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ARCHIV
FÜR
OHEENHEILKUNDE
BEGRÜNDET 1864
VON
Dr. A. V. TEOLTSCH Dr. ADAM POLITZER
wiEiLAMD Prof. in Wübzbubg. in Wibh.
UND
De. HERMANN SCHWARTZE
IN Halle a. S.
IM VEREIN MIT
Prof. C. HASSE in Breslau. Prof. V. HENSEN in Kiel, Prof. A. LÜCAE
IN Berlin, Prof. E. MACH in Wien, S. R. Dr. A. MAGNUS in Königsberg i/Pr.,
Prof. E. ZAÜFAL in Prag, Prof. J. KESSEL in Jena, Prof. F. TRAÜT-
MANN IN Berlin, Prof. V.ÜRBANTSCHITSCH in Wien, Prof. F. BEZOLD
IN München, Prof. K. BÜRKNER in Göttingbn, Dr. E. MORPüRGO in
Triebt, Dr. L. BLAU in Berlin, Prof. J.BÖKE in Budapest, G. S.R. Dr. H.
DENNERT in Berlin, Prof. G. GßADENIGO in Turin, Prof. J. ORNE
GREEN IN Boston, Prof. J. HABERMANN in Graz, Privatdooent und
Prof. Dr. H. HESSLER in Halle, Privatdooent und Professor Dr. L.
JACOBSON IN Berlin, Prof. G. J. WAGENHAÜSER in Tübingen, Prof. H.
WALB IN Bonn, Privatdooent und Professor Dr. C. GRÜNERT in Halle.
Privatdooent Dr. A. JANSEN in Berlin, Privatdooent Dr, L. KATZ in
Berlin, Prof. P. OSTMANN in Marburg, Dr. L. STACKE, Prof. in Erfurt,
Dr. 0. WOLF in Frankfurt a. M., Prof. A. BARTH in Leipzig, Prof. V.
COZZOLINO IN Neapel, Privatdooent Dr. L. HAÜG in München, Dr. F.
KRETSCHMANN in Magdeburg, Prof. E. LEÜTERT in Gibssbn, Privat-
dooent Dr.Y. HAMMERSCBLAG in Wien, S. R Dr. F. LÜDEWIG in Ham-
burg, Dr. F. MATTE in Köln, Dr. HOLGER MYGIND, Prof. in Kopen-
hagen, Dr.W. ZERONI in Karlsruhe.
herausgegeben von
Prof. ADAM POLITZER und Prof. H. SCHWARTZE
in WIEN IN halle A. S.
Unter verantwortlicher Redaktion]
VON H. SCHWARTZE seit levs.
YIERUNDFÜNFZiaSTfiR BAND.
Mit 12 Abbildungen im Text und 2 Tafeln.
LEIPZIG,
VERLAG VON F.C.W.VOGEL
1902.
LfSd I
Inhalt des vierundfünfzigsten Bandes.
Erstes und zweites (Doppel-) Heft
(ausgegeben am 5. December 1901).
Seite
I. Ueber die Erfolge der zu akustischen Zwecken unternommenen
chirurgischen Eingriffe in der Trommelhöhle. Von Prof. G.
Gradenigo (Turin) . * l
II. Ans der Königl. Üniversitäts- Ohrenklinik zu Halle a. S. (Geh. Me-
dicinalrath Prof. Dr. S c h w a r t z e). Die Bedeutung der Lumbal-
Sunction für die Diagnose intracranieller Complicationen der
»titis. Von Dr. Iwan Braunstein, Hülfs- Assistenten der
Klinik 7
III. Aus der Königl. Universitäts-Ohrenklinik zu Halle a. S. (Geh.-Rath
Prof. Dr. Schwartze). Jahresbericht über die Thätigkeit der
Kgl. Universitäts-Ohrenklinik zu Halle a.S. vom 1. April 1900
bis 31. März 1901. Von Prof. Dr. K. G runer t und Dr. W.
Schulze, Assistenten der Klinik 63
IV. Statistische Nachrichten über die Krankenbewegung und die Fre-
quenz der Studirenden in der Universitäts-Ohrenklinik zu
Halle a. S. während der Zeit vom 1. April 1884 bis 1. April 1901.
Von Prof. H. Schwartze. (Mit 2 Curven) 127
V. Historische Notiz über Cholesteatom des Schläfenbeins. Von H.
Schwartze 139
VI. Besprechungen.
1. Thomas Barr, Manual of diseases of the ear including these
of the nose and throat in relation to the ear. (Zeroni) 147
2. J. Hegener, Krankhafte Veränderungen der Form und Stel-
lung der Ohrmuschel. (Zeroni) 149
3. Les sourds-muets en Norv^ge par Uchermann (Holger
Mygind) 149
yil. W^issenschaftliche Rundschau.
1. Lucae, Die Ohrenheilkunde des 19. Jahrhunderts. 150. —
2. Hölscher, Kurze Mittheilung über experimentelle Unter-
suchungen mit säurefesten Tuberkelbacillen ähnlichen Spalt-
pilzen. 151. — 3. Denker, Zar vergleichenden Anatomie des
Gehörorgans der Säugethiere. 152. — 4. Derselbe, Zur Ana-
tomie des Gehörorgans der Monotremen. 152. -— 5. Pause,
Das Gleichgewichts- und Gehörorgan der japanischen Tanz-
mäuse. 152. — 6. Drebusch, Der Absehunterricht mit Schwer-
hörigen und Ertaubten. 153. — 7. Monier, Du traitement aöro-
thermique en g^näral et plus particulierement en rhinologie.
153. — 8. Peter, Der Einfluss der Entwicklungsbedingungen
auf die Bildung des Gentralnervensystems und der Sinnesorgane
bei den verschiedenen Wirbelthierklassen. 153. — 9. Sug^r,
Aphorismen beim Concerte Jan Kubelik's. 154. — 10. Müller,
IV Inhalt des nemndfOnfngaten Bandes.
Ohrby^ene beim Haarscbndden. 154. — 11. Richter, Zwei
typische retromaxillire Racheofibrome, deren Entstehung und
Behandlung der Blutongscefahren. 154. — 12. Derselbe, Ueber
zwei seltene vergessene Fremdkörpereinlagerangen in Nase and
Ohr und eine eigenthümliche Fremdkörperwanderang. 154. —
13. Derselbe, Operative Behandlang einer vorderen and einer
hinteren nasalen Atresie. 155. — 14. Ostmann, Ueber gal-
▼anokanstiscben GefässTerschlnss in der Nase als einleitenden
Act intranasaler Eingriffe. 155. — 15. Onodi, Das Yerh<niss
der Kieferhöhle zur Keilbeinhöhle und zn den vorderen Sieb-
beinzellen. 155. — 16. Tomka, Ein Fall von aenter Mittelohr-
entzfindnng bei Morbus macalosus Werlhofii. 155. — 17. Do-
nogdnv, Primäres drQsenartiges (adenoides) Carcinom der un-
teren Nasenmuschel. 155. — 18. Pannanik, Contribution
ä r^tude de la pathogänie de Tozene. 155. — 19. Liebmann,
Die Sprachstörungen geistig znrflckgebliebener Kinder. 156. —
20. Sugär, Ueber systematische Gebörubungen und deren the-
rapeutischen Werth bei Taubstummen und Ertaubten. 156. —
2t. Lannois und Ghavanne, De Talgie mastoidienne hyst^-
rique. 156. — 22. Bernard (Paris), Sardite double de cause
centrale. 158. — 23. Grouzillac (Toulouse), Un cas de laby-
rinthite syphUitique secondo-tertiaire. Gu^rison. 158. — 24. Bar
(Nizza), Gas de pyob^mie otique avec dermatomyosite saus
trombo-phlebite apparente du sinus. 158. — 25. Bonyer (Gau-
terets), Pseudo-vertige de M^niöre et algie mastoidienne hyst^-
rique associds. 15S. — 26. Lenhardt (ie Havre), Sur un cas
de mastoidite Sans otite. 159. — 27. Mal herbe (Paris), Absc^s
profond du cou cons^cutit ä une otite grippale latente. 159. —
28. Raoult (Nancy), Occlusion du m^at et des parois du con-
duit auditif ä la suite d*an tranmatisme. Resection du conduit.
159. — 29. Toubert (Paris), Vari^t^ rare de cellulite mastoi-
dienne aberrante. 160. — 30. M. Lannois (Lyon), De T^tat
de Toreille moyenne dans les fissures cong^nitales du palais.
160. — 31. Ricard (Algier), Sur un cas d*anomalie sensorielle
auditive. 160. — 32. Jousset (Lille), L*ezamen des voies aäri-
ennes sup^rieures chez le sourd-muet. 160. — 33. Babinski,
De rinfluence des l^sions de Tappareil auditif sur le vertige
voltalque. 161. — 34. Marage, Deplacement de Titrier pen-
dant Taudition. 161. -- 35. Marfan et Armand-Delille,
Paralysie faciale congönitale par agön^ie de la portioa p^ri-
ph^rique du nerf facial avec ag^n^sie de Toreille. 161. — 36. Ya-
quiez et Ribierre, Otite et m^ningite cör^bro-spinale. 162. —
37. Braunschweig, Ueber combinirtes Empyem der Ge-
sichtshöhlen.
YIll. Richtigstellung von Dr. Richard Müller und Dr. Stenger . . 163
Bemerkung zu obiger Richtigstellung von Prof. Dr. Grunert in
Halle a.S 163
Personal- und Fachnachrichten 164
Drittes und viertes (Doppel-) Heft
(ausgegeben am 23. Januar 1902).
IX. Die Krankheiten des Gehörorgans unter den Volksschulkiodern
des Kreises Marburg. Von Prof. Ostmann, Marburg a. L.
(Mit 2 Abbildungen) 167
X. Ueber die Betheiligung des Nervus facialis beim Lauschen. Von
Prof. Ost mann, Marburg. (Mit 4 Abildungen) 209
Inhalt des vierandfünfzigsten Bandes. Y
Seita
XI. Aus der Obrenklinik der Eönigl. Charit^ in Berlin (Director:
Geh. Med.-Kath Prof. Dr. Traut mann). Zar Thrombose
des Bulbus yenae jugularis. Von Stabsarzt Dr. Stenger,
z. Z. Assistenten der Klinik. (Hierzu Taf. 1. II) 216
XII. Aus der Ohrenklinik des Cbarit^-Erankenhauses in Berlin (Diri-
girender Arzt: Geh. Med.-Rath Prof. Dr. Trautmann). Neu-
rosen und Warzenfortsatzoperationen. Von Stabsarzt Dr.
Bichard Müller, früherem Assistenten der Klinik .... 223
XIII. Acute Mittelohreiterung bei einem Diabetiker. Bogengangsfistel.
Periarticulärer Senkungsabscess am Kiefergelenk. Von Dr. A.
Ephraim in Breslau 240
XIY. Zum Mechanismus des Wachsthums der Cholesteatome. Von
Dr. A. Ephraim in Breslau 244
XY. Ueber die Exenteratio cavi tympani zu akustischen Zwecken.
Yon Prof. G. Gradenigo (Turin). (Mit 4 Abbildungen) . . 249
XYI. Mein Protest gegen die Yerbindung der Section für Ohrenheil-
kunde mit der Laryngologie auf den Versammlungen deut-
scher Naturforscher und Aerzte. Yon H. Schwartze (am
23. September 1901 in Hamburg) 265
XYII. Zwei physiologisch- akustische Vorträge, gehalten auf der 73. Ver-
sammlung deutscher Naturforscher und Aerzte zu Hamburg
im September 1901. Yon August Lucae 268
XYIII. 73. Versammlung deutscher Naturforscher und Aerzte in Ham-
burg, vom 22. bis 28. September 1901. 20. Abtheilung: Hals-,
Nasen- und Ohrenkrankheiten. Bericht von Dr. Rud. Meyer
(Hamburg) 278
XIX. Segundo Congreso espanol de Oto-Rino-Laringologia celebrado
en Barcelona del 19 al 22 de Septtembre de 1899. Secciön de
otologla. Bericht von Dr. Iwan Braunstein 291
XX. Bericht über die Verhandlungen der Berliner otologischen Ge-
sellschaft Yon Dr. Haike (Berlin) 298
XXI. Besprechungen.
4. Dr. A. Hartmann, Verhandlungen der Deutschen otolo-
gischen Gesellschaft auf der 1 0. Versammlung in Breslau
am 24. und 25. Mai 1901. (Schwartze) 299
5. K. Brauckmann, Die psychische Entwicklung und päda-
gogische Behandlung schwerhöriger Kinder. (Ostmann) 300
6. Dr. Eugen Maljutin, Priv.-Doc. an der KaiserL Univer-
sität in Moskau, Maligne Tumoren der Nasenhöhle und
die chirurgische Behandlung derselben. (Grunert) . . 304
7. Röpke, Die Berufskrankheiten des Ohres und der oberen
Luftwege. (Grunert) 305
8. Dr. Theodor Heim an in Warschau, Ueber letale Ohrerkran-
kungen. (Braunstein) 307
Nekrolog. Emilio de Rossi. Yon Dr. Eugenio Mor-
purgo (Triest) 311
XXII. Wissenschaftliche Rundschau.
38. Ergebnisse der Sammelforschung über Krankheiten des
Ohres im K. und K. Heere in den Jahren 1897—1899. 313. —
39. Prof. De Rossi (Rom), Bericht an die Generaldirection
der sicilianischen Eisenbahnen über die in Europa bestehen-
den Bestimmungen für die Untersuchung des Gehörs bei den
Eisenbahnbediensteten nebst Entwurf eines Reglements für
das sicilianische Eisenbahnnetz. 314. — 40. Prof. Vicenzo
Gozzolino (Neapel), Ueber einige Operationsfälle bei primärer
Thrombophlebitis der Y. jugularis, des Sinus lateralis und bei
YI lahalt da liamadüminff^bm Bandes.
SeitB
otitischen eztndimleny cerdnlea ud ccrdidlaren Absees-
•em 31&. — 41. Olmer Lenoir, GontiibatioB i Telade de
raotrectomie (oaTertore de rantre ptocox) considMe comme
bot op^toire et oonuM toips pr^Iiminaire des op^ntioiis
B^ccs n tde s par les complicatioiia des sappmatioDS mastofdien-
nes. 316. — 42. N. Komberg, Fall tob hysleiiseher Taob-
stammbeit 319. — 43. P. Hellat, Die ÜA in die Lftage
zidiende eitrige Mittelobrents&iidoi^ und deren BdiandfaiDg.
319. — 44. K. Lau, Ueber die Heilang alter TrommdfeU-
perfoimtionen. 320. — 45. Erwin Jftrgens» Ueber die Beden-
tnng der Lymphdrüsen in der Umgebong des Obres. 320. —
46. M. J. Bolochowski, Ueber Massage vermittelst der
el^tromotoriscben Lnftpompe bei Ohrerkrankoagen. 321.
Personal- ond Fachnacbrichten 321
1^
1.
üeber die Erfolge der zn akustischen Zwecken nnter-
nommenen chirurgischen Eingriffe in der Trommelhöhle.
Vott
Prof. d. OradenUro (Turin).
Bekaantlieh wird die sogenaante progressive Taubheit in
der Mehrzahl der Fälle dnreh Alterationen bewirkt, welche all-
mählich in dem SchalUeitnngsapparat sich ausbilden und meistens
in Ankylosen der Articulationen der Grehörknöchelehen und
Fixation dieser letzteren durch bindegewebige Zflge bestehen.
Andererseits sind klinische Fälle bekannt, in welchen, in Folge
von protrahirten Suppurationen, das Trommelfell, Hammer und
Amboss, die Sehenkel des Steigbügels zn Grunde gehen und
das Gehör trotzdem yerhältnissmässig gut erhalten bleibt Solche
Beispiele beweisen, dass der in der Trommelhöhle befindliche
Scfaallleitungsapparat nicht unbedingt nothwendig f&r das Be-
stehen eines zufriedenstellenden Gehörvermögens sei; und es
durfte deshalb angenommen werden, dass in Fällen von schwerer
Oehörsstörung in Folge von Läsionen des Schallleitungsapparates
durch die Entfernung dieses letzteren das Gehör in merklicher
Weise gebessert werden könne.
Diese theoretische Erwägung wird jedoch durch die That-
«achen nicht vollständig bestätigt, und in dem im verflossenen
Jahre gehaltenen Congresse zu Paris, haben sich zwei Referenten,
Botey und Sieben mann geradezu fUr die Unwirksamkeit der
%n akustischen Zwecken in der Trommelhöhle unternommenen Ein-
griffe, ausgesprochen. Ich selbst habe im Verlaufe von mehreren
Jahren in meiner öffentlichen und privaten Klinik zahlreiche
Beobachtungen über die in Bede stehende Frage gemacht und
auch von anderen Gollegen anstellen lassen. Ich behalte mir
vor, diese Beobachtungen an anderer Stelle ausführlich mitzu-
theilen; gegenwärtig möchte ich nur in summarischer Weise
Aichiy f. Ohrenheilkunde. LIV. Bd. t
2 L GRADENIGO
einige der Ergebnifise, die sich mir ergaben, bekannt machen.
Auf Grand meiner Erfahrangen kann ich den Pessimismus ein-
zelner Collegen nicht yoUstftndig theilen; denn wenn es auch
richtig ist, dass die Endresultate in der Mehzahl der Ffille und
zwar auch in denjenigen, welche zu einem chirurgischen Ein-
griffe besser geeignet zu sein scheinen, nur mittelmässig gut
oder auch ganz negativ sind (die unmittelbaren Erfolge sind
gewöhnlich brillant), so sind dieselben in einzelnen Füllen doch,
sowohl bezflglich des Gehörvermögens als auch bezfiglich der
subjectiven Störangen (Geräusche, Schwindelanfälle) als gute
anzusehen. Die definitiven Resultate der zu akustischen Zwecken
unternommenen chirargisehen Eingriffe in der* Trommelhöhle
hängen nach meiner Meinung in wesentlicher Weise ab 1. von
der Beschaffenheit und von dem Sitze der Störangen in der
Schallleitung und auch von der Betheiligung des inneren Ohres an
dem Erankheitsprocesse oder vom Ausgeschlossensein desselben;
2. von dem ausgeführten operativen Eingriffe und der Modalität
dieses Eingriffes; 3. von der postoperativen Behandlung. Auf den
letzteren Punkt wurde bis. jetzt nur wenig Rtieksioht genommen,
obwohl derselbe, meines Erachtens, einen bedeutenden Einfluss
auf das definitive Eesnltat ausübt.
1. Bficksichtlich der Charaktere und des Sitzes der Krankheit
muBS ich bemerken, dass eine jede Operation im Mittelohre contra-
indicirt ist in allen denjenigen Fällen, in welchen das innere Ohr
sieh an dem Krankheitsprocesse in intensiver Weise betheiligt. Die
nach der Operation erfolgende Reaction beschleunigt die Alteratio-
nen im inneren Ohre und bewirkt eine Zunahme der Taubheit. Die
zu einem chirurgischen Eingriffe geeigneten Fälle sind diejenigen,
in welchen die functionellen Symptome auf die Integrität des
inneren Ohres hindeuten und namentlich diejenigen, in welchen
die prävalirenden Läsionen bloss auf Hammer und Amboss be-
schränkt sind (Fixation derselben durch Ankylose oder durch
Narbengewebe).
Die Methoden der functionellen Prüfung, die uns gegen-
wärtig zur Verfügung stehen, lassen leider nur in unvollstän-
diger Weise die Einzelnheiten der Läsionen des scbalUeitenden
Apparates erkennen, und es können deshalb auch nur in un-
genügender Weise die Indicationen flir etwaige operative Ein-
griffe festgestellt werden. Es wären die Resultate der chirur-
gischen Eingriffe in der Trommelhöhle sicherlich weniger
zweifelhaft, wenn unser Urtheil über den Sitz und über die
Zu akust. Zwecken unternommene chlrurg. Eingriffe in der Trommelhöhle. 3
Eigenthümlichkeiten der Läsionen auf fester Orundlage stehen
würde.
£» ist deshalb eine weitere Ausbildung unserer diagnosti-
schen Untersuchungsmethoden nothwendig, damit wir in vollstän-
diger Weise, als es gegenwärtig möglich ist, die verschiedenen
Krankheitsformen erkennen können.
2. Bezüglich der operativen Eingriffe zeigt die Erfahrung,
dass die conservativen Operationen, wenigstens in der grossen
Mehrzahl der Fälle, nur einen vortlbergehenden Erfolg haben.
Die einfache Perforation des Trommelfells, die Entfernung
eines Segmentes desselben ergeben wohl ausgezeichnete Re-
sultate unmittelbar nach dem operativen Acte, aber keine
dauernde, weil, abgesehen von Ausnahmefällen, auf die ich
hier nicht eingehen will, die gemachte Oeffnung sich nach
einiger Zeit, die je nach der Yascnlarisation des Trommel-
fells variirt, schliesst und das Hörvermögen neuerdings in das-
selbe Stadium tritt, in welchem es vor der Operation gewesen ist.
Die Tenotomie des Muse, tensor tympani hat gleichfalls nur
einen transitorischen Effect, weil in der Regel die Schnittenden
der Sehne wahrscheinlich sich vereinigen, was durch die Gegen-
wart von Falten der Schleimhaut, welche dessen Sehne zu be-
gleiten pflegen, begünstigt wird. Auch durch die von Gru-
nerti) vorgeschlagene Methode der Luxation des Hammergriffes
nach aussen, so dass derselbe eine horizontale, der oberen Wand
des Gehörganges parallele Lage einnehme, damit die Schnittenden
der Sehne sich nicht vereinigen können und ein Defect im
Trommelfell verbleibe, erzielte ich bis jetzt keine definitiv guten
Resultate, weil der luxirte Hammer wie ein Fremdkörper wirkt
und in der Apertur im Trommelfell sich Granulationen bilden,
welche dieselbe verschliessen , auch auf den Hammergriff über-
greifen und denselben vollständig umgeben.
In Fällen von starker Retraction des Trommelfells in Folge
von narbiger Verkürzung des Muse, tensor tympani ist vielleicht
rationeller eine von mir vorgeschlagene Methode, welche darin
besteht, dass man den Hammer, nach vorausgehender Tenotomie
in die normale Stellung bringt, und zwar indem der Griff des-
selben durch zwei Oeffnungen hindurch, welche durch Incisiqnen
vor und hinter dem Griffe, im Trommelfelle gemacht werden,
mittelst einer starken eigens construirten Pincette gefasst wird.
1) Archiv für Ohrenheilkunde. Bd. XLIII. S. 135.
4 I. GRAD£NI60
Die Kesaltate nnmittelbar nach einer solehen forcirten Redaetion
des retrahirten Hammers waren ausgezeichnet; ich konnte mir
jedoch noch kein Urtheil ttber die definitiven Erfolge der Ope-
ration bilden.
Aach das blosse Bewegen der Gehörknöchelohenkette mittelst
eines Instrumentes, nach lappenformiger Inoision des Trommel-
felles, ergiebt, nach meinen Erfahrungen, keine definitiv guten
Resultate; denn wenn es sich um Ankylose und Fixation han-
delt, dann werden wir wohl die vorhandenen abnormen Ver-
wachsungen aufheben können, es bilden sich aber dieselben mit
aller Wahrscheinlichkeit wieder von Neuem aus. Es wurden aber
in der Regel bessere Resultate durch das langsame und wieder-
holte Bewegen der ganzen Kette der Gehörknöchelchen ver-
mittelst i/^rsichtig ausgeführter Massage mit dem elektrischen
Motor erzielt. Es bleiben somit als therapeutische Hilfsmittel
bloss die zerstörenden Operationen zurück, die im Wesent-
lichen in zweifacher Weise ausgeführt werden können. Es wer-
den nämlich entweder alle Theile des schallleitenden Appa-
rates, welche vom Gehörgange her erreicht werden können,
entfernt, d. h. Trommelfell, Hammer, Amboss, und wenn möglich
auch der Steigbügel (Exenteratio cavi tjmpani), gerade so
wie dies spontan, durch Suppuration zu erfolgen pflegt, wobei
dann die Schallwellen von aussen her direct zur Labyrinthwand
der Trommelhöhle gelangen, oder aber man zerstört die Function
der Kette der abnorm fixirten Gehörknöchelchen, indem man
die Continuität derselben durch Entfernung einer intermediären
Partie, z. B. des Ambosses, unterbricht, wobei die Schallwellen,
von dem vernarbten Trommelfelle aus durch die Luft der Trom-
melhöhle hindurch fortgeleitet werden. Bekanntlich ist die Theorie
von Helmholtz, welche der Kette der Gehörknöchelchen für
die Fortleitung der Töne eine grosse Bedeutung zuschreibt, in
neuerer Zeit durch eine Reihe von experimentellen und klini-
schen Thatsachen ^) in Schwankung gerathen. In der That be-
weisen klinische Fälle, dass bei Verschluss der Trommelhöhle
und bei Unterbrechung der Kette der Gehörknöchelchen, das
Hörvermögen ziemlich gut erhalten sein kann.
Gewöhnlich ist das definitive Resultat der beiden angedeu-
teten Methoden ein identisches, d. h. es ist gleichgiltig, ob man
1) Man vergleiche die interessanten Untersuchungen von Secchi in
Arch. Ital. di Otologia eu. Vol. II. p. 302; Vol. IV. p. 246. — Vergl. auch
Zimmermann.
Za akust. Zwecken anternommene chirnrg. Eingriffe in der Trommelhöhle. 5
bloss dea Amboss entfernt (was vom Gehörgange aus wegen der
morphologischen Eigenthümlichkeiten der Trommelhöhle nicht
immer ausführbar ist), oder ob man nebst dem Ambosse auch
das Trommelfell und den Hammer beseitigt; denn schliesslich
bildet sich immer eine narbige Membran ans, welche als Trom-
melfell functionirt, und es erfolgt in beiden Fällen eine Unter-
brechung der Kette der Oehörknöchelchen. Es ist uns, trotz der
Anwendung verschiedener Operationsmethoden, nur in Ausnahme-
fällen gelungen, eine Neubildung des Trommelfells, nach totaler
Entfernung desselben, zu verhindern, und zwar auch dann nicht,
wenn nebst dem Trommelfelle auch ein kreisförmiges Streifchen
des Tegments in der Tiefe des Gehörganges excidirt wird, was
von Gavello, auf meiner Klinik, vorgeschlagen und ausgeführt
wurde ; denn es erfolgt auch in diesem Falle eine Neubildung
des Trommelfells. Es ist jedoch wichtig, dass das Hörvermögen
trotzdem und trotz der Unterbrechung in der Kette der Gehör-
knöchelchen, genügend gut werden und sich stabil erhalten kann.
Ich kann gegenwärtig noch nicht mit Bestimmtheit angeben, ob
die einfache Entfernung des Ambosses ebenso gute Resultate
liefere wie die Ausleerung der Trommelhöhle.*)
Die Entfernung des Steigbügels vom Gehörgange aus ist,
wie bekannt, nur in bestimmten Fällen möglich, denn derselbe
ist oft wegen hoher Lage des ovalen Fensters nicht sichtbar.
Aber auch in den Fällen, in welchen der Steigbügel zugänglich
ist, können die dünnen Schenkel desselben brechen und die anky-
losirte Platte bleibt an Ort und Stelle liegen.
In einem Falle jedoch, in welchem ich auf einer Seite den
ganzen Steigbügel sammt dem Ambosse und dem Hammer ent-
fernte, erzielte ich keine besseren functionellen Erfolge als auf
der andern Seite, wo bloss der Amboss und der Hammer ent-
fernt werden konnten.
3. Die postoperative Behandlung ist von grosser Bedeutung
rücksichtlich der definitiven Resultate. Man kann als Regel hin-
stellen, dass diese um so geringer sind, je grösser die Reaction
nach dem chirurgischen Eingriffe ist, und deshalb sind die
weniger aggressiven Methoden vorzuziehen. Aus diesem Grunde
ist die Operation vom Gehörgange aus rathsamer als eine weit-
1) In einem Falle von Manier e'schen Schwindelanfällen in Folge von
Otitis sicca, ist es mir gelungen, die Anfälle durch einfache Entfernung
des Ambosses dauernd zum Verschwinden zu bringen. (S. Giornale dell&.
B. Accad di Medicina di Torino 1901).
6 L GRAD£NIGO, Za «kost Zwecken ontem. Eiagriffe in d. Trommelhöhle.
gebende Zeratöning dnreh Eingriff auf den Waraenfortsate. Be-
zfiglich der postoperatiTen Beaetion maehte ich die Erfahrung,
dass die Intensität derselben Tariirt, je nachdem es sich um
Alterationen des Mittelohrs handelt, die eonseentiF nach snppn-
rativen oder nach katarrhalischen Processen auftreten. Im ersteren
Falle tritt nach einer Exenteratio oft wieder eine, wenn
auch nur sehr gmnggradige Suppuration auf, w&hrend im zweiten
Falle die Regeneration des Trommelfells ohne bemerkenswerthe
Beaetion erfolgt
Es ist nothwendig, die Begeneration des narbigen Trommel-
fells mit Sorgfalt zu überwachen, weil in der Begel die Tendenz
zur Bildung von Granulationen auf dem Promontorium Torhanden
ist, welche zu Verwachsungen und zur Fixation der neugebildeten
Membran f&hren kann.
Nachdem die Begeneration des Trommelfells erfolgt ist, ist
vielleicht die Massage desselben mit dem elektrischen Motor zu
versuchen, wodurch die Vibrationsfähigkeit der Membran be-
fordert wird.
Es kann in dieser Weise ein relativ gutes und permanent
bleibendes Gehörsvermögen in manchen Fällen zu Stande kommen.
II.
Aus der Königl. Üniversitäts-Ohrenklimk in Halle a. S.
(Geh. Medioinalrath Prof. Dr. Sehwartze).
Die Bedentang der Lnmbalpnnction fnr die Diagnose
intracranieller Complicationen der Otitis.
Von
Dr. Iwan Braanstein,
Hülfs- Assistenten der Klinik.
Seit dem Jahre 1896 ist in der Königl. Universitäts-Ohren-
klinik zu Halle a.S. die Lumbalpunction als diagnostisches
Hülfsmittel angewandt worden, um bei otitisehen Erkrankungen
mit intraeraniellen Complioationen entweder durch Ausschluss
einer Meningitis purulenta diffusa die noch vorhandene
Berechtigung zu einem operativen Eingriff darzuthun, oder durch
Feststellung einer solchen von einer Operation wegen ihrer Aus-
sichtslosigkeit auf Erfolg Abstand zu nehmen.
Auf Grund der Erfahrungen, die bei den ersten 12 Fällen
mit der Lumbalpunction gesammelt wurden, hatte Leutert auf
Veranlassung des klinischen Direotors in seiner Arbeit: „Die Be-
deutung der Lumbalpunction für die Diagnose intracranieller
Complicationen der Otitis*' (Münchn. medic. Wochenschr. 1897.
Nr. 8 und 9) die bis dahin in der jKlinik gewonnenen An-
schauungen über den Werth der Lumbalpunction als diagnosti-
sches Hülfsmittel flir die Ohrenheilkunde publicirt, und es dürfte
jetzt nach mehr als fünfjähriger Anwendung derselben in der
hiesigen Klinik gestattet sein, an der Hand eines grösseren
und vielseitigen Materials die Leutert 'sehen Angaben auf ihre
Richtigkeit zu prüfen. Die Lumbalpunction wurde nunmehr im
Ganzen an 48 Patienten 67 mal ausgeführt.
Da die in Betracht kommenden Krankheitsfälle fast alle
bereits veröflFentlicht sind, so werden dieselben hier nur kurz
mit der Diagnose, den Ergebnissen der Lumbalpunction, der Ope-
ration oder der Section angeführt. Nur einige noch nicht ver-
8 II. BRAUNSTEIN
öffentliehte Fälle sollen auBf&hrlicber mitgetheilt werden. Für die
üebersioht der Fälle haben wir die L entert 'sehe Grnppimng
beibehalten.
a) Eitrige Meningitis.
1. Hoppe, Karl, 16 Jahre alt, aufgenommen am 3. October 1895 mit
acuter Warzenfortsatzeiterung im Verlaufe einer chronischen Mittelohreite-
rung links. Residuen rechts. Gestorben am 26. April 1896.
21. April 1896 operirt wegen Recidiv der früheren Eiterung rechts.
23. April Temperatursteigerung (38,5^), in den nächsten Tagen Symptome
der Meningitis.
25. April Lumbalpnnction ohne Narkose in Seitenlage wie
in allen anderen Fällen. Es entleerten sich ca. 40 ccm leicht
getrübter Flüssigkeit mit wenigen grauweissen Flocken, zu-
erst im Strahl. Die Flocken bestanden aus Leukocyten und
spärlichen Fibrinfäden. Erst nach längerem Suchen in frischen
und gefärbten Präparaten wurden in letzteren zwei Diplo-
kokken gefunden. Je zwei Culturen auf Agar, Strich und
Bouillon ergaben auf ersteren weniger zarte Streptokokken-
colonien, in letztern wuchs der Streptococcus ebenfalls rein
und zu yerschlune^enen Ketten aus.
Soweit war die Diagnose Meningitis unanfechtbar gesichert. Sofort nach
der Function stieg der Puls yon 80 auf 96 Schläge, doch trat keine wesent-
liche Aenderung im Befinden des Patienten zu Tage.
Sectionsbefund: Eitrige Basilarmeningitis, ausgehend vom
Labyrinth.
2. Riedel, Franz, 22 Jahre alt, aufgenommen am 21. November 1896,
gestorben am 23. November 1896.
Status: Sehr kräftig gebauter Mann, Gesicht stark gerötbet, mit ängst-
lichem Ausdruck. Facialisparese rechts, über dem Herzen ein zischendes
Geräusch, Puls hochgradig cephalisch, unrepelmässig, aussetzend. Kopf-
schmerzen, Schmerzen in der Wirbelsäule beim Aufrichten (keine Nacken-
steifigkeit, Stuhl nicht angehalten), Urin eiweisshaltig. Der Augenhintergrund
weist beiderseits normale Papillengrenzen auf, Venen geschlängelt (keine Sen-
sibilitätsstörungen, Sensorium frei). Temperatur 39,3^. Rechtes Trommelfell
stark gerötbet, etwas vorgewölbt; Krater in der lateralen Atticwand mit Gra-
nulationen darin, feine Perforation vor dem Umbo, aus welcher sich pulsirend
Eiter ergiesst.
21. November. Nach Vornahme der Paracentese wird sofort zur Lum-
balpnnction geschritten. Die erste Punction misslang; obgleich 7 cm weit
eingegangen war, lief keine Flüssigkeit ab. Erst als bei der zweiten Punc-
tion die ohne Ansatzstück 8 cm lange Nadel ihrer ganzen Länge nach ein*
geführt war, und das Ansatzstück fest in die Haut gedrückt wurde, hatte
man das Gefühl des Durchtretens der Spitze durch die Dura mater spinalis.
Oedem bestand in dieser Gegend nicht, auch war der Patient nicht besonders
fettreich; dagegen besass er eine prachtvoll entwickelte, starke Musculatur.
Dazu kam, dass der Patient beim Einstechen der Nadel in die Haut aus der
gekrümmten Seitenlage in die gerade zurückging. Es entleerten sich aber
nur während das Ansatzstück so tief als möglich in die Haut eingedrückt
wurde, einige Cubikcentimeter getrübter, mit grauweissen Flocken unter-
mischter Flüssigkeit. In dieser fiel in frischen Präparaten der Reichthum an
meistens polynucleären Leukocyten auf. In gefärbten Ausstrichpräparaten,
welche von den aus zusammengeballten Leukocyten und fadigen Massen be-
stehenden Flocken hergestellt wurden, fanden sich drei deutliche, je zu
zweien angeordnete Kokken. Je zwei Agar- und Bouillonculturen blieben
steril; eine weisse Maus, welcher drei grosse Platinösen der Lumbalflüssig-
keit unter die Rückenhaut geimpft wurden, wozu besonders die Flocken ver-
wandt wurden, reagirte nicht auf die Impfung.
Am anderen Morgen war Patient schmerzfrei, der Puls fast regelmässig,
nur wenig gespannt, 96 in der Minute bei einer Temperatur von 39,6°. Je-
Bedeutg. d. Lumbalpunct. für d. Diagnose intracran. Complicat. d. Otitis. 9
doeh War diese Besserung wohl auf Becbnang der Tags zuvor gegebenen
Digitalis zu setzen; Herzgeräusch verschwunden; doch ergab die Untersuchung
des Augenbintergrundes am Abend dieses Tages rechts deutliche, links be-
ginnende Neuritis optica; ausserdem bestand Lähmung beider Abducentes und
Strabismus.
Sectionsbefund: Eitrige Leptomeningitis der Basis, wahr-
scheinlich ausgehend vom Aquaeductus vestihuli, aus welchem sich beim Ablösen
der Dura ein Tropfen Eiter entleerte. PiaOdem bestand nicht, auch war die
Yentrikelflüssigkeit nicht vermehrt, so dass unsere anfängliche Annahme, die
geringe Ausbeute bei der Function sei lediglich auf Rechnung der zu kurzen
Nadel zu setzen, hinfällig wurde.
3. Eichler, Ida, 17 Jahre alt, aufgenommen am 17. März 1897, ge-
storben am 9. April.
Seit 4 Wochen Schwindel beim Bücken, häufig missgestimmt, reizbar
bei zunehmender Appetitlosigkeit. Herz und Lungen gesund. Gehörgang
links normal. Fistulöser Krater über dem Proc. brevis, aus welchem eine
Granulation herausgewachsen ist.
18. März. Leichte Druckempfindlichkeit über dem linken Planum mast.
ohne Oedem. Elopfempfindlichkeit über der Schläfe und über der Linea
temporalis. Keine Oedeme an den Extremitäten.
Operative Freilegung der Mittelohrräume von innen nach aussen (nach
Stacke).
23. März. Fieberfreier Verlauf. Puls ca. 60.
29. März. Unter leichter Temperatursteigerung bis 38,2^ sind heftige
Kopfschmerzen eingetreten, welche im ganzen Kopf gleichmässig empfunden
werden, in unregelmässiger Weise vorübergehend exacerbiren und dabei ins
Gesicht ausstrahlen. Wegen ihrer Heftigkeit musste Morph, subcutan ge-
geben werden. Appetit gering, mehrfaches Erbrechen, Obstipation, Schwindel-
gefühl erheblich vermehrt. Wunde von gutem Aussehen. Objectiv kein
einziges Symptom einer cerebralen Herderkrankung nachweisbar, Reflexe aber
etwas gesteigert.
30. März. Temperatur normal. Nach einer leidlichen Nacht sind die
bedrohlichen Symptome sämmtlich zurückgegangen.
31. März. Nachdem Pat. mehrere Stunden gut geschlafen, erwacht sie
gegen 4 Uhr Morgens, schreit vor Schmerzen auf und wirft sich im Bett
umher. Sie giebt an, dass die Schmerzen ganz plötzlich gekommen wären,
dass ihr „alles weh thue*' besonders der Kopf, der Rücken und der Leib.
Der Schmerz sei im Hinterkopf am heftigsten. Kopf zurückgeworfen und in
den Kissen vergraben, Erbrechen. Objectiv keinerlei Symptome nachweisbar.
Sensorium vollkommen frei; weder Motilitäts- noch Sensibilitätsstörungen.
Puls unregelmässig, ca. 74, klein. Temperatur, die seit gestern normal war,
ist plötzlich auf 39,5^ gestiegen, fällt dann langsam ab bis Mittags 37,5^.
Bisher war die anfängliche Diagnose Meningitis in Folge Zurückgehens von
Puls und Temperatur auf die Norm zweifelhaft gewesen oder an eine circum-
scripte Meningitis gedacht worden.
Gegen 9 Uhr Yormittags plötzliche Veränderung des Krankenbildes.
Völlige Apathie, Kopf zurückgelehnt, Arme schlafi^, Beine leicht gespreizt.
Pupiflen eng, reagieren träge, Bewegung der Extremitäten wird träge und
kraftlos ausgeführt. Puls äusserst unregelmässig, auf 3—4 langsame Schläge
folgen ebensoviel schnelle, flatternde Contractionen. Diffuse Meningitis wahr-
scheinlich.
Lumbalpunction. Im Strahl werden ca. 35 — 40 ccm stark getrübter
Flüssigkeit entleert und in sterilen Petr loschen Schälchen aufgefangen. Mi-
kroskopische Untersuchung: Aeusserst zahlreiche, grösstentheils polynucleäre
Leukocyten; Bakterien, auch Tuberkelbacillen werden im gefärbten Ausstrich-
präparate nicht gefunden. 4 Cultureu werden angelegt.
Während der Vornahme der Punction hatten sich Puls und Aussehn
der Pat. nicht verändert, nach derselben wurde der Puls wieder voller und
regelmässiger. Der Zustand der Pat. blieb bis zum Abend unverändert. Im
Laufe des Tages 5—6 mal Erbrechen. Nahrungsaufnahme s 0. Obstipation.
Zunahme der Mattigkeit. Sensorium vollkommen frei. Patientin antwortet
10 II. BRAUNSTEIN
klar auf alle Fragen unter langsamer Zunahme des Hinterkopf- und Nacken -
Schmerzes, sowie der Nackensteifigkeit
Am 4. April ergiebt die bakteriologische Untersuchung der Functions-
fliissigkeit folgendes: In den Ausstrichpr¶ten wurden nachträglich noch
ganz spärliche Diplokokken gefunden, von denen jedoch nicht mit Bestimmt-
heit gesagt werden kann, ob sie intra- oder eztracellular gelegen waren. Die
auf Agar und in Bouillon angelegten Gulturen ergaben eine Reinzilchtung
von Streptokokken. Jedoch zeigten dieselben träges Wachsthum und wuchsen
nur zu relativ kurzen Ketten aus.
Durch die Lumbalpunction war die Diagnose Meningitis purul. diffusa
gesichert.
Sectionsbefund: Basilarmeningitis purul. Bronchitis. Dura gut
gespannt, sehr blutreich. Innenfläche der Dura glatt, die grösseren Venen der
Dura massig stark gefüllt. An der Gehirnbasis ist die Pia des vorderen
Randes beider Schläfenlappen, sowie die Gegend hinter dem Gbiasma, von
da an zu beiden Seiten der Brücke bis zum Kleinhirn eitrig infiltrirt. Bei
der Herausnahme des Gehirns sammelt sich in der hinteren Schädelgrube eine
reiche Menge trüber, wässeriger Flüssigkeit an.
4. Hinneburg, Gottlob, 53 Jahr alt, aufgenommen am 15. Juni 1900,
gestorben am 29. Juni.
Vor 8 Tagen plötzlich Schmerzen im linken Ohr und Schwerhörigkeit.
Bald darauf Ohrenlaufen. Dabei Schwindel besonders beim Bücken, ferner
Appetitlosigkeit, aber kein Erbrechen. Fieber soll nicht bestanden haben.
Nach dem Ohrenlaufen keine Schmerzen mehr, der Schwindel bleibt be-
stehen. Wegen des Schwindels kommt Fat. zur Klinik.
Status: Pupillen gleich weit, reagiren prompt, kein Nystagmus, keine
Lähmung. Objectiv kein Schwindel.
Rechts Trommelfell atrophisch, geröthete Promontoriumwand durchschei-
nend, links Trommellell abgeflacht, leicht injicirt, unten stark weisslich ge-
trübt. Pat. fühlte sich bis 22. Juni verhältnissmässig wohl, mit Ausnahme
des 20. Juni, an dem er über heftige Ohrenschmerzen links klagte. Die Para-
centese des Trommelfells entleerte kein Exsudat.
22. Juni. Temp. 38,9^. Klage über sehr heftige nach dem Kopfe aus-
strahlende Schmerzen im linken Ohr. Paraceutesenschnitt klafft weit, entleert
kein Exudat.
Abends Temp. 39,2», Puls 92, Erbrechen.
23. Juni. Morgens Temp. 37,4^, Puls 84. Pat. ist Nachts sehr unruhig
gewesen, hat wiederholt das Bett verlassen und in der Ecke des Zimmers
seine Nothdurft verrichtet. Es lässt sich heute eine Sprachstörung con-
statiren. Die Aussprache der Konsonanten ist erschwert. Pat. ist völlig
bei Bewusstsein, erkennt vorgehaltene Gegenstände, weiss dieselben aber nicht
richtig zu benennen.
Lumbalpunction: Liquor unter ziemlich hohem Druck stehend, nicht
deutlich getrübt, von hellgelber Farbe, enthält viele Leukocyten, keine Bakte-
rien. Nach der Function in dem Befinden des Pat. am folgenden Morgen
eine leichte Besserung. In den folgenden Tagen verschlechtert sich der Zu-
stand des Patienten merklich.
26. Juni. Temp. 39,4°, Puls 96 kräftig. Pat. lässt Urin und Koth unter
sich. Reflexerregbarkeit der Haut fast ganz aufgehoben. Spasmen in der
Musculatur des linken Armes und der linken Gesichtshälfte. Pupillen maxi-
mal erweitert, die rechte etwas weiter als die linke, reagiren träge auf Licht-
einfall. Goma.
Lumbalpunction ert^ebt grünlich - gelbe Flüssigkeit, leicht getrübt,
welche Diplokokken und viel Leukocyten enthält.
Der Verdacht auf Meningitis purulenta wurde durch die beiden Lumbal-
punctionen bestätigt.
Sectionsbefund: Meningitis purul. cerebralis et spinalis.
Hyperämie und Oedem des Gehirns. Pachymeningitis externa chronica.
5. Thamm, Bertha, 15 Jahr, aufgenommen 5. Februar, gestorben
7. Februar 1901.
Bedeatg. d. Lumbalpunct. far d. Diagnose intracran. Complicat. d. Otitis. 11
Pat war schon vor mehreren Jahren ohrenleidend. Seit S Tagen Schmer-
zen und Sausen im rechten Ohr. In der Poliklinik wurde die Paracentese
gemacht. Darnach eitrige Secretion. Seit einigen Tagen Appetitlosigkeit,
schlechter Schlaff seit vorgestern öfter Erbrechen, Kopfschmerzen in der SUrn-
gegend.
Status: Kräftig gebautes Mädchen, bleich, collabirt, Puls sehr klein
über 120. Pupillen gleich, reagiren, keine Augenmuskellähmung. Pat stöhnt
fortwährend, liegt keinen Augenblick still, wirft sich herum und klagt über
heftige Rückenschmerzen. Mehrmals Erbrechen. Selbst einfache, ihre Person
etc. betreffende Fragen beantwortet Pat. sehr langsam und falsch. Lässt
Urin unter sich. Augenbintergrund: Venen beiderseits ektatisch. Rechts nasale
Grenze der Papille verwaschen, nasale Hälfte hyperämisch.
Warzenfortsatz auf Druck schmerzhaft, keine Infiltration, kein Oedem.
Trommelfell geröthet, leicht vorgewölbt, hinten eine pulsirende gelb verfärbte
Stelle.
6. Februar. Pat. hat Nachts wenig geschlafen, andauernde Klage über
Kopf- und Rückenschmerzen. Mehrmaliges Erbrechen. Sopor hier und da
unterbrochen durch Aufschreien und Greifen nach dem Kopf. Pat. hallucinirt.
Lumbalpunction ergiebt unter massig hohem Druck stehenden, deut-
lich getrübten Liquor, der sehr stark vermehrte Leukocyten und Strepto-
kokken enthält. Untersuchung auf Tuberkelbacillen negativ. Im centrifugirten
Liquor deutlich Kapseldiplokokken.
7. Februar. Lumbalpunction wiederholt, obschon die Diagnose
Meningitis purul. durch die vorhergegangene Punction erhärtet war. Sie ergab
keinen Liquor, sondern nur Blut.
Sectionsbefund: Meningitis purul. der Convexität und der Basis.
Meningitis spinalis. Hyperämie und Oedem des Gehirns.
Im Spinalkanal keine Veränderung. Die Aussenfläche der Dura spinal,
zeigt eine starke Injcction. Die Gonuspartie ist bedeutend verbreitert, die
Innenseite der Dura ist ebenfalls injicirt Die Pia ist mit graugrünem, sulzigen
Eiter bedeckt. Von der Mitte des Brustmarks an findet sich nach unten zu
stärker werdend ein Bluterguss innerhalb der weichen Häute. Die weisse
Substanz des Rückenmarks quillt auf dem Schnitt deutlich über. Die graue
Substanz erscheint etwas missfarben.
6. Busse, Friedrich, 32 Jahr alt, aufgenommen 26. Juni, gestorben
1. Juli 1901.
Im 2. Lebensjahre nach Masern Ohreiterung links, die bald aufgehört
haben soll. Gehör soll stets herabgesetzt gewesen sein. Kurz vor Ostern
1901 plötzlich ohne Beschwerden Ohreiterung. Vor ca. 3 Wochen starker
Schwindelanfall, zugleich etwas Frösteln, kein Fieber. Vor 8 Tagen einmal
Erbrechen, morgens nüchtern. Am Dienstag Schmerzen im Ohr. Ueber
Kopfschmerzen soll Patient schon mehrere Jahre geklagt haben.
Status: Ungewöhnlich kräftiger Mann. Pupillen gleich, reagiren.
Kein Nystagmus, keine Lähmung. Innere Organe gesund, Augenhintergrund
normal. Objectiv kein Schwindel. Gehörgang und Trommelfellbefund: rechts
Cernmen, links centrale Perforation, hinten bis an den Rand reichend. Gra-
nulation von oben. Eiterung nicht sehr stark, fötid.
Flüstersprache links handbreit, rechts 5 Mtr. Ci vom Scheitel im ganzen
Kopf; Stimmgabeltöne links Gi stark herabgesetzt, Fis4 bei starkem Finger-
anschlag. Rechts normal. Kein Perforationsgeräusch. Kein Fieber, Puls 70.
28. Juni. Temperatur Abends 38,1^ Klage über Kopfschmerzen in der
Stirn und im Hinterkopf. Keine Angina, im Ohr keine Veränderung. Während
der Nacht Zunahme der Kopfschmerzen, sodass Pat. wiederholt in die Bett-
decke beisst.
29. Juni. Seit Morgens 6 Uhr comatöser Zustand, unterbrochen von
Augenblicken, in denen Pat. sehr unruhig ist, aus dem Bett aufsteht, mit
Händen und Füssen um sich schlägt. Pat. spricht nicht mehr. Pupillen
gleich, eng, reagiren. Zwischen 8 und 11 Uhr Vormittags grosse Unruhe.
Status 11 Uhr: Beide Pupillen starr, linke über mittelweit, rechte weiter
als gewöhnlich. Puls cephalisch, 72, unregelmässig. Nackenmuskeln nicht
12 II. BRAUNSTEIN
eontrahirt, keine Lähmang. Reflexe soweit prüfbar, norma]. Deviation
conjug^e nach links oben.
Lumbalpunction ergiebt Liquor unter hohem Druck, deutlich getr übt^
feiblich, enthält vermehrte Leukocyten und einzelde Diplokokken. Nach der
Function keine Veränderung im Befinden des Fat. Orcl. Morph. 0,02. 5 Uhr
Nachmittags wird durch Katheter ca. 1 Liter Urin entleert. Derselbe Ist frei
Yon Eiweiss, enthält aber Zucker.
Abends 6 Uhr. Morph. 0,02. Cheyne-Stokes^sches Athmen. Nachts
1 Uhr grosse Unruhe. Fat. steht aus dem Bett auf. Darauf ruhiger Schlaf
bis Morgens.
30. Juni. Temp. 39, l'^, Fuls 70, regelmässig kräftig. Es scheint, als ob
die rechte Lidspalte nicht ganz geschlossen werden könnte. Sonst keine
Lähmung nachweisbar. Fupillen gleich, von normaler Weite, starr. Fatellar-
reflexe nicht gesteigert. Milzdämpfung nur bis zum Rippenrande. Kahn-
förmige Einziehung des Abdomens in geringem Grade. Angenhintergrund
ohne patholog. Veränderungen. Urin enthält Eiweiss und Zucker. Ab und
zu Husten.
1. Juli. 6Vs Uhr Exitus letalis.
Sectionsbefund: Eitrige Meningitis durch Infection vom Laby-
rinth aus. Oedem und Hyper&mie des Gehirns. Lungecödem und Hyperämie
der Lunge, Pleuritis adhaesiva duplex, Acuter Milztumor, Acute parenchymatöse
Nephritis, Capilläre Blutungen der Magenschleimhaut, Bronchitis chronica.
Schädeldach verwachsen. Dura blutreich, ihre Innenfläche glatt. Weiche
Hirnhäute ebenfalls sehr blutreich. An den abschüssigen Theilen beider
Schläfenlappen sieht man eine eitrige Infiltration der weichen Hirnhäute.
Besonders stark eitrige Infiltration der weichen Hirnhäute der Schädelbasis
am Chiasma und an den hinteren Theilen des Kleinhirns. Cerebrospinal-
flüssiskeit stark vermehrt, deutlich getrübt. In beiden Seitenventrikeln ist
die Flüssigkeit etwas vermehrt und deutlich getrübt. Das Ependym des
linken Ventrikels im vorderen Abschnitte schwach eitrig belegt. Im IV.
Ventrikel sind Eiterkörperchen nachweisbar.
Linkes Tegmen tympani in Ausdehnung des Durchschnitts einer Erbse
unterbrochen. Die Lücke ausgeheilt durch neugebildetes Bindegewebe. Der
obere verticale Bogengang enthält deutlich durchschimmerndes blutig ge-
erbtes Serum. Beim Abziehen der Dura tritt aus dem Porus acust. intern,
und aus der Durch trittssteile des Trigeminus deutlich eitrige Flüssigkeit
aus. Das rechte Mittelohr ist frei. Die Gehirnsubstanz ist ödematös und
blutreich ohne sonstige Veränderungen.
b) Eitrige Meningitis mit Sinusthrombose.
1. Thronicke, Friedrich, 48 Jahre alt, aufgenommen am 19. April
1896, gestorben am 20. April.
Status: Temp. 39,3^ Puls 79, Atbmung beschleunigt. Pupillen reagiren
träge, Foetor ex ore, belegte Zunge, Herpes labialis. Keine Paresen der
Extremitäten, keine Parästhesien. Urin eiweisshaltig (l^oo). Leichter Sopor,.
Harnverhaltung, Meteorismus, Schmerzen in der Wirbelsäule beim Aufrichten.
Geringe Druckempfindlichkeit über dem rechten Warzenfortsatze. Rechts
hintere Gehörgangswand geschwollen, Trommelfell leicht geröthet, abgeflacht;
Bassein beim Katheterismus. Die Diagnose wurde auf Meningitis gestellt; der
Herpes labialis Hess an epidemische Gerebrospinalmeningitis denken.
Am folgenden Tage Spasmen in beiden Armen besonders links. Im
soporösen Zustande des Fat. wurde ohne Narkose die Lumbalpunction
ausgeführt. Es entleerten sich zuerst continuirlich ca. 40—50 ccm leicht
getrübter Flüssigkeit. Als diese nur noch tropfenweise abfloss, wurde mit
einer Pravaz'schen Spritze aspirirt, jedoch nach der ersten Spritze die Function
abgebrochen, da der Patient unrubig und die Athmung auffallend tief und
aussetzend wurde. In Bückenlage wurde die Athmung zunächst ruhiger, nach
einigen Minuten jedoch trat Cheyne-Stokes^sches Athmen ein, der Patient
wurde blau und höchstens 1 5 Minuten nach Beendigung der Function erfolgte
der Exitus.
Die mikroskopische Untersuchung der Lumbaiflüssigkeit ergab reichliche
Bedeutg. d. Lumbalpunct. für d. Diagaose intracran. Complicat. d. Otitis. 13
Lenkocyten und nicht wenige, zu kurzen, leicht gekrQmmten Ketten ange-
ordnete Kokken. Auf Agarstrich wuchs dieser Mikroorganismus als weisse
Colonie, deren Einzellndividuen sich durch ihre Grösse auszeichneten. In
Bouillon wuchsen die Kokken nur zu kurzen Ketten aus. Auf Gelatine
wuchs er üppig als Staphylococcus, ?erflüs8igte jedoch erst nach mehreren
Tagen langsam. In einem während der Section vom Thrombus angelegten
Ausstrichpräparat fanden sich in schönen Kapseln liegende Mikroorganismen
nach Art der FraenkeFschen Pneumonieerreger.
Sectionsbefund: Ausgedehnte Eiterung im rechten Warzenfortsatze,
eitrige Meningitis, besonders der rechten Grosshirnhemisphäre, ausgehend
Yon einem kleinen an der Umbiegungsstelle des Sinus transversus in den
Sinns sigmoideus sitzenden Thrombus.
2. Lange, Fritz, It Jahre alt, aufgenommen am 13. August 1S96,
gestorben am 7. September.
Der wegen Cholesteatom rechts am 14. August operlrte stets fieberfreie
Knabe erkrankte in der Nacht vom 4. zum 5. September mit Kopfschmerzen.
5. September Temp. Morgens 38,6^ Abends 38,3^.
6. September Temp. Morgens 41 ^ Kopfschmerzen heftiger. Wahr-
scheinlichkeitsdiagnose: Meningitis.
Die an diesem Morgen ohne Narkose vorgenommene Lumbalpunction
ergab im Strahl abfliessende, leicht getrübte, mit feinen, grauweissen fadigen
Massen untermischte Flüssigkeit (Die Function wurde abgebrochen, als
der Liquor nur noch langsam tropfend abfioss.) Dieselbe enthielt massig viele
Lenkocyten, doch konnten weder Tuberkelbacillen noch sonstige Mikroor-
ganismen in der Flüssigkeit gefunden werden. Agar- und Bouillonculturen
blieben steril.
£ine Veränderung im Befinden des Patienten wurde nach der Function
nicht bemerkt
Sectionsbefund: Kitrige Meningitis basilaris ausgehend von einer
zwischen beiden Durablättern unterhalb des Aquaeductus vestibuli verlaufenden
Entzündung, welche zugleich nach dem Sinus sigmoideus durchgebrochen
war und zu einer circumscripten wandständigen Thrombose desselben geführt
hatte. Frische Endocarditis mitralis metastatica.
3. Schmidt, Minna, 18 Jahre alt, aufgenommen am 6. Juni, gestorben
am 25. Juni 1898.
Die sehr schwerhörige Patientin leidet seit 4 Wochen an öfters auf-
tretenden Kopfschmerzen in der Stirn und den beiden Schläfen. Diese Kopf-
schmerzen treten anfallsweise auf und sind meist mit Schwindel verbunden.
Objectiv ist auch bei geschlossenen Augen kein Schwindel bemerkbar.
Patientin wurde am 14. Juni wegen Cholesteatoms rechts operirt. Der
horizontale Bogengang ist zum Theil zerstört, der Knochen in der Umgebung
fühlt sich rauh an. Die Sonde kann nicht in den Bogengang eindringen,
Auch tritt kein Eiter an dieser Stelle hervor.
Nach der Operation zunächst reactionsloser fieberfreier Verlauf.
19. Juni Morgens 38,5^. Patientin klagt über Kopfschmerzen, die den
Tag über anhalten. Nachnfittags Facialisparese rechts, zugleich Schmerzen
im operirten Ohr. Höchste Temp. 39,0®. Kechte Pupille weiter als die linke.
Abends stärkere Schmerzen. Manchmal lautes Schreien. Morphium subcutan.
Darauf Schlaf bis 5 Uhr Morgens. Erwachen mit heftigem, mehrmaligem
Erbrechen, aber Kachlass der Kopfschmerzen.
20. Juni. Erbrechen, Durchfall. Starke Druckempfindlichkeit der
obersten Halswirbel, aber keine Nackenstarre. Nimmt wenig kalte Milch zu sich.
21. Juni. Morgens Erbrechen. Die Kopfschmerzen werden in die linke
Stirnseite verlegt. Druckempfindlichkeit der Halswirbel wie gestern. Sensorium
völlig frei.
Lumbalpunction um 12 Uhr ergiebt unter massigem Druck stehende,
makroskopisch fast klare Flüssigkeit. Mikroskopisch zahlreiche Lenkocyten
und einzelne Kokken. Puls vor der Function 112 p. M. klein. Nach der-
selben unregelmässig. Abends voller Puls 106 p. M. Augenhintergrand
normal. Temp. 38,7® 38,6®. StarJ^e Schweisse.
14 II. BRAUNSTEIN
Sectionsbefund: Meningitis pnrulenta basilaris. Nekrose an der
rechten hinteren Felsenbeinfläche. Eitrige Thrombose der obersten Enden
beider Sinns petrosi; Hyperämie der Hirnhäute, Oedem des Gehirns.
c) Eitrige Meningitis mit Himabscess.
1. Warzyniak, Franz, 24 Jahre alt, aufgenommen am 3. August 1896,
gestorben am 7. August.
3. August. Puls unregelmässig aussetzend, verlangsamt, hochgradig
gespannt, 63 in der Minute bei 38,8^ Temp. (Nachmittags). Starke Kopf-
schmerzen, Pupillen reagiren Rut, Augenhiutergrund normal; keine Hemianopsie,
keine Hyperästhesie, keine Lähmungen. Keine Nackensteifigkeit, Druckem-
pfindlichkeit der Halswirbelsäule. Leichter Sopor, belegte Zunge, Foetor ex
ore. Leib eingezogen, Obstipation. Der rechte Gehörgang bildet vorn oben einen
spitzen Winkel ; obere hintere Gehörgangswand von einer grossen Granulation
durchbrochen, der Anblick der Paukenhöhle dadurch verlegt. Links grosse,
centrale, trockene Perforation.
Die Diagnose Meningitis hatte zwar die grösste Wahrscheinlichkeit für
sich, doch konnte es sich auch um einen Himabscess mit Thrombose eines
kleineren Sinus handeln. Es wurde daher die Lumbalpunction ohne
Narkose an die erste Untersuchung angeschlossen.
Nach Abfluss von ca. 40 ccm leicht getrübter, zuerst continuirlich ab-
fliessender Flüssigkeit muss die Function abgebrochen werden, da der Patient
sehr unruhig wird.
Nach der Function stieg der Puls von 63 auf 68 Schläge, sonst war
jedoch keine Veränderung im Befinden des Patienten bemerkbar. Am folgen-
den Tage klagte er über Schmerzen in der Lumbaigegend , entsprechend der
Einstichstelle.
In der Flüssigkeit fanden sich ziemlich zahlreiche, polynucleäre Leuko-
cyten, jedoch keine Mikroorganismen in mehreren frischen, wie in gefärbten
Ausstrichpräparaten. Je 2 Agar- und Bouillon culturen blieben steril. Eine
weisse Maus, welche 0,3— 0,4 ccm des Liquors subcutan erhielt, reagirte nicht
auf die Impfung. (Da in der Punctionsflüssigkeit keine Mikroorganismen ge-
funden wurden, so schien trotz der Anwesenheit zahlreicher polynucleärer
Leukocyten nach der damaligen Anschauung die Diagnose Meningitis nicht
genügend gesichert. Deshalb wurde am 4. August die Totalauf meisselung vor-
genommen, welche ein Cholesteatom ergab. Die hieran angeschlossenen Tre-
nanationen auf den Schläfenlappen und das Kleinhirn waren resultatlos.)
Nach mehreren Tagen wurde eine kleine Flocke der Lumbalfiüssigkeit, welche
auf einer steril gebliebenen Agarcultur sichtbar war, herausgenommen, ein
Ausstriebpräparat angelegt und gefärbt. Es fanden sich darin 2 Diplokokken.
Sectionsbefund: Eitrige Leptomeningitis basilaris, haselnussgrosser
Abscess im rechten Hinterhauptlappen mit deutlicher Abscessmembran ; in
der Umgebung der Trepanationsöfi'nungen keine Meningitis, jedoch erweichte
Heerde im rechten Schläfenlappen und in der rechten Kleinhirnhemisphäre.
Acute Endocarditis verrucosa, Milztumor. Entsprechend der Einstichstelle in
der Lumbaigegend fand sich ein nicht unerheblicher Bluterguss in die Mus-
culatur. Der Spinalsack war an dieser Stelle prall mit stark getrübter
Flüssigkeit angefüllt.
2. Nethge, Bertha, 38 Jahre alt. Aufgenommen am 2. März, ge-
storben am 7. März 1899.
Fat. hatte schon als Kind an Ohreiterung gelitten. Vor 4 Tagen hef-
tige Schmerzen im linken Ohr. Den folgenden Tag starke Kopfschmerzen
und Schwindel, so dass sie nicht mehr gehen konnte. Die Schmerzen be-
schränkten sich auf die linke Kopfhälfte. Appetitlosigkeit; mehrfaches Er-
brechen. Stuhlgang in Ordnung.
Status: Gut genährte Frau, klagt über heftige Schmerzen in der linken
Kopfhälfte. Kopibewegungen frei. Keine Druckempfindlichkeit am Genick;
spricht viel. Manchmal fehlen ihr bestimmte Worte, was sie selbst bemerkt.
Allgemeine Hyperästhesie. Refiexe nicht gesteigert. Innere Organe ohneBe*
f^^Bedentg. d. Lumbalpunct. für d. Diagnose intracran. Gomplicat. d. Otitis. 15
sonderes. Urin frei von Eiweiss und Zucker. Temp. 38,3^ Puls in gleichen
Intervallen nicht von gleicher Frequenz, 80—90 p. M. Respiration regel-
mässig 20 p. M. Augenhintergrund normal, Pupillen normal. Massige Druck-
empfindlichkeit des linken Warzenfortsatzes. Stärkere Druckempfindlichkeit
am Uebergang des Warzenfortsatzes auf das Occiput. Klopfempfindlichkeit
der ganzen linken Schädelhälfte. Im Oehörgang links viel Eiter. Die Tiefe
verlegt durch Schwellung der Gehörgangswände, besonders der oberen. Rechts
grosser Defect des Trommelfells.
In der Nacht vom 2. zum 3. März wenig Schlaf. Stets Klagen über
furchtbaren Kopfschmerz links.
3. März. Die Unfähigkeit, bestimmte Worte zu finden, scheint zuge-
nommen zu haben. Temp. 37,7 ^ Puls 80. Dynamometer rechts 2, links 13.
Keine sonst nachweisbaren Paresen, keine Anästhesien. Zunge weiss belegt,
trocken. Pupillen verengt, reagiren auf Lichteinfall, gleichmässig, aber träge.
Keine Druckempfindlichkeit der Jugularisgegend. Ausgesprochene Per-
kussionsempfindiichkeit über dem linken Ohr. Pat. ist in wechselnder psy-
chischer Verfassung.
Diagnose: Abscess im linken Schläfenlappen.
Um 12 Uhr Mittags ausgesprochener Schüttelfrost, Ansteigen der Tem-
peratur auf 40,4°. Nachher Delirien.
Da die Ursache der Fieberbewegung nicht klar war — sie konnte durch
die festgestellte Thrombose des Sinus oder in Folge Durchbruchs des Ab-
scesses in den Seitenventrikel verursacht sein — , so wurde um 1 Uhr die
Lumbalpunction gemacht. Sie ergab unter starkem Druck stehende
wasserklare Flüssigkeit, ohne Leukocytenvermehrung und ohne Bakterien.
Nach der Totalaufmeisselung links Trepanation auf den linken Schläfenlappen.
Es entleeren sich etwa 2 Kaifeelöifel dünnflüssigen, jauchigen Eiters und
schwarze, nekrotische Hirnmassen.
Nachdem der Zustand der Pat. sich mehrere Tage hindurch gebessert
hatte, tritt wieder Verschlechterung ein, bis am 7. März unter meningitischen
Erscheinungen der Exitus erfolgte.
Sectionsbefund: Jauchiger Hirnabscess im linken Schläfenlappen.
Hirnprolaps. Perforation des Abscesses in das Unterhorn des linken Seiten-
ventrikels. Bluterguss im Ventrikel. Verjauchte Thrombose des linken Sinus
sigmoideus.
3. Pechy Lina, 5 Jahre alt, aufgenommen den 9. October, gestorben
den 30. October 1899.
Vor 6 Wochen Scharlach, darauf Eiterung des rechten Ohres. Seit
8 Tagen Anschwellung hinter dem rechten Ohre. Kind lässt seit einigen
Tagen den Urin unter sieh gehen.
Status: Gut genährtes, kräftig entwickeltes Kind. Blasse Gesichts-
farbe, Oedem der rechten Gesichtshältte. Zunge weiss belegt. Augenhinter-
grnnd normal. Innere Organe ohne Befund. Urin frei von Eiweiss und
Zucker. Temp. 36,9<», Puls 80 p. M. regelmässig. Hinter dem Ohre grosse
fluctuirende Geschwulst. Ausgebreitetes Oedem der Umgebung. Im rechten
Ohr fötide Eiterung, Senkung der hinteren Gehörgangswand. Links normal.
11. October. Aufmeisselung. Wohlbefinden bis 19. October. Tempe-
raturen normal.
19. October. Beim Verbandwechsel entleert sich viel Eiter aus der
Knochenwunde. Eiter kommt von hinten oben aus der Tiefe. Sonde ge-
langt in die Schädelhöhle. Abends Temp. 39,6«. Einmal Erbrechen, Kopf-
schmerzen.
20. October. Operation des Hirnabscesses. Abends Temp. 39,5^
21. October. Temp. 39,20-39,5°. Kind schläft fast den ganzen Tag.
Alles Genossene sofort erbrochen. Sensorium frei. Ueber Kopfschmerz nur
auf Befragen geklagt.
22. October. Temp. 38,3*>— 39,9°. Kind nur Morgens unruhig, lässt
Urin unter sich gehen. Einzelne Aufschreie. Behält nichts bei sich.
23- October. Temp. 38,80—40,2°. In vergangener Nacht zeitweise
Spasmen im linken Arm. Bulbi stehen öfters unbeweglich. Spaltung der
Dura. Nach Operation kein Erbrechen mehr.
16 IL BRAUNSTEIN
24. October. Temp. 39,9<>— 39,2^, etwas Nahraoffsaufnahme. Urin und
Stuhl ins Bett, Puls klein, sehr frMuent, 140 — 160. Kein Erbrechen.
25. October. Status idem. Einige Male Erbrechen. Temp. 38,7^— 39,2®.
26. October. Nachts einige Male Aufschreien, Nystagmus in venchie-
denen Bewegungsrichtungen. Zwangsstellung der Augen nach oben und links
zeitweise. Zitternde Bewegung des rechten Armes. Reflexe nicht verstärkt.
Temp. 39,9«— 39,2«.
Da das Fieber auf eine Eiterretention oder auf eine Meningitis zurftck-
gefOhrt werden konnte, so wurde die Lumbalpunction vorgenommen. Sie
ergab stark getrabte, unter hohem Druck stehende reichliche Flüssigkeit.
Im Ausstrichpräparat finden sich zahlreiche polynucleäre Leukocyten und
Streptokokken. Am folgenden Tage war das Allgemeinbefinden etwas besser.
Geringe Nahrungsaufnahme. Einmal Erbrechen. Durch die nochmals vor-
genommene Lumbalpunction wurde keine Flüssigkeit gewonnen. Temp.
39,00—39,3®.
30. October. Exitus letalis.
Sectio nsbefund: Abscess im rechten Temporallappen. Meningitis
purul. basilaris. Meningitis purül. spinalis. Blutung im Lendentheil des
spinalen Durasackes nach Lumbalpunction. Oedem des Qehirns. Hydro-
cephalus internus. Pyocephalus des 4. Ventrikels.
4. Borchert, Gustav, 15 Jahre, aufgenommen 25. Januar, gestorben
18. Februar 1900.
Seit Kindheit Ohreiterung links, seit 4 Wochen stärker mit Schmerzen;
vor 8 Tagen ein Schwindelanfall.
Status: Schlecht genährter Junge. Beim Gehen mit geschlossenen
Augen Neigung nach links zu fallen. Leichter rotatorischer Nystagmus beim
Blick nach rechts. Innere Organe ohne Befund, Urin frei von Eiweiss und
Zucker. Temperatur und Puls normal, Augenhintergrund normal.
Aus einer ziemlich hoch gelegenen Atticusfistel links hängen blasse, un-
regelmässig geformte Granulationen heraus. Darunter eine dünne, bewegliche
Membran. Flüstersprache rechts 1,5 m, links accentuirtes Flüstern direct. Ci
vom Scheitel wird links gehört, Rinne beiderseits negativ. Fi84 beiderseits normal.
Nachdem am 26. Januar beiderseits Tonsillotomie gemacht worden war,
hatte Pat. am 2. Februar Morgens Temp. 38,7^, Erbrechen; Kopfschmerzen
hauptsächlich im Genick. Schmerz beim Bewegen des Kopfes. Geringe Druck-
empfindlichkeit der obersten Halswirbel, Kopf zurückgebeugt. Stuhl seit
gestern angehalten.
3. Februar. Morgens mehrfaches Erbrechen. Puls 64, Temp. 39,2^.
Diagnose: MeningitiB difi^usa.
Lumbalpunction ergiebt unter starkem Druck stehende gelbliche,
getrübte Flüssigkeit. Im Ausstrichpräparat massenhaft Leukocyten mit ge-
lappten Kernen, keine Bakterien. Nach Centrifugirung vereinzelte Kokken,
nie mehr als zwei bei einanderliegend.. Trotz des ungünstigen Ergebnisses
der Lumbalpunction wurde sofort die Operation unternommen, wobei auf
der Suche nach einem intraduralen Abscess, von dem die Liquortrübung
hätte ausgehen können, ein Hirnabscess gefunden und entleert wurde.
Befinden des Patienten bessert sich zusehends.
17. Februar. Morgens einmal Erbrechen, dann anscheinend guter Schlaf.
Temp. 39,3^. Coma. Auf Anrufen keine Reaction. Gornealreflex erhalten.
Pupillen eng. Unruhe. Wälzt sich im Bett hin und her. Die Sensibilität
des rechten Beines ist entschieden herabgesetzt. Starker blutig tingirter
Uirnprolapsus. Diagnose: Meningitis.
Lumbalpunction ergiebt unter starkem Druck stehende getrübte
Flüssigkeit. Massenhaft Leukocyten und viel Streptokokken. Das Coma
dauert fort.
18. Februar. Exitus letalis.
Sectionsbefund: Meningitis purulenta. Entleerter Abscess im linken
Temporallappen. Durchbruch des Abscesses in das linke Vorderhorn.
5. Kühne, Marie, 20 jähriges Dienstmädchen, aufgenommenden 13. No-
vember, gestorben den 27. December 1899.
Bedeutg. d. Lumbalpunct. für d. Diagnose intracran. Gomplicat. d. Otitis. 17
Seit dem 10. Jahre nach Masern Ohreiterang beiderseits. In vergangener
Woche Schmerzen hinter dem rechten Olire und Kopfschmerzen. Schwindel
h&ufig, auch im Liegen, anfallsweise, nur von jedesmaliger kurzer Dauer.
Mehrmals hatte sie Fröste mit nachfolgendem Schweissausbruche. Stuhlgang
meistens dünn. Schlaf schlecht. Appetit schlecht. In der letzten Zeit psy-
chische Veränderung. Pat. ist wunderlich, laut, früher stiller.
Status: Krättiges Mädchen. Sie geht mit geöffneten und geschlossenen
Augen gleich unsicher. Pupillen gleich weit, reagiren normal. Kein Nystag-
mus. Papille der Sehnerven beiderseits ohne scharfe Abgrenzung. Venen
etwas dicker, nicht geschlängelt. Patellarrefiexe beiderseits normal.- Zunge
nicht belegt. Sensorium klar. Herz und Lungen normal. Athmung 20 per
Minute, manchmal ungleich, aussetzend. Puls 50 — 6o, gleichmässig. Sie klagt
über starke Schmerzen im Hinterkopfe, die nach der Stirne ausstrahlen.
Druckempfiodlichkeit und Oedem auf dem rechten Planum mastoideum.
Kiopfemptindlichkeit am rechten Occiput.
Rechts an der hinteren Wand des knöchernen Gehörgangs eine halb-
kugelige Vor Wölbung, die auf der Kuppe durchbrochen ist. Die Vorwölbung
sitzt im lateralen Theile des knöchernen Gehörgangs. In der Spalte des Ge-
hörgangs etwas Eiter, Trommelfell nicht zu sehen. Links grosser Defect vorn,
der mehr wie die Hälfte des Trommelfells einnimmt. Von vorn oben zieht
eine Eiterstrasse vom Hammerkopf herab.
Fiüsterworte rechts direct ins Ohr unsicher, links 5 cm, Ci vom Scheitel
wird links gehört. Fis4 rechts bei starkem Nagelanschlag, links bei starkem
Fingerkuppenanschlag. Temperatur Abends 37,4^. Urin ohne £iweiss und
Zucker.
14. November Morgens Temp. 36,7 V Puls 4S— 52, Klopfempündlichkeit
der rechten Schläfe. Dynamometer rechts 7, links 15.
Operation. Totaiaufmeisselung rechts. Labyrintherkrankung, worauf
Hörprüfung hinwies, festgestellt, dagegen keine Wegleitung nach dem intra-
cranielleu Herd. Jetzt rechtsseitiger Kleinhirnabscess angenommen, wofür
Pulsverlangsamung und Veränderungen am Augenhiotergrunde sprechen.
Lumbalpunction ergiebt klare Flüssigkeit, unter mittelstarkem Druck
stehend. Mikroskopisch keine Formbestandtheile. Darauf Nachlass der Kopf-
schmerzen. Abends treten die Kopfschmerzen wieder auf. Temp. 37,9^
15. November. In der Nacht und heute Morgen starke Kopfschmerzen.
Die Pat. stöhnt laut und hält den Kopf stark ins Genick gebeugt. Puls
48 — 50 p. M. Sensorium klar.
Lumbalpunction. Derselbe Befund wie gestern. Durch Trepanation
Entleerung eines grossen Abscesses im Kleinhirn.
16. November. Morgens Athem ruhig. Zwangsbewegungen der Arme.
Pat. gibt auf Befragen nach ihrem Befinden kurze, unwillige Antworten.
Sensorium sonst frei. Dynamometer gibt rechts kaum einen Ausschlag, links
10. Pat. lässt einmal Urin unter sich. Abends heftige Kopfschmerzen, Stölinea
und Schreien.
29. November. Pat. fühlt sich in den vorhergegangenen Tagen zeitweise
wohl. Stimmung wechselt sehr. Kopfschmerzen meist Abends. Stuhl nur
auf Glycerinkly stiere. Pat. zeigt immer deutlicher demeatea Geisteszustand.
Erinnerung gut, Urtheilskraft nicht getrübt, aber kindisches Wesen. Stets
fieberfrei. In den letzten Tagen Zuaahme der Kopfschmerzen. Es ist ge-
ringer Prolapsus cerebelli aufgetreten. Pat. schläft viel bei Tage.
Wegen des Hirndrucks Lumbalpunction, ergiebt ca. 30 ccm klare
Flüssigkeit. Mikroskopisch keine Leukocytenvermehrung, keine Mikro-
organismen.
30. November. Kopfschmerzen wenig geringer.
1. December. Prolapsus cerebelli hat zugenommen.
Lumbalpunction entleert ca. 20 ccm mit Blut vermengte Flüssigkeit.
Status idem. Obstipation fortdauernd Bis zum 23. December verschlechtert
sich das Befinden des Pat. langsam. Es treten schliesslich meuingitische
Symptome auf.
23. December. Temp. 3S,50— 40,1«. Pat. ist auffallend wortkarg. Beim
Verbandwechsel reichlicher Liquorabfluss, ganz klar. Nach Gentri-
Aichirf. Ohrenheilknnde. LIV. Bd- 2
18 IL BRAUNSTEIN
fugiruDg im Ausstrich pr¶t wenige polynucle&re Leukocyten und zahlreiche
Streptokokken. Urin und Stuhl ins Bett. Häutige oscillatorische Bewegungen
des Kopfes und der Arme.
24. December. Temp. 39,5^—40,2^. Nystagmus rotatorius. Heute spricht
Fat nicht mehr. Auf Nadelstiche reagirt das linke Bein schwächer und lang-
samer als das rechte. Sensorium leicht getrübt.
Lumbalpunction entleert reichlich mit Blut vermischte Flüssigkeit.
Im Ausstriebpräparat finden sich nach Centrifugirung zahlreiche Leukocyten,
auch polynucleäre, aber keine Mikroorganismen. In der nicht ceutrifugirten,
aus der' AbscessöffnuDg fliessenden Flüssigkeit finden sich wieder zahlreiche
Streptokokken.
27. December. Exitus letalis.
Sectionsbefund: Abscess im rechten Kleinhirn mit Durchbruch in
IV. Ventrikel. Meningitis purulenta basilaris. Encephalitis.
6. Meissner, Emma, 8 Jahre, aufgenommen 19. Januar, gestorben
16. Februar 1900.
Ohreiterung links seit Kindheit. Seit 8 Tagen starke Kopfschmerzen,
Fieber, Krämpfe. Vater seit längerer Zeit schwer lungenleidend.
Temp. Abends 38,5^. Puls 100 p. M.
Linker Geh Organs durch Schwellung der hinteren oberen Wand verengt.
In der Tiefe stinkender Eiter, von oben Granulation. Trommelfell fehlt darunter.
Paukenhöhlenschleimhaut zum Theil hochroth, zum Theil schmierig belegt.
Flüstersprache links 5 cm. Ci vom Scheitel wird links gehört, Fis« beider-
seits normal.
22. Januar. Senkung der hinteren Gehörgangswand zugenommen. Ope-
ration. Totalaufmeisselung links.
^5. Januar. Kopfschmerzen stärker, Abends auch Schmerzen im ope-
rirten Ohr. Nachts kein Schlaf, Puls unregelmässig. Stuhl angehalten. Kein
Fieber.
27. Januar. Morgens starkes, mehrmaliges Erbrechen. Kopfschmerzen
noch fortdauernd. Verdacht auf tuberculöse Meningitis.
Lumbalpunction ergibt unter starkem Druck stehende klare Flüssig-
keit. Mikroskopisch lassen sich auch nach Centrifugirung nur wenige Leu-
kocyten und keine Bakterien nachweisen. Puls wechselnd, bald langsam
(60 p. M.) und regelmässig, bald frequent und unregelmässig.
In den folgenden Tagen Diagnose auf Abscess im linken Schläfenlappen
gestellt. Trepanation und Entleerung des Abscesses 1. Februar.
Kurz nach der Operation trat Fieber auf. Zustand der Pat. verschlech-
terte sich, meningitische Symptome mehrten sich.
7. Februar wurde deshalb die Lumbalpunction wiederholt. Dieselbe
ergibt trüben Liquor unter schwachem Druck, massenhafte Leukocyten, keine
Bakterien.
9. Februar. Patientin lässt Urin unter sich gehen. Es ist geringer
Himprolaps aufgetreten.
Lumbalpunction ergibt wenig trübe Flüssigkeit. Darin Leukocyten
und Kokken in geringer Zahl, in kurzen und etwas gebogenen Ketten ange-
ordnet. Temp. 390—40,00-40,30.
16. Februar. Exitus letalis.
Sectionsbefund: Meningitis purulenta der Basis und der Convexität.
Entleerter Abscess im linken Schläfenlappen.
7. Heith, Lilli, 8 Jahre, aufgenommen 6. April, gestorben 26. April 1901.
Vor 3 Wochen acute Otitis media beiderseits. Nach 4 Tagen cerebrale
Erscheinungen : Linke Pupille erweitert, rechtsseitige Anästhesie, Opisthotonus,
Sopor, Deviation conjug^e nach rechts.
Status: Zartes anämisches Kind, liegt unruhig im Bett, wirft sich viel
herum und schreit laut auf. Manchmal liegt Pat. kurze Zeit ruhig. Lippen
trocken, rissig. Zunge feucht. Pupillen mittelweit, gleich, reagiren träge,
keine Lähmung. Aug;enhintergrund : beiderseits Neuritis optica, links Schwellung
stärker. Hautsensibilität und Reflexe normal. Rechter Arm scheint schwächer
zu sein als der linke.
Bedeatg. d. Lumbalpunct. für d. Diagnose intracran. Complicat. d. Otitis. 19
Gehörgang- und Trommelfcllbefund : Rechtes Ohr trocken, linker 6e-
hörgang weit, ziemlich viel dünner Eiter, Trommelfell blass, hinten klaffende
Paracentesenöffnung.
Flüstersprache nicht gehört. Stimmgabel prüf ang nicht möglich. Kein
Fieber, Puls ca. 80, unregeJmässig, aussetzend, kräftig.
7. April. Während der Nacht ist eine rechtsseitige Facialislähmung
eingetreten. Temp. 36,5^—39,0^, Puls 8S-96. Wahrscheinlichkeitsdiagnose:
Abscess im linken Schläfenlappen.
Lnmbalpunction ergibt krystallklaren Liquor unter hohem Druck,
Mikroskopisch keine Vermehrung der Leukocyten, keine Bakterien.
Aufmeisselung des linken Warzenfortsatzes. Eiter im Knochen. Keine
Wegleitung nach der Schädelhöhle. Trepanation auf den Schädellappen.
Entleerung eines Abscesses. Facialislähmung unmittelbar nach der Operation
etwas zurückgegangen.
8. April. Unruhige Nacht. Puls noch unregelmässig 120—136. Temp.
37,5^ — 38,4^ Facialislähmung wieder deutlicher. Nahrungsaufnahme ge-
nügend.
9. April. Kind hat in der Nacht gut geschlafen, nur wenig über Schmerzen
geklagt, trinkt viel Milch und Wein, scheint besser zu hören. Sprache deut-
licher. Verbandwechsel; aus der Abscesshöhle kein Eiter. Kein Prolaps.
Temp. 38,3<>- 37,30. Puls 128.
10. April. Pat. sieht sehr frisch aus. Keine Klage. Nahrungsaufnahme
gut. Puls regelmässig, kräftig, 100—120. Temp. 37,2— 38,5^.
1 1 . April. Verbandwechsel : kein Eiter aus der Abscesshöhle, massiger
Prolaps. Temp. 37,2— 38,2°. Puls 100—108.
12. April. In der Nacht wenig geschlafen. Sehr oft aufgeschrieen und
am Verband gerissen. Verbandwechsel : kein Eiter aus dem Abscess. Prolaps
ist grösser geworden. Morph. 0,002. Temp. 37,3— 38,0<>. Puls 90—120.
14. April. Prolaps sehr gross. Keine Eiterung aus dem Abscess. Temp.
37,4— 38,4^ Puls 120. Pat. iässt Urin unter sich gehen. Appetit aus-
gezeichnet.
17. April. Wenig Appetit. Pat. spricht nicht und reagirt schlecht.
Sopor. Temp. 37,3-37,9<>. Puls 72-100.
18. April. Verband durchnässt. Aus der Abscesshöhle dünne, seröse
Flüssigkeit (Liquor?). Der soporöse Zustand ist vorüber. Rechter Arm ge-
lähmt Facialislähmung noch vorhanden. Bechtes Bein paretiscb. Lässt
Urin unter sich gehen. Linke Pupille weiter als rechte. Temp. 37,2— 37,8^
Puls 96-124.
19. April. Prolaps grösser, sonst Status idem. Appetit etwas geringer.
Temp. 37,5-40,5®. Puls 108-140.
20. April. Puls weniger kräftig. Sopor. Temp. 37,8- 40,2«.
22. April. Puls sehr trequent. Sopor. Verband stark durchnässt. Lässt
Koth und Urin unter sich. Prolaps an Oberfläche sehr matschig. Aus Abscess-
höhle kein Eiter, kein Liquor. Temp. 37,7— 41, 2». Puls 140.
23. April. Pat. ist wieder ganz klar, frischer Gesichtsausdruck. Keine
Klage. Verlangt zu trinken. Sprache sehr undeutlich. Pupillen gleich,
reagiren träge. Trinkt viel Milch und Wein. Temp. 37,7—41,0°.
24. April. Heute Morgen wieder stärkerer Sopor. Wahrscheinlichkeits-
diagnose: Meningitis purul. diffusa.
Lumbal punction: Liquor milchig getrübt, gelblich verfärbt, enthält
viel Leukocyten, sowie reichlich Bakterien: Diplokokken in Kapseln und ohne
solche, auch reiheniörmig angeordnete. Nach der Punction keine Veränderung.
Puls ca. 160. Temp. 39,9-40,9°.
25. ApriL Prolaps nekrotisch und erweicht. Coma. Abends faden-
förmiger Puls. 11 Uhr Abends Tracheairasseln. Temp. 40,2-40,9°.
26. April. Morgens 3 Uhr Exitus letalis.
Section nicht gestattet.
8. Schulze, Wilhelm, 15 Jahre, aufgenommen 19. April, gestorben
24. April 1901.
Angeblich früher nie ohrenkrank gewesen, hat aber immer rechts schlecht
gehört. Vor 4 Wochen Schmerzen im rechten Ohr. Nach einiger Zeit Nach-
2*
20 IL BRAUNSTEIN
lass der Schmerzen, aber Auftreten sehr heftiger Kopfschmerzen. Schwindel
schon seit längerer Zeit, Frost und Hitze seit einer Woche. Seit 8 Tagen
Appetitlosigkeit und schlechter Schlaf.
Status: Innere Organe gesund. Pupillen gleich, reagiren. Nystagmus
horizontalis. Papillen beiderseits deutlich hyperämisch, rechts stärker als
links. Rechts Neuritis optica. Objectiv Schwindel. Pat. stottert. Knie-
reflexe gesteigert. Hautsensibilität nicht herabgesetzt. Motorische Kraft ent-
sprechend, beiderseits gleich. Obstipation. In Umgebung des Ohres keine
Infiltration, kein Oedem. Spitze des Warzenfortsatzes auf Druck schmerzhaft,
ebenso die rechte Halsseite längs des Sternocleidomastoideus. Daselbst einige
geschwollene Lymphdrüsen. Gehörgang- und Trommelfellbefund: Rechts
obturirender Polyp, stinkende Eiterung. Links ohne Befund. Flüstersprache:
Links 5 m. Stimmgabeln Ci vom Scheitel nach rechts lateralisirt, Ci und Fis4
rechts stark herabgesetzt.
19. April. Entfernung des Polypen. In der Tiefe grosser Krater und
Cholesteatommassen. Temp 38,0^ Puls 92.
20. April. Schüttelfrost von 10 Minuten Dauer. Temp. 37,8—40,30.
Puls 72.
21. April. Sehr starke Kopfschmerzen, Opisthotonus, Erbrechen. Herpes
labialis. Temp. 38,3 -39,3^ Puls ca. 70.
22. April. Status idem. Hyperästhesie der Haut am Kopfe, Hypästhesie
der unteren Extremitäten; keine Lähmung. Temp. 38,1—39,5®. Puls 80.
Diagnose: Schläfenlappenabscess oder Meningitis.
Lumbalpunction: Getrübter Liquor, vermehrte Leukocyten, Eiter-
körperchen, keine Bakterien. Diagnose: Meningitis Pat. klagt über un-
erträgliche Kopfschmerzen, steht Abends aus dem Bett auf und läuft im
Hemd durch das Haus.
23. April. Status idem.
24. April. Exitus letalis.
Sectionsbefund: Otitis media. Hirnabscess, Ependymitls purul. dextr.
Hirnödem, Hyperämie der Hirnhäute.
9. Pul SS, Elisabeth, 12 Jahre alt, aufgenommen am 19. Juli, gestorben
2. August 1900.
Früher angeblich nie ohrenleidend. Vor 1 4 Tagen nach Kopfschmerzen
Uebelsein, Erbrechen, Schmerzen in und hinter dem rechten Ohr. Darauf
Eiterung, Schmerznachlass. Nachts Schmerzen heftiger. Seit einigen Tagen
Schwindel, Ohrensausen rechts. Kopfschmerz soll schon seit Frühjahr bestehn.
Kräftiges Mädchen, Pupillen reagiren, kein Nystagmus. Facialislähmung
rechts. Papilla nervi opt. rechts verwaschen. Gefässe stark geschlängelt.
Pat. ist sehr zerstreut, beantwortet Fragen einfacher Art erst nach langem
Ueberlegen sehr zögernd. Spitze der Proc. mast. druckempfindlich.
Rechter Gehörgang vollständig stenosirt, vom Trommelfell nichts zu
sehen. Rechts laute Sprache kaum y^ Mtr. Ci lateralisirt nach rechts unbe-
stimmt. Ci Fis^ rechts stark herabgesetzt, unbestimmt. Temp. 38,1®, Puls 144.
20. Juli. Totalaufmeisselung. Temp. 38,9®, Puls 144.
21. Juli. Pat. klagt über Kopfschmerzen in der Stirn. Augenhinter-
gruad wie am 19. Abends linke Pupille weiter als rechte. Temp. 37,3®,
Puls 116. Abnormes Verhältnlss zwischen Temperatur und Puls. Obstipation.
Leibschmerzen.
Obschon die Symptome der intracraniellen Complication sehr für einen
Hirnabscess sprachen, so wurde doch die Lumbalpunktion zur Sicherung
der Diagnose vorgenommen. Dieselbe ergiebt krystallklaren Liquor unter ge-
steigertem Druck ohne Leukocyten. In der centrifugirten Flüssigkeit ver-
einzelte Leukocyten.
Operation. Entfernung eines Theils des vereiterten Labyrinths.
25. Juli. Temp. 35,9®, Puls 52 — 60, sehr klein, aussetzend, Resp. 20,
regelmässig.
Andauernde Klage über Kopfschmerzen in der Stirn. Pat. hat mehr-
mals erbrochen.
Lumbalpunction ergiebt krystallklare Flüssigkeit. Trepanation auf
das Kleinhirn. Entleerung eines wallnussgrossen Abscesses.
Bedeutg. d. Lumbalpunct. für d. Diagnose intracran. Complicat. d. Otitis. 21
Da auch nach dieser Operation der Zustand des Fat. sich nicht besserte,
sondern Fat. über Schwindel und Kopfschmerzen weiter klagt — inzwischen
war ein Hirnprolaps und Abducenslähmung eingetreten — so wurde am 28. Juli
die dritte Lumbalpunction versucht. Dieselbe ergab jedoch keinen
Liquor.
Sectionsbefund: Abscess des Kleinhirns mit Durchbruch in den IV.
Ventrikel. Gehirnprolaps. Meningitis purulenta basil. Ependymitis granu-
losa. Leptomeningitis spinal. Oedem der weissen Substanz.
Ventrikel waren stark erweitert und mit einer leicht getrübten serösen
Flüssigkeit gefüllt.
Im Spinalcanal sulziges Gewebe. Durascheide stark injicirt, Fla stark
verdickt und getrübt. Gefässe am unteren Ende des Brustmarkes stark injicirt.
Weisse Substanz des Rückenmarks ödematös.
10. Müller, Faul, 30 Jahr alt, aufgenommen am 29. November^ ge-
storben 7. December 1897.
Ohreiterung links seit dem 11. Lebensjahre; erst seit 8 Tagen stechende
Schmerzen im Ohr, die nach der Schläfe ausstrahlen. Seit 4—5 Tagen
Appetitlosigkeit, Mattigkeit, Verdriesslicbkeit, zeitweilig Kopfschmerzen, seit
dem 27. Novbr. Hitzegefühl, wenig Schlaf. Am 28. fällt Fat. auf, dass er
bekannte Dinge nicht benennen kann, vergesslich ist. Stuhl angehalten,
Kopfschmerzen werden heftiger.
Kräftiger Mann, Gesichtsfarbe fahl, Zunge stark belegt. Foetor ex ore.
Innere Organe ohne Befund. Objectiv kein Schwindel. Fupillen gleich weit,
reagiren. Augenhintergrund: leichte Röthung der Fapille rechts, starke
Venenfüllung beiderseits.
Linker Gehörgang im Beginn des knöchernen Theils durch blaurothe
Geschwulst obturirt. Aus der Tiefe stark fötider Eiter. Temp. 37,S°,*Fuls
80, regelmässig. Diagnose: Ferisinuöser Abscess evtl. Hirnabscess, amnes-
tische ^.nhäsiß
30. November. Ruhige Nacht, aber ohne Schlaf. Temp. 37,6« (80)
38,7» (84).
Da Operation beschlossen war, aber eine Meningitis purul. diffusa nicht
mit Sicherheit ausgeschlossen werden konnte, so wurde Lumbalpunction
versucht, aber kein Liquor entleert. Durch eine spätere Operation wurde ein
Abscess im linken Schläfenlappen entleert.
Sectionsbefund: Hirnabscess im linken Schläfenlappen, Meningitis
purul. diffusa.
d) Vermeintliche epidemische Cerebrospinalmeningitis.
Ruft, Kurt, 5 Jahre alt. Aufgenommen am 12. December 1896, auf
Wunsch der Eltern ungeheilt entlassen am 16. December 1896, später geheilt.
Am 28. November mit Erbrechen und Fieber erkrankt.
Am 9. fand die Mutter, dass der Junge taub war. Starker Schwindel.
Vom 30. November bis 4. December Bewusstlosigktit, Krämpfe, Opisthotonus,
Schielen, Zähneknirschen, Appetitlosigkeit.
Seit 7. December wieder Appetit. Seit 9. December Klagen über das
linke Ohr.
Status: Bronchitis, Herpes labialis. An Trommelfellen nichts Beson-
deres. Hörvermögen völlig aufgehoben. Temperatur 38,8 ^ Fuls unregel-
mässig.
Keine Faresen, keine Anästhesien an den Extremitäten. Verschiedent-
lich Zucken im Gesicht. Rechts Abducenslähmung, Nystagmus. Zwangsstel-
Inng der Augen nach oben. Augenhintergrund: Venen etwas verbreitert.
Nachts unruhiger Schlaf. Fatient lässt unter sich gehen. Starker Durst.
Wahrscheinlichkeitsdiagnose: Meningitis tuberculosa. Zur Sicherheit:
Lumbalpunction: Dieselbe ergab ca. 50 ccm leicht getrübter Flüssigkeit,
aus der sich beim Stehenlassen ein flockiger, schleimiger Niederschlag aus-
scheidet. Enthält reichlich Leukocyten und Diplokokken.
22 II. BRAUNSTEIN
e) Meningitis serosa.
I. Z eidler, Kart, 2 Jahre alt, aufgenommen am 10. November, gestor-
ben am 11. November 1896.
Vor 14 Ta^en angeblich Scharlach gehabt, darauf linksseitige Ohreite-
rung. Beschleunigte Athmung. Qeringe Schwellung hinter dem Ohre. Tem-
peratur 40,0^
Da hochgradige Athemnoth mit Bassein im Kehlkopf und der Trachea
auftrat, wurde das Kind der Medicinischen Klinik überwiesen. Injection von
Diphtherieserum. Stenosenerscheinungen gingen zurück. Allgemeinbefinden
besserte sich. Temp. 38,5— 39,6^
10. November. Allgemeinzustand schlechter. Kind bohrt Kopf in die
Kissen und wimmert. Rückverlegung in die Ohrenklinik, wo die sofort ge-
machte Lumbalpunction ca, 40 ccm nicht ganz krystallklare Flüssigkeit,
zuerst continuirlich, jedoch nicht im Strahl, dann tropfenweise abfliessend,
ergab. Leider konnte die mikroskopische Untersuchung nicht vorgenommen
werden, da der Liquor versehentlich weggegossen wurde.
Zustand des Kindes wurde immer schlechter, Athmung frequenter, Puls
unzählbar.
Status am Abend: Rechte Körperhälfte paretisch und völlig anäs-
thetisch. Linke stark anästhetisch. Keine Nackenstarre, Kopf leicht nach
rechts geneigt. Rechter Arm nach innen rotirt. Tremor im linken Arm,
Pupillen eng, reagiren träge. Deviation coDJug^e nach links.
II. November. Resp. 100. Deviation conjug^e nach rechts. Kind voll-
kommen soporös, lässt dünnen Stuhl unter sich. Diagnose: Meningitis.
Lumbalpunction ergab ca. 20 ccm nicht ganz krystallklaren Liquor.
Zustand des Patienten änderte sich nicht.
«In der zweiten Lumbalflüssigkcit wurden neben vermehrtem Leuko-
cytengehalt nicht wenige Stäbchen gesehen, welche besonders nach ihrer An-
ordnung Aehnlichkeit mit Diphtheriebaciilen hatten. Zwei Meerschweinchen
erhielten je V^ ccm der Flüssigkeit subcutan am Bauch, reagirtcn aber darauf
ebenso wenig wie eine weisse Maus. Je zwei Bouillon- und Blutserumcul-
turen blieben steril.
Sectionsbefund: Pia über Occipital- und Temporallappen stark
ödematös. Milz um das Doppelte vergrössert. Parenchymatöse Nephritis.
Subperiostaler Abscess hinter dem linken Ohr. Im rechten Warzenfortsatz
selbst nur einige Tropfen Fiter.
f) Sinusthrombose,
1. Schneider, Albert, 1 Jahre, aufgenommen 1 3. November, gestorben
22. November 1896.
Seit mehreren Tagen Kopfschmerzen und Schwindel; vor 4 Tagen an-
geblich Schüttelfrost, Fieber und Erbrechen. Seit gestern Kopfschmerzen
fast ganz verschwunden.
Status: Chronische Eiterung beiderseits. Herz und Lungen o. B.
Zunge etwas belegt, feucht. Urin ohne Eiweiss und Zucker. Unter Spitze
des rechten Warzenfortsatzes Schwellung ohne Röthung und Infiltration.
Von der Spitze abwärts am vorderen Rande des Sternocleidomastoideus Druck-
empfindlichkeit. Rechts grosser Trommelfelldefect unten; oben Rest mit
Hammergriff und Epidermismassen. Paukenschleimhaut granulirend. Links
ä,hnlicher Befund. Abends Temp. 39,8°, Puls 128. Rechts Neuritis optica,
links beginnende Neuritis. Am Tage der Aufnahme 4 dünne Stühle, darauf
Obstipation.
Wahrscheinlichkeitsdiagnose: Sinusthrombose. Da einige Symptome
auf Meningitis wiesen, so wurde Lumbalpunction gemacht. Sie ergab
ca. 70 ccm in starkem anhaltenden Strahl abfiiessende krystallklare Flüssig-
keit. Mikroskopisch wurde das Fehlen aller Mikroorganismen und Blut-
körperchen festgestellt. Das Befinden des Patienten wurde durch die Punction
in keiner Weise verändert. Die Operation bestätigte die Diagnose Sinus-
<thrombose.
In den nächsten Tagen beiderseitige Pleuritis, der Patient erlag.
Bedeutg. d. LumbalpuDCt. für d. Diagnose intracran. Complicat. d. Otitis. 23
Sectionsbefund: Thrombus des Sinus transversus dextr., des Bulbus
-venae jugul. nach Cholesteatom. Thrombose hatte sich unter Freilassung
zwischenliegender Jugularispartien bis in den Anfangstheil der • Subclavia
hinein fortgesetzt. Abscessbildung und Gangrän der Lunge. Pleuritis acuta
seropurulenta duplex. Gompressionsatelectase beider Lungen unterlappen.
Geringer Milztumor. Allgemeine Anämie. Oedem des Gehirns.
2. Dürnberg, Wilhelm, 53 Jahre alt, aufgenommen 16. December 1897,
gestorben 18. Januar tb98.
Ohreiterung rechts seit 10 Jahren. Am 17. November stärkere Schmerzen,
Schwindel, Erbrechen. Pat. konnte Nachts vor Schmerzen nicht schlafen.
Am 15. December Abends plötzlich starker Schwindel, Uebelkeit, Erbrechen,
^ Hitze im Kopfe ''. Am 16. December mehrmals Erbrechen. Obstipation seit
15. December.
Status: Sensorlum frei ; geht mit gespreizten Beinen, unsicher, schwan-
kend. Beim Stehen und Drehen mit geschlossenen Augen starkes Schwanken
mit Neigung nach links zu fallen. Keine Augenmuskelstörungen. Pupillen
ziemlich eng, reagiren gut. Augenhintergrund normal. Patellarreflex rechts
stärker als links, nicht gesteigert. Urin ohne Zucker und Eiweiss.
Umgebung des Ohres ohne Befund. In Tiefe des rechten Gehörgangs
eine runde, rothe Granulationsgeschwulst von weicher Gonsistenz ; obere Ge-
hörgangswand gesenkt, Cholesteatommassen in der Tiefe.
Hechts nur laute Fldsterworte direct am Ohr, links leise Flüsterworte
2 — 3 m. Ci vom Scheitel unbestimmt, Rinne rechts negativ; Fi8 4 rechts bei
starkem Fingerkuppenanschlag, links normal gehört. Temp. 36,8^' Puls 76,
kräftig, zeitweise aussetzend.
17. December. Tagsüber leidliches Wohlbefinden.
Nachmittags von 4 Uhr ab Frösteln, Schmerzen in Stirn und Hinter-
kopf. Temp. 38,2^ Puls 80. Nachts dieselben Klagen. Keine Druckempfind-
lichkeit in der Umgebung des Ohres.
18. December. Temp. 37,5^ 38,9®, 39,8». Puls 94. Puls häufiger aus-
setzend, starke Kopfschmerzen, aufgeregter Zustand.
Da das klinische Bild eine beginnende Meningitis purul. diffusa nicht
ausschloss, so wurde der beschlossenen Operation die Lumbalpunction
vorausgeschickt. Sie ergab völlig klaren Liquor cerebrosp. ohne Vermehrung
der Leukocyten und ohne Mikroorganismen.
Totalaufmeisselung rechts. Hierauf Befinden des Pat. besser.
24. December. Ab und zu Kopf- und Nackenschmerzen. Puls zeitweise
unregelmässig. Kreuzschmerzen an der Lumbalpunctionsstelle.
Da die Besserung im Befinden des Pat. keine gleichmässig andauernde
war, so wurde am 11. Januar 1898 die Fossa sigmoidea eröffnet, ohne Eiter
zu finden. Besserung trat nicht ein.
18. Januar. Exitus letalis.
Sectionsbefund: Thrombosis sin. transversi detr. Emphysema pulm.
Bronchitis, Myositis metastatica. Trübe Schwellung der inneren Organe.
3. Steinkopf, Reinhold, 47 Jahre, aufgenommen am 6. Februar 1898.
Geheilt.
Pat. erkrankte im December 1897 an acuter rechtsseitiger Mittelohr-
eiterung; ambulatorisch behandelt. Galvanokaustische Paracentese. Am
I.Februar 1898 hörte Ohreiterung auf; am 3. heftigste Schmerzen im rechten
Ohr und in der rechten Kopfhälfte, Schwindel und Appetitlosigkeit, will
Schüttelfröste gehabt haben. Seit einigen Nächten Schlaflosigkeit.
Status praesens: Leidlich genährter Mann, geht wegen Kopfschmerzes
langsam und vorsichtig, doch ohne Schwindelgefühl und objective Gleich-
gewichtsstörungen. Pupillen gleich weit, reagiren prompt. Augen bintergr und
normal. Urin ohne Eiweiss und Zucker.
Rechter Warzenfortsatz ist bei leisester Berührung schmerzhaft, ebenso
seine Umgebung.
Starke Secretion aus dem ekzematösen, in seinem knöchernen Theile
durch Schwellung der hinteren Wand stenosirten Gehörgange.
Hörprüfung: Ci vom Scheitel unbestimmt, meist beiderseits gleich.
Temp. 39,4» (Puls 80), 39,3°, 39,0° (82j.
24 IL BRAUNSTEIN
7. Februar. Früh Erbrechen nach dem Kaffee, Mittags spontan. Er-
heblicher Wechsel der Pulafreqnenz, früh 8 Uhr 90, 10 Uhr 78. Beim Ver-
suche aufzustehen Schwindel bis zum Umfallen. Starker Durst, Zunge ganz
trocken. Ezcessive Empfindlichkeit der ganzen Haut hinter, über, unter und
vor dem rechten Ohr. Infiltration der Weichtheile über dem Warzenfortsatz.
0,01 Morph, subc. hat ihm Nachts für 6 Stunden Schlaf gebracht Temp.
39,70, 40,6«, 39,4«, 39,9^
Da Verdacht auf eine schon bestehende diffuse Leptomeningitis yor-
handen war, so wurde Mittags Yor der beabsichtigten Operation die Lumbal -
nunction gemacht. Dieselbe ergab klare, unter nicht wesentlich erhöhtem
Druck stehende Flüssigkeit. Mikroskopisch wenige, der geringen Blutbei-
mengung entsprechende Leukocyten.
Es wurde ein extrasinuöser Abscess eröffnet und später der Sinus sigmoid.
wegen Thrombus eröffnet. Fat. wurde am 6. April zur ambulatorischen Be-
handlung entlassen. Später geheilt.
4. Hiller, Hans, 8 Jahre, aufgenommen 8. April 1898. Geheilt.
Seit Kindheit Ohreiterung nach Scharlach. Seit 8 Tagen bettlägerig.
Hohes Fieber, wiederholt Erbrechen, mehrere Schüttelfröste mit folgendem
Schweissausbruch. In letzter Nacht ein Schüttelfrost von 10 Minuten Dauer.
Status: Schwächlicher Knabe. Pupillen reagiren träge auf Lichtein-
fall, linke enger als rechte. Augenhintergrund normal. Taumelnder Gang.
Urin ohne Eiweiss und Zucker. Obstipation.
Links Infiltration unter der Mastoidspitze. Druckempfindlichkeit weit
nach dem Occiput zu. Linker Gehörgang normal, hintere Trommelfellhälfte
fehlt. In der Paukenhöhle Epidermis und Eiter sichtbar. Rechts Trübung
und Einziehung.
Leise Flüstersprache links. direct, rechts 3 m. Ci vom Scheitel unbe-
stimmt, FiS4 links herabgesetzt. Temp. 37,0®, 38,0«, 39,&S 38,2^.
Um festzustellen, ob die beabsichtigte Operation Aussicht auf Erfolg
haben könnte, wurde die Lumbalpunction gemacht, weil neben Sinus-
erkrankung, extrasinuösem Abscess oder Sinusthrombose wegen der Pupillen -
differenz des Pat. auch an das Vorhandensein einer diffusen Leptomeningitis
gedacht wurde.
Die Lumbalpunction ergab völlig klaren, unter hohem Druck
stehenden Liquor. Mikroskopisch keine vermehrten Leukocyten, keine Mikro-
organismen.
Die Operation ergab das Vorhandensein eines ausgedehnten Ohrcholes-
teatoms, eines grossen, jauchigen, extrasinuösen Abscesses mit Nekrose der
äusseren Sinuswand und Thrombose des Sinus.
5. Bo ck, Karl, 14 Jahre, aufgenommen 5. Juli, gestorben 11. Juli 1898.
Seit dem 6. Jahre Scharlachotitis. Seit 3. Juli Ausfluss stärker, wässerig,
übelriechend; Schmerzen hinter dem Ohr, die ins Genick und rechte Schläfe
ausstrahlen. Kopfschmerz, Appetit schlecht. 5. Juli beim Aufstehen Schwindel,
einmal Erbrechen. Will Fieber und Frost gehabt haben. Stuhlgang immer
normal.
Status: Schlecht genährter Knabe. Kopf nach rechts gebeugt. Be-
wegung des Kopfes um die sagittale Achse bebindert und schmerzhaft, um
die verticale und transversale frei. Druckemptindlichkeit nur am Epistro-
pheus. Foetor ex ore. Zunge belegt. Sensorium frei. Pupillen gleich weit,
reagiren gut. Patellarreflexe normal. Papilla nervi optici besonders an der
nasalen Seite etwas verwaschen, im übrigen nicht hyperämisch. Innere Organe
ohne Befund. Urin ohne Zucker und Eiweiss.
Spitze und hinterer Theil des Proc. mastoid. stark druckempfindlich,
ebenso Jugularisgegend.
Rechter Gehörgang nicht verengt. Vom Trommelfell nur oberer und
unterer Saum erhalten. Unter oberem Saum eine Granulation. Links normal.
Temp. Abends 37,1^, Puls 100 regelmässig und kräftig. Um 10 Uhr
Nachts 41,2 unter leichtem Frösteln. Puls 134, sehr gespannt, ungleiche
Elevation. In der Nacht Kopfschmerzen und Schmerzen im Genick.
6. Juli. Temp. Morgens 36,9^, 10 Uhr 40,5°. Befinden wie gestern.
Bedeutg. d. Lumbalpunct. für d. Diagnose intracraD. Complicat. d. Otitis. 25
WahrscheiDlichkeitsdiagDose : Sinasthrombose.
Da einige Symptome für Meningitis sprecheD, so wirdLumbalpunction
vorgenommen. Dieselbe ergibt völlig klaren Liquor. Mikroskopisch keine ver-
mehrten Leukocyten, keine Mikroorganismen.
Fat. erlag ausgedehnten metastatischen Lungenerkrankungen.
Sectionsbefund: Eitrig jauchige Thrombose des rechten Sinus trans-
versus, sigmoid. und petros. inf. des Sinus rect., der Vena jugul. int. dext.
in ihrem oberen Theile. Ligatur der Vena jugul. int. dext. Metastatische
Lungenabscesse. Pleuritis librosa, fibrinosa und sero-purul. sinistr. Pleuritis
sero-purulenta dext. Hyperämie der Lunge, Atelektase des rechten Unter-
lappens in seinem unteren Theil. Bronchitis catarrhalis. Milztumor, Nephritis
parencbymatosa. Enteritis follicularis.
6. Günther, Agnes, 14 Jahre, aufgenommen 30. Juli, gestorben 2. Au-
gust 1898.
Ohreiterung rechts seit Kindheit. Vor 14 Tagen Schmerzen am rechten
Ohr, Kopfschmerzen und mehrtägiges Erbrechen. Vor 8 Tagen Schüttelfrost.
Ausfluss aus dem Ohr geringfügig. Seit 8 Tagen hält Pat. Kopf schief und
klagt über Schmerzen im Genick. Appetit gering, viel Durst. Ohrensausen»
unruhiger Schlaf.
Status: Schlecht genährtes Mädchen, schwerkrankes Aussehen. Passive
Bewegungen des Kopfes erregen laute Scbmerzensäusserungeu. Es besteht
eine allgemeine Hyperästhesie der Kopfgegend, des Halses und des Nackens.
Papillen beiderseits völlig scharf. Pupillen gleich, reagiren normal. Keine
Paresen. Herz ohne Befund. Lungen-Perkussion ergibt negativen Befund,
Athmungsgeräusch rechts schwächer als links.
Urin eiweiss- und zuckerfrei.
Hinter dem Ohr Blutegelstiche. Geringes Oedem der rechten Hinter-
hauptgegend. Starke Druckempfindlichkeit des Plan, mastoid. und besonders
an^er Spitze.
Rechter Gehörgang nicht stenosirt. Beim Ausspritzen des in der Tiefe
befindlichen Eiters kommen vielgeschichtete Epidermismassen zum Vorschein.
Nur oberer Saum vom Trommelfell erhalten. Die freiliegende Paukenhöhlen-
innenwand epidermisirt. Links Narbe vorn unten im Trommelfell.
Temp. 37,5«, Puls 100 regelmässig. Resp. 50.
Wahrscheinlichkeits- Diagnose : Sinusthrombose.
4 Uhr Nachmittags: Lumbalpunction ergibt unter starkem Drucke,
in weitem Strahl abÜiessende, wasserklare Flüssigkeit, die mikroskopisch
keine Formelemente enthält. Färbung ebenfalls negativ. Nach der Lum-
balpunction wird der Puls frequenter, kleiner und etwas unregelmässig. Bald
darauf ausgesprochener Schüttelfrost mit Ansteigen der Temperatur auf 40,0";
Dauer desselben etwa 10 Minuten. Danach leichter Schweissausbruch. Puls
wird wieder voller und regelmässiger, 128 p. M.
In der Nacht vom 30.— 31. Juli wieder Schüttelfrost mit folgender
Temperatursteigerung auf 40,8".
Die Operation bestätigte die Diagnose.
Sectionsbefund: Lungenödem. Difi^use katarrhalische Pneumonie
beiderseits. Lungenabscesse. Serös - eitrige Pleuritis. Bronchitis catarrhalis.
Splenitis acuta und Pemplenitis. Nephritis parencbymatosa. Jauchig- eitrige
Thrombose des rechten Sinus transvers. Jauchige Infiltration der Wandung
des rechten Sinus sigm. und des Bulbus venae jugul.
7. Olberg, Herm., 19 Jahre alt, aufgenommen 8. September 1898.
Seit 14 Tagen an acuter Mittelohreiterung rechts erkrankt. In den
ersten 8 Tagen mehrmals Erbrechen mit Schwindel und Uebelkeit, konnte
vor heftigen Schmerzen Nachts nicht schlafen. In den letzten 8 Tagen öfter
Schüttelfröste. Appetit schlecht. Stuhlgang normal.
Status: Kräftiger Mann von schwerkrankem Aussehen. Geht mühsam,
unsicher. Beim Aufrichten im Bette wird ihm auf einige Secunden schwarz
vor den Augen. Bewegungen des Kopfes frei. Zunge stark belegt. Foetor
ex ore. Klage über Kopfschmerzen, Schmerzen im Genick und rechten Ohr.
Linke Pupille grösser als rechte. Reaction der Pupillen* gut. Beiderseits
ausgesprochene Stauungspapille, rechts stärker als links. Sensorium frei.
26 II. BRAUNSTEIN
In Umgebung des rechten Ohres kein Oedem, circumscripte Klopfempfind-
lichkeit etwa in der Gegend des Sinusknies.
Rechts sackartige Vorwölbung des hinteren oberen Trommelfellquadran-
ten. Auf Paracentese reichliche Eiterentleerung
Temp. 38,2 steigt auf 40,t<>. Puls 60—90 nicht ganz regelmässig.
9 Uhr Abends Schattelf rost, 10 Minuten lang, ebenso 10 Uhr.
9. September Temp. 37,3» (Puls 96) 39,0°.
Wahrscheinlichkeitsdiagnose : Sinasthrombose.
Lumbalpunction ergiebt unter starkem Druck stehende, wasser-
klare Flüssigkeit. Mikroskopisch keine Leukocytenvermehrung, keine Mikro-
organismen.
Operation bestätigte Diagnose.
Pat. wird geheilt entlassen.
g) Perisinuöser Abscess,
1. Müller, Willy, 6 Jahre alt, aufgenommen 26. December 1 896. Geheilt.
Schlecht genährter Knabe, benommen. Temp. 38,2^, Puls 120. Innere
Organe ohne Befund. Halswirbelsäule druckempfindlich. Schmerzen im
rechten Ohr und in der rechten Kopfhälfte. Bewegungen des Kopfes schmerz-
haft. Hinter der rechten abstehenden Ohrmuschel fiuctuirende Anschwellung,
Umgebung infiltrirt. Infiltration bis in die Nähe der Halswirbel. Zunge
stark belegt. Foeter ex ore. Keine Paresen, keine Anästhesien. Unsicherheit
beim Gehen, Taumeln nach links. Starke Verstopfung. Hintere Trommelfell-
partie rechts geröthet. Ueber Proc. brev. ein Krater mit Granulationen.
Als trotz Eisbehandlung das Allgemeinbefinden sich nicht besserte, Temp. am
27. December Abends 39,3» war, wurde für den folgenden Tag Operation be-
schlossen.
Diagnose schwankte zwischen Cholesteatom mit Meningitis incipiens oder
mit perisinuösem Abscess. Die in Narkose vorgenommene Lumbalpunction
ergab .- 50 ccm krystallklare Flüssigkeit, Anfangs in starkem Strahl abfliessend.
Die mikroskopische Untersuchung stellte das Fehlen jeglicher Formbestandtheile
fest. Auch Agar- und Bouillonsculturen blieben steril. Eiweissgehalt V^^oo-
Die Operation bestätigte die durch die Lumbalpunction erhärtete Dia-
gnose: Cholesteatom mit perisinuösem Abscess.
Pat. wurde geheilt entlassen.
2. Krüger, Richard, S Jahre alt, aufgenommen 8. September, gestor-
ben 24. September 1900.
Rechtsseitige Ohreiterung seit Kindheit. Niemals Beschwerden. Seit
3 Tagen plötzlich heftige Schmerzen im rechten Ohr, Kopfschmerzen im
fanzen Kopf, Appetitlosigkeit, schlaflose Nächte, hohes Fieber, Frost. Kein
erbrechen, kein Schwindel.
Schwächlicher Knabe. Temp. 38,6, Puls 136 regelmässig. Innere Organe
0. B. Zunge belegt. Objectiv kein Schwindel. Pupillen gleich weit, reagiren;
keine Lähmung, kein Nystagmus. Papillengrenze links scharf, rechts ver-
waschen, Papille und der ganze Augenhintergrund rechts sehr hyperämisch.
Urin ohne Eiweiss und Zucker. Reflexe normal.
Druckemptindlichkeit des Warzenfortsatzes, geringes Oedem über dem-
selben, keine Infiltration. Druckempfindlichkeit längs der Jugularis.
Trommelfell rechts mit grosser Perforation, Paukenhöhlenschleimhaut ge-
röthet. Oben Granulation. Aeusserst fötide Eiterung, viel Epidermismassen.
Flüstersprache rechts nicht gehört. Ci vom Scheitel unbestimmt. Fis«
bei Nagelanschlag.
Diagnose: Chronische Eiterung mit Pyämie in Folge von Sinus-
thrombose.
8. September. Vor der Operation wurde die Lumbalpunction ge-
macht. Sie ergab kry stallklaren, nicht unter erhöhtem Druck stehenden,
bacterienfreien Liquor ohne vermehrte Leukocyten.
. Die Operation bestätigte obige Diagnose und deckte ausserdem einen
Kleinhirnabscess auf, der nicht diagnosticirt war. Nachdem sich der Zustand
des Pat. vorübergehend gebessert hatte, trat vom 17. September ab eine Vcr-
Bedeutg. d. Lumbalpanct. für d. Diagnose intracran. Complicat. d. Otitis. 2 7
scblimmerung ein und Fat. erlag schliesslich einer Meningitis, die vom Laby-
rinth ausgegangen war.
Sectionsbefund: Kleinhirnabscess, Meningitis puruleuta diffusa,
Hiroprolaps. In den Ventrikeln übersJl auffallend geringe Menge normaler
seröser Flüssigkeit.
Kein Gehirnödem.
3. Hartmann, Auguste, 16 Jahre alt, aufgenommen 16. November,
«ntlassen 15. December 1897.
Fat. hat Ohrenlaufen seit Kindheit. Vor 14 Jahren Anschwellung hin-
ter dem Ohre, die aufgeschnitten wurde. Vor 14 Tagen hinter dem Ohre
neue Anschwellung, Schmerzen. Seit 3 Tagen fahlt sich Fat. unwohl. Appetit-
losigkeit.
Massig genährtes, gut entwickeltes Mädchen. Skrophulöser Habitus.
Sensorium nicht getrübt. Fupillen gleich weit, reagiren normal. Augen-
hintergrund normal. Objectiv kein Schwindel. Innere Organe o. B. Fuls
124, klein aber regelmässig. Temp. 39,0 — 39 ,S^- Schmerzhafte Geschwulst
auf dem Warzenfortsatze^ Oedem in der Umgegend, besonders nach dem
Hinterhaupte zu, hier auch Druckempfiadlichkeit.
Linkes Trommelfell perforirt, Granulation.
17. November. In der Nacht Erbrechen, ebenso Morgens. Kopf-
schmerzen in der Stirn. Temp. 40,1 ^ Fuls 128 kräftig aber unregelmässig.
Diagnose: Chronische Eiterung links mit Sinusthrombose oder Sinus-
thrombose u n d M eningitis. Daher Mittags Lumbalpunction: ergiebt unter
hohem Druck stehende klare Flüssigkeit, in der sich mikroskopisch keine
vermehrten Leukocyten oder Mikroorganismen nachweisen lassen. Meningitis
war hierdurch ausgeschlossen.
Bei der Operation fand sich Cholesteatom mit extraduralem Abscess.
Geheilt.
h) Sinusthrombose mit abgekapselter Meningitis und Hirnabscess.
1. Boessdorf, Karl. 8 Jahre alt, aufgenommen 28. August, gestorben
24. September 1896.
Fat. hat schon Öfter Ohren schmerzen und Eiterung links gehabt. Seit
14 Tagen von Neuem links seitige Eiterung, die mit massigen Schmerzen, starker
Hitze und Durstgefühl begann. Appetitlosigkeit, Mattigkeit. Anschwellung hinter
linkem Ohr. Keine Schüttelfröste, aber Brechneigung. Sprache undeutlich.
Etwas Somnolenz, Matrosengang, Fat. taumelt. Zähneknirschen. Reflexe
normal, keine Sensibilitätsstörungen, keine Lähmungen, rohe Kraft in beiden
Händen entsprechend. Zunge stark belegt. Fat. versucht vergebens Worte
auszusprechen. Erst wenn sie ihm vorgesprochen werden, kann er sie nach-
sprechen. Einzelne Gegenstände bezeichnet er falsch. Fapillen beiderseits
nicht getrübt, doch leichte venöse Stauung. Herz und Lunge o. B. Fuls
klein, 13S, Temp. 39,5 ^ Urin ohne Eiweiss und Zucker.
Hinter dem linken Ohr prall gespannte Geschwulst, fluctuirend. Cho-
lesteatom links.
Differentialdiagnose schwankte zwischen Meningitis, Sinusthrombose mit
Hirnabscess und Meningitis mit Hirnabscess.
Lumbalpunction in Narkose ergab krystallklare Flüssigkeit, zuerst
im Strahl, ca. 40 ccm. Die sofortige mikroskopische Untersuchung ergab
keine Leukocyten, keine Mikroorganismen. Aus der Menge der Flüssigkeit
konnte mit Sicherheit geschlossen werden, dass der Liquor aus der Schädel-
faöhle stammte. Meningitis war also ausgeschlossen.
Diagnose: Sinusthrombose, wahrscheinlich mit Hirnabscess.
Operation ergab verjauchtes Cholesteatom und einen faustgrossen Epi-
doralabscess. Sinus lateralis konnte nicht eröffnet werden, weil Fuls des
Fat. schlecht wurde. Temp. Abends 39,0^.
29. August Morgens, Temp. 40,3. Operation der Sinusthrombose.
Sectionsbefund: 2 abgekapselte, zwischen Dura und Arachnoidea
gelegene mit stinkendem Eiter erfüllte Abscesse. Fachymengitis purul. in-
terna links. Leptomeningitis adhaesiva circumscripta links. Frolaps des linken
28 II. BRAUNSTEIN
Occipitallappen. Rothe GebirnerweichuDg im linken Hinterhauptslappen und
der finken Kleinhirnhemisph&re:
2. Zschenderlein, Theodor, 39 Jahre alt, aufgenommen 25. Mai,
gestorben 29. Mai 1899.
Seit Kindheit rechtsseitige Ohreiterung, schlecht gehört, seit 3 Wochen
auch links. Seit 10. Mai starke Schmerzen rechts. Schlaf gestört. Obsti-
patioD. Appetit schlecht. Kopfschmerzen rechts, Vermehrter Durst.
Kräftiger Mann. Objectiy keine Schwindelerscheinungen. Sensorium
frei, spricht exaltirt mit vielen Gestikulationen. Zunge belegt. Reflexe
normal. Innere Organe o. B. Augenhintergrund normal. Urin eiweiss- und
zackerfrei. Temp. 39,6 ^ Puls 92 regelmässig.
Am hinteren oberen Rande des rechten Trommelfells rothe Granula-
tionen. Sonde dringt leicht nach hinten oben und bringt Epidermisschüpp-
eben mit herunter. Flüstersprache rechts dicht Yor dem Obre, links ca. 1 m.
Ci vom Scheitel wird rechts gehört, Fis4 rechts nur bei starkem Metall-
anschlag, links normal.
26. Mai. Rechts hört heute Fat. kein Flüstern. Ci vom Scheitel nur
links gehört. Geht mit geschlossenen Augen breitbeinig aber ohne Schwan-
ken. Temp. 38,8«, 39,6 o, 40,3 o. Nachts Schüttelfrost von ca. 20 Minuten
Dauer unter Temperatursteigerung bis 41,5^.
27. Mai. Allgemeinbefinden schlechter. Sensorium klar. Keine stärkeren
Klagen. Kopfschmerzen in der Stirn, die Fat. als nicht sehr erheblich be-
zeichnet.
Im Vordergründe standen die pyämischen Erscheinungen. Jedoch be-
stand Verdacht, dass ausser der Sinusthrombose noch andere intracranielle
Complicationen vorlägen. Daher wurde die Lumbalpunction vorgenommen.
Dieselbe ergab unter geringem Druck stehenden Liquor, zuerst durch Blut-
beimengung leicht getrübt, dann wasserklar. Auch in der wasserklaren,
isolirt aufgefangenen Cerebrospinalflüssigkeit mikroskopisch viele rothe Blut-
körperchen. Weisse Blutkörperchen in vermehrter Zahl, nur einkernige. In
gefärbten Präparaten, keine Kokken. Nachmittags Kopfschmerzen.
Sectionsbefund: Meningitis purulenta. Perforation des Tegmen an tri
Hirnabscess. Thrombose des rechten Sinus transvers.
/) Sinvsthrombose mit Birnabscessen.
1. Mohrung, Wilhelm, 17 Jahre alt, aufgenommen 7. September, ge-
storben 14. November 1896. ^
Die erste Diagnose wurde auf verjauchtes Cholesteatom und Epidural-
abscess, eventuell Hirnabscess gestellt. Die sofort vorgenommene Operation
bestätigte die Diagnose. Aus der Beschaffenheit des Sinus sigmoid. konnte
jedoch während der Operation die Diagnose auf entzündliche Thrombose
desselben gestellt werden. Der Sinus wurde gespalten und entleert.
Temp. nach der Operation 39,5^ Abends 37,5°, Puls 75. In den nächsten
Tagen nur einmal Temperatursteigerung auf 3S,5°, aber starke Kopfschmerzen,
Unbesinnlichkeit und inconstante Pulsverlangsamung. Mit Rücksicht auf
den Sitz der Schmerzen im Hinterkopf, die Pulsverlangsamung und den
Schwindel wurde die Diagnose auf Kleinhirnabscess gestellt, doch konnte
jetzt, da Fieber aufgetreten war und der Befund im Sinus hierfür nicht ge-
nügend war, Meningitis nicht ausgeschlossen werden. Daher wurde die
Lumbalpunction vorgenommen und zwar in Narkose, um beim negativen
Ausfall der Function sofort die Trepanation anzuschliessen. Die Lumbal-
punction ergab zuerst im Strahl abfliessende krystallklare Flüssigkeit. Sie
wurde abgebrochen, als ein grosses Petri*sches Schälchen fast vollgelaufen
war. Die sofort vorgenommene mikroskopische Untersuchung ergab das
Fehlen jedweder Formbestandtheile. Hiermit war die Diagnose Kleinhirn-
abscess gesichert, und durch die Operation wurde sie bestätigt.
Am 7. Tage nach der Lumbalpunction klagte Patient über Schmerzen
in der Gegend der Stichsteile, welche sich jedoch bald verloren. Während
sich die Gehirnwunden schlössen, trat Pyämie auf, welcher der Patient am
14. November erlag.
Bedeutg. d. Lumbalpunct. für d. Diagnose intracran. Gomplicat. d. Otitis. 29
Sectionsbefund: Uebergreifen der Thrombose auf die andere Seite.
Multiple Abscesse an der Basis des linken Lungenunterlappens, abgesackter
intrapleuraler Abscess an der Vorderseite der rechten Thoraxhälfte. Milz-
abscess. Keine Meningitis.
2. Stude, Wilhelm, 25 Jahre alt, aufgenommen 11. Februar, gestorben
6. März 1898.
Yor 5 Jahren rechtsseitiges Ohrenlaufen. Seit 10 Tagen arbeitsunfähig
wegen Schmerzen im rechten Ohr und Frost. Zeitweise Obr trocken. Seit
mehreren Tagen stärkere Schmerzen im rechten Ohr, grosse körperliche
Schwäche, Schüttelfröste. Appetitlosigkeit, Obstipation. Erbrechen nur einmaL
Mit Beginn der acuten Symptome ist Patient am deutlichen Sprechen behindert,
■angeblich weil er den Mund nicht weit genug öffnen kann.
Status: Blasser Mann von krankhaftem Aussehen, geht langsam und
unsicher, augeblich in Folge von Schwäche in den Beinen. Pupillen gleich
weit, reagiren prompt. Das rechte Auge wird weniger gut geschlossen als
das linke. Leichte Parese der Mundäste des rechten Facialis, Sensorium
TöUig frei.
Ophthalmoskopische Untersuchung. Venen beiderseits stärker gefallt,
etwas geschlängelt. Papillen beiderseits an der nasalen Seite nicht ganz scharf.
Druckempfindlichkeit hinter dem rechten Ohre in ziemlicher Ausdeh-
nung nach dem Hinterkopfe zu, auch in der Schläfengegend.
Im rechten Gehörgang obturirender Polyp mit höckeriger Oberfläche,
^orn unten mit Epidermis überzogen. Starke Secretion fötiden Eiters. Links
^grosse Verkalkungen am unteren und hinteren Rande des Trommelfells.
Sprache undeutlich, scheinbar motorisch behindert. Temperatur 36,3^
Puls 54—57. Nachmittags Schüttelfrost mit Steigerung der Temperatur
auf 38,2<>. Puls 80, etwas dichrotisch. Abends 8V2 Uhr Temp. 40,0», Puls 90.
WahrscheinlichkeitsdiagDose: Pyämie in Folge von Sinusthrombose. Bei
der Operation wurde die mittlere Schädelgrube eröffnet und ein extraduraler
Abscess entleert. Bevor man zur Sinusoperation schritt, wurde die L um bal-
punction vorgenommen, da bei dem hohen Fieber trotz Fehlens anderer
diesbezüglicher klinischer Symptome die Möglichkeit des Vorhandenseins
einer diffusen, purulenten Meningitis nicht ausgeschlossen war. Die Lumbal-
punction ergab krystallklaren Liquor; Mikroskopisch keine Leukocyten,
keine Mikroorganismen. Patient erlag am 6. März der Pyämie.
Sectionsbefund: Eitrige Thrombose des rechten Sin. transvers., des
rechten Sin. petrosus sup., Hirnabscess. Eitrig fibrinöse Pleuritis, Lungen-
abscesse, Milzabscess.
3. Heineke, Selma, 22 Jahre alt, aufgenommen 15. März 1901.
Früher angeblich beiderseits ohrgesund. Seit Februar a. c. Ohrensausen,
und geringe Eiterung links. Keine Schmerzen, zuweilen Schwindel, Zuneh-
mende Schwerhörigkeit. Klage über Kopfschmerzen.
Status: Innere Organe gesund. Augenhintergrund normal. Urin ohne
Eiweiss und Zucker.
Links Fistel über Proc. brev. Perforation hinten oben, Sonde stösst
auf rauhen Knochen. Trommelfell geröthet. Stinkende Eiterung. Hechts
trockene Perforation hinten unten.
18. März. Hammer- Ambossextraction links.
Patientin klagt in den nächsten Tagen über Schmerzen hinter dem linken
Ohre und Schwindel, am 8. April auch Erbrechen. 9. April Totalaufmeisselung.
Da trotzdem Kopfschmerzen und Erbrechen nicht vollständig aufhören, der
Puls alhnählich langsamer wird, denkt man an das Vorhandensein eines Klein-
hirnabscesses an. Da Meningitis nicht völlig ausgeschlossen werden kann,
80 wird dieLumbalpunction vorgenommen. Sic ergiebt unter hohem Druck
stehenden deutlich getrübten Liquor. Die mikroskopische Untersuchung
zeigt, dass die Trübung nicht durch Vermehrung der Leukocyten
bedingt ist; keine Bacterien. Trepanation. Entleerung eines Kleinhirn-
abscesses. Puls wird wieder frequenter. Abends keine Klage mehr über Scbmer-
jcen, aber grosse Unruhe. Nach sehr schwerem Krankheitsverlauf Heilung.
Patientin befindet sich seit August in voller Reconvalescenz.
30 II. BRAUNSTEIN
4. Kessler, Luise, 17 Jahre alt, aufgenommen 28. Juni, gestorben
30. Juni 1899.
Seit Kindheit rechtsseitige Ohreiterung, seit 3 Wochen Fieber, Hals-
schmerzen, Obrsch merzen , Schüttelfröste, Erbrechen. Seit gestern Ver-
schlimmerung. Patientin phantasirt viel, muss getragen werden, nennt Namen
und Alter richtig, klagt über nichts. Zunge stark belegt. Lippen trocken,
rissig. Leichtes Hüsteln. Nasenflügelathmen. Auf der Lunge objectiv
nichts nachzuweisen.
Temp. 38,7». Puls 120 p. M.
Rechts stark riechende Eiterung. Hammer in Granulationen eingebettet.
Vom Trommelfell nichts zu sehen. Paukenhöhle mit Granulationen angefüllt.
Hörprüfung unmöglich.
Lumbalpunction ergiebt keine Flüssigkeit.
