OP
COMPARATIYE ZOÖLOGY,
AT HARVARD COLLEGE, CAMBRIDGE, MASS.
j^otinTrcU hs ptfbate suftscvfptfon, fn 1861.
Deposited by ALEX. AGASSIZ.
/
- J^ . ? -0'_.
ARCHIY
FÜR
AMTOMIE UND PHYSIOLOGIE.
Fortsetzung des von EEIL, REIL u. AUTENEIETH, J. P. MECIvEL, JOH. MÜLLER,
REICHERT u. DU BOIS-REYMOND herausgegebenen Archives.
HERAUSGEGEBEN
Dr. wilh. ms UND Dr. wtlh. braune,
PROFESSOREN DER ANATOMIE AN DER UNIVERSITÄT LEIPZIG,
Dr. EMIL DU BOIS-REYMOND,
PROFESSOR DER PHYSIOLOGIE AN DER UNIVERSITÄT BERLIN.
JAHE,&AI(} 1888.
PHYSIOLOGISCHE ABTHEILUNG.
LEIPZIG,
1
VERLAG VON VEIT & COMP.
1888.
ARCHIV
FÜR
PHYSIOLOGIE.
PHYSIOLOGISCHE ABTHEILÜNG DES
AECHIYES FÜR ANATOMIE UND PHYSIOLOGIE.
UNTER MITWIRKUNG MEHRERER GELEHRTEN
HERAUSGEGEBEN
Dr. EMIL DU BOIS-REYMOND,
PROFESSOR DER PHYSIOIiOGIE AN DER UNIVERSITÄT BERLIN.
JAHRG-AI& 1888.
MIT ABBILDUNGEN IM TEXT UND ACHT TAFELN.
LEIPZIG,
VERLAG VON VEIT & COMP.
1888.
Druck von Metzger & Wittig in Leipzig.
Inhalt.
Seite
Cakl Eosenthal , Calorimetrische Untersuchnngen über die Wärmeproduction
und Wärmeabgabe des Armes an Gesunden und Kranken 1
Leopold Auerbach, Zur Mechanik des Saugens und der Inspiration 59
E. Grunmach, üeber die Beziehung der Dehuungscurve elastischer Eöhren zur
Pulsgeschwindigkeit. (Hierzu Taf. I.) 129
A. GöLLER, Die Analyse der Lichtwellen durch das Auge. (Hierzu Taf. II.) . 139
K. Hallsten, Zur Eenntniss der sensiblen Nerven und Eeflexapparate des
Eückenmarkes 163
L. C. WooLDRiDGE, Beiträge zur Lehre von der Gerinnung 174
L. Jacobson, Ueber Hörprüfung und über ein neues Verfahren zur exacten Be-
stimmung der Hörschwelle mit Hülfe elektrischer Ströme. (Hierzu Taf, III.) 189
Max von Frey, Ueber zusammengesetzte Muskelzuckungen ....... 213
G. V. LiEBiG, Der Einfluss des Luftdruckes auf die Circulation. (Hierzu Taf. IV u.V.) 235
O. Langend ORFF , Studien über die Innervation der Athembewegungen. Zehnte
bis zwölfte Mittheilung .283
Julius Steinhaus, Ueber Becherzellen im Dünndarmepithele der Salamandra ma-
culosa. (Hierzu Taf. VI— VIH.) 311
H. V. HoESSLiN, Ueber die Ursache der scheinbaren Abhängigkeit des Umsatzes
von der Grösse der Körperoberfläche 323
J. V. Kries, Nochmalige Bemerkung zur Theorie der Gesichtsempfinduugen . . 380
Ivo Novi, Ueber die Scheidekraft der Unterkieferdrüse 403
H. Alms, Die sensible und motorische Peripherie in ihrem Verhalten gegen die
Körper der Physostigmingruppe einerseits und der Atropin-Cocaingruppe an-
dererseits 416
Alered Goldscheider , Ueber die Eeactionszeiten der Temperaturerapfindungen 424
Franz Goldscheider, Ueber die Wärmebewegung in der Haut bei äusseren
Temperatureinwirkungeu. (Anhang zur vorstehenden Abhandlung.) . . . 511
L. C. WooLDRiDGE, Vcrsuchc über Schatzimpfung auf chemischem Wege . . 527
J. v. Kries: Untersuchungen zur Mechanik des quergestreiften Muskels. Dritte
Mittheilung. Ueber den zeitlichen Verlauf summirter Zuckungen .... 537
Verhandlungen der physiologischen Gesellschaft zu Berlin 1887—88:
Joseph, Zur feineren Structur der Nervenfaser 184
E. Below, Die Ganglienzellen des Gehirnes bei verschiedenen neugeborenen
Thieren 187
VI Inhalt.
k Seite
H. ViECHOW, Ueber einen gefärbten Gypsabguss der Glutealgegend 389
H. ViRCHOw, Ueber einen Gypsabguss der praeparirten Hüftgegeud 391
H. ViRCHOW, Ueber die Striae acusticae des Menschen 392
Claude du Bois-Eeymond, Ueber das Photographiren der Augen bei Magnesiumblitz 393
Gad, Ueber Trennung von Reizbarkeit und Leitungstahigkeit des Nei'ven nach
Versuchen des Hrn. Sawyer 395
KossEL, Ueber einen neuen Bestandtheil des Thee's 549
W. Will, Ueber Atropiu und Hyoscyamiu 550
H. ViRCHOW, Ueber Augengefässe der Carnivoren nach Untersuchungen des Hrn.
Eellaeminow " 552
J. F. Heymans, Ueber die Nervenendigung in der glatten Muskelfaser beim Blutegel 556
A. V. Gehuchten, Structure intime de la cellule musculaire striee 560
Calorimetrische Untersuchungen über die
Wärmeproduetion und Wärmeabgabe des Armes an
Gesunden und Kranken.
Von
Carl Rosenthal.
(Aus dem physiologischen Institut des Hrn. Prof. Dr. J. Kosen thal in Erlangen.)
Die grosse Bedeutung und Wichtigkeit einer genaueren Kenntniss der
Production und Abgabe der Wärme im thierischen Organismus sowohl für
den Physiologen als auch für den praktischen Mediciner ist eine so in die
Augen fallende, dass wohl Niemand den Wunsch, einen weiteren Schritt
in dieser Frage zu thun, als unberechtigt hinstellen wird, — Einleitend
sei es mir gestattet, einen kurzgedrängten Ueberblick über die geschicht-
liche Entwickelung der uns hier interessirenden Frage zu geben. Die An-
sicht der Alten über die Entstehung der thierischen Wärme, vertreten durch
Hippokrates, und in ähnlicher Weise später durch Aristoteles und
Galen US, üef darauf hinaus, dass das Wärme producirende Organ das Herz sei.
In ihm werde das Blut auf seine Normaltemperatur erwärmt und durch die
Circulation würde dann wiederum den einzelnen Organen die für ihre
Lebensthätigkeit noth wendige Wärme zugeführt. Diese Ansicht blieb, wie
so manche andere, lange Zeit hindurch die herrschende unter den Forschern
und Aerzten, bis endUch die iatromechanische und die iatrochemische Schule
mit anderen Erklärungen hervortrat. Erstere nahm, entsprechend der sie
ganz beherrschenden Tendenz, die Reibung des Blutes an den Gefässwänden
für ihre Auffassung in Anspruch; letztere glaubte, ihrer Richtung nicht
minder getreu, dass es chemische Umsetzungen der resorbirten und dann
in das Blut aufgenommenen Nährstoffe seien, welche die Quelle der thieri-
schen Wärme darstellten. Alle diese Erklärungen beruhten aber nur auf
Archiv f. A. u. Ph. 1888. Physiol. Abthlg. 1
2 Carl Rosenthal:
Hypothesen, die auch nicht einmal durch den Schein eines Beweises glaub-
würdig gemacht werden konnten. Erst nach der Erfindung des Thermo-
meters durch Galilei (zwischen 1592 und 1597) wurde es möglich, durch
genauere Messungen der Wärmeabgabe Schlüsse auf die Wärmeproduction
zu ziehen. Und so war es Sanctorius (1626), der zuerst thermometrische
Untersuchungen an Kranken anstellte. Hall er gab eine Erklärung ab,
welche derjenigen der iatromechanischen Schule sehr nahe kam. Andere
Forscher, wie van Helmont, Descartes, Sylvius, Stevenson und
Ha m berger stellten die verschiedensten Theorien auf, deren genauere
Wiedergabe den Rahmen der vorliegenden kleinen Arbeit weit überschreiten
würde. Nicht zu übergehen ist aber Mayow, der mit seiner Theorie, dass
die Wärme durch einen, der gewöhnlichen A^erbrennung sehr ähnlichen Pro-
cess, nämlich durch die Verbindung der „Particulae nitro-aereae" (worunter
der Sauerstoff zu verstehen ist) der Luft, mit dem in den Lungen strömenden
Blute, entstünde, der gleich zu erwähnenden epochemachenden Theorie
Lavoisier's sehr nahe kam. Letzterer nämUch war es, der zuerst im
Jahre 1772 es wahrscheinlich machte, dass eine Hauptwärmequelle des
thierischen Organismus in der Verbrennung des Kohlenstoffes in den Lungen
bestände. Zugleich war er es, der im Verein mit Laplace die ersten
calorimetrischen Messungen ausführte. Man sollte nun meinen, dass diese
so befriedigende Theorie Lavoisier's sogleich das Gemeingut aller Forscher
hätte werden müssen; dem war aber nicht so. Vielmehr tauchten bald
darauf noch viele andere Forscher mit auf den mannigfaltigsten Ansichten
fussenden Theorien hervor, von denen hier nur noch der Xame Crawford
genannt sein möge. Nach diesen haben sich noch viele Gelehrte und For-
scher mit gleichen und ähnlichen Untersuchungen, besonders auch über die
regulatorischen Vorgänge bei der Eigenwärme, beschäftigt, unter denen
besonders Scharling, Vogel, Hirn, Levden und Senator zu nennen
sind, ohne dass jedoch die Ergebnisse ihrer Untersuchungen Anspruch auf
Genauigkeit erheben könnten; ein Umstand, der wohl einestheils in der
Schwierigkeit der betreffenden Untersuchungen selbst, anderntheils aber in
der Ungenauigkeit und Unbehülflichkeit der angewandten Apparate be-
gründet hegt. Dieser Apparate, Calorimeter genannt, giebt es eine grosse
Anzahl, deren Einrichtungen auf den verschiedensten Principien beruht.
Zu den bekanntesten gehören das Calorimeter von Favre und Silber mann
und das Wassercalorimeter von Du long. Letzteres beruht auf dem physi-
kalischen Princip, dass zur Erwärmung einer bestimmten Quantität Wassers
auf irgend eine bestimmte Temperatur eine bestimmte Menge Wärme pro-
ducirt werden muss; beim ersteren wurde statt des Wassers Quecksilber
angewendet, was den Vortheil hat, dass die Erwärmung des Quecksilbers
sich zugleich durch seine Ausdehnung zu erkennen giebt. Aehnlich con-
Caloeimeteische Untersuchungen. 3
struirt war der Apparat, dessen sich Despretz und .Senator bei ihren
Untersuchungen über die Wärmeproduction der Thiere bedienten. Ein
fernerer, nicht minder bekannter Apparat, ist das von Lavoisier und
Laplace construirte Eiscalorimeter, bei welchem die abgegebene Wärme-
menge durch die Menge des geschmolzenen Eises bestimmt wird. Doch
sind die mit diesem Apparate angestellten Messungen deswegen als ungenaue
zu bezeichnen, weil ein Theil des geschmolzenen Eises zwischen den Eis-
stücken, mit denen der Apparat angefüllt ist, zurückgehalten und auf diese
Weise der Messung entzogen wird. Wenn dieser Fehler nun auch bei
dem Eiscalorimeter Bunsen's und noch verschiedenen anderen vermieden
wird, so sind andererseits diese Apparate nur zur calorimetrischen Messung
kleinerer Körper verwendbar. Leyden construirte ferner ein Calorimeter,
das zur Aufnahme einer unteren Extremität eingerichtet, besonders zur
Messung der Wärmeabgabe bei Fieberkranken bestimmt war. Schliesslich
sei noch das Verdampfungscalorimeter von J. Rosenthal erwähnt, dessen
Princip darauf beruht, dass zum Verdampfen einer bestimmten Flüssigkeits-
menge, genau so wie zum Schmelzen einer bestimmten Menge Eises, eine
bestimmte Wärmemenge nothwendig ist. Als Verdampfungsflüssigkeit wurde
bei diesem Apparate, der ganz besonders physiologischen Zwecken dienen
soll, entweder Acetylaldehyd (CHg . COOH), dessen Siedepunkt bei 21° liegt,
oder Aethyläther (CgHg . . C2II5), welcher bei 34 «9° siedet, angewandt.
Auf Veranlassung meines hochverehrten Onkels und Lehrers, Hrn.
Professors Dr. J. ßosenthal, habe ich es nun unternommen, eine Reihe
calorimetrischer Untersuchungen mit einem neuen, zu diesem Behufe von
Prof. J. Rosenthal eigens angegebenen Apparate, dessen Beschreibung
sogleich folgt, anzustellen.
Beschreibung des Calorimeters.
Das zu meinen Untersuchungen benutzte Calorimeter besteht im We-
sentlichen aus zwei Systemen je drei in einander geschachtelter Blechcy linder
von einer Länge von 72'"° und einem Durchmesser von 34^™. Diese beiden
Cylindersysteme ruhen horizontal neben einander auf einem Holzgestell,
welches nur zu dem Zwecke angebracht ist, um den Apparat bequem
transportiren und ihn am Krankenbette in jeder beliebigen Lage aufstellen
zu können. Das Wesentlichste an dem Calorimeter bildet der Zwischenraum
zwischen dem innersten und dem mittleren Cyhnder. Jeder dieser beiden
Räume communicirt durch eine mittels eines Hahnes luftdicht zu ver-
schhessende Glasröhre mit der Aussenwelt, beide sind ferner mit einander
durch ein mit gefärbtem Petroleum gefülltes und mit einer in Centimeter
und halbe Centimeter getheilten Scala versehenes Manometer verbunden.
1*
4 Carl Rosenthal:
Weiterhin ist in jedem dieser beiden Binnenräume ein Thermometer ein-
gesenkt. Auf diese Weise bildet ein jedes dieser beiden Cylindersj'steme
je ein Luftthermometer und beide zusammen ein Differentialluftthermometer,
Die beiden äusseren Cylinder dienen lediglich dem Zwecke, den Einfluss
der Umgebungstemperatur möglichst zu paralysiren. Die inneren Cylinder
sind so gross gewählt, dass der Arm eines erwachsenen, grossen Mannes
bequem in denselben Platz findet. Zum besseren Aufstützen des Armes
im Apparate befinden sich einige Schweben in demselben.
Ausführung des Experimentes.
Zum Zwecke der Ausführung physiologischer Experimente, die zum
grossen Theile an mir selbst, zum anderen Theile an anderen gesunden
Versuchspersonen angestellt wurden, wurde der ganze Apparat auf einen
massig hohen Tisch gestellt. Die Versuchsperson setzte sich auf einem
Stuhle, der gelegentlich mit einem Kissen versehen wurde, vor den Apparat
und brachte je nach der Art des Versuches nur einen Arm in einen Cylinder,
oder beide Arme in je einen derselben. Die Arme wurden so weit, als es
irgend möglich war, in den Apparat gebracht und dann um dieselben und
zwischen sie und den Eand des Cylinders eine Schicht Watte gelegt, einmal
um den Druck zu vermindern, und dann, um einen möglichst vollkommenen
Abschluss zu erzielen. Bei der Anstellung pathologischer Versuche an bett-
lägerigen Kranken wurde der Apparat neben dem Bette des Kranken ent-
weder auf einige Stühle oder besser auf einen eigens dazu hergerichteten
Holzbock gestellt und zwar so, dass die Oeflfnung des inneren Cylinders mit
der Schulter des betreffenden Patienten in gleicher Höhe sich befand. Auf
diese Weise konnten die Versuche fast ohne jedwelche Belästigung der
Kranken selbst auf mehrere Stunden ausgedehnt werden.
Bringt man nun einen x\rm in einen der beiden inneren Cyünder
hinein, so wird die von demselben abgegebene Wärme die Temperatur der
Luft in diesem Cylinder und bald auch diejenige in dem Zwischenraum
zwischen dem inneren und mittleren Cylinder erhöhen. Da nun aber diese
beiden Cylinder ihrerseits wiederum Wärme an ihre Umgebung abgeben,
so svird erst nach einer gewissen Zeit ein Moment eintreten, in welchem
die vom Arme abgegebene Wärme genau gleich der von den Cylindern
abgegebenen ist. Dieser Moment wird am Stillstand des Manometers er-
kannt; sobald nämlich der Arm in den Cylinder gebracht ist, drückt die
erwärmte und dadurch ausgedehnte Luft die Mauometerflüssigkeit allmählich
mehr oder weniger schnell auf der einen Seite herab, auf der anderen
hinauf. Erst wenn das Manometer zum Stillstand gelaugt ist, ist das
Gleichgewicht zwischen der Wärmeabgabe des betreffenden Armes und der
Calorimetrische Untersuchungen. 5
des Cylinders eingetreten. Ist dies einmal geschehen, so bleibt das Mano-
meter constaut auf der einmal erreichten Höhe unter sonst gleich ge-
bliebenen Verhältnissen. Es fragt sich nun, ob man aus diesem empirisch
gefundenen Maass der Wärmeabgabe des Armes auf seine Wärmeproduc-
tion und weiterhin auf diejenige des ganzen Körpers Schlüsse zu ziehen
berechtigt ist. Da im Arme das Blut des ganzen Körpers circulirt und
dieses Blut ja eben, wenn auch nicht der Producent, so doch der Träger
der Körperwärme ist, und da ferner im Arme ebenfalls ganz unabhängig
vom übrigen Körper Wärme producirt wird, so ist es nicht abzusehen,
warum in ihm andere Verhältnisse bezüglich der Wärmeproduction und
der Wärmeabgabe als im ganzen übrigen Körper herrschen sollten. Aus
diesen Gründen ist wohl obige Frage anstandslos zu bejahen.
Bei meinen Untersuchungen, die sich auf die Wärmeabgabe unter
sehr verschiedenen physiologischen und pathologischen Verhältnissen be-
ziehen, hat es sich herausgestellt, dass eine ziemlich constante Proportion
besteht zwischen der Zahl, die den Stand des Manometers angiebt, und der
Differenz der Temperaturen in den beiden Zwischenräumen zwischen innerem
und mittlerem Cjlinder; wie es nach der Theorie des Apparates er^vartet
wurde.
Während der Arm im Apparat liegt, giebt er fortwährend Wärme an
den ihn umgebenden Luftraum ab. In dem Maasse, als in diesem die
Temperatur steigt, verliert er aber auch Wärme nach aussen. Seine Tem-
peratur steigt also so lange, bis die Wärmeverluste dem Wärmezuwachs
gleich werden, ISTun hängt der Wärmeverlust ab von der Differenz der
Temperatur des Apparats und der Umgebung. Also muss diese Differenz
um so grösser sein, je höher die Wärmezufuhr von innen her ist. Da
aber die Temperaturdifferenz der beiden Cylinder durch den Manometer-
stand gemessen wird, so können wir diesen als Maassstab benutzen und
aus ihm auf die Wärmeproduction des Armes schliessen.
Im Folgenden gedenke ich nun meine Untersuchungen, die sich über
eine Reihe von 72 Experimenten unter den verschiedensten äusseren Be-
dingungen erstrecken, in extenso mitzutheileu, und will nur zur leich-
teren Orientirung die Bedeutung der in den verschiedenen Columnen
untergebrachten Zahlen vorweg erläutern. In der ersten Columne sind die
Temperaturangaben des benutzten Cylindersystems angegeben, die folgende
zeigt den Beginn des Versuches und die Zeit der Ablesung des Manometers
— anfangs wurden die Ablesungen von 5 zu 5 Minuten vorgenommen,
später jedoch, als schon einigermaassen ein Ueberblick über die Zeit des
Ansteigens ermöglicht war, in inconstanten längeren Zwischenräumen (10
bis 15 bis 20 Minuten) — die folgende Coliimne zeigt den Stand des
Manometers an, die nächste die Differenzen dieses Standes in den jeweiligen
-6 Cael Rosenthal:
Ablesimgszeiten ; die letzte schliesslich, wenn sie nicht fortgelassen wurde,
die Temperaturangahen des nicht benutzten Cyündersystemes. Werden
beide Cylindersysteme zur gleichen Zeit benützt, so ändert sich dieses Ver-
hältniss nur insofern, als die erste Columne immer die Temperatur des vom
vor dem Apparate sitzenden Experimentator aus gerechneten linken Cylin-
ders, die letzte Columne diejenige des rechten angiebt. —
Ausgehend von einer wenig glaubhaft klingenden Angabe Geigel's,
dass nämlich der unbekleidete Arm eines Menschen nicht grösseren Wärme-
verlust aufweise, als der b&kleidete, begann ich die Reihe meiner Versuche
damit, dass ich den Unterschied der Wärmeabgabe des bekleideten und
unbekleideten Armes an mir selbst feststellte.
Ich übergehe eine Reihe von sechs Versuchen, die ersten, die ich an-
stellte, da es sich zeigte, dass der Apparat, der eine Zeit lang unbenutzt
gestanden hatte, nicht richtig functionirte. Dagegen wurden sämmtliche
übrigen Versuche mit genau und gut functionirendem Apparate ausgeführt.
A. Physiologische Versuche.
I. Versuch; an mir selbst. 24 Jahr. Kräftiger Körperbau; guter Er-
nährungszustand, Normaltemperatur. Geringer Panniculus adiposus. Körper-
länge 176''™ Körpergewicht 153 Pfund, Länge des linken Armes 83*"^,
Umfang des hnken Oberarms 26 <"". Wohlbefinden. °!^ Stunden nach dem
Mittagessen. Anordnung: hnker Arm nackt im rechten Cy linder; voll-
kommen ruhisre Haltung.
Beginn 1 •
50 Uhr.
2.35 Uhr
: Differenz von 37^4 """
IV4
r. Therm.
15.4.
1. Therm. 15.6.
2.40
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1
1 . 50 Uhr
: Grleichstand desManomet.
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1. Therm.
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IV.
Maximum von
40 \' 2 erreicht um
3.5 Uhr,
also
nac
h 1 Stunde 15
Min.
IL Versuch; an mir selbst. Wohlbefinden. Anordnung: linker Arm
bekleidet mit einem langen wollenen Strumpf und Jägerhemd im rechten
Cyhnder.
Calobimeteische Untersuchungen.
Beginn: 4.0 Uhr.
r. Therm. 13.7. 1. Therm. 13.8.
4.0 Uhr: Gleichstand des Manomet.
4.5
4-10
4.15
4.20
4.25
4.30
4.35
4.40
4 • 45 Uhr: Differenz von 21^2
4.50
4.55
Differenz von Q^/^"'^ 61/2 l 5-0
77 1^ I2 77
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7? •'■•-' U 77
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77 ^ • 77
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77 " ' 77
„ 27 „
1
1
1
1. Therm. 14-8.
Maximum von 27 erreicht mii 5.15 Uhr, also nach 1 Stunde 15 Min.
III. Versuch; an mir selbst. Wohlbefinden, ^a^ Uhr Kaffee mit Zu-
behör. Anordnung: wie bei Versuch I.
Beginn: 9.25 Uhr.
r. Therm. 9.6. 1. Therm. 9 . 6.
9.25 Uhr: Gleichstand des Manomet.
12
4
2^4
2
2
Maximum von 36 erreicht um 10.25 Uhr, also nach 1 Stunde — Min.
9.30
Differenz
von 12 '^"^
9.35
77 187, 77
9.40
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9.45
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77
77 36 „
r. Therm.
24
0.
1. Therm. 13.9.
IV. Versuch; an mir selbst. Wohlbefinden.
Mittagessen. Anordnung: wie bei Versuch II.
3/, Stunden nach dem
Beginn: 1-30 Uhr.
r. Therm. 14-7. 1. Therm. 1 4 . 7 .
2 . Uhr : Differenz von 25 V2 '
30 Uhr: Gleichstand des Manomet.
35 „ Differenz von 67/°» 67,
40
45
50
55
121'
77 ^^12 77
77 17 „
77 20V, 77
77 237, „
5^/4
3V4
2-5
2.10 „
2-15 „
2-20 „
2.25 „
r. Therm. 24-5.
77 2b /g „
77 27 „
77 -*• U 77
77 2774 77
77 27V, „
1. Therm. 14.9.
2V4
1
V2
V4
Max. von 27 \/, erreicht um 2,15 Uhr, also nach — Stunden 45 Mi-
nuten. >s''ach längerer Dauer des Versuches leichtes Gefühl von Taubsein
im Arm und besonders in der Hand.
8 Carl Rosenthal:
V. Versuch; an mir selbst. Wohlbefinden. Anordnung: rechter Arm
bekleidet wie bei Versuch II im rechten Cylinder. Länge des rechten
Armes 83 •'™, Umfang des rechten Oberarmes 27 <>'^.
Beginn: 4-
55 Uhr.
5.35 Uhr
Differenz von 24^2 ,
IV2
r. Therm.
17.7.
1. Therm. 17.6.
5.40
r
„ „ 26 ,
IV2
4.55 Uhr
: Gleichstand des Manomet.
5.45
;-•
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1
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5.50
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6.15
JJ
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5.30 „
,, 23 ,, 1 /,
r. Therm.
25.
7. 1. Therm.
15.9.
Maximum von 29 V2 erreicht um 6.5 Uhr, also nach 1 Stunde 10 Min.
Rechte Hand schwitzt mässsig.
Vorstehende ^Versuchsreihe ergiebt also folgendes Resultat: Die Wärme-
abgabe des unbekleideten linken Armes betrug 40^2? 36; die des beklei-
deten linken Armes 27, 27^4; die des bekleideten rechten Armes 29^2-
Hieraus ergiebt sich deutlich die Unhaltbarkeit der von G-eigel aufgestellten
Behauptung, denn die Differenzen der vom bekleideten und unbekleideten
Arme abgegebenen Wärmemengen zu Gunsten des bekleideten Armes sind
in die Augen fallend.
Hier mögen noch zwei Versuche angeschlossen werden, die wegen
einer plötzlich aufgetretenen Functionsstörung des Apparates abgebrochen
werden mussten, die aber doch wenigstens so weit ausgeführt werden konnten,
dass sie annähernd beweisend für meine ohige Behauptung sind.
VI. Versuch; an mir selbst. Wohlbefinden. ^L.Q Uhr Kaffee mit Zu-
behör. Anordnuno- wie bei Versuch IL
Beginn: 10.5 Uhr.
r. Therm. 18.7. 1. Therm. 18.7.
10.5 Uhr: Gleichstand des Manomet.
10.10 „ Differ. von 6 «™ 6
10.15 „ „ „ 11 „ 5
10.20
151/2
/2
10. 25 Uhr: Differ. von 1 8 V2
10
10
10
10
10
30
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35
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50
jj
V
,,. I7V2,.
-2V2
Hier musste der Versuch aboebrochen werden.
Caloeimeteische Untersuchungen. 9
VII. Versucli, an mir selbst. Wolbefiiiclen. 20 Minuten nach dem
Mittagessen. Anordnuno- wie bei Versuch II.
Beginn: 12-50 Uhr.
r. Therm. 19-5. 1. Therm. 19-6.
12-50 Uhr: Gleichstand d. Manomet.
12-55 „ Differ. von 8 "^^ 8
1 .0 1H3/ K3/
1*^ 57 V V I8Y2 ?J 4^2
1-10 Uhr: Differ. von 22'/
1-15 „
1-20 „
l'2'ö „ „
1-30 „
2272«'"
4V.
24 „
IV2
25V2 „
IV2
26V2 „
1
24V2 . -
-2
Hier musste wiederum, wegen plötzlichen Sinkens, der Versuch ab-
gebrochen werden.
Bei beiden vorstehenden Versuchen kann man aus dem geringfügigen
Steigen des Manometers in der letzten Zeit mit Leichtigkeit und auch mit
ziemlicher Sicherheit den Stand bestimmen, den das Manometer mit Wahr-
scheinlichkeit in diesen Fällen angenommen haben würde, und dieser Stand
stimmt mit den obigen Ergebnissen ziemlich genau überein.
Das Calorimeter wurde nach diesen Versuchen auseinandergenommen
und mit grösstmöglicher Sorgfalt wieder zsammengesetzt , sodass in der
Folge keinerlei Störungen von irgend welcher Bedeutung am Apparate
mehr zu verzeichnen sind.
Der Versuch (I), bei dem das Maximum der Wärmeabgabe 30-5 be-
trug, zeigt uns, wie gross der Einfluss der Nahrungsaufnahme auf die
Wärmeabgabe ist, und dass dieser Einfluss kein geringer sein kann, ist
a priori anzunehmen, wenn man bedenkt, dass die Oxj^dation der Nah-
rungsstoflfe im Organismus seine grösste Wärmeproductionsquelle darstellt.
Dass hierbei trotzdem grosse Schwankungen bezüglich der Menge der ab-
gegebenen Wärme vorkommen, ist ganz natürlich. Es kommt hier eben
einmal die Art der aufgenommenen Nahrung, sowie die mehr oder weniger
grosse Oxjrdationsfähigkeit des betreffenden Organismus in Betracht, anderer-
seits ist aber diese letztere sicherlich auch im ganz normalen Körper eine
sehr wechselnde. Eine recht gute Illustration für diese Annahmen bieten
folgende zwei Versuche, welche, abgesehen davon, dass einmal der Arm
bekleidet, das andere Mal unbekleidet war, und der eine Versuch in der
Frühe nach ganz geringer Kahrungsaufnahme , der andere kurz nach dem
Mittagessen vorgenommen wurde, unter sonst ganz gleichen äusseren Be-
dingungen standen.
VIII. Versuch, an mir selbst. Wohlbefinden, ^jß Uhr Kaffee mit
wenig Brod. Anordnung wie bei Versuch I.
10
Ceel Kosenthal :
Beginn: 11 '15 Uhr.
r. Therm. 19-7. 1. Therm. 19-8
11 '15 Uhr: Gleichstand d. Manomet.
11-20
11.25
11-30
11.35
11.40
11.45
11-50
„ Differenz von SVa'^'SVa
„13 ;j 4 /2
. I6V4 . 3V4
n I8V2 „ 2V4
„ 2OV3 „ 2
22
IV.
23 V, „ IV2
1 1 • 55 Uhr: Differenz von 247, «"^ 1 V^
12.0 „
12-5 „
12-10 „
12-15 „
12.20 „
12.25 „
12-30 „
r. Therm. 27.0.
jj 25 I2 „ ''/4
„ 26 „ V2
;j 26 /g „ /a
. 37V, „ V4
,, 27V, „0
,, 271/2.0
1. Therm. 19.0.
Maximum von 27 V2 erreicht um 12-20 Uhr; also nach 1 Stunde
5 Minuten.
IX. Versuch; an mir selbst. Wohlbefinden. Kurz nach dem Mittag-
essen. Anordnung wie bei Versuch II.
Beginn: 1-15 Uhr.
r. Therm. 18-7. 1. Therm. 18-8.
1-15 Uhr: Gleichstand d. Manomet.
1-20 ,
, Differenz von
1-25 ,
1-30 ,
1-35 ,
1-40 ,
1-45 ,
6
6
llV^n 5V,
15V4 „ 4
I8V2 . 3V,
2OV2 „ 2
22V2 . 2 i
Maximum von 27V2 erreicht um 2-10 Uhr; also nach -
55 Minuten. Die vom Strumpfe bedeckte Hand schwitzt stark.
1-50 Uhr: Differenz
von 24 «"^ IV2
1.55
;?
. 25V,. IV4
2-0
,v
. 26V4. 1
2-5
j>
. 27^ , 3/^
2-10
?7
w 27 I2 „ J2
2-15
»
„ 21^1,,,
2-20
JJ
. 27V2.
r. Therm 26-8.
1. Therm. 18-8.
Stunden
Obgleich vorhin klar bewiesen worden war, dass die Wärmeabgabe
des bekleideten Armes eine weit geringere ist, als die des unbekleideten,
so zeigt sich in diesem Falle der Einfluss der Nahrungsaufnahme auf die
Steigerung der Wärmeabgabe so gewaltig, dass hier der bekleidete Arm
genau so viel Wärme abgab und producirte, als der unbekleidete u. s. w.
Hinzuzufügen ist noch, dass beide Versuche innerhalb etwa drei Stunden
angestellt wurden. Es ist also klar ersichtlich, wie sehr man bei der-
artigen Versuchen auf alle begleitenden Umstände achten muss, falls
man nicht zu falschen Resultaten gelangen will.
Auch der Einfluss der physiologischen täglichen Temperatursteigerung,
die zwischen 5 und 7 Uhr des Abends eintritt, lässt sich im Versuche (V)
deutlich erweisen. Während die Wärmeabgabe des bekleideten Armes in
den übrigen Fällen die Höhe von 27\/, nicht überschritt, erreichte dieselbe
Caloeimetrische Untersuchungen.
11
in jenem Versuche, der in die Zeit zwischen 5 und 7 Uhr Nachmittags
fiel, eine Steigerung Ms zu 29V2-
Die nun folgenden Versuche wurden in der mannigfachsten Weise
modificirt. So wurde zuerst festgestellt, welchen Einfluss Bewegungen von
Hand und Fingern auf die Wärmeabgabe und Wärmeproduction zeigen«
Diese Versuche wurden in der Weise angestellt, dass, nachdem bei ruhiger
und zwar absolut ruhiger Haltung des einen Armes in einem Cylinder der
Stillstand des Manometers abgewartet und dieser Stand eine Zeit lang er-
halten worden war, dann mit den betreffenden Fingern und der Hand
Beuge-, Streck-, Pronations- und Supinationsbewegungen im Apparate aus-
geführt wurden.
X. Versuch, an mir selbst. Wohlbefinden. ^/^8 Uhr Kaffee mit
Zubehör. Anordnung wie bei Versuch I.
Beginn: 9-5 Uhr.
r. Therm. 7-9. 1. Therm. 8-3.
9-5 Uhr: Gleichstand d. Manometers.
9 • 40 Uhr: Differenz von 33^/^ «°^ 1
10
15
20
25
30
35
Differenz von 13V2'"" 1^V2
57 J7 ^^ hl JJ *
25^/, „
28V2 V
31 „
32^4 .
2^/4
2V2
1^/4
9-45 „ ,
9-50 „
\j - 00 ,,
10-0 „
10' 5 „
10-10 „
r. Therm. 16-9.
7 3"* U 5? I2
'} ^^ JJ 12
} 3^ h >? 12.
, 353/, „ V4
, 353/, „
„ 353/, „
1. Therm. 8-1.
Maximum von 85^/^ erreicht um 10*0, also nach — Stunde 55 Min.
Von 10-10 — 10-20 Uhr Beuge- und Streckbewegungen der Finger
und Pro- und Supinationsbewegungen der Hand im Apparate.
10-15 Uhr: Differenz von 37 <"" VL
Therm.
10-15
17-4
10-20
17-8
10.25
18-2
10-30
18-4
10-35
18-5
10-40
18-6
10-45
18-6
10-50
38'74 .
IV4
40^/, „
2
41^/4 .
1
42V4 »
V2
433/, „
V2
42^/, „
42^/, „
1. Therm. 7-9
Während der Bewegungen Hitzegefühl, welches 7 Minuten nach dem
Aufhören der Bewegungen einem intensiven Kältegefühl wich.
XL Versuch. Nachdem im Versuch (III) der höchste Stand
des Manometers mit 36 erreicht und bis 10-30 Uhr beibehalten war,
12
Cael Rosenthal:
wurden von 10 -30 — 10-40 Uhr die im vorigen Yersuch (X) näher an-
gegebenen Bewegungen ausgeführt:
10-30Uhr: Differenz von 36 «^"^ 10-50 Uhr: Differenz von 42 «^"^ V,
10-35 „ „ „ 39 ,, 3 10.55 „ „ „ 42 „
10-40 „ „ „ 40V2„ IV2 11-0 „ „ „ 42„
10-45 , „ „ 41V2„1
Vorstehend aufgezeichnete Versuche (X, XI) beweisen, dass auch ganz
wenig ergiebige Bewegungen in ganz kurzer Zeit eine ganz erhebliche
Steigerung der Wärmeabgabe und ebenso der Wärmeproduction verursachen.
Dieses Resultat darf nicht Wunder nehmen, wenn man an die Ergebnisse der
hieraufbezüglichen Untersuchungen von Hirn, J. Davy und Anderen denkt.
In einer ferneren Reihe von Versuchen wurde ebenfalls der Einfluss
von Muskelaction untersucht, doch war hier die Anordnung der Versuche
eine wesentlich andere. Es wurde nämlich, nachdem wiederum der höchste
Stand des Manometers ermittelt war, der Arm aus dem Apparate heraus-
gezogen, darauf eine gewisse Zeit lang mit demselben oder auch mit beiden
Armen Streck- und Beugebewegungen unter Anwendung von zwei je 5 ^srm
schweren eisernen Hanteln gemacht, dann der Arm wiederum in den Cy-
linder eingeführt und nun der höchste Stand des Manometers zum anderen
Male abgewartet. Hierbei ist zu bemerken, dass, wenn man nach erreichtem
höchsten Stande des Manometers den Arm aus dem Cylinder nahm, um
ihn nach einiger Zeit ohne Aenderung der Versuchsverhältnisse wieder ein-
zuführen, jedes Mal der vorher erreicht gewesene Manometerstand wieder
eintrat.
XII. Versuch; an Johann Dietzinger. 23 Jahr. Dienstknecht.
Kräftiger Körperbau; massig guter Ernährungszustand. Normaltemperatur.
Geringer Panniculus adiposus. Immer gesund gewesen. Geheiltes Gesichts-
eczem. Körperlänge 154 "^. Körpergewicht 125 Pfund. Länge des Armes 59 '^'^\
Umfang des Oberarms 27 '^^^ AVohlbefinden. 12 Uhr Mittag. 2 Uhr
Kaffee mit Brod, Kurz vor Beginn des Versuchs V4 Liter Bier. Rechter
Arm nackt im linken Cvlinder.
Beginn: 4-20 Uhr.
1. Therm. 21-0. r. Therm. 20-9.
4-20 Uhr: Gleichstand d. Manomet.
4-25
4.30
4.35
4-40
4.45
Differ. von
9 '""
I4V2 .
22 „
24V, ..
9
4V,
2V,
4-50 Uhr: Differ. von 26
4.55
5.0
5-5
5-10 „
5-15 „
5-20 „ „
1. Therm. 29-3.
V2
V2
r. Therm, 21-2.
27 V4 .
27^/, „
28\/, „
39 „
'^9
29 ..
Calorimetrische Untersuchungen.
13
Hand schwitzt ziemlich stark; D. giebt an, überhaupt unter allen Ver-
hältnissen leicht zu schwitzen. Maximum von 29 erreicht um 5.10 Uhr;
also nach — Stunde 50 Minuten.
5 '20 Uhr: 1 Minute Hantelübungen mit beiden Armen, darauf Pause,
dann wiederum 1 Minute Uebungen.
Unterdessen war das Manometer auf 18 gefallen.
1. Therm.
27.3.
r.
Therm.
21.2.
5.45 Uhr: Differ.
von 271/4'''^ V'4
5.28 Uhr
: Differ.
von
18 «'"
5.50 „
„ 273/^,, V2
5-24 „
19^4 ,,
IV4
5.55 „
. 28V, „ V2
5-25 „
23 „
^'U
6-0 „
„ 38V2,, V4
5.30 „
25V4 .
2^4
6-5 „
„ 28V2,,
5.35 „
26V, .
1
6.10 „
„ 28V3.
5.40 „
27 „
3/
1. Therm. 29.6.
r. Therm. 21.0.
Das jetzt erreichte Maximum beträgt also nur 28V2-
XIII. Versuch; an Johann Dietzinger. Wohlbefinden, ^/^l Uhr
^'3 Liter Kaffee mit 3Iilch, zwei Brödchen. Rechter Arm nackt im linken
Cylinder.
Beginn: 8-40 Uhr. 9-20 Uhr: Differ. von 20 "^ IV4
1. Therm. 24.3. r. Therm. 24.1.
8 . 40 Uhr : Gleichstand d. Manomet.
8-50 „ Differ. von 1^/4'^^
9-0 „ „ „ 16 V,,, 5
9-10 „ „ „ 18V, „ 2V2 1
Maximum von 20 V, erreicht um 9.25 Uhr; also nach
45 Minuten.
9.35 Uhr: Hantelübungen ca. 4 Minuten mit Pausen, wie im vorigen
Versuch (XII).
9-25 „ „
„ 2OV4. V,
9.30 „
,, 20V, „
9.35 „ „
„ 20V4,,
1. Therm. 29.3.
r. Therm. 21.7
Stunde
1. Therm. 27-8. r. Therm. 21.7.
9.40 Uhr: Differ. von 14 "^^
9.45 „ „ „ 16 „ 2
9-50 „ „ „ 18 „ 2
9*55 „ „ „ 19 /j „ 1 /^
10-0 Uhr: Differ. von 19V
10.5 „
10.10,,
1. Therm. 29-2.
1/
4 /3
. 19V4»
. 19V4»
r. Therm. 22-3.
Das jetzt erreichte Maximum beträgt also nur 19^/4.
XIV. Versuch; an Paulus Gierer. 30 Jahr. Bierfahrer. Sehr
kräftiger Körperbau; guter Ernährungszustand. Normaltemperatur. Ziem-
lich starker Panniculus adiposus. Immer gesund gewesen. Schanker, seit
5 Wochen. Sehr gebessert. Trinker (6 bis 1 1 Liter Bier pro Tag). Körper-
14
Carl Rosenthal:
länge 177 "^. Körpergewicht 137 Pfund. Länge des Armes 8872 '^^- Umfang
des Oberarmes 27 "^ Wohlbefinden. Von V2 9 bis V2 10 Uhr angestrengte
Arbeit. 7 Uhr Kaffee mit Brod. V4IO Uhr Milch mit Brod. Versuch direct
nach der Nahrungsaufnahme begonnen (cf. Versuch I.). Linker Arm nackt
im linken Cj^linder.
10
10
10
10
10
25 Uhr: Dififer. von 26 V2
30
35
40
45
Beginn: 9-30 Uhr.
1. Therm. 19-5. r. Therm. 19-4.
9-30 Uhr: Gleichstand d. Manomet.
9.45 „ Differ. von 173/^"^^
10.0 „ „ „ 223/, „ 5
10.10 „ „ „ 243/, „ 2
10.20 „ „ „ 26 „ VU
Maximum von 27 erreicht um 10-35 Uhr; also nach 1 Stunde 5 Min.
10-45 Uhr: 5 Minuten hindurch mit dem linken Arme Hantelübungen
mit kleinen Pausen.
1. Therm. 27-4.
„ 263/,,,
. -37 ,,
» ^7 „
„ 27 „
r. Therm.
19-5.
1. Therm. 25-8. r. Therm. 19-3.
10-50 Uhr: Difi'er. von 19 ""
10.55 „ „ „ 24V, „ 5V,
11 '5 jj j- ?j 25 /, „ 1 I2
11.10
26
V,
11-15 Uhr: Differ. von 367, '"^ 7,
11.20 „ „ „ 267,,,
11-25 „ „ „ 267,,,
1. Therm. 26.4. r. Therm. 18-8.
Das jetzt erreichte Maximum beträgt also nur 2674-
Bei allen drei vorstehenden Versuchen kann man übereinstimmend
constatiren, dass niemals nach den Hantelübungen diejenige Höhe der
Wärmeabgabe wiedererreicht wurde, die vorher zu verzeichnen gewesen war,
obgleich allerdings die Differenzen (72? ^U) nur minimal sind. Da nun
ab'er ohne allen Zweifel Muskelactionen Wärme und zwar in erheblichem
Maasse produciren, so muss man diese auffallende Erscheinung wohl so
erklären, dass, noch während der Arm ausserhalb des Apparates sich be-
findet und arbeitet^ ein grosser Theil des Wärmeüberschusses, oder vielleicht
der ganze Wärmeüberschuss durch irgend welche compensatorische Ein-
richtungen nach aussen hin abgegeben wird. Als wahrscheinUche Ursache
dieses vermehrten Verlustes ist vermuthhch die erhöhte Berührung des
Armes mit der kälteren Luft anzusehen. Ob die starke, durch die Muskel-
action bedingte Vermehrung der Wärmeproduction und in Folge dessen
auch der Wärmeabgabe auch dahin wirkt, dass die Production nach dem
Aufhören der Muskelanstrengung geringer wird als vor derselben, wie man
es nach den Versuchsergebnissen wohl anzunehmen berechtigt wäre,, das
muss noch dahingestellt bleiben.
Caloeimetrische Untersuchungen.
15
Ebenso wichtig als interessant ist die Frage nach der Einwirkung des
Alkohols, von dem man annimmt, dass er, in massigen Dosen genossen,
temperaturherabsetzeud wirke, und zwar dadurch, dass durch die veränderte
Blutcirculation ein vermehrter Wärmeverlust stattfinde. Ich stelle hier vor-
läufig alle hierauf bezüglichen Versuche zusammen, um sie dann nachher
kritisch zu sichten.
XV. Versuch, an mir selbst. AVohlbefinden.
im linken Cylinder. 72'^ ^^^ Kaffee mit Zubehör.
Eechter Arm nackt
Beginn: 9-10 Uhr.
1. Therm. 12-0. r. Therm. 12-0.
9-10 Uhr: Gleichstand des Manomet.
9-15 „ Differenz von 15 «™
9^20 „ „ ,, 23 ^,8
9 «25 „ „ „ 28 (2 „ 5 I2
9.30 „ „ „ 31 V2 „36
9 . 35 Uhr : Differenz von 34 ^^ 2^1^
9-40 „ „ „ 351/4 „IV4
9.45 „ „ „ 36V, „ 1
9.50 „ „ „36V, „
9.55 „ „ „ 363/, ^^0
10-0 „ ,; „ 36V. ,.0
1;
/2
1. Therm. 29-8.
r. Therm. 18-2.
Maximum von 36 V4 erreicht um 9*50 Uhr, also nach — Stunde
40 Minuten.
10-0 Uhr: 25 ^™ gewöhnlichen Getreidekümmels auf ein Mal getrunken.
1. Therm. 30-0. r. Therm. 18-2.
10-0 Uhr: Differenz von 36 V,"'"
10-5 „ „ „ 42V, „5V2
10-15
45V,
10-20 Uhr: Differenz von 47 V2 „ ^^U
10-25 „ „ „ 47V2"„0
10-30 „ „ „ 47V2 „
1. Therm. 31-0. r. Therm. 18-9.
Nach 10-0 Uhr starkes Schwitzen von Hand und Arm.
XVI. Versuch, an Beschel, 32 Jahr. Literat. Massig kräftiger
Körperbau, ziemlich guter Ernährungzustand. Normaltemperatur. Sehr
starker Panniculus adiposus. Im Jahre 1876 Typhus abdominalis mit zwei
Recidiven, sonst immer gesund gewesen. Schanker, beinahe geheilt. Körper-
länge 156 ''™. Körpergewicht 159 Pfund. Länge des Armes 61*"^, Umfang
des Oberarmes 29 V2*''"- B. giebt zwar nicht zu, Potator zu sein, macht
aber den vollständigen Eindruck eines Alkoholisten. Wohlbefinden. 7 Uhr:
Kaffee mit Zubehör. 9 Uhr: V4 Liter Milch, V2 Brödchen. Rechter Arm
im linken Cylinder.
Beginn: 11-0 Uhr.
1. Therm. 21-3. r. Therm. 20 - 8.
11-0 Uhr : Gleichstand des Manomet.
11.5
11-10
11-15
11-20
11-25
Differenz von 5Vj
„ 8V, „3
„ lOV, „ 2
„ I2V2 „ 1'/.
„ I3V4 ., IV4
1 1 - 30 Uhr: Differenz von 15 V, '''' 2
11-35 „
11-40 „
11-45 „
11-50 „
11-55 „
1. Therm. 27-9,
16V
I8V4 „
I8V2 .
I8V2 »
I8V2 „
4
3/
/2 JJ /4
1^/4
r. Therm. 21-8.
16
Cakl Eosenthal:
Maximum von I8V2 erreicht um 11.45 Uhr, also nach — Stunde
45 Minuten.
11-55 Uhr: 50 ^™ Schnaps.
1. Therm. 28.0. 12-0 Uhr: Differenz von IS^/^"'» 1/^ r. Therm. 2 1 • 8.
IZ'D ,, ,, ,, 1
^'U .
1. Therm. 28.0. 12-10
183/4„0 r. Therm. 2 1.9.
In der Mehrzahl der nun folgenden Versuche ist nicht nach je einem
vollendeten Versuche der Gleichstand des Manometers abgewartet worden,
es geschah dies lediglich der Zeitersparniss halber.
XVII. Versuch, an Johann Baltheisser. Schuhmacher. 24 Jahr.
Schwächlicher Körperbau, schlechter Ernährungszustand. Sehr geringe abend-
liche Temperatursteigerungen (37-8 im Rectum). Sehr geringer Panniculus
adiposus. Lungen- und Larynxphthisis. Kein Potator. Körpergewicht
101 2/5 Pfund. Subjectives Wohlbefinden. 12 Uhr Mittag. 2 Uhr Kaffee
mit Brod. Linker Arm im linken Cylinder.
6.20 Uhr.
1
45 Uhr: Differenz von 28 "^ 1
50
55
5
Beginn
1. Therm. 29-7.
6.20 Uhr: Differenz von 24
6-25 „ „ „ 25 ^,
^•^0 „ „ „ 25 /g „ I2
6.35 „ „ „ 26 „ 1^
6.40 „ „ „ 27 „1
7.5 Uhr; 50 ^"""^ Schnaps innerhalb 5 Minuten getrunken,
von 29.
1. Therm. 30-6. 7.5 Uhr: Differenz von 393;«°^ 3/
28V2 .
39 „
29 „
29 „
1. Therm. 30.5.
Maximum
7.10
Therm. 30.6. 7-15
29^/, „
29^/4 .
XVIII. Versuch, an mir selbst. Wohlbefinden. 7 Uhr Kaffee mit Zu-
behör. Linker Arm nackt im linken Cylinder.
Beginn: 9
Uhr.
9
30 Uhr:
Differenz von 27 «'"2 V
1. Therm.
19.9.
9
35 .,
,29 „2
9.0 Uhi
': Gleichstand des Manomet.
9
40 „
,30 „1
9.5 „
Differenz
von 7 <=■"
9
45 ,,
, 303/, ^^ 3/
9.10 „
ij
„ 12 „ 5
9
50 „
, 31V4 . V
9.15 „
»
J> 1'^ ,''2 !7 ^ I2
10
.
, 31V, „0
9.20 ,.
»
„ 22 „47,
10
5 .
, 31V4 „
9.25 „
)?
. 24V3.2V2
1.1
^herm. 30
.2.
Maximum von 31 V4 erreicht nm 9.50 Uhr, also nach — Stunde
50 Minuten.
Caloeimetrische Untersuchungen.
17
10 Uhr: 25 s™ Getreidekümmel auf einmal getrunken. Gefühl von
Wärme im ganzen Körper, auch im linken Arm. Hand schwitzt.
1. Therm. 30-3.
1. Therm. 30-5.
10.10 Uhr: Differenz von 31 Va'"
10.15
10-20
10-25
-32
32
32
V2
XIX. Versuch, au Luise Müller. 20 Jahr. Ziemlich kräftiger
Körperbau, guter Ernährungszustand. Normaltemperatur. Stark entwickelter
Panniculus adiposus. Immer gesund gewesen. Seit 9 Wochen Gonorrhoe.
1 Tag nach der Menstruation. Körperlänge 144'"°, Körpergewicht 121 Pfund.
Länge des Armes 49'='", Umfang des Oberarmes 26 '^™. Wohlbefinden.
12 Uhr Mittag, ^j^^ Uhr Kaffee mit Brod. Rechter Arm nackt im linken
Cylinder.
Beginn: 2-55 Uhr.
1. Therm. 21-0. r. Therm. 21-4.
2-55 Uhr: Gleichstand des Manomet.
3-5
3-15
3-25
3-30
Differenz von IP/^*""
18 „ ^
18^/. „ '
3.35 Uhr: Differenz von 191/4''"" V2
19^4. V2
2OV0 „ 3/4
3-40 „
3.45 „
3^50 „
3-55 ,,
1. Therm. 26-2.
11 V
12 »
. 20V2 „
„ 20V2 „
r. Therm. 20-7.
Maximum von 20^2 erreicht um 3-45 Uhr, also nach — Stunde
55 Minuten.
3-55 Uhr: lOs^m Getreidekümmel auf ein Mal getrunken.
1. Therm. 26 - 2.
r. Therm. 20.7.
4-0 Uhr: Differenz von 20^4 «■" V^
4-5 „
4-10 „
4-15 „
21V
2rv
22V
4-20 Uhr: Differenz von 2374^^1
4-25 „ ,;
4-30 „
4.35 „
1. Therm. 27-4.
JJ 2^V2 M V4
J7 231/2 „
„ 231/2.0
r. Therm. 20-7.
XX. Versuch, an Wilhelm Morris, cand. med. 25 Jahr. Kräf-
tiger Körperbau, gute Ernährung. Normaltemperatur. Guter Panniculus
adiposus. Immer gesund gewesen. Trinkt fast niemals Schnaps. Körper-
länge 163*=™, Körpergewicht 133 Pfund. Länge des Armes 56"™, Umfang
des Oberarmes 261/./'°. Wohlbefinden. 1/2I Uhr Mittag. 1/35 Uhr 1/2 Liter
Bier. Rechter Arm nackt im Unken Cylinder.
Archiv f. A. u. Pb. 1888. Physiol. Abthlg. 2
18
Cael Rosenthal:
Beginn: 4-55 Uhr.
1. Therm. 24-0.
4 »55 Uhr: Differenz von 27
5.10 „ „ „ 353/
5-15 „ „ „ Ol I
5.20 „ „ „ 381
6V
2 » " /2
2V
4 " ■*■ /2
2 5> ■'■ /i
5-25 Uhr: Differenz von 39 ""^ V
5-30 „
:j
„ 393/, „ «
5-35 „
}}
„ 4OV4,,
5.40 „
?j
. 40V, .0
5.45 „
?>
. 40V, .0
1. Therm.
28
0.
5.45 Uhr: 50=™ Getreidekümmel getrunken
sives Wärmegefühl im Magen.
1. Therm. 28-0.
5-50 Uhr: Differenz von 403/^""^ V2
Brennen und inten-
6 . 5 Uhr : Differenz von 42 V9 '"^ 1
6.10 ,, „ „ 42V2,,
6-15
42V2 ,,
5-55 Uhr: M. giebt an, dass sein rechter Arm bedeutend wärmer
würde. Hand schwitzt massig.
Sichten wir jetzt diese Versuchsreihe, so muss wohl der erste Versuch
derselben (XV) als nicht beweisend ausgeschlossen werden. In keinem der
anderen sind auch nur annähernd so hohe Werthe für die erhöhte Wärme-
abgabe (von 36^/, — 47 V2) als in diesem gefunden worden, und es ist wohl
anzunehmen, dass trotz der grössten Sorgfalt, mit der dieser Versuch auge-
stellt wurde, derselbe dennoch durch irgend eine unbekannt gebliebene Störung
unbrauchbar geworden ist, obgleich andererseits wieder das Ansteigen der
Temperatur in dem betreffenden Cylinder (von 29.8'^ auf 31-0°) für die
Richtigkeit des Versuches spricht. Hiervon abgesehen hat sich auch sonst
stets ein Einfluss des Alkohols auf die Wärmeabgabe deutlich erwiesen.
Am stärksten war dieser Einfluss bei dem weiblichen Individuum (Ver-
such XIX, von 20 V2 auf 23 V,)? was nicht zu verwundern ist, wenn man
sich vergegenwärtigt, dass die grosse Mehrzahl der weiblichen Personen
dem Alkoholgenuss nicht huldigt und deswegen auf dessen Wirkungen
prompt reagirt. Aus denselben G-ründen waren, wenn man auch von dem
ersten Versuche absieht, die Erfolge bei Hrn. Morris und mir grösser,
als bei den übrigen männlichen Versuchspersonen, welche wohl etwas mehr
an Schnaps gewöhnt sein mögen. Es kommt hinzu, dass ich selbst nur
die Hälfte des von den übrigen männhchen Versuchspersonen getrunkenen
Schnapses consumirte. Andererseits mag auch der Umstand, dass im Ver-
such XX eine ziemlich hohe Wärmeabgabe (von 4OV4 auf 42V2) erreicht
wurde, wenigstens zum Theil darauf zu beziehen sein, dass dieser Versuch
zur Zeit des Eintritts der physiologischen täglichen Temperatursteigerung
angestellt wurde. Im übrigen war eine zwar geringe, aber doch recht deut-
Caloeimetrische Untersuchungen.
19
liehe Steigerung der Wärmeabgabe {^/^, ^/^) die Regel. Ob hier nur, wie
es angenommeu wird, eine erhöhte Abgabe der Wärme in Betracht kommt,
oder ob auch die Production derselben mit der Abgabe gleichen Schritt
hält, lässt sich natürlich mit irgend welcher Sicherheit nicht feststellen.
Wenn nun, wie wir soeben gesehen haben, der Alkohol auf die Wärme-
verhältnisse des menschlichen Organismus einen nicht zu unterschätzenden
Einfluss ausübt, so liegt die Frage nahe, ob auch irgend ein heisses Ge-
tränk, welches keinen Alkohol enthält, also etwa reines heisses Wasser, eine
ähnliche Wirkung entfalte. Bis jetzt hat man eine solche, wenn überhaupt
bestehend, doch als ganz unbedeutend hingestellt. Folgende Versuche habe
ich in dieser Richtung angestellt und zwar in der Art, dass nach Fest-
stellung des höchsten Standes des Manometers eine bestimmte Quantität
heissen Wassers (event. mit etwas Himbeersaft) in bestimmter Zeit getrunken
wurde, während der Arm im Apparate verblieb, und dann auf eine etwaige
Veränderung in der Stellung des Manometers geachtet wurde.
XXI. Versuch, an Peter Brandl. 14 Jahr, massig kräftiger Kör-
perbau; guter Ernährungszustand. Normaltemperatur. Massig gut ent-
wickelter Panniculus adiposus. Früher immer gesund gewesen. Jetzt Re-
convalescent von einer Nephritis nach Diphtherie. 9 Tage ausser Bett.
Körperlänge IST""". Länge des Armes 49°'^. Umfang des Oberarmes 20V/'".
Wohlbefinden. 7 Uhr Kaffee mit Brod; 9 Uhr Milch mit Brod. Linker Arm
im linken Cylinder.
10-40 Uhr: Differenz von 2872'"'^ 1
10.45 „
ia-50 „
10.55 „
1. Term. 29-2.
„ 291/2 „
„ 29V2 „
r. Therm. 20-5.
Beginn: 10.20 Uhr.
1. Therm. 28 • 6 r. Therm. 20 • 8.
10 . 20 Uhr: Differenz v. 26 '^
10-25 „ „ „253/^,,- V4
10-30 „ „ „27 „+VU
10-35 „ „ „27V,„ V2
Maximum von 29^2.
Hand schwitzt; Brandl giebt an, überhaupt leicht zu schwitzen.
10 '55 Uhr Y2 I^iter Wasser wurde so heiss, als es vertragen wurde,
möglichst schnell getrunken.
1. Therm. 29-1 r. Therm. 20 • 5.
11-0 Uhr: Differenz von 30 '='"
11.5
11.10
31
31V, „
1
'r.
11.15 Uhr: Differenz von 31 V2 '"^ Vi
V ji 31 /g „
11-20 „
11.25 „
1. Therm. 29 • 7.
„ 31V2„0
r. Therm 21-0
Brandl giebt an, ganz deutlich nach dem Trinken des warmen Wassers
ein allgemeines Wärmegefühl verspürt zu haben.
2*
"20 Carl Rosenthal:
■XXII. Versuch, an Paulus Gierer. Wohlbefinden, ^/g'
mit Zubehör. \i^lO Uhr Milch mit Brod. Von V28 bis \'J0 Uhr schwer
gearbeitet. Linker Arm im linken Cylinder.
Beginn 10-0 Uhr.
10-55 Uhr: Differenz
von 257^ '^"^l Vi
1. Therm. 17-6.
11-0 „
253/ V
10 '0 Uhr: Gleichstand d. Manometers
11-5 „
. 253/, „
10-15 „ Differenz von 1474""^
11.10 „
„ 253/, „
10-30 „ „ „ 20 „ b^U
1. Therm. 25.1.
10.45 „ „ „ 24 „ 4
Maximum von 25^/^ erreicht um 11-0 Uhr; also nach 1 Stunde.
Gier er friert ein wenig, weil er kurz vor Beginn des Versuches hart
gearbeitet und dabei geschwitzt hat.
11-10 Uhr: es wurde ^/g Liter heisses Wasser mit ein wenig Him-
beersaft in möglichst kurzer Zeit getrunken. Gefühl von Wärme im Magen ;
dasselbe verbreitet sich bald über den ganzen Körper.
1. Therm. 25.5. 11-15 Uhr: Differenz von 263/^'='^ 1
11 '25 „ ,, „ 27 1^ „ 1
11 -oO „ ,, ,, f^o „ 1^
11-35 „ „ „ 28 „
]. Therm. 26-2. 11-40 ., „ „ 28 „
Die Thatsache, die sich aus vorstehenden Versuchen ergiebt, dass
nämlich nach dem Genass von heissem Wasser die Wärmeabgabe ganz er-
heblich gesteigert wird (von 25^/^ auf 28; von 29^2 auf SP/,), ist un-
bestreitbar. Fraglich ist nur, ob diese erhöhte Wärmeabgabe die Folge
einer durch das heisse Wasser bewirkten Erhöhung der Eigenwärme ist,
oder ob sie nur dadurch entsteht, dass durch die Einfuhr heissen Getränkes
die Blutcirculation erheblich beschleunigt wird. Das letztere ist wohl wahr-
scheinlicher, wenn man bedenkt, dass die absolute Meage der dem Körper
durch eine Quantität (etwa ^2 Liter) heissen Getränkes zageführten Wärme
äusserst unerheblich ist.
Die folgende Versuchsreihe beschäftigt sich mit der Einwirkung inner-
lich genommenen Eiswassers auf die Wärme-Oekonomie des menschlichen
Körpers.
XXIII. Versuch, an mir selbst. Wohlbefinden. Linker Arm nackt
im linken Cylinder.
Caloeimetkische Untersuchungen.
21
Begiuu: 4-35 Uhr.
1. Therm. 18-8. r. Therm. 18-8.
4 «35 Uhr: Gleichstand d. Manomet.
4-40
4-45
4-50
4-55
5-0
Differenz von 8V2 ''"'
V3
„ 15 „ 6V2
901/ Kl/
7?
25
28
4V
3
5-5 Uhr: Differenz von 30 '='"
5.10 ,. . ,
5.15 ,,
5.20 „
5-25 ,,
5-30 „
1. Therm. 30-5
31 Vi.
33 ,,
33 .,
33 „
2
IV.
1
r. Therm. 19.7.
Maximum von 33 erreicht um 5-20 Uhr; also nach — Stunde 45 Min.
5.30 Uhr: es wurde V2 I^^*^^ Eiswasser binnen 3 Minuten getrunken.
5.35 Uhr: Differenz von 33 ««^
5.40 „ „ „ 33 ,,
5.45 „ „ „ 33 „
XXIV. Versuch, an Beschel. Wohlbefinden. 7 Uhr Kaffee mit Brod.
9 Uhr
Vi Liter
Milch und V2 Brödchen. Linker
Arm
nackt im linken
Cjliuder.
Beginn:
10
10 Uhr.
10. 50 Uhr:
Differenz von I8V2*'"' V2
1. Therm. 21
•2.
r. Therm. 21.1.
10-55 „
.
. 19V.. y.
10-10 Uhr:
Gleichstand d. Manomet.
11-0 ,.
7;
77 19^/4 „ ^4
10
15
Differenz von 7V2°"
11-5 ,,
.
,7 20 , V.
10
20
V
.11 .3/2
11-10 „
.
. 20V, „ 'U
10
25
.
. 13V4. 2V,
11.-15 ,,
57
77 21 ,,, V.
10
30
?,'
., 15V,. 2
11.20 „
77
. 21 „0
10
35
J1
. 16 . 'U
11-25 ,.
j,
. 21 „
10
40
,,
. 17 „ 1
1. Therm. 27
•1.
r. Therm. 21- 1.
10
45
tJ
.. 18 ,. 1
Maximum von 21 erreicht, um 11.15 Uhr; also nach 1 Stunde 5 Min
11-20 Uhr: Y2 I^iter Eiswasser in möglichst kurzer Zeit getrunken.
1. Therm. 27 • 1 . 1 1 - 25 Uhr : Differenz von 21 ^«^
11-30 ,, „ „ 21,,
11-35 „ „ „ 21 „
V27 Uhr Kaffee mit
XXV. Versuch; au mir selbst. Wohlbefinden
Zubehör, 10 Uhr Frühstück, ^j^ Liter Bier. Linker Arm im linken Cy^
linder.
Beginn: 11-30 Uhr.
1. Therm. 24-8.
11-30 Uhr: Differenz von 22 ""^
11-40 „ „ „ 253/,„3V,
11-50 „ „ „ 273/,,, 2
12-0 Uhr: Differenz von 283//'^ 1
77 77 ^^ U 77 12
. . 29 V,;,
7, 77 29V, „
12-5 „
12-10 „
12-15 ,. „
1. Therm. 27-7. Maximum von 29V
22
Cael Rosenthal:
12-15 Uhr wird 7^ I^iter Eiswasser getrunken, nachdem der Arm aus
dein Apparat entfernt w^orden; darauf wird der Arm wieder in den unter-
dessen nicht geöffneten Apparat gebracht, dessen Manometer unterdessen
auf 25 gefallen ist.
1. Therm. 26-6. 12-20 Uhr: Differenz von 27 °™
12« 25 „ „ „
12.30 „ „ „ 273/
271/
V2
V2
1. Therm. 26-9.
12.35
12.40
27^
27^
12' 15 Uhr mehrmahges Schauern (Kältegefühl).
XXYI. Versuch; an mir selbst. Wohlbefinden. ^2^ '^^^' Kaffee mit
Zubehör. 72^0 Uhr Frühstück mit V2 I^i^r Bier. Linker Arm nackt im
linken Cylinder.
Beginn: 10-15 Uhr.
1. Therm. 20-0.
10-15 Uhr: Grleichstand d.Manomet.
10-30 „ Differ. von22 '"^
10-45
10-50
28^
32
6V2
3\'2
10-55 Uhr;
11-0 „
11-5 „
11-10 „ ,
11-15 „ ;
1. Therm. 28-7.
Differ. von 34 '"^
Maximum von 35 erreicht um 11-5 Uhr; also nach — Stunde 50 Min.
11-15 Uhr: es wird ca. V2 Liter Eiswasser binnen 5 Minuten getrunken;
ebenfalls nach Entfernung des Armes aus dem Apparat.
1. Therm. 27-2.
11 -20 Uhr: Differ. von 28 '^
11*25 „ „ „ 28 12 „ I2
11-30 „ „ „ 29'U„ 1
11-35 „ „ „ 3VU„ 27,
11-40 Uhr: Differ. von 327/^^
11* "15 j; 5? V 3374 V
i i • OU ,, ,, ,, dö /, ,,
11-55
337,
Die beiden ersten Versuche dieser Reihe ergaben ein völlig negatives
Resultat. Da aber von vorne herein es nicht verständhch wäre, weshalb
die Einfuhr kalter Flüssigkeit in den Körper keine Temperatureruiedrigung
herbeiführen sollte, während doch andererseits die Einwirkung heissen Ge-
tränkes im entgegengesetzten Sinne so sehr in die Augen fallend war, und
schliesslich auch Versuche von Lichtenfei s, Fröhlich, Wiuternitz u. A.
durchaus mit den hier angestellten Versuchen im Widerspruch standen, so
musste ich annehmen, dass bei der Anstellung dieser meiner Versuche
ein Fehler untergelaufen sei. Und dem war auch wirklich so. Wenn näm-
lich, wie dies bei den ersten Versuchen geschah, nach eingetretenem
höchsten Manometerstand der Arm, nachdem das Eiswasser getrunken war,
Caloeimeteische Untersuchungen.
23
im Apparate verblieb, so konnte die in demselben einmal aufgespeicherte
Wärme nicht in so kurzer Zeit, während welcher die betreffenden Versuche
angestellt wurden, nach aussen abgegeben werden, und also konnte sich
auch eine etwa eingetretene verminderte Wärmeabgabe des Armes nicht
zeigen. Ganz anders verhielt sich die Sache, als der Versuch dahin ab-
geändert wurde, dass nach erreichtem und aufgezeichnetem Höchststand des
Manometers der Arm aus dem Apparate genommen und nun das Eiswasser
getrunken wurde. Unterdessen fiel das Manometer um ein Gewisses, und
es zeigte sich dann nach dem Wiedereinbringen des Armes in den Apparat,
dass der vorige Stand des Manometers bei Weitem nicht erreicht wurde
(von 29'/^ auf 27^^; von 35 auf 33V4), d. h. dass die Wärmeabgabe und
die Wärmeproduction des betreffenden Armes um ein Erhebliches in Folge
des eingenommenen Eiswassers gesunken war.
Im Anschluss hieran mögen einige Versuche folgen, in denen die Ein-
wirkung von Eiswasser, äusserlich auf die Haut des betreffenden Armes
applicirt, studirt wurde. ■
XXVn. Versuch; an mir selbst. Wohlbefinden.
Linker Arm nackt im linken Cylinder.
Beginn: 4 «35 Uhr.
1. Therm. 19.6.
4.35 Uhr: Gleichstand d. Manomet.
4.40
4.45
4.50
4.55
5.0
5-5
Differ. von llVs'^'^
183/
22^/
V 11 30 1^ „
3V2
2V2
P/.
5.15 „
5.20 „
5.25 „
5.30 „
5.35 „
5.40 „
5.45 „
1. Therm.
/.
1 Uhr
Mittag.
01
1 32V2
cm
2V4
34V2
2
36
1^2
37
1
37V2
V2
38V3
1
38V2
38V2
31.6.
Maximum von 38^/, erreicht um 5.35 Uhr; also nach 1 Stunde — Min.
5.45 Uhr: der linke Arm wurde während 2 Minuten in Eiswasser
gehalten, dann leicht, ohne wesentfiche Reibung, abgetrocknet, um dann
wieder in den inzwischen nicht geöffneten Apparat gebracht zu werden,
dessen Manometer bis auf 32 gesunken war.
1. Therm. 28-3.
5 . 48 Uhr : Differ. von 32 '^"^
5.55 „ „ „ 29 V2,, -2V2
6-0 „ „ „ 32 „ +2V2
6-5 „ ;, „ 36 „ 4 ^
6.15 „ „ „ 37 „ 1 I
5-45 Uhr: kurzandauerndes Kältegefühl.
6-20 Uhr: Differ. von 38 '"^ 1
6.25 „
7J
. 38V2.
6.30 „
5;
„ 38V2,,
6.35 „
>?
„ 38V2,,
1. Therm.
31-5.
V2
24
Cael Eosenthal:
XXVIII. Versuch; an Johaun Dietzinger. Wohlbefinden. 12 Uhr
Mittag. 2 Uhr Kaffee mit Brod. Eechter Arm im linken C3dinder.
Beginn: 2-25 Uhr. 3-20 Uhr: Differ. von 35V,
1. Therm. 20-0.
2 «25 Uhr: Gleichstand d. Manomet.
2-40 ,, Differ. von 2374'^'^
2-50 „ „ „ 28V4. 5
3*0 „ „ „ 31 J2 „ 3 /^
3-10 , „ „ 333/, „ 2V,
Maximum von 37^2 erreicht um 3 '40 Uhr, also nach 1 Stunde 15 Min.
3-50 Uhr wird der linke Arm mit Eis und Eiswasser wie oben in
Versuch XXVII. behandelt.
3.30 ,,
}:
,,. 36V3. '1
3.35 ,,
j?
„ 37V4,, V
3-40 „
??
. 37V2. V
3.45 „
,,
„ 371/2,,
3.50 ,,
??
V 37V2r
1. Therm.
25
6.
1. Therm. 25-3.
3.55 Uhr: Differ. von 32V4
4-0 „
4-5 „
4.10 „
30 V4,, -2
j 4.15 Uhr: Differ. von 363/4 "'' 2\L,
'4.20 „ , „ 37V2. '^
4-25 ,. ,, ,. 371/2,,
32V3,, +2V4I4.30 „ „ „ 371/2 .
. 341/4,, l'U
Dietzinger fühlte nur einige Minuten ein massiges Kältegefühl im
Arme.
Wie beide Versuche (XXVII und XXVIIl) übereinstimmend zeigen,
hat die äussere Application von Eiswasser auf die Haut, wenigstens in dem
geringen Umfang, wie es in den Versuchen angewendet wurde, gar keinen
sichtbaren Einfluss auf die Wärme-Oekonomie des Körpers. Man darf aber
darauf gestützt durchaus nicht annehmen, dass kaltes' Wasser dem Körper
keine Wärme entziehe, denn der temperaturherabsetzende Einfluss der kalten
Bäder, ein Capitel, welches uns in dieser kleinen Arbeit auch noch beschäf-
tigen wird, ist ein zu auffallender, als dass man ihn negiren könnte. Die
Sache verhält sich vielmehr so, dass bei der geringen Oberfläche, die hier
mit dem kalten Wasser in Berührung kommt und zwar auch nur auf kurze
Zeit, die Abkühlung des ganzen im Körper kreisenden Blutes eine zu geringe
ist, als dass sie mit dem benutzten Apparate messbar wäre. Dazu kommt
noch, dass die nachträgliche Ausgleichung des verringerten AVärmeverlustes
durch die bald eintretende Erweiterang der Hautgefässe siclierlich eine
sehr prompte und wirksame ist. Dass aber eine, wenn auch nur ganz
minimale, Abkühlung stattfindet, das ist sicherlich unbestreitbar.
Im Anschluss hieran will ich noch einige Versuche anführen, ])ei denen
die Haut des Armes mit Senfspiritus behandelt wurde. Dass gerade Senf-
spiritus gewählt wurde, lag nur an der leichten Beschaff bar keit desselben;
es handelt sich hier nur um eine Substanz, die auf die Haut gebracht, im
Calorimeteische Untersuchungen.
25
Verein mit starkem Reiben der letzteren, Röthung des Armes, d. h. ein
Weiterwerden der Hauto^efässe derselben bewirkt.
XXIX. Versuch; an mir selbst. Wohlbefinden. ^2! ^^^' Mittag.
Linker Arm nackt im linken Cylinder.
Beginn: 4.25 Uhr.
1. Therm. 19-2.
4-25 Uhr: Gleichstand d. Manomet.
4.35 „ Differ. von 19 <^-^
4-45 „ „ „ 26 V^,, 7V,
4.55
29^
3V2
5.5 Uhr: Differ. von SP/,,
.. 33V.
5.1o „ „
5 «20 „ „
5.30 ,, ,,
5.00 „ ,.
1. Therm. 29.6.
2
IV4,
Maximum von 33 V4 erreicht um 5.25 Uhr, also nach 1 Stunde — Min.
5.35 Uhr: es wird der ganze linke Arm (ohne die Hand) mit Senf-
spiritus mittels eines Wolllappens bis zum deutlichen Rothwerden frottirt.
1. Therm. 28.4.
5.40 Uhr: Differ. von 27
5.45 „ „ „ 30 V
5.50 „ „ „ 32
5.55 „ „ „ 32 /
6.0 „ „ „ 33
cm 97
„ 31
V
4
1^/4
1/
6.5 Uhr: Differ. von 33V, '-^ V
6.10 „
6.15 „
6.20 „
1. Therm. 29.8.
333/
333/
333/
5.35 Uhr: der Arm brennt heftig; Hand schwitzt stark.
5.55 Uhr: der Arm brennt weniger stark.
6.0 Uhr: der Arm brennt gar nicht mehr.
XXX. Versuch; an Heinrich Reichert, 24 Jahr. Hufschmied.
Massig kräftiger Mann; massig guter Ernährungszustand. Normaltemperatur.
Geringer Panniculus adiposus. Früher immer gesund. Jetzt Gonorrhoe,
noch nicht ganz geheilt. Patient durch Aufenthalt im Krankenhause sehr
herabgekommen. Körperlänge 172"^. Körpergewicht 140 Pfund (früher
160 Pfund). Soldat gewesen; kein Potator. Wohlbefinden. 7 Uhr Kaffee
mit Brod. V9IO Uhr Milch mit Brod. Linker Arm im linken Cvlinder.
Beginn: 9.45 Uhr.
1. Therm. 20.6.
9.45 Uhr: Gleichstand d. Manomet.
10.0 „ Differ. von 12 "^12
10.40 Uhr: Differ. von 29 V,''"
10.15
10.25
10.30
203/
26 V
281/
1
10.50 „
?j
. 29^/,,,
11.0 .,
??
. 29V, „
11.5 „
j?
7? 29 /, „
11.10 „
??
fr 29 /, „
1. Therm.
29
0.
Maximum von 29 V, erreicht um 11 Uhr, also nach 1 Stunde 15 Min.
26
Carl Rosenthal:
11.45 Uhr: Differ.
von 291/2
cm 1/
12
11.50 „
. 293/,
T> u
'I2
12-0 ,
„ 30
„ V.
1
12.5 „
„ 30
.
2
12-10 „
„ 30
„
V.
1. Therm. 28.4.
11.10 Uhr : Einreiben des linken Armes wie im vorigen Versuch (XXIX).
1. Therm. 28.4.
11-15 Uhr: Differ. von 251/4
11-20 , „ „ 257,
11.30 , , „ 263/,
11-35 „ „ „ 283/,
11.40 , „ „ 29
Bis 11.35 Uhr starkes Brennen und Wärmegefühl im Arme.
11.40 Uhr : Brennen nur noch schwach.
11-45 Uhr: Nichts Abnormes mehr.
Man hätte erwarten sollen, dass der Effect der Einreibung mit Senf-
spiritus und ähnhchen Mitteln, die doch sichtlich die Hautgefässe sehr stark
erweitern, grösser wäre, als der errungene (i/,, 1/2). Doch kommen hier
sicherlich wieder jene oben angeführten wärmeregulirenden Mittel in Be-
tracht und dazu kommt wahrscheinlich auch eine auf die Erweiterung der
Hautgefässe baldigst folgende Contraction derselben, womit auch die That-
sache im Einklang steht, dass das suhjective Wärmegefühl, das Brennen,
nur geringe Zeit anhält, um bald annähernd normalen Verhältnissen wieder
Platz zu machen.
Ausgehend von einer von Senator aufgestellten Behauptung, dass bei
fieberhaften Processen das Ueberstreichen eines grossen Theiles der Körper-
oberfläche mit fettigen, wenig perspirablen Substanzen fieberwidrig wirke,
und in Hinsicht darauf, dass diese Therapie auch als Hausmittel vielen
Müttern bekannt und bei ihnen sehr behebt ist, habe ich einige Versuche
angestellt, in denen ich den Einfluss dieser Anwendung eines Fettes auf
die Wärme-Oekonomie klar zu stellen suchte. Leider konnten meine der-
artigen AT'ersuche nur an gesunden, fieberlosen Personen angestellt werden.
XXXI. Versuch, an Paulus Gier er. Wohlbefinden. 7 Uhr Kaffee
mit Brod. Linker Arm im linken Cylinder.
Beginn: 8.40 Uhr.
1. Therm. 18. 3.
8.40 Uhr: Gleichtand des Manomet.
9-10 „ Differenz von 16 *^'"
9.20 „
9-30 „
a • ÖO ,, ,,
I8V2 . 2V2
19V2 . 1
20
1/
;2
9 '45 Uhr: Differenz von 21
1
9-50 „
j?
. 21V, „ V.
9-55 „
?5
. 21V2 . 'U
10-0 „
7J
„ 21V2 „
10-5 „
J>
. 21 1/2 .
1. Therm. 24
3.
Maximum von 21^/2 erreicht um 9-55 Uhr, also nach 1 Stunde
15 Minuten.
Calorimeteische Untersuchungen.
27
10 . 20 Uhr: Differenz von 20 V4, ""^
10-5 Uhr: Einreiben von Arm und Hand mit Vasehn
1. Therm. 24-2.
10.7 Uhr : Differenz von 1 9 ^^ '""
10.10 „ „ „ 20^ „ V2
10.15 „ „ „ 20 „0
10.25
10.30
„ 20V. „
XXXII. Ye r s 11 c h , an P a u 1 u s G i e r e r. Wohlbefinden. 7 \/ ., Uhr Kaffee
mit Brod. ^j^'^^ Milch mit Brod. Linker Arm im linken Cyhnder.
Beginn: 10-20 Uhr,
1. Therm. 28-8.
10.20Uhr:Differ.von20 <="
10.35 „ „ „ 18^/, ,,
10.45 ,, ,
10.55 „
IV4
903' 4- 9
1
11.5 Uhr: Differ. von 22V2 ""
11.10 „ „
11.15 „
11.20 „ „
1. Therm. 27.3.
V 2* U j;
. 22^/, ,
903/
213/
Maximum von 223/^.
1.20 Uhr: Arm und Hand mit Vaselin eingerieben.
1. Term. 26.4.
1 1.20 Uhr :Differ. von 223/4
11.25 , ,
11.30 „ ,
11.35 „
+ 0^/5
203/
203/
'u
11.40Uhr:Differ.von31
cm
v*
11.45 „ „ „ 21
/•J
11.50 „ „ „ 21
j>
1. Th. 26.5.
Wir können also hier constatiren, dass wenigstens beim gesunden,
nicht fiebernden Menschen,, in Folge des Einreibens eines Armes mit einem
wenig perspirablen Stoffe, wie Vaselin, eine Verminderung der Wärmeab-
gabe stattfindet. Ob neben dieser Verminderung der Abgabe auch eine
ebensolche der Production der Wärme einhergeht, lässt sich zwar mit irgend
welcher Sicherheit nicht sagen, ist aber a priori schwer glaublich. Und
doch wäre die Anwendung dieser Therapie bei Eiebernden nur dann ge-
rechtfertigt, wenn dies der Fall wäre. Es fragt sich allerdings, ob die
Wirkung bei Fiebernden sich nicht wesentlich anders gezeigt hätte, als hei
gesunden, nicht fiebernden Individuen, und es ist diese Annahme nahe-
liegend genug; denn, wie wir späterhin auseinandersetzen werden, ist auch
die bei Fiebernden in der Mehrzahl der Fälle so j)rompt eintretende Wir-
kung der Antipyretica (Antipyrin, Antifebrin) bei Gesunden gleich Null.
Die jetzt folgenden Versuche befassen sich mit einer höchst interes-
santen Frage, nämlich der, ob angestrengte geistige Thätigkeit irgend einen
Einfluss auf die Eigenwärme des Gesammtorganismus habe. Die Bejahung
dieser Frage hegt nahe, da Schiff bewiesen hat, dass in den jSTerven und
auch im Gehirn während der Thätigkeit dieser Organe Wärme producirt
28 Cael Rosenthal:
wird. Auch Untersuchungen, die J. Davy und Lombard hinsichtlich
dieser Frage angestellt haben, ergaben ein positives Resultat.
In diesen Versuchen diente mir ein recht williger und intelligenter
Knabe, dessen Angaben unbedingtes Yertrauen zu schenken ich berech-
tigt war.
XXXIIL Versuch, an Peter Brandt. Wohlbefinden. Mittag um
1 2 Uhr. Kaffee mit Brod um 2 Uhr. Linker Arm nackt im linken Cjlinder.
Beginn: 4-45 Uhr. 1 6-0 Uhr: Differenz von SO^/^ß^^SV,
1. Therm. 17-7. j 6-15 „ „
4-45 Uhr: Gleichstand des Manomet. i 6-20 „ „
5.0 „ Differenz von 16V, <"" j 6-25 „ „
5 •15 „ „ „ 25 /, „ 9 /g j 6'30 „ „
5.30 „ „ „ 31V, „6 I 6.35 „
5-45 „ „ „ 36 „47, I 1. Therm. 29.1.
Maximum von 4IV2 erreicht um 6.20 Uhr, also nach 1 Stunde
35 Minuten.
6-35 Uhr: es wurden 10 Minuten lang complicirte Multiplications-
und Divisionsexempel im Kopfe ausgerechnet.
1. Therm. 29.3. 6-40 Uhr: Differenz von 43°"^ V2
6.45 „ „ „ 42 „
1. Therm. 29.5. 6-50 ,, „ „ 42 „
XXXIV. Versuch, an Peter Brandt. Wohlbefinden. 12 Uhr
Mittag. Linker Arm nackt im linken Cylinder.
411/
. IV2
^^ /4
4IV2
1.
?? 14,
4IV2
„0
41 V2
vO
41 V2
.0
Beginn: 1.25 Uhr.
2.101
Uhr. Difl
1. Therm. 17.2.
2-15
r
1.25 Uhr: Gleichstand des Manomet.
2.20
j?
1 . 35 „ Differenz von 12i/, ''"' 1 2 V^
2-25
j?
1-45 „ „ „ IV/,,, 5V,
2-30
?>
1-55 „ „ „ 20«/,,, 3V,
1. Therm. 25.3
2'5 „ „ „ 22 „ 1 /,
33
23 ..0
23 „0
23 ..0
2-30 Uhr: 10 Minuten lang wie im Versuch (XXXIII) im Kopfe
gerechnet.
1. Therm. 25.4. 2-35 Uhr: Differenz von 23V,'''" Vi
2-40 „ „ „ 33V2V V4
2-45 „ „ „ 23V2vO
1. Therm. 25.5. 2.50 „ „ ., 23V2 »
Die Hand wurde absolut still gehalten.
Calorimetrische Untersuchungen. 29
Es ist also unbedingt zuzugeben, dass angestrengte geistige Thätig-
keit auf die Vermehrung der Abgabe und Production der Wärme einen
deutlichen, wenn natürlich auch keinen grossen Einüuss ausübt. Es ist
also auch vollkommen auszuschliessen, dass diese Steigerung etwa eine durch
leichte Bewegungen der Hand hervorgerufene sei, denn da ich selbst
während der ganzen Versuchszeit neben der Versuchsperson sass, hätte
ich einmal jede Bewegung bemerken müssen, andererseits aber hatte ich
es in diesem Falle mit einem Knaben zu thun, zu dessen Aussagen ich
festes Vertrauen zu haben berechtigt war, und der selbst ein hohes Interesse
an diesen an ihm gemachten Beobachtungen an den Tag legte. Dazu
kommt noch eine Reihe von ähnlichen Versuchsergebnissen, die von Mosse
veröffentlicht worden sind.
Unter denjenigen Stoffen, die eine Erniedrigung der Innentemperatur
des Organismus durch Erweiterung der Hautgefässe, also durch vermehrte
Abgabe der Wärme, herbeiführen, raugirt neben Nicotin, dessen derartige
Wirkung von J. Rosenthal des öfteren festgestellt wurde, auch das früher
in der Therapie häufiger als jetzt angewandte Amylnitrit. Dieses Prae-
parates Wirkungen auf die Aenderung der W^ärme-Oekonomie habe ich
an einigen Versuchen untersucht.
XXXV. Versuch, an mir selbst. Wohlbefinden, ^j.^l Uhr Mittag.
^I^S Uhr \/2 Liter Bier. Linker Arm im linken Cyhnder.
Beginn: 2-
55 Uhr.
3-30 Uhr
: Differenz
von 343/,«^ V2
1. Therm.
26.1.
3-35
V
J7 35 I2 „ /4
2 -55 Uhr
: Differenz
von 20 '^'^ 20
3.40
J7
55 353/, „ V4
3.0 „
„ 25 , 5
3.45
J7
3.5 „
. 287, ., 37,
3-50
??
„ 36V4 „
3.10 „
„ 31 „ VU
3-55
7?
. 36V4.O
3-20 „
. 33V, . 2V,
1. Therm.
30.2
3.25 „
„ 34V. „ 1
Maximum von 36 ^Z^.
3.55 Uhr: es wurden- einige auf ein Taschentuch gegossene Tropfen
Amylnitrit ca. ^/a Minute lang eingeathmet. Subjectiv fühlte man sofortiges
starkes Klopfen der stark pulsirenden Gefässe im Inneren des Schädels, dann
das Ansteigen starker Hitze in den Kopf (ca. 2 Minuten lang). Schwindel-
gefühl ist intensiv. Später Uebelkeitsgefühl. Objectiv war eine starke
Röthung des Gesichtes und der sichtbaren Theile des Halses bemerkbar,
die später einer intensiven Blässe wich.
30
Cael Eosenthal:
1. Therm. 30-2.
3-55 Uhr: Differenz von 3674°""
4-0 „ „
4-5
4.10 ", " ,; 371/2 „0
??
37V.
11
1
V
37V2
V
11
37V2
11
XXXVI. Yersuch; an Peter Brandl.
Nachdem im Versuch XXXIV der höchste Stand des Manometers nach
der geistigen Anstrengung mit 23^2 erreicht war, wurde wie im vorigen
Versuch (XXXV) ^2 Minute lang Amylnitrit eingeathmet.
Grleich zu Beginn der Einathmung wurde Brandl schwindlig, die
Augen wurden ihm matt, als wenn er einschlafen wollte, dann stieg ihm
starke Hitze in den Kopf, die aber nur circa 2 Minuten anhielt. Darauf
empfand Brandl Uebelkeit, die sich aber nach einigen Schluck eingenom-
menen Wassers wieder verlor. Objectiv wurde kurz nach dem Einathmen
vorübergehende starke Köthung des Gesichtes und der freiliegenden Theile
des Halses bemerkt, die bald einer kurzdauernden krankhaften Blässe wich.
1. Therm. 25-5.
2-50 Uhr: Differ. von 231/4°'"
2-52 „ „ „ 243/,,, IV
2.55
25
3.0 Uhr: Differ. von 35 V^'^'" V
„ „ 25V,,. O'
3.5
3.10
25^
XXXVII. Versuch; an mir selbst. Wohlbefinden,
Zubehör. Linker Arm nackt im linken Cyhnder.
,7 Uhr Kaffee mit
Beginn: 9 Uhr.
1. Therm. 17-5.
9.15 Uhr: Differ. von 25V,
9
25 „
;?
J7
3IV2. ^
9
35 „
j;
V
34V.. :
9
45 „
;>
V
367. . ^
9
50 „
7?
??
37^4. ^
Maximum von
38
'U-
10.15
Uhr:
es wurde circa
5V
9.55 Uhr: Differ. von 38V/'^
10-0 „
10.5 „
10.10 „
10.15 „
1. Therm. 30-0.
38V, .
383/, „
383/. ^.
V2
V.
Minute lang Amylnitrit eingeathmet.
Dieselben Erscheinungen wie bei Versuch XXXV.
1. Therm. 30-0.
10.15 Uhr: Differ. von 383/
10.18
10.20
393
40^
10 . 25 Uhr: Differ. von 4OV2 '"^ V.
10-30 „ „ „ 4OV9 ,,
10.35 „ „ „ 4OV2,,
Calorimeteische Untersuchungen. 31
Der bedeutende Einfluss der Amyluitriteinathmung auf die vermehrte
Wärmeabgabe hat sich in allen diesen drei Versuchen in klarster Weise
gezeigt. Ueber eine auffallende Erscheinung in der Sehsphaere, hervor-
gebracht durch die Einathmung des Amylnitrits, welche mir bei diesen
Versuchen auffiel, werde ich an geeigneter Stelle ausführlicher berichten.
Im Anschluss an die späterhin mitzutheilenden Versuche mit anti-
febrilen Mitteln (Antipyrin und Antifebriu) an Fiebernden ^ habe ich diese
auch an Gesunden mit Normaltemperatur erprobt und constatirte in Ueber-
einstimmung mit Anderen, dass deren Einfluss jedenfalls, wenn überhaupt
vorhanden, äusserst gering sein muss, so dass es mir nicht gelang, ihn
nachzuweisen.
XXXVIII. Versuch; an mir selbst. Wohlbefinden. ^2'^ Uhr Kaffee
mit Zubehör. Linker Arm nackt im linken Cylinder.
Beginn: 10.35 Uhr. | 11-5 Uhr: Differ. von 3774^"^' 2V2
1. Therm. 23-7. 11.15 „ „ „ 37^/,,, V2
10.35 Uhr: Differ. von 17 '='° 111-20 „• ,. „ 31^ U „
'4 "
10-45 „ „ „ 28 „11 {11-25 „ „ „ 373/^,"
10-55 „ „ „ 343/, „ 63/, I 1. Therm. 27-9.
Maximum von 373/,.
Hand schwitzt massig.
11-25 Uhr: 1^2^'™ Antipyrin in Oblate genommen. Nach dem Ein-
nehmen etwas Kopfschmerz und leichtes Gefühl von Uebelkeit.
I. Therm. 27-9. 11-30 Uhr: Differenz von 373/, <=«^
11-35 „ „ „ 373/,,,
11-40 „ ,, „ 373/,,,
1. Therm. 27-7. 11-45 „ „ „ 373/, „
XXXIX. Versuch; an Paulus Gierer. Wohlbefinden, ^j^l Uhr
Kaffee mit Brod. 7,10 Uhr Milch mit Brod. Linker Arm nackt im linken
Cylinder.
Beginn: 9-50 Uhr.
10-35 Uhr:
Differ.
von 221/4'='^ V*
1. Therm. 17-2.
10-40 „
??
V ^^ 12 » U
9.50 Uhr: Gleichstand d. Manomet.
10-45 ,,
j7
„ 323/,,, 1/^
10-5 „ Differ. von 141/2 ""^
10-50 ,,
„ 223/,,,
10-20 „ „ „ 20 „ 51/2
10-55 „
,-?
„ 223/, „
10-30 „ „ ,, 213/, „ 13/^
1. Therm. 25
1.
Maximum von 223/, erreicht um 10-45 Uhr
, also nach — Stunde
55 Minuten.
32
Carl Rosenthal:
10.55 Uhr: 1^2^''"' Antipyrin in Oblate genommen. Patient hat keine
abnormen Empfindungen.
i 11.20 Uhr: Differ. von 223/^'=™
i 11.25 „ „ „ 223/,,,
223/,,, 11.30 „ „ „ 223/, „
1. Therm. 25-0
ILO
11. 10
Uhr: Differ. Yon 223/4<=«>
XL. Versuch; an mir selbst. Wohlbefinden
behör. Linker Arm nackt im ünken Cylinder.
Beginn: 10.15 Uhr.
L Therm. 20-9.
7 Uhr Kaffee mit Zu-
10 . 15 Uhr: Differ. von 24 V^ '"^
10.20 ,, „
10.25 „ „
10.30 „
22^
223
231
10.35 Uhr: Differ. von 23V2'""
237. .
34 „
24 „
24 „
10.40 „
10.45 „
10-50 „
+ V2 10.55 „ „ „
_ 1. Therm. 26-7.
Maximum von 24.
Am Tage vorher eine grosse Anstrengung (grössere Fussreise), deshalb
vielleicht die auffallend geringe Wärmeabgabe.
10.55 Uhr: Y2 ^'"^ ^^^if^^i'i'^ in Oblate genommen. Keinerlei abnorme
subjective Empfindungen.
1. Therm. 26-7.
10.55 Uhr: Differenz von 24"°^
11.0 „ „ „ 24 „
11-5 „ „ „ 24 „
11.10 Uhr: Differenz von 24«'"
11.20 „ „ „ 24 „
11.30 „ „ „ 24 „
1. Therm. 26 . 7.
XLL Versuch; an Wilhelm Morris. Wohlbefinden. Ya^^hr Kaffee
mit Zubehör. 10 Uhr Frühstück, ^2 Liter Bier,
linken Cylinder.
Beginn: 10.20 Uhr.
1. Therm. 24-1.
10.20 Uhr: Differ. von 20 V4
10.30 „ „ „ 24
10.40 „ „ „ 26V.
Rechter Arm nackt im
10.50
ILO
273/
283/
11.10 Uhr: Differ.
von 29 «'^ 1/,
11.20 „
;? 29 /, „ /^
11.25 „
„ BOV,. V2
37.
11.30 „
. 30V, „
2V4
11.35 „
„ 30V4.
1V2
]. Therm. 27.3.
1
Maximum von 30 Y4.
11-35 Uhr: 0.5^™ Antifebrin in Oblate. Keine abnormen Empfin-
dungen.
1. Therm. 27.3. 11-40 Uhr: Differenz von 3OV4'''"
11.50 „ „ „ 30V, „
1. Therm. 27.3. 11-55 „ „ „ SOV, „
Calorimetrische Untersuchungen. 33
Es konnte also, wie ersichtlich, weder für Antipyrin noch für Anti-
febriu irgend ein merklicher Einfluss auf die Wärme-Oekonomie des gesunden,
fieberlosen menschlichen Organismus constatirt werden. Hier könnte nun
leicht Jemand einwerfen, dass die Antipyretica zwar nicht die Wärmeabgabe
steigerten, wohl aber die Production der Wärme verminderten. In diesem
Falle könnte sich dann dieser Effect, da der Arm nicht aus dem Apparate
entfernt wurde, aus den bereits früher erörterten Gründen, nicht an einer
Aenderung des Mauometerstandes documentiren. Dem ist aber zu erwidern,
dass nach einer grossen Reihe von Versuchen, die später folgen werden, es
sicher festgestellt werden konnte, dass die Wirkung der Antipyretica auf
einer Steigerung der Wärmeabgabe beruht.
Meine physiologischen Versuche habe ich mit noch einigen Versuchs-
reihen abgeschlossen, von denen die einen sich mit der Frage beschäftigten,
ob die Wärmeabgabe der beiden Arme ein und derselben Versuchsperson
eine gleich grosse sei oder nicht, die anderen die Wärmeabgabe unter local
veränderten Circulationsverhältnisseu zu zeigen bestimmt waren. Die An-
ordnung bei den ersteren dieser Versuche war folgende : Es wurde der linke
Arm in den linken, der rechte in den rechten Cylinder des Apparates ein-
geführt, und zwar unter ganz gleichen äusseren Bedingungen; besonders
wurde das Augenmerk darauf gerichtet, dass nicht etwa ein Arm sich weiter
in dem Cylinder befand, als der andere. Dann wurde auf etwaige Aende-
rungen im Stande des Manometers geachtet.
XLII. Versuch; an mir selbst. Wohlbefinden. Beide Arme nackt,
je einer in einem Cylinder.
Therm.
Bes
;inn: 11.!
20 I
Ihr.
1. Therm,
9.4
11.20 Uhr:
Gleichstand d. Manometers.
7-8
IM
11.30
Differenz
von
13/ cm
10.8
12.8
11.35
3 „
IV.
13.1
14.1
11.40
4 .
1
14.6
15.0
11.45
4^2 .
\l2
15.7
15.5
11-50
5 „
V2
16-2
15-6
11.55
5 „
16.3
15.6
12.0
5 „
16. 3
Maximum von 5 erreicht um 12 Uhr, also nach — Stunde 40 Minuten.
Die grössere Wärmeabgabe betraf den linken Arm, dementsprechend
war auch das linke Thermometer höher gestiegen, als das rechte (16-3 : 15.6).
Wenn jetzt mit der rechten Hand und deren Fingern kleine, wenig aus-
giebige Bewegungen im Apparate ausgeführt wurden , und zwar ca. 5 Mi-
nuten lang, so erhielt man folgendes Resultat:
Archiv f. A. u. Ph. 1888. Physiol. khtUg. 3
34
Cael Rosenthal:
r. Therm.
16-5
12
.51
17-2
12.
10
17-4
12
11
17.5
12.
12
17-6
12.
13
17-6
12
.15
17-6
12
• 20
12-5 Uhr: Differenz von S^/,««^
1.
Therm.
y
-IV.
17.1
12 »
-2V.
17-3
J7
- V2
17.3
U J'
- v.
17.3
Vs.
- V4
17-4
n 7>
17.4
1/
/9, ?»
17.4
Dieses letzte Resultat bekräftigt wiederum die schon durch frühere
Versuche bewiesene Behauptung, dass nämlich auch noch so geringe Muskel-
bewegungen eine erhebliche Steigerung der Wärmeabgabe zur unmittel-
baren Folge haben ; andererseits ist dasselbe aber auch ein Beweis für die
ausgezeichnete Functionstüchtigkeit des angewandten Calorimeters.
XLIII. Versuch, an mir selbst.
/Anordnung wie bei Versuch XLII.
Wohlbefinden. V2I ^^^r Mittag.
r. Therm.
Beginn: 2-40 Uhr. 1. Therr
18-1
2-40 Uhr
: Gleichstand des Manometers. 18.4
19.3
2.45 ,,
Differenz von 1/4'°' V. 19-3
21-0
2.50 „
. V2. V. 22.0
22-9
2.55 ,,
. V2. 24.2
23.1
3.0 „
. V2. 24.3
Maximum
von ^2 erreicht um 2-50 Uhr; also nach —
10 Minuten.
Stunden
Wärmemehrabgabe des linken Armes.
XLIV. Versuch, an Peter Brandl. Wohlbefinden.
mit Brod. Anordnung wie bei Versuch XLII.
r. Therm. Beginn: 9.35 Uhr.
18' 1 9-35 Uhr: Gleichstand des Manometers.
18.6 9.40
19.2 9-45
19.3 9-50
19.3 9-55
Differenz von P/^'^"^
V
'4 V
7 Uhr Kaffee
1. Therm.
18.0
19.5
20.9
21.0
21-0
Maximum von 2^4 erreicht um 9« 45 Uhr; also nach — Stunde 10 Min.
Wärmemehrabgabe des linken Armes.
XLV. Versuch, an mir selbst.
Ordnung wie bei Versuch XLII.
Wohlbefinden. 1 Uhr Mittag. An-
Caloeimeteische Unteesüchungen.
35
r. Therm. Beginn 3-25 Uhr. 1. Therm.
17-7 3-25 Uhr : Gleichstand des Manometers. 17-7
18-9 3-30 „ Differenz von 1 c'n
23-6 3-35 „ „ „ 1„
23-6 3-40 „ „ „ l„
Maximum von 1 erreicht 3-30 Uhr; also nach
WärmemehrabR'abe des linken Armes.
21-0
25-0
25-0
Stunde 5 Minute.
Wenn ich den nun folgenden Versuch anführe, so thue ich dies nur,
um mich keiner Unterlassungssünde schuldig zu machen; denn dass der-
selbe nicht irgendwie beweiskräftig sein kann, liegt auf der Hand, da es
sich schon während des Versuches selbst zu zweien Malen herausstellte,
dass eine bis jetzt noch nicht ganz aufgeklärte Functionsstörung des Appa-
rates eintrat.
XLVI. Versuch, an mir selbst. Wohlbefinden.
r. Therm. Beginn: 3-15 Uhr. 1. Therm.
13-6 3-15 Uhr : Gleichstand des Manometers, 1 3 ' 7
16.7 3-20 „ Differenz von P/^«'" 17-4
Nach einem Geräusch plötzhches Steigen.
19-7
3-25 Uhr: Differenz von 5V2°"'
33
21-6
Nach einem ähnlichen Geräusch plötzliches Fallen.
21-2
3.30 Uhr
22.5
3.35 „
23.4
3.40 „
24.1
3-45 „
24.5
3.50 „
24.9
3.55 „
25-1
4.0 „
25.2
4.5 „
25.3
4-10 „
25.3
4-15 „
25.3
4-20 „
von 2V4'""-
-3V4
23-0
V ^ U ?'
24.1
6^/
3^/,
25.1
j? 13 12 '7
7
28.7
J7 16 J?
5V2
26-7
jj 18 „
2
26.3
V 1" I2 7?
2V2
27.1
. 2OV2.
1
26.9
V2
27.1
„ 22 „
27.2
. 22 „
27.2
Maximum von 22 erreicht um 4.10 Uhr; also nach — Stunde 55 Min.
Bei allen diesen Versuchen, wenn wir von dem letzten als nicht be-
weisend absehen, hat es sich übereinstimmend erwiesen, dass die Wärme-
abgabe des linken Armes stets eine mehr oder weniger grössere war, als
die des rechten. Ob dies wirklich, wie es behauptet Avorden ist, von einer
ungleichen Blutvertheilung in den beiden Armen, beruhend auf einem ab-
weichenden anatomischen Bau der Blutgefässe herrührt, muss dahingestellt
3*
36 Carl Rosenthal:
bleiben, üeberhanpt ist hier nicbt der Ort, Hypothesen hierüber aufzustellen
oder zu discutiren, sondern wir müssen uns mit der Constatirung dieser
allerdings auffallenden Thatsache als solcher begnügen.
Die Schlussversuche der physiologischen Reihe, die Wärmeabgabe bei
Behinderung des Blutabflusses vom Arme betreffend, wurden in folgender
Weise ausgeführt: entweder wurden beide Arme je einer in einen Qdinder ein-
gebracht, dann die Wärmeabgabe des einen bestimmt und dieser dann in der
gleich zu beschreibenden Weise umschnürt. Oder es wurde von vorne herein
einer der Arme umschnürt, und darauf beide in den Apparat eingeführt
und schliesslich wurde dies Experiment auch an einem Arme allein in der-
selben Weise ausgeführt. Die Umschnürung geschah in der Weise, dass
- der Oberarm etwa im oberen Drittel des M. biceps mit einer gewöhnlichen
Aderlassbinde so fest umschnürt wurde, dass die oberflächhchen Venen als
starke bläuhche Stränge sichtbar wurden, also genau in derselben Weise,
wie bei Ausführung eines Aderlasses. Beim ersten dieser Versuche wurde
die Umschnürung mittels eines Gummischlauches bewerkstelligt, doch ver-
bot sich die Anwendung desselben in der Folge durch die heftigen Schmerzen
und Paraesthesien, die durch den zu starken Druck auftraten.
XLVII. Versuch, an mir selbst. Wohlbefinden. Beide Arme nackt,
der linke mit einem Gummischlauche umschnürt.
r. Therm. Beginn: 5'0 Uhr. 1. Therm.
15-0 5*0 Uhr: Gleichstand des Manometers 14-6
5-5 „ Differenz von V^""".
Hier musste der Versuch abgebrochen werden, weil in Folge des zu
heftigen Umschnürens kaum zu ertragende Schmerzen und Paraesthesien
im linken Arme eintraten.
Die Wärmeabgabe betraf den nicht umschnürten rechten Arm.
XLVIII. Versuch, an Peter ßrandl. Wohlbefinden. Beide Arme
nackt, je einer in einem Cylinder.
1. Therm. Beginn: 9-35 Uhr. r. Therm.
'35 Uhr: Gleichstand des Manometers. 18-1
18-0 9
19-5 9
20-9 9
21-3 9
21-4 9
40 „ Differenz von P/^'^'^ 18-6
45 „ • „ „ 2'U„ V2 19-2
50 „ „ „ 2V4,, 20.1
Maximum von 2^^ erreicht um 9-45 Uhr; also nach — Stunde 10 Min.
Wärmemehrabgabe des linken Armes 9-55 Uhr: der linke Arm wird mit
einer Flanellbinde massig fest umschnürt. Dann werden beide Arme in
den vorher geöffneten Apparat gebracht.
Caloeimetrische Untersuchungen. 37
1. Therm. Begiim: 9-58 Uhr. r. Therm.
20-8 9-58 Uhr: Gleichstand des Manometers. 19-9
20-9 10-0 ., Differenz von 1/4'°' 20-2
21.1 10.5 „ „ „ 1/3 ,v V12 20-6
21.1 10.10 „ „ „ 'l,„ 20.7
21.1 10.15 „ „.- „ Vs.r 20.7
Maximum von Ys erreicht um 10 «5 Uhr; also nach — Stunde 7 Min.
Wärmemehrabgabe des rechten nicht umschnürten Armes. Der linke
Arm ist blau verfärbt und fühlt sich kühl an.
10« 15 Uhr: die Binde wird vom linken Arm gelöst.
r. Therm. 1. Therm.
20-9 10- 18 Uhr: Gleichstand des Manometers. 20-5
21.2 10-20 ,, Differenz von V^''^ 20-8
21.5 10.30 „ „ „ s/4„ V4 20.9
21-6 10.35 ,, „ „ 3/^„ . 21-0
21.6 10.40 „ „ „ ^U„ 21.0
Maximum von ^/^ erreicht um 10 -30 Uhr; also nach — Stunden 12 Min.
Wärmemehrabgabe des linken nicht mehr umschnürten Armes.
Brandl giebt an, bald nach dem Umschnüren in den Fingern der
betreffenden Hand Kriebeln verspürt zu haben, welches während der Um-
schnürung anhielt. Ferner soll der linke Arm während des Umschnürtseins
kälter als der rechte gewesen sein; auch nach Lösung der Ligatur giebt
Brandl mit voller Bestimmtheit an, dass der linke Arm noch kälter bliebe .
XLIX. Versuch, an mir selbst Wohlbefinden. 1 Uhr Mittag. Beide
Arme nackt in je einem Cylinder.
1. Therm. Beginn: 3-25 Uhr. r. Therm.
17-7 3-25 Uhr : Gleichstand des Manometers. 17.7
21.0 3.30 „ Differenz von 1'^ 18.9
25.0 3.35 „ „ „ l „ 23-6
25.3 3.40 „ „ „ 1 ,, 23.8
Maximum von 1 erreicht um 3.30 Uhr; also nach — Stunde 5 Min.
AVärmemehrabgabe des linken Armes.
3-40 Uhr: es wird der Unke Arm umschnürt, dann beide Arme in
den vorher geöffneten Apparat gebracht.
38
Cael Rosenthal:
. Therm.
r. Therm.
24-2 3.43 Uhr:
Gleichstand des Manometers.
23-1
25.5 3.45
j;
Differenz von
3/ em
,'4
24.1
27.0 3.50
5?
77 77
2 „
IV4
25.5
27-6 3-55
»
77 77
2V
•^ U 77
'U
26-0
27.7 4.0
77
77 77
2V4 77
26-2
27-7 4.5
jj
7? 7?
2V4 77
26-2
ximum von 2Vj.
erreicht um 3 • 55 Uhr ; also nach -
- Stunde 12 Min.
Wärmemehrabgabe des rechten nicht unterbundenen Armes. Paraesthe-
sien und Schmerz im linken Arm.
L. Versuch, an Johann Dietzinger. Wohlbefinden. 7 Uhr Kaffee
mit Brod. Rechter Arm nackt im linken Cjlinder. — Zimmertemperatur
ändert sich.
1. Therm.
Beginn: 8-20 Uhr.
r. Therm
17-3
8 -20 Uhr
: Gleichstand des Manometers.
17.7
23.6
8-40 „
Differenz von 223//'"
17.2
25.6
8.55 „
77 77 28^4 „ 5 I2
16.8
26.0
9.5 „
77 77 293/, „ IV,
16. 9
26.1
9.10 „
77 77 3OV2,, ^U
17-1
26.1
9.15 „
77 77 "^0 /g ,, ü
17.1
26-1
9.20 „
77 77 3OV277
17.3
Maximum von 30^2 erreicht um 9.10 Uhr, also nach — Stunde
50 Minuten.
9-20 Uhr: der rechte Arm wird umschnürt und in den vorher nicht
geöffneten Apparat gebracht.
. Therm.
r. Therm.
26.0
9.23 Uhr:
Differenz
von 20 '^'^
17.3
25-7
9.25
77
77
77 2IV477IV4
17.4
25-6
9.30
77
77
21V V
77 '^-•- /2 77 li
17.4
25.4
9.35
77
77
7? 21 /2 „
17.3
25.4
9.40
77
77
77 2IV277O
17.3
Maximum von 21 V,-
9.40 Uhr: die Binde wird gelöst.
9.45 Uhr: Differenz von 22 «'«^ V2
"*50 „ „ „ 22 /g „ J2
9*55 „ „ „ 23 /, „ j^
10-0 „ „ „ 25 „13/,
Hier wird der Versuch abgebrochen, weil der Zweck desselben er-
reicht ist.
Calorimetrische Untersuchungen. 39
Wie es von vorne herein nicht anders zu erwarten war, hat es sich
erwiesen, dass die Wärmeabgabe des Armes, wenn der Kreislauf des Blutes
in ihm gestört ist, eine geringere wird. Denn, wenn durch die eintretende
venöse Stauung die Menge des Blutes, welche in einer gegebenen Zeitein-
heit unter normalen Verhältnissen die Gefässe des Armes durchfliesst, um
ein bedeutendes verringert wird, so ist es begreiflich, dass, da das Blut
eben der Träger der Körperw-ärme ist, die oben angeführte Aenderung in
der Wärmeabgabe eintreten muss.
Ueberbhcken wir jetzt noch einmal die ganze Reihe der bis dahin mit-
getheilten physiologischen Versuche, und zwar nach dem Gesichtspunkt,
welchen Einfluss auf die Wärme-Oekonomie des Körpers allgemeine Verhält-
nisse, wie etwa Alter, Geschlecht, Grösse, Ernährung u. s. w. auszuüben
im Stande sind.
Was das Alter, und dessen Einfluss auf die Wärme-Oekonomie betrifft,
so ist es schwer, bei meinen für solche Zwecke an Zahl zu geringen Ver-
suchsreihen, ein Urtheil hierüber zu fällen; doch glaube ich wenigstens
mit einiger Wahrscheinhchkeit annehmen zu dürfen, dass bei Knaben vor der
Pubertät, oder auch während derselben, die Wärmeabgabe verhältnissmässig
eine grössere ist, als bei Erwachsenen (s. Brandl); auch stimmt diese
Beobachtung mit denen Anderer überein, welche behaupten, dass die Eigen-
wärme vom frühen Kindesalter bis zur Pubertät um ein Gewisses abnehme,
von da ab bis etwa zum 50. Lebensjahre etwa um ebensoviel, woraus eben
folgt, dass Kinder relativ mehr Wärme abgeben und produciren als Er-
wachsene.
Ein etwaiger Einfluss des Geschlechtes auf die Wärme-Oekonomie konnte
wegen des unzureichenden Materials nicht wahrgenommen werden; doch
nimmt man allgemein an, dass ein solcher Einfluss nicht bestehe. Eine
sichtliche Bedeutung in unserer Frage kommt zw^eifelsohne der Grösse und
noch mehr dem Gewichte des Körpers zu, und zwar in der Weise, dass
je grösser und schwerer eine Person ist, sie unter sonst gleichen Verhält-
nissen um so mehr Wärme abgiebt. Dieser Behauptung scheinen nun
beispielsweise die Ergebnisse der Versuche an Beschel und Gier er zu
widersprechen, von denen ersterer eine Körpergrösse von 156°"^ und ein
Körpergewicht von 79-5^^™, letzterer eine solche von 177 ""* und 68-5^^™
darbot. Und dennoch waren die Werthe der Wärmeabgabe bei diesen
beiden Personen fast durchweg geringer, als z. B, bei Hrn. Morris, mir
und Brandl. Aber dieser Widerspruch ist ein nur scheinbarer. Denn
jene beiden Personen waren mit einem sehr stark entwickelten Panniculus
adiposus versehen, ein Umstand, der die Wärmeabgabe des Körpers in sehr
hohem Maasse einzuschränken im Stande ist. Aus eben diesem Grunde
40 Cael Rosenthal:
erklären sich auch wohl die geringen Werthe der Wärmeabgabe bei den
beiden weiblichen Versuchspersonen Meier und Müller, [24^1^, 20V2-)
Ebenso wie bei grösserem Körpergewicht die Wärmeproduction und
Wärmeabgabe eine grössere wird, so auch bei gutem Ernährungszustande;
es zeigt sich dies besonders klar bei Hrn. Morris und mir. Die Zahlen-
werthe der Wärmeabgabe sind hier durchschnittlich bedeutend grösser, als
die bei den übrigen Personen, welche fast alle mehr oder weniger schlechten
Ernährungszustand aufzuweisen hatten, wie das bei Leuten, welche längere
Zeit im Krankenhause verweilten, nicht anders zu erwarten ist. Doch
sprechen hier noch mehrere der oben erwähnten Momente mit; so beispiels-
weise bei mir, der durch meinen grösseren Körperbau (wodurch eine grössere
Oberfläche geschaffen wird) bedingte grössere Wärmeverlust durch Leitung
und Strahlung; ferner der gering entwickelte Panniculus adiposus. Die
Steigerung der Wärmeabgabe zur Zeit des Eintritts der physiologischen,
täglichen Temperatursteigerung, etwa zwischen 5 und 7 Uhr des Abends
konnte mehrmals sicher constatirt werden (Versuch V, XXXIII); ebenso
auch der Einfluss der Nahrungsaufnahme (Versuch I, IX, XIV).
Nachdem an der Hand von 50 Versuchen vorstehende Resultate erzielt
worden waren, stellte ich mir noch die Aufgabe, in einem zweiten Theile dieser
Arbeit die Wärmeverhältnisse des fiebernden menschlichen Organismus zu
studiren. Anfangs stellte ich meine Versuche au Kranken mit geringen
Temperatursteigerungen (meist Phthisikern) an, da aber die Resultate wenig
befriedigende waren, machte ich meine Beobachtungen bald an Hochfiebern-
den, besonders an Patienten, die an acuten lufectionskraukheiten darnieder-
lagen, und hier waren auch die Ergebnisse meist recht zufriedenstellende.
Es scheint mir zweckmässig zu sein, wenn ich mich in der Reihen-
folge der Versuche nach der Art der Erkrankung und der Art des Fiebers
der Versuchspersonen richte, und zwar werde ieh mit den Phthisikern be-
ginnen, will aber nicht versäumen, nochmals darauf hinzuweisen, dass bei
diesen wegen der verhältnissmässig geringen Temperaturerhöhungen die
Ergebnisse der angestellten Versuche weniger in die Augen fallende waren,
als jene bei hoch Fiebernden gefundenen. Sämmtliche Messungen der
Körperwärme wurden im Rectum vorgenommen.
LI. Versuch; an Johann Baltheisser. Nähere Personalangaben in
Versuch XVII. Temperatur kurz vor dem Versuch 37-9. 7 Uhr Kafi'ee
mit Zubehör. Y2II ^^^' V2 ^i^^i' M^^ch. Linker Arm nackt im linken
Cylinder.
Calorimetrische Untersuchungen.
41
4 »
1. Therm. 26-0.
Beginn : 11-15 Uhr. 11-40 Uhr : Differ. von 2 1 1/, °"" 1 Va
r. Therm. 19-0. 1. Therm. 18-7. 11-45 „ „ „ 22 \, V2
11-15 Uhr: Gleichstand d.Manomet. I 11-50 „ ,, ,, 23 ,, 1
11-20 „ Differ. von 97,'=" j 11-55 „ „ ,, SB^/i „ 3/,
11-25 „ ,, „ 143/;„ 5VJ 12.0 „ „ „ 233/ n
11-30 „ „ „ ll'U,, 3 I 12.5 „ „ „ 233
11-35 „ ,, „ 20 „ 2 V. I r. Therm. 19-0.
Maximnm von 23^^
40 Minuten.
Kurz nach dem Versuch 37-9 Temperatur.
LH. Versuch; an Johann Baltheisser. Subjectives Wohlbefinden.
6 Uhr Suppe. Kurz vor dem Versuch Temperatur von 38 • 9. Linker Arm
nackt im linken Cjdinder.
/4 JJ "
erreicht um 11-55 Uhr, also nach — Stunde
Beginn: 6-20 Uhr.
1. Therm. 22-2. r. Therm. 22-2.
6-20 Uhr: Gleichstand d. Manomet.
6-25 „ Differenz von 8V4"""
6.30 „ „ „ 13 ,, 43/,
17 „ 4
2Vo
6-35
6-40
6.45
V 1^ 12 ?'
6-50 Uhr: Differenz von 23'^ IV
6.55 ,, „
7.5 ..
7-10 „
7-15 „
1. Therm. 31-2.
7J
24 „
1
?J
25 „
1
??
26.
1
:j
26,,
V
26 „
. Therm.
22.5.
Maximum von 26 erreicht um 7 . 5 Uhr, also nach — Stunde 45 Minuten.
Kurz nach dem Versuch Temperatur von 39-0.
LIII. Versuch; an Johann Baltheisser. Subjectives Wohlbefinden.
7 Uhr Kaffee mit Zubehör. Kurz vor dem Versuch Temperatur von 37-1.
Linker Arm nackt im linken Cylinder.
ihm: 9-30 Uhr.
1. Therm. 21-7. r. Therm. 21-7
9-30 Uhr: Gleichstand d. Manomet
9.35 „ Differ. von e^/^«"^
9.40
9.45
9-50
IP/
14^/4 .
17V., „
5
2\
9.
\.
10.
t.
10.
10-
10-
2
4
10-
10-
55 Uhr: Differ. von 1972'^'"
5
10
15
20
25
21 .
22V4 .
23 „
231/
2372 »
2
IV2
IV4
^4
Maximum von 2372 erreicht um 10.15 Uhr, also nach ■ — Stunde
45 Minuten.
Nach dem Versuch Temperatur von 37-3.
LIV. Versuch; an Johann Baltheisser.
Siehe Versuch XVII der physiologischen Keihe.
42
Carl Rosenthal:
Es folgen jetzt einige Beobachtungen an einem Phthisiker, der eben-
falls nur geringe Temperaturerhöhungen aufwies, dessen Fiebercurve jedoch
die nicht sehr häufige Erscheinung des Typus inversus zeigte.
LV. Versuch; an Johann Regenfuss. 53 Jahre. Zimmermann.
Wenig kräftiger Körperbau; schlechter Ernährungszustand. Sehr geringer
Panniculus adiposus. Phthisiker (Lunge) mit Typus inversus. Dem ent-
spricht aber nicht das Befinden des Patienten, da er sich Morgens wohler
als Abends fühlt. Körperlänge 168"™. Körpergewicht 105 Pfund. Länge
des Armes 65 '''". Umfang des Oberarmes 19 ''™. Befinden massig gut.
6 Uhr Kaffee mit Brod. Appetit nicht vorhanden. Kurz vor dem Yersuch
Temperatur von 39-0. Linker Arm nackt im linken Cylinder.
Beginn: 8-55 Uhr.
1. Therm. 16-8.
8 -55 Uhr: Gleichstand d. Manomet.
9.0
9.5
9.10
9.15
9.20
9-25
9.30
Differ. von 16
22V
27
30
321/
75
2 57
^■^ ,'2 77
36V. „
6V
4V
3
2V
2
9
9-35 Uhr: Differ. von 38 V,"'^ 2
9.40 „
9.45 „
9.50 „
9-55 „
10.0 „
10.5 „
10.10 „
1. Therm. 30-6
40 „
IV2
^■■^'U 7,
IV2
42^/, .
IV.
437, 77
1
44 „
V.
44 „
44 „
Geringfügiges taubes Gefühl in den Fingerspitzen, welches im Verlaufe
des Versuches noch etwas stärker wird. Hand schwitzt nicht.
Maximum von 44 erreicht um 10-0 Uhr, also nach 1 Stunde 5 Minuten.
LVL Versuch-; an Johann Regenfuss. Patient fühlt sich schwach.
12 Uhr Mittag. 2 Uhr Kaffee mit Brod. Kurz vor dem Versuch Tempe-
ratur von 37.4. Linker Arm nackt im linken Cylinder.
Beginn: 5-12 Uhr.
1. Therm. 26-2.
5.12 Uhr: Differ. von 213/^'=™
o.lo „ ,, „ 22 „
5.20 Uhr: Differ. von 32 Va'""
V2
5.25 „
77
22V377
5-30 „
77
22V277
1. Therm. 25.8.
Maximum von 22'^ j^ erreicht um 5-15 Uhr.
Kurz nach dem Versuch 86.6 Temperatur.
LVIL Versuch; an Johann Regenfuss. Subjectives Wohlbefinden.
12 Uhr Mittag. 2 Uhr Kaffee mit Brod. Kurz vor dem Versuch Tempe-
ratur von 37.1. Linker Arm nackt im linken Cylinder.
Calorimeteische Untersuchungen. 43
4.15 Uhr: Differenz von 34'='" Vo
4.20 „ „ „ 24 „
4-25 „ „ „ 24 „
1. Therm. 25.5.
Beginn: 4-0 Uhr.
,1. Therm. 26-7.
4 . Uhr : Differenz von 21 ^"^
4-5 „ „ „ 23 „ 2
4-10 „ „ „ 23V2„ V
Maximum von 24 erreicht um 4.15 Uhr.
Kurz nach dem Versuch Temperatur von 36.8.
Sehen wir vom Versuch LV ab, dessen hohe Wärmeabgabe von 44
mir bisher noch räthselhaft geblieben ist, so zeigen alle übrigen Versuchs-
ergebnisse übereinstimmend einen recht niedrigen Werth der Wärmeabgabe.
Dieser "Werth übersteigt nirgends die Zahl 29, durchschnittlich ist er aber
nur etwa 24. Ob diese geringe Wärmeabgabe eine Folge des schwächlichen
Körperbaues, des schlechten Ernährungszustandes, den beide Patienten in
deutlichster W^eise zeigten, ist, oder ob dieselbe ein Ausdruck des Fiebers
in der Weise ist, dass durch das den Fieberprocess bedingende Agens das
vasomotorische Centrum derart gereizt wird, dass die Gefässe, besonders die
der Körperoberfläche, sich stark contrahiren und so die Wärmeabgabe ein-
schränken, darüber werde ich am Schlüsse meiner Versuche über das Fieber
mich eingehender aussprechen. Hervorzuheben ist ferner der Umstand,
dass bei diesen Kranken mit geringen Temperatursteigerungen regelmässig
zur Zeit des Ansteigens der Körpertemperatur am Abend eine, wenn auch
nur geringe Steigerung der Wärmeabgabe zu constatiren war. Auch hier-
über will ich an dieser Stelle, um mich nicht wiederholen zu müssen, mich
nicht näher auslassen.
In einem Falle war es mir vergönnt, die Verhältnisse der Wärme-
abgabe im Fieberfrost und in der Zeit nach dem Aufhören desselben ein-
gehend zu studiren,
LVIIL Versuch; an Martha Vestn er. 25 Jahre, verheirathet, zwei
Kinder. Schwächlicher Körperbau. Ungenügender Ernährungszustand. Sehr
geringer Panniculus adiposus. Phthisis pulmonum. Seit dem Jahre 1884
Husten. Körpergewicht 84 Pfund. Länge des Armes 56 ^^. Umfang des
Oberarmes 18 '^'^. 12 Uhr Mittag. 2 Uhr Kaffee mit Brod. Kurz vor dem
Versuch Temperatur von 39.0. Seit 3^2 Uhr hat Patientin leichten Frost,
der ungefähr alle 2—3 Minuten auftritt. Die Haut im Gesicht und an
den Armen fühlt sich kühl an, an der Brust ziemlich warm. Cutis anse-
rina. Linker Arm nackt im, linken Cylinder.
1. Therm. Beginn: 5.20 Uhr.
28.4 5-20 Uhr: Differenz von 20 <='"
26.7 5.25 „ „ „ 183/,,, -l^U
26-9 5.30 „ „ „ 17 „ -l^L
44 Carl Rosenthal:
1. Therm.
5.35 Uhr: Differenz von 15\/' <=«>
27-3
5.35
27.6
5.40
27.8
5.45
28.1
5.50
28-4
5.55
29.1
6.5
29-8
6.10
29.9
6.15
30-0
6-20
30.1
6-25
30-2
6.30
30.2
6.35
151/^ cm
-1^4
14 „
-IV4
13 „
-1
101/
^^ 12 77
- V2
12^4 77
+ V4
I3V2 77
'U
14V4 77
'U
14V4 77
14^/. 77
V2
15V4 77
V2
15^', .
V2
16^/2 77
'U
77 77
Hier wird der Versuch abgebrocheD, da Patientin sehr ermüdet ist.
um 5 . 50 Uhr, also genau zu der Zeit, als der Manometer nach längerem
Fallen zu steigen begann, gie1)t Patientin au, dass kein Frost mehr ein-
getreten sei und sie wieder das Gefühl von Wärme habe. Doch hat sie
keinerlei Fieberempfindungen. 6 Uhr: Kopf und Arme fühlen sich wieder
wärmer an.
Kurz nach dem Versuch Temperatur von 39-4.
Diese Beobachtung ist also ein erneuter Beweis für die allerseits an-
erkannte Behauptung, dass im Fieberfroste — hier handelte es sich allerdings
nicht um einen ausgesprochenen Frost, sondern nur um leichtes in kurzen
Intervallen auftretendes Frösteln — die Wärmeabgabe eine sehr geringe
ist und zwar in Folge der stark contrahirten Hautgefässe. Interessant ist
besonders der Umstand, dass sofort mit dem x\uf hören des subjectiven
Kältegefühls auch die Wärmeabgabe stieg. Dass sich dieses sofort an dem
veränderten Stande des Manometers kundgab, ist gewiss ein Beweis für die
ausserordentliche Functionstüchtigkeit und Brauchbarkeit des angewandten
Apparates. Der Wiederanstieg der Temperatur nach dem Aufhören des
Frösteins war ein ausserordenthch langsamer; doch zeigte er sich auch deut-
lich an dem Wärmerwerden der Haut, besonders am Kopf und den oberen
Extremitäten, sowie am sofortigen Schwinden der Cutis anserina. Leider
war es wegen der grossen Ermüdung der Patientin nicht angängig, den
Versuch noch länger auszudehnen, und so war es mir nicht möglich, den
höchsten Manometerstand abzuwarten. Doch war ja der Hauptzweck des
Versuches bereits erreicht.
Es folgt jetzt eine Reihe von Beobachtungen an einem Typhuskranken,
die ich fast vom Besinn der Erkrankung an bis zum Tode des Patienten
Caloeimetrische Untersuchungen.
45
anzustellen in der Lage war, und die einige wohl nicht ganz uninteressante
Ergebnisse zu Tage förderten.
LIX. Versuch, an Michael Fees. Dienstknecht. 18 Jahre. Grosser,
kräftiger Körperbau. Guter Ernährungszustand. Massig entwickelter Pau-
niculus adiposus. Früher niemals krank gewesen. Am 26. März 1887 mit
Fieber erkrankt; am 30. März in das Spital aufgenommen. ^2^ Uhr
0-5^'^'^ Calomel. 9 ühr Milch. Länge des Armes 56-5«™, Umfang des
Oberarmes 23 <=™. Kurz vor dem Versuch Temperatur von 39-2. Linker
Arm nackt im linken Cylinder.
Beginn
10
2 Uhr.
10
35 Uhr:
Differenz
von 25 «™ 1 7,
1. Therm. 1
7-9.
(1. IV. 87.)
10
40 „
. 26V, . IV4
10
2 Uhr
Gleichstand des Manomet.
10
45 „
77 27V, . 1
10
5 „
Differenz von 4^1^ '="
10
50 „
77 28 „ ^U
10
10 „
„ 12V, . 7V3
10
55 „
77 äo I2 „ I2
10
15 „
. I6V4 . 4
11
„
77 28V2 77
10
20 „
j? 19 I2 77 3 /,
11
5 „
77 28V2 77
10
25 „
. 21 V2 „ 2
1. Therm. 26
.8.
10
30 „
. 23V2 . 2
Maximum von 28^/2 erreicht um 10-55 Uhr, also nach — Stunde
59 Minuten.
Hand warm; pelziges Gefühl in derselben.
LX. Versuch, an Michael Fees. Patient fühlt sich matt. V2I2 Uhr
0-5 Calomel. 12 Uhr Bouillon. 2 Uhr Milch. Linker Arm nackt im
linken Cj'linder. Vor dem Versuch Temperatur von 39-3.
55 Uhr: Differenz von 26
5
10
15
20
27 „ ^
27V4 77
27V4 77
Beginn: 4-30 Uhr.
1. Therm. 24-4. (1. IV. 87.)
4.30 Uhr: Differenz von 17 ^™
35 „ :, 77 19 12 77 2 12
40 24 4V
^^ 77 77 77 -^^ 77 ^ 12
45 „ „ „ 25 „ 1
50 „ „ „ 25 V2 77 V2 1. Therm. 27.9.
Maximum von 27 V,-
Nach dem Versuch Temperatur von 39-5.
LXI. Versuch, an Michael Fees. Patient fühlt sich zwar matt,
im Allgemeinen aber subjectiv wohl. Diagnose auf Typhus sicher. Patient
klagt nicht über subjectives Hitzegefühl. ^'29 Uhr Temperatur von 40-4.
Darauf Bad (26*' bis 20 ^ E.). Nach dem Bade 9-10 Uhr Temperatur
von 39-5. 7^., Uhr Milch. Linker Arm nackt im linken Cyhnder.
46
Carl Rosenthal:
Beginn: 10-30 Uhr.
1. Therm. 22-0. (2. lY. 87.)
10-30 Uhr: Gleichstand des Manomet.
10-35 „ Differenz von 6 «"^
10-40 „ •
10-45 „
10 -50 Uhr: Differenz von 9 '^^ ^g
7V2 . IV
10-55 „
11.0 ,
11-5 ,,
1. Therm. 24-2.
,*?
9V4 .
8V2 . 1
Maximum von 97^ erreicht nm 10-55 Uhr, also na<3h — Stunde
25 Minuten.
Der Arm fühlt sich nach dem Herausnehmen kühl an.
LXII. Versuch, an Michael Fe es. Patient ist etwas matt, klagt
nicht über Hitzegefühl. 12 Uhr Bouillon. 2 Uhr Milch. Vor dem Ver-
such Temperatur von 40-4. Linker Arm nackt im linken Cylinder.
Beginn: 5-30 Uhr.
L Therm. 25-4. (2. IV. 87.)
5-30 Uhr: Differenz von 16 ''"^
35
40
45
50
55
18
20V
2
27
237... „ 3/,
6-0 Uhr: Differenz von 233/^
. 247,
24
cm 1/
6-5 „
6-10 „
6-15 „
6-20 „
6-25 ,,
1. Therm. 28-0.
2 "
243/, ,
24^/, „
'2
V2
Maximum von 24^/^^.
LXIII. Versuch, an Michael Fees. Patient klagt über Halsschmerz
und Hitzegefühl. Rumpf fühlt sich sehr heiss an, Kopf und Arme weniger.
12 Uhr Bouillon. 2 Uhr Milch. Temperatur kurz vor dem Versuch 40-7.
Linker Arm nackt im linken Cylinder-
Beginn: 4-0 Uhr.
1. Therm. 24-2. (4. IV. 87.)
4-0 Uhr: Gleichstand des Manomet.
5-0 Uhr: Differenz von 227/«^ V^
4-10
4-20
4-30
4-40
4-50
Differenz von 11
„ 197
2 " "^ /2
2172 „ 2
22V2 ., 1
5-5 „
5-10 „
5.15 „
5.20 „
5.25 „
1. Therm. 26-8.
2372
. 'U
23^/,
„ y.
24
" u
24
„0
24
„0
Maximum von 24 erreicht um 5 -15 Uhr, also nach 1 Stunde 15 Minuten.
Der grösseren Einfachheit halber schliesse ich hier sogleich meine
Versuche über die antifebrile Wirkung einiger Antipyretica (Antipyrin,
Antifebrin) und kalter Bäder mit kalten Uebergiessungeu, welche bei den-
selben Patienten angestellt Turden, an.
I
Caloeimetrische Untersuchungen.
47
Nachdem also im vorigen Versuche der höchste Stand des Manometers
mit 24 erreicht worden war, erhielt Patient 5-25 Uhr 1.5^™ Antipyrin
in Oblate.
1. Therm. 26-9. 5-25 Uhr: Differenz von 24 <=°^
5.30
23^
1. Therm. 31.8.
Der Versuch wurde
. 30V,.
3^4
. • 34V4 .
4
. 37V,.
3
. 39V4„
2
. 40V,.
1
Patient hatte den Arm ein wenig aus dem Cylinder gezogen.
5-35 Uhr: Differenz von 26V2'"" + 3
5.40
5.45
5-50
5.55
6-0
hier abgebrochen, da Patient uriniren musste.
5.53 Uhr: Das ganze Gesicht, sowie der Arm des Patienten ist mit Schweiss
bedeckt. Die Haut des übrigen Körpers ist trocken. Kurz nach dem Ver-
such Temperatur von 39-8.
LXIV. Versuch, an Michael Fees. Status wie gestern. 7 Uhr:
Temperatur von 40*1; TV'a Uhr: Bad; nach demselben Temperatur von
37-6. Patient reagirt sehr gut auf Bäder. 7 Uhr Milch. Ab und zu
etwas Wein. Kurz vor dem Versuch Temperatur von 36-6 Linker Arm
nackt im linken Cylinder.
Beginn 9 • 40 Uhr.
1. Therm. 19-8. (5. IV. 87.)
9-40 Uhr: Grleichstand d. Manomet.
9-50 „ Differ. von 12 «™
10.0 „
10.10 „
10
15 I2 V 3 I2
20 Uhr: Differ. von 18V,
.. 20
„ 20
,. 20
167.
10
25 „
»
10
30 „
?j
10
35 „
j;
10
40 „
?7
1.1
:herm. 27
8.
3/
/4
10-15 „ „ „ 177,,, 1
Maximum von 20 erreicht um 10-30 Uhr; also nach — Stunde 50 Min.
10-30 Uhr: Patient zeigt eine Temperatur von 39-8. Darauf Bad
(von 24 — 20° R.). 10 Minuten lang mit kalten Uebergiessungen von 8*'E.
Nach dem Bade Temperatur von 37-2.
Nach dem Bade wird Patient wieder in den Apparat gebracht.
1. Therm. 22.5.
10.55 Uhr: Grleichstand d. Manomet.
11-0
11.5
11.10
11.15
11-20
Differenz von 5V, ''"^
77 ?? ^ 12 ^1 u
l'^l 1
V 7? ^ U V 12
11 .25 Uhr: Differenz von 8^1^"^
U'"^ 'U
11-30 „
11-35 „
11.40 „
11-45 ,,
1. Therm. 23-5.
9V. .
li
48
Cael Rosenthal:
Maximum von 9^/^ erreicht um 11 «35 Uhr; also nach — Stunde 40 Min.
Kopf und Extremitäten fühlen sich kühl an, Rumpf massig heiss.
Der Arm zeigt sich nach der Herausnahme etwas cyanotisch.
LXV. Versuch; an Michel Fees. Status idem. Früh Temperatur
von 39-8, darauf um 7^2 ühr Bad: nach demselben Temperatur von 38-0.
7 Uhr Milch. Linker Arm nackt im linken Cylinder.
Beginn: 10.5 Uhr.
1. Therm. 26-2. (6. IV. 87.)
10-5 Uhr: Differ. von 11 «^^
10-15,
10-25 „
^V^. -33/,
6V.
1
10-40 Uhr: Diflfer. von 4^/^^^ - V,
10-45 , „ „ 4,'U,,- vi
10-50 „ „ „ 4^U„
10-55 „ „ „ 4V,„
1. Therm. 24-7.
10-35
Maximum von 4^
Der Arm befindet sich um ein nicht unbedeutendes Stück weniger im
Cylinder, als bei den früheren Versuchen. Da Patient somnolent ist, kann
hierin kein Wandel geschaffen werden.
10-55 Uhr: Patient erhält 0-5^™ Antifebrin und zwar zum ersten
Male.
1. Therm. 24 • 6.
11-0 Uhr: Differenz von 474^"^
11-10
11-20
11-30
11-40
11-45
4V.
14V,
21
233,
3V2
6V2
11-50 [Ihr: Differ. von 25 V,'^'^ 17^
11-55
12-0
12.5
12-10
12-15
1. Therm. 31-5.
26V.. 'U
27 „ '!,
2'^V2 . V2
27V2 .
27 Vo „
Maximum von 27^
Der
Während der ganzen Versuche schwitzt Patient stark im Gesicht.
Arm ist ganz nass vom Schweiss.
Kurz nach dem Versuch Temperatur von 38-7
Um 1-0 Uhr „ „ 38-4
10. IV. 87 2V2 Nachmittags stirbt Patient. Autopsie ergiebt typischen
Ileo-Typhus.
Was lehren nun diese Versuche bezüglich der Wärme-Oekouomie im
Fieber? Vor Allem kann wohl mit an Gewissheit streifender Wahrschein-
lichkeit behauptet werden, dass die Wärmeabgabe des Patienten Fees im
Allgemeinen eine bedeutend geringere war, als sie dies im normalen Zu-
stande gewesen wäre. Dieselbe überstieg niemals den Werth von 28^/2.
Caloeimeteische Unteesuchungen.
49
Wenn man bedenkt, dass Patient ein grosser kräftig gebauter, gut er-
nährter junger Mann von 18 Jahren mit nur gering entwickeltem Fett-
polster war, der also alle Bedingungen zu einer regen Wärmeabgabe seines
Körpers in sich vereinte, und wenn man andererseits die hohen Werthe
der Wärmeabgabe beispielsweise von Hrn. Morris und mir in Betracht
zieht, so wird man sich der oben aufgestellten Behauptung nicht ver-
schliessen können.
Ein weiteres nicht unwichtiges Moment scheint mir der Umstand zu
sein, dass bei jedem höheren Anstieg der Temperatur im Innern eine ge-
ringere Wärmeabgabe nach aussen zu verzeichnen war. Dies widerspricht
nun vollkommen der bei der ersten Versuchsreihe gefundenen Thatsache;
denn dort stellte es sich heraus, dass beim Ansteigen der Körpertemperatur
jedes Mal auch ein solches der Wärmeabgabe eintrat. Eine Erklärung
hierfür werde ich erst dann zu geben versuchen, wenn ich die übrigen
einschlägigen Versuche in extenso mitgetheilt haben werde. Ebenso will
ich hier bezüglich der Wirkung der Antipyretica sowie der kühlen Bäder
mit kalten Uebergiessungen nur die Thatsache feststellen, dass erstere jedes
Mal eine Vermehrung, letztere eine bedeutende Verminderung der Wärme-
abgabe zur unmittelbaren Folge hatten, indem ich mir ebenfalls vorbehalte,
an einer späteren Stelle mich näher hierüber zu verl)reiten.
Es folgen jetzt Beobachtungen an einem Kranken mit Pneumonia
crouposa.
LXVI. Versuch; an Carl Hennings. Soldat. 19 Jahre. Ziemlich
grosser, kräftiger Körperbau. Guter Ernährungszustand. Gering entwickelter
Panniculus adiposus. Früher immer gesund gewesen. Jetzt Pneumonia
crouposa. Körpergewicht 139 Pfund. 1 Uhr Temperatur von 40-8, Bad
um 2 Uhr, nach demselben 40-5. Patient reagirt schlecht auf Bäder.
7 Uhr Milch. Kurz vor dem Versuch Temperatur von 40-7. Linker Arm
nackt im linken Cyhnder.
Beginn: 4
.35 Uhr.
5.0
Uhr
: Differ.
von
207. <"°
2
1. Therm.
17-8.
5.5
11
22 \,
IV2
4.35 Uhr
: Gleichstand d. Manomet.
5.10
11
22V,, 1,
V.
4-40 „,
Differ.
von I6V2'™
5-15
11
23V2 11
V.
4.45 „
V
,1 I4V2. 4
5.20
11
22V2 .
4.50 ,.
11
„ 16 1, IV2
5.25
11
22V2 .
4.55 „
11
,1 I8V2. 2V2
1. Therm.
25.3.
Maximum von 22^2 erreicht um 5-15 Uhr, also nach
Stunde
40 Minuten.
Patient klagt über Kopfschmerz, starkes Hitzegefühl und Seitenstechen
rechts. Nach dem Bade keine Besserung des Befindens.
Archiv f. A. n. Ph. 1888. Physiol. Abthlg. 4
50
Cael Rosenthal:
LXVII. Versuch; an Carl Hennings im unmittelbaren Anscliluss
an den vorhergehenden Versuch. Klagt über starkes Hitzegefühl, ^j.ß Uhr
zum ersten Male 1 • 5 ^™ Antipyriu in Oblate. Linker Arm nackt im linken
Cylinder.
V.
Beginn: 6
• 10 Uhr.
6.35
Uhr
: Differ.
von
35
cm
1. Therm. 27-9.
6-40
35V.
6-10 Uhr: Differ.
von 22 '^^
6.45
35V.
6.15 „
„ 30 „
8
6.50
30
6.20 „
jj 32 I2, „
2V2
6.55
36
„ ^
6.25 „
j> 34 „
IV2
7.0
36
„
6.30 „
?? 34 /^ „
V.
1. The
rm.
30.6.
