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Full text of "Archiv für Ohrenheilkunde"

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ARCHIV 

FÜR 

OHEENHEILKUNDE 

BEGRÜNDET 1864 

VON 

Dr. A. V. TEOLTSCH Dr. ADAM POLITZER 

wiEiLAMD Prof. in Wübzbubg. in Wibh. 

UND 

De. HERMANN SCHWARTZE 

IN Halle a. S. 

IM VEREIN MIT 

Prof. C. HASSE in Breslau. Prof. V. HENSEN in Kiel, Prof. A. LÜCAE 
IN Berlin, Prof. E. MACH in Wien, S. R. Dr. A. MAGNUS in Königsberg i/Pr., 
Prof. E. ZAÜFAL in Prag, Prof. J. KESSEL in Jena, Prof. F. TRAÜT- 
MANN IN Berlin, Prof. V.ÜRBANTSCHITSCH in Wien, Prof. F. BEZOLD 
IN München, Prof. K. BÜRKNER in Göttingbn, Dr. E. MORPüRGO in 
Triebt, Dr. L. BLAU in Berlin, Prof. J.BÖKE in Budapest, G. S.R. Dr. H. 
DENNERT in Berlin, Prof. G. GßADENIGO in Turin, Prof. J. ORNE 
GREEN IN Boston, Prof. J. HABERMANN in Graz, Privatdooent und 
Prof. Dr. H. HESSLER in Halle, Privatdooent und Professor Dr. L. 
JACOBSON IN Berlin, Prof. G. J. WAGENHAÜSER in Tübingen, Prof. H. 
WALB IN Bonn, Privatdooent und Professor Dr. C. GRÜNERT in Halle. 
Privatdooent Dr. A. JANSEN in Berlin, Privatdooent Dr, L. KATZ in 
Berlin, Prof. P. OSTMANN in Marburg, Dr. L. STACKE, Prof. in Erfurt, 
Dr. 0. WOLF in Frankfurt a. M., Prof. A. BARTH in Leipzig, Prof. V. 
COZZOLINO IN Neapel, Privatdooent Dr. L. HAÜG in München, Dr. F. 
KRETSCHMANN in Magdeburg, Prof. E. LEÜTERT in Gibssbn, Privat- 
dooent Dr.Y. HAMMERSCBLAG in Wien, S. R Dr. F. LÜDEWIG in Ham- 
burg, Dr. F. MATTE in Köln, Dr. HOLGER MYGIND, Prof. in Kopen- 
hagen, Dr.W. ZERONI in Karlsruhe. 

herausgegeben von 

Prof. ADAM POLITZER und Prof. H. SCHWARTZE 

in WIEN IN halle A. S. 

Unter verantwortlicher Redaktion] 

VON H. SCHWARTZE seit levs. 



YIERUNDFÜNFZiaSTfiR BAND. 

Mit 12 Abbildungen im Text und 2 Tafeln. 




LEIPZIG, 
VERLAG VON F.C.W.VOGEL 

1902. 




LfSd I 




Inhalt des vierundfünfzigsten Bandes. 



Erstes und zweites (Doppel-) Heft 

(ausgegeben am 5. December 1901). 

Seite 
I. Ueber die Erfolge der zu akustischen Zwecken unternommenen 
chirurgischen Eingriffe in der Trommelhöhle. Von Prof. G. 
Gradenigo (Turin) . * l 

II. Ans der Königl. Üniversitäts- Ohrenklinik zu Halle a. S. (Geh. Me- 
dicinalrath Prof. Dr. S c h w a r t z e). Die Bedeutung der Lumbal- 

Sunction für die Diagnose intracranieller Complicationen der 
»titis. Von Dr. Iwan Braunstein, Hülfs- Assistenten der 
Klinik 7 

III. Aus der Königl. Universitäts-Ohrenklinik zu Halle a. S. (Geh.-Rath 

Prof. Dr. Schwartze). Jahresbericht über die Thätigkeit der 
Kgl. Universitäts-Ohrenklinik zu Halle a.S. vom 1. April 1900 
bis 31. März 1901. Von Prof. Dr. K. G runer t und Dr. W. 
Schulze, Assistenten der Klinik 63 

IV. Statistische Nachrichten über die Krankenbewegung und die Fre- 

quenz der Studirenden in der Universitäts-Ohrenklinik zu 
Halle a. S. während der Zeit vom 1. April 1884 bis 1. April 1901. 
Von Prof. H. Schwartze. (Mit 2 Curven) 127 

V. Historische Notiz über Cholesteatom des Schläfenbeins. Von H. 

Schwartze 139 

VI. Besprechungen. 

1. Thomas Barr, Manual of diseases of the ear including these 

of the nose and throat in relation to the ear. (Zeroni) 147 

2. J. Hegener, Krankhafte Veränderungen der Form und Stel- 

lung der Ohrmuschel. (Zeroni) 149 

3. Les sourds-muets en Norv^ge par Uchermann (Holger 

Mygind) 149 

yil. W^issenschaftliche Rundschau. 

1. Lucae, Die Ohrenheilkunde des 19. Jahrhunderts. 150. — 

2. Hölscher, Kurze Mittheilung über experimentelle Unter- 
suchungen mit säurefesten Tuberkelbacillen ähnlichen Spalt- 
pilzen. 151. — 3. Denker, Zar vergleichenden Anatomie des 
Gehörorgans der Säugethiere. 152. — 4. Derselbe, Zur Ana- 
tomie des Gehörorgans der Monotremen. 152. -— 5. Pause, 
Das Gleichgewichts- und Gehörorgan der japanischen Tanz- 
mäuse. 152. — 6. Drebusch, Der Absehunterricht mit Schwer- 
hörigen und Ertaubten. 153. — 7. Monier, Du traitement aöro- 
thermique en g^näral et plus particulierement en rhinologie. 
153. — 8. Peter, Der Einfluss der Entwicklungsbedingungen 
auf die Bildung des Gentralnervensystems und der Sinnesorgane 
bei den verschiedenen Wirbelthierklassen. 153. — 9. Sug^r, 
Aphorismen beim Concerte Jan Kubelik's. 154. — 10. Müller, 



IV Inhalt des nemndfOnfngaten Bandes. 

Ohrby^ene beim Haarscbndden. 154. — 11. Richter, Zwei 
typische retromaxillire Racheofibrome, deren Entstehung und 
Behandlung der Blutongscefahren. 154. — 12. Derselbe, Ueber 
zwei seltene vergessene Fremdkörpereinlagerangen in Nase and 
Ohr und eine eigenthümliche Fremdkörperwanderang. 154. — 
13. Derselbe, Operative Behandlang einer vorderen and einer 
hinteren nasalen Atresie. 155. — 14. Ostmann, Ueber gal- 
▼anokanstiscben GefässTerschlnss in der Nase als einleitenden 
Act intranasaler Eingriffe. 155. — 15. Onodi, Das Yerh&ltniss 
der Kieferhöhle zur Keilbeinhöhle und zn den vorderen Sieb- 
beinzellen. 155. — 16. Tomka, Ein Fall von aenter Mittelohr- 
entzfindnng bei Morbus macalosus Werlhofii. 155. — 17. Do- 
nogdnv, Primäres drQsenartiges (adenoides) Carcinom der un- 
teren Nasenmuschel. 155. — 18. Pannanik, Contribution 
ä r^tude de la pathogänie de Tozene. 155. — 19. Liebmann, 
Die Sprachstörungen geistig znrflckgebliebener Kinder. 156. — 
20. Sugär, Ueber systematische Gebörubungen und deren the- 
rapeutischen Werth bei Taubstummen und Ertaubten. 156. — 
2t. Lannois und Ghavanne, De Talgie mastoidienne hyst^- 
rique. 156. — 22. Bernard (Paris), Sardite double de cause 
centrale. 158. — 23. Grouzillac (Toulouse), Un cas de laby- 
rinthite syphUitique secondo-tertiaire. Gu^rison. 158. — 24. Bar 
(Nizza), Gas de pyob^mie otique avec dermatomyosite saus 
trombo-phlebite apparente du sinus. 158. — 25. Bonyer (Gau- 
terets), Pseudo-vertige de M^niöre et algie mastoidienne hyst^- 
rique associds. 15S. — 26. Lenhardt (ie Havre), Sur un cas 
de mastoidite Sans otite. 159. — 27. Mal herbe (Paris), Absc^s 
profond du cou cons^cutit ä une otite grippale latente. 159. — 
28. Raoult (Nancy), Occlusion du m^at et des parois du con- 
duit auditif ä la suite d*an tranmatisme. Resection du conduit. 

159. — 29. Toubert (Paris), Vari^t^ rare de cellulite mastoi- 
dienne aberrante. 160. — 30. M. Lannois (Lyon), De T^tat 
de Toreille moyenne dans les fissures cong^nitales du palais. 

160. — 31. Ricard (Algier), Sur un cas d*anomalie sensorielle 
auditive. 160. — 32. Jousset (Lille), L*ezamen des voies aäri- 
ennes sup^rieures chez le sourd-muet. 160. — 33. Babinski, 
De rinfluence des l^sions de Tappareil auditif sur le vertige 
voltalque. 161. — 34. Marage, Deplacement de Titrier pen- 
dant Taudition. 161. -- 35. Marfan et Armand-Delille, 
Paralysie faciale congönitale par agön^ie de la portioa p^ri- 
ph^rique du nerf facial avec ag^n^sie de Toreille. 161. — 36. Ya- 
quiez et Ribierre, Otite et m^ningite cör^bro-spinale. 162. — 
37. Braunschweig, Ueber combinirtes Empyem der Ge- 
sichtshöhlen. 

YIll. Richtigstellung von Dr. Richard Müller und Dr. Stenger . . 163 

Bemerkung zu obiger Richtigstellung von Prof. Dr. Grunert in 

Halle a.S 163 

Personal- und Fachnachrichten 164 



Drittes und viertes (Doppel-) Heft 

(ausgegeben am 23. Januar 1902). 

IX. Die Krankheiten des Gehörorgans unter den Volksschulkiodern 
des Kreises Marburg. Von Prof. Ostmann, Marburg a. L. 
(Mit 2 Abbildungen) 167 

X. Ueber die Betheiligung des Nervus facialis beim Lauschen. Von 

Prof. Ost mann, Marburg. (Mit 4 Abildungen) 209 



Inhalt des vierandfünfzigsten Bandes. Y 

Seita 
XI. Aus der Obrenklinik der Eönigl. Charit^ in Berlin (Director: 
Geh. Med.-Kath Prof. Dr. Traut mann). Zar Thrombose 
des Bulbus yenae jugularis. Von Stabsarzt Dr. Stenger, 
z. Z. Assistenten der Klinik. (Hierzu Taf. 1. II) 216 

XII. Aus der Ohrenklinik des Cbarit^-Erankenhauses in Berlin (Diri- 
girender Arzt: Geh. Med.-Rath Prof. Dr. Trautmann). Neu- 
rosen und Warzenfortsatzoperationen. Von Stabsarzt Dr. 
Bichard Müller, früherem Assistenten der Klinik .... 223 

XIII. Acute Mittelohreiterung bei einem Diabetiker. Bogengangsfistel. 
Periarticulärer Senkungsabscess am Kiefergelenk. Von Dr. A. 
Ephraim in Breslau 240 

XIY. Zum Mechanismus des Wachsthums der Cholesteatome. Von 

Dr. A. Ephraim in Breslau 244 

XY. Ueber die Exenteratio cavi tympani zu akustischen Zwecken. 

Yon Prof. G. Gradenigo (Turin). (Mit 4 Abbildungen) . . 249 
XYI. Mein Protest gegen die Yerbindung der Section für Ohrenheil- 
kunde mit der Laryngologie auf den Versammlungen deut- 
scher Naturforscher und Aerzte. Yon H. Schwartze (am 
23. September 1901 in Hamburg) 265 

XYII. Zwei physiologisch- akustische Vorträge, gehalten auf der 73. Ver- 
sammlung deutscher Naturforscher und Aerzte zu Hamburg 
im September 1901. Yon August Lucae 268 

XYIII. 73. Versammlung deutscher Naturforscher und Aerzte in Ham- 
burg, vom 22. bis 28. September 1901. 20. Abtheilung: Hals-, 
Nasen- und Ohrenkrankheiten. Bericht von Dr. Rud. Meyer 
(Hamburg) 278 

XIX. Segundo Congreso espanol de Oto-Rino-Laringologia celebrado 
en Barcelona del 19 al 22 de Septtembre de 1899. Secciön de 
otologla. Bericht von Dr. Iwan Braunstein 291 

XX. Bericht über die Verhandlungen der Berliner otologischen Ge- 
sellschaft Yon Dr. Haike (Berlin) 298 

XXI. Besprechungen. 

4. Dr. A. Hartmann, Verhandlungen der Deutschen otolo- 

gischen Gesellschaft auf der 1 0. Versammlung in Breslau 

am 24. und 25. Mai 1901. (Schwartze) 299 

5. K. Brauckmann, Die psychische Entwicklung und päda- 

gogische Behandlung schwerhöriger Kinder. (Ostmann) 300 

6. Dr. Eugen Maljutin, Priv.-Doc. an der KaiserL Univer- 

sität in Moskau, Maligne Tumoren der Nasenhöhle und 

die chirurgische Behandlung derselben. (Grunert) . . 304 

7. Röpke, Die Berufskrankheiten des Ohres und der oberen 

Luftwege. (Grunert) 305 

8. Dr. Theodor Heim an in Warschau, Ueber letale Ohrerkran- 

kungen. (Braunstein) 307 

Nekrolog. Emilio de Rossi. Yon Dr. Eugenio Mor- 

purgo (Triest) 311 

XXII. Wissenschaftliche Rundschau. 

38. Ergebnisse der Sammelforschung über Krankheiten des 
Ohres im K. und K. Heere in den Jahren 1897—1899. 313. — 

39. Prof. De Rossi (Rom), Bericht an die Generaldirection 
der sicilianischen Eisenbahnen über die in Europa bestehen- 
den Bestimmungen für die Untersuchung des Gehörs bei den 
Eisenbahnbediensteten nebst Entwurf eines Reglements für 
das sicilianische Eisenbahnnetz. 314. — 40. Prof. Vicenzo 
Gozzolino (Neapel), Ueber einige Operationsfälle bei primärer 
Thrombophlebitis der Y. jugularis, des Sinus lateralis und bei 



YI lahalt da liamadüminff^bm Bandes. 

SeitB 
otitischen eztndimleny cerdnlea ud ccrdidlaren Absees- 
•em 31&. — 41. Olmer Lenoir, GontiibatioB i Telade de 
raotrectomie (oaTertore de rantre ptocox) considMe comme 
bot op^toire et oonuM toips pr^Iiminaire des op^ntioiis 
B^ccs n tde s par les complicatioiia des sappmatioDS mastofdien- 
nes. 316. — 42. N. Komberg, Fall tob hysleiiseher Taob- 
stammbeit 319. — 43. P. Hellat, Die ÜA in die Lftage 
zidiende eitrige Mittelobrents&iidoi^ und deren BdiandfaiDg. 
319. — 44. K. Lau, Ueber die Heilang alter TrommdfeU- 
perfoimtionen. 320. — 45. Erwin Jftrgens» Ueber die Beden- 
tnng der Lymphdrüsen in der Umgebong des Obres. 320. — 
46. M. J. Bolochowski, Ueber Massage vermittelst der 
el^tromotoriscben Lnftpompe bei Ohrerkrankoagen. 321. 

Personal- ond Fachnacbrichten 321 




1^ 



1. 

üeber die Erfolge der zn akustischen Zwecken nnter- 
nommenen chirurgischen Eingriffe in der Trommelhöhle. 

Vott 

Prof. d. OradenUro (Turin). 

Bekaantlieh wird die sogenaante progressive Taubheit in 
der Mehrzahl der Fälle dnreh Alterationen bewirkt, welche all- 
mählich in dem SchalUeitnngsapparat sich ausbilden und meistens 
in Ankylosen der Articulationen der Grehörknöchelehen und 
Fixation dieser letzteren durch bindegewebige Zflge bestehen. 
Andererseits sind klinische Fälle bekannt, in welchen, in Folge 
von protrahirten Suppurationen, das Trommelfell, Hammer und 
Amboss, die Sehenkel des Steigbügels zn Grunde gehen und 
das Gehör trotzdem yerhältnissmässig gut erhalten bleibt Solche 
Beispiele beweisen, dass der in der Trommelhöhle befindliche 
Scfaallleitungsapparat nicht unbedingt nothwendig f&r das Be- 
stehen eines zufriedenstellenden Gehörvermögens sei; und es 
durfte deshalb angenommen werden, dass in Fällen von schwerer 
Oehörsstörung in Folge von Läsionen des Schallleitungsapparates 
durch die Entfernung dieses letzteren das Gehör in merklicher 
Weise gebessert werden könne. 

Diese theoretische Erwägung wird jedoch durch die That- 
«achen nicht vollständig bestätigt, und in dem im verflossenen 
Jahre gehaltenen Congresse zu Paris, haben sich zwei Referenten, 
Botey und Sieben mann geradezu fUr die Unwirksamkeit der 
%n akustischen Zwecken in der Trommelhöhle unternommenen Ein- 
griffe, ausgesprochen. Ich selbst habe im Verlaufe von mehreren 
Jahren in meiner öffentlichen und privaten Klinik zahlreiche 
Beobachtungen über die in Bede stehende Frage gemacht und 
auch von anderen Gollegen anstellen lassen. Ich behalte mir 
vor, diese Beobachtungen an anderer Stelle ausführlich mitzu- 
theilen; gegenwärtig möchte ich nur in summarischer Weise 

Aichiy f. Ohrenheilkunde. LIV. Bd. t 



2 L GRADENIGO 

einige der Ergebnifise, die sich mir ergaben, bekannt machen. 
Auf Grand meiner Erfahrangen kann ich den Pessimismus ein- 
zelner Collegen nicht yoUstftndig theilen; denn wenn es auch 
richtig ist, dass die Endresultate in der Mehzahl der Ffille und 
zwar auch in denjenigen, welche zu einem chirurgischen Ein- 
griffe besser geeignet zu sein scheinen, nur mittelmässig gut 
oder auch ganz negativ sind (die unmittelbaren Erfolge sind 
gewöhnlich brillant), so sind dieselben in einzelnen Füllen doch, 
sowohl bezflglich des Gehörvermögens als auch bezfiglich der 
subjectiven Störangen (Geräusche, Schwindelanfälle) als gute 
anzusehen. Die definitiven Resultate der zu akustischen Zwecken 
unternommenen chirargisehen Eingriffe in der* Trommelhöhle 
hängen nach meiner Meinung in wesentlicher Weise ab 1. von 
der Beschaffenheit und von dem Sitze der Störangen in der 
Schallleitung und auch von der Betheiligung des inneren Ohres an 
dem Erankheitsprocesse oder vom Ausgeschlossensein desselben; 
2. von dem ausgeführten operativen Eingriffe und der Modalität 
dieses Eingriffes; 3. von der postoperativen Behandlung. Auf den 
letzteren Punkt wurde bis. jetzt nur wenig Rtieksioht genommen, 
obwohl derselbe, meines Erachtens, einen bedeutenden Einfluss 
auf das definitive Eesnltat ausübt. 

1. Bficksichtlich der Charaktere und des Sitzes der Krankheit 
muBS ich bemerken, dass eine jede Operation im Mittelohre contra- 
indicirt ist in allen denjenigen Fällen, in welchen das innere Ohr 
sieh an dem Krankheitsprocesse in intensiver Weise betheiligt. Die 
nach der Operation erfolgende Reaction beschleunigt die Alteratio- 
nen im inneren Ohre und bewirkt eine Zunahme der Taubheit. Die 
zu einem chirurgischen Eingriffe geeigneten Fälle sind diejenigen, 
in welchen die functionellen Symptome auf die Integrität des 
inneren Ohres hindeuten und namentlich diejenigen, in welchen 
die prävalirenden Läsionen bloss auf Hammer und Amboss be- 
schränkt sind (Fixation derselben durch Ankylose oder durch 
Narbengewebe). 

Die Methoden der functionellen Prüfung, die uns gegen- 
wärtig zur Verfügung stehen, lassen leider nur in unvollstän- 
diger Weise die Einzelnheiten der Läsionen des scbalUeitenden 
Apparates erkennen, und es können deshalb auch nur in un- 
genügender Weise die Indicationen flir etwaige operative Ein- 
griffe festgestellt werden. Es wären die Resultate der chirur- 
gischen Eingriffe in der Trommelhöhle sicherlich weniger 
zweifelhaft, wenn unser Urtheil über den Sitz und über die 



Zu akust. Zwecken unternommene chlrurg. Eingriffe in der Trommelhöhle. 3 

Eigenthümlichkeiten der Läsionen auf fester Orundlage stehen 
würde. 

£» ist deshalb eine weitere Ausbildung unserer diagnosti- 
schen Untersuchungsmethoden nothwendig, damit wir in vollstän- 
diger Weise, als es gegenwärtig möglich ist, die verschiedenen 
Krankheitsformen erkennen können. 

2. Bezüglich der operativen Eingriffe zeigt die Erfahrung, 
dass die conservativen Operationen, wenigstens in der grossen 
Mehrzahl der Fälle, nur einen vortlbergehenden Erfolg haben. 
Die einfache Perforation des Trommelfells, die Entfernung 
eines Segmentes desselben ergeben wohl ausgezeichnete Re- 
sultate unmittelbar nach dem operativen Acte, aber keine 
dauernde, weil, abgesehen von Ausnahmefällen, auf die ich 
hier nicht eingehen will, die gemachte Oeffnung sich nach 
einiger Zeit, die je nach der Yascnlarisation des Trommel- 
fells variirt, schliesst und das Hörvermögen neuerdings in das- 
selbe Stadium tritt, in welchem es vor der Operation gewesen ist. 
Die Tenotomie des Muse, tensor tympani hat gleichfalls nur 
einen transitorischen Effect, weil in der Regel die Schnittenden 
der Sehne wahrscheinlich sich vereinigen, was durch die Gegen- 
wart von Falten der Schleimhaut, welche dessen Sehne zu be- 
gleiten pflegen, begünstigt wird. Auch durch die von Gru- 
nerti) vorgeschlagene Methode der Luxation des Hammergriffes 
nach aussen, so dass derselbe eine horizontale, der oberen Wand 
des Gehörganges parallele Lage einnehme, damit die Schnittenden 
der Sehne sich nicht vereinigen können und ein Defect im 
Trommelfell verbleibe, erzielte ich bis jetzt keine definitiv guten 
Resultate, weil der luxirte Hammer wie ein Fremdkörper wirkt 
und in der Apertur im Trommelfell sich Granulationen bilden, 
welche dieselbe verschliessen , auch auf den Hammergriff über- 
greifen und denselben vollständig umgeben. 

In Fällen von starker Retraction des Trommelfells in Folge 
von narbiger Verkürzung des Muse, tensor tympani ist vielleicht 
rationeller eine von mir vorgeschlagene Methode, welche darin 
besteht, dass man den Hammer, nach vorausgehender Tenotomie 
in die normale Stellung bringt, und zwar indem der Griff des- 
selben durch zwei Oeffnungen hindurch, welche durch Incisiqnen 
vor und hinter dem Griffe, im Trommelfelle gemacht werden, 
mittelst einer starken eigens construirten Pincette gefasst wird. 



1) Archiv für Ohrenheilkunde. Bd. XLIII. S. 135. 



4 I. GRAD£NI60 

Die Kesaltate nnmittelbar nach einer solehen forcirten Redaetion 
des retrahirten Hammers waren ausgezeichnet; ich konnte mir 
jedoch noch kein Urtheil ttber die definitiven Erfolge der Ope- 
ration bilden. 

Aach das blosse Bewegen der Gehörknöchelohenkette mittelst 
eines Instrumentes, nach lappenformiger Inoision des Trommel- 
felles, ergiebt, nach meinen Erfahrungen, keine definitiv guten 
Resultate; denn wenn es sich um Ankylose und Fixation han- 
delt, dann werden wir wohl die vorhandenen abnormen Ver- 
wachsungen aufheben können, es bilden sich aber dieselben mit 
aller Wahrscheinlichkeit wieder von Neuem aus. Es wurden aber 
in der Regel bessere Resultate durch das langsame und wieder- 
holte Bewegen der ganzen Kette der Gehörknöchelchen ver- 
mittelst i/^rsichtig ausgeführter Massage mit dem elektrischen 
Motor erzielt. Es bleiben somit als therapeutische Hilfsmittel 
bloss die zerstörenden Operationen zurück, die im Wesent- 
lichen in zweifacher Weise ausgeführt werden können. Es wer- 
den nämlich entweder alle Theile des schallleitenden Appa- 
rates, welche vom Gehörgange her erreicht werden können, 
entfernt, d. h. Trommelfell, Hammer, Amboss, und wenn möglich 
auch der Steigbügel (Exenteratio cavi tjmpani), gerade so 
wie dies spontan, durch Suppuration zu erfolgen pflegt, wobei 
dann die Schallwellen von aussen her direct zur Labyrinthwand 
der Trommelhöhle gelangen, oder aber man zerstört die Function 
der Kette der abnorm fixirten Gehörknöchelchen, indem man 
die Continuität derselben durch Entfernung einer intermediären 
Partie, z. B. des Ambosses, unterbricht, wobei die Schallwellen, 
von dem vernarbten Trommelfelle aus durch die Luft der Trom- 
melhöhle hindurch fortgeleitet werden. Bekanntlich ist die Theorie 
von Helmholtz, welche der Kette der Gehörknöchelchen für 
die Fortleitung der Töne eine grosse Bedeutung zuschreibt, in 
neuerer Zeit durch eine Reihe von experimentellen und klini- 
schen Thatsachen ^) in Schwankung gerathen. In der That be- 
weisen klinische Fälle, dass bei Verschluss der Trommelhöhle 
und bei Unterbrechung der Kette der Gehörknöchelchen, das 
Hörvermögen ziemlich gut erhalten sein kann. 

Gewöhnlich ist das definitive Resultat der beiden angedeu- 
teten Methoden ein identisches, d. h. es ist gleichgiltig, ob man 

1) Man vergleiche die interessanten Untersuchungen von Secchi in 
Arch. Ital. di Otologia eu. Vol. II. p. 302; Vol. IV. p. 246. — Vergl. auch 
Zimmermann. 



Za akust. Zwecken anternommene chirnrg. Eingriffe in der Trommelhöhle. 5 

bloss dea Amboss entfernt (was vom Gehörgange aus wegen der 
morphologischen Eigenthümlichkeiten der Trommelhöhle nicht 
immer ausführbar ist), oder ob man nebst dem Ambosse auch 
das Trommelfell und den Hammer beseitigt; denn schliesslich 
bildet sich immer eine narbige Membran ans, welche als Trom- 
melfell functionirt, und es erfolgt in beiden Fällen eine Unter- 
brechung der Kette der Oehörknöchelchen. Es ist uns, trotz der 
Anwendung verschiedener Operationsmethoden, nur in Ausnahme- 
fällen gelungen, eine Neubildung des Trommelfells, nach totaler 
Entfernung desselben, zu verhindern, und zwar auch dann nicht, 
wenn nebst dem Trommelfelle auch ein kreisförmiges Streifchen 
des Tegments in der Tiefe des Gehörganges excidirt wird, was 
von Gavello, auf meiner Klinik, vorgeschlagen und ausgeführt 
wurde ; denn es erfolgt auch in diesem Falle eine Neubildung 
des Trommelfells. Es ist jedoch wichtig, dass das Hörvermögen 
trotzdem und trotz der Unterbrechung in der Kette der Gehör- 
knöchelchen, genügend gut werden und sich stabil erhalten kann. 
Ich kann gegenwärtig noch nicht mit Bestimmtheit angeben, ob 
die einfache Entfernung des Ambosses ebenso gute Resultate 
liefere wie die Ausleerung der Trommelhöhle.*) 

Die Entfernung des Steigbügels vom Gehörgange aus ist, 
wie bekannt, nur in bestimmten Fällen möglich, denn derselbe 
ist oft wegen hoher Lage des ovalen Fensters nicht sichtbar. 
Aber auch in den Fällen, in welchen der Steigbügel zugänglich 
ist, können die dünnen Schenkel desselben brechen und die anky- 
losirte Platte bleibt an Ort und Stelle liegen. 

In einem Falle jedoch, in welchem ich auf einer Seite den 
ganzen Steigbügel sammt dem Ambosse und dem Hammer ent- 
fernte, erzielte ich keine besseren functionellen Erfolge als auf 
der andern Seite, wo bloss der Amboss und der Hammer ent- 
fernt werden konnten. 

3. Die postoperative Behandlung ist von grosser Bedeutung 
rücksichtlich der definitiven Resultate. Man kann als Regel hin- 
stellen, dass diese um so geringer sind, je grösser die Reaction 
nach dem chirurgischen Eingriffe ist, und deshalb sind die 
weniger aggressiven Methoden vorzuziehen. Aus diesem Grunde 
ist die Operation vom Gehörgange aus rathsamer als eine weit- 

1) In einem Falle von Manier e'schen Schwindelanfällen in Folge von 
Otitis sicca, ist es mir gelungen, die Anfälle durch einfache Entfernung 
des Ambosses dauernd zum Verschwinden zu bringen. (S. Giornale dell&. 
B. Accad di Medicina di Torino 1901). 



6 L GRAD£NIGO, Za «kost Zwecken ontem. Eiagriffe in d. Trommelhöhle. 

gebende Zeratöning dnreh Eingriff auf den Waraenfortsate. Be- 
zfiglich der postoperatiTen Beaetion maehte ich die Erfahrung, 
dass die Intensität derselben Tariirt, je nachdem es sich um 
Alterationen des Mittelohrs handelt, die eonseentiF nach snppn- 
rativen oder nach katarrhalischen Processen auftreten. Im ersteren 
Falle tritt nach einer Exenteratio oft wieder eine, wenn 
auch nur sehr gmnggradige Suppuration auf, w&hrend im zweiten 
Falle die Regeneration des Trommelfells ohne bemerkenswerthe 
Beaetion erfolgt 

Es ist nothwendig, die Begeneration des narbigen Trommel- 
fells mit Sorgfalt zu überwachen, weil in der Begel die Tendenz 
zur Bildung von Granulationen auf dem Promontorium Torhanden 
ist, welche zu Verwachsungen und zur Fixation der neugebildeten 
Membran f&hren kann. 

Nachdem die Begeneration des Trommelfells erfolgt ist, ist 
vielleicht die Massage desselben mit dem elektrischen Motor zu 
versuchen, wodurch die Vibrationsfähigkeit der Membran be- 
fordert wird. 

Es kann in dieser Weise ein relativ gutes und permanent 
bleibendes Gehörsvermögen in manchen Fällen zu Stande kommen. 



II. 

Aus der Königl. Üniversitäts-Ohrenklimk in Halle a. S. 
(Geh. Medioinalrath Prof. Dr. Sehwartze). 

Die Bedentang der Lnmbalpnnction fnr die Diagnose 
intracranieller Complicationen der Otitis. 

Von 

Dr. Iwan Braanstein, 

Hülfs- Assistenten der Klinik. 

Seit dem Jahre 1896 ist in der Königl. Universitäts-Ohren- 
klinik zu Halle a.S. die Lumbalpunction als diagnostisches 
Hülfsmittel angewandt worden, um bei otitisehen Erkrankungen 
mit intraeraniellen Complioationen entweder durch Ausschluss 
einer Meningitis purulenta diffusa die noch vorhandene 
Berechtigung zu einem operativen Eingriff darzuthun, oder durch 
Feststellung einer solchen von einer Operation wegen ihrer Aus- 
sichtslosigkeit auf Erfolg Abstand zu nehmen. 

Auf Grund der Erfahrungen, die bei den ersten 12 Fällen 
mit der Lumbalpunction gesammelt wurden, hatte Leutert auf 
Veranlassung des klinischen Direotors in seiner Arbeit: „Die Be- 
deutung der Lumbalpunction für die Diagnose intracranieller 
Complicationen der Otitis*' (Münchn. medic. Wochenschr. 1897. 
Nr. 8 und 9) die bis dahin in der jKlinik gewonnenen An- 
schauungen über den Werth der Lumbalpunction als diagnosti- 
sches Hülfsmittel flir die Ohrenheilkunde publicirt, und es dürfte 
jetzt nach mehr als fünfjähriger Anwendung derselben in der 
hiesigen Klinik gestattet sein, an der Hand eines grösseren 
und vielseitigen Materials die Leutert 'sehen Angaben auf ihre 
Richtigkeit zu prüfen. Die Lumbalpunction wurde nunmehr im 
Ganzen an 48 Patienten 67 mal ausgeführt. 

Da die in Betracht kommenden Krankheitsfälle fast alle 
bereits veröflFentlicht sind, so werden dieselben hier nur kurz 
mit der Diagnose, den Ergebnissen der Lumbalpunction, der Ope- 
ration oder der Section angeführt. Nur einige noch nicht ver- 



8 II. BRAUNSTEIN 

öffentliehte Fälle sollen auBf&hrlicber mitgetheilt werden. Für die 

üebersioht der Fälle haben wir die L entert 'sehe Grnppimng 

beibehalten. 

a) Eitrige Meningitis. 

1. Hoppe, Karl, 16 Jahre alt, aufgenommen am 3. October 1895 mit 
acuter Warzenfortsatzeiterung im Verlaufe einer chronischen Mittelohreite- 
rung links. Residuen rechts. Gestorben am 26. April 1896. 

21. April 1896 operirt wegen Recidiv der früheren Eiterung rechts. 

23. April Temperatursteigerung (38,5^), in den nächsten Tagen Symptome 
der Meningitis. 

25. April Lumbalpnnction ohne Narkose in Seitenlage wie 
in allen anderen Fällen. Es entleerten sich ca. 40 ccm leicht 
getrübter Flüssigkeit mit wenigen grauweissen Flocken, zu- 
erst im Strahl. Die Flocken bestanden aus Leukocyten und 
spärlichen Fibrinfäden. Erst nach längerem Suchen in frischen 
und gefärbten Präparaten wurden in letzteren zwei Diplo- 
kokken gefunden. Je zwei Culturen auf Agar, Strich und 
Bouillon ergaben auf ersteren weniger zarte Streptokokken- 
colonien, in letztern wuchs der Streptococcus ebenfalls rein 
und zu yerschlune^enen Ketten aus. 

Soweit war die Diagnose Meningitis unanfechtbar gesichert. Sofort nach 
der Function stieg der Puls yon 80 auf 96 Schläge, doch trat keine wesent- 
liche Aenderung im Befinden des Patienten zu Tage. 

Sectionsbefund: Eitrige Basilarmeningitis, ausgehend vom 
Labyrinth. 

2. Riedel, Franz, 22 Jahre alt, aufgenommen am 21. November 1896, 
gestorben am 23. November 1896. 

Status: Sehr kräftig gebauter Mann, Gesicht stark gerötbet, mit ängst- 
lichem Ausdruck. Facialisparese rechts, über dem Herzen ein zischendes 
Geräusch, Puls hochgradig cephalisch, unrepelmässig, aussetzend. Kopf- 
schmerzen, Schmerzen in der Wirbelsäule beim Aufrichten (keine Nacken- 
steifigkeit, Stuhl nicht angehalten), Urin eiweisshaltig. Der Augenhintergrund 
weist beiderseits normale Papillengrenzen auf, Venen geschlängelt (keine Sen- 
sibilitätsstörungen, Sensorium frei). Temperatur 39,3^. Rechtes Trommelfell 
stark gerötbet, etwas vorgewölbt; Krater in der lateralen Atticwand mit Gra- 
nulationen darin, feine Perforation vor dem Umbo, aus welcher sich pulsirend 
Eiter ergiesst. 

21. November. Nach Vornahme der Paracentese wird sofort zur Lum- 
balpnnction geschritten. Die erste Punction misslang; obgleich 7 cm weit 
eingegangen war, lief keine Flüssigkeit ab. Erst als bei der zweiten Punc- 
tion die ohne Ansatzstück 8 cm lange Nadel ihrer ganzen Länge nach ein* 
geführt war, und das Ansatzstück fest in die Haut gedrückt wurde, hatte 
man das Gefühl des Durchtretens der Spitze durch die Dura mater spinalis. 
Oedem bestand in dieser Gegend nicht, auch war der Patient nicht besonders 
fettreich; dagegen besass er eine prachtvoll entwickelte, starke Musculatur. 
Dazu kam, dass der Patient beim Einstechen der Nadel in die Haut aus der 
gekrümmten Seitenlage in die gerade zurückging. Es entleerten sich aber 
nur während das Ansatzstück so tief als möglich in die Haut eingedrückt 
wurde, einige Cubikcentimeter getrübter, mit grauweissen Flocken unter- 
mischter Flüssigkeit. In dieser fiel in frischen Präparaten der Reichthum an 
meistens polynucleären Leukocyten auf. In gefärbten Ausstrichpräparaten, 
welche von den aus zusammengeballten Leukocyten und fadigen Massen be- 
stehenden Flocken hergestellt wurden, fanden sich drei deutliche, je zu 
zweien angeordnete Kokken. Je zwei Agar- und Bouillonculturen blieben 
steril; eine weisse Maus, welcher drei grosse Platinösen der Lumbalflüssig- 
keit unter die Rückenhaut geimpft wurden, wozu besonders die Flocken ver- 
wandt wurden, reagirte nicht auf die Impfung. 

Am anderen Morgen war Patient schmerzfrei, der Puls fast regelmässig, 
nur wenig gespannt, 96 in der Minute bei einer Temperatur von 39,6°. Je- 



Bedeutg. d. Lumbalpunct. für d. Diagnose intracran. Complicat. d. Otitis. 9 

doeh War diese Besserung wohl auf Becbnang der Tags zuvor gegebenen 
Digitalis zu setzen; Herzgeräusch verschwunden; doch ergab die Untersuchung 
des Augenbintergrundes am Abend dieses Tages rechts deutliche, links be- 
ginnende Neuritis optica; ausserdem bestand Lähmung beider Abducentes und 
Strabismus. 

Sectionsbefund: Eitrige Leptomeningitis der Basis, wahr- 
scheinlich ausgehend vom Aquaeductus vestihuli, aus welchem sich beim Ablösen 
der Dura ein Tropfen Eiter entleerte. PiaOdem bestand nicht, auch war die 
Yentrikelflüssigkeit nicht vermehrt, so dass unsere anfängliche Annahme, die 
geringe Ausbeute bei der Function sei lediglich auf Rechnung der zu kurzen 
Nadel zu setzen, hinfällig wurde. 

3. Eichler, Ida, 17 Jahre alt, aufgenommen am 17. März 1897, ge- 
storben am 9. April. 

Seit 4 Wochen Schwindel beim Bücken, häufig missgestimmt, reizbar 
bei zunehmender Appetitlosigkeit. Herz und Lungen gesund. Gehörgang 
links normal. Fistulöser Krater über dem Proc. brevis, aus welchem eine 
Granulation herausgewachsen ist. 

18. März. Leichte Druckempfindlichkeit über dem linken Planum mast. 
ohne Oedem. Elopfempfindlichkeit über der Schläfe und über der Linea 
temporalis. Keine Oedeme an den Extremitäten. 

Operative Freilegung der Mittelohrräume von innen nach aussen (nach 
Stacke). 

23. März. Fieberfreier Verlauf. Puls ca. 60. 

29. März. Unter leichter Temperatursteigerung bis 38,2^ sind heftige 
Kopfschmerzen eingetreten, welche im ganzen Kopf gleichmässig empfunden 
werden, in unregelmässiger Weise vorübergehend exacerbiren und dabei ins 
Gesicht ausstrahlen. Wegen ihrer Heftigkeit musste Morph, subcutan ge- 
geben werden. Appetit gering, mehrfaches Erbrechen, Obstipation, Schwindel- 
gefühl erheblich vermehrt. Wunde von gutem Aussehen. Objectiv kein 
einziges Symptom einer cerebralen Herderkrankung nachweisbar, Reflexe aber 
etwas gesteigert. 

30. März. Temperatur normal. Nach einer leidlichen Nacht sind die 
bedrohlichen Symptome sämmtlich zurückgegangen. 

31. März. Nachdem Pat. mehrere Stunden gut geschlafen, erwacht sie 
gegen 4 Uhr Morgens, schreit vor Schmerzen auf und wirft sich im Bett 
umher. Sie giebt an, dass die Schmerzen ganz plötzlich gekommen wären, 
dass ihr „alles weh thue*' besonders der Kopf, der Rücken und der Leib. 
Der Schmerz sei im Hinterkopf am heftigsten. Kopf zurückgeworfen und in 
den Kissen vergraben, Erbrechen. Objectiv keinerlei Symptome nachweisbar. 
Sensorium vollkommen frei; weder Motilitäts- noch Sensibilitätsstörungen. 
Puls unregelmässig, ca. 74, klein. Temperatur, die seit gestern normal war, 
ist plötzlich auf 39,5^ gestiegen, fällt dann langsam ab bis Mittags 37,5^. 
Bisher war die anfängliche Diagnose Meningitis in Folge Zurückgehens von 
Puls und Temperatur auf die Norm zweifelhaft gewesen oder an eine circum- 
scripte Meningitis gedacht worden. 

Gegen 9 Uhr Yormittags plötzliche Veränderung des Krankenbildes. 
Völlige Apathie, Kopf zurückgelehnt, Arme schlafi^, Beine leicht gespreizt. 
Pupiflen eng, reagieren träge, Bewegung der Extremitäten wird träge und 
kraftlos ausgeführt. Puls äusserst unregelmässig, auf 3—4 langsame Schläge 
folgen ebensoviel schnelle, flatternde Contractionen. Diffuse Meningitis wahr- 
scheinlich. 

Lumbalpunction. Im Strahl werden ca. 35 — 40 ccm stark getrübter 
Flüssigkeit entleert und in sterilen Petr loschen Schälchen aufgefangen. Mi- 
kroskopische Untersuchung: Aeusserst zahlreiche, grösstentheils polynucleäre 
Leukocyten; Bakterien, auch Tuberkelbacillen werden im gefärbten Ausstrich- 
präparate nicht gefunden. 4 Cultureu werden angelegt. 

Während der Vornahme der Punction hatten sich Puls und Aussehn 
der Pat. nicht verändert, nach derselben wurde der Puls wieder voller und 
regelmässiger. Der Zustand der Pat. blieb bis zum Abend unverändert. Im 
Laufe des Tages 5—6 mal Erbrechen. Nahrungsaufnahme s 0. Obstipation. 
Zunahme der Mattigkeit. Sensorium vollkommen frei. Patientin antwortet 



10 II. BRAUNSTEIN 

klar auf alle Fragen unter langsamer Zunahme des Hinterkopf- und Nacken - 
Schmerzes, sowie der Nackensteifigkeit 

Am 4. April ergiebt die bakteriologische Untersuchung der Functions- 
fliissigkeit folgendes: In den Ausstrichpr&paraten wurden nachträglich noch 
ganz spärliche Diplokokken gefunden, von denen jedoch nicht mit Bestimmt- 
heit gesagt werden kann, ob sie intra- oder eztracellular gelegen waren. Die 
auf Agar und in Bouillon angelegten Gulturen ergaben eine Reinzilchtung 
von Streptokokken. Jedoch zeigten dieselben träges Wachsthum und wuchsen 
nur zu relativ kurzen Ketten aus. 

Durch die Lumbalpunction war die Diagnose Meningitis purul. diffusa 
gesichert. 

Sectionsbefund: Basilarmeningitis purul. Bronchitis. Dura gut 
gespannt, sehr blutreich. Innenfläche der Dura glatt, die grösseren Venen der 
Dura massig stark gefüllt. An der Gehirnbasis ist die Pia des vorderen 
Randes beider Schläfenlappen, sowie die Gegend hinter dem Gbiasma, von 
da an zu beiden Seiten der Brücke bis zum Kleinhirn eitrig infiltrirt. Bei 
der Herausnahme des Gehirns sammelt sich in der hinteren Schädelgrube eine 
reiche Menge trüber, wässeriger Flüssigkeit an. 

4. Hinneburg, Gottlob, 53 Jahr alt, aufgenommen am 15. Juni 1900, 
gestorben am 29. Juni. 

Vor 8 Tagen plötzlich Schmerzen im linken Ohr und Schwerhörigkeit. 
Bald darauf Ohrenlaufen. Dabei Schwindel besonders beim Bücken, ferner 
Appetitlosigkeit, aber kein Erbrechen. Fieber soll nicht bestanden haben. 
Nach dem Ohrenlaufen keine Schmerzen mehr, der Schwindel bleibt be- 
stehen. Wegen des Schwindels kommt Fat. zur Klinik. 

Status: Pupillen gleich weit, reagiren prompt, kein Nystagmus, keine 
Lähmung. Objectiv kein Schwindel. 

Rechts Trommelfell atrophisch, geröthete Promontoriumwand durchschei- 
nend, links Trommellell abgeflacht, leicht injicirt, unten stark weisslich ge- 
trübt. Pat. fühlte sich bis 22. Juni verhältnissmässig wohl, mit Ausnahme 
des 20. Juni, an dem er über heftige Ohrenschmerzen links klagte. Die Para- 
centese des Trommelfells entleerte kein Exsudat. 

22. Juni. Temp. 38,9^. Klage über sehr heftige nach dem Kopfe aus- 
strahlende Schmerzen im linken Ohr. Paraceutesenschnitt klafft weit, entleert 
kein Exudat. 

Abends Temp. 39,2», Puls 92, Erbrechen. 

23. Juni. Morgens Temp. 37,4^, Puls 84. Pat. ist Nachts sehr unruhig 
gewesen, hat wiederholt das Bett verlassen und in der Ecke des Zimmers 
seine Nothdurft verrichtet. Es lässt sich heute eine Sprachstörung con- 
statiren. Die Aussprache der Konsonanten ist erschwert. Pat. ist völlig 
bei Bewusstsein, erkennt vorgehaltene Gegenstände, weiss dieselben aber nicht 
richtig zu benennen. 

Lumbalpunction: Liquor unter ziemlich hohem Druck stehend, nicht 
deutlich getrübt, von hellgelber Farbe, enthält viele Leukocyten, keine Bakte- 
rien. Nach der Function in dem Befinden des Pat. am folgenden Morgen 
eine leichte Besserung. In den folgenden Tagen verschlechtert sich der Zu- 
stand des Patienten merklich. 

26. Juni. Temp. 39,4°, Puls 96 kräftig. Pat. lässt Urin und Koth unter 
sich. Reflexerregbarkeit der Haut fast ganz aufgehoben. Spasmen in der 
Musculatur des linken Armes und der linken Gesichtshälfte. Pupillen maxi- 
mal erweitert, die rechte etwas weiter als die linke, reagiren träge auf Licht- 
einfall. Goma. 

Lumbalpunction ert^ebt grünlich - gelbe Flüssigkeit, leicht getrübt, 
welche Diplokokken und viel Leukocyten enthält. 

Der Verdacht auf Meningitis purulenta wurde durch die beiden Lumbal- 
punctionen bestätigt. 

Sectionsbefund: Meningitis purul. cerebralis et spinalis. 
Hyperämie und Oedem des Gehirns. Pachymeningitis externa chronica. 

5. Thamm, Bertha, 15 Jahr, aufgenommen 5. Februar, gestorben 
7. Februar 1901. 



Bedeatg. d. Lumbalpunct. far d. Diagnose intracran. Complicat. d. Otitis. 11 

Pat war schon vor mehreren Jahren ohrenleidend. Seit S Tagen Schmer- 
zen und Sausen im rechten Ohr. In der Poliklinik wurde die Paracentese 
gemacht. Darnach eitrige Secretion. Seit einigen Tagen Appetitlosigkeit, 
schlechter Schlaff seit vorgestern öfter Erbrechen, Kopfschmerzen in der SUrn- 
gegend. 

Status: Kräftig gebautes Mädchen, bleich, collabirt, Puls sehr klein 
über 120. Pupillen gleich, reagiren, keine Augenmuskellähmung. Pat stöhnt 
fortwährend, liegt keinen Augenblick still, wirft sich herum und klagt über 
heftige Rückenschmerzen. Mehrmals Erbrechen. Selbst einfache, ihre Person 
etc. betreffende Fragen beantwortet Pat. sehr langsam und falsch. Lässt 
Urin unter sich. Augenbintergrund: Venen beiderseits ektatisch. Rechts nasale 
Grenze der Papille verwaschen, nasale Hälfte hyperämisch. 

Warzenfortsatz auf Druck schmerzhaft, keine Infiltration, kein Oedem. 
Trommelfell geröthet, leicht vorgewölbt, hinten eine pulsirende gelb verfärbte 
Stelle. 

6. Februar. Pat. hat Nachts wenig geschlafen, andauernde Klage über 
Kopf- und Rückenschmerzen. Mehrmaliges Erbrechen. Sopor hier und da 
unterbrochen durch Aufschreien und Greifen nach dem Kopf. Pat. hallucinirt. 

Lumbalpunction ergiebt unter massig hohem Druck stehenden, deut- 
lich getrübten Liquor, der sehr stark vermehrte Leukocyten und Strepto- 
kokken enthält. Untersuchung auf Tuberkelbacillen negativ. Im centrifugirten 
Liquor deutlich Kapseldiplokokken. 

7. Februar. Lumbalpunction wiederholt, obschon die Diagnose 
Meningitis purul. durch die vorhergegangene Punction erhärtet war. Sie ergab 
keinen Liquor, sondern nur Blut. 

Sectionsbefund: Meningitis purul. der Convexität und der Basis. 
Meningitis spinalis. Hyperämie und Oedem des Gehirns. 

Im Spinalkanal keine Veränderung. Die Aussenfläche der Dura spinal, 
zeigt eine starke Injcction. Die Gonuspartie ist bedeutend verbreitert, die 
Innenseite der Dura ist ebenfalls injicirt Die Pia ist mit graugrünem, sulzigen 
Eiter bedeckt. Von der Mitte des Brustmarks an findet sich nach unten zu 
stärker werdend ein Bluterguss innerhalb der weichen Häute. Die weisse 
Substanz des Rückenmarks quillt auf dem Schnitt deutlich über. Die graue 
Substanz erscheint etwas missfarben. 

6. Busse, Friedrich, 32 Jahr alt, aufgenommen 26. Juni, gestorben 
1. Juli 1901. 

Im 2. Lebensjahre nach Masern Ohreiterung links, die bald aufgehört 
haben soll. Gehör soll stets herabgesetzt gewesen sein. Kurz vor Ostern 
1901 plötzlich ohne Beschwerden Ohreiterung. Vor ca. 3 Wochen starker 
Schwindelanfall, zugleich etwas Frösteln, kein Fieber. Vor 8 Tagen einmal 
Erbrechen, morgens nüchtern. Am Dienstag Schmerzen im Ohr. Ueber 
Kopfschmerzen soll Patient schon mehrere Jahre geklagt haben. 

Status: Ungewöhnlich kräftiger Mann. Pupillen gleich, reagiren. 
Kein Nystagmus, keine Lähmung. Innere Organe gesund, Augenhintergrund 
normal. Objectiv kein Schwindel. Gehörgang und Trommelfellbefund: rechts 
Cernmen, links centrale Perforation, hinten bis an den Rand reichend. Gra- 
nulation von oben. Eiterung nicht sehr stark, fötid. 

Flüstersprache links handbreit, rechts 5 Mtr. Ci vom Scheitel im ganzen 
Kopf; Stimmgabeltöne links Gi stark herabgesetzt, Fis4 bei starkem Finger- 
anschlag. Rechts normal. Kein Perforationsgeräusch. Kein Fieber, Puls 70. 

28. Juni. Temperatur Abends 38,1^ Klage über Kopfschmerzen in der 
Stirn und im Hinterkopf. Keine Angina, im Ohr keine Veränderung. Während 
der Nacht Zunahme der Kopfschmerzen, sodass Pat. wiederholt in die Bett- 
decke beisst. 

29. Juni. Seit Morgens 6 Uhr comatöser Zustand, unterbrochen von 
Augenblicken, in denen Pat. sehr unruhig ist, aus dem Bett aufsteht, mit 
Händen und Füssen um sich schlägt. Pat. spricht nicht mehr. Pupillen 
gleich, eng, reagiren. Zwischen 8 und 11 Uhr Vormittags grosse Unruhe. 

Status 11 Uhr: Beide Pupillen starr, linke über mittelweit, rechte weiter 
als gewöhnlich. Puls cephalisch, 72, unregelmässig. Nackenmuskeln nicht 



12 II. BRAUNSTEIN 

eontrahirt, keine Lähmang. Reflexe soweit prüfbar, norma]. Deviation 
conjug^e nach links oben. 

Lumbalpunction ergiebt Liquor unter hohem Druck, deutlich getr übt^ 

feiblich, enthält vermehrte Leukocyten und einzelde Diplokokken. Nach der 
Function keine Veränderung im Befinden des Fat. Orcl. Morph. 0,02. 5 Uhr 
Nachmittags wird durch Katheter ca. 1 Liter Urin entleert. Derselbe Ist frei 
Yon Eiweiss, enthält aber Zucker. 

Abends 6 Uhr. Morph. 0,02. Cheyne-Stokes^sches Athmen. Nachts 
1 Uhr grosse Unruhe. Fat. steht aus dem Bett auf. Darauf ruhiger Schlaf 
bis Morgens. 

30. Juni. Temp. 39, l'^, Fuls 70, regelmässig kräftig. Es scheint, als ob 
die rechte Lidspalte nicht ganz geschlossen werden könnte. Sonst keine 
Lähmung nachweisbar. Fupillen gleich, von normaler Weite, starr. Fatellar- 
reflexe nicht gesteigert. Milzdämpfung nur bis zum Rippenrande. Kahn- 
förmige Einziehung des Abdomens in geringem Grade. Angenhintergrund 
ohne patholog. Veränderungen. Urin enthält Eiweiss und Zucker. Ab und 
zu Husten. 

1. Juli. 6Vs Uhr Exitus letalis. 

Sectionsbefund: Eitrige Meningitis durch Infection vom Laby- 
rinth aus. Oedem und Hyper&mie des Gehirns. Lungecödem und Hyperämie 
der Lunge, Pleuritis adhaesiva duplex, Acuter Milztumor, Acute parenchymatöse 
Nephritis, Capilläre Blutungen der Magenschleimhaut, Bronchitis chronica. 

Schädeldach verwachsen. Dura blutreich, ihre Innenfläche glatt. Weiche 
Hirnhäute ebenfalls sehr blutreich. An den abschüssigen Theilen beider 
Schläfenlappen sieht man eine eitrige Infiltration der weichen Hirnhäute. 
Besonders stark eitrige Infiltration der weichen Hirnhäute der Schädelbasis 
am Chiasma und an den hinteren Theilen des Kleinhirns. Cerebrospinal- 
flüssiskeit stark vermehrt, deutlich getrübt. In beiden Seitenventrikeln ist 
die Flüssigkeit etwas vermehrt und deutlich getrübt. Das Ependym des 
linken Ventrikels im vorderen Abschnitte schwach eitrig belegt. Im IV. 
Ventrikel sind Eiterkörperchen nachweisbar. 

Linkes Tegmen tympani in Ausdehnung des Durchschnitts einer Erbse 
unterbrochen. Die Lücke ausgeheilt durch neugebildetes Bindegewebe. Der 
obere verticale Bogengang enthält deutlich durchschimmerndes blutig ge- 
erbtes Serum. Beim Abziehen der Dura tritt aus dem Porus acust. intern, 
und aus der Durch trittssteile des Trigeminus deutlich eitrige Flüssigkeit 
aus. Das rechte Mittelohr ist frei. Die Gehirnsubstanz ist ödematös und 
blutreich ohne sonstige Veränderungen. 

b) Eitrige Meningitis mit Sinusthrombose. 

1. Thronicke, Friedrich, 48 Jahre alt, aufgenommen am 19. April 
1896, gestorben am 20. April. 

Status: Temp. 39,3^ Puls 79, Atbmung beschleunigt. Pupillen reagiren 
träge, Foetor ex ore, belegte Zunge, Herpes labialis. Keine Paresen der 
Extremitäten, keine Parästhesien. Urin eiweisshaltig (l^oo). Leichter Sopor,. 
Harnverhaltung, Meteorismus, Schmerzen in der Wirbelsäule beim Aufrichten. 
Geringe Druckempfindlichkeit über dem rechten Warzenfortsatze. Rechts 
hintere Gehörgangswand geschwollen, Trommelfell leicht geröthet, abgeflacht; 
Bassein beim Katheterismus. Die Diagnose wurde auf Meningitis gestellt; der 
Herpes labialis Hess an epidemische Gerebrospinalmeningitis denken. 

Am folgenden Tage Spasmen in beiden Armen besonders links. Im 
soporösen Zustande des Fat. wurde ohne Narkose die Lumbalpunction 
ausgeführt. Es entleerten sich zuerst continuirlich ca. 40—50 ccm leicht 
getrübter Flüssigkeit. Als diese nur noch tropfenweise abfloss, wurde mit 
einer Pravaz'schen Spritze aspirirt, jedoch nach der ersten Spritze die Function 
abgebrochen, da der Patient unrubig und die Athmung auffallend tief und 
aussetzend wurde. In Bückenlage wurde die Athmung zunächst ruhiger, nach 
einigen Minuten jedoch trat Cheyne-Stokes^sches Athmen ein, der Patient 
wurde blau und höchstens 1 5 Minuten nach Beendigung der Function erfolgte 
der Exitus. 

Die mikroskopische Untersuchung der Lumbaiflüssigkeit ergab reichliche 



Bedeutg. d. Lumbalpunct. für d. Diagaose intracran. Complicat. d. Otitis. 13 

Lenkocyten und nicht wenige, zu kurzen, leicht gekrQmmten Ketten ange- 
ordnete Kokken. Auf Agarstrich wuchs dieser Mikroorganismus als weisse 
Colonie, deren Einzellndividuen sich durch ihre Grösse auszeichneten. In 
Bouillon wuchsen die Kokken nur zu kurzen Ketten aus. Auf Gelatine 
wuchs er üppig als Staphylococcus, ?erflüs8igte jedoch erst nach mehreren 
Tagen langsam. In einem während der Section vom Thrombus angelegten 
Ausstrichpräparat fanden sich in schönen Kapseln liegende Mikroorganismen 
nach Art der FraenkeFschen Pneumonieerreger. 

Sectionsbefund: Ausgedehnte Eiterung im rechten Warzenfortsatze, 
eitrige Meningitis, besonders der rechten Grosshirnhemisphäre, ausgehend 
Yon einem kleinen an der Umbiegungsstelle des Sinus transversus in den 
Sinns sigmoideus sitzenden Thrombus. 

2. Lange, Fritz, It Jahre alt, aufgenommen am 13. August 1S96, 
gestorben am 7. September. 

Der wegen Cholesteatom rechts am 14. August operlrte stets fieberfreie 
Knabe erkrankte in der Nacht vom 4. zum 5. September mit Kopfschmerzen. 

5. September Temp. Morgens 38,6^ Abends 38,3^. 

6. September Temp. Morgens 41 ^ Kopfschmerzen heftiger. Wahr- 
scheinlichkeitsdiagnose: Meningitis. 

Die an diesem Morgen ohne Narkose vorgenommene Lumbalpunction 
ergab im Strahl abfliessende, leicht getrübte, mit feinen, grauweissen fadigen 
Massen untermischte Flüssigkeit (Die Function wurde abgebrochen, als 
der Liquor nur noch langsam tropfend abfioss.) Dieselbe enthielt massig viele 
Lenkocyten, doch konnten weder Tuberkelbacillen noch sonstige Mikroor- 
ganismen in der Flüssigkeit gefunden werden. Agar- und Bouillonculturen 
blieben steril. 

£ine Veränderung im Befinden des Patienten wurde nach der Function 
nicht bemerkt 

Sectionsbefund: Kitrige Meningitis basilaris ausgehend von einer 
zwischen beiden Durablättern unterhalb des Aquaeductus vestibuli verlaufenden 
Entzündung, welche zugleich nach dem Sinus sigmoideus durchgebrochen 
war und zu einer circumscripten wandständigen Thrombose desselben geführt 
hatte. Frische Endocarditis mitralis metastatica. 

3. Schmidt, Minna, 18 Jahre alt, aufgenommen am 6. Juni, gestorben 
am 25. Juni 1898. 

Die sehr schwerhörige Patientin leidet seit 4 Wochen an öfters auf- 
tretenden Kopfschmerzen in der Stirn und den beiden Schläfen. Diese Kopf- 
schmerzen treten anfallsweise auf und sind meist mit Schwindel verbunden. 
Objectiv ist auch bei geschlossenen Augen kein Schwindel bemerkbar. 

Patientin wurde am 14. Juni wegen Cholesteatoms rechts operirt. Der 
horizontale Bogengang ist zum Theil zerstört, der Knochen in der Umgebung 
fühlt sich rauh an. Die Sonde kann nicht in den Bogengang eindringen, 
Auch tritt kein Eiter an dieser Stelle hervor. 

Nach der Operation zunächst reactionsloser fieberfreier Verlauf. 

19. Juni Morgens 38,5^. Patientin klagt über Kopfschmerzen, die den 
Tag über anhalten. Nachnfittags Facialisparese rechts, zugleich Schmerzen 
im operirten Ohr. Höchste Temp. 39,0®. Kechte Pupille weiter als die linke. 
Abends stärkere Schmerzen. Manchmal lautes Schreien. Morphium subcutan. 
Darauf Schlaf bis 5 Uhr Morgens. Erwachen mit heftigem, mehrmaligem 
Erbrechen, aber Kachlass der Kopfschmerzen. 

20. Juni. Erbrechen, Durchfall. Starke Druckempfindlichkeit der 
obersten Halswirbel, aber keine Nackenstarre. Nimmt wenig kalte Milch zu sich. 

21. Juni. Morgens Erbrechen. Die Kopfschmerzen werden in die linke 
Stirnseite verlegt. Druckempfindlichkeit der Halswirbel wie gestern. Sensorium 
völlig frei. 

Lumbalpunction um 12 Uhr ergiebt unter massigem Druck stehende, 
makroskopisch fast klare Flüssigkeit. Mikroskopisch zahlreiche Lenkocyten 
und einzelne Kokken. Puls vor der Function 112 p. M. klein. Nach der- 
selben unregelmässig. Abends voller Puls 106 p. M. Augenhintergrand 
normal. Temp. 38,7® 38,6®. StarJ^e Schweisse. 



14 II. BRAUNSTEIN 

Sectionsbefund: Meningitis pnrulenta basilaris. Nekrose an der 
rechten hinteren Felsenbeinfläche. Eitrige Thrombose der obersten Enden 
beider Sinns petrosi; Hyperämie der Hirnhäute, Oedem des Gehirns. 

c) Eitrige Meningitis mit Himabscess. 

1. Warzyniak, Franz, 24 Jahre alt, aufgenommen am 3. August 1896, 
gestorben am 7. August. 

3. August. Puls unregelmässig aussetzend, verlangsamt, hochgradig 
gespannt, 63 in der Minute bei 38,8^ Temp. (Nachmittags). Starke Kopf- 
schmerzen, Pupillen reagiren Rut, Augenhiutergrund normal; keine Hemianopsie, 
keine Hyperästhesie, keine Lähmungen. Keine Nackensteifigkeit, Druckem- 
pfindlichkeit der Halswirbelsäule. Leichter Sopor, belegte Zunge, Foetor ex 
ore. Leib eingezogen, Obstipation. Der rechte Gehörgang bildet vorn oben einen 
spitzen Winkel ; obere hintere Gehörgangswand von einer grossen Granulation 
durchbrochen, der Anblick der Paukenhöhle dadurch verlegt. Links grosse, 
centrale, trockene Perforation. 

Die Diagnose Meningitis hatte zwar die grösste Wahrscheinlichkeit für 
sich, doch konnte es sich auch um einen Himabscess mit Thrombose eines 
kleineren Sinus handeln. Es wurde daher die Lumbalpunction ohne 
Narkose an die erste Untersuchung angeschlossen. 

Nach Abfluss von ca. 40 ccm leicht getrübter, zuerst continuirlich ab- 
fliessender Flüssigkeit muss die Function abgebrochen werden, da der Patient 
sehr unruhig wird. 

Nach der Function stieg der Puls von 63 auf 68 Schläge, sonst war 
jedoch keine Veränderung im Befinden des Patienten bemerkbar. Am folgen- 
den Tage klagte er über Schmerzen in der Lumbaigegend , entsprechend der 
Einstichstelle. 

In der Flüssigkeit fanden sich ziemlich zahlreiche, polynucleäre Leuko- 
cyten, jedoch keine Mikroorganismen in mehreren frischen, wie in gefärbten 
Ausstrichpräparaten. Je 2 Agar- und Bouillon culturen blieben steril. Eine 
weisse Maus, welche 0,3— 0,4 ccm des Liquors subcutan erhielt, reagirte nicht 
auf die Impfung. (Da in der Punctionsflüssigkeit keine Mikroorganismen ge- 
funden wurden, so schien trotz der Anwesenheit zahlreicher polynucleärer 
Leukocyten nach der damaligen Anschauung die Diagnose Meningitis nicht 
genügend gesichert. Deshalb wurde am 4. August die Totalauf meisselung vor- 
genommen, welche ein Cholesteatom ergab. Die hieran angeschlossenen Tre- 
nanationen auf den Schläfenlappen und das Kleinhirn waren resultatlos.) 
Nach mehreren Tagen wurde eine kleine Flocke der Lumbalfiüssigkeit, welche 
auf einer steril gebliebenen Agarcultur sichtbar war, herausgenommen, ein 
Ausstriebpräparat angelegt und gefärbt. Es fanden sich darin 2 Diplokokken. 

Sectionsbefund: Eitrige Leptomeningitis basilaris, haselnussgrosser 
Abscess im rechten Hinterhauptlappen mit deutlicher Abscessmembran ; in 
der Umgebung der Trepanationsöfi'nungen keine Meningitis, jedoch erweichte 
Heerde im rechten Schläfenlappen und in der rechten Kleinhirnhemisphäre. 
Acute Endocarditis verrucosa, Milztumor. Entsprechend der Einstichstelle in 
der Lumbaigegend fand sich ein nicht unerheblicher Bluterguss in die Mus- 
culatur. Der Spinalsack war an dieser Stelle prall mit stark getrübter 
Flüssigkeit angefüllt. 

2. Nethge, Bertha, 38 Jahre alt. Aufgenommen am 2. März, ge- 
storben am 7. März 1899. 

Fat. hatte schon als Kind an Ohreiterung gelitten. Vor 4 Tagen hef- 
tige Schmerzen im linken Ohr. Den folgenden Tag starke Kopfschmerzen 
und Schwindel, so dass sie nicht mehr gehen konnte. Die Schmerzen be- 
schränkten sich auf die linke Kopfhälfte. Appetitlosigkeit; mehrfaches Er- 
brechen. Stuhlgang in Ordnung. 

Status: Gut genährte Frau, klagt über heftige Schmerzen in der linken 
Kopfhälfte. Kopibewegungen frei. Keine Druckempfindlichkeit am Genick; 
spricht viel. Manchmal fehlen ihr bestimmte Worte, was sie selbst bemerkt. 
Allgemeine Hyperästhesie. Refiexe nicht gesteigert. Innere Organe ohneBe* 



f^^Bedentg. d. Lumbalpunct. für d. Diagnose intracran. Gomplicat. d. Otitis. 15 

sonderes. Urin frei von Eiweiss und Zucker. Temp. 38,3^ Puls in gleichen 
Intervallen nicht von gleicher Frequenz, 80—90 p. M. Respiration regel- 
mässig 20 p. M. Augenhintergrund normal, Pupillen normal. Massige Druck- 
empfindlichkeit des linken Warzenfortsatzes. Stärkere Druckempfindlichkeit 
am Uebergang des Warzenfortsatzes auf das Occiput. Klopfempfindlichkeit 
der ganzen linken Schädelhälfte. Im Oehörgang links viel Eiter. Die Tiefe 
verlegt durch Schwellung der Gehörgangswände, besonders der oberen. Rechts 
grosser Defect des Trommelfells. 

In der Nacht vom 2. zum 3. März wenig Schlaf. Stets Klagen über 
furchtbaren Kopfschmerz links. 

3. März. Die Unfähigkeit, bestimmte Worte zu finden, scheint zuge- 
nommen zu haben. Temp. 37,7 ^ Puls 80. Dynamometer rechts 2, links 13. 
Keine sonst nachweisbaren Paresen, keine Anästhesien. Zunge weiss belegt, 
trocken. Pupillen verengt, reagiren auf Lichteinfall, gleichmässig, aber träge. 
Keine Druckempfindlichkeit der Jugularisgegend. Ausgesprochene Per- 
kussionsempfindiichkeit über dem linken Ohr. Pat. ist in wechselnder psy- 
chischer Verfassung. 

Diagnose: Abscess im linken Schläfenlappen. 

Um 12 Uhr Mittags ausgesprochener Schüttelfrost, Ansteigen der Tem- 
peratur auf 40,4°. Nachher Delirien. 

Da die Ursache der Fieberbewegung nicht klar war — sie konnte durch 
die festgestellte Thrombose des Sinus oder in Folge Durchbruchs des Ab- 
scesses in den Seitenventrikel verursacht sein — , so wurde um 1 Uhr die 
Lumbalpunction gemacht. Sie ergab unter starkem Druck stehende 
wasserklare Flüssigkeit, ohne Leukocytenvermehrung und ohne Bakterien. 
Nach der Totalaufmeisselung links Trepanation auf den linken Schläfenlappen. 
Es entleeren sich etwa 2 Kaifeelöifel dünnflüssigen, jauchigen Eiters und 
schwarze, nekrotische Hirnmassen. 

Nachdem der Zustand der Pat. sich mehrere Tage hindurch gebessert 
hatte, tritt wieder Verschlechterung ein, bis am 7. März unter meningitischen 
Erscheinungen der Exitus erfolgte. 

Sectionsbefund: Jauchiger Hirnabscess im linken Schläfenlappen. 
Hirnprolaps. Perforation des Abscesses in das Unterhorn des linken Seiten- 
ventrikels. Bluterguss im Ventrikel. Verjauchte Thrombose des linken Sinus 
sigmoideus. 

3. Pechy Lina, 5 Jahre alt, aufgenommen den 9. October, gestorben 
den 30. October 1899. 

Vor 6 Wochen Scharlach, darauf Eiterung des rechten Ohres. Seit 
8 Tagen Anschwellung hinter dem rechten Ohre. Kind lässt seit einigen 
Tagen den Urin unter sieh gehen. 

Status: Gut genährtes, kräftig entwickeltes Kind. Blasse Gesichts- 
farbe, Oedem der rechten Gesichtshältte. Zunge weiss belegt. Augenhinter- 
grnnd normal. Innere Organe ohne Befund. Urin frei von Eiweiss und 
Zucker. Temp. 36,9<», Puls 80 p. M. regelmässig. Hinter dem Ohre grosse 
fluctuirende Geschwulst. Ausgebreitetes Oedem der Umgebung. Im rechten 
Ohr fötide Eiterung, Senkung der hinteren Gehörgangswand. Links normal. 

11. October. Aufmeisselung. Wohlbefinden bis 19. October. Tempe- 
raturen normal. 

19. October. Beim Verbandwechsel entleert sich viel Eiter aus der 
Knochenwunde. Eiter kommt von hinten oben aus der Tiefe. Sonde ge- 
langt in die Schädelhöhle. Abends Temp. 39,6«. Einmal Erbrechen, Kopf- 
schmerzen. 

20. October. Operation des Hirnabscesses. Abends Temp. 39,5^ 

21. October. Temp. 39,20-39,5°. Kind schläft fast den ganzen Tag. 
Alles Genossene sofort erbrochen. Sensorium frei. Ueber Kopfschmerz nur 
auf Befragen geklagt. 

22. October. Temp. 38,3*>— 39,9°. Kind nur Morgens unruhig, lässt 
Urin unter sich gehen. Einzelne Aufschreie. Behält nichts bei sich. 

23- October. Temp. 38,80—40,2°. In vergangener Nacht zeitweise 
Spasmen im linken Arm. Bulbi stehen öfters unbeweglich. Spaltung der 
Dura. Nach Operation kein Erbrechen mehr. 



16 IL BRAUNSTEIN 

24. October. Temp. 39,9<>— 39,2^, etwas Nahraoffsaufnahme. Urin und 
Stuhl ins Bett, Puls klein, sehr frMuent, 140 — 160. Kein Erbrechen. 

25. October. Status idem. Einige Male Erbrechen. Temp. 38,7^— 39,2®. 

26. October. Nachts einige Male Aufschreien, Nystagmus in venchie- 
denen Bewegungsrichtungen. Zwangsstellung der Augen nach oben und links 
zeitweise. Zitternde Bewegung des rechten Armes. Reflexe nicht verstärkt. 
Temp. 39,9«— 39,2«. 

Da das Fieber auf eine Eiterretention oder auf eine Meningitis zurftck- 
gefOhrt werden konnte, so wurde die Lumbalpunction vorgenommen. Sie 
ergab stark getrabte, unter hohem Druck stehende reichliche Flüssigkeit. 
Im Ausstrichpräparat finden sich zahlreiche polynucleäre Leukocyten und 
Streptokokken. Am folgenden Tage war das Allgemeinbefinden etwas besser. 
Geringe Nahrungsaufnahme. Einmal Erbrechen. Durch die nochmals vor- 
genommene Lumbalpunction wurde keine Flüssigkeit gewonnen. Temp. 
39,00—39,3®. 

30. October. Exitus letalis. 

Sectio nsbefund: Abscess im rechten Temporallappen. Meningitis 
purul. basilaris. Meningitis purül. spinalis. Blutung im Lendentheil des 
spinalen Durasackes nach Lumbalpunction. Oedem des Qehirns. Hydro- 
cephalus internus. Pyocephalus des 4. Ventrikels. 

4. Borchert, Gustav, 15 Jahre, aufgenommen 25. Januar, gestorben 
18. Februar 1900. 

Seit Kindheit Ohreiterung links, seit 4 Wochen stärker mit Schmerzen; 
vor 8 Tagen ein Schwindelanfall. 

Status: Schlecht genährter Junge. Beim Gehen mit geschlossenen 
Augen Neigung nach links zu fallen. Leichter rotatorischer Nystagmus beim 
Blick nach rechts. Innere Organe ohne Befund, Urin frei von Eiweiss und 
Zucker. Temperatur und Puls normal, Augenhintergrund normal. 

Aus einer ziemlich hoch gelegenen Atticusfistel links hängen blasse, un- 
regelmässig geformte Granulationen heraus. Darunter eine dünne, bewegliche 
Membran. Flüstersprache rechts 1,5 m, links accentuirtes Flüstern direct. Ci 
vom Scheitel wird links gehört, Rinne beiderseits negativ. Fi84 beiderseits normal. 

Nachdem am 26. Januar beiderseits Tonsillotomie gemacht worden war, 
hatte Pat. am 2. Februar Morgens Temp. 38,7^, Erbrechen; Kopfschmerzen 
hauptsächlich im Genick. Schmerz beim Bewegen des Kopfes. Geringe Druck- 
empfindlichkeit der obersten Halswirbel, Kopf zurückgebeugt. Stuhl seit 
gestern angehalten. 

3. Februar. Morgens mehrfaches Erbrechen. Puls 64, Temp. 39,2^. 
Diagnose: MeningitiB difi^usa. 

Lumbalpunction ergiebt unter starkem Druck stehende gelbliche, 
getrübte Flüssigkeit. Im Ausstrichpräparat massenhaft Leukocyten mit ge- 
lappten Kernen, keine Bakterien. Nach Centrifugirung vereinzelte Kokken, 
nie mehr als zwei bei einanderliegend.. Trotz des ungünstigen Ergebnisses 
der Lumbalpunction wurde sofort die Operation unternommen, wobei auf 
der Suche nach einem intraduralen Abscess, von dem die Liquortrübung 
hätte ausgehen können, ein Hirnabscess gefunden und entleert wurde. 

Befinden des Patienten bessert sich zusehends. 

17. Februar. Morgens einmal Erbrechen, dann anscheinend guter Schlaf. 
Temp. 39,3^. Coma. Auf Anrufen keine Reaction. Gornealreflex erhalten. 
Pupillen eng. Unruhe. Wälzt sich im Bett hin und her. Die Sensibilität 
des rechten Beines ist entschieden herabgesetzt. Starker blutig tingirter 
Uirnprolapsus. Diagnose: Meningitis. 

Lumbalpunction ergiebt unter starkem Druck stehende getrübte 
Flüssigkeit. Massenhaft Leukocyten und viel Streptokokken. Das Coma 
dauert fort. 

18. Februar. Exitus letalis. 

Sectionsbefund: Meningitis purulenta. Entleerter Abscess im linken 
Temporallappen. Durchbruch des Abscesses in das linke Vorderhorn. 

5. Kühne, Marie, 20 jähriges Dienstmädchen, aufgenommenden 13. No- 
vember, gestorben den 27. December 1899. 



Bedeutg. d. Lumbalpunct. für d. Diagnose intracran. Gomplicat. d. Otitis. 17 

Seit dem 10. Jahre nach Masern Ohreiterang beiderseits. In vergangener 
Woche Schmerzen hinter dem rechten Olire und Kopfschmerzen. Schwindel 
h&ufig, auch im Liegen, anfallsweise, nur von jedesmaliger kurzer Dauer. 
Mehrmals hatte sie Fröste mit nachfolgendem Schweissausbruche. Stuhlgang 
meistens dünn. Schlaf schlecht. Appetit schlecht. In der letzten Zeit psy- 
chische Veränderung. Pat. ist wunderlich, laut, früher stiller. 

Status: Krättiges Mädchen. Sie geht mit geöffneten und geschlossenen 
Augen gleich unsicher. Pupillen gleich weit, reagiren normal. Kein Nystag- 
mus. Papille der Sehnerven beiderseits ohne scharfe Abgrenzung. Venen 
etwas dicker, nicht geschlängelt. Patellarrefiexe beiderseits normal.- Zunge 
nicht belegt. Sensorium klar. Herz und Lungen normal. Athmung 20 per 
Minute, manchmal ungleich, aussetzend. Puls 50 — 6o, gleichmässig. Sie klagt 
über starke Schmerzen im Hinterkopfe, die nach der Stirne ausstrahlen. 

Druckempfiodlichkeit und Oedem auf dem rechten Planum mastoideum. 
Kiopfemptindlichkeit am rechten Occiput. 

Rechts an der hinteren Wand des knöchernen Gehörgangs eine halb- 
kugelige Vor Wölbung, die auf der Kuppe durchbrochen ist. Die Vorwölbung 
sitzt im lateralen Theile des knöchernen Gehörgangs. In der Spalte des Ge- 
hörgangs etwas Eiter, Trommelfell nicht zu sehen. Links grosser Defect vorn, 
der mehr wie die Hälfte des Trommelfells einnimmt. Von vorn oben zieht 
eine Eiterstrasse vom Hammerkopf herab. 

Fiüsterworte rechts direct ins Ohr unsicher, links 5 cm, Ci vom Scheitel 
wird links gehört. Fis4 rechts bei starkem Nagelanschlag, links bei starkem 
Fingerkuppenanschlag. Temperatur Abends 37,4^. Urin ohne £iweiss und 
Zucker. 

14. November Morgens Temp. 36,7 V Puls 4S— 52, Klopfempündlichkeit 
der rechten Schläfe. Dynamometer rechts 7, links 15. 

Operation. Totaiaufmeisselung rechts. Labyrintherkrankung, worauf 
Hörprüfung hinwies, festgestellt, dagegen keine Wegleitung nach dem intra- 
cranielleu Herd. Jetzt rechtsseitiger Kleinhirnabscess angenommen, wofür 
Pulsverlangsamung und Veränderungen am Augenhiotergrunde sprechen. 

Lumbalpunction ergiebt klare Flüssigkeit, unter mittelstarkem Druck 
stehend. Mikroskopisch keine Formbestandtheile. Darauf Nachlass der Kopf- 
schmerzen. Abends treten die Kopfschmerzen wieder auf. Temp. 37,9^ 

15. November. In der Nacht und heute Morgen starke Kopfschmerzen. 
Die Pat. stöhnt laut und hält den Kopf stark ins Genick gebeugt. Puls 
48 — 50 p. M. Sensorium klar. 

Lumbalpunction. Derselbe Befund wie gestern. Durch Trepanation 
Entleerung eines grossen Abscesses im Kleinhirn. 

16. November. Morgens Athem ruhig. Zwangsbewegungen der Arme. 
Pat. gibt auf Befragen nach ihrem Befinden kurze, unwillige Antworten. 
Sensorium sonst frei. Dynamometer gibt rechts kaum einen Ausschlag, links 
10. Pat. lässt einmal Urin unter sich. Abends heftige Kopfschmerzen, Stölinea 
und Schreien. 

29. November. Pat. fühlt sich in den vorhergegangenen Tagen zeitweise 
wohl. Stimmung wechselt sehr. Kopfschmerzen meist Abends. Stuhl nur 
auf Glycerinkly stiere. Pat. zeigt immer deutlicher demeatea Geisteszustand. 
Erinnerung gut, Urtheilskraft nicht getrübt, aber kindisches Wesen. Stets 
fieberfrei. In den letzten Tagen Zuaahme der Kopfschmerzen. Es ist ge- 
ringer Prolapsus cerebelli aufgetreten. Pat. schläft viel bei Tage. 

Wegen des Hirndrucks Lumbalpunction, ergiebt ca. 30 ccm klare 
Flüssigkeit. Mikroskopisch keine Leukocytenvermehrung, keine Mikro- 
organismen. 

30. November. Kopfschmerzen wenig geringer. 

1. December. Prolapsus cerebelli hat zugenommen. 

Lumbalpunction entleert ca. 20 ccm mit Blut vermengte Flüssigkeit. 
Status idem. Obstipation fortdauernd Bis zum 23. December verschlechtert 
sich das Befinden des Pat. langsam. Es treten schliesslich meuingitische 
Symptome auf. 

23. December. Temp. 3S,50— 40,1«. Pat. ist auffallend wortkarg. Beim 
Verbandwechsel reichlicher Liquorabfluss, ganz klar. Nach Gentri- 

Aichirf. Ohrenheilknnde. LIV. Bd- 2 



18 IL BRAUNSTEIN 

fugiruDg im Ausstrich pr&parat wenige polynucle&re Leukocyten und zahlreiche 
Streptokokken. Urin und Stuhl ins Bett. Häutige oscillatorische Bewegungen 
des Kopfes und der Arme. 

24. December. Temp. 39,5^—40,2^. Nystagmus rotatorius. Heute spricht 
Fat nicht mehr. Auf Nadelstiche reagirt das linke Bein schwächer und lang- 
samer als das rechte. Sensorium leicht getrübt. 

Lumbalpunction entleert reichlich mit Blut vermischte Flüssigkeit. 
Im Ausstriebpräparat finden sich nach Centrifugirung zahlreiche Leukocyten, 
auch polynucleäre, aber keine Mikroorganismen. In der nicht ceutrifugirten, 
aus der' AbscessöffnuDg fliessenden Flüssigkeit finden sich wieder zahlreiche 
Streptokokken. 

27. December. Exitus letalis. 

Sectionsbefund: Abscess im rechten Kleinhirn mit Durchbruch in 
IV. Ventrikel. Meningitis purulenta basilaris. Encephalitis. 

6. Meissner, Emma, 8 Jahre, aufgenommen 19. Januar, gestorben 
16. Februar 1900. 

Ohreiterung links seit Kindheit. Seit 8 Tagen starke Kopfschmerzen, 
Fieber, Krämpfe. Vater seit längerer Zeit schwer lungenleidend. 

Temp. Abends 38,5^. Puls 100 p. M. 

Linker Geh Organs durch Schwellung der hinteren oberen Wand verengt. 
In der Tiefe stinkender Eiter, von oben Granulation. Trommelfell fehlt darunter. 
Paukenhöhlenschleimhaut zum Theil hochroth, zum Theil schmierig belegt. 
Flüstersprache links 5 cm. Ci vom Scheitel wird links gehört, Fis« beider- 
seits normal. 

22. Januar. Senkung der hinteren Gehörgangswand zugenommen. Ope- 
ration. Totalaufmeisselung links. 

^5. Januar. Kopfschmerzen stärker, Abends auch Schmerzen im ope- 
rirten Ohr. Nachts kein Schlaf, Puls unregelmässig. Stuhl angehalten. Kein 
Fieber. 

27. Januar. Morgens starkes, mehrmaliges Erbrechen. Kopfschmerzen 
noch fortdauernd. Verdacht auf tuberculöse Meningitis. 

Lumbalpunction ergibt unter starkem Druck stehende klare Flüssig- 
keit. Mikroskopisch lassen sich auch nach Centrifugirung nur wenige Leu- 
kocyten und keine Bakterien nachweisen. Puls wechselnd, bald langsam 
(60 p. M.) und regelmässig, bald frequent und unregelmässig. 

In den folgenden Tagen Diagnose auf Abscess im linken Schläfenlappen 
gestellt. Trepanation und Entleerung des Abscesses 1. Februar. 

Kurz nach der Operation trat Fieber auf. Zustand der Pat. verschlech- 
terte sich, meningitische Symptome mehrten sich. 

7. Februar wurde deshalb die Lumbalpunction wiederholt. Dieselbe 
ergibt trüben Liquor unter schwachem Druck, massenhafte Leukocyten, keine 
Bakterien. 

9. Februar. Patientin lässt Urin unter sich gehen. Es ist geringer 
Himprolaps aufgetreten. 

Lumbalpunction ergibt wenig trübe Flüssigkeit. Darin Leukocyten 
und Kokken in geringer Zahl, in kurzen und etwas gebogenen Ketten ange- 
ordnet. Temp. 390—40,00-40,30. 

16. Februar. Exitus letalis. 

Sectionsbefund: Meningitis purulenta der Basis und der Convexität. 
Entleerter Abscess im linken Schläfenlappen. 

7. Heith, Lilli, 8 Jahre, aufgenommen 6. April, gestorben 26. April 1901. 

Vor 3 Wochen acute Otitis media beiderseits. Nach 4 Tagen cerebrale 
Erscheinungen : Linke Pupille erweitert, rechtsseitige Anästhesie, Opisthotonus, 
Sopor, Deviation conjug^e nach rechts. 

Status: Zartes anämisches Kind, liegt unruhig im Bett, wirft sich viel 
herum und schreit laut auf. Manchmal liegt Pat. kurze Zeit ruhig. Lippen 
trocken, rissig. Zunge feucht. Pupillen mittelweit, gleich, reagiren träge, 
keine Lähmung. Aug;enhintergrund : beiderseits Neuritis optica, links Schwellung 
stärker. Hautsensibilität und Reflexe normal. Rechter Arm scheint schwächer 
zu sein als der linke. 



Bedeatg. d. Lumbalpunct. für d. Diagnose intracran. Complicat. d. Otitis. 19 

Gehörgang- und Trommelfcllbefund : Rechtes Ohr trocken, linker 6e- 
hörgang weit, ziemlich viel dünner Eiter, Trommelfell blass, hinten klaffende 
Paracentesenöffnung. 

Flüstersprache nicht gehört. Stimmgabel prüf ang nicht möglich. Kein 
Fieber, Puls ca. 80, unregeJmässig, aussetzend, kräftig. 

7. April. Während der Nacht ist eine rechtsseitige Facialislähmung 
eingetreten. Temp. 36,5^—39,0^, Puls 8S-96. Wahrscheinlichkeitsdiagnose: 
Abscess im linken Schläfenlappen. 

Lnmbalpunction ergibt krystallklaren Liquor unter hohem Druck, 
Mikroskopisch keine Vermehrung der Leukocyten, keine Bakterien. 

Aufmeisselung des linken Warzenfortsatzes. Eiter im Knochen. Keine 
Wegleitung nach der Schädelhöhle. Trepanation auf den Schädellappen. 
Entleerung eines Abscesses. Facialislähmung unmittelbar nach der Operation 
etwas zurückgegangen. 

8. April. Unruhige Nacht. Puls noch unregelmässig 120—136. Temp. 
37,5^ — 38,4^ Facialislähmung wieder deutlicher. Nahrungsaufnahme ge- 
nügend. 

9. April. Kind hat in der Nacht gut geschlafen, nur wenig über Schmerzen 
geklagt, trinkt viel Milch und Wein, scheint besser zu hören. Sprache deut- 
licher. Verbandwechsel; aus der Abscesshöhle kein Eiter. Kein Prolaps. 
Temp. 38,3<>- 37,30. Puls 128. 

10. April. Pat. sieht sehr frisch aus. Keine Klage. Nahrungsaufnahme 
gut. Puls regelmässig, kräftig, 100—120. Temp. 37,2— 38,5^. 

1 1 . April. Verbandwechsel : kein Eiter aus der Abscesshöhle, massiger 
Prolaps. Temp. 37,2— 38,2°. Puls 100—108. 

12. April. In der Nacht wenig geschlafen. Sehr oft aufgeschrieen und 
am Verband gerissen. Verbandwechsel : kein Eiter aus dem Abscess. Prolaps 
ist grösser geworden. Morph. 0,002. Temp. 37,3— 38,0<>. Puls 90—120. 

14. April. Prolaps sehr gross. Keine Eiterung aus dem Abscess. Temp. 
37,4— 38,4^ Puls 120. Pat. iässt Urin unter sich gehen. Appetit aus- 
gezeichnet. 

17. April. Wenig Appetit. Pat. spricht nicht und reagirt schlecht. 
Sopor. Temp. 37,3-37,9<>. Puls 72-100. 

18. April. Verband durchnässt. Aus der Abscesshöhle dünne, seröse 
Flüssigkeit (Liquor?). Der soporöse Zustand ist vorüber. Rechter Arm ge- 
lähmt Facialislähmung noch vorhanden. Bechtes Bein paretiscb. Lässt 
Urin unter sich gehen. Linke Pupille weiter als rechte. Temp. 37,2— 37,8^ 
Puls 96-124. 

19. April. Prolaps grösser, sonst Status idem. Appetit etwas geringer. 
Temp. 37,5-40,5®. Puls 108-140. 

20. April. Puls weniger kräftig. Sopor. Temp. 37,8- 40,2«. 

22. April. Puls sehr trequent. Sopor. Verband stark durchnässt. Lässt 
Koth und Urin unter sich. Prolaps an Oberfläche sehr matschig. Aus Abscess- 
höhle kein Eiter, kein Liquor. Temp. 37,7— 41, 2». Puls 140. 

23. April. Pat. ist wieder ganz klar, frischer Gesichtsausdruck. Keine 
Klage. Verlangt zu trinken. Sprache sehr undeutlich. Pupillen gleich, 
reagiren träge. Trinkt viel Milch und Wein. Temp. 37,7—41,0°. 

24. April. Heute Morgen wieder stärkerer Sopor. Wahrscheinlichkeits- 
diagnose: Meningitis purul. diffusa. 

Lumbal punction: Liquor milchig getrübt, gelblich verfärbt, enthält 
viel Leukocyten, sowie reichlich Bakterien: Diplokokken in Kapseln und ohne 
solche, auch reiheniörmig angeordnete. Nach der Punction keine Veränderung. 
Puls ca. 160. Temp. 39,9-40,9°. 

25. ApriL Prolaps nekrotisch und erweicht. Coma. Abends faden- 
förmiger Puls. 11 Uhr Abends Tracheairasseln. Temp. 40,2-40,9°. 

26. April. Morgens 3 Uhr Exitus letalis. 
Section nicht gestattet. 

8. Schulze, Wilhelm, 15 Jahre, aufgenommen 19. April, gestorben 
24. April 1901. 

Angeblich früher nie ohrenkrank gewesen, hat aber immer rechts schlecht 
gehört. Vor 4 Wochen Schmerzen im rechten Ohr. Nach einiger Zeit Nach- 

2* 



20 IL BRAUNSTEIN 

lass der Schmerzen, aber Auftreten sehr heftiger Kopfschmerzen. Schwindel 
schon seit längerer Zeit, Frost und Hitze seit einer Woche. Seit 8 Tagen 
Appetitlosigkeit und schlechter Schlaf. 

Status: Innere Organe gesund. Pupillen gleich, reagiren. Nystagmus 
horizontalis. Papillen beiderseits deutlich hyperämisch, rechts stärker als 
links. Rechts Neuritis optica. Objectiv Schwindel. Pat. stottert. Knie- 
reflexe gesteigert. Hautsensibilität nicht herabgesetzt. Motorische Kraft ent- 
sprechend, beiderseits gleich. Obstipation. In Umgebung des Ohres keine 
Infiltration, kein Oedem. Spitze des Warzenfortsatzes auf Druck schmerzhaft, 
ebenso die rechte Halsseite längs des Sternocleidomastoideus. Daselbst einige 
geschwollene Lymphdrüsen. Gehörgang- und Trommelfellbefund: Rechts 
obturirender Polyp, stinkende Eiterung. Links ohne Befund. Flüstersprache: 
Links 5 m. Stimmgabeln Ci vom Scheitel nach rechts lateralisirt, Ci und Fis4 
rechts stark herabgesetzt. 

19. April. Entfernung des Polypen. In der Tiefe grosser Krater und 
Cholesteatommassen. Temp 38,0^ Puls 92. 

20. April. Schüttelfrost von 10 Minuten Dauer. Temp. 37,8—40,30. 
Puls 72. 

21. April. Sehr starke Kopfschmerzen, Opisthotonus, Erbrechen. Herpes 
labialis. Temp. 38,3 -39,3^ Puls ca. 70. 

22. April. Status idem. Hyperästhesie der Haut am Kopfe, Hypästhesie 
der unteren Extremitäten; keine Lähmung. Temp. 38,1—39,5®. Puls 80. 
Diagnose: Schläfenlappenabscess oder Meningitis. 

Lumbalpunction: Getrübter Liquor, vermehrte Leukocyten, Eiter- 
körperchen, keine Bakterien. Diagnose: Meningitis Pat. klagt über un- 
erträgliche Kopfschmerzen, steht Abends aus dem Bett auf und läuft im 
Hemd durch das Haus. 

23. April. Status idem. 

24. April. Exitus letalis. 

Sectionsbefund: Otitis media. Hirnabscess, Ependymitls purul. dextr. 
Hirnödem, Hyperämie der Hirnhäute. 

9. Pul SS, Elisabeth, 12 Jahre alt, aufgenommen am 19. Juli, gestorben 
2. August 1900. 

Früher angeblich nie ohrenleidend. Vor 1 4 Tagen nach Kopfschmerzen 
Uebelsein, Erbrechen, Schmerzen in und hinter dem rechten Ohr. Darauf 
Eiterung, Schmerznachlass. Nachts Schmerzen heftiger. Seit einigen Tagen 
Schwindel, Ohrensausen rechts. Kopfschmerz soll schon seit Frühjahr bestehn. 

Kräftiges Mädchen, Pupillen reagiren, kein Nystagmus. Facialislähmung 
rechts. Papilla nervi opt. rechts verwaschen. Gefässe stark geschlängelt. 
Pat. ist sehr zerstreut, beantwortet Fragen einfacher Art erst nach langem 
Ueberlegen sehr zögernd. Spitze der Proc. mast. druckempfindlich. 

Rechter Gehörgang vollständig stenosirt, vom Trommelfell nichts zu 
sehen. Rechts laute Sprache kaum y^ Mtr. Ci lateralisirt nach rechts unbe- 
stimmt. Ci Fis^ rechts stark herabgesetzt, unbestimmt. Temp. 38,1®, Puls 144. 

20. Juli. Totalaufmeisselung. Temp. 38,9®, Puls 144. 

21. Juli. Pat. klagt über Kopfschmerzen in der Stirn. Augenhinter- 
gruad wie am 19. Abends linke Pupille weiter als rechte. Temp. 37,3®, 
Puls 116. Abnormes Verhältnlss zwischen Temperatur und Puls. Obstipation. 
Leibschmerzen. 

Obschon die Symptome der intracraniellen Complication sehr für einen 
Hirnabscess sprachen, so wurde doch die Lumbalpunktion zur Sicherung 
der Diagnose vorgenommen. Dieselbe ergiebt krystallklaren Liquor unter ge- 
steigertem Druck ohne Leukocyten. In der centrifugirten Flüssigkeit ver- 
einzelte Leukocyten. 

Operation. Entfernung eines Theils des vereiterten Labyrinths. 

25. Juli. Temp. 35,9®, Puls 52 — 60, sehr klein, aussetzend, Resp. 20, 
regelmässig. 

Andauernde Klage über Kopfschmerzen in der Stirn. Pat. hat mehr- 
mals erbrochen. 

Lumbalpunction ergiebt krystallklare Flüssigkeit. Trepanation auf 
das Kleinhirn. Entleerung eines wallnussgrossen Abscesses. 



Bedeutg. d. Lumbalpunct. für d. Diagnose intracran. Complicat. d. Otitis. 21 

Da auch nach dieser Operation der Zustand des Fat. sich nicht besserte, 
sondern Fat. über Schwindel und Kopfschmerzen weiter klagt — inzwischen 
war ein Hirnprolaps und Abducenslähmung eingetreten — so wurde am 28. Juli 
die dritte Lumbalpunction versucht. Dieselbe ergab jedoch keinen 
Liquor. 

Sectionsbefund: Abscess des Kleinhirns mit Durchbruch in den IV. 
Ventrikel. Gehirnprolaps. Meningitis purulenta basil. Ependymitis granu- 
losa. Leptomeningitis spinal. Oedem der weissen Substanz. 

Ventrikel waren stark erweitert und mit einer leicht getrübten serösen 
Flüssigkeit gefüllt. 

Im Spinalcanal sulziges Gewebe. Durascheide stark injicirt, Fla stark 
verdickt und getrübt. Gefässe am unteren Ende des Brustmarkes stark injicirt. 
Weisse Substanz des Rückenmarks ödematös. 

10. Müller, Faul, 30 Jahr alt, aufgenommen am 29. November^ ge- 
storben 7. December 1897. 

Ohreiterung links seit dem 11. Lebensjahre; erst seit 8 Tagen stechende 
Schmerzen im Ohr, die nach der Schläfe ausstrahlen. Seit 4—5 Tagen 
Appetitlosigkeit, Mattigkeit, Verdriesslicbkeit, zeitweilig Kopfschmerzen, seit 
dem 27. Novbr. Hitzegefühl, wenig Schlaf. Am 28. fällt Fat. auf, dass er 
bekannte Dinge nicht benennen kann, vergesslich ist. Stuhl angehalten, 
Kopfschmerzen werden heftiger. 

Kräftiger Mann, Gesichtsfarbe fahl, Zunge stark belegt. Foetor ex ore. 
Innere Organe ohne Befund. Objectiv kein Schwindel. Fupillen gleich weit, 
reagiren. Augenhintergrund: leichte Röthung der Fapille rechts, starke 
Venenfüllung beiderseits. 

Linker Gehörgang im Beginn des knöchernen Theils durch blaurothe 
Geschwulst obturirt. Aus der Tiefe stark fötider Eiter. Temp. 37,S°,*Fuls 
80, regelmässig. Diagnose: Ferisinuöser Abscess evtl. Hirnabscess, amnes- 
tische ^.nhäsiß 

30. November. Ruhige Nacht, aber ohne Schlaf. Temp. 37,6« (80) 
38,7» (84). 

Da Operation beschlossen war, aber eine Meningitis purul. diffusa nicht 
mit Sicherheit ausgeschlossen werden konnte, so wurde Lumbalpunction 
versucht, aber kein Liquor entleert. Durch eine spätere Operation wurde ein 
Abscess im linken Schläfenlappen entleert. 

Sectionsbefund: Hirnabscess im linken Schläfenlappen, Meningitis 
purul. diffusa. 

d) Vermeintliche epidemische Cerebrospinalmeningitis. 

Ruft, Kurt, 5 Jahre alt. Aufgenommen am 12. December 1896, auf 
Wunsch der Eltern ungeheilt entlassen am 16. December 1896, später geheilt. 

Am 28. November mit Erbrechen und Fieber erkrankt. 

Am 9. fand die Mutter, dass der Junge taub war. Starker Schwindel. 
Vom 30. November bis 4. December Bewusstlosigktit, Krämpfe, Opisthotonus, 
Schielen, Zähneknirschen, Appetitlosigkeit. 

Seit 7. December wieder Appetit. Seit 9. December Klagen über das 
linke Ohr. 

Status: Bronchitis, Herpes labialis. An Trommelfellen nichts Beson- 
deres. Hörvermögen völlig aufgehoben. Temperatur 38,8 ^ Fuls unregel- 
mässig. 

Keine Faresen, keine Anästhesien an den Extremitäten. Verschiedent- 
lich Zucken im Gesicht. Rechts Abducenslähmung, Nystagmus. Zwangsstel- 
Inng der Augen nach oben. Augenhintergrund: Venen etwas verbreitert. 
Nachts unruhiger Schlaf. Fatient lässt unter sich gehen. Starker Durst. 

Wahrscheinlichkeitsdiagnose: Meningitis tuberculosa. Zur Sicherheit: 
Lumbalpunction: Dieselbe ergab ca. 50 ccm leicht getrübter Flüssigkeit, 
aus der sich beim Stehenlassen ein flockiger, schleimiger Niederschlag aus- 
scheidet. Enthält reichlich Leukocyten und Diplokokken. 



22 II. BRAUNSTEIN 

e) Meningitis serosa. 

I. Z eidler, Kart, 2 Jahre alt, aufgenommen am 10. November, gestor- 
ben am 11. November 1896. 

Vor 14 Ta^en angeblich Scharlach gehabt, darauf linksseitige Ohreite- 
rung. Beschleunigte Athmung. Qeringe Schwellung hinter dem Ohre. Tem- 
peratur 40,0^ 

Da hochgradige Athemnoth mit Bassein im Kehlkopf und der Trachea 
auftrat, wurde das Kind der Medicinischen Klinik überwiesen. Injection von 
Diphtherieserum. Stenosenerscheinungen gingen zurück. Allgemeinbefinden 
besserte sich. Temp. 38,5— 39,6^ 

10. November. Allgemeinzustand schlechter. Kind bohrt Kopf in die 
Kissen und wimmert. Rückverlegung in die Ohrenklinik, wo die sofort ge- 
machte Lumbalpunction ca, 40 ccm nicht ganz krystallklare Flüssigkeit, 
zuerst continuirlich, jedoch nicht im Strahl, dann tropfenweise abfliessend, 
ergab. Leider konnte die mikroskopische Untersuchung nicht vorgenommen 
werden, da der Liquor versehentlich weggegossen wurde. 

Zustand des Kindes wurde immer schlechter, Athmung frequenter, Puls 
unzählbar. 

Status am Abend: Rechte Körperhälfte paretisch und völlig anäs- 
thetisch. Linke stark anästhetisch. Keine Nackenstarre, Kopf leicht nach 
rechts geneigt. Rechter Arm nach innen rotirt. Tremor im linken Arm, 
Pupillen eng, reagiren träge. Deviation coDJug^e nach links. 

II. November. Resp. 100. Deviation conjug^e nach rechts. Kind voll- 
kommen soporös, lässt dünnen Stuhl unter sich. Diagnose: Meningitis. 

Lumbalpunction ergab ca. 20 ccm nicht ganz krystallklaren Liquor. 
Zustand des Patienten änderte sich nicht. 

«In der zweiten Lumbalflüssigkcit wurden neben vermehrtem Leuko- 
cytengehalt nicht wenige Stäbchen gesehen, welche besonders nach ihrer An- 
ordnung Aehnlichkeit mit Diphtheriebaciilen hatten. Zwei Meerschweinchen 
erhielten je V^ ccm der Flüssigkeit subcutan am Bauch, reagirtcn aber darauf 
ebenso wenig wie eine weisse Maus. Je zwei Bouillon- und Blutserumcul- 
turen blieben steril. 

Sectionsbefund: Pia über Occipital- und Temporallappen stark 
ödematös. Milz um das Doppelte vergrössert. Parenchymatöse Nephritis. 
Subperiostaler Abscess hinter dem linken Ohr. Im rechten Warzenfortsatz 
selbst nur einige Tropfen Fiter. 

f) Sinusthrombose, 

1. Schneider, Albert, 1 Jahre, aufgenommen 1 3. November, gestorben 
22. November 1896. 

Seit mehreren Tagen Kopfschmerzen und Schwindel; vor 4 Tagen an- 
geblich Schüttelfrost, Fieber und Erbrechen. Seit gestern Kopfschmerzen 
fast ganz verschwunden. 

Status: Chronische Eiterung beiderseits. Herz und Lungen o. B. 
Zunge etwas belegt, feucht. Urin ohne Eiweiss und Zucker. Unter Spitze 
des rechten Warzenfortsatzes Schwellung ohne Röthung und Infiltration. 
Von der Spitze abwärts am vorderen Rande des Sternocleidomastoideus Druck- 
empfindlichkeit. Rechts grosser Trommelfelldefect unten; oben Rest mit 
Hammergriff und Epidermismassen. Paukenschleimhaut granulirend. Links 
ä,hnlicher Befund. Abends Temp. 39,8°, Puls 128. Rechts Neuritis optica, 
links beginnende Neuritis. Am Tage der Aufnahme 4 dünne Stühle, darauf 
Obstipation. 

Wahrscheinlichkeitsdiagnose: Sinusthrombose. Da einige Symptome 
auf Meningitis wiesen, so wurde Lumbalpunction gemacht. Sie ergab 
ca. 70 ccm in starkem anhaltenden Strahl abfiiessende krystallklare Flüssig- 
keit. Mikroskopisch wurde das Fehlen aller Mikroorganismen und Blut- 
körperchen festgestellt. Das Befinden des Patienten wurde durch die Punction 
in keiner Weise verändert. Die Operation bestätigte die Diagnose Sinus- 
<thrombose. 

In den nächsten Tagen beiderseitige Pleuritis, der Patient erlag. 



Bedeutg. d. LumbalpuDCt. für d. Diagnose intracran. Complicat. d. Otitis. 23 

Sectionsbefund: Thrombus des Sinus transversus dextr., des Bulbus 
-venae jugul. nach Cholesteatom. Thrombose hatte sich unter Freilassung 
zwischenliegender Jugularispartien bis in den Anfangstheil der • Subclavia 
hinein fortgesetzt. Abscessbildung und Gangrän der Lunge. Pleuritis acuta 
seropurulenta duplex. Gompressionsatelectase beider Lungen unterlappen. 
Geringer Milztumor. Allgemeine Anämie. Oedem des Gehirns. 

2. Dürnberg, Wilhelm, 53 Jahre alt, aufgenommen 16. December 1897, 
gestorben 18. Januar tb98. 

Ohreiterung rechts seit 10 Jahren. Am 17. November stärkere Schmerzen, 
Schwindel, Erbrechen. Pat. konnte Nachts vor Schmerzen nicht schlafen. 
Am 15. December Abends plötzlich starker Schwindel, Uebelkeit, Erbrechen, 
^ Hitze im Kopfe ''. Am 16. December mehrmals Erbrechen. Obstipation seit 
15. December. 

Status: Sensorlum frei ; geht mit gespreizten Beinen, unsicher, schwan- 
kend. Beim Stehen und Drehen mit geschlossenen Augen starkes Schwanken 
mit Neigung nach links zu fallen. Keine Augenmuskelstörungen. Pupillen 
ziemlich eng, reagiren gut. Augenhintergrund normal. Patellarreflex rechts 
stärker als links, nicht gesteigert. Urin ohne Zucker und Eiweiss. 

Umgebung des Ohres ohne Befund. In Tiefe des rechten Gehörgangs 
eine runde, rothe Granulationsgeschwulst von weicher Gonsistenz ; obere Ge- 
hörgangswand gesenkt, Cholesteatommassen in der Tiefe. 

Hechts nur laute Fldsterworte direct am Ohr, links leise Flüsterworte 
2 — 3 m. Ci vom Scheitel unbestimmt, Rinne rechts negativ; Fi8 4 rechts bei 
starkem Fingerkuppenanschlag, links normal gehört. Temp. 36,8^' Puls 76, 
kräftig, zeitweise aussetzend. 

17. December. Tagsüber leidliches Wohlbefinden. 

Nachmittags von 4 Uhr ab Frösteln, Schmerzen in Stirn und Hinter- 
kopf. Temp. 38,2^ Puls 80. Nachts dieselben Klagen. Keine Druckempfind- 
lichkeit in der Umgebung des Ohres. 

18. December. Temp. 37,5^ 38,9®, 39,8». Puls 94. Puls häufiger aus- 
setzend, starke Kopfschmerzen, aufgeregter Zustand. 

Da das klinische Bild eine beginnende Meningitis purul. diffusa nicht 
ausschloss, so wurde der beschlossenen Operation die Lumbalpunction 
vorausgeschickt. Sie ergab völlig klaren Liquor cerebrosp. ohne Vermehrung 
der Leukocyten und ohne Mikroorganismen. 

Totalaufmeisselung rechts. Hierauf Befinden des Pat. besser. 

24. December. Ab und zu Kopf- und Nackenschmerzen. Puls zeitweise 
unregelmässig. Kreuzschmerzen an der Lumbalpunctionsstelle. 

Da die Besserung im Befinden des Pat. keine gleichmässig andauernde 
war, so wurde am 11. Januar 1898 die Fossa sigmoidea eröffnet, ohne Eiter 
zu finden. Besserung trat nicht ein. 

18. Januar. Exitus letalis. 

Sectionsbefund: Thrombosis sin. transversi detr. Emphysema pulm. 
Bronchitis, Myositis metastatica. Trübe Schwellung der inneren Organe. 

3. Steinkopf, Reinhold, 47 Jahre, aufgenommen am 6. Februar 1898. 
Geheilt. 

Pat. erkrankte im December 1897 an acuter rechtsseitiger Mittelohr- 
eiterung; ambulatorisch behandelt. Galvanokaustische Paracentese. Am 
I.Februar 1898 hörte Ohreiterung auf; am 3. heftigste Schmerzen im rechten 
Ohr und in der rechten Kopfhälfte, Schwindel und Appetitlosigkeit, will 
Schüttelfröste gehabt haben. Seit einigen Nächten Schlaflosigkeit. 

Status praesens: Leidlich genährter Mann, geht wegen Kopfschmerzes 
langsam und vorsichtig, doch ohne Schwindelgefühl und objective Gleich- 
gewichtsstörungen. Pupillen gleich weit, reagiren prompt. Augen bintergr und 
normal. Urin ohne Eiweiss und Zucker. 

Rechter Warzenfortsatz ist bei leisester Berührung schmerzhaft, ebenso 
seine Umgebung. 

Starke Secretion aus dem ekzematösen, in seinem knöchernen Theile 
durch Schwellung der hinteren Wand stenosirten Gehörgange. 

Hörprüfung: Ci vom Scheitel unbestimmt, meist beiderseits gleich. 

Temp. 39,4» (Puls 80), 39,3°, 39,0° (82j. 



24 IL BRAUNSTEIN 

7. Februar. Früh Erbrechen nach dem Kaffee, Mittags spontan. Er- 
heblicher Wechsel der Pulafreqnenz, früh 8 Uhr 90, 10 Uhr 78. Beim Ver- 
suche aufzustehen Schwindel bis zum Umfallen. Starker Durst, Zunge ganz 
trocken. Ezcessive Empfindlichkeit der ganzen Haut hinter, über, unter und 
vor dem rechten Ohr. Infiltration der Weichtheile über dem Warzenfortsatz. 
0,01 Morph, subc. hat ihm Nachts für 6 Stunden Schlaf gebracht Temp. 
39,70, 40,6«, 39,4«, 39,9^ 

Da Verdacht auf eine schon bestehende diffuse Leptomeningitis yor- 
handen war, so wurde Mittags Yor der beabsichtigten Operation die Lumbal - 
nunction gemacht. Dieselbe ergab klare, unter nicht wesentlich erhöhtem 
Druck stehende Flüssigkeit. Mikroskopisch wenige, der geringen Blutbei- 
mengung entsprechende Leukocyten. 

Es wurde ein extrasinuöser Abscess eröffnet und später der Sinus sigmoid. 
wegen Thrombus eröffnet. Fat. wurde am 6. April zur ambulatorischen Be- 
handlung entlassen. Später geheilt. 

4. Hiller, Hans, 8 Jahre, aufgenommen 8. April 1898. Geheilt. 

Seit Kindheit Ohreiterung nach Scharlach. Seit 8 Tagen bettlägerig. 
Hohes Fieber, wiederholt Erbrechen, mehrere Schüttelfröste mit folgendem 
Schweissausbruch. In letzter Nacht ein Schüttelfrost von 10 Minuten Dauer. 

Status: Schwächlicher Knabe. Pupillen reagiren träge auf Lichtein- 
fall, linke enger als rechte. Augenhintergrund normal. Taumelnder Gang. 
Urin ohne Eiweiss und Zucker. Obstipation. 

Links Infiltration unter der Mastoidspitze. Druckempfindlichkeit weit 
nach dem Occiput zu. Linker Gehörgang normal, hintere Trommelfellhälfte 
fehlt. In der Paukenhöhle Epidermis und Eiter sichtbar. Rechts Trübung 
und Einziehung. 

Leise Flüstersprache links. direct, rechts 3 m. Ci vom Scheitel unbe- 
stimmt, FiS4 links herabgesetzt. Temp. 37,0®, 38,0«, 39,&S 38,2^. 

Um festzustellen, ob die beabsichtigte Operation Aussicht auf Erfolg 
haben könnte, wurde die Lumbalpunction gemacht, weil neben Sinus- 
erkrankung, extrasinuösem Abscess oder Sinusthrombose wegen der Pupillen - 
differenz des Pat. auch an das Vorhandensein einer diffusen Leptomeningitis 
gedacht wurde. 

Die Lumbalpunction ergab völlig klaren, unter hohem Druck 
stehenden Liquor. Mikroskopisch keine vermehrten Leukocyten, keine Mikro- 
organismen. 

Die Operation ergab das Vorhandensein eines ausgedehnten Ohrcholes- 
teatoms, eines grossen, jauchigen, extrasinuösen Abscesses mit Nekrose der 
äusseren Sinuswand und Thrombose des Sinus. 

5. Bo ck, Karl, 14 Jahre, aufgenommen 5. Juli, gestorben 11. Juli 1898. 
Seit dem 6. Jahre Scharlachotitis. Seit 3. Juli Ausfluss stärker, wässerig, 

übelriechend; Schmerzen hinter dem Ohr, die ins Genick und rechte Schläfe 
ausstrahlen. Kopfschmerz, Appetit schlecht. 5. Juli beim Aufstehen Schwindel, 
einmal Erbrechen. Will Fieber und Frost gehabt haben. Stuhlgang immer 
normal. 

Status: Schlecht genährter Knabe. Kopf nach rechts gebeugt. Be- 
wegung des Kopfes um die sagittale Achse bebindert und schmerzhaft, um 
die verticale und transversale frei. Druckemptindlichkeit nur am Epistro- 
pheus. Foetor ex ore. Zunge belegt. Sensorium frei. Pupillen gleich weit, 
reagiren gut. Patellarreflexe normal. Papilla nervi optici besonders an der 
nasalen Seite etwas verwaschen, im übrigen nicht hyperämisch. Innere Organe 
ohne Befund. Urin ohne Zucker und Eiweiss. 

Spitze und hinterer Theil des Proc. mastoid. stark druckempfindlich, 
ebenso Jugularisgegend. 

Rechter Gehörgang nicht verengt. Vom Trommelfell nur oberer und 
unterer Saum erhalten. Unter oberem Saum eine Granulation. Links normal. 

Temp. Abends 37,1^, Puls 100 regelmässig und kräftig. Um 10 Uhr 
Nachts 41,2 unter leichtem Frösteln. Puls 134, sehr gespannt, ungleiche 
Elevation. In der Nacht Kopfschmerzen und Schmerzen im Genick. 

6. Juli. Temp. Morgens 36,9^, 10 Uhr 40,5°. Befinden wie gestern. 



Bedeutg. d. Lumbalpunct. für d. Diagnose intracraD. Complicat. d. Otitis. 25 

WahrscheiDlichkeitsdiagDose : Sinasthrombose. 

Da einige Symptome für Meningitis sprecheD, so wirdLumbalpunction 
vorgenommen. Dieselbe ergibt völlig klaren Liquor. Mikroskopisch keine ver- 
mehrten Leukocyten, keine Mikroorganismen. 

Fat. erlag ausgedehnten metastatischen Lungenerkrankungen. 

Sectionsbefund: Eitrig jauchige Thrombose des rechten Sinus trans- 
versus, sigmoid. und petros. inf. des Sinus rect., der Vena jugul. int. dext. 
in ihrem oberen Theile. Ligatur der Vena jugul. int. dext. Metastatische 
Lungenabscesse. Pleuritis librosa, fibrinosa und sero-purul. sinistr. Pleuritis 
sero-purulenta dext. Hyperämie der Lunge, Atelektase des rechten Unter- 
lappens in seinem unteren Theil. Bronchitis catarrhalis. Milztumor, Nephritis 
parencbymatosa. Enteritis follicularis. 

6. Günther, Agnes, 14 Jahre, aufgenommen 30. Juli, gestorben 2. Au- 
gust 1898. 

Ohreiterung rechts seit Kindheit. Vor 14 Tagen Schmerzen am rechten 
Ohr, Kopfschmerzen und mehrtägiges Erbrechen. Vor 8 Tagen Schüttelfrost. 
Ausfluss aus dem Ohr geringfügig. Seit 8 Tagen hält Pat. Kopf schief und 
klagt über Schmerzen im Genick. Appetit gering, viel Durst. Ohrensausen» 
unruhiger Schlaf. 

Status: Schlecht genährtes Mädchen, schwerkrankes Aussehen. Passive 
Bewegungen des Kopfes erregen laute Scbmerzensäusserungeu. Es besteht 
eine allgemeine Hyperästhesie der Kopfgegend, des Halses und des Nackens. 
Papillen beiderseits völlig scharf. Pupillen gleich, reagiren normal. Keine 
Paresen. Herz ohne Befund. Lungen-Perkussion ergibt negativen Befund, 
Athmungsgeräusch rechts schwächer als links. 

Urin eiweiss- und zuckerfrei. 

Hinter dem Ohr Blutegelstiche. Geringes Oedem der rechten Hinter- 
hauptgegend. Starke Druckempfindlichkeit des Plan, mastoid. und besonders 
an^er Spitze. 

Rechter Gehörgang nicht stenosirt. Beim Ausspritzen des in der Tiefe 
befindlichen Eiters kommen vielgeschichtete Epidermismassen zum Vorschein. 
Nur oberer Saum vom Trommelfell erhalten. Die freiliegende Paukenhöhlen- 
innenwand epidermisirt. Links Narbe vorn unten im Trommelfell. 

Temp. 37,5«, Puls 100 regelmässig. Resp. 50. 

Wahrscheinlichkeits- Diagnose : Sinusthrombose. 

4 Uhr Nachmittags: Lumbalpunction ergibt unter starkem Drucke, 
in weitem Strahl abÜiessende, wasserklare Flüssigkeit, die mikroskopisch 
keine Formelemente enthält. Färbung ebenfalls negativ. Nach der Lum- 
balpunction wird der Puls frequenter, kleiner und etwas unregelmässig. Bald 
darauf ausgesprochener Schüttelfrost mit Ansteigen der Temperatur auf 40,0"; 
Dauer desselben etwa 10 Minuten. Danach leichter Schweissausbruch. Puls 
wird wieder voller und regelmässiger, 128 p. M. 

In der Nacht vom 30.— 31. Juli wieder Schüttelfrost mit folgender 
Temperatursteigerung auf 40,8". 

Die Operation bestätigte die Diagnose. 

Sectionsbefund: Lungenödem. Difi^use katarrhalische Pneumonie 
beiderseits. Lungenabscesse. Serös - eitrige Pleuritis. Bronchitis catarrhalis. 
Splenitis acuta und Pemplenitis. Nephritis parencbymatosa. Jauchig- eitrige 
Thrombose des rechten Sinus transvers. Jauchige Infiltration der Wandung 
des rechten Sinus sigm. und des Bulbus venae jugul. 

7. Olberg, Herm., 19 Jahre alt, aufgenommen 8. September 1898. 
Seit 14 Tagen an acuter Mittelohreiterung rechts erkrankt. In den 

ersten 8 Tagen mehrmals Erbrechen mit Schwindel und Uebelkeit, konnte 
vor heftigen Schmerzen Nachts nicht schlafen. In den letzten 8 Tagen öfter 
Schüttelfröste. Appetit schlecht. Stuhlgang normal. 

Status: Kräftiger Mann von schwerkrankem Aussehen. Geht mühsam, 
unsicher. Beim Aufrichten im Bette wird ihm auf einige Secunden schwarz 
vor den Augen. Bewegungen des Kopfes frei. Zunge stark belegt. Foetor 
ex ore. Klage über Kopfschmerzen, Schmerzen im Genick und rechten Ohr. 
Linke Pupille grösser als rechte. Reaction der Pupillen* gut. Beiderseits 
ausgesprochene Stauungspapille, rechts stärker als links. Sensorium frei. 



26 II. BRAUNSTEIN 

In Umgebung des rechten Ohres kein Oedem, circumscripte Klopfempfind- 
lichkeit etwa in der Gegend des Sinusknies. 

Rechts sackartige Vorwölbung des hinteren oberen Trommelfellquadran- 
ten. Auf Paracentese reichliche Eiterentleerung 

Temp. 38,2 steigt auf 40,t<>. Puls 60—90 nicht ganz regelmässig. 
9 Uhr Abends Schattelf rost, 10 Minuten lang, ebenso 10 Uhr. 

9. September Temp. 37,3» (Puls 96) 39,0°. 

Wahrscheinlichkeitsdiagnose : Sinasthrombose. 

Lumbalpunction ergiebt unter starkem Druck stehende, wasser- 
klare Flüssigkeit. Mikroskopisch keine Leukocytenvermehrung, keine Mikro- 
organismen. 

Operation bestätigte Diagnose. 

Pat. wird geheilt entlassen. 

g) Perisinuöser Abscess, 

1. Müller, Willy, 6 Jahre alt, aufgenommen 26. December 1 896. Geheilt. 
Schlecht genährter Knabe, benommen. Temp. 38,2^, Puls 120. Innere 

Organe ohne Befund. Halswirbelsäule druckempfindlich. Schmerzen im 
rechten Ohr und in der rechten Kopfhälfte. Bewegungen des Kopfes schmerz- 
haft. Hinter der rechten abstehenden Ohrmuschel fiuctuirende Anschwellung, 
Umgebung infiltrirt. Infiltration bis in die Nähe der Halswirbel. Zunge 
stark belegt. Foeter ex ore. Keine Paresen, keine Anästhesien. Unsicherheit 
beim Gehen, Taumeln nach links. Starke Verstopfung. Hintere Trommelfell- 
partie rechts geröthet. Ueber Proc. brev. ein Krater mit Granulationen. 
Als trotz Eisbehandlung das Allgemeinbefinden sich nicht besserte, Temp. am 
27. December Abends 39,3» war, wurde für den folgenden Tag Operation be- 
schlossen. 

Diagnose schwankte zwischen Cholesteatom mit Meningitis incipiens oder 
mit perisinuösem Abscess. Die in Narkose vorgenommene Lumbalpunction 
ergab .- 50 ccm krystallklare Flüssigkeit, Anfangs in starkem Strahl abfliessend. 
Die mikroskopische Untersuchung stellte das Fehlen jeglicher Formbestandtheile 
fest. Auch Agar- und Bouillonsculturen blieben steril. Eiweissgehalt V^^oo- 
Die Operation bestätigte die durch die Lumbalpunction erhärtete Dia- 
gnose: Cholesteatom mit perisinuösem Abscess. 

Pat. wurde geheilt entlassen. 

2. Krüger, Richard, S Jahre alt, aufgenommen 8. September, gestor- 
ben 24. September 1900. 

Rechtsseitige Ohreiterung seit Kindheit. Niemals Beschwerden. Seit 
3 Tagen plötzlich heftige Schmerzen im rechten Ohr, Kopfschmerzen im 

fanzen Kopf, Appetitlosigkeit, schlaflose Nächte, hohes Fieber, Frost. Kein 
erbrechen, kein Schwindel. 

Schwächlicher Knabe. Temp. 38,6, Puls 136 regelmässig. Innere Organe 
0. B. Zunge belegt. Objectiv kein Schwindel. Pupillen gleich weit, reagiren; 
keine Lähmung, kein Nystagmus. Papillengrenze links scharf, rechts ver- 
waschen, Papille und der ganze Augenhintergrund rechts sehr hyperämisch. 
Urin ohne Eiweiss und Zucker. Reflexe normal. 

Druckemptindlichkeit des Warzenfortsatzes, geringes Oedem über dem- 
selben, keine Infiltration. Druckempfindlichkeit längs der Jugularis. 

Trommelfell rechts mit grosser Perforation, Paukenhöhlenschleimhaut ge- 
röthet. Oben Granulation. Aeusserst fötide Eiterung, viel Epidermismassen. 

Flüstersprache rechts nicht gehört. Ci vom Scheitel unbestimmt. Fis« 
bei Nagelanschlag. 

Diagnose: Chronische Eiterung mit Pyämie in Folge von Sinus- 
thrombose. 

8. September. Vor der Operation wurde die Lumbalpunction ge- 
macht. Sie ergab kry stallklaren, nicht unter erhöhtem Druck stehenden, 
bacterienfreien Liquor ohne vermehrte Leukocyten. 

. Die Operation bestätigte obige Diagnose und deckte ausserdem einen 
Kleinhirnabscess auf, der nicht diagnosticirt war. Nachdem sich der Zustand 
des Pat. vorübergehend gebessert hatte, trat vom 17. September ab eine Vcr- 



Bedeutg. d. Lumbalpanct. für d. Diagnose intracran. Complicat. d. Otitis. 2 7 

scblimmerung ein und Fat. erlag schliesslich einer Meningitis, die vom Laby- 
rinth ausgegangen war. 

Sectionsbefund: Kleinhirnabscess, Meningitis puruleuta diffusa, 
Hiroprolaps. In den Ventrikeln übersJl auffallend geringe Menge normaler 
seröser Flüssigkeit. 

Kein Gehirnödem. 

3. Hartmann, Auguste, 16 Jahre alt, aufgenommen 16. November, 
«ntlassen 15. December 1897. 

Fat. hat Ohrenlaufen seit Kindheit. Vor 14 Jahren Anschwellung hin- 
ter dem Ohre, die aufgeschnitten wurde. Vor 14 Tagen hinter dem Ohre 
neue Anschwellung, Schmerzen. Seit 3 Tagen fahlt sich Fat. unwohl. Appetit- 
losigkeit. 

Massig genährtes, gut entwickeltes Mädchen. Skrophulöser Habitus. 
Sensorium nicht getrübt. Fupillen gleich weit, reagiren normal. Augen- 
hintergrund normal. Objectiv kein Schwindel. Innere Organe o. B. Fuls 
124, klein aber regelmässig. Temp. 39,0 — 39 ,S^- Schmerzhafte Geschwulst 
auf dem Warzenfortsatze^ Oedem in der Umgegend, besonders nach dem 
Hinterhaupte zu, hier auch Druckempfiadlichkeit. 

Linkes Trommelfell perforirt, Granulation. 

17. November. In der Nacht Erbrechen, ebenso Morgens. Kopf- 
schmerzen in der Stirn. Temp. 40,1 ^ Fuls 128 kräftig aber unregelmässig. 

Diagnose: Chronische Eiterung links mit Sinusthrombose oder Sinus- 
thrombose u n d M eningitis. Daher Mittags Lumbalpunction: ergiebt unter 
hohem Druck stehende klare Flüssigkeit, in der sich mikroskopisch keine 
vermehrten Leukocyten oder Mikroorganismen nachweisen lassen. Meningitis 
war hierdurch ausgeschlossen. 

Bei der Operation fand sich Cholesteatom mit extraduralem Abscess. 
Geheilt. 

h) Sinusthrombose mit abgekapselter Meningitis und Hirnabscess. 

1. Boessdorf, Karl. 8 Jahre alt, aufgenommen 28. August, gestorben 
24. September 1896. 

Fat. hat schon Öfter Ohren schmerzen und Eiterung links gehabt. Seit 
14 Tagen von Neuem links seitige Eiterung, die mit massigen Schmerzen, starker 
Hitze und Durstgefühl begann. Appetitlosigkeit, Mattigkeit. Anschwellung hinter 
linkem Ohr. Keine Schüttelfröste, aber Brechneigung. Sprache undeutlich. 
Etwas Somnolenz, Matrosengang, Fat. taumelt. Zähneknirschen. Reflexe 
normal, keine Sensibilitätsstörungen, keine Lähmungen, rohe Kraft in beiden 
Händen entsprechend. Zunge stark belegt. Fat. versucht vergebens Worte 
auszusprechen. Erst wenn sie ihm vorgesprochen werden, kann er sie nach- 
sprechen. Einzelne Gegenstände bezeichnet er falsch. Fapillen beiderseits 
nicht getrübt, doch leichte venöse Stauung. Herz und Lunge o. B. Fuls 
klein, 13S, Temp. 39,5 ^ Urin ohne Eiweiss und Zucker. 

Hinter dem linken Ohr prall gespannte Geschwulst, fluctuirend. Cho- 
lesteatom links. 

Differentialdiagnose schwankte zwischen Meningitis, Sinusthrombose mit 
Hirnabscess und Meningitis mit Hirnabscess. 

Lumbalpunction in Narkose ergab krystallklare Flüssigkeit, zuerst 
im Strahl, ca. 40 ccm. Die sofortige mikroskopische Untersuchung ergab 
keine Leukocyten, keine Mikroorganismen. Aus der Menge der Flüssigkeit 
konnte mit Sicherheit geschlossen werden, dass der Liquor aus der Schädel- 
faöhle stammte. Meningitis war also ausgeschlossen. 

Diagnose: Sinusthrombose, wahrscheinlich mit Hirnabscess. 

Operation ergab verjauchtes Cholesteatom und einen faustgrossen Epi- 
doralabscess. Sinus lateralis konnte nicht eröffnet werden, weil Fuls des 
Fat. schlecht wurde. Temp. Abends 39,0^. 

29. August Morgens, Temp. 40,3. Operation der Sinusthrombose. 

Sectionsbefund: 2 abgekapselte, zwischen Dura und Arachnoidea 
gelegene mit stinkendem Eiter erfüllte Abscesse. Fachymengitis purul. in- 
terna links. Leptomeningitis adhaesiva circumscripta links. Frolaps des linken 



28 II. BRAUNSTEIN 

Occipitallappen. Rothe GebirnerweichuDg im linken Hinterhauptslappen und 
der finken Kleinhirnhemisph&re: 

2. Zschenderlein, Theodor, 39 Jahre alt, aufgenommen 25. Mai, 
gestorben 29. Mai 1899. 

Seit Kindheit rechtsseitige Ohreiterung, schlecht gehört, seit 3 Wochen 
auch links. Seit 10. Mai starke Schmerzen rechts. Schlaf gestört. Obsti- 
patioD. Appetit schlecht. Kopfschmerzen rechts, Vermehrter Durst. 

Kräftiger Mann. Objectiy keine Schwindelerscheinungen. Sensorium 
frei, spricht exaltirt mit vielen Gestikulationen. Zunge belegt. Reflexe 
normal. Innere Organe o. B. Augenhintergrund normal. Urin eiweiss- und 
zackerfrei. Temp. 39,6 ^ Puls 92 regelmässig. 

Am hinteren oberen Rande des rechten Trommelfells rothe Granula- 
tionen. Sonde dringt leicht nach hinten oben und bringt Epidermisschüpp- 
eben mit herunter. Flüstersprache rechts dicht Yor dem Obre, links ca. 1 m. 

Ci vom Scheitel wird rechts gehört, Fis4 rechts nur bei starkem Metall- 
anschlag, links normal. 

26. Mai. Rechts hört heute Fat. kein Flüstern. Ci vom Scheitel nur 
links gehört. Geht mit geschlossenen Augen breitbeinig aber ohne Schwan- 
ken. Temp. 38,8«, 39,6 o, 40,3 o. Nachts Schüttelfrost von ca. 20 Minuten 
Dauer unter Temperatursteigerung bis 41,5^. 

27. Mai. Allgemeinbefinden schlechter. Sensorium klar. Keine stärkeren 
Klagen. Kopfschmerzen in der Stirn, die Fat. als nicht sehr erheblich be- 
zeichnet. 

Im Vordergründe standen die pyämischen Erscheinungen. Jedoch be- 
stand Verdacht, dass ausser der Sinusthrombose noch andere intracranielle 
Complicationen vorlägen. Daher wurde die Lumbalpunction vorgenommen. 
Dieselbe ergab unter geringem Druck stehenden Liquor, zuerst durch Blut- 
beimengung leicht getrübt, dann wasserklar. Auch in der wasserklaren, 
isolirt aufgefangenen Cerebrospinalflüssigkeit mikroskopisch viele rothe Blut- 
körperchen. Weisse Blutkörperchen in vermehrter Zahl, nur einkernige. In 
gefärbten Präparaten, keine Kokken. Nachmittags Kopfschmerzen. 

Sectionsbefund: Meningitis purulenta. Perforation des Tegmen an tri 
Hirnabscess. Thrombose des rechten Sinus transvers. 

/) Sinvsthrombose mit Birnabscessen. 

1. Mohrung, Wilhelm, 17 Jahre alt, aufgenommen 7. September, ge- 
storben 14. November 1896. ^ 

Die erste Diagnose wurde auf verjauchtes Cholesteatom und Epidural- 
abscess, eventuell Hirnabscess gestellt. Die sofort vorgenommene Operation 
bestätigte die Diagnose. Aus der Beschaffenheit des Sinus sigmoid. konnte 
jedoch während der Operation die Diagnose auf entzündliche Thrombose 
desselben gestellt werden. Der Sinus wurde gespalten und entleert. 

Temp. nach der Operation 39,5^ Abends 37,5°, Puls 75. In den nächsten 
Tagen nur einmal Temperatursteigerung auf 3S,5°, aber starke Kopfschmerzen, 
Unbesinnlichkeit und inconstante Pulsverlangsamung. Mit Rücksicht auf 
den Sitz der Schmerzen im Hinterkopf, die Pulsverlangsamung und den 
Schwindel wurde die Diagnose auf Kleinhirnabscess gestellt, doch konnte 
jetzt, da Fieber aufgetreten war und der Befund im Sinus hierfür nicht ge- 
nügend war, Meningitis nicht ausgeschlossen werden. Daher wurde die 
Lumbalpunction vorgenommen und zwar in Narkose, um beim negativen 
Ausfall der Function sofort die Trepanation anzuschliessen. Die Lumbal- 
punction ergab zuerst im Strahl abfliessende krystallklare Flüssigkeit. Sie 
wurde abgebrochen, als ein grosses Petri*sches Schälchen fast vollgelaufen 
war. Die sofort vorgenommene mikroskopische Untersuchung ergab das 
Fehlen jedweder Formbestandtheile. Hiermit war die Diagnose Kleinhirn- 
abscess gesichert, und durch die Operation wurde sie bestätigt. 

Am 7. Tage nach der Lumbalpunction klagte Patient über Schmerzen 
in der Gegend der Stichsteile, welche sich jedoch bald verloren. Während 
sich die Gehirnwunden schlössen, trat Pyämie auf, welcher der Patient am 
14. November erlag. 



Bedeutg. d. Lumbalpunct. für d. Diagnose intracran. Gomplicat. d. Otitis. 29 

Sectionsbefund: Uebergreifen der Thrombose auf die andere Seite. 
Multiple Abscesse an der Basis des linken Lungenunterlappens, abgesackter 
intrapleuraler Abscess an der Vorderseite der rechten Thoraxhälfte. Milz- 
abscess. Keine Meningitis. 

2. Stude, Wilhelm, 25 Jahre alt, aufgenommen 11. Februar, gestorben 
6. März 1898. 

Yor 5 Jahren rechtsseitiges Ohrenlaufen. Seit 10 Tagen arbeitsunfähig 
wegen Schmerzen im rechten Ohr und Frost. Zeitweise Obr trocken. Seit 
mehreren Tagen stärkere Schmerzen im rechten Ohr, grosse körperliche 
Schwäche, Schüttelfröste. Appetitlosigkeit, Obstipation. Erbrechen nur einmaL 
Mit Beginn der acuten Symptome ist Patient am deutlichen Sprechen behindert, 
■angeblich weil er den Mund nicht weit genug öffnen kann. 

Status: Blasser Mann von krankhaftem Aussehen, geht langsam und 
unsicher, augeblich in Folge von Schwäche in den Beinen. Pupillen gleich 
weit, reagiren prompt. Das rechte Auge wird weniger gut geschlossen als 
das linke. Leichte Parese der Mundäste des rechten Facialis, Sensorium 
TöUig frei. 

Ophthalmoskopische Untersuchung. Venen beiderseits stärker gefallt, 
etwas geschlängelt. Papillen beiderseits an der nasalen Seite nicht ganz scharf. 

Druckempfindlichkeit hinter dem rechten Ohre in ziemlicher Ausdeh- 
nung nach dem Hinterkopfe zu, auch in der Schläfengegend. 

Im rechten Gehörgang obturirender Polyp mit höckeriger Oberfläche, 
^orn unten mit Epidermis überzogen. Starke Secretion fötiden Eiters. Links 
^grosse Verkalkungen am unteren und hinteren Rande des Trommelfells. 

Sprache undeutlich, scheinbar motorisch behindert. Temperatur 36,3^ 
Puls 54—57. Nachmittags Schüttelfrost mit Steigerung der Temperatur 
auf 38,2<>. Puls 80, etwas dichrotisch. Abends 8V2 Uhr Temp. 40,0», Puls 90. 

WahrscheinlichkeitsdiagDose: Pyämie in Folge von Sinusthrombose. Bei 
der Operation wurde die mittlere Schädelgrube eröffnet und ein extraduraler 
Abscess entleert. Bevor man zur Sinusoperation schritt, wurde die L um bal- 
punction vorgenommen, da bei dem hohen Fieber trotz Fehlens anderer 
diesbezüglicher klinischer Symptome die Möglichkeit des Vorhandenseins 
einer diffusen, purulenten Meningitis nicht ausgeschlossen war. Die Lumbal- 
punction ergab krystallklaren Liquor; Mikroskopisch keine Leukocyten, 
keine Mikroorganismen. Patient erlag am 6. März der Pyämie. 

Sectionsbefund: Eitrige Thrombose des rechten Sin. transvers., des 
rechten Sin. petrosus sup., Hirnabscess. Eitrig fibrinöse Pleuritis, Lungen- 
abscesse, Milzabscess. 

3. Heineke, Selma, 22 Jahre alt, aufgenommen 15. März 1901. 
Früher angeblich beiderseits ohrgesund. Seit Februar a. c. Ohrensausen, 

und geringe Eiterung links. Keine Schmerzen, zuweilen Schwindel, Zuneh- 
mende Schwerhörigkeit. Klage über Kopfschmerzen. 

Status: Innere Organe gesund. Augenhintergrund normal. Urin ohne 
Eiweiss und Zucker. 

Links Fistel über Proc. brev. Perforation hinten oben, Sonde stösst 
auf rauhen Knochen. Trommelfell geröthet. Stinkende Eiterung. Hechts 
trockene Perforation hinten unten. 

18. März. Hammer- Ambossextraction links. 

Patientin klagt in den nächsten Tagen über Schmerzen hinter dem linken 
Ohre und Schwindel, am 8. April auch Erbrechen. 9. April Totalaufmeisselung. 
Da trotzdem Kopfschmerzen und Erbrechen nicht vollständig aufhören, der 
Puls alhnählich langsamer wird, denkt man an das Vorhandensein eines Klein- 
hirnabscesses an. Da Meningitis nicht völlig ausgeschlossen werden kann, 
80 wird dieLumbalpunction vorgenommen. Sic ergiebt unter hohem Druck 
stehenden deutlich getrübten Liquor. Die mikroskopische Untersuchung 
zeigt, dass die Trübung nicht durch Vermehrung der Leukocyten 
bedingt ist; keine Bacterien. Trepanation. Entleerung eines Kleinhirn- 
abscesses. Puls wird wieder frequenter. Abends keine Klage mehr über Scbmer- 
jcen, aber grosse Unruhe. Nach sehr schwerem Krankheitsverlauf Heilung. 

Patientin befindet sich seit August in voller Reconvalescenz. 



30 II. BRAUNSTEIN 

4. Kessler, Luise, 17 Jahre alt, aufgenommen 28. Juni, gestorben 
30. Juni 1899. 

Seit Kindheit rechtsseitige Ohreiterung, seit 3 Wochen Fieber, Hals- 
schmerzen, Obrsch merzen , Schüttelfröste, Erbrechen. Seit gestern Ver- 
schlimmerung. Patientin phantasirt viel, muss getragen werden, nennt Namen 
und Alter richtig, klagt über nichts. Zunge stark belegt. Lippen trocken, 
rissig. Leichtes Hüsteln. Nasenflügelathmen. Auf der Lunge objectiv 
nichts nachzuweisen. 

Temp. 38,7». Puls 120 p. M. 

Rechts stark riechende Eiterung. Hammer in Granulationen eingebettet. 
Vom Trommelfell nichts zu sehen. Paukenhöhle mit Granulationen angefüllt. 

Hörprüfung unmöglich. 

Lumbalpunction ergiebt keine Flüssigkeit. 

Sectionsbefund: Septicopyämie. Eitrige Thrombose des rechten 
Sinus transyers. und sigmoiaeus. Abscess im rechten Temporallappen. In 
den hinteren Schädelgruben geringe Mengen klarer Flüssigkeit. 

k) Meningitis tuberculosa. 

1. Thondorf, Paul, 2 Jahre, aufgenommen 30. Januar, gestorben 
2. Februar 1897. 

Pat. am 10. September 1896 wegen acuter Warzenfortsatzeiterung links 
operirt, subperiostaler Abscess, Granulationen, Eiter im Antrum. Bacterio- 
logische Untersuchung ergab Streptokokken in Reincultur. 

Vor 10 Tagen tägliches Erbrechen, vor 2 Tagen nächtliche Krampf- 
anfälle. Niemals Schmerzensäusserungen. Schwinden des Bewusstseins. 

Völlig soporöses Kind. Innere Organe ohne Befund. Opisthotonus. 
Strabismus convergens. Sensibilität herabgesetzt, keine Motilitätsstörungen. 
Augenhintergrund: Venen stark gefüllt, geschlängelt. Keine Neuritis. Kind 
lässt Urin und Stuhl unter sich gehen. 

Linker Gehörgang weit, in der Tiefe eingedickter Eiter. Centrale Per- 
foration. Rechter Gehörgang im tiefsten Theile geröthet. Trommelfell dunkel- 
roth, vorgewölbt. Temp. 38,4^ Puls 120 regelmässig. Paracentese rechts ent- 
leert nur einen Tropfen weisslichen, dickflüssigen Eiter und Blut. 

Zunächst Diagnose Meningitis purui. diffusa vom Ohr ausgehend. 

30. Januar. Lumbalpunction ergibt unter geringem Druck stehende 
Flüssigkeit, ca. 15 ccm tropfenweise, welche von oben im Petri'schen Schäl- 
chen betrachtet, klar aussah, bei seitlicher Betrachtung aber sehr deutlich 
opalisirte. Die mikroskopische Untersuchung ergab nur ganz vereinzelte 
mononucleäre Leukocyten, keine Mikroorganismen. 

1. Februar. Lumbalpunction ergab ca. 20 ccm opalisirende Flüssig- 
keit, die fast gar keine Formbestandtheile, nur einzelne, sehr wenige Leuko- 
cyten enthielt. In mehreren Präparaten konnten keine Tuberkelbacillen nach- 
gewiesen werden. Ein Meerschweinchen erhielt einen ccm der Flüssigkeit 
intraperitoneal und starb am 12. Tage nach der Impfung ohne pathologischen 
Befund. 

Durch die Lumbalpunction war die Diagnose Meningitis purul. diffusa 
hinfällig geworden. Es handelte sich um eine Meningitis tuberculosa. 