Sectionsbefund: Septicopyämie. Eitrige Thrombose des rechten
Sinus transyers. und sigmoiaeus. Abscess im rechten Temporallappen. In
den hinteren Schädelgruben geringe Mengen klarer Flüssigkeit.
k) Meningitis tuberculosa.
1. Thondorf, Paul, 2 Jahre, aufgenommen 30. Januar, gestorben
2. Februar 1897.
Pat. am 10. September 1896 wegen acuter Warzenfortsatzeiterung links
operirt, subperiostaler Abscess, Granulationen, Eiter im Antrum. Bacterio-
logische Untersuchung ergab Streptokokken in Reincultur.
Vor 10 Tagen tägliches Erbrechen, vor 2 Tagen nächtliche Krampf-
anfälle. Niemals Schmerzensäusserungen. Schwinden des Bewusstseins.
Völlig soporöses Kind. Innere Organe ohne Befund. Opisthotonus.
Strabismus convergens. Sensibilität herabgesetzt, keine Motilitätsstörungen.
Augenhintergrund: Venen stark gefüllt, geschlängelt. Keine Neuritis. Kind
lässt Urin und Stuhl unter sich gehen.
Linker Gehörgang weit, in der Tiefe eingedickter Eiter. Centrale Per-
foration. Rechter Gehörgang im tiefsten Theile geröthet. Trommelfell dunkel-
roth, vorgewölbt. Temp. 38,4^ Puls 120 regelmässig. Paracentese rechts ent-
leert nur einen Tropfen weisslichen, dickflüssigen Eiter und Blut.
Zunächst Diagnose Meningitis purui. diffusa vom Ohr ausgehend.
30. Januar. Lumbalpunction ergibt unter geringem Druck stehende
Flüssigkeit, ca. 15 ccm tropfenweise, welche von oben im Petri'schen Schäl-
chen betrachtet, klar aussah, bei seitlicher Betrachtung aber sehr deutlich
opalisirte. Die mikroskopische Untersuchung ergab nur ganz vereinzelte
mononucleäre Leukocyten, keine Mikroorganismen.
1. Februar. Lumbalpunction ergab ca. 20 ccm opalisirende Flüssig-
keit, die fast gar keine Formbestandtheile, nur einzelne, sehr wenige Leuko-
cyten enthielt. In mehreren Präparaten konnten keine Tuberkelbacillen nach-
gewiesen werden. Ein Meerschweinchen erhielt einen ccm der Flüssigkeit
intraperitoneal und starb am 12. Tage nach der Impfung ohne pathologischen
Befund.
Durch die Lumbalpunction war die Diagnose Meningitis purul. diffusa
hinfällig geworden. Es handelte sich um eine Meningitis tuberculosa.
Sectionsbefund: Meningitis tuberculosa, besonders in beiden Fossae
Sylvii. Beim Herausnehmen des Gehirns sammelte sich an der Basis reich-
lich leicht getrübte Flüssigkeit; dieselbe fand sich auch stark vermehrt im
spinalen Duralsack, an der Einsticbstelle der Punctionsnadel, ohne dass Ver-
änderungen an dieser Stelle nachgewiesen werden konnten.
2. Stockmann, Gertrud, 1 Jahr, aufgenommen 27. Januar, gestorben
29. Januar 1899.
Seit 4 Wochen krank, Ohreiterung links. Vor 14 Tagen Krämpfe, dabei
Nackenstarre, seitdem theünabmlos, trinkt nur auf Aufforderung. Stuhl in
Ordnung, Hitze, Fröste. Einmal Erbrechen.
Gut genährtes Kind, tief comatös. Pupillen gleich weit, starr, ohne
jede Reaction. Deviation conjug^e. Augenhintergrund normal. Spasmen im
rechten Arm. Kopf in Zwangsstellung. Keine Nackenstarre. Extremitäten
rechts starr. Temp. 37,9®.
Bedeutg. d. Lumbalpunct. für d. Diagnose intracran. Gomplicat. d. Otitis. 31
Links reichliche stinkende Eiterong. Perforation mittelgross im hinteren
Quadranten. Keine Stenose des Gehörganges.
Diagnose schwankt zwischen seröser und tuberculöser Meningitis, da
eine Meningitis purul. diffusa ausgeschlossen schien, wegen des protrahirten
Verlaufs der Krankheit.
27. Januar. Lumbalpunction ergab klaren, unter vermehrtem Druck
stehenden Liquor. Mikroskopisch fanden sich die Leukocyten etwas ver-
mehrt, aber keine Bakterien.
Sectionsbefund: Ausgedehnte tuberculöse Meningitis, starker Hydro-
cephalus extern, und intern.
3. Hartmann, Erich, 4 Jahre, aufgenommen 22. November, gestorben
30. November 1900.
Vor 14 Tagen leichte Masern. Darnach 4 Tage und N&chte sehr un-
ruhig und schlaflos. Oft Greifen nach dem Kopfe, plötzliches Aufschreien
und in die Höhewerfen des Körpers. Kein Erbrechen. Vom 19. ab ruhiges
Verhalten, viel Schlaf, guter Appetit. Am 22. Erbrechen und Benommenheit.
Nachmittags Stunden lang Augenverdrehen und Herumwerfen des Kopfes.
Kräftiges Kind. Innere Organe ohne Befund. Deviation der Bulbi.
Pupillen gleich weit, reagiren auf Licht kaum. Ptosis besonders rechts. Augen-
hintergrund normal, aber blass. Papillen deutlich begrenzt. Urin frei von
Eiweiss und Zucker.
Trommelfell rechts geröthet, links stärker und abgeflacht. Sofort Para-
centese. Kein Eiter, nur seröse Flüssigkeit.
23. November. Temp. 39,1^. Durch Katheterisiren des linken Ohres
wird kein Eiter aus dem Trommelfellschnitt entleert.
Wegen der meningitischen Erscheinungen wurde Lumbalpunction
gemacht. Dieselbe ergab unter hohem Druck stehende Flüssigkeit, nicht ge-
trübt, opalescirend , frei von Leukocyten und Tuberkelbacillen. Eiweiss-
gehalt erhöht. Nach der Punction dauert der soporöse Zustand fort.
25. November. Lumbalpunction wird wiederholt. Liquor unter
hohem Druck, leicht gelblich verfärbt, aber klar. Die mikroskopische Unter-
suchung ergibt keine Vermehrung der Leukocyten, keine Tuberkelbacillen,
auch keine anderen Bacterien. Das mit dem Liquor geimpfte Versuchsthier
starb 8 .Wochen nach der Impfung an acuter Miliartuberculose. Nach der Punc-
tion Somnolenz stärker, Pupillen mittelweit, gleich, auf Licht nicht reagirend.
Puls 120, Athmung 32. Abends Temp. 38,7^
Bis zum 28. hatte sich Allgemeinzustand nicht verschlechtert. Jetzt
Sopor, Schlucken sehr schlecht und selten. Deutliche Nackenstarre. Haut-
sensibilität fast normal. Sehnenreflexe fehlen. Keine Lähmung der Extre-
mitäten. Pupillen weit, reactionsloB. Auf der ganzen Lunge Rasselgeräusche.
Abends Temp. 39,4^ Puls 168.
29. November. Morgens Temp. 39,5. Puls 180. Resp. 36.
Lumbalpunction entleert wenig mit Blut vermischten Liquor. Goma
besteht auch nach Punction.
Sectionsbefund: Meningitis tuberculosa, Hydrocephalus intern. Ge-
himoedem. Tuberculosis ossis sacri, vertebr. lumb. Miliare Tuberculöse der
Lungen und des Kehlkopfes.
4. Wrede, Klara, 3 Jahre, aufgenommen 7. Februar, gestorben
13. Februar 1901.
Kind soll seit 8 Tagen krank sein. Der behandelnde Arzt hatte Ver-
dacht auf eine vom Ohr ausgehende Meningitis, deshalb in die Ohrenklinik
aufgenommen. Kräftiges Kind.
Sopor, öfteres Aufschreien. Pupillen weit, reagiren sehr träge.
Beide Trommelfelle geröthet. Faracentese.
8. Februar. Sopof , fixlrt nicht mehr. Gonvergenzschielen. Pupillen
weit, reactionslos.
Wegen der meningitischen Symptome wurde 11. Februar Lumbal-
punction gemacht. Dieselbe entleert klaren Liquor, etwas gelblich verfärbt,
ohne vermehrte Leukocyten, aber mit Tuberkelbacillen.
Nach der Punction keine Veränderung.
32 IL BRAUNSTEIN
Sectionsbefund: Meningitis tuberculosa. Ependymitis tuberc. gra-
nnlosa. Hydrocephalus int. Miliartuberculose beider Langen und Milz.
5. Franke, Frida, 5 Jahre, aufgenommen 3. April, gestorben
13. April 1900.
Wegen langjähriger rechtsseitiger Ohreiterung in poliklinischer Behand-
lung, am 25. Januar Totalaufmeisselung, darnach entlassen.
Massig genährtes Kind. Zeichen von abgelaufener Rhachitis. Lungen
suspect. Rasselgeräusche über linker Lunge.
3. April. Kopfschmerzen, Zuckungen. Apathie. Obstipation.
Da sich Zustand bei entsprechender Therapie bis zum 6. nicht ändert,
Lumbalpunction. Sie entleert nur reines Blut. Keine Aenderung im
Verhalten des Pat.
Die DiagDose hatte Meningitis in Folge von Otitis gelautet.
13. April. Exitus letalis.
Sectionsbefund: Hydrocephalus intern. Frische tuberculöse Me-
ningitis. Aeltere und frische Tuberculöse der Lungen.
/) Intracranielle Druckerscheinungen.
1. Pintaske, Selma, 23 Jahre alt, aufgenommen 12. Februar, ge-
storben 12. Februar 1897.
Pat. klagt über heftige Schmerzen der linken Kopfseite, wimmerte laut,
wurde vor Schmerz mehrfach ohnmächtig, presste den Kopf gegen die Wand
und hatte auch Nackenschmerzen. Temp. 38,7^, Puls 81.
Kräftige Frau, bleich. Aus dem linken Ohr massig starker eitriger
Ausfluss. Trommelfell in der hinteren Hälfte zitzenförmig vorgewölbt,
aber blass.
12. Februar. Da der objective Befund die starken Schmerzen nicht zu
erklären schien, so wurde an intracranielle Complicationen gedacht.
Da eine Meningitis vorhanden sein konnte, so wurde die Lumbal-
punction in Narkose gemacht. Dieselbe ergab 13 ccm klaren Liquor;
mikroskopisch keine Vermehrung der Leukocyten, keine Mikroorganismen.
Wenige Secunden nachher, es waren 25 ccm Chloroform verbraucht, setzte
plötzlich die Athmung aus, hochgradige Cyanose des Gesichts. Puls gut.
Nach ca. 20 Minuten künstlicher Athmung ging der Anfall vorüber. Wäh-
rend der nächsten halben Stunde war Pat. wieder bei Bewusstsein, klagt
nicht über Schmerzen. Plötzlich wird die Athmung wieder oberflächlich,
hochgradige Cyanose. Trotz künstlicher Athmung Exitus letalis.
Sectionsbefund: Anämie des Gehirns und Oedem. Massige Ver-
fettung des Herzens. Lungenödem. Alte und frische Heerde im rechten
Oberlappen. Milztumor. Verfettung der Leber.
2. Schulze, Willy, 16 Jahre, aufgenommen 23. October 1900. Geheilt.
Ohren laufen beiderseits seit Kindheit. Vor 2 Jahren links operirt.
Seit voriger Woche Schmerzen in und hinter dem rechten Ohr. Kein Kopf-
schmerz, kein Schwindel. Heute Morgen Erbrechen.
Kräftiger junger Mensch. Innere Organe gesund. Pupillen gleich weit,
reagiren, keine Lähmung, kein Nystagmus. Gang unsicher. Kein Schwindel.
Auf Befragen antwortet der wenig intelligente Pat. sehr langsam.
Oedem über rechtem Warzenfortsatz, Knochen druckempfindlich. Rechts
Senkung der hinteren Gehörgangswand. Fistel in derselben. Sonde gelangt
in grossen cariösen Krater. Profuse stinkende Eiterung. Links Stenose des
Gehörgangs, geringe Secretion, starker Foetor. Flüstersprache beiderseits
nicht gehört.
Gl vom Scheitel nach rechts. Links Ci Fi84 nicht gehört. Ci rechts bei
forcirtem Anschlag, Fis4 bei starkem Nagelan seh lag. Rinne rechts.
W^ahrscheinlichkeits-Diagnose: Chronische Eiterung beiderseits mit
Cholesteatom. Da aber einige Symptome für intracranielle Complication
-(Meningitis?) sprechen, so wurde Lumbalpunction gemacht. Dieselbe
ergab klaren Liquor unter nicht erhöhtem Druck. Die mikroskopische Unter-
suchung zeigte keine Vermehrung der Leukocyten.
Bedeutg. d. Lumbalpunct für d. Di^gQose intracran. Complicat. d. Otitis. 33
Die Operation bestätigte die Diagnose.
Fat. wurde am 1. Februar 1901 gebeilt entlassen.
3. Badina, Valentin^ 21 Jabre, aufgenommen 12. April, entlassen
24. Juli 1898.
Vor 12 Jabren Typbus und Ohreiterung. Seit Sonntag bettl&gerig, Scbmer-
zen im linken Obr. Appetit massig, kein £rbrecben. Kein Scbwindel, kein
Frost.
Kr&ftiger Mann, gebt ohne Taumeln, klagt über beftige Schmerzen im
Kopf links. Papillen normal. Pupillen gleich weit, reagiren. Innere Organe
ohne Befund.
Umgebung des Obres überall schmerzhaft, Oedem und teigige Schwel-
lung der ganzen linken Kopfhälfte, an einzelnen Stellen Fluctuation.
Links schlitzförmige Stenose des äusseren Gebörgangs. Stinkender Eiter.
Granulation in der Tie£e. Temp. 38,9^, Puls 108 nicht ganz regelmässig.
Nacbts Temp. 39,6o.
13. April. Wegen der meningitischen Erscheinungen wurde der Mastoid-
operation die Lumbalpunction yorausgeschickt. Sie ergab klare, unter
massigem Druck stehende Flüssigkeit, in der bei der mikroskopischen Unter-
suchung weder vermehrte Leukocyteh noch Mikroorganismen gefunden
wurden.
Durch die Operation wurde ein grosses Cholesteatom entfernt und die
Abscesse gespalten.
Am 24. Juli verlässt Pat. ohne Erlaubniss die Klinik.
4. Hillebrecht, Friedrich, 16 Jahre, aufgenommen den 29. Jjani, ge-
storben 30.- Juni 1899.
Seit mehreren Jahren rechtsseitiger Ohrenfluss, soll früher Gehirnent-
zündung gehabt haben. Seit 8 Tagen heftige Kopfschmerzen, schlaflos.
Kopfschmerzen strahlen von der Stirn nach dem Genick aus.
Stuhlgang regelmässig, Appetit gering.
Gut genährter, blasser Junge. Kopf nach rechts gebeugt. Pupillen gleich
weit, reagiren normal. Augenhintergrund zeigt beiderseits Stauungspapille,
bepsoripm frei. Druckempnndlicbkeit der Halswirbelsäule. Puls 60, Temp.
3i),8^. Starke Druckemptindlicbkeit des rechten Prosc. mastoid. Centrale
Perforation im rechten Trommelfell.
Da die Zeichen einer intracrfiniellen Complication nicht klaren Auf-
schlusB über das Leiden gaben, so wurde die Lumbalpunction gemacht
Dieselbe ergab unter geringem Drucke stehende klare Flüssigkeit. Mikro-
skopisch wurden keine Formbestandtheile gefunden.
Sectionsbefund: Uydrocephalus internus. Hyperämie der Lungen.
Hypertrophie des linken Yeatrikels.
5. Cyliax, Friedrich, 28 Jahre, aufgenommen 17. August 1897.
Acute Eiterung links mit Mastoiditis.
18. August. Mastoidoperation wegen acuten Empyems des Proc. mast.
Entleerung eines extrasinuösen Abscesses.
19. August. Temp. 37,8, 38,5, 39,2, 39,0, 38,5, 38,0°.
Fat. klagt über starke Schmerzen im Hinterkopf an circumscripter
Stelle, schläft trotz Morph. 0,02 subcutan in der Nacht schlecht.
Da nach der Mastoidoperation und der damit verbundenen Entleerung
des extrasiuuöseu Abscesses das Fieber anhielt, sogar 39,2^ erreichte, wurde
entweder das Vorhandensein einer Leptomeningitis diff. oder einer Sinus-
tbrombose angenommen. Daher wurde die Lumbalpunction vorgenommen
mit Hilfe der Scbleich'scben Anästhesie. Dieselbe ergab klaren Liquor unter
massigem Druck. Die mikroskopische Untersuchung stellte das Fehlen ver-
mehrter Leukocyten und Mikroorganismen fest. Die jetzt gestellte Diagnose
Sinusthrombose wird durch die Operation bestätigt.
Pat. wird gebeilt.
6. Pstrong, Stanislaus, 24 Jahre, aufgenommen 15. Januar 1901.
Am 7. Januar Fall vom Wagen. Fractura basis cranii. Bewusst-
losigkeit.
Archiv f. Ohrenheilkonde. LIV. Bd. 3
84
U. BRAUNSTEIN
Kr&ftiger Mann. Pupillen gleich weit, reagiren, links träger. Complete
FacialiBlähmong links. Hftndedruck bedeutend abgeschwächt, besonders rechts.
Reflexe und Sensibilität normal.
Warzenfortsatz druckempfindlich an circumscripter Stelle. Im linken
Äusseren Gehöigang Blutgerinnsel und flassiges Blut, welches beim Abtupfen
sofort nachfliesst.
FlOstersprache nicht gehört. Gi vom Scheitel nicht lateralisirt. Fi84
bei starkem Nagelanschlag links schwach, Ci bei starkem Anschlag undeut-
lich. Fat. ist sehr unruhig, reisst sich öfter den Verband ab, steht des
Nachts wiederholt auf mit der Begründung, er müsse anspannen.
16. Januar. Links Pupille weiter als rechts, reagirt träger. Augen-
hintergrund ohne deutliche Veränderung.
Da obige Symptome es fraglich erscheinen Hessen, ob nicht bereits eine
Entzündung der weichen Hirnhäute eingetreten sei, so wurde die Lumbal-
punction vorgenommen. Dieselbe entleerte unter ziemlich hohem Druck
stehende, klare, leicht gelblich verfärbte Flüssigkeit ohne vermehrten Leuko-
cytengehalt Der £iweissgehalt war erhöht.
Da sich der Zustand des Pat. bis zum 21. Januar verschlechtert,
Blasenlähmung auftritt, aus dem linken Ohr fötide, blutig-seröse Jauche aus-
fliesst, wird am 21. Januar die Lumbalpunction wiederholt. Sie ergibt
wieder völlig klare Flüssigkeit, ohne Vermehrung der Leukocyten und ohne
Mikroorganismen.
Hierdurch wurde das Nichtvorhandensein einer Meningitis diffusa puru-
lenta festgestellt.
Pat. befindet sich in Reconvalescenz. Empyema thoracis links durch
Kippenresection geheilt
Der Uebersichtliclikeit halber sind Bämmtliche Fälle noch
einmal tabellarisch ziiBammengestellt.
u
o
B
Namen
Tag
der Auf-
nahme
Diagnose
Tag der
Lumbal-
punction
£rgebni88 der
Section oder
Operation resp.
Heilnngsverlauf
üebereiiLBtim-
mang zwischen
dem Eigebniss
der Pnnotion n.
der Section. resp.
d. weiteren Hei-
lungsverianfe
a) Eitrige Meningitis.
1 Hoppe,
Karl.
2 Riedel,
Franz.
3 Eichler,
Ida.
4 Hinnebnrg,
i Gottl.
5 Thamm,
Bertha.
6 Busse,
Friedrich.
3. Oct.
1895.
21. Nov.
1896.
17. März
1897.
15. Juni
1900.
5. Febr.
1900.
26. Juni
1901.
Meningit. pu-
rul. diffusa.
25. April.
1896.
do.
21. Not.
do.
31. März.
do.
23. und
26. Juni.
do.
6. und
7. Febr.
do.
29. Juni.
Eitrige Basilar-
meningitis.
Eitrige Lepto-
meningit. d. Basis.
Basilarmeningi-
tis purul.
Meningit. purul.
cerebr. et spinal.
Meningit. purul.
der Gonvexität u.
Basis. Meningitis
spinal.
Eitrige Menin-
gitis.
b) Eitrige Meningitis mit Sinusthrombose.
Tbronicke,
Friedrich.
19. April
1896.
Meningitis.
20. April.
Eitrige Menin-
gitis. Thrombose
des Sin. transY. et
sigmoid.
ja-
ja-
ja-
ja.
ja-
ja.
ja.
ja.
Bedeatg. d. Lumbalpxmct. für d. Diagnose intracran. Gomplicat. d. Otitis. 35
u
o
e
c
Z
Namen
Tag
der Auf-
nahme
Diagnose
Tag der
Lumbal-
punotion
Ergebniss der
Section oder
Operation resp.
Heilungsverlanf
- ' ■ =sa
üebeieinstim-
mongrzwisohen
dem£igebni88
der Panotioa n.
der Section resp.
d. weiteren Hei-
Inngsyerlanfe
2
3
Lange,
Frita.
Schmidt,
Minna. .
13. Aug.
1896.
6. Juni
1898.
Cholesteatom,
Meningitis.
Cholesteatom,
Meningitis.
6. Sept.
21. Juni.
Eitrige Mening.
basilaris. Thromb.
des Sin. sigmoid.
Meningitis pu-
rulenta basilar.
ja.
ja.
c) Eitrige Meningitis mit Hirnabscess.
Warzyniak,
Franc.
2 Nfcthge,
Bertha.
3 Pech, Line.
Borchert,
Gustav.
Kühne,
Marie.
Meissner,
Emma.
Heitb, Lilli.
Sohnhe,
WUbelm.
Pulss,
Elisabeth.
3. Aug.
1896.
2. März
1899.
9. Oct.
1899.
25. Jan.
1900.
13. Nov.
1899.
19. Jan.
6. April
1901.
19. AprU
1901.
19. JuH
1900.
Meningitis
(Hirnabscess?)
Abscess im 1.
Schlaf enlappen.
Meningitis
nach Schläfen-
lappenabscess.
Meningit. diff.
nach Abscess im
link. Schläfen-
lappen.
Kleinhirn-
abcscess.
Hirndruck.
do.
Meningitis.
Mening. tuber-
culosa? Abscess
im 1. Schläfen-
lappen.
Meningit. pu-
rul. ^ffusa.
Abscess im 1.
Schläfen läppen.
Meningit. pu-
rul. diffusa.
Meningit. oder
Sohläfenlappen-
abscess.
Kleinhirn-
abscess.
3. Aug.
3. März.
26. und
27. Oct
3. nnd
1 7. Febr.
14. Nov.
15. Nov.
29. Nov.
1. Dec.
24. Dec.
27. Jan.
7. und
9. Febr.
7. April.
24. April.
22. April.
21. und
25. JuU.
Eitrige Lepto-
meningitis basil.;
haselnussgrosser
Abscess im r. Hin-
terhauptslappen.
Abscess im link.
Schläfenlappen.
Meningit. purnl.
basilar. et spinal.
Abscess im recht.
Temporallappen.
Meningit. purul.
Abscess im l.Tem-
porallapp., Durch-
bruch ins linke
Vorderhorn.
iXleinhirn-
abscess.
Meningit. purul.
basil. Abscess im
recht. Kleinhirn.
Dnrchbruch im
4. Ventrikel.
Abscess im lin-
ken Schläfenlap-
pen.
Meningit. purul.
baseos et convexi-
tatis. Abscess im
1. Schläfenlappen.
AbEcess im link.
Schläfenlappen.
Section nicht
gestattet.
Hirnabsc. Epen-
djmitis purulenta
dextr. Hirnödem.
Abscess im Klein-
hirn.
ja.
ja.
ja-
ja.
ja.
ja.
ja.
ja.
? mit Blut
vermischt«
ja.
ja.
ja.
ja.
ja.
ja.
ja.
ja.
j*.
3*
36
II. BBAUN8TEIN
i
Namen
1
Tag
der Auf- '
nähme
1
Diagnose
Tag der
Lumbal-
punction
ErgebnisB der
Seotion oder
Operation reap.
Heilungsrerlauf
Ueberoiiistim-
mong zwischen
dem Ergebniss
der Punction a.
der Section weg.
d. weiteren Eei-
longgyerlaafe
9
Dieselbe.
Meningitis.
28. Juli.
Absceas im Klein-
hirn. Dnrehbruch
in 4. Yentr. Me-
ning. purul. basil.
Eein Liquor.
10
Müller,
Paul.
29. Nov.
1897.
Absccss im lin-
ken Schläfen-
lappen.
30. Nov.
Abscess im link.
Schläfenlappen.
Meningitis purul.
diffusa.
Function re-
sultatloswegen
Verstopfung
der Ganüle.
d) Vermei
ntliche
epidemisch
e Gerebrospinalmeningitis.
1 Ruft, Kurt.
12. Dec
1896.
Meningitis
tuberculosa.
12. Dec.
—
ja.
e) Meningi
ti8 serosa.
1
Zeidler,
Kurt. ,
10. Nov.
Meningitis pu-
rul. diffusa.
10. und
11. Nov.
Pia über Occipi-
tal- und Temporal-
lappen stark Ode-
rn atüä. Oedem voll-
kommen klar.
?
f) Sinustl
irombose.
1
Schneider,
Albert.
13. Nov.
1896.
Sinusthrom-
bose.
13. Nov.
Tbrombosis Sin.
transv. dextr. et
bulbi venae jug.
ja.
2
DUrnberg,
Wilhelm.
16. Dec.
1897.
Sinusthrombose
(Meningitis?)
18. Dec.
Thrombosis sin.
transvers. dextr.
ja-
3
Steinkopf)
Reinhold.
6. Febr.
1898.
Sinusthrom-
bose.
7. Febr.
Tbrombosis des
Sin. sigmoid. Feri-
sinuöser Abscess.
ja.
4
Hiller,
Hans.
8. April
1898.
Sinusthrom-
bose.
8. April.
Thrombosis des
Sin. transv., extra-
sinuOser Abscess.
ja.
5
Bock, Karl.
5. Juli
1898.
Sinusthrom-
bose.
6. Juli.
Thrombose des r.
Sin. transvers. sig-
moideus et petros.
inf., des Sin. rect.,
der Vena jugular.
int. dextr.
ja.
6
Gttatber,
Agnes.
30. Juli.
Sinusthrom-
bose.
30. Juli.
Thrombose des r.
Sin. transv. ete.
ja.
7
Olberg,
Herm.
8. Sept.
1898.
Sinusthrom-
bose.
9. Sept.
Thrombosis sin.
transversi dextr.
ja.
i
;) Perisinuc
>ser Abscess.
1
Müller,
Willy.
26. Deo.
1996.
Sinusaffection.
28. Dec.
Cholesteatom r.
mit perisinuösem
Abscess.
ja.
Bedeutg. d. Lumbalpanct. für d. Diagnose intracran. Gomplicat. d. Otitis. 37
£
Naaien
Tag-
der Auf-
nahme
Diagnose
Tag der
Lumbftl-
punction
Ergebniss der
Section oder
Operation resp.
HeilungsYerlauf
Lgej g
üebereinstim-
mong zwischen
dem Ergebniss
der Ponctioa n.
der Seotion resp.
d. weiteren Hei-
Inngsverlanfe
Krüger,
Richard.
Hartmann,
Auguste.
8. Sept
1900.
16. Nov.
1897.
Chron. Eiterg.
mit Fyämie in
Folge von Sinus-
thrombose.
Chron. Eiterg.
mit Sinusthrom-
bose oder Sinus-
thrombose und
Meningitis.
8. Sept.
17. Nov.
h) Sinusthrombose mit abgekap
und HirnabscesB
Sinusthrombose. ja.
Kleinhirnabscess.
Cholesteatom mit ja.
extraduralem Abs-
cess links.
seiter Meningitis
es.
1
Boessdorf,
Karl.
28. Aug.
Meningit. oder
Sinusthrombose
mit Hirnabsoess
und Meningitis
mit Hirnabscess.
28. Aug.
Verjauchtes Cho-
lesteatom, Epidu-
ralabsoess links.
Thrombose d. Sin.
lateral.
ja.
2
Zschenderlein,
Theodor.
25. Mai
1899.
Pyämie in Folge
von Sinusthrom-
bose, Meningitis.
27. Mai.
Meningit. purul.
Hirnabsc, Throm-
bose des rechten
Sinus transvers.
ja-
1
1
i) Sinnsthrombose
mit Hirnabscessen.
1
Mohrung,
Wilh.
7. Sept.
1896.
Kleinhirnabs-
cess nach Sinus-
thrombose.
^~-
Kleinhirnabscess.
ja.
2
Stude,
Wühelm.
11. Febr.
1898.
Pyämie in Folge
von Sinusthrom-
bose.
12. Febr.
Thrombose des
r. Sin. transv., Sin.
petr. sup. Hirn-
absoess.
ja.
3
Heioeke,
Selma.
15. März
1901.
Kleinhirnabs-
cess (Meningit.?)
9. April.
Kleinhirnabscess.
ja-
4
Kessler,
Luise.
1
1
28. Juni
1899.
•
Pyämie in Folge
von Sinusthrom-
bose.
28. Juni.
SepticopyUmie.
Eitrige Thrombose
des r. Sin. transv.
u. sigmoid. Abs-
cess im rechten
Temporallappen.
ja.
k) Meningitis
tuberculosa.
1 Thondorf,
Paul.
30. Jan.
1897.
Meningitis pu-
rul. diffusa.
30. Jan.
1. Febr.
\ Meningitis tu-
j berculosa.
Keine Tuber-
kelbacillen.
2
Stockmann,
Gertrud.
27. Jan.
1899.
Meningitis se-
rosa oder tuber-
culosa.
27. Jan.
Meningitis tu-
berculosa.
do.
3
' Hartmann,
! Erich.
1
1
22. Nov.
1900.
Meningitis pu-
rul. diffusa.
23. Nov.
25. Nov.
29. Nov.
Meningitis tu-
berculosa.
ja.
Liquor mit
Blut ver-
misoht.
38
II. BRAUNSTEIN
üebereinstim-
&
p
Tag
Tag der
Ergebniss der
Sfifltinn oder
mmigzwischen
deml^cgebniss
B
Namen
der Auf-
Diagnose
Lumbal-
Operation resp.
Heilungsverlauf
der Poooticii n.
&
nahme
punction
der Section tgb^
d. weiteren Hei-
11. Febr.
Inngsverlaofe
4
Wrede,
7. Febr.
Meningitis pu-
Meningitis tu-
ja.
Clara.
rul. diffusa.
beroulosa.
5
Franke,
3. April.
Meningitis pu-
6. April.
Meningitis ta-
Function er-
Frida.
ml. diffusa.
berculosa.
gab nur Blut.
1)
Intracranielle Druck erschein an gen. i)
1
Fintaske,
Selma.
12. Febr.
1897.
(Meningitis?)
12. Febr.
Anämie des Ge-
hirns. Oedem.
ja.
2
.Schulze,
Willy.
23. Oct.
1900.
Chron. Eiterg.
m. Cholesteatom
(Meningitis?)
23. Oct.
Cholesteatom.
ja-
3
Badina,
Valentin.
12. April
1898.
Cholesteatom
(Meningitis?)
13. April.
Cholesteatom.
ja.
4
Hillebrecht,
Friedrich.
29. Juni
1899.
(Meningitis?)
29. Juni.
HydrooephaluB
intern.
ja-
5
Cyliax,
17. Aug.
Sinusthrom-
20. Aug.
Thrombose des
ja.
Friedrieh.
1897.
bose oder Me-
ningitis.
Sinus sigmoideus
links.
6
Pstrong,
15. Jan.
Leptomenin-
16. Jan.
1 Ohne Operation
1 geheilt.
ja.
Stanislans.
1901.
gitis?
21. Jan.
Auf Grund vorstehender Krankengeschichten sollen nun die
Erfahrungen besprochen werden, die in der Kgl. üniversitäts-
Ohrenklinik zu Halle a. S. bei der Ausführung der Lumbal-
punction gesammelt wurden, und zwar zunächst in Bezug auf
1. Die Technik der Punction
und der Untersuchung der Lumbaiflüssigkeit.
Quincke (2) hat zur Punction eine durch einen Mandrin
verschlossene Canüle empfohlen mit einer Lichtung von 0,6 bis
1,0 mm; die bei Kindern etwa 2 bis 2,5, bei Erwachsenen
4,5 bis 7 cm. tief eingestochen werden soll. In der hiesigen
Klinik sind von Anfang an Hohlnadeln vorgezogen worden. Ein-
mal merkt man beim Gebrauch von Hohlnadeln an dem aus-
fiiessenden Liquor sofort, ob die Nadel in den Spinalkanal einge-
drungen ist, und man ist daher nicht, um dies zu bestimmen,
1) Unter dieser Rubrik sind diejenigen Fälle zusammengestellt, bei denen
in vita meuingeale und HirndrackerschelDungen bestanden, welche in einem
Theil der in Heilung ausgegangenen Fälle sich zurückgebildet haben. In dem
aaderen Theil der Fälle kam es zur Autopsie, wobei aber keine von den be-
kannten intracraniellen Complicationen mit Sicherheit festgestellt werden
konnte.
Bedeutg. d. Lumbalpunct. far d. Diagaose intracraa. Gomplicat. d. Otitis. 39
wie bei der durch einea Maadrin vergchlossenen Canüle auf sein
Geftlhl allein angewiesen, und dann werden anch wohl bei der
Anwendung der Hohlnadel Verletzungen des Rückenmarks und
der Cauda, equina sicherer vermieden. Schon bei der 9. Function
(Fall a 2) zeigte es sich, dass die von Quincke (2) angegebene
Länge der Nadel nicht genügte, und heute werden bei der
Function Erwachsener Nadeln angewandt, die ohne Ansatzstück
ca. 13 cm Länge haben, bei einem Lumen von 1,0 und einer
Dicke von 1,3 mm. Bei Kindern genügt evtl. die Nadel einer
Fravaz'schen Spritze als Nothbehelf. Vor dem Gebrauch werden
die Nadeln ausgekocht und in eine 2proc. Sodalösung gelegt.
Die Nadeln in Carbollösung zu desinfioiren, ist unrathsam,
da dieselben dadurch leicht oxydiren und brüchig werden. So be-
richtet Lenhartz(3), dass ihm bei vier Functionen die J^adeln
abbrachen, nachdem sie öfters in Carbollösung gelegen hatten.
In der hiesigen Klinik werden die Functionen zwischen
dem 4. und 5. Lendenwirbel an dem unteren Rande des 4. Wir-
bels vorgenommen, bei Erwachsenen circa V2 cm. seitwätts
der Mittellinie der Wirbelsäule, weil die starken in der Mittel-
linie verlaufenden Bänder, die Ligamenta apicum dem Eindringen
der Nadel sehr hinderlich sind. Bei Kindern ist dieses Hemmniss
nicht so bedeutend. Der Duralsack der MeduUa soll möglichst in
der Mitte durchbohrt werden. Zu diesem Zwecke kann man
bei Kindern die Nadel am unteren Rande des Dornfortsatzes
des 4. oder des 3. oder 2. Lendenwirbels senkrecht in die
Spinalhöhle eindrücken, während man bei Erwachsenen die seit-
lich der Mittellinie aufgesetzte Nadel medianwärts nach vorn
und oben führen muss.
Bei muskulösen Fatienten ist die Bestimmung der Einstich-
stelle oft nicht leicht. Um dieselbe mit Sicherheit finden zu
können, hat Jacob y (4) folgendes Mittel angegeben. Er ver-
bindet die höchsten Funkte der beiden Gristae ilei durch eine
gerade Linie. Diese schneidet den 4. Lendenwirbel in der Mitte.
Dicht unterhalb der Linie liegt der Dornfortsatz des 4., dicht
über derselben der Dornfortsatz des 3. Lendenwirbels.
Es ist hier öfters vorgekommen, dass die Nadel beim Gleiten
in die Tiefe auf knöchernen Widerstand stiess, so dass es noth-
wendig war, dieselbe zurückzuziehen und ihr eine andere, den
vorhandenen anatomischen Verhältnissen mehr entsprechende
Richtung zu geben. Dies hängt mit der Verschiedenheit in der
Form der Dornfortsätze zusammen. Die Dornfortsätze stehen
40 IL BRAUNSTEIN
horizontal, jedoch mit dem Unterschiede, dass bei dem einen
Skelett die obere und ^untere Kante derselben vollkommen hori-
zontal verlaufen, während bei dem andern die untere Kante der
Dornfortsätze naeh unten abbiegt, zuweilen so tief, dass sie die
obere Kante des nächstfolgenden Dornfortsatzes fast berührt.
Bei der ersten Form ist der zwischen den Wirbelbogen ge-
legene Baum, in den die Nadel eindringen soll, von hinten
gesehen, völlig frei und offen, aber wenn man seitlich der Mittel-
linie in der Höhe des unteren Bandes des Dornfortsatzes die
Nadel mediänwärts nach vorn und oben einfährt, so stösst man
stets auf Knochen, auf den Dornfortsatz, weil der untere Band
desselben mit dem oberen Bande des freien Baumes in einer
Höhe liegt. Bei der zweiten Form der Dornfortsätze ist der
Baum Äwischen den Wirbelbögen, von hinten gesehen, verdeckt,
der untere Band der Dornfortsätze hängt wie ein Schirm über
ihm. Zwischen dem durch die Musculatur fahlbaren unteren
Bande dieser Dornfortsätze und ihrer Wurzel am Wirbelbogen
ist daher nach vorn und oben und mediänwärts genügend Baum
ftir das Eindringen der Nadel. Hier gelingt demnach die Func-
tion in der angegebenen Bichtung anstandslos. Wenn die Nadel
auf Knochen stösst, so hat man es mit Dornfortsätzen der ersten
Form zu thun, was man vorher nicht wissen kann. Dann wird
die Nadel senkrecht auf die Wirbelsäule, also parallel zur un-
teren Kante des Dornfortsatzes, höchstens etwas mediänwärts
oder etwas nach unten geneigt, eingestochen, uin den Duralsack
zu durchbohren. Bei dem Versuche, mit der Nadel in den
Wirbelkanal zu gelangen, ist Ueberhastung und übermässige
Kraftanwendung zu vermeiden.
Braun (5) hat in seiner Arbeit: lieber die Lumbalpunction
und ihre Bedeutung für die Chirurgie (25. Congress der deut-
sehen Gesellschaft fttr Chirurgie 1897) einige von Merkel ent-
worfene Zeichnungen gebracht, durch welche die oben erwähnten
anatomischen Verhältnisse der Dornfortsätze auf das Deutlichste
veranschaulicht werden.
Bei der Lumbalpunction liegen die Kranken auf der Seite,
die Beine gegen den Leib angezogen, den Bücken möglichst
gekrümmt und dem Lichte zugekehrt. Es ist zweckmässig,
durch einen Gehülffen einen Druck gegen den Unterleib des Fat.
ausüben zu lassen, bis die Nadel eingestochen ist. Denn der
Eingriff ist nach hiesigen Erfahrungen nicht so schmerzlos, wie
Lenhartz (3) behauptet, sodass die Fat. in mehreren Fällen
Bedentg. d. Lumbalpunct. für d. Diagnose intracraD. Complicat. d. Otitis. 41
versuchten, beim Einstich der Nadel den Rücken zu strecken.
Jedoch ist die Schmerzhaflig^keit des Eingriffs nicht so gross,
dass die Anwendung der Narkose angezeigt wftre, höchstens
käme die locale Änästhesirung der Einstichstelle mit Aethylen-
chlorid oder nach der Schleich 'sehen Methode in Frage. Aber
die Anwendung der Schi eich 'sehen Methode erschwert in
Folge der starken Wasserinfiltration der Weichtheile die Auf-
findung der fbr die Function geeigneten Stelle. Für die meisten
Fälle ist auch die locale Anästhesie entbehrlich. Wenn mehrere
Patienten vor der Function chloroformirt ^) wurden, so geschah
es, um bei negativem Befunde der Cerebrospinalfltlssigkeit sofort
zur Operation schreiten zu können.
In anderen Körperhaltungen als der seitlichen Lage wurde die
Function bisher nicht ausgeführt, weder, wie Senator (6) em-
pfiehlt, in Bauchlage auf dem Schooss bei Kindern noch in
Knieellenbogenlage bei Erwachsenen. Auch wurde nicht der
Versuch gemacht, durch die Function im Sitzen der Fatienten
Flüssigkeit zu gewinnen, obschon in zwei Fällen die in Seiten-
lage versuchte Function keinen Liquor zu Tage forderte. Für-
bringer (7) empfahl für solche Fälle die Function im Sitzen.
Dass bei Ausführung der Function auf peinlichste Desin-
fection der Lumbaigegend und der Instrumente zu achten ist,
braucht wohl nicht bemerkt zu werden. Die Einstichstelle wird
hier nach der Function durch aseptisches Heftpflaster und CoUo-
dittm geschlossen, und bisher wurde nie eine Entzündung oder
eine Infection, ausgehend von der Einstichstelle, beobachtet oder
bei Sectionen gefunden.
Manometrische Messungen wurden in der hiesigen Klinik
nicht ausgeführt, weil sich der Druck ungefähr abschätzen lässt
nach der Schnelligkeit, mit welcher die Flüssigkeit aus der
Nadel abfliesst, und nach der Höhe des herausspritzenden Flüssig-
keitsbogens. Für praktische Zwecke genügt dies, zumal die
Höhe des normalen Druckes der Gerebrospinalflüssigkeit noch
nicht festgestellt ist.
Quincke (2) gab denselben zuerst auf 40—60 mm Wasser
an, behauptete aber später, derselbe sei noch unbekannt, betrage
jedoch unter 150 mm. Krönig behauptete, der Druck der Gere-
brospinalflüssigkeit betrage beim normalen Menschen im Liegen
1) Nach anseren oben mltgetheilten ErfahruDgen ist die allgemeine An-
wendang der Chloroformnarkose, wie sie y. Ziemssen fttr die Lumbalpunc-
tion empfahl, zu widerrathen. Schwartze.
42 II. BRAUNSTEIN
125, im Sitzen 410 mm Wasser. Wenn daher der Liquor eines
liegenden Patienten im Strahl ahfiiesse, so stehe derselbe stets
unter erhöhtem Druck. ^) In der hiesigen Klinik wurde die
Punotion stets unterbrochen, wenn die Patienten Merkmale einer
zu schnellen oder zu tiefen Druckverminderung zeigten. Solche
sind Klagen über beginnende oder heftiger werdende Kopf-
schmerzen, Schwindelgefühl, Uebelkeit, Unregelmässigwerden
des Pulses, Zuckungen in den Beinen. Bei Hirntumoren, be-
sonders bei solchen im Kleinhirn ist besondere Vorsicht bei
der Punction geboten, einmal weil bei denselben wie bei Neu-
bildungen der MeduUa oblongata und der hinteren Schädelgrube
öfters plötzliche Todesfälle auch ohne Punction vorkommen, und
dann, weil dieselben leicht die offene Verbindung zwischen
Schädel- und Spinalhöhle aufheben, sodass letztere nur wenig
Liquor enthält. Dann kann schon durch Abfliessen von 5 — 6 com
Flüssigkeit eine gefährliche Druckverminderung entstehen. Die
Gefahr bei der Lumbalpunction besteht eben in einer zu schnellen
oder zu tiefen Herabminderung des Cerebrospinaldruckes. Wenn
die Punctionsflüssigkeit unter hohem Druck steht, also in weitem
Strahl abfiiesst, so ist es zweckmässig, die Punction ein oder mehrere
Male zu unterbrechen, statt 30 — 40 ccm Liquor auf einmal abfliessen
zu lassen, um eine zu schnelle Druckverminderung zu verhüten.
Ausserdem wurde die Punction abgebrochen, wenn die Flüssig-
keit nicht mehr im Strahl abfloss oder sonst, wenn genügend
Liquor zur Untersuchung gewonnen war. Daher wechselte die
Menge desselben in den einzelnen Fällen sehr. Das geringste
Quantum der gewonnenen Punctionsflüssigkeit betrug 13, das
grösste 70 ccm. Auch durch den Abfluss dieser unter hohem
Druck stehenden Liquormenge wurde das Befinden des Patienten
(fl) in keiner Weise beeinflusst. Im Mittel wurden 30— 40 com
Liquor entleert. Bei dieser Menge ist wohl anzunehmen, dass
die Flüssigkeit aus dem Schädelinnern stammt, dass demnach
die freie Communication zwischen Schädel- und Spinalhöhle
nicht unterbrochen ist. Wenn dann bei dem punctirten Patienten
1) Nach Krönig (8) ist die genaue Beobachtung der Pulsationsschwan-
kungen für den Nachweis der Communication von grösster Bedeutung. Daher
seien manometrische Messungen nöthig, zumal für die Punction bei Gehirn-
tumor. Eine auffallend starke Pulsation im Mauometerrohre führte zur
Differentialdiagnose zwischen pulsierendem Gehirntumor oder Aneurysma
der basalen Gehirnarterien. Die Autopsie constatirte aneurysmatische Er-
weiterung der Art. vertebr.
Bedeatg. d. Lumbalpunct. für d. Diagnose intracran. Complicat. d. Otitis. 43
eiae diffuse Entzündung der weichen Hirnhäute vorliegt, so muss
die angegebene Menge Liquor entzündliche Bestandtheile aus
der Schädelhöhle mit sich führen. Kleine Mengen Flüssigkeit
geben diese Sicherheit nicht, i)
Von einer chemischenüntersuchung der Cerebrospinal-
fiüssigkeit wurde abgesehen, weil dieselbe bisher keine praktisch
verwerthbaren Kesultate geliefert hat. Nur in einem Falle (d)
wurde der Eiweissgehalt auf l^/oo bestimmt. Normal soll der-
selbe 0,2 — 0,5 ö/oo betragen. Bei Entzündungen ist derselbe nach
Lenhartz (3) nie unter 1 ^/oo und kann bis 9^/oo steigen. Jedoch
dürfte der erhöhte Eiweissgehalt der Gerebrospinalflüssigkeit
nieht mit Sicherheit auf eine Entzündung der Hirnhäute sehliessen
lassen, da sich derselbe auch bei einfachen Stauungen bedeutend
vermehren kann. Quantitative Kochsalzbestimmungen wurden
ebenfalls nicht ausgeführt.
Auch die Bestimmung des specifischen Oewichts des Liquors,
das normal ca. 1007 betragen soll, wurde, weil ohne praktischen
Werth, unterlassen.
Nach hiesigen Erfahrungen hat sich die mikroskopische
Untersuchung der Gerebrospinalflüssigkeit als die maassgebende
erwiesen. Es wurden auch Culturen auf Agar und Bouillon
angelegt und ebenso das Thierexperiment herangezogen. Aber
keine Untersuchungsitethode gab so sicheren Aufschluss über
die Beschaffenheit der Flüssigkeit, wie die mikroskopische, die
ausserdem noch den Yortheil der Schnelligkeit hat, während
beim Warten auf das Resultat des lange Zeit beanspruchenden
Tbierexperiments der für eine lebenrettende Operation noch
günstige Augenblick leicht verstreicht. 2)
Die normale Gerebrospinalflüssigkeit ist vollkom-
men wasserklar. Von Formelementen darf dieselbe höchstens
vereinzelte — in einem Gesichtsfelde ca. 1 — 3 — Leukocyten ent-
halten. Die Leukocyten müssen einkernige sein, sie dürfen weder
mehrere, noch gelappte Kerne haben. In vielen Fällen sieht man
überhaupt keine weissen Blutkörperchen in einem Gesichtsfelde.
1) Slawykund Manicatide(9)(BerliDerkl. Wochenschr.No. 18, 1898)
entleerten in 19 Fällen bei Kindern mit Meningitis tuberculosa je 75 ccm Liquor,
ohne den geringsten Nachtheil für die Patienten. Die nach der Function
eingesunkenen Fontanellen waren nach 12—24 Stunden wieder gespannt.
2) Fall E3, in dem der thierexperimentelle Beweis, dass Tuberkelbacillen
in dem Liquor enthalten waren, erst mehrere Wochen nach dem Tode des Pa-
tienten erbracht wurde.
44 II. BRAUNSTEIN
Bei den Entzündungen des Gehirns and Rücken-
marks und ihrer H&ute ist die Flüssigkeit trübe und kann sogar
rein eitrig sein. Die Trübung ist meisten sverursaoht durch eine
Vermehrung von Leukocyten oder durch Beimengung von Eiter-
körperchen und Entzündungserregern. Indess hat hier ein neuerer
Fall (i 3) bewiesen, dass auch ohne Vermehrung von Leu-
kocyten und ohne andere Formbestandtheile eine
Trübung vorhanden sein kann, deren jedenfalls auf chemi-
schen Veränderungen des Liquors beruhende Ursache uns unbe-
kannt blieb.
Bei der tubercnlösen Meningitis soll sonst, nach Angabe
vieler Beobachter, die Flüssigkeit auch wasserklar sein und
Tuberkalbacillen enthalten, während hier beobachtet wurde, das»
die Flüssigkeit bei senkrecht auffallendem Lichte wasser-
klar, bei seitlich auffallendem aber deutlich opalisirend war.
Schwarz (10) hat in einem Falle aus der Gerinnselbildung des
klaren Liquors auf tuberculöse Meningitis geschlossen, und die
Autopsie bestätigte seine Diagnose, eine Erfahrung, die bereits
hier gemacht worden war. Entdeckt man bei der sofort nach
der Function vorgenommenen mikroskopischen Untersuchung
keine Formbestandtheile, so ist die Gentrifugirnng des Liquor»
zu empfehlen, wenn derselbe verdächtig erscheint Im Sediment
finden sich dann zuweilen Leukocyten und Mikroorganismen.
Stadelmann (11) behauptet, bei tuberculöser Meningiti»
sei der Liquor in der Regel hell und klar, später kämen aber
Trübungen desselben, gelegentlich auch Eiter und Blut in dem-
selben vor wie bei Mening. purul. diflf. Tuberkelbacillen konnten
fehlen, wenn noch kein Zerfall von Tuberkeln stattgefunden habe»
Aus der Literatur lassen sich noch mehr Beispiele mittheilen
zum Beweise, dass aus dem Befunde der Gerebrospinalflüssigkeit
nur dann mit Sicherheit auf Meningitis tubercnlosa geschlossen
werden kann, wenn Tuberkelbacillen im Liquor gefunden werden.
Bei uncomplicirtem Hirnabscess ist nach den Erfahrungen
in unserer Klinik die Gerebrospinalflüssigkeit vermehrt, aber
klar. Sie enthält keine vermehrten Leukocyten und keine
Mikroorganismen.
Auch bei Cerebrospinalmeningitis wird das Ergebniss der
Lumbalpunction sehr verschieden angegeben. Nach Len hart z (3)
ist bei epidemischer Genickstarre der Liquor dick und eitrig,
eitrig-serös oder eitrig-blutig, während Councilmann (12) ihn
in 55 Fällen bald klar, bald getrübt, letzteres namentlich im
fiedeutg. d. Lumbalpanct. fUr d. Diagaos« intracran. Complicat. d. Otitis. 45
Beginne der Erkrankung fand. In 38 Fällen ergab die mikro-
skopische Untersuchung den Diplocoocus intraoellularis.
L entert (1) hat in seiner Arbeit einen Fall als Meningitis
serosn (e) aufgeführt, und er ist unter dieser Rubrik auch in
diese Arbeit ilbergegangeo. Nach dem Punctionsergebniss kann
derselbe aber nicht als Meningitis serosa gelten, weil in dem-
selben neben vermehrten Leukocyten nicht wenige Stäbchen
gefunden wurden. Die Cerebrospinalfldssigkeit enthält aber
nach Quincke bei Meningitis serosa keine Mikroorganismen.
Eine definitive Entscheidung in dieser Frage ist zur Zeit nicht
möglich, weil die anatomischen und bacteriologischen Verhält-
nisse der Meningitis serosa noch nicht eindeutig klargelegt sind.
2. Unangenehme Erscheinungen während und
unmittelbar nach der Function.
Wenn auch die mit den angeführten Vorsiehtsmaassregeln
vorgenommene Lumbalpunction zu den ungefährlichen Eingriffen
gerechnet werden darf, so kann ihre Ausführung dennoch zu-
weilen von unangenehmen Erscheinungen begleitet sein. Solche
traten auch bei mehreren hiesigen Patienten auf, so im Falle b 3
und e 6 Unregelmässigkeit des Pulses, bei c 1 grosse Unruhe des
Patienten. Im Fall f6 trat unmittelbar nach der Punetion ein
Schüttelfrost ein mit Ansteigen der Temperatur auf 40^. Der
Aiifj^U dauerte 10 Minuten, dann folgte leichter Schweissausbruch
und der Puls wurde wiedar regelmässiger. Ob letzterer Anfall
allerdings durch die Lumbalpunction ausgelöst wurde, scheint
mehr als fraglieh, obschon derselbe auch durch Unregelmässig-
werden des Pulses eingeleitet wurde, da Patientin, die an Pyämie
litt, schon vorher häufig von Schüttelfrosten befallen war. Diese
unangenehmen Erscheinungen waren stets nur vorübergehender
Natur, ohne irgend welche dauernden Nachtheile.
Dagegen erlebten wir bei zwei Patienten bald nach der
Punetion den Eintritt des Todes. Im Falle bl wurde die
Punetion überhaupt zum ersten Male in der hiesigen Klinik vor-
genommen. Nachdem 40 — 50 ccm Liquor im Strahl abgeflossen
waren und derselbe dann nur noch tropfenweise nachsickerte,
wurde mit einer Pravaz'schen Spritze aspirirt. Patient wurde
darauf sehr unruhig, die Athmung auffallend tief und aussetzend.
Es trat Cheyne - Stokes'sches Athmen ein, Cyanose und 15 Mi-
nuten nach der Punetion der Exitus letalis ein. Vielleicht
war durch die Aspiration der Druck der Gerebrospinalflüssigkeit
46 II. BRAUNSTEIN
zu sehr herabgesetzt worden. In späteren Fällen ist daher die
Aspiration nie mehr angewandt worden. Auch Rieken (13)
warnt vor der Anwendung derselben und macht neben der
Gefahr der zn grossen Druckvermindernng der Cerebrospinal-
flfissigkeit noch auf die Möglichkeit aufmerksam, dass eine Nerven-
wurzel aspirirt werden könne. Die Aspiration ist aber auch
völlig überflüssig, da durch die einfache Function bei erhöhtem
Drucke des Liquors, also bei Entzündungen in der Schädelhöhle,
dasselbe erreicht wird, und aus dem durch Aspiration gewonnenen
Liquor nicht auf solche Entzündungen geschlossen werden darf.
Denn bei der Function einer normalen Spinalfaöhle tropft auch
Liquor ab. Hierdurch unterscheidet sie sich von anderen serösen
Höhlen, deren pathologischer Zustand schon durch das positive
Ergebniss einer Function allein bewiesen wird. Ein patholo-
gischer Zustand im Schädelinnern und im Bttckenmarkkanal
kann daher nur dann angenommen werden, wenn die Gerebro-
spinalflüssigkeit unter abnorm hohem Drucke steht. Wenn dem-
nach bei der Function des Spinalkanals der Liquor nur tropfen-
weise oder gar nicht abfliesst, so liegt entweder kein pathologischer
Zustand vor oder die offene Communieation zwischen Schädel-
höhle und Spinalkanal ist verlegt. In beiden Fällen wirkt dann
die Verminderung des Drucks der Gerebrospinal- oder Spinal-
flüssigkeit durch die Aspiration gefahrbringend.
Der zweite Fall (1 1), in dem der Tod kurz nach der Lum-
balpunction eintrat, ist schwieriger zu beurtheilen, weil die Func-
tion an der chloroformirten Fatientin vorgenommen wurde.
13 ccm klarer Liquor waren abgeflossen, als nach wenigen Se-
ounden plötzlich die Athmung aussetzte und hochgradige Gya-
nose des Gesichts eintrat. Der Fuls blieb gut. Bis dahin
waren 25 ccm Chloroform verabreicht. Nach ca. 20 Minuten
künstlicher Athmung ging der Anfall vorüber. Während der
nächsten halben Stunde war Fatientin wieder bei Bewusstsein,
klagte nicht über Schmerzen und trank eine, Tasse Kaffee.
Flötzlich wurde die Athmung wieder oberflächlich unter Ein-
tritt hochgradiger Gyanose. Die sofort unternommene künstliche
Athmung hatte jetzt keinen Erfolg mehr. Die Section gab über
die Todesursache keinen sicheren Aufschluss, sodass wir vor
der ungelösten Frage [stehen, ob hier der Tod durch Chloro-
form oder durch die Function verursacht wurde. Die grössere
Wahrscheinlichkeit spricht für Chloroformtod, worauf auch
der HiSectionsbefund: [Verfettung des Herzens,^ Lungenödem,
Bedeutg. d. Lumbalpunct. für d. Diagnose intracran. Gomplicat. d. Otitis. 47
alte und frische Heerde im Oberlappen der rechten Lunge hin-
weist.
Bei der Annahme eines Zusammenhangs zwischen Lumbal«-
punction und Tod muss stets bedacht werden, dass bei Patienten
mit GehirnaflFectionen der Tod auch ohne Function oft plötz-
lioh eintritt. Bekannt ist dies bei Gehirntumoren. Braun (5)
beobachtete aber dies Vorkommniss auch bei einem Patienten mit
einem nach Schädelverletzung entstandenen Gehirnabscess. Patient
wachte Nachts auf, wurde unruhig und starb gleich darauf. Die
Section ergab einen grossen Gehirnabscess, aber keinen Auf-
schluss über die Ursache des so plötzlich eingetretenen Todes.
EineLumbalpunction war bei dem Patienten nicht gemacht worden,
sonst würde man ihr sicherlich den Tod zur Last gelegt haben.
Derselbe Autor punctirte ein urämisches Kind. Die Function
ergab reichlichen Liquor. Weil aber die urämischen Zufälle
darnach unverändert blieben, so wurde den folgenden Tag die
Function wiederholt. Sie ergab keinen Liquor. Das Kind
starb plötzlich 5 Minuten nach dieser erfolglosen Function.
Solche Fälle beweisen, dass die Entscheidung über die Annahme
eines Zusammenhangs zwischen Lumbalpunction und Tod unter
Umständen grosse Schwierigkeiten bieten kann.
Bisher ist kein Fall, soweit hier bekannt, veröffentlicht
worden, der klar beweist, dass der Tod durch die Lumbal-
punction herbeigefahrt wurde. In den Mittheilungen von Bull
(14), Krönig (8), Fürbringer (7) und Lichtheim (15) wird
allerdings die Annahme ausgesprochen, dass der Tod der betref-
fenden Patienten im Zusammenhang gestanden habe mit der Func-
tion, aber beweiskräftig ist keiner dieser Fälle. Praktischen
Werth hat die Lösung dieser Frage überhaupt nicht. Wenn
doroh die Function auch in einzelnen Fällen der Tod unerwartet
schnell eintritt, so geschieht dies wohl nur bei Patienten, deren Ende
in der nächsten Zeit zu erwarten war. Und deshalb kann die
Lumbalpunction nicht als gefährlicher Eingriff angesehen wer-
den. Bei richtiger Technik werden sich Todesfälle [auch ver-
meiden lassen, resp. so selten werden, dass der Werth der
Function als diagnostisches Hülfsmittel dadurch nicht [aufge-
hoben wird.
Eieken (13) und Fürbringer (7) beobachteten während
der Function Zuckungen, schmerzhaftes Strecken der unteren
Extremität, die sie auf Berührung und Verletzung einer Nerven-
wurzel oder ihre Einklemmung zwischen Nadel und Wirbel-
48 II. BRAUNSTEIN
körper zurückführen. In mehreren FftUen sollen selbst f&r einige
Tage Schmerzen nnd ein Gefühl von Taubsein in einem Beine
bemerkbar geblieben sein.
Unter den 67 Functionen in der hiesigen Klinik waren nur
4 ohne Ergebniss. In dem ersten bereits erwähnten Falle war die
Nadel zu kurz. Die l&ngere Nadel Hess den Liquor abfliessen.
In zwei anderen Fällen, G 3 und C 9, ergab die Seetion im
Spinalkanal sulziges Gewebe und Oedem der weissen Substanz,
sodass in Folge der Baumverengung nur wenig Liquor im Btleken-
markkanal sein konnte und sein Abfluss verhindert wurde. In
beiden Fällen handelte es sich um Meningitis purulenta diffusa.
In den anderen 24 Meningitisfällen ergab die Function stets
reichlichen, zur Untersuchung völlig genflgenden Liquor, sodass
nach diesen Erfahrungen die Behauptung Goldscheider's (16),
dass sich bei eitriger Meningitis kein Eiter findet, weil es sich
dabei um eitrig -fibrinöse Auflagerungen handelt, nicht be-
gründet erscheint.
Ob in dem 4. Falle (14) nicht genflgend Liquor vorhanden
war, oder ob ein Exsudat, Fibringerinnsel oder Gewebsmassen
die Nadel verstopft hatten, ist nicht festgestellt worden. Bei der
Seetion fand sich in der hinteren Schädelgrube eine geringe
Menge klarer Flüssigkeit.
In einem Falle (k5), bei einem Kinde mit tuberculöser
Meningitis ergab die Function reines Blut. Bisher wurde rein
blutige Flüssigkeit bei Apoplexien gefunden, wenn sich das
Blut in die Hirnventrikel ergossen hatte, dann bei Schädelver-
letzungen und hämorrhagischer Facbymeningitis, bei subduralem
Bluterguss und bei Rindenapoplexien mit Durchbruch in die
Meningen. Von diesen pathologischen Zuständen wurde bei der
Seetion nichts gefunden. Im FrotocoU derselben wird gesagt:
„Aus dem Spinalkanal' entleert sich viel klare Flüssig-
keit^. Auch bestand kein Hinderniss für den Abfluss der
Flüssigkeit aus der Schädelhöhle nach dem Rückenmarkkanal.
Leider wurde letzterer bei der Seetion nicht eröffnet, sodass
die Ursache obigen Ergebnisses der Lumbalpunction nicht auf-
geklärt ist.
In zwei anderen Fällen war der Cerebrospinalflüssigkeit
Blut beigemischt. Wenn beim Einstechen der Nadel in den
Duralsack der Medulla eine Gefässverletzung stattfindet, so sind
gewöhnlich die ersten Tropfen der Functionsflüssigkeit blutig
Bedeatg. d. Lumbalpunct. fttr d..Diagiiose intracran. Gomplicat. d. Otitis. 49
verfärbt. Jedoch ist diese Blutung meistens gering, sodass der
Liquor bald klar abfliesst (h 3).
Bei dem Versuch, mit der Nadel in den Wirbelkanal zu
gelangen, kann eine Blutung entstehen. Dann können wäh-
rend der Function heftige Bewegungen des Patienten eine Blu-
tung verursachen, nachdem der Liquor zuerst ganz klar abge-
flossen war, sodass am Schluss der Function die Flüssigkeit blutig
tingirt wird , wie es hier bei Fall (a 6) beobachtet wurde. Je-
doch wurden stärkere Blutungen in Folge von Verletzungen
grösserer Gefässe nicht beobachtet.
Nach Stadelmann (11) soll es vorkommen, dass bei der
Vornahme der Lumbalpunction der Subduralraum statt des Sub-
arachnoidealraums punctirt wird. Er hat häufig in der Leiche
nachgesehen und behauptet, dass es ihm mit unzweifelhafter
Sicherheit gelungen sei, nachzuweisen, dass die Nadel in den
Subduralraum gelangt sein musste. Der Subarachnoidealraum
war ganz verschlossen, dagegen der Subduralraum stark aus-
gedehnt und enthielt eine grössere Menge Flüssigkeit.
Die Möglichkeit eines solchen Irrthums muss zugegeben
werden, indessen scheint ein solches Vorkommniss sehr selten
zu sein und wurde in der hiesigen Klinik niemals beobachtet.
Durch das Einstechen der Nadel in den Wirbelkanal kann
eine starke Heizung des Duralsacks und des Rückenmarks her-
vorgerufen werden. So ergab die Section im (Fall c3 eine
Reizung und Blutung im Lendentheil des spinalen Duralsackes
nach Lumbalpunction. Im SectionsprotocoU heisst es: „Im un-
teren Lendenmarke an der Innenseite des Wirbelkanals eitriger
Belag, ebenso an der Hinterfiäche des Duralsackes. Hier ist
die Dura in ganzer Ausdehnung gespannt, bläulich durch-
scheinend. Drei Punctionsöflfnungen , die eine mitten auf der
Hinterfläche der Dura, die beiden anderen links seitlich da-
von, sind sichtbar. Bei Durchtreijinung der Dura über der
€auda eq. entleert sich in reicher Menge gelbliche trübe Flüssig-
keit. Nach Oeffhung des Duralsackes zeigt sich das Rücken-
mark in ganzer Ausdehnung von dicken eitrigen Massen erfüllt.
Entsprechend der äusseren, sichtbaren bläulichen Verfärbung
findet sich auf der Innenfläche der Dura ein schwärzliches Blut-
coagulum, ebenso sind die eitrig infiltrirten Häute des Lenden
marks von einem etwa 5 cm langen blutigen Streifen durchsetzt."
In einem anderen Falle c9 war die Durascheide stark in-
jicirt, ebenso die Gefässe am unteren Ende des Brustmarks*
ArchiT f. Ohrenheilkunde. LIV. Bd. 4
50 II. BRAUNST£1N
3. Die diagnostische Bedeutung der Lumbal-
punction.
Bei der Besprechung der Erfahrungen, die in der hiesigen
Klinik mit der diagnostischen Bedeutung der Lumbalpunction
gemacht worden sind, ist zunächst festzustellen, dass das Haupt-
gewicht auf den negativen Befund der Gerebrospinalfltissigkeit
gelegt wurde, und dass keine Veranlassung vorgelegen hat, be-
züglich der Ausnutzung der Lumbalpunction zu diagnostischen
Zwecken auch nur ein einziges Mal den früheren Standpunkt,
wie ihn L entert (1. c.) mitgetheilt hat, zu verlassen. Hierdurch
wurde die Möglichkeit gegebenj^ei Patienten, deren Erankheits-
Symptome auf das BeaMEe^fdn6E;MeäiB£itis purul. dififusa hin-
wiesen, diese auszufl<i|fBes8en und dar»iq|»l^n eine Operation zu
versuchen, währeira^maiv vVor der An\^e\dung der Lumbal-
punction in solchen jpälien ' von eml^cS opeiativen Eingriff auf
Grund des klinische^BUdes abgesehen bätie. Auf diese Weise
wurden mehrere PatiehW^m Leben eiiialten.
Zur Entscheidung der Fftcgcpöb in einem Falle von Otitis
media mit intracraniellen Complicationen eine Meningitis puru-
lenta diffusa vorhanden sei oder nicht, hat sich die Lumbal-
punction nach hiesigen Erfahrungen als ein diagnostisches Hilfs-
mittel von hervorragender Bedeutung erwiesen.
In 29 Fällen entleerte die Lumbalpunction einen normalen
Liquor cerebrospinalis. Es handelte sich dabei in 7 Fällen um Sinus-
thrombose, in 3 um perisinuöse Abscesse, in 7 um Hirnabsoesse,
in 5 um Sinusthrombose mit Birnabscessen und in 7 um intra-
cranielle Druckerscheinungen mit meningealen Erscheinungen. In
allen diesen Fällen waren, wie aus den Krankengeschichten zu er-
sehen ist, die klinischen Symptome nicht klar genug, um eine sichere
Diagnose der Natur der intracraniellen Gomplication zu stellen.
Und in jedem Falle gab die Lumbalpunction den richtigen
Aufschluss. Der meist unter erhöhtem Druck abfliessende Liquor
war vollkommen klar, wie er unter normalen Verhältnissen ist.
Eine deutliche Vermehrung der Leukocyten konnte in keinem
Falle constatirt werden. Die Menge war stets eine so reich-
liche, dass ihre Herkunft aus dem Schädelinnern nicht ange-
zweifelt werden konnte.
Eine Ausnahme scheint der Fall i3 zu machen, in dem
die Lumbalpunction unter hohem Druck stehende getrübte
Flüssigkeit ergab. Bei der mikroskopischen Untersuchung fand
sich aber, dass die Trübung weder durch Vermehrung der
Bedeutg. d. Lumbalpunct. für d. Diagnose intracran. Complicat. d. Otitis. 51
Leukocyten noch durch die Anwesenheit von Mikroorganismen
bedingt war. Worauf die Trübung beruhte, ist nicht festgestellt
worden. Aber durch den Verlauf der Heilung mit Ausgang in
Genesung wurde das Nichtvorhandensein einer Meningitis purnl-
diffusa zweifellos festgestellt und die Richtigkeit der Deutung
des Befundes der Lumbalpunction bewiesen.
Die 29 Functionen wurden bei 25 Patienten ausgeführt»
Eine Patientin (11) starb kurz nach der Function. Bei den 24
anderen wurde auf Grund der durch die Function geklärten
Diagnose die für nothwendig erachtete Operation ausgeführt
und durch den Verlauf die Richtigkeit der letzten Diagnose be*
stätigt. Von diesen Patienten wurden tO von ihrem intracra-
niellen Leiden befreit.
Nach diesen Resultaten kann wohl nicht bezweifelt werden,
dass der negative Befund der Cerebrospinalflüssigkeit für den
Ohrenarzt bei der Beurtheilung intracranieller Complicationen
von grösster Bedeutung ist, und dass derselbe zur Klärung der
Diagnose ein sicheres Hilfsmittel ist. Obschon bereits 1897 von
Lentert(l) auf diese Art der Ausnutzung der Lumbalpunction
in der Halle'schen Ohrenklinik aufmerksam gemacht worden ist,
scheint dieselbe bisher anderswo keine Anerkennung gefunden
zu haben. Nur Wilms (17) benutzte den negativen Befund
bei der Function, um bei Sepsis, oroupöser Pneumonie und Typhus
abdominalis eitrige Meningitis auszuschliessen, und Braun (5)
erwähnt die Leutert'sche Auffassung ganz kurz, ohne sich
über ihren Werth zu äussern. Es ist ja richtig, dass ein nega-
tiver Befund nichts beweist. Aber er kann als diagnostisches
Hfilfsmittel eine Entscheidung geben, ebenso wie in der Diagnostik
sonst negative Befunde verwerthet werden. Eine Diagnose per
exclusionem ist doch nichts Aussergewöhnliches.
Die Fälle, die Stadel mann (11) veröffentlicht hat zum
Beweise seiner Ansicht, dass beim Fehlen von Leukocyten und
Bakterien, also bei negativem Befunde der Cerebrospinalflüssig-
keit nicht mit Sicherheit eine eitrige Meningitis ausgeschlossen
werden könne, hat Leutert.(l) schon damals bei seinem klei-
neren Material nicht als beweiskräftig anerkennen können.
Stadelmann (18) giebt ja neuerdings die Wahrscheinlich-
keit zu, dass bei Abwesenheit von Meningitis, also bei Hirn-
abscesS) Hirntumor und Sinusthrombose die Function nor-
malen Liquor liefert. Aber nach den hiesigen Erfahrungen ist
diese Wahrscheinlichkeit doch fast zur Sicherheit geworden.
52 IL BRAUNSTEIN
In Fällen von Hirntumor, Sinusthrombose und perisinuösem Ab-
soess ist dies wohl unbestritten. Aber bei Hirnabsoessen
sollen Abweiehungen von der normalen Beschaffenheit des Liquor
cerebrospinalis vorkommen, wenn beim Vorhandensein mehrerer
Abscesse der eine durchgebrochen ist. Der anatomische Beweis
für ein derartiges Vorkommen ist wohl bisher nicht erbracht
worden. Und Stadelmann (18) hat auf die Möglichkeit eines
solchen Vorganges nur geschlossen, weil ihm die Function eines
Kranken mit Hirnabscess meningitischen Liquor lieferte. Bei
der zweiten, 6 Tage später vorgenommenen Function erhielt er
klare Flüssigkeit. Die Autopsie ergab keine Meningitis, sondern
einen Hirnabscess, wie nach der zweiten Function zu erwarten
war. Einen zweiten Fall hat Wolff (19) aus der Strassburger
Ohrenklinik veröffentlicht, welcher aber bereits von verschiedenen
Seiten, von Grunert (20) und Anderen als nicht einwandsfrei
und nicht hierher gehörig bezeichnet worden ist. Im vorigen
Jahre wurde nun aus der Jenenser Ohrenklinik ein weiterer
Fall von Ruprecht (21) mitgetheilt. Bei einem Fatienten,
der die Symptome einer Meningitis cerebrospinalis zeigte, ent-
leerte die Function erheblich trüben Liquor, der im Reagenz-
glase nach zwei Stunden einen dicken, graugelblichen Niederschlag
von gelapptkernigen Leukocyten absetzte. Er enthielt weder im
Deckglaspräparat Bakterien, noch konnten solche durch Cnltur-
verfahren nachgewiesen werden. Ftlnf Tage später lieferte die
Lumbalpunction Liquor mit leicht opalisirender Trtlbung, aber
ohne Bakterien. Bei der Section fand sich im linken Gross-
hirn im Niveau des Abgangs des Unterhorns vom Hinterhorn
ein die ganze Hemisphäre bis zum lateralen Ependym des Hinter-
horns und Unterhorns durchsetzender, 4 cm im Durchmesser
haltender, mit grünlich-grauem, übelriechendem Eiter gefüllter
Abscess, dessen Vorderende der hinteren Grenze des vorderen
Sehhtigeldrittels entsprach. Die Gehirnsubstanz in seiner un-
mittelbaren Umgebung in der Dicke von 3 mm schiefergrau,
die weiche Substanz der l.und 2. Scheitelwindung blass, citronen-
gelb, feucht-glänzend, ebenso die ganze weisse Substanz des
linken Schläfenlappens. Dura spinalis bleich, Innenfläche glatt.
Gefässe massig gefüllt, in den Maschen klare, farblose Flüs-
sigkeit.
Für diese Fälle eine allseitig befriedigende Erklärung zu
geben, dürfte nicht leicht sein. Weder Stadelmann(l8) noch
Ruprecht (20) sind dazu im Stande gewesen. Es kann sich
Bedeutg. d. Lumbalpunct. für d. DiagDOse intracran. Complicat. d. Otitis. 53
bei den Stadel mann 'sehen Dnrehbruehsabscessen doch nur um
chronische, abgekapselte Abscesse handele. Behauptet doch
y. Bergmann (22), dass acut entstandene Abscesse stets an der
Oberfläche des Gehirns sitzen und meist als „Theilerscheinung*'
einer diffusen Convexitätsmeningitis sieh finden. Wenn aber ein
chronischer Abscess durchbricht?, so hinterlässt er stets Spuren
seines früheren Daseins und heilt mit Hinterlassung einer Narbe.
Es hätte sich also bei der Section desStadelmann'schen Falles
entweder die Durch bruchsstelle oder eine Narbe finden müssen.
Die Annahme, dass ein Gehirnabscess durchbricht, ohne eine
tödtliohe Meningitis purulenta diffusa zu erzeugen, hat wenig-
stens seine Analogie in den Erfahrungen der Gynäkologen, dass
bei Pyosalpinx zuweilen ein Durchbruch in die Bauchhöhle er-
folgt und trotzdem in Folge der Invirulenz des Eiters keine
diffuse Peritonitis entsteht.
Bei dem von Ruprecht (2) veröffentlichten Falle ist es
schwierig einzusehen, warum bei Annahme einer Leukocytose die
zweite Function ein ganz anderes Ergebniss lieferte als die erste.
Nach den Erfahrungen von Hawyk und Manicatide (9) er-
setzt sich die Cerebrospinalflüssigkeit sehr schnell, bei Kindern
in 12 — 24 Stunden. Es darf daher wohl angenommen werden,
dass die Neubildung von Liquor bei Erwachsenen nicht erheblich
längere Zeit in Anspruch nimmt. Dass dieselbe vor der zweiten
Function erfolgt war, macht der hohe Druck von 270 mm wahr-
scheinlich. Es wäre wohl zweckmässiger gewesen, wenn der-
selbe Arzt beide Functionen vorgenommen hätte, wegen der ein-
heitlichen Beobachtung und Beurtheilung des Liquorbefundes.
Während in der Krankengeschichte die Trübung des Liquors als
eine „leicht opalisirende" charakterisirt wird, spricht die Epikrise
von einem „bedeutend geringeren Eitergehalt", obschon nach der
Krankengeschichte auch der durch die erste Function entleerte
Liquor anscheinend keine Eiterkörperchen enthielt.
Indessen sind die Fälle von Stadelmann (18) und Ru-
precht (21) Unica, die bei der grossen Zahl der entgegen-
gesetzten Beobachtungen der Zuverlässigkeit der Lumbalpunc-
tion als diagnostisches Hilfsmittel nicht den geringsten Ab-
bruch thun.
Es muss hier noch bemerkt werden, dass bei Sectionen der
makroskopische Befund nicht immer der thatsächlich richtige ist.
Bei einem der hiesigen Patienten (a 6) enthielt der Urin Zucker.
Bei der Section schien der IV. Ventrikel makroskopisch ohne
54 II. BRAUNSTEIN
pathologischen Befand zu sein. Mikroskopisch zeigten sich aber
in einem Abstrichpräparat reichliche Eiterkörperchen.
Wenn nun Stadelmann (18) im Anschluss an seine frühe-
ren Behauptungen den Satz aufstellt: ^Es ist erwiesen, dass die
Differentialdiagnose zwischen Sinusthrombose und Hirnabscess
je nach dem Ausfall des Liquors nicht gemacht werden kann^,
so wird ihm wohl bis jetzt zugestimmt werden müssen. Aber
für den Ohrenarzt ist die differentialdiagnostische Be-
deutung der Lumbalpunction nicht das Wesentliche. Schon Leu -
tert (1) hat daraufhingewiesen, dass bei Benutzung der Lumbal-
punction zum Ausschluss einer Meningitis pur. diff. eine längere
Beobachtung des Kranken nicht mehr erforderlich ist. Es
kann also eine Operation jetzt in einem viel früheren Stadium
der Erankheitsentwicklung unternommen werden als vor An-
wendung der Function, und daher ist die Aussicht auf Heilung
grösser geworden. Ausserdem hilft die Lumbalpunction indirect
zur Diagnose eines Hirnabseesses. Wenn durch die Function
eine entzündliche Sinusthrombose festgestellt ist, so wird dadurch
nicht das Vorhandensein eines Hirnabseesses ausgeschlossen.
Aber nach der auf Grund des Liquorbefundes ausgeführten er-
folgreichen Sinusoperation kommen nach Ablauf des Fiebers die
Symptome eines Hirnabseesses deutlich zum Vorschein. Und je
früher die Sinusoperation gemacht ist, um so eher kann die
Trepanation auf den Hirnabscess ausgeführt werden, ein Vortheil,
der wohl von Niemandem verkannt werden kann.
Leutert(l) konnte in seiner Arbeit noch nicht den Beweis
erbringen, dass die Cerebrospinalflüssigkeit bei Sinusthrombose
vermehrt sei, weil sein Beobachtungsmaterial zu klein war. Nach
den weiteren Erfahrungen der hiesigen Klinik aber ist es jetzt er-
wiesen, dass eine Sinusthrombose eine bedeutende Flüssigkeitsver-
mehrung im Schädelinnern und im Rückenmarkkanal zur Folge hat.
Die einschlägigen Krankengeschichten zeigen dies aufs Deutlichste.
Im Gegensatz zu Stadelmann (11), der behauptet, dass
bei Schädelbrüchen die Cerebrospinalflüssigkeit nicht klar ab-
fliesse, dass daher die Entnahme klaren Liquors durch die Lum-
balpunction gegen das Vorhandensein eines Schädelbruchs spräche,
wurde in der hiesigen Klinik bei einem Patienten mit Schädel-
basisfractur (k 6) zweimal durch die Function klarer Liquor
cerebrospinalis entteert. Die Flüssigkeit war zwar leicht gelb
verfärbt, aber wasserklar und enthielt keine vermehrten Leuko-
cjten oder andere Formbestandtheile.
Bedeutg. d. Lumbalpunct. fQr d. Diagnose intracran. Cumplicat. d. Otitis. 55
Nächst den Erfahrnngen, die in der hiesigen Klinik bei Aus-
nutzung des negativen Befundes der Cerebrospinalfldssigkeit
gemacht wurden, treten die in den Vordergrund, welche bei den
FftUen mit positivem Ergebniss der Liquoruntersuchung ge*
sammelt wurden.
An 18 Patienten wurde die Function 23 mal gemacht, und
sie ergab in jedem einzelnen Falle den für Meningitis purulenta
diffusa charakteristischen Befund der Gerebrospinalfltlssigkeit.
Bemerkt muss hier werden, dass der nach dem Vorgange von
Läutert (1) als Meningitis serosa angeführte Fall (e) hier zur
eitrigen Meningitis gerechnet worden ist. In allen Fällen war
die unter verschieden hohem Druck stehende Flüssigkeit deut-
lich getrübt und enthielt in allen Fällen vermehrte Leukoeyten,
ein Befund; der wohl nach der Ansicht sämmtlicher Beobachter
und Forscher die Diagnose Meningitis sicherstellt.
Die Trübung war keine gleichmässige, sondern zeigte viele
Abstufungen, von der makroskopisch kaum erkennbaren ver-
minderten Klarheit bis zur grün-gelblichen Verfärbung und zum
milchig-rahmigen Eiter. Die mikroskopische Untersuchung fand
im Liquor bei den meisten Functionen Mikroorganismen neben
ein- und mehrkernigen Leukoeyten. Die Mikroorganismen waren
Diplokokken, Staphylokokken und Streptokokken. Einmal im
Falle (e) wurden Stäbchen entdeckt, welche besonders nach ihrer
Anordnung Aehnlichkeit mit Diphtheriebacillen hatten.
Nach hiesigen Erfahrungen genügt nun die mikroskopisch
festgestellte Vermehrung der Leukoeyten, um bei intracraniellen
Gomplicationen das Vorhandensein einer Meningitis zu beweisen.
Es ist dazu nicht nothwendig, dass die Trübung des Liquors
eine auffallende ist, oder dass die gefundenen Leukoeyten viel-
kemige sind, wie dies Fall h3 klarlegt.
In allen diesen Fällen bestätigte der klinische Verlauf der
Erkrankung und die Section die Richtigkeit der auf das Func-
tionsergebniss gegründeten Diagnose.
Wie bei den meisten otitischen Meningitiden war der kli-
nische Verlauf der Erkrankung in fast allen Fällen ein sehr
schneller. 12 Fatienten starben 1 bis 3 Tage nach Feststellung
ihrer unheilbaren Erkrankung durch die Lumbalpunction, drei
nach 4 Tagen. Von diesen erkrankten zwei an Meningitis durch
Infection von einem Hirnabscess her. Bei der dritten war die
eitrige Thrombose der beiden Sinus petrosi die Ursache der tödt-
lichen Hirnhautentzündung. Zwei Fatientinnen starben 9 Tage
66 II. BRAUNSTEIN
nach der Function, nachdem schon vorher hei der einen ein
Abscess des linken Schläfenlappens entleert, bei der andern die
Totalanfmeisselung wegen Cholesteatoms vorgenommen worden
war. Unter den 18 Patienten, bei denen durch die Lumbal-
punction die anfänglich unsichere Diagnose einer eitrigen Me-
ningitis zweifellos entschieden wurde, könnte neun mal ein Hirn-
abscess, drei mal eine Sinusthrombose, ausser der ursprünglichen
Otitis, als Ursache der Schlnsskrankheit festgestellt werden, wäh-
rend in den übrigen 6 Fällen der Infectionsheerd för die Gehirn-
complication im Felsenbeine gefunden wurde.
Gemäss den heutigen Anschauungen der Chirurgen wurde^
sobald das Vorhandensein einer Meningitis purulenta diffusa fest-
stand, bei keinem Patienten mehr eine Operation unternommen, mit
Ausnahme des Falles c 4. Die vor der Lumbalpunction bei dem
Knaben Borchert bereits mit grosser Wahrscheinlichkeit gestellte
Diagnose eitrige Meningitis wurde schon durch den Befund der
zuerst gewonnenen Cerebrospinalflüssigkeit über allen Zweifel
erhoben. Wenn trotzdem sofort nach der Punction zur Operation
geschritten wurde, so bestimmten uns dazu die Gründe, die im
Jahresbericht 1899/1900 dieses Archivs Bd. XLIX, S. 224 in der
Epikrise des Falles Borchert mitgetheilt worden sind. Das allge-
meine Wohlbefinden desselben hob sich nach der Operation zu-
sehends, aber leider nur für die Dauer von 14 Tagen. L en-
tert (1) hat (1. c.) die Ansicht vertreten, dass sich unsere da-
maligen Anschauungen (1897) über bestehende Meningitis als
Confraindication gegen operative Eingriffe ändern würden. Bis
heute kann ihm leider noch nicht zugestimmt werden.
Während hiernach in der hiesigen Klinik die Zuverlässigkeit
der Lumbalpunction fftr die Diagnose der Meningitis purulenta
diffusa erprobt und bewiesen wurde, haben andere Beobachter
hiervon abweichende Erfahrungen berichtet. *
Stadel mann (18) weist darauf hin, dass gelegentlich Fälle
vorgekommen sind, wo die evidentesten klinischen Erscheinungen
einer eitrigen Meningitis in Folge Erkrankung des Mittelohrs vor-
handen waren, und die Section die Diagnose einer eitrigen Me-
ningitis bestätigte und doch die Lumbalpunction eine hellseröse,
klare Flüssigkeit ergab, in welcher keine Bakterien gefunden
wurden. Die Erklärung ist die, dass es sich um eine circum-
scripte Meningitis handelte, oder dass nur, wie Stadelmann
vermuthet, der Subduralraum punctirt worden war.
Ausserdem führt Stadelmann aus, dass aus dem Befunde
Bedeutg. d. Lumbalpunct. far d. Diagnose intracran. Complicat. d. Otitis. 57
der Punotionsflüssigkeit nur dann anf Meningitis purulenta ge-
schlossen werden dürfe, wenn der trübe, eiterhaltige Liquor
Kokken oder Bakterien enthalte. Wenn diese fehlen, so sei eine
Diagnose nicht durch die Function zu stellen. Dass aus dem Ei-
weissgehalte keine Schlüsse auf intracranielle Entzündungsvor-
gänge erlaubt seien, ist bereits im ersten Theile dieser Arbeit
dargelegt worden. Jedoch nach hiesigen Erfahrungen genügt das
Vorhandensein vermehrter Leukocjten in der schwach getrübten
Cerebrospinalflüssigkeit, um mit Sicherheit das Bestehen einer
eitrigen Hirnhautentzündung annehmen zu können. Hierzu ist
der Nachweis der Anwesenheit von Kokken oder Bakterien nicht
erforderlich. Für die Therapie ist es ja gleichgültig, an welcher
Art von Meningitis purulenta diffusa der Patient leidet, da ein
operativer Eingriff bis heute keine Aussicht auf günstigen Er-
folg bietet.
Braun (5) verzeichnet unter 8 Fällen von Meningitis purul.
6 Lumbalpunctionen mit positivem und 2 mit negativem Befunde.
Es handelte sich beide Male um Patienten mit schweren Kopf-
verletzungen nach Sturz in der Trunkenheit und Schuss mit einem
Tesching. Im ersten Falle ergab die Lumbalpunction röthlich
gefärbte Flüssigkeit, die bei mikroskopischer Untersuchung ausser
rothen Blutkörperchen keine Formbestandtheile bezw. Bakterien
enthielt. Die Section zeigte, dass eine eitrige Meningitis vor-
handen war.
Im anderen Falle lieferte die unterhalb des zweiten Lenden-
wirbels vorgenommene Lumbalpunction klare Flüssigkeit unter
nicht sehr hohem Drucke, die nach 3 Stunden flockige Gerinnsel
bildete, in denen weder Eiterzellen noch Bakterien gefunden
wurden. Auf Agarstrichculturen wuchs nichts, in Bouillonculturen
traten einzelne plumpe Stäbchen auf, die aber als Verunreinigung
anfgefasst werden müssen, zumal aus der unmittelbar nach dem
Tode nochmals durch Lumbalpunction entleerten Cerebrospinal-
flfissigkeit nichts wuchs. Auch hier fand sich bei der Section
eine Meningitis purulenta.
Beide Punctionen sind nicht ganz einwandsfrei. Cerebro-
spinalflüssigkeit mit Blutbeimengung ist kein reiner Liquor,
sondern ein Gemisch, das nicht aus dem Wirbelkanal allein
stammt, und die Blutbeimengung beweist, dass der Versuch,
reinen Liquor zu gewinnen, misslang. Solche Gemische von Blut
and Liquor sind in der hiesigen Klinik zu Untersuchungen für
die Klärung der schwebenden Fragen bezüglich der Lumbal-
58 II. BRAUNSTEIN
pnnction nicht benutzt worden. Aus den Angaben über den Be-
fund der zweiten Flüssigkeit ist aber nicht zu ersehen, ob das
verdächtige ,,flockige Gerinnsel** auf Leukocyten untersucht
wurde. Und doch ist der Befund vermehrter Leukocyten allein
schon, auch beim Fehlen sonstiger Formelemente, maassgebend
für die Diagnose: Meningitis.
Das Material, aus dem Stadelmann (18) seine Schluss-
folgerungen gezogen hat, ist, soweit hier bekannt, nicht ver-
öffentlicht worden. Eine Beurtheilung derselben ist daher nicht
möglich. Es muss aber betont werden, dass die Beobachtungen,
wie sie Stadelmann (18) nach seinen Veröffentlichungen ge-
macht hat, mit den in der hiesigen Klinik gesammelten Erfah-
rungen nicht übereinstimmen.
Während sich die Lumbalpunction gemäss den bisherigen
Erfahrungen in der hiesigen Ohrenklinik sowohl bei Ausnutzung
des negativen wie auch des positiven Ergebnisses derselben als
durchaus zuverlässlich gezeigt hat, müssen die Folgerungen und
Schlüsse, die aus der Beobachtung und Untersuchung des Li-
quorbefundes bei Meningitis tuberculosa gezogen wurden, als
weniger werthvoUe bezeichnet werden. Im Ganzen wurden an
5 Patienten 8 Functionen ausgefllhrt, jedoch kommt nur der Ge-
halt des Liquors von 6 Functionen in Betracht, weil die erzielte
Flüssigkeit in zwei Fällen bluthaltig war.
In einem Falle fanden sich in der klaren, unter vermehrtem
Druck stehenden Flüssigkeit etwas vermehrte Leukocyten, aber
keine Bakterien (k 2). Vor der Function hatte die Diagnose
zwischen seröser und tuberculöser Meningitis geschwankt. Eine
Meningitis purulenta schien wegen des langen, über 2 Wochen
dauernden Verlaufs der Krankheit ausgeschlossen. Nach der
Function wurde aus diesem Grunde aus dem Liquorbefunde eine
Meningitis serosa angenommen. In der Cerebrospinalflüssigkeit
der Patientin k4 fanden sich Tuberkelbacillen, in der von k3
waren sie vorhanden, wurden aber nicht bei der mikroskopischen
Untersuchung gefunden. 8 Wochen später wurden sie durch das
Thierexperiment nachgewiesen. Dagegen opalisirte der Liquor
von 5 Functionen ganz deutlich. Ob diese opalisirende Trübung
für Meningitis tuberculosa charakteristisch ist, kann wegen der
geringen Zahl von Beobachtungen wohl noch nicht entschieden
werden. Wentworth (23) behauptet, dass auch bei tubercu-
löser Meningitis immer eine Trübung vorhanden sei, die aber
übersehen werden könnte. Zur Vermeidung dieses Irrthums
Bedeutg. d. Lumbalpunct. für d. Diagnose intracran. Gomplicat. d. Otitis. 59
empfiehlt er neben die in einem Beagenzgläsohen enthaltene
Punctionsflüssigkeit zum Vergleich ein zweites, mit klarem Wasser
geffllltes Reagenzglas zu halten.
Die Zahl der in der Gerebrospinalfliissigkeit enthaltenen
Taberkelbaeillen ist nach Angabe fast aller Beobachter stets
eine sehr geringe und daher die Schwierigkeit, dieselben mikro-
skopisch zn entdecken, eine grosse. Stadelmann (18) fand
Tuberkelbacillen in 22 ^/o seiner Untersuchungen, ein Besultat,
welchem das in der hiesigen Klinik erzielte ziemlich gleichkommt.
Bieken (13) theilt mit, dass in der Kieler medicinischen Klinik
die Untersuchung auf Tuberkelbacillen entweder unterlassen
worden oder negativ ausgefallen sei. Lenhartz (3) fand in
seinen ersten 14 Fällen nur 2 mal Tuberkelbacillen, in den
späteren 7 aber stets. Andere hatten günstigere Besultate. Licht-
heim (15) fand bei 6 Kranken 4 mal Tuberkelbacillen, Len-
hartz (3) bei 37 Patienten 30 mal, Bernheim und Moser (24)
in 73 <>/o. Braun konnte bei 8 Patienten 6 mal Tuberkel-
bacillen nachweisen. In dem Liquor, der anscheinend keine
Bacillen enthielt, bildeten sich grosse spinnen webenartige Ge-
webe, wie sie auch in der Cerebrospinalflüssigkeit der eitrigen
Meningitis beobachtet werden. Hawyk und Manicatide (9)
entdeckten in 19 Fällen 16 mal Tuberkelbacillen mikroskopisch
und wiesen sie 3 mal durch Thierexperiment nach, Schwarz (10)
in 66 ^/o, aber oft erst beim 20. Präparate.
Die Angabe Braun's (5), dass in dem von Leutert (1)
mitgetheilten Falle Tuberkelbacillen gefunden worden seien, ist
irrthümlich. —
Erfahrungen über die Bedeutung der Lumbalpunction bei
der Diagnose der Meningitis cerebrospinalis wurden nicht ge-
macht, da in der hiesigen Klinik nur ein Fall (dl) beobachtet
wurde. Bei einem fünfjährigen Knaben wurden ca. 50 ccm
leicht getrübter Flüssigkeit, Anfangs im Strahl, dann tropfen-
weise entleert. Beim Stehenlassen bildete sich in der Flüssigkeit
ein flockiger schleimiger Niederschlag. Mikroskopisch fanden
sich in dieser ziemlich zahlreiche zerfallende Leukocyten und
zahlreiche Diplokokken. Eiweissgehalt war 1 ^/oo.
Meist wird im Liquor bei Cerebrospinalmeningitis der Meningo-
coccus intracellularis von Jaeger, Weichselbaum, Fränkel
gefunden. Beim Beginn einer Epidemie ist jedenfalls der Nach-
weis dieses Mikroorganismus von grosser Wichtigkeit. Leicht
scheint aber seine Entdeckung nicht zu sein, da Council-
60 IL BRAUNSTEIN
mann (12) ihn in den meisten Fällen erst nach Anlegung vieler
Präparate fand. Heubner, Leyden, Ftirbringer, Jemma,
Schwarz sahen ihn in wenigen Fällen.
4. Die therapeutischen Erfahrungen.
In der hiesigen Klinik wurden keine systematischen Ver-
suche gemacht, durch die Lumbalpunction therapeutische Er-
folge zu erzielen. Die einschlägigen Beobachtungen, die hier
mitgetheilt werden, sind daher nur zufällige und gering an
Zahl.
Bei der Patientin a 3 hatte sich während der Function Puls
und Aussehen nicht verändert. Nach derselben wurde der un-
regelmässige Puls wieder voller und regelmässiger. Dieser
Zustand blieb bis zum Abend unverändert. Auch Patient a4
zeigte am Morgen nach der Function eine leichte Besserung.
Im Falle c5 verschwanden nach der Function die Kopfschmerzen,
der Puls wurde weniger frequent. Die Besserung hielt aber
nur bis zum Abend an.
Nach den bisherigen VeröflFentlichungen kann zwar über
den therapeutischen Werth der Lumbalpunction noch kein end-
gültiges ürtheil gefällt werden, aber derselbe scheint kein be-
deutender zu sein. Nur wenige Fälle sind bekannt geworden,
in denen eine Heilung durch die Lumbalpunction erzielt wurde.
Kohts (25) wandte dieselbe bei sechs Kindern mit Cerebro-
spinalmeningitis an und erhielt vier am Leben. Dagegen erzielte
er in zwanzig Fällen von tuberculöser Meningitis nur vorüber-
gehende Besserung, aber keinen einzigen dauernden Erfolg. Bei
Hirntumoren hatte er stets Misserfolg. Slawyk und Mani-
eatide (9) wandten die Lumbalpunction bei Kindern mit tuber-
culöser Meningitis als therapeutisches Mittel vergebens an. Für-
bring er (7) und Leyden (26) sahen von derselben keinen
günstigen Einfluss bei Chlorose. Lenhartz (3) giebt an, dass
er bei einem Patienten mit Schädelverletzung, dessen schwere
Gehirnerscheinungen er auf ein congestives Gehirnödem als Ur-
sache zurückführte, mit deutlichem Erfolge die Lumbalpunction
vorgenommen habe.
Braun (5) machte die Function bei einem Kinde mit
Krämpfen der rechten Körperseite. Die Krämpfe hörten nach
einigen Stunden auf und kehrten, solange das Kind in der Klinik
beobachtet wurde (5 Tage lang), nicht wieder.
Eieken (13) theilt noch folgenden, wohl als Unicum an-
Bedeutg. d. Lumbalpunct. für d. Diagnose intracran. Complicat. d. Otitis. 61
zasehenden Fall von Heilung eines Kindes mit, bei dem er die
Lnmbalpnnction vorgenommen hatte. ,,Das entleerte Fluidum
war stark getrübt. Schon nach einer Viertelstunde bildete sich
ein Gerinnsel durch die ganze Flüssigkeitssftule, das sich alsbald
zu einem wollfadendicken Strang zusammenzog. Mikroskopisch
fanden sich in der auch nach der Gerinnselbildung trübe blei-
benden Flüssigkeit reichliche Leukocyten, gross- und kleinzellige,
mono- und polynucleäre." Weder mikroskopisch noch culturell
wurden Mikroben gefunden. 2 Stunden nach der Function schon
wurde die Temperatur dauernd normal. Befinden des Kindes
relativ gut. Drei Tage nach der Function begann die Nahrungs-
aufnahme. —
Es möge gestattet sein, zum Schlüsse die Grundsätze,
welche auf Grund der Erfahrungen in der hiesigen Ohrenklinik
bei der Verwerthung des Befundes der durch die Lumbalpunction
gewonnenen Cerebrospinalflüssigkeit schon seit längerer Zeit
die einzig maassgebenden sind, hier in Kürze zusammen zu
stellen :
1. Der bestimmt nachgewiesene negative Befund^)
des Punctionsergebnisses schliesst nach den hiesi-
sigen bisherigen Erfahrungen bei Otitis mit intra-
craniellen Gomplicationen das Bestehen einer Me-
ningitis purulenta diffusa sicher aus, wenn durch die
Menge diör gewonnenen Flüssigkeit deren Herkunft
aus der Schädelhöhle sicher gestellt ist.
2. Der positive Befund beweist unter denselben
Verhältnissen das Bestehen einer Meningitis puru-
lenta diffusa.
3. Die opalisirende Trübung der Cerebrospinal-
flüssigkeit sichert mit grosser Wahrscheinlichkeit
den Schluss auf Meningitis tuberculosa, auch wenn
bei der mikroskopischen Untersuchung zunächst
keine Tuberkelbacillen im Liquor gefunden werden. —
Die Lumbalpunction ist daher nach den hiesigen
Erfahrungen ein diagaostisohcs Hülfsmittel von ganz
hervorragender Bedeutung, das sich in gleicher Weise
für alle Gebiete derMedicin, welche sich in derDia-
1) Unter „negativen Befund'* ist die normale Bescbaifenheit der Cerebro-
spinalflüssigkeit, unter „positiven Befund'' die krankhafte Beschaffenheit des-
selben zu verstehen.
62 II. BBAUNST£iN, Bedeatang der Lumbalponction u. 8.w.
gnose der Erkrankangen des Soh&delinhaltes begeg-
nen, bewähren wird. Wenn vornehmlich von Seite
der Otologie auf diese diagnostische Bedeutnng der
Lumbalpunction mit Nachdruck hingewiesen ist, so
erklärt sich dies durch die Häufigkeit und die Art
der vom Ohr aus inducirten Erkrankungen der Schä-
delhöhle.
Lite):atiirverzeiehniss.
1. Leatert, Die Bedeutung der Lumbalpunction für die Diagnose intra-
cranieller Gomplicationen der Otitis. Münchn. med. Wochenschrift. Nr. 8 u. 9.
1897. — 2. Quincke, üeber Hydrocephalus. Verhandlungen des 10. Con-
gresses fOr innere Medicin zu Wiesbaden 1891. S. 322. Berlin, klin. Wochen-
sehr. 1891. Nr. 38 u. 39. — 3. Lenhartz, Münchn. med. Wochenschr. 1895
(S. 942). Verhandlungen des Gongresses für innere Medicin 1897 (S. 325 ff.). —
4. Jacob j, Lumbar puncture of the arachnoid space. New York, medic.
Journal. 1895. Dec. p. 813 und January 1896. p. 6. — 5. Braun, üeber die
Lumbalpunction und ihre Bedeutung für die Chirurgie. 26. Congress der deut-
schen Gesellschaft für Chirurgie. 52. — 6. Senator, Berliner klin. Wochen-
schrift. 1895. Nr. 13. S. 272. — 7. Fürbringer, Berliner klin. Wochen-
schrift. 1895. Nr. 13. S. 272. — 8. Erönig, Deutsche medic. Wochenschrift.
Ver.-Beil. 1897 (S. 229). — 9. Slawyk und Manicatide, Berliner klin.
Wochenschr. 1898. Nr. 18. — 10. Schwarz, Deutsches Archiv für klin. Me-
dicin. Bd. LX. Heft 2 u. 3. — 11. Stadelmann, Berliner klin. Wochenschr.
1895. (Nr. 27). — 12. Councilmann, Cerebrospinalmeningitis. John Hop-
kins Bulletin. February 1898. — 13. Kieken, Deutsches Archiv für klin.
Medicin. Bd. LVI. H. 1 (1895). — 14. Bull, Lumbalpunction. Norsk. Magaz.
for Lägevidensk. 1896. 4. B. XL 5. p. 758. Neurolog. Centralbl. 1896. S. 759.
— 15. Lichtheim, Berliner klin. Wochenschr. 1895 (S. 269). — 16. Gold-
scheider, Verhandl. des Congresses für innere Medicin 1896 (S. 282 ff.). —
17. Wilms, Münchn. med. Wcohenschr. 1897. Nr. 3. — 18. Stadelmann,
Centralblatt für die gesammte Therapie. 1898. — 19. Wolff, Beiträge zur
Lehre vom otitischen Hirnabscess. Inaug.-Diss. Strassburg 1897. S. 32 ff. —
20. Grunert, Archiv für Ohrenheilk. 1897. Bd. XLIU. S. 291. Referat —
21. Ruprecht, Arch. f. Ohrenheilk. Bd. L. S. 221 ff. — 22. v. Bergmann,
Die chirurgische Behandlung von Hirnabscessen. 3. Aufl. — 23. Wenth-
worth, Some ezperimental works on lumbar puncture of the subarachnoid
Space Boston, medic. and surg. Journ. 1896. No. 7. — 24. Bensheim und
Moser, Wiener klin. Wochenschrift. 1897. Vol. 135. No. 21. — 25. Kohts,
Therapeutische Monatshefte. 1900. Nr. 9. — 26. v. Leyden, Deutsche med.
Wochenschr. 1896. Nr. 27.
III.
Ans der EgI. Uni versitäts- Ohrenklinik zu Halle a. S.
(Geh.-Rath Prof. Dr. Sehwartze). •
JahresberiGht Aber die Thätigkeit der Kgl. Universitäts-Ohren-
klinik zn Halle a.S. vom 1. April 1900 bis 31: März 1901.
Von
Prof. Dr. K. Granert und Dr. W. Schulze,
Assistenten der Elinilc.
Im Berichtsjahre 1900/1901 wurden in der Kgl. üniversitäts-
Ohrenklinik zu Halle a. S. 2425 Patienten behandelt, wobei die
ans dem • vorigen Berichtsjahre verbliebenen nicht eingeschlos-
sen sind.
In der stationären Klinik wurden aus dem Vorjahre über-
nommen 15 männliche und 8 weibliehe Kranke ; neuaufgenommen
wurden 224 Kranke, 136 männliche und 88 weibliche, so dass
im Ganzen 247 Kranke verpflegt wurden, und zwar 151 männ-
liche und 96 weibliche. Von diesen Kranken wurden 209
entlassen, und zwar 123 männliche und 86 weibliche; es ver*
starben 13, und zwar 9 männliche und 4 weibliche, so dass am
31. März 1901 ein Krankenbestand von 25 Kranken, und zwar
19 männlichen und 6 weiblichen verblieb. Auf die Gesammt-
zahl der 247 stationär behandelten Kranken kommen 81970 Ver-
pflegungstage, mithin durchschnittlich auf jeden Kranken 36 Tage.
Der tägliche Krankenbestand betrug im Durchschnitt 24 Kranke,
der höchste Bestand am 6. Mai 1900 30 Kranke, der niedrigste
am 28. August 1900 18 Kranke. Als .Assistenten fungirten
die Herren Prof. Dr. Grunert und Dr. Schulze, als etats-
massiger Hilfsassistent Herr Dr. Hansen. Ausserdem wurden
regelmässig Volontärärzte beschäftigt.
Die Verhältnisse des Alters, {der Heimath der Patienten,
der [Erkrankungen und der ausgeführten Operationen ergeben
sich aus folgenden Tabellen:
IIl. QKUNCRT und SCHOLZE
I. Alterstabelle.
Alter
Männlich
Weiblich
Sarnnui
U-2 Jahren
98
»g
196
2-10 .
400
398
798
11-30 .
347
210
567
21-30 -
191
102
293
31-40 '
194
86
280
41—50 =
90
39
129
61-60 .
75
24
99
61—70 .
32
8
40
Tl-80 ■
14
2
16
üabekannt
5
2
7
Samm.
1446
979
2425
77. BeimathstabeUe.
Halle a.S 1416
ProTiDz Sachsen 780
• HaouoTer 4
Westfalen 1
Schlesien I
HcBsea- Nassau 4
- Posen 3
Königreich Sachsen 24
Ciroasherzogthum Sachsen -Weimar . . 20
Herzogtbum Anhalt 81
■ Sachsec-AltenbuTg ... 6
• Sachsen- Mein! DgeD ... 1
FdrsteiithuDi Schwarzburg- äonderBh. . 12
• Scbwarzburg-RudolsUdt . 6
Reass i. L 12
Freie und Hanaestacft Hamburg ... 1
Unbekannt 54.
7/7. Krankkeüstabelle.
Verletzungen
Cougelatio
Neabildangen (Csrninom 2) .
-Othaemittom (traumatisch) ■ ■
Mißbildungen
Aeaiserer Gehörgang.
Verletzungen
Angeborene DefarmitSten
Fremdkörper (durch Spritzen entfernt 78,
operativ entfernt 1)
Vermeintlioher Fremdkörper
Ceramen obturana (einseitig 160, doppel-
seitig 69)
2
1
3
2
60
30
12
-
-
2
2
1
24
30
_
1
i
Jahresber. der Kgl. Uoiveraitäts- Ohrenklinik zu Halle a. S. 1900/1901. 65
Nomen morbi
es
a
s
9
OB
00
0)
o
a
D
« g
-CS
5 ^
»4
o
Ü
Otitis externa circumscripta (Furunkel)
(acut 96, chronisch 7)
Otitis externa diffusa acuta
9 s • chronica
Trommelfell.
Ruptur (durch Ohrfeige 12), Strohhalm 1,
Stecknadel 2
Mittelohr.
Acuter seröser oder schleimiger Eatarrhl
(einseitig 120, doppelseitig 80) . . . ./
Sabacnter Katarrh (einseitig 40, doppel-
seitig 27)
Chronischer Katarrh der Paukenhöhle (ein-
seitig 254, doppelseitig 250; mit Ex-
sudat 127, mit Tubenstenose 99, mit
Sklerose 92), mit Hyperämie 12 ...
Acute Otitis media purulenta (einseitig 150,
doppelseitig 82; mit Entzündung des
Warzenfortsatzes 24)
Sabacute Otitis media purulenta (einseitig
27, doppelseitig 10)
Chronische Otitis media purulenta (einseitig
280, doppelseitig 135; mitCaries 78, mit
Polypen 47, mit Cholesteatom 111, mit
Entzündung des Warzenfortsatzes 32) .
Residuen chronischer Eiteraugen
Neuralgia plexus tympanioi (aus Angina 8,
Zahnoaries 36, Anämie 1, Syphilis 4,
unbekannter Ursache 21) . '.
Inneres Ohr.
Acute Nerventaubheit durch Labyrinth-
erkrankung (Commotion 3)
Chronische Nerventaubheit durch Laby-
rinthaflfection, Syphilis 4, Tabes 1, ex
professione 9)
Acute Nerventaubheit durch intraoranielle
Erkrankung des Acusticus
Chronische Nerventaubheit durch intraora-
nielle Erkrankung des Acusticus (Me-
ningitis cerebrospinalis epidem. 2) . .
Fractura ossis petrosi
Ohrensausen ohne Herabsetzung des Gehörs
und ohne subjectiven Befund im Ohr .
Taubstummheit
Simulation
Keine Diagnose
Anderweitige Erkra nkungen *)
Summa der Krankheitsformen
103
10
8
15
280
94
754
314
47
550
156
70
8
18
1
1
6
6
4
121
226
90
2
7
10
141
40
146
199
20
168
10
139
54
13
8
1
608
111
26
372
60
8
4
1
10
3262
1) Betrifft meistens Nasen- und Nasennebenhöhlenerkrankungea.
Archiv f. Ohrenheilkunde. LIV. Bd. 5
66
III. GRÜNERT und SCHULZE
IV. Operationstabelle.
Nomen operationis
Summa
Mit bleib.
Erfolg
Mit tem-
por. Erfolg]
Ohne
Erfolg
Erfolg un-
bekannt
InBehdlg
verblieben
Der Beb.
entzogen
1
00
Operationen an der Ohrmuschel (Ab-
latio auriculae wegen Carcinoms) .
Incision des GehOrganges
Entfernung von Fremdkörpern (durch
Injection 78, instrnmentell 2) . . .
Polypenextraotion
Paracentese
Mastoid-I OperativeEröflfnungdesAn-
n«i»iK»f \ ^'^™ ^^^^ Schwartze
uperai. y Totalaufmeisselung ....
Hammerexoision vom Gehörgange aus
Hammer- Am bossextraction vom Ge-
hOrgange aus
2
52
80
79
346
35
94
5
28
ca. 100
2
ca. 50
2
52
80
21
51
2
12
2
1
3
4
4
8
2
4
12
2
17
5
5
■
1
8
Adenoide Vegetationen
Exstirpation von Geschwülsten in der
Umgebung des Ohres und Eröffnung
von Senkungsabscessen
Tonsillotomie
^^^
Unseren früheren in den Jahresberichten niedergelegten
Mittheilungen über die Hammer-Ambossexcision vom Gehorgange
aus haben wir hinzuzufügen, dass sich uns der Zeroni'sehe
Ambosßhaken als zweckmässig bewährt hat. Wie die Operations-
tabelle erkennen lässt, haben wir obige Operation in dem Be-
richtsjahre häufiger ausgeführt, wie in früheren Jahren. Die
Motivirung für dieses Verhalten findet sich in dem Jahresbe-
richt 1898/99 (8, D. Arch. Bd. 49, S. 101 u. 102). Mit der häufigeren
Ausflihrung der Hammer-Ambossexcision vom Gehörgange aus
steht die Abnahme der Mastoidoperationen, welche dieses Berichts-
jahr aufweist, in ursächlichem Zusammenhange.
Was die operative Behandlung der otogenen Sinusthrombose
anbetrifft, so verfahren wir nach unseren früheren Grundsätzen,
d. h. wir schicken in jedem Falle der Operation am Sinus die
Unterbindung der Vena jugularis int. voraus. Ueber 2 resp. 3
Fälle, in denen die Thrombose im Bulbus venae jug. durch
operative Freilegung desselben direct in Angriff genommen worden
ist, hat Grunert (vgl. d. Arch. Bd. LIII) ausflihrlich berichtet.
Dass man trotz scheinbar glänzender Erfolge bei der operativen
Behandlung jenes intracraniellen Folgezustandes der Otitis sich
vor einer Ueberschätzung des Werthes der chirurgischen Therapie
hüten soll, beweisen 3 andere Fälle aus dem Berichtsjahre,
Jahresber. der Egl. Umversit&ts-Oiurenkliiük zu Halle a. S. 1900/1901. 67
welche von Schulze (vgl. d. Arch. Bd. LIU) eingehend geschil-
dert worden sind. •
Dem Bericht über die Todesfälle des Berichtsjahres schicken
wir die Beschreibung von drei weiteren bemerkenswerthen Fällen
voraus.
In dem ersten Falle handelt es sich um die traurigen Folgen
eines unzweckmässigen Entfernungsversuches eines Fremdkörpers,
welchem sich ein monatelanges Krankenlager anschloss ; das Leben
des Kindes war in hohem Maasse gefährdet, ein ausgedehnter
operativer Eingriff war im Interesse der Lebenserhaltung des
Kranken noth wendig, schliesslich erfolgte aber doch die Heilung,
freilich mit erheblicher Herabsetzung des Hörvermögens auf dem
verletzten Ohre.
Wir beschränken uns auf die Mittheilung der Krankenge-
schichte, welche eines weiteren Commentars nicht bedarf.
Bruno £rdinann, 4 Jahre alt, Vater ZimmermaDn in Hirschroda.
Aufgenommen am 20. Juni 1900, entlassen am 20. October 1900.
Anamnese: Das rechte Ohr soll früher geeitert haben. Vor mehreren
Tagen soll sich das Kind ,,etwas'^ ins rechte Ohr gesteckt haben. Vergeb-
liche £xtractionsver8nche draussen.
Statns praesens: Kräftiger Knabe, im rechten Ohr ein obturirender
Polyp. Fieberfrei.
22. Juni. Temp. 37,0— 38,2 ».
23. Juni. Temp. 36,7— 39,3 <>. Entfernung des Polypen mit der kalten
Schlinge; in der Tiefe blutendes Gewebe, beim Katheterismus tubae weder
Perforations- noch Blasegeräusch.
24. Juni. Temp. 37,0— 38,3 ».
25. Juni. Temp. 36,3—38,8. Entfernung des Fremdkörpers stückweise
mit dem ZaufaPschen Hebel in Narkose. Die einzehien Stücke erweisen sich
als Theile einer Bohne, die in die Paukenhöhle eingekeilt ist.
Die nächsten Tage fieberfrei.
28. Juni. Profuse stinkende Eiterung; Husten.
30. Juni. Leichtes Fieber, Schmerzhaftigkeit und geringes Oedem in
der Gegend des Proc. mastoideus.
1. Juli. 37,1—37,40.
2. Juli. 37,2— 38,0 0.
3. Juli. 38,0—39,7«.
Total au fmeisselung: (Fremdkörpernachoperation.) Retroauriculäre
vereiterte Lymphdrüse. Corticalis arrodirt, aber keine Fistel in die Tiefe
führend. Im Knochen disseminirte kleine Eiterheerde. Im Antrum ge-
schwellte und eitrig infiltrirte Schleimhaut. Amboss gesund, vom Hammer nur
der Kopf gefunden. Ausgedehnte Entblössung der Labyrinthwand. Am
Boden der Paukenhöhle noch Reste der Bohne eingekeilt.
In den nächsten Tagen machte Patient eine Pneumonie durch.
17. Juli. Temp. Abends 39,5°. Ungefähr 2 Finger breit hinter dem
Hautschnitt hat sich unter der Haut des Hinterhauptes eine kleinapfelgrosse
flnctuirende Geschwulst gebildet. Bei der Incision am 18. Juli entleert sich
viel Eiter. Ein Zusammenhang des Abscesses mit der Operationswunde nicht
nachweisbar.
23. Juii. Temp. 36,6— 39,3°. Zwischen Abscesshöhle und der Operations-
wnnde die Haut stark ödematös. Bei Druck auf diese Stelle entleert sich
Eiter am Bande der Operationswunde. Spaltung der ödematösen Partie.
27. Juli. Von jetzt an fieberfrei.
5*
68 lli. ORUNERT und SCHULZE
29. Juli. Ausgedehnte Nekrose unter der grossen granulirenden Wund-
lläcbe, 3 dem Occiput entstammende Seque&tcr entfernt. Im weiteren Ver-
laufe stiessen sich noch mehrere Sequester ab, so auch einer von der Gehör-
gangswand.
Am 20. October wurde Patient geheilt entlassen. Die ganze Knochen-
höhle war epidermisirt bis auf eine kleine Stelle an der Tubenöffoung.
FlOstersprache in 1 Fuss Entfernung gehört. Der Bestand der Heilung
wurde sp&ter controlirt.
Der zweite bemerkenswerthe Fall, otogene Pyämie, durch
Sinusoperation und Jugularisunterbindung geheilt, ist der folgende :
Sophie Rothe, 33 Jahre alt, Geschirrfahrersfrau aus Callenberg.
Aufgenommen am 31. Mai 1900, entlassen am 26. Juli 1900.
Anamnese: Ohreiterung rechts seit Kindheit. Vor 8 Jahren 4 Wochen
lang starke Schmerzen im rechten Ohr, Exacerbation der Eiterung, Fieber.
Vor 2 Jahren wiederum Schmerzen im Ohr^ Sausen, Kopfschmerzen, Steigerung
der Ohreiterung. Das Ohr wurde nach dieser Attacke ziemlich trocken. Vor
4 Wochen vermehrte Eiterung ohne Schmerzen, seit 5 Tagen heftiger stechen-
der Schmerz im Ohr, Sausen, Appetitlosigkeit, Fieber. Kein Erbrechen.
Patientin kommt wegen der Schmerzen.
Status praesens: Temp. 38,5^, Puls 102.
Supraclaviculargruben eingefallen, besonders links, wo auch der Per-
cus slonsschall etwas verkürzt ist. Herz gesund. Pupillen gleichweit, reagiren
gut, kein Nystagmus. Objectiv kein Schwindel nachweisbar. Linksseitige
Facialislähmung, welche seit der Attacke vor 2 Jahren bestehen soll. Urin:
ohne Eiweiss und Zucker.
Umgebung des Ohres: R. Ohrmuschel vom Scb&del abstehend durch
Schwellung hinter und über dem Ohr. Die Haut der geschwollenen Partie
leicht geröthet.
Gehörgang- und Trommclfellbefund: R. Obere Gehörgangswand
leicht gesenkt. Von oben grosse Granulation hcrabkommend, welche nur
den unteren und hinteren Trommelfellrand sichtbar lässt.
Hörprüfung: Flüstersprache rechts nicht, links in 6 m Entfernung
gehört. FiS4 rechts nur bei Nagelanschlag. Ci vom Scheitel nach rechts.
Kinne rechts negativ.
1. Juni 1900. Totalaufmeisselung rechts.
Befund : Starke Infiltration und Oedcm der retroauriculären Weichtheile.
Das Periost über dem Warzenfortsatz war schon spontan vom Knochen ab-
gelöst. In dem durch Druckusur zu Haselnussgrösse erweiterten Antrum
reichliche Cholesteatommassen und Granulationen. Die Dura der mittleren
Scbädelgrube lateral vom Tegmen bereits freiliegend. Hammer cariös, Amboss
bereits aufgezehrt. Facialis an der inneren Paukenhöhienwand freiliegend.
Wegen der starken Infiltration des Gebörgangschlauches wird derselbe nur
horizontal gespalten und von einer primären Plastik Abstand genommen.
4. Juni. Temp. kehrt fast zur Norm zurück. Urin stets trübe, sauer
reagirend, normale Menge. Derselbe enthält frisch untersucht massenhaft
Epithelien, Eiter kör per eben und Bacillenhaufen.
6. Juni. Temp. 37,6-37,9®. Ausspülung der Blase.
7. Juni. Leibschmerzen, Schmerzen in der Blasengegend. Priessnitz
auf die Blasengegend beseitigt die Schmerzen. Abends plötzlich ohne vor-
herigen Schüttelfrost Temperatursteigerung auf 39,4® von 37,2® des Morgens.
8. Juni. Unregelmässige Temperaturen, Temperatursprung von 37,6®
auf 41,6®. Dabei ausser zeitweiligem leichten Frösteln keine Klagen. Zuck-
ungen in der linken Gesichtshälfte. Augenhintergrund normal. Schweisse.
9. Juni. Morgentemperatur 40,1® bei subjectivem Wohlbefinden. Schweisse.
FreilegUDg des Sinus sigmoideus. Knochen bis an den
Sinus heran mit einzelnen gelbliche Flüssigkeit enthaltenden
kleinen zelligen Räumen durchsetzt. Die Sinuswand an der
Jabresber. der Kgl. Universitäts-ObreDklinlk zu Halle a. S. 1900/1901. 69
dem kranken Knochen anliegenden Stelle in geringer Ausdeh-
nung verßlrbt, wird ca. 4 cm weit freigelegt. Nach doppelter
Unterbindung der Vena jugularis wird die Vene zwischen den
beiden Ligaturen durchschnitten. Weil die Unterbindung nicht
centralwärts von der Einmündungssteile der Vena facialis er-
folgen konnte, wurde letztere ebenfalls unterbunden. Incision
des Sinus; wegen starker Blutung konnte nichts von krankhaftem
Inhalt, wie wandständige Thromben, erkannt werden. Tamponade
des Sinus peripher- und centralwärts. Secundäre Plastik des
abgeschwollenen Gehörgangsschlauches.
In der folgenden Kacbt wieder 41,4^. Cbinin sulfur. 0,8 gr. Morgens
4 Uhr leicbtes Frösteln. Sonst guter Schlaf. Trinkt 1 V2 Liter Milch w&h-
rend der Nacht.
10. Jani. Temp. 39,4— 40,5<^. Chinin sulfur 0,5. Keine Klagen ausser
Wundschmerzen beim Husten. Aq. amgydalar. amar. gtt. 30 in Milch.
11. Juni. Temp. 39,8 — 40,5°. Mehrmals Chinin innerlich. Mehrere
dünne Stühle. Schläft viel, auch bei Tage. Appetit gut.
12. Juni. Temp. 38,4-- 39,10. Pßig i^iejo^ Verbandwechsel: Wunde
sehr trocken, Shiustampon bleibt liegen. Schläft den ganzen Tag. Appetit
schlechter. Keine Klagen. Athem oberflächlicher und freouenter.
13. Juni. Temp. 3S,6 — 40,1 ^ Schlafsucht zunehmena. Appetit noch
gut. Morgens Schüttelfrost von etwa 7^ stündiger Dauer mit Temperatur-
steigerung auf 40 0.
14. Juni. Temp. 38,2— 40,1^ Verbandwechsel. Sinustampons werden ohne
Blutung entfernt. Nach dem Verbandwechsel starker CoUaps; künstliche Ath-
muDg. Campherinjection. Athem frequenter. Puls erst schlecht, dann wieder
besser. £r6t nach 1 Va Stunden kommt Patientin wieder vollständig zur Be-
sinnung. Von da an fast fortwährend Schlaf. Husten ohne Auswurf.
Nahrungsaufnahme genügend. In den folgenden Tagen wurde das Fieber allmäh-
lich geringer, aber erst vom 25. Juni an war Patientin vollkommen fieberfrei.
16. Juli. Andauerndes Wohlbefinden bei gutem Appetit.
1 8. Juli. Die letzten Fäden von der Jugularisunterbindung bei Abnahme
des Pflasters mit entfernt. Halswunde geschlossen. Die Ohroperationswunde
überhäutet gut; grösseres nekrotisches flaches Knochenstück aus der Ohr-
wunde entfernt.
26. Juli. Patientin wird mit zum grössten Theile überhäuteter Knochen-
wunde entlassen.
28. August. Die Ohroperationshöhle vollkommen überhäutet.
13. November. Die Heilung dauert fort.
Epikrise^): Belrospectiv kann man sagen, dass bereits zur Zeit
der Aufnahme der Kranken eine otogene Sinusthrombose bestand.
Indessen hatten wir auf Grund der vorliegenden Symptome zu-
nächst keine Veranlassung, operativ etwas Anderes als die Total-
aufmeisselung vorzunehmen. Dass das zur Zeit der Aufnahme
1) Ich muss hier ausdrücklich hervorheben, dass die in den Epikrisen
enthaltene Auffassung der mitgetheilten Fälle das Resultat der darüber im
CoUegium der Aerzte gepflogenen Berathungen wiedergiebt. Angriffe gegen
die in den Epikrisen enthaltenen Deutungen und Anschauungen würden sich
also nicht gegen die Namen der verschiedenen Berichterstatter zu richten
babep, wie dies neuerdings vorgekommen ist, sondern gegen die Klinik als
solche. Was in den Epikrisen verfehlt oder unrichtig erscheint, ist durch
mich, als Vertreter der Klinik, zu verantworten. öchwartze.
70 III. GRÜNERT und SCBÜLZE
bereits vorhanden gewesene Fieber (38,5 <^) nach der Totalauf-
meisselung nicht vollkommen normalen, sondern nur hoch normalen
Temperaturen Platz machte, konnte man auf den starken Blasen-
katarrh der Patientin beziehen. Als indess vom 6. Tage nach
der 1. Operation an die Temperatur plötzlich stieg und einen
ausgesprochenen pyftmischen^Charakter annahm, war bei dem
Bestehen des schweren chronischen eiterigen Ohrenleidens die
Eröffnung derFossa sigmoidea indicirt; wenn auch die Möglichkeit,
dass das Fieber durch den starken Blasenkatarrh bedingt sei,
nicht ausgeschlossen werden konnte, so sprach doch die rasch
zunehmende objective Besserung dieser Erkrankung gegen diese
Annahme. Wir fanden die Sinuswand verfärbt, und auch die
Wegleitung der Entzündung durch den Knochen hindurch bis
an die Sinuswand heran wurde in Gestalt einzelner kleiner, den
Knochen durchsetzender zelliger, mit serös eitrigem Inhalt er-
füllter Bäume aufgedeckt. Wir beschränkten uns nun nicht auf
die Eröffnung der Fossa sigmoidea, sondern schritten sofort zur
Jugularisunterbiudung und Sinusoperation, weil wir nach unseren
Erfahrungen das Fieber bei dem Fehlen eines perisinuösen Abs-
cesses und bei seiner excessiven Höhe (41,5^) nur auf eine
Sinusthrombose beziehen konnten. Das Fehlen von ausge-
sprochenen Schüttelfrösten konnte, nachdem die krankhafte Ver-
änderung der Sinuswand aufgedeckt war, diese unsere Annahme
nicht erschüttern um so weniger, als wir infolge der rasch fort-
schreitenden Besserung des Blasenkatarrhs diese Erkrankung
als Ursache eines so hohen und deutlich pyämischen Fiebers
nicht gut ansprechen konnten. Ein obturirender Thrombus lag,
wie die Sinusoperation klarlegte, nicht vor, vielmehr sind wir
zu der Annahme gezwungen, dass eine wandständige Thrombose
die Ursache des pyämischen Fiebers gewesen ist, wenn dieselbe
auch in Folge des starken Blutergusses unserem Auge nicht zu-
gängig gemacht werden konnte. Dass aber unsere Sinusoperation
mit vorausgeschickter Jugularisunterbindung nur unvollkommen
ihren Zweck erreicht hat, die weitere Aufnahme septischen
Materiales in das Blut zu verhindern, beweist das noch 15 Tage
nach der Operation anhaltende höhere Fieber mit noch leicht
pyämischem Charakter. Immerhin bringt der Anblick der Tem-
peraturcurve den günstigen Einfluss der Operation zum deutlichen
Ausdruck insofern, als eine so excessive Temperatur, wie vor
der Sinusoperation, nach derselben auch nicht annähernd erreicht
worden ist. Metastasen konnten mit Sicherheit weder vor noch
Jabresber. der Egl. Ümversitäts-Ohreaklinik zu Halle a. S. 1900/1901. 71
nach der Operation nachgewiesen werden. Ob die vorübergehende
Zunahme der Athemfrequenz, verbunden mit Husten ohne Aus-
wurf, auf kleine, dem physikalischen Nachweis nicht zugängliche
Lungenmetastasen, welche rasch zur Ausheilung gelangt sind,
zu beziehen ist, muss dahingestellt bleiben.
Der dritte Fall betrifft einen durch Trepanation geheilten
Fall von Kleinhirnabsoess :
Selma Heinike, 22 Jahre alt, Dienstmädchen aus Halle. Aufge-
nommen am 15. März 1901 in die Filiale der Klinik.
Anamnese: Früher angeblich beiderseits ohrgesund. Seit Februar
d. J. Ohrensausen und geringe Eiterung links. Keine Schmerzen im Ohr.
Mancbmal Schwindel. Zunehmende Schwerhörigkeit. Klage über Kopf-
schmerzen.
Statuspraesens: Kräftiges Mädchen. Objectiv kein Schwindel. Innere
Organe gesund. Augenhintergrund normal. Urin ohne Zucker und Eiweiss.
Umgebung des linken Ohres normal.
Gehörgang- und Trommelfellbefund. Links Gehörgang weit.
Stinkende Eiterunpr. Trommelfell geröthet. Fistel über dem Processus brevis.
Ablösung hinten oben. Sonde fühlt hier rauhen Knochen. Rechts trockene
Perforation hinten unten.
Hörprüfung: Flüstersprache links handbreit, rechts 1 m. Ci vom
Scheitel nicht lateralisirt, FiB4 rechts normal, links stark herabgesetzt.
Kein Fieber.
Am IS. März. Hammer- Ambossextraction vom Gehörgang aus.
Befund: Hammer am Kopf cariös, Amboss am langen Schenkel.
21. März. Aufnahme in die stationäre Abtheilung wegen Fiebers.
Temp. 38,2^, Puls'92. Linksseitige Facialislähmung. Pupillen gleich, reagiren,
Augenhintergrund normal. Schmerzen hinter dem linken Otir. Eisblase hin-
ter das Ohr.
22. März. Temp. 37,0«, 37,4«, 37,8«.
23. März. Temp. 36,6«, 36,9«, 37,1«.
24. März. Temp. 36,7«, 37,1«, 37,6«.
25. März. Temp. 37,0«, 37,7«, 38,0«.
26. März. Temp. 37,0«, 37,2«, 37,3«.
Die Schmerzen hinter dem Ohr sind geringer. Fötide Eiterung besteht weiter.
27. März. Temp. 36,6«, 37,4«, 37,8«
28. März. Temp. 36,8«, 37,8«.
29. März. Temp. 37,2«, 38,2«, 37,5«.
30. März. Temp. 37,0«, 37,2«, 37,6«.
31. März. Temp. 36,8«, 37,3«, 37,7«.
Wieder stärkere Schmerzen hinter dem linken Ohr. Warzenfortsatz
druckempfindlich. Jodanstrich, Eisblase.
1. April. Temp. 36,6«, 37,5«, 37,1«. Klage über Schwindel.
2. April. Die Schmerzen hinter dem Ohr haben nachgelassen. Die Fa-
cialislähmung geht zurück, das Auge kann schon geschlossen werden. Temp.
36,8«, 37,5«.
3. April. Temp. 36,8«, 37,3«, 37,4«.
4. April. Temp. 36,7«, 37,4«.
5. April. Geringes Oedem auf dem Warzenfortsatz. Jodanstrich.
Eisblase. Klage über Schwindel und Kopfschmerzen. Temp. 36,7«, 38,0«, 37,6«.
6. April. Besserung der Schmerzen hinter dem Ohr. Immer noch fötide
Eiterung. Temp. 37,3«, 37,9«
7. April. Temp. 37,2«, 37,4«, 37,8«.
8. April. Klage über heftige Kopfschmerzen im Hinterkopf. Mehrmals
Erbrechen. Temp. 37,7«, 38,0«, 37,8«. Puls am Morgen 100, Abends 70.
9. April. Totalaufmeisselung. Befund: Weichtheile normal bis
auf eine geschwollene Lymphdrüse auf dem Warzenfortsatz. Antrum eröffnet,
etwas freier Eiter darin. Wegnahme der hinteren knöchernen Gehörgangs-
72 m. GRUNERT und SCHULZE
wand. Weitausgebreitete Caries der Wandungen des Antrum und Aditus.
Schwammige Granulationen in der Paukenhöhle und im Aditus, im letzteren
auch etwas Cholesteatomtapete.
Resection der Spitze, kein Eiter darin, Schleimhaut geschwollen, sehr
blutreich und eitrig infiltrirt. Eröffnung der hinteren Sch&delgrube, kein
Eiter gefunden. Sinus in 3 cm Länge freigelegt, Sinuswand nicht verfärbt,
aber mit zarten Granulationen besetzt. Keine Plastik. Tamponade. Abends
keine Besserung der Kopfschmerzen, heisse Umschlage bringen etwas Linder-
ung. Temp. 37,50, 37,6S 37,2«. Puls 70.
10. April. Temp. 37,2^ 37,0^, 37,6. Puls 64 bis 60, regelmässig. Augen-
hintergrund normal, Pupillen gleich, reagiren prompt auf Lichteinfall. C\
Yom Scheitel nach rechts.
11. April. Sehr oft Erbrechen. Kopfschmerzen sehr heftig, besonders
im Hinterkopf und nach dem Nacken zu ausstrahlend. Temp. 36,9^, 36,5^ 36,8".
Puls 60 bis 56. Hartnäckige Verstopfung.
12. April. Kopfschmerzen bestehen noch in derselben Intensität. Schwin-
del und Erbrechen schon beim Hochrichten im Bett. Sensibilität, Motilität
und Reflexe normal. Lumbalpunction ergiebt unter hohem Druck
stehenden, deutlich getrübten Liquor. Keine Vermehrung der
Leukocyten, keine Bacterien. Trepanation auf das Kleinhirn,
in welchem ein hfihnereigrosser Abscess entleert wird. Bald nach der Trepana-
tion wird der Puls frequenter. Temp. 36,4«, 37,4«, 37,S^ Puls am Abend 114.
13. April. Die Kopfschmerzen sind verschwunden, das Erbrechen hält
aber noch an. Temp. 37,9«, 38,7», 38,3S 39,2°. Puls 80—100, nicht aus-
setzend. Respiration 22.
14. April. Temp. 37,4«, 37,7», 37,9«, 38,0«. Puls 104. Patientin klagt
über Halsschmerzen. Angina.
15. April. Das Erbrechen dauert noch fort, Kopfschmerzen und Schwin-
del gering. Pupillen über mittelweit, gleich, reagiren. Augenhintergrund
normal. Y erbandwechsel : Grosser Hirnprolaps, ein Stück desselben ist ganz
nekrotisch, wird abgetragen. Spärliche Eiterung aus der Abscessböble. Dicht
oberhalb des horizontalen Bogenganges ist heute eine schwarz
verfärbte Stelle im Knochen sichtbar, die Sonde gelangt hier
in eine ins Labyrinth führende Fistel, in welcher Eiter steht.
Wegmeisselung der hinteren Pyramidenfläche in der Absicht,
einen eventuellen tiefen Extraduralabscess aufzusuchen. Es
wird kein Eiter gefunden. Temp. 37,0«, 37,5°, 38,0°. Puls 124.
16. April. Aus der Abscesshöhle kommt wenig Eiter. Nystagmus hori-
zontalis, beim Blick nach links an Intensität zunehmend. Linksseitige Ab-
ducenslähmung. Temp. 36,7», 37,6», 36,5°. Puls 96.
17. April. Heute wieder stärkere Kopfschmerzen. Prolaps grösser.
Verband ott von seröser Flüssigkeit durchnässt, sodass derselbe mehrmals
erneuert werden muss. Weitausgebreitetes Oedem der Kopfschwarte. Temp.
36,6S 37,30, 3g^40. puig 84.
18. April. Es hat sich wieder ein grosser Theil des Prolapses nekrotisch
abgestossen. Aus dem Abscess entleert sich wenig Eiter, aber viel leicht
blutig tingirte seröse Flüssigkeit. Eiterung des rechten Obres. Temp. 37,1%
36,9«, 37,30. Puls 80.
19. April. Klage über Kopfschmerzen in der Scheitelgegend. Patientin
lässt fortwährend Urin unter sich, derselbe ist sehr trübe und stinkend, ohne
Eiweiss und Zucker. Hartnäckige Verstopfung. Temp. 36,5% 36,3% 37,4».