Maximum von
1/ Stnnrlp nn
36.
p.It Hpm Tflin
nplimp
TT oipV»
t Pfl
f.ipnf. Qr\
«i
fh wn
lilpr
fühlen, doch habe sich das starke Hitzegefühl noch nicht gebessert. Am
Ende des Versuches jedoch klagt Patient gar nicht mehr über Hitze; auch
fühlt sich die Haut des Körpers deutlich kälter an, als zuvor.
Nach dem Versuch Temperatur von 39.4; vor demselben 40 .5.
LXVni. Versuch; an Carl Hennings. Heftige Schmerzen. Hitze-
gefühl. ^2^ ühr Milch. ^2^ Uhr O.Ol Morphium subcutan. Eisblase
auf die Brust. Kurz vor dem Versuch Temperatur von 40 . 2. Linker Arm
nackt im buken Cylinder.
Beginn: 9.30 Uhr.
1. Therm. 19.8.
9.30 Uhr: Gleichstand d. Manomet.
9.40 „ Differ. von 18 «™
9.50
23^
10.0 Uhr: Differ. von 24 «■"
10-10 „ „ „ 24V2.
10.15 „ „ „ 24Vo„
1/
/2
V2
10.20 „
1. Therm. 26.4.
24^
Maximum von 24 V2 erreicht um 10.10 Uhr.
also nach — Stunde
40 Minuten.
10.20 Uhr: Patient erhält 1.5^™ Antipyriu in Oblate.
10.25 Uhr: Differ. von 28 «•"
10.30
10.35
10.40
10.45
10.50
10.55
11-0
11.5
30^
3V
3V
2V
1
32V. .
V.
32V. „
V2
33 „
v.
33V2 „
V2
33V. .
V.
34 „
. V.
11. 10 Uhr: Differ. von 34 V,
11.15 „
11.20 „
11.25 „
11-30 „
11.35 „
11.40 ,
1. Therm. 29 • 7.
V.
35V.
V
1
36V.
V
V2
37'
??
V.
37V,
r
V.
37V.
V
37V.
71
Maximum von 37^/^
Caloeimetrische Untersuchungen.
51
Während des Versuches erhält Patient schluckweise Wasser uud Wein.
1/2 Stunde nach dem Einnehmen des Antipyrins giebt Patient au, dass er
sich leichter fühle. Die Haut des Körpers fühlt sich, die Wangen aus-
genommen, nur massig' heiss an.
Kurz nach dem Versuch Temperatur von 40.1
Um 12 Uhr „ „ 39-9
„ 3- 15 „ „ „ 39-6
„ 5 „ „ „ 40 '2.
LXIX. Versuch; an Carl Hennings. Eintritt der Krisis. Patient
fühlt sich wohl, aber sehr matt. Haut des Körpers massig warm. Kein
Seh weiss: Appetit stellt sich ein. Um 1 Uhr 0-5 ^""^ Antipyriu. Linker
Arm nackt im linken Cylinder.
Beginn: 4-30 Uhr.
1. Therm. 26-5.
4 . 30 Uhr : Differenz von 1 7 «^^
4 »35 „ „ „ 20 „
.40 213/
Maximum von 23.
3
4-50 Uhr: Differenz von aS""« IV^
4.55 „
5.0 „
1. Therm. 27.1.
23,,
23 „
Die Beobachtungen an dem Patienten Hennings zeigen dieselben
Resultate, vielleicht noch in ausgeprägterer Weise, als die am Patienten
Fe es. Auch hier haben wir es mit einem acut Erkrankten, hoch Fiebernden
zu thun. Patient ist ein ziemlich grosser, kräftig und musculös gebauter
Mann, der einen recht guten Ernährungszustand uud ein wenig entwickeltes
Fettpolster aufweist. Dennoch übersteigen die Zahlenwerthe seiner Wärme-
abgabe nicht 24^2; sie sind also noch geringer als diejenigen des Patienten
Fe es. Hierbei machte ich die Bemerkung, dass Hennings, welcher weniger
Wärme nach aussen abgab als Fees, sich subjeotiv um Vieles schlechter
befand als letzterer; besonders klagte derselbe weit mehr über Störungen
im Allgemeinbefinden, wie starkes Hitzegefühl, Durst und Kopfschmerz.
Auch die an Fees gemachte Beobachtung, dass bei gesteigerter Körper-
temperatur die Wärmeabgabe nach aussen eine geringere war, wurde durch
die Versuche an Hennings bestätigt.
Die folgenden zwei Versuche wurden an einem Knaben angestellt, der
an einer unregelmässig verlaufenden Lungenentzündung litt, doch war der
Krankheitsprocess , als ich meine Beobachtungen begann, im Rückschritt
begriffen. Trotz dessen will ich diese Versuche hier mittheilen, weil sie in
anderer Beziehung nicht ganz erfolglos waren.
4*
52
Cael Rosenthal:
LXX. Versucli; an Richard Wirth. 10 Jahre. Schwächlicher
Körperbau; wenig guter Ernährungszustand. Gering entwickelter Panni-
culus adiposus. Früher stets gesund gewesen. Unregelmässig verlaufende
Pneumonia crouposa mit sehr steilen Curven. Subjectives Wohlbefinden.
Appetit vorhanden. 7 Uhr Milch mit Weissbrod. 9 Uhr dasselbe. Tem-
peratur 37-1. Linker Arm im linken Cylinder.
Beginn: 9-
5 Uhr V.
10
5 Uhr:
Differ.
TOU 253//™ 3/4
1. Therm. 17
.7.
10
10 „
77
77 26V, „ V2
9-5
Uhr:
Grleichstand d. Manomet.
10
15 „
77
77 263/,, „ 1/^
9-15
Differ
von 9V2 ""^
10
20 „
77
77 27V, „ V2
9.25
14V
77 ^^ 12 77
5
10
25 „
77
271/ 1/
77 •^* 12 77 /4
9-35
77 19 „
4V2
10
30 „
77
,7 27V,.
9-45
77 22V477
3V4
10
35 „
77
,7. 27V2 ,7
9.55
77 241/4,7
2
1. Therm. 26
•8.
10.0
77 25 „
Maximum von 27^2 erreicht um 10-25 Uhr, also
nach 1 Stunde
20 Minuten.
LXXI. Versuch; an Richard Wirth. Subjectives Wohlbefinden.
6 Uhr Suppe. 37-8 Temperatur. Linker Arm nackt im hnken Cylinder.
V2
Maximum von 26V2 erreicht um 9-15 Uhr, also nach 1 Stunde
10 Minuten.
9-25 Uhr: Patient erhält Is^"' Antipyrin in Oblate.
Beginn: 8.5 Uhr N.
8.55
Uhi
: Differ.
von
24 «^
1
1. Therm.
16. 7.
9-0
25 „
1
8.5 Uhr
: Gleichstand d. Manomet.
9.10
26 „
1
8.20 „
Differ. von ISVa"""
9.15
36V2 „
8.35 „
77 77 1" 77 5 I2
9-20
26V2 77
8.45 „
77 77 22 „ 3
9.25
26V2 77
8.50 „
77 77 23 „ 1
1. Therm.
25.1.
9-30 Uhr: Differ. von 27 «™ V2
9.35 „ „ „ 27 „
9*40 „ „ „ 27 /^ „ /^
9.45 „ „ „ 27V.. „
9.50
27^
9.55 Uhr: Difler. von 28 V4
10.0 „
10.5 „
10.10 „
1. Therm. 25.5.
38V2 77
28V2 77
28Vo „
7? 77
77 77 " • 12 77
Maximum von 28 V2-
Patient schläft fast während des ganzen Versuches.
Entsprechend der nicht erhöhten Temperatur ist auch die Wärme-
abgabe des Wirth eine relativ hohe (26V27 27V2)7 wenn man bedenkt,
dass wir es hier mit einem kleinen, schlecht genährten Knaben zu thun
Calüeimetrisci[e Unteb,buchungen. 53
hatten- Ferner zeigte sich der geringe Einfluss des Antipyrins bei dem
Patienten, übereinstimmend mit der Erfahrung, dass bei nicht Fiebernden
die Antipyretica auf die Wärme-Oekonomie keinen merklichen Einfluss ausüben.
Schliesslich hatte ich noch Gelegenheit, eine einzelne Beobachtung an
einem Kranken mit Erysipelas faciei zu machen, welche meine früheren
Beobachtungen in glücklicher Weise vervollständigt.
LXXII. Versuch; an Nicolaus Fischer. Soldat. 23 Jahre. Kräf-
tiger Körperbau; guter Ernährungszustand, massiger Pauniculus adiposus.
Früher immer gesund gewesen. Erysipelas faciei am 6. Tage. 12 Uhr
Bouillon. Vor dem Versuche Temperatur von 40 «6. Patient hat schon
mehrfach Antifebrin bekommen. Linker Arm nackt im linken Cylinder.
Beginn: 4'5 Uhr N.
1. Therm. 16-4.
4-50 Uhr: Differ. von 267,'=«^ 1
4-55 „ „ „ m-'u„ v^
5.0 „ „ „ 263/,,,
5-5 „ „ „ 26V, „
1. Therm. 25.3.
4-5 Uhr: Gleichstand d. Manomet.
4-20 „ Differ. von 23 «™
4*35 „ „ „ 23/2 " 12
4-40 „ „ „ 251/2. 2
Maximum von 26^^ .erreicht um 4-55 Uhr, also nach — Stunde
50 Minuten.
5-5 Uhr: Patient erhält 0-5 s"-«! Antifebrin.
5- 10 Uhr: Differenz von 29 «"^ 2V4
5-20 „ „ „ 32 „ 3
5 '30 „ „ „ 37 /, „ 5 /,
1. Therm. 29.8 5.40 „ „ „ 38^4,, 1
Versuch musste hier abgebrochen werden, weil Patient ungeduldig
wurde. Patient schwitzt ziemlich schwach.
Nach dem Versuch Temperatur von 40.0
Um 7 Uhr „ „ 39-8
„ ö „ „ „ o9'4
„ 9 „ „ „ 39.4.
Wie verhält sich nun die Wärme-Oekonomie, in erster Linie die Wärme-
abgabe des Körpers in jenem krankhaften Zustande, den wir Fieber nennen?
Da das Hauptsymptom des Fiebers die erhöhte Körpertemperatur darstellt,
so ist in dieser Frage zugleich die Frage nach der Genesis des Fiebers
selbst gegeben. Seit langer Zeit stehen sich auf diesem Gebiete zwei Xu-
sichten gegenüber. Die eine lässt die Temperaturerhöhung im Fieber durch
Steigerung der Wärmeproduction, die andere durch Wärmeretention in Folge
verringerter Wärmeabgabe entstehen. Eine vermittelnde Stellung zwischen
diesen beiden extremen Ansichten nehmen diejenigen Autoren ein, welche
54 Carl Rosenthal:
sowohl das eine, wie das andere Moment für die Entstehung der Tempe-
raturerhöhung in Anspruch nehmen. Was nun die Ergebnisse meiner hierauf
bezüglichen Untersuchungen betrifft, so führen mich dieselben zu folgenden
Schlüssen. Die Temperaturerhöhung im Fieber beruht im Wesentlichen
auf einer Verringerung der Wärmeabgabe nach aussen. Es tritt also gleich-
sam eine Anstauung der normaler Weise im Organismus producirten Wärme
durch die Verminderung- der Abgabe nach aussen hin, ein. Es ist durchaus
nicht noth wendig, nebenbei noch eine Steigerung der Wärmeproduction
anzunehmen, wenn auch einer solchen Annahme mit zwingender Noth-
wendigkeit nicht widersprochen werden kann. Die Abnahme der Wärme-
abgabe nach aussen kommt nun in folgender Weise zu Stande. Jenes
unbekannte, den Fieberprocess bedingende, im Blute kreisende Agens wirkt
specjiisch auf das Vasomotorencentrum ein und zwar in zweierlei Weise.
Entweder bewirkt dasselbe eine directe Erregung der Vasoconstrictoren,
wodurch dann in Folge der starken Verengerung der Gefässe durch Con-
traction ihrer Wände die Wärmeabgabe verringert wird; oder es wirkt
durch ßeizunempfindlichmachung der Vasodilatatoren , wodurch dann die
Vasoconstrictoren die Uebermacht erhalten und so auf indirectem Wege
den oben geschilderten Effect erzielen. Auf welchem dieser beiden Wege
die Verringerung der Wärmeabgabe erzielt wird, das hängt vielleicht von
der individuellen Beschaffenheit des Kranken, vielleicht auch von der Art
der Erkrankung oder des Fiebers ab. Ob aber nur das Hauptcentrum für
die Vasomotoren, welches seinen Sitz in der Medulla oblongata hat, oder
auch die übrigen Centren im Rückenmark in der oben angegebenen Weise
thätig sind, das ist zwar mit Bestimmtheit weder zu behaupten, noch zu
bestreiten, doch ist es a priori wohl wahrscheinlich, dass jenes im Blute
kreisende Agens auf gleiche Wirkung ausübende nervöse Centra in gleicher
Weise einwirkt.
Auffallend ist die Thatsache, dass alle chronisch und gering Fiebernden,
wenn sie auch im Allgemeinen geringe Werthe der Wärmeabgabe aufwiesen,
doch zur Zeit des Ansteigens der lunentemperatur jedesmal eine, wenn
auch nur geringe Steigerung der Wärmeabgabe zeigten, während um-
gekehrt die acut fieberhaft erkrankten Patienten jede Steigerung ihrer
Körpertemperatur mit einer Verringerung der Wärmeabgabe beantwor-
teten. Da diese Erscheinung mit aller Constanz und ohne jedwede Aus-
nahme auftrat, so muss für diesen scheinbaren Widerspruch eine aus-
reichende Erklärung gegeben werden.
Und diese hoffe ich im Folgenden gefunden zu haben.
AVie ein jeder Theil des thierischen und menschlichen Organismus sich
veränderten Verhältnissen anzupassen befähigt ist, falls ihm nur die dazu
nöthige Zeit gewährt wird und falls andererseits die Veränderung der Ver-
Caloeimetkische Untersuchungen. 55
hältiiisse koiue allzu tiefgreifende war, so denke ich mir, dass bei einem
chronisch fiebernden Menschen zwar anfangs, wio wir es bei den acut
Fiebernden stets gesehen haben, bei Steigerung der Innentemperatur eine
Veningerung der Wärmeal)gabe eintritt, dass aber bei längerer Dauer des
Fiebers das Vasomotorencentrum durch den oft wiederholten Keiz ab-
gestumpft wird, sich sozusagen an denselben gewöhnt und nun ein Zeit-
punkt eintritt, während dessen vielleicht bei gesteigerter Körpertemperatur
die Wärmeabgabe gar nicht verändert wird, während schliesslich auf eine
noch unerklärliche Weise gerade die umgekehrte Wirkung eintritt, indem
beim Anstieg der Binnentemperatur auch ein geringes Ansteigen der Wärme-
abgabe auftritt.
Nicht uninteressant scheint mir auch die Beobachtung zu sein, dass
Fiebernde, deren Wärmeabgabe eine relativ grössere ist, die also entweder
eine geringere Reizbarkeit der Vasoconstrictoren, oder eine geringere Reiz-
unempfindlichkeit der Vasodilatatoren besitzen, sich eines weit besseren
subjectiven Allgemeinbefindens zu erfreuen haben. Speciell klagen dieselben
weit weniger über allgemeine Fiebersymptome, wie Hitzegefühl, Durst und
Kopfschmerz. So klagte beispielsweise Hennings weit mehr über letztere
Erscheinungen, als Fees, welcher auch relativ mehr Wärme abgab, als
Ersterer. Mit der Schwere der Erkrankung an sich scheint aber dieser
Umstand nichts zu thun zu haben. — Schon oben wurde angedeutet, dass
zur Erklärung der erhöhten Temperatur im Fieber die Beschränkung der
Wärmeabgabe nach aussen hin völüg ausreiche, dass man aber gegen die
Annahme einer gesteigerten Wärmeproduction als zweite Ursache der Tem-
peratursteigerung an sich nichts einwenden könne. Diese gesteigerte Wärme-
production soll nun die Folge des gesteigerten Stoffumsatzes während des
Fiebers sein, welcher sich deutlich in der vermehrten Harnstoffausscheidung
documentirt. Ob es nur die stickstoffhaltigen oder nur die stickstofllosen
Körperbestandtheile sind, welche in verstärktem Maasse verbrennen, oder
ob es beide sind, diese Frage ist immer noch nicht mit voller Sicherheit
zu beantworten, kommt aber hier wenig in Betracht. Sollte nun nicht
angenommen werden können, dass dieser gesteigerte Stoffumsatz erst eine
Folge der durch das Fieberagens bewirkten Veränderung des Blutes, speciell
seiner abnormen Erwärmung ist? Dass er bezüglich der erhöhten Körper-
temperatur nur eine untergeordnete Rolle spielt? Diese Ansicht wurde in
mir gestärkt durch die Ergebnisse einer Reihe von Stoffwechselversuchen,
die mein Freund Dr. M. Kumagawa aus Tokio im Laboratorium des Hrn.
Professors Dr. E. Salkowski angestellt hat, und die in nächster Zeit ihrer
Veröffentlichung entgegensehen. Er hat unter Anderem überzeugend nach-
gewiesen, dass, während eine grosse Anzahl der Antipyretica, wie z. B. Anti-
pyrin, Chinin u. s. w. den Stoffumsatz im Organismus hemmen und ver-
56 Carl Rosenthal:
ringern, Antifebriu gerade das Gegentheil bewirkt, indem durch Aufnahme
dieses Mittels der Stoffumsatz in erheblichem Grade erhöht und verstärkt
wird. Wenn man sich nun aber vergegenwärtigt, wie prompt in den
meisten Fällen gerade das letztgenannte Mittel den Fieberprocess in der
günstigsten Weise beeinflusst, so ist es doch sehr unwahrscheinlich, dass
das Wesen des Fiebers — worunter man ja die Erhöhung der Eigenwärme
zu verstehen pflegt — durch den gesteigerten Stoffumsatz in so hohem
Maasse dargestellt werde.
Was die Ergebnisse meiner Untersuchungen über die Antipjretica
(Antipyrin und Antifebrin) betriö't, so hat es sich mit aller Constanz heraus-
gestellt, dass die angewandten antifebrilen Mittel durch Steigerung der
Wärmeabgabe nach aussen hin wirken. Sie befreien auf diese Weise gleich-
sam den Organismus von der Last der in ihm über das normale Maass
gestiegenen Wärme, die durch Nichtabgabe nach aussen aufgehäuft wurde.
Diese Mittel müssen also jedenfalls in der Weise ihre Wirkung entfalten,
dass sie entweder die Reizbarkeit der Vasoconstrictoren abschwächen, oder
diejenige der Vasodilatatoren erhöhen. Der Schlusseffect ist in beiden Fällen
derselbe, nämlich eine mehr oder weniger beträchtliche Erweiterung be-
sonders der Hautgefässe, die sich deutlich in dem Rothwerden der Haut
kund giebt. Dazu kommt dann noch ein gewöhnlich sehr starker Ausbruch
von Schweiss. Die Wirkung tritt gewöhnlich sehr bald nach Einverleibung
des Mittels ein, wie das aus den betreffenden oben in extenso angeführten
Versuchen ohne Weiteres deutlich ersichtlich ist.
Die Patienten fühlten sich gewöhnlich einige Zeit, nachdem die Stei-
gerung der Wärmeabgabe eingetreten ist, um vieles leichter und wohler,
klagen speciell nicht mehr über das vorher bestandene intensive Hitzege-
fühl. Dass die erstmalige Anwendung der antifebrilen Mittel bei einem
Kranken weitaus den stärksten Effect zu zeigen pflegt, während bei öfterer
Anwendung derselbe gewöhnlich geringer wird, darf nicht Wunder nehmen,
wenn man bedenkt, dass eben alle Organe des thierischen Organismus sich
mehr oder weniger schnell an irgend welche Gifte oder andere wirksame
Stoffe zu gewöhnen im Stande sind und sich gegen deren Wirkung ab-
stumpfen. Auch der Umstand, dass ein Kranker weit besser auf Antipj-
retica reagirt, als ein anderer, birgt nichts Wunderbares in sich; denn auch
hier kommt wieder die individuell verschieden grosse Erregbarkeit der
Vasomotorencentra in Betracht.
Bezüglich der Wirkung kühler Bäder mit kalten Uebergiessungen und
der hieraus zu ziehenden Schlussfolgerungen muss ich mir vorbehalten, an
einem anderen Orte und in anderer Zeit mich auszusprechen, da ich bis
jetzt zu einem endgiltigen Resultate noch nicht zu gelangen vermochte.
Ueberblicken wir nun noch einmal die ganze Anzahl aller physiolo-
Caloeimetetsche Unteesüchungen. 57
gischen und patholugischen Versuche, welche in vorliegender Arbeit ange-
stellt wurden, so sehen wir, was die ersteren anbelangt, dass die Ergebnisse
derselben zumeist Alles, was bisher theils geschlossen, theils durch thermo-
metrische Messungen festgestellt worden, als zutreffend erwiesen haben. Wir
haben gesehen, welchen Einfluss auf die Wärme-Üekonomie des menschlichen
Organismus die allgemeinen Verhältnisse wie: Alter, Grösse, Gewicht, Er-
nährungszustand, mehr oder weniger gut entwickelter Panniculus adiposus,
Tageszeit u. s. w. ausüben ; wir haben ferner gesehen, dass die Beschaffen-
heit des Ernährungszustandes, sowie die Entwickelung des Panniculus adiposus
unter diesen allgemeinen Verhältnissen den grössten Einfluss besitzen.
Was die specielleren Verhältnisse angeht, so haben wir gezeigt, dass
z. B. die Contraction der Muskeln eine sehr bedeutende Erhöhung der
Wärmeproduction und der Wärmeabgabe zur Folge hat, und das hierin
nächst der Oxydation der aufgenommenen Nahrungsstoffe sicherlich eine
Hauptquelle für die Wärmeproduction des menschlichen Körpers zu suchen
ist. Interessant war es auch, zu zeigen, wie regelmässig sich der Einfluss
des Alkohols, und zwar um so mehr, je weniger die Versuchspersonen an
den Genuss derselben gewöhnt schienen, zeigte; nicht weniger interessant
war auch der klare Nachweis des Einflusses angestrengter geistiger Thätig-
keit auf die Wärmeproduction. Von dem bis jetzt für sehr gering ge-
haltenen Einfluss innerlich genommen heissen Wassers, ohne jeden specifisch
wirkenden Zusatz, hat es sich erwiesen, dass derselbe dem des Alkohols
nahe kommt. Dagegen war dasselbe, äusserlich angewandt, wie es auch
anders kaum zu erwarten war, von so geringfügigem Einflüsse, dass der-
selbe sich mit unserem Apparate nicht nachweisen Hess. Ganz ohne jeden
Einfluss zeigte sich die Anwendung der Antipyretica (Antipyrin, Antifebrin)
bei gesunden, fieberlosen Individuen, ein Ergebniss, wie es auch viele Andere,
welche hierher zielende Versuche anstellten, gefunden haben.
Auffallend war die Thatsache, dass mechanische Arbeit (Hanteln) ausser-
halb des Apparates, nicht nur keine Erhöhung der Wärmeabgabe im Ge-
folge hatte, sondern dass darauf sogar die Wärmeabgabe regelmässig eine
geringere wurde, als vor der Arbeit. Doch habe ich mich ja an der be-
treffenden Stelle über diese auffallende Erscheinung schon hinreichend aus-
-gesprochen. Noch auffallender war der Umstand, dass der linke Arm stets
mehr Wärme abgab, als der rechte; ob dieser Umstand wirklich, wie man
wohl behauptet hat, in der ungleichen Blutvertheilung auf der rechten und
linken Körperhälfte, beruhend auf anatomischen Verschiedenheiten der die
Arme mit Blut versorgenden Gefässe, zu suchen ist, das auseinander zu
setzen, ist hier nicht der Ort.
Das Einreiben des Armes mit wenig perspirablen Stoffen, wie Vasehne,
ergab mir stets eine Verminderung der Wärmeabgabe; doch darf man wohl
58 Cakl Rosenthal: Caloeimetrische Unteesuchungen.
nicht diese Art der Einreibung mit der sonst gebräiiclilichen Speckein-
reibiing bei fiebernden Kindern auf eine Stufe stellen, da bei der ersteren
Anwendungsweise eine ziemlich bedeutende Schicht Fett auf dem Arme
verbleibt und so vielleicht mechanisch die Wärmeabgabe theilweise hindert.
Die Behandlung des Armes mit Senfspiritus erwies sich als sehr wenig
wirksam. Schliesslich ergaben die Versuche mit Einathmung von Amyl-
nitrit recht gute Resultate, nicht weniger gute diejenigen mit Verhinderung
des venösen Abflusses mittels Aderlassbinde.
Es sind also die gefundenen Ergebnisse fast durchaus übereinstimmend
mit den bisher von Anderen und auf andere Weise festgestellten. Der
etwaige Werth und das Interesse der hier angestellten Untersuchungen
liegt also nicht sowohl in der Neuheit der gefundenen Resultate, als viel-
mehr in deren relativer Genauigkeit, da dieselben vermittelst eines sehr
zweckmässig construirten und ausserordentlich gut functionirenden Apparates
calorimetrisch ermittelt wurden.
In zweiter Linie wurde eine Reihe pathologischer Versuche angestellt,
welche sich wesentlich um die Frage über das Fieber drehten, woran sich
dann eine Reihe anderer über die Wirkung der Antipja-etica (Äntipjrin,
Antifebrin) und der Bäder reihten. Kurz zusammengefasst und in grossen
Zügen gaben diese Untersuchungen folgendes Resultat.
Die Erhöhung der Eigentemperatur im Fieber beruht im Wesentlichen
und in erster Linie auf der Einschränkung der Wärmeabgabe nach aussen.
Wie diese zu Stande kommen muss, darüber ist im Vorhergehenden aus-
führlich gesprochen worden. In zweiter Linie kommt vielleicht noch eine
erhöhte Wärmeproduction in Frage, deren Grund dann in dem gesteigerten
Stoffumsatz zu suchen wäre. Doch ist darauf hiugewiesen worden, dass
vielleicht dieser gesteigerte Stoffumsatz erst eine Folge der durch das Fieber
veränderten Circulationsbedingungen ist, und dass derselbe bezüglich der
Temperaturerhöhung nur eine untergeordnete Rolle spielt.
Eine verständige Fieberbehandlung muss also darauf bedacht sein,
durch die Anwendung geeigneter Mittel die Wärmeabgabe des Kranken zu
steigern. Und dies wird durch die sogenannten Antipyretica erreicht. So
habe ich wenigstens von Antipyrin und Antifebrin nachgewiesen, dass deren
Wirkung in der Steigerung der Wärmeabgabe besteht.
Ueber Bäder mit Uebergiessungen und deren Wirkung wird, wie
schon oben gesagt, an anderer Stelle berichtet werden.
Zur Mechanik des Saugens und der Inspiration.
VOD
Prof. Dr. Leopold Auerbach ^
lu Breslau.
1. Vorbemerkungen.
Die Fähigkeit, durch die Mimdöffnung von aussen her Flüssigkeit an-
und einzusaugen spielt ja in der Lebensweise des Menschen mehr noch
als in derjenigen der übrigen Säuger eine bedeutende Rolle. Bald nach
der Geburt nächst der Athmung als erste zweckmässig combinirte Thätig-
keit animaler Muskeln in Wirksamkeit tretend, liefert sie ihm nicht nur
im Säuglingsalter die einzige naturgemässe Art der Nahrungsaufnahme
sondern auch weiterhin während seines ganzen Lebens das vorherrschende
Mittel, dem Körper flüssige Nähr- und Reizstoffe zuzuführen, indem bei
der menschlichen Art des Trinkens die Hineinbeförderuug des Getränkes
in die Mundhöhle regelmässig durch Saugthätigkeit bewerkstelhgt wird,^
Aber auch das Einsaugen gewisser gasförmiger Substanzen in die Mund-
höhle ist in Form des Rauchens einem grossen Theile des Menschenge-
schlechtes Bedürfniss und tägliche Gewohnheit geworden. Eine weitere
vielfache Anwendung ist dann noch das Saugen an Röhren bei mancherlei
technischen Operationen.
^ Einiges aus dieser Abhandlung bildete den Inhalt eines von mir am 22. Sep-
tember 1886 in der physiologischen Section der Berliner Naturforscherversammluug ge-
haltenen Vortrags. (S. Tageblatt dieser Versammlung. S. 201. — Ein etwas weniger
knappes Eeferat findet sich in Nr. 80 der „Deutschen Medicinalzeitung" vom 4. Oc-
tober 1886.)
■■' Dies gilt auch von manchen anderen Säugethieren, z. B. Affen, blutsaugenden
Fledermäusen, Wiederkäuern, Einhufern, Dickhäutern, unter denen jedoch der Elephant
das Wasser in seinen Rüssel einzieht, um es dann in die Mundhöhle hineinzublasen.
60 Leopold Auerbach:
Demnach ist diese eigenartige motorische Leistung kein unwichtiges
Object der Physiologie, etwa auf derselben Linie stehend mit den Vorgängen
des Kauens und Schlingens, und wie diese der Erklärung bedürftig, eine
Grleichberechtigung, die sich indessen nur wenig geltend gemacht hat.
Denn eine Umschau in der Litteratur ergiebt die Thatsache einer im
Allgemeinen sehr geringen Berücksichtigung, ja oft gänzlichen Vernach-
lässigung der Frage, ein Missverhältniss, welches sich am Deutlichsten
darin abspiegelt, dass die überwiegende Mehrzahl der. seit sechzig Jahren
bis auf den heutigen Tag erschienenen G-esammtdarstellungen der Physio-
logie, und darunter gerade viele hervorragende oder sonst sehr ausführliche
den Vorgang des Saugens überhaupt gar 'nicht berühren,^ und dass auch
in den übrigen meistens der Gegenstand nur mit einigen flüchtigen Worten
gestreift wird. Noch weniger hat sich die Anatomie berufen gefühlt, auf
die Sache einzugehen, und auch die grossen, lexikalisch gehaltenen Ency-
klopädien der Medicin weisen dieselbe Lücke auf.^ Als eine Ursache dieser
Zurücksetzung scheint sich namenthch die folgende darzubieten. Insofern
es nämhch in dem neueren Entwickelungsgange der Wissenschaft lag, vor-
zugsweise nur positiv Begründetes zu berücksichtigen, und indem für die
Besprechung in zusammenfassenden Werken in der Eegel nur vorliegende
empirische Specialarbeiten bestimmend waren, so fehlte es eben hinsichtlich
des Saugens an dieser Grundlage und Anregung bis vor nicht sehr langer
Zeit gänzlich, obwohl einige ohne nähere Begründung hingeworfene Meinungen
vielfach ausgesprochen waren. Nächst Hales,^ der einmal bei Gelegenheit
pflanzenphysiologischer Studieu auch die Kraft, mit der ein Mann mit dem
Munde zu saugen vermochte, hydrostatisch bestimmte, hat, so viel ich weiss
zuerst Poncet^ gegen das Jahr 1860 eine den Mechanismus dieses Vor-
gangs betreffende experimentale Untersuchung angestellt, eine Arbeit welche
jedoch in Deutschland unbekannt, wenigstens unbeachtet geblieben ist und
auch mir unzugänglich war. Sodann hat im Jahre 1875 Donders^ einen
verdienstlichen Beitrag zur Sache gehefert und ausserdem Vierordt^ im
^ So ist es z. B. in den betreffenden Werken von Magendie, Job. Müller,
Valentin, Ludwig, Brücke, Budge, Wundt, L. B. ermann (Grmidriss) u. A. m.
^ Wie T d d 's Cyclopaedia of Anatomy and Fhysiology, das Nouveau Diction-
naire de Medecine et de Chirurgie, herausgegeben von Jaccoud und die von Eulen-
burg redigirte Ee al- JEncyclojpaedie der Medicin.
^ Haies, citirt von Hutchinson, Art. Thorax in Todd's Cyclopaedia.IY. \).10&0.
* Poncet, citirt bei Milne Edwards, Legons sur VÄnatomie et la Physiologie
com-paree etc. 1860. t. VI. p. 96.
^ Donders, Ueber den Mechanismus des Saugens. Pflüger's Archiv u. s. w.
Bd. X.
^ Vierordt, Physiologie des Kindesalters in Gerhardt's Handbuch der Kinder-
krankheiten, Tübingen 1881. 2. Aufl. Bd. I. S. 337.
Zur Mechanik des Saugens und der Inspiration, 61
Jalire 1881 in einigen seiner „Physiologie des Kindesalters" eingeflochtenen
Bemerkungen das Resultat seiner Beobachtungen an Säuglingen bekannt
gegeben. Aber auch diese Mittheilungen, auf die ich noch zurückkommen
werde, streifen nur einzelne Punkte der Frage und sind zum Theil sehr
discussionsfähig; auch haben sie auf die spätere Litteratur nur ausnahms-
weise Einfluss ausgeübt.
Vielleicht aber ist die Action des Saugens etwas so Einfaches und
Alles daran so selbstverständlich, dass deshalb ein häufigeres und gründ-
licheres Eingehen auf dieselbe unnöthig war? Aus manchen naheliegenden
Gründen kann es so scheinen. Dennoch zeigt in diesem Punkte eine ver-
gleichende Durchsicht der Eachlitteratur zunächst mindestens so viel, dass
nichts weniger als Einhelligkeit, vielmehr geradezu Verwirrung herrscht.
So wenig zahlreich auch verhältnissmässig die vorliegenden Aeusserungen
sind, so bieten sie gleichwohl eine erhebliche Vielgestaltigkeit dar. Zwar
über das physikaliche Princip des Vorgangs, nämlich Verdünnung der
Mundhöhlenluft und Gegenwirkung des atmosphaerischen Druckes, ist ja
längst, wenigstens seit den Zeiten Haller 's, kein Zweifel mehr; betreffs
der Formveränderungen hingegen und der Muskelactionen , durch welche
der negative Druck in der Mundhöhle erzeugt wird, haben sich mannig-
fache und zum Theil widersprechende Vorstellungen, wie sie im Laufe der
Jahrhunderte successive entstanden, bis heutigen Tages nebeneinander
erhalten, ohne sich, über ihre absolute oder relative Berechtigung ernst-
lich auseinanderzusetzen, bald isolirt und exclusiv auftretend, bald zu
einigen locker zusammengestellt, bald auch zu irgend einem Gesammtaus-
drucke von bedenklicher Complexion verbunden.^ Wenn nun auch von
vorn herein die Möglichkeit zugestanden werden soll, dass mehrere unter
sich verschiedene Mechanismen des Saugens existiren, so dürfte doch einer-
seits um so weniger einer derselben als ausschliesslich giltig hingestellt
werden, und würde es andererseits nothwendig, den Geltungsbereich der
einzelnen, so wie auch ihre etwaige Combinirbarkeit festzustellen. Indessen
ist ja auch, nicht vorauszusetzen, dass alle hervorgetretenen Ansichten über-
haupt ihre Rolle weiter spielen müssen. Es sollten nach eingehender Prü-
fung diejenigen immer wieder auftauchenden Vorstellungen, die sich etwa
als ganz unhaltbar erweisen, als solche genügend gekennzeichnet und damit,
^ Beispiele der letzteren Art finden sich auch in neueren Schriften; hier sei nur
eines aus einem älteren Werke angeführt: InBurdach, Die Physiologie als ErfaJirungs-
wissenscliaft. Leipzig 1840, heisst es in Bd. YI, S. 151: „Die MammaUen saugen durch
gemeinsame Wirkung von Lippen, Backenmuskeln und Zunge unter Beihülfe des Ein-
athmens" und ferner S. 152: „Beim menschlichen Trinken wird die Zunge zurück-
gezogen und eine Einathmungsbewegung gemacht." Vergleiche auch einige später bei-
zubringende Citatc.
62 Leopold Auerbach:
wenn möglich, definitiv eliminirt werden. Ausserdem aber hoffe ich zeigen
zu können, dass der gewöhnliche Hergang beim Saugen mit dem Munde
sich doch etwas anders gestaltet, als es den darüber verbreiteten Vor-
stellungen entsprechen würde, und dass gewisse andere Formen dieser
Thätigkeit beachtenswerthe Beziehungen zur Mechanik der Respiration dar-
bieten. Es sollen sich also an die oben bezeichnete, sehr nothwendige
kritische Prüfung und Sichtung in dem Folgenden einige Reihen positiver
Beobachtungen zur Sache anschliessen. Ich werde dabei so verfahren, dass
ich die verschiedenen, wirklichen oder angebhchen Mechanismen des Sau-
gens einzeln bespreche und meine eigenen Ermittelungen theils an passen-
den Stellen einflechte, theils in besonderen Abschnitten darlege. In der
Anordnung des Stoffs werde ich im Allgemeinen die historische Reihenfolge
inne halten, mit wenigen durch Rücksicht auf die Darstellung veranlassten
Ausnahmen.
II. Vermeintliclie und wirkliche Function der TVangen.
Hiernach muss ich mit Besprechung einer Ansicht beginnen, die so
Mancher vielleicht für längst abgethan halten wird, die dies aber doch
nicht so ganz ist, wie sowohl die Litteratur als auch sachliche Erwägungen
zeigen, Ueberdies ist die Geschichte dieser Meinung gewissermaassen psycho-
logisch merkwürdig. Letztere muss auch deshalb vorweg geprüft werden,
weil die Erscheinungen, auf welchen sie fusst, sich bei jeder Art des Sau-
gens ereignen können.
Ich meine die Annahme, dass die Wangen Saugorgane seien, und
dass besonders der Buccinator eine Function beim Saugen habe. Mit wun-
derbarer Zähigkeit, den Fortschritten der Wissenschaft durch einige Varia-
tionen sich anpassend, hat diese Vorstellung durch Jahrhunderte bis auf den
heutigen Tag sich erhalten. Denn nicht bloss in mündlicher Aussprache
giebt sie sich noch häufig genug kund, sondern hat auch in mehreren
Publicationen der letzten Jahre wieder Lebenszeichen von sich gegeben.^
^ Dass auch ein Ausspruch Kronecker's (Die Schluckbewegung. Deutsche me-
dicinische Wochenschrift ^ 1884, Nr. 16 — 26, S. 8 des Sonderabdr.), dahin lautend:
„Meist aber geschieht das Saugen, wenn es von der Zungenbewegung unab-
hängig ist, durch Erweiterung der Wandungen der Mundhöhle," in dem-
selben Sinne gemeint, nämlich auf die Wangen zu beziehen sei, möchte ich nicht an-
nehmen; er könnte aber leicht so aufgefasst werden. Hingegen ist sehr deutlich fol-
gende Stelle in I. Munk's Physiologie des Menschen und der Säugethiere. Berlin
1881. S. 191: „So führt der Mensch die verengte Mundspalte an den Eand des mit
Flüssigkeit gefüllten Gefässes und saugt letztere mit Lippen und Backen an."
Andere eine ähnliche Anschauung verrathende Stelleu aus praktisch-medicinischen Ab-
Zur Mechanik des Saugens und deu Inspiration. 03
Sehen wir deshalb genauer zu, worauf dieselbe sich gründen kann, und
ob etwas von Werth in ihr enthalten ist.
Entstanden ist sie aus den irrigen Deutungen zweier an sich diametral
entgegengesetzter Thatsachen. Die eine betrifft die Aufblähung der Wangen
beim Blasen, eine Formveränderung, welche in alter Zeit als eine active,
durch die Backennmskeln bewirkte angesehen wurde. Namentlich war es
eben der Buccinator, welchem einige Anatomen des 16. Jahrhunderts die
Fähigkeit zuschrieben, eine Auswärtsbewegung und Ausdehnung der Wangen
zu bewirken.^ Wie ernst das gemeint war und wie hartnäckig sich
diese Vorstellung in vielen Köpfen erhalten haben muss, geht daraus her-
vor, dass nachdem schon im 17. und der ersten Hälfte des 18. Jahrhun-
derts mehrere angesehene Autoren jene Ansicht ausführlich bestritten hatten,^
viel später noch Haller es für nöthig fand, der Fortdauer jenes Missver-
ständnisses vorzubeugen,^ ja sogar noch Henle sich von Neuem veranlasst
sah, demselben ausdrücklich entgegenzutreten.*' Insoweit aber jene irrige
Anschauung herrschte, konnte sich auf dieser Grundlage folgerichtig auch
die Ansicht von einer Saugthätigkeit des Buccinator durch Erweiterung der
Mundhöhle entwickeln und mit jener so lange andauern, dass eben noch
heute die Nachwirkungen bemerkbar sind.
Inzwischen hatte jedoch die Neigung, die Backenmuskeln für die
Theorie des Saugens zu verwerthen, noch von einer anderen Richtung her
eine neue Anregung empfangen. Man glaubte in einer der obigen ge-
rade entgegengesetzten Thatsache einen Anhalt zu ünden, nämlich in der
beim Saugen nicht selten eintretenden grubenförmigen Einbuchtung der
Wangen, welche allerdings ihrer Lage nach der vorderen Ausbreitung des
Buccinator entspricht. Diese Erscheinung hielt man vielfach wieder für
eine active, durch den genannten Muskel bewirkte Formveränderung und
sah nun wunderlicher Weise in dieser vermeintlichen Thätigkeit des Bucci-
nator ein Hülfsmittel des Saugens^ obwohl es doch auf der Hand lag, dass
handluiigen hiei* anzuführen würde zu viel Raum erfordern. Erwähnen will ich nur
noch, dass auch H. Ranke in seiner Abhandlung: „Ein Saugpolster der menschlichen
Wange" (Virchow's Archiv u. s. w. Bd. XCVII) mehrfach von einer Function des
Bucciuators beim Saugen spricht, freilich in einem raodificirten Sinne, über den ich
mich bald noch näher aussprechen werde.
^ Columbus, De re anatomica. Venedig 1559. p. 122. — Andr. Laurentii
Historia anatomica. Prankfurt 1600. p. 135.
^ Adr. Spigelii De humani corporis fahrica. 1627. p. 100. — Santorini,
Ohservationes anat. Venedig 1724. p. 33.
* Haller, Elementa Physiologiae etc. t. VI. p. 37: „Buccinator non quod iuflet
buccas sed quod iuflatas deprimat."
•* Hcnle, Bandhucl der Muskellelire. 1858. S. 159.
64 Leopold Aueebach:
eine Verengerung des Mundraumes den Saugact nicht fördern sondern nur
abschwächen kann.
Wahrscheinlich um gegen diesen nahe liegenden Einwand die alte
Meinung zu retten, w^urde übrigens einmal, nämlich von Soemmering,^
noch eine ganz absonderhche Erklärung hinzugefügt, dahin gehend, der
nach innen ausgeübte Muskeldruck vermöge die Luft der Mundhöhle nicht
bloss nach vorn sondern andere Male auch „hinterwärts" zu treiben und
durch diese Luftströmung das Saugen zu vermitteln. In der That ge-
lingt es bei fest geschlossenem Munde, namentlich nach vorherigem Auf-
blasen der Backen, durch Zusammenziehung der letzteren die Luft nach
hinten in den Rachen zu jagen, was mit einem am Gaumensegel ent-
stehenden Geräusche verbunden ist; allein dies kann natürlich zu keiner
Saugwirkung führen, da ja der gesteigerte innere Luftdruck auch nach
vorn hin wirkt und einen etwa zwischen den Lippen befindlichen Körper
wegblasen und nicht ansaugen würde.
Thatsächlich ist nun, wie bekannt, die Einbuchtung der Wangen über-
haupt keine active, sondern eine ganz passive Tormveränderung,
nämlich eine durch den überwiegenden äusseren Luftdruck be-
wirkte Einstülpung. Dies lässt sich, so zu sagen, unmittelbar em-
pfinden, und man hat wohl deshalb eine objective Begründung nicht für
nöthig gehalten. Es wird aber doch, nicht bloss um dieser willen, sondern
auch wegen weiter sich ergebender Anknüpfungen gut sein, die beweisen-
den Thatsachen einmal hervorzuheben, und diese liegen in Folgendem.
Bei auch nur einiger Aufmerksamkeit stellt sich leicht heraus, dass die
Einsenkung der Wangen keine nothwendige Begleiterscheinung
des Saugens ist, und dass sie ausserdem um so geringer aus-
fällt, je schneller beim Saugen die Luftverdünnung in der
Mundhöhle schon während ihres Entstehens wieder ausgeglichen
wird; denn sie bleibt aus, wenn dabei reichlich gasförmige oder tropfbare
Flüssigkeit durch die Mundöffnung einströmen kann, ist massig, wenn dieser
Zweck nur langsam und mit Schwierigkeit erreicht wird, am stärksten aber,
wenn er ganz verhindert ist, z. B, wenn bei geschlossenem Munde eine
Sauganstrengung gemacht wird, und verschwindet in letzterem Falle sofort,
wenn die Lippen ein wenig geöffnet werden, so dass äussere Luft eindringen
kann. Sie steht also zu dem erzielten Saugeffect in umgekehrtem
Verhältniss, wächst hingegen mit dem Grade der wirklich in der Mund-
höhle sich ausbildenden Luftverdünnung, durch die sie mit physikalischer
Nothwendigkeit hervorgerufen werden muss. Sie ist demnach eine
Wirkung und nicht ein Factor des Saugens.
1 Soemiiiering, Vom Baue des menscJiHcJien Körvers. 1791. Bd. 11. S. 83.
Zuß Mechanik des Saügens und der Inspiration. 65
Eine Nebenbedingung ihres Entstehens ist noch die, dass der Unter-
kiefer einigem! aassen gesenkt ist, weil sonst die Mauer der Zähne und die
Zunge das Einstülpen der Wangen verhindern.
Dem möchte ich jedoch noch hinzufügen — und es ist dies für die
Beurtheilung einschlägiger Versuche nöthig — dass eine Grube in den
Wangen von solcher Trichterform überhaupt nur auf die eben bezeichnete
Art und nur beim Saugen, niemals aber durch Contraction irgend welcher
Backenmuskeln, auch nicht des Buccinator sich bildet, wie Manche meinen.
Es wird sich das bald zeigen, da ich auf die specielle Wirkungsweise des
letztgenannten Muskels näher einzugehen noch eine besondere Veranlas-
sung habe.
Es ist nämlich noch eine dritte Gestalt zu erwähnen, welche die tra-
ditionelle Lehre neuerdings angenommen hat. Diese lautet dahin, der
Buccinator habe die Aufgabe, die Wange während des Saugacts zu stützen
und zu verhindern, dass dieselbe zu tief nach innen und zwischen die
Zähne gedrängt werde. In dieser Weise ist sie von H. Ranke in seiner
obenerwähnten Abhandlung angenommen und dabei wie als etwas ganz
Bekanntes und Selbstverständliches vorausgesetzt worden. Aber auch in
dieser Form ist sie nicht haltbar, und zwar erstens, weil der Buccinator
in Contraction einen Uebelstand, ähnlich demjenigen, den er angeblich ver-
hindern soll, vielmehr auf seine Art selbst herbeiführen würde, und zweitens
weil sich nachweisen lässt, dass er sich beim Saugen überhaupt nicht contrahirt.
In ersterer Hinsicht ist Folgendes zu bemerken. Schon die alten
Anatomen nahmen mit Recht au, dass dieser Muskel im Stande sei, Speise-
theile, die in den Raum zwischen den Wangen und den Zähnen gerathen
sind, wieder nach innen zu schieben. Es lässt sich aber leicht constatiren,
dass er dies nicht bloss an der vorher aufgetriebenen Wange und bis zum
elastischen Gleichgewichtszustande derselben, sondern darüber hinaus leistet,
und dass auch von der schlaffen Ruhelage der Wange ausgehend durch
die Thätigkeit des Muskels ein nach innen vorspringender und eventuell
zwischen die Zähne eindringender Wulst gebildet wird. Man kann sich
hiervon zunächst durch locale Faradisirung, die am besten von der inneren
Wangenfläche aus vorgenommen wird, überzeugen. Die Specialschriften
der Elektro-Therapeuten geben, so viel ich finde, immer nur ein Anpressen
der Wange an die Zähne an; und dies ist ja bei Faradisirung von aussen
und bei aneinander geschlossenen Zahnreihen ganz richtig; bei einem ge_
wissen Abstände der letzteren jedoch findet man durch Betasten von innen
eine der Ausdehnung des contrahirten Muskels entsprechende convexe An-
schwellung. Und ganz dasselbe ist noch bequemer durch Willenseinfluss
auf den Muskel zu erzielen, auch bei offenem Munde, wobei es gleichgiltig
ist, ob die Intention auf Hineindrängen der Wange oder auf Zurückziehen
Archiv f. A. u. Ph. 1888. Physiol. Abtlilg. 5
66 Leopold Aueebach:
des entsprechenden Mundwinkels gerichtet ist, da beide Wirkungen unzer-
trennlich verbunden sind. Während nun innen ein stark vorspringender
Hügel zu erkennen ist, lässt sich äusserlich wohl öfters eine stärkere Mar-
kirung der Lachfalte, niemals hingegen eine trichterförmige Vertiefung,
ähnlich der beim Saugen entstehenden, beobachten,^ vielmehr sogar gewöhn-
lich eine leichte Auftreibung. Dieses Verhalten ist leicht erklärlich durch
die mit der Contraction verbundene Dickenanschwellung des Muskels, welche
in noch viel stärkerem Maasse nach innen hervortritt und hier eben den
Wulst auftreibt.
Beiläufig bemerkt ist mit dieser Bewegung eine erhebliche Entwickelung
mechanischer Kraft in der Querrichtung der Muskelfasern verbunden. Denn
wenn man einen Finger innen anlegt, ohne die Wange nach aussen zu
stülpen, und nun den Buccinator contrahirt, so wird durch diesen der
Finger, selbst wenn man einen gewissen Widerstand leistet, 1 — 2 °™ weit
nach innen geschoben, und während der Fortdauer der Contraction gelingt
es nur mit ganz beträchtlichem Kraftauf wände, die innere Hervorragung
der Wange zurückzudrücken. ^ Dieser mechanische Effect wird eben gelegent-
lich beim Kauen verwerthet.^
Es wäre also zur Vermeidung des Eindringens von Wangensubstanz
zwischen die Zähne die Thätigkeit des Buccinator ein zweckwidriges IMittel.
Dass aber thatsächlich beim Saugen dieser Muskel in Ruhe bleibt, geht aus
^ In einigeu von v. Ziemssen publicirten Abbildungen zeigt sich zwar an der
von aussen auf die Gegend des Buccinators aufgesetzten Elektrode eine grubenförmige
Vertiefung der Wange, was leicht den Anschein erwecken kann, als sei diese auch eine
Folge der elektrischen Erregung. Sie ist jedoch sicher nur ein mechanischer Effect der
tief eingedrückten Elektrode, wie denn auch der erklärende Text von einer solchen
Wirkung der Erregung des Muskels nichts erwähnt.
^ Hierin liegt auch ein unterscheidendes Merkmal dieses Wulstes von der beim
Saugen entstehenden Einstülpung, die sich sehr leicht zurückschieben und umstülpen
lässt.
* Eine auf die Faserrichtung senkrechte Wirkung kommt ja noch einigen anderen
der Willkür unterworfenen Muskeln zu, und zwar solchen, die Hohlräume begrenzen,
so als Druckwirkung bei den Bauchmuskeln und einigen Sphinkteren, als Druck-
und Zugwirkuug beim Zwerchfell. In diesen und anderen ähnlichen Fällen jedoch
ist es die Verkürzung an sich, Vielehe, da sie bogenförmig verlaufende Fasern be-
trifft, durch deren Annäherung an die gradlinige Form die mechanische Leistung
hervorbringt. Hingegen ist wohl die oben erw^ähnte Vervverthung der Dickeuanschwel-
■lung zu einer mechanischen Leistung im Gebiete der aui malen Muskeln sehr selten,
vielleicht indess auch bei gewissen Verrichtungen der Zunge, z. B. beim Schlingen mit
im Spiele. Viel öfter aber dürfte das erwähnte Moment in der Mnsculatur der vege-
tativen und Circulationsorgane mitwirken und namentlich in hohem Maasse bei der
Arbeitsleistung des Herzeus iu Betracht zu ziehen sein. — Es möchte sich von einem
allgemeinen Gesichtspunkte aus wohl lohnen, messende Versuche über die von den
Muskeln bei der Verkürzung in transversaler Richtung entwickelte Kraft anzustellen.
ZuE Mechanik des Saugens und der Inspieation. 67
Folgendem hervor. In Action ist er nämlich, wie Ranke richtig voraussetzt,
wirklich im Stande, der vom Luftdruck abhängigen Einstülpung zu wider-
stehen, was ich durch folgende Beobachtung bestätigt finde. Wenn man
bei geschlossenen Li^^pen und der für die Grubenbildung nöthigen Senkung
des Unterkiefers beide Buccinatoren auch nur massig in Thätigkeit setzt
und zugleich eine Sauganstrengung hinzufügt, so bleibt in der That während
dieser unnatürlichen Combination die äusserliche Abüachung und Vertiefung
aus. Nun ist aber von einer solchen Hemmung beim gewöhnhchen natur-
gemässen Saugen nicht das Geringste zu bemerken; denn schon eine sehr
schwache Saugbeweguug genügt, um ein Einsinken der Wange zu veran-
lassen, und eine starke macht, dass sie tief zwischen die Zähne hinein-
gezogen wird. Also kann der Muskel dabei nicht in Thätigkeit sein.
Seine Mitwirkung wäre auch dadurch sehr störend, dass er ja die
Mundwinkel zurück- und die Mundöffnung breit zieht, während doch zur
Umfassung des Saugobjectes ein Vorstrecken der Lippen und eine rundlich
enge Gestaltung der Mundöffnung gehören.
In keiner Weise also agirt der Buccinator beim Saugen,
und es wäre endlich Zeit, ihn bei der Erklärung dieses Vorganges gänzlich
bei Seite zu lassen.
Die mechanische Erklärung der an den Backen eintretenden Veränderung
schliesst indess nicht die Frage aus, ob dies nur eine gleichgiltige Neben-
erscheinung sei, oder ob ihr irgend eine, sei es schädliche oder nützliche
Wirkung zukomme. In dieser Beziehung ist nun zwar darüber kein Zweifel
möglich, dass der Saugact selbst dadurch nicht unterstützt, sondern nur
abgeschwächt werden kann. Gleichwohl glaube ich sie als etwas dem
Organismus Nützliches ansehen zu müssen. Da nämlich, wie oben nach-
gewiesen wurde, die Einstülpung der Wangen nur in dem Maasse er-
folgt, als die Sauganstrengung vergeblich ist, so kann jene als ein
regulatorischer Vorgang betrachtet werden, der einer über-
mässigen Verdünnung der Mundhöhlenluft vorbeugt und damit
ihre Schleimhaut vor Schädigung bewahrt. Eine zu hohe Luft-
verdünnung wäre nämlich geeignet, bei anhaltenden und schwierigen oder
ganz fruchtlosen Bemühungen zu saugen — man denke nur an die oft
so mühsamen und vergeblichen Anstrengungen der Säuglinge — in der
Schleimhaut der Mundhöhle eine passive Hjperaemie hervorzurufen, ähnlich
wie dies sogar an der weniger gefässreichen und derben äusseren Haut unter
einem trockenen Schröpf köpfe geschieht. Unter einem solchen, wie er ge-
wöhnüch gehandhabt wird, dürfte nach einigen von mir angestellten Be-
obachtungen der negative Druck kaum je den Werth von 100™'^^ Hg er-
erreichen, während der Mund-Saugapparat eines Mannes sehr leicht das
5*
68 Leopold Auerbach :
Gleiche und unter Umständen das siebenfache leistet. Und wären selbst
die Folgen nicht mit einem Male hochgradig, so würden sie doch bei
öfterer Wiederholung immerhin nicht gleichgiltig sein. Von diesem Ge-
sichtspunkte aus betrachtet haben die Wangen allerdings eine Function
beim Saugen, indem sie gleichsam wie umgekehrte Sicherheitsventile
wirken.
Die Fähigkeit hierzu verdanken sie aber gerade ihrer Biegsamkeit und
Dehnbarkeit, welche selbst massig fetten Backen an der Stelle, auf die es
ankommt, in der Regel genügend erhalten ist. Wenn hingegen in einzelnen
Fällen, sei es an dem Punkte, den H. Ranke hervorgehoben hat, sei es
in grösserer Ausdehnung, sehr dickes und derbes Fettgewebe die Wangen
derart steift, dass ihre Einstülpung erschwert oder ganz verhindert wird,
so ist es sehr fraglich, ob dies eine vortheilhafte individuelle Eigenthümlich-
keit sei. Freilich wird dann von anderen Punkten her theilweise Ersatz
geleistet werden. Denn auch das Gaumensegel kann durch den Druck der
Rachenluft in gewissem Grade in die Mundhöhle hinein vorgewölbt werden
und wir werden später sehen, dass unter Umständen sogar Theile der Zunge
in den beim Saugen erzeugten leeren Raum durch den äusseren Luftdruck
hineingepresst werden.
III. Iiispiratorisclies Sanken.
Anders hingegen steht es mit einer zweiten älteren Theorie, nämlich
derjenigen, dass das Saugen mittelst Inspiration," also durch Erweiterung
des Brustraumes bewerkstelligt werde. Diese im vorigen Jahrhundert von
Sturm und Halle r^ ausgesprochene und ohne Weiteres als alleingiltig
aufgestellte Ansicht behauptete sich dann lange Zeit hindurch in viel ver-
breiteter Geltung. In unserer Zeit ist sie im Ganzen in den Hintergrund
getreten und erfährt im Uebrigen eine sehr wechselnde Behandlung, die sich
in widersprechenden Extremen bewegt. Während sie nämlich von den
Meisten gänzlich verlassen ist und zwar in der Regel einfach ignorirt, zu-
weilen auch ausdrücklich und schlechthin verworfen wird, findet sich hier
und da auch jetzt noch gerade als das gewöhnliche Mittel des Saugens
eine inspiratorische Thoraxbewegung bezeichnet und diese Vorstellung sogar
auf das menschliche Trinken angewandt, ^ zwei diametral entgegengesetzte
Ansichten, die sicherlich beide, jede in ihrer Art, verfehlt sind.
Denn einer so einfach negativen Abfertigung, wie sie der inspirato-
rischen Theorie meist zu Theil wird, widerspricht in ausgiebigster Weise
^ Haller, Elementa Pliysiologiae etc. t. III. p. 296.
^ Beispiele für diese verschiedene Behandlung ergeben sich aus der Vergleichung
der Lehrbücher, auch derjenigen der letzten Jahre.
Züii Mechanik des Saüüens und der Inspieation. (59
zunächst eine Thatsache, welche allerdings von physiologischer Seite bisher
kaum irgendwo beachtet worden ist, aber sehr berücksichtigt und erwähnt
zu werden verdient, nämlich die Art, wie in mehreren sehr verbreiteten
Gewerben mit dem Saugheber operirt wird. Ohne Weiteres ist zunächst
leicht zu sehen, dass die Küfer, wenn sie mit einem solchen Instrumente
von grösseren Dimensionen einem Fasse Flüssigkeit entnehmen, mit einem
Zuge eine erstaunliche Quantität des Fluidums in die Höhe saugen, nämlich
bis zu 2 Liter und darüber, ein Volumen, das ja die Capacität der Lungen
noch bei Weitem nicht erschöpft, hingegen diejenige der Mundhöhle um
das 24- bis 30 fache übertrifft. Letzterer Umstand ist zwar an sich nicht
ganz für den inspiratorischen Modus entscheidend, insofern man an eine
versteckte Summirung der Effecte zahlreicher, rasch sich folgender Einzel-
acte eines andersartigen Saugens denken könnte. Immerhin ist die Er-
scheinung auffallend und war für mich zu einer eingehenderen Unter-
suchung bestimmend, über welche einiges Nähere mitzutheilen um so mehr
angel)racht sein dürfte, als sie auch für die Beurtheilung der Kraft der
Athmungswerkzeuge lehrreich ist.
Die gebräuchlichen, in neuerer Zeit fast immer von Glas gefertigten
Saugheber sind Pipetten grossen Maassstabes. Es giebt deren zwei Abarten,
kleinere, im engeren Sinne Stechheber genannte, von ca. 58*"^ Länge und
im Ganzen schlank konischer Form, nur etwa 300°"™ fassend, und grosse
als Kugelheber, zuweilen auch als Kropf heber bezeichnete von 70 — 80°™
Länge. Diese letzteren bestehen aus einer unteren, ca. 40 "^ langen, geraden,
nur ganz schwach konischen Röhre, die nach oben hin in ein trompeten-
förmig erweitertes Halsstück übergeht und über diesem zu einer grossen
Hohlkugel von 14—16°™ Durchmesser und 1600—1800°°™ Rauminhalt
aufgeblasen ist, auf welcher noch ein kurzes Stück Röhre als Mundstück
aufsitzt, so dass sie im Ganzen 1-7 bis über 2 Liter Flüssigkeit auf-
zunehmen vermögen. Beim Gebrauche werden sie annähernd senkrecht
eingetaucht und durch Saugen am oberen Ende die Flüssigkeit zum Auf-
steigen gebracht, derart, dass diese eventuell den ganzen Raum der grossen
Hohlkugel füllt. Es mag nun die nächstliegende Vorstellung sein und wird
wirklich selbst von solchen Personen, die das Verfahren oft genug mit
angesehen haben, geglaubt, dass an diesen Kugelhebern gerade so, wie wir
es bei Benutzung kleiner Pipetten zu thun pflegen, „mit der Zunge" gesaugt
werde. Die ausübenden Individuen selbst aber sind sich eines anderen
Sachverhalts wohl bewusst. Von mehreren solchen erhielt ich auf meine
Erkundigungen Autworten, welche übereinstimmend auf Athembewegungen
hinwiesen, und eine Beobachtung . derselben am Orte ihrer Thätigkeit schien
dies schon genügend zu bestätigen. Um jedoch hierin ganz sicher zu gehen
und die Einzelheiten des Vorgangs genauer wahrzunehmen, was nur am
70 Leopold Auerbach :
entkleideten Oberkörper möglich ist, sowie auch um einige l3ezügliche
Messungen anstellen zu können, unterzog ich mehrere auf diese Arbeit ein-
geübte Personen speciellen Beobachtungen in meinem Laboratorium, zu
welchen ich zunächst einen grossen Kugelheber, später aber ein eigens
construirtes, für Maassbestimmungen besser geeignetes Instrument benutzte
und die Bedingungen der Einzelversuche in mehrfacher Weise variirte.
Dabei erwies es sich zuvörderst als ganz richtig, dass der Effect in der
Hauptsache durch active Erweiterung des Brustraumes bewirkt wird. Mit
dem ersten Momente des Saugens beginnt eine langsame und allmählich
immer mühsamer werdende Inspirationsbewegung, durch welche in 7 bis
10 Secunden das Wasser in die obere Hälfte der Kugel hinauf und eventuell
nach Füllung der letzteren auch noch durch das 8"™ hohe Ansatzstück
bis in die Mundhöhle hinein gezogen wird. Der Aufstieg durch die untere
Röhre und selbst in einen untersten Abschnitt der Kugel hinein ist meist
in der ersten Secunde vollendet und damit ca. ^2 ^^^^^ gehoben, worauf
der so viel grössere übrige Theil der Zeit zur Füllung der Kugel ver-
braucht wird. Da nämlich mit dem Ansteigen der Wassersäule auch die
Schwierigkeit ihrer weiteren Ueberwindung immer grösser wird, und da
überdies in der Halsgegend der Röhre und noch mehr in der unteren
Hälfte der Kugel der Querschnitt des Gefässes rasch wächst, so erfolgt
das Ansteigen überhaupt mit abnehmender Geschwindigkeit und nament-
lich in der genannten Strecke mit progressiver Verlangsamung. Im letzten
Momente jedoch, bei dem TJebergange aus dem Kugelraume in das enge
Mundstück bewirkt zuweilen die vorhandene äusserste Muskelanstrengung
ein beschleunigtes, fast plötzliches Aufsteigen des Wassers in den Mund
der Versuchsperson.
Der motorische Mechanismus selbst zeigt sich bei zweien der unter-
suchten Männer (A. und B.) in vollkommener Weise aus thoracischer und
abdomineller Inspiration combinirt, so jedoch, dass die Hervortreibung der
Bauchwand schon innerhalb der ersten zwei Secunden ihr Maximum erreicht,
auf dem sie verweilt, während die weitere Steigerung des Effects allein von
den Hebern des Thorax und der Rippen übernommen wird. Gegen das
Ende dieses zweiten Zeitraumes ist wohl zuweilen in Folge der ausgiebigen
Erweiterung des unteren Thoraxrandes ein leichtes Wiedereinsinken des
Epigastriums zu bemerken, die gesammte übrige Bauchwand jedoch kehrt
erst nach Aufhören der inspiratorischen Sauganstrengung aus ihrer ge-
wölbten und gespannten Form zur exspiratorischen Ruhestellung zurück.
Dem gegenüber wird bei der dritten Versuchsperson (C), die bei ruhigem
Athmen ganz normale Verhältnisse aufweist, sofort mit Beginn des Saug-
acts die Bauchwand eingezogen und dies weiterhin immer stärker, worauf
sie sich erst in der folgenden Esxpiration wieder vorwölbt, eine Umkehrung
Zur Mechanik des >Saugens und dek Inspiration. 71
der iiurmalen respiratorischen Baiichbewegung, wie sie auch sunst hei will-
kürlich forcirter Inspiration sehr häufig, ja sogar an der Mehrzahl ge-
sunder Menschen zu beobachten ist. Auch noch ein anderer Küfer, der
sich zur genaueren Beobachtung nicht einfand, hatte mir als Ergebniss
seiner Selbstbeobachtung angegeben, die Hauptsache sei eine Einziehung
des Bauches, eine wunderliche Aeusserung, welche sich indess aus dem eben
Erwähnten genügend erklärt. Bei dem Individuum C, das ich auch mittels
Percussion während des Saugens untersuchte, glaube ich zur Erklärung
des erwähnten Verhaltens eine mangelhafte Mitwirkung des Zwerchfells bei
diesem willkürlich bewerkstelligten Einathnmngsverfahren mit in Anspruch
nehmen zu müssen,^ und damit stimmt es auch, dass die Leistungen von
^ Die oben berührte, alltägliche und dennoch paradoxe, weil mit dem Zwecke der
AthembeweguDg nicht harmonirende Ei-scheinung . dass eine kräftige Inspiration auch
an ganz gesunden Individuen mit Einziehung der Bauchwand verbunden ist, wird, wo
sie überhaupt Beachtung findet, jetzt immer durch die Annahme erklärt, die Hebung
der unteren Rippen schaffe so viel Raum in den Hypochondrien, dass die durch den
Druck des Zwerchfells verdrängten Eingeweide denselben nicht auszufüllen vermögen.
Dass nun ein solcher Raumdefect veranlasst und durch den Druck der Luft auf das
bewegliche Abdomen wieder ausgeglichen wird, ist ja nicht zu bezweifeln; fraglich
hingegen kann es erscheinen, ob dieser Vorgang trotz normaler Abflachung
des Zwerchfelles erfolge, wie man anzunehmen pflegt. Schon Hutchinson
(Todd's Gyclopaedia, Art. Thorax, S. 1081) hat in diesem Punkte Zweifel ausgesprochen.
Nach meinen Ermittelungen dürfte jene Voraussetzung nicht durchaus zutreffend, über-
haupt die ganze Sache nicht so einfach sein. Es müssen in dieser Frage meines Er-
achtens noch folgende, innerhalb der Breite der Gesundheit individuell verschiedene
Bedingungen in Betracht gezogen werden, nämlich erstens das Maass der Ausdehn-
barkeit der Lungen im Verhältniss zu demjenigen des Brustraumes, ein Verhältniss, das
eben sehr häufig zu Ungunsten der ersteren ausfällt, also in diesem Sinne eine relative
Insufficienz der Lungen dai'stellt, welche einer gleichzeitigen Maximalbcwegung
des Zwerchfells und der Thoraxwandung, ja sogar der letzteren allein nicht zu folgen ver-
mögen, — zweitens eine relative Schwäche des dünnen Zwerchfellmuskels im
Vergleich zu den in's Gesammt viel mächtigeren Hebern und Erweiterern des Thorax, —
drittens aber, insofern es sich um willkürliche Athmuug handelt, eine gewisse, trotz
gegcntheiliger Behauptungen (s. z. B. Ludwig's Lehrbuch der Physiologie. 2. Aufl.
1861. Bd. IL S. 491) nachzuweisende Macht und Veränderlichkeit des Willens-
einflusses auf die einzelnen Gruppen der Inspirationsmuskeln, namentlich
oft sich äussernd durch gewohnheitsmässig ungenügende oder ganz unterbleibende
Activirung des Diaphragma's beim w^iUkürlichen Einathmen. Von letzterem Umstände
giebt den sprechendsten Beweis die Thatsache, dass bei manchen Individuen die Ein-
ziehung des Epigastrium's keineswegs bloss mit forcirter Inspiration verbunden ist, son-
dern sofort eintritt, wenn auf Veranlassung willkürlich eine auch nur schwache In-
spiration ausgeführt wird. — In Folge dieser variabeln Verhältnisse ist auch die in
Rede stehende paradoxe Inspirationsw^eise, obwohl überaus häufig anzutreffen, doch
keineswegs so allgemein, wie gewöhnlich und auch von Hutchinson angenommen
worden ist. Abweichungen von derselben kommen in allen Abstufungen vor, und es
giebt sogar so manche Personen, namentlich männlichen Geschlechts, die willkürlich
72 Leopold Auerbach:
C. erheblich niedriger ausfallen als die von A. und B., obwohl gerade bei
C. die thoracische Bewegung und besonders die Erweiterung der Inter-
costalräume sehr bedeutend ist. Die Last der Wassersäule muss ja durch
Erschwerung des Lufteintritts in die Lungen ähnlich wirken wie etwa eine
Stenose der oberen Luftwege, bei der ebenfalls öfters eine Einziehung des
Epigastriums erfolgt, und sie mag das ihrige zur Herstellung der Erschei-
nung beitragen. Dennoch ist letztere nur individuell eintretend, und es
ist offenbar, dass jenes Moment bei den bestveranlagten Individuen durch
MitbenutzuDg und kräftige Gregenwirkung des Diaphragma überwunden wird.
Immer aber, auch bei der ersten Gruppe der beobachteten Personen
(A. und B.) wird der grössere Theil der Arbeit durch die thoracischen
Muskeln geleistet. Die Erweiterer und Heber des Thorax werden mächtig
angestrengt und zuletzt aufs Aensserste gespannt, auch die accessorischen
Hülfsmuskeln, darunter sichtlich der CucuUaris und der Sternocleidomastoi-
deus und ausserdem auch die Gruppe der Sterno-thyreo-hyoidei, durch
welche zugleich von vorn herein Kehlkopf und Zungenbein mit einem Ruck
ein Stück abwärts gezogen werden und in dieser tiefen Stellung während
des ganzen Saugacts verharren. Die Mitwirkung der letztgenannten Mus-
kelzüge hat eine mehrfache Bedeutung. Erstens nämlich können und
müssen dieselben, nachdem sie unter Dehnung ihrer schwachen Antago-
nisten, der Stylohyoidei und Digastrici das Zungenbein abwärts gerückt
haben und während sie es in dieser Stellung festhalten, zugleich durch den
weiteren Zug auf ihre unteren Ansatzpunkte zur Hebung des Sternums
beitragen. Zweitens dient die Fixirung des Zungenbeins nach unten mit
gleichzeitiger Contraction der Hyoglossi dazu, durch Niederziehen des hin-
teren Theils der Zunge die Communication der Mundhöhle mit dem Kehl-
kopf weit offen zu erhalten. Auf eine dritte accidentelle Beziehung kann
ich erst im letzten Abschnitte dieser Arbeit eingehen.
Zur vollen Uebertragung der Wirkung dieser inspiratorischen Anstren-
gung auf den Inhalt des Hebers gehört natürlich Abschliessuug gegen die
äussere Luft, namentlich auch Verhinderung des Luftzutritts durch die
Nase. Man wird schon voraussetzen, dass letztere durch Erhebung des
Gaumensegels und Anschmiegen desselben an die ßachenwand erreicht
wird, wie dies gewöhnlich bei einer rein durch den Mund erfolgenden In-
spiration geschieht und eventuell, nämlich bei weit geöffnetem Munde leicht
zu sehen ist. Am Saugheber, um dessen oberes Ende der Mund des Sau-
genden fest geschlossen ist, lässt sich dies Verhalten nicht ohne Weiteres
in ausgiebigster Weise zugleich thoraciscb und abdominell inspiriren. Ausserdem ist
auch oftmals an einem und demselben Individuum unter Hiulenkuug der Aufmerksam-
keit die Art des Vorganges absichtlicher Veränderungen fähig. — Mit diesen allgemeinen
Andeutungen über die Angelegenheit muss ich mich an dieser Stelle begnügen.
ZuE Mechanik des Saugens und der Inspiration. 73
vviiliriiehmcn. Indessen habe ich dasselbe doch auch hier, mittels Ein-
schaltung des weiter unten zu beschreibenden Saugspiegels direct consta-
tiren können.
Während dieses Saugvorgangs kann man übrigens durch Ausculta-
tion an den Lungen ein Inspirationsgeräusch wahrnehmen, welches in Folge
der Langsamkeit der Athembewegung nicht den gewöhnlichen vesiculären
sondern einen modificirten Charakter hat und damit einem sogenannten
unbestimmten Inspirationsgeräusche ähnlich ist.
Dass dabei die Wangen zwar ein wenig, jedoch eben nur in sehr
massigem und allmählich steigendem Grade eingezogen werden, ist theils in
dem Vorangeschickten, theils in den speciellen Verhältnissen der inneren
Luftverdünnung begründet, die ich noch besprechen werde.
Nächstdem suchte ich noch eine ungefähre Anschauung über die
Grenzen der Leistungsfähigkeit dieses Saugverfahrens zu gewinnen. Es
waren dabei folgende Maxima zu bestimmen, betreffend: 1. das hydrosta-
tische Maass der entwickelten Kraft, gegeben in der Höhe der aufgestiegenen
Wassersäule [H), 2. das Volumen und damit das Gewicht der gehobenen
Wassermenge (P), 3. die mittlere Hubhöhe derselben [h), 4. die geleistete
Arbeit im physikahschen Sinne {L), zu berechnen als Product aus h und P.
Diese Grössen sind nicht einfach abzuleiten aus den bekannten Dimensionen
des Instruments, und dies zwar aus mehreren Gründen. Die Küfer sind
nämlich, um sich die Arbeit zu erleichtern, geneigt, den Heber möglichst
tief einzutauchen, wodurch ja der Nullpunkt der Hebung beträchtlich in
die Höhe gerückt wird, und sie sind in der That nicht im Stande, wenn
eben nur das unterste Ende eintaucht, die Kugel gänzlich zu füllen. Es
war also das Maass dieser nothwendigen Verkürzung der Hubhöhe zu er-
mitteln, insoweit es auf den Eall gänzlicher Füllung ankam. Andererseits
vermochten die beiden stärkeren Individuen, A. und B., ein Ansteigen des
Wassers bis zur Füllung von zwei Dritteln des Kugelraumes nicht bloss bei
oberflächlichem Eintauchen, sondern sogar noch dann zu bewerkstelligen,
wenn mittels eines Ansatzstückes an die untere Röhre die Hubhöhe um
31"°^ für A und um 27"™ für B gesteigert war, ein Verhältniss, welches
ich desshalb besonders hervorhebe, weil gerade unter diesen Bedingungen
die Maxima der Arbeit geleistet wurden. Es hängen diese Verhältnisse
mit dem bald näher zu begründenden Umstände zusammen, dass die Schwie-
rigkeit dieser Arbeit weniger in der massigen Hubhöhe als in dem grossen
Volumen der anzusaugenden Wassermenge hegt.
Ich benutzte zu diesen Versuchen einen grossen Kugelheber, an welchem
eine aufsteigende Centimeter-Eintheilung angebracht und der Rauminhalt im
Ganzen wie hinsichthch seiner einzelnen Abtheilungen bestimmt war. Das
aufzusaugende Wasser befand sich in einem weiten Kübel, so dass schon
74 Leopold Aübebach:
eine Schicht von 1 <"" genügte , um das den Heber füllende Wasser zu
liefern, womit eine genügend annähernde Stabilität des Nullpunktes erreicht
wurde.
Aus den Ergebnissen dieser messenden, an den beiden mit A und B
bezeichneten Küfern angestellten Beobachtungen will ich hier nur über die
maximalen Arbeitsleistungen nähere Angaben machen und diese durch
einige Bemerkungen erläutern.
Bei beiden Individuen traten, wie schon angedeutet, die Arbeitsmaxima
dann ein, wenn' unter Ausnützung gewisser Strecken des unteren Ansatzrohres
das Wasser so weit bis über den Aequator der Kugel hinaufgehoben wurde,
dass zwei Drittel des Kugelraumes gefüllt waren. Bei noch weiterer Stei-
gerung der Hubhöhe durch noch tiefere Senkung des Nullpunktes wurde
wieder so viel weniger Wasser in die Höhe gefördert, dass das Product aus
beiden Eactoren sich successive erniedrigte. Unter den erst angegebenen
Bedingungen aber war:
bei A H= 95«"" Wasser
„ B ür= 91 „ „
Umgerechnet in gieichwerthige Quecksilbersäulen würden sich, zu ganzen!
Zahlen abgerundet ergeben:
für A H= TO"""^ Hg
„ B H= 67 „ „
Dass diese Werthe nicht die Maxima des Inspirationsdrucks, deren die
beiden Individuen fähig sind, darstellen konnten, war schon aus der massigen
Höhe jener zu entnehmen; denn sie bleiben um 6 — 9™" hinter dem von
Donders und noch mehr hinter den von Hutchinson und einigen]
späteren Beobachtern gefundenen Höchstbeträgen zurück, während doch
meinen Versuchspersonen eher eine ungewöhnlich grosse Leistungsfähigkeit
zuzutrauen war. Auch erwiesen schon einige Beobachtungen mit noch
tieferer Einstellung des Nullpunktes die Erreichbarkeit grösserer Hubhöhen.
Demnach deuteten die obigen Befunde auf einen erschwerenden Einfluss
der besonderen Versuchsbedingungen hin. Um nun eine sichere Grundlage]
zum Vergleiche zu erhalten, machte ich noch auf dem üblichen pneumato-
metrischen Wege, nämlich am Quecksilber-Manometer eine Bestimmung desj
maximalen Inspirationsdrucks, und zwar nach der in gewisser Hinsicht vor-
wurfsfreieren Methode mit Inspiration durch die Nase.^ Die Eigenschwankung]
des Quecksilbers wurde durch langsames Inspiriren möglichst vermieden
und nur diejenige Höhe notirt, die mindestens eine Secunde lang fest-
gehalten werden konnte. Die Individuen waren aufgefordert und auch
Vergl. den letzten Abschnitt dieser Abhandlung.
ZuK Mechanik des Saugens und dek Inspiration. 75
sichtlich bestrebt, in jedem Eiiizelversuche das Möglichste 7AI leisten. Hierbei
erwies sich im Mittel aus einer Reihe Einzelversuche mit übrigens nur
kleinen Differenzen der maximale Inspirationsdruck (/):
für A /= 92™"^ Hg
„ B /= 104 „ „
Nahezu entsprechend, und nur mit solchen kleinen Incongruenzen behaftet,
die sich durch Abweichungen in dem Maasse der Anstrengung und Er-
müdung erklären, war auch das Resultat bei Hebung von Wasser durch
nasale Inspiration und zwar mittels einer langen Glasröhre von 5 ™™ lichtem
Durchmesser, welche unten senkrecht in einen Napf mit gefärbtem Wasser
eintauchte, wobei ich erhielt:
für A /= 1280°"™ Wasser
„ B /=1360 „ „
In der That besitzen also die betreffenden Personen eine ungewöhnlich
grosse Kraft der Einathmung. Es liegt nahe, diese mit der Profession der
Leute, ihrer täglichen Uebung in Ueberwindung eines grossen Widerstandes
in Zusammenhang zu bringen und den Schluss zu ziehen, dass durch
üebungen dieser Art die Inspirationsmuskeln sehr gestärkt
werden können.
Dass aber die erzielten Druckhöhen am Kugelheber so viel geringer
ausfallen, als an einfachen Saugröhren und am Hg-Manometer glaube ich
genügend aus dem bei jenem sehr viel grösseren Volumen der gehobenen
Flüssigkeit auf folgende Art erklären zu können. Es muss ja eine diesem
Quantum entsprechende, verhältnissmässig bedeutende Erweiterung des Brust-
raumes eintreten, und es haben dann die Inspirationsmuskeln ausser dem
hydrostatischen Widerstand der Wassersäule auch noch in höherem Grade
die elastische Spannung der Lungen, Knorpel, Bauchmuskeln
u. s. w. zu überwinden, während am Manometer thatsächlich nur eine sehr
kleine Athembewegung zur Ausführung gelangt. Dies ist der hauptsächliche
Grund. Es kommt noch hinzu, dass während der langen Zeit von 8 — 10 Se-
cunden, welche am Saugheber das Aufsteigen der grossen Wassermenge durch
die untere Partie hindurch in Anspruch nimmt, die Muskeln ermüden, so
dass sie zuletzt nicht mehr dieselbe Kraft entwickeln können, wie am Mano-
meter, wo das Aufsteigen in der ersten oder höchstens zweiten Secunde
beendigt ist. Die letzteren, durch die Form des Instrumentes bedingten
Schwierigkeiten sind in weiteren, bald zu beschreibenden Versuchen eliminirt
worden, auf Grund deren wir die ersterwähnte, durch das Wachsthum
der inneren Widerstände bedingte Hemmung genauer werden
schätzen können.
76 Leopold Auerbach:
Die gehobene Wassermenge, d. h. das ganze Quantum, welches den
Raum vom Nullpunkte bis zum oberen Niveau in der Kugel ausfüllte, hatte
in den beiden untersuchten Fällen folgende Beträge. Es war rund
bei A P = 1550 ««"
„ B P=1540„
Die mittlere Hubhöhe dieser Massen ermittelte ich empirisch, indem
ich nach Verschluss der unteren Oeffnung und Füllung des unteren ßohi'es
bis zu dem benutzt gewesenen Nullpunkte die Hälfte der eben angegebenen
Quantitäten Wasser in den Heber eingoss. So ergab sich
für A A = 89 '"^
„ B Ä = 85„
Durch Multiplication von P mit h resultirt ferner:
für A Z = 1-37 Meter-Kilogramm
„ B i;=l-30
Diese Arbeitsgrössen müssen als sehr hohe imponiren, um so mehr, da
sie mit einem einzigen Saugzuge, wenn auch in der relativ langen Zeit
von ca. 9 Secunden geleistet werden, und sie charakterisiren den Inspirations-
apparat als eine in wohl kaum erwartetem Grade mächtige Arbeitsmaschine.
Unter abgeänderten Bedingungen aber, nämlich bei tiefem Eintauchen
des Hebers und damit verringerter Hubhöhe kann, wie erwähnt, die Kugel
ganz vollgesaugt werden und damit P bis zu 2050 °°^ ansteigen, eine Grösse,
die ja beträchtlich unter der bekannten vitalen Capacität der Lungen zu-
rückbleibt. Dieser Grenzwerth ist aber keineswegs bloss durch das be-
schränkte Fassungsvermögen des Instrumentes bedingt; vielmehr ist jenem
das Ausmaass der Hohlkugel erfahrungsmässig angepasst. Wie sich bald
zeigen wird, liegt auch nach dieser Richtung das Maassgebende für die
Begrenzung in den oben erwähnten inneren Ursachen.
Um nämlich die Unzuträglichkeiten zu vermeiden, welche für die wissen-
schaftliche Seite der Sache die eigenthümhche Form des Kugelhebers mit
sich bringt, namentlich um ein zu sicheren und leichten Messungen besser
geeignetes Instrument zu erhalten, das für vergleichende Untersuchungen
als ein Pneumergometer dienen und als solches vielleicht auch für die
praktische Medicin nutzbar sein könnte, liess ich zunächst versuchsweise
Saugröhren von gleichmässigem Querschnitte und grösserem Rauminhalte
anfertigen. Da Glasröhren von den uöthigen Dimensionen schwer zu haben
sind, so war ich einstweilen darauf angewiesen, den Haupttheil der Appa-
rate in Form einer quadratischen Säule aus Zinkblech und Glasscheiben
zusammenfügen zu lassen. Fig. 1 giebt die Vorderansicht eines solchen
mit gewissen Nebenbestandtheilen versehenen Instrumentes. In der Mitte
Zur Mechanik des Saugens und der Inspiration.
77
zweier gegenüberliegender Seiten befindet sich
ein Längsspalt von 2 ''™ Breite, luftdicht gedeckt
durch Glasscheiben, auf denen eine aufsteigende
Centimeterscala verzeichnet ist. An den vier un-
teren Ecken sind Füsse von 2 ^"' Höhe angebracht,
deren Zwischenräume dem Wasser Einlass ge-
währen. Oben setzt sich der vierkantige Hohl-
körper in eine senkrechte, cyhndrische, 2 '"^ weite
Röhre fort, die am oberen Ende luftdicht zu
verschliessen ist und in passender Höhe einen
horizontalen, als Mundstück dienenden Seiten-
zweig trägt {M). Diese einfache Form genügt
für die Untersuchung der Maximalleistungen. Für
andere Zwecke sind aber noch folgende Ergäh-
zungstheile angebracht, nämlich der Sperrhahn E
und eine neben dem Hauptkörper senkrecht, und
zwar von dem Niveau seines unteren Eandes
aufsteigende, von unten aus nach Centimetern
graduirte Glasröhre [JV), von etwa 6™"* Weite
und 100 oder noch besser 130°™ Höhe, welche
oben umbiegend mittels eines durchbohrten
Pfropfens mit dem oberen Ende des Blechrohres
(0) in Verbindung steht. Die Bestimmung dieser
Nebentheile werde ich später angeben. Nehmen
wir einstweilen an, der Hahn 21 stehe offen und
O sei gänzlich verschlossen.
Auf Grund einer aus dem Obigen sich er-
gebenden Berechnung versuchte ich es zunächst
mit einem solchen Instrumente, dessen prisma-
tischer Hauptbestandtheil 36 1"™ Grundfläche hat,
und traf damit sehr annähernd das Zweckmässigste
(Instr. Nr. II). Zum Vergleiche zog ich dann
noch solche mit 100, 30 und 20 ^"^ Querschnitt
hinzu, die mit den Nummern I, III und IV be-
zeichnet sein mögen. Je kleiner der Querschnitt
ist, desto grösser muss natürlich in der Höhen-
richtung der Spielraum für die aufsteigende
Wassersäule sein; es ist deshalb im vierkantigen
Theile I 30, H 60, III 65, IV 75 <"° hoch.
Das Instrument wird bis ungefähr 1 "^ über
den Nullpunkt in gefärbtes Wasser eingesenkt,
so
m
10
60
3M
Fig. 1.
78 Leopold Auerbach:
das sich in einer weiten Schüssel befindet, so dass der äussere Wasserspiegel
während des Saugactes noch nicht um 1 '"^ sinken kann. Die zu unter-
suchende Person muss nach möglichst vollständiger Exspiration
langsam und mit stetig wachsender Anstrengung das inspiratorische Saugen
bewerkstelligen, um sprudelnde Bewegung des Wassers zu vermeiden.
Es lassen sich nun hinsichtlich der Verhältnisse bei einem solchen
Saugact theoretisch einige Formeln feststellen auf Grund der folgenden Er-
wägung. Am Ende jedes Saugactes, er sei stark oder schwach, vollständig
oder nur bis zu einem Punkte hin ausgeführt worden, wird der äussere
Luftdruck aequilibrirt theils durch das hydrostatische Gewicht der gehobenen
Wassersäule {B) theils durch die Spannung der im Innern, d. h. der noch
im Instrument und in den Lungen befindlichen Luft. Diese ist aber
verdünnt durch den Zug der Wassersäule, uud es lässt sich ihre Spannung
im Vergleich zu derjenigen der äusseren Luft ausdrücken durch das Ver-
hältniss ihres Anfangsvolumens zu ihrem Volumen am Ende des Vorganges.
Ersteres ist gleich dem Volumen der ßesidualluft {v) + demjenigen im In-
strumente, erhältlich als Product aus der Höhe desselben (/) und seinem
Querschnitt {q). Am Ende des Saugactes aber ist dieses Volumen einer-
seits vermehrt um das cubische Maass der Erweiterung des Brustraumes {v'),
anderseits vermindert um das Volumen der gehobenen Wassermasse {Hq).
Daraus ergiebt sich, den atmosphaerischen Druck mit b bezeichnet, die
Gleichung :
(1) b = H+b _^/ + ^^ ^
^ ' V + iq + V — Mq
In dieser und den folgenden Gleichungen sind immer /, q und b ohne
Weiteres bekannt. Eür b ist der gerade obwaltende Barometerstand, um-
gerechnet in Centimeter Wasserdruck einzusetzen; eventuell kann aber auch
ohne erhebliche Schädigung des Resultats b=103^^^ Wasserdruck an-
genommen werden, v sind wir berechtigt als ungefähr gleich 1400'^'='" zu
erachten.^ Ist nun auch H durch Beobachtung gefunden, so lässt sich v'
nach folgender aus der obigen Gleichung (1) abzuleitenden Formel berechnen:
(2) v' = ^(v + q{l + b-H)).
Dem möchte ich jedoch aus bestimmter Veranlassung noch Folgendes hinzu-
fügen. Gesetzt es sei // noch unbekannt, hingegen v auf irgend einem
empirischen Wege gefunden, so können wir auch H berechnen. Bei der
^ Diese Annahme entspricht dem Mittel aus den älteren, unter sich nur wenig
dififerirenden Bestimu.ungen von Hutchinson, Grehant u. Ä. Uebrigens spielt v in
allen hier folgenden Berechnungen eine wenig bedeutende Rolle, so dass selbst eine Ver-
minderung oder Vermehrung um die Hälfte die Resultate nur wenig ändert. Vgl. die
zweitnächste A-nmerkungr.
(3) 'I- 1 + " "4^- - i/(l + ' "-^-T-
ZuE Mechanik des Saugens und der Inspiration. 79
Ableitung aus (1) kommt man auf eine quadratische Gleichung und schliess-
lich auf:
hv
1
Ich versuchte nun zunächst mittels der letzten Formel im Voraus zu
berechnen, welche Maximalleistungen an meinen vier Pneumergometern zu
erwarten sein würden unter der vorläufigen, durch die Beobachtung am
Kugelheber veranlassten Voraussetzung von v = 2000. Dabei kam heraus
für I: 19-15, für 11: 50-3, für III: 60, für IV: 86 «^ Mit diesen er-
warteten Zahlen stimmen nun die Ergebnisse der an mehreren saugkräftigen
Männern angestellten Versuche, so weit sie die Instrumente I und II be-
treffen, sehr gut überein, und zwar bewegten sich die Schwankungen der
Einzelresultate nur zwischen 18 und 20, resp. 48 und 52"™. Diese üeber-
einstimmung ist zugleich hinsichtlich dieser Fälle ein Beweis für die sehr
annähernde Richtigkeit der Annahme von v' = 2000. Nicht zutreffend
hingegen erwies sich letztere an den Instrumenten III und IV. An diesen
nämlich ergab sich ein von dem erwarteten abweichendes und zwar niedri-
geres Resultat. Auch die leistungsfähigsten Individuen vermochten in diesen
engeren Röhren das Wasser im Mittel nicht höher als bis 54, resp. 62°"^
hoch anzusaugen, und diese Zahlen wurden nur in seltenen Emzelversuchen
bei enorm gesteigerter Anstrengung um einige Centimeter überschritten.
Im Mittel also ergaben sich, empirisch bestimmt, an diesen saugkräftigen
Männern folgende Werthe von R:
für Instrument I II III IV
ff= 19-2 50 54 62 ''"^ Wasserdruck.
Setzen wir diese Werthe in die obige Gleichung (2) ein, so resultiren für
die Erweiterung des Brustraumes in den vier von uns betrachteten Fällen
folgende Grössen:
für I II ni IV
v =^ 2003 1980 1800 1425 ««^
was unter Hinzuaddirung der anfänglichen Residualluft 3400, 3380, 3200
und 2825 """^ als schliesslichen Luftgehalt der Lungen ausmacht. Darüber
hinaus vermag also unter den bezeichneten Bedingungen auch ein athmungs-
kräftiges Individuum den Brustraum nicht oder doch nur ausnahmsweise
ein wenig zu erweitern. Das Quantum der eingeathmeten Luft bleibt dem-
nach sehr bedeutend hinter der bekannten vitalen Capacität von 3000 —
4500 ''<=™ zurück, und um so mehr, je kleiner der Querschnitt der Saugröhre,
und je höher damit die Wassersäule ist, die gehoben werden muss.
Diese Erfahrungen sind lehrreich. Es ist ja schon aus allgemeinen Er-
wägungen zu schliessen, dass eine volle Ausnutzung der vitalen Capacität
80 Leopold Aueebaoh :
nur dann möglich sein wird, wenn keine erhebliche äussere Erschwerung
entgegensteht. Da mit der steigenden Erweiterung des Brustraumes zugleich
die elastischen Widerstände der Lungen, Knorpel, Bauchmuskeln und anderer
Körpertheile, sagen wir allgemeiner der inneren Widerstände des Inspirations-
apparates progressiv wachsen, so wird, wenn ausserdem ein äusserer, gleich-
zeitig wachsender Widerstand vorhanden ist, schon viel früher ein Grenz-
verhältniss eintreten, in welchem die Summe der inneren und äusseren
Widerstände der Kraft der Inspirationsmuskeln das Gleichgewicht hält, und
zwar um so früher, je schneller der äussere Widerstand wächst. Letzteres
ist in unseren Versuchen um so mehr der Fall, je kleiner die Lichtung
der Röhre ist und je höher in Folge dessen das Wasser steigen muss, und
um so kleiner fällt also auch die schhessliche Erweiterung des Brustraumes
aus. Diese ist bei Benutzung der üblichen engen Manometerröhren über-
haupt nur eine minimale, und es werden gerade dadurch die höchsten
hydrostatischen Werthe des Inspirationsdruckes gefunden.
Durch meine obigen Versuche sind aber für diese Verhältnisse einzelne
bestimmte Maasse ermittelt worden. Es hat sich gezeigt, dass bei einer
Erweiterung um 1425°"'" in der Regel eben noch eine Wassersäule von
62"™ getragen werden kann, welche jedoch weiteren Fortschritt der Inspi-
rationsbewegung hemmt. Dasselbe thun 54"'" Wasser, wenn ca. 1800""™
Luft eingeathmet worden sind. Nach Einathmung von ca. 2000 ""™ kann im
Mittel noch eine Wassersäule bis zu 50, höchstens aber 52""" Höhe be-
wältigt werden, womit ja auch die Beobachtungen am Kugelheber überein-
stimmen. Mit der Erweiterung um 2000 ""™ oder wenig mehr scheint aber
überhaupt eine Grenze erreicht zu sein, welche nicht erheblich überschritten
werden kann, wenn noch irgend eine äussere Last gehalten werden soll.
Wenigstens kann man dies aus den Beobachtungen mit der weiten Röhre I
folgern, die ebenfalls nicht mehr als 2000 für v' ergeben, obwohl nur 19 "™
Wasser zu halten sind. Es mögen eben jenseits der entsprechenden Thorax-
stellung die inneren Widerstände zu rapide anwachsen.
Nach diesen Ermittelungen seien zunächst noch kurz die Grade der
Verdünnung der Innenluft in den obigen Versuchen charakterisirt. Schon
aus den Höhen der gehobenen Wassersäulen ist sofort ersichtlich, dass die
wirkliche Verdünnung etwa 10 — 40 mal grösser ist als bei freiem Athmen.
Der absolute Werth aber der betreffenden Luftspannungen, den äusseren
Luftdruck = 1 gesetzt, lässt sich auf doppelte Art bestimmen, sowohl durch
Berechnung des Ausdrucks — j — , wie auch nach der oben begründeten
Formel , .'" , — f ^j- • Auf beide Arten ergiebt sich übereinstimmend für
das Ende jedes einzelnen Saugacts in den obigen Versuchen:
Zur Mechanik des Saügens und der Inspiration. 81
für I
II
ni
IV
Die Spannung = 0'981
0-950
0-947
0-940, also
eine Verdünnung um l-O^/^
5%
5-37p
67o-
Diese absolut betrachtet nur geringen Verdünnungen der lunenluft ver-
ursachen wohl ein Gefühl der Spannung im Trommelfell; irgend eine andere
unangenehme Nachwirkung habe ich jedoch niemals, weder an mir selbst
noch an anderen Versuchspersonen erfahren, dank der kurzen Zeitdauer
der Einzelversuche. Der höchste innere Wasserstand hält nämhch nur
1 bis 2 Secunden an; die Kraft der Athmungsmuskeln ist dann so weit
erschöpft, dass der Thorax wieder zusammensinkt und das Wasser rapide
zurückfällt. Nur dadurch vermögen geübte Personen bei passender Form
des Mundstücks den höchsten Wasserstand längere Zeit zu erhalten, dass
sie die Oeffnung des Mundstücks mit der Zunge verschliessen , worauf ja
der Athmungsapparat entlastet ist und übrigens unter Lüftung des Gaumen-
segels sofort in Expirationsstellung übergeht. Ob hingegen von einer längeren
Einwirkung derartig verdünnter Innenluft nicht üble Folgen, namentlich für
die Lungen, zu befürchten sein könnten, ist eine andere Frage, die meines
Erachtens mindestens zur Vorsicht Veranlassung giebt, nicht bloss bei diesen,
sondern auch überhaupt bei pneumatometrischen Untersuchungen.
Was nun aber denjenigen Punkt anbetrifft, wegen dessen ich ursprüng-
lich die Versuche mit solchen Pneumergometern unternommen hatte, näm-
lich die durch inspiratorisches Saugen zu leistende Arbeit, bestimmbar durch
einfache und vergleichbare Messungen, so sind solche ja bei Anwendung
immer ein und desselben Instruments ohne Weiteres zu erlangen. Die
Arbeit berechnet sich als Product aus der mittleren, d. h. hier wegen des
gleichmässigen Querschnitts der halben Hubhöhe mit dem Gewichte der
gehobenen Wassermenge, das so viele Gramm beträgt, als in dem Volumen
Cubikcentimeter enthalten sind. Es ist also Z = J- . Dies ergiebt:
für I II III IV
i;= 0-18 0-45 0-44 0-38 Meter-Kilogramm.
Es ist also die Arbeitsleistung am grössten bei dem Instrument Nr. II,
während sie sowohl nach I wie nach IV hin abnimmt. Da überdies der
Unterschied in den Dimensionen zwischen 11 und III nur klein ist, so folgt,
dass sehr nahe bei Sß"*"" derjenige Querschnitt liegen muss, welcher die
vortheilhafteste Bedingung liefert, und ich würde für Untersuchungen über
das Maximum individueller Leistungsfähigkeit einem Instrumente von den
Dimensionen des oben sub II angeführten den Vorzug geben, um so mehr,
als dabei das anscheinend absolute Maximum von 2000°°"^ ohne Ueber-
anstrengung erreicht wird.
Archiv f. A. u. Ph. 1888. Physiol. Abthlg-. 6
82 Leopold Aueebach:
Beiläufig hat sich auch gezeigt, dass die Arbeitsleistungen mit
solchen in ihrem Haupttheile gleichmässig weiten Eöhren weit hinter
denen zurückbleiben, die mit dem Kugelheber zu erzielen sind,
bei welchem sich ja das Maximum bis zu 1 • 3 Meter-Kilogramm erhob.
Dies ist auch bei näherer TJeberlegung wohl begreiflich. Es ist nämlich
in der uns jetzt beschäftigenden Beziehung ein Vorzug des Kugelhebers,
dass der grösste Theil der maximalen Wassermenge in die oberste Region
des Instruments hinauf befördert und damit die mittlere Hubhöhe ver-
grössert wird. Letzteres Moment allein bedingt den erhöhten Werth
von L. Es zeigt sich also, dass die gebräuchliche Form der Saug-
heber, obwohl durch ganz andere Gründe praktischer Art veranlasst,
doch auch hinsichtlich der physiologischen Erage des möghchen Maximums
der inspiratorischen Arbeitsleistung so ziemlich die vortheilhaf teste ist, die
man wählen könnte. Für vergleichende Messungen hingegen würde sie
grosse Unbequemlichkeit oder Ungenauigkeit der wesentlichen Bestimmungen
mit sich bringen. Da es nun für den genannten Zweck nicht auf das
absolute Maximum ankommt, so würde für denselben mein Instrument
sich viel besser eignen.
Es ist klar, dass dem Pneumergometer eine andere Aufgabe zukommt
als der üblichen Pneumatometrie mit engen Manometerröhren. Letztere
misst die Kraft, welche die Inspirationsmusculatur im Beginne der Ein-
athmung, also nahe der Exspirationsstellung zu entwickeln vermag. Sie
liefert deshalb auch die grössten hydrostatischen Werthe; dagegen vermag
sie, weil das Quantum der gehobenen Flüssigkeit ein minimales und über-
dies unbestimmtes ist, über die Arbeitsleistung, deren der inspiratorische
Apparat fähig ist, nichts auszusagen. Das Pneumergometer hingegen misst
diejenige Kraft, welche in einer gewissen, ziemlich weit getriebenen Inspi-
rationsstellung neben der TJeberwindung der inneren Widerstände noch nach
aussen hin entwickelt wird, bezeichnet so ebenfalls einen Grenzwerth, der
individuell verschieden ausfallen wird, und enthält überdies die Bedingungen
zur vergleichenden Bestimmung der inspiratorischen Arbeitsleistung, deren
verschiedene Individuen fähig sind.^
Ferner würde man damit auch die Curve des Anwachsens der inneren
Widerstände feststellen können, und zwar nach Wahl auf zweifachem Wege,
nämlich entweder durch Prüfung jedes Individuums mit einer grösseren
Reihe in ihrem Querschnitt abgestufter Instrumente auf die Maximalleistung
^ Die hier erwälinten Leistungen am Pneumergometer wurden alle bei offenen
Nasenlöchern geliefert. Bei Ausdehnung derartiger Versuche auf weniger geübte
und schwächere Menschen würde aber eine Zuklemmung der Nase nötbig sein und
sich der Gleichmässigkeit wegen allgemein empfehlen, aus Gründen, die ich im letzten
Abschnitte näher entwickeln werde.
ZuE Mechanik des Saugens und der Inspieation, 83
oder noch bequemer ausschliesslich mit dem Instrument Nr. II nach An-
bringung der oben auf S. 77 angegebenen Ergänzungstheile. Ist der Hahn R
geschlossen, so kann die Parallelröhre bei genügender Höhe als einfaches
Wasser-Pneumatometer dienen, also den nahe der Exspirationsstellung er-
reichbaren negativen Druck angeben. War er im Anfange geöffnet, so
kann ihn der Beobachter in jedem beliebigen Momente desSaugacts schliessen.
Das Wasser in der Hauptröhre kommt damit zum Stehen, und seine Höhe
dient als Grundlage für die Berechnung von v, während in der Nebenröhre
durch die fortdauernde inspiratorische Anstrengung das Wasser bis zu dem
der betreffenden Thoraxstellung entsprechenden Höhepunkte ansteigt, ohne
bei der engen Lichtung dieser Röhre den Betrag von v in nennenswerthem
Grade zu erhöhen. So kann man für jeden Grad der Erweiterung des
Brustraumes die dabei noch erübrigte Inspirationskraft bestimmen. Durch
Ausdehnung dieser Untersuchung auf viele Individuen würde man sowohl
die normale Form jener Curve wie auch die etwa durch Lebensalter, Ge-
schlecht, pathologische Zustände bedingten Abweichungen erforschen können.
Bei der Berechnung von v brauchte, so weit es sich um gesunde erwachsene
Personen handelt, die Einsetzung des Durchschnittsmaasses von 1400 ''°™
für V kein Bedenken zu erregen, da eine Abweichung um mehr als 700 «"'"^
wohl kaum vorkommen dürfte^ und eine innerhalb dieses Spielraumes
liegende Differenz das Endresultat nicht bedeutend verändert, wie eine
nähere Betrachtung oder Ausrechnung der obigen Gleichung (2) leicht zeigt.
Für unerwachsene Personen oder in pathologischen Fällen müsste freilich
unter Umständen ein entsprechend abgeänderter Betrag für v eingestellt
werden, wobei jedoch aus dem eben erwähnten Grunde ein Fehler von ein
paar 100 """^ wieder nicht von Belang sein würde. Falls die Parallelröhre
mit benutzt wird, kann man, um möglichst genau zu rechnen, den Luft-
gehalt derselben, im Betrage von etwa 80 '^'"^ zu Iq hinzuaddiren. In so
weit übrigens die Zahl 1400 für v angenommen werden kann, bedarf es
gar nicht einmal einer jedesmaligen Ausrechnung von v nach der bewussten
Formel; denn es zeigt sich bei der Berechnung für eine Anzahl Stufen
von H, dass sich für jedes Pneumergometer von irgend welchem Quer-
schnitt ein für allemal ein Coefficient ermitteln lässt, der mit H multipli-
cirt V ergiebt. Zwar steigt dieser Coefficient mit H successive etwas an.
^ Waldenburg's Berechnung {Zeitschrift für Jclinische Medicin. Bd. I), welche
auf den hohen Betrag von 9000—13 000'^'^'" hinauslief, ist schon von Speck {Deutsches
Archiv für klinische Medicin, Bd. XXXIII) mit guten Gründen widerlegt worden.
Andererseits schätzte Vierordt die Eesidualluft auf nur- 600 '^<=™ und hat ihr auch
Pflüg er (sein Archiv u. s. w., Bd. XXIX) nur ein Volumen von 400—700 '^'=™ zuerkannt.
Sollte dies richtig sein, so würde dadurch gleichwohl v nur um ein paar Procent,
z. B. von 1980 auf 1945—1930 reducirt werden.
b4 Leopold Auerbach:
jedoch um so geringe Bruchtheile , dass diese vernaclilässigt werden
dürfen und es genügt, sich an den mittleren Werth des Coefficienten zu
halten. Dieser beträgt z. B. für mein Instrument I: 104.2, für II: 39 «5,
für III: 33-3, für IV: 22-9. Durch Multiplication dieser Zahlen mit dem
jedesmal gefundenen Werthe von H gestaltet sich die Bestimmung von v
höchst einfach. Sie ist aber, wie ich nochmals hervorheben möchte, keines-
wegs zu ersetzen durch das Volumen der eingeathmeten Luft, welches
gleich ist demjenigen der gehobenen Wassermasse {Hq), weil ein Theil der
Erweiterung des Brustraumes zur Verdünnug der Innenluft verbraucht
wird. Das Maass dieser Differenz mag daraus hervorgehen, dass bei den
erwähnten maximalen Hebungen Hq:v' sich verhält bei I allerdings nur
wie 1920:2004, hingegen bei II wie 1800:1990, bei III wie 1620:1810,
bei IV wie 1240:1430, so dass bei den drei letztgenannten Röhren jedes-
mal eine Differenz von 190""™ auftritt, eine Gleichmässigkeit, die wohl mehr
zufällig ist und gegenüber der in der Keihe von I — IV abnehmenden Ge-
sammtmenge der Innenluft {Iq + v, nämlich 4500, 3660, 3450, 3000 ''^■^)
eine steigende Verdünnung bedeutet.
Weiter unten, nämlich im letzten Abschnitte dieser Arbeit, werde ich
nachweisen, dass bei dieser Form der Versuche eine Steigerung jedes Einzel-
resultats durch Mitwirkung der Mundsaugeorgane, auch wenn letztere statt-
findet, doch nicht zu fürchten ist, und dass sie schlimmsten Falls nur ganz
unbedeutend sein könnte. Immerhin könnte man, falls man diesen Fehler
dennoch besorgt, statt das obere Rohr direct in den Mund nehmen zu lassen,
meinen noch zu beschreibenden Saugspiegel oder die Waidenburg 'sehe
Mundnasenmaske einschalten. — Eine genügende Reihe systematischer
Untersuchungen in diesem Sinne habe ich selbst noch nicht anstellen können
und wollte hier nur einen Plan dazu entwickelt haben. ^
^ Eine gewisse Verwandtschaft mit meinem oben dargelegten Messuugsverfahren
bietet diejenige pneumatometrisebe Methode dar, welche Biedert erfunden hat, dessen
bezügliche Abhandlung (Berliner klinische Wochenschrift. 1880. S. 245 ff. und S. 258 ff.
Vergl. auch Archiv für klinische Medicin. 1876. Bd. XVII. S. 164 ff. und 1878.
Bd. XVIII. S. 115 ff.) ich erst nach Abschluss dieser Arbeit kennen lernte. Biedert
lässt von der Mundmaske ein gabelig verzweigtes Eohr ausgehen , dessen einer Zweig
mit einem Hg-Manometer, der andere mit einem Spirometer in Verbindung steht. In
den letzteren Zweig ist ein Stück Gummischlauch eingeschaltet, das durch einen
Quetschhahn versperrt werden kann. Er lässt nun zunächst aus dem aequilibrirten
Spirometer irgend eine Quantität Luft einathmen und sperrt dann plötzlich die Luft-
zuleitungsröhre, worauf die weitergehende Inspirationsbemühung das Quecksilber im
Manometer hebt. Diese Modification bezeichnet meines Erachtens einen wesentlichen
Fortschritt der Pneumatometrie; nur ist es nicht ganz correct, wenn Biedert einfach
das Volumen der eingeathmeten Luft einsetzt, da auch am Ende jedes seiner Versuche
eine Verdünnung der Inneuluft stattgefunden haben muss, welche ein Plus, und zwar
unter Umständen von ein paar Hundert Cubikcentimetern bedingt, wie ich oben nach-
ZuK Mechanik des Saügens und der Inspiration. 85
Nächstdem aber dürfte sich das Pneumergometer, in besonderen Fällen
vorsichtig angewandt, auch als Mittel zur methodischen Uel)ung und suc-
cessiven Kräftigung des Inspirationsapparates benützen lassen, öfter noch
zur Controlirung des Erfolgs irgend welcher anderen zu jenen Zwecke an-
gewandten Behandlung.
Aus allem Voranstehendeu aber hat sich genügend herausgestellt,
dass es nicht bloss überhaupt ein inspiratorisches Saugen giebt.
gewiesen habe. Abgesehen hiervon hat Biedert's Methode mit der raeinigen das Ge-
meinschaftliche, dass nicht bloss eine inspiratorische Anstrengung mit minimaler Ex-
cursion der Bewegungsorgane, sondern eine wirkliche und ausgiebige Einathmuug ge-
macht und die am Ende derselben noch verfügbare Kraft gemessen wird. Hingegen
wird mit Biedert's Methode nicht zugleich, wie das bei der meinigeu der Fall ist,
die geleistete Arbeit bestimmt. Ausserdem dürfte mein Pneumergometer folgende Vor-
theile für sich haben: erstens, dass der ganze Inspirationsact ein einheitlicher und
gleichartiger mit allmählich steigender Schwierigkeit ist, während nach Biedert die
Versuchsperson von freier und widerstandsloser Luftathmung plötzlich zur Hebung des
Quecksilbers übergehen muss, was einerseits leicht ein zu schnelles Steigen des Hg
verursachen kann, andererseits durchaus die Anwendung der Mundnasenmaske nöthig
machen würde, weil die plötzlich eintretende Schwierigkeit zu leicht veranlassen dürfte,
vom Inspiriren zu reinem Mundsaugen überzugehen; zweitens dass eine Ungenauig-
keit in der Ablesung, die wegen der kurzen zu Gebote stehenden Zeit von 1 — 3 Se-
cunden leicht möglich ist, bei meinem Instrument nicht entfernt so bedeutend in's Ge-
wicht fällt, wie beim zweischenkligen Hg-Manometer; drittens, dass mein Pneumergo-
meter ein sehr einfaches, leicht transportables und billig herzustellendes Ge-
räth ist. Demgegenüber hat allerdings Biedert's Apparat den Vorzug, auch auf die
Messung der Exspirationskraft, und zwar in allen Phasen der Exspiration anwendbar
zu sein. Vielleicht würde dieser letztere Zweck auch durch ein U-förmig gestaltetes
Pneumergometer auf verhältnissmässig einfache Art zu erreichen sein; ich verzichte
jedoch hierauf an dieser Stelle näher einzugehen. — Erwähnen muss ich aber noch,
dass in einem Punkte Biedert's Beobachtung einem meiner Ergebnisse stark wider-
spricht. Biedert fand an sich selbst nach Einathmung von 2000 ccm Luft einen In-
spirationsdruek von 65"'"° Hg, nach 3000 noch SS"""", sogar nach 3500 noch 10"™,
während ich ja bei wenig mehr als 2000 '^''^ eine unübersteigliche Grenze gefunden
habe. Ob nun wirklich so grosse individuelle Abweichungen vorkommen, oder ob eine
der beiden Methoden mit einer wesentlichen Fehlerquelle behaftet ist, wird noch zu
untersuchen sein. Dass bei meinem Verfahren die Ermüdung, die allerdings während
des Saugactes sich entwickelt, an der Begrenzung der Leistung Schuld habe, kann ich
deshalb nicht glauben, weil diese Begrenzung fast ganz ebenso auch bei dem Instrument I
eintritt, nachdem nur 19 "^^ Wasser gehoben worden. Ich bin vorläufig eher geneigt zu
glauben, dass vielleicht trotz aller Vorsicht Biedert's die eben bezeichneten Uebelstände
seines Verfahrens zu hohe Ergebnisse herbeigeführt haben könnten, um so mehr wenn
Biedert, wie es den Anschein hat, sich bei diesen Versuchen einer Mundmaske und nicht der
Mundnasenmaske bedient hat, deren Vorzüge er selbst mit Eecht hervorgehoben hatte.
(Vgl. den letzten Abschn.) Dies will ich jedoch dahingestellt sein lassen; eine definitive Ent-
scheidung über den fraglichen Punkt würden erst weitere Untersuchungen liefern können.
Leopold Aueebach:
sondern dass für das Ansaugen von Flüssigkeiten der Thorax
sogar ein überaus wirksamer, ja offenbar der mächtigste Motor
ist, welcher dem menschlichen Körper zu Gebote steht. Gerade
deshalb tritt er als solcher immer dann ein, wenn es gilt, mit einem ein-
zigen Saugzuge eine grosse Arbeit zu leisten.
Uebrigens kommen auch im alltäglichen Leben einzelne andere inspi-
ratorische Saugacte vor. Hierher gehört namentlich das sogenannte Schlürfen,
wie es gewöhnlich bei heissen oder aus anderen Gründen nur in geringer
Quantität einzuziehenden Getränken bewerkstelligt wird. Dies ist durch
Selbstbeobachtung leicht zu constatiren und auch schon von anderen Seiten
richtig hervorgehoben worden. Dabei muss jedoch bemerkt werden, dass
nicht jedes Schlürfen auf inspiratorischem Wege erfolgt. Das Charak-
teristische desselben liegt zunächst nur darin, dass die Mundöffaung nicht
gänzlich durch die Flüssigkeit geschlossen wird, und dass in Folge dessen
neben der Flüssigkeit zugleich Luft unter Erzeugung eines Geräusches in
die Mundhöhle eindringt. Letzteres kann aber ebenso dann der Fall sein,
wenn der Saugact selbst ohne alle Bewegung der Lungen bewerkstelligt
wird. So geschieht es bei dem geräuschvollen Saufen mancher Thiere,
z. B. einzelner, obwohl nicht aller Pferde. Gerade für diese Species aber
ist der nicht inspiratorische Charakter des Vorgangs durch einen Versuch
von Poncet^ bewiesen. Er machte an einem Pferde die Tracheotomie
und legte eine Canüle derart ein, dass die Athmung nur durch diese von
Statten ging, während die Communication mit dem Kehlkopf versperrt war.
Trotzdem konnte das Thier unbehindert und in seiner gewöhnlichen Weise
weiter saufen, womit dargethan ist, dass an letzterem Acte die Athmung
gar nicht betheiligt ist. Und letzteres gilt eben so von der gewöhnlichen
menschlichen Art des Trinkens.
Wenn nämlich auch nach Obigem beim Saugen an geräumigen Röhren
so Avie bei jener vorsichtigen Art des Trinkens, die wir Schlürfen nennen,
im Wesentlichen durch die Erweiterung des Brustraumes der Erfolg her-
beigeführt wird, so ist es doch auf der anderen Seite gänzlich verfehlt,
wie es von mehreren Seiten noch neuerdings geschieht, die Inspiration als
den einzigen oder auch nur hauptsächlichen Modus des Saugens hinzu-
stellen. Am wenigsten begreiflich ist mir, wie man diese Ansicht sogar
auf die gewöhnliche Art des menschlichen Trinkens hat anwenden können.
Schon a -priori lässt eine nähere Ueberlegung eine solche Art des Vor-
gangs als unglaublich erscheinen wegen der grossen und bei der aufrechten
Stellung des Menschen kaum zu vermeidenden Gefahr des Eindringens der
Flüssigkeit in den Kehlkopf und die tieferen Luftwege. Aber auch die
■^ Vergl. die Anmerkung auf S. 60.
ZüE Mechanik des Saügens und der Inspiration. 87
BeobachtuDg beweist direct und in einfachster Weise das Gegentlieil. So-
wohl an sich selbst wie au anderen Personen kann mau leicht constatiren,
dass während des Trinkens nicht die geringste Athembewegung zu geschehen
braucht, dass sogar während längerer Dauer desselben in der Regel die
Athmung ganz ruht, dass man aber andererseits sehr wohl im Stande ist,
während des Einsaugens von Flüssigkeit in den Mund gleichzeitig durch
die Nase zu inspiriren, ohne dass von der flüssigen Substanz irgend etwas
in den Kehlkopf hineingeräth , womit sich zugleich zeigt, dass bei diesem
Acte die Mundhöhle gegen die Luftwege abgesperrt ist.
IV. Muudsaugeu im Allgemeinen.
Es ist nämlich beim Trinken der Erwachsenen wie der Säuglinge,
beim Rauchen und vielen anderen Saugacten kleineren Maassstabes im
Körper des Saugenden selbst nur die Mundhöhle, in welcher die Luftver-
dünnung erzeugt wird, und zwar durch die Thätigkeit der in diesem Räume
selbst und in seiner näheren Umgebung gelegenen Bewegungsorgane. Wir
werden im Folgenden mehrere dabei in Betracht kommende Mechanismen
näher untersuchen, die entweder jeder für sich oder combinirt zur Wirk-
samkeit gelangen. Vorerst aber möchte ich noch eine von mir angestellte
allgemeine Ermittelung anführen, betreffend dasMaass der Erweiterungs-
fähigkeit der Mundhöhle beim Saugen und damit auch das maximale
Volumen des möglicherweise mit einem Zuge in den Mund Aufzunehmenden.
Insofern die Erweiterung dann am Grössten wird ausfallen können, wenn
anfangs der möglichst kleinste lufthaltige Hohlraum vorhanden war, so
kommt dabei in Betracht, dass bekanntlich ^ bei geschlossenem Munde der
Rücken der Zunge meistens fast ganz dem harten und weichen Gaumen
anliegt, so dass nur ein minimaler Luftraum über dem Spitzentheil und
über der Wurzel der Zunge und eventuell auch nicht dieser vorhanden ist.
Es wird also nach der Erweiterung die schliessliche Grösse des Innenraums
fast ganz auf Rechnung der Erweiterung selbst zu setzen sein. Die frag-
liche Grösse ermittelte ich nun einfach dadurch, dass ich eine Anzahl er-
wachsener Männer bei anfangs an einander geschlossenen Kiefern ein ge-
fülltes Glas Wasser zwischen die Lippen nehmen liess und sie aufforderte,
so viel Wasser als möglich in den Mund zu ziehen. Das eingesogene
Wasser wurde dann ausgespieen und sein Volumen bestimmt. Die Resul-
tate fielen sehr gleichmässsig aus, nicht bloss bei jeder einzelnen Person
^ Vergl. Metzger und Donders, Pflüger's ArcJiiva.. s. w. 1875. Bd. X. —
Henle, Handbuch der Eingeioeidelehre. 1866. S. 78 und 79.
88 Leopold Aueebach:
sondern auch im Allgemeinen, indem sich die individuellen Maxima nur
zwischen 74 und 82 "™ bewegten, am häufigsten aber sich nur wenig von
dem resultirenden Mittel von 7 7 "^^"^ entfernten. Ich selbst brachte es ge-
wöhnlich auf 80 und einige Male sogar auf 82 °°% wahrscheinlich in Eolge
meiner durch die Versuche selbst erlangten grösseren Uebung hinsichtlich
der vortheilhaftesten Anfangsstellung wie im ausgiebigen Gebrauch der be-
treffenden Muskeln.
Ganz dieselben Werthe aber erhielt ich sowohl an mir selbst wie an
anderen Individuen auch dann, wenn das Wasser nicht unmittelbar in den
Mund sondern in einer mit Mundstück verseheneu cylindrischen Glasröhre
von 33 "^^ lichtem Durchmesser in die Höhe gesaugt wurde, in welcher es
auf ca. 9 ""^ anstieg.
Wenn man hingegen dieselben Versuche mit dem kleineren Heber
der Küfer, dem sogenannten Stechheber wiederholt, so fällt das Resultat
immer viel niedriger aus und bleibt sogar immer unter der Hälfte zurück.
Dieses Minus ist mittelbar verursacht durch die Enge des unteren Theils
des Instruments; diese bedingt nämlich ein schwierigeres Aufsteigen des
AVassers und eine schliessliche Höhe der Wassersäule von ca. 80 '"^. Unter
diesen Umständen wird während des Saugens das kleine Quantum der vor-
handenen Innenluft derart verdünnt, dass die Wangen tief eingedrückt
werden. Diese Einbuchtung der Wangen vermindert aber den inneren
Raum um ein relativ Bedeutendes und kann während des Saugeus nicht
wieder rückgängig gemacht werden und überhaupt nicht, so lange der Ver-
schluss des Innenraumes andauert; denn die Wangen selbst besitzen, wie
oben bewiesen wurde, keine activen Erweiterungsmittel, und ihre Elasticität
ist einer Wassersäule von 30°™ nicht gewachsen. Auch beim inspirato-
rischen Saugen geschieht ja Aehnliches; es ist aber dann die hierdurch
verursachte Raumverminderung verschwindend klein im Verhältniss zu der
grossen Menge der Lungenluft und der noch grösseren der gesammten
Innenluft und kann deshalb den Erfolg nicht merklich beeinträchtigen.
Ganz anders wieder liegen die Verhältnisse beim Mund-Saugen an Mano-
meterröhren mit deren geringer Lichtung; unter dieser Bedingung wird,
wie ich das später noch genauer besprechen werde, in der Mundhöhle ein
kleiner und derartig begrenzter Saugraum gebildet, dass Aveder die Wangen
noch das Gaumensegel in ihn eindringen können, und es werden dann
die grössten hydrostatischen Widerstände überwältigt. In unserm jetzigen
Falle des Mundsaugens hingegen, und in allen ähnlichen, in denen es auf
ein möglichst grosses Volumen angesaugter Substanz abgesehen ist, muss
ja der Versuch gemacht werden, möglichst den ganzen Raum der Mund-
höhle auszunützen, und Avenn dabei ein grösserer hydrostatischer Widerstand
sich entwickelt, so hat das eben zur Folge, dass die biegsamen Theile der
Zun Mechanik des Saügens und der Inspieation. 89
Mimdhöhlenwandung sich einstülpen und damit, wie wir sahen, reichlich
die Hälfte der Anstrengung unnütz machen. Diese im zweiten Ab-
schnitte schon im Allgemeinen charakterisirte Nebenwirkung ist in solchen
besonderen Fällen messbar und durch dieses Maass ihre Bedeutung noch
mehr veranschaulicht.
Wo aber eine solche Beeinträchtigung des Erfolges vermieden wird,
kann nach Obigem die Raumbildung zum Einsaugen von Flüssigheit in der
MundhcMe erwachsener Männer 77 und in einzelnen Fällen bis 83'='='"
erreichen.
An dieser Leistung sind aber zwei der im Folgenden zu besprechenden,
von einander unabhängigen Factoren in combinirter Weise betheiligt, und
wir werden den Antheil, den jeder derselben am Gesammterfolge hat, be-
stimmen können.
V. Herabziehen des Unterkiefers.
Das einfachste und primitivste Mittel nun, die Mundhöhle zu erweitern,
ist das, dass bei versperrter Mundöffnung der Unterkiefer abwärts bewegt wird,
wobei er die ihm mittelbar adhaerirende Zunge mitnimmt und so den freien
Innenraum der Mundhöhle, d. h. den Raum zwischen Zungenrücken und
Gaumen vergrössert oder eventuell durch Losreissen der Zunge vom Gaumen
neu schafft. Letzteres erfolgt, falls Luft eintritt, meist plötzlich mit einem
Geräusch, ähnlich dem beim gewöhnlichen Schnalzen, während tropfbare
Flüssigkeiten, um die es sich ja meistens handelt, geräuschlos in den neu
hergestellten Raum eindringen.
Als primitives Saugverfahren kann und muss man diesen einfachen,
durch nichts Anderes wesentlich unterstützten Mechanismus deshalb be-
zeichnen, weil er der erste ist, welchen das neugeborene Kind anwendet,
übrigens auch während des grösseren Theils des Säuglingsalters als aus-
schliessliches und noch lange nachher als vorherrschendes Mittel zum Saugen
verwendet. Mit Recht hat sich schon vor einigen Jahren Yierordt^ nach
Studien an Säuglingen in diesem Sinne, und zwar sehr exclusiv ausge-
sprochen, indem er schrieb: „Die nothwendige Luftverdünnung wird allein
durch eine Abwärtsbewegung des Unterkiefers hergestellt, welche die Mund-
höhle im senkrechten Durchmesser ausgiebig vergrössert." Für das Kindes-
und besonders das Säuglingsalter muss ich nun diese Ansicht nach eigenen
Beobachtungen als im Wesentlichen zutreffend anerkennen. Insofern jedoch
dieselbe Ansicht auf das Saugen der Erwachsenen ang-ewandt wird — und
1 A. a. 0. Vgl. die Anm. auf S. 60.
90 Leopold Aueebach:
das ist nicht selten der Fall ^ — muss ich sie als unhaltbar bezeichnen,
und selbst für das Kindesalter bedarf die Darstellung Vierordt's einer
gewissen Einschränkung. Nach meinen bezüglichen Erfahrungen ist sie
ganz richtig für Säuglinge in den ersten vier bis fünf Lebensmonaten;
wenigstens kann man aus dem Fehlen gewisser, weiter unten zu beschrei-
benden Erscheinungen mit gutem Grunde schliessen, dass eben nur die
sichtbare Bewegung des Unterkiefers eine Rolle spielt. Annähernd eben
so verhält sich aber die Sache noch im späteren Säuglingsalter, und auch
bei Kindern im zweiten und selbst im dritten Lebensjahre kann man,
vrenn sie trinken, sei es aus einer Saugflasche oder einem offenen Gefässe,
noch vielfach das lebhafte und kräftige Spiel des Unterkiefers beobachten.
Zu diesem aber gesellt sich immer deutlicher ein anderer Mechanismus
und gewinnt allmählich die Oberhand, während die Mitbewegung des Unter-
kiefers geringer wird und sich schliesslich derart verliert, dass sie für ge-
wöhnlich ganz ausfällt. Der erwachsene Mensch vermeidet möglichst, nament-
lich auch beim Trinken, wenn dieses in gemessener und sittsamer Weise
geschieht, die Mitbenutung des Unterkiefers. Dass er diese ganz entbehren
kann, beweisen am Besten die Fälle, wo das Saugobject zwischen den
Zähnen gehalten wird, wäe so häufig beim Rauchen. Nur zu besonderer
Verstärkung des Effects, wenn die Absiclit bestimmend ist, mit einem Zuge
möglichst viel in den Mund einzuziehen, wird jenes Hülfsmittel zuweilen
noch hinzugefügt.
Das Plus aber, welches damit gewonnen wird, ist nicht so gross, wie
mau vielleicht vermuthen könnte. Direct lässt sich die bezügliche Leistung
der Unterkieferbewegung hinsichtlich des Volumens nicht bestimmen, weil
beim Erw^achsenen sich zu leicht gewohnheitsmässig eine Mitwirkung anderer
Saugorgane des Mundes einmischt. Wohl aber lässt sich die Unterkiefer-
bewegung unter Umständen sicher und vollständig eliminiren und so
indirect die fragliche Grösse ermitteln. Lideni ich diese Modification in die
beiden im vorigen Abschnitte beschriebenen Verfahrungsarten , die Er-
weiterung der Mundhöhle zu messen, einführte, konnte ich vergleichbare
Ergebnisse erhalten. Ich liess nämlich eine Anzahl Personen mit oberen,
vorderen Zahnlücken unter Feststellung des Unterkiefers in seiner an die
1 Nachträglich finde ich, dass schon vor Vierordt's Puhlication Biedert in
seinen oben erwähnten Abhandlungen ganz dieselbe Ansicht mit Anwendung auf er-
wachsene Personen, dass also ausschliesslich Herabziehung des Unterkiefers die Luft-
verdüunung beim Mundsaugen bewirke, sehr bestimmt und wiederholt ausgesprochen
und daraus auch praktische Consequeuzen gezogen hat, auf die ich im letzten Abschnitte
dieser Abhandlung noch zurückkomme. — Auch in dem anderweitig gebrauchten Aus-
druck: „Senkung des Muudbodens" kann diese wohl nur als durch den Unterkiefer
vermittelt verstanden' werden.
ZuE Mechanik des Saugens und der Inspiration. 91
oberen Zähne angepressten Lage Wasser in den Mund, oder andere Male
in die 33 ""^ weite Rölire einsaugen, mit der Aufforderung, das Müglicliste
zu leisten. Zur Inuehaltung des Kieferschlusses genügen bei der Selbst-
beobachtung und bei intelUgenten Versuchspersonen guter Wille und Auf-
merksamkeit; bei anderen , weniger zuverlässig erscheinenden Personen
sicherte ich die Erreichung des Zwecks durch Stützung ihres Unterkiefers
von unten her mit meiner Hand. Die Differenz des so erzielten Quantums
von demjenigen Maximum, das dieselbe Person unter Mitbenutzung des
Unterkiefers erreichen kann, ist als Beitrag des letzteren anzusehen. Eine
Täuschung durch Einmischung inspiratorischen Saugens ist nicht zu fürchten.
Und zwar ist dieses beim Einsaugen der Flüssigkeit direct in den Mund
eo ipso ausgeschlossen, was schon oben und noch mehr im weiteren Ver-
laufe dieser Darstellung genügend begründet ist. Bei Parallelversuchen
mit der Saugröhre ist die Sache so, dass im Falle reinen Mundsaugens die
gehobenen Quanta mit den auf die erstere Weise erhaltenen überein-
stimmen, während, wenn aus Versehen im Geringsten inspiratorisches Saugen-
sich beimischt, sofort das aufsteigende Wasser weit über das erwartete
Ziel hinausschiesst und leicht mehrere 100'=°"' erreicht, falls die Röhre
lang genug ist, so dass ein solcher Versuch sofort als verfehlt zu er-
kennen ist.
Die Ergebnisse dieser Versuche nun fielen überraschend gleichmässig
aus. Es zeigte sich durchweg, dass bei derartiger Feststellung des Unter-
kiefers immer noch erheblich mehr als die Hälfte des bei seiner freien
Mitbewegung zu erreichenden Maximums augesaugt wurde. Genauer be-
stimmt waren es immer annähernd ^/g der letzteren Grösse, bei mir selbst
z. B. bO'^^"^. Im Allgemeinen beträgt also der Beitrag der Uuterkiefer-
bewegung nur ^/g der Gesammtleistung, während der grössere Rest durch
die Thätigkeit anderer benachbarter Orgaue geliefert wird.
Es ist hiernach um so leichter erklärlich, weshalb der heranwachsende
Mensch sich jene kindUche Art des Trinkens abgewöhnt. Es mag für ihn
dazu ausser einem aesthetischen Motive, der Empfindung des Unschönen
jenes Auf- und Niederklappens des Unterkiefers, wesentlich noch die Er-
fahrung bestimmend sein, dass ihm ein anderer, wirksamerer Mechanismus
zur Verfügung steht.
VI. Stempelartige Bewegung der Zunge.
Zu einem solchen soll nun nach einer vielfach gehegten Einsicht die
Zunge durch eine rückwärts gerichtete, also in sagittaler Rich-
tung nach hinten gehende Bewegung dienen, wobei diese Art ihrer
Thätigkeit mit derjenigen eines Spritzenstempels beim Einziehen der
92 Leopold Aueebach:
Flüssigkeit in die Spritze oder mit derjenigen des Kolbens einer Saug-
pumpe verglichen wird. Dabei würde also der luftverdünnte Raum als
vor der Zunge, zwischen ihrer Spitze und den Zähnen entstehend zu
denken sein. Seit einem halben Jahrhundert oder länger spielt diese Vor-
stellung in der physiologischen Litteratur eine Rolle und zwar öfters als aus-
schliessliche oder doch hauptsächhche Erklärung des Saugens, ^ und auch bei
den Praktikern ist sie sehr gewöhnhch anzutreffen.
Dennoch ist sie im Allgemeinen nicht richtig und trifft auch für ein-
zelne besondere Fälle nicht gerade das Wesentliche. Bei einer gewissen
Art Süssigkeiten zu kosten und ähnlichen kleinen Gelegenheiten kommt
wohl ein gewisses Zurückziehen der Zungenspitze vor; beim gewöhnlichen
Saugen hingegen, beim Trinken und Rauchen sagt uns unser Muskelgefühl
nichts von einem so gearteten Spiel der Zunge. Und wenn wir bedenken,
wie gering die Excursion ist, welche die Zungenspitze von den Zähnen ab
nach hinten zu machen vermag, so will diese Vorstellung auch nicht stimmen
mit der Grösse der zu erklärenden Leistung, nämlich mit den 45 — 50 '"^"^
einzusaugender Flüssigkeit. Uebrigens ist es leicht, sich von Folgendem
zu überzeugen. Man kann bei leicht geschlossenen Lippen die Zunge
kräftig nach hinten ziehen, ohne dass sich die geringste Saugwirkung auf
die Lippen oder Wangen bemerkbar macht, und wenn bei einem solchen
Versuch die etwas geöffneten Lippen in Wasser tauchen, ohne dass von
diesem das Geringste in den Mund eintritt. Wenn einmal Letzteres oder
überhaupt irgend eine Saugwirkung dennoch erfolgt, so hat sich mit der
Zurückziehung der Zungenspitze eine andersartige Bewegung verbunden,
welche das Wesentliche ist und der ersteren zur Begleitung nicht bedarf.
Es ist ja auch klar, dass die Zurückziehung so lange gar keine Saugwir-
kung ausüben kann, als sie nur in einer Gestaltveränderung des freien
Theils der Zunge besteht, da diese an sich wiederum nur eine Formver-
änderung, aber keine Vergrösserung des Luftraumes der Mundhöhle be-
dingen kann. Und aus demselben Grunde kann sie auch da, wo sie sich
hinzufindet, kaum etwas zur Verstärkung des Effects beitragen, bleibt
deshalb auch gerade bei ordentlichem kräftigem Saugen gänzlich aus, was
^ Zum Belege für die weite Verbreitung und Ausdauer dieser Meinung führe ich
zwei Stellen aus ausländischen Werken an. In Alison's Outlines of human physio-
logy, 1839 heisst es: „The act of suetion, in which by . . . . moving the tongue back-
wards and forwards after the manner of a piston, or bj* acts of inspiration, or by
these two movemeuts together, wo cause the pressure of the atmosphere to urge fluids
into the mouth. — Ferner in Beaunis: Nouveaux Elements de Physiologie humaine, 1876:
„La cavite buccale joue le röle d'un corps de porape, dont la langue constitue le piston.
La partie anterieure de la langue se porte en arriere, eu faisant le vide
autour du mamelon.'* — Aber auch in einzelneu sonst vortrefflichen deutschen Lehr-
büchern der letzten Jahre ist dieselbe Ansicht vertreten.
ZuE Mechanik des Saügens und dee Inspieation. 93
uns nicht bloss unsere Empfindung lehrt, sondern auch objectiv, und zwar
durch ein weiter unten zu beschreibendes Hülfsmittel, das die bezüglichen
Vorgänge direct dem Auge wahrnehmbar macht, leicht zu bestätigen und
zweifellos festzustellen ist.
VII. Die Darstellung von Donders und der wahre Ort des
Saugraumes.
Kückwärtsbewegung der Zunge bildet nun auch einen wesentlichen
Bestandtheil der von Donders im Jahre 1875 entwickelten Theorie des
Saugens/ welche sich indessen von der eben besprochenen wesentlich unter-
scheidet hinsichtlich der angenommenen Lage des Saugrauraes, d. h. des-
jenigen Eaumes, in welchem und durch dessen Erweiterung die wirksame
Luftverdünnung erzeugt werden soll. Auch sonst enthält die Darstellung
von Donders mehreres EigenthümUche und in methodologischer Hinsicht
Interessante.
Donders geht von der Thatsache aus, dass bei geschlossenem Munde
die gewölbte obere Fläche der Zunge dem harten Gaumen dicht anliegt
und adhaerirt und dass auch der freie Rand des senkrecht herabhängenden
Gaumensegels der Zungenbasis angeschmiegt ist, ein Zustand, in welchem
nach der Hervorhebung Metzger's^ der äussere Luftdruck selbst den
^ Pfluger's Archiv u. s. w. Bd. X.
^ Ebenda. Die weitergehende Meinung Metzger's, dass die Heber des Unter-
kiefers überhaupt nicht im Stande seien, das Gewicht des letzteren dauernd zu tragen,
dürfte in ihrer allgemeinen Fassung doch übertrieben sein. Der Autor begründet sie
zwar mit der Behauptung, dass bei nur etwas geöffneten Lippen die Kaumuskeln sehr
schnell ermüden und unwillkürliche Contractionen machen; dies widerstreitet jedoch
der bekannten Thatsache, dass es Menschen genug giebt, die gewohnheitsmässig den
Mund immer etwas geöffnet halten, so dass die Athmungsluft fortwährend durchstreicht
und zu derselben Haltung ist man immer gezwungen, wenn durch Schnupfen oder
sonstwie die Nasengänge verstopft sind. In diesen Fällen kann der Luftdruck zur
Unterstützung des Unterkiefers nichts beitragen; dennoch erhält sich dieser ohne ausser-
gewöhnliche Muskelanstrengung in einer dem Oberkiefer genäherten Stellung und zwar
derselben, die auch bei geschlossenen Lippen gewöhnlich obwaltet. Daraus folgt, dass
bei gesunden, vollkiäftigen Menschen die Elasticität und eine Art Tonus der Kau-
muskeln wohl ausreichend sind, das Gewicht des Unterkiefers zu halten. Ein den
Beweis ergänzendes Gegenstück hierzu bieten sodann marastische Greise und andere
geschwächte Personen dar, bei denen, wenn sie aufrecht sitzend ermatten oder ein-
schlummern, also die Innervation der Muskeln nachlässt, der Mund sich weit öffnet
und der Unterkiefer tief herabsinkt. Bei manchen Greisen könnte hierzu eine gewisse
Atrophie der Zunge nnd Lippen beitragen, welche die Berührung der Theile erschwert.
Jedoch können dieselben Personen, so lange sie wach und munter sind, oftmals ihreu
Muod lange genug geschlossen halten, was dann nur durch eine Innervation von den
Centralorganen aus erklärlich ist. — Trotzdem will ich nicht bestreiten, dass unter
Umständen Adhaesion und Luftdruck die Muskel thätigkeit unterstützen und eventuell
für diese vicariirend eintreten können.
94 Leopold Aueebach:
Muud geschlossen halten und den Unterkiefer tragen soll, ohne dass Muskel-
thätigkeit hierzu nöthig wäre. Nur zwischen dem hinteren Theile der oberen
Fläche der Zunge und dem Gaumensegel bleibt nach Donders ein Spalt-
raum frei, dessen Luft verdünnt ist (wohl in Folge des Zuges, den Unter-
kiefer und Zunge auf ihn ausüben). Diesen Raum nennt Donders den
hinteren Saugraum und schreibt die Hauptrolle der Erweiterung desselben
zu, welche letztere durch eine Rückwärtsbewegung der Zunge bewirkt werde.
Einige Sätze dieser Darstellung seien hier nach ihrem Wortlaute angeführt:
„Während der Mund auf die gewöhnhche Weise geschlossen ist, lässt sich
ein plattes Mundstück, das durch ein elastisches Rohr mit einem Mano-
meter verbunden ist, zwischen Lippen und Zähnen über der Zunge hin-
führen bis in die Nähe des weichen Gaumens. Dabei überzeugt man sich
stets, dass in dem Raum zwischen der Zunge, die gegen den harten Gaumen
anliegt und dem weichen Gaumen, der über der Zungenwurzel ausgespannt
ist, ein negativer Druck von 2 — 4»"^^ Hg besteht Auch nach vorn
ist dieser Saugraum ganz abgeschlossen, und zwar durch die Zunge. Man
kann den Mund öffnen, Lippen und Kiefer von einander bringen, und man
fühlt deutlich, dass die Zunge dann gegen den weichen Gaumen angesogen
liegt. Diese Ansaugung kann man nun willkürlich verstärken, wenn man
die Zunge erst platt, dann mit der Spitze nach hinten gebogen zurück-
zieht Streckt sich über der Zunge ein Körper in den Saugraum
hinein, so wird er nach hinten gezogen, und ist er durchbohrt, so kann
dadurch Flüssigkeit in den Saugraum eingezogen werden. Die Vergrösserung
des Saugraumes geschieht durch actives Zurückziehen der Zungenwurzel,
bemerklich an einer äusseren Schwellung über dem Zungenbein. Das ist
die Hauptsache beim Mechanismus des Saugens. Man kann dabei einen
negativen Druck von mehr als 100"^" Hg entwickeln." — Donders nimmt
dann weiterhin, wenigstens als virtuell vorhanden und gelegentlich wirksam
noch einen zweiten Saugraum an, den er als vorderen bezeichnet; und zwar
ist dies der Unterzungenraum. „An zweiter Stelle kann man das Mund-
stück zwischen Lippen und Zähnen unter der Zunge einführen. Sorgt man
dafür, dass dabei alle weitere Muskelwirkung ausgeschlossen ist, dann zeigt
das Manometer durchaus keine Veränderung. Die Wahrheit ist, dass dann
so gut wie kein Raum vorhanden ist Man kann nun willkürlich die
Lippen stärker ansaugen und hört dabei, wenn man sie nicht zu fest gegen
einander presst, etwas Luft zwischen den Lippen eindringen. Bei diesem
Ansaugen wird der vordere Theil der Zunge nach hinten gezogen. Dann
bildet sich wirkhch zwischen der Unterfläche der Zunge, dem Boden der
Mundhöhle und den Lippen ein vorderer Saugraum. Um diesen entstehen
zu lassen und das Ansaugen der Lippen gewahr zu werden, genügt es,
dass man bei auf gewöhnhche Weise geschlossenem Munde willkürlich die
ZuE Mechanik des Saugens und der Inspieation. 95
Zimge nach hinten bringt. Bringt man die Zähne dabei etwas aus einander,
dann werden die Lippen dazwischen selbst nach innen umgebogen."^ —
lieber die gegenseitigen Beziehungen der beiden Räume äussert sich der
Autor folgendermaassen: „Die beiden Saugräume wirken unter Umständen
auch gleichzeitig, während sie durch die Zunge getrennt bleiben. Dies
kommt u. A. vor, wenn man im Bereich des vorderen Saugraumes localisirt
zu saugen beabsichtigt. So kann mau au jedem Zahn, an jeder Stelle der
Innenfläche der Lippen saugen. Endlich wirken die beiden Saugräume auch
als ein Ganzes; dies kommt beim Tabakrauchen und während des Schlafes
vor " Auch für diese gemeinschaftliche Wirksamkeit seiner beiden
Saugräume nimmt Donders vorzugsweise die Thätigkeit des M. hjoglossus,
des Rückwärtsziehers der Zunge in Anspruch, welchen er allein von allen
der Zunge angehörigen oder zu ihr in Beziehung stehenden Muskeln nam-
haft macht.
Diese Arbeit des hervorragenden Forschers hat gewiss das Verdienst,
die erste gewesen und seitdem die einzige geblieben zu sein, welche nach
wissenschaftlicher Methode in einigermaassen umfassender Weise auf den
Gegenstand einging und auf positive Erklärung des Vorganges hinzielte.^
Eben deshalb und wegen der persönhchen Bedeutung ihres Autors konnte
sie nicht verfehlen zu imponiren. Ohne gerade allgemein berücksichtigt
zu werden, wurde doch die darin begründete Anschauungsweise mehrfach
acceptirt oder wenigstens in den Vordergrund der bezüglichen Ansichten ge-
stellt. Irgend^ eine erneute, sei es experimentelle oder kritische Prüfung
derselben ist hingegen meines Wissens nicht hervorgetreten.