Sectionsbefund: Meningitis tuberculosa, besonders in beiden Fossae 
Sylvii. Beim Herausnehmen des Gehirns sammelte sich an der Basis reich- 
lich leicht getrübte Flüssigkeit; dieselbe fand sich auch stark vermehrt im 
spinalen Duralsack, an der Einsticbstelle der Punctionsnadel, ohne dass Ver- 
änderungen an dieser Stelle nachgewiesen werden konnten. 

2. Stockmann, Gertrud, 1 Jahr, aufgenommen 27. Januar, gestorben 
29. Januar 1899. 

Seit 4 Wochen krank, Ohreiterung links. Vor 14 Tagen Krämpfe, dabei 
Nackenstarre, seitdem theünabmlos, trinkt nur auf Aufforderung. Stuhl in 
Ordnung, Hitze, Fröste. Einmal Erbrechen. 

Gut genährtes Kind, tief comatös. Pupillen gleich weit, starr, ohne 
jede Reaction. Deviation conjug^e. Augenhintergrund normal. Spasmen im 
rechten Arm. Kopf in Zwangsstellung. Keine Nackenstarre. Extremitäten 
rechts starr. Temp. 37,9®. 



Bedeutg. d. Lumbalpunct. für d. Diagnose intracran. Gomplicat. d. Otitis. 31 

Links reichliche stinkende Eiterong. Perforation mittelgross im hinteren 
Quadranten. Keine Stenose des Gehörganges. 

Diagnose schwankt zwischen seröser und tuberculöser Meningitis, da 
eine Meningitis purul. diffusa ausgeschlossen schien, wegen des protrahirten 
Verlaufs der Krankheit. 

27. Januar. Lumbalpunction ergab klaren, unter vermehrtem Druck 
stehenden Liquor. Mikroskopisch fanden sich die Leukocyten etwas ver- 
mehrt, aber keine Bakterien. 

Sectionsbefund: Ausgedehnte tuberculöse Meningitis, starker Hydro- 
cephalus extern, und intern. 

3. Hartmann, Erich, 4 Jahre, aufgenommen 22. November, gestorben 
30. November 1900. 

Vor 14 Tagen leichte Masern. Darnach 4 Tage und N&chte sehr un- 
ruhig und schlaflos. Oft Greifen nach dem Kopfe, plötzliches Aufschreien 
und in die Höhewerfen des Körpers. Kein Erbrechen. Vom 19. ab ruhiges 
Verhalten, viel Schlaf, guter Appetit. Am 22. Erbrechen und Benommenheit. 
Nachmittags Stunden lang Augenverdrehen und Herumwerfen des Kopfes. 

Kräftiges Kind. Innere Organe ohne Befund. Deviation der Bulbi. 
Pupillen gleich weit, reagiren auf Licht kaum. Ptosis besonders rechts. Augen- 
hintergrund normal, aber blass. Papillen deutlich begrenzt. Urin frei von 
Eiweiss und Zucker. 

Trommelfell rechts geröthet, links stärker und abgeflacht. Sofort Para- 
centese. Kein Eiter, nur seröse Flüssigkeit. 

23. November. Temp. 39,1^. Durch Katheterisiren des linken Ohres 
wird kein Eiter aus dem Trommelfellschnitt entleert. 

Wegen der meningitischen Erscheinungen wurde Lumbalpunction 
gemacht. Dieselbe ergab unter hohem Druck stehende Flüssigkeit, nicht ge- 
trübt, opalescirend , frei von Leukocyten und Tuberkelbacillen. Eiweiss- 
gehalt erhöht. Nach der Punction dauert der soporöse Zustand fort. 

25. November. Lumbalpunction wird wiederholt. Liquor unter 
hohem Druck, leicht gelblich verfärbt, aber klar. Die mikroskopische Unter- 
suchung ergibt keine Vermehrung der Leukocyten, keine Tuberkelbacillen, 
auch keine anderen Bacterien. Das mit dem Liquor geimpfte Versuchsthier 
starb 8 .Wochen nach der Impfung an acuter Miliartuberculose. Nach der Punc- 
tion Somnolenz stärker, Pupillen mittelweit, gleich, auf Licht nicht reagirend. 

Puls 120, Athmung 32. Abends Temp. 38,7^ 

Bis zum 28. hatte sich Allgemeinzustand nicht verschlechtert. Jetzt 
Sopor, Schlucken sehr schlecht und selten. Deutliche Nackenstarre. Haut- 
sensibilität fast normal. Sehnenreflexe fehlen. Keine Lähmung der Extre- 
mitäten. Pupillen weit, reactionsloB. Auf der ganzen Lunge Rasselgeräusche. 
Abends Temp. 39,4^ Puls 168. 

29. November. Morgens Temp. 39,5. Puls 180. Resp. 36. 

Lumbalpunction entleert wenig mit Blut vermischten Liquor. Goma 
besteht auch nach Punction. 

Sectionsbefund: Meningitis tuberculosa, Hydrocephalus intern. Ge- 
himoedem. Tuberculosis ossis sacri, vertebr. lumb. Miliare Tuberculöse der 
Lungen und des Kehlkopfes. 

4. Wrede, Klara, 3 Jahre, aufgenommen 7. Februar, gestorben 
13. Februar 1901. 

Kind soll seit 8 Tagen krank sein. Der behandelnde Arzt hatte Ver- 
dacht auf eine vom Ohr ausgehende Meningitis, deshalb in die Ohrenklinik 
aufgenommen. Kräftiges Kind. 

Sopor, öfteres Aufschreien. Pupillen weit, reagiren sehr träge. 

Beide Trommelfelle geröthet. Faracentese. 

8. Februar. Sopof , fixlrt nicht mehr. Gonvergenzschielen. Pupillen 
weit, reactionslos. 

Wegen der meningitischen Symptome wurde 11. Februar Lumbal- 
punction gemacht. Dieselbe entleert klaren Liquor, etwas gelblich verfärbt, 
ohne vermehrte Leukocyten, aber mit Tuberkelbacillen. 

Nach der Punction keine Veränderung. 



32 IL BRAUNSTEIN 

Sectionsbefund: Meningitis tuberculosa. Ependymitis tuberc. gra- 
nnlosa. Hydrocephalus int. Miliartuberculose beider Langen und Milz. 

5. Franke, Frida, 5 Jahre, aufgenommen 3. April, gestorben 
13. April 1900. 

Wegen langjähriger rechtsseitiger Ohreiterung in poliklinischer Behand- 
lung, am 25. Januar Totalaufmeisselung, darnach entlassen. 

Massig genährtes Kind. Zeichen von abgelaufener Rhachitis. Lungen 
suspect. Rasselgeräusche über linker Lunge. 

3. April. Kopfschmerzen, Zuckungen. Apathie. Obstipation. 

Da sich Zustand bei entsprechender Therapie bis zum 6. nicht ändert, 
Lumbalpunction. Sie entleert nur reines Blut. Keine Aenderung im 
Verhalten des Pat. 

Die DiagDose hatte Meningitis in Folge von Otitis gelautet. 

13. April. Exitus letalis. 

Sectionsbefund: Hydrocephalus intern. Frische tuberculöse Me- 
ningitis. Aeltere und frische Tuberculöse der Lungen. 

/) Intracranielle Druckerscheinungen. 

1. Pintaske, Selma, 23 Jahre alt, aufgenommen 12. Februar, ge- 
storben 12. Februar 1897. 

Pat. klagt über heftige Schmerzen der linken Kopfseite, wimmerte laut, 
wurde vor Schmerz mehrfach ohnmächtig, presste den Kopf gegen die Wand 
und hatte auch Nackenschmerzen. Temp. 38,7^, Puls 81. 

Kräftige Frau, bleich. Aus dem linken Ohr massig starker eitriger 
Ausfluss. Trommelfell in der hinteren Hälfte zitzenförmig vorgewölbt, 
aber blass. 

12. Februar. Da der objective Befund die starken Schmerzen nicht zu 
erklären schien, so wurde an intracranielle Complicationen gedacht. 

Da eine Meningitis vorhanden sein konnte, so wurde die Lumbal- 
punction in Narkose gemacht. Dieselbe ergab 13 ccm klaren Liquor; 
mikroskopisch keine Vermehrung der Leukocyten, keine Mikroorganismen. 
Wenige Secunden nachher, es waren 25 ccm Chloroform verbraucht, setzte 
plötzlich die Athmung aus, hochgradige Cyanose des Gesichts. Puls gut. 
Nach ca. 20 Minuten künstlicher Athmung ging der Anfall vorüber. Wäh- 
rend der nächsten halben Stunde war Pat. wieder bei Bewusstsein, klagt 
nicht über Schmerzen. Plötzlich wird die Athmung wieder oberflächlich, 
hochgradige Cyanose. Trotz künstlicher Athmung Exitus letalis. 

Sectionsbefund: Anämie des Gehirns und Oedem. Massige Ver- 
fettung des Herzens. Lungenödem. Alte und frische Heerde im rechten 
Oberlappen. Milztumor. Verfettung der Leber. 

2. Schulze, Willy, 16 Jahre, aufgenommen 23. October 1900. Geheilt. 
Ohren laufen beiderseits seit Kindheit. Vor 2 Jahren links operirt. 

Seit voriger Woche Schmerzen in und hinter dem rechten Ohr. Kein Kopf- 
schmerz, kein Schwindel. Heute Morgen Erbrechen. 

Kräftiger junger Mensch. Innere Organe gesund. Pupillen gleich weit, 
reagiren, keine Lähmung, kein Nystagmus. Gang unsicher. Kein Schwindel. 
Auf Befragen antwortet der wenig intelligente Pat. sehr langsam. 

Oedem über rechtem Warzenfortsatz, Knochen druckempfindlich. Rechts 
Senkung der hinteren Gehörgangswand. Fistel in derselben. Sonde gelangt 
in grossen cariösen Krater. Profuse stinkende Eiterung. Links Stenose des 
Gehörgangs, geringe Secretion, starker Foetor. Flüstersprache beiderseits 
nicht gehört. 

Gl vom Scheitel nach rechts. Links Ci Fi84 nicht gehört. Ci rechts bei 
forcirtem Anschlag, Fis4 bei starkem Nagelan seh lag. Rinne rechts. 

W^ahrscheinlichkeits-Diagnose: Chronische Eiterung beiderseits mit 
Cholesteatom. Da aber einige Symptome für intracranielle Complication 
-(Meningitis?) sprechen, so wurde Lumbalpunction gemacht. Dieselbe 
ergab klaren Liquor unter nicht erhöhtem Druck. Die mikroskopische Unter- 
suchung zeigte keine Vermehrung der Leukocyten. 



Bedeutg. d. Lumbalpunct für d. Di^gQose intracran. Complicat. d. Otitis. 33 

Die Operation bestätigte die Diagnose. 

Fat. wurde am 1. Februar 1901 gebeilt entlassen. 

3. Badina, Valentin^ 21 Jabre, aufgenommen 12. April, entlassen 
24. Juli 1898. 

Vor 12 Jabren Typbus und Ohreiterung. Seit Sonntag bettl&gerig, Scbmer- 
zen im linken Obr. Appetit massig, kein £rbrecben. Kein Scbwindel, kein 
Frost. 

Kr&ftiger Mann, gebt ohne Taumeln, klagt über beftige Schmerzen im 
Kopf links. Papillen normal. Pupillen gleich weit, reagiren. Innere Organe 
ohne Befund. 

Umgebung des Obres überall schmerzhaft, Oedem und teigige Schwel- 
lung der ganzen linken Kopfhälfte, an einzelnen Stellen Fluctuation. 

Links schlitzförmige Stenose des äusseren Gebörgangs. Stinkender Eiter. 
Granulation in der Tie£e. Temp. 38,9^, Puls 108 nicht ganz regelmässig. 
Nacbts Temp. 39,6o. 

13. April. Wegen der meningitischen Erscheinungen wurde der Mastoid- 
operation die Lumbalpunction yorausgeschickt. Sie ergab klare, unter 
massigem Druck stehende Flüssigkeit, in der bei der mikroskopischen Unter- 
suchung weder vermehrte Leukocyteh noch Mikroorganismen gefunden 
wurden. 

Durch die Operation wurde ein grosses Cholesteatom entfernt und die 
Abscesse gespalten. 

Am 24. Juli verlässt Pat. ohne Erlaubniss die Klinik. 

4. Hillebrecht, Friedrich, 16 Jahre, aufgenommen den 29. Jjani, ge- 
storben 30.- Juni 1899. 

Seit mehreren Jahren rechtsseitiger Ohrenfluss, soll früher Gehirnent- 
zündung gehabt haben. Seit 8 Tagen heftige Kopfschmerzen, schlaflos. 
Kopfschmerzen strahlen von der Stirn nach dem Genick aus. 

Stuhlgang regelmässig, Appetit gering. 

Gut genährter, blasser Junge. Kopf nach rechts gebeugt. Pupillen gleich 
weit, reagiren normal. Augenhintergrund zeigt beiderseits Stauungspapille, 
bepsoripm frei. Druckempnndlicbkeit der Halswirbelsäule. Puls 60, Temp. 
3i),8^. Starke Druckemptindlicbkeit des rechten Prosc. mastoid. Centrale 
Perforation im rechten Trommelfell. 

Da die Zeichen einer intracrfiniellen Complication nicht klaren Auf- 
schlusB über das Leiden gaben, so wurde die Lumbalpunction gemacht 
Dieselbe ergab unter geringem Drucke stehende klare Flüssigkeit. Mikro- 
skopisch wurden keine Formbestandtheile gefunden. 

Sectionsbefund: Uydrocephalus internus. Hyperämie der Lungen. 
Hypertrophie des linken Yeatrikels. 

5. Cyliax, Friedrich, 28 Jahre, aufgenommen 17. August 1897. 
Acute Eiterung links mit Mastoiditis. 

18. August. Mastoidoperation wegen acuten Empyems des Proc. mast. 
Entleerung eines extrasinuösen Abscesses. 

19. August. Temp. 37,8, 38,5, 39,2, 39,0, 38,5, 38,0°. 

Fat. klagt über starke Schmerzen im Hinterkopf an circumscripter 
Stelle, schläft trotz Morph. 0,02 subcutan in der Nacht schlecht. 

Da nach der Mastoidoperation und der damit verbundenen Entleerung 
des extrasiuuöseu Abscesses das Fieber anhielt, sogar 39,2^ erreichte, wurde 
entweder das Vorhandensein einer Leptomeningitis diff. oder einer Sinus- 
tbrombose angenommen. Daher wurde die Lumbalpunction vorgenommen 
mit Hilfe der Scbleich'scben Anästhesie. Dieselbe ergab klaren Liquor unter 
massigem Druck. Die mikroskopische Untersuchung stellte das Fehlen ver- 
mehrter Leukocyten und Mikroorganismen fest. Die jetzt gestellte Diagnose 
Sinusthrombose wird durch die Operation bestätigt. 

Pat. wird gebeilt. 

6. Pstrong, Stanislaus, 24 Jahre, aufgenommen 15. Januar 1901. 
Am 7. Januar Fall vom Wagen. Fractura basis cranii. Bewusst- 

losigkeit. 

Archiv f. Ohrenheilkonde. LIV. Bd. 3 



84 



U. BRAUNSTEIN 



Kr&ftiger Mann. Pupillen gleich weit, reagiren, links träger. Complete 
FacialiBlähmong links. Hftndedruck bedeutend abgeschwächt, besonders rechts. 
Reflexe und Sensibilität normal. 

Warzenfortsatz druckempfindlich an circumscripter Stelle. Im linken 
Äusseren Gehöigang Blutgerinnsel und flassiges Blut, welches beim Abtupfen 
sofort nachfliesst. 

FlOstersprache nicht gehört. Gi vom Scheitel nicht lateralisirt. Fi84 
bei starkem Nagelanschlag links schwach, Ci bei starkem Anschlag undeut- 
lich. Fat. ist sehr unruhig, reisst sich öfter den Verband ab, steht des 
Nachts wiederholt auf mit der Begründung, er müsse anspannen. 

16. Januar. Links Pupille weiter als rechts, reagirt träger. Augen- 
hintergrund ohne deutliche Veränderung. 

Da obige Symptome es fraglich erscheinen Hessen, ob nicht bereits eine 
Entzündung der weichen Hirnhäute eingetreten sei, so wurde die Lumbal- 
punction vorgenommen. Dieselbe entleerte unter ziemlich hohem Druck 
stehende, klare, leicht gelblich verfärbte Flüssigkeit ohne vermehrten Leuko- 
cytengehalt Der £iweissgehalt war erhöht. 

Da sich der Zustand des Pat. bis zum 21. Januar verschlechtert, 
Blasenlähmung auftritt, aus dem linken Ohr fötide, blutig-seröse Jauche aus- 
fliesst, wird am 21. Januar die Lumbalpunction wiederholt. Sie ergibt 
wieder völlig klare Flüssigkeit, ohne Vermehrung der Leukocyten und ohne 
Mikroorganismen. 

Hierdurch wurde das Nichtvorhandensein einer Meningitis diffusa puru- 
lenta festgestellt. 

Pat. befindet sich in Reconvalescenz. Empyema thoracis links durch 
Kippenresection geheilt 

Der Uebersichtliclikeit halber sind Bämmtliche Fälle noch 
einmal tabellarisch ziiBammengestellt. 



u 
o 

B 



Namen 



Tag 
der Auf- 
nahme 



Diagnose 



Tag der 
Lumbal- 
punction 



£rgebni88 der 
Section oder 

Operation resp. 

Heilnngsverlauf 



üebereiiLBtim- 

mang zwischen 

dem Eigebniss 

der Pnnotion n. 

der Section. resp. 

d. weiteren Hei- 

lungsverianfe 



a) Eitrige Meningitis. 



1 Hoppe, 

Karl. 

2 Riedel, 
Franz. 

3 Eichler, 

Ida. 

4 Hinnebnrg, 
i Gottl. 

5 Thamm, 
Bertha. 



6 Busse, 

Friedrich. 



3. Oct. 
1895. 

21. Nov. 
1896. 

17. März 
1897. 

15. Juni 
1900. 

5. Febr. 
1900. 



26. Juni 
1901. 



Meningit. pu- 
rul. diffusa. 


25. April. 
1896. 


do. 


21. Not. 


do. 


31. März. 


do. 


23. und 
26. Juni. 


do. 


6. und 

7. Febr. 


do. 


29. Juni. 



Eitrige Basilar- 
meningitis. 

Eitrige Lepto- 
meningit. d. Basis. 

Basilarmeningi- 
tis purul. 

Meningit. purul. 
cerebr. et spinal. 

Meningit. purul. 
der Gonvexität u. 
Basis. Meningitis 
spinal. 

Eitrige Menin- 
gitis. 



b) Eitrige Meningitis mit Sinusthrombose. 



Tbronicke, 
Friedrich. 



19. April 
1896. 



Meningitis. 



20. April. 



Eitrige Menin- 
gitis. Thrombose 
des Sin. transY. et 
sigmoid. 



ja- 
ja- 
ja- 

ja. 
ja- 
ja. 



ja. 



ja. 



Bedeatg. d. Lumbalpxmct. für d. Diagnose intracran. Gomplicat. d. Otitis. 35 



u 
o 

e 

c 

Z 


Namen 


Tag 
der Auf- 
nahme 


Diagnose 


Tag der 
Lumbal- 
punotion 


Ergebniss der 

Section oder 

Operation resp. 

Heilungsverlanf 


- ' ■ =sa 

üebeieinstim- 
mongrzwisohen 
dem£igebni88 
der Panotioa n. 

der Section resp. 

d. weiteren Hei- 
Inngsyerlanfe 


2 
3 


Lange, 
Frita. 

Schmidt, 
Minna. . 


13. Aug. 
1896. 

6. Juni 
1898. 


Cholesteatom, 
Meningitis. 

Cholesteatom, 
Meningitis. 


6. Sept. 
21. Juni. 


Eitrige Mening. 
basilaris. Thromb. 
des Sin. sigmoid. 

Meningitis pu- 
rulenta basilar. 


ja. 
ja. 



c) Eitrige Meningitis mit Hirnabscess. 



Warzyniak, 
Franc. 



2 Nfcthge, 
Bertha. 

3 Pech, Line. 



Borchert, 
Gustav. 



Kühne, 
Marie. 



Meissner, 
Emma. 



Heitb, Lilli. 



Sohnhe, 
WUbelm. 

Pulss, 
Elisabeth. 



3. Aug. 
1896. 



2. März 
1899. 

9. Oct. 
1899. 



25. Jan. 
1900. 



13. Nov. 
1899. 



19. Jan. 



6. April 
1901. 



19. AprU 
1901. 

19. JuH 
1900. 



Meningitis 
(Hirnabscess?) 



Abscess im 1. 
Schlaf enlappen. 

Meningitis 
nach Schläfen- 
lappenabscess. 

Meningit. diff. 
nach Abscess im 
link. Schläfen- 
lappen. 

Kleinhirn- 

abcscess. 

Hirndruck. 

do. 

Meningitis. 



Mening. tuber- 
culosa? Abscess 
im 1. Schläfen- 
lappen. 

Meningit. pu- 
rul. ^ffusa. 



Abscess im 1. 
Schläfen läppen. 

Meningit. pu- 
rul. diffusa. 

Meningit. oder 
Sohläfenlappen- 
abscess. 

Kleinhirn- 
abscess. 



3. Aug. 



3. März. 

26. und 

27. Oct 



3. nnd 
1 7. Febr. 



14. Nov. 

15. Nov. 
29. Nov. 

1. Dec. 

24. Dec. 



27. Jan. 



7. und 
9. Febr. 



7. April. 
24. April. 
22. April. 



21. und 
25. JuU. 



Eitrige Lepto- 
meningitis basil.; 
haselnussgrosser 
Abscess im r. Hin- 
terhauptslappen. 

Abscess im link. 
Schläfenlappen. 

Meningit. purnl. 
basilar. et spinal. 
Abscess im recht. 
Temporallappen. 

Meningit. purul. 
Abscess im l.Tem- 
porallapp., Durch- 
bruch ins linke 
Vorderhorn. 

iXleinhirn- 
abscess. 



Meningit. purul. 
basil. Abscess im 
recht. Kleinhirn. 
Dnrchbruch im 
4. Ventrikel. 

Abscess im lin- 
ken Schläfenlap- 
pen. 

Meningit. purul. 
baseos et convexi- 
tatis. Abscess im 
1. Schläfenlappen. 

AbEcess im link. 
Schläfenlappen. 

Section nicht 
gestattet. 

Hirnabsc. Epen- 
djmitis purulenta 
dextr. Hirnödem. 

Abscess im Klein- 
hirn. 



ja. 



ja. 
ja- 



ja. 



ja. 

ja. 

ja. 

ja. 

? mit Blut 

vermischt« 

ja. 



ja. 
ja. 

ja. 



ja. 

ja. 
ja. 



ja. 
j*. 



3* 



36 



II. BBAUN8TEIN 



i 


Namen 


1 

Tag 

der Auf- ' 
nähme 

1 


Diagnose 


Tag der 
Lumbal- 
punction 


ErgebnisB der 

Seotion oder 

Operation reap. 

Heilungsrerlauf 


Ueberoiiistim- 

mong zwischen 

dem Ergebniss 

der Punction a. 

der Section weg. 

d. weiteren Eei- 

longgyerlaafe 


9 


Dieselbe. 




Meningitis. 


28. Juli. 


Absceas im Klein- 
hirn. Dnrehbruch 
in 4. Yentr. Me- 
ning. purul. basil. 


Eein Liquor. 


10 


Müller, 
Paul. 


29. Nov. 
1897. 


Absccss im lin- 
ken Schläfen- 
lappen. 


30. Nov. 


Abscess im link. 
Schläfenlappen. 
Meningitis purul. 
diffusa. 


Function re- 
sultatloswegen 
Verstopfung 
der Ganüle. 


d) Vermei 


ntliche 


epidemisch 


e Gerebrospinalmeningitis. 


1 Ruft, Kurt. 


12. Dec 
1896. 


Meningitis 
tuberculosa. 


12. Dec. 


— 


ja. 






e) Meningi 


ti8 serosa. 


1 


Zeidler, 
Kurt. , 


10. Nov. 


Meningitis pu- 
rul. diffusa. 


10. und 

11. Nov. 


Pia über Occipi- 
tal- und Temporal- 
lappen stark Ode- 
rn atüä. Oedem voll- 
kommen klar. 


? 






f) Sinustl 


irombose. 


1 


Schneider, 
Albert. 


13. Nov. 
1896. 


Sinusthrom- 
bose. 


13. Nov. 


Tbrombosis Sin. 
transv. dextr. et 
bulbi venae jug. 


ja. 


2 


DUrnberg, 
Wilhelm. 


16. Dec. 
1897. 


Sinusthrombose 
(Meningitis?) 


18. Dec. 


Thrombosis sin. 
transvers. dextr. 


ja- 


3 


Steinkopf) 
Reinhold. 


6. Febr. 
1898. 


Sinusthrom- 
bose. 


7. Febr. 


Tbrombosis des 
Sin. sigmoid. Feri- 
sinuöser Abscess. 


ja. 


4 


Hiller, 
Hans. 


8. April 
1898. 


Sinusthrom- 
bose. 


8. April. 


Thrombosis des 
Sin. transv., extra- 
sinuOser Abscess. 


ja. 


5 


Bock, Karl. 


5. Juli 
1898. 


Sinusthrom- 
bose. 


6. Juli. 


Thrombose des r. 
Sin. transvers. sig- 
moideus et petros. 
inf., des Sin. rect., 
der Vena jugular. 
int. dextr. 


ja. 


6 


Gttatber, 
Agnes. 


30. Juli. 


Sinusthrom- 
bose. 


30. Juli. 


Thrombose des r. 
Sin. transv. ete. 


ja. 


7 


Olberg, 
Herm. 


8. Sept. 
1898. 


Sinusthrom- 
bose. 


9. Sept. 


Thrombosis sin. 
transversi dextr. 


ja. 




i 


;) Perisinuc 


>ser Abscess. 


1 


Müller, 
Willy. 


26. Deo. 
1996. 


Sinusaffection. 


28. Dec. 


Cholesteatom r. 
mit perisinuösem 

Abscess. 


ja. 



Bedeutg. d. Lumbalpanct. für d. Diagnose intracran. Gomplicat. d. Otitis. 37 



£ 





Naaien 



Tag- 
der Auf- 
nahme 



Diagnose 



Tag der 
Lumbftl- 
punction 



Ergebniss der 
Section oder 

Operation resp. 

HeilungsYerlauf 



Lgej g 



üebereinstim- 

mong zwischen 

dem Ergebniss 

der Ponctioa n. 

der Seotion resp. 

d. weiteren Hei- 

Inngsverlanfe 



Krüger, 
Richard. 



Hartmann, 
Auguste. 



8. Sept 
1900. 



16. Nov. 
1897. 



Chron. Eiterg. 
mit Fyämie in 
Folge von Sinus- 
thrombose. 

Chron. Eiterg. 
mit Sinusthrom- 
bose oder Sinus- 
thrombose und 
Meningitis. 



8. Sept. 



17. Nov. 



h) Sinusthrombose mit abgekap 

und HirnabscesB 



Sinusthrombose. ja. 

Kleinhirnabscess. 



Cholesteatom mit ja. 

extraduralem Abs- 
cess links. 



seiter Meningitis 
es. 



1 


Boessdorf, 
Karl. 


28. Aug. 


Meningit. oder 
Sinusthrombose 
mit Hirnabsoess 
und Meningitis 
mit Hirnabscess. 


28. Aug. 


Verjauchtes Cho- 
lesteatom, Epidu- 
ralabsoess links. 
Thrombose d. Sin. 
lateral. 


ja. 


2 


Zschenderlein, 
Theodor. 


25. Mai 

1899. 


Pyämie in Folge 
von Sinusthrom- 
bose, Meningitis. 


27. Mai. 


Meningit. purul. 
Hirnabsc, Throm- 
bose des rechten 
Sinus transvers. 


ja- 


1 

1 


i) Sinnsthrombose 


mit Hirnabscessen. 




1 


Mohrung, 
Wilh. 


7. Sept. 
1896. 


Kleinhirnabs- 
cess nach Sinus- 
thrombose. 


^~- 


Kleinhirnabscess. 


ja. 


2 


Stude, 
Wühelm. 


11. Febr. 
1898. 


Pyämie in Folge 
von Sinusthrom- 
bose. 


12. Febr. 


Thrombose des 
r. Sin. transv., Sin. 
petr. sup. Hirn- 
absoess. 


ja. 


3 


Heioeke, 
Selma. 


15. März 
1901. 


Kleinhirnabs- 
cess (Meningit.?) 


9. April. 


Kleinhirnabscess. 


ja- 


4 


Kessler, 

Luise. 

1 

1 


28. Juni 
1899. 

• 


Pyämie in Folge 
von Sinusthrom- 
bose. 


28. Juni. 


SepticopyUmie. 
Eitrige Thrombose 
des r. Sin. transv. 
u. sigmoid. Abs- 
cess im rechten 
Temporallappen. 


ja. 




k) Meningitis 


tuberculosa. 




1 Thondorf, 
Paul. 


30. Jan. 
1897. 


Meningitis pu- 
rul. diffusa. 


30. Jan. 
1. Febr. 


\ Meningitis tu- 
j berculosa. 


Keine Tuber- 
kelbacillen. 


2 


Stockmann, 
Gertrud. 


27. Jan. 
1899. 


Meningitis se- 
rosa oder tuber- 
culosa. 


27. Jan. 


Meningitis tu- 
berculosa. 


do. 


3 


' Hartmann, 

! Erich. 

1 

1 


22. Nov. 
1900. 


Meningitis pu- 
rul. diffusa. 


23. Nov. 
25. Nov. 
29. Nov. 


Meningitis tu- 
berculosa. 


ja. 

Liquor mit 
Blut ver- 
misoht. 



38 



II. BRAUNSTEIN 















üebereinstim- 


& 

p 




Tag 




Tag der 


Ergebniss der 
Sfifltinn oder 


mmigzwischen 
deml^cgebniss 


B 


Namen 


der Auf- 


Diagnose 


Lumbal- 


Operation resp. 
Heilungsverlauf 


der Poooticii n. 


& 




nahme 




punction 


der Section tgb^ 
d. weiteren Hei- 










11. Febr. 




Inngsverlaofe 


4 


Wrede, 


7. Febr. 


Meningitis pu- 


Meningitis tu- 


ja. 




Clara. 




rul. diffusa. 




beroulosa. 




5 


Franke, 


3. April. 


Meningitis pu- 


6. April. 


Meningitis ta- 


Function er- 




Frida. 




ml. diffusa. 




berculosa. 


gab nur Blut. 


1) 


Intracranielle Druck erschein an gen. i) 


1 


Fintaske, 
Selma. 


12. Febr. 
1897. 


(Meningitis?) 


12. Febr. 


Anämie des Ge- 
hirns. Oedem. 


ja. 


2 


.Schulze, 
Willy. 


23. Oct. 
1900. 


Chron. Eiterg. 
m. Cholesteatom 
(Meningitis?) 


23. Oct. 


Cholesteatom. 


ja- 


3 


Badina, 
Valentin. 


12. April 
1898. 


Cholesteatom 
(Meningitis?) 


13. April. 


Cholesteatom. 


ja. 


4 


Hillebrecht, 
Friedrich. 


29. Juni 
1899. 


(Meningitis?) 


29. Juni. 


HydrooephaluB 
intern. 


ja- 


5 


Cyliax, 


17. Aug. 


Sinusthrom- 


20. Aug. 


Thrombose des 


ja. 




Friedrieh. 


1897. 


bose oder Me- 
ningitis. 




Sinus sigmoideus 
links. 




6 


Pstrong, 


15. Jan. 


Leptomenin- 


16. Jan. 


1 Ohne Operation 
1 geheilt. 


ja. 




Stanislans. 


1901. 


gitis? 


21. Jan. 





Auf Grund vorstehender Krankengeschichten sollen nun die 
Erfahrungen besprochen werden, die in der Kgl. üniversitäts- 
Ohrenklinik zu Halle a. S. bei der Ausführung der Lumbal- 
punction gesammelt wurden, und zwar zunächst in Bezug auf 

1. Die Technik der Punction 
und der Untersuchung der Lumbaiflüssigkeit. 

Quincke (2) hat zur Punction eine durch einen Mandrin 
verschlossene Canüle empfohlen mit einer Lichtung von 0,6 bis 
1,0 mm; die bei Kindern etwa 2 bis 2,5, bei Erwachsenen 
4,5 bis 7 cm. tief eingestochen werden soll. In der hiesigen 
Klinik sind von Anfang an Hohlnadeln vorgezogen worden. Ein- 
mal merkt man beim Gebrauch von Hohlnadeln an dem aus- 
fiiessenden Liquor sofort, ob die Nadel in den Spinalkanal einge- 
drungen ist, und man ist daher nicht, um dies zu bestimmen, 

1) Unter dieser Rubrik sind diejenigen Fälle zusammengestellt, bei denen 
in vita meuingeale und HirndrackerschelDungen bestanden, welche in einem 
Theil der in Heilung ausgegangenen Fälle sich zurückgebildet haben. In dem 
aaderen Theil der Fälle kam es zur Autopsie, wobei aber keine von den be- 
kannten intracraniellen Complicationen mit Sicherheit festgestellt werden 
konnte. 



Bedeutg. d. Lumbalpunct. far d. Diagaose intracraa. Gomplicat. d. Otitis. 39 

wie bei der durch einea Maadrin vergchlossenen Canüle auf sein 
Geftlhl allein angewiesen, und dann werden anch wohl bei der 
Anwendung der Hohlnadel Verletzungen des Rückenmarks und 
der Cauda, equina sicherer vermieden. Schon bei der 9. Function 
(Fall a 2) zeigte es sich, dass die von Quincke (2) angegebene 
Länge der Nadel nicht genügte, und heute werden bei der 
Function Erwachsener Nadeln angewandt, die ohne Ansatzstück 
ca. 13 cm Länge haben, bei einem Lumen von 1,0 und einer 
Dicke von 1,3 mm. Bei Kindern genügt evtl. die Nadel einer 
Fravaz'schen Spritze als Nothbehelf. Vor dem Gebrauch werden 
die Nadeln ausgekocht und in eine 2proc. Sodalösung gelegt. 
Die Nadeln in Carbollösung zu desinfioiren, ist unrathsam, 
da dieselben dadurch leicht oxydiren und brüchig werden. So be- 
richtet Lenhartz(3), dass ihm bei vier Functionen die J^adeln 
abbrachen, nachdem sie öfters in Carbollösung gelegen hatten. 

In der hiesigen Klinik werden die Functionen zwischen 
dem 4. und 5. Lendenwirbel an dem unteren Rande des 4. Wir- 
bels vorgenommen, bei Erwachsenen circa V2 cm. seitwätts 
der Mittellinie der Wirbelsäule, weil die starken in der Mittel- 
linie verlaufenden Bänder, die Ligamenta apicum dem Eindringen 
der Nadel sehr hinderlich sind. Bei Kindern ist dieses Hemmniss 
nicht so bedeutend. Der Duralsack der MeduUa soll möglichst in 
der Mitte durchbohrt werden. Zu diesem Zwecke kann man 
bei Kindern die Nadel am unteren Rande des Dornfortsatzes 
des 4. oder des 3. oder 2. Lendenwirbels senkrecht in die 
Spinalhöhle eindrücken, während man bei Erwachsenen die seit- 
lich der Mittellinie aufgesetzte Nadel medianwärts nach vorn 
und oben führen muss. 

Bei muskulösen Fatienten ist die Bestimmung der Einstich- 
stelle oft nicht leicht. Um dieselbe mit Sicherheit finden zu 
können, hat Jacob y (4) folgendes Mittel angegeben. Er ver- 
bindet die höchsten Funkte der beiden Gristae ilei durch eine 
gerade Linie. Diese schneidet den 4. Lendenwirbel in der Mitte. 
Dicht unterhalb der Linie liegt der Dornfortsatz des 4., dicht 
über derselben der Dornfortsatz des 3. Lendenwirbels. 

Es ist hier öfters vorgekommen, dass die Nadel beim Gleiten 
in die Tiefe auf knöchernen Widerstand stiess, so dass es noth- 
wendig war, dieselbe zurückzuziehen und ihr eine andere, den 
vorhandenen anatomischen Verhältnissen mehr entsprechende 
Richtung zu geben. Dies hängt mit der Verschiedenheit in der 
Form der Dornfortsätze zusammen. Die Dornfortsätze stehen 



40 IL BRAUNSTEIN 

horizontal, jedoch mit dem Unterschiede, dass bei dem einen 
Skelett die obere und ^untere Kante derselben vollkommen hori- 
zontal verlaufen, während bei dem andern die untere Kante der 
Dornfortsätze naeh unten abbiegt, zuweilen so tief, dass sie die 
obere Kante des nächstfolgenden Dornfortsatzes fast berührt. 
Bei der ersten Form ist der zwischen den Wirbelbogen ge- 
legene Baum, in den die Nadel eindringen soll, von hinten 
gesehen, völlig frei und offen, aber wenn man seitlich der Mittel- 
linie in der Höhe des unteren Bandes des Dornfortsatzes die 
Nadel mediänwärts nach vorn und oben einfährt, so stösst man 
stets auf Knochen, auf den Dornfortsatz, weil der untere Band 
desselben mit dem oberen Bande des freien Baumes in einer 
Höhe liegt. Bei der zweiten Form der Dornfortsätze ist der 
Baum Äwischen den Wirbelbögen, von hinten gesehen, verdeckt, 
der untere Band der Dornfortsätze hängt wie ein Schirm über 
ihm. Zwischen dem durch die Musculatur fahlbaren unteren 
Bande dieser Dornfortsätze und ihrer Wurzel am Wirbelbogen 
ist daher nach vorn und oben und mediänwärts genügend Baum 
ftir das Eindringen der Nadel. Hier gelingt demnach die Func- 
tion in der angegebenen Bichtung anstandslos. Wenn die Nadel 
auf Knochen stösst, so hat man es mit Dornfortsätzen der ersten 
Form zu thun, was man vorher nicht wissen kann. Dann wird 
die Nadel senkrecht auf die Wirbelsäule, also parallel zur un- 
teren Kante des Dornfortsatzes, höchstens etwas mediänwärts 
oder etwas nach unten geneigt, eingestochen, uin den Duralsack 
zu durchbohren. Bei dem Versuche, mit der Nadel in den 
Wirbelkanal zu gelangen, ist Ueberhastung und übermässige 
Kraftanwendung zu vermeiden. 

Braun (5) hat in seiner Arbeit: lieber die Lumbalpunction 
und ihre Bedeutung für die Chirurgie (25. Congress der deut- 
sehen Gesellschaft fttr Chirurgie 1897) einige von Merkel ent- 
worfene Zeichnungen gebracht, durch welche die oben erwähnten 
anatomischen Verhältnisse der Dornfortsätze auf das Deutlichste 
veranschaulicht werden. 

Bei der Lumbalpunction liegen die Kranken auf der Seite, 
die Beine gegen den Leib angezogen, den Bücken möglichst 
gekrümmt und dem Lichte zugekehrt. Es ist zweckmässig, 
durch einen Gehülffen einen Druck gegen den Unterleib des Fat. 
ausüben zu lassen, bis die Nadel eingestochen ist. Denn der 
Eingriff ist nach hiesigen Erfahrungen nicht so schmerzlos, wie 
Lenhartz (3) behauptet, sodass die Fat. in mehreren Fällen 



Bedentg. d. Lumbalpunct. für d. Diagnose intracraD. Complicat. d. Otitis. 41 

versuchten, beim Einstich der Nadel den Rücken zu strecken. 
Jedoch ist die Schmerzhaflig^keit des Eingriffs nicht so gross, 
dass die Anwendung der Narkose angezeigt wftre, höchstens 
käme die locale Änästhesirung der Einstichstelle mit Aethylen- 
chlorid oder nach der Schleich 'sehen Methode in Frage. Aber 
die Anwendung der Schi eich 'sehen Methode erschwert in 
Folge der starken Wasserinfiltration der Weichtheile die Auf- 
findung der fbr die Function geeigneten Stelle. Für die meisten 
Fälle ist auch die locale Anästhesie entbehrlich. Wenn mehrere 
Patienten vor der Function chloroformirt ^) wurden, so geschah 
es, um bei negativem Befunde der Cerebrospinalfltlssigkeit sofort 
zur Operation schreiten zu können. 

In anderen Körperhaltungen als der seitlichen Lage wurde die 
Function bisher nicht ausgeführt, weder, wie Senator (6) em- 
pfiehlt, in Bauchlage auf dem Schooss bei Kindern noch in 
Knieellenbogenlage bei Erwachsenen. Auch wurde nicht der 
Versuch gemacht, durch die Function im Sitzen der Fatienten 
Flüssigkeit zu gewinnen, obschon in zwei Fällen die in Seiten- 
lage versuchte Function keinen Liquor zu Tage forderte. Für- 
bringer (7) empfahl für solche Fälle die Function im Sitzen. 

Dass bei Ausführung der Function auf peinlichste Desin- 
fection der Lumbaigegend und der Instrumente zu achten ist, 
braucht wohl nicht bemerkt zu werden. Die Einstichstelle wird 
hier nach der Function durch aseptisches Heftpflaster und CoUo- 
dittm geschlossen, und bisher wurde nie eine Entzündung oder 
eine Infection, ausgehend von der Einstichstelle, beobachtet oder 
bei Sectionen gefunden. 

Manometrische Messungen wurden in der hiesigen Klinik 
nicht ausgeführt, weil sich der Druck ungefähr abschätzen lässt 
nach der Schnelligkeit, mit welcher die Flüssigkeit aus der 
Nadel abfliesst, und nach der Höhe des herausspritzenden Flüssig- 
keitsbogens. Für praktische Zwecke genügt dies, zumal die 
Höhe des normalen Druckes der Gerebrospinalflüssigkeit noch 
nicht festgestellt ist. 

Quincke (2) gab denselben zuerst auf 40—60 mm Wasser 
an, behauptete aber später, derselbe sei noch unbekannt, betrage 
jedoch unter 150 mm. Krönig behauptete, der Druck der Gere- 
brospinalflüssigkeit betrage beim normalen Menschen im Liegen 

1) Nach anseren oben mltgetheilten ErfahruDgen ist die allgemeine An- 
wendang der Chloroformnarkose, wie sie y. Ziemssen fttr die Lumbalpunc- 
tion empfahl, zu widerrathen. Schwartze. 



42 II. BRAUNSTEIN 

125, im Sitzen 410 mm Wasser. Wenn daher der Liquor eines 
liegenden Patienten im Strahl ahfiiesse, so stehe derselbe stets 
unter erhöhtem Druck. ^) In der hiesigen Klinik wurde die 
Punotion stets unterbrochen, wenn die Patienten Merkmale einer 
zu schnellen oder zu tiefen Druckverminderung zeigten. Solche 
sind Klagen über beginnende oder heftiger werdende Kopf- 
schmerzen, Schwindelgefühl, Uebelkeit, Unregelmässigwerden 
des Pulses, Zuckungen in den Beinen. Bei Hirntumoren, be- 
sonders bei solchen im Kleinhirn ist besondere Vorsicht bei 
der Punction geboten, einmal weil bei denselben wie bei Neu- 
bildungen der MeduUa oblongata und der hinteren Schädelgrube 
öfters plötzliche Todesfälle auch ohne Punction vorkommen, und 
dann, weil dieselben leicht die offene Verbindung zwischen 
Schädel- und Spinalhöhle aufheben, sodass letztere nur wenig 
Liquor enthält. Dann kann schon durch Abfliessen von 5 — 6 com 
Flüssigkeit eine gefährliche Druckverminderung entstehen. Die 
Gefahr bei der Lumbalpunction besteht eben in einer zu schnellen 
oder zu tiefen Herabminderung des Cerebrospinaldruckes. Wenn 
die Punctionsflüssigkeit unter hohem Druck steht, also in weitem 
Strahl abfiiesst, so ist es zweckmässig, die Punction ein oder mehrere 
Male zu unterbrechen, statt 30 — 40 ccm Liquor auf einmal abfliessen 
zu lassen, um eine zu schnelle Druckverminderung zu verhüten. 
Ausserdem wurde die Punction abgebrochen, wenn die Flüssig- 
keit nicht mehr im Strahl abfloss oder sonst, wenn genügend 
Liquor zur Untersuchung gewonnen war. Daher wechselte die 
Menge desselben in den einzelnen Fällen sehr. Das geringste 
Quantum der gewonnenen Punctionsflüssigkeit betrug 13, das 
grösste 70 ccm. Auch durch den Abfluss dieser unter hohem 
Druck stehenden Liquormenge wurde das Befinden des Patienten 
(fl) in keiner Weise beeinflusst. Im Mittel wurden 30— 40 com 
Liquor entleert. Bei dieser Menge ist wohl anzunehmen, dass 
die Flüssigkeit aus dem Schädelinnern stammt, dass demnach 
die freie Communication zwischen Schädel- und Spinalhöhle 
nicht unterbrochen ist. Wenn dann bei dem punctirten Patienten 



1) Nach Krönig (8) ist die genaue Beobachtung der Pulsationsschwan- 
kungen für den Nachweis der Communication von grösster Bedeutung. Daher 
seien manometrische Messungen nöthig, zumal für die Punction bei Gehirn- 
tumor. Eine auffallend starke Pulsation im Mauometerrohre führte zur 
Differentialdiagnose zwischen pulsierendem Gehirntumor oder Aneurysma 
der basalen Gehirnarterien. Die Autopsie constatirte aneurysmatische Er- 
weiterung der Art. vertebr. 



Bedeatg. d. Lumbalpunct. für d. Diagnose intracran. Complicat. d. Otitis. 43 

eiae diffuse Entzündung der weichen Hirnhäute vorliegt, so muss 
die angegebene Menge Liquor entzündliche Bestandtheile aus 
der Schädelhöhle mit sich führen. Kleine Mengen Flüssigkeit 
geben diese Sicherheit nicht, i) 

Von einer chemischenüntersuchung der Cerebrospinal- 
fiüssigkeit wurde abgesehen, weil dieselbe bisher keine praktisch 
verwerthbaren Kesultate geliefert hat. Nur in einem Falle (d) 
wurde der Eiweissgehalt auf l^/oo bestimmt. Normal soll der- 
selbe 0,2 — 0,5 ö/oo betragen. Bei Entzündungen ist derselbe nach 
Lenhartz (3) nie unter 1 ^/oo und kann bis 9^/oo steigen. Jedoch 
dürfte der erhöhte Eiweissgehalt der Gerebrospinalflüssigkeit 
nieht mit Sicherheit auf eine Entzündung der Hirnhäute sehliessen 
lassen, da sich derselbe auch bei einfachen Stauungen bedeutend 
vermehren kann. Quantitative Kochsalzbestimmungen wurden 
ebenfalls nicht ausgeführt. 

Auch die Bestimmung des specifischen Oewichts des Liquors, 
das normal ca. 1007 betragen soll, wurde, weil ohne praktischen 
Werth, unterlassen. 

Nach hiesigen Erfahrungen hat sich die mikroskopische 
Untersuchung der Gerebrospinalflüssigkeit als die maassgebende 
erwiesen. Es wurden auch Culturen auf Agar und Bouillon 
angelegt und ebenso das Thierexperiment herangezogen. Aber 
keine Untersuchungsitethode gab so sicheren Aufschluss über 
die Beschaffenheit der Flüssigkeit, wie die mikroskopische, die 
ausserdem noch den Yortheil der Schnelligkeit hat, während 
beim Warten auf das Resultat des lange Zeit beanspruchenden 
Tbierexperiments der für eine lebenrettende Operation noch 
günstige Augenblick leicht verstreicht. 2) 

Die normale Gerebrospinalflüssigkeit ist vollkom- 
men wasserklar. Von Formelementen darf dieselbe höchstens 
vereinzelte — in einem Gesichtsfelde ca. 1 — 3 — Leukocyten ent- 
halten. Die Leukocyten müssen einkernige sein, sie dürfen weder 
mehrere, noch gelappte Kerne haben. In vielen Fällen sieht man 
überhaupt keine weissen Blutkörperchen in einem Gesichtsfelde. 



1) Slawykund Manicatide(9)(BerliDerkl. Wochenschr.No. 18, 1898) 
entleerten in 19 Fällen bei Kindern mit Meningitis tuberculosa je 75 ccm Liquor, 
ohne den geringsten Nachtheil für die Patienten. Die nach der Function 
eingesunkenen Fontanellen waren nach 12—24 Stunden wieder gespannt. 

2) Fall E3, in dem der thierexperimentelle Beweis, dass Tuberkelbacillen 
in dem Liquor enthalten waren, erst mehrere Wochen nach dem Tode des Pa- 
tienten erbracht wurde. 



44 II. BRAUNSTEIN 

Bei den Entzündungen des Gehirns and Rücken- 
marks und ihrer H&ute ist die Flüssigkeit trübe und kann sogar 
rein eitrig sein. Die Trübung ist meisten sverursaoht durch eine 
Vermehrung von Leukocyten oder durch Beimengung von Eiter- 
körperchen und Entzündungserregern. Indess hat hier ein neuerer 
Fall (i 3) bewiesen, dass auch ohne Vermehrung von Leu- 
kocyten und ohne andere Formbestandtheile eine 
Trübung vorhanden sein kann, deren jedenfalls auf chemi- 
schen Veränderungen des Liquors beruhende Ursache uns unbe- 
kannt blieb. 

Bei der tubercnlösen Meningitis soll sonst, nach Angabe 
vieler Beobachter, die Flüssigkeit auch wasserklar sein und 
Tuberkalbacillen enthalten, während hier beobachtet wurde, das» 
die Flüssigkeit bei senkrecht auffallendem Lichte wasser- 
klar, bei seitlich auffallendem aber deutlich opalisirend war. 
Schwarz (10) hat in einem Falle aus der Gerinnselbildung des 
klaren Liquors auf tuberculöse Meningitis geschlossen, und die 
Autopsie bestätigte seine Diagnose, eine Erfahrung, die bereits 
hier gemacht worden war. Entdeckt man bei der sofort nach 
der Function vorgenommenen mikroskopischen Untersuchung 
keine Formbestandtheile, so ist die Gentrifugirnng des Liquor» 
zu empfehlen, wenn derselbe verdächtig erscheint Im Sediment 
finden sich dann zuweilen Leukocyten und Mikroorganismen. 

Stadelmann (11) behauptet, bei tuberculöser Meningiti» 
sei der Liquor in der Regel hell und klar, später kämen aber 
Trübungen desselben, gelegentlich auch Eiter und Blut in dem- 
selben vor wie bei Mening. purul. diflf. Tuberkelbacillen konnten 
fehlen, wenn noch kein Zerfall von Tuberkeln stattgefunden habe» 

Aus der Literatur lassen sich noch mehr Beispiele mittheilen 
zum Beweise, dass aus dem Befunde der Gerebrospinalflüssigkeit 
nur dann mit Sicherheit auf Meningitis tubercnlosa geschlossen 
werden kann, wenn Tuberkelbacillen im Liquor gefunden werden. 

Bei uncomplicirtem Hirnabscess ist nach den Erfahrungen 
in unserer Klinik die Gerebrospinalflüssigkeit vermehrt, aber 
klar. Sie enthält keine vermehrten Leukocyten und keine 
Mikroorganismen. 

Auch bei Cerebrospinalmeningitis wird das Ergebniss der 
Lumbalpunction sehr verschieden angegeben. Nach Len hart z (3) 
ist bei epidemischer Genickstarre der Liquor dick und eitrig, 
eitrig-serös oder eitrig-blutig, während Councilmann (12) ihn 
in 55 Fällen bald klar, bald getrübt, letzteres namentlich im 



fiedeutg. d. Lumbalpanct. fUr d. Diagaos« intracran. Complicat. d. Otitis. 45 

Beginne der Erkrankung fand. In 38 Fällen ergab die mikro- 
skopische Untersuchung den Diplocoocus intraoellularis. 

L entert (1) hat in seiner Arbeit einen Fall als Meningitis 
serosn (e) aufgeführt, und er ist unter dieser Rubrik auch in 
diese Arbeit ilbergegangeo. Nach dem Punctionsergebniss kann 
derselbe aber nicht als Meningitis serosa gelten, weil in dem- 
selben neben vermehrten Leukocyten nicht wenige Stäbchen 
gefunden wurden. Die Cerebrospinalfldssigkeit enthält aber 
nach Quincke bei Meningitis serosa keine Mikroorganismen. 
Eine definitive Entscheidung in dieser Frage ist zur Zeit nicht 
möglich, weil die anatomischen und bacteriologischen Verhält- 
nisse der Meningitis serosa noch nicht eindeutig klargelegt sind. 

2. Unangenehme Erscheinungen während und 
unmittelbar nach der Function. 

Wenn auch die mit den angeführten Vorsiehtsmaassregeln 
vorgenommene Lumbalpunction zu den ungefährlichen Eingriffen 
gerechnet werden darf, so kann ihre Ausführung dennoch zu- 
weilen von unangenehmen Erscheinungen begleitet sein. Solche 
traten auch bei mehreren hiesigen Patienten auf, so im Falle b 3 
und e 6 Unregelmässigkeit des Pulses, bei c 1 grosse Unruhe des 
Patienten. Im Fall f6 trat unmittelbar nach der Punetion ein 
Schüttelfrost ein mit Ansteigen der Temperatur auf 40^. Der 
Aiifj^U dauerte 10 Minuten, dann folgte leichter Schweissausbruch 
und der Puls wurde wiedar regelmässiger. Ob letzterer Anfall 
allerdings durch die Lumbalpunction ausgelöst wurde, scheint 
mehr als fraglieh, obschon derselbe auch durch Unregelmässig- 
werden des Pulses eingeleitet wurde, da Patientin, die an Pyämie 
litt, schon vorher häufig von Schüttelfrosten befallen war. Diese 
unangenehmen Erscheinungen waren stets nur vorübergehender 
Natur, ohne irgend welche dauernden Nachtheile. 

Dagegen erlebten wir bei zwei Patienten bald nach der 
Punetion den Eintritt des Todes. Im Falle bl wurde die 
Punetion überhaupt zum ersten Male in der hiesigen Klinik vor- 
genommen. Nachdem 40 — 50 ccm Liquor im Strahl abgeflossen 
waren und derselbe dann nur noch tropfenweise nachsickerte, 
wurde mit einer Pravaz'schen Spritze aspirirt. Patient wurde 
darauf sehr unruhig, die Athmung auffallend tief und aussetzend. 
Es trat Cheyne - Stokes'sches Athmen ein, Cyanose und 15 Mi- 
nuten nach der Punetion der Exitus letalis ein. Vielleicht 
war durch die Aspiration der Druck der Gerebrospinalflüssigkeit 



46 II. BRAUNSTEIN 

zu sehr herabgesetzt worden. In späteren Fällen ist daher die 
Aspiration nie mehr angewandt worden. Auch Rieken (13) 
warnt vor der Anwendung derselben und macht neben der 
Gefahr der zn grossen Druckvermindernng der Cerebrospinal- 
flfissigkeit noch auf die Möglichkeit aufmerksam, dass eine Nerven- 
wurzel aspirirt werden könne. Die Aspiration ist aber auch 
völlig überflüssig, da durch die einfache Function bei erhöhtem 
Drucke des Liquors, also bei Entzündungen in der Schädelhöhle, 
dasselbe erreicht wird, und aus dem durch Aspiration gewonnenen 
Liquor nicht auf solche Entzündungen geschlossen werden darf. 
Denn bei der Function einer normalen Spinalfaöhle tropft auch 
Liquor ab. Hierdurch unterscheidet sie sich von anderen serösen 
Höhlen, deren pathologischer Zustand schon durch das positive 
Ergebniss einer Function allein bewiesen wird. Ein patholo- 
gischer Zustand im Schädelinnern und im Bttckenmarkkanal 
kann daher nur dann angenommen werden, wenn die Gerebro- 
spinalflüssigkeit unter abnorm hohem Drucke steht. Wenn dem- 
nach bei der Function des Spinalkanals der Liquor nur tropfen- 
weise oder gar nicht abfliesst, so liegt entweder kein pathologischer 
Zustand vor oder die offene Communieation zwischen Schädel- 
höhle und Spinalkanal ist verlegt. In beiden Fällen wirkt dann 
die Verminderung des Drucks der Gerebrospinal- oder Spinal- 
flüssigkeit durch die Aspiration gefahrbringend. 

Der zweite Fall (1 1), in dem der Tod kurz nach der Lum- 
balpunction eintrat, ist schwieriger zu beurtheilen, weil die Func- 
tion an der chloroformirten Fatientin vorgenommen wurde. 
13 ccm klarer Liquor waren abgeflossen, als nach wenigen Se- 
ounden plötzlich die Athmung aussetzte und hochgradige Gya- 
nose des Gesichts eintrat. Der Fuls blieb gut. Bis dahin 
waren 25 ccm Chloroform verabreicht. Nach ca. 20 Minuten 
künstlicher Athmung ging der Anfall vorüber. Während der 
nächsten halben Stunde war Fatientin wieder bei Bewusstsein, 
klagte nicht über Schmerzen und trank eine, Tasse Kaffee. 
Flötzlich wurde die Athmung wieder oberflächlich unter Ein- 
tritt hochgradiger Gyanose. Die sofort unternommene künstliche 
Athmung hatte jetzt keinen Erfolg mehr. Die Section gab über 
die Todesursache keinen sicheren Aufschluss, sodass wir vor 
der ungelösten Frage [stehen, ob hier der Tod durch Chloro- 
form oder durch die Function verursacht wurde. Die grössere 
Wahrscheinlichkeit spricht für Chloroformtod, worauf auch 
der HiSectionsbefund: [Verfettung des Herzens,^ Lungenödem, 



Bedeutg. d. Lumbalpunct. für d. Diagnose intracran. Gomplicat. d. Otitis. 47 

alte und frische Heerde im Oberlappen der rechten Lunge hin- 
weist. 

Bei der Annahme eines Zusammenhangs zwischen Lumbal«- 
punction und Tod muss stets bedacht werden, dass bei Patienten 
mit GehirnaflFectionen der Tod auch ohne Function oft plötz- 
lioh eintritt. Bekannt ist dies bei Gehirntumoren. Braun (5) 
beobachtete aber dies Vorkommniss auch bei einem Patienten mit 
einem nach Schädelverletzung entstandenen Gehirnabscess. Patient 
wachte Nachts auf, wurde unruhig und starb gleich darauf. Die 
Section ergab einen grossen Gehirnabscess, aber keinen Auf- 
schluss über die Ursache des so plötzlich eingetretenen Todes. 
EineLumbalpunction war bei dem Patienten nicht gemacht worden, 
sonst würde man ihr sicherlich den Tod zur Last gelegt haben. 
Derselbe Autor punctirte ein urämisches Kind. Die Function 
ergab reichlichen Liquor. Weil aber die urämischen Zufälle 
darnach unverändert blieben, so wurde den folgenden Tag die 
Function wiederholt. Sie ergab keinen Liquor. Das Kind 
starb plötzlich 5 Minuten nach dieser erfolglosen Function. 
Solche Fälle beweisen, dass die Entscheidung über die Annahme 
eines Zusammenhangs zwischen Lumbalpunction und Tod unter 
Umständen grosse Schwierigkeiten bieten kann. 

Bisher ist kein Fall, soweit hier bekannt, veröffentlicht 
worden, der klar beweist, dass der Tod durch die Lumbal- 
punction herbeigefahrt wurde. In den Mittheilungen von Bull 
(14), Krönig (8), Fürbringer (7) und Lichtheim (15) wird 
allerdings die Annahme ausgesprochen, dass der Tod der betref- 
fenden Patienten im Zusammenhang gestanden habe mit der Func- 
tion, aber beweiskräftig ist keiner dieser Fälle. Praktischen 
Werth hat die Lösung dieser Frage überhaupt nicht. Wenn 
doroh die Function auch in einzelnen Fällen der Tod unerwartet 
schnell eintritt, so geschieht dies wohl nur bei Patienten, deren Ende 
in der nächsten Zeit zu erwarten war. Und deshalb kann die 
Lumbalpunction nicht als gefährlicher Eingriff angesehen wer- 
den. Bei richtiger Technik werden sich Todesfälle [auch ver- 
meiden lassen, resp. so selten werden, dass der Werth der 
Function als diagnostisches Hülfsmittel dadurch nicht [aufge- 
hoben wird. 

Eieken (13) und Fürbringer (7) beobachteten während 
der Function Zuckungen, schmerzhaftes Strecken der unteren 
Extremität, die sie auf Berührung und Verletzung einer Nerven- 
wurzel oder ihre Einklemmung zwischen Nadel und Wirbel- 



48 II. BRAUNSTEIN 

körper zurückführen. In mehreren FftUen sollen selbst f&r einige 
Tage Schmerzen nnd ein Gefühl von Taubsein in einem Beine 
bemerkbar geblieben sein. 

Unter den 67 Functionen in der hiesigen Klinik waren nur 
4 ohne Ergebniss. In dem ersten bereits erwähnten Falle war die 
Nadel zu kurz. Die l&ngere Nadel Hess den Liquor abfliessen. 
In zwei anderen Fällen, G 3 und C 9, ergab die Seetion im 
Spinalkanal sulziges Gewebe und Oedem der weissen Substanz, 
sodass in Folge der Baumverengung nur wenig Liquor im Btleken- 
markkanal sein konnte und sein Abfluss verhindert wurde. In 
beiden Fällen handelte es sich um Meningitis purulenta diffusa. 
In den anderen 24 Meningitisfällen ergab die Function stets 
reichlichen, zur Untersuchung völlig genflgenden Liquor, sodass 
nach diesen Erfahrungen die Behauptung Goldscheider's (16), 
dass sich bei eitriger Meningitis kein Eiter findet, weil es sich 
dabei um eitrig -fibrinöse Auflagerungen handelt, nicht be- 
gründet erscheint. 

Ob in dem 4. Falle (14) nicht genflgend Liquor vorhanden 
war, oder ob ein Exsudat, Fibringerinnsel oder Gewebsmassen 
die Nadel verstopft hatten, ist nicht festgestellt worden. Bei der 
Seetion fand sich in der hinteren Schädelgrube eine geringe 
Menge klarer Flüssigkeit. 

In einem Falle (k5), bei einem Kinde mit tuberculöser 
Meningitis ergab die Function reines Blut. Bisher wurde rein 
blutige Flüssigkeit bei Apoplexien gefunden, wenn sich das 
Blut in die Hirnventrikel ergossen hatte, dann bei Schädelver- 
letzungen und hämorrhagischer Facbymeningitis, bei subduralem 
Bluterguss und bei Rindenapoplexien mit Durchbruch in die 
Meningen. Von diesen pathologischen Zuständen wurde bei der 
Seetion nichts gefunden. Im FrotocoU derselben wird gesagt: 
„Aus dem Spinalkanal' entleert sich viel klare Flüssig- 
keit^. Auch bestand kein Hinderniss für den Abfluss der 
Flüssigkeit aus der Schädelhöhle nach dem Rückenmarkkanal. 
Leider wurde letzterer bei der Seetion nicht eröffnet, sodass 
die Ursache obigen Ergebnisses der Lumbalpunction nicht auf- 
geklärt ist. 

In zwei anderen Fällen war der Cerebrospinalflüssigkeit 
Blut beigemischt. Wenn beim Einstechen der Nadel in den 
Duralsack der Medulla eine Gefässverletzung stattfindet, so sind 
gewöhnlich die ersten Tropfen der Functionsflüssigkeit blutig 



Bedeatg. d. Lumbalpunct. fttr d..Diagiiose intracran. Gomplicat. d. Otitis. 49 

verfärbt. Jedoch ist diese Blutung meistens gering, sodass der 
Liquor bald klar abfliesst (h 3). 

Bei dem Versuch, mit der Nadel in den Wirbelkanal zu 
gelangen, kann eine Blutung entstehen. Dann können wäh- 
rend der Function heftige Bewegungen des Patienten eine Blu- 
tung verursachen, nachdem der Liquor zuerst ganz klar abge- 
flossen war, sodass am Schluss der Function die Flüssigkeit blutig 
tingirt wird , wie es hier bei Fall (a 6) beobachtet wurde. Je- 
doch wurden stärkere Blutungen in Folge von Verletzungen 
grösserer Gefässe nicht beobachtet. 

Nach Stadelmann (11) soll es vorkommen, dass bei der 
Vornahme der Lumbalpunction der Subduralraum statt des Sub- 
arachnoidealraums punctirt wird. Er hat häufig in der Leiche 
nachgesehen und behauptet, dass es ihm mit unzweifelhafter 
Sicherheit gelungen sei, nachzuweisen, dass die Nadel in den 
Subduralraum gelangt sein musste. Der Subarachnoidealraum 
war ganz verschlossen, dagegen der Subduralraum stark aus- 
gedehnt und enthielt eine grössere Menge Flüssigkeit. 

Die Möglichkeit eines solchen Irrthums muss zugegeben 
werden, indessen scheint ein solches Vorkommniss sehr selten 
zu sein und wurde in der hiesigen Klinik niemals beobachtet. 

Durch das Einstechen der Nadel in den Wirbelkanal kann 
eine starke Heizung des Duralsacks und des Rückenmarks her- 
vorgerufen werden. So ergab die Section im (Fall c3 eine 
Reizung und Blutung im Lendentheil des spinalen Duralsackes 
nach Lumbalpunction. Im SectionsprotocoU heisst es: „Im un- 
teren Lendenmarke an der Innenseite des Wirbelkanals eitriger 
Belag, ebenso an der Hinterfiäche des Duralsackes. Hier ist 
die Dura in ganzer Ausdehnung gespannt, bläulich durch- 
scheinend. Drei Punctionsöflfnungen , die eine mitten auf der 
Hinterfläche der Dura, die beiden anderen links seitlich da- 
von, sind sichtbar. Bei Durchtreijinung der Dura über der 
€auda eq. entleert sich in reicher Menge gelbliche trübe Flüssig- 
keit. Nach Oeffhung des Duralsackes zeigt sich das Rücken- 
mark in ganzer Ausdehnung von dicken eitrigen Massen erfüllt. 
Entsprechend der äusseren, sichtbaren bläulichen Verfärbung 
findet sich auf der Innenfläche der Dura ein schwärzliches Blut- 
coagulum, ebenso sind die eitrig infiltrirten Häute des Lenden 
marks von einem etwa 5 cm langen blutigen Streifen durchsetzt." 

In einem anderen Falle c9 war die Durascheide stark in- 
jicirt, ebenso die Gefässe am unteren Ende des Brustmarks* 

ArchiT f. Ohrenheilkunde. LIV. Bd. 4 



50 II. BRAUNST£1N 

3. Die diagnostische Bedeutung der Lumbal- 

punction. 

Bei der Besprechung der Erfahrungen, die in der hiesigen 
Klinik mit der diagnostischen Bedeutung der Lumbalpunction 
gemacht worden sind, ist zunächst festzustellen, dass das Haupt- 
gewicht auf den negativen Befund der Gerebrospinalfltissigkeit 
gelegt wurde, und dass keine Veranlassung vorgelegen hat, be- 
züglich der Ausnutzung der Lumbalpunction zu diagnostischen 
Zwecken auch nur ein einziges Mal den früheren Standpunkt, 
wie ihn L entert (1. c.) mitgetheilt hat, zu verlassen. Hierdurch 
wurde die Möglichkeit gegebenj^ei Patienten, deren Erankheits- 
Symptome auf das BeaMEe^fdn6E;MeäiB£itis purul. dififusa hin- 
wiesen, diese auszufl<i|fBes8en und dar»iq|»l^n eine Operation zu 
versuchen, währeira^maiv vVor der An\^e\dung der Lumbal- 
punction in solchen jpälien ' von eml^cS opeiativen Eingriff auf 
Grund des klinische^BUdes abgesehen bätie. Auf diese Weise 
wurden mehrere PatiehW^m Leben eiiialten. 

Zur Entscheidung der Fftcgcpöb in einem Falle von Otitis 
media mit intracraniellen Complicationen eine Meningitis puru- 
lenta diffusa vorhanden sei oder nicht, hat sich die Lumbal- 
punction nach hiesigen Erfahrungen als ein diagnostisches Hilfs- 
mittel von hervorragender Bedeutung erwiesen. 

In 29 Fällen entleerte die Lumbalpunction einen normalen 
Liquor cerebrospinalis. Es handelte sich dabei in 7 Fällen um Sinus- 
thrombose, in 3 um perisinuöse Abscesse, in 7 um Hirnabsoesse, 
in 5 um Sinusthrombose mit Birnabscessen und in 7 um intra- 
cranielle Druckerscheinungen mit meningealen Erscheinungen. In 
allen diesen Fällen waren, wie aus den Krankengeschichten zu er- 
sehen ist, die klinischen Symptome nicht klar genug, um eine sichere 
Diagnose der Natur der intracraniellen Gomplication zu stellen. 
Und in jedem Falle gab die Lumbalpunction den richtigen 
Aufschluss. Der meist unter erhöhtem Druck abfliessende Liquor 
war vollkommen klar, wie er unter normalen Verhältnissen ist. 
Eine deutliche Vermehrung der Leukocyten konnte in keinem 
Falle constatirt werden. Die Menge war stets eine so reich- 
liche, dass ihre Herkunft aus dem Schädelinnern nicht ange- 
zweifelt werden konnte. 

Eine Ausnahme scheint der Fall i3 zu machen, in dem 
die Lumbalpunction unter hohem Druck stehende getrübte 
Flüssigkeit ergab. Bei der mikroskopischen Untersuchung fand 
sich aber, dass die Trübung weder durch Vermehrung der 



Bedeutg. d. Lumbalpunct. für d. Diagnose intracran. Complicat. d. Otitis. 51 

Leukocyten noch durch die Anwesenheit von Mikroorganismen 
bedingt war. Worauf die Trübung beruhte, ist nicht festgestellt 
worden. Aber durch den Verlauf der Heilung mit Ausgang in 
Genesung wurde das Nichtvorhandensein einer Meningitis purnl- 
diffusa zweifellos festgestellt und die Richtigkeit der Deutung 
des Befundes der Lumbalpunction bewiesen. 

Die 29 Functionen wurden bei 25 Patienten ausgeführt» 
Eine Patientin (11) starb kurz nach der Function. Bei den 24 
anderen wurde auf Grund der durch die Function geklärten 
Diagnose die für nothwendig erachtete Operation ausgeführt 
und durch den Verlauf die Richtigkeit der letzten Diagnose be* 
stätigt. Von diesen Patienten wurden tO von ihrem intracra- 
niellen Leiden befreit. 

Nach diesen Resultaten kann wohl nicht bezweifelt werden, 
dass der negative Befund der Cerebrospinalflüssigkeit für den 
Ohrenarzt bei der Beurtheilung intracranieller Complicationen 
von grösster Bedeutung ist, und dass derselbe zur Klärung der 
Diagnose ein sicheres Hilfsmittel ist. Obschon bereits 1897 von 
Lentert(l) auf diese Art der Ausnutzung der Lumbalpunction 
in der Halle'schen Ohrenklinik aufmerksam gemacht worden ist, 
scheint dieselbe bisher anderswo keine Anerkennung gefunden 
zu haben. Nur Wilms (17) benutzte den negativen Befund 
bei der Function, um bei Sepsis, oroupöser Pneumonie und Typhus 
abdominalis eitrige Meningitis auszuschliessen, und Braun (5) 
erwähnt die Leutert'sche Auffassung ganz kurz, ohne sich 
über ihren Werth zu äussern. Es ist ja richtig, dass ein nega- 
tiver Befund nichts beweist. Aber er kann als diagnostisches 
Hfilfsmittel eine Entscheidung geben, ebenso wie in der Diagnostik 
sonst negative Befunde verwerthet werden. Eine Diagnose per 
exclusionem ist doch nichts Aussergewöhnliches. 

Die Fälle, die Stadel mann (11) veröffentlicht hat zum 
Beweise seiner Ansicht, dass beim Fehlen von Leukocyten und 
Bakterien, also bei negativem Befunde der Cerebrospinalflüssig- 
keit nicht mit Sicherheit eine eitrige Meningitis ausgeschlossen 
werden könne, hat Leutert.(l) schon damals bei seinem klei- 
neren Material nicht als beweiskräftig anerkennen können. 
Stadelmann (18) giebt ja neuerdings die Wahrscheinlich- 
keit zu, dass bei Abwesenheit von Meningitis, also bei Hirn- 
abscesS) Hirntumor und Sinusthrombose die Function nor- 
malen Liquor liefert. Aber nach den hiesigen Erfahrungen ist 
diese Wahrscheinlichkeit doch fast zur Sicherheit geworden. 



52 IL BRAUNSTEIN 

In Fällen von Hirntumor, Sinusthrombose und perisinuösem Ab- 
soess ist dies wohl unbestritten. Aber bei Hirnabsoessen 
sollen Abweiehungen von der normalen Beschaffenheit des Liquor 
cerebrospinalis vorkommen, wenn beim Vorhandensein mehrerer 
Abscesse der eine durchgebrochen ist. Der anatomische Beweis 
für ein derartiges Vorkommen ist wohl bisher nicht erbracht 
worden. Und Stadelmann (18) hat auf die Möglichkeit eines 
solchen Vorganges nur geschlossen, weil ihm die Function eines 
Kranken mit Hirnabscess meningitischen Liquor lieferte. Bei 
der zweiten, 6 Tage später vorgenommenen Function erhielt er 
klare Flüssigkeit. Die Autopsie ergab keine Meningitis, sondern 
einen Hirnabscess, wie nach der zweiten Function zu erwarten 
war. Einen zweiten Fall hat Wolff (19) aus der Strassburger 
Ohrenklinik veröffentlicht, welcher aber bereits von verschiedenen 
Seiten, von Grunert (20) und Anderen als nicht einwandsfrei 
und nicht hierher gehörig bezeichnet worden ist. Im vorigen 
Jahre wurde nun aus der Jenenser Ohrenklinik ein weiterer 
Fall von Ruprecht (21) mitgetheilt. Bei einem Fatienten, 
der die Symptome einer Meningitis cerebrospinalis zeigte, ent- 
leerte die Function erheblich trüben Liquor, der im Reagenz- 
glase nach zwei Stunden einen dicken, graugelblichen Niederschlag 
von gelapptkernigen Leukocyten absetzte. Er enthielt weder im 
Deckglaspräparat Bakterien, noch konnten solche durch Cnltur- 
verfahren nachgewiesen werden. Ftlnf Tage später lieferte die 
Lumbalpunction Liquor mit leicht opalisirender Trtlbung, aber 
ohne Bakterien. Bei der Section fand sich im linken Gross- 
hirn im Niveau des Abgangs des Unterhorns vom Hinterhorn 
ein die ganze Hemisphäre bis zum lateralen Ependym des Hinter- 
horns und Unterhorns durchsetzender, 4 cm im Durchmesser 
haltender, mit grünlich-grauem, übelriechendem Eiter gefüllter 
Abscess, dessen Vorderende der hinteren Grenze des vorderen 
Sehhtigeldrittels entsprach. Die Gehirnsubstanz in seiner un- 
mittelbaren Umgebung in der Dicke von 3 mm schiefergrau, 
die weiche Substanz der l.und 2. Scheitelwindung blass, citronen- 
gelb, feucht-glänzend, ebenso die ganze weisse Substanz des 
linken Schläfenlappens. Dura spinalis bleich, Innenfläche glatt. 
Gefässe massig gefüllt, in den Maschen klare, farblose Flüs- 
sigkeit. 

Für diese Fälle eine allseitig befriedigende Erklärung zu 
geben, dürfte nicht leicht sein. Weder Stadelmann(l8) noch 
Ruprecht (20) sind dazu im Stande gewesen. Es kann sich 



Bedeutg. d. Lumbalpunct. für d. DiagDOse intracran. Complicat. d. Otitis. 53 

bei den Stadel mann 'sehen Dnrehbruehsabscessen doch nur um 
chronische, abgekapselte Abscesse handele. Behauptet doch 
y. Bergmann (22), dass acut entstandene Abscesse stets an der 
Oberfläche des Gehirns sitzen und meist als „Theilerscheinung*' 
einer diffusen Convexitätsmeningitis sieh finden. Wenn aber ein 
chronischer Abscess durchbricht?, so hinterlässt er stets Spuren 
seines früheren Daseins und heilt mit Hinterlassung einer Narbe. 
Es hätte sich also bei der Section desStadelmann'schen Falles 
entweder die Durch bruchsstelle oder eine Narbe finden müssen. 
Die Annahme, dass ein Gehirnabscess durchbricht, ohne eine 
tödtliohe Meningitis purulenta diffusa zu erzeugen, hat wenig- 
stens seine Analogie in den Erfahrungen der Gynäkologen, dass 
bei Pyosalpinx zuweilen ein Durchbruch in die Bauchhöhle er- 
folgt und trotzdem in Folge der Invirulenz des Eiters keine 
diffuse Peritonitis entsteht. 

Bei dem von Ruprecht (2) veröffentlichten Falle ist es 
schwierig einzusehen, warum bei Annahme einer Leukocytose die 
zweite Function ein ganz anderes Ergebniss lieferte als die erste. 
Nach den Erfahrungen von Hawyk und Manicatide (9) er- 
setzt sich die Cerebrospinalflüssigkeit sehr schnell, bei Kindern 
in 12 — 24 Stunden. Es darf daher wohl angenommen werden, 
dass die Neubildung von Liquor bei Erwachsenen nicht erheblich 
längere Zeit in Anspruch nimmt. Dass dieselbe vor der zweiten 
Function erfolgt war, macht der hohe Druck von 270 mm wahr- 
scheinlich. Es wäre wohl zweckmässiger gewesen, wenn der- 
selbe Arzt beide Functionen vorgenommen hätte, wegen der ein- 
heitlichen Beobachtung und Beurtheilung des Liquorbefundes. 
Während in der Krankengeschichte die Trübung des Liquors als 
eine „leicht opalisirende" charakterisirt wird, spricht die Epikrise 
von einem „bedeutend geringeren Eitergehalt", obschon nach der 
Krankengeschichte auch der durch die erste Function entleerte 
Liquor anscheinend keine Eiterkörperchen enthielt. 

Indessen sind die Fälle von Stadelmann (18) und Ru- 
precht (21) Unica, die bei der grossen Zahl der entgegen- 
gesetzten Beobachtungen der Zuverlässigkeit der Lumbalpunc- 
tion als diagnostisches Hilfsmittel nicht den geringsten Ab- 
bruch thun. 

Es muss hier noch bemerkt werden, dass bei Sectionen der 
makroskopische Befund nicht immer der thatsächlich richtige ist. 
Bei einem der hiesigen Patienten (a 6) enthielt der Urin Zucker. 
Bei der Section schien der IV. Ventrikel makroskopisch ohne 



54 II. BRAUNSTEIN 

pathologischen Befand zu sein. Mikroskopisch zeigten sich aber 
in einem Abstrichpräparat reichliche Eiterkörperchen. 

Wenn nun Stadelmann (18) im Anschluss an seine frühe- 
ren Behauptungen den Satz aufstellt: ^Es ist erwiesen, dass die 
Differentialdiagnose zwischen Sinusthrombose und Hirnabscess 
je nach dem Ausfall des Liquors nicht gemacht werden kann^, 
so wird ihm wohl bis jetzt zugestimmt werden müssen. Aber 
für den Ohrenarzt ist die differentialdiagnostische Be- 
deutung der Lumbalpunction nicht das Wesentliche. Schon Leu - 
tert (1) hat daraufhingewiesen, dass bei Benutzung der Lumbal- 
punction zum Ausschluss einer Meningitis pur. diff. eine längere 
Beobachtung des Kranken nicht mehr erforderlich ist. Es 
kann also eine Operation jetzt in einem viel früheren Stadium 
der Erankheitsentwicklung unternommen werden als vor An- 
wendung der Function, und daher ist die Aussicht auf Heilung 
grösser geworden. Ausserdem hilft die Lumbalpunction indirect 
zur Diagnose eines Hirnabseesses. Wenn durch die Function 
eine entzündliche Sinusthrombose festgestellt ist, so wird dadurch 
nicht das Vorhandensein eines Hirnabseesses ausgeschlossen. 
Aber nach der auf Grund des Liquorbefundes ausgeführten er- 
folgreichen Sinusoperation kommen nach Ablauf des Fiebers die 
Symptome eines Hirnabseesses deutlich zum Vorschein. Und je 
früher die Sinusoperation gemacht ist, um so eher kann die 
Trepanation auf den Hirnabscess ausgeführt werden, ein Vortheil, 
der wohl von Niemandem verkannt werden kann. 

Leutert(l) konnte in seiner Arbeit noch nicht den Beweis 
erbringen, dass die Cerebrospinalflüssigkeit bei Sinusthrombose 
vermehrt sei, weil sein Beobachtungsmaterial zu klein war. Nach 
den weiteren Erfahrungen der hiesigen Klinik aber ist es jetzt er- 
wiesen, dass eine Sinusthrombose eine bedeutende Flüssigkeitsver- 
mehrung im Schädelinnern und im Rückenmarkkanal zur Folge hat. 
Die einschlägigen Krankengeschichten zeigen dies aufs Deutlichste. 

Im Gegensatz zu Stadelmann (11), der behauptet, dass 
bei Schädelbrüchen die Cerebrospinalflüssigkeit nicht klar ab- 
fliesse, dass daher die Entnahme klaren Liquors durch die Lum- 
balpunction gegen das Vorhandensein eines Schädelbruchs spräche, 
wurde in der hiesigen Klinik bei einem Patienten mit Schädel- 
basisfractur (k 6) zweimal durch die Function klarer Liquor 
cerebrospinalis entteert. Die Flüssigkeit war zwar leicht gelb 
verfärbt, aber wasserklar und enthielt keine vermehrten Leuko- 
cjten oder andere Formbestandtheile. 



Bedeutg. d. Lumbalpunct. fQr d. Diagnose intracran. Cumplicat. d. Otitis. 55 

Nächst den Erfahrnngen, die in der hiesigen Klinik bei Aus- 
nutzung des negativen Befundes der Cerebrospinalfldssigkeit 
gemacht wurden, treten die in den Vordergrund, welche bei den 
FftUen mit positivem Ergebniss der Liquoruntersuchung ge* 
sammelt wurden. 

An 18 Patienten wurde die Function 23 mal gemacht, und 
sie ergab in jedem einzelnen Falle den für Meningitis purulenta 
diffusa charakteristischen Befund der Gerebrospinalfltlssigkeit. 
Bemerkt muss hier werden, dass der nach dem Vorgange von 
Läutert (1) als Meningitis serosa angeführte Fall (e) hier zur 
eitrigen Meningitis gerechnet worden ist. In allen Fällen war 
die unter verschieden hohem Druck stehende Flüssigkeit deut- 
lich getrübt und enthielt in allen Fällen vermehrte Leukoeyten, 
ein Befund; der wohl nach der Ansicht sämmtlicher Beobachter 
und Forscher die Diagnose Meningitis sicherstellt. 

Die Trübung war keine gleichmässige, sondern zeigte viele 
Abstufungen, von der makroskopisch kaum erkennbaren ver- 
minderten Klarheit bis zur grün-gelblichen Verfärbung und zum 
milchig-rahmigen Eiter. Die mikroskopische Untersuchung fand 
im Liquor bei den meisten Functionen Mikroorganismen neben 
ein- und mehrkernigen Leukoeyten. Die Mikroorganismen waren 
Diplokokken, Staphylokokken und Streptokokken. Einmal im 
Falle (e) wurden Stäbchen entdeckt, welche besonders nach ihrer 
Anordnung Aehnlichkeit mit Diphtheriebacillen hatten. 

Nach hiesigen Erfahrungen genügt nun die mikroskopisch 
festgestellte Vermehrung der Leukoeyten, um bei intracraniellen 
Gomplicationen das Vorhandensein einer Meningitis zu beweisen. 
Es ist dazu nicht nothwendig, dass die Trübung des Liquors 
eine auffallende ist, oder dass die gefundenen Leukoeyten viel- 
kemige sind, wie dies Fall h3 klarlegt. 

In allen diesen Fällen bestätigte der klinische Verlauf der 
Erkrankung und die Section die Richtigkeit der auf das Func- 
tionsergebniss gegründeten Diagnose. 

Wie bei den meisten otitischen Meningitiden war der kli- 
nische Verlauf der Erkrankung in fast allen Fällen ein sehr 
schneller. 12 Fatienten starben 1 bis 3 Tage nach Feststellung 
ihrer unheilbaren Erkrankung durch die Lumbalpunction, drei 
nach 4 Tagen. Von diesen erkrankten zwei an Meningitis durch 
Infection von einem Hirnabscess her. Bei der dritten war die 
eitrige Thrombose der beiden Sinus petrosi die Ursache der tödt- 
lichen Hirnhautentzündung. Zwei Fatientinnen starben 9 Tage 



66 II. BRAUNSTEIN 

nach der Function, nachdem schon vorher hei der einen ein 
Abscess des linken Schläfenlappens entleert, bei der andern die 
Totalanfmeisselung wegen Cholesteatoms vorgenommen worden 
war. Unter den 18 Patienten, bei denen durch die Lumbal- 
punction die anfänglich unsichere Diagnose einer eitrigen Me- 
ningitis zweifellos entschieden wurde, könnte neun mal ein Hirn- 
abscess, drei mal eine Sinusthrombose, ausser der ursprünglichen 
Otitis, als Ursache der Schlnsskrankheit festgestellt werden, wäh- 
rend in den übrigen 6 Fällen der Infectionsheerd för die Gehirn- 
complication im Felsenbeine gefunden wurde. 

Gemäss den heutigen Anschauungen der Chirurgen wurde^ 
sobald das Vorhandensein einer Meningitis purulenta diffusa fest- 
stand, bei keinem Patienten mehr eine Operation unternommen, mit 
Ausnahme des Falles c 4. Die vor der Lumbalpunction bei dem 
Knaben Borchert bereits mit grosser Wahrscheinlichkeit gestellte 
Diagnose eitrige Meningitis wurde schon durch den Befund der 
zuerst gewonnenen Cerebrospinalflüssigkeit über allen Zweifel 
erhoben. Wenn trotzdem sofort nach der Punction zur Operation 
geschritten wurde, so bestimmten uns dazu die Gründe, die im 
Jahresbericht 1899/1900 dieses Archivs Bd. XLIX, S. 224 in der 
Epikrise des Falles Borchert mitgetheilt worden sind. Das allge- 
meine Wohlbefinden desselben hob sich nach der Operation zu- 
sehends, aber leider nur für die Dauer von 14 Tagen. L en- 
tert (1) hat (1. c.) die Ansicht vertreten, dass sich unsere da- 
maligen Anschauungen (1897) über bestehende Meningitis als 
Confraindication gegen operative Eingriffe ändern würden. Bis 
heute kann ihm leider noch nicht zugestimmt werden. 

Während hiernach in der hiesigen Klinik die Zuverlässigkeit 
der Lumbalpunction fftr die Diagnose der Meningitis purulenta 
diffusa erprobt und bewiesen wurde, haben andere Beobachter 
hiervon abweichende Erfahrungen berichtet. * 

Stadel mann (18) weist darauf hin, dass gelegentlich Fälle 
vorgekommen sind, wo die evidentesten klinischen Erscheinungen 
einer eitrigen Meningitis in Folge Erkrankung des Mittelohrs vor- 
handen waren, und die Section die Diagnose einer eitrigen Me- 
ningitis bestätigte und doch die Lumbalpunction eine hellseröse, 
klare Flüssigkeit ergab, in welcher keine Bakterien gefunden 
wurden. Die Erklärung ist die, dass es sich um eine circum- 
scripte Meningitis handelte, oder dass nur, wie Stadelmann 
vermuthet, der Subduralraum punctirt worden war. 

Ausserdem führt Stadelmann aus, dass aus dem Befunde 



Bedeutg. d. Lumbalpunct. far d. Diagnose intracran. Complicat. d. Otitis. 57 

der Punotionsflüssigkeit nur dann anf Meningitis purulenta ge- 
schlossen werden dürfe, wenn der trübe, eiterhaltige Liquor 
Kokken oder Bakterien enthalte. Wenn diese fehlen, so sei eine 
Diagnose nicht durch die Function zu stellen. Dass aus dem Ei- 
weissgehalte keine Schlüsse auf intracranielle Entzündungsvor- 
gänge erlaubt seien, ist bereits im ersten Theile dieser Arbeit 
dargelegt worden. Jedoch nach hiesigen Erfahrungen genügt das 
Vorhandensein vermehrter Leukocjten in der schwach getrübten 
Cerebrospinalflüssigkeit, um mit Sicherheit das Bestehen einer 
eitrigen Hirnhautentzündung annehmen zu können. Hierzu ist 
der Nachweis der Anwesenheit von Kokken oder Bakterien nicht 
erforderlich. Für die Therapie ist es ja gleichgültig, an welcher 
Art von Meningitis purulenta diffusa der Patient leidet, da ein 
operativer Eingriff bis heute keine Aussicht auf günstigen Er- 
folg bietet. 

Braun (5) verzeichnet unter 8 Fällen von Meningitis purul. 
6 Lumbalpunctionen mit positivem und 2 mit negativem Befunde. 
Es handelte sich beide Male um Patienten mit schweren Kopf- 
verletzungen nach Sturz in der Trunkenheit und Schuss mit einem 
Tesching. Im ersten Falle ergab die Lumbalpunction röthlich 
gefärbte Flüssigkeit, die bei mikroskopischer Untersuchung ausser 
rothen Blutkörperchen keine Formbestandtheile bezw. Bakterien 
enthielt. Die Section zeigte, dass eine eitrige Meningitis vor- 
handen war. 

Im anderen Falle lieferte die unterhalb des zweiten Lenden- 
wirbels vorgenommene Lumbalpunction klare Flüssigkeit unter 
nicht sehr hohem Drucke, die nach 3 Stunden flockige Gerinnsel 
bildete, in denen weder Eiterzellen noch Bakterien gefunden 
wurden. Auf Agarstrichculturen wuchs nichts, in Bouillonculturen 
traten einzelne plumpe Stäbchen auf, die aber als Verunreinigung 
anfgefasst werden müssen, zumal aus der unmittelbar nach dem 
Tode nochmals durch Lumbalpunction entleerten Cerebrospinal- 
flfissigkeit nichts wuchs. Auch hier fand sich bei der Section 
eine Meningitis purulenta. 

Beide Punctionen sind nicht ganz einwandsfrei. Cerebro- 
spinalflüssigkeit mit Blutbeimengung ist kein reiner Liquor, 
sondern ein Gemisch, das nicht aus dem Wirbelkanal allein 
stammt, und die Blutbeimengung beweist, dass der Versuch, 
reinen Liquor zu gewinnen, misslang. Solche Gemische von Blut 
and Liquor sind in der hiesigen Klinik zu Untersuchungen für 
die Klärung der schwebenden Fragen bezüglich der Lumbal- 



58 II. BRAUNSTEIN 

pnnction nicht benutzt worden. Aus den Angaben über den Be- 
fund der zweiten Flüssigkeit ist aber nicht zu ersehen, ob das 
verdächtige ,,flockige Gerinnsel** auf Leukocyten untersucht 
wurde. Und doch ist der Befund vermehrter Leukocyten allein 
schon, auch beim Fehlen sonstiger Formelemente, maassgebend 
für die Diagnose: Meningitis. 

Das Material, aus dem Stadelmann (18) seine Schluss- 
folgerungen gezogen hat, ist, soweit hier bekannt, nicht ver- 
öffentlicht worden. Eine Beurtheilung derselben ist daher nicht 
möglich. Es muss aber betont werden, dass die Beobachtungen, 
wie sie Stadelmann (18) nach seinen Veröffentlichungen ge- 
macht hat, mit den in der hiesigen Klinik gesammelten Erfah- 
rungen nicht übereinstimmen. 

Während sich die Lumbalpunction gemäss den bisherigen 
Erfahrungen in der hiesigen Ohrenklinik sowohl bei Ausnutzung 
des negativen wie auch des positiven Ergebnisses derselben als 
durchaus zuverlässlich gezeigt hat, müssen die Folgerungen und 
Schlüsse, die aus der Beobachtung und Untersuchung des Li- 
quorbefundes bei Meningitis tuberculosa gezogen wurden, als 
weniger werthvoUe bezeichnet werden. Im Ganzen wurden an 
5 Patienten 8 Functionen ausgefllhrt, jedoch kommt nur der Ge- 
halt des Liquors von 6 Functionen in Betracht, weil die erzielte 
Flüssigkeit in zwei Fällen bluthaltig war. 

In einem Falle fanden sich in der klaren, unter vermehrtem 
Druck stehenden Flüssigkeit etwas vermehrte Leukocyten, aber 
keine Bakterien (k 2). Vor der Function hatte die Diagnose 
zwischen seröser und tuberculöser Meningitis geschwankt. Eine 
Meningitis purulenta schien wegen des langen, über 2 Wochen 
dauernden Verlaufs der Krankheit ausgeschlossen. Nach der 
Function wurde aus diesem Grunde aus dem Liquorbefunde eine 
Meningitis serosa angenommen. In der Cerebrospinalflüssigkeit 
der Patientin k4 fanden sich Tuberkelbacillen, in der von k3 
waren sie vorhanden, wurden aber nicht bei der mikroskopischen 
Untersuchung gefunden. 8 Wochen später wurden sie durch das 
Thierexperiment nachgewiesen. Dagegen opalisirte der Liquor 
von 5 Functionen ganz deutlich. Ob diese opalisirende Trübung 
für Meningitis tuberculosa charakteristisch ist, kann wegen der 
geringen Zahl von Beobachtungen wohl noch nicht entschieden 
werden. Wentworth (23) behauptet, dass auch bei tubercu- 
löser Meningitis immer eine Trübung vorhanden sei, die aber 
übersehen werden könnte. Zur Vermeidung dieses Irrthums 



Bedeutg. d. Lumbalpunct. für d. Diagnose intracran. Gomplicat. d. Otitis. 59 

empfiehlt er neben die in einem Beagenzgläsohen enthaltene 
Punctionsflüssigkeit zum Vergleich ein zweites, mit klarem Wasser 
geffllltes Reagenzglas zu halten. 

Die Zahl der in der Gerebrospinalfliissigkeit enthaltenen 
Taberkelbaeillen ist nach Angabe fast aller Beobachter stets 
eine sehr geringe und daher die Schwierigkeit, dieselben mikro- 
skopisch zn entdecken, eine grosse. Stadelmann (18) fand 
Tuberkelbacillen in 22 ^/o seiner Untersuchungen, ein Besultat, 
welchem das in der hiesigen Klinik erzielte ziemlich gleichkommt. 
Bieken (13) theilt mit, dass in der Kieler medicinischen Klinik 
die Untersuchung auf Tuberkelbacillen entweder unterlassen 
worden oder negativ ausgefallen sei. Lenhartz (3) fand in 
seinen ersten 14 Fällen nur 2 mal Tuberkelbacillen, in den 
späteren 7 aber stets. Andere hatten günstigere Besultate. Licht- 
heim (15) fand bei 6 Kranken 4 mal Tuberkelbacillen, Len- 
hartz (3) bei 37 Patienten 30 mal, Bernheim und Moser (24) 
in 73 <>/o. Braun konnte bei 8 Patienten 6 mal Tuberkel- 
bacillen nachweisen. In dem Liquor, der anscheinend keine 
Bacillen enthielt, bildeten sich grosse spinnen webenartige Ge- 
webe, wie sie auch in der Cerebrospinalflüssigkeit der eitrigen 
Meningitis beobachtet werden. Hawyk und Manicatide (9) 
entdeckten in 19 Fällen 16 mal Tuberkelbacillen mikroskopisch 
und wiesen sie 3 mal durch Thierexperiment nach, Schwarz (10) 
in 66 ^/o, aber oft erst beim 20. Präparate. 

Die Angabe Braun's (5), dass in dem von Leutert (1) 
mitgetheilten Falle Tuberkelbacillen gefunden worden seien, ist 
irrthümlich. — 

Erfahrungen über die Bedeutung der Lumbalpunction bei 
der Diagnose der Meningitis cerebrospinalis wurden nicht ge- 
macht, da in der hiesigen Klinik nur ein Fall (dl) beobachtet 
wurde. Bei einem fünfjährigen Knaben wurden ca. 50 ccm 
leicht getrübter Flüssigkeit, Anfangs im Strahl, dann tropfen- 
weise entleert. Beim Stehenlassen bildete sich in der Flüssigkeit 
ein flockiger schleimiger Niederschlag. Mikroskopisch fanden 
sich in dieser ziemlich zahlreiche zerfallende Leukocyten und 
zahlreiche Diplokokken. Eiweissgehalt war 1 ^/oo. 

Meist wird im Liquor bei Cerebrospinalmeningitis der Meningo- 
coccus intracellularis von Jaeger, Weichselbaum, Fränkel 
gefunden. Beim Beginn einer Epidemie ist jedenfalls der Nach- 
weis dieses Mikroorganismus von grosser Wichtigkeit. Leicht 
scheint aber seine Entdeckung nicht zu sein, da Council- 



60 IL BRAUNSTEIN 

mann (12) ihn in den meisten Fällen erst nach Anlegung vieler 
Präparate fand. Heubner, Leyden, Ftirbringer, Jemma, 
Schwarz sahen ihn in wenigen Fällen. 

4. Die therapeutischen Erfahrungen. 

In der hiesigen Klinik wurden keine systematischen Ver- 
suche gemacht, durch die Lumbalpunction therapeutische Er- 
folge zu erzielen. Die einschlägigen Beobachtungen, die hier 
mitgetheilt werden, sind daher nur zufällige und gering an 
Zahl. 

Bei der Patientin a 3 hatte sich während der Function Puls 
und Aussehen nicht verändert. Nach derselben wurde der un- 
regelmässige Puls wieder voller und regelmässiger. Dieser 
Zustand blieb bis zum Abend unverändert. Auch Patient a4 
zeigte am Morgen nach der Function eine leichte Besserung. 
Im Falle c5 verschwanden nach der Function die Kopfschmerzen, 
der Puls wurde weniger frequent. Die Besserung hielt aber 
nur bis zum Abend an. 

Nach den bisherigen VeröflFentlichungen kann zwar über 
den therapeutischen Werth der Lumbalpunction noch kein end- 
gültiges ürtheil gefällt werden, aber derselbe scheint kein be- 
deutender zu sein. Nur wenige Fälle sind bekannt geworden, 
in denen eine Heilung durch die Lumbalpunction erzielt wurde. 
Kohts (25) wandte dieselbe bei sechs Kindern mit Cerebro- 
spinalmeningitis an und erhielt vier am Leben. Dagegen erzielte 
er in zwanzig Fällen von tuberculöser Meningitis nur vorüber- 
gehende Besserung, aber keinen einzigen dauernden Erfolg. Bei 
Hirntumoren hatte er stets Misserfolg. Slawyk und Mani- 
eatide (9) wandten die Lumbalpunction bei Kindern mit tuber- 
culöser Meningitis als therapeutisches Mittel vergebens an. Für- 
bring er (7) und Leyden (26) sahen von derselben keinen 
günstigen Einfluss bei Chlorose. Lenhartz (3) giebt an, dass 
er bei einem Patienten mit Schädelverletzung, dessen schwere 
Gehirnerscheinungen er auf ein congestives Gehirnödem als Ur- 
sache zurückführte, mit deutlichem Erfolge die Lumbalpunction 
vorgenommen habe. 

Braun (5) machte die Function bei einem Kinde mit 
Krämpfen der rechten Körperseite. Die Krämpfe hörten nach 
einigen Stunden auf und kehrten, solange das Kind in der Klinik 
beobachtet wurde (5 Tage lang), nicht wieder. 

Eieken (13) theilt noch folgenden, wohl als Unicum an- 



Bedeutg. d. Lumbalpunct. für d. Diagnose intracran. Complicat. d. Otitis. 61 

zasehenden Fall von Heilung eines Kindes mit, bei dem er die 
Lnmbalpnnction vorgenommen hatte. ,,Das entleerte Fluidum 
war stark getrübt. Schon nach einer Viertelstunde bildete sich 
ein Gerinnsel durch die ganze Flüssigkeitssftule, das sich alsbald 
zu einem wollfadendicken Strang zusammenzog. Mikroskopisch 
fanden sich in der auch nach der Gerinnselbildung trübe blei- 
benden Flüssigkeit reichliche Leukocyten, gross- und kleinzellige, 
mono- und polynucleäre." Weder mikroskopisch noch culturell 
wurden Mikroben gefunden. 2 Stunden nach der Function schon 
wurde die Temperatur dauernd normal. Befinden des Kindes 
relativ gut. Drei Tage nach der Function begann die Nahrungs- 
aufnahme. — 

Es möge gestattet sein, zum Schlüsse die Grundsätze, 
welche auf Grund der Erfahrungen in der hiesigen Ohrenklinik 
bei der Verwerthung des Befundes der durch die Lumbalpunction 
gewonnenen Cerebrospinalflüssigkeit schon seit längerer Zeit 
die einzig maassgebenden sind, hier in Kürze zusammen zu 
stellen : 

1. Der bestimmt nachgewiesene negative Befund^) 
des Punctionsergebnisses schliesst nach den hiesi- 
sigen bisherigen Erfahrungen bei Otitis mit intra- 
craniellen Gomplicationen das Bestehen einer Me- 
ningitis purulenta diffusa sicher aus, wenn durch die 
Menge diör gewonnenen Flüssigkeit deren Herkunft 
aus der Schädelhöhle sicher gestellt ist. 

2. Der positive Befund beweist unter denselben 
Verhältnissen das Bestehen einer Meningitis puru- 
lenta diffusa. 

3. Die opalisirende Trübung der Cerebrospinal- 
flüssigkeit sichert mit grosser Wahrscheinlichkeit 
den Schluss auf Meningitis tuberculosa, auch wenn 
bei der mikroskopischen Untersuchung zunächst 
keine Tuberkelbacillen im Liquor gefunden werden. — 

Die Lumbalpunction ist daher nach den hiesigen 
Erfahrungen ein diagaostisohcs Hülfsmittel von ganz 
hervorragender Bedeutung, das sich in gleicher Weise 
für alle Gebiete derMedicin, welche sich in derDia- 

1) Unter „negativen Befund'* ist die normale Bescbaifenheit der Cerebro- 
spinalflüssigkeit, unter „positiven Befund'' die krankhafte Beschaffenheit des- 
selben zu verstehen. 



62 II. BBAUNST£iN, Bedeatang der Lumbalponction u. 8.w. 

gnose der Erkrankangen des Soh&delinhaltes begeg- 
nen, bewähren wird. Wenn vornehmlich von Seite 
der Otologie auf diese diagnostische Bedeutnng der 
Lumbalpunction mit Nachdruck hingewiesen ist, so 
erklärt sich dies durch die Häufigkeit und die Art 
der vom Ohr aus inducirten Erkrankungen der Schä- 
delhöhle. 



Lite):atiirverzeiehniss. 

1. Leatert, Die Bedeutung der Lumbalpunction für die Diagnose intra- 
cranieller Gomplicationen der Otitis. Münchn. med. Wochenschrift. Nr. 8 u. 9. 
1897. — 2. Quincke, üeber Hydrocephalus. Verhandlungen des 10. Con- 
gresses fOr innere Medicin zu Wiesbaden 1891. S. 322. Berlin, klin. Wochen- 
sehr. 1891. Nr. 38 u. 39. — 3. Lenhartz, Münchn. med. Wochenschr. 1895 
(S. 942). Verhandlungen des Gongresses für innere Medicin 1897 (S. 325 ff.). — 
4. Jacob j, Lumbar puncture of the arachnoid space. New York, medic. 
Journal. 1895. Dec. p. 813 und January 1896. p. 6. — 5. Braun, üeber die 
Lumbalpunction und ihre Bedeutung für die Chirurgie. 26. Congress der deut- 
schen Gesellschaft für Chirurgie. 52. — 6. Senator, Berliner klin. Wochen- 
schrift. 1895. Nr. 13. S. 272. — 7. Fürbringer, Berliner klin. Wochen- 
schrift. 1895. Nr. 13. S. 272. — 8. Erönig, Deutsche medic. Wochenschrift. 
Ver.-Beil. 1897 (S. 229). — 9. Slawyk und Manicatide, Berliner klin. 
Wochenschr. 1898. Nr. 18. — 10. Schwarz, Deutsches Archiv für klin. Me- 
dicin. Bd. LX. Heft 2 u. 3. — 11. Stadelmann, Berliner klin. Wochenschr. 
1895. (Nr. 27). — 12. Councilmann, Cerebrospinalmeningitis. John Hop- 
kins Bulletin. February 1898. — 13. Kieken, Deutsches Archiv für klin. 
Medicin. Bd. LVI. H. 1 (1895). — 14. Bull, Lumbalpunction. Norsk. Magaz. 
for Lägevidensk. 1896. 4. B. XL 5. p. 758. Neurolog. Centralbl. 1896. S. 759. 
— 15. Lichtheim, Berliner klin. Wochenschr. 1895 (S. 269). — 16. Gold- 
scheider, Verhandl. des Congresses für innere Medicin 1896 (S. 282 ff.). — 
17. Wilms, Münchn. med. Wcohenschr. 1897. Nr. 3. — 18. Stadelmann, 
Centralblatt für die gesammte Therapie. 1898. — 19. Wolff, Beiträge zur 
Lehre vom otitischen Hirnabscess. Inaug.-Diss. Strassburg 1897. S. 32 ff. — 

20. Grunert, Archiv für Ohrenheilk. 1897. Bd. XLIU. S. 291. Referat — 

21. Ruprecht, Arch. f. Ohrenheilk. Bd. L. S. 221 ff. — 22. v. Bergmann, 
Die chirurgische Behandlung von Hirnabscessen. 3. Aufl. — 23. Wenth- 
worth, Some ezperimental works on lumbar puncture of the subarachnoid 
Space Boston, medic. and surg. Journ. 1896. No. 7. — 24. Bensheim und 
Moser, Wiener klin. Wochenschrift. 1897. Vol. 135. No. 21. — 25. Kohts, 
Therapeutische Monatshefte. 1900. Nr. 9. — 26. v. Leyden, Deutsche med. 
Wochenschr. 1896. Nr. 27. 



III. 

Ans der EgI. Uni versitäts- Ohrenklinik zu Halle a. S. 
(Geh.-Rath Prof. Dr. Sehwartze). • 

JahresberiGht Aber die Thätigkeit der Kgl. Universitäts-Ohren- 
klinik zn Halle a.S. vom 1. April 1900 bis 31: März 1901. 

Von 

Prof. Dr. K. Granert und Dr. W. Schulze, 

Assistenten der Elinilc. 

Im Berichtsjahre 1900/1901 wurden in der Kgl. üniversitäts- 
Ohrenklinik zu Halle a. S. 2425 Patienten behandelt, wobei die 
ans dem • vorigen Berichtsjahre verbliebenen nicht eingeschlos- 
sen sind. 

In der stationären Klinik wurden aus dem Vorjahre über- 
nommen 15 männliche und 8 weibliehe Kranke ; neuaufgenommen 
wurden 224 Kranke, 136 männliche und 88 weibliche, so dass 
im Ganzen 247 Kranke verpflegt wurden, und zwar 151 männ- 
liche und 96 weibliche. Von diesen Kranken wurden 209 
entlassen, und zwar 123 männliche und 86 weibliche; es ver* 
starben 13, und zwar 9 männliche und 4 weibliche, so dass am 
31. März 1901 ein Krankenbestand von 25 Kranken, und zwar 
19 männlichen und 6 weiblichen verblieb. Auf die Gesammt- 
zahl der 247 stationär behandelten Kranken kommen 81970 Ver- 
pflegungstage, mithin durchschnittlich auf jeden Kranken 36 Tage. 
Der tägliche Krankenbestand betrug im Durchschnitt 24 Kranke, 
der höchste Bestand am 6. Mai 1900 30 Kranke, der niedrigste 
am 28. August 1900 18 Kranke. Als .Assistenten fungirten 
die Herren Prof. Dr. Grunert und Dr. Schulze, als etats- 
massiger Hilfsassistent Herr Dr. Hansen. Ausserdem wurden 
regelmässig Volontärärzte beschäftigt. 

Die Verhältnisse des Alters, {der Heimath der Patienten, 
der [Erkrankungen und der ausgeführten Operationen ergeben 
sich aus folgenden Tabellen: 



IIl. QKUNCRT und SCHOLZE 
I. Alterstabelle. 



Alter 


Männlich 


Weiblich 


Sarnnui 


U-2 Jahren 


98 


»g 


196 


2-10 . 


400 


398 


798 


11-30 . 


347 


210 


567 


21-30 - 


191 


102 


293 


31-40 ' 


194 


86 


280 


41—50 = 


90 


39 


129 


61-60 . 


75 


24 


99 


61—70 . 


32 


8 


40 


Tl-80 ■ 


14 


2 


16 


üabekannt 


5 


2 


7 


Samm. 


1446 


979 


2425 



77. BeimathstabeUe. 

Halle a.S 1416 

ProTiDz Sachsen 780 

• HaouoTer 4 

Westfalen 1 

Schlesien I 

HcBsea- Nassau 4 

- Posen 3 

Königreich Sachsen 24 

Ciroasherzogthum Sachsen -Weimar . . 20 

Herzogtbum Anhalt 81 

■ Sachsec-AltenbuTg ... 6 

• Sachsen- Mein! DgeD ... 1 
FdrsteiithuDi Schwarzburg- äonderBh. . 12 

• Scbwarzburg-RudolsUdt . 6 
Reass i. L 12 

Freie und Hanaestacft Hamburg ... 1 

Unbekannt 54. 

7/7. Krankkeüstabelle. 



Verletzungen 

Cougelatio 

Neabildangen (Csrninom 2) . 
-Othaemittom (traumatisch) ■ ■ 
Mißbildungen 



Aeaiserer Gehörgang. 

Verletzungen 

Angeborene DefarmitSten 

Fremdkörper (durch Spritzen entfernt 78, 
operativ entfernt 1) 

Vermeintlioher Fremdkörper 

Ceramen obturana (einseitig 160, doppel- 
seitig 69) 



2 

1 
3 

2 

60 

30 
12 


- 


- 


2 

2 


1 

24 

30 


_ 


1 

i 



Jahresber. der Kgl. Uoiveraitäts- Ohrenklinik zu Halle a. S. 1900/1901. 65 



Nomen morbi 



es 

a 

s 





9 



OB 
00 
0) 



o 

a 
D 



« g 



-CS 



5 ^ 



»4 

o 



Ü 



Otitis externa circumscripta (Furunkel) 

(acut 96, chronisch 7) 

Otitis externa diffusa acuta 

9 s • chronica 

Trommelfell. 

Ruptur (durch Ohrfeige 12), Strohhalm 1, 
Stecknadel 2 

Mittelohr. 

Acuter seröser oder schleimiger Eatarrhl 
(einseitig 120, doppelseitig 80) . . . ./ 

Sabacnter Katarrh (einseitig 40, doppel- 
seitig 27) 

Chronischer Katarrh der Paukenhöhle (ein- 
seitig 254, doppelseitig 250; mit Ex- 
sudat 127, mit Tubenstenose 99, mit 
Sklerose 92), mit Hyperämie 12 ... 

Acute Otitis media purulenta (einseitig 150, 
doppelseitig 82; mit Entzündung des 
Warzenfortsatzes 24) 

Sabacute Otitis media purulenta (einseitig 
27, doppelseitig 10) 

Chronische Otitis media purulenta (einseitig 
280, doppelseitig 135; mitCaries 78, mit 
Polypen 47, mit Cholesteatom 111, mit 
Entzündung des Warzenfortsatzes 32) . 

Residuen chronischer Eiteraugen 

Neuralgia plexus tympanioi (aus Angina 8, 
Zahnoaries 36, Anämie 1, Syphilis 4, 
unbekannter Ursache 21) . '. 

Inneres Ohr. 

Acute Nerventaubheit durch Labyrinth- 
erkrankung (Commotion 3) 

Chronische Nerventaubheit durch Laby- 
rinthaflfection, Syphilis 4, Tabes 1, ex 
professione 9) 

Acute Nerventaubheit durch intraoranielle 
Erkrankung des Acusticus 

Chronische Nerventaubheit durch intraora- 
nielle Erkrankung des Acusticus (Me- 
ningitis cerebrospinalis epidem. 2) . . 

Fractura ossis petrosi 

Ohrensausen ohne Herabsetzung des Gehörs 
und ohne subjectiven Befund im Ohr . 

Taubstummheit 

Simulation 

Keine Diagnose 

Anderweitige Erkra nkungen *) 

Summa der Krankheitsformen 



103 

10 

8 



15 



280 
94 



754 

314 

47 



550 
156 



70 



8 

18 
1 



1 

6 

6 

4 

121 

226 



90 
2 
7 



10 



141 

40 



146 

199 
20 



168 



10 



139 
54 



13 

8 
1 



608 

111 
26 



372 



60 



8 



4 
1 



10 



3262 



1) Betrifft meistens Nasen- und Nasennebenhöhlenerkrankungea. 
Archiv f. Ohrenheilkunde. LIV. Bd. 5 



66 



III. GRÜNERT und SCHULZE 



IV. Operationstabelle. 



Nomen operationis 


Summa 


Mit bleib. 
Erfolg 


Mit tem- 
por. Erfolg] 


Ohne 
Erfolg 


Erfolg un- 
bekannt 


InBehdlg 
verblieben 


Der Beb. 
entzogen 


1 

00 


Operationen an der Ohrmuschel (Ab- 
latio auriculae wegen Carcinoms) . 

Incision des GehOrganges 

Entfernung von Fremdkörpern (durch 
Injection 78, instrnmentell 2) . . . 

Polypenextraotion 

Paracentese 

Mastoid-I OperativeEröflfnungdesAn- 
n«i»iK»f \ ^'^™ ^^^^ Schwartze 
uperai. y Totalaufmeisselung .... 

Hammerexoision vom Gehörgange aus 

Hammer- Am bossextraction vom Ge- 

hOrgange aus 


2 
52 

80 

79 

346 

35 
94 
5 

28 
ca. 100 

2 

ca. 50 


2 
52 

80 

21 

51 

2 

12 
2 


1 
3 

4 


4 

8 


2 
4 

12 


2 
17 


5 
5 

■ 


1 

8 


Adenoide Vegetationen 

Exstirpation von Geschwülsten in der 
Umgebung des Ohres und Eröffnung 
von Senkungsabscessen 

Tonsillotomie 


^^^ 



Unseren früheren in den Jahresberichten niedergelegten 
Mittheilungen über die Hammer-Ambossexcision vom Gehorgange 
aus haben wir hinzuzufügen, dass sich uns der Zeroni'sehe 
Ambosßhaken als zweckmässig bewährt hat. Wie die Operations- 
tabelle erkennen lässt, haben wir obige Operation in dem Be- 
richtsjahre häufiger ausgeführt, wie in früheren Jahren. Die 
Motivirung für dieses Verhalten findet sich in dem Jahresbe- 
richt 1898/99 (8, D. Arch. Bd. 49, S. 101 u. 102). Mit der häufigeren 
Ausflihrung der Hammer-Ambossexcision vom Gehörgange aus 
steht die Abnahme der Mastoidoperationen, welche dieses Berichts- 
jahr aufweist, in ursächlichem Zusammenhange. 

Was die operative Behandlung der otogenen Sinusthrombose 
anbetrifft, so verfahren wir nach unseren früheren Grundsätzen, 
d. h. wir schicken in jedem Falle der Operation am Sinus die 
Unterbindung der Vena jugularis int. voraus. Ueber 2 resp. 3 
Fälle, in denen die Thrombose im Bulbus venae jug. durch 
operative Freilegung desselben direct in Angriff genommen worden 
ist, hat Grunert (vgl. d. Arch. Bd. LIII) ausflihrlich berichtet. 
Dass man trotz scheinbar glänzender Erfolge bei der operativen 
Behandlung jenes intracraniellen Folgezustandes der Otitis sich 
vor einer Ueberschätzung des Werthes der chirurgischen Therapie 
hüten soll, beweisen 3 andere Fälle aus dem Berichtsjahre, 



Jahresber. der Egl. Umversit&ts-Oiurenkliiük zu Halle a. S. 1900/1901. 67 

welche von Schulze (vgl. d. Arch. Bd. LIU) eingehend geschil- 
dert worden sind. • 

Dem Bericht über die Todesfälle des Berichtsjahres schicken 
wir die Beschreibung von drei weiteren bemerkenswerthen Fällen 
voraus. 

In dem ersten Falle handelt es sich um die traurigen Folgen 
eines unzweckmässigen Entfernungsversuches eines Fremdkörpers, 
welchem sich ein monatelanges Krankenlager anschloss ; das Leben 
des Kindes war in hohem Maasse gefährdet, ein ausgedehnter 
operativer Eingriff war im Interesse der Lebenserhaltung des 
Kranken noth wendig, schliesslich erfolgte aber doch die Heilung, 
freilich mit erheblicher Herabsetzung des Hörvermögens auf dem 
verletzten Ohre. 

Wir beschränken uns auf die Mittheilung der Krankenge- 
schichte, welche eines weiteren Commentars nicht bedarf. 

Bruno £rdinann, 4 Jahre alt, Vater ZimmermaDn in Hirschroda. 
Aufgenommen am 20. Juni 1900, entlassen am 20. October 1900. 

Anamnese: Das rechte Ohr soll früher geeitert haben. Vor mehreren 
Tagen soll sich das Kind ,,etwas'^ ins rechte Ohr gesteckt haben. Vergeb- 
liche £xtractionsver8nche draussen. 

Statns praesens: Kräftiger Knabe, im rechten Ohr ein obturirender 
Polyp. Fieberfrei. 

22. Juni. Temp. 37,0— 38,2 ». 

23. Juni. Temp. 36,7— 39,3 <>. Entfernung des Polypen mit der kalten 
Schlinge; in der Tiefe blutendes Gewebe, beim Katheterismus tubae weder 
Perforations- noch Blasegeräusch. 

24. Juni. Temp. 37,0— 38,3 ». 

25. Juni. Temp. 36,3—38,8. Entfernung des Fremdkörpers stückweise 
mit dem ZaufaPschen Hebel in Narkose. Die einzehien Stücke erweisen sich 
als Theile einer Bohne, die in die Paukenhöhle eingekeilt ist. 

Die nächsten Tage fieberfrei. 
28. Juni. Profuse stinkende Eiterung; Husten. 

30. Juni. Leichtes Fieber, Schmerzhaftigkeit und geringes Oedem in 
der Gegend des Proc. mastoideus. 

1. Juli. 37,1—37,40. 

2. Juli. 37,2— 38,0 0. 

3. Juli. 38,0—39,7«. 

Total au fmeisselung: (Fremdkörpernachoperation.) Retroauriculäre 
vereiterte Lymphdrüse. Corticalis arrodirt, aber keine Fistel in die Tiefe 
führend. Im Knochen disseminirte kleine Eiterheerde. Im Antrum ge- 
schwellte und eitrig infiltrirte Schleimhaut. Amboss gesund, vom Hammer nur 
der Kopf gefunden. Ausgedehnte Entblössung der Labyrinthwand. Am 
Boden der Paukenhöhle noch Reste der Bohne eingekeilt. 

In den nächsten Tagen machte Patient eine Pneumonie durch. 

17. Juli. Temp. Abends 39,5°. Ungefähr 2 Finger breit hinter dem 
Hautschnitt hat sich unter der Haut des Hinterhauptes eine kleinapfelgrosse 
flnctuirende Geschwulst gebildet. Bei der Incision am 18. Juli entleert sich 
viel Eiter. Ein Zusammenhang des Abscesses mit der Operationswunde nicht 
nachweisbar. 

23. Juii. Temp. 36,6— 39,3°. Zwischen Abscesshöhle und der Operations- 
wnnde die Haut stark ödematös. Bei Druck auf diese Stelle entleert sich 
Eiter am Bande der Operationswunde. Spaltung der ödematösen Partie. 

27. Juli. Von jetzt an fieberfrei. 

5* 



68 lli. ORUNERT und SCHULZE 

29. Juli. Ausgedehnte Nekrose unter der grossen granulirenden Wund- 
lläcbe, 3 dem Occiput entstammende Seque&tcr entfernt. Im weiteren Ver- 
laufe stiessen sich noch mehrere Sequester ab, so auch einer von der Gehör- 
gangswand. 

Am 20. October wurde Patient geheilt entlassen. Die ganze Knochen- 
höhle war epidermisirt bis auf eine kleine Stelle an der Tubenöffoung. 
FlOstersprache in 1 Fuss Entfernung gehört. Der Bestand der Heilung 
wurde sp&ter controlirt. 

Der zweite bemerkenswerthe Fall, otogene Pyämie, durch 
Sinusoperation und Jugularisunterbindung geheilt, ist der folgende : 

Sophie Rothe, 33 Jahre alt, Geschirrfahrersfrau aus Callenberg. 
Aufgenommen am 31. Mai 1900, entlassen am 26. Juli 1900. 

Anamnese: Ohreiterung rechts seit Kindheit. Vor 8 Jahren 4 Wochen 
lang starke Schmerzen im rechten Ohr, Exacerbation der Eiterung, Fieber. 
Vor 2 Jahren wiederum Schmerzen im Ohr^ Sausen, Kopfschmerzen, Steigerung 
der Ohreiterung. Das Ohr wurde nach dieser Attacke ziemlich trocken. Vor 
4 Wochen vermehrte Eiterung ohne Schmerzen, seit 5 Tagen heftiger stechen- 
der Schmerz im Ohr, Sausen, Appetitlosigkeit, Fieber. Kein Erbrechen. 
Patientin kommt wegen der Schmerzen. 

Status praesens: Temp. 38,5^, Puls 102. 

Supraclaviculargruben eingefallen, besonders links, wo auch der Per- 
cus slonsschall etwas verkürzt ist. Herz gesund. Pupillen gleichweit, reagiren 
gut, kein Nystagmus. Objectiv kein Schwindel nachweisbar. Linksseitige 
Facialislähmung, welche seit der Attacke vor 2 Jahren bestehen soll. Urin: 
ohne Eiweiss und Zucker. 

Umgebung des Ohres: R. Ohrmuschel vom Scb&del abstehend durch 
Schwellung hinter und über dem Ohr. Die Haut der geschwollenen Partie 
leicht geröthet. 

Gehörgang- und Trommclfellbefund: R. Obere Gehörgangswand 
leicht gesenkt. Von oben grosse Granulation hcrabkommend, welche nur 
den unteren und hinteren Trommelfellrand sichtbar lässt. 

Hörprüfung: Flüstersprache rechts nicht, links in 6 m Entfernung 
gehört. FiS4 rechts nur bei Nagelanschlag. Ci vom Scheitel nach rechts. 
Kinne rechts negativ. 

1. Juni 1900. Totalaufmeisselung rechts. 

Befund : Starke Infiltration und Oedcm der retroauriculären Weichtheile. 
Das Periost über dem Warzenfortsatz war schon spontan vom Knochen ab- 
gelöst. In dem durch Druckusur zu Haselnussgrösse erweiterten Antrum 
reichliche Cholesteatommassen und Granulationen. Die Dura der mittleren 
Scbädelgrube lateral vom Tegmen bereits freiliegend. Hammer cariös, Amboss 
bereits aufgezehrt. Facialis an der inneren Paukenhöhienwand freiliegend. 
Wegen der starken Infiltration des Gebörgangschlauches wird derselbe nur 
horizontal gespalten und von einer primären Plastik Abstand genommen. 

4. Juni. Temp. kehrt fast zur Norm zurück. Urin stets trübe, sauer 
reagirend, normale Menge. Derselbe enthält frisch untersucht massenhaft 
Epithelien, Eiter kör per eben und Bacillenhaufen. 

6. Juni. Temp. 37,6-37,9®. Ausspülung der Blase. 

7. Juni. Leibschmerzen, Schmerzen in der Blasengegend. Priessnitz 
auf die Blasengegend beseitigt die Schmerzen. Abends plötzlich ohne vor- 
herigen Schüttelfrost Temperatursteigerung auf 39,4® von 37,2® des Morgens. 

8. Juni. Unregelmässige Temperaturen, Temperatursprung von 37,6® 
auf 41,6®. Dabei ausser zeitweiligem leichten Frösteln keine Klagen. Zuck- 
ungen in der linken Gesichtshälfte. Augenhintergrund normal. Schweisse. 

9. Juni. Morgentemperatur 40,1® bei subjectivem Wohlbefinden. Schweisse. 

FreilegUDg des Sinus sigmoideus. Knochen bis an den 
Sinus heran mit einzelnen gelbliche Flüssigkeit enthaltenden 
kleinen zelligen Räumen durchsetzt. Die Sinuswand an der 



Jabresber. der Kgl. Universitäts-ObreDklinlk zu Halle a. S. 1900/1901. 69 

dem kranken Knochen anliegenden Stelle in geringer Ausdeh- 
nung verßlrbt, wird ca. 4 cm weit freigelegt. Nach doppelter 
Unterbindung der Vena jugularis wird die Vene zwischen den 
beiden Ligaturen durchschnitten. Weil die Unterbindung nicht 
centralwärts von der Einmündungssteile der Vena facialis er- 
folgen konnte, wurde letztere ebenfalls unterbunden. Incision 
des Sinus; wegen starker Blutung konnte nichts von krankhaftem 
Inhalt, wie wandständige Thromben, erkannt werden. Tamponade 
des Sinus peripher- und centralwärts. Secundäre Plastik des 
abgeschwollenen Gehörgangsschlauches. 

In der folgenden Kacbt wieder 41,4^. Cbinin sulfur. 0,8 gr. Morgens 
4 Uhr leicbtes Frösteln. Sonst guter Schlaf. Trinkt 1 V2 Liter Milch w&h- 
rend der Nacht. 

10. Jani. Temp. 39,4— 40,5<^. Chinin sulfur 0,5. Keine Klagen ausser 
Wundschmerzen beim Husten. Aq. amgydalar. amar. gtt. 30 in Milch. 

11. Juni. Temp. 39,8 — 40,5°. Mehrmals Chinin innerlich. Mehrere 
dünne Stühle. Schläft viel, auch bei Tage. Appetit gut. 

12. Juni. Temp. 38,4-- 39,10. Pßig i^iejo^ Verbandwechsel: Wunde 
sehr trocken, Shiustampon bleibt liegen. Schläft den ganzen Tag. Appetit 
schlechter. Keine Klagen. Athem oberflächlicher und freouenter. 

13. Juni. Temp. 3S,6 — 40,1 ^ Schlafsucht zunehmena. Appetit noch 
gut. Morgens Schüttelfrost von etwa 7^ stündiger Dauer mit Temperatur- 
steigerung auf 40 0. 

14. Juni. Temp. 38,2— 40,1^ Verbandwechsel. Sinustampons werden ohne 
Blutung entfernt. Nach dem Verbandwechsel starker CoUaps; künstliche Ath- 
muDg. Campherinjection. Athem frequenter. Puls erst schlecht, dann wieder 
besser. £r6t nach 1 Va Stunden kommt Patientin wieder vollständig zur Be- 
sinnung. Von da an fast fortwährend Schlaf. Husten ohne Auswurf. 
Nahrungsaufnahme genügend. In den folgenden Tagen wurde das Fieber allmäh- 
lich geringer, aber erst vom 25. Juni an war Patientin vollkommen fieberfrei. 

16. Juli. Andauerndes Wohlbefinden bei gutem Appetit. 

1 8. Juli. Die letzten Fäden von der Jugularisunterbindung bei Abnahme 
des Pflasters mit entfernt. Halswunde geschlossen. Die Ohroperationswunde 
überhäutet gut; grösseres nekrotisches flaches Knochenstück aus der Ohr- 
wunde entfernt. 

26. Juli. Patientin wird mit zum grössten Theile überhäuteter Knochen- 
wunde entlassen. 

28. August. Die Ohroperationshöhle vollkommen überhäutet. 

13. November. Die Heilung dauert fort. 

Epikrise^): Belrospectiv kann man sagen, dass bereits zur Zeit 
der Aufnahme der Kranken eine otogene Sinusthrombose bestand. 
Indessen hatten wir auf Grund der vorliegenden Symptome zu- 
nächst keine Veranlassung, operativ etwas Anderes als die Total- 
aufmeisselung vorzunehmen. Dass das zur Zeit der Aufnahme 

1) Ich muss hier ausdrücklich hervorheben, dass die in den Epikrisen 
enthaltene Auffassung der mitgetheilten Fälle das Resultat der darüber im 
CoUegium der Aerzte gepflogenen Berathungen wiedergiebt. Angriffe gegen 
die in den Epikrisen enthaltenen Deutungen und Anschauungen würden sich 
also nicht gegen die Namen der verschiedenen Berichterstatter zu richten 
babep, wie dies neuerdings vorgekommen ist, sondern gegen die Klinik als 
solche. Was in den Epikrisen verfehlt oder unrichtig erscheint, ist durch 
mich, als Vertreter der Klinik, zu verantworten. öchwartze. 



70 III. GRÜNERT und SCBÜLZE 

bereits vorhanden gewesene Fieber (38,5 <^) nach der Totalauf- 
meisselung nicht vollkommen normalen, sondern nur hoch normalen 
Temperaturen Platz machte, konnte man auf den starken Blasen- 
katarrh der Patientin beziehen. Als indess vom 6. Tage nach 
der 1. Operation an die Temperatur plötzlich stieg und einen 
ausgesprochenen pyftmischen^Charakter annahm, war bei dem 
Bestehen des schweren chronischen eiterigen Ohrenleidens die 
Eröffnung derFossa sigmoidea indicirt; wenn auch die Möglichkeit, 
dass das Fieber durch den starken Blasenkatarrh bedingt sei, 
nicht ausgeschlossen werden konnte, so sprach doch die rasch 
zunehmende objective Besserung dieser Erkrankung gegen diese 
Annahme. Wir fanden die Sinuswand verfärbt, und auch die 
Wegleitung der Entzündung durch den Knochen hindurch bis 
an die Sinuswand heran wurde in Gestalt einzelner kleiner, den 
Knochen durchsetzender zelliger, mit serös eitrigem Inhalt er- 
füllter Bäume aufgedeckt. Wir beschränkten uns nun nicht auf 
die Eröffnung der Fossa sigmoidea, sondern schritten sofort zur 
Jugularisunterbiudung und Sinusoperation, weil wir nach unseren 
Erfahrungen das Fieber bei dem Fehlen eines perisinuösen Abs- 
cesses und bei seiner excessiven Höhe (41,5^) nur auf eine 
Sinusthrombose beziehen konnten. Das Fehlen von ausge- 
sprochenen Schüttelfrösten konnte, nachdem die krankhafte Ver- 
änderung der Sinuswand aufgedeckt war, diese unsere Annahme 
nicht erschüttern um so weniger, als wir infolge der rasch fort- 
schreitenden Besserung des Blasenkatarrhs diese Erkrankung 
als Ursache eines so hohen und deutlich pyämischen Fiebers 
nicht gut ansprechen konnten. Ein obturirender Thrombus lag, 
wie die Sinusoperation klarlegte, nicht vor, vielmehr sind wir 
zu der Annahme gezwungen, dass eine wandständige Thrombose 
die Ursache des pyämischen Fiebers gewesen ist, wenn dieselbe 
auch in Folge des starken Blutergusses unserem Auge nicht zu- 
gängig gemacht werden konnte. Dass aber unsere Sinusoperation 
mit vorausgeschickter Jugularisunterbindung nur unvollkommen 
ihren Zweck erreicht hat, die weitere Aufnahme septischen 
Materiales in das Blut zu verhindern, beweist das noch 15 Tage 
nach der Operation anhaltende höhere Fieber mit noch leicht 
pyämischem Charakter. Immerhin bringt der Anblick der Tem- 
peraturcurve den günstigen Einfluss der Operation zum deutlichen 
Ausdruck insofern, als eine so excessive Temperatur, wie vor 
der Sinusoperation, nach derselben auch nicht annähernd erreicht 
worden ist. Metastasen konnten mit Sicherheit weder vor noch 



Jabresber. der Egl. Ümversitäts-Ohreaklinik zu Halle a. S. 1900/1901. 71 

nach der Operation nachgewiesen werden. Ob die vorübergehende 
Zunahme der Athemfrequenz, verbunden mit Husten ohne Aus- 
wurf, auf kleine, dem physikalischen Nachweis nicht zugängliche 
Lungenmetastasen, welche rasch zur Ausheilung gelangt sind, 
zu beziehen ist, muss dahingestellt bleiben. 

Der dritte Fall betrifft einen durch Trepanation geheilten 
Fall von Kleinhirnabsoess : 

Selma Heinike, 22 Jahre alt, Dienstmädchen aus Halle. Aufge- 
nommen am 15. März 1901 in die Filiale der Klinik. 

Anamnese: Früher angeblich beiderseits ohrgesund. Seit Februar 
d. J. Ohrensausen und geringe Eiterung links. Keine Schmerzen im Ohr. 
Mancbmal Schwindel. Zunehmende Schwerhörigkeit. Klage über Kopf- 
schmerzen. 

Statuspraesens: Kräftiges Mädchen. Objectiv kein Schwindel. Innere 
Organe gesund. Augenhintergrund normal. Urin ohne Zucker und Eiweiss. 
Umgebung des linken Ohres normal. 

Gehörgang- und Trommelfellbefund. Links Gehörgang weit. 
Stinkende Eiterunpr. Trommelfell geröthet. Fistel über dem Processus brevis. 
Ablösung hinten oben. Sonde fühlt hier rauhen Knochen. Rechts trockene 
Perforation hinten unten. 

Hörprüfung: Flüstersprache links handbreit, rechts 1 m. Ci vom 
Scheitel nicht lateralisirt, FiB4 rechts normal, links stark herabgesetzt. 

Kein Fieber. 

Am IS. März. Hammer- Ambossextraction vom Gehörgang aus. 
Befund: Hammer am Kopf cariös, Amboss am langen Schenkel. 

21. März. Aufnahme in die stationäre Abtheilung wegen Fiebers. 
Temp. 38,2^, Puls'92. Linksseitige Facialislähmung. Pupillen gleich, reagiren, 
Augenhintergrund normal. Schmerzen hinter dem linken Otir. Eisblase hin- 
ter das Ohr. 

22. März. Temp. 37,0«, 37,4«, 37,8«. 

23. März. Temp. 36,6«, 36,9«, 37,1«. 

24. März. Temp. 36,7«, 37,1«, 37,6«. 

25. März. Temp. 37,0«, 37,7«, 38,0«. 

26. März. Temp. 37,0«, 37,2«, 37,3«. 

Die Schmerzen hinter dem Ohr sind geringer. Fötide Eiterung besteht weiter. 

27. März. Temp. 36,6«, 37,4«, 37,8« 

28. März. Temp. 36,8«, 37,8«. 

29. März. Temp. 37,2«, 38,2«, 37,5«. 

30. März. Temp. 37,0«, 37,2«, 37,6«. 

31. März. Temp. 36,8«, 37,3«, 37,7«. 

Wieder stärkere Schmerzen hinter dem linken Ohr. Warzenfortsatz 
druckempfindlich. Jodanstrich, Eisblase. 

1. April. Temp. 36,6«, 37,5«, 37,1«. Klage über Schwindel. 

2. April. Die Schmerzen hinter dem Ohr haben nachgelassen. Die Fa- 
cialislähmung geht zurück, das Auge kann schon geschlossen werden. Temp. 
36,8«, 37,5«. 

3. April. Temp. 36,8«, 37,3«, 37,4«. 

4. April. Temp. 36,7«, 37,4«. 

5. April. Geringes Oedem auf dem Warzenfortsatz. Jodanstrich. 
Eisblase. Klage über Schwindel und Kopfschmerzen. Temp. 36,7«, 38,0«, 37,6«. 

6. April. Besserung der Schmerzen hinter dem Ohr. Immer noch fötide 
Eiterung. Temp. 37,3«, 37,9« 

7. April. Temp. 37,2«, 37,4«, 37,8«. 

8. April. Klage über heftige Kopfschmerzen im Hinterkopf. Mehrmals 
Erbrechen. Temp. 37,7«, 38,0«, 37,8«. Puls am Morgen 100, Abends 70. 

9. April. Totalaufmeisselung. Befund: Weichtheile normal bis 
auf eine geschwollene Lymphdrüse auf dem Warzenfortsatz. Antrum eröffnet, 
etwas freier Eiter darin. Wegnahme der hinteren knöchernen Gehörgangs- 



72 m. GRUNERT und SCHULZE 

wand. Weitausgebreitete Caries der Wandungen des Antrum und Aditus. 
Schwammige Granulationen in der Paukenhöhle und im Aditus, im letzteren 
auch etwas Cholesteatomtapete. 

Resection der Spitze, kein Eiter darin, Schleimhaut geschwollen, sehr 
blutreich und eitrig infiltrirt. Eröffnung der hinteren Sch&delgrube, kein 
Eiter gefunden. Sinus in 3 cm Länge freigelegt, Sinuswand nicht verfärbt, 
aber mit zarten Granulationen besetzt. Keine Plastik. Tamponade. Abends 
keine Besserung der Kopfschmerzen, heisse Umschlage bringen etwas Linder- 
ung. Temp. 37,50, 37,6S 37,2«. Puls 70. 

10. April. Temp. 37,2^ 37,0^, 37,6. Puls 64 bis 60, regelmässig. Augen- 
hintergrund normal, Pupillen gleich, reagiren prompt auf Lichteinfall. C\ 
Yom Scheitel nach rechts. 

11. April. Sehr oft Erbrechen. Kopfschmerzen sehr heftig, besonders 
im Hinterkopf und nach dem Nacken zu ausstrahlend. Temp. 36,9^, 36,5^ 36,8". 
Puls 60 bis 56. Hartnäckige Verstopfung. 

12. April. Kopfschmerzen bestehen noch in derselben Intensität. Schwin- 
del und Erbrechen schon beim Hochrichten im Bett. Sensibilität, Motilität 
und Reflexe normal. Lumbalpunction ergiebt unter hohem Druck 
stehenden, deutlich getrübten Liquor. Keine Vermehrung der 
Leukocyten, keine Bacterien. Trepanation auf das Kleinhirn, 
in welchem ein hfihnereigrosser Abscess entleert wird. Bald nach der Trepana- 
tion wird der Puls frequenter. Temp. 36,4«, 37,4«, 37,S^ Puls am Abend 114. 

13. April. Die Kopfschmerzen sind verschwunden, das Erbrechen hält 
aber noch an. Temp. 37,9«, 38,7», 38,3S 39,2°. Puls 80—100, nicht aus- 
setzend. Respiration 22. 

14. April. Temp. 37,4«, 37,7», 37,9«, 38,0«. Puls 104. Patientin klagt 
über Halsschmerzen. Angina. 

15. April. Das Erbrechen dauert noch fort, Kopfschmerzen und Schwin- 
del gering. Pupillen über mittelweit, gleich, reagiren. Augenhintergrund 
normal. Y erbandwechsel : Grosser Hirnprolaps, ein Stück desselben ist ganz 
nekrotisch, wird abgetragen. Spärliche Eiterung aus der Abscessböble. Dicht 
oberhalb des horizontalen Bogenganges ist heute eine schwarz 
verfärbte Stelle im Knochen sichtbar, die Sonde gelangt hier 
in eine ins Labyrinth führende Fistel, in welcher Eiter steht. 
Wegmeisselung der hinteren Pyramidenfläche in der Absicht, 
einen eventuellen tiefen Extraduralabscess aufzusuchen. Es 
wird kein Eiter gefunden. Temp. 37,0«, 37,5°, 38,0°. Puls 124. 

16. April. Aus der Abscesshöhle kommt wenig Eiter. Nystagmus hori- 
zontalis, beim Blick nach links an Intensität zunehmend. Linksseitige Ab- 
ducenslähmung. Temp. 36,7», 37,6», 36,5°. Puls 96. 

17. April. Heute wieder stärkere Kopfschmerzen. Prolaps grösser. 
Verband ott von seröser Flüssigkeit durchnässt, sodass derselbe mehrmals 
erneuert werden muss. Weitausgebreitetes Oedem der Kopfschwarte. Temp. 
36,6S 37,30, 3g^40. puig 84. 

18. April. Es hat sich wieder ein grosser Theil des Prolapses nekrotisch 
abgestossen. Aus dem Abscess entleert sich wenig Eiter, aber viel leicht 
blutig tingirte seröse Flüssigkeit. Eiterung des rechten Obres. Temp. 37,1% 
36,9«, 37,30. Puls 80. 

19. April. Klage über Kopfschmerzen in der Scheitelgegend. Patientin 
lässt fortwährend Urin unter sich, derselbe ist sehr trübe und stinkend, ohne 
Eiweiss und Zucker. Hartnäckige Verstopfung. Temp. 36,5% 36,3% 37,4». 
Puls 116. 

20. April. Prolaps nicht grösser geworden. Aus dem Labyrinth kommt 
fast gar kein Eitei* mehr. Befinden besser, Erbrechen seltener, Nahrungs- 
aufnahme befriedigend. Temp. 36,9«, 37,1% 37,5«. Puls 112. 

21. April. Temp. 37,1°, 36,9°. Stat. idem. 

22. April. Prolaps wieder grösser. Erbrechen tritt öfter auf. Geringe 
Eiterabsonderung aus der Abscesshöhle. Temp. 36,60,37,5% 38,0°. Puls 116. 

23. April. Aus der Abscesshöhle kommt kein Eiter mehr. Patientin nimmt 
wenig Nahrung zu sich. Urin sehr trübe, wird 3 mal täglich mit dem Kathe- 
ter entleert, Ausspülungen der Blase mit Borsäure. Temp. 37,4% 37,5% 37,2^ 



Jahresber. der Kg]. Uolyersitäts-Ohrenklinik zu Halle a. S. 1900/1901. 73 

Pals 120. Die hartnäckige Yerstopfung macht Glycerinklystiere nothwendig. 

Von jetzt ab bleibt PatieDtin lieberfrei und zeigt vielfach noch sub- 
normale Temperatur. Puls in der nächsten Zeit noch etwas beschleunigt, aber 
regelmässig. 

24. April. Wunde ohne Veränderung. Patientin klagt über Beklemmung 
auf der Brust, Respiration nicht beschleunigt, objectiv nichts nachweisbar, 
Herztöne rein. 

26. April. Prolaps nicht grösser, an der Oberfläche nekrotisch. Nah- 
rungsaufnahme besser. Erbrechen selten. 

29. April. Der Prolaps wird grösser, sonst Stat. idem. 

5. Mai. Abscess geschlossen. Prolaps grösser. Nausea und Erbrechen 
auch bei ruhiger Lage im Bett. Kein Schwindel. Keine Kopfschmerzen. Be- 
spiration nicht ganz regelmässig, meistenthells sehr flach, manchmal unter- 
brochen durch sehr tiefe Inspirationen. 

Urin nicht mehr so übelriechend. 

6. Mai. Temp. 36,4^ Puls HO, sehr klein und unregelmässig. Aether- 
injectionen, subcutane Kochsalzinfusion. Danach Puls kräftiger, 96. 

7. Mai. Der sehr grosse Prolaps bedeckt sich mit frischen Granulationen. 
Facialislähmung ganz zurückgegangen. 

8. Mai. Puls 120, sehr klein, Kochsalzinfusion. Sehr häufiges Er- 
brechen. Nachdem gegen dasselbe alles Mögliche ohne Erfolg versucht wurde, 
werden schliesslich Magenausspülangen mit Kochsalzlösung, 3 mal täglich, 
vorgenommen. 

9. Mai. Wegen des häufigen Erbrechens kann die Ernährung nur per 
rectum stattfinden. 3 mal täglich ein Nährklystier. 

10. Mai. Puls wieder miserabel, 120, Kochsalzinfusion. Am Nach- 
mittag hat sich der Puls wieder erholt. 

11. Mai. Urin noch immer flockig getrübt. 

13. Mai. Collaps macht wiederum Kochsalzinfusion nöthig. 

1 5. Mai. Nach den Magenausspülungeu fühlt sich Patientin immer sehr 
wohl, bei täglich 2 maliger Vornahme derselben tritt kein Erbrechen mehr ein. 