Puls 116.
20. April. Prolaps nicht grösser geworden. Aus dem Labyrinth kommt
fast gar kein Eitei* mehr. Befinden besser, Erbrechen seltener, Nahrungs-
aufnahme befriedigend. Temp. 36,9«, 37,1% 37,5«. Puls 112.
21. April. Temp. 37,1°, 36,9°. Stat. idem.
22. April. Prolaps wieder grösser. Erbrechen tritt öfter auf. Geringe
Eiterabsonderung aus der Abscesshöhle. Temp. 36,60,37,5% 38,0°. Puls 116.
23. April. Aus der Abscesshöhle kommt kein Eiter mehr. Patientin nimmt
wenig Nahrung zu sich. Urin sehr trübe, wird 3 mal täglich mit dem Kathe-
ter entleert, Ausspülungen der Blase mit Borsäure. Temp. 37,4% 37,5% 37,2^
Jahresber. der Kg]. Uolyersitäts-Ohrenklinik zu Halle a. S. 1900/1901. 73
Pals 120. Die hartnäckige Yerstopfung macht Glycerinklystiere nothwendig.
Von jetzt ab bleibt PatieDtin lieberfrei und zeigt vielfach noch sub-
normale Temperatur. Puls in der nächsten Zeit noch etwas beschleunigt, aber
regelmässig.
24. April. Wunde ohne Veränderung. Patientin klagt über Beklemmung
auf der Brust, Respiration nicht beschleunigt, objectiv nichts nachweisbar,
Herztöne rein.
26. April. Prolaps nicht grösser, an der Oberfläche nekrotisch. Nah-
rungsaufnahme besser. Erbrechen selten.
29. April. Der Prolaps wird grösser, sonst Stat. idem.
5. Mai. Abscess geschlossen. Prolaps grösser. Nausea und Erbrechen
auch bei ruhiger Lage im Bett. Kein Schwindel. Keine Kopfschmerzen. Be-
spiration nicht ganz regelmässig, meistenthells sehr flach, manchmal unter-
brochen durch sehr tiefe Inspirationen.
Urin nicht mehr so übelriechend.
6. Mai. Temp. 36,4^ Puls HO, sehr klein und unregelmässig. Aether-
injectionen, subcutane Kochsalzinfusion. Danach Puls kräftiger, 96.
7. Mai. Der sehr grosse Prolaps bedeckt sich mit frischen Granulationen.
Facialislähmung ganz zurückgegangen.
8. Mai. Puls 120, sehr klein, Kochsalzinfusion. Sehr häufiges Er-
brechen. Nachdem gegen dasselbe alles Mögliche ohne Erfolg versucht wurde,
werden schliesslich Magenausspülangen mit Kochsalzlösung, 3 mal täglich,
vorgenommen.
9. Mai. Wegen des häufigen Erbrechens kann die Ernährung nur per
rectum stattfinden. 3 mal täglich ein Nährklystier.
10. Mai. Puls wieder miserabel, 120, Kochsalzinfusion. Am Nach-
mittag hat sich der Puls wieder erholt.
11. Mai. Urin noch immer flockig getrübt.
13. Mai. Collaps macht wiederum Kochsalzinfusion nöthig.
1 5. Mai. Nach den Magenausspülungeu fühlt sich Patientin immer sehr
wohl, bei täglich 2 maliger Vornahme derselben tritt kein Erbrechen mehr ein.
18. Mai. Der Prolaps wird grösser.
19. — 23. Mai. Kein Erbrechen mehr. Nahrungsaufnahme genügend,
Patientin lebt fast nur von Milch. Puls kräftiger und nicht mehr so frequent.
Vom 24. Mai ab wieder häufiges Erbrechen. Desshalb werden die
Magenausspülungen wiederholt und zwar mit dem besten Erfolge. Seit dem
26. Mai wird nicht mehr erbrochen.
28. Mai bis 2. Juni. Angina mit Fieber bis 39,2^. Vom 2 Juni ab voll-
ständiges Wohlbefinden. Beichliche Nahrungsaufnahme (Gacao, Milch, Eier,
Wein). Temp. meist subnormal. Puls ca. 70, regelmässig. Respiration frei.
Der Prolaps wird nicht grösser.
6. Juni. Seit heute nimmt Patientin auch Fleisch zu sich und ver-
trägt dasselbe gut. Stuhlgang erfolgt jetzt von selbst. Der Blasenkatarrh
besteht nicht mehr, Urin hell, sehr reichlich, eiweiss- und zuckerfrei. Die
Epidermis fängt an, sich von oben her über den Prolaps zu schieben. Patien-
tin ist den grössten Theil des Tages ausser Bett.
6. Juli. Völliges Wohlbefinden. Gehirnoberfläche vollständig epidermisirt.
Die Ohrwunde heilt sehr langsam,
10. August. Patientin erholt sich sichtlich, das Körpergewicht nimmt
fortdauernd zu. Am hinteren Theile der Labyrinthwand, ferner am „Sporn*"
und am Tegmen tympani noch secernirende mit stärkeren Granulationen be-
deckte Stellen.
Epikrise: Was die Entstehung des Kleinhirnabscesses hier
anbetrifft, so könnte man auf den Gedanken kommen, dass eine
an die Hammer-Ämbossextraction sieh anschliessende, auf dem
Wege des verletzten Canalis facialis fortschreitende Infection des
Labyrinths die Fortleitung der Eiterung nach dem Kleinhirn
vermittelt habe. Hiergegen spricht schon der Umstand, dass die
74 III. GRÜNERT und SCHULZE
nach der Operation eingetretene Faeialislähmung sehr bald wieder
zurückging, ein Beweis dafür, dass dieselbe vermuthlich durch
einen leichten Druck auf den Nerven verursacht war, nicht aber
dadurch, dass eine Eiterung sich längs des Nerven ausbreitete;
im letzteren Falle hätten wir wohl mit Sicherheit annehmen
können, dass, wenn es überhaupt zu einer Wiederherstellung
der Function des Nerven gekommen wäre, der Heilungsprocess
eine längere Zeit in Anspruch genommen haben würde. Dass
das Labyrinth nicht intact war, wurde schon bei der Aufnahme
durch die damals vorgenommene Hörprüfung constatirt; die
später aufgefundene cariöse Labyrinthfistel macht es zur Gewiss-
heit, dass sich schon seit längerer Zeit entzündliche Vorgänge
im Labyrinth abgespielt haben müssen. Schon die ganze Be-
schaffenheit des Abscesses und seiner Umgebung sprach dafür,
dass es sich hier nicht um ein acut entstandenes Product eines
frisch-entzündlichen Processes handeln könnte, vielmehr bestärkte
sie uns in unserer Annahme, dass der Abscess von der alten,
schon lange bestehenden Labyrintherkrankung aus in chroni-
scher Weise inducirt, erst jetzt aus dem Latenzstadium heraus
getreten war, nachdem er bisher ebenso wie die eitrige Affection
des Labyrinths sich durch keinerlei deutliche und bedrohliche
Zeichen zu erkennen gegeben hatte. Die vom Gehirnabscess
ausgelösten Symptome waren nicht von vornherein deutlich genug
zur Verwerthung für eine bestimmte Diagnose; desshalb konnte
auch die Diagnosestellung nur successive und in der Hauptsache
per exclusionem erfolgen. Fieber, Kopfschmerzen und Erbrechen
Hessen uns zunächst eine Eiterretention im Warzenfortsatz,
vielleicht auch in der hinteren Schädelgrube und eventuell eine
Betheiligung des Sinus vermuthen. Die Totalaufmeisselung ergab
aber nichts von alledem.
Da in den Tagen nach der Aufmeisselung die schweren
Erscheinungen nicht gebessert, eher sogar verschlechtert waren,
besonders die im Hinterhaupt und im Nacken localisirten Kopf-
schmerzen, der Schwindel und das schon beim Hochrichten auftre-
tende Erbrechen, so lag die Annahme einer intracraniellen Com-
plication nicht fern. Eine Meningitis erschien schon deshalb aus-
geschlossen, weil jetzt kein Fieber mehr bestand, dagegen gewann
die Annahme eines Hirnabscesses mehr und mehr an Wahrschein-
lichkeit in Anbetracht der subnormalen Temperaturen und der all-
mählichen Verlangsamung des Pulses (bis 56). Obwohl die von
uns vor der Operation ausgeführte Lumbalpunction ein mit unserer
Jahresber. der Kgl. UniTersit&ts-Ohrenklinik zu Halle a. S. 1900/1901. 75
Diagnose anscheinend im Widersprach stehendes Ergebnisslieferte;
glaubten wir doch das Bestehen einer Meningitis trotz der deut-
lichen Trübung des Liquors aus dem Grunde ausschliessen zu
dürfen, weil weder Baeterien noch eine Vermehrung der Leuko*
cyten in der Flüssigkeit nachzuweisen waren. Wodurch die Trü-
bung in diesem Falle veranlasst war, ist nicht aufgeklärt, auch
die im hiesigen pathologischen und hjgieinischen Institute stattge-
fundenen Untersuchungen der Flüssigkeit konnten keine Erklä-
rung dafür finden. Jedenfalls lehrt diesVorkommniss, dass es nicht
genügt, die bei der Lumbalpunction gewonnene Flüssigkeit ledig-
lieh nach ihrer äusseren BeschaiOfenheit und ihrem makroskopischen
Aussehen zu beurtheilen, sondern dass zur exacten Yerwerthung
dieses wichtigen diagnostischen Hülfsmittels die mikroskopische
und bacteriologische Untersuchung unumgänglich nothwendig ist.
Der weitere Verlauf der Erkrankung gestaltete sich in mehr
als einer Beziehung recht interessant. Auch hier konnten wir
wieder die Beobachtung machen, dass die Pulsfrequenz gleich
nach der Trepanation bedeutend in die Höhe ging. Die in den
ersten Tagen nach der Operation verzeichnete Temperatursteige-
rung bis 39,2<^ hatte ihre Ursache in einer Angina. Als am
dritten Tage p. op. bei Gelegenheit des Verbandwechsels eine
Eiter entleerende, ins Labyrinth führende Fistel am horizontalen
Bogengang gefunden wurde, glaubten wir, es könnte möglicher-
weise ein vom Labyrinth inducirter tiefer Extraduralabscess als
Ursache der von neuem sehr heftig aufgetretenen Kopfschmerzen
und des stärkeren Erbrechens vorliegen, da eine diese Erschei-
nungen erklärende Eiterretention der Abscesshöhle ausgeschlossen
erschien. Einen sehr bedrohlichen Eindruck machte es ferner, als
einige Tage darauf zugleich mit Fieber bis 38,4^ linksseitige
Abducenslähmung sowie Nystagmus beobachtet wurden, während
der Verband stark serös durchtränkt war. Unsere Befürchtung,
dass es sich bei dem grossen Prolaps um eine beginnende Me-
ningitis im Anschluss an einen Durchbruch in den 4. Ventrikel
handele, zeigte sich für die Folge nicht begründet. Da aber
das in diesen Tagen sehr reichlich und ununterbrochen ablaufende
and den Verband durchnässende Secret nicht eitrig war, sondern
unzweifelhaft den Charakter des Liquor cerebrospinalis trug,
sehen wir uns zu der Annahme genöthigt, dass es wohl an cir-
cumscripter Stelle zu einem Durchbrach in den Ventrikel ge-
kommen war, ohne dass sich die sonst gewöhnliche Folge (Eintritt
einer tödtlichen Ventrikelmeningitis) daran anschloss. Der nur
76 III. GRÜNERT und SCHULZE
wenige Tage dauernde Abflugs des Liquors macht es wahr-
scheinlich, dasB die offenbar sehr kleine Fistel, durch welche
der Durchbruch stattfand, bald wieder zum Verschlusse kam,
wozu auch der Umstand begünstigend beigetragen haben mag,
dass der Prolaps gerade zu dieser Zeit nicht grösser wurde,
sondern eher eine Neigung zum Zurückgehen zeigte. Vom 1 1. Tage
p. op. ab fand keine Eiterung aus der Abscesshöhle mehr statt,
und nach 3 Wochen war die Abscessöffnung bereits wieder ge-
schlossen. Obwohl gerade jetzt sehr heftige Kopfschmerzen
und fast unstillbares Erbrechen die Prognose bedenklich zu
trüben schienen, konnten wir uns nicht dazu entschliessen, auf
einen etwaigen zweiten Abscess fahndend, von neuem in das
Kleinhirn einzugehen, sondern glaubten in dem ausserordentlich
grossen Hirnprolaps allein schon hinreichenden Grund zur Aus-
lösung so schwerer Reizzustände erblicken zu dürfen und die
letzteren, da der Prolaps selbst als ein Noli me tangere fdr uns
zu betrachten war, lediglich exspectativ und symptomatisch be-
handeln zu müssen. Der glänzende Erfolg hat die Richtigkeit
unserer Auffassung klar bewiesen. Das Mittel nun, welches,
nachdem alles andere vergeblich versucht worden war, thatsächlich
allein gegen das wochenlang andauernde, fast ununterbrochene
Erbrechen von Wirksamkeit und dauerndem Erfolge gewesen
ist, das waren systematische mehrmals am Tage je nach Bedarf
wiederholte Magenausspülungen mit physiologischer Kochsalz-
lösung: wurden die Ausspülungen weggelassen, so trat das Er-
brechen immer wieder in der alten unstillbaren Weise auf,
während die Patientin nach erfolgter Ausspülung jedesmal für
längere Zeit Ruhe hatte. In der Zwischenzeit war es dann
auch möglich, dem Magen etwas leicht resorbirbare Nahrung
(Ei, Bouillon, Cacao) zuzuführen, nachdem vorher die Ernährung
tagelang nur vom Rectum aus stattgefunden hatte. Es ist ein-
leuchtend, dass die Patientin bei diesem wochenlang andauernden
Zustand sehr heruntergekommen war, und es ist nicht zu ver-
wundern, dass namentlich im Anschluss an die heftigen Würg-
und Brechacte nicht selten recht bedrohliche CoUapszustände
sich einstellten, welche wiederholt Aetherinjectionen und sub-
cutane Kochsalzinfusionen nothwendig machten. Wir sind der
festen Ueberzeugung, dass nächst der Abscessentleerung die mit
Geduld und Ausdauer lange Zeit fortgesetzten Magenausspülungen
im Verein mit den Infusionen von reichlichen Mengen Kochsalz-
lösung diejenigen therapeutischen Maassnahmen gewesen sind,
Jahresber. der Kgl. UniverBitätB-Ohrenklinik zu Halle a. S. 1900/1901. 77
welche es uns ermögliohten, die Patientin, die mehr als einmal
dem Tode nahe stand, dem Leben zu erhalten.
Die in der stationären Abtheilnng vorgekommenen Todes-
fälle des Berichtsjahres sind die folgenden:
I. Clara Wrede, 3 Jahre alt, Arbeiterkind aus Qiebichenstein. Auf-
genommen am 7. Februar 1901, gestorben am 13. Februar 1901.
Anamnese: Das schon längere Zeit kränkelnde Kind soll vor 8 Tagen
acut erkrankt sein unter Klage über Kopfschmerzen, Appetitlosigkeit, Ver-
stopfung und Fieber; unruhiger Schlaf, vielfach durch Aufschreien unter-
brochen. Der behandelnde Arzt schickt das Kind in die Ohrenklinik, da er
eine vom Ohr ausgehende cerebrale Erkrankung vermuthet.
Status praesens: Kräftiges Kind in gutem Ernährungszustand. Temp.
37,7®. Puls 120. Pupillen mittelweit, gleich, reagiren äusserst träge. Innere
Organe gesund. Reflexe normal. Das Kind ist leicht soporös, schreit öfters
auf. Drin ohne Zucker und Eiweiss.
Umgebung der Ohren: Ohne YeränderuDg.
Gehörgang- und Trommelfellbefund: Gehörgang beiderseits weit,
kein Eiter darin. Beide Trommelfelle geröthet und abgeflacht. Bei Katheter
Rasseln.
Therapie: Paracentese beiderseits, kein Eiter dabei entleert, Essig-
klystier, Calomel.
8. Februar. Das Kind hat die Nacht sehr unruhig geschlafen, öfter auf-
geschrieen. Convergenzstellung der Bulbi. Pupillen weit, reactionslos. Das
Kind ist andauernd soporös, fixirt nicht mehr. Temp. 37,7°, 37,8^ 38,8^ Puls 120.
9. Februar. Musculatur der oberen Extremitäten und des Nackens
krampfhaft contrahirt. Zähneknirschen. Schluckt nicht mehr, bohrt mit dem
Hinterkopf in die Kissen. Temp. 37,0«, 38,2», 38,lo.
10. Februar. Flockenlesen. Spasmen der Gesichtsmuskeln und der
oberen Extremitäten, Temp. 38,0«, 38,3», 39,0°.
II. Februar. Lumbalpunction: Liquor klar, vielleicht etwas
gelblich verfärbt, ohne vermehrte Leukocyten. Enthält Tu-
berkelbacillen. Nach der Lumbalpunction, bei welcher ungefähr 30 ccm.
Liquor abgelassen wurden, keine auffallende Veränderung. Temp. 38,5^ 38,1^
38,6«, 39,0«.
12. Februar. Temp. 38,9°, 39,1«, 38,2«. Gesicht geröthet. Starke
Schweissbildung am ganzen Körper. Klonische Krämpfe der Gesichtsmuscu-
latur, der oberen Extremitäten und des linken Beines. Das rechte Bein
scheint paretisch zu sein. Hautsensibilität erhalten. Linkes Ohr secernirt
wenig dünnen Eiter. Rechtes Ohr trocken, Trommelfell leicht abgeflacht,
zeigt geringe Röthung. Das Kind schluckt nicht mehr. Exitus am 13. Fe-
bruar Morgens 4 Uhr. Kurz vor dem Tode Anstieg der Temperatur auf 42,2«.
Auszug aus dem Sectionsprotocoll.
Diagnosis post mortem: Meningitis tuberculosa. Ependymitis granulosa
tnberculosa. Hydrocephalus internus. Miliartubercuiose beider Lungen und
der Milz. Yerkäsung der Mediastinaldrüsen.
Epikrise: Das Kind zeigte deutlich die charakteristischen
Symptome meningitiscber Reizung. Der Ohrbefund gestattete
nicht die Annahme, dass eine Eiterretention die Ursache der
meningitischen Erscheinungen sein könnte. Die Erkrankung
imponirte von vornherein nicht als otogene Meningitis, vielmehr
machte sie den Eindruck, als ob es sich um eine Meningitis
bandelte, von der aus erst secundär entzündliche Vorgänge im
Ohr ausgelöst worden seien. War die tuberculöse Natur der
von uns diagnosticirten Meningitis nach dem makroskopischen
78 III. 6RUNERT und SCHULZE
Verhalten des Liquors wahrscheinlieh, so wurde sie zur Gewiss-
heit duroh das Auffinden der Tuberkelbacillen selbst.
2. Erich Hartmano, 4 Jahre alt, Gastwirthssohn aus Weissenfels.
Aufgenommen am 22. November 1900, gestorben am 30. November 1900.
Anamnese: Das Kind soll früher niemals wesentlich krank gewesen sein.
Vor 14 Tagen leichte Masern. Nach Verschwinden des Ausschlages und des
Fiebers war das Kind 4 Tage und Nächte lang sehr unruhig: oft plötzliches
Aufschreien und Greifen nach dem Kopfe. Vom 19. November an war das
Kind wieder ruhiger, es hatte guten Appetit und ruhigen Schlaf, bis plötz-
lich am 21. November Morgens Erbrechen mit nachfolgender Benommen-
heit eintrat. Nachmittags stundenlang Verdrehen der Augen und Hin- und
flerwerfen des Kopfes. Wegen Verdachts einer Ohrerkrankung Hess der be-
handelnde Arzt das Kind in die Ohrenklinik überführen. Nachträglich giebt
der Vater noch an, dass das Kind schon seit mehreren Wochen beim Gehen
sehr leicht ermüdet sei.
Status praesens: Gut genährtes, kräftiges Kind. Temp. 38,4^ Puls
100. Innere Organe gesund. Sopor. Zwangsstellung der Bulbi nach links. Pu-
pillen mittelweit, gleich ,jeagiren kaum auf Lichteinfall. Ptosis rechts. Augen-
hintergrund vielleicht etwas blasser als normal, Papillengrenzen scharf.
Urin frei von Zucker und Eiweiss.
Umgebung der Ohren ohne Veränderung.
Gehörgang- und Trommelfellbefund: Gehörgang beiderseits weit.
Trommelfell rechts leicht geröthet, links stärker geröthet und abgeflacht
Therapie: Sofort bei der Aufnahme Paraccntese links. Kein Eiter ent-
leert, nur Blut und etwas seröse Flüssigkeit.
23. November. Morgens Temp. 39,1^. Das Kind hat die Nacht ziem-
lich ruhig zugebracht und nur hier und da einmal aufgeschrieen. Trommel-
fell rechts fast normal, links blasser als gestern, Paracentesenschnitt weit klaf-
fend, im Gehörgang kein Eiter. Bei Katheter kommt nur etwas Blut, kein
Eiter aus der Paracentesenöifnung. Die Lumbalpunction ergiebt unter
hohem Druck stehenden Liquor. Derselbe ist nicht getrübt,
ohne vermehrte Leukocyten, opalescirend, Eiweissgehalt er-
höht, keine Tuberkelbacillen gefunden. Auch nach der Lumbal-
punction dauert der soporöse Zustand unverändert fort. Ab und zu Zähne-
knirschen, Zuckungen im Facialisgebiet beiderseits. Das Kind schluckt
schlecht. Hautsensibiiität stark herabgesetzt. Abends Temp. 38,4^. Puls 96.
Die Benommenheit ist geringer, das Kind reagirt auf Anrufen, schluckt
besser. Keine Zuckungen mehr in der Gesichtsmusculatur, keine Lähmung
der Extremitäten, keine Gontracturen, Hautsensibilität fast normal, Sehnen-
reflexe fehlen. Pupillen gleich, reagiren träge. Keine Nackenstarre. Hals-
wirbel auf Druck schmerzhaft.
24. November. Temp. 39,2^. Puls 96. Somnolenz, aus der Patient leicht
zu erwecken ist. Stuhlgang und Urinentleerung normal. Milch wird gut ge-
schluckt. Sehnenreflexe heute vorhanden. Leichte Steifigkeit des Nackens.
Abends Temp. 39,4^
25. November. Morgens Temp. 38,7^ Puls 96. Besp. 26. Lumbal-
punction: Liquor unter hohem Druck, leicht gelblich verfärbt
aber klar. Die mikroskopische Untersuchung ergiebt keine Ver-
mehrung der Leukocyten, keine Tuberkelbacillen, auch keine
anderen Bacterien. Das mit dem Liquor geimpfte Versuchs-
thier starb 8 Wochen nach der Impfung an acuter Miliartuber-
culose (Hygieinisches Institut). Nach der Lumbalpunction Somnolenz
stärker, Pupillen mittelweit, gleich, auf Licht nicht reagirend. Häufiges
Bohren mit dem Finger in der Nase und Zupfen an der Oberlippe. Puls und
Athmung frequenter, 120 bezw. 32. Abends Temp. 38,1^.
26. November. Temp. 38,7», 38,8«, 39, l^ -Puls 100. Besp. 28, sonst
Status idem.
27. November. Temp. 38,7«, 39, l«, 39,3». Puls zwischen 128 u. 150. Resp.36.
28. November. Morgens Temp. 39,4«. Puls 150. Besp. 36. An-
dauernder Sopor. Das Schlucken geht sehr schlecht. Deutliche Nacken-
Jahresber. der Egl. Universitäts- Ohrenklinik zu Halle a. S. 1900/1901. 79
starre. Kopf stark nach hinten gebeugt. Hautsensibilität fast normal, Sehnen-
reflexe fehlen. Keine Läbmuog der Extremit&ten. Pupillen weit und
reactionslos. Auf der ganzen Lunge Rasselgeräusche und vesicul&rathmen,
Percossionsschall auf der rechten Seite vorn oberhalb der Clavicula etwas
verkürzt. Abends Temp. 39,4^ Puls 16S.
29. NoTbr. Morgens Temp. d9,5<^. Puls 180. Resp. 36. Dritte Lumbal-
punction: £s entleert sich wenig mit Blut untermischter Liquor.
Goma besteht auch nach der Lumbalpunction unverändert fort. Pupillen weit,
fieich, reactionslos. Ptosis links. Augenhintergrund (Privatdocent Dr. S c h i e c k):
Papillen normal, keine Stauungserscheinungen, keine Chorioidealtuberkel.
Das linke Ohr ist trocken. Abends Temp. 40,2<^. Puls 186. Resp. 45.
30. November. Temp. 40,2*^. Goma. Pupille links weit, rechts mittel-
weit, beide reactionslos. Mittags Convulsionen des ganzen Körpers, die mit
kurzen ünterbrechuDgen bis zum Tode dauern. Exitus 2 Uhr Nachmittags.
Auszug aus dem Sectionsprotocoll.
Diagnosis post mortem : Tuberculose des Kreuzbeins, des 4. und 5. Len-
denwirbels. Abscess im linken Psoas. Miliare Tuberculose der Lunge und
des Kehlkopfs. Meningitis tuberculosa. Ependymitis granulosa. flydro-
cephalus internus. Hyperämie der Pia und der grauen Substanz. Gehirn-
ödem. Beginnender Erweichungsherd im Kopf des Nucleus caudatus. Bron-
cbopnenmonie beider Unterlappen. Endocarditis verrucosa. Tuberculose Darm-
geschwüre. Trübe Schwellung der Nierenrinde.
Dura stark gespannt. Im Sinus longitudinalls flüssiges Blut. Innen-
fläche der Dura trocken, mattglänzend. Die weichen Häute der Convexität
in allen Partieen stark getrübt. Pia injicirt. Gyri und Sulci verstrichen. Im
Spinalkanal sehr viel seröse Flüssigkeit. Im Sinus transversus und sigmoideus
flüssiges Blut. Pia der Basis stark injicirt und getrübt, besonders über dem
Kleinhirn, in der Gegend des Chiasma und nach der MeduUa hin fibrinös
sulzig verdickt und gelblich verfärbt. Die Pia in der Fossa Sylvii besonders
im Verlauf der Gefässe mit kleinen miliaren Knötchen bedeckt. Ebensolche
Knötchen befinden sich in den unteren Partien der Pia des Stirnhirns. Seiten-
ventrikel erweitert, mit blutig-seröser Flüssigkeit gefüllt. Ependym der Ven-
trikel, auch des 4. Ventrikels, fein granulirt Gehirn ödematös und blutreich,
besonders die graue Rinde, letztere stellenweise grau- violett verfärbt; linker-
seits dicht unter dem Boden des Ventrikels findet sich ein bohnengrosser
Erweichungsherd an der Spitze des nucleus caudatus. Dura und Knochen
über dem linken Mittelohr ohne Veränderung. Klappenapparat des Herzens
intact bis auf die Pulmonalis, welche mit verrueösen Auflagerungen versehen
ist. Linke Lunge etwas schwer. Aus dem Bronchus entleert sich reichlicher,
gelb-eitriger Schleim. Bronchialschleimbaut nicht injicirt. Pleura des Unter-
lappens lässt einige Blutaustritte erkennen, Unterlappen von dunkelrother
Farbe, durchsetzt von einzelnen dunkelgrauen Herden. Das Parenchym des
Oberlappens dunkelrotb, enthält verstreut einige miliare glasige Knötchen. Rechte
Lunge: Oberlappen wie links, auch hier zahlreiche weisse, glasige über die
Schnittfläche prominirende Knötchen. Unterlappen von vermehrtem Blutge-
balt, aber lufthaltig, ist ebenfalls durchsetzt von den oben bezeichneten
Knötchen. Bronchialdrüsen vergrössert, jedoch nicht verkäst. Im Kehlkopf
viel Schleim, untere Seite des Kehlaeckels mit kleinen Knötchen besetzt.
Mesenterium enthält einige markig geschwollene Drüsen. Im Dünndarm und
im Dickdarm einige ovale Geschwüre mit gewulsteten von Knötchen bedeckten
Bändern. Das Periost an der vorderen Seite des Kreuzbeins ist vollkommen
abgehoben durch gelben zähen Eiter. Das Kreuzbein selbst ist rauh. Die
beiden unteren Lendenwirbel sind an der Vorderseite ulcerirt und die Höhlung
mit gelbem Eiter ausgefüllt. In der Muskelscheide des Psoas findet sich eine
grössere Eiteransammlung. In der Paukenhöhle beiderseits etwas schleimiges
Exsudat. Im Labyrinth kein Eiter.
Epikrise: Das Kind bot bei der ersten Untersuohung
deotlich die Zeichen meningitiseher Beizung. Da aber die Er-
fahrung gelehrt hat, dass selbst in recht verzweifelt erscheinenden
80 III. GRUNERT und SCHULZE
Fällen, die schon das Bild der ausgesproohenen Meningitis ge-
boten hatten, die Paraoentese des entzündeten Trommelfells und
die Eiterentleernng ans der Paukenhöhle oft nach kurzer Zeit
die cerebralen Erscheinungen zum Verschwinden brachten, so
brauchte auch hier die Prognose zunächst nicht absolut schlecht
gestellt zu werden. Verdächtig war es allerdings, dass bei breiter
Durchschneidung des Trommelfells sich kein Eiter entleerte;
hierdurch wurde klar bewiesen, dass, wenn die Ursache der
meningitischen Reizung überhaupt in einer Eiterretention bestehen
sollte, letztere jedenfalls nicht in der Paukenhöhle ihren Sitz
haben konnte. Als am nächsten Tage trotz ableitenden und
antiphlogistischen Verfahrens die Gehirnerscheinungen noch nicht
nachgelassen hatten, am Ohr selbst aber und besonders auch
am Warzenfortsatz keine Zeichen von Eiterretention oder stär-
kerer Entzündung sich erkennen Hessen, wurde es uns zur 6e-
wissheit, dass hier nicht nur ein Zustand von cerebraler Reizung,
sondern eine ausgesprochene Meningitis bestand. Und zwar nahmen
wir mit Rücksicht auf die frische Entzündung im Mittelohr,
während die cerebralen Symptome schon längere Zeit bestanden
haben sollten, an, dass es sich nicht um eine vom Ohr aus-
gehende Meningitis handelte, sondern um eine vorher schon be-
standene Gehirnhautentzündung, durch die erst secundär das Mittel-
ohr in Entzündung versetzt worden war. Wenn auch der nicht ge-
trübte Liquor cerebrospinalis sich uns bakterienfrei erwies, wenn
trotz wiederholter, auch im hygieinischen Institut ausgeführter
Untersuchungen Tuberkelbacillen in der Spinalflüssigkeit nicht
aufgefunden werden konnten, und auch an keinem Organ ein tuber-
kulöser Heerd, von dem die Aussaat erfolgt sein könnte, sich nach
weisen liess, so brachte uns doch das gesammte klinische Bild auf
die Vermuthung, dass es sich um eine tuberculöse Meningitis han-
delte, wie denn auch die Section unsere Vermuthung bestätigte.
Interessant ist es, dass die bei der Section gefundene aus-
gedehnte Kreuzbein- und Lendenwirbelcaries, welche als Aus-
gangspunkt der Miliartuberculose zu betrachten ist, sowie der
schon bestehende Senkungsabscess im Psoas fast gar keine
Erscheinungen intra vitam gemacht haben. Das einzige in
dieser Hinsicht verwerthbare Symptom war ein leichtes Ermüden
beim Gehen, welches nach späterer Aussage des Vaters in den
letzten Wochen vor der schweren Erkrankung beobachtet worden
war. In wieweit die hier constatirte Störung der Reflexe und
^er Hautsensibilität der unteren Extremitäten von Seiten der
Jahresber. der Egl. Universitäts-Ohrenklimk zu Halle a. S. 1900/190L. 81
Erkrankung der Wirbelsäule, inwieweit sie durch die Meningitis
veranlasst wurde, lässt sich nicht entscheiden. Bemerkenswerth
und auffallend ist es, dass die zur Vornahme der Lumbalpunction
nothwendige forcirte Beugung der Wirbelsäule keine besonderen
Schmerzensäusserungen auslöste, während gerade bei Patienten
mit otitischer Meningitis die Lumbalpunction sehr schmerzhaft
zu sein pflegt.
3. Frieda Franke, 5 Jahre alt, Arbeiterkind, sftis Halle. Aufge-
nommen am 23. Januar 1900, gestorben am 13. April 1900.
Anamnese: Ohreiterung rechts seit mehreren Jahren, Ursache un-
bekannt. Seit längerer Zeit schon in poliklinischer Behandlung.
Status praesens: Massig genährtes, blasses Kind. Zeichen von früher
fiberstandener Rbachitis. Lungen suspect. Urin ohne Eiweiss und Zucker.
Umgebung des rechten Ohres: Warzenfortsatz druckempfindlich.
Etwas Oedem der Haut.
Gehörgang- und Tcommelfellbefund: Bechts Gehörgang weit,
reichliche fötide Eiterung. In der Tiefe nur Granulationen zu sehen.
25. Januar. Total au fmeisselung. Rechts: Weichtheile ödematös.
Unter dem Periost wenig freier Eiter. GorticaUs abnorm blutreich und am
Planum oberflächlich arrodirt. In der Tiefe von 1 cm rahmiger, nicht fötider,
pulsirender Eiter. In der Paukenhöhle ausser dem Eiter auch blasse Gra-
nnaiationen. Amboss cariös am langen Schenkel, Hammer gesund. Promon-
torium cariös. Ausgedehnter, den Facialis wulst unterminirender cariöser Re-
cess. Beim Glätten der grossen Operationshöhle stürzen plötzlich aus der
Sinusgegend einige Tropfen Eiter hervor. Der in Bohnengrösse freigelegte
Sinus mit flachen Granulationen besetzt. Spaltung, Tamponade etc. wie ge-
wöhnlich.
In den nächsten Tagen ist am Tage die Temperatur normal, Nachts
besteht leichtes Fieber.
30. Januar. Verbandwechsel. Von da ab fieberfrei.
4. Februar. Zur ambulanten Behandlung entlassen. Die Wundhöhle
überbautet sich langsam.
2. April wieder aufgenommen. Das Kind soll in den letzten Tagen über
Kopfschmerzen geklagt haben. Die Mutter will auch „Zuckungen** bemerkt
haben. In der Wundhöhle viele nekrotische Stellen. Klage über Kopf-
schmerzen. Pupillen gleich, reagiren. Temp. 38,9^ Puls 132. Etwas Apathie.
Anhaltende Verstopfung. Rasselgeräusche über der ganzen Lunge.
3. April. Kopfschmerzen stärker, werden durch Eisblase wenig ge-
ündert. Temp. 37,0°, 38,5°, 38,6», 38,8^.
• 4. April. Temp. 37,6«, 38,7«, 38,4^.
5. April. Temp. 37,6», 39,3», 38,5^. Status idem.
6. April. Lumbalpunction entleert nur reiues Blut. Temp. 37,6^,
38,4», 38,5«.
7. April. Temp. 38,0^ 38,8», 39,0».
8. April. Temp. 38,4°» 38,8^ 39,1», 39,5*^.
9. April. Beginnende Nackenstarre. Pupillen weit, reactionslos. Wegen
anhaltenden lauten Schreiens Morphium subcutan. Temp. 36,5», 38,4», 38,8».
10. April. Temp. 39,7», 40,0». Zähneknirschea und Bohren mit dem
Hinterkopf in die Kopfkissen.
IL April. Temp. 39,0», 39,2». Das Kind schreit sehr oft laut auf und
ist sehr unruhig. Morphium muss wiederholt gegeben werden.
12. April. Temp. 39,0», 39,4», 39,6». Coma. Das Kind schluckt
nicht mehr.
13. April. Morgens Temp. 39,7». Exitus letalis Nachmittags 2 Uhr.
Auszug aus dem SectionsprotocoU.
Diagnosis post mortem: Hydrocephalus internus. Frische
tuberculöse Meningitis. Aeltere und frische Tuberculose der
Archiv f. Ohrenheilkunde. LIV. Bd. 6
82 III. GRUNERT und SCHULZE
Lungen. Tuberculose der Bronchial- und Mesenterialdrüsen.
Ziemlich frische tuberculose Geschii^üre des Goecum und des
Dünndarms. Miliare Tuberculose der Leberserosa.
Epikrise: Die Section ergab, dass das kranke Ohr resp.
die Operationswunde in keinerlei ursächlicher Beziehung zur
Meningitis stand. Die Meningitis war hier eine Theilerscheinung
der allgemeinen acuten Miliartuberculose. Da uns schon bei
Lebzeiten des Kindes der Zusammenhang in dieser Weise ge-
nügend geklärt erschien, konnte ein operativer Eingriff selbst-
verständlich nicht in Frage kommen.
4. Amalie Sparing, 56 Jahre alr, Böttchersebefrau aus Beesenstedt.
Aufgenommen am 20. December 1900, gestorben am 9. M&rz 1901.
Anamnese: Patientin hat viermal geboren, zwei Kinder leben und
sind gesund, zwei sind in früher Kindheit an Kinderkrankheiten gestorben.
Früher immer gesund gewesen, will Patientin vor 4 Jahren eine acute Lungen-
erkrankung gehabt haben, nach welcher etwas Husten zurückgeblieben ist.
Angeblich frtlher niemals ohrenleidend, erst seit ungefähr einem halben Jahre
etwas Ohrensausen rechts. Vor 14 Tagen erkrankte Patientin plötzlich unter
hohem Fieber, Husten und Auswurf mit Schmelzen in der rechten Brustseite.
Nach einigen Tagen Schmerzen im rechten Ohr, welches bald darauf anfing,
zu laufen. Die Schmerzen im Ohr Hessen nach, doch blieb Patientin in Folge
ihrer Lungenerkrankung bettlägerig. Seit 4 Tagen wieder heftige Schmerzen
Im rechten Ohr, sowie starke Kopfschmerzen im ganzen Kopf. Schlaflose
N&chte, völlige Appetitlosigkeit, hartnäckige Verstopfung. Kein Frost, kein
Erbrechen.
Status praesens: Patientin sieht viel älter aus als sie ist, sie macht
den Eindruck einer Siebzigjährigen. Ernährungszustand mangelhaft, Fett-
polster gering. Haut, besonders im Gesicht, sehr faltig und runzelig. Lippen
trocken, Zunge 'belegt, kein Foetor ex ore. Pupillen gleich weit, reagiren
frompt, keine Augenmuskellähmung, Augen hintergrund normal. Supra- und
nfraclaviculargruben beiderseits eingesunken. Die Perkussion ergiebt links
oberhalb und unterhalb der Glavicula verkürzten Schall, im Uebrigen über der
linken Lunge vollen Perkussionsschall, rechts absolute Dämpfung über dem
Ober- und Mittellappen, vollen Schall über dem Unterlappen. Hechts abge-
schwächtes Athmen über dem Oberlappen, bronchiales Athmen mit Easseln
über dem Mittellappen, über den unteren Partieen reines Yesiculärathmen.
Links abgeschwächtes Athmen über dem Oberlappen, reines Athemgeräusch
über dem Unterlappen. Herztöne rein. Milz nicht vergrössert. Temp. 38,3^.
Puls 138, regelmässig, kräftig.
Umgebung des rechten Ohres: Warzenfortsatz auf Druck schmerz-
haft. Die bedeckende Haut ist leicht ödematös. Die Weichtheile der rechten
Halsseite längs des Sternocleidomastoideus druckempfindlich. Der Hals ist
nach allen Seiten frei beweglich.
Gehörgang- und Trommelfellbefund: Rechts Gehörgang weit,
Trommelfell leicht geröthet. Aus einer grossen ovalen, nicht randständigen vorn
unten gelegenen Perforation quillt reichlich pulsirender, nicht fötider Eiter;
zwei kleinere Pertorationen sind hinter dem Hammergrifi' gelegen. Links
normal.
Hörprüfung: Flüstersprache rechts dicht am Ohr, links 5 m. Ci vom
Scheitel nach rechts. Gi und Fis4 rechts wenig herabgesetzt.
Therapie: Eisblase hinter das Ohr.
21. December. Morgens Temp. 36,5^ Puls 146. Patientin hat die
ganze Nacht über gut geschlafen. Die Kopfschmerzen sind heute ganz weg.
Schmerzen hinter dem Ohr bestehen spontan gar nicht mehr. Druckemptind-
lichkeit entschieden geringer. Viel Durst. Quälender trockener Husten, wenig
schleimiges Sputum. Oru. Inf. Senegae, Wein. Während der flacht steige
die Temperatur bis 40, l^
Jahresber. der Egl. Universitäts-Obrenklimk zu Halle a. S. 1900/1901. 8^
22. December. Morgens Temp. 37,2°. Puls 120. Letzte Nacht hat Pa-
tientin weniger gut geschlafen, klagt heute wieder mehr über das rechte Ohr.
Aufmeisselung: Weichtheilc massig ödematös. Der ganze Warzen-
fortsatz durchsetzt von mit eitrig infiltrirter Schleimhaut ausgekleideten Zellen,
die zum Theil mit flüssigem Eiter angefüllt sind. Der freigelegte Sinus sieht
normal aus. Drain ins Antrum. Verband.
23. December. Keine Klage mehr über Kopfschmerzen. Temp. 38,9°^
39,3^ 38,4», 39,3^ Puls 120, regelmässig. Respiration 32. Husten noch
immer sehr quälend.
24. December. Temp. 37,4», 38,4«, 37,7». Puls 100.
25. December. Reichliche Expectoration rubiginösen Sputums. Temp. 37,0»,
37,3», 39,0», 39,4».
20. December. Verbandwechsel: Im Gehörgang und im Antrum steht
ziemlich viel Eiter. Temp. 37,0», 36,0», 36,1», 36,7». Puls 116. Respiration
nicht mehr so stark beschleunigt. Expectoration leichter.
27. December. Temp. 36,3», 36,7», 36,9». Puls 132. Auf dem Kreuz-
bein ist eine ca. thalergrosse Stelle stark geröthet, geschwollen und sehr
schmerzhaft. Warme Breiumschläge.
28. December. Die dem rechten Mittellappen entsprechende Dämpfung
ist heute bereits heller, das Athemgeräusch daselbst nicht mehr rein bron-
chial, viel Rasseln. Temp. 38,1», 37,6», 38,3». Puls 144, aber regelmässig
und kräftig.
29. December. Der Husten ist leichter, Sputum sehr reichlich. Temp»
36,7», 37,3», 37,0», 36,S». Puls 120. Respiration 30.
30. December. Der Abscess auf dem Kreuzbein ist weicher geworden
und zeigt auf der Höhe deutliche Fluctuation. Incision des Abscesses, wobei
sehr viel Eiter entleert wird. Drain in die Wundhöhle, feuchter Verband.
Die Eiterung aus dem Ohr lässt nach, das Spülwasser läuft durch das An-
trum gut ab. Kein Fieber.
31. December. Morgens Temp. 37,t». Puls sehr klein, unregelmässig, 130.
Aether subcutan, Gognac innerlich. Abends Temp. 37,2». Puls besser.
1. Januar. Temp. 38,2», 37,5», 36,8», 37,5».
2. Januar. Aus dem Abscess auf dem Kreuzbein entleert sich kein
Eiter mehr, keine Infiltration der Umgebung, trockener Verband. Im Ohr
nur noch eine Spur Eiter.
3. — 5. Januar völlig fieberfrei. Subjectives Wohlbefinden. Husten ge-
ringer, nicht mehr so quälend, Expectoration frei, wenig Sputum. Appetit gut.
6. Januar. Temp. 37,3», 38,1», 38,3». Puls 132. Respiration beschleunigt
Klage über stechen in der rechten Seite. Vermehrter Hustenreiz. Die Aus-
cultation ergiebt über dem rechten Mittel- und Unterlappen Vesiculärathmen
mit Rasseln, die Percussion annähernd normalen Lungenschall.
7. Januar. Stat. idem. Temp. 36,6», 38,5», 38,9». Puls 146, regelmässig.
8. Januar. Ueber dem rechten Unterlappen Bronchialathmen und
Dämpfung. Reichliches mit Blut untermischtes Sputum. Temp. 37,8», 37,0»,
3S,9».' Puls 140. Bis zum 15. Januar intermittirendes Fieber derart, dass
die Morgentemperatur um 37,0» herum liegt, während das abendliche Fieber
meist 39,0» oder darüber erreicht. Es wird viel zähes, nicht fötides Sputum
ausgehustet. Die wiederholte Untersuchung auf Tuberkelbacillen fällt negativ
ans. Keine Klage über Kopfschmerzen. Nahrungsaufnahme befriedigend. Die
Wunde auf dem Kreuzbein zeigt wenig Tendenz zur Heilung. Das Ohr ist
last trocken.
12.— 14. Januar täglich 4-6 dünne, nicht besonders übelriechende Stuhl-
gänge, zu gleicher Zeit Urinretention, so dass die Blase täglich mehrmals mit
dem Katheter entleert werden musst. Urin stark getrübt, frei von Eiweiss
und Zucker.
16. Januar. Fieberfrei. Der Husten ist leichter.
17. Januar. Temp. 36,9», 38,0». Status idem.
1 8. Januar. Auf der ganzen rechten Lunge viel Rasselgeräusche. Dämpf-
ung über dem Unterlappen heller. Temp. 37,3», 39,1», 39,7», 39,9». Puls 140.
19. Januar. Temp. 37,6», 38,0», 38,3», 39,3», 40,3». Puls zwischen 130
und ,140. Respiration nicht sehr beschleunigt.
6*
84 III. GRÜNERT und SCHULZE
Bis zum 1. Februar iDtermittirendes Fieber. Am Tage ist die Patientin
ii eberfrei, während sich die Abendtemperatur zwischen 38,0^ und 39,0^ hält.
Keine Beschwerden von Seiten des Ohres, welches vom 20. Januar ab trocken
bleibt. Husten und Auswurf dauern noch fort. Ueber den unteren Partieen
der rechten Lunge zähe Rasselgeräusche. Die Incisionsstelle auf dem Kreuz-
beiu zeigt wenig Neigung zur Vernarbung: Verband mit Ungt. basilicum.
1. — 4. Februar kein Fieber.
5. Februar. An der rechten Halsseite, am vorderen Rande des Sterno-
cleidomastoideus in der Höhe des Zungenbeins, hat sich in den letzten Tagen
eine ungefähr hühnereigrosse, harte, nicht schmerzhafte Anschwellung ge-
bildet. Temp. 37,2«, 37,8«, 38,1«. Puls 120.
6.— 17. Februar ist die Patientin am Tage iieberfei, Abends erreicht die
Temperatur 38,0« und darüber. Keine Nachtschweisse. Husten nnd Aus-
wurf bestehen weiter. Keine Tuberkelbacillen nachweisbar. Die Wunde
auf dem Kreuzbein vernarbt alimählich.
18.— 25. Februar fieberfrei.
19. Februar. An der Aussenseite des rechten Oberarms dicht unterhalb
des Schultergelenks ist heute eine weiche, auf Druck nicht schmerzhafte
Anschwellung von der Grösse eines kleinen Apfels bemerkbar. Die Beweg-
lichkeit der Extremität ist wenig beeinträchtigt, nur beim Erheben des
Armes über die Horizontale klagt Patientin über Schmerzen. Kein Fieber.
20.—25. Februar. Kein Fieber. Puls ca. 100, regelmässig, kräftig. Sub-
jectives Wohlbefinden.
25. Februar. Die Anschwellungen am Halse und Oberarm zeigen Fluc-
tuatioD. Incision : Es entleert sich aus beiden sehr viel grünlicher, nicht föti-
der Eiter. Drainage der Halswunde. Am Oberarm gelangt man in der Tiefe
der Wunde auf rauhen Knochen, welcher dem Akromion angehört. Derselbe
wird mit dem Meissel entfernt. Tamponade der Wunde mit Jodoformgaze.
26. Febiuar bis 2. März hat die Patientin Abends noch leichtes Fieber.
Dabei besteht subjectlves Wohlbefinden, Nahrungsaufnahme genügend. Husten
und Auswurf geringer. Das Ohr ist andauernd trocken. Die Wunde hinter
dem Ohr ist fast vollständig vernarbt bis auf eine kleine Stelle, an welcher
noch etwas rauher Knochen zu fühlen ist. Die Wunde auf dem Kreuzbein
ist geheilt.
27. Februar. Am rechten Oberschenkel in der Glutäalgegend ^ine
harte schmerzlose Anschwellung. Eine weichere Geschwuslt findet sich in der
linken Infraclaviculargrube, welche sich bis in die linke Achselhöhle erstreckt.
4. März. Eröffnung des Abscesses am Thorax. Incision unterhalb der
€lavicula, Gegenöffnung in der Axillarlinie. Es wird reichlich V^ Liter Eiter
entleert und darauf ein Drain eingelegt. Der Glutäalabscess wird gleichfalls
geöffnet, die Abscesshöhle ist so gross, dass man bequem eine Faust hinein-
legen kann. Tamponade.
4. und 5. März. Fieberfrei.
Am 6. März. Abends Temp. 38,8«, in der Nacht zum 7. März steigt
das Fieber bis 39,9«. Grosse Unruhe, Patientin reisst sich öfter den Ver-
band ab und lässt andauernd Urin und Koth unter sich.
7. März. Morgens Temp. 37,8«. Puls sehr klein, Campherinjection.
Abends Temp. 40,1«, Patientin reagirt kaum auf Anrufen, schluckt aber noch.
9. März. Morgens Temp. 38,2«. Puls kaum zu fühlen. Mittags wird
Patientin comatös, Abends Temp. 38,7«; der Tod erfolgt im zunehmenden Coma
Abends IV/a Uhr.
Sectionsprotocoll.
Diagnose: Ausgeheilte Tuberculose der Spitzen. Bronchi-
tis. Schlaffes Herz. Pericarditis purulenta. Herzabsce.ss. En-
docarditis ulcerosa. Multiple Abscesse unter der Haut. Lungen-
ödem. Gehirnödem. Schnürleber.
Weibliche abgemagerte Leiche, Abdomen stark aufgetrieben, das rechte
Akromion freigelegt, Oberfläche rauh. Ueber dem rechten Glutäalmuskel eine
grössere Operationswunde, die in eine Höhle führt, deren Grund weisse, derbe
Schwarte ausfüllt.
Das Schultergelenk ist frei. Parallel der ersten Rippe links und unter der
Jahresber. der Egl. UniversUäts-Ohrenklinik zu Halle a. S. 1900/1901. 85
AchBelhöhle locisionswundeD, die miteinander communiciren. Känder der-
selben schmierig belegt. Das massig kr&ftige Fettpolster gelb gef&rbt. Mns-
culatur blassrot, atrophisch.
Dura ohne Veränderung. In den Arachnoidealräumen etwas vermehrte
Flüssigkeit. Pia massig injicirt. Im Sinus transversus und sigmoideus Cruor-
gerinnsei. Seitenventrikel erweitert, mit klarer Flüssigkeit gefüllt, Ependym
der Seiten- und des vierten Ventrikels glatt und glänzend. Kleinhirn sehr
feucht, Grosshirn ödematös.
Herz entsprechend gross, gut contrahirt. Mitralis für zwei, Tricuspida-
lis für 3 Finger durchgängig. Im Herzen viel Fibringerinnsel. Aorta und
Pulmonalis schlussfähig. Epicard stark getrübt, mit Fibrinbelag bedeckt.
Klapi)enapparat des rechten Herzens intact Mitralis ohne Veränderungen.
Die eine Aortenklappe in ihrem untern Theil ulcerirt: es besteht eine Per-
forationsöffnung von etwa 4 mm. In der vorderen Wand des Herzens zwischen
Aorta und Pulmonalis befindet sich ein bohnengrosser mit dünnflüssigem
Eiter gefüllter Abscess, der mit der uicerirten Klappe in Verbindung steht.
Die vordere Coronararterie zieht, ohne betheiligt zu sein, über den Abscess
hinweg. Herzmuskel sehr brüchig, braunroth, mit helleren Flecken.
Linke Lunge stark gebläht. Oberlappen im oberen Theile von grau-
grüner Farbe, schwielig verdickt, ans einzelnen kleinen Heerden entleert sich
eitriger Schaum. Rechte Lunge sehr schwer. Pleura mit dicken fibrösen
Membranen bedeckt, Spitze des Oberlappens schiefrig indnrirt, vollkommen
luftleer. Auch die hinteren unteren Partieen des Oberlappens sind etwas
infiltrirt, von vermindertem Luft- und erhöhtem Saftgehalt. Hier befindet sich
auch ein übererbsengrosser verkalkter Herd. Die vorderen Partieen des Ober-
lappens sowie der Mittellappen von hellrother Farbe, erhöhtem Saftgehalt.
Unterlappen von hochrother Farbe, von erhöhtem Blut- und Saftgehalt. Milz
vergrössert, Parenchym blauroth, mit deutlicher 1 rabekelzeichnung.
Section des Schläfenbeins: Trommelfell von normaler Farbe, hinten
unten eine kleine trockene Perforation. In der Paukenhöhle kein Eiter. Laby-
rinth frei. Knochen des Warzenfortsatzes erscheint gesund. Im Sinus sigmoi-
deus frisch aussehendes Blutgerinnsel.
Im Bulbus venae jugularis ein weisser, der Wand fest anhaftender
Thrombus, der sich nach unten in die Jugularis fortsetzt, sodass an Stelle
des Gefässes ein derber bindegewebiger Strang vorhanden ist. Die übrigen
Sinusse sind frei.
Epikrise: Wir sehen hier im Verlaufe einer Pneumonie
eine acute Exacerbation einer schon vorher bestandenen chro-
nischen Mittelohreiterung, die zu einem Empyem des Warzen-
fortsatzes mit sich anschliessender Sinus- und Jugularisthrombose
führte. Wenn auch die letztere Erkrankung selbst unter Hinter-
lassung eines bindegewebigen Stranges an Stelle des Gefassrohres
schliesslich zur völligen Ausheilung kam, so hatte sich doch
inzwischen von da aus eine septische Endocarditis entwickelt^
welche ihrerseits zu einer allgemeinen Septicopyämie und zur
Bildung metastatischer Abscesse in der Musculatur Veranlas-
sung gegeben hatte.
Es muss gleich dem Einwand begegnet werden, es sei das
Krankheitsbild von vornherein das der Sinusthrombose gewesen
und die pneumonischen Erscheinungen von Seiten der Lunge
nur als der Ausdruck von Metastasenbildung aufzufassen. Dem
gegenüber ist zu betonen, dass die Lungenafiection entschieden
86 III. 6RUN£RT and SCHULZE
als eine Erkrankung sui generis zu betrachten ist. Dafür spricht
schon die Anamnese: Die Krankheit begann mit hohem Fieber,
Husten, Auswurf und Schmerzen in der rechten Brustseite; erst
10 Tage später gesellten sich dazu EntzUndungserscheinungen
im rechten Ohr. Bei der Aufnahme der Patientin wiesen keinerlei
Anzeichen mit Sicherheit auf eine Erkrankung des Sinus hin,
und bei der Operation wurde der freigelegte Sinus äusserlich
gesund befunden. Das hohe Fieber musste um so mehr auf die
Lungenerkrankung bezogen werden, als dasselbe auch nach der
Operation mit geringen Remissionen fo/lbestand, um erst am
4. Tage post operationem subnormaler Temperatur Platz zu
machen. Dieser Temperaturabfall im Zusammenhang mit den
physikalischen Erscheinungen seitens des befallenen Lungen-
lappens — Aufhellung der Dämpfung, Auftreten von feuchten
und klingenden Rasselgeräuschen — ist als Ausdruck der Krise
der Pneumonie zu betrachten. Das erneute Ansteigen der Tem-
peratur nach zwei fieberfreien Tagen findet seine Erklärung in
dem Fortschreiten der Pneumonie auf den rechten ünterlappen.
Diese Unterlappenpneumonie nahm einen recht langsamen Ver-
lauf; erst Mitte Januar konnte zugleich mit einem Nachlass
des Fiebers für zwei Tage eine beginnende Aufhellung der
Dämpfung constatirt werden. Das dann wieder einsetzende, mit
geringen Unterbrechungen bis zum Tode bestehende, intermittirende
Fieber war oflFenbar veranlasst durch die Erkrankung des Sinus
bezw. der Jugularis und die daraus resultirenden Folgezustände.
Es fragt sich nur, wie es möglich war, dass uns trotz genauer
Beobachtung der Patientin die Sinusaffection entgehen konnte?
Wie schon oben bemerkt, erweckten die Wundverhältnisse keinen
Verdacht auf eine Sinuserkrankung. Ferner wurden während
der ganzen Dauer der Erkrankung niemals Schüttelfröste oder
Schweisse beobachtet. Die einige Tage lang dauernden Durch -
Alle hatten nicht den Charakter der bei pyämischen Erkrankungen
vorkommenden Darmentleerungen, namentlich fehlte der für
letztere charakteristische Gestank. So war denn das lang an-
haltende Fieber das einzige Zeichen, durch welches sich die
Sinusthrombose verrieth. Gerade aber die Fieberverhältnisse
wiesen uns immer und immer wieder auf die LungenaflFection hin,
in deren verlangsamter Resolution wir die Ursache des Fiebers
suchen zu müssen glaubten. Da die Patientin einen ausgeprägt
phthisischen Habitus hatte und die eingesunkenen Supra- und
Infraclaviculargruben sowie die Spitzeninfiltration auf eine früher
Jahresber. der Egl. Universitäts-Ohreiikliaik zu Halle a. S. 1900/1901. 87
überstandene, höchstwahrscheialioh tubereulöse, Erkrankung hin-
wiesen, hegten wir den Verdacht, dass die Unterlappenpneumonie
in Anbetracht ihrer verzögerten Lösung eine käsige sein könnte.
Durch die Art des Pieberverlaufs wurden wir in dieser Annahme
bestärkt, obwohl in dem reichlich expectorirten Sputum niemals
Tuberkelbacillen nachgewiesen werden konnten. Wenn au6h
das Fieber intermittirend war, so zeigte es doch gerade das für
Tuberoulose charakteristische Verhalten: während des Tages war
die Temperatur normal, die Steigerungen der Körperwärme fielen
regelmässig in die Abendstunden ; das intermittirende Fieber bei
der Pyämie dagegen zieht seine steilen Curven nicht mit einer
solchen Begelmässigkeit, hier tritt gewöhnlich das Temperatur-
maximum ein ganz unabhängig von der Tageszeit.
Unsere Vermuthung, dass es sich um einen tuberculösen
Process handeln könnte, erfuhr eine wesentliche Stütze durch
das Auftreten der multiplen Abscesse in der Muscnlatur, welche
ganz den Charakter sogenannter kalter, tuberculöser Abscesse
hatten. Auch die Durchfälle schienen uns aus den oben schon an-
geführten Gründen nicht pyämischer, sondern tuberculöser Natur
zu sein. Verdächtig musste allerdings die unverhältnissmässig
hohe Frequenz des Pulses erscheinen, der zwar abgesehen von
einem wohl durch die Pneumonie bedingten CoUaps sonst regel-
mässig und kräftig war ; wieder ein Beweis für die Wichtigkeit
einer genauen PulscontroUe bei Verdacht auf septisch-pyämische
Erkrankungen. Die Herzaffection, welche zur Klärung des
Krankheitsbildes wesentlich hätte beitragen können, wurde
mangels erkennbarer Symptome nicht diagnosticirf.
5. Elisabeth PuIbs, 12 Jahre alt, Vater Ziegelmeister, aus Stroh -
walde. AufgenommeQ am 19. Juli 1900, gestorben am 2. August 1900.
Anamnese: Im 5. Lebensjahre soll ein „Geschwür" hinter dem rechten
Ohre incidirt worden sein; ob damals Ohreiterung bestanden hat, ist nicht
festzustellen. Nach Aussage des Vaters soll das Mädchen seit dem Frühjahr
dieses Jahres oft über heftige Kopfschmerzen geklagt haben, auch soll dem
Lehrer die grosse Zerstreutheit und Vergesslichkeit des früher sehr aufmerk-
samen und intelligenten Mädchens in letzter Zeit aufgefallen sein. Vor
14 Tagen, angeblich nach einer Durchnässung, heftige Kopfschmerzen, Uebel-
keit, Erbrechen und Schmerzen in und hinter dem rechten Ohr. Bald darauf
Aasfluss von Eiter aus dem Gehörgang, worauf die Schmerzen nachliessen.
Nach kurzer Zeit traten aber von neuem Schmerzen auf, welche Nachts
exacerbirten. Zugleich bestand qualvolles Ohrensausen. In den letzten
Tagen mehrmals Schwindelanf&Ue. Seit drei Wochen soll „der Mund schief
stehen ''.
Status praesens: Kräftiges, gut genährtes Mädchen. Temp. 38,1^.
Puls 104, kräftig, regelmässig. Patientin ist sehr zerstreut und beantwortet
Fragen erst nach langem üeberlegen sehr zögernd. Einfache Rechenaufgaben
vermag sie nicht immer richtig zu lösen. Stimmung launig und weinerlich.
Lippen trocken. Zunge dick belegt, Foetor ex ore. Innere Organe gesund.
88 III. GRUNEBT und SCHULZE
Objectiv Schwindel beim Gehen mit geschlossenen Augen. Das Kind fällt
dabei nach vorwärts.
Complete Facialislähmung rechts. Pupillen gleich weit, reagiren. Kein
Nystagmus, keine Augenmuskellähmung. Augenhintergrund links normal,
rechts Papilla nervi optici geröthet, Grenzen verwaschen, Gefässe stark ge-
füllt und geschlängelt Urin ohne Eiweiss und Zucker.
Umgebung des rechten Ohres: Spitze des Warzenfortsatzes auf
Druck schmerzhaft. Keine Infiltration, kein Oedem. Auf der Höhe des Warzen-
foksatzes eine ca. 3 cm lange weisse, lineare Narbe, die von oben nach unten
verläuft und nicht mit dem Knochen verwachsen ist.
Gehörgang- und Trommelfellbefund: Rechts vollständige Ste-
nose, so dass vom Trommelfell nichts zu sehen ist, stinkende Eiterung.
Links normal.
Hörprüfung: Flüstersprache rechts nicht gehört, links 5 m. Stimmgabeln :
Gl vom Scheitel unbestimmt. Fis4 rechts bei starkem Nagelanschlag unsicher.
In der Nase und im Nasenrachenraum viel Schleim. Reste adenoider
Wucherungen.
20. Juli. In der Nacht hat das Kind wegen der Schmerzen schlecht ge-
schlafen. Morgens Temp. 38,6. Puls 140. Ueber Nacht hat sich eine hühnerei-
grosse fluctuirende Geschwulst gebildet, welche von der Spitze des Warzen-
fortsatzes bis unter den Kieferwinkel herabreicht.
Totalaufmeisselung: Beim Zurückschieben des Periostes nach vorn
quillt zwischen Periost und Knochen reichlicher fötider Eiter hervor. Die
hintere häutige Gehörgangswand ist durch den Eiter vollständig vom Knochen
abgehoben. Totale Stenose des äusseren Gehörgangs. Die längs der hin-
teren Gehörgangswand eingeführte Knopfsonde gelangt in eine Fistel, welche
in eine grosse Cholesteatomhöhle führt. Spina supra meatum nicht vorhanden,
Linea temporalis nur angedeutet und tiefstehend. Aufmeisselung des Autrum.
Nach Abtragung einer dünnen Knochenschicht kommt man sofort in die
vorher schon sondirte grosse Cholesteatomhöhle, welche sich weit nach unten in
die Spitze erstreckt. Die Spitze des Warzenfortsatzes wird abgemeisselt und
dabei der Sinus in Bohnengrösse freigelegt. Die Sinuswand ist entzünd-
lich geröthet. Beim Erweitern der Operationshöhle wird vorn oben die
Dura freigelegt. Die Cholesteatomhöhle wird mit dem scharfen Löffel aus-
geräumt, ebenso die Paukenhöhle, die mit Granulationen gefüllt ist. Gehör-
knöchelchenreste nicht vorhanden. Beim Auskratzen der Cholesteatomhöhle quillt
plötzlich von hinten unten Eiter hervor. Der horizontale Bogengang
ist cariös, hinter der cariösen Stelle eine Fistel, die zu einem
etwa haselnussgrossen Extraduralabscess in der hinteren
Schädelgrub'e führt. Auch diese Höhle wird freigemeisselt und dabei
die Dura in grosser Ausdehnung bis zum Sinus hin freigelegt. Spaltung. Der
häutige Gehörgang ist verdickt und eitrig infiltrirt. Tamponade mit/odoformgaze.
Abends Temp. 38,9°. Puls 144.
21. Juli. Klage über Kopfschmerzen in der Stirn. Abends ist die linke
Pupille weiter als die rechte, beide reagiren auf Lichteinfall. Kein Fieber.
Auffallend ist die hohe Pulsfrequenz (100—120).
22. Juli. Temp. 36,9^ 37,8°. 38,2». Schmerzen geringer.
23. Juli. Morgens Temp. 37,5^ Puls 120. Klage über Leibschmerzen.
Abends Temp. 37,8o. Puls 84.
24. Juli. Heute Morgen mehrmals Erbrechen. Schwindel beim Hoch-
richten im Bett. Temp. 37,0^. Puls schwankend zwischen 70 und 80, manch-
mal aussetzend. Linke Pupille weiter als die rechte, beide reagiren auf
Lichteinfall. Reflexe und Sensibilität normal. Klage über Kopfschmerzen in
der Stirn. Die Lumbalpunction ergiebt unter massig hohem Druck
stehende klare Flüssigkeit, ohne vermehrte Leukocyten, frei
von Bacterien.
Verbandwechsel: Aus dem offenen horizontalen Bogengang
kommt stinkender Eiter. Es wird weit in das Labyrinth ein-
gegangen, welches in grosser Ausdehnung cariös ist. Stinken-
der Eiter im Yestibulum. Ueberall missfarbene Granulations-
massen. Im Laufe des Nachmittags Puls zwischen 68 und 80, aussetzend,
Jahresber. der Egl. Universitäts-OhreDklimk za Halle a. S. 1900/1901. 89"
klein. Abends Temp. 36,S. Puls 60, unregelmässig. Pupillen weit, gleich,
reagiren träge. Klage über Kopfschmerzen im ganzen Kopf. Nystagmus.
25. Juli. Patientin hat heute Nacht mehrmals erbrochen und dabei
unter heftigem Würgen eine grosse Menge bis zu 20 cm langer Spulwürmer
entleert. Schwindel beim Hochrichten. Andauernde Klage über Kopfschmerzen
in der Stirn. Temp. 35,9®. Puls bis auf 50 verlangsamt, klein und aussetzend.
Respiration 20, regelmässig.
Lumbalpunction ergiebt krystallklaren, unter massig hohem'
Druck stehenden bacterienf reien Liquor ohne vermehrte Leu-
kocyten.
Trepanation auf das Kleinhirn: Naeb Freilegung der
Kleinhirndura beim Abtasten derselben weder eine abnorme
Spannung noch Fluctuation zu fdhlen. Horizontale Incision der
Dura. Die Kleinhirnsubstanz drängt sich vor. Es wird mit
dem Messer eingestochen, aber kein Eiter entleert. Erst als mit
der Kornzange in die Incisionsstelle bis zu 4 cm Tiefe eingegangen
wird, entleert sich eine grössere Menge jauchigen, äusserst übel-
riechenden Eiters, welcher Streptokokken in Reincultur enthält,
und nekrotisch zerfallener Hirnsubstanz. Die nach vorn,' nach
der Pyramidenspitze zu gelegene, mit sammetweicher Membran
ausgekleidete Abscesshöhle ist so gross, dass man zwei Endglieder
des Zeigefingers in dieselbe einführen kann. Ausspftlen der Höhle
mit Kai. permang. Einlegen eines dicken Gummidrains. Verband.
Abends Temperatur 37,7^, Puls 132, kräftig, einmal Erbrechen.
26. Juli. Patientin hat während der Nacht wenig geschlafen. Klagt
über Schwindel, selbst bei ruhiger Lage im Bett. Kopfschmerz in der Stirn-
gegend besteht noch, aber nicht mehr so heftig wie vor der Trepanation.
Einmal Erbrechen. Bechtsseitige Abducensläbmung. Pupillen gleich, mittel-
weit, reagiren. Temp. 36,6», 37,3°, 36,8^ 37,3». Puls lOü, nicht ganz regel-
mässig, aber kräftig.
27. Juli. Subjectives Wohlbefinden. Hat Nachts gut geschlafen. Nah-
rungsaufnahme gut : In den letzten 24 Stunden 1 V^ Liter Milch, sowie mehr-
mals Bouillon mit £i. Mittags Verbandwechsel: Prolaps der freiliegenden
Hirnsubstanz, Drain gefüllt mit stinkendem Eiter und schmierigen Detritus-
massen. Beim Spülen mit Kai. permang. entleert sich noch eine beträcht-
liche Menge mit Blut untermischter äusserst übelriechender Jauche. Aus
dem Senkungsabscess am Halse wird sehr viel Eiter entfernt. Nach dem
Verbandwechsel vermehrter Brechreiz. Temp. 36,8», 37,0», 37,2», 37,4».
Puls 70, unregelmässig, kräftig. Respiration 2o.
28. Juli. Hirnprolaps etwas grösser und gangränös verfärbt. Die Abs-
cesshöhle schon etwas zusammengefallen. Die Lumbalpunction fördert keinen
Liquor zu Tage. Klage über Schwindel und Kopfschmerzen, letztere durch
Eisblase gelindert. Appetit gut. Temp. 36,6», 37,5», 37,6», 36,9», 37,2».
Pols 66, regelmässig.
29. Juli. Allgemeinbefinden gut, klagt noch über etwas Kopfschmerzen
in der Stirn. Schwindel und Brechreiz geringer. Auf Glycerinklystier reich-
liche Stuhlentleerung. Verbandwechsel: Das eingelegte Drain ist aus der
Abscesshöhle herausgedrängt. Vom Hirnprolaps haben sich zwei grosse
Stücke nekrotisch abgestossen. Die Abscessöfi'nung ist collabirt. Tamponade
mit Jodoformgaze. Temp. 37,1», 37,5», 38,0», 39,2». Puls zwischen 70 und
80, regelmässig, kräftig.
30. Juli. Das Kind ist in der letzten Nacht sehr unruhig gewesen, hat
oft laut aufgeschrieen und sich den Verband abgerissen. Die Wunde ist mit
frischen Granulationen bedeckt. Aus dem unter dem Kieferwinkel sich er-
90 III. GRÜNERT und SCHULZE
streckenden Senkungsabscess wird viel Eiter entleert. Der Hirnprolaps ist
grösser geworden. Nach dem Verbandwechsel ruhiger Schlaf bis ^egen
Abend. Nahrungsaufnahme geringer, Patientin trinkt nur auf energisches
Zureden und auch dann nur wenige Schluck. Einmal Erbrechen. Temp. 3S,7^,
38,20, 39,40. Puls g4^ itiein.
31. Juli. Während der Nacht ruhiger Schlaf. Klage tlber Schmerzen
in der Stirn und im Hinterkopf. Keine Nackencontractur. Abducenslähmung
rechts besteht noch. Linke Pupille weiter als die rechte, beide reagiren.
Brechreiz geringer. Viel Schlaf, auch am Tage. Patientin schluckt schlecht,
lässtUrin unter sich. Temp. 39,1«, 38,7°, 39,2®, 39,50.
1 . August Das Kind liegt andauernd im Halbschlaf. Lichtscheu. Der
Verband ist sehr fötid. Hirnprolaps schmierig. Aus der Wunde quillt
sehr viel übelriechende, dünne, braune Jauche. Verband mit Kai. permang.
Temp. 39,0°, 38,6«, 38,9«, 38,3», 38,8o. Puls sehr klein und frequent. Athmung
nicht beschleunigt, regelmässig.
2. August. Coma, Puls kaum fühlbar, Temp. 38,0®, 39,1^. Exitus 8 V4 Uhr
Abends.
Auszug aus dem Sectionsprotocoll.
Diagnosis post mortem: Abscess des Kleinhirns mitDurch-
bruch in den vierten Ventrikel. Oehirnprolaps. Meningitis pu-
rulenta der Basis. Ependymitis granulosa, Leptomeningitis des
Rückenmarks, Oedem der weissen Substanz. Catarrhalisch lo-
buläre Herde der Lunge. Bronchitis. Beginnende Pleuritis
fibrinosa sinistra.
Dura am Vorderhiru leicht gefaltet, sonst überall gleichmässig gespannt.
Innenfläche der Dura trocken. Dura und Pia stark injicirt. Gyri über den
hinteren Partieen stark abgeflacht. Pia der Basis stark getrübt, besonders
rechterseits ; hier namentlich über dem Kleinhirn in der Gegend der Trepa-
nationsöfiPnung leicht mit Eiter bedeckt. Ventrikel stark erweitert, mit einer
getrübten serösen Flüssigkeit gefüllt. Epend^m über dem Sehhügel stark
granulirt. Am Boden des vierten Ventrikels einige kleine Blutaustritte. Der
rechte Lappen des Kleinhirns wird von einer grossen Zerfallshöhle einge*
nommen, die schmierig-grüne Wände zeigt und nach dem 4. Ventrikel eine
kleine Gommunication erkennen lässt. Im Sinus sigmöideus rechterseits
Gruorgerinnsel, Vena jugularis frei.
Im Spinalkanal befindet sich etwas sulziges Gewebe. Duralscheide stark
injicirt, Pia stark verdickt und getrübt. Gefässe am unteren Ende des Brust-
marks stärker injicirt. Gentralkanal nicht erweitert. Die weisse Substanz
ödematös, die graue Substanz zeigt keine Veränderung.
Section des Schläfenbeins. Bogengänge und Vestibulum
fehlen zum grössten Theil. Der noch vorhandene Rest der
Schnecke voll Eiter. Im Bulbus venae jugularis loses Blut-
gerinnsel.
Epikrise: Den anatomischen Zusammenhang der verschiede-
nen Krankheitserscheinungen haben wir uns offenbar in folgender
Weise zu reconstruiren: Die durch das Labyrinth hindurchgehende
Eiterung führte einerseits zu einem tiefen Extraduralabscess,
andererseits zur Entstehung eines Abscesses im Kleinhirn. Der
Tod erfolgte an Meningitis in Folge des Durchbruchs des Hirn-
abscesses in den vierten Ventrikel. Die gleich Anfangs nach
dem Eesultat der Hörprüfung diagnosticirte LabyrinthafiFeotion
liess bei der Totalaufmeisselung eine weit grössere Ausdehnung
erkennen, als wir zuerst vermuthet hatten. Doch wurde zunächst
mit Schonung des Labyrinths operirt. Der schwere Allgemein-
zustand der Patientin veranlasste uns aber schon nach einigen
Jabresber. der Egl. üaiversitäts-OhrenkliQik zu Halle a. S. 1 900/ L 901. 91
Tagen, ohnie Rücksiohfnahme auf das ja doch schon fanotions-
unfähige Labyrinth den kranken, mit Eiter durchsetzten Knochen
in ganzer Ausdehnung wegzunehmen, also in diesem Falle ein-
mal eine wirkliche „Radicaloperation*' auszuführen. Bereits der
darauffolgende Tag machte uns zur Gewissheit, dass eine intra-
eranielle Complication vorliegen musste. Bei der Entscheidung
der Frage, welcher Art dieselbe sei, konnten im vorliegenden
Falle Schwindel und Erbrechen differentialdiagnostisch deshalb
keine Verwerthung finden, weil es unmöglich war, zu entscheiden,
in wieweit diese Erscheinungen durch die weitgehende Laby-
rinthaffection bedingt waren. Die Kopfschmerzen sind ein viel
zu allgemeines Symptom und waren auch im vorliegenden Falle
bezüglich ihrer Localisation einem viel zu grossen Wechsel unter-
worfen, als dass aus ihnen ein bestimmter Schluss über die Natur
der zu Grunde liegenden intracraniellen Erkrankung hätte gezogen
werden können. Die Neuritis optica sowie die contralaterale
Oculomotoriuslähmung stützten wohl unsere Annahme, dass eine
intraoranielle Complication vorliegen müsse, ohne freilich über
die Art derselben näheren Aufschluss zu geben. Ausschlag-
gebend und allein fUr die Diagnose Hirnabscess entscheidend
waren neben der Lumbalpunction das Verhalten des Pulses und
der Temperatur. Das anfänglich vorhandene Fieber hatte wohl
seine Ursache in der Eiterretention in dem bis an den Sinus
heran erkrankten und verjauchten Knochen, denn nach voll-
ständiger Eliminirung der Eiterherde fiel die Temperatur auf
das Normale bezw. Subnormale ab. Dieser Umstand im Verein
mit dem Ergebniss der Lumbalpunction sprach mit Sicherheit
gegen das Bestehen einer Meningitis. Von Interesse und für die
Diagnosestellung von der grössten Wichtigkeit war ferner das
Verhalten des Pulses. Derselbe war in den ersten Tagen ausser-
ordentlich frequent, später nahm er aber an Frequenz allmählich
ab und zwar so, dass trotz annähernd gleichbleibender Tempe-
ratur die von Stunde zu Stunde zunehmende Pulsverlangsamung
deutlich controlirt werden konnte. Dies auffallende Herabgehen
der Pulsfrequenz (bis auf 50) in Gemeinschaft mit der subnor-
malen Temperatur (35,9) veranlasste uns in erster Linie zur An-
nahme eines Hirnabscesses. Dieser musste mit Rücksicht auf
die Labyrintheiterung mit Wahrscheinlichkeit im Kleinhirn ge-
sucht werden. Eine besondere Erwähnung verdient ferner das
Verhalten des Pulses auch nach der Operation. Derselbe zeigte
sofort nach der Trepanation eine aufi*allende bis zum Abend noch
92 111. GRÜNERT und SCHULZE
zunehmende und weit über das Doppelte der vorhergehenden
Pulszahl steigende Beschleunigung. In der darauffolgenden
Nacht sank die Pulsfrequenz wieder, um in den nächsten Tagen
einem normalen Verhalten Platz zu machen. Die eingreifende
Labyrinthoperation führte nicht nur zu einer bedeutenden Zu-
nahme des Schwindels, sodass derselbe auch bei ruhiger Bett-
lage von der Patientin sehr lästig empfunden wurde, sondern
hatte auch das Auftreten von Nystagmus, der vorher sicher nicht
vorhanden war, zur Folge. Bemerkenswerth ist, dass die links-
seitige Oculomotoriuslähmung unmittelbar nach dem Eingriff am
Labyrinth verschwand und auch in der nächsten Zeit nicht wieder
beobachtet wurde. Erst in den letzten Tagen des Lebens, als
bereits die Meningitis vorlag, machte sich die Lähmung wieder
bemerkbar, wenn auch nicht in dem Grade wie vorher. Dass
bei der letzten Lumbalpunction trotz reichlicher Flüssigkeits-
ansammlung in den Ventrikeln überhaupt kein Liquor zu Tage
gefordert wurde, findet wohl in der starken Schwellung und
ödematösen Durchtränkuug des ganzen Eückenmarkes, wodurch
der Abfluss des Liquors aus der Schädelhöhle nach dem Spinal-
kanal behindert wurde, eine einleuchtende Erklärung. Zwei Punkte
verdienen noch besonders hervorgehoben zu werden, welche nicht
übereinstimmen mit den bisherigen Annahmen, dass erstens Menin-
gitis purulenta an der Schädelbasis, welche sich auf die hintere
Schädelgi'ube und in den Spinalkanal ausgedehnt, stets mitNacken-
contractur einhergehe, und z,weitens, dass bei umfangreichem Klein-
hirnabscess immer Athmungsstörungen eintreten. Trotz der Aus-
breitung des Exsudats bis in den Spinalkanal hinein war bei der
Patientin nicht eine Spur von Nackencontractur zu bemerken ge-
wesen. Obwohl die entzündlichen Erscheinungen gerade im vierten
Ventrikel besonders hochgradig waren und trotz der bedeutenden
Grösse des Kleinhirnabscesses war die Athmung bis zum letzten
Augenblick ganz regelmässig: zu den sonst bei Erkrankung des
Kleinhirns und des vierten Ventrikels als häufig beschriebenen
Athemstörungen kam es nicht. Die Prognose wurde wesentlich ge-
trübt durch den Eintritt des ausserordentlich grossen Hirnprolapses,
durch welchen die fortschreitende Zerstörung der Substanz des
Kleinhirns gefördert und so der Durchbruch in den vierten Ven-
trikel mit anschliessender Meningitis beschleunigt wurde.
6. Gottlob Hinneburg, 53 Jahre alt, landwirthschaftlicher Arbeiter
aus DommitzBch. Aufgenommen am 15. Juni 1900, gestorben am 29. Juni 1900.
Anamnese: Vor drei Jahren bemerkte Patient, dass das Gehör auf
dem rechten Ohr allmählich abnahm, ohne dass er jemals eine Ohreiteruog,
Jahresber. der Egl. Universitäts-Ohrenkliaik zu Halle a. S. 1900/1901. 93
Schmerzen u. b. w. gehabt hatte. Das linke Ohr soll immer gesund gewesen
sein. Vor acht Tagen plötzlich Schmerzen im linken Ohr und Schwerhörig-
keit. Bald darauf Ohrenlaufen. Dabei bestand Schwindel besonders beim
Bücken, ferner Appetitlosigkeit, aber kein Erbrechen. Fieber soll nicht vor-
handen gewesen sein. Mit dem Eintritt der Ohreiterung verschwanden die
Schmerzen. Der Ausfluss dauerte nur einige Tage. Die Schmerzen kehrten
nicht wieder, aber der Schwindel blieb bestehen. Fat. arbeitete während der
ganzen Zeit seiner Erkrankung. Er sucht die Klinik auf wegen geringer
Schmerzen im linken Ohr, besonders aber wegen des Schwindels, der ihn an
der Arbeit hindert.
Status praesens: Grosser, kräftiger Mann. Herz und Lungen ge-
sund. Temperatur 36,6^. Urin ohne Zucker und Eiweiss. Pupillen gleich
weit, reagiren prompt auf Lieh teinf all. Kein Nystagmus, keine Lähmung.
Objectiv kein Schwindel.
Die Umgebung des Ohres zeigt keine Veränderung. Gehörgang-
und Trommelfellbefund: Rechts: Trommelfell atrophisch. Geröthete Pro-
montorinmwand durchscheinend. Links : Im äusseren Gehörgang einige exco-
riirte Stellen. Trommelfell etwas abgeflacht, leicht injicirt, unten stark
weisslich getrübt.
Hörprüfung: Flüstersprache rechts nicht gehört, links ^/nn. Stimm-
gabelprüfnng : Gi vom Scheitel nicht lateralisirt. Rechts Gi und Fis4 bei
starkem Nagelanschlag, links Gi und Fis4 etwas herabgesetzt. Rinne beider-
seits unbestimmt.
Ergebniss des Katheterismus tubae: Rechts breites Einströmen der Luft,
auffallend scharfes Blasen. Links Rasseln, kein Perforationsgeräuch.
16. Juni. Temperatur 36,4^ Die lojcction des Trommelfells ist zurück-
gegangen. Keine Klage mehr über Schmerzen oder Schwindel.
17. und 18. Juni. Temperatur normal. Völliges Wohlbefinden. Bei
Katheter noch etwas Rasseln, danach hört Pat. besser.
19. Juni Abends. Temperatur 38,0^. Klage über Haischmerzen. Ge-
ringe Röthung beider Tonsillen.
20. Juni Morgens. Temp. 37,8°. Keine Halsschmerzen mehr. Am Nachmit-
tag klagt Pat. über sehr heftige Schmerzen im linken Ohr. Trommelfell abgeflacht
und leicht geröthet. Paracentese entleert kein Exsudat. Abends Temp. 37,5°.
21. Juni Morgens. Temp. 36,6°. Die Schmerzen im Ohr haben etwas nach-
gelassen. Die in den Gehörgang eingeführte Gaze ist mit schleimig- seröser Flüs-
sigkeit durchtränkt. Während des ganzen Tages schmerzfrei. Abends Temp. 36,8°.
22. Juni. Temperatur 38,9°. Klage über sehr heftige, nach dem Kopfe
ausstrahlende Schmerzen im linken Ohr. Paracentesenschnitt klafift weit,
entleert kein Exsudat. Abends Temperatur 39,2°, Puls 92. Erbrechen.
23. Juni Morgens. Temperatur 37,4, Puls 84. Pat. ist Nachts sehr un-
ruhig gewesen, hat wiederholt das Bett verlassen und in der Ecke des Zim-
mers seine Nothdurft verrichtet. Es lässt sich heute eine Sprachstörung con-
statiren: die Aussprache der Consonanten ist erschwert. Pat. ist völlig bei
BewuBStsein, erkennt vorgehaltene Gegenstände, weiss dieselben aber nicht
richtig zu benennen.
Lumbalpun c tion: Liquor unter ziemlich hohem Druck
stehend, nicht deutlich getrübt, von hellgelber Farbe, enthält
viel Leukocyten, keine Bacterien. In der Umgebung des Ohres keinerlei
entzündliche Erscheinungen. Pupillen gleich, reagiren, sehr eng. Abends
Temperatur 38,3°, Puls 86.
24. Juni Morgens. Temperatur 37,2°, Puls 6S. Schmerzen geringer,
und im Ohr localisirt. Pat. beantwortet an ihn gerichtete Fragen sehr lang-
sam und träge, aber richtig. Kein Erbrechen mehr. Augenhintergrund nor-
mal. Abends Temperatur 37,3°.
25. Juni. Temperatur 37,2°, Puls 68, regelmässig, kräftig. Pat. stiert
theilnamlos vor sich hin, klagt über Schmerzen im linken Ohr, nicht im Kopf.
Ohr vollständig trocken, Paracentesenschnitt klafft weit. Pupillen übermittel-
weit, gleich, reagiren träge. Im Laufe des Vormittags kurz dauernder Frost-
anfall mit darauffolgendem starken Schweissausbruch. Abends Temp. 39,9°.
Pat. schluckt nicht mehr.
94 111. GRDNERT und SCHULZE
26. Juoi. Temperatur 39,4^ Puls 96, kräftig. Fat. läsat Urin und Koth
unter sich. Reflexerregbarkeit der Haut fast ganz aufgehoben. Spasmen in
der MuBculatur des linken Armes und der linken Gesichtsh&lfte. Pupillen
maximal erweitert, die rechte vielleicbt etwas weiter als die linke, rcagiren
träge auf Lichteinfall. Goma. Lumbalpunction ergiebt grünlich-
gelbe, leicht getrübte Spinalflüssigkeit, welche Diplokokken
und viel Leukocyten enthält. Abends Temperatur 39,2^
27. Juni. Temperatur 39,1 <^, Puls 100, klein. Respiration mühsam, 26
in der Minute. Zwangsstellung beider Augen nach rechts oben. Die rechte
Hand ist bis zum Handgelenk stark ödematös geschwollen. Der Unterarm
ist frei. Sowohl an der Beuge- als auch an der Streckseite der rechten
Hand und zwischen den Fingern zahlreiche, mit hellem Serum gefüllte, Blasen,
die grössten auf dem Handrücken, dem zweiten Metacarpus entsprechend, und
in der Hohlhand an der Wurzel des dritten und vierten Fingers. Rechte Pupille
weiter als die linke. Nährklystier, Eochsalzinfusion. Abends Temp. 39,2^.
28. Juni. Temperatur 37,7^. Pupillen gleich, flbermittelweit, contrabiren
sich langsam und nur wenig. Zwangsstellung der Augen besteht immer noch.
Nackenmuskeln nicht contrahirt. Keine Lähmung der Extremitäten. Patient
reagirt auf Anrufen, spricht aber nicht. Verlangt durch Zeichen zu trinken,
aber das Schlucken ist unmöglich. Abends Temperatur 39,2^
29. Juni. Temperatur 39,4, Puls sehr klein. Zunehmendes Goma. Tod.
Sectio nsproto coli.
Diagnosis post mortem: Meningitis purulenta cerebralis et
spinalis. Hyperämie und Oedem des Gehirns. Pachymeningitis
externa chronica. Angeborene Defecte im Tegmen tympani. Hy-
postase in beiden unteren Lungenlappen. Trübe Schwellung
der Nieren.
Kräftige männliche Leiche. Totenstarre. Auf dem Dorsum der rechten
Hand ist die Haut in Gestalt einer f unfmarkstückgrossen , mit Eiter und
trübem Serum gefüllten Blase abgehoben. In der Bauchhöhle kein abnormer
Inhalt. Darmserosa glatt und glänzend. Lungen sinken massig zurück, rechte
Lunge in den unteren Partieen fixirt.
Herz schlecht contrahirt, Aorta und Pulmonalis schlussfähig. Klappen-
apparat bis auf einige geringe Verdickungen der Aortenklappen intact. Elas-
ticität der Aorta vermindert, liusculatur braunroth, von schlechter Gonsistenz.
Lunge: Linke Lunge schwer; unter der glatten Pleura vereinzelte punkt-
förmige Blutungen. Aus dem Bronchus blutig gefärbter Schleim. Mucosa
hyperämisch. Randpartieen des graurothen Oberlappens etwas gebläht. Unter-
lappen in allen Theilen fast luftleer, saftreich, schlaif infiltrirt. Rechte
Lunge mit dem Zwerchfell fest verwachsen. Bronchialmucosa dunkelroth in-
jicirt. Oberlappen grauroth, gebläht, lufthaltig. Unterlappen ziemlich blut-
und saftreich, Luftgebalt herabgesetzt.
Milz: Nicht vergrössert. Kapsel an einer Stelle stark fibrös verdickt.
Pulpa schwarzroth. Trabekelzeichnung wenig deutlich.
Nieren: entsprechend gross, massige Fettkapsel. Fibröse Kapsel etwas
fest haftend. Oberfläche glatt. Rinde nicht verbreitert. Auf dem Durch-
schnitt grauviolett-trübe.
Leber: normal gross, glatte Kapsel. Parenchym schmutzig graubraun,
ziemlich blutreich. Gentrum der Acini grauviolett, Peripherie schmutzig gelb,
Läppchenzeicbnung massig deutlich.
Magen : entsprechend gross. Schleimbaut mit viel zähem Schleim bedeckt,
stellenweise stark blutig injicirt und imbibirt, zum Theil postmortal erweicht.
Gehirn : Dura der Convexität fest mit dem Schädeldach verwachsen, ihre
Innenfläche glatt und glänzend. Die weichen Häute der Gonvexität leicht
getrübt, sehr hyperämisch. In den Arachnoidealräumen etwas vermehrte
klare Flüssigkeit. Die Gyri abgeplattet. Nach Herausnahme des Gehirns
zeigt sich auf der Vorderiläche der linken Schläfenbeinpyramide eine steck-
nadelkofpgrosse runde Oeffnung in der Dura und im Knochen, durch welche
hindurch man eine Sonde in die Paukenhöhle einführen kann. Durch die
Oeffnung im Knochen drängt sich in geringem Grade die hyperämische
I Jahresber. der Kgl. IJDiversitäts-Obrenklinik zu Halle a. S. 1900/1901. 95
und entzündlich geschwollene Schleimhaut der Paukenhöhle hindurch. Die
Cnterfläche des Schläfenlappens zeigt an ihren Meningen einen kleinen
Granulationsknopf, der der Knochenöffnung entspricht und der Schläfenbein-
pyramide leicht adhärent ist. Die Dura ist in der Umgebung der Knochen-
Öffnung verdünnt, sonst nicht wesentlich verändert. Beim Ablösen der Dura
von der rechten Schläfenbein pyramide zeigt sich an der der linken Seite ganz
entsprechenden Stelle des Knochens eine gleiche Communication mit der
Paukenhöhle ; doch ist die darüberliegende Dura hier intact. Aus dem Spinal-
kanal quillt dünnflüssiger, mit Fibrinflocken vermischter Eiter heraus. Die
weichen Häute der Medulla spinalis, soweit sie nach Herausnahme des Ge-
hirns von der Schädelhöhle sichtbar, sind stark eitrig infiltrirt. Die Pia der
Basis im Bereich der Kleinhirnunterfläche, der Medulla oblongata, des Pens
bis zum Chiasma nervi optici sind mit dickflüssigem gelben Eiter reichlich
durchsetzt, sodass die Gefässe völlig darin eingebettet liegen. Die übrigen
Theile der basalen Pia stark hyperämisch.
In der Umgebung des oben genannten Granulationsknopfes an der
Unterfläche des linken Temporallappens ist das Gehirn sehr weich und lässt
schlaffe Fluctuation erkennen.
Die Seitenventrikel sind erweitert und mit ähnlichem Eiter wie der an der
Hirnbasis gefüllt. Der gleiche Inhalt findet sich im vierten Ventrikel. Die
Plexus chorioidei sind eitrig infiltrirt und ausserordentlich hyperämisch. Das
Unterhorn des linken Seitenventrikels ist stark erweitert und stellt eine weite,
mit schmutzig gelb-grünem, blutig gefärbtem, dünnflüssigem Eiter erfüllte
Höhle dar, von der offenbar die obengenannte Fluctuation herrührte. Der
erwähnte Granulationsknopf entspricht der Gegend dieser Höhle. Die der Höhle
anliegende Hirnsubstanz ist stark blutig und ödematös durchtränkt, fast matsch.
Das gaoze Gehirn stark ödematös und hyperämisch, von schlechter Consistenz.
Schläfenbeinsection: An beiden Schläfenbeinen findet sich
am Tegmen tympani ein beiderseits symmetrisch gelegener, un-
gefähr stecknadelkopfgrosser, runder Defect im Knochen,
durch welchen mau mit einer Sonde in die Paukenhöhle gelangt.
Links Paukenhöhlenschleimhaut etwas geschwollen und ge-
röthet. In der Paukenhöhle wenig dünnschleimiges Exsudat.
Labyrinth freL
Epikrise: Der vorliegende Fall von Meningitis ist in mehr-
facher Beziehung von Interesse. Wenn es auch nicht Wunder
nehmen kann, dass eine zunächst nur im Mittelohr localisirte
Entzündung auf einem in pathologischer Weise präformirten
Wege wie hier auf die Schädelhöhle übergreifen und zu einer
letalen Meningitis f&hren kann, so ist doch immerhin der
verhältnissmässig geringe Grad der Entztindungserscheinungen
seitens des Ohres, die hier bestanden, sehr bemerkenswerth. Bot
doch der otoskopische Befund in den ersten Tagen genau das
Bild einer in normaler Weise zur Abheilung gelangenden acuten
Entzündung. Um dem Vorwurfe zu begegnen, es sei durch zu
frühzeitiges oder forcirtes Eatheterisiren das Exsudat in die
Schädelhöhle getriehen worden, muss ausdrücklich hervorgehoben
werden, dass die Lufteintreibungen durch den Katheter erst nach
dem Abklingen der Entzündungserscheinungen bei schon abge-
blasstem Trommelfell und zwar mit sehr geringem Druck und
überhaupt nur 1 oder 2 mal ausgeführt wurden, bei vollständigem
Fehlen von Schmerzen und mit gutem Erfolg bezüglich der Rück-
96 III. 6RUNERT und SCHULZE
1)il(lniig des Exsudates und der Wiederherstellung der Hörfanction.
Dagegen verdient die Annahme grosse Wahrscheinlichkeit, dass
die am 4. Tage aufgetretene leichte Angina für das Wiederauf-
flackern der Entzündung und ihre verhängnissvoUe Weiteraus-
1)reitung von Bedeutung gewesen ist. Denn schon am nächsten
Tage hot das bereits abgeblasste Trommelfell von neuem die
Zeichen der Entzündung dar unter gleichzeitigem Auftreten sehr
starker Schmerzen, welche schon mehrere Tage gänzlich ge-
schwunden waren. In den nächsten Tagen bestand kein Verdacht
auf eine ernstere Complication, erst als am 22. Juni Abends
hohes Fieber und Erbrechen eintrat und Patient am nächsten
Tage mit engen Pupillen und amnestischer Aphasie aufgefunden
wurde, nachdem er in der vorhergehenden Nacht sehr unruhig
gewesen, verschiedentlich aus dem Bette aufgestanden war und
zwecklose Handlungen begangen hatte, wurde unsere Aufmerk-
-samkeit auf die Möglichkeit einer intracraniellen Erkrankung
gelenkt. Hier war es nun wieder einmal die Lumbalpunction«
welche uns über die Beschaffenheit derselben näheren Aufscbluss
zu geben vermochte: Bei dem deutlich gelb verfärbten, reichlich
Leukocyten enthaltenden Liquor konnte es sich mit Rücksicht
auf die sonstigen Krankheitssymptome nach unserer sonstigen
Erfahrung mit grösster Wahrscheinlichkeit nur um eine Meningitis
handeln. Brachte die Lumbalpunction Klarheit in diagnostischer
Beziehung, so war dieselbe auch andererseits bestimmend für
unser therapeutisches Verhalten, indem sie uns jeden Eingriff
als aussichtslos, ja vielleicht den Exitus beschleunigend, unter-
sagte. Es machte den Eindruck, als ob die erste Lumbalpunction
in diesem Falle von therapeutischem Werthe gewesen wäre;
jedenfalls war der Patient am folgenden Tage fieberfrei und
klagte über geringere Schmerzen.
Thatsächlich war ohne Zuhilfenahme der Lumbalpunction
der Symptomencomplex der Erkrankung keineswegs eindeutig
genug, um mit Sicherheit die Diagnose Meningitis stellen zu
können: Die Schmerzen waren fast während der ganzen Zeit,
jedenfalls aber im Anfang nicht im Kopf, sondern im Ohr locali-
sirt; es fehlte in den ersten Tagen jede Störung der Sensibilität,
Motilität und Reflexe; Veränderungen am Augenhintergrund,
wie sie vielfach als werthvoU für die Diagnose Meningitis be-
trachtet und als häufig bei dieser Erkrankung angefllhrt werden,
konnten während der ganzen Krankheitsdauer trotz wiederholter
genauester Untersuchung überhaupt nicht constatirt werden. Eine
Jahresber. der Egl. ÜQiversitäts-Ohreaklinik za Halle a. S. 1900/1901. 97
bemerkenswerthe Ersobeinung ist auch das vollständige Fehlen
von Naokeneontractaren trotz des bei der Seotion eonstatirten
ausgebreiteten bis nach der Medulla oblongata herabreiohenden
dicken Eiterbelags.
Die im späteren Verlauf der Erkrankung eingetretene Zwangs-
stellang der Augen ist als Folge der Basilarmeningitis und deren
Ausbreitung auf die Seitenventrikel aufzufassen. Ob die im lin-
ken Unterhorn am meisten vorgeschrittene Erkrankung fOr die Art
der Zwangsstellung der Augen (Blick nach rechts oben) verant-
wortlich gemacht werden kann, bleibe dahingestellt.
Was hier die Sprachstörungen anbetrifft, so gehen wir wohl
nicht fehl, wenn wir die schon bei der Aufnahme beobachtete
and nach Aussage der Frau schon seit mehreren Jahren be-
stehende langsame und zögernde Art zu antworten, auf die aus-
gebreitete chronische Pachymeningitis beziehen. Die motorische
und amnestische Sprachstörung aber, sowie die in den letzten
Tagen vor dem Tode noch vor Eintritt des comatösen Zustandes
bemerkte vollständige Aphasie wurde durch die in Folge der
Ausbreitung der MeningiTtis hervorgerufene Alteration der Sprach-
centrums veranlasst.
Eine besondere Erwähnung verdient noch das Auftreten
von Pemphigusblasen an der rechten Hand, wohl eine Folge von
trophischen Störungen in den entsprechenden Nerven, wofftr ihre
symmetrische Anordnung spricht. Bemerkenswerth ist ferner
der Nachweis von Diplokokken, sowohl in der SpinalflQssigkeit
als auch in dem Exsudat der Pemphigusblasen.
7. £rD8t Gommel, 47 Jahre alt, Schmied aas Wittenberg. Aafgenom-
mea am 27. October, gestorben am 3. November 1900.
Anamnese: Patient bat in den Kinderjahren Lungenentzilodung ge-
habt, sonst will er immer gesund gewesen sein. Seit der Kindheit Ohreniaufen
rechts, Ursache unbekannt. Kopfschmerzen und Schwindel, besonders beim
Bücken, bestehen schon seit mehreren Jahren. Vor 8 Tagen erkrankte Pa-
tient plötzlich nnter heftigen Schmerzen im rechten Ohr, welche in die ganze
rechte Kopfseite ausstrahlten. Dabei bestand Appetitlosigkeit, aber kein Er-
brechen, hohes Fieber uad seit einigen Tagen mehrfach sich wiederholende
Schüttelfröste.
Statns praesens: Kräftig gebauter Mann mit gut entwickelter Mus-
colatur und reichlichem Fettpolster. Zunge gelbbraun belegt, an den Bän-
dern feucht. Foetor ex ore. Temperatur 3S,9^ Puls 72, kräfcig, regelmässig.
Papillen gleich weit, reagiren auf Lichteinfall, ^keine Augenmuskellähmung,
kein Nystagmus. Der Augenhintergrund zeigt auf dem rechten Auge viel*
leicht etwas stärkere Hyperämie als links, Papillengrenzeu scharf, keine
Stauung. Objectiv kein Schwindel, üeber den Lungen voller Percussions-
schall und reines Yesiculärathmen. Herztöne rein. Milz nicht vergrössert.
An den unteren Extremitäten Varicen und Spuren von früherem Ekzem.
Conjunctiven und Haut leicht icterisch gefärbt; dies soll aber nach Angabe
des Patienten schon immer, jedenfalls schon vor Beginn der acuten Erschei-
nungen der Fall gewesen sein. Urin ohne Eiweiss und Zucker.
Archiv f. Ohreabeakunde. UV. Bd. 7
98 III. GRUN£RT und SCHULZE
Umgebung des rechten Obres: Leise Percussion des Warzenfort-
Satzes und der Scbuppe ist scbmerzbaft. Druckern pfindlicbkeit des Warzenfort-
satzes sowie der seitlichen Halsgegend in der N&be der grossen Gefässe. Kein
Strang, keine Lymphdrüsen daselbst zu fühlen. Kein deutliches Oedem, keine
Infiltration.
Gehörgang- und Trommelfellbefund: Rechter Gehörgang weit.
Reichliche fötide Eiterung. In der Tiefe viel Epidermismassen und von oben
herabhängende Granulationen. Grosser cariöser Defect in der oberen Gehör-
gangswand. Links Gerumen.
Hörprüfung: Flüstersprache rechts nicht gehört, auch nicht durch
Hörschlauch, links V^ ™- Stimmgabeln: Ci vom Scheitel nicht lateralisirt.
Rechts Gl stark herabgesetzt, FiS4 bei sehr starkem Nagelanschlag, links Ci
fast normal, Fi84 bei Nagelanschlag.
Therapie: Eisblase hinter das rechte Ohr, Elystier.
28. October. W&brend der vergangenen Nacht Schüttelfrost von 10 Mi-
nuten Dauer mit darauffolgendem starken Schweiss und Anstieg der Tempe-
ratur auf 40,8^ Heute Morgen Temp. 36,8<^. Puls 64. Im Laufe des Tages
zweimal fötide Durchfälle. Abends Temp. 39,S^ Puls 76. Ghin. sulf. 0,5.
29. October. Heute Morgen &V> Uhr lange dauernder Schüttelfrost,
darauf starker Schweiss und Anstieg der Temperatur auf 40,2^ Puls wech-
selnd zwischen 60 und 80. Respiration 22, regelmässig. Gi vom Scheitel
unbestimmt
Totalaufmeisselung: Gorticalis sehr dick, in den Warzenzellen
Jauche, im Attik spärliche Epidermistapete. Ossicula cariös. Hinten oben
im Antrum Dura freiliegend, von schmierigen Granulationen besetzt. Sinus
siemoideus in grosser Ausdehnung freigelegt, die Wand des-
selben nach dem Bulbus zu eitrig infiltrirt und schmu^tzig-
bräunlich verfärbt. Jauche zwischen Knochen und Sinuswand.
Nun erst Unterbindung der Vena jugularis interna. Die Unter-
bindung war dadurch erschwert, dass die stark gefüllte Jugularis externa sehr
vorsprang und direct im Operation sfelde lag; ausserdem mussten aus der
Scheide der Jugularis interna einige geschwollene Lymphdrüsen entfernt
werden. Jugularis doppelt unterbunden, das t cm lange Stück zwischen den
beiden Ligaturen eröffnet, keine Thrombus darin. Die Vene zweimal ange-
schnitten, starke Blutung. Nun folgt Incision des Sinus, sehr profuse
Blutung, von Thrombus nichts zu sehen. Tamponade des unteren
Endes mit Jodoformgaze.
Nach der Operation Abfall der Temperatur auf 36,3^. Abends Temp.
36,7». Puls 60.
30. October. Temp. 37,2°, 36,3^ 37,&o. Puls 64, regelmässig. Wohl-
befinden.
31. October. In der Nacht ist das Fieber wieder bis auf 40,1" ange-
stiegen. Heute 39,1^ 38,7^ 38,9<^. Puls zwischen 80 und 100, nicht aus-
setzend. Klage über heftige Stiche in der Herzgegend. Herztöne rein. Re-
spiration 36, nicht erschwert.
1. November. Temp. 39,9<^. Puls 104. Bespiration 42. Die Schmerzen
in der Herzgegend sind immer noch sehr heftig und jetzt auch über die
unteren Partieen der linken Lunge ausgebreitet. Keine Dämpfung. Bei der
Auscultation leises, mit der Atbmung isochrones Reiben vorn und in der lin-
ken Seite. Nach Schröpf köpfen grosse Erleichterung. Kein Husten. Mittags
Abfall der Temperatur auf 37,2". Abends Temp. 39,9^ Puls 90. Respi-
ration 32.
2. November. Temp. 37,4^ Puls 96, regelmässig, nicht aussetzend,
kräftig. Respiration 34. Heftige Schmerzen in der linken Brustseite, da-
selbst Reibegeräusch hörbar. Abends l'emp. 39,2^. Puls 150. Respiration 60.
Trockener Husten, kein Auswurf, in der linken Axillarlinie Dämpfung. Mor-
phium subcutan.
3. November. Temp. 36,6<^. Puls 120. Respiration 48. Deutliche, aus-
gedehnte Dämpfung in der linken Brustseite. Probepunction ergiebt fötiden
Eiter. Rechts wird bei zweimaligem Punctiren kein Eiter gefunden. Thora-
cotomie und Rippenresection links: Es werden mindestens 2 Liter
Jahresber. der Egl. Universitäts- Ohrenklinik zu Halle a. S. 1900/1901. 99
äusserst übelriechender Jauche entleert. Ausspülen mit Kai. permangan. Tod
an Herzschwäche P/s Stunden nach Beendigung der Operation.
Auszug aus dem SectionsprotocoU.
Diagnosis post mortem: Eitrige Thrombophlebitis des Sinus caver-
nosus, des Sinus petrosus inferior und des Sinus sigmoideus. Jugularisliga-
tur. Abscesse in der Lunge. Pleuritis purulenta beiderseits. Pericarditis.
fibrinosa. Fettige Degeneration des Herzens. Schlaffes Herz. Septische Milz.
Fettleber. Verfettung der Nieren. Adipositas universalis. Lungenödem
rechterseits. Rippenresection.
Innenfläche der Dura glatt und glänzend. Pia stark injicirt. Ven-
trikel nicht erweitert, Ependym glatt und glänzend. Gehirnsubstanz ziemlich
blutreich. Im Sinus sigmoideus rechts frische Gruorgerinnsel, die nach \oni
fest abgeschlossen sind. Hier ist der Sinus eröffnet und tamponirt. Die
Vena jogularis rechterseits ist doppelt unterbunden, das zwischen den Liga-
turen liegende Stück ist eröffnet. Das eröffnete Stück sowie die Vene unter-
halb der Ligatur sind leer. In dem Abschnitt oberhalb der oberen Ligatur
befindet sich ein schwarzer Thrombus. Vom rechten Sinus cavernosus durch
den Sinus petrosus inferior zum Foramen jugulare setzt sich ein schmutzig
graugrüner zerfallener Thrombus fort. Im Sinus cavernosus der linken Seite
befindet sich ebenfalls ein schmutzig verfärbter Thrombus. Der Sinus petro-
sus superior ist beiderseits leer, eoenso der linke Sinus petrosus inferior.
Der Herzbeutel enthält etwas trübe gelbe Flüssigkeit; Innenfläche desselben
mit feinen fibrinösen, leicht abziehbaren Auflagerungen bedeckt. Herz ziem-
lich gross, sehr schlaff. Epicard getrübt. Mitralklappe leicht verdickt, etwa»
gelblich verfärbt. Papillarmuskel an der Spitze fibrös entartet. Herzfleiscb
von braunrotber Farbe, von kleinen helleren Punkten durchsetzt. Elasticität
der Aorta herabgesetzt, Intima verdickt, leicht gelblich verfärbt. Goronar-
arterie atheromatös entartet. Im Oberlappen der linken Lunge findet sich
dicht unter der Pleura eine haselnussgrosse mit schmutzig-grauem Inhalt ge-
füllte Zerfallshöhle, über der die Pleura schmutzig verfärbt ist. In den vor-
deren Partieen des Oberlappens ein zweiter erbsengrosser, dicht unter der Pleura
gelegener, Abscess, der wahrscheinlich perforirt war. Eine deutliche Perfo-
rationsstelle lässt sich nirgends nachweisen. Die ganze linke Pleura costalis.
ist mit dickem, gelben, rahmigen Belag bedeckt, auf der rechten Seite in der
Grösse eines Fünfmarkstückes.
Milz von weicher Consistenz, Grösse 19 : 11,5 : 3. Parenchym braunroth,
Follikel vergrössert.
Section des rechten Schläfenbeins: Im Sinns sigmoideus ein
frisch aussehender der Wand anhaftender Thrombus, im Bulbus
und im oberen Theil der Jugularis schmierige, fötide Thromben-
massen. Die Thromben setzen sich fort in den Sinus petrosus
inferior. Sinus petrosus superior ist frei. Die Gefässwand des
Bulbus und des oberen Theils der Jugularis grünlich verfärbt.
Im Labyrinth kein Eiter.
Epikrise: Der unmittelbare Erfolg der Sinusoperation liegt
klar auf der Hand, wenn man berücksichtigt, dass nach der
Operation das Fieber sofort abfiel und der Patient darauf ca.
30 Standen fieberfrei und bei bestem Wohlbefinden blieb. Wurde
durch die Jugularisunterbindung ein Fortschreiten der Thrombose
eentralwärts verhindert, so fand doch trotzdem eine periphere
Ausbreitung der Thrombose durch Vermittelung des Sinus petrosus
Inferior bis in den Sinus cavernosus der anderen Seite ungehindert
statt. Es ist mit Sicherheit anzunehmen, dass durch die unter-
bundene und, wie die Section zeigte, unterhalb der ünterbindungs-
stelle gesunde Jugularis keine Verschleppung von Thromben
7*
100 III. QRÜNERT und SCHULZE
na oh der Operation stattgefanden hat. Für die Entstehung der
trotzdem aufgetretenen Metastasen in Lungen und Pleura bleiben
uns nur zwei Wahrscheinlichkeiten der Erklärung tlbrig: Verschlep-
pung der Thromben durch die Blutgefässe der anderen Seite oder
die Annahme, dass bereits vor der Jugularisunterbindung die Aus-
saat des infectiösen Materials auf dem Wege der rechten Vena
jugularis stattgefunden habe. Der erstere Weg ist der weniger
wahrscheinliche; weder haben wir während des Krankheitsver-
Aaufs irgend ein Zeichen beobachten können, welches auf diesen
Entstehungsmodus hingewiesen hätte, noch gab uns die Section
irgend einen Anhaltspunkt fUr diese Annahme an die Hand;
speciell ist hervorzuheben, dass die Thrombose auf der linken
Seite streng auf den Sinus cavernosus beschränkt war, während
der Sinus petrosus inferior links flüssiges Blut enthielt. Wahr-
scheinlich hat schon vor der Geßlssunterbindung die Verschleppung
der Thromben durch die rechte Vena jugularis stattgefunden, wenn
auch damals durch die physikalische Untersuchung noch keine
Spur von Metastasen in der Lunge nachgewiesen werden konnte.
Es entspricht dies aber der auch sonst von uns öfters gemachten
Erfahrung, dass sich Lungenmetastasen im Anfang recht selten
durch objective Zeichen zu erkennen geben.
Es ist von Wichtigkeit, darauf hinzuweisen, dass hier kein
einziges, für Thrombose des Sinus cavernosus sprechendes Sym-
ptom vorlag, wesshalb dieselbe auch intra vitam nicht diagnosti-
eirt werden konnte.
Die Todesursache ist im vorliegenden Falle in erster Linie
in der Erkrankung des Herzens zu suchen. Die Metastasen in
der Lunge hätte der sonst ausserordentlich kräftige, im besten
Lebensalter stehende Mann schon überstanden, wenn nicht das
fettig degenerirte, schlaffe Herz den Organismus im Kampfe
gegen die Bacterien im Stiche gelassen hätte.
8. Karl Ritter, 11 Jahre alt. Bergmannssohn aus Neundorf. Auf-
genommen am 11. Mai 1900, gestorben am 19. Mai 1900.
Anamnese: Seit 4 Jahren besteht rechtsseitige Ohreiterung. Niemals
Beschwerden. Vor 3 Tagen bekam Fat. plötzlich sehr heftige Schmerzen im
rechten Ohr und Kopfschmerzen, besonders in der rechten Kopfseite. Zugleich
bestanden Appetitlosigkeit, Erbrechen, Frost und Hitze. Das Erbrechen wieder-
holte sich Otter, zum letzten Male heute Morgen. Die letzten Nächte soll
Fat. wegen der Schmerzen gar nicht geschlafen haben.
' Status praesens: Kräftiger, gut genährter Junge. Temperatur 40,1^,
Puls 144, regelmässig, kräftig. Respiration nicht beschleuDigt. Haut sehr
feucht. Zunge dick belegt, Koetor ex ore. Herztöne rein. Ueber der ganzen
Lunge vesiculäres Athmen mit Rasseln und Giemen, Percussionsschall überall
normal. Augenhintergrund links normal, rechts Papillengrenzen scharf, Venen
stärker gefüllt und geschlängelt. Pupillen gleich, reagiren prompt, kein Nys-
Jabresber. der Egl. UDiversitäts-Obrenklinik zu Balle a. S. 1900/1901. 101
tagmus, keine LäbmuDg. Milz vergrössert, palpabel. In der rechten Hals-
seite zwischen Eieferwinkel und Sternocleidomastoideus eine pralle, auf Druck
sehr schmerzhafte klein-hühnereigrosse Anschwellung. Klage über heftige
Kopfschmerzen in der Stirn und rechten Kopfseite.
Urin ohne Zucker und Eiweiss.
UmgcbungdesrecbtenObres: Processus mastoideus druckempfind-
lich, geringes Oedem der Haut. Starke Infiltration und Druckempfindlicbkeit
unterhalb der Spitze.
Gehörgangs- und Trommel fellbef und: Rechts Gehörgang weit.
Grosser Defect des Trommelfells in der vorderen Hälfte. Hinten oben Ab-
lösnng; Sonde gelangt hier auf rauhen Knochen.' Hinten unten am Margo
tympanicus eine kleine Granulation. Stinkende Eiterung. L. normal.
Hörprüfung: Flüstersprache rechts nicht gehört, links ca. 4 m.
Stimmffabelprüfnng: Ci vom Scheitel nach rechts. Eis 4 links normal,
rechts bei iSfagelanschlag.
Therapie: Eisblase auf den Kopf und hinter das rechte Ohr. Klystier.
Cognac.
V2. Mai. Fat. hat Nachts wenig geschlafen. Temperatur Morgens 38,9S
Pols 124, regelmässig; Respiration 28 ohne stärkeren Hustenreiz. Drehung
des Kopfes nach rechts ist sehr schmerzhaft.
Operation: Weichtheile massig infiltrirt. Corticalis blutreicher als
gewöhnlich. Im hinteren Theile des Antrum grosses, jauchig zerfallenes
Cholesteatom, welches sich bis an den Sinus sigmoideus erstreckt. Hammer
cariös, Amboss fehlt. Aus der Fossa sigmoidea quillt zwischen
Knochen und Sinuswand chokoladenbraune Jauche hervor. Nun
erst Yenajugularis interna direct über der Abgangsstelle der Vena thyre-
oidea doppelt unterbunden. Die Sinus wand sowie die umliegende
Kleinhirndura in Handtellergrösse freigelegt, weil mit dickem eitrigen
Exsudat bedeckt. Sinus sigmoideus eröffnet, nur von oben
kommt Blut. Hineinschieben eines Jodoformgazestreifens. Von unten
kommt kein Blut, aber zerfallene Thrombenmassen, welche
ausgelöffelt werden. Einführen eines Jodoformgazestreifens auch nach
anten. Tamponade der grossen Wundhöhle mit Jodoformgaze. Bei der
Unterbindung der Jugularis wird der Puls sehr schlecht, erholt sich aber
wieder nach einigen Aetherspritzen. Am Ende der Operation schwere Asphy-
xie und GoUaps, Aussetzen des Pulses, Zwan^i^sstellung der Augen nach
rechts, Gesicht tiefblau. Künstliche Athmung, Frottiren der Haut, Aether
subcutan, subcutane Kochsalzinfusion (ca. P/a Liter) bringen Athmung und
Puls wieder in Ordnung.
Im Laufe des Nachmittags trinkt Patient viel Milch. Das Fieber fällt
langsam ab. Abends 37," o, Puls 128. Am Abend werden einige Herpes-
bläschen an der Unterlippe sichtbar.
13. Mai. Pat. hat Nachts wenig geschlafen. Temp. 39,6, 39,5, 38,8 ,
39,5°, Puls 130, regelmässige klein. Nahrungsaufnahme geringer. Athmung
nicht beschleunigt. Etwas Husten.
14. Mai. In der Nacht Anstieg der Temperatur bis 4i,2<>. 2 Schüttel-
fröste von je ungefähr einer Viertelstunde Dauer. Am Morgen Temp. 38,1',
Pols 140, sehr klein, aussetzend. Kochsalzinfusion ca. 1 Liter. Gegen Mit-
tag Puls 136, kräftiger und regelmässig. Respiration 32. Wenig Hustenreiz.
Viel Durst. Abends Temp. 40,6^.
15. Mai. Letzte Nacht höchste Temperatur 41,5^ Heute Morgen 39,2®,
Pals 120, befriedigend. Wenig Husten, Respiration 32. Verbandwechsel:
Vena jugularis oberhalb der Unterbindungsstelle aufgeschlitzt,
Jauche und Eiter darin, Drain eingelegt. Unterhalb der Liga-
tur sieht di« Vene auch verfärbt aus, desshalb auch hier auf-
geschlitzt und die darin enthaltenen zerfallenen Thromben-
massen entleert, das Venenrohr bis fast an die Einmündungs-
stelle in die Vena subclavia excidirt.
Nachmittags 3 Uhr Schüttelfrost von 20 Minuten Dauer. Abends
Temperatur 40,0®, Puls 130.
16. Mai. Temperatur Morgens 39,6°, Puls 124, befriedigend. Nachts
102 III. GRUNERT und SCHULZE
hat Fat. mehrmals erbrochen. Nahrungsaufnahme gering. Athmung sehr
beschleunigt, bis 60 in der Minute, Hustenreiz nicht st&rker als vorher, keine
deutlichen Zeichen von Lungenmetastasen. Beim Verbandwechsel findet sich
im oberen Stack der Jugularis' eine geringe Menge Jauche. Abends Tempe-
ratur 39,50, Puls 126.
17. Mai. Morgens Temp. 39,7^, Puls 120, leidlich kräftig. Respiration
sehr beschleunigt und erschwert. NasenflQgelathmen. Seit heute Nacht ver-
mehrter Hustenreiz und blutig tingirtes Sputum. An der Wunde keine Ver-
änderung. Mehrmals Erbrechen. Pat. spricht manchmal wirr vor sich hin,
giebt aber auf Befragen klare Antworten. Mittags Temp. 40.5^. Nachmit-
tags 3 Uhr Schüttelfrost von kurzer Dauer. Keine Lähmung. Reflexe normal.
Abends Temp. 39,9^ Puls 140.
18. Mai. Temp. 40,3<>, Puls klein, jagend. 140. Pat. hat Nachts viel
geschrieen. Stark beschleunigte Respiration und NasenflQgelathmen bestehen
weiter. Wenig Husten mit blutigem Auswurf. Nahrungsaufnahme gut (seit
gestern 2 Liter Milch). Patient lässt heute mehrmals Urin und Koth unter
sich. Abends 39,2^ Puls 140, klein.
19. Mai. Während der Nacht Anstieg der Temperatur bis 40,9^ Puls
. nicht zählbar. Atbmung immer noch sehr frequent. Erschwerte Expecto-
ration blutigen Sputums. Dämpfung in der linken Axillarlinie, Athemgeräusch
fehlt. Probepunctiou ergiebt Eiter in der Brusthöhle. Facies Hippocra-
tica. Tod.
Sectionsbericht.
Männliche kindliche Leiche. Längs des rechten Sternocleidomastoi-
deus eine 10 cm lange Wunde. Im Grunde der Wunde liegt die Vena ju-
gularis frei, von der ein ca. 5 cm langes Stück resecirt ist. Die Venenenden
sind tamponirt. Im oberen Ende liegt ein eitrig zerfallener Thrombus, ebenso
im unteren, letzterer setzt sich bis zur Einmündungssteile in die Vena subcla-
via fort. Es schliesst sich hieran frisches Cruorgerinnsel. Die Venenwand
überall verdickt und ebenso wie die Umgebung eitrig intiltrirt. Die Carotis
zeigt keine Veränderungen. Die Weichtheile der Wunde sonst nicht krank-
haft verändert. Hinter dem rechten Ohr befindet sich eine ca. tO cm lange
Wunde, in deren Grunde der Knochen freiliegt. Derselbe ist aufgemeisselt
und zwar für eine Oefi'uung in das Mittelohr und eine andere in die hintere
Schädel höhle. Schädeldach von massiger Dicke. Im Sinus longitudinalis
Fibringerinnsel. Dura gleichmässig gespannt, von normalem Blutgehalt,
Innenfläche der Dura glatt und glänzend. Weiche Häute massig injicirt.
Gefässe der Basis zart. An der unteren Fläche der rechten Klein hirnhemi-
sphäre eine ungefähr pfennigstückgrosse grünliche Verfärbung. Im linken
Sinus transversus Gruor, im rechten Cruorgerinnsel, welches am Uebergang
zum rechten Sinus sigmoideus fester und derber wird. Der Sinus sigmoideus
rechterseits ist von aussen eröffnet und tamponirt. Die Fortsetzung des
Sinus sigmoideus zur rechten Jugularis ist mit eitrigen, schmierigen Massen
erfüllt. Die Dura hierüber ist graugrün verfärbt, jedoch nicht perforirt. Es
entspricht diese Stelle der oben erwähnten Verfärbung am Kleinhirn. Eine
Eiterung im letzteren ist jedoch nicht vorhanden. In den Ventrikeln etwas ver-
mehrte seröse klare Flüssigkeit, Ependym zart und glänzend. Gehirn von sehr
weicher Consistenz, etwas feucht, massig blutreich, die rechten Centralgang-
lien vielleicht etwas anämischer als links.
In beiden Pleurahöhlen findet sich eine reichliche Menge gelbgrauer mit
Flocken durchsetzter übelrichender Flüssigkeit. Herzbeutel durch fibrinöse
Auflagerungen verdickt und mit der rechten Lunge verklebt. Herz gut con-
trahirt. Mitralis für einen, Tricuspidalis für 2 Finger durchgängig. Im rech-
ten Herzen Fibringerinnsel. Klappenapparat des Herzens vollkommen intact.
Herzmuskel von braunrother Farbe und guter Consistenz. Lunge: Links an
verschiedenen Stellen durch frische Auflagerungen mit der Pleura costalis
verbunden. Bronchialschleimhaut blutig injicirt. Pulmonalis frei. Pleura
tiberall matt, an verschiedenen Stellen grau verfärbt. An der Spitze und am
'Unterlappen zwei stecknadelkopfgrosse Perforationsöffnungen, aus denen grau-
«braune Flüssigkeit quillt. Parenchym des Oberlappens von fleckig graurothem
Aussehen, massigem Blut- und Saftgehalt, lufthaltig. An verschiedenen Stellen
Jahresber. der Egl. Umversit&U-OhreDkllnik za Halle a. S. 1900/1901. 103
befinden sich haselnussgrosse Zerfallsherde, die mit braunen stinkenden Massen
erfüllt sind. Der eine an der Spitze ist perforirt. Der Unterlappen enthält
eine hühnereigrosse unregelmässige Höhle, die ebenfalls perforirt ist. Das
vorhandene Parenchym ist vollkommen atelektatisch. Rechte Lunge: Bronchien
und Pleura wie links. Ober- und Unterlappen ebenfalls wie die entaprcchen-
den der anderen Seite. In der vorderen Partie des Oberlappens und in der
hinteren des Unterlappens erbsengrosse Perforationsöflfnungen. Die Auf-
lagernnflren auf der Pleura sind st&rker als links.
Milz: Dimensionen 12:8:2 Parenchym rothbraun, etwas weich. Nieren
«ntsprechend gross, anämisch. Leber gross, Parenchym hellbraunroth, mit
deutlicher Läppchenzeichnung.
Diagnose: Eitrige Sinus thrombose. Phlebitis und Periphlebitis der
rechten Jugularis. Metastatische Abscesse in beiden Langen mit Perforation.
Pleuritis purulenta fibrinosa. Pyothorax beiderseits. Compressionsatelektase
beider Unterlappen. Septische Milz. Section des Schläfenbeins ergab nichts
Besonderes. Steigbügel vorhanden. Labyrinth ihtact
Epikrise: Trotz gründlicher Aasräumnng des primären
Eiterheerdes im Schläfenbein und des erkrankten Sinus, trotz
Unterbindung der Jugularis und Entfernung der darin enthaltenen
verjauchten Thromben war es nicht möglich, den letalen Aus-
gang abzuwenden. Der Grund hierftlr ist darin zu suchen, dass
die Allgemeinvergiftung des Organismus bereits zu weit vorge-
schritten war, und dass die Unterbindung der äusserlich an-
scheinend gesunden Jugularis nicht im Gesunden stattgefunden
hatte, vielmehr unterhalb der Unterbindungsstelle schon infectiöse
wandständige Thromben vorhanden waren, welche nachher zu
einer centralwärts fortschreitenden obturirenden Thrombose und
Periphlebitis fbhrten. Auch die späterhin noch vorgenommene
weitgehende Excision der erkrankten Jugularis konnte an dem
Erankheitsverlauf nichts mehr ändern, da die Verschleppung
der Thromben in den Kreislauf bereits stattgefunden hatte. Ja,
es ist sogar mit der grössten Wahrscheinlichkeit anzunehmen,
dass die Lungenmetastasen bereits zur Zeit der Aufnahme des
Patienten bestanden. Wenn auch damals keine gröberen Ver-
änderungen an den Lungen nachgewiesen werden konnten, so ist
doch wahrscheinlich in der damals schon constatirten diffusen
Bronchitis der Ausdruck der bereits im vollen Gange befindlichen
Metastasenbildung zu erblicken. Die bald nach der zweiten
Operation auftretende hochgradige Athemnoth (Nasenflügelathmen)
ist mit Sicherheit nicht erst durch den erfolgten Eintritt von
Lungenmetastasen, sondern durch den Durchbruch der schon
vorhandenen Lungenabscesse in den Pleurasack zu erklären.
Selbst die mehrfachen Abscedirungen im Lungenparenchym und
der erfolgte Durchbruch der Abscesse in die Pleurahöhle hätten
von vornherein keine absolut ungünstige Prognose quoad vitam
gegeben, wenn der Organismus sonst kräftig genug gewesen
104 III. GRUN£RT und SCHULZE
wäre, um die Ansheilang der AbscesBe und des Pyothorax zu
überstehen. Hierzu war aber bei der schon soweit vorgeschrit-
tenen Allgemeinyergiftnng des Kranken keine Aussieht mehr
Torhanden, wir nahmen daher auch bei der schon versagenden
Herzthätigkeit des moribunden Kindes von dem Versuche Ab-
stand, den Eiter aus der Brusthöhle durch Rippenresection zn
entleeren.
Die hier vorliegende Erkrankung stellt keinen reinen Fall
von Fyämie dar, vielmehr standen die toxischen Erscheinungen
so im Vordergrunde, dass wir den Fall als Septicopyämie, oder
besser noch, weil der Schwerpunkt auf der Toxämie lag, als
Fyosepticämie bezeichnen mttssen. Da bei der Section ausser
einer geringfügigen Pericarditis keine organischen Veränderungen
am Herzen sich finden Hessen, so gewinnt die Annahme an Wahr-
scheinlichkeit, dass die sich mehrfach wiederholenden schweren
GollapserscheinuDgCD, überhaupt die während des ganzen Krank-
heitsverlaufs äusserst mangelhafte Herzthätigkeit als eine direote
Folge der schweren Blutvergiftung, als Wirkung der im Blute
kreisenden toxischen Substanzen auf das Herz aufzufassen sind.
Wir konnten in diesem Falle wieder einmal recht deutlich
sehen, dass die Prognose der otogenen Pyämie — wie schon
öfters von unserer Seite betont wurde — nicht sowohl durch
die Höhe des Fiebers oder die Anzahl der Schüttelfröste als
viel mehr in erster Linie durch die Beschaffenheit der Herz-
hätigkeit bestimmt ist.
Es erübrigt noch eine Erklärung des in den letzten Tagen
vor dem Tode mehrfach aufgetretenen Erbrechens. Wir beziehen
es auf den schweren Vergiftungszustand, wenn man in ihm nicht
eine Beizerscheinung, ausgelöst von dem oberflächlich erkrankten
Kleinhirn, erblicken soll.
9. ErDst Scholz, 34 Jahre alt, Schuhmacher aus Saugerhausen. Auf-
genommeuam 9. April gestorben am 6. Mai 1900.
Anamnese: Ohreiterung rechts seit langen Jahren. Niemals Be-
schwerden. Gestern vor acht Tagen Abends 5 Uhr plötzlich Schüttelfrost
von halbstündiger Daner mit darauffolgendem hohen Fieber. Zugleich traten
Schmerzen im rechten Ohr und Kopfschmerzen auf. Appetit gering. Stuhl-
gang in Ordnung. In der vergangenen Nacht lange anhaltender Frost. Ein-
mal Erbrechen. Wahrend der ganzen Zeit wenig Schlaf wegen der heftigen
Schmerzen.
Status praesens: Aeusserst blasser, anämischer Mann. Temp. 39,0^.
Puls wechselnd, 60—80 in der Minute, kräftig. Kespiration nicht beschleu-
nigt. Gang unsicher, ohne Schwindelgefühl. Zunge dick fuliginös belegt.
Pupillen gleich weit, reagiren. Keine Augenmuskellähmung. Aug|snhinter-
grund normal. Innere Organe ohne Veränderung. Urin ohne Zucker und
Eiweiss. Klagt über heftige Schmerzen in der rechten Kopf- und Halsseite,
Jahresber. der Egl. ÜDiversitäts-Ohrenklimk zu Halle a. S. 1900/1901. 105
vom Ohr ausstrableDd. Bewegung des Kopfes der Schmerzen wegen nicht
möglich.
Umgebung des rechten Ohres: Kein Oedem. Druckempfindlich-
keit am Planum und dicht unterhalb der Spitze des Warzenfortsatzes. Starke
Druckempfindlichkeit der rechten Jugularisgegend.
Gehörgang- und Trommelfellbefund: Qehörgang weit. Rechts
profuse stinkende Eiterung. In der Tiefe GranuUtionen. Vom Trommelfell
nichts zu sehen. Links normal.
Hörprüfung: Flüstersprache rechts nicht gehört.
Stimmgabeln: Ci vom Scheitel unbestimmt Fi84 rechts bei Nagel-
anschlag, links normal.
10. April. Morgens Temp. 37,1«.
Totalanfmeisselung. Jugularisunterbindung. Trepanation
auf den Schläfenlappen. Zuerst wird die Jugularis interna doppelt
unterbunden. Die Unterbmdung war technisch schwierig, weil eine kirsch-
grosse geschwollene Lymphdrüse der Gefässscheide direct aufsass. — Die
Mittelohrränme mit einem grossen zerfallenen Cholesteatom erfüllt. Fistulöser
Durchbruch der hinteren knöchernen Gehörgangswand. Polypöse Granu-
lationen aus dem Knochen nach dem Gehöreang hindurchgewachsen. Von
den Gehörknöchelchen nichts gefunden. Das Cholesteatom ging nach oben bis
an die Dura, die mit schmutzigen Granulationen bedeckt freilag, nach hinten
bis an den Sinus, dessen Wand geröthet und mit dünnem plastischen Exsudat
bedeckt war, nach unten bis in die Spitze, deren vollkommene Entfernung noth-
wendig machend. Beim Abtasten der schmutzigen Granulationen, die der
Dura der mittleren Schädelgrube aufsassen, fällt die Sonde plötzlich in eine
tiefe Höhle, aus welcher Jauche hervorquillt. Nun Trepanation des Hirn-
abscesses von der Squama oss. temp. aus. Die freigelegte Dura zeigt zweifel-
hafte Fluctuation. Nach Spaltung derselben prolabirt ödematöse erweichte
Hirnmasse, durch die schliesslich etwas Jauche nachfliesst. Nun wird mit
dem Scalpell eingegangen und ein grosser jauchiger Schläfenlappenabscess
entleert, in welchen 27^ Glieder des Zeigefingers eingeführt werden konnten.
Ausser der Jauche quillt viel erweichte und gangränöse Hirnmasse hervor.
Spülung der Höhle mit 3^0 Borsäurelösung. Tamponade mit Jodoformgaze,
weil das eingeführte Drain durch den Hirndruck immer gleich wieder heraua
gepresst wurde.
Spaltung des in 4 cm Länge freigelegten Sinus sigmoideus. Sehr star*
ker Blutschwall. Tamponade mit Jodoformgaze. Verkleinerung der grossen
Wundhöhle durch einige Nähte in den Wundwinkeln. Verband.
Nach der Operation Puls frequeuter. Am Nachmittag Nachblutung.
Abends Temp. 38,0^ Puls 82. Nachts grosse Unruhe, Sensorium nicht ganz
Irei, Patient „will anspannen lassen" etc.
U. April. Temp. 38,l<^. Puls 88. Sensorium leicht getrübt. Auf Fragen
langsame, aber meist richtige Antworten. Patient trinkt im Laufe des Tages
ungefähr 1 Liter Milch. Abends Temp. 37,8». Puls 100.
12. April. Temp. 37,4^ Sensorium etwas freier. Stuhlgang nur auf
Klystier. Patient trinkt viel Milch. Am Nachmittag angeblich kurzdauernde
Zuckungen in der linken Gesichtshälfte. Klage über etwas Kopfschmerzen.
Abends Temp. 38,S0. Puls 80.
13. April. Morgens Temp. 37, P. Verbandwechsel: Aus dem Hirn-
abscess quillt etwas Jauche. Der Sinus blutet nicht. Während des Verband-
wechsels heftige Zuckungen in allen Gesichtsmuskeln, besonders auf der
linken Seite. Trismus. Zeitweise Zwangsstelluog der Bulbi. Diese Symptome
werden auch im Laufe des Tages noch mehrmals beobachtet. Nachmittags
zeitweise Hallucinationen : Patient glaubt, er sei zu Hause, sein Bruder liege
neben ihm. Auf Befragen erklärt Patient dies selbst für Phantasiegebilde.
Der linke Arm scheint weniger und schwächer bewegt zu werden als der
rechte. Abends Temp. 37,&o.
14. April. Morgens Temp. 37,0^ Puls ca. 80. Die Nächte sind immer
sehr unruhig, Patient delirirt. Heute Appetit vorzüglich. Keine Spasmen.
Sensorium klarer. Abends Temp. 36,6^ Puls 84.
15. April. Morgens Temp. 36,9^. Nacht ruhig, guter Schlaf. Verband-
106 III. GRÜNERT und SCBÜLZE
Wechsel: Jauche in ziemlicher Menge aus der Abscesshöhle entleert. All-
gemeinbefinden zufriedenstellend. Abends Temp. 3S,0^
16. April. Status idem. Puls etwas frequenter.
17. April. Befinden immer besser. Andauernd fieberfrei. Viel Schlaf,
auch bei Tage. Verbandwechsel: Die Abscesshöhle, anscheinend collabirt,
hält Eitermassen in ihren Buchten zurück. Einlegen eines dicken Gumoii-
drains.