Nach meinen eigenen Studien in dieser Sache bin ich aber meinerseits
nicht in der Lage, die Donders' sehe Lehre in den Hauptpunkten als
zutreffend oder auch nur als in sich haltbar ansehen zu können. Zwar die
Richtigkeit der Mehrzahl der ihr zu Grunde liegenden Beobachtungen bin
ich weit entfernt anfechten zu wollen, habe diese vielmehr grossentheils
selbst bestätigen können. Allein ausser, dass mehrere dieser Thatsachen
doch einer anderen Auffassung ihres Zustandekommens bedürfen, so ist das,
was ich hauptsächhch bestreiten muss, ihre Anwendbarkeit auf die Erklärung
des gewöhnlichen, so wichtigen Modus des Saugens, wie er bald nach dem
Säuglingsalter sich entwickelt und ebenso beim Trinken, wie beim Aus-
saugen poröser feuchter Körper, wie bei der Benutzung von Saugröhren
zur Anwendung kommt. Was Donders beschrieben hat, das sind meines
^ Vgl. meine oben im vorigen Abschnitte kundgegebeneu gegentheiligen Beobach-
tnngen.
^ Die früher erwähnte experimentelle Untersuchung von Poncet hatte nur die
Tendenz und den Erfolg der Ausschliessung eines vermeintlichen Factors, nämlich der
Inspiration als Hülfsmittel beim Trinken.
96 Leopold Aueebach:
Erachtens theils unter unnatürlichen Bedingungen herbeigeführte Erschei-
nungen, theils nur selten vorkommende kleine Saugbewegungen besonderer
Art, sämmtlich verschieden von dem, was bei ordentlichem ausgiebigen
Saugen geschieht und geschehen muss.
Zunächst kann es fraglich erscheinen, ob Don der s' hinterer Saugraum
jemals praeexistirt oder nicht vielmehr erst durch die Art seines Experimen-
tirens künstlich geschaffen wurde. Letzteres würde voraussetzen, dass bei
geschlossenem Munde gewöhnlich die Zunge auch dem weichen Gaumen
dicht anliegt, eine Annahme, welcher eigentlich alle vorliegenden anato-
mischen Abbildungen nach medianen Durchschnitten des Kopfes günstig
sind. Denken wir uns nun diese Lage der Theile und jetzt ein Mundstück
nach Don der s eingeführt, so wird dieses noth wendig die Zunge vom Graumen
ablösen und zwar die hintere dicke und weniger schmiegsame Gegend der
Zunge in weiterer Ausdehnung, als seiner eigenen Grösse entspricht, ab-
drängen und so mechanisch einen Raum schaffen, in welchen etwas Luft
aus dem Manometer eindringen wird, wobei diese natürlich etwas verdünnt
werden muss. So würde sich mit der Entstehung dieses Raumes zugleich
sein Gehalt an verdünnter Luft auf's Einfachste erklären. Dazu kommt
noch, dass der mechanische Reiz des fremden Körpers auf die zu Reflex-
wirkungen geneigte Schleimhaut jener Gegend leicht unwillkürliche Be-
wegungen hervorruft; Zunge und Gaumensegel weichen dem Instrumente
aus durch Bewegungen, die den mechanisch gebildeten Raum noch ver-
grössern und die Luft darin noch weiter verdünnen. So kann jedenfalls
künstlich ein hinterer Saugraum erzeugt und eventuell eine schon vor-
handene Spalte erweitert werden, ohne dass wir berechtigt wären, einen
Gehalt an verdünnter Luft als durch den Zug des Unterkiefers bedingt
und normal praeexistirend anzunehmen. Für die eigenthche Frage der
Mechanik des Saugens ist dieser Punkt freilich überhaupt ohne Belang.
Nehmen wir nun aber an, es sei im Beginne des Saugens ein solcher
hinterer Raum vorhanden, so müssen wir uns doch weiterhin fragen, wieso
derselbe gerade durch eine Rückwärtsbewegung der Zunge erweitert werden
soll. Mir ist dies unerfindlich; vielmehr kann ich mir nur das Gegentheil
vorstellen, nämlich, dass durch eine solche Bewegung der hintere Theil
der Zunge dem herabhängenden Gaumensegel genähert wird. Eine Er-
weiterung des Zwischenraums kann ich mir nur durch eine nach vorn und
unten gerichtete Bewegung des hinteren Theiles der Zunge vermittelt denken.
Und dass eine solche in der That beim Saugen erfolgt, werde ich später
nachweisen.
Es werde nun aber auf irgend welche Weise der geschlossene „hintere
Saugraum" erweitert, so ist doch wieder nicht abzusehen, wie dies auf eine
vorn zwischen den Lippen befindliche Flüssigkeit oder Röhre ansaugend
ZuE Mechanik des Saugens und dee Inspieation. 97
sollte wirken können, da ja die dem Gaumen adhaerirende Zunge dazwischen
liegt. Wenn beobachtet worden ist, dass an einer bis in den hinteren Raum
durchgestossenen Röhre sich Saugwirkungen geltend machen können, so ist das
gewiss ganz richtig; aber dies ist keine Nachahmung eines naturgemässen
Vorganges. An einer Röhre kann man saugen, wenn man dieselbe nur
zwischen die Lippen nimmt, ohne dass sie auch nur die Zungenspitze
berührt, obwohl sie öfter ein wenig über letztere hinweggeschoben wird,
jedoch nie bis zum weichen Gaumen. Aehnlich ist die Lage der Brust-
warze im Munde des saugenden Kindes. Und beim Trinken befindet sich
die Flüssigkeit vor Beginn des Saugacts nur vorn zwischen den Lippen
und wird von hier aus in den Mund hineingezogen. In allen diesen Fällen
ist aber der etwa vorhandene hintere Raum durch die dem Gaumen an-
liegende Wölbung der Zunge nach vorn hin abgesperrt; es kann also auch
die Verdünnung seiner Innenluft nicht saugend auf eine vorn zwischen
den Lippen und über der Zungenspitze befindliche Substanz wirken. Zu
diesem Zwecke müsste erst die ganze Zunge vom Gaumen abgelöst werden;
dann aber könnte man doch kaum noch von einem wirksamen hinteren
Saugraum sprechen. Auch müsste, da der Process von hinten ausgeht,
der Vorgang der Ablösung von hinten nach vorn fortschreiten. Thatsäch-
lich ist aber das gerade Gegentheil der Fall, mindestens hinsichtlich der
vorderen zwei Drittel der Zunge. Eine Ablösung findet statt, jedoch vorn
über der Zungenspitze beginnend und nach hinten bis zum Gipfel der
Zungenwölbung weitergehend, nur in seltenen Fällen diesen überschreitend,
um sich mit einer hinteren Ablösung zu combiniren. Auf spätere, mittels
des Gesichtssinnes zu machende Beobachtungen verweisend, will ich hier
zunächst nur einige Thatsachen anführen, die sich in Selbstbeobachtung
durch das Tast- und Muskelgefühl der Mundorgane unschwer erkennen
lassen. Wenn man aus einem offenen Gefässe einige Gramm Flüssigkeit
in den Mund saugt, so fühlt man, wie zunächst nur ein ganz kleiner
vorderster Theil der Zunge sich von dem Alveolarfortsatze des Oberkiefers
und einem benachbarten schmalen Streifen des harten Gaumens nach unten
hin entfernt, und wie in den so entstehenden Raum das Wasser eindringt;
die Wölbung der Zunge kann dabei fest an den Gaumen angeschlossen
bleiben. Je mehr man einsaugt, desto mehr dehnt sich der genannte neu-
gebildete Raum nach hinten aus und vertieft sich dabei nach unten. Man
kann schon einen gehörigen Schluck Wasser auf diese Art in den Mund
ziehen, ohne dass auch nur ein Tropfen die Berührung des Gipfels
. der Zunge mit dem Gaumen durchbricht und in die Gegend der
Zungenwurzel vordringt. Regulär geschieht letzteres überhaupt
nicht während des Saugens von tropfbaren Flüssigkeiten; viel-
mehr wird zur Verhütung dieses Ereignisses instinctiv der
Archiv f. A. u. Ph. 1888. Physiol. Abthlg. 7
98 Leopold Aüeeeach:
Gipfel der Zunge besonders fest an den Gaumen angedrückt, weil
ein nach hinten überlaufender Theil der Flüssigkeit sofort reflectorisch eine
Schluckbewegung auslöst, welche sich mit einem gleichzeitigen Saugacte nicht
verträgt, deshalb unregelmässig wird und leicht von unangenehmen Neben-
erscheinungen, wie Eindringen der Flüssigkeit in den Kehlkopf begleitet ist.
Beim Trinken alterniren ja bekanntlich die Saug- und Schluckbewegungen;
der Saugact wird unterbrochen und dann das in der vorderen Hälfte der
Mundhöhle angesammelte Quantum gleichsam als ein Ganzes, ein richtiger
Schluck mittels der Zunge unter Lüftung ihres Anschlusses an den Gaumen
nach hinten gedrängt, um hier einer regulären unwillkürlichen Schhng-
bewegung zu verfallen. Diese Lage des Saugraumes und seine hintere
Absperrung durch die Zungen Wölbung finden übrigens statt, gleichviel ob
das Einsaugen der Flüssigkeit durch eine eigene Bewegung der Zunge oder
durch Herabziehen des Unterkiefers oder durch beides zugleich bewerk-
stelligt wird, und es ist deshalb das Nämliche auch beim Säuglinge voraus-
zusetzen, obwohl die Brustwarze oft ziemlich tief in den Mund hinein reicht,
da sonst ein regelrechtes Schlucken nicht möglich wäre. Das zuweilen vor-
kommende Falsch-Schlucken („sich verschlucken") dürfte gerade durch ein
Verfehlen dieses Verhältnisses herbeigeführt werden.
Auch bei der Aspiration atmosphaerischer Luft durch die Mundorgane,
wie solche z. B. bei der Benutzung einer Saugröhre so lange stattfindet,
als in dieser die Flüssigkeit noch nicht bis an ihr oberes Ende aufgestiegen
ist, geht die Bildung des Saugraumes anfangs an derselben Stelle und auf
dieselbe Weise vor sich, wie ich es für tropfbare Flüssigkeiten beschrieben
habe; jedoch ist bei der Toleranz der hinteren Schleimhautpartien gegen
Luft die erwähnte Absperrung und die Beschränkung des Saugraums auf
die vordere Hälfte der Mundhöhle nicht nöthig, und dieser dehnt sich
deshalb eventuell über den Berg der Zunge hinweg bis zu ihrer Basis
hin aus. Aehnlich geschieht es zuweilen beim Rauchen, wenigstens solcher
Personen, deren Schleimhaut gegen den Reiz des Rauches schon abge-
stumpft ist.
In allen diesen hervorragenden, in erster Linie zu betrachtenden Fällen
des Saugens bildet sich also der wirkliche Saugraum nicht an den von
Don der s bezeichneten Stellen, sondern unter dem harten Gaumen, und
zwar anfangs ganz vorn oberhalb der Zungenspitze, um sich von hier aus
mehr oder weniger nach hinten auszubreiten. Beim Trinken aber und
beim Einsaugen tropfbarer Flüssigkeiten überhaupt bleibt es definitiv bei
dem beschriebenen, durch die Zungenwölbung nach hinten abgeschlossenen,
vorderen oberen Saugraume, so zu benennen zum Unterschiede von
Don der s' vorderem Saugraume, der unter der Zunge liegt und dem ersteren
gegenüber als vorderer unterer zu bezeichnen wäre.
Zur Mechanik des »Saugens und der Inspiration. 99
Was nun diesen letzteren anlangt, so spielt derselbe, wie ich mich
überzeugt habe, in den für das Leben wichtigen Saugmechanismen keine
Rolle. Die etwa an ihm zu beobachtenden und wirklich oder scheinbar
in ihm erzeugten kleinen Saugeffecte betreffen nur besondere Nebenformen
des Saugens, welche, wenn sie nicht experimenti causa herbeigeführt werden,
allenfalls einmal zur Entfernung eines Speiserestes aus einer unteren Zahu-
spalte oder Aehnlichem benutzt werden oder auch nur dem Geberdenspiel
augehören, hingegen bei der Aufnahme flüssiger oder gasförmiger Substanzen
in die Mundhöhle nicht concurriren, eine Behauptung, die ich durch Versuche
belegen kann. Wäre dabei der Unterzungenraum mit wirksam, so müsste
etwas von den eingezogenen Substanzen in denselben eindringen. Dies ist
jedoch für gewöhnlich durchaus nicht der Fall. Trinke ich, mit einem
Streifen Fliesspapier unter der Zunge, ein Glas Blaubeer-Abkochung aus,
welche die bespülten Mundtheile tief färbt, so bleibt doch von dieser
Tingirung der Unterzungenraum verschont, und das vorsichtig hervor-
gezogene Fliesspapier zeigt keine Spur von Färbung, ebenso nicht, so oft
ich diesen Versuch an anderen Personen wiederholte. Wenn man es frei-
lich will, kann man absichtlich die Flüssigkeit auch in den Unterzungec-
raum eintreten machen, ohne dass es jedoch dazu einer besonderen, in diesem
Räume selbst erzeugten Luftverdünnung bedarf. Es genügt, vor Beginn
des Saugacts die Zungenspitze über die unteren Zähne zu erheben, so dass
eine Eingangspforte zum Unterzungenraum offen bleibt und dieser über die
Ränder der Zunge hinweg mit dem oberen Saugraume communiciren kann;
bei der Herstellung des letzteren nimmt dann die einströmende Flüssigkeit
ihren Weg zum Theil auch in den Unterzungenraum und durch diesen
über den Zungenrand hinweg nach oben. Aber diese Eröffnung des Unter-
zangenraumes hat natürlich keine Verstärkung des Saugeffects zur Folge,
da sie ja vor Beginn des eigentUcheu Saugactes erfolgt.
Ganz ähnlich verhält es sich aber auch beim Einsaugen von Gasen
durch die Mundorgane ; und so fest bleibt bei der gewöhnlich dem Menschen
eignen Art des Mundsaugens der Unterzungenraum verschlossen, dass selbst
von einem so diffusibeln Gase, wie es Schwefelwasserstoff' ist, nichts in den-
selben eindringt. Ich legte einen mit essigsaurer Bleilösung getränkten
Streifen Fliesspapier unter die Zunge, einen zweiten auf den vorderen Theil
derselben oder an den harten Gaumen, sog dann durch eine Röhre aus
einer geeigneten Flasche eine reichliche Portion SH-haltiger Luft in den
Mund, stiess dieselbe durch Expiration wieder aus und wiederholte dies
noch eine Reihe von Malen. So oft ich nun diesen Versuch anstellte, so
zeigte jedesmal nach Beendigung desselben das obere Papier eine tief braune
oder schwarze, das untere hingegen auch nicht eine Spur von Färbung.
Und zwar war es gleichgiltig, ob ich die Saugröhre auf den vorderen Theil
100 Leopold Auerbach:
der Zunge gelegt oder sie nur zwischen die vorgestreckten Lippen genommen
hatte. Auf meinen Wunsch wiederholten noch zwei Personen die nämlichen
Versuche und mit ganz demselben Ergebnisse.
Diese Eesultate hatte ich aber mit Sicherheit vorausgesehen, weil der
freie Theil der Zunge nicht bloss im Ruhezustande dem Boden der Mund-
höhle und den Alveolarrändern des Unterkiefers dicht anliegt, sondern durch
seine bald zu beschreibende Saugbewegung noch fester an seine Unterlage
angedrückt werden muss.
Anderes nun wird man auch nicht beim Tabakrauchen voraussetzen,
da ja bei diesem ganz dieselben mechanischen Verhältnisse obwalten, und
da überdies bei dem Fehlen jeder Greschmacksempündung im Unterzungen-
raum kein Motiv ersichtlich ist, welches bestimmen sollte, durch eine unge-
wöhnliche Haltung der Zunge den Rauch unter dieselbe eintreten zu lassen.
Wenn gleichwohl Donders für das Tabakrauchen eine Mitwirkung des
Unterzungenraumes behauptet, so finde ich doch nicht angegeben, worauf
er seine Meinung gründet. Es giebt allerdings eine Thatsache, welche leicht
irre führen kann. Lässt man Jemanden Rauch einziehen, dann den Mund
öffnen und die Zunge in die Höhe heben, so dringt auch aus dem Unter-
zungenraume Rauch hervor; bei genauerem Zusehen überzeugt man sich
aber, dass erst während des nachträglichen Aufhebens der Zunge ein Theil
des Rauchs von oben her um die Seitenränder der Zunge herum nach
unten eindringt. Darum findet man auch, wenn man nach Oeffnung des
Mundes zunächst den Rauch durch Expiration ausstossen und dann den
Unterzungenraum öffnen lässt, in diesem keine Spur von Rauch.
Aus Allem aber folgt zur Genüge, dass für den Säugling wie für den
Erwachsenen, für das Trinken und Rauchen, überhaupt für die Aufnahme
flüssiger wie gasförmiger Stoffe, mit oder ohne Röhre, wesentlich nur der
von mir bezeichnete vordere-obere , d. h. ein ganz vorn hinter den oberen
Schneidezähnen entstehender und von hier aus längs des Gaumens mehr
oder weniger nach hinten hin sich vergrössernder Saugraum in Betracht kommt.
Nachdem dies festgestellt ist, werden wir uns jetzt in den Mechanis-
mus dieses Vorgangs, in soweit er durch etwas Anderes als die Unterkiefer-
bewegung herbeigeführt wird, einen näheren Einblick zu verschaffen suchen.
Till. Der Mechanismus des Zungensaugeus.
In dieser Beziehung möchte ich zunächst die Aufmerksamkeit auf eine
Reihe zugehöriger und wesentlicher Thatsachen lenken, die überdies, äusser-
lich hervortretend, leicht genug zu beobachten, gleichwohl aber, so viel ich
finden kann, bisher nirgends erwähnt sind. Man kann dieselben an jedem
trinkenden oder noch bequemer an rauchenden Individuen wahrnehmen,
Zur Mechanik des Saugens und der Inspiration. 101
wenn man die gesaramte vordere Halsgegend in's Auge fasst, vorausge-
setzt, dass nicht eine zu dicke Fettlage oder Struma die inneren Organe des
Halses verdeckt. Aber auch ohne eigentliches Saugobject kann man sie
jederzeit an sich selbst constatiren, wenn man bei geschlossenen Lippen
eine kräftige Saugbeweguug macht, durch welche die Wangen eingezogen
werden, und zwar am Besten unter ruhiger Haltung des Unterkiefers in
einer dem Oberkiefer genäherten, jedoch nicht angepressten Stellung.
Bei mageren Männern sieht man ohne Weiteres, wie mit jedem Saug-
zuge der Kehlkopf ein Stück nach abwärts rückt, je nach der Länge des
Halses und der gerade angewandten Kraft um 1 bis gegen 2^"^, um mit
Nachlass des ersteren wieder in seine Normalstellung zurückzukehren, und
wie gleichzeitig unterhalb des Kehlkopfes an den inneren Rändern der
Sternomastoidei zwei Furchen sich bilden, die sich dann wieder ausgleichen.
Noch ausgiebigere Belehrung liefert das Tastgefühl. Und zwar reihen sich
die betreffenden Erscheinungen, von unten nach oben aufsteigend, in folgen-
der Weise an einander. Wenn man während des Saugacts zwei Finger-
spitzen zu beiden Seiten der Luftröhre aufsetzt, so fühlt man, wie beider-
seits zwei Muskelstränge sich contrahiren, die M. sternohyoidei und sterno-
thyreoidei, letztere natürlich den Kehlkopf herabziehend. Weiter nach aussen
kann man auch die Omohyoidei in Contraction fühlen, die sogar bei sehr
mageren Individuen als dünne Stränge die Haut emporschnellen. Setzt
man aber die Finger auf den Schildknorpel, so fühlt man ausser der plötz-
lichen Senkung des Kehlkopfs, wie zugleich die Thyreohyoidei anschwellen.
Durch die Gesammtwirkung der genannten Muskeln und die zugehörigen
Bänder wird aber natürlich auch das Zungenbein nach unten gerückt, was
man wieder direct fühlen, zuweilen auch sehen kann, wobei sich jedoch
weiter herausstellt, dass das Zungenbein nicht einfach abwärts sondern
zugleich vorwärts gezogen wird. Diese Bewegung nach vorn, ein wenig
schon mitbedingt durch die Wirkungsweise der vorher erwähnten langen
Herabzieher, hat doch ihre Hauptursache in einer gleichzeitigen Contraction
der Geniohyoidei, welche sich den hinter dem Kinn angesetzten Finger-
spitzen zu erkennen giebt. Es ist klar, dass nächst der so gewonneneu
Fixirung des Zungenbeins in einer unteren und vorderen Stellung mit der
Verschiebung desselben eo ipso die ihm angeheftete Zungenwurzel ebenfalls
abwärts und ein wenig vorwärts gezogen werden muss, eine Bewegung der-
selben, welche jedoch noch durch andere Kräfte sehr gesteigert wird.
Man kann nämlich weiterhin bei passender Einstellung der Finger-
spitzen in der vorderen Unterkinngegend leicht finden, dass auch die
Genioglossi sich mächtig zusammenziehen. Dass trotzdem die Zunge nicht
hervorgestreckt wird, ist leicht erklärlich. Es ist dies schon dadurch be-
dingt, dass die Spitze der Zunge den unteren Schneidezähnen und deren
102 Leopold Auerbach:
Alveolen anliegt, ein Wall, an den sie durch die Wirkung der G-enioglossi
nur um so stärker angepresst wird, wie denn überhaupt nur dann die
Zunge aus dem Munde hervorgestossen werden kann, wenn vorher ihre
Spitze über die Schneidezähne emporgehoben worden ist. Sodann kommt
in Betracht, dass in unserem Falle der ganze Geniogiossus in Thätigkeit
tritt, während vielleicht, wie es einzelne Forscher vdrklich annehmen,^ ein
A^orstrecken der Zunge nur dann erfolgt, wenn bloss die nach hinten streichen-
den Bündel des genannten Muskels in Action treten, da die vorderen einem
solchen Zwecke eher entgegenzuwirken geeignet sind, freilich meines Er-
achtens durch die langen und darum einer ausgiebigeren Verkürzung
fähigen hinteren Bündel überwogen werden können. Ausserdem aber ist
als wesentlich noch ein ferneres entgegenwirkendes Moment in Rechnung
zu ziehen, nämlich dass mit den Geniogiossis zugleich ihre Antagonisten,
die Hyoglossi, in Wirksamkeit treten, deren Contraction ebenfalls durch
die Haut hindurch fühlbar wird. Dabei ist allerdings zu berücksichtigen,
dass die Zugrichtung des freien Theils der Hyoglossi durch die Yerschiebung
des Zungenbeins eine etwas veränderte, weniger rückwärts und noch stärker
als sonst abwärts wirkende geworden ist.
Die Contraction der Geniohyoidei, Genioglossi und Hyoglossi giebt sich
einigermaassen auch dem Auge des Beobachters durch eine Anschwellung
der TJnterkinngegend kund. Letztere hat auch schon Donders erwähnt
und hinzugefügt, dass sich so die Zurückziehung der Zungenwurzel kennt-
lich mache, wozu ich nur zu bemerken habe, dass es sich erstens nach
meinen Ermittelangen nicht um eine rückwärts sondern anders und zum
Theil entgegengesetzt gerichtete Bewegung handelt, und dass zweitens die
mit der Contraction verbundene Dickenzunahme der frei unter dem Boden
der Mundhöhle liegenden Muskeltheile zu der Hervorwölbung erheblich
beiträgt.
Wenn wir nun diesen grossen und comphcirten, vom Brust- und
Schlüsselbein bis in die Zunge hineinreichenden Muskelapparat in seinem
Zusammenwirken in's Auge fassen und uns fragen, welchen mechanischen
Erfolg wir von demselben zu erwarten haben, so dürfte sich dieser schon
a -priori als ein doppelter darstellen, nämlich so, dass erstens die Zunge als
Ganzes senkrecht nach unten und zugleich ihr hinterster Theil ein wenig
^ So sagt Milne Edwards {Legons sur l'Änatomie et la Physiologie comparee etc.
t. VI. p. 89) betreffend den Geniogiossus: „Lorsque ces muscles agissent en totalite,
ils doivent contribuer surtout a abaisser la langue et ä la creuser vers le milieu; mais
quand leurs faisceaux posterieurs se contractent seuls, ils tendent ä projeter cet organe
en avant, tandisque par le jeu de leurs faisceaux anterieurs la pointe de celui-ci est
tiree en arriere. — C'est ä raison de cette diversite dans les effets qne quelques ana-
toniistes ont donne ä ce muscle le nom de „polj^chrestes"."
Zur Mechanik des ISaugens und der Inspiration. 103
nach vorn gezogen, und dass zweitens die Zunge in sich mehr oder weniger
abgeplattet wird. Das Erstere wird nothweudig verursacht erscheinen durch
die combinirte Action der vom oberen Rande des Brustkastens zum Zungen-
bein aufsteigenden Muskelzüge und der freien Theile der Hyo- und Genio-
glossi. Die Gestaltveränderung der Zunge aber ergiebt sich als Folge der
eigenthümhchen Anordnung der im Zungenfleische selbst enthaltenen Fort-
setzungen der beiden letztgenannten Muskeln, ganz besonders aber des
Genioglossus , dessen Bündel ja nach ihrem Eintritt in die Zunge in einer
sagittalen Ebene fächerförmig ausstrahlen, und theils nach vorn, theils nach
hinten bogenförmig verlaufen, um schliesslich senkrecht gegen die obere
Fläche anzusteigen, genauer gesagt gegen den besonderen Theil der Zungen-
oberfläche, den sie erreichen, während zugleich in der hinteren Hälfte der
Zunge ein Theil der Hyoglossusfasern einen analogen Verlauf nimmt und
die Wirkung der ersteren nur zu unterstützen geeignet erscheint. Wenn
demnach schon im Allgemeinen diese Fasern so angelegt sind, dass ihre
gemeinschaftliche Verkürzung die obere Schleimhaut der Zunge nach unten
ziehen muss, so kommt weiterhin in Betracht, dass diejenigen Bündel des
Genioglossus, die zum Gipfel der Zungenwölbung hinziehen, die längsten
von allen sind, also auch bei ihrer Contraction das grösste Maass absoluter
Verkürzung erfahren, womit dieser höchstgelegene Theil der Zunge am
weitesten nach unten gezogen, also die Wölbung abgeflacht werden muss.
Während nun diese Stelle fast senkrecht nach unten weicht, werden die
weiter hinten und weiter vorn gelegenen Punkte eine mit der ersteren
convergirende Abwärtsbewegung machen. Diese über die ganze Länge der
Zunge sich erstreckende Wirkung des Muskels wird allerdings unmittelbar
nur denjenigen ziemlich breiten medialen Längsstreifen treflen, in dem die
Bündel des Muskels endigen, mittelbar aber auch mehr oder weniger auf
die seitlichen Theile übertragen werden, ausser in gewissen besonderen
Fällen der Behinderung, die ich später noch besprechen werde.
Ganz unabhängig von der Frage des Saugens ist eine solche die Zunge
senkende und abflachende und selbst unter Umständen hohl formende
Wirkung des Genioglossus schon früher von einzelnen Autoren ^ mit Recht,
wenn auch ohne nähere Motivirung angenommen, von den meisten aller-
dings gar nicht berücksichtigt worden.
Diese Action bedingt aber Entfernung der Zunge vom Gaumen. Liegen
anfangs beide Flächen einander an, so wird sie eine Loslösung der Zunge
herbeiführen, und zwar ausgehend von demjenigen Punkte, wo unter dem
äusseren Luftdrucke Substanz in die neugebildete Lücke eintreten kann,
was gewöhnlich nur vorn, von der Mundöffnung her möglich sein wird, wo
^ Vgl. das auf S. 102 beigebrachte Citat aus Milne Edwards.
104
Leopold Aueebach:
denn auch wirklich die Saugraumbildung beginnt. War aber von vorn
herein ein Zwischenraum zwischen Zunge und Gaumen längs der ganzen
Erstreckung beider Organe vorhanden, so wird dieser erweitert werden und
auch so die physikalische Grundbedingung einer Saugwirkung gegeben sein.
So klar und sicher mir nun auch diese Anschauung der Sache theo-
retisch begründet erschien, so lag mir doch daran, sie auch durch unmittel-
bare Beobachtung des in der Mundhöhle Geschehenden bestätigen oder
eventuell berichtigen zu können.
Zu diesem Zwecke bieten sich zunächst zwei, gelegentlich schon früher
benutzte Methoden dar, nämlich die Selbstbeobachtung mit Aufmerksamkeit
auf die im Munde zu spürenden Muskel- und Schleimhautempfindungen
und andererseits die Einführung eines Fingers in den Mund des Saugenden,
um durch das Tastgefühl des Fingers Belehrung zu erhalten. Was ich auf
solche Art finde, steht in wesentlicher Uebereinstimmung mit der oben
entwickelten Ansicht. Immerhin liefern beide Beobachtungs weisen nur un-
vollkommene Resultate; überdies ist die erstere dem Vorwurfe individueller
Subjectivität ausgesetzt und die zweite mit dem Fehler behaftet, unter Um-
ständen regelwidrige und irreführende Nebenerscheinungen zu veranlassen,
die ich zu erwähnen noch Gelegenheit haben werde.
Es kam mir deshalb darauf an, durch den Gesichtssinn die Vorgänge
in der Mundhöhle direct wahrnehmen und demonstriren zu können, was bis
1
Fig.2.
dahin noch von Niemand versucht worden war. Und doch gelingt die Er-
füllung dieser Aufgabe ganz leicht mit Hülfe einer von mir zu diesem
Zwecke construirten, sehr einfachen Vorrichtung.
Dieses etwa als Saugspiegel zu bezeichnende Instrument, das obeu-
stehend abgebildet ist, besteht aus einem Einge von Holz oder Messingblech,
Zur Mechanik des Saugens und dee Inspieation. 105
im letzteren Falle mit Kautschuk überzogen, von 3^/^ — 4'^'" Durchmesser
und etwa 3<"^ Tiefe, dessen Oeffnung auf einer Seite durch eine dem Rande
luftdicht augefügte Glasplatte {c/) geschlossen ist. Denken wir uns diese
einseitig geschlossene Trommel aufrechistehend, d. h. mit horizontal liegendei:
Axe, und die Glasscheibe an ihrer vorderen Seite, so ist an dem höchsten
Punkte der Lichtung ein durch die Scheibe nach vorn hervortretendes
Messingstück angebracht, mit einer horizontalen Durchbohrung, durch welche
von hinten her der Drahtstiel [D) eines kleinen Spiegels {8) (Kehlkopf-
spiegels ohne Holzgriff) hindurchgesteckt und nach Bedürfniss verschoben
Averden kann, wobei der Stiel übrigens, mit einer Fettigkeit bestrichen, den
Canal luftdicht ausfüllen soll. Diese Beigabe hat den Zweck, den hinteren,
nach rückwärts abschüssigen Theil des Zunkenrückens , der durch die
Wölbung der Zunge verdeckt ist, im Spiegelbilde sichtbar zu machen, und
diesem Zwecke entsprechend muss die spiegelnde Platte durch passende
Biegung des Drahtstiels nach unten in eine fast senkrechte Stellung ge-
bracht werden. Falls es aber auf diesen speciellen Theil der Beobachtung
nicht ankommt, kann er auch ganz weggelassen und die für ihn bestimmte
Durchbohrung mit etwas Wachs verschlossen werden. Von dem tiefsten
Punkte des Ringes geht dicht hinter der Glasscheibe senkrecht nach unten
ein offenes ßöhrchen {B) ah, dazu bestimmt, in gewissen Versuchen durch
einen Gummischlauch mit einer beliebigen Saugröhre verbunden zu werden.
Es lassen sich aber auch ohne die letztere Complication, nach Verstopfung
des Röhrchens, mit dem kleinen Instrumente belehrende Beobachtungen an-
stellen.
Die Art der Anwendung ist nun einfach folgende. Die Versuchsperson
nimmt bei weit geöffnetem Munde den Ring in der angegebenen Stellung des
letzteren zwischen ihre Schneidezähne, ihn mit diesen festhaltend, umschliesst
ihn auch dicht mit den Lippen und macht dann eine Saugbewegung, deren
wirksame Ausführung leicht zu constatireu, nämlich bei Verbindung des
unteren Röhrchens mit einer in Flüssigkeit tauchenden Saugröhre an dem
Aufsteigen der letzteren, bei Versperrung des Röhrchens aber an der starken
Einziehung der Wangen der Versuchsperson kenntlich ist. Was aber da-
bei in der Mundhöhle vorgeht, kann man bei passender Beleuchtung durch
die Glasscheibe hindurch sehr genau sehen. Nur muss letztere zur Ver-
meidung des Beschlagens vorher erwärmt worden sein, und ebenso auch,
wenn er mit benutzt wird, der kleine Spiegel, der übrigens auch schon vor
Einführung in den Mund annähernd in die richtige Entfernung geschoben
werden muss, um dann in der Mundhöhle unter Beobachtung durch die
Glasscheibe genauer eingestellt zu werden.
Einzelne Versuchspersonen beantworten zwar unter diesen ungewohnten
Umständen die ihnen gestellte Aufgabe unerwünschter Weise durch inspi-
106 Leopold Aüebbach:
ratorisches Saugen, was man sofort daran erkennt, dass das Gaumensegel
zur Horizontalen erhoben wird, ausserdem auch durch Beachtung des Thorax
und Abdomens. Die Mehrzahl der beobachteten Individuen hingegen ent-
sprach von vornherein vollkommen meiner Intention durch Benutzung des
Mundmechanismus, wobei das Gaumensegel vor dem Kehlkopfe senkrecht
herabhängt, mit seinem freien Rande sich an die hinterste Partie der Zunge
anschmiegend, ein Verhalten, das schon früher angenommen worden ist,
jetzt aber direct gesehen werden kann.
Dass nun überhaupt unter diesen Verhältnissen, bei weit aufgesperrter
Mundhöhle, auf deren Boden die Zunge ruht, durch den Mundmechanismus
doch eine erhebliche Saugwirkung erzielt wird, wie ich dies an vielen In-
dividuen gesehen habe und auch an mir selbst jeder Zeit demonstriren kann,
liefert zunächst einen Beweis dafür, dass diejenige Anfangsstellung, auf welche
Donders so grosses Gewicht gelegt hat, nämlich das Anliegen des grössten
Theiles der Zunge am Gaumen, durchaus nicht nothwendig und wesentlich
ist, also auch keine principielle Bedeutung hat, sondern nur eventuell in
quantitativer Hinsicht von Einfluss sein wird, insofern mit ihr ein mini-
maler Anfangsraum gegeben ist, dessen nachfolgende Erweiterung um so
grösser ausfallen kann.
Sodann beachte man noch, dass bei diesem Verfahren der Unterkiefer
festgestellt ist, also keine Senkung desselben mitspielen und auf die Zunge
übertragen werden kann, so dass nur die übrigen Eactoren zur Wirksamkeit
und ihre Leistungen zur Wahrnehmung gelangen.
Die Beobachtung derselben durch den Saugspiegel zeigt nun Erschei-
nungen, welche vollständig den nach Obigem zu erwartenden entsprachen.
Indem ich dieselben schildere, werde ich an geeigneten Stellen diejenigen
Bestätigungen und Ergänzungen einflechten, welche durch das Tastgefühl
eines eingeführten Fingers oder durch die subjectiven Empfindungen des
Saugenden selbst geboten werden können.
Die Zunge wird nicht zurückgezogen; vielmehr bleibt ihre
Spitze ruhig an den unteren Schneidezähnen liegen und wird
sogar öfters an diese noch stärker angepresst. Letzteres empfinde
ich auch selbst bei jedem stärkeren Zuge an einer Pipette oder Cigarre,
wie Andere, die ich auf diesen Punkt achten liess, ebenfalls. Es ist dies
aus der überwiegenden Wirkung gewisser Bestandtheile des Genioglossus
sehr wohl erklärlich.
Hingegen sieht man, wie während des Saugactes die gesammte
obere Fläche der Zunge nach unten rückt und dabei aus ihrer stark
gewölbten in eine weniger convexe, zuweilen fast platte Form übergeht,
ohne dass es jedoch unter diesen Umständen bis zu einer Hohlkrümmuug
käme. Auch der Gipfel der Zungenwölbuug bleibt bei seiner Abwärts-
ZuE Mechanik bes Saügens und dee Jnspieation. 107
beweguüg in der ursprünglichen Frontalebene oder wird sogar ein wenig
nach vorn verschoben, während der hintere, in der Ruhe steil abschüssige
Theil des Zungeurückens mit der Abplattung sich natürlich in gewissem
G-rade nach vorn hin umlegt. Bei kräftigem Saugen kann man aber deutlich
sehen, dass die Senkung der gesammten oberen Fläche nicht bloss auf
Rechnung der Abplattung zu setzen ist, sondern nebenher die Zunge als
G-anzes, also auch ihre untere Fläche abwärts gezogen wird. Im
Besonderen schnellt auch der der Spitze nächstgelegene freie Theil der Zunge
heftig nach unten, gegen den Boden der Mundhöhle andrängend. Dieses
Drängen nach unten lässt sich noch anders erkennen, nämlich indem
man einen Finger in den Unterzungenraum steckt und dann auf ge-
wöhnliche Art saugt oder saugen lässt, wobei der Finger den Druck der
Zunge von oben her deutlich fühlt. Es geschieht demnach so ziemlich
das Gegentheil von dem, was man sich vielfach vorgestellt hat, nämlich
statt einer Hebung, concaven Aufkrümmung und Rückwärtsbewegung der
Zungenspitze vielmehr ein Verstössen derselben und ein Andrücken des
hinter ihr gelegenen Theiles an den Boden des Unterzungenraumes. An
dem grösseren angewachsenen Theile des Organs aber steht ja dem Abwärts-
rücken en masse kein Hinderniss entgegen, und es wird unter der Contraction
der hier eintretenden Muskeln ein Theil des Zungenfleisches gleich-
sam aus dem Bereiche der Mundhöhle nach unten heraustreten.^
Obwohl nun hiernach weder die Zunge als Ganzes, noch ihre Spitze,
noch ihre Wurzel nach hinten gezogen wird, so bringt doch der Vorgang
der Abplattung eine Theilerscheinung mit sich, welche bei einem flüchtigen
Hinblicke irreführen kann, insofern sie in der That eine nach hinten ge-
richtete Componente der Bewegung enthält. Da nämlich die Abflachung
nur so bewerkstelligt werden kann, dass die Gegend der höchsten Wölbung
die grösste Excursion nach unten macht, alle vorderen Punkte aber um
so kleinere, je weiter vorn sie liegen, so resultirt für den vorderen Abhang
der Zunge, der ja den grössten und allein direct sichtbaren Abschnitt des
Organs ausmacht, im Ganzen eine Neigungsbewegung nach hinten und
unten, und die einzelnen Punkte dieser Fläche müssen kleine, nach hinten
convexe Bogenhnien beschreiben, welche wohl denjenigen Curven entsprechen
mögen, in welchen die vorderen Faserbündel des Genioglossus verlaufen.
Dies mag dazu beitragen, dass es zuweilen wie eine Art wälzender Be-
wegung erscheint, durch die ein Theil der vorderen Zungensubstanz in der
Richtung nach der unteren Anheftung des Organs hinbefördert wird.
^ Natürlich kann man, wenn man es darauf absieht, mit der wesentlichen Be-
wegung willkürlich auch eine Aufkrümmung und allenfalls auch eine Zurückziehung
der Zungenspitze combinireu, jedoch ohne damit den Saugeffect zu fördern, ja sogar
nicht ohne ihn zu schädigen.
108 Leopold Auerbach:
Ein Gegenstück hierzu aber bietet die Beobachtung des hintersten
Theiles des Zungenrückens mit Hülfe des kleinen Spiegels. Hier er-
eignet sich etwas dem Vorigen ganz Entsprechendes, nur in umgekehrter
Kichtung; denn man sieht, wie jene in der ßuhe steil abfallende Fläche
unter Einziehung ihrer schwachen Convexität sich zugleich nach vorn und
abwärts neigt.
Von beiden Enden also, von vorn und von hinten her wird
ein Theil des Zungenfleisches nach einer gewissen mittleren
und tiefer gelegenen Region heruntergewälzt, ein Vorgang, welcher
sehr hübsch die Bedeutung der eigenthümlichen Anordnung der Genio-
glossusfasern illustrirt.
Und zwar scheint meistens bei der durch den Saugspiegel bedingten
Mundstellung die Senkung des Zungenrückens in seiner ganzen Aus-
dehnung fast gleichzeitig zu erfolgen und beendigt zu sein, ein Punkt, dessen
eventuelle Modification bald besprochen werden soll.
Die mittlere Grösse der Abwärtsbewegung aber, die nach dem Augen-
schein reichhch 1 "^ betragen kann , multiplicirt mit dem Elächenraume
des Zungenrückens, gestatten eine Berechnung, welche mehr als diejenigen
5Qccm Baumvergrösserung ergiebt, die nach meinen früher angeführten
Messungen für die Aufnahme von Flüssigkeit durch den Zungenmechanis-
mus in maximo zu postuliren waren (s. S. 91), wobei in Betracht kommt,
dass ja nach dem auf S, 97 — 98 Erörterten beim Einziehen tropfbarer
Fluida nicht die ganze Mundhöhle als Saugraum ausgenützt wird.
Es ist nämlich, ohne dass das Wesentliche des Mechanismus verändert
wird, doch hinsichtlich seiner räumlichen Begrenzung und seines zeitlichen
Verlaufes eine gewisse Modification des Vorganges für den gewöhnlichen
Fall anzunehmen, dass wirklich Flüssigkeit durch den wenig geöffneten
Mund eingesogen wird, oder dass überhaupt beim Beginn des Saugens die
Zunge dem Gaumen anliegt. Geschähe nämlich auch in diesem Falle der
Euck nach unten gleichzeitig an allen Theilen der Zungenoberfläche, so
müsste diese mit einem Male in ihrer ganzen Ausdehnung vom Gaumen
abgerissen werden, und zwar bei Lufteintritt mit einem schnalzenden Ge-
räusche, was weder zweckmässig wäre noch gewöhnlich geschieht, da ja
vielmehr, wie ich es oben schilderte, der Saugraum ganz vorn beginnt und
sich allmählich nach hinten ausdehnt. Wir müssen uns deshalb fragen,
wodurch dieses successive Geschehen der Ablösung der Zunge
bedingt ist. Vielleicht liegt die Ursache nur darin, dass trotz gieichmässiger
Spannung aller betreffenden Muskelbündel doch unter der Gegenwirkung der
Adhaesion und des Luftdruckes die beiden Schleimhautflächen immer nur
dort auseinander weichen, wo die vordringende Flüssigkeit sich zwischen sie
schieben kann, d. h. in einer von vorn nach hinten fortschreitenden Folge.
Zur Mechanik des Saugens und der Inspiration. 109
Allein es gilt, noch einen weiteren Punkt zu erklären. Wir können nämlich
nicht bloss eine beliebig kleine Quantität Wasser einsaugen, sondern auch
andauernd die Saugthätigkeit auf einen vordersten, beliebig kleinen Theil der
Zunge beschränken. Letzteres zeigt sich besonders klar bei folgender
Form des Versuches. Wenn ich eine rechtwinkelig gebogene Röhre,
deren senkrechter Schenkel 30 ""^ lang ist und unten in Wasser taucht,
zuerst mit Wasser vollsauge, dann unter Verschluss der Eöhre mit der
Zungenspitze das in den Mund eingedrungene Quantum Luft und Wasser
verschlinge, wobei sich die Zunge dicht an den Gaumen anlegt, und jetzt
von Neuem ein kleines Quantum Wasser einsauge, so kann ich dieses,
und zwar bei offen erhaltener Communication mit der ßöhre minuten-
lang in dem Räume hinter den oberen Schneidezähnen festhalten, unter
fühlbarer Muskelanstrengung im vordersten, Theile der Zunge. Das an
dieser Stelle verweilende Wasserquantum wird weder durch die von aussen
wirkende hydrodynamische Kraft in die Röhre hineingezogen, noch breitet
es sich über den mittleren Theil der Zunge aus. Ersteres beweist, dass
die Thätigkeit der vordersten Genioglossusfasern in einem bestimmten
Grade der Verkürzung fortdauert,^ letzteres lässt die hinter dem Saugraume
aufsteigenden Fasern als unthätig erscheinen. Im äussersten Falle bildet
der Gipfel der Zungenwölbung die hintere Grenze des Saugraumes für
Flüssigkeiten, über die wir während des Saugactes selbst nichts hinüber-
fliessen lassen (s. oben S. 97 — 98).
Diese Thatsachen könnten danach angethan erscheinen, den Gedanken
zu erwecken, dass die Bündel des Genioglossus jedes einzeln für sich will-
kürlich innervirbar sind. Die Annahme , dass seine hintere Partie min-
destens als Ganzes für sich beherrschbar sei, ist ohnedies vielleicht nicht
zu umgehen (vgl. S. 102). Wäre auch die erstere Vermuthung, wenigstens
für die vorderen zwei Drittel der Zunge, sichergestellt, so stände nichts
mehr im Wege, für die allmähliche Ablösung der Zunge vom Gaumen
auch eine successive Innervation der einzelnen Bündel des Genioglossus in
Anspruch zij nehmen, also nach Art einer Peristaltik, jedoch mit dem
Unterschiede, dass es sich hier um eine durch den Willen beeinflusste Be-
wegungsform handelt. Allein dem ist doch kaum so. Wäre eine solche
Art der willkürlichen Beeinflussung möglich, der Nervenapparat überhaupt
dazu veranlagt, so müsste sich dies auch dann zeigen können, wenn der
Unterkiefer sammt der Zunge gesenkt ist, sei nun der Mund frei oder
durch den Saugspiegel verschlossen. In dieser Stellung der Organe aber,
welche für directe Beobachtung unvermeidlich ist, will es mir nicht gelingen.
1 Erst wenn durch die Ermüdung oder Absicht die Saugwirkung aufhört, stürzt
das Wasser in die Eöhre zurück.
110 Leopold Auerbach:
den Spitzeiitheil der Zunge niederzuziehen, ohne dass zugleich die mittlere
und hintere Gegend derselben eine ähnliche Bewegung machen, und ebenso
auch nicht einigen anderen Personen, die ich zu entsprechenden Bemühungen
veranlasst hatte. Wir müssen also die obige Hypothese fallen lassen.
Aber durch welche andere Erklärung der Sache sollte sie zu ersetzen
sein? In dieser Beziehung möchte ich nun noch folgendem Gedanken-
gange Ausdruck geben, der darauf hinzielt, das Fortschreiten der Ablösung
der Zunge als Folge der allmählichen Zunahme des Contractionsgrades des
gesammten Genioglossus zu verstehen. Der bogenförmige Verlauf seiner
Fasern muss es mit sich bringen, dass ein Theil ihrer Kraft anfangs zur
Abflachung dieser Bogen verwandt wird, und dieser Antheil wird während
der Contraction abnehmen zu Gunsten einer steigenden Spannung der
Fasern und damit auch eines sich steigernden mechanischen Effects auf
die Ansatzpunkte in der oberen Schleimhaut. Andererseits ist leicht zu
constatiren, dass die Derbheit, der elastische Widerstand der Zunge gegen
ihre Abplattung hinten am grössten ist und nach vorn hin immer mehr
abnimmt, und zwar zeigt sich noch , dass etwa 2 ^/g""^ hinter der Spitze
der Widerstand plötzlich steil abfällt, weshalb auch die vor dieser
Grenze liegende kleine, besonders weiche Strecke in gewissen
Fällen des Saugens eine ganz bevorzugte Rolle spielt, wie wir
noch sehen werden. Ausserdem ist auch die Adhaesionsfiäche, je weiter
hinten, desto breiter. Indem also alle Widerstände, die sich der Wirkung
der einzelnen Muskelbündel entgegensetzen, von vorn nach hinten wachsen,
so wird der leichteste Grad der Contraction zunächst nur ganz vorn die
nöthige Kraft zur Ablösung entwickeln und diese immer weiter nach
hinten greifen, je mehr die Verkürzung der Muskelfasern eine gesteigerte
ist. Da wir nun an jedem der Willkür unterworfenen Muskel unseres
Körpers das Maass seiner Thätigkeit derart in unserer Gewalt haben,
dass wir ihn innerhalb des ihm zukommenden Spielraumes in jedem be-
liebigen Grade verkürzen und diesen Grad der Verkürzung eine Zeit
lang festhalten können, so wird dasselbe auch beim Genioglossus der
Fall sein und sich daraus die beliebige Begrenzung des Saugraumes er-
klären lassen.
In gewissen besonders schwierigen Fällen des Saugens bedingen es
sogar die eben charakterisirten Widerstandsverhältnisse, dass der hinter
den Sohneidezähnen gebildete Saugraum sich sehr stark nach unten, gegen
den Boden der Mundhöhle hin vertieft, aber gar nicht oder nur als schmale
Spalte ein wenig auf den mittleren Abschnitt des Zungenrückens hinüber-
greift. Dies ist z. B. der Fall, wenn wir Quecksilber in einer Röhre oder
in einem Manometer durch Zungensaugen möglichst hoch heben. Der
weiche Spitzentheil der Zunge wird dabei sehr tief nieder-, ausserdem auch
Zur Mechanik des Saugens und der Inspiration. 1 1 1
grubenförmig- eingezogen, während die zunächst dahinterUegende Partie sich
nicht oder nur wenig vom Gaumen entfernt, was man alles deutlich fühlen
kann. Es ist klar, dass so fast die ganze schwere Arbeit allein
von dem Spitzentheil der Zunge geleistet wird. Die Ursache dieses
Verhaltens wird nach Obigem nicht mehr in einer isolirten Innervation
der vordersten Muskelbündel vermuthet werden dürfen, und in der That
sind wir gar nicht im Stande, willkürlich die Sache zu ändern. Hingegen
glaube ich die Ursache in den besonderen mechanischen Verhältnissen
eines solchen Falles zu finden. Die aus der Röhre eingesaugte Luft wird
nämlich durch den Zug des Quecksilbers beträchtlich verdünnt, was ja
bei gewöhnlichem leichten Saugen niemals der Fall ist. Dieser Last gegen-
über ist der weiche Spitzentheil der Zunge mechanisch im Vortheile, weil
seine Muskelfasern nicht ausserdem erhebliche innere Widerstände zu über-
winden haben; er ist also in der zum Saugen nothwendigen Formverände-
rung nicht behindert, während die dahinter aufsteigenden Muskelbündel
der Summe jenes äusseren und ihrer bedeutenden inneren Widerstände
nicht gewachsen sind. Der höchste Theil der Zungenwölbung wird sogar
unter diesen Umständen durch den äusseren Luftdruck besonders kräftig
an den harten Gaumen angepresst. — Aehnlich geschieht es in vielen an-
deren Fällen schwierigen Saugens, mit Nebenerscheinungen, die ich im
nächsten Abschnitte besprechen werde.
Unberührt aber von allen vielleicht anfechtbaren theoretischen Er-
wägungen verbleibt das Thatsächliche, zu dessen Erklärung sie dienen sollten.
Und danach besteht das Wesentliche der Zungenbewegung beim
Saugen in einer senkrechten Herabziehung und zugleich Ab-
plattung der Zunge, welche entweder in toto und auf einmal
erfolgt oder vorn in der Nähe der Spitze beginnend, nach hinten
fortschreitet und durch einen complicirten, bis zum Brust- und
Schlüsselbein herabreichenden Muskelapparat, in der Zunge
selbst abervorzugsweise durch denGenioglossus vermittelt wird.^
Wie gross ist nun aber die Leistungsfähigkeit dieses Apparates?
Hinsichtlich der ßaumerweiterung, die er zu schaffen vermag, geht
bereits aus meinen auf S. 91 mitgetheilten Versuchen hervor, dass jene sich
^ Was ich hinsichtlich der Lage und Bildungsweise des Saugraumes für Flüssig-
keiten beim Menschen gefunden habe, scheint theilweise auch für Säugethiere zu
gelten, wie ich einem Werke Colin's entnehme (^Colin, Physiologie comparee des
animaux domestiques, Paris 1871, t. I, p. 576). Er unterscheidet hinsichtlich der Auf-
nahme von Flüssigkeiten in den Mund ausser dem Läppern (lappement) und dem
Schlürfen (humer) noch zwei, meines Erachtens nur unwesentlich verschiedene Modi,
nämlich das Saugen an der mütterlichen Zitze (wohl richtiger allgemein an irgend einem
112 Leopold Auerbach:
bis auf 50 "'^'^ belaufen kann, wenn Flüssigkeit eingesaugt wird. Beim Ein-
ziehen von Luft durch Zungendepression kann der Betrag noch höher aus-
fallen, weil der Saugraum sich bis in die Gegend zwischen Gaumensegel
und Hinterfläche der Zunge erstrecken kann. Da bei jenen Versuchen die
Mitbewegung des Unterkiefers ausgeschlossen war und ein dritter Factor
beim Mundsaugen nicht in Frage kommt, so ist der erwähnte Betrag ganz
auf Rechnung des jetzt geschilderten Mechanismus zu setzen.
Weiter kommt es jetzt auch darauf an, das hydrodynamische Maass
seiner Leistungsfähigkeit festzustellen. Schon Donders hat mit Recht an-
gegeben, dass wir durch die Action der Zunge einer Quecksilbersäule von
mehr als 100™™ das Gleichgewicht zu halten vermögen. In der That lassen
wir, wie ich soeben beschrieben habe, bei einem solchen Versuche am Mano-
meter oder einer senkrecht in Quecksilber getauchten Röhre in der Regel
nur die Zunge wirken, und zwar wegen des geringen Volumens der ein-
zusaugenden Luft. Noch etwas mehr ist durch Mitbenutzung der Unter-
festeren Körper), saccion, und das pompenient, d. h. das beim Trinken mit Eintauchen der
Lippen in Flüssigkeit stattfindende Saugen. Von den beiden letzteren Modis sagt er
u. A. : „Chez l'enfant la pointe de la langue se retire iegerement en arriere ä chaque
aspiration, mais chez les solipedes, les ruminants, dont la langue demeure souvent
collee entre le mamelon et les dents, le vide se fait par une diminution de volume
des parties anterieures et moyenne de l'organe, qui tend ä s'eloigner du palais pour
s'enfoncer dans Fespace intramaxillaire. La langue produit seulement ä la partie an-
terieure de la bouche le petit espace, destine ä recevoir le liquide aspire. ... La base
de la langue et son renflemennt peuvent suffisamment isoler la petite chambre anterieure
de tout le reste. . . . Le pompement . . . ; il se fait comme lors de la succion un vide dans
l'interieur de la bouche, mais beaucoup plus ample; car la langue, s'eloignant fortement
du palais , vient ä chaque aspiration remplir ä demi l'espace intramaxillaire "
Wenn nun Colin irriger Weise für den menschlichen Säugling eine stempelartige Be-
wegung der Zunge nach hinten annimmt, so hat er sich dabei vermuthlich mangels
eigener Erfahrungen auf die in der menschlichen Physiologie seines Landes üblichen
Angaben verlassen, während ihm hinsichtlich der Thiere eigene Beobachtungen zu Ge-
bote standen. Da er hinsichtlich der an der Mutter saugenden Thiere keine Bewegung
des Unterkiefers erwähnt, so scheint mir daraus hervorzugehen, dass die jungen Thiere
wie in allen anderen combinirten Bewegungen so auch im Saugen viel schnellere Port-
schritte zum Vollkommeneren machen als das menschliche Kind. Im üebrigen ist
freilich Colin auf die thätigen Motoren, die Art ihrer Wirksamkeit und den Verlauf
des Vorganges nicht eingegangen , sondern hat nur das formelle Resultat beachtet,
dieses aber in einer Weise geschildert, die ich wegen der Uebereinstimmung mit dem
von mir am Menschen Pestgestellten für zutreffend halten muss. Wenn es befremdlich
erscheinen sollte, dass Colin von einer Volumensverminderung der Zunge spricht, deren
Möglichkeit er nicht erklärt, so ist das doch in gewissem Sinne ganz richtig, da ja, wie
ich oben erläutert habe, die Abplattung der Zunge dadurch zu Stande kommt, dass
ein Theil ihres Fleisches unter dem Boden der Mundhöhle heraustritt, so dass danach
die Masse des Organs , die im Bereiche der Mundhöhle bleibt, verkleinert ist.
Zur Mechanik des Saugens und der Inspiration. 113
kieferbewegung zu erreichen. Ich selbst vermag auf erstere Art das Queck-
silber bis zu 115, auf letztere bis zu 130"™ mit einem Zuge zu heben
und es auf diesem Stande einige Secunden festzuhalten; und ein ungefähr
ähnliches Verhältniss habe ich auch bei einigen anderen Männern mittleren
Alters gefunden, von denen jedoch einzelne mit einem Zuge sogar bis zu
140 — 145 '"'^ gelangten. Für länger als einige Secunden ist das Fest-
halten des Quecksilberstandes nicht möglich, so schnell tritt bei dieser
weitgetriebenen Anstrengung die Ermüdung ein.
Es ist jedoch mit den angegebenen Werthen die Angelegenheit noch
nicht erledigt und das wirkliche Maass der Kraft der Saugmuskeln noch
nicht gefunden. Schon aus dem vorigen Jahrhundert stammt eine Angabe
von Hales,^ dahin lautend, ein Mann könne durch eine eigenthümliche
Action seines Mundes und der Zunge 22 — 28 Zoll, d. i. über 600 "''^ Quecksilber
saugen. Das muss aber öfter beobachtet worden sein, denn vor einigen
Jahren wiederfindet sich in einer pneumatometrischen Arbeit von Ewald *-
die Bemerkung: „So können viele Menschen durch Saugen einen negativen
Druck von 700 """^ Hg und mehr erzeugen." Ich hatte Gelegenheit, nahezu
das Gleiche selbst zu sehen und dabei das besondere Yerfahren heraus-
zufinden, durch welches so enorm hohe Leistungen erzielt werden. Als ich
nämlich im vorigen Jahre bei der Berliner Naturforscher -Versammlung
meinen Vortrag über diesen Gegenstand gehalten hatte, theilte mir Hr. Wur-
ster aus Amerika mit, er selbst könne durch Mundsaugen gegen 700™'^ Hg
heben, und ich konnte mich bald im dortigen physiologischen Institute von
der Kichtigkeit seiner Angaben überzeugen. Indem er auf meinen Wunsch
den Versuch mehrmals wiederholte, erkannte ich durch Beobachtung der
vorderen Halsgegend des Saugenden, dass es nicht ein einziger Saug-
zug sondern eine ganze Heihe solcher schnell sich folgender war, durch
welche der hohe Gesammtefi'ect zu Wege gebracht wurde; und meine Ver-
muthung, dass in den kurzen Pausen zwischen den einzelnen Zügen die
Mündung der Röhre mit der Zunge verschlossen werden möge, stellte sich
als richtig heraus. Bald lernte ich die Sache nachmachen und brachte es
wenigstens bis zu 360 ""^ Hg. Mein Verfahren dabei ist so, dass ich nach
Beendigung jedes Zuges unter Verschluss der Röhre mit der Zungenspitze
rasch das kleine Quantum eingesaugter Luft nach hinten in die Racheu-
höhle treibe, bez. förmlich niederschlucke, worauf sich die Zunge wieder an
den Gaumen anlegt, auch der gesammte Muskelapparat in seine Ruhe-
stellung zurückkehrt und der Saugact von Neuem beginnen kann. Wenn
man rasch genug verfährt, kann man auch ohne Verschluss der Röhre eine
^ Citirt bei Hutchinson, a. a. O. S. 1060.
2. Ewal d. Pflüger' s Archiv u. s. w. Bd. XX. S. 262.
Archiv f. A. u. Ph. 1888. Physlol. Abthlg.
114 Leopold Aueebach:
gewisse, wenn auch geringere Erhöhung des ersten Efifects erreichen, da in
den kurzen Pausen das Quecksilber nur theilweise zurückweicht. Die
Summirung der Wirkungen aber beruht wohl einerseits auf der in den
Pausen, so kurz sie auch sind, in gewissem Grade eintretenden Erholung
der Muskeln, andererseits und vielleicht noch mehr in der Wiedergewinnung
der günstigen Anfangsstellung der Organe, nameutüch betreffs des haupt-
sächlich wirksamen Spitzentheils der Zunge, dessen Musculatur bei jedem
Zuge den höchsten Grad ihrer Verkürzung erreicht und darum zu einer
weiteren Vergrösserung des Saugraumes nichts mehr beitragen kann, hin-
gegen nach der Pause wieder einen neuen solchen schafft. Obwohl nun
der Endeffect durch Summation einer Reihe von Kraftentwickelungen er-
zielt wird, so ist doch klar, dass mit dem letzten Zuge das ganze Gewicht
der hochgestiegenen Quecksilbersäule bewältigt wird. Danach kann also
bei geübten Personen das Maass der Kraft der auf's Höchste an-
gestrengten Saugmusculatur des Mundes bis gegen 700™™ Hg
betragen.
Mittels derselben Methode wiederholter Saugzüge kann man aber auch
die Quantität einer in eine weite Röhre eingesaugten Flüssigkeit verviel-
fältigen und so leicht einen Stechheber von mehreren Hundert Cubikcenti-
metern Rauminhalt füllen. Bei dem geringen specifischen Gewichte des
Wassers bedarf es nicht einmal nothwendig eines Verschlusses durch die
Zunge, wenn die Pausen sehr kurz gemacht werden, obwohl dann durch
theilweises Zurückweichen des Wassers immerhin ein Verlust an Wirkung
eintritt.
IX. Hohlkrümmung der Zunge.
Mehrfach findet sich in älteren wie neueren Schriften, auch noch in
der oben citirten von Vier ordt,^ die Angabe, dass eine Auf wärtskrümmug
der Seitenränder der Zunge, also eine rinnenförmige Umgestaltung der-
selben zum Saugacte gehöre und eine wesentliche Rolle dabei spiele. Zum
Mindesten soll in der so gebildeten Rinne die aufgenommene Flüssigkeit,
namentlich bei Säuglingen die Milch einen bequemen und gesicherten Ab-
fiuss nach hinten finden, was als sehr nützlich erachtet wh'd; nebenbei
aber gesellt sich auch die Annahme eines activen, die Saugwirkuug be-
günstigenden Einflusses der Rinnenbildung hinzu. Diese Ansicht verdient
aber um so mehr eine Besprechung, als sie sich auf wirkliche Vorkomm-
nisse stützt, die jedenfalls einer Erklärung bedürfen. Undenkbar wäre es
ja auch nicht, dass die vor Beginn des Saugactes um eine Brustwarze oder
1 A. a. 0. S. die Anm. auf S. 60.
I
ZuE Mechanik des .Saugens und der Inspiration. 115
einen feuchten G-egenstand herumgelegten Seitenränder der Zunge durch
actives seitliches Anseiuandervveichen einen Saugrauni zu bilden versuchten,
falls die Musculatur sich zu solcher Bevvegungsform eignete. Indessen
brauche ich auf letzteren Punkt nicht einzugehen. Denn die bezüglichen
Thatsachen erscheinen bei aufmerksamer Prüfung überhaupt in einem ganz
anderen Lichte.
Es braucht nach allem Früheren kaum noch bemerkt zu werden, dass
gewöhnhch von einer Hohlkrümmung beim Saugacte nichts wahrzunehmen
ist. Eine solche tritt nur dann ein, wenn ihm die Beschaffenheit des
Saugobjectes grosse Schwierigkeiten bereitet. In der That ist die erwähnte
Ansicht entstanden aus Beobachtungen, die mittels Einführung eines Fingers
in den Mund eines menschlichen oder Thier-Säuglings oder auch eines zum
Saugen veranlassten Erwachsenen angestellt wurden, so wie aus den
inneren Wahrnehmungen, die sich beim Aussaugen einer Frucht oder eines
anderen porösen, mit Feuchtigkeit getränkten Körpers einstellen. In diesen
und anderen verwandten Fällen bildet sich in der That eine rinnenförmige
oder zuweilen auch eine trichterförmige Hohlkrümmung des vorderen,
dünneren und weichen Abschnitts der Zunge. Ein Beispiel flach gruben-
förmiger Einziehung habe ich schon vorhin bei Besprechung des Saugens
am Hg-Manometer berührt, und das Nämliche kann mau bemerken, wenn
man an einer zu fest gewickelten Cigarre zu rauchen versucht. Am stärksten
aber stellt sich eine rinnenförmige Gestaltung der Zunge unvermeidhch
dann ein, wenn man die Lippen schliesst, die Zungenspitze ein wenig über
die unteren Schneidezähne erhebt und darauf eine kräftige Saugbewegung
macht, wobei öfters die Formveränderung des Spitzentheiles der Zunge so
weit gehend ist, dass seine beiden seitlichen Hälften sich in der Mittellinie
berühren und gleich dahinter eine tiefe trichterförmige Grube gebildet wird.
Was hat es nun mit diesen Erscheinungen auf sich ? Meine Antwort
lautet dahin: Diese Hohlkrümmungen sind keine willkürlich
herbeigeführten, auch keine den Saugact fördernden Actionen,
sondern ganz passiver Natur, verursacht durch den äusseren
Luftdruck, welcher sich unter den besonderen obwaltenden Umständen nur
auf diese Art geltend machen kann. Alle erwähnten Fälle haben nämlich
das Gemeinschaftliche, dagg das Saugen ein vergebliches ist, entweder ganz
vergeblich, wie am eingeführten Finger und in dem zuletzt angeführten
Falle, oder doch relativ vergeblich, wie in den übrigen, insofern nur ein
minimales Quantum Substanz eingezogen werden kann, weit zurück-
bleibend hinter der gemachten Anstrengung, besonders wenn das Be-
mühen obwaltet mehr zu erzielen. Unter diesen Verhältnissen werden
nun alle benachbarten, weichen und beweglichen Organtheile durch den
Luftdruck so weit möglich in den Saugraum hineingedrängt. Wir
116 Leopold Auerbach:
wissen, dass aus demselben Grande unter etwas abweichenden Umständen
die Wangen tief eingezogen werden. Letzteres kann nämlich nur dann
geschehen, wenn der Unterkiefer mit der Zunge derart gesenkt ist, dass
die Wangen sich oberhalb der Zunge in den Mundhöhlenraum ein-
stülpen können. Wird dabei die Zunge ein wenig über die unteren
Zähne erhoben, so geschieht es auch dann, dass während durch die Genio-
glossi ein medialer Streifen der Zunge niedergezogen wird, ihre Seitenränder
durch die Wangen nach innen gedrängt, also zu einer Rinne umgebogen
werden. Wenn hingegen bei hochstehendem Unterkiefer die Zunge den
Mundhöhlenraum ausfüllt, so sind die Wangen durch die Zähne und die
Zunge selbst verhindert, sich nach innen zu bewegen; auch bildet sich ja
dann nur ganz vorn ein kleiner Saugraum, und in diesen müssen jetzt die
ihm benachbarten Weichtheile eintreten. Liegt dabei die Zungenspitze den
unteren Schneidezähnen an, so sind es die Lippen, die eingezogen werden;
ist hingegen die Zunge etwas erhoben, so dass ihre Spitze der Mitte der
Lippen im Wege ist, so presst der Luftdruck mittelbar, nämlich durch die
den Mundwinkeln benachbarten Partien der Lippen und Wangen, auch
von der Unterkiungegend her, die Seitenränder des vorderen Abschnittes der
Zunge gegen die Mittelebene hin, während ein medialer Streifen nieder-
gezogen und so eine Rinne gebildet wird. Dasselbe geschieht, wenn ein
festliegender Fremdkörper, der keine oder wenig Flüssigkeit abgiebt, z. B.
ein Finger, eine Brustwarze eingeschoben ist; derselbe wird zunächst so
weit als möglich hereingezogen, daher auch die Brustwarze der Säugenden
verlängert; sodann aber treten wieder die Ränder der Zunge in die Lücke
ein, den Fremdkörper umfassend und pressend. Betrifft dies die Brustwarze
einer Säugenden, so ist es wohl glaublich, dass dieser mechanisch her-
beigeführte seitliche Druck zum Auspressen der Milch etwas
beitragen kann.
Wenn ich sagte, dass der äussere Luftdruck auch von der Unterkinn-
gegend her die Zungenränder in die Höhe drängt, so wird dies sehr deut-
lich dadurch bewiesen, dass die sonst, nämlich bei leichterem Saugen, be-
merkbare Her vor Wölbung jener Gegend unter den zuletzt bezeichneten Um-
ständen ausbleibt, ja sogar eine leichte Einziehung derselben zu erkennen ist.
Die Richtigkeit der hier entwickelten Ansicht von der mechanischen
Entstehung der Hohlkrümmungen wird überdies auch durch die Empfin-
dungen der Unwillkürliohkeit und Unvermeidlichkeit bestätigt, und es wird
schwerlich Jemand daran zweifeln, der die betreffenden kleinen Versuche
mit Aufmerksamkeit nachmacht.
Doch möchte ich noch hinzufügen, dass, wie ich finde, die eigenen
Muskeln der Zunge gar nicht im Stande sind, ihr ohne fremde Beihülfe
diejenige Hohlform zu geben, welche sie in den erwähnten Fällen beim
ZuE Mechanik des Saugens und dee Inspiration. 117
Saugen auuimmt. Wenn man bei sehr weit geöffnetem und auch etwas
in die Breite gezogenem Munde die Zunge derartig hebt, dass ihre Ränder
und ihre untere Fläche frei von seitlichem Drucke sind, so kann man ihr
zwar auch dann durch Willenseinfluss eine muldenförmige Gestalt bei-
bringen, vermuthhch unter combinirter Action der Genioglossi und der
oberen Schichten der transversalen Muskelfasern; allein die so erreichbare
Gestalt ist hinsichtlich der Annäherung der Ränder noch sehr entfernt
von der rinnenförmigen oder derjenigen eines Schnabeltässchens vergleich-
baren Höhlung, die sich zuweilen beim Saugen ausbildet. Wohl aber kann
man diese leicht dadurch herbeiführen, dass man einen Druck der Lippen
und Wangen auf die Seitentheile der Zunge zu Hülfe nimmt, also die
Thätigkeit des Orbicularis oris und der Buccinatores, so die Rolle ersetzend,
welche in den besprochenen Fällen des Saugens der Luftdruck spielt.
Auch einen Nutzen der Rinnenbildung in dem Sinne, dass dadurch
derj Abfluss einer eingesaugten Flüssigkeit nach hinten begünstigt werde,
muss ich gänzlich in Abrede stellen. Es ist das schon deshalb nicht mög-
hch, weil die Höhlung, wo sie sich bildet, nur das vordere Drittel der Zunge
einnimmt, und weil das Saugobject den Boden der Rinne ausfüllt. Ausser-
dem aber habe ich ja genügend begründet, dass und warum der Mensch
während des Saugactes niemals etwas über den Berg der Zunge hinweg
nach hinten fliessen lässt, und auch in unseren jetzigen Fällen , z. B. beim
Säugling an der Mutterbrust, verweilt die Flüssigkeit so lange in dem Saug-
raume unter dem harten Gaumen, bis sie durch den nachfolgenden
Schlingact nach hinten getrieben wird.
Nach allem sind also die Hohlkrümmungen der Zunge un-
wesentliche, nur in besonderen Fällen eintretende, durch den
Luftdruck erzeugte, nicht als Ursachen sondern als Folgen des
Saugens aufzufassende Nebenerscheinungen, welche in dieselbe
Kategorie, wie die Einziehung der Wrangen gehören, und auch
den Abfluss der eingesaugten Flüssigkeit nicht fördern, wohl
aber eventuell zur Auspressung eines Saugobjectes beitragen
können.
X. Combinirtes Saugen und Pneumatometrie.
Aus bestimmten Gründen muss ich nach Allem doch noch auf die
Frage eingehen, unter welchen Umständen und mit welchem Erfolge die
beiden Hauptarten des Saugens, das inspiratorische und das Mundsaugen
sich zu gemeinschaftlicher Wirkung verbinden können. Dass bei den zum
Leben nöthigen Saugacten, die dem Körper Flüssigkeit zuführen, eine solche
Combination nicht vorkommt, und ebenso auch nicht bei der Benutzung
118 Leopold Auekbach:
kleiner Saugröhren, dürfte aus dem Vorstehenden hinreichend hervorgegangen
sein. Die Frage, um die es sich noch handeln kann, ist nur die, ob in
schwierigen Fällen inspiratorischenSaugens eine Unterstützung
desselben durch die Mundmechanismen vorkommt und wie sich
die Verhältnisse dabei gestalten. Es ist dies ein Punkt, der nament-
lich für die Methodik gewisser, die Athmung betreffender, messender Un-
tersuchungen von Wichtigkeit ist, und zwar sowohl für die im engeren Sinne
sogenannten pueumato metrischen wie für die von mir hier vorgeschla-
genen pneumergometrischen Bestimmungen.
Fassen wir zunächst die ersteren in's Auge, so hat die eben erwähnte
Frage in der Geschichte der Pneumatometrie seit lange eine Kolle gespielt
und die Sorge der Beobachter in Anspruch genommen. Sie betrifft eigent-
lich sowohl die Untersuchung bei freiem Athmen, wie diejenige bei Ab-
sperrung der Innenluft. Die letztere ist aber von besonderem Belange,
sowohl weil analoge Fälle hohen Grades sich im Leben ereignen und in
ernstester Weise das Interesse des Arztes beanspruchen, z. B. bei Ein-
dringen von Fremdkörpern in die oberen Luftwege oder sonstiger Stenose
derselben, als auch wegen der Verwerthbarkeit im dynamometrischen Sinne.
Im Falle der Absperrung haben nämlich die Athemmüskeln in Folge höher
und höher steigender Verdünnung, bez. Verdichtung der Innenluft Gelegen-
heit das höchste Maass ihrer Anstrengung zu entfalten; das Manometer
wird damit zu einem Dynamometer und liefert vergleichbare Werthe der
maximalen Kraft, welche der Respirationsapparat der Individuen nach aussen
hin zu entwickeln vermag. Diese ist ja im gesunden Zustande in grossem
Ueberschusse vorhanden, kann hingegen unter abnormen Verhältnissen auf's
Aeusserste in Anspruch genommen werden, auch in verschiedener Weise
geschädigt sein , weshalb auch schon W a 1 d e n b u r g ^ Me ssungen dieser
Kraft zu diagnostischen und prognostischen Zwecken zu verwerthen gesucht
hat. Zu unserer Angelegenheit stehen übrigens nur die A'erhältnisse des
Inspirationszuges in Beziehung. Es soll sich deshalb die folgende Be-
sprechung nur aaf den maximalen negativen Inspirationsdruck bei Ab-
sperrung der Luftwege beziehen.
Derartige Versuche hatte nun schon vor langer Zeit Valentin^ an-
gestellt und zwar so, dass er den Versuchspersonen die Nasenlöcher ver-
stopfte und die Inspiration durch die Mundhöhle hindurch auf ein Mano-
meter wirken hess; er war dabei zu verhältnissmässig hohen Werthen ge-
kommen, die sich bei einzelnen Individuen bis zu 266™^ Hff erhoben.
^ Waidenburg, Berliner Minische Wochenschrift. 1871. S. 541; — luid
„Pneumatische Therapie."
2 Valentin, ieÄrSiic/Mi. s. w. 1817. Bd. I. '^.b'i\\ — Grundriss. 1855. S. 210.
Zun Mechanik des Saugens und der Inspiration. 119
Dem gegenüber gaben Hutchinson ^ und dann Donders^ der Inspiration
durch die Nase den Vorzug, indem sie die Verlängerung eines Manometer-
rohres in ein Nasenloch luftdicht einfügten, das andere versperrten, so wie
auch den Mund geschlossen halten Hessen, wobei sich im Ganzen viel
niedrigere Werthe ergaben, die sich bei Hutchinson für die leistungs-
fähigsten Individuen im Mittel auf 77, bei Don der s sogar nur im äussersten
Falle auf 76, im Mittel aber auf 57™"' Hg beliefen. Donders verwarf
ausdrücMich die Methode, „weil die Muskeln des Mundes dabei ihren Ein-
fluss üben," uatürhch einen erhöhenden. Demselben eventuellen Uebel-
stande haben in ihren Untersuchungen auch Waidenburg und nach ihm
Biedert^ viel Aufmerksamkeit zugewendet und versucht, demselben da-
durch entgegenzutreten, dass sie an das Ende des Manometerschlauches
einen offenen Hohlkörper (Maske) anfügten, welcher entweder nur auf den
ziemüch weit geöffneten Mund der Versuchsperson äusserlich aufgesetzt wird
(Mundmaske, wie sie übrigens auch schon Valentin benutzt hatte) oder
in grösserer passender Form Mund und Nase zugleich luftdicht bedecken
soll (Mundnasenmaske), Einrichtungen, auf deren Werth ich noch zurück-
kommen werde. Wieder einen anderen complicirteren Apparat hat Ewald^
gegen die erwähnte Fehlerquelle in's Werk gesetzt, welche er mit folgen-
den Worten charakterisirt : „Die Wirkung der Mundmusculatur ist eben
wegen ihrer positiven und negativen bedeutenden Druckhöhen äusserst
störend .... und es braucht sich daher mit der Athembewegung nur eine
geringe Saugbewegung zu combiniren, um das Resultat wesentlich zu ändern.
.... Es giebt aber kein Mittel, um zu constatiren, ob der Druck allein
in den Lungen oder theilweise im Munde erzeugt werde." Es ist dem-
nach nur natürlich, dass dieselbe Ansicht auch in die Lehrbücher über-
gegangen ist.
Die Vorsicht nun, zu welcher sie auffordert, halte ich ebenfalls für
sehr wohl angebracht. Gleichwohl scheint mir dieser Punkt noch einer
Klärung zu bedürfen. Insofern nämlich offenbar die Sache vielfach so an-
gesehen worden ist, dass man annahm, es könne während der Inspi-
ration die Mitwirkung der Mundsaugemuskeln einen zu hohen Inspirations-
druck vortäuschen, so muss ich dem widersprechen.
Erwägen wir die Sache zunächst theoretisch, so ist nicht zu vergessen,
dass ja während der Inspiration von der Mundhöhle bis in die Lungen
hinein nur eine einzige zusammenhängende Luftmasse existirt. Denken
wir uns nun irgend ein Gefäss mit verdünnter Luft erfüllt und aussen
^ Hutchinson, a. a. 0. p. 1061 ff.
^ Donders, Physiologie des Menschen. 1856. Bd. I. S. 401.
* Biedert in seinen auf S. 84 angeführten Abhandlungen.
* Ewald, Pflüger's Archiv u. s. w. Bd. XX. S. 262.
120 Leopold Auerbach:
von dem vollen atmosphaerischen Drucke umgeben, so wird jeder Theil der
Wandung des Gefässes der obwaltenden Druckdifferenz gewachsen sein
müssen. Fände sich irgendwo eine schwache Stelle, so würde dieselbe so-
fort eingedrückt oder zersprengt werden, und es könnte ihr nichts helfen,
wenn an einer anderen Stelle überschüssige Festigkeit vorhanden wäre. In
demselben Falle ist aber während der Einathmung der Thorax. Die Rolle,
welche in dem erwähnten Beispiele die Cohaesion spielt, übernimmt bei
der Inspiration die Kraft der thätigen Muskeln. Die von ihnen entwickelte
Kraft muss in jedem Augenblicke der gerade vorhandenen Druckdifferenz
mindestens das Gleichgewicht halten, und es kann ihnen nicht zu Gute
kommen, wenn zugleich in der Mundhöhle stärkere ausdehnende Kräfte
wirksam sind. Die Verdünnung, welche die letzteren zu Wege bringen,
wird zunächst wegen der Vertheilung auf die grosse Masse der Lungenlüft
nur einen kleinen Bruchtheil derjenigen betragen, die sie in der abge-
schlossenen Mundhöhle erzeugen können. Dem so erzielten Yerdünuungs-
grade aber entsprechend, wie gross oder klein auch derselbe sei, werden
sich die Inspirationsmuskeln mit einer gesteigerten Anstrengung anschliessen
müssen, oder es wird der Thorax um etwas zurücksinken und das ge-
wonnene Plus wieder vernichten. Denn die wegen der Kehlkopfsenge zu er-
wartende Verzögerung des Ausgleichs ist nach den Erfahrungen bei freiem
Athmen auf höchstens ein paar Millimeter zu schätzen, also viel zu gering-
fügig, um für unsere Frage in Betracht zu kommen.
Es kann also während der Inspiration und überhaupt so lange die
Mundhöhle mit der Luftröhre in Communication ist eine Einmischung des
Mundsaugens keinen Einfluss auf den Stand des Manometers ausüben, und
es bleibt unter solchen Umständen trotz etwaigem gleichzeitigem
Mundsaugen die Höhe der Flüssigkeitssäule im Instrumente
das richtige Maass der Verdünnung der Lungenluft und der
hydrodynamischen Leistung des Inspirationsapparates.
Es ist deshalb wohl begreiflich, dass unter denjenigen Untersuchungs-
reihen, die je an einem Individuum abwechselnd mit der Nasen- und
Mundmethode angestellt worden sind, wobei die letztere höchst wahrscheinlich
nicht ohne Hineinspielen der Mundsaugorgane abhef, sich dennoch auch
solche finden, die beide Methoden als gleichwerthig erscheinen lassen. Hat
doch selbst Waidenburg, obwohl er auf die Fehlerquelle aufmerksam
war, und zwar zu der Zeit, als er noch seinen Versuchspersonen das End-
stück des Manometerrohres in den Mund gab, worin gewissermaassen noch
ein besonderer Anreiz zu Saugbewegungen der Zunge liegt, in zahlreichen
Parallelversuchen mit langsamer Inspiration die Sache so gefunden,
dass er zu dem Schlüsse kommt, den er besonders hervorhebt: „Die
Werthe, die man dann erhält, sind dieselben, ob man durch den Mund
Zur Mechanik des Saugens und der Inspiration. 121
oder durch die Nase athmen lässt." ^ Ich selbst habe schon oben auf
S. 74 genauer über zwei Küfer und deren pneumatometrische Leistungen
berichtet. Diese waren aber wesentlich die gleichen bei Inspiration durch
den Mund wie bei solcher durch die Nase. In diesen Fällen war die
Sache so, dass die Differenzen, welche vorkamen und sich übrigens nur
auf einige bis S'^™ beliefen, eben so oft ein Plus auf Seiten der Nasen-
wie der Mundmetbode aufwiesen. An der Bedeutung dieser Thatsacbe
ändert es nichts, dass es zwei Individuen betrifft, die an inspirato-
risches Saugen sehr gewöhnt waren, da doch die besonderen Verhältnisse
dieser Versuche von denen am Kugelheber verschieden genug sind.
Uebrigens habe ich das Gleiche noch an einem dritten Mann beobachtet,
der nicht zu der erwähnten Profession gehört, dessen Inspirationsdruck
sich dabei im Mittel gleich 68 "^"^ Hg herausstellte. Es kommt eben nur
darauf an, dass die Versuchsperson vom Beginn des Versuchs bis zum
richtigen Augenblicke das Ablesens des Manometerstandes den Isthmus
faucium offen hält; ^ dann kann sie mit Unterkiefer und Zunge
saugen so viel sie will, ohne das Resultat zu ändern.
Daraus folgt nun freilich, dass, wenn die letzterwähnte Bedingung
nicht gewahrt bleibt, bei Anwendung der Mundmethode doch eine Com-
binirung der beiden Saugmechanismen mit Summirung ihrer Wirkungen
möglich ist, nämüch so, dass sie nicht gleichzeitig, sondern hintereinander
agiren. Und zwar kann dies auf zweierlei Art geschehen.
Entweder saugt die Versuchsperson zunächst mit der Zunge und er-
hebt dann in irgend einem Momente das Gaumensegel, um die Arbeit
durch Einathmen fortzusetzen, wo dann die Inspirationsmuskeln das Queck-
silber bis zu einem gewissen Punkte gehoben finden, und da sie noch
frisch und unermüdet sind, es vielleicht bis zu einer grösseren Höhe empor-
bringen können, als wenn sie den ersten Theil der Arbeit selbst zu be-
sorgen gehabt hätten. Dass die Abhebung des Gaumensegels von der
Zunge in der bezeichneten Situation trotz des Ueberdruckes der ßachen-
luft möglich ist, beweist folgende leicht nachzumachende Beobachtung.
Wenn ich bei geschlossenem Munde mittels der Zunge und des Unter-
kiefers eine starke Saugbewegung gemacht habe, so dass die Wangen tief
eingezogen sind, so vermag ich dennoch mit einer gelinden Anstrengung
das Gaumensegel von der Zunge loszureissen, was unter einem lauten Ge-
räusche erfolgt, womit auch unmittelbar die Einstülpung der Wangen zu-
rückgeht. War die anfängliche Saugbewegung nur eine massige, so
^ Berliner Minische Wochenschrift. 1871. S. 542.
^ Einen willkürlichen Verschluss der Stimmritze glaube ich für diesen Fall nicht
in Betracht ziehen zu müssen.
122 Leopold Auerbach:
ist das erwähnte Geräusch nur schwach oder kaum zu hören, und derart
mag es bei den in Rede stehenden Untersuchungen zuweilen unbemerkt
geschehen. Meine an einigen Personen angestellten Versuche, mittels des
mit dem Manometer verbundenen Saugspiegels ein solches Verhalten zu
finden, fielen allerdings negativ aus, indem jedesmal das Gaumensegel von
Anfang an in horizontaler Stellung war, wenn die Personen über ihre Auf-
gabe zu inspiriren genügend instruirt waren; hingegen scheint mir, wenn
das Endstück der Röhre auf der Zunge liegt, nach äusserlicher Beobach-
tung das bezeichnete Vorkommen nicht selten zu sein. Allein auch dann
kann die Steigerung des Effects schwerlich bedeutend sein, und hiervon
abgesehen, so wird unter diesen Umständen immerhin im letzten
Augenblicke der wirkliche Inspirationsdruck gemessen, der nur
aus dem angeführten Grunde ein wenig höher ausfallen mag als bei An-
wendung der Nasenmethode.
Viel eingreifender aber ist die andere Combination, darin bestehend,
dass die Versuchsperson zuerst inspirirt und, wenn sie nicht mehr weiter
kann, das Gaumensegel fallen lässt und jetzt mittels der Mundorgane
weiter sangt; denn in diesem Falle zeigt der schliessliche Stand des Mano-
meters überhaupt nicht mehr den Inspirationsdruck an, sondern die hier
unter begünstigenden Umständen einsetzende Kraft des Mundsaugapparates,
dessen Leistungen besonders deshalb beträchtUch höher ausfallen können,
weil er es nur mit einem kleinen Luftvolumen zu thun hat. Auch kann
es trotz bezüglicher Belehrung vorkommen, dass überhaupt nur mit dem
Mundmechanismus gesaugt und gar nicht inspirirt wird. Auch diese Even-
tualitäten habe ich bisher mittels Einschaltung meines Saugspiegels nicht
positiv beobachten können, was aber wiederum nicht ausschliesst, dass sie
in anderen Fällen und namentlich dann, wenn das Ende einer gewöhn-
lichen schmalen Manometerröhre in den Mund genommen wurde, doch ein-
treten mögen. Sie würden dann aber deshalb schwer zu erkennen sein,
weil einerseits die bezügliche Thorax- und Zwerchfellsbewegung zu gering
ist, um ihr Eintreten oder Ausbleiben zu constatiren, und -weil es ja an-
dererseits gar nicht auf etwa bemerkbare Saugbewegungen der Mundorgane
ankommt, sondern nur darauf, ob dabei der Isthmus faucium versperrt oder
offen ist, was sich eben bei den üblichen Verfahrungsweisen nicht wahr-
nehmen lässt.
Obwohl nun meines Erachtens nur die letzterwähnten Eventualitäten
in einzelnen Fällen eine bedeutende Fehlerquelle darstellen, so machen sie
immerhin die Mundmethode unsicher, und es war also ein gewisses, wenn
auch mehr allgemein gehaltenes Misstrauen gegen dieselbe doch begründet.
Dieses reichte jedoch nicht aus, um bei ausgedehnterer Untersuchung für
Verwerfung derselben bestimmend zu werden. Vielmehr wurden Verbesse-
ZuK Mechanik des Saugens und der Inspiration. 123
rangen versucht und zwar zunächst durch Rückkehr zu Valentin's Mund-
maske oder modificirten Formen derselben, wie solche von Waidenburg"
und Biedert benutzt wurden, nämlich etwa muschelförmigen, als End-
stück des Manometerrohres dienenden Hohlkörpern, die bei ziemlich weit
geöffnetem Munde äusserlich auf die Lippen und Kieferränder angedrückt
werden. Biedert, von der irrigen Voraussetzung ausgehend, dass die Unter-
kieferbewegung den ganzen Mechanismus des Mundsaugens ausmache, glaubte
den Nutzen seiner Mundmaske wesentlich in der Feststellung des Unter-
kiefers zu finden und nahm an, dass wenn dieses genügend gesichert, auch
das Hineinspielen des Muudsaugens unmöglich sei. Er hat dabei die Eigen-
bewegung der Zunge als Saugmittel ganz ausser Acht gelassen. Wir wissen
aber jetzt, dass diese auch bei Fixirung des Unterkiefers in gesenkter
Stellung sehr wirksam, und dass sie überhaupt der mächtigere Factor auch
am Manometer ist. (Vergl. S. 91, 106, 113.) Eher käme in Betracht,
dass bei weit aufgesperrtem Munde anscheinend eine geringere Neigung
vorhanden ist, die anfängliche inspiratorische Stellung des Gaumensegels mit
der zum Mundsaugen nöthigen zu vertauschen, wie ich das selbst für
wahrscheinlich halte, ohne dass doch ein Veiiass darauf wäre.
Mit mehr Vortheil würde sich in diesem Sinne mein Saugspiegel, mit
einem Manometsr verbunden, gebrauchen lassen, Nächstdem, dass das
beiderseits lästige Andrücken fortfiele, würde dabei der Unterkiefer viel
sicherer fixirt und durch die Glasscheibe eine Controle der Vorgänge im
Munde ermöglicht sein.
Nächstdem wäre aus dem vorhin von mir aufgestellten Principe noch
ein anderer Versuch zur Verbesserung der Mundmethode abzuleiten. Diese
Abänderung bestände darin, dass der Versuchsperson die Nase nicht zu-
geklemmt, sondern ihr überlassen wird, durch Horizontalhaltung des Gaumen-
segels mit dichtem Anschlüsse an den Pharynx die äussere Luft von dem
Athemwege abzuhalten. Dass es Individuen giebt, die auf diese Art agiren
können, lehren meine im dritten Abschnitte beschriebenen Beobachtungen
am Pneumergometer und Kugelheber, an denen es meine Küfer und einige
andere Personen bei offener Nase bis zu recht hohem negativem Inspira-
tionsdrucke brachten, eine sogar bis 70'"™ Hg. Bei solcher spontanen
Absperrung aber ist ein unbemerklicher Uebergang vom inspiratorischen
zu solchem Mundsaugen, das den Manometerstand höher heben könnte,
nicht möglich; denn während der nöthigen Umstellung des Gaumensegels
muss die dichtere Luft aus der Nasen- in die Rachen- und Mundhöhle
hineinstürzen und das Manometer rapide fallen machen, worauf sich dann
ein neues Steigen anschliessen kann, was sich auch bei absichtlich so pro-
birtem Verfahren bestätigt. Diese negative Schwankung ist gar nicht zu
übersehen. Geübtere und erfahrene Personen vermeiden aber von selbst
124 Leopold Auerbach:
diese Eventualität. Allein diese Variante der Methode hat einen grossen
Fehler, der darin liegt, dass nur in seltenen Fällen auf eine völlig ge-
nügende Kraft der Heber des Gaumensegels zu rechnen sein wird. Man-
chen Personen gelingt das gev^rünschte Verhalten von vorn herein nicht,
indem sie entweder durch Mund und Nase inspiriren oder nur mit der Zunge
saugen. Immer aber, auch wo es bis zu einem gewissen Punkte hin ge-
lingt, bleibt der Fehler bestehen, dass die Grenze der Leistung mit von
den erwähnten Gaumenmuskeln abhängt, die ja dem Ueberdrucke der
Luft mit ganz derselben Kraft entgegenwirken müssen wie die Inspirations-
muskeln selbst, während sie nur in seltenen Fällen eben so stark sein
werden wie diese. Vermuthlich werden sich bei Ungeübten auch am Pneum-
ergometer höhere Werthe ergeben , wenn eine Lüftung des Gaumensegels
durch äussere Zuklemmung der Nase unschädlich gemacht ist.
Da dem nun aber so ist, so muss ich als die dem Principe nach voll-
kommenste Verbindungs weise des Manometers mit den Luftwegen diejenige
anerkennen, die eigentlich eine Vereinigung der Mund- und Nasenmethode
darstellt, nämlich die von Waidenburg eingeführte Mund-Nasen-Maske,
welche gleichzeitig Mund und Nase bedeckt und beide Höhlen mit dem
Manometerraum in Communication setzt. Biedert hat das auch ganz
richtig erkannt und drückt sich so aus : „Vollständig wirkungslos aber wird
ein Saugen mit dem Munde auf das Pneumatometer, wenn wie bei der
Mundnasenmaske die offenen Nasenlöcher mit in das Ansatzstück genommen
werden. Fast die ganze Luft, die jetzt eingesaugt wird, strömt dann aus
der offenen Nase, Luftröhre nach, und nur ein winziger Theil aus dem
Manometer; das Quecksilber des letzteren wird durch diese Thätigkeit kaum
bewegt." Das ist gewiss thatsächlich zutreffend. Ich möchte aber den
Vortheil dieser Einrichtung allgemeiner dahin praecisiren, dass sie auf zwei
Wegen, und deshalb unabhängig von der Haltung und Bewegung des
Gaumensegels, andauernd für die Communication der Lungenluft mit dem
Manometer sorgt, nämlich entweder durch den Isthmus faucium oder durch
die Nasen- und Rachenhöhle hindurch, und dass damit das im Anfange
dieses Abschnittes entwickelte Princip dauernd inne gehalten wird.
Es scheint indessen, dass sich bei 'der Anwendung der Mundnaseu-
maske praktische Schwierigkeiten herausgestellt haben, vermuthlich betreffend
die Anpassung an verschiedene Gesichtsformen und den luftdichten Schluss.
Wenigstens ist es auffallend, dass selbst Biedert später dieses Hülfs-
mittel nur mehr zur Controle in einzelnen Fällen benutzt, gewöhnlich
aber mit der Mundmaske operirt hat, und dass Waidenburg theilweise
dazu übergegangen ist, die Maske mit Collodium an die Gesichtshaut an-
zukleben. Wenn aber solche Unzuträgiichkeiten im Wege sind, dürfte sich,
meine ich, für viele Fälle doch eine Rückkehr zu der einfachen, Ursprung-
Zur Mechanik des Saugens und der Inspiration. 125
liehen Form der Naseiimethode empfehlen, wie sie Hutchinson und
Donder's angewandt haben. Gegen diese hat zwar Ewald den Einwand
erhohen, dass ein Nasenloch, überdies zum Theil durch die Röhre verlegt,
eine zu enge Communication darstelle, die den Effect beeinträchtige. Dies
mag für einzelne Fälle zutreffen , und in diesen könnte der Fehler durch
ein gabiig getheiltes, in beide Nasenlöcher einzuführendes Rohr auf die
Hälfte reducirt werden. Dass aher für gewöhnlich, bei Erwachsenen mit
normal geformter Nasenhöhle, jener Einwurf überhaupt nicht begründet ist,
dafür scheinen mir meine oben im dritten Abschnitte beschriebenen Be-
obachtiingen einen Beweis zu Mefern, welche mit der alten, und zwar nur
einseitigen Nasenmethode sehr hohe Inspirationsdrucke ergaben, ja sogar
solche, die den mit der Mundmethode an denselben Personen erzielten
gleich waren.
Die Nasenmethode betreffend möchte ich nun hier noch eine Beobach-
tung hinzufügen. Ich wünschte zu erfahren, wie sich bei ihrer Anwendung
die Zunge verhalten möge. Dass sie nicht mit saugt war anzunehmen.
Weiteres aber lehrte bei mehreren Personen die gleichzeitige Besichtigung
der Mundhöhle durch mein Speculum. Wenn bei solcher Mundstellung die
Inspiration durch die Nase beginnt, so bleibt die Zunge nicht ruhig, sondern
macht eine Bewegung, welche gerade entgegengesetzt derjenigen ist, die wir
als charakteristisch für ihre Saugthätigkeit kennen. Sie wird nämlich er-
hoben, rückwärts gezogen und mit ihrer Wölbung an den Gaumen angepresst.
Dies geschieht offenbar, um die Absperrung des Luftweges von der Mund-
höhle zu sichern, damit nicht durch Einziehung von Mundluft die Wirkung
auf das Manometer abgeschwächt werde. Die Abschliessung kann nämlich
in solchem Falle von dem Gaumensegel allein nicht besorgt werden, weil
dieses, wie jede Klappe, nur einseitig wirkt, d. h. nur dann, wenn der
Ueberdruck auf Seite der Rachenluft ist, so dass durch diesen von hinten
her mindestens das Zäpfchen und ein Randstreifen an die Basis der Zunge
angepresst werden, während in unserem jetzigen Falle der Ueberdruck der
Mundluft die Klappe vielmehr abheben würde. Natürlich ist das Bedürf-
niss nach solcher Absperrung durch die Zunge noch grösser, wenn die
Mundhöhle der äusseren Luft zugängig ist, und es zeigt sich deshalb die
gleiche Bewegung und zwar noch energischer dann, wenn das Speculum
weggelassen und die Beobachtung einfach bei weit aufgesperrter Mund-
öffnung angestellt wird. Der Abschluss durch die Zunge gestattet nämlich
selbst bei ganz offenem Munde den vollen Effect der nasalen Inspiration auf
das Manometer, wie denn überhaupt auf diese Art manche Personen, die
den Mund offen halten, trotzdem nur durch die Nase athmen. Bei ge-
schlossenem Munde liegt ja ohnedies meistens die Zunge dem Gaumen an,
und es wird dann die beschriebene Bewegung derselben nicht erst uöthig sein.
126 Leopold Auerbach:
Nach diesem Excars in das Gebiet der Pneumatometrie ist noch die
Frage zu erörtern, wie sich wohl bei der Arbeit am Pneumergometer oder
am Kugelheber hinsichtlich Mithülfe des Mundsaugens die Dinge verhalten
mögen.
Ich erwähnte schon oben auf S. 72, dass im Beginne dieser Operation
immer auch die Herabzieher des Zungenbeines in Contraction gerathen
und besprach die Bedeutung dieser ihrer Mitwirkung für die Förderung
des Inspirationsactes selbst. Die Thatsache jedoch, dass dieselbe Erschei-
nung auch im Mechanismus des Zungensaugens eine wesentliche Eolle
spielt, musste die Frage anregen, ob nicht, so sehr auch die inspiratorische
Anstrengung im Vordergrund steht, doch nebenher auch der Zungenmecha-
nismus zu Hülfe genommen werde. In dem Saugspiegel hatte ich nun ein
Mittel, diese Frage direct zu entscheiden. Das untere Röhrchen desselben
wurde durch ein Stück Gummischlauch mit dem Mundstück des Hebers
oder Pneumergometers in Verbindung gesetzt und das Instrument von den
Küfern auf bewusste Art zwischen Zähne und Lippen genommen. In der
That vermochten sie auch so, namentlich wenn eine grössere Hubhöhe ver-
mieden wurde, gegen 1800 <^°™ Wasser anzusaugen. In der Mundhöhle
aber zeigte sich nebst der zu constatirenden Horizontalstellung des Gaumen-
segels Folgendes. Mit dem ersten Moment der Action wird auch der
hinterste Theil der Zunge nach unten und vorwärts gezogen, Wirkung des
Hyoglossus, jedenfalls um unter Aufrichtung des Kehldeckels den Zugang
zur Kehlkopfshöhle weit offen zu gestalten. Im Uebrigen aber bleibt die
charakteristische Abplattung der Zunge und die Gesammtsenkung ihrer
vorderen Theile, also die Leistung des Genioglossus zunächst aus. Erst
in den letzten Secunden des Saugens, wenn nicht mehr gar viel zum
erreichbaren Flüssigkeitsquantum fehlt, gesellen sich die letzterwähnten
Theilerscheinungen hinzu, ohne dass jedoch das Gaumensegel seine inspi-
ratorische Horizontalstellung verändert. Es bleibt also die Communication
mit den Lungen offen und geht die Inspiration weiter, was auch durch den
fortgesetzten Aufstieg der Flüssigkeit bewiesen wird. Unter diesen Um-
ständen kann es aber nach dem oben Erörterten keineswegs geschehen,
dass die Zungenmuskeln den Inspirationsmuskeln einen Theil ihres AVider-
standes gegen die Druckdifferenz abnehmen, da diese vielmehr dem Zuge
der höher steigenden Wassersäule bis zum letzten Augenbücke auch ihrerseits
mit entsprechender Kraft das Gleichgewicht halten müssen. Wohl aber kann
ihnen in anderer Weise die Hülfe etwas nützen. Die Verhältnisse sind ja
hier anders als am Pneumatometer wegen der grossen Menge der eingeathmeten
Luft und der entsprechend grossen Erweiterung des Thorax, welche nach
meinen im dritten Abschnitte gegebenen Erörterungen zuletzt die Haupt-
schwierigkeit verursacht. Die Zungendepression wird aber, indem sie
ZuE Mechanik des Saugens und dee Inspiration. 127
ihrerseits neuen Eaum frei macht, dem Brustraume einen wenn auch nur
kleinen Theil seiner Erweiterung ersparen und damit auch einen gewissen,
in diesem Stadium verhältnissmässig grossen Betrag hinzuwachsender innerer
Widerstände. In Folge dessen werden die Einathmungsmuskeln mit dem
letzten Aufgebote ihrer Kraft noch eine 1 — 1\'2"^ höher angestiegene
Wassersäule zu tragen vermögen. So klein der Gewinn ist, so macht sich
ihn doch der Saugende zu Nutze, falls er die Aufgabe und das Bestreben
hat, das Aeusserste in Hebung der Flüssigkeit zu leisten. Bei Annahme
dieses Zusammenhanges ist es jetzt auch sehr begreiflich, warum erst gegen
das Ende der ganzen Arbeit der Zungenmechanismus zu Hülfe genommen
wird, und dass dies bei Bewältigung kleinerer Volumina überhaupt gar nicht
geschieht. — Was hier bei Aufsperrung des Mundes mittels des Saugspiegels
zu beobachten war, mag auch dann geschehen, wenn in der gewöhn-
lichen Weise das röhrenförmige Endstück des Pneumergometers oder Kugel-
hebers im Munde des Saugenden steckt. Eine gleichzeitige Unterkiefer-
bewegung aber, die allerdings, auch während eine Röhre von den Lippen
festgehalten wird, nicht unmöglich ist, habe ich thatsächlich niemals hin-
zutreten sehen. Es könnte also au Volumen gehobenen Wassers höchstens
nur so viel gewonnen werden, als die einmalige Zungendepression neuen
Raum schafft, das sind in maximo 50 '^'^"^ (s. S. 91), und das würde z. B.
an meinem Normal-Pneumergometer (Nr. II) für den Werth von H ein Plus
von noch nicht 1 ^2 °™ bedeuten. Hingegen ist es in diesem Falle ganz un-
denkbar, dass an das Ende der Inspiration ein richtiger, unter Verschluss
des Isthmus faucium bewerkstelKgter Act des Mundsaugens oder gar eine
Reihe solcher mit Summirung ihrer Wirkung sich anschliessen könnten; denn
da die Nasenlöcher offen stehen, so müsste in dem Augenbhcke, wo das
horizontalstehende Gaumensegel gelüftet und von der Wand des Pharynx
entfernt würde, von der Nasenhöhle her die dichtere äussere Luft eindringen,
den erlangten Effect vernichten und das Wasser in der Saugröhre zurück-
stürzen. Auch würden derartige Zuthaten bei Beachtung der Halsgegend an
dem Auf- und Absteigen des Kehlkopfes leicht zu erkennen sein; dieses zeigt
sich aber niemals, vielmehr behält der Kehlkopf seine im Beginne des Saug-
acts eingenommene tiefe Stellung bis zu dessen letztem Augenbücke inne.
Es ist also gewiss, dass von dem Volumen des gehobenen Wassers im äusser-
sten Falle 50 '^'=™, d. h. weniger als 3 Procent auf Rechnung einer etwaigen
Mithülfe der Zunge kommen können, während die erreichte Hubhöhe ganz
und gar der Kraft der Inspirationsmuskeln entspricht, und es behält
demnach jedenfalls ein solcher Saugact so gut wie ganz den
Charakter eines inspiratorischen. In der oben im Abschnitt III be-
rechneten Grösse der Erweiterung des Athmungsraumes würde aber die
hier supponirte geringe Erweiterung der Mundhöhle mit eingeschlossen
128 Leopold Auerbach: Mechanik des Saugens und der Inspiration.
sein. Diese Bemerkungen mögen zur Ergänzung des dort Erörterten
dienen.
Wie wir sahen , ist die Frage einer Combination des inspiratorischen
und des Mundsaugens für schwierige Leistungen an Saugröhren von einem
gewissen Belange; anderweitig ist sie dies kaum. Wohl ist es denkbar,
dass auch sonst beim Einziehen von Luft und anderen absolut oder relativ
indifferenten Gasen, z. B. beim Tabak- oder Opiumrauchen, wenn be-
absichtigt wird , den" Eauch in die Luftröhre zu bekommen, oder auch beim
Schlürfen winziger Quantitäten von Getränken zuweilen beide Mecnanismen
verbunden werden mögen; aber dann geschähe dies unnöthiger Weise und
ohne besonderen Nutzen, da die Inspiration für sich allein das Gleiche be-
wirken würde. Beim eigentlichen Trinken des Menschen aber ist diese
Combination gänzhch ausgeschlossen, wie oben bewiesen wurde.
Breslau, November 1887.
lieber die Beziehung der Dehnungscurve elastischer
Eöhren zur Pulsgeschwindigkeit.
Von
Dr. E. Grunmach,
Docenten an der Universität in Berliu.i
(Aus der speciell - physiologischen Abtheilung des physiologischen Instituts der
Berliner Universität.)
(Hierzu Taf. I.)
Aus meinen früheren Versuchen^ über die Pulsgeschwindigkeit ging
hervor, dass dieselbe von der Elasticität und Dicke der Gefässwand, vom
Durchmesser des Gefässes, endlich von dem darin herrschenden Seitendrucke
beeinflusst werde und zwar, dass sie mit dem Blutdruck wachse und ab-
nehme. Da jedoch über den Einfluss der genannten Eactoren auf die
Geschwindigkeit der Schlauchwelle in elastischen Röhren noch bis jetzt
die verschiedensten Ansichten herrschen, stellte ich an Arterien ausserhalb
des Organismus, sowie an Kautschukschläuchen von verschiedener Qualität
im hiesigen physiologischen Institute Versuche an, um den Einfluss jedes
einzelnen Factors näher kennen zu lernen, und auf diese Weise den Grund
für jene Verschiedenheit der Ansichten festzustellen. Hierbei will ich gleich
bemerken, dass im Folgenden statt der Bezeichnang „Schlauchwelle" der
für den lebenden Organismus gleichbedeutende Ausdruck „Pulswelle" und
statt „Geschwindigkeit der Schlauchwelle" die Bezeichnung „Palsgeschwindig-
keif' gebraucht werden wird.
^ Aus dem Sitzungsbericht der Kgl. Preussisclien Akademie der Wissenscliaften
vom 17. März (ausgegeben am 24. März) 1887. Hlbbd. I. S. 275—284.
^ Dies Archiv. 1879. S. 418. — Virchow's Archiv fib' pathologische Anatomie
u. s. w. 1885. Bd. CIL S. 565.
Archiv f. A. u. Ph. 1888. Physiol. Abthlg. 9
130 E. Geunmach:
Betrachten wir zunächst den Einfluss des Seitendrucks, so behauptete
E. H. Weber,^ dass mit steigendem Drucke die Pulsgeschwindigkeit ab-
nehme. Es ergab sich nämlich aus seinen Versuchen an einer vulkani-
sirten Kautschukröhre von 2-75'='" Durchmesser und • 4^^™ Wanddicke bei
gmm Wasserdruck eine Pulsgeschwindigkeit von 12 — 8"^, während dieselbe
bei 350 '^"> Wasserdruck nur 11 — 4™ in der Sekunde betrug. Dagegen
konnte Donders- bei verschiedenem Drucke an einer ähnlichen Kautschuk-
röhre eine Aenderung der Pulsgeschwindigkeit nicht nachweisen, während
Rive^ wieder zu demselben Resultate wie Weber kam, nur dass er noch
grössere Unterschiede wie dieser bei verschiedenem Drucke beobachtete.
So fand er in einem Versuche an einer elastischen Röhre von • 94'='^ Durch-
messer und O'ie""^ Wanddicke bei einem Druck = Null eine Piüsge-
schwindigkeit von 17*69™, während dieselbe bei 480°™ Wasserdruck nur
12 '38™ in der Secunde betrug. Im Widerspruch zu den genannten Autoren
behauptete jedoch Marej,"^ dass mit zunehmendem Seitendrucke auch die
Pulsgeschwindigkeit gesteigert werde.
Aehnüch wie über die Wirkung des Seitendrucks herrschen auch über
die Bedeutung des Durchmessers die verschiedensten Ansichten. Während
Z..B. Donders denselben als ohne Einfluss auf die Pulsgeschwindigkeit
betrachtete, schrieben Weber und Marey dem Durchmesser eine wichtige
Rolle ZU, ohne jedoch die Richtung des Einflusses näher anzugeben.
Nur über die Bedeutung des Elasticitätscoefficienten waren die Autoren
grösstentheils derselben Ansicht. Fast alle erkannten, dass die Pulsweüe
mit um so grösserer Greschwindigkeit sich fortpflanze, je grösser der Elasti-
citätscoefficient sei.
Moens,^ der sich in eingehender Weise mit der Pulsgeschwindigkeit
in elastischen Röhren beschäftigte, kam zu dem Ergebniss, dass sich die-
selbe wie die Quadratwurzel aus dem Elasticitätscoefficienten und der
Wanddicke der Röhre, jedoch umgekehrt wie die Quadratwurzel aus dem
spezifischen Gewicht der Flüssigkeit und dem lichten Durchmesser der
Röhre verhalte. Bezeichnete Moens mit F^, den Weg, den der Puls in
der Secunde zurücklegt, mit g die beschleunigende Kraft der Schwere, mit
i? den Elasticitätscoefficienten, mit a die Wanddicke, mit I) den lichten
^ Bericht der Sächsischen Gesellscliaft der Wissenschaften. 1850. — Auch in
diesem Archiv. 1851. S. 517.
^ Physiologie des Menschen. Uebersetzt von Theile. 1859. S. 79.
^ De Sphygmograaf en de sphygmogr. curve. 1866.
* Physiologie medieale de la cireulation du sang. Paris 1863.
* Die Pulscurve. Leiden 1878.
Dehnungscürve elastischer Röheen und Pülsgeschwindigkeit. 131
Durchmesser, mit A das spezifische Gewicht der Flüssigkeit, endlich mit c
eine Constante, so lautete seine Formel:
^^^'V AD-
Es ist dies übrigens dieselbe Formel, zu der Körte weg und ResaP
auf rein mathematischem Wege für die Pulsgeschwindigkeit in elastischen
Röhren gelangten.
Setzen wir in dieser Formel, da g und A für die folgende Unter-
suchung ohne Bedeutung sind, der Einfachheit halber gjA = cf, und
cc, = C, so folgt:
V
An der Hand dieser Formel versuchte ich nun den Werth eines jeden
der die Pulsgeschwindigkeit beeinflussenden Factoren näher kennen zu
lernen, und zwar legte ich das Hauptgewicht auf die Bestimmung von JE,
um aus dem Verhalten von I] maassgebende Schlüsse auf den Einfluss
von a und D ziehen zu können. Der Vorsteher der speciell-phjsiologischen
Abtheilung des physiologischen Instituts, Hr. Dr. Grad, der mich bei
dieser Untersuchung freundlichst unterstützte, machte mich darauf auf-
merksam, dass der Grund für die Verschiedenheit der Ansichten über die
Beziehung zwischen Druck und Pulsgeschwindigkeit vielleicht darin zu
suchen sei, dass der Elasticitätscoefficient bei verschiedenen Schlaucharten
eine verschiedene Function des Druckes, d. h. des Füllungsgrades darstelle.
Wenn auch, wie ich oben anführte, die Autoren darüber einig waren, dass
mit Zunahme des Elasticitätscoefficienten eine Steigerung der Pulsgeschwin-
digkeit einhergehe, so war doch noch zu untersuchen, wie sich der Elasti-
citätscoefficient bei Aenderung des Druckes oder der Füllung verhalte, und
ob dies Verhalten bei verschiedenen Schlaucharten nicht ein ganz ver-
schiedenes sei.
Die Aenderung des Elasticitätscoefficienten eines Schlauches, die mit
der Füllungsänderung desselben eintritt, kann entweder dadurch gemessen
werden, dass man die Druckänderung bestimmt, welche bei Aenderung der
Füllung um die Einheit des Volumens eintritt, oder auch dadurch — und
dies war hier bequemer ausführbar — dass man die Füllungsänderung
misst, welche durch Aenderung des Druckes Um die Einheit (10"™ Hg)
erzeugt wird. Diese Füllungsänderung, die im Folgenden als „Dehnungs-
werth" bezeichnet werden wird, ist ein Maass für die Dehnbarkeit des
Schlauches, also der Dehnungswerth dem Elasticitätscoefficienten reciprok.
^ Journal de Mathematiques par Liouville. 1876.
9*
132 E. Gtrunmach:
Zur Bestimmung der DehnuDgswerthe diente mir ein graduirtes Glas-
gefäss (A. Fig. 1 auf Taf. L), das einerseits mit dem zu untersuchenden
Schlauche {S) und einem Quecksilbermanometer {M), andererseits mit einer
Druckflasche {D) communicirte, die mit dem Wasserleitungshahn in Verbindung
stand. Als Druck erzeugende Kraft wirkte der in der Leitung herrschende
Wasserdruck, der beliebig von — 250""" Hg verändert wurde. Je nach
der Menge des in die Druckflasche fliessenden Wassers konnte die Luft
in derselben beliebig stark comprimirt, zugleich damit der zu unter-
suchende Schlauch beliebig stark gefüllt, die Druckänderung an dem Queck-
silbermanometer, die Füllungsänderung an dem graduirten Glasgefäss ab-
gelesen werden.
Hr. Dr. Gad hatte die Güte, die Volumänderung im Glasgefäss mir
anzugeben, welche jedesmal, wenn ich eine Druckänderung um 10™™ Hg
beobachtete, eingetreten war. Aus den zusammengehörigen Werthen von
Druck- und Volumänderung am Schlauch konnte die Dehnungscurve des
letzteren leicht construirt werden.
Zur Erzeugung der Pulswelle wurde ein dickwandiger Gummiballon
(B. Fig. 1), der mit dem zu untersuchenden Schlauche communicirte, aber
bei Feststellung der Dehnungswerthe ausgeschaltet wurde, gleichmässig,
d. h. bei allen Versuchen in derselben Weise und in demselben Maasse
comprimirt. Mein Polygraphion ^ diente zur Bestimmung der Pulsgeschwin-
digkeit, und zwar wurde dieselbe in der Mehrzahl der Fälle bei einem
Drucke von 0, von 100 und von 200"'™ Hg festgestellt. Gleich nach der
Aufnahme der Pulscurven fand die Bestimmung der Dehnungswerthe im
Gebiet der angewandten Druckwerthe statt.
Wie ich bereits andeutete, wurde die Untersuchung einerseits an Kaut-
schukschläuchen verschiedener Qualität, deren Länge etwa 1*5™, deren
Achter Durchmesser etwa 2"™ und deren Wanddicke etwa 2™™ betrug,
andererseits an möglichst (45 — 50*^™) langen Stücken der Aorta des Pferdes
ausgeführt.
Betrachten wir zunächst die unter verschiedenen Bedingungen an
einem schwarzen Patentschlauche (I) gewonnenen Dehnungswerthe, so
stellte sich zwischen den bei niedrigem und den bei hohem Drucke be-
obachteten folgendes Verhältniss heraus. Die Dehnungswerthe von — 60"""
Hg Druck verhielten sich zu den von 140 — 200™™ Hg Druck wie 8 : 15.
Dieser Unterschied bei verschiedenem Drucke hesse sich am Besten an
einem rechtwinkligen Coordinatensystem veranschaulichen, wenn wir uns
auf der Abscissenaxe die Druck-, auf der Ordinatenaxe die Dehnungswerthe
^ Verhandlungen der Berliner physiologischen Gesellschaft. In diesem Archiv
1880. S. 438.
Dehnüngscueve elastischer Röhren und Pulsgeschwindigkeit. 133
aufgetragen denken, etwa wie dies durch Fig. 2 dargestellt wird. Alsdann
würden sich die den Dehuungswerthen entsprechenden Ordinatenstücke bei
niedrigem Drucke zu den bei hohem wie fg und kl zu mn und pq ver-
halten, und der Verlauf der Dehnungscurve bei Drucksteigerung von
0—200™™ Hg sich etwa wie Curve xz in Fig. 2 gestalten. Aus dieser Dar-
stellung ersieht man, dass mit Zunahme des Druckes auch eine Zunahme
der Dehnungswerthe einhergeht.
Setzen wir nun an Stelle der letzteren ihre reciproken Werthe, näm-
lich die der Elasticitätscoefficienten, so würde sich E^ : E^^^^ = 15 : 8 ver-
halten, also E mit steigendem Druck kleiner geworden sein.
Betrachten wir dagegen die anderen die Pulsgeschwindigkeit beein-
flussenden Factoren D und cc bei verschiedenem Drucke, so ergab deren
Berechnung, zu welcher die Messungen der die Druckänderungen begleiten-
den Volumänderungen, sowie der Schlauchlängen ^ die Grundlage lieferten,
dass sich
Z)o:i?2oo= 1-8 : 2-0 und
«0 : c^2oo = 2.0: 1-8 verhält.
Aus diesen Zahlen wertheu ersieht man, dass der Unterschied zwischen D^
und -ögoo? sowie a^ und a^Q^ nur ein ganz unbedeutender, dass dagegen
das Verhältniss von E^^ : E.^^^ nahezu wie 2 : 1 ist.
Entsprechend diesem Verhalten von E bei verschiedenem Drucke
fielen auch die Werthe für die Pulsgeschwindigkeit aus. Während dieselbe
bei 0™™ Hg Druck 17-5™ in der Secunde betrug, war dieselbe bei 200™™
Hg Druck bis auf 11 «6™ herabgegangen.
Ein durchaus entgegengesetztes Verhalten sowohl bezüglich der Deh-
nungswerthe als auch der Pülsgesch windigkeit zeigte derselbe Patentschlauch,
nachdem er mit einer 5*^™ breiten Leinwandbinde bei 120™™ Hg Druck
umwickelt und darauf bei verschiedenem Drucke von — 200™™ Hg unter-
sucht wurde. Unter dieser Behandlung verhielten sich nämlich die Deh-
nungswerthe von — 60™™ Hg Druck zu denen von 140 — 200™™ Hg Druck
wie 5 : 3. Dies Verhältniss hesse sich wieder am Besten an einem recht-
winkeligen Coordinatensystem veranschaulichen, wenn wir uns die Druck-
und Dehnungswerthe in derselben Weise wie in Fig. 2 aufgetragen denken,
etwa wie dies durch Fig. 3 dargestellt wird. Alsdann würden sich die den
Dehuungswerthen entsprechenden Ordinatenstücke bei niedrigem Drucke zu
den bei hohem wie FG und KL zu MN und PQ^ und die Dehnungscurve
des Schlauches bei Drucksteigerung von — 200™™ Hg etwa wie Curve XZ
in Fig. 3 verhalten.
' Genaue Messungen der mit PüUungsänderung eintretenden Längenänderung er-
gaben, dass diese für die Berechnung zu vernachlässigen ist.
134 E. Grünmach:
Aus dieser Darstellung ergiebt sich, dass mit Steigerung des Druckes
die Dehnungswerthe eine Abnahme erfahren. Setzen wir wieder au Stelle
derselben die reciproken Werthe, so würde sich
^0 '• -^200 = 3:5
verhalten, also E mit zunehmendem Drucke grösser geworden sein.
Dagegen ergab die Berechnung von D und a bei den entsprechenden
Druck werthen folgende Verhältnisse:
A '• Aoo = 1*8 : 1-95 und
^ü '• ^200 ~ 1 • 95 : 1 • 8.
Aus diesen Zahlenwerthen ersieht man, dass auch nach der angegebenen
Behandlung des Patentschlauches der Unterschied von D und a bei Druck-
steigerung von — 200"™ Hg nur ein unbedeutender ist, während sich
Eq : J?2oo lii^i' nahezu wie 1 : 2 verhält. Entsprechend diesem Verhalten
von U zeigte sich auch die Pulsgesehwiudigkeit bei den genannten Druck-
werthen beeinflusst. Bei "™ Hg Druck pflanzte sich die Pulswelle 17-5™
in der Secunde fort, während dieselbe bei 200""*' Druck in derselben Zeit
einen Weg von 28™ zurücklegte.
In ähnlicher Weise wie an dem Patentschlauche wurde die Unter-
suchung an einer anderen, grauen, vulkanisirten Kautschukröhre (H) aus-
geführt. Dabei stellte sich ein ähnliches Verhältniss der Dehnungswerthe
bei niedrigem Drucke zu denen bei hohem heraus, wie wir es bei dem
Patentschlauche vor der Umwickelung beobachteten. Es verhielten sich
nämlich die Dehnungswerthe von — 60 ""^ Hg Druck zu denen von
140— 200™=^ Hg Druck wie 9-5:16-5 und die diesen Werthen ent-
sprechenden Ordinatenstücken wie f^ und kl zu mn und pq in Fig. 4.
Demnach gestaltete sich die Dehnungscurve bei Drucksteigerung von
0—200 ™«i Hg etwa wie Curve xz {Fig. 4).
Setzen wir wieder an Stelle der Dehnungswerthe die für den Elasti-
citätscoefficienten, so folgt
^0^^200 - 16.5:9-5.
Ferner ergab die Berechnung von D und a bei den entsprechenden
Druckwerthen
i>o : 2^200 = 2-0 : 2-3 und
«0 : c^2oo ==2-3:2-0.
Aus diesen Werthen ersieht man wieder, wie bei dem ersten Schlauche,
den geringen Unterschied von D und a bei Drucksteigerung, während der-
selbe wieder für U ein sehr auffälliger ist. Entsprechend dem Verhältniss
von E() : R^QQ ^^^r ^^^^ ^^s Yerbalten der Geschwindigkeit. Bei >^'" Hg
Dehnungscükve elastischee Köheen und Pulsgeschwindigkeit. 135
Druck pflanzte sich die Welle 17- 5"" in 1 Secunde fort, dagegen betrug
der Weg bei 200'"'" Druck nur 12-72"'.
Während es aber bei dem Patentschlauche gelungen war, die gegen
die Abscisse convexe Dehnungscurve durch die ümvvickelung gegen die
Abscisse concav zu machen und dem entsprechend den Sinn der Abhängig-
keit der Pulsgeschwindigkeit von dem Füllungsgrade geradezu umzukehren,
erstreckte sich bei dem zweiten Schlauche der Einfluss der TJmwickelung
nur so weit, dass die Dehnungscurve linear und die Pulsgeschwindigkeit
von dem Füllungsgrade unabhängig wurde. Nach der TJmwickelung boten
nämlich die Dehuungswerthe bei Drucksteigerung von — 200 '""' Hg keine
wesentliche Differenz. Die den Dehnungen entsprechenden Ordinatenstücke
verhielten sich bei verschiedenem Drucke wie FG und KL zu MN und
PQ in Fig. 5 und die Dehnungscurve gestaltete sich etwa wie Curve XZ
in Fig. 5. Hierbei ergab die Berechnung der Werthe E, D und a bei
verschiedenem Drucke folgende Verhältnisse:
^0 • ^200 = 5-5 : 5-5
B^ : -0200= 1-9: 2-0 und
ojq • 0^200 =" 2-0 : 1 • 9.
Daraus ersieht man, dass B bei Drucksteigerung keine Aenderung
erfahren hat. Entsprechend diesem Verhalten von E zeigte auch die Puls-
geschwindigkeit bei verschiedenem Drucke keine Differenz. Sowohl bei
niedrigem wie bei hohem pflanzte sich die Pulswelle in einer Secunde
18.6'" fort.
Ein ähnliches Resultat wie die Untersuchung des zweiten Schlauches
ergab die eines dritten (III) , der aus einer schlechteren, grauen, vulkani-
sirten Kautschukmasse hergestellt war. Es seien hier nur kurz die Werthe
für B^ D und or, sowie die für V^ (Pulsgeschwindigkeit) angegeben, aus
denen das Ergebniss der Untersuchung klar ersichtlich ist.
Vor der Umwickelung verhielten sich
B,'. ^200=12.5:7.0
i^o: i)2oo = 2.0:2.2
«0 : cfgoo = 2-2:2.0
^i'o'. ^i>2oo = 20.7'":14.5"'.
Dagegen ergab die Berechnung der entsprechenden Werthe nach der
Umwickelung
^0 • ^200 = 5:5
Z>,: i>2oo = 2-0:2.2
<^o- «200 = 2-2:2-0
^0 • ^^»300 = 22-3'" : 22-3'".
186 E. Geünmach:
Von den untersuchten Schläuchen wurden also vor der Umwickelung
Dehnungscurven gewonnen, wie sie in Figg. 2 und 4 zur Darstellung ge-
langten, aus denen man ersah, dass mit Zunahme des Druckes eine Ah-
nahme des Elasticitätscoefficienten einhergehe. Entsprechend dem Verlaufe
der Dehnungscurven fielen die Werthe für die Pulsgeschwindigkeit aus.
Bei hohem Drucke nahmen die Dehnungswerthe zu, zugleich damit pflanzte
sich die Pulswelle langsamer als hei niedrigem fort.
Wenn ich nun üher die am Arterienrohr angestellten Versuche be-
richte, so ist hervorzuheben, dass dieselben zu Resultaten führten, die sich
den an Kautschukschläuchen gewonnenen in erfreulicher Weise anreihen.
Es ergab sich nämlich, dass die Dehnungscurve der Aorta derjenigen des
umwickelten Patentschlauches ähnelt, nur dass bei ersterer die Concavität
gegen die Abscisse weit mehr ausgeprägt erscheint. Die Versuche vs^urden
an der Aorta des Pferdes in derselben Weise wie an den Kautschukröhren
ausgeführt. Bei dem zuerst untersuchten Gefässe verhielten sich die Deh-
nungswerthe von 0— eo™'" Hg Druck zu den bei 160—200™™ Hg Druck
wie 151 -5 : 14-0, und die den Dehnungswerthen entsprechenden Ordinaten-
stücke wie fg und hl zu mn und pq in Eig. 6.
Demnach gestaltete sich der Verlauf der Dehnungscurve bei Druck-
steigerung von — 200 ™™ Hg etwa wie Curve xz in Eig. 6.
Aus dieser Darstellung ersieht man, dass mit Zunahme des Druckes
die Dehnungswerthe auffallend kleiner werden. Setzen wir an Stelle der-
selben die für den Elasticitätscoefficienten, so verhält sich
^0.: ^200 = 14-0: 151.5.
Ferner ergab die Berechnung von D und a, sowie von Fp bei den
entsprechenden Druckwerthen folgende Verhältnisse:
D, : B,,, = 2:6
«n : «onn = 6:2
Aus diesen Zahlen werthen ersieht man die wichtige Thatsache, dass
trotzdem der Durchmesser bei Drucksteigerung von — 200 ™™ Hg um das
Dreifache zunimmt, also in hohem Grade hemmend auf die Pulsgeschwin-
digkeit wirken muss, doch der Einfluss von E ein so bedeutender ist, dass
unter demselben die Pulswelle bei i)2oo ^i^^ ^^ch dreimal schneller als bei
Z>Q fortpflanzt.
Zu demselben Ergebniss wie die Untersuchung der ersten Aorta führten
die mit einer anderen angestellten Versuche. Auch hier verhielten sich
die Dehnungswerthe sowie der Verlauf der Dehnungscurve bei verschiedenem
Drucke in ähnlicher Weise ^ wie dies durch Fig. 6 veranschaulicht wurde,
Dehnungscueve elastischer Röhken und Pülsgeschwindigkeit. 137
Ich will hier nur in Kürze die Werthe für E, D und a, sowie von Vp an-
führen, aus denen das Ergebniss der Untersuchung klar ersichtlich ist:
E^ : ^200= '^•5 • 96-0
ß^o • «200 = 6-0 : 2-8
Auch aus diesen Zahlenwerthen ergiebt sich, dass JJ von — 200""" Hg
Druck fast um das Dreifache zugenommen, dass jedoch trotz dieses
hemmenden Einflusses von B die Pulsgeschwindigkeit entsprechend der
Zunahme von E bei 200"'"' Hg Druck eine Steigerung fast um das Drei-
fache erfahren hat.
Wir ersehen aus der vorstehenden Untersuchung, dass die Puls-
geschwindigkeit in elastischen Röhren wesentlich von dem Verhalten der
Dehnungscurve abhängt, d. h. dass sie in dem Sinne von dem Druck oder
der Füllung beeinflusst wird, in welchem diese den Elasticitätscoefficienten
ändern. Von der Zunahme des letzteren ist in erster Linie die Steigerung
der Pulsgeschwindigkeit abhängig, dagegen spielen die anderen Factoren I)
und a (Durchmesser und Wanddicke) nur eine untergeordnete Rolle. Die
Dehnangscurven der von mir untersuchten Aorten reihen sich in schöner
Weise denen an, die ich von Schläuchen aus nicht organisirtem Material
gewonnen habe. Hierbei ist gewiss nicht bedeutungslos, dass von letzteren
der mit unelastischer Binde umwickelte, gut elastische Patentschlauch der
Aorta am nächsten kommt. Auch die Aorta besteht aus einer elastischen
Grundlage, deren Dehnbarkeit an unnachgiebigen, bindegewebigen Elementen
eine Grenze findet.
Doch ist zu bemerken, dass auch ohne diesen Umstand die Aorta sich
dem mit der Binde umwickelten Schlauche ährlich verhalten würde. Be-
kanntlich hatte schon Wertheim für die meisten thierischen Gewebe,^
Ed. Weber für die Muskeln ^ nachgewiesen, dass die thierischen Gewebe
im feuchten Zustande nicht das von Robert Hooke und s'Gravesande
für die unorganischen Elastica festgestellte Dehnungsgesetz befolgen, sondern
dass ihre Dehnungen in langsamerem Maasse als die dehnenden Kräfte
wachsen: ein Verhalten, welches Hr. Prof. E. du Bois-Reymond seit
langer Zeit in seinen Vorlesungen vermuthungsweise darauf zurückführt,
dass die Incompressibilität des Wassers die Gewebe verhindert, bei der
Dehnung ihr Volumen zu verändern, wie dies die unorganischen Elastica
1 Compfes rendus etc 1846. C. XXXIII. p. 1151.
^ Eud. Wagner's Kandwörterhuch der Physiologie u. s. w. Artikel Muskel-
bewegung. Bd. III. 2, Abtji. 184ß. §, 109,
138 E. Geunmach: Dehnungscurve elastischee Röheen u. s. w.
thun. Besonders verfolgt und bestätigt gefunden wurde dies Verhalten
schon mit Rücksicht auf seine Bedeutung für die Puls welle durch Moens
an der elastischen Wand der grossen Arterien. ^ Es leuchtet ein, dass sich
daraus für unseren Fall die wirklich beobachtete Gestalt der Dehnungscurve
ergeben müsse.
Die Verschiedenheit der Ansichten über den Einfluss des Seitendruckes
auf die Pulsgeschwindigkeit lässt sich jetzt einfach durch die Verschieden-
heit des Schlauchmaterials erklären, das die einzelnen Autoren zu ihren
Versuchen benutzten. Weber arbeitete wahrscheinlich mit Schläuchen,
wie sie mir zur Verfügung standen, Donders mit einem Kautschukmaterial,
das sich ähnlich wie Schlauch II und III nach der Umwickelung verhielt,
endlich Marey mit Kautschukröhren, die die Eigenschaften des umwickel-
ten Patentschlauches besassen.
Auf Grund meiner Eingangs erwähnten, an lebenden Arterien ge-
wonnenen Resultate und der hier mitgetheilten gelangen wir zu dem
Schlüsse, dass auch die Dehnungscurve der lebenden Arterie sich ähnlich
wie die der todten verhalten wird, dass also bei Steigerung des Druckes
der Elasticitätscoefficient und zugleich damit auch die Pulsgeschwindigkeit
zunehmen muss.
1 A. a. o. S. 104.
Die Analyse der Lichtwellen durch das Auge.
Ein Beitrag zur Erklärung der Farbenempfindung.
Von
Professor A. GöUer
in Stuttgart.
(Hierzn Taf. II.)
Bei der Schallempfindung sind die Thatsachen der Erfahrung im Ein-
klang mit der einfachen Annahme, dass jeder Welle der äusseren Luft-
schwingung die Hin- und Herbewegung einer Faser in einem mitschwingen-
den Apparat des Gehörorgans entspreche. Das Empfindungselement des
Gehörs als Schwingung der einzelnen Faser entspricht nach Zeitdauer und
Stärke dem Element des äusseren Bewegungsvorganges; die Analyse des
letzteren durch den inneren Vorgang ist eine vollständige. Das ist beim
Auge entschieden anders; es analysirt den äusseren Bewegungsvorgang
nur unvollkommen und antwortet oft verschiedenen Bewegungsformen
mit derselben Empfindung, indem verschiedene Paare von Grundfarben
genau dasselbe Aussehen der Mischfarbe ergeben können. Es giebt kein
Empfindungselement des Auges, das einer Welle der Aetherschwingung ent-
sprechen würde; freilich wäre auch ohne jene Thatsache der Farbenmischung
eine Anpassung der Bewegung im l^erven an die unendlich schnelle Aether-
bewegung kaum zu vermuthen. Dadurch ist eine Erklärung des Zustande-
kommens der Lichtempfindung weit schwieriger, als eine solche für den
Schall. Bei diesem ist die Erklärung dadurch so befriedigend, dass als
Erklärungsgrund ein längst bekanntes mechanisches Gesetz erscheint.
Offenbar kann auch das Streben nach Erklärung der Gesichtsempfindung
nicht ruhen, so lange nicht derselbe Erklärungsgrund erreicht ist. — So
lange nicht alle physiologischen Vorgänge der Lichtempfindung als innere
Bewegungs Vorgänge erkannt sind, die nach den Gesetzen der Mechanik
140 A. Göllee:
vom äusseren Bewegungsvorgang nothwendig hervorgerufen werden oder
einander nothwendig hervorrufen, so lange hört das Warum nicht auf.
Die folgende Hypothese erfüllt diese Forderung wenigstens in Beziehung
auf den Anfang der Umsetzung des äusseren Bewegungsvorganges in
einen inneren; sie behauptet für die Analyse der Lichtwellen durch das
Auge die Verwerthung einer bekannten, als Bewegungsvorgang
schon deutlichen physikalischen Erscheinung aus der Lehre
vom Licht und begründet mit deren Hülfe nicht nur die bisher un-
erklärten Ergebnisse der Mischung farbiger Lichter, sondern weist auch den
äusseren anatomischen Bestandtheilen der Netzhaut eine einleuchtende
Aufgabe zu.
„Jedes farbenempfindende Nervenendgebilde der Netzhaut ist fähig,
alle Empfindungen der Spectral- und Mischfarben mit allen Abstufungen
der Lichtstärke, sowie diejenigen von Weiss, Schwarz und Grau mit allen
Uebergängen zu erzeugen. Jeder solchen Empfindung entspricht eine be-
sondere Form des Bowegungsvorganges in der Nervenfaser. Die Bewegung
ist eine Schwingung von Aethertheilchen oder Theilchen eines Nerven-
fluidums, und zwar senkrecht zur Axe des Nerven, wie diejenige des
Aethers im Raum senkrecht zur Axe des Lichtstrahls ist. Die Wellenlängen
und die Fortpflanzungsgeschwindigkeiten dieser Schwingungen in der Nerven-
faser sind immer dieselben. Dem einfachen homogenen Licht einer Spectral-
farbe entspricht auch die einfachste Schwingungsform, wie sie dargestellt
ist durch die ebene Sinuswellenlinie, die Schwingungsform des einfarbigen,
geradlinig polarisirten Lichtstrahls. Das ist so zu verstehen, dass alle
Theilchen eines Querschnitts wie beim Licht gleichgerichtete, gerade und
gleichgrosse Schwingungen durch ihre Gleichgewichtslage hindurch und
wieder zurück ausführen.
Dabei unterscheiden sich die Empfindungen der verschiedenen Spectral-
farben durch die verschiedenen Richtungen ihrer Schwingungsebenen,
derart, dass die Schwingungsrichtung für eine Farbe etwa demjenigen Halb-
messer der Figur auf Taf. II entspricht, dem ihre Wellenlänge in Zehn-
milliontelmillimetern beigeschrieben wurde. Was in der Figur horizontale
und lothrechte Richtung ist, das wäre in irgendwelcher Weise ausgezeich-
nete Richtung im Querschnitt der Nervenfaser, ausgezeichnet etwa wie die
Axenrichtungen der Krystalle durch die innere Structur. Die in der Figur
horizontale Schwingungsrichtung ah ist unerreichbar; sie entspricht dem
Verschwinden der Lichtempfindung bei Strahlen jenseits Roth und jenseits
Violett. Mit geringer Neigung, etwa symmetrisch zur lothrechten Axe
unserer Figur, schwingen Roth und Violett. Unter 45", ebenfalls sym-
metrisch, schwingen Gelb und Blau. Lothrecht ist die Richtung der
Die Analyse der Lichtwellen durch das Auge. 141
Schwingung für Grün, für die neutrale Empfindung zwischen den warmen
und kalten Farben.
Die gleichzeitig vor sich gehenden Schwingungen etwa gleichzeitig
auf die Nervenfaser einwirkender einfacher Farben unterscheiden sich auch
noch durch die Stellung der Phasen ihrer Wellen, welche von der
Schwingungsrichtung 0^ bis zur Schwingungsrichtung 180^ eine Verschiebung
der Wellenscheitel darbieten gleich der Hälfte der Wellenlänge / (Wellen-
berg und Wellenthal zusammen gleich /), und zwar ist die Verschiebung
proportional dem Centriwinkel , so dass sie gegenüber der (unerreichbaren)
horizontalen Schwingung betragen würde bei Gelb Vs ^j ^©i Grün ^/^ Z, bei
Blau ^/g/, bei 180*^ ^j^l. Ist der Winkel der Schwingungsrichtungen
zweier gleichzeitig erscheinender einfacher Farben gleich a, so ist eine
Schwingung der andern voraus um -^ • zr^-
Die Stärke der Empfindung richtet sich nach der Intensität der
Schwingung."
Dies sind alle Annahmen der Hypothese. Die geradlinige Schwingung
nach irgend einer Richtung senkrecht zur Nervenaxe ist Empfindungs-
element des Auges.
Die Bewegung jeder Mischung aus zwei Spectralfarben setzt sich
nun aus den zwei einfachen Wellen derselben zusammen nach dem Parallelo-
gramm der Bewegungen. Es entsteht die Schwingungsform des elliptisch-
polarisirten Lichtstrahls; die Theilchen beschreiben um ihre Gleichgewichts-
lage elliptische Bahnen, sehr längliche, wenn die zwei gemischten Grund-
farben im Spectrum nahe beisammen liegen, vollere Ellipsen bei grösserer
Entfernung, kleine Bahnen bei geringer Lichtstärke, grössere bei inten-
sivem Licht. Sind die gemischten Farben ungleich stark, so liegt die grosse
Axe der entstehenden Elüpse der Schwingungsrichtung der stärkeren Farbe
näher. Bei zwei Complementärfarben (Roth und Grünblau, Gelb und Blau,
Grüngelb und Violett, und bei allen anderen in der Figur durch Qua-
dranten verbundenen Richtungen) stehen die Schwingungsrichtungen senk-
recht zu einander und ihre Wellenzüge haben nach der getrofifönen An-
nahme eine Phasenverschiedenheit von V2 ^- I^i^s sind unter der Voraus-
setzung gleicher Amplitude beider Wellenzüge die Bedingungen für die
Bewegungsform des kreisförmig polarisirten Lichtstrahls, bei welchem die
Theilchen sich im Kreis um ihre Ruhelage bewegen. Es geht jene Ellipse
bei Complementärfarben in den Kreis über.
Davon, dass unter den vorausgesetzten Bedingungen die elliptischen,
beziehungsweise kreisförmigen Bahnen wirklich entstehen, überzeugt man
142 A. Göller:
sich am raschesten durch graphische Construction , indem man auf den
zwei Schvvingungsrichtungen je die gleichzeitigen Ordinaten der Wellen züge
aufträgt und die Resultirenden durch das Parallelogramm bestimmt; auch
wird hierdurch die entstehende Schwingungsform auf dem anschaulichsten
Weg erhalten. Kreisförmige Bahnen können nur durch zwei senkrecht
zu einander stehende Schwingungen gleicher Amplitude erzeugt werden,
nicht etwa auch durch schiefwinklig zu einander stehende Schwingungen
ungleicher Amplitude.
Die zu den vorhandenen Bewegungsformen gehörigen Empfindungen
sind nun die folgenden:
1. Bei der geradlinigen Schwingung: Spectralfarbe nach Angabe
der Figur. Mit Abnahme der Amplitude bis Null geht die Farbe durch
alle Grade der Dämpfung in Schwarz über.
2. Bei der kreisförmigen Schwingung ist keine Richtung oder
sind alle Richtungen gleichmässig vertreten; die Empfindung ist diejenige
keiner Farbe oder aller zugleich. Es giebc nur eine Gruppe solcher Em-
pfindungen: Weiss mit seinen Abstufungen von Grau bis Schwarz. Com-
plementäre Farben ergeben bei gleicher Amplitude ihrer Schwingung die
kreisförmige Bahn, also Weiss. Mit Abnahme des Durchmessers geht die
Empfindung Weiss durch Grau in Schwarz über.
3. Die elliptischen Bahnen stellen dar die TJebergänge von einer
geradlinigen zur kreisförmigen Bahn; sie sprechen auch alle Richtungen
aus, aber eine am stärksten, entsprechen daher der Mischung einer Spectral-
farbe mit Weiss, und zwar derjenigen Spectralfarbe, deren Schwingungs-
richtung mit der grossen Axe der Ellipse zusammenfällt. Je länglicher die
Ellipse, desto grösser die Annäherung an diese Spectralfarbe, je rundlicher
die Ellipse, desto stärker die Zumischung von Weiss, desto geringer die
Sättigung. Zusammengefasst: der Richtung der grossen Axe entspricht die
empfundene Farbe, dem Verhältniss beider Axenlängen der Grad der
Sättigung, dem Quadrat des Umfangs der Ellipse die Stärke der Licht-
empfindung. Mit der Abnahme der Ellipse unter gleichbleibendem Axen-
verhältniss geht die empfundene Farbe in Schwarz über.
Eine bestimmte elliptische Bahn kann auf verschiedene Arten zu Stande
kommen, nämlich durch Zusammensetzung einer kreisförmigen Bewegung
mit einer geradlinigen, oder durch Zusammensetzung einer elliptischen Bahn
mit einer geradlinigen, oder durch Zusammensetzung von zwei geradlinigen
oder durch Zusammensetzung von zwei elliptischen Bahnen, und zwar giebt
es nicht nur ein Paar geradliniger, nicht nur ein Paar elliptischer
Schwingungen, welche eine gegebene elliptische Bahn erzeugen können.