18. Mai. Der Prolaps wird grösser. 

19. — 23. Mai. Kein Erbrechen mehr. Nahrungsaufnahme genügend, 
Patientin lebt fast nur von Milch. Puls kräftiger und nicht mehr so frequent. 

Vom 24. Mai ab wieder häufiges Erbrechen. Desshalb werden die 
Magenausspülungen wiederholt und zwar mit dem besten Erfolge. Seit dem 
26. Mai wird nicht mehr erbrochen. 

28. Mai bis 2. Juni. Angina mit Fieber bis 39,2^. Vom 2 Juni ab voll- 
ständiges Wohlbefinden. Beichliche Nahrungsaufnahme (Gacao, Milch, Eier, 
Wein). Temp. meist subnormal. Puls ca. 70, regelmässig. Respiration frei. 
Der Prolaps wird nicht grösser. 

6. Juni. Seit heute nimmt Patientin auch Fleisch zu sich und ver- 
trägt dasselbe gut. Stuhlgang erfolgt jetzt von selbst. Der Blasenkatarrh 
besteht nicht mehr, Urin hell, sehr reichlich, eiweiss- und zuckerfrei. Die 
Epidermis fängt an, sich von oben her über den Prolaps zu schieben. Patien- 
tin ist den grössten Theil des Tages ausser Bett. 

6. Juli. Völliges Wohlbefinden. Gehirnoberfläche vollständig epidermisirt. 
Die Ohrwunde heilt sehr langsam, 

10. August. Patientin erholt sich sichtlich, das Körpergewicht nimmt 
fortdauernd zu. Am hinteren Theile der Labyrinthwand, ferner am „Sporn*" 
und am Tegmen tympani noch secernirende mit stärkeren Granulationen be- 
deckte Stellen. 

Epikrise: Was die Entstehung des Kleinhirnabscesses hier 
anbetrifft, so könnte man auf den Gedanken kommen, dass eine 
an die Hammer-Ämbossextraction sieh anschliessende, auf dem 
Wege des verletzten Canalis facialis fortschreitende Infection des 
Labyrinths die Fortleitung der Eiterung nach dem Kleinhirn 
vermittelt habe. Hiergegen spricht schon der Umstand, dass die 



74 III. GRÜNERT und SCHULZE 

nach der Operation eingetretene Faeialislähmung sehr bald wieder 
zurückging, ein Beweis dafür, dass dieselbe vermuthlich durch 
einen leichten Druck auf den Nerven verursacht war, nicht aber 
dadurch, dass eine Eiterung sich längs des Nerven ausbreitete; 
im letzteren Falle hätten wir wohl mit Sicherheit annehmen 
können, dass, wenn es überhaupt zu einer Wiederherstellung 
der Function des Nerven gekommen wäre, der Heilungsprocess 
eine längere Zeit in Anspruch genommen haben würde. Dass 
das Labyrinth nicht intact war, wurde schon bei der Aufnahme 
durch die damals vorgenommene Hörprüfung constatirt; die 
später aufgefundene cariöse Labyrinthfistel macht es zur Gewiss- 
heit, dass sich schon seit längerer Zeit entzündliche Vorgänge 
im Labyrinth abgespielt haben müssen. Schon die ganze Be- 
schaffenheit des Abscesses und seiner Umgebung sprach dafür, 
dass es sich hier nicht um ein acut entstandenes Product eines 
frisch-entzündlichen Processes handeln könnte, vielmehr bestärkte 
sie uns in unserer Annahme, dass der Abscess von der alten, 
schon lange bestehenden Labyrintherkrankung aus in chroni- 
scher Weise inducirt, erst jetzt aus dem Latenzstadium heraus 
getreten war, nachdem er bisher ebenso wie die eitrige Affection 
des Labyrinths sich durch keinerlei deutliche und bedrohliche 
Zeichen zu erkennen gegeben hatte. Die vom Gehirnabscess 
ausgelösten Symptome waren nicht von vornherein deutlich genug 
zur Verwerthung für eine bestimmte Diagnose; desshalb konnte 
auch die Diagnosestellung nur successive und in der Hauptsache 
per exclusionem erfolgen. Fieber, Kopfschmerzen und Erbrechen 
Hessen uns zunächst eine Eiterretention im Warzenfortsatz, 
vielleicht auch in der hinteren Schädelgrube und eventuell eine 
Betheiligung des Sinus vermuthen. Die Totalaufmeisselung ergab 
aber nichts von alledem. 

Da in den Tagen nach der Aufmeisselung die schweren 
Erscheinungen nicht gebessert, eher sogar verschlechtert waren, 
besonders die im Hinterhaupt und im Nacken localisirten Kopf- 
schmerzen, der Schwindel und das schon beim Hochrichten auftre- 
tende Erbrechen, so lag die Annahme einer intracraniellen Com- 
plication nicht fern. Eine Meningitis erschien schon deshalb aus- 
geschlossen, weil jetzt kein Fieber mehr bestand, dagegen gewann 
die Annahme eines Hirnabscesses mehr und mehr an Wahrschein- 
lichkeit in Anbetracht der subnormalen Temperaturen und der all- 
mählichen Verlangsamung des Pulses (bis 56). Obwohl die von 
uns vor der Operation ausgeführte Lumbalpunction ein mit unserer 



Jahresber. der Kgl. UniTersit&ts-Ohrenklinik zu Halle a. S. 1900/1901. 75 

Diagnose anscheinend im Widersprach stehendes Ergebnisslieferte; 
glaubten wir doch das Bestehen einer Meningitis trotz der deut- 
lichen Trübung des Liquors aus dem Grunde ausschliessen zu 
dürfen, weil weder Baeterien noch eine Vermehrung der Leuko* 
cyten in der Flüssigkeit nachzuweisen waren. Wodurch die Trü- 
bung in diesem Falle veranlasst war, ist nicht aufgeklärt, auch 
die im hiesigen pathologischen und hjgieinischen Institute stattge- 
fundenen Untersuchungen der Flüssigkeit konnten keine Erklä- 
rung dafür finden. Jedenfalls lehrt diesVorkommniss, dass es nicht 
genügt, die bei der Lumbalpunction gewonnene Flüssigkeit ledig- 
lieh nach ihrer äusseren BeschaiOfenheit und ihrem makroskopischen 
Aussehen zu beurtheilen, sondern dass zur exacten Yerwerthung 
dieses wichtigen diagnostischen Hülfsmittels die mikroskopische 
und bacteriologische Untersuchung unumgänglich nothwendig ist. 
Der weitere Verlauf der Erkrankung gestaltete sich in mehr 
als einer Beziehung recht interessant. Auch hier konnten wir 
wieder die Beobachtung machen, dass die Pulsfrequenz gleich 
nach der Trepanation bedeutend in die Höhe ging. Die in den 
ersten Tagen nach der Operation verzeichnete Temperatursteige- 
rung bis 39,2<^ hatte ihre Ursache in einer Angina. Als am 
dritten Tage p. op. bei Gelegenheit des Verbandwechsels eine 
Eiter entleerende, ins Labyrinth führende Fistel am horizontalen 
Bogengang gefunden wurde, glaubten wir, es könnte möglicher- 
weise ein vom Labyrinth inducirter tiefer Extraduralabscess als 
Ursache der von neuem sehr heftig aufgetretenen Kopfschmerzen 
und des stärkeren Erbrechens vorliegen, da eine diese Erschei- 
nungen erklärende Eiterretention der Abscesshöhle ausgeschlossen 
erschien. Einen sehr bedrohlichen Eindruck machte es ferner, als 
einige Tage darauf zugleich mit Fieber bis 38,4^ linksseitige 
Abducenslähmung sowie Nystagmus beobachtet wurden, während 
der Verband stark serös durchtränkt war. Unsere Befürchtung, 
dass es sich bei dem grossen Prolaps um eine beginnende Me- 
ningitis im Anschluss an einen Durchbruch in den 4. Ventrikel 
handele, zeigte sich für die Folge nicht begründet. Da aber 
das in diesen Tagen sehr reichlich und ununterbrochen ablaufende 
and den Verband durchnässende Secret nicht eitrig war, sondern 
unzweifelhaft den Charakter des Liquor cerebrospinalis trug, 
sehen wir uns zu der Annahme genöthigt, dass es wohl an cir- 
cumscripter Stelle zu einem Durchbrach in den Ventrikel ge- 
kommen war, ohne dass sich die sonst gewöhnliche Folge (Eintritt 
einer tödtlichen Ventrikelmeningitis) daran anschloss. Der nur 



76 III. GRÜNERT und SCHULZE 

wenige Tage dauernde Abflugs des Liquors macht es wahr- 
scheinlich, dasB die offenbar sehr kleine Fistel, durch welche 
der Durchbruch stattfand, bald wieder zum Verschlusse kam, 
wozu auch der Umstand begünstigend beigetragen haben mag, 
dass der Prolaps gerade zu dieser Zeit nicht grösser wurde, 
sondern eher eine Neigung zum Zurückgehen zeigte. Vom 1 1. Tage 
p. op. ab fand keine Eiterung aus der Abscesshöhle mehr statt, 
und nach 3 Wochen war die Abscessöffnung bereits wieder ge- 
schlossen. Obwohl gerade jetzt sehr heftige Kopfschmerzen 
und fast unstillbares Erbrechen die Prognose bedenklich zu 
trüben schienen, konnten wir uns nicht dazu entschliessen, auf 
einen etwaigen zweiten Abscess fahndend, von neuem in das 
Kleinhirn einzugehen, sondern glaubten in dem ausserordentlich 
grossen Hirnprolaps allein schon hinreichenden Grund zur Aus- 
lösung so schwerer Reizzustände erblicken zu dürfen und die 
letzteren, da der Prolaps selbst als ein Noli me tangere fdr uns 
zu betrachten war, lediglich exspectativ und symptomatisch be- 
handeln zu müssen. Der glänzende Erfolg hat die Richtigkeit 
unserer Auffassung klar bewiesen. Das Mittel nun, welches, 
nachdem alles andere vergeblich versucht worden war, thatsächlich 
allein gegen das wochenlang andauernde, fast ununterbrochene 
Erbrechen von Wirksamkeit und dauerndem Erfolge gewesen 
ist, das waren systematische mehrmals am Tage je nach Bedarf 
wiederholte Magenausspülungen mit physiologischer Kochsalz- 
lösung: wurden die Ausspülungen weggelassen, so trat das Er- 
brechen immer wieder in der alten unstillbaren Weise auf, 
während die Patientin nach erfolgter Ausspülung jedesmal für 
längere Zeit Ruhe hatte. In der Zwischenzeit war es dann 
auch möglich, dem Magen etwas leicht resorbirbare Nahrung 
(Ei, Bouillon, Cacao) zuzuführen, nachdem vorher die Ernährung 
tagelang nur vom Rectum aus stattgefunden hatte. Es ist ein- 
leuchtend, dass die Patientin bei diesem wochenlang andauernden 
Zustand sehr heruntergekommen war, und es ist nicht zu ver- 
wundern, dass namentlich im Anschluss an die heftigen Würg- 
und Brechacte nicht selten recht bedrohliche CoUapszustände 
sich einstellten, welche wiederholt Aetherinjectionen und sub- 
cutane Kochsalzinfusionen nothwendig machten. Wir sind der 
festen Ueberzeugung, dass nächst der Abscessentleerung die mit 
Geduld und Ausdauer lange Zeit fortgesetzten Magenausspülungen 
im Verein mit den Infusionen von reichlichen Mengen Kochsalz- 
lösung diejenigen therapeutischen Maassnahmen gewesen sind, 



Jahresber. der Kgl. UniverBitätB-Ohrenklinik zu Halle a. S. 1900/1901. 77 

welche es uns ermögliohten, die Patientin, die mehr als einmal 
dem Tode nahe stand, dem Leben zu erhalten. 

Die in der stationären Abtheilnng vorgekommenen Todes- 
fälle des Berichtsjahres sind die folgenden: 

I. Clara Wrede, 3 Jahre alt, Arbeiterkind aus Qiebichenstein. Auf- 
genommen am 7. Februar 1901, gestorben am 13. Februar 1901. 

Anamnese: Das schon längere Zeit kränkelnde Kind soll vor 8 Tagen 
acut erkrankt sein unter Klage über Kopfschmerzen, Appetitlosigkeit, Ver- 
stopfung und Fieber; unruhiger Schlaf, vielfach durch Aufschreien unter- 
brochen. Der behandelnde Arzt schickt das Kind in die Ohrenklinik, da er 
eine vom Ohr ausgehende cerebrale Erkrankung vermuthet. 

Status praesens: Kräftiges Kind in gutem Ernährungszustand. Temp. 
37,7®. Puls 120. Pupillen mittelweit, gleich, reagiren äusserst träge. Innere 
Organe gesund. Reflexe normal. Das Kind ist leicht soporös, schreit öfters 
auf. Drin ohne Zucker und Eiweiss. 

Umgebung der Ohren: Ohne YeränderuDg. 

Gehörgang- und Trommelfellbefund: Gehörgang beiderseits weit, 
kein Eiter darin. Beide Trommelfelle geröthet und abgeflacht. Bei Katheter 
Rasseln. 

Therapie: Paracentese beiderseits, kein Eiter dabei entleert, Essig- 
klystier, Calomel. 

8. Februar. Das Kind hat die Nacht sehr unruhig geschlafen, öfter auf- 
geschrieen. Convergenzstellung der Bulbi. Pupillen weit, reactionslos. Das 
Kind ist andauernd soporös, fixirt nicht mehr. Temp. 37,7°, 37,8^ 38,8^ Puls 120. 

9. Februar. Musculatur der oberen Extremitäten und des Nackens 
krampfhaft contrahirt. Zähneknirschen. Schluckt nicht mehr, bohrt mit dem 
Hinterkopf in die Kissen. Temp. 37,0«, 38,2», 38,lo. 

10. Februar. Flockenlesen. Spasmen der Gesichtsmuskeln und der 
oberen Extremitäten, Temp. 38,0«, 38,3», 39,0°. 

II. Februar. Lumbalpunction: Liquor klar, vielleicht etwas 
gelblich verfärbt, ohne vermehrte Leukocyten. Enthält Tu- 
berkelbacillen. Nach der Lumbalpunction, bei welcher ungefähr 30 ccm. 
Liquor abgelassen wurden, keine auffallende Veränderung. Temp. 38,5^ 38,1^ 
38,6«, 39,0«. 

12. Februar. Temp. 38,9°, 39,1«, 38,2«. Gesicht geröthet. Starke 
Schweissbildung am ganzen Körper. Klonische Krämpfe der Gesichtsmuscu- 
latur, der oberen Extremitäten und des linken Beines. Das rechte Bein 
scheint paretisch zu sein. Hautsensibilität erhalten. Linkes Ohr secernirt 
wenig dünnen Eiter. Rechtes Ohr trocken, Trommelfell leicht abgeflacht, 
zeigt geringe Röthung. Das Kind schluckt nicht mehr. Exitus am 13. Fe- 
bruar Morgens 4 Uhr. Kurz vor dem Tode Anstieg der Temperatur auf 42,2«. 

Auszug aus dem Sectionsprotocoll. 

Diagnosis post mortem: Meningitis tuberculosa. Ependymitis granulosa 
tnberculosa. Hydrocephalus internus. Miliartubercuiose beider Lungen und 
der Milz. Yerkäsung der Mediastinaldrüsen. 

Epikrise: Das Kind zeigte deutlich die charakteristischen 
Symptome meningitiscber Reizung. Der Ohrbefund gestattete 
nicht die Annahme, dass eine Eiterretention die Ursache der 
meningitischen Erscheinungen sein könnte. Die Erkrankung 
imponirte von vornherein nicht als otogene Meningitis, vielmehr 
machte sie den Eindruck, als ob es sich um eine Meningitis 
bandelte, von der aus erst secundär entzündliche Vorgänge im 
Ohr ausgelöst worden seien. War die tuberculöse Natur der 
von uns diagnosticirten Meningitis nach dem makroskopischen 



78 III. 6RUNERT und SCHULZE 

Verhalten des Liquors wahrscheinlieh, so wurde sie zur Gewiss- 
heit duroh das Auffinden der Tuberkelbacillen selbst. 

2. Erich Hartmano, 4 Jahre alt, Gastwirthssohn aus Weissenfels. 
Aufgenommen am 22. November 1900, gestorben am 30. November 1900. 

Anamnese: Das Kind soll früher niemals wesentlich krank gewesen sein. 
Vor 14 Tagen leichte Masern. Nach Verschwinden des Ausschlages und des 
Fiebers war das Kind 4 Tage und Nächte lang sehr unruhig: oft plötzliches 
Aufschreien und Greifen nach dem Kopfe. Vom 19. November an war das 
Kind wieder ruhiger, es hatte guten Appetit und ruhigen Schlaf, bis plötz- 
lich am 21. November Morgens Erbrechen mit nachfolgender Benommen- 
heit eintrat. Nachmittags stundenlang Verdrehen der Augen und Hin- und 
flerwerfen des Kopfes. Wegen Verdachts einer Ohrerkrankung Hess der be- 
handelnde Arzt das Kind in die Ohrenklinik überführen. Nachträglich giebt 
der Vater noch an, dass das Kind schon seit mehreren Wochen beim Gehen 
sehr leicht ermüdet sei. 

Status praesens: Gut genährtes, kräftiges Kind. Temp. 38,4^ Puls 
100. Innere Organe gesund. Sopor. Zwangsstellung der Bulbi nach links. Pu- 
pillen mittelweit, gleich ,jeagiren kaum auf Lichteinfall. Ptosis rechts. Augen- 
hintergrund vielleicht etwas blasser als normal, Papillengrenzen scharf. 

Urin frei von Zucker und Eiweiss. 

Umgebung der Ohren ohne Veränderung. 

Gehörgang- und Trommelfellbefund: Gehörgang beiderseits weit. 
Trommelfell rechts leicht geröthet, links stärker geröthet und abgeflacht 

Therapie: Sofort bei der Aufnahme Paraccntese links. Kein Eiter ent- 
leert, nur Blut und etwas seröse Flüssigkeit. 

23. November. Morgens Temp. 39,1^. Das Kind hat die Nacht ziem- 
lich ruhig zugebracht und nur hier und da einmal aufgeschrieen. Trommel- 
fell rechts fast normal, links blasser als gestern, Paracentesenschnitt weit klaf- 
fend, im Gehörgang kein Eiter. Bei Katheter kommt nur etwas Blut, kein 
Eiter aus der Paracentesenöifnung. Die Lumbalpunction ergiebt unter 
hohem Druck stehenden Liquor. Derselbe ist nicht getrübt, 
ohne vermehrte Leukocyten, opalescirend, Eiweissgehalt er- 
höht, keine Tuberkelbacillen gefunden. Auch nach der Lumbal- 
punction dauert der soporöse Zustand unverändert fort. Ab und zu Zähne- 
knirschen, Zuckungen im Facialisgebiet beiderseits. Das Kind schluckt 
schlecht. Hautsensibiiität stark herabgesetzt. Abends Temp. 38,4^. Puls 96. 
Die Benommenheit ist geringer, das Kind reagirt auf Anrufen, schluckt 
besser. Keine Zuckungen mehr in der Gesichtsmusculatur, keine Lähmung 
der Extremitäten, keine Gontracturen, Hautsensibilität fast normal, Sehnen- 
reflexe fehlen. Pupillen gleich, reagiren träge. Keine Nackenstarre. Hals- 
wirbel auf Druck schmerzhaft. 

24. November. Temp. 39,2^. Puls 96. Somnolenz, aus der Patient leicht 
zu erwecken ist. Stuhlgang und Urinentleerung normal. Milch wird gut ge- 
schluckt. Sehnenreflexe heute vorhanden. Leichte Steifigkeit des Nackens. 
Abends Temp. 39,4^ 

25. November. Morgens Temp. 38,7^ Puls 96. Besp. 26. Lumbal- 
punction: Liquor unter hohem Druck, leicht gelblich verfärbt 
aber klar. Die mikroskopische Untersuchung ergiebt keine Ver- 
mehrung der Leukocyten, keine Tuberkelbacillen, auch keine 
anderen Bacterien. Das mit dem Liquor geimpfte Versuchs- 
thier starb 8 Wochen nach der Impfung an acuter Miliartuber- 
culose (Hygieinisches Institut). Nach der Lumbalpunction Somnolenz 
stärker, Pupillen mittelweit, gleich, auf Licht nicht reagirend. Häufiges 
Bohren mit dem Finger in der Nase und Zupfen an der Oberlippe. Puls und 
Athmung frequenter, 120 bezw. 32. Abends Temp. 38,1^. 

26. November. Temp. 38,7», 38,8«, 39, l^ -Puls 100. Besp. 28, sonst 
Status idem. 

27. November. Temp. 38,7«, 39, l«, 39,3». Puls zwischen 128 u. 150. Resp.36. 

28. November. Morgens Temp. 39,4«. Puls 150. Besp. 36. An- 
dauernder Sopor. Das Schlucken geht sehr schlecht. Deutliche Nacken- 



Jahresber. der Egl. Universitäts- Ohrenklinik zu Halle a. S. 1900/1901. 79 

starre. Kopf stark nach hinten gebeugt. Hautsensibilität fast normal, Sehnen- 
reflexe fehlen. Keine Läbmuog der Extremit&ten. Pupillen weit und 
reactionslos. Auf der ganzen Lunge Rasselgeräusche und vesicul&rathmen, 
Percossionsschall auf der rechten Seite vorn oberhalb der Clavicula etwas 
verkürzt. Abends Temp. 39,4^ Puls 16S. 

29. NoTbr. Morgens Temp. d9,5<^. Puls 180. Resp. 36. Dritte Lumbal- 
punction: £s entleert sich wenig mit Blut untermischter Liquor. 
Goma besteht auch nach der Lumbalpunction unverändert fort. Pupillen weit, 

fieich, reactionslos. Ptosis links. Augenhintergrund (Privatdocent Dr. S c h i e c k): 
Papillen normal, keine Stauungserscheinungen, keine Chorioidealtuberkel. 
Das linke Ohr ist trocken. Abends Temp. 40,2<^. Puls 186. Resp. 45. 

30. November. Temp. 40,2*^. Goma. Pupille links weit, rechts mittel- 
weit, beide reactionslos. Mittags Convulsionen des ganzen Körpers, die mit 
kurzen ünterbrechuDgen bis zum Tode dauern. Exitus 2 Uhr Nachmittags. 

Auszug aus dem Sectionsprotocoll. 

Diagnosis post mortem : Tuberculose des Kreuzbeins, des 4. und 5. Len- 
denwirbels. Abscess im linken Psoas. Miliare Tuberculose der Lunge und 
des Kehlkopfs. Meningitis tuberculosa. Ependymitis granulosa. flydro- 
cephalus internus. Hyperämie der Pia und der grauen Substanz. Gehirn- 
ödem. Beginnender Erweichungsherd im Kopf des Nucleus caudatus. Bron- 
cbopnenmonie beider Unterlappen. Endocarditis verrucosa. Tuberculose Darm- 
geschwüre. Trübe Schwellung der Nierenrinde. 

Dura stark gespannt. Im Sinus longitudinalls flüssiges Blut. Innen- 
fläche der Dura trocken, mattglänzend. Die weichen Häute der Convexität 
in allen Partieen stark getrübt. Pia injicirt. Gyri und Sulci verstrichen. Im 
Spinalkanal sehr viel seröse Flüssigkeit. Im Sinus transversus und sigmoideus 
flüssiges Blut. Pia der Basis stark injicirt und getrübt, besonders über dem 
Kleinhirn, in der Gegend des Chiasma und nach der MeduUa hin fibrinös 
sulzig verdickt und gelblich verfärbt. Die Pia in der Fossa Sylvii besonders 
im Verlauf der Gefässe mit kleinen miliaren Knötchen bedeckt. Ebensolche 
Knötchen befinden sich in den unteren Partien der Pia des Stirnhirns. Seiten- 
ventrikel erweitert, mit blutig-seröser Flüssigkeit gefüllt. Ependym der Ven- 
trikel, auch des 4. Ventrikels, fein granulirt Gehirn ödematös und blutreich, 
besonders die graue Rinde, letztere stellenweise grau- violett verfärbt; linker- 
seits dicht unter dem Boden des Ventrikels findet sich ein bohnengrosser 
Erweichungsherd an der Spitze des nucleus caudatus. Dura und Knochen 
über dem linken Mittelohr ohne Veränderung. Klappenapparat des Herzens 
intact bis auf die Pulmonalis, welche mit verrueösen Auflagerungen versehen 
ist. Linke Lunge etwas schwer. Aus dem Bronchus entleert sich reichlicher, 
gelb-eitriger Schleim. Bronchialschleimbaut nicht injicirt. Pleura des Unter- 
lappens lässt einige Blutaustritte erkennen, Unterlappen von dunkelrother 
Farbe, durchsetzt von einzelnen dunkelgrauen Herden. Das Parenchym des 
Oberlappens dunkelrotb, enthält verstreut einige miliare glasige Knötchen. Rechte 
Lunge: Oberlappen wie links, auch hier zahlreiche weisse, glasige über die 
Schnittfläche prominirende Knötchen. Unterlappen von vermehrtem Blutge- 
balt, aber lufthaltig, ist ebenfalls durchsetzt von den oben bezeichneten 
Knötchen. Bronchialdrüsen vergrössert, jedoch nicht verkäst. Im Kehlkopf 
viel Schleim, untere Seite des Kehlaeckels mit kleinen Knötchen besetzt. 
Mesenterium enthält einige markig geschwollene Drüsen. Im Dünndarm und 
im Dickdarm einige ovale Geschwüre mit gewulsteten von Knötchen bedeckten 
Bändern. Das Periost an der vorderen Seite des Kreuzbeins ist vollkommen 
abgehoben durch gelben zähen Eiter. Das Kreuzbein selbst ist rauh. Die 
beiden unteren Lendenwirbel sind an der Vorderseite ulcerirt und die Höhlung 
mit gelbem Eiter ausgefüllt. In der Muskelscheide des Psoas findet sich eine 
grössere Eiteransammlung. In der Paukenhöhle beiderseits etwas schleimiges 
Exsudat. Im Labyrinth kein Eiter. 

Epikrise: Das Kind bot bei der ersten Untersuohung 
deotlich die Zeichen meningitiseher Beizung. Da aber die Er- 
fahrung gelehrt hat, dass selbst in recht verzweifelt erscheinenden 



80 III. GRUNERT und SCHULZE 

Fällen, die schon das Bild der ausgesproohenen Meningitis ge- 
boten hatten, die Paraoentese des entzündeten Trommelfells und 
die Eiterentleernng ans der Paukenhöhle oft nach kurzer Zeit 
die cerebralen Erscheinungen zum Verschwinden brachten, so 
brauchte auch hier die Prognose zunächst nicht absolut schlecht 
gestellt zu werden. Verdächtig war es allerdings, dass bei breiter 
Durchschneidung des Trommelfells sich kein Eiter entleerte; 
hierdurch wurde klar bewiesen, dass, wenn die Ursache der 
meningitischen Reizung überhaupt in einer Eiterretention bestehen 
sollte, letztere jedenfalls nicht in der Paukenhöhle ihren Sitz 
haben konnte. Als am nächsten Tage trotz ableitenden und 
antiphlogistischen Verfahrens die Gehirnerscheinungen noch nicht 
nachgelassen hatten, am Ohr selbst aber und besonders auch 
am Warzenfortsatz keine Zeichen von Eiterretention oder stär- 
kerer Entzündung sich erkennen Hessen, wurde es uns zur 6e- 
wissheit, dass hier nicht nur ein Zustand von cerebraler Reizung, 
sondern eine ausgesprochene Meningitis bestand. Und zwar nahmen 
wir mit Rücksicht auf die frische Entzündung im Mittelohr, 
während die cerebralen Symptome schon längere Zeit bestanden 
haben sollten, an, dass es sich nicht um eine vom Ohr aus- 
gehende Meningitis handelte, sondern um eine vorher schon be- 
standene Gehirnhautentzündung, durch die erst secundär das Mittel- 
ohr in Entzündung versetzt worden war. Wenn auch der nicht ge- 
trübte Liquor cerebrospinalis sich uns bakterienfrei erwies, wenn 
trotz wiederholter, auch im hygieinischen Institut ausgeführter 
Untersuchungen Tuberkelbacillen in der Spinalflüssigkeit nicht 
aufgefunden werden konnten, und auch an keinem Organ ein tuber- 
kulöser Heerd, von dem die Aussaat erfolgt sein könnte, sich nach 
weisen liess, so brachte uns doch das gesammte klinische Bild auf 
die Vermuthung, dass es sich um eine tuberculöse Meningitis han- 
delte, wie denn auch die Section unsere Vermuthung bestätigte. 
Interessant ist es, dass die bei der Section gefundene aus- 
gedehnte Kreuzbein- und Lendenwirbelcaries, welche als Aus- 
gangspunkt der Miliartuberculose zu betrachten ist, sowie der 
schon bestehende Senkungsabscess im Psoas fast gar keine 
Erscheinungen intra vitam gemacht haben. Das einzige in 
dieser Hinsicht verwerthbare Symptom war ein leichtes Ermüden 
beim Gehen, welches nach späterer Aussage des Vaters in den 
letzten Wochen vor der schweren Erkrankung beobachtet worden 
war. In wieweit die hier constatirte Störung der Reflexe und 
^er Hautsensibilität der unteren Extremitäten von Seiten der 



Jahresber. der Egl. Universitäts-Ohrenklimk zu Halle a. S. 1900/190L. 81 

Erkrankung der Wirbelsäule, inwieweit sie durch die Meningitis 
veranlasst wurde, lässt sich nicht entscheiden. Bemerkenswerth 
und auffallend ist es, dass die zur Vornahme der Lumbalpunction 
nothwendige forcirte Beugung der Wirbelsäule keine besonderen 
Schmerzensäusserungen auslöste, während gerade bei Patienten 
mit otitischer Meningitis die Lumbalpunction sehr schmerzhaft 
zu sein pflegt. 

3. Frieda Franke, 5 Jahre alt, Arbeiterkind, sftis Halle. Aufge- 
nommen am 23. Januar 1900, gestorben am 13. April 1900. 

Anamnese: Ohreiterung rechts seit mehreren Jahren, Ursache un- 
bekannt. Seit längerer Zeit schon in poliklinischer Behandlung. 

Status praesens: Massig genährtes, blasses Kind. Zeichen von früher 
fiberstandener Rbachitis. Lungen suspect. Urin ohne Eiweiss und Zucker. 

Umgebung des rechten Ohres: Warzenfortsatz druckempfindlich. 
Etwas Oedem der Haut. 

Gehörgang- und Tcommelfellbefund: Bechts Gehörgang weit, 
reichliche fötide Eiterung. In der Tiefe nur Granulationen zu sehen. 

25. Januar. Total au fmeisselung. Rechts: Weichtheile ödematös. 
Unter dem Periost wenig freier Eiter. GorticaUs abnorm blutreich und am 
Planum oberflächlich arrodirt. In der Tiefe von 1 cm rahmiger, nicht fötider, 
pulsirender Eiter. In der Paukenhöhle ausser dem Eiter auch blasse Gra- 
nnaiationen. Amboss cariös am langen Schenkel, Hammer gesund. Promon- 
torium cariös. Ausgedehnter, den Facialis wulst unterminirender cariöser Re- 
cess. Beim Glätten der grossen Operationshöhle stürzen plötzlich aus der 
Sinusgegend einige Tropfen Eiter hervor. Der in Bohnengrösse freigelegte 
Sinus mit flachen Granulationen besetzt. Spaltung, Tamponade etc. wie ge- 
wöhnlich. 

In den nächsten Tagen ist am Tage die Temperatur normal, Nachts 
besteht leichtes Fieber. 

30. Januar. Verbandwechsel. Von da ab fieberfrei. 

4. Februar. Zur ambulanten Behandlung entlassen. Die Wundhöhle 
überbautet sich langsam. 

2. April wieder aufgenommen. Das Kind soll in den letzten Tagen über 
Kopfschmerzen geklagt haben. Die Mutter will auch „Zuckungen** bemerkt 
haben. In der Wundhöhle viele nekrotische Stellen. Klage über Kopf- 
schmerzen. Pupillen gleich, reagiren. Temp. 38,9^ Puls 132. Etwas Apathie. 
Anhaltende Verstopfung. Rasselgeräusche über der ganzen Lunge. 

3. April. Kopfschmerzen stärker, werden durch Eisblase wenig ge- 
ündert. Temp. 37,0°, 38,5°, 38,6», 38,8^. 

• 4. April. Temp. 37,6«, 38,7«, 38,4^. 

5. April. Temp. 37,6», 39,3», 38,5^. Status idem. 

6. April. Lumbalpunction entleert nur reiues Blut. Temp. 37,6^, 
38,4», 38,5«. 

7. April. Temp. 38,0^ 38,8», 39,0». 

8. April. Temp. 38,4°» 38,8^ 39,1», 39,5*^. 

9. April. Beginnende Nackenstarre. Pupillen weit, reactionslos. Wegen 
anhaltenden lauten Schreiens Morphium subcutan. Temp. 36,5», 38,4», 38,8». 

10. April. Temp. 39,7», 40,0». Zähneknirschea und Bohren mit dem 
Hinterkopf in die Kopfkissen. 

IL April. Temp. 39,0», 39,2». Das Kind schreit sehr oft laut auf und 
ist sehr unruhig. Morphium muss wiederholt gegeben werden. 

12. April. Temp. 39,0», 39,4», 39,6». Coma. Das Kind schluckt 
nicht mehr. 

13. April. Morgens Temp. 39,7». Exitus letalis Nachmittags 2 Uhr. 

Auszug aus dem SectionsprotocoU. 

Diagnosis post mortem: Hydrocephalus internus. Frische 
tuberculöse Meningitis. Aeltere und frische Tuberculose der 

Archiv f. Ohrenheilkunde. LIV. Bd. 6 



82 III. GRUNERT und SCHULZE 

Lungen. Tuberculose der Bronchial- und Mesenterialdrüsen. 
Ziemlich frische tuberculose Geschii^üre des Goecum und des 
Dünndarms. Miliare Tuberculose der Leberserosa. 

Epikrise: Die Section ergab, dass das kranke Ohr resp. 
die Operationswunde in keinerlei ursächlicher Beziehung zur 
Meningitis stand. Die Meningitis war hier eine Theilerscheinung 
der allgemeinen acuten Miliartuberculose. Da uns schon bei 
Lebzeiten des Kindes der Zusammenhang in dieser Weise ge- 
nügend geklärt erschien, konnte ein operativer Eingriff selbst- 
verständlich nicht in Frage kommen. 

4. Amalie Sparing, 56 Jahre alr, Böttchersebefrau aus Beesenstedt. 
Aufgenommen am 20. December 1900, gestorben am 9. M&rz 1901. 

Anamnese: Patientin hat viermal geboren, zwei Kinder leben und 
sind gesund, zwei sind in früher Kindheit an Kinderkrankheiten gestorben. 
Früher immer gesund gewesen, will Patientin vor 4 Jahren eine acute Lungen- 
erkrankung gehabt haben, nach welcher etwas Husten zurückgeblieben ist. 
Angeblich frtlher niemals ohrenleidend, erst seit ungefähr einem halben Jahre 
etwas Ohrensausen rechts. Vor 14 Tagen erkrankte Patientin plötzlich unter 
hohem Fieber, Husten und Auswurf mit Schmelzen in der rechten Brustseite. 
Nach einigen Tagen Schmerzen im rechten Ohr, welches bald darauf anfing, 
zu laufen. Die Schmerzen im Ohr Hessen nach, doch blieb Patientin in Folge 
ihrer Lungenerkrankung bettlägerig. Seit 4 Tagen wieder heftige Schmerzen 
Im rechten Ohr, sowie starke Kopfschmerzen im ganzen Kopf. Schlaflose 
N&chte, völlige Appetitlosigkeit, hartnäckige Verstopfung. Kein Frost, kein 
Erbrechen. 

Status praesens: Patientin sieht viel älter aus als sie ist, sie macht 
den Eindruck einer Siebzigjährigen. Ernährungszustand mangelhaft, Fett- 
polster gering. Haut, besonders im Gesicht, sehr faltig und runzelig. Lippen 
trocken, Zunge 'belegt, kein Foetor ex ore. Pupillen gleich weit, reagiren 

frompt, keine Augenmuskellähmung, Augen hintergrund normal. Supra- und 
nfraclaviculargruben beiderseits eingesunken. Die Perkussion ergiebt links 
oberhalb und unterhalb der Glavicula verkürzten Schall, im Uebrigen über der 
linken Lunge vollen Perkussionsschall, rechts absolute Dämpfung über dem 
Ober- und Mittellappen, vollen Schall über dem Unterlappen. Hechts abge- 
schwächtes Athmen über dem Oberlappen, bronchiales Athmen mit Easseln 
über dem Mittellappen, über den unteren Partieen reines Yesiculärathmen. 
Links abgeschwächtes Athmen über dem Oberlappen, reines Athemgeräusch 
über dem Unterlappen. Herztöne rein. Milz nicht vergrössert. Temp. 38,3^. 
Puls 138, regelmässig, kräftig. 

Umgebung des rechten Ohres: Warzenfortsatz auf Druck schmerz- 
haft. Die bedeckende Haut ist leicht ödematös. Die Weichtheile der rechten 
Halsseite längs des Sternocleidomastoideus druckempfindlich. Der Hals ist 
nach allen Seiten frei beweglich. 

Gehörgang- und Trommelfellbefund: Rechts Gehörgang weit, 
Trommelfell leicht geröthet. Aus einer grossen ovalen, nicht randständigen vorn 
unten gelegenen Perforation quillt reichlich pulsirender, nicht fötider Eiter; 
zwei kleinere Pertorationen sind hinter dem Hammergrifi' gelegen. Links 
normal. 

Hörprüfung: Flüstersprache rechts dicht am Ohr, links 5 m. Ci vom 
Scheitel nach rechts. Gi und Fis4 rechts wenig herabgesetzt. 

Therapie: Eisblase hinter das Ohr. 

21. December. Morgens Temp. 36,5^ Puls 146. Patientin hat die 
ganze Nacht über gut geschlafen. Die Kopfschmerzen sind heute ganz weg. 
Schmerzen hinter dem Ohr bestehen spontan gar nicht mehr. Druckemptind- 
lichkeit entschieden geringer. Viel Durst. Quälender trockener Husten, wenig 
schleimiges Sputum. Oru. Inf. Senegae, Wein. Während der flacht steige 
die Temperatur bis 40, l^ 



Jahresber. der Egl. Universitäts-Obrenklimk zu Halle a. S. 1900/1901. 8^ 

22. December. Morgens Temp. 37,2°. Puls 120. Letzte Nacht hat Pa- 
tientin weniger gut geschlafen, klagt heute wieder mehr über das rechte Ohr. 

Aufmeisselung: Weichtheilc massig ödematös. Der ganze Warzen- 
fortsatz durchsetzt von mit eitrig infiltrirter Schleimhaut ausgekleideten Zellen, 
die zum Theil mit flüssigem Eiter angefüllt sind. Der freigelegte Sinus sieht 
normal aus. Drain ins Antrum. Verband. 

23. December. Keine Klage mehr über Kopfschmerzen. Temp. 38,9°^ 
39,3^ 38,4», 39,3^ Puls 120, regelmässig. Respiration 32. Husten noch 
immer sehr quälend. 

24. December. Temp. 37,4», 38,4«, 37,7». Puls 100. 

25. December. Reichliche Expectoration rubiginösen Sputums. Temp. 37,0», 
37,3», 39,0», 39,4». 

20. December. Verbandwechsel: Im Gehörgang und im Antrum steht 
ziemlich viel Eiter. Temp. 37,0», 36,0», 36,1», 36,7». Puls 116. Respiration 
nicht mehr so stark beschleunigt. Expectoration leichter. 

27. December. Temp. 36,3», 36,7», 36,9». Puls 132. Auf dem Kreuz- 
bein ist eine ca. thalergrosse Stelle stark geröthet, geschwollen und sehr 
schmerzhaft. Warme Breiumschläge. 

28. December. Die dem rechten Mittellappen entsprechende Dämpfung 
ist heute bereits heller, das Athemgeräusch daselbst nicht mehr rein bron- 
chial, viel Rasseln. Temp. 38,1», 37,6», 38,3». Puls 144, aber regelmässig 
und kräftig. 

29. December. Der Husten ist leichter, Sputum sehr reichlich. Temp» 
36,7», 37,3», 37,0», 36,S». Puls 120. Respiration 30. 

30. December. Der Abscess auf dem Kreuzbein ist weicher geworden 
und zeigt auf der Höhe deutliche Fluctuation. Incision des Abscesses, wobei 
sehr viel Eiter entleert wird. Drain in die Wundhöhle, feuchter Verband. 
Die Eiterung aus dem Ohr lässt nach, das Spülwasser läuft durch das An- 
trum gut ab. Kein Fieber. 

31. December. Morgens Temp. 37,t». Puls sehr klein, unregelmässig, 130. 
Aether subcutan, Gognac innerlich. Abends Temp. 37,2». Puls besser. 

1. Januar. Temp. 38,2», 37,5», 36,8», 37,5». 

2. Januar. Aus dem Abscess auf dem Kreuzbein entleert sich kein 
Eiter mehr, keine Infiltration der Umgebung, trockener Verband. Im Ohr 
nur noch eine Spur Eiter. 

3. — 5. Januar völlig fieberfrei. Subjectives Wohlbefinden. Husten ge- 
ringer, nicht mehr so quälend, Expectoration frei, wenig Sputum. Appetit gut. 

6. Januar. Temp. 37,3», 38,1», 38,3». Puls 132. Respiration beschleunigt 
Klage über stechen in der rechten Seite. Vermehrter Hustenreiz. Die Aus- 
cultation ergiebt über dem rechten Mittel- und Unterlappen Vesiculärathmen 
mit Rasseln, die Percussion annähernd normalen Lungenschall. 

7. Januar. Stat. idem. Temp. 36,6», 38,5», 38,9». Puls 146, regelmässig. 

8. Januar. Ueber dem rechten Unterlappen Bronchialathmen und 
Dämpfung. Reichliches mit Blut untermischtes Sputum. Temp. 37,8», 37,0», 
3S,9».' Puls 140. Bis zum 15. Januar intermittirendes Fieber derart, dass 
die Morgentemperatur um 37,0» herum liegt, während das abendliche Fieber 
meist 39,0» oder darüber erreicht. Es wird viel zähes, nicht fötides Sputum 
ausgehustet. Die wiederholte Untersuchung auf Tuberkelbacillen fällt negativ 
ans. Keine Klage über Kopfschmerzen. Nahrungsaufnahme befriedigend. Die 
Wunde auf dem Kreuzbein zeigt wenig Tendenz zur Heilung. Das Ohr ist 
last trocken. 

12.— 14. Januar täglich 4-6 dünne, nicht besonders übelriechende Stuhl- 
gänge, zu gleicher Zeit Urinretention, so dass die Blase täglich mehrmals mit 
dem Katheter entleert werden musst. Urin stark getrübt, frei von Eiweiss 
und Zucker. 

16. Januar. Fieberfrei. Der Husten ist leichter. 

17. Januar. Temp. 36,9», 38,0». Status idem. 

1 8. Januar. Auf der ganzen rechten Lunge viel Rasselgeräusche. Dämpf- 
ung über dem Unterlappen heller. Temp. 37,3», 39,1», 39,7», 39,9». Puls 140. 

19. Januar. Temp. 37,6», 38,0», 38,3», 39,3», 40,3». Puls zwischen 130 
und ,140. Respiration nicht sehr beschleunigt. 

6* 



84 III. GRÜNERT und SCHULZE 

Bis zum 1. Februar iDtermittirendes Fieber. Am Tage ist die Patientin 
ii eberfrei, während sich die Abendtemperatur zwischen 38,0^ und 39,0^ hält. 
Keine Beschwerden von Seiten des Ohres, welches vom 20. Januar ab trocken 
bleibt. Husten und Auswurf dauern noch fort. Ueber den unteren Partieen 
der rechten Lunge zähe Rasselgeräusche. Die Incisionsstelle auf dem Kreuz- 
beiu zeigt wenig Neigung zur Vernarbung: Verband mit Ungt. basilicum. 

1. — 4. Februar kein Fieber. 

5. Februar. An der rechten Halsseite, am vorderen Rande des Sterno- 
cleidomastoideus in der Höhe des Zungenbeins, hat sich in den letzten Tagen 
eine ungefähr hühnereigrosse, harte, nicht schmerzhafte Anschwellung ge- 
bildet. Temp. 37,2«, 37,8«, 38,1«. Puls 120. 

6.— 17. Februar ist die Patientin am Tage iieberfei, Abends erreicht die 
Temperatur 38,0« und darüber. Keine Nachtschweisse. Husten nnd Aus- 
wurf bestehen weiter. Keine Tuberkelbacillen nachweisbar. Die Wunde 
auf dem Kreuzbein vernarbt alimählich. 

18.— 25. Februar fieberfrei. 

19. Februar. An der Aussenseite des rechten Oberarms dicht unterhalb 
des Schultergelenks ist heute eine weiche, auf Druck nicht schmerzhafte 
Anschwellung von der Grösse eines kleinen Apfels bemerkbar. Die Beweg- 
lichkeit der Extremität ist wenig beeinträchtigt, nur beim Erheben des 
Armes über die Horizontale klagt Patientin über Schmerzen. Kein Fieber. 

20.—25. Februar. Kein Fieber. Puls ca. 100, regelmässig, kräftig. Sub- 
jectives Wohlbefinden. 

25. Februar. Die Anschwellungen am Halse und Oberarm zeigen Fluc- 
tuatioD. Incision : Es entleert sich aus beiden sehr viel grünlicher, nicht föti- 
der Eiter. Drainage der Halswunde. Am Oberarm gelangt man in der Tiefe 
der Wunde auf rauhen Knochen, welcher dem Akromion angehört. Derselbe 
wird mit dem Meissel entfernt. Tamponade der Wunde mit Jodoformgaze. 

26. Febiuar bis 2. März hat die Patientin Abends noch leichtes Fieber. 
Dabei besteht subjectlves Wohlbefinden, Nahrungsaufnahme genügend. Husten 
und Auswurf geringer. Das Ohr ist andauernd trocken. Die Wunde hinter 
dem Ohr ist fast vollständig vernarbt bis auf eine kleine Stelle, an welcher 
noch etwas rauher Knochen zu fühlen ist. Die Wunde auf dem Kreuzbein 
ist geheilt. 

27. Februar. Am rechten Oberschenkel in der Glutäalgegend ^ine 
harte schmerzlose Anschwellung. Eine weichere Geschwuslt findet sich in der 
linken Infraclaviculargrube, welche sich bis in die linke Achselhöhle erstreckt. 

4. März. Eröffnung des Abscesses am Thorax. Incision unterhalb der 
€lavicula, Gegenöffnung in der Axillarlinie. Es wird reichlich V^ Liter Eiter 
entleert und darauf ein Drain eingelegt. Der Glutäalabscess wird gleichfalls 
geöffnet, die Abscesshöhle ist so gross, dass man bequem eine Faust hinein- 
legen kann. Tamponade. 

4. und 5. März. Fieberfrei. 

Am 6. März. Abends Temp. 38,8«, in der Nacht zum 7. März steigt 
das Fieber bis 39,9«. Grosse Unruhe, Patientin reisst sich öfter den Ver- 
band ab und lässt andauernd Urin und Koth unter sich. 

7. März. Morgens Temp. 37,8«. Puls sehr klein, Campherinjection. 
Abends Temp. 40,1«, Patientin reagirt kaum auf Anrufen, schluckt aber noch. 

9. März. Morgens Temp. 38,2«. Puls kaum zu fühlen. Mittags wird 
Patientin comatös, Abends Temp. 38,7«; der Tod erfolgt im zunehmenden Coma 
Abends IV/a Uhr. 

Sectionsprotocoll. 

Diagnose: Ausgeheilte Tuberculose der Spitzen. Bronchi- 
tis. Schlaffes Herz. Pericarditis purulenta. Herzabsce.ss. En- 
docarditis ulcerosa. Multiple Abscesse unter der Haut. Lungen- 
ödem. Gehirnödem. Schnürleber. 

Weibliche abgemagerte Leiche, Abdomen stark aufgetrieben, das rechte 
Akromion freigelegt, Oberfläche rauh. Ueber dem rechten Glutäalmuskel eine 
grössere Operationswunde, die in eine Höhle führt, deren Grund weisse, derbe 
Schwarte ausfüllt. 

Das Schultergelenk ist frei. Parallel der ersten Rippe links und unter der 



Jahresber. der Egl. UniversUäts-Ohrenklinik zu Halle a. S. 1900/1901. 85 

AchBelhöhle locisionswundeD, die miteinander communiciren. Känder der- 
selben schmierig belegt. Das massig kr&ftige Fettpolster gelb gef&rbt. Mns- 
culatur blassrot, atrophisch. 

Dura ohne Veränderung. In den Arachnoidealräumen etwas vermehrte 
Flüssigkeit. Pia massig injicirt. Im Sinus transversus und sigmoideus Cruor- 
gerinnsei. Seitenventrikel erweitert, mit klarer Flüssigkeit gefüllt, Ependym 
der Seiten- und des vierten Ventrikels glatt und glänzend. Kleinhirn sehr 
feucht, Grosshirn ödematös. 

Herz entsprechend gross, gut contrahirt. Mitralis für zwei, Tricuspida- 
lis für 3 Finger durchgängig. Im Herzen viel Fibringerinnsel. Aorta und 
Pulmonalis schlussfähig. Epicard stark getrübt, mit Fibrinbelag bedeckt. 
Klapi)enapparat des rechten Herzens intact Mitralis ohne Veränderungen. 
Die eine Aortenklappe in ihrem untern Theil ulcerirt: es besteht eine Per- 
forationsöffnung von etwa 4 mm. In der vorderen Wand des Herzens zwischen 
Aorta und Pulmonalis befindet sich ein bohnengrosser mit dünnflüssigem 
Eiter gefüllter Abscess, der mit der uicerirten Klappe in Verbindung steht. 
Die vordere Coronararterie zieht, ohne betheiligt zu sein, über den Abscess 
hinweg. Herzmuskel sehr brüchig, braunroth, mit helleren Flecken. 

Linke Lunge stark gebläht. Oberlappen im oberen Theile von grau- 
grüner Farbe, schwielig verdickt, ans einzelnen kleinen Heerden entleert sich 
eitriger Schaum. Rechte Lunge sehr schwer. Pleura mit dicken fibrösen 
Membranen bedeckt, Spitze des Oberlappens schiefrig indnrirt, vollkommen 
luftleer. Auch die hinteren unteren Partieen des Oberlappens sind etwas 
infiltrirt, von vermindertem Luft- und erhöhtem Saftgehalt. Hier befindet sich 
auch ein übererbsengrosser verkalkter Herd. Die vorderen Partieen des Ober- 
lappens sowie der Mittellappen von hellrother Farbe, erhöhtem Saftgehalt. 
Unterlappen von hochrother Farbe, von erhöhtem Blut- und Saftgehalt. Milz 
vergrössert, Parenchym blauroth, mit deutlicher 1 rabekelzeichnung. 

Section des Schläfenbeins: Trommelfell von normaler Farbe, hinten 
unten eine kleine trockene Perforation. In der Paukenhöhle kein Eiter. Laby- 
rinth frei. Knochen des Warzenfortsatzes erscheint gesund. Im Sinus sigmoi- 
deus frisch aussehendes Blutgerinnsel. 

Im Bulbus venae jugularis ein weisser, der Wand fest anhaftender 
Thrombus, der sich nach unten in die Jugularis fortsetzt, sodass an Stelle 
des Gefässes ein derber bindegewebiger Strang vorhanden ist. Die übrigen 
Sinusse sind frei. 

Epikrise: Wir sehen hier im Verlaufe einer Pneumonie 
eine acute Exacerbation einer schon vorher bestandenen chro- 
nischen Mittelohreiterung, die zu einem Empyem des Warzen- 
fortsatzes mit sich anschliessender Sinus- und Jugularisthrombose 
führte. Wenn auch die letztere Erkrankung selbst unter Hinter- 
lassung eines bindegewebigen Stranges an Stelle des Gefassrohres 
schliesslich zur völligen Ausheilung kam, so hatte sich doch 
inzwischen von da aus eine septische Endocarditis entwickelt^ 
welche ihrerseits zu einer allgemeinen Septicopyämie und zur 
Bildung metastatischer Abscesse in der Musculatur Veranlas- 
sung gegeben hatte. 

Es muss gleich dem Einwand begegnet werden, es sei das 
Krankheitsbild von vornherein das der Sinusthrombose gewesen 
und die pneumonischen Erscheinungen von Seiten der Lunge 
nur als der Ausdruck von Metastasenbildung aufzufassen. Dem 
gegenüber ist zu betonen, dass die Lungenafiection entschieden 



86 III. 6RUN£RT and SCHULZE 

als eine Erkrankung sui generis zu betrachten ist. Dafür spricht 
schon die Anamnese: Die Krankheit begann mit hohem Fieber, 
Husten, Auswurf und Schmerzen in der rechten Brustseite; erst 
10 Tage später gesellten sich dazu EntzUndungserscheinungen 
im rechten Ohr. Bei der Aufnahme der Patientin wiesen keinerlei 
Anzeichen mit Sicherheit auf eine Erkrankung des Sinus hin, 
und bei der Operation wurde der freigelegte Sinus äusserlich 
gesund befunden. Das hohe Fieber musste um so mehr auf die 
Lungenerkrankung bezogen werden, als dasselbe auch nach der 
Operation mit geringen Remissionen fo/lbestand, um erst am 
4. Tage post operationem subnormaler Temperatur Platz zu 
machen. Dieser Temperaturabfall im Zusammenhang mit den 
physikalischen Erscheinungen seitens des befallenen Lungen- 
lappens — Aufhellung der Dämpfung, Auftreten von feuchten 
und klingenden Rasselgeräuschen — ist als Ausdruck der Krise 
der Pneumonie zu betrachten. Das erneute Ansteigen der Tem- 
peratur nach zwei fieberfreien Tagen findet seine Erklärung in 
dem Fortschreiten der Pneumonie auf den rechten ünterlappen. 
Diese Unterlappenpneumonie nahm einen recht langsamen Ver- 
lauf; erst Mitte Januar konnte zugleich mit einem Nachlass 
des Fiebers für zwei Tage eine beginnende Aufhellung der 
Dämpfung constatirt werden. Das dann wieder einsetzende, mit 
geringen Unterbrechungen bis zum Tode bestehende, intermittirende 
Fieber war oflFenbar veranlasst durch die Erkrankung des Sinus 
bezw. der Jugularis und die daraus resultirenden Folgezustände. 
Es fragt sich nur, wie es möglich war, dass uns trotz genauer 
Beobachtung der Patientin die Sinusaffection entgehen konnte? 
Wie schon oben bemerkt, erweckten die Wundverhältnisse keinen 
Verdacht auf eine Sinuserkrankung. Ferner wurden während 
der ganzen Dauer der Erkrankung niemals Schüttelfröste oder 
Schweisse beobachtet. Die einige Tage lang dauernden Durch - 
Alle hatten nicht den Charakter der bei pyämischen Erkrankungen 
vorkommenden Darmentleerungen, namentlich fehlte der für 
letztere charakteristische Gestank. So war denn das lang an- 
haltende Fieber das einzige Zeichen, durch welches sich die 
Sinusthrombose verrieth. Gerade aber die Fieberverhältnisse 
wiesen uns immer und immer wieder auf die LungenaflFection hin, 
in deren verlangsamter Resolution wir die Ursache des Fiebers 
suchen zu müssen glaubten. Da die Patientin einen ausgeprägt 
phthisischen Habitus hatte und die eingesunkenen Supra- und 
Infraclaviculargruben sowie die Spitzeninfiltration auf eine früher 



Jahresber. der Egl. Universitäts-Ohreiikliaik zu Halle a. S. 1900/1901. 87 

überstandene, höchstwahrscheialioh tubereulöse, Erkrankung hin- 
wiesen, hegten wir den Verdacht, dass die Unterlappenpneumonie 
in Anbetracht ihrer verzögerten Lösung eine käsige sein könnte. 
Durch die Art des Pieberverlaufs wurden wir in dieser Annahme 
bestärkt, obwohl in dem reichlich expectorirten Sputum niemals 
Tuberkelbacillen nachgewiesen werden konnten. Wenn au6h 
das Fieber intermittirend war, so zeigte es doch gerade das für 
Tuberoulose charakteristische Verhalten: während des Tages war 
die Temperatur normal, die Steigerungen der Körperwärme fielen 
regelmässig in die Abendstunden ; das intermittirende Fieber bei 
der Pyämie dagegen zieht seine steilen Curven nicht mit einer 
solchen Begelmässigkeit, hier tritt gewöhnlich das Temperatur- 
maximum ein ganz unabhängig von der Tageszeit. 

Unsere Vermuthung, dass es sich um einen tuberculösen 
Process handeln könnte, erfuhr eine wesentliche Stütze durch 
das Auftreten der multiplen Abscesse in der Muscnlatur, welche 
ganz den Charakter sogenannter kalter, tuberculöser Abscesse 
hatten. Auch die Durchfälle schienen uns aus den oben schon an- 
geführten Gründen nicht pyämischer, sondern tuberculöser Natur 
zu sein. Verdächtig musste allerdings die unverhältnissmässig 
hohe Frequenz des Pulses erscheinen, der zwar abgesehen von 
einem wohl durch die Pneumonie bedingten CoUaps sonst regel- 
mässig und kräftig war ; wieder ein Beweis für die Wichtigkeit 
einer genauen PulscontroUe bei Verdacht auf septisch-pyämische 
Erkrankungen. Die Herzaffection, welche zur Klärung des 
Krankheitsbildes wesentlich hätte beitragen können, wurde 
mangels erkennbarer Symptome nicht diagnosticirf. 

5. Elisabeth PuIbs, 12 Jahre alt, Vater Ziegelmeister, aus Stroh - 
walde. AufgenommeQ am 19. Juli 1900, gestorben am 2. August 1900. 

Anamnese: Im 5. Lebensjahre soll ein „Geschwür" hinter dem rechten 
Ohre incidirt worden sein; ob damals Ohreiterung bestanden hat, ist nicht 
festzustellen. Nach Aussage des Vaters soll das Mädchen seit dem Frühjahr 
dieses Jahres oft über heftige Kopfschmerzen geklagt haben, auch soll dem 
Lehrer die grosse Zerstreutheit und Vergesslichkeit des früher sehr aufmerk- 
samen und intelligenten Mädchens in letzter Zeit aufgefallen sein. Vor 
14 Tagen, angeblich nach einer Durchnässung, heftige Kopfschmerzen, Uebel- 
keit, Erbrechen und Schmerzen in und hinter dem rechten Ohr. Bald darauf 
Aasfluss von Eiter aus dem Gehörgang, worauf die Schmerzen nachliessen. 
Nach kurzer Zeit traten aber von neuem Schmerzen auf, welche Nachts 
exacerbirten. Zugleich bestand qualvolles Ohrensausen. In den letzten 
Tagen mehrmals Schwindelanf&Ue. Seit drei Wochen soll „der Mund schief 
stehen ''. 

Status praesens: Kräftiges, gut genährtes Mädchen. Temp. 38,1^. 
Puls 104, kräftig, regelmässig. Patientin ist sehr zerstreut und beantwortet 
Fragen erst nach langem üeberlegen sehr zögernd. Einfache Rechenaufgaben 
vermag sie nicht immer richtig zu lösen. Stimmung launig und weinerlich. 
Lippen trocken. Zunge dick belegt, Foetor ex ore. Innere Organe gesund. 



88 III. GRUNEBT und SCHULZE 

Objectiv Schwindel beim Gehen mit geschlossenen Augen. Das Kind fällt 
dabei nach vorwärts. 

Complete Facialislähmung rechts. Pupillen gleich weit, reagiren. Kein 
Nystagmus, keine Augenmuskellähmung. Augenhintergrund links normal, 
rechts Papilla nervi optici geröthet, Grenzen verwaschen, Gefässe stark ge- 
füllt und geschlängelt Urin ohne Eiweiss und Zucker. 

Umgebung des rechten Ohres: Spitze des Warzenfortsatzes auf 
Druck schmerzhaft. Keine Infiltration, kein Oedem. Auf der Höhe des Warzen- 
foksatzes eine ca. 3 cm lange weisse, lineare Narbe, die von oben nach unten 
verläuft und nicht mit dem Knochen verwachsen ist. 

Gehörgang- und Trommelfellbefund: Rechts vollständige Ste- 
nose, so dass vom Trommelfell nichts zu sehen ist, stinkende Eiterung. 
Links normal. 

Hörprüfung: Flüstersprache rechts nicht gehört, links 5 m. Stimmgabeln : 
Gl vom Scheitel unbestimmt. Fis4 rechts bei starkem Nagelanschlag unsicher. 

In der Nase und im Nasenrachenraum viel Schleim. Reste adenoider 
Wucherungen. 

20. Juli. In der Nacht hat das Kind wegen der Schmerzen schlecht ge- 
schlafen. Morgens Temp. 38,6. Puls 140. Ueber Nacht hat sich eine hühnerei- 
grosse fluctuirende Geschwulst gebildet, welche von der Spitze des Warzen- 
fortsatzes bis unter den Kieferwinkel herabreicht. 

Totalaufmeisselung: Beim Zurückschieben des Periostes nach vorn 
quillt zwischen Periost und Knochen reichlicher fötider Eiter hervor. Die 
hintere häutige Gehörgangswand ist durch den Eiter vollständig vom Knochen 
abgehoben. Totale Stenose des äusseren Gehörgangs. Die längs der hin- 
teren Gehörgangswand eingeführte Knopfsonde gelangt in eine Fistel, welche 
in eine grosse Cholesteatomhöhle führt. Spina supra meatum nicht vorhanden, 
Linea temporalis nur angedeutet und tiefstehend. Aufmeisselung des Autrum. 
Nach Abtragung einer dünnen Knochenschicht kommt man sofort in die 
vorher schon sondirte grosse Cholesteatomhöhle, welche sich weit nach unten in 
die Spitze erstreckt. Die Spitze des Warzenfortsatzes wird abgemeisselt und 
dabei der Sinus in Bohnengrösse freigelegt. Die Sinuswand ist entzünd- 
lich geröthet. Beim Erweitern der Operationshöhle wird vorn oben die 
Dura freigelegt. Die Cholesteatomhöhle wird mit dem scharfen Löffel aus- 
geräumt, ebenso die Paukenhöhle, die mit Granulationen gefüllt ist. Gehör- 
knöchelchenreste nicht vorhanden. Beim Auskratzen der Cholesteatomhöhle quillt 
plötzlich von hinten unten Eiter hervor. Der horizontale Bogengang 
ist cariös, hinter der cariösen Stelle eine Fistel, die zu einem 
etwa haselnussgrossen Extraduralabscess in der hinteren 
Schädelgrub'e führt. Auch diese Höhle wird freigemeisselt und dabei 
die Dura in grosser Ausdehnung bis zum Sinus hin freigelegt. Spaltung. Der 
häutige Gehörgang ist verdickt und eitrig infiltrirt. Tamponade mit/odoformgaze. 

Abends Temp. 38,9°. Puls 144. 

21. Juli. Klage über Kopfschmerzen in der Stirn. Abends ist die linke 
Pupille weiter als die rechte, beide reagiren auf Lichteinfall. Kein Fieber. 
Auffallend ist die hohe Pulsfrequenz (100—120). 

22. Juli. Temp. 36,9^ 37,8°. 38,2». Schmerzen geringer. 

23. Juli. Morgens Temp. 37,5^ Puls 120. Klage über Leibschmerzen. 
Abends Temp. 37,8o. Puls 84. 

24. Juli. Heute Morgen mehrmals Erbrechen. Schwindel beim Hoch- 
richten im Bett. Temp. 37,0^. Puls schwankend zwischen 70 und 80, manch- 
mal aussetzend. Linke Pupille weiter als die rechte, beide reagiren auf 
Lichteinfall. Reflexe und Sensibilität normal. Klage über Kopfschmerzen in 
der Stirn. Die Lumbalpunction ergiebt unter massig hohem Druck 
stehende klare Flüssigkeit, ohne vermehrte Leukocyten, frei 
von Bacterien. 

Verbandwechsel: Aus dem offenen horizontalen Bogengang 
kommt stinkender Eiter. Es wird weit in das Labyrinth ein- 
gegangen, welches in grosser Ausdehnung cariös ist. Stinken- 
der Eiter im Yestibulum. Ueberall missfarbene Granulations- 
massen. Im Laufe des Nachmittags Puls zwischen 68 und 80, aussetzend, 



Jahresber. der Egl. Universitäts-OhreDklimk za Halle a. S. 1900/1901. 89" 

klein. Abends Temp. 36,S. Puls 60, unregelmässig. Pupillen weit, gleich, 
reagiren träge. Klage über Kopfschmerzen im ganzen Kopf. Nystagmus. 

25. Juli. Patientin hat heute Nacht mehrmals erbrochen und dabei 
unter heftigem Würgen eine grosse Menge bis zu 20 cm langer Spulwürmer 
entleert. Schwindel beim Hochrichten. Andauernde Klage über Kopfschmerzen 
in der Stirn. Temp. 35,9®. Puls bis auf 50 verlangsamt, klein und aussetzend. 
Respiration 20, regelmässig. 

Lumbalpunction ergiebt krystallklaren, unter massig hohem' 
Druck stehenden bacterienf reien Liquor ohne vermehrte Leu- 
kocyten. 

Trepanation auf das Kleinhirn: Naeb Freilegung der 
Kleinhirndura beim Abtasten derselben weder eine abnorme 
Spannung noch Fluctuation zu fdhlen. Horizontale Incision der 
Dura. Die Kleinhirnsubstanz drängt sich vor. Es wird mit 
dem Messer eingestochen, aber kein Eiter entleert. Erst als mit 
der Kornzange in die Incisionsstelle bis zu 4 cm Tiefe eingegangen 
wird, entleert sich eine grössere Menge jauchigen, äusserst übel- 
riechenden Eiters, welcher Streptokokken in Reincultur enthält, 
und nekrotisch zerfallener Hirnsubstanz. Die nach vorn,' nach 
der Pyramidenspitze zu gelegene, mit sammetweicher Membran 
ausgekleidete Abscesshöhle ist so gross, dass man zwei Endglieder 
des Zeigefingers in dieselbe einführen kann. Ausspftlen der Höhle 
mit Kai. permang. Einlegen eines dicken Gummidrains. Verband. 
Abends Temperatur 37,7^, Puls 132, kräftig, einmal Erbrechen. 

26. Juli. Patientin hat während der Nacht wenig geschlafen. Klagt 
über Schwindel, selbst bei ruhiger Lage im Bett. Kopfschmerz in der Stirn- 
gegend besteht noch, aber nicht mehr so heftig wie vor der Trepanation. 
Einmal Erbrechen. Bechtsseitige Abducensläbmung. Pupillen gleich, mittel- 
weit, reagiren. Temp. 36,6», 37,3°, 36,8^ 37,3». Puls lOü, nicht ganz regel- 
mässig, aber kräftig. 

27. Juli. Subjectives Wohlbefinden. Hat Nachts gut geschlafen. Nah- 
rungsaufnahme gut : In den letzten 24 Stunden 1 V^ Liter Milch, sowie mehr- 
mals Bouillon mit £i. Mittags Verbandwechsel: Prolaps der freiliegenden 
Hirnsubstanz, Drain gefüllt mit stinkendem Eiter und schmierigen Detritus- 
massen. Beim Spülen mit Kai. permang. entleert sich noch eine beträcht- 
liche Menge mit Blut untermischter äusserst übelriechender Jauche. Aus 
dem Senkungsabscess am Halse wird sehr viel Eiter entfernt. Nach dem 
Verbandwechsel vermehrter Brechreiz. Temp. 36,8», 37,0», 37,2», 37,4». 
Puls 70, unregelmässig, kräftig. Respiration 2o. 

28. Juli. Hirnprolaps etwas grösser und gangränös verfärbt. Die Abs- 
cesshöhle schon etwas zusammengefallen. Die Lumbalpunction fördert keinen 
Liquor zu Tage. Klage über Schwindel und Kopfschmerzen, letztere durch 
Eisblase gelindert. Appetit gut. Temp. 36,6», 37,5», 37,6», 36,9», 37,2». 
Pols 66, regelmässig. 

29. Juli. Allgemeinbefinden gut, klagt noch über etwas Kopfschmerzen 
in der Stirn. Schwindel und Brechreiz geringer. Auf Glycerinklystier reich- 
liche Stuhlentleerung. Verbandwechsel: Das eingelegte Drain ist aus der 
Abscesshöhle herausgedrängt. Vom Hirnprolaps haben sich zwei grosse 
Stücke nekrotisch abgestossen. Die Abscessöfi'nung ist collabirt. Tamponade 
mit Jodoformgaze. Temp. 37,1», 37,5», 38,0», 39,2». Puls zwischen 70 und 
80, regelmässig, kräftig. 

30. Juli. Das Kind ist in der letzten Nacht sehr unruhig gewesen, hat 
oft laut aufgeschrieen und sich den Verband abgerissen. Die Wunde ist mit 
frischen Granulationen bedeckt. Aus dem unter dem Kieferwinkel sich er- 



90 III. GRÜNERT und SCHULZE 

streckenden Senkungsabscess wird viel Eiter entleert. Der Hirnprolaps ist 
grösser geworden. Nach dem Verbandwechsel ruhiger Schlaf bis ^egen 
Abend. Nahrungsaufnahme geringer, Patientin trinkt nur auf energisches 
Zureden und auch dann nur wenige Schluck. Einmal Erbrechen. Temp. 3S,7^, 
38,20, 39,40. Puls g4^ itiein. 

31. Juli. Während der Nacht ruhiger Schlaf. Klage tlber Schmerzen 
in der Stirn und im Hinterkopf. Keine Nackencontractur. Abducenslähmung 
rechts besteht noch. Linke Pupille weiter als die rechte, beide reagiren. 
Brechreiz geringer. Viel Schlaf, auch am Tage. Patientin schluckt schlecht, 
lässtUrin unter sich. Temp. 39,1«, 38,7°, 39,2®, 39,50. 

1 . August Das Kind liegt andauernd im Halbschlaf. Lichtscheu. Der 
Verband ist sehr fötid. Hirnprolaps schmierig. Aus der Wunde quillt 
sehr viel übelriechende, dünne, braune Jauche. Verband mit Kai. permang. 
Temp. 39,0°, 38,6«, 38,9«, 38,3», 38,8o. Puls sehr klein und frequent. Athmung 
nicht beschleunigt, regelmässig. 

2. August. Coma, Puls kaum fühlbar, Temp. 38,0®, 39,1^. Exitus 8 V4 Uhr 
Abends. 

Auszug aus dem Sectionsprotocoll. 

Diagnosis post mortem: Abscess des Kleinhirns mitDurch- 
bruch in den vierten Ventrikel. Oehirnprolaps. Meningitis pu- 
rulenta der Basis. Ependymitis granulosa, Leptomeningitis des 
Rückenmarks, Oedem der weissen Substanz. Catarrhalisch lo- 
buläre Herde der Lunge. Bronchitis. Beginnende Pleuritis 
fibrinosa sinistra. 

Dura am Vorderhiru leicht gefaltet, sonst überall gleichmässig gespannt. 
Innenfläche der Dura trocken. Dura und Pia stark injicirt. Gyri über den 
hinteren Partieen stark abgeflacht. Pia der Basis stark getrübt, besonders 
rechterseits ; hier namentlich über dem Kleinhirn in der Gegend der Trepa- 
nationsöfiPnung leicht mit Eiter bedeckt. Ventrikel stark erweitert, mit einer 
getrübten serösen Flüssigkeit gefüllt. Epend^m über dem Sehhügel stark 
granulirt. Am Boden des vierten Ventrikels einige kleine Blutaustritte. Der 
rechte Lappen des Kleinhirns wird von einer grossen Zerfallshöhle einge* 
nommen, die schmierig-grüne Wände zeigt und nach dem 4. Ventrikel eine 
kleine Gommunication erkennen lässt. Im Sinus sigmöideus rechterseits 
Gruorgerinnsel, Vena jugularis frei. 

Im Spinalkanal befindet sich etwas sulziges Gewebe. Duralscheide stark 
injicirt, Pia stark verdickt und getrübt. Gefässe am unteren Ende des Brust- 
marks stärker injicirt. Gentralkanal nicht erweitert. Die weisse Substanz 
ödematös, die graue Substanz zeigt keine Veränderung. 

Section des Schläfenbeins. Bogengänge und Vestibulum 
fehlen zum grössten Theil. Der noch vorhandene Rest der 
Schnecke voll Eiter. Im Bulbus venae jugularis loses Blut- 
gerinnsel. 

Epikrise: Den anatomischen Zusammenhang der verschiede- 
nen Krankheitserscheinungen haben wir uns offenbar in folgender 
Weise zu reconstruiren: Die durch das Labyrinth hindurchgehende 
Eiterung führte einerseits zu einem tiefen Extraduralabscess, 
andererseits zur Entstehung eines Abscesses im Kleinhirn. Der 
Tod erfolgte an Meningitis in Folge des Durchbruchs des Hirn- 
abscesses in den vierten Ventrikel. Die gleich Anfangs nach 
dem Eesultat der Hörprüfung diagnosticirte LabyrinthafiFeotion 
liess bei der Totalaufmeisselung eine weit grössere Ausdehnung 
erkennen, als wir zuerst vermuthet hatten. Doch wurde zunächst 
mit Schonung des Labyrinths operirt. Der schwere Allgemein- 
zustand der Patientin veranlasste uns aber schon nach einigen 



Jabresber. der Egl. üaiversitäts-OhrenkliQik zu Halle a. S. 1 900/ L 901. 91 

Tagen, ohnie Rücksiohfnahme auf das ja doch schon fanotions- 
unfähige Labyrinth den kranken, mit Eiter durchsetzten Knochen 
in ganzer Ausdehnung wegzunehmen, also in diesem Falle ein- 
mal eine wirkliche „Radicaloperation*' auszuführen. Bereits der 
darauffolgende Tag machte uns zur Gewissheit, dass eine intra- 
eranielle Complication vorliegen musste. Bei der Entscheidung 
der Frage, welcher Art dieselbe sei, konnten im vorliegenden 
Falle Schwindel und Erbrechen differentialdiagnostisch deshalb 
keine Verwerthung finden, weil es unmöglich war, zu entscheiden, 
in wieweit diese Erscheinungen durch die weitgehende Laby- 
rinthaffection bedingt waren. Die Kopfschmerzen sind ein viel 
zu allgemeines Symptom und waren auch im vorliegenden Falle 
bezüglich ihrer Localisation einem viel zu grossen Wechsel unter- 
worfen, als dass aus ihnen ein bestimmter Schluss über die Natur 
der zu Grunde liegenden intracraniellen Erkrankung hätte gezogen 
werden können. Die Neuritis optica sowie die contralaterale 
Oculomotoriuslähmung stützten wohl unsere Annahme, dass eine 
intraoranielle Complication vorliegen müsse, ohne freilich über 
die Art derselben näheren Aufschluss zu geben. Ausschlag- 
gebend und allein fUr die Diagnose Hirnabscess entscheidend 
waren neben der Lumbalpunction das Verhalten des Pulses und 
der Temperatur. Das anfänglich vorhandene Fieber hatte wohl 
seine Ursache in der Eiterretention in dem bis an den Sinus 
heran erkrankten und verjauchten Knochen, denn nach voll- 
ständiger Eliminirung der Eiterherde fiel die Temperatur auf 
das Normale bezw. Subnormale ab. Dieser Umstand im Verein 
mit dem Ergebniss der Lumbalpunction sprach mit Sicherheit 
gegen das Bestehen einer Meningitis. Von Interesse und für die 
Diagnosestellung von der grössten Wichtigkeit war ferner das 
Verhalten des Pulses. Derselbe war in den ersten Tagen ausser- 
ordentlich frequent, später nahm er aber an Frequenz allmählich 
ab und zwar so, dass trotz annähernd gleichbleibender Tempe- 
ratur die von Stunde zu Stunde zunehmende Pulsverlangsamung 
deutlich controlirt werden konnte. Dies auffallende Herabgehen 
der Pulsfrequenz (bis auf 50) in Gemeinschaft mit der subnor- 
malen Temperatur (35,9) veranlasste uns in erster Linie zur An- 
nahme eines Hirnabscesses. Dieser musste mit Rücksicht auf 
die Labyrintheiterung mit Wahrscheinlichkeit im Kleinhirn ge- 
sucht werden. Eine besondere Erwähnung verdient ferner das 
Verhalten des Pulses auch nach der Operation. Derselbe zeigte 
sofort nach der Trepanation eine aufi*allende bis zum Abend noch 



92 111. GRÜNERT und SCHULZE 

zunehmende und weit über das Doppelte der vorhergehenden 
Pulszahl steigende Beschleunigung. In der darauffolgenden 
Nacht sank die Pulsfrequenz wieder, um in den nächsten Tagen 
einem normalen Verhalten Platz zu machen. Die eingreifende 
Labyrinthoperation führte nicht nur zu einer bedeutenden Zu- 
nahme des Schwindels, sodass derselbe auch bei ruhiger Bett- 
lage von der Patientin sehr lästig empfunden wurde, sondern 
hatte auch das Auftreten von Nystagmus, der vorher sicher nicht 
vorhanden war, zur Folge. Bemerkenswerth ist, dass die links- 
seitige Oculomotoriuslähmung unmittelbar nach dem Eingriff am 
Labyrinth verschwand und auch in der nächsten Zeit nicht wieder 
beobachtet wurde. Erst in den letzten Tagen des Lebens, als 
bereits die Meningitis vorlag, machte sich die Lähmung wieder 
bemerkbar, wenn auch nicht in dem Grade wie vorher. Dass 
bei der letzten Lumbalpunction trotz reichlicher Flüssigkeits- 
ansammlung in den Ventrikeln überhaupt kein Liquor zu Tage 
gefordert wurde, findet wohl in der starken Schwellung und 
ödematösen Durchtränkuug des ganzen Eückenmarkes, wodurch 
der Abfluss des Liquors aus der Schädelhöhle nach dem Spinal- 
kanal behindert wurde, eine einleuchtende Erklärung. Zwei Punkte 
verdienen noch besonders hervorgehoben zu werden, welche nicht 
übereinstimmen mit den bisherigen Annahmen, dass erstens Menin- 
gitis purulenta an der Schädelbasis, welche sich auf die hintere 
Schädelgi'ube und in den Spinalkanal ausgedehnt, stets mitNacken- 
contractur einhergehe, und z,weitens, dass bei umfangreichem Klein- 
hirnabscess immer Athmungsstörungen eintreten. Trotz der Aus- 
breitung des Exsudats bis in den Spinalkanal hinein war bei der 
Patientin nicht eine Spur von Nackencontractur zu bemerken ge- 
wesen. Obwohl die entzündlichen Erscheinungen gerade im vierten 
Ventrikel besonders hochgradig waren und trotz der bedeutenden 
Grösse des Kleinhirnabscesses war die Athmung bis zum letzten 
Augenblick ganz regelmässig: zu den sonst bei Erkrankung des 
Kleinhirns und des vierten Ventrikels als häufig beschriebenen 
Athemstörungen kam es nicht. Die Prognose wurde wesentlich ge- 
trübt durch den Eintritt des ausserordentlich grossen Hirnprolapses, 
durch welchen die fortschreitende Zerstörung der Substanz des 
Kleinhirns gefördert und so der Durchbruch in den vierten Ven- 
trikel mit anschliessender Meningitis beschleunigt wurde. 

6. Gottlob Hinneburg, 53 Jahre alt, landwirthschaftlicher Arbeiter 
aus DommitzBch. Aufgenommen am 15. Juni 1900, gestorben am 29. Juni 1900. 

Anamnese: Vor drei Jahren bemerkte Patient, dass das Gehör auf 
dem rechten Ohr allmählich abnahm, ohne dass er jemals eine Ohreiteruog, 



Jahresber. der Egl. Universitäts-Ohrenkliaik zu Halle a. S. 1900/1901. 93 

Schmerzen u. b. w. gehabt hatte. Das linke Ohr soll immer gesund gewesen 
sein. Vor acht Tagen plötzlich Schmerzen im linken Ohr und Schwerhörig- 
keit. Bald darauf Ohrenlaufen. Dabei bestand Schwindel besonders beim 
Bücken, ferner Appetitlosigkeit, aber kein Erbrechen. Fieber soll nicht vor- 
handen gewesen sein. Mit dem Eintritt der Ohreiterung verschwanden die 
Schmerzen. Der Ausfluss dauerte nur einige Tage. Die Schmerzen kehrten 
nicht wieder, aber der Schwindel blieb bestehen. Fat. arbeitete während der 
ganzen Zeit seiner Erkrankung. Er sucht die Klinik auf wegen geringer 
Schmerzen im linken Ohr, besonders aber wegen des Schwindels, der ihn an 
der Arbeit hindert. 

Status praesens: Grosser, kräftiger Mann. Herz und Lungen ge- 
sund. Temperatur 36,6^. Urin ohne Zucker und Eiweiss. Pupillen gleich 
weit, reagiren prompt auf Lieh teinf all. Kein Nystagmus, keine Lähmung. 
Objectiv kein Schwindel. 

Die Umgebung des Ohres zeigt keine Veränderung. Gehörgang- 
und Trommelfellbefund: Rechts: Trommelfell atrophisch. Geröthete Pro- 
montorinmwand durchscheinend. Links : Im äusseren Gehörgang einige exco- 
riirte Stellen. Trommelfell etwas abgeflacht, leicht injicirt, unten stark 
weisslich getrübt. 

Hörprüfung: Flüstersprache rechts nicht gehört, links ^/nn. Stimm- 
gabelprüfnng : Gi vom Scheitel nicht lateralisirt. Rechts Gi und Fis4 bei 
starkem Nagelanschlag, links Gi und Fis4 etwas herabgesetzt. Rinne beider- 
seits unbestimmt. 

Ergebniss des Katheterismus tubae: Rechts breites Einströmen der Luft, 
auffallend scharfes Blasen. Links Rasseln, kein Perforationsgeräuch. 

16. Juni. Temperatur 36,4^ Die lojcction des Trommelfells ist zurück- 
gegangen. Keine Klage mehr über Schmerzen oder Schwindel. 

17. und 18. Juni. Temperatur normal. Völliges Wohlbefinden. Bei 
Katheter noch etwas Rasseln, danach hört Pat. besser. 

19. Juni Abends. Temperatur 38,0^. Klage über Haischmerzen. Ge- 
ringe Röthung beider Tonsillen. 

20. Juni Morgens. Temp. 37,8°. Keine Halsschmerzen mehr. Am Nachmit- 
tag klagt Pat. über sehr heftige Schmerzen im linken Ohr. Trommelfell abgeflacht 
und leicht geröthet. Paracentese entleert kein Exsudat. Abends Temp. 37,5°. 

21. Juni Morgens. Temp. 36,6°. Die Schmerzen im Ohr haben etwas nach- 
gelassen. Die in den Gehörgang eingeführte Gaze ist mit schleimig- seröser Flüs- 
sigkeit durchtränkt. Während des ganzen Tages schmerzfrei. Abends Temp. 36,8°. 

22. Juni. Temperatur 38,9°. Klage über sehr heftige, nach dem Kopfe 
ausstrahlende Schmerzen im linken Ohr. Paracentesenschnitt klafift weit, 
entleert kein Exsudat. Abends Temperatur 39,2°, Puls 92. Erbrechen. 

23. Juni Morgens. Temperatur 37,4, Puls 84. Pat. ist Nachts sehr un- 
ruhig gewesen, hat wiederholt das Bett verlassen und in der Ecke des Zim- 
mers seine Nothdurft verrichtet. Es lässt sich heute eine Sprachstörung con- 
statiren: die Aussprache der Consonanten ist erschwert. Pat. ist völlig bei 
BewuBStsein, erkennt vorgehaltene Gegenstände, weiss dieselben aber nicht 
richtig zu benennen. 

Lumbalpun c tion: Liquor unter ziemlich hohem Druck 
stehend, nicht deutlich getrübt, von hellgelber Farbe, enthält 
viel Leukocyten, keine Bacterien. In der Umgebung des Ohres keinerlei 
entzündliche Erscheinungen. Pupillen gleich, reagiren, sehr eng. Abends 
Temperatur 38,3°, Puls 86. 

24. Juni Morgens. Temperatur 37,2°, Puls 6S. Schmerzen geringer, 
und im Ohr localisirt. Pat. beantwortet an ihn gerichtete Fragen sehr lang- 
sam und träge, aber richtig. Kein Erbrechen mehr. Augenhintergrund nor- 
mal. Abends Temperatur 37,3°. 

25. Juni. Temperatur 37,2°, Puls 68, regelmässig, kräftig. Pat. stiert 
theilnamlos vor sich hin, klagt über Schmerzen im linken Ohr, nicht im Kopf. 
Ohr vollständig trocken, Paracentesenschnitt klafft weit. Pupillen übermittel- 
weit, gleich, reagiren träge. Im Laufe des Vormittags kurz dauernder Frost- 
anfall mit darauffolgendem starken Schweissausbruch. Abends Temp. 39,9°. 
Pat. schluckt nicht mehr. 



94 111. GRDNERT und SCHULZE 

26. Juoi. Temperatur 39,4^ Puls 96, kräftig. Fat. läsat Urin und Koth 
unter sich. Reflexerregbarkeit der Haut fast ganz aufgehoben. Spasmen in 
der MuBculatur des linken Armes und der linken Gesichtsh&lfte. Pupillen 
maximal erweitert, die rechte vielleicbt etwas weiter als die linke, rcagiren 
träge auf Lichteinfall. Goma. Lumbalpunction ergiebt grünlich- 
gelbe, leicht getrübte Spinalflüssigkeit, welche Diplokokken 
und viel Leukocyten enthält. Abends Temperatur 39,2^ 

27. Juni. Temperatur 39,1 <^, Puls 100, klein. Respiration mühsam, 26 
in der Minute. Zwangsstellung beider Augen nach rechts oben. Die rechte 
Hand ist bis zum Handgelenk stark ödematös geschwollen. Der Unterarm 
ist frei. Sowohl an der Beuge- als auch an der Streckseite der rechten 
Hand und zwischen den Fingern zahlreiche, mit hellem Serum gefüllte, Blasen, 
die grössten auf dem Handrücken, dem zweiten Metacarpus entsprechend, und 
in der Hohlhand an der Wurzel des dritten und vierten Fingers. Rechte Pupille 
weiter als die linke. Nährklystier, Eochsalzinfusion. Abends Temp. 39,2^. 

28. Juni. Temperatur 37,7^. Pupillen gleich, flbermittelweit, contrabiren 
sich langsam und nur wenig. Zwangsstellung der Augen besteht immer noch. 
Nackenmuskeln nicht contrahirt. Keine Lähmung der Extremitäten. Patient 
reagirt auf Anrufen, spricht aber nicht. Verlangt durch Zeichen zu trinken, 
aber das Schlucken ist unmöglich. Abends Temperatur 39,2^ 

29. Juni. Temperatur 39,4, Puls sehr klein. Zunehmendes Goma. Tod. 

Sectio nsproto coli. 

Diagnosis post mortem: Meningitis purulenta cerebralis et 
spinalis. Hyperämie und Oedem des Gehirns. Pachymeningitis 
externa chronica. Angeborene Defecte im Tegmen tympani. Hy- 
postase in beiden unteren Lungenlappen. Trübe Schwellung 
der Nieren. 

Kräftige männliche Leiche. Totenstarre. Auf dem Dorsum der rechten 
Hand ist die Haut in Gestalt einer f unfmarkstückgrossen , mit Eiter und 
trübem Serum gefüllten Blase abgehoben. In der Bauchhöhle kein abnormer 
Inhalt. Darmserosa glatt und glänzend. Lungen sinken massig zurück, rechte 
Lunge in den unteren Partieen fixirt. 

Herz schlecht contrahirt, Aorta und Pulmonalis schlussfähig. Klappen- 
apparat bis auf einige geringe Verdickungen der Aortenklappen intact. Elas- 
ticität der Aorta vermindert, liusculatur braunroth, von schlechter Gonsistenz. 

Lunge: Linke Lunge schwer; unter der glatten Pleura vereinzelte punkt- 
förmige Blutungen. Aus dem Bronchus blutig gefärbter Schleim. Mucosa 
hyperämisch. Randpartieen des graurothen Oberlappens etwas gebläht. Unter- 
lappen in allen Theilen fast luftleer, saftreich, schlaif infiltrirt. Rechte 
Lunge mit dem Zwerchfell fest verwachsen. Bronchialmucosa dunkelroth in- 
jicirt. Oberlappen grauroth, gebläht, lufthaltig. Unterlappen ziemlich blut- 
und saftreich, Luftgebalt herabgesetzt. 

Milz: Nicht vergrössert. Kapsel an einer Stelle stark fibrös verdickt. 
Pulpa schwarzroth. Trabekelzeichnung wenig deutlich. 

Nieren: entsprechend gross, massige Fettkapsel. Fibröse Kapsel etwas 
fest haftend. Oberfläche glatt. Rinde nicht verbreitert. Auf dem Durch- 
schnitt grauviolett-trübe. 

Leber: normal gross, glatte Kapsel. Parenchym schmutzig graubraun, 
ziemlich blutreich. Gentrum der Acini grauviolett, Peripherie schmutzig gelb, 
Läppchenzeicbnung massig deutlich. 

Magen : entsprechend gross. Schleimbaut mit viel zähem Schleim bedeckt, 
stellenweise stark blutig injicirt und imbibirt, zum Theil postmortal erweicht. 

Gehirn : Dura der Convexität fest mit dem Schädeldach verwachsen, ihre 
Innenfläche glatt und glänzend. Die weichen Häute der Gonvexität leicht 
getrübt, sehr hyperämisch. In den Arachnoidealräumen etwas vermehrte 
klare Flüssigkeit. Die Gyri abgeplattet. Nach Herausnahme des Gehirns 
zeigt sich auf der Vorderiläche der linken Schläfenbeinpyramide eine steck- 
nadelkofpgrosse runde Oeffnung in der Dura und im Knochen, durch welche 
hindurch man eine Sonde in die Paukenhöhle einführen kann. Durch die 
Oeffnung im Knochen drängt sich in geringem Grade die hyperämische 



I Jahresber. der Kgl. IJDiversitäts-Obrenklinik zu Halle a. S. 1900/1901. 95 

und entzündlich geschwollene Schleimhaut der Paukenhöhle hindurch. Die 
Cnterfläche des Schläfenlappens zeigt an ihren Meningen einen kleinen 
Granulationsknopf, der der Knochenöffnung entspricht und der Schläfenbein- 
pyramide leicht adhärent ist. Die Dura ist in der Umgebung der Knochen- 
Öffnung verdünnt, sonst nicht wesentlich verändert. Beim Ablösen der Dura 
von der rechten Schläfenbein pyramide zeigt sich an der der linken Seite ganz 
entsprechenden Stelle des Knochens eine gleiche Communication mit der 
Paukenhöhle ; doch ist die darüberliegende Dura hier intact. Aus dem Spinal- 
kanal quillt dünnflüssiger, mit Fibrinflocken vermischter Eiter heraus. Die 
weichen Häute der Medulla spinalis, soweit sie nach Herausnahme des Ge- 
hirns von der Schädelhöhle sichtbar, sind stark eitrig infiltrirt. Die Pia der 
Basis im Bereich der Kleinhirnunterfläche, der Medulla oblongata, des Pens 
bis zum Chiasma nervi optici sind mit dickflüssigem gelben Eiter reichlich 
durchsetzt, sodass die Gefässe völlig darin eingebettet liegen. Die übrigen 
Theile der basalen Pia stark hyperämisch. 

In der Umgebung des oben genannten Granulationsknopfes an der 
Unterfläche des linken Temporallappens ist das Gehirn sehr weich und lässt 
schlaffe Fluctuation erkennen. 

Die Seitenventrikel sind erweitert und mit ähnlichem Eiter wie der an der 
Hirnbasis gefüllt. Der gleiche Inhalt findet sich im vierten Ventrikel. Die 
Plexus chorioidei sind eitrig infiltrirt und ausserordentlich hyperämisch. Das 
Unterhorn des linken Seitenventrikels ist stark erweitert und stellt eine weite, 
mit schmutzig gelb-grünem, blutig gefärbtem, dünnflüssigem Eiter erfüllte 
Höhle dar, von der offenbar die obengenannte Fluctuation herrührte. Der 
erwähnte Granulationsknopf entspricht der Gegend dieser Höhle. Die der Höhle 
anliegende Hirnsubstanz ist stark blutig und ödematös durchtränkt, fast matsch. 
Das gaoze Gehirn stark ödematös und hyperämisch, von schlechter Consistenz. 

Schläfenbeinsection: An beiden Schläfenbeinen findet sich 
am Tegmen tympani ein beiderseits symmetrisch gelegener, un- 
gefähr stecknadelkopfgrosser, runder Defect im Knochen, 
durch welchen mau mit einer Sonde in die Paukenhöhle gelangt. 
Links Paukenhöhlenschleimhaut etwas geschwollen und ge- 
röthet. In der Paukenhöhle wenig dünnschleimiges Exsudat. 
Labyrinth freL 

Epikrise: Der vorliegende Fall von Meningitis ist in mehr- 
facher Beziehung von Interesse. Wenn es auch nicht Wunder 
nehmen kann, dass eine zunächst nur im Mittelohr localisirte 
Entzündung auf einem in pathologischer Weise präformirten 
Wege wie hier auf die Schädelhöhle übergreifen und zu einer 
letalen Meningitis f&hren kann, so ist doch immerhin der 
verhältnissmässig geringe Grad der Entztindungserscheinungen 
seitens des Ohres, die hier bestanden, sehr bemerkenswerth. Bot 
doch der otoskopische Befund in den ersten Tagen genau das 
Bild einer in normaler Weise zur Abheilung gelangenden acuten 
Entzündung. Um dem Vorwurfe zu begegnen, es sei durch zu 
frühzeitiges oder forcirtes Eatheterisiren das Exsudat in die 
Schädelhöhle getriehen worden, muss ausdrücklich hervorgehoben 
werden, dass die Lufteintreibungen durch den Katheter erst nach 
dem Abklingen der Entzündungserscheinungen bei schon abge- 
blasstem Trommelfell und zwar mit sehr geringem Druck und 
überhaupt nur 1 oder 2 mal ausgeführt wurden, bei vollständigem 
Fehlen von Schmerzen und mit gutem Erfolg bezüglich der Rück- 



96 III. 6RUNERT und SCHULZE 

1)il(lniig des Exsudates und der Wiederherstellung der Hörfanction. 
Dagegen verdient die Annahme grosse Wahrscheinlichkeit, dass 
die am 4. Tage aufgetretene leichte Angina für das Wiederauf- 
flackern der Entzündung und ihre verhängnissvoUe Weiteraus- 
1)reitung von Bedeutung gewesen ist. Denn schon am nächsten 
Tage hot das bereits abgeblasste Trommelfell von neuem die 
Zeichen der Entzündung dar unter gleichzeitigem Auftreten sehr 
starker Schmerzen, welche schon mehrere Tage gänzlich ge- 
schwunden waren. In den nächsten Tagen bestand kein Verdacht 
auf eine ernstere Complication, erst als am 22. Juni Abends 
hohes Fieber und Erbrechen eintrat und Patient am nächsten 
Tage mit engen Pupillen und amnestischer Aphasie aufgefunden 
wurde, nachdem er in der vorhergehenden Nacht sehr unruhig 
gewesen, verschiedentlich aus dem Bette aufgestanden war und 
zwecklose Handlungen begangen hatte, wurde unsere Aufmerk- 
-samkeit auf die Möglichkeit einer intracraniellen Erkrankung 
gelenkt. Hier war es nun wieder einmal die Lumbalpunction« 
welche uns über die Beschaffenheit derselben näheren Aufscbluss 
zu geben vermochte: Bei dem deutlich gelb verfärbten, reichlich 
Leukocyten enthaltenden Liquor konnte es sich mit Rücksicht 
auf die sonstigen Krankheitssymptome nach unserer sonstigen 
Erfahrung mit grösster Wahrscheinlichkeit nur um eine Meningitis 
handeln. Brachte die Lumbalpunction Klarheit in diagnostischer 
Beziehung, so war dieselbe auch andererseits bestimmend für 
unser therapeutisches Verhalten, indem sie uns jeden Eingriff 
als aussichtslos, ja vielleicht den Exitus beschleunigend, unter- 
sagte. Es machte den Eindruck, als ob die erste Lumbalpunction 
in diesem Falle von therapeutischem Werthe gewesen wäre; 
jedenfalls war der Patient am folgenden Tage fieberfrei und 
klagte über geringere Schmerzen. 

Thatsächlich war ohne Zuhilfenahme der Lumbalpunction 
der Symptomencomplex der Erkrankung keineswegs eindeutig 
genug, um mit Sicherheit die Diagnose Meningitis stellen zu 
können: Die Schmerzen waren fast während der ganzen Zeit, 
jedenfalls aber im Anfang nicht im Kopf, sondern im Ohr locali- 
sirt; es fehlte in den ersten Tagen jede Störung der Sensibilität, 
Motilität und Reflexe; Veränderungen am Augenhintergrund, 
wie sie vielfach als werthvoU für die Diagnose Meningitis be- 
trachtet und als häufig bei dieser Erkrankung angefllhrt werden, 
konnten während der ganzen Krankheitsdauer trotz wiederholter 
genauester Untersuchung überhaupt nicht constatirt werden. Eine 



Jahresber. der Egl. ÜQiversitäts-Ohreaklinik za Halle a. S. 1900/1901. 97 

bemerkenswerthe Ersobeinung ist auch das vollständige Fehlen 
von Naokeneontractaren trotz des bei der Seotion eonstatirten 
ausgebreiteten bis nach der Medulla oblongata herabreiohenden 
dicken Eiterbelags. 

Die im späteren Verlauf der Erkrankung eingetretene Zwangs- 
stellang der Augen ist als Folge der Basilarmeningitis und deren 
Ausbreitung auf die Seitenventrikel aufzufassen. Ob die im lin- 
ken Unterhorn am meisten vorgeschrittene Erkrankung fOr die Art 
der Zwangsstellung der Augen (Blick nach rechts oben) verant- 
wortlich gemacht werden kann, bleibe dahingestellt. 

Was hier die Sprachstörungen anbetrifft, so gehen wir wohl 
nicht fehl, wenn wir die schon bei der Aufnahme beobachtete 
and nach Aussage der Frau schon seit mehreren Jahren be- 
stehende langsame und zögernde Art zu antworten, auf die aus- 
gebreitete chronische Pachymeningitis beziehen. Die motorische 
und amnestische Sprachstörung aber, sowie die in den letzten 
Tagen vor dem Tode noch vor Eintritt des comatösen Zustandes 
bemerkte vollständige Aphasie wurde durch die in Folge der 
Ausbreitung der MeningiTtis hervorgerufene Alteration der Sprach- 
centrums veranlasst. 

Eine besondere Erwähnung verdient noch das Auftreten 
von Pemphigusblasen an der rechten Hand, wohl eine Folge von 
trophischen Störungen in den entsprechenden Nerven, wofftr ihre 
symmetrische Anordnung spricht. Bemerkenswerth ist ferner 
der Nachweis von Diplokokken, sowohl in der SpinalflQssigkeit 
als auch in dem Exsudat der Pemphigusblasen. 

7. £rD8t Gommel, 47 Jahre alt, Schmied aas Wittenberg. Aafgenom- 
mea am 27. October, gestorben am 3. November 1900. 

Anamnese: Patient bat in den Kinderjahren Lungenentzilodung ge- 
habt, sonst will er immer gesund gewesen sein. Seit der Kindheit Ohreniaufen 
rechts, Ursache unbekannt. Kopfschmerzen und Schwindel, besonders beim 
Bücken, bestehen schon seit mehreren Jahren. Vor 8 Tagen erkrankte Pa- 
tient plötzlich nnter heftigen Schmerzen im rechten Ohr, welche in die ganze 
rechte Kopfseite ausstrahlten. Dabei bestand Appetitlosigkeit, aber kein Er- 
brechen, hohes Fieber uad seit einigen Tagen mehrfach sich wiederholende 
Schüttelfröste. 

Statns praesens: Kräftig gebauter Mann mit gut entwickelter Mus- 
colatur und reichlichem Fettpolster. Zunge gelbbraun belegt, an den Bän- 
dern feucht. Foetor ex ore. Temperatur 3S,9^ Puls 72, kräfcig, regelmässig. 
Papillen gleich weit, reagiren auf Lichteinfall, ^keine Augenmuskellähmung, 
kein Nystagmus. Der Augenhintergrund zeigt auf dem rechten Auge viel* 
leicht etwas stärkere Hyperämie als links, Papillengrenzeu scharf, keine 
Stauung. Objectiv kein Schwindel, üeber den Lungen voller Percussions- 
schall und reines Yesiculärathmen. Herztöne rein. Milz nicht vergrössert. 
An den unteren Extremitäten Varicen und Spuren von früherem Ekzem. 
Conjunctiven und Haut leicht icterisch gefärbt; dies soll aber nach Angabe 
des Patienten schon immer, jedenfalls schon vor Beginn der acuten Erschei- 
nungen der Fall gewesen sein. Urin ohne Eiweiss und Zucker. 

Archiv f. Ohreabeakunde. UV. Bd. 7 



98 III. GRUN£RT und SCHULZE 

Umgebung des rechten Obres: Leise Percussion des Warzenfort- 
Satzes und der Scbuppe ist scbmerzbaft. Druckern pfindlicbkeit des Warzenfort- 
satzes sowie der seitlichen Halsgegend in der N&be der grossen Gefässe. Kein 
Strang, keine Lymphdrüsen daselbst zu fühlen. Kein deutliches Oedem, keine 
Infiltration. 

Gehörgang- und Trommelfellbefund: Rechter Gehörgang weit. 
Reichliche fötide Eiterung. In der Tiefe viel Epidermismassen und von oben 
herabhängende Granulationen. Grosser cariöser Defect in der oberen Gehör- 
gangswand. Links Gerumen. 

Hörprüfung: Flüstersprache rechts nicht gehört, auch nicht durch 
Hörschlauch, links V^ ™- Stimmgabeln: Ci vom Scheitel nicht lateralisirt. 
Rechts Gl stark herabgesetzt, FiS4 bei sehr starkem Nagelanschlag, links Ci 
fast normal, Fi84 bei Nagelanschlag. 

Therapie: Eisblase hinter das rechte Ohr, Elystier. 

28. October. W&brend der vergangenen Nacht Schüttelfrost von 10 Mi- 
nuten Dauer mit darauffolgendem starken Schweiss und Anstieg der Tempe- 
ratur auf 40,8^ Heute Morgen Temp. 36,8<^. Puls 64. Im Laufe des Tages 
zweimal fötide Durchfälle. Abends Temp. 39,S^ Puls 76. Ghin. sulf. 0,5. 

29. October. Heute Morgen &V> Uhr lange dauernder Schüttelfrost, 
darauf starker Schweiss und Anstieg der Temperatur auf 40,2^ Puls wech- 
selnd zwischen 60 und 80. Respiration 22, regelmässig. Gi vom Scheitel 
unbestimmt 

Totalaufmeisselung: Gorticalis sehr dick, in den Warzenzellen 
Jauche, im Attik spärliche Epidermistapete. Ossicula cariös. Hinten oben 
im Antrum Dura freiliegend, von schmierigen Granulationen besetzt. Sinus 
siemoideus in grosser Ausdehnung freigelegt, die Wand des- 
selben nach dem Bulbus zu eitrig infiltrirt und schmu^tzig- 
bräunlich verfärbt. Jauche zwischen Knochen und Sinuswand. 
Nun erst Unterbindung der Vena jugularis interna. Die Unter- 
bindung war dadurch erschwert, dass die stark gefüllte Jugularis externa sehr 
vorsprang und direct im Operation sfelde lag; ausserdem mussten aus der 
Scheide der Jugularis interna einige geschwollene Lymphdrüsen entfernt 
werden. Jugularis doppelt unterbunden, das t cm lange Stück zwischen den 
beiden Ligaturen eröffnet, keine Thrombus darin. Die Vene zweimal ange- 
schnitten, starke Blutung. Nun folgt Incision des Sinus, sehr profuse 
Blutung, von Thrombus nichts zu sehen. Tamponade des unteren 
Endes mit Jodoformgaze. 

Nach der Operation Abfall der Temperatur auf 36,3^. Abends Temp. 
36,7». Puls 60. 

30. October. Temp. 37,2°, 36,3^ 37,&o. Puls 64, regelmässig. Wohl- 
befinden. 

31. October. In der Nacht ist das Fieber wieder bis auf 40,1" ange- 
stiegen. Heute 39,1^ 38,7^ 38,9<^. Puls zwischen 80 und 100, nicht aus- 
setzend. Klage über heftige Stiche in der Herzgegend. Herztöne rein. Re- 
spiration 36, nicht erschwert. 

1. November. Temp. 39,9<^. Puls 104. Bespiration 42. Die Schmerzen 
in der Herzgegend sind immer noch sehr heftig und jetzt auch über die 
unteren Partieen der linken Lunge ausgebreitet. Keine Dämpfung. Bei der 
Auscultation leises, mit der Atbmung isochrones Reiben vorn und in der lin- 
ken Seite. Nach Schröpf köpfen grosse Erleichterung. Kein Husten. Mittags 
Abfall der Temperatur auf 37,2". Abends Temp. 39,9^ Puls 90. Respi- 
ration 32. 

2. November. Temp. 37,4^ Puls 96, regelmässig, nicht aussetzend, 
kräftig. Respiration 34. Heftige Schmerzen in der linken Brustseite, da- 
selbst Reibegeräusch hörbar. Abends l'emp. 39,2^. Puls 150. Respiration 60. 
Trockener Husten, kein Auswurf, in der linken Axillarlinie Dämpfung. Mor- 
phium subcutan. 

3. November. Temp. 36,6<^. Puls 120. Respiration 48. Deutliche, aus- 
gedehnte Dämpfung in der linken Brustseite. Probepunction ergiebt fötiden 
Eiter. Rechts wird bei zweimaligem Punctiren kein Eiter gefunden. Thora- 
cotomie und Rippenresection links: Es werden mindestens 2 Liter 



Jahresber. der Egl. Universitäts- Ohrenklinik zu Halle a. S. 1900/1901. 99 

äusserst übelriechender Jauche entleert. Ausspülen mit Kai. permangan. Tod 
an Herzschwäche P/s Stunden nach Beendigung der Operation. 

Auszug aus dem SectionsprotocoU. 

Diagnosis post mortem: Eitrige Thrombophlebitis des Sinus caver- 
nosus, des Sinus petrosus inferior und des Sinus sigmoideus. Jugularisliga- 
tur. Abscesse in der Lunge. Pleuritis purulenta beiderseits. Pericarditis. 
fibrinosa. Fettige Degeneration des Herzens. Schlaffes Herz. Septische Milz. 
Fettleber. Verfettung der Nieren. Adipositas universalis. Lungenödem 
rechterseits. Rippenresection. 

Innenfläche der Dura glatt und glänzend. Pia stark injicirt. Ven- 
trikel nicht erweitert, Ependym glatt und glänzend. Gehirnsubstanz ziemlich 
blutreich. Im Sinus sigmoideus rechts frische Gruorgerinnsel, die nach \oni 
fest abgeschlossen sind. Hier ist der Sinus eröffnet und tamponirt. Die 
Vena jogularis rechterseits ist doppelt unterbunden, das zwischen den Liga- 
turen liegende Stück ist eröffnet. Das eröffnete Stück sowie die Vene unter- 
halb der Ligatur sind leer. In dem Abschnitt oberhalb der oberen Ligatur 
befindet sich ein schwarzer Thrombus. Vom rechten Sinus cavernosus durch 
den Sinus petrosus inferior zum Foramen jugulare setzt sich ein schmutzig 
graugrüner zerfallener Thrombus fort. Im Sinus cavernosus der linken Seite 
befindet sich ebenfalls ein schmutzig verfärbter Thrombus. Der Sinus petro- 
sus superior ist beiderseits leer, eoenso der linke Sinus petrosus inferior. 
Der Herzbeutel enthält etwas trübe gelbe Flüssigkeit; Innenfläche desselben 
mit feinen fibrinösen, leicht abziehbaren Auflagerungen bedeckt. Herz ziem- 
lich gross, sehr schlaff. Epicard getrübt. Mitralklappe leicht verdickt, etwa» 
gelblich verfärbt. Papillarmuskel an der Spitze fibrös entartet. Herzfleiscb 
von braunrotber Farbe, von kleinen helleren Punkten durchsetzt. Elasticität 
der Aorta herabgesetzt, Intima verdickt, leicht gelblich verfärbt. Goronar- 
arterie atheromatös entartet. Im Oberlappen der linken Lunge findet sich 
dicht unter der Pleura eine haselnussgrosse mit schmutzig-grauem Inhalt ge- 
füllte Zerfallshöhle, über der die Pleura schmutzig verfärbt ist. In den vor- 
deren Partieen des Oberlappens ein zweiter erbsengrosser, dicht unter der Pleura 
gelegener, Abscess, der wahrscheinlich perforirt war. Eine deutliche Perfo- 
rationsstelle lässt sich nirgends nachweisen. Die ganze linke Pleura costalis. 
ist mit dickem, gelben, rahmigen Belag bedeckt, auf der rechten Seite in der 
Grösse eines Fünfmarkstückes. 

Milz von weicher Consistenz, Grösse 19 : 11,5 : 3. Parenchym braunroth, 
Follikel vergrössert. 

Section des rechten Schläfenbeins: Im Sinns sigmoideus ein 
frisch aussehender der Wand anhaftender Thrombus, im Bulbus 
und im oberen Theil der Jugularis schmierige, fötide Thromben- 
massen. Die Thromben setzen sich fort in den Sinus petrosus 
inferior. Sinus petrosus superior ist frei. Die Gefässwand des 
Bulbus und des oberen Theils der Jugularis grünlich verfärbt. 
Im Labyrinth kein Eiter. 

Epikrise: Der unmittelbare Erfolg der Sinusoperation liegt 
klar auf der Hand, wenn man berücksichtigt, dass nach der 
Operation das Fieber sofort abfiel und der Patient darauf ca. 
30 Standen fieberfrei und bei bestem Wohlbefinden blieb. Wurde 
durch die Jugularisunterbindung ein Fortschreiten der Thrombose 
eentralwärts verhindert, so fand doch trotzdem eine periphere 
Ausbreitung der Thrombose durch Vermittelung des Sinus petrosus 
Inferior bis in den Sinus cavernosus der anderen Seite ungehindert 
statt. Es ist mit Sicherheit anzunehmen, dass durch die unter- 
bundene und, wie die Section zeigte, unterhalb der ünterbindungs- 
stelle gesunde Jugularis keine Verschleppung von Thromben 



7* 



100 III. QRÜNERT und SCHULZE 

na oh der Operation stattgefanden hat. Für die Entstehung der 
trotzdem aufgetretenen Metastasen in Lungen und Pleura bleiben 
uns nur zwei Wahrscheinlichkeiten der Erklärung tlbrig: Verschlep- 
pung der Thromben durch die Blutgefässe der anderen Seite oder 
die Annahme, dass bereits vor der Jugularisunterbindung die Aus- 
saat des infectiösen Materials auf dem Wege der rechten Vena 
jugularis stattgefunden habe. Der erstere Weg ist der weniger 
wahrscheinliche; weder haben wir während des Krankheitsver- 
Aaufs irgend ein Zeichen beobachten können, welches auf diesen 
Entstehungsmodus hingewiesen hätte, noch gab uns die Section 
irgend einen Anhaltspunkt fUr diese Annahme an die Hand; 
speciell ist hervorzuheben, dass die Thrombose auf der linken 
Seite streng auf den Sinus cavernosus beschränkt war, während 
der Sinus petrosus inferior links flüssiges Blut enthielt. Wahr- 
scheinlich hat schon vor der Geßlssunterbindung die Verschleppung 
der Thromben durch die rechte Vena jugularis stattgefunden, wenn 
auch damals durch die physikalische Untersuchung noch keine 
Spur von Metastasen in der Lunge nachgewiesen werden konnte. 
Es entspricht dies aber der auch sonst von uns öfters gemachten 
Erfahrung, dass sich Lungenmetastasen im Anfang recht selten 
durch objective Zeichen zu erkennen geben. 

Es ist von Wichtigkeit, darauf hinzuweisen, dass hier kein 
einziges, für Thrombose des Sinus cavernosus sprechendes Sym- 
ptom vorlag, wesshalb dieselbe auch intra vitam nicht diagnosti- 
eirt werden konnte. 

Die Todesursache ist im vorliegenden Falle in erster Linie 
in der Erkrankung des Herzens zu suchen. Die Metastasen in 
der Lunge hätte der sonst ausserordentlich kräftige, im besten 
Lebensalter stehende Mann schon überstanden, wenn nicht das 
fettig degenerirte, schlaffe Herz den Organismus im Kampfe 
gegen die Bacterien im Stiche gelassen hätte. 

8. Karl Ritter, 11 Jahre alt. Bergmannssohn aus Neundorf. Auf- 
genommen am 11. Mai 1900, gestorben am 19. Mai 1900. 

Anamnese: Seit 4 Jahren besteht rechtsseitige Ohreiterung. Niemals 
Beschwerden. Vor 3 Tagen bekam Fat. plötzlich sehr heftige Schmerzen im 
rechten Ohr und Kopfschmerzen, besonders in der rechten Kopfseite. Zugleich 
bestanden Appetitlosigkeit, Erbrechen, Frost und Hitze. Das Erbrechen wieder- 
holte sich Otter, zum letzten Male heute Morgen. Die letzten Nächte soll 
Fat. wegen der Schmerzen gar nicht geschlafen haben. 
' Status praesens: Kräftiger, gut genährter Junge. Temperatur 40,1^, 
Puls 144, regelmässig, kräftig. Respiration nicht beschleuDigt. Haut sehr 
feucht. Zunge dick belegt, Koetor ex ore. Herztöne rein. Ueber der ganzen 
Lunge vesiculäres Athmen mit Rasseln und Giemen, Percussionsschall überall 
normal. Augenhintergrund links normal, rechts Papillengrenzen scharf, Venen 
stärker gefüllt und geschlängelt. Pupillen gleich, reagiren prompt, kein Nys- 



Jabresber. der Egl. UDiversitäts-Obrenklinik zu Balle a. S. 1900/1901. 101 

tagmus, keine LäbmuDg. Milz vergrössert, palpabel. In der rechten Hals- 
seite zwischen Eieferwinkel und Sternocleidomastoideus eine pralle, auf Druck 
sehr schmerzhafte klein-hühnereigrosse Anschwellung. Klage über heftige 
Kopfschmerzen in der Stirn und rechten Kopfseite. 

Urin ohne Zucker und Eiweiss. 

UmgcbungdesrecbtenObres: Processus mastoideus druckempfind- 
lich, geringes Oedem der Haut. Starke Infiltration und Druckempfindlicbkeit 
unterhalb der Spitze. 

Gehörgangs- und Trommel fellbef und: Rechts Gehörgang weit. 
Grosser Defect des Trommelfells in der vorderen Hälfte. Hinten oben Ab- 
lösnng; Sonde gelangt hier auf rauhen Knochen.' Hinten unten am Margo 
tympanicus eine kleine Granulation. Stinkende Eiterung. L. normal. 

Hörprüfung: Flüstersprache rechts nicht gehört, links ca. 4 m. 

Stimmffabelprüfnng: Ci vom Scheitel nach rechts. Eis 4 links normal, 
rechts bei iSfagelanschlag. 

Therapie: Eisblase auf den Kopf und hinter das rechte Ohr. Klystier. 
Cognac. 

V2. Mai. Fat. hat Nachts wenig geschlafen. Temperatur Morgens 38,9S 
Pols 124, regelmässig; Respiration 28 ohne stärkeren Hustenreiz. Drehung 
des Kopfes nach rechts ist sehr schmerzhaft. 

Operation: Weichtheile massig infiltrirt. Corticalis blutreicher als 
gewöhnlich. Im hinteren Theile des Antrum grosses, jauchig zerfallenes 
Cholesteatom, welches sich bis an den Sinus sigmoideus erstreckt. Hammer 
cariös, Amboss fehlt. Aus der Fossa sigmoidea quillt zwischen 
Knochen und Sinuswand chokoladenbraune Jauche hervor. Nun 
erst Yenajugularis interna direct über der Abgangsstelle der Vena thyre- 
oidea doppelt unterbunden. Die Sinus wand sowie die umliegende 
Kleinhirndura in Handtellergrösse freigelegt, weil mit dickem eitrigen 
Exsudat bedeckt. Sinus sigmoideus eröffnet, nur von oben 
kommt Blut. Hineinschieben eines Jodoformgazestreifens. Von unten 
kommt kein Blut, aber zerfallene Thrombenmassen, welche 
ausgelöffelt werden. Einführen eines Jodoformgazestreifens auch nach 
anten. Tamponade der grossen Wundhöhle mit Jodoformgaze. Bei der 
Unterbindung der Jugularis wird der Puls sehr schlecht, erholt sich aber 
wieder nach einigen Aetherspritzen. Am Ende der Operation schwere Asphy- 
xie und GoUaps, Aussetzen des Pulses, Zwan^i^sstellung der Augen nach 
rechts, Gesicht tiefblau. Künstliche Athmung, Frottiren der Haut, Aether 
subcutan, subcutane Kochsalzinfusion (ca. P/a Liter) bringen Athmung und 
Puls wieder in Ordnung. 

Im Laufe des Nachmittags trinkt Patient viel Milch. Das Fieber fällt 
langsam ab. Abends 37," o, Puls 128. Am Abend werden einige Herpes- 
bläschen an der Unterlippe sichtbar. 

13. Mai. Pat. hat Nachts wenig geschlafen. Temp. 39,6, 39,5, 38,8 , 
39,5°, Puls 130, regelmässige klein. Nahrungsaufnahme geringer. Athmung 
nicht beschleunigt. Etwas Husten. 

14. Mai. In der Nacht Anstieg der Temperatur bis 4i,2<>. 2 Schüttel- 
fröste von je ungefähr einer Viertelstunde Dauer. Am Morgen Temp. 38,1', 
Pols 140, sehr klein, aussetzend. Kochsalzinfusion ca. 1 Liter. Gegen Mit- 
tag Puls 136, kräftiger und regelmässig. Respiration 32. Wenig Hustenreiz. 
Viel Durst. Abends Temp. 40,6^. 

15. Mai. Letzte Nacht höchste Temperatur 41,5^ Heute Morgen 39,2®, 
Pals 120, befriedigend. Wenig Husten, Respiration 32. Verbandwechsel: 
Vena jugularis oberhalb der Unterbindungsstelle aufgeschlitzt, 
Jauche und Eiter darin, Drain eingelegt. Unterhalb der Liga- 
tur sieht di« Vene auch verfärbt aus, desshalb auch hier auf- 
geschlitzt und die darin enthaltenen zerfallenen Thromben- 
massen entleert, das Venenrohr bis fast an die Einmündungs- 
stelle in die Vena subclavia excidirt. 

Nachmittags 3 Uhr Schüttelfrost von 20 Minuten Dauer. Abends 
Temperatur 40,0®, Puls 130. 

16. Mai. Temperatur Morgens 39,6°, Puls 124, befriedigend. Nachts 



102 III. GRUNERT und SCHULZE 

hat Fat. mehrmals erbrochen. Nahrungsaufnahme gering. Athmung sehr 
beschleunigt, bis 60 in der Minute, Hustenreiz nicht st&rker als vorher, keine 
deutlichen Zeichen von Lungenmetastasen. Beim Verbandwechsel findet sich 
im oberen Stack der Jugularis' eine geringe Menge Jauche. Abends Tempe- 
ratur 39,50, Puls 126. 

17. Mai. Morgens Temp. 39,7^, Puls 120, leidlich kräftig. Respiration 
sehr beschleunigt und erschwert. NasenflQgelathmen. Seit heute Nacht ver- 
mehrter Hustenreiz und blutig tingirtes Sputum. An der Wunde keine Ver- 
änderung. Mehrmals Erbrechen. Pat. spricht manchmal wirr vor sich hin, 
giebt aber auf Befragen klare Antworten. Mittags Temp. 40.5^. Nachmit- 
tags 3 Uhr Schüttelfrost von kurzer Dauer. Keine Lähmung. Reflexe normal. 
Abends Temp. 39,9^ Puls 140. 

18. Mai. Temp. 40,3<>, Puls klein, jagend. 140. Pat. hat Nachts viel 
geschrieen. Stark beschleunigte Respiration und NasenflQgelathmen bestehen 
weiter. Wenig Husten mit blutigem Auswurf. Nahrungsaufnahme gut (seit 
gestern 2 Liter Milch). Patient lässt heute mehrmals Urin und Koth unter 
sich. Abends 39,2^ Puls 140, klein. 

19. Mai. Während der Nacht Anstieg der Temperatur bis 40,9^ Puls 
. nicht zählbar. Atbmung immer noch sehr frequent. Erschwerte Expecto- 

ration blutigen Sputums. Dämpfung in der linken Axillarlinie, Athemgeräusch 
fehlt. Probepunctiou ergiebt Eiter in der Brusthöhle. Facies Hippocra- 
tica. Tod. 

Sectionsbericht. 

Männliche kindliche Leiche. Längs des rechten Sternocleidomastoi- 
deus eine 10 cm lange Wunde. Im Grunde der Wunde liegt die Vena ju- 
gularis frei, von der ein ca. 5 cm langes Stück resecirt ist. Die Venenenden 
sind tamponirt. Im oberen Ende liegt ein eitrig zerfallener Thrombus, ebenso 
im unteren, letzterer setzt sich bis zur Einmündungssteile in die Vena subcla- 
via fort. Es schliesst sich hieran frisches Cruorgerinnsel. Die Venenwand 
überall verdickt und ebenso wie die Umgebung eitrig intiltrirt. Die Carotis 
zeigt keine Veränderungen. Die Weichtheile der Wunde sonst nicht krank- 
haft verändert. Hinter dem rechten Ohr befindet sich eine ca. tO cm lange 
Wunde, in deren Grunde der Knochen freiliegt. Derselbe ist aufgemeisselt 
und zwar für eine Oefi'uung in das Mittelohr und eine andere in die hintere 
Schädel höhle. Schädeldach von massiger Dicke. Im Sinus longitudinalis 
Fibringerinnsel. Dura gleichmässig gespannt, von normalem Blutgehalt, 
Innenfläche der Dura glatt und glänzend. Weiche Häute massig injicirt. 
Gefässe der Basis zart. An der unteren Fläche der rechten Klein hirnhemi- 
sphäre eine ungefähr pfennigstückgrosse grünliche Verfärbung. Im linken 
Sinus transversus Gruor, im rechten Cruorgerinnsel, welches am Uebergang 
zum rechten Sinus sigmoideus fester und derber wird. Der Sinus sigmoideus 
rechterseits ist von aussen eröffnet und tamponirt. Die Fortsetzung des 
Sinus sigmoideus zur rechten Jugularis ist mit eitrigen, schmierigen Massen 
erfüllt. Die Dura hierüber ist graugrün verfärbt, jedoch nicht perforirt. Es 
entspricht diese Stelle der oben erwähnten Verfärbung am Kleinhirn. Eine 
Eiterung im letzteren ist jedoch nicht vorhanden. In den Ventrikeln etwas ver- 
mehrte seröse klare Flüssigkeit, Ependym zart und glänzend. Gehirn von sehr 
weicher Consistenz, etwas feucht, massig blutreich, die rechten Centralgang- 
lien vielleicht etwas anämischer als links. 

In beiden Pleurahöhlen findet sich eine reichliche Menge gelbgrauer mit 
Flocken durchsetzter übelrichender Flüssigkeit. Herzbeutel durch fibrinöse 
Auflagerungen verdickt und mit der rechten Lunge verklebt. Herz gut con- 
trahirt. Mitralis für einen, Tricuspidalis für 2 Finger durchgängig. Im rech- 
ten Herzen Fibringerinnsel. Klappenapparat des Herzens vollkommen intact. 
Herzmuskel von braunrother Farbe und guter Consistenz. Lunge: Links an 
verschiedenen Stellen durch frische Auflagerungen mit der Pleura costalis 
verbunden. Bronchialschleimhaut blutig injicirt. Pulmonalis frei. Pleura 
tiberall matt, an verschiedenen Stellen grau verfärbt. An der Spitze und am 
'Unterlappen zwei stecknadelkopfgrosse Perforationsöffnungen, aus denen grau- 
«braune Flüssigkeit quillt. Parenchym des Oberlappens von fleckig graurothem 
Aussehen, massigem Blut- und Saftgehalt, lufthaltig. An verschiedenen Stellen 



Jahresber. der Egl. Umversit&U-OhreDkllnik za Halle a. S. 1900/1901. 103 

befinden sich haselnussgrosse Zerfallsherde, die mit braunen stinkenden Massen 
erfüllt sind. Der eine an der Spitze ist perforirt. Der Unterlappen enthält 
eine hühnereigrosse unregelmässige Höhle, die ebenfalls perforirt ist. Das 
vorhandene Parenchym ist vollkommen atelektatisch. Rechte Lunge: Bronchien 
und Pleura wie links. Ober- und Unterlappen ebenfalls wie die entaprcchen- 
den der anderen Seite. In der vorderen Partie des Oberlappens und in der 
hinteren des Unterlappens erbsengrosse Perforationsöflfnungen. Die Auf- 
lagernnflren auf der Pleura sind st&rker als links. 

Milz: Dimensionen 12:8:2 Parenchym rothbraun, etwas weich. Nieren 
«ntsprechend gross, anämisch. Leber gross, Parenchym hellbraunroth, mit 
deutlicher Läppchenzeichnung. 

Diagnose: Eitrige Sinus thrombose. Phlebitis und Periphlebitis der 
rechten Jugularis. Metastatische Abscesse in beiden Langen mit Perforation. 
Pleuritis purulenta fibrinosa. Pyothorax beiderseits. Compressionsatelektase 
beider Unterlappen. Septische Milz. Section des Schläfenbeins ergab nichts 
Besonderes. Steigbügel vorhanden. Labyrinth ihtact 

Epikrise: Trotz gründlicher Aasräumnng des primären 
Eiterheerdes im Schläfenbein und des erkrankten Sinus, trotz 
Unterbindung der Jugularis und Entfernung der darin enthaltenen 
verjauchten Thromben war es nicht möglich, den letalen Aus- 
gang abzuwenden. Der Grund hierftlr ist darin zu suchen, dass 
die Allgemeinvergiftung des Organismus bereits zu weit vorge- 
schritten war, und dass die Unterbindung der äusserlich an- 
scheinend gesunden Jugularis nicht im Gesunden stattgefunden 
hatte, vielmehr unterhalb der Unterbindungsstelle schon infectiöse 
wandständige Thromben vorhanden waren, welche nachher zu 
einer centralwärts fortschreitenden obturirenden Thrombose und 
Periphlebitis fbhrten. Auch die späterhin noch vorgenommene 
weitgehende Excision der erkrankten Jugularis konnte an dem 
Erankheitsverlauf nichts mehr ändern, da die Verschleppung 
der Thromben in den Kreislauf bereits stattgefunden hatte. Ja, 
es ist sogar mit der grössten Wahrscheinlichkeit anzunehmen, 
dass die Lungenmetastasen bereits zur Zeit der Aufnahme des 
Patienten bestanden. Wenn auch damals keine gröberen Ver- 
änderungen an den Lungen nachgewiesen werden konnten, so ist 
doch wahrscheinlich in der damals schon constatirten diffusen 
Bronchitis der Ausdruck der bereits im vollen Gange befindlichen 
Metastasenbildung zu erblicken. Die bald nach der zweiten 
Operation auftretende hochgradige Athemnoth (Nasenflügelathmen) 
ist mit Sicherheit nicht erst durch den erfolgten Eintritt von 
Lungenmetastasen, sondern durch den Durchbruch der schon 
vorhandenen Lungenabscesse in den Pleurasack zu erklären. 
Selbst die mehrfachen Abscedirungen im Lungenparenchym und 
der erfolgte Durchbruch der Abscesse in die Pleurahöhle hätten 
von vornherein keine absolut ungünstige Prognose quoad vitam 
gegeben, wenn der Organismus sonst kräftig genug gewesen 



104 III. GRUN£RT und SCHULZE 

wäre, um die Ansheilang der AbscesBe und des Pyothorax zu 
überstehen. Hierzu war aber bei der schon soweit vorgeschrit- 
tenen Allgemeinyergiftnng des Kranken keine Aussieht mehr 
Torhanden, wir nahmen daher auch bei der schon versagenden 
Herzthätigkeit des moribunden Kindes von dem Versuche Ab- 
stand, den Eiter aus der Brusthöhle durch Rippenresection zn 
entleeren. 

Die hier vorliegende Erkrankung stellt keinen reinen Fall 
von Fyämie dar, vielmehr standen die toxischen Erscheinungen 
so im Vordergrunde, dass wir den Fall als Septicopyämie, oder 
besser noch, weil der Schwerpunkt auf der Toxämie lag, als 
Fyosepticämie bezeichnen mttssen. Da bei der Section ausser 
einer geringfügigen Pericarditis keine organischen Veränderungen 
am Herzen sich finden Hessen, so gewinnt die Annahme an Wahr- 
scheinlichkeit, dass die sich mehrfach wiederholenden schweren 
GollapserscheinuDgCD, überhaupt die während des ganzen Krank- 
heitsverlaufs äusserst mangelhafte Herzthätigkeit als eine direote 
Folge der schweren Blutvergiftung, als Wirkung der im Blute 
kreisenden toxischen Substanzen auf das Herz aufzufassen sind. 

Wir konnten in diesem Falle wieder einmal recht deutlich 
sehen, dass die Prognose der otogenen Pyämie — wie schon 
öfters von unserer Seite betont wurde — nicht sowohl durch 
die Höhe des Fiebers oder die Anzahl der Schüttelfröste als 
viel mehr in erster Linie durch die Beschaffenheit der Herz- 
hätigkeit bestimmt ist. 

Es erübrigt noch eine Erklärung des in den letzten Tagen 
vor dem Tode mehrfach aufgetretenen Erbrechens. Wir beziehen 
es auf den schweren Vergiftungszustand, wenn man in ihm nicht 
eine Beizerscheinung, ausgelöst von dem oberflächlich erkrankten 
Kleinhirn, erblicken soll. 

9. ErDst Scholz, 34 Jahre alt, Schuhmacher aus Saugerhausen. Auf- 
genommeuam 9. April gestorben am 6. Mai 1900. 

Anamnese: Ohreiterung rechts seit langen Jahren. Niemals Be- 
schwerden. Gestern vor acht Tagen Abends 5 Uhr plötzlich Schüttelfrost 
von halbstündiger Daner mit darauffolgendem hohen Fieber. Zugleich traten 
Schmerzen im rechten Ohr und Kopfschmerzen auf. Appetit gering. Stuhl- 
gang in Ordnung. In der vergangenen Nacht lange anhaltender Frost. Ein- 
mal Erbrechen. Wahrend der ganzen Zeit wenig Schlaf wegen der heftigen 
Schmerzen. 

Status praesens: Aeusserst blasser, anämischer Mann. Temp. 39,0^. 
Puls wechselnd, 60—80 in der Minute, kräftig. Kespiration nicht beschleu- 
nigt. Gang unsicher, ohne Schwindelgefühl. Zunge dick fuliginös belegt. 
Pupillen gleich weit, reagiren. Keine Augenmuskellähmung. Aug|snhinter- 
grund normal. Innere Organe ohne Veränderung. Urin ohne Zucker und 
Eiweiss. Klagt über heftige Schmerzen in der rechten Kopf- und Halsseite, 



Jahresber. der Egl. ÜDiversitäts-Ohrenklimk zu Halle a. S. 1900/1901. 105 

vom Ohr ausstrableDd. Bewegung des Kopfes der Schmerzen wegen nicht 
möglich. 

Umgebung des rechten Ohres: Kein Oedem. Druckempfindlich- 
keit am Planum und dicht unterhalb der Spitze des Warzenfortsatzes. Starke 
Druckempfindlichkeit der rechten Jugularisgegend. 

Gehörgang- und Trommelfellbefund: Qehörgang weit. Rechts 
profuse stinkende Eiterung. In der Tiefe GranuUtionen. Vom Trommelfell 
nichts zu sehen. Links normal. 

Hörprüfung: Flüstersprache rechts nicht gehört. 

Stimmgabeln: Ci vom Scheitel unbestimmt Fi84 rechts bei Nagel- 
anschlag, links normal. 

10. April. Morgens Temp. 37,1«. 

Totalanfmeisselung. Jugularisunterbindung. Trepanation 
auf den Schläfenlappen. Zuerst wird die Jugularis interna doppelt 
unterbunden. Die Unterbmdung war technisch schwierig, weil eine kirsch- 
grosse geschwollene Lymphdrüse der Gefässscheide direct aufsass. — Die 
Mittelohrränme mit einem grossen zerfallenen Cholesteatom erfüllt. Fistulöser 
Durchbruch der hinteren knöchernen Gehörgangswand. Polypöse Granu- 
lationen aus dem Knochen nach dem Gehöreang hindurchgewachsen. Von 
den Gehörknöchelchen nichts gefunden. Das Cholesteatom ging nach oben bis 
an die Dura, die mit schmutzigen Granulationen bedeckt freilag, nach hinten 
bis an den Sinus, dessen Wand geröthet und mit dünnem plastischen Exsudat 
bedeckt war, nach unten bis in die Spitze, deren vollkommene Entfernung noth- 
wendig machend. Beim Abtasten der schmutzigen Granulationen, die der 
Dura der mittleren Schädelgrube aufsassen, fällt die Sonde plötzlich in eine 
tiefe Höhle, aus welcher Jauche hervorquillt. Nun Trepanation des Hirn- 
abscesses von der Squama oss. temp. aus. Die freigelegte Dura zeigt zweifel- 
hafte Fluctuation. Nach Spaltung derselben prolabirt ödematöse erweichte 
Hirnmasse, durch die schliesslich etwas Jauche nachfliesst. Nun wird mit 
dem Scalpell eingegangen und ein grosser jauchiger Schläfenlappenabscess 
entleert, in welchen 27^ Glieder des Zeigefingers eingeführt werden konnten. 
Ausser der Jauche quillt viel erweichte und gangränöse Hirnmasse hervor. 
Spülung der Höhle mit 3^0 Borsäurelösung. Tamponade mit Jodoformgaze, 
weil das eingeführte Drain durch den Hirndruck immer gleich wieder heraua 
gepresst wurde. 

Spaltung des in 4 cm Länge freigelegten Sinus sigmoideus. Sehr star* 
ker Blutschwall. Tamponade mit Jodoformgaze. Verkleinerung der grossen 
Wundhöhle durch einige Nähte in den Wundwinkeln. Verband. 

Nach der Operation Puls frequeuter. Am Nachmittag Nachblutung. 
Abends Temp. 38,0^ Puls 82. Nachts grosse Unruhe, Sensorium nicht ganz 
Irei, Patient „will anspannen lassen" etc. 

U. April. Temp. 38,l<^. Puls 88. Sensorium leicht getrübt. Auf Fragen 
langsame, aber meist richtige Antworten. Patient trinkt im Laufe des Tages 
ungefähr 1 Liter Milch. Abends Temp. 37,8». Puls 100. 

12. April. Temp. 37,4^ Sensorium etwas freier. Stuhlgang nur auf 
Klystier. Patient trinkt viel Milch. Am Nachmittag angeblich kurzdauernde 
Zuckungen in der linken Gesichtshälfte. Klage über etwas Kopfschmerzen. 
Abends Temp. 38,S0. Puls 80. 

13. April. Morgens Temp. 37, P. Verbandwechsel: Aus dem Hirn- 
abscess quillt etwas Jauche. Der Sinus blutet nicht. Während des Verband- 
wechsels heftige Zuckungen in allen Gesichtsmuskeln, besonders auf der 
linken Seite. Trismus. Zeitweise Zwangsstelluog der Bulbi. Diese Symptome 
werden auch im Laufe des Tages noch mehrmals beobachtet. Nachmittags 
zeitweise Hallucinationen : Patient glaubt, er sei zu Hause, sein Bruder liege 
neben ihm. Auf Befragen erklärt Patient dies selbst für Phantasiegebilde. 
Der linke Arm scheint weniger und schwächer bewegt zu werden als der 
rechte. Abends Temp. 37,&o. 

14. April. Morgens Temp. 37,0^ Puls ca. 80. Die Nächte sind immer 
sehr unruhig, Patient delirirt. Heute Appetit vorzüglich. Keine Spasmen. 
Sensorium klarer. Abends Temp. 36,6^ Puls 84. 

15. April. Morgens Temp. 36,9^. Nacht ruhig, guter Schlaf. Verband- 



106 III. GRÜNERT und SCBÜLZE 

Wechsel: Jauche in ziemlicher Menge aus der Abscesshöhle entleert. All- 
gemeinbefinden zufriedenstellend. Abends Temp. 3S,0^ 

16. April. Status idem. Puls etwas frequenter. 

17. April. Befinden immer besser. Andauernd fieberfrei. Viel Schlaf, 
auch bei Tage. Verbandwechsel: Die Abscesshöhle, anscheinend collabirt, 
hält Eitermassen in ihren Buchten zurück. Einlegen eines dicken Gumoii- 
drains. 

In den nächsten Tagen langsame Besserung. Kein Fieber. Puls wech- 
selnd zwischen 80 und 120. Appetit ausgezeichnet, Patient nimmt viel Milch 
zu sich, ferner gehacktes Fleisch, Eier etc. Neigung zu Stuhlverstopfung. 
Sensorium stets frei. Beim Verbandwechsel lässt sich immer starke Eiterung 
aus der Absesshöble feststellen. Das Gehirn ist etwas prolabirt. 

26. April. Der Gehirnprolaps bedeckt sich mit guten, frischen Granu- 
lationen. Aus der Abscesshöhle kommt noch Eiter. 

30. April. Patient ist in den letzten Tagen stiller geworden. Seine Ant- 
worten und Reden scheinen auf einen noch nicht ganz normalen Geistes- 
zustand hinzudeuten. Urin wird hie und da ins Bett entleert. Kein Fieber. 

1. Mai. Morgens Temp. 37,u^ Puls ungefähr 70. Schlaf ähnlicher Zu- 
stand. Rechte Pupille weiter als die linke. Links kein Cornealreflex. Stra- 
bismus convergens. Patient ist im Laufe des Tages nur selten zu kurzen 
Antworten zu bringen. Der Prolaps ist grösser geworden. Aus der Abscess- 
höhle kommt weniger Eiter. Abends Temp. 37,3<^. Puls 72. 

2. Mai. Morgens Temp. 36,8®. Puls 90. Gestern Abend, sowie auch 
während der Nacht war Patient öfters auf kurze Zeit ganz klar, hat auch 
etwas getrunken. Heute Sopor. Beim Verbandwechsel wird mit Sonde und 
Finger nach verschiedenen Richtungen eingegangen, ohne weiteren Eiter zu 
entleeren. Die Jugularis-Unterbindungsfäden stossen sich ab. Nach dem 
Verbandwechsel wird das Sensorium allmählich benommener. Nachmittags 
tiefes Coma. Abends Temp. 37,2^ Puls 100. 

3. Mai. Morgens 6 Uhr exitus letalis in zunehmendem Coma. 

Auszug aus dem Sectionsprotocoll. 

Diagnosis post mortem. Erö£fnung des rechten Warzenfortsatzes 
und der mittleren Schädelgrube. Jugularis unterbunden. Gehirnprolaps, ge- 
reinigte Abscesshöhle im rechten Schläfenlappen. Abgekapselter Abscess im 
rechten Parietallappen. Oedem der weichen Hirnhäute. Oedem und Hypo- 
stase beider Lungen. Obliteration des Herzbeutels. Pleuritis adhaesiva 
chronica. Anämie und Verfettung der Leber und Nieren. 

An der rechten Halsseite eine ca. 3 cm lange und 1 cm breite granu- 
lirende Wunde. Ueber dem rechten Ohr und hinter demselben eine recht- 
winklige Schnittwunde, deren oberer Schenkel ca. 9, deren unterer Schenkel 
ca. 6 cm lang ist. Aus dieser Wunde quillt eine graue schmutzige Masse 
hervor. 

Kopfhaut und Schädeldach ohne Veränderungen. In die mittlere Schädel- 
grube führt eine ovale Trepanationsöffnung. Dura stark injicirt und ge- 
spannt, besonders auf der rechten Seite. Qyri hochgradig abgeplattet. Im 
unteren Theile des rechten Parietallappens eine ca. hühnereigrosse, fluctuirende 
Hervorwölbung. Die weichen Häute der Basis und über der Brücke gelblich 
getrübt, ödematös, die Nerven der Basis besonders rechts ödematös durch- 
tränkt. Im rechten Sinus sigmoideus ein weisser, derber Thrombus. Bei der 
Herausnahme des Gehirns zeigt sich, dass die erwähnte hervorquellende graue 
Masse grösstentheils dem Schläfenlappen angehört. Sie ist mit den Rändern 
der Trepanationswunde fest verwachsen. Substanz des Schläfenlappens fast 
vollständig zerstört und in eine rothbraune breiige Masse verwandelt Die 
Wandung des Abscesses im Schläfenlappen ist von unebener Beschaffenheit, 
etwas weich, doch offenbar mit frischen rothen Granulationen besetzt. Unter 
der oben erwähnten fluctuirenden Hervorwölbung zeigt sich ein etwa gänseei- 
grosser mit grünem, dünnflüssigen stinkenden Eiter gefüllter Abscess mit 
derben Wandungen, der fast den ganzen Parietallappen einnimmt. Eine 
Communication dieses Abscesses mit dem Seitenventrikel und dem Abscess 
im Schläfenlappen besteht nicht. 



Jahresber. der Kgl. Universitäts-Ohrenklinik za Halle a. S. 1900/1901. 107 

Unter der Narbe an der rechten Halsseite ist die Jugularis interna frei- 
gelegt und unterbunden. Im oberen Stumpf sitzt ein graurother, gesunder 
Thrombus, der untere Theil ist frei durchgängig. In etwa 1 cm Ausdehnung 
ist das Gefäss resecirt. 

Section des Schläfenbeins. Bulbus venae jugularis fehlt. 
In den Bogengängen und im Labyrinth nichts Besonderes. Vom 
Steigbügel nur die Platte vorhanden. Hammer noch da, am 
Kopf cariöB. 

Epikrise: Mit Bücksicht auf die vorauf gegangenen Schüttel- 
fröste müssen wir annehmen, dass es sich im vorliegenden Falle 
nicht allein um die bei der Operation zu Tage getretene Ent- 
zündung der Sinuswand handelte, sondern auch bereits um eine, 
wenn auch nur circumscripte Thrombose im Gefässrohr. Durch 
den operativen Eingriff wurde die Sinusphlebitis bezw. -Thrombose 
geheilt: Dies beweist das Ausbleiben der 8 Tage lang bestandenen 
Schüttelfröste, der Abfall der Temperatur, das Ausbleiben von 
Metastasenbildung — alles Zeichen dafür, dass eine weitere 
Aufnahme pyämisoher Stoffe in das Blut nicht mehr stattfand — 
und schliesslich auch der Sectionsbefnnd : Abschluss des oberen 
Jngularisendes durch gesunden Thrombus, Freibleiben des unteren 
Abschnittes von der Thrombose. 