In den nächsten Tagen langsame Besserung. Kein Fieber. Puls wech-
selnd zwischen 80 und 120. Appetit ausgezeichnet, Patient nimmt viel Milch
zu sich, ferner gehacktes Fleisch, Eier etc. Neigung zu Stuhlverstopfung.
Sensorium stets frei. Beim Verbandwechsel lässt sich immer starke Eiterung
aus der Absesshöble feststellen. Das Gehirn ist etwas prolabirt.
26. April. Der Gehirnprolaps bedeckt sich mit guten, frischen Granu-
lationen. Aus der Abscesshöhle kommt noch Eiter.
30. April. Patient ist in den letzten Tagen stiller geworden. Seine Ant-
worten und Reden scheinen auf einen noch nicht ganz normalen Geistes-
zustand hinzudeuten. Urin wird hie und da ins Bett entleert. Kein Fieber.
1. Mai. Morgens Temp. 37,u^ Puls ungefähr 70. Schlaf ähnlicher Zu-
stand. Rechte Pupille weiter als die linke. Links kein Cornealreflex. Stra-
bismus convergens. Patient ist im Laufe des Tages nur selten zu kurzen
Antworten zu bringen. Der Prolaps ist grösser geworden. Aus der Abscess-
höhle kommt weniger Eiter. Abends Temp. 37,3<^. Puls 72.
2. Mai. Morgens Temp. 36,8®. Puls 90. Gestern Abend, sowie auch
während der Nacht war Patient öfters auf kurze Zeit ganz klar, hat auch
etwas getrunken. Heute Sopor. Beim Verbandwechsel wird mit Sonde und
Finger nach verschiedenen Richtungen eingegangen, ohne weiteren Eiter zu
entleeren. Die Jugularis-Unterbindungsfäden stossen sich ab. Nach dem
Verbandwechsel wird das Sensorium allmählich benommener. Nachmittags
tiefes Coma. Abends Temp. 37,2^ Puls 100.
3. Mai. Morgens 6 Uhr exitus letalis in zunehmendem Coma.
Auszug aus dem Sectionsprotocoll.
Diagnosis post mortem. Erö£fnung des rechten Warzenfortsatzes
und der mittleren Schädelgrube. Jugularis unterbunden. Gehirnprolaps, ge-
reinigte Abscesshöhle im rechten Schläfenlappen. Abgekapselter Abscess im
rechten Parietallappen. Oedem der weichen Hirnhäute. Oedem und Hypo-
stase beider Lungen. Obliteration des Herzbeutels. Pleuritis adhaesiva
chronica. Anämie und Verfettung der Leber und Nieren.
An der rechten Halsseite eine ca. 3 cm lange und 1 cm breite granu-
lirende Wunde. Ueber dem rechten Ohr und hinter demselben eine recht-
winklige Schnittwunde, deren oberer Schenkel ca. 9, deren unterer Schenkel
ca. 6 cm lang ist. Aus dieser Wunde quillt eine graue schmutzige Masse
hervor.
Kopfhaut und Schädeldach ohne Veränderungen. In die mittlere Schädel-
grube führt eine ovale Trepanationsöffnung. Dura stark injicirt und ge-
spannt, besonders auf der rechten Seite. Qyri hochgradig abgeplattet. Im
unteren Theile des rechten Parietallappens eine ca. hühnereigrosse, fluctuirende
Hervorwölbung. Die weichen Häute der Basis und über der Brücke gelblich
getrübt, ödematös, die Nerven der Basis besonders rechts ödematös durch-
tränkt. Im rechten Sinus sigmoideus ein weisser, derber Thrombus. Bei der
Herausnahme des Gehirns zeigt sich, dass die erwähnte hervorquellende graue
Masse grösstentheils dem Schläfenlappen angehört. Sie ist mit den Rändern
der Trepanationswunde fest verwachsen. Substanz des Schläfenlappens fast
vollständig zerstört und in eine rothbraune breiige Masse verwandelt Die
Wandung des Abscesses im Schläfenlappen ist von unebener Beschaffenheit,
etwas weich, doch offenbar mit frischen rothen Granulationen besetzt. Unter
der oben erwähnten fluctuirenden Hervorwölbung zeigt sich ein etwa gänseei-
grosser mit grünem, dünnflüssigen stinkenden Eiter gefüllter Abscess mit
derben Wandungen, der fast den ganzen Parietallappen einnimmt. Eine
Communication dieses Abscesses mit dem Seitenventrikel und dem Abscess
im Schläfenlappen besteht nicht.
Jahresber. der Kgl. Universitäts-Ohrenklinik za Halle a. S. 1900/1901. 107
Unter der Narbe an der rechten Halsseite ist die Jugularis interna frei-
gelegt und unterbunden. Im oberen Stumpf sitzt ein graurother, gesunder
Thrombus, der untere Theil ist frei durchgängig. In etwa 1 cm Ausdehnung
ist das Gefäss resecirt.
Section des Schläfenbeins. Bulbus venae jugularis fehlt.
In den Bogengängen und im Labyrinth nichts Besonderes. Vom
Steigbügel nur die Platte vorhanden. Hammer noch da, am
Kopf cariöB.
Epikrise: Mit Bücksicht auf die vorauf gegangenen Schüttel-
fröste müssen wir annehmen, dass es sich im vorliegenden Falle
nicht allein um die bei der Operation zu Tage getretene Ent-
zündung der Sinuswand handelte, sondern auch bereits um eine,
wenn auch nur circumscripte Thrombose im Gefässrohr. Durch
den operativen Eingriff wurde die Sinusphlebitis bezw. -Thrombose
geheilt: Dies beweist das Ausbleiben der 8 Tage lang bestandenen
Schüttelfröste, der Abfall der Temperatur, das Ausbleiben von
Metastasenbildung — alles Zeichen dafür, dass eine weitere
Aufnahme pyämisoher Stoffe in das Blut nicht mehr stattfand —
und schliesslich auch der Sectionsbefnnd : Abschluss des oberen
Jngularisendes durch gesunden Thrombus, Freibleiben des unteren
Abschnittes von der Thrombose.
Der Hirnabscess war von vornherein nicht mit Sicherheit
diagnosticirt worden. Wenn auch die geringe Frequenz des
Pulses (60 — 80 bei Temperaturen zwischen 38 und 39,5^) die
Möglichkeit des Bestehens eines solchen in Erwägung ziehen
Hess, so war doch andererseits in dem Erankheitsbilde kein
einziges Symptom zu erkennen, welches mit Bestimmtheit für
das Vorhandensein eines Abscesses hätte sprechen können. Erst
als bei der Ausräumung der Cholesteatomhöhle eine in die
Schädelhöhle führende, jauchigen Eiter entleerende Fistel auf-
gedeckt wurde und der Puls inzwischen allmählich an Frequenz
abnahm (58 Schläge in der Minute), da wurde uns die Existenz
eines Hirnabscesses zur Gewissheit. Der Abscess musste nach
der Bichtung der vorgefundenen Fistel im Schläfenlappen seinen
Sitz haben. Er wurde bei der Trepanation sofort gefunden.
Die am 2. — 4. Tage nach der Operation beobachteten Krämpfe
der Gesichtsmusculatur, die Zwangsstellung der Augen, die leichte
Parese des linken Armes Hessen uns, da gleichzeitig Fieber be-
stand, an die Entwickelung einer Basilarmeningitis denken. Es
ist aber wohl anzunehmen, dass diese Symptome nur von der
Wunde ausgehende Beizerscheinungen waren, und zwar mit Bück-
sicht auf das baldige Vorübergehen derselben und mit Bücksicht
auf das Eintreten jedesmal im Anschluss an den Verbandwechsel.
108 III. GRÜNERT und SCHÜLZEj
Die letzten 17 Tage verliefen völlig fieberfrei. Die allmählich
eintretende YerBchlimmernng des Zustandes, die zunehmende
Verschleierung des Sensoriums, die Pupillenstarre, die Augen-
muskellfthmuDg konnten deshalb eine Meningitis sicher nicht
zur Ursache haben. In erster Linie wurde an Eiterretention
gedacht: doch die AbscesshShle war nach allen Seiten hin gut
abzutasten, nirgends war eine Bucht zu finden. Die Möglichkeit
des Bestehens eines zweiten Abscesses wurde wohl erwogen,
die Annahme eines solchen aber aus folgenden Gründen wieder
fallen gelassen:
1. Am Augenhintergrund war trotz oft wiederholter Unter-
suchungen niemals etwas Pathologisches zu erkennen.
2. Für die Annahme eines zweiten das Leben bedrohenden
Hirnabscesses und die durch denselben bedingte intracranielle
Drucksteigerung erschien der Hirnprolaps viel zu unbedeutend.
3. Weder mit dem Finger noch mit der tief eingeführten
Sonde war ein Fistelgang zu finden, der nach einem zweiten*
Abscess hätte leiten können.
4. Der Puls zeigte nach der Entleerung des Schläfenlappen-
abscesses erhöhte bezw. normale Frequenz, niemals aber wieder
subnormale.
Die Todesursache ist einzig und allein in dem
zweiten latenten grossen Hirnabscess zu suchen, von
dem aus die das Leben bedrohenden Druckwirkungen
auf die lebenswichtigen Gentralorgane ausgelöst
wurden.
10. Georg Ratajewsky, 29 Jahre alt, Schahmacher aus Weissenfels.
Aufgenommen am 1. September 1900, gestorben am 11 October 1900.
Anamnese: Seit der Kindheit Schwerhörigkeit links angeblich ohne Eite-
rung, ohne Beschwerden. Seit dem Frühjahr d. J. schmerzlose fötide Eite-
rung. Vor 14 Tagen Schmerzen im linken Ohr, vor 8^ Tagen Schmerzen and
Anschwellang hinter demselben, zugleich Kopfschmerzen und schlechter
Schlaf, Appetitlosigkeit; kein Erbrechen. In der letzten Zeit viel Schwindel.
Kein Fieber, kein Frost.
Status praesens: Kräftig gebauter Mann von gutem Ern&hruags-
zustand. Kein Fieber, Puls 70. Zunge belegt, Foetor ex ore. Innere Organe
gesund. Pupillen gleich, reagiren auf Lichteinfall. Augenhintergrund nor-
mal. Objectiv kein Schwindel. Urin frei von Zucker und Eiweiss.
Umgebung des Ohres: Warzenfortsatz auf Druck schmerzhaft, die
bedeckende Haut in geringem Grade ödematös. Keine Infiltration.
Gehörgang- und Trommelfellbefand: Links Gehörgang weit.
Reichliche fötide Eiterung. Grosse randständige Perforation im hinteren un-
teren Quadranten. Die Sonde gelangt nach hinten und oben auf rauben
Knochen. Rechts normal.
Hörprüfung: Links Flüstersprache nicht gehört, rechts wenigstens 5 m.
Stimmgabeln : Ci vom Scheitel nach links. Rinne links — rechts -{-. Links
Ci sehr stark herabgesetzt, Fls4 bei starkem Nagelanschlag, rechts normal.
Jahresber. der Egl. UniverBitäts-Ohrenklinik zu Halle a. S. 1900/1901. 109
Therapie: Eisblase hinter das Ohr, Bettruhe, Aasspritzen des Ohres.
Patient ist andauernd fieberfrei.
4. September. Secretion aus dem linken Ohr noch sehr reichlich, aber
nicht mehr so fötid. Knochen nicht mehr schmerzhaft.
5. September. Status idem. Patient drängt zur Entlassung, sein Ohr
sei jetzt ganz gut, er habe ja keine Schmerzen mehr.
6. September. Totalaufmeisselung von innen nach aussen: Weich-
theile massig infiltrirt, Oorticalis normal. Diffuse Garies der Antrumwand-
uDgen. Im Antrum massige Cholesteatomtapete. Von den Gehörknöchel-
chen nur kleinste Rudimente vorhanden. Spaltung etc. In den nächsten
Tagen völlig fieberfrei. Wohlbefinden.
9. September. Temp. Abend 37,8^ Puls 88. Keine Klage.
10. September. Temp. 36,7", 36,6«. Puls 84.
11. September. Morgens Temp. 37,5«. Schüttelfrost von kurzer Dauer,
darauf Anstieg der Temperatur auf 38,0«. Verbandwechsel. Die Wunde sieht
tadellos aus. Abends Temp. 38,6«. Puls 104. Klage über heftige Kopf-
schmerzen.
12. September. Temp. 39,4«. Puls 96. An der Wunde ist nichts Ver-
dächtiges bemerkbar. Klage über Kopfschmerzen im ganzen Kopf. Linderung
derselben durch Eisblase. Abends Temp. 39,6«. Puls 112. Zwei dünne
Stuhlgänge.
13. September. Morgens Temp. 37,6«. Puls 98. Die Kopfschmerzen
haben nachgelassen. Abends Temp. 38,4«. Puls 96. Von da ab ist der
Patient völlig fieberfrei, die Temperatur ist meist unter 37,0«. Die Wunde
überbautet sich sehr schnell. Keine Klage mehr über Kopfschmerzen. Auf-
fallend ist die deprimirte und weinerliche Stimmung des Patienten.
30. September. Abends Temp. 37,6«. Keine Klage..
1. Octobcr. Heute Morgen Schüttelfrost von halbstündiger Dauer,
darauf starker Schweissausbruch und Anstieg der Temperatur auf 40,2«.
Puls 124, regelmässig, kräftig, lieber den Lungen vereinzelte bronchitische
Geräusche. Die Wunde sieht gut aus. Abends Temp. 39,1«. Puls 100.
2. October. Patient hat Nachts leicht gefröstelt und nachher geschwitzt.
Heute Morgen Temp. 3S,6«. Puls 112. Klage über Kopfschmerzen im ganzen
Kopf. Mehrfaches Nasenbluten. Haut sehr feucht Milz deutlich vergrössert.
Abends Temp. 39,5«. Puls 112.
3. October. Temp. 38,9«, 3S;6«, 38,8«. Puls 108. Hartnäckige Ver-
stopfung, Stuhlgang nur nach Klystier. Andauernde Klage über sehr heftige
Schmerzen im ganzen Kopf, welche dnrch Eisblase gelindert werden. Or-
dination: Mixtura acida, Abends Phenacetin 0,75, darauf leichter Schweiss
und ruhiser Schlaf.
4. October. Temp. 38,6«, 39,2«, 39,6«. Puls 104. Kopfschmerzen in
der Stirn. Wunde tadellos.
5. October. Temp. 39,2«, 39,4«, 39,S«. Sehr starkes Nasenbluten.
6. October. Temp. 38,6«, 39,6«, 38,7«. Puls 120. Das linke Auge zeigt
eine leichte Convergenzstellung. Nystagmus horizontalis auf beiden Augen,
besonders deutlich beim Blick nach links. Untersuchung des Augenhinter-
gnndes ergiebt nichts Pathologisches. Händedruck beiderseits gleich. Die
Kopfschmerzen werden als sehr heftig bezeichnet. Nahrungsaufnahme geringer.
Abends Temp. 38,7«. Puls 104. Pupillen gleich, übermittelweit, reagiren
sehr träge.
7. October. Temp. 37,8«, 37,9«, 37,8«, 38,0«. Puls 96. Stimmgabel-
prüfnng: Ci wird über die Mittellinie hinaus nach rechts projicirt, Gi vom
rechten Ohr aus kaum gehört, Fis4 bei starkem Nagelanschlag undeutlich.
Untersuchung der Augen (Privatdocent Dr. Schi eck) ergiebt: leichte Abducens-
parese links, Augenhintergrund ohne deutliche Veränderungen, Venen viel-
leicht etwas stärker gefüllt als normal, aber auf beiden Seiten gleich.
8. October. Temp. 37,7«, 37,3«, 36,9«, 37,6«, 37,3«. Puls 100. Während
der Nacht ohne Unterbrechung tiefer Schlaf, trotzdem fühlt sich Patient sehr
matt Die Kopfschmerzen haben nachgelassen, nur noch Klage über Schmer-
zen «tief in den Augen^. Heute Morgen einmal Erbrechen. Kein Schwindel.
9. October. Temp. 36,7«, 37,0«, 36,3«, 36,9«, 36,5«, 37,0«, 36,8«. Puls
110 III. GRÜNEET and SCHULZE
ttogefähr 100. Letste Nacht wiederholt Schweissausbrach. Heute Morgen
einmal Erbrechen. Patient liegt in rechter Seitenlage. Grosse Mattigkeit.
Zwan^Bstellung der Aagen nach rechts. Kopfschmerzen bestehen bei ruhiger
Lage im Bett gar nicht mehr, nur beim Aufrichten „arbeitet es im Kopfe"*,
dabei leichter Schwindel. Nahrungsaufnahme genügend.
10. October. Temp. 37,0% 36,7% 36,6% 37,2% 36,7% 37,0». Puls 92.
Klage ttber Schmerzen in der Scheitelgegend. Rechte Pupille weiter als die
linke, beide reagiren auf Lieh teinf all und accommodiren gut Nystagmus
auch beim Blick nach rechts, aber nicht so intensiv wie beim Blick nach
links. Ci vom Scheitel überwiegt nach rechts, links »brummt es ein bischen",
Fis4 nicht gehört. Flüstersprache nicht gehört. Sensorium klar Patient
erkennt vorgehaltene Gegenstände und bezeichnet dieselben richtig. Antworten
verlangsamt. Keine Nackenstarre. Mittags schluckt Patient nicht mehr.
Nachmittags 3 Uhr erkennt er noch seine Frau, spricht aber nicht, antwortet
auf Fragen überhaupt nicht Reisst gegen Abend öfter am Verband. Ab
und zu leichtes Hüsteln. 7 Uhr Abends ungefähr eine Viertelstunde lang
dauernde klonische Krämpfe der linken unteren Extremität Patient reagirt
nicht mehr auf Anrufen. Nachts mehrmaliges Aufschreien, lässt Urin unter
sich. Der Tod erfolgt im zunehmenden Coma am 11. October Morgens
7Va Uhr.
Auszug aus dem Sectionsprotocoll.
Diagnosis post mortem. Abscess des linken Kleinhirns. Hy-
drocephalus internus. Ependymitis granulosa. Hyperämie der
Pia. Leptomeningitis chronica. Extraduralabscess. Hyposta-
tische Pneumonie des rechten Unterlappens. Pleuritis adhae-
siva chronica. Dilatation des linken VentrikeU. Milztumor.
Dura etwas injicirt, in den vorderen Partieen stärker gespannt. Innen-
fläche der Dura glatt, etwas trocken. Im Sinus longitudinaüis Cruorgerinnsei.
Pia stärker injicirt, Arachnoidea an der Convexität stark getrübt, Gyii und
Sulci stark abgeplattet. Im Sinus sigmoideus linkerseits altes Cruorgerinnsei.
Die Dura über der Rückseite der linken Felsen beinpyramide in den mittleren
Partieen grünlich verfärbt Unter der Dura befindet sich hier eine Ansamm-
lung von Eiter sowie eine sulzige Masse, die durch den Aquaeductus vestibuli
in das innere Ohr eindringt. Bei Herausnahme des Gehirns eröffnet sich an
der Unterfläche des linken Kleinhirns, der oben bezeichneten grünlich ver-
färbten Stelle an der Dura entsprechend, eine ca. wallnussgrosse mit grtUi-
gelbem Eiter gefüllte Höhle. Eine Gommunication derselben mit dem vierten
Ventrikel besteht nicht. Der Abscess ist gegen die Umgebung scharf abge-
grenzt Die Ventrikel sind sämmtlich erweitert, mit sehr viel klarer seröser
Flüssigkeit gefüllt. Ependym der Ventrikel granulirt. Die Pleura zeigt fibröse
Auflagerungen. An der Spitze des rechten Oberlappens ein erbsengrosser
fibröser Herd. Milz vergrössert, Kapsel gefaltet, Parenchym marmorirt, Farbe
dunkelroth, Follikel deutlich sichtbar.
Section des Schläfenbeins. Der das knöcherne Labyrinth
umgebende spongiöse Knochen ist sehr blutreich und morsch
und stark durchsetzt von blass-rosagefärbter sulziger Gewebs-
masse. In diesem spongiösen Knochen befindet sich zwischen
dem vertikalen Bogengänge und dem Perus acusticns internus
ein fast 2 cm langer und 1 cm breiter Sequester. Von der
Schnecke ist ein grosser Teil als vollständig frei beweglicher
Sequester losgelöst In der überall überhäuteten Operations-
höhle ist in der Tiefe, etwa dem Promontorium entsprechend,
eine von anscheinend gesunder Haut bedeckte blaugrünlich
durchscheinende, ungefähr linsengrosse Stelle sichtbar. Die
Sonde gelangt hier in der Richtung nach vorn und innen (etwa
in der Achse der Felsenbeinpyramide) auf oben näher bezeich-
neten leicht beweglichen, durch einen Theil der Schnecke ge-
bildeten Sequester.
An der hinteren Fläche der Felsenbeinpyramide, zwischen
dem Sulcus sigmoideus und dem Aquaeductus vestibuli, und
mit letzterem in Verbindung stehend, befindet sich eine sulzige,
Jafaresber. der Egl. Universitäts-Ohreoklinik zu Halle a. S. 1900/1901. 111
matschige Gewebsmasse von weiss^elber Farbe, die mit dem
Knochen fest verwachsen ist. Die Nerven Im Porus acusticus
internus zeigen keine Yeränderung. Im Sinus sigmoideus ein
der Yenenwand nicht fest adh&rentes, in der Peripherie weiss-
graues, auf dem Durchschnitt braunrothes Gerinnsel, welches
sich bis in den Bulbus venae jugularis erstreckt. Daselbst ist
die Venenwand verf&rbt. Im Thrombus keine Bacterien nach-
weisbar, wohl aber ist die Yenenwand und die dem Schläfenbein
anliegende Dura von Diplokokken durchsetzt. Sinus petrosus
superior und inferior sind frei.
Epikrise: Das kranke Labyrinth bildete hier den Aus-
gangspunkt ftlr die Entstehung des tiefen extraduralen Absoesses,
der Sinusaffection und für die Propagation des Eiters nach dem
Kleinhirn. Wie schwierig in diesem Falle eine exacte Diagnose-
stellung war und zwar besonders wegen der Gomplication des
Kleinhirnabseesses mit der wenig charakteristische Symptome
bietenden Sinuserkrankung, darüber dürften wir wohl Klarheit
gewinnen, wenn wir die einzelnen Krankheitserscheinungen noch
einmal in ihrer zeitlichen Aufeinanderfolge betrachten und auf
ihren inneren Zusammenhang hin prüfen. Die bald nach der
Operation unter Schüttelfrost und massigem Fieber auftretende
Störung des GenesuDgsverlaufs fand weder am Aussehen der
Wunde noch in der Erkrankung irgend eines Organes eine hin-
reichende Erklärung. Es wurde aber diesem Fieber insofern
wenig Bedeutung beigelegt, als dasselbe bald vorüberging und
einem Zustand des besten Wohlbefindens Platz machte, umsomehr,
als der Wundverlauf sich ausserordentlich günstig gestaltete;
war doch bei der 5V2 Woche nach der Operation stattfindenden
Autopsie die Wundhöhle vollständig überhäutet. Die einzigen
Zeichen, welche während dieser Zeit den Verdacht einer intra-
eraniellen Gomplication hätten erregen können, waren eine nicht
selten bemerkbare psychische Depression, die sich in Neigung
zu weinerlicher Stimmung äusserte, sowie leicht subnormale
Temperaturen. Als dann nach einem ausgesprochenen Schüttel-
frost hohes Fieber bis 40,2® auftrat, wurde zunächst an ein be-
ginnendes Erysipel gedacht, weil damals Fälle von Erysipel in un-
serer Klinik vorgekommen warenj Dieser Verdacht rechtfertigte
sich aber für die Folge nicht : Die Wunde sah wie bisher tadellos
aus und nahm auch weiterhin einen ungestörten schnellen Heilungs-
yerlauf. Die subjectiven Klagen des Kranken beschränkten sich
zu dieser Zeit auf sehr heftige Schmerzen im ganzen Kopf;
dabei fanden sich leichte bronchitische Geräusche über den
Lungen, Frösteln, feuchte Haut, Verstopfung, Milztumor. Es ist
besonders hervorzuheben, dass irgend welche suspecte Erschei-
112 III. GRÜNERT und SCHULZE
nungen am Warzenfortsatz und in der Gegend der grossen
Halsgefässe, die uns an eine Sinuserkrankung hätten denken
lassen müssen, niemals beobachtet werden konnten. Kurze Zeit
rechneten wir auch mit der Möglichkeit eines Typhus abdominalis.
Diese Vermuthung wurde aber bald hinfällig, da uns durch
folgenden Symptomencomplex das Bestehen einer intracraniellen
Complication mit grosser Wahrscheinlichkeit nahegelegt wurde:
Schwindel, Erbrechen, Appetitlosigkeit, Verstopfung, Kopfschmer-
zen (meistentheils in der Scheitelgegend localisirt), Nystagmus,
Deviation conjugee, linksseitige Abduoenslähmung, rechtsseitige
Oculomotoriuslähmung, dazu noch das Ergebniss der Hörprüfung:
Der vor der Operation noch vorhandene Rest von Hörvermögen
war jetzt vollständig verschwunden, ausserdem ergab der Weber-
ische Versuch den Ausfall der Lateralisation der auf die Mitte
des Scheitels aufgesetzten C-6abel nach dem kranken Ohr, deren
Vorhandensein bei der Aufnahme noch mit Sicherheit constatirt
war. Dadurch wurde eine Erkrankung des vorher noch functions-
fähigen Labyrinthes bewiesen und die Entstehung der vermutheten
intracraniellen Complication vom erkrankten Labyrinth aus zur
Wahrscheinlichkeit gemacht. Bei der Entscheidung der Frage,
welcher Art die vorliegende Complication sei, konnte von vorn-
herein das Bestehen einer eitrigen Meningitis schon mit Rück-
sicht auf das klare Sensorium und die Temperaturverhältnisse
mit ziemlicher Sicherheit ausgeschlossen werden. Hält man da-
gegen, um es noch einmal zusammenzufassen, die schon oben
genannten Erscheinungen : Nystagmus, Zwangsstellung der Augen,
Augenmuskellähmungen, zusammen mit der hartnäckigen Ob-
stipation, dem Schwindel, dem Erbrechen bei nüchternem Ma-
gen, schon beim blossen Hochriohten im Bette, in Verbindung
mit der tagelang beobachteten leicht subnormalen Temperatur
und den Kopfschmerzen, und berücksichtigt man ferner die auf-
fallende Veränderung der Psyche, so konnte die Wahrscheinlich-
keit eines Hirnabscesses nicht von der Hand gewiesen werden.
Dieser musste in Anbetraeht der nachgewiesenen Labyrinth-
aflfection in erster Linie im Kleinhirn vermuthet werden.
Konnte auf diese Weise die Diagnose Kleinhirnabseess,
wenn auch nicht mit absoluter Sicherheit, so doch wohl mit
recht grosser Wahrscheinlichkeit gestellt werden, so war dies
keineswegs so leicht der Fall mit der Erkrankung des Sinus.
Die Gründe dafür haben wir darin zu suchen, dass die Sinus-
Äflfection, worauf schon oben hingewiesen wurde, im Ganzen
Jahresber. der Kgl. Universit&ts-Ohrenklinik zu Halle a. S. 190U/190L. 113
reoht wenig oharakteristisohe allgemeine Symptome und speciel
gar keine localen Ersoheinungen hervorrief, und zweitens, dass
^e Temperatur ein ganz eigenthUmliohes, in das Bild der Sinus-
thrombose anscheinend nicht hineinpassendes Verhalten zeigte.
Diejenigen Anzeichen, durch welche sich die Sinuserkrankung
in erster Linie verriet, waren Frösteln, Neigung zu Schweiss-
bildung, Milztnmor. Die beiden Schüttelfröste aber konnten für
«ine Sinusbetheiligung intra vitam deshalb nicht ganz einwandsfrei
verwerthet werden, weil sie zwar von mehrtägigem Fieber ge-
folgt waren, aber dann doch wieder zum Theil recht lange
dauernde fieberfreie Intervalle nach sich zogen. Die Erklärung
fär diese letztere bei Lebzeiten des Patienten fbr uns schwer
zu deutende Erscheinung giebt uns die nähere Untersuchung
des erkrankten Sinus. Der im Sinus vorgefundene Thrombus
bot nach dem Urtheil des pathologischen Anatomen (Geh. Rath.
Eberth) äusserlich ganz das Aussehen eines gutartigen Thrombus,
doch waren bei genauer mikroskopischer Untersuchung im Innern
4e8 Thrombus in der Gegend des Bulbus venae jugularis, und
zwar der medialen Bulbus wand anliegend, unzweifelhaft ältere
Thrombuspartieen zu erkennen. Wir gehen nun wohl nicht
fehl in der Annahme, dass sich hier im Bulbus, wo auch die
Venen wand eine deutliche Verfärbung zeigte, zunächst eine wand-
ständige Thrombose entwickelte, die aber insofern einen ausser-
ordentlich günstigen Verlauf nahm, als sie nicht fortschreitend
zur Bildung eines obturirenden infectiösen Thrombus führte,
sondern durch Apposition gesunder Thrombenmassen einen central-
nnd peripherwärts sich erstreckenden Abschluss gegen die
Blutbahn veranlasste: Daher die auf die fünf Fiebertage, während
welcher die Thrombose zu Stande kam, folgende 15tägige fieber-
freie Periode.
Das dann wieder unter Schüttelfrost einsetzende, zum Theil
recht hohe, 7 tägige Fieber war offenbar dadurch hervorgerufen,
dass von dem bis dahin abgeschlossenen Thrombus kleine Par-
tikelchen sich losgelöst hatten und in die Blutbahn gelangt
waren, ein Vorgang, der möglicherweise dadurch begünstigt
worden war, dass Patient während dieser Zeit des besten Wohl-
befindens nicht zu Bett gelegen hatte, sondern bereits umherlief.
Es ist nun aber mit Sicherheit anzunehmen, dass der günstige
Vorgang des Abschlusses durch gesundes Blutgerinnsel darauf
bald von neuem stattfand, wodurch eine weitere Aufnahme
fiebererregender Stoffe in die Blutbahn verhindert wurde : Daher
Aichiy f. Ohrenheakande. UV. Bd. 8
114 III. ORUNERT und SCHULZE
nur die 7 tägige Dauer des Fiebers, worauf die Temperatur bis
zum Ende normal beziehungsweise subnormal war.
Die Todesursache ist im vorliegenden Falle lediglich in
dem wallnussgrossen Eleinhirnabscess zu suchen. Der Sinus-
affeetion dagegen ist an dem letalen Ausgange keine Schuld
beizumessen. Dieselbe wäre bei weiterem Fortbestand des Lebens
unter den vorliegenden günstigen Verhältnissen sieher zur voll-
ständigen Ausheilung gelangt, zu der sie, wie die Section ergal),
schon auf dem besten Wege war.
Zu einem operativen Eingriff konnten wir uns deshalb nicht
entschliessen, weil in Folge der unklaren Temperaturverhältnisse
die Diagnose nicht mit der zur Vornahme einer Operation noth-
wendigen Bestimmtheit gestellt werden konnte, und weil der
Eräftezustand des Patienten wenig Aussicht auf Erfolg versprach.
11. Richard Krttger, 8 Jahre alt, Arbeiterssohn aas Cöthen. Auf-
genommeii am 8. September, gestorben am 24. September 1900.
Anamnese: Rechtsseitige Ohreiterung aus unbekannter Ursache seit
dem ersten Lebensjahre. Niemals Beschwerden. Seit drei Tagen plötzlich
heftige Schmerzen im rechten Ohr, Kopfschmerzen im ganzen Kopf, Appetit-
losigkeit, schlaflose Nächte. Zugleich hohes Fieber und mehrmals Frostanf&lle.
Kein Erbrechen, kein Schwindel.
Status praesens: Schwächlicher, anänuscher Junge. Temp. 38,6^
Puls 136, regelmässig, kräftig. Innere Organe gesund. Zunge belegt. Objectiv
kein Schwindel. Pupillen gleich weit, reagiren. Keine Augenmuskellähmung,
kein Nystagmus. Papillengrenzen links ficharf, rechts verwaschen, Papille
und überhaupt der ganze Augenhintergrund rechts sehr hyperämisch. Sen-
sibilität und Reflexe normal. Urin frei von Eiweiss und Zucker.
Umgebung des rechten Ohres: Druckempiindlichkeit des ganzen
Warzenfortsatzes, geringes Oedem der bedeckenden Haut, keine Infiltration.
Druckempfindlichkeit längs der Jugularis, daselbst einige geschwollene Lymph-
drüsen zu fühlen. Gervicaldrüsen geschwollen.
Gehörgang- und Trommelfellbefund: Rechts Gehörgang weit,
äusserst fötide profuse Eiterung, viel Epidermis. Trommelfell fehlt bis auf einen
schmalen Saum oben mit Hammerrest. Paukenschleimhaut geröthet und ge-
schwollen. Vorn oben eine Fistel im Knochen, aus der eine leicht blutende
Granulation hervorguckt. Links normal.
Hörprüfung: Flüstersprache rechts nicht gehört, links mehrere Meter.
Ci vom Scheitel unbestimmt, Fis4 rechts bei Nagelanschlag, links normal.
Lumbalpunction ergiebt krystallklaren, nicht unter er-
höhtem Druck stehenden, bacterienfreien Liquor, ohne ver-
mehrte Leukocyten.
Totalaufmeisselung: Weich theile normal. Corticalis grünlich ver-
färbt, an einzelnen Punkten quillt dünne Jauche aus dem Knochen hervor.
Die ganzen Mittelohrräume erfüllt mit zerfallenem Cholesteatom. Von den
Gehörknöchelchen nur noch Reste vorhanden. Fistel im horizontalen Bogen-
gang, in derselben kein Eiter. Aus einer Fistel in der Sinusgegend quillt
äusserst fötide Jauche hervor. Ausgedehnter jauchiger extrasinuöser Abscess.
Öinus soweit wie möglich nach unten freigelegt. Sinuswand grünlich verfärbt
und eitrig belegt. Jugularisunterbindung. Probeincision des Sinus er-
giebt nur wenig blutig verfärbtes Serum. Breite Incision des Sinus.
Mediane Sinuswand zerstört. Der Zeigefinger dringt in eine 3 cm tiefe Höhle
im Kleinhirn, die keinen Eiter enthält, sondern nur Gehirndetritus (Er-
weichungsherd). Von oben her starke Blutung. Tamponade der ganzen
Jahresber. der Kgl. UniYersit&ts-Ohrenklinik za Halle a. S. 1900/1901. 115
Wandhöhle mit Jodoformeaze. Verband. Abends Temp. 38,0®, Puls 140, Re-^
spiration 32. Während der Nacht grosse Unruhe. Mehrmals Erbrechen,
verband blutig- serös durchtränkt.
9. September. Vormittags 1 1 Uhr Schüttelfrost von halbstQndiger Dauer.
Wein und Milch werden zum grössten Theil wieder erbrochen. Temp. 38,0%
40,10, 37 ,9% 39,1», 36,6«, 39,4% 39,1«. Puls 140, sehr klein, Aether subcutan.
10. September. Verbandwechsel. Nachoperation: Vollständige ope-
rative Freilegung desBulbus venaejugularis. Spaltungder Vena
jugularis interna oberhalb der EinmOndnngsstelle der Vena
facialis. Es sied Thrombenmassen und wenig Blut darin. Die grünlich ver*
f&rbte laterale Sinuswand wird zum grössten Theil excidirt. Spaltung und
Ausräumung des Bulbus, in welchem Thrombenmassen ent-
halten sind. Tamponade mit Jodoformgaze. Es war somit Vena ju-
gularis interna oberhalb der Unterbindungsstelle plus Bulbus
venae jugularis plus Sinus sigmoideus aus einem Qefässkanal
in eine nach aussen offene Halbrinne umgewandelt. Bei der
Operation lässt der Kranke Koth und Urin unter sich gehen. Gegen Ende
der Operation Zwangsstellunff der Augen, besonders des linken. Puls kaum
fahlbar. Aether subcutan, Kochsalzinfusion. Nachmittag 4 Uhr deutlicher
Icterus. Puls besser. Abends 10 Uhr Puls 124, leidlich kräftig, Patient trinkt
Wein und viel Milch. Temp. 40,4«, 38,6«, 39,8«, 36,7«, 37,7«
11. September. Die Nacht war sehr unruhig. Im Laufe des Tages
trinkt Patient ungefähr 2 Liter Milch. Sensorium klar. Temp. 37,4«, 39,6«;
37,8«, 39,4«, Puls 120, regelmässig.
12. September. Allgemeinbefinden befriedigend. Nahrungsaufnahme an-
dauernd gut. Die Wunde ist sehr trocken und schmierig belegt. Ueber den
Langen überall voller Percussionsscball und reines Vesiculärathmen. Herz-
töne rein. Temp. 37,6«, 38,8«, 38,5«, 38,9«. Puls Abends klein, 156. Aether
subcutan.
13. September. Die Wunde ist immer noch trocken und schmierig
belegt. Feuchter Verband. Geringer Hirnprolaps. Temp. 38,3«, 38,9«, 37,8«,
39,3«, 38,5«, 38,9«, Puls 124, kräftiger.
14. September. Hartnäckige Verstopfung, Stuhlgang nur nach Klystier.
Temp. 38,0«, 38,1«, 37,7«, 38,0«, 37,8».
15. September. Die Wunde hat sich gereinigt. Temp. 37,9«, 37,2«, 38,1«,
38,9«, Puls zwischen 108 und 120, regelmässig. Keine Klage, Patient trinkt
viel Milch.
16. September. Hirnprolaps etwas grösser. Temp. 37,5«, 36,1«, 39,7«,
S?,!«. Puls Abends klein und sehr frequcnt.
17. September. Patient schluckt nicht mehr so gut. Sensorium klar.
Temp. 37,0«, 38,4«, 38,0«, 38,6«. Puls klein, 132, Respiration 32.
18. September. Die Wunde sieht gut aus, überall frische Granulationen.
Die Abscessnöhle im Kleinhirn sondert noch ziemlich viel Eiter ab. Temp.
36,5«, 37,1«, 39,7«, 40.0«. Respiration 44, kein Husten, über den Lungen reines
Vesiculärathmen. Puls sehr klein und frequent, aber nicht aussetzend. Aether
sobcutan. Viel Wein.
19. September. Seit gestern Abend grosse Unruhe. Pupillen different,
wechselnd. Anhaltende Verstopfung, wiederholtes Erbrechen. Aus der Abscess-
höble wird immer noch viel Eiter entleert. Temp. 38,7«, 39,3«, 38,5«, 39,5«,
40,0«. Puls 160.
20. September. Nahrungsaufnahme gering. Patient schluckt schlecht
and verschluckt sich dabei sehr leicht. Nährkly&tier. Erbrechen seltener.
Der Hirnprolaps ist grösser geworden. Die Eiterabsonderung aus der Abscess-
höhle ist minimal. Temp. 38,S«, 39,4«. 39,1«, 40,3«. Puls 160.
21. September. Heute wieder stärkere Eiterung aus der Abscesshöhle.
Sonst Status idem. Temp. 40,3«, 38,6«, 41,8«, 39,9. Puls besser.
22. September. Patient lässt Urin unter sich. Nahrungsaufnahme ver-
weigert, Nährklystier. Die Wunde sieht gut aus. Am rechten Vorderarm
thalergrosse Abscedirung, an einer Stelle, wo vor einigen Tagen eine Aether-
injection gemacht war. Temp. 39,1«, 37,1«, 39,8«, 38,6«, 40,1«, Puls 146, Re-
spiration 36.
8
♦
116 III. GRÜNERT und SCHULZE
23. September. Der Hirnprolaps ist grösser geworden. Oefter Er-
brechen. Temp. 38,4«, 40,6®, 38,7«, 39,2«. Puls kaum fahlbar, Oampher
subcutan.
24. September. Temp. 40,1«, 41,0«, 39,6«, 41,1«, Puls klein und frequent,
hie und da aussetzend. Coma. Exitus Abends 8V2 ühr.
Sectionsprotocoll.
Das Schädeldach auf der rechten Seite leicht mit der Dura verwachsen.
Pia der Gonvexit&t beider Hemisphären mit geringem eitrigen Exsudat belegt,
hauptsächlich längs der Qefässe und zwar gleichmässig auf beiden Seiten. An
der Schädelbasis kein Eiterbelag, auch nicht entsprechend dem Schläfenbein. Der
rechte Nervus acusticus erscheint durch Quellung dicker als der linke; im
Porus acusticus internus kein Eiter sichtbar. Sinus petrosus supcrior, inferior
und cavernosus frei. lYom Sinus sif moideus nur die innere Wand erhalten, die
nicht verfärbt ist. Das durch die Operation freigelegte und in eine
nach aussen offeneRinne umgewandelteForamen jugulare zeigt
«n der Innenwand Reste der Innenwand des Bulbus venae jugu-
laris, welche mit gelbem Eiterbelag bedeckt sind. Die Halb-
rinne ging unmittelbar über in die durch Excision ihrer late-
ralen Wand in eine flache Rinne umgewandelte Vena jugularis
interna. Unterhalb der fest verwachsenen Unterbindungsstelle der Vena
jugularis interna befindet sich ein pflaumengrosser, peri venöser Abscess, be-
grenzt durch eine feste Abscessmembran. Eine Gommunication dieser Abscess-
höhle mit dem unterhalb der Unterbindungsstelle befindlichen Theil der Yene
ist durch Sondirung nicht nachzuweisen. Beim Aufschneiden dieses letztern
Venentheils entleert sich ein eitrig durchsetzter Thrombus, der sich bis in
die Subclavia verfolgen lässt, dort braunrothe Farbe zeigt und spitzzulaufend
endigt.
Im rechten Kleinhirnlappen eine kirschgrosse Höhle, welche die Rinden-
substanz zerstört hat; die Auskleidung von grauröthlicher Farbe und fetziger
nekrotischer Oberfläche. Die Hiru Substanz zwischen dieser Höhle und dem
vierten Ventrikel von normal fester Consistenz ohne Extravasate und ohne
Zeichen von Entzündung. Der bei Lebzeiten beobachtete Prolaps wird dar-
gestellt durch die entzündlich geschwollenen zum Theil schon nekrotischen
Ränder der Abcesshöhle. In den Hirnventrikeln überall auffallend geringe
Menge normaler seröser Flüssigkeit. Plexus choroideus normal. Ependym
^latt und nicht verfärbt.
Lunge und Herz gesund.
Niere und Leber bieten Zeichen von Verfettung. Milz vergrössert, mürbe.
Section des Schläfenbeines: Im horizontalen Bogengang
•eine Fistel, aus welcher Eiter quillt. Steigbügel fehlt, im Fo-
ramen ovale Eiter. Foramen rotundum offen, mit Eiter ange-
füllt. Im vertikalen Bogengang Eiter. Kapsel der Schnecke
sehr blutreich. Schnecke selbst voll Eiter.
Epikrise: Unsere Diagnose hatte gelautet: chronische
Eiterung mit Sinusthrombose und Pyämie. Der vorhandene
Kleinhirnabscess war vorher nicht diagnostioirt worden, sondern
wurde erst bei der Operation aufgedeckt. Thatsächlioh bot
weder die Anamnese noch der Untersuchungsbefund irgend einen
Fingerzeig dafttr, dass möglicherweise eine Complication mit
einem Hirnabscess vorliegen könnte, vielmehr beherrschten die
von der Sinusthrombose und Pyämie herrührenden Erscheinungen
im wesentlichen das Krankheitsbild. Etwaige von dem Absoess
ausgelöste Herderscheinungen lagen nicht vor, die Kopfschmerzen
bestanden erst seit drei Tagen, seit dem Beginn der acut ein-
Jahresber. der Kgl. Universitäts-ObreDklinik zu Halle a. S. 1900/1901. 117
setzenden Pyämie, Schwindel und Erbrechen waren überhaupt
Dicht vorhanden, derPuls war der hohen Temperatur entsprechend
frequent und nicht von cephalischem Charakter. Die Psyche des
Knaben hatte, wie die Mutter später wiederholt versicherte,
niemals eine auffallende Veränderung gezeigt. So blieb denn
als einziges Verdachtsmoment der Augenspiegelbefund übrig.
Freilich auch dieses Zeichen war bei der Complication mit Sinus-
tbrombose nicht besonderes ins Gewicht fallend, namentlich da
es sich nicht um eine ausgeprägte Stauungspapille, sondern um
eine beginnende Neuritis optica mit starker Hyperämie des ganzen
Angenhintergrundes handelte, also um Veränderungen, die mög-
licherweise durch die Sinusaffection allein hervorgerufen sein
konnten.
Was die Entstehung des Kleinhirnabscesses im vorliegenden
Falle anbetrifft, so ist mit Sicherheit anzunehmen, dass derselbe
nioht von dem erkrankten Labyrinth aus inducirt worden ist,
sondern dass in Folge der Entzündungsvorgänge an der Sinus-
wand die angrenzende Partie des Kleinhirns per contiguitatem
erkrankt ist. DafQr spricht nicht nur die oberflächliche Lage
des unmittelbar an die morsche Sinuswand angrenzenden Abs-
cesses, sondern auch das ganze Aussehen desselben: er machte
mehr den Eindruck eines acuten encephalitischen Erweichungs-
herdes.
Die operative Behandlung der Sinusthrombose an sich war hier
von zweifellos gutem Erfolge : die Schüttelfröste blieben aus, und
es erfolgte keine Metastasenbildung. Wenn auch bei der Section
die centralwärts an die Jugularisligatur angrenzenden Gefäss-
partieen sich als thrombosirt erwiesen, so war doch der Thrombus
derart, dass das centrale Ende desselben eine gute braunrothe
Farbe zeigte. Durch die radicale Freilegung der erkrankten
Sinuswand, der Vena jugularis und namentlich des Bulbus venae
jugularis, sowie durch die Ausräumung der in den genannten
Gefässen enthaltenen Thromben und durch die Excision der er-
krankten Gefässwände selbst ist die weitere Fortschwemmung
von Thrombenmassen und die Aussaat infectiöser Stoffe in die
Blutbahn verhindert worden und somit der Beweis geliefert, dass
durch die ausgedehnte Sinusoperation in der oben beschriebenen
Weise thatsächlich eine Ausschaltung d^s erkrankten Gefäss-
bezirks aus der Girculation erreicht werden kann.
An dem letalen Ausgange der Erkrankung waren weder
die Sinusaffection noch der Hirnabscess Schuld. Als Aus-
118 III. ORUNERT und SCHULZE
gangssteilen für die die Todesursache bildende Meningitis kämen
in Betracht: die Trepanationsstelle, der Hirnabscess, das Laby-
rinth. Dass sich die Meningitis nicht von der Trepanationsstelle
ans verbreitet hat, geht aus dem Umstände hervor, dass bei der
Seotion keine stärkere Ausbreitung des Exsudats an der Tre-
panationsöffnung zu oonstatiren war und dass dieselbe durch
frische gesunde Granulationen nach der Schädelhöhle gut ab-
geschlossen war. Vom Hirnabscess selbst hatte auch keine
Infection der Hirnhäute stattgefunden: der Abscess war allseitig
von gesunder Hirnsubstanz umgeben, ein Durchbruch in den
vierten Ventrikel war sicher nicht vorhanden. So kommt die
eitrige Labyrintherkrankung allein als Ausgangspunkt f&r die
tödtliche Meningitis in Betracht. Das Bestehen einer Labyrinth-
affection war nach dem Ergebniss der Hörprüfung wahrscheinlich
und wurde durch die Auffindung der Fistel im horizontalen
Bogengang bei der Operation zur Gewissheit: auffallend ist nur
das Fehlen von Schwindelerscheinungen, trotz der diffusen eitrigen
Entzündung im Labyrinth, trotz der Bogengangsfistel und trotz
des fehlenden Steigbügels.
Die Entwickelung der Meningitis fällt erst in die letzten
Tage vor dem Tode. Zur Zeit der Operation war, wie auch
die Lumbalpunction zeigte, noch keine Meningitis vorhanden.
12. Otto Michaelis, 19 Jahre alt, Bergmann aus Zemschen. Aufge-
nommen am 5. April 1900, gestorben am 15. April 1900.
Die Krankengeschichte dieses an Lungentaberculose zu Grunde ge-
gangenen Patienten, welcher in Folge von Caries des Schläfenbeins an Garotis-
blutungen gelitten hatte, ist ausführlich von Zeroni mitgetheilt (cf. d. A.
Bd. LI. S. 97).
13. Bertha Tamm, 15 Jahre alt, Dienstmädchen aus Halle. Aufge-
nommen am 5. Februar 1901, gestorben am 7. Februar 1901.
Anamnese: Patientin giebt an, früher niemals ernstlich krank gewesen
zu sein. Im Jahre 1893 wurde sie wegen eines acuten Katarrhs des linken
Ohres hier poliklinisch behandelt. Damals wurden adenoide Wucherungen ent-
fernt. Seit dem 26. Januar d. J. Schmerzen und Sausen im rechten Ohr.
Ohrbefund am genannten Tage: Schwellung, Röthung und Vorwölbung des
Trommelfells. Incision der hinteren U&lfte, wobei Eiter entleert wurde. Auch
am nächsten Tage dauerte die eitrige Secretion fort. Patientin blieb dann
mehrere Tage aus der Behandlung weg. Seit einigen Tagen Appetitlosigkeit,
fichlechter Schlaf, Kopfschmerzen in der Stirngegend. Seit vorgestern öfter
Erbrechen. Seit gestern Fieber und Frost.
Status praesens: Kräftig gebautes, für ihr Alter sehr entwickeltes
Mädchen. Sieht sehr bleich und collabirt aus. Klagt über Schmerzen im
rechten Ohr, im Kopf und im Rücken. Temp. 39, 2<), Puls sehr klein, 120.
Zunge belegt. Pupillen mittel weit, gleich, reagiren prompt auf Lichteinfall
und accommodiren gut. Augenhintergrund (Privatdocent Dr. Schieck): Venen
beiderseits ektatisch, rechts nasale Grenze der Papille verwaschen, nasale
Papillenhälfte hyperämisch. Herz und Lungen gesund. Urin frei von Zucker
und Eiweiss. Patientin stöhnt fortwährend, liegt keinen Augenblick ruhig,
wirft sich herum und klagt über unerträgliche Schmerzen im Rücken. Wäh-
rend der Untersuchung mehrmals Erbrechen. Sensibilität and Reflexe nor-
Jabresber. der Egl. Umversitäts-Obrenklinik zu Halle a. S. 1 900/ 1901. 119
mal. Selbst einfache, ihre Person betreffende Fragen beantwortet Patientin
erst nach längerem Ueberlegen und vielfach falsch. Lässt Urin unter sich.
Umgebung des rechten Ohres: Warzenfortsatz auf Druck schmerz-
haft, keine Infiltration, kein Oedem.
Gehörgangs- und Trommelfellbefund: Rechts: Gehörganj? weit,
Trommelfell leicht geröthet, abgeflacht, hinten unten pulsirender Reflex.
Links normal.
Hörprüfung lässt sich nicht vornehmen.
Therapie: Essigklystier, Eisblase auf den Kopf und hinter das Ohr,
Paracentese, wobei keine grössere Eitermenge entleert wird. Abends Temp.
39,20, Puls 104.
6. Februar. Patientin hat während der Nacht wenig geschlafen. An-
dauernde Klage über heftige Kopf- und Rückenschmerzen. Mehrmals Er-
brechen. Sopor, hie und da unterbrochen durch Aufschreien und Greifen nach
dem Kopfe. Patientin hallucinirt. Lumbalpunction ergiebt unter massig
hohem Druck stehenden, deutlich getrübten Liquor, welcher
sehr stark vermehrte Leukocyten enthält. Die Untersuchung
auf Bacterien ergiebt zahlreiche in Ketten angeordnete Diplo-
kokken. Im Centrifugat auch vereinzelte Kapsel-Diplokokken
nachweisbar. Die Untersuchung auf Tuberkelbacillen fällt negativ aas.
Hautsensibilität an den unteren Extremitäten fast ganz aufgehoben, Reflexe
erhalten. Temp. 40,1«, 40,2», 39,90, 40,5», 41,0«. Puls 124 und 130.
7. Febr. Pat. delirirt, antwortet nur auf sehr lautes Anrufen und klagt
überSchmerzen in Kopf und Rücken. Ptosis links. Erbrechen heute öfter. Lautes
Stöhnen unterbricht ab und zu den schlafähnlichen Zustand. Die Lumbalpunc-
tion liefert keinen Liquor, es tritt aber dabei eineziemlich starke Blutung ein.
Temp. 39,1^, 40,4^. Nachmitt. Gheyne-Stokes*sches Athmen. Spasmen in der
Masculatur der linken unteren Extremität. Exitus letalis 2^4 Uhr Nachmittags.
Auszug aus dem Sectionsprotocoll.
Diagnosis post mortem: Meningitis purulenta der Con-
vexität und der Basis. Meningitis spinalis. Hyperämie und
Oedem des Gehirns. Lungenblähung. Alte Endocarditis an der
Mitralis. Cystitis catarrhalis. Beginnende Nephritis. Schädel-
dach mit der Dura fest verwachsen, Innenfläche der Dura im Allgemeinen
glatt. Im Sinus longitudinalls Fibrin- und Cruorgerinnsel. Arachnoideal-
ränme der Convexität in den vorderen Partieen beiderseits mit gelbgrüuem
Eiter gefüllt. Pia stark injicirt. Im Sinus transversns und sigmoideus finden
sich Cruorgerinnsel. Die Dura über dem Clivus etwas missfarben, blutreich.
Pia der Basis stark injicirt, mit gelbgrünem dicken Eiter bedeckt, besonders
reichlich findet sich derselbe in der Gegend des Chiasma. Plexus chorioideus
schmutziggrau. Im vierten Ventrikel trübe Flüssigkeit. Ependym glatt. Klein-
him von weicher Gonsistenz. Grosshirn ödematös. Nach der Eofernung der
Dura vom Felsenbein zeigt sich dessen Oberfläch vollkommen glatt. Nirgends
sind abnorme Dehiscenzen. In der rechten Impressio trigemini findet sich
etwas gelber Eiter. Die Aussenfläche der Dura spinalis zeigt eine starke
lojection. Innenfläche ebenfalls injicirt. Die Pia ist mit graugrünem sul-
zigen Eiter bedeckt. Von der Mitte des Brustmarkes an findet sich nach
anten zu stärker werdend ein Bluterguss innerhalb der weichen Häute. Die
weisse Substanz des Rückenmarks quillt auf dem Schnitt deutlich über, die
graue Substanz erscheint etwas missfarben.
Section des Schläfenbeins: In der Paukenhöhle wenig
dünnschleimiges Secret, in welchem Bacterien nicht nach-
gewiesen werden können. Steigbügel vorhanden. Membran
des runden Fensters zeigt keinen Defect. In der Schnecke und
in den Bogengängen Eiter. Die Nerven des Perus acusticus
internus mit Eiterzellen durchsetzt. Sinus durae matris ohne
Thromben.
Epikrise: Bei der ersten Untersuchung in der Poliklinik
machte die Erkrankung ganz den Eindruck einer uncomplicirten
120 III. GRÜNERT und SCHULZE .
acuten Eiterung. Auch in den nächsten Tagen konnte nichts
AuffÄIliges im Verlanf der Krankheit bemerkt werden. Sehr
verändert war aber das Erankheitsbild, als die Patientin nach
8 Tagen wiedererschien. Das hohe Fieber, die cerebralen Er-
scheinungen auf eine Eiterretention zurflckzuftthren, dazu gab der
Befund im Ohr — bei der Paracentese wurde keine grössere Eiter-
menge entleert — und am Warzenfortsatz keine Veranlassung.
Wohl aber wiesen diese Symptome in Gemeinschaft mit dem patho-
logischen Befund am Augenhintergrunde, mit der BlasenlähmuDg
und dem getrübten Sensorium auf das Bestehen einer intra-
craniellen Complication hin. Die von uns gestellte Diagnose
Meningitis wurde durch das Ergebniss der Lumbalpunction er-
härtet. Aus folgenden Gründen könnte es den Anschein gewinnen^
als handelte es sich hier um eine primäre Meningitis, in deren
Verlauf erst secundär das Mittelohr in Mitleidenschaft gezogen
worden sei: 1. Die Meningitis war sehr weit verbreitet und zeigte
einen sehr dicken Eiterbelag, während die Entzündungserschei-
nungen am Ohr selbst verhältnissmässig geringe waren. 2. Im
meningitischen Eiter Hessen sich Bacterien nachweisen ; im Ohr-
secret nicht. Doch ist die Entstehung der Meniugitis von der
Ohraffection aus schon deshalb wahrscheinlicher, weil die Mittel-
ohreiteruDg bereits bestand, als noch nicht die Spur von menin-
gitischen Erscheinungen zu erkennen war. Es ist anzunehmen,
dass die Meningitis in der Weise zu Stande gekommen ist, dass
nach üebergreifen der Entzündung von der Paukenhöhle auf
das Labyrinth die Nerven im Perus acusticus internus die Fort-
leitung auf die Hirnhäute vermittelten, wenn auch der Uebergang
von der Paukenhöhle auf das Labyrinth nicht mit Sicherheit
nachgewiesen werden konnte. Im Ohr war die Entzündung
bereits abgeklungen, als die Infection der Meningen erfolgte;
daraus erklärt sieh das Missverhältniss in dem Befund am Ohr
und in der Schädelhöhle. Wahrscheinlich handelte es sich um
Bacterien von sehr starker Virulenz, — dafür spricht ihr rapides
Vordringen gegen das Labyrinth und die Hirnhäute — aber
von verhältnissmässig geringer Lebensdauer und Widerstandskraft
gegen äussere Einflüsse, so dass im Ohrsecret keine Bacterien
mehr vorhanden waren, während dieselben in den. Gehirn- und
Bückenmarkshäuten günstigere Bedingungen fanden für ihr un-
gestörtes Wachsthum. Es verdient noch hervorgehoben zu werden,
dass sich bei der letzten am Tage vor dem Tode ausgeführten
Lumbalpunction kein Liquor entleerte, was wohl dadurch zu
Jahresber. der Kgl. UDiversitäts-Obrenhlinik zu Halle a. S. 1900/1901 . 121
erklären ist, dass in Folge des dicken weit nach unten reichenden
Eiterbelags und in Folge der starken Anfqaellung der Rücken-
markssubstanz der Sückenmarkskanal so verlegt war, dass ein
Abfliessen der Flüssigkeit nach unten nicht stattfinden konnte.
Dass vielfaches Manipuliren mit der Pnnctionsnadel zu vermeiden
ist, lehrt dieser Fall recht deutlich, denn es kam dabei zu einer
recht erheblichen Blutung. Ein so ausgedehnter Bluterguss
innerhalb der weichen Häute, wie er hier bei der Section ge-
funden wurde, dürfte möglicherweise doch zu schweren Fuuctions-
störungen Veranlassung geben können.
Mastoidoperationen.
u
.S n
Dauer
mm
e
Name
2
Diagnose,
resp. Befund
der Behandlung
in der
Resultat
Bemerkungen
z
^^
&
Klinik
überhaupt
1 Wüh.
17
Chron. Eiterung links.
3 Mon.
3 Mon.
GeheUt.
KrauBcr. T.*)
Caries.
2 Minna FTil-
11
Chron. Eiterang links.
2VsMon.
2Va Mon.
Geheilt.
—
■ brecht. T.
Cholesteatom.
3
Otto
40
Chron. Eiterung links.
— -
— .
Unbe-
Grosser Extra-
Träger. T.
Caries.
kannt.
duralabscess in
der mittleren
Sohttdelgrube.
4 Minna
5
Aoute Eiterung rechts.
2 Mon.
2 Mon.
Geheilt.
Entzündung d.
Ringleb.
Empyem.
Sinuswand.
5i Otto
29
Chron. Eiterung rechts.
8 Tage.
8 Tage.
Gestorben.
Carotisblutg.
Michaelis. T.
Caries.
beim Verband-
wechsel.
6
Bertha
11
Chron. Eiterung rechts
14 Tage.
3Va Mon.
ünge-
Ferisinuöser
Schentzel. T.
Caries. Cholesteatom.
heilt.
Abscess.
1 FrauFanline
50
Chron. Eiterung links.
8 Tage.
—
Noch in
Caries a. d. La-
' Müller. T.
Caries. Cholesteatom.
Behandig.
byrinthwand.
8
Ernst
Scholz. T.
35
Chron. Eiterung rechts.
Caries. Cholesteatom.
3 Woch.
Gestorben.
Jugularisun-
terb. Schläfen-
lappenabscess-
1
operation.
d Heinrich
47
Acute Eiterung links.
6 Woch.
2 Mon.
Geheilt.
Entzündung d.
i Joohade.
Sinuswand.
lOlMarthaKasoh-
274
Acute Eiterung rechts.
Ambulat.
—
Unbe-
' niaeiek.
behandelt.
kannt.
11 Emma
12
Chron. Eiterung links
1 V2 Mon.
3 Mon.
Unge-
fianm. T.
Caries. Cholesteatom.
heilt.
12 Ernst
29
Acute Eiterung links.
In d. Filia-
—
Unbe-
Schneider.
Empyem.
le gelegen.
kannt.
13 Friedrieh
53
Chron. Eiterung links.
2 Mon.
2 Mon.
Geheilt.
—
Müller. T.
Caries. Cholesteatom.
14 Adolf Lenz.
37
Acute Eiterung rechts.
6 Woch.
6 Woch.
GeheUt.
Perisinuöser
_
Abscess.
1) T hinter dem Namen ■■ Totalaufmeisselung, unter 129 Fällen 95 mal zur Anwendung ge-
kflanen«
122
III. GRÜNERT und SCHULZE
.9 c
Dauer
i
Name
U h
Diagnose,
resp. Befund
der Behandlung
Kl^ überhaupt
Resultat
Bemerkungen
15
Elise
21
Ghron. Eiterung recht«.
6 Woch.
__
Noch in
Caries a.d.Ijs-
Meyer. T.
Caries.
Behandig.
byrinthwand.
16
Anna Koeh.
?
•
Acute Eiterung rechts.
Empyem.
In der Fil.
behandelt.
—
Geheilt.
17
Gustav
Schaefer.
19
Acute Eiterung links.
Ebenda.
■' —
Unbe-
kannt.
PerisinuOser
Abscess.
18
Bertha Haus-
mann. T.
9
Chron. Eiterung rechts.
Caries. Cholesteatom.
7 Woch.
7 Woch.
GeheUt.
"' '
19
Karl
Ritter. T.
10
Chron. Eiterung rechts.
Cholesteatom.
8 Tage.
^^^^
Gestorben.
Jugularisun-
terbind. Sinus-
operation.
20
Georg Tille.
18
Acute Eiterung links.
Empyem.
6 Woch.
6 Woch.
Geheilt
21
Hugo
Mothes.
26
Acute Eiterung links.
3 Woch.
3 Woch.
Geheilt.
22
Anna
Scharsig. T.
16
Chron. Eiterung links.
Caries. Cholesteatom.
3 Woch,
—-
Ünge-
heUt.
23
Sophie
Botbe. T.
33
Chron. Eiterung links.
Cholesteatom.
8 Woch.
3 Mon.
Geheilt.
Jugularison-
terbind. Sinus-
Operation.
24
Wilh.
8
Chron. Eiterung rechts.
2 Mon.
Noch in
Labyrinth-
König. T.
Caries. Cholesteatom.
Behandig.
wand cariös.
25
Hermann
Rüdiger. T.
13
Chron. Eiterung rechts.
Caries. Cholesteatom.
6 Woch.
Der Be-
handlung
entzogen.
26
Albert
Punke. T.
15
Chron. Eiterung rechts.
Caries.
2 Mon.
2V2 Mon.
Geheilt.
~
27
Anna Hallens-
leben. T.
13
Chron. Eiterung rechts.
Caries.
3 Woch.
6 Woch.
Geheilt.
28
Frau Hedwig
Lorenz. T.
38
Chron. Eiterung rechts.
Caries.
4 Woch.
5 Mon.
Geheilt.
29
Martha
Sohulze. T.
5
Chron. Eiterung links
Caries. Cholesteatom.
In der
Filiale
gelegen.
Geheilt.
30
Friedrich
Schooh.
59
Acute Eiterung rechts.
Empyem.
Ebenda.
——
ünge-
heüt.
31
Bertha
Prophet. T.
12
Chron. Eiterung rechts.
circa
2 Mon.
372 Mon.
GeheUt.
Perisinuöse
Eiterung.
32
Ida Vetter. T.
15
Chron. Eiterung links.
1 Mon.
Noch in
Behandig.
Labyrinth-
wand cariös.
33
Hermann
8
Chron. Eiterung rechts.
1
^>.
\
_^^^
Jahr. T.
Caries.
\ 2 Mon.
1 Noch in
Labyrinth-
34
Hermann
8
Chron. Eiterung links.
—
r Behdlg.
wandcaries.
Jahr. T.
Caries.
35
Oscar "Kind.
40
Acute Eiterung rechts.
Empyem.
1 Mon.
1 Va Mon.
Geheilt.
■
36
Moritz
"Wagner.
46
Acute Eiterung rechts.
Empyem.
~~*
~~~*
Geheilt.
37
Walter
7
Chron. Eiterung links.
2 Mon.
—
Noch in
Labyrinth-
Böhme. T.
Caries.
Behandig.
wandcaries.
Jahresber. der Egl. Uniyersit&ts-Ohrenklinik zu Halle a. S. 1900/1901. 123
o
S a
•f
Dauer
a
9
55
Name
2
Diagnose,
resp. Befund
der Behandlung
Kliofk »^^«'^^^P*
Resultat
Bemerkungen
38
Marie
Paelecke. T.
21
Chron. Eiterung rechts.
Garies.
3Wooh.
2 Mon.
Der Behlg.
entzogen.
—
39
Hertha
Scheibe.
16
Acute Eiterung rechts.
Caries. Empyem.
3 Woch.
—
Noch in
Behandig.
40
Frau Luise
Schmie-
decke. T.
23
Chron. Eiterung links.
Caries.
6 Wooh.
2 Mon.
Geheilt.
41
Hermann
Wiesener. T.
21
Chron. Eiterung links.
Garies.
6 Woch.
3 Mon.
Geheilt.
42
Fritz Beilicke.
16
Acute Eiterung rechts.
6 Wooh.
6 Woch.
Geheilt.
Mastoiditis.
43 Karl Sohmidt.
5
Acute Eiterung rechts.
Mastoiditis.
5 Wooh.
6 Woch.
Geheilt.
44 , Edaard
15
Chron. Eiterung rechts.
3 Mon.
4 Mon.
Geheilt.
;Eckardt. T.
Cholesteatom.
45
Walter
7
Chron. Eiterung links.
In der
—
Un-
Rochow T.
Cholesteatom.
Filiale
gelegen.
bekannt.
46
Elisabeth
Palsz. T.
13
Chron. Eiterung rechts.
Cholesteatom.
2 Woch.
2 Wooh.
Gestorben.
Perisinuöser
Absoess. Eiter
aus d. Vestibu-
1
1
lum entleert.
Kleinhirnabs-
cessoperation.
47
Luise
Schöne. T.
19
Chron. Eiterung rechts.
Caries.
272 Mon.
5 Mon.
GeheUt.
45
Emma
Albrecht T.
16
Chron. Eiterung links.
Garies.
5 Woch.
2 Mon.
Geheilt.
49 Otto
36
Acute Eiterung links.
14 Tage.
5 Wooh.
GeheUt.
—
Zimmermann.
Empyem.
50 Emma
17
Chron. Eiterung rechts.
6 Woch.
2 Mon.
Geheilt.
—
Weigelt. T.
Garies.
51
Minna
6
Chron. Eiterung rechts.
4 Mon.
4 Mon.
Geheilt.
1 Heyne. T.
Caries.
d2 Hermine
16
Chron. Eiterung links.
7 Woch.
3 Mon.
Geheilt.
Fachymenin-
1 Lehmann. T.
1
1
Garies.
gitis ext. exsu-
dativa.
^3 Bertha
13
Chron. Eiterung links.
9 Woch.
3 Mon.
Geheilt.
—
Zwarg T.
Caries.
M ; Willy
7
Chron. Eiterung rechts.
—
—
Un.
—
Borchardt. T.
Garies. Cholesteatom.
bekannt.
^^ Christine
32
Chron. Eiterung links.
?
?
Gebeilt.
Pachymeng.
Fahlbußch. T.
Cholesteatom.
ext. exsudat.
K Aagust
29
Chron. Eiterung links.
—
Un-
—
Borstdorf. T.
Garies.
bekannt.
57 Frieda
18
Chron. Eiterung links.
2V2 Mon.
. 3 Mon.
Geheilt.
Dressel. T.
Caries.
5S Walter
12
Chron. Eiterung rechts.
<—
Der Be-
1 Schmidt. T.
Cholesteatom.
handlung
i
entzogen.
124
III. GRUNERT und SCHOLZE
&
Dauer
s
s
Name
o
l-s
5^
Diagnose,
resp. Befund
der Behandlung
Klinik ^^«'^^•^^P*
Resultat
liemerkungen
59
Martha
Schiebel.
3
Chron. Eiterung links.
Empyem. Caries.
2V4 Mon.
2V4 Mon.
Ungeheilt.
—
60
Gustav
Laert». T.
18
Chron. Eiterung rechts.
Cholesteatom.
3 Woch.
5 Mon.
Geheut.
61
Emma
Schmidt.
4
Acute Eiterung links.
Mastoiditis.
5 Woch.
5 Woch.
Geheilt.
62
Otto Katz. T.
16
Chron. Eiterung links.
Caries.
2VjMon.
2Vs Mon.
Geheilt.
63
Frau Clara
Seifert. T.
30
Chron. Eiterung links.
Caries.
1 Mon.
3 Mon.
Geheilt.
64 Georg
29
Chron. Eiterung links.
6 Woch.
6 Woch.
Gestorben.
Kleinhirnabsc.
Ratajewski. T.
Caries. Cholesteatom.
Sinusthromb.
65
Friedrich
Hubald. T.
25
Chron. Eiterung links.
Caries.
7 Woch.
272 Mon.
Geheilt.
—
66
Richard
6
Chron. Eiterung rechts.
16 Tage.
16 Tage.
Gestorben.
Sinusoperat.,
Krüger. T.
Cholesteatom.
Jugularis-
unterbindung.
67
Minna
Prosohwitz. T.
17
Chron. Eiterung links.
Caries.
7 Woch.
7 Woch.
Geheilt.
68
Minna
?
Chron. Eiterung rechts.
Ambulat.
—
Un-
Becker. T.
Caries.
behandelt.
bekannt.
69
Hildegard
Renner.
14
Acute Eiterung rechts.
6 Woch.
6 Woch.
Geheilt.
Perisinuöser
Abscess.
70
Ida
Schneider. T.
5
Chron. Eiterung rechts.
Caries.
circa
2 Mon.
—
Geheilt.
—
71 Angast
52
Chron. Eiterung rechts.
7 Woch.
7 Woch.
Gebessert,
Ludwig. T.
Ohr trock.
72 ' Wilhelm
12
Chron. Eiterung links.
4 Woch.
3 Mon.
Geheilt.
__^
Koch. T.
Cholesteatom.
73
Albert
Stolze. T.
14
Chron. Eiterung links.
Cholesteatom.
3 Mon.
Noch in
Behandig.
—
74
Marie
Marschall. T.
4
Chron. Eiterung rechts.
Cholesteatom.
2 Mon.
'—'
Geheilt.
—
75
Paul Hinze. T.
8
Chron. Eiterung rechts.
Caries.
4 Mon.
—
Noch in
Behandig.
Labyrinth-
wandcaries.
76
Willy
Schulze. T.
16
Chron. Eiterung rechts.
Cholesteatom.
> 3 Mon.
3 Mon.
Geheilt.
Cholesteatom-
bild.a.d.Dura
übergegriflfen.
77
Willy
Schulze T.
16
Chron. Eiterung links.
Cholesteatom.
Geheilt.
—
78
Ernst
Gommel. T.
47
Chron. Eiterung rechts.
Cholesteatom.
1 Woche.
Gestorben.
Sinusoperat.,
Jugularis-
unterbindnng.
79
Rudolf
üsleb. T.
15
Chron. Eiterung rechts.
Cholesteatom.
2V2 Mon.
2V2Mon.
Geheilt.
Sinusblutnng.
80
Martha
Eckoldt. T.
18
Chron. Eiterung rechts.
Caries. Cholesteatom.
Ambnlat.
behandelt.
—
Geheilt.
81
Otto
Wedler. T.
8
Chron. Eiterung rechts.
Cholesteatom. Nekrose.
—
3 Mon.
Geheilt.
82
Ida Köhler. T.
21
Chron. Eiterung rechts.
Caries.
■—
272 Mon.
Geheilt.
Jahrcsber. der KgL Uniyersit&ts-Ohrenklinik zu Halle a. S. 1900/1901. 125
ä ;
E
S
Name
55 ^
Diagnose,
resp. Befand
Daner
der Behandlung
in der
Klinik
überhaupt
Resultat
Bemerkungen
83 Franz Sargus.
84
Ida Köhler. T.
85 Wilhelm
König. T.
86 Martha
Böhme.
S7 Luise
Bruntke. T.
88. Otto
i Schumacher T.
89 Otto
Henning. T.
90 Adolf
Hummel. T.
91, Christian
Barthel. T.
92 EmU
Lippold. T.
93, Wüly
I Schmidt. T.
94 Emma
liiohter.
95 Emma
Richter.
96 Emma
j Burggraf. T.
97 Amalie
Sparing.
9S Carl
Brückner.
99 Frau Bertha
Muller. T.
100 Frau Sichting.
tOl Otto
Rudloflf. T.
}02 Franz
Spierling. T.
103 Olga
Kunisch. T.
104 Wilhelm Eule.
105 Carl Hake. T.
18
21
8
5
22
It
15
21
39
15
5
15
15
22
56
41
34
51
12
12
6
18
5
Chron. Eiterung rechts
mit Caries.
Chron. Eiterung rechts.
Caries.
Chron. Eiterung links.
Caries. Cholesteatom.
Acute Eiterung links.
Caries.
Chron. Eiterung rechts.
Cholesteatom.
Chron. Eiterung links.
Caries. Cholesteatom.
Chron. Eiterung rechts.
Chron. Eiterung links
Caries.
Chron. Eiterung links.
Caries. Cholesteatom.
Chron. Eiterung rechts.
Caries.
Chron. Eiterung rechts.
Cholesteatom.
Acute Eiterung rechts.
Nekrose.
Acute Eiterung links.
Mastoiditis.
Chron. Eiterung links.
Cholesteatom.
Acute Eiterung rechts.
Empyem.
Acute Eiterung xechts.
Empyem.
Chron. Eiterung links.
Caries.
Acute Eiterung links.
Empyem.
Chron. Eiterung links.
Cholesteatom.
Chron. Eiterung rechts.
Cholesteatom.
Chron. Eiterung rechts.
Cholesteatom.
Acute Eiterung rechts.
Mastoiditis.
Chron. Eiterung rechts
Oaries. Cholesteatom.
7 Wooh.
ca. 3 Hon.
1 Mon.
2 Mon.
3VaMon.
4Vs Mon.
4 Woch.
9 Mon.
272 Mon.
3V« Mon.
5 Wooh.
3 Mon.
2Vs Mon.
5 Woch.
In d. Füia-
le gelegen.
1 Mon,
2 Mon.
2Vs Mon.
2 Mon.
3 Vi Mon.
472 Mon.
9 Wooh.
272 Mon.
37t Mon.
272 Mon.
8 Mon.
2 Mon.
In d. Filia-
le gelegen
1 Mon.
274 Mon.
1 Va Mon.
2 Mon.
2 Mon.
Geheilt.
Un-
bekannt.
Noch in
Behandig.
Geheilt.
Geheilt.
üngeh. La-
byrinthw.
cariOs.
Geheilt.
Geheilt.
Noch in
Behandig.
Geheilt.
Geheilt.
Ungeheilt.
Geheilt.
Noch in
Behandig.
Gestorben.
Ohr geh.
Geheilt.
Noch in
Behandig.
Geheilt.
Geheilt.
Ungeheilt.
Geheilt.
Geheilt.
Labyrinth-
wandcaries.
Granulationen
der Sinuswand
auüntzend.
Exsudative
Entzündung d.
SinuBwand.
Pachymening.
ext. purul.
PerisinuOser u.
tiefer extradu-
raler Abscess.
Labyrinth-
wandcaries.
Bulbus
undJttgularis-
thrombose.
Noch in
Behandig.
Auf Verlangen
d. Eltern entl.
Ferisinuöser
Abscess.
Labyrinth-
wandcaries
126 III. 6RUNERT und SCHULZE, Jahresbericht 1900/1901.
u
o
C4
,04 M
Dauer
s
S
Name
U U
Diagnose,
resp. Befund
der Beh
in der
Klinik
andlung
überhaupt
Resultat
Bemerkungen
106
Paul
Himmelreich.
5
Acute Eiterung links.
Empyem.
2 Mon.
3 Mon.
Üngeheilt.
107
Albert
Ziegler. T.
13
Chron. Eiterung rechts.
Cholesteatom.
3»/4 Mon.
Ungeheilt.
Auf Verlangen
des Vaters entl
108
Richard
Bönholdt. T.
37
Chron. Eiterung rechts.
Cholesteatom.
2 Mon.
^^^
Noch in
Behandig.
—
109
Elsbeth
Kersten. T.
6
Chron. Eiterung rechts.
Cholesteatom.
5 Woch.
2 Mon.
Geheilt.
110
Luise Maok.
4
Acute Eiterung rechts.
Empyem.
1 Mon.
1 Mon.
GeheUt.
111
Theodor Hil-
denhagen.
35
Acute Eiterung rechts.
IVsMon.
2 Mon.
GeheUt.
PerisinuOser
Abscess.
112
Friedrich
23
Chron. Eiterung links.
D.Behand-
—
Hankel. T.
Caries.
lung entz.
113
Friedrich
Hankel. T.
13
Chron. Eiterung rechts.
Caries. Cholesteatom.
' 7 Woch.
—
D. Behand-
lung entz.
114
Heinrich
Käaelitz. T.
17
Chron. Eiterung rechts.
Caries.
—
Geheilt.
—
115
Carl Fleisoh-
mann. T.
44
Chron. Eiterung rechts.
Cholesteatom.
14 Tage.
3 Mon.
Geheilt.
—
116
Emma
Saal. T.
8
Chron. Eiterung rechts.
Caries.
Ind. Filia-
le gelegen.
5 Mon.
GeheUt.
—
117
Paul Rolle. T.
15
Chron. Eiterung rechts.
Caries.
5 Mon.
5 Mon.
Geheilt.
Sinusoperat,
Jugularis-
unterbinduDg.
HS
Herr stud.
St.
22
Acute Eiterung rechts.
Empyem.
1 Mon.
1 V« Mon.
Geheilt.
—
119
Paul
FUrstenberg.T.
14
Chron. Eiterung. Cho-
lesteatom.
6 Mon.
6 Mon.
Geheilt.
Perichondriüs
ind.Nachbhlg.
120
Walter
Schönert.
1
Acute Eiterung.
—
—
Geheilt.
—
121
Ida
Dreyhaupt. T.
10
Chron. Eiterung.
Caries.
7 Woch.
31/2 Mon.
GeheUt.
122
Henriette
Kaumann. T.
32
Chron. Eiterung. Ca-
ries. Cholesteatom.
12 Tage
2Va Mon.
GeheUt.
123
Hermann
Wieprich. T.
9
Chron. Eiterung links.
Caries.
—
— .
Noch in
Behandig.
124
Ernst
Schmidt.
14
Acute Eiterung.
3 Mon.
3 Mon.
GeheUt.
Sinusoperat.)
Jugularis-
unterbinduDg.
125
Frau
Kimmich. T.
29
Chron. Eiterung. Cho-
lesteatom.
Ind.Filia.
le gelegen.
—
GeheUt.
—
126
Elisabeth
Römer. T.
26
Chron. Eiterung links.
Cholesteatom.
4 Mon.
—
GeheUt.
—
127
Elisabeth
Börner. T.
26
Chron. Eiterung rechts.
Cholesteatom.
—
Noch in
Behandig.
128
Otto Griesau.
7
Acute Eiteiung rechts.
2 Mon.
Gebeilt.
129
Hedwig
Kleemann. T.
12
Chron. Eiterung links.
Cholesteatom.
1 Mon.
5 Mon.
Gebeilt.
/
IV.
Statistische Nachrichten fiber die Krankenbewegnng und
die Frequenz der Stndirenden in der Universitäts-Ohren-
klinik zn Halle a. S. während der Zeit vom 1, April 1884
bis 1, April 1901,
Von
Prof. H. Sehwartze.
(Mit 2 Gorven.)
Während des bezeichneten Zeitraums haben in der statio
sären Klinik Aufnahme gefunden 2835 Personen, und sind in
der Poliklinik an neuen Kranken zugegangen 29 460. Die Zahl
der poliklinisch behandelten Kranken seit 15. October 1863 bis
zur Eröffnung der stationären Ohrenklinik (1. April 1884) betrug
5963, so dass im Ganzen 35 423 Patienten poliklinisch behandelt
wurden.
Die jährliche Zahl der Kranken in der stationären Klinik
hat sich langsam zunehmend vermehrt, bis sie in den letzten
3 Etatsjahren etwa das Dreifache der Anfangszahl pro 1884
erreicht hat. Die höchste Jahresaufnahme betrug 234. Der
jährliche Zugang an neuen poliklinischen Kranken ist seit der
Eröffnung der stationären Ohrenklinik von 1021 auf 2516 ge-
stiegen und hat sich annähernd auf gleicher Höhe in den letzten
Jahren erhalten.
Von den 2835 stationär behandelten Kranken sind 16& ge-
storben, also 5 — 6^/0. Von den in der Poliklinik vorgekommenen
Todesfällen sind nur einzelne in diese Berechnung eingeschlossen,
weil sich die Mehrzahl derselben der Section zu entziehen pflegt
oder überhaupt nicht zur Kenntniss kommt.
128 IV. 8CHWARTZE
Die durch die Section erwiesenen Todesursachen waren:
Meningitis purulenta, uncomplicirt 30
Hirnabsoess, einfach und mehrfach, uncomplicirt ... 9
Sinusphlebitis mit Pyftmie, uncomplicirt 28
Meningitis purulenta, oomplicirt mit
Hirnabscess 19
Sinusphlebitis 12
Hirnabscess und Sinusphlebitis 6
subduralem Abscess am Kleinhirn 1
Sinusphlebitis und tiefem sub duralen Abscess .... 2
Hirnabscess, complicirt mit
subduralem Abscess 1
Sinusphlebitis 12
Meningitisserosa (?) 2
Hydrocephalus internus 2
Encephalitis traumatica 1
Apoplexia oerebri 1
Meningitis tuberculosa 8
Hirntuberkel 2
Tumor cerebelli 1
Osteosarcoma der Schädelbasis 2
Carcinoma des Schläfenbeins 5
Tuberculosis pulmonum sive universalis .... 5
Lupus i
Multiple Abdominal-Sarkome 1
Pneumonie 5
Scharlach-Diphtherie 2
Urämie 1
Anämie 1
Leukämie 1
Chloroformasphyxie 3
Keine Section 1
Summa: 165
Die zunehmende Zahl der Todesfälle vom Jahre 1896/97
ab ist der vermehrten Zahl der stationär behandelten Kranken
entsprechend. In tabellarischer üebersicht ist die Vertheilung der
Todesfälle auf die einzelnen Jahrgänge unter Hinzufügung der
Zahl der stationär und poliklinisch behandelten Kranken zu-
sammengestellt.
Kr&ukenbeweg. n. Frequeuz d. Studlr. zu Halle a. S. 1. Apr. 18S4/1901. 129
Zahl der
Todesfälle
Zahl der
Zahl der
Jahr
Stations-
krankon
poliklinischen
Kranken
1884
6
79
1021
1885
4
121
1015
1886
6
120
1213
1/1.1887—1/4.88
7
132
1583
1/4 1888-1/4 89
15
166
1515
1889/90
7
165
1623
1 890/91
8
172
1605
1891/92
6
167
1662
1 892/93
7
178
1636
1893/94
12
147
1813
1894/95
5
169
1716
1895/96
9
183
1875
1896/97
16
184
1869
1897/98
13
191
2053
1898/99
16
218
2516
1899/1900 ^
15
232
2320
1900/1901
13
211
2425
165
2835
29,460
l-b3— IS84
37
-
5963
•
202
2S35
35,423
Das Verhältniss des Zugangs au neuen Kranken im poli-
klinischen Ambulatorium und in der stationären Abtheilung ist
in graphischer Darstellung (S. 130) beigefügt.
Die Zahl der Stu dir enden, welche die Vorlesungen in
der Klinik belegt haben, betrug nach den officiellen Quästur-
listen 1527. Die Tabelle auf S. 131 giebt Auskunft über die Ver-
theilung derselben auf die einzelnen Semester unter Beifiigung
der jedesmaligen Anzahl der Studirenden der Medicin überhaupt.
Bei den Vorlesungen ist geschieden zwischen Klinik und Publi-
eam. In letzterem wurden die Untersuchungsmethoden syste-
matisch gelehrt und geübt. Bis zum Wintersemester 1896/97
habe ich dieses Publicum neben der Klinik regelmässig selbst
gehalten, von da ab meinem 1. Assistenten Herrn Privatdocenten
und Professor Dr. Grün er t übertragen.
Während des Wintersemesters 1895/96, des Wintersemesters
1S97/98 und des Sommersemesters 1898 war ich durch Krank-
heit behindert, die Klinik selbst zu halten, daher der vorüber-
gehende Ausfall in der Zahl der Hörer. Seit 1898 hat sich die
Zahl der Mediciner in Halle überhaupt stetig fortschreitend ver-
mindert, und zwar vorzugsweise der Mediciner in den klinischen
Semestern, so dass dem entsprechend auch die Zahl der Hörer
in der Ohrenklinik bisher nicht wieder die früher gewohnte
Archiv 1 Ohrenheilkunde. LIV. Bd. 9
IV. BCHWARTZE
Zahl der stationären und poliklinücken Kranken in graphUcher
Darstellung.
2550
3500
1450
2400
3350
2300
2250
2200
2160
2100
2050
2000
195(1
IBOO
1S50
1800
1760
1T04I
1050
ICOU
1»0
1500
14»D
1400
1350
1300
12M
1200
1150
1100
1050
1000
Höbe erreicht hat. In den Jahrui 1884 — 1897 scbwaakte die
Zahl der Hörer zwischen U nnd 31o/o der Medioin-Stndirenden;
TOD) Wintersemeeter 1698/99 bis Sommersemester 1901 zwisohen
8 lind 18»/o.
Krankenbeweg, u. Frequenz d. Studir. zu Halle a. S. 1. Apr. 18S4/1901. 131
Semester
Zahl der
Mediciner
Zahl der HOrer
in
ttherhanpt
Klinik
Pnblionm
Summa
Sommer-ßemester 1884
282
20
18
38
Winter-Semester 1884/85
301
12
23
35
Sommer-Semester 1885
316
18
18
36
Winter-Semester 1885/86
280
25
12
37
Sommer-Semester 1886
328
37
39
76
Winter-fiemester 1886/87
316
27
40
67
Sommer-Semester 1887
329
32
29
61
Winter-Semester 1887/88
295
22
27
49
Sommer-Semester 1888
301
30
32
62
Winter-Semester 1888/89
311
24
32
56
Sommer-Semester 1889
335
40
40
80
Winter-Semester 1889/90
289
28
32
60
Sommer-Semester 1890
301
46
47
93
Winter-Semester 1890/91
272
31
34
65
Sommer-Semester 1891
270
41
36
77
Winter- Semester 1891/92
282
22
17
39
Sommer-Semester 1892
283
34
36
70
Winter-Semester 1892/93
266
18
14
32
Sommer-Semester 1893
263
35
29
64
Winter-Semester 1893/94
234
31
28
59
Sommer-Semester 1894
247
27
11
38
Winter-Semester 1894/95
249
20
19
39
Sommer-Semester 1895
242
20
11
31
Winter-Semester 1895/96
253
nicht gelese
Q wegen Krankheit
Sommer-Semester 1896
217
14
8
22
Winter-Semester 1896/97
236
17
6»)
23
Sommer-Semester 1897
242
17
13
30
Winter-Seroester 1897/98
265
nicht
gelesen
6
6
Sommer-Semester 1898
245
wegen
Krankheit
16
16
Winter-Semester 1898/99
242
9
11
20
Sommer-Semester 1899
231
9
13
22
Winter-Semester 1899/1900
226
10
30
40
Sommer-Semester 1900
215
13
17
30
Winter-Semester 1900/1901
203
10
25
35 .
Sommer-Semester 1901
191
9
10
19
Das Verhältniss der Gesammtzahl der Mediciner zur Zahl
derjenigen Mediciner, welche die Vorlesungen in der Ohren-
klinik vom Sommersemester 1884 bis Sommersemester 1901 ange-
nommen haben, ist aus der graphischen Darstellung auf S. 132
ersichtlich.
Aus der Klinik sind 45 otologische Inaugural-Dissertationen
hervorgegangen. Die Namen der Verfasser sind auf S. 133 flg.
alphabetisch geordnet und bei jedem Namen das Thema der
Dissertation hinzugefügt.
1) Von hier ab hielt Herr Dr. Gran er t das Publicnm „Ueber die
Üntersachangsinethoden des Ohres" im Auftrage des Directors ab.
9*
IV. &CUWABTZE
-IS"
S. 1884 5.
W. 84/85 I a.
S. 1885 •» g"
W. 85/86 * &.
S. 1886
W. 86/87 l'Si
S. 1887 g^
W. 87/88 g |.
S. 1890 ^S
W. »0/91 3 |_
S. 1891 ? IT
W. 91/9! I ^
S. 1892 I |;
W. 92/93
S. 1893 ^
i?
toS
W. 93/94
S. 1894
W. 94/95 §f
a. 1895 3 *^
W. 95/96 7J5
W. 96/97 a g
8. 1897 ' ^
W. 97/98 g a.
S. 1898 -'s-
W. 98/99 J ^
S. 1899 I 1*
W. 99/00 I ^
8. 1900 I ^
Wiatst ^g
1900/01 ft a_
s. 1901 a S.
Krankenbeweg, u. Frequenz d. Stndir. zu Halle a. S. 1. Apr. 1S84/1901. 133
1. Alberti, Schmndel bei Ohrkrankheiten.
2. Barniek, Angenspiegelbefiinde bei Otitis media pnrnl.
3. Beinert, Traumatische Raptnren des Trommelfells.
4. Bertnch, Rigiditftt und Synostose der Steigbfigelvorhof^rer-
bindnng.
5. Boeters, Nekrose des Gehörlabyrinths.
6. Borberg, Wölbungsanomalien des Trommelfells.
7. Brann*), Trepanation bei otitisohem Hirnabseess.
8. Briese, Facialisparalyse bei Ohraffeotionen.
9. Bnss, Primärer Epithelialkrebs des Mittelohrs.
10. Dell w ig, Inflnenza-Otitis.
11. Dormagen, Garies des Schläfenbeins.
12. Eilers, Tnbercnlöse Meningitis im Anschlnss an operativ
geheilte Caries des Schläfenbeins.
13. Evers, Kritischer Beitrag zur Steigbügelextraction zum
Zwecke der Hörverbessernng.
14. Eysell, Tödtliche Ohrkrankheiten.
15. Friedrich, Statistische und casnistische Beiträge zur Ohren-
heilkunde.
16. Felgner, Mikroskopische und chemische Untersuchung des
Eiters bei Garies.
17. Hertzog, Letale Folgeerkrankungen bei Otit. med. pur.
18. Herz, Traumatische Rupturen des Trommelfells.
19. H es sei, Ohrpolypen.
20. Hejdloff, Ohrkrankheiten als Folge und Ursache von
Allgemeinkrankheiten.
21. Jurka, Garcinom des äusseren Gehörgangs.
22. Köhler, Nekrose des Gehörlabyrinths.
23. Kroll, Schwindelzufälle bei Ohrkrankheiten.
24. Liebe, Erysipelas bei Otitis.
25. Linstädt, Einfluss der cariösen Otitis interna auf den Oe-
sammtorganismus.
26. Miehle, Gholesteatom des Schläfenbeins.
27. Müller, Blutung aus der Vena jugularis bei Paracentese
des Tronimelfells.
28. Mflhr, Nasenirrigationen als Ursache von Otitis.
29. Pause, Adenoide Vegetationen im Nasenrachenraum.
30. Pieper, Pyaemia ex otitide.
31. Pohl, Perichondritis auriculae.
*) Die mit * yersehenen Dissertationen Nr. 7, Nr. 35 und Nr. 39 sind in
diesem Archiv als Originalarbeiten erschienen.
134 lY. SGHWAKTZE
32. Pütz, Fremdkörperoperation.
33. Rammelt, Nasenraehenpolypen.
34. Salomon, Otitisehe Himabecesse.
35. Sohttlzke*), Topographisch-anatomisch wichtige Verhält-
nisse am Schädel für Mastoidoperationen.
36. Schmidt, Erkrankungen des Ohres bei Inflnenza.
37. Schlomka, Exostosen im äusseren OehSrgang.
38. Straaten, Mobilisation nnd Extraction des Steigbügels.
39. Schwidop"^), Ein Fall von Sarkom der Schädelbasis.
40. Sperber, Fremdkörper.
41. Umpfenbach, Tnbercnlöse Erkrankungen des Ohres.
42. Waitz, Casuistik zur chirurgischen Eröffnung des Warzen-
fortsatzes.
43. Weise, Lues des Ohres.
44. Wetzel, Excision des Trommelfells und der zwei äusseren
Gehörknöchelchen bei chronischer Otorrhoe.
45. Wolff, Ohraffectionen beim Abdominaltyphus.
Ausser den 1527 Studirenden haben die Klinik zum Zwecke
des Unterrichts benutzt 121 Aerzte; von diesen waren aus:
Deutschland 27
Nordamerika 26
England 10
Rnssland 8
Schweden 8
Oesterreich -Ungarn 7
Frankreich 6
Holland 5
Japan 5
Belgien 4
Italien 3
Dänemark 3
Norwegen 2
Südamerika 2
Spanien
Türkei
Griechenland
Schweiz
Australien (Sidney) .
Summa 121
In diesen Zahlen sind die Theilnehmer an den sogenannten
„ärztlichen Fortbildungskursen^, welche in den letzten Jahren
eingeftlhrt wurden und während der Ferien regelmässig von dem
Krankenbeweg. u. Frequenz d. Stadir. zu Halle a. S. 1. Apr. 18S4/1901. 13&
1. AssifiteEten der Klinik abgehalten wurden, nicht eingesohlossen.
Die Zahl der Theilnehmer an diesen Kursen betrug über 100*
Für die ausserdeutsehen Leser dieser statistischen Uebersieht
ist zu bemerken, dass der Besuch von Vorlesungen über Ohren-
heilkunde und der Besuch einer Klinik fbr Ohrkrankheiten bis-
her nicht obligatorisch war für das medicinisehe Studium and
Dir die Meldung zur Staatsprüfung für Aerzte im Deutschen
Reiche, und dass daher die Annahme solcher Vorlesungen von
Seiten der Studirenden aus eignem Ermessen und ohne äusseren
Zwang geschah. Der nunmehr durch Beschluss des Deutschen
Bundesraths zum Gesetz gewordene Entwurf der neuen ärztlichen
Prüfungsordnung für das Deutsche Reich, über welchen im Archiv
Bd. L, S. 292 bereits berichtet ist, bestimmt, dass der Gandidat
bei der Meldung zur ärztlichen Prüfung den schriftlichen Nach-
weis bringt, dass er ein Halbjahr eine Klinik oder Poliklinik
fbr Ohrenkrankheiten regelmässig besucht hat. Der Candidat
soll in der chirurgischen Prüfung gelegentlich der Kranken-
besuche auch die für einen praktischen Arzt erforder-
lichen Kenntnisse in der Erkennung und Behandlung
der Ohrenkrankheiten darthun. Seitens der Centralbehorde
kann jedoch die Prüfung in den Ohrenkrankheiten auch dem
Prüfungsabschnitt der medicinischen Prüfung zugewiesen
werden. Der berufene Vertreter und klinische Lehrer der Ohren-
heilkunde bleibt ausdrücklich von der Prüfung ausgeschlossen
und wird dadurch in eine Ausnahmestellung gedrängt, welche
bisher in keinem anderen Fache üblich war. Ob diese Bestimmung,
dass die Prüfung in der Ohrenheilkunde dem chirurgischen, resp.
dem medicinischen Prüfungsabschnitt zugewiesen wird, den davon
gehegten Erwartungen entsprechen kann und praktisch durch-
fthrbar sein wird, ist zu bezweifeln. Jedenfalls liegt in der
ideellen Anerkennung der Nothwendigkeit „der fQr einen prak-
tischen Arzt erforderlichen Kenntnisse in der Erkennung
und Behandlung der Ohrenkrankheiten^ ein anerkennungswerthes
Zugeständniss, auf dem wir fussen können. Mit der Verweigerung
der Ausstellung von Practicantenscheinen haben es die klinischen
Lehrer der Ohrenheilkunde vorläufig in ihrer Hand, absolut un-
wissenden Candidaten die Meldung zur Staatsprüfung abzusohnei.
den. Es wird aber noth wendig werden, sich darüber zu verständigen,
welches Maass von Kenntnissen zur Ertheilung des Practicanten-
Scheines als genügend betrachtet werden soll, damit nicht Ungleich-
heiten in der Handhabung den Zweck der Einrichtung vereiteln.
136 IV. 8CHWARTZE
Zum Sohlnss dieses statistisohen Berichtes ftige ich ein ehro-
nologisoh geordnetes Verzeiohniss aller seit April 1884 ans der
Klinik hervorgegangenen wissenschaftlichen Arbeiten bei, welche
grössten Theils in diesem Archiv pnblicirt worden sind. Nur
einzelne derselben sind in andern medicinischen Zeitschriften
(Mtinchenermedicinische Wochenschrift, Berliner klinische Wochen-
schrift, Fortschritte der Medicin) erschienen.
1. Eretschmann, Zar Wirkung des Cocain. D. Arch. Bd. XXII. 8. 243 u. ff.
2. Stacke und Kretschmann, Jahresbericht 1884. D. Arch. Bd. XXII.
S. 243 u. ff.
3. Kretschmann, Jahresbericht 1885. D. Arch. Bd. XXIII. S. 217.
4. Derselbe, Ueber Carcinoma des Schläfenbeins. D. Arch. Bd. XXIV. S. 231.
5. Kretschmann und Rohden, Jahresbericht lS8t>. D. Arch. Bd. XXY.
S. 106.
6. Kretschmann, Fistelöffnungen am oberen Pole ries Trommelfells Qber
dem Processus breyis des Hammers, deren Pathogenese und Therapie.
D. Arch. Bd. XXV. S. 165.
7. Reinhard and Ludewig, Jahresbericht 1887/88. D. Arch. Bd. XXYII
S. 201.
8. Schimmelbusch, Ueber die Ursachen der Furunkel. Dieses Archi?.
Bd. XXVII. S. 252.
9. Braun, Die Erfolge -der Trepanation bei dem otitischen Himabscess.
D. Arch. Bd XXIX. S. 161.
10. Schulz ke, Ueber die Möglichkeit, einige für die operative Eröffnung
des Warzenfortsatzes topographisch-anatomisch wichtige Verhältnisse
am Sch&del vor der Operation zu erkennen, und über den praktischen
Werth einer solchen Erkenntniss. D. Arch. Bd. XXIX. 8. 201.
11. Ludewig, Casuistische Mittheilun^en. I. LebensgetUhrliche Blutung bei
Paracentese des Trommelfells durch Verletzunt; des Bulbus venae
jugularis. II. Ruptur des Trommelfells durch Blitzschlag. D. Arch.
Bd. XXIX. S. 234.
12. Derselbe, Ueber Ambosscaries und Ambosscxtraction, ein Beitrag zur
Aetiologie und Therapie der chronischen Mittelohreiterung. D Arch,
Bd. XXIX 8. 241.
13. Derselbe, Jahresbericht 1888/89 D. Arch Bd. XXIX. S. 263.
14. Schwartze, Statistische Nacnrichten über die Krankenbewegunji; und
die Frequenz der Studirenden in der Universitäts-Ohrenklinik in üalle a.S.
während des Lustrums vom 1. IV. 1S84 bis I. IV. 1889. D. Archiv
Bd. XXIX. S. 295.
15. Schülzke, Zur operativen Eröffnung des Warzenfortsatzes. Eine Er-
widerung an Herrn Dr. Körner. D. Arch. Bd« XXX. S. 136.
16. Ludewig. Inflnenzaotitis. D. Arch. Bd. XXX. S. 204.
17. Derselbe, Zur Ambosscaries und Ambossextraction. Jahreskontrolle
und Erweiterung der Casuistik von 32 auf 75 Fälle. Dieses Archiv.
Bd. XXX. S. 263.
18. Derselbe, Jahresbericht 1889/90. D. Arch. Bd. XXXI. S. 1.
19. Panse, Jahresbericht 1890/91. D. Arch. Bd. XXXIII. S. 38.
20. Grunert, Weitere Mittheilungen über die Hammer- Ambossextraction
mit besonderer Rücksicht auf die Diagnose der Ambosscaries. D. Arch.
Bd. XXXIII. S. 207.
21. Panse, Stacke's Operationsmethode zur Freilegung der Mittelohrr&ume
während des ersten Jahres ihrer Anwendung in der Ohrenklinik za
Halle a. 8. vom 14. L 1891 bis 14. L 1892. D. Arch. Bd. XXXIV. S. 248.
22. S c h w i d o p , Ein Fall von Sarkom der Schädelbasis mit secundärer Affection
des Schlateuheins. D. Arch. Bd. XXXV. S. 39.
23. Grunert, Verhalten der Körpertemperatur nach der Mastoidoperation.
D. Arch. Bd. XXXV. S. 178.
Emikenbeweg. u. Frequenz d. Studir. zu Halle a. S. 1. Apr. 1884/1901. 137
I
24. Gran er t, Ötaeke^s Operationsmethode während des zweiten Jahres ihrer
Anwendung in der Kgl. Ohrenklinik zu Halle a. S. Dieses Archiv.
Bd. XXXV. 8. 198.
25. Grunert und Pause, Jahresberieht 1891/92. Dieses Archiv. Bd. XXXV.
S.231.
26. Grunert, Das otitische Cholesteatom. Berliner klinische Wochenschrift
1893. No. 14.
27. Derselbe, Geheilter Fall von Pyaemia ex otitide; Unterbindung der Vena
jugularis; Durchspülung ihres peripheren Endes und des Sinus traus-
versus. D. Arch. Bd. XXXVI. S. 71.
28. Derselbe, Ueber das Wesen und die Bedeutung der Eiterretention im
Mittelohr. Münchener med. Wochenschr. 1893.
29. Derselbe, Jahresbericht 1892/93. D. Arch. Bd. XXXVI. 8. 278.
30. Grunert und Meier, Jahresbericht 1893/94. D. Arch. Bd. XXXVIII.
8. 205.
31. Edg. Meier. Zur Fortleitung otitischer EiteruTifren in die Scbädelhöhle
durch den Ganalis caroticus. D. Arch. Bd. XXXVIII. S. 259.
32. Schwartze, Mittheilungen aus der Kgl. Universitäts-Ohrenklinik zu
Halle a. S. D. 4rch. Bd. XXXVIII 8. 283.
33. Leutert, Pathologisch -histologischer Beitrag zur Cholesteatomfrage.
D. Arch. Bd. XXXIX. S. 233.
34. Grunert, Beitrag zur operativen Freilegung der Mittelohrr&ume. (Patho-
logisch-anatomische, klinische und experimentelle Arbeit). D. Arch.
Bd. XL. 8. 188.
35. Schülzke, Zur topographischen Anatomie des Ohres in Rücksicht auf
die Sch&delform. D. Arch. Bd. XL. 8. 253.
36. Grunert, Die Extraction der Columella bei Tauben. Fortschritte der
Medicin. 1894. No. 19.
37. Schwartze, Ueber Garies der Ossicula auditus. D. Arch. Bd. XLI. 8. 204.
38. Derselbe, Cholesteatoma verum squamae ossis temporum. D. Arch.
Bd. XLI. 8. 207.
39. Derselbe, Otogener Gerebellarabscess. D. Arch. Bd. XLI. 8. 209.
40. Leutert, Ueber die otitische Py&mie. D. Arch. Bd. XLI. 8. 217.
41 Grunert, Was können wir von der operativen Entfernung des Steig-
bügels bei 8teigbügel-Vorhofankylose zum Zweck der HOrverbessorung
erho£fen? D. Arch. Bd. XLI. 8. 294.
42. Donalies, Histologisches und Pathologisches vom Hammer und Amboss.
D. Arch. Bd. XLII. 8. 226.
43. Grunert und Leutert, Jahresbericht 1894/95. D. Arch. Bd. XLIL S. 233.
44. Grunert, Ueber extradurale otogene Abscesse und Eiterungen. D. Arch.
Bd. XLIII. 8. 81.
45. Derselbe, Ein neues operatives Verfahren zur Verhütung der Wieder-
verwachsung des Hammeivriffes mit der Labyrinthwaod nach ausge-
jfübrter Svnechotomie und Tenotomie des M tensor tympani. D. Arch.
Bd. XLIII. 8. 135.
46. Leutert, Ueber periauricnl&re Abscesse bei Furunkeln des iüusseren
Gehörganges. D. Arch. Bd. XLIII. 8. 267.
47. Grunert, Jahresbericht 18<»5/96. D. Arch. Bd. XLIV. 8. 1.
48. Lentert, Die Bedeutung der Lumbalpuuction für die Diasinose intra-
cranieller Complicationen der Otitis. Münchener medicinische Wochen-
schrift 1897. No. 8 und 9.
49. Grunert, Jahresbericht 1896/97. D. Arch. Bd. XLIV. S. 26.
50. Jordan, Casuistischer Beitrag zur Lehre von den intracraniellen Com-
plicationen der Otitis. D. Arch. Bd. XLIV. 8. 169.
51. Grunert, Anatomische und klinische Beiträge zur Lehre von den intra-
craniellen Complicationen der Otitis. Münchener medicinische Wochen-
schrift 1897. No. 49 und 50.
52. Derselbe, Ein Beitrag zur operativen Behandlung des otogenen Hirn-
abscesses. Berl. klin. Wochenschr. 1896. No. 52.
53. Zeroni, Beitrag zur Kenntiiss der Heilungsvorg&nere nach der operativen
Freilegung der Mittelohrräume. D. Arch Bd. XLV. 8. 171.
138 IV. SCHWARTZE, Erankenbeweg. u. Freqaens d. Stadir. zu Halle a.S.
54. Grunert, Zur Kritik der tbierexperimeDtellen Ergebnisse Eirchner*8
bei seinen Vergiftungsversachen mit Salicyls&are und Chinin. Ein
Beitrag zur experimentellen Pathologie des Oehörorgans. D. Arch.
Bd. XLV. S. 161.
55. Derselbe, Zur Entstehung der Fistula auris und auriculae congenita.
D. Arch. Bd. XLV. 8. lü.
56. Grunert undZeroni, Jahresbericht 1897/98. D. Arch. Bd.XLYI. 8. 153.
57. L entert, Bakteriologuch-klinische Studien über Complicationen acuter
und chronischer Mittelohreiterungen. D. Arch. Bd. XLVI. 8. 190
und Bd. XLVII. 8. 1.
58. 8chwartze, Ueber erworbene Atresie und 8trictur des Gehörganges
und deren Behandlung. D. Arch. Bd. XLVII. 8. 71.
59. Grunert, Eine neue Methode der Plastik nach der Totalauf meisselung
der Stirnhöhle wegen Empyems. Münch. med. Wochenschr. 1899. No. 48.
60. Zeroni, üeber das Carcinom des Gehörorgans. D. Arch. Bd.XLVIII. 8. 141.
61. Derselbe, Ein neues Instrument zur Ambossextraction vom äusseren
Gehörgang aus. D. Arch. Bd. XL VIII. 8. 191.
62. Grunert, Historische Notiz über die Beziehung der Otologie zur Rhinologie
(Eine Richtigfitelluns). D. Arch. Bd. XL VIII. S. 281.
63. Grunert und Zeroni, Jahresbericht 1898/99. D. Arch. Bd. IL. 8. 97.
64. Dieselben, Jahresbericht 1899/1900. D. Arch. Bd. IL. 8. 177.
65. Zeroni, Bemerkungen zur Arbeit des Herrn Dr. B. Hoffmann „Zur
Technik der Ambossextraction''. D. Arch. Bd. L. 8. 75.
66. Hansen, Ueber das Verhalten des Augenhintergrundes bei den otitischeu
intracraniellen Erkrankungen auf Grund der in der Klinik seit 1892
gemachten Beobachtungen. D. Arch. Bd. LIII. 8. 196.
67. Grunert, Beitrag zur operativen Behandlung der otogenen Sinus«
thrombose, insbesondere zur operativen Freilegung des Bulbus venae
jugularis. D. Arch. Bd. LIU. S. 286.
68. Schulze, Ueber einige auf nicht operativem Wege geheilte F&Ue oti-
tischer Py&mie. D. Arch. Bd. LIII. S. 297.
69. Zeroni, Ueber Betheiligung des Schläfenbeines bei acuter Osteomyelitis.
D. Arch. Bd. LUI. 8. 315.
70. Braunstein. Die Bedeutung der Lumbalpunction für die Diagnose
intracranielier Complicationen der Otitis media. D. Arch. Bd. LIV. S. 6.
71. Grunert und Schulze, Jahresbericht 1900/01. D. Arch. Bd. LIV. 8. 63.
72. Schwartze, Historische Notiz über Cholesteatom des Schläfenbeins. 8. 139.
V.
Historische Notiz fiber Cholesteatom des Schläfenbeins.
Von
H. Sehwartze.
Die nachfolgende hiBtorische Notiz war eigentlich fbr die
FestBchrift bestimmt, welche wir mit dem 53. Bande dieses
Archivs dem Nestor der pathologischen Anatomie gewidmet
haben. Ans äusseren Gründen mnsste sie zurückgestellt werden.
Es war meine Absicht, durch diese Notiz daran zu erinnern,
daas wir ausser der allgemeinen Verehrung und Dankbarkeit,
die wir dem grossen Gelehrten zollen, einen speciellen Grund
hatten, ihm diese Festschrift zu widmen. Verdanken wir dem
Gefeierten doch eine Grund legende Arbeit über eine der wich-
tigsten Erankheitsformen des Ohres, welche überall verbreitet
ist, in jedem Lebensalter vorkommt und in zahllosen F&Uen
neben dem Gehörsinn Gesundheit und Leben vernichtet.
Ob das, was wir heute Cholesteatom des Schläfen-
beins nennen, dem grossen Anatomen und Physiologen Johannes
HflUer, der den Namen Cholesteatom in die Terminologie der
Gfesehwfllste eingeführt hat (über den feineren Bau der (}e-
sehwttlste 1838. S. 50) schon bekannt gewesen ist, erscheint
sehr zweifelhaft. Unter den von ihm als Cholesteatom beschrie-
benen Geschwülsten finden sieh nur 4, die möglicher Weise mit
einem Cholesteatom des Schläfenbeins in Zusammenhang ge-
bracht werden können. Von einer Untersuchung des Schläfen-
beins ist freilieh nichts erwähnt. Es sind dies: 1) ein Chole-
steatom aus der Schuppe des Occiput. Vom Occiput wissen wir
ja, dass es mitunter pneumatische Räume enthält, die mit eben-
solohen Bäumen im Schläfenbdn communieiren können. Da-
durch ist die Möglichkeit vorhanden, dass ein Schläfenbein-
Cholesteatom dorthin mit seinen Ausläufern hineinwächst. 2) ein
Cholesteatom aus den Ventrikeln des grossen Gdiirns, das ebeoh
140 V. 8CHWARTZE
falls dorthin als vom Sohlftfenbein hineiogewaobsen denkbar ist^
und 3) zwei Cholesteatome in der Gehirnsnbstanz.
Alle flbrigen Fälle, welche Johannes Mflller beschreibt,
gehören sicher nicht hierher, sondern betreffen Atherome.
Anch die 4 oben erwähnten Fälle sind zweifelhaft, weil
die Geschwülste sämmtlich von einer „feinen, undeutlich fasrigen
Haut eingeschlossen^ gefunden wurden, während doch diese
„Cystenmembran^ sonst nur in ganz vereinzelten Fällen des Ohr-
Gholesteatoms nachgewiesen worden ist.
Was Cruveilhier (Anatomie pathologique du corps humain
Paris 1830—1842) unter dem Namen „tumeur perlöe** beschreibt,
findet sich in Bd. I, livraison II planche 6 unter dem Titel
„maladies du cerveau^ mit der Ueberschrift „Tumeurs d'apparence
perlöe form6es par la matiöre grasse et de la Cholesterine, de-
pos6es dans le cerveau^. Es heisst dort: „H est övident que
cette tumeur a son siöge dans le tissu cellulaire sereux sous-
arachnoidien*^. — „Du reste, cette tumeur ne pr6sentait aucune
trace d'organisation ; c'ätait un produit de söcrötion d^posö dans
les mailies du tissu cellulaire; une matiöre grasse, ayant la
consistance de la moelle des os ou bien du suif, recouverte par
une couche plus cob^rente, sorte de cristallisation lamelleuse
qui affectait le brillant de Targent ou de la perle^.
Vom Schläfenbein ist nichts erwähnt. Aus der zugehörigen
Abbildung geht mit Sicherheit hervor, dass es sich um Cho-
lesteatom gehandelt, nicht aber mit Sicherheit, dass es sich
um ein vom Schläfenbein ausgehendes Cholesteatom gehan-
delt hat.
Was Cruveilhier weiterhin (Bd. II, 26. livraison, planche II)
unter dem Namen „tumeurs fibreux du rocher^ beschreibt, sind
Tumoren, von denen es ganz zweifelhaft bleibt, um was es sieh
gehandelt hat. Rokitansky (3. Auflage S. 403) meint aller-
dings, es seien höchst wahrscheinlich krebsartige Geschwülste
gewesen. Cruveilhier hat aber bei dem ersten Falle, der am
ausführlichsten beschrieben und mit schöner Abbildung versehen
ist, ausdrtlcklich hinzugefügt, dass derselbe nicht die geringste
Spur einer krebsartigen Degeneration darbot. Die Möglichkeit,
dass es sich auch hier um Cholesteatome gehandelt habe, ist in-
dessen, wie auch Rokitansky zugiebt, nicht ausgeschlossen,
vielleicht um ähnliche Tumorenformen, wie ich sie in meinem
Lehrbuch der chirurgischen Krankheiten des Ohres, S. 222 be-
schrieben und abgebildet habe.
Historische Notiz über Cholesteatom des Schläfenbeins. 141
Uebrigens geht aus einer beigefügten Bemerkung Gruveil-
hier's hervor, dass er Tumoren von der hinteren oder vorderen
Fläche des Felsenbeins ausgehend häufiger gefunden hat. ^La
desoription des tumeurs du rocher möriterait de trouver place
dans l'histoire des tumeurs d6velopp6s dans le cräne ete/ —
Auch das von S. Pappenheim (Specielle Gewebelehre des
Gehörorgans, 1840. S. 1847) Gesehene und Beschriebene lässt die
Vermuthung zu, dass es sich möglicher Weise um Cholesteatom
des Schläfenbeins gehandelt habe. Seine Beschreibung ist aber,
wie bereits Virchow und H. Wen dt mit Recht gesagt haben,
so unklar, dass mindestens Zweifel in der Deutung des Be-
fundes bestehen bleibt.
£s handelte sich um ein Itj&hriges, scrophulöses Kind mit Caries der
Brustwirbel ohne Tuberculose der Langen. Schwerhörigkeit und beständiges
Kla$;en über Stechen und Summen in den Ohren und Kopfschmerzen waren
die Veranlassung gewesen, die Schläfenbeine p. m. zu untersuchen. „Im Sinus
mabtoideus des rechten Obres fand sich eine erbsengelbe, fettgl&nzende Ge-
schwulst. Sie bestand grossentheils aus Cholestearinkrystallen und kohlen-
saurem Kalk.'* Dabei Stenose der Tuba Eostachii, geschwollene Schleimhaut
der Paukenhöhle und iu letzterer viel Flüssigkeit. Auch im Warzenfortsatz
des linken Ohres eine gelbe Geschwulst „in der Schleimhaut'^ nahe am Proc.
brevis des Ambosses, „die sich durch die KnochenzeUen des Proc. mastoldeus
weit hinzog'S „Das Trommelfell war an die hintere (soll wohl heissen mediale)
Fläche der Paukenhöhle fest angewachsen*' (von Perforation oder Narbe im
Trommelfell ist nichts erwähnt). Die Schleimhaut in der Paukenhöhle ver-
dickt, so dass die Gehörknöchelchen in derselben „vergraben" waren, auch
der Steigbügel ganz unsichtbar wurde. „Ueber dem Foramen ovale eine ganz
kleine Oeffnung von der Grösse einer Stecknadelspitze (vermuthlich eine con-
genitale oder erworbene Dehiscenz, wie sie an dieser Stelle so häufig vor-
kommt). Die Membran des runden Fensters grössten Theils verknöchert.
In den Bogengängen und Vorhöfen beiderseits keine Anomalie. Marantische
Thrombose im Sinus longitudinalis superior.**
Die ganze Schilderung macht den Eindruck, als ob es sich
tun die Folgen ausgeheilter Eiterung des Mittelohres gehandelt
haben kann, mit der auch die Entstehung der Geschwülste (Cho-
lesteatom?) in den Warzenfortsätzen zusammenhing.
Mit mehr Wahrscheinlichkeit ist anzunehmen, dass die
von Toynbee zuerst 1850 (London med. Gaz. 1850. November
und Med. Chirurg. Transactions. Vol. 45. VII. Series) unter dem
Namen ,molluscous tumor\ später ^sebeaceous tumor' beschriebenen
Neubildungen im Ohre, welche er allerdings für primäre Balg-
gesehwttlste des Gehörganges betrachtete, zum Cholesteatom
gehörten.
Toynbee schildert unter dem Namen ,molluscous tumor^
Cystengeschwttlste (durch einen Balg begrenzte Geschwülste, aus
Epidermisschuppen bestehend), die von der Gehörgangshaut ent-
springen und sich aus den Talgdrüsen derselben entwickeln sollen.
142 V. SCHWARTZE
Dieselben sollen Knochenschwnnd (Drnckatrophie) an der hin-
teren Wand des Gehörganges gegen den Warsenfortsatz herbei-
führen nnd in diesen hineinwachsen. Der Knoohenschwnnd komme
%u Stande ohne Entzündung des Knochens, aber nnter Reiznngs-
znst&nden des Gehirns nnd führe schliesslich öfter znm Tode
durch Hirnabscess. Das Trommelfell soll dabei intact bleiben kön-
nen nnd gegen die Labyrinthwand der Paukenhöhle angedr&ngt
werden, in anderen Fällen aber auch perforirt werden und durch
die Oeffnung einen Anhang der Geschwulst in die Paukenhöhle
hin durchtreten lassen.
Dass so etwas vorkommen kann, ist wohl nicht zu bezwei-
feln, muss aber jedenfalls bei der grossen Seltenheit von Balg-
geschwfilsten im Gehörgange als ungewöhnlich bezeichnet wer-
den. Ich habe etwas Aehnliches aus Balggeschwülsten des Ge-
hörganges nie entstehen sehen, während das Cholesteatom des
Warzenfortsatzes mit Usur und Durchbruch der hinteren Gehor-
gangswand zu den alltäglichen Befunden gehört. Dabei kann
' das Trommelfell allerdings ausnahmsweise intact bleiben , zeigt
aber gewöhnlich kleine, hochgelegene oder randständige fistel-
artige Durchlöcherungen. Ich vermuthe deshalb, dass sich Toyn-
bee in der Genese des von ihm beschriebenen Befundes ge-
täuscht hat, und dass es sich bei der Mehrzahl seiner Fälle um
Cholesteatom des Mittelohres gehandelt haben wird.
Die ersten, ganz zweifellosen Beobachtungen
über Cholesteatom des Schläfenbeins am Lebenden
und an der Leiche sind von K. Yirchow gemacht und
in der Arbeit über „Perlgeschwulst** in seinem Archiv (Bd. VIII,
S. 371) 1855 beschrieben worden.
Die ftlr uns wichtigsten Stellen in derselben will ich hier
wörtlich wiedergeben.
Zunächst die Beobachtungen am Lebenden: Es heisst
S. 888:
„Ich selbst habe längere Zeit hindurch zwei Personen, Vater und Sohn,
an einer Ohraffection bebandelt, welche bei beiden an derselben Stelle des
äusseren Gebörganges derselben Seite bestand. An dem oberen uuil
hinteren Theile des Ganges, nahe an dem Trommelfell, lag eine bald
mehr, bald weniger stark secernireude Fläche, in deren Grunde man den
cariösen Knochen fühlte und welche ringsum mit gefässreichen, weichen poly-
pösen Granulationen besetzt war, zwischen denen sich immer wieder neue,
weisse blättrige Massen bildeten, die aus dickgeschichteter Epidermis mit
spärlich eingestreutem Cholesterin bestanden. Nach der Abtragung der
Granulationen und anhaltendem Betupfen mit Lapis divinus schlössen sidi
diese Stellen, unter Beobachtung gehöriger Reinigung, und das Gehör, welchen
sehr stark beeinträchtigt gewesen war, stellte sich fast vollständig wie-
der her/
Historische Notiz über Cholesteatom des Schläfenbeins. 148
Das Geschilderte entsprioht so genau einem uns Allen wohl
bekannten nnd häufig wiederkehrenden otoskopisohen Befände,
dass wir nicht im Zweifel bleiben, dass es sich um Chole-
steatom gehandelt haben wird. Ueber den Befund am Trommel-
fell ist freilich nichts gesagt, ebenso wenig über die Dauer der
Beobachtung und der Controle. Nach unseren jetzigen Erfah-
rungen mflssen wir vermuthen, dass die anscheinende Heilung
nur von kurzer Dauer gewesen sein wird, weil wir durch Aetzun-
gen der Granulationen, wie sie von Virchow ausgeftihrt wurde,
ein vom Warzenfortsatz in den Gehörgang durchgewachsenes
Cholesteatom kaum zur dauernden Heilung bringen können.
Zwei an der Leiche gemachte Beobachtungen von Virchow
(ibid. S. 371) sind ganz typische Fälle von Cholestea-
tom, wie wir sie jetzt als alltäglich vorkommend kennen; der
eine ist gestorben an Meningitis mit Hirnabscess, der zweite an
Sepsis in Folge von jauchiger Thrombose des Sinus transversus
nnd der Vena jugularis interna.
Im ersten Falle sass die Geschwulst im Felsenbein und
hatte die Enochenoberfläche durchbrochen, „der grössere Theil
steckte in demienigen Theile des Knochens, welcher die Verbin-
dung der Zitzenzellen mit der Paukenhöhle verbindet^.
Im zweiten Fall steckte die Geschwulst im Felsenbein und
hatte dasselbe nach vorn und hinten durchbrochen. Weitere De-
tails über den Befund im Schläfenbein fehlen.
Auf S. 397 beschreibt Virchow dann einen dritten Fall
von zweifellosem Cholesteatom des Proc. mastoideus. In diesem
Falle war eine ausgedehnte cariöse Zerstörung des mittleren Ohres
eingetreten, und es fand sich eine grosse, mit schmutziger Jauche
geftUte Höhle, in der die auseinander geworfenen Lamellen des
Cholesteatoms zerstreut lagen. Zahlreiche nadeiförmige Fett-
krystalle waren zwischen ihnen entstanden. Virchow fügt hinzu:
interessant war dieser Fall nur genetisch, indem die
Otorrhoe schon aus früher Kindheit von einer Nachkrankheit
emes acuten Exanthems datirte, und der Tod erst einige Decen-
nien später in Folge der chronischen Otitis erfolgte." Was
Virchow f&r genetisch interessant erwähnt, also ihm damals
jedenfalls neu war, hat sich im Verlaufe der Zeit als ein ganz
alltägliches Vorkommen bestätigt. Heute würde freilich Niemand
mehr diese Genese für besonders interessant halten,^ sondern im
Gegentheil das Auffinden eines Cholesteatoms ohne voraufgegan»
langdauernde Eiterung fbr eine Rarität erklären.
144 V. SCÜWARTZE
Dies sind die in der Fnndamentalarbeit von R. Virohow
niedergelegten Beobaohtnngen. *)
Am Sohlnsse seiner Arbeit, die sich ansfbhrlich mit der Be-
ziehung des Cholesteatoms znm Atherom, Dermoid nnd Epithelial-
careinom beschäftigt, kommt er zu dem Satze: „Das Cholestea-
tom gehört demnach in die Klasse der vollkommen heterologen
(heteroplastischen) Bildungen, weil es an Orten entsteht, die nor-
mal weder Epidermis noch epidermisartige Elemente führen.^
Die Möglichkeit einer Metaplasie des Cjlinderepithels des
Mittelohres in geschichtetes Plattenepithel als Ursache der Chole-
steatombildung, wie sie vonTröltsch betont hat, ist an dieser
Localität durch histologische Befunde mit völliger Sicherheit noch
nicht bewiesen.
Durch Habermann ist jetzt das Einwachsen der Epidermis
in das Mittelohr als von gewissen anatomischen Bedingungen
noch abhängige Ursache der Cholesteatombildung dargethan,
und dadurch die Entstehung des Cholesteatoms auf der patho-
logischen Mittelohrbekleidung für viele, vielleicht die grosse Mehr-
zahl der Fälle in plausibler Weise erklärt worden. Nur für einen
kleinen Theil derselben, in welchem sich die Geschwulst im Mittel-
ohr vorfindet, ohne dass eine Eiterung voraufging und ein Hin-
einwachsen der Epidermis vom Gehörgange aus möglich war,
bedürfen wir zur Deutung der Genese der dann als heterolog auf-
zufassenden Geschwulst der zuerst von dem pathologischen Ana-
tomen BuhP) gemachten Annahme einer congenitalen Anlage,
bestehend in Abschnflrung von Plattenepithel in der embryonalen
Entwicklungsperiode(Aberrationstheorie).
Aus demselben Jahre, in welchem die Arbeit vonVirchow
erschienen ist, stammt die 3. Ausgabe der Allgemeinen patho-
logischen Anatomie von Rokitansky (Wien 1855), in welcher
auf S. 221 zu lesen ist, „dass das vom Cavum tympani aus zer-
störte Felsenbein zuweilen von Cholesteatommasse so ausgestopft
sei, dass dieselbe in den äusseren Gehörgang hereinwächst^.
Hieraus geht hervor, dass Rokitansky schon damals das
1) 24 Jahre später hat Virchow gelegentlich mitgetheilt (Berlin, klin.
Wochenschrift 1889, Nr. 10 und 11), dass er in der Charit^ in Berlin 28 Proc.
der zur Section gekommenen Fälle von Mittelohreiterung durch Cholesteatom
bedingt gefunden habe. Er bekennt bei dieser Gelegenheit ausdrücklich,
dass er Yorläufig nicht im Stande sei zu sagen, auf welche Weise die erste
Entstehung des Cholesteatoms zu erklären sei.
2) Buhl, Bayer, ärztliches Intelligenzblatt. 1869. Nr. 33.
Historische Notiz über Cholesteatom des Schläfenbeins. 145
primäre Auftreten des Cholesteatoms im Hittelohr kannte und
dessen secundäre Ausbreitung in den Gehörgang gesehen hat*
Bei der Besprechung des Vorkommens von Cholesteatom über-
haupt (ibidem S. 220) heisst es ferner noch: ^Das Cholesteatom
kommt vor auf Schleimhäuten im Gefolge
blenorrhoischer Affection, z.B. auf der des Cavum tjm-
pani u. s. w.*
Von den Anschauungen späterer pathologischer Anatomen
will ich hier nur hinzufSgen, dass Aug. Förster (Lehrbuch der
patholog. Anatomie. 4. Auflage. 1856) zuerst ausgesprochen hat,
dass den Cholesteatomen im Sinne J. Müll er 's (Cysten mit zel-
ligem Inhalt und Cholestearinkrystallen) ähnliche Geschwülste
vorkommen, die in der Hauptsache aus neugebildeten Platten-
epithelien bestehen, denen aber die Umhüllungsmembran
fehlt. Er erklärt sie für nahe verwandt mit den Epithelial-
krebsen, fügt jedoch hinzu, dass ihre Stellung in der Beihe der
Geschwülste erst nach weiteren Untersuchungen gesichert werde.
Diese Aehnlichkeit mit Epithelialkrebs ist später wiederholt be-
tont worden, z. B. von Bichard Volkmann, der das Chole-
steatom in die Mitte zwischen Cancroid und Atherom stellte
(Knochenkrankheiten, S. 4S7), und Bindfleisch (Lehrbuch der
patholog. Gewebelehre. 1878. 5. Auflage), der das Cholesteatom
an der Basis des Gehirns, das in oder unter der Pia mater ent-
steht, ein Plattenepitheliom nennt und als synonym die Be-
zeichnung „Perlkrebs*' gebraucht.
E. Wagner (Uhle und Wagner, Handbuch der allgemei-
nen Pathologie. 6. Auflage. 1874) versteht unter Cholesteatom
wie J. Müller eine Cystengeschwulst, die am häufigsten
in den weichen Hirnhäuten vorkomme. Höchst wahrscheinlich
sind nach ihm manche, nicht in Zusammenhang mit echtem Epi-
thel stehende oder entstandene Cholesteatome aus Endothel-
wneherung des Bindegewebes zu erklären.
Gegen den Namen Cholesteatom hat Virchow bereits in
seiner ersten Fundamentalarbeit Einspruch erhoben, weil Chole-
stearin weder ein wesentlicher, noch ein constanter Bestandtheil
dieser Geschwülste sei, und er schlug statt dessen den Namen
Perlgeschwulst vor als deutsche Uebersetzung des von Cruveil-
hier gebrauchten Namens Tumeur perl6e. Von Lucae ist die-
ser Vorschlag auch befolgt worden in seiner bekannten Arbeit
in diesem Archiv (Bd. VII), aber die in der otologischen Lite-
ratur aller Länder jetzt gebräuchliche Bezeichnung ist trotzdem
Aichir f. Ohrenheilkunde. LIV. Bd. 1
146 V. SCHWABTZE, Histor. Notis aber Cholesteatom des Schl&fenbeins.
Cholesteatom geblieben. Wenn wir von Perlgeschwülsten im
Obre spreohen, so denken wir zunächst an die eigenthtlmliohen
perlartigen Gebilde im Trommelfell, die nicht yon klinischer
Bedeutung sind, oder an die seltenen perlartigen Cystenbildnn-
gen in der Mittelohrschleimhant , deren klinische Bedeutung
nicht mit der des ausgesprochenen Cholesteatoms vergleichbar
ist. Auch die später (1889) von Virchow vorgeschlagene, von
Craigie zuerst gebrauchte Bezeichnung Margaritoma hat bisher
keine Nachfolge gefunden. —
VI.
Besprechungen.
1.
Thomas Barr, Manual of diseases of the ear inelnding
these of the nose and throat in relation to the ear.
Third edition revised and partially re-written. Glasgow 1901.
Besprochen von
Dr. Zeronh
Das vorliegende Werk ist ein Handbuch der Ohrenheilkunde,
ftar Studirende und Aerzte bestimmt. Das Interesse, das der
deutsche Leser einem derartigen fremdsprachigen Werke ent-
gegenbringt, ist in der Regel nur ein einseitiges. In seiner eigent-
lichen Bestimmung als Lehr- und Nachschlagebuch kommt ein
solches Werk für uns, die wir mit vortrefflichen Lehrbüchern
reichlich verseben sind, wenig in Betracht, dagegen lohnt sich
die Leetüre insofern, ahs sie uns einen Einblick in die Arbeit
unserer ausländischen Fachgenossen gewährt und uns über die
Entwicklung der Specialwissenschaft im Auslande Aufklärung
giebt. Von diesem Gesichtspunkte aus betrachtet, bietet uns das
Studium des neuen Lehrbuches reichliche Gelegenheit zu bemer-
ken, dass die von Deutschland ausgehenden Fortschritte in Eng-
land schnelle und dankbare Aufnahme finden. Dass der Verfasser
auch das Studium^ deutscher Lehrbücher sehr fleissig betrieben
hat, ist fast jedem Kapitel anzumerken. Die Beschreibung der
Behandlungsmethoden und die Indicationen zu deren Anwendung
decken sieh am meisten mit unseren Ansichten. Nicht immer
dagegen können wir mit den Anschauungen des Verfassers in
pathologisch- anatomischen Fragen uns befreunden. So ist nach
ihm das Cholesteatom ein Betentionsproduct, bestehend aus Eiter
mit Epithelzellen vermengt. Dass Plattenepithelien dabei eine
Bolle spielen, und der merkwürdige Vorgang der Einwanderung
des Plattenepithels ist gar nicht erwähnt, so dass wir annehmen
10*
148 VI. Besprechungen.
müssen, dass der Verfasser die Entstehung des Cholesteatoms
anch dort, wo nur Cylinderepithel vorhanden ist, für möglich
hält. Auch vermissen wir einen Hinweis darauf, dass an der Ent-
stehung der letalen Gomplicationen das Cholesteatom einen so
bedeutsamen Äntheil hat. Die Obliteration des Sinus durch binde-
gewebige Umwandlung eines Thrombus hält Verfasser in jedem
Falle für das Endresultat einer aseptischen Thrombose. Die
neueren Forschungen über die pathologische Anatomie der Steig-
bügelfixation und die Veränderungen in der Labyrinthkapsel bei
der Sklerose sind nicht erwähnt.
Am besten geschrieben sind die Capitel über die ünter-
suchungsmethoden und über die Gomplicationen. Besonders die Be-
schreibung der letzteren lässt eine grössere Erfahrung des Autors
erkennen und wird durch einige Krankengeschichten illustrirt. Er-
wähnenswerth ist der Fall eines nur nach innen gewucherten Sar-
koms, das die Erscheinungen eines Hirnabscesses hervorrief und
auch für einen solchen gehalten wurde. Bei der Besprechung eines
Falles von Kleinhirnabscess empfiehlt Verfasser die Anlegung einer
zweiten TrepanationsöflFnung zum Zwecke besserer Drainage und
Durchspülung bei protrahirtem Heilungsverlauf. In dem Instrumen-
tarium spielt die Fraise eine grosse Rolle, mit der auch das An-
trum in der Regel eröffnet wird. Der ZaufaTsche Hebel ist
dem Verfasser anscheinend unbekannt. Das an seiner Stelle an-
gewandte Lister'sche Instrument dürfte, nach der Abbildung
zu schliessen, ihn schwerlich vollkommen ersetzen.
Seiner Aufgabe als Lehrbuch wird das Werk durch fliessen-
den klaren Stil und erschöpfende Bearbeitung der einzelnen Ca-
pitel gerecht. Literaturangaben sind fast ganz vermieden. Zahl-
reiche gute Textfiguren ergänzen die Darstellungen. Einzelne
Abbildungen sind Politzer's „Zergliederung des Gehörorgans*'
entnommen, ohne dass der ürsprungsort immer angegeben ist.
Die Vertheilung des Stoffes ist derart, dass zuerst die Unter-
suchungs- und Behandlungsmethoden, dann erst die Anatomie und
Pathologie behandelt werden. Diese Anordnung scheint gerade bei
einem Lehrbuch wenig zweckmässig zu sein. So zum Beispiel
ist die genaue Beschreibung der Operationen am Warzenfortsatz
losgelöst von den sie bedingenden Krankheitszuständen. Eines-
theils entbehren daher die therapeutischen Capitel vielfach den
Hinweis auf die durch die Mannigfaltigkeit des Krankheitsbildes
gebotenen Modificationen, andererntheils wirkt in den späteren Ca-
piteln das stets wiederkehrende Zurückverweisen störend.
VI. Besprechungen. 149
2.
J. Hegener, Krankhafte Veränderungen der Form und
Stellung der Ohrmuschel. Wiesbaden, Verlag von J. P.
Bergmann. 1901.
Besprochen von
Dr. Zeroni.
In 20 Stereophotogrammen sind Abnormitäten und krank-
liafte Zustände der Ohrmuschel dargestellt. Die Aufnahmen und
die Seproduction sind durchweg vorzüglich gelungen. Auf der
fittokseite jedes Blattes stehen kurze Notizen über den betreffen-
den Fall. Der Verfasser theilt der Redaction mit, dass er die
Herausgabe weiterer Blätter, betreffend Krankheiten des Mittel-
ohres sowie Ohroperationen plane, und ich glaube, dass er sich
dadurch den Dank besonders der Lehrer der Ohrenheilkunde er-
werben wird, die auch in der vorliegenden CoUection ein schätzens-
werthes Demonstrationsmaterial für den Unterricht finden werden.