Die Analyse der Licht wellen düech das Auge. 143
In dieser Tliatsaclie findet ihren Ausdruck die Unvollständigkeit der
Analyse, die das Auge an den Lichterscheinungen ausübt. Viele verschieden-
artige Mischungen farbiger Lichter können übereinstimmende Lichterapfin-
dungen erzeugen. H. Helmholtz beschreibt die hierher gehörigen Be-
ubachtungen wie folgt:
„Der Farbeneindruck, den eine gewisse Quantität beliebig gemischten
Lichtes macht, kann stets auch hervorgebracht werden durch Mischung
einer gewissen Quantität a weissen Lichtes und einer gewissen Quantität
h einer gesättigten Farbe (Spectralfarbe oder Purpur) von bestimmtem
Farbentone "
„Wenn nun eine und dieselbe Stelle der Netzhaut gleichzeitig von
Licht zweier oder mehrerer verschiedener Grade der Schwingungsdauer ge-
troffen wird, so entstehen neue Arten von Lichtempfindungen , welche im
Allgemeinen von denen der einfachen Farben des Spectrum verschieden
sind, und welche das Eigenthümliche haben, dass aus der Empfindung der
zusammengesetzten Farbe nicht erkannt werden kann, welche einfachen
Farben in ihr enthalten sind. Es lässt sich vielmehr im Allgemeinen die
Empfindung jeder beliebigen zusammengesetzten Farbe durch mehrere Arten
der Zusammensetzung verschiedener Spectralfarben hervorbringen, ohne dass
es auch dem geübtesten Sinnesorgane möglich wäre, ohne Hülfe physika-
lischer Instrumente zu ermitteln, welche einfachen Farben in dem zusammen-
gesetzten Lichte verborgen sind."
„Durch Mischung von mehr als zwei homogenen Farben bekommen
wir nun keine neuen Farben mehr, sondern die Zahl derselben ist durch
die Mischungen je zweier einfacher Farben schon erschöpft, ja wir haben
schon bei den letzteren Mischungen gefunden, dass die meisten Mischfarben
durch verschiedene Paare von einfachen Farben erzeugt werden konnten.
Die Mischungen von zusammengesetzten Farben haben im Allgemeinen
dasselbe Ergebniss wie die Mischungen der gleichnamigen Spectralfarben;
nur fällt die Mischung um so weisslicher aus, als die gemischten Farben
selbst schon weisslicher sind als Spectralfarben."
„Wir haben gesehen, dass alle Verschiedenheit des Lichteindrucks als
die Function dreier unabhängig veränderlicher Grössen betrachtet werden
kann: 1) die Quantität Weiss, 2) die Wellenlänge einer Spectralfarbe,
3) die Quantität dieser Spectralfarbe."^
Wenn die Aufgabe gestellt wäre, die hier im Auszug gegebenen That-
sachen nicht zu erklären, nur bildlich auszudrücken, so gäbe es
keine bessere Figur hiezu als die Ellipse mit Beifügung der Arten ihres
Entstehens aus den Projectionen jener Bahnen. Insbesondere sind die zu-
1 S. H. Helmholtz, Physiologische Optik. S. 272—299.
144 A. Göllbe:
letzt genannten drei Variabein unmittelbar an der Ellipse abzulesen. Die
Quantität Weiss ist der in die Ellipse concentrisch einbeschriebene Kreis;
die Wellenlänge ist ausgedrückt durch die Richtung der grossen Axe; die
Quantität der Spectralfarbe ist ausgedrückt durch das Maass auf der grossen
Axe zwischen dem Kreis und dem Scheitel der Ellipse. Die übrigen zu
diesem Maass parallelen Abstände beider Linien sind die kleineren Ordi-
naten der ebenen Wellenlinie der Spectralfarbe. Die Thatsachen, dass die
Mischungen von zwei im Spectrum einander naheliegenden Farben noch
sehr gesättigte Farbentöne geben und dass die entstehenden Mischfarben
um so mehr in's Weisse ziehen, je mehr sich die Grundfarben im Spectrum
von einander entfernen, finden in den schlanken oder rundlichen Formen
der entstehenden Ellipsen ihren unmittelbaren Ausdruck.
4. Liegen die gemischten Grundfarben bei gleicher Amplitude ihrer
Schwingungen ausserhalb zweier Complementärfarben, so entsteht
eine Ellipse, deren grosse Axe in die kleineren, nicht mit Zahlen bezeich-
neten Sectoren unserer Figur zu liegen kommt, also keiner Spectralfarbe
mehr entspricht.
Nimmt man z. B. Roth und Violett, so entsteht bei genau sym-
metrischer Lage beider Schwingungsrichtungen eine elliptische Bahn, deren
grosse Axe mit der Horizontalen a h unserer Figur zusammenfällt. Die gerade
Schwingung auf der Horizontalen ist also zwar nicht selber erreichbar, aber
es kann diese Schwingungsrichtung durch die grosse Axe einer Ellipse aus-
gesprochen werden, die um so länglicher wird, je grösser der Winkel
zwischen den Schwingungsrichtungen der zwei Grundfarben. Dieser Ellipse
muss ein neuer Farbeneindruck entsprechen, da es keine Spectralfarbe ihrer
Richtung giebt; es ist der Purpur. Man könnte hier die Sättigung der
Purpurfarbe entgegenhalten und verlangen, dass sie ebenfalls eine gerad-
linige Schwingung haben solle wie die Spectralfarben. Aber der Purpur,
der aus der Mischung von Roth und Violett entsteht, ist in der That nicht
die satte Farbe, die man sonst Purpur nennt, sondern etwas weisslich und
erreicht bei weitem nicht die Sättigung des spectralen Roth. Davon kann
man sich leicht überzeugen, wenn man zwei spectrale Farbenbänder so
zum Decken bringt, dass Roth und Violett aufeinander fallen. Es ist so-
mit die Ellipse für Purpur vollkommen gerechtfertigt. Uebrigens erhält
man mit Benützung der äussersten Spectralfarben der Figur (3476 und
7060), die je unter dem vierten Theil eines rechten Winkels geneigt sind,
eine sehr schlanke Ellipse für Purpur, bei der die kleine Axe nur etwa
ein Sechstel der grossen beträgt (s. der Figur).
Behält man die Grundfarben symmetrisch und mit gleicher Ampli-
tude bei, lässt aber die Neigung allmähhch wachsen bis zu 45'', so erhält
Die Analyse der Lichtwrllen dttuch das Auge. 145
man als Mischungen die TJebergängo vom reinen Purpnr zu Weiss, näm-
lich Dimkelrosa und Hellrosa in abnehmender Sättigung. Die Annahme
ungleich geneigter Schwingungsrichtungen giebt eine Abweichung der
Ellipsen von der Horizontalrichtung: Purpur mit grösserer Hinneigung zu
Roth oder zu Violett. Dasselbe Resultat kann man mit symmetrischen
Schwingungsrichtungen, aber ungleichen Amplituden der Grundfarben er-
halten, und es können dabei schlankere Ellipsen, also gesättigtere Purpur-
töne entstehen als selbst der reine Purpur aus den äussersten Strahlen des
Spectrums, nämlich diejenigen Töne, mit welchen das äusserste Roth einer-
seits und das äusserste Violett andererseits in den reinen Purpur unter
stetiger Abnahme der Sättigung übergehen. Die Schwingungsformen dieser
Farbentöne erhält man, indem man einerseits das äusserste Roth unverändert
mit der Amphtude a festhält und andererseits das äusserste Violett von der
Amplitude Null bis zur Amplitude a stetig zunehmen lässt. Es dreht sich
dann der Durchmesser, beginnend beim äussersten Roth, langsam gegen
die Horizontale, indem er zuerst zur ganz plattgedrückten, dann zu einer
etwas stärkeren Ellipse anschwillt und endlich auf der Horizontalen das Axen-
verhältniss jener Ellipse des reinen Purpur erreicht, natürlich auch unter
stetiger Zunahme der Länge, da durch das wachsende Violett die Lichtstärke
Immer grösser wird. Dieser Uebergang der Schwingungsformen vom äusser-
sten Roth zum reinen Purpur und von da zurück zum äussersten Violett
entspricht dem Zurücklaufen derFarbencurve in möglichst gesättigten
Tönen. Nicht nur für die äussersten, sondern für alle Paare von symmetrisch
liegenden Spectralfarben ausserhalb Blau und Gelb ist dasselbe Verfahren
möglich, und man erhält dadurch ebenfalls allmähliche Uebergänge von
der einen Farbe zur andern, nur mit geringerer Sättigung der Purpurtöne'
als bei Benützung der äussersten Strahlen.
Nicht alle Mischungen von zwei Grundfarben, die ausserhalb zweier
Complementärfarben liegen, geben Purpur- und Rosatöne. Bei stark un-
gleichen Amplituden können aus solchen Farbenpaaren auch Mischungen
entstehen, deren grosse Axe noch auf den Halbmesser einer Spectralfarbe
fällt. Blau mit ganz wenig Roth . gemischt kann z. B. noch eine flache
Elhpse mit Axenrichtung im Indigo oder Violett erzielen. Auch dieses
Ergebniss der Hypothese entspricht den Erfahrungsthatsachen; Blau kann
ja durch Beigabe einer geringen Spur von Roth nicht plötzlich in einen
Purpur- oder Rosaton überspringen, sondern nur allmählich, unter Ver-
mehren des zugegebenen Roth von Null an, durch ungesättigtes Indigo
und Violett hindurch in einen solchen übergeführt werden.
Combinirt man die Ellipse des reinen Purpur mit der ebenen Wellen-
linie des Grün, so vergrössern sich die Ordinaten der Ellipse, und sie geht
Archiv f. A. u. Ph. 1888. Physiol. Abthlg. 10
146 A. Göllee:
bei geeignetem Verhältniss der Amplituden in einen Kreis über: Purpur
und Grün in geeigneter Intensität gemischt geben Weiss.
Die Hypothese ist also mit allen Thatsachen der Erfahrung, die den
Purpur betreffen und die bisher eine Reihe sehr fremdartiger Erscheinungen
bildeten, durchaus befriedigend im Einklang. Sie erklärt insbesondere ganz
einleuchtend das Gefühl der Verwandtschaft zwischen Roth und Violett,
das Entstehen des Purpur aus diesen beiden Grundfarben und das Zurück-
laufen der Farbencurve mit allmählichen Uebergängen gegenüber dem
Aufhören des spectralen Farbenbandes mit zwei unverbundenen Enden.
5. Beim Parbenkreisel mit den sieben Grundfarben in verschie-
denen Sectoren wird der erste Sector die Schwingungsrichtung seiner Farbe
in der Nervenfaser hervorrufen; in der nächsten Zeiteinheit werden die aus
ihrer Gleichgewichtslage entfernten Theilchen sammt ihrem Bestreben, in
dieser Richtung weiterzuschwingen , erfasst durch den Bewegungsanstoss
nach der Richtung, die dem zweiten Sector entspricht; es wird sich — da
jenes Bestreben allmähüch abnimmt — eine krummhnige Bahn erzeugen.
In dieser werden die Theilchen erfasst vom dritten Anstoss, dann vom
vierten u. s. f. Bei genügender Geschwindigkeit der Aufeinanderfolge dieser
Anstösse wird das Theilchen nicht mehr Zeit haben, der jeweilen auszu-
sprechenden Richtung lebhaft genug zu folgen; denn die Zeit einer
Schwingung im Nerven muss weit grösser sein als diejenige im Aether; es
wird vielmehr unregelmässig rundliche Bahnen beschreiben oder in roti-
renden rundlichen Ovalliiiien um seine Ruhelage herumspringen, und die
gleichzeitigen Bahnen eines jeden Augenblicks werden endlich einen Zustand
erreichen, in welchem keine Richtung mehr bevorzugt oder festgehalten,
sondern alle gieichmässig vertreten und alle in Veränderung begriffen sind.
Auch diesem Zustand der Nervenfaser muss die Lichtempfindung ohne
Farbe oder mit allen zugleich, die Empfindung Weiss oder Grau entsprechen.
Ehe sie erreicht wird, ist noch ein kurzes Betonen jeder Richtung mög-
lich, und diese Thatsache findet ihren Ausdruck in dem Flimmern der
Fläche, das dem gieichmässigen Eindruck vorangeht, so lange der Kreisel
sich noch nicht schnell genug dreht.
Das weisse Licht der Sonne, als Gleichzeitigkeit oder unendlich
rasche Aufeinanderfolge aller Farben in jedem Strahl, wird in ähnlicher
Weise auf die Nervenfaser einwirken wie der Farbenkreisel; nur wird die
äussere Bewegung hier noch weit weniger die Bevorzugung einer Schwin-
gungsrichtung der inneren zulassen als dort. Die Bewegung im Nerven
beim natürlichen weissen Licht mag dieselbe Form haben wie diejenige
im Aether beim einfarbigen unpolarisirten Lichtstrahl, nur mit weit grösserer
Schwingungszeit und Wellenlänge als bei diesem. Es gäbe hiernach zweierlei
Die Analyse der Lichtwellen durch das Auge. 147
Bewegungsformen im Nerven für weisses Licht, eine mit genau kreisförmigen
Bahnen für das Weiss aus zwei Complementärfarben und eine andere für
natürliches weisses Licht. Die Empfindung unterscheidet zwischen beiden
Lichteindrücken nicht. Vielleicht sind aber auch die Bewegungsformen im
Nerven in der That dieselben; die Aufstellungen der Physik über das Wesen
des natürlichen weissen Lichtes schliessen die Annahme ganz oder an-
nähernd kreisförmiger Bahnen der Theilchen im Nerven auch für dieses
nicht aus. Verhält sich doch auch der ki'eisförmig polarisirte Lichtstrahl
physikalisch wie unpolarisirtes Licht.
Man könnte fragen, warum nicht durch das Fehlen eines Octanten in
den Drehungsrichtungen eine Einseitigkeit, ein stärker ausgesprochenes
Schwingen gegen Grün beim Sonnenhcht eintrete. Doch beantwortet sich
diese Frage dadurch, dass weit mehr der im weissen Licht vorhandenen
Strahlen sich in der Nähe des fehlenden Octanten befinden als in der
Richtung von Grün. Nach den in der Figur eingeschriebenen Zahlen
müssen die Strahlen des Sonnenlichtes in weit grösserer Zahl den Radien
an den Grenzen des fehlenden Octanten zufallen als den Richtungen von
Gelb, Grün und Blau, und dadurch einen Ersatz für die fehlenden Schwin-
gungsrichtungen schaffen, so dass in der resultirenden Bewegung doch alle
Richtungen gieichwerthig auftreten können. Würde zwar jeder neue An-
stoss ein Theilchen mit derselben Phasenstellung der neuen Schwingung
erfassen, in welcher es eben in der alten Schwingung steht, so würden
Bahnstücke mit der Richtung des fehlenden Octanten nicht zu Stande
kommen; aber diese Voraussetzung wäre eben unrichtig, und die Verschie-
denheit der Phasen erzeugt jene in der Figur fehlenden Richtungen hier
ebensowohl wie bei den Ellipsen und Kreisen der früher besprochenen Be-
wegungen.
Die Farbenempfindungen, die in den nun betrachteten Bewegungs-
formen ihre mechanische Erscheinungsweise haben, umfassen abgesehen
von den schon stärker zusammengesetzten Vorstellungen des Glanzes und
Durchscheinens alle überhaupt möglichen Fälle der Lichtempfindung. Zu
jeder möglichen Lichtempfindung weist die vorgetragene Hypothese eine
Bewegung in der Nervenfaser auf, die sich von der Bewegung einer jeder
anderen Lichtempfindung unterscheidet. Würde es sich nur darum han-
deln, die Gesetze der Farbenmischung durch einen graphischen Ausdruck
anschaulich zu machen und aus gegebenen farbigen Lichtern die resultirende
Mischfarbe durch graphische Construction ableiten zu können, so wäre wohl
ein Weg zur Lösung dieser Aufgabe nun gefunden, auch wenn die Hypo-
these sich nicht anderweitig begründen Hesse. Aber es dürfte in der Folge
10*
148 A. Göllee:
deutlich werden, dass die Uebereinstimmung ihrer Folgerungen mit den
Thatsachen der Erfahrung etwas mehr sein muss, als nur ein günstiger
Zufall. Abgesehen davon, dass schon die Uebereinstimmung der aus den
Annahmen erhaltenen Bewegungsvorgäuge im Nerven mit denen im Aether,
wie die Wissenschaft sie in der Lehre vom Licht zur Erklärung vieler Er-
scheinungen gebraucht, zu ihren Grünsten sprechen muss, bietet die Physik
auch schon selber einen Vorgang für die Verschiedenheit der Schwingungs-
richtung der verschiedenen Farben; es ist die wunderbare Erscheinung ihrer
verschieden starken Rotationspolarisation oder Rotationsdispersion,
die Erscheinung, dass im Qaarzkrystall und in verschiedenenen anderen
Krystallen die Schwingungsebene des parallel zur Hauptaxe einfallenden,
geradhnig polarisirten Lichtstrahls im Fortschreiten gedreht wird, und dass
die Grösse dieser Drehung für die verschiedenen Spectralfarben verschieden
gross ist.
Die Natur muss den äusseren Bewegungsvorgang im Aether in einen
solchen in der Nervenfaser der Netzhaut umsetzen, um die Lichtempfindung
zu erwecken; sie muss dabei den äusseren Bewegungsvorgang analysiren;
d, h. es muss derjenigen Verschiedenheit zweier Aetherbevvegungen, auf
welcher die Verschiedenheit der Farbe des Lichtstrahls beruht, immer auch
eine Verschiedenheit der im Nerven hervorgerufenen Bewegungsvorgänge
entsprechen. Um eine solche zu erzielen, muss die Natur von einer der
physikalischen Erscheinungen Gebrauch machen, welche beim Uebergang
des Lichtes von einem Mittel in's andere auftreten, und bei welcher die
Lichtstrahlen verschiedener Farbe verschiedene Resultate im neuen Älittel
hervorrufen. Das erste Mittel ist dabei die Luft oder die Glasflüssigkeit
im Auge, das zweite ist das Nervenendgebilde. Freilich sind uns nicht
alle diese physikalischen Erscheinungen bekannt; bei der endhchen Um-
setzung des Lichtstrahls in Nervenbewegung müssen Wirkungsweisen des
Lichtes zur Geltung gelangen, die noch unerforscht sind. Aber hält man
sich an diejenigen bisher bekannten Wirkungen des Lichtes in einem
neuen Mittel, welche bei verschiedenfarbigen Lichtern verschieden ausfallen
(verschiedene Zerstreuung, verschiedene Erwärmung, verschiedene Fluorescenz,
verschiedene chemische Wirkung, verschiedene Rotationsdispersion), so sagt
das Gefühl und die Ueberlegung: „Es kann kaum ein anderes Hülfsmittel
geben, mit welchem die Natur das Licht bei dessen Umsetzung in Nerven-
bewegung analysirt, als eben die Rotationsdispersion, denn ihre Verände-
rung des Lichtstrahls, ihre Verwerthungsweise seiner lebendigen Kraft in
einer neuen Bewegung ist die einzige, welche nur in der Axe des Licht-
strahls fortwirkt und zugleich einer schnellen Aenderung der äusseren Be-
wegungsform rasch genug folgen kann. Und nur ein Fortwirken in der
Axe des Lichtstrahls mit äusserster Fähigkeit der raschen Anpassung an
Die Analyse der Lichtwellen düech das Auge. 149
den äusseren Bevvegungsvorgang kann die Natur brauchen, wo es sich
darum handelt, viele Tausende unendlich kleiner, von verschiedenen rasch
veränderlichen Lichtstrahlenbüscheln getroffener Netzhautelemente in ihren
Wirkungen auf das Centralorgan getrennt zu halten!"
Auch die Verschiedenheit der chemischen Wirkung verschieden-
farbiger Lichter würde als das Werkzeug der Natur bei Zergliederung der
Aetherbewegung durch das Sehorgan zunächst wohl einleuchten; sie wurde
bisher vielfach als solches betrachtet und ist auch wohl ein Hülfsmittel
beim Sehen, nicht nur bei minder hoch organisirten Geschöpfen aus-
schliesslich, sondern möglicherweise sogar beim Menschen zum Theil,
nämlich in Beziehung auf die minder klare Empfindungsweise in den seit-
lichen Partien der Netzhaut. Aber zur Unterscheidung der Farben dürfte
sie nicht ausreichen, und zwar aus folgendem Grunde. Es giebt immer
mehrere Lichter verschiedenen Farbentons und zugleich verschie-
dener Stärke, welche dieselbe chemische Wirkung in einem bestimmten
Stoff hervorrufen. Es giebt z. B. ein Gelb grösserer Lichtstärke, welches
mit einem Grün geringerer Lichtstärke und einem Violett von abermals
geringerer Lichtstärke dieselbe chemische Wirkung im gleichen Stoff ausübt.
Wie sollte die Unterscheidung solcher Lichter aus ihren chemischen Wir-
kungen möglich sein, da doch diese chemischen Wirkungen selber sich
nicht unterscheiden? Zudem giebt es noch Strahlen jenseits Violett, die
eine chemische Wirkung hervorbringen und doch dem Auge nicht sicht-
bar sind!
Gegen die chemische Hypothese spricht ferner ganz entschieden, dass
gerade an der Stelle des deutlichsten Sehens von Farben und Formen, in
der Netzhautgrube, jede lichtempfindliche Substanz fehlt.
Somit drängt schon die Unwahrscheinlichkeit der Anwendung aller
anderen denkbaren Hülfsmittel zu der Annahme, dass die Natur den homo-
genen Lichtstrahl, der das Netzhautelement trifft, zuerst polarisirt, dann
die Schwingungsebene je nach der Farbe mehr oder weniger dreht und
endlich mit der erreichten Schwingungsrichtung auf die Stirnfiäche der
Nervenfaser einwirkt.
Die anatomischen Verhältnisse der Netzhaut erscheinen bei
dieser Annahme plötzlich in einem neuen Licht. Die feinen Verzweigungen
des Sehnerven, die sich auf der inneren, den Glaskörper begrenzenden
Fläche der Netzhaut ausbreiten, biegen sich nach aussen um und treten im
Inneren der Netzhaut zunächst in Ganglienzellen ein; aus diesen treten nach
aussen neue Fasern hervor, die nach Durchbrechung der inneren und äusseren
Körnerschicht in den palissadenartig mit geringen Zwischenräumen neben-
einanderstehenden Stäbchen und Zapfen endigen. Nach aussen ist die
Netzhaut abgeschlossen durch eine Pigmentschicht, deren membranlose
150 A. GöLLEE :
Zellen einen in fester krystallinischer Form abgeschiedenen braunen Farb-
stoff, Fuscin genannt, enthalten. Nach diesem Farbstoff kommt nach aussen
die Aderhaut, dann die äussere weisse Haut, die äusserste Schale des Aug-
apfels, an welcher die Muskeln sich ansetzen. Die ganze Netzhaut ist nur
• 22 '"^ dick und durchsichtig, so dass man im todten Auge das Netzhaut-
bild sichtbar machen kann, wenn man aus der äusseren Haut und Ader-
haut ein Stück herausschneidet und sorgfältig von der Netzhaut ablöst. Die
Nerventheile selber sind nicht lichtempfindlich; erst die weiter aussen
liegenden und nach aussen gegen die Pigmentschicht gerichteten Stäbchen
und Zapfen, in welche die Nerven von innen nach aussen eintreten, sind
reizbar durch das Licht.
Die Stäbchen sind Cylinder 0-063 bis 0-081™™ lang und 0-0018™™
dick; sie bestehen aus einem Innengliede, in das die Nervenfaser eintritt,
und einem durch eine scharfe Querlinie von jenem getrennten, glasartigen
Aussenglied, das in der lebenden Netzhaut eine purpurrothe Färbung zeigt,
herrührend von einem in ihm aufgelösten Farbstoff, dem Sehpurpur. Auch,
die Zapfen sind aus einem Innen- und Aussenghed zusammengesetzt,
die wieder durch eine scharfe Querlinie getrennt sind; in jenes treten die
Nervenfasern ein. Das Innenghed ist weit breiter als bei den Stäbchen
und ebenfalls von kreisrundem Querschnitt, aber gegen aussen etwas ver-
jüngt; das Aussenglied hat die Form eines schlanken schmalen Kegels und
ist glashell, mit starkem Lichtbrechungsvermögen.
Die Unempfiudlichkeit der Nerventheile für Lichtreize und die Durch-
sichtigkeit der Netzhaut lässt erkennen, dass der Lichtstrahl durch die
ganze Netzhaut hindurch bis zur Pigmentschicht geht und erst von dort
zurückgeworfen, rückwärts auf die Stäbchen und Zapfen wirkend, dieselben
erregt. Es greift der Nerv gleichsam vom Inneren aus mit seinen Ver-
zweigungen das Bild an der Hohlkugelfläche der Pigmentschicht ab, eine
eigenartig complicirte Einrichtung, die nur dem Menschen und den Wirbel-
thieren eigen ist, während bei den Wirbellosen die Krystallstäbchen der
Netzhaut nach innen, also dem von der Linse herkommenden Lichtstrahl
unmittelbar entgegengerichtet sind. Offenbar ist jene complicirte Um-
kehrung der zu erwartenden Aufeinanderfolge der Theile eine Einrichtung
von grösserer Vollkommenheit, ohne dass jedoch deutlich wäre, worin ihre
Vorzüge bestehen.
Ausser der hier gemachten Annahme ist noch die andere möglich,
dass der Lichtstrahl schon im Hinweg die zuerst von ihm getroffenen
Innenglieder erregt, und dass die Aussenglieder spiegelartig nur diese Er-
regung zu verstärken haben. Diese andere Annahme, wonach die Nerven-
erregung nicht vom Nervenende ausginge, erscheint jedoch schon zu-
sammengehalten mit dem Wege des Lichtstrahls im Auge der Wirbellosen
Die Analyse der Lichtwellen durch das Auge. 151
weniger wahrscheinlich. So wenig ferner die übrigen Nervenfasern der
Netzhaut durch Licht reizbar sind, so wenig dürften es auch die Innen-
glieder für jeden solchen Lichtstrahl sein, der sie nicht an ihrem Stirn-
ende trifft.
Der Vorgang bei Entstehung der Farbenempfindung dürfte etwa der
folgende sein: Der in's Auge dringende natürliche Lichtstrahl wird zuerst
polarisirt, d. h. zerlegt in zwei zu einander senkrecht stehende Schwingungen,
von denen nach dem Beispiel des Turmalinkrystalls die eine vom polari-
sirenden Mittel absorbirt wird. Angekommen au einem bestimmten, von
scharfen Stirnflächen begrenzten neuen Mittel erleidet dann der Lichtstrahl
eine Drehung verschiedener Grösse für die verschiedenen Farben, und deren
Schwingungen kommen daher mit verschiedenen Richtungen an der ent-
gegengesetzten Grenzfläche des drehenden Mittels an. Jenseits dieser Fläche,
im nächsten Mittel wären nun (abgesehen zunächst von der Phasenverschie-
denheit) alle Bedingungen vorhanden, die den früher aufgestellten Schwin-
gungsformen im Nerven entsprechen ; zugleich aber würde an dieser Fläche
der Lichtstrahl aufhören, Lichtstrahl zu sein. Das drehende Mittel bilden
nun mit grosser Wahrscheinlichkeit die glashellen Aussenglieder der
Zapfen; die Innenglieder sind die Nervenausläufer mit den früher beschrie-
benen Schwingungen; die scharfe Querlinie zwischen beiden Gliedern ist
die Scheidewand zwischen Lichtstrahl und Nervenerregung.
In welchem Mittel geht aber die Polarisation vor sich? Ist es die
glashelle gelbe Substanz im gelben Fleck? Dagegen spricht, dass ja für
die Zapfen auf den seitlichen Partien der Netzhaut diese Substanz nicht
vorhanden wäre. — Oder wird der Lichtstrahl beim Zurückwerfen von der
Pigmentschicht polarisirt? — Oder führen die Zapfenaussenglieder die ganze Zer-
legung des natürlichen Lichtstrahls einschhesslich der Spaltung in zwei zu
einander senkrechte Schwingungen durch? — Diese Fragen wären nur durch
weitere anatomische und physikalische Untersuchung der Netzhautbestandtheile
zu lösen; soviel aber dürfte schon jetzt zu behaupten sein, dass nach der vor-
getragenen Theorie der Farbenempfindung den Innen- und Aussengliedern
der Zapfen und Stäbchen eine einleuchtende Aufgabe zugewiesen wird.
Was die Verschiedenheit der Phasen betrifft, welche für die gleich-
zeitigen Schwingungen verschiedener Richtungen im Nervenendgebilde (also
nun im Zapfeninnenglied) angenommen wurde, so ist sie den beschriebenen
Vorgängen ebenfalls angemessen; sie rührt von den verschiedenen Ge-
schwindigkeiten her, mit welchen sich nach den Resultaten der Physik
bei der Rotationsdispersion die verschiedenfarbigen Strahlen im drehenden
Mittel fortpflanzen. Die rothen Strahlen mit ihrer grössten Wellenlänge
haben im letzteren grössere Geschwindigkeit als die grünen und diese
grössere als die blauen und violetten; wenn nun z. B. rothes und comple-
152 A. Göller:
mentäres blaugrünes Licht zu gleicher Zeit eine Netzhautstelle reizen und
zuvor eine Welle a des rothen Strahls mit einer Welle h des hlaugrünen
gleichzeitig auf ein äusseres Aethertheilchen eingewirkt hat, so kommt die
Welle h ein wenig später an der Scheidewand von Innen- und Aussenglied
des Zapfens an als die Welle a\ die im Innenglied durch h hervorgerufene
Schwingung kann also ganz wohl um eine Viertelswelle hinter der von a
erzeugten zurückbleiben.
Es erhebt sich noch die Frage: „Was hat die eigenthümUche Gliederung
der Netzhaut in zwei verschiedenen Arten von Organen, in die Zapfen und
und Stäbchen, für einen Zweck?" Der verschiedene Bau dieser Organe
weist auf eine starke Verschiedenheit der physiologischen Processe in den-
selben, und doch macht es scheinbar für unsere Empfindung keinen Unter-
schied, ob ein Punkt der betrachteten Aussenwelt sein Bild auf einen
Zapfen oder ein Stäbchen wirft. Die Frage nach einem Unterschied der
Empfindungen, der jenem Unterschied der physiologischen Processe entspricht,
besteht offenbar ganz unabhängig von der vorgetragenen Theorie und kehrt
auch bei jeder anderen wieder.
Es ist wahrscheinlich, dass allein die Zapfen die deutliche Empfindung
der Farben und das deutliche Erkennen der Raumformen vermitteln, wäh-
rend die Stäbchen als minder vollkommene Organe nur mit einer unklaren
und nicht für sich erkennbaren Lichtempfindung ausgestattet sind. Die
Thatsache, dass derjenige Theil der Netzhaut, mit dem wir aliein scharf
sehen, der gelbe Fleck mit der Centralgrube , ausschliesslich Zapfen ent-
hält, wogegen im Fortschreiten von diesem gegen die seitlichen Partien
der Netzhaut die Stäbchen immer häufiger, die Zapfen immer seltener
werden und zuletzt diese nur vereinzelt unter der weit überwiegenden Zahl
von Stäbchen stehen, ist der erste Grund für diese Annahme. „Der nach
innen gegen die Opticusschicht gerichtete Fortsatz der Stäbchenkörner ist
breit; er besteht aus einer grösseren Zahl von Fasern; der Fortsatz der
Stäbchenkörner ist sehr schmal und besteht vielleicht nur aus einer ein-
zigen Primitivfibrille." Hiernach scheinen die Zapfen weit mehr an das
Centralorgan zu berichten als die Stäbchen; wo diese vielleicht nur über
die Stärke einer Bewegung in ihnen Kunde geben, da sind aus den Zapfen
vielerlei verschiedene Bewegungsformen zu übertragen.
Ein geometrisches Muster, etwa ein durchbrochener Fenstervorhang,
wird schon unter geringem Winkel zur Augenaxe betrachtet nur noch
schwer, und bei etwas grösserem Winkel gar nicht mehr erkannt. Mit
aller Bemühung gelingt es endlich nicht mehr, Linien zu erfassen und in
der Vorstellung in einen Zusammenhang zu bringen. Eine flackernde
Die Analyse dek Lichtwellen dukch das Auge. 153
Flamme erweckt zwar, in derselben Weise schief angesehen, die Vorstellung
des riackerns immer noch; aber Umrisse und Farben werden nicht mehr
an ihr erkannt. Die verschwommenen Umrisse der seitlichen Netzhaut-
bilder können nicht die Ursache dieses mangelhaften Erkenuens sein; denn
es lassen sich bei geeignetem Einstellen des Auges gewiss auch scharf-
begrenzte Bilder auf nicht allzu seitlichen Netzhautpartien erhalten, und
doch erkennen wir dann diese Bilder nicht deutlicher. Das directe Sehen
mit einem Auge auf einen nahen Punkt, wobei das Bild des Fernen eben-
falls keine scharfen Umrisse hat, kann lehren, dass hier das Erkennen der
fernen Formen noch wohl möglich ist, dass also auch beim seitlichen
Netzhautbild der verschwommene Umriss das Erwerben der Vorstellung
nicht hindern würde. Es liegt in dessen schwieriger Erkennbarkeit eine
ähnliche unbemerkte Durchlöcherung des Gesichtsfeldes vor, wie
beim blinden Fleck, und von den Stäbchen rührt sie her. Diese
sind unfähig, mit ihrer Empfindungsweise zur Vorstellung zusammen-
hängender Linien und Figuren zu verhelfen; nur an den Empfindungen
aus den Zapfen vollziehen wir unbewusst die Abstraction, die zur Vor-
stellung der Raumformen führt, und wo die Zapfen nur noch in grossen
Entfernungen in der Netzhaut zerstreut stehen, da ist das Räthsel viel-
deutig (weil die Stäbchen keinen Ersatz bieten), da bringen wir die ver-
schiedenen Reizungen der entlegenen Zapfenpunkte nicht mehr zu einem
Ganzen zusammen, wie wir eine complicirte Curve oder Figur nicht mehr
ergänzen können, wenn zu wenig Punkte davon gegeben sind.
Wie empfinden nun aber die Stäbchen? Diese Frage kann nur mit
einem Hinweis auf die unklare Wahrnehmung der seitlichen Gesichtsfeld-
partien beantwortet werden. Die Stäbchenempfindung Avird nicht für sich
erkannt, weil die Aufmerksamkeit bei aller Bemühung, die leeren Stellen
zu erkennen, immer nur die seitlichen Netzhautbilder zu ergänzen sucht,
indem sie sich auf die Empfindungen der Zapfen richtet. Es ist wohl eine
Lichtempfindung in den Stäbchen, aber eine unklare, die sich uns etwa
nur dann für sich bemerkbar macht, wenn die Lichtstärke auf den seit-
Üchen Netzhautpartien plötzlich wechselt, eine Lichtempfindung, wie sie viel-
leicht niedrig organisirte Geschöpfe als einzige besitzen.
Der Sinn dieser Einrichtung ist wohl nicht schwer zu deuten. Mit
Absicht ist nicht die ganze Netzhaut, sondern nur die kleine Stelle des
gelben Flecks zum scharfen Sehen eingerichtet; die seitlichen Netzhaut-
partien sollen sich nicht mit scharfen Bildern dem Bewusstsein aufdrängen,
sondern sich unterordnen, um es nicht unnöthigerweise abzulenken und zu
verbrauchen; sie sollen nur bei starkem Licht oder heftigen Bewegungen,
die seitlich im Gesichtsfeld auftauchen, als empfindfiche Wächter ein An-
rufungszejchen ins Bewusstsein werfen. Und diese Aufgabe erfüllen nun
154 A. Göller:
eben die Stäbchen dadurch, dass sie mit ihrer minder vollkommenen Empfin-
dungsweise zwischen die Zapfen gesetzt sind. Wenn überhaupt der Grund-
satz in der Lichtempfindung Geltung behalten soll, dass den Unterschieden
der physiologischen Processe Unterschiede der Empfindung entsprechen, so
ist dies kaum anders möglich als mit einer untergeordneten Empfindung
in den Stäbchen, die eine unbemerkte Durchlöcherung der seithchen Seh-
feldpartien erreicht. Denn eine andere Veränderlichkeit der Theile des
Sehfeldes als diejenige vom deutlichen zum undeutüchen Erkennen finden
wir bei Bewegung des Auges nicht heraus. Welcher Art der physiologische
Vorgang in den Stäbchen sei, ob gleichartig mit demjenigen in den Zapfen,
ob in einer chemischen Reizung bestehend, kann hier unerörtert bleiben.
Eine neue Theorie der Farbenempfindung muss nach Erklärung der
Mischfarben immer auch noch neben eine Reihe von anderen Thatsachen
der Erfahrung gestellt werden, nämlich neben die Contrast- und Ermüdungs-
erscheinungen, das eigenthümliche Verhalten der scheinbaren Lichtstärke zur
Farbenstärke, die Nachbilder und die Farbenblindheit.
Was die Contrasterscheinungen betrifft, so gehören sie in das
Capitel der Farbenharmonie und machen als verändertes Urtheil über
gleichgebliebene Sinneseindrücke keinen Anspruch auf eine physiologische
Erklärung. (Versuch von Fechner: Schlagschatten bei gelbem Licht bläu-
lich, bei blauem Licht scheinbar gelblich, bei Betrachtung durch ein Rohr,
das den Blick auf die wechselnde Umgebung ausschliesst, kein Wechsel in
der Farbe des Schlagschattens bei einem Wechsel der Farbe der Licht-
quelle.)
Die Ermüdungserscheinungen bestehen darin, dass der Eindruck
einer bestimmten Farbe bei langer Betrachtung abnimmt, so dass diese
Farbe immer weniger gesättigt erscheint, wogegen dann — was aber
schon Contrasterscheinung ist — die Empfindlichkeit für die complementäre
Farbe zunimmt und diese für lebhafter gehalten wird als bei unermüdeter
Netzhaut. Roth z. B. scheint bei langer Betrachtung immer dunkler und
farbloser zu werden. Ein schwarzes Kartenblatt auf farbigem Grund rasch
weggenommen, hinterlässt seine Fläche heller imd gesättigter, weil an der
Stelle seines Netzhautbildes keine Ermüdung für die Farbe eintrat. Er-
scheint die der Ermüdung verfallene Farbe als Bestandtheil einer Mischung,
so sieht diese aus, als ob die Farbe minder stark darin vertreten wäre;
Weiss z. B. erscheint bläulich nach langem Ansehen von Gelb.
Die Ermüdungserscheinungen sind zwar in anderen Gebieten auch
vorhanden, indem z. B. das Wohlgefallen an einer zu oft erschienenen sicht-
baren oder klingenden Figur oder an einem zu oft gelesenen schönen Ge-
Die Analyse der Lichtwellen durch das Auge. 155
danken ebenfalls abnimmt; aber in diesen Fällen wird der Sinneseindruck
oder Gedanke nicht verändert aufgefasst; die Figuren oder der Gedanke
sind dieselben Vorstellungen wie zuvor, während man, wie das Experiment
mit dem Kartenblatt beweist, bei der Farbe nach Ermüdung an ihr eine
andere Farbe zu sehen glaubt als früher. Daher kann bei der Farbe
die Ermüdung nicht nur als ein verändertes Urtheil über eine gleich-
gebliebene Vorstellung erklärt werden, sondern es müssen schon im Sinnes-
eindruck die Thatsachen der Veränderung enthalten sein.
Was die Lichtstärkeerscheinungen betrifft, so bestehen sie zu-
nächst in einer grossen Unsicherheit der Bewerthung der Lichtstärke
farbiger Flächen. Es kann z. B. im Aeusseren ein rother Lichtstrahl ganz
wohl dieselbe lebendige Kraft der Schwingung darbieten wie ein weisser
oder blauer, und die Strahlen sind dann von gleicher objectiver Lichtstärke;
aber wir sind nicht fähig, diese Gleichheit zu erkennen, und halten bald
den einen, bald den anderen Lichtstrahl für heller.
Eine andere Lichtstärkeerscheinung besteht darin, dass die Spectral-
farben den höchsten Grad ihrer Sättigung bei sehr stark verschiedenen
Lichtstärken erhalten (diese wurden hier ohne weitgehende Sicherheit künst-
lich gemessen). Violett ist schon bei geringster Lichtstärke gesättigt, bei
etwas grösserer Blau und Roth; dann kommen Orange, Blaugrün und Grün;
die grösste Lichtstärke zur Sättigung erfordert aber Gelb. (Nach Fraun-
hofer ist die Lichtintensität der gesättigten Farben bei Roth 32, Orange
94, Röthlichgelb 640, Gelb 1000, Grün 480, Blaugrün 170, Blau 31,
Violett 5.6.)
Bei zwei Complementärfarben muss die Farbenstärke dieselbe sein,
denn die zwei Farben müssen ja einander aufheben; die Lichtstärke ist
aber nicht dieselbe, sondern bei Violett nur 7io ^is Ys ^^^ derjenigen des
complementären Grüngelb, und bei Blau nur ^3 t)is Vi von derjenigen des
complementären Gelb. Die Verhältnisszahlen schwanken zwischen den an-
gegebenen Grenzen mit der Lichtstärke; nach H. Helm holtz erscheint bei
grosser Lichtstärke das Violett nur Vio ^^ ^^^^ ^^s ^^^^ complementäres
Grüngelb, bei geringer Lichtstärke dagegen ^s? ebenso Blau dort ^j\, hier
^/g von Gelb.
Bei steigender Lichtstärke gehen die Farben mehr und mehr in Weiss
über, am frühesten Violett und Blau; Roth und Grün werden bei diesem
Uebergang zuerst gelblich. Bei abnehmender Lichtstärke sollen dagegen
nach H. Helmholtz Violett und Blau, nach W. Wundt Gelb und Grün
am längsten aushalten; bei einer Beleuchtung, die ein gesättigtes Roth
schon aussehen lasse wie Schwarz, erkenne man jene Farben noch immer
als Farben. Diese Beobachtungen sind übrigens schwer in Einklang zu
bringen mit derjenigen, dass Blau und Roth ihre Sättigung bei gleicher
156 A. Göllee:
Lichtstärke erreichen (s. oben). Auch lässt sich dem Roth fast uhne Ver-
minderung seiner Sättigung eine solche Lichtstärke geben, dass es im
Dunkeln als Farbeneindruck länger dauert als ein gesättigtes Blau oder
Grün. Die Farbenfläche, die bei Tagesbeleuchtung lichtreicher ist, wird
auch im Dunkeln länger Farbe halten , sei sie nun roth oder gelb oder
blau. Bei der Unsicherheit der Bewerthung der Lichtstärke der Farben
wird sich kaum eine Thatsache über das längere Ausdauern mit solcher
Bestimmtheit feststellen lassen, dass hier ein Erklärungsversuch einen Werth
haben könnte.
Folgende Annahmen dürften im Zusammenhang mit den früheren ge-
eignet sein, die Ermüdungs- und Lichtstärkeerscheinungen in ihren wesent-
lichen Zügen zu erklären:
„1. Der elastische Widerstand gegen eine Schwingung ist in ver-
schiedenen Richtungen der Zapfeninnenglieder verschieden gross; er ist
am grössten in der Richtung von Gelb, um von da aus gegen Violett lang-
sam, gegen Roth rasch abzunehmen. Dies hat zur Folge, dass eine weit
stärkere äussere Schwingung dazu nöthig ist, eine bestimmte Amplitude
der inneren Schwingung für Gelb zu erhalten, als dieselbe Amplitude für
Blau oder Roth erfordern würde.
2. Der elastische Widerstand ist in jeder Richtung der Nervenendfaser
ein wenig veränderlich; er wird in jeder Richtung erhöht durch eine
langandauernde oder starke Schwingung in dieser Richtung, so dass einer
gleichbleibend andauernden äusseren Schwingung eine allmählich abnehmende
Amplitude der inneren Schwingung antwortet. (Vielleicht bringt die Er-
höhung des Widerstandes in einer Richtung eine Verminderung des-
jenigen in der dazu senkrechten Richtung mit sich.)
3. Die Farbenstärke eines Eindrucks wird gemessen durch das Quadrat
der Amplitude der inneren Schwingung, und bei den Mischfarben durch
das Quadrat der Differenz beider Halbaxen der Schwingungsellipse.
4. Die Lichtstärke wird gemessen durch den überwundenen elastischen
Widerstand der inneren Schwingung.
5. Die Sättigung ist das Verhältniss der Farbenstärke zur Lichtstärke.
6. Bei übermässig starken Lichteindrücken wird die Schwingung in
der Nervenfaser so heftig, dass sie das organische Gefüge der Nerventheile
zerstört, wie ein zu grosser Druck die Cohäsion im unorganisch festen
Körper zerstört. Schon bei Annäherung an diesen Zustand entsteht eine
anormale Lage der Theile im- organischen Gefüge, die nach Aufhören des
starken Lichteindrucks nur langsam wieder in die normale übergeht, wie
im festen Körper der alte Zusammenhang der Theile nach starkem Druck
Die Analyse dee Ltchtwellen duech das Auge. 157
nur allmählich sich wieder herstellt, vorausgesetzt, dass die Elasticitätsgrenze
Dicht überschritten war. Gerade Schwingungen jeder Richtung kommen
über ein bestimmtes Maximum der Amplitude nicht hinaus; erhebt sich
die Kraft der äusseren Schwingung noch höher, so äussert sich die An-
näherung an die Elasticitätsgrenze in einem Schwanken der Schwingungs-
richtung um eine Mittellage, das um so grössere Entfernungen von dieser
erreicht, je stärker der farbige Lichteindruck. Entsprechend dem grösseren
elastischen Widerstand in der Richtung Gelb wird das Maximum der Ampli-
tude und Farbenstärke für Gelb erst bei grösserer Lichtstärke erreicht als
für Grün und Roth, und mehr noch als für Blau und Violett."
Der verschieden grosse elastische Widerstand in verschiedenen Rich-
tungen des Krystalls oder der Flüssigkeit ist die Ursache der Rotations-
dispersion im Quarz oder den anderen Körpern mit solcher; auch in den
Zapfenaussengliedern muss er als Ursache derselben Erscheinung vorhanden
sein; es kann nicht überraschen, dass in der Nervenendfaser ein solcher
Zustand ebenfalls bestehen soll. Die Molecular- oder Cohaesionsveränderung
als Verstärkung des Widerstandes gegen eine oft wiederholte Bewegung
entspricht den Beobachtungen der Physik über die Vermehrung der Wider-
standsfähigkeit fester Körper durch solche Dehnungen oder Pressungen,
welche die Elasticitätsgrenze wenig überschreiten, oder auch diese Grenze
nicht erreichen, aber lange andauern. Diese Vermehrung des elastischen
Widerstandes hat vielleicht eine allgemeine Gültigkeit im Nervensystem,
indem sie nicht nur den Ermüdungserscheinungen in anderen Gebieten,
sondern überhaupt allen Gedächtnisserscheinungen zur körperlichen Grund-
lage dient. Die Richtigkeit der im Früheren in Anwendung gebrachten
Zusammensetzung der geradlinigen Bahnen zu elliptischen und kreisförmigen
wird nicht etwa durch die Annahme des ungleichen elastischen Widerstandes
verschiedener Richtungen in Frage gestellt; denn sie richtet sich nur nach
Maassen, nicht nach der Kraft der beiden gegebenen Schwingungen.
Durch das langsame Vergehen des anormalen Zustandes im Gefüge
der Nerventheile und in ihren Cohaesionskräften in Folge eines heftigen,
oder auch eines minder starken, aber langandauernden Lichteindrucks er-
klären sich die Nachbilder. Das positive Nachbild ist das kurzwährende
Ausschwingen, das noch die Fortsetzung und das Erlahmen der vom Licht-
eindruck unmittelbar erzeugten Bewegung darstellt; das negative Nachbild
ist die Reaction der inneren Kräfte, diejenige Bewegung in der Nerven-
faser, durch welche sich die alte Lage der Theilchen und die alten Co-
haesionskräfte langsam wiederherstellen (elastische Nachwirkung). Bei beiden
Bewegungen müssen sich die ungleich grossen elastischen Widerstände ver-
schiedener Richtungen im Nervenquerschnitt durch ungleich rasches Er-
158 A. Göllee:
lahmen, beziehungsweise ungleich starkes Reagiren bestimmter Schwingungs-
richtungen äussern, und das sogenannte farbige Abklingen besonders kräf-
tiger Nachbilder wäre die Empfindung aus dem Spiel dieser Bewegungen,
die übrigens nicht bei allen Augen in gleicher Reihenfolge der Farben voi
sich zu gehen scheinen. Es ist wahr, dass auch in Beziehung auf die
Nachbilder die Annahme der Fortdauer einer chemischen Reizung dem
Erklärungsbedürfniss näher liegen würde, aber das Fehlen jeder licht-
empfindlichen Substanz an der Stelle des deuthchsten Sehens, auf welcher
die Nachbilder eher noch deutlicher auftreten, als auf mehr seitlich ge-
legenen Netzhautpartien, gestattet auch hier die Erklärung aus einer
chemischen Reizung nicht. Dass die scheinbar schon vergangenen (nega-
tiven) Nachbilder durch kräftiges Schliessen des Auges wieder hervorgerufen
werden können, spricht ebenfalls für eine fortdauernde Bewegung in Folge
veränderter innerer Kräftewirkung. Endlich weisen die subjectiven Licht-
eindrücke bei Stoss oder sanftem seitlichem Druck gegen das Auge auf ein
Entstehen aller subjectiven Lichtempfindungen, also auch der Nachbilder.
durch eine in Folge von Erschütterung oder anormaler Spannung rein
mechanisch erzeugte Bewegung im Nerven, und in der That haben alle
diese Empfindungen etwas Verwandtes in Beziehung auf die Eigenschaften
der Lichterscheinung.
Die Thatsachen der Farbenblindheit sind wohl noch zu unvollständig
erforscht, als dass ein eingehender Deutungsversuch von Werth sein könnte.
Sie besteht in den meisten Fällen darin, dass Roth und Grün nicht
empfunden, sondern unter sich und mit Grau verwechselt, und dass alle
Mischfarben, in welchen Roth und Grün auftreten, entsprechend verändert
aufgefasst werden. Es scheinen hier nur die beiden Hauptrichtungen der
Schwingung, diejenigen für Gelb und Blau, als Sectoren geringer Aus-
dehnung vorhanden oder wenigstens der Quadrant von Roth bis Grün zu
einem solchen engen Sector verkümmert. Bei anderen Farbenblinden
scheinen dagegen die Schwingungsrichtungen von Gelb bis Blau zu fehlen
und die nach aussen, gegen Grenze Roth und Grenze Violett liegenden
erhalten zu sein. Anormales Gefüge der Zapfenaussen- oder -innenglieder
wäre hiernach die Ursache der Farbenblindheit. Uebrigens kann diese
ebensowohl von einem Mangel des Centralorgans oder der Leitung dorthin
herrühren, ohne dass in den Zapfen etwas anderes vor sich ginge als im
normalen Auge; sei es in einem Theil der Fälle oder in allen.
Dass für die beiden Farben Gelb und Blau die Empfindung dauer-
hafter und — wie sich zeigen wird — in Beziehung auf den Unterschied
der Schattirungen am feinsten ausgebildet ist, lässt eine gewisse Urs prüng-
lichkeit derselben vermuthen. Die heute erreichte Zerlegung des Lichtes
in so viele Richtungen hat vielleicht mit diesen beiden Hauptrichtungen
l)iE Analyse der Licht wellen du roh das AüGR. 159
begonnen und sich durch stetige Veränderung der Structur der Zapfen
allmähUch zu grösseren Sectoren bis zu deren Vereinigung bei Grün aus-
gebreitet.
Was die Festlegung der Richtungen betrifft, die in der Figur
den verschiedenen Farben je nach ihrer Schwingungszahl zugetheilt er-
scheinen, so ist sie auf folgendem Weg erhalten:
H. Helmholtz (Handbuch der physiologischen Optik, 1867, S. 277
u. 278) hat die Wellenlängen derjenigen Spectralfarben zusammengestellt,
die nach seinen Messungen zusammen Weiss ergeben, und aus den Resul-
taten dieser Messungen eine hyperbelartige Curve abgeleitet, deren Punkte
als Abscissen die Wellenlängen der Farben und als Ordinaten je die Wellen-
länge der zugehörigen Complementärfarben zeigen. Diese Curve zeigt zwei
congruente Zweige, welche deutlich zwei Symmetralaxen mit 45^ Neigung
haben und dadurch die Möglichkeit bieten, sie durch symmetrische Wieder-
holung der von H. Helmholtz bestimmten Punkte zu ergänzen. (Die
Symmetralaxe wurde so lange parallel mit sich verschoben, bis die ge-
nannte symmetrische Wiederholung der ursprünglichen Punkte mit diesen
selber in eine möglichst stetige Curve zusammenfiel; die gemessenen und
durch die Verlegung erhaltenen Punkte Hessen die Lage der Symmetral-
axe und der Scheitel der Curvenzweige mit grosser Sicherheit bestimmen.)
Die erhaltene Figur bietet in den Schnittpunkten der Curve mit der einen
Axe und im Schnittpunkt beider Axen, der zugleich Mittelpunkt des G-anzen
ist, drei ausgezeichnete Punkte, deren Coordinaten auffallend nahe mit den
Wellenlängen des mittleren G-elb, Blau und G-rün übereinstimmen, nämlich :
Zehnmilliontelmillimeter Zehnmilliontelmillimeter
erster Scheitel x = 4794 y = 5742
zweiter Scheitel x = 5742 r/ = 4794
Mittelpunkt x = 5268 y = 5268
Die zwei Wellenlängen der Scheitel sind nun als den zwei Schwingungs-
richtungen unter 45 ^ angehörig in unsere Figur eingeführt , die Wellen-
länge des Mittelpunktes als der lothrechten Richtung für Grün. Die zwischen
Blau und Gelb gelegenen Wellenlängen für die Strahlen des in 16 gleiche
Theile getheilten Quadranten wurden so bestimmt, dass ihre Zunahmen von
Blau aus sich verhalten wie die Zunahmen der Sinusquadrate der mit der
Hauptrichtung Blau gebildeten Winkel, und zwar aus folgendem Grunde:
Bildet ein beliebiger Radius ?• einen Winkel x mit der Hauptrichtung
Blau, so ist seine Projection auf diese gleich r cos x, und auf die Haupt-
richtung Gelb gleich r sin x. Ist nun r zugleich Amplitude einer Schwin-
160 A. Göller;
gung nach der Richtung x, so sind r cos x und /• sm x die Amplituden
der Componenten , d. h. der zwei Projectionen der Schwingung x auf die
beiden Hauptrichtungsebeneu , und wenn die Schwingungen der Compo-
nenten ohne Phasenverschiedenheit vor sich gehen , so erzeugen . sie die
Schwingung x. Wirklich besteht auch dem Gefühl nach eine Verwandt-
schaft aller grünlichen Farbtöne mit Blau und Gelb, wie durch Mischung
von blauen und gelben Pigmenten Grün entsteht. Die Stärken der Em-
pfindungen Blau und Gelb, die in der Farbe des beliebig angenommenen
Halbmessers zusammenwirken würden, wenn die Schwingungen ohne Phasen-
verschiedenheit vor sich gingen, wären nach dem Früheren gemessen durch
7-2 coft'^- X und r^ si?i^x, und es liegt nun nahe, die Zunahme der Empfin-
dung Gelb in der Farbe eines gegen Gelb sich bewegenden Halbmessers
beim Zunehmen des Winkels x proportional zu setzen einerseits der Zu-
nahme von sin^ X, andererseits der Zunahme der Wellenlänge. Die für
Grün angesetzte Wellenlänge und Richtung ist hiermit im Einklang.
Nachdem so die Wellenlängen zwischen Gelb und Blau auf ihre Radien
gelegt waren, wurden diejenigen ausserhalb der zwei Hauptrichtungen be-
stimmt aus den von H. Helmholtz gemessenen Complementärfarben und
der Ausdehnung seiner Tabelle, wie sie aus der obengenannten Curve sich
ergab, indem immer der Radius einer Farbe senkrecht gestellt wurde zum
Radius der schon festgelegten complementären. Die Zwischenwerthe und
der stetige Uebergang zu den neuen Zunahmen fanden sich mit Hülfe
graphischer Darstellung des Gesetzes, indem die Winkelgrössen als Abscissen,
die Wellenlängenzunahmen als Ordinaten einer Curve aufgetragen wurden.
Dadurch ergab sich nun ein anderes Gesetz für die Zunahme der
Wellenlänge jenseits Gelb und Blau als zwischen diesen Richtungen
(die Curve geht nach einem gleichmässig gekrümmten Bogen fast gerad-
linig in's Unendliche), und es kann hiernach die ganze Interpolation nur
auf Annäherung an die Richtigkeit Anspruch erheben; aber es giebt eine
physiologische Erscheinung, die wenigstens ihre annähernde Richtigkeit
sehr schön bestätigt. Wohl muss zunächst die erhaltene Vertheilung der
Wellenlängen auf die Radien willkürlich und unwahrscheinlich aussehen.
Den gleichen Schritten der Drehung entsprechen äusserst kleine Differenzen
der Wellenlängen in den Punkten von Gelb und Blau, weit grössere schon in
der Gegend von Grün, und überraschend grosse in der Gegend von Roth und
Yiolett. Dieses Ergebniss ist aber durchaus im Einklang mit der Erfahrung.
Nach den Voraussetzungen sollen gleichen Schritten der Drehung gleiche
Schritte der Empfindung in allen Theilen der Figur entsprechen, und es
ist ja Thatsache, dass die Empfindung von der Wellenlänge 6230 bis zur
Wellenlänge 7060 sich nicht mehr verändert als von 5742 bis 5745. Die
Empfindlichkeit für die Veränderung der Wellenlänge ist äusserst gering
Die Analyse der Lichtwellen durch das Auge.
161
bei Roth, nimmt dann zu gegen Gelb, erreicht dort ein Maximum, nimmt
dann wieder ab bis Grün, ohne jedoch so tief zu sinken als bei Roth,
dann folgt wieder eine Zunahme bis zu einem zweiten Maximum in Blau
und wieder Abnahme bis Violett, wo die Empfindlichkeit ebenso gering ist
als bei Roth.
H, Helmholtz sagt z. B.: „Roth nenne ich die Farbe des weniger
brechbaren Endes des Spectrums, welche von der äussersten Grenze des-
selben bis etwa zur Linie C keine merkliche Aenderung des Farben-
tous zeigt." Zwischen diesen beiden Grenzen liegt aber eine Aenderung
der Wellenlänge von nahezu 500 Zehnmilliontelmillimetern, die in anderen
Theilen des Spectrums einen Schritt der Empfindung von Blau zu Grün
oder von Grün zu Gelb hervorzurufen vermag. „Genauer ergeben die Ver-
suche von Dobrowolskj folgende Verhältnisse für die Unterschieds-
empfindlichkeit der einzelnen Farbentöne:
Im Roth (Linie B— C)
„ Orange (C— D) .
„ Gelb (D) . . .
„ Gelbgrün (D— E)
„ Grün (E) . . .
„ Grünblau (E— F)
„ Blau (F) ...
„ Indigoblau (G)
„ Violett (G— H) .
Vll5 feiS Vl67
/331
1772
1/
/246
/34O
1/
/615
/74O
1272
1/ ^^1
/l46
Wenn man diese Werthe in einer Curve darstellt und die Unregel-
mässigkeiten beseitigt,^ wenn man ferner bedenkt, dass hier nicht das
äusserste Roth, das äuss erste Violett mit ihren geringsten Empfindlich-
keiten zu den Versuchen beigezogen werden konnten, und dass für die
Werthe von Gelb, Grün und Blau nicht gerade diejenigen Wellenlängen
benutzt sein werden, mit denen die Farbe am empfindlichsten ist, so lässt
die Uebereinstimmung mit unserer auf ganz anderem Wege gefundenen
Figur nichts zu wünschen übrig, und es erwächst der Hypothese von den
verschiedenen Schwingungsrichtungen im Nerven eine kräftige Stütze gerade
in den Folgerungen aus denjenigen Annahmen, die zuvor am meisten will-
kürhch scheinen mussten. Freilich verlangt schon das Fehlen der Schwin-
gungsrichtungen eines Octanten, dass die Schritte der Drehung nicht pro-
portional den Schritten der Wellenlänge, sondern nach einem complicirteren
Gesetze von ihnen abhängig seien; nur wenn endlich die gTössten Aende-
^ Siehe W. Wundt, Physiologische Psychologie.
2 Siehe W. Wundt, a. a. O. Fig. 113.
Archiv f. A. u. Ph. 1888. Physiol. Abthlg-.
11
162 A. Göller: Die Analyse der Lichtwellen durch das Auge,
rungen der Wellenlängen kein Fortschreiten in der Drehungsrichtung mehr
erreichen, kann ohne Störung der Gesetzmässigkeit ein Sector ausfallen.
Unfertig ist die vorgetragene Hypothese in Beziehung auf die Art der
Umsetzung des zerlegten und gedrehten Lichtstrahls in die beschriebene
Schwingung im Zapfeninnenglied, ferner in Beziehung auf die Art der Um-
änderung dieser Bewegung bei der Fortleitung auf das Centralorgan, wobei
— wie es scheint — verschiedene Nervenfasern verschiedene Bewegungs-
formen zu übertragen haben. Dadurch lässt sie auch unerklärt, warum in
der stetigen Reihe der menschlichen Farbenempfindungen gerade vier ver-
wandtschaftslose Eindrücke (Blau, Grün, Gelb und gelbfreies purpurartiges
Roth oder vielleicht reiner Purpur) als Elementarempfindungen hervorzutreten
und durch ihr Zusammenwirken alle übrigen Farbenempfindungen zu er-
zeugen scheinen. Sie lässt nur vermuthen , dass der Grund dieser Ghede-
rung in der Auszeichnung der vier Hauptrichtungen im Gefüge der Nerven-
endfaser und in der Art jener Fortleitung enthalten sei.
Zur Kenntniss der sensiblen Nerven und Reflex-
apparate des Rückenmarkes.
Von
K. Hällsten
in Helsingfors.
12. Elektrotonisclie Erregbarkeitsveränderungen in sensiblen
Iferven.
In einer vor sieben Jahren in diesem Archiv publicirten kleinen Ab-
handluug habe ich die Resultate einiger Untersuchungen hinsichtlich der
Erregbarkeitsveränderungen in sensiblen ISTerven bei Elektrotonus angegeben.^
wenn ich hier auf dieselbe Frage zurückkomme, so geschieht dies aus fol-
genden Ursachen. In der genannten Abhandlung wurden nur die End-
resultate der Untersuchungen angegeben, weil es sich zeigte, dass die in
Frage stehenden Erregbarkeitsveränderungen der sensiblen Nerven sich
ebenso verhalten, wie die der motorischen; in dieser Hinsicht scheint Grund
vorhanden zu sein, die früheren Angaben in Bezug auf die verschiedenen
Einzelheiten zu vervollständigen, um so mehr,^ als ältere Untersuchungen,
wie bekannt, theilweise andere Resultate gegeben haben.^ Weiter wurden
die genannten Untersuchungen an Praeparaten von gesunden oder nicht
strychninisirten Thieren ausgeführt; dabei war es nothwendig, stärkere und
sogar bedeutend stärkere Reize anzuwenden, als bei solchen Untersuchungen
an motorischen Nerven; um diese UnbequemHchkeit zu vermeiden, scheint
Grund vorhanden zu sein, die Untersuchungen an Praeparaten von strych-
ninisirten Thieren aufzunehmen, wo wahrscheinlich schwächere Reize zur
Anwendung kommen können, und damit die Untersuchungen überhaupt
vereinfacht werden.
Elektrotouus in sensiblen Nerven. Dies Archiv, 1880. S. 112 — 114.
Vergl. Handbuch der Physiologie. Bd. II. Abth. 1. S. 47.
11*
164 K. HällstSjü:
Die folgenden Untersuchungen sind also an Praeparaten von stiych-
ninisirten Thieren ausgeführt; zugleich wurde in den Praeparaten das ganze
Rückenmark sammt dem verlängerten Mark erhalten; das centrale Nerven-
system war nämlich zwischen den Trommelfellen durchgeschnitten. Weiter
waren heide Mm. gastrocnemii in den Praeparaten erhalten, um, wie in
einem vorigen Artikel schon erwähnt wurde, aus der Reaction, welche der
direct von dem motorischen Stamm gereizte Muskel zeigt, das Verhalten
des angewandten Stromes zu beurtheilen, und zugleich um hier einen
Querschnitt an dem sensiblen Stamm, dicht neben der untersuchten Stelle
zu vermeiden. Als Reize wurden Inductionsströme angewandt. Ferner
wurden zur Vermeidung möglicher elektrotonischer Wirkungen im Rücken-
mark die Elektroden des polarisirenden Stromes an den peripherischen Theil
des sensiblen Stammes, in der Nähe des Muskels gestellt. Alle Elektroden
waren selbstverständlich unpolarisirbar.
Die Untersuchungen bezweckten erst zu entscheiden, in welchem Stadium
der Vergiftung die Praeparate verfertigt werden müssen, um ihrem Zweck
am besten zu entsprechen; nachdem dies festgesetzt worden war, wurden
die Untersuchungen so viel als möghch auf Praeparate aus diesem Stadium
beschränkt.
Eine Unbequemlichkeit bei diesen Untersuchungen überhaupt ist, dass
das Praeparat sich unter der Ausführung der Versuche verändert, so dass
dasselbe Praeparat unter denselben äusseren Verhältnissen bei Wieder-
holung des Versuches nur einige wenige Male dasselbe oder ungefähr das-
selbe Resultat giebt. Zur Vermeidung dieser Unbequemlichkeit habe ich
versucht, constante Ströme statt der Inductionsströme als Reizmittel an-
zuwenden, aber die Resultate dieser Versuche sind vielleicht noch unvortheil-
hafter ausgefallen; die Untersuchung ist darum mit luductionsströmen als
Reizmittel durchgeführt worden.
Eine andere Schwierigkeit von der schon in einigen der vorhergehenden
Artikel die Rede gewesen ist, macht sich auch bei diesen Untersuchungen
bemerkbar, nämlich die Schwierigkeit ein minimales, und oft genug sogar
ein untermaximales Reizmittel zu finden. Diese Schwierigkeit liess sich je-
doch hier durch folgendes Verfahren vermeiden: Erst wurde das geringste
zur Hervorrufung einer Reflexzuckung nöthige Reizmittel aufgesucht; dieses
minimale Reizmittel, oder sogar ein etwas verstärktes wurde dann bei den
darauf folgenden Versuchen angewandt, wenn nämlich die gereizte Stelle
des Nerven in einen Zustand von Anelektrotonus versetzt werden sollte;
die Untersuchung bezweckte nämlich in dem Falle festzustellen, ob bei
einem gewissen Werth der Stärke des polarisirenden Stromes die Reflex-
zuckung, in Folge des in Frage stehenden Reizmittels, ganz und gar ver-
hindert werden konnte hervorzutreten. Bezweckte aber die Untersuchung
Sensible Nerven und Replexappaeate des Rückenmarkes. 165
einen katelektrotonischen Zustand an der gereizten Stelle des Nerven nach-
zuweisen, so wurde erst das minimale Reizmittel um so viel vermindert,
dass es, wenn der Nerv unpolarisirt war, keine Refiexzuckung hervorrief;
dann wurde der Nerv polarisirt, und die Untersuchung ging nun darauf
hinaus zu entscheiden, ob bei einer gewissen Stärke des polarisirenden
Stromes, dasselbe Reizmittel eine Reflexzuckung hervorrufen konnte.
In dem Bericht über die Versuche sind folgende Bezeichnungen an-
gewandt: P bezeichnet die Länge der polarisirten Nervenstrecke, p die
Entfernung zwischen den Polen des reizenden Stromes, und d die Ent-
fernung zwischen diesen beiden intrapolaren Strecken; weiter bezeichnen
r, i\ und i\ die Ausschläge, die die Reflexzuckungen in Folge der an-
gewandten Reizmittel gaben, nämlich r ehe der Nerv polarisirt wurde,
7-2 nachher und i\ während der Nerv polarisirt w^ar.
Nach diesen Andeutungen in Bezug auf die Methode und die an-
gewandten Bezeichnungen, gehen wir zur Beschreibung der Versuche über
und fassen sie, ebenso wie es in der vorhergehenden Abhandlung geschah,
in folgende drei Abtheilungen zusammen:
1. Das Reizmittel wirkte extrapolar zwischen der polarisirten
Nervenstrecke und dem Rückenmark.
Versuch 1 an Praeparaten aus einem früheren Stadium der Vergiftung.
Bei solchen Praeparaten können die in Frage stehenden Erregbarkeits-
veränderungen sogar zu wiederholten Malen hervorgerufen werden. Ein Bei-
spiel hiervon ist folgender Versuch, der sich auf einen katelektrotonischen
Zustand bezieht. Das Praeparat wurde zwei Minuten nach der Vergiftung
verfertigt, als noch keine Vergiftungserscheinung an dem Thier beobachtet
werden konnte; (die Dosis bei diesen Versuchen überhaupt war so gewählt,
dass die ersten Vergiftungserscheinungen sich 4 — 5 — 6 Minuten nach
der Vergiftung zeigten). Als polarisirender Strom wurden 1 und 4 Daniell
angewandt, wie schon angedeutet wurde, mit dem negativen Pol näher
zur untersuchten Stelle und zum Rückenmark. Folgende Tabelle zeigt die
Resultate der mit einer Zwischenzeit von einigen Secunden vorgenommenen
Reizungen an.
r
1 Dan.
1
1
4
4
4
4
4
8-0 mm
7.5 „
6-6 „
8.9 „
6.9 „
6.7 „
8.1 „
7-2 „
166 K. HällstIin:
Die erste Columne links giebt die Anzahl Daniell an, die in den verschie-
denen Versuchsserien angewandt wurden, um den Nerven zu polarisiren; die
zweite und die letzte Columne mit den Ueberschriften r und rg bezeichnen,
wie schon gesagt, den Ausschlag, den das angewandte Reizmittel bei der
Einwirkung auf den unpolarisirten Nervenstamm hervorrief, nämlich die
erste Columne (r) bevor der Nerv polarisirt wurde, die zweite {r^) nachher;
die dritte Columne wieder mit der Ueberschrift r^ giebt den Ausschlag in
Folge der Refiexzuckungen an, als dasselbe Reizmittel auf den polarisirten
Nerv einwirkte. Bei allen diesen Reizungen wurde dasselbe Reizmittel an-
gewandt; ferner hatte hier der ganze Nervenstamm eine Länge von 54™™,
F oder die polarisirte Nervenstrecke in dem peripherischen Theil des Nerven-
stammes war 21, p oder die Entfernung zwischen den beiden Polen des
reizenden Stromes betrug 3, und d oder die Entfernung zwischen den
beiden intrapolaren Strecken ebenfalls 3 ™™.
Der Versuch lässt also die katelektrotonische Erregbarkeitsvergrösserung
schon bei 1 Daniell des polarisirenden Stromes hervortreten; aber die
reizenden Ströme müssen stark sein im Verhältniss nämlich zu dem mini-
malen Reizmittel des von dem motorischen Nerven direct gereizten Muskels ;
dieser Umstand macht, dass die Reactionen im Allgemeinen nicht so regel-
mässig erscheinen, wie dieser Versuch vermuthen lässt. Aus diesen Gründen
haben wir es versucht, die Untersuchungen überhaupt an Praeparaten aus
einem späteren Stadium der Vergiftung auszuführen.
Versuch 2. Das Praeparat wurde 5 Minuten nach der Vergiftung
verfertigt, nachdem die ersten Vergiftungserscheinungen deutlich hervor-
traten; der Nerveustamm hatte eine Länge von 54 ™™ ; und hier war P= 16,
p = 2 — 3, und d = 2 — 3 ™". Das minimale Reizmittel zur Hervorrufung
der Reflexzuckung wurde bei der Entfernung von 332™™ zwischen den
Spiralen gefunden: bei dem direct vom motorischen Stamm gereizten Muskel
war diese Entfernung ungefähr um 100™™ grösser. Die Untersuchungen
wurden auf folgende Art ausgeführt; das eben genannte Reizmittel wurde
um so viel vermindert, dass es bei zwei Reizungsversuchen keinen Reflex
hervorrief; dann wurde der polarisirende Strom von 1 Daniell in solcher
Richtung geschlossen, dass sein negativer Pol näher zur untersuchten Stelle
war; bei nun erfolgter Reizung wurde Reflexzuckung erzeugt, mit dem
Ausschlag 6-8™™ und bei Wiederholung 6*5™™; nach dem Oeffnen des
polarisirenden Stromes erzeugte das angewandte Reizmittel keine Reflex-
zuckung; au der untersuchten Stelle trat also katelektrotonische Erregbar-
keitsveränderung hervor. Dann wurde der Reiz um so viel vermehrt, dass
er bei Einwirkung auf den unpolarisirten Nerven eine Reflexzuckung er-
zeugte mit dem Ausschlag 7 «4 und bei der Wiederholung 7-0™™; und so
Sensible Nerven und Reflexappaeate des Rückenmarkes. 167
wurde der polarisirende Strom in entgegengesetzter Eichtung geschlossen,
so dass der positive Pol der untersuchten Stelle näher war; mit dem ehen
erwähnten Reizmittel wurde nun in zwei Reizungsversuchen keine Reflex-
zuckung erzeugt; hier trat also die Verminderung der Erregbarkeit hervor.
Einige Augenblicke später wurde die frühere Versuchsserie wiederholt; da-
bei waren erst die Ausschläge und 0, als der Nerv nicht polarisirt war,
nach der Polarisation aber 6-5 und 6-4, und zuletzt, nachdem der pola-
risirende Strom geöffnet wurde, wieder und 0. Endlich wurde auch die
andere Versuchsserie wiederholt, und wurde hier erst der Ausschlag 7-0
und 6 • 4 erhalten, als die Einwirkung des constanten Stromes ausgeschlossen
war, dagegen erfolgte kein Ausschlag in zwei Reizungsversuchen, als die
untersuchte Nervenstrecke in einen Zustand von Anelektrotonus versetzt
wurde; und zuletzt, als der polarisirende Strom geöffnet wurde, gab das-
selbe Reizmittel den Ausschlag 6-7 und 6 -4. Die Resultate der Versuche
treten vielleicht deutlicher in folgender Tabelle hervor:
r
^1
^2
1 Dan.
0,
6.8, 6.5
0,
1 „
7.4, 7.0
0,
1 ,,
0,
6-5, 6.4
0,
1 „
7.0, 6.4
0,
6.7, 6.4
Hier zeigen die erste und die dritte der Versuchsserien vergrösserte Erreg-
barkeit in Folge von Katelektrotonus, und die zweite und vierte Verminde-
rung derselben in Folge von Anelektrotonus; als polarisirender Strom wurde
bei allen Versuchen 1 Daniell angewandt.
Bei diesem Versuch traten also die kat- und anelektro tonischen Erreg-
barkeitsveränderungen in dem sensibeln Nervenstamm ganz ebenso hervor,
wie in motorischen Stämmen, einige Male sogar bei Wiederholung der Ver-
suche; wir fügen hier jedoch noch einen gleichartigen Versuch hinzu.
Versuch 3. Das Praeparat wurde fünf Minuten nach der Vergiftung
verfertigt, als ein schwacher Krampfanfall von kurzer Zeitdauer vorher-
gegangen war. Die Elektroden waren fast ebenso geordnet wie bei dem
vorhergehenden Versuch; auch hier wurde 1 Daniell als polarisirender
Strom angewandt. Das minimale Reizmittel zur Hervorrufung des Reflex-
zuckung wurde bei der Entfernung von 425"^"^ zwischen den Spiralen ge-
funden; bei dem direct vom motorischen Stamm aus gereizten Muskel war
der minimale Reiz unbedeutend schwächer. Die Versuche wurden ganz
auf dieselbe Art und in derselben Reihenfolge ausgeführt, wie bei dem
vorhergehenden Versuch; die Resultate können deshalb ohne Weiteres in
folgender Tabelle zusammengefasst werden:
168
K.
Hällstän:
r
n
^2
1 Dan.
9-8
1 „
10.7, 9.2
0,
0,
1 „
0,
8.9, 8-1
0,
1 „
10.4, 9-4
0,
1.0.1, 9.8.
Die Polarisation geschah auch hier mit 1 Daniell; die erste und die
dritte der Versuchsserien zeigen wieder vergrösserte Erregbarkeit in Folge
von Katelektrotonus, die zweite und vierte dagegen Erregbarkeitsverminde-
rung bei Anelektrotonus. Die Tabelle zeigt ferner, dass in der zweiten
Yersuchsserie das angewandte Reizmittel nach dem Oeffnen des polari-
sirenden Stromes keine Zuckung hervorrief; die anelektrotonische Erregbar-
keitsverminderung bestand also noch in dem Augenblick, als die Reizung
vollzogen wurde; unabhängig hiervon wurde der Versuch mit der dritten
Versuchserie fortgesetzt, und wurde hierbei dasselbe Reizmittel wie in der
zweiten Versuchsserie angewandt.
Die Versuchsresultate sind also hier dieselben wie bei dem vorher-
gegangenen Versuch; aber bei beiden Versuchen wurde ein ganzer Daniell
angewandt, um den Nerven zu polarisiren; wir fügen deshalb noch einige
Versuche hinzu, die zeigen, dass die in Frage stehenden Erscheinungen
auch durch bedeutend schwächere polarisirende Ströme hervorgebracht
werden.
Versuch 4. Das Praeparat wurde fünf Minuten nach der Vergiftung
verfertigt, nachdem die Vergiftungserscheinungen deutlich hervorgetreten
waren; ferner war hier P= 11, ^ = 5 und d= 6"™. Als polarisirender
Strom wurde 1 Daniell angewandt mit dem Rheochordbügel in der Ent-
fernung von 10 ""^ vom Nullpunkt; (hierbei wurde ein Rheochord mit Neu-
silberdrähten, construirt nach Poggendorff's Princip, angewandt; der Dia-
meter der Neusilberdrähte war 0.6™"). Hiermit wurde erhalten:
1 Dan., Rh= 10 0, 7.5, 6-8 0,
1 „ „ „ 7.6, 7.0 0, 6-2, 6.0.
Von diesen Versuchen bezieht sich der erstere auf katelektrotonischen,
der letztere auf anelektrotonischen Zustand.
Versuch 5. Das Praeparat wurde unter denselben Verhältnissen wie
beim vorhergehenden Versuch verfertigt; hier war P=ll, ;> = 4 und
c/=2— 3™^\ Der polarisirende Strom war wieder 1 Daniell mit dem
Rheochordbügel in der Lage 10 '^'^^ Hiermit wurde erhalten:
1 Dan., Rh = 10 8-0, 8.0 0, 8-0, 8.0,
welches Resultat die Entstehung des anelektrotonischen Zustandes anzeigt.
Sensible Nerven und Reflexappakate des Kltckenmarkes. 169
Versuch 6. Auch hier war das Praeparat unter denselben Verhält-
nissen wie in den beiden früheren Versuchen verfertigt worden ; ferner war
P= 9, jö = 5 und d = 5»™; als polarisirender Strom wurde 1 Daniell an-
gewandt mit dem Rheochordbügel in der Lage 5^"\ Hierbei wurde er-
halten :
IDan., Rh = 5 6-9, 6-1 0,0 6.7,5.9,
d, h. einen anelektrotonischen Zustand in dem sensiblen Stamm.
Diese drei letzten Versuche bezweckten eigentlich etwas anderes und
sind daher nicht wiederholt oder fortgesetzt für den hier beabsichtigten
Zweck.
3. Das Reizmittel wirkte zwischen den Polen.
Versuch 7. Das Praeparat w^urde fünf bis sechs Minuten nach der
Vergiftung unter denselben Verhältnissen verfertigt, wie in den Versuchen
4, 5 und 6; hier war P=19 und p = 3, und die letztere intrapolare
Strecke in der Entfernung von 3 ™"^ von der Anode des polarisirenden
Stromes; der ganze Nervenstamm hatte eine Länge von 49™"\ Bei dem
polarisirenden Strom war in allen den verschiedenen Versuchsserien der
negative Pol näher zum Rückenmark. Das minimale Reizmittel zur Her-
vorrufung von Reflexzuckung wurde gefunden bei der Entfernung von
448 mm zwischen den Spiralen; für die direct von dem motorischen Stamm
aus gereizten Muskel war das minimale Reizmittel beinahe dasselbe; bei der
Entfernung von 452 dagegen entstand keine Reflexzuckung; bei der letzt-
genannten Lage der secundären Spirale wurden alle folgenden Versuche
ausgeführt, über die nachstehende Tabelle nähere Auskunft giebt:
1 Dan.,
Rh
= 5
0,
9-8
0,
jj
15
0,
6-4
0,
7J
50
0,
4.5, 3.6
0,
J?
90
0,
4-0, 2-8
0,
0,
2-3, 2.4
0.
2 V
0,
0,
0,
Von diesen Versuchen wurde der zweite (1 Daniell, Rh == 15) und der
vorletzte (l Dan.) unmittelbar wiederholt mit beinahe demselben Resultat;
ebenso gab die Wiederholung der letzten Versuchsserie (2 Dan.) dasselbe
Resultat.
Der Versuch lässt die katelektrotouische Erregbarkeitsvermehrung in
der intrapolaren Strecke sichtbar werden; er zeigt zugleich, dass bei wach-
170 K. Hällsten:
sender Stärke des polarisirenden Stromes die Erregbarkeit in der Nähe
der Anode sich mehr und mehr vermindert.
Versuch 8. Dieser Versuch wurde unter denselben Verhältnissen
ausgeführt wie der vorhergehende, aber in diesem Falle wurde das mini-
male Reizmittel nicht verringert; hier war P=22, und die intrapolare
Strecke p des reizenden Stromes = 4; ferner war die letztere intrapolare
Strecke in einer Entfernung von 4 • 5 '^«^ von dem positiven Pol des polari-
sirenden Stromes; die Länge des ganzen Nervs war 51™™. Nachdem
durch einige vorhergehende Versuche an anderen Praeparaten gefunden
worden war, dass schon ein schwacher polarisirender Strom hinreicht, um
die untersuchte Stelle in einen Zustand von Anelektrotonus zu versetzen,
wurde so verfahren, wie die beigefügte Tabelle andeutet:
1 Dan.,
Rh
1 em
8-3,
8-1
8-0,
8.
7-3,
7-9
^ ?;
5„
9-0,
8.0
0,
9-3,
8.4
■'• T)
2
8-0,
8-7
8-0,
9-3
^ ?J
2„
8-9,
8.2
0,
9.0,
8-0
^ JJ
1„
9-1,
8-2
8-8,
7-
2
8-7,
8-2
^ ??
9
8-4,
8-4
8-8,
6
7
8-4
-'• ?>
3„
8.4,
7.2
0,
8-1,
6-4
Der Versuch zeigt, dass die untersuchte Stelle bei genügend starkem
Strom in einen Zustand von Anelektrotonus versetzt wurde; die hierzu
nöthige Stromstärke war erst von den Rheochordlängen 1 und 5"" und
später von den Rheochordlängen 1 und 3"^ begrenzt; der Versuch zeigt,
dass ungefähr bei der Rheochordlänge von 2 "^^ der Indifferenzpunkt an der
untersuchten Stelle vorbeigeschoben wurde.
3. Das Eeizmittel wirkte extrapolar zwischen der polarisirten
Nervenstrecke und dem 3Iuskel.
Versuch 9. Die Vergiftung geschah mit derselben Quantität wie in
den letzten Versuchen, aber die ersten Vergiftungserscheinuugen traten
in diesem Falle erst 10 Minuten nachher hervor; in diesem Augenblick
wurde das Praeparat verfertigt. Hier war P = 1 1 , p = 2 bis 3 und d= 2 bis
3™™; der Nervenstamm hatte eine Länge von 55'™' und die polarisirende
Strecke befand sich in einer Entfernung von 28 ™™ vom Rückgrat. In den
verschiedenen Versuchen war der polarisirende Strom derselbe, 1 Daniell
mit dem Rheochordbügel in der Lage 10*^™. Das minimale Reizmittel so-
wohl für den vom sensiblen sowie auch vom motorischen Stamm gereizten
10.0, 9-9
0,
10. 1, 10.2
0,
0,
10-0, 9-5
9-7, 9-7
0,
Sensible Nerven und Reflexapparate des Rückenmarkes. 171
Muskel wurde gefunden bei der Länge von 490"™ zwischen den Spiralen.
Die beigefügte Tabelle zeigt die Yersuchsresultate an:
r }\ r.,
1 Dan., Rh = 10 0-7, 0.1
1 „ „ 0,
1 „ „ 9-8, 9-0, 9.3
1 „ „ 0,
In dem ersten, zweiten und vierten Versuche hatte der polarisirende
Strom eine solche Richtung, dass die untersuchte Stelle dem negativen
Pol näher war oder in katelektrotonischen Zustand versetzt wurde; in dem
dritten Versuch war im Gegentheil die untersuchte Stelle dem positiven
Pol des polarisirenden Stromes näher, und solchermaassen in einem Zustand
von Anelektrotonus.
Der Versuch lässt sichtbar werden, dass die elektrotonischen Erreg-
barkeitsveränderungen in sensiblen Nerven, nämlich ihre Vergrösserung bei
der Kathode und ihre Verminderung bei der Anode, auch dann hervor-
treten, wenn das Reizmittel zwischen der polarisirten Strecke und dem
direct gereizten Muskel wirkt.
Hiermit sind die in Frage stehenden Erregbarkeitsveränderungen inv
sensiblen Nerven dargelegt.
Vermittelst des hier angewandten Verfahrens gestalten sich also die
Untersuchungen in Hinsicht auf die elektrotonischen Erregbarkeitsverände-
rungen in sensiblen Nerven auf eine relativ einfache Art; wenn das Prae-
parat verfertigt wird, nachdem deutliche Vergiftungserscheinungen hervor-
getreten sind, so kann das Reizmittel ungefähr dieselbe Stärke haben, die
gefordert wird, um vom motorischen Stamm eine minimale Zuckung her-
vorzurufen; und mit dieser Methode kann auch die katelektrotonische Er-
regbarkeitsvergrösserung in der extrapolaren, vom Rückenmark entfernteren
Strecke dargelegt werden, was mit der früheren Methode nicht glückte.^
Noch einem hierher gehörenden Umstand schenken wir hier Aufmerk-
samkeit. In den oben referirten Versuchen, die sich auf die extrapolaren
Theile des Nerven beziehen, befand sich die Stelle, deren Erregbarkeit unter-
sucht wurde, ganz nahe an der polarisirten Nervenstrecke, nämlich nur
2—3 — 5™'^ von derselben entfernt. Diese Versuche erlauben daher nicht
zu beurtheilen, wie weit sich die elektrotonischen Erregbarkeitsveränderungen
ausserhalb der Pole erstrecken. Zu diesem Zweck ist eine besondere Unter-
suchung erforderlich; wir erwähnen daher hier einige Versuche, die sich
' Dies Archiv. 1880. S. 114.
172 K. HällstM:
auf den zwischen der polarisirten Strecke und dem Rückenmark gelegenen
Theil beziehen.
Versuch 10 in Hinsicht auf die Ausbreitung des anelektrotonischen
Zustandes. Das Praeparat wurde fünf Minuten nach der Vergiftung ver-
fertigt, nachdem deutliche Reaction eingetreten war; hier war P = 9, /> = 4
und (/ = 6'^™; das minimale Reizmittel war bei der Lage 490'^™ der
secundären Spirale; als polarisirender Strom wurde 1 Daniell angewandt
mit dem Rheochordbügel bei 6"^; hierbei wurde erhalten:
1 Dan., Rh = 6 10.3,10.9 0, 10.3,10.0,
aiso anelektrotonischer Zustand an der nahe bei der polarisirten Strecke
untersuchten Stelle. Dann wurden die Elektroden des reizenden Stromes
verschoben , so dass d = 21 und p wieder = 4 '^'^^ war ; und der Versuch
wurde auf folgende Art fortgesetzt;
1 Dan., Rh = 6 9-2, 8-17 9-1, 9-1 9-2, 3-0
4 „ 9-4, 8-2 0, 8-3, 1-7
In einer Entfernung von 21 ™™ von der polarisirten Strecke erzeugte
also 1 Dan. Rh = 6'='^ keine Wirkung, aber mit 4 Dan. polarisirenden Strom
trat hier anelektrotonischer Zustand hervor.
Versuch 11. Das Verfahren war dasselbe wie bei dem vorigen Ver-
such, aber hier wurden unmittelbar die Elektroden in weiter Entfernung
von der polarisirten Strecke gestellt, so dass d = 20, F = 10 und p = 3
bis 4"""; mit 1 Dan,, Rh = 50 trat keine Wirkung hervor, aber mit 2 Dan.
wurde erhalten:
2 Dan. 10.0,10-9 0, 'o 10-9, 'lO.O,
d. h. wieder anelektrotonischer Zustand in einer Entfernung von 20 "^'^ von
der polarisirten Strecke.
Versuch 12 in Hinsicht auf die Ausbreitung des katelektrotonischen
Zustandes. Die Anordnungen waren dieselben wie in dem letztvorher-
gegangenen Versuch, aber der polarisirende Strom hatte eine andere Rich-
tung, so dass die untersuchte Stelle in einen Zustand von Katelektrotonus
versetzt wurde. Bei den Versuchen wurde ebenso verfahren wie oben, d. h.
erst wurde das minimale Reizmittel zur Hervorrufung einer Reflexzuckung
aufgesucht; das Reizmittel wurde dann ein wenig verringert, bis es keinen
Reflex mehr hervorrief; mit dem auf diese Art bestimmten Reizmitttel
wurden diese Versuche ausgeführt. Hier war P = 12, p = 4 und d = 21 ™™;
Sensible Nerven und Reflexappaeate des Rückenmarkes. 173
mit 1 Dauiell mit dem Rheocliordbügel bei 5 und 50, und mit 1 Daniell
und 4 Daniell wurde in diesem Falle keine Wirkung erzielt. Dann
wurden die reizenden Elektroden näher zur polarisirten Strecke verschoben
so dass d = 11 und p = 4 "^"^ war ; ein polarisirender Strom von 4 Daniell
gab nun in zwei Versuchsserien:
4 Dan. 0, 4-3, 3-1 0,
4 „ 0, 2-8, 3-0 0, 0,
d. h. katelektrotonischer Zustand in einer Entfernung von 1 1 "™ von der
polarisirten Strecke.
Versuch 13, ebenso wie der vorige; hier war P= 10, ;:> = 2 und
d= 22™™; durch dasselbe Verfahren wie im früheren Fall trat hier nicht
katelektrotonischer Zustand mit 1, 2, 4 oder 6 Daniell hervor. Die Elek-
troden des reizenden Stromes wurden deshalb verschoben, dass d = 15 und
p = 2 — 3™™; nun wurde mit 6 Daniell erhalten:
6 Dan. 0, 10-3, 8-5 0, 0,
also katelektrotonischer Zustand mit 6 Daniell, in einer Entfernung von
15™™ von der polarisirten Strecke.
Hiermit sehen wir -es für erwiesen an, dass die elektrotonischen Erreg-
barkeitsveränderungen in sensiblen Nerven, sich wenigstens 15 und sogar
20™™ weit von der polarisirten Nervenstrecke zeigen können. Eine entferntere
Ausbreitung, 20 — 25 — 30™"^, hat die hier angewandte Methode nicht auf-
zuweisen gestattet; es ist aber anzunehmen, dass unter günstigeren Ver-
hältnissen, nämlich bei längerer polarisirter Nervenstrecke und polarisirendem
Strom von grösserer Stärke, die in Frage stehenden Zustände in noch
grösserer Entfernung von der polarisirten Strecke nachgewiesen werden
können.
Beiträge zur Lehre von der Gerinnung.
Von
L. C. Wooldridge.
I. lieber die Beziehungen zwischen Fibrinogen und Fibrin.
In meiner „Uebersicht einer Theorie der Blutgerinnung" ^ habe ich zu
zeigen versucht, dass die Vorstufen des Fibrins nicht reine Eiweissliörper
sind, sondern Substanzen, welche Eiweiss und Lecithin enthalten. Diese
eigenthümlicheu Stoffe, welche unter dem Namen der Fibrinogene bekannt
sind, finden sich nicht allein im Blute. Aus fast allen thierischen Ge-
weben (Thymus, Hoden, Gehirn, Leber, Niere, Stroma der rothen Blut-
körperchen u. s. w.) können lecithinreiche Proteide dargestellt werden, welche
ich als Gewebsfibrinogene beschrieben habe. In Berührung mit Blut-
plasma gehen sie sowohl innerhalb der Gefässe des Thieres wie ausserhalb
in Fibrin über.
Die Fibrinogene verschiedener Herkunft zeigen in ihrem Verhalten
gegen manche Keagentien einige Abweichungen; dagegen wird durch eine
Reihe übereinstimmender Eigenschaften ihre Zusammengehörigkeit sicher
gestellt. Ich werde im Folgenden eine Anzahl gemeinschafthcher Charaktere
aufzählen und insbesondere ihre Beziehung zum Fibrin besprechen. Die
Angaben beziehen sich auf die Fibrinogene des Blutplasma's, des Hoden, der
Thymus, sowie der Stromata von rothen Blutkörperchen. Die frischen
Fibrinogene sind in Wasser, in schwachen Alkalien, in verdünnten Salz-
lösungen scheinbar klar löslich. Ob es sich dabei um wirkliche Lösungen
handelt, muss vorläufig dahingestellt bleiben. Stellt man sich aus Fettblut
4 procentiges Kochsalzplasma her und bringt dasselbe in eine Thonzelle, so
^ Festsclirift für C. Ludioig. Leipzig 1887.
L. C. Wüoldridge: Beiteäge zue Lemke von dek Gerinnung. 175
filtrirt kein Fibrinogen. Wird der Versuch mit dem Blut nüchterner
Thiere angestellt, so geht das Fibrinogen durch die Zelle hindurch. Aehn-
liche Beobachtungen sind an dem Casein der Milch gemacht.
Alle Fibrinogene sind äusserst empfindlich gegen Fällungsmittel. Man
kann sie nicht niederschlagen ohne ihre Eigenschaften zu verändern, ins-
besondere ihre Löslichkeit. So sind z. B. die Stromata der rothen Blut-
körperchen im Wasser löslich oder doch so aufquellbar, dass eine Schein-
lösung entsteht; fällt man durch verdünnte Schwefelsäure, so geht die Lös-
lichkeit bez. Quellfähigkeit verloren. Die Fibrinogene aus dem Hoden oder der
Thymus werden durch Ausziehen der zerkleinerten Organe mit destillirtem
Wasser gewonnen und geben klar filtrirende Lösungen. Durch Essigsäure
niedergeschlagen werden sie in reinem Wasser unlöslich und man muss,
um sie zu lösen, etwas Alkali oder Kochsalz zusetzen. Aehnhch verhalten
sich die Fibrinogene des Blutplasma's. Man kann durch Verdünnung des
Peptonplasma's mit der zehnfachen Menge Wasser und Durchleiten von
Kohlensäure das Paraglobulin ausfällen. Ist dieses geschehen so kann das
Plasma noch hundertfach verdünnt werden, ohne dass eine Fällung des
Fibrinogen entsteht. Es kommt nur zu einer langsam eintretenden Ge-
rinnung.
Die Fibrinogene sind alle fällbar durch Säuren. Die Fällung tritt
erst ein wenn die Reaction stark sauer geworden ist. Werden verdünnte
Mineralsäuren angewendet, am besten Schwefelsäure, so geht der Nieder-
schlag im Ueberschuss der Säure wieder in Lösung und zwar um so leichter,
je kürzere Zeit er gestanden hat. Nach längerem Stehen wird die Lösung
unvollständig, die Flüssigkeit hleibt trübe.
Versetzt man Fibrinogenlösungen, welche durch überschüssigen Zusatz
von verdünnten Mineralsäuren wieder klar geworden sind, mit Pepsin, und
lässt einige Stunden bei 37*^ C. stehen, so entsteht ein voluminöser Nieder-
schlag, welcher auch bei länger fortgesetzter Verdauung nicht in Lösung
geht. So lange der Niederschlag frisch ist, löst er sich leicht in verdünnten
Alkalien, aber nicht in verdünnten Säuren. In concentrirter Salpetersäure
löst er sich mit gelber oder gelbgrüner Farbe; durch Erwärmen und Zu-
satz von Ammoniak erhält man die Xanthoprotein-Reaction. Verbrannt
hinterlässt der Niederschlag eine stark saure Asche. Hat man mit etwas
Soda und Salpeter eingeäschert, so findet man reichlich Phosphorsäure.
Der Phosphor stammt, wenn nicht ausschliesslich, so doch zum über-
wiegenden Theil aus dem Lecithingehalt des Verdau ungsniederschlages.
Durch Alkohol lassen sich relativ bedeutende Mengen von Lecithin aus dem
Niederschlag ausziehen und durch wiederholte Extraction kann er so er-
schöpft werden, dass nur noch Spuren von Phosphor in die Asche über-
gehen.
176 L. C. Wooldeidge:
Die Asche ist ferner stets eisenhaltig. Das Eisen kann dem Nieder-
schlag vor der Einäscherung nicht durch salzsaureu Alkohol entzogen werden.
Der Niederschlag, welcher bei der Verdauung der Fibrinogene ent-
steht, erinnert an die Körper, welche Miescher^ und Bunge^ durch Ver-
dauung von Eidotter gewannen und als Nucle'in bez. als eisenhaltiges Nuclein
bezeichneten. Eür das letztere gebraucht Bunge auch den Namen
Haematogen.
Unter geeigneten Bedingungen gerinnen die Fibrinogene, sie bilden
Fibrin, welches ebenso wie seine Muttersubstanzen reichhch Lecithin ent-
hält. Mit Säure und Pepsin zur Verdauung angesetzt bildet das Fibrin
keine Niederschläge, es löst sich vollkommen klar und bleibt gelöst wie
lange man die Verdauung auch fortsetzen mag. Indem das Fibrinogen
gerinnt, muss in der Beziehung des Lecithins zu den Eivveisskörpern eine
Wandlung eintreteu, so dass es durch den Verdauungssaft nicht mehr ab-
spaltbar wird. Man muss berücksichtigen, dass die Fibrinogene möglicher-
weise nicht ohne Rest in Fibrin übergehen. Es können unter gewissen
Umständen andere Eiweisskörper als Nebenproducte entstehen. Auch diese
sind im Verdauungssaft löshch.
Die Angabe, dass sich der Faserstoff durch Pepsin klar lösen lässt,
bezieht sich auf Fibrin, welches aus isolirten Fibrinogenen dargestellt ist.
Wird gewöhnliches Fibrin, durch Schlagen des Blutes gewonnen, der Ver-
dauung unterworfen, so bleibt immer ein beträchtlicher Rückstand. Nach
Hammarsten soll derselbe von den eingeschlossenen weissen Blutkörper-
chen herrühren. Das mag zum Theil richtig sein; es ist indessen noch
eine andere Erklärung möglich. Dem Auftreten des Fibrins geht eine
Ausscheidung von Scheiben (Discs) voraus, wie ich dies mehrfach beschrieben
habe. Diese Scheiben kleben sehr leicht zusammen und bilden dann Massen,
welche nur wenig angegriffen werden bei dem Gerinnungsact. Sie bilden
Reste von wenig verändertem Fibrinogen, welche in das Fibrin eingelagert
sind und bei der Verdauung den oben erwähnten Niederschlag bilden.
Ich lasse die Beschreibung einiger Versuche folgen, welche die voraus-
gegangenen Betrachtungen illustriren.
L Pferdeblut wird in Bittersalzlösung (MgSOJ aufgefangen und centri-
fugirt. Aus dem Plasma wird durch halbe Sättigung mit Kochsalz das
Fibrinogen gefällt, der Niederschlag abfiltrirt, zwischen Filterpapier gut aus-
gepresst und in zwei Theile gesondert.
1 Medicinisch-chemische Untersuchungen, herausgegeben von Hoppe-Seyler.
1871. Hft. 4. S. 441 u. 502. — Ferner Kossei, Zeitschrift fm^ physiologische Chemie.
Bd. III— VII.
'^ Zeitschrift für physiologische Chemie. 1884. Bd. IX. S. 49.
Beiträge züü Lehre von jjer Gerinnung. 177
Theil A wird mit 0-2°/^, HCl und Pepsin angesetzt. Nach drei-
tägiger Verdauung bleibt ein sehr bedeutender Niedersclilag ungelöst zurück.
Theil B wird unter Zusatz einer sehr kleinen Menge Alkali in Wasser
gelöst und mit Pferdeserum versetzt. Die Flüssigkeit gerinnt in etwa einer
halben Stunde, und später scheidet sich ein sehr fester Kuchen ab. Der-
selbe wird zerschnitten und mitsammt der ausgepressten Flüssigkeit zur
Verdauung angesetzt. Nach 24 Stunden ist das ganze klar wie Wasser
gelöst. Auch nach mehreren Tagen tritt keine Trübung ein.
2. Vollkommen klar centrifugirtes Peptonplasma wird mit verdünnter,
etwa • 3 procentiger, Salzsäure versetzt. Der Anfangs auftretende Nieder-
schlag verschwindet bei weiterem Zusatz der Säure; der völlig klaren Lösung
wird dann Pepsin zugefügt. Nach 24 stündigem Verweilen im Brütofen
ist das Gemisch ganz weiss und undurchsichtig geworden und es scheidet
sich nach mehrstündigem Stehen in der Kälte ein flockiger Niederschlag
ab. Aus 25'^''™ Peptonplasma erhielt ich 0-26^™ gewaschenen und ge-
trockneten Niederschlag. ^ Derselbe hat die oben angeführten Eigenschaften,
enthält also reichlich durch Alkohol ausziehbares Lecithin, er enthält Eisen
in einer Form, welche nicht in salzsauren Alkohol übergeht u. s. w.
Der Versuch wurde mit anderen Portionen von Peptonplasma wieder-
holt und hat dasselbe Resultat gegeben.
3. Aus Peptonplasma wird durch Abkühlung das A- Fibrinogen aus-
gefällt. Dasselbe löst sich langsam in 0-2'^/(, HCl. Nach Zusatz von
Pepsin und mehrstündigem Stehen im Brütofen bildet sich ein starker
Niederschlag.
4. Aus Peptonplasma wird durch verdünnte Schwefelsäure sämmthches
Fibrinogen ausgeschieden und abcentrifugirt. Der Niederschlag wird im
TJeberschuss der Säure gelöst und zur Verdauung augesetzt; dabei tritt
wieder Fällung ein.
5. Aus Peptonplasma wird mittelst Kochsalz das gesammte Fibrinogen
gefällt. Es erleidet dabei, wie ich bereits früher angegeben habe, ^ eine Ver-
änderung, so dass es in verdünnten Säuren oder in normaler Kochsalz-
lösung nicht gelöst werden kann. In diesem Falle ist es vollkommen klar
verdaulich.
6. In 300'"^™ Peptonplasma erzeugte ich mittelst Durchleitung von
COg Gerinnung. Das ausgedrückte und gewaschene Fibrin löst sich im
künstlichen Verdauungsgemisch völlig klar auf.
^ Ich bemerke, dass Peptonplasma etwa 2'% Fibrinogen (Trockengewicht) enthält.
^ Uebersicht.
Archiv f. A. u. Ph. 1883. Physiol. Abthlg. 12
178 L. C. Wooldeidge:
7. Normales Hundeserum und ebenso Serum von Peptonplasma nach
vollständiger Gerinnung geben bei der künstlichen Verdauung keine oder
kaum sichtbare Fällungen. Das Auftreten schwacher Trübungen ist ver-
ständlichj da ich gefunden habe, dass das Hundeserum in der Regel Spuren
eines Fibrinogens enthält.
8. Zu sehr stark peptonisirtem Plasma wird etwas gelöstes Gewebs-
fibrinogen (aus Thymus) gegeben, wodurch Gerinnung erzeugt wird. So-
bald dieselbe sich bemerklich macht, wird mit einem feinen Glasstabe um-
gerührt um das Fibrin in Fäden auszuziehen. Dieselben waren im Ver-
dauungssaft klar löslich. Ein weiterer Zusatz von kleinen Mengen von
Gewebsfibrinogen ruft neuerdings Gerinnung hervor und selbst ein dritter
Zusatz ist noch wirksam. Diese Beobachtung deutet auf sehr verwickeltete
Vorgänge, wie die folgende Betrachtung lehrt:
Die zweite Gerinnung kann aus der sehr geringen Menge des neuer-
dings zugesetzten Gewebsfibrinogens allein nicht genügend erklärt werden.
Es müssen somit gerinnungsfähige Stoffe die erste Coagulation überdauert
haben. In der That giebt das Serum der ersten Coagulation mit ver-
dünnten Mineralsäuren einen Niederschlag und hinterlässt einen Rückstand
bei Verdauung. Es ist also noch Fibrinogen vorhanden.
Es lässt sich zeigen, dass dieser Rest nicht etwa von dem erstmals
zugesetzten Gewebsfibrinogen herrühren kann; denn die nach der Abschei-
dung des ersten Gerinnsels gewonnene Flüssigkeit wird durch Essigsäure
zwar gefällt, im Ueberschuss der Säure aber wieder gelöst. Wird dagegen
Gewebsfibrinogen aus seinen Lösungen durch Essigsäure gefällt, so ver-
schwindet der Niederschlag nicht im Ueberschuss der Säure. Ferner: das
Serum der ersten Gerinnung zu frischem Peptonplasma hinzugefügt, erzeugt
keine Gerinnung, was unfehlbar geschehen müsste, wenn Gewebsfibrinogen
vorhanden wäre.
Der Rest von Fibrinogen ist aber auch nicht gleichwerthig dem Fibri-
nogen des ursprünglichen Peptonplasma's, denn das Serum der ersten Ge-
rinnung, auf welches sich das Gewebsfibrinogen so wirksam erweist, kann
durch Verdünnung und Kohlensäure nicht coagulirt werden, obwohl Fibrin-
ferment vorhanden ist, während frisches, stark peptonisirtes Plasma durch
die beiden Einwirkungen stets gerinnt und um so rascher, wenn Ferment
vorhanden ist.
Wird dagegen derselbe Versuch mit schwach peptonisirtem Plasma
angestellt, so wird durch den ersten Zusatz von Gewebsfibrinogen so
ziemlich das ganze Fibrinogen des Plasma's in die Gerinnung hinein-
gezogen. Es bleiben nur jene Spuren übrig, welche ich als Serum -Fibri-
nogen beschrieben habe.
Beiträge zur Lehre von der Gerinnung: 179
Man kann also durch starke Peptonisirung die Fibrinogene des Plasma's
selir widerstandsfähig machen, so dass die Gerinnung auf Zusatz von
Gewebsfibrinogen stufenweise eintritt. Immerhin müssen auch diejenigen
Mengen von Fibrinogen, welche nicht gleich das erste Mal gerinnen, ge-
wisse Veränderungen durchmachen, wie die Beobachtung lehrt und wie
schon allein aus der Thatsache folgt, dass sie bei weiterem Zusatz von
Gewebs-Fibiinogen in die Gerinnung hineingerissen werden.
II. lieber die Bedeutung der Ausfälluiig für den Creriunungs-
vorgang.
Sehr verschieden verhalten sich die Fibrinogene gegenüber Gerinnung
erzeugenden Einwirkungen. Die möglichst unveränderten Fibrinogene des
Blutplasma's werden vom Fibrinferment nicht angegriffen. Sie bedürfen
zur Gerinnung des Zusatzes eines zweiten Fibrinogens, wie sofort weiter
ausgeführt werden soll. Es giebt andere Fibrinogenlösungen wie das
durch einmalige Ausfällung veränderte B- Fibrinogen des Blutplasma's
(s. üebei'sicht) , welche gerinnen nicht nur mit anderen Fibrinogenen,
sondern auch mit Ferment. Ein ähnliches Verhalten zeigen manche
Hjdroceleflüssigkeiten. Endlich giebt es auch Transsudate, welche leicht
mit Ferment gerinnen, dagegen schwer oder gar nicht mit Fibrinogen. Es
scheint, dass das Fibrinogen des Plasma's bei dem Durchtritt durch die
Wand der Blutgefässe verändert wird oder auch in Folge des Verweilens
ausserhalb der Gefässe.
Es sei gleich hier darauf aufmerksam gemacht, dass zur vergleichenden
Prüfung verschiedener Lösungen von Fibrinogen das Serum ein sehr wenig
geeignetes Reagens darstellt. Das gewöhnliche Hundeserum enthält zwei
Bestandtheile , welche in Fibrinogenlösungen Gerinnung erzeugen können.
Der eine ist das Fibrinferment, welches nach Hammersten kein
Eiweisskörper ist und welches auf verdünntes Bittersalzplasma sehr kräftig
Gerinnung erzeugend wirkt. Es ist vollkommen sicher, dass es durch Er-
wärmen zerstört wird und dass es nicht als stoffliches Substrat des Fibrins
dient.
Der andere Bestandtheil ist das Serumfibrinogen, ein Körper, welcher
wie alle Fibrinogene durch Säuren fällbar ist.^ Er besteht gleich diesen aus
Eiweiss und Lecithin, und seine Wirkung ist eine von dem Fibrinferment
ganz verschiedene. Er bringt Peptonplasma zur Gerinnung, was Ferment
^ Note on a new constituent of blood serum. Proceedings oftJie Moyal Society.
March 31, 1887. Ein ähnlicher Körper lässt sich aus gewöhnlichem Fibrin darstellen.
180 L. C. Wooldeidge:
nicht vermag. Er verschwindet bei dieser Gerinnung aus dem Plasma
und die Menge des gebildeten Fibrins ist der zugesetzten Menge von Serum-
fibrinogen proportional. Auf Bittersalzplasma hat er im Gegensatz zum
Fibrinferment keine Wirkung. Im Hundeserum ist das Serumfibrinogen immer
nur in sehr kleinen Mengen vorhanden. Sammelt man es aus grosseren
Mengen von Serum durch Ausfällung mit Säure und spritzt man den ge-
lösten Niederschlag in den Kreislauf eines Kaninchens, so bleibt das Blut,
welches nach der Injection aus der Ader genommen wird, durch mehrere
Stunden flüssig. Nimmt man dagegen zur Injection das ursprüngliche
Hundeserum, welches nur Spuren von Serumfibrinogen, dagegen viel Fer-
ment enthält, so ist kein deutlicher Einfluss auf das Thier noch auf das
Blut zu erkennen. Ich bin daher geneigt, die sog. „Fermentintoxication"
für eine Fibrinogenwirkung zu halten.
Tritt in Fibrinogenlösungen Gerinnung auf durch das Zusammen-
wirken zweier Fibrinogene, so scheint die Ausfällung eines der beiden
Körper die Vorbedingung für den Eintritt des Processes zu sein. Das
Peptonplasma enthält zwei Fibrinogene, welche ich als A- und B-Fibrinogen
bezeichnet habe und welche sehr befähigt sind, auf einander zu wirken
und Fibrin zu bilden. Sie verhalten sich aber indifferent gegen einander,
so lange nicht eine Einwirkung stattfindet, wodurch das A -Fibrinogen aus
der Lösung ausgefällt wird. Wenn man Peptonplasma auf 31^ C. erwärmt
und CO2 durchleitet, so tritt keine Gerinnung ein. Bei Zimmertemperatur
entsteht Gerinnung, viel rascher noch, wenn man vorher das Plasma etwas
abgekühlt hat, so dass das A-Fibrinogen eben anfängt auszufallen.
Der Einfluss einer einmaligen Ausfällung wird durch folgenden Ver-
such sehr schlagend gezeigt: Aus einer Portion Peptonplasma stellt man
sich das Fibrinogen durch Fällung mit starker Kochsalzlösung dar, nimmt
den abfiltrirten Niederschlag in verdünntem Salzwasser wieder auf und
setzt die Lösung zu einer anderen Portion desselben Plasma's. Es tritt rasch
Gerinnung ein. Da Peptonplasma kein Fibrinferment enthält, so lässt sich
die Erscheinung nicht auffassen als eine Fermentwirkung auf das gefällte
und wieder gelöste Fibrinogen. Erinnert man sich jedoch, dass die Fibri-
nogene des Plasma's durch Ausfällung ihre Eigenschaften verändern, wie
ich dies in der Uebersicht ausführlich besprochen habe, so wird es ver-
ständlich, dass das einmal niedergeschlagene Fibrinogen bei seiner Zusammen-
mischung mit dem ursprünglichen Plasma sich wie ein fremder Körper
verhält und gerade so wirkt, als ob Gewebsfibrinogen zugesetzt worden wäre.
Welcher Art die Veränderung ist, welche die Fibrinogene durch Aus-
fällung erleiden, lässt sich gegenwärtig nicht erkennen. Doch legt die Er-
fahrung, dass alle Fibrinogene reich an Lecithin sind, und dass das Leci-
thin bei der Gerinnung eine sehr wichtige Rolle spielt, den Gedanken nahe.
Beiteäge zur Lehee von der Gerinnung. 181
(lass der Gehalt des Stoffes an Lecithin oder die Art der Bindung im Mo-
lecül einer Störung erfährt. Hierfür scheint mir auch der folgende Ver-
such zu sprechen: Bei der Darstellung des Eibrinogens aus dem Hunde-
plasma kommt es oft vor, dass schon bei der ersten Ausfällung der Nieder-
schlag so sehr verändert wird, dass er dem Faserstoff ähnlich wird. Er
wird dann von verdünnten Salzlösungen nur schwierig wieder aufgenommen.
Ein derartig verändertes Fibrinogen giebt bei der künstlichen Verdauung
kaum eine Trübung; von der reichlichen Ausscheidung eines nucleinartigen
Körpers ist sowenig wie bei Fibrinverdauung etwas zu bemerken. Berück-
sichtigt man, dass der Phosphorgehalt des Eückstandes, welcher bei der
Verdauung der Fibrinogene ungelöst zurückbleibt, zum grössten Theil, wenn
nicht ausschliesshch, auf Rechnung des Lecithins zu setzen ist, so muss in
dem Fibrinogen in Folge der Ausfällung eine derartig veränderte Beziehung
zwischen Eiweiss und Lecithin stattgefunden Tiaben, dass die Abspaltung des
widerstandsfähigen nucleinartigen Restes nicht mehr möglich ist. Wahr-
scheinlich geht damit eine leichtere Einwirkung des Lecithins oder der
lecithinhaltigen Bestandtheile auf benachbarte Fibrinogene Hand in Hand.
Es liegt nahe, sich über die Wirkung das Fibrinfermentes auf die ver-
änderten Fibrinogene ähnliche Vorstellungen zu bilden.
III. Ueber die Wirkung des Oewebsflbrinogens auf das
kreisende Blut-
Werden Lösungen von Gewebsfibrinogen in das Blutgefässsystem eines
lebenden Hundes eingespritzt, so entstehen, wie ich wiederholt angegeben
habe,^ intravasculäre Gerinnungen. Merkwürdiger Weise treten dieselben
aber nur in ganz bestimmten Gefässgebieten auf. Nimmt man zu den
Versuchen hungernde, oder mit ganz magerem Fleisch gefütterte Thiere und
lässt die Lösung von der Vena jugularis externa in's rechte Herz einfliessen,
so findet man in der Regel nur Thrombosen in dem Gebiet der Portalvene.
Die Thrombosirung ist um so ausgedehnter je mehr Gewebsfibrinogen inji-
cirt wurde, aber es ist schwierig, selbst mit noch so grossen Mengen Ge-
rinnungen in anderen Gefässgebieten hervorzubringen.
Nimmt man dagegen zu dem Versuch reichlich gefütterte und in
voller Verdauung befindliche Thiere, so treten auch im rechten Herzen und
in der Pulmonal -Arterie Gerinnsel auf; bei rascher Injection kann es zu
einer Thrombosirung des rechten Herzens kommen, welche die Unter-
^ Proceedings of the Royal Society, 1886; — On haemorrhagic infarct of the liver.
liancet Nov. 5, 1887 und British medical Journal. Nov. 8, 1887.
182 L. C. Wooldeidge:
brechung des Kreislaufes und den augenblicklichen Tod des Thieres zur
Folge hat, bevor noch die Lösung bis in das Portalsystem vordringen konnte.
An der Thatsache, dass das Gewebsfibrinogen bei nüchternen Thieren
das rechte Herz, den kleinen Kreislauf, das linke Herz und schliesslich auch
den Darm ohne Schaden passirt und erst in der Portalvene zu Gerinnungen
Veranlassung giebt, folgt mit Nothwendigkeit , dass das Blut im Darme
eine besondere Beschaffenheit annehmen muss, welche es jedoch bei dem
Durchgang durch die Leber wieder verliert.^ In den folgenden Beobach-
tungen scheint mir auch eine Andeutung zu liegen, in welcher Richtung
die Veränderung zu suchen ist.
Lässt man dem Thiere kurz nach der Injection von Gewebsfibrinogen
zur Ader, so erhält man ein Blut, welches äusserst langsam gerinnt. Je
nach der Menge von Gewebsfibrinogen, welche eingespritzt wurde, dauert
es Stunden oder Tage bis Gerinnung eintritt. Trotzdem enthält das Plasma
bedeutende Mengen von Fibrinogen, welche durch Zugabe von Lecithin,
oder Gewebsfibrinogen zur Gerinnung gebracht werden können. Dagegen
widersteht es jenen Eingriffen, durch welche Kälteplasma oder gewöhnliches
Peptonplasma gerinnen , wie Filtriren durch eine Thonzelle , Verdünnung
und Durchleitung von Kohlensäure. Wie ich in meiner Uehersicht gezeigt
habe , ist dies genau das Verhalten eines Plasma's, aus welchem ein zur
Fibrinbildung wichtiger Stoff, das A- Fibrinogen entfernt ist. Es scheint
somit, dass durch die Einbringung von Gewebsfibrinogen in den Kreislauf,
dem Blute dieser Stoff entzogen wird und es ist, bei seiner grossen Neigung
zu gerinnen, wahrscheinlich, dass er in Verbindung mit dem eingespritzten
Gewebsfibrinogen die Thromben bildet, welche im Portalsystem zu finden
sind. Daraus würde weiter folgen, dass das Blut in der Pfortader reicher
ist an A- Fibrinogen als in anderen Gefässbezirken.
Diese Folgerung lässt sich durch andere Beobachtungen stützen. Ich
habe bei einer anderen Gelegenheit mitgetheilt , '-^ dass Fütterung eines
Hundes mit fettem Fleisch die Menge von A-Fibrinogen im Blute vermehrt.
Ferner habe ich bereits oben erwähnt, dass bei Thieren, welche mit Fett
gefüttert sind, die intravasculären Gerinnsel auch im rechten Herzen und
in der Pulmonalarterie auftreten. Wird das Blut durch eine reichliche und
fetthaltige Mahlzeit mit A-Fibrinogen überschwemmt, so scheint sich dessen
Vorkommen nicht mehr auf das Gebiet der Pfortader zu beschränken, sei
es, dass das A-Fibrinogen die Leber passirt, oder dass es durch den Ductus
thoracicus dem Venenblute zufiiesst.
^ Man vergleiche damit die interessanten Beobachtungeu Pawlow 's, dies Archiv,
1887, über die Veränderungen des Blutes welches die Lunge passirt.
^ Proceedings of tlie Royal Society. Jan. 8, 1885.
Beiteäge zur Lehre von der Gerinnung. 183
Die Thrombosirung der Vena portae bedingt zunächst ein gewaltiges
Sinken des Blutdrucks, nach der Injection grösserer Mengen von Gewebs-
fibrinogen in solchem Grade, dass man Mühe hat, aus den geöffneten Caro-
tiden Blut zu sammeln. Trotzdem erholen sich die Thiere in den meisten
Fällen und bleiben am Leben. Die gebildeten Gerinnsel werden zum Theil
wieder gelöst, zum Theil führen sie aber zu pathologischen Veränderungen
der Leber: haemorrhagischen Infarcten mit nachfolgender Verfettung und
Bindegewebsbildung. Von diesen Veränderungen will ich später ausführliche
Mittheilungen geben.
Die Wirkung des Gewebsfibrinogens auf den Kreislauf des Hundes ist
ebenso sicher wie die des Peptons. Li dreissig Versuchen habe ich aus-
nahmslos die Thromben in der Portalvene erhalten. Ich bemerke übrigens,
dass eine gewisse Verwandtschaft vorhanden ist zwischen den Wirkungen
des Peptons und des Gewebsfibrinogens. Beide verhindern die Gerinnung,
beide wirken quantitativ und hauptsächlich auf das Portalsjstem. Pepton
lähmt die Gefässe des Darmes, das Gewebsfibrinogen coagulirt das darin
befindliche Blut.
Guy's Hospital, Februar 1888.
yerhandlungen der physiologischen Gesellschaft
zu Berlin.
Jahrgang 1887—88,
YI. Sitzung am 13. Januar 1888.'
Hr. Joseph hält den angekündigten Vortrag: „Zur feineren Structuj:
der Nervenfaser."
Vor einigen Jahren glaubte Hr. Kupffer mittelst der Osmiumsäurefuclisin-
anwendung den fibrillären Bau des Axencylinders markhaltiger Nervenfasern auf
das Endgültigste bewiesen zu liaben. An Nerven von Fröschen und kleinen
Säugethieren sah er nach dieser Behandlung auf dem Querschnitte eine „ganz
gleichraässige" Vertheilung gleich grosser Pünktchen im Axenraume. Diese
Punkte hatten einen geringeren Durchmesser, als der Abstand derselben von
einander betrug. Noch instructiver erschienen Längsschnitte, hier sollten die
im Querschnitte sichtbaren Pünktchen in der That longitudinal verlaufenden
Fibrillen entsprechen. Wenn sonach auch hierdurch wiederum die Präexistenz
der Fibrillen im gesammten Verlaufe der Nervenfaser unwiderleglich erwiesen
schien, so musste sich doch nach Kupffer's Meinung, wohl hauptsächlich des-
halb , weil der Abstand der Fibrillen von einander auf dem Querschnitte ein
ziemlich beträchtlicher war, im Axencylinderraume noch eine Substanz befinden,
in welcher die Fibrillen suspendirt waren. Als das Wahrscheinlichste dünkte
es ihm, dass der Axenraum die Nervenfibrillen enthält, welche locker im Nerven-
serum flottiren.
Auf Anregung von Hrn. Prof. Fritsch, dem ich auch an dieser Stelle
meinen innigsten Dank für seine zuvorkommende Liebenswürdigkeit und stets
bereite Unterstützung ausspreche , begab ich mich an eine Nachprüfung der
Kupffer'schen Resultate. Als Object für meine Untersuchungen wählte ich,
ebenfalls auf Anrathen von Hrn. Prof. Fritsch, den elektrischen Nerven von
Torpedo marmorata.
Der Nerv wurde in ph3^siologischer Streckung auf einem Korke fixirt und
für 2 Stunden in eine ^l2^lo Osmiumsäurelösung gelegt. Nach zweistündigem
Auswaschen in destillirtem Wasser kam er alsdann auf 12 Stunden in eine
wässerige Säurefuchsinlösung und von hier auf 6 Stunden in Ale. abs. Später
habe ich an Kaninchen- und Froschnerven diese Methode vereinfacht und den
Ausgegeben am 20. Januar 1888.
Verhandlungen dee bekliner physiol. Gesellschaft. — Joseph. 185
Nerven sofort nach dem Auswaschen in Wasser mit Alkohol erhärtet. Es wur-
den dann die einzelnen Quer- resp. Längsschnitte mit den verschiedensten Re-
agentien gefärbt; die besten Bilder lieferten mir neutrales Carmin (F ritsch)
und Methylenblau.
Gleich beim Durchsehen der ersten Querschnittserien waren wir aber sehr
erstaunt, die von Kupffer gezeichneten Bilder durchaus nicht wiederzufinden,
ein ganz anderer Anblick bot sich uns dar. Die Markscheide sah Kupffer
als einen continuirlicheu schwarzen Ring. In unseren Praeparaten fanden wir
ein Bälkchenwerk, zwischen dessen Maschen das von Osmium geschwärzte Mark
lag. Dass wir es liier mit dem von Ewald und Kühne zuerst so genannten
Neurokeratingerüste zu thun hatten, leuchtet sofort ein. Doch wird es gut
sein , wenn wir die Markscheide zunächst einmal vernachlässigen — wir kom-
men später noch einmal auf sie zurück — und uns zu dem Axencylinder
wenden.
Im Axenraume sieht man allerdings die von Kupffer beschriebenen Pünkt-
chen, welche aber nicht gleichmässig vertheilt sind. Fällt es schon auf, dass
die Färbung dieser Pünktchen, sei es mit Säurefuchsin, sei es mit Methylenblau,
dieselbe ist, wie die des Netzwerkes in der Markscheide, so ist andererseits die
Zahl dieser Pünktchen eine viel zu geringe, sie nehmen einen zu kleinen Bruch-
theil des grossen Volumens vom Axenraume ein, als dass man sie für den
Hauptbestandtheil des Nerven halten sollte. Nun hat sich Kupffer allerdings
zu helfen gewusst, indem er neben diesen Fibrillen noch eine zweite Substanz,
ein fragliches Nervenserum, annahm , in welchem die Fibrillen flottiren sollten.
Ich glaube mich aber gegen eine derartige Auffassung wenden zu müssen, seit-
dem ich an einer grossen Reihe von Querschnitten besonders bei starker Ver^
grösserung mit Oelimmersion diese Pünktchen durch feine Striche zu einem
zierlichen Netzwerk verbunden sah.
Nach meiner Ansicht befindet sich also im Axenraume ein Netzwerk, in
dessen Maschen die Nervenfibrillen liegen. Dieses Maschenwerk übertrifft an
Feinheit bei Weitem das sogenannte „Neurokeratingerüst" in der Markscheide.
Ueber die Natur desselben muss ich mich noch jeder Ansicht enthalten.
Demgemäss sieht man auch auf Längsschnitten im Axenraume mehrere
durch einen ziemlich grossen Abstand von einander getrennte sehr schmale Lei-
sten, welche, identisch mit den im Querschnitte sichtbaren Pünktchen, wohl als
die Pfeiler des „Axengerüstes" anzusehen sind.
Um von vornherein dem Einwände zu begegnen, als ob dieses Axengerüst
vielleicht ein Kunstproduct wäre, möchte ich darauf hinweisen, dass dieser Aus-
druck wohl etwas missbräuchlich angewendet wird und dass wir ja die meisten
Gewebe unter dem Mikroskope immer erst nach der Vorbehandlung mit gewissen
Agentien zu sehen bekommen. Fast niemals oder wenigstens sehr selten de-
monstriren wir das Gewebe, so wie es in dem Thierkörper existirt, sondern
doch nur immer in dem Zustande, welchen es in Verbindung mit meist chemi-
schen Agentien eingegangen ist. Dadurch, dass wir aber die Fehler, mit wel-
chen wir operiren, kennen, gewinnen unsere Schlüsse an Sicherheit und für den
Histologen gilt in dieser Beziehung der schon lange von den Astronomen aner-
kannte Satz: „Ein Fehler, den ich kenne, ist kein Fehler."
Conservirt man nun einen Nerven in Osmiumsäure, so wird man an dem-
selben, sofern er nicht gerade zu dünn ist, zwei Partien unterscheiden können,
eine äussere, auf welche das Osmium gut eingewirkt hat, und eine innere, bis
186 Verhandlungen dee Beelinee
zu welcher es wenig oder gar niclit eingedrungen ist. Als charakteristiscli für
den äusseren Bezirk des Nerven, welclier wohl am meisten den natürlichen Ver-
hältnissen nahe kommt, können wir feststellen, dass der Axenraum der grösse-
ren Nervenfasern immer um das Fünf- und Mehrfache an Volum die Markscheide
übertrifft. Genauere Messungen ergaben für einen Theil der ziemlich grossen
Fasern des elektrischen Nerven von Torpedo im Mittel für den Durchmesser
der Markscheide 0.0015 — 0-003 mm, für den Axenraum dagegen 0-009 bis
0-0105 mm. Wird man sich daran gewöhnen, dieses, neben den vorher erwähn-
ten Besonderheiten , als charakteristisch für einen normalen Nerven anzusehen,
so darf man allerdings die in dem inneren Bezirke des Nerven gelegenen Fasern
vernachlässigen. Hier nimmt der sogenannte Axencylinder einen verschwindend
kleinen Theil des Axenraumes ein und stellt einen compacten Klumpen dar, der
meist mehr oder weniger nach einer Seite gerückt ist. Um diesen Axencylinder
sieht man dann bei starker Vergrösserung noch eine helle Membran, welche dem
bei der Schrumpfung der Nervenfibrillen mitgerissenen, oben beschriebenen Netz-
werke des Axenraumes entspricht.
Darf ich es noch einmal wiederholen, so muss in einer normalen Ner-
venfaser der Axenraum das grösste Contingent der Faser ausmachen
und um das Fünf- bis Mehrfache an Durchmesser die Markscheide
übertreffen; innerhalb des Axenraumes befindet sich ein feines
Netzwerk, in dessen Maschen die Nervenfibrillen lagern.
Dass sich als Hauptbestandtheil der Nervenfaser in dem „Axengerüste" in
der That die Fibrillen befinden, wird wohl von den meisten Forschern zugegeben
und auf das Deutlichste noch durch Praeparate bewiesen, welche Prof. Fritsch
vom Lophius gewonnen hat. Wenn von einigen anderen Seiten entgegengesetzte
Anschauungen vertreten werden, so muss hervorgehoben werden, dass dieselben
jeder thatsächlichen Unterlage entbehren. So will eine neuere, von Nansen,
hauptsächlich unter Hrn. Dohrn's Leitung, in Neapel angefertigte Arbeit wieder
Verwirrung in dieses Gebiet hineintragen. Nansen glaubt, ohne Beweise für
seine Ansicht beizubringen, dass die Nervenfaser aus Primitivröhren besteht und
die interfibrilläre Substanz, das Spongioplasma, die wirkliche nervöse Masse dar-
stelle , während die Fibrillen , das Hyaloplasma , nur die Stützsubstanz bilden.
Ich brauche kaum hinzuzufügen, dass die jahrelangen Bemühungen hervorragen-
der Beobachter darauf gerichtet waren, gerade das Gegentheil festzustellen und
eine vorurtheilsfreie Kritik auch die von ihnen beigebrachten Thatsachen wird
anerkennen müssen. Denn gerade der Nachweis des Axencylinders i. e. der
Nervenfibrillen bildete das einzig sichere Kriterium, welches uns von der Gan-
glienzelle bis zum Endorgan die nervöse Substanz erkennen liess.
Neben diesem neuen, bisher noch nicht beschriebenen Netzwerke im Axen-
raume wurde unsere Aufmerksamkeit alsdann auf das Verhalten der Markscheide
gelenkt. Ich habe schon vorhin erwähnt, dass wir mit dieser Methode in dem
Markmantel neben den durch Osmium grau gefärbten Fettkügelchen ein stark
lichtbrechendes, meist stark dunkel gefärbtes Balkenwerk zu sehen bekamen. Auf
den Längsschnitten ist dieses Gerüst ebenso deutlich zu demonstriren.
In dieser Gesellschaft hat vor nicht langer Zeit bereits Hr. Ben da auf
jenes Bild der Markscheide aufmerksam gemacht, welches in seinen mit Pikrin-
säure und neuerdings mit Salpetersäure gehärteten Praeparaten den Eindruck
eines zierlichen Piädchens macht. Mit Recht liess es aber Benda zweifelhaft,
ob hier ein wirkliches Structurverhältniss der Markscheide vorliegt.
PHYSiOLOG. Gesellschaft. — Joseph. — E. Below. 187
In der Tliat muss ich mit einer Anzahl anderer Autoren annehmen, dass
ein derartiges Gerüst in der Markscheide nicht praeformirt ist. Etwas anderes
ist es aber, ob vielleicht in dem Markmantel neben dem Fette eine andere Sub-
stanz vorkommt, welche unter der Einwirkung verschiedener Agentien, sei es
der Pikrin- oder Salpetersäure , sei es der Alkohol-Aetherbehandlung und , wie
ich gefunden habe, nach Einwirkung von Osmiumsäure uns unter dem Bilde
eines Bälkchenwerkes zu Gesichte kommt. Diese Frage muss, glaube ich, be-
jaht werden. Welcher Art ist nun dieser zweite Bestandtheil der Markscheide?
Ewald und Kühne glaubten dasselbe als Neurokeratin ansprechen zu
müssen, da bei der Verdauung des Nerven dieses Gerüst allein zurückblieb. Ich
habe mich nun bemüht, die Versuche der beiden genannten Autoren, welche
über ihre Methode leider nichts Genaueres veröffentlicht haben, zu wiederholen,
und bin bis jetzt wenigstens stets zu dem entgegengesetzten Resultate gelangt.
Frische Nerven werden vollkommen verdaut, aber auch Nerven, aus welchen
mittelst Alkohol-Aetherbehandlung das Fett möglichst extrahirt war, und an
welchen das „Markscheidengerüst" auf das Deutlichste hervortritt, setzen der
Verdauung keinen Widerstand entgegen. Zu diesen Versuchen wurden sowohl
Pepsin als Trypsin verwandt und auch ein mir von Hrn. Prof. Munk in Lie-
benswürdigster Weise zur Verfügung gestelltes Glycerinextract des Schweine-
magens, welches Fibrin sehr schön verdaute , Hess das in Frage stehende Ge-
rüst nicht unbeeinflusst. Mir scheint daher die Bezeichnung „Neurokeratin" für
diese im Marke enthaltene Substanz nicht angebracht.
VII. Sitzung am 27. Januar 1888.'
Hr. E. DU Bois-Rbybiond verlas Folgendes aus zwei Briefen (vom 19. No-
vember 1887 und 5. Januar 1888), welche er von Hrn. Dr. E. Below, Arzt
in Mexiko, erhalten hat, und welche von dem verschiedenen Zustande
der Entwickelung handeln, worin nach dessen älteren Beobachtun-
gen die Ganglienzellen des Gehirnes bei verschiedenen neugebore-
nen Thieren gefunden werden.
„Bei Besprechung der nativistischen und empiristischen Theorie in Ihrer
Rede über Leibnizische Gedanken in der neueren Naturwissenschaft fiel mir
auf, dass der Rolle der Ganglienentwickelung bei den hülflos und den weniger
hülflos zur Welt kommenden Jungen keine Erwähnung geschah. Im Sommer
1870 ermittelte ich über diesen Punkt Folgendes:
Wenn man „fertige Ganglienzellen" diejenigen nennen darf, welche
deutlich ausgebildeten Kern, Nucleolus und Ausläufer haben, so kommen hülflos
geborene Junge mit unfertigen, dagegen die den Saugapparat sofort auf-
suchenden, aufstehenden, herumlaufenden, also weniger hülflos zur Welt kom-
menden Jungen mit fertig ausgebildeten Ganglienzellen zur Welt.
Zu diesem Brgebniss kam ich auf folgende Weise:
In meiner Inaugural-Dissertation^ über einen Fall von Lithopaedion beim
Schaf (Greifswald, März 1870) fanden sich bei einem Schaffoetus schöne fer-
^ Ausgegeben am 3. Februar 1888.
^ Auszugsweise mitgetheilt in Virchow's Ar^cUv, 1870, Bd. XLI, S. 307.
188 Vekhandlungen dee Berliner physiol. Gesellsch. — E. Below.
tige Purkinje'sclie Zellen in der Kinde des Kleinhirns trotz der gegentheiligen
Behauptung Ar ndt's. Darauf von Prof. Grohe an Virchow empfohlen, machte
ich im pathologischen Institut zu Berlin unter Virchow's Leitung eine Eeihe
Untersuchungen am Foetalgehirn von Rind, Pferd, Schaf, Schwein, Meerschwein-
chen, Kaninchen, und von Hund, Katze, Ratte , Maus und Mensch in den ver-
schiedensten Stadien der Entwickelung. Es ergab sich eine gewisse Gesetz-
mässigkeit des fortschreitenden Entwickelungsganges der Hirnganglienzellen im
Foetalleben: die Ganglienentwickelung im Foetalgehirn ist am frühesten vor-
handen in der Medulla oblongata und am spätesten in der Grosshirnrinde; sie
schreitet fort von der Medulla nach der Kleinhirnrinde, dann nach dem Mittel-
hirn und zuletzt nach dem Grosshirn, der Ausbreitung der Rückenmarksstränge
in das Gehirn folgend. Ich fand ferner, dass bei den hülfloser zur Welt
Kommenden (wie Mensch, Hund, Katze, Ratte, Maus, Kaninchen)
die Ganglienzellenbildung unvollendet ist zur Zeit der Geburt und
noch kurz danach;^ dass dagegen die Gehirne der Foeten von Pf erd,
Kalb, Schwein, Schaf, Meerschweinchen schon in früheren Foetal-
perioden, stets aber vor der Geburt, in allen bezüglichen Hirn-
partien (Medulla, Kleinhirnrinde, Mittelhirn, auch schon in der
Grosshirnrinde) fertige Ganglienzellenbildung zeigen. Hinsichtlich
der Zellenmorphologie hielt ich mich als Basis an die Untersuchungen von
Arndt und Besser.
Kurz ehe der französische Krieg ausbrach, begann ich auf Prof. Virchow's
Anrathen, der meine Praeparate in Augenschein nahm und sich von der auffäl-
ligen Thatsache überzeugte. Schnitte zu fertigen und Zeichnungen für den Druck
zu liefern. Der Krieg unterbrach diese Arbeit, sowie meine beabsichtigte aka-
demische Laufbahn. Mehrere Jahre danach, 1877, schickte ich ein Resume
meiner Arbeit an Prof. Virchow, erfuhr aber nichts Weiteres darüber.
Bei der Bedeutung, die man, ob Empirist oder Nativist, der Ganglienzelle
als letzter Etappe auf der Forschung nach den letzten für uns erkennbaren Ur-
sachen beilegen muss, kann doch wohl jenes Factum, wenn es sich bestätigen
sollte, nicht ganz ohne allen Werth sein.
Ich glaubte, Andere hätten die interessante Frage unterdess weiter behan-
delt, und versuchte mich dabei zu beruhigen, wiewohl es mir nicht gelang,
irgend etwas darüber in der mir zugänglichen Litteratur zu entdecken. Da es
mir nun aber scheint, dass die ganze Frage in Vergessenheit gekommen ist und
ich von Prof. Virchow nichts mehr darüber hören konnte, möchte ich die
Frage hierdurch im Interesse der Sache wieder an's Licht gezogen haben."
^ Sonach hatte Leopold Besser in beschränktem Sinne Recht (Virchow's
Archiv, 1866, Bd. XXXVI. S. 327.
lieber Hörprüfung und über ein neues Verfahren zur
exacten Bestimmung der Hörschwelle mit Hülfe elek-
trischer Ströme.
Von
Dr. L. Jacobson,
Assistenten der Universitäts-Ohrenklinik zu Berlin.
(Hierzu Taf. III.)
Nachdem durch Hrn. von Helm holt z's fundamentale Untersuchungen
endgültig nachgewiesen worden ist, dass jede Klangmasse, welche auf unser
Gehörorgan einwirkt, aus einer Summe einfacher, d. h. durch pendelartige
Schwingungen hervorgebrachter Töne verschiedener Höhe besteht, eine An-
sicht, welche zuerst von Ohm^ ausgesprochen, dann aber von A. Seebeck ^
bestritten worden war, und dass ferner in unserem Ohre Gebilde vorhanden
sein müssen, welche eine Zerlegung der zusammengesetzten periodischen
Schallbewegung in ihre pendelartigen Componenten zu Stande bringen,
musste das Bestreben der Ohrenärzte dahin gerichtet sein, bei Bestimmung
der Hörschärfe Kranker neben anderen complicirteren Schallarten auch
einfacher Töne sich zu bedienen. Und in der That haben die letzteren
bei der Untersuchung Schwerhöriger in neuerer Zeit mehr und mehr An-
wendung gefunden. Wie weit hierdurch praktische Resultate für die Dia-
^ G. S. Ohra, Ueber die Definition des Tons nebst daran geknüpfter Theorie der
Sirene und ähnlicher tonbildender Vorrichtungen. Poggendorff s Ännalen der Physik.
Bd. LIX. S. 513 und: Noch ein Paar Worte über die Definition des Tons. Ebenda.
Bd. LXII. S. 1.
^ A. Seebeck, Ueber die Sirene. Vogg^nÖLOxiV & Ännalen der Physik. Bd. LX.
S. 449; — Ueber die Definition des Tons. Ebenda. Bd LXIII. S. 353; und; Erzeugung
von Tönen durch getrennte Eindrücke mit Beziehung auf die Definition des Tons.
Ebenda. Bd. LXm. S. 368.
19U L. Jacobson;
guostik der Ohrenkrankheiten gewonnen sind, kann an dieser Stelle nicht
eingehender besprochen werden. Unterzieht man die einschlägige otiatrische
Litteratur einer sorgsamen Musterung, so zeigt sich, dass die dieshezüghchen
Meinungen zuverlässiger Autoren noch ausserordentlich weit auseinander-
gehen. Immerhin darf wohl angenommen werden, dass, wenn auch die
Ergehnisse unserer Functionsprüfung bisher nur wenige sichere Anhalts-
punkte zur Unterscheidung der einzelnen Ohrenkrankheiten von einander
geliefert haben, grössere Erfolge in dieser Hinsicht hei Ausbildung einer
exacten physikalischen Untersuchungsmethode vielleicht erzielt werden
dürften. Denn obwohl noch nicht im Besitz einer solchen, haben wir doch
hei Anwendung von Stimmgabeltönen zur Hörprüfung bereits eine Keihe
hemerkenswerther Thatsachen feststellen können. So fanden sich Fälle, in
denen die Hörschärfe für Töne verschiedenster Höhe, von der Contra- bis
zur viergestrichenen Octave, anscheinend gleichmässig herabgesetzt war, an-
dere, in denen hohe Töne ungleich besser gehört wurden als tiefe, noch
andere, in denen das umgekehrte Verhältniss stattfand, endlich solche, in
denen die Perceptionsfähigkeit für Töne verschiedener Schwingungszahl in
gänzlich unregelmässiger Weise gelitten hatte. Die Ursache derartiger
Eunctionsanomalieen kann einmal in dem Nervenapparat ihren Sitz haben
— wird doch nach von Helmholtz die Empfindung verschiedener Töne
durch verschiedene Fasern des Hörnerven vermittelt — sie kann aber auch
in demjenigen Abschnitte des Ohres gelegen sein, welcher die Schall-
hewegung aufnimmt und den percipirenden Theilen übermittelt. Auf letz-
teren, welchen wir im Gegensatz zu dem schallempfindenden als schall-
leitenden Apparat bezeichnen wollen, finden ledighch die Gesetze der phy-
sikalischen Akustik Anwendung, insbesondere diejenigen des Mitschwingens,
welches bekanntlich von der Masse, der Elasticität und der Dämpfung der
mitschwingenden Körper abhängt. Weichen die genannten drei Constanten
in ihrer Grösse von der Norm ab, so muss die Stärke des Mitschwingens
für Töne verschiedener Höhe in bestimmt hiervon abhängigem Grade gegen
den Normalwerth verändert sein. Und umgekehrt dürfen wir annehmen,
dass, falls wir ein Verfahren finden, um die Hörschärfe Kranker für Töne
verschiedener Schwingungszahl als Bruchtheil der normalen in exacter Weise
zahlenmässig zu bestimmen, sich aus den Ergebnissen einer derartigen
Functionsprüfung Anhaltspunkte tür die Erkenntniss der pathologischen
Veränderungen des schallleitenden Apparates werden gewinnen lassen. Der-
artige Bestrebungen scheinen mir aber um so berechtigter zu sein, als
unsere objectiven Üntersuchungsmethoden, in erster Linie also die Otoskopie
und die Auscultation bei dem Kathetrismus der Tuba Eustachii, in zahl-
reichen Fällen sichere Schlüsse über den Sitz der Hörstörung nicht zu-
lassen. In dieser Beziehung sind in neuerer Zeit interessante und wichtige
Über HöRPRüruNa und Bestimmung der Hörschwelle. 191
Beobachtungen von BezolcP veröffentlicht worden. Derselbe fand nämlich
bei seinen zu statistischen Zwecken unternommenen zahlreichen Unter-
suchungen von Schulkindern, dass fast sämmtliche pathologische Trommel-
fellbefunde, circumscripte sowohl wie diffuse Trübungen und Verdickungen,
Einwärtsziehung der Membran, Kalkeinlageruugen in die Substanz derselben,
Perforationen und Narben vorkommen können bei durchaus normaler Hör-
weite für Flüstersprache, und dass diese schon von anderen Autoren in ein-
zelnen Fällen constätirte Thatsache durchaus nicht selten zu beobachten ist.
Bezold's Mittheilungen sind von besonderem Interesse deshalb, weil ihm
zu seinen Hörprüfungen ungewöhnlich grosse Räume zur Verfügung standen,
sodass eine Hörweite von 16 Metern und darüber noch festgestellt werden
konnte.