Der Hirnabscess war von vornherein nicht mit Sicherheit 
diagnosticirt worden. Wenn auch die geringe Frequenz des 
Pulses (60 — 80 bei Temperaturen zwischen 38 und 39,5^) die 
Möglichkeit des Bestehens eines solchen in Erwägung ziehen 
Hess, so war doch andererseits in dem Erankheitsbilde kein 
einziges Symptom zu erkennen, welches mit Bestimmtheit für 
das Vorhandensein eines Abscesses hätte sprechen können. Erst 
als bei der Ausräumung der Cholesteatomhöhle eine in die 
Schädelhöhle führende, jauchigen Eiter entleerende Fistel auf- 
gedeckt wurde und der Puls inzwischen allmählich an Frequenz 
abnahm (58 Schläge in der Minute), da wurde uns die Existenz 
eines Hirnabscesses zur Gewissheit. Der Abscess musste nach 
der Bichtung der vorgefundenen Fistel im Schläfenlappen seinen 
Sitz haben. Er wurde bei der Trepanation sofort gefunden. 

Die am 2. — 4. Tage nach der Operation beobachteten Krämpfe 
der Gesichtsmusculatur, die Zwangsstellung der Augen, die leichte 
Parese des linken Armes Hessen uns, da gleichzeitig Fieber be- 
stand, an die Entwickelung einer Basilarmeningitis denken. Es 
ist aber wohl anzunehmen, dass diese Symptome nur von der 
Wunde ausgehende Beizerscheinungen waren, und zwar mit Bück- 
sicht auf das baldige Vorübergehen derselben und mit Bücksicht 
auf das Eintreten jedesmal im Anschluss an den Verbandwechsel. 



108 III. GRÜNERT und SCHÜLZEj 

Die letzten 17 Tage verliefen völlig fieberfrei. Die allmählich 
eintretende YerBchlimmernng des Zustandes, die zunehmende 
Verschleierung des Sensoriums, die Pupillenstarre, die Augen- 
muskellfthmuDg konnten deshalb eine Meningitis sicher nicht 
zur Ursache haben. In erster Linie wurde an Eiterretention 
gedacht: doch die AbscesshShle war nach allen Seiten hin gut 
abzutasten, nirgends war eine Bucht zu finden. Die Möglichkeit 
des Bestehens eines zweiten Abscesses wurde wohl erwogen, 
die Annahme eines solchen aber aus folgenden Gründen wieder 
fallen gelassen: 

1. Am Augenhintergrund war trotz oft wiederholter Unter- 
suchungen niemals etwas Pathologisches zu erkennen. 

2. Für die Annahme eines zweiten das Leben bedrohenden 
Hirnabscesses und die durch denselben bedingte intracranielle 
Drucksteigerung erschien der Hirnprolaps viel zu unbedeutend. 

3. Weder mit dem Finger noch mit der tief eingeführten 
Sonde war ein Fistelgang zu finden, der nach einem zweiten* 
Abscess hätte leiten können. 

4. Der Puls zeigte nach der Entleerung des Schläfenlappen- 
abscesses erhöhte bezw. normale Frequenz, niemals aber wieder 
subnormale. 

Die Todesursache ist einzig und allein in dem 
zweiten latenten grossen Hirnabscess zu suchen, von 
dem aus die das Leben bedrohenden Druckwirkungen 
auf die lebenswichtigen Gentralorgane ausgelöst 
wurden. 

10. Georg Ratajewsky, 29 Jahre alt, Schahmacher aus Weissenfels. 
Aufgenommen am 1. September 1900, gestorben am 11 October 1900. 

Anamnese: Seit der Kindheit Schwerhörigkeit links angeblich ohne Eite- 
rung, ohne Beschwerden. Seit dem Frühjahr d. J. schmerzlose fötide Eite- 
rung. Vor 14 Tagen Schmerzen im linken Ohr, vor 8^ Tagen Schmerzen and 
Anschwellang hinter demselben, zugleich Kopfschmerzen und schlechter 
Schlaf, Appetitlosigkeit; kein Erbrechen. In der letzten Zeit viel Schwindel. 
Kein Fieber, kein Frost. 

Status praesens: Kräftig gebauter Mann von gutem Ern&hruags- 
zustand. Kein Fieber, Puls 70. Zunge belegt, Foetor ex ore. Innere Organe 
gesund. Pupillen gleich, reagiren auf Lichteinfall. Augenhintergrund nor- 
mal. Objectiv kein Schwindel. Urin frei von Zucker und Eiweiss. 

Umgebung des Ohres: Warzenfortsatz auf Druck schmerzhaft, die 
bedeckende Haut in geringem Grade ödematös. Keine Infiltration. 

Gehörgang- und Trommelfellbefand: Links Gehörgang weit. 
Reichliche fötide Eiterung. Grosse randständige Perforation im hinteren un- 
teren Quadranten. Die Sonde gelangt nach hinten und oben auf rauben 
Knochen. Rechts normal. 

Hörprüfung: Links Flüstersprache nicht gehört, rechts wenigstens 5 m. 
Stimmgabeln : Ci vom Scheitel nach links. Rinne links — rechts -{-. Links 
Ci sehr stark herabgesetzt, Fls4 bei starkem Nagelanschlag, rechts normal. 



Jahresber. der Egl. UniverBitäts-Ohrenklinik zu Halle a. S. 1900/1901. 109 

Therapie: Eisblase hinter das Ohr, Bettruhe, Aasspritzen des Ohres. 
Patient ist andauernd fieberfrei. 

4. September. Secretion aus dem linken Ohr noch sehr reichlich, aber 
nicht mehr so fötid. Knochen nicht mehr schmerzhaft. 

5. September. Status idem. Patient drängt zur Entlassung, sein Ohr 
sei jetzt ganz gut, er habe ja keine Schmerzen mehr. 

6. September. Totalaufmeisselung von innen nach aussen: Weich- 
theile massig infiltrirt, Oorticalis normal. Diffuse Garies der Antrumwand- 
uDgen. Im Antrum massige Cholesteatomtapete. Von den Gehörknöchel- 
chen nur kleinste Rudimente vorhanden. Spaltung etc. In den nächsten 
Tagen völlig fieberfrei. Wohlbefinden. 

9. September. Temp. Abend 37,8^ Puls 88. Keine Klage. 

10. September. Temp. 36,7", 36,6«. Puls 84. 

11. September. Morgens Temp. 37,5«. Schüttelfrost von kurzer Dauer, 
darauf Anstieg der Temperatur auf 38,0«. Verbandwechsel. Die Wunde sieht 
tadellos aus. Abends Temp. 38,6«. Puls 104. Klage über heftige Kopf- 
schmerzen. 

12. September. Temp. 39,4«. Puls 96. An der Wunde ist nichts Ver- 
dächtiges bemerkbar. Klage über Kopfschmerzen im ganzen Kopf. Linderung 
derselben durch Eisblase. Abends Temp. 39,6«. Puls 112. Zwei dünne 
Stuhlgänge. 

13. September. Morgens Temp. 37,6«. Puls 98. Die Kopfschmerzen 
haben nachgelassen. Abends Temp. 38,4«. Puls 96. Von da ab ist der 
Patient völlig fieberfrei, die Temperatur ist meist unter 37,0«. Die Wunde 
überbautet sich sehr schnell. Keine Klage mehr über Kopfschmerzen. Auf- 
fallend ist die deprimirte und weinerliche Stimmung des Patienten. 

30. September. Abends Temp. 37,6«. Keine Klage.. 

1. Octobcr. Heute Morgen Schüttelfrost von halbstündiger Dauer, 
darauf starker Schweissausbruch und Anstieg der Temperatur auf 40,2«. 
Puls 124, regelmässig, kräftig, lieber den Lungen vereinzelte bronchitische 
Geräusche. Die Wunde sieht gut aus. Abends Temp. 39,1«. Puls 100. 

2. October. Patient hat Nachts leicht gefröstelt und nachher geschwitzt. 
Heute Morgen Temp. 3S,6«. Puls 112. Klage über Kopfschmerzen im ganzen 
Kopf. Mehrfaches Nasenbluten. Haut sehr feucht Milz deutlich vergrössert. 
Abends Temp. 39,5«. Puls 112. 

3. October. Temp. 38,9«, 3S;6«, 38,8«. Puls 108. Hartnäckige Ver- 
stopfung, Stuhlgang nur nach Klystier. Andauernde Klage über sehr heftige 
Schmerzen im ganzen Kopf, welche dnrch Eisblase gelindert werden. Or- 
dination: Mixtura acida, Abends Phenacetin 0,75, darauf leichter Schweiss 
und ruhiser Schlaf. 

4. October. Temp. 38,6«, 39,2«, 39,6«. Puls 104. Kopfschmerzen in 
der Stirn. Wunde tadellos. 

5. October. Temp. 39,2«, 39,4«, 39,S«. Sehr starkes Nasenbluten. 

6. October. Temp. 38,6«, 39,6«, 38,7«. Puls 120. Das linke Auge zeigt 
eine leichte Convergenzstellung. Nystagmus horizontalis auf beiden Augen, 
besonders deutlich beim Blick nach links. Untersuchung des Augenhinter- 
gnndes ergiebt nichts Pathologisches. Händedruck beiderseits gleich. Die 
Kopfschmerzen werden als sehr heftig bezeichnet. Nahrungsaufnahme geringer. 
Abends Temp. 38,7«. Puls 104. Pupillen gleich, übermittelweit, reagiren 
sehr träge. 

7. October. Temp. 37,8«, 37,9«, 37,8«, 38,0«. Puls 96. Stimmgabel- 
prüfnng: Ci wird über die Mittellinie hinaus nach rechts projicirt, Gi vom 
rechten Ohr aus kaum gehört, Fis4 bei starkem Nagelanschlag undeutlich. 
Untersuchung der Augen (Privatdocent Dr. Schi eck) ergiebt: leichte Abducens- 
parese links, Augenhintergrund ohne deutliche Veränderungen, Venen viel- 
leicht etwas stärker gefüllt als normal, aber auf beiden Seiten gleich. 

8. October. Temp. 37,7«, 37,3«, 36,9«, 37,6«, 37,3«. Puls 100. Während 
der Nacht ohne Unterbrechung tiefer Schlaf, trotzdem fühlt sich Patient sehr 
matt Die Kopfschmerzen haben nachgelassen, nur noch Klage über Schmer- 
zen «tief in den Augen^. Heute Morgen einmal Erbrechen. Kein Schwindel. 

9. October. Temp. 36,7«, 37,0«, 36,3«, 36,9«, 36,5«, 37,0«, 36,8«. Puls 



110 III. GRÜNEET and SCHULZE 

ttogefähr 100. Letste Nacht wiederholt Schweissausbrach. Heute Morgen 
einmal Erbrechen. Patient liegt in rechter Seitenlage. Grosse Mattigkeit. 
Zwan^Bstellung der Aagen nach rechts. Kopfschmerzen bestehen bei ruhiger 
Lage im Bett gar nicht mehr, nur beim Aufrichten „arbeitet es im Kopfe"*, 
dabei leichter Schwindel. Nahrungsaufnahme genügend. 

10. October. Temp. 37,0% 36,7% 36,6% 37,2% 36,7% 37,0». Puls 92. 
Klage ttber Schmerzen in der Scheitelgegend. Rechte Pupille weiter als die 
linke, beide reagiren auf Lieh teinf all und accommodiren gut Nystagmus 
auch beim Blick nach rechts, aber nicht so intensiv wie beim Blick nach 
links. Ci vom Scheitel überwiegt nach rechts, links »brummt es ein bischen", 
Fis4 nicht gehört. Flüstersprache nicht gehört. Sensorium klar Patient 
erkennt vorgehaltene Gegenstände und bezeichnet dieselben richtig. Antworten 
verlangsamt. Keine Nackenstarre. Mittags schluckt Patient nicht mehr. 
Nachmittags 3 Uhr erkennt er noch seine Frau, spricht aber nicht, antwortet 
auf Fragen überhaupt nicht Reisst gegen Abend öfter am Verband. Ab 
und zu leichtes Hüsteln. 7 Uhr Abends ungefähr eine Viertelstunde lang 
dauernde klonische Krämpfe der linken unteren Extremität Patient reagirt 
nicht mehr auf Anrufen. Nachts mehrmaliges Aufschreien, lässt Urin unter 
sich. Der Tod erfolgt im zunehmenden Coma am 11. October Morgens 
7Va Uhr. 

Auszug aus dem Sectionsprotocoll. 

Diagnosis post mortem. Abscess des linken Kleinhirns. Hy- 
drocephalus internus. Ependymitis granulosa. Hyperämie der 
Pia. Leptomeningitis chronica. Extraduralabscess. Hyposta- 
tische Pneumonie des rechten Unterlappens. Pleuritis adhae- 
siva chronica. Dilatation des linken VentrikeU. Milztumor. 

Dura etwas injicirt, in den vorderen Partieen stärker gespannt. Innen- 
fläche der Dura glatt, etwas trocken. Im Sinus longitudinaüis Cruorgerinnsei. 
Pia stärker injicirt, Arachnoidea an der Convexität stark getrübt, Gyii und 
Sulci stark abgeplattet. Im Sinus sigmoideus linkerseits altes Cruorgerinnsei. 
Die Dura über der Rückseite der linken Felsen beinpyramide in den mittleren 
Partieen grünlich verfärbt Unter der Dura befindet sich hier eine Ansamm- 
lung von Eiter sowie eine sulzige Masse, die durch den Aquaeductus vestibuli 
in das innere Ohr eindringt. Bei Herausnahme des Gehirns eröffnet sich an 
der Unterfläche des linken Kleinhirns, der oben bezeichneten grünlich ver- 
färbten Stelle an der Dura entsprechend, eine ca. wallnussgrosse mit grtUi- 
gelbem Eiter gefüllte Höhle. Eine Gommunication derselben mit dem vierten 
Ventrikel besteht nicht. Der Abscess ist gegen die Umgebung scharf abge- 
grenzt Die Ventrikel sind sämmtlich erweitert, mit sehr viel klarer seröser 
Flüssigkeit gefüllt. Ependym der Ventrikel granulirt. Die Pleura zeigt fibröse 
Auflagerungen. An der Spitze des rechten Oberlappens ein erbsengrosser 
fibröser Herd. Milz vergrössert, Kapsel gefaltet, Parenchym marmorirt, Farbe 
dunkelroth, Follikel deutlich sichtbar. 

Section des Schläfenbeins. Der das knöcherne Labyrinth 
umgebende spongiöse Knochen ist sehr blutreich und morsch 
und stark durchsetzt von blass-rosagefärbter sulziger Gewebs- 
masse. In diesem spongiösen Knochen befindet sich zwischen 
dem vertikalen Bogengänge und dem Perus acusticns internus 
ein fast 2 cm langer und 1 cm breiter Sequester. Von der 
Schnecke ist ein grosser Teil als vollständig frei beweglicher 
Sequester losgelöst In der überall überhäuteten Operations- 
höhle ist in der Tiefe, etwa dem Promontorium entsprechend, 
eine von anscheinend gesunder Haut bedeckte blaugrünlich 
durchscheinende, ungefähr linsengrosse Stelle sichtbar. Die 
Sonde gelangt hier in der Richtung nach vorn und innen (etwa 
in der Achse der Felsenbeinpyramide) auf oben näher bezeich- 
neten leicht beweglichen, durch einen Theil der Schnecke ge- 
bildeten Sequester. 

An der hinteren Fläche der Felsenbeinpyramide, zwischen 
dem Sulcus sigmoideus und dem Aquaeductus vestibuli, und 
mit letzterem in Verbindung stehend, befindet sich eine sulzige, 



Jafaresber. der Egl. Universitäts-Ohreoklinik zu Halle a. S. 1900/1901. 111 

matschige Gewebsmasse von weiss^elber Farbe, die mit dem 
Knochen fest verwachsen ist. Die Nerven Im Porus acusticus 
internus zeigen keine Yeränderung. Im Sinus sigmoideus ein 
der Yenenwand nicht fest adh&rentes, in der Peripherie weiss- 
graues, auf dem Durchschnitt braunrothes Gerinnsel, welches 
sich bis in den Bulbus venae jugularis erstreckt. Daselbst ist 
die Venenwand verf&rbt. Im Thrombus keine Bacterien nach- 
weisbar, wohl aber ist die Yenenwand und die dem Schläfenbein 
anliegende Dura von Diplokokken durchsetzt. Sinus petrosus 
superior und inferior sind frei. 

Epikrise: Das kranke Labyrinth bildete hier den Aus- 
gangspunkt ftlr die Entstehung des tiefen extraduralen Absoesses, 
der Sinusaffection und für die Propagation des Eiters nach dem 
Kleinhirn. Wie schwierig in diesem Falle eine exacte Diagnose- 
stellung war und zwar besonders wegen der Gomplication des 
Kleinhirnabseesses mit der wenig charakteristische Symptome 
bietenden Sinuserkrankung, darüber dürften wir wohl Klarheit 
gewinnen, wenn wir die einzelnen Krankheitserscheinungen noch 
einmal in ihrer zeitlichen Aufeinanderfolge betrachten und auf 
ihren inneren Zusammenhang hin prüfen. Die bald nach der 
Operation unter Schüttelfrost und massigem Fieber auftretende 
Störung des GenesuDgsverlaufs fand weder am Aussehen der 
Wunde noch in der Erkrankung irgend eines Organes eine hin- 
reichende Erklärung. Es wurde aber diesem Fieber insofern 
wenig Bedeutung beigelegt, als dasselbe bald vorüberging und 
einem Zustand des besten Wohlbefindens Platz machte, umsomehr, 
als der Wundverlauf sich ausserordentlich günstig gestaltete; 
war doch bei der 5V2 Woche nach der Operation stattfindenden 
Autopsie die Wundhöhle vollständig überhäutet. Die einzigen 
Zeichen, welche während dieser Zeit den Verdacht einer intra- 
eraniellen Gomplication hätten erregen können, waren eine nicht 
selten bemerkbare psychische Depression, die sich in Neigung 
zu weinerlicher Stimmung äusserte, sowie leicht subnormale 
Temperaturen. Als dann nach einem ausgesprochenen Schüttel- 
frost hohes Fieber bis 40,2® auftrat, wurde zunächst an ein be- 
ginnendes Erysipel gedacht, weil damals Fälle von Erysipel in un- 
serer Klinik vorgekommen warenj Dieser Verdacht rechtfertigte 
sich aber für die Folge nicht : Die Wunde sah wie bisher tadellos 
aus und nahm auch weiterhin einen ungestörten schnellen Heilungs- 
yerlauf. Die subjectiven Klagen des Kranken beschränkten sich 
zu dieser Zeit auf sehr heftige Schmerzen im ganzen Kopf; 
dabei fanden sich leichte bronchitische Geräusche über den 
Lungen, Frösteln, feuchte Haut, Verstopfung, Milztumor. Es ist 
besonders hervorzuheben, dass irgend welche suspecte Erschei- 



112 III. GRÜNERT und SCHULZE 

nungen am Warzenfortsatz und in der Gegend der grossen 
Halsgefässe, die uns an eine Sinuserkrankung hätten denken 
lassen müssen, niemals beobachtet werden konnten. Kurze Zeit 
rechneten wir auch mit der Möglichkeit eines Typhus abdominalis. 
Diese Vermuthung wurde aber bald hinfällig, da uns durch 
folgenden Symptomencomplex das Bestehen einer intracraniellen 
Complication mit grosser Wahrscheinlichkeit nahegelegt wurde: 
Schwindel, Erbrechen, Appetitlosigkeit, Verstopfung, Kopfschmer- 
zen (meistentheils in der Scheitelgegend localisirt), Nystagmus, 
Deviation conjugee, linksseitige Abduoenslähmung, rechtsseitige 
Oculomotoriuslähmung, dazu noch das Ergebniss der Hörprüfung: 
Der vor der Operation noch vorhandene Rest von Hörvermögen 
war jetzt vollständig verschwunden, ausserdem ergab der Weber- 
ische Versuch den Ausfall der Lateralisation der auf die Mitte 
des Scheitels aufgesetzten C-6abel nach dem kranken Ohr, deren 
Vorhandensein bei der Aufnahme noch mit Sicherheit constatirt 
war. Dadurch wurde eine Erkrankung des vorher noch functions- 
fähigen Labyrinthes bewiesen und die Entstehung der vermutheten 
intracraniellen Complication vom erkrankten Labyrinth aus zur 
Wahrscheinlichkeit gemacht. Bei der Entscheidung der Frage, 
welcher Art die vorliegende Complication sei, konnte von vorn- 
herein das Bestehen einer eitrigen Meningitis schon mit Rück- 
sicht auf das klare Sensorium und die Temperaturverhältnisse 
mit ziemlicher Sicherheit ausgeschlossen werden. Hält man da- 
gegen, um es noch einmal zusammenzufassen, die schon oben 
genannten Erscheinungen : Nystagmus, Zwangsstellung der Augen, 
Augenmuskellähmungen, zusammen mit der hartnäckigen Ob- 
stipation, dem Schwindel, dem Erbrechen bei nüchternem Ma- 
gen, schon beim blossen Hochriohten im Bette, in Verbindung 
mit der tagelang beobachteten leicht subnormalen Temperatur 
und den Kopfschmerzen, und berücksichtigt man ferner die auf- 
fallende Veränderung der Psyche, so konnte die Wahrscheinlich- 
keit eines Hirnabscesses nicht von der Hand gewiesen werden. 
Dieser musste in Anbetraeht der nachgewiesenen Labyrinth- 
aflfection in erster Linie im Kleinhirn vermuthet werden. 

Konnte auf diese Weise die Diagnose Kleinhirnabseess, 
wenn auch nicht mit absoluter Sicherheit, so doch wohl mit 
recht grosser Wahrscheinlichkeit gestellt werden, so war dies 
keineswegs so leicht der Fall mit der Erkrankung des Sinus. 
Die Gründe dafür haben wir darin zu suchen, dass die Sinus- 
Äflfection, worauf schon oben hingewiesen wurde, im Ganzen 



Jahresber. der Kgl. Universit&ts-Ohrenklinik zu Halle a. S. 190U/190L. 113 

reoht wenig oharakteristisohe allgemeine Symptome und speciel 
gar keine localen Ersoheinungen hervorrief, und zweitens, dass 
^e Temperatur ein ganz eigenthUmliohes, in das Bild der Sinus- 
thrombose anscheinend nicht hineinpassendes Verhalten zeigte. 
Diejenigen Anzeichen, durch welche sich die Sinuserkrankung 
in erster Linie verriet, waren Frösteln, Neigung zu Schweiss- 
bildung, Milztnmor. Die beiden Schüttelfröste aber konnten für 
«ine Sinusbetheiligung intra vitam deshalb nicht ganz einwandsfrei 
verwerthet werden, weil sie zwar von mehrtägigem Fieber ge- 
folgt waren, aber dann doch wieder zum Theil recht lange 
dauernde fieberfreie Intervalle nach sich zogen. Die Erklärung 
fär diese letztere bei Lebzeiten des Patienten fbr uns schwer 
zu deutende Erscheinung giebt uns die nähere Untersuchung 
des erkrankten Sinus. Der im Sinus vorgefundene Thrombus 
bot nach dem Urtheil des pathologischen Anatomen (Geh. Rath. 
Eberth) äusserlich ganz das Aussehen eines gutartigen Thrombus, 
doch waren bei genauer mikroskopischer Untersuchung im Innern 
4e8 Thrombus in der Gegend des Bulbus venae jugularis, und 
zwar der medialen Bulbus wand anliegend, unzweifelhaft ältere 
Thrombuspartieen zu erkennen. Wir gehen nun wohl nicht 
fehl in der Annahme, dass sich hier im Bulbus, wo auch die 
Venen wand eine deutliche Verfärbung zeigte, zunächst eine wand- 
ständige Thrombose entwickelte, die aber insofern einen ausser- 
ordentlich günstigen Verlauf nahm, als sie nicht fortschreitend 
zur Bildung eines obturirenden infectiösen Thrombus führte, 
sondern durch Apposition gesunder Thrombenmassen einen central- 
nnd peripherwärts sich erstreckenden Abschluss gegen die 
Blutbahn veranlasste: Daher die auf die fünf Fiebertage, während 
welcher die Thrombose zu Stande kam, folgende 15tägige fieber- 
freie Periode. 

Das dann wieder unter Schüttelfrost einsetzende, zum Theil 
recht hohe, 7 tägige Fieber war offenbar dadurch hervorgerufen, 
dass von dem bis dahin abgeschlossenen Thrombus kleine Par- 
tikelchen sich losgelöst hatten und in die Blutbahn gelangt 
waren, ein Vorgang, der möglicherweise dadurch begünstigt 
worden war, dass Patient während dieser Zeit des besten Wohl- 
befindens nicht zu Bett gelegen hatte, sondern bereits umherlief. 
Es ist nun aber mit Sicherheit anzunehmen, dass der günstige 
Vorgang des Abschlusses durch gesundes Blutgerinnsel darauf 
bald von neuem stattfand, wodurch eine weitere Aufnahme 
fiebererregender Stoffe in die Blutbahn verhindert wurde : Daher 

Aichiy f. Ohrenheakande. UV. Bd. 8 



114 III. ORUNERT und SCHULZE 

nur die 7 tägige Dauer des Fiebers, worauf die Temperatur bis 
zum Ende normal beziehungsweise subnormal war. 

Die Todesursache ist im vorliegenden Falle lediglich in 
dem wallnussgrossen Eleinhirnabscess zu suchen. Der Sinus- 
affeetion dagegen ist an dem letalen Ausgange keine Schuld 
beizumessen. Dieselbe wäre bei weiterem Fortbestand des Lebens 
unter den vorliegenden günstigen Verhältnissen sieher zur voll- 
ständigen Ausheilung gelangt, zu der sie, wie die Section ergal), 
schon auf dem besten Wege war. 

Zu einem operativen Eingriff konnten wir uns deshalb nicht 
entschliessen, weil in Folge der unklaren Temperaturverhältnisse 
die Diagnose nicht mit der zur Vornahme einer Operation noth- 
wendigen Bestimmtheit gestellt werden konnte, und weil der 
Eräftezustand des Patienten wenig Aussicht auf Erfolg versprach. 

11. Richard Krttger, 8 Jahre alt, Arbeiterssohn aas Cöthen. Auf- 
genommeii am 8. September, gestorben am 24. September 1900. 

Anamnese: Rechtsseitige Ohreiterung aus unbekannter Ursache seit 
dem ersten Lebensjahre. Niemals Beschwerden. Seit drei Tagen plötzlich 
heftige Schmerzen im rechten Ohr, Kopfschmerzen im ganzen Kopf, Appetit- 
losigkeit, schlaflose Nächte. Zugleich hohes Fieber und mehrmals Frostanf&lle. 
Kein Erbrechen, kein Schwindel. 

Status praesens: Schwächlicher, anänuscher Junge. Temp. 38,6^ 
Puls 136, regelmässig, kräftig. Innere Organe gesund. Zunge belegt. Objectiv 
kein Schwindel. Pupillen gleich weit, reagiren. Keine Augenmuskellähmung, 
kein Nystagmus. Papillengrenzen links ficharf, rechts verwaschen, Papille 
und überhaupt der ganze Augenhintergrund rechts sehr hyperämisch. Sen- 
sibilität und Reflexe normal. Urin frei von Eiweiss und Zucker. 

Umgebung des rechten Ohres: Druckempiindlichkeit des ganzen 
Warzenfortsatzes, geringes Oedem der bedeckenden Haut, keine Infiltration. 
Druckempfindlichkeit längs der Jugularis, daselbst einige geschwollene Lymph- 
drüsen zu fühlen. Gervicaldrüsen geschwollen. 

Gehörgang- und Trommelfellbefund: Rechts Gehörgang weit, 
äusserst fötide profuse Eiterung, viel Epidermis. Trommelfell fehlt bis auf einen 
schmalen Saum oben mit Hammerrest. Paukenschleimhaut geröthet und ge- 
schwollen. Vorn oben eine Fistel im Knochen, aus der eine leicht blutende 
Granulation hervorguckt. Links normal. 

Hörprüfung: Flüstersprache rechts nicht gehört, links mehrere Meter. 
Ci vom Scheitel unbestimmt, Fis4 rechts bei Nagelanschlag, links normal. 

Lumbalpunction ergiebt krystallklaren, nicht unter er- 
höhtem Druck stehenden, bacterienfreien Liquor, ohne ver- 
mehrte Leukocyten. 

Totalaufmeisselung: Weich theile normal. Corticalis grünlich ver- 
färbt, an einzelnen Punkten quillt dünne Jauche aus dem Knochen hervor. 
Die ganzen Mittelohrräume erfüllt mit zerfallenem Cholesteatom. Von den 
Gehörknöchelchen nur noch Reste vorhanden. Fistel im horizontalen Bogen- 
gang, in derselben kein Eiter. Aus einer Fistel in der Sinusgegend quillt 
äusserst fötide Jauche hervor. Ausgedehnter jauchiger extrasinuöser Abscess. 
Öinus soweit wie möglich nach unten freigelegt. Sinuswand grünlich verfärbt 
und eitrig belegt. Jugularisunterbindung. Probeincision des Sinus er- 
giebt nur wenig blutig verfärbtes Serum. Breite Incision des Sinus. 
Mediane Sinuswand zerstört. Der Zeigefinger dringt in eine 3 cm tiefe Höhle 
im Kleinhirn, die keinen Eiter enthält, sondern nur Gehirndetritus (Er- 
weichungsherd). Von oben her starke Blutung. Tamponade der ganzen 



Jahresber. der Kgl. UniYersit&ts-Ohrenklinik za Halle a. S. 1900/1901. 115 

Wandhöhle mit Jodoformeaze. Verband. Abends Temp. 38,0®, Puls 140, Re-^ 
spiration 32. Während der Nacht grosse Unruhe. Mehrmals Erbrechen, 
verband blutig- serös durchtränkt. 

9. September. Vormittags 1 1 Uhr Schüttelfrost von halbstQndiger Dauer. 
Wein und Milch werden zum grössten Theil wieder erbrochen. Temp. 38,0% 
40,10, 37 ,9% 39,1», 36,6«, 39,4% 39,1«. Puls 140, sehr klein, Aether subcutan. 

10. September. Verbandwechsel. Nachoperation: Vollständige ope- 
rative Freilegung desBulbus venaejugularis. Spaltungder Vena 
jugularis interna oberhalb der EinmOndnngsstelle der Vena 
facialis. Es sied Thrombenmassen und wenig Blut darin. Die grünlich ver* 
f&rbte laterale Sinuswand wird zum grössten Theil excidirt. Spaltung und 
Ausräumung des Bulbus, in welchem Thrombenmassen ent- 
halten sind. Tamponade mit Jodoformgaze. Es war somit Vena ju- 
gularis interna oberhalb der Unterbindungsstelle plus Bulbus 
venae jugularis plus Sinus sigmoideus aus einem Qefässkanal 
in eine nach aussen offene Halbrinne umgewandelt. Bei der 
Operation lässt der Kranke Koth und Urin unter sich gehen. Gegen Ende 
der Operation Zwangsstellunff der Augen, besonders des linken. Puls kaum 
fahlbar. Aether subcutan, Kochsalzinfusion. Nachmittag 4 Uhr deutlicher 
Icterus. Puls besser. Abends 10 Uhr Puls 124, leidlich kräftig, Patient trinkt 
Wein und viel Milch. Temp. 40,4«, 38,6«, 39,8«, 36,7«, 37,7« 

11. September. Die Nacht war sehr unruhig. Im Laufe des Tages 
trinkt Patient ungefähr 2 Liter Milch. Sensorium klar. Temp. 37,4«, 39,6«; 
37,8«, 39,4«, Puls 120, regelmässig. 

12. September. Allgemeinbefinden befriedigend. Nahrungsaufnahme an- 
dauernd gut. Die Wunde ist sehr trocken und schmierig belegt. Ueber den 
Langen überall voller Percussionsscball und reines Vesiculärathmen. Herz- 
töne rein. Temp. 37,6«, 38,8«, 38,5«, 38,9«. Puls Abends klein, 156. Aether 
subcutan. 

13. September. Die Wunde ist immer noch trocken und schmierig 
belegt. Feuchter Verband. Geringer Hirnprolaps. Temp. 38,3«, 38,9«, 37,8«, 
39,3«, 38,5«, 38,9«, Puls 124, kräftiger. 

14. September. Hartnäckige Verstopfung, Stuhlgang nur nach Klystier. 
Temp. 38,0«, 38,1«, 37,7«, 38,0«, 37,8». 

15. September. Die Wunde hat sich gereinigt. Temp. 37,9«, 37,2«, 38,1«, 
38,9«, Puls zwischen 108 und 120, regelmässig. Keine Klage, Patient trinkt 
viel Milch. 

16. September. Hirnprolaps etwas grösser. Temp. 37,5«, 36,1«, 39,7«, 
S?,!«. Puls Abends klein und sehr frequcnt. 

17. September. Patient schluckt nicht mehr so gut. Sensorium klar. 
Temp. 37,0«, 38,4«, 38,0«, 38,6«. Puls klein, 132, Respiration 32. 

18. September. Die Wunde sieht gut aus, überall frische Granulationen. 
Die Abscessnöhle im Kleinhirn sondert noch ziemlich viel Eiter ab. Temp. 
36,5«, 37,1«, 39,7«, 40.0«. Respiration 44, kein Husten, über den Lungen reines 
Vesiculärathmen. Puls sehr klein und frequent, aber nicht aussetzend. Aether 
sobcutan. Viel Wein. 

19. September. Seit gestern Abend grosse Unruhe. Pupillen different, 
wechselnd. Anhaltende Verstopfung, wiederholtes Erbrechen. Aus der Abscess- 
höble wird immer noch viel Eiter entleert. Temp. 38,7«, 39,3«, 38,5«, 39,5«, 
40,0«. Puls 160. 

20. September. Nahrungsaufnahme gering. Patient schluckt schlecht 
and verschluckt sich dabei sehr leicht. Nährkly&tier. Erbrechen seltener. 
Der Hirnprolaps ist grösser geworden. Die Eiterabsonderung aus der Abscess- 
höhle ist minimal. Temp. 38,S«, 39,4«. 39,1«, 40,3«. Puls 160. 

21. September. Heute wieder stärkere Eiterung aus der Abscesshöhle. 
Sonst Status idem. Temp. 40,3«, 38,6«, 41,8«, 39,9. Puls besser. 

22. September. Patient lässt Urin unter sich. Nahrungsaufnahme ver- 
weigert, Nährklystier. Die Wunde sieht gut aus. Am rechten Vorderarm 
thalergrosse Abscedirung, an einer Stelle, wo vor einigen Tagen eine Aether- 
injection gemacht war. Temp. 39,1«, 37,1«, 39,8«, 38,6«, 40,1«, Puls 146, Re- 
spiration 36. 



8 



♦ 



116 III. GRÜNERT und SCHULZE 

23. September. Der Hirnprolaps ist grösser geworden. Oefter Er- 
brechen. Temp. 38,4«, 40,6®, 38,7«, 39,2«. Puls kaum fahlbar, Oampher 
subcutan. 

24. September. Temp. 40,1«, 41,0«, 39,6«, 41,1«, Puls klein und frequent, 
hie und da aussetzend. Coma. Exitus Abends 8V2 ühr. 

Sectionsprotocoll. 

Das Schädeldach auf der rechten Seite leicht mit der Dura verwachsen. 
Pia der Gonvexit&t beider Hemisphären mit geringem eitrigen Exsudat belegt, 
hauptsächlich längs der Qefässe und zwar gleichmässig auf beiden Seiten. An 
der Schädelbasis kein Eiterbelag, auch nicht entsprechend dem Schläfenbein. Der 
rechte Nervus acusticus erscheint durch Quellung dicker als der linke; im 
Porus acusticus internus kein Eiter sichtbar. Sinus petrosus supcrior, inferior 
und cavernosus frei. lYom Sinus sif moideus nur die innere Wand erhalten, die 
nicht verfärbt ist. Das durch die Operation freigelegte und in eine 
nach aussen offeneRinne umgewandelteForamen jugulare zeigt 
«n der Innenwand Reste der Innenwand des Bulbus venae jugu- 
laris, welche mit gelbem Eiterbelag bedeckt sind. Die Halb- 
rinne ging unmittelbar über in die durch Excision ihrer late- 
ralen Wand in eine flache Rinne umgewandelte Vena jugularis 
interna. Unterhalb der fest verwachsenen Unterbindungsstelle der Vena 
jugularis interna befindet sich ein pflaumengrosser, peri venöser Abscess, be- 
grenzt durch eine feste Abscessmembran. Eine Gommunication dieser Abscess- 
höhle mit dem unterhalb der Unterbindungsstelle befindlichen Theil der Yene 
ist durch Sondirung nicht nachzuweisen. Beim Aufschneiden dieses letztern 
Venentheils entleert sich ein eitrig durchsetzter Thrombus, der sich bis in 
die Subclavia verfolgen lässt, dort braunrothe Farbe zeigt und spitzzulaufend 
endigt. 

Im rechten Kleinhirnlappen eine kirschgrosse Höhle, welche die Rinden- 
substanz zerstört hat; die Auskleidung von grauröthlicher Farbe und fetziger 
nekrotischer Oberfläche. Die Hiru Substanz zwischen dieser Höhle und dem 
vierten Ventrikel von normal fester Consistenz ohne Extravasate und ohne 
Zeichen von Entzündung. Der bei Lebzeiten beobachtete Prolaps wird dar- 
gestellt durch die entzündlich geschwollenen zum Theil schon nekrotischen 
Ränder der Abcesshöhle. In den Hirnventrikeln überall auffallend geringe 
Menge normaler seröser Flüssigkeit. Plexus choroideus normal. Ependym 
^latt und nicht verfärbt. 

Lunge und Herz gesund. 

Niere und Leber bieten Zeichen von Verfettung. Milz vergrössert, mürbe. 

Section des Schläfenbeines: Im horizontalen Bogengang 
•eine Fistel, aus welcher Eiter quillt. Steigbügel fehlt, im Fo- 
ramen ovale Eiter. Foramen rotundum offen, mit Eiter ange- 
füllt. Im vertikalen Bogengang Eiter. Kapsel der Schnecke 
sehr blutreich. Schnecke selbst voll Eiter. 

Epikrise: Unsere Diagnose hatte gelautet: chronische 
Eiterung mit Sinusthrombose und Pyämie. Der vorhandene 
Kleinhirnabscess war vorher nicht diagnostioirt worden, sondern 
wurde erst bei der Operation aufgedeckt. Thatsächlioh bot 
weder die Anamnese noch der Untersuchungsbefund irgend einen 
Fingerzeig dafttr, dass möglicherweise eine Complication mit 
einem Hirnabscess vorliegen könnte, vielmehr beherrschten die 
von der Sinusthrombose und Pyämie herrührenden Erscheinungen 
im wesentlichen das Krankheitsbild. Etwaige von dem Absoess 
ausgelöste Herderscheinungen lagen nicht vor, die Kopfschmerzen 
bestanden erst seit drei Tagen, seit dem Beginn der acut ein- 



Jahresber. der Kgl. Universitäts-ObreDklinik zu Halle a. S. 1900/1901. 117 

setzenden Pyämie, Schwindel und Erbrechen waren überhaupt 
Dicht vorhanden, derPuls war der hohen Temperatur entsprechend 
frequent und nicht von cephalischem Charakter. Die Psyche des 
Knaben hatte, wie die Mutter später wiederholt versicherte, 
niemals eine auffallende Veränderung gezeigt. So blieb denn 
als einziges Verdachtsmoment der Augenspiegelbefund übrig. 
Freilich auch dieses Zeichen war bei der Complication mit Sinus- 
tbrombose nicht besonderes ins Gewicht fallend, namentlich da 
es sich nicht um eine ausgeprägte Stauungspapille, sondern um 
eine beginnende Neuritis optica mit starker Hyperämie des ganzen 
Angenhintergrundes handelte, also um Veränderungen, die mög- 
licherweise durch die Sinusaffection allein hervorgerufen sein 
konnten. 

Was die Entstehung des Kleinhirnabscesses im vorliegenden 
Falle anbetrifft, so ist mit Sicherheit anzunehmen, dass derselbe 
nioht von dem erkrankten Labyrinth aus inducirt worden ist, 
sondern dass in Folge der Entzündungsvorgänge an der Sinus- 
wand die angrenzende Partie des Kleinhirns per contiguitatem 
erkrankt ist. DafQr spricht nicht nur die oberflächliche Lage 
des unmittelbar an die morsche Sinuswand angrenzenden Abs- 
cesses, sondern auch das ganze Aussehen desselben: er machte 
mehr den Eindruck eines acuten encephalitischen Erweichungs- 
herdes. 

Die operative Behandlung der Sinusthrombose an sich war hier 
von zweifellos gutem Erfolge : die Schüttelfröste blieben aus, und 
es erfolgte keine Metastasenbildung. Wenn auch bei der Section 
die centralwärts an die Jugularisligatur angrenzenden Gefäss- 
partieen sich als thrombosirt erwiesen, so war doch der Thrombus 
derart, dass das centrale Ende desselben eine gute braunrothe 
Farbe zeigte. Durch die radicale Freilegung der erkrankten 
Sinuswand, der Vena jugularis und namentlich des Bulbus venae 
jugularis, sowie durch die Ausräumung der in den genannten 
Gefässen enthaltenen Thromben und durch die Excision der er- 
krankten Gefässwände selbst ist die weitere Fortschwemmung 
von Thrombenmassen und die Aussaat infectiöser Stoffe in die 
Blutbahn verhindert worden und somit der Beweis geliefert, dass 
durch die ausgedehnte Sinusoperation in der oben beschriebenen 
Weise thatsächlich eine Ausschaltung d^s erkrankten Gefäss- 
bezirks aus der Girculation erreicht werden kann. 

An dem letalen Ausgange der Erkrankung waren weder 
die Sinusaffection noch der Hirnabscess Schuld. Als Aus- 



118 III. ORUNERT und SCHULZE 

gangssteilen für die die Todesursache bildende Meningitis kämen 
in Betracht: die Trepanationsstelle, der Hirnabscess, das Laby- 
rinth. Dass sich die Meningitis nicht von der Trepanationsstelle 
ans verbreitet hat, geht aus dem Umstände hervor, dass bei der 
Seotion keine stärkere Ausbreitung des Exsudats an der Tre- 
panationsöffnung zu oonstatiren war und dass dieselbe durch 
frische gesunde Granulationen nach der Schädelhöhle gut ab- 
geschlossen war. Vom Hirnabscess selbst hatte auch keine 
Infection der Hirnhäute stattgefunden: der Abscess war allseitig 
von gesunder Hirnsubstanz umgeben, ein Durchbruch in den 
vierten Ventrikel war sicher nicht vorhanden. So kommt die 
eitrige Labyrintherkrankung allein als Ausgangspunkt f&r die 
tödtliche Meningitis in Betracht. Das Bestehen einer Labyrinth- 
affection war nach dem Ergebniss der Hörprüfung wahrscheinlich 
und wurde durch die Auffindung der Fistel im horizontalen 
Bogengang bei der Operation zur Gewissheit: auffallend ist nur 
das Fehlen von Schwindelerscheinungen, trotz der diffusen eitrigen 
Entzündung im Labyrinth, trotz der Bogengangsfistel und trotz 
des fehlenden Steigbügels. 

Die Entwickelung der Meningitis fällt erst in die letzten 
Tage vor dem Tode. Zur Zeit der Operation war, wie auch 
die Lumbalpunction zeigte, noch keine Meningitis vorhanden. 

12. Otto Michaelis, 19 Jahre alt, Bergmann aus Zemschen. Aufge- 
nommen am 5. April 1900, gestorben am 15. April 1900. 

Die Krankengeschichte dieses an Lungentaberculose zu Grunde ge- 
gangenen Patienten, welcher in Folge von Caries des Schläfenbeins an Garotis- 
blutungen gelitten hatte, ist ausführlich von Zeroni mitgetheilt (cf. d. A. 
Bd. LI. S. 97). 

13. Bertha Tamm, 15 Jahre alt, Dienstmädchen aus Halle. Aufge- 
nommen am 5. Februar 1901, gestorben am 7. Februar 1901. 

Anamnese: Patientin giebt an, früher niemals ernstlich krank gewesen 
zu sein. Im Jahre 1893 wurde sie wegen eines acuten Katarrhs des linken 
Ohres hier poliklinisch behandelt. Damals wurden adenoide Wucherungen ent- 
fernt. Seit dem 26. Januar d. J. Schmerzen und Sausen im rechten Ohr. 
Ohrbefund am genannten Tage: Schwellung, Röthung und Vorwölbung des 
Trommelfells. Incision der hinteren U&lfte, wobei Eiter entleert wurde. Auch 
am nächsten Tage dauerte die eitrige Secretion fort. Patientin blieb dann 
mehrere Tage aus der Behandlung weg. Seit einigen Tagen Appetitlosigkeit, 
fichlechter Schlaf, Kopfschmerzen in der Stirngegend. Seit vorgestern öfter 
Erbrechen. Seit gestern Fieber und Frost. 

Status praesens: Kräftig gebautes, für ihr Alter sehr entwickeltes 
Mädchen. Sieht sehr bleich und collabirt aus. Klagt über Schmerzen im 
rechten Ohr, im Kopf und im Rücken. Temp. 39, 2<), Puls sehr klein, 120. 
Zunge belegt. Pupillen mittel weit, gleich, reagiren prompt auf Lichteinfall 
und accommodiren gut. Augenhintergrund (Privatdocent Dr. Schieck): Venen 
beiderseits ektatisch, rechts nasale Grenze der Papille verwaschen, nasale 
Papillenhälfte hyperämisch. Herz und Lungen gesund. Urin frei von Zucker 
und Eiweiss. Patientin stöhnt fortwährend, liegt keinen Augenblick ruhig, 
wirft sich herum und klagt über unerträgliche Schmerzen im Rücken. Wäh- 
rend der Untersuchung mehrmals Erbrechen. Sensibilität and Reflexe nor- 



Jabresber. der Egl. Umversitäts-Obrenklinik zu Halle a. S. 1 900/ 1901. 119 

mal. Selbst einfache, ihre Person betreffende Fragen beantwortet Patientin 
erst nach längerem Ueberlegen und vielfach falsch. Lässt Urin unter sich. 

Umgebung des rechten Ohres: Warzenfortsatz auf Druck schmerz- 
haft, keine Infiltration, kein Oedem. 

Gehörgangs- und Trommelfellbefund: Rechts: Gehörganj? weit, 
Trommelfell leicht geröthet, abgeflacht, hinten unten pulsirender Reflex. 
Links normal. 

Hörprüfung lässt sich nicht vornehmen. 

Therapie: Essigklystier, Eisblase auf den Kopf und hinter das Ohr, 
Paracentese, wobei keine grössere Eitermenge entleert wird. Abends Temp. 
39,20, Puls 104. 

6. Februar. Patientin hat während der Nacht wenig geschlafen. An- 
dauernde Klage über heftige Kopf- und Rückenschmerzen. Mehrmals Er- 
brechen. Sopor, hie und da unterbrochen durch Aufschreien und Greifen nach 
dem Kopfe. Patientin hallucinirt. Lumbalpunction ergiebt unter massig 
hohem Druck stehenden, deutlich getrübten Liquor, welcher 
sehr stark vermehrte Leukocyten enthält. Die Untersuchung 
auf Bacterien ergiebt zahlreiche in Ketten angeordnete Diplo- 
kokken. Im Centrifugat auch vereinzelte Kapsel-Diplokokken 
nachweisbar. Die Untersuchung auf Tuberkelbacillen fällt negativ aas. 
Hautsensibilität an den unteren Extremitäten fast ganz aufgehoben, Reflexe 
erhalten. Temp. 40,1«, 40,2», 39,90, 40,5», 41,0«. Puls 124 und 130. 

7. Febr. Pat. delirirt, antwortet nur auf sehr lautes Anrufen und klagt 
überSchmerzen in Kopf und Rücken. Ptosis links. Erbrechen heute öfter. Lautes 
Stöhnen unterbricht ab und zu den schlafähnlichen Zustand. Die Lumbalpunc- 
tion liefert keinen Liquor, es tritt aber dabei eineziemlich starke Blutung ein. 
Temp. 39,1^, 40,4^. Nachmitt. Gheyne-Stokes*sches Athmen. Spasmen in der 
Masculatur der linken unteren Extremität. Exitus letalis 2^4 Uhr Nachmittags. 

Auszug aus dem Sectionsprotocoll. 

Diagnosis post mortem: Meningitis purulenta der Con- 
vexität und der Basis. Meningitis spinalis. Hyperämie und 
Oedem des Gehirns. Lungenblähung. Alte Endocarditis an der 
Mitralis. Cystitis catarrhalis. Beginnende Nephritis. Schädel- 
dach mit der Dura fest verwachsen, Innenfläche der Dura im Allgemeinen 
glatt. Im Sinus longitudinalls Fibrin- und Cruorgerinnsel. Arachnoideal- 
ränme der Convexität in den vorderen Partieen beiderseits mit gelbgrüuem 
Eiter gefüllt. Pia stark injicirt. Im Sinus transversns und sigmoideus finden 
sich Cruorgerinnsel. Die Dura über dem Clivus etwas missfarben, blutreich. 
Pia der Basis stark injicirt, mit gelbgrünem dicken Eiter bedeckt, besonders 
reichlich findet sich derselbe in der Gegend des Chiasma. Plexus chorioideus 
schmutziggrau. Im vierten Ventrikel trübe Flüssigkeit. Ependym glatt. Klein- 
him von weicher Gonsistenz. Grosshirn ödematös. Nach der Eofernung der 
Dura vom Felsenbein zeigt sich dessen Oberfläch vollkommen glatt. Nirgends 
sind abnorme Dehiscenzen. In der rechten Impressio trigemini findet sich 
etwas gelber Eiter. Die Aussenfläche der Dura spinalis zeigt eine starke 
lojection. Innenfläche ebenfalls injicirt. Die Pia ist mit graugrünem sul- 
zigen Eiter bedeckt. Von der Mitte des Brustmarkes an findet sich nach 
anten zu stärker werdend ein Bluterguss innerhalb der weichen Häute. Die 
weisse Substanz des Rückenmarks quillt auf dem Schnitt deutlich über, die 
graue Substanz erscheint etwas missfarben. 

Section des Schläfenbeins: In der Paukenhöhle wenig 
dünnschleimiges Secret, in welchem Bacterien nicht nach- 
gewiesen werden können. Steigbügel vorhanden. Membran 
des runden Fensters zeigt keinen Defect. In der Schnecke und 
in den Bogengängen Eiter. Die Nerven des Perus acusticus 
internus mit Eiterzellen durchsetzt. Sinus durae matris ohne 
Thromben. 

Epikrise: Bei der ersten Untersuchung in der Poliklinik 
machte die Erkrankung ganz den Eindruck einer uncomplicirten 



120 III. GRÜNERT und SCHULZE . 

acuten Eiterung. Auch in den nächsten Tagen konnte nichts 
AuffÄIliges im Verlanf der Krankheit bemerkt werden. Sehr 
verändert war aber das Erankheitsbild, als die Patientin nach 
8 Tagen wiedererschien. Das hohe Fieber, die cerebralen Er- 
scheinungen auf eine Eiterretention zurflckzuftthren, dazu gab der 
Befund im Ohr — bei der Paracentese wurde keine grössere Eiter- 
menge entleert — und am Warzenfortsatz keine Veranlassung. 
Wohl aber wiesen diese Symptome in Gemeinschaft mit dem patho- 
logischen Befund am Augenhintergrunde, mit der BlasenlähmuDg 
und dem getrübten Sensorium auf das Bestehen einer intra- 
craniellen Complication hin. Die von uns gestellte Diagnose 
Meningitis wurde durch das Ergebniss der Lumbalpunction er- 
härtet. Aus folgenden Gründen könnte es den Anschein gewinnen^ 
als handelte es sich hier um eine primäre Meningitis, in deren 
Verlauf erst secundär das Mittelohr in Mitleidenschaft gezogen 
worden sei: 1. Die Meningitis war sehr weit verbreitet und zeigte 
einen sehr dicken Eiterbelag, während die Entzündungserschei- 
nungen am Ohr selbst verhältnissmässig geringe waren. 2. Im 
meningitischen Eiter Hessen sich Bacterien nachweisen ; im Ohr- 
secret nicht. Doch ist die Entstehung der Meniugitis von der 
Ohraffection aus schon deshalb wahrscheinlicher, weil die Mittel- 
ohreiteruDg bereits bestand, als noch nicht die Spur von menin- 
gitischen Erscheinungen zu erkennen war. Es ist anzunehmen, 
dass die Meningitis in der Weise zu Stande gekommen ist, dass 
nach üebergreifen der Entzündung von der Paukenhöhle auf 
das Labyrinth die Nerven im Perus acusticus internus die Fort- 
leitung auf die Hirnhäute vermittelten, wenn auch der Uebergang 
von der Paukenhöhle auf das Labyrinth nicht mit Sicherheit 
nachgewiesen werden konnte. Im Ohr war die Entzündung 
bereits abgeklungen, als die Infection der Meningen erfolgte; 
daraus erklärt sieh das Missverhältniss in dem Befund am Ohr 
und in der Schädelhöhle. Wahrscheinlich handelte es sich um 
Bacterien von sehr starker Virulenz, — dafür spricht ihr rapides 
Vordringen gegen das Labyrinth und die Hirnhäute — aber 
von verhältnissmässig geringer Lebensdauer und Widerstandskraft 
gegen äussere Einflüsse, so dass im Ohrsecret keine Bacterien 
mehr vorhanden waren, während dieselben in den. Gehirn- und 
Bückenmarkshäuten günstigere Bedingungen fanden für ihr un- 
gestörtes Wachsthum. Es verdient noch hervorgehoben zu werden, 
dass sich bei der letzten am Tage vor dem Tode ausgeführten 
Lumbalpunction kein Liquor entleerte, was wohl dadurch zu 



Jahresber. der Kgl. UDiversitäts-Obrenhlinik zu Halle a. S. 1900/1901 . 121 



erklären ist, dass in Folge des dicken weit nach unten reichenden 
Eiterbelags und in Folge der starken Anfqaellung der Rücken- 
markssubstanz der Sückenmarkskanal so verlegt war, dass ein 
Abfliessen der Flüssigkeit nach unten nicht stattfinden konnte. 
Dass vielfaches Manipuliren mit der Pnnctionsnadel zu vermeiden 
ist, lehrt dieser Fall recht deutlich, denn es kam dabei zu einer 
recht erheblichen Blutung. Ein so ausgedehnter Bluterguss 
innerhalb der weichen Häute, wie er hier bei der Section ge- 
funden wurde, dürfte möglicherweise doch zu schweren Fuuctions- 
störungen Veranlassung geben können. 

Mastoidoperationen. 



u 




.S n 




Dauer 






mm 

e 


Name 


2 


Diagnose, 
resp. Befund 


der Behandlung 
in der 


Resultat 


Bemerkungen 


z 




^^ 


& 


Klinik 


überhaupt 






1 Wüh. 


17 


Chron. Eiterung links. 


3 Mon. 


3 Mon. 


GeheUt. 




KrauBcr. T.*) 




Caries. 










2 Minna FTil- 


11 


Chron. Eiterang links. 


2VsMon. 


2Va Mon. 


Geheilt. 


— 


■ brecht. T. 




Cholesteatom. 










3 


Otto 


40 


Chron. Eiterung links. 


— - 


— . 


Unbe- 


Grosser Extra- 




Träger. T. 




Caries. 






kannt. 


duralabscess in 
der mittleren 














Sohttdelgrube. 


4 Minna 


5 


Aoute Eiterung rechts. 


2 Mon. 


2 Mon. 


Geheilt. 


Entzündung d. 


Ringleb. 




Empyem. 








Sinuswand. 


5i Otto 


29 


Chron. Eiterung rechts. 


8 Tage. 


8 Tage. 


Gestorben. 


Carotisblutg. 


Michaelis. T. 




Caries. 








beim Verband- 
wechsel. 


6 


Bertha 


11 


Chron. Eiterung rechts 


14 Tage. 


3Va Mon. 


ünge- 


Ferisinuöser 




Schentzel. T. 




Caries. Cholesteatom. 






heilt. 


Abscess. 


1 FrauFanline 


50 


Chron. Eiterung links. 


8 Tage. 


— 


Noch in 


Caries a. d. La- 


' Müller. T. 




Caries. Cholesteatom. 






Behandig. 


byrinthwand. 


8 


Ernst 
Scholz. T. 


35 


Chron. Eiterung rechts. 
Caries. Cholesteatom. 


3 Woch. 




Gestorben. 


Jugularisun- 
terb. Schläfen- 
lappenabscess- 


1 












operation. 


d Heinrich 


47 


Acute Eiterung links. 


6 Woch. 


2 Mon. 


Geheilt. 


Entzündung d. 


i Joohade. 












Sinuswand. 


lOlMarthaKasoh- 


274 


Acute Eiterung rechts. 


Ambulat. 


— 


Unbe- 




' niaeiek. 






behandelt. 




kannt. 




11 Emma 


12 


Chron. Eiterung links 


1 V2 Mon. 


3 Mon. 


Unge- 




fianm. T. 




Caries. Cholesteatom. 






heilt. 




12 Ernst 


29 


Acute Eiterung links. 


In d. Filia- 


— 


Unbe- 




Schneider. 




Empyem. 


le gelegen. 




kannt. 




13 Friedrieh 


53 


Chron. Eiterung links. 


2 Mon. 


2 Mon. 


Geheilt. 


— 


Müller. T. 




Caries. Cholesteatom. 










14 Adolf Lenz. 


37 


Acute Eiterung rechts. 


6 Woch. 


6 Woch. 


GeheUt. 


Perisinuöser 


_ 














Abscess. 



1) T hinter dem Namen ■■ Totalaufmeisselung, unter 129 Fällen 95 mal zur Anwendung ge- 
kflanen« 



122 



III. GRÜNERT und SCHULZE 







.9 c 




Dauer 






i 


Name 


U h 


Diagnose, 
resp. Befund 


der Behandlung 
Kl^ überhaupt 


Resultat 


Bemerkungen 


15 


Elise 


21 


Ghron. Eiterung recht«. 


6 Woch. 


__ 


Noch in 


Caries a.d.Ijs- 




Meyer. T. 




Caries. 






Behandig. 


byrinthwand. 


16 


Anna Koeh. 


? 

• 


Acute Eiterung rechts. 
Empyem. 


In der Fil. 
behandelt. 


— 


Geheilt. 




17 


Gustav 
Schaefer. 


19 


Acute Eiterung links. 


Ebenda. 


■' — 


Unbe- 
kannt. 


PerisinuOser 
Abscess. 


18 


Bertha Haus- 
mann. T. 


9 


Chron. Eiterung rechts. 
Caries. Cholesteatom. 


7 Woch. 


7 Woch. 


GeheUt. 


"' ' 


19 


Karl 
Ritter. T. 


10 


Chron. Eiterung rechts. 
Cholesteatom. 


8 Tage. 


^^^^ 


Gestorben. 


Jugularisun- 
terbind. Sinus- 
operation. 


20 


Georg Tille. 


18 


Acute Eiterung links. 
Empyem. 


6 Woch. 


6 Woch. 


Geheilt 




21 


Hugo 
Mothes. 


26 


Acute Eiterung links. 


3 Woch. 


3 Woch. 


Geheilt. 




22 


Anna 
Scharsig. T. 


16 


Chron. Eiterung links. 
Caries. Cholesteatom. 


3 Woch, 


—- 


Ünge- 
heUt. 




23 


Sophie 
Botbe. T. 


33 


Chron. Eiterung links. 
Cholesteatom. 


8 Woch. 


3 Mon. 


Geheilt. 


Jugularison- 
terbind. Sinus- 
Operation. 


24 


Wilh. 


8 


Chron. Eiterung rechts. 


2 Mon. 




Noch in 


Labyrinth- 




König. T. 




Caries. Cholesteatom. 






Behandig. 


wand cariös. 


25 


Hermann 
Rüdiger. T. 


13 


Chron. Eiterung rechts. 
Caries. Cholesteatom. 


6 Woch. 




Der Be- 
handlung 
entzogen. 




26 


Albert 
Punke. T. 


15 


Chron. Eiterung rechts. 
Caries. 


2 Mon. 


2V2 Mon. 


Geheilt. 


~ 


27 


Anna Hallens- 
leben. T. 


13 


Chron. Eiterung rechts. 
Caries. 


3 Woch. 


6 Woch. 


Geheilt. 




28 


Frau Hedwig 
Lorenz. T. 


38 


Chron. Eiterung rechts. 
Caries. 


4 Woch. 


5 Mon. 


Geheilt. 




29 


Martha 
Sohulze. T. 


5 


Chron. Eiterung links 
Caries. Cholesteatom. 


In der 

Filiale 

gelegen. 




Geheilt. 




30 


Friedrich 
Schooh. 


59 


Acute Eiterung rechts. 
Empyem. 


Ebenda. 


—— 


ünge- 
heüt. 




31 


Bertha 
Prophet. T. 


12 


Chron. Eiterung rechts. 


circa 
2 Mon. 


372 Mon. 


GeheUt. 


Perisinuöse 
Eiterung. 


32 


Ida Vetter. T. 


15 


Chron. Eiterung links. 


1 Mon. 




Noch in 
Behandig. 


Labyrinth- 
wand cariös. 


33 


Hermann 


8 


Chron. Eiterung rechts. 


1 


^>. 


\ 


_^^^ 




Jahr. T. 




Caries. 


\ 2 Mon. 




1 Noch in 


Labyrinth- 


34 


Hermann 


8 


Chron. Eiterung links. 


— 


r Behdlg. 


wandcaries. 




Jahr. T. 




Caries. 










35 


Oscar "Kind. 


40 


Acute Eiterung rechts. 
Empyem. 


1 Mon. 


1 Va Mon. 


Geheilt. 


■ 


36 


Moritz 
"Wagner. 


46 


Acute Eiterung rechts. 
Empyem. 