3.
Les sourds-muets en Norvfege par Uchermann, Pro-
fesseur de Tuniversitö de Christiania. Christiania 1901. 8^. 2 Bde.
550 u. 589 Seiten.
Angezeigt von
Prof. Holger My^ind in Kopenhagen.
Diese Arbeit ist eine französische Ausgabe von dem grossen
Werke des Verfassers, welches in den Jahren 1892 und 1898 in
norwegischer Sprache erschien; dasselbe wurde damals in die-
sem Archiv, Bd. XLIV. S. 275 — 282 besprochen, auf welche Be-
sprechung wir hier hinweisen. Nur sei hinzugefügt, dass der
Verfasser seine Arbeit durch Aufnahme der neuesten Literatur
vervollständigt hat, und dass dieselbe vielfach einer kritischen
Beurtheilung unterzogen ist.
Es ist zu bedauern, dass der Verfasser sein Werk nicht in
die deutsche Sprache übersetzt hat ; denn in dieser Sprache liegt
sonst der sowohl in quantitativer als in qualitativer Beziehung
bedeutendste Theil der Literatur über die Taubstummheit als
pathologischer Zustand vor. Im Uebrigen kann der Recensent
sieh darauf beschränken, Uchermann 's hervorragendes Werk
allen Specialcollegen, welche sich für die Taubstummheit inter-
essiren, aufs Beste zu empfehlen.
VII.
Wissenschaftliche Randschan.
1.
Lucae. Die Ohrenheilkunde des 19. Jahrhunderts. Berlin, klin«
Wochenschr. 1901. No. 19.
Engländer und Franzosen haben in der ersten, Deutsche in der zweiten
H&lfte des Jahrhunderts die Führung gehabt. Nachdem Saunders schon
eine Reihe ausserordentlich wichtiger klinischer und anatomisch-pathologischer
Befunde über den Tubencatarrh, die eitrige perforirende Mittelohrentzündung
die Hörverbesserung bei Zurückbleiben von Flüssigkeit im Ohre bei Perfora-
tionen und insbesondere auch über die Epidermisirung der Paukenhöhle vom
Gehörgange aus mitgetheilt hatte, treffen wir auf Itard (1773— 1858), der das
erste kritisch gesichtete Lehrbuch herausgab und ein besonderes Gewicht auf
die allgemeine Behandlung der Kranken legte. Ausser dem Eatheterismus
wandte er locale Einspritzung und zum ersten Male die Bougirung der TubaEust.
an. Sein Landsmann Deieau (1797—1862) bildete besonders den Eatheteris-
mus und die Auscultation des Ohres aus. — In Deutschland nahm Kram er
(1801—1875) die Errungenschaften der Franzosen auf und cultivirte haupt-
sächlich dia physikalische Diagnostik der Mittelohrerkrankung durch Katheter
undLuftdouche; mit zunehmendem Alter verhielt ersieh durchaus ablehnend
gegen die grossen Errungenschaften in der Pathologie, Physiologie und Diagnostik.
In England waren unterdessen Toynbee und Wilde erstanden.
Toynbee war eigentlich der erste, der die anatomische Richtung bethätigte
und dabei fand, dass die häufigste Ursache der Hörstörun^en im Mittelohre zu
suchen sei. In seinem 1860 erschienenen Lehrbuche ist die Auscultation
durch das Otoskop — er auscultirte iiur während des Schlingens — zuerst
zur Verwendung vorgeschli^en. Wilde 's wesentlich klinischer Standpunkt,
überall in seinem vortrefflichen Lehrbuch erkenntlich, brachte eine Menge
origineller Beobachtungen von pathologischen Veränderungen im Gehörgang
und Trommelfell. Wir verdanken ibm die Kenntniss einer Reihe der wichtig-
sten allgemeinen und localen Symptome bei Ohrkrankheiten. Auch der be-
kannte Ausspruch : ^so lange ein Ohrenfluss vorhanden ist . . . etc.** stammt
von ihm. Ob aber, wie Lucae meint (S. 5), der ungespaltene Ohrtrichter ihm
seine allgemeine Verbreitung verdankt, dürfte etwas zweifelhaft sein,
weil V. Tröltsch erst seine Anwendung in Verbindung mit dem Reflector in
allgemeine Aufnahme brachte. Gegen Katheter und Luftdouche verhielten
sich Toynbee und Wilde ziemlich ablehnend.
Eine ganz neue Aera ging nun von Deutschland aus, wo v. Tröltsch
(1829—1890) die Verwendung des reflectirten Lichtes zur Ohr Untersuchung
empfahl, das grösste Verdienst dieses Vaters der deutschen Ohrenheilkunde,
der ausserdem aber die Grundlagen zu einer wirklich wissenschaftlichen ana-
tomischen und pathologisch-anatomischen Diagnostik schuf. Allerdings über-
schätzte man dabei gerne die acustische semiotische Beobachtung des Trommel-
fellbefundes, ein Fehler, der heute noch nicht abgestreift ist. Seinen Welt-
ruf erlangte v. Tröltsch durch sein vortreffliches Lehrbuch (1862). In diese
Zeit fällt auch die epochemachende Erfindung des Politzer 'sehen Verfahrens
als Ersatzmittel fQr den Katheterismus (1863), welches durch seine leichte und
oft erfolgreiche Verwendbarkeit besonders für die Kinderpraxis dem grossen
ärztlichen Publikum imponirte, leider aber bei den Ohrenärzten zu einer be-
dauerlichen Vernachlässigung des Katheterismus und der Auscultation fiihrte.
Diese bleiben für die Diagnose der Mittelohrkrankheiten unentbehrlich,
v. Tröltsch war der erste in Deutschland, welcher ;der von dem Franzosen
P. M^ni^re entdeckten und nach ihm benannten eigenartigen Erkrankung die
yil. Wissenschaftliche Bandschaa. 151
eingehendste Aufmerksamkeit widmete (Lucae selbst spricht sich gegen die
von Moniere u. A. supponirten Labyriothblutungen als regelmässige Ursache
aas und bleibt nach ihm vorläufig das Wesen der reinen, idiopathischen M^-
Diöre'schen Krankheit räthselhaft).
Durch den Einfluss der optischen Untersuchungsmethode vollzog sich
aber auch auf chirurgischem Gebiete allmählich ein totaler Umschwung.
Hier war es Schwartze, der zunächst die rechtzeitige und kunstgerechte
Eröffnung des Trommelfells einführte und sie zum Allgemeingut zu machen
bestrebt war. Weiter verdanken wir ihm die rationelle Handhabung der ope-
rativen Eröffnung desJWarzenfortsatzes. Es gehörte grosser Muth dazu, diese
Operation, die vollständig in Misscredit gerathen war, zu einer Zeit zu em-
pfehlen, wo Chirurgen und Ohrenärzte sich gegen sie aussprachen. Aus ihr
entwickelte sich dann im Laufe der nächsten 20 Jahre an der Hand der chirur-
gischen Erfahrungen E ü s t e r *s und der Ohrenärzte Z a u f a 1 und Stacke die
sogenannte „Radicaloperation'', bei welcher durch Wegnahme der hinteren
Oehörgangswand und der lateralen Wand des Atticus eine sämmtliche Mittel-
ohrräume umfassende Höhle geschaffen wird.'
Hand in Hand damit gehen die Methoden der Excision des Trommel-
fells und Extraction der cariösen Gehörknöchel ; ebenso schliesst sich hieran
die chirurgische Behandlung der intracraniellen Complicationen.
Einen ausserordentlichen Einfluss auf die ganze Pathologie und Therapie
der Mittelohraffectionen gewannen die Resultate der rhino-pharyngologischen
Forschung, vor Allem die Entdeckung der adenoiden Wucherungen durch
Wilhelm Meyer in Kopenhagen und ihre operative Behandlung.
Am unsichersten ist die Diagnose der sogenannten „trockenen"' Ohrerkran-
kungen (Sklerose, nervöse und labyrinthäre Schwerhörigkeit) besonders die
differentieUe Diagnose zwischen Mittelohr- und Labyrintherkrankung. Wenn
schon durch die Einführung der Stimmgabel- und Tonprüfung in einer Serie
ein grosser Fortschritt gemacht zu sein scheint, so muss doch betont werden,
dass die Resultate nur mit grosser Vorsicht diagnostisch verwendet werden
dürfen ; lediglicn der Ausfall der scharfen Resonanztöne der vier gestrichenen
Octave erlaubt eine Erkrankung der percipirenden Apparate anzunehmen.
«0er subjectiven Untersuchungsmethode gegenüber erwächst der Ohrenheil-
kande nunmehr die Aufgabe, objective Mittel zu finden zur Feststellung des
acustischen Verhaltens des schallleitenden Apparates. Wie weit hierzu die
verschiedenen Methoden der sogenannten Vibrationsmassage des Trommelfdls
und der Gehörknöchelchen — die Pneumomassage mit dem Siegle*schen Ohr-
trichter unter Hülfe des Auges, die Drucksonde unter Hülfe des Auges und Tast-
simis — sich bewähren könnten, muss erst die Zukunft lehren.'* Hang.
2.
Hölscher, Kurze Mittheilung über experimentelle Untersuchun-
gen mit säurefesten Tuberkelbacillen ähnlichen Spaltpilzen.
(Gentralblatt für Bacteriologie, Parasitenkunde und Infectionskrankheiten.
Bd. XXIX. No. 10.)
Hölscher, Experimentelle Untersuchungen mit säurefesten Tu-
berkelbacillen ähnlichen Spaltpilzen. (Arbeiten aus dem path.
Institut zu Tübingen.)
Die beiden Arbeiten veröffentlichen, die eine in kurzem Auszuge, die
andere ausführlicher, die vom Verfasser vorgenonmienen Untersuchungen be-
hufs Differenzirung einiger den Tuberkelbacillen ähnlicher Spaltpilze. Die
Prüfungen erstrecken sich auf den Butterbacillus Petri-Rabinowitsch
nnd den Gras- und Thimotheebacillus Mo eller. Die Resultate präcisirt
Verfasser dahin: ,,Culturell unterscheiden sich die Pseudobacillen von den
echten Tuberkelbacillen principiell durch ihr Wachsthum auch bei niederen
Temperaturen und durch ihre Farbstoff bildung. Auch direct aus dem Thier-
körper sind sie leicht in üppigen Culturen zu züchten, während die Tuberkel-
bacillen nur schwer zu gewinnen sind und dann sehr langsam zu winzigen
Schüppchen wachsen. Die Tuberkelbacillen ähnlichen Bacillen sind für Thiere
pathogen, vermögen aber keine Tuberculose zu erzeugen. Trotz mannigfacher
152 VlI. Wissenschaftliclie Rundschau.
Aebnlicbkeiten stehen sie in ihrer Wirkung den Eiterbacterien näher. Kommt
eine Differentialdiagnose zwischen Tnberkelbacillen und Tuberkelbacillen
ähnlichen Bacillen in Betracht, so genügt die einfache Färbung frischer Aus-
striche nicht. Am sichersten ist der Nachweis durch Keinculturen, der Thier-
Tersuch allein kann im Frühstadium Irrthümer veranlassen.*' — -
Die Untersuchungen dürften von Bedeutung sein mit Rücksicht auf die
Möglichkeit der Verwechslung echter tuberculöser Erkrankungen des Ohres
und einfacher, nicht auf Tuberculose beruhender Eiterungen, bei welchen
dem Secret secundär, in Folge von Fäulnissprocessen, Tuberkelbacillen
ähnliche Spaltpilze beigemischt sein können. Hierin liegt vielleicht die Er-
klärung für die widersprechenden Angaben über die Häufigkeit des Vor-
kommens der Tuberkelbacillen im Ohreiter. Walther ISchulze.
3.
Denker, Zur vergleichenden Anatomie des Gehörorgans der Säuge-
thiere. Ergebnisse der Anatomie und Entwicklungsgeschichte. Heraus-
gegeben von Merkel und Bonnet. IX. Bd. 1899.
Der um die vergleichende Anatomie des Ohres verdiente Verfasser giebt
in diesem eingehenden Referat einen Ueberblick über den gegenwärtigen Stand
der Forschung und zugleich einen Auszug aus seinem Hauptwerke. Wir
dürfen es dankbar begrüssen, dass auf diese Weise der wesentlichste Inhalt
des grossen teuren und auch in Bibliotheken oft fehlenden Werkes dank
der weiten Verbreitung der Merkel- Bonnet*schen „Ergebnisse'', einem
grösseren Lehrkreise zugänglich gemacht wird. Zeroni.
4.
Denker, Zur Anatomie des Gehörorgans der Monotremen. Aus:
Semon, Zoologische Forschungsreisen in Australien und dem Malayischen
Archipel. Jena 1901.
Die Arbeit bildet eine Ergänzung zu den „Vergleichend anatomischen
Untersuchungen über das Gehörorgan der Säugethiere*' desselben Verfassers.
Er behandelt die makroskopische Anatomie des Gehörorgans bei der niedersten
Stufe der Säugethiere, die in dem oben genannten Werke keine Berücksich-
tigung mehr gefunden hatte. Dem Verfasser standen zn seinen Untersuchungen
Schädel beider Repräsentanten der so überaus interessanten Thierklasse zur
Verfügung, nämlich solche sowohl von Echidna hystrix, als auch von Ornitor-
rhyncnus paradoxus. Die Untersuchung erstreckte sich auf den ganzen Ge-
hörapparat. Die complicirten Verhältnisse des inneren Ohres sind an Corro-
sionspräparaten studirt. Die Technik dieser Untersuchungsmethode, an dereu
Ausbildung der Verfasser hervorragenden Antheil hat, wird eingehend er-
läutert. Dem descriptiven Theil folgt ein vergleichend anatomisches Capitel,
das die Verhältnisse bei der nächst höheren und niederen Thierklasse zum
Vergleiche heranzieht. Der Verfasser kommt zum Schlüsse, dass das Ge-
hörorgan der Monotremen dem der Säugethiere näher steht, als dem Reptilien-
ohr. Die vielen interessanten Einzelheiten des beschreibenden Theiles, die
eine wesentliche Förderung unserer zoologischen Kenntnisse bedeuten, können
im Referate nicht berücksichtigt werden. Es ist nur zu erwähnen, dass ein
äusseres Ohr, trotz entgegengesetzter Angaben früherer Autoren, wenn auch
nur versteckt, dennoch bei den Monotremen vorhanden ist. Ebenso existirt
hier sicher ein Schneckenfenster, das Hyrtl und andere nicht finden konnten,
das nachzuweisen indes dem Verfasser mit Hilfe seiner ausgebildeten Corro-
sionstechnik gelungen ist. Zeroni.
5.
Panse, Das Gleichgewichts- und Gehörorgan der japanischen
Tanzmäuse. Münchener med. Wochenschrift 1901. No. 13.
Im Widerspruch mit den Befunden von Rawitz, der neuerdings das
Labyrinth der Tanzmäuse untersuchte und Degenerationserscheinungen am
YII. Wissenschaftliche Rundschau. 153
am 'Schneckenepithel beschrieb, konnte Verfasser weder makroskopisch noch
mikroskopisch wesentliche Unterschiede zwischen dem Labyrinth der Tanz-
mäuse und dem der gewöhnlichen Hausmaus feststellen. Der einzige ab-
weichende Befund bei den Tanzmäusen war eine Anhäufung von otoUthen-
artigen Ealkkrystallen um das ovale Fenster in doppelter Spirale; das
gleiche fand sich aber auch bei einer nicht tanzenden Kreuzung zwischen
Baus- und Tanzmaus. Verfasser glaubt, dass die Ursache des abnormen
Verhaltens der Tanzmäuse im Kleinhirn liege. Zeroni.
6.
Drebusch, Der Absehunterricht mit Schwerhörigen und Ertaubten.
Berlin 190 t.
Das kleine Buch giebt eine kurze Anleitung, wie beim Unterricht im
Ablesen yom Munde zu verfahren ist, nebst einer Anzahl in systematischer
Reihenfolge geordneter Uebungsbeispiele. Wo ein Unterricht durch fach-
männisch gebildete Lehrer nicht möglich ist, kann das Buch in späteren
Lebensjahren Ertaubten einen Ersatz bieten. Zeroni.
7.
Menier, Du traitement a^rothermique en g^n^ral et plus parti-
culierement en rhinologie. Bordeaux 1901.
Die Schrift giebt einen Ueberblick über die bisherige Anwendungsweise
des heissen Wasserdampfes und der heissen trockenen Luft in der Rhinologie.
Der Verfasser zieht die Trockenluftbehandlung vor. Er wandte den Apparat
von Lermoyez und Mahn an und erzielte gute Erfolge besonders bei
Muschelschwellungen und stark secretorischen Rhinitiden. Auch bei Lupus
des Ohrläppchens schien die Behandlung guten Einfluss zu haben.
Zeroni.
8.
Peier, Der Einfluss der Entwicklungsbedingungen auf die Bil-
dung des Centralnervensystems und der Sinnesorgane beiden
verschiedenen Wirbelthierklassen. Eine biologisch-embryologische
Skizze. Anatomischer Anzeiger XIX. Bd. 1901. No. 8.
Die Verschiedenartigkeit in der Anlage der Sinnesorgane sucht Verfasser
als Anpassungen an äussere Verhältnisse im embryonalen Leben der jeweiligen
Thiergruppe zu erklären. Er unterzieht deshalb die Entstehung der Medullar-
rinne und der ektodermalen Theile des Gesicht-, Gehör- und Riechapparates
bei den Wirbelthieren einer genauen Vergleichung. Aus seinen Ausführungen
geht hervor, dass bei den Selachiern, die ein dotterreiches, mit dicker Ei-
weisslage versehenes Ei besitzen, das Medullarrohr durch Bildung hoher
Wülste, die peripheren Sinnesorgane als Grübchen des Ektoderms sich an-
legen. Bei den Cyclostomen bereits treten Abweichungen auf. Bei Bdello-
Btoma fehlen die Erhebungen der MeduUarwülste, bei Petromyzon indessen
geht das Medullarrohr aus einer soliden Wucherung des Ektoderms hervor,
und auch die Anlage des Gehörbläschens hat nur ein enges Lumen. Der
Verfasser führt als Grund hierfür das feste Anliegen der EihüUen an, die
eine Faltenbildung des Ektoderms nicht zulassen, und als Ursache des Unter-
schiedes den bei Bdellostoma vorhandenen Dotterreichthum, der Petro-
myzon mangelt. Bei den Teleostiern und Amphibien spaltet sich nun das
Ektoderm schon sehr früh in 2 Blätter, deren eines, die Sinnesepithelschicht,
das Medullarrohr und die Sinnesorgane bildet, während das andere als Deck-
schicht dient und entweder über die Anlage der Sinnesorgane hinwegzieht,
oder an deren Einsenkung als innerste Lage theilnimmt. In letzterem Falle
geht die abgeschnürte Deckschicht indessen später wieder zu Grunde. Bei
den Teleostiern liegen die Eihüllen dicht an und diesem raumbeschränkenden
Einfluss schreibt Verfasser zu, dass Medullarrohr, Linse und Ohrbläschen
154 yiL WisseBBchaftliche Bandschatt.
als EinfaltuDg der Sinusepithelachicht, ohne Lumen sich anlegen. Bei den
Urodelen finden sich ähnliche Verh<iiiBBe, w&hrend bei den Anuren wieder
offene £in8enkungen 2u constatiren Bind, deren Entstehung die weichen, ge*
r&umigen Eihüllen hinndassen. Die den Teleostiern und Amphibien zu-
kommende „Deckschicht^' soll ein Sehutzorgan f (ir den das £i früh verlassenden
Embryo vorstellen.
Bei den Amnloten indessen kehrt die Anlage wieder zu dem Standpunkt
wie bei den niederen Thierklassen zurück, indem das gesammte Ektoderm
sich an den Einstülpungen betheili^t, obwohl auch hier SD&ter die Spaltung
des äusseren Keimblattes in 2 Schichten vor sich geht, i^ur der Thränen-
nasengang geht nach der erwähnten Spaltung allein aus der tieferen Ektoderm-
Schicht hervor. Zeroni.
9.
Sugdr, Aphorismen beim Goncerte Jan Kubelik's. Klinisch-thera-
peutische Wochenschrift 1901. No. 9 und 10.
Mit beredten Worten schildert Verfasser den Eindruck, den das S]^iel
des Geigers Jan Kubelik auf ihn gemacht, und lässt erkennen, dass seine
Begeisterung für die Wissenschaft seiner Begeisterung für die Musik gleich-
kommt. Hingerissen von dem Zauber der Geigentöne machte er sich alsbald
daran, das Ohr des grossen Künstlers zu untersuchen. Er fand die Ohrmuschel
von „klassischer Schönheit'^ d^s Trommelfell sehr vertikal gestellt. Der
Hammergriff war von punktförmigen distincten Lichtreflexen „wie von einer
Gloriole" umgeben. In den anschliessenden Bemerkungen über die Theorie
des musikalischen Hörens spricht Verfasser die Vermuthung aus, dass ein
besonderes musikalisches Centrum im Gehirn existire. Zeroni.
10.
Müller^ Ohrhygiene beim Haars chneiden. Aerztliche Sachverständigen-
Zeitung VU. Jahrgang 1901. No. 1.
Kommen beim Schneiden der Haare Partikel der letzteren in das äussere
Ohr, so stellt sich Jucken ein, das zum Kratzen veranlasst. Hierdurch ent-
stehen leicht Entzündungen des äusseren Gehörgangs. Um die geschilderten
Folgen zu vermeiden, räth Verfasser beim Haarschneiden die Ohrmuschel
mit Watte zu verschliessen. Zeroni.
11.
Richter, Zwei typische retromaxilläre Rachenfibrome, deren Ent-
stehung und Behandlung der Blutungsgefahren. Monatsschrift
f. Ohrenheilkunde 1901. No. 2.
Die ziemlich grossen am Rachendach entspringenden Fibrome wurden
mit der galvanokaustischen Schlinge entfernt. Bei dem zweiten Tumor konnte
das Abgleiten der Schlinge nur dadurch verhütet werden, dass vorher mittelst
eines am Zeigefinger befestigten Platinbrenners eine Rinne in die Geschwulst
eingebrannt wurde. Der Verfasser redet der galvanokaustischen Behandlung
gutartiger Rachentumoren sehr das Wort und glaubt der temporären Eaefer-
resection dabei entbehren zu können. Zeroni.
12.
Richter, üeber zwei seltene vergessene Fremdkörpereinlagerun-
gen in Nase und Ohr und eine eigenthümliche Fremdkörper-
wanderung. Ebenda. Nr. 3.
Ein Stück einer Kastanienschaale trug ein 16 jähriger Bursche bereits
10 Jahre in der Nase, bis es extrahirt wurde. Eitrige Rhinitis und Otitis
waren durch den Fremdkörper hervorgerufen und heilten nach der Extraction.
In dem andern Falle fand sich bei einem an chronischer Ohreiterang
yil. WiBsenschaftliche RundBchaa. 155
leidenden 26 jährigen Mädchen eine weisse Knochenperle, and zwar lag die-
selbe in einem vom äusseren Gehörgang nach dem Antram verlaufenden
cariösen Defect der Knochenwand. Der Fremdkörper soll etwa 24 Jahre im
Ohr gewesen sein« Zeroni.
13.
Richter, Operative Behandlung einer vorderen und einer hin-
teren nasalen Atresie. Ebenda. Nr. 4.
Die vordere Atresie bestand in ringförmiger Verengerung des linken Nasen-
einganges bei luetischer Sattelnase. Durch zwei kräftige Einschnitte, nach-
folgende Dehnung und Tamponade wurde sie behoben. Die Ghoanalatresie
war einseitig bei einem 6 Wochen alten Kinde. Die Operation bestand in
zwei Einschnitten und Dehnung mittelst einer starken Zange. Der Erfolg
war in beiden Fällen dauernd. Zeroni.
14,
Osimann, Ueber galvanokaustischen Gefässverschluss in der
Nase als einleitenden Act intranasaler Eingriffe. Deutsche
medic. Wochenschrift 1901. No. 14.
Verfasser empfiehlt bei Operation in der Nase die Schleimhaut mit dem
galvanokaustiscben Brenner so tief wie möglich zu durchtrennen, um so die
filatung fast ganz zu vermeiden. Zeroni.
15.
(Modi, Das Verhältniss der Kieferhöhle zur Keilbeinhöhle und
zu den vorderen Siebbein zellen. Jahrbücher der Gesellschaft der
ungarischen Ohren- und Kehlkopfärzte. Bd. VI. 1900. S. 6.
Die Highmorhöhle und die Keilbeinhöhle können sich so ausbreiten,
dass sie nur durch eine dünne Wand von einander getrennt sind. Ebenso
können die vorderen Siebbeinzellen mit der Kieferhöhle direct communiciren.
Verfasser weist auf die Wichtigkeit solcher Abnormitäten für die Ausbreitung
der Empyeme hin. Zeroni.
16.
Tomka, Ein Fall von acuter Mittelohrentzündung bei Morbus
maculosus Werlhofii. Ebenda. S. 24.
Eine Frau von 29 Jahren, die an Werlhof*scher Krankheit litt, bekam
Ohrenschmerzen. Das spontan perforirte Trommelfell zeigte zwei Ecchymosen,
die Secretion war serös-schleimig. Auf dem Trommelfell der anderen Seite
ebenfalls mehrere Ecchymosen, desgleichen in beiden Gehörgängen. Paracentese
des letztbeschriebenen Ohres entleerte kein Exsudat. Zeroni.
17.
Donogäny, Primäres drüsenartiges (adenoides) Garcinom der
unteren Nasenmuschel. Ebenda. S. 45.
Trotz bald ausgeführter ausgedehnter Operation, bei der die Geschwulst
nur die untere Muschel und die mediale Wand der Oberkieferhöhle erfasst
zu haben schien, trat ein Recidiv ein, das inoperabel war. Zeroni.
18.
Pannanik, Contribution ä T^tude de la pathog^nie de Toz^ne.
Bevue medicale de la Suisse Homande. April 1901. No. 4.
Auf die Erklärung des Ozaena benannten Krankheitsbildes ist schon
viel Mühe verwandt worden. Auch die vorliegende Schrift bemüht sich, der
156 YII. Wissenschaftliche Rundschau.
Sache auf den Grund zu kommen. Die des Verfassers Untersuchungen zu
Grunde liegende Zahl von 20 Fällen dürfte entschieden als zu klein bezeichnet
werden, um die schwierige Frage zu lösen, zumal der Verfasser den anato-
mischen Bau der l^lase als Ursache der Krankheit ansieht. Nach ihm ist
es die platte Form der Nase, die zur Ozaena prädisponirt und die er in 15
von seinen Fällen gefunden hat. In den anderen 5 Fällen war die Nase
normal, aber die Ozaena auch nicht so ausgeprägt, die Atrophie der Muscheln
nicht so bedeutend. Verfasser erklärt es aus dem gleichen Grunde, dass die
Ozaena bei Frauen häufiger sei als bei Männern, da bei ersteren die Platy-
rhinie öfter gefunden wird. Der Beginn der Krankheit soll nach Ansicht des
Verfassers in der Regel in die Kindeijahre fallen. Zeroni.
19.
Ziebmann, Die Sprachstörungen geistig zurückgebliebener Kin-
der. Pädagogische Abhandlungen aus dem Gebiete der pädagog. Psycho-
logie und Physiologie yon Schiller und Ziehen. Bd. IV, Heft 3.
L. berichtet in der Brochüre über die Erfolge der therapeutischen Maass-
nahmen, die er bei der Stummheit geistig zurückgebliebener Kinder erzielte.
Welche Unsumme von Fleiss und Muhe in solchen Versuchen liegt, weiss
Jeder, der sich in das Gebiet eingearbeitet hat, zur Genüge zu schätzen.
Interessenten sei das Heftchen warm empfohlen. « Haug.
20.
Discussion über Sugar's Vortrag: Ueber systematische Gehör Übun-
gen und deren therapeut. Werth bei Taubstummen und Er-
taubten. (Sitzungsberichte der Gesellschaft der ungar. Ohr- und Kehl-
kopfärzte 1901 No. 2.)
Zwillinger betont, dass nicht nur das Ohr, sondern auch der Kehlkopf
und Rachen in jedem Fall genau zu untersuchen sei und dass insbesondere die
Entfernung der gerade in solchen Fällen sehr häufigen adenoiden Wuche-
rungen — nach Z. in 45^0 — nöthig sei. — Sz^nes meint, die Hörübungen
hätten zuweilen einen compensatorischen Nutzen, aber Erfolg habe er keinen
gesehen. — Sugar erkennt an, dass in abgelaufenen irreparablen Fällen die
Gehörübungen überflüssig seien, doch sei es nicht möglich, alle Kinder in
eine Gruppe zu vereinigen. In jedem Falle könne der Taubstumme den Stimm-
gabelton percipiren und könne auch dahin gebracht werden, Worte zu per-
cjpiren. Tomka theilt seine Erfahrungen über die Hörübungen mit, auf
Grund deren er nicht für die Uebungen ist, die fast gar keinen praktischen
Werth haben. Bei wirklich Taubstummen tritt nie eine Besserung der
Hörfähigkeit ein. Haug.
21.
Lannois und Chavanne: De l'algie mastoidienne hyst^rique. Annales
des maladies de Toreille etc. 190 t No. 7.
Die Verfasser unterscheiden zwei Formen von hysterischer Neuralgie
des Warzenfortsatzes:
1) Hysterische Neuralgie unter dem Bilde der nicht complicirten Mastoiditis.
2) Hysterische Neuralgie unter dem Bilde einer mit Cerebralerkrankuug
combinirten Mastoiditis. Von der ersten Art veröfientlichen L. und 0. fünf
neue Fälle:
1. 14jährige Patientin bekam im Juni 1898 nach Angina heftige Ohr-
schmerzen und Eiterung rechts. Die Eiterung versiegte in 8 Tagen, die
Schmerzen dauerten an. Bei der Untersuchung im October desselben Jahres
bestand Druckschmerz am rechten Warzenfortsatz und an der ganzen rechten
Kopfseite. Ohrbefund normal. W. nach rechts. Ueber und unter den
Mammae sowie in der linken Ovarialgegend Hyperästhesie. L. lehnte einen
blutigen Eingriff ab, welcher einige Monate später von einem Chirurgen vor-
YU. Wissenschaftliche Rundschaa. 157
genommen wurde und ein gesundes Antrum ergab. Eine Besserung trat erst
zwei Jahre später spontan ein.
2. 22j&hrige Patientin mit deutlich ausgesprochener Hysterie leidet an
Gesichtsneuralgie, welche sich schliesslich auf den rechten Warzenfortsatz
localisirt. Die Operation ergab normale Verhältnisse. Keine Besserung
danach.
3. 50jährige Hysterica fiel im September 1900 auf den Hinterkopf; aus
dem rechten Ohr floss einige Tage lang reichlich Blut Schwindel, üebelkeit,
kein Fieber, kein Erbrechen. Seit der Zeit bestehen iutermittirend heftige
Schmerzen. Bei der Untersuchung zeigte sich im rechten Gehörgang die
Narbe einer leichten Erosion, Yon der aus die Blutung wahrscheinlich ent-
standen war. Sonst normale Verhältnisse. Unter suggestiver Behandlung
trat rasch Heilung ein. Einige Wochen nachher ergab die Untersuchung
folgenden Befund:
^Trommelfelle normal, Tuben frei.
Die Sensibilität der Ohrmuschel und des Gehörgangs ist links normal,
rechts stark herabgesetzt. Die Berührung wird nicht, der Stich als Berüh-
rung empfunden.
Uhr: rechts « 0,45 m, links » 0,55 m.
Fl. mehr als 5 m beiderseits.
Hörmesser mehr als 5 m beiderseits.
Beim Aufsetzen der Stimmgabel auf die Stirn, den Scheitel und die Zähne
wird C, cS c^, c^ und c* nicht gehört, c* wird leise nach links lateralisirt.
Das rechte Obr hört nichts.
Auf dem rechten Warzenfortsatz wird die Stimmgabel nicht, auf dem
linken nur schwach gehört.
In Luftleitung werden die Stimmgabeln links schwach, rechts fast nicht
gehört.
Luftverdichtung im Gehörgang setzt das Gehör für Stimmgabeln in
Knochenleitung links herab. Rechts kein Einfluss (die Stimmgabel wird hier
in Knochenleitung nicht gehört)."
4. 13V2Jährige Patientin hat vor 10 Jahren einen Huf tritt von einer Kuh
gegen die rechte Warzenfortsatzgegend erhalten. Mit 9 Jahren Chorea. Im
Januar 1901 trat rechts Ohreiterung ein mit Schmerzhaftigkeit und Schwellung
am Warzenfortsatz. Die Operation ergab normale Verhältnisse, die Schmer-
zen schwanden, kehrten aber nach einem Monat wieder. Linkes Trommel-
fell normal, rechtes narbig verändert. Die Functionsprüfung ergab eine
massige Beschränkung der Perception von Stimmgabeltönen. Tiefe Töne
besser als hohe. Suggestive Behandlung fahrte Heilung herbei.
5. 29jährige hysteriscbe Elosterschwester mit vielfach recidivirender
Schleimhauteiterung des rechten Mittelohrs klagte lange Zeit hindurch über
Schmerzen im Warzenfortsatz. Auf ihr Drängen meisselte man auf und fand
gesunden Knochen. Heilung.
Von der zweiten Form hysterischer Neuralgie geben L. und C. zwei
eigene Fälle:
1. ISjähriger Patient hat mit 4 Jahren Pocken überstanden und leidet
seitdem vielfach an Ohrenfluss. Bei Eintritt der Eiterung bietet der Kranke
jedesmal Erscheinungen von Meningitis oder Hirnabscess: Kopfschmerzen,
leichtes Fieber, Schlaflosigkeit, Delirien und verschiedenartige psychische
Störungen. Trommelfelle beiderseits fast ganz zerstört. Hammergriffe auf
dem Promontorium angeheftet. Eiterung von wechselnder Stärke. L. und C.
konnten in drei Jahren fünf solcher Krisen beobachten.
2. 43jähriger neuropathisch veranlagter Patient hat früher an Ohreiterung
gelitten, welche vor zwei Monaten im Anschluss an Influenza recidivirte.
Kechts waren Granulationen im Gebörgang. Mehrere Male wurde der Kranke,
der häufig den Arzt wechselte, von bedrohlichen Zuständen befallen, z. B.
heftige Schmerzen im Warzenfortsatz, Schwindel beim Erheben des Kopfes,
einseitiger Kopfschmerz. Man entschloss sich zur Aufmeisselung und fand
einen gesunden Warzenfortsatz rechts. Nach der Operation verschlimmerte
sich der Zustand noch, so dass man dem Kranken einen cerebralen Eingriff
vorschlug. Er verweigerte diesen, und allmählich trat Heilung ein.
168 YII. Wissenschaftliche Rundschau.
Im Anschluss an den Fall besprachen L. und C. besonders die oft sehr
schwere Diagnose. Hoch anzuerkennen ist der Satz: „Sans doute il vaut
mieux tr6paner inntilement diz mastoides que de laisser une seule fois du pus
dans l'apophyse sans aller* Ty chercher.'* £ schwel 1er.
22.
Bemard (Paris): SurditS double de cause centrale. Ibidem No. 8.
Ungefähr 20j&hriger Soldat ertaubte im Verlauf einer cerebralen mit
Fieber einhergehenden £rkrankung. B. diagnosticirt einen solit&ren Tuberkel
in der MeduUa hinter dem vierten Ventrikel. (Die Krankengeschichte ist
neun Octavseiten in Kleindruck stark und muss von Interessenten im Original
gelesen werden.) £ schwell er.
23.
Crouzillae (Toulouse), ün cas de labyrinthite syphilitique secondo-
tertiaire. Gu4rison. Ibidem.
43 jähriger Patient wird zwei Monate nach der Infection von secundären
Symptomen befallen, welche nicht energisch behandelt werden. Nach weiteren
drei Monaten treten folgende £rscheinungen ein: Kopfschmerzen^ Reizbarkeit
und Gehörsverminderung. Seine Intelligenz wird geschwächt, es tritt Schwindel
auf, sodass Patient geführt werden muss. Die Ohruntersuchung ergab, dass
nur sehr laute Sprache gehört wird. Knochenleitung fast aufgehoben, -f- R.
Uhr in Luftleitung nur rechts im Contact mit der Ohrmuschel schwach ge-
hört Kein pathologischer Mittelohrbefund. Der Kranke wurde einer ener-
S 'sehen Behandlung mit Jod, Quecksilber und Pilokarpin unterworfen, worauf
e schweren Allgemeinsymptome völlig zurückgingen. Das Gehör besserte
sich, nur leidet der Kranke ab und zu an leichtem Schwindel.
£schweiler.
24.
Bar (Nizza), Gas de pyoh^mie otique avec dermatomyosite saus
trombo-phlebite apparente du sinus. Revue hebdomodaire de
laryngologie etc. 1901. No. 27.
64 jährige Patientin mit Streptokokken-Ohreiterung nach Influenza be-
kam in der dritten Woche der £iterung entzündliche £rscheinungen an
Muskeln und Gelenken. 10 Tage später entschloss sich die Kranke zur
Operation, bei der im Antrum nur wenig £iter gefunden wurde. Der un-
absichtlich eröffnete Sinus blutete lebhaft und erschien gesund. Fieber mitt-
leren Grades sowie schmerzhafte Schwellungen an Bein und Arm dauerten
noch vier Wochen an. Heilung nach vier Monaten. Bar glaubt an eine
otitische Pyämie ohne Sinusthrombose, welche durch mikroskopische Em-
bolien und Infarcte in Gelenken und Muskeln entzündliche, nicht in Eiterung
übergehende Infiltrationen verursachen könne. £schweiler.
25.
^on^^ (Cauterets), Pseudo-vertige deM^ni^re etalgiemastoidienne
hystärique associ^s. ibidem.
Die sechsunddreissigjährige Hysterica litt an schweren Mäniere^schen
Symptomen und an Neuralgie der Warzenfortsätze, ohne dass am Gehörorgan
das Geringste objectiv nachweisbar gewesen wäre. Auffallend war bei nor-
malem Gehör für Sprache, Stimmgabeln und Galtonpfeife eine Herabsetzung
der Hörweite für die Uhr (1 — 10 cm). Eine zwecks Suggestion vorgenommene
oberflächliche Incision hinter dem Ohr hatte nur kurzdauernden Erfolg.
Eschweiler.
VII. WiBseiuBchaftliche Rundschau. 159
26.
Lenhardt (le Havre), Sur un cas de mastoitide sans otite. Ibidem.
No. 28.
50 jährige Patientin, welche h&ufig an Neuralgien und rheumatischen
Muskelschmerzen leidet, klagt seit drei Wochen über linksseitigen Kopfschmerz.
Bei der Untersuchung bestanden von Seiten des Mittelohrs keine Symptome
von EntztLndung oder £iterung. Hörweite befriedigend und beiderseits gleich.
Hinter dem Ohr ist die Haut blass und leicht ödematös. Hier war kurz
zuvor eine subcutane Morphiuminjection gemacht. Berührung der Kopfhaut
sehr schmerzhaft Druck auf den Warzenfortsatz weniger schmerzhaft.
Drei Wochen nachher zeigte sich über dem Warzenfortsatz in Höhe
des Gehörgangs ein rotber Fleck. Das Oedem war etwas stärker. Beim
Wilde'schen Schnitt fliesst ein wenig Eiter ab. Drei Tage später wird die
weiche Gorticalis mit dem Löfifel abgetragen und die oberflächlichen, eiter-
erfollten ZeUen ausgekratzt. Antrum gesund. Die Heilung verzögerte sich
durch ein intercurrentes Erysipel und trat erst nach 8 Wochen ein.
Eschweiler.
27.
Maiherbe (Paris): Absc^s profond du cou cons^cutif ä une otite
grippale latente. Ibidem No. 29.
16jährige Patientin bekam vor einem Jahr im Anschluss an Influenza
ganz leichte Ohrschmerzen ohne Eiterung und kurze Zeit darauf eine An-
Bchwellung an der Spitze des Warzenfortsatzes. Vier Monate später über-
stand die Patientin Masern, und es zeigte sich nun eine zweite Anschwellung
onterhalb der erstgenannten. Die geschwollene Partie wurde monatelang mit
Massage, Douchen, Einreibungen etc. behandelt. Als M. die Kranke sah,
fand sich am Ohr nur eine massige Tubenschwellung, Injection der Hammer-
gefltese und Herabsetzung der Hörweite für Fl auf 2 m. M. machte die
Totalaufmeisselung und eröffnete den Abscess am Halse. Im Antrum und
Mittelohr fand sich kein Eiter, sondern nur „verdickte'* Schleimhaut. M.
glaubt zwischen einer Spitzenzelle des Warzenfortsatzes und dem Abscess am
üalse eine feine Communication gesehen zu haben. Heilung.
(Die Möglichkeit eines einfachen Drüsenabscesses am Halse hat M. nicht
ins Auge gefasst. D. Ref.) Eschweiler.
28.
Raoult (Nancv): Occlusion du m^at et des parois du conduit
auditif ä la suite d'un traumatisme. Resection du conduit.
Ibidem No. 30.
10 jähriges Kind wurde vor 1 1 Wochen von einer Kuh hinter dem linken
Ohr mit dem Hörn gestossen. Die Ohrmuschel wurde tief losgelöst. Zwei
Tage nachher trat Eiterung aus der Wunde und aus dem Gehörgang ein.
Die retroauriculäre Wunde heilte, während der Gehörgang bei fortdauernder
Eiterung immer enger wurde. Seit 14 Tagen ist der Verschluss vollkommen
nnd das Kind klagt über heftigen Kopfschmerz. Bei der Untersuchung er-
wies sich der Gehörgangseingang verlegt durch eine diaphragmaartige Narbe.
An ihrem unteren lUinde besteht eine kleine Fistel, in welche man mit der
Sonde nur zwei Millimeter tief eindringen kann. Es wurde der Gehörgang
nach retroauriculärer Incision losgelöst und hinten oben in der Länge gespalten.
Vordere und hintere Wand liegen aneinander. Von rückwärts wird eine Sonde
bis hinter das Diaphragma geschoben und dieses auf ihr kreuzweise gespalten.
Das Narbengewebe hatte hier eine Dicke von eineinhalb Gentimeter. Das
Trommelfell war nicht peiforirt. Zwischen die Gehörgangswände wurde ein
Zinndrain gelegt, und die retroauriculäre Wunde nur zum Theil geschlossen.
Alle drei oder vier Tage Verbandwechsel. Nach einem Monat war die Ver-
Darbung fast erfolgt. Die Patientin entzog sich 14 Tage lang der Behand-
lung, sodass der Gehörgang wieder mit Laminariastiften erweitert werden
160 Yll. WiBsenschaftliche Rundschaa.
musBte. Späterhin wurde noch einmal eine kleine Incision an der unteren
Wand gemacht. „Seitdem bleiben die Dimensionen normal.** (Die Dauer der
Kachbehandlung bis zur völligen Heilung ist nicht angegeben. D. Ref.)
Eschweiler.
29.
Toube7'l (Paris): Yari^tö rare de cellulite mastoidienne aberrante
Ibidem No. 32.
22j&hriger Soldat hat seit drei Wochen Ohreiterung. Die reichliche
Secretion hält lange an. Es bildet sich retroauriculäre Schwellung aus, welche
nach 11 Tagen Fluctuation zeigt. Der Wilde 'sehe Schnitt, auf den sich T.
beschränkt, weil der Knochen nicht erkrankt scheint, ergiebt einen Theelöffel
dicken Eiters. Nach 8 Tagen hört die Ohreiterung auf, es besteht aber noch
reichliche Secretion aus der Wunde. Eine genauere Untersuchung und Er-
weiterung der Incision ergiebt drei Gentimeter hinter und zwei Gentimeter
über dem Gehörgang eine Erweichung des Knochens. Auskratzung dieser
Stelle, worauf Heilung in 16 Tagen erfolgt. Eschweiler.
30.
M. Lannois (Lyon): De l'^tat de Toreille moyenne dans les
fissures cong^nitales du palais. Ibidem No. 33.
Fünf Fälle von ein- und doppelseitiger Gaumenspalte mit Gehörstörnngen.
Ein Patient hatte zwei Hammergriffe im linken Trommelfell. «Ein kurzer
Fortsatz sitzt an der richtigen Stelle, und man sieht von ihm zwei fast gleiche
Manubria ausgehen, von denen das hintere in einer etwas mehr auswärts
gelegenen Ebene verläuft, als das vordere." Ein anderer Kranker hatte eine
starke Verengerung des linken Ostium tubae. L. glaubt, dass, abgesehen
von solchen seltenen Missbildungen, ein chronischer Gatarrh von Tube and
Mittelohr, veranlasst durch die Anomalien der Nasenathmung schuld an den
Gehörstörungen bei Wolfsrachen sei. E schwell er.
31.
Ricard (Algier): Sur un cas d'anomalie sensorielle auditive.
Ibidem.
Die fünfunddreissigjährige hysterische Patientin, die an intermittirender
hysterischer Taubheit litt, hörte das Ticken der Uhr nicht in einer Zone,
welche bei 17 cm Entfernung vom Ohr anfing und bei 45 cm Entfernung
vom Ohr aufhörte. Die Gesammthörweite für die Uhr betrug 60 cm. Das
merkwürdige Phänomen wurde wiederholt bei verbundenen Augen constatirt.
Die Untersuchung lieferte stets genau dieselben Resultate. Eschweiler.
32.
Jousset (Lille): L'examen des voies aeriennes supSrieures chez
le sourd-muet. Ibidem No. 35.
Die Zöglinge einer Taubstummenanstalt wurden daraufhin untersucht,
ob der Zustand der oberen Luftwege resp. sprachbildenden Organe einen
Einfluss auf die oft mangelhafte Sprache der Taubstummen ausübe. Der
Kehlkopf erschien J. bei mehreren jungen Zöglingen einseitig zusammen-
Gedrückt, sodass der Durchmesser von vorne nach hinten verlängert war.
)ie Zahl der Athemzüge war bei Taubstummen grösser als bei Hörenden,
während der Brustkorb weniger ausgedehnt wurde. Was die Stimmhöhe
anbetrifft, so hatten fast alle Schüler Altstimme. Nase und Pharynx
waren, obwohl weit gebaut, in ihrer Function als Resonator beeinträchtigt
durch Schleimhautverdickungen , z. B. Pharyngitis lateralis, Tonsillenhyper-
trophie, Rachenmandelhyperplasie, Yergrösserung der Zungenmandel, Hyper-
YII. Wissenschaftliche Randschaa. 161
trophie der Nasenmuscheln , Septumschiefstand etc. J. verlangt eine Mit-
wirkung des Arztes bei der Taubstummenfürsorge uud kla;^ über geringes
£ntgegeDkommen der Taubstummenlehrer. Eschweiler.
33.
Babinski, De Tinfluence des lesions de Tappareil auditif sur le
vertige voltalque. (Socidtä de biologie, säance du 24. janvier 1901; mit-
getheilt in „La Mädecine moderne*". 5. 1901.)
Beim Aufsetzen der Elektroden eines Yolta'schen Apparates auf die
Warzenfortsätze oder auf die Schlafen empfindet man im Moment des Strom-
Schlusses auf der Seite des positiven Pols den „Yolta'schen*' Schwindel:
Schwindel mit Seitwärtsneigung des Kopfes und des Oberkörpers eben dieser
Seite.
Diese Erscheinung ist besonders deutlich bei jungen Personen. Schon
Ströme von 1—2 M. A. rufen sie bisweilen hervor.
Affectionen des Hörapparates beeinflussen das Phänomen sehr. Bei
einem völlig ertaubten Tabetiker war ein Strom von 10 — 12 M. A. zur Her-
vormfung des Yolta'schen Schwindels erforderlich.
Bei einem ebenfalls beiderseits TöUig ertaubten Patienten (scl^rose laby-
rinthique) fehlte die Neigung, die bei dem Tabetiker anstatt nach der Seite
sich nach rückwärts bemerkbar machte, völlig.
Liegen einseitige Affectionen des Hörapparates vor (gleichgültig in welchem
Theil desselben, mit Ausnahme des äusseren Gehörgangs), so erfolgte die Dreh-
neignng nicht mehr auf der Seite des positiven Pols, sondern auf der erkrankten
Seite. Bei doppelseitiger Affection ist eine Kegel nicht aufzustellen.
Nach Ansicht des Yortragenden ist in diesen Beobachtungen eine Stütze
für die Annahme zu finden, dass der Yolta'sche Schwindel mit einer elec-
trischen Erregung des Lab^inthes, nicht der nervösen Centren unmittelbar
zusammenhängt. Ferner weist der abnorm ausfallende Schwindel auf eine
Läsion des Hörapparates hin.
In der Discussion giebt Gell 6 seinem Erstaunen darüber Ausdruck,
dass nach Lufteinblasung in ein Ohr die Drehneigung des Kopfes modificirt
wird. Das ist für Gell 6 ein Grund, von der Annahme einer directen elec-
trischen Erregung der nervösen Gentren abzugehen und diese Erregung in
das Labyrinth zu verlegen.
Bonn i er sagt, es sei immer die kranke Seite, nach welcher der Patient
sich zu drehen glaube oder die Objecto sich ihm zu verschieben schienen.
Stern -Metz.
34.
Marage, Deplacement de Titrier pendant l'audition. (Acad^mie
dem^decine. S^ance du 26 f^vrier 1901^ nach „la M^decine moderne 9/1901.)
Die Schwingungsgrösse des Steigbügels während des Höractes beträgt
Viooo Millimeter. Bei einer gegen Schwerhörigkeit und Sausen angewandten
Massage muss mit Einheiten derselben Grösse gemessen werden. Man erhält
auf diese Weise Besultate, die denen, welche andere Methoden liefern, be-
deutend überlegen sind. Yom theoretischen Standpunkt aus sei es interessant,
dass man diese guten Ergebnisse habe voraussehen können.
Stern-Metz.
35.
Marfan et Armand- Velille, Paratysie faciale cong^nitale par ag6-
nlsie de la portion p^riphdrique du nerf facial avec ag^nesie
de l'oreille. Soci^te medicale des hdpitaux: S^ance du 26 juillet 1901.
(Nach „La M^decine Moderne*' 31/1901).
Bei der Erklärung des vorgetragenen Falles kann nur eine intrauterine
Entwicklungshemmung des nervösen Apparates in Betracht kommen. Der
Archiv f. Ohrenlieilkimde. LIV. Bd. 1 1
162 VII. Wissenschaftliche Rundschau.
Fall lässt sich nicht in die beiden bekannten Gruppen congenitaler Facialis-
paralysen einreihen a) Beiderseitige L&hmungen mit gleichzeitiger Paralyse
des Rectus externus und congenitalen Missbildungen ; b) einseitige Lähmungen,
die zumeist mit sensibler und vasomotorischen Störungen vergesellschaftet sind).
Die Lähmung war im vorliegenden Fall complet. Absolut keine elek-
trische Reaciion, als ob überhaupt gar kein Facialis vorhanden gewesen wäre.
An Stelle des äusseren Ohres fand sich nur ein halbkreisförmiger kleiner
^aum. Unter diesem Hess eine kleine Oeffnung eine Sonde l Va cm weit ein-
dringen, ohne dass irgend etwas vorhanden gewesen wäre, das die Annahme
«iner Trommelhöhle gerechtfertigt hätte.
Das Kind starb in Folge Unmöglichkeit der Nahrungsaufnahme.
Bei der Section (die des Gesichtes wurde verweigert) wird das Fehlen
des Facialisstammes constatiert. An Stelle des Felsenbeins findet sich nur
«ine kleine knöcherne Masse, aber ohne die gewöhnlichen Elemente und ohne
die gewöhnliche Structur des Knochens.
Weder Oeffnung für den Meatus audit. int. noch Canalis nerv, facialis
vorhanden, (raqueduc du facial.) Das 7. und 8. Hirnnervenpaar besteht nur
iius feinen Fädchen, der Facialiskern nur aus einigen kleinen, sehr atrophi-
echen Zellen.
Die ursprüngliche Störung scheint am Felsenbein eingesetzt zu haben.
Sie hat die Entwicklung des Ohres und der peripheren Facialistheile ver-
hindert und die Atrophie des centralen Theiles und der Ursprungskerne dieses
Nerven verursacht. Stern -Metz.
36.
Vaquiez et Riöierre, Otite et m^ningite c^röbro-spinale. (Society
m^dicale des höpitaux; s^ance du 8 mars 1901. Nach „La mMecine mo-
derne'* 11/1901.)
MittheiiuDg eines Falles von Meningitis cerebrospinalis, entstanden durch
Infection des Liquor cerebrospinalis und der Gerebrospinalmeningen in Folge
alter, torpider, chronischer Mittelohreiterung. Die Krankengeschichte bietet
nichts Besonderes.
£ine dreimalige Lumbalpunction förderte zuerst trübe, dann rein-eitrige
Cerebrospinalfiüssigkeit zu Tage. Es wurde daraus ein Micrococcus ge-
züchtet, den die Vortragenden für einen Meningococcus ansprechen.
Nach dem Sectionsergebniss scheint die Infection durch den Lymphstrom
vor sich gegangen zu sein. Stern- Metz.
37.
Braunschiveig , Ueber combinirtes Empyem der Gesichtshöhlen.
Münch. med. Wochenschr. 1901. No. 29. J
Einleitend schildert Verfasser in seiner lesenswerthen Arbeit die Patho-
genese der Gesichtshöblenerkrankungeu und giebt dann einen kurzen Ueber-
blick über die Betheiligung der Orbita an den entzündlichen Erkranknogea
der Nasennebenhöhlen mit ihren Folgezuständen für das Auge selbst. Die
«ehr genaue Krankengeschichte eines vom Verfasser operirten einschlägigen
Falles von Stirnhöhlenempyem bietet ein grosses Interesse dar in ätiologischer,
«ymptomatologischer und, was die Operation anbetrifft, technischer Hmsicht.
Wir können ihre Lektüre unseren Lesern auf das Angelegenste empfehlen.
Grunert.
YlII. Richtigstellung.
163
Vill.
Richtigstellung.
In der Besprechung des Traut mann 'sehen Leitfadens (dieses Archiv
LH., S. 287) meint Herr Professor Gruncrt, er könne sich der Ansicht
des Verfassers, dass der auf einer Ohrenabtheilung 2 — 3 Jahre verblei-
bende Stabsarzt sich zu einem „sicheren Specialarzt'* ausbildet, nicht ganz
anschliessen, und begründet das damit, dass dem Stabsarzt die Gelegenheit
fehle, Kinder zu untersuchen, und zweitens damit, dass ihm nur acute Ohren-
erkrankungen zu Gesicht kämen.
Beides trift nicht zu, zunächst und besonders nicht für die Zeit der
Ausbildung. Der Stabsarzt, während seiner Assistentenzeit von jeglichem
militärischen Dienste losgelöst, nimmt genau die Stellung ein, die an anderen
Kliniken die Civilassistenten haben. Die Ohrenabtheilung der Charit^ bietet
ihm aus ihrem eigenen reichen klinischen und poliklinischen Material, ausser-
dem aber auch noch aus dem regen, fast täglichen consultativen Verkehr mit
der Kinderklinik und Poliklinik, der Kinder-lnfectionsabtheilung und der
Säuglingsstation der Charit^ reichlichste Gelegenheit, die Ohrenkrankheiten
des Kin^esalters zu studiren. Und natürlich sind auch chronische Kranke
in demselben Zahlenverhältniss wie an jeder anderen Ohrenklinik vorhanden.
Aber auch für die Zeit nach der Ausbildung sind die beiden Einwände
nicht 2utre£fend. Der militärische Ohrenspecialarzt hat rein militärärztlich,
ganz abgesehen von etwaiger Privatprazis, genügend Gelegenheit, Kinder zu
behandeln : die Kinder der Unteroffiziere und unteren Beamten der Garnison,
dazu, wenn auch nicht rein dienstlicher Idaassen, die Kinder von Offizieren,
Sanitätsoffizieren und oberen Beamtenstellen — speciell in Berlin, aber
auch in anderen grossen Garnisonen, und solche werden wohl meistens für
den ohrenspecialistisch ausgebildeten Militärarzt in Betracht kommen, — ein
beträchtliches Kontingent. Was schliesslich die Zahl der chronischen Ohren-
kranken betrifft, so ist auch diese beim Militär nicht unbedeutend, wie die
Sanitätsberichte über die preussische Armee, im Speciellen aber auch die Er-
fahrungen auf der Ohrenstation des Berliner Garnisonlazareths I beweisen;
jedenfalls reicht ihre Zahl bei weitem aus, um den behandelnden Arzt auf
aem Laufenden zu erhalten, und daran wird auch die zunehmende Vertiefung
der otiatrischen Kenntnisse unter den Sanitätsoffizieren in Zukunft nicht viel
ändern.
Dr. Riehard Mttller,
Stabsarzt im Alexander-ReRiment, früher
I. Assistent der Ohrenklinik der Charit^
in Berlin.
Dr. Stenger,
Stabsarzt an der Kaiser 'Wilhe'ms- Akademie
z. Z. I. Assistent der Ohienklinik der Eönigl.
Charitö,
Bemerkung zu obiger Riclitigsfellung
von Prof. Dr. Grunert in Halle a. S.
Wenn ich in der Besprechung des Trautmann' sehen Leitfadens (s.d.
Arch. Bd. LH, S. 287) Bedenken gegen die Aeusserung Trautmann's, „dass
der auf einer Ohrenahtheilung zwei bis drei Jahre verbleibende Stabsarzt sich
zu einem „sicheren Specialarzt *" ausbildet", erhoben habe, und wenn die
Herren Stabsärzte Dr. Müller und Dr. Stenger dieses Urthcil als für die
Ohrenabtheilung der Charit6 nicht zutreffend bezeichnet haben, so muss ich dar-
auf hinweisen, dass als Unterlage meiner Auffassung mir nur das zu Gebote
gestanden hat, was Trautmann selbst in genanntem Buche über die äusseren
Verhältnisse der Ohrenabtheilung der Charit^ mitgetheilt hat. Auf S. 2 sagt
er: „Leider fehlt daselbst eine Poliklinik für Ohrenkranke.'* Wenn er auch
11*
164 VIII. RichtigstelluDj;. :
in dem folgenden Satze erw&hnt, dass diesem Uebelstande in Zukunft abge-
holfen werden wird, und zwar schon im laufenden Jahre, so war doch zur
Zeit, wo er seinen Leitfaden schrieb, jener Uebelstaud noch vorhanden, und
meine Annahme berechtigt, dass der auf die Ohrenabtheilung commandirte
Stabsarzt bei dem Fehlen einer Poliklinik keine Gelegenheit habe, sich in
der Untersuchung und Behandlung ohrenkranker Kinder „ausreichend aus-
zubilden". Mein zweiter Grund zu obiger Auffassung war der, dass je mehr
durch zunehmende Kenntniss der Milit&r&rzte in der Obr Untersuchung Mann-
schaften mit chronischen oder latenten Ohren leiden überhaupt vom Militär-
dienst ausgeschlossen werden, die Aerzte der Garnisonohrenabtheilungen um
so mehr nur acute w&hrend der Dienstzeit erworbene Ohrenerkranküngen zu
Gesicht bekommen/*
Ich muss diesen Grund für die Ohrenabtheilnngen der Garnisonlazarethe
aufrecht erhalten, wenn auch eine Ausnahme zutrifft für die Ausbildung der
Militärärzte auf der Ohrenabtheilung der Kgl. Charit^, auf welcher ja Civil-
personen untergebracht werden und daher chronische Ohrenkranke in dem-
selben Zahlenverhältnisse wie in jeder anderen Ohrenklinik zu finden sind.
Die Herren Collagen Müller und Stenger haben gezeigt, dass meine
auf dem Inhalte des Traut mann 'sehen Buches basirende Vermuthung, die
auf die Ohrenabtheilung der Kgl. Charit^ commandirten Stabsärzte hätten
keine Gelegenheit zu ausreichender Ausbildung in der Untersuchung und Be-
handlung ohrenkranker Kinder, thatsächlich nicht zutrifft, und ich danke ihnen
an dieser Stelle für ihre Bdehrung. Wenn sie indess in ihrer „Richtig-
stellung'* meine £in wände „auch für die Zeit nach der Ausbildung als nicht
zutreffend bezeichnen**, so muss der Leser zu der irrigen Ansicht kommen,
als habe ich auch diese Zeit in den Kreis meiner Betrachtung gezogen. Da
dieses indess nicht der Fall ist, müssen die Auseinandersetzungen der beiden
Herren CoUegen über die Thätigkeit des ohrenärztlich ausgebildeten Militär-
arztes nach seiner Ausbildungszeit als den Rahmen einer „Richtigatellang"
überschreitend an dieser Stelle zurückgewiesen werden.
Personal- und Faehnaehrichten.
Adolf Fick, Dr. med. et philos. hon. c, Professor der Physio-
logie in Würzburg, seit 1873 zu den Mitarbeitern unseres Archivs gehörend,
dem er vom ersten Anfang an das grösste Interesse entgegen brachte und
andauernd bewahrte, ist am 21. August 1901 im Alter von 72 Jahren ver-
schieden. In dankbarer Erinnerung an die werthvollen Beiträge, welche Fick
für unser Archiv geliefert hat (Band VIII, IX, XKIV, XLV) erscheint es uns
um so mehr als Pflicht der Pietät gegen den berühmten Phvsiologen, auch
an dieser Stelle über den Lebensgang und die wissenschaftliche Bedeutung
desselben unseren Lesern Mittheilungen zu machen, weil er mit dem heim-
gegangenen Mitbegründer dieses Archivs A. v. Tröltsch in langjähriger, in-
timster Freundschaft verbunden war.
Adolf Fick wurde am 3. Sept. 1829 in Kassel geboren, zeigte schon auf
der Schule eine hervorragende Begabung für Mathematik und beschloss deshalb,
sich diesem Studium ganz zu widmen. Sein älterer Bruder Heinrich überredete
ihn zum Studium der Medicin, welchem er in Marburg und Berlin oblag. Fick
wurde 1851 promovirt. Schon mit 22 Jahren wurde er Prosector in Marburg. Im
Jahre 1853 habilitirte er sich als Privatdocent in Zürich, wo er 1856 eine ausser-
ordentliche und 1862 die ordentliche Professur für^Physiologie als Nachfolger
Ludwig's resp. Moleschott*s erhielt. Im Jahre 1868 folgte er einer Be-
rufung nach Würzburg, wo er bis zum Herbste 1899 den Lehrstuhl für Phy-
siologie innegehabt hat. Für seine Berufung nach Würzburg soll sich be-
sonders A. Kolli ker interessirt haben und zwar, wie man erzählt, besonders
deshalb, weil ihm in Fick*s Lehrbuch der Physiologie der Abschnitt über
Entwicklungsgeschichte, in der Fick nicht Fachmann war, durch die voll-
endete Klarheit der Darstellung imponirte. Die mathematische Geistesrich-
tung Fick *s hat sich in seinen zahlreichen wissenschaftlichen Arbeiten nicht
verleugnet. 1854 publicirte er grundlegende Untersuchungen über die Augen-
Persoaal- und FachnachriGhten. 165
bewßgangen, 1855 fand er das Grundgesetz der Diffusion; 1856 erschien das
erste grössere Werk „Die medicinische Physik'', durchaus vom mathemati-
schen Geiste erfüllt, wenn schon die Verwendung mathematischer Formeln
thunlichst yermieden wird. 1858 erörterte er zum ersten Mal die von Rouz
später als »functionelle Anpassung ** bezeichnete gesetzmässige Anpassung der
Moskelfaserlänge an ihre Function als biologischen Vorgang. 1860 erschien
das »Compendium der Physiologie mit Einschluss der Entwicklungsgeschichte"
(3. Auflage 1882). 1862 folgte die Erfindung des Pendelmyographion, 1864 des
Sphygmographen. Von demselben Jahre datirt das „Lehrbuch der Anatomie
und Physiologie der Sinnesorgane*" . 1865 vernichtete er durch die Faul-
hornbesteigung mit seinem Freunde Johannes Wislicenus die Lieb ig 'sehe
Theorie, dass bei der Muskelarbeit der Muskel selber, also eine stickstoff-
haltige Masse verbrenne. Die beiden Forscher lebten einige Tage ausschliess-
lich von stickstofffreien Nahrungsmitteln, und bestimmten die Menge des von
ihnen ausgeschiedenen Stickstoffes. Darauf bestiegen sie, bei unveränderter
Emahrang, das Faulhorn, leisteten damit eine sehr grosse Muskelarbeit und
fanden, dass die Stickstoffausscheidung nicht wesentlich grösser war als bei
Eörperruhe. Hierdurch war bewiesen, dass das Brennmaterial unserer Mus-
keln eine stickstofffreie, also eiweissfreie Substanz ist, dass man also ohne
Fleisch die schwersten körperlichen Arbeiten verrichten könne, ohne den
Körper aus dem N.- Gleichgewicht zu bringen.
1868 folgte die Erfindung des später von Mosso als „Plethysmograph''
benannten Instrumentes zur Eruirung der Geschwindigkeitscurven in der Arterie
des lebenden Menschen. Darauf folgten die zahlreichen Arbeiten über Muskcd-
wärme, die zu den Fundamenten der modernen Physiologie gehören. Ausser-
dem sind neben Abhandlungen philosophischen und mathematischen InhsJtes
auch allgemeinverständliche wissenschaftliche Aufsätze über Tagesfragen
(Männerkieidung, Alkoholmissbrauch ^), Vorbildung der Mediciner) von ihm
erschienen, die insgesammt Muster klaren Styls und geistvollen Inhaltes sind.
In seinen Vorlesungen über Physiologie behandelte F. das Gehörorgan
immer mit besonderer Vorliebe, so dass gerade dieser Theil der Vorlesung
stets eine besondere Zugkraft auf die Zuhörer ausübte wegen der klaren,
durch besonders zahlreiche pikante Versuche illustrirten Darstellung.
Thierversuche machte F. nicht gern, obwohl er sie für moralisch durch-
aus zulässig hielt. Er gehörte der mechanisch-physikalischen Richtung der
Physiologie an, griff aber über sein Gebiet hinaus mit philosophischen Stu-
dien, insbesondere zur Erkenntnisstheorie.
Eine edle Natur und eine aristokratische Gesinnung waren in ihm
vereinigt mit durchaus fortschrittlich-freiheitlichen Ueberzeugungen. In dieser
Beziehung harmonirte er vollständig mit seinem Intimus von Tröltsch,
ebenso wie in der Begeisterung für die Neugestaltung Deutschlands nach den
Kriegen von 1866 und 1870. Die Ausscheidung von Deutsch -Oesterr eich
(1866) hat er freilich nie als endgültigen und unwiderruflichen Spruch der
Weltgeschichte aufgefasst; er gehörte zu den Gründern des Alldeutschen Ver-
eins und der Eolonialgesellschaft.
A. Fick war Ehrendoctor der philosophischen Facultät der Universität
Leipzig, Mitglied der Academieen der Wissenschaften in Berlin, München,
Stockholm, Upsala, Lund, Florenz, Inhaber der goldenen Gothenius-Medaille
der Leopold. Karol. Deutschen Academie der Naturforscher. Ausser den
höchsten Orden verlieh ihm die bayerische Krone den Character als Geheimer
Rath und den persönlichen Adel, von welchen Auszeichnungen Fick keinen
Gebrauch machte. Dies stand im Zusammenbang mit der Schlichtheit seines
Wesens, mit seiner Abneigung gegen Prunk und Vorneb mthun und mit seiner
starken Liebe für die bürgerliche Freiheit. Schwärtze.
In Giessen starb im August 1901 Prof. H. Steinbrügge nach lang-
jähriger Krankheit im Alter von 70 Jahren. St. ist 1831 in Hamburg geboren,
1) Am Kampfe gegen den Alkohol betheiligte er sich im letzten Jahr-
zehnt seines Lebens nicht nur mit der Feder, sondern auch mit der That,
indem er Totalabstinent wurde.
166 Personal- und FachDachrichten.
studirte in Heidelberg Medicin, wurde 1S54 promovirt und war von 1S55 bis
1 873 praktischer Arzt in Hamburg. Aus Gesundheitsrücksichten verweilte er
dann 3 Jahre (1873—76) in Madeira, und wandte sich nach seiner Rückkehr
1877, im Alter von 46 Jahren speciell dem Studium der Ohrenkrankheiten
zu. £r wurde Schüler und später Assistent von Prof. Moos in Heidelberg;
1885 habilitirte er sich in Giessen als Privatdocent für Ohrenheilkunde und
erhielt dort schon zwei Jahre darauf den Titel eines Professor extraordinaiius.
1889 folgte der Lehrauftrag für Ohrenheilkunde und 1892 die Errichtung
eines klinischen Institutes. £rst im Jahre 1898 ist St. zum etatsmässigen
Professor extraordinarius für Ohrenheilkunde in Giessen ernannt worden.
St. war ein ungemein fleissiger Arbeiter auf dem Gebiete der patho-
logischen Anatomie und Histologie des Ohres und ein sehr fruchtbarer
Schriftsteller. Zahlreiche Originalartikel von ihm finden sich in der von
Knapp und Moos herausgegebenen Zeitschrift für Ohrenheilkunde. Von
seinen sonstigen Publicationen verdient besonders seine Bearbeitung der
„pathologischen Anatomie des Gehörorgans 1891" in dem von J. Orth heraus-
gegebenen Lehrbuch der speciellen pathologischen Anatomie, und ein anato-
mischer Atlas (Bilder aus dem menschlichen Yorhof enthaltend) rühmliche
Erwähnung. Für Sammelwerke war er ein stets bereitwilliger und gesuchter
Mitarbeiter. Für das Ebstein-Schwalbe'sche Handbuch der practischen
Medicin, für die Bibliothek der gesammten med. Wissenschaften von
A. Dräsche in Wien, für die Encyclopädie der Ohrenheilkunde von L. Blau
lieferte er zahlreiche Beiträge. Im Handbuche der Ohrenheilkunde, heraus-
gegeben von Schwartze, hat er im 3. Kapitel des I. Bandes die schwierige
Aufgabe vortrefflich gelöst, die Histologie des Hörnerven und des Obrlabyrinthes
kurz und übersichtlich darzustellen. Schwartze.
In Chicago (ü. S. A.) ist Dr. Samuel J. Jones, Professor für Ophthal-
mologie und Otiatrie verstorben^
Dr. Hegner erhielt die Venia legendi als Privatdocent in der medici-
nischen Facultät zu Heidelberg; Dr. Hinsberg die gleiche zu Breslau.
Privatdocent Dr. E. Leutert in Königsberg i. Pr. hat im October 1901
eine Berufung nach Giessen erhalten als Nachfolger von Steinbrügge, und
wird derselben noch für das laufende Semester Folge leisten.
Das Organi&ationscomit6 lür den 14. internationalen medicinischen Con-
gress (Madrid 1903) hat beschlossen, die Section fürOtologie, Rhinologie und
Laryngologie in zwei Sectionen für Otologie und für Laryngologie zu theilen.
Dies geschieht jedenfalls zum Yortheil beider Disciplinen und entspricht den
Wünschen der meisten wissenschaftlichen Vertreter dieser Fächer in Deutschland.
Nouvelle.
Vlle Congr^s International d'Otologie de Bordeaux.
La date du prochain Congrds International de M^decine ayant 4i6 fixee
au mois d'avril 1902, les Membrcs du Gomit6 Frangais du Cougr^s Inter-
national d*Otologie qui doit se tenir ä Bordeaux, ont pense qu'il y avait
liea de reculer d*uue anndc r^poque ä laquelle devait se tenir ce Congres.
Dans ces conditions, le prochain Congr6s International d*Otologie de Bordeaux
aura lieu au mois d*aoüt ou de septembre 1904; la date exacte de ce Con-
gres sera fix6e ultörieurement.
Berichtigung.
Im LIII. Bd. S. 76 Zeile 19 von oben lies „von den Gefässen der Haversi-
schen Kanäle" statt von den Haversi'schcn Kanälen.
„ „ „ S. 87 Zeile 5 von oben lies „6 m** statt 6 mm.
Neuer Verlag von F. C- W. Vogel in Leipzig.
LEHRBUCH
der
Physiologie des Mensehen
von
G. T. BUNGE,
Basel.
2 Bände gr. 80. 1901.
I. Band: Sinne, Nerven, Muskeln, Fort-
pflanzung in 28 Vorträgen.
iit 67 Abbildungen im Text und 2 Tafeln.
Preis M. 10. — , geb. M. 11.25.
II. Band: Ernährung, Kreislauf, Atmung,
Stoffwechsel in 36 Vorträgen.
Mit 12 Abbildungen.
Preis M. 15. — , geb. IM. 16.25.
Die Therapie der iüegrenirart bringt in der August-Nummer 1901 folgende
Besprechung :
Wenn wir das vorliegende Buch an dieser Stelle einer kurzen Be-
sprechung unterziehen, so geschieht es deshalb, weil es unter allen physiologischen
Lehrbüchern eine gewisse eigenartige Stellung einnimmt, die es dem Oesichtskreis
des Arztes besonders nahe bringt, näher als alle seine Schwesterwerke. Es stellt
eigentlich nicht das dar, was wir im gewöhnlichen Sinn ein Lehrbuch der Physio-
logie nennen, und wer es zur Hand nimmt, um sich darin über detaillierte
physiologische Daten und experimentelle Ergebnisse Bat zu holen, der wird es
vielleicht bald wieder bei Seite legen. Es giebt uns dieser erste Band vielmehr
in einzel aneinandergereihten glänzenden Vorträgen eine Vorstellung davon, wie
sich im Kopfe eines wissenschaftlich aufgeklärten, geistvollen, phylosophisch durch-
gebildeten Physiologen die wichtigsten Probleme des Lebens malen. Die fesselnde
Form der Darstellung versteht es, die schwierigsten Kapitel aus den Gebieten
der Sinnes-, Nerven- und Muskel physiologie, sowie der Fortpflanzung und Ver-
erbung auch dem minder Eingeweihten, selbst einem Laien, verständlich und an-
ziehend zu machen, ihm die Quintessenzen physiologischer Arbeit nahe zu bringen,
ohne ihn durch verwirrenden Ballast zu erschrecken. Es liegt eine heitere Philo-
sophie und eine Lebensfreudigkeit in den Anschauungen des grossen Physiologen,
die das Studium seines Buches zum höchsten Genuss machen. Wir lassen seine
eigenen Worte aus dem Kapitel über die Fortpflanzung davon Zeugnis ablegen :
jtJede Zelle unseres Körpers hat ewig gelebt und die Samenzelle oder
Eizelle^ welche sich von den iwrigen Zellen trennt^ ist nicht jünger j als eine der
zurückbleibenden. Jede Zelle hat das Recht zu sagen: ich bin die Urzelle. Wir
leben ewig. . . . Die kommenden Generationen sind wir selbst. Wir leben fort
in denen, die nach uns kommen. Noch hat keine Religion .... diesen Ge-
danken genügend verwertet. Er wird die Grundlage jeder Religion und Moral
der Zukunft sein. Alles Gute, das wir gewirkt im Leben, kam uns nur selbst
zu Gute. So wird auch die Selbstsucht in den Dienst der Selbstlosigkeit ge-
stellt, und alle Moüve wirken zusammen zur Vervollkommnung und Vererbim^
des Lebens. Auch dem Tod ist der „Stachel" gen^mm^n: der Tod des Indi-
viduums vernichtet kein Leben. Die Individuen sterben dahin — Milliarden
und aber Milliarden in jeder Sekunde. Das Leben aber steht keinen Augen-
blick still. Was kümmert die Natur das Individuum? Was liegt denn an
der Coniinuität des individuellen Bewusstseins? Wir vergessen die alten
Schmerzen und erwachen in neuen Formen zu neuem Soffen, zu neuem Kampf
Ein ewig junger Frühling, ein ewig neues Leben, neue Freuden, endlose Lust!'
Keiner von uns sollte an diesen wundervoll gefassten Edelsteinen unserer
reinen Wissenschaft achtlos vorübergehen I gez. F. Umber (Berlin).
• •
ENCYKLOPADIE
DER
OHRENHEILKUNDE
Herausgegeben
von
Dr. Louis Blau in Berlin
Bearbeitet von
Doc. Dr. alt, Wien. Frivatdocgmt Dr. äSBER, Berk. Prof. Dr. B. BAGINSSY, Beblih. Dr. BABNICE,
Graz. Prof. Dr. BBRTHOLD, Königsberg i. P. Doc. Dr. BINO. Wibk. Dr. BLAÜ, Beriht. Primärarzt
Dr. BBIEGES, Breslau. Prof. Dr. bOrENER, GörriNOsy. Dr. DENKER^ Hagen x. W. Privatdocent Dr.
DREYFUSS. StrassBüRO i. E. Dr. EITELBERO, Wien. Dr. EULENSTEIN, FRANKFURT a. M. Dr. FREY,
Wien. Prof. Drv FRIEDRICH, Km. De. GÖRELE, Breslau. Prof. Dr. ORADENIOO, Turin. Privatdocent
Dr. ORUNERT, Halle a. S. DR..aiJTZ]fANN. Berlin. Prof. Dr. HABERMANN. Graz. Dr. HAMMER-
SCHLAG, Wien. Dr. HANSBERO, DORTMUND. Privatdocent Dr. HAUO, MtlNCHEN. Prof. Dr. HESSLSR,
Halle a. S. Prof. Dr. JACOBSON, Berlin. Dr. JANKAO. München. Privatdocent Dr. JANSEN, Berlin.
Dr. JO&L, GOTHA. Prtvatdoceht Dr. KATZ, Berlin. Dr. KayBER, Breslau. Dr. KELLER, Köln. Prof.
Dr. KIESSELBACH, Erlangen. Privaidogent. Dr. KRAUSE, Berlin. Dr. KEETSCHMANN, Magdeburg.
Prof. Dr: KÜMMEL, Breslau. Privatdocent Dr. LEUTERT, Königsrero i.p. SanitXtsrath Dr. LUDEWIG,
Hamburg. Dr. MYOIND, Kopenhagen. Dr. NOLTENIUS, Bremen. Prof. De. OSTMANN, Marburg. Dr.
FAN3E, Dresden. Prof. Dr. PASSOW^ Heidelberg. Prof. Dr. POLITZER, Wien. Doc. Dr. POLLAK,
Wien. Dr. REINHARD, Duisburg. SasitITsrath Dr. ROLLER, Trier. Dr. SCHUBERT, NÜRNBERG.
Sanitatsrath Dr. SGHW ABACH, Beruv:-Dr. SCHWIDOP, Karlsruhe. Dr. SELIGMANN, Frankfurt a. M.
Dr^SFIRA, Krakau. Prof. Dr. STEINBRÜQGE, Giessen. Dr. STERN, Metz. Prof. Dr. STETTER, Königs«
BERfi I, P. Prof. Dr. URBANTSCHITSCH, Wien. Dr. VOHSEN, Frankfurt a. M. Dr. VULFIUS, Weimar.
Prof. Dr. WAGENHÄUSER, Tübingen. Prof. Dr^ WALB, Bonn. Dr. WEIL, Stuttgart. Dr. WQLF,
Frankfurt a. M. Dr. ZEROMI. Balle a. S. Prof. Dr. SUCSERKANDL, Wien.
LEIPZIG
VERLAG VON F. C.W.VOGEL
1900.
Gr. Lex-. 8^ Preis: broschiert ^ 20 — ; gebunden Ji 23. — .
IX.
Die Krankheiten des Gehörorgans nnter den Volksschnl-
kindern des Kreises Harhnrg.
Von
Prof. Ostmann, Marburg a. L.
(Mit 2 Abbildangen.)
Es ist unge wohnlich, einer wissensohaftliehen Arbeit ihr
Resultat an die Spitze za stellen; aber bei dieser Arbeit spricht
es so fbr sich selbst, dass es ohne jeden Commentar in seiner
Tragweite verständlich ist.
Von den 7537 Volksschulkindern des Kreises Marburg sind
2142 = 28,4 Proc. auf einem oder beiden Ohren schwerhörig und
zum Theil mit den schwersten Ohrenleiden behaftet.
Als ich die Untersuchungen begann, sprach sich mir gegen-
über eine ältere Lehrerin sehr pessimistisch darüber aus, dass
ich durch diese Untersuchungen an den bestehenden Verhält-
nissen etwas würde bessern können.
Diese Auffassung war f&r mich nicht gerade ermuthigend,
hatte ich doch die Arbeit nicht auf mich genommen, um zu
untersuchen, sondern um zu bessern«
Die täglichen Beobachtungen in der Poliklinik, die Unter-
suchungen in der Taubstummenanstalt zu Homberg, die für
den Laien überraschenden Ergebnisse der Erhebungen, welche
der Landrath des Kreises Schmalkalden auf meine Berichte
hin in den Volksschulen seines Kreises hatte vornehmen
lassen, hatten mir gezeigt, dass die Volksschule ein dank-
bares Feld sein müsste, um durch einwandfreie Thatsachen
den Beweis zu liefern, welche Schäden der Volksschuljugend
aus der bisherigen Vernachlässigung eines wichtigen Zweiges
der Heilkunde erwachsen, die, wenn sie in solchem Umfange
wie dem nachgewiesenen bestehen, nicht mehr bloss eine
Schädigung des einzelnen Individuums, sondern des Gemein-
wesens und des Staates bedeuten.
Wenn nun auch die Erfahrungen einer alten Lehrerin
ArchiT f. OhienheUknnde. LIV. Bd. 1 2
168 IX. OSTMANN
dagegen sprachen, dass durch Aufdeckung der Schäden sie ge-
bessert werden würden, so schien es mir doch das Beste, einer
derartigen pessimistischen Anschauung nicht Kaum zu geben,
sondern weiter nach dem Grundsatz zu handeln: „Thu' das Gute
und wirf es hinein in das Meer; sieht's nicht der Knecht, so
sieht es der Herr!*' Weshalb sollte das ausgeworfene Gut nicht
auch einmal vor die Augen des richtigen Herren kommen?
In dieser Zuversicht habe ich die Untersuchungen durch
6 Monate unablässig fortgeführt ; doch musste ich mich manches
Mal, wenn ich ermüdet auf der Landstrasse einherwanderte, durch
die Worte aus Lessing's Dramaturgie aufmuntern lassen:
„Wie schÖD, wie edel ist die Lust, sich so zu quälen!"
Die Untersuchungen haben ihre Vorgeschichte. Die alljähr-
lich sich wiederholenden Untersuchungen der Zöglinge der Taub-
stummenanstalt zu Homberg hatten mir gezeigt, dass in dieser
Anstalt eine auffallend grosse Zahl von Kindern sich befand,
welche schwere Erkrankungszustände des Mittelohres aufwiesen.
Es Hess sich der Gedanke nicht von der Hand weisen, dass
diese seiner Zeit der Heilung zugängigen, aber gänzlich vernach-
lässigten Leiden wesentlich dazu beigetragen hatten, die hoch-
gradigste Schwerhörigkeit in den ersten Lebensjahren und da-
mit Stummheit zu erzeugen. Ich berichtete in diesem Sinne an
den Herrn Landeshauptmann in Hessen und machte darauf auf-
merksam, dass nach meinen in der Poliklinik zu Marburg und
der Taubstummenanstalt zu Homberg gesammelten Erfahrungen
es bei der grossen Zahl von schweren Ohrenkranken unter der
Landbevölkerung von grossem Nutzen sein würde, wenn den
Ohrenkrankheiten eine erhöhte Aufmerksamkeit geschenkt und
event. durch Anstellung von mit der Ohrenheilkunde vertrauten
Armenärzten für die ländlichen Distrikte die Möglichkeit der
sachgemässen unentgeltlichen Behandlung dieser Kranken ge-
geben würde.
Dieser Bericht wurde auch den Herren Landräthen des
Begierungsbezirkes Kassel mitgetheilt, und der Landrath des
Kreises Schmalkalden gewann ein so erfreuliches Interesse an
der angeregten Frage, dass er durch die Lehrer in den Volks-
schulen seines Kreises Erhebungen über das Vorkommen von
Ohrenkrankheiten anstellen Hess. Es ergab sich ein für den
Laien überraschend ungünstiges Ergebniss.
Es entstand nun die Frage, was diesen aufgedeckten Schäden
gegenüber zu thun sei. Ohne Geld Hess sich den vielen, schwer-
Erankh. d. Gehörorgans unter d. Yolksschalkindem d. Kreises Marburg. 169
erkrankten Kindern nicht durchgreifend helfen ; aber wenn sich
eine Frage zur Geldfrage zuspitzt, steht neben dem wohl Wollen
nicht immer das Wohlthun. Man that das Gute, aber nicht das
Bessere, indem man auf die Möglichkeit der Behandlung dieser
Kinder in den Landkrankenhäusern hinwies und beschloss, vor
dem Fassen weiterer Beschlüsse auf die Aufdeckung weiterer
Schäden zu warten.
Ein Jeder, der seinen ärztlichen Beruf noch von einer idealen
Seite auffasst, nicht allein gegen Geld ein Berather der Kranken,
sondern ein freiwilliger Förderer und Schützer der Gesundheit
seiner Mitmenschen zu sein, musste dazu gedrängt werden, die
bestehenden Schäden in ihrem ganzen Umfange aufzudecken,
um so doch schliesslich nach den guten auch die besseren Be-
schlüsse herbeizufahren.
Die Darlegungen der traurigen Erfahrungen, die man nur
zu oft in der Poliklinik macht, dass es unmöglich ist, gerade den
Aermsten zu helfen, weil sie die Kosten einer klinischen Be-
handlung nicht bestreiten können, ja nicht einmal im Stande
sind, die Kosten einer wiederholten Bahnfahrt aufzubringen oder
selbst mehrere Vormittage zu opfern, weil der Ausfall der Arbeits-
zeit gleichbedeutend ist mit Hungern, haben wenig Wirkung auf
den, der nicht selbst immer wieder dieses Elend sieht, es sich
überhaupt nicht recht vorstellen kann, weil er derartigen Ver-
hältnissen niemals nahe getreten ist. Wer aber 6 Jahre hin-
durch mit warmem Herzen dieses Elend schaut und doch als
Einzelner trotz aller Bemühungen nicht im Stande ist, durch-
greifend zu helfen, der wird ein freimüthiger Kämpfer für diese
Armen, denen man nicht diejenigen Wohlthaten zu Theil werden
lässt, welche man ebenso situirten, nur an anderen Organen er-
krankten Personen seit langer Zeit in ausgedehntestem Um-
fange bietet.
Von dem Umfange des körperlichen Elends auf dem von
mir vertretenen Gebiet wollte ich einen Beweis erbringen, der
streng sachlich geführt auch den Laien zur Ueberzeugung zwingen
muss, dass solche Schäden nicht weiter fortbestehen können.
Deshalb that ich nach Jago's altbewährtem Recept Geld in
meinen Beutel und begann die Untersuchungen, welche in dankens-
werthester Weise der Herr Minister der geistlichen, Unterriohts-
und Medicinal- Angelegenheiten durch Verfügung vom 4. Februar
1901 für den Kreis Marburg gestattet hatte.
Als Einleitunglzu den Untersuchungen entwickelte sich zu-
12*
170
IX. OSTMANN
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Verkalkung
tr. Durchlöcherg.
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Entzündurg
Trübung, Verdich-
tung, Glanzlosigkeit
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Ac. Katarrh
Chr. Katarrh
Ac. Entzündung
Chr. Eiterung
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Tubenkatarrh
Mundathmung
Labyrintherkrankung
Hörstörung ohne nach-
weisbare Ursache
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n
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o
9
Erankb. d. GcbCrorgans unter d. VolksfiGhulkindern d. Kreises Marburg. 171
nächst eine Correspondenz, welche ich nur mit freundlich ge-
währter Hilfe Anderer bewältigen konnte. Mit den vorstehenden
Lehrern der 70 Schulorte des Kreises, mit Orts- und Kreisschul-
inspectoren musste verhandelt werden, um zunächst fQr jeden
Ort die Zahl der Schüler und Schülerinnen festzustellen und
demgemäss den Reiseplan anzuordnen; auch musste den Lehrern
gelbst Kenntniss von dem Plane der Untersuchung gegeben
werden. Für jeden Schulort wurden dann Listen nach dem vor-
stehenden Schema aufgestellt, in welche von den Lehrern die
sämmtlichen Kinder mit fortlaufender Nummer vor der Unter-
suchung eingetragen wurden.
Ich möchte es nicht unterlassen, auch an dieser Stelle den
Herren flir ihre freundliche Bereitwilligkeit, meinen Wünschen
nachzukommen, bestens zu danken. Nur durch das Entgegen-
kommen, welches ich überall gefunden habe, ist es mir möglich
geworden, ohne jede Störung die Untersuchungen durchzuführen.
Die Schwierigkeiten, welche sich ihrer exacten Durch-
ilihrung entgegenstellten, erwiesen sich trotzdem als sehr viel
grösser, wie ich mir vorgestellt hatte, und wer dieselben richtig
einschätzen will, der untersuche einen gleich grossen Kreis.
Die bisherigen Schuluntersuchungen auf Krankheiten des
Gehörorgans, welche in mehr oder weniger grossem Umfange
nicht allein in Deutschland, insbesondere von Weil und Bezold
in Stuttgart und München, sondern auch in Frankreich,
England, Dänemark, Schweden und Italien ausgeführt worden
sind, haben sich wesentlich auf Stadtschulen und zwar höhere
wie Elementarschulen beschränkt. Nur Weil hat mit Stuttgarter
Schulen auch die eines in der Nähe von Stuttgart gelegenen
Dorfes untersucht, und in letzter Zeit hat Leubusch er in säch-
sischen Dorfschulen umfangreichere Untersuchungen vorgenommen.
Diese fast ausschliessliche Beschränkung auf Stadtschulen
igt verständlich; denn geht man auf die Dörfer, so tritt zu der
Bemühung der Untersuchung die weitere, sehr erhebliche Schwie-
rigkeit hinzu, die in einem so gi'ossen Keise wie dem Marburger
fllr Hin- und Rückweg nicht selten 30 und mehr Kilometer be-
tragenden Entfernungen zu überwinden ; sich immer von Neuem
mit anderen Personen über den Gang der Untersuchung zu ver-
verständigen, und namentlich an jedem weiteren Ort wieder die
äusseren Bedingungen zu schaffen, welche für eine exacte Durch-
fthrung der Untersuchungen unerlässlich sind. Die Kleinheit
der Schulzimmer nöthigte an einigen Orten zu einem Exodos
172 ilX. OSTMANN
in den Gemeinde -Tanzsaal , an einem anderen in den über
dem Gemeinde - Backofen gelegenen Gemeinde - Rathssaal , wo
es dann heiss herging. Aber kaum waren die ränmliehen
Schwierigkeiten überwunden, so stellten sich neue ein. loh
hatte bisher die Gans nur von ihrer angenehmen Seite kennen
gelernt, wenn sie als gute Gabe Gottes auf dem Tische steht;
aber dass sie eine so lästige Zugabe zu diesen Untersuchungen
sein würde, hatte ich mir nicht vorgestellt. Eine f&r die Knaben
sehr vergnügliche Jagd musste diese Ruhestörer nicht selten aus
der Umgebung des Untersuchungsortes vertreiben, bevor ich zu
Worte kommen konnte, und auch das Federvieh wurde für die
Zeit der Untersuchung hier und dort in die Verbannung ge-
schickt. Die Hunde folgten nach, und ein freundliches Wort
Hess den Schmied, welcher in Oberhessen besonders enge ört-
liche Beziehungen zur Schule zu haben scheint, f&r die Unter-
suchungsdauer den Hammer niederlegen.
„Still war's — , und jedes Ohr hing an Aeneens Munde.'';
Die Kinder lauschten in der That mit äusserster Aufmerksam-
keit, so dass, nachdem sie begrififen hatten, um was es sich han-
delte, die durch Unaufmerksamkeit und Interesselosigkeit bedingten
Schwierigkeiten sehr gering waren. Die Art der Erziehung der
Kinder durch den Lehrer war für den glatten Ablauf der Unter-
suchung von wesentlicher Bedeutung.
Es ist hier nicht der Ort, auf Fragen näher einzugehen,
die das Gebiet der Schulhygiene betreffen; aber ich muss sie
streifen. Die hygienischen Verhältnisse vieler Schulen des Kreises
sind sehr ungünstig ; doch muss ich bemerken, dass an mehreren
Orten durch Neubau der Schulhäuser eine wesentliche Besserung
bevorstand.
Die äusserste Beschränkung des Luftraums, die Unsauberkeit
der Schulräume, welche beim Verrücken der Bänke und des
Katheders zuweilen zu Tage trat, die nicht selten hochgradige
Unsauberkeit der Kinder an Körper und Kleidung sind auch
An dieser Stelle Fragen von hohem Interesse, weil durch diese
Umstände die Entstehung und Verbreitung von Infectionskrank-
heiten unter den Schulkindern gefordert wird, in deren Gefolge
dann wieder die Ohrenkrankheiten entstehen. Die in neuester
Zeit ergangene Verfügung des Herrn Kultusministers über die
Mitwirkung der Kreisärzte bei der Aufstellung von Bauplänen
zu Schulneubauten oder grösseren Umbauten von Schulen lässt
hoffen, dass mit der Zeit diese unhygienischen Verhältnisse zum
Erankh. d. Gehörorgans unter d. Volksschalkindern d. Kreises Marburg. 173
Segen der Jugend eine grQndliohe Aenderang erfahren werden.
Die Untersuchungen wurden fast ausnahmslos von 7 — 10 Uhr
Morgens, nur auf den Rundreisen während der Universitätsferien
auch Nachmittags von 1 Uhr ab durehgefährt. Sie spielten sich
in folgender Weise ab.
Zunächst wurde Raum geschafft, um sich frei bewegen zu
können, und eine Entfernung von 4 und 8 m abgemessen. Ich
habe nach dem Vorgange von Bezold diese Entfernungen als
Maassstab fdr den Grad der Schwerhörigkeit festgehalten, weil
dieser Maassstab praktisch brauchbar ist und die erheblich von
den massig Schwerhörigen scheidet; andererseits aber diejenigen
nicht zu den Schwerhörigen rechnet, welche bei genauer Prüfung
zwar einen gewissen Hördefect zeigen, sich aber im täglichen
Verkehr kaum als Schwerhörige documentiren. Als Prttfungs-
mittel diente die Flüstersprache, und zwar wurden Zahlen von
1 — 100, bei den kleinsten Kindern von 1 — 10, zugeflüstert in
einer Stärke, dass sie von eincQi Normalhörenden im geschlossenen
Raum mit Sicherheit auf 20 m verstanden werden. Eine Hör-
fähigkeit för 8 m bedeutet somit etwa Vä der normalen Ent-
fernung. In einzelnen Orten mit sehr kleinen Schulen war die
Beschaffung eines Raumes von über 8 m Länge nicht möglich;
in diesen Fällen wurde in 6 m abgewandte Fiüstersprache an-
gewandt, und dasjenige Kind als unter 8 m hörend bezeichnet,
welches in circa 6 m abgewandte Flüsterzahlen nicht verstand.
Von 6 m abwärts konnte dann wieder zugewandte Flüstersprache
zur Anwendung kommen. Es blieb eben nichts Anderes übrig,
als zu diesem Nothbehelf zu greifen, und ich glaube, dass durch
diese modificirte Art der Prüfung bei einer sehr kleinen Zahl
von Kindern das Resultat in seiner Gleichmässigkeit nicht be-
einflusst ist.
Zum Zwecke der Prüfung wurden je nach den räumlichen
Verhältnissen gleichzeitig 15 — 20 Kinder in einer Reihe so auf-
gestellt, dass das zu untersuchende Ohr dem Untersucher zu-
gewandt war. Nun wurde den Kindern der Versuch erklärt;
darauf das abgewandte Ohr mit Watte fest verstopft und zunächst
von Allen beide Ohren mit den Händen zugehalten. Sobald die
Untersuchung bei dem ersten Kinde begann, nahm es die Hand
von dem zu untersuchenden zugewandten Ohre fort; die übrigen
Kinder folgten der Reihe nach, und so ging es fort bis zum
letzten. Dann wurde Kehrt gemacht; der Watte verschluss ge-
wechselt und das zuvor verschlossene Ohr geprüft.
174 IX. OSTMANN
£s war von grosser Bedeutung, dass die Kinder yöUig un-
befangen blieben ; sehr bald lernte ich, dass dieses Ziel sich am
sichersten erreichen Hess, wenn ich sowohl wie der Lehrer mog-
liehst wenig auf die Kinder einsprach. Einem älteren, verstän-
digen Knaben wurde übertragen, darüber zu wachen, dass jeder
es richtig machte, und seine Erklärungen halfen mir, wenn ein
schüchternes Kind der Prüfung Schwierigkeiten bereitete. Un-
endliche Geduld musste ich dann mit dem festen Willen, bei
allen ein sicheres fiesultat zu erreichen, verbinden.
Ich selbst stellte mich in einer Entfernung von 8V2 bis 9 m
auf und sprach dem zu prüfenden Kinde mehrere Zahlen von
1 — 100 vor, welche laut nachgesprochen werden mussten. Wur-
den die Zahlen nicht gehört, so näherte ich mich mehr und mehr
bis zur Gehörgrenze. Erst wenn nach nochmaliger Belehrung
des Kindes und zwei-, drei-, selbst viermaliger Wiederholung des
Hörversuchs das Resultat für die Prüfungszahlen „3, 8, 9, 5, 7"
das gleiche war, wurde dasselbe als feststehend betrachtet. Bei
einzelnen Kindern erwies es sich als sehr zweckmässig, ihre
Aufmerksamkeit vor dem eigentlichen Hörversuch durch lautes
Vorsprechen von Zahlen anzuregen.
Durch diese Anspannung und Anregung der Aufmerksam-
keit kam es zuweilen vor, dass die Kinder besser hörten, als
die Lehrer von ihnen erwartet hatten; ja eine ganze Zahl der-
selben hörte über 8 m Flüsterzahlen , konnte somit überhaupt
nicht als schwerhörig bezeichnet werden. Dass aber trotzdem
die Beobachtung des Lehrers nicht falsch war, zeigte vielfach
die der Hörprüfung folgende objective Untersuchung der Gehör-
organe mit dem Ohrenspiegel. Es zeigte sich nämlich, dass in
zahlreichen Fällen mehr oder weniger erhebliche krankhafte Ver-
änderungen des Schallleitungsapparates vorlagen, durch welche
ein gewisser, wenn auch nicht unter 8 m reichender Hördefect
gegeben war. Verschlechterte sich das Hörvermögen in ungün-
stiger Jahreszeit um ein geringes, so genügte der Hördefect, um
bei nicht angespannter Aufmerksamkeit Manches entgehen und
dasselbe als schwerhörig erscheinen zu lassen. Das Kind küm-
mert sich im Allgemeinen wenig um unklare Sinneseindrücke, und
deshalb genügt schon ein geringer Grad von Schwerhörigkeit, um
dasselbe empfindlich in seiner geistigen Entwicklung zu schädigen.
Das Verhalten der schwerhörigen Kinder bei der Prüfung
war in hohem Maasse charakteristisch ; während die normal Hören-
den der Weisung, geradeaus d. h. ihrem Vordermanne auf den
Erankh. d. Gehörorgans unter d. Volksschulkindern d. Kreises Marburg. 175
Nacken zu sehen, sofort nachkamen, brach bei den Schwer-
hörigen immer wieder das Bestreben durch, das Gesicht mir zu-
zuwenden, um von meinen Lippen abzulesen und verständnisslos
starrten sie mich oft mit weit geöffnetem Munde an.
Ich komme nun zur Darstellung der Untersuchungsresultate
selbst, von denen ich an dieser Stelle nur die zahlenmässigen
erörtere. Alle rein wissenschaftlichen Fragen, für die zum Theil
ein reiches Material durch diese Untersuchungen schon gewonnen
worden ist oder noch gewonnen werden wird, lasse ich unbe-
rührt ; sie werden in späteren Aufsätzen ihre Erledigung finden.
In den 70 Schulorten des Kreises Marburg wurden 7537
Schulkinder vom 5. — 14. Lebensjahr und zwar 3767 Knaben
und 3770 Mädchen untersucht.
Es hörten von den
7537 Kindern auf einem oder beiden Ohren unter 4 bezw. 8 m
2142 = 28,4 o/o
und zwar entfielen auf die
3767 Knaben 1130 Schwerhörige — 30,0 o/o der untersuchten
Knaben
und auf die
3770 Mädchen 1012 Schwerhörige = 26,8 > der untersuchten
Mädchen.
Unter den ersteren waren demnach noch 3,2 Proc. mehr
Schwerhörige als unter den letzteren. Diese durchschnittlichen
Procentzahlen sind erschreckend hoch, und sie zerstören die falsche
Annahme, dass in den Landschulen hinsichtlich der Ohrenkrank-
heiten noch relativ günstige Verhältnisse obwalten. Wenn aber
solche Erkrankungsziffern sich in dem Kreise Marburg finden,
dessen Bewohner relativ sehr leicht in Marburg und Giessen freie
specialistische Hilfe finden können, wie muss es dann in un-
günstiger gelegenen Kreisen wie dem Frankenberger und
Biedenkopfer aussehen? Die von mir gefundenen Procentzahlen
stimmen fast mit denjenigen überein, welche von anderen Unter-
suchern gefunden worden sind. Weil fand bei den Volksschul-
kindern bis zu 30 Proc. der Untersuchten mangelhaftes Gehör
auf einem oder beiden Ohren|, und Bezold berechnet die Zahl
derer, die auf einem oder beiden Ohren nur etwa auf ein Drittel
(8 m) der normalen Distanz hörten, auf 25,8 Proc.
Von Leubuscher ist letzthin für den Saalebezirk gleich-
falls das ungemein häufige Vorkommen von Ohrenkrankheiten
unter den Schulkindern nachgewiesen worden. Wir sehen somit,
176 IX. OSTMANN
dass wir es keineswegs mit einer eigenartigen Erankheitshäufnng
im Kreise Marburg zu thnn haben, sondern dass in den ver-
schiedensten Theilen unseres Vaterlandes nach den genommenen
Stichproben nahezu die gleichen Verhältnisse obwalten.
Es ist diese schwerwiegende Erscheinung mit eine noth-
wendige Folge der bisherigen völligen Vernachlässigung des
Studiums der Ohrenheilkunde.
Es soll nun nach der neuen Prüfungsordnung für Aerzte in
Zukunft ein grösseres Gewicht auf das Studium der Ohren- und
der mit ihnen oft zusammenhängenden Nasen- und Rachenerkran-
kungen gelegt werden; aber es fragt sich, ob ein derartiges Gewicht
darauf gelegt worden ist, um den aufgedeckten Schäden fortan
gründlich zu begegnen. Die Ueberweisung der Ohrenheilkunde an
die Chirurgie bezw. auch an die innere Medicin als Prüfungsgebiet
bietet meines Erachtens keine hinreichende Sicherheit dafür, dass
der Arzt gerade die für ihn nothwendigsten Kenntnisse auf diesem
Gebiete besitze. Auch der Chirurg und der innere Mediciner sind
für ihr Gebiet Specialisten und ihnen entgleitet ein anderes Spe-
eialgebiet ganz naturgemäss um so mehr, je mehr sich dieses Ge-
biet theoretisch und praktisch zu einer selbständigen Wissenschaft
mit selbständigen Vertretern und Instituten entwickelt, wie es im
Laufe der letzten Jahrzehnte bei der Ohrenheilkunde der Fall ist.
Immer weniger bekommen sie von dem ihnen niemals vertraut ge-
wordenen Gebiet zu sehen, weil die Kranken die betreflfenden Spe-
cialkliniken und Polikliniken aufsuchen ; sollten die Vertreter der
Chirurgie und inneren Medicin dann in erster Linie berufen sein
zu entscheiden, was der Arzt auf dem Gebiet der Ohrenheilkunde
gebraucht? Der Chirurg wird in die Gefahr gerathen, das ihm am
nächsten gelegene Gebiet der grossen Ohroperationen zu streifen,
die aber für den praktischen Arzt von geringem praktischen Werthe
sind, weil er sie doch nicht ausfahrt, und der innere Mediciner wird
in Verlegenheit gerathen, was er prüfen soll, wenn er sich nicht
zufällig mit den Ohrenkrankheiten besonders beschäftigt hat,
was ich aber von einem inneren Mediciner kaum noch gehört habe.
Aus diesen Gründen wird die halbe Maassregel nicht den
gewünschten Erfolg haben.
Nach dieser kurzen Abschweifung wollen wir sehen, wie sich
die schwerhörigen Kinder nach absoluter Zahl und procentuarisch
auf die 70 Schulorte des Kreises vertheilen. Tabelle I giebt die
Zahlen für alle untersuchten Kinder; Tabelle II fftr die. Knaben;
Tabelle III für die Mädchen.
Erankh. d. Gehörorgans unter d. Yolksschalkindern d. Kreises Marburg. 177
Tabelle I. Die Zahl der untersuchten und schwerhörigen
Kinder nach Ortschaften geordnet.
«
o
Zahl d. Schwer-
•
55
«'S
Zahl d. Schwer-
Ort
d. unt
. Kin
hörigen
«5
Ort
d. unl
. Kin
hörigen
ex
9>
abso-
Proc. d
abso-
Proc. d.
SS
1«
Inte
nnter-
süchteni
11
Inte
nnter>
sachten
^
tSg
Zahl
Kinder |
A
OB g4
Na w
Zahl
Kinder
1
Marburg
l627
463
28,5
36
Niederwalg.
90
21
23,3
2
Wetter
216
50
23,1
37
Niederweimar
105
38
36,2
a
Allna
44
10
22,7
38
Niederwetter
33
8
24,2
4
Altenyers
92
31
33,0
39
Nordeck
93
30
32,2
5
Amönau
129
21
16,3
40
Oberrosphe
107
22
20,6
6
Bauerbach
48
11
22,9
41
Oberweimar
74
36
48,6
7
Bellnhausen
54
17
31,5
42
Ockershausen
186
70
37,6
8
Beltershausen
64
27
42,2
43
Reddehausen
61
4
6,5
9
Betziesdorf
47
9
19,1
44
Ronhausen
29
8
27,6
10
Bracht
82
18
22,2
45
Rossberg
64
24
37,5
tl
Bürgein
79
27
34,2
46
Roth
118
21
17,8
12
Caldern
81
17
20,9
47
Michelbach
59
14
24,6
13
Cappel
154
51
33,1
48
Sarnau
90
18
20,0
14
Coelbe
209
60
28,8
49
Schönstadt
144
25
17,3
15
Cyriaxweimar
58
17
27,3
50
Schröck
109
51
46,8
16
Dreihausen
149
45
30,2
51
Schwaraenb.
29
8
27,6
17
Ebsdorf
93
27
29,0
52
Sichertshsn.
44
10
23,1
18
Einhausen
92
30
32,7
53
Sterzhausen
142
29
20,4
19
Fronhausen
187
45
24,0
54
Toden hausen
46
8
17,4
20
Ginseidorf
32
7
21,9
55
Treisbach
101
32
31,7
21
Gossfelden
120
27
22,5
56
Unterrosphe
53
15
28,3
22
Göttingen
28
6
21,4
57
Warzenbach
111
28
25,2
23
Hachborn
132
38
28,2
58
Wehrda
117
29
24,7
24
Hassenbausen
47
13
27,7
59
Wehrshausen
33
8
24,2
25
Hermershaus.
33
5
15,1
60
Weltershausn.
40
9
22,5
26
Heskem
111
35
31,5
61
Dilschhausen
23
4
17,4
27
Kernbach
37
4
10,8
62
Wenkbach
115
29
25,2
28
Kirchvers
67
37
55,2
63
vVermertsbsn.
33
13
39,4
29
Leidenhofen
80
32
40,0
64
Winnen
34
10
29,4
30
Lohra
215
67
31,2
65
Wolfsbausen
12
2
16,6
31
Marbach
51
8
15,7
66
WoUmar
103
33
32,6
32
Mellnau
101
23
22,7
67
Oberwalgern
61
21
34,4
33
Moischt
52
18
34,6
68
Witteisberg
83
42
50,6
34
Mttnchhausen
191
73
38,2
69
Bortshausen
18
3
16,6
35
Niederasphe
120
34
28J
70
Simtshausen
55
16
29,1
Summa: 70 Ortschaften | 7537 | 2142 | 28,4
Tabelle II. Die Zahl der untersuchten und schwerhörigen
Knaben nach Ortschaften geordnet.
m
u
'TS
Ort
Zahl d. unter-
sucht. Knaben
Zahl d. Schwer-
hörigen
■
u
TS
d
«^
S3
1-3
Ort
Zahl d. unter-
sucht. Knaben
Zahl d. Schwer-
hörigen
a
abso-
Inte
Zahl
Proc. d.
nnter-
suohten
Knaben
abso-
late
Zahl
Proo. d.
unter-
sachten
Knaben
1
2
3
Marburg
Wetter
Allna
766
109
18
196
29
3
25,6
26,6
16,6
4
5
6
Altenvers
Amönau
Bauerbach
50
62
22
16
14
5
32,0
22,6
22,7
178
IX. OSTMANN
•
Zahl d. Schwer-
Zahl d. Schwer-
«
'S s
hörigen
«
hörigen
'O
Ort
'S
es
Ort
g
abso-
lute
I*roc. d.
unter-
suchten
abso-
lute
Proc. d.
unter-
suchten
h-l
N3 »
Zahl
Knaben
31,0
^
N g
Zahl
Knaben
7
Bellnhausen
29
9
39
Nord eck
59
24
40,7
8
Beltershausen
35
15
42,8
40
Oberrosphe
61
11
18.0
9
Betziesdorf
18
3
16,6
41
Oberweimar
29
12
41,4
10
Bracht
43
10
23,2
42
Ockershausen
105
49
46,7
11
BUrgeln
39
14
35,9
43
Reddehausen
30
2
6,7
12
Caldera
46
10
21,7
44
Ronhausen
17
5
29,4
13
Cappel
79
34
43,0
45
Rossberg
27
11
40,8
14
Coelbe
100
33
33,0
46
Roth
62
11
17,7
15
Cyriaxweimar
22
6
27,2
47
Michelbach
32
7
21,8
16
Dreihausen
71
24
33,8
48
Sarnau
50
9
18,0
17
Ebsdorf
48
18
37,5
49
Schönstadt
69
17
24,6
18
Einhausen
42
15
35,5
50
Schröck
62
32
51,6
19
Fronhausen
96
26
27,1
51
Schwarzenb.
14
4
28,5
20
Ginseidorf
18
3
16,6
52
Sichertshaus.
20
7
35,0
21
Gossfelden
52
15
28,8
53
Sterzhausen
77
17
22,1
22
Göttingen
13
3
23,0
54
Todenhausea
29
7
24,1
23
Hachborn
60
20
33,3
55
Treisbach
44
17
38,6
24
Ilassenhausen
26
5
19,3
56
ünterrosphe
26
9
34,5
25
Hermershaus.
22
3
13,6
57
Warzenbach
53
14
26,4
26
Heskem
60
16
26,7
58
Wehrda
55
12
21,9
27
Kernbaeh
21
3
14,3
59
Wehrshausen
16
4
25,0
28
Kirch vers
37
25
67,6
60
Weitershaus.
23
5
21,7
29
Lcidenhofcn
36
13
31,1
r»l
Dilschhausen.
15
4
26,6
30
Lohra
122
40
32,8
62
Wenkbach
57
15
26,3
31
Marbach
26
5
19,3
63
Werraertshsn.
14
6
42,8
32
Mellnau
56
15
26,8
64
Winnen
15
4
26,7
33
Moischt
26
12
46,1
65
Wolfshausen
6
1
16,6
34
MttQchhausen
113
50
44,2
66
WoUmar
56
20
35,9
35
Niederasphe
53
16
30,2
67
Oberwalgern
18
5
27,7
36
Niederwalgern
45
9
20.0
68
Wittelsberg
37
20
54,0
37
Niederweimar
48
17
35,4
69
Bortshausen
10
3
30,0
38
Niederwetter
18
3
16,7
70
Simtshausen
32
13
40,6
Summa
70
Ortschaften
3767
1130
30,0
Tabelle IIL Die Zahl der untersuchten und schwerhörigen
Mädchen nach Ortschaften geordnet.
a>
ed
>-5
1
2
3
4
5
6
7
8
9
Ort
e
oe
S3
Marburg
Wetter
Allna
Altenvers
Amönau
Bauerbach
Bellnhausen
Beltershausen
Betziesdorf
Zahl d Schwer-
hörigen
abso-
lute
Zahl
Proc. d
unters.
Mäd-
chen
u
o
&
Zahl d. Schwer-
hörigen
861
267
31,0
10
107
21
19,6
11
26
7
26,9
12
42
15
35,7
13
67
7
10,4
14
26
6
23,1
15
25
8
32,2
16
29
12
41,4
17
29
6
20,7
18
Bracht
BUrgeln
Caldern
Cappel
Coelbe
Cyriaxweimar
Dreihausen
Ebsdorf
Einhausen
Proc. d.
unters.
Mäd-
chen
39
8
40
13
35
7
75
17
109
27
36
11
78
21
45
9
50
15
20,5
32,5
20,0
22,6
24,7
30,4
26,9
20,0
30,0
Krankh. d. Gehörorgans unter d. Volksschulkindern d. Kreises Marburg. 179
oa
V 1-4
Zahl d. Schwer-
•
u
5z
Zahl d. Schwer-
Ort
«1
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hörigen
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Ort
öS
1*
hörigen
es
abso-
lute
Proc. d.'
unters. ,
Mäd-
abso-
lute
Proc. d.
unters.
Mäd-
w^
CS3
Zahl
chen ,
45
OB
Zahl
chen
19
Fronhausen
91
19
20,9
Rossberg
37
13
35,1
20
Ginseidorf
14
4
28,5
46
Roth
56
10
17,9
21
Gossfelden
68
12
17,6
47
Michelbach
27
7
25,9
22
Göttingen
15
3
20,0
48
Sarnau
40
9
22,5
23
Hachborn
72
18
25,0
49
Schönstadt
75
8
10,7
24
Hassenhausen
21
8
38,1
50
Sohröck
47
19
40,4
25
Hermershaus.
11
2
18,2
51
Schwarzenb.
15
4
26,7
26
Heskem
51
19
37,2
52
Siohertshaus.
24
3
12,5
27
Kernbach
16
l
6,2
53
Sterzhausen
65
12
18,5
28
Kirchvers
30
12
40,0
54
Todenhansen
17
1
5,9
29
Leiden hofen
44
19
43,1
55
Treisbach
57
15
26,3
30
Lohra
93
27
29,0
56
ünterrosphe
27
6
22,2
31
Marbach
25
3
12,0
57
Warzenbach
58
14
24,1
32
Mellnau
45
8
17,8
58
Wehrda
62
17
27,5
33
Moischt
26
6
23,1
59
Wchrshausen
17
4
23,5
34
MUnchbausen
78
23
20,5
60
Weitershaus.
17
4
23,4
35
Niederasphe
67
18
27,0
61
Dilschbausen
8
0,0
36
Niederwalg.
45
12
26,7
62
VVenkbach
58
14
24,1
37
Niederweimar
57
21
36,9
63
Wermertshsn.
19
7
36,8
3S
Niedirwetter
15
5
33,3
64
Win neu
19
6
31,5
39
Nordeck
34
6
17,6
65
Wolfshausen
6
1
16,6
40
Obcrrosphe
46
11
23,9
66
WoUmar
47
13
27,7
41
Oberweimar
45
24
53,3
67
Oberwalgern
43
16
37,2
42
Ockershansen
81
21
26,0
68
Witteisberg
46
22
47,8
43
Reddehausen
31
2
6,5
69
Bortshausen
8
0,0
44
Ronhausen
12
3
25,0
70
Simtshausen
23
3
13,0
Summa
70
Ortschaften
3770
1012
26,8
Der Procentsatz der sohwerhörigen Kinder hat in den ver-
schiedenen Orten sehr bedeutende Schwankungen gezeigt. Der
niedrigste Procentsatz wurde in Reddehausen mit 6,5 Proc, der
höchste in Kirchvers und Witteisberg mit 55,2 Proc. und 50,6 Proc.
gefunden.
Stellt man die 70 Sohulorte zu Gruppen von je 10 zu 10 Proc.
Schwerhörigen zusammen, so ergiebt sich folgende Gruppi-
ruDg:
O—lOö/o in einer Ortschaft: Reddehausen;
10,1 — 20^/0 in 11 Ortschaften: Todenhausen, Amönau, Schön-
stadt, Betziesdorf, Kernbach, Dilschbausen, Marbach, Her-
mershausen, Bortshausen, Wolfshausen, Roth;
20,1 — 30,00/0 in 34 Ortschaften: Niederasphe, Simtshausen, Mell-
nau, Oberrosphe, Wetter, Warzenbach, Niederwetter, ünter-
rosphe, Bracht, Schwarzenborn , Sterzhausen, Göttingen,
Caldern, Michelbach, Gossfelden, Sarnau, Cölbe, Wehrda,
Ginseidorf, Weitershausen, Wehrshausen, Marburg, Bauer-
180 IX. OSTMANN
bach, AUna, Cyriaxweimar, Bonbausen, Wenkbacb, Nieder-
walgern, Fronbausen, Sicbertsbansen, Hassenbansen, Haob>
born, Ebsdorf, Winnen;
30,1 — 40,0 ö/o in ISOrtscbaften: Wollmar,Müiiebbaugen,Trei8baeh,
Bürgeln, Elnbaasen, Oekershausen, Cappel, Niederweimar,
Moiscbt, Heskem, Dreihausen, Rossberg, Nordeck, Wermerts-
hausen, Bellnbausen, Oberwalgern, Altenvers, Lohra;
40,1 — 50,0 ®/o in 4 Ortscbaften: Scbröek, Oberweimar, Belters-
bausen, Leidenbofen;
50,1—60,00/0 in 2 Ortscbaften: Witteisberg, Kircbvers.
Man ersieht ans dieser Znsammenstellung, dass sich in 24
Ortschaften des Kreises über 30 Proc. schwerhöriger Kinder be-
fanden.
Betrachtet man die Knaben und Mädchen fQr sich gesondert,
so ergiebt sich, dass unter den ersteren verbältnissmässig nicht
unerheblich mehr Schwerhörige sich befinden als unter den
letzteren. Tabelle II und III geben die auf die einzelnen Ort-
schaften entfallenden Zahlen.
Durchschnittlich waren 30 Proc. der Knaben schwerhörig,
somit 3,2 Proc. mehr als Mädchen, von denen je 26,8 von Hun-
dert an Schwerhörigkeit litten.
In einzelnen Dörfern erreichte der Procentsatz der schwer-
hörigen Knaben eine geradezu erschreckende Höhe; so in Kircb-
vers mit 67,6 Proc, in Witteisberg mit 54,0 Proc. Schwerhörigen.
Stellt man auf Grund der Tabelle II (Knaben) die 70 Ort-
schaften wiederum zu Gruppen von je 10 zu 10 Proc. schwer-
höriger Knaben zusammen, so zeigt sich, dass in
1 Ortschaft 0,0—10,0 Proc.
13 Ortschaften 10,1—20,0 „
27 „ 20,1—30,0 „
16 „ 30,1—40,0 „
10 „ 40,1—50,0 „
2 „ 50,1—60,0 „
1 „ 60,1—70,0 „ waren.
Es standen somit über dem Gesammtdurchschnitt von
30,0 Proc. noch 29 Ortschaften, während 41 denselben nicht er-
reichten.
Etwa ein Drittel aller schulpflichtigen Knaben
des Kreises Marburg, ausgenommen die Schüler der
beiden höheren Schulen Marburgs, ist somit schwer-
hörig; d. h. hört auf einem oder beiden Ohren nur auf
Krankh. d. Gehörorgans unter d. YolksBchulkindern d. Kreises Marburg. 18 1
etwa ein Drittel der normalen Entfernung oder we-
niger.
Die Bedeutung dieser Thatsaohe für die einzelnen Indivi-
duen leuchtet Jedem sofort ein; es ist aber zweekmässig, auch
darauf hinzuweisen , welche Bedeutung sie f&r den Staat hat.
Neben dem Steuerzahlen ist eine der wichtigsten staats-
bürgerlichen Pflichten der Heeresdienst.
Wie ich in meiner Arbeit über die Krankheiten des Gehör-
organs in der Armee dargelegt habe, sind nach den Sanit&ts-
berichten vom 1. Jan. 1867 bis 31. März 1896 aus der preussi-
schen Armee, einschliesslich des XIII. und XII. Armee- Corps —
von 1872 bezw. 1882/83 an — 15958 Mann wegen Ohrenkrank-
heiten als dienstunbrauchbar ausgeschieden; weiter aus der
gleichen Ursache 357 als Halbinvalide und 2003 als Ganzinvalide,
im Ganzen 18318 Mann. Nur für die Zeit vom 1. April 1878
bis 31. März 1896 lässt sich erkennen, wie viele von den Dienst-
unbrauchbaren schon vor der Einstellung erkrankt waren ; es waren
von 12196 Mann 10582 oder 86,8 Proc. Zu diesem Verlust treten
noch die während der Dienstzeit an Ohrenkrankheiten Gestor-
benen und die gewiss sehr grosse Zahl derer hinzu, welche so-
gleich bei der Musterung und Aushebung als schwer ohrenkrank
erkannt wurden und somit überhaupt nicht zur Einstellung ge-
langten, üeber ihre Zahl könnten nur die Eekrutirungslisten
Auskunft geben.
Noch eine weitere Schädigung erwächst der Armee und
dem Lande durch die grosse Zahl der ohrenkranken Soldaten.
Die mit chronischen Ohrenleiden eingestellten Mannschaften
werden verhältnissmässig häufig zu ärztlicher Behandlung im
Lazareth oder Revier Veranlassung geben. Es entfällt dadurch
eine gewisse Zahl von Diensttagen, die um so grösser ist, als
die durchschnittliche Behandlungsdauer eines jeden Ohrenkranken
in der Armee nach meinen Berechnungen fär die 12 Jahre
1884/85 bis 1895/96 22,2 Tage betragen hat und zur Zeit auch
nicht wesentlich weniger betragen wird. Nun kommt hinzu,
dass der durchschnittliche Jahreszugang der in der Armee be-
handelten Ohrenkranken von 1874/75 bis 1896 eine fast ununter-
brochene und zwar beträchtliche Steigerung erfahren hat.
Von 1874/75 bis 1881/82 betrug der durchschnittliche Jahres-
zugang 7,5 pro mille der Eopfstärke; im Jahr 1882/83 erfuhr
derselbe eine plötzliche Steigerung auf 11,2 pro mille und stieg
dann langsam weiter bis 1893/94, wo er mit 14,2 pro mille den
182 IX. OSTMANN
höehsten Stand von 1867 bis 1896 enreichte. Sehr viel häufiger
noch als in der preussisohen Armee sind die Ohrenkrankheiten
in der bayrischen, wo im Durchsehnit von 8 Jahren — 1888/89
bis 1895/96 — das I. Corps 25,0 pro mille, das II. Corps 18,2
pro mille Ohrenkranke hatte.
Noch einen dritten Punkt möchte ich hervorheben. In dem
Sanitätsberichte vom l. April 1894 bis 30. Sept. 1896 hat man
in der Statistik der Dienstunbrauchbaren eine Trennung eintreten
lassen, indem die Zahl der unmittelbar nach der Einstellung als
dienstuntauglich festgestellten und wieder entlassenen Mann-
schaften von den übrigen Dienstunbrauchbaren getrennt ange-
geben ist.
Während der 2V2 Jahre sind 1769 Mann wegen Ohrenleiden
sogleich bei der Einstellung als dienstuntauglich erkannt worden.
Diese Zahl repräsentirt also diejenigen sonst brauchbaren Militär-
pflichtigen, deren Ohrenleiden bei der Musterung und Aushebung
übersehen, oder, falls erkannt, nicht für so bedeutsam erachtet
wurde, um Dienstunbrauchbarkeit zu bedingen. Diese sogleich
bei der Einstellung als dienstunbrauchbar erkannten Mann-
schaften sind nun aber keineswegs sofort wieder entlassen worden,
sondern 957 derselben im 1 . Dienstmonat, 758 im 2. — 6., 54 im
7. — 12. Monat. Fast die Hälfte der Mannschaften hat somit
Monate lang nutzlos auf Staatskosten gelebt.
Ergiebt sich nicht aus der Betrachtung der vorerwähnten
drei Punkte, dass der Schaden, der durch die ungemeine Ver-
breitung schwerer Ohrenkrankheiten dem Staate erwächst, ein
so beträchtlicher ist, dass es werth ist, auch aus diesem Gesichts-
punkte eine Minderung dieser Krankheiten anzustreben? Be-
trachten wir einmal die jetzt noch schulpflichtigen Knaben des
Kreises Marburg mit Bezug auf ihre dereinstige Dienstbrauch-
barkeit.
Von den 1130 schwerhörigen Knaben hörten
112 auf beiden Ohren unter 4 m und
101 auf einem Ohr unter 4, auf dem andern unter 8 m.
Diese 213 Knaben dürften somit, falls nicht durch eine sach-
gemässe Behandlung ihre Schwerhörigkeit beseitigt oder wenig-
stens gebessert wird, dereinst zum grössten Theil fftr den activen
Dienst bei der Truppe ausfallen. Wie viele aber ausserdem von
den 208 Knaben, welche jetzt auf beiden Ohren 4 — 8 m hören?
Gewiss haben wir trotz des grossen Bedarfs noch einen
Ueberschuss an dienstbrauchbaren Mannschaften, aber trotzdem
Erankh. d. Gehörorgans unter d. Yoiksschalkindern d. Kreises Marbarg. 183
dürfte ernstlich darauf Bedacht zu nehmen Bein, dass kein so
hoher Procentsatz von sonst brauchbaren jungen Leuten allein
durch eine einzige Krankheitsgruppe verloren gehe, um so mehr
als dieser Verlust nicht durch die Art der Erkrankungen als
solche begründet, sondern wesentlich durch die völlige Vernach-
lässigung derselben und die allgemeine Unkenntniss ihrer Dia-
gnose und Behandlung bedingt ist
Diese 2 1 3 Knaben fallen aber dereinst nicht allein als Sol-
«
daten zum grössten Theile aus, sondern auch als voUwerthige
Arbeiter in ihrem jeweiligen Beruf; sie werden in ihrer geistigen
ivie gemüthlichen Entwicklung wesentlich geschädigt. Es waltet
ein eigenes Missgeschick über diesen Kranken. Ganz langsam,
oft dass sie es selbst kaum merken, schleicht sich die Schwer-
hörigkeit ein, die das Kind veranlasst, die immer undeutlicher
werdenden Gehörseindrttcke mehr und mehr zu vernachlässigen,
fio dass es bei Verkennung der vorliegenden Schwerhörigkeit
Eltern und Lehrern als unachtsam und ungehorsam erscheinen
muss. Es wird gescholten und geschlagen und empfindet diese
Behandlung als eine Ungerechtigkeit. Diese Empfindung macht
es verschlossen, misstrauisch ; es wird immer unleidlicher. Auch
der geistige Verkehr wird gehemmt; das Kind bleibt in seiner
Entwickelung zurück, erscheint dummer als seine Altersgenossen
und wird von diesen geneckt. Wie anders behandelt man das
schwachsichtige Kind! Wird endlich die Schwerhörigkeit er-
kannt, so vermag der Arzt sie nicht saohgemäss zu behandeln;
und werden dann die Spargroschen zusammengelegt, um an der
Universität Hilfe zu suchen, so fehlen hier wieder zumeist die
klinischen Einrichtungen, um gegebenen Falls das Kind frei oder
für einen geringen Entgelt in sachgemässe Behandlung zu neh-
men. Aber auch der Beste vermag bei aller Aufopferung durch
ein- oder zweimalige Consultation einen Fall nicht zu heilen, der
an sich wohl heilbar, aber zu seiner Heilang einer mehrwöchigen,
ununterbrochenen Behandlung bedarf.
Wie oft habe ich nun schon vor der Frage gestanden, wie
ich diesen Kindern helfen soll! Man kann nicht vielen neben
dem ärztlichen Rath auch noch das Gleld geben, ihn sich zu
holen. Hier müssen weitere Kreise eingreifen, indem sie die
für die Heilung auch des armen Kindes nothwendigen Vor-
bedingungen schaffen.
Dadurch wird man gleichzeitig den berufenen Vertretern
der Ohrenheilkunde gerecht, indem man ihnen die gleichen Be-
Archi7 f. Ohrenheilkande. LIV. Bd. 1 3
184 IX. OSTMANN
diDgüBgen des Lehrens nnd Lernens sehafft wie den Vertretern
der übrigen Theilgebiete der Medicin.
leh hatte sehen zuTor darauf hingewiesen, dass die Mädchen
relativ günstiger stehen. Von den 3770 nntersnohten Mädchen
erwiesen sieh 1012 oder 26,8 Proc. als schwerhörig. Tabelle 3 er-
giebt ihre Vertheilnng auf die Schnlorte des Kreises und das
procentnarisehe Verhältniss der Schwerhörigen zu den in den
einzelnen Ortschaften überhaiy)t Untersnchten.
In zwei ganz kleinen Schulen — Dilschhansen nnd Borts-
hansen — fand sich unter den je 8 untersuchten Mädchen kein
schwerhöriges. Auch Todenhausen mit 5,9 Proc, Eernbach mit
6,2 Proc. und Reddehausen mit 6,5 Proc. standen günstig; sehr
ungünstig dagegen Oberweimar mit 53,3 Proc, Witteisberg mit
47,8 Proc, Beltershausen mit 41,4 Proc.
Stellt man wiederum die Ortschaften zu Gruppen von je
10 zu 10 Proc. schwerhöriger Mädchen zusammen, so fanden
sich in
5 Ortschaften 0—10 Proc
16 „ 10,1 — 20,0 „
30 „ 20,1—30,0 „
14 , 30,1-40,0 ,
4 , 40,1-50,0 „
1 Ortschaft 50,1 — 60,0 „
Man ersieht aus den vorhergehenden Ausftihrungen, dass die
Vertheilung der Schwerhörigen — Knaben wie Mädchen — eine
sehr verschiedene war. Es fragt sich, ob in dieser Vertheilung
eine Gesetzmässigkeit zu erkennen ist. Um leichter die Verhält-
nisse übersehen zu können, habe ich die beigegebene Karte
des Kreises Marburg entworfen und in dieselbe die 70 Sehulorte
des Kreises eingezeichnet.
Für diejenigen, [welche den Kreis Marburg nicht genauer
kennen, möchte ich mit einigen Worten die topographischen Ver-
hältnisse desselben besprechen.
Der Kreis Marburg ist einer der grössten Kreise des Re-
gierungsbezirkes Gassei und hat einen Flächeninhalt von 10,22
D Meilen. Er umfasst 2 Städte, 88 Landgemeinden und 7 Guts-
bezirke. Er wird bewohnt von 49890 Personen und zwar von
23908 männlichen und 25982 weiblichen Geschlechts.
Er wird durchströmt von der Lahn, in welche von Norden
her die Wettschaft, von Osten her die Ohm einmündet. Die durch-
Krankh. d. Gehörorgans unter d. Volksschulkindern d. Kreises Marburg. 186
Uebersichtskarte
der Vertheilung der schwerhörigen Schulkinder auf die 70 Schul-
orte des Kreises Marburg.
iWollmar
®Nd:Aspftt
I Treisbach
iMvncMrs.
iWetler
^(Kiwrasptie
'Siepihausen
Betzhsdotf ,
©
iMarbach^
fWeHSÄ
DHsehhausen
Ellnhmsen
#¥lehrsht.
Ifettershatisen ^^ | Marifi!!;^
Hermershs. ^ . ,1^
^ I
AVna
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u,„iLsen • ©
Bartshausm Hesktm
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W C^ Fnabs-i
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1 fleagr. iWeiJe
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Q 0—10,1 Proc. Schwer hörJgo
10,1—20,0 -
20,1—30,0 «
30,1—40,0 Proc. Schwerhörige
40,1—50,0 -
50,1—60,0 -
13»
186 IX. OSTMANN
schnittlioh 1 — 2 Kilometer breiten Flussthäler werden auf beiden
Seiten von 200 — 400 Meter hohen, bewaldeten Höhenzügen ein-
gefasBt. Diese Höhenzfige habe ich auf der Karte durch starke
schwarze Linien gekennzeichnet. An dieselben schliesst sieh
nach Westen stark bewaldetes, bergiges Land; der östlich der
Lahnberge gelegene Abschnitt des Kreises ist ebener und geht
in das breite Ohmthal über, welches zum Kreise Kirchhain
gehört.
Die Flussthäler werden von Eisenbahnlinien durchzogen,
iieren bedeutendste die Main- Weser-Bahn ist. Die Eisenbahnen
sind auf der Karte durch Linien kenntlich gemacht.
Die einzelnen Ortschaften des Kreises zeigen verschiedene
Markirung, welche die verschiedenen Procentsätze der ohren-
kranken zu den in den einzelnen Ortschaften überhaupt unter-
suchten Kindern angeben; die Bedeutung der verschiedenen
Markirungen ist aus den der Karte beigegebenen Erklärungen
ersichtlich.
Bei dem ersten Blick auf die Karte scheinen die Orte ver-
schiedenster Procentzahlen bunt durcheinander gewürfelt; dem ist
jedoch nicht so.
Es lassen sich deutlich 4 Gruppen von Ortschaften mit hohen
und höchsten Procentzahlen erkennen.
Die erste — centrale — Gruppe in der nächsten Um-
gebung Marburgs, gebildet von den Landgemeinden Ockershausen,
Cappel, Nieder Weimar, EUnhausen; die anderen 3 Gruppen liegen
in den äussersten Ecken des Kreises, und zwar wird die süd-
östliche Gruppe von den Gemeinden Schröck, Moischt, Bel-
tershausen, Witteisberg, Heskem, Leidenhofen, Dreihausen, Boss-
berg, Nordeck und Wermertshausen ; die südwestliche von
Lohra, Oberwalgern, Altenvers und Kirchvers; die nordwest-
liche schliesslich von Treisbach , Münchhausen und WoUmar
gebildet.
Dem gegenüber weisen die in den Flussthälern und ihrer
unmittelbaren Umgebung gelegenen Ortschaften fast ausnahmslos
unter dem Durchschnitt liegende Procentzahlen auf. Dass ein
kleiner Ort wie Bellnhausen eine Ausnahme macht, kann die
im Groj^sen Ganzen eigenartig gesetzmässige Anordnung der Ge-
meinden mit hohen und höchsten Procentzahlen einerseits und
relativ niedrigeren andererseits nicht wesentlich stören. Lassen
sieh nun Gründe für diese Gruppirung finden?
Erankh. d. Gehörorgans unter d. Volksschulkindern d. Kreises Marburg. 187
Meines Erachteng wirken bei dieser Vertheilung verschiedene
Ursachen mit. Ganz allgemein gesprochen, wird man dort die
meisten Ohrenkrankheiten finden, wo nicht nur die Bedingungen
f&r ihre Entstehung in Folge des Klimas, des häufigen Auftretens
von Infectionskrankheiten und anderer Ursachen mehr die rela-
tiv günstigsten sind, sondern wo auch die Bedingungen fbr die
Heilung der Erkrankten nach den localen und socialen Verhält-
nissen die relativ ungünstigsten sind.
Das Klima kann man für alle Orte des Kreises Marburg als
ein im Allgemeinen gleichartiges ansehen ; es dürfte deshalb ge-
wagt sein, dieses Moment fQr die Erklärung der besonders hohen
Procentzahlen der vorerwähnten 4 Gruppen heranzuziehen. Es
dürften vielmehr locale und sociale Verhältnisse eine ausschlag-
gebende Bolle spielen.
Betrachten wir zunächst die socialen Verhältnisse. Ich bin
als Arzt mit der ländlichen Bevölkerung mehrerer Provinzen des
Preussisehen Staates in Berührung gekommen; aber ich habe
nur in gewissen Theilen Ostpreussens Landstriche gesehen, deren
Bewohner durchgängig so wenig auf Sauberkeit des Körpers und
der Wohnung halten, wie dies in Oberhessen der Fall ist. Wo
aber ein derartiger Schmutz herrscht, da sind die günstigsten
Bedingungen für das Auftreten von Infectionskrankheiten ge-
geben, in deren Verlauf dann die Ohrenkrankheiten sich ent-
wickeln. Insbesondere kommt hier auch in Betracht die grosse
Verbreitung der Tuberculose, über deren Beziehung zu den Ohren-
krankheiten der Schulkinder ich noch an späterer Stelle einige
Bemerkungen einflechten werde. Die in der näheren Umgebung
Marburgs gelegenen Dörfer werden von einer relativ sehr star-
ken Arbeiterbevölkerung bewohnt und gehören, so hart es ist,
es auszusprechen, mit zu den schmutzigsten, die ich im Kreise
gesehen habe. Mit der Armut verbindet sich ja leider nur zu
gern der Schmutz und auch eine gewisse Gleichgültigkeit gegen
körperliche Schäden, sofern dieselben, wie dies bei den chroni-
schen Ohrenkrankheiten häufig der Fall ist, lange Zeit keine auf-
fallenden und beunruhigenden Krankheitserscheinungen machen.