Wenn wir uns nun die Frage vorlegen, auf welche Weise eine exacte
Fanctionsprüfung in dem vorhin angegebenen Sinne im Stande sein möchte,
die differentielle Diagnostik der Ohrenkrankheiten zu fördern, so bieten sich
hierzu, wie mir scheint, drei Wege.
Einmal könnte man in Krankenhäusern bei einer grossen Anzahl von
Personen, deren Ableben in Kurzem zu erwarten steht, die Hörschärfe für
Töne verschiedener Höhe in sorgfältiger Weise bestimmen, um j^ost mortem
die vorhandenen anatomischen Veränderungen zu ermitteln. Dieses Ver-
fahren indessen würde grosse und zahlreiche Schwierigkeiten verursachen.
Zunächst lassen sich genaue Functionsprüfungen, die eine grosse Aufmerk-
samkeit erfordern, kürzere Zeit vor Eintritt des Todes bei sehr vielen
Kranken überhaupt nicht mehr vornehmen, weil ihre Kräfte hierzu nicht
ausreichen, oder weil ihr Sensorium bereits getrübt ist. Sodann gehört die
Untersuchung des Gehörorgans zu den schwierigsten Aufgaben der anato-
mischen Technik. Ein dritter erschwerender Umstand, welcher meines
Wissens noch nicht hervorgehoben ist, mir aber besondere Beachtung zu
verdienen scheint, beruht darin, dass in sehr vielen Fällen, in denen die
normale Function des Ohres gelitten hat, die Ursache hierfür anatomisch
aller Wahrscheinlichkeit nach überhaupt nicht festzustellen sein dürfte.
In dieser Beziehung scheint es mir von Vortheil, an ähnliche Verhältnisse
in der Ophthalmologie zu erinnern. Es giebt eine Reihe abnormer oder
krankhafter Zustände des Auges, welche wir inira vitam mit vollster Sicher-
heit zu erkennen vermögen, die sich aber später anatomisch nicht mehr
constatiren lassen. Hierhin gehören einmal ein Theil der Refractionsanomalieen
geringere Grade der Myopie, der Hypermetropie, und der regelmässige
Astigmatismus, sodann zählen hierher die Anomalieen der Accommodation,
^ Bezold, Schuluntersuchungeu über das kindliche Gehörorgan. Zeitscliriß für
Ohrenlieilhunde. Bd. XIV u. XV.
192 L. Jacobson:
die Accommodatiousparese, der Accommodationskrampf ; es wären hier ferner
zu nennen die Lähmungen der Augenmuskeln. Viele der genannten patho-
logischen Zustände verursachen gar keine anatomisch nachweisbaren Ver-
änderungen; andere sind an der Leiche deshalb nicht mehr zu erkennen,
weil die Tension des Bulbus post mortem sich ändert, und damit die Form
sowie die optischen Constanten des Auges andere werden. Beim Ohre
dürften die Verhältnisse in dieser Beziehung ganz ähnlich liegen. Auch
hier ist die normale Function, wie oben bereits erwähnt, gebunden an ge-
wisse physikalische Eigenschaften der mitschwingenden Theile. Wollten
wir die Ursachen für die verschiedenen Arten von Functionsstörung
in jedem Falle anatomisch feststellen, so müssten wir ermitteln können, in
welcher Weise die einzelnen Theile des schallleitenden Apparates, zu wel-
chem auch die nicht nervösen Gebilde des Labyrinths zu zählen sind, in
Bezug auf Masse, Elasticität, Spannung und Dämpfung von der Norm ab-
weichen, und hierzu dürfte, glaube ich, auch der geübteste 31ikroskoi)iker
schwerlich im Stande sein.
Unter diesen Umständen scheint es mir zweckmässig, die Ergebnisse
der anatomischen Untersuchung auf andere Weise zu ergänzen und zwar
der Art, dass wir den Schallleitungsapparat des Ohres beim Lebenden in
veränderte Verhältnisse bringen und nun zu ermitteln suchen, wie die
Function hierdurch beeinflusst wird. So könnten wir beispielsweise zunächst
bei Normalen die Hörschärfe für Töne verschiedener Höhe feststellen und
dann prüfen, wie sich dieselbe gestaltet, wenn wir durch Einblasen von,
Luft in die Paukenhöhle das Trommelfell nach Aussen, oder durch Aus-
saugen von Luft aus der Paukenhöhle nach Innen spannen. Der gleiche
Versuch könnte angestellt werden in Fällen, in denen das Trommelfell
durch Atrophie oder Narbenbildung abnorm erschlafft ist. Sodann könnten
wir bei Kranken mit Trommelfellperforationen die Hörschärfe für Töne ver-
schiedener Schwingungszahl ermitteln und prüfen, wie sich dieselbe ändert,
wenn wir die Perforation durch ein „künstliches Trommelfell" oder auf an-
dere Weise verschüessen. Zweckmässig wird es ferner sein, die Einwirkung
von pathologischen Zuständen auf die Function des Ohres in der Weise zu
studiren, dass man an einem Ohrpraeparat die physikalischen Constanten
der mitschwingenden Theile künstlich variirt uud die hierdurch bedingte
Veränderung in der Grösse des Mitschwingens für Töne verschiedener Höhe
auf graphischem oder optischem Wege zur Darstellung bringt, oder dem
Ohre des Beobachters durch Auscultatiou wahrnehmbar macht.
Die so gewonnenen ßesultate pathologisch-anatomischer und experi-
menteller Untersuchungen könnten schliesslich durch klinische Beobach-
tungen vervollständigt sverden, indem man den Grad der Schwerhörigkeit
für Töne verschiedener Schwingungszahl bei verschiedenen Formen von
Über Hökpeüfüng und Bestimmung dek Hörschwelle, 193
Ohraffectionen zu ermitteln sucht. Hierzu wären nach meiner Ansicht die-
jenigen Fälle auszuwählen, bei welchen wir eine sichere Diagnose aus den
objectiven Symptomen und aus der Krankengeschichte mit grosser Wahr-
scheinlichkeit stellen und ihre Richtigkeit durch den "Verlauf des Leidens
controliren können. Solche Kranke dagegen, bei denen die objective
Untersuchung gar keine oder ungenügende Anhaltspunkte liefert, und bei
welchen die Frage, ob eine Erkrankung des schallleitenden oder des schall-
empfindenden Apparats vorliegt, gewöhnlich auch durch den Verlauf resp.
den Erfolg der Behandlung nicht beantwortet wird, dürften für die Er-
kenntniss des diagnostischen Werths einer genauen Functionsprüfung sich
nur wenig eignen.
Ich möchte an dieser Stelle bemerken, dass Untersuchungen, welche
darauf ausgingen, aus der eigenthümlichen Herabsetzung der Hörschärfe für
Töne verschiedener Höhe Schlüsse auf den Sitz der Erkrankung innerhalb
des Gehörorgans abzuleiten, in jeder der vorhin angegebenen Richtungen
bereits angestellt worden sind. Ihren Zweck indessen konnten dieselben
nur in unvollkommener Weise erreichen, weil wir bisher nicht im Stande
waren, die Intensität von Tönen messbar abzustufen und so eine exacte
zahlenmässige Relation zwischen der Hörschwelle des normalen und des
pathologisch veränderten Ohres herzustellen.
Ein Mittel hierzu glaube ich gefunden zu haben. Bevor ich dasselbe
beschreibe, sei es mir gestattet, die hauptsächlichsten Methoden, deren man
sich zur zahlenmässigen Bestimmung der Hörschärfe für Töne bisher be-
dient hat, kurz zu besprechen und ihre Mängel zu erörtern.
Das Instrument, welches von den Ohrenärzten zu dem in Rede stehen-
den Zweck vorzugsweise benutzt worden ist, ist die Stimmgabel, mit wel-
cher man in der That annähernd einfache Töne erzeugen kann. Um mit
derselben die Hörschärfe eines Kranken zu bestimmen, hat v. Conta^ im
Jahre 1864 den Vorschlag gemacht, die Zeit zu messen, welche von dem
Anschlag der Gabel bis zum Verklingen ihres Tons für das betreffende
Ohr vergeht, und „den Grad der Hörschärfe durch die Zahl der verflossenen
Secunden zu bezeichnen". Dieses Verfahren, welches auch in neuerer Zeit
einige Ohrenärzte acceptirt haben, beruht auf physikalisch unrichtigen Vor-
aussetzungen. Wie ich im Archiv für Ohrenheilkunde ^ nachgewiesen habe,
können wir die Hörschärfe eines kranken Ohres als Bruchtheil der normalen
aus dem Verhältniss der bezüglichen „Hörzeiten" allein überhaupt nicht
berechnen; vielmehr ist hierzu ausserdem die Kenntniss des logarithmischeu
* V. Conta, Ein neuer Hörraesser. Archiv für Ohrenheilkunde. Bd. I. S. 107.
^ Jacobson, Ueber die Abhängigkeit der Hörschärfe von der Hörzeit. Archiv
für Ohrenheilkunde. Bd. XXIV. S. 39; — und: Ueber zahlenmässige Bestimmung der
Hörschärfe mit ausklingenden Stimmgabeln. Ebenda. Bd. XXV. S. 11.
Archiv f. A. u. Ph. 1888. Physiol. Abthlg. 13
194 L. Jacobson:
Decrements der Stimmgabelscliwingungen unbedingt erforderlich. Letzteres
aber wird bei jeder Gabel einen anderen Werth haben, und die Bestimmung
desselben, welche nur empirisch geschehen kann, ist mit den grössten
Schwierigkeiten verbunden.
Ein zweiter Weg, um die Hörschwelle mit Stimmgabeln zahlenmässig
festzustellen, besteht darin, dass man die Gabel in diejenige Entfernung,
bringt, in welcher bei einer gewissen constanten Stärke des Anschlags ihr
Ton von dem zu untersuchenden Ohre eben noch vernommen wird, d. h.
also die „Hörweite'' als Maass verwendet. Soll dieses berechtigt sein, so
müssen wir genau die Beziehung kennen, welche zwischen der Intensität
des Tones und der Entfernung der Stimmgabel von dem zu untersuchen-
den Ohre besteht.
Nehmen wir an, dass die Stärke des Schalls der Stärke des Stosses
proportional ist, welchen die schwingenden Lufttheilchen unserem Gehör-
organe ertheilen, d. h. also ihrer lebendigen Kraft, so muss sie im um-
gekehrtem Verhältniss stehen zu dem Quadrat der Entfernung, welche
zwischen Schallquelle und Ohr besteht, vorausgesetzt, dass der schallerzeugende
Körper punktförmig ist, und die von ihm ausgehenden Schallstrahlen sich
in einem homogenen elastischen Medium nach allen Richtungen hin un-
gehindert ausbreiten können. Eine Prüfung dieses theoretisch zweifellos
gültigen Gesetzes durch ausgedehnte Versuche hat v. Vierordt^ unter-
nommen. Die Anordnung derselben war folgende. Auf einem weiten
ebenen Felde wurden vier Linien abgesteckt, deren Längen sich wie 1:2:3:4
verhielten. An dem einen Ende derselben befand sich der Beobachter, an
dem anderen ein von v. Vierordt so genanntes „Schallpendel", mit dessen
Hülfe ein Geräusch erzeugt wurde, gerade stark genug, um in dem Ohr
des Beobachters eine Schwellenempfindung auszulösen, v. Vierordt be-
rechnete nun die Intensität dieses Geräusches aus der Fallhöhe des Pendels
und gelangte zu dem der Theorie widersprechenden Resultat, dass die
Stärke des Schalls nicht dem Quadrat, sondern vielmehr der ersten Potenz
der Entfernung zwischen Schallquelle und Ohr umgekehrt proportional sei.
Dieses überraschende Ergebniss bot Veranlassung, weitere Untersuchungen
über den fraglichen Gegenstand anzustellen, eine Aufgabe, welcher sich
in neuerer Zeit ein russischer Forscher, Hesehus,^ unterzogen hat. Der-
selbe benutzte zu seinen Versuchen, welche ebenfalls auf einem weiten
ebenen Felde angestellt wurden, eine grössere Anzahl sphaerischer Glocken
^ Carl V. Vierordt, Die Schall- und Tonstärke und das Schallleitungsvei-mögen
der Körper. Tübinger 1885.
^ N. Hesehus, Ueber die Beziehung zwischen der Schallintensität und der Ent-
fernung. J. der russischen physikalisch -chemischen Gesellschaft. (7) 1886 XVIII.
S.268-274 und Beibl. 1887. S. 512.
Über Hörprüfung und Bestimmung der Hörschwelle. 195
von nur l-ö*^'" Durchmesser und ermittelte die Entfernung, in welcher
verschiedene Glockencombiuationen (4, 9, 16) gleich stark gehört wurden,
wie eine Glocke in einer bestimmten Entfernung vom Ohr (5, 10, 25 und
30 Schritt). Auf Grund dieser Experimente gewann er die üeberzeugung,
dass die Stärke des Schalls bei Ausbreitung desselben in freier Luft dem
Quadrat der Entfernung umgekehrt proportional sei, vorausgesetzt, dass
letztere nicht weniger als 10 Schritt beträgt. Ich bin nicht in der Lage,
mich für eine oder die andere der soeben mitgetheilten einander wieder-
sprechenden Ansichten zu entscheiden. Hesehus erhebt gegen die Beweis-
kraft der V. Vierordt'schen Versuche den Einwand, dass die bei ihnen
benutzte Schallquelle zu gross war, um den Voraussetzungen der Theorie
auch nur annähernd zu entsprechen, da nicht das Schallpendel allein, son-
dern gleichzeitig auch der ihm zur Unterlage dienende mitschwingende
Tisch als Schwingungscentrum angesprochen werden müsse. Bei der von
Hesehus gewählten Anordnung aber ist zu erwägen, dass bei einer Com-
bination mehrerer tonerzeugender Körper die Intensität des Schalls durch
Interferenz in unberechenbarer Weise modificirt werden kann, so dass es
zweifelhaft ist, ob z. B. acht nahe aneinander befindliche Glocken einen acht
Mal so starken Klang erzeugen als eine. Ein anderes Bedenken, welches
sowohl gegen v. Vierordt's wie gegen Hesehus Untersuchungen geltend
gemacht werden könnte, beruht darauf, dass sich bei beiden Versuchsreihen
der Schall nicht, wie es die Theorie voraussetzt, nach allen Richtungen un-
gehindert ausbreiten konnte, sondern unten durch den Erdboden aufgefangen
und zum Theil reflectirt wurde.
Das Gesetz, nach welchem die Intensität eines sich im unbegrenzten
Raum fortpflanzenden Schalls mit der Entfernung abnimmt, ist also, wie
sich aus dem Vorhergehenden ergiebt, zur Zeit experimentell noch nicht
sichergestellt. Für seine Ausbreitung in geschlossenen Räumen aber, wie
es die ärzthchen Untersuchungszimmer sind, kann von einem allgemein
gültigen bezüghchen Gesetz überhaupt nicht die Rede sein, da die Schall-
wellen durch die Wände des Zimmers sowie durch die in demselben be-
findlichen Gegenstände je nach deren Gestalt und Anordnung in der ver-
schiedensten Weise reflectirt und gebeugt werden müssen. Demnach kann
die Entfernung, in welcher das zu untersuchende Ohr des Kranken einen
Schall von bestimmter constanter Intensität eben noch wahrnimmt, nicht
als Maassstab der in Zahlen auszudrückenden Hörschärfe gelten. Den-
jenigen Ohrenärzten gegenüber, welche sich auf v. Vierordt's Autorität
berufen, wenn sie die Hörschärfe der Hörweite direct proportional setzen,
möchte ich hier eine Bemerkung desselben Autors entgegenhalten, aus
welcher die Unzulässigkeit eines derartigen Verfahrens deutlich genug
hervorgeht. Auf S. 236 seines Werkes: „Die Schall- und Tonstärke und
13*
196 Ia Jacobson:
das Schallleitungsvermögen der Körper" heisst es: „dass die Berechnung
der Schallschwächung bei dessen Fortpflanzung in einem abgeschlossenen
Zimmer nicht streng durchgeführt werden kann, ist — weil eben die Be-
dingungen bei der Fortpflanzung mit zunehmendem Abstand sich ändern
und überhaupt unanalysirbar sind — leicht ersichtlich. Immerhin
aber kann als durchgreifende Norm aufgestellt werden, dass die Schwächung
des Schalls viel geringer ist, als in freier Luft, wie ja auch die gewöhnliche
Erfahrung uns lehrt, und dass nur innerhalb geringer Abstände von der
Schallquelle (etwa bis V2 "') die Schallschwächung den Abständen annähernd
proportional ist." Dieser Ausspruch bezieht sich übrigens nicht allein auf Töne,
sondern auf sämmtliche Schallarten, so dass also v. Vierer dt es gerade ist,
welcher die von einigen Ohrenärzten auch in neuerer Zeit verfochtene Ansicht,
dass die Hörweite, sei sie mit der Uhr, oder mit dem Po litzer' sehen Hör-
messer oder auch mit der Sprache bestimmt, als Maass für die Hörschärfe
benutzt werden dürfe, bereits als unrichtig zurückgewiesen hat.
Gehen wir nun zu anderen Methoden über, welche empfohlen worden
sind, um das Hörvermögen für Töne verschiedener Höhe zahlenmässig zu
bestimmen, so hätten wir zunächst einen von Beerwald ^ angegebenen
„Hörmesser" zu erwähnen, bei welchem Glocken durch einen aus ver-
schiedener Höhe herabfallenden Klöppel in Vibration versetzt werden. Die
Stärke des Glockentons hängt hier natürlich von der an einem graduirten
Quadranten abzulesenden Hubhöhe ab; in welcher Weise, ist von dem
Autor dieses Hörmessers nicht erörtert worden. Der theoretische Zusammen-
hang ist aber unschwer abzuleiten. Stösst eine Masse m mit der Ge-
schwindigkeit V auf eine ruhende Masse m^, so ist die von letzterer auf-
genommene Bewegungsmenge, d. h. das Product der Masse m-^ in ihre
Geschwindigkeit v^, gleich der von m abgegebenen Bewegungsmenge
m-^^v-y = m [v — Vy),
w^oraus sich ergiebt
m V
1 m + rriy'
Nun ist nach den Fallgesetzen
wo h die Höhe bezeichnet, um welche der Hammer bis zum Moment des
Anpralls gesunken ist; also ist
v-y = const. y h ,
mithin ist die lebendige Kraft, welche der Glocke von dem fallenden
Hammer übertragen wird, V2^i^i^j der Hubhöhe h proportional; und das-
^ Beerwald, Ueber einen neuen Hörmesser. Archiv für Ohrenheilkunde.
Bd. XXIII. S. 141.
Über Hörprüfung und Bestimmung der Hörschwelle. 197
selbe würde für die Tonstärke der Fall sein, wenn die gesammte lebendige
Kraft oder ein zu ihr in constantem Verhältniss stehender Theil zur Schall-
bildung verwandt würde. Ob letzteres in Wirklichkeit stattfindet, lässt
sich a -priori nicht wohl entscheiden. Es müssten hierüber experimentelle
Untersuchungen angestellt werden, bei welchen die AmpHtude der durch
den Hammer in Schwingung versetzten Glocke resp. Stimmgabel, falls wir
eine solche als Schallquelle benutzen wollen, graphisch oder optisch darzu-
stellen und ihre Beziehung zur Elevation des Hammers zu eruiren wäre.
Aehnliche Versuche wären wohl auch erforderhch, um zu entscheiden, ol)
die Intensität des Schalls durch die zu seiner Erzeugung aufgewendete
lebendige Kraft oder durch eine andere Grösse zu messen ist. Auch diese
Frage hat v. Vierordt^ experimentell behandelt. Durch das Aufschlagen
von Kugeln, welche auf eine schwingungsfähige Platte herabfielen, erzeugte
er einen Schall, dessen Stärke durch Aenderung von Fallhöhe und -gewicht
variirt werden konnte. In einer sehr grossen Anzahl von Versuchen be-
stimmte er nun unter Benutzung verschieden schwerer Kugeln diejenigen
Fallhöhen, bei denen eine gleiche Wirkung auf das Ohr ausgeübt wurde,
und gelangte hierbei, von der Annahme ausgehend, dass „die Schallstärke s
das Product des Gewichts p der Kugel in den mit einem bestimmten Ex-
ponenten 6 versehenen Fallraum A, also Ä=/>Msei, zu dem Mittelwerth
g = 0-6037, so dass er also als Maass für die Schallintensität nicht die der
Fallhöhe proportionale lebendige Kraft der Kugel jd h , sondern viel eher
noch ihr Bewegungsmoment ^y^gh anzusehen geneigt ist. Gegen diese
Ergebnisse v. Vierordt's richten sich die in Wundt's philosophischen
Studien veröffentlichten Arbeiten von Tischer^ und Starke,^ welche in-
dessen in ihren Resultaten unter einander nicht übereinstimmen. Tischer
nämlich fand, dass in der Gleichung s = cp h' der Exponent s weder = 1
noch = Y2 s®i> sondern sich mit Fallhöhe und -gewicht in ungesetzmässiger
Weise ändere. Nach Starke dagegen kommt 6 der Einheit so nahe,
dass wir die Schallstärke der lebendigen Kraft proportional setzen dürfen.
Bei dieser Meinungsverschiedenheit der genannten Autoren schiene es mir
zweckmässig, die in Rede stehende Frage auf andere Weise in Angriff zu
nehmen, und zwar so, dass man nicht die lebendige Kraft des stossenden
Körpers, sondern diejenige der durch jenen in Schwingung versetzten
Schallquelle selbst zu ermitteln sucht. Wählen wir als solche z. B. eine
^ Carl V. Vierordt, a. a. 0. S. 26 und 54.
'^ Tisch er, üeber die Unterscheidung von Schallstärken. FliilosopJiiscJie Studieyi.
Bd. I. S. 489.
* Starke, Die Messung von Schallstärken. Philosophische Studien. Bd. III.
S. 264 ff.
198 L. Jacobson:
Stimmgabel und bringen dieselbe durch einen aus verschiedener Höhe
herabfallenden pendelnden Hammer zum Tönen, so können wir diejenige
Amplitude, bei welcher unser in constanter Entfernung und Richtung be-
findliches Ohr eine Schwellenempfindung erhält, auf graphischem Wege zur
Darstellung bringen oder, wenn wir etwaige durch Eeibung verursachte
Störungen vermeiden wollen, durch photographische Aufnahme fixiren, wie
ich dieses an anderer Stelle ^ angegeben habe. Ermitteln wir nun auf
dieselbe Art bei weiteren Gabeln von gleicher Tonhöhe, deren Massen in-
dessen ungleich sind, die bezüglichen Schwellenamplituden und berück-
sichtigen wir, dass diesen stets dieselbe Schallintensität entspricht, so werden
wir aus den erhaltenen Werthen vielleicht ermitteln können, in welcher
Weise die Schallstärke von Masse und Amplitude des tönenden Körpers
abhängt. Hierauf allein aber kommt es an. Bei den von v. Vierer dt,
Tis eher und Starke ausgeführten Untersuchungen bleibt es ungewiss, ob
von der lebendigen Kraft der die Schallquelle mechanisch erregenden Ur-
sache stets ein constanter Bruchtheil in Schall verwandelt wird. Dieses
letztere aber ist meines Erachtens sogar ausserordentlich unwahrscheinlich,
da die genannten Autoren trotz grösster Sorgfalt bei ihren Experimenten
zu einander vollkommen widersprechenden Resultaten gelangt sind. Ist
nun die Beziehung zwischen der Bewegung des die Schallquelle in Schwin-
gung setzenden Körpers und der resultirenden Schallstärke eine inconstante,
so werden Apparate, welche mechanisch in Erschütterung gesetzt werden,
wie diejenigen der oben genannten Autoren zu messbarer Abstufung der
Schallintensität nicht wohl geeignet sein. Für meinen Zweck aber, bei
welchem es sich um zahlenmässige Bestimmung der Hörschärfe für Töne
handelt, kommt als weitere Schwierigkeit noch hinzu, dass beim Anschlagen
von Stimmgabeln oder Glocken durch eine Fallvorrichtung im ersten Augen-
blick ein klappendes Geräusch auftritt, wodurch die Ermittlung der Hör-
schwelle für den bei der Prüfung in Betracht kommenden Ton beeinträchtigt
wird. Um dieses Hinderniss zu beseitigen, gäbe es nur zwei Mittel. Ein-
mal könnte der anschlagende Körper mit einem weichen Stoff, wie etwa
Leder oder Gummi, überzogen sein, was jedoch die Constanz des Apparats
ausserordentlich schädigen würde. Sodann wäre vielleicht eine Einrichtung
denkbar, um den Ton nicht schon im Augenblicke des Anschlags, sondern
z. B. erst 5 Secunden später auf das Ohr einwirken zu lassen. Letzteres
indessen würde grosse Schwierigkeiten verursachen und wäre überdiess nur
dann berechtigt, wenn die Intensität des Tons beim Ausklingen in geo-
metrischer Reihe sich vermindert.
^ Jacobson, Ueber die Abnahme der Schwingungsamplituden bei ausklingenden
Stimmgabeln. Verhandlungen der physiologischen Gesellschaft zu Berlin. 1886 — 87.
Nr. 16 und 17; ir diesem Archiv, 1887. S. 476.
Übee Höepeüpung und Bestimmung dee Hörschwelle. 199
Die bisher besprochenen Methoden, bei welchen, um kurz zu recapitu-
liren, entweder die Zeit gemessen wird, während welcher das zu unter-
suchende Ohr den Ton einer mit constanter Kraft angeschlagenen »Stimm-
gabel noch wahrnimmt, oder der Abstand vom Ohre, bis zu welchem eine
Tonquelle von constanter Intensität entfernt werden darf, oder endUch die
mechanische Kraft, mit welcher der tongebende Körper angeschlagen wer-
den muss, um eine Schwellenempfindung zu erzeugen, sind, selbst wenn
die zur Zeit noch nicht völlig sichergestellten physikalischen Gesetze, die
bei ihnen in Betracht kommen, durch weitere Untersuchungen aufgeklärt
werden, wie ich in dem Vorhergehenden nachgewiesen zu haben glaube,
nicht im Stande das Problem, welches in Rede steht, in befriedigender
Weise zu lösen, d. h. also eine exacte zahlenmässige Bestimmung der in-
dividuellen Hörschärfe für Töne verschiedener Höhe zu ermöglichen.
Wohl aber ist letzteres zu erreichen, wenn wir uns zur Erzeugung
der Töne, welche auf das zu untersuchende Ohr einwirken sollen, elektri-
scher Ströme bedienen, deren Abstufung, wie in Folgendem zu zeigen ist,
es gestattet, die Tonstärke messbar zu variiren und so die Reizschwelle
für jedes Ohr genau zu ermitteln. Auch in dieser Beziehung sind bereits
mehrfache Versuche angestellt worden, von denen ich die hauptsächlichsten
zunächst besprechen möchte.
Eine der ausführlichsten Arbeiten über den fraglichen Gegenstand ist die
unter Berthold' s Leitung angefertigte Dissertation von Albert Wodtke. ^
In derselben empfiehlt Verfasser zur Bestimmung der Hörschärfe mit Hülfe
elektrischer Ströme zwei von einander verschiedene Verfahren. Bei dem
ersten derselben wird in den Stromkreis 'einer Thermokette eine elektro-
magnetische Unterbrechungsgabel und als jSebenschliessung zu dieser ein
mit einem Plüssigkeitsrheostaten verbundenes Telephon, bei dem zweiten
dagegen wird in den Stromkreis der Kette ausser der Unterbrechungsgabel
die primäre Rolle eines Inductoriums eingeschaltet, mit dessen secundärer
Rolle ein Telephon in Verbindung steht. In beiden Fällen muss, wie ohne
Weiteres ersichtüch ist, das Telephon einen allerdings von Obertönen be-
gleiteten Grundton erklingen lassen, dessen Schwingungszahl mit derjenigen
der Unterbrechungsgabel übereinstimmt. Bei der ersten Anordnung wird
die Stärke desselben durch Einschaltung längerer Flüssigkeitsstrecken in
dem Rheostaten, bei der zweiten durch grössere Entfernung der secundären
von der primären Spule des Inductoriums vermindert. Die eben be-
schriebenen beiden Verfahrungsweisen kehren bei sämmtlichen Autoren,
welche Apparate zur Bestimmung der Hörschärfe mit Hülfe elektrischer
^ Albert Wodtke, Ueber Hörprüfung mit besonderer Berücksichtigung der Me-
thode mit Hülfe elektrischer Ströme. Inaugural- Dissertation. Rostock 1878.
200 L. Jacobson:
Ströme angegeben haben, im Wesentlichen wieder. Die letzteren unter-
scheiden sich von einander zunächst in einzelnen Punkten, welchen eine
principielle Bedeutung nicht zukommt. So wird in einigen von ihnen der
Strom der Kette nicht durch elektromagnetische Stimmgabeln, sondern nach
Art des Wagner-Neef sehen Hammers durch Federn, in noch anderen
durch Stromschlüssel unterbrochen, in welch letzterem Falle in dem Tele-
phon natürlich kein Ton resp. Klang, sondern ein Geräusch entsteht. So-
dann giebt es Apparate, bei welchen sich das Telephon wie in Wodtke's
zweiter Anordnung im secundären Stromkreis befindet, bei welchem in-
dessen die mit ihm verbundene bewegliche EoUe zwischen zwei im ent-
gegengesetztem Sinne gewickelten feststehenden primären Rollen verschoben
wird. Haben letztere völlig gleiche Dimensionen und enthalten sie eine
genau gleiche Anzahl von Windungen desselben Drahts, so wird ihre Wir-
kung auf die bewegliche secundäre Spule = sein, wenn diese von jeder
der beiden primären gleich weit entfernt ist; es wird dann also das Telephon
bei Unterbrechung des primären Stromkreises nicht tönen können. Ver-
schiebt man aber die secundäre Spule auf einem die beiden primären
verbindenden Schlitten, so wird der von dem Telephon ausgegebene Schall
um so stärker sein, je mehr sich die secundäre Spule einer der primären
nähert und von der anderen entfernt. In die Kategorie dieser Apparate
gehört z.B. das „Audiometer oder Sonometer" von Hughes, mit welchem
Richardson^ und Maillard^ Versuche angestellt haben. Wichtiger als
die angegebenen Unterschiede in der Anordnung der einzelnen Theile sind
die Berechnungs weisen, welche die verschiedeneu Autoren ihren Apparaten
zu Grunde legen.
Bezüglich der Abhängigkeit der Tonintensität von der Stärke der in
der Telephonspule auftretenden Stromschwankungen sagt Wotdke Fol-
gendes (a. a. 0. S. 35): „Es ist ein physikalisches Gesetz, dass die Ent-
stehungsstärke des Schalls proportional ist dem Quadrat der Amplitude und
dem Quadrat der mittleren Schwingungsgeschwindigkeit. Die Schwingungs-
geschwindigkeit findet ihren Ausdruck in der Tonhöhe und, wenn diese
unverändert bleibt, ist die Schallstärke oder Tonstärke proportional dem
Quadrat der Amplitude. Bei einem im Telephon hervorgerufenen Tone
wird die Amplitude gegeben durch die Schwingungen der einzelnen Molecüle
des Diaphragmas, welches sich über dem von einer Drahtspule umgebenen
Eisenkern befindet. Das Diaphragma wird in Schwingungen versetzt durch
^ Richards OD, Some Eesearches with Prof. Hughes' new instrument for the
measuring of hearing, the audionieter. Troceedings of the Royal Society, t. XXIX.
p. 65—70 und Nature. t. XX. p. 102—103.
^ L'audiometre. Application du telephone ä la ujesure de l'acuite auditive. Par
M. le docteur Albert Eene. Gazette des liopitaiix. 1880. p. 644.
Über Höbprüfüng und Bestimmung dee Hörschwelle. 201
die Schwankungen des Magnetismus in dem Eisenkern und, da die An-
ziehungskraft eines Magnets direct proportional dem Magnetismus ist, ist
auch die Grösse dieser Schwingungen, mithin die Amplitude, direct pro-
portional dem Magnetismus. Der Magnetismus des Eisenkerns wiederum
hängt von dem elektrischen Strom in der Drahtspule ab und ist nach
physikalischen Gesetzen dessen Stärke proportional, also wird auch die
Amplitude der Schwingungen der Stärke des elektrischen Stromes pro-
portional sein, und somit ist in unserem Fall die Tonstärke direct pro-
portional dem Quadrat der Intensität des elektrischen Stromes.'^ Die an-
deren Autoren, welche Apparate zur Bestimmung der Hörschärfe unter
Anwendung elektrischer Ströme angegeben haben, lassen diesen wichtigen
Punkt vollständig unerörtert. Ich selber schliesse mich der von Wodtke
ausgesprochenen Ansicht, nach welcher die Grösse der im Empfangstelephou
auftretenden Stromschwankungen als directes Maass für die Schwingungs-
amplitude seines Diaphragmas betrachtet werden kann, vollkommen an, wenn
ich auch, worauf später noch näher eingegangen werden soll, die von ihm
beigebrachte oben citirte Begründung dieser Annahme nicht für correct
halte. Was aber Wodtke's Berechnung der Stromintensität bei Ab-
stufung derselben nach einem der von ihm angegebenen Verfahren anlangt,
so ist dieselbe nach meiner Ansicht sicher nicht zulässig.
Für die erste seiner Yersuchsanordnungen nämlich, stellt er die Be-
hauptung auf, dass, wenn wir die im Telephon zur Geltung kommende
Stromstärke bei Einschaltung einer Y2 "^ langen Wassersäule im Rheostaten
= 1 setzen, sie bei Einschaltung einer doppelt so langen = Ya? einer drei-
mal so langen = ^/.j sein, d. h. also im umgekehrten Verhältniss zur Grösse
des ßheostatenwiderstandes stehen müsse. Hierbei aber lässt er einmal
unberücksichtigt, dass der Widerstand des das Telephon enthaltenden
Stromkreises nicht allein von demjenigen des Rheostaten, sondern auch von
dem Widerstand der Kette, der Telephonspule und der Leitungsdrähte ab-
hängt, eine Vernachlässigung, welche freihch, da der Flüssigkeitswiderstand
von überwiegender Grösse ist, wohl erlaubt sein dürfte, sodann aber über-
sieht er, dass in Folge der Wasserzersetzung im Rheostaten Polarisation
eintritt, wodurch die Constanz der elektromotorischen Kraft in unregel-
mässiger Weise beeinflusst wird. ^ Bei seiner zweiten Versuchsanordnung
ferner geht er von der Ansicht aus, dass die Intensität des inducirten
Stroms dem Quadrat des Abstandes zwischen primärer und secundärer
Spule umgekehrt proportional sei. Auch diese Annahme ist keineswegs
richtig. Die Beziehung zwischen der Stärke des Inductionsstroms und der
^ E. du Bois-Eeymond, Gesammelte Abhandlungen zur allgemeinen Miishel-
und Nervenfhysik. Leipzig 1875. Bd. I. S. 188. Anmerkung 1.
202 L. Jacobson:
Eütferuuug der beiden Rollen von einander ist eine ausserordentlich com-
plicirte. Wiedemann^ sagt hierüber Folgendes: ,, Zur Bestimmung der in
einer Spirale durch eine inducirende Spirale erzeugten elektromotorischen
Kraft bedarf es der Auswerthung des Potentials beider Spiralen auf ein-
ander, wobei man beide von einem Strom von der Intensität Eins durch-
strömt denkt" und ferner ebenda: „Das Potential zweier Drahtkreise von
den Radien a und a + c, deren Ebenen um die Länge b von einander ab-
stehen, ist annähernd
P., = 4.a(log^^=.-2)."
Bei einem Inductorium handelt es sich aber nicht allein um zwei ein-
fache Drahtkreise, sondern um zwei Rollen, deren jede aus einer grossen
Anzahl einzelner, in ihrer Grösse und gegenseitigen Lage zu einander ver-
schiedener Drahtkreise besteht. Um daher die in der secundären Rolle
inducirte elektromotorische Kraft zu bestimmen, müssten wir die von jedem
Drahtkreis der einen auf jeden der anderen ausgeübten Wirkungen sum-
miren; hierdurch aber würden wir einen Ausdruck erhalten, welcher noch
viel verwickelter wäre, als der von Wiedemann angegebene. Daraus
ergiebt sich, dass die in der secundären Rolle inducirte elektromotorische
Kraft aus der Entfernung beider Rollen allein überhaupt nicht abgeleitet
werden kann, sondern ausserdem in complicirter Weise von den Constanten
des angewandten Apparats, nämUch von der Länge der Rollen, ihrem
inneren und äusseren Durchmesser und der Dicke der sie zusammen-
setzenden Drähte abhängig ist. In Uebereinstimmung hiermit sagt Rosen -
thal in seiner Elektricitätslehre für Mediciner , Berlin 1884, S. 106 und
107 bei Besprechung von du Bois-Reymond's Schlitteninductorium: „Die
absolute Stärke der Inductionsströme hängt ab von der Stärke des Stroms,
welcher in der primären Spirale geschlossen und geöffnet wird, von der Be-
schaffenheit des Apparats, d. h. von der Zahl und dem Widerstand der
Windungen in der primären und secundären Spirale, der Menge weichen
Eisens, welche in erstere eingelegt ist und dergleichen, endlich von der
Entfernung der beiden Rollen von einander. In einem fertigen Apparat
kann man nur die Stromstärke ändern, indem man verschieden starke
Ketten anwendet oder AViderstände zwischen Kette und primärer Spirale
einschaltet, oder den xibstand der beiden Spiralen wechseln. Ist dieser
Abstand = Null, was der Fall ist, wenn beide Rollen ganz über einander
geschoben sind (denn dann fallen ihre Mittelpunkte zusammen), so muss
eine bestimmte Beziehung zwischen der Stromstärke in der primären
Spirale und dem durch sie in der secundären Spirale entstehenden Induc-
1 Wiedemann, Die Lehre von der Elektricität. 3. AuÜ. Bd. IV. Abthl. 1. S. 83.
Über HöRpRüruNG und Bestimmung der Hörschwelle. 203
tiousstrom bestehen , welche nur von dem Bau des Apparats abhängt.
Wir wollen diese die Inductionsconstante des Apparates nennen und durch c
bezeichnen. Es ist also
i = c. J
worin / die Intensität oder Stärke des Inductionsstroms bedeutet, / die
Stärke des primären Stromes und c die Inductionsconstante, einen ächten
Bruch. Entfernen wir nun die Rollen von einander, so wird c kleiner;
für jede Entfernung e der Rollen von einander hat c einen bestimmten
Werth; aber zwischen e und c besteht kein einfaches Verhältniss, sondern
dieses hängt wiederum von der Bauart jedes einzelnen Apparates ab.
Es bleibt daher, wenn man die Intensitäten der Inductionsströme ge-
nauer bestimmen will, nichts übrig, als jeden Apparat empirisch zu kali-
briren." Zu diesem Zweck sind von den Physiologen, welche sich des In-
ductionsstroms zur Erregung von Muskel und Nerv so häufig bedienen,
verschiedene Methoden angegeben worden, so von Fick, Kronecker und
Christian!. Wollen wir also zur Bestimmung der Hörschärfe Apparate in
Anwendung ziehen, wie der von Wodtke in der zweiten Yersuchsanordnung
benutzte oder wie etwa das Hughes'sche Audiometer, so müssen dieselben
nach einer der von den genannten Autoren angegebenen Arten empirisch
graduirt werden, wozu indessen kostspielige Apparate, z. B. eine Spiegel-
bussole, erforderlich sind. Wie ich bereits erwähnt habe, finden wir die
von Wodtke beschriebenen Verfahrungsweisen in sämmtlichen Apparaten,
welche bisher construirt worden sind, um die Hörschärfe auf elektrischem
Wege zahlenmässig zu bestimmen, in der Hauptsache wieder. Aus diesem
Grunde ist es unnöthig, die letzteren einzeln näher zu betrachten. Ich
möchte nur noch ergänzend bemerken, dass einige Autoren, in deren Appa-
raten das Telephon mit der gegen die primäre verschiebfichen secundären
Rolle eines Inductoriums verbunden ist, in ihren bezüglichen Publicationen
nicht einmal den Versuch gemacht haben, den Zusammenhang zwischen
der Stärke des Telephonstroms und aer Entfernung der Spulen von ein-
ander aufzufinden, sondern erstere einfach durch den in Millimetern ge-
messenen Abstand der Spulen von einander ausdrücken.
Wenn ich nun den Versuch unternehme, eine Methode aufzufinden,
nach welcher die Hörschärfe Ohrenkranker für Töne mit Hülfe elektrischer
Ströme in physikalisch exacter Weise als Bruchtheil der normalen Hör-
schärfe zu bestimmen wäre, so hätte ich zunächst die Frage zu beantworten,
von welchen Bedingungen die Stärke des von dem Telephon ausgegebenen
Tons resp. Schalls abhängig ist. Tritt in der Rolle des Empfangstelephons
eine Stromschwankung auf, so wird, wie bekannt, durch Aenderung des
Magnetismus eine Bewegung des Diaphragmas hervorgerufen. Die Grösse
dieser Bewegung ist es, durch welche zunächst die Intensität des von dem
204 L. Jacobson:
Telephon erzeugten Schalls bestimmt wird; durch Resonanz des Telephon-
gehäuses wird letztere vermehrt. Da aber die Excursion eines mitschwin-
gendenden Körpers derjenigen der erregenden Ursache proportional ist,
so werden wir bei Abstufung des von dem Telephon erzeugten Schalls und
bei Berechnung seiner Intensität ledighch die Schwingungsweite des Dia-
phragmas in Betracht zu ziehen brauchen. Der Vollständigkeit halber
wäre noch zu erwähnen, dass auch ein der Platte beraubtes Telephon,
durch dessen Spule ein periodisch unterbrochener Strom circulirt, einen
Ton erklingen lässt, welcher nach Ansicht von du MonceP durch mole-
culare Veränderungen innerhalb des Magnetkerns zu Stande kommt. Dieser
Ton aber ist im Verhältniss zu dem durch die Bewegung des Diaphragmas
erzeugten so ausserordentlich schwach, dass er dem letzteren gegenüber ver-
nachlässigt werden kann.
Was nun die Beziehung zwischen der Grösse der in dem Empfangs-
telephon auftretenden Stromschwankungen und der Schwingungsamplitude
seines Diaphragmas anlangt, so kann ich mich, wie vorhin bemerkt, der von
Wodtke diesbezüglich gegebenen Ableitung nicht anschliessen, da ja nach
dieser die Anziehungskraft eines Elektromagnetes der Stärke des ihn um-
kreisenden Stroms direct proportional sein soll, während sie thatsächlich
dem Quadrat derselben proportional ist.^ Ausserdem aber bin ich im
Zweifel, ob wir das eben angeführte Gesetz, welches sich auf die Anziehung
eines frei beweglichen Ankers durch einen Elektromagnet bezieht, ohne
Weiteres auch auf das Telephon anwenden dürfen, in welchem der Magnet
nicht auf eine völlig frei bewegliche, sondern auf eine rings am Bande
fixirte, nur in den mittleren Theilen schwingungsfähige Platte einwirkt.
In diesem Falle dürften meiner Ansicht nach Vorgänge stattfinden, auf
welche wir die Gesetze des Mitschwingens übertragen können. Die letzteren
sind von v. Helmholtz unter specieller Berücksichtigung eines dem uns-
rigen vollständig analogen Falls, nämlich für das Mitschwingen einer
(magnetisirten) Stimmgabel unter Einwirkung eines periodisch unterbrochenen,
einen Eisenkern umkreisenden galvanischen Strom entwickelt worden. In
seiner „Lehre von den Tonempßndungen^^, Braunschweig 18 '7 7 (Beilage IX
und X) giebt \. Helmholtz für die Bewegung einer elastischen Masse m,
welche durch eine äussere periodische Kraft von der Grösse ^sinn^ er-
schüttert wird, folgende Gleichung:
_ ^
^ _ ^^m^ gi^ .f_ £) + i/e ^ sin j- i/a^w-Vi*"' + c \
h^ n ^ \m ' ^ J
wo X die Elongation der mitschwingenden Masse m zur Zeit t,
^ Th. du Moncel, Sur la theorie du telephone. Comptes rendus. 1878. p. 557.
^ Dub, Der Elektromacfnet Ismus. Berlin 1861. S. 133.
Über HößPRüruNG und Bestimmung der Hörschwelle. 205
A die Amplitude der periodischen Ursache des Mitschwingens, n die
Zahl der Schwingungen in der Zeiteinheit,
— a-' der Elasticitätscoefficient der Masse m, d. h. die elastische Kraft
derselben bei der Elongation 1,
— b'^ der Dämpfungscoefficient der Masse m, d. h. die dämpfende
Kraft, welche auf die Masse m wirkt, wenn diese die Ge-
schwindigkeit 1 besitzt,
£ eine von a, b, m, n abhängige Grösse,
e die Basis des natürlichen Logarithmensysteüas, B und c andere Con-
stanten sind.
^,Das mit B multiplicirte Glied in der Gleichung ist nur im Anfange der
Bewegung von Einfluss; wegen des Factors e ™ wird es bei wachsender
Zeit t immer kleiner und kleiner, so dass es schliesslich verschwindet."
Also werden wir unter Vernachlässigung des genannten Gliedes setzen
können :
^ sin 6 • , , ^
X = -TT, — sm [nt — £),
d. h. die mitschwingende Masse m macht pendelartige Schwingungen von
gleicher Dauer wie die erregende Ursache, deren Amplitude = -p — -,
d. h. der Amplitude Ä der periodischen Ursache des Mitschwingens pro-
portional ist. In unserem Falle entspricht den in Mitschwingung versetzten
Zinken der Stimmgabel das Diaphragma des Empfangstelephons, während
die periodisch wirkende Ursache in den Schwankungen der magnetischen
Kraft zu suchen ist, welche durch die in der Spule des Empfangstelephons
circulirenden Ströme in den Eisenmassen desselben hervorgerufen werden.
Da sich nun die Intensität eines elektrischen Stroms durch Einschal-
tung von Leitungswiderständen in exacter Weise abstufen lässt, so besitzen
wir in dem Telephon einen Apparat, mit dessen Hülfe der von mir ange-
strebte Zweck, zur Bestimmung der Hörschwelle Ohrenkranker Töne von
messbar zu variirender Stärke herzustellen, erreicht werden kann.
Wenn wir unter den zahlreichen Anordnungen, welche hier möglich
sind, eine Auswahl treffen sollen, so kommen zunächst folgende zwei Ge-
sichtspunkte in Betracht. Einmal muss die Breite, innerhalb welcher sich
die Intensität der von dem Telephon erzeugten Töne verändern lässt,
möglichst gross sein, damit sowohl für das normale wie auch für das sehr
schwerhörige Ohr die Empfindungsschwelle ermittelt werden kann. Sodann
werden wir unter den im Uebrigen gleichwerthigen Verfahren dasjenige
bevorzugen, bei welchem die Berechnung der jedesmal angewandten Strom-
stärke resp. Tonintensität aus den eingeschalteten Bheostatenwiderständen
und den Constanten des Apparats die einfachste ist. Was nun ferner die
206
L. Jacobson:
Verfahrungsvveisen anlangt, um die Platte des Empfangstelephons in perio-
dische Schwingungen zu versetzen, so haben die Autoren, welche sich bis-
her mit diesem Gegenstande beschäftigten, immer nur solche Anordnungen
benutzt, bei welchen im Telephon nicht ein einfacher Ton, sondern nur ein
aus verschiedenen Partialtönen zusammengesetzter Klang entstehen konnte.
Ist nämlich das Telephon in den Kreis einer Kette eingeschaltet, welcher
durch eine selbstthätige Unter brechungsgabel oder -feder abwechselnd ge-
schlossen und geöffnet wird, so muss in der seinen Eisenkern umgebenden
Spule eine Stromschwankung auftreten, welche, graphisch dargestellt, etwa
die in Fig. 1 a skizzirte Gestalt hat, bei der sich also die Intensität des
Stroms plötzlich von Null zu einem constanten Werth erhebt, um, nach-
dem sie diesen eine Zeit lang beibehalten hat, wieder ebenso plötzlich auf
Null herabzusinken u. s. v,\, während Stromschwankungen, welche einen ein-
fachen Ton erzeugen sollen, die Form einer Sinuscurve, wie etwa die in
Pig. 1 b gezeichnete haben müssten.
Fig. 1 a. Pig. Ib
Ist aber das Telephon mit der secundären Spirale eines luductoriums
verbunden, durch dessen primäre Rolle ein auf die oben angegebene Art
rhythmisch unterbrochener Strom circulirt, so zeigen die in dem Telephon
auftretenden Stromschwankungen, wie ein Blick auf die in E. du Bois-
Reymond's^ Abhandlung über den zeitMchen Verlauf voltaelektrischer
Inductionsströme gezeichneten Figuren lehrt, gleichfalls eine von der Sinus-
curve ausserordentlich verschiedene Gestalt.
Wollen wir uns nicht damit begnügen, in dem zur Untersuchung der
Kranken dienenden Empfangstelephon Klänge zu erzeugen, welche aus
mehreren Partialtönen zusammengesetzt sind, — und aus den in der Ein-
leitung angegebenen Gründen dürfte dieses gerechtfertigt erscheinen, — so
müssen wir Anordnungen aufzufinden suchen, bei welchen in der Spule
desselben pendelartige Stromschwankungen zu Stande kommen. Zu diesem
Ende brauchen wir nur zwei Fernsprecher mit einander zu verbinden und
auf das Diaphragma des Aufgabeapparats einfache Töne einwirken zu lassen,
welche, wie aus den von E. du Bois-Reymond- und v. Helmholtz"^
^ E. du Bois-Eey mond. Gesammelte Äbhandlimgen zur allgemeinen Muslcel-
und Nervenphysik. Leipzig 1875. Bd. I. IX. S. 228—257.
^ E. du Bois-Reymond, Verhandlungen der physiologischen Gesellschaft zu
Berlin. 30. November 1877 und Zur Theorie des Telephons. Dies Archiv. 1877.
S. 582.
^ H. V. Helmholtz, Telephon und Klangfarbe. WieäemaiMi's Annalen. 1878.
V. S. 448.
Übek Hökprüfung und Bestimmung der Hörschwelle. 207
gegebenen Entwickelungeu über die Theorie des Telephons hervorgeht, als
einfache Töne gleicher Höhe von dem Empfangsapparat dem Ohr des
Hörers übermittelt werden. Nach v. Helmholtz lassen sich einfache
Töne zunächst durch Anblasen weiter gedackter Orgelpfeifen oder auch
bauchiger Glasflaschen hervorrufen ; um jedoch hierdurch Töne von constanter
Intensität zu erhalten, würden wir eines Gebläses bedürfen, welches stets
einen gleichmässig starken Luftstrom erzeugt. Hierin aber liegt eine so grosse
Schwierigkeit für die technische Ausführung, dass es zweckmässig erscheint,
von einer derartigen Einrichtung gänzlich abzusehen. Es bliebe uns nun
noch eine andere Möglichkeit, einfache Töne von constanter Stärke zu er-
zeugen, indem wir Stimmgabeln, mit den entsprechenden Resonatoren
versehen, entweder wie es v. Helmholtz bei seinen berühmten Versuchen
über Zusammensetzung der Vocalklänge gethan hat, auf elektromagnetischem
"Wege in continuirlich anhaltende, gleichmässig starke Schwingungen ver-
setzen, oder indem wir sie durch eine mechanische Vorrichtung mit jedes-
mal gleicher Kraft anschlagen, in welch letzterem Ealle wir einen immer
mit derselben Stärke anhebenden, allmählich ausklingenden Ton erhalten.
Mit noch geringeren Mitteln lassen sich einfache oder wenigstens nahezu
einfache Töne erzeugen, wenn wir, anstatt Resonatoren zu benutzen, die
Zinken der Stimmgabeln an ihren freien Enden mit Klemmen versehen,
wie es von Politzer^ beschrieben worden ist. Befestigen wir eine der-
artig eingerichtete Gabel in solcher Weise vor dem Aufgabetelephon, dass
das freie Ende der einen Zinke der Mitte des Diaphragmas zugekehrt ist,
sich von demselben in möglichst geringem Abstand befindet und zu der
Ebene des Diaphragmas senkrecht schwingt, so erhalten wir bei Erregung
der Gabel in dem Empfangstelephon einen Ton von ziemlich geringer
Intensität. Wir steigern die letztere um ein Bedeutendes, indem wir die
Platte des Aufgabeapparates entfernen und die Gabel in gleicher Stellung
wie vorhin dem Magnete entsprechend nähern. Eine noch grössere Wir-
kung wird erzielt, wenn sich die Zinken der Gabel zwischen den Polen
eines hufeisenförmigen Telephonmagnetes befinden. Eine derartige Anord-
nung ist in Fig. 1, 2 und 3 (Tafel III) gegeben. Dieselben stellen einen
Apparat dar, wie er mir zum Zweck der geplanten exacten Hörprüfung
geeignet zu sein scheint.
Auf einem Grundbrett Ä ist mittels der massiven Säule £ die Stimm-
gabel C befestigt. An derselben Säule £ ist eine Anschlagsvorrichtung für
die Gabel angebracht. Dieselbe besteht aus einem Hammer I), dessen
Stiel aus zwei Theilen zusammengesetzt ist, aus dem starren Theil a und
^ Politzer, Beiträge zu den Hörprüfungen mittels der Stimmgabel. Wiener
medicinische Presse. 1870. Nr. 13.
208 L. Jacobson:
dem etwas federnden h. Der letztere trägt den aus Elfenbein bestehenden
Klöppel c. Der Hammer ist um eine Axe d drehbar und wird durch die
Spiralfeder e gegen den Anschlag / gezogen. Um dieselbe Axe d ist ein
Mitnehmerstück g drehbar, welches heruntergedrückt den Hammer in die
Höhe hebt, dagegen in die Höhe gehoben den Hammer in seiner Ruhe-
lage verbleiben lässt. Dieses Mitnehmerstück g kann durch die Druck-
stange ^, an welcher sich die Nase h befindet, heruntergedrückt, und so
der Hammer gehoben werden. Erreicht die Nase h eine bestimmte Tiefe,
so gleitet sie an dem Mitnehmerstück g vorbei, der Hammer wird aus-
gelöst und durch die Feder gegen den Anschlag / geschnellt; der federnde
Theil des Hammerstiels h mit dem an ihm befestigten Klöppel c wird hier-
bei bis zum Anschlag der Gabel weitergeschleudert. Die Stärke des An-
schlags ist abhängig von der Hubhöhe des Hammers, von der Stärke der
Feder e und der Federkraft des Theiles h. Diese drei Grössen können
leicht constant hergestellt werden. Damit die Gabel welche sich bei einem
dem ersten Anschlage rasch folgenden zweiten vielleicht noch in Vibration
befindet, vorher zunächst gedämpft wird, ist mit dem Hammerstiel fest
verbunden eine Fortsetzung nach unten ii^ welche an ihrem freien Ende
ein Filzkissen k trägt. Letzteres wird, unmittelbar bevor der • Hammer zur
höchsten Höhe gehoben ist, gegen die untere Zinke der Gabel sanft an-
gedrückt. Damit aber auch der federnde Theil des Hammerstiels unmittel-
bar vor der Auslösung nicht mehr schwingen kann, legt sich auch der
Klöppel des Hammers, kurz bevor derselbe seine höchste Stellung erreicht
hat, gegen ein zweites beliebig befestigtes Filzkissen Z. Auf dem Grund-
brett A ist ferner ein permanenter Hufeisenmagnet FF befestigt, dessen
Pole die aus weichem Eisen bestehenden Polschuhe G und G' tragen;
letztere sind von den hinter einander geschalteten mit dem Empfangs-
telephon verbundenen Inductionsrollen H und H' umgeben. Die Zinken
der Gabel stehen den Polschuhen G G' möglichst nahe gegenüber. Damit
auf das zu untersuchende Ohr nur der in dem Empfangstelephon ent-
stehende, nicht aber der den Stimmgabeln selbst angehörende Ton ein-
wirken kann, muss sich der Aufgabeapparat in einem anderen Zimmer
oder wenigstens in hinreichender Entfernung von jenem oder endlich in
einem genügend schalldichten Gehäuse befinden. Der Anschlag der Gabel
wird daher zweckmässig auf pneumatischem Wege herbeigeführt. Zu diesem
Ende befindet sich über der Druckstange F ein Gummibalg /, von welchem
aus ein beliebig langes Gummi- oder Bleirohr zu einer Druckbirne K führt.
Sobald letztere zusammengedrückt wird, dehnt sich der Gummibalg / aus
und stösst die Druckstange F herunter, wodurch zunächst die Dämpfung
der Gabel durch das Filzkissen ä, die Beruhigung des Hammers durch
das Filzkissen / und alsdann der einmalige Anschlag der Gabel C erfolgt.
Über Höeprüfung und Bestimmung der Hörschwelle. 209
Die Druckstange E wird hiernach durch die Spiralfeder m in ihre ur-
sprüngliche Lage zurückgebracht, wobei die Nase h an dem Mitnehmer-
stück g vorbeigleiten kann, ohne dass der Hammer hierdurch in seiner
Bewegung beeinflusst wird. — Um mehrere Gabeln mittels einer Druck-
birne K auslösen zu können, ist ein kleines Windkästchen L angebracht,
in welches einerseits der von der Birne K kommende Gummischlauch,
andrerseits die von den Gummibälgen der einzelnen Gabeln herkommenden
Blei- und Gummiröhren einmünden. Diese letzteren sind einzeln durch
Hähne abschliessbar, sodass man die durch Compression von K entstehende
Luftverdichtung nur nach der jedesmal auszulösenden Gabel hinleiten kann.
Um ferner dasselbe Empfangstelephon für verschiedene Aufgabeapparate
benutzen zu können und hierdurch Töne verschiedener Höhe zu erhalten,
wird ein Commutator eingeschaltet, mit dessen Kurbel ein von dem
Empfangstelephon kommender Draht verbunden ist, während zu seinen
Contactstücken je ein Draht von dem Aufgabeapparat hinführt. Die zweiten
Drähte der letzteren sind sämmtlich mit einem Leitungsdraht verbunden,
welcher zur anderen Klemmschraube des Empfangstelephons hinführt.
Der beim Anschlag der Gabel im Empfangstelephon entstehende Ton
kann in seiner Stärke durch Veränderung eines in Nebenschliessung be-
findlichen ßheostatenwiderstandes variirt werden, so dass sich eine Anord-
nung ergiebt, wie sie schematisch in Fig. 3 (Taf. IH) dargestellt ist.
Um zu ermitteln, in welcher Weise die Schwankungen der im Em-
pfangstelephon wirkenden Stromintensität von den eingeschalteten Rheo-
statenwiderständen abhängen, müssen wir auf die elektromagnetische Theorie
des Telephons, wie sie von E. du Bois-ßeymond, v. Helmholtz und
Er. Weber entwickelt ist, näher eingehen. Eine verhältnissmässig einfache
Zusammenstellung der von den genannten Autoren gewonnenen Resultate
findet sich in Wiedemann's ^^ Lehre von der Mektricität", 3. Aufl.,
Bd. IV, S. 288 0". Aus derselben ist zu entnehmen, dass wenn sich Auf-
gabe- und Empfangstelephon in demselben Stromkreise befinden^ eine An-
ordnung, die sich von der in Fig. 3 (Taf. ID) gegebenen nur durch das
Fehlen der Nebenschliessung unterscheidet, die elektromotorische Kraft
in der Spule des Empfangstelephons durch folgende Gleichung gegeben ist:
wo Wq den Widerstand des ganzen Kreises, / die in demselben herrschende
Stromintensität, P das Potential der magnetischen Massen des Aufgabe-
telephons auf den Kreis, Q^ das Potential des Kreises auf sich selbst, t die
Zeit bedeutet.
Archiv f, A. u. Ph. 1888. Physiol. Abthlg. 14
210 L. Jacobson:
Das elektromagnetische Potential P schwankt um eine einfache perio-
dische Function der Zeit und lässt sich daher schreiben
P= Pq-^ Ä sin 2 71 nt
Der Gleichung (I) genügt als Werth von /
J = Cq sin (2 7t nt -{■ a),
wo die Amplitude der Stromschwankung
C, = ^ (II)
w
Nach V. Helmholtz^ ist bei den gebräuchlichen Telephonen -y
höchstens = 40, sodass bei einer Schwingungszahl w = 128
^^V)'= 0-0024737= circa^
ZTmOlo) 400
und bei grösseren Schwingungszahlen noch viel kleiner wird, daher gegen
1 zu vernachlässigen ist. Alsdann wird die Amplitude
«0 = 1; d«)
d. h. = dem Yerhältniss der Amphtude der Schwankungen des magnetischen
Potentials A zum Potential Q^ des Kreises auf sich selbst.
Auf unsere in Fig. 3 (Taf. III) skizzirte Anordnung sind die eben an-
geführten Beziehungen nicht ohne Weiteres anwendbar. Die für dieselbe
gültigen Gleichungen lassen sich indessen leicht in folgender Weise ent-
wickeln. In Fig. 3 (Taf. III) können wir drei Theile der Stombahn unter-
scheiden :
1, die Spirale des Aufgabetelephons und ihre Verbindungsdrähte mit
dem Rheostaten,
2, die Spirale des Empfangstelephons und ihre Verbindungsdrähte mit
dem Rheostaten,
3, den Rheostaten.
Die diese Theile zur Zeit t durchfliessenden Ströme haben beziehungs-
weise die Intensitäten i^ , i^ , i^ ; die Widerstände seien in 1 und 2 einander
gleich und = w, der Rheostatenwiderstand = w^ , die Potentiale jeder der
beiden Spiralen auf sich selbst seien = Q, die in 1 und 2 auftretenden elektro-
motorischen Kräfte beziehentlich U^ und JE^.
Alsdann gelten nach den Kirchhoff'schen Gesetzen über Stromver-
zweigung und nach den Inductionsgesetzen folgende fünf Gleichungen:
^ H. V. Helmholtz, Telephon und Klangfarbe. Wiedemann's Annalen. 1878.
V. S. 452.
Über Höepeüfung und Bestimmung der Höeschwelle. 211
i^lO + 2*3 Zug = E^
dt dt
•^1 = ^
^2=-
Qdi
dt
P kann wie früher geschrieben werden
F = Pq-\- Ä sin 2iint.
Aus den Gleichungen (1) bis (5) ergiebt sich ferner leicht:
dt
(1)
(2)
(3)
(4)
(5)
(6)
eine Gleichung, die für [i^ — i^ genau dieselbe Lösung zulässt, wie sie
aus Gleichung (I) für / gewonnen wurde, d. h. es ist
i^ — i^ = C sai [2 71 nt -\- a) (7)
^ (8)
C' =
Q]/
1 +
2nnQ,
Sodann folgt aus (1), (3) und (5):
h ^3 + h (^ + ^^3) = —Q
dij
dt
und mit Rücksicht auf (7) erhalten wir:
di
Q-^ + i^[w ■\- 2 lü^) = — Cw^sm {2 7int + a)
Der Gleichung (9) genügt
i^ = C sin {2 71 nt -{• ß)
(9)
sobald
oder
C=C"
27tnQ
V
1 +
w + 2ws
2nn Q
C =
Äw,
27inQ^
1/
1 +
W + 2 W3\2
2nnQ
1 +
(10)
2nnQJ
seiner Kleinheit
Hier kann nach v. Helmholtz das Glied i^r^-p^
\2 7in Q,
wegen vernachlässigt werden. Legen wir für dasselbe unter Annahme
einer niedrigen Schwingungszahl {n — \ 28) den vorhin berechneten Werth
0*0024737 zu Grunde, so ergiebt sich, wenn wir den Rheostatenwiderstand
tüg bis zur Grenze ic anwachsen lassen, dass der Ausdruck
1
1/
[1 4- f ^ VI
•
r fw + 2w,yi
^ '^[2nnQj
[^ + [2nnQl \
u*
212 L.Jacobson: Übee Hörprüfung und Bestimmung der Hörschwelle.
ebenfalls = 1 angenommen werden darf, wenn eine Vernachlässigung des
Zehnfachen von 0-002 4737, also von etwa ^40^ gegen 1 noch gestattet ist.
Für die Zwecke der Hörprüfung ist dieses keinem Zweifel unterworfen, ja
es würde sogar eine Steigerung 'des w.^ bis auf den doppelten Telephon-
widerstand w noch erlaubt sein, wobei gegen 1 das 25 fache von 0-002 4737,
d. h. etwa Vie ? unberücksichtigt bliebe. Hieraus nämhch würde eine Un-
genauigkeit von höchstens 3*07 °/o des Amplitudenwerths sich ergeben; bei
nur wenig höheren Stimmgabeltönen stellt sich bereits ein unvergleichlich
günstigeres Verhältniss heraus.
Können wir nun aber in Gleichung (10) ohne grosse Ungenauigkeit
den unter dem Wurzelzeichen befindlichen Ausdruck als constant gleich
Eins annehmen, so ergiebt sich die resultirende Amplitude der im Empfangs-
telephon auftretenden Stromschwankungen
C = const. Wy
Da nun die letztere nach dem oben Ausgeführten als Maass für die
Schwingungsweite des Diaphragma betrachtet, ihr Quadrat also der Inten-
sität des auf das zu untersuchende Ohr einwirkenden Tons proportional ge-
setzt werden kann, so ist die Bestimmung der Hörschärfe mit Hülfe meines
Apparates eine ausserordentlich einfache. Die Hörschärfe steht nämlich
in umgekehrtem Verhältniss zu dem Quadrat desjenigen Rheo-
statenwiderstandes, der in die Nebenschliessung einzuschalten
ist, damit gerade die Schwellenempfindung für den betreffen-
den Ton zu Stande kommt.
lieber zusammengesetzte Muskelzuckungen.
Von
Max von Frey.
(Aus dem physiologischen Institut zu Leipzig.)
Dem Versuche, die tetanische Bewegung im Muskel in ihre Bestand-
theile aufzulösen, stellen sich mannigfaltige Schwierigkeiten entgegen, als
deren vornehmste es anzusehen ist, dass in der Regel keines der veränder-
lichen Elemente, aus welchen der Vorgang entstanden gedacht werden
muss, für sich allein und unabhängig von den anderen in Erscheinung
tritt. In der Erfahrung, dass der Theil des Vorganges, welcher als Sum-
mation der Zuckungen bekannt ist, unter gewissen Bedingungen unter-
drückt werden kann, ^ musste daher eine Aufforderung zu neuen Versuchen
erblickt werden, weil sich erwarten liess, dass nach Ausschaltung dieser
Componente die Zusammensetzung der Zuckungen sich wesentlich ein-
facher gestalten würde. Zugleich erschien es wünschenswerth, die Be-
dingungen, unter welchen jene Vereinfachung gelingt, genauer als es bis-
her geschehen war, kennen zu lernen, insbesondere zu untersuchen, welche
Bedeutung dem zeitlichen Abstand der Reize hierbei zuzumessen ist.
Lässt man unter Versuchsbedingungen, welche den Muskel befähigen
bei äusserst geringer Spannung seine Verkürzung aufzuzeichnen, zwei
momentane Reize auf ihn einwirken, deren zeitlicher Abstand veränderlich,
aber kleiner ist als die sogen. Zuckungsdauer, so erhält man zusammen-
gesetzte oder Doppelzuckungen, welche von den bisher bekannten Formen
verschiedentlich abweichen und daher im Folgenden genauer beschrieben
werden sollen.
^ Versuche zur Auflösung der tetanischen Muskelcurve. Festschrift für C. Lud-
wig. Leipzig 1887. S. 61. — Dies Archiv, 1887. S. 195.
214 Max von Feey:
Wie bei den früheren Versuchen über die Frage wurde auch hier die
Auslösung der Reize von der bewegten Fläche bewirkt, auf welcher die
Muskelzuckungen registrirt werden sollten. Zu dem Ende wurden auf die
stählerne Welle einer B alt zar' sehen Trommel zwei Contactdaumen aufge-
klemmt, von welchen der eine feststand, der andere um die Welle als Achse
gedreht werden konnte. Die Einstellung des beweglichen Daumens geschah
durch eine feine Schraube und der Winkelabstand beider Daumen konnte
an einem Maassstab mit Nonius bis auf halbe Grade abgelesen werden.
Die Winkelgeschwindigkeit der Trommel war 64^ in der Secunde. Ein
Abstand der beiden Daumen von einem halben Grade entsprach also einem
Eeizintervall von nicht ganz 0-008 Secunde, die zugehörige Bogenlänge
für den Trommelradius war • 7 =™. Die Reize waren stets maximale
Oeffnungsschläge. Nachdem durch Vorversuche festgestellt war, dass die
Ergebnisse dieselben waren, mochten die beiden Reize gleichläufig oder
gegenläufig sein, so wurden in der Folge nur gleichgerichtete Reize ver-
wendet. Als Versuchsthiere dienten Frösche und Kröten. Die Muskeln
wurden stets curarisirt; denn es kann nicht bezweifelt werden, dass durch
Belassung der Nerven im Reizkreise dem Versuche neue Variabein zu-
wachsen. Hrn. Charles J. Martin, Kings College, London, bin ich zu
Dank verpflichtet für die Hülfe, die er mir bei einer Anzahl Versuche ge-
leistet hat.
1. Verkürzungscurven.
Fig. 1 zeigt eine systematische Folge von Doppelzuckungen, herrührend
von dem Gastrocnemius eines Frosches. Die Figur ist wie alle späteren
von links nach rechts zu lesen. Der Versuch beginnt mit den untersten
Zuckungen, also mit dem grössten Intervall, und schreitet nach oben zu
immer kleineren Intervallen fort. Die Zahlen , welche zu den Abscissen
geschrieben sind, bezeichnen den Abstand der beiden Reize in Bogengraden
des Trommelumfanges:
1 = 10= 1.4"^'" = 0-016 See.
2 = 2" = 2.8'^i^ = 0-032 See. u. s. f.
Die Originalcurven sind photographisch auf das Doppelte vergrössert.
Die Ordinaten der Figur stellen also das achtfache der wirklichen Ver-
kürzungen dar, wenn man berücksichtigt, dass der Muskelhebel selbst schon
die Bewegung in vierfacher Vergrösserung aufschrieb. Der Hebel wurde
sehr leicht gemacht, er belastete den Muskel mit 0-225^'"; das Trägheits-
moment des Hebels wurde möglichst vermindert. Es ist bei solcher An-
ordnung kaum zu vermeiden, dass der Muskel bei der Zuckung schlenkert;
Über zusammengesetzte Muskelzucküngen.
215
daher kommt die wellige Kräuselung der Curven, welche im Uebrigen als
isotonische angesprochen werden müssen.
Richtet man die Aufmerksamkeit auf die Gipfelhöhen der zusammen-
gesetzten Zuckungen, so lässt sich deren Abhängigkeit vom Reizintervall
Fig. 1.
Verkürzungscurven eines Gastrocneinius. Der zweite Reiz folgt dem ersten in wech-
selndem Abstand. Zweifache Vergrösserung der Originaltafel.
und ihr Verhältnis zu den Gipfelhöhen der einfachen Zuckung übersicht-
lich darstellen durch die Curven der Fig. 2, welche ich als die abgelei-
teten Curven bezeichnen will. Hier sind die Reizabstände (in Bogen-
graden) als Abscissen, die maximalen Verkürzungswerthe als Ordinaten auf-
getragen und zwar stellt Curve I + 11 die Gipfelhöhen der zusammen-
gesetzten Zuckungen dar. Hierbei ist zu beachten, dass jedesmal, wenn
das Reizintervall grösser wird als die Dauer des Zuckungsanstieges (also
grösser als 4 in Fig. 1) die zusammengetzte Curve zwei Gipfel besitzt, von
welchen der erste gleich ist dem Gipfel der einfachen, von dem Reiz I aus-
gelösten Zuckung. In all diesen Fällen ist in die Curve I + II der Fig. 2 die
Höhe des zweiten Gipfels, die des ersten dagegen in Curve I eingetragen.
Die Curve u endlich giebt die Lage der Umkehrpunkte, d. h. derjenigen
Stellen, in welchen die zusammengesetzte Zuckung unter einem deutlichen
Knick die Spur der einfachen verlässt. Die Curve u giebt also eine ungefähre Vor-
216
Max von Feet:
Stellung von der Höhe, in welcher der in Zuckung I begriffene Muskel von dem
Reize II getroffen wird. Sie lässt erkennen, dass bei dem Reizabstand 4 der
Reiz auf dem Gipfel der Zuckung I einsetzt, wie dies übrigens auch aus der
Betrachtung der Fig. 1 ohne weiteres ersichtlich ist. Man bemerkt, dass
in diesem Beispiele die zusammengesetzte Zuckung stets höher ist als die
einfache, und dass die höchsten Gipfel erreicht werden, wenn der zweite
Reiz in den Zuckungsanstieg fällt. Während dieser Periode ist die ab-
geleitete Curve concav zur Abscissenaxe, sie wird convex zu derselben und
nähert sich ihr für alle grösseren Intervalle; der Wendepunkt entspricht
dem Intervall 4.
Fig. 2.
Curven, welche aus dem in Fig. 1 dar-
gestellten Versuche abgeleitet sind (s. Text).
Fig. 3.
Weitere abgeleitete Curven desselben Mus-
kels (2. III. 87).
Diese Form der abgeleiteten Curve I + II ist charakteristisch und findet
sich bei allen frischen Muskeln wieder. Im Laufe des Versuches ändert sich
zunächst ihre Lage in Bezug auf Curve I und später auch ihre Form, wie
sofort gezeigt werden soll.
Von demselben Muskel, von welchem die Figg. 1 und 2 herrühren,
wurden im Ganzen 12 solcher Zuckungreihen aufgeschrieben, welche mit
den Buchstaben a bis m bezeichnet sein mögen; es wurde bald von den
grossen Intervallen zu den kleinen, bald umgekehrt fortgeschritten. In
Fig. 3 sind die zu den Reihen c, e und g gehörigen abgeleiteten Curven I + 11
Übee zusammengesetzte Muskelzuckungen.
217
in ein gemeinschaftliches Coordinatensystem eingetragen. Die Gipfel der
einfachen Zuckungen hielten sich mit geringen Abweichungen auf einer
Höhe von 11 "i", welche durch einen horizontalen Strich angemerkt ist,
während die ausgezogene Ordinate den zeitlichen Abstand des Gipfels von
dem Reizmoment ^ = o bemerklich macht. Ohne die Form wesentlich zu
ändern, nähern sich die abgeleiteten Curven mehr und mehr der Abscissen-
axe, in Reihe g soweit, dass für das Reizintervall 6 der Gipfel der zu-
sammengesetzten Zuckung unter den der einfachen herabgeht. Fährt man
mit dem Versuche fort bis der Muskel deutlich ermüdet, so zeigt sich ein
neuer Wechsel, welcher durch Fig. 4
illustrirt wird. Dieselbe stammt von
einem anderen Gastrocnemius , welcher
im Ganzen 14 Reihen schrieb und stellt
dar die abgeleiteten Curven I + II
der Reihen /, ä und m. Die Curven I
sind weggelassen um die Figur nicht
zu verwirren; aus dem Abstände der
drei Curven von der Abcissenaxe für
das Reizintervall o lässt sich übrigens
die Höhe der Einzelzuckung und ihre
zunehmende Ermüdung deutlich ab-
lesen. Dieselbe wurde beschleunigt
durch Tetani, welche zwischen die
Zuckungsreihen eingeschoben wurden.
Die Gipfel der einfachen Zuckungen
liegen bei Intervall 4 bez. 5. Man
bemerkt, dass neben der Verkleine-
rung sämmtlicher Ordinaten eine Ab-
flachung der Krümmungen bis zum Verlust der charakteristischen Form
eintritt, so dass schliesslich für fast alle Intervalle die zusammengesetzte
Zuckung dieselbe, von der einfachen Zuckung nur wenig abweichende Gipfel-
höhe aufweist.
Es liegt nahe die Verflachung der Curve zu beziehen auf die geringe
Geschwindigkeit, mit welcher im ermüdeten Muskel die Erregungswelle
fortgeleitet wird. Ist diese Geschwindigkeit nicht verschwindend klein im
Verhältniss zu dem Erregungsablauf an der einzelnen Muskelscheibe, so
wird im Moment des zweiten Reizes jeder Querschnitt in einem anderen
Zustand sich befinden. Die Verkürzungscurve, welche der Muskel ver-
zeichnet, kann dann nicht mehr angesehen werden, als eine vergrösserte
Darstellung der Vorgänge an der einzelnen Scheibe, sie wird vielmehr die
Veränderung des Mittelwerthes der Verkürzung über sämmtliche Scheiben
Fig. 4.
Abgeleitete Curven eines anderen Mus-
kels (28. IL 87).
218 Max von Feey:
zum Ausdruck bringen. Da ferner keine Erfahrung bekannt ist, welche
zu der Annahme zwingt, dass bei der Ermüdung der Umfang der Con-
traction und die Geschwindigkeit der Fortpflanzung gleichzeitig und pro-
portional abnehmen, so wird man in dem Verhalten verschiedener Muskeln
eine grosse Mannigfaltigkeit erwarten müssen. Dass unter solchen Um-
ständen für die Analyse der Bewegung grosse Schwierigkeiten entstehen
und viele feinere Unterschiede überdeckt und verwischt werden müssen,
braucht gar nicht weiter ausgeführt zu werden. Der Nachtheil, welcher
dadurch für die graphische Methode entsteht, kann vermieden werden,
wenn man statt der Verkürzung des ganzen Muskels die Verdickung einer
oder doch nur weniger Scheiben aufschreiben lässt.
Es wurde daher in allen folgenden Versuchen der Muskel horizontal
auf einen Korkstreifen gelegt und mit einem Stäbchen soweit zusammen-
geschoben, dass er bei der Zuckung sich nicht mehr verkürzte. Dies lässt
sich am Gastrocnemius wegen seines festen Sehnengerüstes nicht gut aus-
führen, leicht aber am Gracilis, Semimembranosus oder Sartorius, welche
Muskeln sich weiter noch dadurch empfehlen, dass sie entweder in ihrer
ganzen Länge oder doch an einem ihrer Enden aus annähernd parallelen
Fasern bestehen. Dieses Ende wurde dann zur Kathode beider Reize ge-
macht und wenige Millimeter von ihm entfernt ein Strohhalm derart über
den Muskel gelegt, dass die Verdickung des berührten Querschnittes in
vierfacher Vergrösserung auf der Trommel verzeichnet werden konnte. Der
Hebel beschwerte den Muskel mit O-IS^'"; auf die genau quere Lagerung
desselben muss besondere Sorgfalt verwendet werden.
2, Yerdickungscurven.
Die Zusammensetzung der Zuckungen liefert im Grunde dieselben
Bilder wie früher bei den Verkürzungen, wenigstens was den frischen
Muskel betrifft. Fig. 5 stellt in übersichtlicher "Weise die Wirkung der
Doppelreize auf einen curarisirten Gracilis dar. Die Originaltafel wurde erst
auf photographischem Wege vierfach linear vergrössert und hierauf die den
Reizintervallen 2, 4, 6, 8 und 10 (0«03 — 0.16 See.) entsprechenden Ver-
dickungscurven übereinander gezeichnet. Alle diese Curven verfolgen natür-
lich bis zum Eintreffen des zweiten Reizes die Spur der einfachen Curve;
sie verlassen dann dieselbe und erheben sich zum Gipfel der zusammen-
gesetzten Zuckung. Dieselbe ist wie früher am höchsten, wenn der zweite
Reiz in das aufsteigende Stück der ersten Zuckung trifft; fällt er in den
absteigenden Theil so wird sie niedriger als die einfache Zuckung; erst bei
dem Reizintervall 10 sind die beiden Gipfel annähernd gleich hoch. So
Über zusammengesetzte Muskelzückungen.
219
deutlich wie hier ist die Depression am frischen Muskel nur ausnahmsweise
zu finden. In der Regel sind zu Beginn des Versuches sämmtliche zu-
sammengesetzte Zuckungen erhöht und erst später treten Depressionen auf.
Fig. 5.
Zusammensetzung von Verdickungscurveu eines Gracilis (24. V. 87) durch Doppelreize
in wechselndem Abstand. Die Curven sind auf eine gemeinschaftliche Abscisse bezogen.
Als Beispiel diene Fig. 6, welche die Reihen h und/ eines anderen Versuches
(13. VII. 87) in abgeleiteten Curven darstellt. Hier bedeutet wie früher Curvel+ II
die Gipfelhöhen der zusammengesetzten
Zuckungen für die an der Abscisse an-
geschriebenen Reizintervalle; Curve II
die Gipfelhöhen der Zuckung II, welche
stets 20 See. vor dem Doppelschlag ge-
prüft wurde; endlich Curve A die Aus-
gangshöhen d. h. die Höhe, in wel-
cher die Zuckung I von dem Reize II
getroffen wird. Um die Punkte der
letzten Curve zu erhalten wurde nach
jedem Doppelschlag die Trommel noch-
mals langsam an den Contacten vor-
übergeführt und dadurch die Lage der
Reizmomente festgestellt. Aus Fig. 7
(zweifach vergrösserte Copie einer Ori-
ginaltafel) lassen sich die Einzelheiten
des Verfahrens leicht erkennen. Die
Gesammtheit der Punkte a in Fig. 6
giebt gleichzeitig eine A'^orstellung von
dem Verlauf der Zuckung I, wobei allerdings zu berücksichtigen ist , dass
jede Ordinate einer anderen Einzelzuckung entnommen ist.
Aus Fig. 7 lässt sich sofort ablesen, dass in der Regel der Gipfel der
zusammengesetzten Zuckung dem Gipfel der einfachen Zuckung II voraus-
Fig. 6.
Zwei Versuchsreihen von einem Gracilis
(13. VII. 87) dargestellt in abgeleiteten
Curven. Verdickungen.
220 Max von Feet:
eilt. Auf diese zeitliche Abweichung soll indessen erst weiter unten die
Sprache kommen. Hier möchte ich fortfahren in der Schilderung der ab-
normen Gipfelhöhen zu deren lUustrirung ich in Fig. 8 noch die weiteren
Ergebnisse des Versuches 21. VII. 87 in abgeleiteten Curven beifüge, dar-
stellend die Zuckungsreihen a, c, e und g desselben Gracilis.
Fig. 7.
Verdickungscurven eines Gracilis (Versuclisreihe d vom 21. VII. 87). Der zweite Eeiz
folgt dem ersten in wechselndem Abstand. Zweifache Vergrösserung der Originaltafel.
Diese Versuche zeigen übereinstimmend folgendes:
Die Curve I + II nähert sich mit fortschreitender Ermüdung stetig
der Abscissenaxe und zwar rascher als Curve II. Sie zerfällt daher bald
in einen erhöhten oder übernormalen und in einen erniedrigten oder unter
normalen Theil. Letzterer wächst beständig auf Kosten des ersteren,
und erstreckt sich z, B. in der Keihe g Fig. 8 von dem Reizintervall 3 -5^
= 0«054 See. bis über 50^ = 0-775 See. also weit über die Zuckungsdauer
hinaus. Nur die allerkleinsten Intervalle geben zusammengesetzte Zuckungen,
deren Höhe die einfache Zuckung um ein Weniges übertrifft. Der erste
Wendepunkt der abgeleiteten Curve wird dabei nicht merklich verschoben.
Die aufgezählten Versuchsergebnisse lehren zunächst, dass sich am un-
gespannten Muskel durch Doppelreize Verkürzungen erzielen lassen, welche
Über zusammengesetzte Muskelzuckungen.
221
die Höhe der einfachen Zuckung übertreffen und daher als Summationen
"bezeichnet werden können. Man wird aber dann sagen müssen, dass die
Summation hier nach ganz anderen Regeln verläuft als am belasteten
Muskel und da sich ferner zeigen lässt, dass die übernormalen Höhen, die
Fig. 8.
Vier Versuchsreihen desselben Gracilis (21. VII. 87) in abgeleiteten Curven.
der unbelastete Muskel ersteigt aus verschiedenen Stücken aufgebaut sein
müssen, so bleibt nur die Wahl entweder verschiedene Arten von Summa-
tionen anzunehmen oder den Ausdruck zu beschränken auf eine ganz be-
stimmte Form der Zusammensetzung. Den letzteren Ausweg habe ich mir
.222 Max von Frey:
erlaubt in Vorschlag zu bringen \ indem ich als Summation nur jene Art
der Uebereinanderlagerung der Zuckungen bezeichnete, welche den Vergleich
mit der Unterstützung zulässt, weil für beide Erscheinungen die Regel von
Helmholtz mit grosser Uebereinstimmung zutrifft.^
Ich habe demgemäss bei der Schilderung der vorliegenden Versuche
den Ausdruck „Summation" ganz vermieden und nur von Zusammensetzungen
gesprochen, um jeder Voraussetzung auszuweichen. Aus den Figg. 2—6 und 8
lässt sich eben ohne Weiteres entnehmen, dass es sich hier nicht allein um
übernormale, sondern auch um unternormale Zuckungshöhen handelt und
dass dieselben nicht in einfacher Weise abhängig sind von der Ausgangs-
lage, sondern vielmehr von der Richtung, von welcher her der Muskel in
dieselbe eintritt.
Ueberlegt man, durch welche Einflüsse die zweite Zuckung in ihrer
Entwickelung bald gefördert, bald gehemmt werden kann, so wird man
sich der Erfahrungen erinnern, welche durch das Studium der Zuckungs-
reihe und des Tetanus bisher gewonnen worden sind und welche nähere
Bestimmungen enthalten über die Art, wie jede Muskelzuckung von der
vorhergehenden abhängt. Es ist bekannt, dass unter Umständen die nach-
folgende Zuckung gefördert wird, so dass sie höher wird als die voraus-
gegangene und zwar tritt die Zunahme auf in zwei verschiedenen Formen:
als Contractur und als Treppe. Diese beiden Vorgänge haben nichts
miteinander gemein, denn sie können unabhängig von einander auftreten
und sie gehorchen, wieBohr^ gezeigt hat, verschiedenen Gesetzen. Ebenso
sind zwei Aenderungen im Muskel bekannt, deren Wirkung unter anderem
dahin geht, die nachfolgende Zuckung herabzudrücken; nämlich die Ermü-
dung und jenes Absinken der Zuckungshöhe, welches einzutreten pflegt,
wenn das Reizintervall plötzlich verkleinert wird. Die Erscheinung ist auch
unter dem Namen der Erholung, sowie als Einleitende Zuckungen^ be-
schrieben worden.
Es lässt sich zunächst zeigen, dass die Treppe nur sehr wenig beitragen
kann zu den Resultaten der vorliegenden Versuche. Die in regelmässigen
Zeitabständen wiederkehrenden Prüfungen des zweiten Reizes für sich allein
Hessen die als Treppe beschriebene Zunahme der Zuckungshöhen jedesmal
deutlich erkennen. So wuchs in dem Versuche 14. VI. a im Verlaufe von
42 Reizungen die Zuckungshöhe von 3-40 auf 3- 70°^°% in dem A^ersuche
14. VI. b während ebensovieler Reizungen von 3-30 auf 3-85; in 20. VI. a
1 Dies Archiv, 1887.
^ In Betreff gewisser Ausnahmen siehe „ Versuche zur Ati/lösung" u. s. w.
3 Dies Archiv, 1882. S. 233.
* Buckmaster, dies Archiv, 1886. S. 462.
Über zusammengesetzte Muskelzücküngen. 223
von 3-00 auf 3 »60. Die Zunahme beträgt also pro Reiz im Mittel wenig
mehr als ein Hundertel eines Millimeters. Die Höhen, um welche dagegen
in den vorliegenden Versuchen die zusammengesetzte Zuckung die einfache
übertreffen kann sind mehr als das Hundertfache dieses Werthes. Sie
können demzufolge nicht aus der Erscheinung des treppenartigen Wachs-
thums der Zuckungen erklärt werden, man müsste dann annehmen wollen,
dass bei den kleinen Reizintervallen, welche zur Zusammensetzung der
Zuckungen nöthig sind, die Treppe entsprechend wirksamer werde. Dieser
Erklärungsversuch kann aber widerlegt werden auf Grund von Vergleichen
zwischen Zuckungstreppe und Tetanuscurve, welche ich bei einer anderen
Gelegenheit ausgeführt habe^ und welche ergaben, dass der Höhenzuwachs
für den einzelnen Reiz in beiden Eällen ungefähr derselbe ist. Z. B.
Zuwachs in Millimetern.
Zuckungsreihe. Tetanus.
Versuch 76.
10.— 20. Reiz
0-95
1.07
20.— 80. Reiz
0-80
0-78
Versuch 80.
10.— 20. Reiz
0.95
0-78
20.-30. Reiz
0-51
0.34
Dasselbe Resultat ergiebt die Vergleichung von Tetanis verschiedener
Frequenz, aber gleicher Reizstärke, welche sich unter Benutzung der Ver-
suchsdaten von Bohr ausführen lässt. Man findet, dass die Höhenzunahme
der Curve für die Einheit des Reizes (nicht der Zeit!) nicht wächst, wenn
das Intervall abnimmt.
Genau so wie sich zeigen lässt, dass die Erhebung der zusammen-
gesetzten Curve über die einfache nicht als eine Wirkung der Treppe an-
gesehen werden kann, so lässt sich der Beweis erbringen, dass die eigen-
thümlichen Hemmungen, welche bei gewissen Reizintervallen bemerklich
werden, nicht als Ermüdungserscheinung gelten können. Der Ermüdungs-
abfall der Einzelzuckungen Hess sich in den vorliegenden Versuchen eben-
falls stets deutlich verfolgen. Er betrug z. B. im Versuch 21. VIT. g
0-95^'^ in 48 Zuckungen oder im Mittel 0.02°^°' pro Reiz. Dass diese
Höhendifferenz der Ermüdungsreihe, wie Kronecker^ sie nennt, nicht
grösser wird, wenn man zu tetanischen Reizfrequenzen übergeht, lehrt der
folgende Versuch. Ein mit 6^™ gespannter Muskel schrieb zuerst eine
Zuckungsreihe von 1 • 6 See. Reizintervall und hierauf einen Tetanus von
. 1 See. Reizintervall. Letzteres ist das Intervall, bei welchem ich in der Regel
die grössten Depressionen gefunden habe. Der einzelne Reiz hatte in beiden
Versuche u. s, w. S. 62.
Ärheiten aus der physiologischen Anstalt zu Leipzig. 1871. S. 204.
224 Max von Feet:
Fällen gleiche Stärke. Der Ermüdungsabfall der (fünffach vergrösserten)
Zuckungen (Verkürzungen) betrug über eine Strecke von 250 Reizungen im
Mittel = 0'04™™ pro Reiz; der Abfall der tetanischen Curve innerhalb
einer Strecke, die 250 Reizen entsprach, nach Abzug der Contractur, im
Mittel ■ 035 ""^ pro Reiz. Die Differenz des Ermüdungsreihe pro Reiz
ist sogar im Tetanus noch etwas kleiner als in der Zuckungsreihe, was
unseren Vorstellungen über den Stoffverbrauch im Tetanus nicht wider-
spricht.
Die Ermüdung wird also, wenn sie sich überhaupt bemerklich macht,
wohl eine Differenz zu Ungunsten der zusammengesetzten Zuckung hervor-
rufen können, aber niemals eine so beträchtliche Hemmung der zweiten
Zuckung, wie sie thatsächlich beobachtet wird.
Es bleibt somit nur noch zu betrachten, inwieweit die Contractur und
die sog. einleitenden Zuckungen an der Erscheinung betheiligt sein mögen.
Ich habe schon früher gezeigt, dass am unbelasteten Muskel die Zuckungs-
gipfel durch die Contractur emporgetrieben werden können, unter gleich-
zeitiger Hebung der Ausgangslage. ^ Man wird es daher auch in den vor-
liegenden Versuchen als Contractur auffassen müssen, wenn eine erste
Zuckungscurve nur sehr träge gegen die Abscissenaxe zurückkehrt und eine
zweite nachfolgende Zuckung, von einem gleichstarken Reiz ausgelöst, einen
Zuwachs zur Gipfelhöhe bemerken lässt.
Wenn ferner der Zuwachs, den die zweite Zuckung für ein gegebenes
Reizintervall erfährt, im Laufe des Versuches stetig abnimmt, wie ich dies
an einer Anzahl von Beispielen der vorliegenden Abhandlung zeigen konnte,
so steht dies im Einklang mit der wohlbekannten Erfahrung, dass die Con-
tractur am frischen Muskel am stärksten ausgebildet zu sein pflegt. Da
es endlich als sichergestellt betrachtet werden kann, dass sich die Contractur
bei tetanischer Reizung weit stärker entwickelt, als in der Zuckungsreihe,
also die Annahme berechtigt ist, dass die Erscheinung innerhalb gewisser
Grenzen um so deutlicher auftritt, je kleiner das Intervall wird, so Hesse
sich verstehen, warum die zusammengesetzten Zuckungen im Allgemeinen
mit der Annäherung der beiden Reize wachsen. Freilich ist die Erhebung
der zusammengesetzten Zuckung für die günstigsten Reizintervalle so be-
deutend (50 ^Iq und mehr der einfachen Zuckung), dass es Bedenken erregt,
ihre Erklärung aus der Contractur allein unternehmen zu wollen. Dass sie
jedoch an der Erscheinung betheiligt ist, wird nach den angestellten Er-
örterungen zugegeben werden müssen.
Aehnliches lässt sich aussagen, von den sogen, einleitenden Zuckungen,
welche die Anpassung oder Einstellung der Muskelarbeit auf ein be-
Bies Archiv, 1887.
Über zusammengesetzte Muskelzückungen. 225
stimmtes Reizintervall bedeuten, wofür ich an anderen Orten Beispiele ge-
geben habe. Die Zuckungshöhe, die durch einen Reiz ausgelöst werden
kann ist eben, abgesehen von allen anderen Variationen, abhängig von dem
zeitlichen Abstand der vorausgegangenen Reize und zwar nimmt sie mit
demselben zu. Es ist von Wichtigkeit, dass der eben ausgesprochene Satz
auch für das Herz gilt, GaskelP äussert sich darüber folgendermaassen :
It must always be borne in niind, that the force of the contraction of the
cardiac muscle, . . . varies inversely as the rate of the contractions up to
of course a certain limit. The normal rate of heart beat .... is quicker
than the rate at which the maximum contractions would be produced. In
consequence, any slowing of the ihjthm will necessarily of itself produce
contractions of greater strength than the normal, and any increase of rate
will diminish the force of the contractions in due proportion.
Den Vorgang als Erholung zu bezeichnen kann nicht zweckmässig ge-
nannt werden. Eine Erholung setzt nach dem Sprachgebrauch eine Er-
müdung voraus; dieselbe ist aber gar nicht nothwendig um die Erscheinung
hervorzurufen. Sie lässt sich beobachten am Skeletmuskel während dessen
Zuckungen treppenartig wachsen und ebenso an dem unermüdet fort-
schlagenden Herzen.
In den vorliegenden Versuchen ist ein Wechsel der Ruhepausen da-
durch gegeben, dass auf die Einzelreizungen in Abständen von 20 See.
die Doppelschläge mit wechselndem, aber stets viel kürzerem Intervalle
folgten. Entsprechend der raschen Folge der Reize ist ein Absinken der
zweiten Zuckung zu erwarten, welche um so deutlicher in die Erschei-
nung treten wird, je weniger sie durch die entgegengesetzte Wirkung
der Contractur verdeckt wird. Mit dem Zurückgehen der Contractur im
Laufe des Versuches wird die Anpassung an das Reizintervall immer
stärker hervortreten. Besonders deutlich zeigt sich dies in Versuch Fig. 8,
dessen abgeleitete Curve I + II schliesslich für alle Reizintervalle, welche
grösser sind als ü-05 See, unter die Höhe der einfachen Curve herab-
sinkt.
Somit wären in der Contractur und in der Anpassung der Muskel-
leistung an das Reizinterall zwei Ursachen gefunden, welche bald eine Er-
höhung, bald eine Erniedrigung der zusammengesetzten Zuckung bewirken
werden und zwar viel ausgiebiger, als dies durch Treppe und Ermüdung
geschehen könnte. Trotzdem kann mit guten Gründen bezweifelt werden,
da3s sie genügen, um die gegenwärtigen Versuchsresultate zu erklären.
Auf der einen Seite findet man am frischen Muskel, bei stark ent-
wickelter Contractur, tiefe, selbst unter das Niveau der einfachen Zuckung
^ The Journal of Physiology. Vol. IV. p. 89.
Archiv f. A. u. Ph. 1888. Thysiol. Abthlg. 15
226 Max von Feey:
herabgehende Depressionen, wenn der zweite Reiz im absteigenden Theil
der Zuckung I einfällt (Fig. 2, 3 u. 4); auf der anderen Seite treten bei
den kleineren Intervallen Erhebungen selbst dann noch ein, wenn der
Muskel aufs Aeusserste erschöpft und die Contractur bis auf Spuren ver-
schwunden ist. Warum hier niemals Depressionen auftreten, warum die
Zusammensetzung der Zuckungen stets den grössten Erfolg giebt, wenn
der zweite Reiz zusammenfällt mit dem Wendepunkt der isotonischen
Muskelcurve und stets den kleinsten, wenn der Reiz 11 zusammenfällt mit
dem zweiten Wendepunkt, d. h. mit jenen Zeiten, in welchen die ver-
kürzenden und lösenden Kräfte die rascheste Entwickelung zeigen — das
liesse sich nur verstehen auf Grund besonderer Annahmen über die Er-
scheinungsweise der Contractur, sowie des Anpassungsvermögens für ver-
schiedene Reizintervalle, Annahmen, durch welche die Abhängigkeit dieser
beiden Variablen von dem Zuckungsablauf im Muskel näher bestimmt
würde. Die Frage, ob es sich aber nur um eine eigenthümliche Form der
Abhängigkeit und nicht vielmehr um die Einführung neuer Variablen
handelt, muss vorläufig offen bleiben. Es lässt sich vorstellen, dass die
durch zwei Reize hervorgerufenen Antriebe zur Umformung im Muskel
sich in jedem Augenblicke algebraisch summiren, so dass die Beschleu-
nigung der normalen Bewegung bald positiv, bald negativ werden kann.
Dies würde ein Vorgang sein, welcher mit der Interferenz von Wellenzügen
eine gewisse Aehnlichkeit besitzt und welcher daher als eine Interferenz
der Zuckungen (nicht der Reize) bezeichnet werden könnte. Eine Ent-
scheidung kann jedenfalls erst durch weitere Versuche, namenthch durch
ein genaueres Studium der Contractur erzielt werden.
Die hier beschriebenen Erscheinungen sind früheren Untersuchern nicht
ganz entgangen. Doch verfügte man bisher über kein Verfahren, um sie als
regelmässige Vorkommnisse zu erhalten. Nach SewalP ergiebt für gleiche
Ausgangslagen die Summation im aufsteigenden Theil der Zuckung stets grössere
Verkürzungen , als die Summation im absteigenden Theil. Dasselbe finden
Kronecker und HalP und sie bemerken, dass zuweilen bei der Sunimirung
im absteigenden Theil „von höheren Ausgangspunkten kleinere Zuckungs-
maxima erreicht werden, als von niedrigeren; es kann sogar die Maximalhöhe
der summirten Zuckung kleiner bleiben, als die Maximalhöhe einfacher
Zuckung" (S. 24). Der letztere Fall tritt namentlich bei Ermüdung auf
(S. 33). Nun habe ich gezeigt,^ dass eine Hebung der Ausgangslage den
Zuckungsgipfftl des belasteten Muskels um so weniger emportreibt, je stärker
The Journal of Physiology. Vol. II. p. 164.
Dies Archiv, 1879. Suppl.-Bd. S. 26.
Versuche u. s. w. S. 59.
ÜBEL' ZUSAMMENGESETZTE MuSKELZüCKüNGEN. 227
die Ermüdung ist. Der ermüdete belastete Muskel verhält sich in dieser
Hinsicht ähnlich wie der unbelastete Muskel, so dass eine Ueberein-
stimmung der Summationserscheinungen verständlich wird.
III. Der zeitliche Verlauf der zusammengesetzten Zuckung.
Die Messung der maximalen Verkürzungswerthe giebt noch keine aus-
reichende Vorstellung von den Erscheinungen, welche bei Doppelreizen
auftreten, weil auch der zeitliche Verlauf der zusammengesetzten Zuckung
von dem normalen abweicht, wie bereits oben erwähnt wurde. Die Aende-
rungen des Verkürzungswerthes und der Verkürzungsgeschwindigkeit hängen
aber zweifellos innig zusammen und es geschieht nur der besseren Ueber-
sicht wegen, wenn die letzteren erst hier zur Sprache kommen.
Bei isotonischen Verkürzungen, wie sie in den vorliegenden Versuchen
ausschliesslich zur Darstellung kamen, lässt sich die Geschwindigkeit, mit
welcher die Zuckung verläuft, nicht durch die sog. Zuckungsdauer messen,
weil es bisher an einem Mittel fehlt, diesen Werth zuverlässig zu bestimmen.
Zur Beurtheilung des zeitlichen Verhaltens können nur in Betracht kommen
die Abstände gewisser ausgezeichneter Punkte der Curve von dem Reiz-
momente. Im Folgenden werden ausschliesslich die Zeiten zwischen Reiz
und Zuckungsgipfel verglichen und als Anstiegsdauer bezeichnet werden.
Diese Zeit ändert sich bekanntlich bei der einfachen Muskelzuckung
mit der Ermüdung; die Zunahme geschieht indessen so allmählich, dass sie
von einem Reiz zum anderen kaum merklich ist, so lange das Reizintervall
constant bleibt. Wird dasselbe geändert, so ändert sich auch die Anstiegs-
dauer und zwar wird sie grösser bei Verkürzung des Intervalls (voraus-
gesetzt, dass keine Zusammensetzung der Zuckungen stattfindet) und um-
gekehrt. Diese Veränderung ist ebenso wie die Anpassung der Zuckungs-
höhe an das Reizintervali am deutlichsten, wenn der Muskel schon erheb-
lich ermüdet ist. Als Beispiel mögen einige Werthe aus Versuch 28.11
dienen.
Reihe h:
Intervall
Dauer des
Zuckungs-Anstieges
20-0 See.
6 • ""'^ des Trommel-Umfanges
0.25 „
6.4
20.0 „
6-0
0-45 „
6.7
20-0 „
6.2
1.40 „
6.3
15*
Max
VON
Peey
Intervall
Dau
20.
.0
See.
.25
20-
■ 45
20.
.0
1,
.40
228
Reihe k:
Dauer des Zuckungs-Anstieges
7-6'
8-0
7-3
8-1
7-3
8.0
Die Wirkung in dem erwarteten Sinne ist hier am deutlichsten bei
dem Intervall von etwa ^2 ^^^' ^^^ 1^/2 ^^^- ^^sst sie nach, während
anderseits bei dem Intervall von ^^ See. die Zuckungen sich bereits so
nahe rücken, dass neue Einflüsse wirken, welche sofort besprochen werden
sollen.
Die Streckung der Anstiegsdauer in Folge der Ermüdung und ebenso
in Folge einer Verkleinerung des Reizintervalls findet sich auch bei den
Verdiekungscurven, aber in geringerem Grade. Ich will hier nur erwähnen,
dass eine Verlängerung des Anstieges um 30 Procent der unermüdeten
Zuckung nur selten überschritten, zuweilen nicht einmal erreicht wird,
während bei den Verkürzungscurven die Anstiegszeit auf das Doppelte
ihres ursprünglichen Werthes gedehnt werden kann. Wäre es bei der
Aufsehreibung der Verdiekungscurven mögheh, den Schreibhebel genau
quer über die Fasern zu brücken oder die Verdickung nur einer Seheibe
zu verzeichnen, so würde die Differenz voraussichthch noch grösser werden.
Im Grunde kann diese Beobachtung nicht Wunder nehmen, da ja
erwiesen ist, dass die Strekung der Verkürzungscurve bei der Ermüdung
mindestens zu einem Theile beruht auf der verlangsamten Fortpflanzung
der Erregung entlang der Faser. Wie gross der Antheil ist, welcher ent-
fällt auf den verlangsamten Ablauf der Umformung innerhalb einer Muskel-
scheibe, lässt sich gegenwärtig nicht sagen. Aus den obigen Angaben wird
es nur wahrscheinlich, dass die beiden Veränderungen nicht proportional
stattfinden. Es möge hier daran erinnert werden, dass Lee^ die den beiden
ableitenden Elektroden entsprechenden Componenten der elektrischen Er-
regungswelle zwar deutlich gegen einander sich verschieben sah, eine
Streckung der einzelnen Componente in Folge der Ermüdung aber nicht
nachweisen konnte.
Wird das Reizintervall so klein, dass die Zuckungen deutlich ver-
schmelzen, so wird die Anstiegszeit verkürzt, der Gipfel der zusammen-
gesetzten Zuckung erscheint verfrüht gegen den einer einfachen. Auf
* Dies Archiv, 1887. S. 214.
Übee zusammengesetzte Muskelzuckungen.
229
diese Veifrühungeu der unterstützten sowohl wie der summirten Zuckung
hat V. Kries^ zuerst hingewiesen. Dass sie sich auch hier noch findet,
wo bei mangelnder Spannung eine Summation der Verkürzungswerthe im
Sinne von Helmholtz nicht mehr stattfindet, beweist, dass diese beiden
Aenderuugen nicht nothwendig zusammengehören.
Die Messung der Anstiegszeiten einfacher sowohl wie zusammenge-
setzter Zuckungen bei allen Versuchen mit Muskelverdickung haben nun
stets die kleinsten Werthe dann ergeben, wenn der zweite Reiz auf dem
Gipfel der Zuckung I einfiel. Umgekehrt sind für sehr kleine Ausgangs-
Fig. 9 a. Fig. 9 b.
Curven, welche die Abhängigkeit der Dauer des Zuckungsanstieges von der Ausgangs
läge darstellen. Aus zwei Versuchsreihen an einem Gracilis (11. VII. 87). Verdickungen.
höhen die Anstiegszeiten nicht merklich von den normalen verschieden.
Dieselben müssen somit als eine Function der Ausgangslage betrachtet
werden. Die Form der Abhängigkeit wird sich am besten aus der graphi-
schen Darstellung der Messungen entnehmen lassen von welchen in Figg. 9
und 10 Beispiele aus den Versuchen 11. VII und 21. VII ausgewählt
sind. In denselben sind die Anstiegszeiten als Abscissen, die zugehörigen
Ausgangslagen als Ordinaten eingetragen, unter zehnfacher Vergrösserung
aller Maasse der Originaltafeln. Jedes Millimeter der Abscisse entspricht
dann ziemlich genau 0-001 Secunde. Von den beiden Ordinaten, welche
in den Endpunkten jeder Abscissenlinie errichtet sind, bedeutet die linke
stets den Eintritt des Reizes II. In Folge des vorausgegangenen Reizes I
1 Dies Archiv, 1880. S. 370; — Berichte der naturforschenden Gesellschaft zu
Freiburg i. B. 1886. Bd. II. Hft. 2.
230
Max von Feey:
befindet sich der Muskel in diesem Momente bald in der Ruhelage, welche
durch die Abscissenlinie dargestellt wird, bald in verschiedenen Höhen über
Fig. 10 a.
Fiff. 10 b
Fig. 10 d. Fig. 10 g.
Curven derselben Art wie Fig. 9. Gracilis (21. VII. 87)
derselben, welche sämmtlich in der linken Ordinate zu suchen sind. Wür-
den nun diese verschiedenen Ausgangslagen auf die Dauer des Zuckungs-
Übek zusammengesetzte Muskelzuckungen. 231
Anstieges keinen Einfluss haben, so müssten sämmtliche zusammengesetzten
Zuckungsgipfel in der rechten Ordinate zusammenfallen, welche um die
normale Anstiegsdauer von der linken entfernt ist. Thatsächlich sind sie
alle dem Keizmomente näher gerückt, also verfrüht und die verkürzte An-
stiegsdauer ist von der zugehörigen Ausgangslage aus nach rechts, parallel
zur Abscisse aufgetragen. So war z. B. in Fig. 9 a der maximale Verkürzungs-
werth der (einfachen) Zuckung I = 49 ™™. Der auf dem Gipfel einfallende
Reiz II brachte ein neues Ansteigen zu einem (um 4« 5™™) höher liegen-
den Gipfel hervor, welcher aber nicht in der normalen Zeit von • 038 See,
sondern schon nach 0'021 See. erreicht wurde: Verfrühung = 0-017 See.
= 44-77o- ^ür alle Zusammensetzungen im aufsteigenden Theil der
Zuckung hat die Curve der Verfrühungen eine Begleithnie. Die Reihen-
folge der Reizungen ist durch Pfeile gekennzeichnet.
Aus den hier reproducirten Curven ergeben sich, ebenso wie aus allen
übrigen, folgende Sätze:
1. Die Yerfrühung ist am grössten, wenn Reiz II auf dem Gipfel der
Zuckung I einsetzt; die Anstiegszeit beträgt dann 60 — 70^0 der normalen.
Im Laufe des Versuches wird das Verhältniss noch kleiner, so dass eine
Anstiegszeit, welche nur die Hälfte des normalen beträgt, am ermüdeten
Muskel nicht selten ist.
2. Am frischen Muskel ist die Verfrühung eine annähernd lineare
Function des Verkürzungswerthes, auf welchem der in Zuckung I begriffene
Muskel von dem Reize II getroffen wird. Diese Function ist unabhängig
vom Reizintervall, denn die Verfrühung ist nahezu identisch für je zwei
gleiche Verkürzungswerthe, von welchen der eine im aufsteigenden, der
andere im absteigenden Theile der Zuckung I sich befindet. Berücksichtigt
man jedoch, dass die Zusammensetzungen im absteigenden Theile stets ge-
ringere Verkürzungswerthe ergeben, so ist bei gleicher Anstiegszeit die
mittlere Verkürzungsgeschwindigkeit im letzteren Falle kleiner. Z. B. aus
Fig. 9 a:
Ausgangslage 32>»°i.
a. Zusammensetzung im aufsteigenden Theil.
Gipfelhöhe der zusammengesetzten Zuckung =61 ""^^
Anstiegsdauer =0-027 See.
Mittlere Verkürzungsgeschwindigkeit = "T" = 1074 ™'
0-027 See,
ß. Zusammensetzung im absteigenden Theil.
Gipfelhöhe der zusammengesetzten Zuckung = 43 - 5 "^"i
Anstiegsdauer = 0-0285 See.
Mittlere Verkürzungsgeschwindigkeit = ' ~ = 403 ^^
232 Max von Feey:
3. Am ermüdeten Muskel behält die Curve für alle Zusammensetzungen
im aufsteigenden Theil ihren gradlinigen Verlauf bei. Dagegen wird für
die Zusammensetzungen im absteigenden Theil die Verfrühung relativ ge-
ringer, zuweilen sogar absolut, so zwar, dass (für gleiche Ausgangslagen)
die Gipfel, wenn auch noch immer früher als normal, so doch später ein-
treten als zu Beginn des Versuchs. Der betreffende Schenkel der Curve
verläuft dann nicht mehr gradlinig, sondern mit einer nach rechts (gegen
die normale Anstiegszeit) gerichteten Convexität, da für sehr niedrige Aus-
gangslagen auch die Verfrühungen verschwinden. Vgl. Fig. 9 b, Fig. 10 d u. g.
Es ist gewiss bedeutungsvoll, dass diese relative Verzögerung genau zu-
sammenfällt mit der Depression der Zuckungsgipfel unter die normale Höhe,
wodurch ungewöhnlich kleine mittlere Verkürzungsgeschwindigkeiten ent-
stehen, z. B. Fig. 10 g.
Ausgangslage 15-5"™.
Gipfel der Zusammengesetzen Zuckung . =17-0™'»
Anstiegsdauer = 0-0435 See.
Mittlere Verkürzungsgeschwindigkeit ^ ttto^ = 34 -c,-^
° ^ ^ 0'0435 See.
Dagegen :
Gipfel der einfachen Zuckung . . . . =24-5 "™
Anstiegsdauer = 0-0485 See.
24-5 Mm
Mittlere Verkürzungsgeschwindigkeit qttt-q-^ = 505
9-0485 See.
Von einem Verständniss der verwickelten Erscheinungen kann gegen-
wärtig nur in sehr beschränktem Maasse die Rede sein. Da der unge-
spannte Muskel, wenn er auf dem Gipfel einer Zuckung von einem zweiten
Reiz getroffen wird, sich nur wenig mehr contrahiren kann, so ist begreif-
lich, dass die neue viel geringfügigere Umformung auch in kürzerer Zeit
ausgeführt werden kann. Wird dagegen z. B. durch die Contractur der
zweite Gipfel noch weiter gehoben, so wäre für diesen grösseren Weg ein
gewisser Zeitverlust zu erwarten und es wäre zu verstehen, warum zu Be-
ginn der Versuche, wo immer Contracturen in grösserem oder geringerem
Betrage vorhanden sind, die Verfrühungen nicht so ansehnlich ausfallen
wie später. Wenn endlich am ermüdeten Muskel die Anstiegszeiten wieder
zunehmen für alle Zusammensetzungen im absteigenden Theil der Zuckung
und damit eine bedeutende Verzögerung des Verkürzungsvorganges einher-
geht, so kann darin eine weitere Stütze erblickt werden für die Ansicht,
dass der zweite Reiz den Process der Erschlaffung nicht einfach unterbricht,
sondern dass nun zwei einander entgegengesetzte Autriebe in Wettstreit
Üeeii zusammengesetzte Muskelzuckungen. 233
kommen, iu welchem allerdings, soweit die Erfahrung reicht, die ver-
kürzenden Kräfte stets den Sieg gewinnen, aber doch auch nicht voll zur
Geltung kommen können. Darin würde ein neuer Beweis liegen, dass die
Erschlaffung des Muskels -mehr sein muss, als die ledighch von äusseren
Kräften abhängige Zurückführung in die Ruhelage. In der That lehrt die
Betrachtung des absteigenden Astes der isotonischen Zuckungslinie, welche
durchaus keine Fallcurve ist, dass die jeweihge Länge des erschlaffenden
Muskels durch Vorgänge in seinem Inneren in gesetzmässiger Weise be-
stimmt wird, so dass er allen Einwirkungen, welche ihm eine andere
Länge zuweisen wollen, Widerstand entgegenzusetzen vermag. Das Ver-
halten des auf Quecksilber hegenden Muskels kann nicht als G-egenbeweis
angeführt werden. Wie die Aufschreibung der Verdickungscurven lehrt
findet in einem Muskel, welcher seine Länge bei der Reizung nicht ändert,
noch immer ein Wechsel der Form statt, indem er seinen elliptischen,
von oben- nach unten flach gedrückten Querschnitt umgestaltet in einen
mehr kreisförmigen.
Es liegt nahe, die Hemmung, welche die Zuckung des Skeletmuskels
durch eine unmittelbar vorausgehende erfahren kann, in Beziehung zu
setzen mit jener Stumpfheit gegen Reize, welche nach Bowditch,^ Marey,^
Dastre,^ Hildebrand und Loven^ das Froschherz in gewissen Perioden
seiner Thätigkeit zeigt. Der Vergleich stösst allerdings auf Schwierigkeiten,
welche zum Theil beruhen auf dem abweichenden (nicht isotonischen) Ver-
fahren die Bewegungen des Herzens aufzuschreiben. Namentüch muss
aber der Umstand, dass das Herz auch nervöse Apparate enthält zur Vor-
sicht mahnen, welche durch den grossen Einfluss den die Wahl der Reiz-
stellen hat (Loven) genügend begründet erscheint. Immerhin wird man
die für die Kammer sowohl, wie für den Vorhof geltende Erfahrung, dass
jeder künstliche, in die regelmässige Schlagfolge des Herzens herein-
brechende Reiz entweder einfach ausgelöscht wird oder doch keinen vollen
Erfolg giebt, nicht mehr als eine ausschliesslich nervöse Erscheinung auf-
fassen dürfen. Dieselbe als verminderte Erregbarkeit zu beschreiben würde
dann wenig zutreffend sein, weil am curarisirten Skeletmuskel die Hem-
mungen auch beobachtet werden, wenn die Reize über die maximale Stärke
wachsen. Nun wird allerdings angegeben, dass sich die Stumpfheit des
Herzmuskels durch Steigerung der Reize überwinden lässt. Man kann
aber fragen, ob dies nicht gleichbedeutend ist mit der Ausbreitung der
^ Arbeiten aus der -physiologisclien Anstalt zu Leipzig. 1871. S. 149.
^ Travaux du Lahoratoire. II. 1876.
^ Recherches sur les lois de Vactivite du Coeur. Paris, Bailliere 1872.
* MittTieilungen vom physiologischen Laboratorium zu Stochholm, 1886. Hft. 4.
234 Max von Fkey: Über zusammengesetzte Muskelzuckungen.
Reize auf gewisse bevorzugte Stellen des Organs, welche, wie Loven ge-
zeigt hat, zu jeder Zeit überzählige Contractionen auszulösen im Stande sind.
Die zusammengesetzten Zuckungen, zu welchen der ungespannte Skelet-
muskel durch zwei rasch sich folgende gleiche Reize veranlasst wird, sind
sowohl ihrem Umfange als ihrem zeitlichen Ablaufe nach, von vier, wahr-
scheinlich aber von fünf verschiedenen Vorgängen im Inneren des Muskels
abhängig, welche je nach der Jahreszeit, der vorausgegangenen Arbeits-
leistung des Muskels und dem Reizintervall den Erfolg in wechselnder
Weise bestimmen. Wird der Muskel irgend beträchthchen Spannungen
ausgesetzt, so dass seine Ruhelänge die natürliche mehr oder weniger über-
trifft, so gesellen sich noch die Erscheinungen der gegenseitigen Unter-
stützung oder der Summation der Zuckungen hinzu, durch welche die Ver-
kürzung wiederum sowohl dem Betrage als der zeitlichen Entwickelung nach
beeinflusst wird. Es ist daher nicht verwunderlich, dass für die Ergebnisse
der Summationsversuche eine feste Regel bisher nicht aufgestellt werden
konnte.
Der Rinfiuss des Luftdruckes auf die Circulation.
Vou
Dr. G. V. Liebig.
(Hierzn Taf. IV u. V.)
Ein Einfluss des Luftdruckes auf die Circulation wurde zuerst unter
vermindertem Luftdrucke von Saussure beobachtet, als er bei Gelegenheit
seiner Besteigung des Mont Blanc 1787 auf dem Gipfel des Berges Puls-
zählungen vornahm. Er fand dort in der Ruhe eine bedeutende Vermeh-
rung der Pulsfrequenz, und ähnliche Erfahrungen, die später Gaj-Lussac
und nach ihm noch andere im Luftballon machten, reihten sich im gleichen
Sinne an. In der neueren Zeit ist die Beobachtung Saussure 's von ärzt-
lichen Forschern, Lortet, Calberla, Mermod in wissenschafthcher Weise
wiederholt und bestätigt worden, wobei die Mittheilungen der beiden erst-
genannten eine Zunahme der Beschleunigung mit der Höhe erkennen lassen.
Dieser Pulsbeschleunigung steht unter dem erhöhten Luftdrucke eine
Abnahme der Frequenz gegenüber, welche den Aerzten in der raschen Be-
ruhigung und oft starken Herabsetzung des Pulses in der pneumatischen
Kammer, bei Kranken und geschwächten Personen zuerst auffiel. Auch in
den eisernen Luftschachten, in welchen bei Wasserbauten die Luft ver-
dichtet wird, um das Wasser zu verdrängen, wurde sie beobachtet. PoP
fand unter einem Drucke von 2 '45 Atmosphaeren an sich selbst eine
Verlangsamung von seiner gewöhnlichen Frequenz, von 70, auf 55 Schläge,
und bei Herstellung des gewöhnlichen Luftdruckes nahm die Frequenz
wieder zu. Pol giebt die Beobachtungen, welche er an sich machte, als
* Memoire sur les effets de la compression de l'air par MM. B. Pol, Ex-chirargien
etc., et T. J. J. Wa teile, Dr. en Medecine etc. Ännales dliygiene publique et de me-
decine legale. 1854. I. p. 246 et 247.
236 G. V. Liebig:
Beispiel, um die physiologisclien Veränderungen zu schildern, wie sie in
der Regel unter dem erhöhten Luftdruck der Schachte gefunden wurden,
und er stellt also die Herabsetzung des Pulses als ein gewöhnliches Vor-
kommen hin, welches er mit der gleichzeitig auftretenden starken Abnahme
im Umfange und der Frequenz der Athembewegungen in Verbindung
bringt. Dr. Foley ^ fand an sich und einem Collegen, unter dem Drucke
von nahezu 3 Atmosphaeren die Pulsfrequenz um 8—10 Schläge geringer
als vorher unter dem gewöhnlichen Luftdrucke. Er bemerkte auch, dass
unter dem erhöhten Luftdrucke der Puls fadenförmig wurde, also an Um-
fang abnahm, und dass er unter sehr hohem Drucke oft fast unfühlbar war.
Ausserdem beobachtete er das Schwinden von Gefässentwickelung am Aug-
apfel und die rasche Abnahme von Schnupfen und Angina, Thatsachen,
welche auch in den pneumatischen Kammern bestätigt werden konnten.
In wissenschaftlicher Weise wurden Beobachtungen über den Puls von
V. Vi veno t^ in der pneumatischen Kammer zu Johannisberg 1864 an-
gestellt, indem er Sorge trug, alle zufälligen Umstände auszuschhessen,
welche die Pulsfrequenz beeinflussen können, v. Vivenot beobachtete im
Ganzen in 86 zweistündigen Sitzungen, von denen ich diejenigen auswähle,
welche unter dem gleichen äusseren Verhalten genommen worden waren.
Es sind 11 von 8 bis 10 Uhr Morgens, zwischen dem 26. Mai und 14. Juni,
14 von 9-30 bis 11-30, zwischen dem 5. April und 29. Mai, 14 von 10-30
bis 12-30 zAvischen dem 24. Juni und 28. Juli, sodann 13 um dieselbe Stunde,
im Juli, welchen nach dem Frühstück ein Spaziergang, oft mit Steigen
verbunden, von Y2 ^is 1 Stunde vorhergegangen war. Gleich nach dem
Spaziergange war die Frequenz im Mittel 83-8.
Die Pulsfrequenz, welche Morgens vor dem Aufstehen am geringsten
ist, nimmt bekanntlich unmittelbar nach dem Frühstücke rasch zu und
beginnt ^2 ^is 1 Stunde darauf wieder zu fallen, was sich bis zum Mittags-
mahle fortsetzt. Wenn also in der pneumatischen Kammer in den Morgen-
stunden die Pulsfrequenz abnimmt, so ist immer ein Theil der Abnahme
auf die Tagesstunden zu rechnen.
Nach Lichten fels und Fröhlich^ erreicht der Puls nach dem um
7^2 eingenommenen Frühstück um 8V2 Morgens ein Maximum, sinkt
dann nur wenig bis 9^2? darauf aber sehr rasch bis lO^'g- Nun tritt
wieder ein sehr langsames Sinken ein, welches sich zwischen IP/a und 12^2
noch etwas verstärkt. In Uebereinstimmung mit diesen Beobachtungen
' Foley, Du travail dans l'air comprime. Paris 1863.
^ V. Vivenot, Zur Kenntniss der physiologischen Wirkungen der verdichieieti
Lift, Erlangen 1868, und in Virchow's Archiv. Bd. XXXIV.
^ K. Vierordt, Grundriss der Physiologie des Menschen. Tübingen 1861.
S. 544.
Dee Einfluss des Luftdruckes auf die Ciüculation. 237
fand Vierordt ebenfalls die stärkste Abnahme zwischen 9^/2 und lO'/a,
worauf die Frequenz nur noch langsam weiter abnahm.
V. Vi ve not 's Puls zählte Morgens vor dem Aufstehen im Bette durch-
schnittlich 65 (53 Beobachtungen), nach dem Aufstehen, noch nüchtern, 74
(12 Beobachtungen) und nahm nach dem Frühstück in normaler Weise
zu. Für die Sitzung um 8 Uhr hatte er um 7^2 Uhr gefrühstückt, das
Maximum der Pulsfrequenz hätte also um 8 oder 8^2 Uhr eintreten müssen,
und wir werden daher nicht zu wenig rechnen, wenn wir die normale Ab-
nahme bei ihm so gross annehmen, als sie vom Maximum ausgehend nach
Lichtenfels und Fröhlich gewesen sein würde.
Stellen wir für die oben bezeichneten Stunden die Abnahme der Puls-
frequenz nach Lichtenfels und Fröhlich und nach K. Vierordt zu-
sammen, so erhalten wir für die Sitzungen folgende normale Grössen der
Abnahme in der Zahl der Pulsschläge in der Minute.
Lichtenfels und Fröhlich.
Vom Maximum bis 9-30
Von 9-30 bis 10 . . .
Abnahme von 8 bis 10 .
Von 9.30 bis 10-30 . .
Von 10-30 bis 11-30 .
Abnahme von 9-30 bis 11-30
Von 10-30 bis 11-30 . .
Von 11-30 bis 12-30 . .
Abnahme von 10-30 bis 11-30
V. Vivenot zählte seinen Puls viermal bei jeder Sitzung, immer zwei
Minuten lang, nämlich «., nach Beobachtung der nöthigen Ruhe unmittel-
bar vor dem Beginn der Sitzung, b., 20 Minuten später bei Erreichung
der bleibenden Höhe des Ueberdruckes von 32 "" Quecksilber, c, nachdem
dieser Druck eine Stunde lang angehalten hatte, d., zwei Stunden später,
nachdem eben der normale Luftdruck wieder hergestellt war, und ohne
den Sitz in der Kammer zu verlassen.
Ich lasse jetzt die mittleren Ergebnisse v. Vivenot 's auf die Minute
berechnet folgen, die Zahlen bedeuten die Pulsfrequenzen.
0-9
2-0
2-9
Vieror
3-8
3-2
0-5
1-0
4-3
4-2
0.5
1-0
2-5
0-4
3-0
1-4
Anfang,
Stunde.
8 Uhr
a,
vorher.
85-1
6.
20 Min. später.
81-5
1 St.
c.
20 Min.
77-5
später.
d.
nachher
75-7
9.30
83-3
78-7
73-6
72-0
10-30
78-5
75-7
72-0
72-7
10-30 Spaz.
77-0
72-6
71-9
70-9
38
G.
, V. Liebig:
Die Abnahmen im Laufe
der Sitzungen waren folgende:
Sitzungen, Stunde: 8
9-30
10-30
10-30 Spaz.
a — h 3.6
4-6
2-8
4.4
h—c 4.0
5.1
3-7
0.7
c—d 1.8
1.6
—0-7
1.0
a~d 9.4
11.3
a — c 6-5
6-1
normal nach L. U. F.: 2« 9
4.3
Bis 11-50 1.5
3.0
Unter Mitwirkung des ^ ^ ~
Luftdruckes : j
7:0
5-0
3.1
In den drei ersten Spalten der Abnahmen erkennt man am Maass-
stabe des Sinkens den Einfluss der Tagesstunden. Sodann finden wir überall
in den ersten 20 Minuten bis zur Erreichung der bleibenden Druckhöhe
eine verhältnissmässig grosse Abnahme {a — ä), wenn man sie mit der-
jenigen der folgenden Stunde {b — c) vergleicht. Diese (o — h) ist vielleicht
zum Theil noch etwas der vorausgehenden Bewegung des Verfassers,
um nach dem Zimmer zu gelangen, wo die Sitzungen stattfanden und
der Veränderung vom Stehen zum Sitzen zuzuschreiben, da sich der Ein-
fluss dieser Veränderungen auf die Herabsetzung der Pulsfrequenz nicht
augenblicklich entwickelt. Die geringe Abnahme im letzten Gliede der
Reihe h — c und die ebenfalls geringe in den Gliedern der Reihe c — d
sowie die Zunahme um 0-7 in ihrem vorletzten Gliede, machen es wahr-
scheinlich, dass der Luftdruck die der Tagesstunde entsprechende Puls-
frequenz nicht weiter beschränkt, sobald diese eine bestimmte Herab-
setzung erfahren hat, und dass das Sinken des Luftdruckes wieder eine
Erhebung der Pulsfrequenz begünstigt. Damit stimmen auch 14 Sitzungen
(eine vom 13. Juni lasse ich aus, weil sie durch einen Zufall gestört war)
überein, deren Ergebnisse an einem gesunden Herrn R. von 35 Jahren
V. Vivenot mittheilt. Die Sitzungen begannen um 8 Uhr und ihre
Zählungen
a h c A
61-1 56.6 55-2 56-2
zeigen ebenfalls eine Zunahme der Frequenz unter <7, während kürzere
Beobachtungsreihen mit anderen Personen noch eine geringe Abnahme bei
d darbieten. Im Mittel aller Beobachtungen aber, die v. Vivenot an
sich und Anderen machte, sind die Ergebnisse für c und d fast genau die
gleichen, 67.9 und 67-7.
Die wenigen Beobachtungen, welche v. Vivenot V2 — 1 Stunde nach
der Sitzung, vor Tisch, genommen hatte, ergaben ein Wiederansteigen der
Pulsfrequenz.
V. Vivenot legt Werth auf eine Anzahl von Pulszählungen, für welche
er, um jede fremde Einwirkung auf den Puls möglichst auszuschliessen,
Der EINFLUSS des Luftdruckes auf die Circulation. 289
die Sitzungen um 8 Uhr Morgens vor dem Frühstück nahm, welches später
eingenommen wurde, und für die er auch die Waschungen des Morgens
unterliess.
Für das normale Verhalten des Pulses unter diesen Umständen, in
sitzender Stellung, fehlt uns ein Maassstab, obgleich nach Lichtenfels
und Fröhlich 's Angaben ein Sinken der Frequenz zweifellos angenommen
werden muss. Bei v. Vivenot scheint der Puls bei nüchternem Magen
sehr erregbar gewesen zu sein, denn ich finde unter den 12 Sitzungen
zwischen dem 13. Mai und dem 13. Juni 6, in welchen eine oder mehrere
der Zählungen nach Beginn der Sitzung eine erhöhte Frequenz gezeigt
hatten. Für zwei dieser Sitzungen war die Ursache der Erregung bekannt,
für die übrigen nicht.
Bei den vorigen Zusammenstellungen wurden Unregelmässigkeiten dieser
Art nicht berücksichtigt, hier glaube ich die grösseren in vier Sitzungen
ausscheiden zu sollen. Die übrigen acht Sitzungen ergaben
a h c d
14-2 70-7 70-2 69-1
eine Abnahme von im Ganze ö«! Pulsen, wovon der grösste Theil mit
3-5 Pulsen schon in den ersten 20 Minuten stattfand.
Aus seinen sämmtlichen Beobachtungen konnte v. Vivenot den Schluss
ziehen, dass die Herabsetzung der Pulsfrequenz unter dem erhöhten Luft-
drucke um so stärker sei, je höher diese sich im Beginn der Einwirkung
des Luftdruckes über ihrem Tagesmittel befunden hatte.
Auch V. Vivenot konnte unter dem erhöhten Luftdrucke das von
Foley und anderen schon beobachtete Erblassen und Verschwinden stärker
angefüllter Grefässe bei Grefässentwickelung am Augapfel von neuem be-
stätigen und ebenso die Veränderung im Umfange der Art. radialis.
Um zu einer Erklärung der Pulsverlangsamung zu gelangen, bei welcher
er eine Verlangsamung des Blutstromes stillschweigend voraussetzte, nahm
V. Vivenot an verschiedenen Personen, gesunden und leidenden, in den
Sitzungen in der pneumatischen Kammer eine Reihe von Pulscurven auf,
und diese zeigten unter und nach der einstündigen Wh:kung des gleich-
massig erhöhten Druckes in der Regel flachere Formen, als unter dem
ansteigenden Luftdrucke. Dies schien seine Annahme zu bestätigen, dass
die Pulsverlangsamung ein „einfacher mechanischer Effekt der Druckver-
stärkung" sei, welche „durch Vermehrung des auf der Körperoberfläche,
sowie auf den peripheren Gefässen lastenden Druckes, das Volumen und
Lumen derselben verkleinert."^ Er erklärte die Wirkung auf die Gefässe
^ Zur Kenntniss u. s. w. S. 352, 353.
240 G. V. Liebig:
näher als eine Zusammen ziehung derselben, wodurch die Herzaction
verlangsamt werde.
Als ich später, im Jahre 1879, selbst anfing Beobachtungen über
den Puls zu machen, hegte ich keinen Zweifel an dieser Deutung und
hoffte die Ergebnisse v. Vivenot's einfach bestätigen zu können. Ich machte
eine grosse Anzahl von Pulsaufnahmen an verschiedenen Personen, sowohl
unter dem erhöhten als unter dem gewöhnhchen Luftdrucke, und wenn
hier und da die unter dem höheren Drucke erhaltenen Curven mit denen
V. Vivenot's übereinzustimmen schienen, so widersprachen doch zu an-
deren Zeiten ganz entgegengesetzte Formen, welche ich unter gleichen
Umständen an denselben Personen erhielt, dieser Deutung.
Erst eine länger festgesetzte Untersuchung über die Bildung und das
Auftreten verschiedener Formen der Pulscurven überzeugten mich, dass bei
einer und derselben Person, im Laufe einer fortgesetzten Beobachtung, im
Normalzustande die verschiedensten Formen kurz hintereinander auftreten
können. Dasselbe wird nun auch unter dem erhöhten Luftdrucke beob-
achtet, und wenn ich längere Reihen verghch, so zeigte sich gar kein
bleibender Unterschied zwischen den unter dem gewöhnlichen und dem
erhöhten Luftdrucke erhaltenen Pulscurven.
Die Abweichung dieses Ergebnisses ist erklärlich, wenn man v. Vive-
not's Curven mit solchen vergleicht, welche man mit neueren, leichter an-
zupassenden Instrumenten erhält. Er hatte einen früheren Marey 'sehen
Apparat benutzt, dessen Federdruck offenbar so stark gewesen war, dass
die wesenthchen Unterschiede der verschiedenen Formen nicht, oder nur
undeutüch hervortraten, und er hatte deshalb nur unterdrückte Formen
erhalten. Ich selbst benutzte den Sommerbrodt'schen Apparat, bei wel-
chem die Pelotte nicht durch die Kraft einer Feder, sondern durch auf-
gelegte Gewichte an die Arterie angedrückt wird, die man nach wenigen
Versuchen der verschiedenen Kraft des Herzstosses bei verschiedenen Men-
schen leicht anpassen kann. Dabei treten nun alle Formen deutlicher her-
vor, und man kann ihre Entstehungsweise leicht erkennen.
Nachdem ich mit der gewöhnlichen Art der Pulsaufnahme kein Er-
gebniss erhalten hatte, wurde ich durch die Pulscurven eines Emphyse-
matikers darauf aufmerksam, dass in diesen sich jede Stufe eines gewöhn-
lichen Athemzuges immer durch eine besondere Form der Curven aus-
zeichnete. Dies liess mich vermuthen, dass eine Veränderung im Pulse
durch den Luftdruck bei tiefen Athemzügen vielleicht deutlicher hervor-
treten würde, als bei dem gewöhnhchen ruhigen und wenig ausgiebigen
Athmen.
Auch dabei aber konnte die Schwierigkeit des normalen häufigen
Formenwechsels noch irre führen.
Der EINFLUSS des Luptdeuckes auf die Circülation. 241
Der Zufall fügte es jedoch, dass ich damals (Juni 1879) die Pulscurve
eines jungen Mannes Hrn. W. von 22 Jahren aufnahm, dessen Puls
niemals Formen einer stärkeren Zusammenziehung der Arterie zeigte, was
bei schlaffen zarten Geweben, auch bei phthisischem Habitus beobachtet
wird. Er hatte einen proportionirten , aber schwachen Knochenbau, eine
durchsichtige zarte Haut und einen schwachen Herzschlag, so dass man
die normale Pulsform ^ erst erhielt, nachdem die Belastung des Pulshebels,
welche gewöhnlich 150 bis 200 s™ beträgt, auf 30 ^'"^ erniedrigt worden
war. Die gewöhnliche Belastung gab bei ihm nur unterdrückte Formen,
ein Umstand, der auf sehr schwache, nachgiebige Arterienwände schliessen
liess, welche die Wirkung äusserer Einflüsse leicht wiedergeben wür-
den, während der Mangel der Contraction einen störenden Formenwechsel
ausschloss.
Unter gewöhnlichen Verhältnissen hatte sich auch bei diesem Herrn
keine Verschiedenheit in den Pulsaufnahmen erkennen lassen. Nach-
dem er aber auf das tiefe Athmenholen eingeübt war, zeigten sich in drei
aufeinanderfolgenden Sitzungen am 5., 7. und 8. Juni deutliche Unter-
schiede der Curven, welche während des zunehmenden Luftdruckes, von
den Curven, welche während des abnehmenden Luftdruckes genommen
waren und auch dieser beiden von den Curven, die man unter dem ge-
wöhnlichen oder unter dem bleibend erhöhten Luftdrucke erhalten hatte.
Während die Curven des gewöhnlichen und des gleichbleibend er-
höhten Luftdruckes sich in Form und Grösse nur wenig von einander
unterschieden, waren die unter dem Ansteigen des Luftdruckes erhaltenen
Curven durchschnittlich höher, die unter dem Fallen des Druckes erhalte-
nen Curven niedriger, als die Curven unter dem bleibend erhöhten und
unter dem gewöhnlichen Luftdrucke.
Auch in v. Vivenot's Curven erkennt man, wenn man sie genauer
vergleicht, dass die am meisten abgeflachten immer unter dem fallenden
Luftdrucke, die grössten unter dem ansteigenden Drucke erhalten worden
waren.
Es wurden in den drei Sitzungen sehr viele Curven aufgenommen,
von welchen ich aus jeder Sitzung und für jede Stufe des Luftdruckes
eine unter denjenigen Aufnahmen zur Abbildung auswähle, welche die
grössten Curven besitzen, für die Sitzung des 7. Juni, in welcher der Puls
von Anfang an am ruhigsten war, wähle ich je zwei Aufnahmen. Diese
sind in Tafel IV und V zusammengestellt.
^ „Die Pulscurve". Dies Archiv, 1882; und „Weitere Untersuchungen über die
Pulscurve". Ebenda, Supplementband 1883.
Axchi? f. A. n. Ph, 1388. Physiol. Abthlg. 16
242 G. V. Liebig:
Unmittelbar vor der Sitzung des 5. Juni iiatte Hr. W. einen kleinen
Spaziergang gemacht, weshalb der Puls im Anfang der Sitzung etwas be-
schleunigt war, 96, gegen Ende wurde er 86.
Am 7. Juni war er vorher nicht gegangen, der Puls war im An-
fange 86, gegen Ende 82.
Am 8. Juni vorher ruhig, gut geathmet. Puls 92 — 94, zuletzt 84.
Bei einer zweiten Versuchsperson, einem jungen Manne von 17 Jahren,
der einen kräftigeren Puls hatte als Hr. W. (Belastung 100) bekam ich
kein deutliches Ergebniss; er konnte auch weniger gut athmen.
Anders bei einer Dame von etwa 40 Jahren, mit kräftigem Herzen
und normaler Beschaffenheit der Arterien, Belastung 200. Wenn ich hier,
um vergleichbare Formen zu erhalten, alle von der normalen Form ab-
weichenden Aufnahmen ausschied, waren die Unterschiede, wenn auch nicht
in der schlagenden Ausbildung, wie im ersten Falle, doch kenntlich aus-
geprägt; die Curven waren unter dem zunehmenden Luftdrucke durch-
schnittlich höher, im abnehmenden durchschnittlich niedriger als unter dem
gewöhnlichen oder bleibend erhöhten Drucke.
Wir hätten also neben der Verlangsamung des Pulses nun auch noch
die Veränderungen in der Grösse der Curven bei der Zu- und Abnahme
des Luftdruckes in's Auge zu fassen. Um die verminderte Pulsfrequenz auf
mechanischem Wege zu erklären, hatte v. Vivenot eine durch den Luft-
druck veranlasste Zusammenziehung der Arterien angenommen, welche ich
aber durch meine Beobachtungen ausschliessen konnte. Auch einer Ver-
kleinerung des Umfanges der Arterien durch den Druck oder der An-
nahme einer verstärkten Reibung standen theoretische Bedenken entgegen.
Trotzdem w^erden wir durch die Grössenveränderung der Pulscurven,
mit welchen in diesem Pimkte die von v. Vivenot erhaltenen Curven
übereinstimmen, von neuem auf eine Wirkung des zunehmenden Druckes
hingewiesen, welche sich bei dem abnehmenden in ihr Gegentheil umkehrt.
Erwägen wir die Umstände, welche am Pulse, ebenso wie am elastischen
Rohre, die Curven vergrössern, ohne eine wesenthche Veränderung in der
Form zu bewirken, so finden wir solche erstens in einer geringen Ver-
mehrung der Blutmenge und entsprechender Verstärkung der Kraft eines
Herzstosses, zweitens in einer Verengung des Abfiussweges.^
Von diesen beiden Möglichkeiten ist hauptsächlich die zweite in's Auge
zu fassen, obgleich auch für die erste, wie wir sehen werden, eine gewisse
Wahrscheinlichkeit vorhegt. Einer Verengung des Abfiussweges durch den
zunehmenden Druck würde eine Erweiterung desselben unter abnehmendem
' Siehe dies Archiv, Supplementbaud 1883. Taf. IV, Figg. 84, 86, 87.
Der EINFLUSS des Luftdruckes a.uf die Circulation. 243
Drucke gegenüberstehen, was die Verkleinerung der Form unter dem ab-
nehmenden Drucke erklären würde.
Fig. 1.
Um in diesen Fragen auf den richtigen Weg zu gelangen, war es vor
Allem nothweudig, einen sachlichen Anhaltspunkt zu gewinnen, der die
mechanischen Verhältnisse zwischen Circulation und Luftdruck verständ-
lich machen konnte,
IG*
244 G. V. Liebig:
Ich versuchte dies auf mechanischem Wege, indem ich den Luftdruck
auf ein künstliches Circulationssystem einwirken hess und construirte zu
diesem Zweck den vorstehend abgebildeten Apparat (Fig. 1).
Beschreibung des Apparates. Es sind zwei hohle Glaskugeln
von je etwa 250'"^™ Inhalt, von welchen die eine etwas tiefer und seitUch
von der anderen steht, und welche durch ein senkrechtes, unten umgeboge-
nes dickes Glasrohr von 4"™ lichter Weite an ihren unteren Polen ver-
bunden sind. Durch die Art der Biegung des Rohres wird es möglich,
dass eine aus der oberen Kugel herabsinkende Flüssigkeit (Quecksilber) in
die untere Kugel ebenfalls wieder von unten eintritt. Während die obere
Kugel zu etwa drei Viertheilen ihres Inhaltes mit Quecksilber gefüllt ist,
enthält die untere Wasser, und die Verbindung zwischen beiden kann durch
Oeffnung eines Hahnes hergestellt werden. Das Quecksilber füllt in der
Euhe, bei geschlossenem Hahne, das Glasrohr auch unterhalb des Hahnes
bis zu dessen Einmündung in die untere Kugel.
Die oberen Theile der beiden Kugeln sind durch ein Kautschukrobr
von mehreren Metern Länge und 3 ™"^ im lichten Durchmesser verbunden,
dessen beide Enden vermittelst Kautschukstöpseln und Glasröhrchen von
3^2 "'™ Weite in die Hälse a und a der Kugeln eingefügt sind.
Auf der unteren Kugel sitzt dieser Hals central, auf der oberen seit-
hch vom oberen Pole. An diesem Pole selbst ist ein zweiter Hals b an-
gebracht, der entweder offen bleibt, oder verschlossen werden kann.
Wenn bei dem Versuche, nach Oeffnung des Hahnes, das Quecksilber
in die untere Kugel eintritt, verdrängt es das in dieser befindliche W^asser,
welches durch das Kautschukrohr austretend, sich in die obere Kugel er-
giesst, wo es den Raum einnimmt, welcher durch das Abfliessen des Queck-
silbers frei geworden ist.
Man erhält auf diese Weise eine Circulation, die mit abnehmender
Geschwindigkeit so lange anhält, als das Quecksilber fliesst, oder als der
Hahn geöffnet bleibt.
Um den Druck der circulirenden Flüssigkeit auf die Wandung
des Rohres zu messen, konnte ein Manometer vermittelst eines T förmigen
Glasröhrchens an zwei Stellen in das Circulationsrohr eingefügt werden;
von diesem befand sich die eine 1 ™ vom Anfang, die andere 1 ^ vom Ende
des in der Regel 6'" langen Rohres.