~~* 


~~~* 


Geheilt. 




37 


Walter 


7 


Chron. Eiterung links. 


2 Mon. 


— 


Noch in 


Labyrinth- 




Böhme. T. 




Caries. 






Behandig. 


wandcaries. 



Jahresber. der Egl. Uniyersit&ts-Ohrenklinik zu Halle a. S. 1900/1901. 123 



o 


S a 


•f 


Dauer 






a 

9 

55 


Name 


2 


Diagnose, 
resp. Befund 


der Behandlung 
Kliofk »^^«'^^^P* 


Resultat 


Bemerkungen 


38 


Marie 
Paelecke. T. 


21 


Chron. Eiterung rechts. 
Garies. 


3Wooh. 


2 Mon. 


Der Behlg. 
entzogen. 


— 


39 


Hertha 
Scheibe. 


16 


Acute Eiterung rechts. 
Caries. Empyem. 


3 Woch. 


— 


Noch in 
Behandig. 




40 


Frau Luise 
Schmie- 
decke. T. 


23 


Chron. Eiterung links. 
Caries. 


6 Wooh. 


2 Mon. 


Geheilt. 




41 


Hermann 
Wiesener. T. 


21 


Chron. Eiterung links. 
Garies. 


6 Woch. 


3 Mon. 


Geheilt. 




42 


Fritz Beilicke. 


16 


Acute Eiterung rechts. 


6 Wooh. 


6 Woch. 


Geheilt. 








Mastoiditis. 










43 Karl Sohmidt. 


5 


Acute Eiterung rechts. 
Mastoiditis. 


5 Wooh. 


6 Woch. 


Geheilt. 




44 , Edaard 


15 


Chron. Eiterung rechts. 


3 Mon. 


4 Mon. 


Geheilt. 




;Eckardt. T. 




Cholesteatom. 










45 


Walter 


7 


Chron. Eiterung links. 


In der 


— 


Un- 






Rochow T. 




Cholesteatom. 


Filiale 
gelegen. 




bekannt. 




46 


Elisabeth 
Palsz. T. 


13 


Chron. Eiterung rechts. 
Cholesteatom. 


2 Woch. 


2 Wooh. 


Gestorben. 


Perisinuöser 
Absoess. Eiter 
aus d. Vestibu- 


1 
1 












lum entleert. 
















Kleinhirnabs- 
















cessoperation. 


47 


Luise 
Schöne. T. 


19 


Chron. Eiterung rechts. 
Caries. 


272 Mon. 


5 Mon. 


GeheUt. 




45 


Emma 
Albrecht T. 


16 


Chron. Eiterung links. 
Garies. 


5 Woch. 


2 Mon. 


Geheilt. 




49 Otto 


36 


Acute Eiterung links. 


14 Tage. 


5 Wooh. 


GeheUt. 


— 


Zimmermann. 




Empyem. 










50 Emma 


17 


Chron. Eiterung rechts. 


6 Woch. 


2 Mon. 


Geheilt. 


— 




Weigelt. T. 




Garies. 










51 


Minna 


6 


Chron. Eiterung rechts. 


4 Mon. 


4 Mon. 


Geheilt. 




1 Heyne. T. 




Caries. 










d2 Hermine 


16 


Chron. Eiterung links. 


7 Woch. 


3 Mon. 


Geheilt. 


Fachymenin- 


1 Lehmann. T. 

1 

1 




Garies. 








gitis ext. exsu- 
dativa. 


^3 Bertha 


13 


Chron. Eiterung links. 


9 Woch. 


3 Mon. 


Geheilt. 


— 




Zwarg T. 




Caries. 










M ; Willy 


7 


Chron. Eiterung rechts. 


— 


— 


Un. 


— 


Borchardt. T. 




Garies. Cholesteatom. 






bekannt. 




^^ Christine 


32 


Chron. Eiterung links. 


? 


? 


Gebeilt. 


Pachymeng. 


Fahlbußch. T. 




Cholesteatom. 








ext. exsudat. 


K Aagust 


29 


Chron. Eiterung links. 




— 


Un- 


— 


Borstdorf. T. 




Garies. 






bekannt. 




57 Frieda 


18 


Chron. Eiterung links. 


2V2 Mon. 


. 3 Mon. 


Geheilt. 




Dressel. T. 




Caries. 










5S Walter 


12 


Chron. Eiterung rechts. 




<— 


Der Be- 




1 Schmidt. T. 




Cholesteatom. 






handlung 






i 










entzogen. 





124 



III. GRUNERT und SCHOLZE 



& 








Dauer 






s 
s 


Name 


o 

l-s 

5^ 


Diagnose, 
resp. Befund 


der Behandlung 
Klinik ^^«'^^•^^P* 


Resultat 


liemerkungen 


59 


Martha 
Schiebel. 


3 


Chron. Eiterung links. 
Empyem. Caries. 


2V4 Mon. 


2V4 Mon. 


Ungeheilt. 


— 


60 


Gustav 
Laert». T. 


18 


Chron. Eiterung rechts. 
Cholesteatom. 


3 Woch. 


5 Mon. 


Geheut. 




61 


Emma 
Schmidt. 


4 


Acute Eiterung links. 
Mastoiditis. 


5 Woch. 


5 Woch. 


Geheilt. 




62 


Otto Katz. T. 


16 


Chron. Eiterung links. 
Caries. 


2VjMon. 


2Vs Mon. 


Geheilt. 




63 


Frau Clara 
Seifert. T. 


30 


Chron. Eiterung links. 
Caries. 


1 Mon. 


3 Mon. 


Geheilt. 




64 Georg 


29 


Chron. Eiterung links. 


6 Woch. 


6 Woch. 


Gestorben. 


Kleinhirnabsc. 




Ratajewski. T. 




Caries. Cholesteatom. 








Sinusthromb. 


65 


Friedrich 
Hubald. T. 


25 


Chron. Eiterung links. 
Caries. 


7 Woch. 


272 Mon. 


Geheilt. 


— 


66 


Richard 


6 


Chron. Eiterung rechts. 


16 Tage. 


16 Tage. 


Gestorben. 


Sinusoperat., 


Krüger. T. 




Cholesteatom. 








Jugularis- 
unterbindung. 


67 


Minna 
Prosohwitz. T. 


17 


Chron. Eiterung links. 
Caries. 


7 Woch. 


7 Woch. 


Geheilt. 




68 


Minna 


? 


Chron. Eiterung rechts. 


Ambulat. 


— 


Un- 






Becker. T. 




Caries. 


behandelt. 




bekannt. 




69 


Hildegard 
Renner. 


14 


Acute Eiterung rechts. 


6 Woch. 


6 Woch. 


Geheilt. 


Perisinuöser 
Abscess. 


70 


Ida 
Schneider. T. 


5 


Chron. Eiterung rechts. 
Caries. 


circa 
2 Mon. 


— 


Geheilt. 


— 


71 Angast 


52 


Chron. Eiterung rechts. 


7 Woch. 


7 Woch. 


Gebessert, 




Ludwig. T. 










Ohr trock. 




72 ' Wilhelm 


12 


Chron. Eiterung links. 


4 Woch. 


3 Mon. 


Geheilt. 


__^ 




Koch. T. 




Cholesteatom. 










73 


Albert 
Stolze. T. 


14 


Chron. Eiterung links. 
Cholesteatom. 


3 Mon. 




Noch in 
Behandig. 


— 


74 


Marie 
Marschall. T. 


4 


Chron. Eiterung rechts. 
Cholesteatom. 


2 Mon. 


'—' 


Geheilt. 


— 


75 


Paul Hinze. T. 


8 


Chron. Eiterung rechts. 
Caries. 


4 Mon. 


— 


Noch in 
Behandig. 


Labyrinth- 
wandcaries. 


76 


Willy 
Schulze. T. 


16 


Chron. Eiterung rechts. 
Cholesteatom. 


> 3 Mon. 


3 Mon. 


Geheilt. 


Cholesteatom- 
bild.a.d.Dura 
übergegriflfen. 


77 


Willy 
Schulze T. 


16 


Chron. Eiterung links. 
Cholesteatom. 






Geheilt. 


— 


78 


Ernst 
Gommel. T. 


47 


Chron. Eiterung rechts. 
Cholesteatom. 


1 Woche. 




Gestorben. 


Sinusoperat., 

Jugularis- 

unterbindnng. 


79 


Rudolf 
üsleb. T. 


15 


Chron. Eiterung rechts. 
Cholesteatom. 


2V2 Mon. 


2V2Mon. 


Geheilt. 


Sinusblutnng. 


80 


Martha 
Eckoldt. T. 


18 


Chron. Eiterung rechts. 
Caries. Cholesteatom. 


Ambnlat. 
behandelt. 


— 


Geheilt. 




81 


Otto 
Wedler. T. 


8 


Chron. Eiterung rechts. 
Cholesteatom. Nekrose. 


— 


3 Mon. 


Geheilt. 




82 


Ida Köhler. T. 


21 


Chron. Eiterung rechts. 
Caries. 


■— 


272 Mon. 


Geheilt. 





Jahrcsber. der KgL Uniyersit&ts-Ohrenklinik zu Halle a. S. 1900/1901. 125 



ä ; 



E 
S 



Name 



55 ^ 



Diagnose, 
resp. Befand 



Daner 
der Behandlung 

in der 



Klinik 



überhaupt 



Resultat 



Bemerkungen 



83 Franz Sargus. 



84 



Ida Köhler. T. 



85 Wilhelm 
König. T. 

86 Martha 
Böhme. 

S7 Luise 
Bruntke. T. 



88. Otto 
i Schumacher T. 

89 Otto 
Henning. T. 

90 Adolf 
Hummel. T. 

91, Christian 
Barthel. T. 

92 EmU 
Lippold. T. 

93, Wüly 
I Schmidt. T. 

94 Emma 
liiohter. 

95 Emma 
Richter. 

96 Emma 

j Burggraf. T. 

97 Amalie 
Sparing. 

9S Carl 
Brückner. 

99 Frau Bertha 
Muller. T. 

100 Frau Sichting. 

tOl Otto 
Rudloflf. T. 

}02 Franz 
Spierling. T. 

103 Olga 
Kunisch. T. 

104 Wilhelm Eule. 

105 Carl Hake. T. 



18 

21 

8 

5 

22 

It 

15 
21 
39 

15 
5 

15 
15 
22 
56 

41 
34 
51 
12 

12 
6 

18 
5 



Chron. Eiterung rechts 
mit Caries. 

Chron. Eiterung rechts. 
Caries. 

Chron. Eiterung links. 
Caries. Cholesteatom. 

Acute Eiterung links. 
Caries. 

Chron. Eiterung rechts. 
Cholesteatom. 



Chron. Eiterung links. 
Caries. Cholesteatom. 

Chron. Eiterung rechts. 

Chron. Eiterung links 
Caries. 

Chron. Eiterung links. 
Caries. Cholesteatom. 

Chron. Eiterung rechts. 
Caries. 

Chron. Eiterung rechts. 
Cholesteatom. 

Acute Eiterung rechts. 
Nekrose. 

Acute Eiterung links. 
Mastoiditis. 

Chron. Eiterung links. 
Cholesteatom. 

Acute Eiterung rechts. 
Empyem. 

Acute Eiterung xechts. 
Empyem. 

Chron. Eiterung links. 
Caries. 

Acute Eiterung links. 
Empyem. 

Chron. Eiterung links. 
Cholesteatom. 

Chron. Eiterung rechts. 
Cholesteatom. 

Chron. Eiterung rechts. 
Cholesteatom. 

Acute Eiterung rechts. 
Mastoiditis. 

Chron. Eiterung rechts 
Oaries. Cholesteatom. 



7 Wooh. 



ca. 3 Hon. 

1 Mon. 

2 Mon. 

3VaMon. 

4Vs Mon. 

4 Woch. 

9 Mon. 

272 Mon. 
3V« Mon. 

5 Wooh. 

3 Mon. 
2Vs Mon. 

5 Woch. 

In d. Füia- 
le gelegen. 

1 Mon, 

2 Mon. 



2Vs Mon. 



2 Mon. 



3 Vi Mon. 



472 Mon. 



9 Wooh. 



272 Mon. 
37t Mon. 



272 Mon. 



8 Mon. 



2 Mon. 



In d. Filia- 
le gelegen 
1 Mon. 

274 Mon. 



1 Va Mon. 



2 Mon. 



2 Mon. 



Geheilt. 

Un- 
bekannt. 

Noch in 
Behandig. 

Geheilt. 



Geheilt. 

üngeh. La- 

byrinthw. 

cariOs. 

Geheilt. 

Geheilt. 

Noch in 
Behandig. 

Geheilt. 

Geheilt. 

Ungeheilt. 

Geheilt. 

Noch in 
Behandig. 

Gestorben. 
Ohr geh. 

Geheilt. 

Noch in 
Behandig. 

Geheilt. 

Geheilt. 

Ungeheilt. 
Geheilt. 
Geheilt. 



Labyrinth- 
wandcaries. 

Granulationen 
der Sinuswand 
auüntzend. 

Exsudative 

Entzündung d. 

SinuBwand. 



Pachymening. 
ext. purul. 

PerisinuOser u. 
tiefer extradu- 
raler Abscess. 



Labyrinth- 
wandcaries. 

Bulbus 

undJttgularis- 

thrombose. 



Noch in 
Behandig. 



Auf Verlangen 
d. Eltern entl. 



Ferisinuöser 

Abscess. 
Labyrinth- 
wandcaries 



126 III. 6RUNERT und SCHULZE, Jahresbericht 1900/1901. 



u 
o 




C4 
,04 M 




Dauer 






s 

S 


Name 


U U 


Diagnose, 
resp. Befund 


der Beh 

in der 
Klinik 


andlung 
überhaupt 


Resultat 


Bemerkungen 


106 


Paul 
Himmelreich. 


5 


Acute Eiterung links. 
Empyem. 


2 Mon. 


3 Mon. 


Üngeheilt. 




107 


Albert 
Ziegler. T. 


13 


Chron. Eiterung rechts. 
Cholesteatom. 


3»/4 Mon. 




Ungeheilt. 


Auf Verlangen 
des Vaters entl 


108 


Richard 
Bönholdt. T. 


37 


Chron. Eiterung rechts. 
Cholesteatom. 


2 Mon. 


^^^ 


Noch in 
Behandig. 


— 


109 


Elsbeth 
Kersten. T. 


6 


Chron. Eiterung rechts. 
Cholesteatom. 


5 Woch. 


2 Mon. 


Geheilt. 




110 


Luise Maok. 


4 


Acute Eiterung rechts. 
Empyem. 


1 Mon. 


1 Mon. 


GeheUt. 




111 


Theodor Hil- 
denhagen. 


35 


Acute Eiterung rechts. 


IVsMon. 


2 Mon. 


GeheUt. 


PerisinuOser 
Abscess. 


112 


Friedrich 


23 


Chron. Eiterung links. 






D.Behand- 


— 




Hankel. T. 




Caries. 






lung entz. 




113 


Friedrich 
Hankel. T. 


13 


Chron. Eiterung rechts. 
Caries. Cholesteatom. 


' 7 Woch. 


— 


D. Behand- 
lung entz. 




114 


Heinrich 
Käaelitz. T. 


17 


Chron. Eiterung rechts. 
Caries. 


— 




Geheilt. 


— 


115 


Carl Fleisoh- 
mann. T. 


44 


Chron. Eiterung rechts. 
Cholesteatom. 


14 Tage. 


3 Mon. 


Geheilt. 


— 


116 


Emma 
Saal. T. 


8 


Chron. Eiterung rechts. 
Caries. 


Ind. Filia- 
le gelegen. 


5 Mon. 


GeheUt. 


— 


117 


Paul Rolle. T. 


15 


Chron. Eiterung rechts. 
Caries. 


5 Mon. 


5 Mon. 


Geheilt. 


Sinusoperat, 

Jugularis- 

unterbinduDg. 


HS 


Herr stud. 
St. 


22 


Acute Eiterung rechts. 
Empyem. 


1 Mon. 


1 V« Mon. 


Geheilt. 


— 


119 


Paul 
FUrstenberg.T. 


14 


Chron. Eiterung. Cho- 
lesteatom. 


6 Mon. 


6 Mon. 


Geheilt. 


Perichondriüs 

ind.Nachbhlg. 


120 


Walter 
Schönert. 


1 


Acute Eiterung. 


— 


— 


Geheilt. 


— 


121 


Ida 
Dreyhaupt. T. 


10 


Chron. Eiterung. 
Caries. 


7 Woch. 


31/2 Mon. 


GeheUt. 




122 


Henriette 
Kaumann. T. 


32 


Chron. Eiterung. Ca- 
ries. Cholesteatom. 


12 Tage 


2Va Mon. 


GeheUt. 




123 


Hermann 
Wieprich. T. 


9 


Chron. Eiterung links. 
Caries. 


— 


— . 


Noch in 
Behandig. 




124 


Ernst 
Schmidt. 


14 


Acute Eiterung. 


3 Mon. 


3 Mon. 


GeheUt. 


Sinusoperat.) 

Jugularis- 

unterbinduDg. 


125 


Frau 
Kimmich. T. 


29 


Chron. Eiterung. Cho- 
lesteatom. 


Ind.Filia. 
le gelegen. 


— 


GeheUt. 


— 


126 


Elisabeth 
Römer. T. 


26 


Chron. Eiterung links. 
Cholesteatom. 


4 Mon. 


— 


GeheUt. 


— 


127 


Elisabeth 
Börner. T. 


26 


Chron. Eiterung rechts. 
Cholesteatom. 




— 


Noch in 
Behandig. 




128 


Otto Griesau. 


7 


Acute Eiteiung rechts. 


2 Mon. 




Gebeilt. 




129 


Hedwig 
Kleemann. T. 


12 


Chron. Eiterung links. 
Cholesteatom. 


1 Mon. 


5 Mon. 


Gebeilt. 





/ 



IV. 

Statistische Nachrichten fiber die Krankenbewegnng und 
die Frequenz der Stndirenden in der Universitäts-Ohren- 
klinik zn Halle a. S. während der Zeit vom 1, April 1884 

bis 1, April 1901, 

Von 

Prof. H. Sehwartze. 

(Mit 2 Gorven.) 

Während des bezeichneten Zeitraums haben in der statio 
sären Klinik Aufnahme gefunden 2835 Personen, und sind in 
der Poliklinik an neuen Kranken zugegangen 29 460. Die Zahl 
der poliklinisch behandelten Kranken seit 15. October 1863 bis 
zur Eröffnung der stationären Ohrenklinik (1. April 1884) betrug 
5963, so dass im Ganzen 35 423 Patienten poliklinisch behandelt 
wurden. 

Die jährliche Zahl der Kranken in der stationären Klinik 
hat sich langsam zunehmend vermehrt, bis sie in den letzten 
3 Etatsjahren etwa das Dreifache der Anfangszahl pro 1884 
erreicht hat. Die höchste Jahresaufnahme betrug 234. Der 
jährliche Zugang an neuen poliklinischen Kranken ist seit der 
Eröffnung der stationären Ohrenklinik von 1021 auf 2516 ge- 
stiegen und hat sich annähernd auf gleicher Höhe in den letzten 
Jahren erhalten. 

Von den 2835 stationär behandelten Kranken sind 16& ge- 
storben, also 5 — 6^/0. Von den in der Poliklinik vorgekommenen 
Todesfällen sind nur einzelne in diese Berechnung eingeschlossen, 
weil sich die Mehrzahl derselben der Section zu entziehen pflegt 
oder überhaupt nicht zur Kenntniss kommt. 



128 IV. 8CHWARTZE 

Die durch die Section erwiesenen Todesursachen waren: 

Meningitis purulenta, uncomplicirt 30 

Hirnabsoess, einfach und mehrfach, uncomplicirt ... 9 
Sinusphlebitis mit Pyftmie, uncomplicirt 28 

Meningitis purulenta, oomplicirt mit 

Hirnabscess 19 

Sinusphlebitis 12 

Hirnabscess und Sinusphlebitis 6 

subduralem Abscess am Kleinhirn 1 

Sinusphlebitis und tiefem sub duralen Abscess .... 2 

Hirnabscess, complicirt mit 

subduralem Abscess 1 

Sinusphlebitis 12 

Meningitisserosa (?) 2 

Hydrocephalus internus 2 

Encephalitis traumatica 1 

Apoplexia oerebri 1 

Meningitis tuberculosa 8 

Hirntuberkel 2 

Tumor cerebelli 1 

Osteosarcoma der Schädelbasis 2 

Carcinoma des Schläfenbeins 5 

Tuberculosis pulmonum sive universalis .... 5 

Lupus i 

Multiple Abdominal-Sarkome 1 

Pneumonie 5 

Scharlach-Diphtherie 2 

Urämie 1 

Anämie 1 

Leukämie 1 

Chloroformasphyxie 3 

Keine Section 1 

Summa: 165 

Die zunehmende Zahl der Todesfälle vom Jahre 1896/97 
ab ist der vermehrten Zahl der stationär behandelten Kranken 
entsprechend. In tabellarischer üebersicht ist die Vertheilung der 
Todesfälle auf die einzelnen Jahrgänge unter Hinzufügung der 
Zahl der stationär und poliklinisch behandelten Kranken zu- 
sammengestellt. 



Kr&ukenbeweg. n. Frequeuz d. Studlr. zu Halle a. S. 1. Apr. 18S4/1901. 129 





Zahl der 
Todesfälle 


Zahl der 


Zahl der 


Jahr 


Stations- 
krankon 


poliklinischen 
Kranken 


1884 


6 


79 


1021 


1885 


4 


121 


1015 


1886 


6 


120 


1213 


1/1.1887—1/4.88 


7 


132 


1583 


1/4 1888-1/4 89 


15 


166 


1515 


1889/90 


7 


165 


1623 


1 890/91 


8 


172 


1605 


1891/92 


6 


167 


1662 


1 892/93 


7 


178 


1636 


1893/94 


12 


147 


1813 


1894/95 


5 


169 


1716 


1895/96 


9 


183 


1875 


1896/97 


16 


184 


1869 


1897/98 


13 


191 


2053 


1898/99 


16 


218 


2516 


1899/1900 ^ 


15 


232 


2320 


1900/1901 


13 


211 


2425 




165 


2835 


29,460 


l-b3— IS84 


37 


- 


5963 


• 


202 


2S35 


35,423 



Das Verhältniss des Zugangs au neuen Kranken im poli- 
klinischen Ambulatorium und in der stationären Abtheilung ist 
in graphischer Darstellung (S. 130) beigefügt. 

Die Zahl der Stu dir enden, welche die Vorlesungen in 
der Klinik belegt haben, betrug nach den officiellen Quästur- 
listen 1527. Die Tabelle auf S. 131 giebt Auskunft über die Ver- 
theilung derselben auf die einzelnen Semester unter Beifiigung 
der jedesmaligen Anzahl der Studirenden der Medicin überhaupt. 
Bei den Vorlesungen ist geschieden zwischen Klinik und Publi- 
eam. In letzterem wurden die Untersuchungsmethoden syste- 
matisch gelehrt und geübt. Bis zum Wintersemester 1896/97 
habe ich dieses Publicum neben der Klinik regelmässig selbst 
gehalten, von da ab meinem 1. Assistenten Herrn Privatdocenten 
und Professor Dr. Grün er t übertragen. 

Während des Wintersemesters 1895/96, des Wintersemesters 
1S97/98 und des Sommersemesters 1898 war ich durch Krank- 
heit behindert, die Klinik selbst zu halten, daher der vorüber- 
gehende Ausfall in der Zahl der Hörer. Seit 1898 hat sich die 
Zahl der Mediciner in Halle überhaupt stetig fortschreitend ver- 
mindert, und zwar vorzugsweise der Mediciner in den klinischen 
Semestern, so dass dem entsprechend auch die Zahl der Hörer 
in der Ohrenklinik bisher nicht wieder die früher gewohnte 

Archiv 1 Ohrenheilkunde. LIV. Bd. 9 



IV. BCHWARTZE 



Zahl der stationären und poliklinücken Kranken in graphUcher 
Darstellung. 



2550 
3500 
1450 
2400 
3350 
2300 
2250 
2200 
2160 
2100 
2050 
2000 
195(1 
IBOO 
1S50 
1800 
1760 
1T04I 
1050 
ICOU 
1»0 
1500 
14»D 
1400 
1350 
1300 
12M 
1200 
1150 
1100 
1050 
1000 



Höbe erreicht hat. In den Jahrui 1884 — 1897 scbwaakte die 
Zahl der Hörer zwischen U nnd 31o/o der Medioin-Stndirenden; 
TOD) Wintersemeeter 1698/99 bis Sommersemester 1901 zwisohen 
8 lind 18»/o. 



Krankenbeweg, u. Frequenz d. Studir. zu Halle a. S. 1. Apr. 18S4/1901. 131 



Semester 


Zahl der 
Mediciner 


Zahl der HOrer 


in 




ttherhanpt 


Klinik 


Pnblionm 


Summa 


Sommer-ßemester 1884 


282 


20 


18 


38 


Winter-Semester 1884/85 


301 


12 


23 


35 


Sommer-Semester 1885 


316 


18 


18 


36 


Winter-Semester 1885/86 


280 


25 


12 


37 


Sommer-Semester 1886 


328 


37 


39 


76 


Winter-fiemester 1886/87 


316 


27 


40 


67 


Sommer-Semester 1887 


329 


32 


29 


61 


Winter-Semester 1887/88 


295 


22 


27 


49 


Sommer-Semester 1888 


301 


30 


32 


62 


Winter-Semester 1888/89 


311 


24 


32 


56 


Sommer-Semester 1889 


335 


40 


40 


80 


Winter-Semester 1889/90 


289 


28 


32 


60 


Sommer-Semester 1890 


301 


46 


47 


93 


Winter-Semester 1890/91 


272 


31 


34 


65 


Sommer-Semester 1891 


270 


41 


36 


77 


Winter- Semester 1891/92 


282 


22 


17 


39 


Sommer-Semester 1892 


283 


34 


36 


70 


Winter-Semester 1892/93 


266 


18 


14 


32 


Sommer-Semester 1893 


263 


35 


29 


64 


Winter-Semester 1893/94 


234 


31 


28 


59 


Sommer-Semester 1894 


247 


27 


11 


38 


Winter-Semester 1894/95 


249 


20 


19 


39 


Sommer-Semester 1895 


242 


20 


11 


31 


Winter-Semester 1895/96 


253 


nicht gelese 


Q wegen Krankheit 


Sommer-Semester 1896 


217 


14 


8 


22 


Winter-Semester 1896/97 


236 


17 


6») 


23 


Sommer-Semester 1897 


242 


17 


13 


30 


Winter-Seroester 1897/98 


265 


nicht 
gelesen 


6 


6 


Sommer-Semester 1898 


245 


wegen 
Krankheit 


16 


16 


Winter-Semester 1898/99 


242 


9 


11 


20 


Sommer-Semester 1899 


231 


9 


13 


22 


Winter-Semester 1899/1900 


226 


10 


30 


40 


Sommer-Semester 1900 


215 


13 


17 


30 


Winter-Semester 1900/1901 


203 


10 


25 


35 . 


Sommer-Semester 1901 


191 


9 


10 


19 



Das Verhältniss der Gesammtzahl der Mediciner zur Zahl 
derjenigen Mediciner, welche die Vorlesungen in der Ohren- 
klinik vom Sommersemester 1884 bis Sommersemester 1901 ange- 
nommen haben, ist aus der graphischen Darstellung auf S. 132 
ersichtlich. 

Aus der Klinik sind 45 otologische Inaugural-Dissertationen 
hervorgegangen. Die Namen der Verfasser sind auf S. 133 flg. 
alphabetisch geordnet und bei jedem Namen das Thema der 
Dissertation hinzugefügt. 



1) Von hier ab hielt Herr Dr. Gran er t das Publicnm „Ueber die 
Üntersachangsinethoden des Ohres" im Auftrage des Directors ab. 

9* 



IV. &CUWABTZE 



-IS" 

S. 1884 5. 

W. 84/85 I a. 

S. 1885 •» g" 

W. 85/86 * &. 
S. 1886 

W. 86/87 l'Si 

S. 1887 g^ 

W. 87/88 g |. 



S. 1890 ^S 

W. »0/91 3 |_ 

S. 1891 ? IT 

W. 91/9! I ^ 

S. 1892 I |; 
W. 92/93 



S. 1893 ^ 



i? 



toS 



W. 93/94 
S. 1894 
W. 94/95 §f 
a. 1895 3 *^ 
W. 95/96 7J5 



W. 96/97 a g 

8. 1897 ' ^ 

W. 97/98 g a. 

S. 1898 -'s- 

W. 98/99 J ^ 

S. 1899 I 1* 

W. 99/00 I ^ 

8. 1900 I ^ 

Wiatst ^g 

1900/01 ft a_ 

s. 1901 a S. 



Krankenbeweg, u. Frequenz d. Stndir. zu Halle a. S. 1. Apr. 1S84/1901. 133 

1. Alberti, Schmndel bei Ohrkrankheiten. 

2. Barniek, Angenspiegelbefiinde bei Otitis media pnrnl. 

3. Beinert, Traumatische Raptnren des Trommelfells. 

4. Bertnch, Rigiditftt und Synostose der Steigbfigelvorhof^rer- 

bindnng. 

5. Boeters, Nekrose des Gehörlabyrinths. 

6. Borberg, Wölbungsanomalien des Trommelfells. 

7. Brann*), Trepanation bei otitisohem Hirnabseess. 

8. Briese, Facialisparalyse bei Ohraffeotionen. 

9. Bnss, Primärer Epithelialkrebs des Mittelohrs. 

10. Dell w ig, Inflnenza-Otitis. 

11. Dormagen, Garies des Schläfenbeins. 

12. Eilers, Tnbercnlöse Meningitis im Anschlnss an operativ 

geheilte Caries des Schläfenbeins. 

13. Evers, Kritischer Beitrag zur Steigbügelextraction zum 

Zwecke der Hörverbessernng. 

14. Eysell, Tödtliche Ohrkrankheiten. 

15. Friedrich, Statistische und casnistische Beiträge zur Ohren- 

heilkunde. 

16. Felgner, Mikroskopische und chemische Untersuchung des 

Eiters bei Garies. 

17. Hertzog, Letale Folgeerkrankungen bei Otit. med. pur. 

18. Herz, Traumatische Rupturen des Trommelfells. 

19. H es sei, Ohrpolypen. 

20. Hejdloff, Ohrkrankheiten als Folge und Ursache von 

Allgemeinkrankheiten. 

21. Jurka, Garcinom des äusseren Gehörgangs. 

22. Köhler, Nekrose des Gehörlabyrinths. 

23. Kroll, Schwindelzufälle bei Ohrkrankheiten. 

24. Liebe, Erysipelas bei Otitis. 

25. Linstädt, Einfluss der cariösen Otitis interna auf den Oe- 

sammtorganismus. 

26. Miehle, Gholesteatom des Schläfenbeins. 

27. Müller, Blutung aus der Vena jugularis bei Paracentese 

des Tronimelfells. 

28. Mflhr, Nasenirrigationen als Ursache von Otitis. 

29. Pause, Adenoide Vegetationen im Nasenrachenraum. 

30. Pieper, Pyaemia ex otitide. 

31. Pohl, Perichondritis auriculae. 

*) Die mit * yersehenen Dissertationen Nr. 7, Nr. 35 und Nr. 39 sind in 
diesem Archiv als Originalarbeiten erschienen. 



134 lY. SGHWAKTZE 

32. Pütz, Fremdkörperoperation. 

33. Rammelt, Nasenraehenpolypen. 

34. Salomon, Otitisehe Himabecesse. 

35. Sohttlzke*), Topographisch-anatomisch wichtige Verhält- 

nisse am Schädel für Mastoidoperationen. 

36. Schmidt, Erkrankungen des Ohres bei Inflnenza. 

37. Schlomka, Exostosen im äusseren OehSrgang. 

38. Straaten, Mobilisation nnd Extraction des Steigbügels. 

39. Schwidop"^), Ein Fall von Sarkom der Schädelbasis. 

40. Sperber, Fremdkörper. 

41. Umpfenbach, Tnbercnlöse Erkrankungen des Ohres. 

42. Waitz, Casuistik zur chirurgischen Eröffnung des Warzen- 

fortsatzes. 

43. Weise, Lues des Ohres. 

44. Wetzel, Excision des Trommelfells und der zwei äusseren 

Gehörknöchelchen bei chronischer Otorrhoe. 

45. Wolff, Ohraffectionen beim Abdominaltyphus. 

Ausser den 1527 Studirenden haben die Klinik zum Zwecke 
des Unterrichts benutzt 121 Aerzte; von diesen waren aus: 

Deutschland 27 

Nordamerika 26 

England 10 

Rnssland 8 

Schweden 8 

Oesterreich -Ungarn 7 

Frankreich 6 

Holland 5 

Japan 5 

Belgien 4 

Italien 3 

Dänemark 3 

Norwegen 2 

Südamerika 2 

Spanien 

Türkei 

Griechenland 

Schweiz 

Australien (Sidney) . 

Summa 121 

In diesen Zahlen sind die Theilnehmer an den sogenannten 
„ärztlichen Fortbildungskursen^, welche in den letzten Jahren 
eingeftlhrt wurden und während der Ferien regelmässig von dem 



Krankenbeweg. u. Frequenz d. Stadir. zu Halle a. S. 1. Apr. 18S4/1901. 13& 

1. AssifiteEten der Klinik abgehalten wurden, nicht eingesohlossen. 
Die Zahl der Theilnehmer an diesen Kursen betrug über 100* 
Für die ausserdeutsehen Leser dieser statistischen Uebersieht 
ist zu bemerken, dass der Besuch von Vorlesungen über Ohren- 
heilkunde und der Besuch einer Klinik fbr Ohrkrankheiten bis- 
her nicht obligatorisch war für das medicinisehe Studium and 
Dir die Meldung zur Staatsprüfung für Aerzte im Deutschen 
Reiche, und dass daher die Annahme solcher Vorlesungen von 
Seiten der Studirenden aus eignem Ermessen und ohne äusseren 
Zwang geschah. Der nunmehr durch Beschluss des Deutschen 
Bundesraths zum Gesetz gewordene Entwurf der neuen ärztlichen 
Prüfungsordnung für das Deutsche Reich, über welchen im Archiv 
Bd. L, S. 292 bereits berichtet ist, bestimmt, dass der Gandidat 
bei der Meldung zur ärztlichen Prüfung den schriftlichen Nach- 
weis bringt, dass er ein Halbjahr eine Klinik oder Poliklinik 
fbr Ohrenkrankheiten regelmässig besucht hat. Der Candidat 
soll in der chirurgischen Prüfung gelegentlich der Kranken- 
besuche auch die für einen praktischen Arzt erforder- 
lichen Kenntnisse in der Erkennung und Behandlung 
der Ohrenkrankheiten darthun. Seitens der Centralbehorde 
kann jedoch die Prüfung in den Ohrenkrankheiten auch dem 
Prüfungsabschnitt der medicinischen Prüfung zugewiesen 
werden. Der berufene Vertreter und klinische Lehrer der Ohren- 
heilkunde bleibt ausdrücklich von der Prüfung ausgeschlossen 
und wird dadurch in eine Ausnahmestellung gedrängt, welche 
bisher in keinem anderen Fache üblich war. Ob diese Bestimmung, 
dass die Prüfung in der Ohrenheilkunde dem chirurgischen, resp. 
dem medicinischen Prüfungsabschnitt zugewiesen wird, den davon 
gehegten Erwartungen entsprechen kann und praktisch durch- 
fthrbar sein wird, ist zu bezweifeln. Jedenfalls liegt in der 
ideellen Anerkennung der Nothwendigkeit „der fQr einen prak- 
tischen Arzt erforderlichen Kenntnisse in der Erkennung 
und Behandlung der Ohrenkrankheiten^ ein anerkennungswerthes 
Zugeständniss, auf dem wir fussen können. Mit der Verweigerung 
der Ausstellung von Practicantenscheinen haben es die klinischen 
Lehrer der Ohrenheilkunde vorläufig in ihrer Hand, absolut un- 
wissenden Candidaten die Meldung zur Staatsprüfung abzusohnei. 
den. Es wird aber noth wendig werden, sich darüber zu verständigen, 
welches Maass von Kenntnissen zur Ertheilung des Practicanten- 
Scheines als genügend betrachtet werden soll, damit nicht Ungleich- 
heiten in der Handhabung den Zweck der Einrichtung vereiteln. 



136 IV. 8CHWARTZE 

Zum Sohlnss dieses statistisohen Berichtes ftige ich ein ehro- 
nologisoh geordnetes Verzeiohniss aller seit April 1884 ans der 
Klinik hervorgegangenen wissenschaftlichen Arbeiten bei, welche 
grössten Theils in diesem Archiv pnblicirt worden sind. Nur 
einzelne derselben sind in andern medicinischen Zeitschriften 
(Mtinchenermedicinische Wochenschrift, Berliner klinische Wochen- 
schrift, Fortschritte der Medicin) erschienen. 

1. Eretschmann, Zar Wirkung des Cocain. D. Arch. Bd. XXII. 8. 243 u. ff. 

2. Stacke und Kretschmann, Jahresbericht 1884. D. Arch. Bd. XXII. 

S. 243 u. ff. 

3. Kretschmann, Jahresbericht 1885. D. Arch. Bd. XXIII. S. 217. 

4. Derselbe, Ueber Carcinoma des Schläfenbeins. D. Arch. Bd. XXIV. S. 231. 

5. Kretschmann und Rohden, Jahresbericht lS8t>. D. Arch. Bd. XXY. 

S. 106. 

6. Kretschmann, Fistelöffnungen am oberen Pole ries Trommelfells Qber 

dem Processus breyis des Hammers, deren Pathogenese und Therapie. 
D. Arch. Bd. XXV. S. 165. 

7. Reinhard and Ludewig, Jahresbericht 1887/88. D. Arch. Bd. XXYII 

S. 201. 

8. Schimmelbusch, Ueber die Ursachen der Furunkel. Dieses Archi?. 

Bd. XXVII. S. 252. 

9. Braun, Die Erfolge -der Trepanation bei dem otitischen Himabscess. 

D. Arch. Bd XXIX. S. 161. 

10. Schulz ke, Ueber die Möglichkeit, einige für die operative Eröffnung 

des Warzenfortsatzes topographisch-anatomisch wichtige Verhältnisse 
am Sch&del vor der Operation zu erkennen, und über den praktischen 
Werth einer solchen Erkenntniss. D. Arch. Bd. XXIX. 8. 201. 

11. Ludewig, Casuistische Mittheilun^en. I. LebensgetUhrliche Blutung bei 

Paracentese des Trommelfells durch Verletzunt; des Bulbus venae 
jugularis. II. Ruptur des Trommelfells durch Blitzschlag. D. Arch. 
Bd. XXIX. S. 234. 

12. Derselbe, Ueber Ambosscaries und Ambosscxtraction, ein Beitrag zur 

Aetiologie und Therapie der chronischen Mittelohreiterung. D Arch, 
Bd. XXIX 8. 241. 

13. Derselbe, Jahresbericht 1888/89 D. Arch Bd. XXIX. S. 263. 

14. Schwartze, Statistische Nacnrichten über die Krankenbewegunji; und 

die Frequenz der Studirenden in der Universitäts-Ohrenklinik in üalle a.S. 
während des Lustrums vom 1. IV. 1S84 bis I. IV. 1889. D. Archiv 
Bd. XXIX. S. 295. 

15. Schülzke, Zur operativen Eröffnung des Warzenfortsatzes. Eine Er- 

widerung an Herrn Dr. Körner. D. Arch. Bd« XXX. S. 136. 

16. Ludewig. Inflnenzaotitis. D. Arch. Bd. XXX. S. 204. 

17. Derselbe, Zur Ambosscaries und Ambossextraction. Jahreskontrolle 

und Erweiterung der Casuistik von 32 auf 75 Fälle. Dieses Archiv. 
Bd. XXX. S. 263. 

18. Derselbe, Jahresbericht 1889/90. D. Arch. Bd. XXXI. S. 1. 

19. Panse, Jahresbericht 1890/91. D. Arch. Bd. XXXIII. S. 38. 

20. Grunert, Weitere Mittheilungen über die Hammer- Ambossextraction 

mit besonderer Rücksicht auf die Diagnose der Ambosscaries. D. Arch. 
Bd. XXXIII. S. 207. 

21. Panse, Stacke's Operationsmethode zur Freilegung der Mittelohrr&ume 

während des ersten Jahres ihrer Anwendung in der Ohrenklinik za 
Halle a. 8. vom 14. L 1891 bis 14. L 1892. D. Arch. Bd. XXXIV. S. 248. 

22. S c h w i d o p , Ein Fall von Sarkom der Schädelbasis mit secundärer Affection 

des Schlateuheins. D. Arch. Bd. XXXV. S. 39. 

23. Grunert, Verhalten der Körpertemperatur nach der Mastoidoperation. 

D. Arch. Bd. XXXV. S. 178. 



Emikenbeweg. u. Frequenz d. Studir. zu Halle a. S. 1. Apr. 1884/1901. 137 

I 

24. Gran er t, Ötaeke^s Operationsmethode während des zweiten Jahres ihrer 

Anwendung in der Kgl. Ohrenklinik zu Halle a. S. Dieses Archiv. 
Bd. XXXV. 8. 198. 

25. Grunert und Pause, Jahresberieht 1891/92. Dieses Archiv. Bd. XXXV. 

S.231. 

26. Grunert, Das otitische Cholesteatom. Berliner klinische Wochenschrift 

1893. No. 14. 

27. Derselbe, Geheilter Fall von Pyaemia ex otitide; Unterbindung der Vena 

jugularis; Durchspülung ihres peripheren Endes und des Sinus traus- 
versus. D. Arch. Bd. XXXVI. S. 71. 

28. Derselbe, Ueber das Wesen und die Bedeutung der Eiterretention im 

Mittelohr. Münchener med. Wochenschr. 1893. 

29. Derselbe, Jahresbericht 1892/93. D. Arch. Bd. XXXVI. 8. 278. 

30. Grunert und Meier, Jahresbericht 1893/94. D. Arch. Bd. XXXVIII. 

8. 205. 

31. Edg. Meier. Zur Fortleitung otitischer EiteruTifren in die Scbädelhöhle 

durch den Ganalis caroticus. D. Arch. Bd. XXXVIII. S. 259. 

32. Schwartze, Mittheilungen aus der Kgl. Universitäts-Ohrenklinik zu 

Halle a. S. D. 4rch. Bd. XXXVIII 8. 283. 

33. Leutert, Pathologisch -histologischer Beitrag zur Cholesteatomfrage. 

D. Arch. Bd. XXXIX. S. 233. 

34. Grunert, Beitrag zur operativen Freilegung der Mittelohrr&ume. (Patho- 

logisch-anatomische, klinische und experimentelle Arbeit). D. Arch. 
Bd. XL. 8. 188. 

35. Schülzke, Zur topographischen Anatomie des Ohres in Rücksicht auf 

die Sch&delform. D. Arch. Bd. XL. 8. 253. 

36. Grunert, Die Extraction der Columella bei Tauben. Fortschritte der 

Medicin. 1894. No. 19. 

37. Schwartze, Ueber Garies der Ossicula auditus. D. Arch. Bd. XLI. 8. 204. 

38. Derselbe, Cholesteatoma verum squamae ossis temporum. D. Arch. 

Bd. XLI. 8. 207. 

39. Derselbe, Otogener Gerebellarabscess. D. Arch. Bd. XLI. 8. 209. 

40. Leutert, Ueber die otitische Py&mie. D. Arch. Bd. XLI. 8. 217. 

41 Grunert, Was können wir von der operativen Entfernung des Steig- 
bügels bei 8teigbügel-Vorhofankylose zum Zweck der HOrverbessorung 
erho£fen? D. Arch. Bd. XLI. 8. 294. 

42. Donalies, Histologisches und Pathologisches vom Hammer und Amboss. 

D. Arch. Bd. XLII. 8. 226. 

43. Grunert und Leutert, Jahresbericht 1894/95. D. Arch. Bd. XLIL S. 233. 

44. Grunert, Ueber extradurale otogene Abscesse und Eiterungen. D. Arch. 

Bd. XLIII. 8. 81. 

45. Derselbe, Ein neues operatives Verfahren zur Verhütung der Wieder- 

verwachsung des Hammeivriffes mit der Labyrinthwaod nach ausge- 
jfübrter Svnechotomie und Tenotomie des M tensor tympani. D. Arch. 
Bd. XLIII. 8. 135. 

46. Leutert, Ueber periauricnl&re Abscesse bei Furunkeln des iüusseren 

Gehörganges. D. Arch. Bd. XLIII. 8. 267. 

47. Grunert, Jahresbericht 18<»5/96. D. Arch. Bd. XLIV. 8. 1. 

48. Lentert, Die Bedeutung der Lumbalpuuction für die Diasinose intra- 

cranieller Complicationen der Otitis. Münchener medicinische Wochen- 
schrift 1897. No. 8 und 9. 

49. Grunert, Jahresbericht 1896/97. D. Arch. Bd. XLIV. S. 26. 

50. Jordan, Casuistischer Beitrag zur Lehre von den intracraniellen Com- 

plicationen der Otitis. D. Arch. Bd. XLIV. 8. 169. 

51. Grunert, Anatomische und klinische Beiträge zur Lehre von den intra- 

craniellen Complicationen der Otitis. Münchener medicinische Wochen- 
schrift 1897. No. 49 und 50. 

52. Derselbe, Ein Beitrag zur operativen Behandlung des otogenen Hirn- 

abscesses. Berl. klin. Wochenschr. 1896. No. 52. 

53. Zeroni, Beitrag zur Kenntiiss der Heilungsvorg&nere nach der operativen 

Freilegung der Mittelohrräume. D. Arch Bd. XLV. 8. 171. 



138 IV. SCHWARTZE, Erankenbeweg. u. Freqaens d. Stadir. zu Halle a.S. 

54. Grunert, Zur Kritik der tbierexperimeDtellen Ergebnisse Eirchner*8 

bei seinen Vergiftungsversachen mit Salicyls&are und Chinin. Ein 
Beitrag zur experimentellen Pathologie des Oehörorgans. D. Arch. 
Bd. XLV. S. 161. 

55. Derselbe, Zur Entstehung der Fistula auris und auriculae congenita. 

D. Arch. Bd. XLV. 8. lü. 

56. Grunert undZeroni, Jahresbericht 1897/98. D. Arch. Bd.XLYI. 8. 153. 

57. L entert, Bakteriologuch-klinische Studien über Complicationen acuter 

und chronischer Mittelohreiterungen. D. Arch. Bd. XLVI. 8. 190 
und Bd. XLVII. 8. 1. 

58. 8chwartze, Ueber erworbene Atresie und 8trictur des Gehörganges 

und deren Behandlung. D. Arch. Bd. XLVII. 8. 71. 

59. Grunert, Eine neue Methode der Plastik nach der Totalauf meisselung 

der Stirnhöhle wegen Empyems. Münch. med. Wochenschr. 1899. No. 48. 

60. Zeroni, üeber das Carcinom des Gehörorgans. D. Arch. Bd.XLVIII. 8. 141. 

61. Derselbe, Ein neues Instrument zur Ambossextraction vom äusseren 

Gehörgang aus. D. Arch. Bd. XL VIII. 8. 191. 

62. Grunert, Historische Notiz über die Beziehung der Otologie zur Rhinologie 

(Eine Richtigfitelluns). D. Arch. Bd. XL VIII. S. 281. 

63. Grunert und Zeroni, Jahresbericht 1898/99. D. Arch. Bd. IL. 8. 97. 

64. Dieselben, Jahresbericht 1899/1900. D. Arch. Bd. IL. 8. 177. 

65. Zeroni, Bemerkungen zur Arbeit des Herrn Dr. B. Hoffmann „Zur 

Technik der Ambossextraction''. D. Arch. Bd. L. 8. 75. 

66. Hansen, Ueber das Verhalten des Augenhintergrundes bei den otitischeu 

intracraniellen Erkrankungen auf Grund der in der Klinik seit 1892 
gemachten Beobachtungen. D. Arch. Bd. LIII. 8. 196. 

67. Grunert, Beitrag zur operativen Behandlung der otogenen Sinus« 

thrombose, insbesondere zur operativen Freilegung des Bulbus venae 
jugularis. D. Arch. Bd. LIU. S. 286. 

68. Schulze, Ueber einige auf nicht operativem Wege geheilte F&Ue oti- 

tischer Py&mie. D. Arch. Bd. LIII. S. 297. 

69. Zeroni, Ueber Betheiligung des Schläfenbeines bei acuter Osteomyelitis. 

D. Arch. Bd. LUI. 8. 315. 

70. Braunstein. Die Bedeutung der Lumbalpunction für die Diagnose 

intracranielier Complicationen der Otitis media. D. Arch. Bd. LIV. S. 6. 

71. Grunert und Schulze, Jahresbericht 1900/01. D. Arch. Bd. LIV. 8. 63. 

72. Schwartze, Historische Notiz über Cholesteatom des Schläfenbeins. 8. 139. 



V. 
Historische Notiz fiber Cholesteatom des Schläfenbeins. 

Von 

H. Sehwartze. 

Die nachfolgende hiBtorische Notiz war eigentlich fbr die 
FestBchrift bestimmt, welche wir mit dem 53. Bande dieses 
Archivs dem Nestor der pathologischen Anatomie gewidmet 
haben. Ans äusseren Gründen mnsste sie zurückgestellt werden. 

Es war meine Absicht, durch diese Notiz daran zu erinnern, 
daas wir ausser der allgemeinen Verehrung und Dankbarkeit, 
die wir dem grossen Gelehrten zollen, einen speciellen Grund 
hatten, ihm diese Festschrift zu widmen. Verdanken wir dem 
Gefeierten doch eine Grund legende Arbeit über eine der wich- 
tigsten Erankheitsformen des Ohres, welche überall verbreitet 
ist, in jedem Lebensalter vorkommt und in zahllosen F&Uen 
neben dem Gehörsinn Gesundheit und Leben vernichtet. 



Ob das, was wir heute Cholesteatom des Schläfen- 
beins nennen, dem grossen Anatomen und Physiologen Johannes 
HflUer, der den Namen Cholesteatom in die Terminologie der 
Gfesehwfllste eingeführt hat (über den feineren Bau der (}e- 
sehwttlste 1838. S. 50) schon bekannt gewesen ist, erscheint 
sehr zweifelhaft. Unter den von ihm als Cholesteatom beschrie- 
benen Geschwülsten finden sieh nur 4, die möglicher Weise mit 
einem Cholesteatom des Schläfenbeins in Zusammenhang ge- 
bracht werden können. Von einer Untersuchung des Schläfen- 
beins ist freilieh nichts erwähnt. Es sind dies: 1) ein Chole- 
steatom aus der Schuppe des Occiput. Vom Occiput wissen wir 
ja, dass es mitunter pneumatische Räume enthält, die mit eben- 
solohen Bäumen im Schläfenbdn communieiren können. Da- 
durch ist die Möglichkeit vorhanden, dass ein Schläfenbein- 
Cholesteatom dorthin mit seinen Ausläufern hineinwächst. 2) ein 
Cholesteatom aus den Ventrikeln des grossen Gdiirns, das ebeoh 



140 V. 8CHWARTZE 

falls dorthin als vom Sohlftfenbein hineiogewaobsen denkbar ist^ 
und 3) zwei Cholesteatome in der Gehirnsnbstanz. 

Alle flbrigen Fälle, welche Johannes Mflller beschreibt, 
gehören sicher nicht hierher, sondern betreffen Atherome. 

Anch die 4 oben erwähnten Fälle sind zweifelhaft, weil 
die Geschwülste sämmtlich von einer „feinen, undeutlich fasrigen 
Haut eingeschlossen^ gefunden wurden, während doch diese 
„Cystenmembran^ sonst nur in ganz vereinzelten Fällen des Ohr- 
Gholesteatoms nachgewiesen worden ist. 

Was Cruveilhier (Anatomie pathologique du corps humain 
Paris 1830—1842) unter dem Namen „tumeur perlöe** beschreibt, 
findet sich in Bd. I, livraison II planche 6 unter dem Titel 
„maladies du cerveau^ mit der Ueberschrift „Tumeurs d'apparence 
perlöe form6es par la matiöre grasse et de la Cholesterine, de- 
pos6es dans le cerveau^. Es heisst dort: „H est övident que 
cette tumeur a son siöge dans le tissu cellulaire sereux sous- 
arachnoidien*^. — „Du reste, cette tumeur ne pr6sentait aucune 
trace d'organisation ; c'ätait un produit de söcrötion d^posö dans 
les mailies du tissu cellulaire; une matiöre grasse, ayant la 
consistance de la moelle des os ou bien du suif, recouverte par 
une couche plus cob^rente, sorte de cristallisation lamelleuse 
qui affectait le brillant de Targent ou de la perle^. 

Vom Schläfenbein ist nichts erwähnt. Aus der zugehörigen 
Abbildung geht mit Sicherheit hervor, dass es sich um Cho- 
lesteatom gehandelt, nicht aber mit Sicherheit, dass es sich 
um ein vom Schläfenbein ausgehendes Cholesteatom gehan- 
delt hat. 

Was Cruveilhier weiterhin (Bd. II, 26. livraison, planche II) 
unter dem Namen „tumeurs fibreux du rocher^ beschreibt, sind 
Tumoren, von denen es ganz zweifelhaft bleibt, um was es sieh 
gehandelt hat. Rokitansky (3. Auflage S. 403) meint aller- 
dings, es seien höchst wahrscheinlich krebsartige Geschwülste 
gewesen. Cruveilhier hat aber bei dem ersten Falle, der am 
ausführlichsten beschrieben und mit schöner Abbildung versehen 
ist, ausdrtlcklich hinzugefügt, dass derselbe nicht die geringste 
Spur einer krebsartigen Degeneration darbot. Die Möglichkeit, 
dass es sich auch hier um Cholesteatome gehandelt habe, ist in- 
dessen, wie auch Rokitansky zugiebt, nicht ausgeschlossen, 
vielleicht um ähnliche Tumorenformen, wie ich sie in meinem 
Lehrbuch der chirurgischen Krankheiten des Ohres, S. 222 be- 
schrieben und abgebildet habe. 



Historische Notiz über Cholesteatom des Schläfenbeins. 141 

Uebrigens geht aus einer beigefügten Bemerkung Gruveil- 
hier's hervor, dass er Tumoren von der hinteren oder vorderen 
Fläche des Felsenbeins ausgehend häufiger gefunden hat. ^La 
desoription des tumeurs du rocher möriterait de trouver place 
dans l'histoire des tumeurs d6velopp6s dans le cräne ete/ — 

Auch das von S. Pappenheim (Specielle Gewebelehre des 
Gehörorgans, 1840. S. 1847) Gesehene und Beschriebene lässt die 
Vermuthung zu, dass es sich möglicher Weise um Cholesteatom 
des Schläfenbeins gehandelt habe. Seine Beschreibung ist aber, 
wie bereits Virchow und H. Wen dt mit Recht gesagt haben, 
so unklar, dass mindestens Zweifel in der Deutung des Be- 
fundes bestehen bleibt. 

£s handelte sich um ein Itj&hriges, scrophulöses Kind mit Caries der 
Brustwirbel ohne Tuberculose der Langen. Schwerhörigkeit und beständiges 
Kla$;en über Stechen und Summen in den Ohren und Kopfschmerzen waren 
die Veranlassung gewesen, die Schläfenbeine p. m. zu untersuchen. „Im Sinus 
mabtoideus des rechten Obres fand sich eine erbsengelbe, fettgl&nzende Ge- 
schwulst. Sie bestand grossentheils aus Cholestearinkrystallen und kohlen- 
saurem Kalk.'* Dabei Stenose der Tuba Eostachii, geschwollene Schleimhaut 
der Paukenhöhle und iu letzterer viel Flüssigkeit. Auch im Warzenfortsatz 
des linken Ohres eine gelbe Geschwulst „in der Schleimhaut'^ nahe am Proc. 
brevis des Ambosses, „die sich durch die KnochenzeUen des Proc. mastoldeus 
weit hinzog'S „Das Trommelfell war an die hintere (soll wohl heissen mediale) 
Fläche der Paukenhöhle fest angewachsen*' (von Perforation oder Narbe im 
Trommelfell ist nichts erwähnt). Die Schleimhaut in der Paukenhöhle ver- 
dickt, so dass die Gehörknöchelchen in derselben „vergraben" waren, auch 
der Steigbügel ganz unsichtbar wurde. „Ueber dem Foramen ovale eine ganz 
kleine Oeffnung von der Grösse einer Stecknadelspitze (vermuthlich eine con- 
genitale oder erworbene Dehiscenz, wie sie an dieser Stelle so häufig vor- 
kommt). Die Membran des runden Fensters grössten Theils verknöchert. 
In den Bogengängen und Vorhöfen beiderseits keine Anomalie. Marantische 
Thrombose im Sinus longitudinalis superior.** 

Die ganze Schilderung macht den Eindruck, als ob es sich 
tun die Folgen ausgeheilter Eiterung des Mittelohres gehandelt 
haben kann, mit der auch die Entstehung der Geschwülste (Cho- 
lesteatom?) in den Warzenfortsätzen zusammenhing. 

Mit mehr Wahrscheinlichkeit ist anzunehmen, dass die 
von Toynbee zuerst 1850 (London med. Gaz. 1850. November 
und Med. Chirurg. Transactions. Vol. 45. VII. Series) unter dem 
Namen ,molluscous tumor\ später ^sebeaceous tumor' beschriebenen 
Neubildungen im Ohre, welche er allerdings für primäre Balg- 
gesehwttlste des Gehörganges betrachtete, zum Cholesteatom 
gehörten. 

Toynbee schildert unter dem Namen ,molluscous tumor^ 
Cystengeschwttlste (durch einen Balg begrenzte Geschwülste, aus 
Epidermisschuppen bestehend), die von der Gehörgangshaut ent- 
springen und sich aus den Talgdrüsen derselben entwickeln sollen. 



142 V. SCHWARTZE 

Dieselben sollen Knochenschwnnd (Drnckatrophie) an der hin- 
teren Wand des Gehörganges gegen den Warsenfortsatz herbei- 
führen nnd in diesen hineinwachsen. Der Knoohenschwnnd komme 
%u Stande ohne Entzündung des Knochens, aber nnter Reiznngs- 
znst&nden des Gehirns nnd führe schliesslich öfter znm Tode 
durch Hirnabscess. Das Trommelfell soll dabei intact bleiben kön- 
nen nnd gegen die Labyrinthwand der Paukenhöhle angedr&ngt 
werden, in anderen Fällen aber auch perforirt werden und durch 
die Oeffnung einen Anhang der Geschwulst in die Paukenhöhle 
hin durchtreten lassen. 

Dass so etwas vorkommen kann, ist wohl nicht zu bezwei- 
feln, muss aber jedenfalls bei der grossen Seltenheit von Balg- 
geschwfilsten im Gehörgange als ungewöhnlich bezeichnet wer- 
den. Ich habe etwas Aehnliches aus Balggeschwülsten des Ge- 
hörganges nie entstehen sehen, während das Cholesteatom des 
Warzenfortsatzes mit Usur und Durchbruch der hinteren Gehor- 
gangswand zu den alltäglichen Befunden gehört. Dabei kann 
' das Trommelfell allerdings ausnahmsweise intact bleiben , zeigt 
aber gewöhnlich kleine, hochgelegene oder randständige fistel- 
artige Durchlöcherungen. Ich vermuthe deshalb, dass sich Toyn- 
bee in der Genese des von ihm beschriebenen Befundes ge- 
täuscht hat, und dass es sich bei der Mehrzahl seiner Fälle um 
Cholesteatom des Mittelohres gehandelt haben wird. 

Die ersten, ganz zweifellosen Beobachtungen 
über Cholesteatom des Schläfenbeins am Lebenden 
und an der Leiche sind von K. Yirchow gemacht und 
in der Arbeit über „Perlgeschwulst** in seinem Archiv (Bd. VIII, 
S. 371) 1855 beschrieben worden. 

Die ftlr uns wichtigsten Stellen in derselben will ich hier 
wörtlich wiedergeben. 

Zunächst die Beobachtungen am Lebenden: Es heisst 

S. 888: 

„Ich selbst habe längere Zeit hindurch zwei Personen, Vater und Sohn, 
an einer Ohraffection bebandelt, welche bei beiden an derselben Stelle des 
äusseren Gebörganges derselben Seite bestand. An dem oberen uuil 
hinteren Theile des Ganges, nahe an dem Trommelfell, lag eine bald 
mehr, bald weniger stark secernireude Fläche, in deren Grunde man den 
cariösen Knochen fühlte und welche ringsum mit gefässreichen, weichen poly- 
pösen Granulationen besetzt war, zwischen denen sich immer wieder neue, 
weisse blättrige Massen bildeten, die aus dickgeschichteter Epidermis mit 
spärlich eingestreutem Cholesterin bestanden. Nach der Abtragung der 
Granulationen und anhaltendem Betupfen mit Lapis divinus schlössen sidi 
diese Stellen, unter Beobachtung gehöriger Reinigung, und das Gehör, welchen 
sehr stark beeinträchtigt gewesen war, stellte sich fast vollständig wie- 
der her/ 



Historische Notiz über Cholesteatom des Schläfenbeins. 148 

Das Geschilderte entsprioht so genau einem uns Allen wohl 
bekannten nnd häufig wiederkehrenden otoskopisohen Befände, 
dass wir nicht im Zweifel bleiben, dass es sich um Chole- 
steatom gehandelt haben wird. Ueber den Befund am Trommel- 
fell ist freilich nichts gesagt, ebenso wenig über die Dauer der 
Beobachtung und der Controle. Nach unseren jetzigen Erfah- 
rungen mflssen wir vermuthen, dass die anscheinende Heilung 
nur von kurzer Dauer gewesen sein wird, weil wir durch Aetzun- 
gen der Granulationen, wie sie von Virchow ausgeftihrt wurde, 
ein vom Warzenfortsatz in den Gehörgang durchgewachsenes 
Cholesteatom kaum zur dauernden Heilung bringen können. 

Zwei an der Leiche gemachte Beobachtungen von Virchow 
(ibid. S. 371) sind ganz typische Fälle von Cholestea- 
tom, wie wir sie jetzt als alltäglich vorkommend kennen; der 
eine ist gestorben an Meningitis mit Hirnabscess, der zweite an 
Sepsis in Folge von jauchiger Thrombose des Sinus transversus 
nnd der Vena jugularis interna. 

Im ersten Falle sass die Geschwulst im Felsenbein und 
hatte die Enochenoberfläche durchbrochen, „der grössere Theil 
steckte in demienigen Theile des Knochens, welcher die Verbin- 
dung der Zitzenzellen mit der Paukenhöhle verbindet^. 

Im zweiten Fall steckte die Geschwulst im Felsenbein und 
hatte dasselbe nach vorn und hinten durchbrochen. Weitere De- 
tails über den Befund im Schläfenbein fehlen. 

Auf S. 397 beschreibt Virchow dann einen dritten Fall 
von zweifellosem Cholesteatom des Proc. mastoideus. In diesem 
Falle war eine ausgedehnte cariöse Zerstörung des mittleren Ohres 
eingetreten, und es fand sich eine grosse, mit schmutziger Jauche 
geftUte Höhle, in der die auseinander geworfenen Lamellen des 
Cholesteatoms zerstreut lagen. Zahlreiche nadeiförmige Fett- 
krystalle waren zwischen ihnen entstanden. Virchow fügt hinzu: 
interessant war dieser Fall nur genetisch, indem die 
Otorrhoe schon aus früher Kindheit von einer Nachkrankheit 
emes acuten Exanthems datirte, und der Tod erst einige Decen- 
nien später in Folge der chronischen Otitis erfolgte." Was 
Virchow f&r genetisch interessant erwähnt, also ihm damals 
jedenfalls neu war, hat sich im Verlaufe der Zeit als ein ganz 
alltägliches Vorkommen bestätigt. Heute würde freilich Niemand 
mehr diese Genese für besonders interessant halten,^ sondern im 
Gegentheil das Auffinden eines Cholesteatoms ohne voraufgegan» 
langdauernde Eiterung fbr eine Rarität erklären. 



144 V. SCÜWARTZE 

Dies sind die in der Fnndamentalarbeit von R. Virohow 
niedergelegten Beobaohtnngen. *) 

Am Sohlnsse seiner Arbeit, die sich ansfbhrlich mit der Be- 
ziehung des Cholesteatoms znm Atherom, Dermoid nnd Epithelial- 
careinom beschäftigt, kommt er zu dem Satze: „Das Cholestea- 
tom gehört demnach in die Klasse der vollkommen heterologen 
(heteroplastischen) Bildungen, weil es an Orten entsteht, die nor- 
mal weder Epidermis noch epidermisartige Elemente führen.^ 

Die Möglichkeit einer Metaplasie des Cjlinderepithels des 
Mittelohres in geschichtetes Plattenepithel als Ursache der Chole- 
steatombildung, wie sie vonTröltsch betont hat, ist an dieser 
Localität durch histologische Befunde mit völliger Sicherheit noch 
nicht bewiesen. 

Durch Habermann ist jetzt das Einwachsen der Epidermis 
in das Mittelohr als von gewissen anatomischen Bedingungen 
noch abhängige Ursache der Cholesteatombildung dargethan, 
und dadurch die Entstehung des Cholesteatoms auf der patho- 
logischen Mittelohrbekleidung für viele, vielleicht die grosse Mehr- 
zahl der Fälle in plausibler Weise erklärt worden. Nur für einen 
kleinen Theil derselben, in welchem sich die Geschwulst im Mittel- 
ohr vorfindet, ohne dass eine Eiterung voraufging und ein Hin- 
einwachsen der Epidermis vom Gehörgange aus möglich war, 
bedürfen wir zur Deutung der Genese der dann als heterolog auf- 
zufassenden Geschwulst der zuerst von dem pathologischen Ana- 
tomen BuhP) gemachten Annahme einer congenitalen Anlage, 
bestehend in Abschnflrung von Plattenepithel in der embryonalen 
Entwicklungsperiode(Aberrationstheorie). 

Aus demselben Jahre, in welchem die Arbeit vonVirchow 
erschienen ist, stammt die 3. Ausgabe der Allgemeinen patho- 
logischen Anatomie von Rokitansky (Wien 1855), in welcher 
auf S. 221 zu lesen ist, „dass das vom Cavum tympani aus zer- 
störte Felsenbein zuweilen von Cholesteatommasse so ausgestopft 
sei, dass dieselbe in den äusseren Gehörgang hereinwächst^. 
Hieraus geht hervor, dass Rokitansky schon damals das 



1) 24 Jahre später hat Virchow gelegentlich mitgetheilt (Berlin, klin. 
Wochenschrift 1889, Nr. 10 und 11), dass er in der Charit^ in Berlin 28 Proc. 
der zur Section gekommenen Fälle von Mittelohreiterung durch Cholesteatom 
bedingt gefunden habe. Er bekennt bei dieser Gelegenheit ausdrücklich, 
dass er Yorläufig nicht im Stande sei zu sagen, auf welche Weise die erste 
Entstehung des Cholesteatoms zu erklären sei. 

2) Buhl, Bayer, ärztliches Intelligenzblatt. 1869. Nr. 33. 



Historische Notiz über Cholesteatom des Schläfenbeins. 145 

primäre Auftreten des Cholesteatoms im Hittelohr kannte und 
dessen secundäre Ausbreitung in den Gehörgang gesehen hat* 
Bei der Besprechung des Vorkommens von Cholesteatom über- 
haupt (ibidem S. 220) heisst es ferner noch: ^Das Cholesteatom 

kommt vor auf Schleimhäuten im Gefolge 

blenorrhoischer Affection, z.B. auf der des Cavum tjm- 
pani u. s. w.* 

Von den Anschauungen späterer pathologischer Anatomen 
will ich hier nur hinzufSgen, dass Aug. Förster (Lehrbuch der 
patholog. Anatomie. 4. Auflage. 1856) zuerst ausgesprochen hat, 
dass den Cholesteatomen im Sinne J. Müll er 's (Cysten mit zel- 
ligem Inhalt und Cholestearinkrystallen) ähnliche Geschwülste 
vorkommen, die in der Hauptsache aus neugebildeten Platten- 
epithelien bestehen, denen aber die Umhüllungsmembran 
fehlt. Er erklärt sie für nahe verwandt mit den Epithelial- 
krebsen, fügt jedoch hinzu, dass ihre Stellung in der Beihe der 
Geschwülste erst nach weiteren Untersuchungen gesichert werde. 
Diese Aehnlichkeit mit Epithelialkrebs ist später wiederholt be- 
tont worden, z. B. von Bichard Volkmann, der das Chole- 
steatom in die Mitte zwischen Cancroid und Atherom stellte 
(Knochenkrankheiten, S. 4S7), und Bindfleisch (Lehrbuch der 
patholog. Gewebelehre. 1878. 5. Auflage), der das Cholesteatom 
an der Basis des Gehirns, das in oder unter der Pia mater ent- 
steht, ein Plattenepitheliom nennt und als synonym die Be- 
zeichnung „Perlkrebs*' gebraucht. 

E. Wagner (Uhle und Wagner, Handbuch der allgemei- 
nen Pathologie. 6. Auflage. 1874) versteht unter Cholesteatom 
wie J. Müller eine Cystengeschwulst, die am häufigsten 
in den weichen Hirnhäuten vorkomme. Höchst wahrscheinlich 
sind nach ihm manche, nicht in Zusammenhang mit echtem Epi- 
thel stehende oder entstandene Cholesteatome aus Endothel- 
wneherung des Bindegewebes zu erklären. 

Gegen den Namen Cholesteatom hat Virchow bereits in 
seiner ersten Fundamentalarbeit Einspruch erhoben, weil Chole- 
stearin weder ein wesentlicher, noch ein constanter Bestandtheil 
dieser Geschwülste sei, und er schlug statt dessen den Namen 
Perlgeschwulst vor als deutsche Uebersetzung des von Cruveil- 
hier gebrauchten Namens Tumeur perl6e. Von Lucae ist die- 
ser Vorschlag auch befolgt worden in seiner bekannten Arbeit 
in diesem Archiv (Bd. VII), aber die in der otologischen Lite- 
ratur aller Länder jetzt gebräuchliche Bezeichnung ist trotzdem 

Aichir f. Ohrenheilkunde. LIV. Bd. 1 



146 V. SCHWABTZE, Histor. Notis aber Cholesteatom des Schl&fenbeins. 

Cholesteatom geblieben. Wenn wir von Perlgeschwülsten im 
Obre spreohen, so denken wir zunächst an die eigenthtlmliohen 
perlartigen Gebilde im Trommelfell, die nicht yon klinischer 
Bedeutung sind, oder an die seltenen perlartigen Cystenbildnn- 
gen in der Mittelohrschleimhant , deren klinische Bedeutung 
nicht mit der des ausgesprochenen Cholesteatoms vergleichbar 
ist. Auch die später (1889) von Virchow vorgeschlagene, von 
Craigie zuerst gebrauchte Bezeichnung Margaritoma hat bisher 
keine Nachfolge gefunden. — 



VI. 
Besprechungen. 



1. 

Thomas Barr, Manual of diseases of the ear inelnding 

these of the nose and throat in relation to the ear. 

Third edition revised and partially re-written. Glasgow 1901. 

Besprochen von 

Dr. Zeronh 

Das vorliegende Werk ist ein Handbuch der Ohrenheilkunde, 
ftar Studirende und Aerzte bestimmt. Das Interesse, das der 
deutsche Leser einem derartigen fremdsprachigen Werke ent- 
gegenbringt, ist in der Regel nur ein einseitiges. In seiner eigent- 
lichen Bestimmung als Lehr- und Nachschlagebuch kommt ein 
solches Werk für uns, die wir mit vortrefflichen Lehrbüchern 
reichlich verseben sind, wenig in Betracht, dagegen lohnt sich 
die Leetüre insofern, ahs sie uns einen Einblick in die Arbeit 
unserer ausländischen Fachgenossen gewährt und uns über die 
Entwicklung der Specialwissenschaft im Auslande Aufklärung 
giebt. Von diesem Gesichtspunkte aus betrachtet, bietet uns das 
Studium des neuen Lehrbuches reichliche Gelegenheit zu bemer- 
ken, dass die von Deutschland ausgehenden Fortschritte in Eng- 
land schnelle und dankbare Aufnahme finden. Dass der Verfasser 
auch das Studium^ deutscher Lehrbücher sehr fleissig betrieben 
hat, ist fast jedem Kapitel anzumerken. Die Beschreibung der 
Behandlungsmethoden und die Indicationen zu deren Anwendung 
decken sieh am meisten mit unseren Ansichten. Nicht immer 
dagegen können wir mit den Anschauungen des Verfassers in 
pathologisch- anatomischen Fragen uns befreunden. So ist nach 
ihm das Cholesteatom ein Betentionsproduct, bestehend aus Eiter 
mit Epithelzellen vermengt. Dass Plattenepithelien dabei eine 
Bolle spielen, und der merkwürdige Vorgang der Einwanderung 
des Plattenepithels ist gar nicht erwähnt, so dass wir annehmen 

10* 



148 VI. Besprechungen. 

müssen, dass der Verfasser die Entstehung des Cholesteatoms 
anch dort, wo nur Cylinderepithel vorhanden ist, für möglich 
hält. Auch vermissen wir einen Hinweis darauf, dass an der Ent- 
stehung der letalen Gomplicationen das Cholesteatom einen so 
bedeutsamen Äntheil hat. Die Obliteration des Sinus durch binde- 
gewebige Umwandlung eines Thrombus hält Verfasser in jedem 
Falle für das Endresultat einer aseptischen Thrombose. Die 
neueren Forschungen über die pathologische Anatomie der Steig- 
bügelfixation und die Veränderungen in der Labyrinthkapsel bei 
der Sklerose sind nicht erwähnt. 

Am besten geschrieben sind die Capitel über die ünter- 
suchungsmethoden und über die Gomplicationen. Besonders die Be- 
schreibung der letzteren lässt eine grössere Erfahrung des Autors 
erkennen und wird durch einige Krankengeschichten illustrirt. Er- 
wähnenswerth ist der Fall eines nur nach innen gewucherten Sar- 
koms, das die Erscheinungen eines Hirnabscesses hervorrief und 
auch für einen solchen gehalten wurde. Bei der Besprechung eines 
Falles von Kleinhirnabscess empfiehlt Verfasser die Anlegung einer 
zweiten TrepanationsöflFnung zum Zwecke besserer Drainage und 
Durchspülung bei protrahirtem Heilungsverlauf. In dem Instrumen- 
tarium spielt die Fraise eine grosse Rolle, mit der auch das An- 
trum in der Regel eröffnet wird. Der ZaufaTsche Hebel ist 
dem Verfasser anscheinend unbekannt. Das an seiner Stelle an- 
gewandte Lister'sche Instrument dürfte, nach der Abbildung 
zu schliessen, ihn schwerlich vollkommen ersetzen. 

Seiner Aufgabe als Lehrbuch wird das Werk durch fliessen- 
den klaren Stil und erschöpfende Bearbeitung der einzelnen Ca- 
pitel gerecht. Literaturangaben sind fast ganz vermieden. Zahl- 
reiche gute Textfiguren ergänzen die Darstellungen. Einzelne 
Abbildungen sind Politzer's „Zergliederung des Gehörorgans*' 
entnommen, ohne dass der ürsprungsort immer angegeben ist. 

Die Vertheilung des Stoffes ist derart, dass zuerst die Unter- 
suchungs- und Behandlungsmethoden, dann erst die Anatomie und 
Pathologie behandelt werden. Diese Anordnung scheint gerade bei 
einem Lehrbuch wenig zweckmässig zu sein. So zum Beispiel 
ist die genaue Beschreibung der Operationen am Warzenfortsatz 
losgelöst von den sie bedingenden Krankheitszuständen. Eines- 
theils entbehren daher die therapeutischen Capitel vielfach den 
Hinweis auf die durch die Mannigfaltigkeit des Krankheitsbildes 
gebotenen Modificationen, andererntheils wirkt in den späteren Ca- 
piteln das stets wiederkehrende Zurückverweisen störend. 



VI. Besprechungen. 149 

2. 

J. Hegener, Krankhafte Veränderungen der Form und 
Stellung der Ohrmuschel. Wiesbaden, Verlag von J. P. 

Bergmann. 1901. 

Besprochen von 

Dr. Zeroni. 

In 20 Stereophotogrammen sind Abnormitäten und krank- 
liafte Zustände der Ohrmuschel dargestellt. Die Aufnahmen und 
die Seproduction sind durchweg vorzüglich gelungen. Auf der 
fittokseite jedes Blattes stehen kurze Notizen über den betreffen- 
den Fall. Der Verfasser theilt der Redaction mit, dass er die 
Herausgabe weiterer Blätter, betreffend Krankheiten des Mittel- 
ohres sowie Ohroperationen plane, und ich glaube, dass er sich 
dadurch den Dank besonders der Lehrer der Ohrenheilkunde er- 
werben wird, die auch in der vorliegenden CoUection ein schätzens- 
werthes Demonstrationsmaterial für den Unterricht finden werden. 



3. 
Les sourds-muets en Norvfege par Uchermann, Pro- 
fesseur de Tuniversitö de Christiania. Christiania 1901. 8^. 2 Bde. 

550 u. 589 Seiten. 

Angezeigt von 

Prof. Holger My^ind in Kopenhagen. 

Diese Arbeit ist eine französische Ausgabe von dem grossen 
Werke des Verfassers, welches in den Jahren 1892 und 1898 in 
norwegischer Sprache erschien; dasselbe wurde damals in die- 
sem Archiv, Bd. XLIV. S. 275 — 282 besprochen, auf welche Be- 
sprechung wir hier hinweisen. Nur sei hinzugefügt, dass der 
Verfasser seine Arbeit durch Aufnahme der neuesten Literatur 
vervollständigt hat, und dass dieselbe vielfach einer kritischen 
Beurtheilung unterzogen ist. 

Es ist zu bedauern, dass der Verfasser sein Werk nicht in 
die deutsche Sprache übersetzt hat ; denn in dieser Sprache liegt 
sonst der sowohl in quantitativer als in qualitativer Beziehung 
bedeutendste Theil der Literatur über die Taubstummheit als 
pathologischer Zustand vor. Im Uebrigen kann der Recensent 
sieh darauf beschränken, Uchermann 's hervorragendes Werk 
allen Specialcollegen, welche sich für die Taubstummheit inter- 
essiren, aufs Beste zu empfehlen. 



VII. 
Wissenschaftliche Randschan. 



1. 

Lucae. Die Ohrenheilkunde des 19. Jahrhunderts. Berlin, klin« 
Wochenschr. 1901. No. 19. 

Engländer und Franzosen haben in der ersten, Deutsche in der zweiten 
H&lfte des Jahrhunderts die Führung gehabt. Nachdem Saunders schon 
eine Reihe ausserordentlich wichtiger klinischer und anatomisch-pathologischer 
Befunde über den Tubencatarrh, die eitrige perforirende Mittelohrentzündung 
die Hörverbesserung bei Zurückbleiben von Flüssigkeit im Ohre bei Perfora- 
tionen und insbesondere auch über die Epidermisirung der Paukenhöhle vom 
Gehörgange aus mitgetheilt hatte, treffen wir auf Itard (1773— 1858), der das 
erste kritisch gesichtete Lehrbuch herausgab und ein besonderes Gewicht auf 
die allgemeine Behandlung der Kranken legte. Ausser dem Eatheterismus 
wandte er locale Einspritzung und zum ersten Male die Bougirung der TubaEust. 
an. Sein Landsmann Deieau (1797—1862) bildete besonders den Eatheteris- 
mus und die Auscultation des Ohres aus. — In Deutschland nahm Kram er 
(1801—1875) die Errungenschaften der Franzosen auf und cultivirte haupt- 
sächlich dia physikalische Diagnostik der Mittelohrerkrankung durch Katheter 
undLuftdouche; mit zunehmendem Alter verhielt ersieh durchaus ablehnend 
gegen die grossen Errungenschaften in der Pathologie, Physiologie und Diagnostik. 

In England waren unterdessen Toynbee und Wilde erstanden. 
Toynbee war eigentlich der erste, der die anatomische Richtung bethätigte 
und dabei fand, dass die häufigste Ursache der Hörstörun^en im Mittelohre zu 
suchen sei. In seinem 1860 erschienenen Lehrbuche ist die Auscultation 
durch das Otoskop — er auscultirte iiur während des Schlingens — zuerst 
zur Verwendung vorgeschli^en. Wilde 's wesentlich klinischer Standpunkt, 
überall in seinem vortrefflichen Lehrbuch erkenntlich, brachte eine Menge 
origineller Beobachtungen von pathologischen Veränderungen im Gehörgang 
und Trommelfell. Wir verdanken ibm die Kenntniss einer Reihe der wichtig- 
sten allgemeinen und localen Symptome bei Ohrkrankheiten. Auch der be- 
kannte Ausspruch : ^so lange ein Ohrenfluss vorhanden ist . . . etc.** stammt 
von ihm. Ob aber, wie Lucae meint (S. 5), der ungespaltene Ohrtrichter ihm 
seine allgemeine Verbreitung verdankt, dürfte etwas zweifelhaft sein, 
weil V. Tröltsch erst seine Anwendung in Verbindung mit dem Reflector in 
allgemeine Aufnahme brachte. Gegen Katheter und Luftdouche verhielten 
sich Toynbee und Wilde ziemlich ablehnend. 

Eine ganz neue Aera ging nun von Deutschland aus, wo v. Tröltsch 
(1829—1890) die Verwendung des reflectirten Lichtes zur Ohr Untersuchung 
empfahl, das grösste Verdienst dieses Vaters der deutschen Ohrenheilkunde, 
der ausserdem aber die Grundlagen zu einer wirklich wissenschaftlichen ana- 
tomischen und pathologisch-anatomischen Diagnostik schuf. Allerdings über- 
schätzte man dabei gerne die acustische semiotische Beobachtung des Trommel- 
fellbefundes, ein Fehler, der heute noch nicht abgestreift ist. Seinen Welt- 
ruf erlangte v. Tröltsch durch sein vortreffliches Lehrbuch (1862). In diese 
Zeit fällt auch die epochemachende Erfindung des Politzer 'sehen Verfahrens 
als Ersatzmittel fQr den Katheterismus (1863), welches durch seine leichte und 
oft erfolgreiche Verwendbarkeit besonders für die Kinderpraxis dem grossen 
ärztlichen Publikum imponirte, leider aber bei den Ohrenärzten zu einer be- 
dauerlichen Vernachlässigung des Katheterismus und der Auscultation fiihrte. 
Diese bleiben für die Diagnose der Mittelohrkrankheiten unentbehrlich, 
v. Tröltsch war der erste in Deutschland, welcher ;der von dem Franzosen 
P. M^ni^re entdeckten und nach ihm benannten eigenartigen Erkrankung die 



yil. Wissenschaftliche Bandschaa. 151 

eingehendste Aufmerksamkeit widmete (Lucae selbst spricht sich gegen die 
von Moniere u. A. supponirten Labyriothblutungen als regelmässige Ursache 
aas und bleibt nach ihm vorläufig das Wesen der reinen, idiopathischen M^- 
Diöre'schen Krankheit räthselhaft). 

Durch den Einfluss der optischen Untersuchungsmethode vollzog sich 
aber auch auf chirurgischem Gebiete allmählich ein totaler Umschwung. 
Hier war es Schwartze, der zunächst die rechtzeitige und kunstgerechte 
Eröffnung des Trommelfells einführte und sie zum Allgemeingut zu machen 
bestrebt war. Weiter verdanken wir ihm die rationelle Handhabung der ope- 
rativen Eröffnung desJWarzenfortsatzes. Es gehörte grosser Muth dazu, diese 
Operation, die vollständig in Misscredit gerathen war, zu einer Zeit zu em- 
pfehlen, wo Chirurgen und Ohrenärzte sich gegen sie aussprachen. Aus ihr 
entwickelte sich dann im Laufe der nächsten 20 Jahre an der Hand der chirur- 
gischen Erfahrungen E ü s t e r *s und der Ohrenärzte Z a u f a 1 und Stacke die 
sogenannte „Radicaloperation'', bei welcher durch Wegnahme der hinteren 
Oehörgangswand und der lateralen Wand des Atticus eine sämmtliche Mittel- 
ohrräume umfassende Höhle geschaffen wird.' 

Hand in Hand damit gehen die Methoden der Excision des Trommel- 
fells und Extraction der cariösen Gehörknöchel ; ebenso schliesst sich hieran 
die chirurgische Behandlung der intracraniellen Complicationen. 

Einen ausserordentlichen Einfluss auf die ganze Pathologie und Therapie 
der Mittelohraffectionen gewannen die Resultate der rhino-pharyngologischen 
Forschung, vor Allem die Entdeckung der adenoiden Wucherungen durch 
Wilhelm Meyer in Kopenhagen und ihre operative Behandlung. 

Am unsichersten ist die Diagnose der sogenannten „trockenen"' Ohrerkran- 
kungen (Sklerose, nervöse und labyrinthäre Schwerhörigkeit) besonders die 
differentieUe Diagnose zwischen Mittelohr- und Labyrintherkrankung. Wenn 
schon durch die Einführung der Stimmgabel- und Tonprüfung in einer Serie 
ein grosser Fortschritt gemacht zu sein scheint, so muss doch betont werden, 
dass die Resultate nur mit grosser Vorsicht diagnostisch verwendet werden 
dürfen ; lediglicn der Ausfall der scharfen Resonanztöne der vier gestrichenen 
Octave erlaubt eine Erkrankung der percipirenden Apparate anzunehmen. 
«0er subjectiven Untersuchungsmethode gegenüber erwächst der Ohrenheil- 
kande nunmehr die Aufgabe, objective Mittel zu finden zur Feststellung des 
acustischen Verhaltens des schallleitenden Apparates. Wie weit hierzu die 
verschiedenen Methoden der sogenannten Vibrationsmassage des Trommelfdls 
und der Gehörknöchelchen — die Pneumomassage mit dem Siegle*schen Ohr- 
trichter unter Hülfe des Auges, die Drucksonde unter Hülfe des Auges und Tast- 
simis — sich bewähren könnten, muss erst die Zukunft lehren.'* Hang. 

2. 

Hölscher, Kurze Mittheilung über experimentelle Untersuchun- 
gen mit säurefesten Tuberkelbacillen ähnlichen Spaltpilzen. 
(Gentralblatt für Bacteriologie, Parasitenkunde und Infectionskrankheiten. 
Bd. XXIX. No. 10.) 

Hölscher, Experimentelle Untersuchungen mit säurefesten Tu- 
berkelbacillen ähnlichen Spaltpilzen. (Arbeiten aus dem path. 
Institut zu Tübingen.) 

Die beiden Arbeiten veröffentlichen, die eine in kurzem Auszuge, die 
andere ausführlicher, die vom Verfasser vorgenonmienen Untersuchungen be- 
hufs Differenzirung einiger den Tuberkelbacillen ähnlicher Spaltpilze. Die 
Prüfungen erstrecken sich auf den Butterbacillus Petri-Rabinowitsch 
nnd den Gras- und Thimotheebacillus Mo eller. Die Resultate präcisirt 
Verfasser dahin: ,,Culturell unterscheiden sich die Pseudobacillen von den 
echten Tuberkelbacillen principiell durch ihr Wachsthum auch bei niederen 
Temperaturen und durch ihre Farbstoff bildung. Auch direct aus dem Thier- 
körper sind sie leicht in üppigen Culturen zu züchten, während die Tuberkel- 
bacillen nur schwer zu gewinnen sind und dann sehr langsam zu winzigen 
Schüppchen wachsen. Die Tuberkelbacillen ähnlichen Bacillen sind für Thiere 
pathogen, vermögen aber keine Tuberculose zu erzeugen. Trotz mannigfacher 



152 VlI. Wissenschaftliclie Rundschau. 

Aebnlicbkeiten stehen sie in ihrer Wirkung den Eiterbacterien näher. Kommt 
eine Differentialdiagnose zwischen Tnberkelbacillen und Tuberkelbacillen 
ähnlichen Bacillen in Betracht, so genügt die einfache Färbung frischer Aus- 
striche nicht. Am sichersten ist der Nachweis durch Keinculturen, der Thier- 
Tersuch allein kann im Frühstadium Irrthümer veranlassen.*' — - 

Die Untersuchungen dürften von Bedeutung sein mit Rücksicht auf die 
Möglichkeit der Verwechslung echter tuberculöser Erkrankungen des Ohres 
und einfacher, nicht auf Tuberculose beruhender Eiterungen, bei welchen 
dem Secret secundär, in Folge von Fäulnissprocessen, Tuberkelbacillen 
ähnliche Spaltpilze beigemischt sein können. Hierin liegt vielleicht die Er- 
klärung für die widersprechenden Angaben über die Häufigkeit des Vor- 
kommens der Tuberkelbacillen im Ohreiter. Walther ISchulze. 

3. 
Denker, Zur vergleichenden Anatomie des Gehörorgans der Säuge- 
thiere. Ergebnisse der Anatomie und Entwicklungsgeschichte. Heraus- 
gegeben von Merkel und Bonnet. IX. Bd. 1899. 

Der um die vergleichende Anatomie des Ohres verdiente Verfasser giebt 
in diesem eingehenden Referat einen Ueberblick über den gegenwärtigen Stand 
der Forschung und zugleich einen Auszug aus seinem Hauptwerke. Wir 
dürfen es dankbar begrüssen, dass auf diese Weise der wesentlichste Inhalt 
des grossen teuren und auch in Bibliotheken oft fehlenden Werkes dank 
der weiten Verbreitung der Merkel- Bonnet*schen „Ergebnisse'', einem 
grösseren Lehrkreise zugänglich gemacht wird. Zeroni. 



4. 
Denker, Zur Anatomie des Gehörorgans der Monotremen. Aus: 
Semon, Zoologische Forschungsreisen in Australien und dem Malayischen 
Archipel. Jena 1901. 

Die Arbeit bildet eine Ergänzung zu den „Vergleichend anatomischen 
Untersuchungen über das Gehörorgan der Säugethiere*' desselben Verfassers. 
Er behandelt die makroskopische Anatomie des Gehörorgans bei der niedersten 
Stufe der Säugethiere, die in dem oben genannten Werke keine Berücksich- 
tigung mehr gefunden hatte. Dem Verfasser standen zn seinen Untersuchungen 
Schädel beider Repräsentanten der so überaus interessanten Thierklasse zur 
Verfügung, nämlich solche sowohl von Echidna hystrix, als auch von Ornitor- 
rhyncnus paradoxus. Die Untersuchung erstreckte sich auf den ganzen Ge- 
hörapparat. Die complicirten Verhältnisse des inneren Ohres sind an Corro- 
sionspräparaten studirt. Die Technik dieser Untersuchungsmethode, an dereu 
Ausbildung der Verfasser hervorragenden Antheil hat, wird eingehend er- 
läutert. Dem descriptiven Theil folgt ein vergleichend anatomisches Capitel, 
das die Verhältnisse bei der nächst höheren und niederen Thierklasse zum 
Vergleiche heranzieht. Der Verfasser kommt zum Schlüsse, dass das Ge- 
hörorgan der Monotremen dem der Säugethiere näher steht, als dem Reptilien- 
ohr. Die vielen interessanten Einzelheiten des beschreibenden Theiles, die 
eine wesentliche Förderung unserer zoologischen Kenntnisse bedeuten, können 
im Referate nicht berücksichtigt werden. Es ist nur zu erwähnen, dass ein 
äusseres Ohr, trotz entgegengesetzter Angaben früherer Autoren, wenn auch 
nur versteckt, dennoch bei den Monotremen vorhanden ist. Ebenso existirt 
hier sicher ein Schneckenfenster, das Hyrtl und andere nicht finden konnten, 
das nachzuweisen indes dem Verfasser mit Hilfe seiner ausgebildeten Corro- 
sionstechnik gelungen ist. Zeroni. 

5. 

Panse, Das Gleichgewichts- und Gehörorgan der japanischen 
Tanzmäuse. Münchener med. Wochenschrift 1901. No. 13. 

Im Widerspruch mit den Befunden von Rawitz, der neuerdings das 
Labyrinth der Tanzmäuse untersuchte und Degenerationserscheinungen am 



YII. Wissenschaftliche Rundschau. 153 

am 'Schneckenepithel beschrieb, konnte Verfasser weder makroskopisch noch 
mikroskopisch wesentliche Unterschiede zwischen dem Labyrinth der Tanz- 
mäuse und dem der gewöhnlichen Hausmaus feststellen. Der einzige ab- 
weichende Befund bei den Tanzmäusen war eine Anhäufung von otoUthen- 
artigen Ealkkrystallen um das ovale Fenster in doppelter Spirale; das 
gleiche fand sich aber auch bei einer nicht tanzenden Kreuzung zwischen 
Baus- und Tanzmaus. Verfasser glaubt, dass die Ursache des abnormen 
Verhaltens der Tanzmäuse im Kleinhirn liege. Zeroni. 



6. 

Drebusch, Der Absehunterricht mit Schwerhörigen und Ertaubten. 
Berlin 190 t. 

Das kleine Buch giebt eine kurze Anleitung, wie beim Unterricht im 
Ablesen yom Munde zu verfahren ist, nebst einer Anzahl in systematischer 
Reihenfolge geordneter Uebungsbeispiele. Wo ein Unterricht durch fach- 
männisch gebildete Lehrer nicht möglich ist, kann das Buch in späteren 
Lebensjahren Ertaubten einen Ersatz bieten. Zeroni. 



7. 

Menier, Du traitement a^rothermique en g^n^ral et plus parti- 
culierement en rhinologie. Bordeaux 1901. 

Die Schrift giebt einen Ueberblick über die bisherige Anwendungsweise 
des heissen Wasserdampfes und der heissen trockenen Luft in der Rhinologie. 
Der Verfasser zieht die Trockenluftbehandlung vor. Er wandte den Apparat 
von Lermoyez und Mahn an und erzielte gute Erfolge besonders bei 
Muschelschwellungen und stark secretorischen Rhinitiden. Auch bei Lupus 
des Ohrläppchens schien die Behandlung guten Einfluss zu haben. 

Zeroni. 

8. 

Peier, Der Einfluss der Entwicklungsbedingungen auf die Bil- 
dung des Centralnervensystems und der Sinnesorgane beiden 
verschiedenen Wirbelthierklassen. Eine biologisch-embryologische 
Skizze. Anatomischer Anzeiger XIX. Bd. 1901. No. 8. 

Die Verschiedenartigkeit in der Anlage der Sinnesorgane sucht Verfasser 
als Anpassungen an äussere Verhältnisse im embryonalen Leben der jeweiligen 
Thiergruppe zu erklären. Er unterzieht deshalb die Entstehung der Medullar- 
rinne und der ektodermalen Theile des Gesicht-, Gehör- und Riechapparates 
bei den Wirbelthieren einer genauen Vergleichung. Aus seinen Ausführungen 
geht hervor, dass bei den Selachiern, die ein dotterreiches, mit dicker Ei- 
weisslage versehenes Ei besitzen, das Medullarrohr durch Bildung hoher 
Wülste, die peripheren Sinnesorgane als Grübchen des Ektoderms sich an- 
legen. Bei den Cyclostomen bereits treten Abweichungen auf. Bei Bdello- 
Btoma fehlen die Erhebungen der MeduUarwülste, bei Petromyzon indessen 
geht das Medullarrohr aus einer soliden Wucherung des Ektoderms hervor, 
und auch die Anlage des Gehörbläschens hat nur ein enges Lumen. Der 
Verfasser führt als Grund hierfür das feste Anliegen der EihüUen an, die 
eine Faltenbildung des Ektoderms nicht zulassen, und als Ursache des Unter- 
schiedes den bei Bdellostoma vorhandenen Dotterreichthum, der Petro- 
myzon mangelt. Bei den Teleostiern und Amphibien spaltet sich nun das 
Ektoderm schon sehr früh in 2 Blätter, deren eines, die Sinnesepithelschicht, 
das Medullarrohr und die Sinnesorgane bildet, während das andere als Deck- 
schicht dient und entweder über die Anlage der Sinnesorgane hinwegzieht, 
oder an deren Einsenkung als innerste Lage theilnimmt. In letzterem Falle 
geht die abgeschnürte Deckschicht indessen später wieder zu Grunde. Bei 
den Teleostiern liegen die Eihüllen dicht an und diesem raumbeschränkenden 
Einfluss schreibt Verfasser zu, dass Medullarrohr, Linse und Ohrbläschen 



154 yiL WisseBBchaftliche Bandschatt. 

als EinfaltuDg der Sinusepithelachicht, ohne Lumen sich anlegen. Bei den 
Urodelen finden sich ähnliche Verh&ltiiiBBe, w&hrend bei den Anuren wieder 
offene £in8enkungen 2u constatiren Bind, deren Entstehung die weichen, ge* 
r&umigen Eihüllen hinndassen. Die den Teleostiern und Amphibien zu- 
kommende „Deckschicht^' soll ein Sehutzorgan f (ir den das £i früh verlassenden 
Embryo vorstellen. 

Bei den Amnloten indessen kehrt die Anlage wieder zu dem Standpunkt 
wie bei den niederen Thierklassen zurück, indem das gesammte Ektoderm 
sich an den Einstülpungen betheili^t, obwohl auch hier SD&ter die Spaltung 
des äusseren Keimblattes in 2 Schichten vor sich geht, i^ur der Thränen- 
nasengang geht nach der erwähnten Spaltung allein aus der tieferen Ektoderm- 
Schicht hervor. Zeroni. 

9. 

Sugdr, Aphorismen beim Goncerte Jan Kubelik's. Klinisch-thera- 
peutische Wochenschrift 1901. No. 9 und 10. 

Mit beredten Worten schildert Verfasser den Eindruck, den das S]^iel 
des Geigers Jan Kubelik auf ihn gemacht, und lässt erkennen, dass seine 
Begeisterung für die Wissenschaft seiner Begeisterung für die Musik gleich- 
kommt. Hingerissen von dem Zauber der Geigentöne machte er sich alsbald 
daran, das Ohr des grossen Künstlers zu untersuchen. Er fand die Ohrmuschel 
von „klassischer Schönheit'^ d^s Trommelfell sehr vertikal gestellt. Der 
Hammergriff war von punktförmigen distincten Lichtreflexen „wie von einer 
Gloriole" umgeben. In den anschliessenden Bemerkungen über die Theorie 
des musikalischen Hörens spricht Verfasser die Vermuthung aus, dass ein 
besonderes musikalisches Centrum im Gehirn existire. Zeroni. 



10. 

Müller^ Ohrhygiene beim Haars chneiden. Aerztliche Sachverständigen- 
Zeitung VU. Jahrgang 1901. No. 1. 

Kommen beim Schneiden der Haare Partikel der letzteren in das äussere 
Ohr, so stellt sich Jucken ein, das zum Kratzen veranlasst. Hierdurch ent- 
stehen leicht Entzündungen des äusseren Gehörgangs. Um die geschilderten 
Folgen zu vermeiden, räth Verfasser beim Haarschneiden die Ohrmuschel 
mit Watte zu verschliessen. Zeroni. 

11. 

Richter, Zwei typische retromaxilläre Rachenfibrome, deren Ent- 
stehung und Behandlung der Blutungsgefahren. Monatsschrift 
f. Ohrenheilkunde 1901. No. 2. 

Die ziemlich grossen am Rachendach entspringenden Fibrome wurden 
mit der galvanokaustischen Schlinge entfernt. Bei dem zweiten Tumor konnte 
das Abgleiten der Schlinge nur dadurch verhütet werden, dass vorher mittelst 
eines am Zeigefinger befestigten Platinbrenners eine Rinne in die Geschwulst 
eingebrannt wurde. Der Verfasser redet der galvanokaustischen Behandlung 
gutartiger Rachentumoren sehr das Wort und glaubt der temporären Eaefer- 
resection dabei entbehren zu können. Zeroni. 



12. 

Richter, üeber zwei seltene vergessene Fremdkörpereinlagerun- 
gen in Nase und Ohr und eine eigenthümliche Fremdkörper- 
wanderung. Ebenda. Nr. 3. 

Ein Stück einer Kastanienschaale trug ein 16 jähriger Bursche bereits 
10 Jahre in der Nase, bis es extrahirt wurde. Eitrige Rhinitis und Otitis 
waren durch den Fremdkörper hervorgerufen und heilten nach der Extraction. 

In dem andern Falle fand sich bei einem an chronischer Ohreiterang 



yil. WiBsenschaftliche RundBchaa. 155 

leidenden 26 jährigen Mädchen eine weisse Knochenperle, and zwar lag die- 
selbe in einem vom äusseren Gehörgang nach dem Antram verlaufenden 
cariösen Defect der Knochenwand. Der Fremdkörper soll etwa 24 Jahre im 
Ohr gewesen sein« Zeroni. 

13. 

Richter, Operative Behandlung einer vorderen und einer hin- 
teren nasalen Atresie. Ebenda. Nr. 4. 

Die vordere Atresie bestand in ringförmiger Verengerung des linken Nasen- 
einganges bei luetischer Sattelnase. Durch zwei kräftige Einschnitte, nach- 
folgende Dehnung und Tamponade wurde sie behoben. Die Ghoanalatresie 
war einseitig bei einem 6 Wochen alten Kinde. Die Operation bestand in 
zwei Einschnitten und Dehnung mittelst einer starken Zange. Der Erfolg 
war in beiden Fällen dauernd. Zeroni. 

14, 

Osimann, Ueber galvanokaustischen Gefässverschluss in der 
Nase als einleitenden Act intranasaler Eingriffe. Deutsche 
medic. Wochenschrift 1901. No. 14. 

Verfasser empfiehlt bei Operation in der Nase die Schleimhaut mit dem 
galvanokaustiscben Brenner so tief wie möglich zu durchtrennen, um so die 
filatung fast ganz zu vermeiden. Zeroni. 

15. 

(Modi, Das Verhältniss der Kieferhöhle zur Keilbeinhöhle und 
zu den vorderen Siebbein zellen. Jahrbücher der Gesellschaft der 
ungarischen Ohren- und Kehlkopfärzte. Bd. VI. 1900. S. 6. 

Die Highmorhöhle und die Keilbeinhöhle können sich so ausbreiten, 
dass sie nur durch eine dünne Wand von einander getrennt sind. Ebenso 
können die vorderen Siebbeinzellen mit der Kieferhöhle direct communiciren. 
Verfasser weist auf die Wichtigkeit solcher Abnormitäten für die Ausbreitung 
der Empyeme hin. Zeroni. 

16. 

Tomka, Ein Fall von acuter Mittelohrentzündung bei Morbus 
maculosus Werlhofii. Ebenda. S. 24. 

Eine Frau von 29 Jahren, die an Werlhof*scher Krankheit litt, bekam 
Ohrenschmerzen. Das spontan perforirte Trommelfell zeigte zwei Ecchymosen, 
die Secretion war serös-schleimig. Auf dem Trommelfell der anderen Seite 
ebenfalls mehrere Ecchymosen, desgleichen in beiden Gehörgängen. Paracentese 
des letztbeschriebenen Ohres entleerte kein Exsudat. Zeroni. 



17. 

Donogäny, Primäres drüsenartiges (adenoides) Garcinom der 
unteren Nasenmuschel. Ebenda. S. 45. 

Trotz bald ausgeführter ausgedehnter Operation, bei der die Geschwulst 
nur die untere Muschel und die mediale Wand der Oberkieferhöhle erfasst 
zu haben schien, trat ein Recidiv ein, das inoperabel war. Zeroni. 



18. 

Pannanik, Contribution ä T^tude de la pathog^nie de Toz^ne. 
Bevue medicale de la Suisse Homande. April 1901. No. 4. 

Auf die Erklärung des Ozaena benannten Krankheitsbildes ist schon 
viel Mühe verwandt worden. Auch die vorliegende Schrift bemüht sich, der 



156 YII. Wissenschaftliche Rundschau. 

Sache auf den Grund zu kommen. Die des Verfassers Untersuchungen zu 
Grunde liegende Zahl von 20 Fällen dürfte entschieden als zu klein bezeichnet 
werden, um die schwierige Frage zu lösen, zumal der Verfasser den anato- 
mischen Bau der l^lase als Ursache der Krankheit ansieht. Nach ihm ist 
es die platte Form der Nase, die zur Ozaena prädisponirt und die er in 15 
von seinen Fällen gefunden hat. In den anderen 5 Fällen war die Nase 
normal, aber die Ozaena auch nicht so ausgeprägt, die Atrophie der Muscheln 
nicht so bedeutend. Verfasser erklärt es aus dem gleichen Grunde, dass die 
Ozaena bei Frauen häufiger sei als bei Männern, da bei ersteren die Platy- 
rhinie öfter gefunden wird. Der Beginn der Krankheit soll nach Ansicht des 
Verfassers in der Regel in die Kindeijahre fallen. Zeroni. 



19. 

Ziebmann, Die Sprachstörungen geistig zurückgebliebener Kin- 
der. Pädagogische Abhandlungen aus dem Gebiete der pädagog. Psycho- 
logie und Physiologie yon Schiller und Ziehen. Bd. IV, Heft 3. 

L. berichtet in der Brochüre über die Erfolge der therapeutischen Maass- 
nahmen, die er bei der Stummheit geistig zurückgebliebener Kinder erzielte. 
Welche Unsumme von Fleiss und Muhe in solchen Versuchen liegt, weiss 
Jeder, der sich in das Gebiet eingearbeitet hat, zur Genüge zu schätzen. 
Interessenten sei das Heftchen warm empfohlen. « Haug. 



20. 

Discussion über Sugar's Vortrag: Ueber systematische Gehör Übun- 
gen und deren therapeut. Werth bei Taubstummen und Er- 
taubten. (Sitzungsberichte der Gesellschaft der ungar. Ohr- und Kehl- 
kopfärzte 1901 No. 2.) 

Zwillinger betont, dass nicht nur das Ohr, sondern auch der Kehlkopf 
und Rachen in jedem Fall genau zu untersuchen sei und dass insbesondere die 
Entfernung der gerade in solchen Fällen sehr häufigen adenoiden Wuche- 
rungen — nach Z. in 45^0 — nöthig sei. — Sz^nes meint, die Hörübungen 
hätten zuweilen einen compensatorischen Nutzen, aber Erfolg habe er keinen 
gesehen. — Sugar erkennt an, dass in abgelaufenen irreparablen Fällen die 
Gehörübungen überflüssig seien, doch sei es nicht möglich, alle Kinder in 
eine Gruppe zu vereinigen. In jedem Falle könne der Taubstumme den Stimm- 
gabelton percipiren und könne auch dahin gebracht werden, Worte zu per- 
cjpiren. Tomka theilt seine Erfahrungen über die Hörübungen mit, auf 
Grund deren er nicht für die Uebungen ist, die fast gar keinen praktischen 
Werth haben. Bei wirklich Taubstummen tritt nie eine Besserung der 
Hörfähigkeit ein. Haug. 

21. 

Lannois und Chavanne: De l'algie mastoidienne hyst^rique. Annales 
des maladies de Toreille etc. 190 t No. 7. 

Die Verfasser unterscheiden zwei Formen von hysterischer Neuralgie 
des Warzenfortsatzes: 

1) Hysterische Neuralgie unter dem Bilde der nicht complicirten Mastoiditis. 

2) Hysterische Neuralgie unter dem Bilde einer mit Cerebralerkrankuug 
combinirten Mastoiditis. Von der ersten Art veröfientlichen L. und 0. fünf 
neue Fälle: 

1. 14jährige Patientin bekam im Juni 1898 nach Angina heftige Ohr- 
schmerzen und Eiterung rechts. Die Eiterung versiegte in 8 Tagen, die 
Schmerzen dauerten an. Bei der Untersuchung im October desselben Jahres 
bestand Druckschmerz am rechten Warzenfortsatz und an der ganzen rechten 
Kopfseite. Ohrbefund normal. W. nach rechts. Ueber und unter den 
Mammae sowie in der linken Ovarialgegend Hyperästhesie. L. lehnte einen 
blutigen Eingriff ab, welcher einige Monate später von einem Chirurgen vor- 



YU. Wissenschaftliche Rundschaa. 157 

genommen wurde und ein gesundes Antrum ergab. Eine Besserung trat erst 
zwei Jahre später spontan ein. 

2. 22j&hrige Patientin mit deutlich ausgesprochener Hysterie leidet an 
Gesichtsneuralgie, welche sich schliesslich auf den rechten Warzenfortsatz 
localisirt. Die Operation ergab normale Verhältnisse. Keine Besserung 
danach. 

3. 50jährige Hysterica fiel im September 1900 auf den Hinterkopf; aus 
dem rechten Ohr floss einige Tage lang reichlich Blut Schwindel, üebelkeit, 
kein Fieber, kein Erbrechen. Seit der Zeit bestehen iutermittirend heftige 
Schmerzen. Bei der Untersuchung zeigte sich im rechten Gehörgang die 
Narbe einer leichten Erosion, Yon der aus die Blutung wahrscheinlich ent- 
standen war. Sonst normale Verhältnisse. Unter suggestiver Behandlung 
trat rasch Heilung ein. Einige Wochen nachher ergab die Untersuchung 
folgenden Befund: 

^Trommelfelle normal, Tuben frei. 

Die Sensibilität der Ohrmuschel und des Gehörgangs ist links normal, 
rechts stark herabgesetzt. Die Berührung wird nicht, der Stich als Berüh- 
rung empfunden. 

Uhr: rechts « 0,45 m, links » 0,55 m. 

Fl. mehr als 5 m beiderseits. 

Hörmesser mehr als 5 m beiderseits. 

Beim Aufsetzen der Stimmgabel auf die Stirn, den Scheitel und die Zähne 
wird C, cS c^, c^ und c* nicht gehört, c* wird leise nach links lateralisirt. 
Das rechte Obr hört nichts. 

Auf dem rechten Warzenfortsatz wird die Stimmgabel nicht, auf dem 
linken nur schwach gehört. 

In Luftleitung werden die Stimmgabeln links schwach, rechts fast nicht 
gehört. 

Luftverdichtung im Gehörgang setzt das Gehör für Stimmgabeln in 
Knochenleitung links herab. Rechts kein Einfluss (die Stimmgabel wird hier 
in Knochenleitung nicht gehört)." 

4. 13V2Jährige Patientin hat vor 10 Jahren einen Huf tritt von einer Kuh 
gegen die rechte Warzenfortsatzgegend erhalten. Mit 9 Jahren Chorea. Im 
Januar 1901 trat rechts Ohreiterung ein mit Schmerzhaftigkeit und Schwellung 
am Warzenfortsatz. Die Operation ergab normale Verhältnisse, die Schmer- 
zen schwanden, kehrten aber nach einem Monat wieder. Linkes Trommel- 
fell normal, rechtes narbig verändert. Die Functionsprüfung ergab eine 
massige Beschränkung der Perception von Stimmgabeltönen. Tiefe Töne 
besser als hohe. Suggestive Behandlung fahrte Heilung herbei. 

5. 29jährige hysteriscbe Elosterschwester mit vielfach recidivirender 
Schleimhauteiterung des rechten Mittelohrs klagte lange Zeit hindurch über 
Schmerzen im Warzenfortsatz. Auf ihr Drängen meisselte man auf und fand 
gesunden Knochen. Heilung. 

Von der zweiten Form hysterischer Neuralgie geben L. und C. zwei 
eigene Fälle: 

1. ISjähriger Patient hat mit 4 Jahren Pocken überstanden und leidet 
seitdem vielfach an Ohrenfluss. Bei Eintritt der Eiterung bietet der Kranke 
jedesmal Erscheinungen von Meningitis oder Hirnabscess: Kopfschmerzen, 
leichtes Fieber, Schlaflosigkeit, Delirien und verschiedenartige psychische 
Störungen. Trommelfelle beiderseits fast ganz zerstört. Hammergriffe auf 
dem Promontorium angeheftet. Eiterung von wechselnder Stärke. L. und C. 
konnten in drei Jahren fünf solcher Krisen beobachten. 

2. 43jähriger neuropathisch veranlagter Patient hat früher an Ohreiterung 
gelitten, welche vor zwei Monaten im Anschluss an Influenza recidivirte. 
Kechts waren Granulationen im Gebörgang. Mehrere Male wurde der Kranke, 
der häufig den Arzt wechselte, von bedrohlichen Zuständen befallen, z. B. 
heftige Schmerzen im Warzenfortsatz, Schwindel beim Erheben des Kopfes, 
einseitiger Kopfschmerz. Man entschloss sich zur Aufmeisselung und fand 
einen gesunden Warzenfortsatz rechts. Nach der Operation verschlimmerte 
sich der Zustand noch, so dass man dem Kranken einen cerebralen Eingriff 
vorschlug. Er verweigerte diesen, und allmählich trat Heilung ein. 



168 YII. Wissenschaftliche Rundschau. 

Im Anschluss an den Fall besprachen L. und C. besonders die oft sehr 
schwere Diagnose. Hoch anzuerkennen ist der Satz: „Sans doute il vaut 
mieux tr6paner inntilement diz mastoides que de laisser une seule fois du pus 
dans l'apophyse sans aller* Ty chercher.'* £ schwel 1er. 



22. 

Bemard (Paris): SurditS double de cause centrale. Ibidem No. 8. 

Ungefähr 20j&hriger Soldat ertaubte im Verlauf einer cerebralen mit 
Fieber einhergehenden £rkrankung. B. diagnosticirt einen solit&ren Tuberkel 
in der MeduUa hinter dem vierten Ventrikel. (Die Krankengeschichte ist 
neun Octavseiten in Kleindruck stark und muss von Interessenten im Original 
gelesen werden.) £ schwell er. 

23. 

Crouzillae (Toulouse), ün cas de labyrinthite syphilitique secondo- 
tertiaire. Gu4rison. Ibidem. 

43 jähriger Patient wird zwei Monate nach der Infection von secundären 
Symptomen befallen, welche nicht energisch behandelt werden. Nach weiteren 
drei Monaten treten folgende £rscheinungen ein: Kopfschmerzen^ Reizbarkeit 
und Gehörsverminderung. Seine Intelligenz wird geschwächt, es tritt Schwindel 
auf, sodass Patient geführt werden muss. Die Ohruntersuchung ergab, dass 
nur sehr laute Sprache gehört wird. Knochenleitung fast aufgehoben, -f- R. 
Uhr in Luftleitung nur rechts im Contact mit der Ohrmuschel schwach ge- 
hört Kein pathologischer Mittelohrbefund. Der Kranke wurde einer ener- 
S 'sehen Behandlung mit Jod, Quecksilber und Pilokarpin unterworfen, worauf 
e schweren Allgemeinsymptome völlig zurückgingen. Das Gehör besserte 
sich, nur leidet der Kranke ab und zu an leichtem Schwindel. 

£schweiler. 

24. 

Bar (Nizza), Gas de pyoh^mie otique avec dermatomyosite saus 
trombo-phlebite apparente du sinus. Revue hebdomodaire de 
laryngologie etc. 1901. No. 27. 

64 jährige Patientin mit Streptokokken-Ohreiterung nach Influenza be- 
kam in der dritten Woche der £iterung entzündliche £rscheinungen an 
Muskeln und Gelenken. 10 Tage später entschloss sich die Kranke zur 
Operation, bei der im Antrum nur wenig £iter gefunden wurde. Der un- 
absichtlich eröffnete Sinus blutete lebhaft und erschien gesund. Fieber mitt- 
leren Grades sowie schmerzhafte Schwellungen an Bein und Arm dauerten 
noch vier Wochen an. Heilung nach vier Monaten. Bar glaubt an eine 
otitische Pyämie ohne Sinusthrombose, welche durch mikroskopische Em- 
bolien und Infarcte in Gelenken und Muskeln entzündliche, nicht in Eiterung 
übergehende Infiltrationen verursachen könne. £schweiler. 



25. 

^on^^ (Cauterets), Pseudo-vertige deM^ni^re etalgiemastoidienne 
hystärique associ^s. ibidem. 

Die sechsunddreissigjährige Hysterica litt an schweren Mäniere^schen 
Symptomen und an Neuralgie der Warzenfortsätze, ohne dass am Gehörorgan 
das Geringste objectiv nachweisbar gewesen wäre. Auffallend war bei nor- 
malem Gehör für Sprache, Stimmgabeln und Galtonpfeife eine Herabsetzung 
der Hörweite für die Uhr (1 — 10 cm). Eine zwecks Suggestion vorgenommene 
oberflächliche Incision hinter dem Ohr hatte nur kurzdauernden Erfolg. 

Eschweiler. 



VII. WiBseiuBchaftliche Rundschau. 159 

26. 

Lenhardt (le Havre), Sur un cas de mastoitide sans otite. Ibidem. 
No. 28. 

50 jährige Patientin, welche h&ufig an Neuralgien und rheumatischen 
Muskelschmerzen leidet, klagt seit drei Wochen über linksseitigen Kopfschmerz. 
Bei der Untersuchung bestanden von Seiten des Mittelohrs keine Symptome 
von EntztLndung oder £iterung. Hörweite befriedigend und beiderseits gleich. 
Hinter dem Ohr ist die Haut blass und leicht ödematös. Hier war kurz 
zuvor eine subcutane Morphiuminjection gemacht. Berührung der Kopfhaut 
sehr schmerzhaft Druck auf den Warzenfortsatz weniger schmerzhaft. 

Drei Wochen nachher zeigte sich über dem Warzenfortsatz in Höhe 
des Gehörgangs ein rotber Fleck. Das Oedem war etwas stärker. Beim 
Wilde'schen Schnitt fliesst ein wenig Eiter ab. Drei Tage später wird die 
weiche Gorticalis mit dem Löfifel abgetragen und die oberflächlichen, eiter- 
erfollten ZeUen ausgekratzt. Antrum gesund. Die Heilung verzögerte sich 
durch ein intercurrentes Erysipel und trat erst nach 8 Wochen ein. 

Eschweiler. 

27. 

Maiherbe (Paris): Absc^s profond du cou cons^cutif ä une otite 
grippale latente. Ibidem No. 29. 

16jährige Patientin bekam vor einem Jahr im Anschluss an Influenza 
ganz leichte Ohrschmerzen ohne Eiterung und kurze Zeit darauf eine An- 
Bchwellung an der Spitze des Warzenfortsatzes. Vier Monate später über- 
stand die Patientin Masern, und es zeigte sich nun eine zweite Anschwellung 
onterhalb der erstgenannten. Die geschwollene Partie wurde monatelang mit 
Massage, Douchen, Einreibungen etc. behandelt. Als M. die Kranke sah, 
fand sich am Ohr nur eine massige Tubenschwellung, Injection der Hammer- 
gefltese und Herabsetzung der Hörweite für Fl auf 2 m. M. machte die 
Totalaufmeisselung und eröffnete den Abscess am Halse. Im Antrum und 
Mittelohr fand sich kein Eiter, sondern nur „verdickte'* Schleimhaut. M. 
glaubt zwischen einer Spitzenzelle des Warzenfortsatzes und dem Abscess am 
üalse eine feine Communication gesehen zu haben. Heilung. 

(Die Möglichkeit eines einfachen Drüsenabscesses am Halse hat M. nicht 
ins Auge gefasst. D. Ref.) Eschweiler. 

28. 

Raoult (Nancv): Occlusion du m^at et des parois du conduit 
auditif ä la suite d'un traumatisme. Resection du conduit. 
Ibidem No. 30. 

10 jähriges Kind wurde vor 1 1 Wochen von einer Kuh hinter dem linken 
Ohr mit dem Hörn gestossen. Die Ohrmuschel wurde tief losgelöst. Zwei 
Tage nachher trat Eiterung aus der Wunde und aus dem Gehörgang ein. 
Die retroauriculäre Wunde heilte, während der Gehörgang bei fortdauernder 
Eiterung immer enger wurde. Seit 14 Tagen ist der Verschluss vollkommen 
nnd das Kind klagt über heftigen Kopfschmerz. Bei der Untersuchung er- 
wies sich der Gehörgangseingang verlegt durch eine diaphragmaartige Narbe. 
An ihrem unteren lUinde besteht eine kleine Fistel, in welche man mit der 
Sonde nur zwei Millimeter tief eindringen kann. Es wurde der Gehörgang 
nach retroauriculärer Incision losgelöst und hinten oben in der Länge gespalten. 
Vordere und hintere Wand liegen aneinander. Von rückwärts wird eine Sonde 
bis hinter das Diaphragma geschoben und dieses auf ihr kreuzweise gespalten. 
Das Narbengewebe hatte hier eine Dicke von eineinhalb Gentimeter. Das 
Trommelfell war nicht peiforirt. Zwischen die Gehörgangswände wurde ein 
Zinndrain gelegt, und die retroauriculäre Wunde nur zum Theil geschlossen. 
Alle drei oder vier Tage Verbandwechsel. Nach einem Monat war die Ver- 
Darbung fast erfolgt. Die Patientin entzog sich 14 Tage lang der Behand- 
lung, sodass der Gehörgang wieder mit Laminariastiften erweitert werden 



160 Yll. WiBsenschaftliche Rundschaa. 

musBte. Späterhin wurde noch einmal eine kleine Incision an der unteren 
Wand gemacht. „Seitdem bleiben die Dimensionen normal.** (Die Dauer der 
Kachbehandlung bis zur völligen Heilung ist nicht angegeben. D. Ref.) 

Eschweiler. 

29. 

Toube7'l (Paris): Yari^tö rare de cellulite mastoidienne aberrante 
Ibidem No. 32. 

22j&hriger Soldat hat seit drei Wochen Ohreiterung. Die reichliche 
Secretion hält lange an. Es bildet sich retroauriculäre Schwellung aus, welche 
nach 11 Tagen Fluctuation zeigt. Der Wilde 'sehe Schnitt, auf den sich T. 
beschränkt, weil der Knochen nicht erkrankt scheint, ergiebt einen Theelöffel 
dicken Eiters. Nach 8 Tagen hört die Ohreiterung auf, es besteht aber noch 
reichliche Secretion aus der Wunde. Eine genauere Untersuchung und Er- 
weiterung der Incision ergiebt drei Gentimeter hinter und zwei Gentimeter 
über dem Gehörgang eine Erweichung des Knochens. Auskratzung dieser 
Stelle, worauf Heilung in 16 Tagen erfolgt. Eschweiler. 



30. 

M. Lannois (Lyon): De l'^tat de Toreille moyenne dans les 
fissures cong^nitales du palais. Ibidem No. 33. 

Fünf Fälle von ein- und doppelseitiger Gaumenspalte mit Gehörstörnngen. 
Ein Patient hatte zwei Hammergriffe im linken Trommelfell. «Ein kurzer 
Fortsatz sitzt an der richtigen Stelle, und man sieht von ihm zwei fast gleiche 
Manubria ausgehen, von denen das hintere in einer etwas mehr auswärts 
gelegenen Ebene verläuft, als das vordere." Ein anderer Kranker hatte eine 
starke Verengerung des linken Ostium tubae. L. glaubt, dass, abgesehen 
von solchen seltenen Missbildungen, ein chronischer Gatarrh von Tube and 
Mittelohr, veranlasst durch die Anomalien der Nasenathmung schuld an den 
Gehörstörungen bei Wolfsrachen sei. E schwell er. 



31. 

Ricard (Algier): Sur un cas d'anomalie sensorielle auditive. 
Ibidem. 

Die fünfunddreissigjährige hysterische Patientin, die an intermittirender 
hysterischer Taubheit litt, hörte das Ticken der Uhr nicht in einer Zone, 
welche bei 17 cm Entfernung vom Ohr anfing und bei 45 cm Entfernung 
vom Ohr aufhörte. Die Gesammthörweite für die Uhr betrug 60 cm. Das 
merkwürdige Phänomen wurde wiederholt bei verbundenen Augen constatirt. 
Die Untersuchung lieferte stets genau dieselben Resultate. Eschweiler. 



32. 

Jousset (Lille): L'examen des voies aeriennes supSrieures chez 
le sourd-muet. Ibidem No. 35. 

Die Zöglinge einer Taubstummenanstalt wurden daraufhin untersucht, 
ob der Zustand der oberen Luftwege resp. sprachbildenden Organe einen 
Einfluss auf die oft mangelhafte Sprache der Taubstummen ausübe. Der 
Kehlkopf erschien J. bei mehreren jungen Zöglingen einseitig zusammen- 

Gedrückt, sodass der Durchmesser von vorne nach hinten verlängert war. 
)ie Zahl der Athemzüge war bei Taubstummen grösser als bei Hörenden, 
während der Brustkorb weniger ausgedehnt wurde. Was die Stimmhöhe 
anbetrifft, so hatten fast alle Schüler Altstimme. Nase und Pharynx 
waren, obwohl weit gebaut, in ihrer Function als Resonator beeinträchtigt 
durch Schleimhautverdickungen , z. B. Pharyngitis lateralis, Tonsillenhyper- 
trophie, Rachenmandelhyperplasie, Yergrösserung der Zungenmandel, Hyper- 



YII. Wissenschaftliche Randschaa. 161 

trophie der Nasenmuscheln , Septumschiefstand etc. J. verlangt eine Mit- 
wirkung des Arztes bei der Taubstummenfürsorge uud kla;^ über geringes 
£ntgegeDkommen der Taubstummenlehrer. Eschweiler. 



33. 

Babinski, De Tinfluence des lesions de Tappareil auditif sur le 
vertige voltalque. (Socidtä de biologie, säance du 24. janvier 1901; mit- 
getheilt in „La Mädecine moderne*". 5. 1901.) 

Beim Aufsetzen der Elektroden eines Yolta'schen Apparates auf die 
Warzenfortsätze oder auf die Schlafen empfindet man im Moment des Strom- 
Schlusses auf der Seite des positiven Pols den „Yolta'schen*' Schwindel: 
Schwindel mit Seitwärtsneigung des Kopfes und des Oberkörpers eben dieser 
Seite. 

Diese Erscheinung ist besonders deutlich bei jungen Personen. Schon 
Ströme von 1—2 M. A. rufen sie bisweilen hervor. 

Affectionen des Hörapparates beeinflussen das Phänomen sehr. Bei 
einem völlig ertaubten Tabetiker war ein Strom von 10 — 12 M. A. zur Her- 
vormfung des Yolta'schen Schwindels erforderlich. 

Bei einem ebenfalls beiderseits TöUig ertaubten Patienten (scl^rose laby- 
rinthique) fehlte die Neigung, die bei dem Tabetiker anstatt nach der Seite 
sich nach rückwärts bemerkbar machte, völlig. 

Liegen einseitige Affectionen des Hörapparates vor (gleichgültig in welchem 
Theil desselben, mit Ausnahme des äusseren Gehörgangs), so erfolgte die Dreh- 
neignng nicht mehr auf der Seite des positiven Pols, sondern auf der erkrankten 
Seite. Bei doppelseitiger Affection ist eine Kegel nicht aufzustellen. 

Nach Ansicht des Yortragenden ist in diesen Beobachtungen eine Stütze 
für die Annahme zu finden, dass der Yolta'sche Schwindel mit einer elec- 
trischen Erregung des Lab^inthes, nicht der nervösen Centren unmittelbar 
zusammenhängt. Ferner weist der abnorm ausfallende Schwindel auf eine 
Läsion des Hörapparates hin. 

In der Discussion giebt Gell 6 seinem Erstaunen darüber Ausdruck, 
dass nach Lufteinblasung in ein Ohr die Drehneigung des Kopfes modificirt 
wird. Das ist für Gell 6 ein Grund, von der Annahme einer directen elec- 
trischen Erregung der nervösen Gentren abzugehen und diese Erregung in 
das Labyrinth zu verlegen. 

Bonn i er sagt, es sei immer die kranke Seite, nach welcher der Patient 
sich zu drehen glaube oder die Objecto sich ihm zu verschieben schienen. 

Stern -Metz. 

34. 

Marage, Deplacement de Titrier pendant l'audition. (Acad^mie 
dem^decine. S^ance du 26 f^vrier 1901^ nach „la M^decine moderne 9/1901.) 

Die Schwingungsgrösse des Steigbügels während des Höractes beträgt 
Viooo Millimeter. Bei einer gegen Schwerhörigkeit und Sausen angewandten 
Massage muss mit Einheiten derselben Grösse gemessen werden. Man erhält 
auf diese Weise Besultate, die denen, welche andere Methoden liefern, be- 
deutend überlegen sind. Yom theoretischen Standpunkt aus sei es interessant, 
dass man diese guten Ergebnisse habe voraussehen können. 

Stern-Metz. 

35. 

Marfan et Armand- Velille, Paratysie faciale cong^nitale par ag6- 
nlsie de la portion p^riphdrique du nerf facial avec ag^nesie 
de l'oreille. Soci^te medicale des hdpitaux: S^ance du 26 juillet 1901. 
(Nach „La M^decine Moderne*' 31/1901). 

Bei der Erklärung des vorgetragenen Falles kann nur eine intrauterine 
Entwicklungshemmung des nervösen Apparates in Betracht kommen. Der 

Archiv f. Ohrenlieilkimde. LIV. Bd. 1 1 



162 VII. Wissenschaftliche Rundschau. 

Fall lässt sich nicht in die beiden bekannten Gruppen congenitaler Facialis- 
paralysen einreihen a) Beiderseitige L&hmungen mit gleichzeitiger Paralyse 
des Rectus externus und congenitalen Missbildungen ; b) einseitige Lähmungen, 
die zumeist mit sensibler und vasomotorischen Störungen vergesellschaftet sind). 

Die Lähmung war im vorliegenden Fall complet. Absolut keine elek- 
trische Reaciion, als ob überhaupt gar kein Facialis vorhanden gewesen wäre. 
An Stelle des äusseren Ohres fand sich nur ein halbkreisförmiger kleiner 
^aum. Unter diesem Hess eine kleine Oeffnung eine Sonde l Va cm weit ein- 
dringen, ohne dass irgend etwas vorhanden gewesen wäre, das die Annahme 
«iner Trommelhöhle gerechtfertigt hätte. 

Das Kind starb in Folge Unmöglichkeit der Nahrungsaufnahme. 

Bei der Section (die des Gesichtes wurde verweigert) wird das Fehlen 
des Facialisstammes constatiert. An Stelle des Felsenbeins findet sich nur 
«ine kleine knöcherne Masse, aber ohne die gewöhnlichen Elemente und ohne 
die gewöhnliche Structur des Knochens. 

Weder Oeffnung für den Meatus audit. int. noch Canalis nerv, facialis 
vorhanden, (raqueduc du facial.) Das 7. und 8. Hirnnervenpaar besteht nur 
iius feinen Fädchen, der Facialiskern nur aus einigen kleinen, sehr atrophi- 
echen Zellen. 

Die ursprüngliche Störung scheint am Felsenbein eingesetzt zu haben. 
Sie hat die Entwicklung des Ohres und der peripheren Facialistheile ver- 
hindert und die Atrophie des centralen Theiles und der Ursprungskerne dieses 
Nerven verursacht. Stern -Metz. 

36. 

Vaquiez et Riöierre, Otite et m^ningite c^röbro-spinale. (Society 
m^dicale des höpitaux; s^ance du 8 mars 1901. Nach „La mMecine mo- 
derne'* 11/1901.) 

MittheiiuDg eines Falles von Meningitis cerebrospinalis, entstanden durch 
Infection des Liquor cerebrospinalis und der Gerebrospinalmeningen in Folge 
alter, torpider, chronischer Mittelohreiterung. Die Krankengeschichte bietet 
nichts Besonderes. 

£ine dreimalige Lumbalpunction förderte zuerst trübe, dann rein-eitrige 
Cerebrospinalfiüssigkeit zu Tage. Es wurde daraus ein Micrococcus ge- 
züchtet, den die Vortragenden für einen Meningococcus ansprechen. 

Nach dem Sectionsergebniss scheint die Infection durch den Lymphstrom 
vor sich gegangen zu sein. Stern- Metz. 

37. 

Braunschiveig , Ueber combinirtes Empyem der Gesichtshöhlen. 
Münch. med. Wochenschr. 1901. No. 29. J 

Einleitend schildert Verfasser in seiner lesenswerthen Arbeit die Patho- 
genese der Gesichtshöblenerkrankungeu und giebt dann einen kurzen Ueber- 
blick über die Betheiligung der Orbita an den entzündlichen Erkranknogea 
der Nasennebenhöhlen mit ihren Folgezuständen für das Auge selbst. Die 
«ehr genaue Krankengeschichte eines vom Verfasser operirten einschlägigen 
Falles von Stirnhöhlenempyem bietet ein grosses Interesse dar in ätiologischer, 
«ymptomatologischer und, was die Operation anbetrifft, technischer Hmsicht. 
Wir können ihre Lektüre unseren Lesern auf das Angelegenste empfehlen. 

Grunert. 



YlII. Richtigstellung. 



163 



Vill. 

Richtigstellung. 

In der Besprechung des Traut mann 'sehen Leitfadens (dieses Archiv 
LH., S. 287) meint Herr Professor Gruncrt, er könne sich der Ansicht 
des Verfassers, dass der auf einer Ohrenabtheilung 2 — 3 Jahre verblei- 
bende Stabsarzt sich zu einem „sicheren Specialarzt'* ausbildet, nicht ganz 
anschliessen, und begründet das damit, dass dem Stabsarzt die Gelegenheit 
fehle, Kinder zu untersuchen, und zweitens damit, dass ihm nur acute Ohren- 
erkrankungen zu Gesicht kämen. 

Beides trift nicht zu, zunächst und besonders nicht für die Zeit der 
Ausbildung. Der Stabsarzt, während seiner Assistentenzeit von jeglichem 
militärischen Dienste losgelöst, nimmt genau die Stellung ein, die an anderen 
Kliniken die Civilassistenten haben. Die Ohrenabtheilung der Charit^ bietet 
ihm aus ihrem eigenen reichen klinischen und poliklinischen Material, ausser- 
dem aber auch noch aus dem regen, fast täglichen consultativen Verkehr mit 
der Kinderklinik und Poliklinik, der Kinder-lnfectionsabtheilung und der 
Säuglingsstation der Charit^ reichlichste Gelegenheit, die Ohrenkrankheiten 
des Kin^esalters zu studiren. Und natürlich sind auch chronische Kranke 
in demselben Zahlenverhältniss wie an jeder anderen Ohrenklinik vorhanden. 

Aber auch für die Zeit nach der Ausbildung sind die beiden Einwände 
nicht 2utre£fend. Der militärische Ohrenspecialarzt hat rein militärärztlich, 
ganz abgesehen von etwaiger Privatprazis, genügend Gelegenheit, Kinder zu 
behandeln : die Kinder der Unteroffiziere und unteren Beamten der Garnison, 
dazu, wenn auch nicht rein dienstlicher Idaassen, die Kinder von Offizieren, 
Sanitätsoffizieren und oberen Beamtenstellen — speciell in Berlin, aber 
auch in anderen grossen Garnisonen, und solche werden wohl meistens für 
den ohrenspecialistisch ausgebildeten Militärarzt in Betracht kommen, — ein 
beträchtliches Kontingent. Was schliesslich die Zahl der chronischen Ohren- 
kranken betrifft, so ist auch diese beim Militär nicht unbedeutend, wie die 
Sanitätsberichte über die preussische Armee, im Speciellen aber auch die Er- 
fahrungen auf der Ohrenstation des Berliner Garnisonlazareths I beweisen; 
jedenfalls reicht ihre Zahl bei weitem aus, um den behandelnden Arzt auf 
aem Laufenden zu erhalten, und daran wird auch die zunehmende Vertiefung 
der otiatrischen Kenntnisse unter den Sanitätsoffizieren in Zukunft nicht viel 
ändern. 



Dr. Riehard Mttller, 

Stabsarzt im Alexander-ReRiment, früher 

I. Assistent der Ohrenklinik der Charit^ 

in Berlin. 



Dr. Stenger, 

Stabsarzt an der Kaiser 'Wilhe'ms- Akademie 
z. Z. I. Assistent der Ohienklinik der Eönigl. 
Charitö, 



Bemerkung zu obiger Riclitigsfellung 
von Prof. Dr. Grunert in Halle a. S. 

Wenn ich in der Besprechung des Trautmann' sehen Leitfadens (s.d. 
Arch. Bd. LH, S. 287) Bedenken gegen die Aeusserung Trautmann's, „dass 
der auf einer Ohrenahtheilung zwei bis drei Jahre verbleibende Stabsarzt sich 
zu einem „sicheren Specialarzt *" ausbildet", erhoben habe, und wenn die 
Herren Stabsärzte Dr. Müller und Dr. Stenger dieses Urthcil als für die 
Ohrenabtheilung der Charit6 nicht zutreffend bezeichnet haben, so muss ich dar- 
auf hinweisen, dass als Unterlage meiner Auffassung mir nur das zu Gebote 
gestanden hat, was Trautmann selbst in genanntem Buche über die äusseren 
Verhältnisse der Ohrenabtheilung der Charit^ mitgetheilt hat. Auf S. 2 sagt 
er: „Leider fehlt daselbst eine Poliklinik für Ohrenkranke.'* Wenn er auch 

11* 



164 VIII. RichtigstelluDj;. : 

in dem folgenden Satze erw&hnt, dass diesem Uebelstande in Zukunft abge- 
holfen werden wird, und zwar schon im laufenden Jahre, so war doch zur 
Zeit, wo er seinen Leitfaden schrieb, jener Uebelstaud noch vorhanden, und 
meine Annahme berechtigt, dass der auf die Ohrenabtheilung commandirte 
Stabsarzt bei dem Fehlen einer Poliklinik keine Gelegenheit habe, sich in 
der Untersuchung und Behandlung ohrenkranker Kinder „ausreichend aus- 
zubilden". Mein zweiter Grund zu obiger Auffassung war der, dass je mehr 
durch zunehmende Kenntniss der Milit&r&rzte in der Obr Untersuchung Mann- 
schaften mit chronischen oder latenten Ohren leiden überhaupt vom Militär- 
dienst ausgeschlossen werden, die Aerzte der Garnisonohrenabtheilungen um 
so mehr nur acute w&hrend der Dienstzeit erworbene Ohrenerkranküngen zu 
Gesicht bekommen/* 

Ich muss diesen Grund für die Ohrenabtheilnngen der Garnisonlazarethe 
aufrecht erhalten, wenn auch eine Ausnahme zutrifft für die Ausbildung der 
Militärärzte auf der Ohrenabtheilung der Kgl. Charit^, auf welcher ja Civil- 
personen untergebracht werden und daher chronische Ohrenkranke in dem- 
selben Zahlenverhältnisse wie in jeder anderen Ohrenklinik zu finden sind. 

Die Herren Collagen Müller und Stenger haben gezeigt, dass meine 
auf dem Inhalte des Traut mann 'sehen Buches basirende Vermuthung, die 
auf die Ohrenabtheilung der Kgl. Charit^ commandirten Stabsärzte hätten 
keine Gelegenheit zu ausreichender Ausbildung in der Untersuchung und Be- 
handlung ohrenkranker Kinder, thatsächlich nicht zutrifft, und ich danke ihnen 
an dieser Stelle für ihre Bdehrung. Wenn sie indess in ihrer „Richtig- 
stellung'* meine £in wände „auch für die Zeit nach der Ausbildung als nicht 
zutreffend bezeichnen**, so muss der Leser zu der irrigen Ansicht kommen, 
als habe ich auch diese Zeit in den Kreis meiner Betrachtung gezogen. Da 
dieses indess nicht der Fall ist, müssen die Auseinandersetzungen der beiden 
Herren CoUegen über die Thätigkeit des ohrenärztlich ausgebildeten Militär- 
arztes nach seiner Ausbildungszeit als den Rahmen einer „Richtigatellang" 
überschreitend an dieser Stelle zurückgewiesen werden. 



Personal- und Faehnaehrichten. 

Adolf Fick, Dr. med. et philos. hon. c, Professor der Physio- 
logie in Würzburg, seit 1873 zu den Mitarbeitern unseres Archivs gehörend, 
dem er vom ersten Anfang an das grösste Interesse entgegen brachte und 
andauernd bewahrte, ist am 21. August 1901 im Alter von 72 Jahren ver- 
schieden. In dankbarer Erinnerung an die werthvollen Beiträge, welche Fick 
für unser Archiv geliefert hat (Band VIII, IX, XKIV, XLV) erscheint es uns 
um so mehr als Pflicht der Pietät gegen den berühmten Phvsiologen, auch 
an dieser Stelle über den Lebensgang und die wissenschaftliche Bedeutung 
desselben unseren Lesern Mittheilungen zu machen, weil er mit dem heim- 
gegangenen Mitbegründer dieses Archivs A. v. Tröltsch in langjähriger, in- 
timster Freundschaft verbunden war. 

Adolf Fick wurde am 3. Sept. 1829 in Kassel geboren, zeigte schon auf 
der Schule eine hervorragende Begabung für Mathematik und beschloss deshalb, 
sich diesem Studium ganz zu widmen. Sein älterer Bruder Heinrich überredete 
ihn zum Studium der Medicin, welchem er in Marburg und Berlin oblag. Fick 
wurde 1851 promovirt. Schon mit 22 Jahren wurde er Prosector in Marburg. Im 
Jahre 1853 habilitirte er sich als Privatdocent in Zürich, wo er 1856 eine ausser- 
ordentliche und 1862 die ordentliche Professur für^Physiologie als Nachfolger 
Ludwig's resp. Moleschott*s erhielt. Im Jahre 1868 folgte er einer Be- 
rufung nach Würzburg, wo er bis zum Herbste 1899 den Lehrstuhl für Phy- 
siologie innegehabt hat. Für seine Berufung nach Würzburg soll sich be- 
sonders A. Kolli ker interessirt haben und zwar, wie man erzählt, besonders 
deshalb, weil ihm in Fick*s Lehrbuch der Physiologie der Abschnitt über 
Entwicklungsgeschichte, in der Fick nicht Fachmann war, durch die voll- 
endete Klarheit der Darstellung imponirte. Die mathematische Geistesrich- 
tung Fick *s hat sich in seinen zahlreichen wissenschaftlichen Arbeiten nicht 
verleugnet. 1854 publicirte er grundlegende Untersuchungen über die Augen- 



Persoaal- und FachnachriGhten. 165 

bewßgangen, 1855 fand er das Grundgesetz der Diffusion; 1856 erschien das 
erste grössere Werk „Die medicinische Physik'', durchaus vom mathemati- 
schen Geiste erfüllt, wenn schon die Verwendung mathematischer Formeln 
thunlichst yermieden wird. 1858 erörterte er zum ersten Mal die von Rouz 
später als »functionelle Anpassung ** bezeichnete gesetzmässige Anpassung der 
Moskelfaserlänge an ihre Function als biologischen Vorgang. 1860 erschien 
das »Compendium der Physiologie mit Einschluss der Entwicklungsgeschichte" 
(3. Auflage 1882). 1862 folgte die Erfindung des Pendelmyographion, 1864 des 
Sphygmographen. Von demselben Jahre datirt das „Lehrbuch der Anatomie 
und Physiologie der Sinnesorgane*" . 1865 vernichtete er durch die Faul- 
hornbesteigung mit seinem Freunde Johannes Wislicenus die Lieb ig 'sehe 
Theorie, dass bei der Muskelarbeit der Muskel selber, also eine stickstoff- 
haltige Masse verbrenne. Die beiden Forscher lebten einige Tage ausschliess- 
lich von stickstofffreien Nahrungsmitteln, und bestimmten die Menge des von 
ihnen ausgeschiedenen Stickstoffes. Darauf bestiegen sie, bei unveränderter 
Emahrang, das Faulhorn, leisteten damit eine sehr grosse Muskelarbeit und 
fanden, dass die Stickstoffausscheidung nicht wesentlich grösser war als bei 
Eörperruhe. Hierdurch war bewiesen, dass das Brennmaterial unserer Mus- 
keln eine stickstofffreie, also eiweissfreie Substanz ist, dass man also ohne 
Fleisch die schwersten körperlichen Arbeiten verrichten könne, ohne den 
Körper aus dem N.- Gleichgewicht zu bringen. 

1868 folgte die Erfindung des später von Mosso als „Plethysmograph'' 
benannten Instrumentes zur Eruirung der Geschwindigkeitscurven in der Arterie 
des lebenden Menschen. Darauf folgten die zahlreichen Arbeiten über Muskcd- 
wärme, die zu den Fundamenten der modernen Physiologie gehören. Ausser- 
dem sind neben Abhandlungen philosophischen und mathematischen InhsJtes 
auch allgemeinverständliche wissenschaftliche Aufsätze über Tagesfragen 
(Männerkieidung, Alkoholmissbrauch ^), Vorbildung der Mediciner) von ihm 
erschienen, die insgesammt Muster klaren Styls und geistvollen Inhaltes sind. 

In seinen Vorlesungen über Physiologie behandelte F. das Gehörorgan 
immer mit besonderer Vorliebe, so dass gerade dieser Theil der Vorlesung 
stets eine besondere Zugkraft auf die Zuhörer ausübte wegen der klaren, 
durch besonders zahlreiche pikante Versuche illustrirten Darstellung. 

Thierversuche machte F. nicht gern, obwohl er sie für moralisch durch- 
aus zulässig hielt. Er gehörte der mechanisch-physikalischen Richtung der 
Physiologie an, griff aber über sein Gebiet hinaus mit philosophischen Stu- 
dien, insbesondere zur Erkenntnisstheorie. 

Eine edle Natur und eine aristokratische Gesinnung waren in ihm 
vereinigt mit durchaus fortschrittlich-freiheitlichen Ueberzeugungen. In dieser 
Beziehung harmonirte er vollständig mit seinem Intimus von Tröltsch, 
ebenso wie in der Begeisterung für die Neugestaltung Deutschlands nach den 
Kriegen von 1866 und 1870. Die Ausscheidung von Deutsch -Oesterr eich 
(1866) hat er freilich nie als endgültigen und unwiderruflichen Spruch der 
Weltgeschichte aufgefasst; er gehörte zu den Gründern des Alldeutschen Ver- 
eins und der Eolonialgesellschaft. 

A. Fick war Ehrendoctor der philosophischen Facultät der Universität 
Leipzig, Mitglied der Academieen der Wissenschaften in Berlin, München, 
Stockholm, Upsala, Lund, Florenz, Inhaber der goldenen Gothenius-Medaille 
der Leopold. Karol. Deutschen Academie der Naturforscher. Ausser den 
höchsten Orden verlieh ihm die bayerische Krone den Character als Geheimer 
Rath und den persönlichen Adel, von welchen Auszeichnungen Fick keinen 
Gebrauch machte. Dies stand im Zusammenbang mit der Schlichtheit seines 
Wesens, mit seiner Abneigung gegen Prunk und Vorneb mthun und mit seiner 
starken Liebe für die bürgerliche Freiheit. Schwärtze. 



In Giessen starb im August 1901 Prof. H. Steinbrügge nach lang- 
jähriger Krankheit im Alter von 70 Jahren. St. ist 1831 in Hamburg geboren, 

1) Am Kampfe gegen den Alkohol betheiligte er sich im letzten Jahr- 
zehnt seines Lebens nicht nur mit der Feder, sondern auch mit der That, 
indem er Totalabstinent wurde. 



166 Personal- und FachDachrichten. 

studirte in Heidelberg Medicin, wurde 1S54 promovirt und war von 1S55 bis 
1 873 praktischer Arzt in Hamburg. Aus Gesundheitsrücksichten verweilte er 
dann 3 Jahre (1873—76) in Madeira, und wandte sich nach seiner Rückkehr 
1877, im Alter von 46 Jahren speciell dem Studium der Ohrenkrankheiten 
zu. £r wurde Schüler und später Assistent von Prof. Moos in Heidelberg; 
1885 habilitirte er sich in Giessen als Privatdocent für Ohrenheilkunde und 
erhielt dort schon zwei Jahre darauf den Titel eines Professor extraordinaiius. 
1889 folgte der Lehrauftrag für Ohrenheilkunde und 1892 die Errichtung 
eines klinischen Institutes. £rst im Jahre 1898 ist St. zum etatsmässigen 
Professor extraordinarius für Ohrenheilkunde in Giessen ernannt worden. 

St. war ein ungemein fleissiger Arbeiter auf dem Gebiete der patho- 
logischen Anatomie und Histologie des Ohres und ein sehr fruchtbarer 
Schriftsteller. Zahlreiche Originalartikel von ihm finden sich in der von 
Knapp und Moos herausgegebenen Zeitschrift für Ohrenheilkunde. Von 
seinen sonstigen Publicationen verdient besonders seine Bearbeitung der 
„pathologischen Anatomie des Gehörorgans 1891" in dem von J. Orth heraus- 
gegebenen Lehrbuch der speciellen pathologischen Anatomie, und ein anato- 
mischer Atlas (Bilder aus dem menschlichen Yorhof enthaltend) rühmliche 
Erwähnung. Für Sammelwerke war er ein stets bereitwilliger und gesuchter 
Mitarbeiter. Für das Ebstein-Schwalbe'sche Handbuch der practischen 
Medicin, für die Bibliothek der gesammten med. Wissenschaften von 
A. Dräsche in Wien, für die Encyclopädie der Ohrenheilkunde von L. Blau 
lieferte er zahlreiche Beiträge. Im Handbuche der Ohrenheilkunde, heraus- 
gegeben von Schwartze, hat er im 3. Kapitel des I. Bandes die schwierige 
Aufgabe vortrefflich gelöst, die Histologie des Hörnerven und des Obrlabyrinthes 
kurz und übersichtlich darzustellen. Schwartze. 



In Chicago (ü. S. A.) ist Dr. Samuel J. Jones, Professor für Ophthal- 
mologie und Otiatrie verstorben^ 

Dr. Hegner erhielt die Venia legendi als Privatdocent in der medici- 
nischen Facultät zu Heidelberg; Dr. Hinsberg die gleiche zu Breslau. 

Privatdocent Dr. E. Leutert in Königsberg i. Pr. hat im October 1901 
eine Berufung nach Giessen erhalten als Nachfolger von Steinbrügge, und 
wird derselben noch für das laufende Semester Folge leisten. 



Das Organi&ationscomit6 lür den 14. internationalen medicinischen Con- 
gress (Madrid 1903) hat beschlossen, die Section fürOtologie, Rhinologie und 
Laryngologie in zwei Sectionen für Otologie und für Laryngologie zu theilen. 
Dies geschieht jedenfalls zum Yortheil beider Disciplinen und entspricht den 
Wünschen der meisten wissenschaftlichen Vertreter dieser Fächer in Deutschland. 



Nouvelle. 

Vlle Congr^s International d'Otologie de Bordeaux. 

La date du prochain Congrds International de M^decine ayant 4i6 fixee 
au mois d'avril 1902, les Membrcs du Gomit6 Frangais du Cougr^s Inter- 
national d*Otologie qui doit se tenir ä Bordeaux, ont pense qu'il y avait 
liea de reculer d*uue anndc r^poque ä laquelle devait se tenir ce Congres. 
Dans ces conditions, le prochain Congr6s International d*Otologie de Bordeaux 
aura lieu au mois d*aoüt ou de septembre 1904; la date exacte de ce Con- 
gres sera fix6e ultörieurement. 

Berichtigung. 

Im LIII. Bd. S. 76 Zeile 19 von oben lies „von den Gefässen der Haversi- 

schen Kanäle" statt von den Haversi'schcn Kanälen. 
„ „ „ S. 87 Zeile 5 von oben lies „6 m** statt 6 mm. 



Neuer Verlag von F. C- W. Vogel in Leipzig. 



LEHRBUCH 

der 



Physiologie des Mensehen 



von 

G. T. BUNGE, 

Basel. 

2 Bände gr. 80. 1901. 



I. Band: Sinne, Nerven, Muskeln, Fort- 
pflanzung in 28 Vorträgen. 

iit 67 Abbildungen im Text und 2 Tafeln. 
Preis M. 10. — , geb. M. 11.25. 



II. Band: Ernährung, Kreislauf, Atmung, 
Stoffwechsel in 36 Vorträgen. 

Mit 12 Abbildungen. 
Preis M. 15. — , geb. IM. 16.25. 



Die Therapie der iüegrenirart bringt in der August-Nummer 1901 folgende 
Besprechung : 

Wenn wir das vorliegende Buch an dieser Stelle einer kurzen Be- 
sprechung unterziehen, so geschieht es deshalb, weil es unter allen physiologischen 
Lehrbüchern eine gewisse eigenartige Stellung einnimmt, die es dem Oesichtskreis 
des Arztes besonders nahe bringt, näher als alle seine Schwesterwerke. Es stellt 
eigentlich nicht das dar, was wir im gewöhnlichen Sinn ein Lehrbuch der Physio- 
logie nennen, und wer es zur Hand nimmt, um sich darin über detaillierte 
physiologische Daten und experimentelle Ergebnisse Bat zu holen, der wird es 
vielleicht bald wieder bei Seite legen. Es giebt uns dieser erste Band vielmehr 
in einzel aneinandergereihten glänzenden Vorträgen eine Vorstellung davon, wie 
sich im Kopfe eines wissenschaftlich aufgeklärten, geistvollen, phylosophisch durch- 
gebildeten Physiologen die wichtigsten Probleme des Lebens malen. Die fesselnde 
Form der Darstellung versteht es, die schwierigsten Kapitel aus den Gebieten 
der Sinnes-, Nerven- und Muskel physiologie, sowie der Fortpflanzung und Ver- 
erbung auch dem minder Eingeweihten, selbst einem Laien, verständlich und an- 
ziehend zu machen, ihm die Quintessenzen physiologischer Arbeit nahe zu bringen, 
ohne ihn durch verwirrenden Ballast zu erschrecken. Es liegt eine heitere Philo- 
sophie und eine Lebensfreudigkeit in den Anschauungen des grossen Physiologen, 
die das Studium seines Buches zum höchsten Genuss machen. Wir lassen seine 
eigenen Worte aus dem Kapitel über die Fortpflanzung davon Zeugnis ablegen : 

jtJede Zelle unseres Körpers hat ewig gelebt und die Samenzelle oder 
Eizelle^ welche sich von den iwrigen Zellen trennt^ ist nicht jünger j als eine der 
zurückbleibenden. Jede Zelle hat das Recht zu sagen: ich bin die Urzelle. Wir 
leben ewig. . . . Die kommenden Generationen sind wir selbst. Wir leben fort 
in denen, die nach uns kommen. Noch hat keine Religion .... diesen Ge- 
danken genügend verwertet. Er wird die Grundlage jeder Religion und Moral 
der Zukunft sein. Alles Gute, das wir gewirkt im Leben, kam uns nur selbst 
zu Gute. So wird auch die Selbstsucht in den Dienst der Selbstlosigkeit ge- 
stellt, und alle Moüve wirken zusammen zur Vervollkommnung und Vererbim^ 
des Lebens. Auch dem Tod ist der „Stachel" gen^mm^n: der Tod des Indi- 
viduums vernichtet kein Leben. Die Individuen sterben dahin — Milliarden 
und aber Milliarden in jeder Sekunde. Das Leben aber steht keinen Augen- 
blick still. Was kümmert die Natur das Individuum? Was liegt denn an 
der Coniinuität des individuellen Bewusstseins? Wir vergessen die alten 
Schmerzen und erwachen in neuen Formen zu neuem Soffen, zu neuem Kampf 
Ein ewig junger Frühling, ein ewig neues Leben, neue Freuden, endlose Lust!' 

Keiner von uns sollte an diesen wundervoll gefassten Edelsteinen unserer 
reinen Wissenschaft achtlos vorübergehen I gez. F. Umber (Berlin). 



• • 



ENCYKLOPADIE 



DER 



OHRENHEILKUNDE 



Herausgegeben 
von 

Dr. Louis Blau in Berlin 

Bearbeitet von 

Doc. Dr. alt, Wien. Frivatdocgmt Dr. äSBER, Berk. Prof. Dr. B. BAGINSSY, Beblih. Dr. BABNICE, 
Graz. Prof. Dr. BBRTHOLD, Königsberg i. P. Doc. Dr. BINO. Wibk. Dr. BLAÜ, Beriht. Primärarzt 
Dr. BBIEGES, Breslau. Prof. Dr. bOrENER, GörriNOsy. Dr. DENKER^ Hagen x. W. Privatdocent Dr. 
DREYFUSS. StrassBüRO i. E. Dr. EITELBERO, Wien. Dr. EULENSTEIN, FRANKFURT a. M. Dr. FREY, 
Wien. Prof. Drv FRIEDRICH, Km. De. GÖRELE, Breslau. Prof. Dr. ORADENIOO, Turin. Privatdocent 
Dr. ORUNERT, Halle a. S. DR..aiJTZ]fANN. Berlin. Prof. Dr. HABERMANN. Graz. Dr. HAMMER- 
SCHLAG, Wien. Dr. HANSBERO, DORTMUND. Privatdocent Dr. HAUO, MtlNCHEN. Prof. Dr. HESSLSR, 
Halle a. S. Prof. Dr. JACOBSON, Berlin. Dr. JANKAO. München. Privatdocent Dr. JANSEN, Berlin. 
Dr. JO&L, GOTHA. Prtvatdoceht Dr. KATZ, Berlin. Dr. KayBER, Breslau. Dr. KELLER, Köln. Prof. 
Dr. KIESSELBACH, Erlangen. Privaidogent. Dr. KRAUSE, Berlin. Dr. KEETSCHMANN, Magdeburg. 
Prof. Dr: KÜMMEL, Breslau. Privatdocent Dr. LEUTERT, Königsrero i.p. SanitXtsrath Dr. LUDEWIG, 
Hamburg. Dr. MYOIND, Kopenhagen. Dr. NOLTENIUS, Bremen. Prof. De. OSTMANN, Marburg. Dr. 
FAN3E, Dresden. Prof. Dr. PASSOW^ Heidelberg. Prof. Dr. POLITZER, Wien. Doc. Dr. POLLAK, 
Wien. Dr. REINHARD, Duisburg. SasitITsrath Dr. ROLLER, Trier. Dr. SCHUBERT, NÜRNBERG. 
Sanitatsrath Dr. SGHW ABACH, Beruv:-Dr. SCHWIDOP, Karlsruhe. Dr. SELIGMANN, Frankfurt a. M. 
Dr^SFIRA, Krakau. Prof. Dr. STEINBRÜQGE, Giessen. Dr. STERN, Metz. Prof. Dr. STETTER, Königs« 
BERfi I, P. Prof. Dr. URBANTSCHITSCH, Wien. Dr. VOHSEN, Frankfurt a. M. Dr. VULFIUS, Weimar. 
Prof. Dr. WAGENHÄUSER, Tübingen. Prof. Dr^ WALB, Bonn. Dr. WEIL, Stuttgart. Dr. WQLF, 
Frankfurt a. M. Dr. ZEROMI. Balle a. S. Prof. Dr. SUCSERKANDL, Wien. 




LEIPZIG 

VERLAG VON F. C.W.VOGEL 
1900. 



Gr. Lex-. 8^ Preis: broschiert ^ 20 — ; gebunden Ji 23. — . 



IX. 

Die Krankheiten des Gehörorgans nnter den Volksschnl- 

kindern des Kreises Harhnrg. 

Von 

Prof. Ostmann, Marburg a. L. 
(Mit 2 Abbildangen.) 

Es ist unge wohnlich, einer wissensohaftliehen Arbeit ihr 
Resultat an die Spitze za stellen; aber bei dieser Arbeit spricht 
es so fbr sich selbst, dass es ohne jeden Commentar in seiner 
Tragweite verständlich ist. 

Von den 7537 Volksschulkindern des Kreises Marburg sind 
2142 = 28,4 Proc. auf einem oder beiden Ohren schwerhörig und 
zum Theil mit den schwersten Ohrenleiden behaftet. 

Als ich die Untersuchungen begann, sprach sich mir gegen- 
über eine ältere Lehrerin sehr pessimistisch darüber aus, dass 
ich durch diese Untersuchungen an den bestehenden Verhält- 
nissen etwas würde bessern können. 

Diese Auffassung war f&r mich nicht gerade ermuthigend, 
hatte ich doch die Arbeit nicht auf mich genommen, um zu 
untersuchen, sondern um zu bessern« 

Die täglichen Beobachtungen in der Poliklinik, die Unter- 
suchungen in der Taubstummenanstalt zu Homberg, die für 
den Laien überraschenden Ergebnisse der Erhebungen, welche 
der Landrath des Kreises Schmalkalden auf meine Berichte 
hin in den Volksschulen seines Kreises hatte vornehmen 
lassen, hatten mir gezeigt, dass die Volksschule ein dank- 
bares Feld sein müsste, um durch einwandfreie Thatsachen 
den Beweis zu liefern, welche Schäden der Volksschuljugend 
aus der bisherigen Vernachlässigung eines wichtigen Zweiges 
der Heilkunde erwachsen, die, wenn sie in solchem Umfange 
wie dem nachgewiesenen bestehen, nicht mehr bloss eine 
Schädigung des einzelnen Individuums, sondern des Gemein- 
wesens und des Staates bedeuten. 

Wenn nun auch die Erfahrungen einer alten Lehrerin 

ArchiT f. OhienheUknnde. LIV. Bd. 1 2 



168 IX. OSTMANN 

dagegen sprachen, dass durch Aufdeckung der Schäden sie ge- 
bessert werden würden, so schien es mir doch das Beste, einer 
derartigen pessimistischen Anschauung nicht Kaum zu geben, 
sondern weiter nach dem Grundsatz zu handeln: „Thu' das Gute 
und wirf es hinein in das Meer; sieht's nicht der Knecht, so 
sieht es der Herr!*' Weshalb sollte das ausgeworfene Gut nicht 
auch einmal vor die Augen des richtigen Herren kommen? 

In dieser Zuversicht habe ich die Untersuchungen durch 
6 Monate unablässig fortgeführt ; doch musste ich mich manches 
Mal, wenn ich ermüdet auf der Landstrasse einherwanderte, durch 
die Worte aus Lessing's Dramaturgie aufmuntern lassen: 

„Wie schÖD, wie edel ist die Lust, sich so zu quälen!" 

Die Untersuchungen haben ihre Vorgeschichte. Die alljähr- 
lich sich wiederholenden Untersuchungen der Zöglinge der Taub- 
stummenanstalt zu Homberg hatten mir gezeigt, dass in dieser 
Anstalt eine auffallend grosse Zahl von Kindern sich befand, 
welche schwere Erkrankungszustände des Mittelohres aufwiesen. 
Es Hess sich der Gedanke nicht von der Hand weisen, dass 
diese seiner Zeit der Heilung zugängigen, aber gänzlich vernach- 
lässigten Leiden wesentlich dazu beigetragen hatten, die hoch- 
gradigste Schwerhörigkeit in den ersten Lebensjahren und da- 
mit Stummheit zu erzeugen. Ich berichtete in diesem Sinne an 
den Herrn Landeshauptmann in Hessen und machte darauf auf- 
merksam, dass nach meinen in der Poliklinik zu Marburg und 
der Taubstummenanstalt zu Homberg gesammelten Erfahrungen 
es bei der grossen Zahl von schweren Ohrenkranken unter der 
Landbevölkerung von grossem Nutzen sein würde, wenn den 
Ohrenkrankheiten eine erhöhte Aufmerksamkeit geschenkt und 
event. durch Anstellung von mit der Ohrenheilkunde vertrauten 
Armenärzten für die ländlichen Distrikte die Möglichkeit der 
sachgemässen unentgeltlichen Behandlung dieser Kranken ge- 
geben würde. 

Dieser Bericht wurde auch den Herren Landräthen des 
Begierungsbezirkes Kassel mitgetheilt, und der Landrath des 
Kreises Schmalkalden gewann ein so erfreuliches Interesse an 
der angeregten Frage, dass er durch die Lehrer in den Volks- 
schulen seines Kreises Erhebungen über das Vorkommen von 
Ohrenkrankheiten anstellen Hess. Es ergab sich ein für den 
Laien überraschend ungünstiges Ergebniss. 

Es entstand nun die Frage, was diesen aufgedeckten Schäden 
gegenüber zu thun sei. Ohne Geld Hess sich den vielen, schwer- 



Erankh. d. Gehörorgans unter d. Yolksschalkindem d. Kreises Marburg. 169 

erkrankten Kindern nicht durchgreifend helfen ; aber wenn sich 
eine Frage zur Geldfrage zuspitzt, steht neben dem wohl Wollen 
nicht immer das Wohlthun. Man that das Gute, aber nicht das 
Bessere, indem man auf die Möglichkeit der Behandlung dieser 
Kinder in den Landkrankenhäusern hinwies und beschloss, vor 
dem Fassen weiterer Beschlüsse auf die Aufdeckung weiterer 
Schäden zu warten. 

Ein Jeder, der seinen ärztlichen Beruf noch von einer idealen 
Seite auffasst, nicht allein gegen Geld ein Berather der Kranken, 
sondern ein freiwilliger Förderer und Schützer der Gesundheit 
seiner Mitmenschen zu sein, musste dazu gedrängt werden, die 
bestehenden Schäden in ihrem ganzen Umfange aufzudecken, 
um so doch schliesslich nach den guten auch die besseren Be- 
schlüsse herbeizufahren. 

Die Darlegungen der traurigen Erfahrungen, die man nur 
zu oft in der Poliklinik macht, dass es unmöglich ist, gerade den 
Aermsten zu helfen, weil sie die Kosten einer klinischen Be- 
handlung nicht bestreiten können, ja nicht einmal im Stande 
sind, die Kosten einer wiederholten Bahnfahrt aufzubringen oder 
selbst mehrere Vormittage zu opfern, weil der Ausfall der Arbeits- 
zeit gleichbedeutend ist mit Hungern, haben wenig Wirkung auf 
den, der nicht selbst immer wieder dieses Elend sieht, es sich 
überhaupt nicht recht vorstellen kann, weil er derartigen Ver- 
hältnissen niemals nahe getreten ist. Wer aber 6 Jahre hin- 
durch mit warmem Herzen dieses Elend schaut und doch als 
Einzelner trotz aller Bemühungen nicht im Stande ist, durch- 
greifend zu helfen, der wird ein freimüthiger Kämpfer für diese 
Armen, denen man nicht diejenigen Wohlthaten zu Theil werden 
lässt, welche man ebenso situirten, nur an anderen Organen er- 
krankten Personen seit langer Zeit in ausgedehntestem Um- 
fange bietet. 

Von dem Umfange des körperlichen Elends auf dem von 
mir vertretenen Gebiet wollte ich einen Beweis erbringen, der 
streng sachlich geführt auch den Laien zur Ueberzeugung zwingen 
muss, dass solche Schäden nicht weiter fortbestehen können. 

Deshalb that ich nach Jago's altbewährtem Recept Geld in 
meinen Beutel und begann die Untersuchungen, welche in dankens- 
werthester Weise der Herr Minister der geistlichen, Unterriohts- 
und Medicinal- Angelegenheiten durch Verfügung vom 4. Februar 
1901 für den Kreis Marburg gestattet hatte. 

Als Einleitunglzu den Untersuchungen entwickelte sich zu- 

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170 



IX. OSTMANN 



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Ac. Katarrh 



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Ac. Entzündung 



Chr. Eiterung 



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Tubenkatarrh 



Mundathmung 



Labyrintherkrankung 



Hörstörung ohne nach- 
weisbare Ursache 



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Erankb. d. GcbCrorgans unter d. VolksfiGhulkindern d. Kreises Marburg. 171 

nächst eine Correspondenz, welche ich nur mit freundlich ge- 
währter Hilfe Anderer bewältigen konnte. Mit den vorstehenden 
Lehrern der 70 Schulorte des Kreises, mit Orts- und Kreisschul- 
inspectoren musste verhandelt werden, um zunächst fQr jeden 
Ort die Zahl der Schüler und Schülerinnen festzustellen und 
demgemäss den Reiseplan anzuordnen; auch musste den Lehrern 
gelbst Kenntniss von dem Plane der Untersuchung gegeben 
werden. Für jeden Schulort wurden dann Listen nach dem vor- 
stehenden Schema aufgestellt, in welche von den Lehrern die 
sämmtlichen Kinder mit fortlaufender Nummer vor der Unter- 
suchung eingetragen wurden. 

Ich möchte es nicht unterlassen, auch an dieser Stelle den 
Herren flir ihre freundliche Bereitwilligkeit, meinen Wünschen 
nachzukommen, bestens zu danken. Nur durch das Entgegen- 
kommen, welches ich überall gefunden habe, ist es mir möglich 
geworden, ohne jede Störung die Untersuchungen durchzuführen. 

Die Schwierigkeiten, welche sich ihrer exacten Durch- 
ilihrung entgegenstellten, erwiesen sich trotzdem als sehr viel 
grösser, wie ich mir vorgestellt hatte, und wer dieselben richtig 
