutgefäss angehört, rechts sehen
wir die Fibrinplatte nicht scharf gegen die Decidua compacta abgegrenzt,
in ihr Bruchstücke und Reste zu Grunde gehender Kerne. Die Kom-
pakta ist in ihrer ganzen Ausdehnung ausserordentlich stark von Leu-
kozyten infiltriert. deren Kerne, bei der schwachen Vergrösserung des
Fig.D.
Fig. .
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Die Implantationsstelle eines menschlichen Kies.
Übersichtsbildes, wie kleine Punkte erscheinen. Wesentlich grösser
erscheinen die Kerne der blassen Deziduazellen, und dann finden wir,
durch die ganze Kompakta verteilt, grosse dunkle Zellen, die vom
Synzytium und von den Zellsäulen des Fetus herstammen.
Färbung Hämatoxylin-Eosin. Vergr. 300:1.
Ein Teil der dem Uteruslumen zugekehrten Fläche der Implan-
tationsstelle bei starker Vergrösserung. Der Decidua compacta liegen
hier einige Zotten an. An den Zotten erkennt man den bindegewebigen
Kern, die Langhanssche Zellschicht und die Synzytialschicht.
Man erkennt, wie die Langhanssche Zellschicht in die Zellsäulen
übergeht. Zwischen den Zotten und der zelligen Dezidua liegt ein
schmaler Fibrinstreifen mit Kernresten. Etwas links von der Mitte
des Bildes erkennt man eine Einbruchsstelle von synzytialen Zeilen in
die Dezidua. In der Dezidua selbst sieht man zwischen den blassen
Deziduazellen zahlreiche Lücken, in denen einzeln oder auch zu
mehreren Leukozyten mit mehr oder weniger zerfallenen Kernen liegen.
Ausser den synzytialen Zellen an der Einbruchsstelle sehen wir eine
grössere Zahl von grossen Zellen mit dunkelm Protoplasma, sicher
Zellen fetaler Herkunft.
. Färbung: Hämatoxylin-Eosin. Vergr. 300:1.
Ein Teil der dem Uteruslumen zugekehrten Fläche der Implan-
tationsstelle. Der Uteruslichtung zugekehrt, etwa in der Mitte der
Figur eine synzytiale Riesenzelle, rechts und links davon fetale Zellen
die wohl einer Zellsäule angehört haben, und die in die darunter
gelegene Dezidua einwuchern. Sie ordnen sich dabei zu Strängen oder
Reihen an. Links in der Figur sieht man, wie ein solcher Zellstrang
dem Verlaufe eines Gefässes folgt. Die Dezidua ist sehr stark mit
Leukozyten durchsetzt, diesen und den einwuchernden Zellen gegen-
über treten die eigentlichen Deziduazellen ganz in den Hintergrund.
Färbung: Hämatoxylin-Eosin. Vergr. 300:1.
Ein Teil der dem Uteruslumen zugekehrten Fläche der Implan-
tationsstelle. Diese Fläche ist hier zum grössten Teil von einem fetalen
Belag von Synzytium bedeckt, nur etwas rechts von der Mitte liegt
der Fibrinstreifen mit seinen eingebackenen Kernresten frei. Besonders
links ist der synzytiale Belag deutlich, und hier sieht man an zwei
Stellen das fetale, synzytiale Gewebe in die darunter liegende Dezidua
eindringen. Ganz an der linken Seite der Figur sieht man einen Zell-
strang, der sich in einzelne Zellen aufzulösen scheint, und etwas
weiter rechts gehen von einer Stelle des synzytialen Belages gleich
zwei Zellstränge in die Tiefe, so dass das Bild einer Gabel zustande
kommt. Rechts sehen wir in der Figur in einer Gewebsspalte einen
längeren Strang fetaler Herkunft, der sich in einzelne Zellen aufzulösen
scheint. Die Leukozyten sind nicht ganz so zahlreich wie an anderen
Stellen, so dass die Deziduazellen etwas mehr zur Geltung kommen,
Die epitheliale Lamelle am unteren Rande der Figur gehört dem
Epithel einer Uterusdrüse an.
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