Man lässt die Erkrankungen bei den Kindern unbeachtet oder
kann auch nicht die zum Verdienst nothwendige Zeit hergeben,
um häufiger weite Wege zum Arzt zu machen. Die Beeinträch-
tigung, welche die geistige Entwickelung der Kinder durch die
Schwerhörigkeit erfährt, wird erst dann als ein wesentlicher
Nachtheil empfunden, wenn das Kind nach der Entlassung ans
188 IX. OSTMANN
der Schule sich selbst sein Brot verdienen soll nnd nun im Wett-
bewerb mit Vollsinnigen ins Hintertreffen geräth. Ich mochte
glauben, dass die Procentzahlen der Schwerhörigen in den Mar-
burg umgebenden Arbeiterdorfern noch höher sein würden, als
sie es thatsächlioh sind, wenn nicht die besonders günstige Oe-
legenheit, die sich den Bewohnern zu einer freien, saehgemässen
Behandlung in Marburg bietet, doch von einer ganzen Zahl aus-
genutzt würde. So wird wenigstens ein Theil der Erkrankten
mit guter Hörsch&rfe geheilt.
In den von Marburg am weitesten entfernten Dörfern liegen
die socialen Verhältnisse vielleicht etwas günstiger; aber für
diese Landgemeinden tritt die grosse Schwierigkeit hinzu, sich
ohne allzu grossen Aufwand von Zeit, Mühe und auch Geld
sachgemässe ärztliche Hilfe zu verschaffen. Der kleine Bauer,
der Tagelöhner, der mit seiner Familie sein Feld selbst bestellt,
wird während der Sommermonate nur durch die äusserste Noth
veranlasst werden, mehrmals einen ganzen Tag für die Reise
nach Marburg zu opfern ; im Winter aber stehen der weite Weg
und die ungünstigen Witterungsverhältnisse der Reise entgegen,
und um den Arzt zu sich kommen zu lassen, dazu fehlt das
Geld. Ich habe nicht selten von Frauen, die aus jenen fernen
Dörfern kamen, in der Poliklinik gehört, dass sie um 2 und
3 Uhr Nachts mit ihren kranken Kindern aufgebrochen seien.
Die Kinder waren dann nach ihrer Ankunft in der Poliklinik
so müde, dass sie kaum aus dem Schlafe zu erwecken waren.
Wenn nun an einem solchen Kind eine kleine Operation, wie
z. B. die Fortnahme der vergrösserten Rachenmandel, zur Heilung
erforderlich ist, darf der Arzt eine solche Operation vornehmen,
ohne leichtsinnig zu handeln, wenn er weiss, dass das Kind
einen 15 Kilometer weiten Rückweg in Hitze und Staub, in
Sturm und Regen zurückzulegen hat? Thut er es, um das Kind
zu heilen, so wagt er mehr, als er vielleicht verantworten kann;
thut er es nicht, so bleibt das Kind ungebeilt; der Weg, die
Mühe, der Arbeitsverdienst für die verloren gegangene Zeit ist
unnütz hergegeben; das Kind bleibt fort und mit ihm viele
andere in gleicher Lage. Sollte man denn nicht über-
zeugen können, dass es sich verlohnt, auch für sol-
che Kinder eine Gelegenheit zu schaffen, dass sie
einige Tage unter ärztlicher Obhut bleiben können,
selbst wenn die Eltern nicht in der Lage sind, einen
höheren Verpflegungssatz zu zahlenl
Erankh. d. Gebörorgans unter d. Yolksschulkiadera d. Kreises Marburg. 189
Diese looalen SchwierigkeiteD treten in den von Marburg
entferntesten Dorfern zu den socialen Verhältnissen der länd-
liehen Bevölkerung Oberhessens hinzu und dürften den er-
schreckend hohen Proeentsatz von schwerhörigen Kindern er-
klären. Die am Ohr erkrankten Kinder bleiben eben zum grossen
Theil unbehandelt und ungeheilt, sofern nicht bei dem einen
oder anderen Naturheilung eintritt.
Die in den Flussthälern gelegenen Dörfer sind, wie mir
scheinen will, in socialer Beziehung im Allgemeinen, bezüglich
der Verkehrsverhältnisse aber durchgehends günstiger gestellt
als die vorerwähnten Landgemeinden. So zeigen diese Dörfer,
an sich betrachtet, zwar noch sehr hohe, relativ aber mittlere,
selbst niedrige und auiSfallend gleichmässige Procentzahlen. Durch
die Eisenbahnen, welche in den Flussthälern entlang laufen, ist
die Möglichlichkeit, schnell und billig in Marburg Hilfe zu suchen,
gegeben, und diese G-elegenheit wird reichlich benutzt. Es ist
mir bisher nicht möglich gewesen, selbst oder durch einen An-
deren zahlenmässig für die ersten 10 Jahre des Bestehens der
Poliklinik für Ohren-, Nasen- und Halskranke zu Marburg nach-
weisen zu lassen, in welcher Weise die einzelnen Dörfer des
Kreises Marburg dieselbe in Anspruch nehmen; aber ich hoffe,
eine derartige Untersuchung als weitere Ergänzung zu dieser
Arbeit im Laufe des nächsten Jahres bringen zu können. Es
wird dann die Bedeutung der örtlichen Lage des Ortes wahr-
scheinlich noch schärfer hervortreten und es wird sich vielleicht
überraschend zeigen, dass eine Eisenbahn eine Gegend nicht nur
wirthschaftlich sondern auch gesundheitlich erschliesst.
Die Tabellen I, II und III, welche den bisherigen Aus-
fthrungen als zahlenmässiges Material zu Grunde gelegen haben,
führen summarisch die Zahl der schwerhörigen Kinder auf; die
nachstehenden Tabellen IV, V und VI erbringen nun für jede
einzelne Ortschaft den zahlenmässigen Nachweis, welcher Grad
der Schwerhörigkeit bei den Kindern gefunden worden ist, und
zwar Tabelle IV für Knaben und Mädchen gemeinsam, Tabelle V
und VI für jede Kategorie gesondert.
190 IX. OSTMAHN
Tabelle IV. Grvppirwig der tchwerhörigen Kinder nach
dem Grade der Schwerhörigkeit und der Belkeitigung eines oder
beider Gehörorgane.
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1362« 63,7 Proc.
195 9,1 411 19,2 174 8,1
780 = 36,3 Proc.
Tabelle V. Gruppirung d. schwerhör. Knaben nach dem Grade der
Schwerhörigkeit und Betheiligung eines oder beider Gehörorgane.
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2
28,6
1
14,3
55
Treisbaoh . .
44
17
5
29,4
7
41,2
2
11,7
3
17,7
56
Unterrosphe .
26
9
1
n,i
4
44,5
1
IM
2
22,2
1
11,1
57
Warsenbaoh .
53
14
2
14,3
8
57,1
1
7,2
3
21,4
—
—
5S
Wehrda . .
55
12
1
8,3
8
66,7
1
8,3
2
16,7
— .
—
59
Wehrsbausen .
16
4
—
—
1
25,0
2
50,0
—
1
25,0
60
Weitershaus. .
23
5
—
3
60,0
1
20,0
1
20,0
—
61
Dilscbhausen .
15
4
1
25,0
2
50,0
1
25,0
—
62
Wenkbach . .
57
15
1
6,7
7
46,7
3
20,0
2
13,3
2
13,3
63
Wermertshsn.
14
6
—
4
66,7
2
33,3
—
64
Winnen . .
15
4
—
4
100,0
— >
—
65
Wolfshausen .
6
1
1
100,0
—
66
Wollmar . .
56
20
3
15,0
9
45,0
3
15,0
3
15,0
2
10,0
67
Oberwalgern .
18
5
2
40,0
1
20,0
2
40,0
—
68
Witteisberg .
37
20
2
10,0
13
65,0
2
10,0
3
15,0
69
Bortshausen .
10
3
1
33,3
1
33,0
1
33,3
—
70
Simtshausen .
32
13
2
15,4
6
46,2
5
38,4
—
Summa
3767
ad do]
L Enal
1130
jpel-
>eii
Hl 9,9
59S
52,9
112 9,9
208
18,4
101
8,9
Summe der einseitig: n
seitig schwerhOngei
709
»= 6
2,8 r
roc.
421
= 3
7,2 P
roc.
Tabelle VI. Gruppiruhg d. schwerhörig. Mädchen nach dem Grade
der Schwerhörigkeit u, der Betheiligung eines od, If eider Gehörorgane.
9
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Ort
n
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Herabsetzung der Hör-
schärfe eines Ohres
auf
0—4 m
Herabsetzung der Hörschärfe
beider Ohren auf
0—4 m auf
dem einen
4—8 m auf
d. and. Ohr
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1
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7
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Marburg
Wetter
Allna .
AlteuTers
Amönau
Bauerbach
Bellnhausen .
Beltershausen.
Betziesdorf
861
267
21
8,0
151
56,5
27
10,1
47
17,6
21
107
21
2
9,5
13
61,9
1
4,8
4
19,0
1
26
7
6
85,7
1
14,3
42
15
2
13,3
10
66,7
—
—
3
20,0
—
67
7
1
14,3
4
57,1
1
14,3
1
14,3
—
26
6
1
16,7
2
33,3
2
33,3
1
16,7
—
25
8
1
12,5
3
37,5
—
3
37,5
1
29
12
10
83,3
—
2
16,7
29
6
1
16,6
4
66,7
1
16,7
7,8
4,8
12,5
194
IX. OSTMANN
-g
4
Herabsetzung der Hör-
HerabsetzuDg der Hörschärfe
3
schftrfe eines r
auf
jnres
beider Ohren auf
— 4 m auf
u
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dem einen
^
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0—4 m
4—8 m
0-4 m
4-8 m
4—8 m auf
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d. and. Ohr
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Bracht . . .
39
8
1
12,5
3
37,5
25,0
1
12,5
1
12,5
11
Bttrgeln . .
40
13
1
7,7
10
76,9
—
2
14,4
—
—
12
Caldern . .
35
7
2
28,6
14,3
1
14,3
3
42,8
13
Cappel . .
75
17
2
11,7
10
58,8
17,7
1
5,9
1
5,9
14
Coelbe . . .
109
27
18
66,7
3,7
7
25,9
1
3,7
15
Cyriaxweimar
36
11
5
45,5
18,2
3
27,3
1
9,1
16
Dreihausen .
78
21
~—
—
11
52,4
4,8
9
42,8
^—
17
JBbsdorf . .
45
9
5
55,6
2
22,2
2
22,2
18
Einhängen
50
15
2
13,3
10
66,7
—
1
6,7
2
13,3
19
Fronhausen .
91
19
10
52,6
—
6
31,6
3
15,8
20
Ginseidorf
14
4
2
50,0
25,0
—
■""
1
25,0
21
Gossfelden
68
12
4
33,3
3
25,0
3
25,0
2
16,7
22
Göttingen
15
3
l
33,4
—
—
—
1
33,3
1
33,3
23
Hachborn
72
18
1
5,5
10
55,7
5,5
4
22,2
2
u,i
24
Hassenhaven
21
8
—
3
37,5
—
3
37,5
2
25,0
25
Hermershaus.
11
2
1
50,0
1
50,0
—
—
—
—
—
26
Heskem . .
51
19
—
9
47,4
5,3
8
42,0
1
5,3
27
Kernbach . .
16
1
—
1
100,0
—
—
—
—
—
28
Kirchyers . .
30
12
6
50,0
—
6
50,0
—
29
Leidenhofen .
44
19
1
5,2
13
68,5
5,2
4
21,1
—
—
30
Lobra . . .
93
27
4
14,8
8
29,6
26,0
8
27,6
—
—
31
Marbach . .
25
3
•—
—
1
33,3
2
66,7
—
32
Mellnau . .
45
8
—
7
87,5
12,5
—
—
—
—
33
Moisoht
26
6
1
16,6
4
66,7
—
—
1
16,7
—
—
34
Mttnchhausen
78
23
7
30,4
8
34,8
17,4
1
4,4
3
13,0
35
Niederasphe .
67
18
1
5,6
11
61,1
11,1
2
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2
11,1
36
Niederwalgern
45
12
l
8,3
7
58,4
3
25,0
1
8,3
37
Niederweimar
57
21
1
4,8
12
57,1
4,8
5
23,8
9.5
38
Niederwetter
15
5
1
20,0
3
60,0
—
1
20,0
—
39
Nordeck . .
34
6
1
16,7
2
33,3
—
3
50,0
—
40
Oberrosphe .
46
11
3
27,3
6
54,5
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—
—
1
9,1
41
Oberweimar .
45
24
2-
8,4
12
50,0
4,2
3
12,5
6
24,9
42
Ockershausen
81
21
4
19,0
10
47,6
5,0
3
14,3
3
14,3
43
Beddehausen
31
2
—
—
2
100,0
—
—
—
— -
44
Eonhausen
12
3
1
33,3
1
33,3
1
33,3
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fiossberg . .
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15,4
3
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—
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Roth . . .
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10
1
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4
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10,0
4
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—
47
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27
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14,3
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— •
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4
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—
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75
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3
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50
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47
19
—
12
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5,3
5
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1
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51
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15
4
l
25,0
2
50,0
—
—
1
25,0
52
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24
3
—
3
100,0
—
—
—
—
53
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65
12
2
16,7
4
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5
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—
54
Toden hausen .
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Treisbach . .
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—
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56
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6
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57
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Krankh. d. Gehörorgans unter d. Volksschalkindern d Kreises Marburg. 195
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62
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64
65
66
67
6S
69
70
Wehrda
Wehrshausen
Weitershaus.
Dilflohhausen
Wenkbach
Wermertshsn.
Winnen .
Wolfshausen
WoUmar .
Oberwalgern
Witteisberg
Bortshausen
Simtsbausen
62
17
17
8
58
19
19
6
47
43
46
8
23
17
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1
13
16
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2
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4
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25,0
35,7
16,6
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13
2
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14
76,4
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35,7
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25,0
21,4
57,1
15,4
6,3
18,2
6,2
Summa 377n|i012
Summe der ein.seitig nnd doppel-
seitig schwerhörigen Mädchen
94 I 9,3|559| 55,2{ 82 | 8,1 1 204| 20,'2| 73 | 7,2
653 == 64,5 Proc.
359 -= 35,5 Proc.
Ich will die Resultate kurz zasammenstellen.
Von den 2142 schwerhörigen Kindern hörten:
auf einem Ohr 0—4 m 205 = 9,6 Proc. der Schwerh. überhaupt
ji
4—8 „ 1157 = 54,0
tr-x,\/
77
77
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77
9,1
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77
19,2
77
77
77
77
auf beid. Ohren — 4 „ 1 95
, 4-8 , 411
, dem ein. Ohr 0—4 ,1 , - . _ ^ .
, , and. „ 4-8 J^'*- »»l . . n
Es waren somit 1362 Kinder = 63,7 Proc. einseitig;
780 = 36,3 Proc. doppelseitig schwerhörig.
Für die 1130 schwerhörigen Knaben allein ergiebt sich fol-
gende Zusammenstellung.
Es hörten:
auf einem Ohr — 4 m. .
Knaben überhaupt,
auf einem Ohr 4—8 m
Knaben überhaupt.
auf beiden Ohren — 4 m
Knaben überhaupt,
auf beiden Ohren 4— 8 m.
Knaben überhaupt,
111= 9,9 Proc. der schwerhörigen
598 = 52,9 Proc. der schwerhörigen
112 = 9,9 Proc. der schwerhörigen
208 = 18,4 Proc. der schwerhörigen
196 IX. OSTMANN
auf dem einen Ohr — 4 m)
auf dem anderen Ohr 4-8 m] ^^^ = ^,9 Proc. der schwerhörigen
Knaben überhaupt.
Es waren somit 709 «= 62,8 Proo. einseitig, 421 = 37,2 Proc»
doppelseitig schwerhörig.
Die gleiche Zusammenstellung für die 1012 schwerhörigen
Mädchen ergiebt folgendes Resultat. Es hörten:
auf einem Ohr — 4 m • 94 = 9,3 Proc. det schwerhörigen
Mädchen überhaupt,
auf einem Ohr 4—8 m . 559 = 55,2 Proc. der schwerhörigen
Mädchen überhaupt,
auf beiden Ohren — 4 m 82 = 8,1 Proc. der schwerhörigen
Mädchen überhaupt,
auf beiden Ohren 4 — 8 m 204 = 20,2 Proc. der schwerhörigen
Mädchen überhaupt,
auf dem einen Ohr — 4m)
aufdem anderen Ohr 4-8 mj 73 — 7,2 Proc. der schwerhörigen
Mädchen überhaupt.
Somit waren 653 =« 64,5 Proc. einseitig; 359 = 35,5 Proc.
doppelseitig schwerhörig.
Eine Vergleichung der Procentzahlen für Knaben und Mäd-
chen zeigt, dass die ersteren nicht nur häufiger, sondern auch
schwerer erkrankt waren; denn unter den Knaben finden sich
3,5 Proc. mehr doppelseitig erheblich Schwerhörige, wenn man
diejenigen Knaben so bezeichnet, welche beiderseits — 4 m oder
auf dem einen Ohre — 4 m, auf dem anderen Ohre 4 — 8 m
hörten.
Ich habe mich nun weiter der Mühe unterzogen, die schwer-
hörigen Knaben und Mädchen nach ihrem Lebensalter zusammen-
zustellen und das procentuarische Yerhältniss zu berechnen, in
dem sie zu den in den einzelnen Lebensjahren überhaupt Unter-
suchten stehen. Das Resultat von 20 Tabellen ist in der Ta-
belle VII zusammengezogen und überdies in der beigegebenen
Curventafel ersichtlich gemacht.
Die ausgezogene Curve zeigt die Häufigkeit der Schwerhörig-
keit unter den Knaben vom 6. — 13. Lebensjahr; die gestrichelte
diejenige unter den Mädchen und zwar im procentuarischen Ver-
hältniss zu der Zahl der in den bezüglichen Lebensjahren über-
hauptuntersuchten Knaben bezw. Mädchen. Das 5. und 14. Lebens-
jahr sind ausser Berechnung geblieben, weil die Zahl der in
diesen Lebensjahren untersuchten Knaben wie Mädchen zu klein
Krankh. d. Gehörorgans unter d. Volksschulkindern d. Kreises Marburg. 197
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198 IX. OSTMÄNN
ist, um Dicht ZufäUigkeiteB in der ErkraakuDgsziffer aiiBzn-
scbliessen.
Die beiden Cmven zeigen eine OberraBehende Gleiehmässig-
keit in ihrem Verlauf. Vom 6.-8. Lebensjahr nimmt die Zahl
der schwerhörigen Knaben wie Mädchen stetig zn und erreicht bei
den Knaben im letztgeuannten Jahr ihre höchste Höhe. Im 9. Jahr
Die Häufigkeit der Sckwerhörigkeil unter den Volkstchulkindern
des Kreiaes Marburg vom 6. bis J3. Lebensjahr procentuarisck zur
Zahl der in den einsehen Leiiensjahren überhaupt Untersuchten.
HHufiskeit Lebensjahr
der S&vBt-
hBiigk. idOo fi. 7. 8. 9. 10. 11. 12. 13,
Ausgezogene Linie: Koabeo; gestrichelte Linie: Mädchen.
werden bei beiden Geaehleehtern die Erkrankungen seltener, um
im 10. Jahr von Neuem zuzuaehmen und für die Mädchen hier
ihren Gipfelpunkt zu erreichen. Das 11. und 12. Leben^ahr
zeigt wiederum relativ wenig Erkrankte; im 13. steigt dagegen
von Neuem die Zahl derselben.
Soweit die Verliältnisse des Kreises Marburg iu Betracht
kommen, trifft somit die Behauptung Weil's nicht zu, dass
Erankh. d. QehörorgßLOB unter d. VoDuacknlkiBdern d. KreiMB Marbiuf . 199
bereits in den Schuljahren mit zanehmendem Alter die Hor^
Störungen h&ufiger werden,!] eine Annahme, der aneh Bezold
nieht beipfliehten kann. Die Besehiftignng der Kinder in der
Schule bringt an sieh keine Gefahren ftr*das Hörrermögen
mit sich, wie dies namentlieh bei den Sehttlem der höheren
Schulen hinsichtlich! des Sehvermögens der Fall ist; aber in-
direot erwachsen durch den Schnlbesneh aneh ftir das Ohr er-
hebliche Gefahren, weil die Schale unzweifelhaft die -Ueber-
tragung von Infectionskrankheiten begünstigt, die ihrerseits zu
Ohrerkrankungen sehr h&ufig Veranlassung geben.
Diese Gefahr der Ansteckung ist aber in den ersten Schul-
jahren im Allgemeinen am grössten, und vielleieht liegt hierin
ein Grand far die stete Steigerung der Schwerhörigkeit bis zum
8. Lebensjahr.
Es wirken aber noch andere Ursachen mit Sobald das
Kind in die Schule tritt, wird es selbständiger; es tummelt sich
freier umher und muss namentlich da, 'wo zwei oder mehrere
Gemeinden eine gemeinsame Schule haben, in Wind und Wetter
ziemlich weite Wege zurftcklegen, auf denen die Gefi&hr der Er-
kältung nicht gering ist Selbst in dem ausnahmsweise schönen
Sommer 1901 konnte ich mich von der ungemeinen Verbreitung
der Katarrhe der oberen Luftwege ttberzeugen. Das bekannte
^Sohniefen^ war eine zum Tbeil sehr lästige Störung. Durch
Katarrhe der Nase und des Rachens wird aber sehr häufig das
Ohr in Mitleidenschaft gezogen; somit dürfte in diesen Verhält-
nissen wohl ein weiterer Grand ftlr die starke Zunahme der
Ohrenkrankheiten in den ersten Schuljahren zu finden sein. Ob
vielleicht in den verschiedenen Lebensjahren eine verschiedene
Disposition der Kinder zu Ohrenkrankheiten besteht, muss ich
dabingestellt sein lassen; ebenso vermag ich ftir die weiteren
Schwankungen der Carven vom 8. Lebensjahre an eine plausible
Erklärung nicht zu geben.
Es verbleibt mir schliesslich noch zu berichten, welche Krank-
faeitsbefunde bei der objectivenUntersuchnng erhoben worden sind.
Es sind untersucht 15074 Gehörorgane, von denen auf etwa
Vs der normalen Entfernung oder darunter 2922 Gehörorgane
oder 19,4 Proc. aller untersuchten hörten (Tabelle VIII). Diese
Procentzahl deckt sich fast mit der von Bezold bei seinen in
Manchener Schulen vorgenommenen Untersuchungen. Von 3836 Ge-
hörorganen erwiesen sich nämlich 79,25 Proc. als normal und
20,75 Proc. als pathologisch.
Archiv f. Ohrenheilkunde. LIV. Bd. 14
200 IX. OSTMANN
In der Tabelle IX habe ioh fllr die einzelnen Ortsohaften
und f&r die Hörweiten von — ^4, 4—8 nnd über 8 m gesondert
alle krankhaften Verändeningen zasammengestellt, welche bei
der Ohrenspiegeknteninchang gefanden worden sind. Fdr die
Hörweite über 8 in habe ieh nur die wichtigeren Yerändeningen
— Narbe, trockene Durchlöcherung, chronische Eiterung, acute
Entzündung — in die Tabdle aufgenommen. Die Zahl der G-e-
hörorgane, welche über 8 m hörten und mehr oder weniger
starke Einziehungen des Trommelfells aufwiesen, war eine sehr
beträchtliche.
Ich will die gewonnenen Resultate auch hier summarisch
zusammen&ssen, und zwar zunächst f&r sämmtliche 2922 schwer-
hörige Gehörorgane ohne Bücksicht auf die Yerschiedenartig-
keit der Hörstörung.
Es fand sich:
Ohrenschmalzpfropf ... bei 290 Oehörorg. »^ 9,9 Proc.
Einziehung des Trommelfells
mit und ohne Atrophie des-
selben bei 1285 „ «= 43,9 Proc. |
Narbe od. umschriebene Atro- ^
phie des Trommelfells mit S
oder ohne Verkalkung oder o
geringer Einziehung . . bei 322 „ = 11,0 Proc. g,
Sehnige Trübung, Glanzlosig- S
keit, nicht selten mit ge- »
ringer Einziehung ... bei 363 „ — 12,4 Proc. -g
Chron.Eiterungd. Mittelohres bei 109 „ = 3,7 Proc. ^
Trockene Durchlöcherung des ^
Trommelfells bei 68 „ =2,3 Proc. ^
Acute Entzündung .... bei 45 „ =1,5 Proc.
Kein ausgesprochen krank-
haft. Befund am Trommelfell bei 440 „ «15,1 Proc.
Unter den Gehörorganen, welche über 8 m hörten, fanden
sich ausserdem, — um einige der wichtigsten krankhaften Ver-*
änderungen zahlenmässig aufzuftlhren:
Narbe oder umschriebene Atrophie mit oder ohne Verkal-
kung oder Einziehung des Trommelfells bei . . 285
Trockene Durchlöcherung bei 39
Chronische Eiterung bei 25
Acute Entzündung bei 12
Somit wurden unter den 15074 Gehörorg. überhaupt gefimden :
Ennkh. d. Gehörorgans unter d. Yolksschulkindeni d. Kreises Marburg. 201
Tabelle YIII. Die Zahl der uniertuekten und schwerhörigen
Gehörorgane sowie ihr Verhäliniu %u einander nach Ortschaften
geordnet.
1
2
3
4
5
6
7
8
9
10
11
12
13
14
15
16
17
18
19
20
21
22
23
24
25
26
27
28
29
30
31
32
33
34
35
Ort
I
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Harburg
Wetter .
AUna .
Altenrers
AmOnau
Bauerbach
BeUnhaasen
Beltershausen
Betziesdorf
Bracht .
Bllrgeln
Caldem
Cappel .
Coelbe .
Cyriaxweimar
Dreihansen
Elnhansen
Ebsdorf .
Fronhausen
Oinseldorf .
Gossfelden
Göttingen .
Haohbom .
Hasaenhaosen
Hermershaus.
Heskem
Kembaoh .
Kirohyers .
Leidenhofen
Lohra . .
Marbach •
Mellnau .
Moischt
Mnnohbaasen
Niederasphe
3254
432
88
184
258
96
108
128
94
164
158
162
308
418
116
298
184
186
374
64
240
56
264
94
66
222
74
134
IbO
430
102
202
104
382
240
88
ll
637
71
12
42
30
16
27
34
10
24
34
26
64
82
28
62
41
40
61
9
38
9
51
20
8
54
6
48
41
96
14
30
22
99
47
I
11
19,6
16,4
13,6
22,8
11,6
16,6
25,0
26,5
10,6
14,8
21,5
16,0
20,8
19,6
24,1
20,8
22,3
21,5
16,3
14,0
15,8
16,1
19,3
21,3
12,1
24,3
8,1
35,8
25,6
22,3
13,7
14,9
21,1
26,0
19,6
Ort
36
37
38
39
40
41
42
43
44
45
46
47
48
49
50
51
52
53
54
55
56
57
5S
59
60
61
62
63
64
65
66
67
68
69
70
Niederwalgern
Niederweimar
Niederwetter
Nordeok .
Oberasphe .
Oberweimar
Ockershausen
Reddehausen
Ronhausen
Rossberg .
Roth . .
Michelbaoh
Sarnau . .
Schoenstadt
SchrOck .
Schwarsenborn
Sichertshausen
Stershausen
Todenhausen
Treisbaoh .
Unterosphe
Warzenbach
Wehrda .
Wehrshausen
Weitershausen
Dilsohhausen
Wenkbach
Wermertshaas,
Winnen .
Wolfshausen
WoUmar .
Oberwalgem
Witteisberg
Bortshausen
Simtshausen
160
29
210
49
66
11
186
40
214
32
148
52
372
95
122
5
58
11
128
34
236
29
118
20
180
23
288
32
218
66
58
9
88
11
284
44
92
11
202
40
106
22
222
38
234
34
66
12
80
13
46
5
230
40
66
19
68
11
24
2
206
45
122
26
166
54
36
4
110
21
16,1
23,3
16,7
21,5
15,0
35,1
25,5-
4,1
18,9
26,&
12,a
16,9
12,8
lU
30,2
15,5
12,5
15,5^
12,0
19,8-
20,8
17,1
14,&
18,2
16,2
10,9
17,4
28,8
16,2
8,a
21,8
21,3
32,&
11,1
19,1
Summa 70 Ortschaften 1 15074 1 2922 1 19,4
14*
202
IX. OSTMANN
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I I I I I I I ~^l I I I I I mI
Narbe mit n. ohne Yer-
Valkung od. Einzieliiiiig
Laufende No.
o
Zahl d. unten. Gehörorgane
Cemmen
Einziehang des Tifl.
Sehnige Trübnng, Qlanz-
losigkeit, zumeist mit ge-
ringer Einziehang
Chronische Eiterung
Trock. Dorchlöchernng
Acute Entzfindung
Ohne Befand am Trfl.
I
s
I
B
Cemmen
Einziehang des Trfl.
Narbe d. Trfl. mit u. ohne
Verlc oder Eimdehung
Sehnige Trübung, Glanz-
losigkeit, zumeist mit ge-
ringer Einziehung d. Trfl.
Chronische Eiterung
Acute Entzfindung
Trock. Durchlöcherung
Ohne deutl. krankh. BeL
a.Trfl. meist Mundathmer
Zahl d. sohwerh. GeIi(3rorgane
Narbe d. Tzfl. mit u. ohne
York, oder Einziehung
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Trock. Durchlöcherung
Chronische Eiterung
Acute TrommeUeUent-
zflndung
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Krankh. d. Gehörorgans unter d. Yolksscholkindem d. Kreises Bfarborg. 205
S .
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Sä
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Narbe oder nrnsehriebene Atrophie des
Tronmielfells mit oder ohne Ver-
kalkung oder Einziehmig ... bei 607 -» 4,0 Proo.
Troekene Dnrohlöchemng bei 107 <— 0,7 Proc.
Chroniflohe Eiterung bei 136 — 0,9 Proe.
Aonte Entzttndong bei 57 —> 0,4 Proe.
Nach der Darlegung der Oesammtresultate wollen wir im
Einzelnen die krankhaften Veränderungen am Trommelfell nnd
Mittelohr betrachten, welche sich einerseits an den Gtehororganen
mit einer Hörweite von — 4 m, andererseits von 4 — 8 m fanden.
Von den 770 Gehörorganen mit einer Hörweite von — 4 m
zeigte sich:
Ohrenschmalzanhänfung . . bei 95 Gehörorg. »». 12,3 Proc.
Einziehung des Trommelfells bei 308 „ *» 40,0 Proc.
Narbe od. umschriebene Atro-
phie n. s. w bei 112 „ = 14,5 Proa g
Sehnige Trübung, Glanzlosig- |
keit häufig mit geringer %
Einziehung bei 84 „ = 10,9 Proc. o
Chronische Mittelohreiterung bei 63 „ — 8,2 Proc. 2
Trockene Durchlöcherung . bei 35 „ = 4,5 Proc. g
Acute Entzündung .... bei 18 „ =2,3 Proc. ^-
Kein ausgesprochen krank-
hafter Trommelfellbefund . bei 55 „ — 7,1 Proc.
Bei den 2152 Gehörorganen mit einer Hörweite von 4 — 8 m
war die Häufigkeit der verschiedenen Krankheitsbefunde folgende:
Ohrensehmalzanhänfting . . bei 195 Gehörorg. »» 9,1 Proc
Einziehung des Trommelfells bei 977 „ — 45,4 Proc.
Narbe od. umschriebene Atro-
phie des Trommelfells mit
oder ohne Verkalkung oder
Einziehung bei 210 „ — = 9,8 Proc.
Sehnige Trübung, Glanzlosig*
keit häufiger mit geringer
* Einziehung d. Trommelfells bei 279 „ = 13,0 Proc.
Chronische Mittelohreiterung bei 46 „ »»2,1 Proc.
Acute Entzündung .... bei 27 „ = 1,3 Proc.
Trockene Durchlöcherung . bei 33 „ =1,5 Proc.
Kein ausgesprochen krank-
hafter Trommelfellbefand . bei 385 „ = 17,9 Proc.
B
Ol
ff
O
O
a
bp
•g
ja
C^
kl
•s
206 IX. OSTMANN
Aü8 der VergleicbiiDg der Procentzablen der beiden letzten
Gruppen ergiebt sieb, dass bei erbeblieberer Sebwerbörigkeit
relativ sebr viel seltener ein ausgesproebener Erankbeitsbefnnd
feblt als bei den geringeren Graden, nnd dass in der ersten
Gmppe die cbronisobe Mittelobreitemng und ibre Folgeznstände
relativ viel stärker vertreten sind als in der zweiten. In beiden
Gruppen ist die Proeentzabl fttr die Einziebnng des Trommelfells
eine sebr bobe; diese Veränderung des SobalUeitungsapparates
fand sieb bei 43,9 Froo. aller sebwerbörigen Gebörorgane und
ausserdem bei einer grossen Zabl von über 8 m börenden
Kindern. Die Einziebung des Trommelfells ist vornehmlioh ein
Zeioben des überstandenen oder noob fortbestebenden Mittelobr-
und Tubenkatarrbs und man muss nacb einer Erklärung fElr
das so ungemein bäufige Auftreten dieser Erkrankungszustände
sucben.
leb finde die Erklärung in erster Linie in der Häufigkeit
der Katarrbe der Nase und des Baobens, von denen die Kinder
befallen werden. Fttr diese aber sobeint mir eine andere Krank-
beit eine wiobtige Rolle zu spielen, die in Oberbessen so un-
gemein verbreitete Tuberoulose. leb vermag an dieser Stelle
nur meinen Eindruck wiederzugeben, den ich binsiobtliob dieser
Frage aus meinen Beobaebtuugen, den Gespräcben mit Pfarrern
und Lebrern gewonnen babe. Eine siobere Unterlage boffe ich
scbaffen zu können, wenn die von mir ausgesandten 2142 Frage-
bogen beantwortet vorliegen werden.
loh babe den Eindruck gewonnen, dass die weite Verbrei-
tung der Tuberoulose unter der bäuerlicben Bevölkerung Ober-
bessens die Katarrbe der oberen Luftwege und somit auob der
von diesen wiederum so ungemein bäufig abbängigen Mittelobr-
und Tubenkatarrhe bei den Kindern dadurcb begünstigt, dass bei
den aus tuberculösen Familien stammenden Kindern die Sobleim-
bäute der Respiration sorgane weniger widerstandsfäbig sind und
somit unter schädigenden Einwirkungen leichter erkranken und
auch schwerer abheilen; dass weiter diese Kinder eine besondere
Neigung zu Schwellungen des adenoiden Gewebes der Rachen-
schleimhaut zeigen, wodurch die Rachen- und Nasenkatarrbe
unterhalten und Ohrenkrankheiten mit besonderer Leichtigkeit
hervorgerufen werden.
Derartige langdauernde Katarrhe der oberen Luftwege haben
aber[ nicht allein f&r das Gehörorgan ihre schwerwiegende Be-
deutung, sondern auch ftir die Fortentwicklung der Tuberoulose,
Erankh. d. GehörorganB uoter d. Yolksschalkiodem d. Kreises Marbarg. 207
weil sie den Boden f)lr die Tabercnloseinfection vorbereiten. Die
Mögliehkeit einer Gelegenheit zn der Infeotion ist aber im höchsten
Haasse gegeben, wo Unsanberkeit des Körpers, Sehmntz im und
ausser dem Hause, unhygienisohes Verhalten der tuberoulös Er-
krankten, enges Zusammenleben derselben mit der Familie die
denkbar günstigsten Bedingungen f&r die Weiterverbreitung
schaffen. Deshalb verlohnte sich auch nach dieser Richtung
bin eine Behandlung der katarrhalisch Erkrankten und durch
ihre Umgebung am meisten gefährdeten Kinder. Man würde
damit die so ungemein wichtige Frage der Tuberculose an einer
ihrer Wurzeln fassen und wahrscheinlich mit sehr geringen Mitteln
mehr erreichen, als man mit viel grösseren Mitteln später, wenn
die Erkrankung zum Ausbruch gekommen ist, erreichen kann.
Diese Streifung eines anderen Gebietes führt mich auf die
Frage, welche Aussicht auf Erfolg wohl eine Behandlung der
2142 schwerhörigen Kinder bieten würde. Ich kann natur gemäss
nicht mit bestimmten Zahlen dienen; aber ich glaube, nicht zu
viel zn versprecheu, wenn ich behaupte, wenigstens 50 Proc. der
Kinder soweit heilen zu können, dass sie über 8 m hören, so-
mit im alltäglichen Leben nicht mehr als schwerhörig zu gelten
haben. Zur Erreichung dieses Zieles wäre allerdings bei einer
grösseren Zahl eine klinische Behandlung und zudem für den
Behandelnden eine sachverständige Hilfe erforderlich ; denn der
Einzelne vermag neben seiner sonstigen, vollen Thätigkeit nicht
auch noch eine derartige Aufgabe zu bewältigen.
Die Zeit wird es lehren, ob mein Eintreten für die Tausen de
von schwerhörigen Kindern ihnen und vielen Anderen nützen wird ;
eines aber ist, wie ich hoffe, für Jedermann durch diese Unter-
suchungen klar hervorgetreten, dass es Zeit ist, diesen Verhält-
nissen nicht mehr gleichgültig gegenüber zu stehen.
Man sorge für Aufklärung hinsichtlich der Bedeu-
tung der Ohrenkrankheiten und hinsichtlich des
Werthes ihrer rechtzeitigen Behandlung; man bes-
sere die hygienischen Verhältnisse vieler Dorfschu-
len; man mache den Arzt geschickt, die Ohrerkran-
knngen richtig zu erkennen und sachgemäss zu be-
handeln und treffe Bestimmungen, die den Nachweis
der unbedingt erforderlichen Kenntnisse mit Sicher-
heit gewährleisten; man schaffe aus Gründen der
Zweckmässigkeit und Billigkeit Gelegenheit, dass
auch arme ohre'nkranke Kinder in der Specialklinik
208 IX. 0STMA19N, Krankheiten des Gehörorgans o. s.w.
Behandlang and Heilung finden können, so wird man
mit der Zeit Jahr für Jahr Tausende von Männern in
dentschen Landen mehr besitzen, die geistig vollent-
wiekelt and körperlich gesund ihren staatsbürger-
lichen Pflichten genügen nnd ihrem Erwerb mit Freu-
den nachgehen können, und man wird Tausende von
Frauen mehr haben, die das Wort ihrer Kinder ver-
stehen und sich nicht je länger je mehr durch ihre
Schwerhörigkeit abgedrängt fühlen von denen^ auf
deren Verkehr sie das Leben angewiesen hatv
«Und das frisst mir in*B Hers hinein;
Dir, — y muss es aach so sein.''
Mazgarethe in Qöthe's Faast I. Tlieil.
X.
Heber die Betheilignng des Nerrns facialis beim Lauschen.
Yon
Profeuor Ostmaiu, Marbuig.
(Mit 4 Abbildaogen.)
Mit dem Hörnery steht im Centralnervensystem der Nervus
facialis in enger Beziehung, wie wir vomehmlieh ans den
üntersnohungen von Held und Kölliker wissen. Ersterer
konnte hei der Katze und Ratte ein dem centralen Acustieus-
kern entspringendes Faserhündel nachweisen, welches nach
Verbindung mit Fasern des Nervus Cochleae und nach Durch-
kreuzung der sensiblen Quintuswurzel im Facialiskern und
der kleinen Olive endet. Kölliker hat die gleiche Faserver-
bindung beim Kaninchen nachgewiesen, und er glaubt, ftlr die
Anwesenheit derselben auch beim Menschen einstehen zu kön-
nen; nur scheint dieselbe bei diesem weniger entwickelt zu sein.^)
Aus vielfachen Erfahrungen wissen wir nun, dass das, was
im Centralnervensystem räumlich dicht bei einander liegt und
in directer Faserverbindung mit einander steht, im Allgemeinen
anter der Voraussetzung normaler Erregbarkeit der centralen
Neurone auch am leichtesten der gegenseitigen Beeinflussung
unterworfen ist.
Deshalb kann es nicht Wunder nehmen, wenn zu Zeiten
der höchsten Anspannung des Nervus acustious, nämlich beim
Lauschen, sich Bewegungsvorgänge im Faeialisgebiet bemerkbar
machen, sei es dass es sich um rein reflectorische Vorgänge
beim Aufhorchen als psychischem Reflex, sei es dass es sich um
Mitbewegungen der Öesichtsmusculatur bei willkfirlichem Lau-
schen handelt.
In letzterem Fall fragt es sich nur, ob wir es mit einer
Mitbewegung zu thun haben, die in gar keinem inneren Zu-
sammenhang mit dem Lauschen steht, oder ob, wie es mir wahr-
1) Nach Kölliker, Gewebelehre des Menschen. Leipzig 1896.
210 X. OSTMANN
Boheinlioher ist, die Mitbewegungen der Gesiehtsmuseulätur, die
bei einer gewissen Zahl von Lansohenden zn beobachten sind, da-
durch bedingt werden, dass auch beim willkürlichen Lauschen
der Musculus stapedius nach physiologischem Gesetz mitwirkt
und der allein f&r seine Facialisfasern bestimmte Beiz auf die
übrigen Fasern überspringt.
Der Culturmensch hat im Allgemeinen sehr wenig Gelegen-
heit, die volle Schärfe seines Gehörs auszunutzen, noch viel we-
niger zu lauschen; deshalb könnte es sehr wohl sein, dass die
Hil&actionen der Binnenmuskeln des Ohres , soweit sie auf die
schärfste Einstellung des Schallleitungsapparates abzielen, beim
Menschen nur noch eine rudimentäre Entwicklung, und zwar
bei dem einen mehr, bei dem anderen weniger aufweisen. So
würde bei dem unbewussten Bestreben, die Fasern für den Mus-
culus stapedius zu innerviren, der seelische Impuls auf die Ge-
sichtsfasern übergehen und Contractionen der Gesiohtsmusculatur
hervorbringen.
Auch diejenigen Fasern des Nervus facialis endlich, welche
im Nerv, petrosus superficialis major zum Ganglion spheno-pala-
tinum ziehen und von diesem zum Gaumensegel, betheiligen sich
offenbar am Lauschact.
Beim plötzlichen Aufhorchen ebenso wie beim willkürlichen
Lauschen unterbrechen wir die Athmung während .'der Inspira-
tion, und dem Gefühl nach — daraufhin gerichtete Untersuchun-
gen habe ich noch nicht angestellt — wird gleichzeitig das
Gaumensegel gehoben und in dieser Stellung gehalten.
Betrachten wir die Betheiligung der verschiedenen Fasern
des Nervus facialis beim Lauschen etwas genauer.
Die reflectorischen Vorgänge, welche sich beim Hunde im
Moment des Aufhorchens — als psychischem Beflex — zwischen
Acusticus und Musculus stapedius abspielen, habe ich in meiner
im Archiv für Anatomie und Physiologie i) veröffentlichten Ar-
beit: „Zur Function des Musculus stapedius beim Hören" ge-
schildert.
Nach der mechanischen Leistung des Muskels können wir
von seiner Zuckung im Moment des Aufhorchens nur eine die
Schallaufnahme fordernde Wirkung erwarten; denn die durch
die Zuckung hervorgerufene Veränderung des Schallleitungsappa-
rates besteht im Wesentlichen darin, dass das Trommelfell um
1) Jahrgang 1899.
Ueber die Betheiligung des Nervus facialis beim Lauschen. 211
ein ganz Geringes naeh Aussen bewegt, d. h. abgeflacht und
der Labyrinthdruck gleichzeitig vermindert wird.
Aus Beobachtungen, die von Politzer undLncae gemacht
sind, folgt aber in Uebereinstimmung mit der Forderung der
Mechanik, dass der akustische Effect einer minimalen Abspan*
nung des Trommelfelles Tonverstärkung ist, und so müssen wir
dann zu dem Sohluss kommen, dass die refiectorische Zuckung
des Stapedius beim plötzlichen, dnrch psychischen Riefiex her-
vorgerufenen Aufhorchen des Hundes den Zweck hat, das Ohr
auf die denkbar höchste Leistung einzustellen.
Dass es sich nur um eine refiectorische Zuckung und nicht
um eine dauernde Gontraction des Muskels handelt, erscheint
in hohem Maasse zweckmässig; denn durch letztere würde der
Schallleitungsapparat bis zu einem gewissen Grade fixirt und
die Leitungsfähigkeit für tiefere Töne mehr, ftti* hohe und höchste
weniger oder gar nicht beeinträchtigt, während eine Zuckung
zwar nur fElr einen Augenblick das Trommelfell und den ge-
sammten Schallleitungsapparat in den fbr die Schallaufnahme
günstigsten Zustand versetzt, aber doch über ihre Zeitdauer
hinaus hörverbessernd fortwirkt, weil das einmal in Schwingungen
versetzte Trommelfell leichter mitschwingt und der einmal er-
regte Hörnerv besser percipirt.
Die weitere Frage, ob der Nervus facialis durch den Steig-
bügelmuskel auch beim willkürlichen Lauschen mitwirkt, muss
ich noch offen lassen, da ich in Folge der äusserst schwierigen
Versuchsbedingungen noch zu keinem sicheren Urtheil gekom-
men bin.
Dagegen habe ich weiter die Frage geprüft, in wie weit
sich die Gesichtsäste des Nervus facialis beim Menschen am
willkürlichen Lauschen betheiligen.
Aus der Literatur führe ich zwei einschlägige Beobachtun-
gen an:
Gott steint) berichtet von sich, dass er das Aufhorchen
mit einer Verengerung der dem lauschenden Ohr entsprechenden
Lidspalte begann ; gleichzeitig hatte er im Ohr eine eigenthümlich
spannende, nahezu schmerzhafte Empfindung; er schloss hieraus,
dass der Musculus stapedius beim scharfen Aufhorchen contrahirt
wird. Stumpft) beobachtete, dass sein Sohn bei Versuchen
im Analysiren und Heraushören von Tönen vor Abgabe des
1) Dieses Archiv. Bd. XVI. S. 62.
2) Tonphysiologie. Bd. IL S. 304.
212 X. OSTHANN
UrtheUs meisteos mehrere Haie bintereinaader krftftig blinzelte,
weil es so leichter gehe. loh selbst habe bei meinen zn anderen
Zwecken ansgef^hrten Stimmgabelnatersnohangen za wiederholten
Malen mit voller Deutlichkeit heobaehtet, dass, wenn der leise
abklingende Ton schon unter die Reizschwelle gesunken war,
aber bei weiterer Einwirknog des aknatisohen Reizes plötzlich
StSikete Tsiziehiuig dw Hund« nuh dei .
klia£«Dden Stimm^Deiton.
□och einmal anf Augenblicke auftauchte, unmittelbar davor eine
feine Zueknng der Ohrmaschel auftrat.
Schon in meiner Arbeit : „Zur Function des MubcuIub stapedinB
beim Hören" hatte ich betont, dass es interessant wAre, über
diese Mitbewegnngen der Gesiohtsmnaoulatar beim LaaBchen
genauere Untersnehun^n anzustellen.
Ich habe dies nun selbst im Laufe des letzten Jahres getban
und möchte die Ergebnisse meiner Beobachtungen an einigen
Photographien vorführen.
Es wurden aaf Mithewegungen der Gesichtsmusoulatnr Per-
sonen beiderlei Geschlechts zumeist jugendlichen Alters anter-
siicht, von denen die meisten normal hörend, einzelne 8.üeb
schwerhörig waren. Letztere Personen wurden deshalb mit
dei Nerrni faöalb beim LMichen. 213
cberweise bei ihneo Mitbewe^ngen
jedoeb bei den voa mir nntersnebten
ar.
wn verde in dem pbotographisoben
1 ^etzt, dass doreb eine FInebt voa
t die änsserBte Grenze der Hörfähig-
r nnd Stimmgabel festgestellt werden
Fig. 3.
r UDlM Flg. 1 alMieblldBtsn
PareoD In Bobs.
Zihl«. Die falne TaiilshDiiE di_
tritt HthAifer hervor bei fietnwlitiiiiE
Im ua ^oig« E^ttemnag. Um beiehia die
Ttnchledeoen Schatten der Mnndninkel.
konnte. Dann Wurde die Person in sitzender Stellnag en face
photographirt, nm zum späteren Vergleicb ein Bild der mbendeu
Gesichtszüge zn erbalten, und der Apparat von Neuem scbarf ein-
gestellt. Nnnmebr folgte der eigentliehe Lansebveraneh und zwar in
der Weise, dass ausserhalb der gefundenen Hörstreoke mit der Eör-
prflfitng begonnen und allrnfthliob gegen diese vorgerückt wurde.
In dem Moment, wo sich beim Lauseben Bewegungen der Gtesiebts-
muBOulatur bemerkbar macbten, wurde zum 2. Male photographirt.
214 X. 03TUANN
£b gelaog nicht immer, beim 2. Male ganz eoharfe Bilder
zn erhalten, weil beim Laneohen Kopf nnd Oberkörper gegen
die lauschende Seite hin bewegt werden, wodurch natfirliofa die
Schärfe der Bilder leidet, auch während der Exposition von
1—2 Seennden der Eopf leicht bewegt wurde, wodaroh Doppel-
bilder entstanden. Diese Uebelstände hätte man ja bis za einem
gewissen Orade durch Momentaofhahmen umgeben können ; aber
ich fürchtete, daes durch
die besonders helle Be-
leuchtung, welche diese
erfordern, Bleadang er-
zeugt und damit von vorn-
herein die Gesichtsmns-
cnlatur in dem Maaase
festgestellt werden könnte,
dass ein feines , völlig
freies Mienenspiel nicht
zu Stande käme. So bähe
ich lieber die kleinen
Uebelstände der Zeitanf-
nahme mit in Kauf ge-
nommen, welche an ein-
zelnen Bildern beobachtet
werden kann.
Die Rückwirkung des
willkürlichen Lansohens
auf den Gesiehtsansdrnok
ist bei den verschiedenen
Fig. 4. Menschen sehr verachie-
Dia nnter Fig. 3 »bgebildeU Fenon im Homenl das J_„
LaascbeiiB. Sei Hund iBteio wenig geOIFnet, so daee "^"'
die ZUine Hchlbar nerden. Dansben bestallt dne Einidlnp PAninnon
K8DZ leichte Veraehing des Mondes naoh der recWan r-inzeme rcrSOnen
laoMhendaa Seite, welche jedoch nni hei der Ski- wnio-tdri annh hnim ajurp.
optikondeaionetratioii denüicher harvoiüiU. ZClglCn aUOÜ DOim ange-
strengten Lauschen nicht
die geringsten Mitbewegungen der Gesichtsmuacnlatnr; allein
die nach der lauschenden Seite mehr oder [weniger starke
Neigung des Oberkörpers rerrieth neben der Stellung der
Augen und dem Ausdruck derselben das Lansoben. Die Augen
werden bald nach der dem lanschenden Ohr entgegengesetzteo
Seite gewandt, bald werden sie gesenkt, bald nach der Lausch-
seite gedreht.
Sofern das Auge geradeaus gerichtet blieb, fiel der eigeo-
Ueber die Betheüigang des Ner?as facialis beim Laaschen. 215
thflmlieh starre Ausdruck auf, welchen dasselbe beim Lauseben
annahm.
Mitbewegungen der Gresichtsmuseulatnr zeigten sieh vor-
nehmlich in der Umgebung des Mundes. Die Lippen wurden
von dem einen fester auf einander gepresst, von dem anderen
der zuvor geschlossene Mund leicht geöffnet und bei einigen
trat eine, wenn auch sehr geringe, so doch deutliche Verziehung
des Mundes nach der Lauschseite hin auf, welche durch Innervation
des Nervus facialis der Lauschseite bedingt war. Bei einer Person
schliesslich traten auf der Lauschseite wiederholte Zuckungen
der Gresichtsmuseulatnr auf, welche mich lebhaft an die von
Stampf an seinem Sohn gemachte Beobachtung erinnerten.
Ich habe in den letzten Jahren, so oft sich mir Gelegenheit
dazu bot, nachgeforscht, ob von den Künstlern, insbesondere den
Malern, diese feinen Veränderungen der Grcsichtsmusculatur an
lauschenden Menschen dargestellt worden sind. Ich habe bisher
kein derartiges Beispiel gefunden; zumeist ist es die Wirkung des
Erlauschten auf den Lauscher, welche auf dem Gesicht des Lau-
sohendea zur Geltung kommt, oder der Lauschact wird wesentlich
durch die Haltung des Körpers des Lauschenden zur Anschauung
gebracht. Auf dem Selbstportr&t von Bocklin, wo er den Worten
des Gerippes lauscht, findet sich eine feine Verziehung des Mun-
des nach der Lauschseite ; aber auch beim Nichtlauschen zeigte
Böcklin's Gesicht diese Verziehung; sie ist also nicht als eine
vom Künstler beobachtete und dargestellte Mitbewegung der
Gesichtsmusculatur beim Lauschen anzusehen.
Archiv f. Ohrenheilkande. LIY. Bd. 1 5
XI.
Aus der Ohrenklinik der Königl. Gharitö in Berlin (Direotor:
Geb. Med.-Eath Prof. Dr. Traut mann.)
Zur Thrombose des Bulbus venae jugnlaris.
Von
Stabsarzt Dr. Stenger,
z. Z. Assistenten der Klinik.
(Hierzu Tafel I. II.)
In jedem Fall von Erscheinungen einer Sinusthrombose wird
zunächst als der Sitz der Thrombose der absteigende Ast des
Sinus sigmoideus angenommen, [als jder Theil des Sinus, der
dem Eiterherd am nächsten gelagert und somit der Infections-
gelegenheit am günstigsten ist. Deshalb wird jeder Operateur
den Sinus im absteigenden Theil freilegen, um hier den Sitz
des Thrombus zu suchen. Findet sich hier ein Thrombus, so
ist ohne Weiteres die Annahme berechtigt, dass der Ausgangs-
punkt der Thrombose gefunden und nunmehr die Ausbreitung
nach peripher und central festgestellt werden muss. Findet sich
kein Thrombus, sondern entleert sich bei der Function bezw.
Incision flüssiges Blut, so liegen zwei Möglichkeiten vor; entweder
es besteht ein in der Bildung begriflFener wandständiger Thrombus,
oder der Thrombus sitzt an einer anderen Stelle. Entsprechend
der alten Virchow'schen Anschauung, der zu Folge hauptsächlich
mechanische Momente — Stromverlangsamung — das Entstehen
eines Thrombus begünstigen, kann zunächst nur der Bulbus der
Vena jugularis in erster Linie als Ort [der Entstehung in Be-
tracht kommen. Isolierte Thrombosen des Bulbus venae
jugularis sind aber in der Literatur nur wenige beschrieben.
Erst nach den gi-undlegendenTeststellungen Leutert's^) hat man
speciell bei Sectionen mehr Werth auf die Untersuchung des
Bulbus venae jugularis gelegt.
In wie fern nun ist in Folge seines anatomischen Baus der
Bulbus venae jugularis einer Thrombenbildung günstig?
Für gewöhnlich bildet nach den bisherigen auch in den
1) Leutert, Ueber die otitische Pyämie. A. f. 0. Bd. XLI.
Zar Thrombose des Balbns venae jngtilaris. 217
meistea Lehrbttchern vertretenen Ansehanung der Balbns venae
JQgnlaris den Boden der Paukenhöhle. Bei stärkerer Entwiekinng
fallt derselbe in den Bereich der hinteren Trommelfellhälfle.
Ein grosser Bulbus flacht den Paukenhöhlenboden ab, oder wölbt
ihn gegen das Gavum tympani hinein. Es kann sogar der Zu-
gang zur Nische des ovalen 'Fensters dadurch von unten her
eine Einengung erleiden. Der Bulbus selbst liegt höher als der
tiefste Punkt des Sinus sigmoideus. Schon v. Tröltsch^) macht
auf die tberaus grosse Verschiedenheit in der Gestaltung der
unteren Wand oder Bodens der Paukenhöhle aufmerksam. Bald
ist derselbe mehrere mm dick, bald durchscheinend dünn. Auf
die verschiedenartige Grösse und Gestaltung der Fossa jugularis
wies zuerst ZuckerkandP) hin, indem er die dadurch be-
engten Dehiscenzen nach der Paukenhöhle, Facialkanal und
Sehädelhöhle feststellte. Rüdinger^) wies nach, dass der rechte
Bolbus regelmässig grösser als der linke ist, so dass rechts der
Pankenhöblenboden dem Bulbus näher [liegt als links. Nach
Körner^) helfen die anatomischen Verhältnisse erklären, weshalb
rechtsseitige Ohreiterungen häufiger [zuj Tode fllhren sollen als
linksseitige. Trautmlann*^) kommt in seiner chirurgischen Ana-
tomie des Schläfenbeines zu dem Schluss, dass es sicher sei,
dass der Recessus jugularis bei vorgelagertem Sinus höher steht,
als auf der nicht vorgelagerten Seite, in Folge dessen stehe der
Boden der Paukenhöhle ebenfalls höher.
Um die Beziehungen des Verlaufs des Sinus sigmoideus zur
Ausbildung, Grösse und Lage des Bulbus, einschliesslich seiner
Lage zur Paukenhöhle festzustellen, habe ich eine Reihe von
Sehläfenbeinen untersucht, bei denen ich als charakteristisches
Folgendes fand.
In vielen Fällen biegt der Sinus sigmoideus ohne Weiteres
lun zur Vena jugularis, ohne dass es zur eigentlichen
Bildung eines Bulbus kommt. In anderen Fällen biegt
der Sinus wie um eine scharfe Knochenleiste um, es kommt zur
Bildung eines Bulbus, der höher steht als]|[der tiefste Punkt des
Sinus sigmoideus. In weiteren Fällen kommt es zur starken
Ausbildung eines Bulbus, der fast die ganze Höhe der Pyramide
•
1) V. Tröltsch, Lehrbuch der Ohrenheilkunde. 4. Aufl.
2) Zuckerkandl, Monatsschrift f. Ohrenheilk. Bd.VIII. Nr. 7.
3) Radinger, Ebenda. 1875. S. 1.
4) Körner, Arch. f. Ohrenheilk. Bd. XXVII.
5) Trautmann, Chirurgische Anatomie des Schläfenbeins. 1898.
15*
218 XI. STENGER
eianimmt und dessen mediale Wand nach der Schädelhöhle zu
papierdünn ist und in der Gegend des Aquaeductus vestibnli zn
Dehiscenzenbildung neigt.
Es zeigt sich nun, dass in den Fällen, in welchen ein
eigentlicher Bulbus nicht ausgebildet ist, die höchste Stelle des
Bulbus von dem Boden der Paukenhöhle durch eine ^Ja — 1 V2 cm
dicke, meist compacte zum Theil auch zellige Knochenschicht
getrennt war, trotzdem der Recessus hypotympanicus gut ausge-
bildet war. In den Fällen, in denen der Bulbus als solcher
deutlich erkennbar war, bildet er entweder den Boden der
Paukenhöhle oder auch den unteren Theil der medialen Pauken-
liöblenwand bis zur Höhe des runden Fensters, die trennende
Knochenschicht ist meist papierdünn und am Präparat durch-
scheinend. In den Fällen mit stark entwickeltem Bulbus ragt
dieser bis über das ovale Fenster hinauf und schiebt sich an
der medialen Fläche der Pyramide, diese in die Schädelgrube
vorwölbend, in die Höhe bis zur Decke der Pyramide, hier
weitbuchtig endend. Die mediale Wand war papierdünn und
zeigte öfter Dehiscenzen oberhalb der Mündung des Aquaeductus
vestibuli. In diesen stark ausgeprägten Fällen erschien der
Boden der Paukenhöhle wie nach oben gedrückt, die Trennungs-
wand war durch scheinend dünn.
Was nun das Yerhältniss des Bulbus zur Lage des Sinus
sigmoideus anbetrifft, so zeigte sich in den Fällen von nicht
ausgebildetem Bulbus, dass der Sinus nicht vorgelagert in fast
gestreckter Stellung unmittelbar in die Vena jugularis überging.
Je mehr der Sinus vorgelagert war, desto schärfer war die üm-
biegungsstelle markirt und um so stärker war die Ausbildung
des Bulbus. Diese verschiedenartige Gestaltung des Bulbus erklärt
ZuckerkandP) folgendermaassen : Die Fossa jugularis bildet
mit dem Endstück der Fossa sigmoidea einen S-formigen Kanal,
dessen tieferer Theil einmal ersterem, ein andermal letzterem
angehört. Je nachdem die Drosselfortsätze des Hinterhauptbeins,
des Sohläfenknochens und die Fossae jugularis breit oder sehmal
«ind, stellt der Uebergangstheil der Fossa jugularis zu den
eigentlichen Behältern des Sinus sigmoidei eine mehr oder min-
der quer verlaufende Brücke. Es erscheint somit in dem einen
Falle der Kanal mehr gestreckt , in einem anderen mehr hori-
zontal gebogen. Ist der gesammte Kanal gestreckt, das heisst,
1) Zuckerkandl, Monatsschrift f. Ohrenheilk. 1874. Nr. 7.
Zar Thrombose des Bnlbas venae jugularis. 219
Qähert sich seine Axe mehr einer geraden Linie, so wird der
Druck des rüokstaaenden Blntes nicht in die Fossa jngnlaris,
sondern in einem Hirnsinus oder in einem Gebiet von Hirnvenen
die Erscheinungen der Stauung manifestiren. Ist hingegen der
Kanal nicht gestreckt, sondern am Uebergangstheile der Fossa
sigmoidea zur Fossa jugularis geknickt, quer gestellt und lang,
80 wird der stauende Inhalt der Vene nicht ganz unbehindert
ia die Schädelsinus einfliessen können. Er wird am Uebergangs*
theil der Fossa jugularis in dem mehr horizontal liegenden
Sehenkel der Venenfurche ein Hinderniss erfahren; in Folge
dessen wird die Fossa jugularis gedrückt, ausgehöhlt und dehis-
drt schliesslich.
In den beigegebenen Tafeln (I. II) zeigt Fig. 1 und 2 einen
mehr gradlinig verlaufenden, nicht vorgelagerten Sinus, bei dem
es nicht zur Ausbildung eines eigentlichen Bulbus gekommen
ist. Der Boden der Paukenhöhle ist durch eine 1 cm dicke
Zwischenschicht vom höchsten Punkt des Bulbus getrennt. Fig. 2
zeigt einen massig stark ausgebildeten Bulbus mit scharfer Um-
biegnngsleiste. Der Bulbus steigt an der medialen Pauken-
höhlenwand bis zur Höhe des ovalen Fensters aufwärts. Der
ganze untere Abschnitt der Paukenhöhle ist durchscheinend.
Fig. 4 zeigt einen stark ausgebildeten Bulbus mit Vorbuchtung
der medialen Pyramidenwand und Dehiscenz oberhalb des Aquae-
daetas vestibuli. Der Bulbus bildet nicht den Boden der Pauken-
höhle, sondern schiebt sich an ^er medialen Wand derselben,
diese papierdünn erscheinen lassend, in die Höhe. Schnecke und
Bogengänge wurden gewissermaassen nach oben und mehr nach
der Spitze der Pyramide zu gedrängt.
Aus diesen anatomischen Betrachtungen geht hervor, dass
die starke Ausbildung des Bulbus durch die ausserordentliche
Nähe der Paukenhöhle eine grosse Infectionsgefahr bedingt, und
dies um so mehr, als bei dem gleichzeitig mehr oder weniger
stark vorgelagerten Sinus im Warzenfortsatz, worauf schon Tr au t-
mann^) hingewiesen hat, das Antrum sehr klein und diploetische
Zellen nicht vorhanden sein können. Der in der Paukenhöhle
angesammelte Eiter wird gezwungen, sich in anderer Richtung
seinen Ausweg zu suchen. Der Boden der Paukenhöhle ist für
gewöhnlich pneumatisch mit einfachen flaschen- oder cylinder-
formigen Zellen. Durch den Boden tritt der Nervus tympanicus
mit den gleichnamigen Venen und Arterien entlang der hinteren
1) Trautmann, 1. c.
220 XI. STENGER
Wand der Fossa jugularis zur unteren Fläche der Schädelbasis.
In dem Bulbus mündet die Vena aquaeductus Cochleae. Beides
gute Wegeleiter für Ausbreitung der Infection. Rechnet man
hierzu noch das Vorkommen von Dehiscenzen in der papier-
dünnen Scheidewand zwischen Paukenhöhle und stark ausgebil-
deter Fossa jugularis, wie sie schon von Friedlowsky^),
Zuckerkandl u. A. beschrieben sind, so ist es ohne Weiteres
klar, wie leicht die Möglichkeit einer directen Infection des Bul-
bus gegeben ist.
Sieht man von einer durch directe Infection entstandenen
Bulbusthrombose ab und nimmt man an, dass das von einer
höheren Stelle aus mit Toxinen und Mikroorganismen überladene
Blut im Bulbus einen geeigneten Ort zur Thrombosirung findet,
so sieht man, dass die anatomischen Verhältnisse dem gegen-
über sich verschieden verhalten. Bei nicht vorgelagertem, mehr
gradlinig verlaufendem Sinus ist ein eigentlicher Bulbus kaum
ausgebildet, das Blut fliesst, abgesehen von den in Folge tiefer
Respiration entstandenen Rückstauungen, unbehindert ab. Bei
stark vorgelagertem Sinus biegt der Sinus wie um eine scharfe
Kante in den sehr erweiterten Bulbus ein, es kommt hier zur
Bildung von Wirbeln, deren Vorhandensein die Bildung von
Thromben begünstigen. Es sind also gerade diese gut ausgebil-
deten Bulbi die gefährlichsten nicht allein, weil sie der Pauken-
höhle am nächsten liegen, sondern weil in ihnen durch die Rück-
stauung des Blutes die Thrombenbildung erleichtert wird. Bei
ihnen sind also alle Momente gegeben, die die Entstehung einer
isolirten Bulbusthrombose begünstigen lassen. Ist der Bulbus
thrombosirt, dann erst schreitet die Thrombosirung peripher fort
aufwärts bis zur ümbiegungsstelle und weiter. Der Zerfall des
Thrombus tritt nunmehr an der Einwanderungsstelle der Mikro-
organismen ein. Je früher und intensiver der Zerfall, desto
stürmischer sind die pyämisohen Erscheinungen mit lebensgefähr-
lichen Metastasen.
Diagnostisch ist die Feststellung einer isolirten Bulbusthrom-
bose nicht möglich. Sind Anzeichen einer Sinusphlebitis vor-
handen, so ist es nothwendig, als den häufigsten Ausgangspunkt
der Erkrankung den absteigenden Theil des Sinus sigmoideus
in ausgiebiger Weise freizulegen. Das Aussehen der äusseren
Sinuswand, falls sie nicht schon zerfallen und ohne Weiteres de^
1) Friedlowski, Monatsschrift f. Ohrenheikunde. 1867.
Zur Thrombose des Bulbus venae jugularis. 221
Inhalt erkennen lässt, giebt keinen sicheren Anhalt f&r eine voll-
ständige oder wandständige Thrombosirung. Die Probepnnction
l&sst zwar einen festen oder bereits eitrig zerfallenen Thrombus
sicher erkennen, schliesst aber einen wandständigen nicht aus.
Die Incision giebt zwar sicheren Anfsohluss über die Beschaffen-
heit des Sinusinneren, besonders bei der von Edgar Meier ^) em-
pfohlenen vorherigen centralen und peripheren Tamponade. Auch
ohne diese Tamponade giebt die Incision, aus der die Art der
Blutung, die bei wandständiger, bezw. theilweiser Thrombose
weniger massig erscheint, gute Anhaltspunkte. Die nach Edgar
Meier und neuerdings -in modificirter Art von der Tübinger
Ohrenklinik ^j aus empfohlene Tamponade erscheint mir, selbst im
anscheinend gesunden Theil äusgeftlhrt, wegen der überaus grossen
Gefahr der mechanischen Losreissung von Thrombentheilchen
nicht ungefährlich.'
Es sind demnach nach vollständiger Freilegung des Sinus
und nach Ausschluss einer vollständigen Thrombose folgende
Möglichkeiten vorhanden:
1. entweder ist der Sinus noch nicht erheblich erkrankt und
die pyämischen Erscheinungen hören nach Beseitigung des localen
Krankheitsherdes auf;
2. es besteht eine wandständige Thrombose, die entweder zur
vollständigen wird, oder [nach Beseitigung des localen Krank-
heitsherdes zur Ausheilung kommt.
3. Der Sitz der Thrombose befindet sich an einer anderen
Stelle, die pyämischen Erscheinungen dauern fort, bezw. die
Thrombose bildet sich weiter aus.
Auf diese dritte Möglichkeit möchte ich in erster Linie die
Aufmerksamkeit hinlenken. Sowohl aus eigener klinischer Er-
fahrung, nicht zum wenigsten aber aus [der. Literatur habe ich
die Beobachtung gemacht, dass in Fällen von wahrscheinlicher
Sinusthrombose die Operation ein negatives Resultat gab, wäh-
rend die Erscheinungen der Thrombose von Tag zu Tag deut-
licher und deletärer wurden. In diesen^Fällen konnte es sich
nur um eine nicht erkannte wandständige oder um einen nicht
vermutheten Sitz der Thrombose handeln. Den anatomischen
Verhältnissen entsprechend, wird sich ein wandständiger Throm-
bus da bilden, wo es so leicht nicht zur Bildung einer vollstän-
digen, bezw. Bulbusthrombose kommt. Dies ist der Fall bei
t) Meier, Arch. f. Ohreoh. Bd. IKL.
2) Hölscher, Ebenda. Bd. LIL'
222 XI. ST£NG£B, Zur Thrombose des fiaH>iiB fenae jagularis.
möglichst gerade yerlanfendem Sinns, während stärkere Knickung
des Sinus und ausgiebigere Bildung eines Bulbus leichter zn
einer vollständigen Bulbusthrombose mit rückwärtiger Thrombose
ftkfart.« Die wandständigen Thrombosen führen deshalb zu den
lebhaft pyfimischen Erscheinungen und den mit Gelenkerschei-
nungen einhergehenden Krankheitsbildern. Die Diagnose eines
wandständigen Thrombus bin ich nur berechtigt dann zu stellen^
wenn ich wirklich eine solche als bestehend nachweisen kann,
anderenfalls muss ich den |Sitz der Thrombose an anderer Stelle
annehmen, und als solche kommt anatomisch in erster Linie der
Bulbus venae jugularis in Betracht. Ob die Thrombosirung pri-
mär durch directe Infection von der Paukenhöhle, oder secundär
in Folge der Wirbelbildung eingetreten ist, ist f&r das operative
Vorgehen irrelevant. Die ausgiebige Freilegung des Bulbus,
speciell bei starker Ausbildung desselben ist nicht einfach. Es
wird zunächst die Spitze Ides Warzenfortsatzes abgetragen, der
Facialis bis zu seiner Austrittsstelle im Foramen stjlo-mastoidenm
freigelegt, und nun wird die zum Theil spongiöse Knochenbrücke
zwischen absteigendem Facialis und Sinus, bezw. dessen Ueber-
gangstheil zur Fossa jugularis abgetragen. 1) Zu beachten ist nur,
dass man nicht zu weit nach hinten und somit in das Foramen
magnum hineingelangt. Ist der Bulbus auf diese Weise freige-
legt, wobei oft nicht die [letzte Knochenbrücke mit entfernt zu
werden braucht, da man von der Uebergangsstelle aus ohne Wei-
teres den ganzen Bulbus übersehen kann, so hat man die Drai-
nage, bezw. Tamponade des Bulbus in der Hand. Eine Ver-
schleppung centralwärts durch die Vena jugularis oder auf an-
derem Wege ist unmöglich. Wird dagegen der Bulbus nicht in
dieser Weise genügend freigelegt, sondern a priori die Vena
jugularis unterbunden, so ist besonders in dem stark ausgebil-
deten Bulbus ein Eiterherd geschaffen, der erst recht zur Ent-
wicklung und Verschleppung infectiösen Materials Gelegenheit
giebt. Eine rechtzeitige ausgiebige Freilegung des Bulbus wird
demnach in vielen Fällen die Unterbindung der Jugularis un-
nöthig erscheinen lassen.
1) Das OperatioDSverfabreD, seit l&ogerer Zeit von uns ausgeübt, ist in»
zwiscben aacb von der Hallenser Klinik (Grunert, Archiv f. Ohrenheilk.
Bd. LIII. S. 290) beschrieben.
Archiv für, Ohrenheilkunde LIV. Band.
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XII.
Aus der Ohrenklinik des Charit^- Krankenhauses in Berlin
(Dirigirender Arzt: Geh. Med.-Rath Prof. Dr. Trautmann).
Neurosen und Warzenfortsatzoperationen.
Von
Stabsarzt Dr. Richard MQller,
früherem Assistenten der Klinik.
Es ist vielfach beobachtet worden, dass mit der Beseitigung
eines Ohrenleidens auch andere, gleichzeitig vorhandene Krank-
heiten ,,reflectori8ch" zur Heilung gekommen sind.^) Demselben
Gebiete gehören die Krankengeschichten an, die ich im Folgen-
den mittheilen will: Durch die operative Behandlung eines Ohren-
leidens wurde eine complicirende Neurose günstig beeinflusst.
Nur ist in unseren Fällen die Besserung, bezw. Heilung der
Neurose nicht als „reflectorisch^ aufzufassen, sondern direct auf
den Einfluss der Operation zurückzuführen, wie ich unten weiter
ausführen will.
/ — IL Complicirendes Leiden: Epilepsie.
I. Willi S., 17 Jahre alt. Aufgenommen am 18. M&rz 1898. — Im 5. Le-
bensjahre Masern , im Anschluss Ohrenlaufen links bis jetzt. Seit 3 Jahren
( 1 895) aus unbekannter«Ursache epileptische Anfälle, die Anfangs jede Woche
zweimal auftraten. 1897 lag er vom 27. Juli bis 4. August auf der Krampf-
abtheiluQg in der Charit^, wo der epileptische Charakter des Leidens fest-
gestellt wurde. Seit Anfang 1898 Anfälle häufiger, schliesslich fast täglich.
Die Mutter gab an, während des Anfalles, der gewöhnlich 5 Minuten dauere,
höre man nicht selten ein Knacken im linken Ohre des Kranken. Was da-
mit gemeint war, habe ich nicht feststellen können, bei den späteren An-
fällen in der Charit^ ist nie etwas Derartiges beobachtet worden. Weiter
aber, und das ist für uns hier interessanter, gab die Mutter an, die Anfälle
hätten im Jahre 1896 nach einer Behandlung des linken Ohres in einer hie-
sigen Klinik (Ausspülungen) einmal 10 Wochen lang ganz ausgesetzt; erst
1) Siehe Schwartze, Handbuch. Bd. L S. 459. — Eitelberg, Ueber
die vom Gehörorgan ausgelösten Reflexerscheinungen. Haug's klin. Vorträge.
Bd. L Heft 2. — Seligmüller, Neuere Arbeiten über Epilepsie. Deutsche
med. Wo eben sehr. 1894. H. 1. — Siebenmann, Jahresbericht. Zeitschr. f.
Ohrenh. Bd. XXL 8.73.— v. Bergmann, Die chirurgische Behandlung von
Hirnkrankheiten. 3. Aufl. S. 396. — F6r6, Les %ilepsies. 1890. S. 299/300. —
Jacobson, Lehrbuch. 2. Aufl. S. 93.
224 XII. MÜLLER
nach einem reichlichen Alkoholgennss seien die Anf&Ue zurückgekehrt. —
Letzter Anfall vor der Aufoahme am Aufnahmetage (18. März 1898) früh 7^9.
Die Häufigkeit und Gefährlichkeit der Anfälle sowie starkes Sausen im linken
Ohr und das Ohrenlaufen veranlassten die Gharite-Aufnahme.
18. März 1898. Status: Körperlich gut entwickelt. Blöder Gesichts-
ausdruck. Sprache stotternd, schleppend. Links an Stirn und Schläfen pieh-
rere Hautabschürfungen und Blutunterlauf ungen. An der Zunge frische Ver-
letzungen und alte Narben. Puls 76, regelmässig. Urin frei von Zucker und
Eiweiss. Romberg negativ. Patellarreflex beiderseits -{-. Pupillen beiderseits
gleichweit, reagiren prompt. Augenhintergrund links regelrecht, rechts grosse
Pigmentflecke in der Netzhaut. Flüstersprache rechts normal, links 2 m. Rechts :
Trommelfell eingezogen. Links: stinkende Eiterung, Totaldefect des Trommel-
fells, von hinten her blaugraue Granulation. — 19. März früh epileptischer An-
fall. 20. März desgleichen, 5 Minuten Dauer. — Ich nahm am
22. März 1898 die Radicaloperation links vor. Antrnm, Recessus
epitymp. und Paukenhöhle voll Granulationen. Tegmen tympani rauh. Sinus
wird in doppelter Linsengrösse freigelegt. — 75 gr Chloroform. — Wundhei-
lungsverlauf ohne Störung, Ende Juli alles epidermisirt. Erst am
29. März, also 7 Tage nach der Operation, trat früh 7^6 Uhr
wieder ein Anfall auf, Dauer t Minute. Nachmittag Vs2 Uhr erneuter An-
fall, 3 Minuten. — 30. März früh 4 Uhr Anfall. — 11. April Nachts Vit2 Uhr
Anfall (Ursache: Aufregung in Folge von viel Besuch?). — Nächster Anfall
erst wieder am 24. April früh ^il Uhr. Dauer Va Minute. — 12. Mai Morgens
ein Schwindelanfall, ohne Bewusstlosigkeit, 5 Minuten.
Am 18. Mai charakteristischer epileptischer Anfall, den ich selbst beob-
achtete. Daner der Bewusstlosigkeit 1 Minute, der Krämpfe 15 Secunden. —
28. Mai früh V^d Uhr Anfall, Mittags ^iX Uhr wieder. — 29. Mai Schwindel-
anfall. — 30. Mai. Krampfanfall. — 31. Mai. Rasch vorübergehender Schwin-
delanfall. — 9. Juni. Mittags ^/a2 und Va3 Uhr je ein Anfall von einer Viertel-
stunde Dauer. — 10. Juoi. In der Nacht wieder mehrere Anfälle. Verlegung
nach der Krampfstation, von wo er am 15. Juni entlassen wurde; über die
dortigen Anfälle sagt das Krankenblatt nichts. Wohl aber wurden am 27. Au-
gust 1898 auf der Krampfabtheilung der Charit^, auf die S. an diesem Tage
erneut aufgenommen worden war, drei als epileptische festgestellte Anfälle
(— 1^4, 272 und 4 Uhr Nachmittags) beobachtet, von denen einer 4 und zwei
je 3 Minuten dauerten. Am 31. August ist er dann wieder entlassen worden.
Es waren also in dem ersten Vierteljahr nach der Operation
die Anfälle zweifellos seltener und weniger schwer als vor der Ope-
ration und speciell als unmittelbar vor dieser. Allmählich aber trat hinsicht-
lich der Krämpfe wieder derselbe Zustand ein, der früher bestanden hatte.
Ende 1898 erklärte mir der Kranke, dass die Anfälle jetzt wieder wöchent-
lich ungefähr 2 mal auftreten.
IL Martha G., 22 Jahre alt. Aufgenommen in die Charit^, Krampf-
abtheilung, am 29. December 1898; blieb auch während der Behandlung ihres
Ohrenleidens auf genannter Station. — Der Vater des Mädchens leidet an
Krämpfen. — Sie selbst leidet seit Kindheit aus unbekannter Ursache an Ohren-
laufen links. Seit 1 Y2 Jahren epileptische Krämpfe, die ohne sonstige Ursache
im Anschluss an ein Aussetzen der Menses aufgetreten sein sollen. Seit Ende
1898 traten die Anfälle fast jede Nacht auf. In der Charit^ wurde der epi-
leptische Charakter festgestellt. — Kräftiges Mädchen. Augenhintergrund
normal. Ohrenbefund rechts regelrecht, Flüsterspracbe normal; links 1 bis
IV2 m, stinkende Eiterung, Totaldefect des Trommelfells.
4 . Februar 1899. Radicaloperation links. Antr um, Aditus, Recessus
epitymp. und Paukenhöhle von Granulationen erfüllt. Tegmen tympani et
an tri cariös. Gegen die mittlere Scbädelgrube hin wird die Dura in Fünf-
pfennigstückgrösse freigelegt, Sinus nicht freigelegt. 25 gr Chloroform. —
Am 29. Mai 1899 war die Wunde völlig epidermisirt.
Während vor der Operation die Anfälle täglich auftraten, war nach
der Operation bis zum 23. Februar kein Anfall mehr zu verzeich-
nen. Erst an diesem Tage traten Nachts wieder zwei Anfälle auf. In der
Neurosen und Warzenfortsatzoperationen. 225
Nacht zum 1. März wieder ein Anfall, dann am 6. März, und dann wieder
am 16. März. Seitdem traten die Anfälle ungefähr einmal wöchentlich auf,
so im April am 2., 8., 15., 23. und 24. Im Mai 5, im Juni 6 Anfälle. So
ungefähr blieb die Häufigkeit der Anfälle, bis die Kranke am 1. September
1899 aus der Charit^ entlassen wurde.
Zweifellos waren die Anfälle nach der Operation seltener als
vor ihr.
///. Complicirendes Leiden: Chorea minor {-^Epilepsie),
Hermann H., 15 Jahre alt. Aufgenommen am 21. Januar 1898 auf die
Erampfabtheilung der Charit^. — Im 12. Jahre aus unbekannter Ursache
Ohrenlaufen rechts, das mit geringen Nachlässen bis jetzt angehalten hat.
Ungefähr gleichzeitig mit dem Ohrenleiden stellte sich Veitstanz ein; auch
dieses Leiden bestand ununterbrochen bis jetzt: ein plötzlicher Schreck wird
hier als Ursache beschuldigt. Seit August 1897 mehrfach Schwindelanfälle,
zu denen sich auch Krämpfe gesellten; über Häufigkeit und Art dieser
Krämpfe ist nichts Bestimmteres zu erfahren, auf der Krampfabtheilung ist
nach der Darstellung der Mutter die Diagnose auf Epilepsie gestellt worden.
Der letzte dieser Anfälle soll am 21. Januar 1898 Vormittags aufgetreten und
die Veranlassung gewesen sein, dass der Kranke die Charit^ erneut aufsuchte.
Die gleichzeitig bestehenden lebhaften choreatischen Bewegungen der Arme und
Hände besserten sich wohl unter Arsenbehandlung, bestanden aber, ebenso
wie die stockende, erschwerte Sprache, noch in ausgesprochenem Maasse, als
H. wegen Schmerzhaftigkeit des Warzenfortsatzes am 26. Februar zur Ohren-
station verlegt wurde, und dauerten auch hier noch an bis zur
Radicaloperation rechts, die ich am 9. März 1898 vornahm. Antrum
und Recessus epitymp. mit Granulationen erfüllt, Tegmen antri cariös. Dura
und Sinus nicht freigelegt. 83 gr Chloroform. — Ende Mai 1898 Wundhöhle
epidermisirt.
Mit der Stunde der Operation hörten die choreatischen Be-
wegungen auf, um nie wieder aufzutreten; auch die Sprache war einige
Tage nach der Operation nicht mehr so stockend und unbeholfen wie vorher.
Schwindel- und Krampfanfälle sind nach der Operation auch nicht wieder
aufgetreten.
IV. Complicirendes Leiden: Hystero- Epilepsie.
Helene G., 21 Jahre alt. Aufgenommen in die Charit^, Krampfabthei-
lung, am 18. Juni 1896; zur Ohrenstation verlegt am 8. April 1897 ; zur Krampf-
station zurückverlegt am 20. April 1897. — Im 10. Lebensjahre stellte sich,
angeblich nach Fall auf den Kopf, Ohrenlaufen links ein. Die G. war da-
mals kurze Zeit bewusstlos; ob es aus dem Ohre geblutet hat, weiss sie nicht.
Die Eiterung hielt bis 1894 an, seitdem war das Ohr stets trocken. 1894
Typhus. In der Reconvalescenz will sie von einer geisteskranken Frau an-
gegriffen worden sein; darüber sei sie so erschrocken, däss sie einen Krampf-
anfall bekommen habe (bewusstlos, Urin unter sich gelassen), drei Tage lang
sei sie ohne Sprache gewesen. Diese Anfälle wiederholten sich in der Folge,
Anfangs seltener, später häufiger, meist nach Gemüthserregungen. Nach den
Anfällen öfter Gesichtshallucinationen — schwarze Gestalten, allerhand Bil-
der. — Seit dem Typhus auch Blasenbeschwerden. — Allmählich häuften sich
die Anfälle in erschreckender Weise: Zur Zeit der Aufnahme in die Charit^
und im ersten halben Jahre ihres Charitäaufenthaltes bisweilen über zwanzig
schwere Anfälle von vorwiegend hysterischem Charakter an einem Tage. Pu-
pillen auf der Höhe des Anfalls bisweilen aufs Höchste erweitert und starr,
vielfach aber auch auf Licht reagirend. Mehrfach wurde geringe und träge
Reaction der Pupillen noch lange nach dem Anfalle festgestellt. Die rechte
Pupille wurde öfter nach dem Anfalle queroval gefunden. — Neben den An-
fällen bestanden noch andere hysterische Symptome: Hallucinationen, Sen-
sibilitätsstörungen , z. B. Analgesie, bezw. Hypalgesie an den Beinen; stiess
sich eine Nadel in die Brust; Geschmacksstörungen; concentrische Einengung
des Gesichtsfeldes für Weiss und Farben. Wenn die Anfälle sehr häufig ge-
226 XU. MÜLLER
^D sind, Itt sie dann den ganzen übrigen Tag verwirrt, bisweilen ganz
geiitesabwesend und bewassUoB, stöhnt leise vor sich hin. Manchmal ist sie
sehr aufgeregt, wird aggressiv und moss isolirt werden. Im Ganzen bot sie
ein überaus schweres Krankheitsbild dar.
Medicamente, Anfangs Brom und Chlora), sp&ter Opium in grossen Dosen
(bis zu 1 gr £xtr. opii pro die), auch Cerium oxalic. erwiesen sich als wir-
kungslos. So dauerte der Zustand Monate lang. Erst im Januar 1897 wur-
den die Anfälle etwas seltener, 1—2 Anfälle taglich blieben aber doch das
Minimum. Dm diese Zeit traten heftige neuralgische Erscheinungen
am linken Warzenfortsatz auf. Dieser war auf Druck äusserst em-
Sfindlich, doch hatte die Kranke auch allein, ohne Druck, dort starke stechende
chmerzen. Mittelohreiterung bestand nicht; Trommelfell links eingezogen,
getrübt, ohne Defect; rechts Trommelfell retrahirt.
Am 10. April 1897 Mastoldoperation. 50 gr Chloroform. Zur Be-
seitigung der iTeuralsie meisselte ich aus dem linken Warzenfort-
satz ein dreiseitig-pyramidenförmiges Knochenstück aus, die
Basis der Pyramide auf dem Planum mastoideum liegend, während die Spitze
dem Antrum entsprach, welch letzteres im Uebrigen nicht in grösserer Aus-
dehnung freigelegt wurde. Der Knochen war überaus hart, sklerotisch. Beim
Erweitern der Knochenhöhle nach hinten, wurde der Sinus freigelegt und
gleichzeitig verletzt: kräftige Blutung, die auf Tamponade stand, so dass die
Operation ruhig zu Ende geführt werden konnte.
Mit der Operation war die Neuralgie beseitigt, um auch im weiteren
Verlaufe nicht wiederzukehren. Auffallender Weise trat nun vom 10. bis
20. April auch kein Anfall wieder auf, während noch zu Beginn der
Operation, als die Narkose eingeleitet wurde, ein krampfartiger Zustand ein-
getreten war, der nicht den Chloroformexcitationsspasmen entsprach, sondern
den früheren Anfällen glich. — Am 14. April beim ersten Verbandwechsel
wieder starke Blutung aus dem Sinus. Am 20. April steht die Blutung. Nach
dem Verbinden plötzlich ein Anfall, und zwar heute von ausgesprochen epi-
leptischem Charakter: bewusstlos, klonische Zuckungen an Rumpf, Glied-
maassen und im Facialgebiet; Pupillen ad maximum erweitert, reagiren nicht;
Puls Anfangs nicht zu fühlen, später stark beschleunigt; Cyanose des Ge-
sichts ; Zungenbiss, blutiger Schaum. Nach dem eigentlichen Krampfstadium
kehrt das Bewusstsein nur allmählich zurück, Agitationen der Gliedmaassea
bestehen dabei noch eine Weile fort. Gesammtdauer 10 Minuten. —
Die Kranke wurde jetzt auf die Krampfstation zurückverlegt, wo sie
noch bis 5. August 1897 verblieb. In dieser Zeit wurden noch mehrere Au-
falle beobachtet; sie waren aber auch nicht annähernd mehr so häufig wie
früher: bis 28. April 3 Anfälle, dann einer am 30. Mai, dann erst wieder am
23. Juni, dann am 1. Juli , 22. Juli (2 Anfälle), 24. Juli. Ausserdem ist her-
vorzuheben, dass jetzt die Aofälle, die früher vorwiegend hysterischen Cha-
rakter trugen, auch in dem Krankenblatt der Krampfabtheilung in Üebereiii-
stimmung mit meiner Diagnose, die ich nach dem von mir selbst beobach-
teten Anfalle vom 20. April gestellt hatte, stets ausdrücklich als epileptische
bezeichnet sind. Dementsprechend traten auch die übrigen hysterischen
Symptome, die oben verzeichnet sind, nach der Operation mehr in den Hinter-
grund — bis auf die Einengung des Gesichtsfeldes. — Wundböble Ende Mai
fest verheilt.
V — VIIL Complicirendes Leiden: Hysterie.
V. Selma K., 17 Jahre alt. Aufgenommen am 22. November 1897 auf die
Krampfabtheilung der Charit^ (bUeb dort auch während der Ohrenoperation).
— Als kleines Kind Scharlach, darnach beiderseits Ohrenlaufen mit Remis-
sionen bis vor 2 Jahren. Anfang December 1897 erneut Ohrenlaufen beider-
seits. — Ausserdem leidet die K. seit 2 Jahren an hysterischen Krampfan fällen.
Der erste Anfall habe sich in einem Bremer Krankenhaus an eine Ohren-
operation (anscheinend Polypenabtragung) angeschlosseo I Allmählich wurden
die Anfälle häutiger und intensiver, sie traten zuletzt täglich, bisweilen zu
mehreren an einem Tage, auf.
8. December 1897. Status: Bei Romberg heftiger Schwindel, starkes
Neurosen and Warzenfortsatzoperationen. 227
SchwankeD. — Flüstersprache beiderseits nicht gehört, gewöhnliche Umgangs-
sprache links Vs m, rechts ^ja m. Links beim Abtupfen stinkender Eiter und
etwas Blut: in der Tiefe yon hinten oben her eine reichlich erbsengrosse
Granulation. Rechts sp&rlicbe Eiterung, Trommelfell verdickt, stecknadel-
kopfgrosser Defect hinter dem ümbo. — Am 9. December Abends und am
10. December früh je ein grosser hysterischer Anfall. Nach dem letzten litt
die E. noch sehr an Schwindel und musste zur Ohrenstation geführt werden,
wie sie denn überhaupt körperlich sehr elend und herunterg^ommen war.
10. December 1897. Radicaloperation links. Antrum, Aditns, Recess.
epit. und Paukenhöhle bis in das Ostium tubae hinein mit dicken Granu-
lationen erfüllt, die den gesunden Hammer und Amboss einschliessen. Sinus
vorgelagert, wird in Linsengrösse freigelegt. Garies des horizontalen Bogen-
gangs: die rauhe Partie wird mit der Fraise gegl&ttet.
Am 4. Januar 1898 war rechts die Eiterung versiegt. Die Wundhöhle
links war bereits am 12. Februar völlig verheilt.
Die Anf&lle — vorher einer, auch mehrere täglich — blieben nach
der Operation vollständig aus bis zum 13. Januar 1898, also volle
5 Wochen. Erst am 13. Januar trat nach einer Aufregung wieder ein An-
fall auf, der aber nach Angabe der Wärterin leichterer Art war als die zahl-
reichen grossen Anfälle vor der Operation. Der nächste Anfall, und zwar
diesmal ein „schwerer hysterischer Anfall mit nachfolgender Verwirrtheit*,
stellte sich am 14. Februar ein, also wieder erst nach fast 5 wöchiger Pause.
Nächster Anfall am 15. (oder 16.) März, nach 4 Wochen Pause. — Am
18. März wurde das Mädchen nach Wnhigarten entlassen. Am 7. April
stellte sie sich wieder bei uns vor, sie hatte sich körperlich ausserordentnch
erholt, befand sich völlig wohl und gab an, in W.. bislang nur einen leichten
Anfall gehabt zu haben. Am 28. Juli erneut vorgestellt, erzählte sie, es sei
kein Anfall wieder aufgetreten. Die Wundhöhle war fest verheilt.
YI. Marie L., 23 Jahre alt. Aufgenommen auf die Abtheilung für Krampf-
kranke am 30. März 1898. — Im 7. Lebensjahre im Anschluss an Gesichts-
rose Ohrenlaufen rechts, das mit Remissionen bis jetzt angebalten hat. Ende
1897 bis März 1898 will die L. als Dienstmädchen sehr viel zu thun gehabt
und sich überarbeitet haben. Es stellten sich allerhand nervöse Beschwerden,
z. B. Krämpfe in Armen und Beinen, auch Schwindelanfälle (nicht bewusst-
los), ein; daneben zunehmende Mattigkeit, derentwegen sie schliesslich zur
Charit^ kam. Hier hatte sie allerlei hysterische Klagen: sie sei vergesslich,
sie schlafe schlecht, es rausche Nachts vor den Ohren, sah einen Mann an
der Thür, stöhnte viel, Stiche bald im „Gehirn*', bald im Herzen, bald in der
Schulter u. s. f. ; die Glieder seien ihr oft wie abgestorben, oft habe sie das
Gefühl von Schwere im rechten Arm und im rechten Bein, leicht wechselnde
Stimmung. — Bei den Sensibilitätsprüfungen widersprechende Angaben: bald
fühlte sie feinste Berührung, bald an derselben Stelle gar nichts. Am rechten
Arm und Bein Schmerz- und Tastempfindung zeitweise deutlich herabgesetzt.
Geruch und Geschmack sehr wechselnd. Gesichtsfeld für die verschiedenen
Farben ganz unregelmässig eingeengt. Angenhintergrund regelrecht.
Da das rechte Ohr eiterte und schmerzte, wurde die L am 10. Mai 1898
zur Ohrenstation verlegt Hier bestanden die hysterischen Beschwerden fort.
— Ohren: Links Hörvermögen regelrecht, Trommelfell getrübt, matt. Rechts
Flüstersprache 15 — 50 cm, Angaben wechselnd; spärliche stinkende Eiterung,
in der Tiefe von hinten oben her Fleisch Wärzchen. Abtragung dieser mit der
kalten Schlinge in leichter Narkose (sehr ungeberdig). Darnach grosser
centraler Defect erkennbar, Paukenschleimhaut granulirt. Die Granulationen
von hinten oben her wuchsen wieder; die Eiterung bestand unverändert fort.
Ich schritt am
8. Juni 1898 zur Radicaloperation rechts. Hammer und Amboss
in dicke Granulationen eingebettet, Hammergriff und Tegmen tympani cariös.
Sinus wird in doppelter Linsengrösse freigelegt. 60 gr Chloroform. — Nach
der Operation brachte die L. ihre früheren Klagen nicht mehr
vor. In den ersten Tagen wurde dies auf das vorherrschende Unbehagen
Dach der 1V2 stündigen Narkose und nach dem grossen operativen Eingriff
überhaupt zurückgeführt: aber auch nach dem Zurücktreten der unmittelbaren
228 XII. MÜLLER
Operations- und NarkoBenacbwirkangen blieben die früheren Klagen aus.
Erst am 30. Jali war sie wieder einmal Nachts sehr unruhig, aber ohne einen
Krampfanfali zu haben, und am 23. August Iclat^e sie über Schwindel, dem
aber, da sie gleichzeitig Erbrechen hatte, wirklich körperlich begründetes
Uebelbefinden zu Grunde zu liegen schien. Ihre hysterischen Be-
schwerden blieben verschwunden, sie machte einen durchaus ver-
nünftigen und verständigen Eindruck, verrichtete gern wirthschaftliche Hand-
reichungen und erholte sich auch körperlich von ihrer Anämie. Die Wand-
höhle war, weil öfter Ekzeme auftraten, erst Ende 1898 völlig epidermisirt
und trocken.
VII. Clara Y., 18 Jahre alt. Aufgenommen am 12. Mai 1898. — Seit
früher Kindheit nach Masern Ohrenlaufen rechts, das mit Remissionen bis
jetzt anhielt. Im Alter von 5—7 Jahren Krampfanfälle. Jetzt seit mehreren
Jahren Schwindel und Kopfschmerzen. Am 29. Mai stellte sich Nachts ein
mehrere Stunden anhaltender Zustand von Bewusstlosigkeit eio, während
dessen in kurzen Zwischenräumen Krampfanfälle auftraten. Die Krämpfe
begannen mit beschleunigter Athmung, dann krampfte sich der Rumpf nach
hinten über zusammen, hohles Kreuz, zurückgebeugter Nacken, Unterschenkel
fest gegen die Oberschenkel angezogen, während die Arme langsame Kreis-
bewegungen im Schultergelenk ausführten ; die Pupillen reagirten. Temperatur
während des Zustandes 39 ^ Am Morgen heftige Kopfschmerzen, kann sich
auf die Vorgänge der Nacht nicht besinnen. Ein ähnlicher Zustand am
31. Mai Abends, doch dauerte er diesmal nur V^ Stunde. Durch starke Haut-
reize — kaltes Wasser, Nadelstiche — gelang es, die Kranke wieder zum
fiewusstsein zu bringen. Am Morgen darauf wieder heftige Kopfschmerzen,
über die sie übrigens auch sonst vielfach klagte; auch fiel es an jenem
Morgen auf, dass das Mädchen nicht vernehmlich sprechen konnte, sie flüsterte
und die Sprache war stockend. Sonst im Einzelnen weiter keine hysterischen
Symptome, nur im Ganzen machte sie einen nervös-hysterischen Eindruck.
Sie bestritt, Anfälle wie die am 29. und 31. Mai schon früher gehabt zu
haben, doch machte es den Eindruck, dass das Mädchen dies verheimlichte,
um ihre Stellung nicht zu verlieren.
Da das Ohrenleiden sich unter unserer Behandlung (JGI3) nicht besserte,
— rechts: Totaldefect, spärliche Eiterung; beim Abspülen öfter weissliche
Cholesteatommassen, die auch in der Tiefe von vorn und oben her immer
wieder in das Gesichtsfeld traten — , schritt ich am
9. Juni 1898 zur Radicaloperation rechts. 60 gr Chloroform.
Cholesteatom des Recess. epitymp. und der Paukenhöhle. Hammer fehlt,
Amboss gesund ; Steigbügel ohne Platte mit entfernt, zwischen den Schenkeln
cholesteatomatöse Masse. Sinus vorgelagert, in doppelter Linsengrösse frei-
gelegt. — Ende August Wundböble völlig epidermisirt. Am 16. September
nahm ich den plastischen Verschluss der retroauriculären Oeffnung vor, am
27. September wuide das Mädchen völlig geheilt entlassen.
Bis zu diesem Zeitpunkte war vom Moment der Radicaloperation an
kein Krampfantall mehr zu beobachten, auch sonstige hyste-
rische Erscheinungen fehlten, und die Klagen über Kopfschmerzen
und Schwindel waren auch verschwunden. Schwindel hat sich allerdings jetzt
— August 1901 — , wie ich von ihrem Dienstherrn erfahre, wieder eingestellt,
doch wird dieser von dem behandelnden Arzte mit Bleichsucht erklärt.
VIII. Hedwig K., 21 Jahre alt. — Von frühester Kindheit an im An-
schluss an Masern Ohrenlaufeu beiderseits bis zum 10. Jahre, seitdem nur
noch schwerhörig. Am 17. Juni 1897 wurde sie zum ersten Male ambulant
bei uns untersucht. Starkes Sausen, links > rechts, Schwinde), schwerhörig;
beiderseits grosser trockener Defect. Flüstersprache rechts 2—3 m, links
nicht gehört. Mitte Mai 1898 wieder beiderseits Ohrenlaufen, Ursache des
Ruckfalls unbekannt. Im Juni trat sie deshalb wieder in unsere Behand-
lung, zunächst ambulant; Abspülungen mit JCJs. Weder die Eiterung noch
die subjectiven Beschwerden — Kopfschmerzen, Schwindel — besserten sich ;
der Schwindel nahm sogar zu, bei Romberg starkes Schwanken bis zum
Neurosen und Warzenfortsatzoperationen. 229
Fallen; beim plötzlichen Aufstehen vom Stuhle tritt erhebliches Schwanken
ein, sodass sie sich festhalten muss, um nicht zu fallen.
Am 23. August 1898 Radicaloperatlon beiderseits in einer
Sitzung. Gesammtdauer "^ja Stunden, nur 40 gr Chloroform. Rechts Garies
der medialen Antrum-Wand , links Garies des Tegmeu tympani et an tri, so-
wie der medialen Antrum-Wand. Rechts wird der vorgelagerte Sinus in
Hanfkorngrösse , links nach oben und hinten die Dura in Linsengrösse
freigelegt.
Anamnestiscbes über das hysterische Leiden: 1896 von einem leeren
Wagen überfahren. Keine erhebliche Verletzung, wohl aber heftiger Schreck,
in dessen Folge sie einen Erampfanfall bekam. Ohreneiterung soll damals
nicht bestanden haben, aber die subjectiven Beschwerden, Sausen, Schwindel
und Kopfschmerzen, sollen seitdem bestehen. Die Krampfanfälle wiederholten
sich damals täglich, 3 Wochen lang hatte sie gleichzeitig die Sprache ver-
loren. Allmählich wurden die Krämpfe seltener, doch wiederholten sie sich
mindestens alle 4 Wochen. Ausserdem verlor sie seit dem Unfall jährlich
4 Mal auf 14 Tage die Sprache, etwa in jeder Jahreszeit einmal. Letzte
aphasische Periode im Juni 1898. — Vom 17. Mai— 14. Juli 1897 lag sie in
der Charit^ auf der Krampfabtheilung mit der Diagnose „Hysterie'*. In dieser
Zeit wurden hysterische Krampfanfälle beobachtet am 19. Mai, 14. Juni und
23. Juni. — Bisweiien sprach sie tonlos und behauptete, nur flüstern zu
können. — Zweite Gharit^- Aufnahme am 20. Juni 1898, zunächst Abtheilung
tür Geschlechtskranke, wegen Gonorrhoe; am 28. Juni Verlegung zur Krampf-
abtheüung, weil wieder Krämpfe aufgetreten waren. Hier Anfälle am 29. Juni
(9. Juli nur Wadenkrämpfe) und am 25. Juli: bewusstlos, Zungenbiss.
Auf der Ohrenstation, wohin sie am 20. August verlegt wurde, machte
sie zeitweise einen verwirrten Eindruck; die Sprache war stockend, näselnd,
vielfach unverständlich; der Gang war schwerfällig, langsam, schwankend.
Die Operation führte ich am 23. August, also zu einer Zeit aus, um welche
nach den bis dahin gemachten Erfahrungen ein Krampfanfali spätestens
wieder zu erwarten gewesen wäre. Dieser Anfall blieb aber aus, ja, es
trat bis zum 4. November 1898 kein hysterischer Anfall wieder
auf, sodass die Kranke also Vj^ Monat ohne Anfall geblieben ist. Hierin
darf gewiss eine Besserung ihres hysterischen Zustaudes erblickt werden;
ich kann hinzufügen, dass das Mädchen, nachdem die unmittelbaren Folgen
der Operation überstanden waren, auch eine ganze Zeit lang einen weniger
verwirrten, ruhigeren Eindruck machte als vor der Operation. Im October
freilich stellten sich andere hysterische Erscheinungen ein: feinschlägiger
Tremor der Hände, zeitweiliges starkes Zittern der ganzen Vorderarme,
Analgesie des rechten Arms, monoculäres Doppeltsehen. Die Kranke wurde
daher, nachdem gegen Ende October beide Wundhöhlen epidermisirt waren,
am 4. November 1898 nach der Anstalt in Wuhlgarten übergeführt. Dort ist
sie bis 13. Januar 1899 geblieben; Tremor und Sensibilitätsstörangen (An-
ästhesie und Analgesie rechts, Hyperästhesie links) wurden auch in W. weiter
an ihr beobachtet, daneben Ataxie der Arme und Beine und fortschreitende
Imbecillität. Krampfanfälle sind aber, bis auf einen Schreikrampf, auch
dort nicht mehr aufgetreten.
Sehliesslieh lasse ich noch 2 Krankengesehichten folgen, in
denen es sich hinsichtlich der complicirenden Krankheit zwar
nicht nm eine eigentliche Nenrose, aber doch um ein der ner-
vösen, bezw. nervös-psychischen Sphäre angehöriges Leiden han-
delte, welches nach der Mastoidoperation in seiner Erscheinungs-
weise ebenso wie die bisher aufgeführten Neurosen eine augen-
föUige Aenderung erkennen liess.
IX, CowpLicirendes Leiden: Menslruales Irresein,
Else 6., 18 Jahre alt. Erblich belastet: Vater f, litt an Verfolgungs-
wahnsinn, Mutter „nervös'*. Als Kind war sie still, gab sich mit anderen Kin-
230 XII. MÜLLER
dem nicht ab. In der Schale lernte sie schwer. Seit dem 14. Lebensjahre
Menses regelmässig alle 4 Wochen, 4 Tage anhaltend. Yon der ersten lien-
Btroation an stellten sich mit den Menses Angstzustände ein: sie hatte die
Vontellnng von Thieren, die schrien nnd sie von hinten packten und bissen.
Beschreiben kann sie die Thiere nicht; sie habe sie ja nie gesehen, da sie
immer ?on hinten k&men. Andere Male hat sie das GefCÜil, als ob sie Jemand
anfasste nnd zu Boden reissen wollte. Sie l&nft dann ängstlich in der Stube
hemm und schreit. Nachts kann sie deshalb oft nicht schlafen. Mit dem
Aufhören der Menses schwinden diese Vorstellungen. In der Zeit zwischen
den Menses fühlt sie sich ganz gesund. — Ohrenleidend ist sie seit dem 2. Le-
beosjahre: Otorrhoe rechts nach Masern, mit Remissionen bis jetzt anhaltend.
Im December 1897 wurde sie nach der Irrenanstalt in Wahlgarten ge-
bracht. Von dort kam sie am 14. October 1898 wegen der seit 8 Wochen
wieder stärker aufgetretenen Ohreiterung zu uns.
Rechtes Ohr: Spärliche, übelriechende Eiterung, fast Totaldefect, oberer,
verdickter Rest; Paukenschleimhaut granulirt. — Heftige Kopfschmerzen, be-
sonders in der rechten Kopfhälfte, zeitweise Schirindel, kein Sausen.
3. November 1898 Radicaloperation rechts. 60 gr Chloroform. Starke
Knochenblutung. Caries der medialen Antrumwand und desTegmen antri et
tympani. Am Tegmen antri wird die Dura in doppelter Linsengrosse frei-
gel^. Hammer und Amboss gesund, in Granulationen, wie solche die ganze
Paukenhöhle ausfüllen. — Regelrechter Wundverlauf; am 22. Februar 1899
war die WnndhOhle völlig und fest epidermisirt.
Seit der Operatio*n sind Anfälle von menstrualem Irresein bi-e
Knde Februar 1899 nicht wieder aufgetreten. Die letzten Menses
mit Verfolgungsideen waren 8 Tage vor der Aufnahme in die Charit^ dage-
wesen. Die ersten Menses auf der Ohrenstation traten am 6. November,
3 Tage nach der Operation, auf; diese und die folgenden drei Menstruationen
waren von dem Irresein, das bei den bisherigen Menses nie gefehlt hatte,
nicht begleitet; überhaupt war während der Periode und auch in den Inter-
vallen an dem Mädchen nichts psychisch Auffälliges zu entdecken.
Ob später wieder Wahnideen aufgetreten sind, kann ich leider nicht
berichten.
Als Gegenstück zu der vorstehenden Krankengeschichte liegt mir die
eines 22 Jahre alten Kaufmanns Richard H. vor. Der Mann lag wegen (chro-
nischer) Paranoia auf der Irrenstation der Charit^. £r erkrankte am 5. No-
vember 1898 in Folge von Erkältung an rechtsseitiger Mittelohreiterung, die
so schnell unter alarmirenden ErscheinuDgen auf den Warzenforsatz über-
griff, dass bereits am 14. November das Autrum aufgemeisselt werden musste':
Antrum und die benachbarten Warzenfortsatzzellen voll Eiter; Sinus und
Dura wurden nicht freigelegt. 70 gr Chloroform. Am 3. März 1899 war die
Wunde geheilt. — Auf die Wahnideen des Kranken hat die Operation auch
nicht den geringsten Einfluss ausgeübt.
X, Complicirendes Leiden: Multiple Sklerose des Gehirns
und Rückenmarkes, \
Johann B., 27 Jahre alt. — Seit dem 6. Lebensjahre beiderseits Ohren-
laufen, Ursache unbekannt. 1896 specialistische Behandlung, dadurch Hei-
lung rechts, links blieb die Eiterung. Ungefähr um dieselbe Zeit stellte sich
eine gewisse Schwäche in beiden Beinen ein, die im Herbst 1897 plötzlich
zunahm und am Id. November 1897 den Mann zur Einstellung der Arbeit
zwang. Erbliche Belastung und Lues sind als ursächliche Momente auszu-
schliessen; dagegen kann erwähnt werden, dass der Mann viel mit Blei zu
thun ffehabt hatte; 1886 hatte er ausserdem Gelenkrheumatismus überstanden.
Vom 17. November 1897 an lagB. im Krankenhause inSenftenberg; da
aber die nervösen Erscheinungen sich rasch verschlimmerten, kam er am
12. Januar 1898 in die Charit^ (I. medic. Klinik). Die Hauptsymptome, die
er jetzt darbot , waren : Kopfschmerzen, Schwindelgefühl. Intelligenz unge-
trübt. Ruhelage der Glieder normal. Muskelkraft erhalten. Patellarreflex
beiderseits stark erhöht, Fussklonus. Keine Sensibilitätsstörungen. Zunge
Neurosen und Warzenfortsatzoperationen. 231
gerade herausgestreckt, zittert nicht. Pupillen weit, beiderseits gleich, reagiren
träge auf Licht, besser auf Gonvergenz. Bisweilen geringer Nystagmus.
Augenhiutergrund ohne Besonderheiten. Kleine Gegenstände vermag er mit
den Fingern nicht prompt zu ergreifen, die Hände schiessen öfter darüber
hinaus, aber kein Intentionszittern. Viel stärker sind die ataktischen Erschei-
nungen an den unteren Gliedmaassen. Der Mann kann nur mit Hälfe eines
Stockes gehen. Der ganze Patient ist im Stehen fortwährend in einer
schüttelnden Bewegung; lässt man ihn die Augen schliessen, so tritt heftiges
Schwanken ein, bisweilen bis zum Hinfallen, sogar trotz der Hülfe des Stockes.
Der Gang ist gespreizt und anstrengend, aber nicht stampfend; die Beine
werden unter heftigem Tremor der ganzen unteren Gliedmaassen nach vorn
geschleudert, wobei sich folgende einzelne Tempi unterscheiden lassen:
zögerndes Vorsetzen des rechten Beins, schnelles Nachziehen des linken,
kurze Pause. Kehrtwendungen werden nach rechts und links vorsichtig und
im Bogen, aber leidlich sicher ausgeführt. — Diese Symptome waren in ihrer
Stärke wechselnd, eine dauernde Besserung trat aber zunächst nicht ein,
eher war bis Anfang April eine allmähliche Zunahme der Erscheinungen zu
verzeichnen.
Wegen der linksseitigen Mittelohreiterung kam B. seit Februar ambulant
zur Ohrenstation. Rechtes Trommelfell atrophisch, grosse centrale Narbe.
Links Totaidefect des Trommelfells, Paukenschleimhaut wulstig, roth, feucht,
die ganze Tiefe verquollen, stinkende Eiterung. Flüsterprache rechts fast
normal, links nicht gehört. ,
9. April 1898. Radicaloperation links. 75 gr Chloroform. — Me-
diale Antmmwand, laterale Recessuswand und langer Ambossschenkel
cariös ; Hammer gesund, in dicke Granulationen gebettet Dura nach oben hin
in '/4 qcm Grösse freigelegt. — Ende Juli war die Wundhöhle völlig epidermisirt.
Am 20. April 1898 bereits fiel es auf, dass der Gang des Mannes
zweifellos sicherer war als vor der Operation. Er konnte gut ohne
Stock gehen und Kehrtwendungen ziemlich rasch und ohne nennenswerthe
Schwankungen ausführen. Besonders konnte er auch besser stehen; die
schüttelnden Bewegungen beim ruhigen Stehen fielen zeitweise ganz fort.
Dieses Nachlassen der krankhaften Symptome unterschied sich von
den früher mehrfach verzeichneten Besserungen dadurch, dass es nicht innerhalb
Stunden oder eines Tages vorüberging, sondern von längerer Dauer war.
Zwar klagte der Mann am 11. Mai bereits, dass sein Gang wieder unsicherer
werde und das Schwindelgefühl wieder zunehme, gleichwohl konnte er noch
am 30. Juni ohne Stock gehen.
Durch geeignete Behandlung auf der inneren Klinik — üebungen im
Gehstuhl, warme Bäder, Brompräparate u. s. w. — wurden einzelne Erschei-
nungen zeitweise sogar noch weiter gebesserL Im August aber trat wieder
eine Wendung ad peius ein, und von da an schritt die Verschlimmerung un-
aufhaltsam weiter fort. Am 24. August wurde am rechten Auge partielle
Sehnervenatrophie und beiderseits starke Herabsetzung der Sehschärfe fest-
gestellt (s rechts«——, links =» -r--- ) . Später (17. November) Nystagmus,
\ 10 2,5 /
am 23. December Strabismus convergens, Parese des rechten Abducens. In
den nächsten Monaten nahm das Gehvermögen ab, der Mann konnte kaum
noch mit 2 Stöcken und schliesslich nur noch im Gehstuhl gehen. Im No-
1 1
vember 1899 Nystagmus rotatorius, S rechts = —- ( — 2 D), links =» -^-- (— - 3 D) ;
lU ^u
Papillen beiderseits von unregelmässiger Form, sehr blass, links > rechts,
ziemlich scharf begrenzt, deutlicher Ghorioidalring, Arterien verengt. Mitte
Januar 1900 beiderseits völlige Atrophie des Nervus opticus, Papillen un-
regelmässig gezackt, Farbe grünweiss. Schon früher war auch deutliches
Intentionszittern hinzugetreten, desgleichen Störung — Schwerfälligkeit —
der Sprache. — Am 27. October 1900 ungeheilt in die Heimath entlassen.
Unbestreitbar ist die Thatsache, dass in den vorstehend ge-
schilderten 10 Fällen naoh der Ohrenoperation das neben der
Archiv f. Ohrenheillcande. LIV. Bd. ' 16
232 XII. MÜLLER
Ohrenkrankbeit vorhandene Nervenleiden eine auffallende Aende-
mng in aeiner Enielieiniingsweise erkennen liess, eine Aenderung,
die in einem Falle (III) gleichbedeutend vrar mit Heilnng, in
allen anderen Fällen aber zum mindesten eine — wenn anch
nur vorflbergefaende — BesBernng bedeutete.
Dass es sich dabei nur um ein rein zeitliches, zufälliges
Folgeverhältniss handeln sollte, ist nicht anzunehmen. Dazu
ist die Aenderung in den Aeusserungen des Nervenleidens nach,
und zum Theil unmittelbar nach der Operation denn doch
zu auffallend (s. bes. Fall 11— V). Vielmehr darf ich wohl mit
Recht behaupten, dass bei allen 10 Kranken die Besserung des
Nervenleidens auf den Einfluss der Ohrenoperation ursächlich
zurückzufbhren war.
Da läge zunächst die Annahme nahe, dass das Nervenleiden
eine Folge der Ohrenkrankheit gewesen wäre, und dass dann
mit der beseitigten Ursaclfe, dem Ohrenleiden, auch die Folge,
das Nervenleiden, zum Schwinden gebracht worden wäre. Dass
ein solcher Zusammenhang an und fßr sich nicht undenkbar ist,
dafQr sprechen ja die Eingangs erwähnten Heilungen solcher
Leiden, die man — mit Eitelberg (L c.) — als vom Gehör-
organ ausgelöste „Refiexerscheinnngen'^ anfgefasst hat, und die
mit Beseitigung des Ohrenleidens gleichzeitig zur Heilung ge-
kommen sind. Auch unser Fall I könnte fQr eine solche An-
nahme in Anspruch genommen werden, weil dort im Jahre 1896
im Anschluss an eine Behandlung der Ohreneiterung einmal ein
10 wöchiges Aussetzen der epileptischen Anfälle constatirt wor-
den war. Die zeitlichen Verhältnisse würden gegen diese Ab-
hängigkeit der Nerven- von der Ohrenkrankheit nicht sprechen,
da in allen unseren Fällen die Obrenaffection länger bestand
als das Nervenleiden.
Gleichwohl dürfte für unsere Kranken dieser ursächliche
Zusammenhang nicht anzunehmen sein. Gegen einen solchen
Zusammenhang spricht schon die Thatsache, dass das Nerven-
leiden ja nicht geheilt, sondern nur gebessert, theilweise sogar
nur vorübergehend gebessert wurde ; dagegen spricht ferner der
Umstand, dass die Besserung des Nervenleidens sich unmittel-
bar nach der Operation geltend machte, zu einer Zeit also, wo
die Heilung des Ohrenleidens zwar in Angriff genommen, aber
noch lange nicht vollendet war. Und wenn in unserem Falle V
ausdrücklich gesagt ist, dass der eiste hysterische Anfall sich
an eine Ohrenoperation angeschlossen habe, so liegt auch hierin
Neurosen und Warzenfortsatzoperationen. 233
kein Beweis für die ursächliche Abhftngigkeit der Neurose von
der Mittelohreiterung, sondern es wäre dann eben, falls die An-
gabe überhaupt richtig, jene kleine Operation nur der Anstoss
zum ersten Auftreten der hysterischen Erscheinungen gewesen.
Eine Sonderstellung könnte vielleicht unserem Fall III ein-
geräumt werden. In jüngster Zeit hat nämlich Frölich in
einer Norwegischen Zeitschrift i) Beobachtungen veröffentlicht,
dahingehend, dass unter 47 Fällen von Chorea SO^/o eine infec-
tiöse Krankheit — z. B. Vulvovaginitis gonorrhoica, Endocar-
ditis, Gelenkrheumatismus — aufwiesen, die Frölich als die
Ursache der Chorea anspricht. Wenn es richtig wäre, dass in
der That Infectionskeime oder deren giftige Producte, von derlei
Infectionskrankheiten stammend, einen Einfluss auf das Nerven-
system ausüben und damit geeigneten Falles das Bild der Chorea
zu Stande bringen könnten, so müsste es statthaft sein, in un-
serem Falle III auch einmal eine otitische Chorea, von den
Keimen des Mittelohreiters ausgehend, anzunehmen. Damit
würde der fast augenblickliche Erfolg der Operation in Einklang
stehen; denn wenn auch mit der Operation noch nicht gleich
die völlige Heilung des Ohrenleidens gegeben war, so war doch
mit ihr der Infectionsherd ausgeschaltet«
Die Frölich' sehe Theorie, die meines Erachtens schon
für die Chorea ihr Gewagtes hat, auch auf die übrigen Neurosen
auszudehnen, halte ich natürlich, so lange triftige Beweise fehlen,
für unstatthaft, und ich bleibe daher bei der Annahme, dass in
unseren Fällen — vielleicht bis auf Fall III — die Ohren-
krankheit nicht die Ursache der Neurose war, dass
also auch die Besserung [der Neurose nicht „reflectorisch" be-
dingt war durch die Heilung des Ohrenleidens, dass vielmehr
andere Factoren hier zur Erklärung herangezogen werden
müssen.
^^ «
Welche Factoren aber sind dies? Im Hinblick auf das un-
mittelbar nach der Operation erfolgte Eintreten der Aenderung
in den Erscheinungen der Neurose ist es meiner Meinung nach
lediglich die Operation selbst mit ihren unmittelbaren
Folgen gewesen, wodurch der Umschwung herbeigeftlhrt wurde.
Und im einzelnen dürften da folgende 3 Punkte hervorzu-
heben sein:
1. Die Narkose und der Operations-Shok,
1) Referat s. Centralblatt für innere Medicin. 1901. Nr. 13. S. 326.J
16*
234 XU. MOLLER i
i
2. der Blatverlast und
3. der Einflass der Naohbehandlung.
Den gewaltigen Einflass der allgemeinen Narkose auf die
motorisohen Centra, selbst wenn deren EiTegbarkeit in krank-
hafter Weise hochgradig gesteigert ist, beweist die Wirkung der
Narkose bei den eklamptisohen Krämpfen der Schwangeren
und Ereissenden. Dass in ähnlicher Weise die Narkose auch
bei Epilepsie, Hysterie und Chorea auf die motorischen Sym-
ptome dieser Krankheiten Einfluss ausüben kann, liegt auf der
Hand und ist auch schon yielfach erprobt.
Neben der Narkose und ihren Nachwirkungen ist auch der
Einfluss des operativen Eingriffs auf die Psyche und auf den
Gesammtorganismus, der Operations-Shok, mit in Bechnung
zu ziehn. Gewiss ist das Vorherrschen acuter krankhafter Sym-
ptome geeignet, [andere krankhafte Erscheinungen chronischer
Art zeitweilig in den Hintergrund zu drängen; Benommenheit
und üebelbefinden nach der Narkose sowie der psychische Ein-
fluss des Eingriffs können recht wohl eine Zeit lang die Be-
thätigung der Neurose zurücktreten lassen, und da bei dem Zu-
standekommen epileptischer und hysterischer Krämpfe, aber auch
der sonstigen hysterischen Symptome psychische Einflüsse ; die
von dem subjectiven Zuthun des Kranken nicht ganz unab-
hängig sind, in gewissem Grade zweifellos mitspielen, so ist
nichts erklärlicher, als dass mit dem Zurückdrängen dieser
psychischen Einflüsse^ durch die Operations- und Narkose-Folgen
eine Zeit lang auch die durch sie bedingten oder eingeleiteten
epileptischen oder hysterischen Erscheinungen ausgeschaltet
werden.
Doch auch die Nachwirkungen der Narkose und des Opera-
tions-Shoks sind von verhältnissmässig kurzer Dauer und jeden-
falls kürzer, als in unseren Fällen die Besserung des Nerven-
leidens anhielt. Und darum müssen weitere Factoren zur Er-
klärung herangezogen werden.
Da sind der Blutverlust bei der Operation und der
Einfluss der Nachbehandlung zu nennen. Beide Factoren
kommen in ihrer Einwirkung auf die dem Schläfenbein benach-
barten Hirnpartien auf dasselbe hinaus, nur dass der erstere,
zwar intensiv, aber doch mehr vorübergehend wirkt, während
dem letzteren eine wohl weniger kräftige, dafür aber länger
dauernde Wirkung zukommt.
Erstreckten sich unsere Beobachtungen nur auf Epileptiker,
Neurosen und Warzenfortsatzoperationen. 235
SO könnte man an die Eocher'sche Theorie denken, wonach
der epileptische Anfall als die Folge einer durch plötzliche
intracranielle Druckschwanknnge n hervorgerufenen
Circulationsstörung bei abnormer Erregbarkeit gewisser Abschnitte
der Hirnrinde anzusehen ist. Dann wäre die Wirkung des Blut-
verlustes bei der Operation und des fortgesetzt drainirend auf
das Schädelinnere wirkenden Verbandes (die Schädelhöhe
war in allen unseren Fällen bis auf einen geöffnet) so zu er-
klären, dass jener erhöhte Druck im Schädel jetzt nicht mehr
zu Stande kommen könnte und deshalb die epileptischen An-
fälle ausblieben. Dem steht aber entgegen, dass erstens es
nicht erwiesen ist, dass wirklich erhöhter Hirndruck die Ursache
des epileptischen Anfalls sei ; es ist ebenso wahrscheinlich, dass
die während des Anfalls in der That vorhandene Hirndruck-
erhöhung eine Folge des Anfalls ist. Des Weiteren aber haben
wir es nur in 2 Fällen mit reiner Epilepsie zu thun, während
in den anderen Fällen nervöse Leiden vorlagen, für die jene
Himdruckerhöhung nicht als Ursache angenommen wird.
Wir müssen daher anderen Wirkungen des Blutverlustes
und des drainirenden Verbandes nachgehn. Beide haben Ver-
änderungen in der Blutversorgung der benachbarten Hirnab-
schnitte und damit indirect auch der entfernteren Hirnpartien zur
Folge. Hieraus resultiren Aenderungen in der Ernährung der
betroffenen Abschnitte. Der Blutverlust bei der Operation wirkt
hier wie ein einmaliger mächtiger Aderlass, während die Nach-
behandlung mit ihrer, die Bichtung des Säftestroms ablenkenden
oder seine Intensität verändernden, absaugenden Wirkung der
in die Wundhöhle eingeführten und auf sie aufgelegten Verband-
stücke als eine Art permanente Drainage des Schädelinnern
fortdauernd wirkt. Undmit diesen veränderten Blutversor-
gungs-, Säftestrom- und Ernährungsverhältnissen der
Nervenelemente wird auch eine Aenderung ihrer Func-
tion einhergehen.
Hinsichtlich der hier in Rede stehenden Wirkung des Ver-
bandes erscheint mir unser Fall X von besonderem Interesse.
Hier lag nicht eine reine Neurose, sondern eine Gehirnkrank-
heit vor, deren pathologisch-anatomisches Substrat wir kennen.
Gerade auf die entzündlich formativen Vorgänge in dem feinen
interstitiellen bindegewebigen Stützgerüst des Gehirns musste
der gewaltige Aderlass bei der Operation und die weitere Be-
einflussung des Gehirns durch die dauernde Drainage des
236 XII. MÜLLER
absaugenden Verbandes von besonders grosser Wirkung sein,
da dieser entzflndlichen Neubildung kleiner bindegewebiger
Herde byperämisehe Zustände und in deren Folge eine ge-
wisse Ueberern&hrung im Bereiche dieser Hyperämie zu
Grunde liegen. Dem entsprach durchaus das klinische Bild:
der Einfluss der verminderten Ernährung auf die bisher über-
ernährten Stellen musste zunächst zu einem Stillstand des krank-
haften Processes und bei längerem Anhalten zu einer Rückbil-
dung und Schrumpfung an den entzündlichen Herden f&hren.
Dies konnte aber nicht an einem Tage geschehen, sondern
brauchte einige Zeit, und so wurde denn auch erst 11 Tage
nach der Operation eine Besserung der nervösen Symptome be-
merkt. Aber natürlich hielt die Besserung nur so lange an, als
die Nachbehandlung der Operationswunde einen Einfluss auf die
Ernährung der Entzündungsherde auszuüben vermochte ; und so
sehen wir mit dem Schwinden dieses Einflusses die Krankheits-
symptome wieder hervortreten und das schwere Nervenleiden
seinen üblichen Fortgang nehmen.
Der geschilderte, aus unseren Factoren 2 und 3 resultirende
Einfluss der Ohrenoperationen unmittelbar auf das benachbarte
Gehirn selbst als den Sitz der Neurose ist auch dasjenige Mo-
ment, welches unsere Fälle von anderen Fällen jener Art, wie
sie Maclaren ^) beschrieben hat, unterscheidet. Maclaren
spricht von Epileptischen, bei denen wegen Gelenkerkrankungen,
Krebses u. s. w. grosse Operationen an Eörperstellen, die dem
Kopfe nicht benachbart waren, ausgeftahrt worden sind mit dem
Erfolge, dass die Anfälle darnach längere Zeit aussetzten oder
ganz verschwanden. Mag dort ein „reflectorisches*' Verhältniss
obgewaltet haben, mag vielleicht zufällig mit der Operation eine
periphere Narbe entfernt worden sein, die zu den Krämpfen in
Beziehungen stand — es ist hier nicht der Ort, zu untersuchen,
welche Factoren dort mitgesprochen haben, ebensowenig auch,
zu prüfen, ob die Fälle ganz einwandsfrei beobachtet sind, zu-
mal mir die Originalarbeit nicht vorliegt — , soviel ist sicher: es
kann dort von einer directen Beeinflussung des Central-
nervensystems nicht die Rede sein, während in unseren
Fällen eine solche im Gegensatz zu dem bloss „reflecto-
rischen^ Einfluss als erwiesen zu betrachten ist.
Neben den beschriebenen 3 Hauptheilungsfactoren wären
1) Ediob. medic. Journ. 1875. Januar, citirt in v. Bergmannes „Die
«hirurgische Behandlung von Hirnkrankheiten''. 3. Aufl. S. 388.
Neurosen und Warzenfortsatzoperationen. 237
vielleicht noch zwei andere Paukte, die aber offenbar nur von
nebensächlicherer Bedeutung sind, zu erwähnen.
Man könnte an den Einflass der Suggestion denken: dem-
gegenüber muss ich betonen, dass eine Suggestion der gleichzei*
tigen Heilung des Nervenleidens mit der Operation unsererseits
in keinem Falle stattgefunden hat, da wir vor dem Eingriff selbst
nicht an die Möglichkeit dieser Wirkung der Operation gedacht
haben.
Man könnte ferner an einen Einfluss des Hämmerns
bei der Operation denken. Dass das ^^Verhämmern^ gewisse
Erscheinungen von Seiten des Nervensystems auslösen kann, ist
bekannt, und in der That war der Knochen in mehreren Fällen
so sklerotisch, dass ein kräftiger Gebranch des Hammers nöthig
wurde. Gleichwohl dürfte hier das Hämmern kaum in Frage
kommen, da von ihm, wenn überhaupt irgend welcher, dann
eher ein verschlimmernder als ein bessernder Einfluss auf ein
krankes Centralnervensystem zu erwarten sein dürfte.
Nicht jede Neurose wird durch eine Operation am Schädel
günstig beeinflusst. Mir scheint das Alter der Patienten
und das Alter der Neurose für die Wirksamkeit oder Un-
wirksamkeit der Operation eine Bolle zu spielen.
Unsere Kranken waren sämmtlioh in verhältnissmässig
jugendlichem Alter; dieses schwankte zwischen 15 und 23
Jahren, nur ein Kranker, der mit der multipleu Sklerose, war
27 Jahre alt.
Und was das Alter des nervösen Leidens in unseren Fällen
anlangt, so bestand dieses zur Zeit der Operation nur in einem
Falle schon seit 4 Jahren, in 3 Fällen seit 3 Jahren, in 5 Fällen
seit 2 Jahren oder noch kürzerer Frist, in 1 Falle (VII) war
Genaueres nicht feststellbar. Hiernach scheint es, als ob das
jugendliche Alter von 15 — 23 Jahren bei nicht zu
langem Bestehen des Nervenleidens (nicht über 4 Jahre)
die günstigsten Chancen hinsichtlich der Besserung der Neurose
durch die Mastoidoperation böte.
Unsere Beobachtungen lenken die Aufinerksamkeit von
Neuem auf die operative Seite der Neurose-Therapie.
Für die Epilepsie sind ja die Versuche einer operativen Heilung
uralt 1), und auch Psychosen, besonders traumatischer Natur,
hat man vielfach chirurgisch zu behandeln versucht, wobei —
1) Siehe Y.Bergmann, Die chir. Beh. v. Hirnkrankh. 3. Aufl. S. 386ff.
238 XII. MÜLLER
naeh v. Bergmann — den Aerzten die Idee der endocraniellen
Drnekentlastnng Yorschwebte. Die Operationen sind bei der
partiellen (Jaokson'soben) — traumatiseben und nicbttran-
matiseben — Epilepsie und bei Reflexepilepsien sowie bei nicht
epileptisoben Hirnerkrankungen traumatischen Ursprungs, bei
denen man den erkrankten Hirnbezirk kannte und in Angriff
nehmen konnte, vielfach von Erfolg gewesen. Im Uebrigen
aber waren die cbirurgischen Ergebnisse wenig befriedigend.
Ich meine, dass an diesen Misserfolgen, zum Theil wenigstens,
die falschen Yorausetzungen Scbuld waren, von denen man bei
der Operation ausging, insbesondere die erwähnte Idee von der
Nothwendigkeit einer intracraniellen Druckentlastung. Nicht
diese ist meines Erachtens das Wesentliche und Maassgebende,
sondern, wie oben erörtert, der Einfluss des drainirenden
Verbandes auf die Blutversorgung und den Säfte-
strom in den seiner Einwirkung zugängigen Hirnpartien, die
daraus hervorgehende veränderte Ernährung der ner-
vösen Elemente und die damit im Zusammenhange stehende
veränderte Function dieser Elemente.
Diesem Gesichtspunkte sollte in Zukunft beim ope-
rativen Vorgehen gegen Neurosen mehr Rechnung
getragen werden. Und das könnte in doppelter Hinsicht
geschehen: Einmal bei allen Hirnoperationen, die nach den bis-
her geltenden Anschauungen und Indicationen zur Heilung von
Neurosen gerechtfertigt sind, indem dabei alle Punkte, die eine
stärkere Drainage des Schädelinnern und besonders der
Hirnrinde gewährleisten, hervorragend berücksichtigt werden :
Verwendung stark hydrophilen Verbandmaterials, häufiger Wech-
sel des Verbandes, Einschnitte in die Dura, event. auch in die
Hirnrinde, sorgftltige Drainirung gerade dieser Einschnitte durch
vorsichtiges Einschieben feiner Gazestreifen, thunlichst lange
Aufrechterhaltung der drainirenden Wirkung des Verbandes
u. s. w. Bei Beobachtung dieser Maassnahmen könnte sogar
von der Abtragung der als erkrankt vorausgesetzten oder
gefundenen' Hirnpartien zunächst Abstand genommen
und der Erfolg jenes einfach ableitenden Verfahrens abgewartet
werden. Sollte es so ganz von der Hand zu weisen sein, die
erfolgreichen Epilepsie-Operationen Pöchadre's, die dieser ohne
Rinden-Excision erzielte i), mit jenem Einfluss der Operation
1) Y. Bergmann, 1. c. S. 428.
Neurosen und Warzenfortsatzoperationen. 239
auf die Ernährung und die Function der Hirnrinde zu er-
klären? — Zweitens aber könnte auf jenen Gesichtspunkt auch
bei Sohädeloperationen, die nicht direet zur Heilung der Neu-
rose, sondern aus anderen Gründen vorgenommen werden,
speciell eben auch bei Warzenfortsatzoperationen, Be-
dacht genommen werden, falls gleichzeitig eine Neurose vor-
liegt: man sollte dann die Freilegung des Schädelinneren
nicht ängstlich vermeiden, sondern im Gegentheil in
einer mit der Operation an sich in Einklang zu bringenden
Form anstreben und durchführen. Hieraus aber ergiebt sich
zum Schluss ganz von selbst noch einmal das eine: Das Vorhan-
densein einer Neurose bei gleichzeitiger Mittelohreiterung ist
keine Contraindication gegen die operative Behandlung des
Ohrenleidens, sondern kann unter Umständen sogar den Aus-
schlag zu Gunsten des operativen Vorgehens geben.
XIII.
AcQte Hittelohreitenmg bei emem Diabetiker. Bogengangs-
llstel. Periarücnlärer SenknngsabsGess am Kiefergelenk.
Dr. A. Ephraim in Breslau.
Dr. jar. 6. H., 42 Jahre alt, seit einigen Jahren Diabetiker m&Bsigen
Grades, erkrankte im Januar 1900 an Influenza, im Anschluss an dieselbe an
sdir schmerzhaftem und mehrere Wochen andauerndem Stirnhöhlenkatarrh.