einschätzen will, der untersuche einen gleich grossen Kreis. 

Die bisherigen Schuluntersuchungen auf Krankheiten des 
Gehörorgans, welche in mehr oder weniger grossem Umfange 
nicht allein in Deutschland, insbesondere von Weil und Bezold 
in Stuttgart und München, sondern auch in Frankreich, 
England, Dänemark, Schweden und Italien ausgeführt worden 
sind, haben sich wesentlich auf Stadtschulen und zwar höhere 
wie Elementarschulen beschränkt. Nur Weil hat mit Stuttgarter 
Schulen auch die eines in der Nähe von Stuttgart gelegenen 
Dorfes untersucht, und in letzter Zeit hat Leubusch er in säch- 
sischen Dorfschulen umfangreichere Untersuchungen vorgenommen. 

Diese fast ausschliessliche Beschränkung auf Stadtschulen 
igt verständlich; denn geht man auf die Dörfer, so tritt zu der 
Bemühung der Untersuchung die weitere, sehr erhebliche Schwie- 
rigkeit hinzu, die in einem so gi'ossen Keise wie dem Marburger 
fllr Hin- und Rückweg nicht selten 30 und mehr Kilometer be- 
tragenden Entfernungen zu überwinden ; sich immer von Neuem 
mit anderen Personen über den Gang der Untersuchung zu ver- 
verständigen, und namentlich an jedem weiteren Ort wieder die 
äusseren Bedingungen zu schaffen, welche für eine exacte Durch- 
fthrung der Untersuchungen unerlässlich sind. Die Kleinheit 
der Schulzimmer nöthigte an einigen Orten zu einem Exodos 



172 ilX. OSTMANN 

in den Gemeinde -Tanzsaal , an einem anderen in den über 
dem Gemeinde - Backofen gelegenen Gemeinde - Rathssaal , wo 
es dann heiss herging. Aber kaum waren die ränmliehen 
Schwierigkeiten überwunden, so stellten sich neue ein. loh 
hatte bisher die Gans nur von ihrer angenehmen Seite kennen 
gelernt, wenn sie als gute Gabe Gottes auf dem Tische steht; 
aber dass sie eine so lästige Zugabe zu diesen Untersuchungen 
sein würde, hatte ich mir nicht vorgestellt. Eine f&r die Knaben 
sehr vergnügliche Jagd musste diese Ruhestörer nicht selten aus 
der Umgebung des Untersuchungsortes vertreiben, bevor ich zu 
Worte kommen konnte, und auch das Federvieh wurde für die 
Zeit der Untersuchung hier und dort in die Verbannung ge- 
schickt. Die Hunde folgten nach, und ein freundliches Wort 
Hess den Schmied, welcher in Oberhessen besonders enge ört- 
liche Beziehungen zur Schule zu haben scheint, f&r die Unter- 
suchungsdauer den Hammer niederlegen. 

„Still war's — , und jedes Ohr hing an Aeneens Munde.''; 

Die Kinder lauschten in der That mit äusserster Aufmerksam- 
keit, so dass, nachdem sie begrififen hatten, um was es sich han- 
delte, die durch Unaufmerksamkeit und Interesselosigkeit bedingten 
Schwierigkeiten sehr gering waren. Die Art der Erziehung der 
Kinder durch den Lehrer war für den glatten Ablauf der Unter- 
suchung von wesentlicher Bedeutung. 

Es ist hier nicht der Ort, auf Fragen näher einzugehen, 
die das Gebiet der Schulhygiene betreffen; aber ich muss sie 
streifen. Die hygienischen Verhältnisse vieler Schulen des Kreises 
sind sehr ungünstig ; doch muss ich bemerken, dass an mehreren 
Orten durch Neubau der Schulhäuser eine wesentliche Besserung 
bevorstand. 

Die äusserste Beschränkung des Luftraums, die Unsauberkeit 
der Schulräume, welche beim Verrücken der Bänke und des 
Katheders zuweilen zu Tage trat, die nicht selten hochgradige 
Unsauberkeit der Kinder an Körper und Kleidung sind auch 
An dieser Stelle Fragen von hohem Interesse, weil durch diese 
Umstände die Entstehung und Verbreitung von Infectionskrank- 
heiten unter den Schulkindern gefordert wird, in deren Gefolge 
dann wieder die Ohrenkrankheiten entstehen. Die in neuester 
Zeit ergangene Verfügung des Herrn Kultusministers über die 
Mitwirkung der Kreisärzte bei der Aufstellung von Bauplänen 
zu Schulneubauten oder grösseren Umbauten von Schulen lässt 
hoffen, dass mit der Zeit diese unhygienischen Verhältnisse zum 



Erankh. d. Gehörorgans unter d. Volksschalkindern d. Kreises Marburg. 173 

Segen der Jugend eine grQndliohe Aenderang erfahren werden. 
Die Untersuchungen wurden fast ausnahmslos von 7 — 10 Uhr 
Morgens, nur auf den Rundreisen während der Universitätsferien 
auch Nachmittags von 1 Uhr ab durehgefährt. Sie spielten sich 
in folgender Weise ab. 

Zunächst wurde Raum geschafft, um sich frei bewegen zu 
können, und eine Entfernung von 4 und 8 m abgemessen. Ich 
habe nach dem Vorgange von Bezold diese Entfernungen als 
Maassstab fdr den Grad der Schwerhörigkeit festgehalten, weil 
dieser Maassstab praktisch brauchbar ist und die erheblich von 
den massig Schwerhörigen scheidet; andererseits aber diejenigen 
nicht zu den Schwerhörigen rechnet, welche bei genauer Prüfung 
zwar einen gewissen Hördefect zeigen, sich aber im täglichen 
Verkehr kaum als Schwerhörige documentiren. Als Prttfungs- 
mittel diente die Flüstersprache, und zwar wurden Zahlen von 
1 — 100, bei den kleinsten Kindern von 1 — 10, zugeflüstert in 
einer Stärke, dass sie von eincQi Normalhörenden im geschlossenen 
Raum mit Sicherheit auf 20 m verstanden werden. Eine Hör- 
fähigkeit för 8 m bedeutet somit etwa Vä der normalen Ent- 
fernung. In einzelnen Orten mit sehr kleinen Schulen war die 
Beschaffung eines Raumes von über 8 m Länge nicht möglich; 
in diesen Fällen wurde in 6 m abgewandte Fiüstersprache an- 
gewandt, und dasjenige Kind als unter 8 m hörend bezeichnet, 
welches in circa 6 m abgewandte Flüsterzahlen nicht verstand. 
Von 6 m abwärts konnte dann wieder zugewandte Flüstersprache 
zur Anwendung kommen. Es blieb eben nichts Anderes übrig, 
als zu diesem Nothbehelf zu greifen, und ich glaube, dass durch 
diese modificirte Art der Prüfung bei einer sehr kleinen Zahl 
von Kindern das Resultat in seiner Gleichmässigkeit nicht be- 
einflusst ist. 

Zum Zwecke der Prüfung wurden je nach den räumlichen 
Verhältnissen gleichzeitig 15 — 20 Kinder in einer Reihe so auf- 
gestellt, dass das zu untersuchende Ohr dem Untersucher zu- 
gewandt war. Nun wurde den Kindern der Versuch erklärt; 
darauf das abgewandte Ohr mit Watte fest verstopft und zunächst 
von Allen beide Ohren mit den Händen zugehalten. Sobald die 
Untersuchung bei dem ersten Kinde begann, nahm es die Hand 
von dem zu untersuchenden zugewandten Ohre fort; die übrigen 
Kinder folgten der Reihe nach, und so ging es fort bis zum 
letzten. Dann wurde Kehrt gemacht; der Watte verschluss ge- 
wechselt und das zuvor verschlossene Ohr geprüft. 



174 IX. OSTMANN 

£s war von grosser Bedeutung, dass die Kinder yöUig un- 
befangen blieben ; sehr bald lernte ich, dass dieses Ziel sich am 
sichersten erreichen Hess, wenn ich sowohl wie der Lehrer mog- 
liehst wenig auf die Kinder einsprach. Einem älteren, verstän- 
digen Knaben wurde übertragen, darüber zu wachen, dass jeder 
es richtig machte, und seine Erklärungen halfen mir, wenn ein 
schüchternes Kind der Prüfung Schwierigkeiten bereitete. Un- 
endliche Geduld musste ich dann mit dem festen Willen, bei 
allen ein sicheres fiesultat zu erreichen, verbinden. 

Ich selbst stellte mich in einer Entfernung von 8V2 bis 9 m 
auf und sprach dem zu prüfenden Kinde mehrere Zahlen von 
1 — 100 vor, welche laut nachgesprochen werden mussten. Wur- 
den die Zahlen nicht gehört, so näherte ich mich mehr und mehr 
bis zur Gehörgrenze. Erst wenn nach nochmaliger Belehrung 
des Kindes und zwei-, drei-, selbst viermaliger Wiederholung des 
Hörversuchs das Resultat für die Prüfungszahlen „3, 8, 9, 5, 7" 
das gleiche war, wurde dasselbe als feststehend betrachtet. Bei 
einzelnen Kindern erwies es sich als sehr zweckmässig, ihre 
Aufmerksamkeit vor dem eigentlichen Hörversuch durch lautes 
Vorsprechen von Zahlen anzuregen. 

Durch diese Anspannung und Anregung der Aufmerksam- 
keit kam es zuweilen vor, dass die Kinder besser hörten, als 
die Lehrer von ihnen erwartet hatten; ja eine ganze Zahl der- 
selben hörte über 8 m Flüsterzahlen , konnte somit überhaupt 
nicht als schwerhörig bezeichnet werden. Dass aber trotzdem 
die Beobachtung des Lehrers nicht falsch war, zeigte vielfach 
die der Hörprüfung folgende objective Untersuchung der Gehör- 
organe mit dem Ohrenspiegel. Es zeigte sich nämlich, dass in 
zahlreichen Fällen mehr oder weniger erhebliche krankhafte Ver- 
änderungen des Schallleitungsapparates vorlagen, durch welche 
ein gewisser, wenn auch nicht unter 8 m reichender Hördefect 
gegeben war. Verschlechterte sich das Hörvermögen in ungün- 
stiger Jahreszeit um ein geringes, so genügte der Hördefect, um 
bei nicht angespannter Aufmerksamkeit Manches entgehen und 
dasselbe als schwerhörig erscheinen zu lassen. Das Kind küm- 
mert sich im Allgemeinen wenig um unklare Sinneseindrücke, und 
deshalb genügt schon ein geringer Grad von Schwerhörigkeit, um 
dasselbe empfindlich in seiner geistigen Entwicklung zu schädigen. 

Das Verhalten der schwerhörigen Kinder bei der Prüfung 
war in hohem Maasse charakteristisch ; während die normal Hören- 
den der Weisung, geradeaus d. h. ihrem Vordermanne auf den 



Erankh. d. Gehörorgans unter d. Volksschulkindern d. Kreises Marburg. 175 

Nacken zu sehen, sofort nachkamen, brach bei den Schwer- 
hörigen immer wieder das Bestreben durch, das Gesicht mir zu- 
zuwenden, um von meinen Lippen abzulesen und verständnisslos 
starrten sie mich oft mit weit geöffnetem Munde an. 

Ich komme nun zur Darstellung der Untersuchungsresultate 
selbst, von denen ich an dieser Stelle nur die zahlenmässigen 
erörtere. Alle rein wissenschaftlichen Fragen, für die zum Theil 
ein reiches Material durch diese Untersuchungen schon gewonnen 
worden ist oder noch gewonnen werden wird, lasse ich unbe- 
rührt ; sie werden in späteren Aufsätzen ihre Erledigung finden. 

In den 70 Schulorten des Kreises Marburg wurden 7537 
Schulkinder vom 5. — 14. Lebensjahr und zwar 3767 Knaben 
und 3770 Mädchen untersucht. 

Es hörten von den 
7537 Kindern auf einem oder beiden Ohren unter 4 bezw. 8 m 

2142 = 28,4 o/o 

und zwar entfielen auf die 
3767 Knaben 1130 Schwerhörige — 30,0 o/o der untersuchten 

Knaben 

und auf die 
3770 Mädchen 1012 Schwerhörige = 26,8 > der untersuchten 

Mädchen. 

Unter den ersteren waren demnach noch 3,2 Proc. mehr 
Schwerhörige als unter den letzteren. Diese durchschnittlichen 
Procentzahlen sind erschreckend hoch, und sie zerstören die falsche 
Annahme, dass in den Landschulen hinsichtlich der Ohrenkrank- 
heiten noch relativ günstige Verhältnisse obwalten. Wenn aber 
solche Erkrankungsziffern sich in dem Kreise Marburg finden, 
dessen Bewohner relativ sehr leicht in Marburg und Giessen freie 
specialistische Hilfe finden können, wie muss es dann in un- 
günstiger gelegenen Kreisen wie dem Frankenberger und 
Biedenkopfer aussehen? Die von mir gefundenen Procentzahlen 
stimmen fast mit denjenigen überein, welche von anderen Unter- 
suchern gefunden worden sind. Weil fand bei den Volksschul- 
kindern bis zu 30 Proc. der Untersuchten mangelhaftes Gehör 
auf einem oder beiden Ohren|, und Bezold berechnet die Zahl 
derer, die auf einem oder beiden Ohren nur etwa auf ein Drittel 
(8 m) der normalen Distanz hörten, auf 25,8 Proc. 

Von Leubuscher ist letzthin für den Saalebezirk gleich- 
falls das ungemein häufige Vorkommen von Ohrenkrankheiten 
unter den Schulkindern nachgewiesen worden. Wir sehen somit, 



176 IX. OSTMANN 

dass wir es keineswegs mit einer eigenartigen Erankheitshäufnng 
im Kreise Marburg zu thnn haben, sondern dass in den ver- 
schiedensten Theilen unseres Vaterlandes nach den genommenen 
Stichproben nahezu die gleichen Verhältnisse obwalten. 

Es ist diese schwerwiegende Erscheinung mit eine noth- 
wendige Folge der bisherigen völligen Vernachlässigung des 
Studiums der Ohrenheilkunde. 

Es soll nun nach der neuen Prüfungsordnung für Aerzte in 
Zukunft ein grösseres Gewicht auf das Studium der Ohren- und 
der mit ihnen oft zusammenhängenden Nasen- und Rachenerkran- 
kungen gelegt werden; aber es fragt sich, ob ein derartiges Gewicht 
darauf gelegt worden ist, um den aufgedeckten Schäden fortan 
gründlich zu begegnen. Die Ueberweisung der Ohrenheilkunde an 
die Chirurgie bezw. auch an die innere Medicin als Prüfungsgebiet 
bietet meines Erachtens keine hinreichende Sicherheit dafür, dass 
der Arzt gerade die für ihn nothwendigsten Kenntnisse auf diesem 
Gebiete besitze. Auch der Chirurg und der innere Mediciner sind 
für ihr Gebiet Specialisten und ihnen entgleitet ein anderes Spe- 
eialgebiet ganz naturgemäss um so mehr, je mehr sich dieses Ge- 
biet theoretisch und praktisch zu einer selbständigen Wissenschaft 
mit selbständigen Vertretern und Instituten entwickelt, wie es im 
Laufe der letzten Jahrzehnte bei der Ohrenheilkunde der Fall ist. 
Immer weniger bekommen sie von dem ihnen niemals vertraut ge- 
wordenen Gebiet zu sehen, weil die Kranken die betreflfenden Spe- 
cialkliniken und Polikliniken aufsuchen ; sollten die Vertreter der 
Chirurgie und inneren Medicin dann in erster Linie berufen sein 
zu entscheiden, was der Arzt auf dem Gebiet der Ohrenheilkunde 
gebraucht? Der Chirurg wird in die Gefahr gerathen, das ihm am 
nächsten gelegene Gebiet der grossen Ohroperationen zu streifen, 
die aber für den praktischen Arzt von geringem praktischen Werthe 
sind, weil er sie doch nicht ausfahrt, und der innere Mediciner wird 
in Verlegenheit gerathen, was er prüfen soll, wenn er sich nicht 
zufällig mit den Ohrenkrankheiten besonders beschäftigt hat, 
was ich aber von einem inneren Mediciner kaum noch gehört habe. 

Aus diesen Gründen wird die halbe Maassregel nicht den 
gewünschten Erfolg haben. 

Nach dieser kurzen Abschweifung wollen wir sehen, wie sich 
die schwerhörigen Kinder nach absoluter Zahl und procentuarisch 
auf die 70 Schulorte des Kreises vertheilen. Tabelle I giebt die 
Zahlen für alle untersuchten Kinder; Tabelle II fftr die. Knaben; 
Tabelle III für die Mädchen. 



Erankh. d. Gehörorgans unter d. Yolksschalkindern d. Kreises Marburg. 177 



Tabelle I. Die Zahl der untersuchten und schwerhörigen 

Kinder nach Ortschaften geordnet. 



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Zahl d. Schwer- 


• 

55 




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Zahl d. Schwer- 


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sachten 


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Zahl 


Kinder | 


A 




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Zahl 


Kinder 


1 


Marburg 


l627 


463 


28,5 


36 


Niederwalg. 


90 


21 


23,3 


2 


Wetter 


216 


50 


23,1 


37 


Niederweimar 


105 


38 


36,2 


a 


Allna 


44 


10 


22,7 


38 


Niederwetter 


33 


8 


24,2 


4 


Altenyers 


92 


31 


33,0 


39 


Nordeck 


93 


30 


32,2 


5 


Amönau 


129 


21 


16,3 


40 


Oberrosphe 


107 


22 


20,6 


6 


Bauerbach 


48 


11 


22,9 


41 


Oberweimar 


74 


36 


48,6 


7 


Bellnhausen 


54 


17 


31,5 


42 


Ockershausen 


186 


70 


37,6 


8 


Beltershausen 


64 


27 


42,2 


43 


Reddehausen 


61 


4 


6,5 


9 


Betziesdorf 


47 


9 


19,1 


44 


Ronhausen 


29 


8 


27,6 


10 


Bracht 


82 


18 


22,2 


45 


Rossberg 


64 


24 


37,5 


tl 


Bürgein 


79 


27 


34,2 


46 


Roth 


118 


21 


17,8 


12 


Caldern 


81 


17 


20,9 


47 


Michelbach 


59 


14 


24,6 


13 


Cappel 


154 


51 


33,1 


48 


Sarnau 


90 


18 


20,0 


14 


Coelbe 


209 


60 


28,8 


49 


Schönstadt 


144 


25 


17,3 


15 


Cyriaxweimar 


58 


17 


27,3 


50 


Schröck 


109 


51 


46,8 


16 


Dreihausen 


149 


45 


30,2 


51 


Schwaraenb. 


29 


8 


27,6 


17 


Ebsdorf 


93 


27 


29,0 


52 


Sichertshsn. 


44 


10 


23,1 


18 


Einhausen 


92 


30 


32,7 


53 


Sterzhausen 


142 


29 


20,4 


19 


Fronhausen 


187 


45 


24,0 


54 


Toden hausen 


46 


8 


17,4 


20 


Ginseidorf 


32 


7 


21,9 


55 


Treisbach 


101 


32 


31,7 


21 


Gossfelden 


120 


27 


22,5 


56 


Unterrosphe 


53 


15 


28,3 


22 


Göttingen 


28 


6 


21,4 


57 


Warzenbach 


111 


28 


25,2 


23 


Hachborn 


132 


38 


28,2 


58 


Wehrda 


117 


29 


24,7 


24 


Hassenbausen 


47 


13 


27,7 


59 


Wehrshausen 


33 


8 


24,2 


25 


Hermershaus. 


33 


5 


15,1 


60 


Weltershausn. 


40 


9 


22,5 


26 


Heskem 


111 


35 


31,5 


61 


Dilschhausen 


23 


4 


17,4 


27 


Kernbach 


37 


4 


10,8 


62 


Wenkbach 


115 


29 


25,2 


28 


Kirchvers 


67 


37 


55,2 


63 


vVermertsbsn. 


33 


13 


39,4 


29 


Leidenhofen 


80 


32 


40,0 


64 


Winnen 


34 


10 


29,4 


30 


Lohra 


215 


67 


31,2 


65 


Wolfsbausen 


12 


2 


16,6 


31 


Marbach 


51 


8 


15,7 


66 


WoUmar 


103 


33 


32,6 


32 


Mellnau 


101 


23 


22,7 


67 


Oberwalgern 


61 


21 


34,4 


33 


Moischt 


52 


18 


34,6 


68 


Witteisberg 


83 


42 


50,6 


34 


Mttnchhausen 


191 


73 


38,2 


69 


Bortshausen 


18 


3 


16,6 


35 


Niederasphe 


120 


34 


28J 


70 


Simtshausen 


55 


16 


29,1 



Summa: 70 Ortschaften | 7537 | 2142 | 28,4 

Tabelle II. Die Zahl der untersuchten und schwerhörigen 

Knaben nach Ortschaften geordnet. 



m 

u 

'TS 


Ort 


Zahl d. unter- 
sucht. Knaben 


Zahl d. Schwer- 
hörigen 


■ 

u 

TS 

d 
«^ 

S3 
1-3 


Ort 


Zahl d. unter- 
sucht. Knaben 


Zahl d. Schwer- 
hörigen 


a 


abso- 

Inte 

Zahl 


Proc. d. 
nnter- 
suohten 
Knaben 


abso- 
late 
Zahl 


Proo. d. 
unter- 
sachten 
Knaben 


1 

2 
3 


Marburg 

Wetter 

Allna 


766 
109 

18 


196 

29 

3 


25,6 
26,6 
16,6 


4 
5 
6 


Altenvers 

Amönau 

Bauerbach 


50 
62 
22 


16 

14 

5 


32,0 
22,6 
22,7 



178 



IX. OSTMANN 



• 






Zahl d. Schwer- 








Zahl d. Schwer- 


« 




'S s 


hörigen 


« 






hörigen 


'O 


Ort 






'S 

es 


Ort 








g 


abso- 
lute 


I*roc. d. 
unter- 
suchten 


abso- 
lute 


Proc. d. 
unter- 
suchten 


h-l 




N3 » 


Zahl 


Knaben 
31,0 


^ 




N g 


Zahl 


Knaben 


7 


Bellnhausen 


29 


9 


39 


Nord eck 


59 


24 


40,7 


8 


Beltershausen 


35 


15 


42,8 


40 


Oberrosphe 


61 


11 


18.0 


9 


Betziesdorf 


18 


3 


16,6 


41 


Oberweimar 


29 


12 


41,4 


10 


Bracht 


43 


10 


23,2 


42 


Ockershausen 


105 


49 


46,7 


11 


BUrgeln 


39 


14 


35,9 


43 


Reddehausen 


30 


2 


6,7 


12 


Caldera 


46 


10 


21,7 


44 


Ronhausen 


17 


5 


29,4 


13 


Cappel 


79 


34 


43,0 


45 


Rossberg 


27 


11 


40,8 


14 


Coelbe 


100 


33 


33,0 


46 


Roth 


62 


11 


17,7 


15 


Cyriaxweimar 


22 


6 


27,2 


47 


Michelbach 


32 


7 


21,8 


16 


Dreihausen 


71 


24 


33,8 


48 


Sarnau 


50 


9 


18,0 


17 


Ebsdorf 


48 


18 


37,5 


49 


Schönstadt 


69 


17 


24,6 


18 


Einhausen 


42 


15 


35,5 


50 


Schröck 


62 


32 


51,6 


19 


Fronhausen 


96 


26 


27,1 


51 


Schwarzenb. 


14 


4 


28,5 


20 


Ginseidorf 


18 


3 


16,6 


52 


Sichertshaus. 


20 


7 


35,0 


21 


Gossfelden 


52 


15 


28,8 


53 


Sterzhausen 


77 


17 


22,1 


22 


Göttingen 


13 


3 


23,0 


54 


Todenhausea 


29 


7 


24,1 


23 


Hachborn 


60 


20 


33,3 


55 


Treisbach 


44 


17 


38,6 


24 


Ilassenhausen 


26 


5 


19,3 


56 


ünterrosphe 


26 


9 


34,5 


25 


Hermershaus. 


22 


3 


13,6 


57 


Warzenbach 


53 


14 


26,4 


26 


Heskem 


60 


16 


26,7 


58 


Wehrda 


55 


12 


21,9 


27 


Kernbaeh 


21 


3 


14,3 


59 


Wehrshausen 


16 


4 


25,0 


28 


Kirch vers 


37 


25 


67,6 


60 


Weitershaus. 


23 


5 


21,7 


29 


Lcidenhofcn 


36 


13 


31,1 


r»l 


Dilschhausen. 


15 


4 


26,6 


30 


Lohra 


122 


40 


32,8 


62 


Wenkbach 


57 


15 


26,3 


31 


Marbach 


26 


5 


19,3 


63 


Werraertshsn. 


14 


6 


42,8 


32 


Mellnau 


56 


15 


26,8 


64 


Winnen 


15 


4 


26,7 


33 


Moischt 


26 


12 


46,1 


65 


Wolfshausen 


6 


1 


16,6 


34 


MttQchhausen 


113 


50 


44,2 


66 


WoUmar 


56 


20 


35,9 


35 


Niederasphe 


53 


16 


30,2 


67 


Oberwalgern 


18 


5 


27,7 


36 


Niederwalgern 


45 


9 


20.0 


68 


Wittelsberg 


37 


20 


54,0 


37 


Niederweimar 


48 


17 


35,4 


69 


Bortshausen 


10 


3 


30,0 


38 


Niederwetter 


18 


3 


16,7 


70 


Simtshausen 


32 


13 


40,6 










Summa 


70 


Ortschaften 


3767 


1130 


30,0 



Tabelle IIL Die Zahl der untersuchten und schwerhörigen 

Mädchen nach Ortschaften geordnet. 



a> 

ed 

>-5 



1 

2 
3 
4 

5 
6 

7 
8 
9 



Ort 



e 



oe 
S3 



Marburg 

Wetter 

Allna 

Altenvers 

Amönau 

Bauerbach 

Bellnhausen 

Beltershausen 

Betziesdorf 



Zahl d Schwer- 
hörigen 



abso- 
lute 
Zahl 



Proc. d 
unters. 
Mäd- 
chen 



u 

o 

& 




Zahl d. Schwer- 



hörigen 



861 


267 


31,0 


10 


107 


21 


19,6 


11 


26 


7 


26,9 


12 


42 


15 


35,7 


13 


67 


7 


10,4 


14 


26 


6 


23,1 


15 


25 


8 


32,2 


16 


29 


12 


41,4 


17 


29 


6 


20,7 


18 



Bracht 

BUrgeln 

Caldern 

Cappel 

Coelbe 

Cyriaxweimar 

Dreihausen 

Ebsdorf 

Einhausen 



Proc. d. 

unters. 
Mäd- 
chen 



39 


8 


40 


13 


35 


7 


75 


17 


109 


27 


36 


11 


78 


21 


45 


9 


50 


15 



20,5 
32,5 
20,0 
22,6 
24,7 
30,4 
26,9 
20,0 
30,0 



Krankh. d. Gehörorgans unter d. Volksschulkindern d. Kreises Marburg. 179 







oa 

V 1-4 


Zahl d. Schwer- 


• 

u 

5z 






Zahl d. Schwer- 


Ort 


«1 

"'S 

1^ 


hörigen 


^-4 

03 


Ort 


öS 

1* 


hörigen 


es 


abso- 
lute 


Proc. d.' 
unters. , 
Mäd- 


abso- 
lute 


Proc. d. 

unters. 

Mäd- 


w^ 




CS3 


Zahl 


chen , 


45 




OB 


Zahl 


chen 


19 


Fronhausen 


91 


19 


20,9 


Rossberg 


37 


13 


35,1 


20 


Ginseidorf 


14 


4 


28,5 


46 


Roth 


56 


10 


17,9 


21 


Gossfelden 


68 


12 


17,6 


47 


Michelbach 


27 


7 


25,9 


22 


Göttingen 


15 


3 


20,0 


48 


Sarnau 


40 


9 


22,5 


23 


Hachborn 


72 


18 


25,0 


49 


Schönstadt 


75 


8 


10,7 


24 


Hassenhausen 


21 


8 


38,1 


50 


Sohröck 


47 


19 


40,4 


25 


Hermershaus. 


11 


2 


18,2 


51 


Schwarzenb. 


15 


4 


26,7 


26 


Heskem 


51 


19 


37,2 


52 


Siohertshaus. 


24 


3 


12,5 


27 


Kernbach 


16 


l 


6,2 


53 


Sterzhausen 


65 


12 


18,5 


28 


Kirchvers 


30 


12 


40,0 


54 


Todenhansen 


17 


1 


5,9 


29 


Leiden hofen 


44 


19 


43,1 


55 


Treisbach 


57 


15 


26,3 


30 


Lohra 


93 


27 


29,0 


56 


ünterrosphe 


27 


6 


22,2 


31 


Marbach 


25 


3 


12,0 


57 


Warzenbach 


58 


14 


24,1 


32 


Mellnau 


45 


8 


17,8 


58 


Wehrda 


62 


17 


27,5 


33 


Moischt 


26 


6 


23,1 


59 


Wchrshausen 


17 


4 


23,5 


34 


MUnchbausen 


78 


23 


20,5 


60 


Weitershaus. 


17 


4 


23,4 


35 


Niederasphe 


67 


18 


27,0 


61 


Dilschbausen 


8 





0,0 


36 


Niederwalg. 


45 


12 


26,7 


62 


VVenkbach 


58 


14 


24,1 


37 


Niederweimar 


57 


21 


36,9 


63 


Wermertshsn. 


19 


7 


36,8 


3S 


Niedirwetter 


15 


5 


33,3 


64 


Win neu 


19 


6 


31,5 


39 


Nordeck 


34 


6 


17,6 


65 


Wolfshausen 


6 


1 


16,6 


40 


Obcrrosphe 


46 


11 


23,9 


66 


WoUmar 


47 


13 


27,7 


41 


Oberweimar 


45 


24 


53,3 


67 


Oberwalgern 


43 


16 


37,2 


42 


Ockershansen 


81 


21 


26,0 


68 


Witteisberg 


46 


22 


47,8 


43 


Reddehausen 


31 


2 


6,5 


69 


Bortshausen 


8 





0,0 


44 


Ronhausen 


12 


3 


25,0 


70 


Simtshausen 


23 


3 


13,0 










Summa 


70 


Ortschaften 


3770 


1012 


26,8 



Der Procentsatz der sohwerhörigen Kinder hat in den ver- 
schiedenen Orten sehr bedeutende Schwankungen gezeigt. Der 
niedrigste Procentsatz wurde in Reddehausen mit 6,5 Proc, der 
höchste in Kirchvers und Witteisberg mit 55,2 Proc. und 50,6 Proc. 
gefunden. 

Stellt man die 70 Sohulorte zu Gruppen von je 10 zu 10 Proc. 
Schwerhörigen zusammen, so ergiebt sich folgende Gruppi- 
ruDg: 

O—lOö/o in einer Ortschaft: Reddehausen; 
10,1 — 20^/0 in 11 Ortschaften: Todenhausen, Amönau, Schön- 
stadt, Betziesdorf, Kernbach, Dilschbausen, Marbach, Her- 
mershausen, Bortshausen, Wolfshausen, Roth; 
20,1 — 30,00/0 in 34 Ortschaften: Niederasphe, Simtshausen, Mell- 
nau, Oberrosphe, Wetter, Warzenbach, Niederwetter, ünter- 
rosphe, Bracht, Schwarzenborn , Sterzhausen, Göttingen, 
Caldern, Michelbach, Gossfelden, Sarnau, Cölbe, Wehrda, 
Ginseidorf, Weitershausen, Wehrshausen, Marburg, Bauer- 



180 IX. OSTMANN 

bach, AUna, Cyriaxweimar, Bonbausen, Wenkbacb, Nieder- 

walgern, Fronbausen, Sicbertsbansen, Hassenbansen, Haob> 

born, Ebsdorf, Winnen; 
30,1 — 40,0 ö/o in ISOrtscbaften: Wollmar,Müiiebbaugen,Trei8baeh, 

Bürgeln, Elnbaasen, Oekershausen, Cappel, Niederweimar, 

Moiscbt, Heskem, Dreihausen, Rossberg, Nordeck, Wermerts- 

hausen, Bellnbausen, Oberwalgern, Altenvers, Lohra; 
40,1 — 50,0 ®/o in 4 Ortscbaften: Scbröek, Oberweimar, Belters- 

bausen, Leidenbofen; 
50,1—60,00/0 in 2 Ortscbaften: Witteisberg, Kircbvers. 

Man ersieht ans dieser Znsammenstellung, dass sich in 24 
Ortschaften des Kreises über 30 Proc. schwerhöriger Kinder be- 
fanden. 

Betrachtet man die Knaben und Mädchen fQr sich gesondert, 
so ergiebt sich, dass unter den ersteren verbältnissmässig nicht 
unerheblich mehr Schwerhörige sich befinden als unter den 
letzteren. Tabelle II und III geben die auf die einzelnen Ort- 
schaften entfallenden Zahlen. 

Durchschnittlich waren 30 Proc. der Knaben schwerhörig, 
somit 3,2 Proc. mehr als Mädchen, von denen je 26,8 von Hun- 
dert an Schwerhörigkeit litten. 

In einzelnen Dörfern erreichte der Procentsatz der schwer- 
hörigen Knaben eine geradezu erschreckende Höhe; so in Kircb- 
vers mit 67,6 Proc, in Witteisberg mit 54,0 Proc. Schwerhörigen. 

Stellt man auf Grund der Tabelle II (Knaben) die 70 Ort- 
schaften wiederum zu Gruppen von je 10 zu 10 Proc. schwer- 
höriger Knaben zusammen, so zeigt sich, dass in 

1 Ortschaft 0,0—10,0 Proc. 
13 Ortschaften 10,1—20,0 „ 
27 „ 20,1—30,0 „ 
16 „ 30,1—40,0 „ 
10 „ 40,1—50,0 „ 

2 „ 50,1—60,0 „ 

1 „ 60,1—70,0 „ waren. 

Es standen somit über dem Gesammtdurchschnitt von 
30,0 Proc. noch 29 Ortschaften, während 41 denselben nicht er- 
reichten. 

Etwa ein Drittel aller schulpflichtigen Knaben 
des Kreises Marburg, ausgenommen die Schüler der 
beiden höheren Schulen Marburgs, ist somit schwer- 
hörig; d. h. hört auf einem oder beiden Ohren nur auf 



Krankh. d. Gehörorgans unter d. YolksBchulkindern d. Kreises Marburg. 18 1 

etwa ein Drittel der normalen Entfernung oder we- 
niger. 

Die Bedeutung dieser Thatsaohe für die einzelnen Indivi- 
duen leuchtet Jedem sofort ein; es ist aber zweekmässig, auch 
darauf hinzuweisen , welche Bedeutung sie f&r den Staat hat. 

Neben dem Steuerzahlen ist eine der wichtigsten staats- 
bürgerlichen Pflichten der Heeresdienst. 

Wie ich in meiner Arbeit über die Krankheiten des Gehör- 
organs in der Armee dargelegt habe, sind nach den Sanit&ts- 
berichten vom 1. Jan. 1867 bis 31. März 1896 aus der preussi- 
schen Armee, einschliesslich des XIII. und XII. Armee- Corps — 
von 1872 bezw. 1882/83 an — 15958 Mann wegen Ohrenkrank- 
heiten als dienstunbrauchbar ausgeschieden; weiter aus der 
gleichen Ursache 357 als Halbinvalide und 2003 als Ganzinvalide, 
im Ganzen 18318 Mann. Nur für die Zeit vom 1. April 1878 
bis 31. März 1896 lässt sich erkennen, wie viele von den Dienst- 
unbrauchbaren schon vor der Einstellung erkrankt waren ; es waren 
von 12196 Mann 10582 oder 86,8 Proc. Zu diesem Verlust treten 
noch die während der Dienstzeit an Ohrenkrankheiten Gestor- 
benen und die gewiss sehr grosse Zahl derer hinzu, welche so- 
gleich bei der Musterung und Aushebung als schwer ohrenkrank 
erkannt wurden und somit überhaupt nicht zur Einstellung ge- 
langten, üeber ihre Zahl könnten nur die Eekrutirungslisten 
Auskunft geben. 

Noch eine weitere Schädigung erwächst der Armee und 
dem Lande durch die grosse Zahl der ohrenkranken Soldaten. 

Die mit chronischen Ohrenleiden eingestellten Mannschaften 
werden verhältnissmässig häufig zu ärztlicher Behandlung im 
Lazareth oder Revier Veranlassung geben. Es entfällt dadurch 
eine gewisse Zahl von Diensttagen, die um so grösser ist, als 
die durchschnittliche Behandlungsdauer eines jeden Ohrenkranken 
in der Armee nach meinen Berechnungen fär die 12 Jahre 
1884/85 bis 1895/96 22,2 Tage betragen hat und zur Zeit auch 
nicht wesentlich weniger betragen wird. Nun kommt hinzu, 
dass der durchschnittliche Jahreszugang der in der Armee be- 
handelten Ohrenkranken von 1874/75 bis 1896 eine fast ununter- 
brochene und zwar beträchtliche Steigerung erfahren hat. 

Von 1874/75 bis 1881/82 betrug der durchschnittliche Jahres- 
zugang 7,5 pro mille der Eopfstärke; im Jahr 1882/83 erfuhr 
derselbe eine plötzliche Steigerung auf 11,2 pro mille und stieg 
dann langsam weiter bis 1893/94, wo er mit 14,2 pro mille den 



182 IX. OSTMANN 

höehsten Stand von 1867 bis 1896 enreichte. Sehr viel häufiger 
noch als in der preussisohen Armee sind die Ohrenkrankheiten 
in der bayrischen, wo im Durchsehnit von 8 Jahren — 1888/89 
bis 1895/96 — das I. Corps 25,0 pro mille, das II. Corps 18,2 
pro mille Ohrenkranke hatte. 

Noch einen dritten Punkt möchte ich hervorheben. In dem 
Sanitätsberichte vom l. April 1894 bis 30. Sept. 1896 hat man 
in der Statistik der Dienstunbrauchbaren eine Trennung eintreten 
lassen, indem die Zahl der unmittelbar nach der Einstellung als 
dienstuntauglich festgestellten und wieder entlassenen Mann- 
schaften von den übrigen Dienstunbrauchbaren getrennt ange- 
geben ist. 

Während der 2V2 Jahre sind 1769 Mann wegen Ohrenleiden 
sogleich bei der Einstellung als dienstuntauglich erkannt worden. 
Diese Zahl repräsentirt also diejenigen sonst brauchbaren Militär- 
pflichtigen, deren Ohrenleiden bei der Musterung und Aushebung 
übersehen, oder, falls erkannt, nicht für so bedeutsam erachtet 
wurde, um Dienstunbrauchbarkeit zu bedingen. Diese sogleich 
bei der Einstellung als dienstunbrauchbar erkannten Mann- 
schaften sind nun aber keineswegs sofort wieder entlassen worden, 
sondern 957 derselben im 1 . Dienstmonat, 758 im 2. — 6., 54 im 
7. — 12. Monat. Fast die Hälfte der Mannschaften hat somit 
Monate lang nutzlos auf Staatskosten gelebt. 

Ergiebt sich nicht aus der Betrachtung der vorerwähnten 
drei Punkte, dass der Schaden, der durch die ungemeine Ver- 
breitung schwerer Ohrenkrankheiten dem Staate erwächst, ein 
so beträchtlicher ist, dass es werth ist, auch aus diesem Gesichts- 
punkte eine Minderung dieser Krankheiten anzustreben? Be- 
trachten wir einmal die jetzt noch schulpflichtigen Knaben des 
Kreises Marburg mit Bezug auf ihre dereinstige Dienstbrauch- 
barkeit. 

Von den 1130 schwerhörigen Knaben hörten 
112 auf beiden Ohren unter 4 m und 
101 auf einem Ohr unter 4, auf dem andern unter 8 m. 

Diese 213 Knaben dürften somit, falls nicht durch eine sach- 
gemässe Behandlung ihre Schwerhörigkeit beseitigt oder wenig- 
stens gebessert wird, dereinst zum grössten Theil fftr den activen 
Dienst bei der Truppe ausfallen. Wie viele aber ausserdem von 
den 208 Knaben, welche jetzt auf beiden Ohren 4 — 8 m hören? 
Gewiss haben wir trotz des grossen Bedarfs noch einen 
Ueberschuss an dienstbrauchbaren Mannschaften, aber trotzdem 



Erankh. d. Gehörorgans unter d. Yoiksschalkindern d. Kreises Marbarg. 183 

dürfte ernstlich darauf Bedacht zu nehmen Bein, dass kein so 
hoher Procentsatz von sonst brauchbaren jungen Leuten allein 
durch eine einzige Krankheitsgruppe verloren gehe, um so mehr 
als dieser Verlust nicht durch die Art der Erkrankungen als 
solche begründet, sondern wesentlich durch die völlige Vernach- 
lässigung derselben und die allgemeine Unkenntniss ihrer Dia- 
gnose und Behandlung bedingt ist 

Diese 2 1 3 Knaben fallen aber dereinst nicht allein als Sol- 

« 

daten zum grössten Theile aus, sondern auch als voUwerthige 
Arbeiter in ihrem jeweiligen Beruf; sie werden in ihrer geistigen 
ivie gemüthlichen Entwicklung wesentlich geschädigt. Es waltet 
ein eigenes Missgeschick über diesen Kranken. Ganz langsam, 
oft dass sie es selbst kaum merken, schleicht sich die Schwer- 
hörigkeit ein, die das Kind veranlasst, die immer undeutlicher 
werdenden Gehörseindrttcke mehr und mehr zu vernachlässigen, 
fio dass es bei Verkennung der vorliegenden Schwerhörigkeit 
Eltern und Lehrern als unachtsam und ungehorsam erscheinen 
muss. Es wird gescholten und geschlagen und empfindet diese 
Behandlung als eine Ungerechtigkeit. Diese Empfindung macht 
es verschlossen, misstrauisch ; es wird immer unleidlicher. Auch 
der geistige Verkehr wird gehemmt; das Kind bleibt in seiner 
Entwickelung zurück, erscheint dummer als seine Altersgenossen 
und wird von diesen geneckt. Wie anders behandelt man das 
schwachsichtige Kind! Wird endlich die Schwerhörigkeit er- 
kannt, so vermag der Arzt sie nicht saohgemäss zu behandeln; 
und werden dann die Spargroschen zusammengelegt, um an der 
Universität Hilfe zu suchen, so fehlen hier wieder zumeist die 
klinischen Einrichtungen, um gegebenen Falls das Kind frei oder 
für einen geringen Entgelt in sachgemässe Behandlung zu neh- 
men. Aber auch der Beste vermag bei aller Aufopferung durch 
ein- oder zweimalige Consultation einen Fall nicht zu heilen, der 
an sich wohl heilbar, aber zu seiner Heilang einer mehrwöchigen, 
ununterbrochenen Behandlung bedarf. 

Wie oft habe ich nun schon vor der Frage gestanden, wie 
ich diesen Kindern helfen soll! Man kann nicht vielen neben 
dem ärztlichen Rath auch noch das Gleld geben, ihn sich zu 
holen. Hier müssen weitere Kreise eingreifen, indem sie die 
für die Heilung auch des armen Kindes nothwendigen Vor- 
bedingungen schaffen. 

Dadurch wird man gleichzeitig den berufenen Vertretern 
der Ohrenheilkunde gerecht, indem man ihnen die gleichen Be- 

Archi7 f. Ohrenheilkande. LIV. Bd. 1 3 



184 IX. OSTMANN 

diDgüBgen des Lehrens nnd Lernens sehafft wie den Vertretern 
der übrigen Theilgebiete der Medicin. 

leh hatte sehen zuTor darauf hingewiesen, dass die Mädchen 
relativ günstiger stehen. Von den 3770 nntersnohten Mädchen 
erwiesen sieh 1012 oder 26,8 Proc. als schwerhörig. Tabelle 3 er- 
giebt ihre Vertheilnng auf die Schnlorte des Kreises und das 
procentnarisehe Verhältniss der Schwerhörigen zu den in den 
einzelnen Ortschaften überhaiy)t Untersnchten. 

In zwei ganz kleinen Schulen — Dilschhansen nnd Borts- 
hansen — fand sich unter den je 8 untersuchten Mädchen kein 
schwerhöriges. Auch Todenhausen mit 5,9 Proc, Eernbach mit 
6,2 Proc. und Reddehausen mit 6,5 Proc. standen günstig; sehr 
ungünstig dagegen Oberweimar mit 53,3 Proc, Witteisberg mit 
47,8 Proc, Beltershausen mit 41,4 Proc. 

Stellt man wiederum die Ortschaften zu Gruppen von je 

10 zu 10 Proc. schwerhöriger Mädchen zusammen, so fanden 

sich in 

5 Ortschaften 0—10 Proc 

16 „ 10,1 — 20,0 „ 

30 „ 20,1—30,0 „ 

14 , 30,1-40,0 , 

4 , 40,1-50,0 „ 

1 Ortschaft 50,1 — 60,0 „ 

Man ersieht aus den vorhergehenden Ausftihrungen, dass die 
Vertheilung der Schwerhörigen — Knaben wie Mädchen — eine 
sehr verschiedene war. Es fragt sich, ob in dieser Vertheilung 
eine Gesetzmässigkeit zu erkennen ist. Um leichter die Verhält- 
nisse übersehen zu können, habe ich die beigegebene Karte 
des Kreises Marburg entworfen und in dieselbe die 70 Sehulorte 
des Kreises eingezeichnet. 

Für diejenigen, [welche den Kreis Marburg nicht genauer 
kennen, möchte ich mit einigen Worten die topographischen Ver- 
hältnisse desselben besprechen. 

Der Kreis Marburg ist einer der grössten Kreise des Re- 
gierungsbezirkes Gassei und hat einen Flächeninhalt von 10,22 
D Meilen. Er umfasst 2 Städte, 88 Landgemeinden und 7 Guts- 
bezirke. Er wird bewohnt von 49890 Personen und zwar von 
23908 männlichen und 25982 weiblichen Geschlechts. 

Er wird durchströmt von der Lahn, in welche von Norden 
her die Wettschaft, von Osten her die Ohm einmündet. Die durch- 



Krankh. d. Gehörorgans unter d. Volksschulkindern d. Kreises Marburg. 186 

Uebersichtskarte 
der Vertheilung der schwerhörigen Schulkinder auf die 70 Schul- 

orte des Kreises Marburg. 



iWollmar 



®Nd:Aspftt 



I Treisbach 



iMvncMrs. 



iWetler 



^(Kiwrasptie 
'Siepihausen 






Betzhsdotf , 

© 



iMarbach^ 



fWeHSÄ 
DHsehhausen 

Ellnhmsen 

#¥lehrsht. 

Ifettershatisen ^^ | Marifi!!;^ 

Hermershs. ^ . ,1^ 

^ I 
AVna 



iBmseUorL 



'Bauerbach 



ScArgdIr 






Lahrs 



nienkbaef^ 
^iWalßtrn 



I Beltershs. ^^j!^'- 
u,„iLsen • © 

Bartshausm Hesktm 



AMenvers Obatwsfyem 
W C^ Fnabs-i 



Ebsdarf 
M» X^-^ ' ^ ® Dreihausen 



<:^h1'^^"^^ ^-^-^ 



^Bellnhs. 



Mannen 
1 fleagr. iWeiJe 



Wermertsb«. 



Q 0—10,1 Proc. Schwer hörJgo 
10,1—20,0 - 
20,1—30,0 « 



30,1—40,0 Proc. Schwerhörige 
40,1—50,0 - 
50,1—60,0 - 



13» 



186 IX. OSTMANN 

schnittlioh 1 — 2 Kilometer breiten Flussthäler werden auf beiden 
Seiten von 200 — 400 Meter hohen, bewaldeten Höhenzügen ein- 
gefasBt. Diese Höhenzfige habe ich auf der Karte durch starke 
schwarze Linien gekennzeichnet. An dieselben schliesst sieh 
nach Westen stark bewaldetes, bergiges Land; der östlich der 
Lahnberge gelegene Abschnitt des Kreises ist ebener und geht 
in das breite Ohmthal über, welches zum Kreise Kirchhain 
gehört. 

Die Flussthäler werden von Eisenbahnlinien durchzogen, 
iieren bedeutendste die Main- Weser-Bahn ist. Die Eisenbahnen 
sind auf der Karte durch Linien kenntlich gemacht. 

Die einzelnen Ortschaften des Kreises zeigen verschiedene 
Markirung, welche die verschiedenen Procentsätze der ohren- 
kranken zu den in den einzelnen Ortschaften überhaupt unter- 
suchten Kindern angeben; die Bedeutung der verschiedenen 
Markirungen ist aus den der Karte beigegebenen Erklärungen 
ersichtlich. 

Bei dem ersten Blick auf die Karte scheinen die Orte ver- 
schiedenster Procentzahlen bunt durcheinander gewürfelt; dem ist 
jedoch nicht so. 

Es lassen sich deutlich 4 Gruppen von Ortschaften mit hohen 
und höchsten Procentzahlen erkennen. 

Die erste — centrale — Gruppe in der nächsten Um- 
gebung Marburgs, gebildet von den Landgemeinden Ockershausen, 
Cappel, Nieder Weimar, EUnhausen; die anderen 3 Gruppen liegen 
in den äussersten Ecken des Kreises, und zwar wird die süd- 
östliche Gruppe von den Gemeinden Schröck, Moischt, Bel- 
tershausen, Witteisberg, Heskem, Leidenhofen, Dreihausen, Boss- 
berg, Nordeck und Wermertshausen ; die südwestliche von 
Lohra, Oberwalgern, Altenvers und Kirchvers; die nordwest- 
liche schliesslich von Treisbach , Münchhausen und WoUmar 
gebildet. 

Dem gegenüber weisen die in den Flussthälern und ihrer 
unmittelbaren Umgebung gelegenen Ortschaften fast ausnahmslos 
unter dem Durchschnitt liegende Procentzahlen auf. Dass ein 
kleiner Ort wie Bellnhausen eine Ausnahme macht, kann die 
im Groj^sen Ganzen eigenartig gesetzmässige Anordnung der Ge- 
meinden mit hohen und höchsten Procentzahlen einerseits und 
relativ niedrigeren andererseits nicht wesentlich stören. Lassen 
sieh nun Gründe für diese Gruppirung finden? 



Erankh. d. Gehörorgans unter d. Volksschulkindern d. Kreises Marburg. 187 

Meines Erachteng wirken bei dieser Vertheilung verschiedene 
Ursachen mit. Ganz allgemein gesprochen, wird man dort die 
meisten Ohrenkrankheiten finden, wo nicht nur die Bedingungen 
f&r ihre Entstehung in Folge des Klimas, des häufigen Auftretens 
von Infectionskrankheiten und anderer Ursachen mehr die rela- 
tiv günstigsten sind, sondern wo auch die Bedingungen fbr die 
Heilung der Erkrankten nach den localen und socialen Verhält- 
nissen die relativ ungünstigsten sind. 

Das Klima kann man für alle Orte des Kreises Marburg als 
ein im Allgemeinen gleichartiges ansehen ; es dürfte deshalb ge- 
wagt sein, dieses Moment fQr die Erklärung der besonders hohen 
Procentzahlen der vorerwähnten 4 Gruppen heranzuziehen. Es 
dürften vielmehr locale und sociale Verhältnisse eine ausschlag- 
gebende Bolle spielen. 

Betrachten wir zunächst die socialen Verhältnisse. Ich bin 
als Arzt mit der ländlichen Bevölkerung mehrerer Provinzen des 
Preussisehen Staates in Berührung gekommen; aber ich habe 
nur in gewissen Theilen Ostpreussens Landstriche gesehen, deren 
Bewohner durchgängig so wenig auf Sauberkeit des Körpers und 
der Wohnung halten, wie dies in Oberhessen der Fall ist. Wo 
aber ein derartiger Schmutz herrscht, da sind die günstigsten 
Bedingungen für das Auftreten von Infectionskrankheiten ge- 
geben, in deren Verlauf dann die Ohrenkrankheiten sich ent- 
wickeln. Insbesondere kommt hier auch in Betracht die grosse 
Verbreitung der Tuberculose, über deren Beziehung zu den Ohren- 
krankheiten der Schulkinder ich noch an späterer Stelle einige 
Bemerkungen einflechten werde. Die in der näheren Umgebung 
Marburgs gelegenen Dörfer werden von einer relativ sehr star- 
ken Arbeiterbevölkerung bewohnt und gehören, so hart es ist, 
es auszusprechen, mit zu den schmutzigsten, die ich im Kreise 
gesehen habe. Mit der Armut verbindet sich ja leider nur zu 
gern der Schmutz und auch eine gewisse Gleichgültigkeit gegen 
körperliche Schäden, sofern dieselben, wie dies bei den chroni- 
schen Ohrenkrankheiten häufig der Fall ist, lange Zeit keine auf- 
fallenden und beunruhigenden Krankheitserscheinungen machen. 
Man lässt die Erkrankungen bei den Kindern unbeachtet oder 
kann auch nicht die zum Verdienst nothwendige Zeit hergeben, 
um häufiger weite Wege zum Arzt zu machen. Die Beeinträch- 
tigung, welche die geistige Entwickelung der Kinder durch die 
Schwerhörigkeit erfährt, wird erst dann als ein wesentlicher 
Nachtheil empfunden, wenn das Kind nach der Entlassung ans 



188 IX. OSTMANN 

der Schule sich selbst sein Brot verdienen soll nnd nun im Wett- 
bewerb mit Vollsinnigen ins Hintertreffen geräth. Ich mochte 
glauben, dass die Procentzahlen der Schwerhörigen in den Mar- 
burg umgebenden Arbeiterdorfern noch höher sein würden, als 
sie es thatsächlioh sind, wenn nicht die besonders günstige Oe- 
legenheit, die sich den Bewohnern zu einer freien, saehgemässen 
Behandlung in Marburg bietet, doch von einer ganzen Zahl aus- 
genutzt würde. So wird wenigstens ein Theil der Erkrankten 
mit guter Hörsch&rfe geheilt. 

In den von Marburg am weitesten entfernten Dörfern liegen 
die socialen Verhältnisse vielleicht etwas günstiger; aber für 
diese Landgemeinden tritt die grosse Schwierigkeit hinzu, sich 
ohne allzu grossen Aufwand von Zeit, Mühe und auch Geld 
sachgemässe ärztliche Hilfe zu verschaffen. Der kleine Bauer, 
der Tagelöhner, der mit seiner Familie sein Feld selbst bestellt, 
wird während der Sommermonate nur durch die äusserste Noth 
veranlasst werden, mehrmals einen ganzen Tag für die Reise 
nach Marburg zu opfern ; im Winter aber stehen der weite Weg 
und die ungünstigen Witterungsverhältnisse der Reise entgegen, 
und um den Arzt zu sich kommen zu lassen, dazu fehlt das 
Geld. Ich habe nicht selten von Frauen, die aus jenen fernen 
Dörfern kamen, in der Poliklinik gehört, dass sie um 2 und 
3 Uhr Nachts mit ihren kranken Kindern aufgebrochen seien. 
Die Kinder waren dann nach ihrer Ankunft in der Poliklinik 
so müde, dass sie kaum aus dem Schlafe zu erwecken waren. 
Wenn nun an einem solchen Kind eine kleine Operation, wie 
z. B. die Fortnahme der vergrösserten Rachenmandel, zur Heilung 
erforderlich ist, darf der Arzt eine solche Operation vornehmen, 
ohne leichtsinnig zu handeln, wenn er weiss, dass das Kind 
einen 15 Kilometer weiten Rückweg in Hitze und Staub, in 
Sturm und Regen zurückzulegen hat? Thut er es, um das Kind 
zu heilen, so wagt er mehr, als er vielleicht verantworten kann; 
thut er es nicht, so bleibt das Kind ungebeilt; der Weg, die 
Mühe, der Arbeitsverdienst für die verloren gegangene Zeit ist 
unnütz hergegeben; das Kind bleibt fort und mit ihm viele 
andere in gleicher Lage. Sollte man denn nicht über- 
zeugen können, dass es sich verlohnt, auch für sol- 
che Kinder eine Gelegenheit zu schaffen, dass sie 
einige Tage unter ärztlicher Obhut bleiben können, 
selbst wenn die Eltern nicht in der Lage sind, einen 
höheren Verpflegungssatz zu zahlenl 



Erankh. d. Gebörorgans unter d. Yolksschulkiadera d. Kreises Marburg. 189 

Diese looalen SchwierigkeiteD treten in den von Marburg 
entferntesten Dorfern zu den socialen Verhältnissen der länd- 
liehen Bevölkerung Oberhessens hinzu und dürften den er- 
schreckend hohen Proeentsatz von schwerhörigen Kindern er- 
klären. Die am Ohr erkrankten Kinder bleiben eben zum grossen 
Theil unbehandelt und ungeheilt, sofern nicht bei dem einen 
oder anderen Naturheilung eintritt. 

Die in den Flussthälern gelegenen Dörfer sind, wie mir 
scheinen will, in socialer Beziehung im Allgemeinen, bezüglich 
der Verkehrsverhältnisse aber durchgehends günstiger gestellt 
als die vorerwähnten Landgemeinden. So zeigen diese Dörfer, 
an sich betrachtet, zwar noch sehr hohe, relativ aber mittlere, 
selbst niedrige und auiSfallend gleichmässige Procentzahlen. Durch 
die Eisenbahnen, welche in den Flussthälern entlang laufen, ist 
die Möglichlichkeit, schnell und billig in Marburg Hilfe zu suchen, 
gegeben, und diese G-elegenheit wird reichlich benutzt. Es ist 
mir bisher nicht möglich gewesen, selbst oder durch einen An- 
deren zahlenmässig für die ersten 10 Jahre des Bestehens der 
Poliklinik für Ohren-, Nasen- und Halskranke zu Marburg nach- 
weisen zu lassen, in welcher Weise die einzelnen Dörfer des 
Kreises Marburg dieselbe in Anspruch nehmen; aber ich hoffe, 
eine derartige Untersuchung als weitere Ergänzung zu dieser 
Arbeit im Laufe des nächsten Jahres bringen zu können. Es 
wird dann die Bedeutung der örtlichen Lage des Ortes wahr- 
scheinlich noch schärfer hervortreten und es wird sich vielleicht 
überraschend zeigen, dass eine Eisenbahn eine Gegend nicht nur 
wirthschaftlich sondern auch gesundheitlich erschliesst. 

Die Tabellen I, II und III, welche den bisherigen Aus- 
fthrungen als zahlenmässiges Material zu Grunde gelegen haben, 
führen summarisch die Zahl der schwerhörigen Kinder auf; die 
nachstehenden Tabellen IV, V und VI erbringen nun für jede 
einzelne Ortschaft den zahlenmässigen Nachweis, welcher Grad 
der Schwerhörigkeit bei den Kindern gefunden worden ist, und 
zwar Tabelle IV für Knaben und Mädchen gemeinsam, Tabelle V 
und VI für jede Kategorie gesondert. 



190 IX. OSTMAHN 

Tabelle IV. Grvppirwig der tchwerhörigen Kinder nach 

dem Grade der Schwerhörigkeit und der Belkeitigung eines oder 

beider Gehörorgane. 



1 


T 


T 


ichlire ei nee Ohres 


HerabEetzDDR der BCrschirte 
beide? Ohienanf 






i3 


H 


























0-4 m inr 


i 




1 


1 


0-H 


m 


*-8. 


O-t 


m 


1-8 m 


|^Bm''«S 




Ort 
















1. and. Ohr 


^ 


S 

TS 


i 


35 


7,6 






T 

£ 

1 


il 


1 

S 

1 


il 


1 


II 

£ 


1 


Marburg 


1627 


463 


264 


64,9 


60 


10,8 


80 1 17,3 


44 


9,5 


2 


Weiler 


216 


50 


4 


8;o 


25 


60,0 




8,0 


11 


22,0 


6 


12,0 


3 


Allna 


44 


10 






8 


80,0 




10.0 








10,0 


4 




92 


31 




6,5 


18 


58,0 






7 


22,7 




12,S 


B 


AmOniQ 


129 


21 




4,8 


11 


52,3 




14,3 


5 


23^8 




4,8 


e 


Banerbaeb 


48 


11 




IB,2 


4 


36,4 




27,2 


2 


18,2 






7 


BellDbauEeu 


b4 


n 




5,9 




35,3 






9 


52,9 




5,9 


8 


Beltarabanaen 


64 


27 






20 


74,1 




3,7 


5 


18.5 




3,7 


9 


BeUieidorf 


47 


9 




33,3 


5 


55,6 




11,1 










10 


Biasbt 


82 


18 




22,2 


8 


44,5 




11,1 


2 


11,1 




11,1 


U 


BOrgeln 


79 


27 




14,8 


16 


59,3 




T,4 


4 


14,8 




3,7 


1! 


Caldfrn 


81 


17 




5,9 


7 


4i:2 




11.8 


2 


lila 




22,3 




Cappal 


154 


51 


10 


19,6 


28 


54,9 




11,8 


4 


7,8 




5,9 


U 


Coelbe 


209 


60 




1.1 


37 


61,7 




6,7 


13 21,7 




8,3 


15 


Cjriatweimar 


68 


17 






6 


35,4 




17,6 


3 1 17,6 




29,4 


16 


Dreihausen 


149 


45 






2S 


62,2 




4,5 


15 1 33,3 






17 


Ebfdorf 


93 


27 




3,7 


13 


48)1 




7,5 


8 29,6 


3 


11,1 


18 




92 


30 




13,3 


15 


50,0 




3,3 


7 ' 23,3 


3 


10,0 


19 


FroubauseD 


187 


45 




4,4 


27 


60,0 




6.7 


7 ■ 15,5 


6 


13.4 


■20 


Gineeldorf 


32 


7 




14,3 


4 


57,1 




14,3 




1 


14,3 


21 


GoufetdeD 


120 


27 




22,2 


10 


37,0 




11,1 


5 1 18.5 


3 


11,1 


22 


Gattin gen 


28 


6 




16,7 


2 


33,3 






2 33,3 


1 


16,7 


23 


Hacbborn 


132 


38 




5,3 


23 


60,6 




7,9 


8 21,0 


2 


5,3 


24 


H BBsenhaastn 


47 


13 






6 


46,1 






4 ' 30,8 


3 


23,1 


■ib 




33 


ä 




20,0 




20,U 




20,0 


2 40,0 






26 


Heeke» 


111 


35 






16 


45,7 




5,7 


12 34,3 


5 


14,3 


27 


Enubaob 


37 


4 






2 


50,0 




25,0 


1 25,0 






28 


Kircbvers 


67 


37 




5,4 


24 


64,9 






11 29,7 






29 


Leidenbofen 


SO 


32 




6,3 


21 


656 




6,3 


6 18,6 


1 


3,2 


30 


Lobra 


215 


67 


10 


14,9 


28 


41,8 


13 


19,4 


12 , 17,9 


4 


6,0 


31 


Uaibach 


51 


8 






2 


25,0 




25,0 


4 iSO.O 






33 


Melliian 


101 


23 




8.7 


14 


60,9 




13,0 


4 


17,4 






33 


Moitcbt 


52 


18 






12 


66,7 






4 


22,2 






34 




191 


73 


18 


24,7 


29 


39,7 


15 


20,6 


4 


5,4 


7 


9,6 


35 


HiedeiBEphB 


120 


34 




2,9 


20 


58,9 




20,5 


4 


11,8 


2 


5,9 


36 


Kiedptwalg. 


90 


21 




9,5 




52,5 






6 


28,5 


2 


9,5 


37 


Nieder Weimar 


106 


38 




7,9 


24 


63,2 




2,6 


6 


15,8 


4 


10,5 


38 


Niederwetter 


33 


8 




12,5 


4 


50,0 




12,5 




12,5 




12,5 


39 


Nordeok 


93 


30 




10,0 


17 


56,7 




6,6 


6 


20,0 




6,7 


40 




107 


22 




13,6 


9 


40,9 




13,6 


6 


27,4 




4,5 


41 


Oberweimar 


74 


36 




8,3 


17 


47.3 




8,3 


6 


16,6 


7 


19,5 


42 




186 


70 




11,4 


37 


53,0 




7,0 


10 


14,3 


10 


14,3 


43 


Beddebansen 


61 


4 






3 


75,0 






1 


25,0 






44 




29 


8 


1 


12^5 


4 


50,0 


— 


— 


2 


25,0 


1 


12;5 



Erankh. d. Gehörorgans unter d. Yolksschulkindern d. Kreises Marburg. 191 



9 

a 

« 
h3 



45 
46 
47 
48 
49 
50 
51 
52 
53 
54 
55 
56 
57 
58 
59 
60 
61 
62 
63 
64 
65 
66 
67 
68 
69 
70 



Ort 



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Herabsetzung der HOr- 

scliflrf e eines Ohres 

auf 



0—4 m 



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Herabsetzung der HOrschäife 
beider Ohren auf 



0—4 m 



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dem einen 
4—8 m anf 
d. and. Ohr 



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Eossberg 

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Micbelbaoh 

Sarnaa 

Schönstadt 

Sohröok 

SchwarzeDb. 

Sichertshaus. 

Stershausen 

Todenbausen 

Treisbaoh 

ünterrosphe 

Waraenbach 

Webrda 

Wehrshaiueii 

Weitersbaus. 

Oilsohbausen 

Wenkbacb 

Weimer tshsn. 

W innen 

Wolfsbaasen 

Wollmar 

Oberwalgern 

Witteisberg 

Bortshausen 

Simtshausen 



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2 


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21 


2 


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12,5 



12 
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16 

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16 

21 

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2 

12 
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14 

16 

27 

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70,6 
50,0 
80,0 
31,0 
50,0 
53,1 
46,6 
57,1 
72,4 
37,5 
44,5 
50,0 
41,4 
53,S 
80,0 
100,0 
42,4 
76,2 
64,4 
33,3 
56,2 



3 
3 

2 


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14,3 
14,4 


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2 


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2 
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33,3 


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5,5 

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3,9 

12,5 

10,0 

3,5 

12,5 

15,6 

6,7 

3,6 

12,5 



6,9 



6.1 
4,8 
7,1 



Summa 7537 {2142 

Siunmen der einseitig und doppel- 
seitig Schwerhörigen 



2 05 1 9,6 1157 54,0 
1362« 63,7 Proc. 



195 9,1 411 19,2 174 8,1 
780 = 36,3 Proc. 



Tabelle V. Gruppirung d. schwerhör. Knaben nach dem Grade der 
Schwerhörigkeit und Betheiligung eines oder beider Gehörorgane. 



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Heräbsetzong der Hör- 
schärfe eines Ohres 
auf 



Herabsetzung der Hörschftrfe 
beider Ohren anf 



4-8 m 



1 
2 
3 



Marburg 

Wetter 

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766 

109 

18 



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29 

3 




0-4 m anf 
dem einem 
4—8 m auf 
,d- and. Ohr 



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42 


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44 


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47 


Micbetbaob 


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Sarnau 




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51 


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beider Obieuant 
















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19 


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2 


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33,3 


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2 


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2 


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2 


11 




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2 


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1 


14,3 




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66,7 








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1 


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14 


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2 
4 


32 

4 


2 


50,0 


24 
2 


75,0 
50,0 


_ 


3,1 


- 


18.8 


1 


3,1 



Erankh. d. Gehörorgans unter d. Yolksschulkindern d. Kreises Marburg. 193 







p 

a 
M 


Q 

•3 

a 


Herabsetanug der Hör- 

Bchftrfe eines Ohres 

auf 


Herabsetzong der HOrsoharfe 
beider Ohren auf 


• 


















0—4 m auf 


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0—4 m 


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0-4 m 


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dem einen 
4—8 m auf 


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Ort 


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d. and. Ohr 


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oc.d.Sohwerh 
überhaupt 


1 
1 


oc.d.Schwerh 
überhanpt 


1 


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1 


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7 


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1 


5,9 


54 


Todenhausen . 


29 


7 


1 


14,3 


3 


42,8 






2 


28,6 


1 


14,3 


55 


Treisbaoh . . 


44 


17 


5 


29,4 


7 


41,2 






2 


11,7 


3 


17,7 


56 


Unterrosphe . 


26 


9 


1 


n,i 


4 


44,5 


1 


IM 


2 


22,2 


1 


11,1 


57 


Warsenbaoh . 


53 


14 


2 


14,3 


8 


57,1 


1 


7,2 


3 


21,4 


— 


— 


5S 


Wehrda . . 


55 


12 


1 


8,3 


8 


66,7 


1 


8,3 


2 


16,7 


— . 


— 


59 


Wehrsbausen . 


16 


4 


— 


— 


1 


25,0 


2 


50,0 


— 




1 


25,0 


60 


Weitershaus. . 


23 


5 


— 




3 


60,0 


1 


20,0 


1 


20,0 




— 


61 


Dilscbhausen . 


15 


4 


1 


25,0 


2 


50,0 






1 


25,0 




— 


62 


Wenkbach . . 


57 


15 


1 


6,7 


7 


46,7 


3 


20,0 


2 


13,3 


2 


13,3 


63 


Wermertshsn. 


14 


6 




— 


4 


66,7 






2 


33,3 




— 


64 


Winnen . . 


15 


4 


— 




4 


100,0 






— > 






— 


65 


Wolfshausen . 


6 


1 






1 


100,0 






— 








66 


Wollmar . . 


56 


20 


3 


15,0 


9 


45,0 


3 


15,0 


3 


15,0 


2 


10,0 


67 


Oberwalgern . 


18 


5 






2 


40,0 


1 


20,0 


2 


40,0 




— 


68 


Witteisberg . 


37 


20 


2 


10,0 


13 


65,0 






2 


10,0 


3 


15,0 


69 


Bortshausen . 


10 


3 


1 


33,3 


1 


33,0 






1 


33,3 




— 


70 


Simtshausen . 


32 


13 


2 


15,4 


6 


46,2 






5 


38,4 


— 




Summa 


3767 

ad do] 
L Enal 


1130 

jpel- 
>eii 


Hl 9,9 


59S 


52,9 


112 9,9 


208 


18,4 


101 


8,9 


Summe der einseitig: n 
seitig schwerhOngei 


709 


»= 6 


2,8 r 


roc. 




421 


= 3 


7,2 P 


roc. 





Tabelle VI. Gruppiruhg d. schwerhörig. Mädchen nach dem Grade 
der Schwerhörigkeit u, der Betheiligung eines od, If eider Gehörorgane. 



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08 


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Herabsetzung der Hör- 
schärfe eines Ohres 
auf 




0—4 m 



Herabsetzung der Hörschärfe 
beider Ohren auf 




0—4 m auf 

dem einen 

4—8 m auf 

d. and. Ohr 



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1 
2 
3 
4 
5 
6 
7 
8 
9 



Marburg 

Wetter 

Allna . 

AlteuTers 

Amönau 

Bauerbach 

Bellnhausen . 

Beltershausen. 

Betziesdorf 



861 


267 


21 


8,0 


151 


56,5 


27 


10,1 


47 


17,6 


21 


107 


21 


2 


9,5 


13 


61,9 


1 


4,8 


4 


19,0 


1 


26 


7 






6 


85,7 


1 


14,3 








42 


15 


2 


13,3 


10 


66,7 


— 


— 


3 


20,0 


— 


67 


7 


1 


14,3 


4 


57,1 


1 


14,3 


1 


14,3 


— 


26 


6 


1 


16,7 


2 


33,3 


2 


33,3 


1 


16,7 


— 


25 


8 


1 


12,5 


3 


37,5 




— 


3 


37,5 


1 


29 


12 






10 


83,3 


— 




2 


16,7 




29 


6 


1 


16,6 


4 


66,7 


1 


16,7 









7,8 

4,8 



12,5 



194 



IX. OSTMANN 







-g 


4 


Herabsetzung der Hör- 


HerabsetzuDg der Hörschärfe 








3 


schftrfe eines r 
auf 


jnres 


beider Ohren auf 
















— 4 m auf 


u 




d 














dem einen 


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0—4 m 


4—8 m 


0-4 m 


4-8 m 


4—8 m auf 


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Ort 


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d. and. Ohr 





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39 


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1 


12,5 


3 


37,5 




25,0 


1 


12,5 


1 


12,5 


11 


Bttrgeln . . 


40 


13 


1 


7,7 


10 


76,9 


— 




2 


14,4 


— 


— 


12 


Caldern . . 


35 


7 






2 


28,6 




14,3 


1 


14,3 


3 


42,8 


13 


Cappel . . 


75 


17 


2 


11,7 


10 


58,8 




17,7 


1 


5,9 


1 


5,9 


14 


Coelbe . . . 


109 


27 






18 


66,7 




3,7 


7 


25,9 


1 


3,7 


15 


Cyriaxweimar 


36 


11 






5 


45,5 




18,2 


3 


27,3 


1 


9,1 


16 


Dreihausen . 


78 


21 


~— 


— 


11 


52,4 




4,8 


9 


42,8 


^— 





17 


JBbsdorf . . 


45 


9 






5 


55,6 






2 


22,2 


2 


22,2 


18 


Einhängen 


50 


15 


2 


13,3 


10 


66,7 


— 




1 


6,7 


2 


13,3 


19 


Fronhausen . 


91 


19 






10 


52,6 


— 




6 


31,6 


3 


15,8 


20 


Ginseidorf 


14 


4 






2 


50,0 




25,0 


— 


■"" 


1 


25,0 


21 


Gossfelden 


68 


12 


4 


33,3 


3 


25,0 






3 


25,0 


2 


16,7 


22 


Göttingen 


15 


3 


l 


33,4 


— 


— 




— 


1 


33,3 


1 


33,3 


23 


Hachborn 


72 


18 


1 


5,5 


10 


55,7 




5,5 


4 


22,2 


2 


u,i 


24 


Hassenhaven 


21 


8 




— 


3 


37,5 


— 




3 


37,5 


2 


25,0 


25 


Hermershaus. 


11 


2 


1 


50,0 


1 


50,0 


— 




— 


— 


— 


— 


26 


Heskem . . 


51 


19 




— 


9 


47,4 




5,3 


8 


42,0 


1 


5,3 


27 


Kernbach . . 


16 


1 




— 


1 


100,0 


— 




— 


— 


— 


— 


28 


Kirchyers . . 


30 


12 






6 


50,0 


— 




6 


50,0 




— 


29 


Leidenhofen . 


44 


19 


1 


5,2 


13 


68,5 




5,2 


4 


21,1 


— 


— 


30 


Lobra . . . 


93 


27 


4 


14,8 


8 


29,6 




26,0 


8 


27,6 


— 


— 


31 


Marbach . . 


25 


3 


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— 


1 


33,3 






2 


66,7 




— 


32 


Mellnau . . 


45 


8 




— 


7 


87,5 




12,5 


— 


— 


— 


— 


33 


Moisoht 


26 


6 


1 


16,6 


4 


66,7 


— 


— 


1 


16,7 


— 


— 


34 


Mttnchhausen 


78 


23 


7 


30,4 


8 


34,8 




17,4 


1 


4,4 


3 


13,0 


35 


Niederasphe . 


67 


18 


1 


5,6 


11 


61,1 




11,1 


2 


lt,l 


2 


11,1 


36 


Niederwalgern 


45 


12 


l 


8,3 


7 


58,4 






3 


25,0 


1 


8,3 


37 


Niederweimar 


57 


21 


1 


4,8 


12 


57,1 




4,8 


5 


23,8 




9.5 


38 


Niederwetter 


15 


5 


1 


20,0 


3 


60,0 


— 




1 


20,0 





— 


39 


Nordeck . . 


34 


6 


1 


16,7 


2 


33,3 


— 





3 


50,0 





— 


40 


Oberrosphe . 


46 


11 


3 


27,3 


6 


54,5 




9,1 


— 


— 


1 


9,1 


41 


Oberweimar . 


45 


24 


2- 


8,4 


12 


50,0 




4,2 


3 


12,5 


6 


24,9 


42 


Ockershausen 


81 


21 


4 


19,0 


10 


47,6 




5,0 


3 


14,3 


3 


14,3 


43 


Beddehausen 


31 


2 


— 


— 


2 


100,0 


— 





— 




— 


— - 


44 


Eonhausen 


12 


3 


1 


33,3 


1 


33,3 






1 


33,3 




— - 


45 


fiossberg . . 


37 


13 






8 


61,5 




15,4 


3 


23,1 




— 


46 


Roth . . . 


56 


10 


1 


10,0 


4 


40,0 




10,0 


4 


40,0 




— 


47 


Mioheibach . 


27 


7 


1 


14,3 


4 


57,1 




14,3 


1 


14,3 




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48 


Sarnau . . 


40 


9 


1 


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4 


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2 


25,0 


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2 


25,0 


50 


Schröck . . 


47 


19 


— 




12 


63,1 




5,3 


5 


26,3 


1 


3,3 


51 


Schwarzenb. 


15 


4 


l 


25,0 


2 


50,0 


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— 




1 


25,0 


52 


Sichertshaus. 


24 


3 


— 




3 


100,0 




— 


— 




— 


— 


53 


Sterzhausen . 


65 


12 


2 


16,7 


4 


33,3 




8,3 


5 


41,7 




— 


54 


Toden hausen . 


17 


1 




— 


1 


100,0 


— 










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55 


Treisbach . . 


57 


15 


2 


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10 


66,7 


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1 


6,7 


2 


13,3 


56 


Unterrosphe . 


27 


6 






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50,0 




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3 


50,0 


— 


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57 


Warzenbach . 


58 


14 




— 


8 


57,1 


2 


14,3 


3 


21,4 


1 


7,2 



Krankh. d. Gehörorgans unter d. Volksschalkindern d Kreises Marburg. 195 



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Herabsetzang der Hör* 

schärfe eines Ohres 

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4—8 m 



Herabsetzung der HOrsohärfe 
beider Ohren anf 



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0—4 m anf 

dem einen 

4—8 m anf 

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69 
70 



Wehrda 

Wehrshausen 

Weitershaus. 

Dilflohhausen 

Wenkbach 

Wermertshsn. 

Winnen . 

Wolfshausen 

WoUmar . 

Oberwalgern 

Witteisberg 

Bortshausen 

Simtsbausen 



62 
17 
17 

8 
58 
19 
19 

6 
47 
43 
46 

8 
23 



17 
4 

4 



14 

7 

6 

1 

13 

16 

22 



2 
1 
1 



5 
1 
4 

1 



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25,0 
25,0 



35,7 

16,6 

30,8 

4,5 



13 
2 
1 



5 
3 
4 
1 
5 

14 
14 



76,4 
50,0 
25,0 



35,7 
42,9 
66,7 
100,0 
38,4 
87,5 
63,6 



100.0 



1 
1 
2 
3 



50,0 



7,2 
16,7 
15,4 
13,7 



2 

1 



3 
4 



2 
1 
4 



1I,S 
25,0 



21,4 

57,1 



15,4 

6,3 

18,2 



6,2 



Summa 377n|i012 

Summe der ein.seitig nnd doppel- 
seitig schwerhörigen Mädchen 



94 I 9,3|559| 55,2{ 82 | 8,1 1 204| 20,'2| 73 | 7,2 



653 == 64,5 Proc. 



359 -= 35,5 Proc. 



Ich will die Resultate kurz zasammenstellen. 
Von den 2142 schwerhörigen Kindern hörten: 
auf einem Ohr 0—4 m 205 = 9,6 Proc. der Schwerh. überhaupt 



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4—8 „ 1157 = 54,0 



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77 


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77 


77 


77 


77 



auf beid. Ohren — 4 „ 1 95 
, 4-8 , 411 
, dem ein. Ohr 0—4 ,1 , - . _ ^ . 
, , and. „ 4-8 J^'*- »»l . . n 

Es waren somit 1362 Kinder = 63,7 Proc. einseitig; 
780 = 36,3 Proc. doppelseitig schwerhörig. 

Für die 1130 schwerhörigen Knaben allein ergiebt sich fol- 
gende Zusammenstellung. 

Es hörten: 
auf einem Ohr — 4 m. . 
Knaben überhaupt, 
auf einem Ohr 4—8 m 

Knaben überhaupt. 

auf beiden Ohren — 4 m 

Knaben überhaupt, 

auf beiden Ohren 4— 8 m. 

Knaben überhaupt, 



111= 9,9 Proc. der schwerhörigen 
598 = 52,9 Proc. der schwerhörigen 
112 = 9,9 Proc. der schwerhörigen 
208 = 18,4 Proc. der schwerhörigen 



196 IX. OSTMANN 

auf dem einen Ohr — 4 m) 

auf dem anderen Ohr 4-8 m] ^^^ = ^,9 Proc. der schwerhörigen 

Knaben überhaupt. 
Es waren somit 709 «= 62,8 Proo. einseitig, 421 = 37,2 Proc» 
doppelseitig schwerhörig. 

Die gleiche Zusammenstellung für die 1012 schwerhörigen 
Mädchen ergiebt folgendes Resultat. Es hörten: 
auf einem Ohr — 4 m • 94 = 9,3 Proc. det schwerhörigen 

Mädchen überhaupt, 
auf einem Ohr 4—8 m . 559 = 55,2 Proc. der schwerhörigen 

Mädchen überhaupt, 
auf beiden Ohren — 4 m 82 = 8,1 Proc. der schwerhörigen 

Mädchen überhaupt, 
auf beiden Ohren 4 — 8 m 204 = 20,2 Proc. der schwerhörigen 

Mädchen überhaupt, 
auf dem einen Ohr — 4m) 
aufdem anderen Ohr 4-8 mj 73 — 7,2 Proc. der schwerhörigen 

Mädchen überhaupt. 

Somit waren 653 =« 64,5 Proc. einseitig; 359 = 35,5 Proc. 
doppelseitig schwerhörig. 

Eine Vergleichung der Procentzahlen für Knaben und Mäd- 
chen zeigt, dass die ersteren nicht nur häufiger, sondern auch 
schwerer erkrankt waren; denn unter den Knaben finden sich 
3,5 Proc. mehr doppelseitig erheblich Schwerhörige, wenn man 
diejenigen Knaben so bezeichnet, welche beiderseits — 4 m oder 
auf dem einen Ohre — 4 m, auf dem anderen Ohre 4 — 8 m 
hörten. 

Ich habe mich nun weiter der Mühe unterzogen, die schwer- 
hörigen Knaben und Mädchen nach ihrem Lebensalter zusammen- 
zustellen und das procentuarische Yerhältniss zu berechnen, in 
dem sie zu den in den einzelnen Lebensjahren überhaupt Unter- 
suchten stehen. Das Resultat von 20 Tabellen ist in der Ta- 
belle VII zusammengezogen und überdies in der beigegebenen 
Curventafel ersichtlich gemacht. 

Die ausgezogene Curve zeigt die Häufigkeit der Schwerhörig- 
keit unter den Knaben vom 6. — 13. Lebensjahr; die gestrichelte 
diejenige unter den Mädchen und zwar im procentuarischen Ver- 
hältniss zu der Zahl der in den bezüglichen Lebensjahren über- 
hauptuntersuchten Knaben bezw. Mädchen. Das 5. und 14. Lebens- 
jahr sind ausser Berechnung geblieben, weil die Zahl der in 
diesen Lebensjahren untersuchten Knaben wie Mädchen zu klein 



Krankh. d. Gehörorgans unter d. Volksschulkindern d. Kreises Marburg. 197 






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198 IX. OSTMÄNN 

ist, um Dicht ZufäUigkeiteB in der ErkraakuDgsziffer aiiBzn- 
scbliessen. 

Die beiden Cmven zeigen eine OberraBehende Gleiehmässig- 
keit in ihrem Verlauf. Vom 6.-8. Lebensjahr nimmt die Zahl 
der schwerhörigen Knaben wie Mädchen stetig zn und erreicht bei 
den Knaben im letztgeuannten Jahr ihre höchste Höhe. Im 9. Jahr 

Die Häufigkeit der Sckwerhörigkeil unter den Volkstchulkindern 
des Kreiaes Marburg vom 6. bis J3. Lebensjahr procentuarisck zur 
Zahl der in den einsehen Leiiensjahren überhaupt Untersuchten. 

HHufiskeit Lebensjahr 

der S&vBt- 

hBiigk. idOo fi. 7. 8. 9. 10. 11. 12. 13, 



Ausgezogene Linie: Koabeo; gestrichelte Linie: Mädchen. 

werden bei beiden Geaehleehtern die Erkrankungen seltener, um 
im 10. Jahr von Neuem zuzuaehmen und für die Mädchen hier 
ihren Gipfelpunkt zu erreichen. Das 11. und 12. Leben^ahr 
zeigt wiederum relativ wenig Erkrankte; im 13. steigt dagegen 
von Neuem die Zahl derselben. 

Soweit die Verliältnisse des Kreises Marburg iu Betracht 
kommen, trifft somit die Behauptung Weil's nicht zu, dass 



Erankh. d. QehörorgßLOB unter d. VoDuacknlkiBdern d. KreiMB Marbiuf . 199 

bereits in den Schuljahren mit zanehmendem Alter die Hor^ 
Störungen h&ufiger werden,!] eine Annahme, der aneh Bezold 
nieht beipfliehten kann. Die Besehiftignng der Kinder in der 
Schule bringt an sieh keine Gefahren ftr*das Hörrermögen 
mit sich, wie dies namentlieh bei den Sehttlem der höheren 
Schulen hinsichtlich! des Sehvermögens der Fall ist; aber in- 
direot erwachsen durch den Schnlbesneh aneh ftir das Ohr er- 
hebliche Gefahren, weil die Schale unzweifelhaft die -Ueber- 
tragung von Infectionskrankheiten begünstigt, die ihrerseits zu 
Ohrerkrankungen sehr h&ufig Veranlassung geben. 

Diese Gefahr der Ansteckung ist aber in den ersten Schul- 
jahren im Allgemeinen am grössten, und vielleieht liegt hierin 
ein Grand far die stete Steigerung der Schwerhörigkeit bis zum 
8. Lebensjahr. 

Es wirken aber noch andere Ursachen mit Sobald das 
Kind in die Schule tritt, wird es selbständiger; es tummelt sich 
freier umher und muss namentlich da, 'wo zwei oder mehrere 
Gemeinden eine gemeinsame Schule haben, in Wind und Wetter 
ziemlich weite Wege zurftcklegen, auf denen die Gefi&hr der Er- 
kältung nicht gering ist Selbst in dem ausnahmsweise schönen 
Sommer 1901 konnte ich mich von der ungemeinen Verbreitung 
der Katarrhe der oberen Luftwege ttberzeugen. Das bekannte 
^Sohniefen^ war eine zum Tbeil sehr lästige Störung. Durch 
Katarrhe der Nase und des Rachens wird aber sehr häufig das 
Ohr in Mitleidenschaft gezogen; somit dürfte in diesen Verhält- 
nissen wohl ein weiterer Grand ftlr die starke Zunahme der 
Ohrenkrankheiten in den ersten Schuljahren zu finden sein. Ob 
vielleicht in den verschiedenen Lebensjahren eine verschiedene 
Disposition der Kinder zu Ohrenkrankheiten besteht, muss ich 
dabingestellt sein lassen; ebenso vermag ich ftir die weiteren 
Schwankungen der Carven vom 8. Lebensjahre an eine plausible 
Erklärung nicht zu geben. 

Es verbleibt mir schliesslich noch zu berichten, welche Krank- 
faeitsbefunde bei der objectivenUntersuchnng erhoben worden sind. 

Es sind untersucht 15074 Gehörorgane, von denen auf etwa 
Vs der normalen Entfernung oder darunter 2922 Gehörorgane 
oder 19,4 Proc. aller untersuchten hörten (Tabelle VIII). Diese 
Procentzahl deckt sich fast mit der von Bezold bei seinen in 
Manchener Schulen vorgenommenen Untersuchungen. Von 3836 Ge- 
hörorganen erwiesen sich nämlich 79,25 Proc. als normal und 
20,75 Proc. als pathologisch. 

Archiv f. Ohrenheilkunde. LIV. Bd. 14 



200 IX. OSTMANN 

In der Tabelle IX habe ioh fllr die einzelnen Ortsohaften 
und f&r die Hörweiten von — ^4, 4—8 nnd über 8 m gesondert 
alle krankhaften Verändeningen zasammengestellt, welche bei 
der Ohrenspiegeknteninchang gefanden worden sind. Fdr die 
Hörweite über 8 in habe ieh nur die wichtigeren Yerändeningen 
— Narbe, trockene Durchlöcherung, chronische Eiterung, acute 
Entzündung — in die Tabdle aufgenommen. Die Zahl der G-e- 
hörorgane, welche über 8 m hörten und mehr oder weniger 
starke Einziehungen des Trommelfells aufwiesen, war eine sehr 
beträchtliche. 

Ich will die gewonnenen Resultate auch hier summarisch 
zusammen&ssen, und zwar zunächst f&r sämmtliche 2922 schwer- 
hörige Gehörorgane ohne Bücksicht auf die Yerschiedenartig- 
keit der Hörstörung. 

Es fand sich: 
Ohrenschmalzpfropf ... bei 290 Oehörorg. »^ 9,9 Proc. 
Einziehung des Trommelfells 
mit und ohne Atrophie des- 
selben bei 1285 „ «= 43,9 Proc. | 

Narbe od. umschriebene Atro- ^ 

phie des Trommelfells mit S 

oder ohne Verkalkung oder o 

geringer Einziehung . . bei 322 „ = 11,0 Proc. g, 

Sehnige Trübung, Glanzlosig- S 

keit, nicht selten mit ge- » 

ringer Einziehung ... bei 363 „ — 12,4 Proc. -g 

Chron.Eiterungd. Mittelohres bei 109 „ = 3,7 Proc. ^ 

Trockene Durchlöcherung des ^ 

Trommelfells bei 68 „ =2,3 Proc. ^ 

Acute Entzündung .... bei 45 „ =1,5 Proc. 
Kein ausgesprochen krank- 
haft. Befund am Trommelfell bei 440 „ «15,1 Proc. 
Unter den Gehörorganen, welche über 8 m hörten, fanden 
sich ausserdem, — um einige der wichtigsten krankhaften Ver-* 
änderungen zahlenmässig aufzuftlhren: 
Narbe oder umschriebene Atrophie mit oder ohne Verkal- 
kung oder Einziehung des Trommelfells bei . . 285 

Trockene Durchlöcherung bei 39 

Chronische Eiterung bei 25 

Acute Entzündung bei 12 

Somit wurden unter den 15074 Gehörorg. überhaupt gefimden : 



Ennkh. d. Gehörorgans unter d. Yolksschulkindeni d. Kreises Marburg. 201 



Tabelle YIII. Die Zahl der uniertuekten und schwerhörigen 
Gehörorgane sowie ihr Verhäliniu %u einander nach Ortschaften 

geordnet. 






1 

2 

3 

4 

5 

6 

7 

8 

9 

10 

11 

12 

13 

14 

15 

16 

17 

18 

19 

20 

21 

22 

23 

24 

25 

26 

27 

28 

29 

30 

31 

32 

33 

34 

35 



Ort 



I 
ll 






Harburg 

Wetter . 

AUna . 

Altenrers 

AmOnau 

Bauerbach 

BeUnhaasen 

Beltershausen 

Betziesdorf 

Bracht . 

Bllrgeln 

Caldem 

Cappel . 

Coelbe . 

Cyriaxweimar 

Dreihansen 

Elnhansen 

Ebsdorf . 

Fronhausen 

Oinseldorf . 

Gossfelden 

Göttingen . 

Haohbom . 

Hasaenhaosen 

Hermershaus. 

Heskem 

Kembaoh . 

Kirohyers . 

Leidenhofen 

Lohra . . 

Marbach • 

Mellnau . 

Moischt 

Mnnohbaasen 

Niederasphe 



3254 
432 

88 
184 
258 

96 
108 
128 

94 
164 
158 
162 
308 
418 
116 
298 
184 
186 
374 

64 
240 

56 
264 

94 

66 
222 

74 
134 
IbO 
430 
102 
202 
104 
382 
240 



88 
ll 



637 

71 
12 
42 
30 
16 
27 
34 
10 
24 
34 
26 
64 
82 
28 
62 
41 
40 
61 

9 
38 

9 
51 
20 

8 
54 

6 
48 
41 
96 
14 
30 
22 
99 
47 



I 

11 



19,6 
16,4 
13,6 
22,8 
11,6 
16,6 
25,0 
26,5 
10,6 
14,8 
21,5 
16,0 
20,8 
19,6 
24,1 
20,8 
22,3 
21,5 
16,3 
14,0 
15,8 
16,1 
19,3 
21,3 
12,1 
24,3 
8,1 
35,8 
25,6 
22,3 
13,7 
14,9 
21,1 
26,0 
19,6 









Ort 



36 
37 
38 
39 
40 
41 
42 
43 
44 
45 
46 
47 
48 
49 
50 
51 
52 
53 
54 
55 
56 
57 
5S 
59 
60 
61 
62 
63 
64 
65 
66 
67 
68 
69 
70 




Niederwalgern 

Niederweimar 

Niederwetter 

Nordeok . 

Oberasphe . 

Oberweimar 

Ockershausen 

Reddehausen 

Ronhausen 

Rossberg . 

Roth . . 

Michelbaoh 

Sarnau . . 

Schoenstadt 

SchrOck . 

Schwarsenborn 

Sichertshausen 

Stershausen 

Todenhausen 

Treisbaoh . 

Unterosphe 

Warzenbach 

Wehrda . 

Wehrshausen 

Weitershausen 

Dilsohhausen 

Wenkbach 

Wermertshaas, 

Winnen . 

Wolfshausen 

WoUmar . 

Oberwalgem 

Witteisberg 

Bortshausen 

Simtshausen 



160 


29 


210 


49 


66 


11 


186 


40 


214 


32 


148 


52 


372 


95 


122 


5 


58 


11 


128 


34 


236 


29 


118 


20 


180 


23 


288 


32 


218 


66 


58 


9 


88 


11 


284 


44 


92 


11 


202 


40 


106 


22 


222 


38 


234 


34 


66 


12 


80 


13 


46 


5 


230 


40 


66 


19 


68 


11 


24 


2 


206 


45 


122 


26 


166 


54 


36 


4 


110 


21 



16,1 
23,3 
16,7 
21,5 
15,0 
35,1 
25,5- 

4,1 
18,9 
26,& 
12,a 
16,9 
12,8 

lU 
30,2 

15,5 
12,5 
15,5^ 
12,0 
19,8- 
20,8 
17,1 
14,& 
18,2 
16,2 
10,9 
17,4 
28,8 
16,2 

8,a 

21,8 
21,3 
32,& 
11,1 
19,1 



Summa 70 Ortschaften 1 15074 1 2922 1 19,4 



14* 



202 



IX. OSTMANN 






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Beltershausen 
Betziesdorf 
Bracht . . 
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Coelbe . . . 
Cyriaxweimar 
Dreihausen . 
Einhausen 
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Krankh. d. Gehörorgans unter d. Volktscholkindern d. Ereifes Marburg. 203 

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I I I I I I I ~^l I I I I I mI 



Narbe mit n. ohne Yer- 
Valkung od. Einzieliiiiig 



Laufende No. 



o 



Zahl d. unten. Gehörorgane 



Cemmen 



Einziehang des Tifl. 



Sehnige Trübnng, Qlanz- 
losigkeit, zumeist mit ge- 
ringer Einziehang 



Chronische Eiterung 



Trock. Dorchlöchernng 



Acute Entzfindung 



Ohne Befand am Trfl. 



I 



s 



I 

B 



Cemmen 



Einziehang des Trfl. 



Narbe d. Trfl. mit u. ohne 
Verlc oder Eimdehung 



Sehnige Trübung, Glanz- 
losigkeit, zumeist mit ge- 
ringer Einziehung d. Trfl. 



Chronische Eiterung 



Acute Entzfindung 



Trock. Durchlöcherung 



Ohne deutl. krankh. BeL 
a.Trfl. meist Mundathmer 



Zahl d. sohwerh. GeIi(3rorgane 



Narbe d. Tzfl. mit u. ohne 
York, oder Einziehung 



M 

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Trock. Durchlöcherung 



Chronische Eiterung 



Acute TrommeUeUent- 
zflndung 



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Krankh. d. Gehörorgans unter d. Yolksscholkindem d. Kreises Bfarborg. 205 



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Narbe oder nrnsehriebene Atrophie des 
Tronmielfells mit oder ohne Ver- 
kalkung oder Einziehmig ... bei 607 -» 4,0 Proo. 

Troekene Dnrohlöchemng bei 107 <— 0,7 Proc. 

Chroniflohe Eiterung bei 136 — 0,9 Proe. 

Aonte Entzttndong bei 57 —> 0,4 Proe. 

Nach der Darlegung der Oesammtresultate wollen wir im 
Einzelnen die krankhaften Veränderungen am Trommelfell nnd 
Mittelohr betrachten, welche sich einerseits an den Gtehororganen 
mit einer Hörweite von — 4 m, andererseits von 4 — 8 m fanden. 

Von den 770 Gehörorganen mit einer Hörweite von — 4 m 
zeigte sich: 

Ohrenschmalzanhänfung . . bei 95 Gehörorg. »». 12,3 Proc. 

Einziehung des Trommelfells bei 308 „ *» 40,0 Proc. 

Narbe od. umschriebene Atro- 
phie n. s. w bei 112 „ = 14,5 Proa g 

Sehnige Trübung, Glanzlosig- | 

keit häufig mit geringer % 

Einziehung bei 84 „ = 10,9 Proc. o 

Chronische Mittelohreiterung bei 63 „ — 8,2 Proc. 2 

Trockene Durchlöcherung . bei 35 „ = 4,5 Proc. g 

Acute Entzündung .... bei 18 „ =2,3 Proc. ^- 

Kein ausgesprochen krank- 
hafter Trommelfellbefund . bei 55 „ — 7,1 Proc. 

Bei den 2152 Gehörorganen mit einer Hörweite von 4 — 8 m 
war die Häufigkeit der verschiedenen Krankheitsbefunde folgende: 

Ohrensehmalzanhänfting . . bei 195 Gehörorg. »» 9,1 Proc 

Einziehung des Trommelfells bei 977 „ — 45,4 Proc. 

Narbe od. umschriebene Atro- 
phie des Trommelfells mit 
oder ohne Verkalkung oder 
Einziehung bei 210 „ — = 9,8 Proc. 

Sehnige Trübung, Glanzlosig* 
keit häufiger mit geringer 
* Einziehung d. Trommelfells bei 279 „ = 13,0 Proc. 

Chronische Mittelohreiterung bei 46 „ »»2,1 Proc. 

Acute Entzündung .... bei 27 „ = 1,3 Proc. 

Trockene Durchlöcherung . bei 33 „ =1,5 Proc. 

Kein ausgesprochen krank- 
hafter Trommelfellbefand . bei 385 „ = 17,9 Proc. 



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206 IX. OSTMANN 

Aü8 der VergleicbiiDg der Procentzablen der beiden letzten 
Gruppen ergiebt sieb, dass bei erbeblieberer Sebwerbörigkeit 
relativ sebr viel seltener ein ausgesproebener Erankbeitsbefnnd 
feblt als bei den geringeren Graden, nnd dass in der ersten 
Gmppe die cbronisobe Mittelobreitemng und ibre Folgeznstände 
relativ viel stärker vertreten sind als in der zweiten. In beiden 
Gruppen ist die Proeentzabl fttr die Einziebnng des Trommelfells 
eine sebr bobe; diese Veränderung des SobalUeitungsapparates 
fand sieb bei 43,9 Froo. aller sebwerbörigen Gebörorgane und 
ausserdem bei einer grossen Zabl von über 8 m börenden 
Kindern. Die Einziebung des Trommelfells ist vornehmlioh ein 
Zeioben des überstandenen oder noob fortbestebenden Mittelobr- 
und Tubenkatarrbs und man muss nacb einer Erklärung fElr 
das so ungemein bäufige Auftreten dieser Erkrankungszustände 
sucben. 

leb finde die Erklärung in erster Linie in der Häufigkeit 
der Katarrbe der Nase und des Baobens, von denen die Kinder 
befallen werden. Fttr diese aber sobeint mir eine andere Krank- 
beit eine wiobtige Rolle zu spielen, die in Oberbessen so un- 
gemein verbreitete Tuberoulose. leb vermag an dieser Stelle 
nur meinen Eindruck wiederzugeben, den ich binsiobtliob dieser 
Frage aus meinen Beobaebtuugen, den Gespräcben mit Pfarrern 
und Lebrern gewonnen babe. Eine siobere Unterlage boffe ich 
scbaffen zu können, wenn die von mir ausgesandten 2142 Frage- 
bogen beantwortet vorliegen werden. 

loh babe den Eindruck gewonnen, dass die weite Verbrei- 
tung der Tuberoulose unter der bäuerlicben Bevölkerung Ober- 
bessens die Katarrbe der oberen Luftwege und somit auob der 
von diesen wiederum so ungemein bäufig abbängigen Mittelobr- 
und Tubenkatarrhe bei den Kindern dadurcb begünstigt, dass bei 
den aus tuberculösen Familien stammenden Kindern die Sobleim- 
bäute der Respiration sorgane weniger widerstandsfäbig sind und 
somit unter schädigenden Einwirkungen leichter erkranken und 
auch schwerer abheilen; dass weiter diese Kinder eine besondere 
Neigung zu Schwellungen des adenoiden Gewebes der Rachen- 
schleimhaut zeigen, wodurch die Rachen- und Nasenkatarrbe 
unterhalten und Ohrenkrankheiten mit besonderer Leichtigkeit 
hervorgerufen werden. 

Derartige langdauernde Katarrhe der oberen Luftwege haben 
aber[ nicht allein f&r das Gehörorgan ihre schwerwiegende Be- 
deutung, sondern auch ftir die Fortentwicklung der Tuberoulose, 



Erankh. d. GehörorganB uoter d. Yolksschalkiodem d. Kreises Marbarg. 207 

weil sie den Boden f)lr die Tabercnloseinfection vorbereiten. Die 
Mögliehkeit einer Gelegenheit zn der Infeotion ist aber im höchsten 
Haasse gegeben, wo Unsanberkeit des Körpers, Sehmntz im und 
ausser dem Hause, unhygienisohes Verhalten der tuberoulös Er- 
krankten, enges Zusammenleben derselben mit der Familie die 
denkbar günstigsten Bedingungen f&r die Weiterverbreitung 
schaffen. Deshalb verlohnte sich auch nach dieser Richtung 
bin eine Behandlung der katarrhalisch Erkrankten und durch 
ihre Umgebung am meisten gefährdeten Kinder. Man würde 
damit die so ungemein wichtige Frage der Tuberculose an einer 
ihrer Wurzeln fassen und wahrscheinlich mit sehr geringen Mitteln 
mehr erreichen, als man mit viel grösseren Mitteln später, wenn 
die Erkrankung zum Ausbruch gekommen ist, erreichen kann. 

Diese Streifung eines anderen Gebietes führt mich auf die 
Frage, welche Aussicht auf Erfolg wohl eine Behandlung der 
2142 schwerhörigen Kinder bieten würde. Ich kann natur gemäss 
nicht mit bestimmten Zahlen dienen; aber ich glaube, nicht zu 
viel zn versprecheu, wenn ich behaupte, wenigstens 50 Proc. der 
Kinder soweit heilen zu können, dass sie über 8 m hören, so- 
mit im alltäglichen Leben nicht mehr als schwerhörig zu gelten 
haben. Zur Erreichung dieses Zieles wäre allerdings bei einer 
grösseren Zahl eine klinische Behandlung und zudem für den 
Behandelnden eine sachverständige Hilfe erforderlich ; denn der 
Einzelne vermag neben seiner sonstigen, vollen Thätigkeit nicht 
auch noch eine derartige Aufgabe zu bewältigen. 

Die Zeit wird es lehren, ob mein Eintreten für die Tausen de 
von schwerhörigen Kindern ihnen und vielen Anderen nützen wird ; 
eines aber ist, wie ich hoffe, für Jedermann durch diese Unter- 
suchungen klar hervorgetreten, dass es Zeit ist, diesen Verhält- 
nissen nicht mehr gleichgültig gegenüber zu stehen. 

Man sorge für Aufklärung hinsichtlich der Bedeu- 
tung der Ohrenkrankheiten und hinsichtlich des 
Werthes ihrer rechtzeitigen Behandlung; man bes- 
sere die hygienischen Verhältnisse vieler Dorfschu- 
len; man mache den Arzt geschickt, die Ohrerkran- 
knngen richtig zu erkennen und sachgemäss zu be- 
handeln und treffe Bestimmungen, die den Nachweis 
der unbedingt erforderlichen Kenntnisse mit Sicher- 
heit gewährleisten; man schaffe aus Gründen der 
Zweckmässigkeit und Billigkeit Gelegenheit, dass 
auch arme ohre'nkranke Kinder in der Specialklinik 



208 IX. 0STMA19N, Krankheiten des Gehörorgans o. s.w. 

Behandlang and Heilung finden können, so wird man 
mit der Zeit Jahr für Jahr Tausende von Männern in 
dentschen Landen mehr besitzen, die geistig vollent- 
wiekelt and körperlich gesund ihren staatsbürger- 
lichen Pflichten genügen nnd ihrem Erwerb mit Freu- 
den nachgehen können, und man wird Tausende von 
Frauen mehr haben, die das Wort ihrer Kinder ver- 
stehen und sich nicht je länger je mehr durch ihre 
Schwerhörigkeit abgedrängt fühlen von denen^ auf 
deren Verkehr sie das Leben angewiesen hatv 

«Und das frisst mir in*B Hers hinein; 
Dir, — y muss es aach so sein.'' 

Mazgarethe in Qöthe's Faast I. Tlieil. 



X. 
Heber die Betheilignng des Nerrns facialis beim Lauschen. 

Yon 

Profeuor Ostmaiu, Marbuig. 
(Mit 4 Abbildaogen.) 

Mit dem Hörnery steht im Centralnervensystem der Nervus 
facialis in enger Beziehung, wie wir vomehmlieh ans den 
üntersnohungen von Held und Kölliker wissen. Ersterer 
konnte hei der Katze und Ratte ein dem centralen Acustieus- 
kern entspringendes Faserhündel nachweisen, welches nach 
Verbindung mit Fasern des Nervus Cochleae und nach Durch- 
kreuzung der sensiblen Quintuswurzel im Facialiskern und 
der kleinen Olive endet. Kölliker hat die gleiche Faserver- 
bindung beim Kaninchen nachgewiesen, und er glaubt, ftlr die 
Anwesenheit derselben auch beim Menschen einstehen zu kön- 
nen; nur scheint dieselbe bei diesem weniger entwickelt zu sein.^) 

Aus vielfachen Erfahrungen wissen wir nun, dass das, was 
im Centralnervensystem räumlich dicht bei einander liegt und 
in directer Faserverbindung mit einander steht, im Allgemeinen 
anter der Voraussetzung normaler Erregbarkeit der centralen 
Neurone auch am leichtesten der gegenseitigen Beeinflussung 
unterworfen ist. 

Deshalb kann es nicht Wunder nehmen, wenn zu Zeiten 
der höchsten Anspannung des Nervus acustious, nämlich beim 
Lauschen, sich Bewegungsvorgänge im Faeialisgebiet bemerkbar 
machen, sei es dass es sich um rein reflectorische Vorgänge 
beim Aufhorchen als psychischem Reflex, sei es dass es sich um 
Mitbewegungen der Öesichtsmusculatur bei willkfirlichem Lau- 
schen handelt. 

In letzterem Fall fragt es sich nur, ob wir es mit einer 
Mitbewegung zu thun haben, die in gar keinem inneren Zu- 
sammenhang mit dem Lauschen steht, oder ob, wie es mir wahr- 

1) Nach Kölliker, Gewebelehre des Menschen. Leipzig 1896. 



210 X. OSTMANN 

Boheinlioher ist, die Mitbewegungen der Gesiehtsmuseulätur, die 
bei einer gewissen Zahl von Lansohenden zn beobachten sind, da- 
durch bedingt werden, dass auch beim willkürlichen Lauschen 
der Musculus stapedius nach physiologischem Gesetz mitwirkt 
und der allein f&r seine Facialisfasern bestimmte Beiz auf die 
übrigen Fasern überspringt. 

Der Culturmensch hat im Allgemeinen sehr wenig Gelegen- 
heit, die volle Schärfe seines Gehörs auszunutzen, noch viel we- 
niger zu lauschen; deshalb könnte es sehr wohl sein, dass die 
Hil&actionen der Binnenmuskeln des Ohres , soweit sie auf die 
schärfste Einstellung des Schallleitungsapparates abzielen, beim 
Menschen nur noch eine rudimentäre Entwicklung, und zwar 
bei dem einen mehr, bei dem anderen weniger aufweisen. So 
würde bei dem unbewussten Bestreben, die Fasern für den Mus- 
culus stapedius zu innerviren, der seelische Impuls auf die Ge- 
sichtsfasern übergehen und Contractionen der Gesiohtsmusculatur 
hervorbringen. 

Auch diejenigen Fasern des Nervus facialis endlich, welche 
im Nerv, petrosus superficialis major zum Ganglion spheno-pala- 
tinum ziehen und von diesem zum Gaumensegel, betheiligen sich 
offenbar am Lauschact. 

Beim plötzlichen Aufhorchen ebenso wie beim willkürlichen 
Lauschen unterbrechen wir die Athmung während .'der Inspira- 
tion, und dem Gefühl nach — daraufhin gerichtete Untersuchun- 
gen habe ich noch nicht angestellt — wird gleichzeitig das 
Gaumensegel gehoben und in dieser Stellung gehalten. 

Betrachten wir die Betheiligung der verschiedenen Fasern 
des Nervus facialis beim Lauschen etwas genauer. 

Die reflectorischen Vorgänge, welche sich beim Hunde im 
Moment des Aufhorchens — als psychischem Beflex — zwischen 
Acusticus und Musculus stapedius abspielen, habe ich in meiner 
im Archiv für Anatomie und Physiologie i) veröffentlichten Ar- 
beit: „Zur Function des Musculus stapedius beim Hören" ge- 
schildert. 

Nach der mechanischen Leistung des Muskels können wir 
von seiner Zuckung im Moment des Aufhorchens nur eine die 
Schallaufnahme fordernde Wirkung erwarten; denn die durch 
die Zuckung hervorgerufene Veränderung des Schallleitungsappa- 
rates besteht im Wesentlichen darin, dass das Trommelfell um 



1) Jahrgang 1899. 



Ueber die Betheiligung des Nervus facialis beim Lauschen. 211 

ein ganz Geringes naeh Aussen bewegt, d. h. abgeflacht und 
der Labyrinthdruck gleichzeitig vermindert wird. 

Aus Beobachtungen, die von Politzer undLncae gemacht 
sind, folgt aber in Uebereinstimmung mit der Forderung der 
Mechanik, dass der akustische Effect einer minimalen Abspan* 
nung des Trommelfelles Tonverstärkung ist, und so müssen wir 
dann zu dem Sohluss kommen, dass die refiectorische Zuckung 
des Stapedius beim plötzlichen, dnrch psychischen Riefiex her- 
vorgerufenen Aufhorchen des Hundes den Zweck hat, das Ohr 
auf die denkbar höchste Leistung einzustellen. 

Dass es sich nur um eine refiectorische Zuckung und nicht 
um eine dauernde Gontraction des Muskels handelt, erscheint 
in hohem Maasse zweckmässig; denn durch letztere würde der 
Schallleitungsapparat bis zu einem gewissen Grade fixirt und 
die Leitungsfähigkeit für tiefere Töne mehr, ftti* hohe und höchste 
weniger oder gar nicht beeinträchtigt, während eine Zuckung 
zwar nur fElr einen Augenblick das Trommelfell und den ge- 
sammten Schallleitungsapparat in den fbr die Schallaufnahme 
günstigsten Zustand versetzt, aber doch über ihre Zeitdauer 
hinaus hörverbessernd fortwirkt, weil das einmal in Schwingungen 
versetzte Trommelfell leichter mitschwingt und der einmal er- 
regte Hörnerv besser percipirt. 

Die weitere Frage, ob der Nervus facialis durch den Steig- 
bügelmuskel auch beim willkürlichen Lauschen mitwirkt, muss 
ich noch offen lassen, da ich in Folge der äusserst schwierigen 
Versuchsbedingungen noch zu keinem sicheren Urtheil gekom- 
men bin. 

Dagegen habe ich weiter die Frage geprüft, in wie weit 
sich die Gesichtsäste des Nervus facialis beim Menschen am 
willkürlichen Lauschen betheiligen. 

Aus der Literatur führe ich zwei einschlägige Beobachtun- 
gen an: 

Gott steint) berichtet von sich, dass er das Aufhorchen 
mit einer Verengerung der dem lauschenden Ohr entsprechenden 
Lidspalte begann ; gleichzeitig hatte er im Ohr eine eigenthümlich 
spannende, nahezu schmerzhafte Empfindung; er schloss hieraus, 
dass der Musculus stapedius beim scharfen Aufhorchen contrahirt 
wird. Stumpft) beobachtete, dass sein Sohn bei Versuchen 
im Analysiren und Heraushören von Tönen vor Abgabe des 

1) Dieses Archiv. Bd. XVI. S. 62. 

2) Tonphysiologie. Bd. IL S. 304. 



212 X. OSTHANN 

UrtheUs meisteos mehrere Haie bintereinaader krftftig blinzelte, 
weil es so leichter gehe. loh selbst habe bei meinen zn anderen 
Zwecken ansgef^hrten Stimmgabelnatersnohangen za wiederholten 
Malen mit voller Deutlichkeit heobaehtet, dass, wenn der leise 
abklingende Ton schon unter die Reizschwelle gesunken war, 
aber bei weiterer Einwirknog des aknatisohen Reizes plötzlich 



StSikete Tsiziehiuig dw Hund« nuh dei . 

klia£«Dden Stimm^Deiton. 

□och einmal anf Augenblicke auftauchte, unmittelbar davor eine 
feine Zueknng der Ohrmaschel auftrat. 

Schon in meiner Arbeit : „Zur Function des MubcuIub stapedinB 
beim Hören" hatte ich betont, dass es interessant wAre, über 
diese Mitbewegnngen der Gesiohtsmnaoulatar beim LaaBchen 
genauere Untersnehun^n anzustellen. 

Ich habe dies nun selbst im Laufe des letzten Jahres getban 
und möchte die Ergebnisse meiner Beobachtungen an einigen 
Photographien vorführen. 

Es wurden aaf Mithewegungen der Gesichtsmusoulatnr Per- 
sonen beiderlei Geschlechts zumeist jugendlichen Alters anter- 
siicht, von denen die meisten normal hörend, einzelne 8.üeb 
schwerhörig waren. Letztere Personen wurden deshalb mit 



dei Nerrni faöalb beim LMichen. 213 

cberweise bei ihneo Mitbewe^ngen 

jedoeb bei den voa mir nntersnebten 

ar. 

wn verde in dem pbotographisoben 

1 ^etzt, dass doreb eine FInebt voa 

t die änsserBte Grenze der Hörfähig- 

r nnd Stimmgabel festgestellt werden 



Fig. 3. 

r UDlM Flg. 1 alMieblldBtsn 

PareoD In Bobs. 



Zihl«. Die falne TaiilshDiiE di_ 

tritt HthAifer hervor bei fietnwlitiiiiE 

Im ua ^oig« E^ttemnag. Um beiehia die 
Ttnchledeoen Schatten der Mnndninkel. 

konnte. Dann Wurde die Person in sitzender Stellnag en face 
photographirt, nm zum späteren Vergleicb ein Bild der mbendeu 
Gesichtszüge zn erbalten, und der Apparat von Neuem scbarf ein- 
gestellt. Nnnmebr folgte der eigentliehe Lansebveraneh und zwar in 
der Weise, dass ausserhalb der gefundenen Hörstreoke mit der Eör- 
prflfitng begonnen und allrnfthliob gegen diese vorgerückt wurde. 
In dem Moment, wo sich beim Lauseben Bewegungen der Gtesiebts- 
muBOulatur bemerkbar macbten, wurde zum 2. Male photographirt. 



214 X. 03TUANN 

£b gelaog nicht immer, beim 2. Male ganz eoharfe Bilder 
zn erhalten, weil beim Laneohen Kopf nnd Oberkörper gegen 
die lauschende Seite hin bewegt werden, wodurch natfirliofa die 
Schärfe der Bilder leidet, auch während der Exposition von 
1—2 Seennden der Eopf leicht bewegt wurde, wodaroh Doppel- 
bilder entstanden. Diese Uebelstände hätte man ja bis za einem 
gewissen Orade durch Momentaofhahmen umgeben können ; aber 
ich fürchtete, daes durch 
die besonders helle Be- 
leuchtung, welche diese 
erfordern, Bleadang er- 
zeugt und damit von vorn- 
herein die Gesichtsmns- 
cnlatur in dem Maaase 
festgestellt werden könnte, 
dass ein feines , völlig 
freies Mienenspiel nicht 
zu Stande käme. So bähe 
ich lieber die kleinen 
Uebelstände der Zeitanf- 
nahme mit in Kauf ge- 
nommen, welche an ein- 
zelnen Bildern beobachtet 
werden kann. 

Die Rückwirkung des 

willkürlichen Lansohens 

auf den Gesiehtsansdrnok 

ist bei den verschiedenen 

Fig. 4. Menschen sehr verachie- 

Dia nnter Fig. 3 »bgebildeU Fenon im Homenl das J_„ 

LaascbeiiB. Sei Hund iBteio wenig geOIFnet, so daee "^"' 

die ZUine Hchlbar nerden. Dansben bestallt dne Einidlnp PAninnon 

K8DZ leichte Veraehing des Mondes naoh der recWan r-inzeme rcrSOnen 

laoMhendaa Seite, welche jedoch nni hei der Ski- wnio-tdri annh hnim ajurp. 

optikondeaionetratioii denüicher harvoiüiU. ZClglCn aUOÜ DOim ange- 

strengten Lauschen nicht 
die geringsten Mitbewegungen der Gesichtsmuacnlatnr; allein 
die nach der lauschenden Seite mehr oder [weniger starke 
Neigung des Oberkörpers rerrieth neben der Stellung der 
Augen und dem Ausdruck derselben das Lansoben. Die Augen 
werden bald nach der dem lanschenden Ohr entgegengesetzteo 
Seite gewandt, bald werden sie gesenkt, bald nach der Lausch- 
seite gedreht. 

Sofern das Auge geradeaus gerichtet blieb, fiel der eigeo- 



Ueber die Betheüigang des Ner?as facialis beim Laaschen. 215 

thflmlieh starre Ausdruck auf, welchen dasselbe beim Lauseben 
annahm. 

Mitbewegungen der Gresichtsmuseulatnr zeigten sieh vor- 
nehmlich in der Umgebung des Mundes. Die Lippen wurden 
von dem einen fester auf einander gepresst, von dem anderen 
der zuvor geschlossene Mund leicht geöffnet und bei einigen 
trat eine, wenn auch sehr geringe, so doch deutliche Verziehung 
des Mundes nach der Lauschseite hin auf, welche durch Innervation 
des Nervus facialis der Lauschseite bedingt war. Bei einer Person 
schliesslich traten auf der Lauschseite wiederholte Zuckungen 
der Gresichtsmuseulatnr auf, welche mich lebhaft an die von 
Stampf an seinem Sohn gemachte Beobachtung erinnerten. 

Ich habe in den letzten Jahren, so oft sich mir Gelegenheit 
dazu bot, nachgeforscht, ob von den Künstlern, insbesondere den 
Malern, diese feinen Veränderungen der Grcsichtsmusculatur an 
lauschenden Menschen dargestellt worden sind. Ich habe bisher 
kein derartiges Beispiel gefunden; zumeist ist es die Wirkung des 
Erlauschten auf den Lauscher, welche auf dem Gesicht des Lau- 
sohendea zur Geltung kommt, oder der Lauschact wird wesentlich 
durch die Haltung des Körpers des Lauschenden zur Anschauung 
gebracht. Auf dem Selbstportr&t von Bocklin, wo er den Worten 
des Gerippes lauscht, findet sich eine feine Verziehung des Mun- 
des nach der Lauschseite ; aber auch beim Nichtlauschen zeigte 
Böcklin's Gesicht diese Verziehung; sie ist also nicht als eine 
vom Künstler beobachtete und dargestellte Mitbewegung der 
Gesichtsmusculatur beim Lauschen anzusehen. 



Archiv f. Ohrenheilkande. LIY. Bd. 1 5 



XI. 

Aus der Ohrenklinik der Königl. Gharitö in Berlin (Direotor: 
Geb. Med.-Eath Prof. Dr. Traut mann.) 

Zur Thrombose des Bulbus venae jugnlaris. 

Von 

Stabsarzt Dr. Stenger, 

z. Z. Assistenten der Klinik. 

(Hierzu Tafel I. II.) 

In jedem Fall von Erscheinungen einer Sinusthrombose wird 
zunächst als der Sitz der Thrombose der absteigende Ast des 
Sinus sigmoideus angenommen, [als jder Theil des Sinus, der 
dem Eiterherd am nächsten gelagert und somit der Infections- 
gelegenheit am günstigsten ist. Deshalb wird jeder Operateur 
den Sinus im absteigenden Theil freilegen, um hier den Sitz 
des Thrombus zu suchen. Findet sich hier ein Thrombus, so 
ist ohne Weiteres die Annahme berechtigt, dass der Ausgangs- 
punkt der Thrombose gefunden und nunmehr die Ausbreitung 
nach peripher und central festgestellt werden muss. Findet sich 
kein Thrombus, sondern entleert sich bei der Function bezw. 
Incision flüssiges Blut, so liegen zwei Möglichkeiten vor; entweder 
es besteht ein in der Bildung begriflFener wandständiger Thrombus, 
oder der Thrombus sitzt an einer anderen Stelle. Entsprechend 
der alten Virchow'schen Anschauung, der zu Folge hauptsächlich 
mechanische Momente — Stromverlangsamung — das Entstehen 
eines Thrombus begünstigen, kann zunächst nur der Bulbus der 
Vena jugularis in erster Linie als Ort [der Entstehung in Be- 
tracht kommen. Isolierte Thrombosen des Bulbus venae 
jugularis sind aber in der Literatur nur wenige beschrieben. 
Erst nach den gi-undlegendenTeststellungen Leutert's^) hat man 
speciell bei Sectionen mehr Werth auf die Untersuchung des 
Bulbus venae jugularis gelegt. 

In wie fern nun ist in Folge seines anatomischen Baus der 
Bulbus venae jugularis einer Thrombenbildung günstig? 

Für gewöhnlich bildet nach den bisherigen auch in den 

1) Leutert, Ueber die otitische Pyämie. A. f. 0. Bd. XLI. 



Zar Thrombose des Balbns venae jngtilaris. 217 

meistea Lehrbttchern vertretenen Ansehanung der Balbns venae 
JQgnlaris den Boden der Paukenhöhle. Bei stärkerer Entwiekinng 
fallt derselbe in den Bereich der hinteren Trommelfellhälfle. 
Ein grosser Bulbus flacht den Paukenhöhlenboden ab, oder wölbt 
ihn gegen das Gavum tympani hinein. Es kann sogar der Zu- 
gang zur Nische des ovalen 'Fensters dadurch von unten her 
eine Einengung erleiden. Der Bulbus selbst liegt höher als der 
tiefste Punkt des Sinus sigmoideus. Schon v. Tröltsch^) macht 
auf die tberaus grosse Verschiedenheit in der Gestaltung der 
unteren Wand oder Bodens der Paukenhöhle aufmerksam. Bald 
ist derselbe mehrere mm dick, bald durchscheinend dünn. Auf 
die verschiedenartige Grösse und Gestaltung der Fossa jugularis 
wies zuerst ZuckerkandP) hin, indem er die dadurch be- 
engten Dehiscenzen nach der Paukenhöhle, Facialkanal und 
Sehädelhöhle feststellte. Rüdinger^) wies nach, dass der rechte 
Bolbus regelmässig grösser als der linke ist, so dass rechts der 
Pankenhöblenboden dem Bulbus näher [liegt als links. Nach 
Körner^) helfen die anatomischen Verhältnisse erklären, weshalb 
rechtsseitige Ohreiterungen häufiger [zuj Tode fllhren sollen als 
linksseitige. Trautmlann*^) kommt in seiner chirurgischen Ana- 
tomie des Schläfenbeines zu dem Schluss, dass es sicher sei, 
dass der Recessus jugularis bei vorgelagertem Sinus höher steht, 
als auf der nicht vorgelagerten Seite, in Folge dessen stehe der 
Boden der Paukenhöhle ebenfalls höher. 

Um die Beziehungen des Verlaufs des Sinus sigmoideus zur 
Ausbildung, Grösse und Lage des Bulbus, einschliesslich seiner 
Lage zur Paukenhöhle festzustellen, habe ich eine Reihe von 
Sehläfenbeinen untersucht, bei denen ich als charakteristisches 
Folgendes fand. 

In vielen Fällen biegt der Sinus sigmoideus ohne Weiteres 
lun zur Vena jugularis, ohne dass es zur eigentlichen 
Bildung eines Bulbus kommt. In anderen Fällen biegt 
der Sinus wie um eine scharfe Knochenleiste um, es kommt zur 
Bildung eines Bulbus, der höher steht als]|[der tiefste Punkt des 
Sinus sigmoideus. In weiteren Fällen kommt es zur starken 
Ausbildung eines Bulbus, der fast die ganze Höhe der Pyramide 

• 

1) V. Tröltsch, Lehrbuch der Ohrenheilkunde. 4. Aufl. 

2) Zuckerkandl, Monatsschrift f. Ohrenheilk. Bd.VIII. Nr. 7. 

3) Radinger, Ebenda. 1875. S. 1. 

4) Körner, Arch. f. Ohrenheilk. Bd. XXVII. 

5) Trautmann, Chirurgische Anatomie des Schläfenbeins. 1898. 

15* 



218 XI. STENGER 

eianimmt und dessen mediale Wand nach der Schädelhöhle zu 
papierdünn ist und in der Gegend des Aquaeductus vestibnli zn 
Dehiscenzenbildung neigt. 

Es zeigt sich nun, dass in den Fällen, in welchen ein 
eigentlicher Bulbus nicht ausgebildet ist, die höchste Stelle des 
Bulbus von dem Boden der Paukenhöhle durch eine ^Ja — 1 V2 cm 
dicke, meist compacte zum Theil auch zellige Knochenschicht 
getrennt war, trotzdem der Recessus hypotympanicus gut ausge- 
bildet war. In den Fällen, in denen der Bulbus als solcher 
deutlich erkennbar war, bildet er entweder den Boden der 
Paukenhöhle oder auch den unteren Theil der medialen Pauken- 
liöblenwand bis zur Höhe des runden Fensters, die trennende 
Knochenschicht ist meist papierdünn und am Präparat durch- 
scheinend. In den Fällen mit stark entwickeltem Bulbus ragt 
dieser bis über das ovale Fenster hinauf und schiebt sich an 
der medialen Fläche der Pyramide, diese in die Schädelgrube 
vorwölbend, in die Höhe bis zur Decke der Pyramide, hier 
weitbuchtig endend. Die mediale Wand war papierdünn und 
zeigte öfter Dehiscenzen oberhalb der Mündung des Aquaeductus 
vestibuli. In diesen stark ausgeprägten Fällen erschien der 
Boden der Paukenhöhle wie nach oben gedrückt, die Trennungs- 
wand war durch scheinend dünn. 

Was nun das Yerhältniss des Bulbus zur Lage des Sinus 
sigmoideus anbetrifft, so zeigte sich in den Fällen von nicht 
ausgebildetem Bulbus, dass der Sinus nicht vorgelagert in fast 
gestreckter Stellung unmittelbar in die Vena jugularis überging. 
Je mehr der Sinus vorgelagert war, desto schärfer war die üm- 
biegungsstelle markirt und um so stärker war die Ausbildung 
des Bulbus. Diese verschiedenartige Gestaltung des Bulbus erklärt 
ZuckerkandP) folgendermaassen : Die Fossa jugularis bildet 
mit dem Endstück der Fossa sigmoidea einen S-formigen Kanal, 
dessen tieferer Theil einmal ersterem, ein andermal letzterem 
angehört. Je nachdem die Drosselfortsätze des Hinterhauptbeins, 
des Sohläfenknochens und die Fossae jugularis breit oder sehmal 
«ind, stellt der Uebergangstheil der Fossa jugularis zu den 
eigentlichen Behältern des Sinus sigmoidei eine mehr oder min- 
der quer verlaufende Brücke. Es erscheint somit in dem einen 
Falle der Kanal mehr gestreckt , in einem anderen mehr hori- 
zontal gebogen. Ist der gesammte Kanal gestreckt, das heisst, 



1) Zuckerkandl, Monatsschrift f. Ohrenheilk. 1874. Nr. 7. 



Zar Thrombose des Bnlbas venae jugularis. 219 

Qähert sich seine Axe mehr einer geraden Linie, so wird der 
Druck des rüokstaaenden Blntes nicht in die Fossa jngnlaris, 
sondern in einem Hirnsinus oder in einem Gebiet von Hirnvenen 
die Erscheinungen der Stauung manifestiren. Ist hingegen der 
Kanal nicht gestreckt, sondern am Uebergangstheile der Fossa 
sigmoidea zur Fossa jugularis geknickt, quer gestellt und lang, 
80 wird der stauende Inhalt der Vene nicht ganz unbehindert 
ia die Schädelsinus einfliessen können. Er wird am Uebergangs* 
theil der Fossa jugularis in dem mehr horizontal liegenden 
Sehenkel der Venenfurche ein Hinderniss erfahren; in Folge 
dessen wird die Fossa jugularis gedrückt, ausgehöhlt und dehis- 
drt schliesslich. 

In den beigegebenen Tafeln (I. II) zeigt Fig. 1 und 2 einen 
mehr gradlinig verlaufenden, nicht vorgelagerten Sinus, bei dem 
es nicht zur Ausbildung eines eigentlichen Bulbus gekommen 
ist. Der Boden der Paukenhöhle ist durch eine 1 cm dicke 
Zwischenschicht vom höchsten Punkt des Bulbus getrennt. Fig. 2 
zeigt einen massig stark ausgebildeten Bulbus mit scharfer Um- 
biegnngsleiste. Der Bulbus steigt an der medialen Pauken- 
höhlenwand bis zur Höhe des ovalen Fensters aufwärts. Der 
ganze untere Abschnitt der Paukenhöhle ist durchscheinend. 
Fig. 4 zeigt einen stark ausgebildeten Bulbus mit Vorbuchtung 
der medialen Pyramidenwand und Dehiscenz oberhalb des Aquae- 
daetas vestibuli. Der Bulbus bildet nicht den Boden der Pauken- 
höhle, sondern schiebt sich an ^er medialen Wand derselben, 
diese papierdünn erscheinen lassend, in die Höhe. Schnecke und 
Bogengänge wurden gewissermaassen nach oben und mehr nach 
der Spitze der Pyramide zu gedrängt. 

Aus diesen anatomischen Betrachtungen geht hervor, dass 
die starke Ausbildung des Bulbus durch die ausserordentliche 
Nähe der Paukenhöhle eine grosse Infectionsgefahr bedingt, und 
dies um so mehr, als bei dem gleichzeitig mehr oder weniger 
stark vorgelagerten Sinus im Warzenfortsatz, worauf schon Tr au t- 
mann^) hingewiesen hat, das Antrum sehr klein und diploetische 
Zellen nicht vorhanden sein können. Der in der Paukenhöhle 
angesammelte Eiter wird gezwungen, sich in anderer Richtung 
seinen Ausweg zu suchen. Der Boden der Paukenhöhle ist für 
gewöhnlich pneumatisch mit einfachen flaschen- oder cylinder- 
formigen Zellen. Durch den Boden tritt der Nervus tympanicus 
mit den gleichnamigen Venen und Arterien entlang der hinteren 

1) Trautmann, 1. c. 



220 XI. STENGER 

Wand der Fossa jugularis zur unteren Fläche der Schädelbasis. 
In dem Bulbus mündet die Vena aquaeductus Cochleae. Beides 
gute Wegeleiter für Ausbreitung der Infection. Rechnet man 
hierzu noch das Vorkommen von Dehiscenzen in der papier- 
dünnen Scheidewand zwischen Paukenhöhle und stark ausgebil- 
deter Fossa jugularis, wie sie schon von Friedlowsky^), 
Zuckerkandl u. A. beschrieben sind, so ist es ohne Weiteres 
klar, wie leicht die Möglichkeit einer directen Infection des Bul- 
bus gegeben ist. 

Sieht man von einer durch directe Infection entstandenen 
Bulbusthrombose ab und nimmt man an, dass das von einer 
höheren Stelle aus mit Toxinen und Mikroorganismen überladene 
Blut im Bulbus einen geeigneten Ort zur Thrombosirung findet, 
so sieht man, dass die anatomischen Verhältnisse dem gegen- 
über sich verschieden verhalten. Bei nicht vorgelagertem, mehr 
gradlinig verlaufendem Sinus ist ein eigentlicher Bulbus kaum 
ausgebildet, das Blut fliesst, abgesehen von den in Folge tiefer 
Respiration entstandenen Rückstauungen, unbehindert ab. Bei 
stark vorgelagertem Sinus biegt der Sinus wie um eine scharfe 
Kante in den sehr erweiterten Bulbus ein, es kommt hier zur 
Bildung von Wirbeln, deren Vorhandensein die Bildung von 
Thromben begünstigen. Es sind also gerade diese gut ausgebil- 
deten Bulbi die gefährlichsten nicht allein, weil sie der Pauken- 
höhle am nächsten liegen, sondern weil in ihnen durch die Rück- 
stauung des Blutes die Thrombenbildung erleichtert wird. Bei 
ihnen sind also alle Momente gegeben, die die Entstehung einer 
isolirten Bulbusthrombose begünstigen lassen. Ist der Bulbus 
thrombosirt, dann erst schreitet die Thrombosirung peripher fort 
aufwärts bis zur ümbiegungsstelle und weiter. Der Zerfall des 
Thrombus tritt nunmehr an der Einwanderungsstelle der Mikro- 
organismen ein. Je früher und intensiver der Zerfall, desto 
stürmischer sind die pyämisohen Erscheinungen mit lebensgefähr- 
lichen Metastasen. 

Diagnostisch ist die Feststellung einer isolirten Bulbusthrom- 
bose nicht möglich. Sind Anzeichen einer Sinusphlebitis vor- 
handen, so ist es nothwendig, als den häufigsten Ausgangspunkt 
der Erkrankung den absteigenden Theil des Sinus sigmoideus 
in ausgiebiger Weise freizulegen. Das Aussehen der äusseren 
Sinuswand, falls sie nicht schon zerfallen und ohne Weiteres de^ 



1) Friedlowski, Monatsschrift f. Ohrenheikunde. 1867. 



Zur Thrombose des Bulbus venae jugularis. 221 

Inhalt erkennen lässt, giebt keinen sicheren Anhalt f&r eine voll- 
ständige oder wandständige Thrombosirung. Die Probepnnction 
l&sst zwar einen festen oder bereits eitrig zerfallenen Thrombus 
sicher erkennen, schliesst aber einen wandständigen nicht aus. 
Die Incision giebt zwar sicheren Anfsohluss über die Beschaffen- 
heit des Sinusinneren, besonders bei der von Edgar Meier ^) em- 
pfohlenen vorherigen centralen und peripheren Tamponade. Auch 
ohne diese Tamponade giebt die Incision, aus der die Art der 
Blutung, die bei wandständiger, bezw. theilweiser Thrombose 
weniger massig erscheint, gute Anhaltspunkte. Die nach Edgar 
Meier und neuerdings -in modificirter Art von der Tübinger 
Ohrenklinik ^j aus empfohlene Tamponade erscheint mir, selbst im 
anscheinend gesunden Theil äusgeftlhrt, wegen der überaus grossen 
Gefahr der mechanischen Losreissung von Thrombentheilchen 
nicht ungefährlich.' 

Es sind demnach nach vollständiger Freilegung des Sinus 
und nach Ausschluss einer vollständigen Thrombose folgende 
Möglichkeiten vorhanden: 

1. entweder ist der Sinus noch nicht erheblich erkrankt und 
die pyämischen Erscheinungen hören nach Beseitigung des localen 
Krankheitsherdes auf; 

2. es besteht eine wandständige Thrombose, die entweder zur 
vollständigen wird, oder [nach Beseitigung des localen Krank- 
heitsherdes zur Ausheilung kommt. 

3. Der Sitz der Thrombose befindet sich an einer anderen 
Stelle, die pyämischen Erscheinungen dauern fort, bezw. die 
Thrombose bildet sich weiter aus. 

Auf diese dritte Möglichkeit möchte ich in erster Linie die 
Aufmerksamkeit hinlenken. Sowohl aus eigener klinischer Er- 
fahrung, nicht zum wenigsten aber aus [der. Literatur habe ich 
die Beobachtung gemacht, dass in Fällen von wahrscheinlicher 
Sinusthrombose die Operation ein negatives Resultat gab, wäh- 
rend die Erscheinungen der Thrombose von Tag zu Tag deut- 
licher und deletärer wurden. In diesen^Fällen konnte es sich 
nur um eine nicht erkannte wandständige oder um einen nicht 
vermutheten Sitz der Thrombose handeln. Den anatomischen 
Verhältnissen entsprechend, wird sich ein wandständiger Throm- 
bus da bilden, wo es so leicht nicht zur Bildung einer vollstän- 
digen, bezw. Bulbusthrombose kommt. Dies ist der Fall bei 

t) Meier, Arch. f. Ohreoh. Bd. IKL. 
2) Hölscher, Ebenda. Bd. LIL' 



222 XI. ST£NG£B, Zur Thrombose des fiaH>iiB fenae jagularis. 

möglichst gerade yerlanfendem Sinns, während stärkere Knickung 
des Sinus und ausgiebigere Bildung eines Bulbus leichter zn 
einer vollständigen Bulbusthrombose mit rückwärtiger Thrombose 
ftkfart.« Die wandständigen Thrombosen führen deshalb zu den 
lebhaft pyfimischen Erscheinungen und den mit Gelenkerschei- 
nungen einhergehenden Krankheitsbildern. Die Diagnose eines 
wandständigen Thrombus bin ich nur berechtigt dann zu stellen^ 
wenn ich wirklich eine solche als bestehend nachweisen kann, 
anderenfalls muss ich den |Sitz der Thrombose an anderer Stelle 
annehmen, und als solche kommt anatomisch in erster Linie der 
Bulbus venae jugularis in Betracht. Ob die Thrombosirung pri- 
mär durch directe Infection von der Paukenhöhle, oder secundär 
in Folge der Wirbelbildung eingetreten ist, ist f&r das operative 
Vorgehen irrelevant. Die ausgiebige Freilegung des Bulbus, 
speciell bei starker Ausbildung desselben ist nicht einfach. Es 
wird zunächst die Spitze Ides Warzenfortsatzes abgetragen, der 
Facialis bis zu seiner Austrittsstelle im Foramen stjlo-mastoidenm 
freigelegt, und nun wird die zum Theil spongiöse Knochenbrücke 
zwischen absteigendem Facialis und Sinus, bezw. dessen Ueber- 
gangstheil zur Fossa jugularis abgetragen. 1) Zu beachten ist nur, 
dass man nicht zu weit nach hinten und somit in das Foramen 
magnum hineingelangt. Ist der Bulbus auf diese Weise freige- 
legt, wobei oft nicht die [letzte Knochenbrücke mit entfernt zu 
werden braucht, da man von der Uebergangsstelle aus ohne Wei- 
teres den ganzen Bulbus übersehen kann, so hat man die Drai- 
nage, bezw. Tamponade des Bulbus in der Hand. Eine Ver- 
schleppung centralwärts durch die Vena jugularis oder auf an- 
derem Wege ist unmöglich. Wird dagegen der Bulbus nicht in 
dieser Weise genügend freigelegt, sondern a priori die Vena 
jugularis unterbunden, so ist besonders in dem stark ausgebil- 
deten Bulbus ein Eiterherd geschaffen, der erst recht zur Ent- 
wicklung und Verschleppung infectiösen Materials Gelegenheit 
giebt. Eine rechtzeitige ausgiebige Freilegung des Bulbus wird 
demnach in vielen Fällen die Unterbindung der Jugularis un- 
nöthig erscheinen lassen. 

1) Das OperatioDSverfabreD, seit l&ogerer Zeit von uns ausgeübt, ist in» 
zwiscben aacb von der Hallenser Klinik (Grunert, Archiv f. Ohrenheilk. 
Bd. LIII. S. 290) beschrieben. 



Archiv für, Ohrenheilkunde LIV. Band. 






Fig. la. 


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Fig. ib. [ptrspeklivi 




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Fig. aa. 




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UmbUgtm, 



XII. 

Aus der Ohrenklinik des Charit^- Krankenhauses in Berlin 
(Dirigirender Arzt: Geh. Med.-Rath Prof. Dr. Trautmann). 

Neurosen und Warzenfortsatzoperationen. 

Von 

Stabsarzt Dr. Richard MQller, 

früherem Assistenten der Klinik. 

Es ist vielfach beobachtet worden, dass mit der Beseitigung 
eines Ohrenleidens auch andere, gleichzeitig vorhandene Krank- 
heiten ,,reflectori8ch" zur Heilung gekommen sind.^) Demselben 
Gebiete gehören die Krankengeschichten an, die ich im Folgen- 
den mittheilen will: Durch die operative Behandlung eines Ohren- 
leidens wurde eine complicirende Neurose günstig beeinflusst. 
Nur ist in unseren Fällen die Besserung, bezw. Heilung der 
Neurose nicht als „reflectorisch^ aufzufassen, sondern direct auf 
den Einfluss der Operation zurückzuführen, wie ich unten weiter 
ausführen will. 

/ — IL Complicirendes Leiden: Epilepsie. 

I. Willi S., 17 Jahre alt. Aufgenommen am 18. M&rz 1898. — Im 5. Le- 
bensjahre Masern , im Anschluss Ohrenlaufen links bis jetzt. Seit 3 Jahren 
( 1 895) aus unbekannter«Ursache epileptische Anfälle, die Anfangs jede Woche 
zweimal auftraten. 1897 lag er vom 27. Juli bis 4. August auf der Krampf- 
abtheiluQg in der Charit^, wo der epileptische Charakter des Leidens fest- 
gestellt wurde. Seit Anfang 1898 Anfälle häufiger, schliesslich fast täglich. 
Die Mutter gab an, während des Anfalles, der gewöhnlich 5 Minuten dauere, 
höre man nicht selten ein Knacken im linken Ohre des Kranken. Was da- 
mit gemeint war, habe ich nicht feststellen können, bei den späteren An- 
fällen in der Charit^ ist nie etwas Derartiges beobachtet worden. Weiter 
aber, und das ist für uns hier interessanter, gab die Mutter an, die Anfälle 
hätten im Jahre 1896 nach einer Behandlung des linken Ohres in einer hie- 
sigen Klinik (Ausspülungen) einmal 10 Wochen lang ganz ausgesetzt; erst 

1) Siehe Schwartze, Handbuch. Bd. L S. 459. — Eitelberg, Ueber 
die vom Gehörorgan ausgelösten Reflexerscheinungen. Haug's klin. Vorträge. 
Bd. L Heft 2. — Seligmüller, Neuere Arbeiten über Epilepsie. Deutsche 
med. Wo eben sehr. 1894. H. 1. — Siebenmann, Jahresbericht. Zeitschr. f. 
Ohrenh. Bd. XXL 8.73.— v. Bergmann, Die chirurgische Behandlung von 
Hirnkrankheiten. 3. Aufl. S. 396. — F6r6, Les %ilepsies. 1890. S. 299/300. — 
Jacobson, Lehrbuch. 2. Aufl. S. 93. 



224 XII. MÜLLER 

nach einem reichlichen Alkoholgennss seien die Anf&Ue zurückgekehrt. — 
Letzter Anfall vor der Aufoahme am Aufnahmetage (18. März 1898) früh 7^9. 
Die Häufigkeit und Gefährlichkeit der Anfälle sowie starkes Sausen im linken 
Ohr und das Ohrenlaufen veranlassten die Gharite-Aufnahme. 

18. März 1898. Status: Körperlich gut entwickelt. Blöder Gesichts- 
ausdruck. Sprache stotternd, schleppend. Links an Stirn und Schläfen pieh- 
rere Hautabschürfungen und Blutunterlauf ungen. An der Zunge frische Ver- 
letzungen und alte Narben. Puls 76, regelmässig. Urin frei von Zucker und 
Eiweiss. Romberg negativ. Patellarreflex beiderseits -{-. Pupillen beiderseits 
gleichweit, reagiren prompt. Augenhintergrund links regelrecht, rechts grosse 
Pigmentflecke in der Netzhaut. Flüstersprache rechts normal, links 2 m. Rechts : 
Trommelfell eingezogen. Links: stinkende Eiterung, Totaldefect des Trommel- 
fells, von hinten her blaugraue Granulation. — 19. März früh epileptischer An- 
fall. 20. März desgleichen, 5 Minuten Dauer. — Ich nahm am 

22. März 1898 die Radicaloperation links vor. Antrnm, Recessus 
epitymp. und Paukenhöhle voll Granulationen. Tegmen tympani rauh. Sinus 
wird in doppelter Linsengrösse freigelegt. — 75 gr Chloroform. — Wundhei- 
lungsverlauf ohne Störung, Ende Juli alles epidermisirt. Erst am 

29. März, also 7 Tage nach der Operation, trat früh 7^6 Uhr 
wieder ein Anfall auf, Dauer t Minute. Nachmittag Vs2 Uhr erneuter An- 
fall, 3 Minuten. — 30. März früh 4 Uhr Anfall. — 11. April Nachts Vit2 Uhr 
Anfall (Ursache: Aufregung in Folge von viel Besuch?). — Nächster Anfall 
erst wieder am 24. April früh ^il Uhr. Dauer Va Minute. — 12. Mai Morgens 
ein Schwindelanfall, ohne Bewusstlosigkeit, 5 Minuten. 

Am 18. Mai charakteristischer epileptischer Anfall, den ich selbst beob- 
achtete. Daner der Bewusstlosigkeit 1 Minute, der Krämpfe 15 Secunden. — 
28. Mai früh V^d Uhr Anfall, Mittags ^iX Uhr wieder. — 29. Mai Schwindel- 
anfall. — 30. Mai. Krampfanfall. — 31. Mai. Rasch vorübergehender Schwin- 
delanfall. — 9. Juni. Mittags ^/a2 und Va3 Uhr je ein Anfall von einer Viertel- 
stunde Dauer. — 10. Juoi. In der Nacht wieder mehrere Anfälle. Verlegung 
nach der Krampfstation, von wo er am 15. Juni entlassen wurde; über die 
dortigen Anfälle sagt das Krankenblatt nichts. Wohl aber wurden am 27. Au- 
gust 1898 auf der Krampfabtheilung der Charit^, auf die S. an diesem Tage 
erneut aufgenommen worden war, drei als epileptische festgestellte Anfälle 
(— 1^4, 272 und 4 Uhr Nachmittags) beobachtet, von denen einer 4 und zwei 
je 3 Minuten dauerten. Am 31. August ist er dann wieder entlassen worden. 

Es waren also in dem ersten Vierteljahr nach der Operation 
die Anfälle zweifellos seltener und weniger schwer als vor der Ope- 
ration und speciell als unmittelbar vor dieser. Allmählich aber trat hinsicht- 
lich der Krämpfe wieder derselbe Zustand ein, der früher bestanden hatte. 
Ende 1898 erklärte mir der Kranke, dass die Anfälle jetzt wieder wöchent- 
lich ungefähr 2 mal auftreten. 

IL Martha G., 22 Jahre alt. Aufgenommen in die Charit^, Krampf- 
abtheilung, am 29. December 1898; blieb auch während der Behandlung ihres 
Ohrenleidens auf genannter Station. — Der Vater des Mädchens leidet an 
Krämpfen. — Sie selbst leidet seit Kindheit aus unbekannter Ursache an Ohren- 
laufen links. Seit 1 Y2 Jahren epileptische Krämpfe, die ohne sonstige Ursache 
im Anschluss an ein Aussetzen der Menses aufgetreten sein sollen. Seit Ende 
1898 traten die Anfälle fast jede Nacht auf. In der Charit^ wurde der epi- 
leptische Charakter festgestellt. — Kräftiges Mädchen. Augenhintergrund 
normal. Ohrenbefund rechts regelrecht, Flüsterspracbe normal; links 1 bis 
IV2 m, stinkende Eiterung, Totaldefect des Trommelfells. 

4 . Februar 1899. Radicaloperation links. Antr um, Aditus, Recessus 
epitymp. und Paukenhöhle von Granulationen erfüllt. Tegmen tympani et 
an tri cariös. Gegen die mittlere Scbädelgrube hin wird die Dura in Fünf- 
pfennigstückgrösse freigelegt, Sinus nicht freigelegt. 25 gr Chloroform. — 
Am 29. Mai 1899 war die Wunde völlig epidermisirt. 

Während vor der Operation die Anfälle täglich auftraten, war nach 
der Operation bis zum 23. Februar kein Anfall mehr zu verzeich- 
nen. Erst an diesem Tage traten Nachts wieder zwei Anfälle auf. In der 



Neurosen und Warzenfortsatzoperationen. 225 

Nacht zum 1. März wieder ein Anfall, dann am 6. März, und dann wieder 
am 16. März. Seitdem traten die Anfälle ungefähr einmal wöchentlich auf, 
so im April am 2., 8., 15., 23. und 24. Im Mai 5, im Juni 6 Anfälle. So 
ungefähr blieb die Häufigkeit der Anfälle, bis die Kranke am 1. September 
1899 aus der Charit^ entlassen wurde. 

Zweifellos waren die Anfälle nach der Operation seltener als 
vor ihr. 

///. Complicirendes Leiden: Chorea minor {-^Epilepsie), 

Hermann H., 15 Jahre alt. Aufgenommen am 21. Januar 1898 auf die 
Erampfabtheilung der Charit^. — Im 12. Jahre aus unbekannter Ursache 
Ohrenlaufen rechts, das mit geringen Nachlässen bis jetzt angehalten hat. 
Ungefähr gleichzeitig mit dem Ohrenleiden stellte sich Veitstanz ein; auch 
dieses Leiden bestand ununterbrochen bis jetzt: ein plötzlicher Schreck wird 
hier als Ursache beschuldigt. Seit August 1897 mehrfach Schwindelanfälle, 
zu denen sich auch Krämpfe gesellten; über Häufigkeit und Art dieser 
Krämpfe ist nichts Bestimmteres zu erfahren, auf der Krampfabtheilung ist 
nach der Darstellung der Mutter die Diagnose auf Epilepsie gestellt worden. 
Der letzte dieser Anfälle soll am 21. Januar 1898 Vormittags aufgetreten und 
die Veranlassung gewesen sein, dass der Kranke die Charit^ erneut aufsuchte. 
Die gleichzeitig bestehenden lebhaften choreatischen Bewegungen der Arme und 
Hände besserten sich wohl unter Arsenbehandlung, bestanden aber, ebenso 
wie die stockende, erschwerte Sprache, noch in ausgesprochenem Maasse, als 
H. wegen Schmerzhaftigkeit des Warzenfortsatzes am 26. Februar zur Ohren- 
station verlegt wurde, und dauerten auch hier noch an bis zur 

Radicaloperation rechts, die ich am 9. März 1898 vornahm. Antrum 
und Recessus epitymp. mit Granulationen erfüllt, Tegmen antri cariös. Dura 
und Sinus nicht freigelegt. 83 gr Chloroform. — Ende Mai 1898 Wundhöhle 
epidermisirt. 

Mit der Stunde der Operation hörten die choreatischen Be- 
wegungen auf, um nie wieder aufzutreten; auch die Sprache war einige 
Tage nach der Operation nicht mehr so stockend und unbeholfen wie vorher. 
Schwindel- und Krampfanfälle sind nach der Operation auch nicht wieder 
aufgetreten. 

IV. Complicirendes Leiden: Hystero- Epilepsie. 

Helene G., 21 Jahre alt. Aufgenommen in die Charit^, Krampfabthei- 
lung, am 18. Juni 1896; zur Ohrenstation verlegt am 8. April 1897 ; zur Krampf- 
station zurückverlegt am 20. April 1897. — Im 10. Lebensjahre stellte sich, 
angeblich nach Fall auf den Kopf, Ohrenlaufen links ein. Die G. war da- 
mals kurze Zeit bewusstlos; ob es aus dem Ohre geblutet hat, weiss sie nicht. 
Die Eiterung hielt bis 1894 an, seitdem war das Ohr stets trocken. 1894 
Typhus. In der Reconvalescenz will sie von einer geisteskranken Frau an- 
gegriffen worden sein; darüber sei sie so erschrocken, däss sie einen Krampf- 
anfall bekommen habe (bewusstlos, Urin unter sich gelassen), drei Tage lang 
sei sie ohne Sprache gewesen. Diese Anfälle wiederholten sich in der Folge, 
Anfangs seltener, später häufiger, meist nach Gemüthserregungen. Nach den 
Anfällen öfter Gesichtshallucinationen — schwarze Gestalten, allerhand Bil- 
der. — Seit dem Typhus auch Blasenbeschwerden. — Allmählich häuften sich 
die Anfälle in erschreckender Weise: Zur Zeit der Aufnahme in die Charit^ 
und im ersten halben Jahre ihres Charitäaufenthaltes bisweilen über zwanzig 
schwere Anfälle von vorwiegend hysterischem Charakter an einem Tage. Pu- 
pillen auf der Höhe des Anfalls bisweilen aufs Höchste erweitert und starr, 
vielfach aber auch auf Licht reagirend. Mehrfach wurde geringe und träge 
Reaction der Pupillen noch lange nach dem Anfalle festgestellt. Die rechte 
Pupille wurde öfter nach dem Anfalle queroval gefunden. — Neben den An- 
fällen bestanden noch andere hysterische Symptome: Hallucinationen, Sen- 
sibilitätsstörungen , z. B. Analgesie, bezw. Hypalgesie an den Beinen; stiess 
sich eine Nadel in die Brust; Geschmacksstörungen; concentrische Einengung 
des Gesichtsfeldes für Weiss und Farben. Wenn die Anfälle sehr häufig ge- 



226 XU. MÜLLER 



^D sind, Itt sie dann den ganzen übrigen Tag verwirrt, bisweilen ganz 
geiitesabwesend und bewassUoB, stöhnt leise vor sich hin. Manchmal ist sie 
sehr aufgeregt, wird aggressiv und moss isolirt werden. Im Ganzen bot sie 
ein überaus schweres Krankheitsbild dar. 

Medicamente, Anfangs Brom und Chlora), sp&ter Opium in grossen Dosen 
(bis zu 1 gr £xtr. opii pro die), auch Cerium oxalic. erwiesen sich als wir- 
kungslos. So dauerte der Zustand Monate lang. Erst im Januar 1897 wur- 
den die Anfälle etwas seltener, 1—2 Anfälle taglich blieben aber doch das 
Minimum. Dm diese Zeit traten heftige neuralgische Erscheinungen 
am linken Warzenfortsatz auf. Dieser war auf Druck äusserst em- 

Sfindlich, doch hatte die Kranke auch allein, ohne Druck, dort starke stechende 
chmerzen. Mittelohreiterung bestand nicht; Trommelfell links eingezogen, 
getrübt, ohne Defect; rechts Trommelfell retrahirt. 

Am 10. April 1897 Mastoldoperation. 50 gr Chloroform. Zur Be- 
seitigung der iTeuralsie meisselte ich aus dem linken Warzenfort- 
satz ein dreiseitig-pyramidenförmiges Knochenstück aus, die 
Basis der Pyramide auf dem Planum mastoideum liegend, während die Spitze 
dem Antrum entsprach, welch letzteres im Uebrigen nicht in grösserer Aus- 
dehnung freigelegt wurde. Der Knochen war überaus hart, sklerotisch. Beim 
Erweitern der Knochenhöhle nach hinten, wurde der Sinus freigelegt und 
gleichzeitig verletzt: kräftige Blutung, die auf Tamponade stand, so dass die 
Operation ruhig zu Ende geführt werden konnte. 

Mit der Operation war die Neuralgie beseitigt, um auch im weiteren 
Verlaufe nicht wiederzukehren. Auffallender Weise trat nun vom 10. bis 
20. April auch kein Anfall wieder auf, während noch zu Beginn der 
Operation, als die Narkose eingeleitet wurde, ein krampfartiger Zustand ein- 
getreten war, der nicht den Chloroformexcitationsspasmen entsprach, sondern 
den früheren Anfällen glich. — Am 14. April beim ersten Verbandwechsel 
wieder starke Blutung aus dem Sinus. Am 20. April steht die Blutung. Nach 
dem Verbinden plötzlich ein Anfall, und zwar heute von ausgesprochen epi- 
leptischem Charakter: bewusstlos, klonische Zuckungen an Rumpf, Glied- 
maassen und im Facialgebiet; Pupillen ad maximum erweitert, reagiren nicht; 
Puls Anfangs nicht zu fühlen, später stark beschleunigt; Cyanose des Ge- 
sichts ; Zungenbiss, blutiger Schaum. Nach dem eigentlichen Krampfstadium 
kehrt das Bewusstsein nur allmählich zurück, Agitationen der Gliedmaassea 
bestehen dabei noch eine Weile fort. Gesammtdauer 10 Minuten. — 

Die Kranke wurde jetzt auf die Krampfstation zurückverlegt, wo sie 
noch bis 5. August 1897 verblieb. In dieser Zeit wurden noch mehrere Au- 
falle beobachtet; sie waren aber auch nicht annähernd mehr so häufig wie 
früher: bis 28. April 3 Anfälle, dann einer am 30. Mai, dann erst wieder am 
23. Juni, dann am 1. Juli , 22. Juli (2 Anfälle), 24. Juli. Ausserdem ist her- 
vorzuheben, dass jetzt die Aofälle, die früher vorwiegend hysterischen Cha- 
rakter trugen, auch in dem Krankenblatt der Krampfabtheilung in Üebereiii- 
stimmung mit meiner Diagnose, die ich nach dem von mir selbst beobach- 
teten Anfalle vom 20. April gestellt hatte, stets ausdrücklich als epileptische 
bezeichnet sind. Dementsprechend traten auch die übrigen hysterischen 
Symptome, die oben verzeichnet sind, nach der Operation mehr in den Hinter- 
grund — bis auf die Einengung des Gesichtsfeldes. — Wundböble Ende Mai 
fest verheilt. 

V — VIIL Complicirendes Leiden: Hysterie. 

V. Selma K., 17 Jahre alt. Aufgenommen am 22. November 1897 auf die 
Krampfabtheilung der Charit^ (bUeb dort auch während der Ohrenoperation). 
— Als kleines Kind Scharlach, darnach beiderseits Ohrenlaufen mit Remis- 
sionen bis vor 2 Jahren. Anfang December 1897 erneut Ohrenlaufen beider- 
seits. — Ausserdem leidet die K. seit 2 Jahren an hysterischen Krampfan fällen. 
Der erste Anfall habe sich in einem Bremer Krankenhaus an eine Ohren- 
operation (anscheinend Polypenabtragung) angeschlosseo I Allmählich wurden 
die Anfälle häutiger und intensiver, sie traten zuletzt täglich, bisweilen zu 
mehreren an einem Tage, auf. 

8. December 1897. Status: Bei Romberg heftiger Schwindel, starkes 



Neurosen and Warzenfortsatzoperationen. 227 

SchwankeD. — Flüstersprache beiderseits nicht gehört, gewöhnliche Umgangs- 
sprache links Vs m, rechts ^ja m. Links beim Abtupfen stinkender Eiter und 
etwas Blut: in der Tiefe yon hinten oben her eine reichlich erbsengrosse 
Granulation. Rechts sp&rlicbe Eiterung, Trommelfell verdickt, stecknadel- 
kopfgrosser Defect hinter dem ümbo. — Am 9. December Abends und am 
10. December früh je ein grosser hysterischer Anfall. Nach dem letzten litt 
die E. noch sehr an Schwindel und musste zur Ohrenstation geführt werden, 
wie sie denn überhaupt körperlich sehr elend und herunterg^ommen war. 

10. December 1897. Radicaloperation links. Antrum, Aditns, Recess. 
epit. und Paukenhöhle bis in das Ostium tubae hinein mit dicken Granu- 
lationen erfüllt, die den gesunden Hammer und Amboss einschliessen. Sinus 
vorgelagert, wird in Linsengrösse freigelegt. Garies des horizontalen Bogen- 
gangs: die rauhe Partie wird mit der Fraise gegl&ttet. 

Am 4. Januar 1898 war rechts die Eiterung versiegt. Die Wundhöhle 
links war bereits am 12. Februar völlig verheilt. 

Die Anf&lle — vorher einer, auch mehrere täglich — blieben nach 
der Operation vollständig aus bis zum 13. Januar 1898, also volle 
5 Wochen. Erst am 13. Januar trat nach einer Aufregung wieder ein An- 
fall auf, der aber nach Angabe der Wärterin leichterer Art war als die zahl- 
reichen grossen Anfälle vor der Operation. Der nächste Anfall, und zwar 
diesmal ein „schwerer hysterischer Anfall mit nachfolgender Verwirrtheit*, 
stellte sich am 14. Februar ein, also wieder erst nach fast 5 wöchiger Pause. 
Nächster Anfall am 15. (oder 16.) März, nach 4 Wochen Pause. — Am 
18. März wurde das Mädchen nach Wnhigarten entlassen. Am 7. April 
stellte sie sich wieder bei uns vor, sie hatte sich körperlich ausserordentnch 
erholt, befand sich völlig wohl und gab an, in W.. bislang nur einen leichten 
Anfall gehabt zu haben. Am 28. Juli erneut vorgestellt, erzählte sie, es sei 
kein Anfall wieder aufgetreten. Die Wundhöhle war fest verheilt. 

YI. Marie L., 23 Jahre alt. Aufgenommen auf die Abtheilung für Krampf- 
kranke am 30. März 1898. — Im 7. Lebensjahre im Anschluss an Gesichts- 
rose Ohrenlaufen rechts, das mit Remissionen bis jetzt angebalten hat. Ende 
1897 bis März 1898 will die L. als Dienstmädchen sehr viel zu thun gehabt 
und sich überarbeitet haben. Es stellten sich allerhand nervöse Beschwerden, 
z. B. Krämpfe in Armen und Beinen, auch Schwindelanfälle (nicht bewusst- 
los), ein; daneben zunehmende Mattigkeit, derentwegen sie schliesslich zur 
Charit^ kam. Hier hatte sie allerlei hysterische Klagen: sie sei vergesslich, 
sie schlafe schlecht, es rausche Nachts vor den Ohren, sah einen Mann an 
der Thür, stöhnte viel, Stiche bald im „Gehirn*', bald im Herzen, bald in der 
Schulter u. s. f. ; die Glieder seien ihr oft wie abgestorben, oft habe sie das 
Gefühl von Schwere im rechten Arm und im rechten Bein, leicht wechselnde 
Stimmung. — Bei den Sensibilitätsprüfungen widersprechende Angaben: bald 
fühlte sie feinste Berührung, bald an derselben Stelle gar nichts. Am rechten 
Arm und Bein Schmerz- und Tastempfindung zeitweise deutlich herabgesetzt. 
Geruch und Geschmack sehr wechselnd. Gesichtsfeld für die verschiedenen 
Farben ganz unregelmässig eingeengt. Angenhintergrund regelrecht. 

Da das rechte Ohr eiterte und schmerzte, wurde die L am 10. Mai 1898 
zur Ohrenstation verlegt Hier bestanden die hysterischen Beschwerden fort. 
— Ohren: Links Hörvermögen regelrecht, Trommelfell getrübt, matt. Rechts 
Flüstersprache 15 — 50 cm, Angaben wechselnd; spärliche stinkende Eiterung, 
in der Tiefe von hinten oben her Fleisch Wärzchen. Abtragung dieser mit der 
kalten Schlinge in leichter Narkose (sehr ungeberdig). Darnach grosser 
centraler Defect erkennbar, Paukenschleimhaut granulirt. Die Granulationen 
von hinten oben her wuchsen wieder; die Eiterung bestand unverändert fort. 
Ich schritt am 

8. Juni 1898 zur Radicaloperation rechts. Hammer und Amboss 
in dicke Granulationen eingebettet, Hammergriff und Tegmen tympani cariös. 
Sinus wird in doppelter Linsengrösse freigelegt. 60 gr Chloroform. — Nach 
der Operation brachte die L. ihre früheren Klagen nicht mehr 
vor. In den ersten Tagen wurde dies auf das vorherrschende Unbehagen 
Dach der 1V2 stündigen Narkose und nach dem grossen operativen Eingriff 
überhaupt zurückgeführt: aber auch nach dem Zurücktreten der unmittelbaren 



228 XII. MÜLLER 

Operations- und NarkoBenacbwirkangen blieben die früheren Klagen aus. 
Erst am 30. Jali war sie wieder einmal Nachts sehr unruhig, aber ohne einen 
Krampfanfali zu haben, und am 23. August Iclat^e sie über Schwindel, dem 
aber, da sie gleichzeitig Erbrechen hatte, wirklich körperlich begründetes 
Uebelbefinden zu Grunde zu liegen schien. Ihre hysterischen Be- 
schwerden blieben verschwunden, sie machte einen durchaus ver- 
nünftigen und verständigen Eindruck, verrichtete gern wirthschaftliche Hand- 