Venen sc hl auch. Während das runde Kautschukrohr mit einem
arteriellen Rohre zu vergleichen war, konnte ihm noch ein besonderes
Stück augefügt werden, welches das Venensystem darstellte..
Dee Einfluss des Luftdruckes auf die Circulation. 245
Dies war ein, im leeren Zustande sehr flach gewölbter dünner Kaut-
schiikschlauch von 1 •'"^ Breite und 25"^™ Länge, der zwischen dem Ende
des arteriellen Rohres und der Einmündung in die obere Kugel eingeschaltet
werden konnte. Er ist auf der Abbildung weggelassen.
Capillare Spitze. Um das Circulationssjstem zu vervollständigen,
wurde bei einigen Versuchen zwischen das arterielle Rohr und den Venen-
schlauch ein kleines, in eine kurze capillare Spitze ausgezogenes Glas-
röhrchen, im Hchten Durchmesser unbedeutend weiter als das arterielle
Rohr eingesetzt, welches eine Verlangsamung des Stromes bewirkte.
Saugende Spannung oder negativer Druck. Zur Herstellung
einer saugenden Spannung, wie sie im Pleuraräume über dem Anfangs-
und Endpunkte der Circulation, dem Herzen und den grossen Gefässstämmen
im Thorax durch die elastische Spannung der Lunge erzeugt wird, diente
eine Glastrommel T, die mit einem elastischen Felle aus Kautschuk über-
zogen war.
Diese wurde durch Vermittelung des Manometers n, der sich in den
centralen Hals der oberen Kugel einfügte, und eines an diesem befestigten
kurzen und stärkeren Kautschukröhrchens mit dem freien Räume in der
oberen Kugel, über dem Ausgangs- und Endpunkte der Circulation, den
ich den Saugraum nennen will, in Verbindung gesetzt.
Wenn die Saugspannung nicht angewandt wurde, konnte das herab-
hängende Rohr durch eine Klemme k verschlossen werden.
Um eine saugende Spannung hervorzubringen, wurde das elastische
Fell der Trommel mit dem Daumen nach einwärts gedrückt und zugleich
die dünne Spitze, in welcher die Trommel endigt, in das von dem Mano-
meter herabhängende Kautschukrohr eingefügt, nachdem die Klemme ab-
genommen worden war. Lässt der Druck des Daumens nun nach, dann
strebt das eingedrückte Kautschukfell seine flache Stellung wieder zu ge-
winnen und übt so eine Spannung nach Aussen, welche den Druck im
Saugraume unter den Atmosphaerendruck herabsetzt. Die Grösse dieser
Herabsetzung entspricht der Spannung, welche das nach innen gewölbte
Kautschukfell besitzt.
Bei dem Versuche muss man darauf sehen, dass über dem in der
oberen Kugel oberhalb des Quecksilbers befindlichen Wasser noch ein Raum
frei bleibt, so dass das Wasser bei Herstellung der Saugspannung nicht in
das Manometerrohr hinaufsteigen kann.
Die Herabsetzung des Druckes im Saugraum würde man mit dem
gangbaren Ausdruck als negativen Druck bezeichnen können, allein mir
erscheint es den gegebenen Verhältnissen angemessener und leichter ver-
246 Gr. V. Liebig:
ständlich, wenn ich den Ausdruck saugende Spannung oder Saug-
spannung dafür gebrauche, weil es diese ist, welche durch Herabsetzung des
Druckes im Saugraume, auf den Inhalt des unter dem höheren äusseren
Atmosphaerendrucke stehenden Circulatiousrohres eine saugende Wirkung
ausüben muss. Auch werden wir Gelegenheit haben, beide Ausdrücke neben-
einander zu gebrauchen. Die Grösse der Saugspannung bezeichnet also,
wie der negative Druck, den Unterschied zwischen dem Atmosphaerendruck
und dem Drucke im Saugraume und daher den Ueberdruck der Atmo-
sphaere.
Versuch. Die mit dem Apparate angestellten Versuche hatten den
Zweck, die Geschwindigkeit der Circulation unter verschiedenen Umständen
kennen zu lernen, und der Versuch bestand also darin, dass mittels einer
Uhr, welche ganze und viertel Secunden schlug, die Zeit beobachtet wurde,
welche verfloss, bis das Quecksilber in der oberen Kugel, dessen Menge
jedesmal genau die gleiche war, bei seinem Abflüsse in die untere eine be-
stimmte Stelle erreicht hatte. Diese war durch eine auf der Oberfläche
der Kugel angebrachte Marke bezeichnet. Die Zählung wurde begonnen
mit dem Oeffnen des Hahnes, und beendet wenn der Rand des sinkenden
Quecksilberspiegels die Marke berührte.
Wie man sieht, stellt jeder Versuch, im Grossen, das Fliessen während
eines Pulsschlages vor.
Am Ende eines jeden Versuches wurde der Hahn geschlossen und das
in die obere Kugel eingeflossene Wasser mit einem Heber entfernt, darauf
das in die untere Kugel eingetretene Quecksilber ebenfalls mit einem Heber
herausgenommen und wieder in die obere Kugel eingefüllt, was leicht ohne
Verlust bewerkstelligt werden kann. Dann wurde die untere Kugel wieder
mit frischem Wasser gefüllt, das gebrauchte wurde jedesmal weggegossen
und das Eohr luftfrei wieder aufgesetzt; so war Alles für einen neuen Ver-
such vorbereitet. Im Beginne einer Beobachtungsreihe war immer darauf
zu sehen, dass Rohre und Hahn luftfrei waren und dass der Hahn gut
und sicher schloss.
Die Länge des Rohres wurde so gewählt, dass die ganze Zeit des
Durchfliessens gross genug wurde, um einen Zeitunterschied von mehr als
1 bis 1^/3 Secunden ausserhalb der Zufälligkeiten, die meist durch kleine
Temperaturunterschiede veranlasst wurden, oder anderer Beobachtungsfehler
liegend betrachten zu können.
Ich gebe nun einige Beobachtungen an, um den Grad der Sicherheit
der Zeitbestimmungen bei ziemlich gleichmässiger Temperatur zu zeigen.
Bei diesen Versuchen war der Saugraum immer offen, also das Manometer
DeB EINFLUSS DES LuFTDßUOKES AUF DIE ClECüLATION. 247
von der oberen Kugel weggenommen, so dass auch das Innere des Appa-
rates unter Atmosphaerendruck stand.
I. Versuche mit 6 Metern des runden Rohres bei offenem Saugraum,
am 13. October 1884, Beobachtungen am Morgen und Nachmittag. Zeit
in Secunden: 78, 78, 79. Mittel 78.
II. Versuche mit 6 Metern Rohr und dem Venenschlauch, sonst wie
vorher, Beobachtungen am Morgen, den 8., 9. und 10. October.
Zeit in Secunden: 79, 79, 79, 78, 79. Mittel 79.
III. Versuche mit 6 Metern Rohr sammt Venen und Capillarspitze,
sonst wie vorher am 11., 12., 13. und 16. October.
Zeit in Secunden: 91, 91, 90, 90, 9IV3, 91. Mittel 91.
AVährend der Arbeit stellte es sich heraus, dass die Durchlaufszeiten
für dieselbe Zusammenstellung der Rohre nach einiger Zeit länger ge-
worden waren und dies wurde zuerst im September 1884 bemerkt, nach-
dem der Apparat einige Monate in Ruhe gestanden hatte. Die Ur-
sache war eine Pilzbildung im Inneren der Rohre und es wurde deshalb
später, nach Reinigung der Rohre, die Vorsicht gebraucht, vor dem Be-
ginne und am Ende der Arbeit eines jeden Tages eine controlirende Zeit-
bestimmung bei offenem Saugraume zu machen; ausserdem wurden die
Rohre öfters mit 5 procentiger Carbolsäurelösung gereinigt.
Eine Quelle von Unregelmässigkeiten war die Temperatur, weil sich
die Rohre bei Erwärmung erweiterten und zwar wurde durch vergleichende
Beobachtungen gefunden, dass zwischen 13° und 20" C. für jeden Tem-
peraturgrad die Geschwindigkeit des Fliessens um etwa eine Secunde ab-
oder zunahm: Die Zeit des Durchfliessens verkürzte sich mit zunehmender
und verlängerte sich mit abnehmender Temperatur. Dabei wird angenom-
men, dass die Temperatur des Apparates und der Flüssigkeit auch die der
umgebenden Luft sei. Da dies nicht immer ganz genau zusammentraf,
so ergab sich die oben schoit bestimmte Fehlergrenze von 1 bis V/^ Se-
cunden. Wenn das Wasser erheblich unter der Lufttemperatur war, so
wurde es entsprechend erwärmt. Bei den Versuchen in der pneumatischen
Kammer, für welche die Erwärmung sich nicht ausführen Hess, war es
am Morgen bisweilen noch kühl, während die Temperatur in der Kammer,
durch die Erhöhung des Luftdruckes und Erwärmung durch Heizung rasch
stieg. Bei Vergleichung von Bestimmungen, die unter solchen Umständen
gemacht wurden, konnte die Correction von 1 Secunde auf PC. ange-
bracht werden.
Es wurden nun Zeitbestimmungen bei verschiedener Anordnung des
Versuches ausserhalb und innerhalb der pneumatischen Kammer gemacht,
248
G. V. Liebig:
wobei die Druckhöhe in der Kammer zu 32 oder zu 40 ™ Quecksilberhöhe
genommen wurde.
Versuche bei offenem Saugraume. Ich gebe zuerst die im Juni
1884 gemachten vergleichenden Bestimmungen bei offenem Saugraume mit
drei verschiedenen Zusammenstellungen der Rohre und der capillaren
Spitze, welche ich mit I, II, III bezeichne. Die Temperaturunterschiede
bewegten sich bei jeder Versuchsreihe innerhalb eines Grades C. Die Zahlen
bedeuten die Zeit des Fliessens in Secunden.
A.
Unter gewöhnl.
Luftdrucke.
Unter erhöhtem Luftdrucke
I.
IL
III.
55
73
98
DO /o , 00 12
12% 72V2, 73
97V,.
Diese Zahlen stimmen so nahe untereinander überein, dass eine Ein-
wirkung des erhöhten Luftdruckes auf die Geschwindigkeit der Circulation
bei offenem Saugraume nicht angenommen werden kann.
Versuche mit dem verschlossenen und luftfreien Saug-
raume. Bei verschlossenem und luftfrei gemachtem Saugraume konnte der
Luftdruck nur durch Vermittelung der Wandungen der Bohre auf den
circulirenden Inhalt einwirken. Es wurde dazu die obere Kugel ganz mit
Wasser angefüllt und die centrale Oeffnung b mit einem Kautschukstöpsel
verschlossen, so dass der Apparat nun keine Luft enthielt. Das Zustöpseln
bedingte immer eine am Manometer sichtbare Erhöhung des Druckes in
den Rohren, welche ausgeglichen wurde, indem man aus einem verschliess-
baren T-förmigen Glasröhrchen, welches in das arterielle Rohr eingefügt
war, einige Tropfen austreten liess, bis ein bestimmtes Gleichgewicht her-
gestellt war.
Die Versuche wurden am 29. Mai 1884 und am 23. und 24. Septem-
ber 1886 gemacht und dabei wurde an zwei von diesen Tagen der Apparat
für den ersten Versuch unter dem erhöhten Luftdrucke schon vor Beginn
der Drucksteigerung zum Versuche fertig gerichtet, dieser aber erst aus-
geführt, nachdem die bleibende Druckhöhe erreicht war. Die betreffenden
Beobachtungen sind in der Tabelle mit „vorh. ger." bezeichnet, während
ein anderer Versuch, der in umgekehrter Weise unter dem erhöhten Drucke
gerichtet und nach Herstellung des gewöhnlichen Luftdruckes ausgeführt
wurde, mit „u. Dr. ger." bezeichnet ist.
Am 29. Mai war die Temperatur Anfangs niedrig, 16. 2*^0., und auch
der erste Versuch unter dem erhöhten Drucke war noch unter einer ge-
Der EINFLUSS des Luftdbuckes auf die Circulation.
249
ringeren Temperatur bei 1 9° C, gemacht worden, als die folgenden, bei welchen
die Temperatur durch Zuströmen erwärmter Luft zwischen 20 und 21'^C.
gewesen war. Diese beiden ersten Versuche wurden daher auf die Tem-
peratur von 20" C. corrigirt, was sie mit den übrigen in Uebereinstimmung
brachte. Bei dem ersten Versuche unter gewöhnlichem Luftdrucke betrug
die Zeit des Fliessens 102 Secunden, corrigirt 98 Secunden, bei dem ersten
unter erhöhtem Drucke 100 Secunden, corrigirt 99 Secunden, diese beiden
sind in der Tabelle mit einem Sterne bezeichnet.
B.
Unter gew.
vorher
Luftdruck,
nachher
Unter erhöhtem Luftdruck.
29. V. 84.
23. IX. 86.
24. IX. 86.
98*
58^/,
99, 99, 98
58 u. Dr. ger.,
99* vorh. ger., 98, 98, 98, 99
57^/., 573/,
58 V4 vorh. ger., 58, 58 V^
Die Uebereinstimmung der Fliesszeiten unter dem gewöhnlichen und
dem erhöhten Luftdrucke ist hinreichend, um eine Verlangsamung des
Fliessens durch die Wirkung des Luftdruckes auszuschliessen.
Die Ergebnisse der Tabelle A und B beweisen also, dass durch die
Erhöhung des Druckes weder die Reibung der Flüssigkeit an den Wan-
dungen der Rohre, noch die innere Reibung der Flüssigkeit verstärkt
worden war, und dass der Widerstand der Rohre gegen den Strom über-
haupt nicht zugenommen hatte.
Man muss sich demnach die Wirkung des Druckes auf die Ver-
langsamung des Stromes anders vorstellen, als es v. Vivenot gethan hatte:
sie könnte nur dann eine Verzögerung herbeiführen, wenn ein Zusammen-
pressen der Rohre und eine Verengung des Weges wirklich eintreten würde.
Dies kann aber nicht geschehen, so lange die Rohre mit einer Flüssigkeit
gefüllt sind, welche, wie das Wasser oder Blut, nicht zusammendrückbar
ist, und welche auch nirgend hin unter dem Drucke ausweichen kann,
so lange dieser auf alle der Flüssigkeit zugängigen Theile eines Kreislaufes
mit der gleichen Kraft einwirkt.
Im menschhchen Körper besteht aber eine Einrichtung, welche dem
Blute einen Raum darbietet, den Pleuraraum, in dem der Druck immer
geringer ist, als in und auf den übrigen Theilen des Circulationssystems
und in diesen Raum würde das Blut einem Druck ausweichen können,
vorausgesetzt, dass der Unterschied des Druckes in dem Pleuraraum von
dem äusseren Luftdrucke, zugleich mit der Erhöhung des Luftdruckes zu-
nehmen würde.
250 G. V. Liebig:
Der Unterschied des Druckes im Pleuraraum, der durch die Aus-
dehnung der Lungen bewirkt wird, nimmt nun wirklich unter der Erhöhung
des Luftdruckes zu.
In den Arbeiten von v. Vivenot und von Panum^ ist es nach-
gewiesen, dass die mittlere Ausdehnungsstellung der Lungen unter dem
erhöhten Luftdrucke eine erweiterte ist, wofür die Ursache nach meiner
Arbeit „Mn Äppm-ai zur Erklärung der Wirkung des Luftdruckes auf die
Äthmung^^^ in dem stärkeren Widerstände der verdichteten Luft gesucht
werden muss, durch welchen die Zusammenziehang der Lungen langsamer
und weniger vollständig wird. Mit einer ausgedehnteren Stellung der
Lungen ist nun eine verstärkte Spannung derselben und dadurch auch eine
verstärkte Saugspannung im Pleuraraum verbunden, deren Wirkung auf
die Entleerung der Venen und Capillaren unter dem erhöhten Luftdrucke
bereits mehrfach beobachtet worden ist.^
Um die Wirkung der Lungenspannung an unserem Apparate einzu-
führen, wurde die Saugtrommel zu Hülfe genommen. Wenn diese mit
dem Apparate verbunden ist, so muss sich eine ihr vorher ertheilte Spannung,
wie die der Lungen, bei Erhöhung des äusseren Luftdruckes ebenfalls ver-
stärken, weil der zunehmende äussere Luftdruck das Fell weiter nach innen
wölbt und dadurch stärker ausdehnt.
Lassen wir die Frage der Pulsfrequenz vorläufig ausser Beachtung, so
ist es schwer vorherzusagen, welche Wirkung die Lungenspannung auf die
Geschwindigkeit des Blutstromes haben müsste, denn wenn die saugende
Spannung der Lungen das Zuströmen des Venenblutes in die Vena cava
beschleunigt, so verzögert sie in demselben Maasse das Ausströmen aus der
Aorta thoracica, weil die Druckverminderung gleichzeitig den Eingang und
den Ausgang des grossen Kreislaufes trifft. Eine Aenderung im Gefälle
des Biutstromes, welches diesem seine Geschwindigkeit ertheilt, wäre also
im Allgemeinen nicht anzunehmen, wenn wir unter Gefälle den Unterschied
des Blutdruckes in der Aorta und der Vena cava verstehen.
Mit Rücksicht auf den Puls wissen wir aus den Arbeiten von
C. Ludwig,^ dass bei Ausdehnung der Lungen durch die Einathmung,
beim Hunde eine starke Verminderung des Pulsfrequenz eintritt, Avährend
der Blutdruck sinkt, und K. Vierer dt ^ hat auch beim Menschen eine
wenn auch geringe Verminderung der Pulsfrequenz bei der Einathmung
1 Pfltiger's Archiv. Bd. I. S, 125.
2 Bies Archiv. 1879. S. 284.
3 V. Vivenot, a. a. 0. S. 395 ff.
^ C. Ludwig, Lehrbuch der Physiologie. 18G1. II. S. 161 und 164.
^ V. Yierordt, Lehre vom Arterienpuls. 1855. S. 193.
•* Marey, La Circulation du Sang. Paris 1881. S. 463, 468.
DeE EINFLUSS DES LUFTDRUCKES AUF DIE ClRCüLATION. 251
durch eine grosse Reihe von Messungen nachgewiesen, ebenso Marey" he[
tiefen Athemzügen.
Wenn man ruhig auf dem Kücken liegt, kann man bei einer tiefen
Einathmung mit kurzem Anhalten des Athmens in der Art. cruralis die
Abnahme der Frequenz und des Blutdruckes deutlich fühlen.
K. Yierordt fand auch, dass der Puls bei der Einathmung träger
ist, als bei der Ausathmuug, dass also das Herz sich bei Vollendung der
Systole langsamer zusammenzieht. Eine langsamere Systole lässt aber
entweder auf ein geringeres Maass der angewandten Kraft oder auf einen
verstärkten Widerstand schliessen, und in beiden Fällen würde der Blut-
strom langsamer fliessen. Wenn man einen gleichbleibenden Elasticitäts-
coefficienten der Arterien voraussetzt, kann man das gleiche Ergebniss aus
einer Verminderung der Frequenz bei gleichzeitigem Sinken des arteriellen
Druckes ableiten, weil ein allgemeines Sinken des Blutdruckes eine Ver-
engung des Strombettes zur Folge haben müsste. Die Elasticität der
Arterien wird aber durch den Athemzug nicht verändert, sie erschlaffen
weder activ, noch contrahiren sie sich stärker; dies beweisen die in der
Regel unveränderten Kennzeichen für die Elasticität an Aufnahmen von
Pulscurven während eines tiefen Athemzuges.
Die aus diesen Angaben zu ziehende Wahrscheinlichkeit würde also
dahin lauten, dass bei der Verstärkung der Saugspannung dm-ch die Aus-
dehnung der Lungen der Blutstrom verlangsamt werde.
Versuche mit der Saugspannung. Auch in unserem Apparate
ergaben die Versuche mit dem Eintreten der Saugspannung eine Abnahme
der Geschwindigkeit des Stromes, und diese Abnahme wurde um so stärker,
je mehr die Saugspannung zunahm.
In der folgenden Tabelle gebe ich die Zusammenstellung einer Anzahl
von Beobachtungen bei zunehmender Spannung, welche mü drei ver-
schiedenen Verbindungen der Rohre im October 1884 gemacht worden
waren. Bei jeder der drei Verbindungen zeigte sich eine Verlangsamung
des Fliessens, deren Grösse aber bei jeder Verbindung eine andere war.
In der Verbindung I, mit 6™ des runden Rohres allein, war die Verlang-
samung sehr unbedeutend, in der A^erbindung II, mit Hinzufügung des
Venenschlauches, war sie verhältnissmässig am stärksten. In der Ver-
bindung III, mit Venen und capillarer Spitze, war durch die Wirkung der
engeren Spitze die Fliesszeit auch ohne Saugspannung schon bedeutend
verlängert. Die Spannung und deren Zunahme verlängerte sie dann noch
weiter um etwa die gleichen Zeitbeträge, wie bei Verbindung III mit dem
Venenschlauche ohne capillare Spitze.
Die Zahlen der Tabelle geben die Abflusszeiten in Secunden.
252
G. V. Liebig :
Tabelle C.
Spannung
in Cm.
I.
ohne Venenschi.
II.
mit Venen sohl.
III.
mit V. u. Cap.
- 78
79
91
1.0
—
—
99
1.6
—
—
104
3.0
—
108
3-2
—
—
108
8.3
—
97
— •
3.4
—
98
—
4-0
8IV2
—
113
4-3
—
102
—
4.4
—
103V,
—
4-7
• —
104
118
4.8
—
—
123
5.4
84
—
130
6.0
—
—
136
Diese Bestimmungen geben nur den Gang der Verlangsamung im
Allgemeinen, sie sind nicht geeignet, ein Gesetz daraus abzuleiten, auf
welches wir später zurückkommen werden.
Versuche mit Saugspannung unter erhöhtem Luftdrucke.
Gemäss der Einrichtung unseres Apparates musste, wenn die Saugtrommel
ohne Spannung mit ihm verbunden wurde, mit der Erhöhung des äusseren
Luftdruckes eine saugende Spannung entstehen, oder die Spannung, wenn
sie bereits vorhanden war, musste zunehmen, wie bei der Lunge.
In der folgenden Tabelle habe ich eine Reihe von Beobachtungen
zusammengestellt, bei einigen von denen der Apparat mit der Trommel
vor Beginn der Druckerhöhung zum Versuche fertig gerichtet wurde, indem
er entweder noch keine, oder indem er eine bestimmte Spannung erhielt.
Im ersten Stabe ist die Grösse dieser vorher ertheilten Spannung
angegeben. Der zweite Stab enthält die Grösse der Spannung, welche
der Apparat bei diesen Versuchen mit dem Erreichen des bleibenden um
32 oder 40"" erhöhten Luftdruckes genommen hatte. Neben diesen An-
gaben enthält der zweite Stab zum Vergleiche noch die Spannung bei
einigen Versuchen, welche entweder vor Beginn der Druckerhöhung
(gew. Dr.) oder unter der Druckerhöhung (erh. Dr.) gerichtet und ausgeführt
worden waren.
Ausserdem ist im zweiten Stabe zu Anfang jeder Versuchsreihe unter
DeE ElNFLüSS DES LuETDRüCKES AUF DIE CiRCULATION.
253
„offen" ein Versuch eingesetzt, der die Fliesszeit der betreffenden Ver-
bindung der Rohre ohne Spannung, also bei offenem Saugraume giebt.
Der dritte Stab enthält die Fliesszeiten in Secunden, der vierte
die Lufttemperaturen. Unter diesen sind die Temperaturen der Versuche,
welche vorher gerichtet waren und unter Druckerhöhung ausgeführt wurden,
mit einem Stern bezeichnet worden. Es sind dies die Mittelwerthe aus
der Temperatur vor Beginn der Druckerhöhung und der Temperatur bei
Ausführung des Versuches. Die Temperatur der Luft stieg nämlich mit
der Zunahme des Luftdruckes, durch die Verdichtung der Luft zuletzt
etwas rasch, so dass die Temperatur des Apparates hinter der Lufttempe-
ratur zurückbleiben musste. Die Annäherung des Mittels ist gross genug,
obwohl noch kleine Ungleichheiten bleiben, welche innerhalb der Fehler-
grenze liegen.
Die Versuchsreihe I wurde mit 6 Meter des runden Rohres gemacht,
bei II war der Venenschlauch hinzugefügt, bei III war ausserdem zwischen
dem Venenschlauche und dem runden Rohre noch 1 Meter Rohr von
2 mm Durchmesser eingeschaltet. Die Versuche wurden im Mai, Juni und
September 1884 ausgeführt.
Tabelle D.
Vorher ger. Spannung
in Cm.
Spannung bei dem
Versuche.
Fiiesszeit
in Secunden.
Temp. "C.
L 25. IX
—
offen
73
17.5
7?
0, steigt auf
3-1
76
17.1*
}y
—
erh.Dr. 3-1
76
16.5
IL l.VI
—
offen
73
18-7
i>j
gew. Dr. 3 • 5
87
16.2
fj
—
erb. Dr. 3-5
84
18.7
11
3-6, steigt auf
6.6
104
17.5*
IIL 30. V
offen
98
18.4
11
—
gm. Dr. 3 • 3
114
17.0
31. V
0, steigt auf
3-3
115
17.6*
30. V
3-0, steigt auf
5-3
125
17-8*
Mit Berücksichtigung der Temperaturen und der Fehlergrenze sehen
wir aus diesen Ergebnissen, dass die gleiche Spannung jedesmal auch die
gleiche Verlangsamung der Fliesszeit bewirkte, unabhängig davon, ob der
Versuch unter dem erhöhten, oder dem gewöhnlichen Luftdrucke gemacht,
ob er vor der Druckerhöhung gerichtet worden war oder nicht. In der
254 Gr. V. Liebig:
Reihe I zeigt sich wieder, dass die Verminderung der Geschwindigkeit des
Fliessens nur eine sehr unbedeutende ist, wenn der Venenschlauch nicht
einwirkt.
Fassen wir die Ergehnisse sämmtlicher in den Tabellen A bis D ent-
haltenen Versuche zusammen, so zeigen sie uns, dass die Erhöhung des
Luftdruckes nur dann eine Verlangsamung des Fliessens bewirkt, wenn die
Druckerhöhung zugleich eine Verstärkung der Spannung herbeiführt. Wenn
die Verstärkung, oder wenn die saugende Spannung überhaupt fehlte , konnte
auch in dem vollständig geschlossenen Circulationssjstem eine Verzögerung
des Fliessens nicht beobachtet werden.
Vergleichung mit dem arteriellen Systeme. Im arteriellen
System kann die durch Ausdehnung der Lungen herbeigeführte Verstärkung
der Saugspannung im Pleuraräume keine andere Wirkung ausüben, als wie
die saugende Spannung in unserem Apparate, nämhch eine den Blutstrom
verlangsamende.
Im arteriellen System sehen wir daneben auch die Pulsfrequenz
vermindert. Eine Verminderung der Pulsfrequenz folgt nicht unmittelbar
aus der Verlangsamung des Blutstromes, denn es kann diese auch mit
einer vermehrten Frequenz zusammengehen, wie z. B. bei anaemischen Zu-
ständen, wenn der Blutdruck vermindert und Kraft wie Inhalt des Herz-
schlages klein sind. In unserem Falle aber scheint die Verminderung der
Frequenz auf irgend eine Weise, mechanisch oder durch Nervenwirkung,
eben so streng an die Ausdehnung der Lungen gebunden zu sein, als die
Verlangsamung des Fliessens. Ich glaube dies annehmen zu dürfen, weil
die Abnahme der Frequenz nicht nur unter dem erhöhten Luftdrucke,
sondern auch bei der Ausdehnung der Lungen durch die Einathmung be-
obachtet wird. Auch hat P, Vejas unter Prof. Winckels Leitung die Ver-
minderung der Pulsfrequenz, welche man bei Frauen im Wochenbett, un-
mittelbar nach der Geburt findet, mit der Ausdehnung der Lunge be-
gründen können, welche in der letzten Zeit der Schwangerschaft beschränkt
gewesen war, die sich aber nun wieder ungehindert vollzieht.^
Es bleibt noch übrig die Bedingungen kennen zu lernen, welche der
Verlangsamung des Fhessens zu Grunde liegen. Wir betrachten, um diese
kennen zu lernen, zuerst das äussere Verhalten der Bohre vor und bei
dem Fliessen, ohne und mit Saugspannung, dann die Veränderung in den
Manometerständen und endlich die Zeitdauer des Fliessens.
' Sammlung klinischer Vorträge . Nr. 269. P. Vejas, Mittheilung über den
Puls und die vitale Lungeacapacität in der Schwangerschaft.
Dee Einflüss des Luftdruckes auf dik Cikculation, 255
1. Aeusserliches Verhalten der Rohre. Im äusseren Umfange
der Rohre ist eine sichtliche Veränderung nur dann zu bemerken, wann
die Saugspannuug eingeführt wird, während der Venenschlauch dem Rohre
angefügt ist. Dann wird der vorher durch seinen Inhalt ausgedehnte und
abgerundete Venenschlauch mehr oder weniger stark abgeflacht, indem er
einen Theil seines Inhaltes an den Saugraum abgiebt, und er bleibt in
diesem Stande auch während des Fliessens. Am runden Rohre tritt keine
auffallende Veränderung ein.
2. Veränderungen im Manometer. Richten wir den Blick auf
das Manometer, welches bei m in 1 Meter Entfernung vom Eingange des
runden Rohres augebracht ist. In seinem freien Schenkel steht bei offenem
Saugraume das Quecksilber im ruhenden Gleichgewichtsstande etwas höher,
als in dem anderen Schenkel, welcher mit dem Rohre verbunden ist, weil
die Flüssigkeitshöhe zwischen der etwas höher stehenden Mündung des
Rohres, a (Fig. 1, S. 243), und dem Quecksilber dieses Schenkels, auf den
übrigen Inhalt des Rohres einen Druck ausübt: diesen Stand nehmen
wir als den Nullpunkt für unsere Beobachtungen. Mit dem
Oeffnen des Hahnes steigt das Quecksilber im freien Schenkel rasch in die
Höhe und erreicht, wenn das runde Rohr von 6 Meter Länge allein ge-
nommen wurde, einen höchsten Stand von 10-4™% mit dem Beginne des
Fliessens. Dieser Stand entspricht der Entfernung des Manometers vom
Eingange des Rohres, und der Druckhöhe des Quecksilbers im Apparate.
Bringt man das Manometer weiter unten, einen Meter von der Mündung
des Rohres in m an (s. Fig. 2, S. 259), so wird dort der höchste Stand
1 • 8 ™. Im Laufe des Fliessens nimmt an beiden Stellen die Höhe des
Manometerstandes langsam ab.
Wird bei diesem Versuche eine Saug Spannung eingeführt, so sieht
man in der Ruhe, dass im freien Schenkel des Manometers das Queck-
silber unter den Gleichgewichtsstand bei 0, den es bei offenem Saugraum
eingenommen hatte, herabsinkt, während es sich im anderen Schenkel um
ebenso viel erhöht. Diese Veränderung tritt in der gleichen Grösse au
der Stelle bei m, bei m und auch in dem Manometer bei n (s. Fig. 2)
über dem Saugraume auf, und der Unterschied im Manometerstand ent-
spricht nun der Grösse der Saugspannuug. Das ganze System hat einen
um diese Grösse erniedrigten Gleichgewichtsstand angenommen, wobei der
Seitendruck der Flüssigkeit auf die Wandungen des Rohres um ebensoviel
abgenommen hat. An jeder Stelle ist der Druck negativ geworden, also
unter den äusseren Atmosphaerendruck gesunken. Setzt man nun den
Versuch in Gang, so erhebt sich im Beginne des Fliessens das Manometer
nicht mehr auf die Höhe, welche es ohne Saugspannung über dem Gleich-
256 Gr. V. Liebig:
gewicMsstande bei eingenommen hatte ; es bleibt um die Grösse der
Saugspannung darunter, aber über den neuen Grleicbgewichtsstand steigt
es nicht weniger hoch, als es vorher über den bei hegenden gestiegen war.
So lag in einem Versuche, den ich später noch mittheilen werde, bei
der Saugspannung von 2"'" der Gleichgewichtsstand nicht mehr bei 0,
sondern bei — 2"^, und das Quecksilber erreichte in m (s. Fig. 2, S. 259)
nur die Höhe von 8-4'=™, anstatt der 10.4°™ bei offenem Saugraum, und in
m von — 0-2 "", anttatt 1 • 8 ""^ Der Druck war also im unteren Theile
des Rohres auch im Fliessen uegativ gebheben, lieber den neuen Gleich-
gewichtsstand bei — 2 '=™ jedoch hatte sich die Druckhöhe im Beginn des
Fliessens wieder um 10-4 und um l-S*^"^ erhoben.
Wenn hier der äussere Druck stärker ist, als der innere, wie kommt
es dann, dass das runde Rohr nicht zusammengedrückt wird? Dies
geschieht in der That, allein in sehr geringem Grade, denn das runde
Rohr ist durch seinen Bau gegen einen allseitigen gleichmässigen Druck
von aussen sehr widerstandsfähig. Wenn der Ueberdruck auf das Rohr ein-
wirkt, wird dieses zusammengedrückt, bis seine nach aussen gerichtete
Spannung, welche dabei entsteht, stark genug ist, um dem Ueberdrucke
das Gleichgewicht zu halten, wodurch es möglich wird, dass der Druck im
Inneren negativ bleibt. Die mit diesem Vorgänge verbundene geringe Raum-
verminderung im Rohre veranlasst den Austritt eines entsprechenden Theiles
von dem Inhalte des Rohres in den Saugraum.
Wenn der Venenschlauch angefügt ist, der weniger Widerstand leisten
kann, so verliert dieser einen grösseren Theil seines Inhaltes und wird
mehr oder weniger stark abgeplattet.
3. Die Fliesszeiten. Wir haben schon gesehen, dass die Zeit des
Fliessens, welche man mit dem runden Rohre bei offenem Saugraume
beobachtet hatte, etwas verlängert wurde, wenn man eine Saugspannung
einführte. Die Anfügung des Venenschlauches bewirkt, ohne Saugspannung,
ebenfalls eine kleine Zunahme der Fliesszeit, die so gross ist, als sie der
Verlängerung des Weges und der Weite des Schlauches antspricht. Wenn
aber dann eine Saugspannung hergestellt wird, welche durch die Abplat-
tung des Schlauches die' Strombahn verengt, so nimmt die Fliesszeit in
einem sehr starkem Verhältnisse zu.
Bei einer besonders angestellten Versuchsreihe, deren Ergebnisse später
vollständig mitgetheilt werden, betrug bei offenem Saugraume die Fliesszeit
mit dem runden Rohre allein 48 Secunden. Das Anfügen des Venen-
schlauches verlängerte sie auf 49 Secunden.
Die Einführung der Saugspannung von 2 ""^ gab dann folgende Fliess-
zeiten:
Der Einfluss des Lüftdrucker auf die Circulation. 257
Für das runde Rohr allein . • SP/^ See, Verlängerung 3Y2 See.
Mit Hinzufügung des Venenschi. 62 „ „ 14 „
Während also der Venenschlauch an sich eine nur unbedeutende Ver-
längerung bewirkte, und während die Saugspannuug mit dem runden Rohre
eine Verzögerung von nur 3^2 Secunden hervorbrachte, wurde durch die
gemeinsame Wirkung des Venenschlauches und der Saugspannung die
Fliesszeit um 14 Secunden verlängert, Es ist klar, dass die Ursache dieser
starken Verzögerung nur in der Verengung des Strombettes durch Ab-
plattung des Venenschlauches gesucht werden kann.
Wären die Rohre von Metall, welches dem äusseren Ueberdrucke
leicht widerstehen könnte, so würde keine Raum Verengung und folghch
keine Verlangsamung des Fliessens stattgefunden haben. Auch das runde
Rohr, obgleich es dieselbe Wandstärke besass wie der Venenschlauch,
nahezu 1 "^""j konnte dem geringen Druckunterschiede einen stärkeren Wider-
stand entgegensetzen und wurde deshalb nicht merklich zusammengedrückt.
Der Venenschlauch dagegen erlaubte die Abplattung, welche er auch im
Fliessen beibehielt.
So weit der Venenschlauch oder das runde Rohr auch während des
Fliessens durch den Ueberdruck der ■ äusseren Atmosphaere unter ihrem
natürlichen Umfang zusammengedrückt bleiben, behalten sie dadurch eine
Spannung nach Aussen, und um die Grösse dieser Spannung muss an
den betreffenden Strecken der Druck im Inneren auch im Füessen negativ
bleiben, ähnlich, wie wir dies schon im unteren Theile des runden Rohres
am Manometer m bei Einführung der Saugspannung beobachtet haben.
Vergleichung mit dem grossen Kreislaufe. Vergleichen wir
diese Verhältnisse mit der ähnlichen Anordnung im grossen Kreislaufe,
so finden wir, dass in der Vena jugularis, in der Nähe ihres Eintritts in
den Saugraum der Pleuren, der Druck ebenfalls negativ wird. Bei der
Verstärkung der Saugspannung durch die Einathmung werden die Venen,
welche dem Pleuraraum zunächst gelegen sind, sichtlich vollständiger ent-
leert. Die Venen überhaupt können wegen ihrer schwächeren Wandungen
und ihrer im leeren Zustande flachgewölbten Form, dem durch die Saug-
spannung der Lungen veranlassten Uebergewicht des äusseren Atmosphaeren-
druckes einen viel geringeren Widerstand entgegensetzen, als die gleich-
massig runden und stärkeren Arterien.
. Da sich diese stärkere W^irkung des Ueberdruckes auf das ganze Venen-
und Capillarsystem ausdehnt, so dient also die elastische Spannung der
Lungen als Regulator der Blutcirculation, indem sie eine zu grosse Anhäufung
des Blutes in den Venen verhindert. Der Raum im Venensystem ist
grösser als im arteriellen und es würde durch dessen zu starke Anfüllung
Archiv f. A. u. Ph, 1SS8. Physiol. Abthlg. 17
258 G. V. Liebig:
eine grössere Menge Blutes der Verwendung im Haushalte des Körpers
entzogen werden. Darin liegt wohl [auch zum Theil die Begründung der
bei sitzender Lebensweise so häufig auftretenden anaemischen Zustände,
weil eine sitzende Lebensweise die Ausdehnung der Lungen beschränkt.
Die Wirkung der Saugspannung der Lungen erstreckt sich aber auch
auf das arterielle System und wir sehen, dass bei der Einathmung der
Seitendruck in den Arterien sinkt. Ganz in der gleichen Weise beobachten
wir mit Einführung der Saugspannung im Apparate das Sinken des Seiten-
druckes im runden elastischen Rohre.
Nähere Bedingungen der Stromgeschwindigkeit. Um die
Druckverhältnisse an verschiedenen Stellen des Circulationssystems wäh-
rend des Fliessens, und deren Veränderungen durch die Saugspannung,
näher zu untersuchen, wurde eine eigene Reihe von Beobachtungen an-
gestellt. Da hierfür mehrere Stellen zu vergleichen waren, die nicht gleich-
zeitig beobachtet werden konnten, und da sich die Manometerstände im
Laufe des Versuches fortwährend änderten, so kam es darauf an, solche
Vergleichungspunkte zu haben, welche bei der Wiederholung eines Ver-
suches in derselben Grösse wiederkehrten und welche leicht zu bestimmen
waren. Als solche eigneten sich die grössten, bei jedem Versuche im
Beginn des Eliessens auftretenden Höhenunterschiede in den Manometer-
ständen.
Damit erhielt man die Grösse des Seitendruckes, aus welcher man
die Grösse der an der betrefienden Stelle im Anfange des Versuches wirk-
samen Kraft auch bei den Versuchen mit Saugspannung ableiten konnte.
Die verglichenen Stellen waren: Das Manometer n über dem Saug-
raume, ein Manometer m in der Entfernung von 1 ^ vom Eingang des
runden Rohres und ein Manometer m in der gleichen Entfernung vom
Ende dieses Rohres, und zur Beobachtung wurde das eine Manometer ab-
wechselnd mit einer dieser beiden Stellen verbunden, während das Mano-
meter n über dem Saugraum angebracht blieb. (S. Fig, 2, S. 259.)
Für jeden Versuch waren zwei Ablesungen nöthig, die eine am Mano-
meter des Saugraumes, die zweite an dem Manometer des Rohres, und da
die hierfür gegebene Zeit kurz war, weil die beobachteten Stände vorüber-
gehende waren, so wurde immer nur der Stand im freien Schenkel des
Manometers abgelesen, und der gefundene Unterschied verdoppelt, um die
richtige Ablesung zu erhalten. Es war deshalb darauf gesehen worden,
dass die beiden Schenkel der Manometer möglichst genau die gleiche Weite
hatten. Die Versuche wurden öfters wiederholt und dabei auch die Reihen-
folge der Ablesungen umgekehrt. Die Scalen waren aus einem litho-
Der EINFLUSS des Luftdruckes auf die Circulation.
259
graphirten Netz von Centimetern und Millimetern herausgeschnittene Papier-
scalen, welche hinter den Manometerröhren befestigt wurden.
Die Beobachtungen wurden im Januar 1886 gemacht und um die
Ungleichheiten der Temperatur des Apparates zu vermeiden, wurde das
benutzte Wasser jedesmal auf einen bestimmten Wärmegrad, der Zimmer-
temperatur entsprechend, erwärmt. Die Pilzbildung wurde nach gründ-
licher Reinigung der Rohre, von denen einige erneuert worden waren,
verhütet, indem diese am Schlüsse des Tages mit 5°/p Carbolsäure gefüllt
wurden. Trotz alledem waren kleine Unregelmässigkeiten nicht zu ver-
meiden, und es wurden deshalb alle Beobachtungen ausgeschlossen, bei
welchen die zu Beginn und Ende der täglichen Arbeit gemachten Control-
bestimmungen mit offenem Saugraume den Unterschied von einer Secunde
in der Eliesszeit überschritten.
Die Zahlenangaben, welche ich hier mittheilen werde, sind zum Theile
wiederholt gefunden, zum Theile sind es mittlere Werthe.
Es war von besonderer Wichtigkeit, die Anordnung der Kräfte und
Widerstände kennen zu lernen, welche die Stromgeschwindigkeit bedingen;
als Maass der Kraft können wir den Unterschied des Druckes im oberen
und unteren Theile des runden Rohres betrachten, den man als das Ge-
fälle des Stromes bezeichnen kann.
Ich will nun einige Versuche mittheilen, zu deren Yerständniss die
nachstehende Figur dienen soll, in welcher m, m', n die Manometer bedeuten.
Fig. 2.
Reihe I. Versuche mit dem 6 Meter langen runden Rohre.
Zuerst bei offenem Saugraum.
Wurde der Versuch mit dem runden Rohre bei offenem Saugraume
vorbereitet, und verschloss man bei 7t, unmittelbar hinter dem Manometer
17*
260 G. V. Liebig:
m, das Rohr mit dem Finger, so dass das Manometer noch mit dem Appa-
rate in Verbindung stand, so stieg beim Oeffnen des Hahnes der Druck
im Manometer um 13-2''™, und blieb auf dieser Höhe, so lange der Ver-
schluss anhielt, Verschloss man hinter dem Manomoter rn , so zeigte die
Druckhöhe eine geringe Abnahme von etwa • 9 '^"', in Folge des vergrösserten
Raumes durch Hinzufügung des 4 ™ langen Stückes u d und der Erweiterung
dieses Stückes durch den Druck. Fügen wir diesem Werthe noch 0*1'™ für
die Erweiterung des letzten Meters der Rohrlänge hinzu, und ziehen 1 • von
13-2 ab, so bleibt 12-2«™ für die wirksame Druckhöhe. Der Werth 12-2
entspricht nahezu der Grösse des Seitendruckes am Eingange des Rohres
bei e, wenn das Fhessen beginnt, er ist etwas kleiner.
Wenn ma.n nach Beobachtung dieses Quecksilberstandes den Finger
bei u wegnahm, so fiel der Druck im Manometer m zuerst rasch auf
10.4"", wo er einen Augenblick anhielt, um dann im Verhältniss mit dem
Fortgange des Fliessens allmählich weiter abzunehmen. In Manometer vi
fiel er in derselben Weise auf 1 • 8 """. Diese beiden Stände sind die näm-
lichen, auf welche sich, wie wir gesehen haben, im Beginn des Fhessens
bei dem Versuche das Quecksilber über seinen Gleichgewichtsstand erhebt,
und deren Veränderung unter verschiedenen Umständen den Gegenstand
unserer Beobachtung bilden soll.
Ich will hier bemerken, dass dem höchsten Stand immer noch eine
kleine Schwankung nach aufwärts vorausgeht, die etwa 0-2 ''^ beträgt; es
ist dies die Welle, die dem Beginne des Fliessens vorhergeht,^ und man
erkennt daran, dass der höchste Stand erreicht ist. Die Höhe der Welle
wurde übrigens in die Beobachtung nicht eingeschlossen. Wenn eine Saug-
spannung hergestellt ist, geht am Manometer m', welches der Mündung
näher liegt, der positiven Welle zuerst eine negative voraus, welche bei Ein-
fügung der capillaren Spitze ausbleibt. Die negative Welle hängt, wie wir
später sehen werden, mit einer vorübergehenden Verstärkung der Saug-
spannung zusammen.
Wenn wir nach Bestimmung des Seitendruckes bei e, m und m\ für
den Seitendruck an der Mündung des Rohres in die obere Kugel bei z,
die Grösse annehmen, so geben uns diese vier Bestimmungen das Ge-
fälle des Rohres bei Abwesenheit einer Saugspannung.
Wir hätten also im Beginne des Fliessens
an den Punkten e m m z
die Druckhöhen 12-2 10-4 1-8
Vertheilt man diese vier Werthe als Ordinaten auf die entsprechenden
Punkte einer geraden Linie von 6'" Länge, so weicht eine Linie, welche
' Dies Archiv. 1882. S. 230.
Dee Einflüss des Luftdruckes auf die Cieculation. 261
die oberen Enden der Ordinateu verbindet, nur sehr wenig von einer ge-
raden abj sie giebt uns das Gefälle im Rohre.
Hauptsächlich massgebend für das Grefälle im runden Rohre bleiben
uns jedoch die direct bestimmten Werthe bei m und m', und wir werden
den Unterschied dieser Werthe von nun au als das Gefälle im runden
Rohre bezeichnen. Es betrug unter den Umständen des Versuches bei
offenem Saugraume
das Gefälle 10.4 — 1-8 = S-G"-".
Versuch mit der Saugtrommel ohne Spannung. Wir ändern
nun den Versuch, indem wir den Saugraum mit dem Manometer n
verschliessen und dieses mit der Saugtrommel verbinden, ohne aber jetzt
schon eine Saugspannung herzustellen.
Im Beginn des Versuches herrscht also innerhalb des Saugraumes,
sowie ausserhalb, der Atmosphaerendruck.
Wenn jetzt der Versuch in Gang gesetzt wird, so wird der Druck im
Saugraum negativ, indem er etwas unter dem äusseren Luftdruck herab-
sinkt. Diese kleine Druckverminderung ist an die Verdünnung der ein-
geschlossenen Luft durch den Austritt von Quecksilber aus dem Saugraume
gebunden, sie ist im Anfang des Versuches am grössten und nimmt im
Verlaufe allmählich ab, bis sie mit Abschluss des Versuches verschwindet
Im Beginn des Versuches wird ein Theil der unter dem Quecksilberdruck
in das Rohr eintretenden Flüssigkeit dazu verwendet, das Rohr auszu-
dehnen, und dadurch wird gleich anfangs der Raum im Inneren des
Circulationssystemes etwas erweitert. Die hierbei entstehende Verdünnung
der Luft im Saugraume und in der Trommel bewirkt ein Ueberwiegen
des äusseren Luftdruckes, welche das Trommelfell eindrückt, bis dessen
nach aussen gerichtete Spannung gross genug geworden ist, um den Unter-
schied auszugleichen: auf diese Weise bildet sich eine Saugspannung und
der Druck im Inneren des Saugraumes wird negativ. Mit dem Sinken der
Quecksilberhöhe im Laufe des Versuches nimmt die Ausdehnung des Rohres
allmählich ab, und mit ihr verschwindet auch die Saugspannung.
Bei diesem Vorgange tritt eine unbedeutende, etwa 1 Secunde be-
tragende Verlangsamung des Fliessens ein. Den Ursprung dieser Ver-
langsamung muss man, da eine gleichzeitige Verminderung des Gefälles
nicht stattfindet, darin suchen, dass die ganze Länge des Rohres von Aussen
unter dem Atmosphaerendruck steht, und deshalb stärker gedrückt wird
als seine Mündungen. Dadurch muss das Rohr im unteren Theile etwas
verengt, im oberen an seiner vollen Ausdehnung verhindert werden, Anfangs
stärker und im Laufe des Versuches abnehmend, wodurch die geringe Ver-
zögerung veranlasst wird.
262 G. V. Liebig:
Der Versuch zeigte, dass im Beginne des Fliessens im Saugraum sich
eine Druckverminderimg von • 8 *=" entwickelte, und um so viel hatte also
auch am Eingange des Rohres der Seitendruck abgenommen, den wir
anstatt zu 12-2 nun zu 1 1 • 4 annehmen können. Im Manometer ?/? zeigte
die Beobachtung einen Druck von 9-6'=™, im Manometer m den Druck
von 1 • "^, an beiden Stellen also eine Verminderung von • 8 '="'. An der
Ausmündung des Rohres betrug der Druck nicht mehr 0, sondern — 0-8
und die vier Ordinaten waren also:
11-4 9-6 1-0 —0-8
Die Linie der verbundenen Endpunkte läuft mit den früheren genau
parallel und das Gefälle ist 9-6 — 1 • = 8 • 6, dasselbe wie vorher.
Die Manometerstände von 9 • 6 und 1 • 0, welche wir im runden Rohre
gefunden haben, weichen ab von den Ständen, welche wir bei offenem
Saugraume gefunden hatten und zwar gerade so viel, als die Grösse der
im Saugraume beobachteten Druckverminderung beträgt.
Wir können also hier die Werthe, welche wir bei Abwesenheit dieser
Saugspannung erhalten haben würden, herstellen und die Wirkung der
Saugtrommel ausschliessen , wenn wir von den abgelesenen Manometer-
ständen die negative Druckgrösse, die im Saugraume herrscht, abziehen,
oder was dasselbe ist, wenn wir deren Betrag mit dem + Zeichen den
Ablesungen hinzufügen; wir erhalten so den
Seitendruck bei m 9-6 + 0-8 = 10-4
„ „ m l-0 + 0-8= 1-8
Gefälle 8-6
Obgleich das Gefälle sich nicht geändert hatte, so entstand doch, wie
schon erwähnt, eine Verlangsamung des Eliessens von 1 Secunde. Die
Eliesszeit betrug 49 Secunden, während sie bei offenem Saugraume 48 Se-
cunden betragen hatte.
Die auf diese Weise entstehende Saugspannung, welche ich als die
vorübergehende Saugspannung bezeichnen will, tritt bei allen Ver-
suchen auf, bei welchen die Saugtrommel mitwirkt, und sie muss immer
dem beobachteten Drucke zugezählt werden, um den Seitendruck
zu erhalten , wie er ohne diese Nebenwirkung der Saugtrommel gewesen
sein würde.
Die vorübergehende Saugspannung nimmt ab mit der Vergrösserung
der im Saugraume und der Trommel eingeschlossenen Luftmenge, sie
nimmt zu, wenn man diese Luftmenge kleiner macht und die Zunahme
beruht dann auf der verhältnissmässig stärkeren Verdünnung der in der
Saugtrommel enthaltenen Luft durch die Erweiterung des Rohres.
Der Einflusö des Luetdkuckew aue die (JiiicujiATiON. 263
Am stärksten wird sie, weun mau die 8augtrommel ganz vveglässt
und den Saiigraiim mit einem Kautsch iikstöpsel verschliesst, der das Mano-
meter trägt, wobei man möglichst wenig Luft zurücklassen muss. Der
Versuch mit Weglassung der Trommel und Abschluss des
Saugraumes hatte folgendes Ergebniss:
e in m n
7-8 6-0 —2.6 —4-4
und mit Hinzuziehung der vorübergehenden Saugspannuug haben wir
Seitendruck bei m 6-0 + 4.4 = 10-4
„ „ m' — 2-6 + 4-4= 1-8
Gefälle~"8T6
Hier konnte die vorübergehende Saugspannung nicht durch die Saug-
trommel entstehen, weil diese nicht vorhanden war, sondern sie wurde
durch den Widerstand des zusammengedrückten runden Rohres erzeugt,
welches schon bei m nicht mehr über seinen natürlichen Umfang ausge-
dehnt wurde, es hatte in seinem unteren Theile eine nach Aussen gerichtete
Spannung angenommen, die ein Negativwerden des inneren Druckes um
4-4°'^ bewirkte. Trotz dieser bedeutenden Grrösse des negativen Druckes
musste die Raumverminderung im Rohre eine sehr geringe sein, da die
Verlängerung der Fliesszeit bei einer Dauer von 50^2 Secunden nur 2V2 Se-
cunden betrug. Dabei kommt allerdings in Betracht, dass die Raumver-
minderung im Rohre im Laufe des Versuches fortwährend abnimmt, allein
immerhin spricht die geringe Verlängerung der Fliesszeit für eine beträcht-
liche Widerstandsfähigkeit des runden Rohres.
Versuch mit der Saugspannung von 2°™ Die seitherigen Ver-
suche wurden ohne die Mitwirkung einer bleibenden Saugspannung an-
gestellt. Führen wir nun eine solche in der Stärke von 2 "^ ein, so sinkt
der Stand des Manometers sowohl am Rohre, als über dem Saugraume um
2'="^, und der neue Gleichgewichtsstand ist nun in der Ruhe anstatt
überall — 2. Wird nun der Hahn geöffnet, so steigt in m und in m das
Quecksilber, während es über dem Saugraum in n durch die vorüber-
gehende Saugspannung etwas fällt, und wir finden im Beginne des Fliessens:
Tabelle E.
mm n
Die Manometerstände ... 7'4 — 1.2 — 3«0
Davon abgezogen der Stand des
Gleichgewichts in Ruhe . .—2-0 —2-0 —2-0
Bleibt Unterschied . .... 9-4 0-8 — 1-0
264 Gr. V. Liebig:
In dem Manometer bei in und bei m war das Quecksilber vom Gleich-
gewichtsstande bei — 2 auf 7 • 4 und auf — 1-2 gestiegen, im Manometer
bei n war es durch die vorübergehende Saugspannung um 1 ""^ unter diesen
Stand gesunken. Wir erhalten, wenn wir die vorübergehende Saugspannung
den Manometerständen zuzählen, die Seitendrucke:
Tabelle F.
Seitendruck beim 7-4-l-1.0= 8-4
„ „ m' — 1-2 + 1-0= -0^2
Gefälle"~8-6
Wenn die bewegende Kraft nicht durch das Sinken einer Quecksilber-
säule, sondern wie im arteriellen Systeme durch Einpumpen der Flüssig-
keit hervorgebracht würde, so würden dies die Werthe des auf die Wan-
dungen wirkenden Seitendruckes sein. Dieser hat also gegen seinen
Betrag bei dem Gleichgewichtsstande ohne Saugspannung, um die Grösse
der Saugspannung, hier 2"^™, abgenommen.
Der Umfang des Rohres ist entsprechend kleiner geworden und dieser
Vorgang würde die fühlbare Veränderung im Umfange der Arterien er-
klären, wie sie in den Luftschachten bei den höheren Luftdrucken beobachtet
worden ist.
Die treibenden Kräfte. Anders verhält es sich mit den treiben-
den Kräften oder den im Rohre auf das Fliessen wirksamen Druck-
höhen. Während diese vor Anwendung der Saugspannung gleich den
Seitendrucken waren, so müssen wir sie von diesen jetzt trennen. Die
Seitendrucke geben die Druckhöhen an, um welche der höchste Druck im
Inneren des Rohres den Atmosphaerendruck übertrifft, die auf das Fliessen
wirkenden Druckhöhen aber sind die Unterschiede der beobachteten höch-
sten Drucke von dem Gleichgewichtsstande im Rohre. Dieser hatte
ohne Saugspannung ebenfalls den Atmosphaerendruck zur Grundlage, nach
Einführung der Saugspannnung aber liegt er unterhalb des Atmosphaeren-
druckes. Die wirksamen Druckhöhen sind also um den Betrag der Saug-
spannung grösser, als die beobachteten Seitendrucke, sie waren in unserem
Versuche:
Tabelle G.
Treibende Kraft bei m 9-4 + 1.0=10.4
„ „ „ m 0.8 + 1-0 = 1.8
Gefälle 8-6
und das Gefälle sowohl wie die treibenden Kräfte sind also auch hier die
gleichen wie in dem runden Rohre ohne Saugspannung. Trotzdem ver-
DeE EINFLUSS DES LUFTDRUCKES AUF DIE CiRCULATION. 2(55
läugerte sich die Fliesszeit um ein Geringes^ weil durch den Ueberdruck
der äusseren Atmosphaere von 2^'" das Rohr in seinem oberen Theile an
seiner stärkeren Ausdehnung verhindert, in seinem unteren in demselben
Verhältuiss zusammengedrückt, also gleichmässig verengt wird. Dadurch
musste die Fliesszeit etwas verlängert werden, sie betrug 51 ^2 Secunden,
mit der Verlängerung von 8^/3 Secunden, worin die Wirkung der vor-
übergehenden Saugspannuug inbegriffen ist.
Versuch mit 5*"^ Saugspannung. Ich habe auch noch die Be-
stimmung bei 5 "^ Saugspannung gemacht, und die Seitendrucke betrugen
dabei:
Tabelle H.
Seitendruck hei m 4'2+l-2= 5«4
„ „ m —4.44-1.2 = -3-2
Gefälle 8-6
Die wirksamen Druckhöhen waren
Treibende Kraft beim 9.2 + 1.2 = 10-4
„ „ „ m 0.6+ 1. 2= 1-8
Gefälle 8-6
und diese hatten also die gleichen Werthe wie früher. Die Fliesszeit be-
trug 5372 Secunden mit einer Verlängerung um 572 Secunden, mit Ein-
schluss der Wirkung der vorübergehenden Saugspannung.
Reihe IL Versuche mit Anfügung des Venenschlauches.
Wenn wir seither am gleichmässig runden Rohre noch keine Aende-
rung des Gefälles bei Anwendung der Saugspannung bemerkt haben, so
tritt diese hervor, wann der Venenschlauch mit dem Rohre verbunden
wird. Dieser hatte 25 °^^ Länge und war durch ein Röhrchen von etwa
31^^ mm -y^eite mit dem runden Rohre verbunden, welches 3™™ Weite be-
sass. Die Weite der Ausflussöffnung war die gleiche wie vorher, etwa 4°™.
Durch die Verlängerung der Strombahn hätte hier das Gefälle etwas ab-
nehmen sollen und die Druckhöhen in den Manometern mussten etwas
zunehmen. Wir finden auch eine Erhöhung der Druckwerthe bei m und
bei m um 0.2"^, allein der Unterschied oder das Gefälle im runden
Rohre hat sich nicht sichtlich verändert und der Seitendruck hatte also in
der ganzen Länge des Rohres gleichmässig zugenommen. Die Seitendrucke
waren bei offenem Saugraume:
Seitendruck bei m 10 .6
„ ,, m 2-0
Gefälle 8-6"
266 Gr. V. Llebig:
Die Zeit des Eliessens hatte sicli durch Anfügimg des Venenschlauches,
der wegen seiner grösseren Weite weniger Widerstand bot, als ein gleich
langes Stück des anderen Rohres gethan haben würde, um eine Secunde
verlängert, sie betrug 49 Secunden.
Die Wiederholung des Versuches mit Hinzufügung der Saugtrommel,
aber ohne Saugspannung, gab abermals eine Meine Erhöhung der Werthe
bei m und bei m', veränderte aber den Unterschied zwischen diesen Werthen
ebenfalls noch nicht
Seitendruck bei w 10 • + • 7 = 10 • 7
„ „ m 1-4 + 0.7 = 2-1
Gefälle 8-6
Die Fliesszeit verlängerte sich hierbei abermals um eine Secunde und
stieg auf 50 Secunden.
Ich lasse jetzt die Bestimmung der treibenden Kraft bei drei ver-
schiedenen Graden der Saugspannung folgen. Schon bei der Saugspannung
von 1 °™ sehen wir an der Verminderung des Gefälles im runden Rohre,
dass der Abfluss aus diesem durch den Venenschlauch stärker erschwert
sein musss, und mit der auf 2 und auf 5 ""^ zunehmenden Saugspannung
tritt dies in einer stärkeren Abnahme des Gefälles immer deutlicher her-
vor. Um einen Maassstab zu geben, stelle ich das Gefälle bei offenem
SaiiqTaume den Beobachtungen voraus.
SaugsparinuDg
Treibende Kraft bei m
Treibende Kraft bei m
10-6
2-0
Tabelle J.
12 5
lO-O + l-O- ll-O 9-6 + l-6 = ll-2 9-6 + 2-2 = ll-8
1.6 + 1-0= 2.6 2.4 + 1-6= 4-0 4-6 + 2-2= 6-8
Gefalle
8-6
8-4 7-2 5-0
Die Zunahme der Fliesszeiten entspricht der starken Abnahme des
Gefälles, sie betrugen in Secunden:
Saugspannung: 12 5
49 541/3 6 17, 95
Eine Vergleichung der treibenden Kräfte zeigt, dass durch den ge-
hemmten Abfluss die Flüssigkeit im runden Rohre gestaut wird und zwar
ist die Anstauung im unteren Ende des Rohres bei m stärker, als im
oberen bei m, woraus sich die Abnahme des Gefälles ergiebt.
Die Seit endrucke der Flüssigkeit auf die Wandungen des Rohres
werden durch die Anstauung im Rohre nicht unbedeutend erhöht, wenn
man sie mit den entsprechenden Ständen in der Reihe I, ohne Veuen-
schlauch, vergleicht und sie behaupten im unteren Theile bei m die gleiche
oder nahezu die gleiche Höhe wie ohne Saugspannung.
Der Einfluss des LuETDJiUCKiis auf die Ciuculation.
267
Die folgGiiden Zahlen, woluhen ich die entsprechenden der Keihe I
voranstelle, geben die beobachteten Seitendrucke, wie sie mit der Correction
für die vorübergehende Saugspanuung erscheinen:
Tabelle K.
Saugspannung
1
2
5
I. Seitendruck bei m
10.4
—
8-4
5.4
„ „ ^'
1-8
■ —
—0-2
—3.2
Gefälle
8-6
8-6
8-6
II. Seitendruck bei m
10-6
10-0
9-2
6.8
„ „ ^
2-0
1-6
2.0
1-8
Gefälle
8.6
8-4
7.2
5-0
Reihe III. Versuche mit der capiilaren Spitze und dem
Yenenschlauchi
Mit der capiilaren Spitze, welche an der Uebergangsstelle zwischen
dem runden Rohre und dem Venenschlauche angebracht wurde, nahm das
Gefälle schon ohne Saugspannung stark ab, indem der Manometerstand im
unteren Theile des Rohres bei m stärker zunahm als im oberen bei m.
Bei offenem Saugraume und mit der Trommel ohne Saugspannung wurden
folgende wirksame Druckhöhen erhalten:
Offener Saugraum. Trommel ohne Spannung.
Treibende Kraft bei m 11-2 10.4 + 0.9-11.3
„ „ „ m 6-0 5.2 + 0. 9 = 6.1
Gefälle 5^2 5^
Das Gefälle hatte also, durch Einsetzung der Spitze, von 8 • 6 auf 5 . 2
oder um etwa 40 '^/g abgenommen, die Dauer des Fliessens betrug bei
offenem Saugraume 69 Secunden, mit der Trommel 70 Secunden, in beiden
Fällen 20 Secunden mehr als ohne Spitze. Einen etwa gleich grossen
Unterschied von den entsprechenden Stellen der Reihe II zeigten die Fliess-
zeiten bei verschiedenen Graden der Saugspannung und die durch die
Spitze hervorgebrachte Verzögerung des Abflusses blieb also auch bei zu-
nehmender Saugspannung unverändert die gleiche. Die wirksamen Druck-
höhen, welchen ich die beobachteten Seitendrucke und die Füesszeiten an-
reihe, waren folgende:
Tabelle L.
Saugspannung
Treibende Kraft bei
Treibende Kraft bei
m
m
11-2
6-0
10
5
2 + 1
2 + 1
1
•0 =
•0 =
= 11-2
= 6-2
10
5
2
+ 1-
2 + 1-
6 =
6-
= 11-6
= 6-8
5
10-0 + 2.2 = 12.2
6.0 + 2-2-= 8-2
Gefälle
Seiteudruck bei m
Seitendruck bei m
5-2
11.2
6-0
5-0
10-2
5-2
4-8
9-6
4.8
4-0
7-2
3.2
Gefälle
Fliesszeiten
5-2
69
5-0
4-8
82V2
4.0
116
268 G. V. Liebig:
Die Zunahme der .Stauung erfolgte bei m in einem, im Ganzen ähn-
lichen Yerhältnisse, wie in der Reihe n, hei m in geringerem Verhältnisse
und deshalb zeigten die Seitendrucke im unteren Theile des Rohres einen
stärkeren Abfall als dort (vgl. Tabelle K).
Abnahme des Seitendruckes.
Wollen wir uns Rechenschaft geben, wie die Abnahme des Seiten-
druckes auch im Fliessen durch die Saugspannung zu Stande kommt,
während doch die Höhe der Quecksilbersäule oder die Kraft des Queck-
silberdruckes die gleiche geblieben ist, so müssen wir von der Druckver-
minderung im Saugraume und in den Rohren ausgehen, in Folge deren
der äussere Luftdruck stärker wird als der Druck im Inneren des Circu-
lationsapparates. Nehmen wir an, die Saugspannung betrage 2 """, so würde
nach hergestelltem Gleichgewichte der Druck im Inneren des ganzen Systems
2 <'™ weniger betragen, als der Luftdruck, er wäre also beispielsweise 74 '=°^,
wenn der Luftdruck 76 "^^ ist. Man bezeichnet diesen Unterschied gewöhn-
lich als einen negativen Druck von 2°"^.
Wenn man widerstandslose Rohre voraussetzt, die von dem Luftdrucke
vollständig zusammengepresst werden, so würde jetzt eine im Inneren des
Saugraumes auf die Flüssigkeit wirkende Kraft, die kleiner wäre als 2*""^
den Austritt von Flüssigkeit in das Rohr nicht bewirken können. Es würde
erst dann Flüssigkeit in das Rohr eintreten, wenn diese Kraft die Grösse
von 2 "^ überschritten haben würde, denn der äussere Ueberdruck, der das
Rohr zusammenzupressen und den Inhalt zurückzudrängen strebt, würde
einem inneren Drucke von 2"™ das Gleichgewicht halten. Es würde also
nur so viel Flüssigkeit in das Rohr eintreten können, als dem Ueberschusse
der wirksamen Kraft über 2"'^ entspricht, und diese Menge würde das
Rohr weniger stark ausdehnen, als wenn die 2 ^'^ mitwirken könnten.
Vielleicht wäre das folgende Beispiel geeignet, die Sache zu verdeut-
lichen. Nähme in einem bestimmten Falle durch die Saugspanuung der
negative Druck im Saugraume so sehr zu, dass er der Kraft gleichkäme,
welche die Flüssigkeit herauszutreiben strebt, so würde dann Nichts mehr
aus dem Saugraum austreten können.
In unserem Apparate ist die bewegende Kraft im Augenblicke der
Oeffnung des Hahnes gleich einer Quecksilbersäule von etwa 13'2''"^ Höhe.
Um einen dieser Kraft gleichen negativen Druck herzustellen, machen wir
nun den Apparat durch AnfüUung der oberen Kugel mit Wasser luftleer
und verschliessen die Oeffnung mit einem Kautschukstöpsel.
Die Einmündung des Rohres in den oberen Theil des Saugraumes bei
CL (Fig. 1) verschliessen wir, indem wir dort das Rohr mit zwei Fingern
Der Einflüss des Luftdkuckes auf die Circulation. 269
zusammendrücken, weil dessen stark elastische Wandung dem atmosphae-
rischeu Ueberdrucke widerstehen würde. Wenn wir jetzt den Hahn ööhen,
würde bei offenem Saugraume das Manometer bei m den Druck von 1 2 • 2 ""^
anzeigen (vgl. S. 260), aber unter den gegebenen Verhältnissen zeigt das
Manometer bei m nicht die geringste Bewegung.
In diesem Falle ist der Druck im Inneren auf die Wandungen des
Saugraumes gerade um die wirksame Höhe der Quecksilbersäule kleiner,
als der äussere Luftdruck. Da aber dieser Unterschied die Wirkung der
Saugspannung bedingt, so wäre hier die Saugspannung so stark geworden,
wie die treibende Kraft. Obgleich der Weg offen und die Kraft vorhanden
ist, so kann doch keine Flüssigkeit in das Rohr eintreten, weil der äussere
Ueberdruck das Quecksilber im Saugraum zurückhält. Wir verstehen hier-
aus, dass der Seitendruck im ßohre sinken muss, sobald die
Saug Spannung zunimmt, weil die ausdehnende Kraft um die Grösse
dieser Zunahme vermindert wird, und dass der Umfang des ausgedehnten
Rohres dabei abnehmen muss.
Der Rauminhalt, welchen das runde Rohr im nicht ausgedehnten Ruhe-
zustande besitzt, wird, wie die Versuche der Reihe I gezeigt haben, durch
den Ueberdruck der Atmosphaere nur soweit vermindert, als dessen elastische
Widerstandskraft nicht im Stande ist, den Ueberdruck abzuhalten.
Ich möchte noch auf einen scheinbaren Widerspruch zurückkommen,
der sich daraus ergeben könnte, dass der Seitendruck oder die ausdehnende
Kraft im Rohre mit steigender Spannung abnimmt, während wir doch fanden,
dass die Kraft, welche wir die treibende genannt haben, im runden Rohre
sich auch nach Einführung der Saugspannung gleich bheb, und, bei An-
wendung des Venenschlauches, durch Stauung sogar noch zunahm, da doch
die beiden Kräfte in demselben Quecksilberdruck beruhen.
Allein es ist kein Widerspruch vorhanden, denn diese beiden Be-
zeichnungen beziehen sich auf ganz verschiedene Grundlagen. Die aus-
dehnende Kraft oder der Seitendruck ist immer der Ueberschass des im
Inneren wirkenden Druckes über den Atmosphaerendruck , denn nur der
Ueberschuss des Druckes bewirkt die Ausdehnung Die wirksame Druck-
höhe dagegen, welche die Stromgeschwindigkeit beherrscht, ist die Höhe
des Seitendruckes über dem erniedrigten Gleichgewichtsstand im Inneren
des Systems, und diese giebt immer die Grösse der treibenden Kraft.
Das Circulationssystem ist durch die Wandungen des Saugraumes und
der Rohre von dem äusseren Luftdrucke abgeschlossen und bildet ein Druck-
system für sich, in welchem der Druck auf den Inhalt überall gleich ist,
und in welchem deshalb der Einfluss der Quecksilberhöhe auf die Bewegung
der Flüssigkeit zur Geltung kommt, so lange die Wandungen widerstands-
fähig genug sind, um den äusseren Ueberdruck zu tragen und so den
270 G. V. Liebig:
Querschnitt der Rohre offen zu erhalten. Ist dies nicht der Fall, dann
wird die elastische Leitung durch den äusseren TJeberdrack entweder im
Ganzen gleichmässig verengt, wie das runde Rohr, oder sie wird in einem
schwächeren Abschnitt wie der Venenschlauch stärker zusammengedrückt,
bis auch dessen zunehmende Spannung dem Ueberdrucke das Gleichgewicht
hält. Es ist noch ein dritter Fall möglich, nämlich, dass am Ende der
Leitung, im Venenschlauche, der Widerstand der Wandung nicht aus-
reichte den ganzen Ueberdruck zu tragen, sondern nur einen Theil des-
selben, während der Seitendruck der Flüssigkeit schon stark abgenommen
hat. Es würde dann die Stauung vor dem Hinderniss sich so lange ver-
stärken, bis sie im Verein mit dem Widerstände der Wandung zur TJeber-
windung der Verengung die nöthige Kraft gewonnen hatte: Dieser Fall
scheint bei unseren Versuchen, wenigstens unter den höheren Graden der
Saugspannung, obzuwalten.
Wenn die allgemeine Verengung, wie am runden Rohre, geringfügig
ist, nimmt die Geschwindigkeit des Fhessens nur unbedeutend ab, sie ver-
mindert sich aber stark wenn die Strombahn an einer Stelle stärker verengt
wird. Die Verlangsamung des Fliessens steht in unserem Versuche, wie
wir später sehen werden, in einem bestimmten Verhältnisse zu dem der
Saugspannung gleichen Ueberdrucke der Atmosphaere.
Bei dem von mir für die Versuche benutzten Venenschlauche war
dessen Widerstandskraft eine sehr schwache und es kam bei starkem Ueber-
drucke von 5 und 6 °'^ vor, dass der Eingang des Abfiussröhrchens, welches
den Venenschlauch mit dem Saugraume verband, verlegt wurde, indem
die Wandung des Schlauches sich darüber legte und durch den Ueberdruck
festgehalten wurde; dann kam die Circulation zum Stillstand. Ich konnte
dies aber verhüten, indem ich dicht neben dem Röhrchen ein kurzes Stück
einer vierkantigen Kautschukschnur einlegte, welches den klappenartigen
Verschluss verhinderte.
Wurde ein stärkerer Venenschlauch genommen, dann trat ein der-
artiger Verschluss nicht ein, auch wurde die Circulation weniger stark ver-
langsamt. Man sieht hieraus, dass auch im grossen Kreislaufe die stärkere
oder schwächere Beschaffenheit der Blutgefässe auf die Geschwindigkeit der
Circulation und auf das deutliche Hervortreten einer Wirkung der Saug-
spannung überhaupt, von Einüuss sein müsse.
Der Widerstand, welchen der Ueberdruck der Athmosphaere dem
Strome entgegensetzt, unterscheidet sich von dem Widerstände, den ein
einfaches mechanisches Hinderniss bieten würde, dadurch, dass er sich mit
der Saugspannung verändert, während die Verzögerung, welche ein mecha-
nisches Hinderniss bewirkt, von der Saugspannung, wie wir gleich sehen
werden, unberührt bleibt.
Der EINFLUSS des Luftdruckes auf die Circulation. 271
Verhältuiss der Stärke der Sangspannung zu den Fliesszeiieu.
Um den Einfluss der Grösse der Saugspamiuag auf die Geschwindig-
keit des Stromes genauer kennen zu lernen, beobachtete ich, sowohl bei
der Zusammenstellung der Reihe II mit dem Venenschlauch, als bei der
Zusammenstellung der Reihe III mit Schlauch und capillarer Spitze, die
FHesszeiten für Saugspannungen , welche von 1 bis zu 5 und 6 ™ zu-
nahmen.
Einige dieser Ergebnisse sind schon mitgetheilt, ich füge jetzt die
übrigen hinzu.
Die Zählungen wurden für jede Versuchsreihe hintereinander vorge-
nommen, um genau die gleichen Umstände beizubehalten, und einzelne
wurden wiederholt gemacht. Von diesen, wenn sie verschieden waren,
wurde das Mittel genommen. Ich stelle die Ergebnisse der drei Versuchs-
reihen untereinander, indem ich immer die Eliesszeit bei offenem Saug-
raume voranstelle.
Tabelle M.
Saugspannung in Cm:
1 2
3 4
5
Fliesszeit in Secunden I:
48
- 51 V2
— —
53V2
5? 7) J? ^^•
49
541/2 QVU
7IV2 82
95
V V 7J ^^^'
69
74V2 S2\l,
91 Va 1033/,
116
112
In diesen Reihen konnte die Wirkung der vorübergehenden Saug-
spannung nicht ausgeschlossen werden, da die kleine Verlängerung der
Fliesszeit, welche sie bewirkt, so nahe mit unseren Fehlergrenzen zusammen-
fällt, dass die benutzten Instrumente eine sichere Bestimmung ihrer Werthe
nicht gestatteten.
Sie würden nur bei den kleinen Unterschieden der Reihe I in's Ge-
wicht fallen, übrigens an dem aus dem Verhältnisse dieser Werthe zu ein-
ander zu ziehenden Schlüsse nichts ändern.
Man bemerkt in der Reihe I, dass die Zunahme der Fliesszeit zwi-
schen den Spannungen und 2 stärker ist, als zwischen 2 und 5, woraus
man schliessen dürfte, dass der Widerstand des gleichmässig runden Rohres
gegen das Zusammendrücken mit dem zunehmenden Ueberdrucke ebenfalls
zunahm; der Querschnitt des Rohres wurde daher anfangs am stärksten,
später für die gleiche Zunahme des Ueberdruckes in geringerem Verhält-
nisse verkleinert.
In der II. und III. Reihe ist die Zunahme der Verzögerung viel
stärker und sie wächst in grösserem Verhältnisse, als der Ueberdruck.
Die in der III. Reihe, durch Einführung der capillaren Spitze gegenüber
272 G. V. Liebig:
der II. Reihe bewirkte Verlangsamung war durch alle Stufen der Saug-
spannung oder des Ueberdruckes, wie schon erwähnt, die gleiche, indem
die Eliesszeiten in der IIL Reihe jedesmal 20 bis 21 Secunden länger
waren, als bei der gleichen Saugspannung in der IL Reihe. Dieses Ver-
halten ist nach zwei Richtungen von Bedeutung: erstens zeigt es, dass ein
mechanisches Hinderniss eine unter allen Spannungen gleichbleibende Ver-
zögerung bewirkt, und dies gestattet uns, eine Beobachtungsreihe, deren.
Controle, durch die Miesszeit bei ofienem Saugraume vor- und nachher,
das Vorhandensein eines unbedeutenden mechanischen Hindernisses in der
Strombahn anzeigt, auf eine andere Beobachtungsreihe zu reduciren.
Zweitens erlaubt uns dies Verhalten den Schluss, dass in beiden Reihen
die Verlangsam ung des Fhessens durch die Saugspannung dem gleichen
Gesetze unterliegt, welches wir am besten aus den Ergebnissen der IL Reihe
ableiten können. Nehmen wir den Unterschied zwischen zwei
1
2
3
4
5
6
IL
49
54V2
61^4
7IV2
82
95
112
A.
—
5V2
7V.
9^4
IOV2
13
17
Gliedern, so erhalten wir eine zweite Reihe A, welche einfacher fort-
schreitet, indem sich ihre einzelnen Gheder bis zum fünften durchschnitt-
lich um die Zahl 2 von einander unterscheiden, wenn wir von einzelnen,
durch die unvermeidlichen Beobachtungsfehler bedingten Abweichungen
absehen wollen. Nehmen wir die Zahl 2 als feststehenden Unterschied an
und corrigiren danach die zuletzt erhaltene Reihe A, so würde diese lauten
1
2
3
4
5
6
A. corr.
B.
—
5V2
7V2
2
9V2
2
IIV2
2
I3V2
2
I5V2
2
und wenn wir mit Hilfe der so hergestellten Glieder die Reihe II berechnen
so erhalten wir folsjende Zahlen:
1
2
3
4
5
6
IL berechnet 49
54^',
62
7IV2
83
96V2
112
gefunden 49
54V2
61^/4
71 vi
82
95
112
Wir sehen, dass der berechneten Reihe nur drei Gheder von den ge-
fundenen abweichen, und die Abweichung überschreitet nicht die gleich
anfangs festgestellte Fehlergrenze von 1^2 Secunden. Dies erlaubt uns,
die berechneten Werthe von II als die richtigen hinzustellen. Es lässt sich
nun das Gesetz bestimmen, welches der Bildung dieser Reihe zu Grunde
liegt, und welches die Berechnung der einzelnen Glieder möglich macht.
DeK EINFLUSS DES LUFTDRUCKES AUF DIE ClRCULATION. 273
Wenn wir mit y die Fliesszeiteu und. mit x die Haugspanuung, oder den
Ueberdruck der äusseren Atmosphaere, bezeichnen, so wird dieses Gesetz
ausgedrückt durch die Gleichung
y = ^2 ^ 4 . 5 .r + 49.
Um die Reihe III zu erhalten, fügen wir jedem der berechneten
Gheder der Reihe II die Zahl 20 hinzu, und bekommen
1
2
3
4
5
III, berechnet
69
74V,
82
9IV2
103
116 V.
III. gefunden
69
74V,
82V2
9IV2
103=5/,
116
eine Reihe, die fast genau mit der gefundenen übereinstimmt. Die Formel
für die Berechnung der Reihe III ist ganz die gleiche, wie für die Reihe II,
indem nur die Constante sich ändert:
3/ = x2 + 4.5.r+ 69.
Die Gleichungen zeigen, dass die Verlängerung der Fhesszeit, als eine
Function der bleibenden Saugspannung, oder des Ueberdruckes der äusseren
Atmosphaere angesehen werden muss. Der Coefficient von x würde sich
etwas ändern, wenn wir den unbedeutenden Einfluss der vorübergehenden
Saugspannung auf die Fliesszeit ausschliessen könnten, allein die allgemeine
Form des Gesetzes würde dadurch wahrscheinlich nicht berührt werden,
weil aus den Angaben der wirksamen Druckhöhen der Tabellen J und L
hervorgeht, dass die Grösse der vorübergehenden Saugspannung ebenfalls
zum Theile eine Function des Ueberdruckes ist, mit welchem sie etwas zu-
nimmt.
Maassgebend für die Grösse der Verlangsamung des Fhessens bleibt
neben dem Ueberdrucke hauptsächlich auch der grössere oder geringere
Widerstand, welchen der Venenschlauch dem Ueberdrucke entgegen-
setzen kann.
Druckverminderung im arteriellen System unter dem erhöhten
Luftdrucke.
Unsere Versuche haben die Gesetzmässigkeit einer Verminderung des
Seitendruckes in den Rohren nachgewiesen, sobald die auf das Circulations-
system wirkende Saugspannung zunimmt. Auch im arteriellen System
finden wir die Wirkung dieses Gesetzes ausgeprägt, wenn die saugende
Spannung der Lungen durch deren Ausdehnung bei der Einathmung
grösser wird. In derselben Weise dürfte man eine Verminderung des
arteriellen Druckes jedesmal dann erwarten, ^enn unter dem bleibend er-
Archiv f. A.u.Ph. isss. Physiol. Abthlg. 18
274 Cr. V. Liebig:
höhten Luftdrucke sich die Ausdehnung sstellung der Lungen durchschnitt-
lich etwas erweitert.
Eine solche ist in der That in der pneumatischen Kammer von meh-
reren Forschern beobachtet worden. Zuerst machte J. Lange in Uetersen
in Gemeinschaft mit Prof. Dr. Hensen aus Kiel eine Beobachtung mit
dem Haemodynamometer , welche er in seiner Schrift „Die comprimirte
Luft u. s. w." Göttingen 1864 mitgetheilt hat. Sie fanden an der Carotis
eines Hundes, dass der Blutdruck unter dem erhöhten Luftdruck erniedrigt
werde; Zahlen sind jedoch nicht angegeben.
V. Vivenot (a. a. 0. S. 384) machte einige Bestimmungen an Hunden mit
dem Kymographion, die jedoch zu keinem bestimmten Ergebnisse führten.
Panum in Kopenhagen machte in derselben Weise zwei Bestimmungen
an Hunden und fand, indem er die Manometerstände nur bei ruhigem
Verhalten der Thiere als maassgebend verghch, dass der Blutdruck unter
dem erhöhten Luftdrucke abgenommen hatte, und dass er nach Herstel-
lung des gewöhnlichen wieder zunahm. (Pflüg er 's Archiv, I, 162.)
Später fand Paul Bert^ unter dem verstärkten Luftdrucke im Gegen-
theile eine Erhöhung des Blutdruckes an zwei Hunden und er theilt die
Zeichnungen der dabei unter beiden Luftdrucken erhaltenen Curven mit.
Diese zeigen aber unter dem erhöhten Luftdrucke zugleich ausnehmend
starke Respirationsbewegungen, bei aussergewöhnlich grosser Verlangsamung
des Athmens an, wie sie im Normalzustände unter keinem von beiden
Drucken vorkommen, und man muss daraus auf ein ungewöhnliches Ver-
halten der Thiere schliessen, wodurch die Versuche zur Entscheidung der
Frage ungeeignet erscheinen. Nach einer anderen Methode an Hunden
fand Cyon,2 dass der Blutdruck, unter Erhöhung des Luftdruckes auf
zwei und drei Atmosphaeren, besonders zwischen der zweiten und dritten
Atmosphaere stark abnahm. Die Versuche sind jedoch in einer Weise
angestellt, welche das normale Verhalten der Hunde sehr fraglich . lässt,
und sind daher auch nicht entscheidend.
Lazarus machte im October 1877 in Berlin Bestimmungen an Ham-
meln, nach Setchenow's Methode, von welchen er in der Zeitschrift für
practische Medicin 1878 eine mittheilt. Danach stieg der Blutdruck,
so lange der Luftdruck im Steigen begriffen war, von 67 auf 71 '""\
Als dann die bleibende Druckhöhe von 32 ''"^ üeberdruck erreicht war, be-
gann der Blutdruck zu sinken und setzte dies auch in der Zeit des ab-
nehmenden Luftdruckes noch fort. Kurz vor Herstellung des normalen
Luftdruckes hatte er mit 65 °*™ einen geringeren Stand erreicht als
^ La Pression atmosphSrique. Paris 1878.
^ Dies Archiv. 1883. Supplemeutband.
Der EINFLUSS des Luftdeuckes auf die Circülation. 275
■vor Beginn des Versuches, und mit dem Eintreten des normalen Luft-
druckes nahm der Blutdruck seine anfängliche Grösse von 67 "i™ wieder an.
Zwölf Bestimmungen, welche Zadeck mit einem Basch'schen Appa-
rate zur Bestimmung des Blutdruckes am Radialpulse an fünf Personen
in der pneumatischen Kammer ausführte,^ ergaben in vier Fällen keine
wesentliche Aenderung. In acht Fällen stieg der Blutdruck wähi-end des
zunehmenden Luftdruckes bis zur Erreichung der gleichbleibenden Druck-
höhe, und in sechs von diesen fing der Blutdruck mit Erreichung dieser
Höhe, oder während ihrer Dauer wieder an zu fallen, in drei unter den
Anfangswerth , in dem siebenten fiel er und stieg später wieder, in dem
achten blieb er auf der erreichten Höhe.
Als der Luftdruck im Sinken begriffen war, fiel der Blutdruck bei
Allen, und war zuletzt bei zwei von ihnen niedriger als der Anfangswerth,
den er bei den übrigen mit Herstellung des normalen Luftdruckes etwa in
der vorigen Grösse wieder erreichte.
Wir haben hier in sieben Fällen von den acht, welche überhaupt
eine Veränderung des Blutdruckes zeigten, eine Uebereinstimmung mit den
Ergebnissen von Lazarus am Hammel, nämhch eine Zunahme des Blut-
druckes unter dem steigenden Luftdrucke, dann beginnt er unter der
bleibenden Druckerhöhung zu fallen und setzt dies bei den meisten unter
dem sinkenden Luftdrucke fort.
Eine viel genauere Bestimmung finden wir in zwei Versuchen mit dem
Plethysmographen, welche Mos so in seiner Arbeit DaW inspirazione deV aria
compressa, Turin 1877, mittheilt. Der Luftdruck wurde für den ersten
Versuch um 76, für den zweiten um 80"™ erhöht und als Versuchsperson
diente ein auf die Versuche mit dem Plethysmographen eingeübter, kräftiger
junger Mann von 28 Jahren.
Das Ergebniss war beide Male das gleiche: in dem Augenblicke, in
welchem die Druckerhöhung begann, trat ein kurzes Sinken des Blut-
druckes ein, welcher aber sofort wieder zu steigen anfing und darin an-
hielt, bis die kurze Periode des bleibend erhöhten Luftdruckes eingetreten
war. Im Beginn dieser Periode fing der Blutdruck wieder an zu sinken,
und fiel unter seine ursprüngliche Höhe. Das Sinken setzte sich noch kurze
Zeit fort, nachdem der Luftdruck angefangen hatte abzunehmen und in
der übrigen Zeit des abnehmenden Luftdruckes verhielt sich der Blutdruck
abwechselnd auf geringerer Höhe, bis er mit dem Eintreten des normalen
Luftdruckes wieder eine anhaltend aufsteigende Bewegung annahm.
Dieser Beobachtung möchte ich das grösste Gewicht beilegen, weil sie
^ Zeitschrift für klinische Medicin. Bd. II. 1881. S. 567.
18^
276 G. V. Liebig:
unter den normalsten Verhältnissen und von einem bewährten, mit seiner
Methode vertrauten Beobachter gemacht wurde. Der Blutdruck, welcher
bis zur Erreichung der bleibenden Höhe des Luftdruckes zugenommen hatte,
fängt mit oder nach dem Eintreten dieses Zeitpunktes an zu fallen und
sinkt unter seinen Anfangswerth. Unter dem sinkenden Luftdrucke fällt er
noch etwas stärker, bis er mit oder nach der Herstellung des normalen
Luftdruckes seinen normalen Werth wieder gewinnt.
Wollen wir diese Ergebnisse mit den Beobachtungen an unserem
Apparate vergleichen, so ist dabei zu berücksichtigen, dass die Bedingungen,
welchen die Circulation im menschhchen Körper während der Zu- und Ab-
nahme des Luftdruckes unterliegt, bei den Versuchen mit dem Apparate
nicht vorgekommen sind. Der Apparat giebt die Verhältnisse während
einer einzelnen Dehnung des elastischen Rohres, gleichsam während eines
verlängerten Pulsschlages j nachdem der Ausgleich des Circulationssystems
mit der Saugspannung und dem äusseren lJel)erdrucke schon vollzogen ist.
Wir können also nur die Stufe des gleichbleibend erhöhten Luftdruckes
mit der Verstärkung der Saugspannung bei unseren Versuchen zum Ver-
gleiche bringen, und wir linden unter dieser, übereinstimmend mit der
Druckverminderung im Apparate, eine Erniedrigung des Blutdruckes.
Auf das Steigen des Blutdruckes unter dem zunehmenden, und auf
sein weiteres Sinken u]iter dem abnehmenden Luftdruck werde ich im
Folgenden zurückkommen.
Zusammenhang der Erscheinungen im Circulationss3^stem
mit den verschiedenen Stufen des Luftdruckes.
Wenn ich den Versuch machen will, die hauptsächlichen Züge des
unter den verschiedenen Stufen des Luftdruckes beobachteten Verhaltens
des Pulses und des Blutdruckes, soweit dies möglich ist, mit Hilfe der
mechanischen Veränderungen zu verfolgen, welche die stärkere Spannung
einer ervs^eiterten Lunge im Gefässsystem bewirkt, so muss die Mitwirkung
des Nervensystems auf eine stärkere Zusammenziehung oder auf eine Er-
schlaffung der Arterien, wodurch der Elasticitätscoefficieut verändert werden
würde, dabei ausgeschlossen bleiben. Es wird eine, der normalen Puls-
form entsprechende, gleich bleibende Elasticität vorausgesetzt, so wie sie
die mitgetheilten Abbildungen der Pulscurven nachweisen.
Indem wir die Vorgänge unter den einzelnen Stufen, nämlich der
Erhöhung des Luftdruckes, des gleichbleibenden und des fallenden Druckes,
von einander trennen, betrachten wir zuerst die Verhältnisse
L Unter dem ansteigenden Luftdrucke. Die Zunahme des Blut-
druckes unter dem steigenden Luftdrucke wird verständlich, wenn man er-
Der Einfluss des Lüftdeuckes auf die Ciecülatio.n. 277
wägt, dass, solange unter dem zunehmenden Luftdrücke auch die Lungen-
spannung zunimmt, die Venen und Capillaren wegen ihrer geringeren
Widerstandskraft fort und fort stärker verengt werden als die Arterien,
was den Abfluss aus dem arteriellen Systeme in jedem Augenbhcke von
Neuem erschweren und dadurch den Ausgleich verzögern muss.
In demselben Maasse entleert sich zugleich das Veneusystem mehr
und mehr, und es wird dadurch dem rechten Herzen mehr Blut zugeführt.
Wenn auch dieses zum Theil in den Longen zurückbleibt, so erhält doch
unter solchen Umständen das linke Herz- gewiss nicht weniger Blut, als
vorher, eher mehr, und jeder Pulsschlag erneuert den Vorrath in den
Arterien, ehe noch das von dem vorigen zugeführte Blut ganz ablaufen
konnte, wobei die Verminderung der Frequenz noch nicht ausreicht die Aus-
gleichung herbeizuführen. Auf diese Weise könnte während des zunehmen-
den Luftdruckes eine Erhöhung des arteriellen Druckes entstehen.
Bei unserer Versuchsperson, Hrn. W. kam die in jedem Augenblicke
zunehmende Verengung des Abflussweges aus den Arterien au den unter
dem steigenden Luftdrucke erhaltenen Pulscurven zum Ausdrucke, indem
diese grösser wurden als sie vorher unter dem gewöhnlichen Luftdrucke
erhalten worden waren.
Das Auftreten einer Vergrösserung der Pulscurve durch Verengung
des A.bflussweges ist eine gewöhnliche Erscheinung, sie lässt sich an der
Radialis nachweisen, wenn eine Abzweigung der Arterie über dem Hand-
gelenke leicht unterdrückt werden kann. Waren die Curven vorher klein,
so nehmen sie sofort in allen Richtungen an Grösse zu, wenn die Ab-
zweigung durch den Fingerdruck verschlossen wird. Auch künstlich erzielt
man am elastischen Rohre durch Verengung der Mündung jedesmal eine
Vergrösserung der Curven. Abbildungen dieser beiden Entstehungsweisen
habe ich in diesem Archiv 1883, Supplementband, Taf. IV, Figg. 85 — 87
mitgetheilt.
IL Unter dem gleichbleibend erhöhten Luftdrucke setzt sich
die Verengung des Venensystems nicht weiter fort, und es wird aus dem in
den Venen enthaltenen Vorrath kein Blut weiter abgegeben als der durch
einen Pulsschlag den Venen zugeführten Menge entspricht.
Die Grösse der Pulscurve nimmt wieder Verhältnisse an, die sich von
den normalen eigentlich nicht unterscheiden lassen. Wegen der Abnahme
des Seitendruckes könnte mau voraussetzen, dass sie kleiner werden würden,
allein dem wirkt der Umstand entgegen, dass wir die Blutmenge so-
wohl, als die Kraft des Herzschlages als unverändert annehmen müssen.
Es ist übrigens wahrscheinlich, dass unter einem bedeutend stärkeren
278 G. V. Liebig:
Luftdriicke, als wir ihn angewandt ha"ben, die Aenderung im Blutdrücke
sich in irgend einer Weise auch in der Pulscurve ausprägen würde.
Wenn wir voraussetzen, dass die Blutmenge und die Kraft des
Herzschlages die gleiche sei, wie unter gewöhnlichem Luftdrucke, so würde
eine Verlaugsamung des Pulses in Folge der mechanischen Verhältnisse
auftreten, welche in den Arterien die dauernde Verminderung des Blut-
druckes in derselben Weise begleiten müssten, wie wir sie im Apparate,
unter der Wirkung der Saugspannung und des Venenschlauches, beobachtet
haben. Nachdem der Ausgleich einmal vollzogen ist, unterstützt die Ver-
engung des Abflussweges aus den Arterien nicht länger das Auftreten einer
anhaltenden Stauung mit Erhöhung des Blutdruckes, weil durch die
Verstärkung des äusseren atmosphaerischen Ueberdruckes ein Theil der
treibenden Kraft, nämlich der Spannung oder des Druckes im Anfangs-
theile der Aorta, im Gleichgewicht gehalten wird. Das Blut verweilt also
länger in der Aorta thoracica, und dies müsste die Zusammenziehung
des Herzens in mechanischer Weise verlangsamen, so dass der Puls nun
träger werden würde, so wie es Vier or dt für die Einathmung angiebt.
Dadurch erhält der Inhalt eines vorangehenden Pulsschlages Zeit, die
Arterie zu verlassen, ehe der folgende eintritt.
Die mit dem Pulse vorübergehende Stauung, welche die zunehmen-
den Werthe für die treibende Kraft in unseren Versuchen, Tabelle J und L,
anzeigten, ist an den Pulscurven unter dem gleichbleibend erhöhten Luft-
drucke vielleicht darin zu erkennen, dass sich die Curven häufig den Stauungs-
formen nähern. Bei solchen Formen liegt die Abflusserhebung (Rückstoss-
erhebung) der Spitze näher als bei den normalen, und der untere Theil der
Curven wird in der Höhe der Abflusserhebung etwas breiter. (Vgl. a. a. 0.
Figg. 80—83.)
Wo bleibt nun das dem grossen Kreislaufe durch die verstärkte Saug-
spannung entzogene Blut? Es gehört eine sehr geringe Menge von Flüssig-
keit dazu, um in einem über sein normales Gleichgewicht gedehnten elas-
tischen Rohre den Druck bemerklich zu ändern. Einige Tropfen, die man
herausliess, bewirkten in dem Apparate, wenn der Saugraum verschlossen
war, einen sichtlichen Unterschied im Manometerstande, und es ist deshalb
eine verhältnissmässig unbedeutende Menge Blut, die dem arteriellen Systeme
vorenthalten werden muss, um den Blutdruck so weit herabzusetzen, wie
es z. B. bei der Einathmung (bei Thieren) geschieht.
In unserem Falle würde besonders die Blutmenge zu berücksichtigen
sein, welche dem Venenensystem entzogen wird. Vergeblich haben die
Aerzte gesucht, im Kopfe oder in anderen der Beobachtung zugänglichen
Organen eine Vermehrung des Blutgehaltes symptomatisch nachzuweisen,
Der EINFLUSS des Lüftdruckes aue die Circulation. 279
man fand im Gegentheile überall Zeichen einer Verminderung der Blut-
fülle und gelegentlich Rückbildung von Congestiv- Zuständen, wie z. B.
Zahnschmerzen, die unter dem erhöhten Luftdruck häufig verschwinden.
Das Gegentheil findet bekanntlich unter stark vermindertem Luftdruck
statt, in welchem die mittlere Ausdehnungsstellung der Lungen wahrschein-
lich eine engere, und ihre Spannung dadurch schwächer wird. Die Venen
und Capillaren der Haut sind dann stärker gefüllt und bluten stärker bei
leichten Verletzungen und die Capillaren der Schleimhäute haben Neigung
zu bersten. Auch im gewöhnlichen Leben erkennt man bei sitzender
Lebensweise, bei welcher die Lungen durchschnittlich weniger stark aus-
gedehnt werden, die Folgen einer schwächeren Lungenspannung und ver-
minderter Muskelthätigkeit in mannigfachen Beschwerden, welche mit
venöser Stauung zusammenhängen.
Wir können, in Ermangelung jeder anderen Anzeige, den Ort der
Unterkunft für das den Venen entzogene Blut nur in den Lungen selbst
suchen, deren zu- und abführende Gefässe ja ebenfalls unter der Wirkung
der Saugspannung stehen, während die Capillaren in den Alveolen zwar
dem Ueberdrucke der äusseren Atmosphaere unterworfen sind, allein durch
Ausgleichung ihrer Schlingen und Biegungen bei der Ausdehnung der
Lungen, dennoch mehr Blut aufnehmen können als bei zusammen-
gezogenen Lungen. Aeltere und neuere Arbeiten, unter welchem ich
die von de Jager ^ hervorhebe, haben den experimentellen Beweis ge-
liefert, dass die Lungen im ausgedehnten Zustande mehr Blut aufnehmen
als im zusammengezogeneu. Jeder Arzt hat bisweilen Gelegenheit zu
beobachten, wie bei der Ausathmung das Blut sich in den Venen des
Halses anhäuft, um den Lungen erst zugeführt zu werden, nachdem diese
durch die Einathmung erweitert worden sind. Man hat keinen Grund zu
besorgen, dass nun eine UeberfüUung der Lungen mit Blut eintreten werde,
da das Venensystem nur in dem Maasse entleert werden kann, in welchem
die Ausdehnung der Lungen, durch welche ja die Verstärkung der Saug-
spannung erst bedingt wird , den Raum zur Aufnahme von Blut ge-
schaffen hat.
in. Unter dem abnehmenden Luftdrucke geben die mitge-
theilten Beobachtungen ein fortgesetztes Sinken des Blutdruckes an. Wenn
der Luftdruck abnimmt, müssen sich die Veränderungen der Blutvertheilung,
welche während des gleichbleibend hohen Druckes entstanden sind, wieder
zurückbilden. Während dieser Uebergangszeit wird also der Raum im
Venensysteme wieder erweitert und kann mehr Blut aufnehmen, welches
er zum Theile zurückbehält, so dass dem Herzen mit jedem Pulsschlage
1 Pflüger's Archiv u. s. w. Bd. XXVII. S. 152.
280 G. V. Liebig:
etwas weniger Blut zugeführt wird als mit dem Torhergehenden. Zugleich
erweitern sich die Ahflusswege für die Ai-terien, wodurch dem Venensysteme
ebenfalls etwas mehr Blut zufliesst und aus diesem Verhältnisse kann ein
weiteres Sinken des arteriellen Blutdruckes hervorgehen, während sich die
Venen allmählich wieder anfüllen.
Die Pulscurven, welche wir unter dem abnehmenden Luftdrucke er-
halten haben, zeigen in dem Kleinerwerden der Curvenhöhe und in ihrer
stärkeren Annäherung an die dicrote Form die Erleichterung und Be-
schleunigung des arteriellen Abflusses deutlich an.^
Mit Berücksichtigung der wieder eintretenden Füllung der Venen
sollte man erwarten, dass bei Mos so 's Versuchen mit dem Plethysmo-
graphen, der ja die Vorgänge der Ab- und Zunahme des ganzen Säfte-
vorrathes im Arme angiebt, diese Füllung sich in einer Abnahme des
Sinkens, wenn auch noch nicht in einem sofortigen Steigen der Curven
angezeigt hätte. In der That steigt, kurz nachdem der Luftdruck begonnen
hat zu fallen, die Curve des einen Versuches wieder an, während die des
zweiten den erreichten tieferen Stand noch beibehält, also doch das Sinken
unterbricht.
Ein sofort eintretendes Steigen der Curven wäre schon deshalb nicht
zu erwarten, weil in .der pneumatischen Kammer der Luftdruck in der
ersten Zeit des Sinkens immer noch bedeutend höher ist als der gewöhn-
liche, und weil ausserdem das Verweilen unter dem erhöhten Luftdrucke
gesvöhnhch eine Nachwirkung hat, da die Lungenstellung nicht immer
sogleich in ihren fi'üheren Umfang zurückkehrt.
Die erneute Ansammlung von Blut in den Venen wird unter anderem
auch durch das Wiedererscheinen von Gefässinjectionen bewiesen, die unter
der Erhöhung des Luftdruckes verschwunden waren. Auch bei dem Ueber-
gange vom höheren zum normalen Luftdrucke kann es vorkommen, dass
das Venensystem überfüllt wird und dass Blutungen eintreten. Ein Be-
weis dafür ist das Nasenbluten, welches bisweilen auftritt, wenn man von
einem hohen Drucke rasch abströmen lässt, wobei die Abwesenheit anderer
Störungen die Entbindung von Luftblasen im Blut ausschliesst.
Die Erscheinungen am Pulse werden bei dem einen leichter, bei dem
anderen weniger leicht zu erkennen sein, je nachdem die Venen und
Capillaren gegen den geringen, durch die Saugspannung der Lungen er-
zeugten Ueberdruck der Atmosphaere widerstandsfähig sind. Um ein so
unzweideutiges Auftreten zu bewirken, wie es bei Hrn. W. gefunden
Avurde, dazu gehört schon eine ausserordentliche Schwäche und Dünuheit
der Gefässe. Das Auftreten oder Ausbleiben einer sichtbaren Veränderung
^ Vergl. Ueber Ableitung einiger eigenthümlicher Pulsformen u. s. w. Sitzung s-
hericht der Gesellschaft /^tr Morphologie und Physiologie in München. 1887.
DeE EINFLUSS DES LuFTDEUCKES AUF DIE ClECÜLATION. 281
in der Circulatiou überhaupt hängt vuii der Grösse der Einwirkung des
erhöhten Luftdruckes auf die Lungen ab. Es giebt Personen, und diese
scheinen die Mehrzahl zu bilden, bei welchen eine Wirkung augenblicklich
eintritt, welcher bald auch eine Nachwirkung folgt. Bei Anderen, deren
Äthemzüge unter der gewöhnlich augewandten Druckhöhe nicht sofort an
Grösse zunehmen, und bei welchen die Wirkung des Druckes sich nur in
der Abnahme der mittleren Frequenz und in der gleichmässigeren Grösse
der Äthemzüge kundgiebt, dürfte es oft schwer sein, unter der geringen
Druckerhöhung der pneumatischen« Kammer dei Wirkung auf die Circulation
in der Abnahme der Pulsfrequenz nachzuweisen.
Aenderung der Pulscurven während eines tiefen Äthem-
züge s. Vergleicht man die hier besprochenen Vorgänge mit der Ver-
änderung der Pulsformen während eines tiefen Athemzuges unter gewöhn-
lichem Luftdrucke, so findet man, dass die Abnahme und die Erhöhung des
arteriellen Druckes dabei in umgekehrter Weise auftreten, als wie sie in
den mitgetheilten Pulscurven zur Erscheinung kommen. Wir finden, dass
hier die Curven grösser werden, während der Luftdruck in der Zunahme
begriffen ist und die Lungenstellung allmählich weiter wird, und kleiner,
wann die Lungen unter dem sinkenden Luftdrucke auf ihren früheren
Umfang zurückkehren. Bei einem tiefen Äthemzüge ist es umgekehrt.
Die Curven werden kleiner bei der Ausdehnung der Lungen durch die
Einathmung und grösser bei der Ausathmung.
Die Erklärung dieser Unterschiede liegt in folgenden Verhältnissen:
Die Verkleinerung der Curven mit dem Äthemzüge und die Abnahme des
arteriellen Druckes fällt nur auf den Anfang der Einathmung; in ihrem
Verlaufe nimmt die Curvenhöhe und der Druck wieder zu. Dann folgt
im Beginne der Ausathmung zuerst eine weitere Zunahme des Druckes
und der Curvenhöhe, die im Verlaufe derselben wieder abnehmen. Die
erste Herabsetzung des arteriellen Druckes bei Ausdehnung der Lunge
rührt von der durch die rasch verstärkte Luugenspannung verursachten
Herabsetzung des Druckes im Gefässsysteme her, wodurch in der Aorta
thoracica und in den Lungen ein Theil des Blutes zurückgehalten wird,
während zugleich von der anderen Seite den Lungen etwas mehr Blut als
vorher aus dem Venensysteme zuströmt. De Jager nennt diese erste
Senkung die Capacitätscurve , weil sie von der Zunahme der Lungencapa-
cität bedingt wird. Gegen Ende der Einathmung schon tritt ein rascherer
Zufluss von Blut durch die erweiterten Lungen nach dem linken Herzen
ein und der arterielle Druck nimmt wieder etwas zu. Diese Steigung nennt
de Jager die Stromgeschwindigkeitscurve (Pflüge r's^rcAzu, XXVII, S. 183).
Mit dem Beginne der Ausathmung wird die durch den atmosphaerischen
282 G. V. Liebig : Dee Einflüss des Luftdeuckes auf die Cieculation.
Ueberdruck zurückgehaltene Blutmenge bei der Zusammenziehung der
Lungen wieder frei und erhöht den arteriellen Druck noch stärker — dies
ist wieder die Capacitätscurve bei der Ausathmung. Noch im Verlaufe der
Ausathmung beginnt aber der Blutdruck wieder abzunehmen in Folge der
Abnahme in der Stromgeschwindigkeitscurve. Dieser Wechsel lässt sich
auch an allen hier mitgetheilten Aufnahmen erkennen.
Kehren wir zu den unter dem Steigen und Fallen des Luftdruckes er-
haltenen Pulscurven zurück, so könnte unter dem steigenden Luftdrucke
nur derjenige Vorgang immer von Neuem zur Geltung kommen, welcher
die Capacitätscurve bei der Einathmung bewirkt. Er müsste zugleich von
einem allgemeinen Sinken des Blutdruckes begleitet sein und würde eine
Verkleinerung der Pulscurven sowohl bei der Einathmung als bei der Aus-
athmung zur Folge haben.
Die Erweiterung der Lungenstellung, welche bei Panum's Versuchen
200 und 500 '^^'^ betrug , schreitet während des zunehmenden Luft-
druckes nur sehr allmählich vor und ist am Ende der Zunahme wahr-
scheinlich noch nicht vollständig ausgebildet. Wenn wir die Erscheinungen
bei der Einathmung als maassgebend annehmen, so würde auf die Curven
nur derjenige Theil der Erweiterung wirken, welcher sich während der
Aufnahme der Curven in einigen Secunden ausbildet,' und welcher in dieser
Zeit ein sehr kleiner sein würde.
Die Erhöhung des Blutdruckes unter dem steigenden Luftdrucke
beweist nun, dass unter dem zunehmenden Luftdrucke ein Einfluss der
sich erweiternden Lungenstellung auf die Herabsetzung der Curvenhöhe,
gegenüber der stärkeren Wirkung der Stauung in den Arterien durch Ver-
engung des Abflussweges, nicht zum Ausdrucke kommt.
Dieselben Betrachtungen gelten in umgekehrter Richtung auch für
die Veränderung bei sinkendem Luftdrucke, und es schliesst daher keinen
Widerspruch ein, wenn unter dem steigenden und sinkenden Luftdrucke
der Einfluss der Aenderung der Lungencapacität auf die Pulscurven nicht
in derselben Weise bemerklich wird, wie bei den Stufen eines Athemzuges,
indem diese durch die stärkere Aenderung nach der entgegengesetzten Seite
verdeckt wird.
Studien über die Innervation der Athembewegungen.
Von
O. Langendorff.
(Aus dem physiologischen Institut zu Königsberg.)
Zehnte Mittheilung.
Das Athmungscentrum von Idothea entomon.
Im Sommer 1887 hatte ich Gelegenheit, eine Anzahl grosser lebender
Exemplare der in der Ostsee vorkommenden Meerassel (Idothea entomon)
zu untersuchen. Die Athmung dieser Thiere ist leicht zu beobachten
und wäre, da auch ausserhalb des Wassers die Respirationsbewegungen
lange fortdauern, unschwer auch graphisch darzustellen gewesen; leider
fehlte es mir während meines Strandaufenthaltes an den nothwendigen
Apparaten.
Die Crustaceengruppe der Isopodeu, zu denen die Idothea gehört, ist
Gegenstand eingehender zoologischer und anatomischer Untersuchungen ge-
wesen; so hat sie eine specielle Bearbeitung erfahren durch Lerebouillet,^
in welcher freilich gerade die Meerasseln nicht berücksichtigt worden sind.
Derselbe Autor citirt ein von ihm und Duvernoy verfasstes „Memoire sur
la respiration des crustaces isopodes", ^ das mir aber leider nicht zugänglich
gewesen ist.
Idothea entomon ist monographisch behandelt von Rathke^ und von
Kowalewski.* Hr. Dr. Wen dt hat die Güte gehabt, mir den russischen
^ Mimoire sur les Crustaces de la famille des Clopotrides etc. 1852.
^ Ännales des Sciences naturelles. 2® serie. t. XV. p. 177.
^ Neueste Schriften der naturforschenden Gesellschaft in Danzig. 1820 Bd. I.
S. 109.
* Anatomie der Idothea entomon. (Eussisch.)
284 0. Langendoeff:
Text der micli interessirenden Abschnitte des letztgenannten Autors zu ver-
deutschen.^
Rathke hat grösstentheils Spirituspraeparate des „Schachtwurmes"
untersucht; nur eines seiner Exemplare war lebend, wenn auch dem Tode
nahe. Er beschreibt die Athembewegungen durchaus zutreffend. Das
Thier athmete übrigens — was mir nicht ohne Interesse zu sein scheint
— periodisch aussetzend ; nachdem sechs oder mehr Respirationsbewegungen
gemacht worden waren, setzten dieselben auf eine viertel oder halbe Minute
aus. Rathke fügt indess hinzu: „Wie jedoch der Rhythmus in diesen
Bewegungen bei einem ganz munteren Thiere sich zeigt, kann ich für jetzt
nicht beurtheilen." Bei solchen findet sich in der That, wie ich gleich be-
merken will, ein durchaus regelmässiger Rhythmus.
Aus eigenen und fremden Beobachtungen entnehme ich folgende An-
gaben über den Athmungsapparat und die Athembewegungen der Idothea.
Von den 13 Gliedern des Thieres ist das vorderste der Kopf; die sieben
folgenden Thoraxringe tragen je ein Fusspaar; die fünf Abdominal- oder
Schwanzglieder sind mit Ausnahme der letzten schmal und haben statt
der Eüsse blattartige Kiemen. Jeder Schwanzring trägt deren zwei
Paare. Der fünfte Schwanzring ist erheblich verlängert (Kowalewski
fand ihn bei 46 und 62 ^^^^ langen Thieren 18 bis 32"^"^ lang). An den
Rändern der Dorsalplatte dieses Ringes sind zwei schalenartige Seitenplatten
eingelenkt; indem sich diese wie zwei bewegliche Deckel über die Ventral-
fläche des Schwanztheiles schliessen, bedecken sie den ganzen Kiemen-
apparat. Sie öffnen und schüessen sich wie die beiden Flügel einer
Schrankthür.
Bei der Athmung werden sowohl die Kiemendeckel wie die Kiemen
selbst bewegt. Die letzteren machen frequente Schwingungen — nach
Kowalewski 65 bis 75 bis 80 in der Minute. Ihre Bewegung geschieht
durch starke Muskeln, die sich einerseits am zugehörenden Ringe, anderer-
seits an der betreffenden Kiemenplatte dicht über deren Gelenkverbindung
mit dem Ring ansetzen. Die Kiemendeckel sind bei gewöhnlicher Athmung
halb geöffnet und an den Bewegungen nicht betheiligt. Bei dyspnoischer
Athmung dagegen, wie sie eintritt, wenn man das Thier an die Luft bringt,
schliessen und öffnen sich auch die Deckel in regelmässigem Rhythmus.
Doch ist ihre Bewegungsfrequenz weit kleiner wie die der Kiemenplatten.
Da somit bei den Asseln abweichend von den meisten übrigen Crusta-
ceen die Athmungsorgane im hintersten Theil des Körpers gelegen sind,
hielt ich sie für besonders geeignet, an ihnen Erfahrungen über die Lage
I
1 Ich verweise ferner auf die betreffenden Angaben von Milne Edwards
Lepns sur la physiologie et l'anatomie comparee etc. t. II. p. 122.
Das Athmungsoentrum von Idothea entomon. 285
(los Atliemcentrums zu machen. An Süsswasserasseln hatte ich bereits
früher Versuche angestellt; allein sie waren wegen der Kleinheit der Ver-
suchsobjecte erfolglos geblieben. Um so unzweideutiger sind sie bei der
grossen Idothea entomon geglückt.
Trug ich den Schwanztheil des Thieres ab, schnitt ich also zwischen
dem siebenten Th(jraxring und dem ersten Abdominalgliede durch , so blieb
die Athmung vollständig fort, und kehrte auch nach Stunden nicht zurück.
Ganz anders aber war der Erfolg, wenn ich den Schnitt dicht über
dem siebenten Ringe führte, so dass also das letzte der Füsse tragenden
Glieder mit dem Schwanzabschnitt in Verbindung blieb. Nach einem
bald nur sehr kurzen hald längeren Stillstand traten hier die
Athembewegungen stets wieder ein. Sie waren langsamer wie nor-
mal, schienen mir aber kräftiger, indem besonders ausserhalb des Wassers
die Kiemendeckel sich bei jeder Athembeweguug weit aufsperrten. Der
Rhythmus konnte ein völlig regelmässiger sein; einige Male wurde aber
eine periodisch aussetzende Athmung des Stumpfes beobachtet, bei welcher
neun bis zehn Athmungen erfolgten, nach ihnen eine mehrere Minuten
lange Pause, dann wieder eine Gruppe u. s. f. Diese Form der Athmung
konnte später in die reguläre übergehen.
Das automatische Athemcentrum der Idothea entomon liegt somit,
wie mir aus diesen Beobachtungen mit grosser Wahrscheinlichkeit zu folgen
scheint, im Schwanztheil des Thieres. Durch allzu nahe angelegte Schnitte
wird es gelähmt.
Ich hatte diese Versuche angestellt, ohne Näheres über die Anordnung
des Centralnervensystems der Asseln zu wissen. Es war mir nun sehr
interessant, später die darüber vorliegenden Angaben kennen zu lernen.
Leider hat Kowalewski in seiner Anatomie der Idothea das Nervensystem
ganz mit Stillschweigen übergangen. In Fig. 1 bildet er allerdings einen
Theil desselben ab; die Zeichnung endet aber dort, von wo sie gerade für
mich wichtig gewesen wäre. Dagegen findet sich bei Rathke eine Be-
schreibung und Abbildung (letztere in Fig. 2, Taf. IV). Danach sind ausser
dem Gehirn sieben grössere Ganglienknoten des Rumpfes vorhanden; ihnen
schliessen sich vier kleinere des Athemleibes an. Von jedem der letzteren
geht ein Nervenfaden zur Kieme und deren Musculatur.
Halte ich damit meine Beobachtungen zusammen, so scheint mir die
Folgerung berechtigt, dass auch bei der Idothea die Ursprünge der
Athemnerven, also die Schwanzganglien, das Athemcentrum
darstellen.
Bei anderen Isopoden scheinen die Innervationsverhältnisse anders zu
liegen. Lerebouillet giebt eine Schilderung und Abbildung ^ für Oniscus
1 A. a. 0. Taf. X, Fig. 174.
286 C. Feanok und 0. Langendorfp:
asellus L. Hier sind, wie fast bei allen anderen Asseln, gar keine Schwanz-
ganglien vorhanden; das Bauchmark endet in der Gegend des siebenten
Thoraxsegmentes und das ganze Abdomen wird von dem letzten Brust-
g£^nglienpaare mit ISTerTen versorgt.
Zusätzliche Bemerkung.
In letzter Zeit habe ich mich auch bemüht, Näheres über die Athem-
bewegungen und deren Innervation bei den Myriapoden zu erfahren.
Indess habe ich bei keiner der mir zu Gebote stehenden einheimischen
Arten (Lithobius forficatus, Julus terrestris u. a.) das Mindeste von Athem-
bewegungen wahrnehmen können. Weder war bei den grösseren Exem-
plaren makroskopisch, noch bei den kleineren unter dem Mikroskop etwas
davon zu erkennen.
Ich befinde mich mit diesem negativen Resultat in Uebereinstimmung
mit Chalande^ und mit Felix Plateau.^ Letzterer hat sogar an einer
riesigen (14*='^ messenden) tropischen Art (Scolopendra subspinipes Kohl-
rausch) nicht mehr Glück gehabt.
Es ist dies um so bedauerlicher, als gerade die Myriapoden, bei denen
der metamere Bau sich auch im Nervensystem in ganz unverwischter
Weise erhalten ^^hat, für die Untersuchung der segmentalen Athmungs-
centren besonders geeignet erscheinen müssten, geeigneter noch, wie ge-
wisse Insecten, für welche die entsprechenden Verhältnisse zuletzt von
Plateau in dessen ausgezeichneten Recher ches ex-perimentales sur les mou-
vements respiratoires des insectes ^ sowie von mir selbst * studh't worden sind.
Elfte Mittheiluug.
lieber die automatisclie Thätigkeit des Atlunungscentrums bei
SäugetMeren.
Von
C. Franek und O. Langendorff.
Für die Beantwortung der Frage, an welchem Punkte des Central-
organs die Reize angreifen, welche die Athemcentren erregen, ist von grösster
^ Comptes rendus etc. Jan vier 1887.
^ Extrait des Comptes rendus de la Socidtd entomologique de Belgique. 6 aoüt.
1887.
3 Bruxelles 1884.
* VI. Mittheilung. Dies Archiv. 1883.
Automatte des Athmungscenteüms bei Säugeen. 28V
Bedeutung die Entscheidung darüber, ob die Athmung ein automatischer
oder ein reflectorischer Act ist. Wäre das letztere bewiesen und wäre be-
wiesen , dass den Nn. vagi ein wesentlicher Antheil an der Auslösung der
Athembewegungen zukommt, so wäre fürderhin jeder Widerspruch gegen
die hervorragende Bedeutung des Kopfmarkes als nutzlos aufzugehen, wenn-
gleich das alsdann dort residirende Athemcentrum doch vielleicht ein ganz
anderes Aussehen haben würde, wie das nach den Vorstellungen von
Plourens und seinen Anhängern gedachte.
Dem N. vagus eine bedeutsame Rolle bei der Anregung der Athem-
bewegungen zuzuschreiben, ist das sehr natürliche Bestreben vieler Physio-
logen gewesen. Ich erinnere nur an Brächet, welcher meinte, dass das
Gefühl des Athembedürfnisses uns zur Athmung antreibt; dieses Bedürfniss
werde durch Vermittelung des Vagus empfunden. Nach seiner Durch-
schneidung aber athme man aus Gewohnheit fort. Männer wie Arnold
und Romberg haben ihre Zustimmung zu dieser Anschauung ausgesprochen.
Marshall HalP dagegen meint, dass aus den vorliegenden Experi-
menten eigentlich geschlossen werden müsse, dass weder das Gehirn noch
die Vagi für den Inspirationsact noth wendig seien, da die Athmung nach
Entfernung beider fortdauere. „Allein die Wahrheit ist," fährt er fort,
„dass wenn auch der Inspirationsact ohne eines von beiden (nämlich
entweder ohne das Gehirn oder ohne die pneumogastrischen Nerven) an-
dauert, er doch nicht nach Entfernung beider zugleich andauern
wird." Nach Entfernung des Gehirns sei die Athmung ein reiner durch
die Vagi vermittelter Reflexact; bei Integrität des Gehirns werde derselbe
durch den Willen geregelt und controlirt. Aber der Vagus ist nicht der
einzige centripetale Erreger der Inspiration; in ähnlichem Sinne wirken der
N. trigeminus und die Spinalnerven; letztere bedürfen indess äusserer Reize,
während die Vagusenden in den Lungen durch die Kohlensäure der
Lungenluft erregt werden. Entfernt man Gross- und Kleinhirn bei einem
Thiere, so dauert die Respiration durch die Wirksamkeit der Vagi fort;
werden auch sie durchtrennt, so hört sie sogleich auf.
Legallois, Bell, Flourens haben dagegen die Medulla oblongata für
das primum mobile der Athmung gehalten;^ Job. Müller hat die respira-
torische Thätigkeit des Kopfmarkes für eine automatische erklärt, und
den Begriff der Automatic entwickelt.
* Ueher die Kranhheiten und Störungen des Nervensystems n. s. w. Deutsch
von B ehrend. Leipzig 1842. S. 68 u. ff.
^ Flourens hat besonders erklärt, dass die Med. oblongata nicht etwa deshalb
das Athemcentrum enthalte, weil sie dem Vagus zum Ursprung diene, da ja Vernich-
tung heider Vagi die Athmung nicht aufhebe. {BechercJies eocperimentales swr les
fropriifS^ et les fonctions du Systeme nerveux. IL ed, 1842. p. 181.)
288 C. Feanck und O. Langendoeff:
An die späteren Beobachtungen und Schlussfolgerungen von Volk-
mann, Vierordt, v. Wittich und Räch, Schiff, durch welche die rein
reflectorische Natur der Athmung zu erweisen gesucht wurde, sowie an
die entgegengesetzten Folgerungen von ßosenthal sei hier nur erinnert.
In neuester Zeit ist die Automatie wenigstens für das Athmungs-
centrum des Frosches durch drei schnell aufeinandergefolgte Publicationen
übereinstimmend festgestellt worden. Ich verweise auf meine VIII. Mit-
theilung, ^ auf Schrader^ und auf KnoU's Mittheilung VIII der „Bei-
träge zur Lehre von der Athmungsinnervation.'^ Es war dadurch sehr wahr-
scheinlich gemacht, dass auch dem Athemcentrum der Säugethiere eine
automatische Thätigkeit zukommt und zwar eine Automatie der Art, dass
sie die Athemmuskeln nicht nur in Thätigkeit, sondern auch in rhythmischer
Thätigkeit erhält.
Zu anderen Schlussfolgerungen ist Marckwald^ in seiner mehrfach
citirten Untersuchung über die Athmungsinnervation des Kaninchens ge-
langt. Seine Auffassung culminirt in folgenden Sätzen:
„Das automatisch thätige Centrum kann nur Athemkrämpfe auslösen,
keine regelmässigen rhythmischen Athembewegungen."
„Die normale rhythmische Athmung ist ein reflectorischer Act, vor-
nehmlich ausgelöst durch die Nn. vagi, welche verhindern, dass die im
Centrum sich anhäufenden Spannungen unnatürlich wachsen, vielmehr die
inhaerenten Erregungen des Athemcentrums in regelmässige Athembewegungen
umsetzen (Entlader)."
„Nächst den Vagi sind die oberen Hirnbahnen für die Auslösung
regelmässiger rhythmischer Athmung von grosser Bedeutung. Sie sind im
Stande, den Ausfall der Nn. vagi zu decken, wie die Nn. vagi den Ausfall
der oberen Bahnen compensiren."
„Die sensiblen Hautnerven vermögen nicht für die Hirnbahnen oder
für die Vagi vicariirend einzutreten."
„Die Vagi sind in constanter Erregung, besitzen einen Tonus."
„Den Hautnerven, sowie den Trigemini, Laryngei sup. und Glosso-
pharyngei kommt ein Tonus nicht zu."
Zu diesen Schlüssen gelangt Marckwald durch folgende Versuche:
Trennt er bei einem Kaninchen die „oberen Hirnbahnen" dadurch ab,
dass er das Kopfmark in der Höhe der Tubercula acustica quer durch-
schneidet, so athmet das Thier in regelrechtem lihythmus weiter. Nur
1 Dies ArcMv. 1887. S. 285.
^ Pflüger's Archiv u. s. w. Bd. XLI. S. 75.
3 Wiener ahademiscJie Sitzungsberichte. Juli-Heft 1887. Bd. XCV. III. Abth,
* Zeitschrift für Biologie. 1887. Bd. XXIII.
Automatik des Athemcentrums bei Säugern. 289
wenn er dem Vagusursprung zu nahe kommt, wird die Athmung periodisch
aussetzend oder intermittirend.
Andererseits athmet das Thier bekanntlich auch in regelrechtem Rhyth-
mus, wenn man die Vagi durchschneidet.
Verbindet man aber beide Operationen mit einander, so ändert sich der
Athmungsmodus sogleich in sehr auffallender Weise. Es treten Inspirations-
krämpfe auf, von kürzerer oder längerer Dauer (sehr häufig bis zu l-^/^ Minute
und darüber!), die mit activen oder passiven Exspirationen abwechseln.
Hinzugefügte Ausschaltung der „unteren Bahnen" (Durchschneidung
des Rückenmarkes in der Höhe des letzten Halswirbels, Durchtrennung
der Plexus brachiales et cervicales), sowie der Nn. glossopharyngei ist ohne
Einfluss auf das Bild, das die so veränderte Athmung darbietet.
In Kurzem wäre die Schlussfolgerung Marckwald's folgende: Das
von zuströmenden centripetaleu Erregungen losgelöste Athemcentrum be-
sitzt einen geringen Grad von Automatie, der sich aber nur in unregel-
mässigen Athemkrämpfen zu äussern vermag. Xur durch Vermittelung
der Vagi können diese in regelmässige rhythmische Athembewegungen um-
gesetzt werden. Nach Durchschneidung der Vagi vermögen die oberen
Hirnbahnen sie zu ersetzen.
Es mag bemerkt sein, dass unter „oberen Hirnbahnen" verstanden
werden „die höheren Sinnesnerven , der Trigeminus und diejenigen sen-
siblen Nerven, welche von oben, vom Gehirn her, mit dem Athemcentrum
in Verbindung treten." (A. a. 0. S. 70.)
Den Nu. vagi die Rolle zuzuschreiben, Athemkrämpfe in regelmässige
Athembewegungen umzusetzen, daran wird Keiner Anstoss nehmen. Würde
sich doch an der Hand der bekannten Hering -Breuer'sohen Versuche
eine Erklärung dafür ohne Weiteres geben lassen. So ist indessen die
Marckwald'sche These nicht gemeint. Vielmehr lehnt er, wie aus seinen
und auch aus Kronecker's commentirenden Erörterungen hervorgeht, die
Wirksamkeit rhythmischer Vag userregungen, somit den Einfluss der
Volumschwankungen der Lunge entschieden ab. Der Vagus ist nach ihm
ein Entlader; seine Wirkung vergleichbar derjenigen einer Lane' sehen
Maassflasche, welche die ihr beständig zugeführte Elektricität rhythmisch ent-
ladet, sobald ein bestimmter Spannungswerth erreicht ist.^ Was noch auffälliger
1 Mir ist bei diesem Bilde nicht ganz klar geworden, ob die Spannung in den
Vagi oder im Athemcentrum sich ausbilden soll. Sollen die Vagi gemeint sein, so ist,
um deren Wirksamkeit zu erklären , die rhythmische Ausladung ihrer Spannung ent-
behrlich, da ja Marckwald selbst gezeigt hat, dass auch continuirliche Vagus-
reizung die Athemkrämpfe in rhythmische Athembewgungen verwandelt. Hat Marck-
wald das Athemcentrum im Sinne, so wird sich dasselbe auch ohne die Vagi rhyth-
ArchiY f. A. u. Ph. 1888. Physiol. Abthlg. 19
290 C, Fkakck und 0. Langendokff:
erscheint und dem Yerstäoduiss ausserordentliche Schwierigkeiten bereiten
muss, das ist die Angabe, dass die Vagi durch die oberen Hirnbahnen in
diesem Geschäft sollen vertreten werden können. Vermuthlich ist die Vor-
aussetzung, dass die Hirnbahnen Aehnliches wie die Vagi leisten, nicht ohne
Einfluss auf die eben besprochene Auffassung der Vagusfunction gewesen.
An sich erscheint eine Automatic, die sich nur in seltenen Athem-
krämpfen äussert, nicht wahrscheinlich. Es war die Frage aufzu-
werfen, ob bei der Erzeugung dieses Athniungsmodus nicht auch andere
wie blosse Ausfallserscheinungen betheiligt sind. Diesem Zweifel habe
ich schon bei früherer Gelegenheit Ausdruck gegeben. Inzwischen hat
Loewy unter der Leitung von Zuntz gefunden, dass nach der von Marck-
wald angegebenen Operation nicht „arhythmische Athemkrämpfe" auftreten,
sondern nur eine rhythmisch ungewöhnlich verlangsamte und vertiefte
Athmung (2 bis 4 pro Minute) mit erheblich verlängerter Inspirations-
dauer entsteht.^ Ich selbst dagegen hatte schon vor mehreren Jahren öfters
Gelegenheit gehabt, die schon im Jahre 1879 vorläufig publicirte Beobach-
tung Marckwald's zu bestätigen.
Somit schienen neue Untersuchungen über die Thatsache selbst und
ihre Deutung angezeigt. Ich habe dieselben in Gemeinschaft mit Hrn. stud.
med. Eranck unternommen.
Versuchsniethode.
Zu allen Versuchen wurden Kaninchen benutzt.^ Da es sehr bedenk-
lich ist, Fragen von so weitgehender Bedeutung, wie die von Marckwald
aufgeworfenen, durch Versuche an einer einzigen Thierart zu beantworten,
wären solche an Hunden und Katzen sehr erwünscht gewesen. Leider
waren wir bisher ausser Stande, diese Forderung zu erfüllen. Wir behalten
uns aber vor, später unsere Beobachtungen in dieser Richtung zu ergänzen.
Die Thiere wurden mit Chloralhydrat narkotisirt, dann tracheotomirt, die
Carotiden zur Vermeidung von grösseren Gehirnblutungen unterbunden.
misch entladen, gerade so wie die Maassflasche, die ja bekanntlich besonderer Ent-
lader nicht bedarf.
^ Nachdem der Druck der vorliegenden Abhandlung bereits begonnen war, er-
schien in Pflüger's Archiv u. s. w., Bd. XLII, die ausführliche Arbeit von Loewy.
In einzelnen Punkten ist unsere Uebereinstimmung eine sehr grosse; doch scheint uns
die Veröffentlichung unserer Untersuchung nicht überflüssig geworden zu sein, zumal
da wir einen, wie wir glauben, nicht erfolglosen Schritt zur Erklärung der behandelten
Erscheinungen gethan haben.
^ In einem Falle ein Meerschweinchen.
AUTOMATIE DES AtHEMCENTRUMS BEI SÄUGERN. 291
Die Abtrennung der oberen Hirnbahnen nimmt Marckwald bekannt-
lich so vor, dass er das Kopfmark in der Höhe der Tubercula acustica
durchschneidet. Da wir nach dieser Operation viele Thiere an dauerndem
Athmungsstillstand verloren, haben wir in den weiteren Fällen ein anderes
Verfahren angewendet, das ebenso zum Ziele führen musste. Wir ent-
fernten die Grosshirnlappen, die Sehhügel und die Vierhügel vollständig.
Diese Operation gelingt oftmals ohne irgend erheblichen Blutverlust, wenn
man dafür gesorgt hat, dass die Versuchsthiere mehrere Tage lang zuvor
nur mit Hafer gefüttert wurden und keine Getränke erhielten. Vor-
handene Blutungen sind meistens leicht zu stillen. Das Kronecke r -
Marckwald 'sehe Verfahren unterscheidet sich bezüglich der ausfallenden
Bahnen insofern von dem unserigen, als bei jenem auch Kleinhirn, Nn.
trigemini, Nn. acustici fortfallen. Wir haben deshalb mehrmals auch
das Kleinhirn entfernt und meistens die Trigemini durchschnitten (dicht
hinter dem Ganglion Gasseri in der mitteren Schädelgrube), ohne dass
dadurch das sich uns darbietende Bild irgendwie sich änderte. Auf die
Beseitigung der Hörnerven mussten wir verzichten ; doch glaubten wir dies
luhig thun zu dürfen, da selbst heftige Schalleindrücke die Athmung des
enthirnten narkotisirten Thieres nicht im geringsten zu verändern pflegten.
Die Vagi wurden entweder vor oder nach der Enthirnung durchtrennt.
Das Rückenmark blieb, da Marckwald's Versuche keinen wesentlichen
Einüuss seiner Durchschneidung festgestellt hatten, unversehrt.
Die Athembewegungen wurden in allen Fällen auf den rotirenden
Cylinder aufgezeichnet. Um eine deutliche Anschauung von der ge-
sammten Athmungsthätigkeit zu erhalten, ist es durchaus nothwendig, die
Luftröhre des Thieres mit einem Registrirapparat zu verbinden. Zur Er-
reichung minderer Genauigkeit genügt das Verfahren von Hering und
P.Bert (Luftvorlage, Mar ey' sehe Zeichentrommel); für genauere Versuche
wäre eine aeroplethysmographische Vorrichtung (Gad) erforderlich. Da
uns eine solche nicht zur Verfügung stand, haben wir uns mit der erst-
erwähnten Anordnung begnügt.
Da in den mitzutheilenden Versuchen sehr oft die Registrirung der
natürlichen Athembewegungen des Thieres mit zeitweilig aufgenommenen
künstlichen Respirationen zu wechseln hatte, kam uns eine Wechselcanüle
sehr zu nutze, welche die Trachea bald mit dem durch einen Wassermotor
bewegten Blasebalg, bald mit der Athmungsflasche schnell in Verbindung
zu setzen erlaubte. Ich werde dieselbe bei späterer Gelegenheit beschreiben.
Nur in einigen Fällen haben wir allein die Zusammenziehungen des
Zwerchfells aufgezeichnet. Der hierzu verwendete Trans missionsphren o-
graph, eine Abänderung der ähnlichen Rosenthal' sehen Vorrichtung,
wird ebenfalls später geschildert werden.
19*
292 C. Franck und 0. Lanöendorff:
Ergebnisse.
1. Nach Fortnahme des Gross- und Mittelhirns (mit oder ohne gleich-
zeitige Abtragung des Kleinhirns und Durchschneidung der Trigemini) hei
doppelseitig vagotomirten Thieren, oder nach doppelseitiger Vagusdurch-
schneidung bei Thieren, die bis auf die Medulla oblongata (und Pens) ent-
hirnt sind — treten meistens Krampfathmungen auf.
2. Dieselben sind fast immer regelmässig rhythmisch; nur An-
fangs ist das nicht immer der Fall. Ihre wesentlich durch die Dauer der
exspiratorischen Pausen bestimmte Frequenz ist sehr wechselnd, anfäng-
lich oft geringer wie später. Sie wächst in späteren Zeiten nach der Ope-
ration besonders dann, wenn ab und zu durch künstliche Athmung für
ausreichende Ventilation des Thieres gesorgt wird.
Die nebenstehende Tabelle giebt im zweiten Stabe einige ausgezählte
Athemfrequenzen an. Die zweiten, dritten u. s. w. Ziffern sind stets in späteren
Yersuchsstadien gewonnen. Der dritte Stab enthält die „Minutenfrequenzen",
d. h. die Anzahl der Athmungen, die bei der an den drei ausgerechneten
Athmungen beobachteten Frequenz in 60 Secunden ausgeführt worden
wären.
3. Die Athmungen sind krampfhaft meistens in Bezug auf die In-
spiration; doch kommen auch exspiratorische Krämpfe zur Beobachtung.
Die Inspirationstetani sind von sehr wechselnder Dauer. Inner-
halb eines und desselben Versuches sind sie Anfangs oft lang, später werden
sie meist kürzer; ja sie schwinden dann zuweilen gänzlich, so dass das
Thier zwar langsam, aber in ganz regelrechter Weise athmet. In einzelnen
Fällen fehlen die inspiratorischen Krämpfe von vornherein ganz und gar.
Die längste Krampfdauer, die zur Beobachtung kam, betrug
55 Secunden, die kürzeste 2 — 3 Secunden. Die spätere Abnahme der
Krampfdauer zeigt besonders ein Versuch (V) ; während hier Anfangs Tetani
von 37 Secunden Dauer beobachtet wurden, betrug deren Dauer später
nur 10 — 15 Secunden, noch später sank dieselbe auf 5 Secunden. So war
es auch in anderen Fällen.
Ein Alterniren von langen und kurzen Krämpfen sahen wir selten,
das eine Mal beim Meerschweinchen. Hier kam nach längerer Athempause
eine kurze, übrigens kaum als krampfhaft zu bezeichnende Athmung, kurz
darauf ein langdauernder Inspirationskrampf; darauf eine grosse Athem-
pause, kurze Athmung u. s. f. Die Abwechselung war so regelmässig, dass
die Athmung ganz den Eindruck einer periodisch -aussetzenden machte,
deren Gruppen aus je zwei Athmungen sich zusammensetzten.
AUTOMATIE DES A THEMCENTRUMS BEI SÄUGERN,
293
Tabelle.
Versuch.
3 Athmungen
in See.
Minutenfrequenz.
Bemerkungen. '
I.
128
1-4
30
6
47 71 74
3-8 2-5 2-4
IIL
2.5
72
Keine Athemkrämpfe.
3
60
4
45
6
30
Kurz nach Fortnahme des Kleinhirns.
4
45
V^ Stunde später.
V.
176
1-02
135
1.3
72
2.5
VI.
20
9
Vor der Vagusdurchschneidung.
195
0.92
Nach Durchschneidung des rechten
Vagus. (Krämpfe!)
140
1.28
Nach Durchschueidung des 1. Vagus.
VII.
43
4.2
Nach einseitiger )
Nach doppelseitiger } ^agotomie.
135
1-4
82
2.2
VIII.
206
0-87
147
1-2
IX.
146
1.2
105
1.7
X.
39
4.6
45
4
XI.
167
1.8
XIII.
45
4
XIV.
60
3
XV.
60
3
Athemkrämpfe nach Durchschnei-
dung eines Vagus.
Wir fügen hier die graphische Darstellung eines Falles bei, in welchem
gleich in den ersten Stadien nach den angeführten Operationen (von deren
Gelingen, wie immer, die Section den Beweis lieferte) die Athmung einen
krampflosen Charakter darbot. Nur Anfangs stellten sich ab und zu
leichte Körperkrämpfe ein, die von kurzen activen exspira torischen Still-
ständen begleitet waren (Fig. 1«); später wurde die Athmung ganz und
^ Wo nichts hesonderes bemerkt ist, sind beide Vagi durchschnitten, und das grosse
Gehirn mit dem Mittelhiru entfernt. In vielen Versuchen sind auch die Trigemini
durchschnitten, in einigen das Cerebellum fortgenoramen.
294
C. Fbanck ükd 0. Langendorff:
gar regelmässig und unterschied sich in Nichts von den Athmungeu eines
narkotisirten Thieres, dem man beide Nn. vagi durchnitten hat (Fig. 1 b).
Fig. i a.
Fig. 1 b.
Bii h ist der Zeichenh'jbel weniger empfindlich.
Zeitmarken = 2 Secuuden.
4. Zuweilen treten die typischen Athemkrämpfe beim enthirnten Thiere
schon nach einseitiger Vagusdurchschneidung auf (Fig. 2). Fügt
man dann noch die Durchschneidung des anderen Vagus hinzu, so können
die Tetani länger werden. Dass das aber nicht immer der Fall ist, lehrt
Fig. 2.^ (Die Curven sind sämmtlich von links nach rechts zu lesen.)
Fig. 2.
Der rechte Vagus ist durchschnitten. Bei L. V. wird der linke Vagus durchschnitten.
1 ™ Papierlänge = 40 Secuuden.
* Wir bemerken hierzu, dass der zweite Vagus vor seiner Durchschneidung in
keiner Weise laedirt worden war.
AUTOMATIE DES AthEMCENTRUMS BEI SÄUGERN.
295
5. In anderen Fällen stellt sich nach einseitiger Vagussection perio-
disch-aussetzendes Athmen von grosser Regelmässigkeit ein (Fig. 3«).
Wird dann der zweite Vagus durchschnitten, so treten die Krämpfe auf
(Fig. 3 b). Dass sie auch hier später sich völlig verlieren können, wie oben
angegeben, lehrt Fig. 3 c, die demselben Versuch angehört.
Fig. 3 a.
Y\s. 3 h.
Fig. 3 c.
a. Periodisch aussetzende Athmung nach einseitiger Vagusdurchschneidung.
b. Athemkrämpfe nach Durchtrennung des zweiten Vagus.
c. An Stelle der Inspirationsrkrärapfe sind später normale Athembewegungen getreten.
a Originalgrösse, b und c auf Va reducirt.
lern Papierlänge = 25 Secuuden in b und c; =12-5 Secunden in a.
296 C. I'iiANCK UND 0. Lakgendükff:
6. Bei allen Thieren, welche die angegebenen Operationen überstanden
haben, ist es möglich, durch kurzdauernde aber lebhafte künstliche Ventilation
absolute Apnoe zu erzielen. Dieselbe kann von beträchtlicher Dauer sein.
Es wurden apnoische Pausen von folgender Dauer beobachtet:
Versuch V. 40 Secunden und 70 Secunden.
Versuch VII. 70 Secunden.
Versuch VIII. 54 Secunden.
Versuch X. 125 Secunden.
Versuch XIII. 120 Secunden.
Wir bemerken hierzu, dass auf die Dauer der künstlichen Lüftung in
diesen Versuchen nicht genauer geachtet wurde. Die apnoischen Pausen
kamen hier mehr gelegentlich zur Beobachtung, wenn nämlich die ab und
zu für einige Minuten aufgenommene künstliche Athmung mit der natür-
lichen vertauscht werden sollte. Die „Wechselcanüle" (s. o.) leistete für die
prompte Aufzeichnung gute Dienste.
7. Erstickung (durch Verbluten) wirkt auf das isolirte Athemcentrum
ganz ebenso ein, wie auf das nicht isolirte. Es entwickelt sich Dyspnoe
(Zunahme der Athemfrequenz), an sie sich anschliessend eine lange Athem-
pause, dann die „Terminalathmungen".
Discussion und weitere Versuche.
Werden durch die angeführten Resultate die Beobachtungen von
Kroneckei und Marckwald auch im Allgemeinen bestätigt, so ist es
doch im Einzelnen nicht der Fall. Die von uns gemachten Beobachtungen
führen uns demgemäss auch zu einer wesentlich anderen Auffassung der
in Frage stehenden Erscheinungen.^
Abweichend und- auffallend sind in unseren Versuchen zunächst fol-
gende Beobachtungen:
1. Die Athemkrämpfe können gänzlich fehlen, von Aornherein können
normale rhythmische Athmungen vorhanden sein.