Am 18. Februar traten Schmerzen im rechten Ohr ein, gegen welche vom
Hausarzt Eingiessungen, Eisbeutel u. dergl. verordnet wurden.
Als ich am 22. Februar den Patienten zum ersten Male sah, war das
Trommelfell bereits spontan hinter dem Umbo perforirt, Proc. mast an der
Spitze und dicht oberhalb derselben leicht druckempfindlich. Breite Para-
centese. Unter der zun&chst eingeschlagenen Trockenbehandlnng nahm die
Eiterung zu, auch traten diffuse rechtsseitige Kopfschmerzen auf. Temperatur
normal. Nochmalige Paracentese ohne Einfluss. Dann spalte ich t&guch die
Paukenhöhle durch den Katheter mit sterilem Wasser durch. Nach wenigen
l'agen verminderten sich die Kopfschmerzen; auch die Eiterung wurde ge-
ringer, ohne jedoch g&nzlich zu sistiren.
7. April. Ziemlich plötzlich aufgetretene, starke Schmerzen in und hinter
dem rechten Ohr; P. m. zeigt starke Köthung und deutliche Schwellung. Tem-
peratur 38,2^. Die Eröffnung des Warzenfortsatzes wird beschlossen, aber noch
aufgeschoben, weil der Urin einen reichlichen Acetongehalt aufweist. Nach-
dem dieser in Folge von Zufuhr von Kohlehydraten völlig geschwunden,
9. April Operation. Der Warzenfortsatz, dessen Corticalis oberhalb
der Spitze perforirt ist, enthält eine einzige, grosse, von Eiter erfüllte Höhle.
Sinus, von Granulationen bedeckt, liegt frei. Fistel der knöchernen hinteren
Gehörgangswand.
Fieberfreier und zunächst auch sonst normaler Heilungsverlauf. Später
jedoch kommen aus der Tiefe grössere Eitermengen, auch die Eiterung aus
der Pauke nimmt wieder zu.
6. Mai. Eine feine Fistel an der medialen Antrnmwand führt in eine
eitergefülle, etwa erbsengrosse Zelle. Dieselbe wird freigelegt. Sie wird me-
dialwärts vom horizontalen Bogengang begrenzt, der eine stecknadelkopfgrosse
Fistel zeigt, welche langsam Lymphe austreten lässt. — Nun erfolg^ bei fort-
bestehender Eiterung aus der Pauke schneller Schluss der Wunde; indess per-
sistirt in derselben eine kleine Fistel, die beständig, aber wenig eitert. £r-
weiterunf^ der TrommelfeUperforation durch Aetzung ohne Einfluss auf die
Paukeneiterung.
Da bedrohliche Erscheinungen nicht vorhanden sind, das Allgemeinbefin-
den des Patienten aber gelitten hat, geht derselbe in einen nahe gelegenen
Gebirgsort Nach einiger Zeit nimmt dort die Eiterung zu, auch treten Kau-
beschwerden auf, die nicht in Schmerzen, sondern in der Empfindung be-
stehen, dass der Kanthätigkeit sich ein Hinderniss in der Gegend des rechten
Kiefergelenks in den Weg steUt. Zugleich auch abendliche leichte Tempe-
raturerhöhungen (37,6—38^). Deshalb kehrt Patient zurück.
22. Juli. An der Grenze der knorpeligen und knöchernen unteren Gehör-
ganffswand grosse polypöse Granulation; im Uebrigen unveränderter Befund.
Nach Entfernung der Granulation mittelst der Schlinge entleert sich etwa
1 ccm Eiter; die Sonde weist rauhen Knochen nach.
Acute Mittelohreiterong bei einem Diabetiker. 241
23. Juli. In Bromäthylnarkose Ausschabung der Granulationen, wobei
sich wiederum eine erhebliche Menge Eiter entleert. Darauf wird durch Ent-
fernung des lateralen Theils der unteren knöchernen Gehörgangswand eine
grosse Abscesshöhle freigelegt. Lockere Tamponade. Abends: 36,7^.
In dieser Höhle ist die hintere Peripherie der Eiefergelenkkapsel sicht-
bar; durch dieselbe hindurch können die Bewegungen des Unterkieferkopfes
verfolgt werden. Auch nach sorgfältiger Ausspülung der Höhle werden durch
Kaubewegungen geringe Eitermengen aus der Tiefe zu Tage gefördert. Eine
abgebogene Sonde dringt um die hintere Peripherie der Gelenkkapsel in me-
dialer Bichtung ziemlich weit vor; ihre iSpitze kann vom Munde aus durch
die rechte Tonsille, die weder vorgewölbt noch sonst verändert ist, deutlich
durch eine ziemlich dicke Gewebsschicht hindurch gefühlt werden.
Seit der Eröffnung dieser Abscesshöhle sistirte die Eiterung sowohl aus
der Pauke, wie aus der Fistel der Operationswunde völlig; die Temperatur
blieb seitdem stets normal. Auch die Kaubeschwerden verschwanden sogleich.
Die weitere Behandlung bestand zunächst in Ausspttlungen der reichlich
Eiter producirenden Höhle mit Borwasser und Injectionen von Jodoform-
glycerin. Als nach 3 Wochen keine Verminderung der Eiterung erfolgte, wurde
Formalin in steigender Goncentration (1 — 5 pro mille) eingespritzt. Der Erfolg
dieser Injectionen, welche regelmässig ein leichtes, aber schnell vorübergehen-
des Brennen hervorriefen, war augenscheinlich. Die Eiterung nahm sogleich
ab, um Ende August dauernd zu sistiren. Bald schloss sich auch die Wunde
der unteren Gehörgangs wand.
20. September. An der letzteren eine kleine feste Narbe. Operations wunde
am P. m. völlig vernarbt. Trommelfell und Gehör normal.
Die vorstehend angefahrte Beobachtung erscheint mir aus
mehreren Gründen bemerkenswerth. Zunächst wegen der Affeo-
tion des horizontalen Bogenganges. Dass Fisteln desselben
bei chronischen Eiterungen, insbesondere beim Cholesteatom, ziem-
lich häufig vorkommen, ist ja in den letzten Jahren immer be-
kannter geworden; bei den acuten scheinen sie recht selten
aufzutreten. Die 121 Beobachtungen Jansen'sO beziehen sich
sämmtlich auf chronische Eiterungen; bei acuten hat er nur
dreimal am verticalen Bogengang Caries angetroffen, und dies
waren sämmtlich Fälle, die schwere Complicationen (Tuber-
culose, ausgedehnten Extraduralabscess und Ärachnitis puruL)
zeigten. Die 7 Fälle Stenger's^) betreffen gleichfalls nur
chronische Fälle. Lucae^) beschreibt unter 32 Fällen von
cariösen Defecten am horizontalen Bogengang zwei, die bei sub-
acuten (3 resp. 5 Monate bestehenden) Eiterungen sich fanden.
— In unserem Falle hat die Affection des Bogenganges zur
Zeit der Operation vielleicht noch nicht bestanden, sondern mag
erst später durch Progredienz von der benachbarten, zunächst nicht
eröffneten Zelle des Warzenfortsatzes entstanden sein. Laby-
rinthäre Symptome fehlten völlig, die vorhandenen subjectiven
Gehörsempfindungen Hessen die hierfür charakteristischen Eigen-
1) Dieses Archiv. Bd. XLV. S. 193. 2) Ebenda. Bd. L. 8.79.
3) Ebenda. Bd. XLYII. S. 92.
242 XIII. EPHRAIM
sehaften yermissen; Nystagmus trat ebensowenig wie Schwindel
auf. Der Grand hierzu ist, worauf Luoae (1. o.) hinweist, wohl
sicherlich in dem geringen und sehr allmählichen Abfluss von
Labyrinthflflssigkeit zu suchen, wie sie bei eariösen Defecten
im Gegensatz zu den traumatischen sehr häufig ist. Hier war
die Fistel ja besonders klein; der Abfluss von Lymphe war
spärlich und konnte nur zwei Tage hindurch beobachtet werden.
Ungewöhnlich ist in unserem Falle ferner der Weg, den
der Eiter ausserhalb der Paukenhöhle gesucht hat. Unter der
grossen Zahl von Senkungsabscessen bei acuter Eiterung, die
neuerdings publicirt worden sind, finde ich keinen, bei dem
eine Betheiligung des Eiefergelenks, wie sie hier vorgelegen
hat, erwähnt ist. Nur Gruber spricht davon, dass solche
Fälle vorkommen; und von Ferreri berichtet Politzer 2), dass
derselbe bei Kindern derartige Abscesse beobachtet habe.
Welchen Weg der Eiter in unserem Falle genommen hat, wird
sich genau kaum feststellen lassen; entweder ist er durch den
Boden der Pauke oder an der Grenze zwischen knöcherner und
knorpliger Tube, die ja bei derartigen Eiterungen öfter durch-
brochen zu werden scheint 3), nach unten gelangt. Für letztere
Annahme spricht der Umstand, dass der Eiter von der medialen
Seite des Eiefergelenks her ausfloss. Wäre nicht durch die
Usurirung der unteren Gehörgangswand die Eröffnung des Ab-
scesses von diesem aus ermöglicht worden, so hätte sich voraus-
sichtlich ein Retropharyngealabscess gebildet. Die vorbereiten-
den Schritte (Unterminirung der Pterygoidealmusculatur) waren
schon geschehen, da, wie berichtet, die Spitze der von aussen
in den Abscess eingefUhrten Sonde vom Bachen aus deutlich ge-
fdhlt werden konnte.
Auch bezüglich der Therapie möchte ich mir einige Worte
erlauben. Wie oben angegeben, habe ich, als die ersten An-
zeichen einer leichten Mastoiditis auftraten, regelmässige Durch-
spülungen der Paukenhöhle vorgenommen. Dieses Verfahren,
welches, schon früher angegeben, von Politzer 4) warm em-
pfohlen wird, scheint entsprechend der Scheu, die man neuerdings
vor dem Katheterismus bei acuten Mittelohrentzündungen hat,
jetzt völlig ausser Anwendung gekommen zu sein. Es hat mir
1) Lehrbach der Ohrenheilkunde. 2. Aufl. S. 454.
2) Ebenda. 4. Aufl. 8. 398.
3) Siehe Gruber, 1. c.
4) Lehrbuch der Ohrenheilkunde. 4. Aufl. S. 302.
Acute Mittelohreiterang bei einem Diabetiker. 243
jedoch in einer ganzen Reihe von Fällen, in welchen bei länger
bestehender acuter Eiterung Anzeichen von Mastoiditis auftraten,
die ausgezeichnetsten Dienste sowohl bezüglich der letzteren, als
auch bezüglich der Eiterung selbst geleistet. Auch in diesem
Falle hat es ganz augenscheinlich eine länger dauernde Ver-
minderung der Schmerzen wie der Secretion bewirkt; der
Patient gab nach den Durchspülungen regelmässig an, sich
wohler und schmerzfreier zu ftihlen. Ob dieselben lediglich
durch die Reinigung der Paukenhöhle oder auch dadurch wirk-
sam sind, dass sie Entzündungsstoffe aus dem Warzenfortsatz
aspiriren und nach aussen schaffen, mag dahingestellt bleiben.
Dass sie nicht immer im Stande sind, den Eintritt einer
schweren Warzenfortsatzeiterung zu yerhüten, geht aus diesem
Falle, wie auch aus einer Reihe anderer hervor, auch solcher,
in denen es sich nicht um diabetische Patienten handelte.
Schliesslich möchte ich nicht verfehlen, auf die ausgezeich-
neten Dienste hinzuweisen, die das Formalin in diesem Falle
gethan hat. Während Jodoformglycerin , in die Abscesshöhle
injicirt, während mehrerer Wochen nicht die geringste Wirkung
zeigte, verminderte sich seit Anwendung des Formalin die Se-
cretion ganz constant, um nach relativ kurzer Zeit gänzlich zu
versiegen.
Zun leohanismns des Wachsthnms der Cholesteatome.
Von
Dr. A. Eplurftim in Breslaa.
Es scheint, dass die immer noeh nicht völlig beigelegte Mei-
nnngsdifferenz über den Ursprung der Cholesteatome diejenige über
ihr Wachsthnm, soweit dieses die Zerstörung der Enoehen be-
wirkt, hat in den Hintergrund treten lassen. In den Lehrbüchern
und einschlägigen Abhandlungen wird dieser Vorgang meist
kurzweg als Druckusur bezeichnet, resp. etwas eingehender auf
Atrophie des Periosts und demzufolge des Knochens zurückgeführt,
welche durch den Druck der sich durch Neubildung TOn Epi-
thelien immer mehr yergrössernden Geschwulst erzeugt werde.
So vergleicht, um nur wenige Beispiele anzuführen, Euhn^) den
Enochenschwund durch Cholesteatom ohne Weiteres mit der
Atrophie der Wirbelkörper infolge von Aortenaneurysma; und
in seiner vor Eurzem erschienenen Monographie über das Chole-
steatom des Ohrs ^) bemerkt Pause, dass die wachsenden Massen
desselben sich an den Enoehen anstemmen müssen, um den-
selben zum Schwinden zu bringen.
Indess kann uns bei näherer Betrachtung eine solche Er-
klärung in keiner Weise befriedigen.
Zunächst stimmt mit derselben der histologische Befund nicht
überein. In den mikroskopischen Bildern Euhn's^) sieht das
Periost gar nicht atrophisch aus; im Gegentheil, wir sehen in der
äusseren Schicht desselben Blutgefässe, die nicht nur von nor-
malem Volumen, sondern auch, wie Euhn hervorhebt, in ziem-
licher Anzahl vorhanden sind. Und gerade der Zustand der
versorgenden Blutgefässe muss doch als Maassstab für den Er-
nährungszustand angesehen werden.
Zum Zweiten will es nicht recht einleuchten, dass der
1) Schwartze, Handbuch der Ohrenheilkunde. II. S. 602.
2) Haug's klinische Vorträge. II. Nr. 4. S. 83.
3) Zeitschrift für Ohrenheilkunde. Bd. XXI.
Zum Mechanismus des Wachsthums der Cholesteatome. 245
Drack eines Tumors, der so stark ist, dass er den Knoehen
zum Schwinden bringt, die zwischen diesen beiden anf einan-
der drückenden Massen eingeklemmte Cholesteatommatrix so
wenig behelligen soll, dass diese nicht nur nicht atrophirt, son-
dern immer neue Epithelmassen prodnciren, also starke Hyper-
plasie zeigen kann.
Aber auch von einem anderen Gesiehtspnnkte ans kann der
Enochenschwnnd als Folge eines Druckes seitens des Choleste-
atoms nicht verständlich sein. Wenn der Inhalt eines Hohl-
raums unter Druck steht, so ist es unumgänglich, dass der-
selbe sich ausschliesslich in der Richtung des geringeren Wider-
standes geltend macht. Mit dieser physikalischen Nothwendig-
keit steht die Annahme einer Drnekatrophie in strictem Wider-
spruch. Denn für das Cholsteatom — meist handelt es sich ja
bei den hier in Frage kommenden Fällen um solche des An-
trum — bildet der Knochen, der dazu meist stark sklerosirt ist,
stets die grösste Resistenz, während der Atticus, weiterhin die
Pauke, das Trommelfell, mag dessen Perforation gross oder
klein, eventuell gar nicht vorhanden sein, und der Gehörgang
immer den Ort des geringeren Widerstandes darstellen. Auch
ein ventilartiger Verschluss, wie ihn Haugi) in der Schichtungs-
weise der Epithelien zu erkennen glaubt, könnte sich an Wider-
standskraft mit dem sklerotischen Knochen bei Weitem nicht
messen. — Wir müssten demnach einen ganz anderen Ausbrei-
tungsweg der Cholesteatome erwarten, als wir in Wirklichkeit
finden. Denn auch bei solchen, die mit weitgehenden Zer-
störungen von Knochensubstanz einhergehen, treffen wir die
Paukenhöhle meist frei und den Atticus fast niemals mit Epithel-
massen prall gefällt; ein Missverhältniss, auf welches auch
Siebenmann 2), der diesen Punkt flüchtig streift, kurz hin-
weist.
Fügen wir diesen Momenten noch hinzu, dass von einem
sehr starken Druck auf Periost und Knochen auch eine Beein-
flussung der Nerven der letzteren und subjeotive Beschwerden
der Patienten erwartet werden müssten, welche das Cholesteatom
als solches erfahrungsgemäss auch dann nicht verursacht, wenn
es den Knochen usurirt, so müssen wir, wie ich glaube, dahin
gelangen, uns der Drucktheorie recht skeptisch gegenüberzu-
1) Ueber das Cholesteatom der Mittelohrräame. Jena 1895.
2) Die Radicaloperation der Cholesteatome u. s. w. Berlin, klin. Wochen-
schrift 1893, 1.
f
246 XIY. EPHRAIM
stellen. Es ist daher auffallend, dass die von Kirchner^) ans-
gesprochene und dnreh mikroskopische Untersuchungen gestützte
Anschauung) nach welcher die cholesteatomatösen Massen gleich-
sam actiy in die Enochensubstanz eindringen, die Grefässe er-
fllllen und so die Zerstörung des Knochens bewirken, anschei-
nend wenig Beachtung gefunden hat
Die nachstehend angefllhrte Beobachtung scheint mir f&r
diese Frage von einem gewissen Werth zu sein.
£rich K., Buchdnicker, 22 Jahre alt, hat schon früher an Ozaena ge-
litten. Seit 4 Jahren besteht rechtsseitige Ohreiter uDg; seit 14 Tagen ist das Be-
finden schlecht: viel rechtsseitige Kopfschmerzen, kein Appetit, wenig Schliß.
27. Januar 1898. Der rechte Gehörgang enthält eine geringe Menge
Eiter; in der Tiefe ist er darch Polypen ganzlich ausgefdUt Warzengegend
nicht Ter&ndert, leicht druckempfindlich. Temperatur normal. Entfernung
der Polypen, vom Tronunelfell wird nichts sichtbar.
29. Januar. Mehr Schmerzen in der Warzengegend; dieselbe ist geröthet
und druckempfindlicher. — In den n&chsten Tagen nehmen diese Er-
scheinungen zu. —
3. Februar. Operation. Geringe Menge subperiostalen Eiters. In der
Fossa mastoidea ist die Corticalis rauh und an einer kleinen Stelle mit
Granulationen bedeckt, jedoch nicht durchbrochen. An dieser Stelle wird
der sehr stark sklerosirte Knochen abgetragen; nach Abfluss einer geringen
Menge Eiters wird der glänzende Balg eines Cholesteatoms sichtbar. Durch
Entfernung des Knochens nach hinten bis an den mit Granulationen be-
deckten Sinus, dem dasselbe unmittelbar anliegt, nach oben bis oberhalb der
Linea temporalis, wobei die Dura nicht sichtbar wird, und nach Ab-
meisselung des lateralen Theiles der hinteren Gehörgangswand gelingt es, das
Cholesteatom, das die Gestalt und den Umfang einer grossen Kirsche hat
und zum Theil eitrig zerfallen ist, fast in toto zu enucleiren. Die restirende
Höhle ist zum Theil mit Granulationen bedeckt und hat zwei glattwandige
kleine Ausläufer an der medialen Wand, die nach hinten oben und hinten
unten gerichtet sind. Entfernung des medialen Theils der hinteren oberen
Gehörgangswand. Weder Amboss noch Hammer sind vorhanden. In der
Pauke viel Granulationen. Ausschabung derselben, sowie der Wände der
Cholesteatomhöhle. Plastik nach Stacke.
Der Heilverlauf wurde dadurch gestört, dass sich im Winkel der me-
dialen und hinteren Wand immer wieder lamellöse Auflagerungen bildeten,
die trotz wiederholter Ausschabungen immer wieder recidivirten : ferner dauerte
die Eiterung aus der Tube, deren Mündung sich immer wieder mit Granu-
lationen umgab, trotz aUer Ausschabungen und Aetzuagen lange an, sodass
die Wundhöble, welche nach hinten breit offen gelassen wurde, erst im No-
vember trocken ist. Die Tubenmundung ist offen; bei Druck auf den weit
vorspringenden horizontalen Bogengang entsteht Schwindelgefühl. Allgemein-
befinden ohne jede Störung.
Von nun an stellte sich Patient ziemlich regelmässig alle 2 Monate zur
Controle ein. Jedesmal fand ich die Höhle fast in ihrer ganzen Ausdehnung
von einer mehr oder weniger dicken Lage weissgelblicher Lamellen bedeckt,
nach deren Entfernung sich die darunter zum Vorschein kommende Schicht
lebhaft geröthet zeigte. Nach kurzer Zeit waren die Wände glatt und weiss,
um sich nach etwa 2 Monaten wieder belegt zu zeigen. Dieses Spiel wieder-
holte sich regelmässig; indess liess später die Tendenz zur Desquamation
nach, da in der letzten Zeit die Erneuerung der Lamellen langsamer stattfand.
Zugleich aber bemerkte ich eine sich allmählich vollziehende Formver-
änderung der Höhle; die starke Vorwölbung des horizontalen Bogengangs,
1) Yerhandlg. der Sect. f. Ohrenheilk. auf dem X. Internat, med. Con-
gress in Berlin 1890. Dieses Archiv. Bd. XXXI. S. 235.
Zum Mechanismus des Wachsthums der Cholesteatome.. 247
dessen Berührung später keinen Schwindel mehr erzeugte, flachte sich merk-
lich ab, die tympanale Mündung der Tube vergrösserte sich, in der Richtung
nach hinten bildeten sich zwei neue Nischen, welche den Sinus zur Ver-
ödung brachten, sodass ich beschloss, die Capacität der Höhle durch Aus-
füllung derselben mit Paraffin, liquid, nach Einlage eines kleinen Watte-
tampons in die Tubenöffnung festzustellen. So fand ich im Laufe der Be-
obachtung, welche ein weiteres Fortschreiten der eben erwähnten Veränderungen
ergab: am 5. Juni 1899 eine Capacität von 6^/4 ccm, am 7. December 1899
von 774 ccm, am 2. Juli 1900 von 7^4 ccm und am 9. September 1901 von
8V4 ccm.
Der vorstehend kurz angefahrte Krankheitsfall bietet nur
in seinem postoperativen Verlaufe Bemerkenswerthes. Zunächst
kann die- lebhafte Neigung zum „Gholesteatomrecidiv^, wenn
dieser Ausdruck erlaubt ist, mit Rücksicht auf das weite Offen-
stehen der Tube befremden, da gerade diesem Umstand gemein-
hin ein einschränkender Einfluss auf die Bildung neuer Epithel-
massen in den Höhlenwänden zugeschrieben wird. Allerdings
haben wir es hier mit einem Ozänakranken zu thun; und es
kann angenommen werden, dass das Tubenepithel, dessen Be-
deutung in dieser Hinsicht von Manchen betont wird, nicht nor-
mal, sondern gleich dem der Nasenschleimhaut metaplasirt war.
Viel auffallender und mit Bezug auf die Eingangs gemach-
ten Bemerkungen bedeutsamer ist die nachträgliche Yergrösse-
rung der durch die Operation freigelegten Höhle, welche zwar
langsam, aber in deutlich nachweisbarer Weise vor sich ging.
Aehnliche Beobachtungen sind von Sieben mann i) gemacht
worden, allerdings unter anderen Umständen. Dieser Autor be-
richtet, bei Kindern, welche wegen Cholesteatom operirt worden
waren, eine nachträgliche Vergrösserung der entstandenen Höhlen
gesehen zu haben. Er führt dieselbe jedoch nicht auf den
cholesteatomatösen Process als solchen, sondern darauf zurück
dass der Knochen, wie dies dem jugendlichen Alter zukommt,
sich pneumatisire, und dass das Epithel gewissermaassen passiv
in die so entstehenden Nischen hineingezogen werde. Zum Be-
weise der Eichtigkeit dieser Anschauung diene, dass derartige
Nischenbildungen nur bei Kindern, und auch bei diesen nur an
nicht sklerosirtem Knochen vorkämen, sowie dass die Ausklei-
dung der betreffenden Knochenhöhlen stets auffallend trocken,
glatt und glänzend bleibe.
Offenbar ist der oben beschriebene Fall den von Sieben-
mann erwähnten in keiner Weise gleich zu setzen. 'Weder
1) Weitere Beiträge zur Aetiologie uad Pathologie des Mittelohrchole-
steatoms. Berliner klin. Wochenschr. 1893. 33.
Aichiy f. Ohrenheillnmde. UV. Bd. 17
248 XIY. EPHBAIM, Zum MechaDismus d. WachsthunB d. Cholesteatome.
stand unser Patient im Kindesalter, noch handelte es sich nm
normales Knochengewebe; yielmehr war dasselbe stark sklero-
tisch. Ausserdem zeigte sich — im Gegensatz zn der Besohrei-
bnng Siebenmann's — die typische, immer wiederkehrende
Lamellenbildnng, nach deren Entfernung die Unterlage immer
geröthet, gleichsam excoriirt erschien, also das bekannte soge-
nannte Cholesteatomrecidiy.
Wir können demnach die von Siebenmann für seine Fälle
gegebene Erklärung ftr den nnsrigen nicht heranziehen. Viel-
mehr kann derselbe nur verständlich werden, wenn wir ein
actives Wachsthum im Sinne von Kirchner annehmen, da
die Möglichkeit der Dmckatrophie nach Tölliger Freilegung der
Höhle selbstverständlich fortAllt. Wenn wir uns hierbei daran
erinnern, dass man in früherer Zeit geneigt war, das Cholestea-
tom den malignen Geschwülsten zuzurechnen oder wenigstens
anzureihen, so müssen wir Angesichts solcher Beobachtungen
dieser Anschauung in gewissem Sinne eine Berechtigung zuge-
stehen, sofern man die Malignität weniger in der allgemeinen
Rückwirkung auf den Organismus, als in der Fähigkeit local zu
destruiren erblickt Es scheint allerdings, als ob diese Fähig-
keit sich allmählich erschöpfe; wenigstens ist in dem vorliegen-
den Falle sowohl die Neigung zur Epithelneubildung wie auch
der Knochenschwund allmählich geringer geworden.
Ich kann nicht annehmen, dass der hier beobachtete Vor-
gang ein singulärer ist, sondern möchte glauben, dass, wenn
diese Verhältnisse genauere Beachtung finden, sich Aehnliohes
als die Begel herausstellen wird. Dann würde die schon aus
den oben angeführten apriorischen Gründen anzufechtende An-
nahme, dass die Knochenusur durch Druck seitens der Chole-
steatome entstehe, auch praktisch gänzlich widerlegt sein. Denn
auch die völlige recidivfreie Dauerheilung, wie sie nach spon-
taner oder artificieller Entfernung eines Cholesteatoms in man-
chen Fällen vorkommt 1), mit dem Fortfall des bisher vorhan-
denen Druckes zu erklären, liegt wohl viel ferner, als dieselbe
darauf zurückzuftlhren, dass mit der Entfernung der pyogenen
StoflFe, wie sie in jedem zur Beobachtung kommenden Ohrchole-
steatom vorhanden sind, auch der entzündliche, formative Reiz
aufhört:
1) Vergl. Haug, 1. c. S. 11.
XV.
Ueber die Ezenteratio cavi tympani zn akustischen Zwecken.
Von
Prof. i^. Gradenigo (Turin).
(Mit 4 Abbildungen.)
In einer früheren Notiz i) habe ich die Gründe auseinander-
gesetzt, derenthalben, meiner Meinung nach, mittelst chirurgischer
Operationen innerhalb der Trommelhöhle, in Fällen von trocke-
nen Otitisformen, dauernde Resultate nur durch zerstörende Ma-
nipulationen, d. h. durch Entfernung des Trommelfells, der
grossen Gehörknöchelchen und eventuell auch des Steigbügels
(Exenteratio cavi tympani), oder bloss des Ambosses, erhalten wer-
den können. Für diese letztere Operation dürften in der Zukunft
ganz besondere Indicationen aufgestellt werden können. Gegen-
wärtig sind dieselben uns noch nicht bekannt. Die Extraction
des blossen Ambosses vom äusseren Gehörgange aus ist aber
jedenfalls nur dann möglich, wenn die anatomischen Verhält-
nisse hierzu günstig gestaltet sind.
Ich habe in der grösseren Zahl der Fälle die Exenteratio
angewendet und möchte nun an dieser Stelle auf Grund einiger
klinischer Erankheitsgeschichten über die Indicationen, Technik
und über die wichtigeren Resultate, die durch jene Operation
erhalten werden können, berichten.
Eigentlich kann in meinen Fällen noch nicht von definitiven
Resultaten gesprochen werden, da nach den einzelnen operativen
Acten noch keine genügende Zeit verflossen ist (die älteren wur-
den vor anderthalb Jahren ausgeführt); doch kann man schon
jetzt auf Grund der erhaltenen Resultate Gonclusionen über den
Werth der in Rede stehenden Operation machen.
Ich glaube, dass unsere Kenntnisse auf dem Gebiete der
Chirurgie innerhalb der Trommelhöhle nur dann gedeihliche
Fortschritte werden machen können, wenn die einzelnen Autoren,
1) Dieses Archiv. Bd. XLIV.
17*
250 XV. GRADENIGO
meinem Beispiele folgend, die Ergebnisse ihrer Beobachtungen,
wie immer diese aasfallen mögen, mit den nöthigen Details ver-
öffentlichen werden, denn nur auf diese Weise wird der vorur-
theilsfreie Leser sich ein sicheres Urtheil über die Frage bilden
können.
Schon zur Zeit, wo man von chirurgischen Operationen
innerhalb der Trommelhöhle zu akustischen Zwecken erst zu
sprechen anfing, unterschied man genau zwischen den sehr guten
und dauernden Resultaten in Fällen von Schwerhörigkeit, die
consecutiv nach eitrigen chronischen Mittelohrentzündungen auf-
treten und in denen mehr oder weniger ausgedehnte Zerstörungen
des Trommelfells und der Gehörknöchelchen, Narben, Ealkinfil-
trationen u. s. w. vorhanden sind, und in Fällen von progressiver
Schwerhörigkeit, Taubheit von trockenem Typus (Otosklerose —
chronische katarrhalische Mittelohrentzündung). Diese Unter-
scheidung hat sich immer mehr und mehr als eine berechtigte
erwiesen : die Prognose bei Eingriffen in purulenten Formen ist
im Allgemeinen viel günstiger als in den trockenen Formen.
Ich möchte jedoch die Aufmerksamkeit hier auf eine dritte
Art von Fällen lenken, welche in der Praxis mit einer ge-
wissen Häufigkeit vorkommen und die, meines Wissens, von den
Ohrenärzten bis jetzt nicht genügend gewürdigt worden sind.
Die subacuten oder chronisch verlaufenden Formen der eite-
rigen])Mittelohrentzündungen lassen sich, wie bekannt, gewöhnlich
in ihren Spuren, bei der Otoskopie erkennen, indem, je nach den
Fällen, Perforationen, partielle Zerstörungen des Trommelfells,
Erosionen des Hammers und des Ambosses, der äusseren Wand
des epitympanalen Baumes, Ealkflecken, Narben u. s. w. zu-
rückbleiben.
Nun giebt es aber Formen, in denen derartige objeotive
Merkmale einer vorausgegangenen eiterigen Ohrentzündung voll-
ständig fehlen: das Trommelfell nämlich bleibt in seiner Con-
tinuität erhalten, ist aber mehr oder weniger alterirt, ver-
dickt, weisslich*, wenig beweglich, zuweilen stark retrahirt,
kurz es zeigt dieselben Charaktere, welche auch bei der chro-
nischen katarrhalischen Otitis anzutreffen sind. Ausserdem lässt
der oft hochgradige Defeot im Hörvermögen in derartigen Fällen
dieselben funotionellen Merkmale erkennen, welche auch die
trockenen Formen von Otitis zeigen. Man könnte also in sol-
chen Fällen gar nicht vermuthen, dass man mit Folgezuständen
Ueber die Exenteratio cavi tympani zu akastischen Zwecken. 251
einer eiterigen Otitis zu thun habe, wenn ganz sichere ana-
mnestisehe Daten nicht mit Bestimmtheit das frühere Bestehen
einer Otorrhoe ergeben würden. Gewöhnlich handelt es sich um
Otorrhoön, die schon in der Kindheit vorhanden gewesen sind
und deren Verlauf von der Mutter des Kranken genau ange-
geben wird. Auch das gewöhnliche einseitige Vorkommen der-
artiger Schwerhörigkeit, das Fehlen einer jedweden subjectiven
Störung, abgesehen von der Schwerhörigkeit, namentlich das
Fehlen von Geräuschen, sind ganz ausgezeichnete Zeichen, um
die Entstehungsart der Taubheit feststellen zu können.
Die Beurtheilung der Resultate der chirurgischen Fingriffe
in der Trommelhöhle muss demnach die soeben angedeutete dritte
Kategorie von Fällen, in welchen die Schwerhörigkeit scheinbar
wie bei trockenen Formen sich zeigt, in Wirklichkeit aber zu
den purulenten Formen gehört, unterscheiden.
Eine der grössten Schwierigkeiten in der Beurtheilung des
Effectes der chirurgischen Eingriffe, welche zu akustischen
Zwecken unternommen werden, besteht in der Unsicherheit und
Schwierigkeit unserer functionellen Prüfung. Diese hängen nur
zum kleinen Theile von den physikalischen Eigenthümlichkeiten
der Töne, mit welchen wir gewöhnlich experimentiren, ab, son-
dern vielmehr von dem persönlichen Charakter des Kranken
und dem des untersuchenden Arztes und von der Oertlichkeit,
in welcher die Untersuchung vorgenommen wird.
Ich halte es für tiberflüssig, auf diese Verhältnisse hier nähei*
einzugehen umsomehr, als ich von denselben schon an anderer
Stelle gesprochen habe ^), und es genüge bloss darauf hinzu-
weisen, dass bloss evidente Differenzen in der Functionalität des
Ohres zu einer sicheren Schlussfolgerung führen können. Schlüsse,
welche auf Differenzen'^ von Decimetern für die Flüsterstimme
und von Centimetern für die Uhr beruhen, haben gar keinen
wissenschaftlichen Werth.
Bei der functionellen Prüfung verfuhr ich auf folgende
Weise. Nachdem durch die Untersuchung mit der Stimmgabel der
Typus der Schwerhörigkeit (vorwiegend oder ausschliesslich für
die tiefen oder für die hohen Töne — mit Erhaltung oder Fehlen
der Perception für die sehr hohen Töne) festgestellt wurde, nahm
ich als Maassstab: die Distanz für die Flüstersprache und fUr
die gewöhnliche Conversationssprache (hohe und tiefe Wörter
1) Schwartze, Handbuch. Bd. II. S. 382.
262 XY. QRADENI60
des gewöhnlichen Spraohgebranchs nnd Zahlen); zwei Typen
von Uhren (normale Distanz von 1 m nnd 5 m.) — der Aou-
meter von Politzer, — ferner in einzelnen Fällen meinen
nenen elektrischen Aenmeter. Die Untersuchung beendigte ich
mit der Bestimmung der unteren (mittelst der Stimmgabeln)
und der oberen Grenze (mittelst der Pfeife von Edelmann)
des Hörvermögens. Um schliesslich Daten zur ControUe zu
haben, Hess ich oft von Gollegen functionelle Prüfungen vor-
nehmen.
Selbstverständlich wurde die objective Untersuchung in voll-
ständiger Weise ausgeführt, und es wurde auch der Bewegungs-
fthigkeit des Trommelfells und der Beaction in der Vasculari-
sation derselben in Folge der Massage mit dem elektrischen
Motor, Bechnung getragen.
Die Technik der Operation besteht in Folgendem: Die Des-
infection des Gehörganges und der Ohrmuschel wird in exacter
Weise an den der Operation vorangehenden Tagen und nicht
unmittelbar vor derselben ausgeffthrt, um eine Hyperämie des
Trommelfells während des operativen Actes zu verhüten, — und
zwar mit Seife, Sublimat und Alkohol. Es ist in derartigen
Fällen die Sensibilität des Trommelfells und der tiefen Theile
des Gehörganges derartig herabgesetzt, dass sie oft die Berüh-
rungen mit Baumwolle, die mit Alkohol imprägnirt ist, gut er-
tragen. Diese Vorbereitung zur Operation ist so delicat, dass
sie Ungeübten nicht anvertraut werden darf, da diese in ihrem
Eifer oft Excoriationen und nachfolgende Anschwellungen der
Wände des Gehörganges, welche dann während der Operation
äusserst störend wirken und eine Vertagung derselben zu verur-
sachen vermögen, hervorrufen können.
Sämmtliche Operationen, von denen im Folgenden die Rede
sein wird, wurden vom äusseren Gehörgang aus ausgeführt, und
ich habe schon an anderer Stelle auseinandergesetzt, warum die
akustischen Resultate ähnlicher Operationen durch ausgedehnte
Continuitätsstörungen, wie sie entstehen, wenn man vom Warzen-
fortsatze her operativ einschreitet, gefährdet werden können.
Es wurde immer in tiefer Chloroformnarkose operirt, denn
dies bietet dem Operateur die beste Garantie, obwohl bei der-
selben natürlicher Weise die wirksame Cooperation des Kranken
verloren geht. Ich benutzte vorwiegend refleotirtes Licht und
zwar von einem Fenster aus oder von einer Auer'schen Gas-
Ueber die Exenteratio cavi tympani zu akustischon Zwecken. 253
flamme; es wurde auch das Elektroskop von Clar, und zwar
mit gutem Kesultate, versucht, allein ioh kehrte doch wieder,
vielleicht aus Gewohnheit, zum Gebrauehe des Refleotorspiegel^
zurück. Der Kranke wurde, mit etwas erhöhtem Kopfe, auf
den Operationstisch gelegt. Ausser dem Assistenten, der die
Narkose leitete, hatte ich noch zwei andere Assistenten; einer
von diesen reichte die Instrumente, der andere gab mir fort-
während dünne Streifen von Gaze, die früher in warmem
Wasser gelegen war, und kleine hydrophile auf biegsame Träger
befestigte Baumwolltampons, zur Reinigung des Operationsfeldes,
bezw. zum Abtrocknen des Blutes.
Selbstverständlich wurden alle aseptischen Maassregeln scru-
pulös befolgt^
Die grössten Schwierigkeiten bei den in Rede stehenden
Operationen werden durch die Enge und die Krümmung des
Gehörganges und durch die Hämorrhagie bedingt. Diese letztere,
welche in sehr bedeutender Weise die Operation behindert, weil
durch die Noth wendigkeit des fortwährenden Tupfens sehr viel
Zeit verloren geht, habe ich in verschiedener Weise zu verhindern
versucht. Ich habe jedoch nur geringfügige Resultate erzielen
können. Die besten Erfolge rücksichtlich der Blutstillung wurden
bei der combinirten Anwendung von Cocain- und Antipyrin-
lösungen erhalten. Der Nebennierenextract, der in der Nasen-
chirurgie, wie bekannt, sehr erfolgreich angewendet wird, hat
sich mir in der Ohrentherapie nur von geringer Wirksamkeit er-
wiesen, und ich muss gestehen, jenen organischen Extract nur
mit Widerwillen angewendet zu haben, weil man der Sterilisation
desselben nicht sicher sein kann. Das Eisenperchlorid und auch
das Wasserstoffsuperoxyd sind zur Blutstillung gleichfalls unge-
eignet; das erste, weil es Kausticationen verursacht und den
Farbenton der Theile modificirt, das zweite, weil es das Ope-
rationsfeld mit Schaum überfüllt. Vielleicht ist das warme
sterilisirte Wasser als blutstillendes Mittel von einigem Nutzen.
In der Mehrzahl der Fälle erhielt ich genügend gute Resultate
durch einige Minuten dauernde Tamponade mittelst Gase. Die
Enge des Gehörganges bildet ein grosses Hinderniss für die
Operation wegen der Schwierigkeit der Manipulation in der
Tiefe und wegen der Möglichkeit, mit dem Instrumente irgend
einen vorspringenden Punkt der Gehörgangswand zu treffen,
wodurch Hämorrhagien entstehen, die nur schwer bewältigt wer-
den können und das Sehen der tiefgelegenen Theile erschweren.
254 XV. GRADENIGO
Wichtig flir einen günstigen definitiven akustischen Effect
der Operation ist, dass die postoperative Reaction auf den ge-
ringsten Grad reducirt werde, und es ist zu diesem Zwecke
nothwendig, dass man die Operation in der raschesten und
schonendsten Weise ausfahre.
Die von mir geübte Methode ist die folgende:
I. Operationsact. Zunächst mache ich mittelst eiaer
Lanzettnadel drei kleine Incisionen des Trommelfells in un-
mittelbarer Nähe des tympanalen Bandes, zwei an dem Ende
des horizontalen und einen am unteren Ende des verticalen
Durchmessers. Sodann schneide ich mit einem kleinen Knopf-
messer das Trommelfell ringsum ein, indem ich, längs dem
Rande bis in die Nähe des Hammerhalses, vorn und hinten auf-
steigend, die früher gemachten kleinen Einschnitte untereinander
vereinige. In diesem ersten Acte lasse ich jedoch den Schnitt
ungefähr einen Millimeter vom Halse des Hammers aufhören,
um eine Verletzung des Gefössbündels zu vermeiden.
Das Trommelfell legt sich nach dem Einschnitte, wenn es
dünn und atrophisch ist, ganz um den Hammergriff herum und
bietet das Aussehen eines Spinngewebes; wenn es dagegen ver-
dickt ist, dann retrahirt es sich etwas vom tympanalen Bande,
kann aber mit einer krummen Sonde nach aussen geschoben
werden. Bei starker Retraotion des Trommelfells vermag die
Incision des hinteren oberen Abschnittes der Gircumferenz der
Membran, welche gleichsam die Richtung der hinteren oberen
Wand des Gehörganges nach innen fortsetzt, Schwierigkeiten
bieten. Die Hämorrhagie variirt bei diesem Operationsacte in
den verschiedenen Fällen: sie pflegt reichlich zu sein in den
späten Stadien einer eiterigen Otitis und fast Null in den atro-
phischen Formen.
II. Operationsact. Durchschneidung des Tensor ty mpani
mit einem gewöhnlichen Tenotom. Ich überzeuge mich von dem
Gelingen dieses Actes und von dem eventuellen Vorhandensein
von Schleimhautzügen, welche gewöhnlich den Tensor tympani
begleiten, indem ich verschiedene Tenotome vor und hinter dem
Hammergriffe einföhre. Sehr nützlich erwies sich mir hierbei
das Modell von Schwartze. Gleichzeitig löse ich mit geeig-
neten Instrumenten eventuell bestehende Synechien.
III. Operationsact. Incision des Amboss - Steigbügel-
gelenkes, wenn es im Bereiche des Operationsfeldes sicht-
bar ist.
Ueber die Exenteratio cavi tympani za akustischen Zwecken. 255
IV. Operati onsact. Umschneidung des Trommelfells auch
oben, bis zum Halse des Hammers, vorn und hinten, wo früher,
um eine Hämorrhagie zu vermeiden, nicht incidirt wurde. Nach-
dem dann der in Falten des Trommelfells liegende HammergriflF
mittelst einer winkelig gebogenen Sonde gegen den Gehörgang
verschoben wird, ergreife ich ihn fest mit einer dünnen und
starken, an der Spitze articulirenden und dünnen gerieften
Pincette und extrahire ihn durch vorsichtige Bewegungen zuerst
nach unten und dann nach aussen. Früher wandte ich gern
den von Delstanche vorgeschlagenen Ring zur Extraction des
Hammers an, womit man zuweilen sehr rasch zum Ziele kommt.
Wenn aber schon lange bestehende Fixation des Kopfes des
Hammers durch Ankylose oder Verwachsungen vorhanden ist,
wie es in einigen der hier in Betracht kommenden Fälle der
Fig. 1.
Ohrpineette nach Faraoi zur Extraction des Hammers und des Ambosses.
Fall ist, dann erachte ich den Gebrauch
des Ringes als unrathsam, weil durch
denselben eine Fractur des Halses bewirkt
werden kann und die Extraction des
Kopfes dann sehr erschwert oder geradezu
unmöglich wird. Bei Anwendung der Pincette aber kann diese
Gefahr leichter, wenn auch nicht mit Sicherheit vermieden werden.
Bezüglich der Pincette möchte ich erwähnen, dass die nahe
an der Spitze angebrachte Articulation derselben eine bedeutende
Festigkeit verleiht, dass aber durch dieselbe die Dicke des ent-
sprechenden Theiles des Instrumentes vergrössert wird. Um die
nachtheiligen Folgen dieses üebelstandes zu vermindern, ist es
nothwendig, dass die Pincette sehr sorgfältig gearbeitet werde.
Ich z. B. besitze deren mehrere und zwar einige von derselben
Fabrik, und doch entspricht nur eine gut allen Anforderungen.
Auch die Pincette von Faraci, welche in der Abbildung
wiedergegeben ist (vergl. Figur 1), ist sehr anzuempfehlen;
sie erfordert jedoch einen grösseren Raum als die von Hart-
256 XV. GRADENIGO
mann. Wie ans der Figur ersicbtlioh ist, wird der Griff des
Hammers bei Anwendung der Pincette von Faraci so angefasst,
dass ein Schenkel derselben gegen das Labyrinth und der
andere gegen den Gehörgang bleibt.
GewShnlioh wird die Extraetion des Hammers von einer
Hämorrhagie begleitet, welobe die Tamponade der Trommel-
höhle einige Minuten hindurch erfordert.
V. Operationsaet. Nachdem die Hämorrhagie aufge-
hört hat und das Blutcoagulum entfernt worden ist, entferne
ich den Amboss mit der Pincette durch Anfassen des langen
Fortsatzes desselben, wenn dieser im Operationsfelde sichtbar ist
oder mittelst des Haken von Zeroni, wenn jener Knochen im
epitympanalen Räume versteckt ist. Die Haken von Zeroni
ergaben mir sehr gute Resultate. Die Operation ist hiermit be-
endet, wenn der Steigbügel nicht sichtbar ist. Wenn aber dieser
Knochen zugänglich ist, dann fahre ich in einem
VI. Operations acte entweder einfach die Mobilisirung
oder die Entfernung desselben aus. Zur Mobilisirung verwendete
ich oft kleine lancettformige oder geknöpfte, cylindrische oder
platte, verschieden gekrümmte Instrumente. Ich muss jedoch be-
merken, dass mich die Resultate dieser letzteren Operation gewöhn-
lich nicht zufriedenstellten, weil die Lage der Nische des ovalen
Fensters in Beziehung zur Axe des äusseren Gehörganges nicht
günstig zur Ausführung der Operation von dieser Stelle her ist.
Bei der Entfernung des Steigbügels schneide ich zunächst
die Sehne des Muse, stapedius und die eventuell vorhandenen
Schleimhauttrabekel, welche von den Wandungen des ovalen
Fensters zu jenem Knochen gehen, durch, ergreife ihn dann so
tief wie möglich mit einer stark zugespitzten Pincette und ver-
suche durch Hin- und Herbewegen denselben ganz zu entfernen.
Meistentheils brechen hierbei die wegen Atrophie verdünnten
Sehenkel des Steigbügels; in einem Falle jedoch gelang es mir
fast den ganzen Knochen, mit Ausnahme des hinteren Winkels
der Platte, welche zusammen mit dem Ende des hinteren
Schenkels an Ort und Stelle blieb, zu extrahiren.
In den sehr delicat^n Momenten der Extraetion des Hammers,
des Ambosses oder des Steigbügels ist die Immobilität, welche
man durch die tiefe Narkose erhält, von dem grössten Nutzen
für den Operateur, dem es hierdurch ermöglicht ist, Richtung
und Stärke der Bewegungen den zu bekämpfenden Widerständen
anzumessen und die Operation mit aller Ruhe auszuführen.
Ueber die Exenteratio ca?i tympani zu akustischen Zwecken. 257
Sehr wichtig für das definitive Resultat ist die postoperative
Behandlung in ihren Einzelheiten, und ich bin der Ansieht, dass
die entmuthigenden Ergebnisse, welche von gewissen Autoren
erhalten wurden, zum grossen Theile den Mängeln in derselben
zuzuschreiben sind. Es ist die Nachbehandlung einfach aber
delieat, und es muss die Medication viele Tage hindurch fort-
gesetzt werden, und zwar wenigstens zweimal in 24 Stunden.
Um dieser Forderung zu genttgen, ist es nothwendig, dass der
Ej*anke unausgesetzt unter den Augen des Operateurs stehe,
dass er also in irgend einer Anstalt verbleibe. Ich habe unter
übrigens gleichen Umständen die besten Resultate und zuweilen
bessere als im Krankenhause bei den Kranken meiner Privat-
klinik gesehen, bei denen die postoperative Behandlung am
vollständigsten ausgeführt werden konnte, und ich bin der
Meinung, dass der Arzt, welcher Kranke operirt, die er dann
ambulatorisch behandeln muss, sich von vornherein der Gefahr
eines Misserfolges aussetzt.
Wichtig fQr die Gewinnung eines guten funetionellen End-
resultates ist die Verhinderung einer eiterigen Infection der
Wunde. In dieser Beziehung sind die grössten Gefahren in dem
Zurückbleiben in der Trommelhöhle von Blutcoagulis und von
Wasser, das zur Reinigung derselben verwendet wird, gelegen.
Die Blutcoagula bleiben leicht an den Unebenheiten der Trommel-
höhle haften und können dann entweder gar nicht oder bloss
mit Hinterlassung traumatischer Verletzungen entfernt werden;
in der feuchtwarmen Umgebung fallen sie dann einer eiterigen
Zersetzung anheim, oder sie organisiren sich zu Grannlations-
geweben und vereiteln den Erfolg der Operation. Um dies zu
verhüten, lasse ich in der Trommelhöhle, nachdem sie am Ende
der Operation mit Pincetten gereinigt und mit Tampons ge-
trocknet wurde, einen dünnen Streifen sterilisirter nicht zu stark
oomprimirter Gaze, welche die Bildung von neuen Blutcoagulis
verhindern soll, liegen. Wenn kein eiteriger Prooess besteht,
dann lasse ich die erste Medication 36 oder 48 Stunden lang
liegen, denn die Entfernung der tief liegenden Tampons vor
dieser Zeit ist sehr schmerzhaft und kann neue Hämorrhagien,
welche eine Infection hervorrufen können, verursachen. Uebrigens
ist auch die Medication noch nach Ablauf der ersten 48 Stunden
schmerzhaft; die nachfolgenden Medicationen werden jedoch,
wenn gar keine entzündliche Reaction des Operationsfeldes und
des Gehörganges vorhanden ist, ganz gut vertragen.
258 XY. 6RADENIG0
Die WasehuiLgen der Trommelhöhle können eine Infeetion
hervorrnfen, weil dnroh dieselben trotz aller Vorsicht pathogene
Mikroorganismen von aussen her eingeführt werden können, und
auch weil es schwierig ist, die Feuchtigkeit, welche nach den
Waschungen in den Höhlungen der Trommelhöhle zurückbleibt,
vollständig zu verhüten, ohne eine schädliche Reizung derselben
zu veranlassen. Ich mache deshalb, abgesehen von Fällen ganz
deutlicher Suppuration, während der Nachbehandlung in der
Regel gar keine Waschungen.
Wenn die durch die Operation gesetzte Wunde einen regel-
mässigen Verlauf nimmt, dann sind gar keine Schmerzen vor-
handen, nur gewahrt man in den ersten Tagen eine Böthung
und eine massige Schwellung der Gewebe im Gebiete des tym-
panalen Bandes und an der Schleimhaut der Vorhofs wand, mit
geringfügiger blutig -seröser Exsudation. ^) Die Medication be-
steht im Wesentlichen in der Erneuerung der mehr oberfläch-
lichen Gazeschichten, so oft diese durchnässt sind (in den ersten
Tagen ist es sogar zweckmässig, namentlich während der Nacht,
einen Ocdusivverband anzulegen), in dem Wechsel der tieferen
zweimal in 24 Stunden, wobei selbstverständlich scrupulös steri-
Usirte Instrumente [angewendet werden müssen; ferner in dem
Trocknen der Exsudation, welche in der Trommelhöhle vorhan-
den ist, in delicater Weise, immer unter Führung des Auges, bei
jedesmaligem Wechsel mittelst kleiner Baumwolltampons. Natür-
lich dürfen auch die Verhältnisse der Nasen- und Baohen-
höhle nicht ausser Acht gelassen werden, und es muss auch
dafbr gesorgt werden, dass die allgemeinen hygienischen Ver-
hältnisse des Kranken günstige seien.
Oft fand ich es fQr nützlich, mit dem Einfuhren von Gaze-
tampons in die Trommelhöhle gegen Ende der ersten Woche nach
der Operation aufzuhören, da dieselben doch immer als Fi-emd-
körper wirken 2), und legte bloss, um das Eindringen von Luft
in die Trommelhöhle und das Austrocknen derselben zu erleich-
tern, eine dünne Gaze- oder BaumwoUsohicht im Gehörgange in
der Nähe des Meatns, damit diese als Filter für die äussere Luft
dienten. Es können jedoch in dieser Beziehung keine bestimm-
1) Rein seröses Exsudat, welches die Medication durchtränkte, beob-
achtete ich in einem Falle von Entfernung des Steigbügels durch einige Tage
nach der Operation. Offenbar handelte es sich hier um Labyrinthflüssigkeit.
2) Auch die Insufflationen von Borsäure in Substanz werden gewöhnlich
schlecht vertragen.
lieber die Exenteratio cavi tympani zu akustischen Zwecken. 259
ten Regeln aufgestellt werden, sondern man muss, nm. sicher zu
gehen, Tag für Tag den Verlauf der Wunde controliren, und
wenn z. B. die Exsudation beim Aufhören der Tamponade neuer-
lieh zunimmt, dann muss diese ohne Weiteres wiederholt wer-
den. Es kann demnach die Nachbehandlung nur eine rein in-
dividuelle sein, und sie muss daraufhinzielen, dass eine möglichst
geringe locale Reizung stattfinde, was auch mit Rücksicht auf
eine eventuelle Reaction von Seite des Labyrinthes aus wich-
tig ist.
Gewöhnlich beobachtet man, dass sich von den Rändern
des Einschnittes aus im Trommelfelle, unter geringfügigen Reac-
tionssymptomen, ringsherum ein Ring von Gewebe bildet, sodass
die grosse Apertur in derselben sich nach und nach concentrisch
verkleinert, und zum Schlüsse bildet sich eine narbige Membran.
Auch die Schleimhaut der Labyrinthwand der Trommelhöhle, so-
weit sie direct dem Auge zugänglich ist, zeigt die Zeichen einer
activen Hyperämie und Schwellung. Nicht selten bilden sich
an dem der centralen Apertur des sich regenerirenden Trommel-
felles entsprechenden Abschnitte derselben Granulationen aus,
welche die Tendenz haben, mit dem Saume des Trommelfelles
ringsherum zu verwachsen, wodurch die in demselben eventuell
noch bestehende Apertur geschlossen wird. Es würden auf
diese Weise Synechien des Trommelfelles mit dem centralen
Theile des Promontoriums entstehen, wenn man nicht durch
opportune Causticationen oder durch Entfernung der Granula-
tionen die Formation derselben verhindern würde. Nach 4 bis
6 Wochen ist gewöhnlich das Trommelfell vollständig neugebildet,
es ist gut beweglich und von rother Färbung in den ersten
Perioden; später nimmt es allmählich eine graue Farbe an. Das
regenerirte Trommelfell ist bezüglich seiner Disposition einem
wirklichen ähnlich; es fehlen aber natürlich an demselben die
anatomischen Eigenthümlicbkeiten, welche durch die Anwesen-
heit des Hammers bedingt werden. Nach Schliessung der Aper-
tur in demselben und zuweilen auch früher, hört die Exsudation
vollständig auf.
In anderen Fällen, wenn nämlich das Trommelfell und alle
Gewebe in der Trommelhöhle einen hohen Grad von Atrophie
zeigen, sind die Symptome der Reaction sehr gering; es er-
fordert deshalb die Neubildung einer narbigen Membran lange
Zeit, und zuweilen kann dieselbe überhaupt nicht vollständig
zu Stande kommen.
260 XV. ORAD£NIQO
In einer anderen Kategorie von Fällen sehliesslich nnd zwar,
wie es mir scheint, in denjenigen, in welchen als Ursache des
krankhaften Processes in der Trommelhöhle eine vorher bestan-
dene Pamlenz angenommen werden kann^ vermochte ich trotz
aller Vorsicht die eiterige Entzündung der durch die Operation
gesetzten Wunde nicht zu verhindern. Diese Erscheinung glaube
ich erklären zu können durch die Annahme einer Persistenz von
latenten pjogenen Keimen in der Schleimhaut der Trommel-
höhle, welche gttnstige Bedingungen zu ihrer Entwicklung in
der Störung, welche durch den operativen Eingriff entsteht,
finden.
Auf jeden Fall sind die Reactionserscheinungen in derar-
tigen Fällen bedeutender als in den früher beschriebenen; es
treten, gewöhnlich am 4. oder 6. Tage, auch Schmerzen auf,
die jedoch nicht sehr intensiv sind, die Exsudation ist reichlioh,
eiterig oder schleimig-eiterig, die tiefliegenden Gewebe schwellen
an und vermehren die Schmerzen während der Medication.
Von guter Wirkung sind unter solchen Umständen vorsichtige
Waschungen und antiseptisehe Mittel; überhaupt müssen derar-
tige Fälle wie eine gewöhnliche eiterige Mittelohrentzündung
behandelt werden. Die anatomischen Verhältnisse der Trommel-
höhle bewirken jedoch einen raschen und günstigen Ablauf
solcher Complicationen.
Rücksichtlich der pathologischen Alterationen der Gewebe in
der Trommelhöhle in den Formen von progressiver Taubheit, von
denen die Rede ist, sind unsere Kenntnisse noch als sehr un-
sichere zu nennen. Sicherlich werden heute ätiologisch verschie-
dene Krankheitsprocesse, die jedoch im Allgemeinen gemeinsame
Charaktere besitzen, in eine Kategorie zusammengefasst, weil sie
klinisch ein scheinbar identisches Bild bieten. Der involutive
Charakter ist es, der alle diese Krankheitsformen auszeichnet
und es ist wegen dieser üniformität selbst bei Anwendung der
besten histologischen Untersuchungsmethoden schwierig, die
Factoren zu erkennen, welche als Ursachen der Involutions-
processe angesehen werden müssen.
Man erwäge auch, dass die functionelle Hörprüfung bei
Erhaltung des Trommelfelles, wenn sie auch das Vorhandensein
eines Hindernisses in der Schallleitung uns erkennen lässt, ge-
wöhnlich gar keine Auskunft über den Sitz und die Natur des-
selben bietet. Allerdings kann man hierüber hei der Aus-
Ueber die Exenteratio cavi tympani zu akustischen Zwecken. 261
ftbrung der Exenteratio orientirt werden, man muss jedoch in
der Interpretation der beobachteten Thatsachen sehr vorsich-
tig sein.
Leicht ist es in gewissen Fällen, die Verdünnung oder
Atrophie des Trommelfelles (Otosklerose), in anderen Fällen eine
abnorme Verdickung desselben (katarrhalische, chronische Mittel-
ohrentzündung, — und Folgezustftnde einer eiterigen Otitis) zu
erkennen. Die Schleimhaut der Labyrinthwand der Trommel-
höhle ist entsprechend verdünnt, weisslich entfärbt, sodass sie
wie ein Polster von fibrösem Gewebe aussieht, welches auch
die Depressionen und Nischen der Wand auskleidet und deren
anatomischen Bau vollständig verdeckt.
Viel schwieriger ist die Erkennung der Alterationen, welche
in denjenigen Abschnitten der Trommelhöhle ihren Sitz haben,
die nicht gesehen werden können. Es genüge, diesbezüglich auf
die ausserordentlich grosse Varietät der von den Autoren mit-
getheilten anatomischen Beftinde hinzuweisen. i) Gewöhnlich
beobachtet man eine Fixirung des Hammers, so dass er bloss
nach starken Tractionen, wobei der Griff leicht abbricht, entfernt
werden kann. Dasselbe ist auch mit dem Amboss der Fall.
Uebrigens muss zugegeben werden, dass zuweilen Schwierig-
keiten, welche die Entfernung jener Knochen bietet, auch
dem Operateur zugeschrieben werden können bezw. dem Um-
stände, dass der eine oder der andere Act der Operation nicht
in exacter Weise ausgeführt wird, oder dem Umstände, dass die
Instrumente nicht in richtiger Weise gehandhabt werden u. s. w.
Ich kann im Allgemeinen sagen, dass ich in den von mir be-
obachteten Fällen oft eine abnorme Fixirung des Hammers und
des Ambosses im epitympanalen Räume zu erkennen glaubte.
Schwieriger ist die Beurtheilung des Grades der Fixirung des
Steigbügels ; oft nämlich sind die Schenkel desselben an Ort und
Stelle, aber gebrochen und können so wegen ihrer leichten Be-
weglichkeit Täuschungen über den Grad der Fixirung der Platte
veranlassen.
Auch die mikroskopische Prüfung der extrahirten Knöchel-
chen führt gewöhnlich zu keinen sicheren Schlussfolgerungen.
Um Aufklärung über dieses Argument zu gewinnen, beauf-
tragte ich den Herrn Dr. U. Calamida, Assistenten der Klinik,
mit der histologischen Prüfung aller extrahirten Gehörknöchel-
1) Eine besondere Beachtung yerdienen die in jüngster Zeit gemachten
Angaben von Nuvoli (Arch. Ital. di Otol. Vol. XL p. 306 e 495).
262 XV. GRADENIGO
ohen, und ich bebalte mir vor, die Resultate dieser ünter-
sacbnngen zu veröffentlioben. Naeb den wenigen bis jetzt unter-
sucbten Fällen scheint es, dass krankhafte Herde, wie sie
jüngst bei der Osteosklerose der Labjrinthkapsel beschrieben
worden sind, in jenen Enöehelehen nicht vorkommen.
Die fanctionellen Besultate der Exenteratio cavi tympani
hängen in erster Linie von der Natur des krankhaften Processes,
welcher die Taubheit veranlasste, ab. Es können in dieser Be-
ziehung vier Kategorien unterschieden werden: I. Otosklerosen,
II. chronische katarrhalische Ohrentzündungen, III. Folgezu-
stände der eiterigen Otitis, mit nicht perforirtem Trommelfelle,
und dem scheinbaren Charakter einer katarrhalischen Otitis,
und schliesslich IV. Folgezustände einer eiterigen Otitis, wobei
das Trommelfell perforirt oder gänzlich zerstört wird. In letz-
teren Fällen wird die Exenteratio auf die Entfernung des Ham-
mers und des Ambosses und eventuell auch des Steigbügels be-
schränkt.
In den Fällen, welche in die IL und III. Kategorie ge-
hören, sind analoge objective Erscheinungen vorhanden, und sie
unterscheiden sich oft bloss, wie wir gesehen haben, durch die
anamnestischen Angaben der Kranken: das Trommelfell ist in
diesen Fällen verdickt, nicht glänzend, unbeweglich und oft
retrabirt; in der Nasenhöhle, oder in der Nasen-Rachenhöhle
oder im Rachen allein bleiben zuweilen evidente Zeichen von
vorausgegangenen chronischen Entzündungen zurück, oder man
sieht die Residuen einer hypertrophischen Rachentonsille u. s. w.
Bei der Otosklerose hingegen ist das Trommelfell verdünnt,
glänzend, ziemlich beweglich, in der Familie des Kranken lassen
sich noch andere Fälle von progressiver Taubheit und ausser-
dem Fälle von Tuberculose, Syphilis, Arthritis u. s. w. nachweisen.
In der Nasen- und Rachenhöhle lassen sich, abgesehen von
den Fällen von gemischten Formen (Otosklerose mit katarrha-
lischer Otitis), keine bemerkenswerthen Alterationen erkennen.
Die Gombination der Otosklerose mit katarrhalischer Otitis ist
häufiger, als im Allgemeinen angenommen wird. Auf die Charak-
tere der in die IV. Kategorie gehörenden Formen will ich nicht
näher eingehen, weil bei diesen die Diagnose schon auf Grund
der einfachen otoskopischen Untersuchung in ziemlich exaoter
Weise gemacht werden kann.
Sind nun diese verschiedenen Kategorien von Krankheits-
formen durch besondere functionelle Charaktere ausgezeichnet?
Ueber die £xenteratio cavi tympani zu akastiBchen Zwecken. 263
Die grössten Differenzen findet man zwisohen den F&llen
von Osteosklerosen (I. Kategorie) einerseits, nnd andererseits
den Fällen, welche als Ausgänge einer eitrigen Ohrentzttn-
dnng mit Zerstörung des Trommelfells (IV. Kategorie) anzu-
sehen sind. Gemeinsam ist sämmtlichen Kategorien die Be-
hinderung in der Schallleitung und die Verkürzung der Tonleiter
in den tiefen Tönen. In der Sklerosis aber ist auch das innere
Ohr mehr oder weniger in Mitleidenschaft gezogen ^), d. h. auch
die Perception der hohen oder der höchsten Töne. In der IV. Ka-
tegorie von Fällen ist diese letztere Erscheinung nicht zu con-
statiren oder nur in sehr geringem Grade im Verhältnisse zum
functionellen Defecte in den tiefen Tönen.
In den katarrhalischen Ohrentzündungen und in den Aus-
gängen der Mittelohreiterung mit dem scheinbaren Charakter einer
katarrhalischen Entzündung (II. und III. Kategorie) nehmen die
functionellen Charaktere gleichsam eine Zwischenstellung zwi-
schen denen der I. und der IV. Kategorie ein. Selbstverständ-
lich hängt auch von dem Stadium, in dem die Krankheit sich
befindet, sehr viel ab, ferner von dem Alter des Kranken. Man
kann z. B. Formen von vorgeschrittenen Stadien einer katar-
rhalischen Ohrentzündung beobachten, in welchen die Perception
der hohen Töne, d. h. also das innere Ohr, mehr als in den
Anfangsstadien einer Otosklerose, in Mitleidenschaft gezogen ist.
Ausserdem kann das functionelle Bild in den einzelnen Fällen
durch eine Beihe von Fäctoren modificirt werden, z. B. durch
die Coexistenz von erworbener Syphilis, [durch Arteriosklerose,
neuropathische Zustände, durch intercurrirende acute katarrha-
lische oder eitrige Entzündungen des Mittelohres u. s. w. Es han-
delt sich hier also, wie man sieht, um sehr complexe Erschei-
nungen, und dies erklärt vollständig, warum wir oft nicht alle
Fäctoren der Krankheit erkennen und nicht einmal die functio-
nellen Defecte in zufriedenstellender Weise zu analysiren im
Stande sind.^)
Hoffentlich wird die Chirurgie im Vereine mit der Klinik
und der pathologischen Anatomie Licht auf die noch dunklen
1) Ich meine hier unter innerem Ohre auch die Labyrinthfenster.
2) Man muss auch bedenken, dass, wie wir weiter unten auseinander-
setzen werden, yerscbiedene Krankheitsprocesse sich wahrscheinlich unter
ganz identischen functionellen Erscheinungen äussern, und dass umgekehrt
die gleichen Krankheitsursachen unter yerschiedenen klinischen Formen in
Erscheinung treten können.
Archiv f. Ohrenheükimde. LIY. Bd. IS
264 XY. GRADENIGO, Ueber die £xeot. cavi tymp. zu akust. Zwecken.
Fragen auf diesem Gebiete werfen. Allein es sollte der Chirurg
nie Tergessen, dass hier mehr als die Rechte der Wissenschaft
die humanitftren Anforderungen berücksichtigt werden müssen,
und dass er gar keine Operation in der Trommelhöhle unter-
nehmen sollte, ohne die Ueberzeugung zu haben, dass dieselbe
dem Kranken von Nutzen werde und allenfalls ihm keinen
Schaden verursachen könne. Wenn man von diesem Standpunkt
ausgeht, dann wird allerdings das Gebiet der Action der Chirurgie
innerhalb der Trommelhöhle zu akustischen Zwecken einge-
engt und man wird verstehen, warum ich im Verhältnisse zur
grossen Frequenz der in Rede stehenden Krankheiten nur in einer
relativ beschränkten Zahl von Fällen operativ vorgegangen bin.
In allen Fällen, in welchen, wenigstens an einem Ohre, die
Taubheit nicht hochgradig war und der Defect im Hörver-
mögen durch eine rationelle oonservative Behandlung beeinflusst
werden konnte, stand ich von der Operation ab und zwar auch
dann, wenn der Kranke selbst um die Vornahme derselben bat.
Die Unsicherheit guter definitiver Resultate bewogen mich zu
diesem vorsichtigen Vorgehen, und vor der Operation betonte
ich immer nur die Möglichkeit, aber nicht Bestimmtheit guter
Endresultate. Dies ist, meine ich, gegenwärtig Pflicht eines
jeden ehrlich denkenden Chirurgen. Nur in Ausnahmsfällen, bei
intensiver Mitbetheiligung des inneren Ohres, gab ich den Kranken,
die die Vornahme der Operation als letzten Versuch sehnlieh
wünschen, nach, aber leider waren in der Mehrzahl solcher Fälle
nur die unmittelbaren Erfolge der Operation [zufriedenstellend,
die definitiven Ergebnisse aber rechtfertigten meine ünent-
sohlossenheit in der Vornahme derselben.
Ich werde im Folgenden in Kürze über eine Reihe von
Fällen von Exenteratio tympani und zwar von Fällen, die ich
vor und nach der Operation beobachten konnte, und ohne Bück-
sicht auf die Endresultate berichten. Sodann werde ich die
Mittheilung von einigen Fällen folgen Iß^ssen, in welchen be-
besondere Operationsmethoden in Anwendung kamen, i)
1) Die Modificationen der functionellen Charaktere, welche nach der
Exenteratio auftreten, können, wenn sie in allen ihren Details studirt werden,
viel Licht auf die Physiologie und Pathologie des Mittelohrs werfen. In gegen-
wärtiger Arbeit jedoch, welche vornehmlich chirurgische Zwecke vor Augen
hat, kann ich mich auf dieses Gebiet nicht ausdehnen und behalte mir des-
halb vor, in einer anderen Arbeit auf den Gegenstand zurückzukommen.
(Schluss folgt.)
XVI.
Mein Protest gegen die Verbindung der Section JFftr Ohren-
heilkunde mit der Laryngologie anf den Versamminngen
deutscher Naturforscher und Aerzte.
Von
H. Sehwartze.
(am 23. September 1901 in Hambarg).
Meine hoohzuverehrenden Herren 1
Wenn ich die EinfÜhrer dieser Section gebeten habe , mir
vor Beginn der Yerhandlnngen ein kurzes Wort zu gestatten,
so erbitte ich mir dafür Ihre Nachsieht. Der Vorstand der dies-
jährigen Yersammlang der Naturforscher und Aerzte hat es für an-
gemessen gehalten, die Section fllr Ohrenheilkunde mit der Section
fllr Laryngologie zu vereinigen. In wie weit dies den Wünschen
der zur Versammlung Erschienenen entspricht, entzieht sieh
meiner Eenntniss. Ich f&r mein Theil bin aber der Meinung,
dass diese Vereinigung für die wissenschaftlichen Vertreter der
beiden Disciplinen nicht erwünscht ist. Wer der historischen
Entwicklung der Sectionen auf diesen Versammlungen gefolgt
ist, wird wissen, dass im Jahre 1872 auf der Naturforscher-
Versammlung zu Leipzig, also vor nahezu 30 Jahren, zuerst eine
selbstständige Section für Ohrenheilkunde von den Geschäfts-
führern der Versammlung zugelassen und eingeführt wurde, und
dass wir dies vorzüglich den eifrigen Bemühungen des leider
so jung verstorbenen Prof. Wendt in Leipzig zu danken haben.
Es ist nicht leicht gewesen, dies damals zu erreichen, denn Sie
wissen, mit welcher Geringschätzung zu jener Zeit unsere Disciplin
noch betrachtet wurde, und wie von den damals hervorragenden
Koryphäen der Medicin derselben die Möglichkeit und Fähigkeit
einer wissenschaftlichen Entwicklung noch bestritten wurde.
Ohne die warme Unterstützung und Fürsprache des nun auch
verstorbenen damaligen Professors der pathologischen Anatomie
18*
266 XVI. SCHWARTZE
in Leipzig, Prof. E. Wagner, wSre die Coneession einer eigenen
Seetion ftlr die Ohrenheilkunde dem Vorstände der Yersammlnng
nieht abgerungen worden. In der Eröffnungsrede der Seetion
sagte Wendt damals nach anderen allgemeinen Bemerkungen:
„Sodann erschien es mir der Wflrde und der Bedeutung der
Ohrenheilkunde entsprechend, wenn dieselbe unter den mannig-
faltigen Disciplinen der Natur- und Heilkunde bei diesen Ver-
sammlungen nicht länger ohne die ihr gebührende Vertretung
bliebe.^^ Diese gebührende Vertretung der Ohrenheilkunde im
Bahmen der medicinischen Wissenschaften, als eine selbstständige
Seetion wollen wir nicht wieder aufgeben. Jeder, der wie ich
ein warmes Interesse f)ir sein Specialfach hegt, muss es als
eine Beeinträchtigung seines guten, traditionell begründeten
Rechtes betrachten, wenn der Otologie die Selbstständigkeit auf
diesen Versammlungen wieder entzogen werden soll, um so
mehr, als die seitdem verflossene Zeit gelehrt hat, dass durch
die Concentration der Arbeit das Wissen und Können in der
Disciplin wesentlich erweitert worden ist. So lange die Ohren-
heilkunde mit anderen Disciplinen zusammen gepflegt und ge-
lehrt wurde, ist nichts dabei herausgekommen, und die jüngste
moderne Verbindung mit der Laryngologie, die ich fttr die rein
praktische Bethätigung allerdings für gleichgültig halte, ist fllr
die wissenschaftliche Pflege und Förderung der Ohrheilkunde
ein Hinderniss und hoffentlich auch nur eine vorübergehende
Phase in der wissenschaftlichen Entwicklung der Ohrenheil-
kunde. Der Aufgaben und zu lösenden Probleme giebt es eine
solche Fülle in der Ohrenheilkunde, dass sie der ungetheilten
Kraft und Zeit eines Einzelnen bedarf, um erschöpfend vertreten
zu werden. Wem das Gebiet für die praktische Bethätigung
als zu klein erscheint, mag es mit der Bhinologie verbinden, die
wegen der vielfachen ätiologischen Beziehungen zwischen Ohr-
und Nasenkrankheiten für den Otologen unentbehrlich ist. Mit
der Laryngologie hat jedoch die Otologie überhaupt keine
directen Beziehungen. Die Laryngologie gehört zur inneren
Klinik, aus welcher sie hervorgegangen ist und für welche sie
als integrirender Theil ganz unentbehrlich bleibt. Als Lehr-
object sollte sie deshalb auch allgemein mit der
inneren Klinik verbunden bleiben.
Der Umstand, dass es heutzutage für die praktische Thätig-
keit des Arztes aus äusseren Gründen vielfach beliebt worden
ist, beide Disciplinen zu cultiviren, kann nicht als genügen-
Protest gegen die Verbindung der Otologie mit d. Laryngologie. 267
der Grund angeführt werden, am hier auf diesen wissenschaft-
liehen Versammlangen zwei sieh ganz fern liegende' Gebiete
znsammenznzwängen.
Niemand bestreitet der Ophthalmologie ihre selbstständige
Stellung im Sahmen der medicinischen Wissenschaften. Die-
selbe erstreben ,wir fllr die Otologie und müssen also folge-
richtig auch die Beibehaltung des einmal gemachten Zuge-
ständnisses der Selbstständigkeit ftlr die Otologie auf diesen
Versammlungen verlangen. Ich für mein Theil erachte dies als
eine unerlässliche Vorbedingung für die weitere Betheiligung an
den wissenschaftlichen Verhandlungen dieser Section und erwarte,
dass mein Protest von den klinischen Lehrern und wissenschaft-
lichen Vertretern der Otologie unterstützt werde.
XVII.
Zwei physiologisch-aknstisclie Vorträge, gehalten anf der
73. Versammlnng deutscher Naturforscher und Aerzte zn
Hamburg im September 1901.
Av^nsl Lneae.
L Zur Function der Membran des runden Fensters.
1. Eine bisher nnbekannte Wirkungsart des sogen.
künstlichen Trommelfells.
Es handelt sich hier nicht um die bekannte Application nnd
Wirknngweise des Wattekfigelchens oder des Toynbee'schen
aus Gummi elasticum angefertigten und vielfach modificirten kfinst-
lichen Trommelfells. Es 'sei nur [daran erinnert, dass diese
akustischen Hilfsapparate entweder gegen den Trommelfellrest
oder gegen den freiliegenden Steigbügel angedrückt sehr häufig
in überraschender *Weise das Gehör verbessern. Wegen der
sowohl im ersteren (Lucae) als im letzteren (Moos) Falle
nach Entfernung des künstlichen Trommelfelles vielfach beob-
achteten Nachwirkung der Hörverbesserung hat man im All-
gemeinen die Ansicht Toynbee's, dass es sich hierbei um einen
akustischen Ersatz des natürlichen Trommelfelles handelt, fallen
lassen und die zuerst von mir gegebene Erklärungsweise be-
stätigt, dass die Hörverbesserung auf eine Drucksteigerung im
Labyrinthe zurückzuführen sei. Nach der heutigen, besonders
durch die Arbeiten von Helmholtz begründeten Lehre der
Mechanik des Hörens dürfte es wohl richtiger sein, die Wirkung
des künstlichen Trommelfells bei isolirtem Steigbügel durch
einen Ersatz der durch Lahmlegung des Tensor tympani ver-
loren gegangenen Dämpfung im Gehörorgan zu erklären.]
Mein eigentliches Thema betriflft in erster Linie den eigen-
thümlichen Heilerfolg des Wattekügelchens und zwar vorzugs-
weise in mehr oder weniger abgelaufenen Fällen von chro-
nischer Mittelohreiterung mit Verlust von Trommelfell, Hammer
Zwei physiologisch-akustische Vorträge. 269
und Amboss, freiliegendem Promontorium bei glatter nicht ge-
schwollener Paukenschleimhaut. In einer Reihe solcher Fälle,
unter denen sich drei mehrere Jahre von mir beobachtete
Kranke befinden, konnte ich wiederholt die auffallende That-
Sache constatiren, dass die plötzliche Hörverbesserung erst
dann eintrat, wenn ohne jede Bertlhfung des Steigbügels
oder des runden Fensters der vordere Abschnitt des Promon-
toriums mit dem Wattektigelchen bedeckt wurde. Im Allge-
meinen war die Wirkung die gleiche bei Benutzung trockener
ziemlieh fest zusammen geballter Watte oder nach Anfeuchtung
derselben (meist mit einer Lösung von Liq. Aluminii acet.) ; hier-
mit stimmt auch die Beobachtung überein, dass, wenn in letzerem
Falle das Wattekügelchen 1 — 2 Wochen im Ohre blieb, die
Wirkung trotz der bald eintretenden Austrocknung ununter-
brochen andauerte.
Sehr wichtig ist, dass im Gegensatz zu den obigen bekannten
Fällen bei der Mehrzahl mit Hinwegnahme des Wattekügelchens
die Hörweite für die Flüstersprache auf den Status quo ante
zurückging; ebenso wichtig jedoch und mit der unten erfolgen-
den Erklärung gut übereinstimmend, dass bei einigen Kranken
nach monatelanger resp. jahrelanger Beobachtung auch ohne wei-
tere Anwendung des Wattekügelchens allmählich eine dauern de,
wenn auch geringere als die mit dem letzteren erzielte Hör-
verbesserung eintrat. Dies geschah gewöhnlich da, wo das
Wattekügelchen längere Zeit liegen blieb und leichte Secretion
mit , Schwellung der Promontorial-Schleimhaut ver-
anlasste. Es sei hier nur noch vorläufig bemerkt, dass nach
Untersuchung einiger musikalischen Kranken neben der Flüster-
sprache besonders die höheren und höchsten Töne verstärkt
wahrgenommen wurden.
Nach langer Ueberlegung fand ich endlich hierfür folgende
Erklärung, die wenn richtig auch jn diagnostischer Hinsicht
einen Fortschritt zu versprechen scheint: In den vorliegenden
Fällen müssen die Schallwellen gleichzeitig durch das Promon-
torium und die beiden Fenster — wobei wohl nur die Membran
des runden Fensters i) in Betracht kommt — zum Inhalt der
1) fiezold hat nachgewiesen, dass die Beweglichkeit dieser Membran
eine bedeutend grössere ist, als die der Ring- Membran der SteigbQgelplatte,
was ich durch Experimente an einem Gehörorgane, welches von einem voll-
ständig normalhörenden Individuum herrührte, in noch genauerer Weise be-
stätigen konnte.
270 XVII. LÜCAE
Sehneeke gelangen. In letzterer wird es durch diese doppelte
Zuleitung zu einer Interferenz beider Wellenzttge und somit zu
einer verminderten Sohallperoeption kommen; durch Auspolsterun^
des Promontoriums durch das Wattekügelchen wird hingegen
die Labyrinthkapsel als SohalUeiter ausgeschaltet, die Interferenz
aufgehoben werden unf somit eine Hörverbesserung erfolgen.
Im normalen Ohre liegen dagegen die Verhältnisse ganz
anders. Es unterliegt keinem Zweifel — wie dies auch aus den
vor langen Jahren von Politzer angestellten und von mir be-
stätigten Versuchen hervorgeht — , dass auch hier die auf das
Trommelfell fallenden Schallwellen zum grossen Theil durch die
Luft der Trommelhöhle auf die Labyrinthwand treffen werden.
Diese Schallwellen müssen jedoch beim Durchgang durch das
Trommelfell so gedämpft werden, dass vorzugsweise diejenigen,
welche zum Promontorium gelangen, von diesem als einem von
der Luft so differenten Medium schwerlich aufgenommen, sondern
im Gegentheil zum grössten Theil reflectirt werden und zwar
in ähnlicher Weise, wie wir dies von den in das Ohr fallenden
Lichtstrahlen aus dem gelben Schein am Trommelfell kennen.
Zimmermann]^) ist freilich der Ansicht, dass die ver-
hältnissmässig sehr dünne Labyrinthkapsel gerade sehr geeignet
sei zur Aufnahme von Schallsehwingungen, während er dies der
Membran des runden Fensters wegen der seitlichen Lage des
letzteren abspricht; nach seiner Meinung soll diese Membran
nur dazu dienen, den auf diese Weise in das Labyrinth gelangten
Schwingungen auszuweichen. Hiergegen ist zunächst einzu-
wenden, dass der Druck in einem Hohlraum nach allen Seiten
der gleiche ist und somit auch durch die Membran des runden
Fensters Schallwellen aufgenommen werden müssen und zwar
um so leichter, als, wie bereits aus den Versuchen von Job.
Müller ersichtlich, Luftschallwellen durch eine gespannte Mem-
bran sehr gut auf das Labyrinthwasser übergeführt werden.
Was ferner das angebliche Ausweichen der etwa durch den Knochen
in die Schnecke gelangenden Schallwellen am runden Fenster
betrifft, so ist ein solches Ausweichen schon vom theoretischen
Standpunkte unwahrscheinlich, da es sich hier vorzugsweise um
Longitudinal- Schwingungen handelt. Ueberdies habe ich bereits
18642) durch die Section eines bei Lebzeiten akustisch unter-
suchten Falles von Missbildung des Ohres (rudimentäre Ohr-
1) Die Mechanik des Hörens und ihre Störungen. Wiesbaden. 1900.
2) Virchow's Arch. Bd. XXIX.
Zwei physiologisch-akustische Vorträge. 271
mnsohel und Mangel des * äusseren Gehörgangs) nachgewiesen,
dass auch beim Fehlen beider Labyrinthfenster Töne durch die
Eopfknochen deutlich percipirt werden, wo also überhaupt von
einem solchen Ausweichen der Schallwellen gar keine Bede sein
kann. In diesem Falle wurde die nur 'schwach angeschlagene,
auf den rudimentären Ohrknorpel aufgesetzte a*-Gabel deutlich
wahrgenommen. Die Section ergab an Stelle des Gehörgangs
solide Enochenmasse, die Trommelhöhle als Schlitz ohne Fenster,
vom Labyrinth den Gehörnerv, die Schnecke und die Bogengänge
wohl erhalten.
Zu den vorliegenden Beobachtungen ist noch hinzuznfUgen,
dass die hier vorgetragene Erklärungsweise nach meiner Ansicht
auch auf das aus Gummi elasticum angefertigte künstliche Trommel-
fell in vielen Fällen passen möchte, ferner auch in den Fällen, wo
die Gehörknöchelchen noch in situ erhalten, aber ^durch grossen
Defect des Trommelfells das Promontorium mehr oder weniger
frei gelegt ist. Hiermit stimmt auch die alte Erfahrung überein,
dass das sogen, künstliche Trommelfell bei grossen Trommelfell-
Perforationen sich am wirksamsten erweist.
2. lieber eine erfolgreiche Operation am runden
Fenster.
Die Operation betrifft eine 41jährige Frau B. Aufnahme
19.Mai 1900; progressive Schwerhörigkeit, wesentlich erhöht durch
Schreck in Folge des Selbstmordes ihres Gatten , sehr nervöse
Patientin. Beiderseits starke subjective Gehörsempfindungen,
besonders rechts, wo sie neben einem fortwährenden Gellen
und Dröhnen verschiedene Vogelstimmen hört. Fl. rechts 0,8
(3,5), links 1,3 (3,8). Beim Anblasen des äusseren Gehörgangs
rechts tieferes, links pfeifendes Geräusch. Trommelfell rechts
schlaff, links verdickt mit Adhäsion des Hammergriffes.
Es sollen hier nur die Beobachtungen am rechten Ohre
geschildert werden, und sei hier bemerkt, dass beide Ohren ohne
wesentlichen Erfolg bis zum 1. Juni 1900 mit der von mir ange-
gebenen Wassermassage behandelt wurden. Wegen der starken
subjectiven Gehörsempfindungen und der J grossen Erregtheit der
Patientin ist eine eingehende Tonuntersuchung rechts nicht mög-
lich und nur sicher zu constatiren, dass an dem letztgenannten
22"
Tage meine c^-Hammer-Gabel ^^ wahrgenommen wurde.
Auf dringenden Wunsch der Patientin wird am 2. Juni 1900
272 XVII. LÜCAE
die ExeiBion des Trommelfells mit Hammer und Amboss vorge-
nommen und zwar lediglich alsVersnch zur Heilung der subjeetiven
Beschwerden; die Blutung ist hierbei wegen der Atrophie des
Trommelfells sehr gering, und finden sich keinerlei Adhäsionen
an den Gehörknöchelchen. Der dem Gehörgang mehr als ge-
wöhnlich zugewandte Eingang des runden Fensters ist durch
zwei.halbkuglige sich in der Mitte berührende Exostosen yoU-
ständig geschlossen, sodass es nicht möglich ist, mit einer Nadel
zwischen dieselben einzudringen. Promontorial - Schleimhaut
sklerotisch verdickt, Steigbügel auf Sondendruck ziemlich beweg-
lich. Nach der Operation keine Beaction, aber auch keine
Besserung. Die anfänglich scheinbar geringer gewordenen sub-
jeetiven Oehörsempfindungen kehren sehr bald als „schreckliches
Gellen und Dröhnen^^ in der früheren Stärke zurück.
Unter diesen Umständen gab ich den weiteren Bitten der Pa-
tientin, doch Alles zu thun, um sie von ihrem furchtbaren Leiden
zu befreien, nach und unternahm, nach Vorbereitung am Ohrpräpa-
rate am 13. Juni 1900 in Narkose die Freilegung der Nische des
runden Fensters mit einer stecknadelkopfgrossen elektromagne-
tisch betriebenen Fräse. Die Operation, bei welcher die Fräse
kaum mehr als 1 mm tief eindrang, ging sehr schnell von Statten;
einmal glitt das Instrument ab und verursachte eine leichte,
bald heilende oberflächliche Verletzung des Promontoriums. Ein
Abfluss von Labyrinthflüssigkeit fand bei der Operation nicht statt.
Mit Ausnahme kurz anhaltender ziemlich heftiger Schmerzen
trat auch hier keine weitere Beaction ein als sehr grosse Em-
pfindlichkeit gegen jedes stärkere Geräusch, welche
jedoch nach 5 Tagen verschwand. Vom 24. Juni beginnt eine all-
mählich zunehmende Besserung des Gehörs ftir die Flüster-
sprache, welche am Tage der Entlassung (13. Nov. 1900) 3, 5 (3,
5, 8) weit gehört wird. Der Haupterfolg besteht aber in dem
gänzlichen Schwinden des „Gellen und Dröhnen",
an dessen Stelle nur noch Sausen zurückbleibt. Das runde
Fenster erscheint jetzt vollständig frei mit scharf contourirtem
inneren Bande und grösser als das jetzt klarer zu sehende ovale
Fenster mit Steigbügel. Bei der Entlassung hatte sich das
Trommelfell bis auf eine etwa erbsengrosse Lücke narbig
regenerirt.
Am 8. Juli 1901 sah ich die Kranke wieder. Der Erfolg war
ein dauernder geblieben, sowohl in Hinsicht der subjeetiven Ge-
hörsempfindungen, als der Function, wobei noch zu bemerken.
Zwei physiologisch-akustische Vorträge. 273
dasB die Hammer- e^ Gabel, deren Hörzeit bereits 8 Tage nach
der Operation zugenommen batte, jetzt 32^^ wahrgenommen wurde,
also um 10^^ mehr als vor der Operation. Das Trommelfell
zeigte sich jetzt bis auf eine ganz kleine Lücke regenerirt, welche
sich nach 17 Tagen vollständig schloss, mit Abnahme der Hör-
weite für die Fl. auf 2,0 (3, 5, 8), offenbar bedingt durch die
sehr dicke narbige Membran. Sofort wurde durch Cirkelsohnitt
letztere wieder entfernt. Als Patientin am 8. Aug. 1901 nach Hause
reisen musste, betrug die Hörweite für die Fl. 3,0 (3, 5, 8) ; das
Trommelfell hatte sich bereits wieder bis auf eine Oeffnung von
mehr als Erbsengrösse regenerirt. Die immerhin geringe Ab-
nahme der Hörweite erklärt sich wohl durch einen mit der Nach-
operation verbundenen kleinen Bluterguss in die Nische des
runden Fensters. Hinsichtlich der subjectiven Gehörsempfindungen
hatte keine Veränderung stattgefunden. —
Es ist ein eigenthümliches Zusammentreffen, dass Zimmer-
mann in seiner oben citirten Schrift i) eine ähnliche Operation
empfiehlt und auch bereits, wenn auch erfolglos, am Lebenden aus-
geführt hat. Ich sage „ähnliche^^ da es sich bei Zimmer-
mann um die Wegnahme der pathologisch verdickten Membran,
demnach also unter Abfluss des Labyrinthwassers, bei meiner
Operation jedoch nur um die Eröffnung der Nische des runden
Fensters handelt. Es ist hierzu zu bemerken, dass nach meinen
anatomischen Untersuchungen an vier von Normalhörenden
stammenden Präparaten die Membran des runden Fensters etwa
1,5 mm von dem Eingang des letzteren entfernt liegt.
Der zufällige von selbst zur Operation auffordernde Befund
in diesem Falle erinnert sehr an den gleichartigen Verschluss
des äusseren Gehörgangs durch Exostosen und dürfte nach meiner
Ueberzeugung sehr bald nicht mehr vereinzelt dastehn. Hat doch
schon Cassebohm^) knöcherne Verengerungen des runden
Fensters als Vorkommnisse bei Greisen beschrieben. Wie mein
Fall lehrt, kommen solche knöcherne Verschlüsse auch im mitt-
leren Lebensalter vor und nach einer zufälligen von ZaufaPj
am Schädel eines neunjährigen Knaben gemachten Beobachtung
1) Nach brieflicher MittheiluDg des Herrn Verlegers Bergmann ist
dieselbe im November 1900 ausgegeben worden. Es konnte mir daher, als
ich im Juni desselben Jahres die Operation vornahm, von dem Vorschlage
Zimmermann 's nichts bekannt sein.
2) Tractatus quatuor anatomici de aure humana etc. 1734, p. 39.
3) Dieses Archiv. II. S. 48.
274 XVII. LÜCAE
sogar bei Kindern. Es ist daraus anzunehmen, dass derartige
Yerscblflsse des runden Fensters in jedem Lebensalter vorkommen
können, und es wird somit die Aufgabe sein, besonders in Fällen
von sog. Sklerose den Zustand der Nische des runden Fensters
genauer zu prüfen und eventuell die beschriebene, ungefährliche
Operation vorzunehmen.
IL Beobachtung der Tonschwingungen des Trommelfells
am lebenden Ohr.
Seit langer Zeit liegen bereits directe Beobachtungen der
akustischen Schwingungen des Trommelfells am todten Gehör-
organe vor. Es handelt sich dabei besonders um die nach ver-
schiedenen Methoden erreichte optische Darstellung der Schwin-
gungen. Ohne auf diese Untersuchungen näher einzugehn, will
ich hier nur die so interessante stroboskopische Methode hervor-
heben, mit der es Mach und Kessel bereits im Jahre 1873
gelang, durch scheinbare Terlangsamung der Schwingungen die
Bewegung des Trommelfells am Ohrpräparate sichtbar zu machen ;
als Tonquellen dienten hierzu Pfeifen und zur intermittirenden
Beleuchtung König 'sehe Flammen.
Diese Methode nunmehr auch am lebenden Grehörorgan
vorzunehmen, schien um so nothwendiger, als bei den Versuchen
am todten Ohr durch Oeffnung der Paukenhöhle, des Vorhofes
U.S.W. die natürlichen Resonanz -Verhältnisse des Gehörorganes
erheblich alterirt werden.
Ich benutzte zu meinen Versuchen zunächst die bekannte
stroboskopische Drehscheibe in Form einer kleinen an dem Be-
leuehtungsspiegel excentrisoh angebrachten Sirene mit 10 Löchern
nach dem Vorgang von Oertel und Spiess, welche das gleiche
Verfahren zur Beobachtung der Schwingungen der Stimmbänder
anwandten.
Da es sich bei meinen Versuchen i) in erster Linie um die
Diagnose der Bewegungen des schallleitenden Apparates handelte,
wurde das Trommelfell mit Hilfe eines Pneumomotors (sog.
pneumatische Massage) in kräftige Vibrationen gesetzt, deren
Geschwindigkeit bis 2000 in der Minute gesteigert werden
konnte. Dem Ohre zugeführt und beobachtet wurden diese Luft-
druckschwankungen durch einen nicht luftdicht im Ohre sitzen-
1) Zuerst demonstrirt in der Juli-Sitzung 1901 der Berliner otologischen
Gesellschaft. Die ausführliche Arbeit erschien im LUX. Bande dieses
Archives.
Zwei physiologisch-akustische Vorträge. 275
den Siegle'schen Ohrtrichter unter einer Vergrösserung von
10 Dioptrien. Diese Versuche, welche in ihrer Anordnung der
natürlichenÄufnahme t i e f s t e r Töne einigermaassen nahe kommen,
ergaben zunächst mit grosser Gonstanz das Resultat, dass im
normalen Zustande die Trommelschwingungen hierbei vorzugs-
weise am hinteren oberen Quadranten und am Hammergriff auf-
traten, während am unteren Trommelfell-Abschnitt (Lichtkegel)
nur geringe Bewegungen zu sehen waren. — Selbstverständlich
war es zu genaueren physiologischen Zwecken nöthig, diese
Versuche auf musikalische Töne auszudehnen und zur bequemeren
Beobachtung der Schwingungen die stroboskopische Scheibe elek-
tromagnetisch in Betrieb zu setzen. Diese Aufgabe bot mancherlei
Schwierigkeiten, welche einem befriedigenden Resultat bisher im
Wege standen.
Indessen gelang es mir, mit Hilfe einer dem stroboskopischen
Verfahren sehr verwandten Methode in leichterer Weise das Ziel
zunächst für tiefere Töne zu erreichen. Es geschah dies unter
Benützung der durch Interferenz zweier Töne hervorgebrachten
Schwebungen oder besser Stösse, wie sie einer ihrer ersten Be-
obachter Scheibler sehr treffend bezeichnete. Wie die Anzahl
der stroboskopischen Schwingungen = der Differenz zwischen
der Schwingungsperiode des beobachteten Körpers und der
intermittirenden Beleuchtung resp. Beobachtung desselben, so ist
hier bekanntlich die Zahl der Stösse = der Differenz in der
Schwingungsperiode beider Klänge. Der wesentliche Unterschied
ist jedoch, dass es sich dort nur um eine scheinbare, hier jedoch
um eine wirkliehe Verlangsamung der Schwingungen handelt.
Wie Helmholtz hervorhebt, bieten die Schwebungen eben den
Vortheil, dass sie sehr kräftig vom Ohre wahrgenommen werden,
besonders bei Benützung von Stimmgabeln oder gedackten
Pfeifen, weil hier der Ton in den Pausen wirklich ganz ver-
sehwindet. Am todten Ohre wurden die Schwebungen zuerst
von Politzer!) unter Benutzung zweier Pfeifen durch Ankittung
von Fühlhebeln auf die Gehörknöchelchen graphisch dargestellt,
während ich 2) dieselbe graphische Methode anwandte, um mit
Hilfe zweier um einen Halbton differirender Stimmgabeln die
Mitschwingung des sohalUeitenden Apparates bei der Schall-
leitung durch die Kopfknochen nachzuweisen.
Bei den vorstehenden Versuchen geschah die Tonzuführung
1) Dieses Archiv. I. S. 66.
2) Ebenda. S. 310.
276 XVU. LÜCAE
zum Ohre und die Beobachtung der Schwingangen wie oben durch
den Siegle'sohen Trichter. Als Tonquellen dienten zwei auf
G =» 1 28 y. d. abgestimmte gedackte Pfeifen, von denen die eine
mittelst eines ausziehbaren Stopfens in der Tonhöhe beliebig ge-
ändert werden konnte. Am zweckm&ssigsten fand ich es, letztere
etwa um einen Yiertelton höher zu stimmen, wodurch etwa 5 noch
bequem zu zählende Stösse in der Seounde hervorgebracht wurden.
Die Pfeifen standen neben einander auf einem Blasetisch; in jeder
war in der Mitte einer Wand eine Oeffnung angebracht, in welcher
je ein Schenkel eines gabelförmigen T-Rohres luftdicht eingefHigt
war, dessen dritter Schenkel durch ein längeres Gummirohr die
Verbindung mit dem S i e g 1 e'schen Trichter herstellte.
Als Versuchsindividuen dienten junge Leute mit vollkom-
men normalem Gehör nnd auch anatomisch normalem Trommel-
felle. Besonders ist hervorzuheben, dass auch hier der Siegle' sehe
Ohrtrichter nicht luftdicht in das Ohr eingesetzt wurde. Als
Lichtquelle diente eine Gas-Glühlampe mit abblendendem Thon-
cylinder und zur Beleuchtung ein einfacher Hand-Reflector.^)
Als Resultat ergab sich hierbei Folgendes : Man sieht sofort
beim Anblasen der Pfeifen eine wallende Bewegung des hinteren
oberen Trommelfell- Quadranten dicht hinter dem Hammergriff, wäh-
rend die übrigen Trommelfelltheile sich ruhig verhalten. Ein noch ge-
naueres Resultat erhält man, wenn man (wie dies auch bei den obigen
stroboskopischen Versuchen geschah) zuvor mit Goldbronce auf die
verschiedenen Trommelfell- Abschnitte, auf den kurzen Hammer-
fortsatz und auf den Lichtkegel kleine Pünktchen aulpinselt: An
dem oberen hinteren Quadranten seheinen jetzt die einzelnen Gold-
pünktchen dem beobachtenden Auge ziemlich langsam entgegen zu
springen. Wählt man statt der benützten Vergrösserung von 10 Di-
optrien eine solche von 14, so zeigen sich an den genannten Stellen
die einzelnen Punkte als feine Goldstreifen, welche sich saiten-
fÖrmig zu bewegen scheinen. Auch bei Anwendung dieses Hilfs-
mittels verhielten sich bei öfterer Wiederholung der Versuche die
übrigen Theile ruhig; nur einmal schien oberhalb des Lichtkegels
eine kleine Bewegung aufzutreten.
Es ist hiermit auch am Lebenden erwiesen, dass das Trommel-
fell die Stösse zweier Töne mitmacht. Von weiterem Interesse ist
die Thatsache, dass für tiefe Töne diese Mitschwingung allein am
1) Es ist mir eine angenehme Pflicht, an dieser Stelle hervorzuheben,
dass Herr Dr. Heine, erster Assistent an der Berliner Universitäts-Ohrenklinik,
mich in dankenswerther Weise hierbei unterstützte.
Zwei physiologisch-akustische Vorträge. 277
Unteren oberen Quadranten zu erfolgen soheint, wobei zu be-
merken, dass die Pfeifen stets unter möglichst gleichem Druok an-
geblasen wurden. Dies Resultat stimmt sowohl mit der Theorie
der Mitsehwingung als auch mit der anatomischen Beschaffenheit
des genannten Trommelfell- Abschnittes gut überein. Nach Helm-
holtz können Schwebungen in einem elastischen Körper durch
Mitschwingen nur zu Stande kommen, „wenn die beiden erregen-
den Töne dem Grundton des mitschwingenden Körpers nahe genug
liegen, dass derselbe von beiden Tönen in merkliches Mitschwingen
versetzt wird." Wir wissen ferner, dass gerade der hintere obere
Theil des Trommelfells am wenigsten gespannt ist, so dass er sich
z. B. bei pathologischen Einziehungen der Membran leicht in Falten
legt und somit von vornherein zur Aufnahme tieferer Töne geeignet
erscheint. Von Bedeutung ist ausserdem, dsss diese Beobachtungen
auch mit den obigen mit Hilfe des stroboskopischen Verfahrens er-
zielten Resultaten gut Obereinstimmen. Es wird die weitere Auf-
gabe sein, diese Versuche auch auf die höheren Töne auszu-
dehnen. —
Am Schlüsse dieser Mittheilung muss ich dem Herrn Prof.
Edlefsen und Herrn Prof. Boeger vom Realgymnasium in
Hamburg noch meinen Dank aussprechen für die vielfachen Vor-
bereitungen, welche es mir möglich machten, die Demonstration
der vorliegenden Versuche mit Erfolg auszufahren. Letzterer hatte
die besondere Liebenswürdigkeit, die Installation meiner Apparate
vorzunehmen, mir einige seiner Schüler für die Demonstrationen
zur Verfügung zu stellen und den zeitraubenden Vorversuchen, bei
denen mich auch Herr College Dr. F eigner aus Altena freund-
lichst unterstützte, beizuwohnen.
XVlil.
73. Versamminng deutscher Naturforscher and Aerzte in
Hamburg, vom 22. bis 28. September 1901.
20. Abtheilnng: Hals-, Nasen- und Ohrenkrankheiten.
Bericht von
Dr. Rad. Meyer (Hamburg).
Einfthrende : Dr. Thost, S. R. Dr. Ludewig, Dr. Zarniko.
Sitzung vom 23. September 1901, Nachmittags 2 ühr.
Vorsitzender: Schwartze (Halle).
Vor Eintritt in die YerhandluDgen ergreift Schwartze (Halle) das
Wort zu einem energischen Protest, dass auf der diesjährigen Naturforscher-
Versammlung wieder beliebt worden sei, die Section fOr Otologie mit derjenigen
fOr Laryngologie zu yerbinden. S. weist darauf hin, dass vor ca. 30 Jahren
die Otologie sich ihre selbstst&ndige Stellung auf diesen Versammlungen er-
rungen habe, und sieht es vom wissenschaftlichen Standpunkte aus als eine
dringende Nothwendigkeit an, dass sie dieselbe auch in Zukunft beibehalte.
Die Verbindung mit anderen Disciplinen, vor Allem aber mit der Laryngologie,
könne der weiteren Entwickelung der Ohrenheilkunde nur hinderlich sein. Der
Umstand, dass es heutzutage für die praktische Thätigkeit des Arztes aus
äusseren Granden vielfach üblich geworden sei, beide Disciplinen zu cultiviren,
könne nicht als maassgebender Grund angesehen werden, um auf diesen
wissenschaftlichen Versammlungen zwei sich ganz fern liegende Gebiete zu-
sammenzuzwängen.
Lucae (Berlin) unterstützt diesen Protest.
1. Lucae (Berlin), Beiträge zur Function der Membran des runden
Fensters.
a) Eine bisher unbekannte Wirkungsart des sogenannten künstlichen
Trommelfells.
Redner bezieht die Wirkung des künstlichen Trommelfells (Wattekügel-
chen) bei isolirtem Steigbügel weniger auf eine Drucksteigerung im Laby-
rinth als vielmehr auf eine Wiederherstellung der durch Lahmlegung des Ten-
sor tympani zu Grunde gegangenen natürlichen Dämpfung. Er constatirte
ferner bei mehreren Fällen von vollkommen frei liegendem Promontorium,
dass die plötzliche Hörverbesserung dann eintrat, wenn er ohne jede Be-
rührung des Steigbügels oder des runden Fensters den vorderen Theil des
Promontorium mit dem Wattekügelchen (trocken oder feucht) bedeckte. L.
erklärte diese Erscheinung dadurch, dass durch die Wattepolsterung des
Promontorium die Labyrinthkapsel als Schalleiter gewissermaassen ausge-
schaltet würde und dass dann die Schallwellen lediglich durch die Laby-
rinthfenster, besonders durch die Membran des runden Fensters, zum Inhalt
der Schnecke geleitet würden, wodurch eine Interferenz beider Leitungen ver-
mieden und so die Hörfähigkeit verbessert würde. Beim normalen Ohre würde
diese Interferenz dadurch ausgeschaltet, dass die das Promontorium treffen-
den Schallwellen ohnehin durch das Trommelfell gedämpft von der Labyrinth-
kapsel zum gross ten Theile reüectirt würden.
Bericht d. Td.Versamml. deutsch. Naturforscher u. Aerzte in Hamburg. 279
b) Eine erfolgreiche Operation am runden Fenster.
41 jährige, sehr nervöse Frau; Klagen über Schwerhörigkeit und stark
subjective Geräusche, Gellen und Dröhnen, namentlich rechts. Dieserhalb
am 2. Juni 190U Excision des rechten Trommelfells nebst Hammer und Am-
boss. Das runde Fenster zeigte sich durch zwei halbkuglige Exostosen völlig
verdeckt, welche L. 11 Tage nach der ersten Operation vermittelst einer
stecknadelkopfgrossen, elektrisch getriebenen Fraise entfernte. Während nach
der ersten Operation der Zustand unverändert blieb, trat in Folge der zweiten
4Ülmählich zunehmende Hörverbesserung und völliges Verschwinden des
Gellens und Dröhnens ein, an dessen Stelle nur noch leichtes Sausen zurdck-
blieb. Dies günstige Resultat war auch ein Jahr nach der Operation noch
zu constatireii.
Keine Dlscussion.
2. Schwartze (Halle): Die diagnostische Bedeutung der Lum-
balpunction für die Otologie.
Auf dem Congress für innere Medicin in Wiesbaden 1891 machte
H. Quincke gelegentlich eines Vortrages über HydrocephaluB die erste Mit-
theilung über einen von ihm zuerst in Anwendung gezogenen, neuen thera-
peutischen Eingriff, welchem er den Namen Lumbalpunction gegeben hat,
d. h. die Function des Wirbelkanals in der Lumbaigegend. Der Name ist
allgemein acceptirt und allgemein gebräuchlich geworden, obwohl die Be-
zeichnung Spinalpunction vielleicht richtiger gewesen wäre. In der Discussion
über den Quincke'scben Vortrag machte Bäum 1er darauf aufmerksam,
dass das von Quincke empfohlene therapeutische Verfahren auch bei
Meningitis tuberculosa zu versuchen sei. In der ersten 1891 in der Berl. klin.
Wochenschrift erschienenen Arbeit von Quincke sagt er, dass er die Lum-
balpunction angewandt habe „zur Herabsetzung des abnormen Druckes in
den Hirnventrikein*". Dann beisst es wörtlich: „Die Function ist therapeutisch
indicirt durch Druckerhöbung im Gebiete der Cerebrospinalflüssigkeit, wie
in anderen serösen Höhlen**.
Die diagnostische Bedeutung des Verfahrens, welche später in den
Vordergrund trat und insbesondere für die Otologie von Wichtigkeit wurde,
bat Quincke in diesem ersten Aufsatz nur nebenbei erwähnt mit den
Worten : „Ich würde auch kein Bedenken tragen, die Lumbalpunction unter
Umständen zum Zwecke der Diagnose vorzunehmen. Man würde dadurch
feststellen können, ob überhaupt eine Erhöhung des Cerebrospinaldruckes
besteht, ob vielleicht der intracranielle Druck allein erhöht ist, ob menin-
gitische Blutungen bestehen'^. Die Literatur über dieses neue Verfahren ist
inzwischen eine ziemlich grosse geworden, insbesondere seit dem Jahre 1895.
Etwa 30 grössere Fublicationen darüber liegen bereits vor. Das allgemeine Re-
sultat derselben ist dahin zusammenzufassen, dass die Mehrzahl der Autoren wie
auch Quincke selbst zu der Ansicht gekommen ist, dass der Erfolg des
Verfahrens bei tuberculöser und seröser Meningitis zumeist nur ein vorüber-
gehender war. Es sei daher die Lumbalpunction ein anscheinend ungefähr-
liches, aber nicht immer sicheres Falliativum bei den Symptomen erhöhten
Hirndrucks. Nur wenige Autoren halten fest an der Ueberzeugung von einer
dauernden therapeutischen Wirkung des Verfahrens. Dagegen ist die Lum-
balpunction als diagnostisches Hülfsmittel bei intracraniellen Erkran-
kungen zu fast allgemeiner Anerkennung gekommen.
Seit 1895 ist die Lumbalpunction auch in der Universitäts-Ohrenkliuik
in Halle als diagnostisches Hülfsmittel benutzt wordea, um bei Otitis puru-
lenta mit intracraniellen Complicationen das Vorbandensein einer noch zweifel-
haften Meningitis purulenta diffusa festzustellen, eventuell dadurch unnütze
operative Eingriffe am Ohre zu vermeiden, oder um bei normaler Beschaffen-
heit des Liquor cerebrospinalis Aufklärung zu gewinnen für die differentiale
Diagnose der vorliegenden Complication und gleichzeitig einen Anhaltspunkt
für die Indication anderweitiger chirurgischer Eingriffe (Sinusthrombose,
Hirnabscess).
Die ersten Mittheilungen unserer Ergebnisse sind auf meine Veran-
lassung von meinem damaligen Assistenten Dr. Leutert 1897 in der Mün-
€hener med. Wochenschrift erfolgt und bezogen sich im Ganzen nur auf 12
Archiv f. Ohrenheilkunde. LIV. Bd. 19
280 XVIII. MEYER
Fälle. Seitdem haben sieb unsere Erfabrungen mit der Lumbalpunction be-
trächtlich vermehrt. Ueber 67 Fälle an 48 Patienten ist ein ausführlicher
Bericht meines jetzigen Assistenten Dr. Braunstein^) zusammengestellt und
will ich das allgemeine Resultat dieses Berichtes hier in Kürze mittheilen:
1) Der bestimmt nachgewiesene negative Befund des Punctionsergebnisses
d. h. die Entleerung normal klaren Liquors schliesst bei Otitis purulenta mit
intracraniellen Complicationen das Bestehen einer Meningitis purulenta diffusa
sicher aus.
2) Der poBiti?e Befund (Trübung durch vermehrte Leukocyten und
Mikroorganismen) beweist unter denselben Verhältnissen das Bestehen einer
Meningitisp urulenta diffusa oder einer Meningitis cerebrospinalis; der letzteren,
wenn im Liquor der Meniogococcus intraceUularis nachgewiesen ist.
3) Die opalescirende Trübung des Liquors ohne Leukocytenvermehrung
sichert mit grosser Wahrscheinlichkeit den Schluss auf eine die Otitis com-
plicirende Meningitis tuberculosa, auch wenn keine Tuberkelbacillen im Liquor
gefunden worden.
4) Durch unsere Erfahrungen ist erwiesen, dass eine Sinusthrombose
eine bedeutende Vermehrung des Liquor cerebrospinalis zur Folge hat.
5) Die Lumbalpunction ist bei richtiger Technik, wenn nicht aspirirt
wird, ein ungefährlicher Eingriff.
Hiernach haben wir also in der Lumbalpunction ein diagnostisches
Hülfsmittel von ganz hervorragender Bedeutung für die Otologie, das sich
vollwerthig an andere seit langer Zeit erprobte Untersuchungsmethoden an-
reiht und dessen häufigere Verwendung für diagnostische Zwecke uns unent-
behrlich scheint. Die Otologie ist für die Auffindung dieses diagnostischen
Hülfsmittels dem Director der medicinischen Klinik in Kiel Prof essor H. Quinke
zu ganz besonderem Danke verpflichtet und erachte ich es für angemessen,
dies hier in unserer Section öffentlich zu bekennen.
Discussion: 1) Leutert (Königsberg), 2) Win ekler (Bremen) ist der
Ansicht, dass es in manchen Fällen besser ist, sofort operativ einzugreifen,
als das Resultat der Lumbalpunction abzuwarten. 3) Schwartze (Schluss-
wort). Wo die Diagnose ohne Weiteres klar ist, sicher; wo aber Zweifel über
die Natur der vorliegenden intracraniellen Complicationen bestehen, müssen
diese vorher durch das Ergebniss der Lumbalpunction aufgeklärt werden.
3. Friedrich (Kiel): Weitere Beobachtungen über den diaguostischea
Werth der Acusticus-Reaction.
F. hat in einer früheren Arbeit an 13 normalen und 87 verschieden
erkrankten Gehörorganen Untersuchungen angestellt mit dem Resultat, dass^
die Reactionsformel bei elektrischer Reizung des Ohres eine Gesetzmässigkeit
besitzt; welche sich mit dem Pflüger'schen Zuckungsgesetz deckt und der
Brenner*scben Formel entspricht.
Jedoch kann diese P'ormel nicht als Kormalformel aufgestellt werden,,
wie dies schon von Schwartze u. A. nachgewiesen ist, da sie sich nur in
verschwindend geringer Anzahl bei gesunden, mit einer gewissen Gesetz-
mässigkeit dagegen bei erkrankten Gehörorganen findet. F. hat
nun zwar Modificationen der Brenner*8chen Formel gefunden : a) eine rudi-
mentäre Formel, die sich ausschliesslich als Ka — S und Ka— D: Sensation
äussert und sich bei Erkrankungen des Mittelohres häufiger findet, b) eine
paradoxe Formel in Fällen von solcher Reaction, dass sich zu den Gehörs-
sensationen auf dem armirten Ohr auch solche auf der nicht armirten Seite
gesellen. Das Aultreten einer paradoxen Reaction ist noch mehr wie der
Nachweis der Brenner'scben Formel nahezu pathognomisch für eine nervöse
Ohrerkrankung. — Es gelangten im Wesentlichen Ströme bis zu 15 M. A. zur
Anwendung. — In einer neuen Versuchsreihe, welche sich auf 4*2 Fälle er-
streckt, hat F. nun seine früheren Beobachtungen bestätigt gefunden. Er
erläutert dieselben durch eine diesbezügliche Tabelle.
Keine Discussion.
4. Hartmann (Berlin): Die Schwerhörigen in der Schule.
Nach Anführung einer Anzahl statistischer Erhebungen über das Vor-
1) Inzwischen in diesem Archiv erschienen. Bd. LIV. S. 7.
fiericht d. 73. Yersamml. deutsch. Natarforscher u. Aerzte in Hamburg. 281
kommen von Schwerhörigkeit in der Schule (u. A. Bezold -München von
2000 Schulkindern 20>, Rieht er- Grosswartenberf? von 700 Kindern 110
schwerhöri») und nach Erläuterung der aus der Schwerhöriiskeit resultirenden
Uebelstände beim Unterricht kommt Redner zu folgenden Schlusst'olgerungen :
1. Da in den Schulen sich eine beträchtliche Anzahl von Kindern be-
findet mit heilbarer Schwerhörigkeit, welchen keine Behandlung zu Theil
wird, ist schon aus diesem Grunde die Einwirkung von Aerzten an den Schulen
erforderlich. Die Aerzte haben die Aufgabe, die Ursache einer bestehenden
Schwerhörigkeit festzustellen und dafür Sorge zu tragen, dass dieselbe be-
seitigt wird, soweit dies möglich ist.
2. In Städten, in welchen sich Ohrenärzte befinden, muss die Mitwir-
kung von Ohrenärzten als wünschenswerth betrachtet werden.
3. Für Kinder mit hochgradiger Schwerhörigkeit, welche durch eine Be-
handlung nicht beseitigt werden kann, muss besondere Fürsorge getrofifen
werden, da ohne eine solche, ebenso wie bei Taubstummen, die geistige Ent-
wicklung auf einer tiefen Stute bleibt.
4. Hochgradig schwerhörige Kinder müssen durch Erlernen des Abse-
hens vom Munde und durch Kachhülfeunterricht so gefördert werden, dass
sie am Klassenunterricht mit Erfolg theilnehmen können. Kann ein solcher
Abseh- und Nachhülfeunterricht nicht eingerichtet werden, so müssen die
Kinder einer Taubstummenanstalt überwiesen werden.
5. Ostmann (Marburg): Die Krankheiten des Gehörorgans
unter den Schulkindern des Kreises Marburg.
In Ergänzung zu den zahlreichen bisher puplicirten Untersuchungen
von Ohrerkrankungen bei Kindern städtischer Schulen hat 0. sich der müh-
tiamen Arbeit unterzogen, eine diesbezügliche Statistik bei Schulkindern
des flachen Landes aufzustellen. Es handelte sich um 70 Landschulen ;
untersucht wurden 7537 Kinder im Alter von 6 — 13 Jahren. Von diesen
hörten 2142 auf beiden oder einem Ohr unter 4 bew. 8 m. Flüstersprache,
mussten also als hochgradig, erheblich oder massig schwerhörig bezeichnet
werden. Fast ausnahmslos bestanden bei den betreifenden Kindern schwere
krankhafte Veränderungen des Gehörorgans. An der Hand zweier Tabellen
zeigt Redner, dass die meisten Schwerhörigen gefunden wurden 1. in den
Dörfern der unmittelbaren Umgebung Marburgs (Fabrikbevölkerung), 2. in
den am weitesten von Marburg gelegenen (Gebirgs)-Ortschaften (ärmliche Be-
völkerung und Mangel an Aerzten), während in den zwischen diesen beiden
Zonen liegenden Dörfern die Anzahl der Schwerhörigen durchweg erheblich
geringer war. Die Statistik ergab ferner, dass die Disposition zu Ohrer-
krankungen bei Knaben sowohl wie bei Mädchen bis zum 8. Lebensjahre
eine steigende Tendenz aufwies, dann aber, nach leichtem Anstieg im 10. Lebens-
jahr, erheblich sank, um zur Zeit der Pubertät wieder stärker hervorzu-
treten.
Diskussion zu 4 und 5.
1. Schwartze (Halle) erwähnt, dass ähnliche Untersuchungen mit
gleichem Resultate unter der Landbevölkerung von Sachsen- Meiningen durch
Medizinalrath Dr. Leu bus eher- Meiningen vorgenommen sind.
2. Ehren fried (Kattowitz) kann dasselbe bestätigen von Kattowitz-
Königshütte und Umgebung.
6. Bert hold (Königsberg): Ueber Diplacusis monauralis (erscheint
ausführlich in diesem Archiv).
Autoreferat: B. hat im Sommer dieses Jahres Gelegenheit gehabt, einen
Musiker, der an Diplacusis monauralis litt, genauer zu beobachten. Das
Doppelthören trat erst drei Wochen nach dem Beginn einer acuten exsuda-
tiven Mittelohrentzündung des linken Ohr auf. Die Erklärung der Diplacusis
erfordert heute, nachdem von den Mikroskopikern der Machweis getührt ist,
dass nicht, wie es Helmholtz annahm, an jedes Corti*schen Faserchen eine
Nervenendigung des Acusticus herantritt, sondern dass jedes Corti'sche Fäser-
chen von einem ganzen Büschel von Verzweigungen der Nervenfasern um-
geben wird, eine kleine Modification. Das Gesetz von den specifischen
Sinneseuergieen fordert nur, dass jeder Reiz, der ein Sinnesepithel trifi't, auf
einem besonderen Wege zum Centralorgan geleitet wird; ob diese Leitung
19*
282 XVIII. MEYER
durch eine einzelne besondere Nervenfaser erfolgt, oder ob ein ganzes Büschel
Ton Nervenfaser- Verzweigangen die SchallQbertragung vermittelt, ist dabei
gleichgültig. Es ist nur nothwendig, dass die Gombinationen der Nervenver-
zweigungen, welche die Corti*schen Fäserchen umspinnen, verschieden sind.
Nie dürfen zwei gleiche Gombinationen bei der Versorgung der Gorti*schen
Fftsercfaen vorkommen.
An einzelnen Rechnungsbeispielen zeigt B., dass durch diese Gombinationen
der Nervenverzweigungen gleichzeitig eine Ersparniss an Nervenfasern zu
Stande kommen kann.
Keine Discussion. /
Sitzung vom 24. September, Nachmittags 2 Uhr.
Vorsitzer: Lucae (Berlin).
7. Avellis (Frankfurt a. M.): Giebt die vergleichende Physiologie eine
Antwort auf die Frage nach dem proportionalen Verhältoiss zwischen der Ge-
sangsleistung und dem Bau des 8ingorgans?
Discussion: 1. Thost (Hamburg), 2. Heynemann (Berlin), 3. Barth,
(Sensburg), 4. Ehren fr ied (Kattowitz), 5. Berthold (Königsberg).
8. Rudolf Panse (Dresden): Ueber den Schwindel.
Autoreferat: Unter Schwindel verstehen wir eine Täuschung über unser
Verh<niss zum Räume. Unter gewöhnlichen Verhältnissen wissen wir, ob wir
liegen, gerade oder gebeugt stehen; in grader Bewegung nach vorn, hinten,
seitlich, oben sind, uns bücken, mit geradem oder bewegtem Kopfe drehen.
Täuschungen werden entweder als Veränderungen unserer Körperlage em-
pfunden als Neigung, Bewegung, Drehung, oder auf die Umgebung bezogen,
die dann auf uns zu kommen, von uns weg zu gehen, sich zu senken oder
zu drehen scheint. 3 Sinnesbabnen unterrichten uns, meist uns unbewusst
über das Verbältniss unseres Körpers zum Räume: 1. die Augen, 2. die kin-
ästhetischen Gefühle, 3. der Vestibularapparat.
Wir schätzen durch das Auge die Entfernung zwischen uns und der Um-
gebung ab 1. durch Einstellen der Linse, 2. durch Convcrgenz der Bulbi,
3. durch Richten der Augen, und den zu diesen Bewegungen nöthigen Inner-
vationsimpulsen. Reize, die zu Erweiterung oder Verengung der Pupille
führen, Lähmungen der Augenmuskeln, die dem Innervationsimpuls nicht die
gewohnte Wirkung folgen lassen, reüectorische Augenzuckungen fälschen die
Gesichtseindrücke und führen zu Augenschwindel, wenn nicht die anderen
Sinne den Eindruck verbessern. Die Augenbewegung geschieht auf dem W^e
Opticu8-(pupillarfasern) Vierhügel oculomotorius, hinteres Längsbündel abducens
trochlaris. Die zweite Bahn ist die, welche die Gefühle der Haut, Muskeln
(Eingeweide) leitet. Mach brachte durch Luftdruckveränderungen an den
Fusssohlen das Gefühl von Emporsteigen des Bodens hervor, durch schnell
ausfiiessende, an den Schultern angebrachte Wassergefässe das Gefühl, als
strecke sich der Körper. Vierordt erzeugte Gleichgewichtsstörungen durch
Anästhesiren der Fusssohlen. Ich konnte nach längerem Tragen des Ruck-
sackes beim Abnehmen Taumeln nach vorwärts beobachten.
Die Bahnen, auf welchen Haut- und Muskelgefühle geleitet werden, sind :
sensible Nerven, hintere Wurzeln, Hinter st ränge, deren Kerne, von denen
einestheils die sensiblen Schleifenbahnen zur Grosshirnrinde, anderntheils im
hinteren Kleinhirnschenkei Fasern zum Kleinhirn gehen. Die Kleinhirn-
seitenstrangbahnen gehen im Corpus restiforme, durch den unteren Kleinhirn -
Schenkel zum vorderen Theil der Rinde des Vermis sup. Ferner dient ein
Theil der fibrae cerobelloolivares und der aufsteigende Fasciculus antrolateralis
cerebellopetal das Gleichgewicht. Gerebellofugal sind t. im hinteren
Schenkel vorderes Handbündel, hinteres Längsbündel, intermediäres Seiten-
strangbündel, ein Theil des Fibrae cerebelloolivares (zum Vorderhorne des Hals-
markes, Fasern zu den oberue Oliven-Abducens, 2. im spinalen Bündel des
mittleren Schenkels Fasern zumNucleus reticularis (Vorderseitenstranggruud-
bündeln) im centralen Bündel Fasern zu den Brückenganglien Pyramidenbahnen,
3. im vorderen Schenkel Fasern zum Oculomotoriuskern. — Schwächung
oder Fälschung des Haut-Muskelgefühles kann entstehen durch Erkrankung
Bericht d. Td.Versamml. deutsch. Naturforscher u. Aerzte in Hamburg. 283
peripherer Nerven, hinterer Wurzeln, der Hinterstränge (Tabes) der Klein-
birnseitenstr&Dge (Friedreich *s heredit. Ataxie).
Die dritte Nervenbahn ist der Vestibularis. Durch veränderten Druck
der Otolithen auf die Haarzellen des Utriculus und Sacculus bei Bewegungen,
durch Abbiegen der Hörhaare der Ampullen bei Drehungen wird der Vesti-
bularis erregt. Längere Drehung, starker Schall und Reize vom Gehörgang
und Pauke erregen Schwindel, als sichtbaren Ausdruck Taumeln und Nystag-
mus, da der Vestibularis keinen absteigenden Eeflezbogen besitzt, sondern die
der beiden anderen Bahnen beeinflusst. Die Verbindungendes Vestibularis ver-
laufen vom vorderen Kern zur oberen Olive — Abducens — hinteres Längs-
bündel trochlearis oculomotorius. Fasern vom Deiters*.schen Kern führen zu
den SeitenstranggrundbündelD,vom Oculomotoriuskern zum Vorderstranggrund-
bündel. Vom Nucleus Bechterew gehen Fasern zum Nucl. globosus und zur
Rinde, von Nucl. anterior zur oberen Olive und Nucl. tegmenti und da zur
Rinde. So sind alle 3 Sinnesbahnen mit dem Kleinhirn verbunden, welches
die ihm zufliessenden Eindrücke zu einer subcorticalen Vorstellung von unserem
Verhältniss zum Räume verbindet. — Weist schon die Thatsache, dass
eutgrosshirnte Thiere und Epileptiker gehen und stehen können, dass andrer-
seits bei ruhendem Grosshirne, — im Schlafe Schwindel auftreten kann, da-
rauf hin, dass das Grosshirn zur Erhaltung des Gleichgewichtes nicht nöthig
ist, so wird das Kleinhirn als Centrum des Gleichgewichtes durch die Lage
aller Verbindungsbahnen der 3 Lagesinne in ihm anatomisch erwiesen. Dem
Grosshirn werden auf dem Wege der vorderen KleinhirnstieJe zum rothen
Kerne — Parietalwindungen fertige Vorstellungen vom Kleinhirn übermittelt,
und ihm durch den Fasciculus cerebralis dos mittleren Schenkels ein EInfluss
auf das Kleinhirn ermöglicht. Ausserdem können die in der Schleife und
centralen Haubenbahn zu den sensitiv-motorischen Gegenden verlaufenden
Empfindungen das Grosshirn unterrichten, welches auf den Pyramidenbahnen
durch bewusste Bewegungen bis zu einem gewissen Grade das Kleinhirn er-
setzen kann. Durch Störungen im Gebiete der vorderen Kleinhirnschenkel
würden die vom Kleinhirn gebildeten Vorstellungen niederer Ordnung (Hitzig)
über unsere Lage dem Grosshirn falsch übermittelt werden und dadurch
Schwindel zum Bewusstsein kommen, durch Schädigung des cerebralen
Bündels des mittleren Schenkels der Einfluss des Grosshirns auf das
Kleinhirn gestört werden, und dieses Hinderniss willkürlichor Lageänderung
wohl auch als Schwindel empfunden werden, durch Beeinflussung der Schleifen-
bahn bis zu den sensitiv motorischenZonen würde die willkürliche Verwerthung
centripetaler Lageemptiudungen verhindert und Schwindel beim Versuch will-
kürlicher Lageveränderungen eintreten.
Eine Schädigung der Schleifenbahnen bis zu der Grosshirnrinde wird
bei der Nachbarschaft der Pyramidenbahnen zugleich zu motorischen Stör-
ungen führen. Bei der weiten Ausdehnung der sensitivmotorischen Gegenden
wird eine Schädigung von einer Ausdehnung, dass durch sie Täuschungen
über Lagevorstellungen entstehen, auch zu allgemeinen Hirnsymptomen, be-
sonders Bewusstseinsstörungen, führen. Durch alle diese Störungen würde
die bewusste, cerebellare Erhaltung des Gleichgewichts nicht verhindert wer-
den. Umgekehrt können Zustände, die zu allgemeiner Hirncongestion führen und
plötzlicher allgemeiner Drucksteigerung in der Schädelhöhle auch bei anderwei-
tigem Sitz zu Mitbetheiligung des Kleinhirns, der sensitiv motorischen Zonen, zu
Schwindel führen.
Falsche Eindrücke, die auf eine der 3 Nervenbahnen dem Kleinhirn zu-
fliessen, schaffen eine falsche Vorstellung, wenn sie so stark sind, dass sie
nicht von den zwei anderen verbessert werden, und dieser Vorstellung ent-
sprechend wird der Körper gestellt, die Augen gerichtet.
Entsteht z. B. durch Druck auf eine Fistel im äusseren linken Bogen-
gang die Vorstellung, dass sich der Raum nach links, oder dementsprechend
der Körper nach rechts drehe, so tritt horizontaler Nystagmus mit Zucken
nach rechts, langsamen Bewegungen nach links ein ; es wird der Körper un-
bewusst nach rechts geworfen: uncoordinirt ataktisch sind die Be-
wegungen nicht, sondern dem falschen Standpunkt entsprechend folge-
richtig. Ebenso schwimmen Kreidt's Krebse, deren eiserne Ololithen mit
dem Magneten angezogen werden, diesem Druck entsprechend schief, aber
284 XVIII. MEYER
▼öUig coordinirt. Erst dadurch, dass der Körper in eine der falschen Vor-
Stellung entsprechende Lage gebracht wird, und diese sofort vom Grosshirn
als falsch erkannt und zu verbessern gesucht wird, entsteht das Schwanken
der Trunkenen, die sogenannte Eleinhirnatazie.
Die Reize, die zu schwach sind, um zu Schwindel oder dessen objectiven
Zeichen: Taumeln und Nystagmus zu führen, können gesteigert werden
1. auf derselben Bahn : Drehung bei leichtem Vestibularschwindel , äusserste
Blickrichtung bei Augenschwindel,' Stehen auf einem Bein bei kinästhetischem
Schwindel, 2. durch Hinzufügen eines Reizes auf einer anderen Bahn, z. B.
bei Yestlbularscbwindel Aufrichten, Steheu mit geschlossenen Füssen, äusserste
Blickrichtung, 3. durch Ausschalten der verbessernden anderen Bahnen, z. B.
Augenschluss bei Tabes oder Vestibulär Schwindel.
Diese Versuche können zur Diagnose führen. Wird eine Bahn ohne
Vermehrung des Schwindels ausgeschaltet, so ist sie nutzlos, gelähmt, wird
der Schwindel dadurch besser, ist sie Sitz des Leidens, wird er stärker, ist
sie zum Ersatz noth wendig. Verstärkung des Reizes fördert die Ortsdia-
gnose nicht
Im Üebrigeu müssen zur Diagnose berücksichtigt werden, beim Rücken-
mark Reflexe und Goordination , beim Auge Doppelbilder, beim Ohr Taub-
heit, Geräusche.
9. Peters (Rostock): Schwindel bei Augenerkrankungen.
Autoreferat: Redner giebt eine Uebersicht über die verschiedenen Ur-
sachen, welche Gesichtsschwindel auszulösen im Stande sind, und weist darauf
hin, dass nicht nur Alterationen der Augenmuskeln, sondern auch ander-
weitige optische Störungen unter Mitwirkung der Psyche Schwindel hervor-
rufen können. Redner geht specieller auf den Nystagmus der Bergleute ein
und erklärt ihn genetisch aus der in Folge der veränderten Körperhaltung
entstandenen abnormen Gleichgewichtslage und dadurch entstehender Reizung
des Vestibularapparates bei Rückkehr in die frühere normale Körperstellung.
Discussion zu 8) und 9).
1) Lucae (Berlin) hat in den letzten 12 Jahren 264 Fälle von cariösen
Defecten des Labyrinths beobachtet, davon 179 mit Schwindel «» 67 Procent,
83 mit Nystagmus = 31,5 Procent. Die Gegenprobe ergab, dass von 37 be-
obachteten Fällen von Schwindel 8 ohne cariösen Labyrinthdefect waren,
während Nystagmus stets mit cariösem Labyrinthdefect verbunden war. Bei
den in Folge von Operation entstandenen Labyrinthdefecten trat mit einer
Ausnahme stets Schwindel auf (ca. 12 Fälle). Redner erwähnt noch die von
ihm beobachtete Thatsache, dass bei Defect des horizontalen Kanals sowohl
bei positivem wie bei negativem Druck auf das Mittelohr Schwindel und
Nystagmus eintreten können. Bei Kindern wurde Schwindel fast niemals be-
obachtet, — in einem Falle selbst dann nicht, als die ganze Schnecke
nekrotisch abgcstossen wurde.
2) Schwartze (Halle) erwähnt die Thatsache, dass, Schwindelgefühl und
Uebelkeit entstehen, wenn man directes Sonnenlicht concentrisch , z. B. mit
dem zur Otoskopie gebräuchlichem concaven Reflector, durch einen Trommel-
felldefect hindurch auf die Labyrinthwand wirft und nur kurze Zeit ein
wirken lässt. Dies trete besonders leicht ein bei hier localisirter Garies. Redner
bezieht dies auf eine direete thermische Reizung des vestibulären Endapparates.
Gleichfalls auf Reizung des vestibulären Endapparates des Acusticus bezieht er
die bekannte Erscheinung, dass man durch gewisse mechanische Reizungen
am Ohr, z. B. Sondirnng unter bestimmten pathologischen Verhältnissen (bei
cariösen Defecten des Labyrinths, Bogengangsfisteln) Schwindel und Nausea,
auch Nystagmus hervorrufen, ja sogar Schwindelbewegungen bis zum Hin-
stürzen mit der Sicherheit eines physikalischen Experimentes erzeugen könne.
Das spontane Entstehen von Schwindel bei Garies des Labyrinths sei eben-
falls häufig abhängig von einer Reizung des Ramus vestibularis. Ist eine
solche bei gänzlicher Zerstörung des vestibulären Endapparates bei Garies
ausgeschlossen, so wird kein Schwindel mehr vom Ohr ausgelöst werden
können. Diese Veränderung der Symptome kann unter Umständen nach
Verlauf weniger Tage eintreten.
Bericht d. 73. VerBamml. deutsch. Naturforscher u. Aerzte in Hamburg. 285
3. Thost (Hamburg) bat besonders starken und hartnäckigen Schwindel
auftreten sehen bei Schwellung des Tubeneingangs, namentlich einseitiger.
4. Robinson (Baden-Baden) hat am eigenen Körper Erfahrungen über
Schwindel gemacht, sowohl in Folge von eitriger Obreiteruag (links), wie
auch in Folge von Tubencatarrhen (rechtsseitis;). Bei ersterer hatte er das
Gefühl, als ob er nach links und vornüber stürzte, stets in derselben Rich-
tung, — bei letzterem bestand Drehgefühl und Uebelkeit.
5. Trömner (Hamburg) erinnert an von neurologischer Seite (Hitzig
u. A.) unternommene Versuche, Schwindel auf galvanischem Wege zu erzeugen.
6. Engclmann (Hamburg) bemerkt, dass öfters Schwindelanfälle im
Anschluss an Nasen- bezw. Nebenhöhlenerkrankungen beobachtet worden
sind, und erwähnt einen diesbezüglichen Fall.