reichungen und erholte sich auch körperlich von ihrer Anämie. Die Wand- 
höhle war, weil öfter Ekzeme auftraten, erst Ende 1898 völlig epidermisirt 
und trocken. 

VII. Clara Y., 18 Jahre alt. Aufgenommen am 12. Mai 1898. — Seit 
früher Kindheit nach Masern Ohrenlaufen rechts, das mit Remissionen bis 
jetzt anhielt. Im Alter von 5—7 Jahren Krampfanfälle. Jetzt seit mehreren 
Jahren Schwindel und Kopfschmerzen. Am 29. Mai stellte sich Nachts ein 
mehrere Stunden anhaltender Zustand von Bewusstlosigkeit eio, während 
dessen in kurzen Zwischenräumen Krampfanfälle auftraten. Die Krämpfe 
begannen mit beschleunigter Athmung, dann krampfte sich der Rumpf nach 
hinten über zusammen, hohles Kreuz, zurückgebeugter Nacken, Unterschenkel 
fest gegen die Oberschenkel angezogen, während die Arme langsame Kreis- 
bewegungen im Schultergelenk ausführten ; die Pupillen reagirten. Temperatur 
während des Zustandes 39 ^ Am Morgen heftige Kopfschmerzen, kann sich 
auf die Vorgänge der Nacht nicht besinnen. Ein ähnlicher Zustand am 
31. Mai Abends, doch dauerte er diesmal nur V^ Stunde. Durch starke Haut- 
reize — kaltes Wasser, Nadelstiche — gelang es, die Kranke wieder zum 
fiewusstsein zu bringen. Am Morgen darauf wieder heftige Kopfschmerzen, 
über die sie übrigens auch sonst vielfach klagte; auch fiel es an jenem 
Morgen auf, dass das Mädchen nicht vernehmlich sprechen konnte, sie flüsterte 
und die Sprache war stockend. Sonst im Einzelnen weiter keine hysterischen 
Symptome, nur im Ganzen machte sie einen nervös-hysterischen Eindruck. 
Sie bestritt, Anfälle wie die am 29. und 31. Mai schon früher gehabt zu 
haben, doch machte es den Eindruck, dass das Mädchen dies verheimlichte, 
um ihre Stellung nicht zu verlieren. 

Da das Ohrenleiden sich unter unserer Behandlung (JGI3) nicht besserte, 

— rechts: Totaldefect, spärliche Eiterung; beim Abspülen öfter weissliche 
Cholesteatommassen, die auch in der Tiefe von vorn und oben her immer 
wieder in das Gesichtsfeld traten — , schritt ich am 

9. Juni 1898 zur Radicaloperation rechts. 60 gr Chloroform. 
Cholesteatom des Recess. epitymp. und der Paukenhöhle. Hammer fehlt, 
Amboss gesund ; Steigbügel ohne Platte mit entfernt, zwischen den Schenkeln 
cholesteatomatöse Masse. Sinus vorgelagert, in doppelter Linsengrösse frei- 
gelegt. — Ende August Wundböble völlig epidermisirt. Am 16. September 
nahm ich den plastischen Verschluss der retroauriculären Oeffnung vor, am 
27. September wuide das Mädchen völlig geheilt entlassen. 

Bis zu diesem Zeitpunkte war vom Moment der Radicaloperation an 
kein Krampfantall mehr zu beobachten, auch sonstige hyste- 
rische Erscheinungen fehlten, und die Klagen über Kopfschmerzen 
und Schwindel waren auch verschwunden. Schwindel hat sich allerdings jetzt 

— August 1901 — , wie ich von ihrem Dienstherrn erfahre, wieder eingestellt, 
doch wird dieser von dem behandelnden Arzte mit Bleichsucht erklärt. 

VIII. Hedwig K., 21 Jahre alt. — Von frühester Kindheit an im An- 
schluss an Masern Ohrenlaufeu beiderseits bis zum 10. Jahre, seitdem nur 
noch schwerhörig. Am 17. Juni 1897 wurde sie zum ersten Male ambulant 
bei uns untersucht. Starkes Sausen, links > rechts, Schwinde), schwerhörig; 
beiderseits grosser trockener Defect. Flüstersprache rechts 2—3 m, links 
nicht gehört. Mitte Mai 1898 wieder beiderseits Ohrenlaufen, Ursache des 
Ruckfalls unbekannt. Im Juni trat sie deshalb wieder in unsere Behand- 
lung, zunächst ambulant; Abspülungen mit JCJs. Weder die Eiterung noch 
die subjectiven Beschwerden — Kopfschmerzen, Schwindel — besserten sich ; 
der Schwindel nahm sogar zu, bei Romberg starkes Schwanken bis zum 



Neurosen und Warzenfortsatzoperationen. 229 

Fallen; beim plötzlichen Aufstehen vom Stuhle tritt erhebliches Schwanken 
ein, sodass sie sich festhalten muss, um nicht zu fallen. 

Am 23. August 1898 Radicaloperatlon beiderseits in einer 
Sitzung. Gesammtdauer "^ja Stunden, nur 40 gr Chloroform. Rechts Garies 
der medialen Antrum-Wand , links Garies des Tegmeu tympani et an tri, so- 
wie der medialen Antrum-Wand. Rechts wird der vorgelagerte Sinus in 
Hanfkorngrösse , links nach oben und hinten die Dura in Linsengrösse 
freigelegt. 

Anamnestiscbes über das hysterische Leiden: 1896 von einem leeren 
Wagen überfahren. Keine erhebliche Verletzung, wohl aber heftiger Schreck, 
in dessen Folge sie einen Erampfanfall bekam. Ohreneiterung soll damals 
nicht bestanden haben, aber die subjectiven Beschwerden, Sausen, Schwindel 
und Kopfschmerzen, sollen seitdem bestehen. Die Krampfanfälle wiederholten 
sich damals täglich, 3 Wochen lang hatte sie gleichzeitig die Sprache ver- 
loren. Allmählich wurden die Krämpfe seltener, doch wiederholten sie sich 
mindestens alle 4 Wochen. Ausserdem verlor sie seit dem Unfall jährlich 
4 Mal auf 14 Tage die Sprache, etwa in jeder Jahreszeit einmal. Letzte 
aphasische Periode im Juni 1898. — Vom 17. Mai— 14. Juli 1897 lag sie in 
der Charit^ auf der Krampfabtheilung mit der Diagnose „Hysterie'*. In dieser 
Zeit wurden hysterische Krampfanfälle beobachtet am 19. Mai, 14. Juni und 
23. Juni. — Bisweiien sprach sie tonlos und behauptete, nur flüstern zu 
können. — Zweite Gharit^- Aufnahme am 20. Juni 1898, zunächst Abtheilung 
tür Geschlechtskranke, wegen Gonorrhoe; am 28. Juni Verlegung zur Krampf- 
abtheüung, weil wieder Krämpfe aufgetreten waren. Hier Anfälle am 29. Juni 
(9. Juli nur Wadenkrämpfe) und am 25. Juli: bewusstlos, Zungenbiss. 

Auf der Ohrenstation, wohin sie am 20. August verlegt wurde, machte 
sie zeitweise einen verwirrten Eindruck; die Sprache war stockend, näselnd, 
vielfach unverständlich; der Gang war schwerfällig, langsam, schwankend. 
Die Operation führte ich am 23. August, also zu einer Zeit aus, um welche 
nach den bis dahin gemachten Erfahrungen ein Krampfanfali spätestens 
wieder zu erwarten gewesen wäre. Dieser Anfall blieb aber aus, ja, es 
trat bis zum 4. November 1898 kein hysterischer Anfall wieder 
auf, sodass die Kranke also Vj^ Monat ohne Anfall geblieben ist. Hierin 
darf gewiss eine Besserung ihres hysterischen Zustaudes erblickt werden; 
ich kann hinzufügen, dass das Mädchen, nachdem die unmittelbaren Folgen 
der Operation überstanden waren, auch eine ganze Zeit lang einen weniger 
verwirrten, ruhigeren Eindruck machte als vor der Operation. Im October 
freilich stellten sich andere hysterische Erscheinungen ein: feinschlägiger 
Tremor der Hände, zeitweiliges starkes Zittern der ganzen Vorderarme, 
Analgesie des rechten Arms, monoculäres Doppeltsehen. Die Kranke wurde 
daher, nachdem gegen Ende October beide Wundhöhlen epidermisirt waren, 
am 4. November 1898 nach der Anstalt in Wuhlgarten übergeführt. Dort ist 
sie bis 13. Januar 1899 geblieben; Tremor und Sensibilitätsstörangen (An- 
ästhesie und Analgesie rechts, Hyperästhesie links) wurden auch in W. weiter 
an ihr beobachtet, daneben Ataxie der Arme und Beine und fortschreitende 
Imbecillität. Krampfanfälle sind aber, bis auf einen Schreikrampf, auch 
dort nicht mehr aufgetreten. 

Sehliesslieh lasse ich noch 2 Krankengesehichten folgen, in 
denen es sich hinsichtlich der complicirenden Krankheit zwar 
nicht nm eine eigentliche Nenrose, aber doch um ein der ner- 
vösen, bezw. nervös-psychischen Sphäre angehöriges Leiden han- 
delte, welches nach der Mastoidoperation in seiner Erscheinungs- 
weise ebenso wie die bisher aufgeführten Neurosen eine augen- 
föUige Aenderung erkennen liess. 

IX, CowpLicirendes Leiden: Menslruales Irresein, 

Else 6., 18 Jahre alt. Erblich belastet: Vater f, litt an Verfolgungs- 
wahnsinn, Mutter „nervös'*. Als Kind war sie still, gab sich mit anderen Kin- 



230 XII. MÜLLER 

dem nicht ab. In der Schale lernte sie schwer. Seit dem 14. Lebensjahre 
Menses regelmässig alle 4 Wochen, 4 Tage anhaltend. Yon der ersten lien- 
Btroation an stellten sich mit den Menses Angstzustände ein: sie hatte die 
Vontellnng von Thieren, die schrien nnd sie von hinten packten und bissen. 
Beschreiben kann sie die Thiere nicht; sie habe sie ja nie gesehen, da sie 
immer ?on hinten k&men. Andere Male hat sie das GefCÜil, als ob sie Jemand 
anfasste nnd zu Boden reissen wollte. Sie l&nft dann ängstlich in der Stube 
hemm und schreit. Nachts kann sie deshalb oft nicht schlafen. Mit dem 
Aufhören der Menses schwinden diese Vorstellungen. In der Zeit zwischen 
den Menses fühlt sie sich ganz gesund. — Ohrenleidend ist sie seit dem 2. Le- 
beosjahre: Otorrhoe rechts nach Masern, mit Remissionen bis jetzt anhaltend. 

Im December 1897 wurde sie nach der Irrenanstalt in Wahlgarten ge- 
bracht. Von dort kam sie am 14. October 1898 wegen der seit 8 Wochen 
wieder stärker aufgetretenen Ohreiterung zu uns. 

Rechtes Ohr: Spärliche, übelriechende Eiterung, fast Totaldefect, oberer, 
verdickter Rest; Paukenschleimhaut granulirt. — Heftige Kopfschmerzen, be- 
sonders in der rechten Kopfhälfte, zeitweise Schirindel, kein Sausen. 

3. November 1898 Radicaloperation rechts. 60 gr Chloroform. Starke 
Knochenblutung. Caries der medialen Antrumwand und desTegmen antri et 
tympani. Am Tegmen antri wird die Dura in doppelter Linsengrosse frei- 
gel^. Hammer und Amboss gesund, in Granulationen, wie solche die ganze 
Paukenhöhle ausfüllen. — Regelrechter Wundverlauf; am 22. Februar 1899 
war die WnndhOhle völlig und fest epidermisirt. 

Seit der Operatio*n sind Anfälle von menstrualem Irresein bi-e 
Knde Februar 1899 nicht wieder aufgetreten. Die letzten Menses 
mit Verfolgungsideen waren 8 Tage vor der Aufnahme in die Charit^ dage- 
wesen. Die ersten Menses auf der Ohrenstation traten am 6. November, 
3 Tage nach der Operation, auf; diese und die folgenden drei Menstruationen 
waren von dem Irresein, das bei den bisherigen Menses nie gefehlt hatte, 
nicht begleitet; überhaupt war während der Periode und auch in den Inter- 
vallen an dem Mädchen nichts psychisch Auffälliges zu entdecken. 

Ob später wieder Wahnideen aufgetreten sind, kann ich leider nicht 
berichten. 

Als Gegenstück zu der vorstehenden Krankengeschichte liegt mir die 
eines 22 Jahre alten Kaufmanns Richard H. vor. Der Mann lag wegen (chro- 
nischer) Paranoia auf der Irrenstation der Charit^. £r erkrankte am 5. No- 
vember 1898 in Folge von Erkältung an rechtsseitiger Mittelohreiterung, die 
so schnell unter alarmirenden ErscheinuDgen auf den Warzenforsatz über- 
griff, dass bereits am 14. November das Autrum aufgemeisselt werden musste': 
Antrum und die benachbarten Warzenfortsatzzellen voll Eiter; Sinus und 
Dura wurden nicht freigelegt. 70 gr Chloroform. Am 3. März 1899 war die 
Wunde geheilt. — Auf die Wahnideen des Kranken hat die Operation auch 
nicht den geringsten Einfluss ausgeübt. 

X, Complicirendes Leiden: Multiple Sklerose des Gehirns 

und Rückenmarkes, \ 

Johann B., 27 Jahre alt. — Seit dem 6. Lebensjahre beiderseits Ohren- 
laufen, Ursache unbekannt. 1896 specialistische Behandlung, dadurch Hei- 
lung rechts, links blieb die Eiterung. Ungefähr um dieselbe Zeit stellte sich 
eine gewisse Schwäche in beiden Beinen ein, die im Herbst 1897 plötzlich 
zunahm und am Id. November 1897 den Mann zur Einstellung der Arbeit 
zwang. Erbliche Belastung und Lues sind als ursächliche Momente auszu- 
schliessen; dagegen kann erwähnt werden, dass der Mann viel mit Blei zu 
thun ffehabt hatte; 1886 hatte er ausserdem Gelenkrheumatismus überstanden. 

Vom 17. November 1897 an lagB. im Krankenhause inSenftenberg; da 
aber die nervösen Erscheinungen sich rasch verschlimmerten, kam er am 
12. Januar 1898 in die Charit^ (I. medic. Klinik). Die Hauptsymptome, die 
er jetzt darbot , waren : Kopfschmerzen, Schwindelgefühl. Intelligenz unge- 
trübt. Ruhelage der Glieder normal. Muskelkraft erhalten. Patellarreflex 
beiderseits stark erhöht, Fussklonus. Keine Sensibilitätsstörungen. Zunge 



Neurosen und Warzenfortsatzoperationen. 231 

gerade herausgestreckt, zittert nicht. Pupillen weit, beiderseits gleich, reagiren 
träge auf Licht, besser auf Gonvergenz. Bisweilen geringer Nystagmus. 
Augenhiutergrund ohne Besonderheiten. Kleine Gegenstände vermag er mit 
den Fingern nicht prompt zu ergreifen, die Hände schiessen öfter darüber 
hinaus, aber kein Intentionszittern. Viel stärker sind die ataktischen Erschei- 
nungen an den unteren Gliedmaassen. Der Mann kann nur mit Hälfe eines 
Stockes gehen. Der ganze Patient ist im Stehen fortwährend in einer 
schüttelnden Bewegung; lässt man ihn die Augen schliessen, so tritt heftiges 
Schwanken ein, bisweilen bis zum Hinfallen, sogar trotz der Hülfe des Stockes. 
Der Gang ist gespreizt und anstrengend, aber nicht stampfend; die Beine 
werden unter heftigem Tremor der ganzen unteren Gliedmaassen nach vorn 
geschleudert, wobei sich folgende einzelne Tempi unterscheiden lassen: 
zögerndes Vorsetzen des rechten Beins, schnelles Nachziehen des linken, 
kurze Pause. Kehrtwendungen werden nach rechts und links vorsichtig und 
im Bogen, aber leidlich sicher ausgeführt. — Diese Symptome waren in ihrer 
Stärke wechselnd, eine dauernde Besserung trat aber zunächst nicht ein, 
eher war bis Anfang April eine allmähliche Zunahme der Erscheinungen zu 
verzeichnen. 

Wegen der linksseitigen Mittelohreiterung kam B. seit Februar ambulant 
zur Ohrenstation. Rechtes Trommelfell atrophisch, grosse centrale Narbe. 
Links Totaidefect des Trommelfells, Paukenschleimhaut wulstig, roth, feucht, 
die ganze Tiefe verquollen, stinkende Eiterung. Flüsterprache rechts fast 
normal, links nicht gehört. , 

9. April 1898. Radicaloperation links. 75 gr Chloroform. — Me- 
diale Antmmwand, laterale Recessuswand und langer Ambossschenkel 
cariös ; Hammer gesund, in dicke Granulationen gebettet Dura nach oben hin 
in '/4 qcm Grösse freigelegt. — Ende Juli war die Wundhöhle völlig epidermisirt. 

Am 20. April 1898 bereits fiel es auf, dass der Gang des Mannes 
zweifellos sicherer war als vor der Operation. Er konnte gut ohne 
Stock gehen und Kehrtwendungen ziemlich rasch und ohne nennenswerthe 
Schwankungen ausführen. Besonders konnte er auch besser stehen; die 
schüttelnden Bewegungen beim ruhigen Stehen fielen zeitweise ganz fort. 
Dieses Nachlassen der krankhaften Symptome unterschied sich von 
den früher mehrfach verzeichneten Besserungen dadurch, dass es nicht innerhalb 
Stunden oder eines Tages vorüberging, sondern von längerer Dauer war. 
Zwar klagte der Mann am 11. Mai bereits, dass sein Gang wieder unsicherer 
werde und das Schwindelgefühl wieder zunehme, gleichwohl konnte er noch 
am 30. Juni ohne Stock gehen. 

Durch geeignete Behandlung auf der inneren Klinik — üebungen im 
Gehstuhl, warme Bäder, Brompräparate u. s. w. — wurden einzelne Erschei- 
nungen zeitweise sogar noch weiter gebesserL Im August aber trat wieder 
eine Wendung ad peius ein, und von da an schritt die Verschlimmerung un- 
aufhaltsam weiter fort. Am 24. August wurde am rechten Auge partielle 
Sehnervenatrophie und beiderseits starke Herabsetzung der Sehschärfe fest- 
gestellt (s rechts«——, links =» -r--- ) . Später (17. November) Nystagmus, 

\ 10 2,5 / 

am 23. December Strabismus convergens, Parese des rechten Abducens. In 

den nächsten Monaten nahm das Gehvermögen ab, der Mann konnte kaum 

noch mit 2 Stöcken und schliesslich nur noch im Gehstuhl gehen. Im No- 

1 1 

vember 1899 Nystagmus rotatorius, S rechts = —- ( — 2 D), links =» -^-- (— - 3 D) ; 

lU ^u 

Papillen beiderseits von unregelmässiger Form, sehr blass, links > rechts, 
ziemlich scharf begrenzt, deutlicher Ghorioidalring, Arterien verengt. Mitte 
Januar 1900 beiderseits völlige Atrophie des Nervus opticus, Papillen un- 
regelmässig gezackt, Farbe grünweiss. Schon früher war auch deutliches 
Intentionszittern hinzugetreten, desgleichen Störung — Schwerfälligkeit — 
der Sprache. — Am 27. October 1900 ungeheilt in die Heimath entlassen. 

Unbestreitbar ist die Thatsache, dass in den vorstehend ge- 
schilderten 10 Fällen naoh der Ohrenoperation das neben der 

Archiv f. Ohrenheillcande. LIV. Bd. ' 16 



232 XII. MÜLLER 

Ohrenkrankbeit vorhandene Nervenleiden eine auffallende Aende- 
mng in aeiner Enielieiniingsweise erkennen liess, eine Aenderung, 
die in einem Falle (III) gleichbedeutend vrar mit Heilnng, in 
allen anderen Fällen aber zum mindesten eine — wenn anch 
nur vorflbergefaende — BesBernng bedeutete. 

Dass es sich dabei nur um ein rein zeitliches, zufälliges 
Folgeverhältniss handeln sollte, ist nicht anzunehmen. Dazu 
ist die Aenderung in den Aeusserungen des Nervenleidens nach, 
und zum Theil unmittelbar nach der Operation denn doch 
zu auffallend (s. bes. Fall 11— V). Vielmehr darf ich wohl mit 
Recht behaupten, dass bei allen 10 Kranken die Besserung des 
Nervenleidens auf den Einfluss der Ohrenoperation ursächlich 
zurückzufbhren war. 

Da läge zunächst die Annahme nahe, dass das Nervenleiden 
eine Folge der Ohrenkrankheit gewesen wäre, und dass dann 
mit der beseitigten Ursaclfe, dem Ohrenleiden, auch die Folge, 
das Nervenleiden, zum Schwinden gebracht worden wäre. Dass 
ein solcher Zusammenhang an und fßr sich nicht undenkbar ist, 
dafQr sprechen ja die Eingangs erwähnten Heilungen solcher 
Leiden, die man — mit Eitelberg (L c.) — als vom Gehör- 
organ ausgelöste „Refiexerscheinnngen'^ anfgefasst hat, und die 
mit Beseitigung des Ohrenleidens gleichzeitig zur Heilung ge- 
kommen sind. Auch unser Fall I könnte fQr eine solche An- 
nahme in Anspruch genommen werden, weil dort im Jahre 1896 
im Anschluss an eine Behandlung der Ohreneiterung einmal ein 
10 wöchiges Aussetzen der epileptischen Anfälle constatirt wor- 
den war. Die zeitlichen Verhältnisse würden gegen diese Ab- 
hängigkeit der Nerven- von der Ohrenkrankheit nicht sprechen, 
da in allen unseren Fällen die Obrenaffection länger bestand 
als das Nervenleiden. 

Gleichwohl dürfte für unsere Kranken dieser ursächliche 
Zusammenhang nicht anzunehmen sein. Gegen einen solchen 
Zusammenhang spricht schon die Thatsache, dass das Nerven- 
leiden ja nicht geheilt, sondern nur gebessert, theilweise sogar 
nur vorübergehend gebessert wurde ; dagegen spricht ferner der 
Umstand, dass die Besserung des Nervenleidens sich unmittel- 
bar nach der Operation geltend machte, zu einer Zeit also, wo 
die Heilung des Ohrenleidens zwar in Angriff genommen, aber 
noch lange nicht vollendet war. Und wenn in unserem Falle V 
ausdrücklich gesagt ist, dass der eiste hysterische Anfall sich 
an eine Ohrenoperation angeschlossen habe, so liegt auch hierin 



Neurosen und Warzenfortsatzoperationen. 233 

kein Beweis für die ursächliche Abhftngigkeit der Neurose von 
der Mittelohreiterung, sondern es wäre dann eben, falls die An- 
gabe überhaupt richtig, jene kleine Operation nur der Anstoss 
zum ersten Auftreten der hysterischen Erscheinungen gewesen. 

Eine Sonderstellung könnte vielleicht unserem Fall III ein- 
geräumt werden. In jüngster Zeit hat nämlich Frölich in 
einer Norwegischen Zeitschrift i) Beobachtungen veröffentlicht, 
dahingehend, dass unter 47 Fällen von Chorea SO^/o eine infec- 
tiöse Krankheit — z. B. Vulvovaginitis gonorrhoica, Endocar- 
ditis, Gelenkrheumatismus — aufwiesen, die Frölich als die 
Ursache der Chorea anspricht. Wenn es richtig wäre, dass in 
der That Infectionskeime oder deren giftige Producte, von derlei 
Infectionskrankheiten stammend, einen Einfluss auf das Nerven- 
system ausüben und damit geeigneten Falles das Bild der Chorea 
zu Stande bringen könnten, so müsste es statthaft sein, in un- 
serem Falle III auch einmal eine otitische Chorea, von den 
Keimen des Mittelohreiters ausgehend, anzunehmen. Damit 
würde der fast augenblickliche Erfolg der Operation in Einklang 
stehen; denn wenn auch mit der Operation noch nicht gleich 
die völlige Heilung des Ohrenleidens gegeben war, so war doch 
mit ihr der Infectionsherd ausgeschaltet« 

Die Frölich' sehe Theorie, die meines Erachtens schon 
für die Chorea ihr Gewagtes hat, auch auf die übrigen Neurosen 
auszudehnen, halte ich natürlich, so lange triftige Beweise fehlen, 
für unstatthaft, und ich bleibe daher bei der Annahme, dass in 
unseren Fällen — vielleicht bis auf Fall III — die Ohren- 
krankheit nicht die Ursache der Neurose war, dass 
also auch die Besserung [der Neurose nicht „reflectorisch" be- 
dingt war durch die Heilung des Ohrenleidens, dass vielmehr 
andere Factoren hier zur Erklärung herangezogen werden 

müssen. 

^^ « 

Welche Factoren aber sind dies? Im Hinblick auf das un- 
mittelbar nach der Operation erfolgte Eintreten der Aenderung 
in den Erscheinungen der Neurose ist es meiner Meinung nach 
lediglich die Operation selbst mit ihren unmittelbaren 
Folgen gewesen, wodurch der Umschwung herbeigeftlhrt wurde. 
Und im einzelnen dürften da folgende 3 Punkte hervorzu- 
heben sein: 

1. Die Narkose und der Operations-Shok, 



1) Referat s. Centralblatt für innere Medicin. 1901. Nr. 13. S. 326.J 

16* 



234 XU. MOLLER i 

i 

2. der Blatverlast und 

3. der Einflass der Naohbehandlung. 

Den gewaltigen Einflass der allgemeinen Narkose auf die 
motorisohen Centra, selbst wenn deren EiTegbarkeit in krank- 
hafter Weise hochgradig gesteigert ist, beweist die Wirkung der 
Narkose bei den eklamptisohen Krämpfen der Schwangeren 
und Ereissenden. Dass in ähnlicher Weise die Narkose auch 
bei Epilepsie, Hysterie und Chorea auf die motorischen Sym- 
ptome dieser Krankheiten Einfluss ausüben kann, liegt auf der 
Hand und ist auch schon yielfach erprobt. 

Neben der Narkose und ihren Nachwirkungen ist auch der 
Einfluss des operativen Eingriffs auf die Psyche und auf den 
Gesammtorganismus, der Operations-Shok, mit in Bechnung 
zu ziehn. Gewiss ist das Vorherrschen acuter krankhafter Sym- 
ptome geeignet, [andere krankhafte Erscheinungen chronischer 
Art zeitweilig in den Hintergrund zu drängen; Benommenheit 
und üebelbefinden nach der Narkose sowie der psychische Ein- 
fluss des Eingriffs können recht wohl eine Zeit lang die Be- 
thätigung der Neurose zurücktreten lassen, und da bei dem Zu- 
standekommen epileptischer und hysterischer Krämpfe, aber auch 
der sonstigen hysterischen Symptome psychische Einflüsse ; die 
von dem subjectiven Zuthun des Kranken nicht ganz unab- 
hängig sind, in gewissem Grade zweifellos mitspielen, so ist 
nichts erklärlicher, als dass mit dem Zurückdrängen dieser 
psychischen Einflüsse^ durch die Operations- und Narkose-Folgen 
eine Zeit lang auch die durch sie bedingten oder eingeleiteten 
epileptischen oder hysterischen Erscheinungen ausgeschaltet 
werden. 

Doch auch die Nachwirkungen der Narkose und des Opera- 
tions-Shoks sind von verhältnissmässig kurzer Dauer und jeden- 
falls kürzer, als in unseren Fällen die Besserung des Nerven- 
leidens anhielt. Und darum müssen weitere Factoren zur Er- 
klärung herangezogen werden. 

Da sind der Blutverlust bei der Operation und der 
Einfluss der Nachbehandlung zu nennen. Beide Factoren 
kommen in ihrer Einwirkung auf die dem Schläfenbein benach- 
barten Hirnpartien auf dasselbe hinaus, nur dass der erstere, 
zwar intensiv, aber doch mehr vorübergehend wirkt, während 
dem letzteren eine wohl weniger kräftige, dafür aber länger 
dauernde Wirkung zukommt. 

Erstreckten sich unsere Beobachtungen nur auf Epileptiker, 



Neurosen und Warzenfortsatzoperationen. 235 

SO könnte man an die Eocher'sche Theorie denken, wonach 
der epileptische Anfall als die Folge einer durch plötzliche 
intracranielle Druckschwanknnge n hervorgerufenen 
Circulationsstörung bei abnormer Erregbarkeit gewisser Abschnitte 
der Hirnrinde anzusehen ist. Dann wäre die Wirkung des Blut- 
verlustes bei der Operation und des fortgesetzt drainirend auf 
das Schädelinnere wirkenden Verbandes (die Schädelhöhe 
war in allen unseren Fällen bis auf einen geöffnet) so zu er- 
klären, dass jener erhöhte Druck im Schädel jetzt nicht mehr 
zu Stande kommen könnte und deshalb die epileptischen An- 
fälle ausblieben. Dem steht aber entgegen, dass erstens es 
nicht erwiesen ist, dass wirklich erhöhter Hirndruck die Ursache 
des epileptischen Anfalls sei ; es ist ebenso wahrscheinlich, dass 
die während des Anfalls in der That vorhandene Hirndruck- 
erhöhung eine Folge des Anfalls ist. Des Weiteren aber haben 
wir es nur in 2 Fällen mit reiner Epilepsie zu thun, während 
in den anderen Fällen nervöse Leiden vorlagen, für die jene 
Himdruckerhöhung nicht als Ursache angenommen wird. 

Wir müssen daher anderen Wirkungen des Blutverlustes 
und des drainirenden Verbandes nachgehn. Beide haben Ver- 
änderungen in der Blutversorgung der benachbarten Hirnab- 
schnitte und damit indirect auch der entfernteren Hirnpartien zur 
Folge. Hieraus resultiren Aenderungen in der Ernährung der 
betroffenen Abschnitte. Der Blutverlust bei der Operation wirkt 
hier wie ein einmaliger mächtiger Aderlass, während die Nach- 
behandlung mit ihrer, die Bichtung des Säftestroms ablenkenden 
oder seine Intensität verändernden, absaugenden Wirkung der 
in die Wundhöhle eingeführten und auf sie aufgelegten Verband- 
stücke als eine Art permanente Drainage des Schädelinnern 
fortdauernd wirkt. Undmit diesen veränderten Blutversor- 
gungs-, Säftestrom- und Ernährungsverhältnissen der 
Nervenelemente wird auch eine Aenderung ihrer Func- 
tion einhergehen. 

Hinsichtlich der hier in Rede stehenden Wirkung des Ver- 
bandes erscheint mir unser Fall X von besonderem Interesse. 
Hier lag nicht eine reine Neurose, sondern eine Gehirnkrank- 
heit vor, deren pathologisch-anatomisches Substrat wir kennen. 
Gerade auf die entzündlich formativen Vorgänge in dem feinen 
interstitiellen bindegewebigen Stützgerüst des Gehirns musste 
der gewaltige Aderlass bei der Operation und die weitere Be- 
einflussung des Gehirns durch die dauernde Drainage des 



236 XII. MÜLLER 

absaugenden Verbandes von besonders grosser Wirkung sein, 
da dieser entzflndlichen Neubildung kleiner bindegewebiger 
Herde byperämisehe Zustände und in deren Folge eine ge- 
wisse Ueberern&hrung im Bereiche dieser Hyperämie zu 
Grunde liegen. Dem entsprach durchaus das klinische Bild: 
der Einfluss der verminderten Ernährung auf die bisher über- 
ernährten Stellen musste zunächst zu einem Stillstand des krank- 
haften Processes und bei längerem Anhalten zu einer Rückbil- 
dung und Schrumpfung an den entzündlichen Herden f&hren. 
Dies konnte aber nicht an einem Tage geschehen, sondern 
brauchte einige Zeit, und so wurde denn auch erst 11 Tage 
nach der Operation eine Besserung der nervösen Symptome be- 
merkt. Aber natürlich hielt die Besserung nur so lange an, als 
die Nachbehandlung der Operationswunde einen Einfluss auf die 
Ernährung der Entzündungsherde auszuüben vermochte ; und so 
sehen wir mit dem Schwinden dieses Einflusses die Krankheits- 
symptome wieder hervortreten und das schwere Nervenleiden 
seinen üblichen Fortgang nehmen. 

Der geschilderte, aus unseren Factoren 2 und 3 resultirende 
Einfluss der Ohrenoperationen unmittelbar auf das benachbarte 
Gehirn selbst als den Sitz der Neurose ist auch dasjenige Mo- 
ment, welches unsere Fälle von anderen Fällen jener Art, wie 
sie Maclaren ^) beschrieben hat, unterscheidet. Maclaren 
spricht von Epileptischen, bei denen wegen Gelenkerkrankungen, 
Krebses u. s. w. grosse Operationen an Eörperstellen, die dem 
Kopfe nicht benachbart waren, ausgeftahrt worden sind mit dem 
Erfolge, dass die Anfälle darnach längere Zeit aussetzten oder 
ganz verschwanden. Mag dort ein „reflectorisches*' Verhältniss 
obgewaltet haben, mag vielleicht zufällig mit der Operation eine 
periphere Narbe entfernt worden sein, die zu den Krämpfen in 
Beziehungen stand — es ist hier nicht der Ort, zu untersuchen, 
welche Factoren dort mitgesprochen haben, ebensowenig auch, 
zu prüfen, ob die Fälle ganz einwandsfrei beobachtet sind, zu- 
mal mir die Originalarbeit nicht vorliegt — , soviel ist sicher: es 
kann dort von einer directen Beeinflussung des Central- 
nervensystems nicht die Rede sein, während in unseren 
Fällen eine solche im Gegensatz zu dem bloss „reflecto- 
rischen^ Einfluss als erwiesen zu betrachten ist. 

Neben den beschriebenen 3 Hauptheilungsfactoren wären 

1) Ediob. medic. Journ. 1875. Januar, citirt in v. Bergmannes „Die 
«hirurgische Behandlung von Hirnkrankheiten''. 3. Aufl. S. 388. 



Neurosen und Warzenfortsatzoperationen. 237 

vielleicht noch zwei andere Paukte, die aber offenbar nur von 
nebensächlicherer Bedeutung sind, zu erwähnen. 

Man könnte an den Einflass der Suggestion denken: dem- 
gegenüber muss ich betonen, dass eine Suggestion der gleichzei* 
tigen Heilung des Nervenleidens mit der Operation unsererseits 
in keinem Falle stattgefunden hat, da wir vor dem Eingriff selbst 
nicht an die Möglichkeit dieser Wirkung der Operation gedacht 
haben. 

Man könnte ferner an einen Einfluss des Hämmerns 
bei der Operation denken. Dass das ^^Verhämmern^ gewisse 
Erscheinungen von Seiten des Nervensystems auslösen kann, ist 
bekannt, und in der That war der Knochen in mehreren Fällen 
so sklerotisch, dass ein kräftiger Gebranch des Hammers nöthig 
wurde. Gleichwohl dürfte hier das Hämmern kaum in Frage 
kommen, da von ihm, wenn überhaupt irgend welcher, dann 
eher ein verschlimmernder als ein bessernder Einfluss auf ein 
krankes Centralnervensystem zu erwarten sein dürfte. 

Nicht jede Neurose wird durch eine Operation am Schädel 
günstig beeinflusst. Mir scheint das Alter der Patienten 
und das Alter der Neurose für die Wirksamkeit oder Un- 
wirksamkeit der Operation eine Bolle zu spielen. 

Unsere Kranken waren sämmtlioh in verhältnissmässig 
jugendlichem Alter; dieses schwankte zwischen 15 und 23 
Jahren, nur ein Kranker, der mit der multipleu Sklerose, war 
27 Jahre alt. 

Und was das Alter des nervösen Leidens in unseren Fällen 
anlangt, so bestand dieses zur Zeit der Operation nur in einem 
Falle schon seit 4 Jahren, in 3 Fällen seit 3 Jahren, in 5 Fällen 
seit 2 Jahren oder noch kürzerer Frist, in 1 Falle (VII) war 
Genaueres nicht feststellbar. Hiernach scheint es, als ob das 
jugendliche Alter von 15 — 23 Jahren bei nicht zu 
langem Bestehen des Nervenleidens (nicht über 4 Jahre) 
die günstigsten Chancen hinsichtlich der Besserung der Neurose 
durch die Mastoidoperation böte. 

Unsere Beobachtungen lenken die Aufinerksamkeit von 
Neuem auf die operative Seite der Neurose-Therapie. 
Für die Epilepsie sind ja die Versuche einer operativen Heilung 
uralt 1), und auch Psychosen, besonders traumatischer Natur, 
hat man vielfach chirurgisch zu behandeln versucht, wobei — 



1) Siehe Y.Bergmann, Die chir. Beh. v. Hirnkrankh. 3. Aufl. S. 386ff. 



238 XII. MÜLLER 

naeh v. Bergmann — den Aerzten die Idee der endocraniellen 
Drnekentlastnng Yorschwebte. Die Operationen sind bei der 
partiellen (Jaokson'soben) — traumatiseben und nicbttran- 
matiseben — Epilepsie und bei Reflexepilepsien sowie bei nicht 
epileptisoben Hirnerkrankungen traumatischen Ursprungs, bei 
denen man den erkrankten Hirnbezirk kannte und in Angriff 
nehmen konnte, vielfach von Erfolg gewesen. Im Uebrigen 
aber waren die cbirurgischen Ergebnisse wenig befriedigend. 
Ich meine, dass an diesen Misserfolgen, zum Theil wenigstens, 
die falschen Yorausetzungen Scbuld waren, von denen man bei 
der Operation ausging, insbesondere die erwähnte Idee von der 
Nothwendigkeit einer intracraniellen Druckentlastung. Nicht 
diese ist meines Erachtens das Wesentliche und Maassgebende, 
sondern, wie oben erörtert, der Einfluss des drainirenden 
Verbandes auf die Blutversorgung und den Säfte- 
strom in den seiner Einwirkung zugängigen Hirnpartien, die 
daraus hervorgehende veränderte Ernährung der ner- 
vösen Elemente und die damit im Zusammenhange stehende 
veränderte Function dieser Elemente. 

Diesem Gesichtspunkte sollte in Zukunft beim ope- 
rativen Vorgehen gegen Neurosen mehr Rechnung 
getragen werden. Und das könnte in doppelter Hinsicht 
geschehen: Einmal bei allen Hirnoperationen, die nach den bis- 
her geltenden Anschauungen und Indicationen zur Heilung von 
Neurosen gerechtfertigt sind, indem dabei alle Punkte, die eine 
stärkere Drainage des Schädelinnern und besonders der 
Hirnrinde gewährleisten, hervorragend berücksichtigt werden : 
Verwendung stark hydrophilen Verbandmaterials, häufiger Wech- 
sel des Verbandes, Einschnitte in die Dura, event. auch in die 
Hirnrinde, sorgftltige Drainirung gerade dieser Einschnitte durch 
vorsichtiges Einschieben feiner Gazestreifen, thunlichst lange 
Aufrechterhaltung der drainirenden Wirkung des Verbandes 
u. s. w. Bei Beobachtung dieser Maassnahmen könnte sogar 
von der Abtragung der als erkrankt vorausgesetzten oder 
gefundenen' Hirnpartien zunächst Abstand genommen 
und der Erfolg jenes einfach ableitenden Verfahrens abgewartet 
werden. Sollte es so ganz von der Hand zu weisen sein, die 
erfolgreichen Epilepsie-Operationen Pöchadre's, die dieser ohne 
Rinden-Excision erzielte i), mit jenem Einfluss der Operation 



1) Y. Bergmann, 1. c. S. 428. 






Neurosen und Warzenfortsatzoperationen. 239 

auf die Ernährung und die Function der Hirnrinde zu er- 
klären? — Zweitens aber könnte auf jenen Gesichtspunkt auch 
bei Sohädeloperationen, die nicht direet zur Heilung der Neu- 
rose, sondern aus anderen Gründen vorgenommen werden, 
speciell eben auch bei Warzenfortsatzoperationen, Be- 
dacht genommen werden, falls gleichzeitig eine Neurose vor- 
liegt: man sollte dann die Freilegung des Schädelinneren 
nicht ängstlich vermeiden, sondern im Gegentheil in 
einer mit der Operation an sich in Einklang zu bringenden 
Form anstreben und durchführen. Hieraus aber ergiebt sich 
zum Schluss ganz von selbst noch einmal das eine: Das Vorhan- 
densein einer Neurose bei gleichzeitiger Mittelohreiterung ist 
keine Contraindication gegen die operative Behandlung des 
Ohrenleidens, sondern kann unter Umständen sogar den Aus- 
schlag zu Gunsten des operativen Vorgehens geben. 



XIII. 

AcQte Hittelohreitenmg bei emem Diabetiker. Bogengangs- 
llstel. Periarücnlärer SenknngsabsGess am Kiefergelenk. 

Dr. A. Ephraim in Breslau. 

Dr. jar. 6. H., 42 Jahre alt, seit einigen Jahren Diabetiker m&Bsigen 
Grades, erkrankte im Januar 1900 an Influenza, im Anschluss an dieselbe an 
sdir schmerzhaftem und mehrere Wochen andauerndem Stirnhöhlenkatarrh. 
Am 18. Februar traten Schmerzen im rechten Ohr ein, gegen welche vom 
Hausarzt Eingiessungen, Eisbeutel u. dergl. verordnet wurden. 

Als ich am 22. Februar den Patienten zum ersten Male sah, war das 
Trommelfell bereits spontan hinter dem Umbo perforirt, Proc. mast an der 
Spitze und dicht oberhalb derselben leicht druckempfindlich. Breite Para- 
centese. Unter der zun&chst eingeschlagenen Trockenbehandlnng nahm die 
Eiterung zu, auch traten diffuse rechtsseitige Kopfschmerzen auf. Temperatur 
normal. Nochmalige Paracentese ohne Einfluss. Dann spalte ich t&guch die 
Paukenhöhle durch den Katheter mit sterilem Wasser durch. Nach wenigen 
l'agen verminderten sich die Kopfschmerzen; auch die Eiterung wurde ge- 
ringer, ohne jedoch g&nzlich zu sistiren. 

7. April. Ziemlich plötzlich aufgetretene, starke Schmerzen in und hinter 
dem rechten Ohr; P. m. zeigt starke Köthung und deutliche Schwellung. Tem- 
peratur 38,2^. Die Eröffnung des Warzenfortsatzes wird beschlossen, aber noch 
aufgeschoben, weil der Urin einen reichlichen Acetongehalt aufweist. Nach- 
dem dieser in Folge von Zufuhr von Kohlehydraten völlig geschwunden, 

9. April Operation. Der Warzenfortsatz, dessen Corticalis oberhalb 
der Spitze perforirt ist, enthält eine einzige, grosse, von Eiter erfüllte Höhle. 
Sinus, von Granulationen bedeckt, liegt frei. Fistel der knöchernen hinteren 
Gehörgangswand. 

Fieberfreier und zunächst auch sonst normaler Heilungsverlauf. Später 
jedoch kommen aus der Tiefe grössere Eitermengen, auch die Eiterung aus 
der Pauke nimmt wieder zu. 

6. Mai. Eine feine Fistel an der medialen Antrnmwand führt in eine 
eitergefülle, etwa erbsengrosse Zelle. Dieselbe wird freigelegt. Sie wird me- 
dialwärts vom horizontalen Bogengang begrenzt, der eine stecknadelkopfgrosse 
Fistel zeigt, welche langsam Lymphe austreten lässt. — Nun erfolg^ bei fort- 
bestehender Eiterung aus der Pauke schneller Schluss der Wunde; indess per- 
sistirt in derselben eine kleine Fistel, die beständig, aber wenig eitert. £r- 
weiterunf^ der TrommelfeUperforation durch Aetzung ohne Einfluss auf die 
Paukeneiterung. 

Da bedrohliche Erscheinungen nicht vorhanden sind, das Allgemeinbefin- 
den des Patienten aber gelitten hat, geht derselbe in einen nahe gelegenen 
Gebirgsort Nach einiger Zeit nimmt dort die Eiterung zu, auch treten Kau- 
beschwerden auf, die nicht in Schmerzen, sondern in der Empfindung be- 
stehen, dass der Kanthätigkeit sich ein Hinderniss in der Gegend des rechten 
Kiefergelenks in den Weg steUt. Zugleich auch abendliche leichte Tempe- 
raturerhöhungen (37,6—38^). Deshalb kehrt Patient zurück. 

22. Juli. An der Grenze der knorpeligen und knöchernen unteren Gehör- 
ganffswand grosse polypöse Granulation; im Uebrigen unveränderter Befund. 
Nach Entfernung der Granulation mittelst der Schlinge entleert sich etwa 
1 ccm Eiter; die Sonde weist rauhen Knochen nach. 



Acute Mittelohreiterong bei einem Diabetiker. 241 

23. Juli. In Bromäthylnarkose Ausschabung der Granulationen, wobei 
sich wiederum eine erhebliche Menge Eiter entleert. Darauf wird durch Ent- 
fernung des lateralen Theils der unteren knöchernen Gehörgangswand eine 
grosse Abscesshöhle freigelegt. Lockere Tamponade. Abends: 36,7^. 

In dieser Höhle ist die hintere Peripherie der Eiefergelenkkapsel sicht- 
bar; durch dieselbe hindurch können die Bewegungen des Unterkieferkopfes 
verfolgt werden. Auch nach sorgfältiger Ausspülung der Höhle werden durch 
Kaubewegungen geringe Eitermengen aus der Tiefe zu Tage gefördert. Eine 
abgebogene Sonde dringt um die hintere Peripherie der Gelenkkapsel in me- 
dialer Bichtung ziemlich weit vor; ihre iSpitze kann vom Munde aus durch 
die rechte Tonsille, die weder vorgewölbt noch sonst verändert ist, deutlich 
durch eine ziemlich dicke Gewebsschicht hindurch gefühlt werden. 

Seit der Eröffnung dieser Abscesshöhle sistirte die Eiterung sowohl aus 
der Pauke, wie aus der Fistel der Operationswunde völlig; die Temperatur 
blieb seitdem stets normal. Auch die Kaubeschwerden verschwanden sogleich. 
Die weitere Behandlung bestand zunächst in Ausspttlungen der reichlich 
Eiter producirenden Höhle mit Borwasser und Injectionen von Jodoform- 
glycerin. Als nach 3 Wochen keine Verminderung der Eiterung erfolgte, wurde 
Formalin in steigender Goncentration (1 — 5 pro mille) eingespritzt. Der Erfolg 
dieser Injectionen, welche regelmässig ein leichtes, aber schnell vorübergehen- 
des Brennen hervorriefen, war augenscheinlich. Die Eiterung nahm sogleich 
ab, um Ende August dauernd zu sistiren. Bald schloss sich auch die Wunde 
der unteren Gehörgangs wand. 

20. September. An der letzteren eine kleine feste Narbe. Operations wunde 
am P. m. völlig vernarbt. Trommelfell und Gehör normal. 

Die vorstehend angefahrte Beobachtung erscheint mir aus 
mehreren Gründen bemerkenswerth. Zunächst wegen der Affeo- 
tion des horizontalen Bogenganges. Dass Fisteln desselben 
bei chronischen Eiterungen, insbesondere beim Cholesteatom, ziem- 
lich häufig vorkommen, ist ja in den letzten Jahren immer be- 
kannter geworden; bei den acuten scheinen sie recht selten 
aufzutreten. Die 121 Beobachtungen Jansen'sO beziehen sich 
sämmtlich auf chronische Eiterungen; bei acuten hat er nur 
dreimal am verticalen Bogengang Caries angetroffen, und dies 
waren sämmtlich Fälle, die schwere Complicationen (Tuber- 
culose, ausgedehnten Extraduralabscess und Ärachnitis puruL) 
zeigten. Die 7 Fälle Stenger's^) betreffen gleichfalls nur 
chronische Fälle. Lucae^) beschreibt unter 32 Fällen von 
cariösen Defecten am horizontalen Bogengang zwei, die bei sub- 
acuten (3 resp. 5 Monate bestehenden) Eiterungen sich fanden. 
— In unserem Falle hat die Affection des Bogenganges zur 
Zeit der Operation vielleicht noch nicht bestanden, sondern mag 
erst später durch Progredienz von der benachbarten, zunächst nicht 
eröffneten Zelle des Warzenfortsatzes entstanden sein. Laby- 
rinthäre Symptome fehlten völlig, die vorhandenen subjectiven 
Gehörsempfindungen Hessen die hierfür charakteristischen Eigen- 



1) Dieses Archiv. Bd. XLV. S. 193. 2) Ebenda. Bd. L. 8.79. 

3) Ebenda. Bd. XLYII. S. 92. 



242 XIII. EPHRAIM 

sehaften yermissen; Nystagmus trat ebensowenig wie Schwindel 
auf. Der Grand hierzu ist, worauf Luoae (1. o.) hinweist, wohl 
sicherlich in dem geringen und sehr allmählichen Abfluss von 
Labyrinthflflssigkeit zu suchen, wie sie bei eariösen Defecten 
im Gegensatz zu den traumatischen sehr häufig ist. Hier war 
die Fistel ja besonders klein; der Abfluss von Lymphe war 
spärlich und konnte nur zwei Tage hindurch beobachtet werden. 

Ungewöhnlich ist in unserem Falle ferner der Weg, den 
der Eiter ausserhalb der Paukenhöhle gesucht hat. Unter der 
grossen Zahl von Senkungsabscessen bei acuter Eiterung, die 
neuerdings publicirt worden sind, finde ich keinen, bei dem 
eine Betheiligung des Eiefergelenks, wie sie hier vorgelegen 
hat, erwähnt ist. Nur Gruber spricht davon, dass solche 
Fälle vorkommen; und von Ferreri berichtet Politzer 2), dass 
derselbe bei Kindern derartige Abscesse beobachtet habe. 
Welchen Weg der Eiter in unserem Falle genommen hat, wird 
sich genau kaum feststellen lassen; entweder ist er durch den 
Boden der Pauke oder an der Grenze zwischen knöcherner und 
knorpliger Tube, die ja bei derartigen Eiterungen öfter durch- 
brochen zu werden scheint 3), nach unten gelangt. Für letztere 
Annahme spricht der Umstand, dass der Eiter von der medialen 
Seite des Eiefergelenks her ausfloss. Wäre nicht durch die 
Usurirung der unteren Gehörgangswand die Eröffnung des Ab- 
scesses von diesem aus ermöglicht worden, so hätte sich voraus- 
sichtlich ein Retropharyngealabscess gebildet. Die vorbereiten- 
den Schritte (Unterminirung der Pterygoidealmusculatur) waren 
schon geschehen, da, wie berichtet, die Spitze der von aussen 
in den Abscess eingefUhrten Sonde vom Bachen aus deutlich ge- 
fdhlt werden konnte. 

Auch bezüglich der Therapie möchte ich mir einige Worte 
erlauben. Wie oben angegeben, habe ich, als die ersten An- 
zeichen einer leichten Mastoiditis auftraten, regelmässige Durch- 
spülungen der Paukenhöhle vorgenommen. Dieses Verfahren, 
welches, schon früher angegeben, von Politzer 4) warm em- 
pfohlen wird, scheint entsprechend der Scheu, die man neuerdings 
vor dem Katheterismus bei acuten Mittelohrentzündungen hat, 
jetzt völlig ausser Anwendung gekommen zu sein. Es hat mir 

1) Lehrbach der Ohrenheilkunde. 2. Aufl. S. 454. 

2) Ebenda. 4. Aufl. 8. 398. 

3) Siehe Gruber, 1. c. 

4) Lehrbuch der Ohrenheilkunde. 4. Aufl. S. 302. 



Acute Mittelohreiterang bei einem Diabetiker. 243 

jedoch in einer ganzen Reihe von Fällen, in welchen bei länger 
bestehender acuter Eiterung Anzeichen von Mastoiditis auftraten, 
die ausgezeichnetsten Dienste sowohl bezüglich der letzteren, als 
auch bezüglich der Eiterung selbst geleistet. Auch in diesem 
Falle hat es ganz augenscheinlich eine länger dauernde Ver- 
minderung der Schmerzen wie der Secretion bewirkt; der 
Patient gab nach den Durchspülungen regelmässig an, sich 
wohler und schmerzfreier zu ftihlen. Ob dieselben lediglich 
durch die Reinigung der Paukenhöhle oder auch dadurch wirk- 
sam sind, dass sie Entzündungsstoffe aus dem Warzenfortsatz 
aspiriren und nach aussen schaffen, mag dahingestellt bleiben. 
Dass sie nicht immer im Stande sind, den Eintritt einer 
schweren Warzenfortsatzeiterung zu yerhüten, geht aus diesem 
Falle, wie auch aus einer Reihe anderer hervor, auch solcher, 
in denen es sich nicht um diabetische Patienten handelte. 

Schliesslich möchte ich nicht verfehlen, auf die ausgezeich- 
neten Dienste hinzuweisen, die das Formalin in diesem Falle 
gethan hat. Während Jodoformglycerin , in die Abscesshöhle 
injicirt, während mehrerer Wochen nicht die geringste Wirkung 
zeigte, verminderte sich seit Anwendung des Formalin die Se- 
cretion ganz constant, um nach relativ kurzer Zeit gänzlich zu 
versiegen. 



Zun leohanismns des Wachsthnms der Cholesteatome. 

Von 
Dr. A. Eplurftim in Breslaa. 

Es scheint, dass die immer noeh nicht völlig beigelegte Mei- 
nnngsdifferenz über den Ursprung der Cholesteatome diejenige über 
ihr Wachsthnm, soweit dieses die Zerstörung der Enoehen be- 
wirkt, hat in den Hintergrund treten lassen. In den Lehrbüchern 
und einschlägigen Abhandlungen wird dieser Vorgang meist 
kurzweg als Druckusur bezeichnet, resp. etwas eingehender auf 
Atrophie des Periosts und demzufolge des Knochens zurückgeführt, 
welche durch den Druck der sich durch Neubildung TOn Epi- 
thelien immer mehr yergrössernden Geschwulst erzeugt werde. 
So vergleicht, um nur wenige Beispiele anzuführen, Euhn^) den 
Enochenschwund durch Cholesteatom ohne Weiteres mit der 
Atrophie der Wirbelkörper infolge von Aortenaneurysma; und 
in seiner vor Eurzem erschienenen Monographie über das Chole- 
steatom des Ohrs ^) bemerkt Pause, dass die wachsenden Massen 
desselben sich an den Enoehen anstemmen müssen, um den- 
selben zum Schwinden zu bringen. 

Indess kann uns bei näherer Betrachtung eine solche Er- 
klärung in keiner Weise befriedigen. 

Zunächst stimmt mit derselben der histologische Befund nicht 
überein. In den mikroskopischen Bildern Euhn's^) sieht das 
Periost gar nicht atrophisch aus; im Gegentheil, wir sehen in der 
äusseren Schicht desselben Blutgefässe, die nicht nur von nor- 
malem Volumen, sondern auch, wie Euhn hervorhebt, in ziem- 
licher Anzahl vorhanden sind. Und gerade der Zustand der 
versorgenden Blutgefässe muss doch als Maassstab für den Er- 
nährungszustand angesehen werden. 

Zum Zweiten will es nicht recht einleuchten, dass der 

1) Schwartze, Handbuch der Ohrenheilkunde. II. S. 602. 

2) Haug's klinische Vorträge. II. Nr. 4. S. 83. 

3) Zeitschrift für Ohrenheilkunde. Bd. XXI. 



Zum Mechanismus des Wachsthums der Cholesteatome. 245 

Drack eines Tumors, der so stark ist, dass er den Knoehen 
zum Schwinden bringt, die zwischen diesen beiden anf einan- 
der drückenden Massen eingeklemmte Cholesteatommatrix so 
wenig behelligen soll, dass diese nicht nur nicht atrophirt, son- 
dern immer neue Epithelmassen prodnciren, also starke Hyper- 
plasie zeigen kann. 

Aber auch von einem anderen Gesiehtspnnkte ans kann der 
Enochenschwnnd als Folge eines Druckes seitens des Choleste- 
atoms nicht verständlich sein. Wenn der Inhalt eines Hohl- 
raums unter Druck steht, so ist es unumgänglich, dass der- 
selbe sich ausschliesslich in der Richtung des geringeren Wider- 
standes geltend macht. Mit dieser physikalischen Nothwendig- 
keit steht die Annahme einer Drnekatrophie in strictem Wider- 
spruch. Denn für das Cholsteatom — meist handelt es sich ja 
bei den hier in Frage kommenden Fällen um solche des An- 
trum — bildet der Knochen, der dazu meist stark sklerosirt ist, 
stets die grösste Resistenz, während der Atticus, weiterhin die 
Pauke, das Trommelfell, mag dessen Perforation gross oder 
klein, eventuell gar nicht vorhanden sein, und der Gehörgang 
immer den Ort des geringeren Widerstandes darstellen. Auch 
ein ventilartiger Verschluss, wie ihn Haugi) in der Schichtungs- 
weise der Epithelien zu erkennen glaubt, könnte sich an Wider- 
standskraft mit dem sklerotischen Knochen bei Weitem nicht 
messen. — Wir müssten demnach einen ganz anderen Ausbrei- 
tungsweg der Cholesteatome erwarten, als wir in Wirklichkeit 
finden. Denn auch bei solchen, die mit weitgehenden Zer- 
störungen von Knochensubstanz einhergehen, treffen wir die 
Paukenhöhle meist frei und den Atticus fast niemals mit Epithel- 
massen prall gefällt; ein Missverhältniss, auf welches auch 
Siebenmann 2), der diesen Punkt flüchtig streift, kurz hin- 
weist. 

Fügen wir diesen Momenten noch hinzu, dass von einem 
sehr starken Druck auf Periost und Knochen auch eine Beein- 
flussung der Nerven der letzteren und subjeotive Beschwerden 
der Patienten erwartet werden müssten, welche das Cholesteatom 
als solches erfahrungsgemäss auch dann nicht verursacht, wenn 
es den Knochen usurirt, so müssen wir, wie ich glaube, dahin 
gelangen, uns der Drucktheorie recht skeptisch gegenüberzu- 

1) Ueber das Cholesteatom der Mittelohrräame. Jena 1895. 

2) Die Radicaloperation der Cholesteatome u. s. w. Berlin, klin. Wochen- 
schrift 1893, 1. 

f 



246 XIY. EPHRAIM 

stellen. Es ist daher auffallend, dass die von Kirchner^) ans- 
gesprochene und dnreh mikroskopische Untersuchungen gestützte 
Anschauung) nach welcher die cholesteatomatösen Massen gleich- 
sam actiy in die Enochensubstanz eindringen, die Grefässe er- 
fllllen und so die Zerstörung des Knochens bewirken, anschei- 
nend wenig Beachtung gefunden hat 

Die nachstehend angefllhrte Beobachtung scheint mir f&r 
diese Frage von einem gewissen Werth zu sein. 

£rich K., Buchdnicker, 22 Jahre alt, hat schon früher an Ozaena ge- 
litten. Seit 4 Jahren besteht rechtsseitige Ohreiter uDg; seit 14 Tagen ist das Be- 
finden schlecht: viel rechtsseitige Kopfschmerzen, kein Appetit, wenig Schliß. 

27. Januar 1898. Der rechte Gehörgang enthält eine geringe Menge 
Eiter; in der Tiefe ist er darch Polypen ganzlich ausgefdUt Warzengegend 
nicht Ter&ndert, leicht druckempfindlich. Temperatur normal. Entfernung 
der Polypen, vom Tronunelfell wird nichts sichtbar. 

29. Januar. Mehr Schmerzen in der Warzengegend; dieselbe ist geröthet 
und druckempfindlicher. — In den n&chsten Tagen nehmen diese Er- 
scheinungen zu. — 

3. Februar. Operation. Geringe Menge subperiostalen Eiters. In der 
Fossa mastoidea ist die Corticalis rauh und an einer kleinen Stelle mit 
Granulationen bedeckt, jedoch nicht durchbrochen. An dieser Stelle wird 
der sehr stark sklerosirte Knochen abgetragen; nach Abfluss einer geringen 
Menge Eiters wird der glänzende Balg eines Cholesteatoms sichtbar. Durch 
Entfernung des Knochens nach hinten bis an den mit Granulationen be- 
deckten Sinus, dem dasselbe unmittelbar anliegt, nach oben bis oberhalb der 
Linea temporalis, wobei die Dura nicht sichtbar wird, und nach Ab- 
meisselung des lateralen Theiles der hinteren Gehörgangswand gelingt es, das 
Cholesteatom, das die Gestalt und den Umfang einer grossen Kirsche hat 
und zum Theil eitrig zerfallen ist, fast in toto zu enucleiren. Die restirende 
Höhle ist zum Theil mit Granulationen bedeckt und hat zwei glattwandige 
kleine Ausläufer an der medialen Wand, die nach hinten oben und hinten 
unten gerichtet sind. Entfernung des medialen Theils der hinteren oberen 
Gehörgangswand. Weder Amboss noch Hammer sind vorhanden. In der 
Pauke viel Granulationen. Ausschabung derselben, sowie der Wände der 
Cholesteatomhöhle. Plastik nach Stacke. 

Der Heilverlauf wurde dadurch gestört, dass sich im Winkel der me- 
dialen und hinteren Wand immer wieder lamellöse Auflagerungen bildeten, 
die trotz wiederholter Ausschabungen immer wieder recidivirten : ferner dauerte 
die Eiterung aus der Tube, deren Mündung sich immer wieder mit Granu- 
lationen umgab, trotz aUer Ausschabungen und Aetzuagen lange an, sodass 
die Wundhöble, welche nach hinten breit offen gelassen wurde, erst im No- 
vember trocken ist. Die Tubenmundung ist offen; bei Druck auf den weit 
vorspringenden horizontalen Bogengang entsteht Schwindelgefühl. Allgemein- 
befinden ohne jede Störung. 

Von nun an stellte sich Patient ziemlich regelmässig alle 2 Monate zur 
Controle ein. Jedesmal fand ich die Höhle fast in ihrer ganzen Ausdehnung 
von einer mehr oder weniger dicken Lage weissgelblicher Lamellen bedeckt, 
nach deren Entfernung sich die darunter zum Vorschein kommende Schicht 
lebhaft geröthet zeigte. Nach kurzer Zeit waren die Wände glatt und weiss, 
um sich nach etwa 2 Monaten wieder belegt zu zeigen. Dieses Spiel wieder- 
holte sich regelmässig; indess liess später die Tendenz zur Desquamation 
nach, da in der letzten Zeit die Erneuerung der Lamellen langsamer stattfand. 

Zugleich aber bemerkte ich eine sich allmählich vollziehende Formver- 
änderung der Höhle; die starke Vorwölbung des horizontalen Bogengangs, 

1) Yerhandlg. der Sect. f. Ohrenheilk. auf dem X. Internat, med. Con- 
gress in Berlin 1890. Dieses Archiv. Bd. XXXI. S. 235. 



Zum Mechanismus des Wachsthums der Cholesteatome.. 247 

dessen Berührung später keinen Schwindel mehr erzeugte, flachte sich merk- 
lich ab, die tympanale Mündung der Tube vergrösserte sich, in der Richtung 
nach hinten bildeten sich zwei neue Nischen, welche den Sinus zur Ver- 
ödung brachten, sodass ich beschloss, die Capacität der Höhle durch Aus- 
füllung derselben mit Paraffin, liquid, nach Einlage eines kleinen Watte- 
tampons in die Tubenöffnung festzustellen. So fand ich im Laufe der Be- 
obachtung, welche ein weiteres Fortschreiten der eben erwähnten Veränderungen 
ergab: am 5. Juni 1899 eine Capacität von 6^/4 ccm, am 7. December 1899 
von 774 ccm, am 2. Juli 1900 von 7^4 ccm und am 9. September 1901 von 
8V4 ccm. 

Der vorstehend kurz angefahrte Krankheitsfall bietet nur 
in seinem postoperativen Verlaufe Bemerkenswerthes. Zunächst 
kann die- lebhafte Neigung zum „Gholesteatomrecidiv^, wenn 
dieser Ausdruck erlaubt ist, mit Rücksicht auf das weite Offen- 
stehen der Tube befremden, da gerade diesem Umstand gemein- 
hin ein einschränkender Einfluss auf die Bildung neuer Epithel- 
massen in den Höhlenwänden zugeschrieben wird. Allerdings 
haben wir es hier mit einem Ozänakranken zu thun; und es 
kann angenommen werden, dass das Tubenepithel, dessen Be- 
deutung in dieser Hinsicht von Manchen betont wird, nicht nor- 
mal, sondern gleich dem der Nasenschleimhaut metaplasirt war. 

Viel auffallender und mit Bezug auf die Eingangs gemach- 
ten Bemerkungen bedeutsamer ist die nachträgliche Yergrösse- 
rung der durch die Operation freigelegten Höhle, welche zwar 
langsam, aber in deutlich nachweisbarer Weise vor sich ging. 

Aehnliche Beobachtungen sind von Sieben mann i) gemacht 
worden, allerdings unter anderen Umständen. Dieser Autor be- 
richtet, bei Kindern, welche wegen Cholesteatom operirt worden 
waren, eine nachträgliche Vergrösserung der entstandenen Höhlen 
gesehen zu haben. Er führt dieselbe jedoch nicht auf den 
cholesteatomatösen Process als solchen, sondern darauf zurück 
dass der Knochen, wie dies dem jugendlichen Alter zukommt, 
sich pneumatisire, und dass das Epithel gewissermaassen passiv 
in die so entstehenden Nischen hineingezogen werde. Zum Be- 
weise der Eichtigkeit dieser Anschauung diene, dass derartige 
Nischenbildungen nur bei Kindern, und auch bei diesen nur an 
nicht sklerosirtem Knochen vorkämen, sowie dass die Ausklei- 
dung der betreffenden Knochenhöhlen stets auffallend trocken, 
glatt und glänzend bleibe. 

Offenbar ist der oben beschriebene Fall den von Sieben- 
mann erwähnten in keiner Weise gleich zu setzen. 'Weder 



1) Weitere Beiträge zur Aetiologie uad Pathologie des Mittelohrchole- 
steatoms. Berliner klin. Wochenschr. 1893. 33. 

Aichiy f. Ohrenheillnmde. UV. Bd. 17 



248 XIY. EPHBAIM, Zum MechaDismus d. WachsthunB d. Cholesteatome. 

stand unser Patient im Kindesalter, noch handelte es sich nm 
normales Knochengewebe; yielmehr war dasselbe stark sklero- 
tisch. Ausserdem zeigte sich — im Gegensatz zn der Besohrei- 
bnng Siebenmann's — die typische, immer wiederkehrende 
Lamellenbildnng, nach deren Entfernung die Unterlage immer 
geröthet, gleichsam excoriirt erschien, also das bekannte soge- 
nannte Cholesteatomrecidiy. 

Wir können demnach die von Siebenmann für seine Fälle 
gegebene Erklärung ftr den nnsrigen nicht heranziehen. Viel- 
mehr kann derselbe nur verständlich werden, wenn wir ein 
actives Wachsthum im Sinne von Kirchner annehmen, da 
die Möglichkeit der Dmckatrophie nach Tölliger Freilegung der 
Höhle selbstverständlich fortAllt. Wenn wir uns hierbei daran 
erinnern, dass man in früherer Zeit geneigt war, das Cholestea- 
tom den malignen Geschwülsten zuzurechnen oder wenigstens 
anzureihen, so müssen wir Angesichts solcher Beobachtungen 
dieser Anschauung in gewissem Sinne eine Berechtigung zuge- 
stehen, sofern man die Malignität weniger in der allgemeinen 
Rückwirkung auf den Organismus, als in der Fähigkeit local zu 
destruiren erblickt Es scheint allerdings, als ob diese Fähig- 
keit sich allmählich erschöpfe; wenigstens ist in dem vorliegen- 
den Falle sowohl die Neigung zur Epithelneubildung wie auch 
der Knochenschwund allmählich geringer geworden. 

Ich kann nicht annehmen, dass der hier beobachtete Vor- 
gang ein singulärer ist, sondern möchte glauben, dass, wenn 
diese Verhältnisse genauere Beachtung finden, sich Aehnliohes 
als die Begel herausstellen wird. Dann würde die schon aus 
den oben angeführten apriorischen Gründen anzufechtende An- 
nahme, dass die Knochenusur durch Druck seitens der Chole- 
steatome entstehe, auch praktisch gänzlich widerlegt sein. Denn 
auch die völlige recidivfreie Dauerheilung, wie sie nach spon- 
taner oder artificieller Entfernung eines Cholesteatoms in man- 
chen Fällen vorkommt 1), mit dem Fortfall des bisher vorhan- 
denen Druckes zu erklären, liegt wohl viel ferner, als dieselbe 
darauf zurückzuftlhren, dass mit der Entfernung der pyogenen 
StoflFe, wie sie in jedem zur Beobachtung kommenden Ohrchole- 
steatom vorhanden sind, auch der entzündliche, formative Reiz 
aufhört: 



1) Vergl. Haug, 1. c. S. 11. 



XV. 
Ueber die Ezenteratio cavi tympani zn akustischen Zwecken. 

Von 

Prof. i^. Gradenigo (Turin). 
(Mit 4 Abbildungen.) 

In einer früheren Notiz i) habe ich die Gründe auseinander- 
gesetzt, derenthalben, meiner Meinung nach, mittelst chirurgischer 
Operationen innerhalb der Trommelhöhle, in Fällen von trocke- 
nen Otitisformen, dauernde Resultate nur durch zerstörende Ma- 
nipulationen, d. h. durch Entfernung des Trommelfells, der 
grossen Gehörknöchelchen und eventuell auch des Steigbügels 
(Exenteratio cavi tympani), oder bloss des Ambosses, erhalten wer- 
den können. Für diese letztere Operation dürften in der Zukunft 
ganz besondere Indicationen aufgestellt werden können. Gegen- 
wärtig sind dieselben uns noch nicht bekannt. Die Extraction 
des blossen Ambosses vom äusseren Gehörgange aus ist aber 
jedenfalls nur dann möglich, wenn die anatomischen Verhält- 
nisse hierzu günstig gestaltet sind. 

Ich habe in der grösseren Zahl der Fälle die Exenteratio 
angewendet und möchte nun an dieser Stelle auf Grund einiger 
klinischer Erankheitsgeschichten über die Indicationen, Technik 
und über die wichtigeren Resultate, die durch jene Operation 
erhalten werden können, berichten. 

Eigentlich kann in meinen Fällen noch nicht von definitiven 
Resultaten gesprochen werden, da nach den einzelnen operativen 
Acten noch keine genügende Zeit verflossen ist (die älteren wur- 
den vor anderthalb Jahren ausgeführt); doch kann man schon 
jetzt auf Grund der erhaltenen Resultate Gonclusionen über den 
Werth der in Rede stehenden Operation machen. 

Ich glaube, dass unsere Kenntnisse auf dem Gebiete der 
Chirurgie innerhalb der Trommelhöhle nur dann gedeihliche 
Fortschritte werden machen können, wenn die einzelnen Autoren, 

1) Dieses Archiv. Bd. XLIV. 

17* 



250 XV. GRADENIGO 

meinem Beispiele folgend, die Ergebnisse ihrer Beobachtungen, 
wie immer diese aasfallen mögen, mit den nöthigen Details ver- 
öffentlichen werden, denn nur auf diese Weise wird der vorur- 
theilsfreie Leser sich ein sicheres Urtheil über die Frage bilden 
können. 

Schon zur Zeit, wo man von chirurgischen Operationen 
innerhalb der Trommelhöhle zu akustischen Zwecken erst zu 
sprechen anfing, unterschied man genau zwischen den sehr guten 
und dauernden Resultaten in Fällen von Schwerhörigkeit, die 
consecutiv nach eitrigen chronischen Mittelohrentzündungen auf- 
treten und in denen mehr oder weniger ausgedehnte Zerstörungen 
des Trommelfells und der Gehörknöchelchen, Narben, Ealkinfil- 
trationen u. s. w. vorhanden sind, und in Fällen von progressiver 
Schwerhörigkeit, Taubheit von trockenem Typus (Otosklerose — 
chronische katarrhalische Mittelohrentzündung). Diese Unter- 
scheidung hat sich immer mehr und mehr als eine berechtigte 
erwiesen : die Prognose bei Eingriffen in purulenten Formen ist 
im Allgemeinen viel günstiger als in den trockenen Formen. 

Ich möchte jedoch die Aufmerksamkeit hier auf eine dritte 
Art von Fällen lenken, welche in der Praxis mit einer ge- 
wissen Häufigkeit vorkommen und die, meines Wissens, von den 
Ohrenärzten bis jetzt nicht genügend gewürdigt worden sind. 

Die subacuten oder chronisch verlaufenden Formen der eite- 
rigen])Mittelohrentzündungen lassen sich, wie bekannt, gewöhnlich 
in ihren Spuren, bei der Otoskopie erkennen, indem, je nach den 
Fällen, Perforationen, partielle Zerstörungen des Trommelfells, 
Erosionen des Hammers und des Ambosses, der äusseren Wand 
des epitympanalen Baumes, Ealkflecken, Narben u. s. w. zu- 
rückbleiben. 

Nun giebt es aber Formen, in denen derartige objeotive 
Merkmale einer vorausgegangenen eiterigen Ohrentzündung voll- 
ständig fehlen: das Trommelfell nämlich bleibt in seiner Con- 
tinuität erhalten, ist aber mehr oder weniger alterirt, ver- 
dickt, weisslich*, wenig beweglich, zuweilen stark retrahirt, 
kurz es zeigt dieselben Charaktere, welche auch bei der chro- 
nischen katarrhalischen Otitis anzutreffen sind. Ausserdem lässt 
der oft hochgradige Defeot im Hörvermögen in derartigen Fällen 
dieselben funotionellen Merkmale erkennen, welche auch die 
trockenen Formen von Otitis zeigen. Man könnte also in sol- 
chen Fällen gar nicht vermuthen, dass man mit Folgezuständen 



Ueber die Exenteratio cavi tympani zu akastischen Zwecken. 251 

einer eiterigen Otitis zu thun habe, wenn ganz sichere ana- 
mnestisehe Daten nicht mit Bestimmtheit das frühere Bestehen 
einer Otorrhoe ergeben würden. Gewöhnlich handelt es sich um 
Otorrhoön, die schon in der Kindheit vorhanden gewesen sind 
und deren Verlauf von der Mutter des Kranken genau ange- 
geben wird. Auch das gewöhnliche einseitige Vorkommen der- 
artiger Schwerhörigkeit, das Fehlen einer jedweden subjectiven 
Störung, abgesehen von der Schwerhörigkeit, namentlich das 
Fehlen von Geräuschen, sind ganz ausgezeichnete Zeichen, um 
die Entstehungsart der Taubheit feststellen zu können. 

Die Beurtheilung der Resultate der chirurgischen Fingriffe 
in der Trommelhöhle muss demnach die soeben angedeutete dritte 
Kategorie von Fällen, in welchen die Schwerhörigkeit scheinbar 
wie bei trockenen Formen sich zeigt, in Wirklichkeit aber zu 
den purulenten Formen gehört, unterscheiden. 



Eine der grössten Schwierigkeiten in der Beurtheilung des 
Effectes der chirurgischen Eingriffe, welche zu akustischen 
Zwecken unternommen werden, besteht in der Unsicherheit und 
Schwierigkeit unserer functionellen Prüfung. Diese hängen nur 
zum kleinen Theile von den physikalischen Eigenthümlichkeiten 
der Töne, mit welchen wir gewöhnlich experimentiren, ab, son- 
dern vielmehr von dem persönlichen Charakter des Kranken 
und dem des untersuchenden Arztes und von der Oertlichkeit, 
in welcher die Untersuchung vorgenommen wird. 

Ich halte es für tiberflüssig, auf diese Verhältnisse hier nähei* 
einzugehen umsomehr, als ich von denselben schon an anderer 
Stelle gesprochen habe ^), und es genüge bloss darauf hinzu- 
weisen, dass bloss evidente Differenzen in der Functionalität des 
Ohres zu einer sicheren Schlussfolgerung führen können. Schlüsse, 
welche auf Differenzen'^ von Decimetern für die Flüsterstimme 
und von Centimetern für die Uhr beruhen, haben gar keinen 
wissenschaftlichen Werth. 

Bei der functionellen Prüfung verfuhr ich auf folgende 
Weise. Nachdem durch die Untersuchung mit der Stimmgabel der 
Typus der Schwerhörigkeit (vorwiegend oder ausschliesslich für 
die tiefen oder für die hohen Töne — mit Erhaltung oder Fehlen 
der Perception für die sehr hohen Töne) festgestellt wurde, nahm 
ich als Maassstab: die Distanz für die Flüstersprache und fUr 
die gewöhnliche Conversationssprache (hohe und tiefe Wörter 

1) Schwartze, Handbuch. Bd. II. S. 382. 



262 XY. QRADENI60 

des gewöhnlichen Spraohgebranchs nnd Zahlen); zwei Typen 
von Uhren (normale Distanz von 1 m nnd 5 m.) — der Aou- 
meter von Politzer, — ferner in einzelnen Fällen meinen 
nenen elektrischen Aenmeter. Die Untersuchung beendigte ich 
mit der Bestimmung der unteren (mittelst der Stimmgabeln) 
und der oberen Grenze (mittelst der Pfeife von Edelmann) 
des Hörvermögens. Um schliesslich Daten zur ControUe zu 
haben, Hess ich oft von Gollegen functionelle Prüfungen vor- 
nehmen. 

Selbstverständlich wurde die objective Untersuchung in voll- 
ständiger Weise ausgeführt, und es wurde auch der Bewegungs- 
fthigkeit des Trommelfells und der Beaction in der Vasculari- 
sation derselben in Folge der Massage mit dem elektrischen 
Motor, Bechnung getragen. 



Die Technik der Operation besteht in Folgendem: Die Des- 
infection des Gehörganges und der Ohrmuschel wird in exacter 
Weise an den der Operation vorangehenden Tagen und nicht 
unmittelbar vor derselben ausgeffthrt, um eine Hyperämie des 
Trommelfells während des operativen Actes zu verhüten, — und 
zwar mit Seife, Sublimat und Alkohol. Es ist in derartigen 
Fällen die Sensibilität des Trommelfells und der tiefen Theile 
des Gehörganges derartig herabgesetzt, dass sie oft die Berüh- 
rungen mit Baumwolle, die mit Alkohol imprägnirt ist, gut er- 
tragen. Diese Vorbereitung zur Operation ist so delicat, dass 
sie Ungeübten nicht anvertraut werden darf, da diese in ihrem 
Eifer oft Excoriationen und nachfolgende Anschwellungen der 
Wände des Gehörganges, welche dann während der Operation 
äusserst störend wirken und eine Vertagung derselben zu verur- 
sachen vermögen, hervorrufen können. 

Sämmtliche Operationen, von denen im Folgenden die Rede 
sein wird, wurden vom äusseren Gehörgang aus ausgeführt, und 
ich habe schon an anderer Stelle auseinandergesetzt, warum die 
akustischen Resultate ähnlicher Operationen durch ausgedehnte 
Continuitätsstörungen, wie sie entstehen, wenn man vom Warzen- 
fortsatze her operativ einschreitet, gefährdet werden können. 

Es wurde immer in tiefer Chloroformnarkose operirt, denn 
dies bietet dem Operateur die beste Garantie, obwohl bei der- 
selben natürlicher Weise die wirksame Cooperation des Kranken 
verloren geht. Ich benutzte vorwiegend refleotirtes Licht und 
zwar von einem Fenster aus oder von einer Auer'schen Gas- 



Ueber die Exenteratio cavi tympani zu akustischon Zwecken. 253 

flamme; es wurde auch das Elektroskop von Clar, und zwar 
mit gutem Kesultate, versucht, allein ioh kehrte doch wieder, 
vielleicht aus Gewohnheit, zum Gebrauehe des Refleotorspiegel^ 
zurück. Der Kranke wurde, mit etwas erhöhtem Kopfe, auf 
den Operationstisch gelegt. Ausser dem Assistenten, der die 
Narkose leitete, hatte ich noch zwei andere Assistenten; einer 
von diesen reichte die Instrumente, der andere gab mir fort- 
während dünne Streifen von Gaze, die früher in warmem 
Wasser gelegen war, und kleine hydrophile auf biegsame Träger 
befestigte Baumwolltampons, zur Reinigung des Operationsfeldes, 
bezw. zum Abtrocknen des Blutes. 

Selbstverständlich wurden alle aseptischen Maassregeln scru- 
pulös befolgt^ 

Die grössten Schwierigkeiten bei den in Rede stehenden 
Operationen werden durch die Enge und die Krümmung des 
Gehörganges und durch die Hämorrhagie bedingt. Diese letztere, 
welche in sehr bedeutender Weise die Operation behindert, weil 
durch die Noth wendigkeit des fortwährenden Tupfens sehr viel 
Zeit verloren geht, habe ich in verschiedener Weise zu verhindern 
versucht. Ich habe jedoch nur geringfügige Resultate erzielen 
können. Die besten Erfolge rücksichtlich der Blutstillung wurden 
bei der combinirten Anwendung von Cocain- und Antipyrin- 
lösungen erhalten. Der Nebennierenextract, der in der Nasen- 
chirurgie, wie bekannt, sehr erfolgreich angewendet wird, hat 
sich mir in der Ohrentherapie nur von geringer Wirksamkeit er- 
wiesen, und ich muss gestehen, jenen organischen Extract nur 
mit Widerwillen angewendet zu haben, weil man der Sterilisation 
desselben nicht sicher sein kann. Das Eisenperchlorid und auch 
das Wasserstoffsuperoxyd sind zur Blutstillung gleichfalls unge- 
eignet; das erste, weil es Kausticationen verursacht und den 
Farbenton der Theile modificirt, das zweite, weil es das Ope- 
rationsfeld mit Schaum überfüllt. Vielleicht ist das warme 
sterilisirte Wasser als blutstillendes Mittel von einigem Nutzen. 
In der Mehrzahl der Fälle erhielt ich genügend gute Resultate 
durch einige Minuten dauernde Tamponade mittelst Gase. Die 
Enge des Gehörganges bildet ein grosses Hinderniss für die 
Operation wegen der Schwierigkeit der Manipulation in der 
Tiefe und wegen der Möglichkeit, mit dem Instrumente irgend 
einen vorspringenden Punkt der Gehörgangswand zu treffen, 
wodurch Hämorrhagien entstehen, die nur schwer bewältigt wer- 
den können und das Sehen der tiefgelegenen Theile erschweren. 



254 XV. GRADENIGO 

Wichtig flir einen günstigen definitiven akustischen Effect 
der Operation ist, dass die postoperative Reaction auf den ge- 
ringsten Grad reducirt werde, und es ist zu diesem Zwecke 
nothwendig, dass man die Operation in der raschesten und 
schonendsten Weise ausfahre. 

Die von mir geübte Methode ist die folgende: 

I. Operationsact. Zunächst mache ich mittelst eiaer 
Lanzettnadel drei kleine Incisionen des Trommelfells in un- 
mittelbarer Nähe des tympanalen Bandes, zwei an dem Ende 
des horizontalen und einen am unteren Ende des verticalen 
Durchmessers. Sodann schneide ich mit einem kleinen Knopf- 
messer das Trommelfell ringsum ein, indem ich, längs dem 
Rande bis in die Nähe des Hammerhalses, vorn und hinten auf- 
steigend, die früher gemachten kleinen Einschnitte untereinander 
vereinige. In diesem ersten Acte lasse ich jedoch den Schnitt 
ungefähr einen Millimeter vom Halse des Hammers aufhören, 
um eine Verletzung des Gefössbündels zu vermeiden. 

Das Trommelfell legt sich nach dem Einschnitte, wenn es 
dünn und atrophisch ist, ganz um den Hammergriff herum und 
bietet das Aussehen eines Spinngewebes; wenn es dagegen ver- 
dickt ist, dann retrahirt es sich etwas vom tympanalen Bande, 
kann aber mit einer krummen Sonde nach aussen geschoben 
werden. Bei starker Retraotion des Trommelfells vermag die 
Incision des hinteren oberen Abschnittes der Gircumferenz der 
Membran, welche gleichsam die Richtung der hinteren oberen 
Wand des Gehörganges nach innen fortsetzt, Schwierigkeiten 
bieten. Die Hämorrhagie variirt bei diesem Operationsacte in 
den verschiedenen Fällen: sie pflegt reichlich zu sein in den 
späten Stadien einer eiterigen Otitis und fast Null in den atro- 
phischen Formen. 

II. Operationsact. Durchschneidung des Tensor ty mpani 
mit einem gewöhnlichen Tenotom. Ich überzeuge mich von dem 
Gelingen dieses Actes und von dem eventuellen Vorhandensein 
von Schleimhautzügen, welche gewöhnlich den Tensor tympani 
begleiten, indem ich verschiedene Tenotome vor und hinter dem 
Hammergriffe einföhre. Sehr nützlich erwies sich mir hierbei 
das Modell von Schwartze. Gleichzeitig löse ich mit geeig- 
neten Instrumenten eventuell bestehende Synechien. 

III. Operationsact. Incision des Amboss - Steigbügel- 
gelenkes, wenn es im Bereiche des Operationsfeldes sicht- 
bar ist. 



Ueber die Exenteratio cavi tympani za akustischen Zwecken. 255 

IV. Operati onsact. Umschneidung des Trommelfells auch 
oben, bis zum Halse des Hammers, vorn und hinten, wo früher, 
um eine Hämorrhagie zu vermeiden, nicht incidirt wurde. Nach- 
dem dann der in Falten des Trommelfells liegende HammergriflF 
mittelst einer winkelig gebogenen Sonde gegen den Gehörgang 
verschoben wird, ergreife ich ihn fest mit einer dünnen und 
starken, an der Spitze articulirenden und dünnen gerieften 
Pincette und extrahire ihn durch vorsichtige Bewegungen zuerst 
nach unten und dann nach aussen. Früher wandte ich gern 
den von Delstanche vorgeschlagenen Ring zur Extraction des 
Hammers an, womit man zuweilen sehr rasch zum Ziele kommt. 
Wenn aber schon lange bestehende Fixation des Kopfes des 
Hammers durch Ankylose oder Verwachsungen vorhanden ist, 
wie es in einigen der hier in Betracht kommenden Fälle der 

Fig. 1. 
Ohrpineette nach Faraoi zur Extraction des Hammers und des Ambosses. 




Fall ist, dann erachte ich den Gebrauch 
des Ringes als unrathsam, weil durch 
denselben eine Fractur des Halses bewirkt 
werden kann und die Extraction des 
Kopfes dann sehr erschwert oder geradezu 
unmöglich wird. Bei Anwendung der Pincette aber kann diese 
Gefahr leichter, wenn auch nicht mit Sicherheit vermieden werden. 
Bezüglich der Pincette möchte ich erwähnen, dass die nahe 
an der Spitze angebrachte Articulation derselben eine bedeutende 
Festigkeit verleiht, dass aber durch dieselbe die Dicke des ent- 
sprechenden Theiles des Instrumentes vergrössert wird. Um die 
nachtheiligen Folgen dieses üebelstandes zu vermindern, ist es 
nothwendig, dass die Pincette sehr sorgfältig gearbeitet werde. 
Ich z. B. besitze deren mehrere und zwar einige von derselben 
Fabrik, und doch entspricht nur eine gut allen Anforderungen. 
Auch die Pincette von Faraci, welche in der Abbildung 
wiedergegeben ist (vergl. Figur 1), ist sehr anzuempfehlen; 
sie erfordert jedoch einen grösseren Raum als die von Hart- 



256 XV. GRADENIGO 

mann. Wie ans der Figur ersicbtlioh ist, wird der Griff des 
Hammers bei Anwendung der Pincette von Faraci so angefasst, 
dass ein Schenkel derselben gegen das Labyrinth und der 
andere gegen den Gehörgang bleibt. 

GewShnlioh wird die Extraetion des Hammers von einer 
Hämorrhagie begleitet, welobe die Tamponade der Trommel- 
höhle einige Minuten hindurch erfordert. 

V. Operationsaet. Nachdem die Hämorrhagie aufge- 
hört hat und das Blutcoagulum entfernt worden ist, entferne 
ich den Amboss mit der Pincette durch Anfassen des langen 
Fortsatzes desselben, wenn dieser im Operationsfelde sichtbar ist 
oder mittelst des Haken von Zeroni, wenn jener Knochen im 
epitympanalen Räume versteckt ist. Die Haken von Zeroni 
ergaben mir sehr gute Resultate. Die Operation ist hiermit be- 
endet, wenn der Steigbügel nicht sichtbar ist. Wenn aber dieser 
Knochen zugänglich ist, dann fahre ich in einem 

VI. Operations acte entweder einfach die Mobilisirung 
oder die Entfernung desselben aus. Zur Mobilisirung verwendete 
ich oft kleine lancettformige oder geknöpfte, cylindrische oder 
platte, verschieden gekrümmte Instrumente. Ich muss jedoch be- 
merken, dass mich die Resultate dieser letzteren Operation gewöhn- 
lich nicht zufriedenstellten, weil die Lage der Nische des ovalen 
Fensters in Beziehung zur Axe des äusseren Gehörganges nicht 
günstig zur Ausführung der Operation von dieser Stelle her ist. 

Bei der Entfernung des Steigbügels schneide ich zunächst 
die Sehne des Muse, stapedius und die eventuell vorhandenen 
Schleimhauttrabekel, welche von den Wandungen des ovalen 
Fensters zu jenem Knochen gehen, durch, ergreife ihn dann so 
tief wie möglich mit einer stark zugespitzten Pincette und ver- 
suche durch Hin- und Herbewegen denselben ganz zu entfernen. 

Meistentheils brechen hierbei die wegen Atrophie verdünnten 
Sehenkel des Steigbügels; in einem Falle jedoch gelang es mir 
fast den ganzen Knochen, mit Ausnahme des hinteren Winkels 
der Platte, welche zusammen mit dem Ende des hinteren 
Schenkels an Ort und Stelle blieb, zu extrahiren. 

In den sehr delicat^n Momenten der Extraetion des Hammers, 
des Ambosses oder des Steigbügels ist die Immobilität, welche 
man durch die tiefe Narkose erhält, von dem grössten Nutzen 
für den Operateur, dem es hierdurch ermöglicht ist, Richtung 
und Stärke der Bewegungen den zu bekämpfenden Widerständen 
anzumessen und die Operation mit aller Ruhe auszuführen. 



Ueber die Exenteratio ca?i tympani zu akustischen Zwecken. 257 

Sehr wichtig für das definitive Resultat ist die postoperative 
Behandlung in ihren Einzelheiten, und ich bin der Ansieht, dass 
die entmuthigenden Ergebnisse, welche von gewissen Autoren 
erhalten wurden, zum grossen Theile den Mängeln in derselben 
zuzuschreiben sind. Es ist die Nachbehandlung einfach aber 
delieat, und es muss die Medication viele Tage hindurch fort- 
gesetzt werden, und zwar wenigstens zweimal in 24 Stunden. 
Um dieser Forderung zu genttgen, ist es nothwendig, dass der 
Ej*anke unausgesetzt unter den Augen des Operateurs stehe, 
dass er also in irgend einer Anstalt verbleibe. Ich habe unter 
übrigens gleichen Umständen die besten Resultate und zuweilen 
bessere als im Krankenhause bei den Kranken meiner Privat- 
klinik gesehen, bei denen die postoperative Behandlung am 
vollständigsten ausgeführt werden konnte, und ich bin der 
Meinung, dass der Arzt, welcher Kranke operirt, die er dann 
ambulatorisch behandeln muss, sich von vornherein der Gefahr 
eines Misserfolges aussetzt. 

Wichtig fQr die Gewinnung eines guten funetionellen End- 
resultates ist die Verhinderung einer eiterigen Infection der 
Wunde. In dieser Beziehung sind die grössten Gefahren in dem 
Zurückbleiben in der Trommelhöhle von Blutcoagulis und von 
Wasser, das zur Reinigung derselben verwendet wird, gelegen. 
Die Blutcoagula bleiben leicht an den Unebenheiten der Trommel- 
höhle haften und können dann entweder gar nicht oder bloss 
mit Hinterlassung traumatischer Verletzungen entfernt werden; 
in der feuchtwarmen Umgebung fallen sie dann einer eiterigen 
Zersetzung anheim, oder sie organisiren sich zu Grannlations- 
geweben und vereiteln den Erfolg der Operation. Um dies zu 
verhüten, lasse ich in der Trommelhöhle, nachdem sie am Ende 
der Operation mit Pincetten gereinigt und mit Tampons ge- 
trocknet wurde, einen dünnen Streifen sterilisirter nicht zu stark 
oomprimirter Gaze, welche die Bildung von neuen Blutcoagulis 
verhindern soll, liegen. Wenn kein eiteriger Prooess besteht, 
dann lasse ich die erste Medication 36 oder 48 Stunden lang 
liegen, denn die Entfernung der tief liegenden Tampons vor 
dieser Zeit ist sehr schmerzhaft und kann neue Hämorrhagien, 
welche eine Infection hervorrufen können, verursachen. Uebrigens 
ist auch die Medication noch nach Ablauf der ersten 48 Stunden 
schmerzhaft; die nachfolgenden Medicationen werden jedoch, 
wenn gar keine entzündliche Reaction des Operationsfeldes und 
des Gehörganges vorhanden ist, ganz gut vertragen. 



258 XY. 6RADENIG0 

Die WasehuiLgen der Trommelhöhle können eine Infeetion 
hervorrnfen, weil dnroh dieselben trotz aller Vorsicht pathogene 
Mikroorganismen von aussen her eingeführt werden können, und 
auch weil es schwierig ist, die Feuchtigkeit, welche nach den 
Waschungen in den Höhlungen der Trommelhöhle zurückbleibt, 
vollständig zu verhüten, ohne eine schädliche Reizung derselben 
zu veranlassen. Ich mache deshalb, abgesehen von Fällen ganz 
deutlicher Suppuration, während der Nachbehandlung in der 
Regel gar keine Waschungen. 

Wenn die durch die Operation gesetzte Wunde einen regel- 
mässigen Verlauf nimmt, dann sind gar keine Schmerzen vor- 
handen, nur gewahrt man in den ersten Tagen eine Böthung 
und eine massige Schwellung der Gewebe im Gebiete des tym- 
panalen Bandes und an der Schleimhaut der Vorhofs wand, mit 
geringfügiger blutig -seröser Exsudation. ^) Die Medication be- 
steht im Wesentlichen in der Erneuerung der mehr oberfläch- 
lichen Gazeschichten, so oft diese durchnässt sind (in den ersten 
Tagen ist es sogar zweckmässig, namentlich während der Nacht, 
einen Ocdusivverband anzulegen), in dem Wechsel der tieferen 
zweimal in 24 Stunden, wobei selbstverständlich scrupulös steri- 
Usirte Instrumente [angewendet werden müssen; ferner in dem 
Trocknen der Exsudation, welche in der Trommelhöhle vorhan- 
den ist, in delicater Weise, immer unter Führung des Auges, bei 
jedesmaligem Wechsel mittelst kleiner Baumwolltampons. Natür- 
lich dürfen auch die Verhältnisse der Nasen- und Baohen- 
höhle nicht ausser Acht gelassen werden, und es muss auch 
dafbr gesorgt werden, dass die allgemeinen hygienischen Ver- 
hältnisse des Kranken günstige seien. 

Oft fand ich es fQr nützlich, mit dem Einfuhren von Gaze- 
tampons in die Trommelhöhle gegen Ende der ersten Woche nach 
der Operation aufzuhören, da dieselben doch immer als Fi-emd- 
körper wirken 2), und legte bloss, um das Eindringen von Luft 
in die Trommelhöhle und das Austrocknen derselben zu erleich- 
tern, eine dünne Gaze- oder BaumwoUsohicht im Gehörgange in 
der Nähe des Meatns, damit diese als Filter für die äussere Luft 
dienten. Es können jedoch in dieser Beziehung keine bestimm- 

1) Rein seröses Exsudat, welches die Medication durchtränkte, beob- 
achtete ich in einem Falle von Entfernung des Steigbügels durch einige Tage 
nach der Operation. Offenbar handelte es sich hier um Labyrinthflüssigkeit. 

2) Auch die Insufflationen von Borsäure in Substanz werden gewöhnlich 
schlecht vertragen. 



lieber die Exenteratio cavi tympani zu akustischen Zwecken. 259 

ten Regeln aufgestellt werden, sondern man muss, nm. sicher zu 
gehen, Tag für Tag den Verlauf der Wunde controliren, und 
wenn z. B. die Exsudation beim Aufhören der Tamponade neuer- 
lieh zunimmt, dann muss diese ohne Weiteres wiederholt wer- 
den. Es kann demnach die Nachbehandlung nur eine rein in- 
dividuelle sein, und sie muss daraufhinzielen, dass eine möglichst 
geringe locale Reizung stattfinde, was auch mit Rücksicht auf 
eine eventuelle Reaction von Seite des Labyrinthes aus wich- 
tig ist. 

Gewöhnlich beobachtet man, dass sich von den Rändern 
des Einschnittes aus im Trommelfelle, unter geringfügigen Reac- 
tionssymptomen, ringsherum ein Ring von Gewebe bildet, sodass 
die grosse Apertur in derselben sich nach und nach concentrisch 
verkleinert, und zum Schlüsse bildet sich eine narbige Membran. 
Auch die Schleimhaut der Labyrinthwand der Trommelhöhle, so- 
weit sie direct dem Auge zugänglich ist, zeigt die Zeichen einer 
activen Hyperämie und Schwellung. Nicht selten bilden sich 
an dem der centralen Apertur des sich regenerirenden Trommel- 
felles entsprechenden Abschnitte derselben Granulationen aus, 
welche die Tendenz haben, mit dem Saume des Trommelfelles 
ringsherum zu verwachsen, wodurch die in demselben eventuell 
noch bestehende Apertur geschlossen wird. Es würden auf 
diese Weise Synechien des Trommelfelles mit dem centralen 
Theile des Promontoriums entstehen, wenn man nicht durch 
opportune Causticationen oder durch Entfernung der Granula- 
tionen die Formation derselben verhindern würde. Nach 4 bis 
6 Wochen ist gewöhnlich das Trommelfell vollständig neugebildet, 
es ist gut beweglich und von rother Färbung in den ersten 
Perioden; später nimmt es allmählich eine graue Farbe an. Das 
regenerirte Trommelfell ist bezüglich seiner Disposition einem 
wirklichen ähnlich; es fehlen aber natürlich an demselben die 
anatomischen Eigenthümlicbkeiten, welche durch die Anwesen- 
heit des Hammers bedingt werden. Nach Schliessung der Aper- 
tur in demselben und zuweilen auch früher, hört die Exsudation 
vollständig auf. 

In anderen Fällen, wenn nämlich das Trommelfell und alle 
Gewebe in der Trommelhöhle einen hohen Grad von Atrophie 
zeigen, sind die Symptome der Reaction sehr gering; es er- 
fordert deshalb die Neubildung einer narbigen Membran lange 
Zeit, und zuweilen kann dieselbe überhaupt nicht vollständig 
zu Stande kommen. 



260 XV. ORAD£NIQO 

In einer anderen Kategorie von Fällen sehliesslich nnd zwar, 
wie es mir scheint, in denjenigen, in welchen als Ursache des 
krankhaften Processes in der Trommelhöhle eine vorher bestan- 
dene Pamlenz angenommen werden kann^ vermochte ich trotz 
aller Vorsicht die eiterige Entzündung der durch die Operation 
gesetzten Wunde nicht zu verhindern. Diese Erscheinung glaube 
ich erklären zu können durch die Annahme einer Persistenz von 
latenten pjogenen Keimen in der Schleimhaut der Trommel- 
höhle, welche gttnstige Bedingungen zu ihrer Entwicklung in 
der Störung, welche durch den operativen Eingriff entsteht, 
finden. 

Auf jeden Fall sind die Reactionserscheinungen in derar- 
tigen Fällen bedeutender als in den früher beschriebenen; es 
treten, gewöhnlich am 4. oder 6. Tage, auch Schmerzen auf, 
die jedoch nicht sehr intensiv sind, die Exsudation ist reichlioh, 
eiterig oder schleimig-eiterig, die tiefliegenden Gewebe schwellen 
an und vermehren die Schmerzen während der Medication. 
Von guter Wirkung sind unter solchen Umständen vorsichtige 
Waschungen und antiseptisehe Mittel; überhaupt müssen derar- 
tige Fälle wie eine gewöhnliche eiterige Mittelohrentzündung 
behandelt werden. Die anatomischen Verhältnisse der Trommel- 
höhle bewirken jedoch einen raschen und günstigen Ablauf 
solcher Complicationen. 

Rücksichtlich der pathologischen Alterationen der Gewebe in 
der Trommelhöhle in den Formen von progressiver Taubheit, von 
denen die Rede ist, sind unsere Kenntnisse noch als sehr un- 
sichere zu nennen. Sicherlich werden heute ätiologisch verschie- 
dene Krankheitsprocesse, die jedoch im Allgemeinen gemeinsame 
Charaktere besitzen, in eine Kategorie zusammengefasst, weil sie 
klinisch ein scheinbar identisches Bild bieten. Der involutive 
Charakter ist es, der alle diese Krankheitsformen auszeichnet 
und es ist wegen dieser üniformität selbst bei Anwendung der 
besten histologischen Untersuchungsmethoden schwierig, die 
Factoren zu erkennen, welche als Ursachen der Involutions- 
processe angesehen werden müssen. 

Man erwäge auch, dass die functionelle Hörprüfung bei 
Erhaltung des Trommelfelles, wenn sie auch das Vorhandensein 
eines Hindernisses in der Schallleitung uns erkennen lässt, ge- 
wöhnlich gar keine Auskunft über den Sitz und die Natur des- 
selben bietet. Allerdings kann man hierüber hei der Aus- 



Ueber die Exenteratio cavi tympani zu akustischen Zwecken. 261 

ftbrung der Exenteratio orientirt werden, man muss jedoch in 
der Interpretation der beobachteten Thatsachen sehr vorsich- 
tig sein. 

Leicht ist es in gewissen Fällen, die Verdünnung oder 
Atrophie des Trommelfelles (Otosklerose), in anderen Fällen eine 
abnorme Verdickung desselben (katarrhalische, chronische Mittel- 
ohrentzündung, — und Folgezustftnde einer eiterigen Otitis) zu 
erkennen. Die Schleimhaut der Labyrinthwand der Trommel- 
höhle ist entsprechend verdünnt, weisslich entfärbt, sodass sie 
wie ein Polster von fibrösem Gewebe aussieht, welches auch 
die Depressionen und Nischen der Wand auskleidet und deren 
anatomischen Bau vollständig verdeckt. 

Viel schwieriger ist die Erkennung der Alterationen, welche 
in denjenigen Abschnitten der Trommelhöhle ihren Sitz haben, 
die nicht gesehen werden können. Es genüge, diesbezüglich auf 
die ausserordentlich grosse Varietät der von den Autoren mit- 
getheilten anatomischen Beftinde hinzuweisen. i) Gewöhnlich 
beobachtet man eine Fixirung des Hammers, so dass er bloss 
nach starken Tractionen, wobei der Griff leicht abbricht, entfernt 
werden kann. Dasselbe ist auch mit dem Amboss der Fall. 
Uebrigens muss zugegeben werden, dass zuweilen Schwierig- 
keiten, welche die Entfernung jener Knochen bietet, auch 
dem Operateur zugeschrieben werden können bezw. dem Um- 
stände, dass der eine oder der andere Act der Operation nicht 
in exacter Weise ausgeführt wird, oder dem Umstände, dass die 
Instrumente nicht in richtiger Weise gehandhabt werden u. s. w. 
Ich kann im Allgemeinen sagen, dass ich in den von mir be- 
obachteten Fällen oft eine abnorme Fixirung des Hammers und 
des Ambosses im epitympanalen Räume zu erkennen glaubte. 
Schwieriger ist die Beurtheilung des Grades der Fixirung des 
Steigbügels ; oft nämlich sind die Schenkel desselben an Ort und 
Stelle, aber gebrochen und können so wegen ihrer leichten Be- 
weglichkeit Täuschungen über den Grad der Fixirung der Platte 
veranlassen. 

Auch die mikroskopische Prüfung der extrahirten Knöchel- 
chen führt gewöhnlich zu keinen sicheren Schlussfolgerungen. 

Um Aufklärung über dieses Argument zu gewinnen, beauf- 
tragte ich den Herrn Dr. U. Calamida, Assistenten der Klinik, 
mit der histologischen Prüfung aller extrahirten Gehörknöchel- 

1) Eine besondere Beachtung yerdienen die in jüngster Zeit gemachten 
Angaben von Nuvoli (Arch. Ital. di Otol. Vol. XL p. 306 e 495). 



262 XV. GRADENIGO 

ohen, und ich bebalte mir vor, die Resultate dieser ünter- 
sacbnngen zu veröffentlioben. Naeb den wenigen bis jetzt unter- 
sucbten Fällen scheint es, dass krankhafte Herde, wie sie 
jüngst bei der Osteosklerose der Labjrinthkapsel beschrieben 
worden sind, in jenen Enöehelehen nicht vorkommen. 

Die fanctionellen Besultate der Exenteratio cavi tympani 
hängen in erster Linie von der Natur des krankhaften Processes, 
welcher die Taubheit veranlasste, ab. Es können in dieser Be- 
ziehung vier Kategorien unterschieden werden: I. Otosklerosen, 
II. chronische katarrhalische Ohrentzündungen, III. Folgezu- 
stände der eiterigen Otitis, mit nicht perforirtem Trommelfelle, 
und dem scheinbaren Charakter einer katarrhalischen Otitis, 
und schliesslich IV. Folgezustände einer eiterigen Otitis, wobei 
das Trommelfell perforirt oder gänzlich zerstört wird. In letz- 
teren Fällen wird die Exenteratio auf die Entfernung des Ham- 
mers und des Ambosses und eventuell auch des Steigbügels be- 
schränkt. 

In den Fällen, welche in die IL und III. Kategorie ge- 
hören, sind analoge objective Erscheinungen vorhanden, und sie 
unterscheiden sich oft bloss, wie wir gesehen haben, durch die 
anamnestischen Angaben der Kranken: das Trommelfell ist in 
diesen Fällen verdickt, nicht glänzend, unbeweglich und oft 
retrabirt; in der Nasenhöhle, oder in der Nasen-Rachenhöhle 
oder im Rachen allein bleiben zuweilen evidente Zeichen von 
vorausgegangenen chronischen Entzündungen zurück, oder man 
sieht die Residuen einer hypertrophischen Rachentonsille u. s. w. 

Bei der Otosklerose hingegen ist das Trommelfell verdünnt, 
glänzend, ziemlich beweglich, in der Familie des Kranken lassen 
sich noch andere Fälle von progressiver Taubheit und ausser- 
dem Fälle von Tuberculose, Syphilis, Arthritis u. s. w. nachweisen. 

In der Nasen- und Rachenhöhle lassen sich, abgesehen von 
den Fällen von gemischten Formen (Otosklerose mit katarrha- 
lischer Otitis), keine bemerkenswerthen Alterationen erkennen. 
Die Gombination der Otosklerose mit katarrhalischer Otitis ist 
häufiger, als im Allgemeinen angenommen wird. Auf die Charak- 
tere der in die IV. Kategorie gehörenden Formen will ich nicht 
näher eingehen, weil bei diesen die Diagnose schon auf Grund 
der einfachen otoskopischen Untersuchung in ziemlich exaoter 
Weise gemacht werden kann. 

Sind nun diese verschiedenen Kategorien von Krankheits- 
formen durch besondere functionelle Charaktere ausgezeichnet? 



Ueber die £xenteratio cavi tympani zu akastiBchen Zwecken. 263 

Die grössten Differenzen findet man zwisohen den F&llen 
von Osteosklerosen (I. Kategorie) einerseits, nnd andererseits 
den Fällen, welche als Ausgänge einer eitrigen Ohrentzttn- 
dnng mit Zerstörung des Trommelfells (IV. Kategorie) anzu- 
sehen sind. Gemeinsam ist sämmtlichen Kategorien die Be- 
hinderung in der Schallleitung und die Verkürzung der Tonleiter 
in den tiefen Tönen. In der Sklerosis aber ist auch das innere 
Ohr mehr oder weniger in Mitleidenschaft gezogen ^), d. h. auch 
die Perception der hohen oder der höchsten Töne. In der IV. Ka- 
tegorie von Fällen ist diese letztere Erscheinung nicht zu con- 
statiren oder nur in sehr geringem Grade im Verhältnisse zum 
functionellen Defecte in den tiefen Tönen. 

In den katarrhalischen Ohrentzündungen und in den Aus- 
gängen der Mittelohreiterung mit dem scheinbaren Charakter einer 
katarrhalischen Entzündung (II. und III. Kategorie) nehmen die 
functionellen Charaktere gleichsam eine Zwischenstellung zwi- 
schen denen der I. und der IV. Kategorie ein. Selbstverständ- 
lich hängt auch von dem Stadium, in dem die Krankheit sich 
befindet, sehr viel ab, ferner von dem Alter des Kranken. Man 
kann z. B. Formen von vorgeschrittenen Stadien einer katar- 
rhalischen Ohrentzündung beobachten, in welchen die Perception 
der hohen Töne, d. h. also das innere Ohr, mehr als in den 
Anfangsstadien einer Otosklerose, in Mitleidenschaft gezogen ist. 
Ausserdem kann das functionelle Bild in den einzelnen Fällen 
durch eine Beihe von Fäctoren modificirt werden, z. B. durch 
die Coexistenz von erworbener Syphilis, [durch Arteriosklerose, 
neuropathische Zustände, durch intercurrirende acute katarrha- 
lische oder eitrige Entzündungen des Mittelohres u. s. w. Es han- 
delt sich hier also, wie man sieht, um sehr complexe Erschei- 
nungen, und dies erklärt vollständig, warum wir oft nicht alle 
Fäctoren der Krankheit erkennen und nicht einmal die functio- 
nellen Defecte in zufriedenstellender Weise zu analysiren im 
Stande sind.^) 

Hoffentlich wird die Chirurgie im Vereine mit der Klinik 
und der pathologischen Anatomie Licht auf die noch dunklen 

1) Ich meine hier unter innerem Ohre auch die Labyrinthfenster. 

2) Man muss auch bedenken, dass, wie wir weiter unten auseinander- 
setzen werden, yerscbiedene Krankheitsprocesse sich wahrscheinlich unter 
ganz identischen functionellen Erscheinungen äussern, und dass umgekehrt 
die gleichen Krankheitsursachen unter yerschiedenen klinischen Formen in 
Erscheinung treten können. 

Archiv f. Ohrenheükimde. LIY. Bd. IS 



264 XY. GRADENIGO, Ueber die £xeot. cavi tymp. zu akust. Zwecken. 

Fragen auf diesem Gebiete werfen. Allein es sollte der Chirurg 
nie Tergessen, dass hier mehr als die Rechte der Wissenschaft 
die humanitftren Anforderungen berücksichtigt werden müssen, 
und dass er gar keine Operation in der Trommelhöhle unter- 
nehmen sollte, ohne die Ueberzeugung zu haben, dass dieselbe 
dem Kranken von Nutzen werde und allenfalls ihm keinen 
Schaden verursachen könne. Wenn man von diesem Standpunkt 
ausgeht, dann wird allerdings das Gebiet der Action der Chirurgie 
innerhalb der Trommelhöhle zu akustischen Zwecken einge- 
engt und man wird verstehen, warum ich im Verhältnisse zur 
grossen Frequenz der in Rede stehenden Krankheiten nur in einer 
relativ beschränkten Zahl von Fällen operativ vorgegangen bin. 

In allen Fällen, in welchen, wenigstens an einem Ohre, die 
Taubheit nicht hochgradig war und der Defect im Hörver- 
mögen durch eine rationelle oonservative Behandlung beeinflusst 
werden konnte, stand ich von der Operation ab und zwar auch 
dann, wenn der Kranke selbst um die Vornahme derselben bat. 
Die Unsicherheit guter definitiver Resultate bewogen mich zu 
diesem vorsichtigen Vorgehen, und vor der Operation betonte 
ich immer nur die Möglichkeit, aber nicht Bestimmtheit guter 
Endresultate. Dies ist, meine ich, gegenwärtig Pflicht eines 
jeden ehrlich denkenden Chirurgen. Nur in Ausnahmsfällen, bei 
intensiver Mitbetheiligung des inneren Ohres, gab ich den Kranken, 
die die Vornahme der Operation als letzten Versuch sehnlieh 
wünschen, nach, aber leider waren in der Mehrzahl solcher Fälle 
nur die unmittelbaren Erfolge der Operation [zufriedenstellend, 
die definitiven Ergebnisse aber rechtfertigten meine ünent- 
sohlossenheit in der Vornahme derselben. 

Ich werde im Folgenden in Kürze über eine Reihe von 
Fällen von Exenteratio tympani und zwar von Fällen, die ich 
vor und nach der Operation beobachten konnte, und ohne Bück- 
sicht auf die Endresultate berichten. Sodann werde ich die 
Mittheilung von einigen Fällen folgen Iß^ssen, in welchen be- 
besondere Operationsmethoden in Anwendung kamen, i) 

1) Die Modificationen der functionellen Charaktere, welche nach der 
Exenteratio auftreten, können, wenn sie in allen ihren Details studirt werden, 
viel Licht auf die Physiologie und Pathologie des Mittelohrs werfen. In gegen- 
wärtiger Arbeit jedoch, welche vornehmlich chirurgische Zwecke vor Augen 
hat, kann ich mich auf dieses Gebiet nicht ausdehnen und behalte mir des- 
halb vor, in einer anderen Arbeit auf den Gegenstand zurückzukommen. 

(Schluss folgt.) 



XVI. 

Mein Protest gegen die Verbindung der Section JFftr Ohren- 
heilkunde mit der Laryngologie anf den Versamminngen 

deutscher Naturforscher und Aerzte. 

Von 

H. Sehwartze. 

(am 23. September 1901 in Hambarg). 

Meine hoohzuverehrenden Herren 1 

Wenn ich die EinfÜhrer dieser Section gebeten habe , mir 
vor Beginn der Yerhandlnngen ein kurzes Wort zu gestatten, 
so erbitte ich mir dafür Ihre Nachsieht. Der Vorstand der dies- 
jährigen Yersammlang der Naturforscher und Aerzte hat es für an- 
gemessen gehalten, die Section fllr Ohrenheilkunde mit der Section 
fllr Laryngologie zu vereinigen. In wie weit dies den Wünschen 
der zur Versammlung Erschienenen entspricht, entzieht sieh 
meiner Eenntniss. Ich f&r mein Theil bin aber der Meinung, 
dass diese Vereinigung für die wissenschaftlichen Vertreter der 
beiden Disciplinen nicht erwünscht ist. Wer der historischen 
Entwicklung der Sectionen auf diesen Versammlungen gefolgt 
ist, wird wissen, dass im Jahre 1872 auf der Naturforscher- 
Versammlung zu Leipzig, also vor nahezu 30 Jahren, zuerst eine 
selbstständige Section für Ohrenheilkunde von den Geschäfts- 
führern der Versammlung zugelassen und eingeführt wurde, und 
dass wir dies vorzüglich den eifrigen Bemühungen des leider 
so jung verstorbenen Prof. Wendt in Leipzig zu danken haben. 
Es ist nicht leicht gewesen, dies damals zu erreichen, denn Sie 
wissen, mit welcher Geringschätzung zu jener Zeit unsere Disciplin 
noch betrachtet wurde, und wie von den damals hervorragenden 
Koryphäen der Medicin derselben die Möglichkeit und Fähigkeit 
einer wissenschaftlichen Entwicklung noch bestritten wurde. 
Ohne die warme Unterstützung und Fürsprache des nun auch 
verstorbenen damaligen Professors der pathologischen Anatomie 

18* 



266 XVI. SCHWARTZE 

in Leipzig, Prof. E. Wagner, wSre die Coneession einer eigenen 
Seetion ftlr die Ohrenheilkunde dem Vorstände der Yersammlnng 
nieht abgerungen worden. In der Eröffnungsrede der Seetion 
sagte Wendt damals nach anderen allgemeinen Bemerkungen: 
„Sodann erschien es mir der Wflrde und der Bedeutung der 
Ohrenheilkunde entsprechend, wenn dieselbe unter den mannig- 
faltigen Disciplinen der Natur- und Heilkunde bei diesen Ver- 
sammlungen nicht länger ohne die ihr gebührende Vertretung 
bliebe.^^ Diese gebührende Vertretung der Ohrenheilkunde im 
Bahmen der medicinischen Wissenschaften, als eine selbstständige 
Seetion wollen wir nicht wieder aufgeben. Jeder, der wie ich 
ein warmes Interesse f)ir sein Specialfach hegt, muss es als 
eine Beeinträchtigung seines guten, traditionell begründeten 
Rechtes betrachten, wenn der Otologie die Selbstständigkeit auf 
diesen Versammlungen wieder entzogen werden soll, um so 
mehr, als die seitdem verflossene Zeit gelehrt hat, dass durch 
die Concentration der Arbeit das Wissen und Können in der 
Disciplin wesentlich erweitert worden ist. So lange die Ohren- 
heilkunde mit anderen Disciplinen zusammen gepflegt und ge- 
lehrt wurde, ist nichts dabei herausgekommen, und die jüngste 
moderne Verbindung mit der Laryngologie, die ich fttr die rein 
praktische Bethätigung allerdings für gleichgültig halte, ist fllr 
die wissenschaftliche Pflege und Förderung der Ohrheilkunde 
ein Hinderniss und hoffentlich auch nur eine vorübergehende 
Phase in der wissenschaftlichen Entwicklung der Ohrenheil- 
kunde. Der Aufgaben und zu lösenden Probleme giebt es eine 
solche Fülle in der Ohrenheilkunde, dass sie der ungetheilten 
Kraft und Zeit eines Einzelnen bedarf, um erschöpfend vertreten 
zu werden. Wem das Gebiet für die praktische Bethätigung 
als zu klein erscheint, mag es mit der Bhinologie verbinden, die 
wegen der vielfachen ätiologischen Beziehungen zwischen Ohr- 
und Nasenkrankheiten für den Otologen unentbehrlich ist. Mit 
der Laryngologie hat jedoch die Otologie überhaupt keine 
directen Beziehungen. Die Laryngologie gehört zur inneren 
Klinik, aus welcher sie hervorgegangen ist und für welche sie 
als integrirender Theil ganz unentbehrlich bleibt. Als Lehr- 
object sollte sie deshalb auch allgemein mit der 
inneren Klinik verbunden bleiben. 

Der Umstand, dass es heutzutage für die praktische Thätig- 
keit des Arztes aus äusseren Gründen vielfach beliebt worden 
ist, beide Disciplinen zu cultiviren, kann nicht als genügen- 



Protest gegen die Verbindung der Otologie mit d. Laryngologie. 267 

der Grund angeführt werden, am hier auf diesen wissenschaft- 
liehen Versammlangen zwei sieh ganz fern liegende' Gebiete 
znsammenznzwängen. 

Niemand bestreitet der Ophthalmologie ihre selbstständige 
Stellung im Sahmen der medicinischen Wissenschaften. Die- 
selbe erstreben ,wir fllr die Otologie und müssen also folge- 
richtig auch die Beibehaltung des einmal gemachten Zuge- 
ständnisses der Selbstständigkeit ftlr die Otologie auf diesen 
Versammlungen verlangen. Ich für mein Theil erachte dies als 
eine unerlässliche Vorbedingung für die weitere Betheiligung an 
den wissenschaftlichen Verhandlungen dieser Section und erwarte, 
dass mein Protest von den klinischen Lehrern und wissenschaft- 
lichen Vertretern der Otologie unterstützt werde. 



XVII. 

Zwei physiologisch-aknstisclie Vorträge, gehalten anf der 
73. Versammlnng deutscher Naturforscher und Aerzte zn 

Hamburg im September 1901. 

Av^nsl Lneae. 

L Zur Function der Membran des runden Fensters. 

1. Eine bisher nnbekannte Wirkungsart des sogen. 

künstlichen Trommelfells. 

Es handelt sich hier nicht um die bekannte Application nnd 
Wirknngweise des Wattekfigelchens oder des Toynbee'schen 
aus Gummi elasticum angefertigten und vielfach modificirten kfinst- 
lichen Trommelfells. Es 'sei nur [daran erinnert, dass diese 
akustischen Hilfsapparate entweder gegen den Trommelfellrest 
oder gegen den freiliegenden Steigbügel angedrückt sehr häufig 
in überraschender *Weise das Gehör verbessern. Wegen der 
sowohl im ersteren (Lucae) als im letzteren (Moos) Falle 
nach Entfernung des künstlichen Trommelfelles vielfach beob- 
achteten Nachwirkung der Hörverbesserung hat man im All- 
gemeinen die Ansicht Toynbee's, dass es sich hierbei um einen 
akustischen Ersatz des natürlichen Trommelfelles handelt, fallen 
lassen und die zuerst von mir gegebene Erklärungsweise be- 
stätigt, dass die Hörverbesserung auf eine Drucksteigerung im 
Labyrinthe zurückzuführen sei. Nach der heutigen, besonders 
durch die Arbeiten von Helmholtz begründeten Lehre der 
Mechanik des Hörens dürfte es wohl richtiger sein, die Wirkung 
des künstlichen Trommelfells bei isolirtem Steigbügel durch 
einen Ersatz der durch Lahmlegung des Tensor tympani ver- 
loren gegangenen Dämpfung im Gehörorgan zu erklären.] 

Mein eigentliches Thema betriflft in erster Linie den eigen- 
thümlichen Heilerfolg des Wattekügelchens und zwar vorzugs- 
weise in mehr oder weniger abgelaufenen Fällen von chro- 
nischer Mittelohreiterung mit Verlust von Trommelfell, Hammer 



Zwei physiologisch-akustische Vorträge. 269 

und Amboss, freiliegendem Promontorium bei glatter nicht ge- 
schwollener Paukenschleimhaut. In einer Reihe solcher Fälle, 
unter denen sich drei mehrere Jahre von mir beobachtete 
Kranke befinden, konnte ich wiederholt die auffallende That- 
Sache constatiren, dass die plötzliche Hörverbesserung erst 
dann eintrat, wenn ohne jede Bertlhfung des Steigbügels 
oder des runden Fensters der vordere Abschnitt des Promon- 
toriums mit dem Wattektigelchen bedeckt wurde. Im Allge- 
meinen war die Wirkung die gleiche bei Benutzung trockener 
ziemlieh fest zusammen geballter Watte oder nach Anfeuchtung 
derselben (meist mit einer Lösung von Liq. Aluminii acet.) ; hier- 
mit stimmt auch die Beobachtung überein, dass, wenn in letzerem 
Falle das Wattekügelchen 1 — 2 Wochen im Ohre blieb, die 
Wirkung trotz der bald eintretenden Austrocknung ununter- 
brochen andauerte. 

Sehr wichtig ist, dass im Gegensatz zu den obigen bekannten 
Fällen bei der Mehrzahl mit Hinwegnahme des Wattekügelchens 
die Hörweite für die Flüstersprache auf den Status quo ante 
zurückging; ebenso wichtig jedoch und mit der unten erfolgen- 
den Erklärung gut übereinstimmend, dass bei einigen Kranken 
nach monatelanger resp. jahrelanger Beobachtung auch ohne wei- 
tere Anwendung des Wattekügelchens allmählich eine dauern de, 
wenn auch geringere als die mit dem letzteren erzielte Hör- 
verbesserung eintrat. Dies geschah gewöhnlich da, wo das 
Wattekügelchen längere Zeit liegen blieb und leichte Secretion 
mit , Schwellung der Promontorial-Schleimhaut ver- 
anlasste. Es sei hier nur noch vorläufig bemerkt, dass nach 
Untersuchung einiger musikalischen Kranken neben der Flüster- 
sprache besonders die höheren und höchsten Töne verstärkt 
wahrgenommen wurden. 

Nach langer Ueberlegung fand ich endlich hierfür folgende 
Erklärung, die wenn richtig auch jn diagnostischer Hinsicht 
einen Fortschritt zu versprechen scheint: In den vorliegenden 
Fällen müssen die Schallwellen gleichzeitig durch das Promon- 
torium und die beiden Fenster — wobei wohl nur die Membran 
des runden Fensters i) in Betracht kommt — zum Inhalt der 



1) fiezold hat nachgewiesen, dass die Beweglichkeit dieser Membran 
eine bedeutend grössere ist, als die der Ring- Membran der SteigbQgelplatte, 
was ich durch Experimente an einem Gehörorgane, welches von einem voll- 
ständig normalhörenden Individuum herrührte, in noch genauerer Weise be- 
stätigen konnte. 



270 XVII. LÜCAE 

Sehneeke gelangen. In letzterer wird es durch diese doppelte 
Zuleitung zu einer Interferenz beider Wellenzttge und somit zu 
einer verminderten Sohallperoeption kommen; durch Auspolsterun^ 
des Promontoriums durch das Wattekügelchen wird hingegen 
die Labyrinthkapsel als SohalUeiter ausgeschaltet, die Interferenz 
aufgehoben werden unf somit eine Hörverbesserung erfolgen. 

Im normalen Ohre liegen dagegen die Verhältnisse ganz 
anders. Es unterliegt keinem Zweifel — wie dies auch aus den 
vor langen Jahren von Politzer angestellten und von mir be- 
stätigten Versuchen hervorgeht — , dass auch hier die auf das 
Trommelfell fallenden Schallwellen zum grossen Theil durch die 
Luft der Trommelhöhle auf die Labyrinthwand treffen werden. 
Diese Schallwellen müssen jedoch beim Durchgang durch das 
Trommelfell so gedämpft werden, dass vorzugsweise diejenigen, 
welche zum Promontorium gelangen, von diesem als einem von 
der Luft so differenten Medium schwerlich aufgenommen, sondern 
im Gegentheil zum grössten Theil reflectirt werden und zwar 
in ähnlicher Weise, wie wir dies von den in das Ohr fallenden 
Lichtstrahlen aus dem gelben Schein am Trommelfell kennen. 

Zimmermann]^) ist freilich der Ansicht, dass die ver- 
hältnissmässig sehr dünne Labyrinthkapsel gerade sehr geeignet 
sei zur Aufnahme von Schallsehwingungen, während er dies der 
Membran des runden Fensters wegen der seitlichen Lage des 
letzteren abspricht; nach seiner Meinung soll diese Membran 
nur dazu dienen, den auf diese Weise in das Labyrinth gelangten 
Schwingungen auszuweichen. Hiergegen ist zunächst einzu- 
wenden, dass der Druck in einem Hohlraum nach allen Seiten 
der gleiche ist und somit auch durch die Membran des runden 
Fensters Schallwellen aufgenommen werden müssen und zwar 
um so leichter, als, wie bereits aus den Versuchen von Job. 
Müller ersichtlich, Luftschallwellen durch eine gespannte Mem- 
bran sehr gut auf das Labyrinthwasser übergeführt werden. 
Was ferner das angebliche Ausweichen der etwa durch den Knochen 
in die Schnecke gelangenden Schallwellen am runden Fenster 
betrifft, so ist ein solches Ausweichen schon vom theoretischen 
Standpunkte unwahrscheinlich, da es sich hier vorzugsweise um 
Longitudinal- Schwingungen handelt. Ueberdies habe ich bereits 
18642) durch die Section eines bei Lebzeiten akustisch unter- 
suchten Falles von Missbildung des Ohres (rudimentäre Ohr- 

1) Die Mechanik des Hörens und ihre Störungen. Wiesbaden. 1900. 

2) Virchow's Arch. Bd. XXIX. 



Zwei physiologisch-akustische Vorträge. 271 

mnsohel und Mangel des * äusseren Gehörgangs) nachgewiesen, 
dass auch beim Fehlen beider Labyrinthfenster Töne durch die 
Eopfknochen deutlich percipirt werden, wo also überhaupt von 
einem solchen Ausweichen der Schallwellen gar keine Bede sein 
kann. In diesem Falle wurde die nur 'schwach angeschlagene, 
auf den rudimentären Ohrknorpel aufgesetzte a*-Gabel deutlich 
wahrgenommen. Die Section ergab an Stelle des Gehörgangs 
solide Enochenmasse, die Trommelhöhle als Schlitz ohne Fenster, 
vom Labyrinth den Gehörnerv, die Schnecke und die Bogengänge 
wohl erhalten. 

Zu den vorliegenden Beobachtungen ist noch hinzuznfUgen, 
dass die hier vorgetragene Erklärungsweise nach meiner Ansicht 
auch auf das aus Gummi elasticum angefertigte künstliche Trommel- 
fell in vielen Fällen passen möchte, ferner auch in den Fällen, wo 
die Gehörknöchelchen noch in situ erhalten, aber ^durch grossen 
Defect des Trommelfells das Promontorium mehr oder weniger 
frei gelegt ist. Hiermit stimmt auch die alte Erfahrung überein, 
dass das sogen, künstliche Trommelfell bei grossen Trommelfell- 
Perforationen sich am wirksamsten erweist. 

2. lieber eine erfolgreiche Operation am runden 

Fenster. 

Die Operation betrifft eine 41jährige Frau B. Aufnahme 
19.Mai 1900; progressive Schwerhörigkeit, wesentlich erhöht durch 
Schreck in Folge des Selbstmordes ihres Gatten , sehr nervöse 
Patientin. Beiderseits starke subjective Gehörsempfindungen, 
besonders rechts, wo sie neben einem fortwährenden Gellen 
und Dröhnen verschiedene Vogelstimmen hört. Fl. rechts 0,8 
(3,5), links 1,3 (3,8). Beim Anblasen des äusseren Gehörgangs 
rechts tieferes, links pfeifendes Geräusch. Trommelfell rechts 
schlaff, links verdickt mit Adhäsion des Hammergriffes. 

Es sollen hier nur die Beobachtungen am rechten Ohre 
geschildert werden, und sei hier bemerkt, dass beide Ohren ohne 
wesentlichen Erfolg bis zum 1. Juni 1900 mit der von mir ange- 
gebenen Wassermassage behandelt wurden. Wegen der starken 
subjectiven Gehörsempfindungen und der J grossen Erregtheit der 
Patientin ist eine eingehende Tonuntersuchung rechts nicht mög- 
lich und nur sicher zu constatiren, dass an dem letztgenannten 

22" 
Tage meine c^-Hammer-Gabel ^^ wahrgenommen wurde. 

Auf dringenden Wunsch der Patientin wird am 2. Juni 1900 



272 XVII. LÜCAE 

die ExeiBion des Trommelfells mit Hammer und Amboss vorge- 
nommen und zwar lediglich alsVersnch zur Heilung der subjeetiven 
Beschwerden; die Blutung ist hierbei wegen der Atrophie des 
Trommelfells sehr gering, und finden sich keinerlei Adhäsionen 
an den Gehörknöchelchen. Der dem Gehörgang mehr als ge- 
wöhnlich zugewandte Eingang des runden Fensters ist durch 
zwei.halbkuglige sich in der Mitte berührende Exostosen yoU- 
ständig geschlossen, sodass es nicht möglich ist, mit einer Nadel 
zwischen dieselben einzudringen. Promontorial - Schleimhaut 
sklerotisch verdickt, Steigbügel auf Sondendruck ziemlich beweg- 
lich. Nach der Operation keine Beaction, aber auch keine 
Besserung. Die anfänglich scheinbar geringer gewordenen sub- 
jeetiven Oehörsempfindungen kehren sehr bald als „schreckliches 
Gellen und Dröhnen^^ in der früheren Stärke zurück. 

Unter diesen Umständen gab ich den weiteren Bitten der Pa- 
tientin, doch Alles zu thun, um sie von ihrem furchtbaren Leiden 
zu befreien, nach und unternahm, nach Vorbereitung am Ohrpräpa- 
rate am 13. Juni 1900 in Narkose die Freilegung der Nische des 
runden Fensters mit einer stecknadelkopfgrossen elektromagne- 
tisch betriebenen Fräse. Die Operation, bei welcher die Fräse 
kaum mehr als 1 mm tief eindrang, ging sehr schnell von Statten; 
einmal glitt das Instrument ab und verursachte eine leichte, 
bald heilende oberflächliche Verletzung des Promontoriums. Ein 
Abfluss von Labyrinthflüssigkeit fand bei der Operation nicht statt. 

Mit Ausnahme kurz anhaltender ziemlich heftiger Schmerzen 
trat auch hier keine weitere Beaction ein als sehr grosse Em- 
pfindlichkeit gegen jedes stärkere Geräusch, welche 
jedoch nach 5 Tagen verschwand. Vom 24. Juni beginnt eine all- 
mählich zunehmende Besserung des Gehörs ftir die Flüster- 
sprache, welche am Tage der Entlassung (13. Nov. 1900) 3, 5 (3, 
5, 8) weit gehört wird. Der Haupterfolg besteht aber in dem 
gänzlichen Schwinden des „Gellen und Dröhnen", 
an dessen Stelle nur noch Sausen zurückbleibt. Das runde 
Fenster erscheint jetzt vollständig frei mit scharf contourirtem 
inneren Bande und grösser als das jetzt klarer zu sehende ovale 
Fenster mit Steigbügel. Bei der Entlassung hatte sich das 
Trommelfell bis auf eine etwa erbsengrosse Lücke narbig 
regenerirt. 

Am 8. Juli 1901 sah ich die Kranke wieder. Der Erfolg war 
ein dauernder geblieben, sowohl in Hinsicht der subjeetiven Ge- 
hörsempfindungen, als der Function, wobei noch zu bemerken. 



Zwei physiologisch-akustische Vorträge. 273 

dasB die Hammer- e^ Gabel, deren Hörzeit bereits 8 Tage nach 
der Operation zugenommen batte, jetzt 32^^ wahrgenommen wurde, 
also um 10^^ mehr als vor der Operation. Das Trommelfell 
zeigte sich jetzt bis auf eine ganz kleine Lücke regenerirt, welche 
sich nach 17 Tagen vollständig schloss, mit Abnahme der Hör- 
weite für die Fl. auf 2,0 (3, 5, 8), offenbar bedingt durch die 
sehr dicke narbige Membran. Sofort wurde durch Cirkelsohnitt 
letztere wieder entfernt. Als Patientin am 8. Aug. 1901 nach Hause 
reisen musste, betrug die Hörweite für die Fl. 3,0 (3, 5, 8) ; das 
Trommelfell hatte sich bereits wieder bis auf eine Oeffnung von 
mehr als Erbsengrösse regenerirt. Die immerhin geringe Ab- 
nahme der Hörweite erklärt sich wohl durch einen mit der Nach- 
operation verbundenen kleinen Bluterguss in die Nische des 
runden Fensters. Hinsichtlich der subjectiven Gehörsempfindungen 
hatte keine Veränderung stattgefunden. — 

Es ist ein eigenthümliches Zusammentreffen, dass Zimmer- 
mann in seiner oben citirten Schrift i) eine ähnliche Operation 
empfiehlt und auch bereits, wenn auch erfolglos, am Lebenden aus- 
geführt hat. Ich sage „ähnliche^^ da es sich bei Zimmer- 
mann um die Wegnahme der pathologisch verdickten Membran, 
demnach also unter Abfluss des Labyrinthwassers, bei meiner 
Operation jedoch nur um die Eröffnung der Nische des runden 
Fensters handelt. Es ist hierzu zu bemerken, dass nach meinen 
anatomischen Untersuchungen an vier von Normalhörenden 
stammenden Präparaten die Membran des runden Fensters etwa 
1,5 mm von dem Eingang des letzteren entfernt liegt. 

Der zufällige von selbst zur Operation auffordernde Befund 
in diesem Falle erinnert sehr an den gleichartigen Verschluss 
des äusseren Gehörgangs durch Exostosen und dürfte nach meiner 
Ueberzeugung sehr bald nicht mehr vereinzelt dastehn. Hat doch 
schon Cassebohm^) knöcherne Verengerungen des runden 
Fensters als Vorkommnisse bei Greisen beschrieben. Wie mein 
Fall lehrt, kommen solche knöcherne Verschlüsse auch im mitt- 
leren Lebensalter vor und nach einer zufälligen von ZaufaPj 
am Schädel eines neunjährigen Knaben gemachten Beobachtung 

1) Nach brieflicher MittheiluDg des Herrn Verlegers Bergmann ist 
dieselbe im November 1900 ausgegeben worden. Es konnte mir daher, als 
ich im Juni desselben Jahres die Operation vornahm, von dem Vorschlage 
Zimmermann 's nichts bekannt sein. 

2) Tractatus quatuor anatomici de aure humana etc. 1734, p. 39. 

3) Dieses Archiv. II. S. 48. 



274 XVII. LÜCAE 

sogar bei Kindern. Es ist daraus anzunehmen, dass derartige 
Yerscblflsse des runden Fensters in jedem Lebensalter vorkommen 
können, und es wird somit die Aufgabe sein, besonders in Fällen 
von sog. Sklerose den Zustand der Nische des runden Fensters 
genauer zu prüfen und eventuell die beschriebene, ungefährliche 
Operation vorzunehmen. 

IL Beobachtung der Tonschwingungen des Trommelfells 

am lebenden Ohr. 

Seit langer Zeit liegen bereits directe Beobachtungen der 
akustischen Schwingungen des Trommelfells am todten Gehör- 
organe vor. Es handelt sich dabei besonders um die nach ver- 
schiedenen Methoden erreichte optische Darstellung der Schwin- 
gungen. Ohne auf diese Untersuchungen näher einzugehn, will 
ich hier nur die so interessante stroboskopische Methode hervor- 
heben, mit der es Mach und Kessel bereits im Jahre 1873 
gelang, durch scheinbare Terlangsamung der Schwingungen die 
Bewegung des Trommelfells am Ohrpräparate sichtbar zu machen ; 
als Tonquellen dienten hierzu Pfeifen und zur intermittirenden 
Beleuchtung König 'sehe Flammen. 

Diese Methode nunmehr auch am lebenden Grehörorgan 
vorzunehmen, schien um so nothwendiger, als bei den Versuchen 
am todten Ohr durch Oeffnung der Paukenhöhle, des Vorhofes 
U.S.W. die natürlichen Resonanz -Verhältnisse des Gehörorganes 
erheblich alterirt werden. 

Ich benutzte zu meinen Versuchen zunächst die bekannte 
stroboskopische Drehscheibe in Form einer kleinen an dem Be- 
leuehtungsspiegel excentrisoh angebrachten Sirene mit 10 Löchern 
nach dem Vorgang von Oertel und Spiess, welche das gleiche 
Verfahren zur Beobachtung der Schwingungen der Stimmbänder 
anwandten. 

Da es sich bei meinen Versuchen i) in erster Linie um die 
Diagnose der Bewegungen des schallleitenden Apparates handelte, 
wurde das Trommelfell mit Hilfe eines Pneumomotors (sog. 
pneumatische Massage) in kräftige Vibrationen gesetzt, deren 
Geschwindigkeit bis 2000 in der Minute gesteigert werden 
konnte. Dem Ohre zugeführt und beobachtet wurden diese Luft- 
druckschwankungen durch einen nicht luftdicht im Ohre sitzen- 

1) Zuerst demonstrirt in der Juli-Sitzung 1901 der Berliner otologischen 
Gesellschaft. Die ausführliche Arbeit erschien im LUX. Bande dieses 
Archives. 



Zwei physiologisch-akustische Vorträge. 275 

den Siegle'schen Ohrtrichter unter einer Vergrösserung von 
10 Dioptrien. Diese Versuche, welche in ihrer Anordnung der 
natürlichenÄufnahme t i e f s t e r Töne einigermaassen nahe kommen, 
ergaben zunächst mit grosser Gonstanz das Resultat, dass im 
normalen Zustande die Trommelschwingungen hierbei vorzugs- 
weise am hinteren oberen Quadranten und am Hammergriff auf- 
traten, während am unteren Trommelfell-Abschnitt (Lichtkegel) 
nur geringe Bewegungen zu sehen waren. — Selbstverständlich 
war es zu genaueren physiologischen Zwecken nöthig, diese 
Versuche auf musikalische Töne auszudehnen und zur bequemeren 
Beobachtung der Schwingungen die stroboskopische Scheibe elek- 
tromagnetisch in Betrieb zu setzen. Diese Aufgabe bot mancherlei 
Schwierigkeiten, welche einem befriedigenden Resultat bisher im 
Wege standen. 

Indessen gelang es mir, mit Hilfe einer dem stroboskopischen 
Verfahren sehr verwandten Methode in leichterer Weise das Ziel 
zunächst für tiefere Töne zu erreichen. Es geschah dies unter 
Benützung der durch Interferenz zweier Töne hervorgebrachten 
Schwebungen oder besser Stösse, wie sie einer ihrer ersten Be- 
obachter Scheibler sehr treffend bezeichnete. Wie die Anzahl 
der stroboskopischen Schwingungen = der Differenz zwischen 
der Schwingungsperiode des beobachteten Körpers und der 
intermittirenden Beleuchtung resp. Beobachtung desselben, so ist 
hier bekanntlich die Zahl der Stösse = der Differenz in der 
Schwingungsperiode beider Klänge. Der wesentliche Unterschied 
ist jedoch, dass es sich dort nur um eine scheinbare, hier jedoch 
um eine wirkliehe Verlangsamung der Schwingungen handelt. 
Wie Helmholtz hervorhebt, bieten die Schwebungen eben den 
Vortheil, dass sie sehr kräftig vom Ohre wahrgenommen werden, 
besonders bei Benützung von Stimmgabeln oder gedackten 
Pfeifen, weil hier der Ton in den Pausen wirklich ganz ver- 
sehwindet. Am todten Ohre wurden die Schwebungen zuerst 
von Politzer!) unter Benutzung zweier Pfeifen durch Ankittung 
von Fühlhebeln auf die Gehörknöchelchen graphisch dargestellt, 
während ich 2) dieselbe graphische Methode anwandte, um mit 
Hilfe zweier um einen Halbton differirender Stimmgabeln die 
Mitschwingung des sohalUeitenden Apparates bei der Schall- 
leitung durch die Kopfknochen nachzuweisen. 

Bei den vorstehenden Versuchen geschah die Tonzuführung 

1) Dieses Archiv. I. S. 66. 

2) Ebenda. S. 310. 



276 XVU. LÜCAE 

zum Ohre und die Beobachtung der Schwingangen wie oben durch 
den Siegle'sohen Trichter. Als Tonquellen dienten zwei auf 
G =» 1 28 y. d. abgestimmte gedackte Pfeifen, von denen die eine 
mittelst eines ausziehbaren Stopfens in der Tonhöhe beliebig ge- 
ändert werden konnte. Am zweckm&ssigsten fand ich es, letztere 
etwa um einen Yiertelton höher zu stimmen, wodurch etwa 5 noch 
bequem zu zählende Stösse in der Seounde hervorgebracht wurden. 
Die Pfeifen standen neben einander auf einem Blasetisch; in jeder 
war in der Mitte einer Wand eine Oeffnung angebracht, in welcher 
je ein Schenkel eines gabelförmigen T-Rohres luftdicht eingefHigt 
war, dessen dritter Schenkel durch ein längeres Gummirohr die 
Verbindung mit dem S i e g 1 e'schen Trichter herstellte. 

Als Versuchsindividuen dienten junge Leute mit vollkom- 
men normalem Gehör nnd auch anatomisch normalem Trommel- 
felle. Besonders ist hervorzuheben, dass auch hier der Siegle' sehe 
Ohrtrichter nicht luftdicht in das Ohr eingesetzt wurde. Als 
Lichtquelle diente eine Gas-Glühlampe mit abblendendem Thon- 
cylinder und zur Beleuchtung ein einfacher Hand-Reflector.^) 

Als Resultat ergab sich hierbei Folgendes : Man sieht sofort 
beim Anblasen der Pfeifen eine wallende Bewegung des hinteren 
oberen Trommelfell- Quadranten dicht hinter dem Hammergriff, wäh- 
rend die übrigen Trommelfelltheile sich ruhig verhalten. Ein noch ge- 
naueres Resultat erhält man, wenn man (wie dies auch bei den obigen 
stroboskopischen Versuchen geschah) zuvor mit Goldbronce auf die 
verschiedenen Trommelfell- Abschnitte, auf den kurzen Hammer- 
fortsatz und auf den Lichtkegel kleine Pünktchen aulpinselt: An 
dem oberen hinteren Quadranten seheinen jetzt die einzelnen Gold- 
pünktchen dem beobachtenden Auge ziemlich langsam entgegen zu 
springen. Wählt man statt der benützten Vergrösserung von 10 Di- 
optrien eine solche von 14, so zeigen sich an den genannten Stellen 
die einzelnen Punkte als feine Goldstreifen, welche sich saiten- 
fÖrmig zu bewegen scheinen. Auch bei Anwendung dieses Hilfs- 
mittels verhielten sich bei öfterer Wiederholung der Versuche die 
übrigen Theile ruhig; nur einmal schien oberhalb des Lichtkegels 
eine kleine Bewegung aufzutreten. 

Es ist hiermit auch am Lebenden erwiesen, dass das Trommel- 
fell die Stösse zweier Töne mitmacht. Von weiterem Interesse ist 
die Thatsache, dass für tiefe Töne diese Mitschwingung allein am 

1) Es ist mir eine angenehme Pflicht, an dieser Stelle hervorzuheben, 
dass Herr Dr. Heine, erster Assistent an der Berliner Universitäts-Ohrenklinik, 
mich in dankenswerther Weise hierbei unterstützte. 



Zwei physiologisch-akustische Vorträge. 277 

Unteren oberen Quadranten zu erfolgen soheint, wobei zu be- 
merken, dass die Pfeifen stets unter möglichst gleichem Druok an- 
geblasen wurden. Dies Resultat stimmt sowohl mit der Theorie 
der Mitsehwingung als auch mit der anatomischen Beschaffenheit 
des genannten Trommelfell- Abschnittes gut überein. Nach Helm- 
holtz können Schwebungen in einem elastischen Körper durch 
Mitschwingen nur zu Stande kommen, „wenn die beiden erregen- 
den Töne dem Grundton des mitschwingenden Körpers nahe genug 
liegen, dass derselbe von beiden Tönen in merkliches Mitschwingen 
versetzt wird." Wir wissen ferner, dass gerade der hintere obere 
Theil des Trommelfells am wenigsten gespannt ist, so dass er sich 
z. B. bei pathologischen Einziehungen der Membran leicht in Falten 
legt und somit von vornherein zur Aufnahme tieferer Töne geeignet 
erscheint. Von Bedeutung ist ausserdem, dsss diese Beobachtungen 
auch mit den obigen mit Hilfe des stroboskopischen Verfahrens er- 
zielten Resultaten gut Obereinstimmen. Es wird die weitere Auf- 
gabe sein, diese Versuche auch auf die höheren Töne auszu- 
dehnen. — 

Am Schlüsse dieser Mittheilung muss ich dem Herrn Prof. 
Edlefsen und Herrn Prof. Boeger vom Realgymnasium in 
Hamburg noch meinen Dank aussprechen für die vielfachen Vor- 
bereitungen, welche es mir möglich machten, die Demonstration 
der vorliegenden Versuche mit Erfolg auszufahren. Letzterer hatte 
die besondere Liebenswürdigkeit, die Installation meiner Apparate 
vorzunehmen, mir einige seiner Schüler für die Demonstrationen 
zur Verfügung zu stellen und den zeitraubenden Vorversuchen, bei 
denen mich auch Herr College Dr. F eigner aus Altena freund- 
lichst unterstützte, beizuwohnen. 



XVlil. 

73. Versamminng deutscher Naturforscher and Aerzte in 
Hamburg, vom 22. bis 28. September 1901. 

20. Abtheilnng: Hals-, Nasen- und Ohrenkrankheiten. 

Bericht von 
Dr. Rad. Meyer (Hamburg). 

Einfthrende : Dr. Thost, S. R. Dr. Ludewig, Dr. Zarniko. 

Sitzung vom 23. September 1901, Nachmittags 2 ühr. 
Vorsitzender: Schwartze (Halle). 

Vor Eintritt in die YerhandluDgen ergreift Schwartze (Halle) das 
Wort zu einem energischen Protest, dass auf der diesjährigen Naturforscher- 
Versammlung wieder beliebt worden sei, die Section fOr Otologie mit derjenigen 
fOr Laryngologie zu yerbinden. S. weist darauf hin, dass vor ca. 30 Jahren 
die Otologie sich ihre selbstst&ndige Stellung auf diesen Versammlungen er- 
rungen habe, und sieht es vom wissenschaftlichen Standpunkte aus als eine 
dringende Nothwendigkeit an, dass sie dieselbe auch in Zukunft beibehalte. 
Die Verbindung mit anderen Disciplinen, vor Allem aber mit der Laryngologie, 
könne der weiteren Entwickelung der Ohrenheilkunde nur hinderlich sein. Der 
Umstand, dass es heutzutage für die praktische Thätigkeit des Arztes aus 
äusseren Granden vielfach üblich geworden sei, beide Disciplinen zu cultiviren, 
könne nicht als maassgebender Grund angesehen werden, um auf diesen 
wissenschaftlichen Versammlungen zwei sich ganz fern liegende Gebiete zu- 
sammenzuzwängen. 

Lucae (Berlin) unterstützt diesen Protest. 

1. Lucae (Berlin), Beiträge zur Function der Membran des runden 
Fensters. 

a) Eine bisher unbekannte Wirkungsart des sogenannten künstlichen 
Trommelfells. 

Redner bezieht die Wirkung des künstlichen Trommelfells (Wattekügel- 
chen) bei isolirtem Steigbügel weniger auf eine Drucksteigerung im Laby- 
rinth als vielmehr auf eine Wiederherstellung der durch Lahmlegung des Ten- 
sor tympani zu Grunde gegangenen natürlichen Dämpfung. Er constatirte 
ferner bei mehreren Fällen von vollkommen frei liegendem Promontorium, 
dass die plötzliche Hörverbesserung dann eintrat, wenn er ohne jede Be- 
rührung des Steigbügels oder des runden Fensters den vorderen Theil des 
Promontorium mit dem Wattekügelchen (trocken oder feucht) bedeckte. L. 
erklärte diese Erscheinung dadurch, dass durch die Wattepolsterung des 
Promontorium die Labyrinthkapsel als Schalleiter gewissermaassen ausge- 
schaltet würde und dass dann die Schallwellen lediglich durch die Laby- 
rinthfenster, besonders durch die Membran des runden Fensters, zum Inhalt 
der Schnecke geleitet würden, wodurch eine Interferenz beider Leitungen ver- 
mieden und so die Hörfähigkeit verbessert würde. Beim normalen Ohre würde 
diese Interferenz dadurch ausgeschaltet, dass die das Promontorium treffen- 
den Schallwellen ohnehin durch das Trommelfell gedämpft von der Labyrinth- 
kapsel zum gross ten Theile reüectirt würden. 



Bericht d. Td.Versamml. deutsch. Naturforscher u. Aerzte in Hamburg. 279 

b) Eine erfolgreiche Operation am runden Fenster. 

41 jährige, sehr nervöse Frau; Klagen über Schwerhörigkeit und stark 
subjective Geräusche, Gellen und Dröhnen, namentlich rechts. Dieserhalb 
am 2. Juni 190U Excision des rechten Trommelfells nebst Hammer und Am- 
boss. Das runde Fenster zeigte sich durch zwei halbkuglige Exostosen völlig 
verdeckt, welche L. 11 Tage nach der ersten Operation vermittelst einer 
stecknadelkopfgrossen, elektrisch getriebenen Fraise entfernte. Während nach 
der ersten Operation der Zustand unverändert blieb, trat in Folge der zweiten 
4Ülmählich zunehmende Hörverbesserung und völliges Verschwinden des 
Gellens und Dröhnens ein, an dessen Stelle nur noch leichtes Sausen zurdck- 
blieb. Dies günstige Resultat war auch ein Jahr nach der Operation noch 
zu constatireii. 

Keine Dlscussion. 

2. Schwartze (Halle): Die diagnostische Bedeutung der Lum- 
balpunction für die Otologie. 

Auf dem Congress für innere Medicin in Wiesbaden 1891 machte 
H. Quincke gelegentlich eines Vortrages über HydrocephaluB die erste Mit- 
theilung über einen von ihm zuerst in Anwendung gezogenen, neuen thera- 
peutischen Eingriff, welchem er den Namen Lumbalpunction gegeben hat, 
d. h. die Function des Wirbelkanals in der Lumbaigegend. Der Name ist 
allgemein acceptirt und allgemein gebräuchlich geworden, obwohl die Be- 
zeichnung Spinalpunction vielleicht richtiger gewesen wäre. In der Discussion 
über den Quincke'scben Vortrag machte Bäum 1er darauf aufmerksam, 
dass das von Quincke empfohlene therapeutische Verfahren auch bei 
Meningitis tuberculosa zu versuchen sei. In der ersten 1891 in der Berl. klin. 
Wochenschrift erschienenen Arbeit von Quincke sagt er, dass er die Lum- 
balpunction angewandt habe „zur Herabsetzung des abnormen Druckes in 
den Hirnventrikein*". Dann beisst es wörtlich: „Die Function ist therapeutisch 
indicirt durch Druckerhöbung im Gebiete der Cerebrospinalflüssigkeit, wie 
in anderen serösen Höhlen**. 

Die diagnostische Bedeutung des Verfahrens, welche später in den 
Vordergrund trat und insbesondere für die Otologie von Wichtigkeit wurde, 
bat Quincke in diesem ersten Aufsatz nur nebenbei erwähnt mit den 
Worten : „Ich würde auch kein Bedenken tragen, die Lumbalpunction unter 
Umständen zum Zwecke der Diagnose vorzunehmen. Man würde dadurch 
feststellen können, ob überhaupt eine Erhöhung des Cerebrospinaldruckes 
besteht, ob vielleicht der intracranielle Druck allein erhöht ist, ob menin- 
gitische Blutungen bestehen'^. Die Literatur über dieses neue Verfahren ist 
inzwischen eine ziemlich grosse geworden, insbesondere seit dem Jahre 1895. 
Etwa 30 grössere Fublicationen darüber liegen bereits vor. Das allgemeine Re- 
sultat derselben ist dahin zusammenzufassen, dass die Mehrzahl der Autoren wie 
auch Quincke selbst zu der Ansicht gekommen ist, dass der Erfolg des 
Verfahrens bei tuberculöser und seröser Meningitis zumeist nur ein vorüber- 
gehender war. Es sei daher die Lumbalpunction ein anscheinend ungefähr- 
liches, aber nicht immer sicheres Falliativum bei den Symptomen erhöhten 
Hirndrucks. Nur wenige Autoren halten fest an der Ueberzeugung von einer 
dauernden therapeutischen Wirkung des Verfahrens. Dagegen ist die Lum- 
balpunction als diagnostisches Hülfsmittel bei intracraniellen Erkran- 
kungen zu fast allgemeiner Anerkennung gekommen. 

Seit 1895 ist die Lumbalpunction auch in der Universitäts-Ohrenkliuik 
in Halle als diagnostisches Hülfsmittel benutzt wordea, um bei Otitis puru- 
lenta mit intracraniellen Complicationen das Vorbandensein einer noch zweifel- 
haften Meningitis purulenta diffusa festzustellen, eventuell dadurch unnütze 
operative Eingriffe am Ohre zu vermeiden, oder um bei normaler Beschaffen- 
heit des Liquor cerebrospinalis Aufklärung zu gewinnen für die differentiale 
Diagnose der vorliegenden Complication und gleichzeitig einen Anhaltspunkt 
für die Indication anderweitiger chirurgischer Eingriffe (Sinusthrombose, 
Hirnabscess). 

Die ersten Mittheilungen unserer Ergebnisse sind auf meine Veran- 
lassung von meinem damaligen Assistenten Dr. Leutert 1897 in der Mün- 
€hener med. Wochenschrift erfolgt und bezogen sich im Ganzen nur auf 12 

Archiv f. Ohrenheilkunde. LIV. Bd. 19 



280 XVIII. MEYER 

Fälle. Seitdem haben sieb unsere Erfabrungen mit der Lumbalpunction be- 
trächtlich vermehrt. Ueber 67 Fälle an 48 Patienten ist ein ausführlicher 
Bericht meines jetzigen Assistenten Dr. Braunstein^) zusammengestellt und 
will ich das allgemeine Resultat dieses Berichtes hier in Kürze mittheilen: 

1) Der bestimmt nachgewiesene negative Befund des Punctionsergebnisses 
d. h. die Entleerung normal klaren Liquors schliesst bei Otitis purulenta mit 
intracraniellen Complicationen das Bestehen einer Meningitis purulenta diffusa 
sicher aus. 

2) Der poBiti?e Befund (Trübung durch vermehrte Leukocyten und 
Mikroorganismen) beweist unter denselben Verhältnissen das Bestehen einer 
Meningitisp urulenta diffusa oder einer Meningitis cerebrospinalis; der letzteren, 
wenn im Liquor der Meniogococcus intraceUularis nachgewiesen ist. 

3) Die opalescirende Trübung des Liquors ohne Leukocytenvermehrung 
sichert mit grosser Wahrscheinlichkeit den Schluss auf eine die Otitis com- 
plicirende Meningitis tuberculosa, auch wenn keine Tuberkelbacillen im Liquor 
gefunden worden. 

4) Durch unsere Erfahrungen ist erwiesen, dass eine Sinusthrombose 
eine bedeutende Vermehrung des Liquor cerebrospinalis zur Folge hat. 

5) Die Lumbalpunction ist bei richtiger Technik, wenn nicht aspirirt 
wird, ein ungefährlicher Eingriff. 

Hiernach haben wir also in der Lumbalpunction ein diagnostisches 
Hülfsmittel von ganz hervorragender Bedeutung für die Otologie, das sich 
vollwerthig an andere seit langer Zeit erprobte Untersuchungsmethoden an- 
reiht und dessen häufigere Verwendung für diagnostische Zwecke uns unent- 
behrlich scheint. Die Otologie ist für die Auffindung dieses diagnostischen 
Hülfsmittels dem Director der medicinischen Klinik in Kiel Prof essor H. Quinke 
zu ganz besonderem Danke verpflichtet und erachte ich es für angemessen, 
dies hier in unserer Section öffentlich zu bekennen. 

Discussion: 1) Leutert (Königsberg), 2) Win ekler (Bremen) ist der 
Ansicht, dass es in manchen Fällen besser ist, sofort operativ einzugreifen, 
als das Resultat der Lumbalpunction abzuwarten. 3) Schwartze (Schluss- 
wort). Wo die Diagnose ohne Weiteres klar ist, sicher; wo aber Zweifel über 
die Natur der vorliegenden intracraniellen Complicationen bestehen, müssen 
diese vorher durch das Ergebniss der Lumbalpunction aufgeklärt werden. 

3. Friedrich (Kiel): Weitere Beobachtungen über den diaguostischea 
Werth der Acusticus-Reaction. 

F. hat in einer früheren Arbeit an 13 normalen und 87 verschieden 
erkrankten Gehörorganen Untersuchungen angestellt mit dem Resultat, dass^ 
die Reactionsformel bei elektrischer Reizung des Ohres eine Gesetzmässigkeit 
besitzt; welche sich mit dem Pflüger'schen Zuckungsgesetz deckt und der 
Brenner*scben Formel entspricht. 