2. Entstandene rhythmische Athemkrämpfe könnnen später schwinden
und normalen Athembewegungen Platz machen.
1 Die Verschiedeuheit der Ergebnisse ist nicht durch die Verschiedenheit der
Operationsweiso zu crldären. Im Versuch I, in welchem vollständig nach dem Ver-
fahren von Marckwald operirt worden war, dauerten die Inspirationskrämpfe anfangs
10 Secunden, später nur 2 bis 4; zeitweilig war der Athmungsmodus überhaupt nicht
als krampfhaft zu bezeichnen.
AUTOMATIE DES AtHEMCENTEUMS BEI SÄUGERN. 297
'6. Die Dauer der Athemkrämpfe ist in den einzelnen Versuchen eine
sehr verschiedene; sie variirt von 2 bis 3 Secunden bis zu Y2 ^^^^ 1 Minute.
4. Die Athemkrämpfe zeigen fast durchweg einen regelmässigen
Rhythmus.
Nach diesen Erfahrungen wird es unmöglich, mit Marckwald an-
zunehmen, dass das isolirte Athemcentrum nur arhythmische Athemkrämpfe
auszulösen im Stande sei, dass es zur Hervorbringung normaler rhyth-
mischer Athembewegungen der Anregung durch die Vagi oder durch die
oberen Hirnbahnen odei' durch künsthche ßeize bedürfe. Nach dem für
Versuche am Centralnervensystem giltigen Princip, dass Functionen fort-
gefallener Theile nur nach dem Maximum des vom Normalen übrig Ge-
bliebenen beurtheilt werden dürfen, müssen wir schliessen, dass das iso-
lirte Athemcentrum nicht nur automatisch thätig ist, sondern
dass es auch eine normale, von der gewöhnlichen nicht wesent-
lich abweichende Athemrhythmik zu unterhalten im Stande ist.
Die Krampfathmungen können nicht in die Classe der Ausfallserschei-
imngen gerechnet werden, sondern sind als Nebenwirkungen aufzufassen,
die naturgemäss je nach äusseren Zufälligkeiten in ihrer Intensität und in
ihrer Dauer variiren.
Es wird Aufgabe der weiteren Untersuchung sein, festzustellen, welche
Beziehungen zwischen den ausgefallenen Theilen und diesen Störungen
der normalen Athemrhythmik bestehen. Welchen Antheil hat der Fort-
fall des Gross- und Mittelhirns, welchen der Ausfall der Nn. vagi?
Da die Krampfathmungen einzutreten pflegen sowohl bei enthirnten
Thieren, denen man die Vagi durchschneidet, als bei vagotomirten , denen
man Gross- und Mittelhirn entfernt, da ferner jede von diesen Operationen
allein für sich wirkungslos ist — sieht es auf den ersten Blick in der
That so aus, als hätten Vagi und obere Hirnbahnen eine für das Athem-
centrum analoge Bedeutung, derzufolge die einen durch die anderen Ver-
tretung finden können. Beim näheren Zusehen machen sich indess gegen
diese Auffassung schwere Bedenken geltend, insbesondere wenn man sich
vorstellt, wie winzig die Einflüsse der Sinnesorgane auf die normalen Athem-
bewegungen zu sein pflegen, im Verhältniss zu den mächtigen Einwirkungen
der erregten Lungenuerven.
Wir haben zunächst zu entscheiden versucht, welche Hirnbahnen
es sind, deren Fortnahme beim vagotomirten Thiere zur Ent-
stehung der Athemkrämpfe Anlass giebt. Zu diesem Behuf wurden
bei einem Thiere nach vorausgeschickter doppelseitiger Vagusdurchschnei-
dunof die einzelnen Hirntheile successive entfernt.
298
C. Franck und 0. Langendorff :
Versuch.
Einem mittelgrossen, in tiefste Chloralnarkose versetzten Kaninchen
wird nach Ausführung der Tracheotomie, Durchschneidung der Vagi und
und Unterbindung der Carotiden (Aufzeichnung der Athmungen Fig. 4 a)
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die Schädeldecke abgetragen und zunächst das Grosshirn exstirpirt. Die
Athmung wird langsamer, bleibt aber sonst ganz normal. Darauf werden
die Nn. optici im Chiasma durchschnitten; die Athmung ändert sich
nicht. Eine wesentliche Aenderung tritt auch nicht ein, als jetzt die
Thalami optici entfernt werden (S. Fig. 4 h.) Alsdann werden die Vier-
AUTOMATIE DES AtHEMCENTRUMS BEI SÄUGERN. 299
hügel fortgenommen. Sofort entstehen Athemkrämpfe. Nach hin-
zugefügter doppelseitiger Darchschneidung der Nn. trigemini zeigen dieselben
keine Veränderung. Sie werden aufgezeichnet (Fig. 4 c) und erweisen sich
als regelmässig rhythmisch. Heftige akustische Reize sind gänzlich wir-
kungslos.
Aus diesem Versuche folgt, dass beim vagotomirten Thiere die Ent-
fernung des Grosshirns, der Nn. optici und der Sehhügel die Athmung nicht
krampfhaft macht, dass dagegen sofort Inspirationstetani auftreten, wenn
die Corpora quadrigemina exstirpirt werden. Folgte man Marckwald, so
müsste man schliessen, dass die Impulse, die das Athemcentrum von den
sogar von den Nn. optici getrennten, Vierhügeln erhält, im Stande sind, die
von den Nn. vagi ausgehenden Anregungen zu ersetzen — eine Schluss-
folgerung, deren Absonderlichkeit auf der Hand liegt, und die wir auch
keineswegs zu der unserigen machen wollen. Eine grosse Wahrscheinlich-
keit erhält dagegen durch diese Erfahrung die Annahme, dass die Athem-
krämpfe nicht durch den Fortfall der Hirnbahnen, sondern
durch die mit ihrer Fortnahme einhergehenden Verletzungen
bedingt seien.
Bei Operationen am Centralnervensystem gehen Hemmungs- und Er-
regungserscheinungen nebeneinander her. Die Lehren Brown-Sequard's
von der „Inhibition" und „dynamogenie", die wiederholten Mahnungen von
Goltz, zwischen den Ausfallserscheinungen und den Reizungs- (bez. Hem-
mungs-) Erscheinungen zu unterscheiden, haben noch lange nicht diejenige
Anerkennung gefunden, die ihnen gebührt.
Wir möchten zudem daran erinnern, dass von Martin und Booker, ^
später von Christian! ^ nachgewiesen worden ist, dass durch Reizung der
an der Grenze von vorderen und hinteren Vierhügeln oder der unter den
letzteren gelegenen Theile kräftige inspiratorische Wirkungen (Athmungs-
stillstand im Zustande der Inspiration oder Beschleunigung der Athem-
bewegungen) erzielt werden können. Vielleicht kommen bei unseren Ver-
suchen mechanische Reizungen zu diesen Apparaten in Beziehung stehender
Bahnen in Betracht.
Vielleicht vermischen sich diese Reizungen mit echten Hemmungs-
wirkungen. Wer möchte sagen, zu welchen vielgestaltigen Erscheinungen
die hier denkbaren Combinationen zu führen vermögen!
^ H. Newell Martin and W.D. Booker. Journal of Physioloqy. 1878/79.
Vol. I. S. 370.
^ Christiaui, Monat shetnchte der kgl. Akademie der Wissenschafte^i in Berlin,
Februar 1881.
300 C. Feanck und 0. Langendoeff:
Mit den früher berichteten Erfahrungen über Auftreten und Nicht-
auftreten der Athemkrämpfe, über Persistiren und Verschwinden, über kurze
und lange Krampfdauer steht diese Auffassung im vollsten Einklang;
die Verletzung als solche wird Reizungserscheinungen von sehr verschiedener
Stärke erzeugen können, die bald kurz währen, bald lange andauern, ge-
legentlich auch ganz fehlen können. In Uebereinstimmung steht damit
auch ein von uns angestelltes Experiment, bei welchem wir nach Durch-
schneidung der Vagi das Mittelhirn nur halbseitig von der Med. oblongata
abtrennten. Die Folge dieser Operation waren typische Athemkrämpfe,
die sich in keiner Weise änderten, als Gross- und Mittelhirn völlig heraus-
genommen wurden. Wären die Krämpfe eine Folge des Fortfalls erregender
Bahnen, so hätten sie nach nur theilweiser Ausschaltung derselben nicht
eintreten oder schwach sein, nach totaler Ausschaltung sich aber sicherlich
verstärken müssen.
Die hier vertretene Auffassung der Athemkrämpfe, derzufolge sie nicht
ein Ausdruck der dem automatischen Athemcentrum inhaerenten Form
der Thätigkeit, sondern nebensächliche Verletzungserscheinungen sind, be-
gegnet anscheinend einer Schwierigkeit.
Warum fehlen die Athemkrämpfe, wenn man einem sonst intacten
Thiere Grosshirn und Mittelhirn nimmt, und warum treten sie sofort auf,
wenn man dazu noch die Vagi durchschneidet?
Wir glauben dass die Antwort auf diese Frage nicht schwer ist. Die
Lösung liegt in der Hering-Breuer'schen Lehre von der Selbst-
steuerung der Athembewegungen durch die Nn. vagi. Wir glauben,
dass die in Rede stehenden Versuche eine praegnante Illustration zu dieser
Theorie darstellen.
Da dieser Lehre zufolge die inspiratorische Aufblähung der Lunge die
Ursache zur Beseitigung dieser Aufblähung wird, die Einathmung also
durch Reizung der hemmenden Vagusfasern sich selber ein Ende bereitet,
werden tiefe inspiratorische Krämpfe nur dann eintreten können, wenn diese
regulatorischen Vorrichtungen fehlen. Das in Folge irgend einer Ursache,
z. B. einer Gehirnverletzung, einen tiefen Einathmungskrampf beginnende
Zwerchfell wird ihn abzubrechen gezwungen, weil die fortdauernde Lungen-
dehnung durch Summation stärker und stärker werdende Hemmungskräfte
in's Leben ruft.
Meistens wird ein Vagus genügen, die Athemkrämpfe zu hindern; ist der
krampfmachende Impuls dagegen sehr mächtig, so kann es wohl vorkommen,
dass diese Hemmung nicht zureicht. Dann brechen die Krämpfe schon
nach einseitiger Vagusdurchschneidung aus, wie wir dies in der That mehr-
mals beobachtet haben.
AüTOMATlE DES AtHEMCENTRÜMS BEI SÄUGERN. 301
Wir glauben, dass diese Deutung allen Ansprüchen gerecht wird; sie
lässt sich aber auch experimentell auf ihre Richtigkeit prüfen.
Wir ersannen dazu folgenden Versuch.
Einem grossen, tief chloralisirten Kaninchen wird nach voraufgegangener
Tracheotomie und Unterbindung der Carotiden der linke Vagus durch-
schnitten. Darauf Gross- und Mittelhirn ohne grössere Blutung exstirpirt.
Die auf der Kymographiontrommel verzeichnete Athmung ist normal rhyth-
misch, durchaus nicht krampfhaft.
Darauf wird auf der rechten Seite nacb Spaltung der Haut und
der intercostalen Musculatur der Pleurasack eröffnet, in die Brust-
wunde eine Glascanüle eingelegt.
Sofort treten Inspirationskrämpfe auf.
Wird die Canüle entfernt, die Pleurawunde durch Verschiebung der
Weichtheile geschlossen, so sind die Athemkrämpfe nur geringfügig. So
wie man wieder öffnet und offen hält, stellen sie sich mit grosser Heftig-
keit wieder ein.
In Fig. 5 ist ein Theil dieses Versuches wiedergegeben.
Fig. 5.
Zeitmarken = 5 Secunden. — Anfangs ist der Pneumothorax fast geschlossen, bei x
durch Einlegen der Canüle geöffnet.
Dieser Versuch ist in folgender leicht verständlicher Absicht ausgeführt
worden. Wenn man beim enthirnten Thiere den zu einer Lunge zugehö-
renden Vagus durchtrennt, die andere Lunge aber durch Eröffnung des
betreffenden Pleurasackes verhindert, selbst bei starken Inspirationsbewegungen
ihr Volumen zu verändern , so müssen , falls unsere Erklärung richtig ist,
Athemkrämpfe auftreten, wie wenn beide A'^agi durchschnitten worden wären.
Das war, wie man sieht, in der That der Fall.
Wir haben diesem gewiss einleuchtenden Versuche nur noch ein paar
Worte hinzuzufügen. Seine Anstellung macht die Voraussetzung, dass der
302 C. FßANCK UND 0. Langbndoeff:
rechte Vagus sich lediglich in der rechten Lunge, der linke allein in der
linken verzweigt. Die Richtigkeit dieses Satzes ist indess zweifelhaft.^
Auch der weitere Verlauf unseres Experimentes scheint diesem Zweifel
Recht zu geben.
Die nach Eröffnung der Pleura sich einstellenden Athemkrämpfe
wurden nämlich, offenbar in Folge von Dyspnoe, tiefer und tiefer. Als
der Tiefstand des Zwerchfells ein maximaler geworden war, verschwanden
die Krämpfe und machten gewöhnlichen, tiefen und viel frequenteren
Athembewegungen Platz.
Nimmt man an, jeder Vagus sende zwar die Hauptmasse seiner Fasern
zur gleichnamigen Lunge, einen kleinen Theil aber auch zur anderen, so
ist leicht zu verstehen, wie (in unserem Falle) die massige inspiratorische
Vermehrung des Volumens der rechten Lunge die Athemkrämpfe nicht
zu beseitigen vermochte, die stärkste Aufblähung dagegen, in welche diese
Lungenhälfte durch die maximal entfalteten inspiratorischen Kräfte ver-
setzt wurde, ausreichend sein konnte, die regulatorischen Kräfte der wenigen
diese Lunge noch mit dem Athemcentrum verbindenden Vagusfasern zur
Geltung zu bringen.
Die Beweiskraft des Versuches scheint uns durch diesen seinen
weiteren Verlauf nicht nur nicht alterirt, sondern bekräftigt zu werden.
Ziehen wir nach alledem die letzten Schlüsse aus den vorliegenden
Experimenten, so müssen wir sagen:
Die bei Kaninchen nach Ausschaltung der oberen Hirn-
bahnen und Durchschneidung der Vagi sich häufig einstellen-
den Athemkrämpfe sind nicht der Ausdruck eines Unvermögens
des isolirten Athemcentrums, anders wie in regellosen Krämpfen
seine Thätigkeit darzuthun, sondern sie sind eine nebensäch-
liche, zuweilen ausbleibende, in ihrer Intensität und Dauer
schwankende Folge der Hirnverletzung. Wenn die Erscheinung
ausbleibt, so lange die Vagi unversehrt sind, so rührt das nicht
daher, dass diese Nerven zur Erzeugung einer krampflosen
rhythmischen Athmung nothwendig sind, sondern weil sie be-
fähigt sind, die Athmungstiefe und die Dauer der Athem-
^ Aus anatomischen Untersuchungen von Arloing und Tripier geht hervor,
dass die beiden Vagi vor ihrem Eintritt in die Lunge mit einander anastoraosiren.
(Archives de physiologie etc. 1875. t. V. Nr. 2. p. 175.) Die Deutung dieser Autoren
weicht freilich von der von uns für wahrscheinlich gehaltenen ab.
AUTOMATIE DES AtHEMCENTRUMS BEI SÄUGERN. 303
pliaseu zu regulireu, und demzufolge die luspirationskrämpfe
im Keime zu ersticken.
Noch bedürfen die S. 295, 296 sub 6 und 7 gemachten Angaben über die
Erzielung von Apnoe und Dyspnoe nach Isolation des Athemcentrums
einer kurzen Besprechung.
Dass, wie wir gefunden haben, das isolirte Athemcentrum in der Er-
stickung sich ebenso verhält, wie das nicht isolirte, ist eine Thatsache, die
in Uebereinstimmung steht mit der Angabe von Loewy, dass die Regu-
lirung der Athmung durch die Blutbeschaffenheit von dem medullären
Athemcentrum allein, ohne Zuhilfenahme peripherischer Verbindungen be-
sorgt wird.
In demselben Sinne kann man wahrscheinlich auch die von uns be-
wiesene Apnoe des isolirten Centrums verwerthen. Marckwald sagt:
„Hat man bei einem Kaninchen durch Abtrennung der Med. oblongata
oberhalb des Athmungscentrums und Unterbindung der Vagi am Halse
die bekannten Athemkrämpfe erhalten und leitet dann künstliche Respi-
ration in sehr ausgiebiger Weise ein, so kann man diese Einblasungen
eine halbe Stunde lang und länger fortsetzen, ohne Apnoe zu erzielen,
trotzdem das Blut zweifellos in dieser Zeit mit Sauerstoff gesättigt ist.
Während der ganzen Dauer der künstlichen Athmung bestehen aber die
Athemkrämpfe fort u. s. w." . . . „Lange Zeit glaubte ich", fährt Marck-
wald fort, „dass solche Thiere überhaupt nicht apnoisch zu machen wären.
Das ist nicht richtig. Es gelingt, bei besonders ausgiebiger und zumal
sehr frequenter, lange fortgesetzter künstlicher Athmung auch bei ge-
köpften und vagotomirten Thieren eine Apnoe herzustellen."
Uns ist es weit leichter geworden, eine Apnoe zu erzielen. Ueber-
haupt will es uns scheinen, dass die Nothwendigkeit der Vagi für das
Zustandekommen der Apnoe von vielen erheblich überschätzt wird. Uns
gelang es häufig, vagotomirte Thiere, so oft wir wollten und ohne über-
trieben lange künstlich zu athmen, in langdauernde volle Apnoe zu ver-
setzen. Dass bei unversehrten Vagi die mechanische Reizung derselben
durch die Einblasungen das Zustandekommen der Athemruhe begünstigen
und deren Dauer vermehren kann, wollen indessen auch wir nicht in
Abrede stellen.
304 0. Langenborff:
Zwölfte Mittheilung.
Die Exspirationsbewegungen der Erösche.
Der Athmungsmechanismus des Frosches ist in der neueren Zeit wieder
Gegenstand eingehender und sorgfältiger Untersuchungen gewesen. ^ Trotz
der Förderung aber, die das Verständniss dieses verwickelten Vorganges
durch sie erfahren hat, ist doch noch Manches zweifelhaft oder dunkel ge-
blieben.
Allenthalben findet man, bei älteren wie bei neueren Autoren, die
Angabe, dass bei der Ausathmung des Frosches Muskelkräfte wirksam sind ;
allein ausser der directen Beobachtung und allenfalls der graphischen Dar-
stellung ist kein Mittel benutzt worden, eine solche Activität zu erweisen.
Freilich machen die Bewegungen, die man an der seitlichen Bauch wand
des athmenden Frosches sieht, die sogenannten Flankenbewegungen,
durchaus den Eindruck, als seien sie durch schnell verlaufende Muskel-
contractionen entstanden. So leicht, wie zu sehen, sind sie auch aufzu-
zeichnen.
Indess ist das noch nicht entscheidend. Schon lange zweifelnd, habe
ich jetzt, als ich daran gehen wollte, die Centren der Exspirationsbewegungen
beim Frosche zu studiren, mich genöthigt gesehen, die Frage nach ihrer
activen Natur experimentell zu entscheiden. Ich gelangte dabei zu der
Ueberzeugung, dass bei der gewöhnlichen Athmung des Frosches exspira-
torische Muskelkräfte nicht zur Verwendung kommen, dass wir es bei der
Ausathmung mit einem durchaus passiven Vorgang, mit dem Spiel der
elastischen Kräfte der Lungen zu thun haben.
Die Beobachtungen sind sämmtlich an R. esculenta angestellt; zur
Aufzeichnung der Flankenbewegungen diente ein einarmiger Fühlhebe],
der unweit seines Drehpunktes einen kurzen, senkrechten Fortsatz trug,
welcher auf der Flanke des in der Regel in Seitenlage festgehaltenen Thieres
ruhte. Die Aluminiumblechspitze des Hebels schrieb auf die rotirende
Trommel.
In seiner bemerkenswerthen Mittheiluug über die Nervencentren des
Frosches theiit Schrader^ über die Athmungsinnervation u. A. Folgen-
des mit:
' Newell Martin iu the Journal of Physiology. 1878. Vol. I. p. 131;
N. Wedenskii in Pflüger's ^rcÄiv u. s. w. 1881. Bd. XXV. S. 129.
2 Pflüger's Archiv u. s. w. Bd. XLI. S. 89.
Studien übee die Inneevation dee Athembewegungen. 305
„Trennt man in der Höhe der Spitze des Calamus scriptorius das
Kopfmark vom Kückenmark durch einen glatten Querschnitt, so stellt sich
sehr bald die Athmung- von Nase, Kehlkopf und Muudboden wieder her,
aber auch die Musculatur des Rumpfes betheiligt sich an den ausgiebigeren
Athembewegungen. Unterdrückt man die Respiration des Vorderthieres,
so hört auch die des Rückenmarkthieres auf. Wahrscheinlich handelt es
sich um einen Reflexvorgang."
Offenbar sind die Flankenbewegungen gemeint. Die Beobachtung ist
leicht zu bestätigen.
Durchtrennte ich bei frischgefangenen lebenskräftigen Fröschen das Mark
zwischen Calamusspitze und Brachialisursprung, so traten alsbald Athem-
bewegungen wieder auf, die von ihrem früheren Charakter nichts verloren
hatten. Die wahren, mit Schliessung der Nasenlöcher einhergehenden
Athembewegungen verbanden sich mit den bekannten Bewegungen der
Flanken. Zuweilen sah man, wie man das auch am unverletzten Frosche
wahrnehmen kann, durch eine Reihe von Einathmungen die Lunge voll-
gepumpt und nach Erreichung eines gewissen Füllungsgrades durch eine
Reihe von Ausathmungen wieder entleert werden (die „einpumpenden" und
„entleerenden" Bewegungen Wedenskii's).
Bohrte ich die vor dem Schnitte gelegenen Centraltheile aus, so ver-
schwanden mit den Einathmungen auch die Flankenbewegungen und
kehrten nicht mehr wieder, obwohl das Hinterthier (bei kühler Temperatur)
noch lange am Leben blieb.
So weit gelangt, glaubte auch ich es mit einem Reflex zu thun zu
haben, da die in Betracht kommenden Muskeln zweifellos nicht vom Kopf-
mark, sondern vom Rückenmark innervirt werden (s. später). Auffallend
war mir allerdings, dass es mir niemals gelingen wollte, bei oblongatalosen
Fröschen, die jegliche Athmung eingebüsst hatten, durch künsthche Luft-
einblasung in die Lungen active Flankenbewegungen reflectorisch zu er-
zeugen. Weder rhythmische Einblasungen, noch dauernde Aufblähung der
Lungen und mit ihnen der Bauchwand hatten den mindesten Erfolg.
Weitere Versuche zeigten, warum das so sein musste.
Als ich nämlich bei Fröschen, die die hohe Markdurch schneidung er-
litten hatten, das ganze Rückenmark zerstörte, blieben mit den
Kehl- und Kehlkopfathmungen auch die Athembewegungen der
Flanken bestehen, und zwar in einer von der früheren nicht oder nur
unwesentlich — in Folge von Veränderungen der Inspirationsbewegungen
— verschiedenen Weise. ^
^ Man thut gut daran, die Zerstörung des Eückenmarkes der Durchsclineidung
erst nach einiger Zeit folgen zu lassen. Man hat dann mehr Aussicht, die Athmung
Archiv f. A, u. Ph. 1888. Physiol. Abthlg. 20
306 0. Langendorpf:
Insbesondere war auch das zeitliche Verhältniss von Flankenathmung
und Kehlbewegung das gleiche gebheben: die Flankenbewegung ging, ganz
wie es N. Martin beschreibt, der Hebung des Mundbodens kurz vorher,
so dass die kaum entlastete Lunge sofort durch die Verkleinerung des
Kehlraumes wieder neue Füllung erhielt. Dann erst kam die Senkung der
Kehle und die Pause, die nur durch die bekannten, auch auf die Lungen
sich schwach übertragenden „Oscillationen" des Zungenbeinapparates unter-
brochen ist.
Ich theile hier die drei Curvenreihen mit, die von einem und dem-
selben Frosche aufgenommen worden sind:
L nach alleiniger Abtragung des Grosshirns (um nicht allzu sehr
durch Unruhe gestört zu werden);
2. nach Durchschneidung des Rückenmarks dicht unter der Oblongata;
3. nach Ausbohrung des Rückenmarks von der Schnittstelle aus und
Tamponirung der Wirbelhöhle durch ein Holzstäbchen.
Fig. 1.
Die Bauchmuskeln des Frosches erhalten ihre Nerven sämmtlich von
Theilen des Rückenmarkes, die unterhalb der Schnittstelle in meinen Ver-
suchen gelegen sind. ^ Eine active Betheiligung derselben ist somit uu-
vöUig erhalten zu sehen, wie wenn man sofort ausbohrt. Noch kürzlich hat Usti-
mowitsch (dies Archiv, 1887, S. 185) hervorgehoben, dass auch beim Säugethier ein
solches Verfahren nützlich ist, wenn man das Thier trotz der Markzerströrung am
Leben erhalten will.
^ In meiner VIII. Mittheilung {dies Archiv, 1887) hatte ich angegeben, dass
nach Heinemann die respiratorisch wirksamen Bauchmuskeln vom ersten Spinal-
nerven versorgt werden. Das war natürlich ein von mir begangener Irrthum. Die
Angaben Heinemann 's beziehen sich lediglich auf einen bestimmten Theil des M. ob-
liquus abdominis internus, nämlich auf die zuerst von Daudin erwähnte, den Schlund
Studien über die Innervation der Athembewegungen. 307
denkbar. Die Flankenbewegung, d. h. also die Aiisathmung, muss ohne
sie zu Stande kommen.
Man kann sich von dem Vorhandensein normaler Exspirationen trotz
vollständigen Fehlens der Bauchmuskeln leicht überzeugen.
Ich machte folgenden Versuch:
Einem kleinen Frosche wird das Rückenmark dicht unter dem ersten
Wirbel durchschnitten (durch die spätere Section bestätigt!). Nach einiger
Zeit (etwa 12 Uhr Vormittags) wird das Rückenmark von der Schnittwunde
her ausgebohrt, der Rückenmarkscanal tamponirt. Bald hat sich die vor-
übergehend erloschene Athmung in last normaler Weise wieder hergestellt.
Flankenbewegungen so wie am unverletzten Frosch (s. Fig. 2).
Fig. 2.
Der Frosch wird bis zum nächsten Tage in einem kühlen Räume
aufbewahrt.
Am nächsten Tage wird nach längeren graphischen Beobachtungen
die ganze weiche Bedeckung des Rückens, der Flanken, des Bauches voll-
ständig abgetragen, die Wirbelsäule mitten durchschnitten, so dass die mit
Luft gefüllten Lungen nebst sämmtlichen Baucheingeweiden völlig frei
liegen.
Die Athmung ist dadurch zunächst kaum beeinflusst worden. Ganz
deutlich sieht man jetzt bei den tiefen Athemzügen die von der Muscu-
latur völlig unbedeckten Lungen kräftige Zusammenziehungen
machen, die ganz den Charakter der früheren Flankenbewegungen tragen.
Sowohl ihr zeitliches Auftreten (vor der Hebung der Kehle), als ihre Form
entspricht denselben vollständig. Die Zusammenziehung erfolgt plötzlich,
zwerchfellartig umschliessende , die Lungen überlagernde Partie dieses Muskels
(s. Ecker, Anatomie des Frosches. S. 82 und 83. Figg. 65 und 66). Ich will sie die
Portio diaphragmatica des schiefen inneren Bauchmuskels nennen. Unter dem
ersten Spinalnerven Heinemann's ist offenbar nicht der N. hypoglossus, son-
dern der N. brachialis zu verstehen. Wenigstens sehe ich von diesem Nerven zum
M. obliquus int. einen Zweig verlaufen, dessen Reizung Contractionen in diesem Muskel,
besonders auch in seiner Portio diaphragmatica hervorbringt.
Die Innervation der übrigen Theile der Bauchmuskeln besorgen die noch tiefer
entspringenden Rückenmarksnerven.
20*
308 0. Langendoeff:
schnellend, wird sofort durch die Inspiration coupirt. In den Athmungs-
pausen sind auch vielfach ^ die bekannten fortgeleiteten Oscillationen an den
Lungen erkennbar. Ich gebe in Fig. 3 eine graphische Aufnahme wieder.
Fig. 3.
Die Betrachtung der Zusammenziehungen der freigelegten Lunge er-
weckt völlig die Vorstellung, als ob es sich um active Contractionen
der Lungenwand handle. Ein unbefangener Beobachter, der nichts von
dem histologischen Bau der Lungen wüsste, oder dem es unbekannt wäre,
dass glatte Muskeln sich nur sehr träge zusammenziehen, würde diese
Zusammenziehungen mit denen des Herzens vergleichen und für die Aeusse-
rungen in den Lungen wänden verborgener Muskelkräfte halten. ^
Von allen zu den Bauchmuskeln zu rechnenden Theilen war nur die
Portio diaphragmatica des inneren schiefen Bauchmuskels verschont ge-
blieben. Zum üeberfluss durchschnitt und zerstörte ich auch sie nach-
träglich, ohne dadurch das geringste in dem Bilde zu verändern.^
Es bleibt somit nichts übrig, als für die exspiratorischen
Zusammenziehungen der Lunge und damit auch für die durch
sie hervorgerufenen Elankenbewegungen lediglich die Elasticität
der Lungen verantwortlich zu machen.
Man könnte freilich sagen: allerdings kommt, wie die hier geschilder-
ten Beobachtungen darthun, das Zusammensinken der Lungen auch ohne
irgend welche Muskelkräfte in einer der normalen anscheinend ganz ähn-
lichen Weise zu Stande; damit ist aber noch nicht ausgeschlossen, dass
beim unverletzten Thiere den hier nachgewiesenen elastischen Kräften sich
noch von den Bauchmuskeln gelieferte Kräfte beigesellen. Abgesehen
davon, dass uns das als eine nutzlose Verschwendung von Muskelanstrengung
erscheinen müsste, lässt sich gegen diese Auffassung auch einwenden, dass,
wenn man bei unverletzten Thieren die Flankenhaut entfernt, und so die
darunter liegenden Muskeln dem Auge direct zugänglich macht, man an
' Wenn auch nicht gerade auf der mitgefcheilten Zeichnung.
^ Ich bemerke beiläufig, dass sich dieser Versuch mit einigen Veränderungen sehr
zum Scbulexperiment eignen würde. Zur Erläuterung der principiellen Verschiedenheit
des Athmungsmechanismus des Frosches und der Säugethiere lässt sich kaum eine an-
schaulichere Demonstration denken.
^ Ich brauche wohl kaum zu erwähnen , dass ich denselben Abtragungsversuch
mit gleichem Erfolg auch au Fröschen mit iutacteni Centralnervensystem angestellt habe-
StUPIEN Ü43EK DIE InNEUVATION DER AtHEMBEWEÜUNÜEN. 3U9
diesen nicht das Mindeste wahrnehmen kann, was auf eine active Zu-
sammenziehung schliessen Hesse. Die athmende Bauchwand bietet durchaus
denselben Anblick, wie die eines rückenmarkloseu Thieres.
Die Ursache für das Zustandekommen des plötzlichen Lungencollapses
und seines schnellen Abbrechens ist leicht zu finden.
Nachdem eine Hebung* des Mundbodens bei geschlossenen Nasen-
öflnungen und geöffneter Athemritze Luft in die Lunge gepumpt hat,
schliesst sich die Glottis, öffnet sich die Nase und steigt der Mundboden
wieder herab, wodurch sich der Kehlraum wieder mit Luft füllt. Oeffnet
sich jetzt plötlzich die Athemritze wieder, so müssen die luft-
haltigen Lungen, ihrem elastischen Gleichgewicht zustrebend,
plötzlich collabiren;^ dieser Collaps würde anfangs mit grosser, später mit
abnehmender Geschwindigkeit stattfinden müssen — bei irregulär athmenden
Fröschen kann man das in der That ab und zu sehen — ; für gewöhnlich
wird er aber sehr schnell dadurch aufgehalten, dass der Oeffnung der
Glottis alsbald eine neue Kehlraumverengerung, ein neues Einpumpen von
Luft in die Lunge folgt.
An den Flankencurven bedeutet somit der absteigende Theil der
Curve (a) den Lungencollaps, der aufsteigende {b) die schnelle Wieder-
anfüllung durch Einpumpung. Ist a = b, d. h. wird durch Inspiration
ebenso viel ersetzt, wie durch Exspiration verloren ging, so entstehen die
von Wedenskii als „ventilirende" Athembewegungen bezeichneten Formen.
Ist a < 5 und wiederholen sich solche Perioden mehrmals hinter einander,
so kommt es zu einer oft sehr bedeutenden Lungenblähung („einpumpende"
Bewegungen Wedenskii's); ist endlich mehrmals hinter einander a y b,
so wird die gefüllte Lunge erhebhch entlastet („entleerende" Bewegungen
Wedenskii's).
Noch ein Moment wäre zu betrachten, an dessen Wirksamkeit beim
Zusammensinken der Lungen gedacht werden könnte. Ich meine die Er-
weiterung des Kehlraumes, deren Maximum mit dem Lungencollaps zu-
sammenfällt (Martin). Es wäre denkbar, dass hierdurch eine Ansaugung
nach der Mundhöhle sich geltend machte. Eine solche ist aber unwahr-
scheinlich, weil die Erweiterung des Kehlraumes bei offenen Nasenlöchern
statthat. Eine Einsaugung von atmosphaerischer Luft und damit der
Druckausgleich ist deshalb schon erfolgt, wenn die Athemritze sich öffnet.
Ist durch die vorhegende Untersuchung der Nachweis geführt, dass
bei der normalen Athmung des Frosches die Exspiration lediglich durch
^ Martin meint, die Eröffnung der Glottis sei eine passive durch die Austreibung
von Lungenluft mittels der Flankencontraction herbeigeführte. Diese Ansicht theile
ich natürlich nicht.
310 0. Langendoeff: Die Inneevation dee Athembewegcjngen.
elastische Kräfte besorgt wird, so ist damit noch nicht behauptet, dass bei
angestrengter Athmung oder unter anderen abnormen Bedingungen nicht
auch exspiratorische Muskelkräfte in Action treten.
In der That habe ich Beobachtungen dieser Art gemacht, doch muss
ich ihre Mittheilung für später verschieben, da daran sich anschliessende
Untersuchungen noch nicht zu Ende geführt sind.
Diese Abhandlung war so weit im Manuscript abgeschlossen, als ich
den achten Beitrag zur Lehre von der Athmungsinnervation von Knoll
erhielt. Bezüglich der Exspirationsbewegungen beim Frosch ist Knoll zu
derselben Schlussfolgerung gelangt, wie ich. Ich glaube, dass seine S. 7
(des Separatabzuges) angeführten Gründe durch die hier dargestellten Ver-
suche — besonders auch durch die graphischen Nachweise — wesentÜch
gestützt werden.
lieber Becherzellen im Dünndarmepithele der
Salamandra maculosa.
Von
Julius Steinhaus.
(Aus dem pathologischen Laboratorium der kaiserl. Universität Warschau.)
(Hierzn Taf. VI— Till.)
Auf einen Vorschlag des Hrn. Prof. S. M. Lukjanow und mit
seiner freundlichen Unterstützung, für welche ich meinen herzlichsten
Dank zu sagen mich gedrungen fühle, unternahm ich es, den Dünndarm
auf sein Epithel und seine sogenannten Becherzellen hin einer nochmaligen
Untersuchung zu unterwerfen. Ueber die Resultate der Untersuchung der
Becherzellen will ich jetzt berichten;^ die feinere Morphologie der Epithel-
zellen, speciell der Epithelzellkerne wird den Gegenstand einer in nicht
entfernter Zukunft erscheinenden Abhandlung bilden.
Die Litteratur über Becherzellen ist ziemlich gross; da ich keine
Monographie zu schreiben beabsichtige, sondern nur über die Resultate
meiner Untersuchung berichte, will ich sie hier weder zusammenstellen
noch besprechen.^ Ich möchte nur die verschiedenen Ansichten über
Becherzellen anführen, die noch jetzt, wie vor einigen Decennien, sich
schroff entgegenstehen. Nach den Einen sind die Becherzellen in Schleim-
metamorphose begriffene Zellen, nach den Anderen sind sie einzellige
Schleimdrüsen; andere wieder meinen, Becherzellen existiren im lebenden
Organismus gar nicht, sie seien Artefacte (letztere Ansicht wird speciell
^ Eine vorläufige Mittheilung habe ich in der 2. Sitzung der wissenschaftlichen
Section des Warschauer Gärtner-Vereins am 19. Januar d. J. gegeben.
^ In der ausführlichen Arbeit J. H. List's {Archiv für mikroskopische Anatomie ^
1886, Bd. XXVII) „Ueber Becherzellen" findet sich eine sorgfältige Zusammenstellung
der Becherzellenlitteratur.
312 Julius Steinhaus:
bezüglich der Darmbecher in der Litteratur angeführt^). Drasch- sieht
in den Becherzellen der Trachea Uebergangsstadien zwischen Keilzellen
und Flimmerzellen. Letzerich^ spricht den Darmbechern Zellnatur ab,
findet in ihnen weder Protoplasma, noch Kern, und glaubt in ihnen die
Wege (Schläuche) gefunden zu haben, durch welche NahrungsstofFe aus dem
Darme in die Chjlusräume wandern.
Der Beschreibung meiner Befunde muss ich noch einige Bemerkungen
über meine Untersuchungsobjecte und Untersuchungsmethoden voraus-
senden.
Mein Hauptobject — und hier werde ich nur über das an ihm ge-
fundene berichten — war die Salamandra maculosa. Verschiedene Frosch-
arten, Tritone, Hunde und Kaninchen kamen auch zur Untersuchung, doch
verweilte ich mit Vorliebe an dem Prachtobjecte Salamandra, so dass
die Beobachtungen an jenen Objecten noch nicht zu Ende geführt wer-
den konnten.
In die Details des anatomischen Baues des Salamanderdünndarmes hier
näher einzugehen, wäre nicht am Platze. Nur so viel werde ich sagen,
dass von den drei Apparaten, die man schematisch im Dünndarme unter-
scheiden kann, hier (wie im Allgemeinen bei den Amphibien) nur zwei
zugegen sind, nämlich ein Bewegungs- und ein Eesorptionsapparat , ein
Secretions- resp. Drüsenapparat fehlt. Der Bewegungsapparat besteht aus
der Muskelhaut und der serösen Umhüllung derselben. Den Resorptions-
apparat bildet eine zickzackförmig gefaltete Schleimhaut, wie gewöhnlich
aus bindegewebigem Substrate und Epithelschicht bestehend. Drüsen sind,
wie gesagt, nicht vorhanden.
Die zur Untersuchung verwendeten Salamander — ausgewachsene
Thiere — waren zum Theil hungernde, zum Theil gefütterte Exemplare;
Magen, Darm und Verdauungsfermente liefernde Drüsen ersterer waren
mehr oder weniger im Zustande der Ruhe, letzterer in Thätigkeit. Ein
Theil der gefütterten Thiere wurde noch zu stärkerer Function des Darm-
cänals durch Pilocarpin gereizt. Die Schleimabsonderung war dabei viel
energischer und die Zahl der Becher viel grösser, als bei nichtpilocarpini-
sirten Thieren. Unter Pilocarpinwirkung (es wurden 2 ™^™ in 1 procentiger
^ Lipsky (Beiträge zur Kenntniss des feineren Baues des Darracanals; Wiener
Siizungsberickte, Bd. LV, Abth. I) sagt direct, es werden, wenn man den Darm einer
eben getödteten Katze in eine Lösung von doppelchromsaurera Kali legt, fast alle Zellen,
sowohl des Dünn- als auch des Dickdarmes, in Becher umgewandelt.
^ Drasch, Eegeneration des Flimmerepithels der Trachea. Wiener Sitzungs-
berichte, Bd. LXXX, Abth. 3.
^ Letzerich, Resorption verdauter Nährstoffe. Virchow's Archiv, 1866»
Bd. XXXVIL
Bechehzellen im Dünndakmepjthklk DEJi 8alamandka maculosa, 813
wässeriger Lösung mit Pravaz'scher Spritze per os eingeführt) verweilten
die Thiere IV2 — 2^2 Stunden, wunach ihnen die Bauchhöhle geöffnet und
der Dünndarm herausgeschnitten wurde. Die Fixirung geschah mittels
Sublimat, dann kam Härtung in Alkohol, wonach hei sorgfältigem Gebrauch
aller üblichen Uebergangsflüssigkeiten Einbettung in Paraffin folgte. Schnitte
(von V200 "™ Dicke) wurden mit dem L ei tz 'sehen Mikrotome gefertigt
und mit destillirtem Wasser auf das Objectgias angeklebt.
Die Färbung war eine sehr complicirte und darum auch eine höchst
differenzirende. Ich verwandte nämlich in der Mehrzahl der Fälle die
vierfache Färbung (auf dem Objectgiase) mittels HaematoxjUu (nach Boeh-
mer), Nigrosin, Eosin (Spirituslösung) und Safranin, da ich an denselben
Praeparaten ausser den Becherzellen noch andere Bestand theile studirte,
für deren Differenzirung obige Färbemethode sich als sehr geeignet erwies;
für das Studium der Becher genügt es vollständig Haematoxylin mit
Safranin zu combiniren, wobei :nur eigene Praxis lehren kann, wie lange
man jeden Farbstoff einwirken lassen muss. Von Wichtigkeit für das
Studium der Becher ist noch die Pikrinsäure (nach Altmann: 2-5^™
Pikrinsäure, 35 §^1™ Alkohol, 70 s™ dest. Wasser). Nach vollendeter Tinction
lässt man die Säure eine kurze Zeit auf die Schnitte einwirken und wäscht
sie dann in absolutem Alkohol. Auch andere Tinctionen habe ich ange-
wandt (verschiedene Carmine, Dahlia, Methylgrün u. s. w.), doch erwiesen
sich diese Methoden für das Studium der Entwickelung der Becher als
ungeeignet.
In die Details der von mir angewandten Fixirungs-, Härtungs- und
Einbettungsmethoden glaube ich nicht eingehen zu müssen; dieselben,
sowie die Methodik der vierfachen Färbung, sind von Ogata^ genau be-
schrieben worden; ich änderte nur das eine, dass ich, statt einfacher
Paraffineinbettung, mitunter Photoxylin mit Paraffin combinirte.^ Endlich
muss ich noch bemerken, dass ich bei meiner Untersuchung die apochro-
matische Oelimmersionslinse von Zeiss mit Apertur 1-30 und aequiv.
Brennweite 2-00"™, combinirt mit den Compensationsocularen 4 und 8,
gebrauchte ; die Abbildungen (sämmtlich nach vierfach gefärbten Praeparaten)
sind von mir mit Hülfe des Zeichenapparates von Abbe (ausschliesslich
bei Ocular 8) entworfen worden.
Das Epithel des Salamanderdünndarms ist einschichtig, aus cylindri-
schen Zellen bestehend, die in einen Fuss, der sich in der bindegewebigen
^ Masanori Ogata, Die Veränderungen der Pankreaszellen bei der Secretion.
Dies Archiv, 1883.
2 Vergl. hierüber S. M. Lukjan ow, Notizen über das Darmepithel bei Ascaris
mystax. Archiv für mikroskopische Anatomie, Bd. XXXI, Hft. 2.
314 Julius Steinhaus:
Unterlage verliert, übergehen. Die freie Oberfläche der Zellen ist mit
Stäbchen besetzt. Die Kerne dieser Epithelzellen sind von sehr verschie-
dener Form und bieten eine Unmasse interessanter Structureigenthüm-
lichkeiten.
Zwischen den Zellfüssen finden sich Kerne von geringer Protoplasma-
menge umgeben, die sogenannten Ersatzkerne, resp. Ersatzzellen. Zwischen
den Epithelzellen trifft man in wechselnder Quantität sogenannte Becherzellen.
Das Protoplasma der Epithelzellen färbt sich (bei vierfacher Färbung)
hellviolett, seltener rosa, der Stäbchenbesatz ähnlich, doch immer intensiver.
Die Kerne sind, wie schon erwähnt, höchst verschiedenförmig, doch
kann man in diesem Gewirr die als ruhende, normale zu bezeichnenden
Kerne leicht von den in dieser oder jener Weise veränderten unterscheiden.
Die normalen Kerne sind von ovaler oder etwas länglicher Form; sie
liegen annähernd in gleicher Entfernung vom Fusse, wie vom Stäbchen-
besatze und meistentheils selten- bis randständig. Ihr Gerüst färbt sich
(vierfache Färbung) blau- violett (alle möglichen Nuancen) bis roth (Figg. 1,
4, 6, 7, 8, IJ, 12).
Diese Verschiedenheit der Färbung ist kein blosser Zufall, sondern
wir haben es hier mit dem Ausdrucke chemischer Verschiedenheit zwischen
den einzelnen Kernen zu thun. Bei Gelegenheit einer Untersuchung
pathologischer Neubildungen im menschlichen Organismus, die im hiesigen
pathologischen Laboratorium ausgeführt worden, ist es Hrn. August
Kosinski^ gelungen zu beweisen, dass bei Doppelfärbung der Kerne mit
den zwei Kernfarben Haematoxylin und Safranin (dabei muss Ueberfärbung
mit Haematoxylin sorgfältig vermieden werden) das Gerüst ruhender Kerne
sich blauviolett färbt, in den ersten Stadien der Karyokinese violettröthlich,
dann aber immer röther und röther, bis endlich das Chromatin der in
weiteren Stadien der Karyokinese sich befindenden Kerne (Mutterstern u. s. w.)
prachtvoll roth gefärbt erscheint. Diese Färbung behält das Chromatin
während der ganzen Zeit der Karyokinese und später noch, bis die jungen
Kerne auf dem Wege zur vollständigen Reife stufenweise zur blau-violetten
Färbung ihres Chromatins kommen.^
Dasselbe kann ich für normale Epithelien bestätigen.
^ A. Kosinski, Ueber verschiedene Färbung der Kerne im Zustande der Ruhe
und der Mitose u. s, w. Wratsch, 1888 (russisch).
^ Bei Einzelfärbung der Kerne (z. B. mit Dahliablau oder Methylgrün) kann man
ebenfalls alte Kerne von jungen unterscheiden. In den jungen färbt sich der Kerninhalt
fast in toto intensiv blau, grün u. s. w., in alten nur die Kernkörperchen und das
Netzwerk des Gerüstes, die Substanz zwischen den Gerüstfäden aber nicht. Die karyo-
kinetischen Figuren (bez. ihr Chromatin) färben sich bei solchen Einzelfärbungen ebenso
intensiv, wie die jungen Kerne.
Becherzellen im Dünjs[darmepithele der Salamandka maculosa. 315
Diese differente Färbung verschiedener Kerne giebt uns auch die Mög-
lichkeit, die bis jetzt ziemlich unklar praecisirten ,,Kernkörperchen" schärfer
in's Auge zu fassen und von den sogenannten Netzknoten zu unterscheiden.
Die Ansicht, dass die Nucleolen mit den Netzknoten identisch sind,
muss wohl vor der anderen Ansicht, wonach beide verschiedene Gebilde
sind, weichen. Dafür sprechen ihr verschiedenes Verhalten gegen Farbstoffe,
ihre Unterschiede im Lichtbrechungsvermögen und ihre Contoure, die
bei Netzknoten nie so scharf und deutlich hervortreten, wie bei echten
Nucleolen.
Die Kernkörperchen sind glänzende, meist runde oder rundliche Ge-
bilde; ihre Mehrzahl färbt sich bei Gebrauch doppelter Kernfärbung mittels
Haematoxylin und Safranin roth, doch dieses Roth ist leicht von dem der
Netzknoten rother Kerne zu unterscheiden. Eine viel geringere Zahl färbt
sich blauviolett, doch dieses Blauviolett ist ein anderes, als das der blau-
violett gefärbten Netzknoten, Erstere sind die sogenannten Plasmosomen,
letztere die sogenannten Karyosomen.
Zwischen den Epithellzellen finden sich, wie bekannt, die Becherzellen.
Solche in vollständiger Entwickelung stellen die Abbildungen, z. B.
Fig. 2 und 3, vor. In ihrer Form weichen sie von den gewöhn-
lichen Epithelzellen darin ab, dass sie in der Mitte aufgedunsen und am
oberen Ende abgerundet sind. Der Fuss ist mit dem der Epithelzellen
identisch. Am oberen Ende des Bechers befindet sich eine Oeffnung
(Stoma), durch welche eine allgemein als mucinös angenommene Masse in
den Darm sich ergiesst [a = Stoma, b = mucinöse Massen in den Figuren).
Dieselbe mucinöse Masse füllt den grössten Theil des Bechers aus,
nur ist sie hier nicht homogen, wie die aus dem Becher heraustretende;
man erkennt in ihr netzartig sich verbindende Fäden, vacuolenähnliche
Gebilde ^ und verschiedene Körnchen, die an Nucleolen erinnern.
Doch ist diese Structur in vollständig entwickelten , secernirenden
Bechern nicht in der ganzen mucinösen Masse zu sehen. Ein Theil des
Inhalts, zumeist das dem Stoma am nächsten liegende, hat Structur voll-
ständig verloren und ist den homogenen herausgestossenen Massen gleich-
werthig.
Der Fuss der Becherzelle bleibt bis zu Ende protoplasmatisch. Cha-
rakteristisch ist es, dass der mucinöse Theil der Becherzelle vom protoplas-
matischen Fusstheile durch einen scharfen Contour abgegrenzt ist. Im Fusse
* Die Bedeutung dieser vacuolenähnlichen Gebilde zu erklären ohne Zuhülfenahme
von Hypothesen, ist einstweilen kaum möglich. Da ich die Becherzellen (exclusive
Fuss) als metamorphosirte Kerne, wie weiter unten auseinandergesetzt sein wird, be-
trachte, so scheint mir die Annahme plausibel, dass wir in den Vacuolen metamor-
phosirte Kernkörperchen, die unfärbbar geworden sind, haben.
316 ' Julius Steinhaus:
bemerkt man ziemlich oft (z. B. Fig. 3) längliche Gebilde, deren Be-
deutung ich weiter unten zu erMären suchen werde.
Sowohl bei vierfacher Färbung, als auch bei doppelter Haematoxylin-
und Safranin- oder einfacher Safraninfärbung nimmt der Becherinhalt eine
orangerothe Färbung an (Safranintinction). Diese Farbenreaction ist von
eminenter Wichtigkeit, ihr verdanke ich die Möghchkeit die Entwickelungs-
geschichte der Becher zu studiren und bis zu einem gewissen Grrade zu er-
klären. Das Protoplasma der Becherfüsse färbt sich, wie das der Cylinderzellen.
Die länglichen Gebilde erscheinen roth bis rothviolett (Safranin-Haematoxjlin).
So erscheint der fertige Becher; fragen wir, wie er zu Stande kommt,
woraus und wie er sich bildet, und suchen wir darauf die Antwort in der
Litteratur, so begegnen wir dort verschiedenen Erklärungen. Die Einen,
wie ich schon in der Einleitung gesagt habe, sehen in den Becherzellen
einzellige Schleimdrüsen; sie meinen, das Protoplasma der Zelle verwandle
sich in Schleim, während der Kern nach unten rücke und sich dabei ab-
platte; nachdem der Schleim abgesondert ist, kehrt die Zelle zum status quo
ante zurück und kann wieder und wieder Schleim produciren und absondern.
Andere meinen, die Becherbildung führe zur schleimigen Metamorphose
der ganzen Zelle sammt Kern, die Zelle gehe dabei zu Grunde und müsse
durch eine neue ersetzt werden. Die Ansicht, dass die Becherzellen Arte-
facte sind, und die Ansicht Letzerich's werden wir nicht weiter be-
sprechen, für uns müssen sie ein für allemal ausgeschlossen werden. Was
die Ansicht Drasch's betrifft, so kann sie, wenn sie auch für die Trachea
als richtig sich erweist, für die Darmbecher in keinem Falle gelten, denn
hier entstehen dieselben aus den Cylinderzellen.
Die zwei ersten Ansichten sind wohl für gewisse Thiere und Organe
richtig, für die Darmbecher der Salamander kann ich sie jedoch nicht gelten
lassen, da ich hier einen ganz anderen Bildungsmodus der Becherzellen
gefunden habe.
Es wird hier am Platze sein der Ansicht zu gedenken, die Hr. Prof.
S. M. Lukjanow^ in seiner Abhandlung über die Magenschleimhaut der
Salamandra maculosa in Betreff der Bildung mucinoider Massen in den
Zellen äussert. Dieser Ansicht nach wird die mucinoide Metamorphose
vom Kerne eingeleitet und zwar von einem bestimmten Theile desselben.
Dieser Befund leitet uns auf eine neue Bahn, und ich möchte hervorheben,
dass er eine unzweifelhafte Verwandtschaft mit den Befunden besitzt, die
mich zu der hier vertretenen Ansicht führten.
Bei systematischer Durchmusterung meiner Praeparate fielen mir,
ausser fertigen Bechern und normalen Epithelzellen, noch einerseits Ueber-
1 S. M. Lukjauow, Beiträge zur Morphologie der Zelle, Abhandlung I. Dies
Archiv, 1887.
Bechiorzklli';n im Dünndakmepithklk di:u Salamandha maculosa. 317
gangsstadien von letzteren zu ersteren, andererseits aber auch Metamorphosen
letzterer auf, die — an und für sich höchst interessant — doch, wie es sich
herausstellte, mit der Becherbildung im Dünndarme in keiner Beziehung
stehen. In einer besonderen Abhandlung werde ich über diese Metamor-
phosen berichten ; hier will ich mich mit den Vorgängen beschäftigen, die
zur Becherbildung führen.
Doch muss ich, bevor ich zur Becherbildungsfrage übergehe, einige
Befunde besprechen, die zwar damit nicht direct zu thun haben, wohl aber
indirect in Verbindung stehen.
Zwischen den Epithel- und Becherfüssen finden sich Kerne von ge-
ringerer Protoplasmamenge umgeben, die in ihrem Baue und in den
Farbenreactionen mit den Epithelzellkernen identisch sind. Diese Kerne
resp. Zellen als lymphoide Wanderzellen aufzufassen liegt kein Grund vor:
sie sind von diesen vollständig verschieden. ^ Die einzig mögliche An-
nahme ist die, dass wir hier mit Ersatzzellen senm proprio zu thun
haben. Stütze für diese Annahme geben folgende Thatsachen. Bei reich-
lich gefütterten, noch mehr aber bei pilocarpinisirten Thieren fand ich in
diesen Kernen sehr viele mitotische Figuren, während bei hungernden
Exemplaren Karyomitosis sehr selten zu sehen ist. Bei pilocarpinisirten
Thieren begegnet man auf einem V2oo™"^ dicken Darmschnitte 10, 20,
selbst bis 40 mitotischen Figuren in den „Ersatzkernen", bei hungernden auf
gleichem Schnitt oft gar keinen, höchstens aber 2 bis 4 solchen Figuren.
Dann findet man noch bei pilocarpinisirten Thieren viel öfter als bei
hungernden (dass Verhältniss ist hier dasselbe, wie für Mitose) Gebilde,
die ihrer Form nach als Keilzellen zu bezeichnen sind (Fig. 4). Be-
trachten wir diese Keilzellen aufmerksam, so wird es uns vollständig klar,
dass es emporwachsende Ersatzzellen sind; die Annahme, dass sie in ihrer
weiteren Entwickelung zu Cylinderzellen werden, ist schon von vielen
geäussert worden und scheint mir kaum auf Opposition stossen zu können.
Somit haben wir einen Modus der Epithelzellregeneration.
Für die Existenz eines zweiten Regenerationsmodus sprechen auch
viele Thatsachen. Wie die Abbildung Fig. 5 , die mehr zufällig aus
einer ganzen ßeihe ähnlicher zur Publication gewählt wordea ist, zeigt,
erfolgt Karyokinese nicht nur in den Ersatzzellen, sondern auch in Cylin-
derzellen, obgleich seltener (doch habe ich auf einem meiner Praeparate in
mehreren nebeneinander liegenden Cylinderzellen die Kerne in Mitose be-
griöen gesehen) ; als Resultat solcher Mitosen erscheinen zweikernige Cylinder-
zellen. ^
^ Damit soll aber nicht gesagt werden, dass ich in der Darmmucosa überhaupt
keine Wanderzellen gefunden habe.
''■ Zweikernige Cylinderzellen hat vor Kurzem auch Grünhagen im Darme ge-
318 Julius Steinhaus:
Fragen wir, was weiter mit beiden Kernen geschieht, so können wir
auf Grund der von August Kosinski bewiesenen und von mir auf
meinen Objecten bestätigten verschiedenen Färbung junger und alter Kerne
diese Frage folgendermaassen beantworten. Beide Kerne entwickeln sich
nicht gleichzeitig weiter. Der eine Kern, der obere, dem Stäbchensaume
näher liegende (die Kerntheilungsaxe ist zur Längsaxe des Darmrohrs
senkrecht gestellt), entwickelt sich weiter, seine Färbung (bei doppelter
Kerntinction mittels Haematoxylin and Safranin), die Anfangs eine rothe,
wie aller junger Kerne, war, wird mehr und mehr violett bis blauviolett,
Gerüst und Kernkörperchen Averden deutlich, während der untere Kern
in statu quo bleibt, die Färbung der jungen Kerne beibehält und seinen
Sitz im Zellfusse findet (Figg. 6, 7, 8). Im oberen Kerne können
sich verschiedene Processe abspielen , die zur Becherbildung (Fig. 9)
oder zu anderen Veränderungen führen (Fig. 10), der untere bleibt
unverändert. ^ Wenn aber die im oberen Kerne stattfindenden Metamor-
phosen sein Ableben verursacht haben, dann beginnt die Rolle des unteren.
Während der obere metamorphosirt wird und zuletzt vollständig schwindet,
übernimmt der untere Kern seine Stelle, entwickelt sich weiter bis zur
vollständigen Reife, worauf neue Karjokinese oder aber dieselben Ver-
änderungen, die im Bruderkerne sich abgewickelt haben, stattfinden können.^
Nach dieser Abweichung gehen wir zur Becherbildungsfrage über.
Betrachten wir die Fig. 13, so fällt uns gleich die verschiedene
Färbung der Peripherie und des centralen Theiles des Kernes auf.
In der Peripherie erkennen wir das Gerüst eines vollständig entwickelten
I
sehen und auch mitotische Theiluug der Cylinderzellkerne in demselben Organe con-
statirt. (Vergl. seine Abhandlung „Ueber Fettresorption und Darmepithel." Archiv für
mikroskopische Anatomie^ 1887, Bd. XXIX, Hft. 1, S. 144.)
^ Grrünhagen (a. a. O., S. 145) sagt; „Die Kerne der Becherzellen liegen regel-
mässig in einem tieferen Niveau als diejenigen der Saumzellen (Cylinderzellen) und
färben sich unter sonst gleichen Verhältnissen tiefer wie diese, sind also chromatin-
reicher." Auf Grund seiner Abbildungen möchte ich noch hinzufügen, dass sie in Form
und Lage mit unseren jungen in statu quo gebliebenen Kernen vollständig überein-
stimmen. Da bei Gebrauch derselben Färbung, die Grünhagen gebraucht hat
(Dahliablau), unsere jungen Kerne sich auch ebenso tingirten, wie seine Becherzellkerne,
so haben wir volles Recht, beide zu identificiren. Es sei hier noch bemerkt, dass nicht
in allen Becherzellen (weder beim Salamander, noch beim Frosch, Triton, Kaninchen,
Hund u. s. w.) ein junger Kern im unteren Zellabschnitt zu sehen ist, im Gegentheil
besitzt nur eine verhältnissmässig kleine Anzahl der Becherzellen einen solchen; an-
dererseits besitzen, wie ich schon im Texte gesagt habe, auch manche Cylinderzellen
einen jungen Fusskern.
* Die Regeneration mittels Ersatzzellen ist bei Weitem häufiger als die letzt-
beschriebene (mittels Fusskern.)
Becheezellen im Dünndaemepithele dee Salamandea maculosa. 319
Kernes; den centralen Theil füllt eine orangeroth (mittels Safranin) sich
färbende Substanz.
Wir haben schon oben gesehen, dass die mucinösen Massen, die aus
vollständig entwickelten Bechern sich ergiessen und auch ihren Inhalt aus-
machen, diese Färbung annehmen, und wir können diese Färbung als eine
mikrochemische Farbeureaction auf den Dünndarmschleim bezeichnen. Ge-
braucht man Safranin allein oder combinirt man es mit anderen Farb-
stoffen, immer unterscheidet sich schon auf den ersten Blick der Becher-
inhalt von allen anderen mit Safranin sich färbenden Theilen der Praepa-
rate, nicht ein einziges Mal habe ich eine andere Tinction des Becherinhalts
bemerken können als die orangerothe,^ und das Salamander- Material,
über welches ich verfügte, war, wenn auch nicht ausserordentUch gross,
doch jedenfalls kein geringes.^ Noch eclatanter erscheint der Tinctions-
unterschied, wenn nach vollendeter Färbung das Praeparat kurze Zeit mit
Pikrinsäure behandelt wird ; dann erhält der Becherinhalt eine orange-bräun-
liche Färbung und einen charakteristischen Glanz.
Da der Kern in Fig. 13 in seinem centralen Theile die charakteris-
tische Farbeureaction der mucinösen Massen zeigt, in der Peripherie aber
nicht, so müssen wir schliessen, dass er theilweise eine mucinöse Meta-
morphose erlitten hat. Die Fig. 14 zeigt uns einen Kern, der auch iu
seiner Form nicht alterirt ist, und schon in toto die Farbeureaction der
Muciu-Metamorphose zeigt. Andererseits sehen wir in Figg. 15, 16, 17, 18
Kerne, die zu Bechern geworden sind, ihren Inhalt zu entleeren begonnen
haben und doch sind in ihnen Reste des normalen Gerüstes zu erkennen.
Vergleichen wir die Figg. 2, 3, 15, 16, 17, 18, 19, 20 einerseits und
die Fig. 9 andererseits, so fällt uns in letzterer auf, dass das Zellprotoplasma
um den metamorphosirten Kern erhalten ist, während es in allen anderen
verschwunden ist. Dies ist, wie ich auf Grund meiner Praeparate schüessen
muss, ein Ausnahmefall. Für gewöhnlich schwindet das Protoplasma über dem
Kerne und zu Seiten desselben vollständig, und man könnte glauben, der
mucinös metamorphisirte, schwellende Kern presse das Plasma nach unten in
den Fuss; wäre dem so, dann müssten wir im Fusse entweder ein com-
pacteres Plasma finden, oder der Fuss müsste in Dicke wachsen. Keines
von Beiden ist aber zu sehen. Viel wahrscheinlicher finde ich die An-
nahme, dass das Protoplasma vom schwellenden Kerne auf die eine oder
andere Weise aufgenommen wird.
^ Die Grundsubstanz der Knorpel färbt sich mit Safranin ebenso, wie meine
mucinösen Massen in den Bechern; die Verwandtschaft zwischen Muciu und Chondrin
wird also auch durch diese mikrochemische Farbeureaction bestätigt.
^ Dieselbe Färbung zeigten auch die Darmbecher beim Frosch, Triton, Kaninchen,
Hund u. s. w.
320 Julius Steinhaus:
Schon die Data bezüglich der Farbenreaction erlauben uns die Becher-
bildung als eine eigenthümliche Kernmetamorphose aufzufassen. Darauf
hin deutet auch die Form der Becher. Das auffallende Aussehen derselben
wird ganz klar und verständlich, wenn wir die sog. Bechertheka als Kern-
membran betrachten, die eine chemische Verwandlung miterhtten hat. Der
mucinös verwandelte Kern schwillt auf, seine Form bleibt aber erhalten
und der Becher besitzt die uns immer auffallende Gestalt, weil er eben ein
aufgeschwollener, mucinös verwandelter Kern ist.
Im Becher erkennen wir, ebenso wie im normalen Kerne, zweierlei
Substanzen: die eine erscheint als ein dichtes Netzwerk verschieden dicker
Fäden (Bechergerüst), die andere füllt die Maschen des Netzes (Zwischen-
substanz) aus; erstere färbt sich (Safranin) intensiv orangeroth, letztere
schwach oder gar nicht. Die Verhältnisse sind hier annähernd dieselben,
wie im normal'en Kerne; die Bestandtheile des Kernes verändern sich
hauptsächlich chemisch, die morphologische Structur bleibt mehr oder
weniger dieselbe. Doch bleibt dies nicht bis zu Ende so. Die Portionen,
die entleert werden sollen, verlieren ihre Structur, sie werden zu homogener
Masse, weil höchst wahrscheinlich das Bechergerüst sich in der Zwischen-
substanz löst. ^
Die Entleerung des Becherinhalts scheint, ähnlich der Kernmetamor-
phose, nicht auf einmal, sondern stufenweise stattzufinden: was die Structur
vollständig verloren hat und dadurch aus dem Verbände befreit ist, kann
entleert werden, während der Rest so lange im Becher bleiben muss, bis
er auch die Structur verliert und zu einer homogenen Masse wird.
Es bleibt uns noch die Frage zu erörtern, durch welche Kräfte die
Entleerung hervorgerufen wird und welchem Schicksale der entleerte Becher
verfällt.
Betrachten wir die beigegebenen Abbildungen (Figg. 21, 22, 23, 24),
so sehen wir, dass die Bechercontoure, wie schon erwähnt, bis zu Ende
vollständig deutlich bleiben, die Kernmembran nicht verschwindet. Nur
an einer Stelle ist ihre Integrität aufgehoben, nämlich an der dem Darm-
lumen zugekehrten Seite. Der mucinös sich metamorphosirende Kern übt,
indem sein Volumen durch Schwellung der Schleimmassen wächst, einen
Druck auf die angrenzenden Elemente; dieser Druck steigt natürlich mit
der Schwellung. Bis zu einem gewissen Grade passen sich diese Elemente
dem an (eine Abplattung der Nachbarzellen und Kerne findet dabei immer
statt); wird aber dieser Grad überschritten, wird der Gegendruck der
^ Landwehr (Ueber Mucin, Metalbumin und Paralbumin; Zeitschrift für phy-
siologische Chemie, 1883 — 84, Bd. VIII, S. 114) sagt: „Ausser Kohlehydrat (bez. Gallen-
säuren) und Eiweiss findet sich in den-Mucingerinnseln immer noch ein dritter Be-
standtheil in mehr oder weniger grosser Menge, nämlich Nuclein."
Becheezellen im Dünndarm EP [Thele dkr Salamandra maculosa. 321
Nachbarelemeiite unüberwindlich, dann kann die Volumenvergrösserung des
schwellenden Kernes nicht mehr nach allen Richtungen hin stattfinden,
sie kann nur dort fortdauern, wo kein Gegendruck sich dem entgegenstellt.
Eine solche ist in der dem Uarmlumen zugekehrten, freien Seite des Kernes
gegeben. Dort concentrirt sich die Volumenvergrösserung, aber nur so
lange als die Kernmembran den Druck der schwellenden Schleimmassen
aushalten kann. Wird diese Grenze überschritten, so wird die Membran
durchbrochen und der Schleim hat die Möglichkeit, sich aus dem Kerne
resp. Becher zu ergiessen; momentan wird dabei der Druck auf die an-
grenzenden Elemente vermindert, dieselben streben zu ihrem früheren Zu-
stande zurückzukehren, wobei und wodurch der Schleim nach and nach
aus dem Becher herausgepresst wird. Dieser durchläuft consecutiv die in
Eigg. 21, 22, 23, 24 abgebildeten Phasen (die Nachbarzellen und Kerne
zeigen dabei in der That mehr und mehr normale Form).
Jetzt kann zweierlei eintreten: besitzt der Becher im Fusse einen
zweiten, in statu quo nach der Karyokinese des Mutterkernes gebliebenen
jungen Kern, so kann durch Weiterentwickelung dieses Kernes und Wachs-
thum des Fussprotoplasma's die Zelle wieder zur normalen Cylinderzelle
werden; ist kein zweiter Kern vorhanden, so muss die Becherzelle resp.
ihr Rest zu Grunde gehen und eine neue Zelle die abgestorbene ersetzen.
Aus Allem, was eben dargestellt, lässt sich Folgendes schliessen.
Die Becherzellen des Salamander-Dünndarms sind weder ausschliesslich
schleimig degenerirte Epithelzellen, noch ausschliesslich in einzellige Schleim-
drüsen verwandelte Zellen. Sie sind zum Theil das eine, zum Theil das
andere, denn, ist kein zweiter Kern in der Zelle vorhanden, so degenerirt
die Zelle vollständig, ist ein solcher vorhanden, so fuugirt die ZeUe wie
eine Drüse; nach der Secretion kann sie dank der Anwesenheit eines
zweiten Kernes regeneriren und wieder zum secernirenden Becher werden. —
Bei der Becherbildung metamorphosirt sich schleimig der Kern der Zelle;
die Theca (Bechermembran) ist 'mit der Kernmembran identisch, der Becher-
fuss ist auch nie in der Theca mit eingeschlossen; er bleibt bis zu Ende
protoplasmatisch, mit den Cylinderzellfüssen identisch.
Jede Cylinderzelle des Darmes kann sich in eine Becherzelle ver-
wandeln; die Ursachen und Bedingungen der Becherbildung sind noch
nicht genügend klargestellt. Nur so viel kann man sagen, dass sie mit
den physiologischen Processen im Darm in Verbindung steht: je energischer
diese vor sich gehen, desto grösser die Zahl der Becher. — Da es hier
nicht am Platze wäre, in pathologische Fragen näher einzugehen, werde
ich mir nur die Bemerkung erlauben, dass auch bei gewissen pathologischen
Processen im Darme, z. B. Darmkatarrh, die Zahl der Becher bedeutend
Archiv f. A. u. Ph. 1888. Physiol. Äbthlg. 21
322 Julius Steinhaus: Becherzellen im Dünndaemepithele u. s. w.
zunimmt.^ Eine Untersuchung, die darauf gerichtet wäre, die Ursachen
und Bedingungen der Becherbildung klarzustellen, wäre also auch für die
Pathologie von grosser Wichtigkeit. Doch muss — bevor man zu dieser
Untersuchung schreiten kann — die Morphologie des betreffenden Processes
vollständig klargestellt werden. Einen Beitrag dazu liefert diese Arbeit.
Erklärung der Abbildungen.
(Taf. VI- VIII.)
Taf. VI.
Fig. 1. Normale Cylinderzelle mit vollständig entwickeltem, erwachsenem Kerne.
Fig, 2. Vollständig entwickelte Becherzelle im Anfangsstadiura der Entleerung.
a = Stoma, b — herausgetretene Schleimmassen (dieselben Bezeichnungen gelten für
alle Becberabbildungen).
Fig". 3. Becherzelle in einem weiteren Entleerungsstadium. Im Fusse junger
Kern in statu quo nach der Karyokinese des Mutterkernes geblieben.
Fig. 4. Eechts Cylinderzelle mit jungem Kern, links — mit erwachsenem Kerne.
Zwischen den Zellfüssen Ersatz- und Keilzellen.
Fig. 5. Cylinderzelle mit mitotischem Kerne.
Fig. 6. Zweikernige Cylinderzelle: unterer Kern in statu quo nach der Mutter-
kernkinese geblieben, oberer etwas weiter entwickelt, doch noch jung.
Fig. 7. Dasselbe, nur der obere Kern in einem weiteren Entwickelungsstadium.
Taf. VII.
Fig. 8. Dasselbe, nur der obere Kern fast vollständig erwachsen.
Fig. 9. Becherzelle mit jungem Kern im Fusse.
Fig. 10. Zweikernige Cylinderzelle, der obere erwachsene Kern theilweise meta-
morphosirt (sein oberer Theil hat sich in eine hyaline Sphaere verwandelt), der untere
j™g-
Fig. 11. Cylinderzelle mit jungem Kerne.
Fig. 12. Dasselbe, nur mit etwas älterem Kerne.
Fig. 13. Cylinderzelle, deren Kern im Centrum sich mucinös verwandelt hat,
an der Peripherie noch unverändert geblieben ist.
Fig. 14. Cylinderzelle mit mucinös verwandeltem Kerne.
Fig. 15. Becherzelle in ziemlich weitem Entleerungsstadium; Beste des Gerüstes
in dem zum Becher gewordenen Kerne sichtbar.
Fig. 16. Becherzelle im Beginn der Entleerung. Kerngerüstreste sichtbar, im
Fusse junger Kern.
Taf. VIII.
Figg. 17 und 18. Becherzellen, wie Fig. 16, doch ohne Fusskern.
Figg. 19 und 20. Becherzellen in weiteren Entleerungsstadien, Kerngerüst voll-
ständig metamorphosirt.
Figg. 21, 22, 23 und 24. Bechcrzellen in noch weiteren (consecutiven) Ent-
leerungsstadien. In Fig. 21 Fusskern.
^ In diesem Sinne sprechen die Beobachtungen von Stricker und Kosch-
lakoff, Ebstein, Knauf f, M. Eeich und Anderen. Vergl. hierzu v. ßeckling-
hausen, Handbuch der allgemeinen Pathologie des Kreislaufs und der Ernährung,
1883, S, 420.
lieber die Ursache der scheinbaren Abhängigkeit des
Umsatzes Von der G-rösse der Körperoberfiäche.^
Von
Dr. H. V. Hoesslin.
Yergleicht man die Wärmemengen, welche verschieden grosse Thiere
unter gleichen Aussenbedingungen in ihrem Körper bilden, mit der dritten
Wurzel aus dem Quadrat ihres Körpergewichtes, so findet man, dass der
betreffende Quotient bei allen Säugethieren eine annähernd constante Zahl
bildet, dass also ist /F= aK''\
Um dafür ein Beispiel zu geben, wähle ich die kleine Tabelle, die
Voit in seinem Lehrbuch S. 137 giebt. Voit sagt, er habe für grosse
und kleine Fleischfresser die geringste Quantität von Fleisch und Fett ge-
sucht, mit welcher sie sich eben während langer Zeit auf ihrem Bestände
erhielten. Bereclmet man die Nahrungsmengen in Calorien und fügt, um
grössere Grewichtsdifferenzen zu erhalten, für den Menschen die Zahlen aus
den Respirationsversuchen Pettenkofer's und Voit's hinzu, so ergeben
sich folgende Grössen für a\
Körpergewicht
Calorien des
Constante a
in Kilo
Umsatzes ^
Mensch
71-0
2680
156 -
Hund
42-4
1020
164
j?
39.0
1750
150
jj
27-6
1590
175
7?
4.32
350
131
Katze
2-75
267
136
Ratte (graue)
0.263
77
187
^ Siehe Berichte der Münchner morphologischen Gesellschaft, 1887. 5. Juli.
'^ Der Berechnung wurden die von Stohmann und Rubner gefundenen Zahle a
zu Grunde gelegt.
21*
324 H. V. Hoesslin:
Bei Hunger wird a etwas kleiner, bei überschüssiger Nahrungszufuhr
etwas grösser, aber soweit man bis jetzt erkennen kann, bei allen Thieren
im gleichen Procentverhältniss. Ebenso würde man wohl die gleiche Con-
stanz in der Grösse a finden, wenn man die Thiere bei maximaler Arbeits-
leistung oder bei irgend einem gleichen Grad von Arbeit vergleichen
könnte. Obige Zahlen sind übrigens nur Annäher angszahlen , speciell
darauf gerichtete Untersuchungen ergeben für die Grösse a bedeutend
gleichmässigere Werthe, wie ich am Schlüsse der Arbeit bei Besprechung
der Ursache des Schwankens der Grösse a zeigen werde.
Es fragt sich nun, was ist die Ursache der besprochenen
Erscheinung.
a) Als Ursache gilt bis jetzt allgemein und schon seit ziemlich langer
Zeit die verschiedene Wärmeabgabe an der Oberfläche.^
Es lag schon in der von Lavoisier aufgestellten, später von La-
grange modificirten Theorie: dass der Körper von der Lunge resp. vom
Blute aus erwärmt werde, die weitere Annahme als eine eigentlich noth-
wendige Folgerung inbegriflFen, dass die in der Zeiteinheit verbrauchte
AVärmemenge im Grossen und Ganzen proportional der Grösse der Ober-
fläche des erwärmten Körpers gehen müsse; um so mehr als Lavoisier
auch schon gezeigt hatte, dass bei warmblütigen Thieren in der That die
Wärmebildung in der Kälte zunimmt. Doch fand ich weder bei La-
* Meeh hat in der Zeitschrift für Biologie, Bd. XV. zuerst auf die Constanz
des Verhältnisses: Oberfläche O -. K'^ = 12'3 beim menschlichen Körper aufmerksam
gemacht, und Eubner (s. w. r.) hat eine gleiche Constanz beim Hunde coustatirt und
direct mit der Annahme O = TcK'^'^ {Je = Constante) gerechnet. Meeh glaubte, diese
Constanz nur durch die Annahme erklären zu können, „Dass beim Wachsthum, speciell
bei der Flächenentwicklung unserer Haut, Compensationen von so eingreifender
Art stattfänden, dass die unähnlichen Leiber sonst normal gebauter Individuen immer
annähernd dasselbe Verhältniss zwischen Körperoberfläche und der dritten Wurzel aus
dem Quadrat ihres Gewichtes haben." Es ist jedoch zur Erklärung der Constanz der
Grösse Je durchaus nicht die Hypothese von „Compensationen" erforderlich, die Erklä-
rung liegt ganz wo anders und ist sehr einfach. Das Verhältniss -. K'^^ = ^ = 12-3
entspricht einem Cylinder, der ca. 39 mal länger als sein Durchmesser ist. Giebt man
dem Cylinder bei gleicher Länge doppelte Masse, so wächst um den Factor 1/2,
3
.Är'/= um 1/22, ^ also um 2~'/« = 1 : 1-12, d. h. Je wird statt 12-3 nun ll'l. Ebenso
wenn der Cylinder bei gleicher Länge nur mehr das halbe Gewicht besitzt, wächst h
nur um 2^'^, wird also 13'4. Es ist also durchaus selbstverständlich, dass Meeh, bei
dessen Messungen die Schwankungen des Körpergewichtes, auf gleiche Länge bezogen,
nicht halb so gross sind, auch keine grösseren Schwankungen in der Grösse des Ver-
hältnisses O-.Xl'' findet. Der Grund liegt eben darin, dass die sechste Wurzel aus
2 oder 1'5 nur wenig verschieden von 1 ist.
Abhängigkeit des Umsatzes von dee KOrperoberfläche. 325
voisier selbst noch bei den Forschern der direct auf ihn folgenden Periode
obige Folgerung irgendwie ausgedrückt, obwohl z. B. in den Versuchen
von Despretz und Dulong dazu wohl Veranlassung gewesen wäre. Erst
mit Anfang der vierziger Jahre wird bei einer Reihe von Forschern obiger
Folgerung mehr oder weniger deutlich Ausdruck gegeben. So z. B. mit
wenig Worten von Helmholtz in seinem Artikel über Wärme im encyklo-
pädischen Wörterbuch (XXXV). ^
C. Schmidt^ sagte, der Umsatz (die Respirationsgrösse) wechsele bei
verschiedenen Thieren mit der Oberflächenausdehnung d. h. mit dem Ver-
hältniss: Oberflächeueinheit zu Gewichtseinheit, doch könne ihre Abhängig-
keit von diesem Verhältnisse als exacte mathematische Function erst nach
zahlreichen experimentellen Versuchen dargestellt werden. Die bei der
vollständigen Verbrennung der Nährstoffe zu C O2 + H2 entwickelte
Wärmemenge sei das wahre Respirationsaequivalent derselben, 100 Albumin
seien also z. B. 47-1 Fett aequivalent.
Aehnlich äussert sich Lieb ig: Die Menge der respiratorischen Nah-
rungsmittel, die im Thierkörper verbraucht 'werden, richte sich ceteris paribus
nach der äusseren Temperatur, resp. nach dem Wärmequantum, das wir
nach aussen hin abgeben. Mit dem Wärmeverbrauch durch xibkühlung
steige die Menge des eingeathmeten Sauerstoffs.
Da die Verbrennungswärme der Stoffe abhängig ist von der Menge
von brennbaren Elementen, die sie in gleichen G-ewichten enthalten, und
die Menge des zu ihrer Verbrennung nöthigen Sauerstoffs in demselben
Verhältniss steigt, so lässt sich aus der zur Verbrennung nöthigen Sauer-
stoffmenge der Wärmeerzeugungswerth oder Respirationswerth der Stoffe
annäherungsweise (!) berechnen.^
Da bei verschieden grossen Körpern die Masse proportional dem Cubus,
die Oberfläche nur proportional dem Quadrat der Länge wächst, und da
ausserdem die Länge der Haare bei kleinen Thieren nicht so gross sein
kann als bei grossen, da also auch die Dicke der die Wärme schlecht
leitenden Schicht im Allgemeinen bei grossen Thieren viel grösser ist als
bei kleinen, so folgerte Bergmann 1847,^ dass kleinere Thiere grösseren
Umsatz pro Kilo haben müssten als grosse, und gab Beispiele hierfür, ob-
wohl er genaue Berechnungen nicht ausführen konnte, da die Verbrennungs-
wärmen der Stoffe noch nicht bekannt waren. Er schloss ferner, dass die
Vertheilung der grossen und kleinen Thiere in den verschiedenen Klimaten
* Berlin 1846.
^ Bidder und Schmidt, Die Verdauiingssäfte und der Stoffioechsel.
3 Chemische Briefe. III. Aufl. S. 399, 402, 492.
* Das Verhältniss der Wärme'öconomie der TJiiere zu ihrer Grösse.
3i26 H. V. Hoesslin:
und bei verscbiedenen Lebensweisen eine ungleiche sein müsse, wie es ja
auch thatsächlich der Fall ist.
Kegnault und Keiset^ erklären den grösseren 0-Verbraucb kleiner
Thiere ebenfalls durch den grösseren Wärmeverlust, der durch die relativ
grössere Oberfläche der kleinen Thiere bedingt wird.
Gavarret^ sagte, die Wärmebildung hänge ab vom Verhältnisse der
Oberfläche zum Körpergewicht, aber da ein Theil des Körpergewichtes aus
todten Steifen bestehe (Haare, Federn) und die Haare u. s. w. an der Ober-
fläche verschiedener Thierspecies verschieden dicht ständen, so lasse sich
ein constantes Verhältniss der Wärmebildung für ein bestimmtes Yerhält-
niss von Oberfläche zu Körpergewicht nicht angeben.
Rameaux^ nahm an, dass bei ein und derselben Species die Wärme-
bildung (der Umsatz) genau proportional der Grösse der Oberfläche gehen
müsse, genau proportional K'i\ Er führte die von Anderen bei mehr als
2000 Menschen verschiedener Körpergrösse bestimmten Werthe der pro
Minute geathmeten Luftmenge als directe Beweise seiner Theorie an, resp.
zeigte die in der That vollkommene Ueberein Stimmung dieser Versuche
mit seiner Theorie.
Als Vierordt in seiner Arbeit über die Gesetze der Strömungs-
geschwindigkeit des Blutes gefunden hatte, dass kleine Thiere eine vielmal
raschere Circulation besitzen als grosse, wies Meissner* auf die Ueber-
einstimmung dieser Thatsache mit der von Bergmann entwickelten Ober-
flächentheorie hin, erklärte also letztere als die Ursache der ersteren Er-
scheinung.
Vierordt^ fand bei Kindern die Wärmebildung pro Kilo ebenfalls
mit der Grösse der relativen Oberfläche steigend, jedoch in einem etwas
rascherem Verhältnisse als letztere.
Immermann stellte, offenbar ohne Rameaux' Arbeit zu kennen,
von Neuem die Eormel W = a K""/^ auf.
Liebermeister ^ und Immermann benützten diese Formel zum
Vergleich der Wärmeabgabe bei verschieden grossen Menschen, wobei
Liebermeister zugab, dass bei wirklich mathematischer Aehnlichkeit im
Bau verschieden grosser Thiere die Formel eigentlich l/'=aÄ"^ oder
^ Annales de Chimie et de Physique (3) t. XXVI. S. 413 u. 514.
^ Physique medicale. Paris 1855.
^ Memoires de l'Academie Beige. 1857. Seiner Angabe nach hat er schon
1888 diese Theorie der belgischen Akademie vorgelegt.
* Berichte über die Fortschritte der Anatomie und Physiologie. 1857. S. 485.
^ Physiologie des Mindesalters.
® Sandbuch der Pathologie des Fiebers. S. 177
Abhängigkeit des Umsatzes von der Körperoberfläche. 327
= a K'i^ + h K'i^ lauten müsste , da mit der Grosse der Oberfläche dann
auch die Länge der Haare u. s. w. wachsen müsse.
In neuester Zeit hat dann Rubner^ erstens genauere Nachweise da-
für gegeben, dass der Umsatz bei Thieren derselben Species (Hunden) bei
Hunger und Körperruhe in der That annähernd proportional der Oberflächen-
ausdehnung gehe, zweitens eine eingehende Theorie betreffs dieser Erschei-
nung aufgestellt, die dahin lautet, dass durch die Einheit Oberfläche (die
er wie Rameaux bei Thieren derselben Species als vollkommen gleich-
werthig in Bezug auf Wärmeleitung und Strahlung voraussetzt) bei ge-
gebener Differenz zwischen Innen- und Aussentemperatur in der Zeiteinheit
ein gewisses immer gleiches Maass von Wärme unabweisbar nothwendig
verloren gehe. Das Thier müsse also, wenn es am Leben bleiben soll,
diese in der Zeiteinheit abgegebene Wärmemenge in der Zeiteinheit
auch wieder ersetzen; dieser physikalisch nothwendige Wärmeverlust
bedinge so die Höhe des „minimalsten Stoff"wechsels". Bei Hunger und
Körperruhe stelle sich der Körper auf diesen Stoffwechsel ein, d. h. er
bilde alsdann lediglich soviel Wärme, als er physikalisch nothwendig an
der Oberfläche verliere.
Bei Hunger und Ruhe hinge danach die Höhe des Stoffwechsels (der
Umsatz) lediglich von der Grösse der Oberfläche des Thieres ab, während
Ernährungszustand, Alter, Geschlecht u. s. w. an sich ohne allen Einfluss
wären, solange die Beschaffenheit der Oberfläche die gleiche bleibt.
Auch Riebet^ bezieht die verschiedene Wärmebildung verschieden
grosser Thiere lediglich auf die physikalisch nothwendig verschiedene
Wärmeabgabe an der Oberfläche. Nach ihm hängt die Wärmebildung ab
(S. 286): 1. von der Grösse der Oberfläche, 2. von der äusseren Temperatur
(ohne jedoch proportional der Differenz der Innen- und Aussentemperatur
zu gehen), 3. von der Beschaffenheit der Oberfläche (Dichte der Behaarung,
Farbe u. s. w.).
Dass Schwankungen der Aussentemperatur Veränderungen im Umsätze
der warmblütigen Thiere (um die es sich hier allein handelt) nach sich
ziehen, ist längst durch Versuche festgestellt, diese Versuche haben jedoch
zu gleicher Zeit bewiesen, dass die Aenderungen in der Wärmebildung
durchaus nicht proportional sind den Aenderungen der äusseren Wärme-
abgabeverhältnisse (z. B. proportional der Differenz zwischen Aussen- und
Innentemperatur), dass der thierische Körper also durchaus nicht den
einfachen physikalischen Gesetzen der Wärmeabgabe folgt, wie es ein
1 Zeitschrift für Biologie. Bd. XIX. S. 535 u. 326.
^ Kecherches de Calorimetrie. Archives de Physiologie. 1885. 2. Sem. p. 237 u. 450.
328
H. V. Hoesslin:
Thermoregulator thut.^ Schon daraus allein ergiebt sich die Unrichtigkeit
der von Rubner aufgestellten Theorie.
Wenn zwischen zwei Grössen ein causales Verhältniss festgestellt ist,
so folgt daraus noch gar nicht, dass die eine von beiden, z. B. die Aus-
^ So fand z. B. Herzog Carl Theodor in Bayern {Zeitschrift für Biologie.
Bd. XIV) bei der Katze-.
Aeussere
Temperatur
Differenz mit
der Körper-
temperatur
Relativ
COg pro
6 Stunden
Relativ
+ 30-8
20-1
12-3
0-2
— 5-5
7-2
17-9
25-7
37-8
43-5
1
2-5
8-6
5-25
6-0
12-03
14-34
17-76
18-24
19-83
1
1-2
1-5
1-5
1-6
Letellier {Annales de Chim.
et de Phys. (3) 1845. t. XIII) beim Zeisig
pro Stunde
39—41
1
1
0-129
1
22
18
18
0-250
1-9
40
40
0-325
2-5
Ammer:
35-39
1
1
0-228
1
(Mittel 39-9)
' 19—22
20
20
0-322
1-4
40
40
0-421
1-8
Meerscliweinclien :
30—32
6
l
1-453
1
16—19
20
3-3
2-058
1-4
37
6-1
3-006
2-1
Voit {ZeitscJirij
''t für Biologie
. Bd. XIV) be
im Menschen:
pro 6 Stunden
30
7-5
1
170-6
1
24
13-5
1-9
165-6
0-97
15-2
21-3
3-0
156-7
0-92
9
28-5
3-8
192-0
1-13
4-4
33-1
4-4
210-7
1-23
Lehmann {Abhandlungen hei Begründung der k'önigl. Sächsischen Gesellschaft der
Wissenschaften. 1846) beim Zeisig:
37
17
1
Feldtaube:
37
22
1
3 (2)
22 (21)
39 (38)
3 (2)
18 (17)
39 (38)
1
7 (11)
12 (19)
1
6 (9)
12 (19)
pro Stunde
0-036
0-060
0-081
0-0775
0-105
0-181
1
1-7
2-3
1
1-4
2-3
Abhängigkeit des Umsatzes von dee Körperoberfläche. 329
dehimng der Oberfläche die Ursache der anderen, der Wärmehihlimg sein
müsse, es können sehr wohl auch beide von einer dritten Ursache ab-
hängen. Letzterer Auffassung sind z. B. Vierordt und C. Schmidt in
der uns beschäftigenden Frage gewesen.
Ich habe früher auch an eine gewisse directe Abhängigkeit des Um-
satzes von der Oberflächenausdehnung geglaubt und habe dieser Auffassung
auch in früheren Arbeiten Ausdruck gegeben, bin aber gerade durch die
extreme Ausbildung der Oberflächentheorie durch die Rubner'sche Arbeit
veranlasst worden, mich mit der mögüchen Ursache der Constanz der Grösse a
eingehender zu beschäftigen, da ich in einer früheren Arbeit eine der be-
sprochenen Theorie gerade entgegengesetzte Ansicht ausgeführt hatte, näm-
lich die, dass der Ernährungszustand des Körpers resp. der Zellen (bedingt
durch Nahrungszufuhr, Alter, Geschlecht, Uebung u. s. w.) ein bestimmtes
Maass von Spannkraftverbrauch innerhalb der Zellen bedinge, das durch
von aussen zugeleitete Wärme nicht ersetzt werden könne.
b) Ich werde nun zunächst einige weitere Beweise dafür anführen,
dass der Umsatz relativ unabhängig ist von äusseren Temperaturverhält-
nissen und dann auf die Besprechung der möglichen Ursachen der Con-
stanz jenes Verhältnisses eingehen. Ich muss hierbei vorgreifend die Er-
gebnisse eines Versuches mittheilen, den ich demnächst ausführlicher ver-
öffenthchen werde. Ich habe im Sommer 1884 zwei männliche Hunde
gleichen Wurfes, reiner Rasse (schwarze Spitze), einige AVochen bei gleicher
und dann bei verschiedener Temperatur mit vollkommen gleicher Nahrung
(500 Cal.) aufgezogen. Die Temperatur im Stalle des Hundes a war im
Mittel 5"C., die im Stalle des Hundes h im Mittel 31.5-32.0» C^ Vor
dem Eintritt in den Stall strich die Luft bei Hund a über Eis, war also
fast trocken, während sie bei h über Wasser von ca. 28^ C. strich; wenn
Eubner {Biologisclw Gesetze, Marburg 1887, S. 10) bei Hund III, bei Hunger;
Aeussere
Temperatur
Differenz mit
der Köiper-
temperatur
Relativ
Cal. pro Tag
und Kilo
Eelativ
27-4
19-5
13-4
12-6 (11-6?)
20-5 (19-5)
26-6 (25-6)
1
1-6
2-1 (2-2)
30-82
35-10
39-65
1
1-1
1-3
Finkler (Pflüger's Archiv u. s. w. Bd. XV) fand bei Meerschweinchen bei
einem Steigen der Differenz von 12 auf 34 (= ca. 100 -. 300) nur ein Steigen des 0-Ver-
brauches um 66 Procent.
^ Durch einen genau arbeitenden Soxhlet'schen Regulator constant erhalten.
330 H. V. Hoesslin:
der Hund h im Käfige war, war die Luft so mit Wasserdampf gesättigt,
dass die Wände des Käfigs stets mit Wasserbläschen beschlagen waren,
obwohl die Wände bedeutend wärmer waren als die eingeführte Luft
(ca. 32 — 32 • 5 ° C). Hinge die Wärmebildung vom Wärmeverlust und letzterer
ceteris paribus lediglich von der Grösse der Oberfiäche, von der Temperatur-
differenz und dem Wassergehalte der Luft ab, so hätte Hund a um min-
destens 400 — 500 Procent mehr Wärme bilden müssen als b. Nach Ver-
lauf von drei Monaten war die Muskel- und Organmasse bei beiden Hunden
wenig verschieden (bei Hund a um etwa 10 Procent grösser), Hund b
hatte aber um 520^™ Fett mehr angesetzt als a, er hatte im Ganzen
950?™ -^Q^^^ ^ j^uj. 430 grm. Da der Versuch &8 Tage dauerte, so hatte
a also pro Tag im Durchschnitt 6^™ Fett mehr verbraucht als b, was
einer Steigerung der Wärmebildung von 12 Procent entspricht statt der
verlangten 400—500 Procent. Selbst die doppelte und dreifache Differenz
des Fettansatzes, ja selbst die zehn- und zwanzigfache würden noch lange
nicht dem geforderten Verhältniss in der Wärmebildung entsprechen.
Die Wärmebildung änderte sich also kaum, dagegen trat etwa
3 — 4 Wochen nach Beginn des eigentlichen Versuches ein vollkommener
Haarwechsel bei beiden Hunden auf, der in der siebenten Woche ziem-
lich abgeschlossen war. Dieser Haarwechsel fehlte bei einem dritten Hunde c
gleichen Wurfes, der unter den gleichen Bedingungen wie «und b, aber
bei einer Temperatur von 24 • 5 "^ C. aufgezogen wurde. Hund a bekam
in Folge des Haarwechsels ein ungeheuer feines, wolliges, dichtstehendes
Haar mit spärlich eingestreuten grösseren Haaren ; während b nur grössere,
lange, relativ dicke, aber spärliche Haare ohne alle Wollhaare bekam. Beim
Tode wogen die Haare von b 36 s'™, die von a 129"™. Trotzdem a in
sehr trockner Luft sich befand, soff er nie Wasser, während b, obwohl in
mit Wasser fast gesättigter Luft lebend, täglich ziemhch viel Wasser zu
sich nahm.
Es scheint mir dieser Versuch unwiderleglich zu beweisen, dass die
Wärmebildung nicht vom Wärmeverlust abhängt, sondern umgekehrt der
Wärmeverlust von der Wärmebildung, und dass Veränderimgen in den
äusseren Wärmeabgabeverhältnissen eben durch Veränderungen der im
Thierkörper selbst befindlichen Verhältnisse, welche die Wärmeabgabe be-
einflussen, der Hauptsache nach ausgeglichen werden.^ Ich möchte da
noch erinnern an die Versuche, die Rieh. Geigel im Bd. H des Arch.f.
Hygiene veröffentlicht hat. Derselbe maass die Wärme, die sein entblösster
Arm innerhalb einer gewissen Zeit an die umgebende Luft abgab; brachte
^ Beim Menschen durch willkürliche Aenderung der Kleidung, sowie durch ver-
schiedene Weite der Hautcapillaren, siehe im Folgenden.
Abhängigkeit des Umsatzes von der Köbperobeefläche. 331
er den Arm dann in kältere Luft, so war anfangs die Wärmeabgabe natür-
lich erhöht, dieselbe sank jedoch fortwährend, bis nach einiger Zeit das-
selbe Maass pro Zeiteinheit erreicht war wie vorher. Das entsprechend
Gleiche traf ein, wenn der Arm zuerst in kalter und darnach in warmer
Luft sich befand. Es war also die Wärmeabgabe sowohl in kalter wie in
warmer Luft nach einiger Zeit constant nahezu die gleiche, nur war in
warmer Luft die äussere Haut geröthet, während sie in kalter vollkommen
blass war und zugleich das unangenehme subjective Gefühl der Kälte be-
stand. Es beweist dieser Versuch also in Bezug auf den Einfluss kurz
dauernder Temperaturunterschiede das Gleiche, was ich oben bei den von
mir ausgeführten Versuchen in Bezug auf den Einfluss länger dauernder
Temperaturunterschiede behauptete.
Man kann also die äusseren Wärmeabgabebedingungen ändern, ohne
dass die Höhe der Wärmebildung eine entsprechende Aenderung erfährt.
Man kann aber auch umgekehrt die äusseren Wärmebedingungen die
gleichen bleiben lassen und doch die Wärmebildung (bei Hunger oder eben
zureichender Ernährung und Körperruhe) sich ändern lassen; so z. B. durch
Aenderung des Ernährungszustandes oder durch muskellähmende Einflüsse.
Der von Pettenkofer und Voit zu ihren Respirationsversuchen benutzte
Hund verbrauchte bei einer eben zur Erhaltung des Körpergewichtes zu-
reichenden Ernährung 1600 Cal, am sechsten Hungertage verbrauchte er nur
mehr 1190, am zehnten nur mehr 940; sein Körpergewicht hatte dabei
nur von 33''^™ auf 30 ^^rm abgenommen, also war die Oberfläche im Ver-
hältniss von 1/33 : 1/30 kleiner geworden und die Haare standen im Ver-
hältniss 1/30 : 1/33 dichter, dies würde eine Abnahme der Wärmebildung
um 9 Procent (1/33'^ : 1/30 2) erklären, während sie thatsächlich um mehr
als 40 Procent abnahm. In der Arbeit Eubner's über die Beziehung
der Oberfläche zur Wärmebildung (a. a. 0.) findet man das gleiche Ab-
sinken des Umsatzes bei Hunger in allen Versuchen, so z. B. beim Hund
VI erster Hungertag: 445 Cal., Gewicht 6-8^^''°'; fünfter Hungertag:
357 Cal., ß-l'^?''™; später erster und zweiter Hungertag: 500 Cal., ß-S'^^™;
später achter Hungertag: 324 Cal, Gewicht 5.9'^^^'«. Im Band XIX, S. 325
(a.a.O.) führt Rubner eine Tabelle an, die beweisen soll, „dass sich der
Stoffwechsel bei Hunger fast gar nicht ändert". Es ändert sich jedoch hier
der Umsatz absolut um 33 Procent, relativ zum Körpergewicht um 20 Pro-
cent, relativ zur Oberfläche um 25 Procent, man wird nicht sagen können,
dass dies kleine Aenderungen sind.
Niemand zweifelt, dass die Thiere im Winter dichteren Pelz besitzen
als im Sommer, sie müssten also in einem Räume von gleicher Temperatur
im Winter weniger Wärme abgeben als im Sommer, während das directe
Gegentheil, d. h. ein Mehrverbrauch an im Winter bei gleicher äusserer,
332
H. V. Hoesslin;
massig warmer Temperatur, constatirt ist von Fintier^ bei Meerschweinchen
und. von Milne Edwards ^ schon viel früher an Meinen Vögeln (Ammern).
Ebenso producirte die Katze von Herzog Carl Theodor (a. a. 0.) im Winter
bei gleicher Temperatur mehr COg als im Frühjahr und Sommer und zwar
obgleich ihr Gewicht im Winter bedeutend kleiner war als im Sommer.
Nummer
Datum
Temperatur
Körper- COj
gewicht in 6 Stdn. grm
16
17
13
14
27/III
8/VI
11/111
7/V
19-8
20-1
15-6
16-3
2620
3000
2600
2850
15-9
14-3
17-4
15-7
Dass in Folge tiefen Schlafes^ oder unter dem Einfluss directer Muskel-
lähmung oder starker Blutentziehung der Umsatz noch tiefer sinkt als bei
einfacher Körperruhe (bis 40 Procent), ist durch viele Versuche, besonders
aus dem Voit'schen^ und Pflüger'schen^ Laboratorium zweifellos be-
wiesen. Es ist daher der Umsatz bei blosser Körperruhe durchaus
kein Minimum, ebenso wenig, wie der Umsatz am ersten
Hungertage; es giebt eben einfach keinen „minimalsten Stoff-
wechsel" im Sinne einer bestimmten Grösse.
Würde die Theorie richtig sein, dass die grössere Wärmebildung bei
kleineren Thieren lediglich von der grösseren Oberfläche abzuleiten sei,
resp. von der dadurch bedingten grösseren Wärmeabgabe, so dürfte Arbeits-
leistung oder vermehrte .Nahrungszufuhr bei kleinen Thieren keine Steige-
rung des Umsatzes mit sich bringen, aus dem gleichen Grunde, weshalb
ein Kasten mit Thermoregulator nicht wärmer wird, wenn ich zur ersten
Flamme eine zweite nicht in den Regulator eingeschaltete bringe, voraus-
gesetzt nur, dass die zweite nicht grösser als die erste ist. Das Letztere
' Pflüger 's Archiv u. s. w. Bd. XV.
^ Influence des agents pJiysiques sur la vie.
* Rubner bestreitet zwar auf Grund seiner jüngsten Arbeit {Beiträge zur Phy-
siologie u.s.iu. Leipzig 1887), worin er die von meinem verstorbeneu Fi'eunde Feder
intendirten Versuche (s. Zeitschrift für Biologie. Bd. XVII. S. 576) zur Ausführung
bringt, den Einfluss des Schlafes für sich allein, es fehlt aber jeder Nachweis, dass
sein Hund während der Nacht auch wirklich mehr geschlafen habe als am Tage. Auch
ist die Steigerung von 24 Procent beim Menschen am Tage gegenüber der Nacht viel
zu gross, um allein durch die kkinen Bewegungen im Pettenkofer'schen Respirations-
apparat während des Tages erklärt werden zu können.
* Zeltschrift für Biologie. Bd. II u. XIV.
^ Pflüger's Archiv u. s. w. Bd. XVIII. Bei Curarevergiftung oder Durchschuci-
düng des Rückenmarkes sinkt der 0-Verbrauch trotz gleichbleibender oder selbst etwas
erhöhter Körpertemperatur um 35—37 Procent.
Abhängigkeit des Umsatzes von dee Köepeüoberfläche. 333
wäre jedoch bei kleinen und selbst bei grösseren Thieren erst bei sehr
starken Arbeitsleistungen zu erwarten: denn eine Ratte hat einen prtj Kilo
circa fünfmal stärkeren Stoffwechsel als ein grosser Hund, circa siebenmal
stärker als ein Mensch, circa dreizehnmal stärker als ein Pferd, und wie
per analogiam anzunehmen, circa 25 — 30 mal stärkeren als ein Elephant.
Nun steigert aber schon eine Nahrungszufuhr, die gerade nur den Verbrauch
ersetzt, schon um einige Procente die Wärmebildung, wie ich schon früher
ausführte ; ^ es ist dies doch ein directer Widerspruch gegen die besprochene
Theorie. Ebenso müssten nach dieser Theorie die Temperaturen, bei
welchen sich verschieden grosse Thiere gerade wohl befinden, d. h. bei
welchen nach Rubner die physikalische Regulation gerade beginnt, enorm
verschieden sein. Wenn sich eine Maus bei 4- 30 ° C. wohlbefindet, wäre
die entsprechende Temperatur für das Pferd — 200 ^ C. !
Eine schlagende Widerlegung seiner Theorie hat übrigens Rubner selbst
geliefert^ durch den Ausspruch, dass bei überschüssiger (um 55 Procent!)
Nahrungszufuhr äussere Kälteeinflüsse ohne nachweissbaren Einfluss auf die
Höhe des Umsatzes sind.^ Es fällt also hier der Einfluss der Oberfläche
weg. Da aber auch bei überschüssiger Nahrungszufuhr der
Calorienvexbrauch proportional JT^/s bleibt, so kann die Ursache
für letztere Erscheinung nicht in der Oberflächenausdehnung
resp. in der entsprechenden Wärmeabgabe daselbst liegen.
Ich könnte gegen die Theorie, dass das Maass des Wärmeverlustes das
direct bestimmende Moment für das Maass der Wärmebildung (bei Körper-
ruhe und eben zureichender Ernährung oder Hunger) abgebe, noch eine
Reihe anderer Gründe anführen, ich glaube aber, es genügen die bereits
angeführten, um zu beweisen, dass man mit dieser Theorie auf eine Reihe
von Widersprüchen bei der Erklärung der Erscheinungen stösst.
c) Man muss also nach anderweitigen Einflüssen suchen, welche be-
wirken, dass der Umsatz ceteris paribus proportional X^/s geht. Nun ist X'^s
^ N\xg\iow's Archiv. Bd. LXXXIX. S. 333.
^ Sitzungsher. d. math.-'p'hys. Gl. d. königl. Akad. d. Wisaensch. z. München. 1885.
^ Es kann dies übrigens nur bis zu einem gewissen Grade möglicli sein, es ist
bei stärkerem Absinken der Aussentemperatur nicht denkbar. Die Thatsache, dass bei
Hunger schon geringere Kältegrade eine vermehrte Wärmebildung bedingen als bei
Nahrungszufuhr, erklärt sich dadurch, dass bei Hunger die Wärmebildung tbatsäcblich.
etwas geringer ist, als bei Nahrungszufuhr, dass also bei Hunger die Hautoapillaren
bereits auf einen gewissen Grad contrahirt sind, also bei etwas stärkeren Kälteeinflüssen
sich nicht mehr in dem gleichen Grade contrahiren, wie bei Nahrungszufuhr. Es hat
ferner vom Eubner'schen Standpunkte aus keinen rechten Sinn, die Wärmebildang
bei Hunger = w + 3, {f — t^) zu setzen, einen Sinn hätte nur ein Steigen der
Wärmebildung prop. (39° C. — <!'); aber damit stimmen die Eesultate nicht.
334 H. V. Hoesslin:
gleicli Körperquerschnitt und proportional dem Körperquerschnitt geht cet
par. auch die durch denselben in der Zeiteinheit strömende Sauerstoffmenge
(Oxyhaemoglobin). Ich habe schon früher nachzuweisen gesucht, dass bei
grossen und kleinen Thieren der Sauerstoffverbrauoh proportional geht der
durch den Körper circulirenden Sauerstoffmenge. ^ Selbst wenn dieses Ver-
hältniss bei grossen und kleinen Thieren nicht ganz constant sein sollte
(wie es sogar nicht ganz unwahrscheinlich ist), kann es doch unmöglich in
einem für unsere Frage irgend in Betracht kommenden Grade schwanken.
Da nun der Sauerstoffverbrauch cet. par. (bei gleichem Ernährungszustand,
Alter u. s. w.) proportional K^i^ geht, muss auch die durch den Körper
strömende Sauerstoffmenge proportional IC^^ gehen. Man kann den gleichen
Schluss auch aus Folgendem ableiten: Volkmann ^ fand die Schwankungen
in der Blutgeschwindigkeit bei grossen und kleinen Thieren nicht grösser
als bei Thieren derselben Species, beim 5^^™ schweren Hunde die gleiche
Geschwindigkeit wie beim ausgewachsenen Pferde; ^ da nun die Querschnitte
der grossen Gefässe sich annähernd verhalten wie die Querschnitte des
ganzen Körpers, so müssen die in der Zeiteinheit durch den Querschnitt
circulirenden Blutmengen sich ebenfalls annähernd verhalten wie die Körper-
querschnitte.
Diejenigen, die annehmen, das Natürhchste wäre, der Umsatz verhielte
sich wie die Körpergewichte der verschiedenen Thiere und nicht wie die
Querschnitte, müssen die Voraussetzung machen, es lasse sich im Körper
leicht eine Einrichtung denken, welche bewirke, dass in der Zeiteinheit
durch den physiologischen Querschnitt des Körpers eine Blutmenge ströme,
die nicht proportional der Grösse des Querschnittes, sondern proportional
der des Körpergewichtes selbst wäre. Es liesse sich dies jedoch überhaupt
nur unter ganz gewaltigen morphologischen Aenderungen und vollkommenem
Verzicht auf die Aehnlichkeit im Bau verschieden grosser Thiere erreichen,
bei grossen Gewichtsunterschieden aber ist es gänzlich unmöglich. Es ent-
1 Zeitschrift für Biologie. Bd. XVIII. S. 631.
^ Haemodynamik. S. 195 u. 208.
^ Nach Vierordt: Die Gesetze der Stromgesclnvindiglceifen «. s. w. ö. 169 sollen
kleine Thiere eine etwas grössere Stromgeschwindigkeit haben als grosse. Vierordt
hat aber 1) versäumt anzugeben, dass die dort angegebenen Differenzen der Strora-
geschwindigkeiten weit übertroffen werden durch die Grösse der Fehlergrenzen, 2) aus
Verseheu einen Cruralisversuch zu den Carotisversuchen addirt (Nr. XII. S. 201), 3) un-
beachtet gelassen, dass bei den Carotisversuchen der grösseren Thiere ein Versuch
vollständig aus der Eeihe fällt, indem sein Resultat um 60 Procent von den Einzelresul-
taten aller übrigen Carotisversuche abweicht (Nr. III). Vergleicht man lediglich die Thiere
mit den grössten Gewichtsdifferenzen, wobei am ehesten ein Unterschied zu erwarten
ist, so findet man für den 20''s™ schweren Hund 322™"" Carotisgeschwindigkeit, für
die 7-5 und 7*7 schweren Hunde im Mittel 308, also ziemlich die gleiche, sicher keine
grössere Geschwindigkeit.
Abhängigkeit des Umsatzes von ker KöüPEROBiutFLÄCHii;. 335
wickeln sich nun alle Säugethiere aus einer voll kommen gleichartigen
homolog gebauten Anlage, die Artverschiedenheiten treten erst im Verlauf
der Entwickelung allmählich auf und trotz aller Artverschiedeuheiten be-
steht im Allgemeinen doch noch ein homologer Bau, speciell auch im Ge-
fässsystem. Dies müsste sich alles ändern, und zwar müssten bei der
gleichen Species die grössten morphologischen Aenderungen in der Gefäss-
vertheilung bestehen, je nachdem das betreffende Individuum einer grossen
oder kle'.nen Varietät angehört, grösser oder kleiner wird, ein Verhalten,
das allen bekannten Gesetzen über Variabilität widersprechen w^ürde. Soll
der jetzige homologe Bau der Gefässvertheilung gewahrt bleiben, so kann
die durch den physiologischen Querschnitt des Körpers strömende Blut-
menge eben nur proportional dem Körperquerschnitt zunehmen. Jedenfalls
sind grössere Abweichungen von diesem Verhältnisse durch einfache Ab-
änderung der Weite der Blutgefässe insofern unmöglich, als sie ibren Zweck
(vermehrte Sauerstoffzufuhr zu den Geweben) absolut nicht erreichen würden.
Gesetzt, der 64''^™ schwere Mensch solle denselben Umsatz haben, wie ein
Thier (junge Ratte) von 64§^™% so müsste durch seine Capillaren zehnmal
mehr Blut strömen als jetzt strömt. Nun kann die AVeite der Capillaren
bei den verschiedenen Säugethieren keinen irgend bedeutenden Schwan-
kungen unterliegen. Die Capillaren sind gerade so weit, dass ein rothes
Blutkörperchen dieselben passiren kann, was zur Folge hat, dass das Sauer-
stoff führende Blutkörperchen knapp an der Wand vorbei muss, dass
also die Sauerstoö'diffusion nach aussen möglichst begünstigt wird. Die
Blutkörperchen der verschiedenen Säugethiere sind nun nahezu gleich gross,
jedenfalls sind die Unterschiede in ihrer Grösse vollkommen unabhängig
von der Grösse der Thiere; man kann daraus mit Sicherheit den Schluss
ziehen, dass auch der Durchmesser der Capillaren nahezu unabhängig
von der Grösse der Thiere ist, wie ja auch thatsächlich kein Unterschied
in der Weite injicirter Capillaren bei verschieden grossen Thieren be-
obachtet ist.
Würden die Capillaren so weit werden, dass im angenommenen Falle
bei .gleichem Blutdrucke die zehnfache Blutmenge in der Zeiteinheit durch
dieselbe circuliren würde, so würde sich 1. ein Axenstrom der rothen Blut-
körperchen wie in den kleinen Arterien entwickeln, zwischen Axenstrom
und Wand würde sich also noch eine Plasmaschicht einschalten, 2. müsste
die Capillarwand bedeutend dicker werden, da die Spannung der Wände
proportional dem Durchmesser wächst, es würden also bedeutende Wider-
stände für die Diffusion des Sauerstoffs eingestellt werden, 3. würde die
Zeit, während welcher das Blutkörperchen seinen Sauerstoff abgeben könnte,
nur mehr Yio der jetzigen Zeit betragen, während die Differenz der Sauer-
stoffspannung innerhalb und ausserhalb des Gefässes nur ganz wenig steigen
336 H. V. Hoesslin:
würde. Die Wirkung dieser drei Momente wäre nothwendig die, dass
keinesfalls zehn Mal mehr Sauerstoff in die Gewebe diffiindiren würden^
sondern wahrscheinlich sogar bedeutend weniger wie jetzt. Auf diesem
Wege wäre also die Möglichkeit zu einem zehnfachen Umsätze nicht zu
erreichen. Ebensowenig durch Erhöhung des Blutdruckes auf das zehn-
fache. Abgesehen davon, dass das Herz dann in der Zeiteinheit die
hundertfache Arbeit leisten müsste (zehn Mal mehr Blut bei zehnfachem
Druck); müsste auch der Druck in den Capillaren auf das zehnfache der
jetzigen Grösse steigen; es würde also 1. die Wand der Capillaren zehn
Mal dicker werden müssen,^ 2. würde wieder die Zeit, während welcher
das Blutkörperchen innerhalb der Capillaren verweilt auf ^j^^ sinken. Die
Sauerstofidiffussion nach aussen durch die zehn Mal dickere Wand hin-
^ Es ist sicher von grosser Wichtigkeit, dass der Blutdruck inuerhalb der Capil-
laren sa klein wie möglich sei; es lässt sich zeigen, dass im Körper alle Mittel au-
gewandt sind, welche dazu dienen können, dies Eesultat zu erreichen. Dazu dient
vor allem die möglichste Vermeidung irgend eines Druckes im Venensystem. So liegt
bei den Thieren die Mündung der Venen aller Organe, die besonders empfindlich gegen
Sauerstoffmangel sind, möglichst hoch, damit der Abfluss in's rechte Herz ohne vis a tergo
vor sich gehen kann: so das gauze Centralnervensystem, ebenso liegen Nieren, Leber,
Milz, Lunge direct oben an der Wirbelsäule. Beim Menschen liegt das gegen Sauer-
stofifmangel empfindlichste Organ, das Hirn, ebenfalls weit über dem rechten Herzen;
Leber, Milz und Nieren liegen zwar wegen des aufrechten Ganges des Menschen unter-
halb des rechten Herzeus, immerhin liegen sie möglichst nahe dem Zwerchfell. Gerade
beim Menschen zeigt sich aber, wie schon eine leichte Steigerung des venösen Druckes
gerade in diesen Organen indurative Veränderungen mit hochgradiger Functionsstöiung
der Organe hervorbringt. Bekanntlich bringt auch beim Hirne Steigerung des venösen
Druckes durch Tieflage des Kopfes sofort mehr oder weniger bedeutende Functions-
störung dieses Organes mit sich, die erst nach vielmaliger Wiederholung offenbar durch
Anpassung der Gefässe geringer werden. Auch sind z. B. bei Indaration der Leber die
tiefer liegenden Theile, also die Gegend des scharfen ßandes, im Durchschnitt stärker
verändert, wie die Theile direct unter dem Zwerchfell. Die Organe der Extremitäten
sind 1) viel weniger empfindlich gegen Sauerstoffmangel, ferner besitzen hier die Venen
durchweg Klappen, welche bewirken, dass nach jeder Bewegung, welche vermehrtes
Sauerstoff bedürfniss dort erzeugt, der venöse Druck ebenfalls nur gering wird, ferner
ist das Verhältniss der Lage von Muskel und Sehne durchweg derart, dass der Muskel
nach oben, die Sehne nach unten sich erstreckt, wodurch ferner bewirkt wird, dass
die untersten Theile der Extremitäten fast lediglich aus Haut und Knochen bestehen,
die ein sehr geringes Sauerstoffbedürfniss besitzen.
Die Elasticität der Gefässe bewirkt, dass die Blutdruckschwankungen in den
Capillaren ungemein klein werden, also nur der mittlere Druck zur Geltung kommt,
und zugleich die Geschwindigkeit möglichst gleichmässig bleibt. Ebenso bewirkt die
plötzliche Theilung der kleinen Endarterien in eine grosse Anzahl von Capillaren
(Volkmann vergleicht dies Verhältniss der Einmündung eines Flusses in einen See),
dass Druck und Geschwindigkeit in allen Capillaren der zugehörigen Arterie möglichst
gleichmässig ist.
Abhängigkeit des Umsatzes von der Körperoberfläciie. 337
durch würde ab- statt zunehmeu, keinesfalls, auch wenn der Yerbrauch
momentan um das zehnfache vermehrt würde, auf das zehnfache steigen. Die
Möglichkeit eines zehnfachen Umsatzes wäre also, wenn der Bau der Arterien-
verzweigung, d. h. die Zahl und Vertheilung der arteriellen Gefässe und
hiermit die Länge der Capillaren ungeändert bleiben soll, nur dadurch
zu erreichen, dass die Zahl der Capillaren auf das zehnfache vermehrt
wird (der Querschnitt eines Organs würde also histologisch ein total ver-
ändertes Aussehen bieten), damit würde auch der Querschnitt der grösseren
Gefässe wachsen, und damit die gesammte Blut- und Gefässmasse um
circa ^Vs vermehrt werden, d. h. wir würden bei den angenommenen
64kgrm Körpergewicht eine Blut- und Gefässmasse von etwa 50 ''^™ in uns
herumtragen müssen, was -natürlich absurd ist. (Blut- und Gefässmasse
würde also um X'/s wachsen müssen , wenn der Umsatz proportional K
stiege.)
Eine zweite resp. dritte Grösse, die dem Körperquerschnitt
proportional geht, ist die Höhe der Nahrungszufuhr. Es lässt
sich auch zeigen, dass die Wärmebildung in der That direct von der Höhe
der mittleren Nahrungszufuhr abhängt, d. h. nach mehr oder weniger
langer Zeit sich genau auf die Höhe der mittleren Nahrungszufuhr einstellt,
falls das Leben bei der betreffenden Nahrungszufuhr überhaupt auf die
Dauer möglich ist. Nun hängt die Nahrungsmenge die im Tage auf-
genommen werden kann cet. par. allein von der Grösse des Darmes ab.
Wir können bei der durchgehenden Zweckmässigkeit und Sparsamkeit, die
wir bei allen Einrichtungen des Organismus bewundern, unmöglich an-
nehmen, dass unser Darm zweckloser Weise gerade so lang ist, wie er
ist, dass wir mit einem zehn Mal kürzerem Darme ebensogut auslaugen
würden, sondern wir müssen doch wohl annehmen, dass unsere Darmlänge
unserem mittleren resp. maximalen Nahrungsbedürfnisse angepasst ist, und
dass der Darm also wohl zehn Mal länger werden müsste, wenn wir im
Durchschnitt zehn Mal mehr Nahrung zu uns nehmen würden. Ich
brauche zur Bekräftigung dieses Satzes wohl kaum darauf hinzuweisen,
dass WoUu}^^ in der That fand, dass Magen und Darm mit den Anforde-
rungen, die au sie gestellt werden, ganz bedeutend an Grösse zunehmen. ^
^ LandtdrtJisch. JaJirhücher 1874. S. 209. Wolff, Ebenda. S. 306.
* Ich habe bei verschiedenen Thieren das Dünndarmlumen mit Wasser unter
geringem Druck (10 — 40 ™) gefüllt und aus der gemessenen Läns^e und der gewoge-
nen Wassermasse unter der Annahme, das Darmrohr sei ein gleichweiter Cylinder,
die ideelle Oberfläche berechnet, wobei natürlich die Oberfläche der Zotten und
Falten in Wegfall kommt. In welchem Maasse letztere die Oberfläche vermehren,
würde sich erst aus eingehenden Messungen eruiren lassen, die mir bis jetzt noch
nicht zu Gebote stehen; es ist jedoch wahrscheinlich, dass die durch sie bedingte Ver-
Archiv f. A. u. Ph. 1888. Physiol. Abllilg. 22
338 H. V. Hoesslin:
Ebenso wie der Darm um K'i-^ grösser werden, also statt proportional
Z, proportional Ä^*/-- wachsen müsste, wenn der Umsatz proportional K
stiege, müsste das gleiche mit sämmtlichen übrigen sogen, vegetativen Organen
(Herz, Leber, Lunge, Speicheldrüsen, Niere u. s. w.) geschehen. Da nun
die Masse dieser Organe mit Einschluss der Blutmenge, der Gefässwände
und des Darminhaltes über 20 Procent des Körpergewichtes beträgt, so
käme man sehr bald (schon bei relativ geringen Gewichtsunterschieden)
zu ganz unmöglichen imaginären Thierconstructionen.
Man könnte einwenden, es sei nicht einzusehen, warum, wenn ein
Gramm Organ beim kleinen Thiere eine gewisse Arbeit leistet, das x Mal
grössere Organ beim x Mal grösseren Thiere nicht auch x Mal mehr Ar-
beit leisten solle. Eine derartige Voraussetzung ist aber ebenso falsch,
wie wenn ein Ingenieur, der ein Modell construirt hat, annehmen würde,
hei x-fach vergrösserter Ausführung würde die betreffende Construction
auch das x-fache leisten. Es kommt ganz auf die Art der Construction
und die Art der zu leistenden Arbeit an, ob das ausgeführte Werk im
Verhältniss zu seinem Gewicht mehr leistet als das Modell oder weniger,
ja ob es über eine gewisse Grösse hinaus überhaupt existenzfähig ist. Die
durch zwei Canäle, deren Oefihungen in einem bestimmten Verhältnisse zu
einander stehen, fliessende Wassermasse verhält sich nicht wie der Gesammt-
inhalt der Canäle resp. wie die Masse des verwanden Baumaterials, sondern
wie die 3. Wurzel aus dem Quadrat derselben, resp. wie der Querschnitt
der Canäle u. s. w.
Ich habe in Bezug auf den Thievkörper die Unmöglichlveit des Steigens der
Leistung proportional dem Körpergewicht oben speciell bei der Blutcirculation nach-
zuweisen versucht; ich will in kurzem das Gleiche noch einmal mit Eücksieht auf die
I
mehrung der Oberfläche in einem bestimmten gleichen Verhältniss zu der auf obige
"Weise berechneten Oberfläche steht. Letztere geht aber genau proportional dem Quer-
schnitt des Körpers. Setzt man D = Darmoberfläche = aK ''^, so fand sich a bei der
(weissen) Eatte (130 s'™) = 307, beim Hunde von 6 kgrm = 360, bei einem Hunde von
30 kgrra = 280, beim erwachsenen Menschen (Arbeiter, Taglöhner) = 400 — 450. Das
würde also, vorausgesetzt, dass die Constante a durch die Falten und Zotten des
Darmes bei verschieden grossen Thieren nicht total verschieden beeinflusst wird, aus-
sagen: dass durch die Einheit Darmoberfläche im Tage ceteris paribus (bei
gleicher Qualität der Nahrung) bei allen Thieren die gleiche Einheit Nahrungs-
menge resorbirt wird. Jedenfalls geben obige Messungen den Beweis, dass die
Resorption einer grösseren Nahrungsmenge nothwendig an das Vorhandensein einer
mindestens entsprechend grösseren Darmoberfläche und damit auch eines mehr als ent-
sprechend grösseren und schwereren Darmes geknüpft ist.
Die Blutmenge, die den Darm in der Zeiteinheit durchströmt, verhält sich eben-
falls wie K"^^, es trifft also auf die Einheit Blutmenge stets die gleiche
Einheit resorbirter Nahrungsmenge; eine grössere Nahrungsmenge würde noth-
wendig auch eine entsprechend grössere circulircnde Blutmenge zur Resorption erfordern.
Abhängigkeit des Umsatzes von dee Körperobeeeläche. 339
Darmgrösse versuchen, bei welcher sich die Verhältnisse vielleicht am einfachsten klar
legen lassen. Wenn die 1000 mal grössere Darmmasse des Menschen eine 1000 mal
grössere Leistung ausführen sollte, wie die Darmmasse einer jungen Eatte, so würde
sich dies nur erreichen lassen dadurch, dass in der Bauchhöhle des Menschen 1000 Därme
von der Grösse des Rattendarms nebeneinander lägen; die Aehnlichkeit des Baues würde
damit vollständig aufgegeben, wir müssteu auch 1000 kleine Mägen, 1000 mal soviel
gleich enge beisammenstehende kleine Zähne u. s.w. haben. Würde man die 1000 Eatteu-
därme hintereinander einschalten, so müsste die Nahrung im Darme mit einer 1000 fach
grösseren Schnelligkeit als bei der Eatte vorwärts bewegt werden, damit eben im Tage
1000 mal mehr durch den ganzen Darm hindurch könnte, es müsste also die Dai'm-
musculatur und damit nahezu auch das Gewicht des Darmes nochmals um das 1000 fache
vermehrt werden. Würde man die 1000 Eattendärme so ineinander schalten, dass die
Gesammtdarmlänge des Menschen, wie es jetzt der Fall ist, das 10 fache der Darm-
länge der Eatte (von 64 s™) beträgt, so würde der Umfang des Darmes das 100 fache
des Umfanges von dem der Eatte betragen ; Arterien, Venen und Lymphgefässe könnten
nur an der dem Mesenterialansatz direct entgegengesetzten Stelle die gleiche Weite
wie im Eattendärme haben, am Mesenterialansatz selbst müssten sie 100 mal weiter
sein. Die Masse des Inhalts würde auf gleiche Länge das 100 fache betragen , der
Druck des Inhalts auf die Einheit Oberfläche also das 10 fache {K ^0, dementsprechend
müsste die Widerstandsfähigkeit der Wandung wachsen. Die Masse des Inhalts müsste
ferner 10 mal rascher vorwärts bewegt werden, wie im Eattendärme, es müsste also
auch die Musculatur una das 10 fache {K^'^) zunehmen, die Masse des Darmes würde
also mindestens werden K . K^^^ = K^'^, während die bewältigte Nahrungsmenge nur
proportional K ist. Es verhält sich also auch unter den günstigsten Verhältnissen
(noch stärkere Verkürzung des Darmes würde, wie man leicht sieht, wieder vermehrtes
Wachsen der Darmmasse bedingen , wegen der Zunahme des Seitendrucks) die zu be-
wältigende Nahrungsmenge zur Darmmasse wie K -. K '■'. Wächst die Darmmasse also
(unter Einhaltung ähnlicher Dimensionen) im Verhältniss von K, so wächst die Nah-
rungsmenge proportional K'^^, denn: K^^^ -. K — K-.K'^^.
Bei verschiedener Körpergrösse kann also nur dann, wenn der Umsatz
proportional K^i^ wächst, das relative Verhältniss der einzelnen Organe zu
einander und zum Körpergewicht das gleiche bleiben. Jede Steigerung
des Umsatzes in stärkerem Maasse als proportional K"'^ würde ein Wachsen
der vegetativen Organe (und der in ihrem Dienste stehenden Muskeln, wie
Zwerchfell, Kaumuskel u. s. w. uud des Fettreservoirs) in stärkerem Ver-
hältniss als proportional X, also eine procentische Abnahme von Muskel-
und Nervenmasse und damit eine Schwächung des Thieres bedingen, denn
Haut und Knochen könnten nicht kleiner werden, da sie die gleiche
Function behalten. Wenn also für ein Thier die für möglichst grosse
Arbeitsleistung im Kampfe um's Dasein geeignetste Grösse des Umsatzes
einmal gegeben ist, so kann für ein anderes Thier von ähnhcher Lebens-
weise der Umsatz nicht ohne directen Schaden für das Thier in einem
stärkerem Verhältniss als K"''-^ wachsen. Ein Sinken des Umsatzes aber
unter dieses Verhältniss würde von einem Sinken der Gesammtarbeits-
leistung (der animalen und vegetativen Organe zusammen) und damit
340 H. V. Hoesslin:
ebenfalls von einer Schädigung des Thieres im Kampfe um's Dasein nothwen-
dig begleitet sein. Wenn bei verschieden grossen Thieren die maxi-
male Arbeitsfähigkeit erreicht werden will, muss also bei diesen
Thieren der Umsatz sich verhalten wie K"/', nur dann kann so-
wohl die maximale Arbeitsfähigkeit erreicht, wie die anato-
mische Aehnlichkeit im Bau bewahrt werden.
d) I. Während wir bisher von rein morphologischen Erwägungen aus-
gingen und frugen, wie gross ist die durch den Körperquerschnitt circu-
lirende Blutmenge, wie gross die Nahrungsaufnahme u. s. w. bei verschieden
grossen Thieren, wenn die anatomische Aehnlichkeit des Baues gewahrt
bleibt, kann man auch von einem anderen Standpunkte von teleologischen
(in Darwinistischem Sinne) Erwägungen ausgehen und fragen: in wel-
chem Verhältniss muss die äussere Arbeitsleistung verschieden
grosser Thiere zu einander stehen, wenn sie gegenseitig con-
currenzfähig sein sollen.
Nun hängt die Concurrenzfähigkeit verschied engrosser Thiere, die ähn-
liche Lebensweise führen, unter den gleichen Bedingungen des Nahrungs-
erwerbes stehen, die gleichen äusseren Feinde besitzen, in erster Linie da-
von ab, dass sie sich gleichschnell fortbewegen können. Irgend eine Art,
die sich auffallend langsamer bewegt, würde nothwendig mit der Zeit durch
Nahrungsmangel oder äussere Feinde zu Grunde gehen. Aber auch bei
Thieren, die in ihrer Lebensweise sehr verschieden sind, wie der Pflanzen-
fresser und das Raubthier, hängt die Erhaltung der hit zum grossen Theil,
und zwar gegenseitig, davon ab, dass sie sich wenigstens annähernd gleich
schnell zu bewegen vermögen. Es läuft der Hund oder Wolf kaum lang-
samer als das Pferd oder der Hirsch, der Hase oder Fuchs kaum lang-
samer als der Hund; selbst ganz kleine Thiere, wie die Ratten, laufen bei
Gefahr noch mit einer Schnelligkeit, die wohl nicht sehr viel hinter der
Schnelligkeit grösserer Thiere zurückbleibt.
Gesetzt nun zwei Thiere verschiedener Grösse aber ähnlichen Baues
liefen gleich schnell, so ist die Länge ihrer Schritte proportional K''^, die
Zahl ihrer Schritte in der Zeiteinheit proportional K-'i^^, die Endgeschwindig-
keit ihrer Beine von der Masse proportional Ä' ist bei beiden Thieren nach
jedem Schritte die gleiche. Der Widerstand der hierbei zu überwinden ist,
besteht \. im Ueberwinden des Luftwiderstandes, 2. im Nachvoruebewegen
ihrer Beine plus einer entsprechenden Luftmasse, 3. bei lockerem oder
nachgiebigem Boden im Verdrängen der oberflächlichen Schichten beim
Abstossen der Füsse, 4. im Ueberwinden der kleinen vertikalen Schwan-
kungen des Schwerpunktes , 5. giebt es bei jedem Schritte eine Reihe
Abiiänüigkeit des Umsatzes von der Kökpekobeefläche. 341
accessüi'ischer Muskelbovveguugen, um das Gleichgcv/icht des Körpers zu
erhalten, um die Gelenke festzustellen u. s. w., eine Arbeit, die durchaus
nicht gering geschätzt werden darf.
Am klarsten liegen die Verhältnisse beim schwimmenden Thier (Fisch
oder Seesäugethier), da hier der Einüuss der Schwere wegfällt. Die zu
leistende Arbeit bei gleicher Geschwindigkeit besteht hier in 1. Ueber-
wiuden des Reibungswiderstandes des Wassers = proportional K'''^, 2. im
Vorwärtsbewegen ihrer Flossen plus einer entsprechenden AVassermasse
entgegen der Wasserströmung in der Zeiteinheit iT-'/^ Mal, also = K.
A'-Vs = X"\ 3. im Rückwärtsbewegen einer Wassermasse, die proportiona
ist der Fläche ihrer Flossen u. s. w. mal der Länge derselben, in der
Zeiteinheit Z-V. Mal, also proportional K"'^ . K''-^ . K-'l^ = K\ Nr. 4 fällt
hier weg, während 5. ebenfalls proportional K'i^ gehen muss, also die Ge-
sammtarbeit bei gleicher Geschwindigkeit = C K'l\
Beim Laufen der Thiere auf der Erde wird die Berechnung der er-
forderlichen Arbeit etwas schwieriger, weil der Einfluss der Schwere mit
in Berechnung kommt. Diese macht sich schon bei der horizontalen Be-
wegung der Beine geltend. Die Gebr. Weber ^ und nach ihnen Fick^
nehmen an, dass die Bewegungen der Beine nach, vorne speciell beim
Menschen so gut wie gar keine Arbeit erfordern, indem sie als Pendel-
^ Mechanik der menschlichen Gehioerlczeuge von Wilhelm Weber und Ed.
Weber. Göttingen 1836. — Die Gebrüder Weber und ihnen folgend Fick {Handbuch
der Physiologie a. a. O.) geben als Iträfte, welche beim Gehen in's Spiel kommen, an:
1) der Widerstand der Luft, 2) die Schwere, welche dem Schwerpunkt des Körpers
eine Beschleunigung senkrecht abwärts zu ertheilen strebt, 3) die Spannung der Mus-
keln; diese Kräfte müssen sich im Gleichgewicht halten, d. h. (wie Weber genauer
ausführt) die Spannung der Muskeln solle den beiden ersten Kräften das Gleichgewicht
halten. Dass diese Theorie in dieser Form unrichtig ist, dürfte nicht schwer nach-
zuweisen sein. Es ist nicht die „Streckkraft" des Beines, welche beim Gehen der
Schwere das Gleichgewicht hält, sondern es ist (grösstentheils) der Widerstand des
knöchernen Skelets, welcher der Schwere entgegen wirkt, und welcher als vierte
Kraft hätte angeführt werden müssen. Allerdings, wenn man z. B. Fig. 15 auf Taf. XV
der Weber'schen anatomischen Abbildungen sich als ruhend denkt, würde eine grosse
Muskelkraft dazu gehören, den Schwerpunkt in dieser Stellung auf gleicher Höhe zu
halten. Die Figur ist aber nicht ruhend, sondern der Schwerpunkt besitzt eine grosse
Geschwindigkeit nach vorne, während das Knie keine Geschwindigkeit besitzt. Der
Schwerpunkt kann also, solange das Knie fixirt ist, nicht nach abwärts fallen, da er
sich, auf dem Femur liegend, nach vorne zu bewegen muss u. s. w. Auch das Heben
der Ferse geschieht grösstentheils rein mechanisch durch das Vorwärtsbewegen und
Strecken des Kniees u. s. w. Bei rascherem Gehen oder Laufen wird ferner ein immer
grösserer Theil des Gewichtes durch den Widerstand der Luft getragen, und zwar
genau entsprechend dem Grade, in dem wir den Schwerpunkt beim rascheren Laufen
nach vorne legen. Auch diesen Umstand hat Weber vollkommen übersehen.
^ Herrn an n's Handbuch der Physiologie. Bd. I, 2. S. 325.
342 H. V. Hoesslin:
bewegungen lediglich durch die Schwere bedingt würden. Ich könnte da-
nach also den Widerstand in Nr. 2 für den Menschen und eventuell für
die übrigen Säugethiere einfach streichen. Es ist jedoch die Theorie,
dass das nach vorne Bewegen der Beine keine Arbeitsleistung von Seiten
des Menschen erfordere, selbst dann nur cum grano salis zu verstehen,
wenn man annimmt, dass während der Vorwärtsbewegung nur die Kraft
der Schwere auf die Beine einwirke. Die umgebenden Bänder und Muskeln
dämpfen nämlich die schwingende Bewegung des Beines ganz colossal,
wie man sich leicht durch den Versuch an der Leiche überzeugt: das los-
gelassene Bein macht kaum eine ganze Schwingung. Es ist also die
lebendige Kraft, die das Bein am Ende der Vorwärtsschwingung erlangt
hat, nur ein Bruchtheil der Arbeit, die nöthig ist, um das Bein wieder
so hoch zu heben, damit es nun von neuem ebensoweit nach vorne schwingen
kann. Letztere Arbeit wird grösstentheils gewonnen durch relative Ver-
minderung der Schnelligkeit des Schwerpunktes des ganzen Menschen, und
kann wie gesagt nur zum Theil wiederersetzt werden durch die lebendige
Kraft, die das Bein in Folge der Wirkung der Schwerkraft erlangt; die
Differenz muss durch active Arbeitsleistung ersetzt werden.
Man könnte meinen, das Heben des nach rückwärts sich bewegenden Beines auf
die frühere Höhe sei schon unter den sub 4) genannten verticalen Schwankungen des
Schwerpunktes mit inbegriffen, dies ist jedoch nicht der Fall. Bei 4) handelt es sich
um die sichtbaren und direct messbaren Schwankungen des als constant angenommenen
anatomischen Schwerpunktes des ganzen Menschen, die nach Weber beim Gehen 32"""
betragen; beim Eückwärtsbe wegen der Beine um ein Heben des Schwerpunktes des
Beines und damit um ein Heben des seine Lage wechselnden wirklichen (physikalischen)
Schwerpunktes des ganzen Menschen. Es könnten die Schwankungen des anatomischen
Schwerpunktes statt 32 """ auch """ betragen, die zum Eückwärtsbewegen des Beines
und damit zum Heben des physikalischen Schwerpunktes des Menschen nöthige Arbeit
würde ganz die gleiche bleiben. Es braucht also keine absolute Abnahme der Schnellig-
keit des Schwerpunktes beim Heben des nach rückwärts bewegten Beines zu erfolgen,
die Hebung bei der Eückwärtsbewegung kann auch erreicht werden dadurch, dass der
„anatomische" Schwerpunkt so weit sinkt, dass trotz des Hebens des Beines kein
Heben des „physikalischen" Schwerpunktes des Menschen eintritt.
Bei der anatomischen Einrichtung des Beines der Thiere kommt es beim Rück-
wärtsbewegen des Beines wohl kaum zu einer Hebung des Schwerpunktes des Beines,
trotzdem gilt das oben Gesagte natürlich auch für die Hin- und Herbeweguug der
Beine der Thiere, d. h. auch angenommen: während der Vorwärtsbewegung der Beine
mache sich lediglich die Schwerkraft geltend, so müsste dann doch lebendige Kraft
aufgewandt werden, um das Bein wieder so weit rückwärts zu bewegen, dass es nun
von neuem in derselben Weise nach vorne schwingen könnte, denn durch die Kraft
der Schwere allein würde es bei weitem nicht mehr so weit nach rückwärts schwingen.
Es ist ferner auch von Marey^ direct nachgewiesen und ergiebt sich
deutlich aus seinen photographischen Momentaufnahmen, dass die Schnellig-
Com]ptes rendus. 1884.
Abhängigkeit des Umsatzes von der Körperoberfläche. 843
keit des nach vorne schwingenden Beines keine den Fallgesetzen ent-
sprechend beschleunigte, sondern eine mehr gleichniässige, also offenbar
durch Muskelzug beeinflusste ist.
Ferner muss beim Laufen das Bein auch viel stärker flectirt werden,
als aus der Wirkung der Schwere allein erklärbar ist.
Die Arbeit die der Körper für die Hin- und Herbewegung der Beine
aufwenden muss (= proportional K.K-^'i = K"^'), ist deshalb sicherhch keine
unbedeutende Grösse.
Der umgekehrte Fehler, d. h. ein Zuhochschätzen der dazu
erforderlichen Arbeit scheint mir bei den verticalen Schwan-
kungen des Schwerpunktes gemacht. Es scheint mir nämlich
zweifellos zu sein, dass die durch das Fallen des Schwerpunktes erlangte
lebendige Kraft grösstentheils in horizontale Beschleunigung umgesetzt wird,
also nicht verloren geht. Beim Gehen wird
das Bein a b (der Figur) vorgesetzt, der Schwer-
punkt k bewegt sich vermöge der ihm ertheilten
Schnelligkeit nach vorne und muss dabei noth-
wendig unter Abnahme seiner Geschwindigkeit
um c a aufsteigen (Das Aufsteigen ist nicht
ganz so gross wie es aus der Figur ^ sich er-
geben würde, weil das Bein, während es die
senkrechte Stellung passirt, leicht gebeugt ist
und erst beim Zurückbleiben -wieder ganz ge-
streckt wird.) Beim Vorsetzen des anderen
Beines fällt der Schwerpunkt wieder um a c.
Dass die durch dieses Fallen erlangte lebendige
Kraft sich zum grössten Theil in horizontale
Beschleunigung umsetzt, ersieht man leicht, wenn man annimmt, es falle
ein Körper von der Figur bad in die Stellung bad'. Der Schwerpunkt
wird dabei eine Geschwindigkeit nach vorne erhalten prop. sin c:. Vac,
während der Verlust an Energie sein wird prop. ac cos^ «; also wenn a
nahe 90° ist, wird fast die gesammte lebendige Kraft in horizontale Be-
schleunigung umgesetzt, bleibt also erhalten, da dann ac sin^ a nahezu gleich
ac ist. Alles was ausserdem dazu beiträgt, die Grösse ac zu verkleinern,
bewirkt indirect eine Vergrösserung des Theils, der sich in horizontale Be-
schleunigung umsetzt. Deshalb wird das Bein in senkrechter Lage nicht
ganz gestreckt und wird beim Aufsetzen des Fusses, um das Bein zu ver-
längern, die Ferse nach abwärts gestreckt und werden beim Abstossen des
^ Die Figui' ist natürlich nur grob schematisch gedacht.
344 H. V. Hoesslin:
Fusses die Zehen nach abwärts gestreckt. '^ Beim Laufen (s. Weber) wird der
Schwerpunkt überhaupt viel tiefer getragen, das Bein gelangt beim Schwingen
nach vorne nicht über die senkrechte Lage hinaus und wird bei gebogenem
Knie mit den Zehenballen aufgesetzt, die verticale Schwankung [ac) wird
dabei mögiichst verkleinert, sie beträgt beim erwachsenen Menschen nach
Weber bekanntUch nur 22™™, so dass der grösste Theil der erlangten
lebendigen Kraft in horizontale Beschleunigung umgesetzt wird.