7. Kümmel (Breslau) hat bei Nystagmus sehr regelmässig Labyrinth-
erkrankung constatiren können.
8. Win kl er (Bremen) hat bei Nebenhöhlenerkrankungen nur relativ
selten Schwlndel^efühl beobachtet.
9. Thost (Hamburg) erwähnt, dass in letzter Zelt häufige Fälle von
Schwindel publicirt sind bei acuten Larynxkatarrhen.
10. Lucae (Berlin) erinnert an eine vor vielen Jahren von ihm publicirte
Thatsache, dass durch künstlich hervorgebrachte Druckerhöhung im Labyrinth
bei Defect des Trommelteils optischer Schwindel dadurch erfolgt, dass durch
Reizung des N. abducens Strabismus ezternus eintritt.
11. Schwartz e( Halle) weist darauf hin, dass er dem verstorbenen Ophthal-
mologen Alfred Graefe zuerst die diesem unbekannte Thatsache demonstriren
konnte, dass durch Sondenreiz einer Bogengangsfistel Nystagmus ausgelöst wird,
— dass ferner der Neurologe Hitzig in seiner neusten Monographie über den
Schwindel die von ohrärztlicher Seite zuerst aufgefundene Thatsache des
vestibulären Ursprungs des Schwindels auch für den galvanischen Schwindel
zugiebt, welchen er früher auf directe Hirnreizung bezos:. — Nach beiden
j^chtungen hin habe also die Otologie befruchtend eingewirkt.
Sitzung vom 25. September, Vormittags 9 Uhr.
Vorsitzender, Hey mann (Berlin).
10. Lucae (Berlin): Beobachtung der Schwingungen des Trommelfells
am lebenden Ohre (ausführlich in diesem Archiv).
L. hat die Methode, mit welcher es Mach und Kessel 1873 gelang,
die Trommelfellschwingungen am Schläfenbeinpräparat sichtbar zu machen,
auf das lebende Ohr angewandt. Er benutzte hierzu die stroboskopische
Drehscheibe [in Form einer kleinen, 10 Löcher enthaltenden und am Be-
leuchtungsspiegel excentrisch angebrachten Sirene nach dem Vorgange von
Oertel und Spiess, welche dasselbe Verfahren zur Beobachtung der Stimm-
bänder-Schwingungen anwandten. Durch pneumatische Massage wurde das
Trommelfell in kräftige Schwingungen versetzt, deren Geschwindigkeit mit Hülfe
eines Rheostaten bis zu 2000 in der Minute gesteigert werden konnte. Die
Beobachtung selbst geschah durch einen nicht luftdicht eingesetzten Siegle'-
schen Trichter unter einer Vergrösserung von 1 Dioptrieen. Diese Versuche
ergaben, dass die Trommelfellschwingungen vorzugsweise am hinteren oberen
Quadranten und am Hammergriff auftraten, während, am Lichtkegel nur ge-
ringe Bewegungen zu beobachten waren. In einer zweiten mit musikalischen
Tönen unternommenen Versuchsreihe benutzte L. die durch Interferenz her-
vorgerufenen Stösse zweier Töne. Zur Untersuchung dienten zunächst tiefe
Töne und zwar zwei auf c abgeslimmte Pfeifen, von denen die eine mittels
eines ausziehbaren Stopfens beliebig verstimmt werden konnte. Das Resultat
hierbei war ähnlich : Beim Anblasen der Pfeifen sah er eine wallende Bewegung
des hinteren oberen Abschnitts des Trommeljells, während die übrigen Theile
sich jedoch ruhig verhielten. — Die Versuche werden des weitereu auch auf
die höheren Töne ausgedehnt werden.
Discussion :
Berthold (Königsberg) erinnert an eine Arbeit aus dem Jahre 1872, in
welcher er eine optische Darstellung der Bewegungen des Trommelfells ver-
286 XVllI. MEYER
mittelst eines in den Gebörgang gesteckten TRobres dadurch erzielte, das»
er die Bewegungen der Flamme des einen zu einem Brenner ausgezogenen
Schenkels beobachtete beim Tönen einer auf den Schädel gesetzten Stimmgabel.
11. Snchaneck (ZOrich): Forman (Chlormethylaethylaether).
12. Knttner (Berlin): Larygnotuberculose und Gravidität. (Arbeit er-
Echeint im Archiv für Larvngologie.)
Discussion: Bert hold (Königsberg), Joel (Qörbersdorf) , Kuttner
(Berlin).
Sitzung vom 25. September, Nachmittags 2 Uhr.
Vorsitzender: Berthold (Königsberg)
13 £. Win ekler (Bremen): BAodificationen der Schnittfübrung zur Bei-
legung und Nachbehandlung der erkrankten Mittelohrräume mit Kranken-
Vorstellung.
W.*s Ausführungen gipfeln im Wesentlichen darin, dass er bei Operationen
am Mittelobr an den Operateur das Verlangen stellt, in jedem einzelnen Falle
streng zu individualisiren. Es soll jedes Mal ein bestimmter Plan für den
Eingriff aufgestellt werden nach Maassgabe der Krankheitserscheinungen und
des Befundes vor der Operation ; es soll nicht der Liebhaberei des einzelnen
Operateurs überlassen bleiben, ob er den Gehörgangsschlauch in toto ablöst
oder ihn nur hinten und oben abdrängt; die Plastiken sollen nicht nach Be-
lieben gemacht werden; die retroauriculäre Oeffnung soll nicht eo ipso ver-
worfen werden, sondern ihre verdiente, zur Nachbehandlung und Controle so
wichtige Berücksichtigung erfahren; für die Transplantationsm.cthoden müssen
bestimmte Indicationen aufgestellt werden.
Im Einzelnen muss auf die ausführliche Arbeit verwiesen werden, —
hier seien, unter den Ausführungen des Bedners nur folgende Punkte kurz
heryorgehoben.
Bei der Badicaloperation hebelt W. bei engem Gehörgang und tiefem
Recessus hypotympanicus stets den ganzen Gehörgang heraus; bei weitem
Lumen und flachem Recessus löst er nur die obere und hintere Gehörgangs-
wand ab. — Bei schmalem Warzentheil wird der Hautschnitt wie gewöhnlich
angelegt, dann aber das Periost in Gestalt eines dreieckigen Lappens mit der
Basis nach oben umgeklappt und flxirt, um nachher zur Auskleidung der
Knochenhöhle zu dienen; bei breitem Warzentheil dagegen wird von vornherein
ein Q förmiger Hautlappen gebildet und nach hinten an der Kopfhaut ange-
näht, dann der erwähnte Periostlappen nach oben fixirt. Dieses Verfahren
macht nach W. alle Wundhaken überflüssig, wenn gleichzeitig die Ohrmuschel
nach vorn an die Wange festgenäht wird. — Besteht bei engem Gebörgang
ein intensiver Tubenkatarrb , so entfernt W. die ganze vordere knöcherne
Gehörgangs wand und legt das tympanale Ostium tubae frei; auf diese Weise
kann die Tubeneiterung wirksamer bekämpft werden. — Sobald die Gefahr
eines Recidivs der Eiterung ausgeschlossen ist, macht W. Transplantationen
mit Reverd in 'sehen Hautläppcfaen , die meistens dem Oberschenkel ent-
nommen werden. — Bei Cholesteatomen, Neoplasmen und Tuberculose tritt
W. energisch für die persistente retroauriculäre Oeffnung ein; nur in ge-
wissen Fällen, wenn nämlich die Cholesteatomlamellen sich auf der in toto
erhaltenen Schleimhaut der Mittelohrräume entwickelt haben, und deshalb
eine gründliche Entfernung derselben möglich ist, bedient W. sich einer Plastik
und zwar der Passow 'sehen mit einer kleinen Modiflcatlon.
Discussion:
1. L entert (Königsberg) bestätigt zunächst die üngefährlichkeit der
Wegnahme der ganzen vorderen Gehörgangswand, ja selbst des angrenzenden
Tubentheils und Freilegung der Carotis, ist aber der Meinung, dass man erst
durch andere Mittel versuchen solle, eine bestehende Tubenstenose oder
-Eiterung zu beseitigen. L. glaubt jedoch die Abmeisseluug der vorderen
Gehörgangswand und des der Pauke angrenzenden Theiles der Tuben wandung
vornehmen zu müssen in zwei Fällen, von denen er je ein selbstbeobachtetes
Beispiel anführt. Die erste Beobachtung betraf eine Tubenstenose, herbeige-
führt durch ein abgebrochenes Bougistück, — die zweite einen hauptsächlich
Bericht d. 73. Yersamml. deutsch. Naturforscher u. Aerzte in Hamburg. 287
im Stirahirn gelegenen epiduralen Eiterherd, dem man auf diese Weise nicht
unerheblich näher hätte kommen können.
2. Schwartze (Halle) kann sich bei der ungenügenden Beleuchtung
und dem Mangel eines passenden Ohrtrichters nicht davon überzeugen, dass
an dem einen der von Win ekler vorgestellten F&lle die von dem Vortragen-
den beschriebenen Verhältnisse im Ohre vorliegen.
3. Lucae (Berlin) bestätigt, dass er in gleicher Lage sei.
4. Noltenius (Bremen) will die persistente retroauriculäre Oeffnung
möglichst vermieden wissen; dafür müsse aber die GehörgangsöffnUog ge-
nügend weit angelegt werden, damit ein eventuelles Recidiv von hier aus be-
handelt werden könne.
5. Schwartze (Halle) tritt auf Grund seiner langjährigen Erfahrungen
für die persistente retroauriculäre Oeffnung bei der Operation chronischer
Fälle, besonders aber bei Cholesteatom ein; er erinnert an die Möglichkeit
des Entstehens einer Perichondritis der Ohrmuschel nach der Operation,
wenn diese zu weit aufgeschlitzt werde, mit der Absicht, ein möglichst grosses
Ohrloch zu erzielen.
6. Robinson (Baden-Baden) ist auf Grund seiner Erfahrung am eigenen
Körper für Verschluss der retroauriculären Oeffnung, welcher bei ihm nicht
zu Stande gekommen ist; Perichondritis der Ohrmuschel hat er bei der dies-
bezüglichen Operation fast niemals gesehen.
7. Berthold (Königsberg) kann der Ansicht Seh wartze's, grosse retro-
auriculäre Oeffnungen offen tragen zu lassen, nicht für alle Fälle beitreten.
8. Noltenius (Bremen) bezieht den Eintritt einer Perichondritis ledig-
lich auf den Mangel an Aseptik.
9. Schwartze (Halle). Solche sei bei der langen Nach ehandlung am-
bulanter Fälle nicht zu garantiren.
13. £. Winckler (Bremen): Fälle von nasalen Nebenhöhlen-
erkrankungen. Es werden drei Fälle von schwerer Kieferhöhlen- und
Siebbeineiterung vorgestellt. In einem Falle musste, da die Wände der Kiefer-
höhle nekrotisch geworden waren, eine Resection des linken Oberkiefers vor-
genommen werden. In zwei Fällen waren äussere Schnitte durch die Gesichts-
haut nicht nöthig — es gelang die Ausräumung des Siebbeins nach Fortnahme
der facialen Kieferhöhlenwand von der Fossa canina aus. Ferner werden
fünf Fälle von einseitiger combinirter Nebenhöhleneiterung vorgestellt, in
zwei Fällen waren Stirnhöhle, Siebbein nebst Keilbeinhöhle und Antrnm
Highmori erkrankt, in zwei Fällen nur Siebbein, Keilbeinhöhle und Stirnhöhle,
in einem Falle nur Siebbein und Stirnhöhle. Je nach der Ausprägung der
Gesichtsf alten ^ je nach der Configuration des Nasengerüstes und je nach den
Ergebnissen, die eine Röntgenaufnahme des Schädels ergab, wurden die
kranken Nebenhöhlen durch verschiedenartige osteoplastische Eingriffe an
Stirnbein- und Nasengerüst freigelegt und ausgeräumt Eine totale Verödung
beider Stirnhöhlen, wie des Siebbeins, indicirt durch eine Nekrose der vor-
deren Stirnbeintafel wird durch einen 6., und dasselbe Resultat nach einem
osteoplastischen Verfahren (Herunterklappen der Nase) an Röntgenaufnahmen
gezeigt. Ein Fall war nach Gussenbauer operirt. Hier ergab die spätere
Röntgenaufnahme, dass die Stirnhöblen noch vorhanden waren. An einem
zwölften Falle werden die Narben bei osteoplastischer Freilegung der beiden
Sinus frontal, nach Czerny-Gussenbauer gezeigt. (Autoreferat). Keine
Discussion.
14. Scheibe (München): Weiches Papillom der Nase. Demonstration.
15. Seh ei er (Berlin): Einige Anomalien der Nebenhöhlen der Nase.
(Demonstration von Präparaten).
16.Partsch (Breslau) : Der dentale Ursprung des Empyem der Kieferhöhle.
17. Flatau (Berlin): Das habituelle Tremoliren. Beobachtungen über
die Erscheinungen und die Behandlung dieser Stimmstörung.
18. Gutzmann (Berlin): Beitrag zu dem Zusammenhange functioneller
Sprachstörungen mit Fehlern und Krankheiten der oberen Luftwege.
19. Berthold (Königsberg): Weitere Mittheilungen über die intranasale
Vaporisation.
288 XVIII. M£YER
20. Siebenmann (Basel): Demonstration von normal- und pathologisch -
anatomischen Präparaten des Ohres.
8. demonstriert im Skioptikon Gorrosion^ präparate des äusseren Gehör-
Kanffs, der Schnecke, des Labyrinths, eines kindlichen Schläfenbeines, der
PauKenhOhle, von Warzenfortsatzzellen u. s. w.
Sitzung vom 26. September, Vormittags 8 Uhr.
Vorsitzender: Guye (Amsterdam).
21. Coen (Wien): Die Behandlungen der Sprachstörungen beim Wolfs-
rachen.
Discussion: Gutzmann (Berlin), Bert hold (Königsberg), Gutzmann
(Berlin), Liebenmann (Basel), Sinei 1 (Hamburg).
22. Klemperer und Scheier (Berlin): Rhinosklerom und Ozaena-
bacillen.
23. Siebenmann (Basel): Beitrag zur Lehre von der genuinen Ozaena.
Discussion zu 22. und 23.: v. Schrötter (Wien), Kümmel (Bres-
lau), Scheier (Berlin), v. Schrötter (Wieo), Berthold (Königsberg),
Siebenmann (Basel), Thost (Hamburg), Cordes (Berlin), Berthold
(Königsberg). Flatau (Berlin), Berthold (Königsberg), Flatau (Berlin),
Oordes (Berlin), Siebenmann (Basel).
24. Demme (Berlin): Getllssanomalien in der Pharyzgegend.
Keine Discussion.
25. Hey mann (Berlin): Demonstration von Instrumenten.
Discussion: Berthold, Guye, Heymanu.
26. V. Schrötter (Wien): a) £igenthamlicher Sondirungsbefund der
Nase, b) Demonstrationen von pharyngographischen und laryngologischen Be-
fanden, insbesondere: Seltener Fall von Atynomikose im Bereich des Halses.
Keine Discussion.
27. Robinson (Baden-Baden): Inbalations- und Pneumatotherapie bei
chronischen Krkfankuugen der Trachea und Bronchien.
Discussion: Winckler (Bremen), Robinson (Baden-Baden), Kümmel
(Breslau), Schwartze (Halle), Robinson (Baden), Krügelmann (Berlin),
Kümmel (Breslau), Rudi off (Wiesbaden), Brügelmann (Berlin), Robin-
son: Schlusswort.
2S. Schwartze (Halle): Augenhintergrundsveränderungen bei intra-
craniellen Complicationen der Otitis.
Nachdem im Jahre 1892 Barnick aus der Schwartzo*schen Klinik iu
Halle über 23 Fälle intracranieller Complicationen bei Otitis berichtet hat
(davon 12 mit positivem Befund am Augenhintergrund), wird demnächst aus
derselben Klinik eine Publication über 97 weitere Fälle erfolgen, deren Re-
sultat Schwartze in Kürze mittheilt. Die Untersuchung des Augenhinter-
grundes wurde durchweg in allen Fällen von erfahrenen Ophthalmologen
controllirt. Von den 97 Fällen zeigten 52 normalen Befund des Augen -
faintergrundes, 45 pathologischen Befund, davon 23 X Neuritis optica, 3x
Stauungspapille, 19 x Gefässveränderungen an der Eintrittsstelle des Opticus.
Diese Erscheinungen faoden sich bei allen Formen otitischer intracranieller
Complicationen, am seltensten beim Extraduralabscess ([S^/o], am häufigsten
bei Uypeärmie der Meningen und Hirnödem (S7,5 7o)i dazwischen in ziemlich
gleicher Häufigkeit bei Hirnabscessen (42^0), bei Sinusthrombosen (44,8^0),
bei Meningitis purulenta (50%). — Für die isolirt auftretenden Formen der
intracraniellen Folgeerkrankungen ergab sich folgender Befund des Augen-
hintergrundes:
Extraduralabscess U Fälle; 9 gesund, 2 krank (18»
LeptomeniDgitis non complicata 14 „ 6 normal, 8 „ (57 ^/o)
Sinusthrombosis „ „ 8 „ 5 „ 3 „ (37,5 ^o)
Hirnabscess „ „ 19 „ 19 „ 8 „ (40 «/oj
— demnach fanden sich fast in der Hälfte aller Fälle pathologische Ver-
änderungen am Augen h in ter^i^r und. Mit diesem Resultat stimmen überein die
Beobachtungen von Kipp(Newack). Zaufal(Prag) war dagegen auf Grund
seiner bis zum Jahre 1881 reichenden Beobachtungen zu dem Resultat ge-
Bericht d. 73. Versamml. deutsch. Naturforscher u. Aerzte in Hamburg. 289
kommen, dass solche Veränderungen in allen Fällen von Otitis media suppu-
rativa eintreten, sobald sich Meningitis oder Sinusthrombose oder beide zu-
gleich dazu gesellen. Er schloss daraus , dass dies für die otitische Menin-
gitis im Gegensatz zu andern Formen der Meningitis charakteristisch sei.
Dies ist durch Schwartze*8 Erfahrungen nicht bestätigt. — Wo aber Augen-
hintergrundsveränderuugen vorhanden sind, verleihen sie der Diagnose einer
intracraniellen Complication eine erhöhte Sicherheit, allerdings ohne über die
Natur der letztern an sich Aufschluss zu geben.
Discussion: 1) Winckler (Bremen) betont die Unsicherheit, welche
uns der ophthalmoskopische Befund in zweifelhaften Fällen bietet und er-
wähnt zwei diesbezügliche Fälle.
2) Ehrenfried (Eattowitz) bestätigt die Angaben von Seh. bezüglich
des häufigen Fehlens eines positiven Befundes am Augenhintergrunde bei
otitischer Meningitis.
3) Barth (Sensburg).
4) Berthold (Königsberg).
29) Guye (Amsterdam): Vier Fälle von Ausräumung der Keilbeinhöhle
bei recidivirenden Naseupolypen.
Discussion: Winckler (Bremen), Flatau (Berlin), Guye (Amsterdam),
Cordes (Berlin), Noltenius (Bremen), Robinson (Baden-Baden), Zar-
niko (Hamburg), Russ (Münster), Winckler (Bremen).
30) Reinhard (Köln): Ein Fall von chronischer Mittelohreiterung,
complicirt durch Schädelfractur.
Autoreferat: 5jäbriges Mädchen, seit 3 Jahren an rechtsseitiger chro-
nischer Mittelohreiterung leidend, erlitt durch Sturz aus dem Fenster (circa
10 m hoch) eine Fractur der Schädelbasis mit angeblich lOtägiger Bewusst-
iosigkeit; es bestand Aphasie, Lähmung des Rectus externus und Pupillen-
starre. Befund: Gehörgang spaltförmig, Details in der Tiefe nicht zusehen;
hinter dem Ohre fluctuirende Geschwulst; Druck auf dieselbe lässt reichlich
Eiter aus dem Ohr hervorquellen: also Durchbruch in die hintere knöcherne
Gehörgangswand. Bei der Operation wurde ein 3 cm langes, 2 cm breites
Enochenstück entfernt. Es erfolgte Heilung. Bemerkenswerth erscheint,
dass hier trotz der complicirten Schädelfractur keine Meningitis erfolgte und
das Kind unter den operativen Maassnahmen wiederhergestellt werden konnte.
Keine Discussion.
31) Cordes (Berlin): Die Behandlung chronischer Mittelohrkatarrhe
{Sklerosen) mit Luftverdünnung.
Nach einem kurzen Ueberblick über die früher angewandten Methoden
der Luftverdünnung im äusseren Gehörgang demonstrirt C. zwei diesbezüg-
liche Apparate, bestehend aus einem Vacuometer in Verbindung mit einem
exact functionirenden Aspirateur. Das grössere Modell hat Zahnrad betrieb,
das kleinere wird durch eine Schraube in Bewegung versetzt; auf diese
Weise kann der Grad der Luftverdünnung (in der Regel 150—200 mm Hg)
regulirt werden. Das Verfahren eignet sich, wie C. an einer Anzahl von
Fällen hat constatiren können, in Verbindung mit dem Katheterismus bei
Paukenhöhlen-Tubenkatarrhen und bei Adhäsionen in der Paukenhöhle;
für sich allein bei nicht zu weit vorgeschrittenen Sklerosen (38 Fälle), bei
subjectiven Geräuschen (4 Fälle, geheilt), und zur Beseitigung von Schwindel
in Folge gesteigerten Labyrinthdrucks (1 Fall, geheilt). C. ist mit den seit
2Va Jahren erzielten Erfolgen zum Theil dauernd zufrieden. Die Behandlungs-
zeit erstreckte sich meistens auf 6 — 8 Wochen mit 10—20 Sitzungen; die
Dauer jeder Sitzung betrug 3-5 Minuten. Ueble Nebenwirkungen hat er
nie beobachtet.
Keine Discussion.
Sitzung vom 26. September, Nachmittags 2 Uhr.
Vorsitzender: Kümmel (Breslau).
32) Thost (Hamburg): Asthma, Heufieber und verwandte Zustände.
33) Brügelmann (Berlin): Aetiologie u. Symptomatologie des Asthma.
34) Barth (Sensburg): Das Respirationshinderniss beim Bronchial-
Asthma.
290 XVIII. M£Y£E, Ber. d. Vers, deutsch. Naturf. u. Aerzte in Hamburg.
35) Franke (Hamburg): AagenerkrankuDg beim Heufieber.
36) Schneider (Osnabrück): Der Heufieberbund von Helgoland, seine
Bestrebungen und Erfahrungen.
37) Weil (Hamburg): Bacteriologische Befunde beim Heufieber.
39) Rosenberg (Berlin): Zur i^bandlnng der Coryza vasomotoria.
Die Praesenzliste der Theilnebmer der XX. Section des 73. Natur-
forschercongresses wies 1 2 1 Theilnehmer nach, darunter zählen über 20 Zahn-
ärzte und einige Lehrer für Sprachleidende und Schwerhörige. Dr. Aron-
sohn, Ems-Nizza. Dr. Avellis, Frankfurt a/M. Dr. Barth, Professor,
Leipzig. Dr. Berkhan, Braunschweig. Dr. Barth. Oberstabsarzt, Sensburg»
Dr. Bert hold, Professor, Königsberg. Dr. Birgfeld, Zahnarzt, Hamburg.
Dr. Boettger, Altena. Dr. Boy 6, Hamburg. Dr. Bröse, San. Rath, Qued-
linburg. Dr. Brügeimann. Südende-Berlin. Dr. Brunslow, Stabsarzt,
Rostock. Dr. Breitung, Coburg. Dr. Buss, Münster i./W. Glaussen,^
Zahnarzt, Altena. Dr. Co ön, Spracharzt, Wien. Dr. Cohen- Eysper, Ham-
burg. Dr. CordeSy Berlin. Delbanco, Zahnarzt, Hamburg. Dellerie,
Zahnarzt, Hamburg. Dr. Dorn. Braunschweig. Drevermann, Zahnarzt,
Düsseldorf. Dr. Ehrenfried, Kattowitz. Dr. Eisner, Ratibor. Dr. Engel-
mann, Hamburg. Dr. Embden, Hamburg. Dr. Eulenburg, Detmold.
Dr. Feig n er, Altena. Dr. Flatau, Berlin. Dr. Friedrich, Professor, Kiel.
Dr. Franke, Hamburg. Dr. Fromme, Bremen. Fürst, Zahnarzt, Ham-
burg. Dr. Grönland, Stabsarzt, Kopenhagen. Dr. Guye, Professor, Amster-
dam. Dr. Hahn, Zahnarzt, Breslau. Dr. Haussen, Hamburg. Dr. Hart-
mann, San. Ratb, Berlin. Dr. Hartz, Detroit, U.S. Dr. Heiland, Uslar. Dr»
Heine, Breslau. Dr. Helmcke, Hamburg. Dr. Hermann, Zahnarzt, Karls-
bad. Dr. Hermes, Iserlohn. Dr. Heymann, Professor, Berlin. Hiile,
Zahnarzt, Hamburg. Dr. Jacobson, Professor, Berlin. Dr. J a k o b y , Ham-
burg. Dr. Jarisch, Zahnarzt, Wien. Dr. Jess,Kiel. Dr. Joel, Görbersdorf.
Dr. Ispert, Köln. Dr. Karntz, Lübeck. Dr. Kays er, Hamburg. Dr.
Kersting, Aachen. Dr. Klemperer, Priv. Docent, Berlin. Klingelhöfer,
Zahnarzt, St. Petersburg. Krille, Zahnarzt, Hamburg. E. Krüger, Lehrer
f. Sprachleidende und Schwerhörige, Hamburg. Dr. Kümmel, Professor,
Breslau. Dr. Kuttner, Berlin. Dr. Lehr, Hamburg. Dr. Lerche, Ham-
burg. Dr. Ludewig, San. Rath, Hamburg. Dr. L entert, Priv. Docent,.
Königsberg. Dr. Levy, Zahnarzt, Hamburg. Dr. Loewe, Berlin. Dr. Lucae,
Geh. Med. Rath, Professor, Berlio. Dr. Mackenthum, Leipzig. Dr. Mi-
chael, Hamburg. Dr. Rud. Meyer, Hamburg. Dr. Meyjes, Priv. Docent,
Amsterdam. Dr. Möller, Hamburg. Dr. Müller, Dresden. Dr. Mygied,
Professor, Kopenhagen. Dr. Nager, Luzern. Dr. Noltenius, Bremen.
Dr. Ov erb eck. Med. Ratb, Lemgo. Dr. Ortmaun, Professor, Marburg.
Dr, Pause, Dresden. Dr. Peters, Professor, Rostock. Dr. Pluder, Ham-
burg. Dr. Reinewald, Giessen. Dr. Reinhardt, Köln. Dr. Rudioff,
Wiesbaden. Dr. Rudolph, Zahnarzt, Hamburg. Dr. Runge, Hamburg.
Dr. Rosenberg, Professor, Berlin. Dr. Rosenthal, Nizza. Dr. Robin-
son, Baden-Baden. Scharnweber, Zahnazt, Hamburg. Dr. Scheibe,
München. Dr. Schmeden, Oldenburg. Dr. phil. Scheel, Wilmersdorf
b./Berlin. Dr. Scheier, Berlin. Dr. Scherpf, Kissingen. Dr. Senff,
Hamburg. Dr. Schmidt, Hamburg. Dr. Schmidt, Odessa. Dr. C. v. Stein,
St. Petersburg. Dr. Such an nek, Priv. Docent, Zürich. Dr. Siebenmann,.
Professor, Basel. Dr. Sin eil, Hamburg. Dr. H. v. Schrott er, Wien. Dr.
Schnitze, Hamburg. Dr. Stehr, Zahnarzt, Roermond (Holland). Dr. Stolte,
Stabsarzt, Zerbst. Strauss, Zahnarzt, Hamburg. Dr. Schwartze, Geh.
Med. Rath, Professor, Halle a./d.S. Dr. Thaler, Krankenhaus Eppeudorf. Dr.
Thost, Hamburg. Dr. Vogler, Ems. Dr. Wald Schmidt, itrankenhaus
Eppendorf. Dr. Wedekind, Tübingen. Dr. Weil, Assistent am hygienischen
Institut, Hamburg. Dr. Win ekler, Bremen. Dr. Windmüller, Hamburg.
Dr. Witzel, Professor, Jena. Witzel, Zahnarzt, Dortmund. Wolffson,
Zahnarzt, Hamburg. Dr. Zarniko, Hamburg.
XIX.
Segnndo Congreso espanol de Oto-Rino-Laringologia cele-
Irado en Barcelona del 19 al 22 de Septiembre de 1899.
Seeciön de otologia.
Bericht von
Dr. Iwan Braunstein.
1. D. Luis Suü^ y Moliet: Was kann man von der elektri-
schen Behandlung der Labyrinthaffectionen erwarten?
Vortragender hat bei Erkrankungen des Nerv, acust. zahlreiche Heilungs-
versuche durch Anwendung des galvanischen Stromes gemacht, nachdem er
auf dem Brüsseler Gongress (1888) von den Erfolgen gehört hatte, die
Dr. Laroche mit dieser Behandlungsmethode erreicht haben wollte. Das
Resultat seiner Untersuchungen und Bemühungen ist aber ein negatives ge-
blieben, und er glaubt, dass den Angaben von Laroche diagnostische und
technische Irrthümer zu. Grunde gelegen haben. Den Brenn er*schen An-
gaben gegenüber steht Vortragender auf dem Standpunkte Schwartze*B,
Pollacks, Gaertners u. A.
Um die Einwirkung des galvanischen Stromes auf die kranken Gehör-
nerven besser kennen zu lernen und eine wissenschaftliche Besprechung dieses
Vorganges auf dem nächsten Congresse zu ermöglichen, fordert er von den
Forschern folgende Angaben: 1. Genaue Diagnose des Leidens, 2. exakte
Bestimmung, ob die Krankheit nur labyrinthär ist oder ob andere Theile des
Gehörorgans daran mit betheiligt sind, 3. ob das Leiden mit Allgemeiner-
krankungen zusammenhängt (Gicht, Skrophulose, Lues), 4. dass festgestellt
werde, ob Taubheit und Ohrensausen Reflex- und Fernwirkungen sind, 5. ob
Hysterie und Neurasthemie besteht, 6. ob Fat. für Suggestion zugänglich ist.
Dann verlangt Vortragender genaue Angabe 1. der technischen' Vornahmen.
2. der Aparate, Minimum und Maximum der Milliamperes, der Stelle der
Stromeinwirkung, ihrer Dauer und Erträglichkeit, Zahl der Einwirkungen,
Effect der einzelnen und ihre Fernwirkung, der objectiven und subjectiven
Erscheinungen während des Schliessens von Kathode und Anode, ob der
positive oder der negative Pol den Tragus berührt.
2. D. Rafael Forns aus Madrid. Klinische Fälle, welche die Un-
abhängigkeit der Tuben vom Attico-Mastoidraum des Mittelohrs beweisen.
Unter Tubenraum (cämara tubärica) versteht der Vortragende den
unteren, unter Attico-Mastoidraum (cämara ätico-mastoidea) den oberen
hintern Theil des Mittelohrs.
Der erstere bildet einen einheitlichen Raum, während der letztere
in eine Reihe von Hohlräumen eingetheilt ist, die zuweilen mit einander in
Verbindung stehen: in den Attikraum und in eine Gruppe von Knochen-
zellen, die nach ihrem histologischen Bau Aushöhlungen von spongiOsem
Knochen sind.
Dass die beiden Haupträume eine verschiedene Bestimmung haben, be-
weist sowohl ihre Bildung wie auch ihre völlig verschiedene Auskleidung.
In dem Tubenraume findet sich cylindrisches Fiimmerepithel an der Innern
292 XIX. BRAUNSTEIN
Wand und der Gegend unmittelbar an der Tubenmündung, besonders auf der
unteren Seite des Knochenkanals für den Muse. tens. tymp, neben Becher-
Zellen und Uebergangsformen zum Pflasterepithel an der Promontoriumswanil
und in der übrigen Paukenhöhle. Im Attik-Mastoidraume findet sich ein-
faches oder geschichtetes Pflasterepithel und im Aditus ad antrum und
Antrum echtes Endothel (un yerdadero endotelio). Ref. Drüsen finden sich nir-
gend Yor, aber dafür ein Ueberfluss von Capillaren und Markzelien, die be-
sonders dem Antrum ein den rothes Mark enthaltenden kurzen Knochen
ähnliches Aussehen geben. — Vortragender theilt einen Fall von Caries
syphilitica mit, in dem er die Atticotomie gemacht hatte, ohne die Gehör-
knöchelchen zu entfernen. Der Kranke stellte sich ein Jahr nach der Ope-
ration als geheilt wieder vor, und durch eine Reihe von Versuchen wurde
festgestellt, dass zwischen dem Tubenraum und dem äusseren Gehörgang
keine offene Verbindung bestand, obschon sich letzterer mit dem Atticoraume
in breiter Gommunication befand.
In einem zweiten Falle von chronischer Mittelohreiterung und polypöser
Wucherung aus dem Attikraume, stellte Vortragender Versuche gemeinsam
mit Dr. Botella an. Die SbrapnelTsche Membran und ein grosser
Theil der Attikwand waren zerstört, der Hammerkopf und ein Theil des
Ambosskörpers fehlten. Das Trommelfell war ausser der Membrana flaccida
erhalten, seine Fpidemis durch die Eiterung verändert. Nach Anwendung
des Politzer*schen Verfahrens war der Hammergriff geröthet, und der obere
freie Rand des Trommelfells hatte sich vom Attik mehr entfernt. Bei der
Luftmassage fühlte die Patientin die Bewegungen des Trommelfells. Beim
Sondiren durch den Defect der SbrapnelTschen Membran gelangte man
auf eine membranöse Wand, ohne auch nur eine enge Oeffnung in derselben
zu finden. Darauf wurde der Attikraum mit Wasser gefüllt, während die
Kranke den Kopf zur Seite neigte. Beim Einblasen der Luft (Politzer)
mit massiger Kraftanwendung hob sich die Flüssigkeit in demselben Augen-
blick, als die Kranke den Eintritt von Luft in der Paukenhöhle merkte, aber
es stieg keine Luftblase im äusseren Gehörgang empor (no salia
por el conducto ni una sola burbuja de aire). Auch beim Schlucken mit
verschlossener Nase fühlte die Patientin kein Hinabtreten der Flüssigkeit.
Hiernach würde das Politzer*sche Verfahren mit starkem Drucke in der-
selben Haltung der Kranken angewandt, wobei Luftblasen durch den Gehör-
gang austraten. Bei Injectionen, die mit einiger Kraft ausgeführt wurden,
gelangte keine Flüssigkeit in den Nasenrachenraum, sondern erst wenn die-
selben mit grosser Gewalt gemacht wurden.
Aus diesen klinischen Beobachtungen und seinen topographisch-anato-
mischen Untersuchungen schliesst Vortragender, dass die Abtheilungen dea
Mittelohrs nicht alle mit einander in Gommunication stehen.
In der Discussion giebt Dr. Sunä y Molist zu, dass er in den Präpa-
raten von Dr. Forns zwischen den Tuben- und Attico-Mastoidraum eine
Scheidewand gesehen habe, da er nicht annehmen könne, dass Dr. Forns
ihn durch Anbringung einer Hausenblasenmembran getäuscht habe (que Forns
le hubiese enganado poniendo alle una membranita de ictiacola). Aber auf
dem Gongress in London habe ihn Politzer darauf aufmerksam gemacht,
dass zwischen den Gehörknöchelchen, der Membrana flaccida und dem
Attikraume membranöse Stränge vorkämen, aber keine vollständige Mem-
bran. Indessen habe er in Hunderten von Fällen mit Perforation der
ShrapneU'scben Membran bei Lafteinblasangen in die Paukenhöhle stets
ein tympanisches Geräusch in Folge der Bewegung des Trommelfells, aber
niemals das charakterisUscbe, zischende Perforationsgeräusch gehört, auch
nicht, wenn keine Wucherung die Oeffnung verschloss. Wenn ihm entgegen-
gehalten werde, dass adhärente Exsudate den Luftaustritt verhindert hätten,
so scheine es ihm befremdlich, dass kurze Zeit bestehende Exsudate dem
Luftdrucke wiederstehen sollen statt auszuweichen oder sich zu zertheilen.
Auch hat er ein durch die Tube eingeführtes Bougie durch das
Trommelfell beobachten können. Dasselbe gelangte nicht ins Antrum, trotz,
der ihm von der Tubenmüudung dorthin gegebenen Richtung. Zweifelhaft
ist, ob es durch die Forns *sche Scheidewand gehindert wurde oder gegen
Segundo Congreso espafiol de Oto-Rino-Laringologia, Barcelona 1899. 293
den knöchernen Rand des Aditus anstiess. Er nimmt an, dass die Forns*-
sehe Scheidewand in der Mehrzahl der Fälle vorhanden sei, hesonders dess-
halb, weil Attik und Antrum nicht mit Schleimhaut ausgekleidet
seien, (no ser membrana mucosa la que tapiza älätico y el antro.) und da-
her für diese Räume kein freier Abfluss nöthig sei. Aber wenn ein guter
Anatom an einigen hundert frischen Präparaten des Mittelobrs ihm zeigte,
dass die Forns'sche Scheidewand keine ununterbrochene Membran sei, so
würde er sich veranlasst sehen, seine irrthümlichen Ansichten aufzugeben
und auf einem anderen Wege eine Erklärung für seine klinischen Beobach-
tungen zu suchen. Dr. Torres fragt Dr. Forns wie es möglich sei, dass
bei vollständiger Trennung des Tubenraumes vom Attik-Mastoidraum durch
die von ihm entdeckte Scheidewand eine Entzündung der Paukenhöhle eine
Mastoiditis acuta hervorrufe.
3. Dr. Ramon Castafieda (de San Sebastian): Beitrag zum Studium
^ der vom Ohr ausgehenden Halsabscesse.
Vortragender theilt mit Broca und Hamon de Fourgeray diese
Halsabscesse in drei Kategorien ein:
1 . Abscesse, die in directer Verbindung mit der Otitis stehen, bei denen
der Eiter auf directem Wege in die Gewebe des Halses eingedrungen ist.
2. Abcesse, die auf venösem Wege durch Thrombose des Sinus transver-
sus und der Vena jugularis interna entstanden sind.
3. Abscesse, die auf dem Wege der Lymphbahnen sich gebildet haben.
Er theilt zwei Fälle mit, die zeigen, dass es bei diesen Abscessen sehr
schwierig sein kann, ihren Ursprung (Mastoiditis Bezold) richtig und zeitig
zu diagnosticiren.
Im ersten Falle war eine Mastoiditis Bezold angenommen worden^
Patientin hatte über starke Schmerzen im linken Ohr und Schwerhörigkeit
geklagt. Aber während der Behandlung wurde es klar, dass die Ursache des^
Abscesses eine Otitis circumscripta des Gebörgangs war, welcher ein periauri-
culäres Oedem mit Periostitis externa gefolgt war, das sich auf das subcu-
tane Zellgewebe und die membranöse Verbindung zwischen knorpeligem und
knöchernem (jebörgang fortgepflanzt hatte und den Halsabscess durch eine
der Incisurae Santorini hindurch nach Eröffnung des Gebörgangs gebildet hatte.
Von der unteren Wand des Gehörgangs führte ein Gang in den Abscess. Dieser
wurde eröffnet und die Incision bis zum knorpeligen Gehörgang verlängert.
Unter antiseptischen Eautelen heilte die Wunde, ohne dass Erankheitssymptone
im Mittelohr oder Warzenfortsatz auftraten.
Im zweiten Falle litt Patient seit Kindheit an Eiterung aus dem rechten
Ohr. Seit 20 Wochen Exacerbation der Schmerzen. In der rechten Nacken-
gegend eine starke diffuse Anschwellung, schmerzhaft-fluctuirend. Ueber Pro-
cessus mast. keine Anschwellung, aber Druckempfindlichkeit. Trommelfell
perforirt, Granulationen aus dem Attik. Fötide Eiterung. Bei Druck auf
den Abscess zeigte sich keine Verbindung mit dem Mittelohr. Antrum und
Attik wurden eröffnet, die Granulationen entfernt mit den cariösen Resten.
Es fand sich kein Gang zu dem Halsabscess. Hierauf wurde letzterer ge-
spalten und die Abscessböble ausgeräumt bis zur Spitze des Proc. mast. Diese
war normal. Vortragender bezeichnet diesen Fall als ein Phlegmone substerno-
mastoidea durch ganglionäre Infection vom Ohr aus entstanden. Er macht
darauf aufmerksam, dass solche Fälle wenig bekannt sind und die anatomi-
schen Lehrbücher wenig Aufschluss geben über die Lymphcirculation und
ihre Ausmündung. Die Mastoiditis Bezold ist sehr selten. Broca fand
unter 200 Fällen nur eine und diese war zweifelhaft.
Vortragender fasst seine Anschauungen in folgenden Sätzen zusammen :
1. Die Mastoiditis Bezold verlangt eine besondere anatomische Dispo-
sition. Sie entsteht nur auf einem vorgebildeten Wege und ist selten.
2. Der Ursprungsort der fortkriechenden Halseiterung ist sehr verschieden
und der pathognomische Werth des Eiteraustritts im äusseren Gehörgang
beim Drücken auf den Abscess verschwindet, sobald mehrere periauriculäre
Abscesse dahin ausmünden, ohne dass eine Mastoiditis besteht.
3. Die Operation allein kann den Weg der Abscessbildung zeigen. Sie
soll mit der Incision des Abscesses beginnen, wenn derselbe sicher zu diagno-
294 XIX. BRAUNSTEIN
sticiren and die Mastoiditis nicht deutlich entwickelt ist und umgekehrt mit
der Eröffnung des Warzenfortsatzes, wenn seine Entzüodung feststeht und in
der Halsgegend sich nur eine Anschwellung und Infiltration zeigt. —
D. Avelino de Martin (de Barcelona): Labyrinthär genannte Taub-
heiten, deren Sitz wenig bekannt ist. Von den physiologischen Vorgängen
des inneren Ohres ist wenig Sicheres bekannt. Darauf beruht der bedeutende
Unterschied in unserer Kenntniss der Pathologie und Therapie des Mittel-
und inneren Ohres. Auch die Hypothesen von Hensen und Helmhol tz
sind nicht genügend begründet, um darauf eine Pathologie und eine rationelle
Therapie aufzubauen. Ebenso sind die physiologischen Vorgänge in den Hör-
centren noch dunkel.
Vortragender theilt 4 Fälle mit, die er zum Studium der Taubheit mit
extralabyrinthärem Sitz für besonders geeigoet hält.
1. 18 jähriges Mädchen, ohne erbliche Belastung, von guter körperlicher
Constitution, lymphatisch-nervösem Temperament wurde vollständig taub nach
einer heftigen moralischen Erregung, die mit Krämpfen und vorübergehendem '
Bewusstseinsverlust endete. Trotz Anwendung aller bekannten therapeutischen
Mittel hat sich seit einem Jahre der Zustand nicht geändert. Nur die Anwen-
dung eines galvanischen Stromes von 4 Milleamperes verursacht subjective Ge-
räusche, ohne Gehörerscheinungen. Mittelohr ist gesund, ausser einer leich-
ten Depression des Trommelfells, die Tuba durchgängig und die Anwendung
des Katheters ändert an dem Zustande der Patientin nichts.
2. Potator, 23 Jahr alt, erblich nicht beiastet, bei dem früher Mandeln
und Adenoide entfernt worden sind. Beim Aufwachen aus ^ einem starken
Bausche hört er ausser starken subjectiven Geräuschen nichts mehr. Anfangs
wurde eine alkoholische Intoxication angenommen und Patient dementsprechend
behandelt. Aber bald ergab sich, dass die Taubheit vollständig war. Stimm-
gabeltöne vom Scheitel wurden nicht gehört. Paukenhöhle und Nasenrachen-
raum o. B. Die Anwendung von Pilocarpin und Jodpräparaten war erfolglos. —
3. Mann, 28 Jahr alt, ohne erbliche Belastung, wurde vor 6 Monaten
bei einem Platzregen durchnässt; konnte seine Kleider nicht wechseln, sondern
musste im heftigen Regen weiter arbeiten. In der Nacht traten Schüttelfrost
ein und heftiger Kopfschmerz. Morgens hörte Patient nichts mehr. Nervus
acusticus reagirt. Trotz Anwendung der gebräuchlichen Mittel bisher keine
Besserung.
4. Kind, 2 1 Monate alt, sprach und lief seinem Alter entsprechend, bis
vor 5 Monaten plötzlich Schwindelanfälle mit Erbrechen und hohen Tempera-
turen auftraten. Der hinzugezogene Arzt diagnosticirte eine Magenverengerung.
Das Ohr untersuchte er nicht, die Intelligenz des Kindes war ungestört.
Nach 12 Tagen schwand das Fieber und die Erscheinungen vom Magen her
waren geheilt. Aber das Kind konnte keinen Schritt mehr gehen, und später
zeite es sich, dass dasselbe taub war. Hier wurde die Voltolin lösche Krank-
heit für einen Magenkatarrh gehalten.
Diese 4 Fälle und andere analoge zeigen durch gewisse gemeinsame
Charaktere, dass die anatomisch-pathologische Schädigung annähernd den-
selben Sitz hat. Diese gemeinsamen Charaktere sind: die Doppelseitigkeit,
die Plötzlichkeit des Auftretens, das Fehlen vorhergehender Erscheinungen,
die Vollständigkeit und Ünheilbarkeit.
Obige 4 Fälle haben eine ganz verschiedene Aetiologie, und doch ist in
allen der Ausgang derselbe. Daraus lässt sich vermuthen 1) dass direct oder
indirect das acustische Pcrceptionscentrum geschädigt, 2) dass dies Centrüm
einseitig ist, oder wenn es doppelseitig ist, eine solch innige functionelle Be-
ziehung zwischen beiden besteht, dass die Verletzung des einen die Function
des andern mit aufhebt.
In den angeführten Fällen handelt es sich nicht um solche,^ die, wie
Gelle annimmt, im Mittelohr beginnen und durch Beizung, Druck oder Er-
schütterung des Labyrintbinhalts als Gehirnschlag endigen. Denn es ist
auffallend, dass stets beide Gehörorgane befallen werden, und die von Bezold
behauptete Thatsache muss berücksichtigt werden, dass gewisse Theile des
Labyrinths der Zerstörung entgehen und dass demnach einzelne sehr hohe
oder sehr tiefe Töne wahrgenommen werden müssten.
Segundo CoDgreso espanol de Oto-Rino-Laringologia, Barcelona 1899. 295
Ebenso wenig darf die Störung im Nervus acnsticus gesucht werden.
Denn Neubildungen entwickeln sich langsam, ebenso Atrophie, Kalkein-
lagerungen, Erweichung, fettige Entartung, Tuberculose, Compression.
Ausserdem ist in diesen Fällen fast immer der Gesichtsnerv in Mitleiden-
schaft gezogen und sehr oft der Trigeminus und Oculomotorius extemns (ab-
ducens). Auch darf die Ursache dieser Taubheit nicht in der Medulla ob-
longata, (Bulbus medullae spinalis) in der Wurzel der Gehörnerven gesucht
werden, weil in derselben Gegend der Trigeminus, Hypoglossus, Oculomotor-
rius und Pneumogastricus entspringen.
Nur der Nucleus auditivus kann der Sitz der Störung, welche die Taub-
heit verursacht, sein. Dies Gehörcentrum liegt nach Ferrier, Luciani
und Tamburini, Charcot und Yulpian in der Temporo-occipitalgegend
des Gehirns. Nach Munk, der seine Versuche an Hunden machte, ver-
ursacht die Rindenverletzung des Lobulus temporalis die sogenannte psy-
chische Taubheit.
Es scheint bewiesen, dass die vollständige und plötzliche Taubheit in
den Börcentren oder in den Fasern, die direct in sie münden, ihren Sitz hat.
Ausser den angeführten Thatsachen, die durch Exclusion diesen Satz
beweisen, bekräftigt ihn auch die Häufigkeit, mit der die Infectionen Ursache
der Taubheit sind, ohne direct den Hörapparat anzugreifen (sin atacar directa-
mente el aparato auditivo). Nach dem Grade der Häufigkeit geordnet sind
dies 1) die exanthematischen Fieber (besonders Masern und Scharlach) P las
fiebres eruptivas (en particular el serampiön y la escarlatina), 2) die Meningitis,
3) die anhaltenden Fieber, in Folge deren sich Meningitis entwickelt, 4) die
hereditäre Syphilis. Wir wissen nicht, zu welcher von diesen Gruppen wir
die sogenannte Voltolini'sche Krankheit zählen sollen, da ihr Entdecker sie
zu einer primären Labyrintherkrankung in Beziehung bringt, während andere
Autoren geneigt sind, anzunehmen, dass es sich um eine Meningitis, be-
schränkt auf den 4. Ventrikel oder auf die Hörnerven, handelt. Die durch
eine Meningitis cerebrospinalis epidemica verursachte Taubheit hat bezüglich
ihres Sitzes grosse Aehnlichkeit mit der Yoltolini 'sehen Krankheit
Vortragender bespricht noch die Bedeutung der hereditären Syphilis
für die Taubheit und schliesst mit den Angaben, dass nach seiner Auf-
fassung die doppelseitige, plötzliche, vollständige und unheil-
bare Taubheit ihren anatomischen Sitz jenseits des Labyrinths, wahr-
scheinlich jenseits des Bulbus (Medulla oblongata) habe und dass man heute
die Hypothese von den intralabyrintbären Exsudaten und den veränderten
Vasomotoren als Ursachen für die durch obige vier Epitheta gekennzeich-
nete Taubheit fallen lassen könne. Nach Annahme dieser Voraussetzung
ergiebt sich kategorisch, dass den Taubheiten, die im Mittelohr, im Labyrinth
oder im Hörnerven ihre Wurzel haben, eine von den 4 Eigenschaften fehlt.
In der Dlscussion bemerkt Dr. Sune, dass, solange diese Taubheiten
unheilbar seien, die Prophylaxe von grösster Wichtigkeit sei, wegen der Zer-
störung zum Hören nothwendiger Organe, welche diese unklaren Krankheiten
durch Hämorrhagien in der Schnecke oder cerebrale Exsudate verursachen,
worauf Dr. Martin in seiner Antwort auf der Thatsache besteht, dass der
Sitz der Taubheit ausserhalb des Gehörapparates im Laufe der Nervenfasern
zu den Perceptionscentren oder in diesen selbst zu suchen sei.
5. Dr. Josä Coli y Bofill de Barcelona. Einiges über die patho-
logischen Beziehungen zwischen dem Hör- und Sehapparat.
Vortragender bespricht einen Fall, in dem ein 3jäbriges sonst gesundes
Kind plötzlich mit hohem Fieber und eklamptischen Anfällen erkrankt. Dazu
treten Verdauungsstörungen und nach einigen Tagen Rasselgeräusche über
beiden Lungen. Am ib. Krankheitstage Verlust des Sehvermögens und Aus-
fluss von blutigem Eiter aus dem linken Ohre. Eintritt völliger Taubheit.
In der sechsten Krankheitswoche wurde Vortragender zugezogen. Hör- und
Sehvermögen waren vollständig erloschen; die Pupillen waren weit und un-
beweglich, die Hautsensibilität herabgesetzt, Fieber nicht hoch. Puls langsam,
Speichelfluss, Leib eingezogen.
Ueber der Lungenbasis noch Rasselgeräusche, Pat. liess den Urin unter
Arehiv f. Ohrenheillrande. LIV. Bd.] 20
296 XIX. BRAUNSTEIN
sich gehen. £rnä.lirang8sa8tand wenig befriedigend. Im linken Gehörgang
wenig Eiter; Trommelfell macerirt, geröthet, in der unteren H&lfte eine
kleine runde Perforation. Proc. mast. ohne Röthung und Schwellung, aber
druckempfindlich. Im rechten Ohr Trommelfell geröthet, vorgewölbt,
Hammergriff völHg verwaschen. In der Mastoidgegend keine Symptome.
Diagnose: Otitis media suppurativa beiderseits, Mastoiditis links.
Die vorgeschlagene Paracentese wurde erst den folgenden Tag vor-
genommen, dagegen sofort der Warzenfortsatz mit Quecksflbersidbe bedeckt
und Ohrausspülungen mit Sublimatlösung 1 : 2000 gemacht.
Nach der Paracentese gingen die Krankheitserscheinungen langsam zu-
rflek, und 3 Wochen sp&ter war das Kind völlig geheilt.
Vortragender nimmt an, dass ee sich hier um eine AUgemeininfection
(durch Grippe, Pneumokokken, Bacterium coli etc.) gehandelt habe, die der
Reihe nach auf folgende Organe übergegangen sei: 1) den Yerdauungskanal,
2) die Bronchien, 3) die Meningen, 4) das Gehörorffan. Dass die cerebrale
Erkrankung früher eintrat als die des Ohres wird dadurch bewiesen, dass
die ErblinduDg 15 Tage früher erfolgte als die Spontanruptur des Unken
Trommelfells.
Ueber die Vorgänge in den Nervencentren giebt Vortragender folgende Auf-
klärung: t. Zeichen einer allgemeinen Meningitis und eines grossen cerebralen
Druckes waren nicht vorhanden; 2. die Taubheit war absolut vor der Ent*
Wicklung der rechtsseitigen Otitis und die Enochenleitung war aller Wahr-
scheinlichkeit nach aufgehoben, wofür die einfache Mittelohrentzündung keine
genügende Erklärung giebt. 3. Die Krankheit ging zurück und endete mit
einer Restitutio ad integrum. Diese 3 Punkte weisen darauf hin, dass eine
allgemeine Hyperämie der Meningen bestehen konnte, dass aber die Haupt-
verletzung wahrscheinlich congestiv-entzüudlicher Natur auf einen encepha-
lischen Herd beschränkt war.
Vortragender bespricht nun den Faservorlauf der Seh- und Hörnerven,
um seine Ansicht anatomisch zu begründen.
In der Discussion widerspricht Dr. Sufiä den Ausführungen Dr. GoH's,
indem er behauptet, dass eine Otitis acuta bei fieberhaften Infectionskrank-
heiten genüge, um Krankheitserscheinungen wie in dem besprochenen Falle
hervorzurufen, und dass diese verschwinden, wenn durch die Paracentese dem
Eiter ein freier Ablauf geschaffen wurde.
Ihm gegenüber hält Dr. Coli seine Ansicht aufrecht, ohne neue Gründe
anzuführen.
6. Dr. Jos 6. A. Masip, de Barcelona: Die Mittelohrentzündungen bei
Kranken mit Rhinitis atropbica.
In der Fachliteratur finden sich hierüber wenige Beobachtungen. Vor-
tragender theilt 6 Fälle aus seiner Praxis mit, in denen die Rhinitis atropbica
begleitet war von einer doppelseitigen Otitis media chronica. Es handelt
sich um Kranke im Alter von U bis 21 Jahren. Diese Otitiden unterscheiden
sich von der gewöhnlichen Sklerose durch das jugendliche Alter der Patienten,
dadurch, dass sie gleichzeitig oder mit sehr geringem Zeitunterschied beide
Ohren befallen, dass das Ohrensausen fehlt oder nur sehr schwach ist, dasa
keine Willis 'sehe Paracusis, keine Hyperämie des Trommelfells und schliess-
lich keine Labyrintherscbeinungen vorbanden sind. Im Mittelohr soll hierbei
eine Umwandlung des Flimmerepithels in Pflasterepithel und eine Infiltration
der sufoepitbelialen Schicht durch Rnndzellen eintreten.
Vortragender theilt noch 13 weitere Fälle mit von Rhinitis atropbica
mit ein- oder doppelseitiger Otitis media acuta, oder ein- oder doppelseitiger
Otitis media chronica oder purulenta.
Nach seinen Beobachtungen kommen bei Rhinitis atropbica in ca. 507o
Fällen Ohrcomplicationen vor, und in ca. 17 % sind sie durch die Erkrankung
der Nase verursacht.
In der Discussion bemerkt Dr. Forns, dass es höchst einfach sei, sich
über die anatomisch-pathologischen Veränderungen bei dieser Krankheit zu
vergewissern, worauf Dr. Masip erwidert, dass es, in Spanien wenigstens, sehr
achwierig sei, entsprechende Präparate zu erhalten.
Segundo Gongreso espailol de Oto-Rino-Laringologia, Barcelona 1899. 297
Ausserdem wurden noch folgende Vorträge gehalten: Dr. Rafael
Porns de Madrid: Beitrag zum Studium der Auskleidung der verschiedenen
Höhlen des Mittelohrs.
Dr. Alvaro Prosta de Barcelona: Der Zucker bei der Behandlung
der chronischen Eiterungen der Paukenhöhle.
Dr. L. Sunö v Molist de Barcelona:. Das Formol und die chro-
nischen Eiterungen des Mittelohrs.
Dr. Pedro Bor ras y Tor res de Barcelona: Besprechung dnes
klinischen Falles yon secund&r^n Sarkom des linken Gehörgangs.
Dr. R. Forns de Madrid: Einleitungsvortrag zur Erklärung von
150 Präparaten der topographischen Histologie des äussern und Mittel-
Ohres.
Dr. R. Forns: Schlussrede der Session.
20
XX.
Bericht ftber die VerhandlnDgen der Berliner otologisclieii
Gesellschaft.
Von
Dr. Haike (Berlin).
Dritte Sitznng am 9. Juli 1901.
Vorsitzender: Herr Traatmann.
Schriftführer: Herr Jaeobson.
Herr Lac ae: Das Oto-Stroboskop UDd sein physiologisch-diagnoBtischer
Werth. Der lohalt des Vortrages ist m Band LIII dieses Archivs publicirt.
Herr Schwabach weist darauf hin, dass Herr Seligmann die elek-
trische Massage zuerst eingeführt habe. Er bestätigte die Ansicht Lucae's,
dass der Trichter nicht luftdicht ins Ohr beim Massiren eingesetzt werden
dürfe. Die Erfolge bei der Massage seien bei der Sklerose nur gering, besser
bei den subjectiven Ger&uschen und bei Residuen der Otitis me<üa. Den
N übersehen Massage- Apparat hält er für unwirksam, anderseits warnt er
davor, den mit Motor betriebenen in die Hand des Patienten zu geben.
Herr Lucae betont, dass er die Elektromassage selten allein, gewöhn-
lich nach Anwendung der Drucksonde gebrauche und dabei auch in Fällen
Erfolge sehe, bei denen die Massage allein nichts genützt, oft sogar Yer-
schlimmerung herbeigeführt habe. Beim Massiren unter luftdichtem Einsetzen
des Trichters habe er die Symptome der Seekrankheit auftreten sehen.
Herr Trautmann berichtet einen Fall aus anderer Behandlung, der
später ihn consultirte, als Beispiel für die Gefahren der unzweckmässig ge-
handhabten Fneumomassage: der Patient consultirte wegen geringer Beschwerden
am Ohr einen Arzt, der ihn mit dem durch Elektromotor betriebenen Apj^arat
massirte. Gleich bei Beginn der Procedur sei er unter heftigem Schwindel
und Erbrechen zu Boden gestürzt und von dieser Zeit an auf dem be-
handelten Ohr taub geblieben. Herr Trautmann betont, dass nur der
mit der Art der Anwendung des Apparates vertraute Arzt diese Massage
ausüben dürfe. — Die Wirkung des iMöberschen Apparates bezweifelt er.
Herr Schwabach theiit noch einen Fall mit, in dem der Patient bei
unzweckmässig ausgeführter Massage einen schweren Ohnmachtsanfall be-
kommen habe.
Herr Jacobson hat mit dem NöbeTschen Apparat, den er mittelst
Nähmaschine betreibt, gute Erfolge erzielt, sowohl bei subjectiven Ge-
räuschen, bei lästigem Gefühl von Völle und Druck im Ohr und Kopf, als
auch bei Schwerhörigkeit. Alle Modificationen der Pneumomassage seien
nichts Anderes als eine kleine Luftpumpe, durch welche die Luft im Gehör-
gange abwechselnd verdichtet und verdünnt werde; ob diese Luftpumpe
durch die Hand, den Fuss oder einen Elektromotor in Tbätigkeit gesetzt
wird, erscheine ihm völlig gleichgültig; wesentlich dagegen sei die Regulirung
der Hubhöhe und er räth, mit geringer Hubhöbe zu beginnen und allmählich
sie zu steigern. — Die Selbstbehandlung mit dem Massageapparat könne bei
Mangel an Vorsicht schaden, doch gilt dies auch für andere therapeutische
Maassnahmen ; doch lasse sie sich häufig nicht ganz umgehen, dann habe man
aber den Patienten gründlichst zu informiren.
XXI.
Besprechungen.
4.
Verhandlungen der Deutschen otologisohen Gesell-
sohaft auf der 10. Versammlung in Breslau am 24. und 25. Mai
1901. Im Auftrage des Aussohusses herausgegeben von Dr. A.
Hartmann, z. Z. ständigem Secretair der Gesellschaft. Mit
10 Abbildungen im Text und 2 Tafeln. Jena, Verlag von Gustav
Fischer. 1901.
Die Verhandlungen der Gesellschaft, über welche wir be-
reits vor längerer Zeit im XLII. Bande dies. Archivs einen aus-
fbhrlichen Originalbericht gebracht haben, liegen nunmehr in
stattlicher Ausstattung eines Bandes von 235 Seiten nach den
officiellen Protokollen der Vorträge und der daran geknüpften
Discussionen vor. Das Verzeichniss der Gesellschaftsmitglieder
zählt 266 Namen. Der Ausschuss der Gesellschaft bis 1902 be-
steht aus 9 Mitgliedern. Den Vorsitz hat Prof. Siebenmann
(Basel), den stellvertretenden Vorsitz Prof. Bürkner (Göttingen),
der sein bisheriges Amt als ständiger Secretair der Gesellschaft
niedergelegt hat; Prof. Kessel (Jena) hat seinen Austritt aus
dem Ausschuss der Gesellschaft erklärt. Anwesend bei den Ver-
handlungen waren 76 Mitglieder und 9 Gäste. In dem Berichte
des Schatzmeisters (Dr. Oskar Wolf in Frankfurt a. M.) ist von
allgemeinerem Interesse, dass der Fond des v. Tröltsch-Denk-
mals auf Mk. 5357,45 angewachsen ist. Die Gesellschaft als
solche hat sich daran betheiligt mit einem Beitrage von 1000 Mk. —
Als Anhang der Verhandlungen ist ein Bericht über die
Besichtigung der Abtheilung für Ohren-, Nasen- und Halskranke
im Allerheiligenhospital beigefügt, zu welcher der Stadtrath
Dr. Steuer die Mitglieder eingeladen hatte. Der leitende Arzt
der Abtheilung, Dr. Brie g er, erläuterte in einer Ansprache die
vortrefflichen Einrichtungen der Abtheilung, demonstrirte eine
Anzahl der zur Zeit dort untergebrachten wichtigsten Erkran-
300 XXI. Besprechnngeii.
knngsfälle und widmete dem Andenken des Stifters der Abthei-
long, Dr. Ludwig Jaeoby, gebührender Weise dankbare nnd
pietätvolle Worte. Schwartze.
5.
K. Brauekmann, Die psyohisohe Entwicklung nnd
pädagogische Behandlung schwerhöriger Kinder.
Berlin, Beuther u. Beichard. 1901. 96 Seiten. (Aus der Sammlung^
von Abhandlungen aus dem Gebiete der pädagogischen Psychologie
und Physiologie, herausgegeben von Schiller und Ziehen.)
Besprochen von
Prof. Ostmann, Marbaig.
Die Schrift bespricht in 3 Abschnitten: die Empfindungen^
das Vorstellungsleben, den Charakter, die pädagogische Behand-
lung des schwerhörigen Kindes und f> in einem vierten einige
Ergebnisse psychologisch-physiologischer und allgemein pädago-
gischer Art hinzu.
Die Schrift soll hier nur insoweit besprochen werden, als
ihr Inhalt besonderes Interesse für die Leser des Archivs besitzt^
und zwar erscheint diese Einschränkung um so mehr geboten,
als die vielfachen physiologisch - psychologischen Auseinander-
setzungen, in denen nicht Alles logisch verstanden und ver-
ständlich ist, sich ihrem Wesen nach kaum in einer kurzen Be-
sprechung wiedergeben lassen. Auch versage ich es mir, die
Schrift im Einzelnen kritisch zu betrachten.
Die Abhandlung nimmt die physiologische Psychologie, wie
sie von Ziehen in seinem Leitfaden der physiologischen Psy-
chologie entwickelt ist, zur wissenschaftlichen Grundlage und
will, gestützt auf die in der praktischen Lehr- und Erziehungs-
arbeit schwerhöriger Kinder gewonnene ErfahruDg, einer rich-
tigen psychologischen Beurtheiluug und angemessenen pädago-
gischen Behandlung dieser Kinder die Wege bahnen.
I. Die Empfindungen des schwerhörigen Kindes.
„Schwerhörig^ ist eine summarische Bezeichnung, welche
eine ganze Beihe von Ausfallserscheinungen umfasst. Ein Schwer-
höriger ist „nahehörig^, d. h. er muss sich der Schallquelle mehr
nähern, als ein Normalhörender; er ist „schwachhörig*^ , denn
auch in der Nähe fallt ein Theil von adäquaten Beizen ftlr
ihn aus; die wahrgenommenen aber sind weniger intensiv
(Intensitätseinbusse) und zeitlich verkürzt, sofern die Stärke des
XXI. Besprechungen. 301
Sehallreizes wechselt. Daraus ergiebt sieh für die wahrgenom-
menen Klänge veränderte Klangfarbe, weil leise mitklingende
Partialtöne in Folge der verminderten Anspruehsfähigkeit des
erkrankten Organs nicht percipirt werden, sowie eine Verände-
rung des Charakters der Geräusche; und zwar werden, je er-
heblicher die Schwerhörigkeit ist, diese Ausfallserscheinungen
um so stärker hervortreten. „Die akustische Welt des Gehör-
leidenden ist demnach nicht nur eine kleinere, engere, sondern
auch eine andere, als die des Normalhörigen. ^
Daraus folgt insbesondere für die Auffassung der Sprache, dass
1. die Zahl der wahrnehmbaren Sprachlaute um so geringer
wird, je weitgehender die Hörstörung ist, und
2. die wahrgenommenen dem Schwerhörigen zumeist anders
klingen müssen, als dem Normalhörenden.
Diese qualitative Veränderung bedingt, dass lauteres Spre-
chen an sich die Sprache für den Schwerhörigen nicht verständ-
licher macht, denn beim lauten Sprechen treten die an sich
klangreicheren Laute nur noch stärker hervor und verdecken
dadurch noch mehr die weniger klangreichen ; die Sprache wird
somit an Deutlichkeit eher ab- als zunehmen.
Die natnrgemässe Erlernung der Sprache wird durch einen
Grad von Schwerhörigkeit schon verhindert, der noch durchaus
hinreichen kann, die einmal erlernte zu verstehen, und zwar wird
die sprachliche Entwicklung des Kindes gehemmt:
1. durch die mangelhafte und qualitativ veränderte akustische
Empfindung, und
2. durch das mehr oder weniger vollständige Ausfallen der
Muskelempfindungen (Lage- und Bewegungsempfindungen), wie
sie durch den Sprechact hervorgerufen werden; denn in dem
Maasse, als dem Sprachorgan weniger Bewegungsimpulse von
den akustischen Gentren zufliessen, bleibt dasselbe ungeübt; auf
diese Ungeübtheit führt Brauckmann auch die Trübung und
Verwischung der Vocale zurück, die bei Schwerhörigen auch dann
auftreten soll, wenn diese Sprachlaute noch gut und deutlich
gehört werden. Meines Erachtens dürfte die unreine Aussprache
mehr darauf zurückzufahren sein, dass die schwerhörigen Kinder
ein durch Ausfall eines oder mehrerer Theiltöne verändertes
Vocal-Klangbild erhalten und diesem entsprechend ihre Aus-
sprache nachbilden, wobei allerdings die geringe Uebung der
Sprachorgane selbst mitwirken dürfte.
Sofern somit nach Eintritt der Schwerhörigkeit die Sprache
302 XXI. Besprechungen.
erlernt werden mnsS) wird sie nicht nur quantitativ im Hinblick
auf ihren Wortschatz geschädigt, sondern auch qualitativ beztlg-
lich ihrer charakteristischen Lautbildnng yer&ndert
n. Vorstellnngsleben und Charakter des schwer-
hörigen Kindes.
Die Einengung der akustischen Empfindungen muss auch
das Yorstellungsleben des Schwerhörigen beeinflussen und zwar
verschieden sowohl nach Art und Grad der Gehörschädigung, als
auch nach dem Zeitpunkt des Eintritts der Schwerhörigkeit. Am
stärksten wird die Schädigung sein, wenn der Gehördefect vor
dem &lernen der Sprache auftritt. Bei solchen Kindern ist zu-
nächst mit einem Ausfall akustischer Vorstellungen zu rechnen :
„Es fehlen ihnen z. B. die Vorstellungen jener leisen Geräusche,
welche ihr Ohr nicht mehr erregen, wie Säuseln, Hauchen, Lis-
peln, Flttstern, Summen, Surren, Seufzen u. s. w., ebenso die
akustischen Vorstellungen der schwächeren Consonanten^^ Alle
übrigen akustischen Vorstellungen müssen aber gegenüber den-
jenigen Normalhörender mangelhaft sein, weil die den Vor-
stellungen zu Grunde liegenden akustischen Empfindungen dies
gleichfalls sind. Dadurch verlieren die akustischen Vorstellungen
überhaupt an Deutlichkeit und Schärfe und demgemäss auch an
bestimmendem Werth fbr das Individuum.
Wenn nun auch die akustischen Vorstellungen als solche
in unserm Geistesleben im Allgemeinen keine besonders hervor-
tretende Bolle spielen, so muss doch durch den Ausfall bezw.
die Modification der akustischen Empfindungen und demgemäss
auch der Vorstellungen die Totalvorstelliing vieler Dinge in
nennenswerther Weise beeinflusst werden.
So fehlt dem hochgradig schwerhörigen Kinde in der Total-
vorstellung „Biene*' das Summen, in der der „Lerche" das
Jubiliren, in der Vorstellung „Regen" das Rieseln oder Plät-
schern, in der Vorstellung „Bach" das Murmeln u. s. w.
Aus dieser Inhaltsänderung der Totalvorstellung folgt eine
Anderswerthung. Die Lerche ist dem Kinde nicht mehr als der
Spatz, die Trommel vielleicht mehr als die Geige u. s. w. Es ent-
steht somit eine Verschiebung und Trübung des Urtheils.
Weiter erachtet Brauckmann die Zeit- und Zahlen Vor-
stellungen in besonderer Weise beeinflusst durch die Schwer-
hörigkeit.
Indess ist er der Ansicht, dass der Gehörmangel erst da-
XXI. Besprechungen. 303
durch, dass durch ihn die sprachliche Entwicklung des Kindes
gehemmt wird, ftir dasselbe so verhängnissvoll wird; „denn der
Spraehmangel und die dadurch verursachte primitive Form des
Denkens verhindert es, im psychischen Sinne ein VoUmensch zu
werden'^; das Kind wird „eine höhere, über das unmittelbar
sinnlieh Gegebene hinausliegende Stufe des Geisteslebens trotz
guter und sehr guter Veranlagung unter gewöhnlichen Verhält-
nissen'^ nicht erreichen.
Das veränderte Empfindungs- und Vorstellungsleben des
Kindes kann schliesslich nicht ohne Einwirkung auf den Cha-
rakter bleiben, zu dessen eigenartiger Entwicklung nicht selten
eine völlig falsche Behandlung des Kindes in Haus und Schule
beiträgt.
„Die in Folge der mangelhaften sprachlichen Entwicklung
des schwerhörigen Kindes unvermeidlichen Missverständnisse
zwischen ihm und seiner den Zustand nicht richtig würdigenden
Umgebung tragen viel dazu bei, das Affectleben des schwer-
hörigen Kindes ungünstig zu beeinflussen. Ein Mangel an Ge-
müthstiefe ist mit dem Gehörmangel an und fbr sich schon ver-
knüpft; jene Missverständnisse aber führen zu einer immer
weitergehenden Gemüthsverkümmerung, ein Mangel, der um so
bedauernswerther ist, je weniger ein wohlorganisirter Vorstellungs-
kreis vernünftige Erwägungen ermöglicht. Die affective Erreg-
barkeit ist bei schwerhörigen Kindern natürlich auch verschie-
den, je nach ihrer nervösen Constitution. Es scheint mir aber,
dass sie in den weitaus zahlreichsten Fällen erheblich gestei-
gert ist."
Einer derartigen seelischen Verfassung entsprechend tragen
die Handlungen des schwerhörigen Kindes mehr als bei andern
den Charakter des Impulsiven; daneben besteht nicht selten
Vertrauensseligkeit und Harmlosigkeit, die dann nach üblen Er-
fahrungen in Misstrauen umschlägt, sowie Naivität und Unschuld.
III. Pädagogische Behandlung des schwerhörigen
Kindes.
Die pädagogische Behandlung des schwerhörigen Kindes
liegt zumeist nicht in der Hand des Arztes, sondern des Päda-
gogen; es soll deshalb an dieser Stelle nur mit wenigen Worten
auf die Stellung Brauckmanns gegenüber dieser Frage ein-
gegangen werden.
Gegenüber der Wirkung der methodischen Hörübungen be-
304 XXI. Besprechangen.
wahrt sieh Brauokmann eine berechtigte Skepsis und hofft
nieht, durch diese die Schäden, die der psychischen Entwicklung^
des Kindes durch den Gehörmangel erwuchsen, ausgleichen zn
können. Er empfiehlt ein möglichst frühzeitiges Einsetzen einer
,,den besonderen Bedürfnissen des schwerhörigen Kindes ange-
passten pädagogischen Behandlung'^ welche während der ersten
Jugendzeit neben der häuslichen Erziehung auf nachstehende
Punkte ihr besonderes Augenmerk zu richten hätte:
1. Besonders sorgfältige Erziehung zum äusseren Wohlver-
halten.
2. Planmässige Uebung der sinnlichen, insbesondere der
akustischen Aufmerksamkeit.
3. Besondere Uebung im Gebrauch der Musculatur, im Be-
sonderen auch der Sprechmusculatur.
4. Bereicherung des Yorstellungsschatzes.
5. Planmässige Anlegung von Associationen zwischen Sprach-
und Objectvorstellungen.
Was das Ziel der unterrichtlichen Aufgaben in spätercA
Jahren anlangt, so will es mir scheinen, als ob Brauokmann
hierbei erheblich zu hoch griffe, wenigstens seinen Worten nach
klingt es so; in der praktischen Bethätigung werden die Kinder
die Ziele schon etwas niedriger stecken.
Auf den 4. Abschnitt:
Einige Ergebnisse physiologisch -psychologischer
und allgemein pädagogischer Art
brauchen wir an dieser Stelle nicht näher einzugehen.
6.
Dr. Eugen Maljutin, Priv.-Doc. an der Kaiserl. Univer-
sität in Moskau; Maligne Tumoren der Nasenhöhle
und die chirurgische Behandlung derselben.
Besprochen von
Prof. Dr. Gronert, Halle a. S.
Das gut ausgestattete Buch zerfällt in 6 Theile. Im ersten
Theile giebt Verfasser eine geschichtliche Uebersicht des be-
treffenden Gegenstandes, welche, nach der angefElhrten Literatur
zu urtheilen, eine erschöpfende zu sein scheint.
Im zweiten Theile finden wir in tabellarischer Anordnung
einschlägige Krankengeschichten, Fälle betreffend, welche in
den letzten 20—40 Jahren in 6 Moskauer Hospitälern beobachtet
XXI. BesprecbuDgeD. 305
sind. Die Sohlassfolgerangen ans diesem reichen Beobaohtungs-
material, sowie eine statistische Berechnung über die relative
Häufigkeit der Tumoren der Nasenhöhle im Verhältniss zu ana-
logen Erkrankungen anderer Organe werden umfassend hinzu-
geftgt.
Der dritte Theil enthält die eignen diesbezüglichen Beobach-
tungen des Autors.
Der vierte Theil ist vorwiegend anatomisch. Die topogra-
phische Anatomie der Nase und ihrer Nebenhöhlen unter Einschluss
der Beschreibung des histologischen Baues der sie bedeckenden
Schleimhäute ist durch zweckmässige Skizzen illustrirt.
Der fünfte Theil enthält eine Darstellung des gegenwärtigen
Standes der Frage über die Pathologie und den klinischen Ver-
lauf der bösartigen Tumoren.
Im sechsten Theile finden wir eine Beschreibung aller bis
jetzt zur Exstirpation von Polypen und Tumoren der Nasenhöhle
angewandten Methoden. Dieselben werden einer anatomisch
fundirten Kritik unterzogen. Schliesslich wird eine neue osteo-
plastische Operation beschrieben, welche zur Entfernung der ge-
nannten Tumoren am zweckmässigsten erseheint.
7.
RöpkC) Die Berufskrankheiten des Ohres und der
oberen Luftwege. Wiesbaden bei J. F. Bergmann.
Besprocliea von
Prof. Dr. Grunert, Halle a. S.
Bei der Besprechung dieser so lesenswerthen Monographie,
welche als 2. Abhandlung der Sammlung „Die Ohrenheilkunde
der Gegenwart und ihre Grenzgebiete^ erschienen ist, beschränken
wir uns auf Wiedergabe des auf das Ohr bezüglichen Neuen.
Der erste Abschnitt, die Berufskrankheiten des Ohres und
der oberen Luftwege bei Industriearbeitern und Handwerkern
betreffend, ist der umfangreichste. Sämmtliche Industriezweige,
Bergbau, chemische Grossindustrie, metallurgische Industrie, In-
dustrie der Steine und Erden, Baugewerbe, Holzbearbeitung und
verwandte Gewerbe, polygraphische Gewerbe, Industrie der
Farbenmaterialien, Industrie der Explosivstoffe und Zündwaaren,
Düngerfabriken, Gerbereien, Leimfabriken, Industrie der Oele,
Fette, Firnisse und Harze, Industrie der Heiz- und Leuchtstoffe
und ihre Nebenproducte, Textilindustrie, Papierindustrie, Be-
kleidungs- und Reinigungsindustrie, sowie die Industrie der
306 XXI. Besprecbangen.
Nahrangs- und Genussmittel hat Verfasser in diesem Abschnitte
auf das Sorgfältigste bearbeitet. Dankenswerth ist es, dass er
die Technik der einzelnen Industriezweige kurz beschrieben hat,
so dass der Leser über Wesen und Herkunft der für Ohr und obere
Luftwege schädlichen Agentien sofort orientirt ist Wenn es auch
in der Natur der Sache liegt, dass die schädliche Wirkung der
hier meist in Betracht kommenden dampfförmigen Körper in erster
Linie die oberen Luftwege betrifft, so ist doch einzelnes Inter-
essante, welches zum Ohr Beziehung hat, kurz zu erwähnen, so
z. B. ausgedehnte Entzflndungen des Gehörganges, Ekzeme an
Ohrmuschel und im Gehörgange bei Arbeitern, die im Stein-
kohlenbergbau beschäftigt sind, sowie Geschwüre im Gehör-
gange bei Arbeitern, die arsenhaltige Erze fordern. Bei Stein-
kohlenbergarbeitern finden sich ausser an übrigen Eörperstellen
auch an der Ohrmuschel charakteristische blaue Hautflecken,
welche durch in kleine Verletzungen eingeheilte Eohlenpartikel-
chen entstanden sind. Ekzeme des äusseren Ohres bei Arbeitern,
die in den Cyancaliumfabriken die Cyancaliumschmelzen zu zer-
schlagen haben, desgleichen bei in Eisenhütten beschäftigten
Arbeitern, bei Kalk- und Gipsbrennereiarbeitern mögen kurz
angedeutet werden. Was die Eesselschmiedetaubheit anbetrifft,
so vertritt Verfasser auf Grund eigner Beobachtungen die An-
sicht, dass in der Mehrzahl der Fälle keine reine Otitis interna
vorliegt, sondern eine Gombination von Otitis interna mit chro-
nischem Mittelohrkatarrh, welcher durch Fortpflanzung lange be-
stehender chronischer Nasen- und Bachenaffectionen auf das
Mittelohr entstanden ist. Der zweite Abschnitt umfasst die
Berufskrankheitendes Ohres und der oberen Luftwege bei land-
wirthschaftlichen Arbeitern; im dritten Abschnitt werden die ent-
sprechenden Berufskrankheiten bei Soldaten, sowohl des Land-
heeres wie der Marine, eingehend geschildert. Der vierte Ab-
schnitt handelt von den Berufskrankheiten bei den Bediensteten
des öffentlichen Verkehrswesens, den Eisenbahnbediensteten, den
Bediensteten der elektrischen Bahnen, den Post-, Telegraphen-
und Telephonbediensteten, sowie den Führern von Automobil-
Droschken, den Pferdebahn- und Droschkenkutschern. Was die
Schädigungen des Ohres bei Bediensteten der elektrischen Bahnen
anbetrifft, so liegen bisher über diesen Gegenstand in der Lite-
ratur noch keine Notizen vor. Trotzdem übergehen wir das
üntersuohungsresultat von 32 in diesem Betriebe angestellten
Leuten des Verfassers, weil, wie Verfasser selbst hervorhebt, die
XXI. Besprechungen. 307
Zeit, während welcher die Betreffenden in jenem Betriebe be-
sehäftigt waren, viel zu kurz ist, als dass die Befunde irgend
welche Schlussfolgerungen über einen etwaigen ursächlichen Zu-
sammenhang zwischen Ohrbefund und dem Berufe zulassen. Im
folgenden Abschnitte werden die Berufskrankheiten bei „Sports-
leuten^, LuftschiJSTern, Badfahrern, Jägern und Schützen, Fuss-
ballspielern, Boxern, Bingern und Saltomortaletänzern abge-
handelt. Der letzte Abschnitt umfasst schliesslich die Berufs-
krankheiten bei Angehörigen verschiedener Berufe, Nonnen, Be-
rufsmusikern, Flussschiffern, FlSssern, Seeleuten und Fischern,
bei Schwammfischern und Perlfischern, bei Apothekern und Dro-
guisten, bei Chemikern, bei Cloakenreinigern, Kaminfegern und
Feuerwehrleuten, Was die letztere Berufsklasse anbetrifft, so
theilt Verfasser mit, dass nach den Erfahrungen in der Berliner
Feuerwehr subjective Ohrgeräusche und Schwindel zu den all-
täglichsten Erscheinungen der acuten Rauchvergiftung gehören.
Eine Abnahme des Hörvermögens sei dabei aber bisher nicht
mit Sicherheit festgestellt worden.
Der Verfasser hat sich der dankenswerthen Aufgabe unter-
zogen, die umfangreiche, bisher zerstreut gewesene Literatur zu-
sammenzusuchen und systematisch zu ordnen. Der Umstand,
dass die hinzugehörige Literatur jedem einzelnen Abschnitte
beigefügt ist, erleichtert es ungemein, sieh rasch zu Orientiren,
wenn man sich über die Berufskrankheiten des Ohres irgend
einer Berufsart rasch Auskunft verschaffen will. Die Ausstat-
tung des Buches entspricht der rühmenswerthen Tradition des
bekannten Verlages.
8.
Dr. Theodor Heiman in Warschau: Ueber letale Ohr-
erkrankungen, 2. Heft V, Band der Klinischen Vorträge aus
dem Gebiete der Otologie und Pharyngo-Rhinologie, herausge-
geben von Prof. Dr. Hang -München.
Besprochen von
Dr. Iwan Braunstein, Halle.
Unter obigem Titel hat Verfasser versucht, eine Monographie
der intracraniellen Complicationen bei Erkrankungen des Gehör-
organs zu schreiben. Die Arbeit besteht aus einer Einleitung
und den Abschnitten : Pachymeningitis circumscripta externa, Abs-
cessus extraduralis, — Leptomeningitis diffusa — Hirnabscess
— Thrombophlebitis, Septicopyaemia ex otitide, — Tödtliche
308 XXI. Besprechungen.
Blutungen aus der Arteria carotis interna und aus den Hirn-
1 eitern, — denen sich eine „Kurze üebersicht der vom Ver-
fasser selbst beobachteten letalen Complicationen der Mittelohr-
leiden^^ ansehliesst. Verfasser hat sich hierzu leider der deutschen
Sprache bedient, eines Ausdrueksmittels, welches Verfasser auch
in seinen elementarsten Formen nicht zu beherrschen scheint.
Abgesehen von grammatikalischen Fehlern^) und undeutsohen
Wortbildungen, wie kasSs statt käsig, sinusal statt sinuos,
hjperämirt statt hyperämisch u. A., erschweren unrichtige
Satzconstructionen und der fehlerhafte Gebrauch von Wörtern
das Verständniss der Ansichten des Verfassers beinahe auf jeder
Seite. 2)
Aber noch weit auffallender als diese sprachlichen UnvoU-
kommenheiten ist die grosse Menge des sachlich Unrich-
1) »Die meisten letalen Complicationen begegnet man zwischen dem
11. — 40. Lebensjahre**, „leiden an allgemeine Beizbarkeit**. „Auf die
Anatomischen Untersuchungen von Bezold, Rüdinger und seine eigenen
gestützt, erklärt Körner als Ursache des öfteren Vorkommens der
intracraniellen Complicationen auf der rechten Seite (70 Proc.)
dadurch, dass der rechte Sinus transversus durchschnittlich breiter und
tiefer als der linke in den Warzenfortsatz und in die Basis der Schläfenbein-
pyramide hineinragt, wodurch die Knochen wand, die ein Cholesteatom,
-ein Eiterherd, ein Sequester von den Hirnhäuten und vom Sinus
«igmoideus trennt, auf der rechten Seite dünner ist und deshalb leichter
als auf der linken Seite zerstört wird.**
2) Beispiele: „Wird der Eiter spontan oder auf operativem Wege
nicht entfernt, so durchbricht erdieDura mater, oder im Falle
-dieselbe schon durchbrochen ist und localisirt sich zwischen der-
selben und der Arachnoidea"* u. s. w. oder „Ungemein oft werden Kleinhirn-
Abscesse durch Extraduralabscesse befördert**, oder „Alle diese Erscheinun-
gen finden statt, wenn der Abscess im linken Temporallappen sich befindet;
und im rechten bei denen, die ihre linke Hand gebrauchen.**
Von vielen anderen möge noch folgender Passus angeführt werden: „Der
ituf der Oberfläche des Thrombus entstandene Eiter durchbricht sein Inner es
und auf solche Weise entsteht im Thrombus eine weiche braun -grünliche
•oder grünlich -gelbe Masse, die mit Theilchen des Thrombus vermischt ist.
In dieser Masse wimmelt es von pathogeuen Mikroorganismen und ihren Kei-
men, die im Thrombus einen günstigen Boden zu ihrer Entwicklung finden.
Von dieser Stelle können Theilchen des Thrombus in den Kreislauf und ins
Herz gelangen oder unmittelbar, wenn der Thrombus soweit zer-
fallen ist, dass der Blutstrom von Neuem theilweise zurückge-
kehrt ist;* oder vermittelst der Venen, die in den Sinus in der N&he
•des zerfallenen Thrombus münden, als Folge des rückgängigen Blut-
et rom es**; u. s. w. Dann .ist an mehreren Stellen „sensitive Störungen** statt
Sensibilitätsstörungen, „Hirnleiter** statt Himblutleiter gesehrieben.
XXI. Besprechangen. 309
tigen z. B.: „Ist ein ganz gesundes Individanin mit einer chro-
nischen Ohreiterang behaftet, so dringt der Erankheitsprooess
nicht selten in die Tiefe, und wenn er sich dahin sogar verbreitet,
^eigt er mehr Tendenz zur schützenden, als zur zerstören-
den Wirkung/' Dann enthält die Darstellung des extraduralen
Abscesses folgende Behauptungen: „Ist der extradurale Absoess
in Folge Zerstörung der Enochenwände entstanden, oder zeigt
sich derEnochenintact, die Dura ist immer alterirt. Sie
ist hyperämisch, trübe, schmutzig, grünlich oder schmutziggrau,
wie der ihr aufliegende Enochen" .... „und oft befindet
sich die Pia mater in unmittelbarer Berührung mit der
Trommelhöhlenschleimhaut'^ In derselben Beschreibung kommt
der Satz vor: „Hirndruckerscheinungen sind selten, kommen nur
bei Eindern vor . . ."
In dem Aschnitt über Leptomeningitis diffusa heisst
€s: „Der Hirnabschnitt, welcher mit dem Eiter in Berührung sich
befindet, ist auf seiner Oberfläche dunkler als die nicht
afficirten Theile und mit rothen Pünktchen besät;
auch ist die Hirnsubstanz auf umschriebener oder
mehr diffuser Strecke erweicht." „Bei Leptomeningitis
convexitatis kommen mono- und hemiplegisohe Lähmungen
und Paresen zum Vorschein. Fast ohne Ausnahme ist vor
iillen anderen Symptomen Nackenstarre vorhanden."
^,Entsteht die diffuse Leptomeningitis in Folge von Berstung eines
Hirnabscesses auf die Oberfläche oder in einen Seitenventrikel,
«0 ist der Verlauf blitzartig — die Eranken sterben in
einigen Stunden; höchstens leben sie noch einen
Tag". „Der acute oder chronische Eiterungsprooess
im Ohre, der normale oder krankhafte Zustand des Schläfen-
beins, ist ohne Bedeutung für die Entwicklung der Lepto-
meningitis diffusa." In der Besprechung der Hirnabsoesse
findet sich folgender Satz: „BeiEleinhirnabscessen wird ausser-
dem in manchen Fällen plötzliche Zunahme der Schwer-
hörigkeit des Ohres der entgegengesetzten Seite, wie
.^uch plötzliche Verbesserung des Gehörs auf der
kranken Seite beobachtet (Lucae, Herpin). Nicht selten
-werden Sprechstörungen beobachtet". „Der Hirnabscess
unterscheidet sich vom extraduralen Abscess bei Er-
v^achsenen dadurch, dass letzterer fast nie von allgemeinen
oder localen Symptomen eines erhöhten intracraniellen
Druckes begleitet wird." Bei der Beschreibung der Thrombo-
310 XXI. Besprechungen.
Phlebitis eto. verweehselt Verfasser die Vena jngnlaris interna
mit der externa und spricht von einem Balbus und der Unter-
bindung der letzteren.
Diese kleine Auswahl aus der Menge unrichtiger Behaup-
tungen und Darstellungen möge genügen, um den wissenschaft-
lichen Werth der besprochenen Arbeit zu illustriren.^) Daran
reihen sich Irrthümer bezüglich der Angaben anderer Autoren
und eine mangelhafte Wiedergabe von Operationsmethoden. Aueh
scheint Verfasser ein grosser Theil der neueren Literatur unbe-
kannt zu sein. In der Frage, ob eine nicht thrombotische Py-
äroie angenommen werden darf, stellt sich Verfasser auf die
Seite Eörner's, ohne aber die Ansichten Leutert's widerlegen
zu können.
Aus den 85 summarisch mitgetheilten „ Krankheitsgeschich -
ten^^ geht nur hervor, dass Verfasser bei 50 Eröffnungen des
Warzenfortsatzes 8 Mal den Sinus transversus zufällig verletzt
hat. In einem Falle erlag die Patientin 4 Wochen später einer
Septicopyämie. Von den 64 Totalaufmeisselungen und Opera-
tionen zur Freilegung des Sinus oder Entleerung eines intra-
craniellen Abscesses waren 11 von Erfolg.
Nach dem bisher Angefahrten muss es komisch wirken,
wenn der Verfasser seine Leistungen neben diejenigen längst
bekannter und bewährter Autoren stellt, z. B. v. Bergmann,
Heiman; Schwartze, Jansen, Heiman etc. undAnschau-
ungen, die sich seit vielen Jahren bereits in weiten Kreisen ein-
gebürgert haben, neuerdings als seinem Grund und Boden ent-
sprossen mittheilt oder bestätigen zu müssen glaubt.
Die Veröffentlichung der Arbeit ist nur zu bedauern, zumal
die Sammlung, in der sie erschienen '^ist, den Interessen des
praktischen Arztes und nicht dem kundigeren Specialisten dienen
soll. Aber es ist ja zu hoffen, dass die mangelhafte und er-
müdende Darstellung des wichtigen Gegenstandes Andere vom
Studium der werthlosen Arbeit absehrecken wird. —
1) Die einzeln angeführten Sätze sind keineswegs willkürlich aus dem
Zusammenhange gerissen, sondern sie bilden wie schon Bau und Inhalt der»
selben beweist, für sich abgeschlossene Thesen.
Nekrolog.
Emilio de Rossi,
geboren 1844 — gestorben 1901.
Von
Dr. Eagenio Morpurgo (Triest).
Am 19. November 1901 verschied plötzlich in Rom Prof.
Emilio de Boss i. In ihm verliert unser Specialfach einen der
tüchtigsten und wackersten Arbeiter, einen unermüdlichen Forscher
und Lehrer, den Begründer der modernen Otologie in Italien.
De Rossi war kein engherziger Specialist, er war Arzt
und Chirurg von seltener Begabung, vielseitig in seiner Bildung,
streng und wahrheitsgetreu in der Beobachtung und unerreicht
in der Kunst des Sprechens und des Schreibens. —
Seit Decennien Recensent der Arbeiten des Verewigten in
diesem Archiv, habe ich den Lesern ausführlich darüber be-
richtet und meiner Bewunderung unverhohlen Ausdruck gegeben.
De Rossi konnte erst nach langen und harten Kämpfen das
unermüdlich ersehnte Ziel seines Lebens erreichen. Im Jahre
1870 wurde er nach Rom berufen und als Docent fttr Ohren-
heilkunde (Incaricato) angestellt.
Im Jahre 1881 wurde er zum Extraordinarius und 1891 zum
Professor Ordinarius ernannt. War diese Ernennung für den Ver-
ewigten eine persönliche Genugthuung und eine gewiss ver-
diente Belohnung, so war sie auch zugleich der Ausdruck der
endlichen Anerkennung der Wichtigkeit und ünentbehrlichkeit
der Ohrenheilkunde für die Ausbildung des Arztes, das Ideal,
für welches de Rossi unentwegt und freimüthig stets gekämpft
hatte. —
Die Berichte aus der römischen ohrenärztlichen, laryngolog.
und rhinolog. Klinik, die vielen Aufsätze über therapeutische,
operative und klinische Fragen sind den Lesern schon bekannt
und wurden dieselben gebührend beleuchtet. Das grössere Werk,
Archiv f. Ohrenheilkmide. LIV. Bd. 21
312 Nekrolog, Emilio de Rossi.
des Verfassers, sein Lehrbuch der Ohrenheilkunde, wurde hier-
selbst, im VI. Band, von Prof. Sehwartze reoensirt, und es findet
sich darin unter Anderem auch folgender Pasns „ .... ich muss
sagen, dass wir ein so vollständiges Lehrbuch wie das vorlie-
gende in der deutschen Literatur nicht besitzen und dass also
eine sehr schnell gelieferte Uebersetzung des Werkes in das
Deutsche oder Französische fiir Viele gewiss äusserst willkommen
sein würde^. Das Lob eines solchen Kritikers war fär den da-
mals so jungen Autor wahrlich sehr ehrenvoll. Bei der Beoen-
sion der zweiten Auflage dieses Werkes in diesem Archiv,
B. XXrV, haben wir uns unbedingt diesem Lobe angeschlossen
und zwar trotz der dazwischen verstrichenen, an Publicationen
gewiss reichen Zeit, und zugleich die vorgenommenen Verbesse-
rungen und Erweiterungen hervorgehoben. —
Und so möge das ehrende Andenken an de Bossi in der
Otologie fortleben, besonders aber mit herzlicher Dankbarkeit in
Italien, wo der Verblichene viele wackere Schüler und aufrich-
tige Verehrer zählte, zu welch letzteren gerechnet zu werden
Schreiber dieser Zeilen sich rtthmt.
XXII.
Wissenschaftliche Rmdschan.
38.
Ergebnisse der Sammelforschung über Krankheiten des Ohres
im E. und E. Heere in den Jahren 1897—1899. Im Auftrage des
E. und E. Reichs-Eriegs-Ministeriums bearbeitet im E. und E. Militär-
Sanitäts-Gomitä. Wien. Druck der Eaiserlich-Eöniglichen Hof- und
Staatsdruckerei 1901.
Obiger statistischer Bericht, welcher Yornehmlich die Beziehung der
Ohrerkrankungen zur Diensttauglichkeit klarlegen soll, hat als Grundlage
1. die Ergebnisse der ohrenärztlichen Untersuchung Ton im October 1896 bei
mehreren Truppenkörpern eingestellten Rekruten, 2. die von den Militär-
Heilanstalten eingesendeten Yerzeichnisse über die in den Jahren 1897,
1898 und 1899 aus der Spitalsbehandlung abgegangenen Ohrenkranken.
Das Ergebniss der Ohrennntersuchungen bei den Rekruten — die Unter-
suchungen wurden im Ganzen an 11 Truppenkörpern und zwar in den Gar-
nisonen Graz, Wien, Przem^sl und Innsbruck vorgenommen — war das fol-
gende: Es fanden sich 395 Ohrenkranke (die Gesammtzahl der unter-
suchten Rekruten ist leider nicht zu ersehen), darunter 25 mit einfachen
Trommelf elldefecten, 35 mit chronischen Mittelohreiterungen und deren Fol-
gen. Ausserdem hatten unter 998 sonst ohrgesunden Rekruten der Garnison
Graz 91 Mann ein Hörvermögen, welches das für die Diensttauglichkeit vor-
geschriebene Maass nicht erreichte. Aus der weiteren Beobachtung der im
October 1 896 ohrenkrank befundenen Rekruten während ihrer weiteren Dienst-
zeit ergab sich, „dass zahlreiche Rekruten mit exquisiten pathologischen Yer-
änderungen am Ohre, selbst mit eiterigen Processen und Perforationen an-
standslos weiterdienen*". Aus der Statistik, welche die in den Jahren 1897
bis 1899 in den Heilanstalten behandelten 10457 Fälle von Obrenkrankheiten
(bei 9595 Individuen) umfasst, sei hervorgehoben, dass die Letalität der
Ohrenkranken im Durchschnitt 2,9 ^oo betrug, während die Gesammtletalität
der Spitalskranken 9,7 ^oo ausmachte. Auffallend ist die Letalität der
bosnisch-herzegovinischen Infanterie (16,6 ^/oo), was mit der Häufigkeit der
Ohreiterungen bei dieser Truppe zusammenhängen dürfte. Es dürfte zu weit-
führen, die Häufigkeit, in welchen die einzelnen Formen der Ohrenkrank-
heiten vorgekommen sind, zahlenmässig zu verzeichnen, erwähnen wollen wir
nur, dass, was die Gruppe „Eiterige Mittelohrentzündung'* anbetrifft, unter
den einschlägigen 4480 Fällen 511,7^00 dienstuntauglich entlassen, 6,67oo ge-
storben, 318,87oo superarbitrirt und 164,4^00 auf sonstige Art in Abgang
gebracht worden sind. Das Hörvermögen der in den Heilanstalten behan-
delten ohrenkranken Soldaten ist am Schlüsse der Schrift tabellarisch zu-
sammengestellt und die Beziehung des Hörvermögens zur Dienstuntauglich-
keit eingehend erörtert.
Wer die im letzten Abschnitt in Kürze zusammengestellten Kranken-
geschichten der 30 letal verlaufenen Fälle durchliest, kann sich des Eindruckes
nicht erwehren, dass unter den 21 nicht operirten letal verlaufenen Fällen
mancher durch eine rechtzeitige Operation hätte gerettet werden können, und
dass unter den trotz vorgenommener Operation letal geendigten Fällen man-
cher gerettet wäre, wenn die Operation nicht zu spät gekommen oder der
21*
314 XXII. Wissenschaftliche Rundschau.
Ausdehnung der Erkrankung entsprechend ausgeführt worden wäre. Mit
einem offenen, die Ursachen dieser Unterlassungssünden schonungslos auf-
deckenden Bekenntniss schliesst der Bericht: „Sicher ist, dass ein operatives
Vorgehen In vielen Fällen nur desshalb unterblieb, weil die Technik der
Operateure im Bereiche des Obres derzeit nur von wenigen specialistisch aus-
gebildeten Militärärzten beherrscht wird.''
An merk. d. Ref.: Wir können uns mit der in dem Resume der
Krankengeschichten der letalen Fälle (S. 26) über den Fall 22 ausgesprochenen
Ansicht, dass hier 2 Processe, eine Sinusthrombose einerseits und ein acuter
Gelenkrheumatismus andererseits neben einanderherliefen, nicht einverstanden
erklären. Vielmehr sind wir der Meinung, dass die auf einen vermeintlichen
acuten Gelenkrheumatismus bezogenen Symptome lediglich als pyämische
Metastasen aufzufassen sind. Grunert.
39.
Prof. De Rossi (Rom). Bericht an die Generaldirection der
sicilianischen Eisenbahnen über die in Europa bestehen-
den Bestimmungen für die Untersuchung des Gehörs bei den
Eisenbahnbediensteten nebst Entwurf eines Reglements für
das sicilianische Eisenbahnnetz. Palermo 1900.
Im Februar 1900 richtete der Generaldirector der sicilischen Eisenbahnen
an Prof. De Rossi ein Schreiben mit der Einladung, bei dem Mangel anfSpeciellen
Bestimmungen zur Untersuchung des Gehörs in dem bestehenden Aufnahms-
reglement ein Regulativ zur Bestimmung der Hörschärfe ausarbeiten zu wollen.
— De Rossi wendete sich an engere Fachcollegen in sämmtlichen europäi-
schen Staaten mit der Bitte um Mittheiiung der bestehenden Bestimmungen,
um später auf Grundlage dieses Sammelberichtes den verlangten Entwurf vor-
zulegen. — Aus den interessanten Mittheilungen und anknüpfenden Betrach-
tungen, die mit dankenswerther Zuvorkommenheit dem Autor zukamen und
in extenso im Original nachzulesen sind, fasste De Rossi einen General-
bericht zusammen, dem wir hier nur die Hauptpunkte entnehmen können.
Die europäischen Staaten zerfallen mit Bezug auf die genannte Frage in
zwei GruDpen : die eine (Belgien, Frankreicb, Grossbritannien, Spanien, Schwe-
den und Norwegen) führen weder gesetzliche, noch irgendwie beschaffene Be-
stimmungen zur Untersuchung des Gehörs bei den Eisenbahn bediensteten ;
die andere Gruppe (Baden, Bayern, das übrige Deutschland, Holland, Oester-
reich-Ungarn , Russland und die Schweiz) besitzt diesbezügliche Ministerial-
Verordnungen und Reglements. —
Um das aus der Sammelforschung hervorgegangene Material besser zu
verwerthen, stellt De Rossi folgende Fragen auf:
1. Giebt es Staaten in Europa, wo Ohrenärzte zu genanntem Zwecke an-
gestellt sind?
Nur in Bayern. In den übrigen Staaten, mit und ohne bestehende Be-
stimmungen, werden Ohrenärzte von der Eisenbahnverwaltung consultirt,
zumeist bei zweifelhaften Fällen oder um ihnen schwer Erkrankte zur Be-
handlung zu überweisen.
2. Welche Normen werden bei der Gehörs Untersuchung befolgt?
Es wird durchgehends auf Flüstersprache untersucht und zwar mit fol-
genden, die Aufnahme in den Dienst bedingenden Hörweiten: Bayern 2 m,
Baden 12 m, Deutschland 7 m, Holland 6 m, Oesterreich-Ungarn 6 m, Russ*
land 6 m, Schweiz 5 m. — Die Uhr wird nur in Oesterreich-Ungarn und in
der Schweiz benützt, mit der festgesetzten Hörweite von 20—25 cm, resp.
50 cm (umgekehrt dem in beiden Staaten angenommenen Verhältnisse der
Hörweite für Flüstersprache). Politzer's Acumeter wird nur in Baden
in Gebrauch gezogen und zwar mit einer verlangten Hörweite von 3 m; eben-
falls nur dort ein Pfeifchen, welches auf 400 m gehört werden muss. — Nicht
alle Staaten, welche festgesetzte Normen für die Untersuchung des Gehörs
besitzen, scheinen den hohen Wert der directen Untersuchung des Ohres
zu würdigen ; anderseits hat man anderswo (z. B. in Russland) bei Verein-
fachung der functionellen Untersuchung ersterer grössere Aufmerksamkeit ge-
schenkt, was nach De Rossi sehr wichtig ist, da die physikalische
XXII. WisBenschaftHche Randschau. Slö
Untersuchung sicherere Besultate giebt als jede functionelle
Erhebung. — DeRossi hebt die auffallende Erscheinung hervor, dass,
während einige Staaten bestimmte Erkrankungsformen des Ohres als dienst-
ausschliessend ansehen, die Tubarstenose dabei nicht berücksichtigt ist,
und doch sei gerade dieselbe häufig unter gegebenen Verhältnissen, z. B.
während einer von grellen Temperaturschwankungen begleiteten Fahrt, Ur-
sache einer plötzlichen, hochgradigen Yerschlimmerung des Gehörs, so dass
der regelmässige Gang der Maschine und die verschiedenen akustischen Sig-
nale gar nicht oder unsicher zur Wahrnehmung gelangen. Und gerade die
Tubarstenose ist durch einen charakteristischen otoskopi-
schen Befund ausgezeichnet. Sonderbarer Weise, während die Oto-
skopie wenig oder gar nicht Jberücksichtigt wird, verlangt man anderseits in
den Reglements, dass wenigstens ein Nasenloch durchgängig sei.
Mit Bezug auf die functionelle Prüfung bemerkt De Rossi ganz
treffend, dass die Untersuchung der aufzunehmenden Eisenbahnbediensteten
unter sehr verschiedenen Bedingungen, als bei der Assentirung sich vollzieht,
da bei dieser der Untersuchte alles aufbieten wird, um Taubheit vorzuschützen,
während die Dienstcandidaten der Eisenbahnen die möglichste Anstrengung
machen werden, um richtig zu hören. Für gewöhnlich, um jedem Arzt die
Untersuchung zu ermöglichen, räthDe Rossi nur auf Flüstersprache
nach Wolfs Angaben zu prüfen; nur in zweifelhaften Fällen wird man
auch Stimmgabeltöne benützen, insbesondere jene, die der entsprechenden
Tonhöhe der Eisenbahnsignale sich nähern. — In Zukunft wird es im In-
teresse der Eisenbahnverwaltungen selbst liegen, jene Aerzte anzustellen, die
specielle ohrenärztliche Kenntnisse nachweisen können; für den Augenblick
aber sollten sich dieselben die Mitwirkung von Ohrenärzten bei speciellen
Anlässen sichern, so z. B. zur unumgänglichen, zeitweiligen Revision der
Angestellten.
Das von De Rossi schliesslich gebrachte Reglement für die siciliani-
schen Bahnen ist im Geiste obiger Ausführungen verfasst und ergeht sich
in akustischen Einzelheiten, die in dem belehrenden Aufsatze nachzulesen sind.
Morpurgo (Triest).
40.
Prof. Vicenzo Cozzolino (Neapel). Ueber einige Operationsfälle bei
primärer Thrombophlelitis derY. jngularis, des Sinus late-
ralis und bei otitischen extraduralen, cerebralen undcere-
bellareuAbscessen. Bolletino v. Prof. Grazzi, Florenz. Jahrgang XVl.
Im Schuljahre 1897—98 unter 854 Kranken des ohrenärztlichen Ambu-
latoriums, die an acuten, resp. chronischen Mittelohreiterungen litten, wurden
36 Mastoidoperationen resp. 27 Antrotomien und 9 Attico-Antrotomien vor-
genommen. Ausser diesen Fällen kam es 6 mal zu intracraniellen Compli-
cationen, die ebenfalls zu operativen Eingriffen führten, und zwar:
1. Streptococcusphlebitis acutissima aus umschriebener Osteo-
myelitis der Trommelhöhlenwand und des Warzenfortsatzes. Wiederholte
operative Eingriffe, mit Jugularisunterbindung, konnten den Exitus nicht ab-
wenden. Section: alle Sinus frei, nur die Jngularis erkrankt, keine sub-
duralen Abscesse, dafür Leptomeningitis purulenta der Convexität.
2. Thrombophlebitis des Sinus transv. Durch Infection des
Emmissar. Santorini aus Mastoiditis hervorgegangen. Ausgedehnter opera-
tiver Eingriff am Knochen, Unterbindung der Y. jugularis (doppelt mit Ex-
cision des entsprechenden Gefässabschnittes). Tod, am vierten Tage beim
Ausbleiben von Schüttelfrostanfällen und unter Erscheinungen, die auf Meta-
stasen in der Leber und Milz zu beziehen waren. Keine Section.
3. Thrombophlebitis des Sinus transv. mit ausgebreiteter Peri-
phlebitis der Jugularis, aus Endomastoiditis ausgegangen mit umschriebener
Nekrose des Sulcus sigmoideus. — Ausgedehnte Knochenresection ; Eröffnung
des Sinus mit Entfernung eiteriger Thromben; später eines tiefen Hals-
abscesses längs dem Sternocleidomastoid. mit Blosslegung des Sinus bis zum
Bulbus ven. jugul. — Nach einem Monat (soweit reicht der Krankheitsbericht)
316 XXII. WiBsenschafÜiche Rundschau.
war Patient bedeutend gebessert, d. b. local die Wunde und die Umgebnng^
fai voller Heilung begriffen, Fieberanf&lle schwach und weit auseinander-
liegend, aber noch bestehende Erscheinungen von Lnngenmetastasen.
4. Grosser subduraler Abscess durch ausgebreitete Nekrose des
äusseren GehOrganges, des Warzenfortsatzes und Tegmen antri, Facialparalyse ;
kein Cholesteatom. — Nach ausgedehntem operativen Eingriffe mit Elunination
des Sequesters und Blosslegung des Tegmen tympano-mastoideum war der
locale Zustand sowohl als der allgemeine sehr befriedigend; da trat durch
einige Tage Abflnss von CerebrospinalflQssigkeit ein (durch spontane, exul-
cerative Perforation der Arachnoidea), worauf Leptomeningitis und Exitus
letalis erfolgte. —
5. Perisinusaler Subduralabscess in der Eleinhirnregion ohne
Betheiligung des Sinus transversus; angeborene Dehiscenz der Tabula int.^
acute Endomastoiditis. Operation (Mastoidotomie mit Blosslegung des Sinus).
In Heilung begriffen bei der Veröffentlichung des Falles. (Operirt am-
bulatorisch). —
6. Subduraler Abscess in der Occipitalgegend mit schwerer Be-
einträchtigung des Allgemeinbefindens bei subacuter Endomastoiditis. —
Operation : Breite Antrectomie; kein Eiter in den Warzenräumen; subcutaner
Abscess in der Occipito-mastoidealen Gegend ; Blosslegung einer nekrotischen
Partie des Hinterhauptbeins; nach Auslöffelung der Granulationen findet
man die Dura blossliegend. — Heilung.
Auf die Wiedergabe der epikritischen Ausführungen über die einzelnen
Fälle müssen wir verzichten und verweisen auf das Original. —
Morpurgo (Triest).
41.
Olmer Lenoir, ancien interne des hdpitaux des Paris: Contribution ä
r^tude de Tantrectomie (ouverture de Tantre p^treux) con-
sid^r^e comme but opöratoire et comme temps pr^liminaire
des Operations nöcessit^es par les complications des suppu-
rations mastoidiennes. (Revue de Chirurgie Nr. 7 [lOjuillet] 1901, p.39
bis 58; Nr. 9 [10 septembre] p. 359—384; Nr. 10 [10. octobre] p. 455 bis
465; avec 43 fig.).
Die Arbeit hat 1896 den Preis Laborie von der Soci^t^ de Chirurgie
erhalten. Sie ist im Laboratorium von Farabeuf entstanden, in welchem
Lenoir Präparator war. Pathe war sozusagen A. Broca.
Zweck der Arbeit ist: eine gefahrlose, sichere, für jedes Alter passende
Methode zu suchen, die in jedem Fall eine Richtschnur für Auffindung des
Antrums giebt.
Das erste Capitel handelt von der Nothwendigkeit der Eröffnung des
Antrums nicht nur in chronischen, sondern auch in acuten Fällen (Polemik
gegen Hessler und Politzer); vor Allem aber wird Werth auf die An-
trectomie als auf vorgängige Operation bei intracraniellen Operationen gelegt.
Es wird darauf hingewiesen, wie nothwendig die anatomischen Kenntnisse
sind, um die häufig für zu leicht gehaltene Eröffnung des Antrums von un-
angenehmen Nebenerscheinungen (Facialisparalyse) freizuhalten.
Im zweiten Capitel, Anatomie des Warzenfortsatzes, beschreibt Verfasser
vor Allem das verschiedenartige Aussehen in der hinteren Umgebung der
Spina supra meatum (Spina Henlei, ^pine tympanale de Poirier). Hie und
da glaubt man einen Nageleindruck mit wenigen mikroskopischen Oeffnungen
vor sich zu haben, ab und zu findet man eine mit feinen Löchern übersäte
fiache Einsenkung, gelegentlich zeigt sich ein grosses Loch. Es können hier
ethnographische Momente mitspielen.
Die vergleichende Anatomie ergiebt, dass die Spina Henlei nichts mit
dem Annulus tympanicus zu thun hat.
Bei 100 Schädeln von Erwachsenen fehlte sie einmal einseitig, zwanzig-
mal war sie schwach entwickelt.
Bei Kindern unter 4 Jahren findet man sie kaum. Mit Sicherheit kann
man erst bei Kindern über 10 Jahre auf sie zählen.
XXII. WisseiiBchaftliche Bundschan. 317
Ein äussent wichtiger Anhaltopankt fQr Kinder in zartem Alter ist
nun diejenige Partie der feinen Oefl&inngen, welche beim Erwachsenen hinter
der Spina li^. Am kindlichen frischen Gadaver sieht sie wie ein Blutfleck
aus. Sie entspricht genau dem Antrum.
IMese Paraglenoidalöffnangen, wie Autor sie nennt, dienen zur üeber-
führnng des Blutes ans dem Sinns lateralis in die Jugnlaris externa yer-
mittelst des Sinus petrosquamosus. Einmal konnte Verfasser eine Sonde aus
den voluminösen Oeffhnngen in einen wohlerhaltenen Sinus petrosquamosus
einfahren. Vergleichend anatomisch fahrt Verfasser das gleiche Verhalten
bei der Zi^e an.
Hinsichtlich der Structnr des Warzenfortsatzes fand der Autor nach
Fortnahme der äusseren Schicht in einem Drittel der Fälle eine in der Höhe
der Spina snpra meatnm gelegene Zelle, die direct in das Antrum fahrt, und
die er Aditus externus nennt.
Einige vom Antrum ausgehende lufthaltige Zellen existiren abrigens
schon bei der Geburt, wie Farabeuf durch Quecksilberausgasse beweist.
Im ersten Lebensjahre stellt sich die Sutura mastoideo-squemosa dem
weitern Ausbau der Warzenzellen hindernd entgegen; davon lassen sich
später noch Spuren nachweisen.
Bei dem Fötus und Kindern unter einem Jahr lag das Antrum 2—4 mm tief.
Von da an wechselt die Tiefe bei Kindern so gut wie bei Erwachsenen.
Der Autor musste einmal 2 cm 7 mm eingehen, ehe er das Antrum
fand. Indem er also bis zu fast 3 cm Tiefe besondere Aengstlichkeit nicht
zulässt, empfiehlt er doch grosse Vorsicht
Das Antrum befindet sich bei Individuen jeden Alters unterhalb der
Orista supramastoidea, sowie oberhalb und vor der Sutura mastoidea squamosa.
Letztere setzt dem Vordringen des Baspatoriums gewöhnlich einen ganz
charakteristischen Widerstand entgegen.
Wenn auch diese Linien unbeständig sind, so bieten sie doch im Fall
ihres Vorbandenseins scbätzenswerthe Anhaltspunkte. Beim Erwachsenen
tragen sie auf jeden Fall zur Begrenzung des Operationsfeldes bei.
Um ganz genaue Anhaltspunkte far die Lage des Antrums zu erhalten,
hat der Autor 47 Schädel, die Personen der verschiedensten Lebensalter an-
gehörten, auf „hauteur** und „rayon*" des Antrums untersucht.
„Hauteur*" nennt er die verticale Distanz des Gentrums des Antrums
von einer Horizontalen, welche, falls eine Spina supra meatum vorhanden ist,
durch diese, andernfalls durch den höchsten Punkt des knöchernen Gehör-
gangs geht. (Mathematisch ist wohl diese Linienbestimmung durch einen
Punkt kaum!)
^„Bayon** ist die Entfernung des Gentrums des Antrums eben von der
Spina oder dem höchsten Punkt des knöchernen Gehörgangs selbst.
Das Ergebniss dieser sich doch auf verhältnissmässig sehr wenig
statistisches Material stützenden Untersuchung drückt Verfasser so aus:
»Das Antrum liegt bei dem ausgetragenen Fötus oberhalb und ein
wenig hinter dem Dach des knöchernen Gehörgangs. Mit vorschreitendem
Alter rückt es von oben nach unten und von vorn nach hinten. Es senkt
sich und entfernt sich immer mehr vom höchsten Punkt der oberen Gehör-
gangswand.
Durch diese verschiedene Lagerung wird eine Gurve beschrieben, welche
die durch die Spina Henlei charakterisirte Horizontale ungefähr mit 10 Jahren
erreicht. Von diesem Zeitpunkt an senkt sich das Gentrnm des Antrums
nicht mehr, sondern entfernt sich nur noch horizontal nach rückwärts bis
zu einer Maximaldistanz von ungefähr 7 mm vom Jünglingsalter an.**
Führt man vom Eingang des Antrums in den Aditus eine Sonde und
schiebt sie in der eingeschlagenen Bichtung weiter, so gelangt sie in die Tube.
Es folgen anatomische Daten über den Aditus. Die Gefahren der Ver-
letzung des Ganalis semicircular. des N. facial, und des sin. lateral, werden
auf anatomischer Basis erläutert.
Beim Kind ist die Aufmeisselung für den Facialis gefahrlos und auch
für den Sinus nicht sehr gefährlich. Uebrigens entspricht die Sinusbeuge
bei Kindern meistens dem vorderen oberen Winkel der fontanelle ast^rique.
318 XXII. WisBenschaftliche Rundschau.
Als Instrument empfiehlt Lenoir den von den Franzosen im Allge-
meinen bevorzugten Meissel.
Für die Anlegung der Antrums()ffnung giebt der Verfasser folgenden
Rath:
Beim Erwachsenen soll man unterhalb der Crista supramastoidea, vor
und über der Sutura mastoIdeo-s(]^uamosa, hinter dem Meatus eingehen. Die
Knochenöffnung soll im Anfang ein 1 cm hohes Rechteck bilden. Die obere
Seite soll sich etwas unterhalb, aber fast noch im Niveau einer Horizontalen
befinden, die durch die Spina Henlei geht. Die vordere Seite befindet sich
5 mm hinter der Spina.
Je jünger das Individuum ist, um so mehr muss nach vorn und oben
gearbeitet werden.
Um nun weiter zum Antrum zu gelangen, räth Lenoir, sich an
Farabeuf zu halten:
»ün poingon, enfoncö dans ia partie surabaiss6e (dite mur de la logette)
de la paroi sup^rieure du conduit auditif osseux, entre dans Taditus. Si donc
nous appliquons de temps en temps dans le conduit auditif un styletrep^re
que nous appuierons au point indiqnö ci-dessus, nous aurons, quand nous
le voudrons, au cours de Top^ration Tindication de la direction k suivre.*"
Im weiteren Verlauf der Operation hält Lenoir sich an die Stacke-
sche Methode „vulgaris^e et perfectionn^e par Lub et -Barbon ", nament-
lich mit Bezug auf die Aussch&lung des äusseren Gehörgangs.
In wenigen Zeilen wird die Beschreibung der Radicaloperation zu Ende
geführt. Die Plastik wird nicht berücksichtigt.
Die Behandlung der übrigen kranken Warzenzellen sowie der krank-
haften Veränderungen am und im Sinus werden mit einigen Worten, die
cerebralen und cerebellaren Veränderungen mit dem Hinweis auf einige Ab-
bildungen abgethan. Dabei suchen die meisten Abbildungen ihres Gleichen
an mangelhafter Ausführung und Undeutlichkeit.
Es ist daher ganz unerfindlich, wie der Autor zu Beginn seines letzten
Capitels sagen kann, seine textliche Arbeit solle nur ein Gommentar zu den
Abbildungen sein.
Das letzte Gapitel lautet: Examen critique de quelques autres proc^d^a
employ^s, tant pour Touverture de Tantre que pour le traitement de certaines
complications des Otites moyennes. — Von Stacke unterscheidet er sich
durch die Reihenfolge, sagt Lenoir: Erst Antrum, dann Atticus. Die
Stacke 'sehe Methode sei mehr die des Otologen, weil bei ihr Paukenhöhle,
Gehörknöchelchen und Atticus die Hauptsache seien.
Die von ihm, Lenoir, beschriebene Methode gehe auf das Antrum los
und ermögliche die Behandlung der von Stacke einigermaassen vernach-
lässigten Zellen, sowie die Inspection des Hirns und des Sinus : Sie sei*mehr
die Methode des Chirurgen. Bei Stacke sei auch der Facialis mehr be-
droht, noch mehr aber bei Küster.
Bergmann scheine unter der Furcht einer Nervenverletzung zu leiden.
Chaput*s breite Resection des Felsenbeines wird von Lenoir „une
beUe Operation, savamment concue", genannt, dabei hat der von Lenoir
wegen seiner Geschicklichkeit gepriesene Chaput, der in einer so schwierigen
Operation eher als andere befähigt sei, in seinen 3 Fällen drei Facialis-
paralysen gehabt.
Der Verfasser spricht schliesslich ftLr den Mastoidweg bei cerebralen und
cerebellaren Abscessen.
Lenoir kommt zum Schluss, dass die Antrectomie leicht ist, da man
leicht Anhaltspunkte und einen Locus electionis für die Operation feststellen
kann. Es ist auch verhältnissmässig leicht, bei ihrer Austübrung alle in Be-
tracht kommenden Organe unverletzt zu lassen. —
Die deutsche Literatur auf diesem Gebiete, die doch sonst von den
Franzosen für grundlegend angesehen wird, ist in unglaublicher Weise unbe-
rücksichtigt geblieben.
In den seltenen Fällen, in denen sie vom Verfasser citirt wird, geschieht
dies nicht immer in würdiger Weise. Stern- Metz.
be Rundschau. 319
eher Taabstammheit Wratscb.
i>ner. Yerheirathet, kinderlos. Starker
.t venere während der Militärzeit, keine
^ser dass Vater Potator mittleren Grades.
^ ung und Aufregung bei der Beerdigung eines
"^ pileptiscber Krampfanfall, wonach Sprache
«orüberfKehend leichte Agraphie und Parese
Auf schriftliche Suggestion bringt er zu einer
vVorte heraus, sonst bei Versuch zu sprechen,
Analgesie fast der ganzen Haut, fühlt keinen
iler Rachenschleimhaut kann Anfangs nicht ge-
dieh bei der Untersuchung nicht öffnet; aus dem-
ut gähnen. Temperatursinn und Geschmack er-
>uchung erweist sich die Rachenscbleimhaut als total
^ifflexe herabgesetzt. Die geistigen Fähigkeiten haben
später noch häufig schwächere Anfälle, Krämpfe der
^keln. Contractur der linken Hand. Anfangs Wieder-
Augenblicke, besonders nach Aufregungen, dann all-
\V Gehen dauerndem, der Hysterie eigenthüm liebem, ewig
Herstellung des Gehörs. Nach einem weiteren Monat erst
des faradischen Pinsels Wiederkehr der Sprache. Aus
jenen Fällen scheint hervorzugehen, dass die hysterische
iptsächlich Männer mittleren Alters befällt und meist durch
i). psychisches Trauma provocirt wird. Der Fall ist auch
. eitete Unempfindlichkeit der Haut bemerkenswertb. Gegen-
der immer nur eine halbseitige oder begrenzte Unempfind-
, hält K. die allgemeine unempfindlichkeit der Haut und sogar
.t iür nicht selten und bestreitet er das Charakteristische der
^ für die Hysterie, wofür auch noch casuist. Beobachtungen
ren angeführt werden. Forestier-Libau.
43.
Die sich in die Länge ziehende eitrige Mittelohrent-
ug und deren Behandlung. Wratsch. Nr. 37. 1901. St. Peters-
t der Aetiologie beginnend, räumt H. eine Prädisposition zu Mittel-
aukungen besonders den mit adenoiden Vegetationen Behafteten ein,
er darauf hinweist, dass man häufig der falschen Ansiebt begegnet,
Hypertrophien entstünden erst bei älteren Kindern. H. hat daraufbin
Leichen von 19S Säuglingen secirt, und fand bei 4S die III. Mandel
rössert, bei 8 ausgebildete Hypertrophien. Diese Zahlen sind bestimmt
r niedrig gegriffen, da leichtere Grade von Hypertrophien an der Leiche
sonders leicht übersehen werden können. Interessant ist die Behauptung,
ISS der Verlauf der Ohreiterungen in Russland ein viel milderer sein soll
.is in West-Europa und dass besonders im Gegensatz zu Deutschland das
Jbolesteatom in Russland fast gar nicht vorkommen soll, sowie dass umfang-
reichere Nekrosen des Knochens, Perforationen der SbrapnelTschen Mem-
bran und die sogenannten Randperforationen selten sind. H. hat aus seiner
1 1jährigen recht grossen ohrenärztlichen Praxis in Petersburg nur 2 Fälle
von Cholesteatom zu verzeichnen; in der von Prof. Symanowski geleiteten
Klinik ist in den Berichten aus den Jahren 1893—1896 kein einziger Fall
erwähnt. Auch soll der Verlauf des Cholesteatoms in Russland ein anderer
sein; es zeigt wenig Neigung zur Zerstörung, ist weniger zäh und leichter
radical heilbar. Die Gründe sieht H. in klimatischen Verhältnissen. In den
russischen Lehrbüchern von Preobrashenski und Shirmunski soll das
Cholesteatom Oberhaupt nicht erwähnt worden sein. Ausspritzungen und
Tamponaden bei Mittelohreiterungen verwirft Verfasser ganz, er legt Ha-
320 XXII. Wissenfichaftlicbe Bundschau.
Hauptgewicht der Behandlung auf das h&ufige Austupfen, wobei das Ohr
weder mit Watte, noch mit Mariy verschlossen wird, nebenbei werden In-
Bufflationen mit Bors&ure gemacht. Wenn die Eiterung in 1 bis iVs Monaten
nicht versiegt ist resp. wenn Granulationen oder Kopfschmerzen auftreten,
befürwortet H. die Totalaufmeisselung. Ueber die Hammer-Ambossextraction
durch den Gehörgang äussert er sich wenig, indem er wenig Erfahrung hin-
sichtlich derselben vorschützt, er traut ihr auch nicht viel zu und hält sie
für technisch sehr schwierig. Er operirt nach Stacke, dessen Methode er
modificirt. Den Gehörgang zieht er nicht nach vorne, hebelt ihn überhaupt
nicht vom Knochen ab, sondern lässt ihn, wie er ist, besonders weil das
Abhebein der sehr dünnen Haut im knöchernen Theil kaum gelingt und
überhaupt keine Bedeutung hat, da er ihn — und das ist der Hauptunter-
schied seiner Methode — zur Plastik nicht verwendet. Plastik macht er
gar nicht, der Gehör^ang wird bloss, um ihn zu erweitern, gespalten. Die
Wunde hinter dem Ohr lässt er fest zuheilen. Der erste Verband liegt 2
bis 3 Tage, die weiteren werden täglich, oder jeden zweiten Tag s:emacht; so-
bald die Wunde sich mit Granulationen bedeckt, wird der Kranke ambu-
latorisch behandelt, und zwar bleibt er ohne jeden Verband. Die Wunde
wird nur ausgetupft, gar nicht tamponirt, höchstens mit Borsäurepulver be-
streut, im Nothfall kann die Behandlung dem Patienten selbst überlassen
werden. Bei diesem Regime „wuchern 1. die Granulationen gar nicht oder
80 gering, dass man sie unbeachtet lassen kann, ist 2) die Absonderung der
Wundfläche höchst unbedeutend, erfolgt 3) die Verödung des Antrum, die
Bedeckung des Mittelohrraumes mit einer mehr oder weniger dicken Schicht
von Bindegewebe und die Auskleidung mit Epidermis in 1—2 Monaten,
häufig auch rascher, kann man 4) die Auskleidung mit Epidermis durch
Transplantationen nach Rover diu oder Thiersch beschleunigen. Im
Schlusswort bespricht Verfasser die Indicationen und fordert mit Recht be-
sondere präcise Indicationen für das frühe Kindesalter. Die Häufigkeit der
Erkrankungen in dieser Altersstufe leitet Verfasser aus den Sections-Proto-
coUen des Petersburger Erziehungshauses ab. Auf 2136 Autopsien kommen
818 oder 3S,3 Procent Mittelohrentzündungen. Nach Winogradow sollen
es sogar 47 Procent sein. Hierbei referirt Verfasser das praktische Ver-
fahren, nach welchem N. Winogradow bei jeder Leiche auch das Mittel-
ohr secirt. Nach Eröffnung der Schädelkapsel hebt er das Tegmen tympani
ab und spritzt durch den Gebörgang Wasser; wenn das Wasser durchkommt,
so ist damit eine TrommelfelJperforation erwiesen, wenn hierbei noch Eiter
vordringt, eitrige Otitis diagnosticirt. Hierbei fallen natürlich die mannig-
faltigen Otitiden ohne Perforation, die Anfangsstadien etc. weg und wären
somit Hartmann *s Angaben, dass von sämmtlichen kranken Kindern in
den ersten Lebensjahren 75 Procent ohrenkrank wären, durchaus nicht un-
richtig. Die Abhandlung schliesst mit der kurzen Wiedergabe von 9 eigenen
Krankengeschichten. Forestier.
44.
iV. LaUy Ueber die Heilung alter Trommelfellperforationen. St.
Petersb. med. Wochenschr. No. 29. 1901.
Handelt vom Oku new 'sehen Verfahren. Für das russ. Militär von
wichtiger Bedeutung, da nach dem bisherigen Gesetz grössere Trommelfell-
Perforationen vom Dienste befreien. Forestier.
45.
Erwin Jürgens, Ueber die Bedeutung der Lymphdrüsen in der Um-
gebung des Ohres. St. Petersb. med. Wochenschr. Nr. 41. 1901.
Beschreibt nach Gruber, Kessel, Merkel, Rauber kurz den Gang
der Lymphgefässe im Ohr, wie die der Schleimhautschicht des Trommelfells
sich mit den Lymphgefässen der Cutisschicht vereinigen, dann schon als
grössere Stämmchen in den äusseren Gehörgang und von da mit dem Periost
XXII. Wissenschaftliche Rundschau. 321
des Gehörgangs in das Periost des Warzenfortsatzes gehen, um theils in den
auf der Parotis gelegenen Drüsen, theils in den am vorderen und hinteren Rand
des Muse, stemocleidom, welche zum Theii häufig auf dem Warzenfortsatz
liegen, ihr Ziel zu erreichen. Das Vortäuschen einer Mastoiditis mit Fieber und
Druckempfindlichkeit des Proc. mastoid., hervorgerufen durch entzündete
kleine Drüsen auf dem Processus oder an der Spitze desselben, kann zu
irrthümlichem Eröffnen des Warzenfortsatzes führen. Es darf eine Untersu-
chung etwaiger anderer Drüseopackete in der Umgebung des Proc. mast. nicht
unterlassen werden, da im Falle stärkerer Schwellung und SchmerzhidPtigkeit
dieses abgewartet werden kann. Von einer primären selbständigen Krank-
heitsform der Drüsen glaubt J. absehen zu müssen, da stets Mittelohrpro-
cesse, die oft Anfangs latent scheinen, dieselben veranlassen. Forestier.
46.
M. J. Bolochotvski, Ueber Massage vermittelst der elektromoto-
orischen Luftpumpe bei Ohr-£rkrankungen. Wratschebn^ja
Gaseta. Nr. 36. 1901. St. Petersburg.
Nach einem im Jekaterinoslaw'schen ärztlichen Verein gehaltenen Vor-
trag. Enthält lediglich ein Referat der herrschenden Ansichten über den
Werth obiger und mit ihr verwandter Methoden. Forestier,
Personal- und Fachnaehriehten.
In Leipzig starb am 18. September 1901 im Alter von 85 Jahren Hof-
rath Dr. Adolf Winter, Prof. extraordinär, in der medicinischen Facultät.
Winter ist am bekanntesten geworden als langjähriger Redacteur der
„Schmidt*schen Jahrbücher der gesammten Medicin", und war Bibliothekar
an der Universitäts- Bibliothek. Er las über Ohren- und Augenheilkunde,
später über Receptirkunst und zuletzt über Encyclopädie der Medicin. Lange
Jahre unterhielt er eine Privat-Poliklinik für Ohrenkranke, die später auf
den Prof. Hermann Wendt überging. —
Prof. Kessel (Jena) erhielt den Charakter als Grossherzoglich Säch-
sischer Hofrath.
Draok von J. B. Hirsohfeld in Leipzig.
• •
ENCYKLOPADIE
DER
OHRENHEILKUNDE
Herausgegeben
von
Dr. Louis Blau in Berlin
Bearbeitet von
DOC. Da. ALT, Wien. FrivatDOCENT Dr. äSHER. Berk. Prof. Dr. B. BAQIKSSY, BES10. DR. BAttKICK,
Graz. Prof. Dr. BERTHOLD, KömasBERG i. P. Doc. Dr. BING. Wien. De. BLAU, Berlin. Primararzt
Dr. BBIEOER, Breslau. Prof. Dr. bOrKNER, Göttinoen. Dr. DENKERv Haoeh i. W. Frivatdocent Dr.
DRETFU8S, SXEAflSBCRO i. E. Dr. EITELBERG, WiEir. Dr. EULENSTEIN, Frakkfurt a. M. Dr. FREY,
Wien. Prof. Drv FRIEDRICH. Kiel. Dr. gORRB, Breslau. Prof. Dr. GRADENIGÖ, Turin. Frivatdocent
Dr. ORONERT, Halle a. S. DE. GDTZMANN, Berun. Prof. Dr. HABERMANN, Graz. Dr. HAMMER-
SCHLAG, Wien. Dr. HANSBERG, Dortmund. Frivatdocent Dr. HAUO, Hünchen. Prof. Dr. HESSLER,
Halle a. S. Prof. Dr. JACOBSON, Berlin. Dr. JANKAU, München. Frivatdocent Dr. JANSEN, Berlin.
Dr. JOEL, Gotha. Frivatdocent Dr. KATZ, Berlin. Dr. KATSER, Breslau. Dr. KELLER, Köln. Prof.
Dr. KIESSELBACH, erlangen. Frivatdocent Dr. KRAUSE, Berlin. Dr. KRETSCHMANN, Magdeburg.
Prof. Dr: KÜMMEL, Breslau. Frivatdocent Dr. LEUTERT, Königsberg i.F. Sanitätsratk Dr. LUDEWTG,
Hamburg. Dr. MYOIND, Kopenhagen. Dr. NOLTENIUS, Bremen. Prof. Dr. OSTMANN, Marburg. Dr.
PANSE, Dresden. Prof. Dr. PASSOW, Heidelberg. Prof. Dr. POLITZER, Wien. Doc. Dr. POLLAK,
Wien. De. REINHARD, Duisburg. SahttItsratu Dr. ROLLER, Trier. Dr. SCHUBERT. Nürnberg.
Sanitätsrath Dr. SCHWABACH, Berlin.. Dr. SCHWIDOP, Karlsruhe. Dr. SELIGMANN, Frankfurt a. M.
Dr.'SFIRA, Kraxau. Prof. Dr. STEINBRÜGGE, Giessen. Dr. STERN, Metz. Prof. Dr. STETTER, Kömcs-
BEEia X, F. PROF. Dr. URBANTSCHITSCH, Wien. Dr. VOHSEN. Frankfurt a. M. Dr. VULFIUS, Weimar.
Pbop« De. WAGENHÄUSER, TÜBINGEN. Prof. Dr» WALB, Bonn. Dr. WEIL, Stuttgart. Dr. WOLF,
Frankfurt a. M. Dr. ZEROKI, Halle a. S. Prof. Dr. ZUCKEBKANDL, Wien.
LEIPZIG
VERLAG VON F. C.W.VOGEL
1900.
Gr. Lex*. 8^ Preis: broschiert ^ 20 — ; gebunden Ji 23. — .