Jedoch kann diese P'ormel nicht als Kormalformel aufgestellt werden,, 
wie dies schon von Schwartze u. A. nachgewiesen ist, da sie sich nur in 
verschwindend geringer Anzahl bei gesunden, mit einer gewissen Gesetz- 
mässigkeit dagegen bei erkrankten Gehörorganen findet. F. hat 
nun zwar Modificationen der Brenner*8chen Formel gefunden : a) eine rudi- 
mentäre Formel, die sich ausschliesslich als Ka — S und Ka— D: Sensation 
äussert und sich bei Erkrankungen des Mittelohres häufiger findet, b) eine 
paradoxe Formel in Fällen von solcher Reaction, dass sich zu den Gehörs- 
sensationen auf dem armirten Ohr auch solche auf der nicht armirten Seite 
gesellen. Das Aultreten einer paradoxen Reaction ist noch mehr wie der 
Nachweis der Brenner'scben Formel nahezu pathognomisch für eine nervöse 
Ohrerkrankung. — Es gelangten im Wesentlichen Ströme bis zu 15 M. A. zur 
Anwendung. — In einer neuen Versuchsreihe, welche sich auf 4*2 Fälle er- 
streckt, hat F. nun seine früheren Beobachtungen bestätigt gefunden. Er 
erläutert dieselben durch eine diesbezügliche Tabelle. 

Keine Discussion. 

4. Hartmann (Berlin): Die Schwerhörigen in der Schule. 

Nach Anführung einer Anzahl statistischer Erhebungen über das Vor- 

1) Inzwischen in diesem Archiv erschienen. Bd. LIV. S. 7. 



fiericht d. 73. Yersamml. deutsch. Natarforscher u. Aerzte in Hamburg. 281 

kommen von Schwerhörigkeit in der Schule (u. A. Bezold -München von 
2000 Schulkindern 20>, Rieht er- Grosswartenberf? von 700 Kindern 110 
schwerhöri») und nach Erläuterung der aus der Schwerhöriiskeit resultirenden 
Uebelstände beim Unterricht kommt Redner zu folgenden Schlusst'olgerungen : 

1. Da in den Schulen sich eine beträchtliche Anzahl von Kindern be- 
findet mit heilbarer Schwerhörigkeit, welchen keine Behandlung zu Theil 
wird, ist schon aus diesem Grunde die Einwirkung von Aerzten an den Schulen 
erforderlich. Die Aerzte haben die Aufgabe, die Ursache einer bestehenden 
Schwerhörigkeit festzustellen und dafür Sorge zu tragen, dass dieselbe be- 
seitigt wird, soweit dies möglich ist. 

2. In Städten, in welchen sich Ohrenärzte befinden, muss die Mitwir- 
kung von Ohrenärzten als wünschenswerth betrachtet werden. 

3. Für Kinder mit hochgradiger Schwerhörigkeit, welche durch eine Be- 
handlung nicht beseitigt werden kann, muss besondere Fürsorge getrofifen 
werden, da ohne eine solche, ebenso wie bei Taubstummen, die geistige Ent- 
wicklung auf einer tiefen Stute bleibt. 

4. Hochgradig schwerhörige Kinder müssen durch Erlernen des Abse- 
hens vom Munde und durch Kachhülfeunterricht so gefördert werden, dass 
sie am Klassenunterricht mit Erfolg theilnehmen können. Kann ein solcher 
Abseh- und Nachhülfeunterricht nicht eingerichtet werden, so müssen die 
Kinder einer Taubstummenanstalt überwiesen werden. 

5. Ostmann (Marburg): Die Krankheiten des Gehörorgans 
unter den Schulkindern des Kreises Marburg. 

In Ergänzung zu den zahlreichen bisher puplicirten Untersuchungen 
von Ohrerkrankungen bei Kindern städtischer Schulen hat 0. sich der müh- 
tiamen Arbeit unterzogen, eine diesbezügliche Statistik bei Schulkindern 
des flachen Landes aufzustellen. Es handelte sich um 70 Landschulen ; 
untersucht wurden 7537 Kinder im Alter von 6 — 13 Jahren. Von diesen 
hörten 2142 auf beiden oder einem Ohr unter 4 bew. 8 m. Flüstersprache, 
mussten also als hochgradig, erheblich oder massig schwerhörig bezeichnet 
werden. Fast ausnahmslos bestanden bei den betreifenden Kindern schwere 
krankhafte Veränderungen des Gehörorgans. An der Hand zweier Tabellen 
zeigt Redner, dass die meisten Schwerhörigen gefunden wurden 1. in den 
Dörfern der unmittelbaren Umgebung Marburgs (Fabrikbevölkerung), 2. in 
den am weitesten von Marburg gelegenen (Gebirgs)-Ortschaften (ärmliche Be- 
völkerung und Mangel an Aerzten), während in den zwischen diesen beiden 
Zonen liegenden Dörfern die Anzahl der Schwerhörigen durchweg erheblich 
geringer war. Die Statistik ergab ferner, dass die Disposition zu Ohrer- 
krankungen bei Knaben sowohl wie bei Mädchen bis zum 8. Lebensjahre 
eine steigende Tendenz aufwies, dann aber, nach leichtem Anstieg im 10. Lebens- 
jahr, erheblich sank, um zur Zeit der Pubertät wieder stärker hervorzu- 
treten. 

Diskussion zu 4 und 5. 

1. Schwartze (Halle) erwähnt, dass ähnliche Untersuchungen mit 
gleichem Resultate unter der Landbevölkerung von Sachsen- Meiningen durch 
Medizinalrath Dr. Leu bus eher- Meiningen vorgenommen sind. 

2. Ehren fried (Kattowitz) kann dasselbe bestätigen von Kattowitz- 
Königshütte und Umgebung. 

6. Bert hold (Königsberg): Ueber Diplacusis monauralis (erscheint 
ausführlich in diesem Archiv). 

Autoreferat: B. hat im Sommer dieses Jahres Gelegenheit gehabt, einen 
Musiker, der an Diplacusis monauralis litt, genauer zu beobachten. Das 
Doppelthören trat erst drei Wochen nach dem Beginn einer acuten exsuda- 
tiven Mittelohrentzündung des linken Ohr auf. Die Erklärung der Diplacusis 
erfordert heute, nachdem von den Mikroskopikern der Machweis getührt ist, 
dass nicht, wie es Helmholtz annahm, an jedes Corti*schen Faserchen eine 
Nervenendigung des Acusticus herantritt, sondern dass jedes Corti'sche Fäser- 
chen von einem ganzen Büschel von Verzweigungen der Nervenfasern um- 
geben wird, eine kleine Modification. Das Gesetz von den specifischen 
Sinneseuergieen fordert nur, dass jeder Reiz, der ein Sinnesepithel trifi't, auf 
einem besonderen Wege zum Centralorgan geleitet wird; ob diese Leitung 

19* 



282 XVIII. MEYER 

durch eine einzelne besondere Nervenfaser erfolgt, oder ob ein ganzes Büschel 
Ton Nervenfaser- Verzweigangen die SchallQbertragung vermittelt, ist dabei 
gleichgültig. Es ist nur nothwendig, dass die Gombinationen der Nervenver- 
zweigungen, welche die Corti*schen Fäserchen umspinnen, verschieden sind. 
Nie dürfen zwei gleiche Gombinationen bei der Versorgung der Gorti*schen 
Fftsercfaen vorkommen. 

An einzelnen Rechnungsbeispielen zeigt B., dass durch diese Gombinationen 
der Nervenverzweigungen gleichzeitig eine Ersparniss an Nervenfasern zu 
Stande kommen kann. 

Keine Discussion. / 

Sitzung vom 24. September, Nachmittags 2 Uhr. 
Vorsitzer: Lucae (Berlin). 

7. Avellis (Frankfurt a. M.): Giebt die vergleichende Physiologie eine 
Antwort auf die Frage nach dem proportionalen Verhältoiss zwischen der Ge- 
sangsleistung und dem Bau des 8ingorgans? 

Discussion: 1. Thost (Hamburg), 2. Heynemann (Berlin), 3. Barth, 
(Sensburg), 4. Ehren fr ied (Kattowitz), 5. Berthold (Königsberg). 

8. Rudolf Panse (Dresden): Ueber den Schwindel. 
Autoreferat: Unter Schwindel verstehen wir eine Täuschung über unser 

Verh&ltniss zum Räume. Unter gewöhnlichen Verhältnissen wissen wir, ob wir 
liegen, gerade oder gebeugt stehen; in grader Bewegung nach vorn, hinten, 
seitlich, oben sind, uns bücken, mit geradem oder bewegtem Kopfe drehen. 
Täuschungen werden entweder als Veränderungen unserer Körperlage em- 
pfunden als Neigung, Bewegung, Drehung, oder auf die Umgebung bezogen, 
die dann auf uns zu kommen, von uns weg zu gehen, sich zu senken oder 
zu drehen scheint. 3 Sinnesbabnen unterrichten uns, meist uns unbewusst 
über das Verbältniss unseres Körpers zum Räume: 1. die Augen, 2. die kin- 
ästhetischen Gefühle, 3. der Vestibularapparat. 

Wir schätzen durch das Auge die Entfernung zwischen uns und der Um- 
gebung ab 1. durch Einstellen der Linse, 2. durch Convcrgenz der Bulbi, 
3. durch Richten der Augen, und den zu diesen Bewegungen nöthigen Inner- 
vationsimpulsen. Reize, die zu Erweiterung oder Verengung der Pupille 
führen, Lähmungen der Augenmuskeln, die dem Innervationsimpuls nicht die 
gewohnte Wirkung folgen lassen, reüectorische Augenzuckungen fälschen die 
Gesichtseindrücke und führen zu Augenschwindel, wenn nicht die anderen 
Sinne den Eindruck verbessern. Die Augenbewegung geschieht auf dem W^e 
Opticu8-(pupillarfasern) Vierhügel oculomotorius, hinteres Längsbündel abducens 
trochlaris. Die zweite Bahn ist die, welche die Gefühle der Haut, Muskeln 
(Eingeweide) leitet. Mach brachte durch Luftdruckveränderungen an den 
Fusssohlen das Gefühl von Emporsteigen des Bodens hervor, durch schnell 
ausfiiessende, an den Schultern angebrachte Wassergefässe das Gefühl, als 
strecke sich der Körper. Vierordt erzeugte Gleichgewichtsstörungen durch 
Anästhesiren der Fusssohlen. Ich konnte nach längerem Tragen des Ruck- 
sackes beim Abnehmen Taumeln nach vorwärts beobachten. 

Die Bahnen, auf welchen Haut- und Muskelgefühle geleitet werden, sind : 
sensible Nerven, hintere Wurzeln, Hinter st ränge, deren Kerne, von denen 
einestheils die sensiblen Schleifenbahnen zur Grosshirnrinde, anderntheils im 
hinteren Kleinhirnschenkei Fasern zum Kleinhirn gehen. Die Kleinhirn- 
seitenstrangbahnen gehen im Corpus restiforme, durch den unteren Kleinhirn - 
Schenkel zum vorderen Theil der Rinde des Vermis sup. Ferner dient ein 
Theil der fibrae cerobelloolivares und der aufsteigende Fasciculus antrolateralis 
cerebellopetal das Gleichgewicht. Gerebellofugal sind t. im hinteren 
Schenkel vorderes Handbündel, hinteres Längsbündel, intermediäres Seiten- 
strangbündel, ein Theil des Fibrae cerebelloolivares (zum Vorderhorne des Hals- 
markes, Fasern zu den oberue Oliven-Abducens, 2. im spinalen Bündel des 
mittleren Schenkels Fasern zumNucleus reticularis (Vorderseitenstranggruud- 
bündeln) im centralen Bündel Fasern zu den Brückenganglien Pyramidenbahnen, 
3. im vorderen Schenkel Fasern zum Oculomotoriuskern. — Schwächung 
oder Fälschung des Haut-Muskelgefühles kann entstehen durch Erkrankung 



Bericht d. Td.Versamml. deutsch. Naturforscher u. Aerzte in Hamburg. 283 

peripherer Nerven, hinterer Wurzeln, der Hinterstränge (Tabes) der Klein- 
birnseitenstr&Dge (Friedreich *s heredit. Ataxie). 

Die dritte Nervenbahn ist der Vestibularis. Durch veränderten Druck 
der Otolithen auf die Haarzellen des Utriculus und Sacculus bei Bewegungen, 
durch Abbiegen der Hörhaare der Ampullen bei Drehungen wird der Vesti- 
bularis erregt. Längere Drehung, starker Schall und Reize vom Gehörgang 
und Pauke erregen Schwindel, als sichtbaren Ausdruck Taumeln und Nystag- 
mus, da der Vestibularis keinen absteigenden Eeflezbogen besitzt, sondern die 
der beiden anderen Bahnen beeinflusst. Die Verbindungendes Vestibularis ver- 
laufen vom vorderen Kern zur oberen Olive — Abducens — hinteres Längs- 
bündel trochlearis oculomotorius. Fasern vom Deiters*.schen Kern führen zu 
den SeitenstranggrundbündelD,vom Oculomotoriuskern zum Vorderstranggrund- 
bündel. Vom Nucleus Bechterew gehen Fasern zum Nucl. globosus und zur 
Rinde, von Nucl. anterior zur oberen Olive und Nucl. tegmenti und da zur 
Rinde. So sind alle 3 Sinnesbahnen mit dem Kleinhirn verbunden, welches 
die ihm zufliessenden Eindrücke zu einer subcorticalen Vorstellung von unserem 
Verhältniss zum Räume verbindet. — Weist schon die Thatsache, dass 
eutgrosshirnte Thiere und Epileptiker gehen und stehen können, dass andrer- 
seits bei ruhendem Grosshirne, — im Schlafe Schwindel auftreten kann, da- 
rauf hin, dass das Grosshirn zur Erhaltung des Gleichgewichtes nicht nöthig 
ist, so wird das Kleinhirn als Centrum des Gleichgewichtes durch die Lage 
aller Verbindungsbahnen der 3 Lagesinne in ihm anatomisch erwiesen. Dem 
Grosshirn werden auf dem Wege der vorderen KleinhirnstieJe zum rothen 
Kerne — Parietalwindungen fertige Vorstellungen vom Kleinhirn übermittelt, 
und ihm durch den Fasciculus cerebralis dos mittleren Schenkels ein EInfluss 
auf das Kleinhirn ermöglicht. Ausserdem können die in der Schleife und 
centralen Haubenbahn zu den sensitiv-motorischen Gegenden verlaufenden 
Empfindungen das Grosshirn unterrichten, welches auf den Pyramidenbahnen 
durch bewusste Bewegungen bis zu einem gewissen Grade das Kleinhirn er- 
setzen kann. Durch Störungen im Gebiete der vorderen Kleinhirnschenkel 
würden die vom Kleinhirn gebildeten Vorstellungen niederer Ordnung (Hitzig) 
über unsere Lage dem Grosshirn falsch übermittelt werden und dadurch 
Schwindel zum Bewusstsein kommen, durch Schädigung des cerebralen 
Bündels des mittleren Schenkels der Einfluss des Grosshirns auf das 
Kleinhirn gestört werden, und dieses Hinderniss willkürlichor Lageänderung 
wohl auch als Schwindel empfunden werden, durch Beeinflussung der Schleifen- 
bahn bis zu den sensitiv motorischenZonen würde die willkürliche Verwerthung 
centripetaler Lageemptiudungen verhindert und Schwindel beim Versuch will- 
kürlicher Lageveränderungen eintreten. 

Eine Schädigung der Schleifenbahnen bis zu der Grosshirnrinde wird 
bei der Nachbarschaft der Pyramidenbahnen zugleich zu motorischen Stör- 
ungen führen. Bei der weiten Ausdehnung der sensitivmotorischen Gegenden 
wird eine Schädigung von einer Ausdehnung, dass durch sie Täuschungen 
über Lagevorstellungen entstehen, auch zu allgemeinen Hirnsymptomen, be- 
sonders Bewusstseinsstörungen, führen. Durch alle diese Störungen würde 
die bewusste, cerebellare Erhaltung des Gleichgewichts nicht verhindert wer- 
den. Umgekehrt können Zustände, die zu allgemeiner Hirncongestion führen und 
plötzlicher allgemeiner Drucksteigerung in der Schädelhöhle auch bei anderwei- 
tigem Sitz zu Mitbetheiligung des Kleinhirns, der sensitiv motorischen Zonen, zu 
Schwindel führen. 

Falsche Eindrücke, die auf eine der 3 Nervenbahnen dem Kleinhirn zu- 
fliessen, schaffen eine falsche Vorstellung, wenn sie so stark sind, dass sie 
nicht von den zwei anderen verbessert werden, und dieser Vorstellung ent- 
sprechend wird der Körper gestellt, die Augen gerichtet. 

Entsteht z. B. durch Druck auf eine Fistel im äusseren linken Bogen- 
gang die Vorstellung, dass sich der Raum nach links, oder dementsprechend 
der Körper nach rechts drehe, so tritt horizontaler Nystagmus mit Zucken 
nach rechts, langsamen Bewegungen nach links ein ; es wird der Körper un- 
bewusst nach rechts geworfen: uncoordinirt ataktisch sind die Be- 
wegungen nicht, sondern dem falschen Standpunkt entsprechend folge- 
richtig. Ebenso schwimmen Kreidt's Krebse, deren eiserne Ololithen mit 
dem Magneten angezogen werden, diesem Druck entsprechend schief, aber 



284 XVIII. MEYER 

▼öUig coordinirt. Erst dadurch, dass der Körper in eine der falschen Vor- 
Stellung entsprechende Lage gebracht wird, und diese sofort vom Grosshirn 
als falsch erkannt und zu verbessern gesucht wird, entsteht das Schwanken 
der Trunkenen, die sogenannte Eleinhirnatazie. 

Die Reize, die zu schwach sind, um zu Schwindel oder dessen objectiven 
Zeichen: Taumeln und Nystagmus zu führen, können gesteigert werden 
1. auf derselben Bahn : Drehung bei leichtem Vestibularschwindel , äusserste 
Blickrichtung bei Augenschwindel,' Stehen auf einem Bein bei kinästhetischem 
Schwindel, 2. durch Hinzufügen eines Reizes auf einer anderen Bahn, z. B. 
bei Yestlbularscbwindel Aufrichten, Steheu mit geschlossenen Füssen, äusserste 
Blickrichtung, 3. durch Ausschalten der verbessernden anderen Bahnen, z. B. 
Augenschluss bei Tabes oder Vestibulär Schwindel. 

Diese Versuche können zur Diagnose führen. Wird eine Bahn ohne 
Vermehrung des Schwindels ausgeschaltet, so ist sie nutzlos, gelähmt, wird 
der Schwindel dadurch besser, ist sie Sitz des Leidens, wird er stärker, ist 
sie zum Ersatz noth wendig. Verstärkung des Reizes fördert die Ortsdia- 
gnose nicht 

Im Üebrigeu müssen zur Diagnose berücksichtigt werden, beim Rücken- 
mark Reflexe und Goordination , beim Auge Doppelbilder, beim Ohr Taub- 
heit, Geräusche. 

9. Peters (Rostock): Schwindel bei Augenerkrankungen. 

Autoreferat: Redner giebt eine Uebersicht über die verschiedenen Ur- 
sachen, welche Gesichtsschwindel auszulösen im Stande sind, und weist darauf 
hin, dass nicht nur Alterationen der Augenmuskeln, sondern auch ander- 
weitige optische Störungen unter Mitwirkung der Psyche Schwindel hervor- 
rufen können. Redner geht specieller auf den Nystagmus der Bergleute ein 
und erklärt ihn genetisch aus der in Folge der veränderten Körperhaltung 
entstandenen abnormen Gleichgewichtslage und dadurch entstehender Reizung 
des Vestibularapparates bei Rückkehr in die frühere normale Körperstellung. 

Discussion zu 8) und 9). 

1) Lucae (Berlin) hat in den letzten 12 Jahren 264 Fälle von cariösen 
Defecten des Labyrinths beobachtet, davon 179 mit Schwindel «» 67 Procent, 
83 mit Nystagmus = 31,5 Procent. Die Gegenprobe ergab, dass von 37 be- 
obachteten Fällen von Schwindel 8 ohne cariösen Labyrinthdefect waren, 
während Nystagmus stets mit cariösem Labyrinthdefect verbunden war. Bei 
den in Folge von Operation entstandenen Labyrinthdefecten trat mit einer 
Ausnahme stets Schwindel auf (ca. 12 Fälle). Redner erwähnt noch die von 
ihm beobachtete Thatsache, dass bei Defect des horizontalen Kanals sowohl 
bei positivem wie bei negativem Druck auf das Mittelohr Schwindel und 
Nystagmus eintreten können. Bei Kindern wurde Schwindel fast niemals be- 
obachtet, — in einem Falle selbst dann nicht, als die ganze Schnecke 
nekrotisch abgcstossen wurde. 

2) Schwartze (Halle) erwähnt die Thatsache, dass, Schwindelgefühl und 
Uebelkeit entstehen, wenn man directes Sonnenlicht concentrisch , z. B. mit 
dem zur Otoskopie gebräuchlichem concaven Reflector, durch einen Trommel- 
felldefect hindurch auf die Labyrinthwand wirft und nur kurze Zeit ein 
wirken lässt. Dies trete besonders leicht ein bei hier localisirter Garies. Redner 
bezieht dies auf eine direete thermische Reizung des vestibulären Endapparates. 
Gleichfalls auf Reizung des vestibulären Endapparates des Acusticus bezieht er 
die bekannte Erscheinung, dass man durch gewisse mechanische Reizungen 
am Ohr, z. B. Sondirnng unter bestimmten pathologischen Verhältnissen (bei 
cariösen Defecten des Labyrinths, Bogengangsfisteln) Schwindel und Nausea, 
auch Nystagmus hervorrufen, ja sogar Schwindelbewegungen bis zum Hin- 
stürzen mit der Sicherheit eines physikalischen Experimentes erzeugen könne. 
Das spontane Entstehen von Schwindel bei Garies des Labyrinths sei eben- 
falls häufig abhängig von einer Reizung des Ramus vestibularis. Ist eine 
solche bei gänzlicher Zerstörung des vestibulären Endapparates bei Garies 
ausgeschlossen, so wird kein Schwindel mehr vom Ohr ausgelöst werden 
können. Diese Veränderung der Symptome kann unter Umständen nach 
Verlauf weniger Tage eintreten. 



Bericht d. 73. VerBamml. deutsch. Naturforscher u. Aerzte in Hamburg. 285 

3. Thost (Hamburg) bat besonders starken und hartnäckigen Schwindel 
auftreten sehen bei Schwellung des Tubeneingangs, namentlich einseitiger. 

4. Robinson (Baden-Baden) hat am eigenen Körper Erfahrungen über 
Schwindel gemacht, sowohl in Folge von eitriger Obreiteruag (links), wie 
auch in Folge von Tubencatarrhen (rechtsseitis;). Bei ersterer hatte er das 
Gefühl, als ob er nach links und vornüber stürzte, stets in derselben Rich- 
tung, — bei letzterem bestand Drehgefühl und Uebelkeit. 

5. Trömner (Hamburg) erinnert an von neurologischer Seite (Hitzig 
u. A.) unternommene Versuche, Schwindel auf galvanischem Wege zu erzeugen. 

6. Engclmann (Hamburg) bemerkt, dass öfters Schwindelanfälle im 
Anschluss an Nasen- bezw. Nebenhöhlenerkrankungen beobachtet worden 
sind, und erwähnt einen diesbezüglichen Fall. 

7. Kümmel (Breslau) hat bei Nystagmus sehr regelmässig Labyrinth- 
erkrankung constatiren können. 

8. Win kl er (Bremen) hat bei Nebenhöhlenerkrankungen nur relativ 
selten Schwlndel^efühl beobachtet. 

9. Thost (Hamburg) erwähnt, dass in letzter Zelt häufige Fälle von 
Schwindel publicirt sind bei acuten Larynxkatarrhen. 

10. Lucae (Berlin) erinnert an eine vor vielen Jahren von ihm publicirte 
Thatsache, dass durch künstlich hervorgebrachte Druckerhöhung im Labyrinth 
bei Defect des Trommelteils optischer Schwindel dadurch erfolgt, dass durch 
Reizung des N. abducens Strabismus ezternus eintritt. 

11. Schwartz e( Halle) weist darauf hin, dass er dem verstorbenen Ophthal- 
mologen Alfred Graefe zuerst die diesem unbekannte Thatsache demonstriren 
konnte, dass durch Sondenreiz einer Bogengangsfistel Nystagmus ausgelöst wird, 
— dass ferner der Neurologe Hitzig in seiner neusten Monographie über den 
Schwindel die von ohrärztlicher Seite zuerst aufgefundene Thatsache des 
vestibulären Ursprungs des Schwindels auch für den galvanischen Schwindel 
zugiebt, welchen er früher auf directe Hirnreizung bezos:. — Nach beiden 
j^chtungen hin habe also die Otologie befruchtend eingewirkt. 

Sitzung vom 25. September, Vormittags 9 Uhr. 
Vorsitzender, Hey mann (Berlin). 

10. Lucae (Berlin): Beobachtung der Schwingungen des Trommelfells 
am lebenden Ohre (ausführlich in diesem Archiv). 

L. hat die Methode, mit welcher es Mach und Kessel 1873 gelang, 
die Trommelfellschwingungen am Schläfenbeinpräparat sichtbar zu machen, 
auf das lebende Ohr angewandt. Er benutzte hierzu die stroboskopische 
Drehscheibe [in Form einer kleinen, 10 Löcher enthaltenden und am Be- 
leuchtungsspiegel excentrisch angebrachten Sirene nach dem Vorgange von 
Oertel und Spiess, welche dasselbe Verfahren zur Beobachtung der Stimm- 
bänder-Schwingungen anwandten. Durch pneumatische Massage wurde das 
Trommelfell in kräftige Schwingungen versetzt, deren Geschwindigkeit mit Hülfe 
eines Rheostaten bis zu 2000 in der Minute gesteigert werden konnte. Die 
Beobachtung selbst geschah durch einen nicht luftdicht eingesetzten Siegle'- 
schen Trichter unter einer Vergrösserung von 1 Dioptrieen. Diese Versuche 
ergaben, dass die Trommelfellschwingungen vorzugsweise am hinteren oberen 
Quadranten und am Hammergriff auftraten, während, am Lichtkegel nur ge- 
ringe Bewegungen zu beobachten waren. In einer zweiten mit musikalischen 
Tönen unternommenen Versuchsreihe benutzte L. die durch Interferenz her- 
vorgerufenen Stösse zweier Töne. Zur Untersuchung dienten zunächst tiefe 
Töne und zwar zwei auf c abgeslimmte Pfeifen, von denen die eine mittels 
eines ausziehbaren Stopfens beliebig verstimmt werden konnte. Das Resultat 
hierbei war ähnlich : Beim Anblasen der Pfeifen sah er eine wallende Bewegung 
des hinteren oberen Abschnitts des Trommeljells, während die übrigen Theile 
sich jedoch ruhig verhielten. — Die Versuche werden des weitereu auch auf 
die höheren Töne ausgedehnt werden. 

Discussion : 
Berthold (Königsberg) erinnert an eine Arbeit aus dem Jahre 1872, in 
welcher er eine optische Darstellung der Bewegungen des Trommelfells ver- 



286 XVllI. MEYER 

mittelst eines in den Gebörgang gesteckten TRobres dadurch erzielte, das» 
er die Bewegungen der Flamme des einen zu einem Brenner ausgezogenen 
Schenkels beobachtete beim Tönen einer auf den Schädel gesetzten Stimmgabel. 

11. Snchaneck (ZOrich): Forman (Chlormethylaethylaether). 

12. Knttner (Berlin): Larygnotuberculose und Gravidität. (Arbeit er- 
Echeint im Archiv für Larvngologie.) 

Discussion: Bert hold (Königsberg), Joel (Qörbersdorf) , Kuttner 
(Berlin). 

Sitzung vom 25. September, Nachmittags 2 Uhr. 
Vorsitzender: Berthold (Königsberg) 

13 £. Win ekler (Bremen): BAodificationen der Schnittfübrung zur Bei- 
legung und Nachbehandlung der erkrankten Mittelohrräume mit Kranken- 
Vorstellung. 

W.*s Ausführungen gipfeln im Wesentlichen darin, dass er bei Operationen 
am Mittelobr an den Operateur das Verlangen stellt, in jedem einzelnen Falle 
streng zu individualisiren. Es soll jedes Mal ein bestimmter Plan für den 
Eingriff aufgestellt werden nach Maassgabe der Krankheitserscheinungen und 
des Befundes vor der Operation ; es soll nicht der Liebhaberei des einzelnen 
Operateurs überlassen bleiben, ob er den Gehörgangsschlauch in toto ablöst 
oder ihn nur hinten und oben abdrängt; die Plastiken sollen nicht nach Be- 
lieben gemacht werden; die retroauriculäre Oeffnung soll nicht eo ipso ver- 
worfen werden, sondern ihre verdiente, zur Nachbehandlung und Controle so 
wichtige Berücksichtigung erfahren; für die Transplantationsm.cthoden müssen 
bestimmte Indicationen aufgestellt werden. 

Im Einzelnen muss auf die ausführliche Arbeit verwiesen werden, — 
hier seien, unter den Ausführungen des Bedners nur folgende Punkte kurz 
heryorgehoben. 

Bei der Badicaloperation hebelt W. bei engem Gehörgang und tiefem 
Recessus hypotympanicus stets den ganzen Gehörgang heraus; bei weitem 
Lumen und flachem Recessus löst er nur die obere und hintere Gehörgangs- 
wand ab. — Bei schmalem Warzentheil wird der Hautschnitt wie gewöhnlich 
angelegt, dann aber das Periost in Gestalt eines dreieckigen Lappens mit der 
Basis nach oben umgeklappt und flxirt, um nachher zur Auskleidung der 
Knochenhöhle zu dienen; bei breitem Warzentheil dagegen wird von vornherein 
ein Q förmiger Hautlappen gebildet und nach hinten an der Kopfhaut ange- 
näht, dann der erwähnte Periostlappen nach oben fixirt. Dieses Verfahren 
macht nach W. alle Wundhaken überflüssig, wenn gleichzeitig die Ohrmuschel 
nach vorn an die Wange festgenäht wird. — Besteht bei engem Gebörgang 
ein intensiver Tubenkatarrb , so entfernt W. die ganze vordere knöcherne 
Gehörgangs wand und legt das tympanale Ostium tubae frei; auf diese Weise 
kann die Tubeneiterung wirksamer bekämpft werden. — Sobald die Gefahr 
eines Recidivs der Eiterung ausgeschlossen ist, macht W. Transplantationen 
mit Reverd in 'sehen Hautläppcfaen , die meistens dem Oberschenkel ent- 
nommen werden. — Bei Cholesteatomen, Neoplasmen und Tuberculose tritt 
W. energisch für die persistente retroauriculäre Oeffnung ein; nur in ge- 
wissen Fällen, wenn nämlich die Cholesteatomlamellen sich auf der in toto 
erhaltenen Schleimhaut der Mittelohrräume entwickelt haben, und deshalb 
eine gründliche Entfernung derselben möglich ist, bedient W. sich einer Plastik 
und zwar der Passow 'sehen mit einer kleinen Modiflcatlon. 

Discussion: 

1. L entert (Königsberg) bestätigt zunächst die üngefährlichkeit der 
Wegnahme der ganzen vorderen Gehörgangswand, ja selbst des angrenzenden 
Tubentheils und Freilegung der Carotis, ist aber der Meinung, dass man erst 
durch andere Mittel versuchen solle, eine bestehende Tubenstenose oder 
-Eiterung zu beseitigen. L. glaubt jedoch die Abmeisseluug der vorderen 
Gehörgangswand und des der Pauke angrenzenden Theiles der Tuben wandung 
vornehmen zu müssen in zwei Fällen, von denen er je ein selbstbeobachtetes 
Beispiel anführt. Die erste Beobachtung betraf eine Tubenstenose, herbeige- 
führt durch ein abgebrochenes Bougistück, — die zweite einen hauptsächlich 



Bericht d. 73. Yersamml. deutsch. Naturforscher u. Aerzte in Hamburg. 287 

im Stirahirn gelegenen epiduralen Eiterherd, dem man auf diese Weise nicht 
unerheblich näher hätte kommen können. 

2. Schwartze (Halle) kann sich bei der ungenügenden Beleuchtung 
und dem Mangel eines passenden Ohrtrichters nicht davon überzeugen, dass 
an dem einen der von Win ekler vorgestellten F&lle die von dem Vortragen- 
den beschriebenen Verhältnisse im Ohre vorliegen. 

3. Lucae (Berlin) bestätigt, dass er in gleicher Lage sei. 

4. Noltenius (Bremen) will die persistente retroauriculäre Oeffnung 
möglichst vermieden wissen; dafür müsse aber die GehörgangsöffnUog ge- 
nügend weit angelegt werden, damit ein eventuelles Recidiv von hier aus be- 
handelt werden könne. 

5. Schwartze (Halle) tritt auf Grund seiner langjährigen Erfahrungen 
für die persistente retroauriculäre Oeffnung bei der Operation chronischer 
Fälle, besonders aber bei Cholesteatom ein; er erinnert an die Möglichkeit 
des Entstehens einer Perichondritis der Ohrmuschel nach der Operation, 
wenn diese zu weit aufgeschlitzt werde, mit der Absicht, ein möglichst grosses 
Ohrloch zu erzielen. 

6. Robinson (Baden-Baden) ist auf Grund seiner Erfahrung am eigenen 
Körper für Verschluss der retroauriculären Oeffnung, welcher bei ihm nicht 
zu Stande gekommen ist; Perichondritis der Ohrmuschel hat er bei der dies- 
bezüglichen Operation fast niemals gesehen. 

7. Berthold (Königsberg) kann der Ansicht Seh wartze's, grosse retro- 
auriculäre Oeffnungen offen tragen zu lassen, nicht für alle Fälle beitreten. 

8. Noltenius (Bremen) bezieht den Eintritt einer Perichondritis ledig- 
lich auf den Mangel an Aseptik. 

9. Schwartze (Halle). Solche sei bei der langen Nach ehandlung am- 
bulanter Fälle nicht zu garantiren. 

13. £. Winckler (Bremen): Fälle von nasalen Nebenhöhlen- 
erkrankungen. Es werden drei Fälle von schwerer Kieferhöhlen- und 
Siebbeineiterung vorgestellt. In einem Falle musste, da die Wände der Kiefer- 
höhle nekrotisch geworden waren, eine Resection des linken Oberkiefers vor- 
genommen werden. In zwei Fällen waren äussere Schnitte durch die Gesichts- 
haut nicht nöthig — es gelang die Ausräumung des Siebbeins nach Fortnahme 
der facialen Kieferhöhlenwand von der Fossa canina aus. Ferner werden 
fünf Fälle von einseitiger combinirter Nebenhöhleneiterung vorgestellt, in 
zwei Fällen waren Stirnhöhle, Siebbein nebst Keilbeinhöhle und Antrnm 
Highmori erkrankt, in zwei Fällen nur Siebbein, Keilbeinhöhle und Stirnhöhle, 
in einem Falle nur Siebbein und Stirnhöhle. Je nach der Ausprägung der 
Gesichtsf alten ^ je nach der Configuration des Nasengerüstes und je nach den 
Ergebnissen, die eine Röntgenaufnahme des Schädels ergab, wurden die 
kranken Nebenhöhlen durch verschiedenartige osteoplastische Eingriffe an 
Stirnbein- und Nasengerüst freigelegt und ausgeräumt Eine totale Verödung 
beider Stirnhöhlen, wie des Siebbeins, indicirt durch eine Nekrose der vor- 
deren Stirnbeintafel wird durch einen 6., und dasselbe Resultat nach einem 
osteoplastischen Verfahren (Herunterklappen der Nase) an Röntgenaufnahmen 
gezeigt. Ein Fall war nach Gussenbauer operirt. Hier ergab die spätere 
Röntgenaufnahme, dass die Stirnhöblen noch vorhanden waren. An einem 
zwölften Falle werden die Narben bei osteoplastischer Freilegung der beiden 
Sinus frontal, nach Czerny-Gussenbauer gezeigt. (Autoreferat). Keine 
Discussion. 

14. Scheibe (München): Weiches Papillom der Nase. Demonstration. 

15. Seh ei er (Berlin): Einige Anomalien der Nebenhöhlen der Nase. 
(Demonstration von Präparaten). 

16.Partsch (Breslau) : Der dentale Ursprung des Empyem der Kieferhöhle. 

17. Flatau (Berlin): Das habituelle Tremoliren. Beobachtungen über 
die Erscheinungen und die Behandlung dieser Stimmstörung. 

18. Gutzmann (Berlin): Beitrag zu dem Zusammenhange functioneller 
Sprachstörungen mit Fehlern und Krankheiten der oberen Luftwege. 

19. Berthold (Königsberg): Weitere Mittheilungen über die intranasale 
Vaporisation. 



288 XVIII. M£YER 

20. Siebenmann (Basel): Demonstration von normal- und pathologisch - 
anatomischen Präparaten des Ohres. 

8. demonstriert im Skioptikon Gorrosion^ präparate des äusseren Gehör- 
Kanffs, der Schnecke, des Labyrinths, eines kindlichen Schläfenbeines, der 
PauKenhOhle, von Warzenfortsatzzellen u. s. w. 

Sitzung vom 26. September, Vormittags 8 Uhr. 
Vorsitzender: Guye (Amsterdam). 

21. Coen (Wien): Die Behandlungen der Sprachstörungen beim Wolfs- 
rachen. 

Discussion: Gutzmann (Berlin), Bert hold (Königsberg), Gutzmann 
(Berlin), Liebenmann (Basel), Sinei 1 (Hamburg). 

22. Klemperer und Scheier (Berlin): Rhinosklerom und Ozaena- 
bacillen. 

23. Siebenmann (Basel): Beitrag zur Lehre von der genuinen Ozaena. 

Discussion zu 22. und 23.: v. Schrötter (Wien), Kümmel (Bres- 
lau), Scheier (Berlin), v. Schrötter (Wieo), Berthold (Königsberg), 
Siebenmann (Basel), Thost (Hamburg), Cordes (Berlin), Berthold 
(Königsberg). Flatau (Berlin), Berthold (Königsberg), Flatau (Berlin), 
Oordes (Berlin), Siebenmann (Basel). 

24. Demme (Berlin): Getllssanomalien in der Pharyzgegend. 
Keine Discussion. 

25. Hey mann (Berlin): Demonstration von Instrumenten. 
Discussion: Berthold, Guye, Heymanu. 

26. V. Schrötter (Wien): a) £igenthamlicher Sondirungsbefund der 
Nase, b) Demonstrationen von pharyngographischen und laryngologischen Be- 
fanden, insbesondere: Seltener Fall von Atynomikose im Bereich des Halses. 

Keine Discussion. 

27. Robinson (Baden-Baden): Inbalations- und Pneumatotherapie bei 
chronischen Krkfankuugen der Trachea und Bronchien. 

Discussion: Winckler (Bremen), Robinson (Baden-Baden), Kümmel 
(Breslau), Schwartze (Halle), Robinson (Baden), Krügelmann (Berlin), 
Kümmel (Breslau), Rudi off (Wiesbaden), Brügelmann (Berlin), Robin- 
son: Schlusswort. 

2S. Schwartze (Halle): Augenhintergrundsveränderungen bei intra- 
craniellen Complicationen der Otitis. 

Nachdem im Jahre 1892 Barnick aus der Schwartzo*schen Klinik iu 
Halle über 23 Fälle intracranieller Complicationen bei Otitis berichtet hat 
(davon 12 mit positivem Befund am Augenhintergrund), wird demnächst aus 
derselben Klinik eine Publication über 97 weitere Fälle erfolgen, deren Re- 
sultat Schwartze in Kürze mittheilt. Die Untersuchung des Augenhinter- 
grundes wurde durchweg in allen Fällen von erfahrenen Ophthalmologen 
controllirt. Von den 97 Fällen zeigten 52 normalen Befund des Augen - 
faintergrundes, 45 pathologischen Befund, davon 23 X Neuritis optica, 3x 
Stauungspapille, 19 x Gefässveränderungen an der Eintrittsstelle des Opticus. 
Diese Erscheinungen faoden sich bei allen Formen otitischer intracranieller 
Complicationen, am seltensten beim Extraduralabscess ([S^/o], am häufigsten 
bei Uypeärmie der Meningen und Hirnödem (S7,5 7o)i dazwischen in ziemlich 
gleicher Häufigkeit bei Hirnabscessen (42^0), bei Sinusthrombosen (44,8^0), 
bei Meningitis purulenta (50%). — Für die isolirt auftretenden Formen der 
intracraniellen Folgeerkrankungen ergab sich folgender Befund des Augen- 
hintergrundes: 
Extraduralabscess U Fälle; 9 gesund, 2 krank (18» 

LeptomeniDgitis non complicata 14 „ 6 normal, 8 „ (57 ^/o) 
Sinusthrombosis „ „ 8 „ 5 „ 3 „ (37,5 ^o) 

Hirnabscess „ „ 19 „ 19 „ 8 „ (40 «/oj 

— demnach fanden sich fast in der Hälfte aller Fälle pathologische Ver- 
änderungen am Augen h in ter^i^r und. Mit diesem Resultat stimmen überein die 
Beobachtungen von Kipp(Newack). Zaufal(Prag) war dagegen auf Grund 
seiner bis zum Jahre 1881 reichenden Beobachtungen zu dem Resultat ge- 



Bericht d. 73. Versamml. deutsch. Naturforscher u. Aerzte in Hamburg. 289 

kommen, dass solche Veränderungen in allen Fällen von Otitis media suppu- 
rativa eintreten, sobald sich Meningitis oder Sinusthrombose oder beide zu- 
gleich dazu gesellen. Er schloss daraus , dass dies für die otitische Menin- 
gitis im Gegensatz zu andern Formen der Meningitis charakteristisch sei. 
Dies ist durch Schwartze*8 Erfahrungen nicht bestätigt. — Wo aber Augen- 
hintergrundsveränderuugen vorhanden sind, verleihen sie der Diagnose einer 
intracraniellen Complication eine erhöhte Sicherheit, allerdings ohne über die 
Natur der letztern an sich Aufschluss zu geben. 

Discussion: 1) Winckler (Bremen) betont die Unsicherheit, welche 
uns der ophthalmoskopische Befund in zweifelhaften Fällen bietet und er- 
wähnt zwei diesbezügliche Fälle. 

2) Ehrenfried (Eattowitz) bestätigt die Angaben von Seh. bezüglich 
des häufigen Fehlens eines positiven Befundes am Augenhintergrunde bei 
otitischer Meningitis. 

3) Barth (Sensburg). 

4) Berthold (Königsberg). 

29) Guye (Amsterdam): Vier Fälle von Ausräumung der Keilbeinhöhle 
bei recidivirenden Naseupolypen. 

Discussion: Winckler (Bremen), Flatau (Berlin), Guye (Amsterdam), 
Cordes (Berlin), Noltenius (Bremen), Robinson (Baden-Baden), Zar- 
niko (Hamburg), Russ (Münster), Winckler (Bremen). 

30) Reinhard (Köln): Ein Fall von chronischer Mittelohreiterung, 
complicirt durch Schädelfractur. 

Autoreferat: 5jäbriges Mädchen, seit 3 Jahren an rechtsseitiger chro- 
nischer Mittelohreiterung leidend, erlitt durch Sturz aus dem Fenster (circa 
10 m hoch) eine Fractur der Schädelbasis mit angeblich lOtägiger Bewusst- 
iosigkeit; es bestand Aphasie, Lähmung des Rectus externus und Pupillen- 
starre. Befund: Gehörgang spaltförmig, Details in der Tiefe nicht zusehen; 
hinter dem Ohre fluctuirende Geschwulst; Druck auf dieselbe lässt reichlich 
Eiter aus dem Ohr hervorquellen: also Durchbruch in die hintere knöcherne 
Gehörgangswand. Bei der Operation wurde ein 3 cm langes, 2 cm breites 
Enochenstück entfernt. Es erfolgte Heilung. Bemerkenswerth erscheint, 
dass hier trotz der complicirten Schädelfractur keine Meningitis erfolgte und 
das Kind unter den operativen Maassnahmen wiederhergestellt werden konnte. 

Keine Discussion. 

31) Cordes (Berlin): Die Behandlung chronischer Mittelohrkatarrhe 
{Sklerosen) mit Luftverdünnung. 

Nach einem kurzen Ueberblick über die früher angewandten Methoden 
der Luftverdünnung im äusseren Gehörgang demonstrirt C. zwei diesbezüg- 
liche Apparate, bestehend aus einem Vacuometer in Verbindung mit einem 
exact functionirenden Aspirateur. Das grössere Modell hat Zahnrad betrieb, 
das kleinere wird durch eine Schraube in Bewegung versetzt; auf diese 
Weise kann der Grad der Luftverdünnung (in der Regel 150—200 mm Hg) 
regulirt werden. Das Verfahren eignet sich, wie C. an einer Anzahl von 
Fällen hat constatiren können, in Verbindung mit dem Katheterismus bei 
Paukenhöhlen-Tubenkatarrhen und bei Adhäsionen in der Paukenhöhle; 
für sich allein bei nicht zu weit vorgeschrittenen Sklerosen (38 Fälle), bei 
subjectiven Geräuschen (4 Fälle, geheilt), und zur Beseitigung von Schwindel 
in Folge gesteigerten Labyrinthdrucks (1 Fall, geheilt). C. ist mit den seit 
2Va Jahren erzielten Erfolgen zum Theil dauernd zufrieden. Die Behandlungs- 
zeit erstreckte sich meistens auf 6 — 8 Wochen mit 10—20 Sitzungen; die 
Dauer jeder Sitzung betrug 3-5 Minuten. Ueble Nebenwirkungen hat er 
nie beobachtet. 

Keine Discussion. 

Sitzung vom 26. September, Nachmittags 2 Uhr. 
Vorsitzender: Kümmel (Breslau). 

32) Thost (Hamburg): Asthma, Heufieber und verwandte Zustände. 

33) Brügelmann (Berlin): Aetiologie u. Symptomatologie des Asthma. 

34) Barth (Sensburg): Das Respirationshinderniss beim Bronchial- 
Asthma. 



290 XVIII. M£Y£E, Ber. d. Vers, deutsch. Naturf. u. Aerzte in Hamburg. 

35) Franke (Hamburg): AagenerkrankuDg beim Heufieber. 

36) Schneider (Osnabrück): Der Heufieberbund von Helgoland, seine 
Bestrebungen und Erfahrungen. 

37) Weil (Hamburg): Bacteriologische Befunde beim Heufieber. 
39) Rosenberg (Berlin): Zur i^bandlnng der Coryza vasomotoria. 

Die Praesenzliste der Theilnebmer der XX. Section des 73. Natur- 
forschercongresses wies 1 2 1 Theilnehmer nach, darunter zählen über 20 Zahn- 
ärzte und einige Lehrer für Sprachleidende und Schwerhörige. Dr. Aron- 
sohn, Ems-Nizza. Dr. Avellis, Frankfurt a/M. Dr. Barth, Professor, 
Leipzig. Dr. Berkhan, Braunschweig. Dr. Barth. Oberstabsarzt, Sensburg» 
Dr. Bert hold, Professor, Königsberg. Dr. Birgfeld, Zahnarzt, Hamburg. 
Dr. Boettger, Altena. Dr. Boy 6, Hamburg. Dr. Bröse, San. Rath, Qued- 
linburg. Dr. Brügeimann. Südende-Berlin. Dr. Brunslow, Stabsarzt, 
Rostock. Dr. Breitung, Coburg. Dr. Buss, Münster i./W. Glaussen,^ 
Zahnarzt, Altena. Dr. Co ön, Spracharzt, Wien. Dr. Cohen- Eysper, Ham- 
burg. Dr. CordeSy Berlin. Delbanco, Zahnarzt, Hamburg. Dellerie, 
Zahnarzt, Hamburg. Dr. Dorn. Braunschweig. Drevermann, Zahnarzt, 
Düsseldorf. Dr. Ehrenfried, Kattowitz. Dr. Eisner, Ratibor. Dr. Engel- 
mann, Hamburg. Dr. Embden, Hamburg. Dr. Eulenburg, Detmold. 
Dr. Feig n er, Altena. Dr. Flatau, Berlin. Dr. Friedrich, Professor, Kiel. 
Dr. Franke, Hamburg. Dr. Fromme, Bremen. Fürst, Zahnarzt, Ham- 
burg. Dr. Grönland, Stabsarzt, Kopenhagen. Dr. Guye, Professor, Amster- 
dam. Dr. Hahn, Zahnarzt, Breslau. Dr. Haussen, Hamburg. Dr. Hart- 
mann, San. Ratb, Berlin. Dr. Hartz, Detroit, U.S. Dr. Heiland, Uslar. Dr» 
Heine, Breslau. Dr. Helmcke, Hamburg. Dr. Hermann, Zahnarzt, Karls- 
bad. Dr. Hermes, Iserlohn. Dr. Heymann, Professor, Berlin. Hiile, 
Zahnarzt, Hamburg. Dr. Jacobson, Professor, Berlin. Dr. J a k o b y , Ham- 
burg. Dr. Jarisch, Zahnarzt, Wien. Dr. Jess,Kiel. Dr. Joel, Görbersdorf. 
Dr. Ispert, Köln. Dr. Karntz, Lübeck. Dr. Kays er, Hamburg. Dr. 
Kersting, Aachen. Dr. Klemperer, Priv. Docent, Berlin. Klingelhöfer, 
Zahnarzt, St. Petersburg. Krille, Zahnarzt, Hamburg. E. Krüger, Lehrer 
f. Sprachleidende und Schwerhörige, Hamburg. Dr. Kümmel, Professor, 
Breslau. Dr. Kuttner, Berlin. Dr. Lehr, Hamburg. Dr. Lerche, Ham- 
burg. Dr. Ludewig, San. Rath, Hamburg. Dr. L entert, Priv. Docent,. 
Königsberg. Dr. Levy, Zahnarzt, Hamburg. Dr. Loewe, Berlin. Dr. Lucae, 
Geh. Med. Rath, Professor, Berlio. Dr. Mackenthum, Leipzig. Dr. Mi- 
chael, Hamburg. Dr. Rud. Meyer, Hamburg. Dr. Meyjes, Priv. Docent, 
Amsterdam. Dr. Möller, Hamburg. Dr. Müller, Dresden. Dr. Mygied, 
Professor, Kopenhagen. Dr. Nager, Luzern. Dr. Noltenius, Bremen. 
Dr. Ov erb eck. Med. Ratb, Lemgo. Dr. Ortmaun, Professor, Marburg. 
Dr, Pause, Dresden. Dr. Peters, Professor, Rostock. Dr. Pluder, Ham- 
burg. Dr. Reinewald, Giessen. Dr. Reinhardt, Köln. Dr. Rudioff, 
Wiesbaden. Dr. Rudolph, Zahnarzt, Hamburg. Dr. Runge, Hamburg. 
Dr. Rosenberg, Professor, Berlin. Dr. Rosenthal, Nizza. Dr. Robin- 
son, Baden-Baden. Scharnweber, Zahnazt, Hamburg. Dr. Scheibe, 
München. Dr. Schmeden, Oldenburg. Dr. phil. Scheel, Wilmersdorf 
b./Berlin. Dr. Scheier, Berlin. Dr. Scherpf, Kissingen. Dr. Senff, 
Hamburg. Dr. Schmidt, Hamburg. Dr. Schmidt, Odessa. Dr. C. v. Stein, 
St. Petersburg. Dr. Such an nek, Priv. Docent, Zürich. Dr. Siebenmann,. 
Professor, Basel. Dr. Sin eil, Hamburg. Dr. H. v. Schrott er, Wien. Dr. 
Schnitze, Hamburg. Dr. Stehr, Zahnarzt, Roermond (Holland). Dr. Stolte, 
Stabsarzt, Zerbst. Strauss, Zahnarzt, Hamburg. Dr. Schwartze, Geh. 
Med. Rath, Professor, Halle a./d.S. Dr. Thaler, Krankenhaus Eppeudorf. Dr. 
Thost, Hamburg. Dr. Vogler, Ems. Dr. Wald Schmidt, itrankenhaus 
Eppendorf. Dr. Wedekind, Tübingen. Dr. Weil, Assistent am hygienischen 
Institut, Hamburg. Dr. Win ekler, Bremen. Dr. Windmüller, Hamburg. 
Dr. Witzel, Professor, Jena. Witzel, Zahnarzt, Dortmund. Wolffson, 
Zahnarzt, Hamburg. Dr. Zarniko, Hamburg. 



XIX. 

Segnndo Congreso espanol de Oto-Rino-Laringologia cele- 
Irado en Barcelona del 19 al 22 de Septiembre de 1899. 

Seeciön de otologia. 

Bericht von 
Dr. Iwan Braunstein. 

1. D. Luis Suü^ y Moliet: Was kann man von der elektri- 
schen Behandlung der Labyrinthaffectionen erwarten? 

Vortragender hat bei Erkrankungen des Nerv, acust. zahlreiche Heilungs- 
versuche durch Anwendung des galvanischen Stromes gemacht, nachdem er 
auf dem Brüsseler Gongress (1888) von den Erfolgen gehört hatte, die 
Dr. Laroche mit dieser Behandlungsmethode erreicht haben wollte. Das 
Resultat seiner Untersuchungen und Bemühungen ist aber ein negatives ge- 
blieben, und er glaubt, dass den Angaben von Laroche diagnostische und 
technische Irrthümer zu. Grunde gelegen haben. Den Brenn er*schen An- 
gaben gegenüber steht Vortragender auf dem Standpunkte Schwartze*B, 
Pollacks, Gaertners u. A. 

Um die Einwirkung des galvanischen Stromes auf die kranken Gehör- 
nerven besser kennen zu lernen und eine wissenschaftliche Besprechung dieses 
Vorganges auf dem nächsten Congresse zu ermöglichen, fordert er von den 
Forschern folgende Angaben: 1. Genaue Diagnose des Leidens, 2. exakte 
Bestimmung, ob die Krankheit nur labyrinthär ist oder ob andere Theile des 
Gehörorgans daran mit betheiligt sind, 3. ob das Leiden mit Allgemeiner- 
krankungen zusammenhängt (Gicht, Skrophulose, Lues), 4. dass festgestellt 
werde, ob Taubheit und Ohrensausen Reflex- und Fernwirkungen sind, 5. ob 
Hysterie und Neurasthemie besteht, 6. ob Fat. für Suggestion zugänglich ist. 
Dann verlangt Vortragender genaue Angabe 1. der technischen' Vornahmen. 
2. der Aparate, Minimum und Maximum der Milliamperes, der Stelle der 
Stromeinwirkung, ihrer Dauer und Erträglichkeit, Zahl der Einwirkungen, 
Effect der einzelnen und ihre Fernwirkung, der objectiven und subjectiven 
Erscheinungen während des Schliessens von Kathode und Anode, ob der 
positive oder der negative Pol den Tragus berührt. 

2. D. Rafael Forns aus Madrid. Klinische Fälle, welche die Un- 
abhängigkeit der Tuben vom Attico-Mastoidraum des Mittelohrs beweisen. 

Unter Tubenraum (cämara tubärica) versteht der Vortragende den 
unteren, unter Attico-Mastoidraum (cämara ätico-mastoidea) den oberen 
hintern Theil des Mittelohrs. 

Der erstere bildet einen einheitlichen Raum, während der letztere 
in eine Reihe von Hohlräumen eingetheilt ist, die zuweilen mit einander in 
Verbindung stehen: in den Attikraum und in eine Gruppe von Knochen- 
zellen, die nach ihrem histologischen Bau Aushöhlungen von spongiOsem 
Knochen sind. 

Dass die beiden Haupträume eine verschiedene Bestimmung haben, be- 
weist sowohl ihre Bildung wie auch ihre völlig verschiedene Auskleidung. 
In dem Tubenraume findet sich cylindrisches Fiimmerepithel an der Innern 



292 XIX. BRAUNSTEIN 

Wand und der Gegend unmittelbar an der Tubenmündung, besonders auf der 
unteren Seite des Knochenkanals für den Muse. tens. tymp, neben Becher- 
Zellen und Uebergangsformen zum Pflasterepithel an der Promontoriumswanil 
und in der übrigen Paukenhöhle. Im Attik-Mastoidraume findet sich ein- 
faches oder geschichtetes Pflasterepithel und im Aditus ad antrum und 
Antrum echtes Endothel (un yerdadero endotelio). Ref. Drüsen finden sich nir- 
gend Yor, aber dafür ein Ueberfluss von Capillaren und Markzelien, die be- 
sonders dem Antrum ein den rothes Mark enthaltenden kurzen Knochen 
ähnliches Aussehen geben. — Vortragender theilt einen Fall von Caries 
syphilitica mit, in dem er die Atticotomie gemacht hatte, ohne die Gehör- 
knöchelchen zu entfernen. Der Kranke stellte sich ein Jahr nach der Ope- 
ration als geheilt wieder vor, und durch eine Reihe von Versuchen wurde 
festgestellt, dass zwischen dem Tubenraum und dem äusseren Gehörgang 
keine offene Verbindung bestand, obschon sich letzterer mit dem Atticoraume 
in breiter Gommunication befand. 

In einem zweiten Falle von chronischer Mittelohreiterung und polypöser 
Wucherung aus dem Attikraume, stellte Vortragender Versuche gemeinsam 
mit Dr. Botella an. Die SbrapnelTsche Membran und ein grosser 
Theil der Attikwand waren zerstört, der Hammerkopf und ein Theil des 
Ambosskörpers fehlten. Das Trommelfell war ausser der Membrana flaccida 
erhalten, seine Fpidemis durch die Eiterung verändert. Nach Anwendung 
des Politzer*schen Verfahrens war der Hammergriff geröthet, und der obere 
freie Rand des Trommelfells hatte sich vom Attik mehr entfernt. Bei der 
Luftmassage fühlte die Patientin die Bewegungen des Trommelfells. Beim 
Sondiren durch den Defect der SbrapnelTschen Membran gelangte man 
auf eine membranöse Wand, ohne auch nur eine enge Oeffnung in derselben 
zu finden. Darauf wurde der Attikraum mit Wasser gefüllt, während die 
Kranke den Kopf zur Seite neigte. Beim Einblasen der Luft (Politzer) 
mit massiger Kraftanwendung hob sich die Flüssigkeit in demselben Augen- 
blick, als die Kranke den Eintritt von Luft in der Paukenhöhle merkte, aber 
es stieg keine Luftblase im äusseren Gehörgang empor (no salia 
por el conducto ni una sola burbuja de aire). Auch beim Schlucken mit 
verschlossener Nase fühlte die Patientin kein Hinabtreten der Flüssigkeit. 
Hiernach würde das Politzer*sche Verfahren mit starkem Drucke in der- 
selben Haltung der Kranken angewandt, wobei Luftblasen durch den Gehör- 
gang austraten. Bei Injectionen, die mit einiger Kraft ausgeführt wurden, 
gelangte keine Flüssigkeit in den Nasenrachenraum, sondern erst wenn die- 
selben mit grosser Gewalt gemacht wurden. 

Aus diesen klinischen Beobachtungen und seinen topographisch-anato- 
mischen Untersuchungen schliesst Vortragender, dass die Abtheilungen dea 
Mittelohrs nicht alle mit einander in Gommunication stehen. 

In der Discussion giebt Dr. Sunä y Molist zu, dass er in den Präpa- 
raten von Dr. Forns zwischen den Tuben- und Attico-Mastoidraum eine 
Scheidewand gesehen habe, da er nicht annehmen könne, dass Dr. Forns 
ihn durch Anbringung einer Hausenblasenmembran getäuscht habe (que Forns 
le hubiese enganado poniendo alle una membranita de ictiacola). Aber auf 
dem Gongress in London habe ihn Politzer darauf aufmerksam gemacht, 
dass zwischen den Gehörknöchelchen, der Membrana flaccida und dem 
Attikraume membranöse Stränge vorkämen, aber keine vollständige Mem- 
bran. Indessen habe er in Hunderten von Fällen mit Perforation der 
ShrapneU'scben Membran bei Lafteinblasangen in die Paukenhöhle stets 
ein tympanisches Geräusch in Folge der Bewegung des Trommelfells, aber 
niemals das charakterisUscbe, zischende Perforationsgeräusch gehört, auch 
nicht, wenn keine Wucherung die Oeffnung verschloss. Wenn ihm entgegen- 
gehalten werde, dass adhärente Exsudate den Luftaustritt verhindert hätten, 
so scheine es ihm befremdlich, dass kurze Zeit bestehende Exsudate dem 
Luftdrucke wiederstehen sollen statt auszuweichen oder sich zu zertheilen. 

Auch hat er ein durch die Tube eingeführtes Bougie durch das 
Trommelfell beobachten können. Dasselbe gelangte nicht ins Antrum, trotz, 
der ihm von der Tubenmüudung dorthin gegebenen Richtung. Zweifelhaft 
ist, ob es durch die Forns *sche Scheidewand gehindert wurde oder gegen 



Segundo Congreso espafiol de Oto-Rino-Laringologia, Barcelona 1899. 293 

den knöchernen Rand des Aditus anstiess. Er nimmt an, dass die Forns*- 
sehe Scheidewand in der Mehrzahl der Fälle vorhanden sei, hesonders dess- 
halb, weil Attik und Antrum nicht mit Schleimhaut ausgekleidet 
seien, (no ser membrana mucosa la que tapiza älätico y el antro.) und da- 
her für diese Räume kein freier Abfluss nöthig sei. Aber wenn ein guter 
Anatom an einigen hundert frischen Präparaten des Mittelobrs ihm zeigte, 
dass die Forns'sche Scheidewand keine ununterbrochene Membran sei, so 
würde er sich veranlasst sehen, seine irrthümlichen Ansichten aufzugeben 
und auf einem anderen Wege eine Erklärung für seine klinischen Beobach- 
tungen zu suchen. Dr. Torres fragt Dr. Forns wie es möglich sei, dass 
bei vollständiger Trennung des Tubenraumes vom Attik-Mastoidraum durch 
die von ihm entdeckte Scheidewand eine Entzündung der Paukenhöhle eine 
Mastoiditis acuta hervorrufe. 

3. Dr. Ramon Castafieda (de San Sebastian): Beitrag zum Studium 
^ der vom Ohr ausgehenden Halsabscesse. 

Vortragender theilt mit Broca und Hamon de Fourgeray diese 
Halsabscesse in drei Kategorien ein: 

1 . Abscesse, die in directer Verbindung mit der Otitis stehen, bei denen 
der Eiter auf directem Wege in die Gewebe des Halses eingedrungen ist. 

2. Abcesse, die auf venösem Wege durch Thrombose des Sinus transver- 
sus und der Vena jugularis interna entstanden sind. 

3. Abscesse, die auf dem Wege der Lymphbahnen sich gebildet haben. 
Er theilt zwei Fälle mit, die zeigen, dass es bei diesen Abscessen sehr 

schwierig sein kann, ihren Ursprung (Mastoiditis Bezold) richtig und zeitig 
zu diagnosticiren. 

Im ersten Falle war eine Mastoiditis Bezold angenommen worden^ 
Patientin hatte über starke Schmerzen im linken Ohr und Schwerhörigkeit 
geklagt. Aber während der Behandlung wurde es klar, dass die Ursache des^ 
Abscesses eine Otitis circumscripta des Gebörgangs war, welcher ein periauri- 
culäres Oedem mit Periostitis externa gefolgt war, das sich auf das subcu- 
tane Zellgewebe und die membranöse Verbindung zwischen knorpeligem und 
knöchernem (jebörgang fortgepflanzt hatte und den Halsabscess durch eine 
der Incisurae Santorini hindurch nach Eröffnung des Gebörgangs gebildet hatte. 
Von der unteren Wand des Gehörgangs führte ein Gang in den Abscess. Dieser 
wurde eröffnet und die Incision bis zum knorpeligen Gehörgang verlängert. 
Unter antiseptischen Eautelen heilte die Wunde, ohne dass Erankheitssymptone 
im Mittelohr oder Warzenfortsatz auftraten. 

Im zweiten Falle litt Patient seit Kindheit an Eiterung aus dem rechten 
Ohr. Seit 20 Wochen Exacerbation der Schmerzen. In der rechten Nacken- 
gegend eine starke diffuse Anschwellung, schmerzhaft-fluctuirend. Ueber Pro- 
cessus mast. keine Anschwellung, aber Druckempfindlichkeit. Trommelfell 
perforirt, Granulationen aus dem Attik. Fötide Eiterung. Bei Druck auf 
den Abscess zeigte sich keine Verbindung mit dem Mittelohr. Antrum und 
Attik wurden eröffnet, die Granulationen entfernt mit den cariösen Resten. 
Es fand sich kein Gang zu dem Halsabscess. Hierauf wurde letzterer ge- 
spalten und die Abscessböble ausgeräumt bis zur Spitze des Proc. mast. Diese 
war normal. Vortragender bezeichnet diesen Fall als ein Phlegmone substerno- 
mastoidea durch ganglionäre Infection vom Ohr aus entstanden. Er macht 
darauf aufmerksam, dass solche Fälle wenig bekannt sind und die anatomi- 
schen Lehrbücher wenig Aufschluss geben über die Lymphcirculation und 
ihre Ausmündung. Die Mastoiditis Bezold ist sehr selten. Broca fand 
unter 200 Fällen nur eine und diese war zweifelhaft. 

Vortragender fasst seine Anschauungen in folgenden Sätzen zusammen : 

1. Die Mastoiditis Bezold verlangt eine besondere anatomische Dispo- 
sition. Sie entsteht nur auf einem vorgebildeten Wege und ist selten. 

2. Der Ursprungsort der fortkriechenden Halseiterung ist sehr verschieden 
und der pathognomische Werth des Eiteraustritts im äusseren Gehörgang 
beim Drücken auf den Abscess verschwindet, sobald mehrere periauriculäre 
Abscesse dahin ausmünden, ohne dass eine Mastoiditis besteht. 

3. Die Operation allein kann den Weg der Abscessbildung zeigen. Sie 
soll mit der Incision des Abscesses beginnen, wenn derselbe sicher zu diagno- 



294 XIX. BRAUNSTEIN 

sticiren and die Mastoiditis nicht deutlich entwickelt ist und umgekehrt mit 
der Eröffnung des Warzenfortsatzes, wenn seine Entzüodung feststeht und in 
der Halsgegend sich nur eine Anschwellung und Infiltration zeigt. — 

D. Avelino de Martin (de Barcelona): Labyrinthär genannte Taub- 
heiten, deren Sitz wenig bekannt ist. Von den physiologischen Vorgängen 
des inneren Ohres ist wenig Sicheres bekannt. Darauf beruht der bedeutende 
Unterschied in unserer Kenntniss der Pathologie und Therapie des Mittel- 
und inneren Ohres. Auch die Hypothesen von Hensen und Helmhol tz 
sind nicht genügend begründet, um darauf eine Pathologie und eine rationelle 
Therapie aufzubauen. Ebenso sind die physiologischen Vorgänge in den Hör- 
centren noch dunkel. 

Vortragender theilt 4 Fälle mit, die er zum Studium der Taubheit mit 
extralabyrinthärem Sitz für besonders geeigoet hält. 

1. 18 jähriges Mädchen, ohne erbliche Belastung, von guter körperlicher 
Constitution, lymphatisch-nervösem Temperament wurde vollständig taub nach 
einer heftigen moralischen Erregung, die mit Krämpfen und vorübergehendem ' 
Bewusstseinsverlust endete. Trotz Anwendung aller bekannten therapeutischen 
Mittel hat sich seit einem Jahre der Zustand nicht geändert. Nur die Anwen- 
dung eines galvanischen Stromes von 4 Milleamperes verursacht subjective Ge- 
räusche, ohne Gehörerscheinungen. Mittelohr ist gesund, ausser einer leich- 
ten Depression des Trommelfells, die Tuba durchgängig und die Anwendung 
des Katheters ändert an dem Zustande der Patientin nichts. 

2. Potator, 23 Jahr alt, erblich nicht beiastet, bei dem früher Mandeln 
und Adenoide entfernt worden sind. Beim Aufwachen aus ^ einem starken 
Bausche hört er ausser starken subjectiven Geräuschen nichts mehr. Anfangs 
wurde eine alkoholische Intoxication angenommen und Patient dementsprechend 
behandelt. Aber bald ergab sich, dass die Taubheit vollständig war. Stimm- 
gabeltöne vom Scheitel wurden nicht gehört. Paukenhöhle und Nasenrachen- 
raum o. B. Die Anwendung von Pilocarpin und Jodpräparaten war erfolglos. — 

3. Mann, 28 Jahr alt, ohne erbliche Belastung, wurde vor 6 Monaten 
bei einem Platzregen durchnässt; konnte seine Kleider nicht wechseln, sondern 
musste im heftigen Regen weiter arbeiten. In der Nacht traten Schüttelfrost 
ein und heftiger Kopfschmerz. Morgens hörte Patient nichts mehr. Nervus 
acusticus reagirt. Trotz Anwendung der gebräuchlichen Mittel bisher keine 
Besserung. 

4. Kind, 2 1 Monate alt, sprach und lief seinem Alter entsprechend, bis 
vor 5 Monaten plötzlich Schwindelanfälle mit Erbrechen und hohen Tempera- 
turen auftraten. Der hinzugezogene Arzt diagnosticirte eine Magenverengerung. 
Das Ohr untersuchte er nicht, die Intelligenz des Kindes war ungestört. 
Nach 12 Tagen schwand das Fieber und die Erscheinungen vom Magen her 
waren geheilt. Aber das Kind konnte keinen Schritt mehr gehen, und später 
zeite es sich, dass dasselbe taub war. Hier wurde die Voltolin lösche Krank- 
heit für einen Magenkatarrh gehalten. 

Diese 4 Fälle und andere analoge zeigen durch gewisse gemeinsame 
Charaktere, dass die anatomisch-pathologische Schädigung annähernd den- 
selben Sitz hat. Diese gemeinsamen Charaktere sind: die Doppelseitigkeit, 
die Plötzlichkeit des Auftretens, das Fehlen vorhergehender Erscheinungen, 
die Vollständigkeit und Ünheilbarkeit. 

Obige 4 Fälle haben eine ganz verschiedene Aetiologie, und doch ist in 
allen der Ausgang derselbe. Daraus lässt sich vermuthen 1) dass direct oder 
indirect das acustische Pcrceptionscentrum geschädigt, 2) dass dies Centrüm 
einseitig ist, oder wenn es doppelseitig ist, eine solch innige functionelle Be- 
ziehung zwischen beiden besteht, dass die Verletzung des einen die Function 
des andern mit aufhebt. 

In den angeführten Fällen handelt es sich nicht um solche,^ die, wie 
Gelle annimmt, im Mittelohr beginnen und durch Beizung, Druck oder Er- 
schütterung des Labyrintbinhalts als Gehirnschlag endigen. Denn es ist 
auffallend, dass stets beide Gehörorgane befallen werden, und die von Bezold 
behauptete Thatsache muss berücksichtigt werden, dass gewisse Theile des 
Labyrinths der Zerstörung entgehen und dass demnach einzelne sehr hohe 
oder sehr tiefe Töne wahrgenommen werden müssten. 



Segundo CoDgreso espanol de Oto-Rino-Laringologia, Barcelona 1899. 295 

Ebenso wenig darf die Störung im Nervus acnsticus gesucht werden. 
Denn Neubildungen entwickeln sich langsam, ebenso Atrophie, Kalkein- 
lagerungen, Erweichung, fettige Entartung, Tuberculose, Compression. 
Ausserdem ist in diesen Fällen fast immer der Gesichtsnerv in Mitleiden- 
schaft gezogen und sehr oft der Trigeminus und Oculomotorius extemns (ab- 
ducens). Auch darf die Ursache dieser Taubheit nicht in der Medulla ob- 
longata, (Bulbus medullae spinalis) in der Wurzel der Gehörnerven gesucht 
werden, weil in derselben Gegend der Trigeminus, Hypoglossus, Oculomotor- 
rius und Pneumogastricus entspringen. 

Nur der Nucleus auditivus kann der Sitz der Störung, welche die Taub- 
heit verursacht, sein. Dies Gehörcentrum liegt nach Ferrier, Luciani 
und Tamburini, Charcot und Yulpian in der Temporo-occipitalgegend 
des Gehirns. Nach Munk, der seine Versuche an Hunden machte, ver- 
ursacht die Rindenverletzung des Lobulus temporalis die sogenannte psy- 
chische Taubheit. 

Es scheint bewiesen, dass die vollständige und plötzliche Taubheit in 
den Börcentren oder in den Fasern, die direct in sie münden, ihren Sitz hat. 

Ausser den angeführten Thatsachen, die durch Exclusion diesen Satz 
beweisen, bekräftigt ihn auch die Häufigkeit, mit der die Infectionen Ursache 
der Taubheit sind, ohne direct den Hörapparat anzugreifen (sin atacar directa- 
mente el aparato auditivo). Nach dem Grade der Häufigkeit geordnet sind 
dies 1) die exanthematischen Fieber (besonders Masern und Scharlach) P las 
fiebres eruptivas (en particular el serampiön y la escarlatina), 2) die Meningitis, 
3) die anhaltenden Fieber, in Folge deren sich Meningitis entwickelt, 4) die 
hereditäre Syphilis. Wir wissen nicht, zu welcher von diesen Gruppen wir 
die sogenannte Voltolini'sche Krankheit zählen sollen, da ihr Entdecker sie 
zu einer primären Labyrintherkrankung in Beziehung bringt, während andere 
Autoren geneigt sind, anzunehmen, dass es sich um eine Meningitis, be- 
schränkt auf den 4. Ventrikel oder auf die Hörnerven, handelt. Die durch 
eine Meningitis cerebrospinalis epidemica verursachte Taubheit hat bezüglich 
ihres Sitzes grosse Aehnlichkeit mit der Yoltolini 'sehen Krankheit 

Vortragender bespricht noch die Bedeutung der hereditären Syphilis 
für die Taubheit und schliesst mit den Angaben, dass nach seiner Auf- 
fassung die doppelseitige, plötzliche, vollständige und unheil- 
bare Taubheit ihren anatomischen Sitz jenseits des Labyrinths, wahr- 
scheinlich jenseits des Bulbus (Medulla oblongata) habe und dass man heute 
die Hypothese von den intralabyrintbären Exsudaten und den veränderten 
Vasomotoren als Ursachen für die durch obige vier Epitheta gekennzeich- 
nete Taubheit fallen lassen könne. Nach Annahme dieser Voraussetzung 
ergiebt sich kategorisch, dass den Taubheiten, die im Mittelohr, im Labyrinth 
oder im Hörnerven ihre Wurzel haben, eine von den 4 Eigenschaften fehlt. 

In der Dlscussion bemerkt Dr. Sune, dass, solange diese Taubheiten 
unheilbar seien, die Prophylaxe von grösster Wichtigkeit sei, wegen der Zer- 
störung zum Hören nothwendiger Organe, welche diese unklaren Krankheiten 
durch Hämorrhagien in der Schnecke oder cerebrale Exsudate verursachen, 
worauf Dr. Martin in seiner Antwort auf der Thatsache besteht, dass der 
Sitz der Taubheit ausserhalb des Gehörapparates im Laufe der Nervenfasern 
zu den Perceptionscentren oder in diesen selbst zu suchen sei. 

5. Dr. Josä Coli y Bofill de Barcelona. Einiges über die patho- 
logischen Beziehungen zwischen dem Hör- und Sehapparat. 

Vortragender bespricht einen Fall, in dem ein 3jäbriges sonst gesundes 
Kind plötzlich mit hohem Fieber und eklamptischen Anfällen erkrankt. Dazu 
treten Verdauungsstörungen und nach einigen Tagen Rasselgeräusche über 
beiden Lungen. Am ib. Krankheitstage Verlust des Sehvermögens und Aus- 
fluss von blutigem Eiter aus dem linken Ohre. Eintritt völliger Taubheit. 
In der sechsten Krankheitswoche wurde Vortragender zugezogen. Hör- und 
Sehvermögen waren vollständig erloschen; die Pupillen waren weit und un- 
beweglich, die Hautsensibilität herabgesetzt, Fieber nicht hoch. Puls langsam, 
Speichelfluss, Leib eingezogen. 

Ueber der Lungenbasis noch Rasselgeräusche, Pat. liess den Urin unter 

Arehiv f. Ohrenheillrande. LIV. Bd.] 20 



296 XIX. BRAUNSTEIN 

sich gehen. £rnä.lirang8sa8tand wenig befriedigend. Im linken Gehörgang 
wenig Eiter; Trommelfell macerirt, geröthet, in der unteren H&lfte eine 
kleine runde Perforation. Proc. mast. ohne Röthung und Schwellung, aber 
druckempfindlich. Im rechten Ohr Trommelfell geröthet, vorgewölbt, 
Hammergriff völHg verwaschen. In der Mastoidgegend keine Symptome. 

Diagnose: Otitis media suppurativa beiderseits, Mastoiditis links. 

Die vorgeschlagene Paracentese wurde erst den folgenden Tag vor- 
genommen, dagegen sofort der Warzenfortsatz mit Quecksflbersidbe bedeckt 
und Ohrausspülungen mit Sublimatlösung 1 : 2000 gemacht. 

Nach der Paracentese gingen die Krankheitserscheinungen langsam zu- 
rflek, und 3 Wochen sp&ter war das Kind völlig geheilt. 

Vortragender nimmt an, dass ee sich hier um eine AUgemeininfection 
(durch Grippe, Pneumokokken, Bacterium coli etc.) gehandelt habe, die der 
Reihe nach auf folgende Organe übergegangen sei: 1) den Yerdauungskanal, 
2) die Bronchien, 3) die Meningen, 4) das Gehörorffan. Dass die cerebrale 
Erkrankung früher eintrat als die des Ohres wird dadurch bewiesen, dass 
die ErblinduDg 15 Tage früher erfolgte als die Spontanruptur des Unken 
Trommelfells. 

Ueber die Vorgänge in den Nervencentren giebt Vortragender folgende Auf- 
klärung: t. Zeichen einer allgemeinen Meningitis und eines grossen cerebralen 
Druckes waren nicht vorhanden; 2. die Taubheit war absolut vor der Ent* 
Wicklung der rechtsseitigen Otitis und die Enochenleitung war aller Wahr- 
scheinlichkeit nach aufgehoben, wofür die einfache Mittelohrentzündung keine 
genügende Erklärung giebt. 3. Die Krankheit ging zurück und endete mit 
einer Restitutio ad integrum. Diese 3 Punkte weisen darauf hin, dass eine 
allgemeine Hyperämie der Meningen bestehen konnte, dass aber die Haupt- 
verletzung wahrscheinlich congestiv-entzüudlicher Natur auf einen encepha- 
lischen Herd beschränkt war. 

Vortragender bespricht nun den Faservorlauf der Seh- und Hörnerven, 
um seine Ansicht anatomisch zu begründen. 

In der Discussion widerspricht Dr. Sufiä den Ausführungen Dr. GoH's, 
indem er behauptet, dass eine Otitis acuta bei fieberhaften Infectionskrank- 
heiten genüge, um Krankheitserscheinungen wie in dem besprochenen Falle 
hervorzurufen, und dass diese verschwinden, wenn durch die Paracentese dem 
Eiter ein freier Ablauf geschaffen wurde. 

Ihm gegenüber hält Dr. Coli seine Ansicht aufrecht, ohne neue Gründe 
anzuführen. 

6. Dr. Jos 6. A. Masip, de Barcelona: Die Mittelohrentzündungen bei 
Kranken mit Rhinitis atropbica. 

In der Fachliteratur finden sich hierüber wenige Beobachtungen. Vor- 
tragender theilt 6 Fälle aus seiner Praxis mit, in denen die Rhinitis atropbica 
begleitet war von einer doppelseitigen Otitis media chronica. Es handelt 
sich um Kranke im Alter von U bis 21 Jahren. Diese Otitiden unterscheiden 
sich von der gewöhnlichen Sklerose durch das jugendliche Alter der Patienten, 
dadurch, dass sie gleichzeitig oder mit sehr geringem Zeitunterschied beide 
Ohren befallen, dass das Ohrensausen fehlt oder nur sehr schwach ist, dasa 
keine Willis 'sehe Paracusis, keine Hyperämie des Trommelfells und schliess- 
lich keine Labyrintherscbeinungen vorbanden sind. Im Mittelohr soll hierbei 
eine Umwandlung des Flimmerepithels in Pflasterepithel und eine Infiltration 
der sufoepitbelialen Schicht durch Rnndzellen eintreten. 

Vortragender theilt noch 13 weitere Fälle mit von Rhinitis atropbica 
mit ein- oder doppelseitiger Otitis media acuta, oder ein- oder doppelseitiger 
Otitis media chronica oder purulenta. 

Nach seinen Beobachtungen kommen bei Rhinitis atropbica in ca. 507o 
Fällen Ohrcomplicationen vor, und in ca. 17 % sind sie durch die Erkrankung 
der Nase verursacht. 

In der Discussion bemerkt Dr. Forns, dass es höchst einfach sei, sich 
über die anatomisch-pathologischen Veränderungen bei dieser Krankheit zu 
vergewissern, worauf Dr. Masip erwidert, dass es, in Spanien wenigstens, sehr 
achwierig sei, entsprechende Präparate zu erhalten. 



Segundo Gongreso espailol de Oto-Rino-Laringologia, Barcelona 1899. 297 

Ausserdem wurden noch folgende Vorträge gehalten: Dr. Rafael 
Porns de Madrid: Beitrag zum Studium der Auskleidung der verschiedenen 
Höhlen des Mittelohrs. 

Dr. Alvaro Prosta de Barcelona: Der Zucker bei der Behandlung 
der chronischen Eiterungen der Paukenhöhle. 

Dr. L. Sunö v Molist de Barcelona:. Das Formol und die chro- 
nischen Eiterungen des Mittelohrs. 

Dr. Pedro Bor ras y Tor res de Barcelona: Besprechung dnes 
klinischen Falles yon secund&r^n Sarkom des linken Gehörgangs. 

Dr. R. Forns de Madrid: Einleitungsvortrag zur Erklärung von 
150 Präparaten der topographischen Histologie des äussern und Mittel- 
Ohres. 

Dr. R. Forns: Schlussrede der Session. 



20 



XX. 

Bericht ftber die VerhandlnDgen der Berliner otologisclieii 

Gesellschaft. 

Von 
Dr. Haike (Berlin). 

Dritte Sitznng am 9. Juli 1901. 

Vorsitzender: Herr Traatmann. 
Schriftführer: Herr Jaeobson. 

Herr Lac ae: Das Oto-Stroboskop UDd sein physiologisch-diagnoBtischer 
Werth. Der lohalt des Vortrages ist m Band LIII dieses Archivs publicirt. 

Herr Schwabach weist darauf hin, dass Herr Seligmann die elek- 
trische Massage zuerst eingeführt habe. Er bestätigte die Ansicht Lucae's, 
dass der Trichter nicht luftdicht ins Ohr beim Massiren eingesetzt werden 
dürfe. Die Erfolge bei der Massage seien bei der Sklerose nur gering, besser 
bei den subjectiven Ger&uschen und bei Residuen der Otitis me<üa. Den 
N übersehen Massage- Apparat hält er für unwirksam, anderseits warnt er 
davor, den mit Motor betriebenen in die Hand des Patienten zu geben. 

Herr Lucae betont, dass er die Elektromassage selten allein, gewöhn- 
lich nach Anwendung der Drucksonde gebrauche und dabei auch in Fällen 
Erfolge sehe, bei denen die Massage allein nichts genützt, oft sogar Yer- 
schlimmerung herbeigeführt habe. Beim Massiren unter luftdichtem Einsetzen 
des Trichters habe er die Symptome der Seekrankheit auftreten sehen. 

Herr Trautmann berichtet einen Fall aus anderer Behandlung, der 
später ihn consultirte, als Beispiel für die Gefahren der unzweckmässig ge- 
handhabten Fneumomassage: der Patient consultirte wegen geringer Beschwerden 
am Ohr einen Arzt, der ihn mit dem durch Elektromotor betriebenen Apj^arat 
massirte. Gleich bei Beginn der Procedur sei er unter heftigem Schwindel 
und Erbrechen zu Boden gestürzt und von dieser Zeit an auf dem be- 
handelten Ohr taub geblieben. Herr Trautmann betont, dass nur der 
mit der Art der Anwendung des Apparates vertraute Arzt diese Massage 
ausüben dürfe. — Die Wirkung des iMöberschen Apparates bezweifelt er. 

Herr Schwabach theiit noch einen Fall mit, in dem der Patient bei 
unzweckmässig ausgeführter Massage einen schweren Ohnmachtsanfall be- 
kommen habe. 

Herr Jacobson hat mit dem NöbeTschen Apparat, den er mittelst 
Nähmaschine betreibt, gute Erfolge erzielt, sowohl bei subjectiven Ge- 
räuschen, bei lästigem Gefühl von Völle und Druck im Ohr und Kopf, als 
auch bei Schwerhörigkeit. Alle Modificationen der Pneumomassage seien 
nichts Anderes als eine kleine Luftpumpe, durch welche die Luft im Gehör- 
gange abwechselnd verdichtet und verdünnt werde; ob diese Luftpumpe 
durch die Hand, den Fuss oder einen Elektromotor in Tbätigkeit gesetzt 
wird, erscheine ihm völlig gleichgültig; wesentlich dagegen sei die Regulirung 
der Hubhöhe und er räth, mit geringer Hubhöbe zu beginnen und allmählich 
sie zu steigern. — Die Selbstbehandlung mit dem Massageapparat könne bei 
Mangel an Vorsicht schaden, doch gilt dies auch für andere therapeutische 
Maassnahmen ; doch lasse sie sich häufig nicht ganz umgehen, dann habe man 
aber den Patienten gründlichst zu informiren. 



XXI. 
Besprechungen. 



4. 
Verhandlungen der Deutschen otologisohen Gesell- 
sohaft auf der 10. Versammlung in Breslau am 24. und 25. Mai 
1901. Im Auftrage des Aussohusses herausgegeben von Dr. A. 
Hartmann, z. Z. ständigem Secretair der Gesellschaft. Mit 
10 Abbildungen im Text und 2 Tafeln. Jena, Verlag von Gustav 

Fischer. 1901. 

Die Verhandlungen der Gesellschaft, über welche wir be- 
reits vor längerer Zeit im XLII. Bande dies. Archivs einen aus- 
fbhrlichen Originalbericht gebracht haben, liegen nunmehr in 
stattlicher Ausstattung eines Bandes von 235 Seiten nach den 
officiellen Protokollen der Vorträge und der daran geknüpften 
Discussionen vor. Das Verzeichniss der Gesellschaftsmitglieder 
zählt 266 Namen. Der Ausschuss der Gesellschaft bis 1902 be- 
steht aus 9 Mitgliedern. Den Vorsitz hat Prof. Siebenmann 
(Basel), den stellvertretenden Vorsitz Prof. Bürkner (Göttingen), 
der sein bisheriges Amt als ständiger Secretair der Gesellschaft 
niedergelegt hat; Prof. Kessel (Jena) hat seinen Austritt aus 
dem Ausschuss der Gesellschaft erklärt. Anwesend bei den Ver- 
handlungen waren 76 Mitglieder und 9 Gäste. In dem Berichte 
des Schatzmeisters (Dr. Oskar Wolf in Frankfurt a. M.) ist von 
allgemeinerem Interesse, dass der Fond des v. Tröltsch-Denk- 
mals auf Mk. 5357,45 angewachsen ist. Die Gesellschaft als 
solche hat sich daran betheiligt mit einem Beitrage von 1000 Mk. — 

Als Anhang der Verhandlungen ist ein Bericht über die 
Besichtigung der Abtheilung für Ohren-, Nasen- und Halskranke 
im Allerheiligenhospital beigefügt, zu welcher der Stadtrath 
Dr. Steuer die Mitglieder eingeladen hatte. Der leitende Arzt 
der Abtheilung, Dr. Brie g er, erläuterte in einer Ansprache die 
vortrefflichen Einrichtungen der Abtheilung, demonstrirte eine 
Anzahl der zur Zeit dort untergebrachten wichtigsten Erkran- 



300 XXI. Besprechnngeii. 

knngsfälle und widmete dem Andenken des Stifters der Abthei- 
long, Dr. Ludwig Jaeoby, gebührender Weise dankbare nnd 
pietätvolle Worte. Schwartze. 

5. 
K. Brauekmann, Die psyohisohe Entwicklung nnd 
pädagogische Behandlung schwerhöriger Kinder. 
Berlin, Beuther u. Beichard. 1901. 96 Seiten. (Aus der Sammlung^ 
von Abhandlungen aus dem Gebiete der pädagogischen Psychologie 
und Physiologie, herausgegeben von Schiller und Ziehen.) 

Besprochen von 

Prof. Ostmann, Marbaig. 

Die Schrift bespricht in 3 Abschnitten: die Empfindungen^ 
das Vorstellungsleben, den Charakter, die pädagogische Behand- 
lung des schwerhörigen Kindes und f&gt in einem vierten einige 
Ergebnisse psychologisch-physiologischer und allgemein pädago- 
gischer Art hinzu. 

Die Schrift soll hier nur insoweit besprochen werden, als 
ihr Inhalt besonderes Interesse für die Leser des Archivs besitzt^ 
und zwar erscheint diese Einschränkung um so mehr geboten, 
als die vielfachen physiologisch - psychologischen Auseinander- 
setzungen, in denen nicht Alles logisch verstanden und ver- 
ständlich ist, sich ihrem Wesen nach kaum in einer kurzen Be- 
sprechung wiedergeben lassen. Auch versage ich es mir, die 
Schrift im Einzelnen kritisch zu betrachten. 

Die Abhandlung nimmt die physiologische Psychologie, wie 
sie von Ziehen in seinem Leitfaden der physiologischen Psy- 
chologie entwickelt ist, zur wissenschaftlichen Grundlage und 
will, gestützt auf die in der praktischen Lehr- und Erziehungs- 
arbeit schwerhöriger Kinder gewonnene ErfahruDg, einer rich- 
tigen psychologischen Beurtheiluug und angemessenen pädago- 
gischen Behandlung dieser Kinder die Wege bahnen. 

I. Die Empfindungen des schwerhörigen Kindes. 

„Schwerhörig^ ist eine summarische Bezeichnung, welche 
eine ganze Beihe von Ausfallserscheinungen umfasst. Ein Schwer- 
höriger ist „nahehörig^, d. h. er muss sich der Schallquelle mehr 
nähern, als ein Normalhörender; er ist „schwachhörig*^ , denn 
auch in der Nähe fallt ein Theil von adäquaten Beizen ftlr 
ihn aus; die wahrgenommenen aber sind weniger intensiv 
(Intensitätseinbusse) und zeitlich verkürzt, sofern die Stärke des 



XXI. Besprechungen. 301 

Sehallreizes wechselt. Daraus ergiebt sieh für die wahrgenom- 
menen Klänge veränderte Klangfarbe, weil leise mitklingende 
Partialtöne in Folge der verminderten Anspruehsfähigkeit des 
erkrankten Organs nicht percipirt werden, sowie eine Verände- 
rung des Charakters der Geräusche; und zwar werden, je er- 
heblicher die Schwerhörigkeit ist, diese Ausfallserscheinungen 
um so stärker hervortreten. „Die akustische Welt des Gehör- 
leidenden ist demnach nicht nur eine kleinere, engere, sondern 
auch eine andere, als die des Normalhörigen. ^ 

Daraus folgt insbesondere für die Auffassung der Sprache, dass 

1. die Zahl der wahrnehmbaren Sprachlaute um so geringer 
wird, je weitgehender die Hörstörung ist, und 

2. die wahrgenommenen dem Schwerhörigen zumeist anders 
klingen müssen, als dem Normalhörenden. 

Diese qualitative Veränderung bedingt, dass lauteres Spre- 
chen an sich die Sprache für den Schwerhörigen nicht verständ- 
licher macht, denn beim lauten Sprechen treten die an sich 
klangreicheren Laute nur noch stärker hervor und verdecken 
dadurch noch mehr die weniger klangreichen ; die Sprache wird 
somit an Deutlichkeit eher ab- als zunehmen. 

Die natnrgemässe Erlernung der Sprache wird durch einen 
Grad von Schwerhörigkeit schon verhindert, der noch durchaus 
hinreichen kann, die einmal erlernte zu verstehen, und zwar wird 
die sprachliche Entwicklung des Kindes gehemmt: 

1. durch die mangelhafte und qualitativ veränderte akustische 
Empfindung, und 

2. durch das mehr oder weniger vollständige Ausfallen der 
Muskelempfindungen (Lage- und Bewegungsempfindungen), wie 
sie durch den Sprechact hervorgerufen werden; denn in dem 
Maasse, als dem Sprachorgan weniger Bewegungsimpulse von 
den akustischen Gentren zufliessen, bleibt dasselbe ungeübt; auf 
diese Ungeübtheit führt Brauckmann auch die Trübung und 
Verwischung der Vocale zurück, die bei Schwerhörigen auch dann 
auftreten soll, wenn diese Sprachlaute noch gut und deutlich 
gehört werden. Meines Erachtens dürfte die unreine Aussprache 
mehr darauf zurückzufahren sein, dass die schwerhörigen Kinder 
ein durch Ausfall eines oder mehrerer Theiltöne verändertes 
Vocal-Klangbild erhalten und diesem entsprechend ihre Aus- 
sprache nachbilden, wobei allerdings die geringe Uebung der 
Sprachorgane selbst mitwirken dürfte. 

Sofern somit nach Eintritt der Schwerhörigkeit die Sprache 



302 XXI. Besprechungen. 

erlernt werden mnsS) wird sie nicht nur quantitativ im Hinblick 
auf ihren Wortschatz geschädigt, sondern auch qualitativ beztlg- 
lich ihrer charakteristischen Lautbildnng yer&ndert 

n. Vorstellnngsleben und Charakter des schwer- 
hörigen Kindes. 

Die Einengung der akustischen Empfindungen muss auch 
das Yorstellungsleben des Schwerhörigen beeinflussen und zwar 
verschieden sowohl nach Art und Grad der Gehörschädigung, als 
auch nach dem Zeitpunkt des Eintritts der Schwerhörigkeit. Am 
stärksten wird die Schädigung sein, wenn der Gehördefect vor 
dem &lernen der Sprache auftritt. Bei solchen Kindern ist zu- 
nächst mit einem Ausfall akustischer Vorstellungen zu rechnen : 
„Es fehlen ihnen z. B. die Vorstellungen jener leisen Geräusche, 
welche ihr Ohr nicht mehr erregen, wie Säuseln, Hauchen, Lis- 
peln, Flttstern, Summen, Surren, Seufzen u. s. w., ebenso die 
akustischen Vorstellungen der schwächeren Consonanten^^ Alle 
übrigen akustischen Vorstellungen müssen aber gegenüber den- 
jenigen Normalhörender mangelhaft sein, weil die den Vor- 
stellungen zu Grunde liegenden akustischen Empfindungen dies 
gleichfalls sind. Dadurch verlieren die akustischen Vorstellungen 
überhaupt an Deutlichkeit und Schärfe und demgemäss auch an 
bestimmendem Werth fbr das Individuum. 

Wenn nun auch die akustischen Vorstellungen als solche 
in unserm Geistesleben im Allgemeinen keine besonders hervor- 
tretende Bolle spielen, so muss doch durch den Ausfall bezw. 
die Modification der akustischen Empfindungen und demgemäss 
auch der Vorstellungen die Totalvorstelliing vieler Dinge in 
nennenswerther Weise beeinflusst werden. 

So fehlt dem hochgradig schwerhörigen Kinde in der Total- 
vorstellung „Biene*' das Summen, in der der „Lerche" das 
Jubiliren, in der Vorstellung „Regen" das Rieseln oder Plät- 
schern, in der Vorstellung „Bach" das Murmeln u. s. w. 

Aus dieser Inhaltsänderung der Totalvorstellung folgt eine 
Anderswerthung. Die Lerche ist dem Kinde nicht mehr als der 
Spatz, die Trommel vielleicht mehr als die Geige u. s. w. Es ent- 
steht somit eine Verschiebung und Trübung des Urtheils. 

Weiter erachtet Brauckmann die Zeit- und Zahlen Vor- 
stellungen in besonderer Weise beeinflusst durch die Schwer- 
hörigkeit. 

Indess ist er der Ansicht, dass der Gehörmangel erst da- 



XXI. Besprechungen. 303 

durch, dass durch ihn die sprachliche Entwicklung des Kindes 
gehemmt wird, ftir dasselbe so verhängnissvoll wird; „denn der 
Spraehmangel und die dadurch verursachte primitive Form des 
Denkens verhindert es, im psychischen Sinne ein VoUmensch zu 
werden'^; das Kind wird „eine höhere, über das unmittelbar 
sinnlieh Gegebene hinausliegende Stufe des Geisteslebens trotz 
guter und sehr guter Veranlagung unter gewöhnlichen Verhält- 
nissen'^ nicht erreichen. 

Das veränderte Empfindungs- und Vorstellungsleben des 
Kindes kann schliesslich nicht ohne Einwirkung auf den Cha- 
rakter bleiben, zu dessen eigenartiger Entwicklung nicht selten 
eine völlig falsche Behandlung des Kindes in Haus und Schule 
beiträgt. 

„Die in Folge der mangelhaften sprachlichen Entwicklung 
des schwerhörigen Kindes unvermeidlichen Missverständnisse 
zwischen ihm und seiner den Zustand nicht richtig würdigenden 
Umgebung tragen viel dazu bei, das Affectleben des schwer- 
hörigen Kindes ungünstig zu beeinflussen. Ein Mangel an Ge- 
müthstiefe ist mit dem Gehörmangel an und fbr sich schon ver- 
knüpft; jene Missverständnisse aber führen zu einer immer 
weitergehenden Gemüthsverkümmerung, ein Mangel, der um so 
bedauernswerther ist, je weniger ein wohlorganisirter Vorstellungs- 
kreis vernünftige Erwägungen ermöglicht. Die affective Erreg- 
barkeit ist bei schwerhörigen Kindern natürlich auch verschie- 
den, je nach ihrer nervösen Constitution. Es scheint mir aber, 
dass sie in den weitaus zahlreichsten Fällen erheblich gestei- 
gert ist." 

Einer derartigen seelischen Verfassung entsprechend tragen 
die Handlungen des schwerhörigen Kindes mehr als bei andern 
den Charakter des Impulsiven; daneben besteht nicht selten 
Vertrauensseligkeit und Harmlosigkeit, die dann nach üblen Er- 
fahrungen in Misstrauen umschlägt, sowie Naivität und Unschuld. 

III. Pädagogische Behandlung des schwerhörigen 

Kindes. 

Die pädagogische Behandlung des schwerhörigen Kindes 
liegt zumeist nicht in der Hand des Arztes, sondern des Päda- 
gogen; es soll deshalb an dieser Stelle nur mit wenigen Worten 
auf die Stellung Brauckmanns gegenüber dieser Frage ein- 
gegangen werden. 

Gegenüber der Wirkung der methodischen Hörübungen be- 



304 XXI. Besprechangen. 

wahrt sieh Brauokmann eine berechtigte Skepsis und hofft 
nieht, durch diese die Schäden, die der psychischen Entwicklung^ 
des Kindes durch den Gehörmangel erwuchsen, ausgleichen zn 
können. Er empfiehlt ein möglichst frühzeitiges Einsetzen einer 
,,den besonderen Bedürfnissen des schwerhörigen Kindes ange- 
passten pädagogischen Behandlung'^ welche während der ersten 
Jugendzeit neben der häuslichen Erziehung auf nachstehende 
Punkte ihr besonderes Augenmerk zu richten hätte: 

1. Besonders sorgfältige Erziehung zum äusseren Wohlver- 
halten. 

2. Planmässige Uebung der sinnlichen, insbesondere der 
akustischen Aufmerksamkeit. 

3. Besondere Uebung im Gebrauch der Musculatur, im Be- 
sonderen auch der Sprechmusculatur. 

4. Bereicherung des Yorstellungsschatzes. 

5. Planmässige Anlegung von Associationen zwischen Sprach- 
und Objectvorstellungen. 

Was das Ziel der unterrichtlichen Aufgaben in spätercA 
Jahren anlangt, so will es mir scheinen, als ob Brauokmann 
hierbei erheblich zu hoch griffe, wenigstens seinen Worten nach 
klingt es so; in der praktischen Bethätigung werden die Kinder 
die Ziele schon etwas niedriger stecken. 

Auf den 4. Abschnitt: 

Einige Ergebnisse physiologisch -psychologischer 

und allgemein pädagogischer Art 
brauchen wir an dieser Stelle nicht näher einzugehen. 



6. 
Dr. Eugen Maljutin, Priv.-Doc. an der Kaiserl. Univer- 
sität in Moskau; Maligne Tumoren der Nasenhöhle 
und die chirurgische Behandlung derselben. 

Besprochen von 

Prof. Dr. Gronert, Halle a. S. 

Das gut ausgestattete Buch zerfällt in 6 Theile. Im ersten 
Theile giebt Verfasser eine geschichtliche Uebersicht des be- 
treffenden Gegenstandes, welche, nach der angefElhrten Literatur 
zu urtheilen, eine erschöpfende zu sein scheint. 

Im zweiten Theile finden wir in tabellarischer Anordnung 
einschlägige Krankengeschichten, Fälle betreffend, welche in 
den letzten 20—40 Jahren in 6 Moskauer Hospitälern beobachtet 



XXI. BesprecbuDgeD. 305 

sind. Die Sohlassfolgerangen ans diesem reichen Beobaohtungs- 
material, sowie eine statistische Berechnung über die relative 
Häufigkeit der Tumoren der Nasenhöhle im Verhältniss zu ana- 
logen Erkrankungen anderer Organe werden umfassend hinzu- 

geftgt. 

Der dritte Theil enthält die eignen diesbezüglichen Beobach- 
tungen des Autors. 

Der vierte Theil ist vorwiegend anatomisch. Die topogra- 
phische Anatomie der Nase und ihrer Nebenhöhlen unter Einschluss 
der Beschreibung des histologischen Baues der sie bedeckenden 
Schleimhäute ist durch zweckmässige Skizzen illustrirt. 

Der fünfte Theil enthält eine Darstellung des gegenwärtigen 
Standes der Frage über die Pathologie und den klinischen Ver- 
lauf der bösartigen Tumoren. 

Im sechsten Theile finden wir eine Beschreibung aller bis 
jetzt zur Exstirpation von Polypen und Tumoren der Nasenhöhle 
angewandten Methoden. Dieselben werden einer anatomisch 
fundirten Kritik unterzogen. Schliesslich wird eine neue osteo- 
plastische Operation beschrieben, welche zur Entfernung der ge- 
nannten Tumoren am zweckmässigsten erseheint. 



7. 

RöpkC) Die Berufskrankheiten des Ohres und der 

oberen Luftwege. Wiesbaden bei J. F. Bergmann. 

Besprocliea von 

Prof. Dr. Grunert, Halle a. S. 

Bei der Besprechung dieser so lesenswerthen Monographie, 
welche als 2. Abhandlung der Sammlung „Die Ohrenheilkunde 
der Gegenwart und ihre Grenzgebiete^ erschienen ist, beschränken 
wir uns auf Wiedergabe des auf das Ohr bezüglichen Neuen. 

Der erste Abschnitt, die Berufskrankheiten des Ohres und 
der oberen Luftwege bei Industriearbeitern und Handwerkern 
betreffend, ist der umfangreichste. Sämmtliche Industriezweige, 
Bergbau, chemische Grossindustrie, metallurgische Industrie, In- 
dustrie der Steine und Erden, Baugewerbe, Holzbearbeitung und 
verwandte Gewerbe, polygraphische Gewerbe, Industrie der 
Farbenmaterialien, Industrie der Explosivstoffe und Zündwaaren, 
Düngerfabriken, Gerbereien, Leimfabriken, Industrie der Oele, 
Fette, Firnisse und Harze, Industrie der Heiz- und Leuchtstoffe 
und ihre Nebenproducte, Textilindustrie, Papierindustrie, Be- 
kleidungs- und Reinigungsindustrie, sowie die Industrie der 



306 XXI. Besprecbangen. 

Nahrangs- und Genussmittel hat Verfasser in diesem Abschnitte 
auf das Sorgfältigste bearbeitet. Dankenswerth ist es, dass er 
die Technik der einzelnen Industriezweige kurz beschrieben hat, 
so dass der Leser über Wesen und Herkunft der für Ohr und obere 
Luftwege schädlichen Agentien sofort orientirt ist Wenn es auch 
in der Natur der Sache liegt, dass die schädliche Wirkung der 
hier meist in Betracht kommenden dampfförmigen Körper in erster 
Linie die oberen Luftwege betrifft, so ist doch einzelnes Inter- 
essante, welches zum Ohr Beziehung hat, kurz zu erwähnen, so 
z. B. ausgedehnte Entzflndungen des Gehörganges, Ekzeme an 
Ohrmuschel und im Gehörgange bei Arbeitern, die im Stein- 
kohlenbergbau beschäftigt sind, sowie Geschwüre im Gehör- 
gange bei Arbeitern, die arsenhaltige Erze fordern. Bei Stein- 
kohlenbergarbeitern finden sich ausser an übrigen Eörperstellen 
auch an der Ohrmuschel charakteristische blaue Hautflecken, 
welche durch in kleine Verletzungen eingeheilte Eohlenpartikel- 
chen entstanden sind. Ekzeme des äusseren Ohres bei Arbeitern, 
die in den Cyancaliumfabriken die Cyancaliumschmelzen zu zer- 
schlagen haben, desgleichen bei in Eisenhütten beschäftigten 
Arbeitern, bei Kalk- und Gipsbrennereiarbeitern mögen kurz 
angedeutet werden. Was die Eesselschmiedetaubheit anbetrifft, 
so vertritt Verfasser auf Grund eigner Beobachtungen die An- 
sicht, dass in der Mehrzahl der Fälle keine reine Otitis interna 
vorliegt, sondern eine Gombination von Otitis interna mit chro- 
nischem Mittelohrkatarrh, welcher durch Fortpflanzung lange be- 
stehender chronischer Nasen- und Bachenaffectionen auf das 
Mittelohr entstanden ist. Der zweite Abschnitt umfasst die 
Berufskrankheitendes Ohres und der oberen Luftwege bei land- 
wirthschaftlichen Arbeitern; im dritten Abschnitt werden die ent- 
sprechenden Berufskrankheiten bei Soldaten, sowohl des Land- 
heeres wie der Marine, eingehend geschildert. Der vierte Ab- 
schnitt handelt von den Berufskrankheiten bei den Bediensteten 
des öffentlichen Verkehrswesens, den Eisenbahnbediensteten, den 
Bediensteten der elektrischen Bahnen, den Post-, Telegraphen- 
und Telephonbediensteten, sowie den Führern von Automobil- 
Droschken, den Pferdebahn- und Droschkenkutschern. Was die 
Schädigungen des Ohres bei Bediensteten der elektrischen Bahnen 
anbetrifft, so liegen bisher über diesen Gegenstand in der Lite- 
ratur noch keine Notizen vor. Trotzdem übergehen wir das 
üntersuohungsresultat von 32 in diesem Betriebe angestellten 
Leuten des Verfassers, weil, wie Verfasser selbst hervorhebt, die 



XXI. Besprechungen. 307 

Zeit, während welcher die Betreffenden in jenem Betriebe be- 
sehäftigt waren, viel zu kurz ist, als dass die Befunde irgend 
welche Schlussfolgerungen über einen etwaigen ursächlichen Zu- 
sammenhang zwischen Ohrbefund und dem Berufe zulassen. Im 
folgenden Abschnitte werden die Berufskrankheiten bei „Sports- 
leuten^, LuftschiJSTern, Badfahrern, Jägern und Schützen, Fuss- 
ballspielern, Boxern, Bingern und Saltomortaletänzern abge- 
handelt. Der letzte Abschnitt umfasst schliesslich die Berufs- 
krankheiten bei Angehörigen verschiedener Berufe, Nonnen, Be- 
rufsmusikern, Flussschiffern, FlSssern, Seeleuten und Fischern, 
bei Schwammfischern und Perlfischern, bei Apothekern und Dro- 
guisten, bei Chemikern, bei Cloakenreinigern, Kaminfegern und 
Feuerwehrleuten, Was die letztere Berufsklasse anbetrifft, so 
theilt Verfasser mit, dass nach den Erfahrungen in der Berliner 
Feuerwehr subjective Ohrgeräusche und Schwindel zu den all- 
täglichsten Erscheinungen der acuten Rauchvergiftung gehören. 
Eine Abnahme des Hörvermögens sei dabei aber bisher nicht 
mit Sicherheit festgestellt worden. 

Der Verfasser hat sich der dankenswerthen Aufgabe unter- 
zogen, die umfangreiche, bisher zerstreut gewesene Literatur zu- 
sammenzusuchen und systematisch zu ordnen. Der Umstand, 
dass die hinzugehörige Literatur jedem einzelnen Abschnitte 
beigefügt ist, erleichtert es ungemein, sieh rasch zu Orientiren, 
wenn man sich über die Berufskrankheiten des Ohres irgend 
einer Berufsart rasch Auskunft verschaffen will. Die Ausstat- 
tung des Buches entspricht der rühmenswerthen Tradition des 
bekannten Verlages. 

8. 
Dr. Theodor Heiman in Warschau: Ueber letale Ohr- 
erkrankungen, 2. Heft V, Band der Klinischen Vorträge aus 
dem Gebiete der Otologie und Pharyngo-Rhinologie, herausge- 
geben von Prof. Dr. Hang -München. 

Besprochen von 

Dr. Iwan Braunstein, Halle. 

Unter obigem Titel hat Verfasser versucht, eine Monographie 
der intracraniellen Complicationen bei Erkrankungen des Gehör- 
organs zu schreiben. Die Arbeit besteht aus einer Einleitung 
und den Abschnitten : Pachymeningitis circumscripta externa, Abs- 
cessus extraduralis, — Leptomeningitis diffusa — Hirnabscess 
— Thrombophlebitis, Septicopyaemia ex otitide, — Tödtliche 



308 XXI. Besprechungen. 

Blutungen aus der Arteria carotis interna und aus den Hirn- 
1 eitern, — denen sich eine „Kurze üebersicht der vom Ver- 
fasser selbst beobachteten letalen Complicationen der Mittelohr- 
leiden^^ ansehliesst. Verfasser hat sich hierzu leider der deutschen 
Sprache bedient, eines Ausdrueksmittels, welches Verfasser auch 
in seinen elementarsten Formen nicht zu beherrschen scheint. 
Abgesehen von grammatikalischen Fehlern^) und undeutsohen 
Wortbildungen, wie kasSs statt käsig, sinusal statt sinuos, 
hjperämirt statt hyperämisch u. A., erschweren unrichtige 
Satzconstructionen und der fehlerhafte Gebrauch von Wörtern 
das Verständniss der Ansichten des Verfassers beinahe auf jeder 
Seite. 2) 

Aber noch weit auffallender als diese sprachlichen UnvoU- 
kommenheiten ist die grosse Menge des sachlich Unrich- 



1) »Die meisten letalen Complicationen begegnet man zwischen dem 
11. — 40. Lebensjahre**, „leiden an allgemeine Beizbarkeit**. „Auf die 
Anatomischen Untersuchungen von Bezold, Rüdinger und seine eigenen 
gestützt, erklärt Körner als Ursache des öfteren Vorkommens der 
intracraniellen Complicationen auf der rechten Seite (70 Proc.) 
dadurch, dass der rechte Sinus transversus durchschnittlich breiter und 
tiefer als der linke in den Warzenfortsatz und in die Basis der Schläfenbein- 
pyramide hineinragt, wodurch die Knochen wand, die ein Cholesteatom, 
-ein Eiterherd, ein Sequester von den Hirnhäuten und vom Sinus 
«igmoideus trennt, auf der rechten Seite dünner ist und deshalb leichter 
als auf der linken Seite zerstört wird.** 

2) Beispiele: „Wird der Eiter spontan oder auf operativem Wege 
nicht entfernt, so durchbricht erdieDura mater, oder im Falle 
-dieselbe schon durchbrochen ist und localisirt sich zwischen der- 
selben und der Arachnoidea"* u. s. w. oder „Ungemein oft werden Kleinhirn- 
Abscesse durch Extraduralabscesse befördert**, oder „Alle diese Erscheinun- 
gen finden statt, wenn der Abscess im linken Temporallappen sich befindet; 
und im rechten bei denen, die ihre linke Hand gebrauchen.** 

Von vielen anderen möge noch folgender Passus angeführt werden: „Der 
ituf der Oberfläche des Thrombus entstandene Eiter durchbricht sein Inner es 
und auf solche Weise entsteht im Thrombus eine weiche braun -grünliche 
•oder grünlich -gelbe Masse, die mit Theilchen des Thrombus vermischt ist. 
In dieser Masse wimmelt es von pathogeuen Mikroorganismen und ihren Kei- 
men, die im Thrombus einen günstigen Boden zu ihrer Entwicklung finden. 
Von dieser Stelle können Theilchen des Thrombus in den Kreislauf und ins 
Herz gelangen oder unmittelbar, wenn der Thrombus soweit zer- 
fallen ist, dass der Blutstrom von Neuem theilweise zurückge- 
kehrt ist;* oder vermittelst der Venen, die in den Sinus in der N&he 
•des zerfallenen Thrombus münden, als Folge des rückgängigen Blut- 
et rom es**; u. s. w. Dann .ist an mehreren Stellen „sensitive Störungen** statt 
Sensibilitätsstörungen, „Hirnleiter** statt Himblutleiter gesehrieben. 



XXI. Besprechangen. 309 

tigen z. B.: „Ist ein ganz gesundes Individanin mit einer chro- 
nischen Ohreiterang behaftet, so dringt der Erankheitsprooess 
nicht selten in die Tiefe, und wenn er sich dahin sogar verbreitet, 
^eigt er mehr Tendenz zur schützenden, als zur zerstören- 
den Wirkung/' Dann enthält die Darstellung des extraduralen 
Abscesses folgende Behauptungen: „Ist der extradurale Absoess 
in Folge Zerstörung der Enochenwände entstanden, oder zeigt 
sich derEnochenintact, die Dura ist immer alterirt. Sie 
ist hyperämisch, trübe, schmutzig, grünlich oder schmutziggrau, 
wie der ihr aufliegende Enochen" .... „und oft befindet 
sich die Pia mater in unmittelbarer Berührung mit der 
Trommelhöhlenschleimhaut'^ In derselben Beschreibung kommt 
der Satz vor: „Hirndruckerscheinungen sind selten, kommen nur 
bei Eindern vor . . ." 

In dem Aschnitt über Leptomeningitis diffusa heisst 
€s: „Der Hirnabschnitt, welcher mit dem Eiter in Berührung sich 
befindet, ist auf seiner Oberfläche dunkler als die nicht 
afficirten Theile und mit rothen Pünktchen besät; 
auch ist die Hirnsubstanz auf umschriebener oder 
mehr diffuser Strecke erweicht." „Bei Leptomeningitis 
convexitatis kommen mono- und hemiplegisohe Lähmungen 
und Paresen zum Vorschein. Fast ohne Ausnahme ist vor 
iillen anderen Symptomen Nackenstarre vorhanden." 
^,Entsteht die diffuse Leptomeningitis in Folge von Berstung eines 
Hirnabscesses auf die Oberfläche oder in einen Seitenventrikel, 
«0 ist der Verlauf blitzartig — die Eranken sterben in 
einigen Stunden; höchstens leben sie noch einen 
Tag". „Der acute oder chronische Eiterungsprooess 
im Ohre, der normale oder krankhafte Zustand des Schläfen- 
beins, ist ohne Bedeutung für die Entwicklung der Lepto- 
meningitis diffusa." In der Besprechung der Hirnabsoesse 
findet sich folgender Satz: „BeiEleinhirnabscessen wird ausser- 
dem in manchen Fällen plötzliche Zunahme der Schwer- 
hörigkeit des Ohres der entgegengesetzten Seite, wie 
.^uch plötzliche Verbesserung des Gehörs auf der 
kranken Seite beobachtet (Lucae, Herpin). Nicht selten 
-werden Sprechstörungen beobachtet". „Der Hirnabscess 
unterscheidet sich vom extraduralen Abscess bei Er- 
v^achsenen dadurch, dass letzterer fast nie von allgemeinen 
oder localen Symptomen eines erhöhten intracraniellen 
Druckes begleitet wird." Bei der Beschreibung der Thrombo- 



310 XXI. Besprechungen. 

Phlebitis eto. verweehselt Verfasser die Vena jngnlaris interna 
mit der externa und spricht von einem Balbus und der Unter- 
bindung der letzteren. 

Diese kleine Auswahl aus der Menge unrichtiger Behaup- 
tungen und Darstellungen möge genügen, um den wissenschaft- 
lichen Werth der besprochenen Arbeit zu illustriren.^) Daran 
reihen sich Irrthümer bezüglich der Angaben anderer Autoren 
und eine mangelhafte Wiedergabe von Operationsmethoden. Aueh 
scheint Verfasser ein grosser Theil der neueren Literatur unbe- 
kannt zu sein. In der Frage, ob eine nicht thrombotische Py- 
äroie angenommen werden darf, stellt sich Verfasser auf die 
Seite Eörner's, ohne aber die Ansichten Leutert's widerlegen 
zu können. 

Aus den 85 summarisch mitgetheilten „ Krankheitsgeschich - 
ten^^ geht nur hervor, dass Verfasser bei 50 Eröffnungen des 
Warzenfortsatzes 8 Mal den Sinus transversus zufällig verletzt 
hat. In einem Falle erlag die Patientin 4 Wochen später einer 
Septicopyämie. Von den 64 Totalaufmeisselungen und Opera- 
tionen zur Freilegung des Sinus oder Entleerung eines intra- 
craniellen Abscesses waren 11 von Erfolg. 

Nach dem bisher Angefahrten muss es komisch wirken, 
wenn der Verfasser seine Leistungen neben diejenigen längst 
bekannter und bewährter Autoren stellt, z. B. v. Bergmann, 
Heiman; Schwartze, Jansen, Heiman etc. undAnschau- 
ungen, die sich seit vielen Jahren bereits in weiten Kreisen ein- 
gebürgert haben, neuerdings als seinem Grund und Boden ent- 
sprossen mittheilt oder bestätigen zu müssen glaubt. 

Die Veröffentlichung der Arbeit ist nur zu bedauern, zumal 
die Sammlung, in der sie erschienen '^ist, den Interessen des 
praktischen Arztes und nicht dem kundigeren Specialisten dienen 
soll. Aber es ist ja zu hoffen, dass die mangelhafte und er- 
müdende Darstellung des wichtigen Gegenstandes Andere vom 
Studium der werthlosen Arbeit absehrecken wird. — 



1) Die einzeln angeführten Sätze sind keineswegs willkürlich aus dem 
Zusammenhange gerissen, sondern sie bilden wie schon Bau und Inhalt der» 
selben beweist, für sich abgeschlossene Thesen. 



Nekrolog. 
Emilio de Rossi, 

geboren 1844 — gestorben 1901. 

Von 

Dr. Eagenio Morpurgo (Triest). 

Am 19. November 1901 verschied plötzlich in Rom Prof. 
Emilio de Boss i. In ihm verliert unser Specialfach einen der 
tüchtigsten und wackersten Arbeiter, einen unermüdlichen Forscher 
und Lehrer, den Begründer der modernen Otologie in Italien. 

De Rossi war kein engherziger Specialist, er war Arzt 
und Chirurg von seltener Begabung, vielseitig in seiner Bildung, 
streng und wahrheitsgetreu in der Beobachtung und unerreicht 
in der Kunst des Sprechens und des Schreibens. — 

Seit Decennien Recensent der Arbeiten des Verewigten in 
diesem Archiv, habe ich den Lesern ausführlich darüber be- 
richtet und meiner Bewunderung unverhohlen Ausdruck gegeben. 

De Rossi konnte erst nach langen und harten Kämpfen das 
unermüdlich ersehnte Ziel seines Lebens erreichen. Im Jahre 
1870 wurde er nach Rom berufen und als Docent fttr Ohren- 
heilkunde (Incaricato) angestellt. 

Im Jahre 1881 wurde er zum Extraordinarius und 1891 zum 
Professor Ordinarius ernannt. War diese Ernennung für den Ver- 
ewigten eine persönliche Genugthuung und eine gewiss ver- 
diente Belohnung, so war sie auch zugleich der Ausdruck der 
endlichen Anerkennung der Wichtigkeit und ünentbehrlichkeit 
der Ohrenheilkunde für die Ausbildung des Arztes, das Ideal, 
für welches de Rossi unentwegt und freimüthig stets gekämpft 
hatte. — 

Die Berichte aus der römischen ohrenärztlichen, laryngolog. 
und rhinolog. Klinik, die vielen Aufsätze über therapeutische, 
operative und klinische Fragen sind den Lesern schon bekannt 
und wurden dieselben gebührend beleuchtet. Das grössere Werk, 

Archiv f. Ohrenheilkmide. LIV. Bd. 21 



312 Nekrolog, Emilio de Rossi. 

des Verfassers, sein Lehrbuch der Ohrenheilkunde, wurde hier- 
selbst, im VI. Band, von Prof. Sehwartze reoensirt, und es findet 
sich darin unter Anderem auch folgender Pasns „ .... ich muss 
sagen, dass wir ein so vollständiges Lehrbuch wie das vorlie- 
gende in der deutschen Literatur nicht besitzen und dass also 
eine sehr schnell gelieferte Uebersetzung des Werkes in das 
Deutsche oder Französische fiir Viele gewiss äusserst willkommen 
sein würde^. Das Lob eines solchen Kritikers war fär den da- 
mals so jungen Autor wahrlich sehr ehrenvoll. Bei der Beoen- 
sion der zweiten Auflage dieses Werkes in diesem Archiv, 
B. XXrV, haben wir uns unbedingt diesem Lobe angeschlossen 
und zwar trotz der dazwischen verstrichenen, an Publicationen 
gewiss reichen Zeit, und zugleich die vorgenommenen Verbesse- 
rungen und Erweiterungen hervorgehoben. — 

Und so möge das ehrende Andenken an de Bossi in der 
Otologie fortleben, besonders aber mit herzlicher Dankbarkeit in 
Italien, wo der Verblichene viele wackere Schüler und aufrich- 
tige Verehrer zählte, zu welch letzteren gerechnet zu werden 
Schreiber dieser Zeilen sich rtthmt. 



XXII. 
Wissenschaftliche Rmdschan. 



38. 

Ergebnisse der Sammelforschung über Krankheiten des Ohres 
im E. und E. Heere in den Jahren 1897—1899. Im Auftrage des 
E. und E. Reichs-Eriegs-Ministeriums bearbeitet im E. und E. Militär- 
Sanitäts-Gomitä. Wien. Druck der Eaiserlich-Eöniglichen Hof- und 
Staatsdruckerei 1901. 

Obiger statistischer Bericht, welcher Yornehmlich die Beziehung der 
Ohrerkrankungen zur Diensttauglichkeit klarlegen soll, hat als Grundlage 
1. die Ergebnisse der ohrenärztlichen Untersuchung Ton im October 1896 bei 
mehreren Truppenkörpern eingestellten Rekruten, 2. die von den Militär- 
Heilanstalten eingesendeten Yerzeichnisse über die in den Jahren 1897, 
1898 und 1899 aus der Spitalsbehandlung abgegangenen Ohrenkranken. 

Das Ergebniss der Ohrennntersuchungen bei den Rekruten — die Unter- 
suchungen wurden im Ganzen an 11 Truppenkörpern und zwar in den Gar- 
nisonen Graz, Wien, Przem^sl und Innsbruck vorgenommen — war das fol- 
gende: Es fanden sich 395 Ohrenkranke (die Gesammtzahl der unter- 
suchten Rekruten ist leider nicht zu ersehen), darunter 25 mit einfachen 
Trommelf elldefecten, 35 mit chronischen Mittelohreiterungen und deren Fol- 
gen. Ausserdem hatten unter 998 sonst ohrgesunden Rekruten der Garnison 
Graz 91 Mann ein Hörvermögen, welches das für die Diensttauglichkeit vor- 
geschriebene Maass nicht erreichte. Aus der weiteren Beobachtung der im 
October 1 896 ohrenkrank befundenen Rekruten während ihrer weiteren Dienst- 
zeit ergab sich, „dass zahlreiche Rekruten mit exquisiten pathologischen Yer- 
änderungen am Ohre, selbst mit eiterigen Processen und Perforationen an- 
standslos weiterdienen*". Aus der Statistik, welche die in den Jahren 1897 
bis 1899 in den Heilanstalten behandelten 10457 Fälle von Obrenkrankheiten 
(bei 9595 Individuen) umfasst, sei hervorgehoben, dass die Letalität der 
Ohrenkranken im Durchschnitt 2,9 ^oo betrug, während die Gesammtletalität 
der Spitalskranken 9,7 ^oo ausmachte. Auffallend ist die Letalität der 
bosnisch-herzegovinischen Infanterie (16,6 ^/oo), was mit der Häufigkeit der 
Ohreiterungen bei dieser Truppe zusammenhängen dürfte. Es dürfte zu weit- 
führen, die Häufigkeit, in welchen die einzelnen Formen der Ohrenkrank- 
heiten vorgekommen sind, zahlenmässig zu verzeichnen, erwähnen wollen wir 
nur, dass, was die Gruppe „Eiterige Mittelohrentzündung'* anbetrifft, unter 
den einschlägigen 4480 Fällen 511,7^00 dienstuntauglich entlassen, 6,67oo ge- 
storben, 318,87oo superarbitrirt und 164,4^00 auf sonstige Art in Abgang 
gebracht worden sind. Das Hörvermögen der in den Heilanstalten behan- 
delten ohrenkranken Soldaten ist am Schlüsse der Schrift tabellarisch zu- 
sammengestellt und die Beziehung des Hörvermögens zur Dienstuntauglich- 
keit eingehend erörtert. 

Wer die im letzten Abschnitt in Kürze zusammengestellten Kranken- 
geschichten der 30 letal verlaufenen Fälle durchliest, kann sich des Eindruckes 
nicht erwehren, dass unter den 21 nicht operirten letal verlaufenen Fällen 
mancher durch eine rechtzeitige Operation hätte gerettet werden können, und 
dass unter den trotz vorgenommener Operation letal geendigten Fällen man- 
cher gerettet wäre, wenn die Operation nicht zu spät gekommen oder der 

21* 



314 XXII. Wissenschaftliche Rundschau. 

Ausdehnung der Erkrankung entsprechend ausgeführt worden wäre. Mit 
einem offenen, die Ursachen dieser Unterlassungssünden schonungslos auf- 
deckenden Bekenntniss schliesst der Bericht: „Sicher ist, dass ein operatives 
Vorgehen In vielen Fällen nur desshalb unterblieb, weil die Technik der 
Operateure im Bereiche des Obres derzeit nur von wenigen specialistisch aus- 
gebildeten Militärärzten beherrscht wird.'' 

An merk. d. Ref.: Wir können uns mit der in dem Resume der 
Krankengeschichten der letalen Fälle (S. 26) über den Fall 22 ausgesprochenen 
Ansicht, dass hier 2 Processe, eine Sinusthrombose einerseits und ein acuter 
Gelenkrheumatismus andererseits neben einanderherliefen, nicht einverstanden 
erklären. Vielmehr sind wir der Meinung, dass die auf einen vermeintlichen 
acuten Gelenkrheumatismus bezogenen Symptome lediglich als pyämische 
Metastasen aufzufassen sind. Grunert. 

39. 
Prof. De Rossi (Rom). Bericht an die Generaldirection der 
sicilianischen Eisenbahnen über die in Europa bestehen- 
den Bestimmungen für die Untersuchung des Gehörs bei den 
Eisenbahnbediensteten nebst Entwurf eines Reglements für 
das sicilianische Eisenbahnnetz. Palermo 1900. 

Im Februar 1900 richtete der Generaldirector der sicilischen Eisenbahnen 
an Prof. De Rossi ein Schreiben mit der Einladung, bei dem Mangel anfSpeciellen 
Bestimmungen zur Untersuchung des Gehörs in dem bestehenden Aufnahms- 
reglement ein Regulativ zur Bestimmung der Hörschärfe ausarbeiten zu wollen. 
— De Rossi wendete sich an engere Fachcollegen in sämmtlichen europäi- 
schen Staaten mit der Bitte um Mittheiiung der bestehenden Bestimmungen, 
um später auf Grundlage dieses Sammelberichtes den verlangten Entwurf vor- 
zulegen. — Aus den interessanten Mittheilungen und anknüpfenden Betrach- 
tungen, die mit dankenswerther Zuvorkommenheit dem Autor zukamen und 
in extenso im Original nachzulesen sind, fasste De Rossi einen General- 
bericht zusammen, dem wir hier nur die Hauptpunkte entnehmen können. 

Die europäischen Staaten zerfallen mit Bezug auf die genannte Frage in 
zwei GruDpen : die eine (Belgien, Frankreicb, Grossbritannien, Spanien, Schwe- 
den und Norwegen) führen weder gesetzliche, noch irgendwie beschaffene Be- 
stimmungen zur Untersuchung des Gehörs bei den Eisenbahn bediensteten ; 
die andere Gruppe (Baden, Bayern, das übrige Deutschland, Holland, Oester- 
reich-Ungarn , Russland und die Schweiz) besitzt diesbezügliche Ministerial- 
Verordnungen und Reglements. — 

Um das aus der Sammelforschung hervorgegangene Material besser zu 
verwerthen, stellt De Rossi folgende Fragen auf: 

1. Giebt es Staaten in Europa, wo Ohrenärzte zu genanntem Zwecke an- 
gestellt sind? 

Nur in Bayern. In den übrigen Staaten, mit und ohne bestehende Be- 
stimmungen, werden Ohrenärzte von der Eisenbahnverwaltung consultirt, 
zumeist bei zweifelhaften Fällen oder um ihnen schwer Erkrankte zur Be- 
handlung zu überweisen. 

2. Welche Normen werden bei der Gehörs Untersuchung befolgt? 

Es wird durchgehends auf Flüstersprache untersucht und zwar mit fol- 
genden, die Aufnahme in den Dienst bedingenden Hörweiten: Bayern 2 m, 
Baden 12 m, Deutschland 7 m, Holland 6 m, Oesterreich-Ungarn 6 m, Russ* 
land 6 m, Schweiz 5 m. — Die Uhr wird nur in Oesterreich-Ungarn und in 
der Schweiz benützt, mit der festgesetzten Hörweite von 20—25 cm, resp. 
50 cm (umgekehrt dem in beiden Staaten angenommenen Verhältnisse der 
Hörweite für Flüstersprache). Politzer's Acumeter wird nur in Baden 
in Gebrauch gezogen und zwar mit einer verlangten Hörweite von 3 m; eben- 
falls nur dort ein Pfeifchen, welches auf 400 m gehört werden muss. — Nicht 
alle Staaten, welche festgesetzte Normen für die Untersuchung des Gehörs 
besitzen, scheinen den hohen Wert der directen Untersuchung des Ohres 
zu würdigen ; anderseits hat man anderswo (z. B. in Russland) bei Verein- 
fachung der functionellen Untersuchung ersterer grössere Aufmerksamkeit ge- 
schenkt, was nach De Rossi sehr wichtig ist, da die physikalische 



XXII. WisBenschaftHche Randschau. Slö 

Untersuchung sicherere Besultate giebt als jede functionelle 
Erhebung. — DeRossi hebt die auffallende Erscheinung hervor, dass, 
während einige Staaten bestimmte Erkrankungsformen des Ohres als dienst- 
ausschliessend ansehen, die Tubarstenose dabei nicht berücksichtigt ist, 
und doch sei gerade dieselbe häufig unter gegebenen Verhältnissen, z. B. 
während einer von grellen Temperaturschwankungen begleiteten Fahrt, Ur- 
sache einer plötzlichen, hochgradigen Yerschlimmerung des Gehörs, so dass 
der regelmässige Gang der Maschine und die verschiedenen akustischen Sig- 
nale gar nicht oder unsicher zur Wahrnehmung gelangen. Und gerade die 
Tubarstenose ist durch einen charakteristischen otoskopi- 
schen Befund ausgezeichnet. Sonderbarer Weise, während die Oto- 
skopie wenig oder gar nicht Jberücksichtigt wird, verlangt man anderseits in 
den Reglements, dass wenigstens ein Nasenloch durchgängig sei. 

Mit Bezug auf die functionelle Prüfung bemerkt De Rossi ganz 
treffend, dass die Untersuchung der aufzunehmenden Eisenbahnbediensteten 
unter sehr verschiedenen Bedingungen, als bei der Assentirung sich vollzieht, 
da bei dieser der Untersuchte alles aufbieten wird, um Taubheit vorzuschützen, 
während die Dienstcandidaten der Eisenbahnen die möglichste Anstrengung 
machen werden, um richtig zu hören. Für gewöhnlich, um jedem Arzt die 
Untersuchung zu ermöglichen, räthDe Rossi nur auf Flüstersprache 
nach Wolfs Angaben zu prüfen; nur in zweifelhaften Fällen wird man 
auch Stimmgabeltöne benützen, insbesondere jene, die der entsprechenden 
Tonhöhe der Eisenbahnsignale sich nähern. — In Zukunft wird es im In- 
teresse der Eisenbahnverwaltungen selbst liegen, jene Aerzte anzustellen, die 
specielle ohrenärztliche Kenntnisse nachweisen können; für den Augenblick 
aber sollten sich dieselben die Mitwirkung von Ohrenärzten bei speciellen 
Anlässen sichern, so z. B. zur unumgänglichen, zeitweiligen Revision der 
Angestellten. 

Das von De Rossi schliesslich gebrachte Reglement für die siciliani- 
schen Bahnen ist im Geiste obiger Ausführungen verfasst und ergeht sich 
in akustischen Einzelheiten, die in dem belehrenden Aufsatze nachzulesen sind. 

Morpurgo (Triest). 

40. 

Prof. Vicenzo Cozzolino (Neapel). Ueber einige Operationsfälle bei 
primärer Thrombophlelitis derY. jngularis, des Sinus late- 
ralis und bei otitischen extraduralen, cerebralen undcere- 
bellareuAbscessen. Bolletino v. Prof. Grazzi, Florenz. Jahrgang XVl. 

Im Schuljahre 1897—98 unter 854 Kranken des ohrenärztlichen Ambu- 
latoriums, die an acuten, resp. chronischen Mittelohreiterungen litten, wurden 
36 Mastoidoperationen resp. 27 Antrotomien und 9 Attico-Antrotomien vor- 
genommen. Ausser diesen Fällen kam es 6 mal zu intracraniellen Compli- 
cationen, die ebenfalls zu operativen Eingriffen führten, und zwar: 

1. Streptococcusphlebitis acutissima aus umschriebener Osteo- 
myelitis der Trommelhöhlenwand und des Warzenfortsatzes. Wiederholte 
operative Eingriffe, mit Jugularisunterbindung, konnten den Exitus nicht ab- 
wenden. Section: alle Sinus frei, nur die Jngularis erkrankt, keine sub- 
duralen Abscesse, dafür Leptomeningitis purulenta der Convexität. 

2. Thrombophlebitis des Sinus transv. Durch Infection des 
Emmissar. Santorini aus Mastoiditis hervorgegangen. Ausgedehnter opera- 
tiver Eingriff am Knochen, Unterbindung der Y. jugularis (doppelt mit Ex- 
cision des entsprechenden Gefässabschnittes). Tod, am vierten Tage beim 
Ausbleiben von Schüttelfrostanfällen und unter Erscheinungen, die auf Meta- 
stasen in der Leber und Milz zu beziehen waren. Keine Section. 

3. Thrombophlebitis des Sinus transv. mit ausgebreiteter Peri- 
phlebitis der Jugularis, aus Endomastoiditis ausgegangen mit umschriebener 
Nekrose des Sulcus sigmoideus. — Ausgedehnte Knochenresection ; Eröffnung 
des Sinus mit Entfernung eiteriger Thromben; später eines tiefen Hals- 
abscesses längs dem Sternocleidomastoid. mit Blosslegung des Sinus bis zum 
Bulbus ven. jugul. — Nach einem Monat (soweit reicht der Krankheitsbericht) 



316 XXII. WiBsenschafÜiche Rundschau. 

war Patient bedeutend gebessert, d. b. local die Wunde und die Umgebnng^ 
fai voller Heilung begriffen, Fieberanf&lle schwach und weit auseinander- 
liegend, aber noch bestehende Erscheinungen von Lnngenmetastasen. 

4. Grosser subduraler Abscess durch ausgebreitete Nekrose des 
äusseren GehOrganges, des Warzenfortsatzes und Tegmen antri, Facialparalyse ; 
kein Cholesteatom. — Nach ausgedehntem operativen Eingriffe mit Elunination 
des Sequesters und Blosslegung des Tegmen tympano-mastoideum war der 
locale Zustand sowohl als der allgemeine sehr befriedigend; da trat durch 
einige Tage Abflnss von CerebrospinalflQssigkeit ein (durch spontane, exul- 
cerative Perforation der Arachnoidea), worauf Leptomeningitis und Exitus 
letalis erfolgte. — 

5. Perisinusaler Subduralabscess in der Eleinhirnregion ohne 
Betheiligung des Sinus transversus; angeborene Dehiscenz der Tabula int.^ 
acute Endomastoiditis. Operation (Mastoidotomie mit Blosslegung des Sinus). 
In Heilung begriffen bei der Veröffentlichung des Falles. (Operirt am- 
bulatorisch). — 

6. Subduraler Abscess in der Occipitalgegend mit schwerer Be- 
einträchtigung des Allgemeinbefindens bei subacuter Endomastoiditis. — 
Operation : Breite Antrectomie; kein Eiter in den Warzenräumen; subcutaner 
Abscess in der Occipito-mastoidealen Gegend ; Blosslegung einer nekrotischen 
Partie des Hinterhauptbeins; nach Auslöffelung der Granulationen findet 
man die Dura blossliegend. — Heilung. 

Auf die Wiedergabe der epikritischen Ausführungen über die einzelnen 
Fälle müssen wir verzichten und verweisen auf das Original. — 

Morpurgo (Triest). 

41. 

Olmer Lenoir, ancien interne des hdpitaux des Paris: Contribution ä 
r^tude de Tantrectomie (ouverture de Tantre p^treux) con- 
sid^r^e comme but opöratoire et comme temps pr^liminaire 
des Operations nöcessit^es par les complications des suppu- 
rations mastoidiennes. (Revue de Chirurgie Nr. 7 [lOjuillet] 1901, p.39 
bis 58; Nr. 9 [10 septembre] p. 359—384; Nr. 10 [10. octobre] p. 455 bis 
465; avec 43 fig.). 

Die Arbeit hat 1896 den Preis Laborie von der Soci^t^ de Chirurgie 
erhalten. Sie ist im Laboratorium von Farabeuf entstanden, in welchem 
Lenoir Präparator war. Pathe war sozusagen A. Broca. 

Zweck der Arbeit ist: eine gefahrlose, sichere, für jedes Alter passende 
Methode zu suchen, die in jedem Fall eine Richtschnur für Auffindung des 
Antrums giebt. 

Das erste Capitel handelt von der Nothwendigkeit der Eröffnung des 
Antrums nicht nur in chronischen, sondern auch in acuten Fällen (Polemik 
gegen Hessler und Politzer); vor Allem aber wird Werth auf die An- 
trectomie als auf vorgängige Operation bei intracraniellen Operationen gelegt. 
Es wird darauf hingewiesen, wie nothwendig die anatomischen Kenntnisse 
sind, um die häufig für zu leicht gehaltene Eröffnung des Antrums von un- 
angenehmen Nebenerscheinungen (Facialisparalyse) freizuhalten. 

Im zweiten Capitel, Anatomie des Warzenfortsatzes, beschreibt Verfasser 
vor Allem das verschiedenartige Aussehen in der hinteren Umgebung der 
Spina supra meatum (Spina Henlei, ^pine tympanale de Poirier). Hie und 
da glaubt man einen Nageleindruck mit wenigen mikroskopischen Oeffnungen 
vor sich zu haben, ab und zu findet man eine mit feinen Löchern übersäte 
fiache Einsenkung, gelegentlich zeigt sich ein grosses Loch. Es können hier 
ethnographische Momente mitspielen. 

Die vergleichende Anatomie ergiebt, dass die Spina Henlei nichts mit 
dem Annulus tympanicus zu thun hat. 

Bei 100 Schädeln von Erwachsenen fehlte sie einmal einseitig, zwanzig- 
mal war sie schwach entwickelt. 

Bei Kindern unter 4 Jahren findet man sie kaum. Mit Sicherheit kann 
man erst bei Kindern über 10 Jahre auf sie zählen. 



XXII. WisseiiBchaftliche Bundschan. 317 

Ein äussent wichtiger Anhaltopankt fQr Kinder in zartem Alter ist 
nun diejenige Partie der feinen Oefl&inngen, welche beim Erwachsenen hinter 
der Spina li^. Am kindlichen frischen Gadaver sieht sie wie ein Blutfleck 
aus. Sie entspricht genau dem Antrum. 

IMese Paraglenoidalöffnangen, wie Autor sie nennt, dienen zur üeber- 
führnng des Blutes ans dem Sinns lateralis in die Jugnlaris externa yer- 
mittelst des Sinus petrosquamosus. Einmal konnte Verfasser eine Sonde aus 
den voluminösen Oeffhnngen in einen wohlerhaltenen Sinus petrosquamosus 
einfahren. Vergleichend anatomisch fahrt Verfasser das gleiche Verhalten 
bei der Zi^e an. 

Hinsichtlich der Structnr des Warzenfortsatzes fand der Autor nach 
Fortnahme der äusseren Schicht in einem Drittel der Fälle eine in der Höhe 
der Spina snpra meatnm gelegene Zelle, die direct in das Antrum fahrt, und 
die er Aditus externus nennt. 

Einige vom Antrum ausgehende lufthaltige Zellen existiren abrigens 
schon bei der Geburt, wie Farabeuf durch Quecksilberausgasse beweist. 

Im ersten Lebensjahre stellt sich die Sutura mastoideo-squemosa dem 
weitern Ausbau der Warzenzellen hindernd entgegen; davon lassen sich 
später noch Spuren nachweisen. 

Bei dem Fötus und Kindern unter einem Jahr lag das Antrum 2—4 mm tief. 
Von da an wechselt die Tiefe bei Kindern so gut wie bei Erwachsenen. 

Der Autor musste einmal 2 cm 7 mm eingehen, ehe er das Antrum 
fand. Indem er also bis zu fast 3 cm Tiefe besondere Aengstlichkeit nicht 
zulässt, empfiehlt er doch grosse Vorsicht 

Das Antrum befindet sich bei Individuen jeden Alters unterhalb der 
Orista supramastoidea, sowie oberhalb und vor der Sutura mastoidea squamosa. 
Letztere setzt dem Vordringen des Baspatoriums gewöhnlich einen ganz 
charakteristischen Widerstand entgegen. 

Wenn auch diese Linien unbeständig sind, so bieten sie doch im Fall 
ihres Vorbandenseins scbätzenswerthe Anhaltspunkte. Beim Erwachsenen 
tragen sie auf jeden Fall zur Begrenzung des Operationsfeldes bei. 

Um ganz genaue Anhaltspunkte far die Lage des Antrums zu erhalten, 
hat der Autor 47 Schädel, die Personen der verschiedensten Lebensalter an- 
gehörten, auf „hauteur** und „rayon*" des Antrums untersucht. 

„Hauteur*" nennt er die verticale Distanz des Gentrums des Antrums 
von einer Horizontalen, welche, falls eine Spina supra meatum vorhanden ist, 
durch diese, andernfalls durch den höchsten Punkt des knöchernen Gehör- 
gangs geht. (Mathematisch ist wohl diese Linienbestimmung durch einen 
Punkt kaum!) 

^„Bayon** ist die Entfernung des Gentrums des Antrums eben von der 
Spina oder dem höchsten Punkt des knöchernen Gehörgangs selbst. 

Das Ergebniss dieser sich doch auf verhältnissmässig sehr wenig 
statistisches Material stützenden Untersuchung drückt Verfasser so aus: 

»Das Antrum liegt bei dem ausgetragenen Fötus oberhalb und ein 
wenig hinter dem Dach des knöchernen Gehörgangs. Mit vorschreitendem 
Alter rückt es von oben nach unten und von vorn nach hinten. Es senkt 
sich und entfernt sich immer mehr vom höchsten Punkt der oberen Gehör- 
gangswand. 

Durch diese verschiedene Lagerung wird eine Gurve beschrieben, welche 
die durch die Spina Henlei charakterisirte Horizontale ungefähr mit 10 Jahren 
erreicht. Von diesem Zeitpunkt an senkt sich das Gentrnm des Antrums 
nicht mehr, sondern entfernt sich nur noch horizontal nach rückwärts bis 
zu einer Maximaldistanz von ungefähr 7 mm vom Jünglingsalter an.** 

Führt man vom Eingang des Antrums in den Aditus eine Sonde und 
schiebt sie in der eingeschlagenen Bichtung weiter, so gelangt sie in die Tube. 

Es folgen anatomische Daten über den Aditus. Die Gefahren der Ver- 
letzung des Ganalis semicircular. des N. facial, und des sin. lateral, werden 
auf anatomischer Basis erläutert. 

Beim Kind ist die Aufmeisselung für den Facialis gefahrlos und auch 
für den Sinus nicht sehr gefährlich. Uebrigens entspricht die Sinusbeuge 
bei Kindern meistens dem vorderen oberen Winkel der fontanelle ast^rique. 



318 XXII. WisBenschaftliche Rundschau. 

Als Instrument empfiehlt Lenoir den von den Franzosen im Allge- 
meinen bevorzugten Meissel. 

Für die Anlegung der Antrums()ffnung giebt der Verfasser folgenden 
Rath: 

Beim Erwachsenen soll man unterhalb der Crista supramastoidea, vor 
und über der Sutura mastoIdeo-s(]^uamosa, hinter dem Meatus eingehen. Die 
Knochenöffnung soll im Anfang ein 1 cm hohes Rechteck bilden. Die obere 
Seite soll sich etwas unterhalb, aber fast noch im Niveau einer Horizontalen 
befinden, die durch die Spina Henlei geht. Die vordere Seite befindet sich 
5 mm hinter der Spina. 

Je jünger das Individuum ist, um so mehr muss nach vorn und oben 
gearbeitet werden. 

Um nun weiter zum Antrum zu gelangen, räth Lenoir, sich an 
Farabeuf zu halten: 

»ün poingon, enfoncö dans ia partie surabaiss6e (dite mur de la logette) 
de la paroi sup^rieure du conduit auditif osseux, entre dans Taditus. Si donc 
nous appliquons de temps en temps dans le conduit auditif un styletrep^re 
que nous appuierons au point indiqnö ci-dessus, nous aurons, quand nous 
le voudrons, au cours de Top^ration Tindication de la direction k suivre.*" 

Im weiteren Verlauf der Operation hält Lenoir sich an die Stacke- 
sche Methode „vulgaris^e et perfectionn^e par Lub et -Barbon ", nament- 
lich mit Bezug auf die Aussch&lung des äusseren Gehörgangs. 

In wenigen Zeilen wird die Beschreibung der Radicaloperation zu Ende 
geführt. Die Plastik wird nicht berücksichtigt. 

Die Behandlung der übrigen kranken Warzenzellen sowie der krank- 
haften Veränderungen am und im Sinus werden mit einigen Worten, die 
cerebralen und cerebellaren Veränderungen mit dem Hinweis auf einige Ab- 
bildungen abgethan. Dabei suchen die meisten Abbildungen ihres Gleichen 
an mangelhafter Ausführung und Undeutlichkeit. 

Es ist daher ganz unerfindlich, wie der Autor zu Beginn seines letzten 
Capitels sagen kann, seine textliche Arbeit solle nur ein Gommentar zu den 
Abbildungen sein. 

Das letzte Gapitel lautet: Examen critique de quelques autres proc^d^a 
employ^s, tant pour Touverture de Tantre que pour le traitement de certaines 
complications des Otites moyennes. — Von Stacke unterscheidet er sich 
durch die Reihenfolge, sagt Lenoir: Erst Antrum, dann Atticus. Die 
Stacke 'sehe Methode sei mehr die des Otologen, weil bei ihr Paukenhöhle, 
Gehörknöchelchen und Atticus die Hauptsache seien. 

Die von ihm, Lenoir, beschriebene Methode gehe auf das Antrum los 
und ermögliche die Behandlung der von Stacke einigermaassen vernach- 
lässigten Zellen, sowie die Inspection des Hirns und des Sinus : Sie sei*mehr 
die Methode des Chirurgen. Bei Stacke sei auch der Facialis mehr be- 
droht, noch mehr aber bei Küster. 

Bergmann scheine unter der Furcht einer Nervenverletzung zu leiden. 

Chaput*s breite Resection des Felsenbeines wird von Lenoir „une 
beUe Operation, savamment concue", genannt, dabei hat der von Lenoir 
wegen seiner Geschicklichkeit gepriesene Chaput, der in einer so schwierigen 
Operation eher als andere befähigt sei, in seinen 3 Fällen drei Facialis- 
paralysen gehabt. 

Der Verfasser spricht schliesslich ftLr den Mastoidweg bei cerebralen und 
cerebellaren Abscessen. 

Lenoir kommt zum Schluss, dass die Antrectomie leicht ist, da man 
leicht Anhaltspunkte und einen Locus electionis für die Operation feststellen 
kann. Es ist auch verhältnissmässig leicht, bei ihrer Austübrung alle in Be- 
tracht kommenden Organe unverletzt zu lassen. — 

Die deutsche Literatur auf diesem Gebiete, die doch sonst von den 
Franzosen für grundlegend angesehen wird, ist in unglaublicher Weise unbe- 
rücksichtigt geblieben. 

In den seltenen Fällen, in denen sie vom Verfasser citirt wird, geschieht 
dies nicht immer in würdiger Weise. Stern- Metz. 



be Rundschau. 319 



eher Taabstammheit Wratscb. 

i>ner. Yerheirathet, kinderlos. Starker 

.t venere während der Militärzeit, keine 

^ser dass Vater Potator mittleren Grades. 

^ ung und Aufregung bei der Beerdigung eines 

"^ pileptiscber Krampfanfall, wonach Sprache 

«orüberfKehend leichte Agraphie und Parese 
Auf schriftliche Suggestion bringt er zu einer 
vVorte heraus, sonst bei Versuch zu sprechen, 
Analgesie fast der ganzen Haut, fühlt keinen 
iler Rachenschleimhaut kann Anfangs nicht ge- 
dieh bei der Untersuchung nicht öffnet; aus dem- 
ut gähnen. Temperatursinn und Geschmack er- 
>uchung erweist sich die Rachenscbleimhaut als total 
^ifflexe herabgesetzt. Die geistigen Fähigkeiten haben 
später noch häufig schwächere Anfälle, Krämpfe der 
^keln. Contractur der linken Hand. Anfangs Wieder- 
Augenblicke, besonders nach Aufregungen, dann all- 
\V Gehen dauerndem, der Hysterie eigenthüm liebem, ewig 
Herstellung des Gehörs. Nach einem weiteren Monat erst 
des faradischen Pinsels Wiederkehr der Sprache. Aus 
jenen Fällen scheint hervorzugehen, dass die hysterische 
iptsächlich Männer mittleren Alters befällt und meist durch 
i). psychisches Trauma provocirt wird. Der Fall ist auch 
. eitete Unempfindlichkeit der Haut bemerkenswertb. Gegen- 
der immer nur eine halbseitige oder begrenzte Unempfind- 
, hält K. die allgemeine unempfindlichkeit der Haut und sogar 
.t iür nicht selten und bestreitet er das Charakteristische der 
^ für die Hysterie, wofür auch noch casuist. Beobachtungen 
ren angeführt werden. Forestier-Libau. 



43. 

Die sich in die Länge ziehende eitrige Mittelohrent- 
ug und deren Behandlung. Wratsch. Nr. 37. 1901. St. Peters- 

t der Aetiologie beginnend, räumt H. eine Prädisposition zu Mittel- 
aukungen besonders den mit adenoiden Vegetationen Behafteten ein, 
er darauf hinweist, dass man häufig der falschen Ansiebt begegnet, 
Hypertrophien entstünden erst bei älteren Kindern. H. hat daraufbin 
Leichen von 19S Säuglingen secirt, und fand bei 4S die III. Mandel 
rössert, bei 8 ausgebildete Hypertrophien. Diese Zahlen sind bestimmt 
r niedrig gegriffen, da leichtere Grade von Hypertrophien an der Leiche 
sonders leicht übersehen werden können. Interessant ist die Behauptung, 
ISS der Verlauf der Ohreiterungen in Russland ein viel milderer sein soll 
.is in West-Europa und dass besonders im Gegensatz zu Deutschland das 
Jbolesteatom in Russland fast gar nicht vorkommen soll, sowie dass umfang- 
reichere Nekrosen des Knochens, Perforationen der SbrapnelTschen Mem- 
bran und die sogenannten Randperforationen selten sind. H. hat aus seiner 
1 1jährigen recht grossen ohrenärztlichen Praxis in Petersburg nur 2 Fälle 
von Cholesteatom zu verzeichnen; in der von Prof. Symanowski geleiteten 
Klinik ist in den Berichten aus den Jahren 1893—1896 kein einziger Fall 
erwähnt. Auch soll der Verlauf des Cholesteatoms in Russland ein anderer 
sein; es zeigt wenig Neigung zur Zerstörung, ist weniger zäh und leichter 
radical heilbar. Die Gründe sieht H. in klimatischen Verhältnissen. In den 
russischen Lehrbüchern von Preobrashenski und Shirmunski soll das 
Cholesteatom Oberhaupt nicht erwähnt worden sein. Ausspritzungen und 
Tamponaden bei Mittelohreiterungen verwirft Verfasser ganz, er legt Ha- 



320 XXII. Wissenfichaftlicbe Bundschau. 

Hauptgewicht der Behandlung auf das h&ufige Austupfen, wobei das Ohr 
weder mit Watte, noch mit Mariy verschlossen wird, nebenbei werden In- 
Bufflationen mit Bors&ure gemacht. Wenn die Eiterung in 1 bis iVs Monaten 
nicht versiegt ist resp. wenn Granulationen oder Kopfschmerzen auftreten, 
befürwortet H. die Totalaufmeisselung. Ueber die Hammer-Ambossextraction 
durch den Gehörgang äussert er sich wenig, indem er wenig Erfahrung hin- 
sichtlich derselben vorschützt, er traut ihr auch nicht viel zu und hält sie 
für technisch sehr schwierig. Er operirt nach Stacke, dessen Methode er 
modificirt. Den Gehörgang zieht er nicht nach vorne, hebelt ihn überhaupt 
nicht vom Knochen ab, sondern lässt ihn, wie er ist, besonders weil das 
Abhebein der sehr dünnen Haut im knöchernen Theil kaum gelingt und 
überhaupt keine Bedeutung hat, da er ihn — und das ist der Hauptunter- 
schied seiner Methode — zur Plastik nicht verwendet. Plastik macht er 
gar nicht, der Gehör^ang wird bloss, um ihn zu erweitern, gespalten. Die 
Wunde hinter dem Ohr lässt er fest zuheilen. Der erste Verband liegt 2 
bis 3 Tage, die weiteren werden täglich, oder jeden zweiten Tag s:emacht; so- 
bald die Wunde sich mit Granulationen bedeckt, wird der Kranke ambu- 
latorisch behandelt, und zwar bleibt er ohne jeden Verband. Die Wunde 
wird nur ausgetupft, gar nicht tamponirt, höchstens mit Borsäurepulver be- 
streut, im Nothfall kann die Behandlung dem Patienten selbst überlassen 
werden. Bei diesem Regime „wuchern 1. die Granulationen gar nicht oder 
80 gering, dass man sie unbeachtet lassen kann, ist 2) die Absonderung der 
Wundfläche höchst unbedeutend, erfolgt 3) die Verödung des Antrum, die 
Bedeckung des Mittelohrraumes mit einer mehr oder weniger dicken Schicht 
von Bindegewebe und die Auskleidung mit Epidermis in 1—2 Monaten, 
häufig auch rascher, kann man 4) die Auskleidung mit Epidermis durch 
Transplantationen nach Rover diu oder Thiersch beschleunigen. Im 
Schlusswort bespricht Verfasser die Indicationen und fordert mit Recht be- 
sondere präcise Indicationen für das frühe Kindesalter. Die Häufigkeit der 
Erkrankungen in dieser Altersstufe leitet Verfasser aus den Sections-Proto- 
coUen des Petersburger Erziehungshauses ab. Auf 2136 Autopsien kommen 
818 oder 3S,3 Procent Mittelohrentzündungen. Nach Winogradow sollen 
es sogar 47 Procent sein. Hierbei referirt Verfasser das praktische Ver- 
fahren, nach welchem N. Winogradow bei jeder Leiche auch das Mittel- 
ohr secirt. Nach Eröffnung der Schädelkapsel hebt er das Tegmen tympani 
ab und spritzt durch den Gebörgang Wasser; wenn das Wasser durchkommt, 
so ist damit eine TrommelfelJperforation erwiesen, wenn hierbei noch Eiter 
vordringt, eitrige Otitis diagnosticirt. Hierbei fallen natürlich die mannig- 
faltigen Otitiden ohne Perforation, die Anfangsstadien etc. weg und wären 
somit Hartmann *s Angaben, dass von sämmtlichen kranken Kindern in 
den ersten Lebensjahren 75 Procent ohrenkrank wären, durchaus nicht un- 
richtig. Die Abhandlung schliesst mit der kurzen Wiedergabe von 9 eigenen 
Krankengeschichten. Forestier. 

44. 

iV. LaUy Ueber die Heilung alter Trommelfellperforationen. St. 
Petersb. med. Wochenschr. No. 29. 1901. 

Handelt vom Oku new 'sehen Verfahren. Für das russ. Militär von 
wichtiger Bedeutung, da nach dem bisherigen Gesetz grössere Trommelfell- 
Perforationen vom Dienste befreien. Forestier. 



45. 

Erwin Jürgens, Ueber die Bedeutung der Lymphdrüsen in der Um- 
gebung des Ohres. St. Petersb. med. Wochenschr. Nr. 41. 1901. 

Beschreibt nach Gruber, Kessel, Merkel, Rauber kurz den Gang 
der Lymphgefässe im Ohr, wie die der Schleimhautschicht des Trommelfells 
sich mit den Lymphgefässen der Cutisschicht vereinigen, dann schon als 
grössere Stämmchen in den äusseren Gehörgang und von da mit dem Periost 



XXII. Wissenschaftliche Rundschau. 321 

des Gehörgangs in das Periost des Warzenfortsatzes gehen, um theils in den 
auf der Parotis gelegenen Drüsen, theils in den am vorderen und hinteren Rand 
des Muse, stemocleidom, welche zum Theii häufig auf dem Warzenfortsatz 
liegen, ihr Ziel zu erreichen. Das Vortäuschen einer Mastoiditis mit Fieber und 
Druckempfindlichkeit des Proc. mastoid., hervorgerufen durch entzündete 
kleine Drüsen auf dem Processus oder an der Spitze desselben, kann zu 
irrthümlichem Eröffnen des Warzenfortsatzes führen. Es darf eine Untersu- 
chung etwaiger anderer Drüseopackete in der Umgebung des Proc. mast. nicht 
unterlassen werden, da im Falle stärkerer Schwellung und SchmerzhidPtigkeit 
dieses abgewartet werden kann. Von einer primären selbständigen Krank- 
heitsform der Drüsen glaubt J. absehen zu müssen, da stets Mittelohrpro- 
cesse, die oft Anfangs latent scheinen, dieselben veranlassen. Forestier. 



46. 

M. J. Bolochotvski, Ueber Massage vermittelst der elektromoto- 
orischen Luftpumpe bei Ohr-£rkrankungen. Wratschebn^ja 
Gaseta. Nr. 36. 1901. St. Petersburg. 

Nach einem im Jekaterinoslaw'schen ärztlichen Verein gehaltenen Vor- 
trag. Enthält lediglich ein Referat der herrschenden Ansichten über den 
Werth obiger und mit ihr verwandter Methoden. Forestier, 



Personal- und Fachnaehriehten. 

In Leipzig starb am 18. September 1901 im Alter von 85 Jahren Hof- 
rath Dr. Adolf Winter, Prof. extraordinär, in der medicinischen Facultät. 
Winter ist am bekanntesten geworden als langjähriger Redacteur der 
„Schmidt*schen Jahrbücher der gesammten Medicin", und war Bibliothekar 
an der Universitäts- Bibliothek. Er las über Ohren- und Augenheilkunde, 
später über Receptirkunst und zuletzt über Encyclopädie der Medicin. Lange 
Jahre unterhielt er eine Privat-Poliklinik für Ohrenkranke, die später auf 
den Prof. Hermann Wendt überging. — 

Prof. Kessel (Jena) erhielt den Charakter als Grossherzoglich Säch- 
sischer Hofrath. 



Draok von J. B. Hirsohfeld in Leipzig. 



• • 



ENCYKLOPADIE 



DER 



OHRENHEILKUNDE 



Herausgegeben 
von 

Dr. Louis Blau in Berlin 

Bearbeitet von 

DOC. Da. ALT, Wien. FrivatDOCENT Dr. äSHER. Berk. Prof. Dr. B. BAQIKSSY, BES10. DR. BAttKICK, 
Graz. Prof. Dr. BERTHOLD, KömasBERG i. P. Doc. Dr. BING. Wien. De. BLAU, Berlin. Primararzt 
Dr. BBIEOER, Breslau. Prof. Dr. bOrKNER, Göttinoen. Dr. DENKERv Haoeh i. W. Frivatdocent Dr. 
DRETFU8S, SXEAflSBCRO i. E. Dr. EITELBERG, WiEir. Dr. EULENSTEIN, Frakkfurt a. M. Dr. FREY, 
Wien. Prof. Drv FRIEDRICH. Kiel. Dr. gORRB, Breslau. Prof. Dr. GRADENIGÖ, Turin. Frivatdocent 
Dr. ORONERT, Halle a. S. DE. GDTZMANN, Berun. Prof. Dr. HABERMANN, Graz. Dr. HAMMER- 
SCHLAG, Wien. Dr. HANSBERG, Dortmund. Frivatdocent Dr. HAUO, Hünchen. Prof. Dr. HESSLER, 
Halle a. S. Prof. Dr. JACOBSON, Berlin. Dr. JANKAU, München. Frivatdocent Dr. JANSEN, Berlin. 
Dr. JOEL, Gotha. Frivatdocent Dr. KATZ, Berlin. Dr. KATSER, Breslau. Dr. KELLER, Köln. Prof. 
Dr. KIESSELBACH, erlangen. Frivatdocent Dr. KRAUSE, Berlin. Dr. KRETSCHMANN, Magdeburg. 
Prof. Dr: KÜMMEL, Breslau. Frivatdocent Dr. LEUTERT, Königsberg i.F. Sanitätsratk Dr. LUDEWTG, 
Hamburg. Dr. MYOIND, Kopenhagen. Dr. NOLTENIUS, Bremen. Prof. Dr. OSTMANN, Marburg. Dr. 
PANSE, Dresden. Prof. Dr. PASSOW, Heidelberg. Prof. Dr. POLITZER, Wien. Doc. Dr. POLLAK, 
Wien. De. REINHARD, Duisburg. SahttItsratu Dr. ROLLER, Trier. Dr. SCHUBERT. Nürnberg. 
Sanitätsrath Dr. SCHWABACH, Berlin.. Dr. SCHWIDOP, Karlsruhe. Dr. SELIGMANN, Frankfurt a. M. 
Dr.'SFIRA, Kraxau. Prof. Dr. STEINBRÜGGE, Giessen. Dr. STERN, Metz. Prof. Dr. STETTER, Kömcs- 
BEEia X, F. PROF. Dr. URBANTSCHITSCH, Wien. Dr. VOHSEN. Frankfurt a. M. Dr. VULFIUS, Weimar. 
Pbop« De. WAGENHÄUSER, TÜBINGEN. Prof. Dr» WALB, Bonn. Dr. WEIL, Stuttgart. Dr. WOLF, 
Frankfurt a. M. Dr. ZEROKI, Halle a. S. Prof. Dr. ZUCKEBKANDL, Wien. 




LEIPZIG 

VERLAG VON F. C.W.VOGEL 

1900. 



Gr. Lex*. 8^ Preis: broschiert ^ 20 — ; gebunden Ji 23. — .