Ohne den Einfluss der Schwere wäre die Arbeit beim laufenden Thiere
bei gleich schnellem Laufe ebenfalls proportional K'i-^, da die Widerstände
in Nr. 1 — 5 beim laufenden Thiere genau den gleichen Nummern beim
schwimmenden Thiere entsprechen. Durch die Einwirkung der Schwere
wird der Ablauf der Bewegung zwar beeinflusst, aber, wie ausgeführt, nur
in relativ geringem Grade; auch deshalb gering, weil sich der Einfluss
einestheils als Hemmung (in Nr. 4), anderntheils als Beschleunigung (in
Nr. 2) geltend macht und sich die beiden Einflüsse gegenseitig theilweise
aufheben. In Nr. 2 macht sich der Einfluss der Schwere derart geltend,
dass die Geschwindigkeit der grossen Thiere in stärkerem Grade vermehrt
wird, als beim kleinen Thier; und zwar würde sich, wenn alle Widerstände
in Nr. 1 — 5 wegfielen, durch den Einfluss der Schwere in Nr. 2 die Ge-
schwindigkeit der ähnlich gebauten Thiere cet. par. verhalten wie X'/e : K'^i^,
also proportional ZVe gehen, da die Pendelschwingungen der K^'^ langen
Beine K'i<^ Zeit brauchen und dabei den Weg XVs zurücklegen. In Nr. 4
macht sich der Einfluss der Schwere in umgekehrter Richtung geltend,
d. h. er verlangsamt die Geschwindigkeit grosser Thiere in stärkerem Grade
als die Geschwindigkeit kleiner Thiere, da die Strecke ac offenbar propor-
tional Z'/s wächst, so dass die Arbeit, die durch die verticaleu Schwankungen
des Schwerpunktes dem Körper erwächst, sich verhält wie K. K''-' . K-''^ = K,
während die zur Verfügung stehenden Kräfte (s. w. u.) und die übrigen
^ Da, wie in Aumerkung 1 S. 341 ausgeführt, nicht die Streckkraft des Beines,
bez. deren wagerechte Componente es ist, welche der Schwere das Gleichgewicht hält,
und da wir die Länge des unterstützenden Beines innerhalb bestimmter Grenzen be-
liebig ändern, auch das Becken beliebig hoch tragen können, so können wir natürlich
auch, wenn wir besondere Aufmerksamkeit darauf verwenden, z. B. den eigenen Schatten
genau beobachten, die verticalen Schwankungen des anatomischen Schwerpunktes nahezu
vollkommen vermeiden (bei einiger üebung sogar bei rascherem Gehen), ohne dass die
Gleichmässigkeit des Gehens darunter leidet, nur ist die durch diese Art des Gehens
und die dauernde Selbstbeobachtung bedingte Arbeit etwas grösser, als die Arbeit, die
beim gewöhnlichen Gehen durch die kleinen verticalen Schwankungen hervorgerufen
wird. Auch ergiebt sich aus Marey's Momentaufnahmen deutlich, dass in der Zeit,
wo der Schwerpunkt des Körpers sinkt, die Geschwindigkeit desselben nach vorne noch
etwas zunimmt, während sie nach Fick während dieser Zeit schon wieder abnehmen
müsste.
Abhängigkeit des Umsatzes von ueü KOkperübekfläche. 345
AViderstäiide sich mir vorhalten wie K''l\ Es wird durch den EJnfiuss der
Schwere in Nr. 4, also der beschleunigende Einüuss der Schwere in Nr. 2
etwas vermindert. Immerhin wird das ähnlich gebaute grössere Thier bei
normaler Laufart durch den Einfiuss der Schwere in Nr. 2 eine um einen
geringen Bruchtheil grössere Geschwindigkeit erlangen als das kleine Thier,
wenn die aufgewandten Kräfte proportional K"i-^ gehen.
Es lässt sich der Einfluss der Schwere in Nr. 2 vielleicht am ehesten klar machen
durch den Vergleich mit zwei verschieden grossen Pendeln von ähnlichen Dimensionen,
welche Eeibungswiderstände zu überwinden haben prop. K'^'^ (z. B. in einer Flüssig-
keit schwingen u. s. w.), und durch ein fallendes Gewicht, ähnlich wie bei einem Uhr-
werk in Bewegung erhalten werden, wobei das fallende Gewicht die zur Verfügung
stehenden Arbeitskräfte {= A) darstellt. Wenn die Widerstände gleich Null sind, würden
wir, sobald das Pendel einmal in Bewegung ist, überhaupt keiner Arbeit mehr bedürfen,
die mittlere Geschwindigkeit der Pendel wäre aber prop. K '". In dem Maasse, als
die Widerstände mehr und mehr wachsen, würden wir das fallende Gewicht zu ver-
mehren haben (und zwar, wenn die mittlere Geschwindigkeit K '" bleiben soll, prop. K).
Steigen die Widerstände in so hohem Grade, dass die Arbeit der Schwere beim Fallen
des Pendels unendlich klein wird gegenüber der Arbeit der Widerstände, so wird die
Schnelligkeit, mit der sich die Pendel unter ähnlichen Schwingungen bewegen, offenbar
proportional gehen der Grösse 1/ — ,-,-' ^^ K'^^v^ = Ä. Um also bei beiden die gleiche
V K'l^
mittlere Geschwindigkeit und ähnliche Excursionen zu erzielen, müsste die Arbeit
prop. K''^ gehen. Solange der beschleunigende Einüuss der Schwere aber nicht unend-
lich klein gegenüber der Arbeit der Widerstände ist, würde das grössere Pendel, wenn
die zur Verfügung stehenden Arbeitskräfte sich wie K''^ verhalten, immer noch um
etwas schneller schwingen müssen, als das kleine.
Nun ist die Arbeit der Widerstände beim laufenden Thier zwar gross, aber nicht
unendlich gross gegenüber dem beschleunigenden Einfluss der Schwere auf die Beine
des laufenden Thieres, es wird folglich, wenn die Arbeit prop. K''^ geht, die Schnellig-
keit beim grossen Thier um etwas grösser sein als beim kleinen, der Unterschied wird
aber (zumal bei dem gegen theiligen Einfluss der Schwere in Nr. 4) nur sehr gering
sein können, er kann erst bei sehr grossen Gewichtsunterschieden eine merkbare Grösse
werden.
Man kann zur Ableitung der Grösse der Arbeitsleistung verschieden grosser Thiere
auch den Newton'schen Satz von der Aehnlichkeit der Bewegungen verwenden, welcher
lautet: ^ Zwei Systeme, die einander geometrisch ähnlich sind nach dem Aehnlichkeits-
verhältnisse n, deren homologe Punkte Massen vom constanten Verhältnisse ß besitzen,
und an deren homologen Punkten Kräfte wirken, deren Eichtungen und Sinn in beiden
ähnliche Lage und Intensitäten besitzen, welche im constanten Verhältnisse ^ stehen,
welche ferner von homologen Stellungen mit Geschwindigkeiten ausgehen, deren Ver-
hältniss (5 = 1/ -J- ist, führen durchweg ähnliche Bewegungen aus, und zwar ist das
Verhältniss der homologen Zeiten, in welchen je zwei homologe Punkte homologe
Bahnstrecken beschreiben e = l/— ^j iind behalten die Geschwindigkeiten das Ver-
1 Schnell, Theorie der Bewegungen und Kräfte. Bd. II. S. 514.
346 H. V. Hoesslin;
hältniss ö fortwährend bei. Sind die gleicheu Verhältnisse erfüllt und «, ß, d, e
8^8 aß
bekannt, so ergiebt sich v als = — — = — £- • Wenn wir dafür die entsprechenden
Werthe beim Thierkörper einsetzen und ö als constant, b — K '^ einsetzen, so haben
\ .K K^I^K 2/
wir Y (die bewegenden Kräfte) = ' = ^ = K '^, d. h. bei gleichschnellem
Lauf ist das Maass der zur Fortbewegung aufgewandten Kräfte prop. K"'^-
Y ist das Verhältniss der Summe aller Kräfte, die auf den Thierkörper einwirken,
es ist also gleich y' + f "? wenn wir mit y' das Verhältniss der Kräfte, die im Thier-
körper selbst frei werden, und mit y" den Antheil, der durch den Einfluss der Scliwere
hinzukommt, bezeichnen. Nun ist y" fius den früher angeführten Gründen zwar klein
im Verhältniss zu j/, es steigt aber nicht prop. K'^, sondern prop. K. Wenn also ö
constant bleibt, ist y' etwas kleiner als ÜT"''; wenn aber y' = K '^ bleibt, so wird
d. h. es wird dann die Schnelligkeit beim grösseren Thier etwas grösser werden, aber
wenn x klein im Verhältniss zu a, offenbar nur um eine kleine Grösse; würde a
unendlich klein werden gegen x, so würde 8 — K '^.
Ist das grosse Thier (wenn y = R"^^^) also um ein Geringes leistungsfähiger
beim Laufen in der Ebene, als ein kleines Thier, so ist umgekehrt das kleine Thier
beim Klettern, Bergauflaufen viel leistungsfähiger als das grosse, da die erforderliche
Arbeit beim Heben des Körpers prop. K geht, während die zur Verfügung stehenden
Arbeitskräfte nur prop. K '^ gehen. Das Kind ist also beim Bergsteigen relativ leistungs-
fähiger als der Erwachsene, wenn man ihre Leistungen beim Bergsteigen vergleicht
mit ihren Leistungen beim Gehen in der Ebene. Die grossen und schweren Säugethiere
sind auch alle vorzugsweise Bewohner der Ebenen und vermeiden bekanntlich, wenn
sie einmal in die Berge gehen (z. B. Elephanten), thunlichst alle grösseren Steigungen.
Dagegen sind die rasch und andauernd kletternden Thiere alle klein. Auch in den
Bergen lebende Thiere bewegen sich hauptsächlich in horizontaler Kichtung, besonders
beim raschen Laufen, bei der Flucht wird thunlichst die horizontale Eichtung gewählt.
Wählt ja auch der Mensch stets die möglichst horizontale Eichtung für seine Wege.
Beim einzelnen Sprung ist das grosse Thier um etwas leistungsfähiger als das
kleine, da der Widerstand der Luft bei ihm kleiner ist.
Beim Fluge ist das kleinere Thier sehr im Vortheil gegenüber dem grossen, da
die Flügelfläche im Vergleich zum Gewichte, das darauf ruht, beim grösseren Thier
immer kleiner wird. Das grössere Thier muss also einen viel grösseren Bruchtheil
seiner Arbeit darauf verwenden, sich eben schwebend zu erhalten (durch Steilerstellen
der Flügelfläche), und kann nur einen entsprechend kleineren Bruchtheil auf die Fort-
bewegung verwenden. In der That sieht man grössere Vögel (Geier u. s. w.) immer in
mehr „majestätischem", laugsamem Fluge dahingleiten, im Gegensatze zu dem raschen
Fluge z. B. der Schwalben. Nur beim Herabstossen ist der grosse Vogel im ent-
schiedenen Vortheil gegenüber dem kleinen. Gerade die kleinsten Vögel, die Colibris,
sind wegen ihrer blitzartigen Schnelligkeit berühmt. Auch Helmholtz meint, dass
die grossen Geier bereits die äusserste Grenze der möglichen Grösse für gute Flieger
bilden und zwar obwohl er dabei von der unrichtigen Annahme ausgeht, die Grösse
der zur Verfügung stehenden Arbeitskräfte wachse pro Zeiteinheit prop. K.
Aus der Formel ö = 1 / -|- ergiebt sich ferner, dass von zwei Individuen gleicher
Abhängigkeit des Umsatzes von der Kökperoberfläcpie. 347
Spccies mit gleichen Kräften (wenn also j' = 1 ist), dasjenige mit relativ längeren
Extremitäten (relativ zu Ä''''") einer grösseren Sclmelligkeit fähig ist, als das andere,
da '^ grösser wird. Wenn aber « relativ grösser wurde nicht z. B. durch Fett-
P
abnähme, sondern lediglich in Folge allgemeiner Abmagerung mit Muskelschwund, so
wird das schlankere Thier geringerer Schnelligkeit fähig sein, oder bei gleicher Sclmellig-
keit relativ grösseren Kraftaufwandes bedürfen, also leichter ermüden, als das schwerere,
da bei Abmagerung die Muskelmasse und damit auch y in rascherem Maasse sinkt,
als die Masse des Körpers (ß), also —~- kleiner wird.
Wenn also die Arbeit in der Zeiteinheit proportional /v"/» geht, wird
die Schnelligkeit grosser und kleiner Thiere annähernd die gleiche bleiben,
erst bei grossen Gewichtsunterschieden wird sie beim grossen Thier um ein
Geringes grösser werden. Oder umgekehrt, wenn beide Thiere an-
nähernd gleiche Schnelligkeit besitzen sollen, muss ihre Arbeit
und der dadurch bedingte Umsatz proportional K^'^ gehen.
d) II. Ehe ich jedoch von diesem Resultate weiter schliesse, muss ich
in Kurzem eine scheinbare Abweichung vom eigentlichen Thema einschlagen,
es wird sich jedoch zeigen, dass das Resultat dieser Abweichung gerade für
die Lösung der gestellten Frage von grosser Wichtigkeit ist.
Es ist von Interesse, die Arbeit zu berechnen, die das einzelne
Muskeltheilchen (sarcous element) bei verschieden grossen
Thiereii bei gleichwerthigen (homologen) Bewegungen leistet.
Die Höhe der Querstreifung ist bei grossen Thieren nicht grösser als
bei kleinen, ebenso ist in der Breite der Muskelprimitivfibrillen kein erkenn-
barer Unterschied. Auch bei der Abmagerung tritt, wie ich mich durch
specielle Messungen überzeugt habe, in der Höhe der Querstreifung keinerlei
erkennbare Aenderung ein. Die Einheit Muskelmasse enthält also stets die
gleiche Anzahl kleinster Muskeltheilchen (sarcous elements). Da nun, wie
in d) I ausgeführt, bei gleichwerthigen Bewegungen die Höhe der Gesammt-
arbeit pro Zeiteinheit proportional K'^-^, also pro Contraction bei ähnlich ge-
bauten Thieren proportional K, resp. proportional der Grösse der thätigen
Muskelmasse geht, so folgt daraus, dass jedes Muskeltheilchen bei seiner
Contraction bei allen Säugethieren bei homologen Bewegungen (beim Laufen
in der Ebene) die gleiche Arbeit leistet. Es bewegt die Einheit Muskel-
querschnitt allerdings eine Masse proportional K^/=, dem Muskelquerschnitt
entspricht aber auch eine Länge proportional X'^^ es braucht in Eolge
dessen jedes Muskeltheilchen der Masse K''^ nur die Geschwindigkeit X—'^<^
zu ertheilen; die Endgeschwindigkeit wird dann durch das Zusammenwirken
You X'/s Tbeilchen in einer Längsfaser ^ Yk^^^ • Ä-''« =1, d. h. sie bleibt
348 H. V. Hoesslin:
constant und die Arbeit des einzelnen Muskeltheilcliens ist K''^. [K-'i<'f = 1,
also ebenfalls constant. Die Strecke, um welche sich das einzelne Muskel-
theilchen bei der Contraction verkürzt, bleibt bei grossen und kleinen
Thieren ebenfalls die gleiche, sonst wären homologe Bewegungen überhaupt
nicht möglich. ^ Die Gleichheit der Arbeit {Ä) pro Contraction bei homo-
logen Bewegungen in der Ebene für die Einheit Muskelmasse {Z) bei
verschieden grossen Thieren (d. h. das Verhältniss A\ Ä = Z\ Z' oder
A
-„ = « = Constante) macht es mehr als wahrscheinlich, dass die Gleichung
A\ Ä = Z\ Z' überhaupt für jede Art von Bewegungen gilt, dass also die
vom Muskeltheilchen geleistete Arbeit sowohl bei maximalem Reize wie bei
irgend einem Reize von bestimmter, aber stets relativ gleicher Höhe bei
allen Säugethieren gleich gross ist.^ Diese Annahme findet einen Prüfstein
in den Verhältnissen des Herzens, resp. im Vergleich der Herzarbeit mit
der Herzgrösse bei verschiedenen Thieren, da man bei der gleichmässigen
Thätigkeit des Herzens wohl ohne Einwurf annehmen darf, dass die mitt-
lere Arbeit desselben bei allen Thieren der gleiche Bruchtheil der überhaupt
möglichen maximalen Herzarbeit ist. Da bei einer Reihe von Thieren Puls-
zahl (P), Blutdruck {B) und Herzgrösse [G] wenigstens annähernd genau be-
kannt sind, so hat man also zu prüfen, ob ihr gegenseitiges Verhalten
obiger Annahme entspricht, oder nicht, d. h. ob sich unter der Annahme
~ = « direct gesetzmässige Beziehungen zwischen den drei Grössen P, B
und G finden lassen, oder ob sich unmögliche Widersprüche ergeben. Ich
werde diese Berechnung hier in Kurzem vornehmen, um die Richtigkeit der
A A
Annahme "^- = « zu beweisen, da sich aus der Gleichung -„- = a auf
^ Erfolgt die Zusammen ziehung nicht momentan in dei- ganzen Länge der Muskel-
faser, sondern geht sie wellenförmig vom Nervenendapparat auf die nächstliegenden
Muskeltheilchen über, wie es heute allgemein angenommen wird, so würde auch die
Zeit, die das einzelne Muskeltheilchen bei gleichwerthigen Bewegungen zur Contiactinn
braucht, bei allen Thieren vollkommen gleich sein können, falls die Zahl der zwischen
zwei Nervenendigungen liegenden Muskeltheijchen pi'op. K '^ wächst, wie es ja bei
dem sonstigen ähnlichen Bau der Thiere nicht unwahrscheinlich ist. Doch ist in Bezug
auf diese quantitative Frage um so weniger bekannt, als die Physiologie sich erst noch
mit der qualitativen Frage nach der Art der Nervenendigungen zu befassen hat. (Siehe
Kühne in Zeitschrift für Biologie. Bd. XXIII. S. 1.)
^ Mit dem Stärkerwerden der Contraction wachsen offenbar die inneren Wider-
stände bei der molecularen Verschiebung im Muskeltheilchen; es fällt also ein immer
grösserer Bruclitheil der Gesammtarbeit auf innere Arbeit, ein geringerer auf äussere
nützliche Arbeit. Ein Eeiz, der doppelt so grosse Gesammtarbeit und dementsprechenden
Umsatz bedingt, hat also nicht doppelt so grosse äussere Arbeit zur Folge (vergl.
Fuchs, Pflüger's Archiv u. s, w. Bd. XIX. S. 7).
Abhängigkeit des Umsatzes von der Körperoberfläche. 349
mathematischem Wege die Noth wendigkeit der Formel W=alCl^ ableiten
lässt.
Für Thiere von gleichem Ernährungszustand, deren Umsatz also
(siehe Einleitung) proportional Ä'"/" geht, würde sein \.TSR—aK^l^ (wenn
8 = Systolegrösse, // = Haemoglobiugehalt des Blutes und a = Constante).^
Ferner wäre 2. {B + -— ) S — hG (wenn c = Strömungsgeschwindigkeit des
Blutes). Da — nur sehr klein ist — nach Volkmann's Zahlen berechnet
es sich auf 8 '"™ — so kann {B + |-) = B gesetzt werden, also ist BS =
IG. Durch Elimination von S aus Gleichung 1 und 2 wird bPGII — aBK"l^
oder 3. p„,, • -p^^ = d. Bei zwei Thieren, bei welchen -^- und // constant
Jr^K '3 Cr XI Cr
sind (s. w. u.), würde sein 4. p„.^ = d oder -p = dK''K Berechnet man
nach den Angaben, die Vierordt S. 128, 130 und 138 seiner Arbeit:
„Bie Gesetze der Strömungsgeschwindigkeiten des Blvtes etc.'"'- für B^ P und
K macht, die Grösse der Constante d aus der Formel 4, so ergiebt sich d
für das Pferd 0-70,
„ den Menschen 0-70,
„ den Hund 0-77,
„ das Ziegenböckchen • 80.
Nur für das Kaninchen (l-37''^'''") ergiebt sich eine etwas grössere Ab-
weichung (0 • 34). Zieht man aber in Berechnung, dass (siehe am Schlüsse)
die relative Grösse von H wie BSE beim Kaninchen nur ca. 0-7 von der
c
der erstgenannten vier Thiere, die von ^ nur circa 0.5 beträgt, so wird
beim Kaninchen d aus Gleichung 3 =0-68.
D 1l
Es erweist sich in der That die Grösse d = p„., • ^r-= als
eine constante, vom Körpergewicht u. s. w. unabhängige Grösse,
d.h. das Herzgewicht geht direct proportional der Grösse der
Arbeit beim einzelnen Pulsschlage.
Ich bemerke hierbei ausdrücklich, dass ich weniger Gewicht auf die
volle Uebereinstimmung der berechneten Zahlen für d, als auf den Umstand
lege, dass sich trotz der colossalen Gewichtsunterschiede der Thiere keine
grössere Abweichung, welche die Annahme ^ — a direct widerlegen
würde, ergiebt. Die grosse Uebereinstimmung muss ich bei dem Umstände,
dass Haemoslobingehalt wie Herzsrösse und Sauerstoffverbrauch individuell
1 S. Zeitschrift für Biologie. Bd. XVIII. S. 631.
350
H. V. Hoesslin:
je nach dem Ernährungszustand stark schwanken, und dass keines der-
selben von Vierordt bei seinen von ihm benutzten Thieren direct bestimmt
wurde, mehr als einen glücklichen Zufall betrachten.
Es ergiebt sich ferner aus 8 =
PH
, dass S nicht direct prop. K gehen kann.
denn dann wäre P = J^~ '^ und D = Constante, was beides unmöglich ist. Aus den von
Vierordt angegebenen Grössen berechnet sich annähernd D = a K '' und P= aK~ ''',
wie sich aus folgender Tabelle ergiebt:
Thier
Gewicht
K
Blutdruck
B
Puls
P
E
D
elative Zahlen von
1
Pferd
380
280
55
28
26
28
29
Mensch
63-6
200
72
20
20
21
21
Hund
9-2
150
96
15
15
15
15
Ziegenböckhen .
3-75
135
110
13-5
13
13
13
Kaninchen . . .
1-37
80
210
8-0
8-5
11
10-5
Mit Ausnahme des Kaninchens, bei dem sich auch hier wieder D zu klein und
P zu gross erweist, stimmen die übrigen Grössen sehr wohl überein. Die Abweichung
des Kaninchens beweist, dass D und P nicht direct von K abhängen, sondern wahr-
em
scheinlich von G und 8 und dem mittleren O-Verbrauche. 8 muss bei gleichem
IG ,
K
und JI darnach prop. _5r''^ bez. (r'^'' gehen, da S =
D
Doch möchte ich, so lange keine rationelle Ableitung der Abhängigkeit des Pulses
und Blutdrucks vom Körpergewicht gegeben ist, auch auf obige Uebereinstimmung
von P~" und T) mit K '• kein allzugrosses Gewicht legen; nothwendig ist nur, wenn
die früheren Voraussetzungen erfüllt sind, dass -^ — iC^^.
Dagegen stehen die oben angeführten Formeln sowie die Annahme -= = a nicht
in Uebereinstimmung mit den mit Hülfe der Infusionsmethode gefundenen „Kreislaufs-
dauern" des Blutes, da die Kreislaufsdauer proportional der Blutmenge dividirt durch
P8 { = K''^^, da (S = ^ und D = PK^^A , also prop. Jt'^^ sein sollte, während die
von Vierordt gefundenen „Kreislaufsdauern" in viel schwächerem Grade (prop. K^^''')
zunehmen. Es verhalten sich nämlich die relativen Zeiten der Kreislaufsdauern der
fünf Thiere bei Vierordt wie 10 : 19 : 22 : 31 : 42 (S. 133), während X'^' sich
verhält wie 11 : 15 -. 20 : 40 : 72.
Ich mache auf diese Incongruenz ausdrücklich aufmerksam, glaube aber nicht,
dass sie geeignet ist, die Eichtigkeit unserer Annahmen zu widerlegen. Es sind gegen
die Berechnung der Kreislaufsdauern aus den Daten von Infusionsversuchen schon von
^ P = K ''^ und 8 = jK""'" stimmt vollkommen mit den von Rameaux (a. a. 0.)
aufgestellten Formeln n = n — = und v = v — •
Abhängigkeit des Umsatzes von der Körpeeoberfläche. 351
vielen Seiten und neuerdings von v. Kries ^ Einwände erhoben worden, welche die Richtig-
Iceit der gefundenen Zahlen in Frage stellen. Vierordt selbst hat diese Einwürfe
schon theilweise anerkannt, aber behauptet, die relative Richtigkeit, d. h. das Verhält-
uiss der Kreislaufsdauern der verschiedenen Thiere zu einander werde dadurch nicht
berührt. Ich möchte hier aber noch einige Momente hervorheben, die in erster Linie
die relative Eichtigkeit beeinflussen. Vierordt legt grosses Gewicht auf sorgfältige
Regulirung des Blütausflusses aus der Vene, „dass man nur so viel Blut ausüiessen
lässt, als der durchschnittlichen normalen Circulation im unverletzten Gefäss entspricht",
was Hering bekanntlich unterliess. Vierordt giebt als Maass beim Hunde an der
Jugularis 1.5 ^cm ^^o Secunde an (S. 61). Er stützt sich dabei auf das Ergebniss seiner
Haemotachometerversuche, die aber offenbar viel zu kleine Werthe gaben in Folge des
Umstandes, dass der Apparat selbst grosse Widerstände für die Blutbewegung setzte,
d. h. die Blutbewegung durch das betreffende Gefäss verlangsamen musste. Die Bohrung
der conischen Ansätze des Apparates und der Canülen betrug nämlich nur 2 '"'", während
der Durchmesser der Art. jugularis bei einem 30 "'s"" schweren Hunde ca. 7 """, bei der
V. jugularis also noch mehr beträgt. Nach Vierordt' s Messungen sind allerdings
auch die Gefässlumina bedeutend geringer, es ist dies aber nur die nothwendige Folge
der von ihm zur Gefässm essung angewandten, S. 64 beschriebenen Methode, Beim
2oksim schweren Hunde misst die Jugularis mindestens 0-3 □'='", i-5<=cm p^.^ geßun^e
würde also nur einer Geschwindigkeit von 5"" pro Secunde entsprechen, während
Volkmann 22'5 fand. Ebenso gering war die Geschwindigkeit, mit der Vierordt
die Salzlösung in die V. jugularis injicirte: 3 — 6*^"" in 4 Secunden beim Hunde. Der
durch diese Vornahmen auf zweifache Weise erzielte Fehler dürfte über 2 Secunden
betragen, die also von den gefundenen Kreislaufsdauern der von Vierordt untersuchten
Thiere abzuziehen sind, statt 6-9 Secunde beim Kaninchen ergäbe sich also höchstens
4-9 Secunden u. s. w. Ferner fesselte Vierordt seine Thiere, unterband die Vene,
in die er später injicirte, d.h. band eine Canüle mit Hahn ein, während Hering das
Thier vollkommen ungefesselt lies: in die nicht iinterbuudene Vene bei erhobenem
Kopf des Thieres einen kleinen Schnitt machte, sofort die ziemlich weite Canüle senk-
recht einführte, also die Flüssigkeit ohne Widerstand einfiiessen Hess, auch die Vene
danach nicht wie Vierordt unterband, sondern bloss nähte — Hering konnte so
5-, 6 mal und öfter an verschiedenen Tagen die gleiche Vene benutzen — . Die Ver-
suche Hering's verliefen also ohne jede venöse Stauung, während Vierordt schon
vor Beginn des eigentlichen Versuchs starke venöse Stauung hatte, da er beide
Jugularvenen unterband. Man müsste die Methode in der Weise abändern, dass
man in möglichst kurzer aber bestimmter Zeit in die nicht unterbundene V. jugularis
(oder in einen Seitenast derselben möglichst nahe dem Stamme) die Lösung injicirt
und nun sowohl den Beginn als das Ende der Reaction bestimmt. Falls
die Methode überhaupt brauchbar ist, muss sich wie ein scharfer Beginn ebenso auch
ein scharfes Ende der Reaction und ein späteres erneutes Auftreten derselben einstellen.
Mit dieser Modification fallen aber sämmtliche gegen die Methode erhobenen
Einwände. Man misst dann nicht mehr die Zeit auf der kürzesten Bahn und bekommt
nicht nur relativ, sondern auch absolut genaue Zahlen (besonders wenn man noch die
Intensität der ßeaction berücksichtigt), so dass die Bestimmung der „Kreislaufs-
dauer" u. s. w. also eine vollkommen exacte wird, was auf anderem Wege, z. B. durch
die Methode der Stromaichung, kaum so einwandsfrei zu erzielen ist, da sich bei
letzterer Methode eine Reihe anderer Fehlerquellen einstellen.
^ Beiträge zur Physiologie u. s. w. Leipzig 1887.
352
H. V. HoESSLiN:
Da Vierordt bei der Berechnung der in der Zeiteinheit durch den Körper circu-
lirendeu Blutmenge = PS die Systolegrössen prop. K setzte, während sie nach obiger
Berechnung prop. X " sein muss, so sind die von ihm S. 137 angegebenen Zahlen für
die circulirende Blutmenge pro Secunde durch K '" zu dividiren.
Blutmenge
pro
Zeiteinheit
PS
PSA" pro Tag
Pferd ....
21850
41-6
15400 1
Mensch . . .
6580
41
4640
Hund ....
1730
39
1220
Böckchen . .
935
39
660
Kaninchen . .
770
62
—
(460-540)
(37—43)
(230—250)
Die eingeklamraerten Zahlen beim Kaninchen sind unter der Annahme be-
rechnet, dass S nicht prop. Jr^^% sondern, wie es ja allein richtig ist, prop. G"^'^ ist.
P Sfyy
ST- wird dann beim Kaninchen etwas kleiner als bei den übrigen Thiereu. Die
Gründe, warum gerade beim Kaninchen dieser Quotient nothwendig etwas kleiner wird,
werden wir am Schlüsse dieser Abhandlung betrachten.
Yolkmann fand, wie schon früher erwähnt, in der Geschwindigkeit des Blutes
in der Aorta keine von der Grösse der Thiere abhängigen Unterschiede. Auch dieser
Umstand spricht, wie auch obige Tabelle, mit aller Entschiedenheit dafür, dass unsere
Rechnung, wonach die mittlere Kreislaufsdauer einfach proportional der mittleren Länge
der Blutbahn ist, richtig ist.
Es o'ewähren die Verhältnisse am Herzen also g-iite Ueber-
einstimmung mit der Annahme -y = a.
Die vorliesenden Daten
1 In der von mir Zeitschrift für Biologie. Bd. XVIII. S. 631 angegebenen Tabelle
ist die Angabe des Sauerstoffverbrauchs des Pferdes etwas zu hoch ausgefallen, da der
Sauerstoffverbrauch des Pferdes, im Gegensatz zu dem der anderen Thiere, nicht aus
Respirationsversuchen, sondern aus der Putteraufnahme eines viel schwereren Tliieres
berechnet wurde, bei welch letzterem es sich noch dazu um ein Thier handelte (Land-
wirthschaftUche Jahrhücher 1879. Bd. VIII. S. 701), das täglich Arbeit leisten musste,
während angenommen war, dass es sich um ein ruhendes Thier gehandelt hatte.
^ Das Herz dürfte auch die beste, ja vielleicht einzige Gelegenheit bieten, den
Verbrauch an Spannkraft pro Einheit Arbeit genau festzustellen: Es führt die Coronar-
vene — mit Ausnahme einer minimalen Quantität Blut, die durch sehr kleine andere
Venenstämme ausmündet — sämmtliches Blut vom Herzen in den rechten Vorhof. Sie
mündet an der hinteren Wand an einer Stelle, die sehr leicht bei einiger Uebung durch
Tasten gefunden werden kann. Eine per Troicar oder kleinem Schnitt mit nachträg-
lichem Einbinden in den Vorhof eingeführte Canüle wii"d, sobald sie gegen die Vene
angepresst wird, sämmtliches durch das Herz strömende Blut nach aussen führen, wo
die Menge pro Zeiteinheit, der (^- und COg-Gehalt (event. auch der Zuckergehalt) u. s. w.
bestimmt werden kann, und daraus durch Vergleich mit dem arteriellen Blute der
Abhängigkeit des Umsatzes von der Köepeeoberfläche. 353
über P und D bei den verschiedenen Thieren stimmen, worauf es wesent-
lich ankommt, vollkommen mit jener Annahme überein; gegen die theil-
weise abweichenden „Kreislaufsdauern" konnten eine Reihe von Fehlerquellen
geltend gemacht werden, zu welchen noch der Umstand kommt, dass
Vier or dt auf den Ernährungszustand (Alter u. s. w.) der Thiere gar keine
Rücksicht nahm. Es wäre zu wünschen, dass von physiologischer Seite
die Versuche von Volkmann, Vierordt u. s. w. von Neuem vorgenommen
würden, unter Berücksichtigung des Umstandes, dass man nur Thiere von
gleichem Ernährungszustände mit einander vergleichen darf, was jene voll-
kommen vernachlässigt haben. Es würden sich dann die Gesetze der
Stromgeschwindigkeiten u. s. w. höchst wahrscheinlich mit einer Schärfe und
Exactheit ergeben, wie man sie auf anderen Gebieten noch sehr vermisst.
Ich nehme also ^ — a als bewiesen an, d. h. ich nehme als be-
wiesen an, dass bei maximaler Contraction (also maximaler Anstrengung)
die Einheit der Muskelmasse bei grossen wie kleinen Thieren stets gleich
grosse Arbeit leistet und dass sie ebenso bei mittlerem Muskelreize die gleiche
mittlere Arbeit leistet u. s. w. Ich werde nun daraus die Nothwendigkeit
der Formel W = aK''^ für Thiere von ähnlichem Körperbau ableiten. Wählt
man als Einheit der Muskelmasse eine beliebige Längsfaser {Z) und be-
zeichnet deren Arbeit bei einer Contraction [A] mit Mv^, wobei also M
die halbe Masse bezeichnet, welche die Längsfaser zu bewegen hat, so ist
*' = l/^ und da die Zeit [T), welche die Längsfaser zur Contraction
braucht, proportional ist dem Quotienten — (wenn L = der Länge des Weges,
welchen die Masse M während der Zeit der Contraction zurücklegt), so ist
also T = — = 1— • Die Masse M, welche die Längsfaser zu bewegen
hat, ist offenbar umgekehrt proportional der Zahl (^) der Längsfasern, welche
im Muskel neben einander liegen, d. h. M ist gleich -^, wenn K die Masse
bezeichnet, welche die ganze thätige Muskelmasse zu bewegen hat. Also
1 = —j-==r. Die mögliche Zahl der Contractionen in der Zeiteinheit hängt
\ aZ'C
also direct ab vom Verhältniss ZI, (= Muskelmasse) : Ä' (Körpermasse), und
O- und Calorienverbrauch bestimmt werden kann. Man hat hierbei den Vortheil, einen
reinen Muskel ohne Haut und Knochen, dessen gleichzeitige Arbeit man ebenfalls leicht,
wenigstens annähernd genau bestimmen kann, bei physiologisch-normaler Innervation
und überhaupt unter vollkommen physiologischen Bedingungen untersuchen zu
können , Vortheile , die bei der künstlichen Durchströmung von Extremitäten u. s. w.
vollständig wegfallen. Leider war es mir bis jetzt noch nicht möglich, die Unter-
suchung zu beginnen, und niuss ich mir dieselbe noch auf später versparen.
Archiv f. A. u. Ph. 1888. Pliysiol. Abthlgr. 23
354 H. V. Hoesslin:
zwar geht sie direct proportional der Wurzel aus diesem Verhältuiss, sie ist
= -- = ^^ - die Arbeit der Muskelmasse in der Zeiteinheit also _^ ^ k^^ C
T LVk' LVK
bei ähnlichem Körperbau also = -^ = K'Ik- das heisst also: bei verschieden
grossen, aber ähnlich gebauten Thieren geht bei gleicher Anstrengung die
cet par. in der Zeiteinheit geleistete Arbeit und damit auch der durch die
Arbeit bedingte Verbrauch an Spannkraft proportional K''l\
Dasselbe gilt nun auch, wenn es sich nicht nur um eine einfache
Muskelzuckung, sondern um eine tetanusartige Contraction als Folge zahl-
reicher hintereinander folgender Muskelreize handelt, wie es wohl bei den
meisten unserer Bewegungen der Fall ist. Selbstverständliche Voraus-
setzung ist hierbei nur, dass bei homologen Bewegungen der zweite, dritte,
hundertste u. s, w. Reiz, sowohl bei kleinem wie grossem Thiere die Muskel-
masse immer in demselben Zustande d. h. dem gleichen G-rade von Con-
traction trifft. Dies müssen wir aber schon aus anderen Gründen noth-
wendig annehmen, denn nur unter dieser Voraussetzung erlangt die Ge-
sammtbewegung des betreffenden Gliedes beim kleinen Thier dieselbe relative
Exactheit und Sicherheit wie beim grossen Thiere, im anderen Falle würde
sie gegenüber der entsprechenden Bewegung des grösseren Thieres noth-
wendig zitternd und vibrirend erscheinen. Hängt aber das Intervall zweier
Umsetzungen in der Muskelsubstanz cet. par. bei verschiedenen Thieren von
der Raschheit der Contraction ab (was experimentell durch das Mikrophon
leicht festzustellen wäre), so muss auch bei tetanusartigen homologen Be-
wegungen die in der Zeiteinheit von der Muskeleinheit geleistete Arbeit
proportional K—'i^ gehen; die Gesammtarbeit und der Gesammtumsatz also
proportional K'i\ Eine weitere nothwendige Folge obiger Voraussetzung
ist, dass bei homologen Bewegungen die Endgeschwindigkeit nahezu gleich-
gross wird.
Die um „^ grössere Zahl von Contractionen in der Zeiteinheit beim
kleineren Thier setzt aber auch eine um -^ raschere Blutcirculation als
nothwendige Bedingung voraus. Denn nur dann, wenn der Sauerstoff, der
in der Zeiteinheit verbraucht wird, in der Zeiteinheit auch wieder gleich-
massig ersetzt wird, ist ein Arbeiten unter gleichen Bedingungen für die
Muskeltheilchen verschieden grosser Thiere gegeben. Dazu ist nothweudig,
dass die durch die Muskelniasse bei verschieden grossen Thieren circulirende
Blutmenge cet. par. proportional dem Verbrauche steigt, denn nur dann
bleibt die Differenz des Sauerstoffdruckes zwischen Gefäss und Parenchjm,
von welcher die Grösse der Sauerstoffzufuhr zu den Geweben in erster
Linie abhängt, bei allen Thieren die gleiche. Das Maximum der mög-
1
1
Abhängigkeit des Umsatzes von der Körperoberfläche. 355
liehen Arbeitsleistung wird also erreicht werden, wenn die in der Zeit-
einheit durch die Einheit Muskelmasse circulirende Blutmenge proportional
geht ^, die durch die ganze thätige Muskelmasse circulirende Blutmenge
also proportional -^ = K\ eine noch raschere Circulation aber würde nutz-
lose Kraftverschwendung sein.
Der Umsatz im Nervensystem und im Knochensystem muss cet. par.
ebenfalls proportional gehen der Zahl der Binzelbewegungen in der Zeit-
einheit mal der Masse der thätigen Nervenzellen u. s. w., also bei ver-
schiedengrossen Thieren ebenfalls proportional K''i\ Die Thätigkeit der
inneren sogenannten vegetativen Organe, welche lediglich die Aufgabe haben
die Nährstoffe aufzunehmen, vorzubereiten, oder die Zersetzungsproducte
auszuscheiden, muss proportional gehen der Masse der Nährstoffe, die der
Körper verbraucht, und wenn der Umsatz in diesen Organen proportional
geht der Höhe ihrer Thätigkeit, so wird auch er sich nothwendig verhalten
wie K'l\ Es geht also der Umsatz des ganzen Körpers, wenn er
dem Bedürfniss möglichst angepasst sein soll, proportional Ä^%.
Wir fanden beim Muskel, dass die Arbeit verschieden grosser Thiere
proportional geht X'/s, welcher Grösse auch die mittlere Sauerstoffzufuhr
proportional ist (s. früher), so dass also die Arbeit der Muskeln verschieden
grosser Thiere der mittleren Sauerstoffzufuhr proportional ist;^ es ist mehr
als bloss wahrscheinlich, dass dasselbe Princip für sämmtliche Zellen des
^ Das Gefühl des Kraftaufwandes, bez. der folgenden Ermüdung wird bei ver-
schieden grossen Thieren mit gleich geübter Musculatur offenbar gleich sein, wenn das
Verhältniss von dem durch die Arbeit bedingten Sauerstoffverbrauch zu der zur Ver-
fügung stehenden Sauerstoffmenge das gleiche ist, d. h, wenn die Arbeit der Thiere in
der Zeiteinheit sich verhält wie — = —p^. Es ist alsdann (siehe vorige Seite)
LVK T
die Zahl der in der Zeiteinheit ausgeführten Bewegungen = -= = ^ . l /^i^. Hieraus
ergiebt sich -^ = v =1 /^^- , d. h. bei subjectiv gleichem Kraftaufwand ist die erlangte
Schnelligkeit bei ähnlich gebauten Thieren (mit den S. 344 gemachten Einschränkungen)
unabhängig von der Länge der Extremitäten, bez. der Körpei'grösse nnd allein ab-
hängig von dem Verhältniss, das zwischen der Muskelmasse und dem Körpergewicht
besteht. Die Zahl der Schritte in der Zeiteinheit aber geht bei procentisch gleicher
Muskelmasse umgekehrt proportional der Länge des Körpers, bei gleicher Körper-
länge prop. V. Das Verhältniss der Kräfte, d. h. der Werth von y in der Formel
,5 = 1 /!i^ ist hiebei = -^ , die Arbeit und der Spannkraftverbrauch aber _ ^?1^
= — jp- . Dies zur Ergänzung der S. 346 unten gemachten Ausführungen.
23*
356 H. V. Hoesslin:
Thierkörpers ^ gilt, d. h. dass auch z. B. die Thätigkeit des Nierenepithels,
der Leberzellen u. s. w. in der Zeitenheit lediglich von der Kaschheit der
Blutcirculation abhängt (s. Heidenhain, Hermann's Handb. d. Physiol.
Bd. V. S. 263 und 331), dass also auf die Einheit Sauerstoff bezogen ihre
Thätigkeit bei allen Säugethieren gleich gross ist.^ Die Grösse dieser Or-
gane wird also proportional gehen der Grösse: Umsatz dividirt durch
T-^ = Pl^ . Xy= = K, d. h. wenn der Umsatz der Muskelmasse K eines
Thieres in Folge einer um K''- rascheren Blutcirculation proportional Z%
geht, wird auch der Umsatz der übrigen Organe cef,. par. proportional K^i-^
gehen, ihr Gewicht aber proportional K, d. h. das Gewichtsverhältniss
der einzelnen Organe zu einander wird ungeändert bleiben,
wenn der Umsatz bei verschieden grossen Thiereu, um eine
maximale Arbeitsfähigkeit derselben zu erzielen, proportional
ri^ geht.
Wir gingen anfangs (S. 333) aus von der thatsächlichen Aehnlichkeit
des Baues verschieden grosser Thiere und fanden, dass diese Aehnhchkeit
nur erhalten bleiben kann, wenn der Umsatz proportional K'^ geht und
dass hierbei zugleich die maximale Arbeitsfähigkeit erreicht wird. Bei der
zweiten Ueberlegung gingen wir aus von dem Postulate der möglichst
grossen Arbeitsfähigkeit, fanden dass der Umsatz alsdann proportional K'i'^
gehen müsse und dass das relative Gewichtsverhältniss der Organe dabei
ungeändert bleibe. Es ergänzen sich also die beiden Ausführungen gegen-
seitig. Den Grund für das Steigen des Umsatzes der verschiedenen Arten
proportional Ä''^^ bildet also das gleiche Darwin 'sehe Princip, dessen
Gültigkeit für den Einzelkörper ich schon früher nachgewiesen habe:-
Die Organisation des Thierkörpers bezweckt eine möglichst
grosse Leistungsfähigkeit bei möglichst kleinem Verbrauche.
e) Wenn damit der Grund für obige Erschehiung nachgewiesen ist,
so fragt es sich weiter: Durch welche Mittel erreicht die Natur
diesen Zweck?
Die Wissenschaft begnügt sich nicht mit dem Nachweis des Zweckes
einer Erscheinung, sondern sie verlangt in erster Linie die direct treiben-
den Ursachen der betreffenden Erscheinung zu sehen; in unserem Falle
ist also die Frage vor allem zu beantworten: Welche Einflüsse wirken
auf die thierische Zelle derart ein, dass der Umsatz in derselben auch bei
^ Deren Grösse u. s. w. ja ebenfalls bei verschiedenen Thieren unabhängig von
der Körpergrösse des Thieres ist.
^ Was entschieden für eine gleichartige Organisation der Zellen bei allen Säuge-
thieren sprechen muss.
Abhängigkpjit des Umsatzes von der Körperoberfläche. 357
voller KörpeiTuhe proportioual A'°/' geht. Dass der Umsatz bei gleich-
massiger Arbeit proportional ii'^ geht, erklärt sich ja allerdings vollkom-
men schon aus dem Umstände, dass die Zeit für eine Contraction proportional
= K'i' geht, dass also die Zahl der vom Nervensystem ausgehen-
yaz'Q
den Erregungen proportional geht K—''i\ Es ist weiter klar, der Umsatz
bei völliger Körperruhe muss in einem bestimmten gleichen Verhältniss
stehen zum mittleren Umsatz überhaupt, resp. zum Umsatz bei mittlerer
oder maximaler Arbeitsleistung. Da die Zelle stets in der Lage sein muss,
sofort eine maximale Arbeit leisten zu können, wird auch ihr Umsatz
während der Ruhe (pro Zeiteinheit) wachsen mit der Grösse des Umsatzes
(pro Zeiteinheit), dessen sie bei maximaler Arbeitsleistung fähig sein soll.
Es bildet erstere gewissermaassen die Friedenspraesenzstärke, von deren
Höhe die Kriegspraesenzstärke, d. h. der Umsatz bei maximaler Arbeit und
damit die Höhe der letzteren selbst direct abhängig ist. Durch welche Ein-
richtung des Thierkörpers wird nun die Einstellung des Umsatzes bei
Ruhe auf K^i^ erreicht?
Die Annahme, dass die Zellen selber bei verschieden grossen Thieren
derart organisirt seien, dass sie in der Zeiteinheit verschieden grosse Mengen
Spannkräfte zersetzen, würde, da sie eine Unbekannte nur durch eine an-
dere ersetzt, erst erlaubt sein, wenn jede andere Möglichkeit der Erklärung
absolut ausgeschlossen wäre. Die Muskelzellen stehen nun, wie erwiesen,
auch bei völliger Körperruhe noch unter dem Einflüsse einer vom Nerven-
system ausgehenden Erregung (Tonus). Man könnte sich also denken,
dass, ebenso wie bei Arbeit die Zahl der Nervenerregungen proportional
geht X-Vs^ in gleicher Weise auch bei Körperruhe die Zahl (oder Inten-
sität) der vom Nervensystem auf den Muskel ausgeübten Erregungen
proportional K~'h gehe, und dass dadurch bewirkt werde, dass der Ge-
sammtumsatz proportional geht K'^'k Absolut nothwendig zur Erklärung
des letzteren Umstandes scheint mir aber obige Annahme nicht zu sein.
Man könnte sich auch denken, dass ledighch von der verschiedenen Sauer-
stoff- und CO2- Spannung innerhalb der Gewebe bei verschieden grossen
Thieren der verschiedene Umsatz pro Kilo bedingt werde. Durch die Ge-
wichtseinheit der Gewebe strömt bei kleinen Thieren eine proportional K-'l^
grössere Sauerstuffmenge, bei gleichem Verbrauche müsste also die Sauer-
stoffspannung im Gewebe der kleineren Thiere wachsen (CO2- Spannung
abnehmen). Wenn nun eine grössere Sauerstoffspannung cet. par. (bei
gleichem Innervationszustande u. s. w.) einen grösseren Sauerstoffverbrauch
bedingt, so wird der Sauerstoffverbrauch beim kleineren Thier wachsen
müssen, bis die Sauerstoffspannung wieder die gleiche wie beim grossen
Thier ist, d. h. bis auch der Umsatz pro Gewichtseinheit proportional K-^'^
358 H. V. Hoesslin:
geht. Dass die 0- (u. COg-) Spannung aber den Sauerstoffverbrauch direot
beeinfiusst, das dürfte wohl endgültig feststehen. Heidenhaiu hat ge-
zeigt, dass die Thätigkeit der Nieren- und Leberzellen proportional der in
der Zeiteinheit durch die Gewebe strömenden Blutmenge zunimmt; dass
mit Abnahme der strömenden Blutmenge der 0- Verbrauch sinkt, geht
ferner aus den Untersuchungen Bau er 's hervor; das Gleiche zeigen in
Bezug auf die Wirkung der Abnahme der 0-Spannung und Zunahme der
COa-Spannung die Untersuchungen Friedländer's und Hertel's. Die
schlagendsten Beweise für die Wirkung der Abnahme der 0-Spannung hat
Paul Bert gegeben, dessen zahlreiche Versuche bisher un widerlegt ge-
blieben sind, und aus denen sich ein rasches Absinken des 0- Verbrauchs
mit der Abnahme der 0-Spannung berechnet. Die Versuche Finkler's,V
welche die Unabhängigkeit des Sauerstofifverbrauches vom Sauerstoffdrucke
zeigen sollen, würden, ihre Kichtigkeit vorausgesetzt, obigen Ausführungen
nicht direct widersprechen, sondern nur beweisen, dass direct nach dem
Aderlass der Zustand des Zellprotoplasma's unter dem Einfluss des relativen
Sauerstoffmangels sich nicht so plötzlich und rasch ändert, dass der O-Ver-
brauch sofort messbar erniedrigt wird, sie würden nur beweisen, dass
hierzu eine etwas längere Zeit gehört. Ich habe diesen Beweis lange Zeit
für gegeben erachtet, bis ich durch eine Nachberechnung der Finkler' -
sehen Resultate nun anderer Meinung geworden bin.
In seiner ersten Veröffentlichung (a. a. O.) berechnen sich die Zahlen für den Sauer-
stoffverbrauch (S. 18) auf 0'73; 0'85; 1-40; 1-51, zeigen also starkes Steigen des
0-Verbrauchs unter dem Einfluss der Blutentziehungen; wie Finkler die grosse Gleich-
mässigkeit des 0-Verbrauchs: 1-18 — 1-05 — 1'24 — l-Oö herausrechnen konnte, bleibt
mir ein Räthsel. Dasselbe Steigen ergiebt sich aber auch bei richtiger Rechnung aus
seiner zweiten Berechnung und Veröffentlichung (Pf lüger 's Archiv u. s. w. Bd. XIV).
Hier sind die Strömungsgeschwindigkeiten durchaus falsch angegeben; es ist nicht
richtig, dass z. B das Blut des Hundes IV bei der ersten (u. s. w.) Blutentziehung
unter dem Einfluss einer Strömungsverlangsamung stand, die durch eine Blutentziehung
von 0-76 Procent (u. s. w.) des Körpergewichts hervorgerufen war. Es war vielmehr
zur Zeit, als 0-76 Procent Blut, um untersucht zu werden, aus dem rechten Herzen
entnommen wurden, noch gar keine Blutentziehung vorausgegangen. Da sich nun im
Körper eine grössere Blutmenge im Venensystem als im Arteriensystem findet, so hatte,
wenn die Blutentnahme aus dem rechten Herzen nur einigermaassen rasch ging, sämmt-
liches entnommenes Blut zur Zeit des Beginns der Blutentziehung die Capillaren bereits
passirt, stand also noch nicht unter dem Einfluss der Strömungsverlangsamung, die
erst durch diese Blutentziehung selbst hervorgerufen wurde. Selbst wenn die Blut-
entziehung aus dem rechten Herzen nur äusserst langsam stattfand, was ganz un-
wahrscheinlich ist , dürfte als wirksame Blutentziehung (Zeit der Blutentziehung — un-
endlich) nur die Hälfte in Rechnung kommen, wie es auch Pinkler selber in seiner
^ lieber den Einfluss der Stromgeschwindiffkeit des Blutes u. s. w. Dissertation.
Bonn 1875.
Abhängigkeit des Umsatzes von der Körperoberpläcwe. 359
ersten Berechnung begründet und ausfülu't. Neliiuen wir dieses Minimum einmal als
gegeben an, so werden die Zahlen des (»-Verbrauchs beim Hunde IV 1'12; 0-98: 1'71;
1-60 (also starkes Steigen!), beim Hunde V 0-39; 0-88; 1-59; 1-75!, beim Hunde VI
1'32; 1'36; 1'42. Nehmen wir aber den ersteren, der Wirklichlieit näher stehenden
Fall an, so finden wir ein Steigen des 0-Verbrauchs beim Hunde IV von 1-1 aufl'9;
beim Hunde V von 0*4 auf 1'9; beim Hunde VI von 1-3 auf 1'6.^ Der einzig mög-
liche Schluss wäre also : wenn weniger Sauerstoif durch den Körperquerschnitt strömt,
die Sauerstoffspannung sinkt, so wird absolut mehr (bis 5 mal mehr) Sauerstoff ver-
braucht. Dies klingt aber so absurd, dass es wohl erlaubt sein wird, die Richtigkeit
der Praemissen zu bezweifeln. Der Beweis, „dass selbst ein bedeutender Aderlass
keinen Einfluss auf die Menge des 0-Verbrauchs hat", ist damit keinesfalls gegeben.
Pinkler findet nun bei Hund V auch eine Steigerung des 0-Verbrauchs, und zwar
von 4 auf 16, da er aber dabei zugleich ein Fallen der CO,^-Ausscheidung von 17 auf
8 (!) fand, so erklärt er beides als verursacht durch eine „physiologische Oscillation
des Quotienten ^^^ um die Norm", die sich dabei, nota hene im Verlauf von drei
bis vier Stunden, denn so lange dauerten die Versuche, vollzieht! Was soll nun die Ur-
sache und das Wesen einer „Oscillation des Quotienten" -^^p^" v<^Q Tn ~ ^''^ ^^^'^ = 2-0
Cj02 17 8
sein? Wenn derartige stundenlang dauernde Schwankungen in der 0-Aufnahme
um das 4- oder 5 fache ceteris paribus normal möglich wäre, dann würde damit
Finkler's ganze Arbeit eo ipso und ebenso jede ähnliche (z. B. Bestimmung der
0-Aufnahme durch die Eespiration während einiger Stunden u. s. w.) alle Beweiskraft
verlieren. Ich glaube, dass es nicht nöthig ist, auf weitere Einzelheiten aus Finkler's
Arbeit einzugehen, um nachzuweisen, dass sie nicht geeignet ist, das, was sie möchte,
zu beweisen.^
1 Wahrscheinlich war bei den Stroraaichungsversuchen schon durch die Fesselung
des Thieres die Stromgeschwindigkeit im Femoralgebiet hochgradig vex'laugsamt, so
dass bei Eintritt der Blutentziehung keine entsprechende Verlangsamuug mehr statt-
fand; es ist übrigens schon an sich nicht ganz richtig, aus der Geschwindigkeit der Blut-
strömung in einem ganz beschränkten Gebiete auf die mittlere Strömungsgeschwindig-
keit im Gesammtkörper zu schliessen, da die Annahme, dass bei Blutentziehungen die
Schnelligkeit der Blutcirculation in allen Organen in gleichem Grade abnehme, ohne alle
Stütze dasteht.
^ Damit wäre der Eine der experimentellen Beweise für die Theorie, dass der
Sauerstoff nicht die directe Ursache für die Zersetzung ist, hinfällig geworden (richtig
ist der Satz übrigens nur, wenn man sagt, dass der Sauerstoff nicht die einzige oder
die Hauptursache der Zersetzung ist); was den anderen von Voit (Hermann 's Hand-
buch der Physiologie. Bd. VI. S. 118 u. 282) angeführten Beweis betrifft: das Schwanken
der 0-Aufnahme bei verschiedenartiger Ernährung, so ist bekanntlich auch dieser Beweis
unrichtig, da ich nachgewiesen habe (Virchow's Archiv. Bd. LXXXIX. S. 333), dass
die Schwankungen der Sauerstoffaufnahme nicht von der verschiedenen Art der Nah-
rung, sondern durch den ganz verschiedenen Ernährungszustand des Thieres
bedingt waren. Die Theorie selbst verliert durch den Hinfall ihrer beiden directen experi-
mentellen Beweise nicht ihre Stützen. Denn die Sicherheit für die Wahrheit irgend einer
Theorie liegt niemals in einzelnen experimentellen Beweisen, sondern sie liegt ganz und
gar in der Theorie selbst, d. h. erstens in der allgemeineren Anwendbarkeit und zweitens
der grösseren Einfachheit derselben gegenüber anderen Theorien. Der wichtigste Beweis
360 H. V. Hoesslin:
Ich halte es für zweifellos, dass ein Forscher, der mit exacteren Me-
thoden die Versuche Finkler's wiederholt, finden wird, dass schon sehr
hald nach der Blutentziehung eine leichte Herabsetzung des O-Verhrauches
eintritt. Die Versuche Kronecker's und Anderer mit theil weisem Ersatz
des Blutes durch Cl Na -Lösung, bei welchen trotz hochgradiger Verdünnung
des Blutes ein Fortleben der Thiere statt hatte, sind gar nicht anders zu
erklären, als durch die Annahme, dass der Herabsetzung der 0-Spannung
sehr rasch eine leichte Abnahme des 0-Verbrauchs nachfolgt, wenn ich
auch nicht so weit gehe, den von v. Ott^ mitgetheilten Versuch, der ein
momentanes Absinken des 0-Verbrauches auf mehr als Vs fl^r früheren
Höhe beweisen würde, für richtig zu halten.
Dagegen, dass eine so rasche Anpassung der Zelle an verminderte
0-Spannung, wie der v. Ott 'sehe Versuch voraussetzen würde, möglich
ist, spricht bekanntlich eine Eeihe anderer Erfahrungen. Dass auch beim
Menschen eine starke Abnahme der 0-Circulation eine starke Abnahme
des 0- Verbrauches nach sich zieht, beweisen eine Reihe vollkommen sicher
stehender Beobachtungen über Abnahme des Haemoglobingehaltes bei Anae-
mien, bei welchen der Haemoglobingehalt bis auf 2 Procent, selbst 1 • 5 Procent
abnahm, und doch das Leben fortdauerte,^ ohne das der Puls besonders
rasch wurde (100 pro Minute). Es wird auch die Erklärung einer Reihe
hier nicht besprochener Erscheinungen (z. B. der geringe 0-Verbrauch im
für irgend eine Theorie ist immer negativer Art und besteht im Nachweis, dass sie
mit keiner bekannten Erscheinung in Widerspruch tritt. Wenn für irgend eine Theorie
hunderte von experimentellen Beweisen bereits vorliegen, und es taucht eine zweite
Theorie auf, nach welcher eine Reihe von Widersprüchen wegfällt, welche bei der ersten
Theorie noch unerklärt blieben, so ist diese Thatsache allein schon der Beweis für die
grössere Richtigkeit der zweiten Theorie. Und wenn einer seit Jahrhunderten bestehen-
den Theorie eine zweite entgegentritt, welche die gleichen Erscheinungen lediglich auf
einfachere Weise erklärt, so ist die zweite Theorie sofort als die richtigere anzusehen,
ohne dass sie dazu weiterer Beweise bedürfte. Das Copernicanische System ist nicht
deshalb als das richtige allgemein acceptirt worden, weil das frühere System als falsch
oder unmöglich bewiesen wurde, das ist durchaus nicht der Fall, sondern allein des-
halb, weil es in einfacherer und klarerer Weise die Erscheinungen erklärte, als das
frühere System. Bei allen unseren wissenschaftlichen Theorien handelt es sich ja nie-
mals um absolute Wahrheiten, sondern lediglich um Formeln, mit Hülfe deren wir
uns die Erscheinungen am besten ordnen und fassbar machen können, und es hat
diejenige Formel das Recht, welche die allgemeinere und einfachere ist. Durch die
experimentellen Versuche vermehi-en wir künstlich die Zahl und Verschiedenartigkeit
der Erscheinungen und engen so das Feld der möglichen Theorien ein, darin liegt der
grosse Werth und die Unentbehrlichkeit der experimentellen Versuche, nicht darin, dass
sie an sich direct eine Wahrheit beweisen.
^ Dies Archiv. 1882. S. 420.
' Siehe z. B. Laache, Die Änaemie. Christiania 1883,
Abhängigkeit des Umsatzes von der Körperoberflächb. 361
Foetallebeu) sehr viel einfacher, weim man annimmt, dass es sich mit dem
Einflüsse der 0-Zufuhr zu den Geweben (der Menge des in der Zeiteinheit
verfügbaren Sauerstoffs s. Zeitschr. f. Biologie Bd. XVIII, S. 641) auf den
Sauerstoffverbrauch in den Geweben ähnlich verhalte, wie mit dem Einfluss
der Nahrungszufuhr auf den Nahrungsverbrauch. Ich habe nachgewiesen,
dass momentane einmalige Aenderung der Nahrungszufuhr gleichviel welcher
Art nur kleine und erst allmählich eintretende Aenderungen im Umsätze
nach sich zieht, und dass die bisher als Stützen einer gegentheiligen Theorie
angeführten Ergebnisse der Respirationsversuche von Pettenkofer und
Yoit in vollkommenen Einklang mit dieser Theorie stehen.^ Es ist an-
dererseits klar, dass der mittlere Umsatz vollständig abhängt von der
mittleren Nahrungszufuhr. Ich habe daraus geschlossen, dass Aenderungen
der Nahrungszufuhr nur sehr langsam Aenderungen im normalen Zustande
des lebenden Protoplasma's der Säugethiere nach sich ziehen. Das gleiche
gilt nun offenbar auch von den Aenderungen der Sauerstoffspannung; auch
diese ziehen nur langsam — wenn auch rascher als die Aenderungen der
Nahrungszufuhr — Aenderungen des lebenden Protoplasma's nach sich, aber der
mittlere Sauerstoffverbrauch hängt auch hier, wenn man alle Erscheinungen
in Rechnung zieht, bei gleichen sonstigen Verhältnissen offenbar ganz von
der mittleren Sauerstoffspannung, resp. da die Sauerstoffspannung im leben-
den Protoplasma, wie Pflüg er gefunden hat, nahezu gleich Null ist, da
eben der zugeführte Sauerstoff sofort verbraucht wird, von der Höhe der
pro Zeiteinheit den Geweben zugeführten Oxyhaemoglobin- resp. Sauerstoff-
menge ab.
Es steht also, so viel ich sehe, der Annahme nichts ent-
gegen, dass lediglich die verschiedene Grösse der in der Zeit-
einheit durch die Einheit Körpermasse circulirenden Blut-
resp. G-Menge die Ursache des (pro Kilo) verschieden grossen
Umsatzes verschiedener Thiere auch bei Körperruhe bildet. Die
Sauerstoffaufnahme hängt allerdings lediglich ab vom Sauerstoffverbrauch,
aber letzterer hängt eben cet par. ab von der Sauerstoff- (COg-) Spannung,
so dass also auch die Sauerstoffaufnahme von der Sauerstoffspannung im
Gewebe abhängt. Bis zu welchem Grade die Abhängigkeit geht, kann aber
nur durch eigens darauf hin angestellte Experimente entschieden werden.
Ich beabsichtige, sobald ich hierzu Zeit und Mittel gewinne, kleinere Hunde
unter verschiedenem Atmosphaerendruck zu ernähren, was sehr leicht aus-
zuführen ist, dadurch dass man durch hermetisch geschlossene Kästen
(die Ställe) mit Hülfe von fallendem Wasser Luft saugt, die vor dem Ein-
1 Yircbow's Archiv. Bd, LXXXiX. S, 333.
362 H. V. Hoesslin:
tritt in den Käfig eine beliebig hohe Quecksilbersäule zu heben hat. Man wird
so während beliebig langer Zeit die Thiere bei beliebig niederem Sauerstoflfdrucke
halten können. Es wird sich vielleicht der Haemoglubingehalt des Blutes
dabei etwas ändern, die Blutgeschwindigkeit vielleicht etwas wachsen, diese
Veränderungen können aber nicht sehr gross sein, und man wird mit
ziemlicher Sicherheit berechnen können, üb der Sauerstoffverbrauch in der
That, wie ich annehme, proportional geht der Menge des verfügbaren
Sauerstoffs, oder eine andere Function letzterer Grösse bildet. Der Ver-
such ist nothwendig zur Lösung einer Reihe von Fragen der Pathologie,
die bei Betrachtung der Wachsthums- und Stoffwechselverhältnisse u. s. w.
bei gestörter Blutcirculation und gestörter Athmung u. s. w. auftreten.
f) Um also kurz zu wiederholen: Es ist in der Organisation des Thier-
körpers begründet, dass bei verschiedener Thiergrösse die Functionsgrössen
von Herz, Darm, Lunge u. s. w, nicht proportional K, sondern proportional
K^i' wachsen; proportional letzterer Grösse wächst zugleich bei in der
Ebene lebenden Thieren das durch den Kampf um's Dasein bedingte Be-
dürfniss, und ebenso wächst proportional derselben der bei horizontaler
Fortbewegung in der Zeiteinheit überhaupt mögliche Umsatz, wenn man
gleichartige Organisation der Muskelsubstanz bei allen Säugethiereu voraus-
setzt, für welche Annahme man directe Beweise durch A-^ergleichung der
Herzarbeit mit der Herzgrösse geben kann. Direct bestimmend auf die
Höhe des mittleren Umsatzes, gleichviel ob bei Ruhe oder Arbeit, kann
nur der erste und letzte Umstand wirken, d. h. die in der Zeiteinheit den
Körperzellen zur Verfügung stehende Menge von Spannkraft haltendem
Nährmaterial und Sauerstoff, und die Intensität und Zahl der auf die Ein-
heit Muskelmasse u. s. w. übertragenen Nervenreize.
Während die Wirkung der mittleren Nahrungsmenge auf den mitt-
leren Umsatz schon a •priori als nothwendig klar ist und experimentell
vollständig gestützt ist, lässt sich der gleiche directe Einfluss der Grösse
der pro Zeiteinheit durch die Gewebe strömenden mittleren Sauerstoffmenge
auf den SauerstoffVerbrauch durch die bis jetzt vorliegenden Versuche noch
nicht endgültig nachweisen. Der Einfluss der Nahrung kann aber wohl
den verschieden grossen Umsatz des gleichen Thieres bei verschiedenem
Ernährungszustande, nicht aber den pro Kilo verschiedenen Umsatz ver-
schieden grosser Thiere bei gleichem und gutem Ernährungszustande er-
klären. Die Erklärung des letzten Umstandes müssen wir also entweder
allein in dem Einfluss der verschieden grossen Blut- und Sauerstoffzufuhr
zu den Geweben suchen, oder wir müssen annehmen, dass dabei ausser-
Abhängigkeit des Umsatzes von der Körperobekfläche. 363
dem auch noch ein pro Zeiteinheit verschieden grosser vom Nerven-
system ausgehender Einfluss mit in's Spiel kommt, resp. dass durch den
Kinfluss der verschiedenen 0- Spannung und der verschiedenen Innerva-
tionsgrösse^ ein gewisser trophischer Zustand der Körperzellen
(Muskelzellen u. s. w.) bei bestimmter Ernährung bedingt wird,
der dann die Ursache des verschiedenen Umsatzes bei voller
Ruhe (auch bei Curarelähmung , bei vollständigem Sauerstoffmangel
u. s. w.) ist.
Bestimmung der Constante a in der Formel W =. aK% Einfluss
verschiedener Umstände auf die Grösse von a.
g) Es bleibt noch übrig, die Grösse der Constanten a in der Formel
/f^ = aÄ'Vs festzustellen. Zuvor muss aber noch untersucht werden, in wie
weit a wirklich constant ist, d. h. von welchen Bedingungen ein etwaiges
Schwanken abhängt.
Einmal hängt die Grösse der Constanten a natürlich davon ab, ob
man die einzelnen Thiere bei völliger Ruhe oder mittlerer oder maximaler
Arbeit, ob man sie nüchtern oder nach reichlicher Nahrungszufuhr, bei
warmer oder kalter Aussentemperatur, in gesundem oder krankem Zustande
u. s. w. mit einander vergleicht. Da je nach der Grösse des Thieres, dem
Alter und der Menge des von ihm angesetzten Fettes die Schnelligkeit mit
der sich der Ernährungszustand und der Umsatz der Thiere beim Hunger
ändert, sehr verschieden ist, wird man, wenn man verschiedene Thiere
betreffs der Höhe ihres Umsatzes mit einander vergleichen will, dieser
Vergleichung nur den Umsatz bei normaler Ernährung, nicht aber den bei
gleich langem Hungerzustand zu Grunde legen dürfen. Ebenso ist es falsch,
den Umsatz verschiedener Thiere bei beliebiger aber gleicher Aussentem-
peratur zu vergleichen. Es muss vielmehr der Umsatz jedes Thieres bei
denjenigen äusseren Temperaturverhältnissen bestimmt werden, unter wel-
chen das Thier schon seit längerer Zeit gelebt und denen es sich in Folge
dessen angepasst hat. Da die Höhe der Arbeit, die ein Thier leistet, mit
den gegenwärtigen Methoden nicht zu bestimmen ist, wird man einer
etwaigen Vergleichung am besten den Umsatz bei Körperruhe zu Grunde
legen. Richtiger wäre allerdings, wenn man deu mittleren Verbrauch bei
^ Da die Zahl der gesammten sensiblen Nervenendigungen (Gesicht, Gehör, Ge-
fühl u. s. w.) im Allgemeinen ebenfalls prop. K ''^ geht, so geht offenbar die Gesaramt-
menge und Gesammtintensität der das Centralnervensysteni treffenden Reize im All
gemeinen pro Zeiteinheit auch prop. JiC'^'\
364 H. V. Hoesslin:
der gewohnten Lebensweise bestimmen würde. Abgesehen von diesen rasch
wirkenden Einflüssen, giebt es aber noch andere Umstände, welche Einfluss
auf die Grösse von a gewinnen, trotz vollkommen gleicher äusserer Be-
dingungen.
Wir fanden den Umsatz W verschiedener Thiere bei gleichen äusseren
V (a'Z'cY
Bedingungen proportional — ^ ^, -^ > wobei d die Höhe der mittleren Arbeit
bezeichnet, welche die Einheit Muskelmasse bei jeder Contraction leistet.
Dies d wurde bei Säugethieren verschiedener Grösse als constant voraus-
gesetzt. Dies schliesst jedoch nicht aus , dass bei einem und demselben
Thier d unter verschiedenen Umständen verschiedenen Werth besitzt.
Vergleicht man den Umsatz verschiedener Thiere, während dieselben Arbeit
leisten, so hängt d offenbar direct von der Höhe der mittleren Anstrengung,
d. h. von der mittleren Höhe der Nervenreize ab, welche während der
Arbeit die Musculatur treffen. Wenn aber die mittlere (physiologische)
Höhe der Nervenreize auch unabhängig von der Grösse der Thiere ist, S(j
kann sie beim einzelnen Thier doch abhängen von verschiedenen Verhält-
nissen, die das Leben der Thiere beeinflussen, sie wird sich z. B. ändern
unter pathologischen Verhältnissen, und als ein pathologisches Verhältnis«
kann man wenigstens beim Thiere dasjenige Verhältniss bezeichnen, bei
welchem ein Thier genügende und selbst reichliche Nahrung erhält, ohne
irgend welche Arbeit dabei leisten zu müssen, bezw. ohne irgend welche
Arbeit dabei leisten zu können, wie es bei vielen unserer Hausthiere, die
wir zum Zwecke der Mästung, zum Vergnügen u. s. w. halten, der Fall
ist. Bei derartigen Thieren ist nicht nur die relative Herzgrösse geringer
als bei arbeitenden, sondern auch die Blutmenge und sogar der Haemo-
giobingehalt des Blutes, alles Veränderungen, die mit voller Bestimmtheit
darauf hinweisen, dass entsprechend der Abnahme der mittleren Arbeit und
der dadurch bedingten Verminderung des mittleren 0-Verbrauchs auch die
Blut- bezw. 0-Zufuhr (Oxyhaemoglobin zufuhr) pro Zeiteinheit und Körper-
gewichtseinheit abgenommen hat. Durch diese Veränderungen muss auch
die Arbeitsfähigkeit, d. h. die Höhe der in der Zeiteinheit möglichen Arbeit
herabgesetzt werden, so dass das Nichtarbeiten indirect die Ursache ver-
ringerter Arbeitsfähigkeit wird. Es ist ja auch bekannt, dass ein gemästetes
Thier, trotz voll entwickelter Musculatur, nicht, sofort zu länger dauernder
Arbeit verwandt werden kann, ebenso wie wir selbst, wenn wir längere
Zeit geringe körperliche Arbeit geleistet haben, erst wieder längerer Uebuug
bedürfen, um die volle Kraft unserer Ghedmaassen zu erhalten. Dass hiebei
Veränderungen der Circulations Verhältnisse durch die betreffenden Muskeln
u. s. w. keine kleine Rolle spielen, scheinen mir die oben erwähnten Ver-
änderungen der Blutmenge, des Herzens und des Haemoglobingehaltes ent-
Abhängigkeit des Umsatzes von der Körperoberfläche. 365
schieden zu beweisen. Wenn aber von der Höhe der mittleren Blut-
(bezvv. 0-)Zufuhr die Höhe des mittleren 0- Verbrauches , d.h. cet. par. die
Wärmebilduug bei Körperruhe abhängt, so ist klar, dass bei Individuen
von dauernd geringer mittlerer Arbeit, bei welchen also das a der Formel
Via Z'cY
W'= C^-^^^f^ kleiner geworden ist, auch die Grösse a der Formel
ff = aK"'-- abnehmen muss. Da ich in dem Nachweis, dass Thiere mit
relativ kleiner Blutmenge und relativ kleinem Herzgewicht auch einen
relativ kleinen Umsatz haben, einen Beweis für die Richtigkeit meiner
Annahme erblicke, dass der Umsatz cet. par. von der mittleren 0-Spannung
abhänge, so werde ich im Folgenden auf diesen Nachweis etwas näher ein-
gehen.
Aus der Formel // = -^-^-j^-~ ergiebt sich ferner, dass W und damit
die Grösse der Constanten a abhängig ist von der Grösse der relativen
Muskelmase {Z^). Diese hängt nun ausser von der Uebung (von dieser,
wie schon die gemästeten Thiere beweisen, bei gegebener Ernährung nur
in geringem Grade) in erster Linie von der Gesamternährung ab. Letztere
übt aber noch für sich allein einen Einfluss auf die Grösse der Constanten a
aus. Es lässt sich zeigen, und ich werde später genauere Daten darüber
mittheilen, dass in der abgemagerten Zelle die Zersetzung unter etwas
anderen Bedingungen verläuft als bei der normal genährten, namentlich
dass sie unter einer grösseren -Spannung vor sich geht, d. h. dass der
Quotient: Verfügbarer dividirt durch verbrauchter 0, beim schlecht
genährten Thiere grösser wird; ebenso beim älteren Thiere gegenüber dem
jüngeren, besonders dem wachsenden Thiere. Dass dabei auch die Grösse
von a sich ändert, ist selbstverständlich, doch lässt sich einstweilen für die
Abhängigkeit der Grösse a vom Ernährungszustand, Alter u. s. w. keine
bestimmte Function angeben. Ich werde mich also damit begnügen, zu
beweisen, dass Ernährungszustand und Alter einen directen und ziemlich
bedeutenden Einfluss auf die Grösse der Constanten a ausüben.
1. Einfluss der Höhe der mittleren Arbeit. Ich werde zunächst
kurz in Tabellenform Herzgewicht, Blutmenge und Umsatz der verschiedenen
Thiere, soweit Untersuchungen darüber vorliegen, resp. mir bekannt ge-
worden sind, zusammenstellen derart, dass ich stets die Thiere mit relativ
geringen Zahlen den anderen mit hohen Zahlen gegenüberstelle, es wird
sich zeigen, dass sowohl bei Herzgewicht wie bei Blutmenge und bei Um-
satz sich die Thiere vollkommen gleichmässig verhalten, d. h. was bei einer
dieser drei Grössen relativ niedere oder relativ hohe Zahl darbietet, zeigt
das Gleiche auch bei den beiden anderen Grössen.
366
H. V. Hoesslin:
A. Blutmenge in Procenten des Körpergewichts:
Kaninchen^ (im Mittel aus
30 Bestimmungen) . . .
Meerschweinchen ^ (6 Best.) .
Hauskatze^ (5 Best.) . . .
Rind ^ (s. Anm.) . . . .
Hund 4 (22 Best.) . . . . 7-94
Mensch^ (2 Best. n. Bischoff) 7-77
Maus,« graue (9 Best.) . . 8-46
Pferd '■ (s. Anm.)
Kaninchen (Mittel aus 20 Be-
stimmungen)^ . . . .
Meerschweinchen (6 Best.) .
Katze (3 Best.) . . .
weisse Ratte (5 Best.)
weisse Maus (6 Best.)
Kuh (10 Best.) » . .
Ochse (6 Best.) 9 . .
4-98
4-93
5-83
(5.14)
B. Herzgrösse:
Hase'' (4 Best.
Mensch ^^
((].50)
. . 0-76
0.55—0-65
Hund (7 Best.) 0-731
Hausmaus (4 Best.) . . .
Pferd nach Frank" 0-70-
„ ,, Bergmann*' .
„ „ Rigotii . . .
0-791
1-10
0-63
0-625
0-331
0-360
0-357
0-430
0-548
0-383
0-386
C. Umsatz bei normaler Ernährung und Körperruhe. Grösse von a:^^
Kaninchen, n. Regnault'^ Hund, nach
(3-523^>-«') . . . 107—110 Regnaulti'i (6 ts:™^ . 160-165
^ Dabei 5 Bestimmungen von Heidenhain, JrcMv für physiologische Heilkimde.
1857. N. F. Bd. I; — 2 Best, von Subbotin, Zeischrift für Biologie. Bd. Yll. S. 185;
— 10 Best, von Gscheidleu, Untersuchungen aus dem physiologischen Laboratorium
zu Würzhurg. 1869; — 12 Best, von Ranke, Blutvertheilung und Thätigkeits-
wechsel der Organe. 1871 ; — 1 Best, von Brozeit, Pflüger's Archiv u. s. w. Bd. III
^ 5 Best, von Gscheidlen, a. a. 0.; 1 Best, von Ranke, a. a. O.
^ 2 Best, von Ranke,, a. a. 0.; — 2 Best, von Brozeit, a. a. 0.; 1 Best, von
Welker, Zeitschrift für rationelle Medicin. 1858.
* 2 Best, von Ranke, a. a. 0.; — 5 Best, von Spiegelberg und Gscheidlen,
ÄrcTiivf. Gynaelcologie. Bd.IV; — 2 Best, von Subbotin, a.a.O.; — 7 Best. v. Panum,
Virchow's Archiv. Bd. XXIX. S. 241 u. 481; — 6 Best, von Heidenhain, a. a. O.
^ Zeitschrift für wissenschaftliche Zoologie. Bd. IX.
° 3 Best. V. Welker, a. a. 0; — 6 Best, von Brozeit, a. a. O.
^ Die Zahlen für Rind und Pferd entsprechen nur der beim Schlachten auslaufen-
den Blutmenge. Heissler, Arbeiten aus dem patholog. Institut zu München. 1886.
^ Mackay, Archiv für experimentelle Pathologie. Bd. XIX. S. 287. Mit Weg-
lassung der hungernden und fiebernden Thiere.
^ Jos. Bergmann, Inaugural- Dissertation. München 1884.
^^ Wird später veröffentlicht.
^^ Pranck, Anatomie der Hausthiere.
^^ Für „darmreine" Thiere würde a beim Kaninchen und Meerschweinchen noch
um 5 bis 10 Procent grösser werden.
^^ Regnault und Reiset, Annales de Chim. et de Phys. (3) Bd. XXVI. Mittel
aus den Nr. 16, 17, 18, 20, 22, 24. Die Verbrennungswärme von 1 s'™ O zu 3-33 bis
3-4 Cal. angenommen.
" Ebenda. Mittel aus Nr. 27, 28, 29. 30, 31, 32, 34, 36. 1 e"" O bei Pleisch-
nahrung zu 3-1 bis 3-2 Cal. angenommen.
Abhängigkeit des Umsatzes von der Körpeeobeefläche. 367
(Kaninchen, n. Eichet^
(3.100) 116.5)
Deutsche Kaninchen, nach
Finkler^ (1-498) . . 94
Hund nach
Pettenkofer u.
Richeti (10) .
Wood 4' (8—10)
Voit2 (33)
155
165
160
* ArcMves de Physioloc/ie. Paris 1885. II Sera. p. 2.37—450. Siehe vorher An-
merkung 4.
^ Zeitschrift für Biologie. Bd. VII.
^ Pflüger's Archiv u. s. w. Bd. XIV. S. 62.
* Smithsonian Contrihutions. Bd. XXIII. Mittel aus Versuch Nr. 110. 111 und
114, je vom ersten Tage des Versuchs; das Mittel von 110, 111, 112, 113 und 114 je
vom ersten Tage des Versuches ergiebt a — 146. Die Arbeit Wood's giebt eine leb-
hafte Illustration der Missstände, die entstehen können aus dem Umstände, dass das
englische (auch in wissenschaftlichen Kreisen gebrauchte) Maass- und Gewichtssystem
vom übrigen internationalen Gewichtssystera abweicht. Wood drückt die Masse der
durch seinen Apparat gegangenen Luft in Cubilcfuss und englischen Pfunden aus, die
Menge des ausgeschiedenen Wassers aber in Gramm. Er setzt dabei 497.603 ^'"^ = 1 '*",
andererseits aber 1 Cubikfuss Luft = 0.08073 '^ also, wenn englische Cubikfuss gemeint
sind, 1 '^ = 453.6 s'"». Er setzt ferner die Wärmemenge, die zum Verdampfen von
1 ib Wasser nöthig ist = 79.25 englischen Wärmeeinheiten (!). Wie er zu dieser Zahl
kommt, kann ich mir nur auf folgende Weise erklären: 1 ''' auf 1"F. erwärmt giebt
die englische Wärmeeinheit, setzt man nun mit Wood 1 '*' = 497.6 s™, so ist 1 engl.
Wärmeeinheit = 497.6 x yf Gramm-Celsius W.-E. = 0.276 Cal. ; die Wärmemenge, die
nöthig ist, um 497. 6 s™^ Wasser bei 37 "C. zu verdampfen, ist = 497.6 x 580 = 288.7 Cal.
Statt nun diese 288 Cal. durch 0.276 zu dividiren, hat Wood offenbar multiplicirt,
wenigstens ergiebt sich nur auf diese Weise eine Zahl, die mit der seinigen (79.25)
annähernd übereinstimmt: 79.67, Eichet, der Wood's Zahlen für das Kaninchen
in's Grammsystem umrechnet, rechnet dann fälschlich noch mit dem englischen Troy-
gewicht (1 ^^ = 373 e"»j, statt dem Avoir du pois-Gewicht (den Kaninchen von 3.5 und
4.11b giebt er 1.3 und 1.55 "'s™)- Eine grössere Coufusion in wissenschaftlichen, auf
das internationale Publikum berechneten Werken ist wohl kaum denkbar. Was den
experimentellen Theil der Arbeit Wood's betrifft, so möchte ich bemerken, dass er
ebensowenig wie Eichet Controlversuche giebt, aus denen sich die Grösse der Fehler-
quellen erkennen Hesse. Dass letztere nicht klein sind, erkennt man besonders aus
den kurzdauernden, 1 — 2 stündigen Versuchen, (In Versuch 25 z.B. auf 1»™ CO,
1,7 Cal.; in Versuch 27 auf 1 s™^ COg ca. 5 Cal., was beides unmöglich. In Versuch 32
konnte sich die eintretende Luft im 78.2** F, messenden Calorimeter von 79.3 auf
77.2" F, abkühlen! Aus den Daten dieses Versuches ergiebt sich a — 42 (!), ähnlich
aus den Versuchen 54, 57, 72 u, s. w,) Ich habe deshalb zur Berechnung der Zahlen
für Hund und Kaninchen nur die 15 — 20 Stunden dauernden Versuche 110 — 116 benutzt,
bei welchen die Fehler relativ jedenfalls viel geringer sind, da die Eesultate von denen
der übrigen Forscher kaum abweichen. Bei den Zahlen für das Kaninchen ist die
durch Wasserverdunstung gebundene Wärme nicht mit eingerechnet, da die Wasser-
abgabe nicht, bestimmt wurde. Auch von Eichet wurde die Wasserverdunstung nicht
berücksichtigt, bei der Einrichtung seines Calorimeters (a, a, 0.) sind keinesfalls genauere
Zahlen als bei dem von Wood zu erwarten. Die sehr kleine Tabelle auf S. 261 ergiebt
einen maximalen Fehler von 30 Procent,
368
H. V. HOESSLIN :
Pflüger^ (1.381) . .
86
Wood2 (1.867) . . .
89
(C. Schmidt^ (2-331) .
91
Meerschweinchen, nach
Colasantiß (274, 21°C.)
83
(419,17 c.)
93
Finkler^ (480, 180C.)
122
Richet (700) . . .
129
Katze, nach Herzog Carl
Theodor« (2750) . .
136
Richet (3150) . . .
116
( . (1-700) . . .
128)
C. Schmidt^ (2-346) .
104
Mensch,^ nach Pettenkofer
und Volt (71) 156
Eber,^ nach Reiset (135) . 163
Hund, nach Rubner 10 u. 18^^'-™ 127
{ZeitscJir.f. Biologie, 1886.)
Der Einfluss der mittleren Arbeit zeigt sich auch sehr deutlich bei
den Yögeln:
Huhn, nach Regnault^ . . 99
Gans, nach Reiset^'' ... 90
Puter, nach Reiset . . . 103
Taube, nach Boussingault'^ 154
Richet^ 141
(Huhn, nach Richet . . . 158
Gans, nach Richet . . . 144
Ente, nach Richet . . . 152)
Sperling, nach Regnaul t
(22^™) 225
Kreuzschnabel, nach Regnault 223
Grünfink, n. Regnault 229—294
(Sperling, nach Richet . . 260)
Im Stalle oder im Hofraum aufgezogene Vögel haben also viel ge-
ringeren Umsatz als frei fliegende. Die Taube steht offenbar in der Mitte
zwischen den wenig oder gar nicht fliegenden zahmen Vögeln und den un-
gezähmten, frei lebenden Vögeln. Die starke Zunahme von a bei den
kleinen Singvögeln ist jedenfalls zum grossen Theil darauf zurückzuführen,
dass diese auch im Käfige bekanntlich nie ruhig sitzen, sondern auch im
1 Pflüger' s Archiv u. s. w. Bd. XVIII. S. 355.
2 A. a. O. Nr. 116.
^ Zeitschrift für Biologie. Bd. II.
* Bidder und Schmidt, Die Verdauungssäfte und der Stqff'wechsel.
^ Annales de Chim. et de Phys. (3) t. LXIX.
ß Pflüger's Archiv u. s. w. " Bd. XIV. S. 392.
' Ebenda. Bd. XV. S. 603.
* Zeitschrift für Biologie. Bd. XIV. S. übrigens die Bemerkung auf S. 369.
9 A. a. O. Mittel aus den Nr. 44, 45, 47, 48, 49, 50, 52.
^« A. a. O.
" Annales de Chim. et de Phys. (3) t. XI.
Aehängigkeit des ümsatzi<;s von diok Kökpeeoberflächj:. 869
engen Käfige in ständiger Bewegung sind. Ihr Umsatz bei Körperruhe
würde sich wohl am sichersten aus ihrem Umsätze während des Schlafes
berechnen lassen.
Ferner muss bei den fliegenden Vögeln a aus dem Grunde etwas
grösser werden als bei den Säugethieren, weil bei jenen die relative Muskel-
masse etwas grösser ist, indem Alles, was das Körpergewicht unnöthiger
Weise vermehren würde, bei ihnen vermieden ist (kein Fett in den Köhren-
knochen und überhaupt geringes Fettreservoir, geringer Darminhalt u. s. w.).
Einen ähnlichen Umsatz wie Mensch und Hund zeigt nach Regnault ein
junger Enterich (« = 167), doch kommt hier wahrscheinlich noch der Ein-
fluss der Jugend in's Spiel (s. w. u.).
Bei weissen Mäusen habe ich die mittlere Nahrungsaufnahme bestimmt,
hieraus ergiebt sich (bei 5 Procent Verlust im Kothe) a = 148. Es ist
dieses a aber nicht direct mit den obigen Zalilen zu vergleichen, da obige
Zahlen den Umsatz bei Körperruhe, das letzte a dagegen den Umsatz bei
der mittleren gewohnten Lebensweise angiebt. Die Mäuse schlafen zwar
unter Tags grösstentheils, werden aber Abends und Nachts sehr lebhaft.
Da das a trotzdem nicht grösser ist als das a der rechts stehenden Thiere
bei voller Körperruhe, kann man niit voller Sicherheit schliessen, dass bei
weissen Mäusen bei voller Körperruhe a bedeutend kleiner ist. Das Gleiche
gilt übrigens theilweise auch von der Grösse a bei der Katze von Herzog
Carl Theodor und wohl auch bei der Taube von Boussingault.
Da der Mann grössere mittlere Arbeit leistet als das Weib, muss auch
sein mittlerer Umsatz bei Körperruhe nach unserer Annahme grösser sein.
Mit dieser Annahme stimmen die bis jetzt vorliegenden Untersuchungen:
Setzt man z. B. die von einem Individuum pro Tag gebildete Kohlensäure-
menge = C0.^ = aK"!"^, so ergiebt sich aus den Untersuchungen Schar-
lings:
Mädchen, 19 Jahre alt a = 41.8 Mann, 39 Jahre alt a = 49-6
„ 10 „ „ 57.4 Knabe, %'^U ?» ^j 62-6
Auf S. 368 bewegen sich die grössten Mittelzahlen für a beim Säuge-
thier zwischen 155 und 165. Es ist jedoch hier zu bemerken, dass der
von Pettenkofer und Voit untersuchte Arbeiter ein Uhrmacher, also
kaum ein an schwere körperliche Arbeit gewohnter Mensch war, ferner,
dass der von ihnen untersuchte Hund schon mehrere Jahre grösstentheils
im Stalle gehalten war, drittens, dass die von Regnault und Riebet
untersuchten Hunde sämmtlich von kleiner Rasse waren, die für gewöhnlich
als Luxushunde gehalten werden, und deshalb gewöhnlich nicht an die
gleich schwere Arbeit, wie grössere Arbeitshunde (Jagdhunde u. s. w.), ge-
wöhnt sind. Man kann deshalb mit voller Sicherheit annehmen, dass für
Archiv f. A. u. Ph. 1888. Physiol. Abthlg. 24
370 H. V. Hoesslin:
ein an schwere Arbeit gewölintes Individuum (Pferd, Hund, Arbeiter) a
noch etwas höher ausfallen würde.
Ich brauche wohl nicht noch besonders hervorzuheben, dass bei den
meisten der S. 368 rechts stehenden Thiere von der grösseren Zahl der
Forscher auch ein grösserer Haemoglobingehalt des Blutes gefunden wurde
als bei den links stehenden, der gleichen Gattung oder Familie angehörenden
Thieren.
2. Ein Theil der links stehenden Thiere, besonders Kaninchen und
Meerschweinchen, besitzt bekanntlich auch eine kleinere relative
Muskelmasse [M), und die Grösse a würde also bei den verschiedenen
Thieren geringere Differenzen aufweisen, wenn man statt IF= aK''^ setzen
würde IF — aM'l-^\ vollkommen verschwinden würden die Differenzen jedoch
dadurch nicht, da die Muskelmasse der rechts stehenden Thiere keinesfalls
um 50 Procent grösser ist als die der links stehenden, wie es sein müsste,
wenn a rechts und links gleich werden sollte.
Dagegen ist die Formel F'= aM^'^ die einzig richtige, wenn es sich
um die Vergieichung zweier Thiere mit sehr verschiedener Fettmasse handelt,
denn je grösser die relative Fettmasse,- um so kleiner die relative Muskel-
masse. Es ist durch Henneberg^ gezeigt worden, dass die Muskelmasse
eines Thieres auch durch reichliche Mästung nicht viel über die normale
Grösse erhöht werden kann; ebenso ergiebt sich aus den Untersuchungen
Pettenkofer's und Voit's, dass auch der Umsatz bei abundanter Fütte-
rung nicht viel über die normale Höhe steigt: von 1600 Cal. pro Tag auf
1700 (1800?).^ Der Umsatz steigt also bei zunehmendem Fettansatz pro
Einheit Muskelmasse nur sehr wenig, während er pro Einheit Körpergewicht
natürlich abnimmt. Kaninchen, Meerschweinchen und Katzen enthalten
jedoch, ebenso wie Huhn und Taube, wenn sie nicht direct gemästet sind,
nie besonders grosse Fettmassen am Körper, so dass höchstens bei der
Gans oder dem von Pettenkofer und Voit^ untersuchten Menschen
(71 "'S™) a vielleicht durch eine etwas grössere als normale Fettmasse am
Körper beeinflusst sein kann. Gleichen Einfluss wie das Fett üben natür-
lich auch schwere Geweihe, grosser Darminhalt u. s. w.
3. Einfluss des Ernährungszustandes. Zu den S. 331 gegebeneu
Beispielen betreffs des Einflusses des Ernährungszustandes auf a füge ich
noch folgende hinzu:
^ Zeitschrift für Biologie. 1881. S. 295.
2 Vergl. Virchow's Archiv. Bd. LXXXIX. S. 333.
3 A. a. O.
Abhängigkeit des Umsatzes von deü Köiii'EiiüßEEELÄcui';. 371
Hund c^ von 31 '^s»", 1 Jalir
2 Mou. alt . a = 173-
Katze a, 2.8'^«''», 1 Jahr
5 Monate
Hund 11«, 6-25 '^s™, 2 Jahr
10 Monate
Mensch, 71'^^™!,
Hund, von Regnault, Nr. 27,
28,29,35,36 3 . . . .
Kaninchen, von Regnault,^
Nr. 20
.22
(Mensch am 1. Hungertag,
Pettenkofer u. Voit . .
Huhn, Eegnault, Nr. 48, 49
50, 52
Junges Huhn, Regnault
Nr. 53, 55, 56, 57, 58 .
Junger Enterich, Regnault
Nr. 60 ..... .
•183
135
186
156
164
107
116
138)
102
129
167
Hund ß gleichen Wurfes, mit
V3 d. Nahrung von cc auf-
gezogen, 10 1^^"" a = 122—130
Katze ß gleichen Wurfes, mit
Va Nahrung aufgezogen,
1-6 ''S'-'" 100
Hund 11/? gleichen Wurfes,
seit 2 Jahren nur mit 1/3
Nahrung gef.; 4-4'^'^™^ . 118
Mensch II (Schneider) von
52 1^^"^^ 136
Am 2. — 3. Hungertag,
Nr. 373 123
Am 2. Hungertag, Nr. 21
J7 V J7 V ^^
Kaninchen, von Ruhner^
am 2. Hungertaff . . .
85-5
89-7
78-5
96.3
Huhn Nr. 51, 2. u. 3. Hunger-
tag 76
Huhn Nr. 54 u. 59, 2. bis 4.
Hungertag 86
Nr. 62, 3. Hungertag
129.5*
^ Pettenkofer und Voit, a. a. O.
^ Zeitschrift für Biologie. 1884.
^ O bei Huuger = 3'2 Cal.; bei ErnähruDg mit Korn, Hafer u. s. w. = 3 -SS;
bei Fleischnahrung 3 •1—3.2.
* Auch aus den Regnault und Eeiset'schen Versuchen ergiebt sich der ge-
ringe Einfluss massiger Temperaturschwankungen auf diu Höhe des Umsatzes. Vergl.
z. B. Nr. 48, 49, 50 und 52 äussere Temp. = 14, 19, 19, 20; a = 102, 100, 106, 99 u. s. w.
Von Interesse ist noch folgende ZusammensteUung:
Fleischnahrung (eiweiss]
•eiche Nahrung).
Eiweissarme kohlehydratreiche
Nahrung.
Hund Nr. 27. 28 29
a=163
Nr. 36
160
Huhn Nr. 52.
99
Nr. 48. 49, 50.
103
Huhn, jung Nr. 55. 56.
115
Nr. 53. 57. 58.
120
Enterich Nr. 63,
156
Nr. 60
167
Die Constante a ist gleich dem Product der beiden von Rubner angegebenen
Constanten Icn, von welchen 71 das Verhältniss des Umsatzes zar Oberfläche und Tc
das Verhältniss der Oberfläche zu K'^^ darstellt. Das Product Tc n beträgt bei
Rubner für den Menschen 139.5, für den Hund 124.1, so dass also darnach der Hund
24*
372 H. V. Hoesslin:
Bei Hund a, ß, IIa, 11/? und Katze a und ß ist a aus der täglichen
Nahrungszufuhr berechnet. Da die Thiere im Stalle gehalten waren, ent-
spricht der gefundene Umsatz nahezu dem Umsatz bei Körperruhe. Der
Umstand, dass bei Hund a und II« die Grösse a höher ausfiel als beim
Hunde von Pettenkofer und Voit (a = 155), dürfte wohl zum Theil vun
der kleinen Arbeit bei den täglichen Bevvegungen im Stalle, zum Theil
wohl auch von der grösseren Jugend der Hunde abhängen (s. w. u.).^ Auch
der Hund von Pettenkofer und Voit zeigte im Jahre 1861, in welchem
Jahre nur relativ wenig ßespirationsversuche gemacht wurden, bei guter
Ernährung ein bedeutend grösseres a als später, im Mittel = 175 — 180
(Versuch vom 19. und 24. Februar, 30. und 31. März, 19. und 21. April).
Die drei mit a bezeichneten Thiere waren sehr wohl genährt, ohne fett zu
sein: Fettgewebe und Bindegewebe von Hund « = ca. 6 Procent, II«
14 Procent, Katze a 8«5 Procent. Betreffs des Einflusses eines zunehmen-
den Ernährungszustandes darf ich wohl auf meine frühere Arbeit in
Virchow's Archiv, Bd. LXXXIX, verweisen. Der relativ hohe Umsatz des
von Reiset untersuchten Ebers (135^'^™) « = 163 dürfte wohl grossen-
theils von der guten Ernährung, zum Theil auch von der Jugend (zwei-
jährig) herrühren.
Setzt man statt iF = aK''i die Formel IV = ^^ wobei K' das Körper-
gewicht bei gesunkenem Ernährungszustand, X das Gewicht ' der Thiere bei
normaler Ernährung bezeichnet, so verschwindet zum grossen Theil die In-
constanz der Grösse a in den obigen Fällen. Beim Hund ß wird dann a =
186—195, bei 11^ = 132, bei Katze /5 = 120, beim Menschen II = 151.
Bedeutend geringer ist die Uebereinstimmung der Grösse a der Formel
IV^aK'K-l^ in den Fällen von acutem Hunger. Es wird beim Hunde
ßegnault's darnach a = ca. 125, im Mittel bei beiden Kaninchen = 89-5.
Bei den S. 331 mitgetheilten Fällen ist a. beim Hunde Pettenkofer's und
Voit's nach der ersten Formel bei guter Ernährung, achter Hungertag,
zehnter Hungertag: =155, 121, 98, nach der zweiten Formel: 155, 123,
109; beim Hunde Rubner's nach der ersten Formel: 124, 106; 139, 99,
nach der zweiten: 124, 111; 139, 104. Jedenfalls ergiebt sich also aus
der Formel iF=aK'K~'/'> eine bedeutend grössere Annäherung an die
Wirkhchkeit als aus der Formel /f = «Ä'^/s.
einen bedeutend geringeren Stoifwechsel hätte als der Mensch. Die Rubner'sche
Zahl für den Hund ist aber eine Mittelzahl aus Beobachtungen ziemlich später Hunger-
tage, und zwar im Mittel vom vierten (!) Hungertag. Sie beweist also nur den grossen
Einfluss des Ernährungszustandes auf den Umsatz, den eben Eubner bei seinen Unter-
suchungen nicht berücksichtigte.
^ Zum Theil vielleicht auch von der besseren mittleren Ernährung.
Abhängigkeit des Umsatzes von dee Körperoberfläche. 373
4. Einfluss des Alters. Eu"bner berechnet für das Kind in den
ersten Lebensmonaten, entsprechend seiner Theorie, den gleichen relativen
Umsatz wie für den erwachsenen Mann bei Körperruhe. Es wird ihm dies
aber nur dadurch möglich, dass er von den vielen vorliegenden Be-
stimmungen bei Nahrungszufuhr beim Kinde nur zwei Fälle zusammenlegt,
wovon einer ein kränkhches Kind (s. w. u.) betrifft, das gegenüber sämmt-
lichen übrigen Fällen, bei welchen die Nahrungszufuhr beim Kinde be-
stimmt wurde, auffallend wenig Nahrung zu sich nahm. Verminderte
Nahrungszufuhr übt aber im wachsenden Organismus einen noch grösseren
und rascheren Einfluss auf den Umsatz aus als im ausgewachsenen Körper.
Bestimmungen der Gesammt- Nahrungsaufnahme und der Wachsthums-
zunahme Tag für Tag während einiger Monate des ersten Jahres sind aus-
geführt von Ahlfeld und von Hähner, Bestimmungen der Nahrungs-
aufnahme an einzelnen Tagen während einiger Monate von Bouchaud,
Bestimmungen der mittleren Nahrungsaufnahme und der mittleren Wachs-
thumszunahme während des ersten Jahres von Bouchut, Bestimmungen
der Nahrungaufnahme und des Wachsthums während kürzerer Zeit von
Forster, Cammerer, Krüger, Bartsch. Ueber die Nahrungsaufnahme
im späteren Kindesalter liegen Bestimmungen von Forster, Cammerer
und Hasse vor. Ich stelle im Folgenden kurz die Berechnungen dieser
verschiedenen Untersuchungen zusammen. Die Originalarbeiten von Bou-
chaud und Bartsch waren mir nicht zugänglich, ich citire dieselben nach
Vierer dt [Physiologie des Kindesalters).
Ahlfeld
[1
Hähner^
Woche
4.— 6.
Milchraenge
674
Gewicht
3740
«3
190
Milchmenge
666
Gewicht
3821
217
7.— 9.
819
4079
219
802
4651
198
10.— 12.
834
4889
198
788
5208
178
13.— 15.
976
5522
213
834
5587
181
16.— 18.
1007
6207
203
813
5967
168
19.-21.
1028
6832
194
868
6395
171
22.-24.
1040
7401
186
849
6685
163
25.-27.
1062
7782
184
1018
6920
191
28.-30.
1270
8387
209
1215
7354
218
31.-33.
—
—
—
1070
7575
189
34.
—
—
—
1100
8040
187
Mittel:
199-6
187-4
^ Ueber Ernährung des Säuglings an der Mutterbrust. 1878.
^ Jahrbuch für Kinderheilkunde. 1880. XV.
* Der Berechnung des Wärmewerthes der Milch wurde die von Mendes de
Leon, Zeitschrift für Biologie, 1881, gefundene mittlere ZusaminensetzAing der Mutter-
milch zu Grunde gelegt; daraus l I,iter Milch = 0'678 (rund 0-68) Cal.
374 H. V. Hoesslin:
Die Untersuchungen Ahlfeld's umfassen 198 Tage, die Hähner's
238 Tage; die aus ihren Untersuchungen sich ergehende Grösse von a
besitzt also gegenüber den Berechnungen aus den übrigen Untersuchungen,
die meist nur wenige Tage umfassen, das Gewicht 198 bezw. 238. Bei
Hahn er war zugleich die angewandte Methode noch exacter (siehe a. a. 0.).
Ich will die Untersuchungen der übrigen Forscher auch nur noch als
Beispiele anführen, um zu zeigen, dass auch von den übrigen Forschern
im Durchschnitt keine den Zahlen Ahlfeld's und Hähner's widersprechen-
den Grössen gefunden wurden. Yorerst aber möchte ich auf den theilweise
berechtigten Einwurf eingehen, dass die mittlere Nahrungszufuhr beim
wachsenden Kinde nicht dem wirklichen mittleren Verbrauch entspricht,
da ja vom Kinde Organmasse angesetzt wird.
Die Gesammtaufnahme, in Calorien ausgedrückt, während der 198 Tage
beim Kinde Ahlfeld's betrug 124 400 Cal., beim Kinde Hähner's von
der 4. bis 34. Woche 132 600 Cal. Während der betreffenden Zeit nahm
das Kind Ahlfeld's um ca. ö-lö^'^™, das Hähner^s um 4'65^s™ zu.
Würde nun a beim Kinde denselben Werth haben wie beim Erwachsenen
= 156, so würde das Kind Ahlfeld's in der betreffenden Zeit etwas
weniger als 97 000 Cal., das Hähner'sche etwa 110 500 Cal. verbraucht
haben, die 5 •15''^™ Ansatz beim ersten Kinde müssten also 25,000 Cal.,
die 4.65'^'&™ des zweiten über 22 000 Cal. entsprechen, d. h. die 5'15''=™i
müssten zur Hälfte aus Organmasse, zur Hälfte aus reinem Fett bestehen;
die 4-65^^™ aus 2-550 ^'^'"^ Organmasse und 2-100'^s™ reinem Fett, was
Jedermann für unmöglich halten wird, wenn er bedenkt, dass das Wachs-
thum beider Kinder durchaus dem normalen Wachsthume wohlgenährter
Kinder entspricht, dass es nur wenig das von Quote let angegebene mitt-
lere Wachsthum überschreitet und man also dann annehmen müsste, dass
die Folge einer reichlichen Ernährung die sei, dass die eigenthche Organ-
masse langsamer und in geringerem Grade wächst als bei weniger guter
Ernährung! Selbst wenn man annimmt, dass die angesetzte Organmasse
10 Procent reines Fett enthielt, stellt sich die Constante a für das Kind
Ahlfeld's immer noch auf 180, für das Hähner's auf 173. Ich halte
durch diese Rechnung für zweifellos erwiesen, dass die Constante a beim
wachsenden Kinde einen bedeutend höheren Werth als beim Erwachsenen
besitzt. Ich darf vielleicht noch daran erinnern, dass das Kind eine pro-
centisch kleinere Muskelmasse besitzt und dass also relativ zur Muskel-
masse a noch grösser wird. Bevor ich die Untersuchungen der übrigen
Forscher anführe, möchte ich die meines Wissens bis jetzt einzige directe
Bestimmung des Umsatzes beim Kinde, die von Riebet gemacht wurde,
anführen, die vollkommen mit obigen Zahlen übereinstimmt. Aus den
Abhängigkeit des Umsatzes von dee Körperobeefläche. 375
Untersuchungen Rieh et 's bei Kindern von im Mittel 7*5''^"» (also von
der 32. bis 36. Woche ?)i berechnet sich « = 188.
C am m er er bestimmte an seinem eigenen fünften Kinde (Mädchen) die
Nahrungsaufnahme an einzelnen Tagen während des ersten Lebensjahres.
Das Kind war jedoch viel krank, hatte Geschwüre, Furunkeln, häufige Ver-
dauungsstörungen, später Perityphlitis, Periostitis u. s. w. In der Zeit vom
18. bis 163. Tage berechnet sich aus der Nahrungs zufuhr a = 143 — 144
— 145 — 140 — 138. Entsprechend der geringen Nahrungsaufnahme blieb
das Kind auch im Wachsthum etwas zurück, es wog am 109. Tage 5*2 ''^™
am 162. 6.1 '^'f™, während z. B. Ahlfeld's Kind zur betreffenden Zeit
5900 und 7500 wog. Ob übrigens der Grund, warum das Kind Cam-
merers so wenig Milch zu sich nahm, am Kinde selbst lag, erscheint mehr
als zweifelhaft, wenn man sieht, wie sofort nach dem Uebergange von
Muttermilch zu Kuhmilch das Kind bedeutend grössere Quantitäten zu sich
nahm; es beträgt nämhch vom 211. bis 245. Tage nach dem Uebergange
zur Kuhmilch a (der Nahrung) im Mittel =218! Das Kind zeigt auch
von dieser Zeit an ganz bedeutend stärkeres Wachsthum.
Dies ist das eine der beiden von Rubner ausgewählten Kinder zur
Vergleichung des Umsatzes im ersten Lebensjahr. Das zweite, das Kind
Forster's,^ giebt wieder das gleiche Resultat wie das Kind Ahlfeld's
und Hähne r's. Das Mittel aus beiden giebt nach Abzug des Ansatzes
gerade ein mit dem Umsätze des Erwachsenen ziemlich übereinstimmendes
Resultat. Es ist bei dem Kinde Forster's das a der Nahrungszufuhr
= 190, das a des Umsatzes, wenn man mit Rubner annimmt, dass der
Ansatz im Mittel die Zusammensetzung des Fleisches gehabt habe, a= 179,
wenn man annimmt, dass der Ansatz 10 Procent Fett enthalten habe a = 169,
Ferner:
Mädchen 14 Tage alt, Muttermilch (2-7'^^™) . . . « = 176
Kind besserer Stände 5 Monat, condens. Milch . . « = 215
Arbeiterkind 4 Monat, Mehlbrei « = 256
^/2 Jahr, gemischt a = 219.
Für das oben erwähnte Kind Cammerers ergiebt sich im Alter von
IY2 Jahren a (N.) = 205; mit 8V2 Jahren =150 (dauernd kränklich), für
Cammerer's 4. Kind (Mädchen) mit 3^2 Jahren = 180, mit IOV2 Jahren
^ Eichet giebt in Compte& rendus 1885 an, die Versuche an Kindern von zwei
bis vier Jahren ausgeführt zu haben, die angegebenen Gewichte schwanken aber nur
zwischen 6 und 9kgrm! Eg sind also jedenfalls sehr schlecht genährte Kinder gewesen.
Andererseits legte Eichet dieselbe", nackt in seinen Apparat; schuf also künstlich ab-
norme Verhältnisse für die Wärmeabgabe.
^ Handbuch für Hygiene. Ernährung. S. 127.
376 H. V. Hoesslin:
= 182, sein 3. Kind (Knabe) öVa Jahr = 217, I2V3 Jahr = 173, 2. Kind
(Mädchen) 9 Jahre = 193, 1. (Mädchen) IOV2 Jahr'^= 210. ^
Aus den von Bouchut^ angegebenen Zahlen berechnet sich a
(
brewiCüt
a
Für das Ende des 1. Monats
4000
170
J5 V JJ >? "' )?
4700
172
>J ?> V >? ^* »
5350
190
4
5950
197
?J » n J5 "^^ JJ
6500
186.
Aus Bauchaud's^ Zahlen
8. Tag
3155
168
30.— 38. „
3565
177
7. Woche
5017?
140?
9. „
5677
161
3.-4. Monat
5873
144
5. „
6847
160
Nach Bartsch* . 8. Tag
3302
212
„ Krüger^O.— 10. „
3250?
196
11. „
3300?
217
„ Cammerer^ 5. Monat
6800
298?
Nur aus Bauchaud's Zahlen berechnet sich also theilweise ein ähn-
lich niedriges a wie beim Kinde Cammerer's während der ersten Mo-
nate. Alle übrigen Zahlen stimmen mit den Zahlen Ahlfeld's und
Hähner 's vollkommen überein. Für über ein Jahr alte Kinder lässt sich
aus der Nahrungsaufnahme der Umsatz bei Körperruhe einstweilen auch
nicht einmal annähernd berechnen, da die Grösse des durch die geleistete
Arbeit erforderten Verbrauches völlig unbekannt ist. Doch will ich ausser
^ Für seine beiden ältcäten Mädchen ergeben sich im nahezu erwachsenen Zu-
stande (16 und ITVa Jahre alt) abnorm niedrige Zahlen für a (a der Nahruugs-
zufuhr = 100 und 114!). Ob die hier gefundene Nahrungsaufnahme wirklich der
mittleren Nahrungsaufnahme entspricht, dürfte auch nach den Bemerlfungen von C am-
merer selber sehr zweifelhaft sein, man würde aus diesen fragwürdigen Zahlen auf eine
sehr muskelschwache Constitution nothwendig schliessen müssen. Denn ein gesundes
Weib dürfte wohl nicht einmal bei völliger Körperruhe einen derartig niedrigen Um-
satz aufweisen. Uebrigens ergiebt sich gerade aus dem Absinken von a im reiferen
Alter deutlich der Einfluss der Jugend auf a. {Zeitschrift für Biologie. Bd. XXIV.)
^ Gazette des Mpitaux. 1874. S. 617.
^ De la mort par inanition etc. Versailles 1864.
* S. Vierordt, Physiologie des Kindesalters.
^ Archiv Jür GynaeJcologie. Bd. VII.
° Württemberg, medicinisches Correspondenzhlatt. 1876. Nr. 11.
Abhängigkeit des Umsatzes von der Körpeeobekfläche. 377
den üben angeführten Berechnungen der Angaben Cammerer's noch
folgende Zahlen für a (der mittleren Nahnmgszufuhr) angeben:
Cammerer 6 Jahre (V) H-Sö^^^™ «=160; 8 Jahre (?) 18^8™
(3 Versuche) «=188.5.
Hasse (Mädchen) 3 Jahre 15-8 1^^™, «=195; 5 Jahre 16- 8 ^g™
« = 238; 9 Jahre 31.2i^&'™ « = 202.5; 11 Jahre 40-6'^"™ « = 20G.
Uffelmann 2V3 Jahre (Knaben) 12.2''&™ a = 187; 4 Jahre (Knaben)
15.25'^8'"" «=192; 8 — 13 Jahren (Knaben) mittleres Gewicht 25 '^^™
«=177.5.
Um auch für das Greisenalter dieselbe Constante wie für das Mannes-
alter zu erhalten, vergleicht Rubner die Nahrungsmenge, die der Pfründner
nach den Bestimmungen von Forster im Durchschnitt täghch bei den
einzelnen Mahlzeiten vorgesetzt erhält, resp. die er resorbiren würde, wenn
er Alles Vorgesetzte aufzehrte, mit der Calorienmenge, die der jüngere Mann
bei voller Körperruhe im Respirationsapparate thatsächlich ver-
braucht. Aber gerade daraus, dass beide Zahlen annähernd übereinstimmen,
muss man nothwendig den Schluss ziehen, dass der Pfründner einen ge-
ringeren Umsatz hat als der jüngere Mann. Der Mensch, der täglich
qualitativ verschiedene Nahrung erhält und dessen Nahrung auch quan-
titativ (in Calorien ausgedrückt) von einem Tag zum anderen sehr be-
deutend wechselt, isst erfahrungsgemäss nicht täglich das ganze ihm vor-
gesetzte Nahrungsquantum pflichtgemäss bis zum letzten Brocken auf (wie
etwa ein Versuchshund, der täglich eine bestimmte Menge Fleisch erhält),
sondern er lässt einmal von der einen Speise oder von der anderen übrig,
isst überhaupt, je nachdem er sich wohl fühlt, an einem Tage mehr am
anderen weniger. Man muss desshalb aus hygienischen Gründen dem Manne
im Durchschnitt mehr Nahrung vorsetzen als er im Durchschnitt täglich
isst und verbraucht. Würde man ihm nur das ph3^siolügische Minimum,
das er zur Erhaltung des normalen Zustandes gerade bedarf, täglich vor-
setzen , so würde eben wegen der ungieichmässigen Nahrungsaufnahme
nach einiger Zeit eine Abnahme seines Ernährungszustandes eintreten, und
dann auch wieder der Umsatz geringer sein als die mittlere tägliche
Nahrungsmenge. Das hygienische Minimum muss deshalb höher ge-
griffen werden, als das physiologische Minimum liegt. Es beweist
die oben angeführte Thatsache also direct, dass der Umsatz im Greisen-
alter d. h. die Grösse « abnimmt. Die Verschiedenheit der Grösse « in
Jugend und Alter kann wohl nur auf eine (einstweilen in ihrem Wesen
unbekannte) Verschiedenheit des Zellprotoplasma's zurückgeführt werden
(s. S. 365).
378 H. V. HoESSLiN :
h) Nach meiner Theorie muss der Umsatz auch bei kaltblütigen
Thieren cet par. proportional iTVs gehen. Wenn die vorliegenden Be-
stimmungen des Umsatzes bei Fischen u. s. w. nicht durchaus eine ent-
sprechend gleiche Grösse für a ergeben, so liegt dies einestheils daran, dass
auf die S. 363 angeführten Bedingungen, die beim Vergleich verschiedener
Thiere erfüllt sein müssen, grösstentheils keine Rücksicht genommen war,
anderntheils daran, dass der wechselnde Ernährungszustand bei den kalt-
blütigen Thieren vielmal grössere Unterschiede im Umsatz bedingen muss
als bei warmblütigen; denn letztere sterben, sobald ihr Umsatz soweit
sinkt, dass die normale Körpertemperatur nicht mehr erhalten werden
kann, während bei den kaltblütigen Thieren das zum Leben nöthige
Nahrungsminimum einstweilen noch gar nicht festgestellt ist, jedenfalls
weit unter dem der ersteren liegt. Ebenso zeigt die mittlere Arbeitshöhe
viel grosse Unterschiede u. s. w. Dennoch tritt auch aus den bis jetzt
vorliegenden Untersuchungen bei kaltblütigen Thieren, das Gesetz deutlich
hervor : der Umsatz pro Kilo nimmt mit der Körpergrösse ab, während
pro K"'!^ die Unterschiede erstens sehr viel kleiner, zweitens unabhängig
von der Körpergrösse werden. Ich führe als Beispiel aus den Untersuchungen
Jolyet's und Regnard's' Folgendes an:
Süsswasserfische:
relativ
OproSt. O O
Thiere Gew. Wasser- in Ccm. pro KVz pro K pro K"k
s'™ temp. pro Kilo □'"m
vorübergehender
' ^ Sauerstoifmangel
Cj; rinus phox.
5
16
140 2-4
2-9
1.1
Cobitis foss.
16
17—22
86 2-2
1.8
1.0
Muraena ang.
112
15
48 2-3
1.0
1.0
Cyprinus tinc.
222
14
55-7 3-2
Seefische:
1-2
1.5
Mullus
28
14
134 4-0
2.8
1-2
Pleuronectes sol.
185
14
73.5 4.2
1.6
1.3
Raia torpedo
315
14.5
47 3.2
1
1
Aus den Untersuchungen Baumert 's
Cobitis foss. 43—61 13 27-2^1.0 2-1 1-25
Cyprinus tinc. 190—223 10 13-2 0-76 1 1
Das Schwanken der Grösse a unter dem Einüuss der Grösse der
Muskelmasse, der mittleren Arbeit, des Ernährungszustaudes, Alters sind
^ Ai^cJiives de Physiologie norm, et patJiol. 1877. (2) t. IV.
^ Chemische Untersuchungen über die Respiration des Scldammpeitzgers. Bres-
lau 1855.
Abhängigkeit des Umsatzes von der Körpeeoberfläche. 379
sämmtlich unerklärlich vom Standpunkte derjenigen Theorie, die das Be-
stimmende für die Höhe der Wärmehildung in der Höhe des voraus-
gegangenen Wärmeverlustes sucht. Die Veränderungen iler Grösse a unter
dem Einflüsse obiger Momente, dienen daher einestheils als directe Be-
weise der Richtigkeit der von mir entwickelten Theorie, wie als weitere
directe Widerlegungen der Oberflächentheorie.
Wenn gieichgrosse Thiere unter den Tropen, wie in den Polargegen-
den, in der heissen Luft der Tropen, wie im Wasser des Polarmeeres den-
noch nur relativ wenig verschiedene Wärmemengen bilden, wie schon
der homologe Bau ihrer inneren Organe beweist (S. 333 c), dann kann
bei verschiedengrossen im gleichen Klima lebenden Thieren unmöglich die
verschiedene Grösse der Oberfläche die direct bestimmende Ursache für die
verschiedene AVärmeabgabe sein.
Zum Schlüsse möchte ich mir noch einen weiteren k einen Rückblick
erlauben: Ich habe auf den Seiten 366 bis 368 die Constante a bei
Thieren berechnet, deren Körpergewicht um mehr als das 6000 fache
differirte (Sperling 20°™, Eber 135000"™) und doch nahezu die gleiche
Zahl dafür gefunden: 225 und 163, und ich konnte auch diese geringen
Abweichungen noch durch Annahmen erklären, deren Richtigkeit wohl
keinem Zweifel unterliegen kann. Für die Richtigkeit der theoretischen
Ableitung, dass die maximalen Functionsgrössen von Herz, Lunge, Darm
u. s. w. bei verschiedengrossen Thieren cet par. nur proportional K"i^
wachsen, liegt der Hauptbeweis gerade in der erwähnten Thatsache des
Gleichbleibens von a bei verschiedengrossen Thieren, besonders aber auch
im Nachweise, dass auch bei den Vögeln a nahezu denselben Werth hat,
wie bei den Säugethiereu. Denn wir haben gesehen, dass grössere Vögel
zur erfolgreichen Führung des Kampfes um's Dasein eines grösseren Um-
satzes bedürfen würden, als sich aus //' = aK^'^ ergiebt. Die Folge davon
ist aber nicht, dass nun in der That bei den grösseren Vögeln ein grösserer
Umsatz besteht, sondern die Folge ist die, dass die des andauernden Fluges
wirklich fähigen Vögel nur ein Gewicht, das höchstens dem eines kaum
mittelgrossen Hundes entspricht, besitzen, dass die wenigen grösseren Vögel,
die es giebt, nicht nach Art der übrigen Vögel leben, dass endlich die
weitaus grosse Mehrzahl der Vögel zu den kleinsten Formen warmblütiger
Thiere gehört, die es überhaupt giebt.
Nochmalige Bemerkung zur Theorie der Gesichts-
empfindungen.
Von
Prof. V. Kries
in Preiburg.
Im 42. Bande des Pflüger 'sehen Archives u. s. w. (S. 488) hat Hering
die früher in Aussicht gestellte Widerlegung der von mir gegen seine Theorie
des Gesichtssinnes erhobenen Einwände zu veröffentlichen begonnen und
zwar über die Unabhängigkeit der Farbengleichungen von den Erregbar-
keitsänderungen des Sehorgans sich ausgesprochen.^ — Wenn ich nach
einigem Schwanken mich entschliesse, in dieser Angelegenheit noch einmal
das Wort zu ergreifen, so geschieht dies hauptsächlich, weü ich wünsche,
einen ganz" bestimmten, nunmehr beiderseitig anerkannten Satz auch für
den Unbetheiligten als greifbares Ergebniss der zwischen Hering und mir
geführten Discussion zu constatiren. Dies ist durch die letzte Arbeit
Hering's ermöglicht; denn, wie sich zeigen wird, enthält dieselbe zwar
Mancherlei, was ich für unrichtig halten muss, stimmt aber wenigstens in
Bezug auf den Punkt, der mir der wichtigste ist, mit von mir Gesagtem
völlig überein.
Der Satz, auf den es mir ankommt ist der, dass in der He ring 'sehen
Theorie angenommen werden muss, es seien die thatsächlich mög-
lichen Combinationen der fünf Lichtvalenzen durch zwei durch-
gängig erfüllte Bedingungsgleichungen beschränkt. Hering
drückt dies so aus, dass er die Darstellbarkeit aller möglichen Reizquali-
täten in einer Ebene behauptet, und sagt demgemäss (a. a. 0. S. 497):
^ Es sei gestattet, im Folgenden die hier in Betracht kommende Thatsache,
dass die Farbengleichungen von den Erregbarkeitszuständen des Sehorgans unabhängig
sind, kurz mit dem Namen des Ermüdungs-Satzes zu bezeichnen.
V. KbIES: Zuit ThEOIUE der GESICllTSEMPriNDUNaFN. 381
„Alle auf der Mischebene vertretenen Verhältnisse verknüpft ein inneres
Gesetz, vermöge desselben es eben möglich ist, alle diese Verhältnisse in
Gemässheit der Schwerpunktsconstruction auf einer Ebene anzuordnen, und
es gilt von diesen Verhältnissen Manches, was von einer entsprechenden
Anzahl beliebig aus jener vierdimensionalen Mannigfaltigkeit heraus-
gegriffer und daher nicht auf einer und derselben Mischebene unterzu-
bringender Verhältnisse allerdings nicht gelten würde." Und weiter unten
heisst es: „Da die in den wirklichen Lichtern möglichen fünfgliedrigen
Verhältnisse eine beschränkende Bestimmung dadurch finden, dass sich
alle diese Verhältnisse in einer Mischebene unterbringen lassen, auf welcher
sie eine (wenn auch nicht vollständige) zweidimensionale Mannigfaltigkeit
darstellen, so . . . .''
Wiewohl nun diese Sätze bei Hering als von mir nicht beachtet
und zu einer Widerlegung meiner Einwürfe dienend erscheinen, so war
doch meine Arbeit „Zur Theorie der Gesichtsempfindungen" ^ gerade in erster
Linie dem Nachweise gewidmet, dass die Hering'sche Theorie zur An-
nahme dieses Satzes genöthigt sei. Ich sage dort (S. 115) ganz gleicher-
maassen, es werde die Annahme erforderlich, dass „zwischen den fünf Ur-
valenzen zwei Bedingungsgleichungen bestehen, welche für alle Lichtwellen-
längen gieichmässig erfüllt wären." ^
Auch in Bezug auf den genaueren Inhalt dieser Bedingungsgleichungen
besteht zwischen Hering und mir kein Widerspruch. Wichtig ist in
dieser Hinsicht, dass die beschränkenden Bedingungen, welche die fünffach
bestimmte auf eine dreifach bestimmte Mannigfaltigkeit reduciren, nicht
etwa in der einfachen Form vorgestellt werden dürfen, dass Assimilations-
und Dissimilationsvalenz sich ausschlössen, ein Licht bestimmter Wellenlänge
stets nur entweder A oder D Valenz besässe. Dies hier noch beson-
ders hervorzuheben bin ich dadurch veranlasst, dass Hering mit Vorliebe
die D und Ä Valenzen mit positiven und negativen Werthen einer Cuordi-
nate vergleicht. Dieser Vergleich ist nur in ganz beschränkten Beziehungen
zutreffend und legt immer den Irrthum nahe, als ob das System der
Valenzen in der erwähnten, allerdings sehr einfachen Weise sich als ein
dreifach bestimmtes auffassen lasse, ja als ein fünffach bestimmtes über-
haupt nur fälschlich erscheine , wenn man aus Bequemlichkeitsgründen
für die positiven und negativen Werthe verschiedene Bezeichnungen ein-
führe. Dies wäre aber eine ganz irrthümliche Vorstellung; vielmehr muss,
1 Dies Archiv. 1887. S. 113.
^ Hering hätte demnach, wie mich dünkt, nicht nöthig gehabt, nachdem ich ge-
zeigt, dass der Ermüdungssatz auf die Annahme zweier Bedingungsgleichungen zwischen
den 5 Valenzen führe, mir auseinanderzusetzen, dass er sich unter einer derartigen
Annahme als nothwendige Folgerung ergebe.
382 V. Keies:
wie auch. Hering ausdrücklich angegeben hat, angenommen werden, dass
z. B. das gelbe Licht für die rothgrüne Sehsubstanz sowohl B als A
Valenz besitzen. In der That also muss die Eeduction der fünffach auf die
dreifach besstimmte Mannigfaltigkeit, in einer ganz anderen Weise gedacht
werden, nämlich so, dass eine durchgängig (für alle Lichtwellenlängen) er-
füllte Relation zwischen Weiss-, Roth- und Grünvalenz, ebenso eine zwi-
schen Weiss-, Gelb- und Blauvalenz stattfindet. Welcher Art diese ist,
lässt sich an dem dichromati sehen System des Farbenblinden am leichtesten
zeigen; die einfachste Form habe ich (a. a. 0. S. 115) schon angedeutet, und
sie ist genau dieselbe, welche auch Hering für seine geometrische Dar-
stellung gewählt hat. Denkt man sich mit Hering (a. a. O. S. 500) die Valenz-
verhältnisse der verschiedenen Lichtarten der Schwerpunktsconstruction ent-
sprechend auf einer geraden Linie aufgetragen und ist die Weissvalenz durch
die der Abscisse parallele Werthlinie tp rp dargestellt, so besagt dies, dass
die Maasseinheiten der verschiedenen Lichter so gewählt sind, dass die
Weissvalenz für alle die gleiche ist. Zugleich ist, da die Gelbvalenz eines
Lichtes dem Abstand des ihm zugehörigen Punktes von dem einen Ende
der Linie, die Blauvaleuz dem Abstand von dem anderen Ende i3roportional
ist, die Summe der Gelb- und Blauvalenz für alle Lichter die gleiche. Der
Zusammenhang, der diese Darstellung der Weissvalenz durch eine der
Abscisse parallele, der Gelb- und Blauvalenz durch zwei unter gleichem
Winkel gegen die Abscisse geneigte gerade Linien ermöglicht, ist also der,
dass die Weissvalenz dieselbe Function der Wellenlänge ist,
wie die Summe der Gelb- und Blauvalenz.^
Eine positive Differenz besteht nun zwischen Hering und mir inso.
fern, als ich die Noth wendigkeit der mehr erwähnten Annahme aus dem
Ermüdungssatze hergeleitet habe, während Hering meint, sie ergebe sich
schon aus dem New ton' scheu Mischungsgesetze. Indessen besagt doch
das Newton 'sehe Gesetz lediglich, dass man alle verschieden aussehen-
den (für die Empfindung verschiedenen) Lichter in einer Ebene dar-
stellen könne, besagt also die dreifache Bestimmtheit der Empfindungs-
effecte, nicht aber der Reizqualitäten. Dass also alle Combinationen der
Valenz- Verhältnisse sieb auf einer Ebene darstellen lassen, ist erst eine
Folgerung aus dem Newton' sehen Gesetze, und zwar eine berechtigte
nur dann, wenn man entweder nicht mehr als drei Valenzen annimmt,
oder (bei Annahme von mehr als drei Valenzen) wenn man die weitere
Voraussetzung einführt, dass Gleichheit des Empfindungseffectes nur bei
^ Derjenige Zusammenhang, der die Darstellung der drei Valenzen durch drei
beliebig gegen die Abscisse geneigte Werthlinien ermöglicht, ist natürlich der, dass
die Weissvalenz für alle Lichtarten dieselbe lineare Function der Gelb- und Blau-
valenz ist. {W^ a G + ßBL)
Nochmalige Bemeekung zuß Theokie der Gtesichtsempeindungen. 383
Gleichheit säinintlicher Valenzen stattfinde. Dies kann nun auf Grund
des Ermüdungssatzes in der That behauptet werden; sehen wir aber von
diesem ab, so erscheint es im Allgemeinen und insbesondere auch bei der
vuu Hering angenommenen Art des Antagonismus von // und B Valenzen
durchaus denkbar, dass z. B. ein Lichtgemisch weder A noch B Valenz,
ein anderes gleichstarke A und B Valenz darstellt, also beide trotz gleichen
Empfindungseffectes ungleiche Valenzen besitzen, mit anderen Worten, dass
trotz der Giltigkeit des Newton' sehen Gesetzes sich die sämmtlichen
möglichen ßeizqu alitäten oder Valenzverhältnisse nicht in einer Ebene
darstellen lassen.^
Uebrigens habe ich gar keine Veranlassung, diesen Punkt hier be-
sonders zu urgiren; denn es kam mir überhaupt nur darauf an, die Noth-
wendigkeit jener Annahme (der zwei Bedingungsgleichungen) zu etabhren
und auf die Bedeutung hinzuweisen, welche sie für die Hering' sehe Theorie
gewinnt. Was nun diese Bedeutung anlangt, so wird sie, wie mir scheint,
wenn in dieser Hinsicht einmal Meinungsverschiedenheiten bestehen, kaum
fruchtbar discutirt werden können. Es versteht sich von selbst, dass man
sich, ohne über die der Hering' sehen Theorie eigenthümhchen Vorstellungen
hinauszugehen, mit der Annahme begnügen kann, die Beschaffenheit der
Sehsubstanzen sei einmal so, dass dadurch jener Zusammenhang der ver-
schiedenen Valenzen bedingt werde. Dem Ermessen jedes Physiologen
' Her i Dg postulirt den Satz, dass Gleichheit der EmpfinduDg nnr bei Gleich-
heit sämmtlicher Valenzen bestehe, ohne jeden ersichtlichen Grund als einen unmittel-
bar selbstverständlichen. — Ich bemerke bei dieser Gelegenheit, dass Hering in einer
ähnlich unberechtigten Weise auch den richtigen Satz, dass gleiche nervöse Processc
(Erregungsvorgänge) die gleiche Empfindung ergeben müssen, dahin umkehrt, dass aus
der Gleichheit der Empfindungen stets auf die Gleichheit der Erregungsvorgänge ge-
schlossen werden müsse. Hering sagt (a. a. 0. S. 493): „Wenn zwei physikalisch
verschiedene Lichter uns mittels zweier Theile des Sehorgans von gleicher Erregbar-
keit dieselbe Empfindung erzeugen, so müssen wir annehmen, dass die beiden Lichter
in diesen beiden Theilen dieselbe Art und Weise des Erregungsvorganges bewirken.
Sind die beiden Erregungen völlig gleich, so werden es auch die Empfindungen sein
müssen." Man könnte durch diese Ausdrucksweise auf den Gedanken kommen, dass
Hering den Inhalt des ersten und zweiten Satzes für aequivalent hält! Die Ausser-
achtlassung der Möglichkeit, dass auch ungleiche Erregungsvorgänge gleiche Empfin-
dung bewirken, ist bei Hering um so befremdlicher, als er doch selbst der Meinung
ist, dass „psychophysische Processe von sehr verschiedener Grösse dieselbe Empfindung
geben können, weil es überall nicht auf die absolute Grösse derselben, sondern nur
auf ihr Verhältniss ankommt." Ich erwähne diesen Punkt hier, nicht weil ich etwa
selbst diese oder eine ähnliche Vorstellung für wahrscheinlich hielte, sondern nur bei-
läufig zur Kechtfertigung meiner, an der angeführten Stelle von Hering kritisirten
älteren Arbeiten. Wer die hier gerügte Verwechselung vermeidet, wird die Unzulässig-
keit der Hering'schen Argumentation leicht erkennen.
384 V. Kries:
kann es überlassen bleiben, ob er dies thun uder aber diese Vorstellung als
eine zu unwahrscheinliche, das Bestehen jener Bedingungsgleichungen als
etwas zunächst ganz Räthselhaftes und zum Mindesten einer weiteren Er-
klärung Bedürftiges erachten will. Das letztere habe ich gethan und thue
es noch. AVer mir hierin folgt, wird mir zustimmen müssen, dass durch
den Mangel irgend einer Erklärung für jene die Valenzen
verknüpfenden Bedingungsgleichungen die Theorie sich entweder
als unhaltbar oder wenigstens wichtiger Umgestaltungen bedürftig erweist.
Welcher Art diese sein müssen,, liegt auf der Hand, es wird für einen
mehr peripherwärts gelegenen Theil des Gesichtsapparates eine Beschaffen-
heit anzunehmen sein, vermöge welcher in ihm nicht sechs, sondern nur drei
durch Licht influirbare Vorgänge ablaufen können. Denken wir uns diese
Vorgänge als Träger der Ä und D Valenzen, so ist es verständlich, dass
diese einen inneren Zusammenhang zeigen, dass die gesammte Maunigfaltig-
keit der thatsächlich möglichen Combinationen eine nur dreifach bestimmte
ist. Mit dieser Ergänzung ist dann aber auch bezüglich der Peripherie
eben jene Vorstellung gewonnen, welche den Hauptinhalt der Young-
Helmholtz'schen Lehre ausmacht. Demgemäss würde einzuräumen sein,
dass, auch wenn man bezüglich der psjchophysischen Vorgänge sich der
Anschauung Hering' s anschliesst, die Erklärung gewisser fundamentaler
Thatsachen der physiologischen Optik doch erst in ganz andersartigen be-
züglich der peripheren Vorgänge zu machenden Annahmen gefunden wer-
den kann.^
^ Ausdrücklich mag hierbei bemerkt werdeu, dass wenn man sich die Heriug'-
sche Theorie in diesem Sinne durch die Annahme einer peripheren 3 coraponeutigen Glie-
derung ergänzt denkt, es zunächst m suspenso bleiben könnte, ob mau die Ermüdung
des Sehorgans auf Variirungeu dieses peripheren Theils oder der centralen Theile (der
H er ing'schen Sehsubstanzen) beziehen will. Auch das letztere wäre zulässig. Ich er-
wähne dies, weil ein Satz meiner „Entgegnung an Hrn. E. Hering" (Pilüger's ArcJiiv
u. s. w. Bd. XLI. S. 339) vielleicht die Auffassung zulässt, als ob ich es gerade für un-
erlässlich hielte, die Ermüdungsvorgänge in einem 3componeutig gegliederten Theil des
Gesichtsapparates zu localisiren. Ich habe dort gesagt (a. a. O. S. 396J ,,nur durch die
Annahme, dass dem Licht nur drei verschiedene Reizwerthe zukommen und dass die Er-
müdung auf der Variirung von drei Erregbarkeiten beruhe", werde die besprochene Schwie-
rigkeit fortfallen. Dieser Satz bezieht sich, wie die ganze Arbeit, nur auf die einfache
Vorstellung, wie sie der Young-Helmholtz'schen sowohl als der Heriug'schen
Theorie eigenthümlich ist, dass nur eine Gliederung des Sehapparates in Betracht ge-
zogen wird, wobei dann aus der Annahme von nur drei Processen sofort auch die An-
nahme von drei variirbaren Erregbarkeiten folgen würde. Lässt man einmal verschie-
dene Gliederungen des Apparates zu, so wird natürlich bei der Annahme eines peripheren
3 componentigen Theiles das Newton'sche Gesetz sowohl wie der Ermüdungssatz
genügend erklärt erscheinen, auch wenn man sich die Umstiramungen in einem anderen
Theile des Apparates stattfindend denkt.
Nochmalige Bemerkung zur Tukouik der Gesicutsempfindungen. 385
Hering hat sich über diesen Punkt, bezüglich dessen ich eine Aeusse-
ruug von ihm in erster Linie gewünscht hätte, leider nicht ausgesprochen;
er spricht, wie vorher angeführt, von einem „inneren Gesetz", welclies die
Valenzen verknüpft, aber er sagt Nichts darüber, in welcher Einrichtung
des Gesichtsapparates dieses innere Gesetz seinen Grund finden möge. Un-
möglich kann es seine Absicht sein, diese Frage damit abzulehnen, dass
der in Rede stehende Zusammenhang der Valenzen sich aus dem N e w t o n'schen
Gesetze unmittelbar (und nicht, wie ich meine, erst unter Berücksichtigung
des Ermüdungssatzes) ergebe. Auch das Newton'sche Gesetz ist doch eine
Thatsache der physiologischen Optik, welche verständlich zu machen Auf-
gabe einer Theorie des Gesichtssinnes ist. Zwänge also vsdrklich schon
das Newton'sche Gesetz zu der Annahme der mehrerwähnten Bedingungs-
gleichungen, so würde, falls die Theorie diese nicht befriedigend zu deuten
weiss, schon das Newton'sche Gesetz durch die Theorie nicht erklärt sein.
Ob wir also durch den Ermüdungssatz oder durch das Newton'sche Ge-
setz zu der Annahme der Bedingungsgleichungen gedrängt werden, das
ist hinsichtlich des von mir gegen die Theorie erhobenen Einwandes völlig
irrelevant.
Hiernach ist ersichthch, dass die Hering 'sehe Arbeit lediglich die
(übrigens nicht richtige) Behauptung enthält, dass die Schwierigkeit der
Theorie, auf welche ich hinwies, aus anderen Thatsachen sich ergebe, als
aus welchen ich sie folgerte, somit nichts weniger als eine Widerlegung
meines Einwandes ist, vielmehr als solche nur dem erscheinen kann, der
den Sinn desselben nicht verstanden hat. — Dass die dreifache Bestimmtheit
des Systems der Valenzen stattfinden kann, auch wenn die Zahl derselben
eine beliebig grosse ist, versteht sich von selbst; ich habe dies keineswegs
übersehen, wie Hering meint, wenn er sagt, ich habe es unterlassen, das
Newton'sche Gesetz „aus einem anderen Gesichtspunkte als dem der
Young-Helmhotz 'sehen Theorie zu erwägen". Diese Erwägung führt
mich vielmehr immer zu dem ganz unwidersprechüchen Kesultat, dass jene
dreifache Bestimmtheit mit der Natur des Gesichtsapparates unmittelbar
gegeben und verknüpft erscheint, wenn nur drei Valenzen angenommen
werden, während bei der Annahme von mehr als drei die thatsächlich nur
dreifache Bestimmtheit ihrer möglichen Combinationen unerklärt und Gegen-
stand weiterer Frage bleibt. Und ich habe meinen Einwand nur deswegen
nicht an das Newton' sehe Gesetz , sondern an den Ermüdungssatz
geknüpft, weil die Hering 'sehe Theorie die dreifache Bestimmtheit
des Systems der Empfindungen von Anfang an ergab, die dreifache Be-
stimmtheit der durch Licht hervorzurufenden Erregungsvorgänge ebenfalls
durch eine Hypothese über den Antagonismus assimilirender und dissimi-
hrender Valenzen verständfich zu machen suchte, nur für die dreifache
Archiv f. Ä. u. Ph 1888. Physiol. Äbthlg. 25
386 V. Keies:
Bestimmtheit des Systems der Valenzen gar keine Erklärung liefert. , Yiel-
leicht hält Hering eine Erklärung der Thatsache, dass das System der
optischen Valenzen, obgleich deren fünf angenommen werden, doch nur ein
dreifach bestimmtes ist, für ausserhalb der Aufgabe liegend, welche er
seiner Theorie steckt. Sobald er dies ausspricht, würde ich den Zweck
meiner Erörterungen für vollkommen erreicht halten. Ob das Ergebniss
alsdann eine Widerlegung oder eine Anerkennung meiner Einwände dar-
stellen würde, darüber wird sich ja jeder Leser, der sich aus litterarischen
oder persönlichen Gründen dafür interessirt, sein Urtheil bilden können.
Da, wie gezeigt, die nur dreifache Bestimmtheit des Systems der
Valenzen nunmehr als beiderseitig anerkannt gelten kann, und nachdem
ich meine Ansicht von der theoretischen Bedeutung dieser Thatsache noch-
mals in einer, wie ich hoffe, jedes Missverständniss ausschliessenden Weise
ausgesprochen habe, erachte ich die durch die neuerliche Discussion des
Ermüdungssatzes mir erwachsene Aufgabe für erledigt.
Nachtrag.
Während die obige Mittheilung zum Druck gegeben war, ist eine
weitere mich betreffende Publication He ring 's erschienen und darin zu-
gleich eine Anzahl noch weiterer angekündigt. Ich bemerke demgemäss,
dass ich, wie erwähnt, mich zu der vorstehenden Notiz nur im Hinblick
auf ein bestimmtes in der Discussion zu Tage getretenes Ergebniss ent-
schlossen habe, im Uebrigen es ganz und gar nicht meine Absicht ist, mit
Hering in eine fortlaufende öffentliche Erörterung zur Genüge besprochener
Gegenstände einzutreten. Wenn ich demnach Hering im Allgemeinen das
letzte Wort lassen werde, so bitte ich dies nur in dem Sinne zu deuten, dass
ich über die betreffenden Punkte mich hinlänglich ausgesprochen zu haben
glaube, nicht in dem, als ob ich auf Hering' s Ausführungen Nichts zu er-
widern hätte. Die Berechtigung dieses Verfahrens wird derjenige anerkennen,
der sich mit der Art und Weise der He ring 'sehen Polemik im Gebiete der
physiologischen Optik (nicht mir allein gegenüber) bekannt gemacht hat.
Ich denke hierbei nicht einmal in erster Linie an den Ton, in welchem
Hering schreibt, sondern vor Allem an die Willkürlichkeiten und logischen
Seltsamkeiten, welche seine Argumentationen aufweisen. Einige Beispiele
mögen illustriren, was ich hiermit meine. In seiner ersten polemischen
Arbeit^ behauptete Hering, die Wirksamkeit des gelben Lichtes auf die
1 Pflüger's Archiv u» s. w. Bd. XLI. S. 32.
Nochmalige Bemerkung zur Theorie der Gesiohtsempfindungen. 387
(nicht neutral gestimmte) rothgrüne Substanz habe schon daraus gefolgert
werden können, dass gelbes Licht nach Einwirkung von rothem Licht grün-
lich, nach Einwirkung von grünem Licht röthlich erscheint. Jedermann
weiss aber, dass nach Einwirkung von rothem oder grünem Licht Clrün
resp. Roth auch ohne Einwirkung von gelbem Licht (im verdunkelten
Auge) gesehen wird. Die Wirksamkeit des gelben Lichtes auf die rothgrüne
Substanz kann also jener einfachen Thatsache durchaus nicht ohne Weiteres
entnommen werden.^ — In der obigen Mittheilung wurde schon erwähnt (S. 383,
Anmerkung), in wie unzulässiger Weise von Hering die beiden Sätze, dass
gleiche nervöse Vorgänge gleiche Empfindungen ergeben, und dass gleiche
Empfindungen stets durch gleiche nervöse Processe bedingt sind, durch
einander geworfen werden. — In seiner neuesten Arbeit bespricht Hering
die Annahme, dass die Beleuchtung einer Xetzhautstelle die Erregbarkeit
benachbarter Nervenfasern modificire, und die, dass sie in den benachbarten
Theileu eine reichlichere Ernährung anrege. Er sagt, diese beiden An-
nahmen schlössen, vom Standpunkte der Young' sehen Hypothese be-
trachtet, sich aus; denn nach dieser „würde die Herabsetzung der Erreg-
barkei